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Full text of "Sahărâ und Sûdân : Ergebnisse sechsjähriger reisen in Afrika"

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Sahara  und  Sudan 

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Gustav  Nachtigal 


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TRIPOLIS,  FEZZÄN,  TIBESTI  und  BORNU. 


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SAHARA  UND  SUDAN. 

ERGEBNISSE  SECHSJÄHRIGER  REISEN  IN  AFRIKA 

VON 

Dr.  GUSTAV  NACHTIGAL. 


ERSTER  TU  EIL. 


MIT  NEUNUNDVIERZIG  HOLZSCHNITTEN  UND  ZWEI  KARTEN. 

sr/  a 

//-?3  3 

BERLIN,  1879. 

W EIDM ANNSC.IE  BUCHHANDLUNG  WlEGANDT,  H EMI’EI.  & PAREV 

(Hans  Reim kh).  (Paul  Parry). 


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U .b  • AfK.  $4*'  *v  C ') 


Prof.  Dr.  W.  Krickeberg 

B»rlin-Wi!mersdorf 
Detmolder  Straße  10 

1i 


Das  Recht  eine  l ebersetzung  ins  Englische  und  Französische  zu  veranstalten 
wird  Vorbehalten. 


" RECEIVED 

*pr  i i 4077 

gfcABÖOl  MU86UI1 


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SEINER  MAJESTÄT 

DEM 

DEUTSCHEN  KAISER, 
KÖNIG  WILHELM  VON  PREUSSEN 


IN  TIEFSTER  EHRFURCHT 


AI.LKKL'NTEKTHANIGST  GEWIDMET. 


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Vorwort. 


Die  grossartigen  Erfolge,  welche  die  Afrika- Forschung  gerade 
in  den  letzten  Jahren  errungen  hat,  durften  in  mir  die  Besorg- 
nis erwecken,  dass  das  Interesse  für  Reisen,  welche  vor  nun  be- 
reits vier  Jahren  ihren  Abschluss  fanden,  sich  inzwischen  gewisser- 
massen  abgeschwächt  habe.  Der  Umstand  jedoch,  dass  die  epoche- 
machenden Entdeckungsreisen  der  letzten  Jahre  in  Afrika  sich 
ausschliesslich  auf  die  südäquatoriale  Hälfte  des  Continents  er- 
streckten, die  meinigen  hingegen  sich  stets  nördlich  vom  Acquator 
hielten,  sowie  die  freundliche  Bcurtheilung,  welche  meine  fragmen- 
tarischen Veröffentlichungen  in  den  weitesten  Kreisen  erfuhren,  er- 
muthigen  mich,  nunmehr  mit  den  Gesammtcrgebnissen  meiner  Reisen 
in  der  grossen  Wüste  und  den  Sudan-Ländern  vor  die  Ocffentlichkeit 
zu  treten. 

Die  allseitige  Anerkennung,  welche  mich  nach  der  Beendigung 
meiner  fast  sechsjährigen  Wanderungen  belohnte  und  mir  stets  in 
dankbarster  Erinnerung  bleiben  wird,  berechtigte  wohl  zu  der  Erwar- 
tung, dass  ich  meine  Erfahrungen  in  schnellerer  Weise  verarbeiten 
würde,  als  es  mir  thatsächlich  gelungen  ist,  und  mancher  Leser  wird 
mit  um  so  höheren  Ansprüchen  an  das  Buch  hcrantreten,  je  länger 
sich  die  Veröffentlichung  desselben  verzögert  hat.  Doch  nach  meiner 
Rückkehr  in  die  Heimath,  welche  ich  dreizehn  Jahre  zuvor  verlassen 
hatte,  traten  mancherlei  Ansprüche  an  mich  heran  und  zersplitterten 
meine  Zeit,  und  die  schwierige  und  zeitraubende  Sichtung  meiner  oft 


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VIII 


VORWORT. 


unter  den  ungünstigsten  Verhältnissen  gemachten  Reisenotizen  hat 
langsamere  Fortschritte  bedingt,  als  ich  jemals  voraussetzen  zu 
müssen  glaubte. 

Wenn  gleichwohl  meine  Arbeit  nach  vielen  Richtungen  nicht 
den  Vorzug  gewinnen  konnte,  den  Anforderungen,  welche  man  an 
die  exacte  geographische  Forschung  zu  stellen  berechtigt  ist,  völlig 
Genüge  zu  leisten,  so  liegt  der  Grund  für  diese  Thatsache  in  dem  be- 
dauerlichen Umstande,  dass  ich  bei  Uebernahme  der  Sendung,  welche 
die  Veranlassung  zu  meinen  übrigen  Reisen  geworden  ist,  für  wissen- 
schaftliche Forschungen  nicht  genügend  vorbereitet  war.  Als  Arzt 
in  Tunis  lebend,  hatte  ich  keine  Gelegenheit  gehabt,  mir  die  Kennt- 
niss  der  astronomischen  Beobachtungsmethoden  zu  geographischen 
Ortsbestimmungen  anzueignen,  ohne  welche  in  neuester  Zeit  kaum 
noch  ein  Reisender  ausgeschickt  wird.  Ich  habe  mich  zwar  bemüht, 
diesen  Mangel  durch  eine  möglichst  sorgfältige  Wegaufnahme  und 
durch  die  Beschaffung  eines  grossen,  auf  Erkundigungen  beruhenden, 
topographischen  Materials,  soweit  in  meinen  Kräften  stand,  weniger 
fühlbar  zu  machen,  doch  für  die  richtige  Verwendung  des  letzteren 
würden  einige  sichere  Punkte  von  unschätzbarem  Werthe  gewesen 
sein.  Auch  in  wichtigen  Zweigen  der  beschreibenden  Naturwissen- 
schaften waren  meine  Kenntnisse  unzulänglich,  und  ich  gebot  leider 
niemals  über  die  nöthigen  Mittel,  um  diesen  Mangel  durch  natur- 
wissenschaftliche Sammlungen  cinigermassen  ersetzen  zu  können. 
Aehnlich  verhielt  sich  in  diesen  Beziehungen  mein  Vorgänger  in 
einem  mit  dem  meinigen  zum  kleineren  Theile  zusammenfallenden, 
zum  grösseren  demselben  benachbarten  Forschungsgebiete,  Heinrich 
Barth,  und  ihn,  der  ungefähr  mit  denselben  inneren  und  äusseren 
Schwierigkeiten  zu  kämpfen  hatte,  nahm  ich  mir  zum  beständigen 
Vorbilde. 

Meine  Mittellosigkeit  während  der  ganzen  Reisezeit  muss 
zur  gerechten  Beurtheilung  meiner  bescheidenen  Leistungen  in 
billige  Erwägung  gezogen  werden.  Sobald  ich  die  Mission,  Ge- 
schenke Sr.  Majestät  unseres  Kaisers  und  Königs  an  den  Herr- 
scher von  Bornü,  Scheich  Omar,  zu  überbringen,  erfüllt  hatte, 
durfte  ich,  da  ich  von  der  heimathlichen  Regierung  keinerlei  Auf- 


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VORWORT. 


IX 


trag  zu  weiteren  Reisen  empfangen  hatte,  nur  auf  eigene  Hilfs- 
quellen rechnen.  Zu  der  Kärglichkeit  dieser  kam  die  damalige 
Seltenheit  der  Karawanen  zwischen  Tripolitanien  und  Bornü,  welche 
auch  diejenigen  Mittel,  die  mir  inzwischen  durch  das  Wohlwollen  der 
Regierung  und  der  geographischen  Gesellschaft  zu  Berlin  zugewendet 
worden  waren,  erst  nach  Jahren  in  meine  Hände  gelangen  liess.  So  lebte 
und  reiste  ich  lange  Zeit  theils  durch  die  grossmüthige  Unterstützung 
des  Scheich  Omar,  theils  durch  Darlehne,  welche  ich  bei  nordischen 
Kaufleuten  aufnahm,  fiel  dadurch  der  Abhängigkeit  von  Anderen 
anheim,  war  zu  einer  Sparsamkeit  gezwungen,  welche  mich  in  den 
verderblichen  Ruf  des  Mangels  an  Freigiebigkeit  brachte,  und  musste 
zur  Ausführung  meiner  Pläne  eine  unverhältnissmässig  lange  Zeit 
opfern.  Wenn  ein  Reisender  nicht  in  der  Lage  ist,  sich  durch  an- 
gemessene Geschenke  an  die  Machthaber  die  Wege  zu  bahnen,  wenn 
er  gelegentlich  vor  dem  Ankäufe  eines  Lastthiers  zurückschrccken 
und  überlegen  muss,  ob  er  seinen  Leuten  eines  Tages  einen  Hammel 
schlachten  dürfe  oder  nicht,  so  ist  es  schlimm  um  ihn  bestellt.  Die 
ewige  Sorge  um  die  Bedürfnisse  des  täglichen  Lebens  nagt  an  seiner 
Thatkraft,  die  ohnehin  schon  durch  Klima,  Krankheit  und  geistige 
Vereinsamung  leidet,  und  beeinträchtigt  natürlich  seine  wissenschaft- 
liche Thatigkeit. 

In  allen  Ländern,  welche  zu  besuchen  mir  vergönnt  war,  bin  ich 
bestrebt  gewesen,  über  die  abseits  von  meinen  Reisewegen  liegenden 
Gegenden  möglichst  viele  Erkundigungen  zu  sammeln,  deren  Ein- 
ziehung mir  durch  meine  Vertrautheit  mit  der  arabischen  Umgangs- 
sprache und  eine  leidliche  Kenntniss  des  Bornü -Idioms  erleichtert 
wurde,  und  habe  in  diesem  Reiseberichte  dann  versucht,  dieselben 
mit  meinen  eigenen  Beobachtungen  zu  einem  Ganzen  zu  verarbeiten. 
Wenn  auch  viele  Einzelheiten  sich  bald  als  fehlerhaft  heraussteilen 
mögen  und  cxacteren  Untersuchungen  und  Beobachtungen  weichen 
werden,  so  gebe  ich  mich  doch  der  Hoffnung  hin,  dass  meine  Arbeit 
dem  Leser  ein  wahrheitsgetreues  Gesammtbild  von  Ländern  und 
Völkern  ermöglichen  wird,  über  die  entweder  bisher  nur  vereinzelte 
Daten  aus  früheren  Reisen  Vorlagen,  oder  welche  niemals  vor  mir 
von  gebildeten  Reisenden  besucht  worden  sind. 


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X 


VORWORT. 


Die  sich  auf  die  Topographie  erstreckenden  Erkundigungen  zur 
kartographischen  Darstellung  eines  I^andes  zu  verwerthen,  ist  eine 
entsprechend  der  Unsicherheit  und  Dehnbarkeit  des  Materials  zeit- 
raubende und  unbefriedigende  Arbeit,  welche  im  vorliegenden  Falle 
einen  nicht  unwesentlichen  Antheil  an  dem  verzögerten  Erscheinen 
des  Buches  hat.  Ich  bin  dem  Ingenieur-Geographen,  Herrn  Kuno 
Streit,  zu  Danke  verpflichtet  für  das  Vcrständniss  und  den  Eifer  mit 
denen  er  mich  bei  der  Herstellung  der  Karten  unterstützt  hat.  — 
Auch  der  hülfreichen  Rathschlage  Anderer  habe  ich  mich  zu  erfreuen 
gehabt.  Dem  rühmlichst  bekannten  Botaniker  und  Pflanzengeographen 
Herrn  Prof.  Dr.  P.  Ascherson,  ist  die  Feststellung  mancher  in  meinen 
Notizen  erwähnten  Pflanzen,  welche  nicht  von  mir  identificirt  werden 
konnten,  gelungen;  Herr  Dr.  G.  v.  Boguslawski,  Sectionsvorstand  im 
hydrographischen  Bureau  der  Kaiserlichen  Marine,  ist  mir  bei  der 
Zusammenstellung  der  meteorologischen  Beobachtungen  und  der  Ab- 
leitung von  Höhenschätzungen  bchülflich  gewesen,  und  der  gelehrte 
Orientalist,  Herr  Dr.  Wetzstein,  war  stets  bereit,  mir  iiber  die  Recht- 
schreibung der  Wörter  arabischen  Ursprungs  Auskunft  zu  geben. 

Leider  ist  in  der  letztgenannten  Beziehung  meine  Absicht,  die 
richtige  Aussprache  der  Fremdwörter  aus  den  hier  in  Betracht 
kommenden  Sprachen  durch  eine  möglichst  einfache  Schreibweise, 
d.  h.  ohne  die  verwirrende  Verwendung  ungewohnter  Accente,  Zeichen, 
Buchstaben  und  Buchstabenwerthe,  dem  Leser  nahezulegen,  nur  sehr 
unvollkommen  gelungen.  Das  beste  Mittel,  um  eine  möglichst  richtige 
Aussprache  bei  gleichzeitiger  Rechtschreibung  nach  den  Anforde- 
rungen der  Ursprache  zu  sichern,  würde  ohne  Zweifel  die  Anwendung 
des  Standard-Alphabets  von  Lcpsius  gewesen  sein;  doch  während  ich' 
dasselbe  für  die  wissenschaftliche  Verarbeitung  meiner  linguistischen 
Reiseausbeute  nicht  entbehren  möchte,  erschien  seine  Verwendung 
in  einem  für  das  allgemeine  Publikum  bestimmten  Reiseberichte 
nicht  geeignet.  Selbst  andere,  weniger  complicirte  Systeme  der 
Transscription,  wie  sie  von  einigen  wissenschaftlichen  Gesellschaften 
aufgestellt  sind,  schienen  mir  für  den  nicht  linguistisch  gebildeten 
Leser  noch  zu  viele  Schwierigkeiten  zu  bieten.  Ich  habe  mich  also 
darauf  beschränkt,  Silben,  deren  Maass  allzu  zweifelhaft  erschien, 


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VORWORT. 


XI 


mit  Kürzungs-  und  Dehnungs-Zeichen  zu  versehen,  und  bediene  mich 
des  deutschen  Alphabets  mit  den  wenigen  Ausnahmen  der  Verwen- 
dung des  Z als  weichen  und  des  S als  scharfen  Zischlautes,  der 
Wiedergabe  des  gutturalen  K der  Semiten  durch  Q und  der  An- 
deutung des  arabischen  Ain  durch  Die  verschiedenen  T-  und  D-Laute 
und  die  beiden  schwächeren  H -Laute  der  arabischen  Sprache  habe 
ich  nur  durch  je  einen  Buchstaben  dargestellt,  während  das  stark 
gutturale  H der  Araber  durch  Ch  (wie  im  deutschen  Worte  „Rache”) 
und  der  Buchstabe  Rhain,  je  nach  der  lokalublichen  Aussprache  eines 
Wortes,  durch  Rh  oder  Gh  wiedergegeben  worden  ist.  Abgesehen 
von  diesen  vereinfachenden,  aber  freilich  den  Kigenthümlichkeitcn 
der  arabischen  Sprache  nicht  streng  Rechnung  tragenden  Grundsätzen, 
habe  ich  die  der  letzteren  angehörigen  Wörter  möglichst  so  ge- 
schrieben, wie  es  die  Rechtschreibung  der  Ursprache  erfordert.  Für 
die  Wiedergabe  der  Tubu-  und  Kamiri -Wörter  habe  ich  mich  nach 
der  Auffassung  meines  Ohres  gerichtet  und  von  der  soeben  ent- 
wickelten Schreibweise  nur  die  Kürzungs-  und  Dehnungs-Zeichen  und 
Z und  S in  den  obigen  Werthen  beibehalten.  Dass  sich  einzelne 
Abweichungen  von  dieser  Schreibweise  eingeschlichen  haben,  muss 
durch  die  Unzulänglichkeit  der  Grundsätze  selbst,  welche  ich  später, 
als  es  schon  zu  spät  war,  gern  modificirt  hätte,  seine  Erklärung  und 
Entschuldigung  finden. 

Schliesslich  spreche  ich  Herrn  l’rof.  Dr.  R.  Hartmann  meinen 
Dank  für  die  liebenswürdige  Unterstützung  aus,  welche  derselbe  mir 
bei  der  Herstellung  der  Illustrationen  zu  Thcii  werden  Hess. 

Berlin,  ii.  Juni  1879. 

Dr.  G.  Naehtigal. 


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Errata. 


Seite  .14 

Zeile 

19 

lies  100  Meter  anstatt 

„ 5«> 

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v,  Heptagon  „ 

539 

** 

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19 

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344 

20 

„ Agram  „ 

x>o  Meter. 
Septagon. 
«>35  Meter. 
Tosso. 
Agarn. 


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INHALTS-VERZEICHNISS. 

Erstes  Buch. 


• TRIPOLIS  UND  FEZZÄN. 

ERSTES  KAPITEL.  Tripolis Seite  3. 

Aufenthalt  in  Tunis.  — Verfall  des  lindes.  — Revolution  18114-  — Expe- 
dition gegen  die  Rebellen.  — Cholera  1866,  DUrre  und  Hungersnoth  1807. 
— llebernahme  der  Mission  König  Wilhelm’s  nach  Bornü.  — Giuseppe 
Valpreda.  — Ausrüstung  in  Malta.  — Ankunft  auf  der  Rhede  von  Tripolis. 
— Beschreibung  der  Stadt.  Europäisches  Quartier.  — Das  Regierungs- 
gebUudc.  — Die  Bäzär's.  — Die  Fonduq’s.  — Die  Privathäuser.  — Das 
Judenviertel.  — Das  maltesische  Quartier.  — Bevölkerung.  — Die  Ein- 
geborenen. — Kuruglija.  — Türken.  — Juden.  --  Neger.  — Europäer.  — 
Herr  Luigi  Rossi.  — Gerhard  Rohlfs’  Haushalt  in  der  Meschtja.  — Moham 
med  el-Qatrünf.  — Kameelsattel.  — Kameelc  und  Reiseutensilien.  — Die 
übrigen  Diener.  — Die  europäische  Gesellschaft.  — Die  türkischen  Regie- 
rungsorgane. — Der  General-Gouverneur  und  seine  Reformen.  — Der  Bürger- 
meister der  Stadt  und  sein  Einfluss.  — Schlechte  Verwaltung.  — Fräulein 
Finne.  — Marktverhältnissc.  — Letzte  Einkäufe.  — I-agerung  vor  der  Stadt. 
— Internationales  Piknik.  — Abreise. 

Zweites  Kapitel.  Reise  nach  Fezzän Seite  3«». 

Strassen  von  Tripolis  nach  Fezzän.  — Sandzone  südlich  von  der  Stadt. 
Zunehmende  Fruchtbarkeit.  — Aufsteigung  zum  Tarhüna  Gebirge.  — Ab 
ilüsse  des  Gebirges  nach  Norden.  — Die  Stämme  Akara,  Aläuna,  Hamädät, 
Drähfb,  Auläd  JQsef,  Serädna.  — Römische  Ruinen.  — Vegetation  der  Ge 
birgsgegend.  — Flussthäler  südlich  vom  Gebirge.  — Wadi  und  Schctejib 
oder  Halbwädi.  — Das  Thal  Bern'  Ulfd  und  seine  Olivenpflanzung.  — 
Türkisches  Qasr  und  arabische  Qasba.  — Weitere  Wudjän  und  SchetejibaL 
Meschähid  oder  Steinzeuge.  — Ma’aqil  oder  Steinbrustwehr.  — Die  Serfr, 
das  sorwaltendc  WUstenterrain.  — W.  Söfedschfn  mit  seinen  Nebenfluss- 


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XIV 


INHA1.TS-VERZEICHNISS. 


thälern.  — Serfrat  Omm  el  Ghirbal.  — W.  Bei.  - Ankunft  zu  HO  N'dsche'fm. 

Wüster  Charakter  der  Gegend  und  Kümmerlichkeit  der  Ortschaft.  — 
Komische  Ruinen.  — Wüstenwind.  — Dschebel  el  M’halla,  Hü  Na’adscha, 
Hü  Atela,  Tuzizzet.  — Serfr,  Hammada  und  „Zeugen”.  — Dschebel  el-Tur. 
— Die  Ebene  von  Süqna  mit  ihren  Wasserbetten.  — El-Dschofra.  — Empfang 
in  Süqna.  — Herberischer  Ursprung  der  Einwohner.  — Einwohnerzahl.  — 
Beschreibung  der  Stadt.  — Panorama  vom  Qasr.  — Gartencultur.  — Thier- 
leben. — el  Melaqf,  der  Sammler.  — Bfr  Godefa.  — Uebersteigung  des 
Dsch.  es-Söda.  — Dahftr  el  Mümin,  die  Höhe  des  Passes.  — Wasserabflüsse 
auf  der  Nord-  und  Südseite.  — Kameelpost  zwischen  Tripolis  und  Murzuq.  — 
MaitSba  Soda  und  Maiteba  Hamra.  Qoff  el- Gharbf  und  Qofl' esch-Scherqf. 

— Serfr  Ben  Alien.  — Ramla  el-Kebfra  und  Ramla  es-Srhfra.  — Sclaven 
karawanen.  — Mähiaf  Knei'r.  — Hattfja  Omm  el-’Ahfd.  — Die  Oase  Sirrhen 
und  ihre  Bewohner.  — Die  Oase  Semnu.  — Die  Stadt  und  ihre  Bewohner. 

— Die  Oase  Temenhint.  — Die  Oase  Sebha.  — Die  Bibfin.  — Die  Serfr 
el  Maulä.  — Die  Oase  Rhodwa.  — Der  grosse  Beiram  oder  ’ld  el-Kebfr.  — 
Laqbf,  der  gegohrene  Dattelpalmensaft.  — ’Alem  oder  Wegzeichen. 
Scheqwa.  — Ankunft  zu  Murzuq.  — Seite  3y. 

Drittes  Kapitel.  Murzuq Seite  ps. 

Einzug  in  die  Stadt.  — Allgemeiner  Charakter  derselben  und  ihrer  Um- 
gebung. — Die  Brüder  Ben  Alüa.  — Beschreibung  meines  Wohnhauses.  — 
Beweise  der  Gastfreundschaft.  — Besuche  der  Honoratioren.  — Die  Familie 
Ben  Alüa.  — Andere  hervorragende  Einwohner.  — Der  Gouverneur.  — 
Meine  Geschenke  und  Erwiderungsbesuche.  — Hadsch  Brahfm  Ben  Alüa 
und  der  Theegenuss  in  Afrika.  — Fräulein  Tinne  und  ihre  ReiseplUne.  — 
Beschreibung  der  Stadt.  — Die  Qasba  und  ihre  Garnison.  — Häuser  und 
Einwohnerzahl.  — Ungünstige  Bodenverhältnisse  der  nächsten  Umgebung. 
Begräbnissplütze.  — Die  Qärten  der  Stadt.  — Bewässerung  derselben.  — 
1 lausthiere.  — Monotonie  der  Stadt.  — Der  Marktverkehr.  — Laqbf-Genuss 
und  Schnapsfabrikation.  Bevölkerungselemente  von  Murzuq.  — Die  ge- 
bräuchlichen Sprachen.  — Kleidung,  Schmuck  und  Haartracht.  — Ver- 
gnügungen der  Einwohner.  — Mein  täglicher  Lebenslauf.  — Die  Leiden  der 
Jahreszeit.  — , Die  Abende  bei  Fräulein  Tinne.  — Aerztliche  ThUtigkeit.  — 
Sumpffieber.  — Meine  Nahrungsmittel.  — Schnaps -Ibrahim.  — Schwere 
Krankheit  Fräulein  Tinne’s.  — Plan  der  Tibesti- Reise.  — Fräulein  Tinne's 
Plan  einer  Reise  zu  den  Tuarik. 


Viertes  Kapitel.  Natürliche  Beschaffenheit  Fezzän’s  . Seite  u z. 
Die  grosse  Wüste  oder  Sahara.  — Ihre  Erhebung  Uber  dem  Meeresspiegel. 

KUstengebirge  und  centrale  Erhebungen.  — Steinige  Hochebenen  und 
Dünenregionen.  — Topographische  Verhältnisse  zwischen  Tripolis  und 
Murzuq.  — Das  Küstengebirge.  — Seine  weidereichen  Ebenen  und  Abflüsse. 
— Abdachung  der  llammäda  el- Hamra  nach  der  grossen  Syrte  zu.  — 
Serfr.  — Dschebel  et-Tur  und  el-Dschofra.  — Die  natürliche  Nordgrenze 
Fezzün's.  — Dsch.  es -Soda  in  Erhebung,  Ausdehnung  und  Beschaffenheit. 
--  Seine  Abflüsse.  — Oasen-Complex  des  eigentlichen  Fczzän.  — W.  Schijatf 
und  Hattfja  Omm  el  ’Abfd.  — Dünen  Edeycn.  — Salzige  Seen.  — W.  Ladschal 
und  die  Oasen  Sebha,  Temenhint,  Semnu  und  Sirrhen.  — W.  Otba  und 


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INHALTS- VERZEICHNISS. 


XV 


die  Oase  Rhodwa.  — Die  Hofra  von  Murzuq.  — Die  Scherqija.  — Isolirte 
Oasen.  — W.  Ekcma  mit  den  südlichen  Ortschaften.  - Südgrenzc  Fezzän’s. 

Pflanzen  und  Thierlehen.  Viehzucht  und  animalische  Kost  der  Hin 
wohncr.  - Ackerbau.  — Kultur  der  Dattelpalme.  Getreidebau.  Vege- 
tabilische Nahrungsmittel  der  F'ezzäner.  — Der  Handel  Fezzän’s  sonst  und 
jetzt.  — Grund  seines  Rückganges.  — VVaaren.  Mangel  an  Industrie  in 
Fezzän. 

Fünftes  Kapitel.  Klima  und  Krankheiten Seite  i35. 

Meteorologische  Beobachtungen  zu  Murzuq.  — Temperatur  Beobachtungen. 
Maxima  und  Minima.  — Tägliche  Wärmehe  wegung.  - Monatsmittel.  — 
Psychrometer- Unterschiede.  Die  Grenzen  derselben.  — Monatsmittel  für 
Dunstdruck  und  relative  Feuchtigkeit.  Niederschläge  und  Wolkenbildung 
im  Zusammenhang  mit  den  Winden.  — Elektrische  Erscheinungen.  — 
Winde.  — Monatliche  Vertheilung  derselben.  — Luftdruck.  — Tägliche  Be 
wegung  desselben.  — Monatsmittel.  — Zusammenfassung  der  meteoro 
logischen  Verhältnisse.  — Krankheiten  der  F'ezzäner.  — Die  Malaria  zu 
Murzuq.  — Typhus  und  Cholera.  — Pocken.  — Lungenkrankheiten. 
Krankheiten  der  Verdauungsorgane.  — Rheumatische  Atfectionen.  Haut 
krankheiten.  — Krätze  und  Guineawurm.  — Seltenheit  der  Lepra.  — Sy 
philis.  — Krankheiten  der  Harnorgane.  Augenaffectionen.  — Frauen- 
krankheiten. — Kinderkrankheiten.  — Gehirn  und  Nervenkrankheiten.  ~ 
Thierische  Gifte.  — Chirurgische  Kenntnisse  der  F'ezzäner.  — Lebernatür 
liehe  Ursachen  der  Krankheiten  und  die  Mittel  dagegen.  — Allgemeine  phy- 
siologische Anschauungen.  — Heilmittel  und  Aerzte. 

SECHSTES  Kapitel.  Geschichte  u.  Bevölkerung  von  Fezzän  Seite  iJo. 
Phazania,  das  Land  der  Garamanten.  Herodot's  Angaben.  — Die  Römer 
in  Fezzän.  — Nachrümisches  Dunkel.  — Libyer  und  Berber.  — Arabische 
Elemente  in  Afrika  vor  dem  Islam.  — Araber  und  Berber.  Invasion  der 
Araber  nach  Gründung  des  Islam.  — Vordringen  der  Küstenbevölkerung  in 
die  Oasen  der  Wüste.  Ausbreitung  der  Känem- Herrschaft  über  Fezzän. 
— Reste  derselben  in  Träghen.  Die  Nesur  und  Qormän.  — Die  Dynastie 
der  Auläd  Mohammed  aus  Marokko.  Abriss  ihrer  Geschichte.  — Kämpfe 
Fezzän's  um  seine  Unabhängigkeit  von  Tripolis.  — Ende  der  marok- 
kanischen Dynastie  durch  el-Muqnf.  - Die  Auläd  Solimän,  ihre  Kämpfe 
und  Niederlage.  — Abd  ei  -Dschlfl.  — Eroberung  Fezzän’s  durch  die  Auläd 
Solimän.  — Kämpfe  Abd  el-DsehhTs  gegen  die  Türken.  — Herrschaft  der 
Türken.  — Eintheilung  und  Administration  Fezzän's.  — Qä’fmaqäm  oder 
Mütäsarrif.  Mudir.  Türkische  Beamtcnwirthschaft.  — Abnahme  der 
Bevölkerung  und  des  Wohlstandes.  — Steuerkraft  des  Landes.  — Macht 
losigkeit  der  Localregierung.  - Bevölkerungsstatistik.  Bevölkerungs 
demente.  — Eigentliche  F'ezzäner  und  ihre  allmähliche  Umbildung.  — Sub 
äthiopische  Volksstämme.  — Beschreibung  der  F'ezzäner.  — Verschiedenheit 
von  den  Tedä.  - Kleidung.  — Charakter  der  Städte  und  Häuser.  — 
Kastelle.  - Bewaffnung.  — Sociale  Sitten.  Religiöses  Lehen.  — Die  Se 
nüsija  und  ihre  Ausbreitung.  — In  Fezzän  übliche  Sprachen.  — Zusammen  - 
fassende  Charakler‘stik. 


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XVI 


INHALTS-VERZEtCHNISS. 


Zweites  Buch. 

TIBESTI  ODER  TU. 

Erstes  KapITEI..  Der  südlichste  Theil  von  Fezzän  . . Seite  hm. 
Die  beiden  Tedä-Edlen.  — Abschluss  des  Contractes  mit  Akremi  Kolokömi. 
— Einkauf  von  Geschenken  und  Tauschwerthen.  — Bu'f  Mohammed’s 
treuer  Sinn.  — Abreise  FrUulein  Tinne’s.  Die  Brunnen  Tabanfja.  Bidän 
und  das  Laqbf- Gelage.  Verbrennung  durch  Sonnenstrahlen.  — Bir  ed- 
Domrän.  — Sandwliste.  — Hattija  Mestüta.  Ankunft  zu  Qatrün.  — Hadsch 
Dschäber  und  die  Muräbidija.  — Hochgradige  Hitze.  — Beschreibung  der 
Stadt  und  ihrer  Bewohner.  — Behausungen  der  Tubu.  — Gartencultur.  — 
BO  Ze'fd  und  seine  Ansprüche.  - Weitere  Ankäufe  für  die  Reise.  — Bachf. 
— Arabische  Ruinen.  — Zunehmende  Tubu-Besucher.  Augenentzündung. 
— Qasrauwa.  — Weg  durch  das  Thal  Ekema.  — Tedscherri  und  seine 
Qasba.  — Bevölkerung.  Verrätherische  Pläne  der  Tubu.  — Abreise.  — Bir 
Meschru.  — Traurige  Zeugen  des  Sclavenhandels.  — LagSba  Buiä.  — LagSba 
Konti.  — Hochebene  Alaota  Kju.  — Tümnio  Gebirge  oder  el-Wur. 

ZWEITES  Kapitel.  Unbekannte  Gegenden Seite  233. 

Weg  nach  Afäti.  — Kolokömi’s  Unkcnntniss  der  Gegend.  — Schwieriger 
Nachtmarsch.  — Wassermangel.  --  Flussthal  Galiemma.  — Gefahr  des  Vcr- 
schmachtens.  - Rettung  aus  Gefahr.  — Begrüssungs  Cercmonien  der  Tedä. 
— Arbeit  am  Brunnen.  — Neue  Ankömmlinge.  — Ernte  der  Coloquinthen 
Kerne.  — Gebirgsgruppe  Afäfi.  — Mussthal  Lolemmo.  — Fortsetzung  der 
Reise.  — Sandsteinfelscn  der  Ebene.  — Noch  einmal  Wassermangel. 
Birsa  geht  nach  Ariibu.  Widerstandsfähigkeit  der  Tubu  gegen  Hunger, 
Durst  und  Anstrengung.  — Zeitige  Rettung.  — Isoa.  — Gegend  Afo.  — 
Ueberschreitung  des  Pinneri  Udö'f.  — Die  Berge  Tibesti’s.  — Der  Tarso  mit 
dem  Tusidde.  — Die  P'lussthälcr  Kjauno.  — Neue  Bäume.  — Ausläufer  des 
Tarso.  — Emi  Mini.  — Gegend  von  Tao.  — Zunehmendes  Thierleben. 

Die  Flussthäler  von  Täo,  Dommädo  und  Dausado.  — Galma,  der  Sohn 
Selemma's.  — Seine  Tante  Kintafo.  — Spärliche  Bewohnerschaft  Täo's. 

Drittes  Kapitel.  Täo  und  Zuär Seite  265. 

Verschiedene  Arten  der  Behausungen.  — Ursachen  der  augenblicklichen 
Entvölkerung  Täo's.  — Ernährungsverhältnisse  der  Tedä.  — Barda'i  zur 
Erntezeit.  — Ankunft  von  Qatruncr  Kaufleuten.  — Reise  nach  dem  E.  Zuär. 

— BegrUssung  der  dortigen  Edcllcutc.  — Verhandlungen  Uber  den  Durch- 
gangszoll. — Der  edle  Dirkui  und  der  Sprecher  Derdekore.  — Reise  den  E. 
Zuär  aufwärts.  — Vegetation  und  Thierleben.  — Wasserverhältnisse.  — An- 
kunft und  Aufnahme  bei  den  Zuär-Edlen.  — Neue  Gefahr  und  eiliger  Rück- 
zug. — E.  Zug  und  das  W assorreservoir  Kauerdä.  — Häusliche  Stellung  der 
Tubu  Trauen.  — Rückkehr  nach  Täo.  — Unverschämtes  Betragen  Galma's. 
— Absendung  BO  Zei’d's  nach  BardäI.  — Abreise  der  Qatruncr  nach  Borku. 

— Entführung  Bu'f  Mohammed’s  und  Befreiung  desselben.  — Traurige  Zeit. 
— Schmarotzer  und  Räuber.  — Ankunft  Arämi’s.  — Hunger  und  Sorge.— 


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XVII 


Bü  Ze'fd  kommt  nicht  zurück.  — Traurige  Nachrichten  aus  Barda'f.  — Bote 
mit  Einladung  dorthin.  — Vorbereitungen  zur  Abreise. 

VIERTES  Kapitel.  Reise  nach  BardaY Seite  3oi. 

Ersteigung  des  Tarso.  — Charakter  des  Gebirgsstocks.  — Kraterbildung  auf 
der  Höhe.  — Nächtigung  auf  der  Wasserscheide.  — Bergkegel  und -Ketten 
auf  der  breiten  Wölbung  des  Tarso.  — Abstieg  nach  Nordosten.  — Hunger 
und  mühevolle  Märsche.  — Tiefeinschneidende  Flussthäler.  — Nächtigung 
im  Enneri  Udc’no.  — Fels-Sculpturen.  — Erreichung  der  Ebene.  — Enneri 
Gfinöa.  - Datteln  und  ungünstige  Nachrichten  aus  Barda'f.  — Weitere  Er- 
pressungen von  Seiten  ArSmi's.  — Abendliche  Ankunft  in  Barda'f.  — Drin- 
gende Lebensgefahr  und  Rettung  durch  Ar  Ami.  — Die  Leute  von  Barda'f 
und  die  eigentlichen  Tuhu  Reschade.  Im  Schutze  ArSmi’s.  — Verhallen 
des  Darda'f.  — Tägliche  Berathungen  über  mein  Schicksal.  — Allmählicher 
Abfall  meiner  Freunde.  — Thatsächliche  Gefangenschaft.  — Steinigung.  — 
Endlicher  Besuch  des  Häuptlings.  — Glänzende  Rede  ArSmi’s.  — Resultat- 
loser Ausgang  der  Zusammenkunft  mit  Tafertemi.  — Fremde  Besucher.  — 
Nagender  Hunger.  — Herzloses  Benehmen  der  Frauen  und  Kinder.  — Rohe 
Angriffe  der  heranwachsenden  Jugend.  — Verzweifelte  Stimmung. 

Fünftes  Kapitel.  Flucht  aus  BardaY  und  Rückkehr  nach 

Fezzän Seite  J41. 

Verhalten  Bü  Ze'fd’s.  — Rastlose  Thätigkeit  Arftmi’s.  Elan  zur  Flucht.  — 
Ankunft  der  Tuhu- Bewohner  Fezzän’s.  Nachricht  von  der  Ermordung 
Fräulein  Tinne’s.  — Nächtliche  Flucht.  — Erschöpfender  Rückzug  Uber 
den  Tarso.  — Zusammentreffen  mit  KolokSmi.  — Ankunft  im  Enneri  Auso. 
— Schicksal  meiner  Kamcele.  — Zustand  der  Sclaven  in  Tibesti.  Letzte 
Erpressungen  der  Tubu.  — Treulosigkeit  KolokBmi’s.  — Endliche  Abreise. 
- Verlust  der  Hündin  Feida.  — Trennung  von  Kolokumi  in  Afäfi.  — Un- 
brauchbarkeit der  Kameele.  — Zurücklassen  des  Gepäcks.  — Gänzliche 
Erschöpfung.  - - Wasser  und  Provinntmangel.  — Marschordnung.  — An- 
kunft am  Türamo-  Brunnen.  --  Beendigung  des  Mundvorraths.  — Sclaven- 
Skelette.  — Ankunft  am  Meschru- Brunnen.  — Empfang  in  Tedscherri.  — 
Verderbliche  Befriedigung  des  Hungers.  - Freude  des  Hadsch  Dschaber. — 
Araber  der  grossen  Syrte  in  Süd-Fezzän.  — Gewalttätigkeiten  derselben 
in  Qatrfln.  — 1 Ankunft  in  Murzuq.  — Bestätigung  von  Fräulein  Tinne’s 
Untergang.  - Veränderungen  in  der  Regierung  Fczzan’s.  Abrechnung 
mit  Bü  Ze'fd.  — Krankheit  in  Folge  der  Reise. 

Sechstes  Kapitel.  Topographie  und  natürliche  Beschaffenheit 

Tibesti’s Seite  3“. 

Historische  Notizen.  — Unsere  gänzliche  Unkenntniss  des  Landes.  — Er- 
kundigungen der  Reisenden.  — Unvollkommenheit  meiner  Untersuchungen. 

Unsicherheit  der  geographischen  Lage.  — Control-Linien  der  Reiseroute. 
— Bedeutung  des  Namens  Tu.  — Zusammenhang  mit  dem  Gebirge  der 
Tuärik.  — Allgemeine  Anordnung  des  Tu-Gebirges.  — Richtung.  — Knoten- 
punkte. — Breitendurchmesser.  — Höhenentwicklung.  — Die  von  mir  ge- 
wonnenen Höhenzahlen.  — Frühere  Zweifel  an  dem  Vorkommen  hoher 


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XVIII 


INHALTS -VERZEICHNISS. 


Berge.  — Vulkanische  Bildungen  (Krater,  Therme}.  — F.mi  Tarso,  der  nörd- 
liche Knotenpunkt.  — Die  SUdwestseitc  des  Gebirges.  — Strasse  von  Süd 
Fczzän  nach  Nord-Tibesti.  — Flussthalbildungen.  — Enneri  Abo.  — E. 
Kjauno.  — E.  Tao.  — E.  Zu5r.  — Anknüpfungen  einzelner  Punkte  an  die 
Bornü- Strasse.  — Strasse  zwischen  Zuiir  und  Borkü.  — E.  Marmar.  — FI. 
Krema  mit  seinen  Zuflüssen  Jöö,  Maro,  Ogfi'f  und  Arr.  — E.  Domar.  — 
Südgrenze  von  Tu.  — Emi  Kussi,  der  südöstliche  Gebirgsknoten.  — Ent 
fernungen  des  FImi  Kussi  von  Borkü,  Wanjanga  und  Barda'f.  — Nordost 
seite  des  Gebirges.  — E.  Barda'f  und  sein  Zusammenhang  mit  dem  Emi 
Kussi.  — Weg  von  Barda'f  nach  Wanjanga.  — Der  südöstlichste  TheU  der 
Landschaft  mit  Gurö  und  Uri.  — Grenzen  und  Gesammtausdehnung  des 
Landes.  — Bodenbeschaflenheit  und  Klima.  — Meteorologische  Beob- 
achtungen. — Flora  und  Fauna.  — Hülfsquellen  der  Bewohner. 

Siebentes  Kapitel.  Die  Tedä Seite  420. 

Die  Tubu  F'amilie.  — Tedä  und  Däza.  — Der  Name  Tubu.  — Tu,  Tedetu 
und  Tedä.  — Historisches  Dunkel.  — Fligenartigkeit  und  politische  Unab- 
hängigkeit der  Tedä.  — Physische  Fligenthümlichkeiten.  — Hautfärbung.  — 
Die  im  Südän  übliche  Farhenscala.  — Gesichtsbildung.  — Andere  physische 
Eigentümlichkeiten.  — Klimatische  Verhältnisse  und  allgemeiner  Gesund- 
heitsstand. — Vorkommende  Krankheiten.  — Medicinische  und  chirur- 
gische Heilmittel.  — Geistige  und  moralische  Fligenschaften.  — Sociale 
Ordnung.  — Politische  Verfassung.  — F'Urst,  Edelleute  und  gemeines  Volk. 
— Geringe  Bedeutung  des  Darda'f.  — Stellung  der  Schmiede.  — Der  Islam 
bei  den  Tedä.  — Todtenbestattung.  — Ehe.  — Gerechtigkeitspflege  und 
Familienbeziehungen.  — Namensänderung  der  Männer.  — Kleidung,  Haar- 
tracht und  Schmuckgegenstände  der  Frauen.  — Tätowirung.  — Die  Sitte 
des  Litäm-Tragens.  — Technische  Fertigkeiten.  — Handel  und  Verkehr.  — 
Werthmesser.  — Die  einzelnen  Stämme  der  Tedä.  — Die  nordwestlichen 
und  südöstlichen  Tedä.  — Bevölkerungsziffer. 


Drittes  Buch. 

REISE  NACH  BORNÜ. 

ERSTES  KAPITEL.  Murzuq  im  Winter  1869/70 Seite  407. 

Berichte  Uber  Alexandrine  Tinne's  Ermordung.  — Ihre  Reisegesellschaft 
(europäische  Diener,  Neger  aus  den  Nil-Ländern,  algerische  Frauen,  befreite 
Sclaven).  — Diener  aus  Tönis  und  Murzuq.  — Ichnuchen's  Rückkehr  nach 
Ghät.  — Hadsch  Ahmed  Bö  Sidh.  — Der  Tartkf  Hadsch  esch-Sche'fch  und 
seine  Gesellschaft.  — Araber  und  ihre  Miethkameele.  — Abreise  Fräulein 
Tinne's  von  Murzuq.  — Der  verhängnisvolle  i.  August.  — Ausbruch  der 
Verschwörung.  — Ermordung  der  beiden  Holländer.  — Verwundung  und 
langsamer  Tod  der  Reisenden.  — Rohheiten  und  Theilung  des  Raubes.  — 
Thätcr  und  Urheber  des  Verbrechens.  — Verhalten  der  Behörden  in  Murzuq 


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XIX 


und  Tripolis.  — Schleppender  Proccss.  — Sendung  der  Hinterlassenschaft 
und  der  Zeugen  nach  Tripolis.  — Unerfreuliche  Zustande  in  Fezzän.  — 
l'ngemUthliches  Weihnachtsfest  i8bn.  — Endliche  Hoffnung  aui  Abreise. 
— Gesandtschaft  'Alf  Riza  Päscha’s  nach  Bornü.  — RUnke  des  Wäli  gegen 
meine  Reise.  — Ankunft  Halfm  Päscha's  als  Mütäsarrif.  — Ankunft  Mo- 
hammed Bü  ’Äfscha's  des  Gesandten  an  den  König  von  Bornü.  — Marok- 
kanische Pilger  und  Akrobaten.  — Vorbereitungen  zur  Abreise. 

ZWEITES  Kapitel.  Reise  nach  Kawär Seite  40t. 

Abschied  von  meinen  Freunden.  — Nachtlager  zu  Hadsch  Hadschil.  — 
Zezau  und  el-Qäle'fb.  — Sebcha  von  Träghen  und  Mäfen.  — Weg  von 
Mäfen  nach  Mcstüta.  — Bü  ’Ä'fscha’s  Erzählungen  aus  der  Vergangenheit 
Fezzän’s.  — Der  alte  ZeTn  el-’Abidfn.  — Marsch  nach  Bfr  Dekkir  und 
Qatrün.  — Tod  des  Hadsch  Dschäber.  — Arabische  Pferdekenner.  — 
Drohender  Raubzug  der  Tedä  Tu’s.  — Zwistigkeiten  unter  den  Marok- 
kanern. — Phantastische  Abendvorstellung  derselben.  — Ankunft  unserer 
Reisegefährten  aus  Murzuq.  - Marsch  nach  Tedscherri  und  Empfang  da- 
selbst. — Dattel-  und  Strohproviant.  — Strecke  bis  zum  Tiimmo.  — Ebene, 
Berg  und  Brunnen  MädSma.  — Station  MafSras.  — Vegetation  der  Gegend. 
— Die  Oase  Jat.  — Die  Dümpalme  und  ihre  Frucht.  — Die  Oase  Jeggeba. 
— Die  Strasse  nach  Bornü  im  Allgemeinen.  — Barbarische  Strenge  des 
Hadsch  Sälih.  — Ankunft  in  der  Nähe  Kawär's. 

DRITTES  Kapitel.  Kawär  oder  Enneri  Tiigü Seite  5iS. 

Bü  ’ÄTscha’s  Verdienste  um  die  Kawär- Leute.  — Feierlicher  Empfang  zu 
Anai,  dem  nördlichsten  Dorfe.  — Zutluchtsfelsen  der  Ortschaft.  — Dorf 
Anikumma  und  Wiedersehen  mit  Arämi.  — Getreidepreise.  — Gastfreund- 
schaft. — Aschenumma  und  das  sogenannte  Mögödöm-Gebirge.  — Fidschi'. 
— Anmuthige  Frauen.  — Marktverhältnisse.  — Salzseen  um  Dirki.  — Die 
Hauptstadt  von  Kawär.  — Empfang  durch  König  Dunnoma.  — Karneol 
reiter.  — Meine  zahnärztliche  Thütigkeit.  — Durchgangszoll  der  einzelnen 
Karawanenglieder.  — Unverschämte  Forderung  des  Dardn'f.  Schimmedrü. 
Sitz  des  Senüsf  Missionars.  — Hochmüthiges  Benehmen  desselben.  — Ver- 
änderte Windrichtung  und  Wolkenbildung.  — - Emi  Mädöma  und  die  Aqül 
weide  zu  Agerr.  - Der  Salzdistrict  von  Bilmä.  — Stadt  Garü  und  Kaläla. 
— Salzexport.  — Art  und  Weise  der  Gewinnung  des  Salzes.  — Aerztliche 
Thätigkcit.  — Vorbereitung  zur  Weiterreise.  — Zusammenfassende  Be 
trachtung  des  Weges  nach  Kawär  und  der  Oase  selbst.  — Hühenver 
hältnisse.  — Enneri  Tuge.  — Dattelcultur  und  Salzhandel.  — Zahl  der  Ort- 
schaften und  ihre  Bewohner.  — Stämme  und  Familien  Kawär’s.  — Ver- 
bindung der  Oase  mit  Ahfr  und  Ghät. 

VIERTES  Kapitel.  Von  Kawär  nach  Bornü Seite  543. 

Schwierige  DUncnregion.  — Oase  Zau  Kurra.  — Zunehmendes  Thier-  und 
Pffanzenleben.  — WUstennächte.  — Oase  Dibbela.  — Weiterer  Uebergang 
der  Wüste  zur  Steppe.  — Oase  Agädem.  — Antilopenheerden  und  Jagd 
mit  Windhunden.  — Däza  Kidrdä.  — Steppe  Tintumma.  — Däza-Karawane. 
— Beginnender  Baumwuchs.  — Brunnen  Bolg&schifari.  Uebergang  von 


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XX 


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Steppe  zu  Wuld.  — Ueppiges  Thier-  und  Pflanzcnleben.  — • Brunnen  Küfe. 
— Uneinigkeit  hei  den  Marokkanern.  — Brunnen  Äzi.  — Ankunft  am 
Tsäde.  Ngigmi,  die  erste  Bomü- Ortschaft.  — Ueberwältigender  Eindruck 
des  tropischen  Lebens.  — Hippopotamen.  — Bewohner  von  Ngigmi.  — 
Gouverneur  Kazelma  Hassen.  — Neue  Bekanntschaften.  — Heftiges  Gewitter. 
— Salzdörfer.  — Baröa.  — Westlicher  Zufluss  des  Tsäde.  — Stadt  Jo6.  — 
Besucher  aus  Küka.  — Mohammed  et-Titfwf.  — BegrUssungsgaben  des 
Sche'fch  'Omar.  — Ankunft  in  nächster  Nahe  Küka's.  — Zahlreiche  Be- 
sucher. 

Fünftes  Kapitel.  Empfang  in  Küka Seite  58i. 

Festliche  Einholung  durch  den  Kronprinzen.  — Gefolge  desselben.  — F'uss- 
soldaten.  — Rathsherrn.  — Panzerreiter.  — Musikbande.  Kronprinz  Aha 
Btl  Bekr.  - Ebene  von  Küka.  — Aeussere  Erscheinung  der  Stadt.  Stadt- 
mauer. - Das  Innere  der  Oststadt.  — Beleidigende  Zurücksetzung.  — 
Wohnungsschwierigkeit.  — Der  Hauswirth  Ahmed  Ben  Brähfm.  — Be 
grlissungs  Audienz.  — Das  Innere  des  Königspalastes.  — Scheich  'Omar. 

Audienz  zur  L’eberreichung  der  Geschenke.  — Religiöse  Bedenken  gegen 
einige  derselben.  — Hohe  Befriedigung  des  Scheich.  — Besuche  bei  einigen 
Würdenträgern.  - Der  Digma  Ibrahim  und  seine  Ungnade.  Lamfno.  - 
Seine  Umgebung.  — Seine  Vergangenheit.  — Sein  culinarisches  Verständniss. 

Seine  Stellung  und  Bedeutung.  — Mo'allim  Mohammed  und  seine  Gelehr- 
samkeit. - Weitere  Bekanntschaft  mit  Ahmed  Ben  Brähfm  und  Mohammed 
et  Titfwf.  — Gastgeschenke  des  Scheich.  — Trinkgelder.  — Besuch  beim 
Kronprinzen.  — Feindschaften  der  Würdenträger  unter  einander. 

Sechstes  Kapitel.  Die  Hauptstadt  von  Bornü  ....  Seite  tiio. 
Nächste  Umgebung  der  Stadt.  — Die  Weststadt.  Der  Nachmittagsmarkt. 

Die  Hauptstrasse  oder  Dendal.  — Die  Oststadt.  Die  Erdbauten.  — Ihre 

Bedachung.  — Ihre  innere  Einrichtung.  — Standort  der  Pferde.  Sorg 
l'ältige  Abwartung  derselben.  — Die  Stroh-  und  Rohrhütten.  — Verschiedene 
Arten  derselben.  — Ihre  innere  Einrichtung.  — Strassenleben.  — Der  vor- 
nehme Kamin.  Frauen  auf  der  Strasse.  — Verschiedene  Handwerker.  — 
Arme  und  Blinde.  — Die  fahrenden  Schüler.  — Bevölkerungsmenge.  — 
Mein  Haus.  — Eintheilung  desselben.  — Dienerschaft.  — Mangel  an  weib- 
licher Dienerschaft.  — Giuseppe's  Islamisirung.  - Schwierigkeit  denselben 
abzulohnen.  — Hauseinrichtung.  — Wildes  Gethier.  — Fremde  in  Küka.  — 
Reiselust  der  Araber  und  Halbaraber.  — Mo'allim  Adern  aus  WadaT.  — 
Scherif  Ahmed  el  MJdenf.  — 'Ali  Malija,  der  Kokena. 

SIEBENTES  Kapitel.  Kleidung  und  Ernährung  der  Bornü- 

Leute Seite  042. 

Annahme  der  Bornü  Tracht.  Vorzüge  und  Nachtheile  derselben.  — Vor- 
liebe der  Kanüri  für  Kleiderpracht.  — Webe-  und  F'iirbe-Kunst.  — Ver- 
zierung der  Kleidungsstücke.  — Toben  und  Hemden.  — Gewänder  aus 
Bornü,  Haussa  und  Ni'fc  und  ihre  Preise.  — Beinkleider,  Kopftracht  und 
Fussbekleidung.  — Kleidung  der  Frauen.  - Hüftenshawl,  Schultertuch  und 
gestickte  Hemdchen.  — Haartrachten.  — Schmuckgegenstünde.  — Emäh- 


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INHALTS- VERZEICHNISS. 


XXI 


rung  der  Bornfl- Leute.  — Duchn  und  Durra.  — Durra -Arten.  — Mehl- 
fabrikation. — Das  vorwaltende  Gericht.  — Weizen-  und  Gerste-Gerichte. 
— Reis-  und  Mais- Verwendung.  — Surrogate  des  Getreides.  — Bereitung 
des  'Atsch  und  anderer  Gerichte.  — Die  Saucen  und  ihre  Bereitung.  — Ihre 
vegetabilischen  und  animalischen  Bestandtheile.  — Genuss  frischen  Fleisches 
der  Hausthicre.  — Wildfleisch.  — Haram  und  Makroh.  — Genuss  frischer 
Fische.  — Die  Fische  des  Tsäde.  — Die  Heuschrecken  als  Nahrungsmittel. 
— Verschiedene  Arten  derselben.  — Frösche.  — BaumfrUchte.  — Garten- 
früchte.  — Bohnen.  — Erdnüsse.  — Tageszeit  der  Mahlzeiten.  — Anstands- 
regeln beim  Essen.  — Getränke.  — Milch.  — Honig.  — Kaffee.  — Die  Güro- 
Nuss.  — Ihr  Vorkommen  und  Preis.  — Empfindlichkeit  und  Krankheiten 
derselben.  — Mcrissa.  — Tabak. 

ACHTES  KAPITEL.  Handels-  u.  Marktverhältnisse  inKüka.  Seite  671. 
Der  grosse  Montagsmarkt.  — Der  Marktplatz  und  seine  Eintheilung.  — Ver- 
kauf von  Holz  und  Gras.  — Siggedi-  und  Matten-Verkauf.  — Pferde-  und 
Rindermarkt.  — Gemüse  und  Geflügel.  — KUrbisschalen  und  Holzschüsseln. 
— Producte  der  Korbflechterei.  — Fellhändler  und  Leder -Erzeugnisse.  — 
Trödelbuden.  — Kleidermarkt.  — Fabrikate  der  Schreiner  und  Schmiede. 
— Die  Kojäm  und  ihre  Verkaufsgegenstände.  — Schlächter  und  Garküchen. 
— Kameelmarkt.  — Die  Känembu  und  ihre  Erzeugnisse.  — Die  Küri-  oder 
Bäre-Rinder.  — Die  Manga.  — Der  Sclavenmarkt.  — Die  Preise  der  ver- 
schiedenen Sdaven- Gattungen.  — Die  Bett -Sela  vinnen.  — Die  Eunuchen. 
— Die  Schoa  und  ihre  Verkaufsgegenstände.  — Die  Schöa-  Rinder.  — 
Buntes  Bild  der  Marktmenge.  — Anstrengungen  eines  Markttages.  — Feste 
Werthmaasse.  — Einführung  der  österreichischen  Thaler.  — Die  Kauri- 
Muschel  als  Scheidemünze.  — Preisliste  der  Marktgegenstände.  — Impor- 
tirte  Waaren  und  ihre  Preise.  — Die  verschiedenen  Klassen  der  Kaufleute 
in  Bomü.  — Exportwaarcn.  — Handel  mit  Sclaven,  Straussfedem  und 
Elfenbein.  — Schwierigkeiten  für  die  fremden  Kaufleute.  — Leichtsinn  und 
Unzuverlässigkeit  der  Bornü- Leute.  — Unzulänglichkeit  des  rechtlichen 
Weges.  — Kingiam  oder  Sendbote  des  Königs.  — Schlechte  Verwaltung 
der  Hinterlassenschaften  Fremder.  ' 

Neuntes  Kapitel.  Hof,  Regierung  und  Kriegsmacht  des 

Scheich Seite  pog. 

Die  Rathsversammlung  oder  Nokena.  — Die  Rathsherren  oder  KSkenäwa. 
— Söhne  und  Brüder  des  Scheich.  — Ihr  Verhältniss  zum  Herrscher.  — 
Der  Kronprinz  Aba  BÖ  Bekr.  — Die  Vertreter  der  Bevölkerungs- Gruppen 
Bornfl's  in  der  Nökena.  — Geringe  Bedeutung  der  Nokena.  — Hofämter 
in  Bornö  und  ihre  Umgestaltung  im  Laufe  der  Zeit.  — Kaigamma.  — 
Jcrima.  — Tschiröma.  — Dscherma.  — Ghaladfma.  — Schitima  Belumma. 
— Hirfma.  — Juräma.  — Digma.  — DschegSbäda.  — Ardschinöma.  — 
Ffigoma.  — Zentama.  — Kazelma.  — Kagustema.  — Bagarfma.  — Mainta, 
Makinta  und  Sintelma.  — Fergfma.  — Mülima.  — Die  Eunuchen  (Juröma, 
Mistrema  und  Mala'.  — Einflussreiche  Frauen  am  Hofe  zu  Köka  (Magira 
und  Gumso . — Die  Kriegshauptleute  oder  Kaschellawa  und  ihre  Bezirke. 
— Lanzenreiter,  flintenbewaff#ete  Krieger  und  Bogenschützen.  — Die  Streit- 


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XXII 


INHAI.TS-VERZKICHNISS. 


kräfte  der  einzelnen  Hauptleute  und  Würdenträger.  — Verfall  der  Bomu- 
Macht  im  Innern  und  nach  Aussen.  — Rebellische  Haltung  des  Vasallen 
fUrsten  Tanemon  von  Zinder.  — Energielosigkeit  des  Sche'ich. 

ZEHNTES  Kapitel.  Das  Ende  des  Jahres  1870  ....  Seite  732. 

Regenreichthum  des  Jahres.  — Die  Zeit  der  Malaria.  — Mörderische  Epi- 
demie in  KQka.  — Rindviehseuche  und  Pferdesterblichkeit.  — Meine  täg- 
lichen Beschäftigungen.  — Studium  der  Kanüri- Sprache.  — Aerztliche 
Thätigkeit  und  ihr  geringer  Erfolg.  — Furcht  der  Eingeborenen,  vergiftet 
zu  werden.  — Ein  Hochzeitsfest  und  sein  Verlauf.  — Anhaltende  Schwellung 
des  Tsäde  und  ihre  Folgen.  — Schicksale  der  Marokkaner.  — Ramadan 
oder  Fastenmonat.  — Gastfreundschaft  des  Sche'ich  während  des  Ramadan, 
’ld  cl  -Fatra  oder  Fest  des  kleinen  Bairam.  — Auszug  des  Sche'fch  zum 
Festgebet.  — Glänzender  Aufzug.  — Musikalische  Instrumente.  — Parade 
pferde.  — Kanonen- Mohammed  und  Wagen-’Abdallah.  — Gratulations- 
Cour.  — Friedliche  Aussichten.  — Reiseplan. 


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ERSTES  BUCH. 


TRIPOLIS  UND  FEZZÄN. 


Naclui^al.  I 


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Erstes  Kapitel. 

TRIPOLIS. 


Aufenthalt  in  Tunis.  — Verfall  des  Landes.  — Revolution  1S64.  — Expedition  gegen 
die  Rehellen.  — Cholera  1866,  Dürre  und  Hungcrsnoth  1867.  — Uebcrnahme  der 
Mission  König  Wilhelm’s  nach  Romu.  — Giuseppe  Valpreda.  — Ausrüstung  in  Malta. 
Ankunft  auf  der  Rhede  von  Tripolis.  — Beschreibung  der  Stadt.  — Europäisches 
Quartier.  — Das  Regicrungsgebäude.  — Die  Bazar’s.  — Die  Fonduq’s.  — Die 
Privatliäuscr.  — Das  Judenviertel.  — Das  maltesische  Quartier.  — Bevölkerung.  — 
Die  Eingeborenen.  — Kurugllja.  — Türken.  Juden.  — Neger.  — Europäer.  — 
Herr  Luigi  Rossi.  — Gerhard  Rohlfs'  Maushalt  in  der  Mescldja.  — Mohammed  el- 
Qatruni.  — Kameelsättel.  — Kameele  und  Reiseutensilien.  — Die  übrigen  Diener.  — 
Die  europäische  Gesellschaft.  — Die  türkischen  Regierungsorgane.  — Der  General- 
Gouverneur  und  seine  Reformen.  — Der  Bürgermeister  der  Stadt  und  sein  Einfluss.  — 
Schlechte  Verwaltung.  — Fräulein  Pinne.  — Marktverhältnisse.  — Letzte  Einkäufe  — 
Lagerung  vor  der  Stadt.  — Internationales  Piknik.  — Abreise. 

Gegen  das  Ende  des  Jahres  1862  hatten  mich  meine  kranken 
Lungen  auf  die  Nordküste  von  Afrika  geführt.  Ich  hatte  mich  in 
Algerien,  besonders  in  der  Provinz  (Konstantine,  aufgehalten,  war  im 
folgenden  Jahre  aus  Neugierde  nach  Tunis  gekommen  und  hatte  dort 
vollständige  Genesung  gefunden. 

Die  wenig  verfälschte  Eigenartigkeit  dieser  Krone  aller  maghre- 
binischen  Städte  gegenüber  dem  durch  die  französischen  Eroberer 
curopäisirten  Wesen  Algeriens  hatte  mich  zuerst  angelockt.  Der 
natürliche  Reichthum,  das  glückliche  Klima  des  Ländchens,  seine 
wcchselvolle,  einst  so  glänzende  Geschichte  mit  ihren  der  Zeit  noch 
trotzenden  Spuren  hatten  mir  den  Aufenthalt  in  ihm  lieb  und  inter- 
essant gemacht,  Dankbarkeit  für  die  wiedergewonnene  Gesund- 

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I.  HUCH,  I.  KAPITKI..  TRIPOLIS. 


heit,  dort  erworbene  Freunde  und  eine  angesehene  ärztliche  Stellung 
fesselten  mich  an  dasselbe. 

Viele  Monate  habe  ich  damals  auf  den  Ruinen  von  Carthago 
gesessen  und  die  Rüder  einer  grossen  Vergangenheit  an  meinem 
Geiste  vorüberziehen  lassen,  nicht  ohne  den  betrübenden  Eindruck 
des  Vergleiches  zwischen  Sonst  und  Jetzt  zu  empfinden,  wenn  ich, 
wie  alljährlich,  den  Sommer  im  Hause  des  damaligen  Premier- 
Ministers,  Sidi  Mustafa  Chasnadär,  am  alten  Kriegshafen  Carthago  s 
zubrachte.  Kümmerlich  blickt  dort  die  Kapelle  des  heiligen  Ludwig 
herab  von  der  Höhe  des  Hügels,  den  einst  die  stolze  Byrsa  krönte. 
Alles,  die  mächtigen  Mauern,  die  stolzen  Bauten  der  Stadt,  welche 
einst  Rom  die  Herrschaft  streitig  machen  konnte,  ist  dahin  gesunken, 
fast  ohne  Trümmer  zurückzulassen. 

Die  folgende  römische  Herrschaft  bedeckte  das  fruchtbare  Händ- 
chen mit  Städten  und  Burgen,  deren  Ruinen  den  Gegensatz  jener 
Periode  zur  Jetztzeit  überall  zum  lebhaften  Ausdruck  bringen.  Wie 
überwältigend  und  beschämend  sprechen  nicht  die  gigantischen  Reste 
des  Gordianischen  Prachtbaus,  des  stolzen  Amphitheaters  zu  Tysdrus, 
welche  zu  el-Dschemtn  mitleidig  auf  die  elenden  Hütten  der  jetzigen 
Bewohner  herabzublicken  scheinen,  von  einstiger  Macht  und  Herr- 
lichkeit und  jetziger  Verkommenheit! 

Wo  ist  auch  nur  die  Zeit  des  mittelalterlichen  Glanzes  von  Tunis 
el-Chadra*)  oder  die  sichtbare  Erinnerung  daran  geblieben?  Alles  hat 
dem  Mangel  und  Elend  Platz  gemacht.  Freilich,  in  den  Augen  der 
islamitischen  Welt  prangt  die  „grüne"  Stadt  noch  im  Gewände  früherer 
Herrlichkeit,  und  im  Innern  Afrikas  wird  man  von  frommen,  be- 
lesenen Mohammedanern  beneidet,  diesen  Inbegriff  aller  irdischen 
Pracht  mit  Augen  geschaut  zu  haben. 

Seit  ich  den  classischen  Boden  Tunisiens  betreten  hatte,  vollzog 
sich  der  Verfall  des  so  reich  von  der  Natur  ausgestatteten  Händchens 
mit  betrübender  Schnelligkeit. 

Unter  einem  gutmüthigen  Herrscher  von  betrügerischen  Würden- 
trägern verwaltet  und  von  europäischen  Speculantcn  und  Wucherern 
ausgesogen,  brachte  es  eine  mehrjährige  Dürre  an  den  Rand  des 
Abgrundes.  Bis  in  den  Anfang  der  sechziger  Jahre  ohne  irgend  eine 

*)  Kl-Chadrä  heisst  die  ,, grüne”  und  nicht  etwa  ,,dic  wohlbe wachte",  wie  mau  hier 
und  da  angegeben  findet,  aber  wohl  weniger  von  der  sie  umgebenden  Natur,  welche 
ziemlich  kahl  und  staubfarbig  ist,  als  figürlich  im  Gegensätze  zum  abgestorbenen  Carthago. 


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AUFENTHALT  IN  TUNIS. 


5 


Schuldenlast,  war  der  bedenkliche  Weg  der  europäischen  Anleihen 
kurz  vor  meiner  Ankunft  betreten,  und  in  wenigen  Jahren  von  der 
gewissenlosen  Regierung  eine  unerträgliche  Schuldenlast  contrahirt 
worden. 

Die  Einwohner  wurden  auf  das  Nichtswürdigste  ausgebcutet; 
der  Ackerbau  minderte  sich  um.  fast  das  Zehnfache  gegen  früher; 
die  Nomaden  zogen  sich  in  die  Wüstengebiete  des  benachbarten 
Algeriens  zurück,  beraubten  und  bekämpften  sich  unter  einander 
und  vereinigten  sich  endlich  gegen  die  Regierung. 

Im  Jahre  1864  brach  im  Centrum  des  Reiches  eine  Revolution 
aus,  welche  nahe  daran  war,  der  ganzen  Dynastie  ein  Ende  zu 
machen.  Ich  durchlebte  sie  von  Anfang  bis  zu  Ende  im  Innern  des 
Landes  mit  dem  Chef  einer  gegen  die  Empörer  ausgesendeten 
militärischen  Kolonne,  dem  damaligen  Minister  des  Innern,  Sidi 
Rustam,  der  als  tscherkessischer  Mameluk  im  Knabenalter  nach 
Tunis  und  zu  hohen  Ehren  gekommen  war. 

Dieser  bildete  mit  dem  in  einer  späteren  Periode  an  der  Spitze 
der  Regierung  stehenden  Sidi  Cheireddin,  dem  ebenfalls  nachmals 
als  Minister  thätigen  Sidi  Huse'in  Heide  waren,  wie  Rustam,  tscher- 
kessischen  Ursprungs  — und  dem  damaligen  Marineminister  Sidi 
Mohammed  Chasnadär,  einst  ein  griechischer  Mameluk  , eine 
kleine  Gruppe  ehrenhafter  Männer,  welche  mit  trauerndem  Herzen 
den  rapiden  Verfall  ihres  Adoptiv- Vaterlandes  sahen,  ohne  ihn  auf- 
halten zu  können. 

An  der  Spitze  der  Revolution , welche  fast  alle  Stamme  des 
Centrums  von  Tunisien  umfasste,  hatte  sich  ein  Chef  des  Araber- 
stammes der  Mädscher,  Namens  Ali  Ren  Ghadähum,  gestellt.  Nur 
die  wenigen  Städte  des  Innern,  Kairuwän,  Bädscha,  el-Kcff,  und  die 
zahlreicheren  der  Ostküste,  Susa,  Mehedija,  Monastir,  Sfäqes,  Qäbes, 
hielten  wirklich  oder  scheinbar  zur  Regierung. 

Der  Wüstenantheil  Tunisiens,  das  Beled  eJ-Dschcrid  oder  Dattel- 
land, lag  zu  weit  vorn  Mittelpunkte  des  Landes  entfernt,  um  sich  an 
der  Bewegung  zu  betheiligen.  Die  Bergbewohner  im  Nordwesten 
des  Landes  und  an  der  tripolitanischenGrenze,  wenn  sie  auch  wenig 
Gemeinsames  mit  den  empörten  Arabern  hatten,  waren  ohnehin  tler 
Regierung  stets  feindlich  gesinnt  gewesen. 

Unter  den  ungünstigsten  Aussichten  zogen  wir  mit  etwa  5000  Mann 
aus,  welche  sich  aus  einem  Bataillon  regulärer  Infanterie,  etwa  2000 


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!.  BUCH,  X.  KAPITEI..  TRIPOLIS. 


Mann  Zuäwa,  d.  h.  Berbern  der  algerischen  Berge,  die  seit  lange 
eine  irreguläre  Truppe  der  tunisischen  Fürsten  bildeten,  und  irre- 
gulären arabischen  Reitern  zusammensetzten. 

Die  Aufgabe  des  Führers,  Sidi  Rustam,  war  eine  kriegerisch- 
politische und  fast  verzweifelte,  wurde  jedoch  bei  der  politischen 
Unfähigkeit  der  Rebellen  durch  seine  Versöhnlichkeit,  Geduld,  Klug- 
heit und  Zähigkeit  zu  einem  glücklichen  Ende  geführt.  Nachdem 
die  empörten  Stämme  durch  die  schlauen  Intriguen  der  tunisischen 
Regierung  zur  Uneinigkeit  gebracht  waren,  schlugen  unsere  Truppen 
den  Rebellenhäuptling  und  seine  Schaaren  bei  der  Quelle  Ain  Bä- 
busch,  südlich  von  el-Keff,  und  später  bei  den  Ruinen  von  Haidra,  nahe 
der  algerischen  Grenze,  etwa  5 Stunden  von  Tcbessa,  aufs  Haupt.  Ali 
Ben  Ghadähum  überschritt  nach  dem  letztgenannten  Gefechte  die 
benachbarte  Grenze;  die  Revolution  war  zu  Ende,  und  gerade  ein 
Jahr,  nachdem  wir  die  Hauptstadt  verlassen  hatten,  zogen  wir  sieg- 
reich wieder  in  dieselbe  ein. 

Trotz  des  Erfolges  ging  die  Regierung  geschwächt  aus  der 
Revolution  hervor  und  eilte  nur  um  so  rastloser  ihrem  Untergange 
entgegen.  Leider  hob  ihr  Sieg  für  den  Augenblick  den  gesunkenen 
Credit  in  Europa;  neue  Millionen  flössen  ihr  vom  Auslande  zu,  und 
schonungslos  entrang  sie  den  erschöpften  Provinzen  die  letzten  Kräfte, 
um  den  daraus  entspringenden  Verpflichtungen  zu  genügen. 

Dazu  hatten  die  regenarmen  Jahre  eine  Reihe  von  Missernten 
im  Gefolge  und,  um  das  Maass  des  Unheils  voll  zu  machen,  ver- 
heerte eine  Cholera- Epidemie  im  Jahre  1866  das  Land  und  entmuthigte 
die  arme  Bevölkerung.  Das  Elend  des  folgenden  Winters  wurde 
fürchterlich.  Eine  Hungersnoth  folgte  der  Dürre  und  raffte  hin, 
was  Revolution  und  Cholera  verschont  hatten. 

Aus  den  Moscheen  und  religiösen  Herbergen  wurden  die  Ver- 
storbenen Morgens  gesammelt  und  auf  Wagen  zum  Massenbegräbniss 
geführt;  auf  den  Landwegen  stiess  man  auf  unbeerdigte,  unförmlich 
geschwollene  Leichname,  und  fern  von  der  Hauptstadt  wurden  hier 
und  da  Kinder  geschlachtet  und  verzehrt. 

Der  Hungertyphus  wüthete  während  des  Winters  1867/68;  der 
Himmel  goss  eine  scheinbar  unversiegbare  Schaale  des  Unheils  auf 
das  arme,  gequälte  Land  aus.  Alles  brach  zusammen.  Die  Ein- 
wohner waren  decimirt  und  ihr  Wohlstand  untergraben;  der  Credit 
des  Landes  erschöpft  und  die  Schuldenlast  eine  ungeheure.  Die 


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MISSION  NACH  IIORNl'. 


7 


Männer,  welche  durch  ihre  Intelligenz  und  Ehrenhaftigkeit  zur  Rettung 
des  Staiites  berufen  schienen,  zogen  sich  zurück  und  nur  die  unheil- 
vollen Spitzen  der  Regierung  blieben  unentwegt  und  arbeiteten  mit 
alter  Emsigkeit  am  allgemeinen  Ruine. 

Angewidert  von  der  Unredlichkeit  und  Unfähigkeit,  deren  Zeuge 
ich  sein  musste,  und  verzweifelnd  an  der  Wiedergeburt  des  herrlichen 
Ländchens,  bereitete  ich  meine  Rückkehr  nach  Deutschland  vor,  als 
Gerhard  Rohlfs  auf  seiner  Reise  nach  Tripolitanien  Tunis  berührte. 
Er  war  Träger  der  Geschenke,  welche  Se.  Majestät  König  Wilhelm, 
damals  noch  nicht  Kaiser  von  Deutschland,  dem  Scheich  Omar, 
Sultan  von  Bornü,  zu  senden  beschlossen  hatte,  in  dankbarer  An- 
erkennung des  treuen  Schutzes  und  der  materiellen  Unterstützung, 
welche  derselbe  deutschen  Reisenden,  Barth  und  Overweg,  Vogel, 
v.  Beurmann  und  Rohlfs,  stets  so  grossmüthig  gewährt  hatte. 
Wenn  kein  geeigneter  Deutscher  zur  Uebernahme  dieser  Mission 
gefunden  würde,  so  sollten  die  Geschenke  dem  alten  bewährten 
Diener  Barth’s  und  Rohlfs',  Mohammed  aus  Qatrun  in  Fezzan  zur 
Ucberfiihrung  nach  Bornü  anvertraut  werden. 

Wenn  früher  nicht  selten  der  Wunsch  lebhaft  in  mir  aufgestiegen 
war,  mehr  von  dem  geheimnissvollen  Continente,  auf  dessen  Nord- 
küste mich  das  Schicksal  geführt  hatte,  zu  sehen,  der,  obgleich  er 
in  der  Geschichte  eine  so  hervorragende  Rolle  gespielt  hat  und 
Europa  so  nahe  liegt,  doch  eine  räthselvolle  Sphinx  für  uns  geblieben 
ist,  so  hatte  ich  doch  in  Rücksicht  auf  meine  geringe  Befähigung  zu 
wissenschaftlichen  Forschungsreisen  diesem  Gedanken  zu  entsagen 
gelernt.  Mir  fehlte  Erfahrung  im  Reisen,  und  ich  beherrschte  keines 
der  naturwissenschaftlichen  Fächer,  ein  Mangel,  welcher  die  Ergeb- 
nisse meiner  späteren  langen  und  mühevollen  Wanderung  in  ihrem 
Werthe  nur  allzusehr  beschränkt. 

Trotz  des  Bewusstseins  meiner  wissenschaftlichen  Unzulänglich- 
keit vermochte  ich  dieser  sich  darbietenden  Gelegenheit , die  mir 
im  ungünstigsten  Falle  eine  erinnerungsreiche  Reise  versprach,  nicht 
zu  widerstehen,  zumal  ich  ohnehin  meinen  Aufenthalt  in  Tunis  auf- 
zugeben beabsichtigte.  Es  erschien  mir  als  Pflicht,  wenn  kein  Besserer 
gefunden  würde,  diese  Gelegenheit  nicht  unbenutzt  vorübergehen  zu 
lassen,  und  mein  ärztlicher  Charakter  und  meine  Kenntniss  der 
arabischen  Umgangssprache  und  mohammedanischer  Sitte  versprachen 
mir  die  Lösung  der  Aufgabe  zu  erleichtern. 


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I.  BUCH,  1.  KAPITEL.  TRIPOLIS. 


So  entschloss  ich  mich  zur  Reise  und  wenige  Wochen  nach 
Gerhard  Rohlfs'  Durchreise,  einige  Tage  nach  dem  Weihnachtsfeste 
des  Jahres  1868,  folgte  ich  ihm.  Ich  vermochte  dem  Drängen  meines, 
jedem  tunisischen  Arzte  unter  dem  wohlklingenden  Titel  eines  Dol- 
metschers anhaftenden,  israelitischen  Dieners  David  nicht  zu  wider- 
stehen und  erlaubte  ihm,  mich  zu  begleiten.  Doch  als  ich  mich  im 
Hafenorte  der  Stadt  Tunis,  Halk  el-Wädi,  in  der  italienischen  Ueber- 
setzung  La  Goletta  genannt,  nach  Malta  einschiffte,  drang  ein  anderer 
Mann,  den  ich  lange  als  Koch  und  Diener  in  einem  befreundeten 
Hause  kennen  zu  lernen  Gelegenheit  gehabt  hatte,  Giuseppe  Valpreda, 
ein  Piemontcse,  in  mich,  ihn  zum  Begleiter  zu  wählen.  Da  derselbe 
im  Berichte  über  meine  ersten  Reisejahrc  oft  erwähnt  werden  wird, 
so  will  ich  hier  einige  Worte  über  ihn  vorausschicken. 

Bäcker  von  Profession  hatte  sich  Giuseppe  als  solcher  in  La 
Goletta  niedergelassen,  nachdem  er  die  zuvor  angedeutctc  Stellung 
aufgegeben  hatte.  Er  hatte  unter  der  rückgängigen  wirtschaftlichen 
Bewegung  des  Landes,  unter  der  Geldlosigkeit  der  Beamten  und 
der  Armut  der  Bewohner  schwer  zu  leiden  gehabt  und  sehnte  sich 
lebhaft  vom  Platze  seiner  Enttäuschungen  hinweg.  Ich  kannte  ihn 
als  einen  mutigen,  in  allen  mechanischen  Fertigkeiten  sehr  geschick- 
ten, praktischen  Mann,  und  der  Gedanke,  meinen  allzu  jugendlichen 
David,  der  überdies  in  den  mir  bevorstehenden  mohammedanischen 
Ländern  eines  primitiven  Fanatismus  als  Jude  nicht  recht  am  Platze 
schien,  durch  ihn  zu  ersetzen,  war  mir  durchaus  nicht  unangenehm. 
Doch  setzte  ich  ihm  die  Zwecke  meiner  Reise  auseinander,  schilderte 
ihm  die  Mühen,  Entsagungen  und  Gefahren,  die  von  einer  derartigen 
Unternehmung  unzertrennlich  sind,  und  suchte  ihm  auf  jede  Weise 
seinen  Plan  auszureden. 

Kaum  in  Malta  angekommen , setzten  mich  Depeschen  meiner 
Freunde  davon  in  Kenntniss,  dass  Giuseppe  mit  grosser  Festigkeit 
an  dem  Gedanken , mich  zu  begleiten , fcsthalte , und  so  wurde  mir 
der  Entschluss  nicht  schwer,  David  zurückzuschicken  und  jenen 
nachkommen  zu  lassen.  Ich  begab  mich  eiligst  nach  Tripolis,  wo 
Gerhard  Rohlfs  meiner  wartete,  besprach  mit  diesem  meine  be- 
scheidene Ausrüstung  und  den  ganzen  Plan  der  Reise,  und  kehrte 
mit  demselben  Schiffe  nach  Malta  zurück,  um  die  erstere  zu  voll- 
enden. 

Giuseppe  war  mittlerweile  angekommen.  Einige  Feuerwaffen 


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AUSRÜSTUNG  IN  MALTA. 


9 

und  ihre  Munition,  einige  Uhren,  ein  kleines  Zelt,  zweckmässige 
Kleidungsstücke,  Seife,  Schreibmaterialien,  Fleischextract,  Chokolade, 
Thee,  Kaffee  und  dergl.  waren  bald  eingekauft,  österreichische 
Maria-Theresia-Thaler,  die  in  so  vielen  Ländern  Nord- Afrikas 
hauptsächliche  Verbreitung  haben,  schnell  eingewechselt,  und  schon 
mit  dem  nächsten  Schiffe  konnte  ich  nach  Tripolis  zurückkehren. 
Vieles  Wichtige  war  leider  in  Malta  nicht  zu  beschaffen,  so  z.  B. 
konnte  ich  trotz  aller  erdenklichen  Mühe,  welcher  sich  der  Befehls- 
haber der  dortigen  Flottenstation,  Sir  Clarcnce  Paget,  mit  grosser 
Liebenswürdigkeit  unterzog,  nur  wenige  meteorologische  Instrumente 
auftreiben,  und  musste  die  meisten  derselben  aus  Kuropa  nach- 
kommen  lassen. 

Ich  muss  bekennen,  dass  ich  damals  kein  Auge  für  Malta  hatte, 
diesen  merkwürdigen  Fels  im  Meere,  mit  seinen  geschichtlichen 
Erinnerungen,  seinem  grossartigen , belebten  Hafen  und  seiner  inter- 
essanten, rastlosen  Bevölkerung,  welche  ein  so  wichtiges  colbnisa- 
torisches  Element  auf  der  Nordküste  Afrikas  bildet,  und  dass  selbst 
Tripolis  mich  nicht  zu  fesseln  vermochte;  waren  doch  alle  meine 
Gedanken  auf  Bornü  und  die  Geheimnisse  des  innersten  Afrika  ge- 
richtet. 

Und  doch  war  es  ein  liebliches  Bild,  das  sich  vor  den  Augen 
des  ankommenden  Reisenden  allmählig  auf  der  Rhede  von  Tripolis 
Taräbülus  — entfaltete.  In  den  Strahlen  der  glitzernden  Morgen- 
sonne  anfangs  verschwimmend,  hoben  sich  allmählig  zuerst  links  die 
malerische  Masse  des  festen  Schlosses  und  dann  vor  uns-  über  der 
Stadt  die  gleich  Säulen  oder  Mastbäumen  emporragenden  schlanken 
Minarets  der  Moscheen  hervor. 

Allmählig  zeichneten  sich  die  luftigen  Kuppeln  der  religiösen 
Gebäude,  die  reinlichen,  weissen  Stadtmauern  mit  ihren  Zinnen  und 
Thurmchen  und  die  reizende  Zierde  der  hier  und  da  das  Ganze 
überragenden  schlanken  Dattelpalmen  für  das  Auge  bestimmter. 
Rechts  trug  eine  ins  Meer  vorspringendc  Felszunge  Festungswerke, 
und  allmählig  unterschied  man  die  einzelnen  sauberen  Häuser  mit 
ihren  Dachterrassen,  von  denen  die  ansehnlicheren  der  Europäer,  die 
niedrige  Stadtmauer  überragend,  die  Aussicht  auf  das  Meer  haben. 

Beim  Besuche  orientalischer  Städte  muss  sich  der  Reisende  an 
Enttäuschungen  gewöhnen.  Aus  der  Ferne  Sauberkeit  und  Glanz, 
pflegt  innen  Alles  Schmutz,  Ruine  und  Elend  zu  sein.  Auch  Tripolis 


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I.  BUCH,  1.  KAPITEL.  TRIPOLIS. 


leistet  nicht  das,  was  es  verspricht,  ohne  gleichwohl  das  Gepräge 
des  Verfalls  in  einem  Grade  an  sich  zu  tragen,  wie  so  viele  Schwester- 
städte auf  der  Küste  des  Mittelmeers. 

Rechts,  wo  die  Felszunge  beginnt,  liegt  das  Bäb  el-Bahär,  das 
Scethor,  durch  das  man  in  das  Innere  des  Städtchens  gelangt,  und 
die  sauberen  Marinegebäude.  Neben  dem  Landungsplätze  ist  ein 
grosses  arabisches  Kaffeehaus  mit  seinen  beschatteten  Bänken  und 
ihren  bunt  gemischten  Insassen,  links  neben  dem  unverfallenen  Thore 
die  Handelsgewölbe  mit  ihrem  Getöse  und  Menschengewimmel.  Um 
das  Thor  gruppirt  sich  das  regste  Leben,  das  Tripolis  zu  entfalten 
vermag.  Dort  sind  die  Kaffeehäuser  mit  ihrer  bunten  Gesellschaft 
und  ihren  bescheidenen  Genüssen,  die  Barbierstuben  mit  ihren  Neuig- 
keitskrämern, die  geräuschvollen  Bazars  der  Malteser,  die  relativ 
grossartige  Thätigkeit  des  Seehandels. 

Vom  Bäb  el-Bahär  fuhren  zwei  breite  Strassen  — Schära  — , die 
eine  am  Meere  entlang,  zwischen  der  niedrigen  Stadtmauer,  auf  deren 
halber  Höhe  man  einherwandeln  kann,  und  den  ansehnlichsten  Ge- 
bäuden europäischer  Kaufleute  und  Consuln  nach  Osten,  die  andere 
in  s Innere  der  Stadt.  Die  Strassen  sind  reinlich,  schutt-  und  trümmer- 
los, ohne  Kehrichthaufen  und  ohne  die  Leichname  ausgesetzter, 
neugeborener  Kätzchen,  wie  sie  in  Tunis  die  unvermeidliche  Beigabe 
so  vieler  Verkehrswege  sind,  geebnet  urn^  gehärtet. 

Folgen  wir  der  europäisch  gebauten,  in  der  ganzen  Länge  der 
Stadt  am  Ufer  sich  hinziehenden  Seestrasse,  welche  ihren  Bewohnern 
die  herrlichste  Fernsicht  über  das  Meer  gestattet  und  gleichzeitig 
von  der  erfrischenden  Brise  bestrichen  wird,  so  gelangen  wir  auf 
einen  kleinen  Platz,  auf  dem  das  modernste  Gebäude  von  Tripolis 
steht,  der  Uhrthurm,  dessen  unterstes  Stockwerk  Läden  enthält,  vor 
denen  die  Würdenträger  und  Notablen  des  Ortes  ihre  Mussestunden 
im  Zuschauen  des  Strassenlebens  verbringen.  In  seiner  Höhe  zeigt 
eine  Uhr  die  Stunden  der  türkischen  Tageseintheilung.  Mit  diesem 
Monumente  hatte  der  damalige  Gouverneur,  Ali  Riza  Pascha,  die 
Hauptstadt  der  ihm  anvertrauten  Provinz  beschenkt. 

Von  diesem  Thurmplatze  führen  zwei  Wege  zu  den  südöstlichen 
Thoren,  dem  Bäb  el-Chandaq  und  dem  Bäb  el-Meschija,  und  einige 
Strassen  in  das  Innere  der  Stadt.  An  dem  ersteren  Thore,  zwischen 
ihm  und  dem  Meere,  liegt  die  mächtige,  etwas  formlose  Masse  des 
Gouvernementsgebäudes,  das  unmittelbar  ans  Meer  stösst  und  nach 


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BESCHREIBUNG  DER  STADT. 


11 


der  Seeseite  hin  durch  mächtige  Mauern  seiner  Zeit  eine  gewiss 
uneinnehmbare  Festung  bildete.  Es  hat  nicht  das  Aussehen  eines 
Palastes,  sondern  eines  von  der  übrigen  Stadt  abgeschiedenen,  festen 
Schlosses.  Alle  Jahrhunderte  haben  ihre  architectonischen  Spuren 
an  dieser  sonderbaren  Masse  hinterlassen,  welche  hier  ein  fenster- 
loser Thurm  zu  sein  scheint,  dort  auf  der  luftigen  Höhe  seiner 
Terrasse  ein  Frauenhäuschen  mit  vergitterten  Fenstern  trägt  und 
dann  wieder  eine  Fagade  zeigt  mit  Fenstern  in  jeder  Grösse,  in  den 
verschiedensten  Höhen  angebracht,  aus  deren  Durcheinander  sich 
das  mächtige  Fenster  hervorhebt, ' in  dem  der  genannte  General- 
Gouverneur  zu  sitzen  liebte. 

Im  Innern  des  Schlosses  befinden  sich  ausser  den  Wohnungen 
des  Pascha  und  seines  Hofstaates  alle  Kanzleien  und  Beamten- 
wohnungen, und  es  muss  nicht  leicht  sein,  sich  in  seinen  Höfen  und 
Höfchen,  Gängen  und  Winkeln,  Gewölben  und  Treppen  zurecht  zu 
finden.  Das  Ganze  ist  nicht  nur  unregelmässig  und  unzweckmässig, 
es  ist  auch  unschön  und  bei  aller  Massenhaftigkeit  ärmlich. 

Die  Strasse,  welche  nach  dem  Bäb  el-Meschija  führt,  ist  dem 
Verkaufe  von  Gemüsen  und  den  Erzeugnissen  der  kleinen  Hand- 
werker gewidmet,  und  hat  neben  sich  den  überwölbten  Suq  el-arba, 
in  dem  Stoffe  und  Kostüme  feilgeboten  werden.  Dort  kauft  man 
die  bunten  Wolldecken,  Burnusse  und  Haik’s  aus  dem  tunisischen 
Beled  el-Dscherid  oder  häufiger  von  der  Insel  Dscherba,  deren  industrie- 
reiche Bewohner  in  grosser  Zahl  in  Tripolis  angesicdelt  sind. 

Eine  andere  Strasse  führt  vom  Thurmplatze  in  die  Haupt- Bäzar- 
strasse,  welche,  wie  in  allen  mohammedanischen  Städten  der  Mittel- 
meer-Küste, die  sauberste,  reichste  und  interessanteste  ist.  Dies  ist 
der  sogenannte  Suq  el-Turk  mit  seinen  türkischen  und  arabischen 
Handelsherren,  die  ernst  und  würdevoll  in  ihren  kleinen  Läden  sitzen, 
nie  ihre  Waare  anpreisen,  nie  ihre  Preise  verrücken,  und,  scheinbar 
uninteressirt  um  Kauf  und  Verkauf,  den  Tag  im  Gespräche  mit  den 
Nachbarn  und  Besuchern,  mit  Lectüre  oder  in  dem  indifferenten  Schwei- 
gen und  müssigen  Träumen  verbringen,  das  den  Orientalen  so  wenig 
schwer  fallt.  Unbekümmert  um  die  Concurrenz  der  Neuzeit,  welche 
ihren  Markt  mit  europäischen  Waaren  überschwemmt,  die,  den  ihrigen 
unstreitig  ähnlich,  sich  zwar  durch  Mangel  an  Solidität,  aber  auch 
durch  billige  Preise  auszeichnen,  leben  sic  in  der  Welt  ihrer  Erinne- 
rung und  ihrer  Träume.  Neben  ihnen  verkaufen  auch  Juden  türkische 


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12 


I.  BUCH,  I.  KAPITEL,  TRIPOLIS. 


und  arabische  Stoffe  in  Wolle,  Seide  und  Baumwolle  mit  ihren  Nach- 
ahmungen aus  Europa  und  wissen  dort  wie  überall,  in  widerlichem 
Contraste  zu  ihren  würdigen  Nachbarn  sich  und  ihre  Waaren  zu  oft 
unberechtigter  Geltung  zu  bringen  Dort  finden  sich  auch  leiden 
mit  .Tabak,  Tschibuk’s  und  Nargile’s,  mit  schöngeformten  Kannen, 
Schüsseln  und  Trinkschalen  aus  Kupfer  und  Messing,  mit  Essenzen 
und  Wohlgerüchen  aus  Constantinopel.  mit  Teppichen  aus  aller 
Herren  Ländern. 

Hier  und  da  stösst  man  dazwischen  auf  die  einfachen  Kaffee- 
häuser mit  ihren  kleinen  Kochherden,  ihren  Kännchen  und  Tässchen, 
ihren  nackten  Wänden  und  Bretterbänken,  und  auf  die  Eingänge  zu 
den  Absteigequartieren  der  Reisenden.  Diese  werden,  wie  in  Tunis, 
Fondue]  genannt  und  bestehen  aus  viereckigen,  rings  von  Arkaden 
umschlossenen  Höfen,  in  welche  sich  niedrige,  kleine,  fensterlose, 
zur  Aufbewahrung  des  Gepäckes  und  der  Waaren  der  Reisenden 
bestimmte  Gelasse  mit  ihren  schlecht  verschliessbaren  Thüren  öffnen. 
Diese  werden  den  nicht  in  der  Stadt  ansässigen  Kaufleuten  als 
Lagerräume  vermiethet,  und  im  oberen  Stock  giebt  es  zuweilen 
noch  Schlafzimmer  für  die  Besitzer  der  Waaren. 

Die  Fortsetzung  des  Suq  el-Turk  wird  zum  Bäzär  der  Schneider 
Suq  el-Tuarzi  — , welche  fast  sammtlich  Juden  sind,  und  seitlich 
gelangt  man  aus  jenem  in  den  Bäzär  der  Seidenwirker  Suq 
cl  Harrära  — aus  deren  Werkstätten  jene  grossen,  viereckigen,  meist 
halbseidenen  Männer -Umschlagtücher,  welche  die  in  Tripolitanien 
wenig  üblichen  Burnusse  ersetzen  und  unter  dem  Namen  Haram  dort 
bekannt  sind,  hervorgehen. 

In  den  Bäzärs  pulsirt,  wie  in  den  übrigen  mohammedanischen 
Landern,  das  öffentliche  Leben,  und  wenn  dasselbe  in  Tripolis  nicht 
besonders  rege  ist,  so  zeichnet  es  sich  doch  durch  seine  bunte 
Physiognomie  aus.  Tripolis  ist  ein  Hauptausgangspunkt  des  Handels 
der  Ghadämcsija,  Bewohner  von  Ghadänies,  deren  Handel  die  west- 
liche Wüste  beherrscht,  und  welche  die  Beziehungen  zu  den  Tuärik 
vermitteln,  Comtoirs  in  den  Haussa- Staaten  haben  und  über  Tuät 
nach  Timbuktu  reisen.  Die  Kaufleute  der.  Stadt  selbst  und  der 
Cyrenaica,  die  Bewohner  von  Ghariän  und  der  Oasen  Fezzän's  thcilcn 
ihre  Handelsbeziehungen  zwischen  den  Haussastaatcn  und  Bornü  und 
haben  neuerdings  angefangen,  nach  .Wadäi  zu  reisen.  Dem  ent- 
sprechend findet  man  neben  diesen  Kaufleuten  ihre  Geschäftsfreunde 


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13 


BESCHREIBUNG  DE«  STAKT. 

aus  den  verschiedensten  Ländern  Inner-Afrikas:  den  reichen  Ghadä- 
inesi  im  Humus  und  in  Schnabelschuhen  neben  dem  antlitzver- 
schleierten Täriki;  den  Bewohner  von  Fezzän  neben  dem  Neger  aus 
Bomü  und  llaussa  und  dem  schlanken  Tubu. 

Um  diesen  Theil  der  Stadt,  die  besseren  Bäzär’s,  wohnen  die 
wohlhabenderen  Leute  in  Häusern,  welche  im  Ganzen  in  künstlerischer 
Fracht  weit  hinter  den  besseren  Gebäuden  von  Tunis  zurückstehen, 
wenn  auch  ihre  Anordnung  dieselbe  ist.  Hin  Erdgeschoss  und  ein 
Stockwerk  öffnen  ihre  Zimmer  auf  einen  viereckigen,  offenen,  mit 
Quadern  oder  Fliesen  gepflasterten  Hofraum , der  rings  von  zwei 
Etagen  Arkaden  umgeben  ist,  deren  untere  aus  Marmor  oder  Sand- 
stein, die  obere  nur*  aus  Holz  zu  bestehen  pflegt. 

Aus  dieser  Gegend  gelangt  man  durch  das  Ghariän- Viertel  zürn 
Südthore,  dem  einzigen  nach  dem  Innern  des  Landes  gerichteten, 
das  erst  neuerer  Zeit  seinen  Ursprung  verdankt  und  darum  Bäb  el- 
Dschedid  heisst.  Westlich  von  jenem  liegt  das  Hara  oder  Juden- 
viertel mit  seinem  Strassengewirre,  seinem  Lärm,  seinem  Schmutz, 
seinen  üblen  Gerüchen  und  seiner  zur  Schau  getragenen  Aermlich- 
keit;  und  zwischen  ihm  und  der  südlichen  Stadtmauer  der  armselige 
Theil,  in  dem  die  Venus  vulgivaga  ihr  trauriges,  wenig  lohnendes 
Gewerbe  treibt. 

An  das  Hära  lehnt  sich  derjenige  Theil  der  muselmanischen 
Stadt,  in  dem  die  Malteser  ihr  Heim  aufgeschlagen  und  der  Um- 
gebung ihr  charakteristisches  Gepräge  aufgedruckt  haben,  ln  allen 
Kustenstädten  Tripolitaniens,  Tunisiens  und  Algeriens  ist  dieses 
Element  reichlich  vertreten,  hat  die  engsten  Beziehungen  zur  moham- 
medanischen Bevölkerung,  ist  von  einer  rastlosen  Thätigkeit,  bewun- 
derungswürdigen Geschäftsklugheit,  seltenen  Sparsamkeit  und  in  seiner 
Lebenskraft  und  Elastizität  von  höchster  Wichtigkeit  für  die  Ent- 
wicklung des  gesammten  Lebens.  Fast  alle  Malteser  in  Tripolis  sind 
Kaufleute,  und  wahrhaft  unglaublich  ist  die  Mannichfaltigkcit  der 
Gegenstände,  mit  denen  sie  handeln,  und  die  Kleinheit  des  Raumes, 
in  dem  sie  dieselben  unterzubringen  wissen.  Englisches  Bier,  Wein, 
türkischen  Tabak,  abscheuliche  Cigarren,  Taschentücher,  Tassen, 
Tschibuks,  fertige  Beinkleider,  Kaffee,  Thee,  Wachskerzen,  Zünd- 
hölzchen, Hemden,  Messer,  Orangen:  Alles  findet  man  bei  diesen 
merkwürdigen  Repräsentanten  einer  Uebergangsstufe  von  Afrikanern 
zu  Europäern.  Wenn  sic  auch  von  den  Muselmanen  verachtet  sind, 


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14 


I.  HUCH,  I.  KAPITEL.  TRIPOLIS. 


so  werden  sie  doch  unter  ihnen  geduldet  und,  überall  im  westlichen 
Theile  des  nördlichsten  Afrika  ist  die  Ansicht  volksthümlich,  dass 
die  Malteser  durch  Christenblut  corrumpirte  Araber  seien. 

Westlich  von  dieser  Gegend  dehnt  sich  das  arme  maurische 
Quartier  bis  zu  einem  Ruinenhaufen  aus,  in  den  vor  wenig  mehr  als 
einem  Jahrzehnt  ein  stattliches  Fort  durch  eine  furchtbare  Pulver- 
explosion verwandelt  worden  war. 

Damit  hat  man  die  Runde  durch  die  ganze  kleine  Stadt  gemacht. 
Tripolis  ist  eng  gebaut,  d.  h.  enthalt  keine  weiten  unbebauten  Platze, 
wie  Tunis,  das  freilich  daneben  auch  zahllose  enge  Gässchen  be- 
sitzt , und  häufig  sind  die  Strassen  durch  Mauerbögen  überwölbt, 
welche  die  gegenüberliegenden  Häuser  verbinden.  Die  engen  Gassen 
werden,  wie  in  Tunis,  Zanka  genannt,  die  breiten  Wege  heissen 
Schära,  während  die  Strassen  der  Kaufleute  auch  hier  die  Bezeich- 
nung Suq,  d.  h.  Bazar,  führen. 

Die  mir  später  gemachten  Angaben  der  Regierungsbeamten  über 
die  Bevölkerungsmenge  der  Stadt,  die  natürlich  auch  hier  nicht 
amtlich  festgestellt  wird,  stimmten  ungefähr  mit  meiner  Annahme 
von  gegen  20,000  Seelen. 

Je  kleiner  die  Stadt  ist,  desto  zahlreicher  erscheinen  im  Verhält- 
niss  die  fremden  Elemente  und  desto  mehr  treten  sic  hervor.  Die 
eigentlichen  Stadtbewohner  von  Tripolis  (Araber,  Berber,  Mauren), 
verschwinden  fast  gegen  die  Fremden  und  haben  sich  mit  der  Zu- 
nahme dieser  mit  Vorliebe  in  die  Gärten  der  Stadt,  welche  in 
unmittelbarer  Nähe  derselben  eine  besondere  Ortschaft  bilden,  zurück- 
gezogen. Sie  machen  im  Ganzen  keinen  so  noblen,  energischen 
Findruck,  als  die  Tuniser.  Auch  in  der  Kleidung  weichen  sie  von 
diesen  ab  und,  wie  mir  nach  meinem  langen  Aufenthalte  in  Tunis 
schien,  nicht  zum  Vortheile  ihrer  Erscheinung. 

Das  bis  zum  Knie  massig  weite  und  dann  enger  werdende,  bis 
auf  die  Knöchel  reichende  Beinkleid,  welches  cl-Färcsi,  d.  h.  die  des 
Reiters  (nämlich  Hose)  genannt  wird,  sagte  meinen  Augen  bei  weitem 
nicht  so  zu,  als  das  schön  und  regelmässig  dicht  gefaltete,  weite 
Beinkleid  der  Tuniser,  das  dicht  unterhalb  des  Knies  abschlicsst. 
Noch  weniger  gefiel  mir  die  Sitte,  das  Hemd  in  seinem  unteren 
Theile  über  dem  Beinkleid  zu  tragen.  Das  Kamisol  Sedrija  — , 
die  Weste  Bedäja  — und  die  Jacke  — Rhelila  hatten  zwar 
den  tunisischcn  Schnitt,  bekundeten  jedoch  durch  ihren  bunten,  gross- 


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EINWOHNER. 


lf> 


geblümten  leichten  Kattunstoff  einen  tiefer  stehenden  Geschmack 
der  Tripolitancr,  als  dieselben  Kleidungsstücke  aus  Tuch  mit  ein- 
facher Einfassung  oder  leichter  Stickerei  ihrer  westlichen  Nachbarn. 

Die  so  kleidsame  anständige  Dschubba*)  der  wohlhabenderen 
Klassen  in  Tunis,  welche  nicht  blos  das  Hausgewand  ist,  sondern 
auch  draussen  getragen  wird,  erscheint  in  Tripolis  seltener,  und  sie 
sowohl,  als  der  Burnus  der  Algerier  und  der  Tuniser,  werden  ersetzt 
durch  den  schon  erwähnten  Shawl,  in  den  man  Haupt  und  Glieder 
cinzuwickeln  liebt.  Das  elegante,  aus  feiner  Wolle  gewebte  und  mit 
weissen  Seidenstreifen  durchzogene  oder  mit  Scidenfaden  durch- 
schossene Umschlagtuch,  das  in  Tunis  unter  dem  Burnus  getragen 
und  auf  der  Insel  Dscherba  oder  im  Beled  el -Dscherid,  fabricirt  wird, 
ist  bei  den  auf  Kleiderglanz  haltenden  Leuten  ebenfalls  beliebt.  Der 
Ruf  dieses  Kleidungsstückes  geht  in  Afrika  weit  über  den  nörd- 
lichsten Theil  hinaus,  und  noch  in  Bornil  fand  ich  ihn,  unter  der 
dem  Namen  seiner  Hcimath  entnommenen  Bezeichnung  Dschcridi 
allgemein  bewundert.  Auch  die  Frauen  tragen  einen  ähnlichen  Shawl; 
nur  hüllen  sie  ängstlicher  den  ganzen  Körper  in  denselben,  denn  bei 
ihnen  vertritt  er  gleichzeitig  die  Rolle  des  Gesichtsschleiers,  der  bei 
den  westlicheren  Bewohnerinnen  der  Küstenstädte  Sitte  ist.  Eine 
schmale  Spalte  gewährt  den  Verhüllten  den  allernothwcndigsten 
Durchblick  zur  Auffindung  des  Weges. 

Zahlreicher  als  diese  eigentlichen  Bewohner  der  Stadt  sind  die 
von  den  seit  Jahrhunderten  im  Lande  angesessenen  Türken  abstam- 
menden, aus  Ehen  derselben  mit  Araberinnen  hervorgegangenen 
Kuruglija.  Sie  ähneln  den  soeben  besprochenen  Bewohnern  der 
Stadt  jetzt  in  der  äusseren  Tracht  und  sind  ebenso  aus  Macht  und 
Ansehen  verdrängt  worden,  wie  diese.  Auch  sie  haben  sich  vielfach 
in  der  Meschija,  der  obenerwähnten  Oase  der  zur  Stadt  gehörigen 
Gärten  angesiedelt  und  haben  nur  in  so  weit  mit  der  Regierung 
Zusammenhang,  als  sic  die  unregelmässige  Reiterei  bilden  und  des- 
halb keine  Steuern  bezahlen.  Seit  die  Türken  ihre  Herrschaft  auf 
der  Nordküste  Afrikas  begründeten,  musste  natürlich  die  Zahl  der 

*)  Der  Name  Dschubba  kommt  in  verschiedenen  Ländern  sehr  verschiedenen  Klei- 
dungsstücken zu.  In  Tunis  ist  die  Dschubba  ein  etwa  bis  zum  Knie  reichendes  ziemlich 
weites,  sackförmig  geschnittenes  Gewand  aus  den  verschiedensten  Stoffen,  das  weite, 
*ÜKc  Aermel  hat  und , mit  Ausnahme  eines  bis  zum  untern  Theile  der  Brust  reichenden 
Ausschnitts  Tür  den  Durchtritt  des  Kopfes,  vorn  geschlossen  ist. 


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I.  BICH,  I.  KAPITEL.  TRIPOLIS. 


Kuruglija  allmählig  zunehmen,  und  noch  unter  der  Dynastie  der 
Karamanlija  während  des  ganzen  vorigen  Jahrhunderts  waren  sie  das 
wichtigste  und  einflussreichste  Element  der  Bevölkerung.  Sie  Hessen 
nur  selten  die  eigentlichen  Eingeborenen  zu  Macht  und  Ansehen 
gelangen,  und  selbst  heut  zu  Tage,  wo  eine  rein  türkische  Regierung 
eingeführt  ist,  und  sie  selbst  in  den  Hintergrund  gedrängt  worden 
sind,  haben  sie  noch  das  stolze  Bewusstsein  der  Ueberlegenheit  jenen 
gegenüber. 

Die  Macht  ist  jetzt  ganz  bei  den  türkischen  Beamten,  welche 
unter  einem  Wall  oder  General-Gouverneur,  gewöhnlich  einem  Muschir, 
dessen  Rang  den  eines  Divisions-Generals  überragt,  stehen.  Trotz 
ihrer  immerhin  beschränkten  Zahl  treten  sie  bei  der  geringen  Ge- 
sammt  - Bevölkerung  unangenehm  in  den  Vordergrund  in  ihrem 
schwarzen  Tuchrock  mit  Stehkragen  Stambulija  — , ihren  unver- 
meidlichen Glanzschuhen  mit  niedergetretenen  Kappen  und  ihrem 
türkischen  Tarbüsch,  dessen  fahles  Braunroth  und  schwarze,  spärliche 
Quaste  mir  gegen  die  unvergleichliche  Farbe  und  die  vollen,  schön 
blauen  Behänge  der  tunisischen  Mützen  abscheulich  vorkamen. 

Einen  wohlthucnderen  Eindruck,  als  sie,  machten  die  von  der 
tunisischen  Insel  Dscherba  stammenden  Leute,  welche  eine  ansehn- 
liche Kolonie  in  Tripolis  bilden.  Sie  sind  thätig  und  klug,  wie  die 
Berber,  denen  sie  angehören,  körperlich  wohlgebildet  und  gut  ge- 
kleidet, und  haben  einen  grossen  Theil  der  besseren  Läden  der 
Bazars  innc. 

Wie  in  Tunis,  bilden  auch  in  Tripolis  die  Juden  einen  beträcht- 
lichen Bruchtheil  der  Bevölkerung,  der  sich  für  beide  Städte  auf  ein 
gutes  Viertel  belaufen  mag.  Doch  der,  allerdings  nur  oberflächliche 
Vergleich,  den  ich  zwischen  den  jüdischen  Bewohnern  beider  Städte 
zu  machen  Gelegenheit  hatte,  fiel  sehr  zu  Gunsten  derer  von  Tunis 
aus.  Unter  diesen  treten  dem  Beobachter  überall  herrliche  Jüng- 
lingsgestalten  entgegen,  wie  sie  der  an  seine  heimischen  Juden  ge- 
wöhnte Europäer  mit  Erstaunen  betrachtet,  und  die  Schönheit  der 
jüdischen  Jungfrauen  von  Tunis  ist  unübertroffen.  Im  Hara  von 
Tripolis  herrscht  derselbe  Schmutz  und  derselbe  Gestank,  ohne  dass 
der  Besucher  des  Quartiers  durch  den  Anblick  wohlgebildeter  junger 
Männer  und  in  den  blühendsten  Farben  prangender  Mädchen  dafür 
entschädigt  wird.  Durch  ihr  treues  Zusammenhalten,  ihre  Wohl* 
thätigkeit  gegen  die  Glaubensgenossen,  ihre  Orthodoxie,  ihre  Leiden- 


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EINWOHNER. 


17 


schaft  für  Streit  und  Discussion  scheinen  sic  sich  jedoch  ihren  Brüdern 
des  Westens  durchaus  anzuschlicssen. 

Eine  Klasse  der  Bevölkerung,  welche  in  Tripolis  entschieden 
bei  weitem  mehr  hervortritt,  als  in  Tunis,  ist  die  der  Neger  von 
mehr  oder  weniger  reinem  Blute,  ein  Umstand,  der  sich  aus  der  bis 
in  die  neueste  Zeit  fortdauernden  Einfuhr  von  Vertretern  des  Barr 
el-Abid,  d.  h.  des  Landes  der  Sclaven,  erklärt.  In  Tunis  hat  der 
Sclavenhandel  so  vollständig  aufgehört,  dass  bei  meiner  Abreise  von 
dort  der  Bei  und  sein  damaliger  Premier -Minister  in  meiner  Ab- 
schieds-Audienz scherzend  baten,  ich  möchte  doch  ja  so  viel  als 
möglich  kleine  Usfän  (Mehrzahl. von  Usif,  Neger)  mitbringen.  Wenn 
die  hohen  Herren  von  Tunis  ihren  Hausstand  um  schwarze  Diener, 
Eunuchen  oder  Arbeitsselavinnen  vermehren  wollen,  so  schicken  sie 
nach  Tripolis  und  lassen  sie  daselbst  zu  hohen  Preisen  kaufen. 

Freilich  ist  der  Sclavenhandel  auch  in  Tripolis  streng  verboten 
und  gewiss  sehr  zurückgegangen,  doch  im  Verborgenen  findet  noch 
mancher  Umsatz  in  schwarzer  Menschenwaare  statt.  Nach  wie  vor 
kommen  alljährlich  verschiedene  Sclaven -Caravanen  nach  Tripolis, 
doch  die  Trupps  werden  von  Jahr  zu  Jahr  kleiner,  und  anstatt  sie 
in  die  Stadt  zu  führen,  bringt  man  sie  in  die  Gärten  der  Meschija, 
um  sie  von  dort  aus  allmählig  und  einzeln  zu  verkaufen.  Glücklich 
bis  zu  diesem  Ziele  gelangt,  sind  die  armen  Ercmdlinge  aller  Sorge 
überhoben,  auf  das  Humanste  behandelt,  mit  einem  Freibrief  — 
Atäka  — ausgestattet  und  stehen  nach  kurzer  Zeit  in  dem  Verhält- 
nisse der  römischen  Freigelassenen  zu  ihren  Herren.  Sobald  sie  die 
Lust  zum  Verheirathen  erfasst  und  das  kommt  unrettbar  bald  bei 
einem  Neger  — und  sich  im  Hause  ihrer  Herren  keine  Gelegenheit 
findet,  einen  selbstständigen  Haushalt  zu  gründen,  so  domicilircn  sie 
sich  ausserhalb,  doch  fast  nie  wird  das  Vcrhältniss  zu  ihren  einstigen 
Herren  gänzlich  gelöst. 

Wenn  man  von  einem  Neger  in  Tripolis  hört,  er  stamme  aus 
dem  Sudan,  d.  h.  dem  Land  der  Schwarzen,  so  muss  man  nicht 
denken,  dass  es  sich  im  weiteren  Sinne  um  die  südlich  von  der 
Wüste  sich  von  den  Nil-  bis  zu  den  Nigerländern  erstreckenden 
Landschaften  handele,  sondern  schon  auf  der  Küste  wie  in  der 
ganzen  Wüste  und  in  einem  grossen  Thcile  des  Sudan  selbst  ge- 
braucht man  diesen  Ausdruck  im  engeren  Sinne  nur  für  die  westlich 
von  Bornü  gelegenen  Haussa  - Staaten , aus  denen  in  der  That  die 

N.iduigul.  t.  2 


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1« 


t.  HUCH,  I.  KAPITEL.  TRIPOLIS. 


meisten  und  beliebtesten  der  nach  Tripolis  gelangenden  Sclavcn 
stammen.  Schon  hier,  im  herrlichsten  Klima,  sollen  übrigens  die 
Neger  nicht  mehr  gedeihen,  häufig  langsam  zu  Grunde  gehen  und 
eine  spärliche,  wenig  lebenskräftige  Nachkommenschaft  erzielen. 

Wir  kommen  endlich  zu  den  Europäern,  die,  was  Zahl  anbe- 
triflfit,  fast  ganz  aus  Maltesern  bestehen,  den  gläubigsten  Anhängern 
und  Beförderern  der  in  Tripolis  unter  der  Leitung  eines  Padre 
Prefetto  bestehenden  katholischen  Mission.  Wie  in  allen  Iündcrn 
der  Nordküste  Afrikas,  komihen  sie  besitzlos  an  und  bringen  es 
durch  bewunderungswürdige  Sparsamkeit  und  Mässigkeit,  durch  Ge- 
schicklichkeit, Schlauheit  und  rastlose  Thätigkcit  ohne  Gleichen, 
nicht  selten  in  zehn  Jahren  zu  einem  ansehnlichen  Vermögen.  Handel 
bleibt  ihr  Hauptelement,  doch  eignen  sie  sich  fast  ebenso  gut  zum 
Landbau,  zum  Schiffsdienst,  zur  Viehzucht.  Ihre  Fruchtbarkeit,  ihr 
Kinderreichthum . ist  .staunenerregend.  Die  vornehme  Klasse  der 
Europäer  endlich  wird  durch  die  Consuln  und  ihre  Beamten,  und 
durch  die  in  Tripolis  angesessenen  reichen  Kaufleute  gebildet. 

Mit  ihnen  und  dem  General -Gouverneur,  Ali  Riza  Pascha,  hatte 
ich  zunächst  zu  thun  und  suchte  alsbald  den  östreichischen  Consul 
Luigi  Rossi,  für  die  Eingeborenen  unter  dem  Namen  Dschidschi  eine 
wohlbekannte  Persönlichkeit,  auf,  der  auch  Deutschland  vertrat.  Er 
bewohnte  in  der  Seestrasse  eines  der  ansehnlichsten  Häuser,  war  ein 
in  der  Blüthe  der  Jahre  stehender,  etwas  vor  der  Zeit  ergrauter 
Mann  von  kräftigem  Bau  und  rundem,  blühendem  Gesichte  und  nahm 
mich  mit  der  Urbanität  auf,  welche  in  der  Fremde  so  verbreitet  und 
wohlthuend  ist,  und  in  welcher  sich  die  Italiener  und  Halbitaliener 
vorzüglich  auszeichnen.  Er  war  kein  Berufsconsul,  sondern  Kauf- 
mann, stammte  aus  Triest,  hatte  aber  fast  sein  ganzes  Leben  in 
Tripolis  zugebracht  und  war  mit  Land  und  Leuten  vertraut,  wie 
Wenige.  Von  zahlreicher,  blühender  Kinderschaar  umgeben,  ein 
wohlhabender,  angesehener  Mann,  lebte  er  damals  in  Glück  und 
Zufriedenheit  und  erschien  mir  beneidenswerth.  Als  ich  aus  tausend 
Gefahren  glücklich  hervorgegangen,  nach  Jahren  das  Mittelmeer 
wiedersah,  hatte  ihn  ein  unerbittliches  Geschick  auf  das  Kranken- 
lager geworfen,  von  dem  er  sich  nicht  wieder  erheben  sollte,  und 
es  war  mir  nicht  vergönnt,  ihn  wiederzusehen. 

Gerhard  Rohlfs  war  in  der  Erwartung  meiner  Rückkehr  von 
Malta  und  seiner  eigenen  Abreise  in  ein  Gartenhaus  Herrn  Rossi's 


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ROHI-FS  IN  DER  MESCHIJA. 


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in  der  Meschija  übergesiedelt  und  wir  begaben  uns  alsbald  zu  ihm. 
Vor  dem  Thorc  stand  eine  Anzahl  Esel  bereit,  den  regen  Verkehr 
mit  der  zahlreich  bevölkerten  Garten-Oase  zu  unterhalten.  Die  Pferde 
sind  nicht  sehr  zahlreich  in  Tripolis  und  die  Wagen  noch  spärlicher. 
Den  einzigen  der  letzteren,  der  damals  zu  öffentlichem  Gebrauch 
existirte,  hatte  ein  unternehmender  Malteser  in  Gestalt  eines  leichten, 
zweirädrigen  Fiakers  mit  Längs-Sitzen,  wie  sie  in  seiner  Heimath 
gebräuchlich  sind,  eingeführt.  Die  Esel,  welche  dort  nicht,  wie  in 
Tunis,  in  der  Einzahl  Behim,  sondern  in  richtigem  Arabisch  Ilimär 
heissen,  und  die  zu  reiten  für  keine  Schande  gehalten  zu  werden 
schien,  waren  durch  Individuen  vertreten,  welche  ziemlich  kümmer- 
lich erschienen,  wenn  man  sie  mit  ihren  ägyptischen  oder  auch  nur 
mit  ihren  maltesischen  Brüdern  verglich,  bewirkten  aber  unter  ent- 
sprechender Aufmunterung  ihrer  Treiber  unsere  Ueberfuhrung  nach 
der  Meschija  in  anerkennenswerther  Geschwindigkeit. 

Anfangs  über  den  weiten,  wüsten  Platz  reitend,  der  zur  Ab- 
haltung eines  ansehnlichen  Wochenmarktes  und  auch  zu  Spazier- 
gängen der  in  dieser  Beziehung  nicht  verschwenderisch  bedachten 
Europäer  dient , wendeten  wir  uns  dem  sandigen  Meeresufer  zu  und 
erreichten  bald  das  am  Rande  der  kümmerlich  dem  Sande  abge- 
wonnenen Oase  gelegene  Landhaus  des  Consuls.  Man  darf  sich  das- 
selbe freilich  nicht  als  eine  üppige  Villa,  wie  solche  die  nächste  Um- 
gebung Algiers  oder  die  Gärten  der  Manüba  und  Marsä  bei  Tunis 
zieren,  vorstellen;  es  war  ein  einfaches  kleines  Häuschen,  nur  zum 
Verbringen  der  Tageszeit  in  einem  mühsam  geschaffenen  Grün  ge- 
eignet, doch  von  Gerhard  Rohlfs  für  einige  Wochen  recht  wohnlich 
hergerichtet.  Ein  enthusiastischer  deutscher  Kellner  hatte  sich 
diesem  als  Diener  aufgedrängt  und  fungirte  als  Koch,  während  ein 
junger  Photograph  aus  Berlin,  der  die  Expedition  in  die  Cyrenai'ca 
behufs  beabsichtigter  Aufnahmen  begleiten  sollte,  sich  der  übrigen 
Haushaltung  annahm. 

Diese  Landsleute  erschienen  mir  wenig  beachtungswerth  gegen- 
über dem  würdigen  Mohammed  el-Qatrüni,  dem  Gefährten  Barth’s 
nach  Timbuktu,  der  auch  Gerhard  Rohlfs  nach  Bornü  und  Mandara 
begleitet  hatte,  und  seinem  weissen  Tuarik-Kameel,  das  ihn  von  der 
letzten  Reise  aus  Bornü  heimgetragen  hatte.  Er  .war  aus  seiner 
Heimath  Fezzan , wo  er  in  dem  Dorfe  Dudschäl  nahe  der  Haupt- 
stadt Murzuq  lebte,  herbeigekommen,  um  auch  mich  zu  ge- 

2* 


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20 


!.  HUCH,  I.  KAPITEL.  TRIPOLIS. 


leiten  und  war  in  einem  Stalle  beschäftigt,  die  Kameelsättel  zur  be- 
vorstehenden Reise  zu  verfertigen.  Mit  achtungsvoller  Scheu  be- 
trachtete ich  sein  schwarzes  rundes  Antlitz  mit  den  zahllosen  Furchen, 
der  kleinen  Stumpfnase  mit  den  weiten  Nüstern,  dem  zahnlosen 
Munde,  den  vereinzelten  weissen  und  schwarzen  Barthaaren,  den 
grossen  Ohren  und  den  treuen  Augen. 

Der  alte  Mohammed  war  kein  Mann  vieler  Worte,  wie  ich  noch 
Jahre  hindurch  zu  beobachten  Gelegenheit  hatte;  er  war  ein  stiller, 

freundlicher  alter  Mann,  der  den  Freu- 
den des  Lebens  nicht  abhold  war, 
aber  selten  aus  seiner  durch  Natur 
und  reiche  Erfahrung  bedingten  aequi- 
tas  animi  heraustrat.  Maassvoll  be- 
antwortete er  meinen  Gruss  und  den 
Ausdruck  meiner  Freude,  seine  Be- 
kanntschaft zu  machen,  und  benützte 
die  Unterbrechung  der  Arbeit,  um 
aus  einem  kleinen  ledernen,  zusam- 
menschniirbaren  Beutel  eine  Prise 
grob  zerstossener,  grüner  Tabacks- 
blätter  in  den  Mund  zu  schieben  und 
mit  seinen  Zahnresten  von  einem 
Stück  Natron  — Trona  etwas  als 
zweckmässiges  Corrigens  des  Tabacks 
abzubeissen.  Er  trug  über  dem  weiten  Hemde  seiner  Heimath  und 
Gewohnheit  die  auch  in  Fezzan  übliche  solide,  wärmende  Woll- 
decke, welche  ihm  jetzt  vom  kurzbehaarten  Kopfe  lose  nach  hinten 
herunterhing,  um  seine  Arbeit  nicht  zu  beeinträchtigen,  und  sass 
mit  gekreuzten  Beinen  in  dem  Stroh,  mit  dem  er  die  Sättel  stopfte. 

Der  dortige  Kameelsattel  Hawia  wird  aus  einem  zwei 
Meter  langen  Schlauche  Kameelgarngewebes,  der,  wenn  nicht  gefüllt, 
also  platt,  fast  einen  halben  Meter  breit  ist,  verfertigt.  Man  theilt 
ihn  in  zwei  Hälften,  stopft  diese  mit  kurzem  Stroh  oder  ähnlichem 
Material  fest  aus  und  näht  sie  dann  zu.  Die  wurstförmigen  Hälften 
sind  bestimmt,  die  Höcker  des  Kameels  zu  umfangen;  die  Naht 
kommt  nach  hinten  und  ermöglicht  die  Knickung;  die  freien,  vorderen 
Enden  werden  durch  eine  darauf  gesetzte  und  an  sie  befestigte, 
starke,  breite  Holzklammer,  welche  selbst  einen  kleinen  Sattel  bildet, 


Mohammed  cl-QatrClnl. 


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MOIIAM.MKh  El.-  (JA  I krS'i. 


21 


zusammen  gehalten.  Aul  der  guten  Füllung  und  noch  mehr  auf  der 
Solidität  der  Holzklammer  und  dem  Winkel,  den  ihre  Hälften  bilden, 
beruht  die  Brauchbarkeit  der  ganzen  Hawia.  Das  Holzgestell  hat 
zunächst  das  Gewicht  zu  tragen,  denn  die  Stricke,  welche  die  beiden 
Hälften  der  Kameellast  vereinigen,  ruhen  auf  ihm;  es  muss  also  in 
seinen  Theilen  solide  zusammengehalten  werden.  Ist  der  Winkel, 
den  es  bildet,  zu  gross,  so  sinkt  unter  der  I.ast  der  Ladung  mit 
der  allmähligcn  Zusammenpressung  der  Füllung  die  Hawia  so  tief 


Kanicchattcl. 


auf  den  Rücken  des  Thieres  herab,  dass  das  Holzgestell  selbst  druckt 
oder  gar  die  darüber  laufenden  Stricke  in  die  Haut  einschneiden. 
Man  kann  in  der  Verfertigung  dieser  Sättel  nicht  sorgfältig  genug 
verfahren,  denn  eine  zweckmässige  Anordnung  der  Ladung  schont 
die  Thiere  unendlich  und  ist  ihnen  fast  nothwendiger,  als  reichliche 
Nahrung.  Ueberdies  ist  es  auch  für  die  Reisenden  keineswegs  an- 
genehm, auf  den  Märschen,  nach  des  Tages  Last  und  Mühe,  die 
Ruhestunden  zum  Nähen,  Flicken,  Binden  und  dergleichen  Aus- 
besserungen verwenden  zu  müssen. 

Sechs  Kameele  waren  während  meiner  Abwesenheit  in  Malta 
um  den  Preis  von  durchschnittlich  50  Maria  - Theresia -Thalern  oder 
200  Mark  jedes  gekauft  und  von  Mohammed  el-Qatrüni,  einem 
grossen  Kameelkenner,  wenn  nicht  enthusiastisch  bewundert,  so  doch 
nach  menschlicher  Berechnung  für  ausreichend  erklärt  worden.  Die 
Sattel  der  Thiere  gingen  ihrer  Vollendung  entgegen;  auf  dem 
nächsten  Wochenmarkte  sollte  Mohammed  den  nothwendigen  Vor- 
rath von  Stricken,  die  Säcke  zur  Aufnahme  der  Kamcelladung, 
welche  am  besten  aus  Kameelwolle  gewebte  sind  und  dann  Ghurära 
heissen,  und  die  Wasserschläuche  aus  behaarten,  innen  gegerbten 
Ziegenfellen,  — Qirba  (in  der  Mehrzahl  Qireb)  , welche  in  unüber- 


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22 


I.  BUCH,  I.  KAPITEL.  TRIPOLIS. 


troffener  Güte  aus  den  I laussa-Staaten  kommen,  kaufen.  Dann  mussten 
noch  Koch-  und  Essgeräthschaften  für  die  Leute,  einige  kupferne 
Kessel,  ein  Dreifuss,  ein  weites,  flaches,  verzinntes  Kupfergefass,  das 
zur  Kameeltränkung,  als  Waschgefäss  und  unter  Umständen  als  Ess- 
schüssel dient,  ein  Ledereimer  Delü  zum  Wasserschöpfen, 
Kameelzäume  und  dergleichen  nothwendige  Reiseutensilien,  ange- 
schafift  werden,  deren  Abwesenheit  den  Reisenden  oft  in  grosse  Ver- 
legenheit setzt  und  von  denen  nur  der  erfahrene  Reisende  keines  ver- 
gisst. An  uns  Europäern  war  es,  für  die  Beschaffung  der  Reise- 
mundvorräthe  Sorge  zu  tragen,  und  wir  beschlossen,  gleich  folgenden 
Tages  nach  Zusammenstellung  der  Liste  in  ruhiger  Abendstunde 
alles  darauf  Bezügliche  mit  Herrn  Rossi  zu  verabreden. 

Zunächst  sahen  wir  die  bereits  angekauften  Kameele  an,  welche 
in  der  Nähe  unter  der  Aufsicht  eines  jungen  Mannes  aus  Eezzän 
weideten,  der  Ali  Abu  Bekr  hiess,  aber  von  uns  Ali  el-Fezzani  ge- 
nannt wurde,  und  auf  des  alten  Qatrüner's  Veranlassung  geraiethet 
w'orden  war.  Derselbe  war  als  Vagabonde  zugelaufen,  im  höchsten 
Grade  zerlumpt,  mit  einem  weisslichen  Hautausschlage  behaftet,  der 
alle  Schwarzen  auf  der  Küste  mit  ihrer  salzigen  Seeluft  befallen  soll, 
und  hatte  anfänglich  nur  aus  seinem  Elende  befreit  und  in  seine 
Heimath  zurückgeführt  zu  werden  gebeten.  Mohammed  entdeckte 
Talente  zum  Wüstenreisen  in  ihm,  oder  wollte  ihm  als  Landsmann 
wohl,  oder  kannte  seine  Verwandten,  genug  er  ward  sein  Bürge  und 
vermittelte  sein  Engagement.  Noch  zwei  andere  Neger,  Saad,  ein 
verheiratheter  Freigelassener  eines  angesehenen  Bürgers  der  Stadt, 
und  ein  anderer,  Ali,  aus  Mandara  im  Süden  Bornü’s  gebürtig  und 
mit  zweifelhafter  Vergangenheit  in  Bezug  auf  seine  Freiheitsgewin- 
nung, waren  gemiethet  worden,  aber  noch  nicht  zu  unserem  Haus- 
stande gestossen.  Ali  der  Fezzäncr  war  ebenso  dunkelfarbig  als 
Mohammed,  kleiner  Statur,  hatte  eine  verhältnissmässig  grosse,  platt- 
gedrückte  Nase,  einen  grossen  Mund  mit  weissen  Zähnen,  war  gänz- 
lich bartlos  und  trug  eines  der  praktischen  dunkelgestreiften  dicken 
Wollengewänder,  welche  Gerhard  Rohlfs  in  Rücksicht  auf  die  winter- 
liche Jahreszeit  für  die  Leute  angeschafft  hätte.  Dasselbe  war  mässig 
weit  und  vorn  geschlossen,  reichte- bis  zum  Knie,  hatte  einen  aus- 
giebigen Kopfausschnitt  und  erfreute  sich  einer  Kapuze,  die  in  jenen 
Ländern,  wo  Alle  auf  die  Wannhaltung  des  Kopfes  bedacht  sind, 
von  grossem  Werthe  ist. 


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EUROPAF.KR  DER  STAKT. 


23 

Wir  besichtigten  am  nächsten  Tage  die  Geschenke  unsers  Königs, 
die,  so  weit  es  mit  den  nothwendigen  Rücksichten  auf  die  Kameele 
vereinbar  war,  in  den  heimischen  Kisten  belassen  wurden,  besprachen 
mit  Herrn  Rossi  die  Beschaffung  des  Mundvorrathes,  der  in  Schiffs- 
zwieback — Buqsmät  — , Reis  Ruzz  und  grobkörnigem  Kus- 
kussu*)  — Mohammes  — bestehen  sollte,  und  machten  Besuche  bei 
den  vornehmsten  Europäern  und  den  obersten  Beamten  der  Re- 
gierung. 

Die  Erfüllung  der  letzteren  Pflichten  hatte  ihre  Schwierigkeiten 
durch  die  lächerlichen,  aber  tief  gehenden  gesellschaftlichen  Spal- 
tungen, durch  welche  die  europäischen  Einwohner  von  Tripolis  sich 
das  Leben  erschwerten.  Ausser  den  offiziellen  Vertretern  der  christ- 
lichen Mächte,  den  General-Consuln,  Consuln  und  Vice-Consuln  von 
England,  Frankreich,  Italien,  Amerika,  Holland  und  Spanien,  unter 
denen  Herr  Rossi,  wenn  auch  bei  den  Eingeborenen  durch  seine 
Geschäftsverbindungen  ein  angesehener  Mann,  in  Folge  seines  kauf- 
männischen Charakters  eine  zweifelhafte  Stellung  einnahm , lebte  in 
Tripolis  seit  langen  Jahren  die  Familie  Dickson,  welche  mit  den 
Resten  der  Familie  des  bekannten  und  hochverdienten  früheren 
englischen  General -Consuls,  Colonel  VVarrington,  verschwägert  war. 
Dazu  kam  der  aus  Barths  Erzählungen  bekannte  Kaufmann  und 
frühere  englische  Consular- Agent  in  F'ezzän,  Gagliuffi,  der  in  ver- 
wandtschaftlichem Verhältnisse  zu  unserem  Vertreter  stand.  Der 
Chef  der  englischen  Telegraphen -Station,  welche  mit  Malta  und 
Benghäzi  in  Verbindung  stand,  der  aus  Barths  und  Vogels  Berichten 
bekannte  Frederick  Warrington,  Sohn  des  genannten  General-Con- 
suls,  der  Chef  der  katholischen  Mission  il  padre  prefetto  — und 
ein  italienischer  Straussenfederhändler  waren  die  übrigen  nennens- 
werthen  Vertreter  der  europäischen  Gesellschaft. 

Leber  Herrn  Gagliuffi,  der  in  einem  Societäts- Verhältnisse  zu 
einem  bekannten  Kaufmanne  in  Murzuq,  dem  Hadsch  el-Amri, 
stand  und  mit  diesem  einen  Agenten  und  Geschäftsinhaber,  den 
ebenfalls  aus  Barth’s  Berichten  bekannten  Mohammed  es-Stäqesi  in 
Bornü  unterhielt,  gingen  bei  seinen  F'eindcn  sonderbare  Gerüchte 


*)  Kuskussu  ist  das  Lieblings- Gericht  der  Einwohner  von  Tunisien,  Algerien  und 
Marokko  und  besteht  aus  Weizenmehlkiigclchen , welche  womöglich  mit  Fleischbrühe 
gekocht  werden. 


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f 


t 

24  I.  HUCH,  >•  KAPITEL.  TRIPOLIS.  . * 

über  seine  frühere  Betheiligung  am  Sclavenhande),  die  seiner  officiellen 
Stellung  in  Fezzan,  welche  nur  zum  Zwecke  der  Unterdrückung  des- 
selben geschaffen  war,  wenig  entsprochen  haben  würde.  Diese  Ge- 
rüchte hatten  begreiflicherweise  ihren  Grund  in  den  genannten  Ge- 
schäfts-Verbindungen. Zweifelsohne  konnten  Hadsch  cl-Amri  und 
Mohammed  cs-Sfäqesi  keinen  Handel  im  Sudan  treiben,  ohne  Sclaven 
zu  kaufen  und  zu  verkaufen,  und  durch  sein  eingeschossenes  Capital 
war  Herr  Gagliuffi  indirect  daran  betheiligt.  Doch  wenn  dies  Ver- 
haltniss  Tadel  verdiente,  so  müsste  man  allen  europäischen  Kauf- 
leuten, die  sich  an  den  Handelsreisen  der  Eingeborenen  materiell 
betheiligen,  dieselben  Vorwürfe  machen.  Herr  Gagliuffi  genoss  der 
vollen  Achtung  bei  den  Kaufleuten  in  Tripolis,  Fezzan  und  Bornü, 
war  der  bestunterrichtete  Europäer  in  Tripolis  über  innerafrikanische 
Verhältnisse  und  seine  Rathschläge  und  Empfehlungen  sind  vom 
höchsten  Werthe  für  mich  gewesen. 

Eine  interessante  Persönlichkeit  war  mir  Frederick  Warringlon, 
der  liebenswürdigste,  gefälligste,  bescheidenste  Mensch  von  der  Welt. 
Er  war  eine  Autorität  in  Allem,  was  arabisches  Wesen  und  Umgangs- 
sprache, Sitten  in  F'ezzan  und  dem  Sudan  betraf,  und  sprach  die 
Borniisprache;  doch  er  war  gänzlich  in  afrikanischen  Verhältnissen 
aufgegangen  und  konnte  nur  in  einer  sehr  bescheidenen  Stellung  am 
englischen  Gcncral-Consulate  verwendet  werden. 

Nachdem  wir  uns  glücklich  durch  die  zahlreichen  Klippen  des 
gesellschaftlichen  Verkehrs  lavirt,  überall  die  Berichte  über  die  Ur- 
sachen der  complicirten  Zerwürfnisse  entgegen  genommen  und  sorg- 
fältig vermieden  hatten,  feindliche  Gewalten  einander  zu  nähern, 
knüpften  wir  mit  Herrn  Rossis  Hülfe  die  nothwendigen  Beziehungen 
zu  den  Autoritäten  Tripolitanien’s  an.  Dies  war  auch  nicht  ohne 
Schwierigkeiten  und  geschah  nur  mit  einem  gewissen  inneren  Wider- 
streben von  Seiten  des  Consuls,  der  ein  bekannter  Widersacher  so- 
wohl des  General-Gouverneurs  selbst,  als  auch  des  berüchtigten  Scheich 
cl-Beled  oder  Bürgermeisters  von  Tripolis,  Ali  el-Kerkeni,  war. 

All  Riza  Pascha  war  ein  algerischer  Araber,  in  Frankreich 
erzogen,  hatte  es  in  der  Türkei  bis  zur  Stellung  eines  Muschir  ge- 
bracht und  lenkte  die  Geschicke  Tripolitanien's  erst  seit  kurzer  Zeit, 
wie  denn  die  türkische  Regierung  überhaupt  den  Grundsatz  zu  haben 
scheint,  so  oft  als  möglich  die  Funktionäre  auf  solchen  Posten  zu 
wechseln.  Damit  ist  fast  jedes  ernste  Streben,  jeder  redliche  Wille 


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TUKKISCHK  HKAMTK. 


derselben,  die  Wohlfahrt  der  ilinen  anvertrauten  Statthalterschaft 
Wiläja  zu  heben,  illusorisch  gemacht,  wenn  wirklich  eine  rara  avis 
solchen,  im  türkischen  Verwaltungs-Schematismus  utopischen,  Be- 
strebungen Kaum  geben  sollte.  Gewöhnlich  erscheint  der  hohe 
Beamte  in  dem  ihm  fremden  Lande,  um  den  Aufenthalt  daselbst, 
den  er  als  eine  Art  Verbannung  betrachtet,  möglichst  schnell  zu 
seinem  Vortheile  auszunutzen,  und  geht  nach  wenigen  Jahren,  sei  es 
in  Folge  der  sich  mehrenden  Klagen  der  ausgeplünderten  Einwohner, 
sei  es,  weil  seine  Freunde  bei  der  hohen  Pforte  ihn  in  das  Elysium 
Stambul  zurückrufen  lassen  oder  ihm  zu  höheren  Ehren  verhelfen, 
mit  gefüllten  Taschen  von  dannen. 

Ali  Riza  hätte  durch  seinen  arabischen  Ursprung  den  Bewohnern 
der  Regentschaft  näher  stehen  sollen,  als  die  übrigen  Wulfs,  und 
hatte  immerhin  ein  höheres  Verständniss  Tür  Fortschritt  und  Zivili- 
sation, als  die  meisten  seiner  V'orgänger,  doch  war  das  letztere  nicht 
tief  genug,  um  ihn  eine  Klippe  vermeiden  zu  lassen,  an  der  die 
meisten  derartigen  Herren  scheitern.  In  grossartigem  Maassstabe 
liefert  der  Vicekönig  von  Egypten  ein  lehrreiches  Beispiel,  warum 
in  jenen  Landern  die  Reformations-  und  Civilisations-PIäne,  selbst  bei 
vollem  Verständniss  für  dieselben  und  ihre  Vortheile  und  bei  grossen 
Mitteln,  oft  mit  einen»  kläglichen  Fiasko  endigen.  Während  der 
Aufbau  eines  Hauses  nur  von  unten  auf  einem  soliden  Fundamente 
beginnen  und  nur  nach  Maassgabe  der  vorhandenen  Kräfte  und 
Mittel  ausgefuhrt  werden  kann,  bekümmern  sich  orientalische  Fürsten 
und  Herren  oft  wenig  um  die  vorhandene  Basis,  rechnen  nicht  mit 
den  gegebenen  Factoren,  sondern  bauen  in  die  Lüfte,  mit  unzuläng- 
lichen Fundamenten,  mit  schlechtem  Material  und  ohne  verständnis- 
volle Mitarbeiter.  Bald  stürzt  auf  der  einen  Seite  mehr  zusammen, 
als  auf  der  anderen  geschaffen  wird,  und  endlich  muss  der  ganze 
Bau  wegen  fehlender  Mittel  und  Arbeiter  liegen  bleiben. 

Und  nur  Wenige  sind  ausgerüstet  mit  dem  Verständniss  des 
Chcdiwe,  mit  seinen  Mitteln  und  seinem  grossartigen  Ehrgeize.  Bei 
den  Meisten  beschränkt  sich  das  Verständniss  für  Civilisation  auf 
eine  schwache  Kenntniss  der  französischen  Sprache,  die  Nach- 
ahmungssucht der  Pariser  Moden,  einen  unbesiegbaren  Drang  nach 
europäischen  Orden,  im  besten  P'allc  auf  die  Anlage  einer  Wasserleitung 
oder  Gasbeleuchtung,  einer  Telegraphenlinie  oder  einer  Strecke  Eisen- 
bahn.  Mit  diesen  Schöpfungen  streuen  sie  den  unter  ihnen  lebenden 


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I.  HUCH,  I.  KAPITEL.  TRIPOLIS. 


2t) 

4 

Europäern  oder  Touristen  Sand  in  die  Augen  und  wenn  sie  ihr,  oft  be- 
zahltes, Lob  in  europäischen  Zeitungen  lesen,  so  halten  sie  sich  selbst 
für  grosse  Reformatoren,  während  sie  nur  ungeschickte  Nachahmer 
sind.  Wenn  nicht  die  Neuerungen  aus  dem  Bewusstsein  und  dem 
Bedürfnisse  des  Volkes  unter  der  Beihülfe  der  Gebildeten  hervor- 
gehen, sind  sie  ephemere,  kostspielige  und  nutzlose  Erscheinungen. 

In  Tunis  hatte  man  eine  Fregatte,  Avisos  und  Transportschiffe, 
kaufte  Hunderte  von  Kanonen  und  führte  Gerichtshöfe  mit  Instanzen- 
weg nach  europäischem  Muster  ein.  Die  Ankäufe  jener  untergruben 
den  Wohlstand  des  Landes  und  dienten  nur  wenigen  höheren  Be- 
amten zu  willkommenen  Gelegenheiten,  sich  zu  bereichern;  diese 
hatten  bestechliche  Richter  und  erzeugten  bei  dem  gewohnten  Schlen- 
drian Processe,  die  nie  ehdigten.  Was  nützen  dem  Chediwe  seine 
grossartigen  Schöpfungen,  so  lange  das  Volk  sich  ihrer  nicht  be- 
dienen kann,  sondern  nur  den  Schweiss  seiner  Arbeit  zu  ihrer  Ent- 
stehung verwenden  muss,  und  so  lange  er  nicht  unter  seinen  Unter- 
thanen  verständnisvolle,  redliche  Mitarbeiter  findet,  welche  nach  ihm 
das  Civilisationswerk  fortzusetzen  vermögen? 

So  lange  die  Volkserziehung  darniederliegt,  und  so  lange  cs 
nicht  gelingt,  eine  geordnete,  ehrbare  Verwaltung  zu  schaffen,  bleiben 
alle  Reformen  unzulänglich.  Jene  aber,  die  Volkserziehung,  scheint 
mit  dem  Islam  unverträglich,  der  an  und  für  sich  stationär  ist.  Die 
einzigen  in  ihrer  Weise  Gebildeten  jener  Länder  sind  die  Ulcmä, 
die  gelehrten  Kenner  des  Qorän,  des  Inbegriffs  aller  Weisheit  und 
seiner  Ausflüsse,  welche  aber  Alles,  was  ausser  dem  heiligen  Buche 
an  Kenntnissen  in  der  Welt  existirt,  auf's  Tiefste  verachten.  Sie 
sind  die  Ausleger  des  Rechts,  die  Rathgeber  der  Mächtigen,  die 
Lehrer  des  Volkes,  die  Erzieher  der  Jugend  und  — die  Feinde  aller 
abendländischen  Bildung.  In  den  Schulen  lernt  man  den  Qorän 
mechanisch  auswendig  und  mit  dieser  Grundlage  tritt  man  ins  Leben; 
woher  soll  da  das  Verständniss  für  civilisatorische  Reformen  kommen? 
Die  öffentliche  Moral  steht  auf  einer  nicht  höheren  Stufe  als  das 
Verständniss.  So  viel  ehrbare  Leute  es  im  Volke  giebt,  so  selten 
sind  dieselben  unter  den  Verwaltungsbeamten,  und  selbst  im  religiösen 
Richterstande  ist  Unbestechlichkeit  eine  seltene  Tugend.  Das  Be- 
amtenheer  ist  nur  allzuhäufig  in  mohammedanischen  Landen  eine 
Räuberbande,  welche  so  weite  Verzweigungen  hat,  dass  das  Volk 
ihr  rettungslos  preisgegeben  ist. 


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SCHLECHTE  VERWALTUNG. 


27 


So  war  cs  auch  in  Tripolitanien  und  das  Volk  schrie  laut  gegen 
den  VVäli,  seine  Untergouverneure  und  andere  Helfershelfer,  trotz 
der  Wohlthaten  der  Civilisation,  mit  denen  er  das  Land  beschenkte. 
Er  liess  artesische  Brunnen  bohren,  führte  in  der  Stadt  Tripolis 
Strassenbeleuchtung  ein,  gründete  eine  Schule,  in  der  Türkisch  ge- 
lehrt wurde,  machte  Anpflanzungen  in  der  wüsten  Umgebung  der 
Stadt  und  war  zur  Zeit  unserer  Anwesenheit  im  Begriffe,  in  dem 
östlichsten  Theile  der  Provinz,  der  alten  Marmarica,  an  den  Buchten 
von  Bomba  und  von  Tobruk,  Colonien  zu  gründen,  deren  Gedeihen 
er  durch  die  Eröffnung  des  Suezcanals  für  gesichert  hielt.  Die 
Brunnen  sind  längst  verfallen,  die  Schule  hat  Nichts  geleistet,  die 
Anpflanzungen  sind  niemals  lebenskräftig  geworden,  und  nur  die 
bescheidene  Strassenbeleuchtung  hat  ihren  Gründer  überdauert.  Die 
pomphaft  angekündigten  Colonien  aber,  welche  den  Ruhm  Ali  Rizas 
auf  alle  Zeiten  sichern  sollten,  sind  nie  über  einen  embryonalen  Zu- 
stand hinausgekommen,  sondern  im  Keime  zu  Grunde  gegangen. 

Unter  den  Günstlingen  des  VVäli  war  der  schlaueste  und  ge- 
fährlichste, der  geradezu  verhängnissvoll  für  Stadt  und  Land  wurde, 
der  obengenannte  Scheich  el-Beled  oder  Bürgermeister  von  Tripolis, 
nach  der  tunisischen  Insel  Kerkena,  aus  der  er  stammte,  Ali  el-Kerkeni 
genannt.  Seit  Jahren  plünderte  und  beraubte  er  das  arme  Land  und 
war  bei  weitem  der  mächtigste  und  reichste  Mann  im  Lande.  Zahl- 
lose Häuser  der  Stadt  gehörten  ihm,  ein  ihm  gehöriger  Dampfer 
lief  zwischen  Tripolis  und  Malta,  und  fürstliche  Geschenke  für  die 
constantinopolitanisehen  Grossen  gingen  von  ihm  alljährlich  nach 
Stambul.  Alle  Beamten  waren  in  seiner  Hand  und  krochen  vor  ihm 
im  Staube;  alle  Bürger  fürchteten  ihn  ebenso  sehr,  als  sie  ihn  hassten. 
Der  Gerichtshof  war  aus  seinen  Creaturen  zusammengesetzt;  alle 
administrativen  Behörden  der  Stadt  und  der  Provinzen  standen  in 
seinem  Solde.  Alle  Steuern  des  Landes  gingen  durch  seine  Hand 
und  blieben  zum  grossen  Theile  in  derselben.  Selten  hat  wohl  ein 
Beamter  in  gleichem  Umfange,  mit  gleicher  Frechheit  und  auf  eine 
gleich  lange  Zeit  Land  und  Leute  bestohlen,  als  Ali  el-Kerkeni.  Es 
gab  kein  Mittel,  den  öffentlichen  Hass  gegen  ihn  wirksam  zum  Aus- 
druck zu  bringen.  Ali  Riza  war  sein  Beschützer  und,  ihm  an  Schlau- 
heit unterlegen,  gänzlich  in  seinen  Händen;  die  Grossen  in  Constanti- 
nopel  seine  „theuren"  Freunde;  die  Richter  seine  Creaturen. 

Herr  Luigi  Rossi,  der  durch  seine  Geschäfte  und  seinen  langen 


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1.  BUCH,  I.  KAI’ITEI..  TRIPOUS. 


•jx 

Aufenthalt  mit  dem  Volke  innig  verwachsen  war  und  besser  als  die 
Berufs  Consuln  die  unheilvolle  Wirksamkeit  jener  Herren  beurtheilen 
konnte,  hasste  die  beiden  gefährlichen  Genossen  und  fürchtete  sich 
sogar  nicht,  seine  Gefühle  durchblicken  zu  lassen.  Doch  um  so  mehr 
musste  er  bceifert  sein,  den  ausseren  Formen  zu  genügen,  und  die 
ersten  Besuche,  welche  wir  mit  ihm  machten,  galten  dem  Wäli  und 
dem  Scheich  el-Beled.  Die  Besuche  waren  formelle  Staatsvisiten 
und  boten  keinerlei  Interesse  für  mich.  Cigaretten  wurden  präsentirt 
und  geraucht  diese  haben  seit  langer  Zeit  die  früheren  Tschibuks 
ersetzt  , der  Qahuädschi  oder  Kaffeediener  brachte  mit  der  Serviette 
über  dem  Arme  auf  dem  kupfernen  l'räscntirteller  die  kleinen  Täss- 
chen Findschal  — mit  ihren  Untersätzen  Zarf  und  die  Unter- 
haltung wurde  beim  General  Gouverneur  in  französischer,  beim  Scheich 
el-Beled  in  arabischer  Sprache  geführt.  Jener,  ein  kleiner,  breit- 
schultriger Mann  mit  grauem  Barte  und  rothem  Gesicht,  anscheinend 
den  Sechzigern  nahe,  trug  eine  Interimsuniform,  rauchte  seine  Ciga- 
retten aus  einem  würdevollen  Tschibukrohre  mit  schönem  Bernstein- 
mundstück, sprach  mit  Volubilität  Französisch,  enthüllte  mir  seine 
grossartigen  Reform-  und  Civilisationspläne,  liess  sich  aber  weniger 
hoffnungsvoll  über  meine  Reiseprojecte  aus.  Ali  el-Kerkeni  hatte 
ein  rundes,  weisses,  etwas  wächsernes  Gesicht  mit  schwarzem  Voll- 
barte, regelmässige  Züge,  unheimlich  funkelnde,  dunkle  Augen,  und 
eine  wohlgewachsene  volle  Gestalt  von  schöner  Mittclgrössc.  Die 
Unterhaltung  mit  ihm  war  gezwungen,  beschränkte  sich  auf  leere 
Förmlichkeiten  und  bezog  sich  auf  Malta,  die  Ueberfahrt,  auf  das 
Wetter  und  auf  europäische  Politik;  das  Misstrauen  des  gefürchteten 
Herren  gegen  Herrn  Rossi,  und  also  auch  gegen  mich,  war  sichtlich. 
Beide  Würdenträger  interessirten  mich  wenig;  sie  waren  Typen,  wie 
ich  sie  aus  meiner  tunisischen  Erfahrung  nur  allzu  genau  kannte. 
In  Tunis  war  das  Raubsystem  grossartiger,  das  Land  aber  auch 
reicher;  in  Tripolitanien  war  dasselbe  im  Verhältniss  zu  den  Kräften 
des  Landes  gewiss  nicht  minder  ausgedehnt. 

Bei  solchen  Regierungsorganen  und  wo  die  höheren  Beamten 
von  den  geschilderten  Motiven  getrieben  werden,  stehen  natürlich 
die  unteren  auf  keinem  höheren  moralischen  Standpunkte  — , bei 
dem  ungeheuren  Flächeninhalte  Tripolitanien’s,  der  eine  einheitliche 
Leitung  erschwert,  bei  den  im  Verhältniss  zur  Gesammtbevölkerung 
zahlreich  vertretenen  Nomaden,  die  sich  jeder  geordneten  Regierung 


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OESCHICHTLICHES. 


29 


unfern  fügen,  ist  die  Ruhe,  welche  im  Lande  herrscht,  bewunderungs- 
würdig. Seit  der  Häuptling  Rhuma  zur  Zeit  des  Krimkrieges  seine 
arabischen  Landsleute  zur  offenen  Empörung  gegen  die  türkische 
Fremdherrschaft  begeistert  und,  seinem  Ziele  nahe,  in  der  Nähe  der 
Hauptstadt  seinen  Patriotismus  mit  dem  Leben  bezahlt  hat,  ist  kein 
Versuch  zur  Rebellion  gemacht  worden,  ja  der  tiefste  Frieden,  die 
vollständigste  Sicherheit  herrscht  in  dem  ganzen,  weiten  Lande.  Die 
turbulenten  Araber  im  Süden  von  Algerien  benutzen  noch  jede  Ge- 
legenheit, Aufstände  gegen  die  verhasste  Fremdherrschaft  anzuzetteln, 
trotz  der  grossen  militärischen  Macht  derselben;  die  tunisischen 
Araber  hatten  ebenfalls,  wie  ich  Eingangs  erzählt  habe,  des  bestän- 
digen Ausplünderns  müde,  ihre  Zuflucht  zu  blutiger  Revolution  ge- 
nommen; die  Tripolitaner  scheinen  sich  trotz  der  geringen  materiellen 
Macht,  mit  der  die  Türken  das  Land  in  Respect  hielten,  mit  grösster 
Ergebung  in  ihre  Lage  zu  finden. 

Die  Regierung  von  Tripolis  gebietet  nur  über  eine  Truppen- 
macht von  ca.  5000  Mann,  und  hat  keine  reguläre  Reiterei,  welche 
bei  der  Zerstreutheit  der  l’opulationscentren  so  nothwendig  erscheinen 
sollte.  Die  Provinzial-Gouverneure,  Mutasarrif  (Civiltitel)  oder  Qäima- 
qäm  (militärischer  Titel)  regieren  ihre  Bezirke  fast  ohne  Unterstützung 
einer  bewaffneten  Macht.  Und  doch  besteht  die  reine  Türkenherr- 
schaft noch  kein  halbes  Jahrhundert.  Die  Dynastie  der  Karamanlija 
ist  noch  nicht  vergessen,  und  noch  leben  genug  der  Zeitgenossen 
und  Verbündeten  des  einst  so  glänzenden  Stammes  der  Aulad  Solimän, 
mit  dem  sie  der  türkischen  Macht  bei.  der  Eroberung  des  Landes 
so  heroischen  Widerstand  geleistet  haben.  Der  Muth  der  kriegerischen 
Nomadenstämme  ist  wohl  mit  ihrem  Glanze  zu  Grabe  getragen,  und 
diesen  gründlich  zu  vernichten  hat  ein  Menschenalter  türkischer  Be- 
amtenwillkür hingereicht.  Wenn  man  nur  einem  geringen  Theile  der 
Schilderungen  Glauben  schenken  will,  welche  die  Einwohner  von 
Tripolis  mit  allerdings  wohl  orientalischer  Phantasie  und  mit  der 
Vorliebe  der  Greise  für  frühere  Zeiten,  von  dem  allgemeinen  Wohl- 
stände des  Landes  zur  Zeit  Jusef  Paschas,  des  letzten  Karamanli, 
machten,  so  war  die  rückgängige  Bewegung  aller  Verhältnisse  aller- 
dings eine  höchst  betrübende. 

Die  Karamanlija  hatten  im  Anfänge  des  vorigen  Jahrhunderts 
in  Tripolis  der  dreiköpfigen  Regierung  ein  Ende  gemacht,  welche 
dort,  wie  in  Algier  und  in  Tunis  früher  geherrscht  hatte.  In  allen 


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I.  BUCH,  I.  KAPITEL.  TRIPOLIS. 


30 

drei  Staaten  hatte  es  einen  Dei,  der  aus  den  Janitscharen  hervorging, 
einen  erblichen  Hei  und  einen  vom  spirituellen  Oberherrn  in  Con- 
stantinopel  bestallten  Pascha  gegeben.  Wahrend  in  Algier  der  Dei  die 
höchste  Machtvollkommenheit  in  seiner  Hand  vereinigt,  und  in  Tunis 
sich  im  Anfänge  des  vorigen  Jahrhunderts  der  Hei  zum  Alleinherrscher 
zu  machen  gewusst  hatte,  war  es  bald  darauf  in  Tripolis  dem  Pascha 
Ahmed  cl-Karamanli  durch  einen  blutigen  Staatsstreich  gelungen, 
sich  zum  alleinigen  Regenten  zu  machen. 

Derselbe  hatte  eine  lange,  gesegnete  Regierung,  welche  bis  gegen 
die  Mitte  des  vorigen  Jahrhunderts  dauerte,  und  wurde  von  seinem 
Sohne  Mohammed  Pascha  gefolgt,  der,  ein  vortrefflicher  Mann,  leider 
nur  9 Jahre  herrschte.  Sein  Sohn  und  Nachfolger  war  Ali  Karamanli, 
der  als  ein  wohlwollender  und  gerechter  Herrscher,  unter  dem  es 
die  dort  lebenden  Christen  besonders  gut  gehabt  haben  sollen,  ge- 
schildert wird,  aber  trotz  des  persönlichen  Muthes,  der  ihn  aus- 
zeichnete, durch  eine  heklagenswcrthe  Schwache  seinen  Söhnen 
gegenüber  den  gänzlichen  Verfall  des  Landes  und  den  Sturz  seiner 
Dynastie  vorbereitete.  Von  seinen  Söhnen  Hasan,  Ahmed  und  Jüsef 
erregte  der  erstgenannte  älteste  durch  seine  glänzenden  Eigenschaften 
den  Neid  und  durch  sein  herrschsüchtiges  Wesen  den  Hass  seiner 
Hrüder.  Ahmed  ertrug  seinem  gutmüthigen,  harmlosen  Charakter 
zufolge  die  Zurücksetzung  leichter,  doch  Jüsef  brütete  Rache  und 
Verrath.  Nachdem  er  im  Jahre  1790  den  gehassten  Bruder  und 
muthmaasslichen  Thronfolger  bei  einer,  behufs  ihrer  Versöhnung 
vereinbarten  Zusammenkunft  heimtückisch  ermordet  hatte,  bedrohte 
er  bald  auch  den  Vater  und  älteren  Bruder  Ahmed,  die  man  anfangs 
glauben  gemacht  hatte,  dass  die  Gräuelthat  nur  begangen  sei,  uni 
jenen  vor  der  Herrschsucht  Hasan  s sicher  zu  stellen  und  diesem  die 
Thronfolge  zu  sichern. 

Nachdem  der  Brudermörder  dann  verschiedene,  vergebliche  Ver- 
suche, sich  der  Herrschaft  zu  bemächtigen,  gemacht  hatte,  schien  er 
im  Sommer  des  Jahres- 1793  seinem  Ziele  nahe  zu  sein,  als  ein 
türkisches  Geschwader  vor  Tripolis  erschien,  das  ein  Absetzungs- 
decret  des  von  seinem  Sohne  belagerten  Vasallen  und  einen  neuen 
Regenten  von  Constantinopel  brachte.  Trotz  der  geringen  kriege- 
rischen Macht,  welche  der  letztere  mit  sich  führte,  und  der  thatsäch- 
lichen  Unabhängigkeit  des  Landes  von  der  Pforte,  erleichterten 
ihm  doch  die  durch  den  Bürgerkrieg  muthlos  gewordenen  Tripo- 


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GECHICHTI.ICHES. 


31 

litaner  die  Besetzung  der  Stadt,  und  Ali  Karnmanli  floh  nach  Tuni- 
sien. Doch  das  Unglück  einte  seine  beiden  Söhne,  und  wir  finden 
Ahmed  und  Jüsef  gemeinschaftlich  den  Usurpator,  der  vom  Gross- 
herrn zu  Constantinopel  nur  moralisch  gestützt  wurde,  in  Tripolis  be- 
lagern und  die  Dynastie  der  Karamanlija  noch  einmal  für  kurze  Zeit 
wieder  zur  Geltung  bringen.  Jüsef  Pascha  hatte  noch  eine  lange, 
glänzende  Regierung  und  war  der  letzte  Herrscher  seiner  Dynastie. 
In  seine  Zeit  fallen  die  vielfachen  Wirren,  in  denen  der  Araberstamm 
des  Auläd  Solimän  eine  hervorragende  Rolle  spielte.  Als  diese  unter 
ihrem  berühmten  Häuptlinge  Abd  el-Dschlil  im  Jahre  1830/31  aus 
Fezzün  gegen  Tripolis  heranzogen,  war  in  Folge  der  Abdankung 
Jüsef  Paschas  ein  Erbfolgestreit  entbrannt,  welcher  der  Herrschaft 
der  Karamanlija  ein  definitives  Ende  bereitete.  Die  doppelt  geängstig- 
ten  Tripolitaner  hatten  sich  selbst  mit  der  Bitte  um  Herstellung  einer 
festen  Ordnung  an  die  hohe  Pforte  gewendet,  welche  diese  Gelegen- 
heit benutzte,  einfach  das  Land  in  eine  türkische  Regentschaft  zy 
verwandeln.  Der  eine  der  Prätendenten  hatte  damals  die  Flucht 
ergriffen  und  war  verschollen,  der  andere  wurde  nach  Constantinopel 
geführt,  wo  er  seine  Tage  endete,  und  der  türkische  Commissar  war, 
ohne  Anwendung  irgend  welcher  Gewalt,  als  erster  Wäli  oder  Ge- 
neral-Gouverneur in  die  Stadt  eingezogen.  Seitdem  hatte  eine  lange 
Reihe  derselben  die  Geschicke  der  Regentschaft  zum  eigenen  Vortheil 
gelenkt  und  Ali  Riza  war  weder  der  unverständigste,  noch  der 
schlechteste  von  ihnen. 

Noch  uninteressanter  waren  die  Besuche,  welche  wir  den  Sternen 
zweiter  und  dritter  Grösse  abstatteten,  dem  Muain  oder  Gehülfen  des 
Pascha,  also  Vice -Gouverneur,  dem  Schatzmeister  oder  Defterd.ir, 
welche  beide  in  der  Hierarchie  den  Scheich  el-Belcd  überragen, 
einigen  Unterstatthaltern  der  Provinzen,  welche  zufällig  in  der  Haupt- 
stadt anwesend  waren,  und  dem  Befehlshaber  der  wenigen  tausend 
Mann,  welche  das  tripolitanische  Heer  bildeten.  Unbedeutende 
Menschen,  zum  Theil  nicht  einmal  der  arabischen  Sprache  mächtig 
und  wenig  bewandert  in  den  Angelegenheiten  des  Landes,  konnten 
sie  der  entsprechend  dürftigen  Unterhaltung  auch  nicht  den  geringsten 
Reiz  verleihen,  und  es  war  ein  wahres  Glück,  dass  Cigaretten  und 
Kaffee  die  unvermeidlichen  Pausen  zweckmässig  ausfüllten. 

Unsere  interessanteste  Bekanntschaft  war  zweifelsohne  die  von 
Fräulein  Alexandrina  Petronella  Francina  Tinne,  geboren  im  Haag 


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32  I.  Bt'CH,  1.  KAPITEI..  TRIPOLIS. 

am  17.  October  1834,  welche  sich  schon  durch  ihre  Reisen  im  Ge- 
biete des  oberen  Nil  bekannt  gemacht  hatte.  Dieselbe  hatte  ver- 
geblich versucht,  von  den  algerischen  Besitzungen  aus  nach  Süden 
in  die  Tuarik-Länder  zu  dringen,  und  war  jetzt  kurz  vor  meiner  An- 
kunft mit  zahlreicher  Begleitung  in  Tripolis  angekommen,  um  nach 
Kezzän  und  weiter  zu  reisen.  Eine  Dame,  welche  schon  so  viele 
Proben  hohen  Strebens  und  festen  Willens  abgelegt,  schon  so  viele 
Erfahrungen  gesammelt  hatte  und  weiche  trotz  der  schmerzlichen 
Verluste,  die  sie  bei  früheren  Reisen  erlitten  hatte  — ihre  Mutter, 
geb.  van  Capellen,  und  ihre  Tante,  Adriana  van  Capellen,  waren 
einst  beide  im  Gebiete  des  Gazellenflusses  den  Einflüssen  des  Klima  s 
erlegen  — mit  bewunderungswürdiger  Zähigkeit  an  ihren  Zielen  fest- 
hielt und  mit  frischem  Muthe  den  jetzt  gewählten  Weg  zur  Erreichung 
derselben  zu  betreten  im  Begriffe  stand,  eine  solche  Dame  erfüllte 
mich  zunächst  nur  mit  scheuer  Ehrfurcht.  Meine  tripolitanische  Be- 
gegnung mit  ihr  war  nicht  geeignet,  dies  Gefühl  wesentlich  zu 
modificiren.  Ihre  edlen,  scheinbar  kalten  Züge,  ihr  distinguirtes, 
reservirtes  Wesen  mussten  Jeden,  der  sich  in  Folge  ihrer  abenteuer- 
lichen Carriere,  wie  sie  sonst  nur  Männern  Vorbehalten  ist,  etwa  ein 
emancipirtes  Wesen  vorgestellt  hätte,  zwar  einerseits  auf  das  Ange- 
nehmste enttäuschen,  vermochten  jedoch  andererseits,  bei  oberfläch- 
licher Bekanntschaft  wenigstens,  nicht  zu  erwärmen.  Ihre  Begleitung 
bestand  aus  zwei  holländischen  Seeleuten , Kcs  Oostmans  und  Ary 
Jacobsc,  einigen  ihr  gehörigen  Negern  vom  oberen  Nil,  algerischen 
Frauen,  Arabern  aus  Tunis  und  Algier,  freigewordenen  Negersclaven, 
die  unter  ihrem  Schutze  ihre  Heimath  wiederzugewinnen  hofften, 
und  Adolf  Krause,  einem  jungen  Deutschen,  der  in  seinem  Enthusias- 
mus für  Afrikareisen  das  heimathliche  Gymnasium  verlassen  und  in 
Tripolis  den  verhängnisvollen  Continent  erreicht  hatte.  Die  Stadt 
war  erfüllt  von  dem  Rufe  ihres  Reichthums,  und  schon  damals  war 
sie  nur  unter  der  Bezeichnung  Bent  el-Re,  d.  h.  die  Tochter  des 
Königs,  bekannt,  die  sie  bis  zu  ihrem  tragischen  Untergange  behalten 
sollte.  Ihre  grossen  Mittel  und  ihr  zahlreiches,  zusammengewürfeltes 
Gefolge  Iiessen  mir  die  gemeinschaftliche  Reise  nach  Murzuq,  unsrem 
nächsten  Ziele,  nicht  besonders  wünschcnswerth  erscheinen , und  ich 
licss  sie,  da  sie  ihre  Vorbereitungen  beendigt  hatte,  vorausreisen, 
zumal  die  vollständige  Sicherheit,  welche  in  den  tripolitanischen 
Staaten  herrschte,  es  gestattete,  allein  zu  gehen. 


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TRIPOLITANISCHE  MÜNZEN  UND  HEENDIOUNC,  DER  EINKÄUFE.  33 

Ich  begleitete  Mohammed  el-Qatrüni  auf  den  Wochenmarkt,  wo 
er  die  noch  fehlenden  Reiseutensilien  einkaufen  sollte,  um  von  seiner 
Erfahrung  zu  profitiren.  Die  circulirende  Münze  ist  der  türkische 
Piaster  — Ghirsch*)  et-Turki  — , der  aus  zwei  Zwanzigparastücken 
Abu  Aschrin,  d.  h.  Vater  der  zwanzig  besteht  und  von  dem 
wieder  zwanzig  einen  Mahabub  darstellen.  Der  letztere  ist  eine 
imaginäre  Münze,  figurirt  aber  nach  dem  türkischen  Piaster  am 
häufigsten  in  der  Rechnung.  Ihm  am  nächsten  steht  der  Fünf- 
franken-Thaler,  welcher  durchschnittlich  23  türkische  Piaster  enthält; 
dann  folgt  der  östreichischc  Maria-Theresia-Thaler  Abu  Teir  d.  h. 
Vater  des  Vogels,  von  dem  Doppeladler  auf  der  einen  Bildfläche 
genannt  — der  je  nach  dem  Course  einen  Werth  von  23  bis  25 
türkischen  Piastern  hat,  und  diesem  macht  hier  und  da  der  spanische 
Colonnaten-Thaler  — von  den  Säulen  des  Herkules  auf  seiner  einen 
Bildfläche,  welche  die  Araber  für  Kanonen  genommen  haben,  Abu 
Medf’a,  d.  h.  Vater  der  Kanone,  genannt  — , erfolgreiche  Concurrenz. 
Zwei  und  ein  halber  türkischer  Piaster,  also  fünf  Abu  Aschrin,  W'crden 
wohl  als  arabischer  Piaster  — Ghirsch  el-Aräbi  — bezeichnet,  während 
drei  türkische  Piaster,  also  sechs  Zwanzigpara-Stücke,  Sebili  heissen. 

Wenn  bei  Tage  die  nothwendigen  Geschäfte  besorgt  und  die 
nöthigen  Besuche  gemacht  waren , zogen  wir  uns  gegen  Abend  in 
das  kleine  Gartenhaus  Herrn  Rossi’s  zurück  und  sassen  bis  tief  in  die 
Xacht  hinein  bei  deutschem  Wein  oder  Bier,  während  Gerhard  Rohlfs 
aus  seinem  unerschöpflichen  Reiseleben  erzählte  und  mir  Personen 
und  Zustände  der  neuen  Welt  enthüllte,  in  der  ich  demnächst  aus- 
schliesslich leben  sollte.  Ich  zähle  jene  Abende  ländlicher  Einsam- 
keit zu  den  interessantesten  meines  Lebens. 

Endlich  war  Alles  zur  Abreise  bereit.  Zwieback,  Mohammes 
und  Reis  war  in  einigen  Centncrn  vorhanden;  Hammelfett,  Salz  und 
Pfeffer  nicht  vergessen ; Tabak,  Cigarren  und  Zündhölzer  für  einige 
Zeit  eingepackt.  Auf  alkoholische  Getränke  verzichtete  ich  von 
vornherein  gänzlich,  da  es  doch  bald  hätte  geschehen  müssen  und 
ihr  Transport  ein  unbequemer  ist,  doch  Thee,  Kaffee,  Chocolade, 
Fleischextract  hatte  ich  von  Malta  mitgebracht.  Einige  hundert 
Maria-Theresia-Thaler  und  ein  entsprechender  Beutel  mit  Abu  Aschrin 


*)  Das  Wort  , .Ghirsch”  ist  von  dem  deutschen  ..Groschen”  nbzuleiten  und  verdankt 
»eine  Verbreitung  im  Orient  den  Kreu/.ziigen. 

N achtmal.  I.  3 


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34 


1.  BÜCH,  I.  KAPITEL.  TRIPOLIS. 


als  Kleingeld  befanden  sich  in  meinen  Kisten;  Stearinkerzen  und  ein 
Paar  Laternen  sollten  für  Beleuchtung  sorgen;  Zeltpflöcke,  Stricke, 
Nägel,  Hammer,  Säge  waren  eingekauft,  und  wenn  Etwas  vergessen 
war,  wie  es  beim  Anfänge  einer  langen  Reise  kaum  anders  mög- 
lich ist,  so  hatten  wir  auf  dem  Wege  immer  noch  Gelegenheit  zur 
Ergänzung. 

AH  Riza  Pascha  hatte  mir  einen  offenen,  übrigens  sehr  kühlen, 
Empfehlungsbrief  — Fermän  an  die  Localbehörden  übergeben 
und  einen  Dabti  oder  Polizeisoldaten,  Miläd  Abeja  mit  Namen,  zu 
meinem  officiellen  Begleiter  bestellt.  Einige  Tage  vor  der  wirklichen 
Abreise  waren  wir  in  die  Stadt  übergesiedelt,  wo  ich  Abschieds- 
besuche machte  und  Scheidebriefe  in  die  Heimath  schrieb,  während 
Gerhard  Rohlfs  die  europäische  Gesellschaft  der  Stadt  und  die  Be- 
hörden zu  einem  festlichen  Piknik  lud  und  mit  Hülfe  meines  Pie- 
montesen,  der  ein  ausgezeichneter  Koch  war,  die  Vorbereitungen 
dazu  traf. 

Schon  am  16.  Februar  hatte  ich  die  Stadt  verlassen  wollen,  wie 
man  es  eigentlich  mehrere  Tage  vor  der  Abreise  tluin  soll,  um  etwa 
Vergessenes  nach  holen  und  Verfehltes  ändern  zu  können  — Beides 
stellt  sich  beim  Zeltleben  bald  heraus  — doch  Wind  und  Regen 
hatten  mich  gehindert. 

Am  Morgen  des  folgenden  Tages  wurden  die  Karneole  beladen, 
zu  denen  ich  noch  zwei  bis  zur  ersten  Hauptstation  Beni  Ulld  ge- 
miethet  hatte,  deren  Treiber  zugleich  unsere  Führer  waren.  Gern 
hätte  ich  ein  Pferd  gehabt,  doch  die  Kosten,  welche  aus  dem  Trans- 
port seiner  Gerste  und  seines  Wassers  erwachsen  mussten,  erlaubten 
mir  diesen  Luxus  nicht,  und  ich  beschloss,  mich  mit  meinen  natür- 
lichen Fortbewegungsorganen  und  dem  „Schiffe  der  Wüste”  zu  be- 
gnügen. Das  stärkste  der  Kamecle  trug  den  rothsammtenen,  an 
Lehne  und  Füssen  reich  vergoldeten  künftigen  Thronsessel  des 
Herrschers  von  Bornü  in  seiner  unförmlichen  Kiste  einerseits,  und 
die  lebensgrossen  Bildnisse  König  Wilhelms,  der  Königin  Augusta 
und  des  Kronprinzen  andererseits.  Die  Ladung  war  weniger  schwer 
wiegend,  als  durch  ihre  Unförmlichkeit  für  das  Thier  lästig.  Das 
Kameel  liebt  durchaus  nicht,  dass  die  beiderseitigen  Hälften  der 
Ladung  — Adila  — weit  nach  unten  hängen,  oder  Vorder-  und 
Hinterbeine  berühren;  ein  Centner  mehr,  aber  die  Gepäckstücke 


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GEPÄCK  UND  BELASTUNG  DER  KAMEELE.  35 

beiderseits  vom  Höcker  dem  mächtigen  Leibe  anliegend,  ist  ihm 
erwünschter. 

Ein  zweites  Thier  trug  eine  Partie  Zündnadelgewehre  mit  ent- 
sprechender, schwer  wiegender  Munition  friedlich  neben  einer  Anzahl 
heiliger  Schriften  in  arabischer  Sprache,  um  deren  Mitnahme  Herr 
Robert  Arthington  aus  Leeds  in  England  gebeten  hatte;  ein  drittes 
die  übrigen  Geschenke,  welche  in  einer  bronzenen  Pendeluhr,  goldener 
Taschenuhr  mit  Kette,  einem  Doppelfernglas,  einem  halben  Dutzend 
gewöhnlicher  silberner  Taschenuhren,  einem  doppelt  versilberten 
Theeservice , einigen  Stücken  Seide  und  Sammet , einem  Pfunde 
echten  Rosenöls  und  einem  solchen  gewöhnlicherer  Geraniumessenz, 
Rosenkränzen,  Armbändern  und  Halsbändern  von  echten  Korallen, 
zwölf  Burnussen  aus  Sammet,  Tuch  und  feinem  tunisischen  Wollstoffe, 
einem  Dutzend  echt  tunisischer  Tarbüsch's  und  einem  Harmonium, 
das  uns  noch  unsre  Abende  in  der  Einsamkeit  der  Meschija  ver- 
schönt hatte,  bestanden.  Zwei  weitere  Kameele  wurden  mit  meinen 
persönlichen  Reiseeffecten  an  Büchern,  Instrumenten,  Kleidern  und 
Medicamenten  belastet  und  sollten  im  Nothfalle  meine  eigene  Person 
fortschaffen;  zwei  andere  trugen  Mundvorräthe,  Kochgeschirr,  Zelt 
und  andere  Geräthschaften,  während  das  letzte  endlich  für  den  Wasser- 
transport bestimmt  war.  Für  längere  Reisen  soll  man  das  dortige 
Kameel  mit  nicht  mehr  als  drei  bis  vier  Centnern  belasten. 

Im  Ganzen  ist  es  vielleicht  zweckmässiger,  auf  dem  Wege  von 
Tripolis  nach  Fezzän  die  Kameele  zu  miethen ; denn  die  der  flachen 
Küste  entsprossenen  haben  keinen  besonders  guten  Ruf  und  stehen 
an  Körperkraft  und  Energie  entschieden  zurück  gegen  diejenigen, 
welche  aus  den  höher  gelegenen  und  zeitweise  weidereichen  Ge- 
genden von  Söqna , dem  Dschebel  Harüdsch , den  Districten  der 
Urfilla,  Abu  Sef  und  anderer  Stämme  kommen.  Während  die  mcinigen 
in  Tripolis  unter  ihres  Gleichen  einen  brillanten  Eindruck  machten, 
zweifelte  man  in  Söqna  schon  mit  Recht  an  ihrer  Fähigkeit,  Bornü 
zu  erreichen.  Dazu  kommt,  dass  dies  Thier  gegen  Klimawechsel 
ausserordentlich  empfindlich  ist.  Das  südliche  Kameel  des  Qatrüner  s, 
ein  stolzes,  freilich  altersgraues  Exemplar  seiner  Varietät,  hatte  durch 
■seinen  einmonatlichen  winterlichen  Aufenthalt  in  Tripolis  schon  erheb- 
lich gelitten  und  konnte  nur  mühsam  durch  tägliche  Gerstenahrung 
aufrecht  erhalten  werden.  Stolz  schritt  der  alte  Wüstensohn,  seine  ple- 
bejischen Kameraden  hoch  überragend,  ohne  Gepäck,  doch  steif  und 

3* 


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36 


I.  BUCH,  I.  KAPITEL.  TRIPOLIS. 


mühsam  einher  und  erregte  von  Anfang  an  die  Furcht  in  mir,  dass 
er  unser  nächstes  Reiseziel  nicht  erreichen,  sondern  sein  Leben  fern 
von  der  Heimath  auf  der  Landstrasse  endigen  werde. 

Wir  zogen  zum  Südthore  der  Stadt  hinaus  und  lagerten  eine 
halbe  Stunde  entfernt  von  ihr  in  Mitten  einer  reizenden  Gruppe  von 
Maulbeer-,  Oliven-  und  Orangenbäumen,  wo  Frederick  Warrington, 
der  historisch  gewordene  Geleitsmann  aller  von  dort  ausziehenden 
europäischen  Afrika-Reisenden,  welcher  auch  mich  einige  Tagereisen 
weit  zu  begleiten  die  Güte  haben  wollte,  bereits  sein  Zelt  aufge- 
schlagen hatte,  und  wo  die  Abschiedsfeierlichkeit  stattfinden  sollte. 
Sobald  mein  einfaches  Zelt  und  das  zierliche,  welches  Gerhard  Rohlfs 
aus  Frankreich  mitgebracht  hatte,  aufgestellt  waren,  erschien  Giuseppe 
Valpreda,  der  mit  seinen  Braten,  Pasteten  und  Mehlspeisen,  seinen 
Kuchen  und  Früchten,  seinem  Wein  und  Bier  für  lange  Zeit  zum 
letzten  Male  für  europäisch  gebildete  Gaumen  seine  culinarischen 
Fähigkeiten  in  ein  helles  Licht  zu  setzen  versucht  hatte. 

Nach  und  nach  kamen  auf  Pferden  und  Eseln  die  gebildeten 
Vertreter  der  europäischen  Colonic,  so  weit  ihre  gesellschaftlichen 
Missliebigkeiten  es  gestatteten.  Die  Beamten  des  französischen  Ge- 
ncral-Consulats  und  der  alte  Herr,  welcher  Amerika  vertrat,  wichen 
zu  unserem  Bedauern  den  letzteren  und  fehlten;  die  Herren  Hay, 
Agent  Englands,  Baron  Testa,  holländischer  General -Consul  und 
enthusiastischer  Bewunderer  Ali  Riza  Paschas,  der  lebenslustige 
italienische  Vertreter,  Herr  Bosio,  der  englische  und  der  spanische 
Vice-Consul,  der  Telegraphen- Vorsteher  Smith,  die  Glieder  der  viel- 
verzweigten Familien  Dickson  und  Gagliuffi  hatten  sich  ausser  unserm 
Herrn  Rossi  mit  ihren  Damen  eingefunden,  und  zur  Genugthuung 
der  Meisten  hatte  der  Herr  General -Gouverneur  mit  seinem  levan- 
tinischcn  Secretair  vorgezogen,  durch  seine  Abwesenheit  zu  glänzen 
Der  Reverend  Fenner,  mein  ältester  Freund  in  Afrika  und  englischer 
Caplan  in  Tunis,  war  in  seiner  Anhänglichkeit  gekommen,  mir  das 
letzte  Lebewohl  zu  sagen.  Giuseppe  hatte  dem  Rufe  seiner  Kunst- 
fertigkeit alle  Ehre  gemacht;  das  Wetter  war  herrlich  geworden  und 
gestattete  uns,  trotz  des  winterlichen  Februar,  schmausend,  trinkend 
und  plaudernd  auf  dem  natürlichen  Rasen  zu  lagern,  sobald  nicht 
die  requirirte  Musikbande  durch  die  Klänge  eines  heimathlichen 
Walzers,  einer  Quadrille,  einer  lustigen  Polka  die  Füsse  der  jungen 
Damen  und  die  unsrigen  zu  anderer  Bethätigung  veranlasste. 


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INTERNATIONALES  PIKNIK  UND  NACHT  VOR  DER  ABREISE.  37 

So  blieben  wir  in  lauter  Heiterkeit  bis  gegen  Abend  bei  Musik 
und  Tanz  zusammen  und  tranken  reichlich  auf  das  Wohl  meines 
Königs  und  Vaterlandes,  auf  mich  und  meine  Erfolge,  auf  diejenigen, 
welche  vor  mir  dieselbe  Strasse  gezogen  und  glücklich  heimgekehrt 
waren,  und  weihten  ein  stilles  Glas  dem  Andenken  derer,  die  fern 
von  ihrer  Heimath  ihrem  Forschungstriebe  das  Leben  zum  Opfer 
gebracht  hatten.  Auf  der  Grenze  der  Wüste  hatte  ich  mir  so  noch 
einmal  die  ferne  Heimath  vor  Augen  geführt;  Deutschen,  Engländern, 
Franzosen,  Italienern,  Holländern,  Spaniern  und  in  ihnen  gleichsam 
Europa  noch  einmal  die  Hand  gedrückt;  noch  einmal  ein  volles  Bild 
europäischen  Lebens,  von  dem  ich  auf  so  lange  scheiden  sollte,  zu 
reicher,  nachhaltiger  Erinnerung  in  mich  aufgenommen. 

Der  Berliner  Photograph  fixirte  die  heitere  internationale  Gruppe 
und  als  die  Sonne  sank,  war  ich  allein,  allein  mit  meinen  (jedanken 
und  Gefühlen,  meiner  Erinnerung  und  meiner  Hoffnung,  in  Mitten 
einer  fremden  Welt.  Schweigend,  von  den  mannigfachsten  Gefühlen, 
den  ungeordnetsten  Gedanken  bestürmt  und  aufgeregt,  wandelte  ich 
vor  meinem  Zelte  noch  lange  hin  und  her.  Dort  bildeten  die  Kameelc, 
mit  regelmässigem  Zähneknirschen  der  Pflicht  des  Wiederkäuens  ob- 
liegend, die  Knie-  und  Fussgclenke  gefesselt,  ihre  charakteristische 
Wüstengruppe.  Ein  zottiger,  arabischer  Wachthund,  Feida,  d.  h. 
Gewinn,  genannt,  der  erst  Tags  zuvor  angeschafft  worden  war,  erfüllte 
schon  seine  Pflicht,  obgleich  er  noch  mit  Niemand  Freundschaft  ge- 
schlossen hatte.  Die  beiden  Alis  und  Sa'ad  schliefen  bald  den  Schlaf 
der  Jugend,  Gesundheit  und  Sorglosigkeit,  während  Mohammed  aus 
Qatrün  noch  manche  Prise  Tabak  in  den  Mund  schob,  noch  manche 
Stückchen  Tröna  mit  seinen  Zahnruinen  abbiss  und  noch  manchen 
erfahrenen,  prüfenden  Blick  über  Kameele  und  Zelt  gleiten  liess,  ehe 
er  sich  die  Kaputze  seines  prächtigen,  dicken,  gestreiften  Burnus  über 
den  Kopf  zog  und  sich  dem  Schlaf  des  Gerechten  überliess. 

Still  war  die  Nacht,  welche  dem  geräuschvollen,  heiteren  Tage 
folgte,  und  welche  einer  noch  stilleren  und  einsameren  Zukunft  vor- 
herging.  Der  Schlaf  wollte  nicht  kommen;  im  Zelte  ward  es  mir 
zu  eng;  und  so  rollte  ich  mich  draussen  in  meine  warmen  tunisischen 
Decken  und  durchträumte  die  herrliche  Nacht.  Bilder  der  Ver- 
gangenheit verschmolzen  mit  denen  der  Gegenwart,  die  norddeutsche 
Heimath  mit  der  afrikanischen  Küste  des  Mittelmeers.  Das  mächtige 
Carthago,  das  römische  Afrika,  die  reiche  Cyrenaica,  Türken  und 


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38  I.  HUCH,  I.  KAPITEL.  TRIPOLIS. 

Christen,  Neger  und  Vandalen,  Araber  und  Garamanten,  Berber  und  alte 
Egypter  tummelten  sich  in  meinem  träumenden  Gehirne.  Ich  entrollte 
die  wechselvollen  Geschicke  dieser  Länder  und  gedachte  der  Zeit,  wo 
ich  auf  den  pedantischen  Schulbänken  so  oft  gewünscht  hatte,  lieber 
dieselbe  mit  allen  ihren  schreckensreichen  Ereignissen  zu  durchleben, 
als  ihre  zahllosen  Daten  meinem  rebellischen  Gedächtnisse  aufzu- 
zwingen. Die  Bilder  wurden  allmählig  unklar  und  verwirrten  sich  mehr 
und  mehr,  bis  endlich  gegen  Morgen  ein  tiefer  Schlaf  sie  auflöste. 

Mit  Sonnenaufgang  war  Gerhard  Rohlfs  und  Herr  Rossi  ge- 
kommen, mir  das  letzte  Lebewohl  zu  sagen.  Die  Kameele  wurden 
bepackt,  das  Zelt  abgebrochen,  und  schweigsam  der  letzte  Hände- 
druck gewechselt.  Ich  bestieg  mein  Wüstenschiff  und  zog  still  und 
ernst  in  die  sandige  Ebene  hinaus  mit  wehmüthiger  Erinnerung  an 
das,  was  ich  verliess,  an  die,  welche  ich  liebte  und  ehrte  in  der 
Heimath  und  die  ich  so  lange  entbehren,  vielleicht  nimmer  Wieder- 
sehen sollte,  aber  auch  mit  freudiger  Hoffnung  auf  eine  glückliche  Heim- 
kehr und  dem  festen  Vorsatze,  meinem  Unternehmen  physische,  intel- 
Iectuelle  und  moralische  Kraft,  so  viel  mir  zu  Gebote  stand,  zu  widmen. 

Wenn  ich  damals  gewusst  hätte,  dass  mein  Schicksal  mich  länger 
als  fünf  Jahre  in  den  unbekannten  Gegenden  des  verhängnisvollen 
Continents  zurückhalten  würde:  hätte  ich  wohl  den  Muth  gehabt,  zur 
Ausführung  zu  schreiten?  Langer  als  fünf  Jahre  eine  gänzliche  geistige 
Isolirtheit  zu  ertragen,  in  Mitten  harter  Entbehrungen,  schwerer  Ent- 
sagung, unerbittlicher  Krankheiten  und  drohender  Gefahren,  ist  mehr 
als  selbst  glühender  Enthusiasmus  auf  sich  zu  nehmen  liebt.  Später 
freilich,  fern  von  der  fieberhafter  Hast  des  europäischen  Lebens  und 
seinen  mannichfachen  Genüssen,  lernt  man  Zeit  und  Raum  anders  bc- 
urtheilen,  wird  bescheidener  in  seinen  Zielen,  zäher  in  der  Ausfüh- 
rung seiner  Plane,  geduldiger  im  Ausharren  und  Leiden. 

Körperliche  Elasticität  und  Widerstandskraft  in  Krankheit  und 
Anstrengung,  die  natürliche  Gabe,  mit  Menschen  aller  Art  in  Mitten 
jener  fremdartigen  Welt  zu  verkehren,  sind  die  unerlässlichen  Be- 
dingungen, mit  denen  der  Entdeckungsreisende  ausgestattet  sein 
muss;  Geduld  aber  ist  die  Tugend,  welche  das  Geheimniss  des  Er- 
folges birgt.  Sie  zu  üben  ist  oft  nicht  leicht,  und  manchen  schtveren 
Kampf  sollte  ich  noch  durchkämpfen,  ehe  ich,  in  dieser  Hinsicht 
einigermaassen  gelautert,  durch  die  Thorheit  und  die  Unzuverlässig- 
keit der  Menschen  meinen  Weg  zu  finden  wusste. 


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Zweites  Kapitel. 


REISE  NACH  FEZZÄN. 


Strassen  von  Tripolis  nach  Fezian.  — Sandzonc  südlich  von  der  Stadt.  — Zunehmende 
Fruchtbarkeit.  — Aufsteigung  zum  Tarhünagebirge.  — Abflüsse  des  Gebirges  nach 
Norden.  — Die  Stämme  Akara,  AlAuna,  IlamAdAt,  Drnhtb,  AulAd  Jüsef,  Ser  Ad  na.  — 
Römische  Ruinen.  — Vegetation  der  Gebirgsgegend.  — Flussthäler  südlich  vom  Ge- 
birge. — WAdl  und  Schet&jib  oder  HalbwAdl.  — Das  Thal  Bent  Gltd  und  seine 
Olivenpflanzung.  — Türkisches  Qasr  und  arabische  Qasba.  — Weitere  WudjAn  und 
SchetejibAt.  — MeschÄhid  oder  Steinzeuge.  — Ma'aqil  oder  Steinbrustwehre.  — Die 
Serir,  das  vorwaltende  Wüstenterrain.  — W.  Sofedschtn  mit  seinen  Nebenflussth&lcm. 
— Serirat  Omm  el-GhirbAl.  — W.  Bei.  — Ankunft  zu  Bü  N'dscheim.  — Wüster 
Character  der  Gegend  und  Kümmerlichkeit  der  Ortschaft.  — Römische  Ruinen.  — 
Wüstenwind.  — Dschebel  el-M’halla,  Bü  Xaadscha,  Bü  Atela,  Tuzizzet.  — Serli, 
IlammAda  und  „Zeugen”.  — Dschebel  et-TAr.  — Die  Ebene  von  S6qna  mit  ihren 
W asseibetten.  — El-Dschofra.  — Empfang  in  S6qna.  — Bcrberischer  Ursprung  der 
Einwohner.  — Einwohnerzahl.  — Beschreibung  der  Stadt.  — Panorama  vom  Qasr. 
— Gartencultur.  — Thierleben.  — el-MelAqt,  der  Sammler.  — Btr  Godcfa.  — Ueber- 
steigung  des  Dsch.  es-Soda.  — Dahar  cl-Mümin,  die  Höhe  des  Passes.  — Wasser- 
abflüsse auf  der  Nord-  und  Südseite.  — Kameelpost  zwischen  Tripolis  und  Murzuq. 
— Maiteba  SödA  und  Maiteba  HamrA.  — QoflT  el-Gharbl  und  Qoff  es-Schcrqi.  — 
Serir  Ben  Afien.  — Ramla  el-Kebtra  und  Ramla  es-Srhlra.  — Sela venkara van en.  — 
MAhiaf  Kneir.  — Haiti  ja  Omm  el-Abtd.  — Die  Oase  Sinrhen  und  ihre  Bewohner.  — 
Die  Oase  Semntt.  — Die  Stadt  und  ihre  Bewohner.  — Die  Oase  Tcmeiihint.  — 
Die  Oase  Sebha.  — Die  Biban.  — Die  Serir  el-Madla.  — Die  Oase  Rhodwa.  — Der 
grosse  Bairam  oder  'Id  el-Kcblr.  — Laqbt,  der  gegohrene  Dattelpalmensaft.  — Alcm 
oder  Wegzeichen.  — Scheqwa.  — Ankunft  zu  Murzuq. 

Es  giebt  zwei  Strassen  von  Tripolis  nach  Murzuq,  der  Haupt- 
stadt von  Fezzän,  von  denen  die  kürzere  über  Dsclicbel  Ghariän  und 
Misda  fast  direct  südlich  führt  und  sich  im  weiteren  Verlaufe  in  einen 
westlicheren  Weg,  der  von  Richardson,  Barth  und  Overweg, *_und  in 


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40 


I.  BUCH,  2.  KAPITEL.  REISE  NACH  KEZZAN. 


einen  östlicheren,  der  von  Rohlfs  bereist  worden  ist,  scheidet.  Die 
andere  längere  weicht  von  der  erstcren,  besonders  in  ihrem  Beginne, 
erheblich  nach  Osten  ab,  und  ist  hauptsächlich  durch  Lyon,  Vogel 
und  Duveyrier  bekannt  geworden. 

Trotz  ihres  nicht  unbedeutenden  Umweges  ist  die  letztere  die 
eigentliche  Karavanen-  und  Poststrasse,  da  sie  in  regelmässigeren 
Zwischenräumen  mit  Wasser  versehen  ist,  und  in  den  Populations- 
centren  von  Beni  Ulid,  Bü  N'dscheim,  Soqna  und  den  folgenden  Oasen 
Fezzän’s  erwünschte  Zwischenstationen  hat.  Man  legt  sie  gewöhn- 
lich in  etwa  dreissig  Tagereisen  zurück,  während  der  westliche  Weg 
nur  zwanzig  und  einige  erfordert.  Doch  von  diesem  schrecken 
Mangel  an  Städten  und  Dörfern  und  grosse  wasserlose  Strecken  die 
Karavanen  ab.  Dazu  verleihen  die  bevölkerten  Zwischenstationen 
der  östlichen  Strasse  einen  Charakter  ganz  besonderer  Sicherheit, 
der  vielleicht,  ausser  den  Rücksichten  auf  die  erleichterte  Verprovian- 
tirung  mit  Wasser,  Mundvorrath  und  Reiseutensilien,  ebenfalls  dazu 
beigetragen  hat,  sie  zur  hauptsächlichen  Karavanenstrassc  zu  machen. 

Es  war  ein  frischer,  kühler  Morgen,  als  meine  kleine  Karavanc 
auf  dieser  Poststrasse  am  18.  Februar  1869  am  südlichen  Rande  der 
Meschija  und  dem  Mausoleum  — Qubba  — Ahmed  el-Masris  vor- 
über durch  den  Sandgürtel  dahinzog,"  der  sich  bis  unmittelbar  an 
die  Gärten  der  Stadt  erstreckt  und  langsam  nach  Norden  vorzurücken 
scheint.  Anfangs  lockere,  sandige  Ebene,  unterbrochen  durch  jene 
festeren  Bodenstellen  mit  salzigen  Efflorescenzen,  an  denen  Nord- 
afrika so  reich  ist  und  welche  bei  Wasserreich thum  zu  oberflächlichen 
Salzsümpfen  werden  und  Sebcha  heissen,  zeigt  diese  Zone  dann  eine 
dicht  gedrängte  Menge  abgerundeter  Sandhügel  von  geringer  Er- 
hebung. Dieser  etwa  vier  Kameclstunden  oder  16  Kilometer  breite 
Wüstengürtel  hat  in  seiner  Mitte  einen  kümmerlichen  Weidegrund, 
welcher  die  einen  kleinen  Teich  bildende  Quelle  Ain  — Zära  umgiebt 
und  mit  einigen  Oliven-  und  Dattelbäumen  den  wenigen  Einwohnern 
eine  ärmliche  Existenz  vermittelt,  und  weiterhin  einen  Brunnen  - 
Bir  — mit  herrlichem  Wasser,  den  der  Wohlthätigkeitssinn  eines 
tripolitanischen  Kaufmanns,  Namens  Zekelläi',  gestiftet  hat. 

Von  der  Grenze  dieser  Sandzone,  welche  den  Namen  Dschedrat 
el-Dschelläba,  d.  h.  eigentlich  die  Grenze  der  iinportirenden  Kauf- 
leute, führt,  marschirten  wir  auf  mässig  fruchtbarem  Boden  und 
lagerten  nach  fast  sechs  Stunden  südsüdöstlicher  Richtung  in  der 


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ÜBERSTEIGUNO  DES  TARHCNAGEBIRGES. 


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Gegend  Tobräs,  welche  dem  unbeileutendcn  Stamme  der  Akära 
Weide  für  seine  spärlichen  Schaafheerdcn  bietet  und  den  nöthigsten 
Ackerbau  gestattet. 

Am  folgenden  Tage  legten  wir  sogar  nur  ungefähr  16  Kilometer 
in  südlicher  Richtung  durch  eine  fruchtbare,  wohlangebaute  Ebene 
zurück,  welche  Gerste  und  Weizen  in  humusreichem  Sandboden  her- 
vorbringt, und  lagerten  auf  einer  fetten  Weide  in  der  geheiligten 
Nähe  der  CJubba  Sidi  es-Säjah's.  Ein  Verwalter  der  Gerechtsame 
des  verstorbenen  Heiligen,  ein  sogenannter  Häres  cl-Oqla,  d.  h.  der 
Wächter  der  Abgabe,  zog  von  den  Umwohnenden  die  der  Qubba 
zu  leistenden  Spenden  ein  und  gewann  dadurch  eine  zwar  bescheidene, 
doch  mühelose  Existenz.  Während  unsres  kurzen  Marsches  hatten 
wir  bei  klarer  Atmosphäre  im  Osten  die  gebirgige  Gegend  von 
Meselläta,  im  Südwesten  das  Gebirge  — Dschebel  Gharian,  im 
Süden  und  Südosten  den  Dschebel  Tarhüna  gehabt. 

Wir  näherten  uns  dem  Tarhüna  Gebirge  am  Morgen  des  20.  Fe- 
bruar über  leidliche  Weidegründe  und  zeitweise  im  Bette  des  Wadi 
es-Samär,  der  von  Süd  nach  Nord  verläuft  und  bei  einer  Breite  von 
bis  zu  100  Schritt  durch  seine  vier  bis  fünf  Meter  hohen  Uferwände 
zeigt,  welche  Wassermengen  ihm  bisweilen  aus  den  Bergen  zugeführt 
werden.  Cisternen  mit  sorgfältig  verschliessbarer  oberer  Oeflhung 
dienen  hier  und  da  in  seinem  Bette  zur  Sammlung  und  Aufbewah- 
rung seiner  ephemeren  Wasser,  und  beweisen  durch  die  Sorgfalt  und 
Solidität  der  Construction  ihren  Ursprung  aus  besseren  Zeiten. 

Ueber  eine  fruchtbare  Ebene  mit  üppigen  Weiden  und  ausge- 
dehnten Ackerfeldern,  welche  dem  Stamm  der  Hamädät  gehören, 
wendeten  wir  uns  dem  Gebirge  zu  und  drangen  in  dasselbe  ein  durch 
den  Wadi  Melrha,  welcher  aus  diesem  Theile  des  Tarhüna  das 
Regenwasser  dem  W.  es-Samär  zuführt.  Langsam  aufsteigend  folgten 
wir  seinem  Laufe,  im  steinigen  Bette  oder  auf  den  felsigen  Ufern, 
hier  und  da  Reste  antiker  Constructionen  von  Brücken  und  Dämmen 
bemerkend,  bis  wir  nach  nahezu  achtstündigem  Marsche  in  durch- 
schnittlicher Südostrichtung  auf  dem  Territorium  des  Stammes  der 
Drähib  nahe  dem  Ursprünge  des  Wädi  Melrha  unser  Lager  auf- 
schlugen. Drei  Brunnen  mit  antiker  Fassung  nahmen  die  Mitte  des 
schmalen  Thaies  ein,  während  rings  herum  zahlreiche  Ueberreste  von 
Baulichkeiten  aller  Art  und  die  Ruine  eines  grossen  römischen  Kastells 
beweisen,  dass  einst  dort  ein  ansehnliches  Populationscentrum  bestand. 


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42 


I.  BUCH,  2.  KAPITEL.  KE1SE  NACH  FEZZÄN. 


Bald  war  die  höchste  Höhe  des  Tarhüna- Gebirges  erreicht,  die 
sich  als  wellenförmige  Ebene  mit  Weidegründen  und  dazwischen 
einigen  Gerstenfeldern  weithin  ausdehnte.  Dieselbe  gehört  den  Auläd 
Jtisef  und  den  Serädna,  welche  dort  gemeinschaftlich  weiden  und 
Ackerbau  treiben.  Zahlfeiche  Beduinen -Lager  und  Schaafhccrden 
zeugten  für  eine  im  Vergleich  zu  der  zuvor  durchreisten  Strecke 
dichte  Bevölkerung  und  für  den  relativen  Wohlstand  derselben. 

Während  wir  unsern  Weg  in  derselben  Südsüdostrichtung  fortsetzten, 
verlor  nach  einigen  Stunden  die  Landschaft  ihren  fruchtbaren  Charak- 
ter, wurde  steinig  und  sandig  und  brachte  anstatt  üppiger  Weiden 
Zwiebelgewächse,  Sa  ater  (Thymus  hirtus),  Rosmarin  Kelil  - 
(Rosmarinus  officinalis) , den  dornigen  Busch  Sidr  (Zizyphus  Lotus) 
und  einige  andere  Gewächse  hervor.  Rechts  in  grösserer  Entfernung 
beherrschte  von  einem  Bergkegel,  an  dessen  Fuss  der  W.  el-Kemm 
verläuft,  ein  weithin  sichtbares  römisches  Kastell  die  Gegend,  bis  wir 
in  das  hochgelegene  Thal  des  W.  Tcnziwa  hinabstiegen,  das  durch 
seine  üppigen,  stacheligen  Futterkräuter  eine  starke  Verlockung  für 
unsere  Kameelc  wurde.  Dasselbe  ist  schmal  und  nach  Südosten 
begrenzt  durch  einen  Hügelrücken,  jenseits  dessen  wir  in  das  weite 
Thal  des  W.  el-Aqrabija  gelangten,  das  sich  hier  von  West  nach 
Ost  erstreckte  und  durch  seine  ausgedehnten  Gerstenfelder  und  be- 
lebenden Heerden  einen  erfreulichen  Eindruck  machte.  Nach  sieben- 
stündigem  Marsche  lagerten  wir  in  demselben,  wieder  in  Mitten 
römischer  Baureste. 

Der  22.  Februar  führte  uns  aus  dem  Thale  des  W.  el-Aqrabija 
über  einen  steinigen  Hügelrücken  stets  in  derselben  Südsudostrichtung 
in  das  weite  fruchtbare  Thal  des  W.  Maader,  das  von  allen  um- 
wohnenden Stämmen  als  gemeinschaftliche  Weide  benutzt  wird  und 
in  das  auch  die  Regierung  im  Frühjahr  ihre  Kavalleriepferdc  zur 
Rcbija  oder  Frühlingsweide  schickt. 

Der  W.  Maader,  der,  wie  alle  vorgenannten,  für  gewöhnlich 
wasserlos  ist,  nimmt  dort  von  seiner  Sudseite  her  den  W.  es-Sedäda 
auf  und  hat  eine  Nordostrichtung.  Mauern,  Wasserabdämmungen, 
Häuserfundamente  aus  römischer  Zeit  ziehen  von  allen  Seiten  im 
Thale  die  Aufmerksamkeit  des  Reisenden  auf  sich,  während  die 
Höhen  mit  Kastellresten  gekrönt  sind.  Das  Thal  des  W.  Maader 
ist  ebenfalls  durch  einen  Hügelrücken  von  dem  des  W.  Ukirre  ge- 


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NEBENFI  l’SSTHAI.ER  DES  W.  MERDÜM.  43 

trennt,  auf  dessen  Ufern  uns  zum  ersten  Male  die  Zierde  zahlreicher 
Botumbäume  (Pistacia  atlantica)  entgegen  trat. 

Aus  dem  weiten  Thale  des  letzteren  gelangt  man  über  eine 
ähnliche  niedrige  Terrainerhebung  in  sein  Nebenthal,  W.  Qarär  cd- 
Darbük.  Von  der  Höhe  zwischen  beiden  erblickt  man  in  weiterer 
Entfernung  westlich  die  Berge  von  Ghariän ; in  derselben  Richtung, 
doch  näher,  die  Kegel  Halejin  und  im  Nordosten  nahe  bei  einander 
die  beiden  Tcräfit  (Mehrzahl  von  Tarfüt).  Auf  den  W.  Qarär  cd- 
Darbük  folgte  in  unserer  Wegrichtung  der  W.  el-Halfäwi,  der  sein 
zeitweises  Wasser  durch  den  W.  Qardschüma  in  den  von  Beni  Ulid 
abfuhrt.  Auf  seinem  Uferterrain,  das  schon  den  Leuten  von  Beni 
Ulid  gehört,  lagerten  wir  nach  siebenstündiger  Tagesarbeit. 

Der  folgende  sechste  Tag  unserer  Reise  sollte  den  ersten  Haupt- 
abschnitt des  Weges  nach  Murzuq  beendigen  und  uns  nach  Beni 
Ulid  führen.  Wir  erreichten  dies  Ziel  in  achtstündigem  mühevollem 
Marsche  durch  eine  Gegend , welche  den  verhaltnissmässig  frucht- 
baren Charakter  der  Tarhünabcrge  mehr  und  mehr  einbüsst.  Der  • 
Weg  führt  über  steinige  Höhen  und  kahle  Ebenen,  die  durch  zahl- 
lose flache  Einsenkungen  getrennt  sind,  welche,  ohne  sich  zum 
Charakter  von  Flussbetten  Wadi  (in  der  Mehrzahl  Wudjän) 
aufzuschwingen,  doch  in  regenreichen  Jahren  zuweilen  Wasser  führen, 
dann  mit  ihrem  Sand  und  Lehmboden  zur  Cultur  verwendet  werden 
und  in  genereller  Weise  Schetcjib  heissen,  ln  den  meisten  derselben 
finden  sich  aus  alten  Zeiten  wasservertheilende  und  -sammelnde  Stein- 
dämme. Augenblicklich  boten  sie  nach  mehrjähriger,  ungewöhnlicher 
Dürre  sehr  wenig  Spuren  menschlicher  Thatigkeit  und  natürlichen 
Schaffens.  In  einigen  wenigen  war  etwas  Gerste  gebaut,  und  die 
Natur  beschränkte  sich  auf  die  Erzeugung  von  Haifa -Gras  (Lygeum 
Spartum*),  einigen  Disteln,  Dornbüschen  und  Botumbaumen.  Die 
breiten,  sich  wenig  über  die  Einsenkungen  erhebenden  und  diese 
trennenden  Hügelrücken,  welche  oft  horizontale  Schichtung  zeigten, 
nahmen  mehr  und  mehr  den  öden  Charakter  der  steinigen  Wüste  an. 

Vom  W.  el-Halfäwi  aus  gelangten  wir  nach  einigen  Stunden  der 
zuvor  eingeschlagencn  Südsudostrichtung  zum  kleinen  W.  Rhalabün, 
der  zum  System  des  W.  Merdüm  — so  scheint  der  eigentliche  Name 

*)  Esparto  oder  Haifa  ist  seit  einigen  Jahren  ein  wichtiger  Ausfuhrartikel  für  Tripolis 
geworden,  von  dem,  Privatnachrichtcn  zufolge,  innerhalb  eines  der  letzten  Jahre  Ihr  fast 
drei  Millionen  Mark  zur  Papiererzeugung  nach  England  verschifft  wurde. 


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44 


[.  BUCH,  2.  KAPITEL.  REISE  NACH  FEZZAN. 


des  Flusses  von  Beni  Ulid  zu  lauten  — gehört,  und  betraten  dann 
eine  steinbedeckte,  wüste,  hochgelegene  Ebene,  um  dieselbe  bis  Beni 
Ulid  nicht  wieder  zu  verlassen.  Sowohl  die  weidereichen  Hoch- 
ebenen, als  auch  die  fruchtbaren  Thäler  der  Wudjän  des  Gebirges 
und  die  flachen  lehmreichen  Schetejibät  (Mehrzahl  von  Schctejib), 
die  man  als  Halbwudjän  bezeichnen  kann,  waren  verschwunden;  nur 
die  tief  in  den  Boden  geschnittenen  Wasserbetten  unterbrachen  zu- 
weilen die  Einförmigkeit  der  steinigen  Höhen.  Auch  der  einige 
Marschstunden  nach  dem  W.  Rhalabün  folgende  W.  Dinar,  den  wir 
links  vom  Wege  in  seinen  Ursprüngen  sahen,  gehört  durch  den 
W.  TemäsTle  dem  W.  Merdüm  an. 

Nach  fünfstündigem  Marsche  erblickten  wir  von  der  Höhe  in 
der  Richtung  unsres  Weges  das  Qasr  von  Beni  Ulid,  während  im 
Südwesten  die  vereinzelten  Gebirgsbildungen,  welche  sich  an  den 
Dschebel  Ghariän  nach  Süden  schlicsscn,  den  Horizont  begrenzten. 
Wir  stiegen  von  hier  aus  durch  den  W.  Maqräwa,  der  einen  eventuellen 
Zufluss  zum  W.  Dinar  darstellt,  abwärts,  hatten  noch  einen  beschwer- 
lichen Marsch  über  steinige  Höhen  und  erreichten  endlich,  durch  ein 
Gewirre  von  kleinen  Zuflussthälern  des  W.  Merdüm,  das  herrliche, 
breite,  mächtige  Thal  des  letzteren,  in  dem  ein  ausgedehnter  Hain 
so  schöner  Olivenbäume,  wie  ich  nur  jemals  gesehen  hatte,  das  Auge 
des  Reisenden  überrascht  und  entzückt. 

Im  Schatten  der  stattlichen  Bäume,  welche  unter-  dem  con- 
trastirenden  Einflüsse  der  wüsten  Umgebung  einen  Eindruck  von 
Frische  und  Ueppigkeit  machen,  wie  derselbe  sonst  nicht  von  den 
unscheinbaren,  fahlgrünen  Olivenbäumen  hervorgebracht  zu  werden 
pflegt,  schlugen  wir  unser  Lager  auf.  Die  erste  Etappe  unseres 
Weges  war  zurückgelegt;  hier  mussten  wir  die  gemietheten  Kameele 
entlassen  und  uns  neue  verschaffen;  hier  beabsichtigten  wir,  noch 
einige  Wasserschläuche  und  etwas  Oel  zum  Kochen  zu  kaufen,  und 
beschlossen  also  einen  Rasttag  zu  machen.  Ich  konnte  mit  dem 
Beginne  der  Reise  zufrieden  sein;  Leute  und  Kameele  hatten  sich 
leidlich  bewährt,  und  kein  Unfall  hatte  unsere  Personen  oder  Sachen 
betroffen. 

Dass  die  genannten  Gründe  uns  hier  einen  Ruhetag  aufzwangen, 
war  mir  sehr  lieb;  denn  wenn  ich  es  meinen  Begleitern  verbarg,  so 
musste  ich  mir  selbst  doch  gestehen,  dass  mich  der  letzte  Marsch- 
tag  entsetzlich  ermüdet  hatte.  Ich  war  der  Ucbung  wegen  bis  dahin 


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DAS  THAI.  VON  BKNf  ULlD. 


45 


zu  Fuss  gegangen,  und  war  ein  guter  Fussgänger;  doch  der  felsig 
harte  Boden  des  letzten  Tages  mit  seiner  ungleichen  Steinbedeckung 
hatte  meine  Fiisse  arg  mitgenommen.  Glücklicherweise  unterstützte 
die  Jahreszeit  meine  Ucbungen,  ja,  machte  sie  in  den  Morgenstunden 
sehr  erwünscht.  Hatten  wir  doch  Tags  zuvor  Morgens  vor  Sonnen- 
aufgang eine  Temperatur  von  nur  6,6°  C.  gehabt,  und  wenn  auch 
die  Mittagszeit  manchen  Schweisstropfen  kostete,  so  hatten  wir  doch 
bei  schönem,  klarem  Wetter  und  schwachem  Südwinde  an  dem  Ruhe- 
tage im  Thale  von  Beni  L'lid  nur  eine  höchste  Tagestemperatur  von 
22,7°  C.  gehabt. 

Die  Schnelligkeit  unserer  Karavane  betrug  nach  sorgfältigen 
Messungen  drei  und  einen  halben  Kilometer  pro  Stunde  in  Gegenden, 
wo  die  Kameele  seitlich  am  Wege  von  den  vorhandenen  Kräutern 
frassen,  vier  Kilometer,  wenn  ihnen  keine  Gelegenheit  dazu  geboten 
war  und  bei  günstigen  Bodenverhältnissen  und  keinerlei  Aufenthalt 
noch  etwas  mehr.  Auch  später  habe  ich  häufig  derartige  Messungen 
wiederholt  und  bin  stets  zu  demselben  Resultate  gekommen.  Eine 
etwas  grössere  Geschwindigkeit  erzielt  man  in  Gegenden,  wo  es  Sitte 
ist,  den  Kopf  jedes  Kameels  an  den  Schwanz  des  vorhergehenden 
zu  befestigen  und  dadurch  jeden  überflüssigen  Schritt  der  gern  vom 
Wege  abweichenden  Thiere  zu  vermeiden. 

Das  Thal  von  Beni  Ulid  verläuft  mit  ausgiebigen  Windungen 
von  Westen  nach  Osten,  war  an  der  Stelle  unserer  Lagerung  fast 
700  Schritt  breit,  nimmt  einige  Stunden  weiter  nach  Osten  den 
W.  Temäsile  auf  und  vereinigt  sich  einen  weiteren  Tagemarsch  nach 
Osten  mit  dem  W.  Sofedschin,  um  bald  darauf  in  die  grosse  Syrte 
zu  münden.  Auf  der  südlichen  steilen  Uferhöhe  befindet  sich  das 
türkische  Kastell  mit  dem  Mudir  oder  Bezirkschef,  dem  Regierungs- 
secretair  und  der  aus  50  Mann  bestehenden  und  von  einem  Haupt- 
mann befehligten  Besatzung.  Auf  der  nördlichen,  weniger  steilen 
Thalhöhe  zeugt  das  arabische  Kastell  Serrär,  generell  Qasba  ge- 
nannt, halb  zerstört,  doch  durch  einen  ausgezeichneten  Mörtel  vor 
gänzlicher  Vernichtung  bewahrt,  sowohl  von  Zeiten  grösserer  Macht 
als  auch  von  manchen  blutigen  Kämpfen.  Seit  zuletzt  vor  einigen 
Jahrzehnten  der  romantische  Araberhäuptling  Abd  el-Dschlil,  Scheich 
der  Auläd  Solimän,  in  ihm  vergeblich  den  Türken  zu  widerstehen 
gesucht  hatte,  sank  es  langsam  in  Trümmer. 

Die  Pflanzung  des  Thaies  hat  eine  Ausdehnung  von  vier  Weg- 


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I.  BUCH,  2.  KAPITEI..  REISE  NACH  FEZZÄN. 


4<) 

stunden,  enthält  etwa  4000  Olivenbäunic  lind  hier  und  da  Feigen-  und 
I’flaumcnbäume  ausser  diesen  findet  man  noch  die  in  der  Wüste 
Talha  genannte  Sajälakazic  (Acacia  Sajal)  und  Tamarisken-  oder 
Etel-Büsche  (Tamarix  articulata)  — , und  gehört  einer  grossen  Zahl 
von  Dörfern  und  Weilern,  welche  zu  beiden  Seiten  des  Thaies  liegen, 
und  mir  vom  Regierungssecretair,  der  den  abwesenden  Mudir  vertrat, 
auf  45  angegeben  wurden. 

In  fruchtbaren,  wasserreichen  Jahren  füllt  sich  zeitweise  das 
Wasserbett  des  Thaies,  so  dass  die  Communication  zwischen  beiden 
Ufern  gänzlich  unterbrochen  wird,  und  der  Wadi  rauscht  dann  für 


Sajälakazic  (Acacia  Sajal). 


eine  kurze  Zeit  als  ein  mächtiger  Strom  dahin.  Jetzt  entbehrte  man 
eines  ordentlichen  Winterregens  schon  seit  vier  Jahren,  was  eine  all- 
gemeine Noth  zur  Folge  hatte.  Viele  der  Einwohner  hatten  sich 
über  das  ganze  Land  zerstreut,  um  ihren  Unterhalt  irgendwie  und 
irgendwo  zu  erwerben,  und  die  Theucrung  war  eine  derartige,  dass 
ich  für  eine  Eselladung  Stroh  nach  unserem  Geldc  etwa  sechs  Mark 
bezahlen  musste. 

Als  ich  am  folgenden  Morgen  (25.  Februar)  Abschied  vom 
Regierungsschreiber  und  dem  Kommandanten  des  Kastells,  welche 
bald  nach  unserer  Ankunft  ihre  Visiten  gemacht  hatten,  genommen 
hatte,  setzten  wir  unsere  Reise  in  Südostrichtung  fort  über  die  steinigen 


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W.  sftFEDSCHlN  UNI)  SEINE  ZUFLUSSTHÄUER. 


47 


und  öden,  hochgelegenen  Ebenen  der  letztverflossenen  Tage,  passirten 
einen  Halbwädi,  Schetejib  es-Suwedä,  der  in  Südostrichtung  zum 
W.  Ghobin  verläuft,  und  unmittelbar  darauf  diesen  selbst,  der  sich 
in  Ostsüdostrichtung  dem  W.  Söfedschin  zuwendet.  In  beiden  sprechen 
ebenfalls  zahlreiche  Dämme  und  an  ihrer  Vereinigungsstelle  die  aut 
dem  Südufer  des  W.  Ghobin  gelegene  Ruine  eines  römischen  Kastells 
Qasr  el-'Alqa  — für  eine  grössere  Thätigkeit  und  zahlreichere 
Bevölkerung  in  vergangenen  Zeiten. 

Wir  folgten  dem  Laufe  des  W.  Ghobin  für  einige  Stunden,  uns 
an  seiner  bescheidenen  Vegetation  von  Sajälakazien,  Sidr  und 


Tamariske  — Eiel*  arab.  — (Tumarix  articulata). 


Dschedärl-Büschen  (Rhus  dioi'ca)  erfreuend,  wendeten  uns  etwas  mehr 
südlich,  passirten  einen  weiteren  Nebenfluss  des  W.  Söfedschin,  den 
W.  Mimün  mit  einem,  dem  W.  Ghobin  parallelen  Verlaufe,  und  zogen 
von  der  südlichen  Uferhöhe  desselben  auf  der  sich  allmählig  gegen 
die  grosse  Syrte  hin  abdachenden  Ebene  einem  Punkte  des  Söfedschin 
zu,  der  durch  einen  massigen,  abgestutzten  Kegel  mit  einer  Qubba 
des  heiligen  Abd  es-Seläm  ausgezeichnet  ist.  Nach  neunstündigem 


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4H 


l.  BUCH,  2.  KAPITEL.  REISE  NACH  FEZZAN. 


Marsche  in  durchschnittlicher  Südostrichtung  lagerten  wir  auf  dem 
Nordufer  des  Söfedschin  nahe  der  Mündung  des  1 lalbwädi  cl-Amirija, 
zufrieden,  mit  der  Senkung  des  Terrains  einige  Futterkräuter  für  die 
Kamecle  zu  finden. 

Die  Ebene  des  Söfedschin  war  einst  ein  Hauptschauplatz  der 
blutigen  Kämpfe,  welche  die  ruhelosen  Auldd  Solimän  unter  Seif  en- 
Nasr  mit  ihren  Bundesgenossen,  den  Urfilla gegen  die  Tarhünn- 
Stämme,  die  Abd  el-Hädi  unter  seiner  Führung  vereinigte,  bestanden, 
und  zahlreiche  Steinhaufen  — Meschähid*)  zeugen  noch  jetzt 
von  den  Opfern,  welche  dieselben  hingerafft  haben.  Ringsum  trugen 
die  Hügel  noch  die  Steinbrustwehren  Ma'aqil**)  hinter  denen 
die  Auläd  Solimän  sich  gegen  die  übermächtigen  Feinde  verschanzt 
hatten. 

Der  26.  Februar  führte  uns  in  Südostrichtung  über  den  W.  Sö- 
fedschin und  östlich  an  dem  genannten  Berge,  (jalaat  Sidi  Abd  es- 
Seläm  vorüber.  Derselbe  liegt  zwischen  zwei  grösseren  Schetejibät, 
welche  neben  ihm  in  den  VV.  Söfedschin  münden,  und  von  denen 
wir  den  östlichen  Sch.  el-Mocharrem  passiren  mussten.  Der  dem 
Heiligen  geweihte  Berg  besteht  aus  Kalk-  und  Sandstein  und  erhebt 
sich  fast  200  Meter  hoch.  Er  begrenzt  nach  Westen  hin  die  weite 
Ebene  des  W.  Söfedschin  und  seiner  Schetejib’s,  welche  im  Süden 
und  Südosten  von  einer  Hügelkette  vor  uns,  im  Osten  von  einem 
von  letzterer  detachirten  Berge,  Namens  Schifschil,  und  im  Norden 
von  den  von  uns  passirten  Uferhöhen  des  Mimun  eingeschlossen 
wird.  Dieselbe  ist  sanft  gewölbt,  besteht  grösstentheils  aus  Kalk, 
der  zahllose  Versteinerungen  enthält,  heisst  als  Ganzes  el-Batn,  d.  h. 
eigentlich  Bauch,  und  da,  wo  die  Kalkfläche  zu  Tage  liegt,  Kerkaf 
Dort  sah  ich  zum  ersten  Male  die  Tartut  (Cynomorium  coccineum) 
genannte  Schmarotzer-Pflanze,  deren  lange  fleischige  Wurzel  genossen 
wird,  und  deren  kolbenförmige  Aehre  mit  zahllosen  rothen  Blüth- 
ehen  besetzt  ist. 


*)  Meschähid  kommt  von  dem  Verbum  „Schahad”,  Zeugniss  ablegen,  und  bedeutet 
den  Ort,  wo  dies  geschieht,  den  Zeugnissort , daher  auch  den  Ort,  an  dem  Jemand 
,, blutiges  Zcugniss  ablegt’',  für  die  Religion  den  Tod  erlitten  hat . Wo  überhaupt  Jemand 
eines  gewaltsamen  Todes  gestorben  ist , deutet  man  die  Stätte  durch  einen  Steinhaufen 
an,  den  die  Vorüberkommenden  »1er  Sitte  entsprechend  vergrössern. 

**)  Ma'aqil  kommt  von  ,,’Aqal"  binden,  umgeben,  und  bedeutet  den  Ort,  der  umgiebt, 
birgt,  d.  h.  die  llurg,  den  Zufluchtsort. 


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GEGEND  DES  W.  /EM/ EM  UND  W.  BEI. 


4!» 


Wir  passirten  nach  einander  die  Halbwudjän  Omni  cl-Hibäl.  el- 
Uzra  und  el-Asäfa,  welche  dem  vor  uns  liegenden  Hiigelrücken  ihre 
Ursprünge  verdanken,  überstiegen  den  letzteren  in  einem  Passe 
Churma  — und  lagerten  nach  achtstündigem  Marsche  in  Südost- 
richtung jenseits  desselben  in  dem  dicht  mit  Akazien  und  Dschedari- 
Büschen  bewachsenen  Bette  des  W.  Nefeid,  der  noch  dem  Systeme  des 
W.  Söfedschin  angehört.  Der  W.  Nefeid  ist  durch  eine  Hügelscheide 
vom  W.  Nefed  getrennt,  der  nach  Osten  verlauft,  jenen  in  sich  auf- 
ninimt,  später  durch  eine  nördliche  Windung  sich  mit  dem  Söfedschin 
vereinigt  und  mit  antiken  Brunnen  und  vielem  Gebüsch  geziert  ist. 

Das  Gebiet  des  Söfedschin  ist  von  dem  W.  Zemzem  und  seinen 
Nebenthälern  durch  eine,  steinige,  sehr  vegetationsarme,  schwach 
gewölbte  Ebene  getrennt.  Dieselbe  besteht  theils  aus  Sandboden, 
der  verschiedene  aromatische  Kräuter  hervorbringt,  theils  schon  aus 
jenem  felsharten,  an  sich  nicht  ganz  unfruchtbaren,  doch  ausgedörr- 
ten, steinbedeckten  Boden,  welcher  das  vorwaltende  Terrain  der 
Sahara  bildet.  Der  Grund  war  zwischen  den  Steinen  und  Steinchen 
hier  und  da  bedeckt  mit  der  Erdweizen  Qamah  el-Wotä  ge- 
nannten Flechte  (Lccanora  desertorum).  Die  ganze  Gegend  vom 
W.  Söfedschin  ab  ist  ziemlich  wasserarm  und  gehört  den  GedädTfa, 
einer  der  vielen  Abtheilungen  des  kriegerischen  Urfilla -Stammes, 
welcher  so  zahlreich  sein  soll,  dass  er  sich  unter  achtzig  Scheichs 
vcrtheilt.  Gleichwohl  erblickte  man  kein  menschliches  Wesen,  da 
die  anhaltende  Dürre  Alle  in  begünstigtere  Striche  getrieben  hatte. 

Da  nach  sieben  und  einer  halben  Marschstunde  in  Südsiidost- 
richtung  am  folgenden  Tage  der  W.  Zemzem  noch  fern  war,  ver- 
brachten wir  die  Nacht  in  einem  unbedeutenden  Nebcnthale  dessel- 
ben, dem  W.  M bcllem.  Derselbe  zog  sich  in  unserer  Wegrichtung 
znm  W.  el-Lahja,  der  sich  als  eine  grüne  Vegetationslinie  nach  Osten 
schlangelt  und  bald  mit  dem  W.  Zemzem  vereinigt.  Bevor  jener 
erreicht  wird,  unterbricht  der  fünfzig  Meter  hohe  Hügel  Maazul  M’bel- 
lem,  an  dem  die  von  Bern"  Ulid  und  von  Söqna  kommenden  Postboten 
sich  begegnen  und  ihre  Briefbehälter  austauschcn,  die  Ebene. 

Südlich  vom  W.  el-Lahja  senken  sich  zwei  Schetejibät  el-Rhanam 
zum  W.  Zemzem,  doch  wir  rasteten  weder  in  - ihnen  noch  an  den» 
Brunnen  des  letzteren  selbst,  der  wegen  seiner  Tiefe  dieselbe  soll 
lunfzig  Klafter  betragen  und  wegen  seines  süssen  Wassers  be- 
kannt ist  und  deshalb  Tawi  el-Asel,  d.  h.  der  tiefe  Honigbrunnen, 
Nachtigal.  I.  4 


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t.  BUCH,  2.  KAPITFX.  REISE  NACH  FEZZÄN. 


f)0 

genannt  wird , sondern  passirten  noch  zwei  Halbwudjän  mit  dem 
Namen  cl-Dochöla  und  lagerten  an  diesem  Tage  (28.  Februar) 
nach  neun  Stunden  guten  Marsches  am  Fusse  der  breiten  Hügel- 
kette, welche  den  W.  Zemzem  vom  W.  Hei  trennt.  Dieselbe  heisst 
Omni  el-Ghirb.il,  wie  die  sich  daran  schlicsscnde  Ebene,  welche  sich 
allmählig  gegen  den  W.  Bei  hin  abdacht,  von  einigen  Halbwudjän 
desselben  Namens  unterbrochen  ist  und  immer  ausschliesslicher  den 
Charakter  vollständigster,  steiniger  Wüste  trägt. 

Auf  dieser  Ebene  Serirat  Omni  el-Ghirbäl  näherten  wir  uns 
in  der  an  den  verflossenen  Tagen  eingehaltenen  Richtung  am  1 . März 
dem  W.  Bei,  überschritten  die  breite  Vegetationslinie  desselben  und 
lagerten  nach  siebenstündigem  Marsche,  der  in  Folge  der  geringen 
Verlockung  der  Kameele  durch  Futterkräuter  etwas  beschleunigter 
als  gewöhnlich  gewesen  war,  in  einem  langgestreckten  Thalc,  das 
den  W.  Bei  nicht  erreicht,  mit  üppigem  Kameelfutter  bedeckt  war 
und  Qrärat  Chämir  cn-Neqäb  heisst.  Der  folgende  Tag  brachte  uns 
dann,  anfangs  über  kalkige  Sandniederungen,  welche  noch  etwas 
Krautwuchs  erzeugten,  und  dann  über  eine  allen  Lebens  baarc 
Steinwüste,  in  fünf  Stunden  nach  B11  N’dscheVm,  dem  nördlichsten 
Orte  der  Provinz  Fezzän. 

In  Mitten  einer  kahlen  Kalkcbene  Kerkaf  mta'  Bü  N'dscheim 
weithin  sichtbar,  macht  dieser  Bezirksort  einen  wahrhaft  trostlosen 
Eindruck  mit  seinem  halb  zerstörten,  finsteren,  unbewohnten  Kastell 
und  den  wenigen  Hütten  zu  seinen  Füssen,  und  würde  es  in  der 
Nähe  noch  mehr  thun,  wenn  nicht  einige  kümmerliche  Gärten  mit 
vereinzelten  Dattelbäumen  die  einförmige  Ocde  in  Etwas  unterbrächen. 
Das  Bild  erschien  wohl  noch  trauriger  als  gewöhnlich,  da  ein  starker 
Wüstenwind  aus  Westen  die  Atmosphäre  mit  Staub  und  Sand  erfüllte 
und  das  Ganze  in  einen  dichten,  gelbgrauen  Schleier  hüllte.  « 

Die  arme,  kaum  200  Seelen  zählende  Einwohnerschaft,  welche 
dem  Stamme  der  Urfilla  angehört,  hat  nur  ein  sehr  beschränktes 
Areal  ackerfähigen  Bodens  und  besitzt  von  Hausthieren  nur  einige 
Kameele  und  Esel.  Zehn  Minuten  östlich  von  der  Oase  liegt, 
halb  im  Sande  verschüttet,  eine  ausgedehnte  römische  Ruine,  die 
Mauern  eines  mäclrtigen  vierseitigen  Gebäudes,  von  Osten  nach 
Westen  300  Schritt  lang,  von  Norden  nach  Süden  200  Schritt  tief, 
mit  abgerundeten  Ecken  und  gewölbten  Eingangsthoren  nach  den 
vier  Himmelsrichtungen,  die  bis  zu  ihren  Bogen  verschüttet  waren. 


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nC  nd’scheTm.  51 

In  Mitten  der  weiten  Arena  standen  einige  viereckige  Pfeiler  auf- 
recht. 

Der  Wind  schwieg  am  Abend,  so  dass  wir  wenigstens  für  die 
vier  wasserlosen  Tage,  welche  uns  bis  zur  Gegend  von  Söqna  bevor- 
standen, ungefährdet  unsere  Schlauche  füllen,  unsere  Nahrung  ohne 
allzureichliche  Zugabe  von  Sand  gemessen  und  der  Ruhe  pflegen 
konnten,  ohne  im  Sande  begraben  zu  werden.  Doch  am  nächsten  Mor- 
gen erhob  er  sich  zeitig  wieder  in  der  früheren  Stärke  und  aus  der- 
selben Richtung,  die  Atmosphäre  verschleiernd,  Alles  in  Sand  hüllend, 
Nase  und  Ohren  verstopfend  und  unsere  Haut  und  Augen  empfindlich 
peinigend.  Der  Zerfall  der  offen  zu  Tage  liegenden  Kalk-  und  Gyps- 
schicht  der  Gegend  liefert  das  Material  zu  der  sandigen  Masse,  welche 
nicht  nur  die  abhängigen  Stellen  der  Gegend  ausfüllt,  sondern  durch 
die  Macht  des  Windes  zu  Hügeln  zusammengeweht  wird. 

Die  spärliche  Vegetation  der  vergangenen  Tage  verseil  wand 
mehr  und  mehr;  gespenstisch  erschienen  in  unklaren  Umrissen  die 
Sand- und  Kalkhügel  durch  die  nebelhafte  Atmosphäre,  und  schweigend 
kämpften  Thiere  und  Menschen  gegen  die  Gewalt  des  Sandsturmes. 
Nichts  kennzeichnet  den  Weg,  bis  einige  Stunden  weiter  ein  Keläja 
genannter  Hügel  sich  aus  der  allmahlig  ansteigenden  Ebene  empor- 
hebt und  weiterhin  ein  riesiger  Wegweiser  in  Gestalt  eines  mächtigen 
rundlichen  Kalkblockes,  der  auf  der  Spitze  eines  Hügels  diesen  gleich- 
sam erdrücken  zu  wollen  scheint  und  el-Bazina*)  heisst,  den  Reisenden 
orientirt. 

Die  ansehnlichen  Flussthäler,  welche  weiter  nördlich  von  den 
Ausläufern  des  Ghariängebirges  und  von  den  Ostabhängen  der  Ham- 
mäda  el-Hamrä  zur  grossen  Syrte  verlaufen,  vermisst  man  hier;  nur 
unbedeutende  Bodenabflachungen  treten  zuweilen  unter  dem  Schutze 
der  niedrigen  Hügel  als  flache  Thäler  auf,  wie  um  die  Mitte  unseres 
Iagemarsches  die  wegen  der  Menge  zu  Tage  liegender  Salze  Nukbat 
el-Miläh,  d.  h.  Salzloch,  genannte  Oertlichkeit.  Unsere  Richtung  war 
eine  südliche,  der  Charakter  der  Gegend  derselbe  trostlose,  wüste 
und  einförmige,  bis  nach  achtstündigem  Marsche  ansehnlichere  Hügel 
ihre  unklaren  Umrisse  durch  die  verdüsterte  Atmosphäre  zeichneten. 


*)  ISa/ina  ist  der  in  Tripolis  übliche  Name  fiir  den  steifen  Mehlbrei  von  halbkugliger 
f"nu,  welcher  im  nordöstlichen  Afrika  bis  in  die  Negerländer  hinein  das  vorwaltende 
bericht  bildet.  Die  Form  des  Felsblockes  veranlasste  im  vorliegenden  Falle  die  Be- 
nennung. 

4* 


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!.  »ICH,  2.  KAPITF.l..  REISE  NACH  FKZZÄN. 


52 

Mit  ihnen  erstand  wieder  ein  kümmerlicher  Pflanzenwuchs  und  in 
ihrem  Schutze  trachteten  wir  dem  rasenden  Winde  zu  entgehen. 
Alles  musste  platt  auf  den  Boden  gelagert,  kein  Zelt  konnte  aufge- 
schlagen werden,  denn  die  Gewalt  des  Sturmes,  der,  oft  in  Wirbeln 
einherbrausend,  gespenstisch  über  die  Ebene  hinschwebende  grau- 
gelbe Sandhosen  mit  sich  führte,  schien,  entgegen  der  Beobachtung 
an  den  verflossenen  Tagen,  gegen  Abend  noch  zunehmen  zu  wollen. 
Im  Anfänge  der  Nacht  jedoch  veränderte  er  allmählig  seine  westliche 
Richtung  in  eine  nördliche  und  endlich  in  eine  östliche,  legte  sich 
dabei  fast  ganz  und  behielt  nur  gerade  noch  Kraft  genug,  um  uns 
aus  der  grossen  Syrte  einige  nach  dem  trockenen  Wüstenwinde 
erquickende  Feuchtigkeit  zuzuführen. 

Schon  am  nächsten  Tage  änderte  sich  der  Charakter  der  Land- 
schaft durch  verschiedene  von  Südvvest  nach  Nordost  streichende 
Höhenzüge,  die  wir  in  Südsüdwestrichtung  zu  passiren  hatten.  W ir 
überstiegen  die  erste  dieser  Ketten,  welche,  aus  einem  breiten  System 
von  Hügeln  bestehend,  mehrere  Stunden  zu  ihrer  Ueberwindung 
erforderte  und  Dschebel  el-M’halla  heisst,  durch  den  gleichnamigen 
Churmat  el-M'halla,  d.  h.  Pass  der  Kriegscolonnc,  passirten  den 
zweiten,  Osch.  Bü  Naadscha,  und  den  dritten,  Dsch.  Bü  Atela,  an 
ihren  südwestlichen  Enden,  und  zogen  eine  kurze  Zeit  am  westlichen 
Kusse  eines  vierten,  des  Dsch.  Tuzizzet,  hin,  bis  dieser,  unsere  Weg- 
richtung schneidend,  ebenfalls  seine  Uebersteigung  erforderte.  Ehe 
wir  seinen  Pass  erreichten,  stiessen  wir  auf  ein  von  ihm  ausgehendes 
Flussthälchen,  das  sich  bald  im  Sande  verliert  und  einen  kleinen 
Bergkegel  auf  seinem  Ufer  trägt,  der  wegen  seiner  regelmässigen 
Form  von  den  Arabern  el-Cheima,  d.  h.  das  Zelt,  genannt  wird. 
Die  Hügel  der  genannten  Ketten  von  vorwiegend  kalkiger  Structur 
sind  so  eng  mit  einander  verbunden,  dass  sie,  aus  der  Ferne  ge- 
sehen, als  ununterbrochene  Kammlinien  erscheinen. 

Mit  den  Erhebungen  nahm  auch  die  Vegetation  wieder  zu,  und 
Kameelheerden  bewiesen  die  Nähe  von  Menschen.  Diese  waren 
ebenfalls  Urfilla,  doch  besuchen  in  anderen  Jahren  auch  andere 
Stämme  diese  Weideplätze.  Der  Wassermangel  der  Gegend  ist 
natürlich  eine  erhebliche  Schwierigkeit  für  die  dortige  Existenz; 
doch  es  ist  bekannt,  dass  bei  frischen  Kräutern  die  Kameele  der 
Tränkung  nicht  bedürfen,  und  von  den  Leuten  behauptete  man, 
dass  sie  sich  gänzlich  auf  die  Milch  jener  als  Getränk  beschränkten. 


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SF.RiK  UND  HAMMÖOA. 


53 

Nur  für  Kinder  und  Kranke  sollten  sic  zeitweise  von  dem  nächsten 
der  fernliegenden  Brunnen  einige  Schläuche  Wassers  holen,  sonst  aber 
sogar  zu  ihrer  religiösen  Waschung  sich  des  Milchserums  bedienen, 
ln  Wahrheit  schienen  sie  etwa  alle  Woche  aus  einem  entfernten 
Brunnen  so  viel  Wasser  zu  entnehmen,  als  ihr  Besitz  an  Schläuchen 
ermöglichte,  sonst  aber  hauptsächlich  von  Milch  zu  leben.  Die 
Kameele  dieser  Gegend  geniessen  eines  ausgezeichneten  Rufes  und 
sind  viel  starkknochiger,  muskulöser  und  fettreicher  als  die  des  Küsten- 
saumes. 

Wir  überschritten  den  Churmat  et  -Tuzizzct  am  5.  März  in  Süd 
sudostrichtung  und  hatten  dann  östlich  vom  Wege  nur  noch  eine 
weite  Ebene.  Auch  westlich  hörten  die  Ausläufer  des  Gebirges  auf, 
und  bald  zogen  wir  über  eine  der  schon  erwähnten  wüsten  Ebenen 
hin,  welche,  jeden  Lebens  baar,  zwar  nicht  der  Vorstellung  ent- 
sprechen, die  man  sich  noch  allzu  oft  in  Europa  von  der  grossen 
Wüste  macht,  und  die  von  Sand  unzertrennlich  ist,  aber  die  Sahara 
am  meisten  charakterisiren.  In  mittlerer  Erhebung  gelegen,  den 
• felshartcn , ausgedörrten  Boden  dicht  bedeckt  mit  kleinen,  vielfach 
abgeschliffenen  Steinen  auf  einer  dünnen  Lage  dunkelgelblichen 
Staubes,  jeder  Vegetation  entbehrend,  führen  sic  die  Bezeichnung 
Scrir,  welches  Wort  eine  Ebene  bedeutet,  die  sich  über  ihre  Um- 
gebung erhebt.  Sie  unterscheiden  sich  von  den  Hammäden  oder 
wüsten  Hochebenen  nur  durch  die  höhere  Lage  der  letzteren  und 
die  grösseren  und  unregelmässigeren  Steine,  mit  denen  dieselben  be- 
deckt sind.  In  beiden  bilden  sich  durch  Verwitterung  flache  Erosions- 
Thaler  mit  Tafelbergen,  deren  Höhe  dem  Niveau  des  umgebenden 
Terrains  entspricht  und  ihren  ursprünglichen  Zusammenhang  mit  dem- 
selben zeigt,  und  welche  deshalb  „Zeugen"  genannt  werden. 

Wie  gewöhnlich  legten  wir  einen  Tagemarsch  von  etwa  acht 
Stunden  zurück,  passirten  das  Flussthal  W.  Zcmäm,  das  von  Westen 
nach  Osten  verläuft,  und  erblickten  gegen  Ende  desselben  bei  ge- 
ringerer Verschleierung  der  Atmosphäre  westlich  einen  Höhenzug 
und  östlich  eine  Berggruppe.  Jener  giebt  sowohl  dem  W.  Zemärn 
Ursprung,  als  auch  den  am  folgenden  Tage  (6.  März)  passirten  Fluss- 
thalern,  den  Wudjän  Häd  Bit  Tobel,  Tenin  und  Tallia  Bit  Tobel, 
von  denen  der  erste  und  letzte  einem  reisenden  tripolitanischcn  Kauf- 
mann Namens  Tobel  zu  Ehren,  ihre  Namen  führen. 

Der  Gebirgszug  verläuft  von  Nordnordwest  nach  Südsüdost  und 


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54 


I.  BUUI,  2.  KAP1TEI..  REISE  NACH  KI.ZZAS. 


scheint  keinen  Gesanimtnanien  zu  haben,  sondern  nur  in  seinen 
Theilen  nach  den  von  ihm  entspringenden  Flussthälcrn,  welche  sich 
mehr  oder  weniger  nach  Nordost  wenden,  benannt  zu  werden.  Wir 
folgten  dem  W.  Talha  Hü  Tobel  aufwärts  bis  zu  seinem  Ursprünge 
am  Südende  des  Höhenzuges,  der  dort  in  den  Dsch.  et-Tär,  eine  aus- 
gedehnte Gebirgsgegend,  jenseits  welcher  die  Ebene  von  Söqna  liegt, 
übergeht,  und  lagerten  sehr  ermüdet  nach  neunstündigem  Marsche 
im  Churmat  et-Tär  nahe  einem  Hrunnen  desselben  Namens. 

Das  Gebirge  besteht  aus  einer  Menge  einzelner  Gruppen  von 
wilden,  zum  Theil  wundervollen  Formen.  Kegel-  und  pyramiden- 
förmig erheben  sich,  die  Felsparthiecn,  geschieden  durch  Thäler  mit 
Wasserbetten,  welche  offenbar  erst  vor  Kurzem  gefüllt  gewesen 
waren  und  nach  den  kahlen  Gegenden  der  verfllossenen  Marschtagc 
uns  mit  ihrer  frischen  Vegetation  den  wohlthuendsten  Eindruck 
machten.  Während  meine  Leute  aus  dem  Hrunnen,  dessen  Wasser 
fast  das  Niveau  des  umgebenden  Hodens  erreicht,  einen  kleinen  Vor- 
rath cinnahmcn,  erstieg  ich  einen  der  bedeutenderen  steilen  Kegel, 
der  auf  Kalk,  Thon  und  Schiefer  gelagerten  dunklen  Sandstein  trug, 
und  sich  etwa  300  Meter  über  die  Ebene  erhob. 

Nach  fünfstündigem  Marsche  durchschnittlicher  Südrichtung  lag 
der  Pass  hinter  uns;  westlich  vom  Wege  erblickten  wir  noch  einige  Aus- 
läufer des  Gebirges,  während  vor  uns  auf  der  andern  Seite  sich  zwei 
herrliche  Herggruppen,  der  Dsch.  Hamöra  und  der  Dsch.  Türirin,  aus 
der  Ebene  von  Söqna  erhoben.  Diese  letztere  wird  von  breiten  und 
schmalen  Wasserbetten  durchschnitten,  welche  aus  dem  Dsch.  et-Tär 
kommen,  dicht  mit  Futterkräutern  bestanden  waren  und  sich  süd- 
östlich bald  in  der  Ebene  verlieren.  Jenseits  der  vor  uns  liegenden 
Ebene  nahmen  die  dunkeln  Häupter  der  schwarzen  Herge  von  Söqna 
den  südlichen  Horizont  ein.  Nachdem  wir  unsern  Weg  in  Südsüd- 
west-Richtung noch  durch  einige  Stunden  fortgesetzt  hatten,  lagerten 
wir  nach  etwas  mehr  als  sechsstündigem  Marsche  am  westlichen 
Fusse  des  Dsch.  Hamöra. 

Je  mehr  wir  uns  der  Stadt  Söqna  näherten,  desto  häufiger  zeig- 
ten sich  die  Spuren  von  Menschen  und  diese  selbst.  Die  Meisten 
waren  Urtilla,  einige  auch  Leute  aus  Hün.  Schon  seit  dem  Churmat 
et-Tuzizzet  gehört  der  Grund  und  Boden  eigentlich  zu  Söqna,  doch 
beackern,  besäen  und  beweiden  ihn  zur  Zeit  des  Regens  diejenigen, 
welche  zuerst  temporären  Besitz  von  ihm  ergreifen. 


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DAS  (JEHIRCJE  et-tar  und  DIE  DSCHüFKA.  / {> 5 

Die  Ebene  Söqna's,  welche  im  Norden  vom  lisch.  ct-Tär,  im 
Süden  durch  den  Dsch.  es-Södä  begrenzt  wird,  steigt  nach  Westen 
allmählig  zu  dem  wüsten  Hochlande  der  Hammäda  el-Hamrä  auf, 
umfasst  nach  Osten  noch  die  kleinen  Oasen  von  Hün  und  Waddän 
und  wird  el-Dschofra  genannt.  Sie  besteht  aus  kalkhaltigem  Sand- 
boden, dem  häufig  Thon  beigemischt  ist,  und  in  dem  man  nicht 
selten  Salz  und  Gyps  findet.  Die  erwähnten  grösseren  und  kleineren 
Wasserläufe,  welche  vom  Dsch.  et- Tür  oder  seinen  südlichen  Aus- 
läufern kommend,  sie  in  grosser  Anzahl  durchziehen,  sind  von  Norden 
nach  Süden  die  Wudjän  Nüweir,  Malih,  et-Tär,  Tenizzelen,  Urfelli, 
Hamöra,  welche  vom  W.  Urfelli  gesammelt  und  nach  Südosten  zu 
baldiger  Versiegung  abgeführt  werden.  Weiterhin  werden  die  Wudjän 
Dinden,  en-Nusf,  Ferdschän,  Meter  im  W.  Ferdschän  vereinigt,  der 
sich  unmittelbar  nördlich  von  der  Stadt  nach  Osten  wendet,  um  sich 
in  der  Gegend  von  Hün  in  der  Salz-  oder  Sebcha -Ebene  Aqärib  zu 
verlieren.  Hün  liegt  etwas  mehr  als  eine  halbe  Tagereise  östlich 
von  Söqna  und  um  ebenso  viel  weiter  in  derselben  Richtung  liegt 
Waddän,  eine  Colonie  von  Schurafä  (Mehrzahl  von  Scherif,  der  Nach- 
komme des  Propheten).  Von  beiden  ist  Hün  der  volkreichere  Ort, 
stellt  jedoch  selbst  in  dieser  Beziehung  gegen  Söqna  weit  zurück. 

Die  Stadt  Söqna,  eine  Hauptetappe  unserer  Reise,  war  nahe; 
es  genügte,  am  nächsten  Morgen  erst  gegen  neun  Uhr  aufzubrechen, 
um  bei  Zeiten  einzutreffen.  Der  Tag  war  herrlich  warm,  die  Euft 
klar  und  durchsichtig.  Doppelt  schön  präsentirten  sich  die  pracht- 
vollen Formen  des  Dsch.  Türirin  im  Südosten  und  ein  mit  zierlichem 
Palmcnhain  bestandener  Sandhügel,  dem  wir  uns  zuwandten,  im 
Süden.  Derselbe  hat  an  seinem  Fusse  zwei  Brunnen  guten  Wassers, 
anderthalb  Meter  tief,  und  wird  el-Hamam  genannt,  wegen  seines 
Reichthums  an  Tauben,  und  nicht  etwa  el-Hammäm  (das  warme 
Bad),  wie  er  heissen  könnte,  wenn  warmes  Brunnen-  oder  Quellwasser 
auf  ihm  vorhanden  wäre.  Nicht  weit  von  ihm  verbarg  uns  ein  gleich- 
falls mit  Palmen  bewachsener  Sandhügelzug  den  Anblick  der  Stadt. 
Als  derselbe  überschritten  war,  lag  diese  mit  ihrem  riesigen  Kastell, 
einigen  Minarcts  und  ihren  Mauern  und  Thoren  vor  uns,  und  um 
Mittag  schlugen  wir  in  einem  dicht  an  die  Stadt  stossenden  Garten 
unser  Lager  auf. 

Alsbald  erschienen  die  Notabilitäten  der  Stadt,  der  Mudir  Sfdi 
Ahtnädi  Billäh  und  der  Vorsitzende  des  Rathes,  der  Baschalläh 


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5l? 


. Ill'CH,  KAPITKI..  REISE  NACH  KEZZAS. 


Hadsch  Mohammed  und  zwei  Brüder  des  Letzteren,  um  mich  zai  be- 
grüssen.  Es  waren  liebenswürdige,  verständige  Herren,  von  denen  be- 
sonders der  Baschalläh  ein  erfahrungsreicher,  weit  gereister  Kaufmann 
war,  der  wiederholt  eine  öffentliche  Rolle  in  seiner  Heimath  gespielt 
hatte.  Sie  waren  berberischen  Ursprungs,  wie  die  Masse  der  Ein- 
wohnerschaft, ohne  dass  sie  trotz  ihrer  relativen  Bildung  anzugeben 
gewusst  hätten,  aus  welcher  Gegend  ihre  Vorfahren  gekommen  waren 
und  welchem  Stamme  sie  angehört  hatten.  Sie  wussten  nur,  dass 
dieselben  vor  etwa  300  Jahren  aus  Westen  eingewandert  waren  und 
die  Stadt  gegründet  hatten,  in  welcher  gleichzeitig  die  umliegenden 
Dörfchen  der  Dschofra  aufgingen,  ln  der  That  gehört  ein  erheb- 
licher Bruchtheil  der  Einwohner  dem  arabischen  Stamme  der  Riäh 
an,  welche  jedoch  zur  Winterszeit  mit  ihren  Kameelen  in  weide- 
reichere  Gegenden  ziehen.  Die  Masse  des  Volkes  spricht  einen 
besonderen  berberischen  Dialcct,  der  grosse  Aehnlichkeit  mit  dem 
von  Ghadämcs  hat;  jedoch  Alle  verstehen  und  sprechen  arabisch. 
Früher  wurde  die  Dschofra  von  Tripolis  aus  verwaltet,  jetzt  gehört 
sie  administrativ  zu  Fezzän,  das  seinen  Verwaltungsbezirk  sogar  bis 
auf  Bi»  N dscheim  ausgedehnt  hat. 

Die  Herren  klagten  sehr  über  den  Verfall  aller  Verhältnisse  und 
die  Abnahme  der  Bevölkerung.  Noch  im  Anfänge  des  Jahrhunderts, 
zur  Zeit  el-Muqni's,  ja  selbst  spater,  als  Abd  el-Dschltl  durch  seine 
rebellischen  Unternehmungen  die  .dortige  Welt  aufrührte,  sei  Söqna 
viel  mächtiger  und  bevölkerter  gewesen;  jetzt  könnten  sie  höchstens 
500  waffenfähige  Männer  stellen,  ohne  freilich  den  schwarzen  Bruch- 
theil der  Bevölkerung  mitzurechnen.  Es  schien  nach  Allem  wahr- 
scheinlich, dass  Söqna  noch  gegen  300c  Seelen  in  seinen  Mauern 
berge. 

Die  Stadt  bildet  ein  längliches  Septagon,  das  seine  grösste  Aus- 
dehnung von  Nordost  nach  Südwest  hat,  und  dessen  längste  Seite  die 
nach  Westen  gekehrte  ist.  Sie  hat  sieben  Thorc  und  zweiunddreissig 
Bastionen  an  den  Ringmauern,  die  aus  Kalkstein  mit  Mörtel  erbaut 
sind  und  keinen  sehr  vertrauenerweckenden  Eindruck  machten:  wenig- 
stens schienen  die  Stützbalken  der  Thore  und  diese  waren  nur  aus 
l’almcnholz  geschnitten  das  solideste  Element  der  Umschliessung 
zu  sein.  Es  giebt  fünf  Moscheen  Dschämi'a  von  denen  zwei 
mit  unscheinbaren  Minarets  geziert  sind,  und  drei  Elementarschulen 
Mcdresa  - in  der  Stadt.  Alles  wird  hoch  überragt  von  dem 


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sügXA. 


57 


riesigen  Kastell,  das,  gänzlich  verfallen,  jetzt  keinerlei  Zweck  mehr 
dient.  Von  seiner  Höhe  hat,  man  einen  herrlichen  Rundblick  über 
die  Umgegend,  deren  Einzelnheiten  mir  einer  der  Rriider  des 
Baschalläh  mit  grosser  Liebenswürdigkeit  erläuterte. 

Gerade  im  Westen  der  Stadt,  in  der  Entfernung  eines  halben 
Tagemarsches,  liegt  die  Berggruppe  Qannäsa;  im  Nordwesten,  zwischen 
dieser  und  dem  Tär-Gebirge,  der  einzelne  Berg  Machrik,  der  haupt- 
sächlich dem  W.  Urfelli  Ursprung  giebt;  im  Südwesten  Quweirat  er 
Riäh  und  Bü  Schiqfa,  Berggruppen,  welche  ebenfalls  nur  einen  halben 
Tageinarsch  von  der  Stadt  entfernt  sind.  Zwischen  dieser  und  den 
schwarzen  Bergen,  welche  den  südlichen  Horizont  einnehmen,  liegen 
die  einzelnen  Berge  Qäret  esch-Schäusch  im  Südsüdwesten,  Tamzcrükt 
im  Süden,  und  linizoghen  el-Atja  im  Südsüdosten,  und  den  ostsüd- 
östlichen Horizont  begrenzt  die  Gebirgsgruppe  Filqi. 

Von  der  finsteren  Linie  des  Dsch.  es-Sodd  liessen  sich  die  Ein- 
zelheiten nicht  mehr  deutlich  erkennen,  da  sich  der  Sandwind  wieder 
zu  erheben  begann.  Stadt,  Strassen  und  Menschen  boten  nichts 
Bemerkcnswerthes.  Wenn  ich  die  Stadt  mit  später  gesehenen  ver- 
gleiche, so  bildet  sie  einen  Uebergang  von  den  kleineren  Ortschaften 
der  Nordkiistc  zu  den  im  eigentlichen  Kczzan  gelegenen.  Noch  sind 
Steine  häufiger  zum  Bauen  verwendet  als  weiter  südlich;  doch  figu- 
riren  die  an  der  Sonne  getrockneten  Klumpen  thoniger  Erde,  schlecht 
geformte  Luftziegeln,  anstatt  jener  häufiger,  als  in  grösserer  Nähe 
der  Nordküstc.  Schon  ist  die  Dattelpalme  mit  ihrem  faserigen 
Hoizc  als  Baumaterial  in  ihre  Rechte  getreten,  doch  erlaubt  die 
Nahe  von  Tripolis  noch,  häusliche  Utensilien  aus  Holz  von  dort  zu 
beziehen. 

Die  Einwohner  der  Stadt  verwendeten,  ihrem  Berbercharakter 
entsprechend,  offenbar  viel  Sorgfalt  auf  die  Cultur  ihrer  Garten. 
Auf  den  Regen  kann  dabei  nicht  gerechnet  werden,  denn  derselbe 
fallt  natürlich  sehr  selten  — beispielsweise  hatte  es  in  dem  gerade 
beendigten  Winter  vier  Mal,  jedes  Mal  mit  geringem  Niederschlage, 
geregnet  ; vielmehr  wird  das  Wasser,  welches  sich  fast  überall  in 
der  'I  iefe  von  höchstens  fünf  Metern  unter  der  Erdoberfläche  findet, 
aus  Ziehbrunnen,  welche  Esel  in  Bewegung  setzen,  vertheilt.  Der 
Garten  wird  zu  diesem  Zwecke  in  kleine  eingedämmte  Vierecke  ge- 
theilt,  zwischen  denen  ausgegypste  Canäle  hinlaufen,  und  man  sorgt 
durch  abwechselnde  Eröffnung  und  Vcrschliessung  der  verschiedenen 


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I.  11UCH,  2.  KAPITEL.  REISE  NACH  l'EZZAX. 


58 


Damme  dafür,  dass  jedes  Viereck  wenigstens  einmal  in  der  Woche 
während  eines  ganzen  Tages  unter  Wasser  steht.  In  den  östlichen 
Gärten  findet  sich  sieben  Klafter  tief  ein  zur  Gartenbewässerung  sehr 
geschätztes,  laues  Wasser. 

Man  cultivirt  in  den  Gärten  Gerste  und  Weizen,  deren  grosse 
und  volle  Aehren  der  Reife  nahe  waren,  und  später  im  Jahre  Durra 
(Sorghum)  und  Duchn  (Penicillaria),  welche  vom  Spätsommer  bis 
Spätherbst  geerntet  werden.  Ausserdem  gab  es  Klee-  und  Zwiebel- 
felder, Radieschen,  Tomaten,  Melüchia  (Corchorus  olitorius),  Rohnen, 
und  ausser  den  Datteln  gewann  man  Aprikosen,  Pfirsiche,  Granat- 
äpfel, Feigen,  Mandeln,  wenn  auch  in  geringer  Menge;  ja  sogar 
zwei  Apfelbäume  sah  ich  in  verhältnissmässigem  Wohlsein. 

Das  Thierleben  der  Gegend  ist  nicht  von  Bedeutung.  Kameele, 
Esel,  Ziegen  bilden  die  Hausthiere;  Pferde  und  Rinder  existiren  nur 
in  ganz  vereinzelten  Exemplaren.  Von  jagdbaren  Thieren  giebt  es 
Gazellen,  Hasen  und  Füchse,  doch  auch  diese  nur  in  geringer  Zahl. 

Es  war  gut,  dass  ich  schon  am  Tage  unserer  Ankunft  Stadt 
und  Gärten  besichtigt  hatte,  denn  am  Abend  desselben  erhob  sich 
ein  heftiger  Südwind,  der  während  des  ganzen  folgenden  Tages 
(10.  März)  mit  ungeschwächten  Kräften  anhielt  und  die  ganze  Atmo- 
sphäre so  verfinsterte,  dass  man  selbst  ganz  nahe  Gegenstände  nur 
unklar  zu  sehen  vermochte.  Der  Staub  und  die  hochgradige  Hitze 
um  2 Uhr  Nachmittags  stieg  das  Quecksilber  auf  43 0 C. 
machten  jede  Thätigkcit  fast  unmöglich;  erst  gegen  Abend,  als  sich 
der  Wind  abschwächte,  konnte  man  daran  denken  zu  essen,  zu 
sprechen  und  umher  zu  blicken,  ohne  Mund  und  Augen  voll  Santi 
zu  bekommen.  Auch  im  Laufe  des  11.  März  erhob  sich  der  Wind 
wieder,  so  dass  wir  die  beabsichtigte  Abreise  noch  einen  Tag  hinaus- 
zuschieben uns  veranlasst  sahen. 

Die  Herren  der  Stadt  Hessen  es  während  der  Zeit  unserer  An- 
wesenheit nicht  an  guter  Bewirthung  fehlen,  und  Fleisch  und  beson- 
ders schönes  Weizenbrod  erschien  uns  als  ein  seltener  Genuss, 
obgleich  wir  noch  keinen  Monat  die  materiellen  Genüsse  der  Haupt- 
stadt entbehrt  hatten.  Zur  Weiterreise  Hess  ich  einen  kleinen  Vor- 
rath von  Brod  backen  und  kaufte  auch  einen  Krug  jener  flüssigen 
Butter,  welche  die  Araber  ausschliesslich  zum  Essen  benutzen  und 
durch  Kochen  aufbewahrungsföhig  machen. 

Mit  zwei  frischen,  kräftigen  Miethkamecicn  nahmen  wir  am 


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L'BERSTF.IOUNO  I'EK  SCHWARZEN  UERCE.  50 

12.  März  unsere  Reise  wieder  auf,  hielten  uns,  während  wir  an  einem 
palmenbewachsenen  Sandhügel  mit  den  Quellen  Aweinat  cn-Näsi 
und  an  der  kleinen  Dattelpflanzung  el-A’arcscha  im  Thale  des  von 
Süden  kommenden  W.  Hamämis,  der  zum  W.  Ferdschän  geht,  vor- 
überzogen,  südsüdwestlich  und  schlugen  nach  einigen  Stunden  eine 
südwestliche  Richtung  ein.  Die  ganze  Ebene  war  durchzogen  von 
Halbwudjän,  deren  grüne  Baumlinien  hin  und  wieder  aus  dem  Staub 
nebel  tauchten  und  mehr  oder  weniger  gegen  den  W.  Hamämis  hin 
liefen,  bestand  jedoch  selbst  aus  einförmiger  Scrir.  Westlich  am 
Wege  blieb  der  isolirte  Kegel  Qäret  cr-Riah;  östlich  verlief  die  Berg 
gruppe  Bü  Schiqfa  fast  parallel  unserm  Wege  von  Nordost  nach 
Südwest,  wo  sie  eine  ähnliche  Gruppe,  welche  weiter  westlich  von 
Norden  nach  Süden  verläuft  und  Chischm  es- Sultan  heisst,  erreichen 
zu  wollen  schien. 

Zwischen  beiden  und  den  schwarzen  Bergen  entsteht  eine  Art 
Kessel  in  den  von  Süden,  Westen  und  Osten  die  zeitweiligen  Berg- 
wasser sich  sammeln,  che  sic  in  die  Ebene  von  Söqna  zum  W. 
Ferdschän  abgeführt  werden.  Durch  dieses  Thal,  das  den  be- 
zeichnenden Namen  el-Meläqi,  d.  h.  der  Sammler,  führt,  und  in  dem 
von  Südosten  der  W.  I.afnüd,  von  Süden  der  W.  el-Ahläq  und  von 
Südwesten  der  W.  el-Bir  zusammenlaufen,  führte  unser  Weg  zum 
Gebirgspass,  zu  dem  wir  in  den  Windungen  des  letztgenannten  der 
Abflussbetten  über  Sand  und  Stein,  Kalkboden  und  Basaltstück- 
chen zwischen  dunklem  Sandstein  einige  Stunden  hindurch  aufstiegen, 
bis  wir  nach  achtstündigem  Tagemarsche  unter  einer  ansehnlichen 
Sajälakazie  am  Bir  Godefa  lagerten. 

Dieser  Brunnen,  welcher  ausgezeichnetes  Wasser  in  der  Tiefe 
von  nahezu  fünf  Meter  enthalt,  liegt  in  einem  Bergkessel,  etwa 
500  Meter  über  dem  Meeresspiegel  und  fast  200  Meter  über  der 
Ebene  von  Söqna.  In  dem  westlichen  Umfange  des  Kessels  bildet 
das  Thal  el-Maurid  den  Ausgang.  Wir  benutzten  diesen,  folgten 
dann  für  kurze  Zeit  dem  Bette  des  W.  el-Wischqa,  der  aus  Süd- 
■ westen  kommt,  bis  zum  Passe  desselben  Namens,  und  fielen  mit  dem 
Nebcnthale  desselben,  Luschäka,  in  die  frühere  Südsüdwestrichtung 
zurück.  Etwas  weiter  westlich  führt  der  sogenannte  Tariq  et-Tittäwin, 
d.  h.  der  Weg  der  Quellen,  und  im  Osten  am  Fussc  des  den  öst- 
lichen Horizont  begrenzenden  Höhenzuges  Dsch.  Nefda  der  Tariq 
esch-Schantar,  d.  h.  der  Postweg,  in  das  eigentliche  Fczzän.  Wir 


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. BUCH,  2.  KAPITEL.  REISE  NACH  KEZZAN. 


60 

wanden  uns  durch  die  Hügel  und  über  ihre  Rücken  hinweg,  bald 
mehr  nach  Osten,  bald  mehr  nach  Westen  von  der  südlichen  Richtung 
abweichend,  überschritten  den  W.  Zeqär,  der  aus  Westsüdwesten 
kommend  seine  Wasser,  wie  die  vorher  passirten,  dem  Meläqi,  zu- 
sendet, und  stiegen  in  seinem  Zuflussthalc  Tafermi,  das  aus  Südwesten 
kommt,  stetig  und  allmählig  aufwärts. 

Durch  schwarzen  Eisensandstein  und  Basalt  nehmen  die  Berge 
ringsum  einen  düsteren  Charakter  an,  und  nur  liier  und  da  bleibt 
der  auf  Thon  ruhende  Kalk  frei  von  der  schwarzen  Bedeckung 
Bald  stiegen  wir  eine  ziemlich  steile  Höhe,  Dahär  el-Mümin,  hinan, 
deren  breiter  Rücken  eine  mit  kümmerlicher  Vegetation  gezierte  Ab- 
flachung, el-Mädschena,  d.  h.  die  Mulde,  trägt,  und  erreichten  jenseits 
dieser  nach  fünfstündigem  Tagemarsche  die  höchste  Erhebung  des 
l’asses.  Von  hier  hatten  wir  einen  weiten  Ueberblick  über  die 
schwarzen  Berge,  sahen  den  Dalnlr  cs-Södä,  die  höchste  Erhebung 
im  westlichen  Thcile  des  Gebirges  und  den  Qäret  et -Tafermi,  den 
höchsten  l’unkt  in  der  östlichen  Hälfte  desselben.  Näher  lag  uns 
im  Westen  der  Qalb  Warqän,  im  Nordwesten  Qäret  cs-Zeqär  und 
vor  uns  im  Süden  zeigten  sich  die  einzelnen  Berghäupter  Qalabät 
elHamädät. 

Von  der  Passhöhe,  welche  etwa  700  Meter  über  dem  Meeres- 
spiegel liegt,  stiegen  wir  ziemlich  rapide  bergab,  überschritten  den 
W.  Bü  Freja  und  jenseits  eines  Hügelrückcns  die  VVudjän  Meisa  und 
Bü  Talha  und  nächtigten  bald  darauf  im  Bette  des  W.  Bü  1-Haschim. 
Dieser  entspringt,  wie  die  drei  vorhergenannten,  aus  dem  westlichen 
Thcile  des  Gebirges  und  bildet,  mit  ihnen  sich  weiter  östlich  ver- 
einigend, den  W.  Musci'rät,  der  sich  dann  bald  in  der  Ebene  verliert. 
Ein  klarer,  windloser  Morgen  lockte  uns  mit  seiner  Kälte  wir 
hatten  gegen  Sonnenaufgang  nur  40  C.  zu  frühem  Aufbruch,  als 
gerade  der  Kameel -Postbote  von  Murzuq  eintraf  und  schicklicher 
Weise  erst,  wenn  auch  einfach  mit  Datteln,  bewirthet  und  ausgefragt 
werden  musste. 

Öiesc  K amcelpost,  welche  allwöchentlich  einmal  von  Tripolis 
und  von  Murzuq  abgeht  und  den  Weg  in  achtzehn  Tagen  zurück- 
legt, während  andere  Reisende  mindestens  eine  Woche  mehr  noth- 
wendig  haben,  ist  eine  der  wenigen  Wohlthaten,  welche  die  türkische 
Regierung  für  Tripolitanien  geschaffen  hat.  Mit  gut  gezüchteten 
Rennkameelen  der  Tuärik  Mahäri  würde  diese  Frist  noch 


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GEGEND  SÜDLICH  VOM  DSCH.  ES-SÖDÄ. 


61 


erheblich  herabgemindert  werden  können,  doch  stände  allerdings  zu 
furchten,  dass  diese  kostbaren  Thiere  den  klimatischen  Hinflüssen  der 
Küste  nicht  Stand  halten  würden.  An  den  Hauptstationen  werden 
die  Ersatzkameele  zur  festgesetzteu  Zeit  bereitgehalten,  und  der  Ver- 
waltungschef entnimmt  der  verschlossenen  Posttasche,  zu  der  er  einen 
Schlüssel  besitzt,  die  dir  ihn  und  seinen  Bezirk  bestimmten  Briefe. 
Der  Bote  übernimmt  auch  gegen  Vergütung  die  Besorgung  von 
Packeten,  und  ich  bekam  später  in  Murzuq  durch  seine  Vermittlung 
aus  Tripolis  recht  ansehnliche  Kisten. 

So  lange  der  westliche  Theil  des  Dsch.  es-Södä  noch  nahe  war, 
folgte  Flussthal  auf  Flussthal.  Die  meisten  verlaufen  von  Westnord- 
west nach  Ostsüdost,  sind  flach,  mit  kiesigem  Bette  auf  lehmiger 
Unterlage,  und  die  Träger  einer  Vegetation,  die  aus  Sajalakazien, 
Coloquinthen  und  verschiedenen  Gräsern  besteht.  Das  zwischen  ihnen 
gelegene  Terrain  trägt  entweder  den  Charakter  der  Serir  und  erhebt 
sich  dann  nur  wenig  über  das  Niveau  der  Flussbetten,  oder  besteht 
aus  steinigen,  mit  Basaltstücken  beworfenen  Hügelrücken,  lieber 
einen  solchen  stiegen  wir  aus  dem  Bette  des  W.  Bü  1-Haschim  in 
das  Thal  des  W.  Tenqesir  hinab  und  strebten  in  der  gewohnten 
Sudsüdwestrichtung  den  sich  einige  hundert  F'uss  über  die  Ebene 
erhebenden  Bergkegeln  Qalabät  Moqris  zu,  zwischen  denen  durch 
wir  das  flache  Thal  des  seichten  W.  Moqris  el-Ghäriq  betraten. 
Derselbe  verliert  sich  in  der  Flbene  nach  Osten  zu,  wie  der  folgende 
W,  Moqris  es-Samah  und  auch  der  W.  Ghäncn,  nachdem  sich  der- 
selbe zuvor  mit  dem  folgenden  W.  Finqer  vereinigt  hat.  Am  W. 
Ghänen  begegneten  wir  einer  kleinen  Karawane  fröhlicher,  gut  ge- 
haltener Sclaven,  mit  denen  wir  uns  durch  unzählige  Haies  und  Afia's 
begrüssten,  und  mit  deren  Herren  wir  die  gewöhnlichen  Höflichkeits- 
bezeugungen und  F'ragen  und  Antworten  austauschten.  Im  W.  F'inqer 
hat  in  seltenem  Gemeinsinn  ein  Wohlthäter  der  Menschheit  sich 
durch  Construction  eines  Brunnens  verewigen  wollen.  Als  man  nach 
langer  Arbeit  auf  Wasser  gestossen  war,  wollte  er,  sagt  man,  sich 
selbst  von  dem  PIrfolge  überzeugen,  stürzte  aber  dabei  in  den  Schacht 
und  fand  seinen  Tod.  Man  grub  ihm  sein  Grab  unter  einer  nahen 
Sajälakazie,  der  Brunnen  aber  blieb  unvollendet. 

Die  ganze  Gegend  steigt  von  W.  Bü'  1-Haschim  an  allmählig  an, 
besonders  aber  nach  der  Passage  des  W.  Finqer,  bis  wir  nach  einem 
1 agemarsche  von  mehr  als  acht  Stunden  jenseits  des  W.  Temeschin 


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02 


I.  BUCH,  2.  KAPITEL.  REISE  NACH  FEZZÄN. 


lagerten,  an  einer  Stelle,  wo  ein  gewisser  Maqirsi  ebenfalls  vergeblich 
versucht  hat,  einen  Brunnen  graben  zu  lassen. 

Für  die  folgenden  Tage  fehlte  nicht  allein  das  Wasser,  sondern 
all  und  jedes  Kameelfutter,  das  wir  bisher  wenigstens  stets  noch  in 
den  zahlreichen  Flussthälcrn  gefunden  hatten.  Wir  brachen  am 
15.  März  erst  spat  am  Vormittage  auf  und  betraten,  nachdem  bald 
die  letzten  Umrisse  der  schwarzen  Berge  unseren  Augen  entschwun- 
den waren,  eine  unabsehbare,  ansteigende,  durch  zahllose  Stückchen 
schwarzen  Eisensteins  dunkelgefärbte  Ebene,  die  Maiteba  Soda  oder 
schwarze  Maiteba,  welche  mit  ihrer  höchsten  Erhebung  und  einem 
dichteren  dunkeln  Belag  sich  scharf  absetzt  gegen  die  folgende,  etwas 
unter  ihrem  Niveau  liegende  Maiteba  Hamrä.  Diese  hat  dieselbe  C011- 
figuration  wie  die  erstere,  unterscheidet  sich  aber  von  ihr  durch  das 
bräunliche  Gestein,  mit  dem  sie  bedeckt  ist,  und, das  zusammen  mit 
dem  Staube  seines  Zerfalls  ihr  den  Namen  der  rothen  Maiteba  ver- 
lieh. Auch  sie  steigt  allmählig  an  und  schneidet  in  ihrer  höchsten 
Erhebung  mit  einem  stumpfen  Kamme  weissen  Kalksteins  ab. 

Von  dem  höchsten  Punkte  der  Gegend,  dem  Endpunkt  der 
schwarzen  Maiteba,  erblickten  wir  vor  uns  das  scharf  abgeschnittene 
Ende  einer  von  Westen  heranziehenden  Hügelkette,  das  sogenannte 
Qoff*)  el-Gharbi  und  in  noch  weiterer  Ferne  das  ebenso  geformte 
Ende  eines  von  Nordosten  kommenden  1 löhenzuges,  das  Qoff  esch- 
Scherqi.  Wir  hielten  in  unserer  bisherigen  Wegrichtung  gerade  auf 
das  Qoff  el-Gharbi,  bis  wohin  sich  eine  charakteristische  Serir  aus- 
dehnt. Diese  ist  durch  den  W.  Warqan  unterbrochen,  der  mit  seiner 
fast  ausschliesslichen  Vegetation  von  Coloquinthen  — Handal  sich 
nach  Südosten  zu  verliert. 

Vom  endlich  erreichten  Qoff  el-Gharbi,  das  aus  einem  sand- 
bedeckten  Kalkhügel  mit  grobem  Sandstein  besteht,  und  offene 
Kalkzüge  in  die  Ebene  schickt,  betraten  wir  die  weite,  sanft  an- 
steigende Serir  Ben  Afien,  welche  in  einer  Breite  von  reichlich  fünf 
Stunden  vor  uns  lag  und  an  grossartiger  Einförmigkeit  alle  bis 
dahin  gesehenen  Ebenen  der  Art  übertraf.  Nichts,  woran  das  Auge 
haften  konnte,  auch  nicht  die  leiseste  Spur  von  Leben,  ein  voll- 
ständiges Bild  der  Leere  und  Unendlichkeit.  Nirgends  fühlt  der 
Mensch  sich  so  klein  und  verloren,  und  doch  wieder  nirgends  so 

*)  Ooft  licleiitet  eine  steinige  Erhebung. 


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MAITEBA,  QOEF  UNI>  RAMLA.  63 

stark  und  gehoben,  als  im  Kampfe  mit  dieser  hülfloscn  Verlassenheit, 
im  leblosen,  scheinbar  unbegrenzten  Raume.  Wüstenreisen  machen 
den  Menschen  ernst  und  nachdenklich,  und  die  echtesten  der  Wüsten- 
sohne, die  Tuärik  und  die  Tubu,  welche  ihr  ganzes  Leben  in  diesem 
einsamen  Kampfe  gegen  den  weiten,  wüsten  Raum  verbringen,  haben 
ein  fast  finsteres  Aussehen,  zu  dem  keine  harmlose  Heiterkeit  mehr 
zu  passen  scheint.  Der  finstere  Charakter  dieser  niederdrückenden 
Grossartigkeit  wurde  erhöht  durch  einen  neuen  Sandsturm  aus  Süden 
mit  allen  seinen  kleinen  Leiden  im  Gefolge.  Unter  seinem  Einflüsse 
und  dem  der  beginnenden  Dunkelheit  hatten  wir  schliesslich  die 
Richtung  verloren  und  legten  uns,  sobald  wir  dessen  inne  wurden, 
nach  neunstündigem  Tagemarsche  zur  Nachtruhe  nieder. 

Bei  klarerer  Luft  führte  uns  der  Anblick  eines  fernen  Sand- 
hügel/.uges,  der  als  Ramla  el-Kebira,  d.  h.  der  grosse  Sand,  ein  be- 
kannter Wegweiser  ist,  am  folgenden  Morgen  wieder  auf  den  richtigen 
Weg,  von  dem  wir  nach  Westen  abgewichen  waren.  Bis  zu  diesem 
niedrigen  Dünenzuge,  der,  von  Nord  nach  Süd  verlaufend,  einen 
westlichen  Ausläufer  hat  und  gleichfalls  jeder  Vegetation  entbehrt, 
ist  die  Serir  Ben  Afien  durch  Nichts  unterbrochen.  Jenseits  der 
Sandhügel  wird  das  wüste  Terrain  sanft  gewellt,  erhebt  sich  an  einer 
Stelle  flach  und  breit  als  Arqüb  el-Meschija,  d.  h.  der  Aufstieg  der 
Meschija,  über  die  Umgebung  und  zeichnet  sich  weiter  durch  vier- 
zehn regelmässig  angeordnete  tiefere  Bodenwellen  aus,  deren. Tiefen 
unter  dem  Namen  el-Ahfär,  d.  h.  die  Gruben,  zusammengefasst 
werden. 

Kein  Fremder  wird  einen  Unterschied  zwischen  dieser  Gegend 
und  der  iibrigen  steinigen  Wüste  bemerken,  doch  der  Araber,  der 
in  der  Einförmigkeit  seiner  Umgebung  viel  Sinn  für  die  kleinsten 
Verschiedenheiten  derselben  hat,  kennt  denselben  sehr  gut  und  ent- 
deckt ihn  aus  weiter  Ferne.  Von  Welle  zu  Welle  durchzogen  wir 
die  Einöde;  vergebens  hoffte  das  gelangweilte  Auge  von  jeder 
folgenden  eine  Aenderung  der  Sceneric;  selbst  eine  geringe  Terrain- 
erhebung, mit  Eisensandsteinstücken  besäet,  welche  als  Ruheplatz 
für  die  von  ümm  el-Abid  kommenden  Karawanen  dient  und  den 
Namen  Qureinfätu  führt,  konnte  in  dieser  Beziehung  nicht  befrie- 
digen. Nach  achtstündigem  Marsche  in  unserer  gewöhnlichen  Süd- 
südwestrichtung passirten  wir  diesen  Ort,  strebten  einer  kaum  merk- 
lichen Erhebung  zu,  welche  unter  dem  Namen  Räs  et-Tubäwi,  d.  h. 


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I.  Bl'CH,  2.  KAPITEL.  RF.ISF.  NACH  FEZZAN. 


Ö4 

der  Vorsprung  des  Tubu,  bekannt  ist,  und  lagerten  nach  weiteren 
zwei  Stunden  jenseits  des  Musallä  es-Sultän,  d.  h.  Hetplatz  des  Königs, 
genannten  Punktes  in  äusserster  Iürmüdung  kurz  vor  dem  Eintritt  in 
die  Sandhügelregion  des  Ramla  es-Srhira,  d.  h.  des  kleinen  Sandes. 

Fast  täglich  begegneten  wir  jetzt  kleinen  Sclavenkarawancn, 
doch  war  Haltung  und  Physionomie  der  Armen  im  Ganzen  recht 
zufriedenstellend.  Gut  gekleidet  und  genährt,  scheinbar  heiter  und 
zufrieden,  zogen  sie  dem  Ende  ihrer  mühseligen,  leidensvollen  Wan- 
derung entgegen.  Der  Handel  mit  Sclaven  war  offenbar  noch  in  ziem- 
licher Blüthc,  und  man  fragte  nach  ihrem  Preise  gerade  so  einfach,  als 
man  sich  nach  dem  des  Getreides,  des  Oels  und  der  Butter  er- 
kundigte. 

Der  17.  März  war  der  fünfte  Tag  seit  unserer  Abreise  von  Söqna; 
an  ihm  sollte  durch  die  Erreichung  des  Thaies  von  Omni  el-Abid, 
d.  h.  Mutter  des  Sclaven,  mit  seinen  Brunnen  der  Wassermangel  des 
Weges  sein  Ende  erreichen.  Die  empfindliche  Morgenkälte  (40  C. 
vor  Sonnenaufgang)  sowie  die  Bestrebung,  die  wüste  Sandgegend 
des  Ramla  es-Srhira  möglichst  bald  hinter  uns  zu  haben,  brachten 
uns  zum  frühen  Aufbruch.  Die  Sandgegend  vor  uns  sollte  eigent- 
lich Ramla  el-Kebira  heissen,  denn  sie  übertrifft  an  Ausdehnung  bei 
weitem  die  Abends  zuvor  passirten  Dünen.  Die  ganze  Region  er- 
streckt sich  in  wüstem  Gewirre  von  Nordost  nach  Südwest  und  be- 
steht aus  einfachen  Dünenhügeln,  Kalkbergen  und  Sandsteinfelsen. 
Der  sichtbare  Weg  hört  hier  bei  dem  geringsten  Winde  sofort  auf, 
doch  war  der  Sand  trotz  der  gänzlichen  Abwesenheit  von  Feuchtig- 
keit stellenweise  hart  genug,  um  Menschen  und  Kameelc  zu  tragen. 

Nach  einstündiger  Arbeit  hatten  wir  die  eigentlichen  Sandberge 
überschritten,  sandbedeckte  Kalkhügcl  traten  in  den  Vordergrund, 
und  weiterhin  Felsen  von  grobem,  zerbröckeltem,  verwittertem  Sand- 
stein, die  mehr  oder  weniger  im  Sande  stecken  und  sich  nicht  über 
100  Fuss  hoch  erheben.  Diese  Gegend  heisst  Mahiaf  KneYr,  und 
einer  der  Felsen,  der  von  regelmässiger  Kegelform  auf  seiner  Spitze 
einen  plumpen  Kopf  vortäuscht,  ist  unter  dem  Namen  el-Ame'ima, 
d.  h.  der  kleine  Turban,  bekannt.  Von  der  Höhe  desselben  Übersicht 
das  Auge  nach  Süden  eine  weite  unregelmässig  gewellte  Ebene,  ein- 
gefasst von  Berggruppen  und  einzelnen  Kegeln  und  durchsetzt  von 
Hügeln  und  Thälcrn.  Nach  Südwesten  setzt  sich  die  eben  über- 
wundene Region  weithin  fort,  sich  durch  die  helle  Farbe  ihres  Sandes 


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HATTIJA  OMM  F.I  -ABll). 


(;.*) 

scharf  von  der  Umgebung  abhebend.  Westlich  am  Wege  sahen  w ir 
ein  Flussbett  nach  Südwest  verlaufen,  das  von  seiner  ausschliesslichen 
Tamarix -Vegetation  W.  el-Etel  genannt  wird,  und  vor  uns  einen 
Ruis  el-Bäbüschi  genannten  Höhenzug,  von  dem  wir  in  die  Hattija 
Omm  el-Abid  niederstcigen  sollten. 

Der  Sand  hört  hier  allmählig  auf,  lässt  Kalkgestein  durch- 
brechen, bedeckt  sich  hier  und  da  mit  Gras  und  Hadkraut  (Cornulaca 


Zweig  von  Häd  (Cornulaca  monocantha)  in  etwas  verkleinertem  Maaststabe. 


monocantha),  dem  besten  Kameelfutter  jener  Gegend,  wird  durch 
Thonboden  und  einen  kleinen  ausgetrockneten  Sebcha  unterbrochen 
und  schliesst  gänzlich  ab  mit  einem  breiten,  flachen  Thale,  das  sich 
verschiedener  kleiner  Wasserbetten  erfreut  und  von  Ost  nach  West 
erstreckt.  Diese  Rinnsale  haben  ein  lehmiges  Bett,  heissen  Tlahät 
cl  Mansüri  und  verlieren  sich  alsbald  in  der  Ebene. 

Sobald  jenseits  des  Thaies  der  genannte  niedrige  Höhenzug  über- 
schritten war,  begann  eine  reichere  Vegetation,  welche  ihren  Höhepunkt 

Nachteil.  I.  b 


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[.  BICH.  2.  KA1MTF.I..  REISE  MACH  KF.ZZÄN. 


HC, 

erreichte  in  der  angestrebten  Hattija  mit  ihren  Dattelpalmen  und  Tama- 
risken, ihren  Gräsern  und  Futterkrautern  unter  diesen  besonders  der 
von  den  Kameelen  geliebte  Aqul(Alhagi  Maurorum)  , ihren  Sandstein- 
hügeln und  Wasserspenden.  An  den  letzteren,  deren  eigentlich  zwei 
waren,  ein  Wasserloch  unmittelbar  unter  der  Bodenoberfläche  in  der 
Tiefe  des  Thaies  — Ain  Omm  cl-Abid  und  ein  Galerie-Brunnen 
Fuchchär  Omm  el-Abid  schlugen  wir  nach  siebenstündigem  Marsche 


Zweig  von  Ai|til  (Allingi  Mnurorum)  in  verkleinertem  Mnnsa»iabe. 


unser  Lager  auf.  Der  letztere  Brunnen,  dessen  System  aus  verticalen 
Brunnenlöchern  besteht,  welche  durch  horizontale,  passend  inclinirte 
Canäle  verbunden  sind,  und  der  natürlich  sorgfältiger  Instandhaltung 
bedarf,  war  zwei  Klafter  tief,  aber  versandet  — merdüm  — . 

Die  Hattija  - das  Wort  bedeutet  eine  fruchtbare  Ebene,  kleine 
Oase  Omm  cl-Abid  kann  als  das  östliche  Ende  des  langgestreck 
teil  W.  Schijäti  angesehen  werden,  das  südlich  von  der  Hammäda 
el-Hamrä,  zwischen  ihr  und  den  östlichen  Ausläufern  der  Dünen 


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OASE  sirrhen’. 


rt? 

Edeien*)  liegt.  Hier  beginnt  der  Archipel  der  Oasen,  welche  das  eigent- 
liche Fezzan  bilden  und  in  kurzen  Zwischenräumen  auf  einander  folgen. 
Schon  nach  drei  und  einer  halben  Stunde  Südwestrichtung  erreichten  wir 
die  Dattelpflanzungen  von  Sirrhen,  nachdem  wir  über  Kalk-  und  Sand- 
steinhügel, Serir  und  Sand,  an  den  Kegeln  Rüs  el-Ghelät,  welche  etwa 
150  Fuss  hoch  westlich  vom  Wege  bleiben,  vorübergezogen  waren. 

Als  wir  in  Sicht  des  ersehnten  Grün  der  Pflanzung  — Rhäba  — 
kamen,  waren  wir  von  ihr  getrennt  durch  eine  Niederung,  die  von 
länglichen  mit  Domran  (Traganum)  und  Etelbüschen  bestandenen 
Sandhügelchen  — Siüf  (Mehrzahl  von  Seif,  das  eigentlich  Säbel 
heisst,  uneigentlich  aber  auch  scharf  getormte  kleine  Sandhügel  be- 
deutet — durchsetzt  war.  Nachdem  sich  die  Kameele  in  dem  Dom- 
rän  gütlich  gethan  hatten,  zogen  wir  noch  fast  eine  Stunde  durch 
die  Dattelpflanzungen  und  Gärten  der  Ortschaft  auf  diese  selbst  zu. 

Sirrhen  ist  ein  Städtchen  mit  jetzt  verfallenen  Ringmauern  von 
150  Wohnstätten,  Häusern,  die  aus  kalk-  und  sandhaltigem  Lehm 
gebaut  sind  und  einen  nur  unzulänglichen  Schutz  gegen  Regen  ge- 
währen. Ein  verfallenes  Kastell  — Qasr  — , aus  demselben  Material 
erbaut,  doch  mit  mächtigen  Wänden,  ragt  im  Centrum  hoch  über 
die  niedrigen,  würfelförmigen  oder  länglichen  Häuschen  mit  ihren 
platten  Dächern  empor.  Die  800  bis  1000  Einwohner  sind  Zejädin 
(Mehrzahl  von  Zeidän)  von  Foghaa  im  östlichen  Fezzän  und  als 
solche  Muräbidija,  d.  h.  gehören  einem  Stamme  von  erblich  religiösem 
Charakter  an.  Sie  sind  die  Herren  des  Städtchens ; mit  ihnen  wohnen 
Leute  aus  dem  Nomaden -Stamme  der  Meqäriha,  deren  eigentliche 
Sitze  im  W.  Schijäti  sind.  Zwei  Stunden  Südsüdwest  von  Sirrhen 
beginnt  die  Oase  von  Semnu,  getrennt  von  jener  durch  eine  Serir, 
auf  der  eine  Sandhügelreihe  die  genaue  Mitte  zwischen  beiden  Städt- 
chen bezeichnet.  Wir  zogen  an  Sirrhen  vorüber,  um  in  der  Mitte 
des  Nachmittags  auf  der  Westseite  von  Semnu  unser  Lager  aufzu- 
schlagen. 

Das  Städtchen  Semnu  hat  ebenfalls  keine  eigentliche  Ringmauer 
mehr,  doch  ein  reinlicheres  und  besser  unterhaltenes  Aeussere  als 
Sirrhen  und  weniger  verfallene  Gebäude,  in  deren  Construction  aller- 
dings der  Lehm  vorwaltet,  aber  auch  guter,  zum  Theil  schwarzer  Sand- 


*)  Kdeien  ist  die  Mehrzahl  von  Idehi  und  eine  generelle  Bezeichnung  für  Düne  im 
Tuink-Dialecte  der  Berhersprache. 


6* 


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IW 


I.  KUCH,  2.  KAPITF.I..  RFISK  NACH  KKZZAN. 


stein  verwendet  ist.  Neben  dein  Charakter  grösserer  Solidität,  den 
ihnen  das  Baumaterial  verlieh,  machten  die  Häuser  dadurch,  dass 
sic  vielfach  gcweisst  waren,  auch  einen  freundlicheren  Eindruck. 

Das  Qasr,  welches  auch  diese  Stadt  überragt,  ist  zur  Zeit  Abd 
el-ÜschhTs  erbaut  worden,  ein  fast  quadratisches  Gebäude  mit  vier 
Eckthürmen,  dicken  Mauern  mit  Schiessscharten  in  der  oberen  Etage, 
in  welcher  Galerien  ringsherumlaufen,  und  einem  offenen  Hofraum 
in  der  Mitte.  Zwei  Minarets,  wenn  auch  nur  von  geringer  Höhe, 
gesellen  sich  zu  den  vier  Eckthürmen  des  Schlosses  und  bilden  mit 
den  zahlreichen  Dattelpalmen,  welche  von  allen  Seiten  die  Stadt 
tiberragen,  ein  malerisches  und  graziöses  Ensemble. 

Das  Städtchen  bildet  ein  unregelmässiges  Viereck,  dessen  Seiten 
nach  den  vier  Himmelsgegenden  gerichtet  sind.  Die  Strassen  sind 
so  eng,  dass  sie  nicht  einmal  beladenen  Kameelen  den  Durchtritt 
gestatten,  sondern  gerade  nur  zur  Circulation  der  Bewohner  hin- 
reichen. 

Die  Stadt  soll  sehr  alt  sein,  wenn  auch  zur  Zeit  Abd  el-Dschlü’s 
Vieles  erneuert  wurde.  Sie  zählte  250  Hausstände  Ilausch  — , 
also  etwa  1202  bis  1500  Einwohner,  welche  theils  Muräbidija,  wie 
die  Leute  von  Sirrhen,  theils  gemischte  Eezzäncr,  theils  Araber,  und 
zwar  ebenfalls  Meqärfha,  sind,  während  früher  viele  der  Auläd 
Solimän  ihren  Dattelbcsitz  daselbst  hatten.  Die  Einwohner  leben 
meist  von  Gartencultur,  unternehmen  zuweilen  Handelsreisen  und 
treiben  nur  sehr  wenig  Viehzucht.  Einige  Kameele,  kleine  Ziegen- 
heerden,  die  nöthigen  Esel  zur  Bewässerung  der  Gärten,  hier  und 
da  ein  Pferd,  bilden  ihren  ganzen  Viehbestand.  Im  Qasr  überraschte' 
mich  der  ungewohnte  Anblick  zweier  Pferde,  welche  dem  Bezirks- 
vorsteher gehörten,  der  folgenden  Tages  mit  uns  nach  seinem  Wohn- 
orte Temenhint  zu  gehen  beabsichtigte. 

Die  Cultur  des  Bodens  erstreckt  sich  auf  Dattelpalmen,  deren 
Früchte  auf  den  Markt  von  Murzuq  gebracht  werden,  auf  Weizen, 
Gerste,  Duchn  und  Durra.  Die  Gärten  waren  sauber  gehalten  und 
gut  geflegt,  zeigten  aber  in  der  Mannichfaltigkeit  der  Erzeugnisse 
schon  einen  erheblichen  Abstand  von  denen  Söqna's.  Die  Dattelpalmen 
iiberwogen  erheblich  und  waren  zum  Theil  prächtige,  schöne  Bäume: 
doch  die  Weizen-  und  Gerstefelder  waren  bei  weitem  nicht  so  üppig, 
der  Klee  kümmerlicher  als  in  Söqna,  und  von  Fruchtbäumen  gedieh 
in  einigen  wenigen  Gärten  nur  etwa  ein  vereinzelter  Granatapfelbaum, 


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OASK  StMNir.  tili 

eine  dürftige  Weinrebe  oder  ein  leidlicher  Feigenbaum.  Das  Wasser 
zur  Bewässerung  der  Garten  wird  nahe  der  Oberfläche  im  Kalk  und 
Lehmboden,  in  grösserer  Tiefe  unter  dem  Sandstein  gefunden,  so 
dass  die  Brunnen  in  ihrer  Tiefe  variiren  von  zwei  bis  zu  zwöli 
Klaftern.  Das  Wasser  ist  klar,  wohlschmeckend  und  süss. 

Regen  ist  selten  und  unerwünscht,  nicht  allein,  weil  er  die  Lehm- 
hauser .hinwegwäscht,  wenn  er  cinigermassen  reichlich  ist,  sondern 
auch,  weil  die  Bewohner  für  die  Dattel-  und  Gartencultur  die  regel- 
mässige Brunnenbewässerung  vorziehen.  Die  Dattelpalme  soll  ihren 
Fuss  im  Wasser,  ihr  Haupt  in  der  Sonne  haben.  Wenn  die  Früchte 
nach  Regen  schlecht  gcrathen,  so  ist  es  nicht  unwahrscheinlich,  dass 
das  Wasser  desselben  den  Baumwurzeln  durch  seinen  Salzgehalt,  den 
es  aus  dem  Boden  empfangt,  schädlich  wird.  Man  bezeichnctc  mir 
das  Wasser  des  Regens  als  mejit,  d.  h.  todt,  das  des  Bodens  als  hai, 
d.  h.  lebendig,  lebenspendend. 

Mein  Gastfreund  in  Semnu  wurde  ein  freundlicher,  ältlicher  Herr, 
Namens  Bü  Äischa,  der  alsbald  nach  meiner  Ankunft  mich  zu  be 
grossen  und  mir  seine  Dienste  anzubieten  kam.  Er  war  früher  Mudir 
des  Bezirks,  in  dem  Semnu  liegt,  und  der  auch  Sirrhen,  Tcmenhint 
und  Sebha  umfasst,  gewesen  und  bei  Gelegenheit  des  letzten  I’äschä- 
wechsels  in  Murzuq  von  seinem  Amte  abberufen  worden.  An 
seiner  Stelle  war  ein  Bewohner  des  benachbarten  Tcmenhint,  wenn 
nicht  zum  Mudir,  so  doch  zum  Basch -Scheich,  d.  h.  zum  Ober- 
ältesten  oder  Districtsvorstchcr,  ernannt  worden,  was  den  alten  Bieder- 
mann sehr  gekränkt  hatte.  Sowohl  er  als  sein  Vetter,  el-Hädsch 
Dinar,  waren  sehr  geachtete  Muräbidija,  und  Beide  beciferten  sich, 
uns  nach  Kräften  mit  sehr  wohlschmeckendem  Brode  und  fleisch- 
haltiger Sauce  aus  Melüchia  zu  bewirthen.  Wir  blieben  auch  am 
folgenden  Tage  noch  in  dem  gastlichen  Orte,  theils,  weil  ich  noch 
verschiedene  Erkundigungen  bei  den  freundlichen  Leuten  einziehen 
wollte,  hauptsächlich  aber,  weil  Giuseppe  eine  sehr  heftige  Augen- 
entzündung hatte,  und  ein  starker  Sandsturm  sich  aus  Westen  erhob, 
der  wohl  geeignet  schien,  dieselbe  zu  verschlimmern. 

Der  Weg  nach  Temenhint,  der  folgenden  Oase,  die  wir  am 
-O.  März  in  sechs  Stunden  erreichten,  verläuft  in  westlicher  Richtung 
mit  ganz  unbedeutender  Abweichung  nach  Süden  und  führt  durch 
eine  gekugelte  Sandebene,  die  mit  jener  schon  während  der  letzten 
Tage  so  massenhaft  beobachteten  Kameelfutterpflan/.e  Domrän  bc- 


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I 


70  I.  BICH,  2.  KAPITEL.  KElSli  NACH  FEZZ.tN. 

wachsen  ist.  Südlich,  nahe  am  Wege  und  fast  parallel  mit  ihm, 
zeigt  sich  eine  lange  Reihe,  zum  Theil  eng  zusammenhängender, 
abgestutzter  Kegel  von  dunklem  Sandstein,  deren  Zwischenräume 
mit  Sand  ausgefüllt  sind,  die  Mcrei'ti'ba,  und  zwei  von  ihr  abgeson- 
derte vollständige  Kegel,  die  Ruisät  oder  Köpfchen.  Man  durch- 
schneidet dann  ein  kleines  Thal  mit  Dattelpflanzungen,  Namens 
Qurmeda,  das  sich  von  einem  unbedeutenden,  abgestumpften  Kegel 
gleichen  Namens  nach  Nordwesten  erstreckt  und  ausser  den  Dattel- 
palmen, welche  den  Muräbidija  von  Sirrhen  gehören,  noch  Tamarisken 
und  Qataf  (Atriplex)  hervorbringt.  Weiterhin  berührt  der  Wreg  den 
südlichen  Rand  einer  ähnlichen  Dattelpflanzung,  el-Ahsein,  deren 
Ernte  dem  Fiscus  — Bciliq  — gehört.  Eine  dünne  Linie  von  Palmen 
zieht  sich  von  ihr  bis  zu  den  Gärten  von  Tcmcnhint,  welche  wir  über 
steinigen  und  hügeligen  Boden  erreichten,  nachdem  wir  südlich  am 
Wege  noch  einen  vereinzelten  Berg,  Ras  Bir  esch-Schebdni,  d.  h. 
Brunnenkopf  des  Alten,  gelassen  hatten. 

Tcmcnhint  umfasste  133  Hausch,  zählte  also  etwa  800  Einwohner 
und  liegt  reizend  in  der  Mitte  wundervoll  gruppirtcr  Dattelpalmen. 
Doch  mehr  als  ein  Drittheil  der  aus  Lehm  gebauten  Häuser,  wie 
auch  das  Qasr,  waren  im  letzten  Sommer  durch  einen  wolkenbruch- 
artigen Regen  zerstört  worden,  der  nach  Sonnenuntergang  bei  West- 
wind cintrat  und  um  die  Zeit  der  Aschä,  d.  h.  anderthalb  Stunden 
später,  sein  Werk  der  Zerstörung  beendigt  hatte.  Sechs  Menschen 
und  fünfzig  Thiere  verloren  das  Leben  bei  dieser  Katastrophe,  die 
gewiss  ebenso  unerwartet,  als  in  solcher  Starke  unbekannt,  die  Ein- 
wohner kopflos  gemacht  hatte. 

Der  Ort  ist  gegründet  worden  von  Leuten  des  ausgestorbenen 
Stammes  der  Beni  Bedr,  wurde  dann  der  Regierung  der  Auläd 
Mohammed  unterstellt  und  theilte  seitdem  die  Geschicke  der  ganzen 
Provinz.  Die  Auläd  Solimän  sind  später  im  fast  ausschliesslichen 
Besitze  des  Ortes  gewesen.  Die  jetzigen  Bewohner  waren  arme 
Leute,  welche  mühsam  ihren  Lebensunterhalt  durch  Gartcncultur 
und  hin  und  wieder  durch  kaufmännische  Reisen  gewannen.  Sie 
schienen  in  noch  bescheideneren  Verhältnissen  zu  leben,  als  ihre 
Nachbarn  in  Scmnu,  und  konnten  sich  nicht  einmal  zu  einer  gastlichen 
Bewirthung  aufschwingen. 

Bei  der  Weiterreise  am  folgenden  Tage  (21.  März)  erblickten 
wir  am  Ausgange  der  Gärten  zwei  Berggruppen,  cl-Ghräbdt,  nahe 


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Dschedld  in  der  Oase  Sebha.  (S.  71.) 


OASEN  I KMENHINT  UN1>  SEMI 


71 


dem  südlichen  Rande  der  Oase.  Wir  hielten  Südwest-Richtung  ein. 
durchschnitten  eine  sandige  Niederung  mit  Dattelpflanzung,  Namens 
et-Tuweischät,  welche  sich  im  nördlichen  Hogen  bis  zu  den  Garten 
Temenhint's  erstreckt,  liessen  den  Felskegel  Qalaat  el-Mäl  nord- 
westlich am  Wege  und  passirten  den  stets  wasserlosen  W.  el-Ghäzi 
mit  spärlichen  Sandstein -Felsen  auf  seinem  südöstlichen  Ufer.  Die 
Gegend  wurde  tinwirthlicher,  die  Vegetation  ärmer,  bis  wir  gegen 
Ende  des  sechsstündigen  Marsches  von  der  Höhe  des  Dsch.  Ben 
Arif,  eines  Felsens  von  dunklem  Sandstein  horizontaler  Schichtung, 
auf  ein  weites  gewelltes  Thal  hinabschauten,  das  fast  allseitig  von 
einem  Palmengürtel  eingefasst,  die  Oase  Sebha  mit  den  drei  Ort- 
schaften Dschedid,  Qarda  und  Hadschära  bildet.  Wir  stiegen  in  die- 
selbe herab  und  lagerten  nahe  bei  der  erstgenannten  der  drei  Ort 
schäften. 

Dschedid  ist  eine  mit  Ringmauern,  Eckthurmen  und  einigen 
Minarets  versehene  Stadt,  aus  Sandstein,  Lehm  und  Kalk  gebaut, 
die  nicht  so  neu  ist,  als  ihr  Name  - Dschedid  heisst  ,neu'  — an- 
dcuten  könnte.  Sie  soll  vor  280  Jahren  vom  Murabid  Ham  cd  el-Haderi 
gegründet  worden  sein  und  seitdem  an  allen  Phasen  politischen 
Wechsels,  an  denen  Fezzän  so  reich  ist,  lebhaften  Thcil  genommen 
haben.  Auch  die  Oase  Sebha  war  eine  Zeit  lang  fast  ausschliesslich 
in  den  Händen  der  Auläd  Solimän.  Jetzt  zahlt  Dschedid  220  250 

Hauser;  Qarda  erreicht  diese  Zahl  nahezu,  während  Hadschära  es 
auf  nicht  viel  mehr  als  100  gebracht  hat. 

Mauern,  Häuser  und  Thüren  hatten  zwar  etwas  Festeres,  Wohl- 
crhalteneres,  als  die  der  beiden  vorher  berührten  Ortschaften,  doch 
war  Lage  und  Landschaft  weniger  reizvoll  und  freundlich.  Ebenso 
war  mir  der  harmlose,  freundliche  Bü  Ai'scha  in  Semnu  eine  viel 
angenehmere  Erscheinung,  als  der  viel  angesehenere  Mudir  oder 
Regierungspräsident,  der  mir  mit  den  Notabilitäten  der  Stadt  Dschedid 
sofort  seinen  sehr  höflichen,  aber  förmlichen  Besuch  machte.  Das 
gastliche  Abendessen,  bei  dem  sich  der  genannte  Chef  sogar  bis 
zum  Opfer  eines  Huhnes  verstieg,  verrieth  einen  Grad  öffentlichen 
Wohlstandes,  wie  er  den  Leuten  der  benachbarten  Oasen  nicht  eigen 
zu  sein  schien. 

Die  Oase  Sebha  kann  als  das  östliche  Ende  des  langgestreckten 
W.  Ladschal  betrachtet  werden,  der  sich  in  der  Länge  von  einigen  hun- 
dert und  in  der  Breite  von  fast  zehn  Kilometern  von  der  Amsakkctte 


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l'J  ' I.  Ill’lH,  KAIMTKK.  KU  SK  NACH  IKZZAN. 

nach  Ostnordost  erstreckt  und  in  eine  westliche  Hälfte  W.  cl-Gharbi 
und  eine  östliche  W.  esch- Scherqi  - zerfällt. 

Die  nächste  Oase  auf  dein  Wege  nach  Murzuq,  Rhodwa,  ist 
zwei  Tagemärsche  von  Sebha  entfernt.  Wir  hielten  Südsüdwest- 
Richtung  ein,  zogen  über  die  salzhaltige  und  sandreichc  Alluvial- 
schicht des  Bodens  der  Oase  Sebha , hatten  die  Palmenpflanzungen 
Dschedids  nach  einer  Stunde  hinter  uns,  Qarda  im  Osten,  Hadschära, 
das  dem  ersteren  näher  liegt,  im  Nordosten,  die  Berggruppe  Gharibät 
eine  halbe  Tagereise  weit  im  Westen,  und  hielten  auf  einen  niedrigen 
Höhenzug  zu,  der  den  Weg  schneidet  und  den  Namen  Bibän,  d.  h. 
Thore,  führt. 

Die  Ebene  stieg  allmählig  an  und  bestand  aus  reinem  Sande, 
der  auf  seiner  harten  Oberfläche  unter  dem  Einflüsse  des  vor- 
herrschenden Nordostpassat  zart  gewellt  erschien.  Sie  trug  im 
Beginne  humusgemischte  Hiigelchen  mit  Domrän- Büschen,  wurde 
dann  einförmiger  und  kahler  und  war  endlich  ohne  alle  Vegetation. 
Wir  erreichten  die  Bibän,  eine  Reihe  von  Kegeln,  welche  von  West 
nach  Ost  verlaufen  und  in  denen  Sandstein  vorwaltet,  nach  fun! 
Stunden,  passirten  sie  und  noch  drei  andere  ihnen  parallele  Höhen 
züge,  welche  in  weiten  Zwischenräumen  unsern  Weg  schnitten,  und 
betraten  nach  achtstündigem  Marsche  die  Serir  el-Maälü  genannte 
wüste  Ebene. 

Wir  hatten  gehofft,  den  Bircl-Muqni  zu  erreichen,  besonders  da 
der  Brunnen  der  Bibän  seit  lange  versandet  war,  doch  das  alters- 
schwache Tuärik  • Kameel  des  Qatruncrs  hatte  durch  seine  Kraft- 
losigkeit einigen  Aufenthalt  verursacht  und  die  Nacht  stand  bevor. 
Daher  beschlossen  wir  nach  zehnstündigem  Marsche,  in  einem  nahen 
Thale,  das  sich  uns  durch  eine  Linie  von  Sajälakazien  verrieth,  dem 
W.  es-Südäni,  die  Nacht  zu  verbringen. 

Die  Reise  durch  die  Serir  cl-Maälä  (23.  März)  wurde  wieder  sehr 
unangenehm  gemacht  durch  einen  heftigen  Westwind  mit  Sand- 
tromben und  prickelndem  Kies- Regen.  Während  sonst  der  Wind, 
welcher  meistens  aus  der  östlichen  Hälfte  des  Himmels  bliess,  regel- 
mässig mit  dem  Stande  der  Sonne  zu-  und  abnahm,  begleitete  uns 
derselbe  an  diesem  Tage  nicht  nur  bis  zu  unserem  Tagesziele  Rhodwa. 
das  wir  nach  acht  Stunden  erreichten , sondern  hielt  sogar  noch  bis 
Mitternacht  an. 

Die  Ebene  selbst  ist  ausser  von  dem  W.  es-Südäni  noch  von 


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OASK  RIIMIHVA. 


7.i 


einigen  anderen  flussbettähnlichen  Thälern  durchschnitten,  die  sicli 
von  den  zahlreichen  nordwestlich  gelegenen  Berggruppen,  -Ketten 
imd  -Kegeln  nach  Südsüdosten  senken,  und  zeigt  nicht  den  reinen 
Serir- Charakter,  sondern  ist  häufig  durch  Gesteinaufsprünge  und 
Sand  unterbrochen,  und  ihre  Vcgetationslosigkeit  ist  eine  weniger 
absolute.  Nach  sechsstündigem  Marsche  näherten  wir  uns  ihrem 
Ende;  eine  von  Nordost  nach  Südwest  streichende  Reihe  von  Dattel- 
bäumen und  Etelhügeln  tauchte  allmählig  aus  dem  graugelben  Nebel 
des  Wüstenwindes,  und  bald  erreichten  wir  den  Bir  el-Wischqa,  der 
eigentlich  kein  Brunnen,  sondern  eine  unter  einer  freiliegenden, 
anderthalb  Meter  starken  Schicht  Sandstein  zu  Tage  tretende  Quelle 
ist.  Hier  ist  der  Endpunkt  des  W.  Ncschfia,  der  einige  Tagereisen 
nordwestlich  von  Murzuq  im  W.  Otba  beginnt  uud  anfangs  Ostnordost 
und  dann  Nordost  verläuft. 

Bir  el-Wischqa  liegt  am  Eingänge  des  auf  Stunden  sich  aus- 
dehnenden, doch  bedauerlich  vernachlässigten  Palmenhains  von 
Rhodwa.  Dieser  gehörte  grösstentheils  dem  Beiliq  und  auf  diesem 
Umstande  beruhte  sein  Zustand  der  Verwilderung,  der  bedauerlich  mit 
der  Sorgfalt  contrastirte,  welche  sonst  in  Fczzän  von  den  Bewohnern 
aufdicCultur  dieses  nützlichen,  dort  geradezu  unentbehrlichen  Baumes 
verwendet  wird.  Die  überall  aufgeschossenen  Sprösslinge  hatte  man 
versäumt  abgesondert  zu  verpflanzen  und  so  ihrer  vollen  Entwicklung 
entgegenzuführen.  Alles  blieb  da,  wo  es  entstanden  war,  nahm  dem 
Mutterbaume  die  Kraft  und  konnte  selbst  nicht  gedeihen.  So  war 
der  ganze  Hain  ein  dichtes,  oft  undurchdringliches  Gebüsch  von 
Wischqa's,  d.  h.  jungen  ungepflegten  Dattelbäumchen,  die  sich  gegen- 
seitig in  ihrem  Gedeihen  beeinträchtigten  und  wenig  Früchte  trugen. 

Wir  durchzogen  ihn  in  fast  südwestlicher  Richtung  und  erreich- 
ten nach  achtstündigem  Tagemarsche  die  Qubba  des  berühmten 
Muräbid  Sidi  Mesaud  el-Emir  mit  den  Ruinen  des  früheren  Rhodwa 
und  gleich  darauf  das  Dörfchen  selbst.  Dieses  war  die  miserabelste 
von  allen  Ortschaften,  die  wir  seit  Tripolis  gesehen  hatten.  Einige 
Dutzend  Hausstände,  deren  viele  in  Hütten  aus  Palmenblättern  etablirt 
waren,  bildeten  den  Rest  des  früheren  Dorfes,  von  dem  zwei  Drittel 
in  Trümmer  gesunken  waren.  Früher  hatte  die  Cultur  Rhodwa’s  lOO 
Kafis  Datteln  — i Kafis  enthält  24  Kel  oder  fast  4 Centner  ge- 
liefert, jetzt  gab  sie  nicht  mehr  die  Hälfte,  so  dass  die  Einwohner  ein 
sehr  kümmerliches  Leben  führten.  Diese  waren  so  verkommen  in 


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74 


I.  BUCH,  2.  KAPITEL.  REISE  NACH  KEZZÄN. 


ihrer  Arinuth,  dass  sie  sich  zu  keiner  Anstrengung  mehr  aufschwingen 
konnten,  wie  denn  Energie  überhaupt  nicht  zu  den  Eigenschaften  des 
F'ezzaners  gehört.  Früher  war  Rhodwa  der  Sitz  eines  Mudirs  ge- 
wesen; jetzt  existirte  nur  noch  ein  Ehrenmudir  in  Gestalt  eines  alten 
Negers,  der  noch  aus  der  Zeit  Jüsef  Päschä’s  stammte  und  ebenso 
wenig  zu  thun  hatte,  als  er  bezahlt  wurde. 

Wir  hatten  gern  Murzuq  zum  grossen  Bairamfestc,  dem  Id  el- 
Kebir,  das  auf  den  24.  März  fiel,  erreicht.  Da  dies  unmöglich  war, 
so  beschlossen  wir,  den  üblichen  Hammel  in  Rhodwa  zu  schlachten 
und  in  der  uns  zugänglichen  bescheidenen  Weise  den  Tag  festlich 
zu  begehen.  Der  Hammel  kostete  allerdings  nach  unserem  Golde 
zwölf  Mark,  war  jedoch  dafür  von  anerkennenswerther  Fettleibigkeit, 
wie  denn  überhaupt  sämmtliche  Schafe,  Ziegen,  Tauben  und  Hühner 
F'ezzäns  sich  in  dieser  Hinsicht  auszeichnen.  Zu  dem  Hammel  kaufte 
ich  eine  hinlängliche  Quantität  Laqbi,  d.  h.  gegohrenen  Dattcl- 
palniensaft,  um  es  an  der  festlichen  Stimmung  nicht  fehlen  zu  lassen, 
denn  die  eigentlichen  Fezzäncr  unter  meinen  Lenten,  Bui  (d.  h.  Väter- 
chen) Mohammed  und  Ali  Bü  Bekr,  waren  in  dieser  Beziehung  keine 
Kostverächter.  Der  grosse  Dattelhain  von  Rhodwa  lieferte  zwar, 
wie  gesagt,  im  Verhältnis  zu  seiner  Ausdehnung  wenig  Früchte, 
schien  aber  um  so  regelmässiger  zur  Produktion  jenes  beliebten  Ge- 
tränkes ausgebeutet  zu  werden. 

Um  den  Laqbi  zu  gewinnen,  macht  man  eine  Höhlung  im  so- 
genannten Dschummär,  dem  jungen  Holze  der  Dattelpalme,  und  legt 
eine  Röhre  oder  Canüle  in  die  abhängigste  Stelle  derselben,  welche 
den  reichlich  fliessenden  Saft  in  ein  darunter  befestigtes  Gelass  leitet. 
Die  verschiedenen  Bäume  sind  durchaus  nicht  in  gleicher  Weise  zu 
diesem  Zwecke  geeignet,  sondern  verhalten  sich  sowohl  nach  ihrer 
Varietät  als  nach  ihrem  Alter  sehr  verschieden  in  Bezug  auf  die 
Reichlichkeit  und  auf  die  Güte  des  Produktes.  Gut  tragende  Bäume 
wählt  man  nicht  zu  diesem  Zwecke,  da  die  Ernte  des  betreffenden 
Jahres  verloren  ist;  allzu  alte  ebenfalls  nicht,  weil  der  Saft  nur  spär- 
lich fliesst. 

Da  es  bekanntlich  dem  Muslim  verboten  ist,  sich  der  be- 
rauschenden Getränke  zu  erfreuen,  so  wird  der  Laqbi  von  den 
ehrbaren  Gläubigen  nur  im  frischen  Zustande  getrunken,  bevor  es 
durch  die  Gährung  zu  wirklicher  Alkoholbildung  gekommen  ist.  Der 
frisch  ausgeflossene  Saft,  z.  B.  das  Ergcbniss  einer  Nacht,  ist  von 


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I.AQItl  OI>EK  UATTEl.PAl.MENSAKT. 


75 


weisslich  bläulicher  Färbung  und  von  widerlicher  Sussigkeit.  Doch 
der  Zucker  der  Dattelpalme  zerfallt  mit  grosser  Schnelligkeit  und 
am  zweiten  Tage  hat  man  schon  ein  alkoholreiches  Getränk,  beson- 
ders wenn  man  die  Fermentation  durch  unreine,  diesem  Zweck  be- 
ständig dienende  Gefässe  unterstützt.  Wartet  man  mehrere  Tage, 
so  ist  die  saure  Gährung  bereits  eingetreten  und  ein  höchst  unan- 
genehm schmeckender  Essig  hat  sich  zu  bilden  begonnen.  Bei  dem 
rapiden  Uebergange  von  einem  Stadium  in  das  andere  ist  nun  der 
eifrige  Anhänger  des  Propheten  glücklicherweise  schwer  zu  con- 
troliren,  und  unter  dem  Vorgeben  Dattelmost  zu  trinken,  reizt  und 
narkotisirt  mancher  strenge  Gläubige  sein  Gehirn  mit  alkoholreichcm 
Laqbi. 

In  dieser  Beziehung  sind  bekanntlich  die  Mohammedaner  über 
aus  erfindungsreich,  um  ihr  Gwissen  zu  betäuben  und  sich  und  Andere 
zu  tauschen.  Der  Eine  behauptet,  Bier  sei  ein  erlaubtes  Getränk, 
da  es  aus  Gerste  und  Hopfen  gemacht  sei;  ein  Anderer  belehrt 
seinen  unwissenden  Glaubensgenossen,  dass  gebrannte  Wasser,  zu 
deren  Destillation  man  die  Kraft  des  Feuers  verwende,  auf  diese 
Weise  geläutert  seien  und  nicht  in  die  Kategorie  der  verbotenen 
Getränke  fallen;  noch  Andere  sitzen  mit  Europäern  bei  Tische,  ruhig 
ihren  Wein  trinkend,  aber  Sorge  tragend,  jedesmal  etwas  Wasser 
hinzuzufügen,  indem  sie  den  verwunderten  Ungläubigen  auseinander- 
setzen, dass  sie  durch  den  Wasserzusatz  das  verpönte  Princip  tödten. 
Die  Bewohner  der  Insel  Kcrkcna  nahe  der  Ostküste  von  Tunis  pro- 
duciren  eine  grosse  Menge  Wein  und  trinken  ihn  fast  ganz  allein,  indem 
sie  zu  ihrer  Rechtfertigung  geltend  machen,  dass  sie  ihn  in  frischem, 
ungegohrenen  Zustande  geniessen.  Was  den  Laqbi  betrifft,  so  fand 
ich  ihn  im  Anfangs-Stadium  der  Gährung  von  angenehmem,  säuerlich- 
süssem  Geschmacke,  doch  von  sonst  nicht  sehr  angenehmen  Neben- 
wirkungen. Ich  hatte  etwa  ein  Liter  davon  zu  mir  genommen,  und 
wurde  von  der  Fermentationsarbeit,  welche  das  ungewohnte  Getränk 
in  meinem  Magen  mit  ungeschwächten  Kräften  fortzusetzen  schien, 
auf  das  Höchste  belästigt.  Es  dauerte  lange,  bis  ich  durch  eine 
vorsichtige,  mässige  Bewegung  das  unbehagliche  Gefühl  hoch 
gradiger  Flatulenz  verwinden  konnte.  Doch  Bui  Mohammed  und 
Ali  el-F  ezzäni  waren  solider  veranlagt  oder  besser  acclimatisirt;  sie 
tranken  stetig  und  sicher,  bis  der  letztere  seiner  Jugend  entsprechend 
der  Heiterkeit  die  Zügel  schiessen  Hess,  und  der  würdige  Qatrüner, 


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7(>  ' I.  BICH,  2.  KABU  KI..  REISK  NACH  KK//ÄN. 

der  sonst  so  schweigsam  war,  die  wunderbarsten  Geschichten  aus 
seinem  erfahrungsreichen  Leben  zum  Besten  gab. 

Noch  blieben  uns  anderthalb  Tagemarsche  bis  zu  unserem  Reise- 
ziele, und  zwar  ohne  bewohnte  Ortschaften  auf  dem  Wege.  Von 
diesen  bewältigten  wir  am  25.  die  ansehnliche  Tagesarbeit  von  neun 
und  einer  halben  Stunde  in  Stidwestrichtung.  Anfangs  hatten  wir  west- 
lich am  Wege  den  tamariskenreichen  W.  Xeschüa,  in  welchem  nach 
des  Qatrüncr’s  Aussage  das  Wasser  so  nahe  der  Bodenoberfläche  ist, 
dass  man  es  einfach  mit  den  Händen  herauskratzen  kann,  und 
Hessen  östlich  von  uns  eine  Akaziengruppe,  welche  den  Bir  esch- 
Schebäni  birgt.  Das  Terrain  des  Weges  ist  serirartige,  steinige 
Wüste,  stark  gewellt  und  wird  nur  unterbrochen  durch  den  mit 
Sajäiakazien  gezierten  W.  en-Niml  (Ameisenflussthal),  der  von  Süd- 
osten  zum  W.  Neschüa  verläuft.  Dieser  letztere  wich  mehr  und  mehr 
von  unserer  Wegrichtung  nach  Westen  ab  und  als  wir  nach  etwa 
fünfstündigem  Marsche  den  gleichnamigen  Brunnen  in  seinem  Bette 
westlich  von  uns  hatten,  war  er  schon  eine  Wegstunde  von  uns  entfernt. 

Dann  wurde  die  Wüste  durch  Nichts  mehr  unterbrochen,  und 
in  ihr  verbrachten  wir  die  Nacht,  bald  nachdem  wir  einen  Hügel 
auf  dem  ein  Steinhaufe  als  Wegzeichen  aufgerichtet  war,  passirt 
hatten.  In  denjenigen  Gegenden  der  Wüste,  in  denen  sich  keine 
Spur  eines  Weges  erhält,  richtet  man  gerne  auf  den  erhöhten, 
weit  hin  sichtbaren  Punkten  diese  Wegzeichen  — ’Alcm,  in  der 
Mehrzahl  A'aläm,  auf,  welche  der  Vorüberreisende  sich  verpflichtet 
fühlt,  durch  Hinzufugung  einiger  Steine  zu  unterhalten.  Das  in  Rede 
stehende  hiess  ’Alcm  ct-Tcrfäs,  d.  h.  Marke  der  Trüffeln,  welche  in 
jener  Gegend  häufiger  sind,  als  man  erwarten  sollte. 

Wenn  wir  auch  den  folgenden  Tag  leicht  zum  letzten  Reisetage 
hätten  machen  und  Murzuq  erreichen  können,  so  zogen  wir  doch 
vor,  uns  nur  der  Stadt  zu  nähern,  um  unsere  Ankunft  vorher  an- 
melden zu  können.  Unter  heftigem  Winde,  der  ausnahmsweise  sich 
schon  in  der  Nacht  erhob  und  im  Laufe  des  Vormittages  recht  stark 
aus  Nordwest  blies,  zogen  wir  durch  dieselbe  einförmige  Gegend  und 
in  einer  Richtung,  die  gegen  Ende  des  Marsches  eine  ganz  süd- 
westliche wurde,  an  einem  Wege  vorüber,  der  in  mehr  südlicher 
Richtung  von  dem  unsrigen  nach  dem  östlich  von  Murzuq  liegenden 
Dorfe  Delei'm  führt,  bis  Scheqwa,  das  wir  nach  fünf  Stunden  er- 
reichten. 


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SCHEQWA. 


77 


Scheqwa  ist  ein  von  Ost  nach  West  streichendes  Thal  mit 
feuchtem  Sebchagrunde,  in  dem  humusreiche  Sandhügel  mit  Ftcl- 
büschen  und  kleinere  mit  Ghardek  (Nitraria  tridentata)  bewachsen 
sind,  während  in  den  Seitentheilen,  wo  die  Salzkruste  fehlt,  Reihen 
von  Dattelbaumen  stehen.  Der  Ghardek  ist  ziemlich  verbreitet  in 
I'ezzän,  ein  Strauch  mit  röthlichen  Beeren,  die  den  Namen  Damüsch 
oder  nach  Anderen  Müsa  fuhren,  die  Form  kleiner  Oliven  haben, 
ein  scharfes  Princip  enthalten  und  vielfach  gegessen  werden;  man 
sagt,  dies  seien  die  Sagenreichen  Lotusfrüchtc. 

Von  hier  aus  schickte  ich  meinen  officiellen  Begleiter,  den  Polizei* 
Soldaten  Miläd  Abeja  mit  der  Nachricht  meiner  Ankunft  voraus  an 
den  Hadsch  Brähim  Ben  Alüa,  den  Scheich  el-Belcd  oder  Bürger- 
meister von  Murzuq,  an  den  ich  empfohlen  war  und  dem  ich  schon 
mit  der  Post  die  Bitte  ausgesprochen  hatte,  mir  eine  Wohnung  zu 
miethen. 


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Drittes  Kapitel. 

MURZUQ. 


Einzug  in  die  Stadt.  — Allgemeiner  Charakter  derselben  und  ihrer  Umgebung.  — Die 
Brüder  Ben  Alfla.  — Beschreibung  meines  Wohnhauses.  — Beweise  der  Gastfreund- 
schaft. — Besuche  der  Honoratioren.  — Die  Familie  Ben  Alua.  — Andere  hervor- 
ragende Einwohner.  — Der  Gouverneur.  — Meine  Geschenke  und  Erwiderungs- 
besuche. — Hadsch  Brühim  Ben  AlAa  und  der  Theegenuss  in  Afrika.  — Fräulein 
Tinne  und  ihre  Reisepläne.  — Beschreibung  der  Stadt.  — Die  Qasba  und  ihre  Gar- 
nison. — Häuser-  und  Einwohnerzahl.  — Ungünstige  Bodenverhältnisse  der  nächsten 
Umgebung.  — Begräbnissplatz.  — Die  Gärten  der  Stadt.  — Bewässerung  derselben. 
— Hausthiere.  — Monotonie  der  Stadt.  — Der  Marktverkehr.  — Laqhtgenuss  und 
Schnapsfabrikation.  — Bevölkerungselemente  von  Murzuq.  — Die  gebräuchlichen 
Sprachen.  — Kleidung,  Schmuck  und  Haartracht.  — Vergnügungen  der  Einwohner. 
— Musik-  und  Tanzabende.  — Unmoralität  der  Einwohner.  — Mein  täglicher  Lebens- 
lauf. — Die  Leiden  der  Jahreszeit.  — Die  Abende  bei  Fräulein  Tinne.  — Aerztliche 
Thätigkeit.  — Sumpffieber.  — Meine  Nahrungsmittel.  — Schnaps  - Ibrähtm.  — 
Schwere  Krankheit  Fräulein  Tinne’s.  — Plan  »1er  Tibesti -Reise.  — Fräulein  Tinne’ s 
Plan  einer  Reise  zu  den  Tu  Arik. 

Wenige  Stunden  des  27.  März  genügten,  uns  nach  der  Haupt- 
stadt von  Fezzan  zu  bringen.  Nur  eine  Stunde  waren  wir  auf  dem 
wüsten,  steinigen  Terrain,  welches  die  grosse  Oase  von  Murzuq  um- 
giebt,  angestiegen,  als  wir  bei  der  klaren  Atmosphäre  des  Tages  einen 
Blick  über  die  weite  Thalebene  der  Stadt  und  ihrer  Gärten  gewannen 
und  in  südwestlicher  Richtung  gegen  die  erstere  hinabzusteigen  be- 
gannen. Ein  jüngerer  Bruder  des  bereits  genannten  Hadsch  Brüh  im 
kam  mir  zu  Pferde  entgegen,  um  mich  im  Namen  seines  Bruders  zu 
begrüssen  und  in  die  Stadt  zu  führen,  und  musste,  da  ich  selbst  kein 
Pferd  besass  und  zu  Fuss  ging,  aus  Höflichkeit  derselben  Fortbewe- 


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EINZt'C,  IN  DIE  STADT. 


79 


gungsmethode  huldigen.  Er  hiess  Mohammed  und  war  ein  junger 
Mann  von  kaum  mehr  als  zwanzig  Jahren,  von  sehr  kleiner,  untersetzter 
Statur  und  sehr  heller  Hautfärbung.  Während  er  mir  die  Grüsse 
seines  Bruders  und  Vaters  überbrachte,  die  üblichen  Höflichkeits- 
fragen nach  der  Reise  und  unserem  Befinden  an  mich  richtete,  wateten 
wir  durch  den  tiefen  Sandgürtel,  der  die  Stadt  in  nächster  Nähe  nach 
allen  Richtungen  umgiebt,  der  kleine  Mann  in  seinen  arabischen 
Reiterstiefeln  nicht  ohne  Mühe.  Die  wenigen  Gärten,  an  denen  unser 
Weg  vorbeiführtc , waren  gut  gehalten;  das  Getreide  in  ihnen  reifte 
und  stand  vortrefflich;  an  Fruchtbäumen  schien  jedoch  kein  Ueber- 
fluss  zu  herrschen. 

Am  Hauptthore  der  Stadt,  welches  auf  ihrer  Ostseite  liegt  und 
nach  Südosten  sieht,  da  diese  Seite  der  Stadt  von  Nordnordost  nach 
Südsüdwest  gerichtet  ist,  erwartete  mich  der  Hadsch  Brähim  Ben 
Alüa,  die  wichtigste  Person  in  Fezzän,  ein  kleiner,  ziemlich  starker 
Mann  in  der  Mitte  der  Dreissig,  mit  spärlichem  Barte,  von  röthlich- 
grauer  Hautfarbe  und  wohlwollenden  und  dabei  intelligenten  Zügen. 
Seine  grossen,  klaren,  ruhig  prüfenden  Augen  entschädigten  reich- 
lich für  die  weiten  Nüstern  seiner  Nase  und  die  starken  Lippen, 
welche  er  von  seiner  Mutter  geerbt  hatte.  Er  war  sehr  fein  und 
sauber  gekleidet  in  die  Tracht  wohlsituirter  Bewohner  der  Stadt 
Tripolis,  sehr  ruhig,  höflich,  sicher  und  selbstbewusst  und  doch  nicht 
ohne  Wärme.  Der  Mann  gefiel  mir  ausserordentlich  gut;  seit  ich 
Tunis  verlassen  hatte,  war  mir  eine  ähnliche  Erscheinung  weder  in 
Tripolis  noch  unterwegs  unter  den  Eingeborenen  vorgekommen. 

Das  Thor,  an  dem  auch  die  Duane  liegt,  passirten  wir  nicht 
ohne  Widerstreben  der  seit  lange  der  Städte  entwöhnten  Kameele 
und  betraten  dann  die  Hauptstrasse  der  Stadt,  welche  von  Südosten 
nach  Nordwesten  verläuft  und  in  der  letzteren  Richtung  mit  dem 
stolzen  Baue  der  Qasba  oder  Citadellc,  in  welcher  die  Besatzung 
casernirt  ist,  abschliesst.  Die  Häuser  zu  beiden  Seiten  dieser  un- 
vcrhaltnissmässig  breiten  Strasse,  welche  dem  Ganzen  einen  von 
den  nördlicheren  Städten  abweichenden  Charakter  verleiht,  waren 
ganz  aus  Erde  erbaut  und  noch  leichter  vom  Regen  wegzuwaschen, 
als  die  Semnu's  und  anderer  Ortschaften,  da  der  Boden  der  Um- 
gegend sehr  salzhaltig  ist.  Doch  machten  sie  gleichwohl  einen  an- 
sehnlicheren Eindruck  durch  die  höhere  Kunst  der  Construction  und 
ihre  grössere  Ausdehnung.  Viele  hatten  ein  Stockwerk  mit  regel- 


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80 


I.  BICH,  3.  KAPITEL.  ML'RZIQ. 


massigen  Fensteröffnungen,  die,  wenn  auch  nicht  durch  Glasscheiben, 
doch  durch  Laden  verschlossen  werden  konnten.  Diese,  wie  die 
Thüren,  waren  zuweilen  von  Schreinern  aus  europäischem  Nutzholz, 
in  der  grossen  Mehrheit  der  Fälle  aber  aus  Palmenholz  gearbeitet. 

Als  wir  etwa  die  Hälfte  der  Strasse  zurückgelegt  hatten,  bogen 
wir  nach  Südwest  in  eine  Nebengasse,  an  deren  Eingänge  das  Häus- 
chen lag,  das  mir  der  Hadsch  Brähim  um  den  Preis  von  8 Mark 
monatlich  gemiethet  hatte.  Es  war  die  traurige  Aussicht  vorhanden, 
dass  ich  dasselbe  lange  bewohnen  würde,  da  eine  Karawane  nach 
Bornü  vor  einigen  Monaten  abgegangen  war,  und  die  allgemeinen 
Handelsverhältnisse  in  jenem  Lande  zur  Zeit  nicht  so  verlockend  auf 
die  nordischen  Kaufleute  wirkten,  dass  wir  bald  wieder  eine  Reise- 
gesellschaft zu  finden  erwarten  konnten.  Das  Häuschen  erfreute  sich 
ebenfalls  eines  Stockwerkes  oder  wenigstens  eines  Zimmers  mit  Vor- 
saal auf  der  Höhe  der  Terrasse.  Im  Parterre  war  nur  die  Thür- 
öffnung,  doch  zeigte  der  obere  Stock  einige  Fensteröffnungen  mit 
verschliessbaren  Laden. 

Unten  im  Hausgangc  war  rechts  eine  reservirte,  verschlossene 
Kammer  des  Hausbesitzers,  links  ein  kleines,  finsteres  Gemach  für 
den  Thürhiiter.  Der  Gang  führte  in  einen  hohen,  viereckigen  Raum, 
in  dessen  Mitte  eine  Säule  in  Gestalt  eines  Palmenstammes  die  Decke 
stützte,  und  der  in  Lage  und  Bestimmung,  wenn  er  oben  offen  ge- 
wesen wäre,  den  inneren  Hofraum  arabischer  und  südeuropäischer 
Häuser  gebildet  haben  würde.  In  seiner  südöstlichen  Ecke  war  die 
Treppe  zum  oberen  Stockwerke  angebracht;  auf  seiner  Nord-  und 
Südseite  führten  zwei  Thüren  in  Zimmer,  die  durch  kleine  schiess- 
schartenartige Löcher  nothdürftig  erhellt  wurden,  und  auf  der  dem 
Hausgangc  gegenüberliegenden  Westseite  ging  eine  Thüröffnung  auf 
einen  Corridor,  aus  dem  man  in  einen  I lofraum  mit  Gelass  für  Kameel- 
sättel  und  dergleichen  Geräthschaften  und  weiter  in  den  Garten  ge- 
langte, dessen  einzige  Zierde  oder  vielmehr  dessen  einziger  Inhalt 
eine  junge  Dattelpalme  war. 

Ich  stieg  dann  zur  Untersuchung  des  oberen  Stockwerks  die 
etwas  primitive  Treppe  hinan.  Ihre  breiten  vier  unteren  Stufen 
lagen  noch  im  Mittelraume  des  Hauses  und  waren  durch  eine  Thür 
von  den  weiter  nach  oben  führenden  getrennt.  Leider  waren  die- 
selben so  zerbröckelt  und  ungleich,  dass  man  beim  Hinaufsteigen  alle 
Aufmerksamkeit  auf  sie  verwenden  musste  und  dabei  häufig  mit  dem 


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EINRICHTUNG  DES  WOHNHAUSES.  tfl 

Kopfe  gegen  den  Querbalken  der  drei  und  einen  halben  Fuss  hohen 
Thür  rannte.  Die  Treppe  mündete  oben  auf  eine  Art  Vorsaal,  aus 
dem  eine  Thür  auf  die  Terrasse,  d.  h.  das  platte  Dach  des  Hauses 
— Satah  — , soweit  dasselbe  kein  oberes  Stockwerk  trug,  und  eine 
andere  in  das  von  drei  Fenstern  erhellte  Zimmer  führte.  Dies  wählte 
ich  um  so  lieber  zu  meinem  ständigen  Aufenthalte,  als  es  von  dem 
übrigen  Hause  ganz  abgeschlossen  war. 

Der  Hadsch  Brähim  hatte  darauf  gerechnet  und  das  ganze 
Zimmer  schon  mit  Strohmatten  auslegen  lassen.  Sofort  liess  ich 
mein  Bett  daselbst  aufschlagen,  stellte  durch  zwei  grosse,  in  ent- 
sprechende Entfernung  von  einander  gestellte  Kisten  und  eine  dritte 
niedrigere,  welche  den  sich  zugekehrten  Rändern  jener  auflag,  meinen 
Schreibtisch,  und  aus  einer  auf  die  Seite  gestellten  Kiste  meinen 
Stuhl  her,  deckte  einen  Teppich  auf  die  Erdbank,  welche  in  einer 
Ecke  des  Zimmers  die  Stelle  des  Canapes  vertrat;  kurz,  richtete 
mich  alsbald  so  wohnlich  als  möglich  ein. 

Giuseppe  Valpreda  hatte  eines  der  unteren  Zimmer  für  seinen 
Gebrauch  in  Beschlag  genommen,  während  in  dem  anderen  die  dem 
Scheich  Omar  bestimmten  Geschenke  aufbewahrt  wurden.  Meine  Leute, 
welche  kein  Alleinsein  liebten  — denn  Neger  oder  halbe  Neger  sind 
ausserordentlich  gesellige  Geschöpfe  — , blieben  im  grossen  Mittel- 
raume, an  dessen  Palmensäule  die  Hündin  Feida  gekettet  wurde.  Die 
Küche  endlich  wurde  in  dem  Durchgänge,  aus  dem  man  in  Hof  und 
Garten  gelangte,  eingerichtet. 

Der  Hadsch  Brähim  hatte  sich  einstweilen  discret  zurückgezogen, 
um  mich  mir  und  meiner  Hauseinrichtung  zu  überlassen;  doch  bald 
kam  sein  alter  Vater,  der  Hadsch  Mohammed  Ben  Alüa,  ein  magerer, 
weissbärtiger  Greis  von  74  Jahren,  der  das  Amt  eines  Reis  el-Med- 
schelis  oder  Vorsitzenden  des  grossen  Rathes  inne  hatte  und  an- 
scheinend lebhafter  und  energischer  war,  als  sein  Sohn  Rrähim,  um 
mich  für  einen  Augenblick  zu  begrüssen.  Er  stammte  aus  Audsehila, 
war  also  Berberursprungs,  und  ein  Schwiegersohn  jenes  Bu  Chalüm, 
der  als  junger  Mann  mit  Denham  und  Clapperton  nach  Bornu  gereist 
war  und  zur  Zeit,  als  der  Muqni  Fezzän  regierte,  viel  gegolten  hatte. 
Er  schien  gleich  vielen  alten  Leuten  gern  zu  erzählen  und  versprach 
mir  manche  schätzbare  Mittheiiungen.  Sodann  schickte  der  Mutasarrif 
seinen  Dolmetscher  und  einen  Officier,  um  mich  zu  begrüssen  und 
seine  Dienste  anzubieten,  und  endlich  erschien  einer  der  holländischen 

Nochtigal.  L 6 


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82 


I.  BUCH,  3.  KAPITEL.  MURZUQ. 


Diener  Fräulein  Tinne’s  mit  freundlichen  Grüsscn  von  seiner  Herrin, 
einem  fetten  Hammel,  Eiern,  Broden,  Butter,  Zwiebeln  und  der- 
gleichen als  Bcwillkommnungsgcschenk,  wie  es  in  Ländern  Sitte  ist, 
in  denen  keine  Hotels  dem  Reisenden  zu  Gebote  stehen. 

Das  ausgezeichnete  Frühstück,  das  der  Hadsch  Brähim  bald 
darauf  in  sauberen,  blankgescheuerten  Zinngefässcn  übersandte,  gab 
mir  eine  hohe  Idee  von  dem  culinarischen  Verständniss  dieses  Würden- 
trägers und  der  Kunstfertigkeit  seiner  Frauen,  und  liess  mich  mit 
einer  gewissen  Beruhigung  der  nächsten  Zukunft  entgegensehen.  Da 
war  ein  Reisgericht  mit  Huhn,  Hammelcotclettes  in  vortrefflichem 
Oel  gebraten,  verschiedene  in  Butter  und  Fett  schwimmende  Gemüse, 
wie  Bdmia,  Melüchia,  Bedindschän  oder  Auberginen  und  Bohnen, 
mit  Fleischsti/fckchen  und  Fleischklöschcn  garnirt,  endlich  kunstvolle 
Gebäcke  und  Süssigkeiten,  auf  die  in  vornehmen  arabischen  Häusern 
grosser  Werth  gelegt  wird:  kurz  eine  Menge  Gerichte,  welche  mir 
nach  der  vorausgegangenen  Entbehrung  als  höchst  begehrenswerthe 
Leckerbissen  erschienen. 

Es  war  ein  genussreicher  Tag.  Der  erste  Theil  des  Weges  war 
ohne  Unfall  zurückgelegt;  die  Anstrengungen  desselben  — ich  war 
fast  stets  zu  Fuss  gegangen  — hatten  meinem  Körper  zugesagt;  nach 
der  bescheidenen  Leistung  war  Ruhe,  Ruhe  in  einem  zwar  nicht  un- 
bekannten, doch  immerhin  fremdartigen  Lande,  ein  reizvoller  Genuss. 
Noch  hatte  ich  nie  Noth,  nie  quälenden  Hunger  gelitten,  und  noch 
nie  hatten  die  Anstrengungen  das  Maass  meiner  Kräfte  überstiegen. 
Noch  hatte  ich  freilich  nicht  die  grosse  Befriedigung,  ein  schwieriges 
Ziel  erreicht  zu  haben,  gekostet;  doch  schon  jetzt  fand  ich  einen 
reicheren  Genuss  in  der  Befriedigung  von  Hunger  und  Durst,  im 
Wechsel  von  Anstrengung  und  Ruhe,  als  ich  jemals  für  möglich  ge- 
halten hätte. 

Der  folgende  Tag  war  der  erste  Ostertag  und  ein  klarer,  schöner 
Tag,  ohne  die  häufige  Zugabe  von  Wind  und  Sand,  wenn  auch  leider 
kein  Frühlingstag,  wie  er  unseren  oft  so  unwirthlichen,  heimathlichcn 
Breitegraden  den  Hauptreiz  verleiht.  Die  morgendliche  Frische  und 
Klarheit  der  Atmosphäre  schien  mich  aufzufordern,  die  Stadt  zu  be- 
sichtigen und  ihre  Gärten  zu  besuchen.  Doch  es  war  nicht  ziemlich, 
in  Stadt  und  Umgegend  herumzustreifen,  ohne  dem  Gouverneur  auf- 
gewartet zu  haben,  und  diesem  wieder  wollte  ich  zur  Wahrung  meiner 
Würde  nicht  den  ersten  Besuch  machen.  Derselbe  liess  sich  denn 


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HONORATIOREN  VON  MURZl’Q. 


«I 


auch  für  den  Nachmittag  ansagen;  doch  schon  wahrend  der  ersten 
Tageshälfte  hatte  ich  zahlreiche  Besuche  zu  empfangen. 

Zuerst,  etwa  Morgens  um  sieben  Uhr,  der  convenabclsten  Be- 
suchszeit, erschien  Hamcd  Bei,  der  Kätib  el-Mäl  oder  Finanzministcr 
der  Provinz,  ein  reinlich  und  sorgfältig  in  den  türkischen  schwarzen 
Tuchrock  mit  Stehkragen  der  Beamten  .gekleideter,  bebrillter  Herr, 
der  das  Arabische,  das  er  hauptsächlich  aus  Büchern  kannte,  mit 
allen  Vocalcn  sprach  und  mir  mit  seiner  spitzen  Nase,  seinen  tief- 
liegenden Augen,  seinen  süsslich  höflichen  Redensarten  kein  beson- 
deres Vertrauen  einflösste.  Sodann  kamen  die  Glieder  der  Familie 
Ben  Alüa,  von  denen  ich  Hadsch  Mohammeds  ältesten  Sohn,  den 
Hadsch  Abdallah,  der  viel  kaufmännische  Reisen  in  die  Südänländcr, 
freilich  stets  mit  schlechtem  geschäftlichem  Krfolge,  gemacht  hatte, 
noch  nicht  kannte.  Der  vierte,  Mohammed,  welcher  mich  Tags  zuvor 
eingeholt  hatte,  wurde  zu  meiner  beständigen  Disposition  gestellt. 
Den  dritten  der  Söhne,  Namens  Sälim,  sah  ich  nicht;  derselbe  führte 
ein  eingezogencs,  unabhängiges  Leben  und  hielt  sich  gern  von  Be- 
kanntschaften und  Regierungskreisen  fern.  Ein  fünfter  Sohn  endlich, 
etwa  zwölf  Jahre  alt,  besuchte  noch  die  Schule.  Von  diesen  hatten  nur 
Hadsch  Brälüm  und  Hadsch  Abdallah  Negerblut  in  ihren  Adern;  die 
übrigen  waren  sehr  hellfarbig.  Später  kam  der  alte  Mohammed 
Baserk?  Schcrif,  der  letzte  Abkömmling  der  Auläd  Mohammed,  die 
Fezzän  Jahrhunderte  hindurch  regiert  hatten.  Derselbe  hatte  mit 
Gerhard  Rohlfs  innige  Freundschaft  geschlossen  und  war  ein  herzens- 
guter, abergläubischer  Mann,  der  durch  die  Leidenschaft  des  Opium- 
genusses seine  ursprünglich  schon  nicht  sehr  mannichfaltigen  Geistes- 
kräfte noch  mehr  reducirt  hatte.  Der  Köl-Aghäsi  (Commandeur  eines 
halben  Bataillons),  Commandant  der  Garnison,  ein  alter,  ebenfalls 
durch  Opiumgenuss  abgestumpfter,  weissbärtiger  Türke;  der  Bataillons- 
arzt mit  dem  Titel  Tabib  Köl-Aghasi,  ein  junger,  sich  durch  medi- 
cinische  Unwissenheit  auszeichnender  Mann;  der  Garnisonschreiber 
— Kätib  el-Asker  — , der  einen  sehr  angenehmen  Eindruck  durch  Leb- 
haftigkeit und  Verständniss  machte  und  recht  gut  arabisch  sprechen 
gelernt  hatte,  und  endlich  ein  Schwager  des  Scheich  Omar  von 
Bornü,  ein  Mann  von  durchaus  schwarzer  Hautfärbung,  Hadsch 
Hamida,  der  ebenfalls  dem  Opium  in  ausgiebigster  Weise  huldigte: 
das  waren  die  Honoratioren,  welche  aus  eigener  Initiative  ihre  Auf- 
wartung zu  machen  sich  für  verpflichtet  hielten.  Der  Hadsch  Brähim 

6* 


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84 


I.  BUCH,  3.  KAPITEL.  MURZUQ. 


führte  mir  noch  seinen  intimsten  Freund,  den  Qädt  von  Murzuq,  zu, 
einen  kräftigen,  alten,  freundlichen  Mann  von  dunkler  Hautfärbung, 
der  seinem  vor  einigen  Jahren  im  Alter  von  120  Jahren  gestorbenen 
Vater  erst  kürzlich  im  Amte  nachgefolgt  war,  und  den  sogenannten 
Amin  es-Sandüq  oder  Schatzmeister,  Namens  Titiwi,  welcher  sich 
durch  unförmlichen  Körperumfang  auszeichnete  und  ein  Bruder  jenes 
Mohammed  el-Titiwi  war,  der  in  Bornü  am  Hofe  des  Scheich  Omar 
eine  hervorragende,  nicht  immer  erfreuliche  Rolle  spielte. 

Nachmittags  kam  der  Pascha,  ein  Türke  aus  guter,  aber  her- 
untergekommener Familie,  der  zu  den  armen  VVüstenbcwohnern  ge- 
schickt war,  um  seinen  zerrütteten  Vermögensverhältnissen  aufzu- 
helfen, und  der,  körperlich  und  geistig  noch  heruntergekommener 
als  diese,  ohne  Kenntniss  von  Land  und  Leuten,  ohne  eine  Ahnung 
von  der  arabischen  Sprache,  in  Fezzän  eine  traurige  und  verderb- 
liche Rolle  spielte.  Er  war  ein  Mann  von  vierzig  und  einigen  Jahren, 
trug  die  türkische  Beamtenkleidung  mit  einem  weissen,  goldgestickten 
Tuchburnus  und  schien  zu  einem  traurigen  Leben  der  Isolirtheit  ver- 
urtheilt  zu  sein,  denn  selbst  sein  Dolmetscher  wusste  das  Türkische 
nur  mangelhaft  zu  sprechen.  Ich  ging  ihm  bis  an  die  Treppe 
entgegen,  liess  den  üblichen  Kaffee  präsentiren  und  hielt  nur  müh- 
sam eine  längere  Unterhaltung  mit  ihm  aufrecht,  sowohl  wegen  der 
angedeutqten  Sprachschwierigkeit,  als  auch  weil  er  von  den  Verhält- 
nissen, welche  mich  hauptsächlich  interessirten,  noch  weniger  wusste, 
als  ich  selbst.  Freilich  war  er  ebenfalls  erst  vor  einigen  Monaten 
angelangt,  vorher  nie  aus  Stambul  herausgekommen,  und  hatte  seit 
seiner  Ankunft  den  Kummer  über  seine  Verbannung  durch  eine 
fortgesetzte  Alkoholintoxication  zu  betäuben  gesucht.  Das  einzige 
Thema,  das  er  mit  regem  Interesse  zu  besprechen  wusste,  war 
das  seiner  Krankheiten,  und  das  war  allerdings  ein  sehr  mannichfal- 
tiges.  Meine  Reisepläne  betreffs  der  Tedä-Länder  konnte  ich  ihm 
kaum  erwähnen,  denn  ich  glaube,  er  ahnte  von  der  Existenz  dieser 
nicht  das  Geringste.  Es  war  mir  ebenso  unerklärlich,  wie  dieses 
körperlich  und  geistig  gleich  unzulängliche  Geschöpf  sich  zu  der 
Reise  in  das  fremde,  unwirthliche  Land  hatte  entschlossen,  als  wie 
man  ihn  für  diesen  Posten  hatte  auswählen  können. 

Der  unerwünschte  Besuch  eines  Uebelthäters,  der  sich  über  die 
Schwelle  meines  Hauses  geflüchtet  hatte,  um  mich  zu  einer  Inter- 
vention zu  seinen  Gunsten  zu  zwingen,  machte  den  Beschluss  des 


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ANTRITTSBESUCHE. 


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Tages.  Da  derselbe  nur  einfach  seine  Geliebte  geprügelt  hatte,  gegen 
die  er  nicht  mit  Unrecht  den  Verdacht  der  Untreue  nährte,  und  da 
er  die  geheiligte  Schwelle  meines  Hauses  einmal  überschritten  hatte, 
so  verwendete  ich  mich  für  ihn,  gleichzeitig  meine  Leute  anweisend, 
derartige  Invasionen,  mit  denen  man  selten  Ehre  einlegt,  zurückzu- 
weisen. Fräulein  Tinnc  hatte  schon  drei  entlaufene  Sclaven  in  ihren 
Schutz  genommen,  sowie  die  Bettsclavin  des  früheren  Kätib  el-Mäl, 
der  sich  Veruntreuungen  hatte  zu  Schulden  kommen  lassen  und  nun, 
weil  man  zum  Ersatz  sein  ganzes  Besitzthum  veräussertc,  und  er 
fürchtete,  man  werde  bis  auf  seine  Concubine  gehen,  diese  in  den 
sicheren  Schutz  von  Fräulein  Tinnc  gebracht  hatte. 

Der  Ostermontag  war  der  Erwiderung  der  von  mir  empfangenen 
Besuche  gewidmet.  Zuvor  schickte  ich  die  Geschenke,  welche  ich  zu 
spenden  hatte,  an  den  Hadsch  Brähim  und  den  Baserki  Schertf.  Das 
dem  letzteren  für  seine  Gerhard  Rohlfs  bewiesene  Freundschaft  be- 
stimmte Andenken  bestand  in  einem  gedruckten,  gebundenen  Qorän, 
in  zehn  Maria-Thcresia-Thalcrn  und  einem  Rosenkranz  aus  rothen  Edel- 
korallen und  war  vollständig  ausreichend,  da  keinerlei  Leistung  von 
ihm  erwartet  werden  konnte.  Doch  die  Gaben  für  den  Hadsch 
Brähim  waren  kümmerlich  und  wurden  durch  die  gastfreundlichen  Sen- 
dungen aus  der  Küche  desselben  allein  schon  beschämt.  Sic  bestanden 
aus  einem  feinen,  weissen  wollenen  Burnus,  einem  Rosenkränze  echter 
Korallen,  einem  tunisischen  Tarbüsch  und  zwei  mit  Rosenessenz  in 
spärlichster  Quantität  gefüllten  Flacons,  und  entsprachen  weder  seinem 
Bildungsgrade,  noch  seinen  Verhältnissen,  noch  seiner  Generosität. 
Ich  traf  ihn  selbst  bei  einem  seiner  Lieblingsgenüsse,  starkem,  sehr 
versüsstem  Thec. 

Der  Theegenuss  ist  im  Innern  Afrikas  nur  bei  wenigen,  gereisten 
und  gebildeten  Leuten  Sitte,  mit  Ausnahme  etwa  Marokkos,  wo  er 
mehr  Eingang  und  Verbreitung  gefunden  hat.  Man  benutzt  nur 
grünen  Thee,  zu  dem  man  oft  noch  aromatische  Kräuterblättcr  fugt, 
und  setzt  vor  dem  Aufgusse  des  kochenden  Wassers  eine  so  grosse 
Menge  Zucker  hinzu,  dass  man  von  der  aromatischen,  zuckergesättig- 
ten Flüssigkeit  nur  sehr  kleine  Quantitäten  geniessen  kann.  Dem 
entsprechend  pflegt  man  dieselbe  aus  kleinen  Gläsern,  welche  nur  eine 
bis  zwei  Unzen  fassen,  zu  trinken.  An  der  Küste  bezieht  man  den  Thec 
meist  aus  England,  doch  ist  der  Karawanenthee  bei  Kennern  wohl  an- 
gesehen und  gelangt  aus  Arabien,  wohin  ihn  asiatische  Pilger  bringen, 


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I.  BUCH,  3.  KAPITEL.  MURZUQ. 


in  die  afrikanischen  Länder.  Hadsch  Brähim  litt  an  Milz-  und  Leber- 
anschwellung, an  Hämorrhoiden  und  fast  beständigen  Kopfschmerzen, 
konnte  sich  aber  nicht  entschliessen , dem  täglichen  Genuss  starken 
asiatischen  Thecs  zu  entsagen.  Auch  dem  sogenannten  „Kaffee  des 
Sudan”,  der  Güronuss,  welche  ich  in  frischem  Zustande  zum  ersten 
Male  bei  ihm  sah  und  kostete,  ohne  damals  Geschmack  an  ihr  zu 
finden,  huldigte  er,  und  sobald  der  Vorrath  an  frischen,  die  sehr 
empfindlich  gegen  Witterungseinflüssc  und  ungeschickte  Behandlung, 
also  schwer  zu  transportiren  und  aufzubewahren  sind,  erschöpft  war, 
so  begnügte  er  sich  mit  getrockneten,  welche  Kauda  genannt  werden 
und  mir  in  ihrer  steinigen  Härte  und  trockenen  Bitterkeit  noch  we- 
niger zusagten. 

Von  diesem  Manne,  welcher  bei  der  Unfähigkeit  des  Gouver- 
neurs die  Seele  der  Lokalregierung  war,  oder  wenigstens  mühsam 
das,  was  als  Regierung  bezeichnet  werden  konnte,  aufrecht  erhielt, 
begab  ich  mich  zum  nominellen  Träger  der  Regierungsgewalt,  der 
sich  am  nordwestlichen  Ende  der  Hauptstrasse  die  obere  Etage  eines 
verhältnissmässig  ansehnlichen  Hauses  leidlich  zur  Wohnung  hatte 
hcrrichten  lassen.  Derselbe  verfügte  sogar  über  ein  gedieltes  Zimmer 
mit  Fenstern,  und  zwar  wirklichen  Fenstern  mit  Glasscheiben,  wenn 
diese  letzteren  auch  nicht  vollzählig  waren.  Seine  einzige  anerkennens- 
werthe  Leistung  war  eine  gewisse  Sauberkeit,  welche  er  auch  in  seiner 
nächsten  Umgebung  cinzuführcn  gewusst  hatte.  Zwei  Negersclaven, 
noch  Knaben,  welche  er  in  scharlachrothc  Tuchleibröcke  gesteckt 
hatte,  und  welche  in  dieser  wunderlichen  Verkleidung  europäische 
Lakaien  vorzuläuschen  bestimmt  schienen,  während  sie  nicht  einmal 
den  Kaffee  zu  präsentiren  wussten,  waren  höchst  groteske  Erschei- 
nungen. Er  selbst  war  in  einen  rehfarbenen  Kaftan  gehüllt  und  sass, 
ein  Bild  trauriger  physischer  und  intcllectueller  Verkommenheit,  theil- 
nahmlos  und  stumpfsinnig  da,  denn  es  war  früh  am  Tage  und  noch 
hatte  er  den  Rest  seiner  Lebensgeister  nicht  durch  Schnaps  hin- 
länglich aufgerüttelt. 

Fräulein  Tinne  wohnte  ebenfalls  in  der  Hauptstrasse,  und  zwar 
in  der  Mitte  derselben,  wenige  Häuser  von  mir  entfernt,  in  einem 
grossen  Gebäude,  in  dein  vor  einem  halben  Jahrhundert  der  Muqni 
gehaust  hatte.  Ich  fand  sie  in  Gesellschaft  ihres  prächtigen,  alten, 
riesigen  Hundes,  der,  glaube  ich,  ihr  treuester  Freund  in  ihrer  Um- 
gebung war,  ruhig,  ernst,  distinguirt,  wie  immer,  doch  herzlicher  und 


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WOHNUNG  DKS  PASCHA.  — FKÄUI.EIN  TINNE’s  PLÄNE.  87 

wärmer,  als  in  Tripolis.  Sie  war  entschlossen,  ebenfalls  nach  Bornü 
zu  reisen,  war  aber  ganz  zufrieden,  dass  vorläufig  keine  Karawane  in 
Aussicht  war,  denn  sic  beabsichtigte  während  des  Sommers  auf  dem 
reicher  versehenen  Markte  von  Tripolis  die  nöthigen  Karneole  an- 
kaufen zu  lassen,  und  hatte  gerade  um  Geschenke  für  den  Scheich 
Omar  und  einen  hinlänglichen  Vorrath  von  Maria -Thercsia-Thalern 
nach  Europa  geschrieben.  Gegen  Ende  des  Sommers  konnte  sic 
bereit  sein,  und  wir  verabredeten,  dass,  wenn  sich  bis  zu  dieser  Zeit 
keine  Reisegesellschaft  von  Kaufleuten  zusammengefunden  haben 
sollte,  wir  allein  mit  Hülfe  einer  gemietheten,  bewaffneten  Escorte 
die  Reise  unternehmen  würden. 

Bis  dahin  beabsichtigten  wir,  Jeder  für  sich,  eine  kleinere  Wüsten- 
reisc  zu  machen,  und  zwar  hatte  die  kühne  Dame  dieselbe  Idee  ge- 
hegt, welche  ich  nährte,  nämlich  die  einer  Reise  in  die  Fclsenland- 
schaft  Tibcsti.  Ich  hatte  dem  Hadsch  Brähim  meine  Absicht,  diese 
Landschaft  der  berüchtigten  Tubu  Rcschäde  oder  Felsen  -Tubu  zu 
besuchen,  ausgesprochen,  doch  bemerkt,  dass  derselbe  diesen  Plan 
mit  grosser  Besorgniss  aufnahm.  Ungleich  bedenklicher  musste  ihm 
eine  solche  Unternehmung  fiir  Fräulein  Tinne  erscheinen,  deren 
Reichthüm  gegenüber  sicherlich  der  Rest  von  Gesetzlichkeit  der 
Tubu  nicht  Stand  halten  würde,  und  ich  musste  ihr  sagen,  dass  ich 
kaum  glauben  könne,  dass  die  Autoritäten  zu  einer  solchen  Reise 
ihrerseits  die  Hand  bieten  würden. 

Für  diesen  Fall  erinnerten  wir  uns,  dass  der  General-Gouverneur 
in  Tripolis  uns  darauf  aufmerksam  gemacht  hatte,  dass  er  ausserhalb 
der  Grenzen  seines  Gebietes  auch  nicht  die  geringste  Macht,  nicht 
den  kleinsten  Einfluss  zu  unseren  Gunsten  auszuüben  vermöge,  mit 
alleiniger  Ausnahme  des  Falles,  dass  Einer  von  uns  Lust  haben  sollte, 
den  Tuärik  Häuptling  Ichnuchcn  in  Ghät  zu  besuchen.  Diesen  alten 
Asgar-Chef  nenne  er  seinen  Freund  und  könne  sich  fest  genug  auf 
ihn  verlassen,  um  ihm  befreundete  Personen  zu  empfehlen.  Wer 
dachte  damals,  dass  wenige  Monate  nach  unserer  Erinnerung  an  diese 
Worte  Ali  Riza  s meine  hochherzige  Freundin  von  den  Leuten  gerade 
dieses  Ichnuchcn  erschlagen  werden  würde! 

Bei  meinen  weiteren  Besuchen  bekam  ich  allmählich  einen  Ein- 
blick in  die  Anordnung  der  Stadt,  deren  Topographie  ich  Tags 
darauf  noch  genauer  studirte.  Nur  die  Ostseite  ist  schief  geneigt 
und  verläuft  von  Südsüdwest  nach  Nordnordost,  doch  die  Nordscite, 


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die  Westseite  und  die  Südseite  sind  regelmässig  orientirt.  Die  Ost- 
seite geht  durch  eine  kurze  fünfte  Seite,  welche  nach  Nordost  sieht, 
in  die  nach  Norden  gerichtete  über,  ebenso  wie  diese  durch  eine 
Rundung  in  die  westliche.  Die  Mauer  ist  weder  sehr  hoch,  noch  sehr 
mächtig,  war  jedoch  gut  unterhalten  und  in  regelmässigen  Zwischen- 
räumen mit  Bastionen  versehen. 

Von  dem  Ost-  oder  Ilauptthore  — Bäb  el-Kebir  — der  Haupt- 
strasse folgend  fällt  der  Blick  vor  Allem  auf  die  Hauptwache  mit  ihrer 
von  Holzsäulen  getragenen  Vorhalle  und  auf  eine  Reihe  von  Verkaufs- 
läden jederseits,  vor  denen  ebenfalls  säulengetragenc  Hallen  zum 
schattigen  Aufenthalte  für  Käufer  und  Verkäufer  hinlaufen.  Hier 
wird  der  tägliche  Markt  abgehalten,  der  in  den  Nachmittagsstunden 
am  lebhaftesten  ist.  Jenseits  dieses  Bäzär  endigte  die  Strasse  links 
mit  der  Wohnung  des  Pascha,  rechts  mit  der  des  Garnisonschreibers 
und  öffnet  sich  auf  einen  weiten  Platz,  auf  dem  die  Citadcllc  steht, 
ein  mächtiges,  fast  quadratisches  Gebäude,  dessen  Seiten  den  vier 
Himmelsrichtungen  entsprechen.  An  ihm  vorübergehend  nach  Norden 
stösst  man  auf  das  im  westlichen  Theilc  der  Nordseite  befindliche 
Thor  — Bäb  cl-Bahiiri  — , während  man  an  seiner  Südseite  vorüber 
zu  dem  Westthore  — Bäb  el-Gharbi  — gelangt. 

Die  Qasba  selbst  hat  innerhalb  ihrer  mächtigen,  mit  Bastionen 
versehenen  Ringmauern  rechts  zunächst  dem  Eingänge  die  Kaserne, 
ein  schlecht  unterhaltenes,  doch  für  l'ezzäner  Verhältnisse  in  gross- 
artigem  Maassstabe  angelegtes,  quadratisches  Gebäude  mit  grossem 
Hof  ein  der  Mitte.  Ihr  gegenüber  liegt  die  in  bescheideneren  Ver- 
hältnissen erbaute  Moschee,  westlich  von  dieser  die  Garnisonbäckerei, 
und  an  die  Kaserne  schlicsst  sich  nach  Westen  ein  Garten.  Zwischen 
Garten  und  Bäckerei  nimmt  das  eigentliche  Kastell  — Qasr  — die 
Mitte  des  Hintergrundes  ein.  Wenn  auch  nur  aus  Erde  aufgeführt, 
macht  dies  mit  seinen  mächtigen  Wänden  in  Mitten  der  ganzen 
Umgebung  einen  imposanten  Eindruck.  In  seinem  Innern  sind  ge- 
räumige Wohnungen  für  den  Päschä  und  die  Beamten,  ein  Sitzungssaal 
für  den  grossen  Rath,  und  oben  auf  dem  platten  Dache  neben  dem 
Flaggcnstockc  hat  man  einen  weiten  Blick  über  die  niedrigen  Häuser 
der  Stadt  und  die  allerdings  nichts  weniger  als  pittoreske  Umgegend. 

Ich  konnte  nicht  begreifen,  warum  die  Gouverneurs  nicht  die 
Wohnung  auf  dieser  freien  Höhe  der  traurigen  Stadt  vorzogen,  doch 
seit  Hassän  Päschä  hatte  keiner  derselben  die  Qasba  bewohnt  Sechs 


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Qasba  (Citadelle)  von  Murzuq.  (S.  88.) 


STADT,  CITADELLE  UND  EINWOHNERZAHL. 


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kleine,  zum  Theil  schadiiafte  Kanonen  vertheidigten  das  feste  Schloss, 
das  allerdings  Arabern,  Tubu  und  Tuärik  gegenüber  als  uneinnehm- 
bar gelten  konnte.  Die  Besatzung  war  auf  50x3  Mann  berechnet, 
doch  augenblicklich  in  der  Zahl  auf  etwa  300  reducirt.  Die  kriege- 
rischen Türken  hatten  überdies  allmählig  friedlichen  Fezzäncrn  Platz 
gemacht,  welche,  meist  verheirathet,  in  der  Stadt  ihrem  Handwerk 
oder  dem  Gartenbau  lebten. 

Durch  die  Hauptstrasse  wird  die  Stadt  in  nahezu  gleiche 
Hälften  getheilt,  deren  jede  in  höchst  unregelmässiger  Weise  von 
meist  engen  und  winkligen  Gassen  durchschnitten  ist.  Die  Hauser 
sind  alle  aus  Salzerde  und  Lehm  gebaut,  und  zwar  so,  dass  man, 
besonders  bei  den  neueren  Gebäuden,  zwei  abwechselnde  Schichten 
in  den  Mauern  deutlich  unterscheiden  kann,  deren  eine  aus  thoniger 
Sebcha-Erde  und  die  andere  aus  reinem  Lehm  besteht.  Die  südliche 
Hälfte  enthielt  300  und  einige  Häuser,  die  nördliche  280  und  einige, 
also  beide  zusammen  ungefähr  600  Hausstände,  welche,  jeder  einzelne 
zu  durchschnittlich  sechs  Personen  gerechnet,  eine  Einwohnerzahl 
von  etwa  3500  Seelen  ergeben  würden.  Früher  war  die  Stadt  nach 
Süden  zu  um  ein  Viertel  grösser  gewesen.  Noch  waren  dort  Reste 
der  früheren  Ringmauer  sichtbar,  welche  den  Räs,  d.  h.  Kopf,  wie 
der  verlassene  Stadttheil  hiess,  cinschloss.  In  der  Mitte  der  jetzigen 
Südseite  hatte  früher  noch  ein  viertes  Thor  bestanden,  das  aber  jetzt 
zugemauert  war. 

Nach  der  Aussage  aller  urtheilsfahigen  Personen  enthielten  die 
Gärten  der  Stadt  ungefähr  ebenso  viele  Einwohner,  als  diese,  ein 
Verhaltniss,  das  wegen  der  Zerstreutheit  der  Aussenwohnungen  sich 
einer  genauen  Controle  entzog.  Jedenfalls  suchte  ich  aber  in  den 
nächsten  Tagen  auch  von  diesem  Theile  meiner  Umgebung  eine  un- 
gefähre Kenntniss  zu  erlangen.  Ich  besuchte  zu  diesem  Endzweck 
den  Garten  des  Hadsch  Brähim,  der  eine  halbe  Stunde  nach  Norden 
von  der  Stadt  entfernt  lag. 

Fast  die  ganze  Nordseite  der  Stadt  ist  von  salzigen  Wasser- 
tümpeln und  Salzsümpfen  begrenzt,  in  deren  Mitte  merkwürdiger 
Weise  einige  Süsswasscrquellen  entspringen,  und  ebenso  verhält  sich 
das  Terrain  auf  der  Südseite.  Die  Thorhcit,  welche  die  Gründer 
der  Stadt  begingen,  indem  sie  das  Terrain  ausgedehnter  Salzsümpfe 
zur  Ansiedlung  wählten,  wird  ewig  unbegreiflich  bleiben.  Die  Wüste 
erfreut  sich  durchgängig  eines  so  hohen  Grades  von  Salubrität,  dass 


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I.  BUCH,  3.  KAPITEL.  MURZUQ. 


es  einer  förmlichen  Ueberlegung  bedurfte,  die  ungünstigste,  unge- 
sundeste Localität  ausfindig  zu  machen,  deren  giftige  Exhalationen 
seitdem  so  vielen  Menschen  Gesundheit  und  Leben  geraubt  haben. 

Im  Süden  der  Stadt,  in  ihrer  nächsten  Nähe,  befand  sich  ein 
Bcgrabnissplatz,  der,  uneingefriedigt  und  ungepflegt,  ein  wüstes  und 
durch  sonderbare  Grabzierden  auffälliges  Aussehen  hatte.  Wenn  die 
Seltenheit  den  Strausscnciern  schon  ein  gewisses  Anrecht  auf  den 
Charakter  eines  Zierraths  verlieh,  so  war  doch  nicht  so  leicht  zu 
begreifen,  mit  welcher  Berechtigung  sich  ein  zerbrochener  Topf,  ein 
henkelloses  Nachtgeschirr,  eine  Flasche  aus  grünem  Glase  oder  der- 
gleichen zu  monumentaler  Grabausschmückung  eignen  könne.  Selbst 
der  etwaigen  Bestimmung,  gefiederten  Besuchern  des  Friedhofes  nach 
Regenfall  Gelegenheit  zum  Trinken  zu  bieten,  konnten  diese  rudi- 
mentären Gefasse  nicht  dienen,  da  sie  meistens  umgekehrt,  d.  h.  den 
Boden  nach  oben,  angebracht  waren. 

Jenseits  des  Gürtels  von  tiefem  Sande,  welcher  die  Stadt  utn- 
giebt,  begannen  die  Gärten,  meist  mit  Einfriedigungen  aus  Palmen- 
blättern versehen  und  im  Ganzen  gut  gehalten.  Der  des  llädsch 
Brahitn  war  von  grosser  Ausdehnung  und  hatte  neben  der  äusseren 
Umzäunung  in  seinem  Innern  noch  verschiedene  niedrigere  Umfriedi- 
gungen, welche  besondere  Abthcilungcn,  wie  Fruchtbaumgruppen 
und  Gemüsegärten,  abschlossen.  Auf  der  ganzen  Ausdehnung  des 
Gartens  bildeten  Dattelpalmen  einen  lichten  Wald,  in  dessen  Schatten 
sich  die  Getreide-,  Gemüse-  und  Luzernefeldcr  ausdehnten  und  einige 
bescheidene  Feigen-,  Granatapfel-,  Mandel-  und  Apfelbäume,  der 
einzige  Citronenbaum  Murzuq’s  und  ein  Exemplar  der  indischen 
Feige  (Opuntia)  das  man  zum  Versuche  von  Ghät  eingeführt  hatte, 
ein  kümmerliches  Dasein  fristeten.  Von  Gemüsen  säete  oder  pflanzte 
man  gerade  Tomaten,  Zwiebeln,  Bohnen,  Melüchia,  Bämia,  Melonen 
und  Gurken  und  hatte  augenblicklich  reife  Radieschen  und  gelbe 
Rüben. 

Das  letzte  Getreide  (Weizen)  war  gerade  geschnitten;  die  Aehren 
waren  gross  und  voll.  Durchschnittlich  behauptete  der  Herr  des 
Gartens  bei  Sorgfältiger  Cultur  und  gutem  Saatkorn  vierzehnfaches, 
unter  ungünstigeren  Verhältnissen  aber  nur  achtfaches  Korn  zu  ernten; 
der  aus  Russland  eingeführte  Weizen  gab  nach  seiner  Erfahrung 
einen  reicheren  Ertrag.  Nach  der  Ernte  der  nordischen  Getreide- 
arten sollten  jetzt,  der  Gewohnheit  entsprechend,  auf  denselben 


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GARTENBAU.  ' 91 

Feldern  die  Negcrccrealien , der  in  Fezzän  Qasab,  d.  h.  eigentlich 
nur  Rohr,  genannte  Duchn  (Penicillaria)  in  einigen  Varietäten  und 
die  Durra  (Sorghum) , welche  dort  den  nicht  arabischen  Namen 
Ngäfoli  führt,  gesäet  werden.  Von  diesen  werden  im  Laufe  des 
Sommers  und  Herbstes  bis  zu  vier  Ernten  erzielt,  von  denen  freilich 
die  letzte  oder  die  beiden  letzten  nicht  mehr  zur  Reife  kommen, 
sondern  als  Vichfuttcr  verwendet  werden.  Der  Garten  war,  wie  ich 
cs  in  Söqna,  Semnu  und  den  übrigen  Orten  gesehen  hatte,  in  kleine 
eingedammte  Vierecke  gctheilt,  welche  abwechselnd,  wenigstens 
wahrend  eines  Tages  in  der  Woche,  unter  Wasser  gesetzt  werden. 

Das  Wasser  wurde  in  der,  in  ganz  Fezzän  üblichen  Weise  aus 
dem  etwa  vier  Klafter  tiefen  Brunnen  durch  Menschen  oder  Thiere 
emporgezogen.  Aus  der  Tiefe  des  weiten  Brunnens  erheben  sich 
zwei  Palmenstämme,  die  hoch  oben  durch  einen  ebensolchen  Stamm 
als  Querbalken  verbunden  sind,  welcher  zwei  Rollen  trägt.  Ueber 
diese  laufen  Stricke,  deren  einer  am  Grunde,  der  andere  an  der 
weiten  Mundöffnung  eines  mächtigen  Ledersackes  befestigt  ist.  Vor 
dem  Brunnen  befindet  sich  eine  abschüssige  Bahn,  auf  welcher  die 
zu  dieser  Arbeit  verwendeten  Rinder,  Esel  oder  Menschen  auf-  und 
absteigen.  Wenn  sich  diese  auf  der  geneigten  Bahn  aufwärts  bewegen,  * 
so  senkt  sich  der  leere  Sack  an  den  frei  gelassenen  Stricken  in  die 
Tiefe  des  Brunnens  und  füllt  sich;  geschieht  aber  die  Bewegung 
jener  in  entgegengesetzter  Richtung,  so  werden  die  Stricke  ange- 
zogen und  der  gefüllte  Sack  steigt  empor,  bis  er  die  Oberfläche  des 
Bodens  und  mit  ihr  die  Höhe  eines  Reservoirs  erreicht  hat,  aus  dem 
das  Wasser  in  die  Kanäle  des  Gartens  fliesst.  In  diesem  Augen- 
blicke kann  der  am  Munde  des  Sackes  befestigte  Strick  nicht  mehr 
angezogen  werden,  wohl  aber  der  andere  am  Grunde  angebrachte, 
was  eine  Hebung  des  letzteren  und  eine  Entleerung  des  Sackes  aus 
der  niedrigeren  Mundöffnung  in  das  Reservoir  zur  Folge  hat.  Die 
gewöhnlich  benutzten  Säcke  oder  Schlauche  fassen  etwa  fünfzig  Liter 
Wasser.  Die  Brunnen  wechseln  in  der  Tiefe  von  zwei  bis  acht  Klaftern 
und  sind  je  nach  der  Tiefe  auch  verschieden  in  Quantität  und  Quali- 
tät des  Wassers.  Je  oberflächlicher  die  Brunnen  sind,  desto  brakischer 
ist  ihr  Inhalt;  je  tiefer  jene,  desto  süsser,  aber  auch  sparsamer  dieser. 
Rinder  sind  sehr  spärlich  vertreten,  werden  also  selten  zu  dieser 
Arbeit  benutzt.  Vorwaltend  werden  Esel  und  Menschen  verwendet, 
jene  von  mittlerer  Güte,  diese  natürlich  Sclavcn. 


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I.  BUCH,  3.  KAPITEL.  MURZUQ. 


Was  Hadsch  Brähim  an  Thieren  besass,  war  augenblicklich  im 
Garten,  wo  sogar  ein  schöner,  sehr  geräumiger  Stall  für  dieselben 
erbaut  war.  Einige  Schafe,  welche  aus  dem  Gebiete  der  Tuärik 
stammten,  erregten  meine  besondere  Aufmerksamkeit  durch  ihre 
hohen  Beine,  ihren  langen,  dünnen  Schwanz,  gestreckten  Hals  und  ihr 
langes,  feines  Haar  anstatt  der  Wolle. 

Die  übrigen  Gärten,  soweit  ich  im  Vorübergehen  zu  bemerken 
Gelegenheit  hatte,  ähnelten  alle  dem  gesehenen,  wenn  auch  die 
meisten  von  geringerer  Ausdehnung  und  Mannichfaltigkcit  waren. 
In  ihnen  erlabte  sich  wenigstens  das  Auge  in  etwas  an  der  grünen 
Farbe  der  Bäume  und  Felder,  wenn  auch  beide  nur  allzuoft  durch 
dicke  Lagen  sandigen  Staubes  in  ein  fahles  Grau  gehüllt  wurden. 
Doch  in  der  Stadt  wurde  der  Aufenthalt  durch  die  Einförmigkeit 
ihrer  Physiognomie  und  durch  die  Monotonie  des  täglichen  Lebens 
auf  die  Dauer  ertödtend  langweilig. 

Von  meinem  Fenster  sah  ich  auf  eine  altersgraue,  hohe  Dattel- 
palme im  Hofe  der  Moschee;  sie  war  eine  der  wenigen,  welche  das 
Innere  der  Stadt  zierten.  Sonst  hatte  Alles  eine  fahle  Färbung, 
war  grau  in  grau  gemalt.  Ermüdet  schweifte  das  Auge  von  der 
Höhe  der  Terrasse  des  Hauses  über  die  platten  Dächer;  vergebens 
suchte  cs  Erfrischung  in  dem  Gegensätze  einer  klar-blauen  Färbung 
des  Himmels.  Staub  lagerte  auf  Allem,  hüllte  Alles  in  seinen  grauen 
Schleier,  und  auch  an  klaren  Tagen  verlor  der  Himmel  seine  weiss- 
liche  Färbung  nicht.  Mit  der  steigenden  Sonne  erhob  sich  der  Wind 
und  genügte,  selbst  wenn  er  nicht  Sandtromben  mit  sich  führte  und 
Alles  mit  dicken  Lagen  Sandes  überschüttete,  fast  immer,  den  feinen 
Staub  des  Alluvialbodens  der  Hofra  von  Murzuq  aufzuwühlen  und 
mit  ihm  die  Atmosphäre  zu  erfüllen.  Hierbei  erhielt  die  breite 
Hauptstrasse  einen  unendlich  viel  trüberen  Charakter  als  die  engen 
Gassen,  in  denen  wenigstens  die  Augen  auf  den  Häuserreihen, 
wenn  dieselben  auch  gerade  nichts  Heiteres  an  sich  hatten,  haften 
konnten. 

Das  menschliche  Leben  und  Treiben  konnte  an  und  für  sich 
auch  nicht  sehr  mannichfaltig  sein  an  einem  Orte,  der  rings  von 
Wüste  umgeben  ist  und  seine  Bedeutung  als  Handelsplatz  seit  lange 
cingebüsst  hat.  Die  bedeutenden,  noch  aus  besseren  Zeiten  stam- 
menden Kaufleute  der  Stadt  waren  Fremde,  Berber  aus  AudschTla 
und  Söqna,  Araber  aus  Tripolis  oder  Hün,  und  litten  als  solche  von 


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STRASSEN-  UND  MARKTI.EBEN.  93 

dem  Sumpfklima.  Erdfahl  oder  gallig  gelb,  mit  bleichen  Lippen 
und  matten  Augen,  schlichen  sie  kraftlos  und  apathisch  ihren  Ge- 
schäften nach  und  trugen  durch  ihre  Erscheinung  noch  zur  Herab- 
stimmung des  Gesammtcindruckes  bei.  Selbst  ihre  Kleidung,  die 
grauen  und  graubraunen  Shawls,  die  fahlblauen  Hemden  harmonirten 
in  ermüdender  Weise  mit  der  Physiognomie  ihrer  Träger  und  der 
Stadt. 

Mit  dem  Staube  begann  auch  die  Hitze  auf  der  Tageshöhe 
erheblich  zu  wachsen,  obgleich  wir  erst  im  Anfang  des  April  waren 
und  z.  B.  noch  am  io.  d.  M.  eine  Morgentemperatur  von  nur  8,ou  C. 
hatten.  Jeder  hielt  sich  zu  Hause,  soweit  es  seine  Beziehungen  irgend 
gestatteten,  und  nur  die  kleineren  Kaufleute  traf  man  in  ihren  Waaren- 
lagern  im  Bäzär  während  des  grössten  Theiles  des  Tages.  Uas  einzige 
Kaffeehaus  am  Eingänge  des  Bäzar's  lockte  mit  seinem  zweifelhaften 
Getränk,  zu  fünf  Para,  d.  h.  2x/i  Pfennig,  die  Tasse  nur  die  Soldaten 
der  Garnison  oder  ähnliche  Kundschaft  an,  und  kein  schattiges  Plätz- 
chen auf  den  Strassen  lud  zum  Niedersitzen  und  Plaudern  ein.  Jeder 
hatte  es  in  seinem  Heim  besser  als  draussen  und  zog  sich  dahin 
zurück,  sobald  er  konnte. 

Wenn  nicht  der  Marktverkehr  gewesen  wäre  mit  der  einheimischen 
Gartenbevölkerung  und  die  zahlreichen  fremden  Elemente  in  der 
Stadt,  welche  zum  grossen  Theile  südlicheren,  glücklicheren  Himmels- 
strichen entsprossen,  über  der  wüsten  Monotonie  Murzuq’s  noch  nicht 
die  Heiterkeit  und  Lebenslust  ihrer  1 leimath  cingebüsst  hatten,  so  wäre 
die  Hauptstadt  Fezzan's  allerdings  noch  viel  eintöniger  und  langweiliger 
für  mich  gewesen.  Im  Laufe  des  Vormittags  zogen  die  Insassen  der 
Gärten  allmählich  in  die  Stadt  ein  und  bevölkerten  mit  den  Produkten 
ihrer  Kultur  den  Markt,  der  während  der  Nachmittagsstunden  am 
besuchtesten  war.  Morgens  wurden  die  Kameele,  Schafe  und  Ziegen 
geschlachtet,  von  denen  das  Fleisch  der  Schafe  das  beliebteste  war. 
Frauen  aus  der  Stadt  brachten  frisch  gebackenes  Brod,  und  Krämer 
kamen  allmählich  und  boten  in  bescheidener  Quantität,  doch  reicher 
Mannigfaltigkeit  Lebensbedürfnisse  des  civilisirten  Europa  und  der 
afrikanischen  Nordküste  feil,  wie  Zündhölzer,  Cigarettenpapier,  tür- 
kischen Tabak,  Süssigkeiten  aus  Tripolis  oder  gar  Constantinopel, 
Kafieetässchen , Kochgeschirr  und  Schüsseln  aus  Kupfer  und  Zinn, 
holländischen  Käse,  Pfeifenköpfe,  Rasirmesser,  Nadeln,  kleine  Hand- 
spiegel, Scheeren,  Messer,  Schmucksachen  der  Frauen,  Armbänder 


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94 


I.  RUCH,  3.  KAPITF.I..  MUKZÜQ. 


und  Fussspangen  aus  Kupfer,  Messing,  Silber,  Horn  und  Elfenbein," 
Halsbänder  aus  Achat,  Bernstein,  Glasperlen  und  Korallen. 

Stoffe  aus  Europa  in  Kaumwolle,  Seide  und  Tuch,  arabische 
Anzüge,  tunisische  Mützen,  Burnusse  aus  afrikanischem  Wollenstoffc 
oder  europäischem  Tuch,  feine  Häfk's  aus  Tunisien  oder  Tripolis, 
bunte,  weiche  Wollendecken  von  riesiger  Ausdehnung  von  der  Insel 
Dschcrba  oder  dem  Beled  cl-Dscherid,  schlechte  Teppiche  aus  Mesräta 
oder  bessere  aus  Constantinopel  und  den  Christenländcrn,  Frauen- 
shawls  aus  Egypten,  arabische  Sättel  und  Steigbügel,  Sattelüberzüge 
aus  gold-  oder  silbergesticktem  Sammet  oder  marokkanischem  Leder, 
dicke,  filzige  Satteldecken,  feine  Gewänder  aus  dem  Sudan,  scide- 
gesticktc  Schuhe  aus  gelbem  Leder,  Säcke  aus  Kamcclwollc  ein- 
heimischer Fabrikation,  Wasserschläuche  aus  den  Haussa- Staaten 
und  andere  werthvollere  Gegenstände  wurden  von  öffentlichen  Ver- 
käufern ausgeboten.  Laut  schrieen  diese  Makler  den  letztgebotenen 
Preis  aus,  die  Waare  in  der  gehobenen  Hand,  hier  stillstehend,  um 
dieselbe  prüfen  zu  lassen,  dort  ihre  Vorzüglichkeit  anpreisend.  Rast- 
los liefen  sie  von  einem  Ende  des  Marktes  zum  andern  bei  einer 
Preiserhöhung  von  vielleicht  nur  einem  halben  oder  einem  Viertel- 
piaster, und  nicht  zufrieden  mit  den  Marktbesuchern,  suchten  sie  auch 
wohl  die  Leute,  deren  Kauflust  oder  Bedürfnisse  sie  kannten,  in  ihren 
Häusern  auf.  Eine  Commission  von  meist  einem  Para  auf  jeden 
Piaster  belohnte  das  anstrengende  Gewerbe. 

Als  Werthmesser  dient  das  in  Tripolis  gebräuchliche  Geld;  nur 
werden  die*  dort  schon  verwirrten  Marktverhältnisse  in  Fezzän  noch 
complicirt  durch  den  Gebrauch  des  Real  el-Fezzanf,  der,  wie  der 
Mahäbüb,  nicht  als  geprägte  Münze  existirt,  und  1 5 Ghirsch  et-Turki 
gleichkommt. 

Als  Gewichtsmaasse  figuriren,  wie  in  Tripolis,  der  Qantar  (Plur. 
Qanätir)  oder  Centner,  der  40  Oqqa  oder  100  Rotel  (d.  h.  Pfund) 
gleichkommt.  Das  Rotel  enthält  16  Unzen  — Oqtja  — -,  welche 
wieder  in  Halbe,  Viertel,  Achtel  zerfallen.  Als  kleinste  Gewichte 
dienen  die  Samenkerne  des  Johannisbrodbaums  — Charrüb  — oder 
die  sehr  viel  kleineren  Getreidekörnchen. 

Das  ausschliesslich  gebräuchliche  Längenmaass  des  Murzuqer 
Marktes  ist,  wie  in  den  Südänländern , die  natürliche  Elle,  welche 
vom  Olecranon  oder  Ellbogenknochen  bis  zur  Spitze  des  Mittelfingers 
reicht  und  darum  ed-Drä‘,  d.  h.  der  Vorderarm,  heisst.  Anatomische 


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VF.RK AUFSCEGKNST A NDE.  — MAASSF.  UND  GEWICHTE.  95 

Verschiedenheiten  der  Menschen  ergeben  natürlich  einige  Unterschiede 
in  der  Länge,  welche  häufig  Streitigkeiten  zwischen  Käufer  und  Ver- 
käufer hervorrufen. 

Als  grösstes  Hohlmaass  gilt  der  Kafis,  der  bei  Datteln  ungefähr 
4 Qanätir  beträgt;  derselbe  enthält  24  Keil  (I’lur.  Kijäl)  und  jeder 
Keil  zerfallt  in  8 Sa.  Keil  bezeichnet  eigentlich  nur  jedes  Hohlmaass 
und  hat  sich  allmählig  für  die  Weiba,  die  man  ebenfalls  noch  in 
Gebrauch  findet,  eingeschlichen*). 

Stand  Karawanenverkehr  in  Aussicht,  so  wurden  Kameeie  aus 
Fezzan,  den  Tuärikländern  und  den  Tubulandschaften  zu  Markte  ge- 
bracht, und  schon  mit  Sonnenaufgang  zogen  Tuarik  aus  dem  YVüdi 
Gharbi  mit  Holzkohlen,  deren  Fabrikation  ihre  Special-Industrie  dar- 
stellt, durch  das  Westthor  in  die  Stadt.  Hei  der  Baumarmuth  der 
Gegend  bildeten  diese  ein  kostbares,  oft  seltenes  Erzeugnis,  das 
man  zuweilen,  um  seiner  habhaft  zu  werden,  schon  vor  Sonnenauf- 
gang am  Thorc  oder  auf  der  Landstrasse  erwartete.  Allmählich 
kamen  dann  die  Bewohnerinnen  der  Gärten  mit  Getreide  in  Körnern, 
als  Mehl  oder  als  Mohammes;  mit  Gemüsen,  wie  Bohnen  und  Mclüchia, 
Zwiebeln  und  Bamia,  gelben  Rüben  und  Radieschen,  Coloquinthen- 
körnern,  rothem  Pfeffer  aus  dem  Sudan  oder  schwarzem  aus  Europa. 
Von  Früchten  waren  natürlich  die  Datteln  vorwiegend,  doch  auch 
die  Melonen  nicht  selten;  sonst  kamen  höchstens  noch  kleine  Feigen 
und  kümmerliche  Granatäpfel  auf  den  Markt,  denn  Quitten,  Aprikosen, 
Pfirsiche,  Aepfel,  Weintrauben  stellten  nur  vereinzelte  Zuchtresultate 
der  Reichen  dar.  Da  Milch  und  Butter  wegen  des  spärftciien  Rind- 
viehs theucr  waren,  verlohnte  cs  sich  schon  der  Mühe  für  Reisende 
von  Norden,  von  dem  ausgezeichneten  Olivenöl  aus  Beni  Ulid  oder 
dem  Ghariängebirge  zu  bringen,  und  dies  fand  sich  denn  auch  oft 
auf  dem  Markte. 

Viele  Frauen  brachten  schamlos  Laqbi  zu  Markte,  natürlich 
» unter  dem  Vorgeben  seines  frischen  Zustandes,  und  es  gab  gottlose 
Muselmanen,  welche  sogar  europäischen  Schnaps  öffentlich  verkauf- 

*)  In  Maassen  und  Gewichten  herrscht  in  «len  Ländern  «les  Islam  eine  noch  viel 
grossere  Verwirrung,  als  in  der  übrigen  Welt.  Fast  in  jedem  Lande  haben  Rotel,  Oqqa, 
Kafis,  Weiba,  Sä  einen  anderen  Werth.  Seihst  der  Mudd,  das  gebräuchlichste  kleinere 
Hohlmaass  zur  Zeit  «les  Propheten  (vom  lateinischen  Modius),  das  in  Fezzän  von  dem 
viel  kleineren  Sä  verdrängt  worden  ist,  wechselt  in  den  verschiedenen  mohammedanischen 
Ländern  erheblich  an  Umfang. 


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9G  I.  BUCH,  3.  KAPITEL.  MURZUQ. 

tcn.  Und  doch  war  dies  durchaus  nicht  nöthig,  denn  es  gab  einen 
Christen  in  Murzuq,  welcher  diesen  Zweig  europäischer  Civilisation 
nicht  vernachlässigte  und  mit  einem  gleichgearteten  Türken  aus  Dat- 
teln ein  miserables  Getränk  destillirte.  Beide  waren  deportirte  Ver- 
brecher — Memfi*)  — , deren  die  türkische  Regierung  zuweilen  einige 
in  Fezzän  internirt.  Auch  Tabak,  wie  er  zum  Kauen  benutzt  wird 
und  besonders  geschätzt  aus  dem  benachbarten  Dorfe  Zezau  kommt; 
cl-Hinnä  zum  Färben  der  Nägel  und  zu  medicinischen  Zwecken; 
Antimonpulver  — Kohol  — zum  Bestreichen  der  Augenlidränder; 
Petersilie,  Senna,  Leinsamen,  die  Füa-Wurzel,  Fenchel,  Malven  und 
andere  Erzeugnisse  des  Bodens  fehlten  selten  auf  dem  Markte.  Das 
gab  denn  natürlich  für  die  Zeit  der  grössten  Marktfrequenz  ein  leb- 
haftes Treiben  auf  der  breiten  Strasse,  und  trotz  des  wenig  distin- 
guirten  Publikums  begab  ich  mich  um  diese  Zeit  oft  in  das  erwähnte 
Kaffeehaus,  von  dem  aus  das  Auge  den  Markt  beherrschte.  Zu- 
weilen fand  ich  auch  wohl  einen  Gebildeteren  oder  nahm  meinen 
Adjutanten  Mohammed  Ben  Alüa  mit  und  konnte  so  einigermaassen 
die  Marktgesellschaft  in  ihre  verschiedenen,  oft  sehr  heterogenen 
Bestandtheile  zu  zerlegen  lernen. 

Alle  Hautfärbungen,  von  dem  städtebewohnenden  Türken  aus 
Europa  in  seiner  nordischen  Weisse  bis  zur  Ebenholzschwärze,  wie 
sie  individuell  bei  Nigritiern  gefunden  wird,  waren  vertreten.  Die 
röthlichen  Araber  oder  Berber  der  Nordküste,  die  Wüsten-Berber  in 
ihrer  Broncefarbe,  die  Tubu  als  weiterer  Uebergang  zu  den  eigent- 
lichen Negern,  und  diese  selbst  in  aller  Mannichfaltigkeit  und  Ver- 
schiedenheit bildeten  eine  endlose  Stufenfolge.  Wenn  Gestalten, 
Köpfe  und  Züge  der  echten  Araber  für  mich  familiäre  Erscheinungen, 
und  die  nordischen  Berber,  unter  gleichen  Bedingungen  lebend  und 
vielfach  mit  jenen  vermischt,  kaum  von  denselben  zu  trennen  waren; 
wenn  die  Bewohner  der  centralen  Wüste  mit  ihren  regelmässigeren 
Zügen,  ihren  meist  wohlgeformten  Nasen,  ihren  mässigen  Lippen, 
ihrem  geringen  Prognathismus  sich  deutlich  von  den  Südänvölkern 
schieden;  so  gelang  es  mir  vorläufig  nicht,  die  letzteren  auseinander 
zu  halten  und  in  zusammengehörige  Gruppen  zu  zerlegen.  Ich  konnte 
keinen  charakteristischen  Unterschied  zwischen  den  Leuten  aus  Bornü, 
Baghirmi,  Mandara,  den  Haussa-Staaten  entdecken,  und  nur  die  ver- 


*)  Kommt  von  dem  Zeitwort  nafa,  herausheben,  ausstossen,  vertreiben. 


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MARKTBESUCHER. 


97 


einzelten  Repräsentanten  jener  merkwürdigen  innerafrikanischen  Völ- 
kerschaft, die  schon  manchen  Ethnologen  verwirrte,  der  Felläta,  mit 
ihren  semitischen  Zügen,  wollten  nicht  in  diese  Allgemeinheit  passen. 

Hier  wurde  die  arabische,  dort  die  Tubu-,  noch  anderswo  die 
Haussa- Sprache  gesprochen,  und  am  meisten  hörte  man  die  der 
Borntilcute,  die  Mana  Kanüri.  Von  Weitem  erkannte  man  schon  die 
eigentlichsten  Wüstenbewohner,  die  finsteren  Tuärik  und  die  zier- 
lichen Teda,  an  ihrem  gemessenen  Wesen,  ihrer  dunklen  Kleidung 
und  dem  womöglich  dunklen  Gesichtsschleier.  Kein  Lächeln  schlich 
über  die  Züge  des  gravitätisch  einherschreitenden  Täriki,  und  be- 
dächtig spritzte  der  Tubu  einen  Strahl  grünlicher  Tabaksflüssigkeit 
weithin  durch  die  Zahnlücken,  ehe  er  eine  Aeusserung  that  oder 
eine  Antwort  ertheilte.  Ueberlegen  und  stolz  im  Gefühle  ihrer  fort- 
geschrittenen Civilisation  sahen  die  reinen  Araber  und  nördlichen 
Berber  auf  die  Umgebung  herab,  und  harmlos  lachten  und  schwatz- 
ten die  Neger. 

Dieser  schloss  sich  durch  seine  Kleidung  (Burnus,  Jacke,  Weste, 
Beinkleid)  an  die  Bewohner  der  Nordküste;  jener  hatte  das  bequeme 
Südänhemd  gegen  die  nordische  Kleidung  eingetauscht,  oder  umge- 
kehrt Jemand  jenes  mit  dem  tripolitanischcn  Shawl  combinirt,  und 
noch  Andere  trugen  das  primitive  Schaffell  ihrer  heimathlichen  Wohn- 
sitze.  Die  Einen  waren  gewichtige  Handelsleute,  welche  dem  west- 
lichen Sudan  zustrebten  und  über  Ghat  in  die  industriellen  llaussa- 
Länder  zu  reisen  beabsichtigten;  Andere  kamen  von  dort  und  hatten 
als  Reiseziel  Tripolis,  Benghäzi  oder  Kairo;  noch  Andere  wohnten 
in  Fezzän.  Die  vereinzelten  Tuärik  und  Tubu  kamen  nie  aus  weiter 
Ferne  und  nur  zu  kurzem  Marktaufenthalte;  und  die  Neger  waren 
Sclaven  oder  Freigelassene,  welche  dem  Lande  ihrer  Geburt  zu- 
strebten oder  fern  von  demselben  eine  neue  Heimath  gefunden  hatten, 
oder  fromme  Pilger,  deren  der  westliche  Sudan  alljährlich  so  viele 
gen  Osten  sendet  und  welche  bisweilen  ihren  Weg  über  Fezzän  und 
das  nördliche  Egypten  nehmen. 

Auf  dem  Gemüse-  und  Fruchtmarkte  hockten  in  überwiegender 
Mehrheit  Frauen  hinter  ihren  Körben  aus  Palmblättern,  und  wenn 
die  Männer  ein  niannichfaltiges  Bild  in  Typen  und  Trachten  bildeten, 
so  fesselte  bei  jenen  vorzüglich  die  Eigentümlichkeit  der  Haartracht 
und  Schmuckgegenstände  das  Auge  des  Beschauers.  Unterschiede 
in  der  Hautfärbung  traten  am  wenigsten  hervor,  denn  die  Frauen 

Kachiigal.  I.  < 


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98 


t.  BUCH,  3.  KAPITEL.  MURZUQ. 


der  Araber  und  Nordberber  in  ihrer  höheren  socialen  Stellung  sah 
man  kaum  auf  dem  Markte,  und  auch  Tuärikfrauen  erscheinen  fast 
nie.  Vereinzelte,  schlanke  Tubafrauen  im  blauen  Hüften-  und  Schulter- 
shawl,  mit  ihren  zierlichen  Gliedmaassen,  ihrer  halbdunklen  Haut, 
dem  koketten  Korallen -Cylinder  im  rechten  Flügel  der  meist  wohl- 
geformten Nase  und  den  zahllosen,  dünnen,  halblangen  Flechten, 


W UV  4 

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1 * 
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Gruppe  von  Frauen  und  Mädchen,  dem  Markte  zu  Murzuq  entnommen. 
Bornüsclavin.  Musgosclavin.  Fellätasclavin. 

Haussasclavin.  Fczxäncrin.  Tubuntadchcn. 


welche,  besonders  seitlich  über  die  Schläfen  herabfallend,  das  feine 
Oval  des  Gesichtes  einrahmten,  waren  dagegen  schon  häufiger.  Eine 
weite  Kluft  trennte  sie  augenscheinlich  von  den  dicken,  runden 
charakterlosen  Gesichtern  der  Fezzanerinnen.  Diese  trugen  gewöhn- 
lich ein  langes,  mässig  weites,  meist  blaugetärbtes  Hemd  aus  euro- 
päischem Baumwollenstoffc  und  darüber  einen  dicken  Wollenshawl, 
der  Kopf  und  Schultern  und  zur  Noth  die  ganze  Gestalt  einzuhüllen 
vermochte,  und  variirten  in  der  Hautfärbung  von  der  röthlichen  der 
Araberinnen  bis  zur  grauschwarzen  vieler  Negerinnen.  An  den  Armen 


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FRAUF.NTR  ACHTRN. 


99 

trugen  sie,  wie  die  Tubufrauen,  eine  grosse  Anzahl  von  Spangen  aus 
Metall,  Horn  und  Elfenbein,  und  die  Beine  belasteten  sie  mit  schweren 
silbernen,  kupfernen  oder  messingenen  Fussringcn,  wie  die  Arabe- 
rinnen zu  thun  pflegen.  Im  Schmutz  wetteiferten  sie  mit  den  Be- 
duinenweibern und  contrastirten  dadurch  scharf  mit  den  meist  sehr 
sauberen  Tubufrauen. 

Ihre  Koketterie  schien  sich  auf  die  Haartracht  zu  concentriren, 
in  der  die  Sitte  dem  Geschmacke  und  der  Erfindungsgabe  der 
Schönen  einen  weiten  Spielraum  Hess.  Diejenigen  von  arabischer 
oder  doch  nordischer  Abstammung  schlossen  sich  durch  die 
dicken  Flechten,  welche  um  den  Kopf  gewunden  waren  oder  vor 
dem  Ohre  herabhingen,  an  die  Araberinnen;  Andere  theilten  die 
üppige  Masse  des  Haares  in  vier  Theile,  von  denen  ein  vorderer 
vom  Scheitel  auf  die  Stirn  fiel,  ein  hinterer  vom  Scheitel  in  den 
Nacken  hing  und  zwei  seitliche  den  Ohren  auflagcn.  Diese  waren 
entweder  alle  in  Flechten  von  der  Dicke  eines  Rabenfeder-  bis  Gänse- 
fedcrkiels  geordnet,  oder  der  vordere  Theil  war  in  einen  Knoten  zu- 
sammengeballt, welcher  der  Mitte  der  Stirn  auflag,  oder  künstlich  in 
einen  Zustand  der  Unordnung  versetzt,  wie  ihn  unsere  Damen  zeit- 
weise nicht  wenig  liebten,  und  wie  er  mir  auch  dort  ein  Zeichen  be- 
sonderer Gefallsucht  zu  sein  schien.  Noch  Andere  endlich  — und 
das  schien  mir  die  eigenartigste  Haartracht  der  Fezzanerinnen  zu 
sein  — ordneten  Alles  in  glcichmässige  Flechten  von  mittlerer  Dicke 
und  Länge,  die,  vom  Scheitel  ausgehend  und  dicht  neben  einander 
dem  Kopfe  aufliegend,  in  ihren  Endpunkten  durch  eine  circulare 
Flechte,  welche  über  den  unteren  Theil  der  Stirn,  die  Schläfen-  und 
Hinterhaupt-Gegend  verlief,  zusammengehalten  wurden,  so  dass  das 
ganze  Haupt  wie  von  einer  gleichmässigen  Kappe  umschlossen  war. 
Diese  dichte  Haarkappe  war  zuweilen  auf  Stirn  und  Vorderkopf  in 
zwei  Hälften  getheilt. 

Welcher  Mode  die  schönere  Hälfte  der  Murzuqer  Marktbevöl- 
kerung in  der  Haartracht  aber  folgen  mochte,  eine  Zierde  fehlte 
ihnen  nie,  und  in  dieser  zeigte  der  ästhetische  Sinn  Aller  eine  sel- 
tene Ucbereinstimmung:  das  Haupt  troff  von  Fett,  wenn  es  die  Ver- 
mögensverhältnisse irgend  gestatteten.  Entweder  war  dieses  appetit- 
liche Haaröl  unvcrmischte,  flüssige  Butter,  welche  mit  Staub  und 
F>de  sich  bald  zu  einer  unbestimmten  Schmutzkruste  verband,  oder 
Oel  war  mit  aromatischen  Pflanzenpulvern  von  Zimmet  — Gurfa 

7* 


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100 


I.  BUCH,  3.  KAPITEL.  MURZUQ. 


oder  Qirfa  — , Nelken  (Nägelchen)  — QaromfuI  — , Sandelholz  und 
Mahaleb  ( Prunus  Mah&leb)  zu  einer  zweifelhaften  Pomade  verarbeitet. 
Wie  in  der  Vorliebe  für  dieses  Cosmeticum  die  Repräsentantinnen 
der  sonst  verschiedensten  Stämme  durchaus  einig  waren,  so  stand 
auch  offenbar  die  Korallenzierde  des  rechten  Nasenflügels  in  den 
meisten  der  vertretenen  Länder  in  gleichem  Ansehen. 

Die  Negerinnen,  welche  im  Ganzen  vorwalteten  und  die  ver- 
schiedensten Stämme  und  Völker  vertraten,  Sclavinnen  oder  Frei- 
gelassene, suchten,  wenn  sie  die  Concubinen  ihrer  Herren  waren,  in 
Tracht  und  Schmuck  die  legitimen  Frauen  nachzuahmen.  Andern- 
falls begnügten  sie  sich  mit  den  meist  blauen  Hüften-  und  Schulter- 
Tüchern  und  nahmen  ihre  Zuflucht  zu  selteneren  Glas-  und  Thon- 
perlen,  die  sie  mit  echten  Korallen  untermischt  als  Ketten  um  den 
Hals  trugen,  und  zu  einigen  Silbermünzen  oder  Korallenstückchen, 
die  Haar  und  Ohren  zierten.  Die  Füsse  waren  nur  in  seltenen  Fällen 
mit  rothen  oder  gelben  Schuhen  bekleidet,  die  man  in  Murzuq  zu 
verfertigen  und  in  geschmackvoller  Weise  mit  Seide  zu  sticken  weiss. 
Häufiger  trugen  die  Frauen  Sandalen,  von  denen  die  locker  aus 
Palmblattstreifen  geflochtenen  nur  zu  ephemerem  Tagesgebrauch  be- 
stimmt schienen,  meistens  waren  sie  jedoch  jeder  P'ussbekleidung  baar. 

Das  war  ein  buntes  Bild  und  nur  zu  früh  endigte  es  mit  Sonnen- 
untergang, zu  welcher  Zeit  die  Gartenbewohnerinnen  spätestens  ihren 
Palmenzweighütten  zueilen  mussten,  um  zur  Abendmahlzeit  — Aschä  — 
anzukommen.  Zu  dieser  Zeit  kehrten  die  in  der  Nähe  der  Stadt  ge- 
weideten Kameele,  die  unentbehrlichen  Staffagen  der  Strassen,  eben- 
falls heim  und  begaben  sich  ohne  Ausnahme  bei  Einbruch  der  Nacht, 
fremde  wie  einheimische,  wie  auf  Verabredung  auf  den  Qasbaplatz, 
um  daselbst  die  Nacht  zu  verbringen. 

Dann  vereinsamten  die  Strassen  und  Plätze  der  Stadt  für  mehrere 
Stunden.  Später  — die  Abende  zeichneten  sich  gewöhnlich  durch 
Windstille  aus  — sammelte  sich  Alles,  was  Anspruch  auf  Jugend 
und  Lebenslust  machte,  in  den  Strassen,  auf  den  Plätzen,  in  den 
Häusern,  um  in  zwangsloser  Unterhaltung,  bei  Musik  und  Tanz  bis 
Mitternacht  beisammen  zu  bleiben.  Entweder  hat  ein  wohlhabender 
Mann  in  Folge  irgend  eines  freudigen  Familienereignisses  Musikanten 
und  Tänzerinnen  bestellt  und  lässt  Nachbarn  und  Freunde  in»  Innern 
des  Hofes  an  diesem  Sinnengenuss  Theil  nehmen;  oder  die  Künstler 
ergreifen  die  Initiative  und  sammeln  irgendwo  durch  die  Töne  ihrer 


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TANZBELUSTIGUNGEN. 


10t 


J 

0 

Instrumente  einen  Kreis  von  jungen  und  alten  professionellen  Tän- 
zerinnen. Der  Eine  schwingt  gewöhnlich  ein  Tamburin  — Tär  — , 
der  Zweite  schlägt  eine  kleine  Trommel  — Debdeba  — , welche, 
von  der  Form  eines  Zuckerhutes  mit  abgerundeter  Spitze,  eine 
mit  Fell  überzogene,  6-8  Zoll  im  Durchmesser  haltende  Grund- 
fläche hat,  und  ein  Dritter  strengt  seine  Lungen  mit  der  Bear- 
beitung der  Dudelsackpfeife  — Suchera  — an.  Der  Kreis  von  Mäd- 
chen und  Frauen,  der  sich  alsbald  um  die  Künstler  bildet,  begleitet 
die  einförmige,  meist  melancholische  Musik  mit  halbpoetischen  Im- 
provisationen, welche  den  Herrn  des  Hauses,  vornehme  Nachbarn 
oder  Anwesende  verherrlichen,  oder  ihnen  in  humoristischer  Weise 
ihre  Schwächen  und  Fehler  Vorhalten.  Unter  dem  aufregenden  Ein- 
flüsse der  Musik  lösen  sich  dann  einige  der  Mädchen  und  Frauen 
aus  dem  Kreise,  stellen  sich  einander  gegenüber  und  kokett  mit  den 
vorgestreckten  Händen  ihren  Shawl  in  graziöser  Mannichfaltigkeit 
drapirend  beginnen  sie  sparsame  Körperbewegungen,  welche  nur 
sehr  uncigentlich  den  Namen  des  Tanzes  verdienen.  Sic  schieben 
sich,  ohne  auch  nur  die  Füsse  vom  Boden  zu  erheben,  unter  lasciven 
Beckenbewegungen  und  Berührungen  auf  einander  zu  und  an  einander 
vorüber,  jede  Bewegung  langsam,  berechnet,  ein  Bild  der  rohesten 
Sinnlichkeit.  Sind  die  Darstellerinnen  ermüdet,  so  treten  andere  an 
ihre  Stelle  und  suchen,  ohne  die  geringste  Abwechselung  in  das 
widerliche  Gebärdespiel  zu  bringen,  höchstens  in  der  Raffinirtheit 
der  obseönen  Bewegungen  mit  den  ersten  zu  rivalisiren.  Dieser  lang- 
weilige Verlauf  wird  nur  zuweilen  unterbrochen  durch  Acte  der 
Generosität  der  Zuschauer  in  Form  kleiner  Geldspenden.  Dann 
lasst  einer  der  Musikkünstler  laut  seine  Stimme  erschallen:  „Aleikum, 
ja  auläd,  aleikum,  ja  benät  men  and  . . d.  h.  „für  Euch,  Ihr  Jüng- 
linge, für  Euch,  Ihr  Mädchen,  von  dem  . . .",  und  es  folgt  der  Name 
des  Gebers  mit  den  üblichen  ehrenden  Beiwörtern  des  reichen,  klugen, 
freigebigen  u.  s.  w.  Die  Musik  fällt  ein  und  die  Weiber  lassen  jenes 
unnachahmliche  Zungenschlaggeräusch  ertönen,  das  vom  atlantischen 
Ocean  bis  nach  Persien  und  vom  Mittclmecr  bis  fast  zum  Aequator 
bei  den  Frauen  einer  gehobenen  Stimmung  Ausdruck  zu  verleihen 
bestimmt  ist  und  im  Arabischen  Zalrhüla*)  heisst. 

Die  Veranstaltung  solcher  Festlichkeiten  wird  meist  sehr  billig 
für  den  Gastgeber  dadurch,  dass  die  Gäste  nach  und  nach  durch 

♦)  Kommt  von  dem  Zeitwort  zalrhat,  verlocken. 


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102 


I.  BUCH,  3-  KAPITEI..  MVHRZUQ. 


ihre  Geldspenden  die  Musikanten  bezahlen.  Die  tanzenden  und  sin- 
genden Frauenzimmer  haben  trotz  obiger  Rufe  keinen  Anthcil  an 
diesen  Einnahmen,  sondern  begnügen  sich  damit,  die  Gelegenheit 
z,u  ihrer  gewerbsmässigen  Liederlichkeit  auszunützen.  In  dieser  Be- 
ziehung ist  ihnen  ein  guter  Erfolg  sicher,  denn  oft  erst  lange  nach 
Mitternacht  zerstreuen  sich  die  Festgenossen,  aber  dann  fast  immer 
paarweise,  ein  Mannlein  und  ein  Fräulein.  Dies  schien  mir  vorläufig 
das  einzige  Volksvergnügen  der  Fczzäner  zu  sein,  und  selten  verging 
ein  Abend,  an  dem  man  nicht  noch  in  vorgeschrittener  Nacht  die 
rhythmischen  Schlage  der  Debdeba  und  dazwischen  das  Freuden- 
geschrei der  Beglückten  hörte. 

Ich.  hatte  schon  in  der  ersten  Zeit  nach  meiner  Ankunft  Gelegen- 
heit, bequem  von  meinem  Hause  aus  diese  stets  in  gleicher  Weise 
verlaufenden  Festlichkeiten  zu  beobachten,  einmal  bei  meinem  Nach- 
bar, dem  Kätib  el-Mäi,  als  ihm  ein  Sohn  geboren  war,  und  ein  an- 
deres Mal  bei  meinem  Nachbar  auf  der  anderen  Seite,  als  eine  ge- 
wisse Fätima  sich  verheirathete.  Bei  der  letzteren  Gelegenheit  wieder- 
halltcn  schon  Nachmittags  die  Strassen  der  Stadt  vom  Pulvergeknall, 
während  Fätima  stolz  in  einem  rothverhängten  Baldachin  auf  dem 
Rücken  eines  prächtig  aufgezäumten  und  mit  buntseidenen  Bändern 
gezierten  Kameels  nach  arabischer  Sitte  umhergeführt  wurde.  Ich 
vermuthete  Anfangs,  es  sei  die  Hochzeit  einer  vornehmen  Dame, 
bis  ich  endlich  entdeckte,  als  der  Zug  am  Nachbarhause  hielt,  dass 
es  sich  um  eine  der  zahlreichen,  zweifelhaften  Schönen  handelte, 
welche  dasselbe  bewohnten.  FatTma  war  ein  gutmüthiges,  nicht 
schönes  und  ältliches  Mädchen,  welches  seit  langen  Jahren  sein 
speciclles  Wohlwollen  der  Garnison  gewidmet  hatte,  ohne  dass  diese 
stürmische  Vergangenheit  sie  gehindert  hätte,  einen  Gatten  zu  finden, 
noch  die  ehrsamsten  Bürger  der  Stadt,  zu  ihrem  Ehrentage  so  viel 
Pulver  zu  verschwenden,  als  wenn  es  sich  um  die  Tochter  des  Bürger- 
meisters gehandelt  hätte.  Als  ich,  über  die  Milde  der  öffentlichen 
Beurtheilung  nachsinnend,  zuschautc,  setzte  mir  Ali  der  Fczzäner 
auseinander,  dass  er  niemals  eine  wirkliche  Frau  nehmen  werde,  son- 
dern nur  hoffe,  bei  der  Reise  mit  mir  so  viel  zu  erübrigen,  dass  er 
sich  eine  Sclavin  kaufen  könne.  Denn,  begründete  er  weise  seinen 
Plan,  „verheirathe  ich  mich,  so  bin  ich  sicher,  dass  meine  Frau  mir 
untreu  ist;  kaufe  ich  eine  Sclavin,  so  wird  diese  allerdings  vielleicht 
auch  leichtfertig  sein,  aber  ich  habe  doch  die  Freiheit,  sie  wieder 


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KLEINE  LEIDEN  DES  TÄGLICHEN  LEBENS. 


103 


zu  verkaufen,  sobald  ich  ihre  Untreue  bemerke.”  Dies  Raisonnement 
ist  nicht  selten  und  dort  nicht  ganz  unberechtigt.  Bedenkt  man 
dazu,  dass  eine  Sclavin,  neben  der  angeführten  äusseren  Veranlassung 
zur  Treue,  von  Hause  aus  fleissiger,  gehorsamer  und  anspruchloser 
ist,  so  kann  man  sich  nicht  wundern,  dass  dort  Viele  das  berechtigte 
Concubinat  vorziehen  und  in  vielen  Hausern,  wo  legitime  Frauen 
existiren,  die  Vorliebe  des  Herrn  der  Sclavin  zufallt. 

Entsprechend  dem  mich  umgebenden  Leben  verliefen  meine 
Tage  in  einförmiger  Regelmässigkeit.  Während  des  Vormittags  be- 
reitete ich  mich,  so  weit  mir  Mittel  zu  Gebote  standen,  für  meine 
weitere  Reise  vor,  studirte  die  Bornüsprache,  wozu  die  Gelegenheit 
nicht  mangelte,  registrirte  meine  meteorologischen  Beobachtungen, 
behandelte  oft  recht  uninteressante  Kranke  und  empfing  Besuche, 
die  selten  fruchtbringende  waren. 

Die  häuslichen  Arbeiten  waren  in  dieser  Jahreszeit,  unserem  Früh- 
ling, in  qualvoller  Weise  erschwert  durch  das  Treiben  der  Fliegen,  das 
seinen  Höhepunkt  erreicht  hatte.  In  der  grössten  Winterkälte  nimmt 
dasselbe  an  Lebhaftigkeit  ab  und  im  Hochsommer  erstirbt  es  ganz. 
Jetzt  waren  die  Thiere  zum  Verzweifeln  hartnäckig,  besonders  auf 
der  Tageshöhe,  wo  sie,  von  der  Hitze  gelähmt,  sich  nicht  einmal 
leicht  verscheuchen  Hessen.  Das  Tintegefass  musste  verschlossen 
gehalten  und  bei  jedem  Eintauchen  der  Feder  vorsichtig  geöffnet 
werden;  beim  Genüsse  einer  Tasse  Kaffee,  eines  Glases  I.aqbi  musste 
die  freie  Hand  ununterbrochen  bestrebt  sein,  die  massenhaft  andrin- 
genden Insecten  zu  verjagen,  und  nicht  selten  drang  bei  unvorsich- 
tigem Sprechen  eine  Fliege  mit  der  Inspiration  bis  zum  Kehlkopf. 
VV'eniger  hatte  ich  von  den  Mücken  zu  leiden,  welche  den  Leuten, 
die  an  der  Stadtmauer  in  der  Nähe  der  Salzsümpfe  wohnen,  eben- 
falls recht  lästig  fallen. 

Wenn  die  Fliegen  mich  bei  Tage  bisweilen  fast  zur  Verzweiflung 
brachten,  so  erfreute  ich  mich  während  der  Nacht  dafür  einer  um 
so  ungestörteren  Ruhe,  da  die  Wüstenortschaften  einer  absoluten 
Immunität  geniessen  gegen  eine  Landplage,  welche  den  Frieden  der 
Menschen  sowohl  auf  der  Nordküste  Afrika’s,  als  auch  im  Sudan 
erheblich  beeinträchtigt,  gegen  die  der  F'löhe.  Die  Südgrenze  des 
nordischen  Flohs  ist  Bu  N'dscheim.  Die  oft  mit  dem  Floh  gleich- 
zeitig  genannte  Laus  findet  dagegen  alle  Bedingungen  zu  der  diesem 
Thierchen  eigentümlichen  rapiden  und  massenhaften  Vermehrung. 


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104 


1.  BUCH,  3.  KAPITEL.  MURZUQ. 


Zwar  nimmt  die  Kopflaus  merklich  ab,  doch  die  Kleiderlaus  ist  so 
unzertrennlich  vom  Menschen,  dass  man  den  exorbitanten  Anspruch, 
frei  von  ihr  bleiben  zu  wollen,  nur  bei  längerem  Aufenthalte  an 
einem  Orte  mit  einigem  Erfolge  aufrecht  zu  erhalten  vermag. 
Nicht  selten  wurde  ich  von  Arabern  gefragt,  ob  es  wahr  sei,  dass 
die  Christen  frei  von  diesem  Ungeziefer  seien,  wobei  ich  zu  meiner 
Verwunderung  bemerkte,  dass  sie  die  supponirte  Läuselosigkeit  durch- 
aus nicht  für  einen  Vorzug,  sondern  eher  für  eine  göttlichcrseits  be- 
absichtigte Vernachlässigung  zu  halten  schienen.  Da  einmal  die  Rede 
von  den  an  Haus  und  Mensch  gebundenen  Insecten  ist,  so  will  ich 
bei  dieser  Gelegenheit  erwähnen,  dass  die  Wanzen  dort  keineswegs 
fehlen,  und  dass  die  Motten  einen  Grad  von  Zerstörungsfähigkeit  und 
Gefrässigkeit  entwickeln,  wie  er  mir  kaum  irgendwo  vorgekommen 
ist  und  von  dem  ich  die  betrübendsten  Beweise  selbst  erfahren  sollte. 

Nachmittags  ging  ich  zuweilen  aut  den  Markt,  besuchte  die 
Kranken,  welche  in  ihren  Wohnungen  behandelt  werden  mussten, 
und  setzte  mich  um  Sonnenuntergang  zu  Alexandrinc  Tinne  auf  die 
Terrasse  ihres  hohen  Hauses,  mich  mit  ihr  erlabend  an  den  herr 
liehen  Abenden , die  einen  so  wohlthucndcn  Gegensatz  zu  den  win- 
digen, staubigen  und  oft  glühendheissen  Tagen  bildeten.  Während 
wir  im  April  noch  häufig  eine  empfindliche  Morgenkälte  hatten  und 
selbst  bei  Tage  nicht  über  zu  grosse  Hitze  klagen  konnten,  wenn 
nördliche  Winde  wehten,  so  wurden  diese  letzteren  mit  der  Zeit  sel- 
tener, und  gegen  Ende  desselben  Monats  überstieg  unsere  höchste 
Tagestemperatur  schon  stets  30°  C.  Ununterbrochen  sendete  später 
die  Sonne  ihre  glühenden  Strahlen  von  dem  wolkenfreien  Himmel 
auf  die  schattenlose  Stadt,  während  der  Wind  nicht,  wie  in  anderen 
Gegenden,  Kühlung  zu  bringen  vermochte,  sondern  Alles  in  Staub 
und  Sand  hüllte.  Die  Sonne  vermochte  nur  undeutlich  als  weiss- 
licher  Fleck  mit  verschwommenen  Rändern  ein  kümmerliches  Eicht 
durch  den  dichten  Schleier  zu  senden,  und  die  ganze  Natur  erschien 
fahl,  farblos,  unheimlich. 

Erst  wenn  gegen  Sonnenuntergang  der  Wind  schwieg,  und  die 
Sonne  wenigstens  ihren  Scheidegruss  sichtbar  zu  uns  gesendet  hatte, 
traten  die  umgebenden  Gegenstände  in  klaren  Conturen  und  be- 
stimmten Färbungen  hervor;  der  Himmel  crblaute  wieder  für  die 
kurze  Zeit  bis  zur  schnell  hcrcinsinkenden  Nacht;  bald  tauchten  aus 
der  dunkelnden,  fleckenlosen  Wölbung  über  uns  die  Sterne  in  ungc- 


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REIZVOLLE  ABENDE.  105 

wohnter  Klarheit  hervor,  und  der  Mond  stellte  nicht  mehr  die  bleiche 
Scheibe  meiner  Hcimath  dar,  sondern  schwebte  als  wunderbar  leuch- 
tende Kugel  durch  den  Weltraum.  Dann  war  es  schön  auf  der 
hohen  Terrasse  über  der  schweigenden  Stadt.  In  wunderbarer  Schärfe 
zeichneten  die  Dattelpalmen  in  der  Umgebung  bei  der  scheidenden 
Sonne  nicht  blos  ihre  herrlichen  Formen  von  unnachahmlicher  Grazie 
gegen  den  geklärten  Himmel,  sondern  jede  Fieder  des  Blattes  wurde 
sichtbar.  Alles  schien  nähergerückt  und  vergrössert;  die  fern  am 
Horizonte  auftauchenden  Menschen,  wie  die  heimkehrenden  Kameele 
erschienen  fast  in  gespenstischer  Grösse.  Auf  der  Höhe  der  klarsten, 
wind-  und  staubfreiesten  Tage  hatte  man  nie  eine  Transparenz  der 
Atmosphäre,  wie  gegen  Abend.  Alhnählig  versanken  die  ferneren 
Gegenstände  in  die  allgemeine  Dunkelheit;  nur  die  vereinzelten  Pal- 
men der  Stadt  warfen  geisterhafte  Schatten  auf  die  im  Mondlicht 
erglänzenden  platten  Dächer,  und  im  Hintergründe  der  Stadt  erhob 
sich  gigantisch  die  massige  Qasba. 

Unser  lebhaftes  Gespräch  über  unsere  Plane  der  Zukunft  und  über 
die  erfahrungsreiche  Vergangenheit  meiner  Freundin,  über  unsere 
Heimatli  und  die  übrige  Welt  unterlag  dem  Einflüsse  der  zauberischen 
Stille  und  verrann  allmählich.  Je  mehr  wir  äusserlich  verstummten, 
desto  mehr  versanken  wir  in  Träumereien,  bis  die  fernher  in  melan- 
cholischer Weise  durch  die  Nacht  tönende  Debdeba  uns  zur  Wirk- 
lichkeit zurückrief  und  mich  zum  Aufbruch  mahnte. 

Meine  ärztliche  Thätigkcit,  der  ich  mich  mit  regem  Eifer  widmete, 
verschaffte  mir  nicht  allein  wichtige  klimatologischc  Einblicke 
und  eine  ausreichende  ‘Kcnntniss  der  vorkommenden  chronischen 
Krankheiten  und  thcilwcisc  der  acuten,  sondern  auch  zahlreiche  Be- 
* ruhrungspunkte  mit  Leuten  der  verschiedensten  Art  und  Lebenslage, 
denen  ich  manche  Erfahrung,  manche  Auskunft,  manche  Gcnug- 
thuung  durch  wirklich  gespendete  Hülfe  und  manche  Freude  an  der 
Erkenntlichkeit  der  Menschen  zu  danken  hatte. 

Mit  der  schwindenden  Winterkälte  meldete  sich  der  Feind  des 
Fremdlings  in  Gestalt  der  Sumpf-  oder  Malariafiebcr  mehr  und  mehr. 
Dieselben  werden  mit  fortschreitendem  Sommer  häufiger  und  inten- 
siver, beginnen  im  Spätherbst  abzunehmen  und  erlöschen  endlich  im 
Winter  fast  ganz.  Wenn  auch  Neger  eine  geringere  Empfänglichkeit 
für  das  Malariagift  haben,  als  hellfarbige  Leute,  so  wurden  doch  nicht 
wenige  farbige  Diener  Fräulein  Tinne's  davon  ergriffen.  Im  Ganzen 


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106 


!.  BUCH,  3.  KAPITEL.  MURZUQ. 


waren  die  Murzuqer  der  Ansicht,  dass  dieser  Krankheitsstoff  und 
seine  Wirkungen  in  der  Stadt  seit  Jahren  allmählich  abnähmen.  Früher 
hatten  die  Weisscn,  erzählten  meine  Berichterstatter,  in  Murzuq  über- 
haupt nicht  verweilen  können,  ohne  vom  Fieber  ergriffen  zu  werden, 
und  cs  sei  deshalb  noch  nicht  lange  her,  dass  denselben  nur  der 
Aufenthalt  wahrend  der  drei  Wintermonate  gestattet  gewesen  sei. 
Freilich  entsprang  diese  Verordnung  keiner  väterlichen  Fürsorge  der 
Regierung  für  die  Weisscn,  sondern  der  Ansicht,  dass  diese  das 
Krankheitsgift  reproducirten  und  also  die  Sumpffieber  an  Häufigkeit 
zunehmen  müssten. 

Für  uns  neue  Ankömmlinge  vollzog  sich  die  Acclimatisirung  nicht 
ohne  erhebliche  Unbequemlichkeiten.  Im  Anfänge  machten  sich  in 
Folge  des  Nahrungswcchsels  hartnäckige  Verdauungsstörungen  gel- 
tend; Magen-  und  Darmkatarrhe  traten  auf,  und  es  verging  fast  der 
ganze  April,  ohne  dass  die  Funktionen  meiner  Verdauungsorganc  regel- 
mässige geworden  wären.  Dies  wurde  allerdings  erschwert  durch 
die  nicht  immer  zweckmässige  Nahrung,  welche  ich  einzunehmen 
gezwungen  war.  Von  den  geträumten  culinarischen  Genüssen  nämlich 
hielt  es  Giuseppe  Valpreda  nicht  dir  gut,  mir  etwas  zuzuwenden. 
Erstens  waren  die  Marktpreise  dir  Fleisch  nicht  unerheblich,  denn 
Hammel-  oder  Ziegenfleisch  kostete  die  Oqqa  (2*/j  Pfund)  immerhin 
1 Mark,  ein  Huhn  hatte  den  Preis  von  50  bis  80  Pfennigen,  und  nur 
das  Kameelfleisch  war  billig,  indem  es  nur  den  halben  Werth  des 
Hammelfleisches  hatte.  Sodann  aber  gelang  es  mir  nicht,  eine  heil- 
same Abwechselung  unter  den  Gemüsen  in  meine  Küche  einzudihren. 

Soviel  ich  auch  meinem  pietnontesischdh  Koche  zuredete,  sich 
allmählig  der  ihm  vorläufig  unbekannten,  landesüblichen  Gemüse  an- 
zunehmen, und  Melüchia,  Bämia  und  dergleichen  zu  kochen,  so  hielt  er 
doch  diese  Accommodation  an  die  Verhältnisse  für  eine  Herabwürdi- 
gung seiner  Kunst  und  kochte  heute  gelbe  Rüben  mit  Hammelfleisch, 
morgen  Bohnen  mit  Huhn  oder  vereinigte  umgekehrt  das  Huhn  mit 
den  Rüben  und  das  Hammelfleisch  mit  den  Bohnen.  Ein  Versuch 
seinerseits,  sich  meinen  Wünschen  zu  fügen,  endigte  mit  einer  lächer- 
lichen Verwechselung,  die  leicht  drastische  Folgen  hätte  haben 
können.  Eine  Schüssel  mit  kleinen  ovalen,  platten  Kernen  von  gelb- 
lichgrauer  Farbe  sollte  mein  Mahl  verherrlichen,  und  wenn  auch 
Giuseppe  seine  Verwunderung  darüber  aussprach,  dass  dieselben 
nicht  gahr  hätten  werden  wollen,  so  setzte  ich  mich  doch  nieder  mit 


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ERNAHRVNGSSCHWIERIOKEITEN. 


107 


dem  festen  Entschluss,  diese  erste  Nachgiebigkeit  des  eigensinnigen 
Mannes  durch  einen  lebhaften  Appetit  meinerseits  zu  belohnen.  Ent- 
setzt fuhr  ich  freilich  zurück,  als  ich  entdeckte,  dass  er  mich  mit 
Coloquinthenkcrnen  zu  beglücken  die  Absicht  gehabt  hatte,  und  ver- 
suchte auch  nicht  wieder,  seinen  Sinn  auf  eine  Vervielfältigung  meiner 
Gemüsegenüssc  zu  lenken.  Nur  unsere  Gewöhnung  an  Duchn  und 
Durra  anstatt  des  theueren  und  später  seltenen  Weizens  stellte  ich 
ihm  als  absolut  nüthig  vor,  und  so  hatte  ich  denn  das  zweifelhafte 
Vergnügen,  beide  Getreidearten  in  der  Form  von  aufgequellten,  ge- 
kochten Kornern  als  Gemüse  zu  geniessen  und  mir  mit  den  unver- 
daulichen Hülsen  den  Magen  zu  verderben. 

Bescheiden  suchte  ich  an  Stelle  anderer  Genüsse  den  frischer 
oder  dicker  Milch  zu  setzen,  zu  dem  mir  Ibrahim  mit  dem  bedenk- 
lichen Zunamen  Bt'iza  (Schnaps-  oder  Bier-Ibrähim),  der  Garnison 
Schreiber,  die  willkommene  Gelegenheit  bot.  Seit  dieser  geschickte 
und  lebhafte  Mann  durch  seine  Frau  vom  Laster  der  Trunksucht, 
zu  dem  ihn  allmählig  die  ertödtende  Monotonie  Murzuq’s  getrieben 
hatte,  geheilt  worden  war,  gab  er  sich  dem  Häuser-  und  Gartenbau 
und  der  seltenen  Rindviehzucht  hin.  Ich  ging  zuweilen  zu  ihm,  um 
mit  innigem  Vergnügen  seine  kleinen,  den  entsprechenden  Hülfs- 
quellen  gemäss  bescheidenen,  doch  immer  sauberen  und  geschmack- 
vollen häuslichen  Einrichtungen,  die  er  eigener  Maurer-  oder  Schreincr- 
arbeit  verdankte,  anzusehen,  und  die  Sinnigkeit  zu  bewundern,  mit 
welcher  er  die  ärmlichen  Pflänzchen,  die  Klima  und  Entfernung  von 
andern  Tendern  ihm  gestatteten,  zu  Gartcnanlagen  zu  verwenden 
und  allen  seinen  Einrichtungen  einen  ästhetischen  Hauch  zu  geben 
wusste.  Unter  Anderem  hatte  er  sich  auch  Kühe  angeschafft,  eine 
seltene  Erscheinung  in  Murzuq,  und  dies  gab  mir  die  Idee  an  die 
Hand,  durch  ihn  zu  einer  täglichen  Ration  von  Milch  zu  gelangen, 
welche  für  mich  freilich  ein  ungewohntes  Getränk  war.  Durch 
alle  diese  Schwierigkeiten  arbeitete  sich  mein  Körper  übrigens  mit 
anerkennenswerther  Energie  durch,  und  ich  konnte  gerade  nach 
Monatsfrist  behaupten,  eine  vollständige  Verdauungsfähigkeit  für 
Duchn  und  Durra,  für  Kameelfleisch  und  Milch  erkämpft  zu  haben. 

Im  folgenden  Monat  Mai  ereilte  auch  mich  das  Schicksal  der 
Malaria-Vergiftung  und  zwar  in  sehr  intensiver  Weise.  Leider  fiel 
meine  Erkrankung  in  eine  für  Fräulein  Tinnc  so  ungünstige  Zeit, 
dass  meine  Abwesenheit  von  ihrem  Krankenbette  beinahe  verhäng- 


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1Ö8 


I.  BUCH,  3.  KAPITEL.  MURZUQ. 


nissvoll  fiir  sic  geworden  wäre.  Nachdem  sie  sehr  bald  nach  unserer 
Ankunft  leichte  Ficberanfälle  gehabt  hatte,  zog  sie  sich  gegen  Ende 
April  eine  Blinddarmentzündung  zu,  welche  nach  dem  sechsten  Tage 
den  Weg  der  Besserung  betrat.  Schon  vorher  war  die  zwar  energische 
aber  delikate  Dame  nicht  stark  gewesen,  und  ich  hatte  sie  oft  vergeb- 
lich gedrängt,  sich  durch  ausgewähltc  Kost,  soweit  dies  möglich  war, 
zu  kräftigen.  Seit  Beginn  der  Krankheit  hatte  sie  jede  Nahrungs- 
cinnahme  verweigert,  und  selbst  nach  Beginn  der  Reconvalescenz 
war  sic  nicht  zu  einer  solchen  zu  bewegen. 

Als  ich  fast  eine  Woche  lang  durch  die  eigene  Krankheit  an 
meinem  Besuche  .verhindert  gewesen  war,  fand  ich  die  Arme  in  einem 
Befürchtung  erregenden  Zustande.  Skclettartig  abgemagert,  mit 
schmerzhaften  Contracturen  der  Gliedmaassen , furchtbaren  Neural- 
gieen,  gänzlicher  Schlaflosigkeit  und  absoluter  Unfähigkeit,  Nahrung 
einzunehmen,  erregte  sie  gerechten  Zweifel  in  mir  an  der  Möglich- 
keit unserer  gemeinsamen  Reise  nach  Bornü.  Ich  wagte  sie  kaum 
noch  zu  verlassen,  und  einige  Wochen  vergingen,  che  sie  unter  dem 
Gebrauche  von  Narcoticis  und  vorsichtigster,  allmählicher  Einflössung 
leicht  verdaulicher  Nahrungs-  und  Reizmittel  sich  zu  neuem  Leben 
aufschwang. 

Nach  ihrer  Wiederherstellung  gingen  wir  ernstlich  an  die  Rcali- 
sirung  unserer  vorläufigen  Reiseprojectc.  Ein  Muräbid  Ali  aus  dem 
Dorfe  Bachi  bei  Qatrun  war  durch  Geschäfte  nach  Murzuq  geführt 
worden  und  kam  mit  Hadsch  Brähim,  um  mein  Tibesti-Project  zu 
besprechen.  Er  war  ein  kleiner,  dunkelfarbiger  Mann  mit  vorwal- 
tendem Tubublut  in  den  Adern,  doch  von  strenger  Rechtlichkeit, 
verständig  und  durch  eigene  Erfahrung  ein  competenter  Richter  über 
die  Ausführbarkeit  meiner  l’länc.  Er  schilderte  den  Charakter  seiner 
Vettern,  der  Tubu,  in  wenig  ermuthigender  Weise  und  rieth  dem- 
entsprechend, wie  die  Murzuqer  Freunde,  von  dem  Vorhaben  ab, 
hielt  es  aber  nicht  für  durchaus  unmöglich,  mit  Hülfe  des  Chefs  der 
Muräbidija  von  Qatrün,  des  greisen  Hadsch  Dschäber,  ungefährdet 
eine  Reise  nach  Tibcsti  zu  machen.  Eine  Ausdehnung  derselben 
bis  Borkü  erklärte  er  für  vollständig  unausführbar.  Seine  Mutter 
stammte  aus  Tibcsti,  nahe  Verwandte  von  ihm  lebten  in  Borkü, 
und  selbst  in  Wanjanga  war  er  vom  östlichen  Tibcsti  aus  gewesen; 
doch  lehnte  er  für  den  Kall  meiner  Reise  von  vornherein  seine  per- 
sönliche Begleitung  ab. 


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Pl.AN  DER  TIBEST1-  REISE. 


1U9 


Ich  selbst  war  entschlossen  zu  gehen,  und  selbst  wenn  die  Ge- 
fahren noch  drohendere  gewesen  wären,  als  meine  Berather  sie 
schilderten.  Abgesehen  davon,  dass  in  Murzuq  meiner  nur  Fieber, 
Hitze,  Staub  und  ertödtende  Einförmigkeit  wartete,  war  es  eine 
Ehrensache  für  mich,  nicht  ein  halbes,  vielleicht  sogar  ein  ganzes 
Jahr  thatlos  liegen  zu  bleiben.  Um  in  dem  oft  von  wissenschaftlichen 
Männern  durchreisten  Fezzän  die  wenigen  Hundert  Thaler,  welche 
ich  mein  eigen  nannte,  zu  Excursionen  zu  verwenden,  dazu  versprachen 
diese  nicht  Resultate  genug,  wahrend  selbst  eine  unwissenschaftliche 
Reise  nach  Tibesti  eine  lohnende  Ausbeute  verhiess.  Seit  europäische 
Reisende  von  Tripolis  aus  nach  Bornü  gegangen  waren,  hatte  man 
von  diesem  Felseniande  der  Tubu  im  Südosten  von  Fezzän  gehört, 
das  sich  durch  mächtige  Berge  und  merkwürdige,  heisse  Quellen  aus- 
zeichnen sollte.  So  lebhaft  auch  der  Verkehr  war,  welcher  vom 
Süden  Fezzän’s,  besonders  durch  die  Muräbidija  von  Qatrün,  mit  dieser 
Landschaft  unterhalten  wurde,  so  wenige  Fczzaner  unternahmen  die 
Reise  in  dieselbe  persönlich,  und  so  unbekannt  war  sie  selbst  den 
Arabern  geblieben. 

Fast  alle  meine  Vorgänger  auf  demselben  Wege  hatten  gewünscht, 
das  so  nahe  gelegene  unil  doch  gänzlich  unbekannte  Ländclicn 
unserer  Kenntniss  zu  'erschliessen,  doch  Alle  waren  vor  der  schlech- 
ten Reputation  der  Tubu,  ihrem  Rufe  der  Treulosigkeit  zuruck- 
geschreckt  und  hatten  bei  den  ernsten  Abmahnungen  der  Local- 
behörden ihrem  Plane  entsagt.  Moritz  von  Beurmann  war’ demselben 
am  nächsten  getreten,  d.  h.  er  hatte  bereits  durch  die  Muräbidija 
von  Qatrün  einen  Contract  mit  dem  Häuptling  und  dem  unbestreitbar 
angesehensten  Edelmanne  des  Landes,  die  ich  beide  später  genauer 
kennen  zu  lernen  eine  nur  allzulange  Gelegenheit  hatte,  als  Begleitern 
abgeschlossen.  Doch  ihre  Unzuverlässigkeit  und  Wortbrüchigkeit 
Hessen  auch  ihn  auf  die  Ausführung  verzichten. 

Genug,  ich  war  entschlossen  und  veranlasste  sofort  einen  officiellen 
Brief  an  den  Hadsch  Dschäber  in  Qatrün,  der  nach  dem  Urtheile 
Aller  die  Schlüssel  zu  dem  Felsenlande  in  seinen  Händen  hatte. 
Dieser  sprach  sich  sogar  etwas  zuversichtlicher  für  die  Ausführbar- 
keit des  Planes  aus,  als  der  Muräbid  Ali,  und  schien  nicht  abgeneigt, 
eine  gewisse  Verantwortlichkeit  für  das  Gelingen  auf  sich  zu  nehmen. 
Er  habe,  schrieb  er,  gerade  einen  Edelmann  aus  Tibesti  in  Qatrün, 
der  ihm  zuverlässig  und  angesehen  genug  erscheine,  um  mir  als 


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110 


I.  BUCH,  3.  KAPITEL.  MURZUQ. 


Schutz-  und  Gelcitsmann  dienen  zu  können,  und  werde  einen  ge- 
eigneten Mann  aus  seiner  eigenen  Genossenschaft,  der  eine  viel  höhere 
Hedeutung  haben  werde,  als  jener,  als  weiteren  Begleiter  mitgeben. 

Zur  grösseren  Sicherheit  wurde  der  Tubu-Edle  aufgefordert,  sich 
in  Murzuq  den  Behörden  vorzustellen  und  mit  ihnen  einen  Contract 
zu  vereinbaren.  In  Erwartung  dieses  Mannes  — Qatrün  liegt  vier 
Tagereisen  von  Murzuq  entfernt  — machte  ich  die  geeigneten  Zu- 
rüstungen durch  Ankauf  von  Geschenken  und  durch  Vorbereitung 
des  Mundvorraths,  und  suchte  gleichzeitig  meiner  wiederhergestellten 
Freundin  zur  Realisirung  ihres  Planes  an  die  Hand  zu  gehen.  Der 
Chef  der  Tuärik  Asgar,  der  greise  Ichnuchen,  hatte  eine  freundliche, 
ja  zuvorkommende  Antwort  auf  Fräulein  Tinne’s  Brief  gegeben,  des 
Inhalts,  dass  er  selbst,  durch  Geschäfte  in  den  westlichen  Theil  des 
W.  Ladschal  gerufen,  sie  abholen  werde.  Bei  ihren  Vorbereitungen 
zur  Reise  übernahm  ich  gewöhnlich  die  Vermittelung  zwischen  ihr 
und  den  Behörden,  und  cs  fiel  mir  hierbei  auf,  dass,  wenn  ich  in 
ihrem  Interesse  zu  dem  freundlichen,  wohlwollenden  und  stets  gc- 
gefälligen  Hadsch  Brähim  oder  irgend  einem  Andern  kam,  ich  zwar 
stets  die  höfliche  Bereitwilligkeit  des  Beamten  und  wohlerzogenen 
Mannes  fand,  aber  jene  Wärme,  jenes  herzliche  Entgegenkommen 
vermisste,  welche  mir  so  reichlich  zu  Theil  wurden.  Man  hätte 
gerade  im  Gegentheil  erwarten  sollen,  dass  eine  Dame,  welche  über 
so  grosse  Mittel  gebot,  der  so  dringende  und  werthvolle  Empfeh- 
lungen zur  Seite  standen,  welche  endlich  ganz  allgemein  nur  als  Bent 
el-Re,  d.  h.  Königstochter,  bekannt  war,  mit  einer  aussergewöhnlichen 
Zuvorkommenheit  behandelt  werden  würde.  Der  Unterschied  der 
uns  widerfahrenden  Behandlung  war  mir  lange  unerklärlich,  bis  ich 
allmählich  einsah,  dass  derselbe  dem  harmlosen  Umstande  entsprang, 
dass  sie  nicht  verheirathet  war.  Die  Murzuqer  Herren,  welche  selbst 
der  Frauenliebe  sehr  ergeben  sind,  konnten  sich  so  wenig  ein  weib- 
liches Geschöpf  mit  anderen  Zwecken  als  dem  der  Kindererzeugung 
und  des  sinnlichen  Genusses  vorstellen,  dass  sie  geneigt  waren,  dem 
ledigen  Stande  der  „Königstochter”  unnatürliche  Gründe  unterzu- 
schieben. Die  unsinnigsten  Gerüchte  circulirten  über  diese  Frage 
bei  den  Leuten,  und  unter  diesen  fand  am  meisten  dasjenige  Anklang, 
welches  sie  beschuldigte,  einen  verzauberten  Mann  in  Gestalt  ihres 
riesigen  Lieblingshundes  bei  sich  zu  führen,  der  nur  unter  dein 
Dunkel  der  Nacht  eine  menschliche  Gestalt  annähme.  Als  dieses 


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MISSACHTUNG  UNVERHEIRATETER.  1 1 1 

brave  Thier  im  Laufe  des  Monat  Mai  an  Altersschwäche  starb,  und 
seine  Herrin  einen  dort  unbegreiflichen  Schmerz  über  seinen  Tod  zur 
Schau  trug,  zweifelten  nur  wenige  Skeptiker  mehr  an  der  Richtig- 
keit jener  Annahme.  Schon  jeder  Mann  nimmt  als  Junggeselle  eine 
missachtete  Stellung  in  jenen  Gegenden  ein  und  provocirt  durch  seine 
Frauenlosigkeit  nicht  sehr  schmeichelhafte  Bcurtheilungen  seiner  Per- 
son, doch  bei  einer  Frau  erschien  ein  solches  Verhältniss  von  noch 
viel  gravirenderer  Bedeutung,  besonders  da  die  in  Rede  stehende 
durch  ihre  Ziele  und  Zwecke  so  sehr  in  die  Oeflentlichkeit  trat.  Ich 
mochte  noch  so  sehr  auf  ihre  Wohlthätigkeit,  Generosität  und  Vor- 
liebe für  islamitische  Länder  hinweisen,  ganz  vermochte  ich  den 
Schatten,  der  auf  ihrer  Person  lastete,  nicht  zu  tilgen. 

Bald  war,  so  weit  es  an  uns  lag,  Alles  zu  unserer  beiderseitigen 
Abreise  vorbereitet.  Doch  bevor  wir  den  ersten  Blick  in  eine*  bis 
dahin  uns  verschlossen  gewesene  Welt  werfen,  dürfte  es  zweckmässig 
erscheinen,  eine  zusammenfassende  und  ergänzende  Uebersicht  über 
Fezzan  zu  gewinnen. 


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Viertes  Kapitel. 

NATÜRLICHE  BESCHAFFENHEIT  FEZZÄN’S. 


Die  grosse  Wüste  oder  Saharä.  — Ihre  Erhebung  Ulier  dem  Meeresspiegel.  — Küsten  - 
gebirge  und  centrale  Erhebungen.  — Steinige  HocheWncn  und  Dünenregionen.  — 
Topographische  Verhältnisse  zwischen  Tripolis  und  Murzuq.  — Das  Küstengebirge. 
— Seine  weidereichen  Ebenen  und  Abflüsse.  — Abdachung  der  liamniäda  el-IIanwd 
nach  der  grossen  Syrte  zu.  — Serir.  — Dschebcl  et-TÄr  und  ei  - Dschofra.  — Die 
natürliche  Nordgrenze  Fezz&n's.  — Dsch.  es-Sodd  in  Erhebung,  Ausdehnung  und 
Beschaffenheit.  — Seine  Abflüsse.  — Oasen  - Complex  des  eigentlichen  Fezzän.  — 
W.  Schijdti  und  Ilattija  Omni  el- Abtei.  — Dünen  Edeyen.  — Salzige  Seen.  — 
W.  Ladschal  und  die  Oasen  Sebha,  Temenhint,  Senmu  und  Sirrhen.  — W.  Otba 
und  die  Oase  Rhodwa.  — Die  (Iofra  von  Murzuq.  — Die  Scherqlja.  — Isolirte 
Oasen.  — W.  F.kema  mit  den  südlichen  t htschaften.  — SUdgrenze  Fezzdn's.  — 
Pflanzen-  und  Thierleben.  — Viehzucht  und  animalische  Kost  der  Einwohner.  — 
Ackerbau.  — Cultur  der  Dattelpalme.  — Oetreidehau.  — Vegetabilische  Nahrungs- 
mittel der  Fezzdner.  Der  Handel  Fezzdn’s  sonst  und  jetzt.  — (»rund  seines  Rück- 
ganges. — Waaren.  — Mangel  an  Industrie  in  Fezzdn. 

Der  vulgäre  Irrthum,  dass  jenseits  der  Gebirgsketten,  welche 
parallel  der  Nordküste  Afrikas  von  Marokko  bis  Tunis  und  Tripolis 
verlaufen,  eine  unter  dem  Meeresspiegel  gelegene  wüste  Sandebene 
in  einer  Ausdehnung  von  ungefähr  fünfzehn  Breitegraden  die  Nordküste 
von  den  fruchtbaren  Ländern  des  nördlichen  Central -Afrika  trenne, 
sollte  zwar  längst  als  beseitigt  betrachtet  werden  können,  stösst  uns 
aber  hier  und  da  immer  noch  wieder  auf,  wie  die  Discussioncn  über 
die  verschiedenen  Probleme,  die  grosse  Wüste  oder  Sahara  in  grösserer 
Ausdehnung  unter  Wasser  zu  setzen  beweisen.  In  der  That  ist  die 
Wüste,  als  Ganzes  betrachtet,  eine  beträchtlich  über  dem  Meeres- 


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DIE  GROSSE  WÜSTE  ODER  SAHARA. 


113 


Spiegel  erhabene  Gegend;  der  Sand  tritt  felsigem  und  hartem  Kies- 
boden gegenüber  in  den  Hintergrund  und  anstatt  der  Ebene  haben 
wir  eine  ungeahnte  Mannigfaltigkeit  von  Berg  und  Thal. 

Die  Küstengebirge  sind  nicht  als  einzelne,  aus  der  Ebene  sich 
erhebende  Ketten  zu  betrachten,  sondern  bilden  die  Terrassen  zu  hoch- 
gelegenen, mit  einzelnen  Gebirgsstöcken  und  isolirten  Berggruppen 
gezierten  Ebenen,  welche  von  zahlreichen,  wasserlosen  Flussthälern 
durchschnitten  sind.  Auf  ihrer  ungeheuren  Ausdehnung  findet  man 
dann  mehr  oder  minder  ausgedehnte  Strecken  mit  Sandbergen  und 
Sandflächen  bedeckt.  Bei  der  gewaltsamen  Erhebung,  welche  einst 
die  Gebirgsstöcke  im  Norden  und  im  Innern  der  Wüste  erzeugte, 
scheinen  weite,  ungeheure  Ebenen  in  ihrer  Gesammtheit  und  in  ihrer 
Oberfläche  unverändert  mit  erhoben  zu  sein,  und  im  Laufe  der  Jahr- 
tausende haben  sich  dann  aus  der  Verwitterung  der  Felsen  und 
Ebenen  und  unter  dem  anordnenden  Einflüsse  des  Windes  in  be- 
stimmten Gebieten  zusammenhängende  Sandmassen  aufgehäuft,  welche 
in  Länge  und  Breite  variirende  Züge  oder  vereinzelte,  bewegliche 
Dünen  darstellen. 

So  hat  man  in  dem  ganzen  westlichen  Afrika,  von  der  Nordküste 
kommend,  wenn  man  sich  die  Anordnung  in  grossartigen  Dimen- 
sionen und  schematisch  vorstellt,  eine  mehr  oder  weniger  von  Westen 
nach  Osten  verlaufende  Gebirgskette  vor  sich,  von  deren  Höhe  man 
jenseitig  nur  unwesentlich  absteigt.  Südlich  von  ihr  dehnen  sich 
Massen  dünenartiger  Erhebungen  gelben,  sandigen  Detritus  aus,  und 
auf  diese  folgen  terrassenförmige  Plateaus  wüster  Hammäden  und 
kiesiger  Serir's. 

Wenn  die  Regelmässigkeit  dieses  Systems  im  ganzen  westlichen 
Theile  Nordafrika’s  klar  in  die  Augen  fällt,  so  stellen  sich  diese  Ver- 
hältnisse etwas  anders  dar  auf  dem  Wege  von  Tripolis  nach  Fezzün. 
Dieselben  Ursachen,  welche  den  weiten  Ausschnitt  der  Nordküste, 
die  beiden  Syrten,  erzeugten,  Hessen  hier  die  atlantische  Ge- 
birgskette in  wirren  Ausläufern  endigen  und  die  lange  nördliche 
Dünenreihe  den  Meridian  von  Tripolis  nicht  mehr  erreichen,  und 
vermittelten  die  Bildung  der  zahlreichen  Oasengruppen,  welche  l'ezzdn 
zusammensetzen.  Besonders  der  östliche  der  beiden  besprochenen 
Wege  giebt  nicht  mehr  eine  klare  Idee  der  ganzen  Anordnung,  da 
seine  erste  Hälfte  zu  nahe  der  Syrte  verläuft,  gegen  welche  hin  die 
an  die  westlichen  Gebirgsstöcke  gelehnten  Hochplateaus  sich  bis  zu 

Kachticul.  I 8 


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I 14  1.  BUCH,  4.  KAPITEL.  NATÜRLICHE  BESCHAFFENHEIT  FEZZAn's. 


Tiefebenen  abdachen,  und  seine  zweite  Hälfte  innerhalb  der  natür- 
lichen Grenzen  des  Oascncomplexes  von  Fezzän  fällt.  Doch  ist  wohl 
Alles  gleichmässig,  wenn  auch  nicht  gleichzeitig  entstanden.  Die 
tripolitanischcn  Gebirgsstöckc  Dsch.  Dui'rät,  Neffisa,  Ghariän  und 
Tarhüna,  der  Dsch.  es- Soda  und  der  Harudsch  werden  sich  mit  den 
westlicheren  atlantischen  Ketten  erhoben  haben,  wie  weiterhin  im 
Süden  die  Bergmassen  von  Tibcsti,  das  Gebirge  Ahaggär  und  die 
Berge  von  Ahlr  eine  gleiche  Entstehung  hatten,  und  wo  die  vul- 
kanischen Massen  nicht  durchbrechen  konnten,  wurde  die  Kruste  zu 
wirklichen  Hochplateaus  — Hammada  — oder  zu  weniger  hoch 
gelegenen  Ebenen  — Serir  — in  Masse  und  gleichförmig  empor- 
gehoben. 

Der  volle  Charakter  der  Wüste  beginnt  einige  Tagereisen  von 
den  südlichen  Abhängen  des  nördlichen  Gebirgsstockes,  welcher  sich 
bis  zu  ca.  700  Meter  erhebt  und  hauptsächlich  aus  Kalksteinfelsen 
besteht,  hervorzutreten.  Zunächst  zieht  man  noch  auf  hohen  Ebenen 
mit  vortrefflichen  Viehweiden  dahin,  die  unterbrochen  sind  von  zahl- 
losen, weiten  Thälern  mit  fast  immer  trockenen  Flussbetten  — 
Wudjän  — und  fruchtbarem  Boden,  in  dem  hier  und  da  Getreide 
cultivirt  wird.  Dann  wird  mit  den  spärlicheren  Niederschlägen  Humus, 
Sand-  und  Lehmboden  seltener;  Felsgrund,  mit  Steinen  jeder  Art 
besäet,  oder  nackter  Kalkboden  walten  vor;  die  Flussthäler  werden 
weniger  scharf  geschnitten  und  unfruchtbarer,  die  zahlreichen  Hügel 
nackter,  und  endlich  zieht  man  auf  jenen  weiten,  unabsehbaren  Serir's 
mit  ihrem  harten  Kiesgrunde  dahin,  welche  den  wüstesten  Theil  der 
Wüste  bilden. 

Diese  lehnen  sich  an  die  grosse  Hammada  el-Hamrä,  welche 
sich  westlich  von  ihnen  in  einer  Länge  von  etwa  6c»  Kilometern 
von  Ost  nach  West  und  einer  Breite  von  200  Kilometern  von  Nord 
nach  Süd  ausdehnt,  und  gehen  nach  Osten  und  Nordosten  über  in 
die  Tiefebenen,  welche  die  Syrte  umgeben.  Während  die  Hammada 
el-Hamrä  etwa  600 Meter  über  dem  Meeresspiegel  liegt,  haben  die  Serir’s 
daneben  nur  etwa  die  halbe  Erhebung;  während  jene  mit  zahllosen 
Steinen,  unregelmässig  in  Form  und  Grösse,  bedeckt  ist,  zeigen  diese 
einen  gleichmassigen  Belag  von  gleich  kleinen,  abgeschliffenen  und 
meist  auch  gleich  gelärbtcn  Steinen.  Beide  sind  des  Lebens  in 
gleicher  Weise  baar.  Wo  auf  ihnen  der  Wind  etwas  Sand  zusammen- 
getrieben hat,  entwickelt  sich  ein  Pflanzenleben  der  bescheidensten 


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GEBIRGE,  WfJSTE  EBENEN  UND  TH  M. FM  I.  DÜNGEN.  115 

Form,  doch  auf  ihnen  selbst  keimt  durchaus  Nichts.  Nackte,  kahle 
Hügel  von  der  Form  abgestutzter  Kegel  oder  Pyramiden,  Produkte 
der  Boden -Erosion,  unterbrechen  hier  und  da  die  Gleichförmigkeit 
und  zeigen  durch  die  allen  gemeinsame  unbedeutende  Höhe  das 
frühere  Niveau  des  Terrains.  Wenn  auch  in  der  Serir  die  Wasser- 
schicht  der  Bodenoberfläche  näher  liegt,  als  in  der  höher  erhobenen 
Hammada,  so  werden  doch  auch  in  jener  die  Brunnen  seltener  und 
tiefer. 

Diese  hänförmigkeit  wird  unterbrochen  durch  die  Vorberge  des 
Dsch.  es- Soda,  das  Gebirge  et-Tär,  mit  schwarzem  Sandstein  ge- 
krönte Kegel,  welche  sich  isolirt  oder  in  Gruppen  zu  500 -~6oo  Meter 
Meereshöhe  erheben  und  zwischen  sich  und  die  „Schwarzen  Berge" 
selbst  die  reichbewässerte  Ebene  el-Dschofra  mit  Söqna,  Hün  und 
Waddän  fassen , deren  Sandboden  auf  Thon  ruht  und  vielfach  mit 
Kalk  und  Salz  gemischt  ist.  Aus  dieser  etwas  mehr  als  300  M.  über 
dem  Meeresspiegel  gelegenen  Ebene,  welche  eine  Breite  von  ca. 
35  Km.  hat,  steigt  man  zu  dem  Dsch.  es- Soda  auf,  der  die  natür- 
liche Nordgrenze  von  Fezzan  bildet.  Derselbe  springt  am  südlichen 
Theile  des  Ostrandes  der  Hammada  el-Hamrä  zu  einer  Höhe  von 
etwas  über  900  M.  auf,  und  erstreckt  sich  bogenförmig,  an  Höhe 
abnehmend,  über  den  Meridian  von  Söqna  hinaus,  wo  er  allmählig 
in  den  schwarzen  Harüdsch  — Harüdsch  el-Assuad  — übergeht.  Die 
Masse  des  Gebirges  besteht  aus  Kalk,  der  auf  mächtiger  Thonschicht 
ruht  und  schwarzen  Sandstein  trägt.  Es  hat  bei  einer  I^ngenent- 
wickelung  von  ungefähr  200  Km.  (von  West  nach  Ost),  eine  Breite 
von  etwa  50  Km.  (von  Nord  nach  Süd),  und  wird  durch  einen  Pass 
in  einen  ausgedehnteren  und  höheren  westlichen  Theil  — Soda  el-Ghar- 
bija  — mit  dem  höchsten  Punkte  Dahär  es -Soda  und  in  einen  öst- 
lichen — Soda  esch-Scherqija  — getheilt.  Der  höchst  gelegene  Punkt 
des  Passes  ist  Dahär  el-Mümin  und  hat  eine  Erhebung  von  750  M. 

Südlich  lehnen  sich  an  das  Gebirge  wüste,  wasserlose  Ebenen, 
welche  sich  von  dem  südöstlichsten  Theile  der  Hammada  el-Hamrä 
nach  Osten  senken , und  anfangs  in  ihrem  Charakter  noch  von  den 
zahlreichen  Wudjän  beherrscht  werden,  welche  vom  westlichen  Theile 
des  Gebirges  entspringen.  Nach  wenigen  Tagen  befindet  man  sich 
wieder  auf  charakteristischen  Serir-Ebencn,  bis  man  etwa  130  Km. 
südlich  vom  Dsch.  es-Södä  die  Nordgrenze  des  bewohnten  Theiles 
des  eigentlichen  Fezzän  überschreitet,  welche  gewissermaassen  eine 

8* 


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] 1 0 I.  niTCH,  4.  KAPITEL.  NATÜRLICHE  BESCHAFFENHEIT  FEZZÄN’s. 

Fortsetzung  des  Südrandes  der  Hammäda  el-Hamrä  bildet.  Damit 
ändert  sich  der  Charakter  der  Landschaft;  Alluvialboden  tritt  auf, 
und  in  dem  Thale  von  Omm  el-Abid  findet  man  wieder  das  Wasser 
wenige  Meter  unter  der  Oberfläche  der  Umgebung.  Diese  Hattija 
kann  gewissermaassen  als  der  östliche  Endpunkt  des  W.  esch-Schijäti 
angesehen  werden,  der  sich  zwischen  dem  27.  und  28.  Grad  nördl. 
Br.  von  West  nach  Ost  erstreckt.  Derselbe  hat  leichten,  in  der 
Oberfläche  salzreichcn  Alluvialboden  von  grossem  Wasserreichthum 
einige  Meter  unter  der  Oberfläche,  und  in  seinem  östlichen  Theile 
eine  Erhebung  von  gegen  500  Meter*). 

Gegen  das  östliche  Ende  des  W.  Schijäti  erstreckt  sich  von  Süd- 
westen her  der  langgestreckte  W.  Ladschal,  ohne  jenen  jedoch  zu 
erreichen.  Zwischen  beide  drängt  sich  von  Westen  her  jene  Dünen- 
zone, welche  unter  dem  ursprünglich  generellen  Namen  Edeyen  be- 
kannt ist,  vermag  aber  nicht  weit  nach  Osten  vorzudringen.  Sobald 
sie  die  Westgrenze  der  grossen  Wudjan  erreicht  hat,  löst  sie  sich 
allmählig  in  einzelne  Hügel  auf  und  überschreitet  den  Meridian  von 
Murzuq  nur  in  Gestalt  einer  gewellten  Flugsandebene.  Zwischen  dem 
13.  und  14.  Grad  östl.  L.  von  Gr.  nehmen  ihre  vereinzelten,  doch 
immer  noch  mächtigen  Dünenhügcl  — fand  doch  Ed.  Vogel  einen 
derselben  um  500  engl.  Fuss  die  Ebene  überragend  — eine  Anzahl 
natronhaltigcr  Seen  zwischen  sich  (Mandara,  Omm  el-Mä,  Omm  el 
Hasan,  Omm  et-Trona,  Fcredra,  Tademka,  Bahär  ed-Düd).,  welche 
zum  Thcil  behufs  der  Gewinnung  von  Natron  — Trona  — und 
essbaren  Würmern  — Düd  — ausgebeutet  werden. 

Der  W.  Ladschal  zerfällt  in  einen  westlichen  Theil,  W.  cl-Gharbi, 
und  einen  östlichen,  W.  esch-Schcrqi,  ist  etwa  200  Km.  lang  und  8 Km. 
breit  und  wird  kurz  als  ,,dcr  Wadi"  bezeichnet.  Seine  beiden  Theile 
haben  denselben  Charakter:  in  der  Oberfläche  jenes  salzhaltige,  sandige 
Alluvium,  welches  in  Fezzan  in  den  Niederungen  so  vorwaltet  und 
Heischa  genannt  wird,  und  darunter  Wasser  überall  in  der  durch- 
schnittlichen Tiefe  von  3*/»  M.  Er  verdankt  seinen  Ursprung  der 
Amsakkette,  welche  ihrerseits  eine  östliche  Abstufung  der  Hochlande 


*)  Die  Senkung  des  \V.  SchijÄtl  von  West  nach  Ost  für  seinen  ganzen  Verlauf  ist 
nicht  sicher.  Es  ist  nicht  unmöglich , dass  das  Thal  in  seinem  mittleren  Theile  höher 
liege,  als  nach  beiden  Seiten  hin,  denn  in  seinem  westlichen  Theile  hat  es  nach  einigen 
Beobachtern  nur  ungefähr  350  M.  Meereshöhe. 


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W.  LADSCHAL,  HOERA  VND  SCHERQljA.  1 1 7 

üarstellt,  die  sich  an  das  vulkanische  Ahaggär-Ccntrum  lehnen.  Sein 
nordöstliches  Ende  erreicht  fast  die  Oase  Sebha,  und  die  nahe  bei 
einander  liegenden,  in  derselben  Richtung  aufeinander  folgenden 
Oasen  Temenhint,  Semnu  und  Sirrhcn  verlängern  ihn  gewissermaassen 
ebenfalls  bis  Omni  el-Abld.  Wo  er  sich  an  die  Ainsakkctle  lehnt, 
hat  er  eine  ungefähre  Höhe  von  600,  im  nordöstlichen  Ende  von 
etwa  400  M.  Südlich  von  ihm,  seinem  Verlaufe  parallel,  dehnt 
sich  die  sogenannte  Hammäda  von  Murzuq  aus  und  trennt  ihn  von 
einer  länglichen  Thalnicdcrung  geringerer  Ausdehnung,  dem  W.  Otba, 
dessen  erster  Anfang  bis  auf  die  von  der  Amsakkette  sich  abzweigen- 
den Herge  von  Aberdschüdsch,  ungefähr  100  Km.  westlich  von  Mur- 
zuq, zurückzuführen  ist  und  der  sich  durch  den  W.  Neschüa  sehr 
allmählig  nach  Nordosten  bis  zur  Oase  Rliodwa  senkt.  Etwa  50  Km. 
in  nordwestlicher  Richtung  trennen  den  W.  Otba  von  dem  grossen 
Wädi  und  kaum  40  Km.  in  südlicher  Richtung  von  Murzuq. 

Murzuq  selbst  bildet  das  westliche  Ende  einer  über  100  Km. 
langen  und  15  — 20  Km.  breiten  Bodensenkung,  welche  die  Ilofra, 
d.  h.  Grube  oder  Senkung,  genannt  wird,  und  deren  Bodenbeschaffcn- 
heit  die  grösste  Aehnlichkeit  mit  der  der  übrigen  Thäler  hat,  viel- 
leicht aber  reicher  an  Thon  ist.  In  ihr  ist  der  Wasserreichthum 
des  Bodens  gross,  und  von  einer  Quelle  der  alten  Stadt  Trägen 
sollen  früher  sogar  Kanäle  bis  zu  den  ausgedehnten,  jetzt  verwilder- 
ten Dattelpflanzungen  von  Rliodwa  geführt  haben.  Die  abhängigste 
Stelle  der  Hofra  ist  durch  einen  mächtigen  ausgetrockneten  Salz- 
sumpf eingenommen,  wie  sich  ähnliche  Sebchagriinde  in  Murzuq  und 
zu  Scheqwa  finden. 

Die  Hofra  ist  nur  durch  eine  schmale,  wüste  Terrainerhebung 
mit  dem  Charakter  einer  Serir  von  dem  Distrikte  Schcrqija  getrennt, 
einer  Gegend,  welche  noch  weniger  nach  Art  der  früheren  Wudjän 
gestaltet  ist,  als  die  Hofra,  sondern  unregelmässige  Senkungen  zwischen 
hohem,  wüstem  und  geflügeltem  Terrain  darstcllt,  in  denen  die  wenigen 
zerstreuten  Ortschaften  liegen..  Sowohl  in  der  Hofra  als  in  der  Scher- 
qija  haben  wir  keine  regelmässige  Abnahme  der  Bodenerhebung;  die 
einzelnen  Oasen  der  Ortschaften  wechseln  von  etwa  300  bis  500  M. 
Meereserhebung.  Im  Norden  von  der  Scherqija,  welche  als  einiger- 
massen  zusammenhängende  Thalnicdcrung  bis  Temissa  gedacht  wer- 
den muss,  liegt  die  vereinzelte  Oase  Foghaa,  welche  eine  selbst- 
ständige Bodensenkung  bildet,  und  im  Osten  ist  die  kaum  300  M. 


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118  t.  BUCH,  4.  KAPITEL.  NATÜRLICHE  BESCHAFFENHEIT  FEZZAN’S. 

über  dem  Meeresspiegel  liegende  Oase  Wau  ebenfalls  durch  ausge- 
dehntes wüstes  Terrain  von  der  Scherqija  getrennt. 

Von  dem  südlichsten  bewohnten  Punkte  Fezzän's,  der  Stadt 
Tedscherri,  mit  ungefähr  SCO  M.  Erhebung,  senkt  sich  ganz  regel- 
mässig ein  flaches  Thal,  wohl  W.  Ekema  genannt,  gegen  Medschdül 
in  der  Scherqija  hin,  welches  nur  wenig  höher  als  300  M.  liegt.  Das 
Thal  enthält  die  südlichsten  Ortschaften  der  Provinz  in  einer  Reihe, 
welche  sich  von  Tedscherri  bis  Qatrün,  gegen  80  Km.  lang,  erstreckt, 
und  setzt  sich  durch  verschiedene  Brunnen  von  letzterem  Orte  in 
der  Richtung  gegen  Medschdül  fort,  ohne  diesen  Ort  zu  erreichen. 

Nach  Süden  von  Tedscherri  steigt  das  Terrain  zu  einer  glcich- 
mässigen  Hammäda  an,  welche  sich  zwischen  dem  Lande  der  Tuärik 
und  dem  der  Tubu  ausdehnt,  eine  Erhebung  von  750  M.  erreicht 
und  nach  Süden  durch  das  Tümmo-Gebirge  oder  Dsch.  el-Wär  und 
Bergketten  und  Berggruppen  begrenzt  wird,  welche  sich  nach  Nord- 
westen bis  zu  dem  Ahaggär-Gebirge  der  Tuärik,  und  nach  Südosten 
bis  zum  Gebirgslande  Tibesti  in  unterbrochener  Linie  fortsetzen. 
Hier  ist  die  natürliche  Südgrenze  Fezzän's,  wie  die  Schwarzen  Berge 
von  Söqna  seine  natürliche  Nordgrenze  darstcllen.  Nehmen  wir  zu 
diesen  Grenzen  im  Westen  die  Ausläufer  und  hohen  Terrassen  der 
Tuärikländer,  so  haben  wir  ein  abgerundetes  Territorium,  das  ein- 
gefasst von  hohen  Rändern,  welche  nur  im  Osten  fehlen,  durchzogen 
von  langen,  flachen  Thälem,  durchsetzt  von  zahlreichen  eingesenkten 
Oasen  und  von  West  nach  Ost  abgedacht,  etwa  620  Km.  von  Nord 
nach  Süd  und  etwas  mehr  als  500  Km.  von  West  nach  Ost  misst, 
und  ungefähr  zwischen  dem  24.  und  29.  Grad  nördl.  Br.  und  dem 
12.  und  18.  Grad  östl.  L.  von  Gr.  liegt.  Dass  das  Gebiet  von  Fezzän 
nach  Norden  seine  natürliche  Grenze  in  Folge  der  administrativen 
Eintheilung  Tripolitanien's  überschritten  hat  und  die  am  nördlichen 
Fussc  des  Dsch.  es-Södä  sich  ausdehnende  Dschofra,  noch  nördlicher 
Bü  N’dscheim  und  am  nördlichen  Fusse  des  Harüdsch  cl-Assuad  die 
Oase  Zella  in  sich  begreift,  ist  bereits  envähnt  worden. 

Das  ganze  Territorium  von  Fezzän  gehört  der  Wüste  an,  und 
selbst  die  nördlichst  gelegenen  Oasen,  so  nahe  der  grossen  Syrtc 
Bü  N'dschcim  liegt  kaum  100  Km.  von  ihr  entfernt  — , liegen  in 
durchaus  wüster  Umgebung.  Dieser  Lage  entspricht  das  bescheidene 
Pflanzen-  und  Thierleben,  soweit  dasselbe  nicht  von  der  Bemühung 
des  Menschen  abhängt. 


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FLOKA  UND  FAUNA. 


11  f 


Während  im  Norden  der  Wüste  noch  ausgedehnte  und  mannig- 
faltige Viehweiden  in  der  günstigen  Jahreszeit  die  Nomaden  herbei- 
locken, Thymus-  und  Artemisia- Arten  und  der  Marmel  (Peganutn 
Harmala)  die  Höhen  bedecken,  Botum  (Pistacia  ntlantica),  Sidr  ( Zizy- 
phus  Lotus).  Tamarisken,  March  (Genista),  Retemm  (Retama  Raetam) 
und  Dschedäri  (Ritus  dioeca)  häufig  sind,  hört  in  I'ezzän  die  wilde 
Flora  fast  ganz  auf.  Noch  einmal  schwingt  sich  für  eine  kurze 
Periode  des  Jahres  die  Natur  auf  den  Abhängen  der  Schwarzen  Berge 
und  des  Harudsch  zu  einer  ephemeren  Produktion  auf,  doch  bald 
entwöhnt  sich  auf  den  vorwaltenden  steinigen  Kbenen  das  Auge  aller 
Vegetation,  und  nur  in  den  sandigen  Bodenabflachungen  unterbricht 
die  Talha  genannte  Akazie  mit  ihrem  bescheidenen  Blätterschmucke, 
die  fahle  Tamariske,  einige  Kameelfutterkräuter,  wie  die  stachlige 
Leguminose  Aqül  (Alhagi  Maurorutn),  die  starre  Salsolacee  el-Häd 
(Cornulaca  monacantha),  der  Domrän  (Traganutn).  die  Senna  (Cassia 
oboi'ata),  die  unter  dem  Namen  Coloquinthe  bekannte  Bittergurke 
und  einige  Gräser,  wie  Aristida  pungens  und  p/umosa,  die  Haifa 
Lygeum  Spartum)  und  das  verästelte  Knotengras  Bü  Rukba  (Pani- 
cum  turgidum),  die  farblose  Oede,  wie  ieh  bei  der  Wegbeschreibung 
zu  schildern  versucht  habe. 

Noch  kümmerlicher  ist  das  Thierleben,  das  sich  fast  ganz  auf 
die  Oasen  beschränkt.  Nur  auf  den  Gebirgsabhängen,  welche  das 
eigentliche  Fezzän  einschliessen  und  in  den  Thälern,  welche  durch 
sie  zu  Stande  kommen , fristen  das  Mähnenschaf  — Wadän  — , die 
Gazelle  — Ghazäl  — , der  Schakal  — Dib  — , der  Wüstenfuchs  — 
Fenek  — und  die  Feldrattc  — Fär  — ein  mühsames  Dasein.  Der 
Strauss  — Näm  — , welcher  mancherlei  Nachrichten  zufolge  früher 
auch  im  nördlichen  Theile  der  Sahara  nicht  selten  gewesen  sein 
muss,  hat  sich  südlicher  gezogen,  und  nur  einige  Raubvögel,  Tauben, 
Raben  und  Eulen  vertreten  die  Vogclwclt.  Relativ  zahlreicher  finden 
sich  einige  Reptilien  (der  Sandgeko,  die  Waran -Eidechse,  Vipern) 
und  vorzüglich  die  Skorpione,  während  einige  Insekten,  wie  der  Floh, 
ganz  fehlen  und  andere,  wie  Fliegen  und  Mücken,  eine  in  Raum  und 
Zeit  sehr  beschränkte  Entwickelung  finden. 

Ein  solches  Land  musste  von  jeher  durch  Lage,  Klima  und  die 
von  diesem  abhängigen  Hüifsquellen  der  Zahl  und  dem  W'ohlstandc 
der  Bevölkerung  enge  Grenzen  ziehen.  P'ezzän  ist  ein  Land  der, 
Wüste,  das  in  Folge  seiner  fast  dreissigtägigen  Entfernung  von  der 


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120  I.  BUCH,  4-  KAPITEL.  NATÜRLICHE  BESCHAFFENHEIT  FEZZAn’s. 

Nordküstc  lind  einer  etwa  doppelt  so  grossen  vom  Sudan,  getrennt 
von  beiden  durch  unwirthliche  Gegenden,  auf  sich  selbst  und  eine 
sehr  bescheidene  Existenz  angewiesen  ist.  Selbst  der  Handel,  der 
früher  den  Bewohnern  eine  ansehnliche  Hülfsquclle  bot,  konnte  bei 
den  ungeheuren  Entfernungen  und  bei  den  zu  überwindenden  Schwierig- 
keiten und  Gefahren  doch  nur  von  Wenigen  und  in  grösseren  Zeit- 
pausen betrieben  werden. 

Die  Einwohner  waren  also  stets  zur  Sicherung  ihrer  Existenz, 
auf  den  Ackerbau  angewiesen,  und  selbst  die  Viehzucht  konnte  ihnen 
nur  geringe  Hülfsquellen  bieten,  ln  Ländern  wie  in  Tunis  und 
Algerien,  in  denen  regelmässige  Regen  fallen  und  den  Ackerbau 
erleichtern,  und  in  denen  unmittelbar  südlich  von  den  dem  Ackerbau 
gewidmeten  Strichen  in  den  Thälern  und  auf  den  Abhängen  der 
Gebirge  die  üppigsten  Weiden  einen  grossen  Theil  des  Jahres  hin- 
durch bestehen  und  periodisch  Flüsse  rauschen,  arbeiten  Ackerbau 
und  Viehzucht  einander  in  die  Hände,  ln  den  Zeiten  der  nahe  der 
Küste  reichlichen  Regen,  während  deren  das  Getreide  keimt  und 
wächst,  zieht  der  Nomade  mit  seinen  grossen  Kamecl-  und  Schaf- 
heerden  gen  Süden,  wo  die  seltneren  Niederschläge  immer  noch 
hinreichen,  um  frische  Kräuter  sprossen  zu  lassen,  ohne  die  Gesund- 
heit der  regenscheuen  Kameele  zu  schädigen,  bis  in  die  Oasen  der 
Dattelpalmenkultur.  Gegen  die  Zeit  der  Getreideernte  im  Norden 
kehrt  er  in  die  fruchtbare  Küstengegend  zurück  und  verkauft  die 
Wolle  seiner  Schafe,  die  Gewebe,  welche  seine  häusliche  Industrie 
aus  ihr  erzeugte,  und  die  Datteln  der  Oasen,  um  Getreide,  Oel  und 
Erzeugnisse  nordischer  Industrie  dagegen  heimzuflihrcn. 

In  Fezzän  ist  die  Entfernung  von  der  Küste  zu  gross,  diese  selbst 
zu  wenig  produktiv  und  die  eigenen  Oasen  sind  ohne  Viehweiden:  von 
einem  Austausche  der  Erzeugnisse  beider  Gegenden  kann  nicht  die 
Rede  sein.  So  ist  man  auf  die  eigene  Bodenkultur  angewiesen  und 
diese  muss  auf  künstliche  Bewässerung  rechnen;  man  gewinnt  gerade 
nur,  was  man  gebraucht.  Da,  w'o  Gebirgsbildung  die  Niederschläge 
begünstigt,  finden  sich  noch  gute  Weiden  und  Triften;  hat  man  aber 
die  natürliche  Nordgrenze  Fezzans  überschritten,  so  häufen  sich  die 
Schwierigkeiten  mehr  und  mehr.  Die  Wasserarmuth  des  Bodens, 
selbst  wenn  im  Winter  in  den  Thälern  noch  Gras-  und  Kräuter- 
nahrung der  Thiere  gedeiht,  erschwert  die  Schafzucht.  Weiterhin 
kommen  die  Bodenabflachungen  der  Oasen,  in  denen  zwar  die  Wasser- 


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VIEHZUCHT. 


121 


nahe  Dattelpalmenzucht  und  Ackerbau  erlaubt,  aber  die  Viehweiden 
fehlen.  Man  kann  dort  wohl  ein  halbes  Dutzend  Kamcelc  und 
Schafe  oder  Ziegen  auf  der  Weide  erhalten,  und  meist  nur  mit 
künstlicher  Beihülfe  (gewissermaassen  mit  Stallfütterung),  aber  nie- 
mals grössere  Heerdcn.  Die  Besitzer  von  Kamcclen  in  Murzuq 
schicken  diese  in  die  Berge  von  Söqna  oder  auf  die  Abhange  und  in 
die  Thaler  des  Harüdsch,  und  halten  dieselben  nur  bei  zu  erwartender 
Abreise  in  der  Nähe  der  Stadt.  Während  ich  sechs  Kamcelc  längere 
Zeit  in  der  Nähe  von  Murzuq  weiden  Hess,  musste  ich  denselben 
zur  Erhaltung  ihrer  Kräfte  noch  täglich  Durra -Kohr  für  etwa  eine 
Mark  verabreichen. 

Wir  finden  also  die  Hausthiere  nur  in  spärlicher  Anzahl  ver- 
treten. Am  seltensten  sind  die  Rinder,  welche  von  Norden  her  ein- 
geführt werden.  Sic  sind  kleine,  unansehnliche  Geschöpfe,  die  nur 
mit  grosser  Mühe  und  Arbeit  — man  säet  ihnen  in  den  Gärten 
Luzerne  und  Klee  — auf  einer  mässigen  Stufe  des  Gedeihens  erhalten 
werden  können.  Nicht  viel  häufiger  ist  das  Pferd,  das  ebenfalls  von 
der  Nordküste  cingeiführt,  bei  der  sesshaften  Bevölkerung  nur  Besitz- 
thum einiger  Vornehmer  ist  und  in  grösserer  Anzahl  nur  von  den 
Nomaden  gehalten  wird.  Die  spärlichen  Schafe  (generell  Rhanam, 
als  Bock  Kebsch  und  als  weibliches  Schaf  Na'adscha  genannt),  stam- 
men entweder  aus  Norden  und  haben  dann  einen  Fettschwanz  und 
nordische  Wolle,  welche  etwa  drei  Mark  pro  Vliess  im  Handel  giebt, 
oder  aus  den  Tuärik-  oder  Tubu- Ländern  und  zeichnen  sich  dann, 
von  den  ersteren  durchaus  verschieden,  durch  ein  hohes  Knochen- 
gerüst, einen  langen,  dünnen  Schwanz,  gestreckten  Hals,  schmalen 
Kopf  und  langes,  leichtgclocktes,  feines  Haar  anstatt  der  Wolle  aus. 
Die  Ziegen  (generell  Mälz,  als  Bock  Atüd  und  als  weibliche  Ziege 
Anz  genannt)  sind  meist  glatt-  und  kurzhaarig  und  dann  stämmiger 
gebaut,  kommen  aber  ebenfalls  in  einer  höheren,  schlankeren,  lang- 
haarigen Varietät  vor,  und  sind  nicht  viel  häufiger,  als  die  Schafe. 
Kameele,  Hühner  und  Tauben  sind  eigentlich  die  einzigen  Hausthiere, 
welche  von  den  Fezzänern  gezüchtet  werden  und  welche  keiner  Ein- 
führung von  aussen  bedürfen,  um  ihre  Art  zu  erhalten. 

Das  Kameel  Fezzän’s  gehört  der  arabischen  Varietät  an,  welche 
sich  nicht  unerheblich  von  der  der  Tuärik  und  der  Tubu  unter- 
scheidet, wie  wir  später  sehen  werden.  Es  zeichnet  sich  hauptsäch- 
lich in  den  Gegenden  der  Schwarzen  Berge  und  des  Harüdsch  durch 


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122  I.  HUCH,  4.  KAPITEL.  NATÜRLICHE  BESCHAFFENHEIT  FFZZAn’s. 


kräftigen  Bau  und  gute  Ernährung  aus  und  trägt  dort  noch  für  die 
kühle  Jahreszeit  in  ungleicher  Verthcilung  über  die  verschiedenen 
Körpcrthcile  langes,  dichtwolligcs  Haar,  das  man  alljährlich  scheert 
und  spinnt,  um  daraus  die  üblichen  soliden  Zeltstoffe  und  Gcpäck- 
säcke  zu  weben.  Das  Kamcel  dieser  Gegenden  übertrifft  sowohl  das 
der  Küste,  als  das  der  eigentlichen  Oasen  Fezzän's  an  Körperkraft. 
Wirklich  gute  Kameele  hatten  zur  Zeit  meines  Aufenthaltes  in  Fezzän 
einen  Durchschnittswerth  von  200  Mark,  und  ein  Metzger  erzielte 
wohl  noch  etwas  mehr  aus  dem  Verkaufe  des  sehr  beliebten  Fettes, 
des  Fleisches  und  des  Felles.  So  vortreffliche  Kameele  man  nun 


auch  in  Fezzän  findet,  so  sind  dieselben  doch  weit  davon  entfernt, 
in  solcher  Häufigkeit  vorzukommen,  wie  bei  vielen  arabischen  Stäm- 
men in  einigen  Gegenden  der  nördlichen  Wüste  und  der  Steppen 
ihres  südlichsten  Theils,  in  Kordofän,  einem  Thcile  von  Egypten, 
auf  den  Nordgrenzen  von  Dar  För  und  WadäV,  bei  vielen  Tuärik- 
und  einigen  Tubu-Stämmen. 

Bei  der  vcrhältnissmässigen  Seltenheit  und  dem  hohen  Preise  von 
Hammel-  und  Ziegenfleisch  müssen  Hühner  und  Tauben  oft  seine  Stelle 
vertreten,  und  das  ärmere  Volk  nimmt  seine  Zuflucht  zu  den  Würmern 
des  Bahär  ed-Düd  (Wurmsee),  des  erwähnten  kleinen  Sees  am  nörd- 
lichen Rande  des  W.  Scherqi.  Dies  Gewässer  enthält 
in  ungeheurer  Menge  das  dem  Brakwasser  eigenthüm- 

f liehe  Krustenthier  Artemia  Oudneyi,  neben  dem  auch 
zahlreiche  Dipteren-Larven  Vorkommen.  Von  diesen 
essbaren  Wasserthieren  wird  eine  geschätztere,  rothe 
Sorte  Düd,  eine  geringere,  braune  Takcrüka  genannt. 
A Man  knetet  sie  mit  Datteln  und  Danga,  einer  Alge 

Diui  ««ab.  desselben  See's,  deren  Existenz  zu  den  Thieren  in  Bc- 

Auomia  Oi“i"c>i.  ziehung  steht,  und  mit  verschiedenen  Gewürzen  zu 

einem  beliebten  Teige. 

Ausser  den  oben  erwähnten  Hausthieren,  will  ich  bei  dieser  Ge- 
legenheit noch  der  im  Ganzen  selten  vorkommenden  Hunde  er- 
wähnen, welche  entweder  jener  auf  der  Nordküste  bei  den  Arabern 
so  beliebten,  lang-  und  dichthaarigen,  meist  weissen  Art  des  Wacht- 
hundes  angehören,  wie  sie  in  meinem  Hause  durch  Feida  repräsentirt 
war,  oder  leidlich  hübsche  Jagdwindhunde  von  massiger  Grösse  sind, 
wie  sie  schöner  und  häufiger  in  Tripolitanien  und  Tunisien  Vorkommen. 
Je  weniger  Hülfsquellen  von  jeher  die  Viehzucht  den  Fezzäncrn 


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DIE  HATTE!. PA!. ME. 


123 


darbieten  konnte,  um  so  mehr  bemühten  sich  diese,  die  sicheren  Be- 
dingungen ihrer  Existenz  dem  Boden  abzuringen.  Dieser,  so  viel 
Arbeit  er  auch  für  die  Cultur  des  Getreides  erfordert,  und  so  un- 
dankbar er  sich  für  Gemüsebau  und  Obstbaumzucht  erweist,  erleich- 
tert durch  die  Nähe  seines  Wassers  das  Gedeihen  eines  Baumes,  ohne 
den  der  Bewohner  Fezzan's  und  mancher  anderer  Wüstenländcr  kaum 
gedacht  werden  kann,  nämlich  der  Dattelpalme  (Phoenix  dactylifera), 
arabisch  dort  Nachla  genannt. 

Wenige  haben  eine  Ahnung  von  der  Fülle  kostbarer  Eigen- 
schaften und  unersetzlicher  Hülfsquellen,  welche  dieser  wunderbare 
Baum  dem  Wüstenbewohner  in  Mitten  seiner  kargen  Welt  liefert. 
Er  ist  die  Hoffnung  und  der  Genuss  des  Reisenden,  der  Tage  lang 
seine  müden  Glieder  durch  die  Einöden  der  steinigen  Wüste,  über 
die  ermüdenden  Dünenzüge  geschleppt  hat  und  endlich  am  Horizonte 
die  ersehnte  grüne  Linie  der  Rhaba,  d.  h.  Pflanzung,  erblickt.  Gierig 
taucht  er  seine  Blicke  in  die  Farbe  der  Hoffnung  und  des  Lebens; 
die  Linie  wird  breiter  und  breiter  und  löst  sich  allmählig  in  ihre 
Bestandtheile  auf,  deren  Entwicklung  Cr  mit  einem  Genüsse  ohne 
Gleichen  verfolgt.  Bald  unterscheidet  er  die  anmuthigen  Kronen, 
die  sich  auf  dem  hohen,  schlanken  Stamme  sanft  hin  und  her  wiegen 
und  ihm  einen  freundlichen  Willkommen  entgegen  zu  winken  scheinen ; 
schon  wandert  sein  Auge  prüfend  von  Gruppe  zu  Gruppe,  wie  sie 
sich  in  ihrer  bezaubernden  Grazie  vor  ihm  entfalten,  um  in  der  Wahl 
des  Lagerplatzes  ja  Nichts  von  ihrer  Schönheit  und  ihrem  Schatten 
zu  verlieren.  Noch  ist  ihm  das  Leben  verschlossen,  das  sich  im 
Schoosse  und  Schutze  des  Haines  regt,  noch  denkt  er  nicht  an  die 
materiellen  Genüsse,  die  seiner  warten;  alle  seine  Sinne  und  Empfin- 
dungen sind  befangen  von  der  Anmuth,  der  reizvollen  Erscheinung 
dieser  Herrscherin  in  den  Oasen. 

Was  ist  die  Oase  ohne  Dattelpalme?  Ein  unbewohnbarer  Weide- 
platz mit  kümmerlicher  Vegetation,  die  ohne  den  erfrischenden 
Schatten  ihrer  Beschützerin  nach  kurzer  Existenz  einem  frühzeitigen 
Tode  anheimfallen  würde.  In  Fezzan  kommt  ihr  Werth,  ihre  Wichtig- 
keit zu  voller  Geltung;  dort  ist  sie  der  Trost  der  Armen,  die  Helferin 
und  Retterin  für  Alle.  Sie  scheint  daselbst  überall  die  Wasserschicht 
des  Bodens  zu  erreichen  und  bedarf  keiner  künstlichen  Bewässerung 
zu  üppigem  Gedeihen;  sie  ist  die  einzige  Gunst,  welche  das  unwirk- 
liche Land  den  armen  Bewohnern,  aber  auch  in  verschwenderischem 


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124  I.  BUCH,  4.  KAPITEL.  NATÜRLICHE  BESCHAFFENHEIT  FEZZAn’S. 

Maasse  gewährt.  Wenn  man  auch  dort  ebenfalls  das  Getreide  als 
die  solideste  Basis  der  Ernährung  betrachtet,  so  kommt  für  Viele  die 
Frucht  der  Dattelpalme  mehr  in  Betracht  als  jenes  und  hat  für  die 
Meisten  dieselbe  Wichtigkeit.  Alle  übrigen  Theile  des  Baumes  sind 
aber  ebenfalls  von  unschätzbarem  Werthc.  Der  Stamm,  dort  wohl 
Chcscheba  (d.  h.  eigentlich  Nutzholz)  genannt,  liefert  die  Balken  der 
Häuser,  die  Pfosten  der  Thüren,  die  Säulen  und  Pfeiler,  die  Gerüste 
zu  den  Ziehbrunnen,  die  Bretter  zu  Thüren  und  Fenstern,  und  muss 
so  in  vielfachster  Weise  das  Bauholz  begünstigterer  Lander  ersetzen. 
Die  Blätter  — Dscherid  — dienen  zum  Bau  der  Hütten  und  zur  Ein- 
zäunung der  Grundstücke;  ihre  Rippen  stellen  Wanderstäbe  dar; 
ihre  Fiedern  werden  zu  Sandalen  und  Körben  geflochten,  und  ihre 
breiten  Ursprünge,  die  auch  nach  ihrem  Abschnciden  dem  Stamme 
verbleiben,  und  Kirnäf  genannt  werden,  müssen  nur  allzuoft  dem 
Mangel  an  Brennholz  und  Holzkohlen  abhelfen.  Das  Fasergewebc, 
das  den  Stamm  und  die  Blattursprünge  unter  dem  Namen  Lif  um- 
giebt,  liefert,  in  Wasser  und  feuchtem  Boden  erweicht,  und  dann 
zerzupft  und  zwischen  den  Händen  ineinander  gedreht  die  haltbarsten 
Stricke,  und  die  Stammspitze  — Dschummär  — , in  ihrem  Zucker- 
und Saftreichthum  selbst  essbar,  liefert  dem  Liebhaber  süssen  Most 
und  starken  Wein,  wie  wir  früher  gesehen  haben. 

Man  pflanzt  die  Dattelpalme  am  besten  durch  Schösslinge  — 
Maghrüsa  — fort,  und  zwar  im  Herbst,  weniger  gut  durch  die  Frucht- 
kerne. Wenn  die  erstcren  aus  der  unmittelbaren  Nähe  des  Mutter- 
baumes entfernt  sind,  müssen  sie  mindestens  drei  Monate  hindurch 
begossen  werden,  ehe  sie  sich  selbstständig  erhalten  können.  Im 
Alter  von  drei  bis  fünf  Jahren,  je  nach  der  Güte  des  Bodens,  ist  die 
junge  Dattelpalme  in  ihrer  Entwickelung  genug  fortgeschritten,  um 
befruchtet  werden  zu  können.  Dieser  I’rocess  wird  im  Frühjahr  vor- 
genommen, indem  man  einen  Theil  des  männlichen  Blüthenstandes 
Dakr  — , welcher  sich  bekanntlich  auf  eigenen  Bäumen  befindet, 
in  die  Mitte  der  weiblichen  Rispe  — Graua  — bringt,  die  aus  der 
Blüthenscheide  — Taghlifa  — hervorkommt.  Der  weiter  entwickelte 
Fruchtstand  — Schemschül  — trägt  die  jungen  Fruchtanlagcn  — 
Narhfa  — , welche  aus  drei  Theilen  — Carpellen  — bestehen,  von 
denen  zwei  — Sis  — verkümmern  und  nur  der  dritte  sich  zur  Frucht 
ausbildet,  und  heisst  in  seinem  unteren  Theile,  dem  Schafte,  Ardschün. 
Sis  heissen  überhaupt  auch  unvollkommen  entwickelte  Datteln  in 


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PIE  DATTEL. 


125 


Folge  mangelhafter  Befruchtung,  sei  es,  dass  der  Blüthenstaub  schlecht 
war,  sei  es,  dass  die  Copulation  nicht  sorgfältig  pusgeführt  wurde. 
Wird  die  junge  Dattelpalme  sich  selbst  überlassen,  schlecht  befruchtet, 
nicht  von  ihren  zahlreichen  Ablegern  in  der  Umgebung  befreit,  die 
ihr  Wachsthum  schmälern,  so  heisst  sie  Wischqa. 

Die  Ernte  der  Dattein  — Tamr  — geschieht  im  Herbste,  doch 
je  nach  den  zahlreichen  Varietäten  nicht  gleichzeitig.  Manche,  die 
den  Einfluss  der  Sonne  nicht  vertragen  und  dadurch  nur  weicher 


Krone  einer  ihiilclpalmc  mit  Früchten 


werden,  geniesst  man  bei  vollständiger  Reife  im  frischen,  weichen 
Zustande  — Rotob — ; die  meisten  Arten  aber,  welche  die  Vorraths- 
kammern füllen  sollen,  nimmt  man  vor  vollendeter  Reife  ab  und  breitet 
sie  in  der  Sonne  aus,  welche  den  Reifungsprocess  vollendet  und  sie 
gleichzeitig  trocknet.  Edle  Sorten,  welche  als  Rotob  gegessen  werden 
müssen,  pflückt  man  aus  oder  schneidet  den  Ardschün  ab,  ohne  ihn 
zu  Boden  fallen  zu  lassen.  Die  übrigen  werden  abgeschüttelt  oder 
mit  abgeschnittenem  Ardschün  herabgeworfen.  Das  Hinaufsteigen 


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1 20  1-  BUCH,  4.  KAPITEI,*  NATÜRLICHE  BESCHAFFENHEIT  FEZZÄN’s. 

wird  vermittelt  durch  die  Reste  der  Blattstiele,  welche  den  Stamm 
dicht  gedrängt  umgeben.  Die  edlen  Sorten  presst  man  wohl  in  ihrem 
mehr  oder  weniger  weichen  Zustande,  mit  oder  ohne  Kerne,  in  ent- 
haarte und  gegerbte  Ziegenfelle,  welche  man  sorgfältig  zunäht,  und 
bewahrt  sie  so  auf.  Man  findet  bevorzugte  Bäume,  welche  eine 
Kameelladung  Früchte  liefern,  also  gegen  4 Centner,  die  einem 
Kafis  oder  24  Kel  gleichkommen,  doch  durchschnittlich  muss  man 
ein  halbes  Dutzend  Bäume  auf  diese  Menge  rechnen.  Im  Allgemei- 
nen kaufte  man  zu  meiner  Zeit  in  den  dattelreichen  Oasen  einen 
Centner,  ungefähr  6 Kijäl,  für  3 Mark*). 

Die  Güte  der  Datteln  ist  ausserordentlich  verschieden  nach  der 
Varietät  des  Baumes.  Fezzan  zeichnet  sich  durch  seine  Mannig- 
faltigkeit der  Dattelarten  aus,  während  die  vorwaltenden  Arten  z.  B. 
im  Belcd  el-Dscherid  Tunisiens  und  im  egyptischen  Donqola  die 
meisten  Fczzandatteln  an  Güte  übertreffen. 

Die  Dattelnahrung  gilt  für  ausserordentlich  gesund,  wenn  auch, 
ausschliesslich  genossen,  nicht  für  zulänglich  zur  Ernährung  des 
Menschen.  Selbst  der  Arme  verlangt  daneben  einige,  wenn  auch 
noch  so  spärliche  Getreidenahrung,  der  Nomade  von  Zeit  zu  Zeit 
Fleisch  oder  Kameelmilch.  Für  den  letzteren  bilden  Datteln  und 
Kameelmilch  die  wahrhaft  ideale  Nahrung. 

Wenn  die  Dattel,  selbst  vorwaltend  genossen,  in  der  That  kaum 
irgend  wie  den  Darmkanal  belästigt,  so  zerstört  sie  desto  ausgiebiger 
die  Zähne.  Nirgends  in  der  Welt  ist  die  Caries  derselben  so  häufig 
als  in  den  Ländern,  in  denen  der  Mensch  auf  vorwaltende  Dattel- 
nahrung angewiesen  ist,  und  selbst  ganz  junge  Leute  erfreuen  sich 
dort  oft  keines  einzigen  intactcn  Backzahns  mehr. 

Für  den  ausgezeichneten  Einfluss  der  Dattclnahrung  auf  den 
menschlichen  Körper  wurde  in  Murzuq  stets  der  Vater  des  Qädi 
citirt,  der  einige  Jahre  vor  meiner  Ankunft  in  ungewöhnlich  hohem 
Alter  gestorben  war.  Derselbe  hatte  während  seiner  besten  Mannes- 

*)  Da  meine  Vorgänger  Eduard  Vogel  und  Gerhard  Rohlfs  die  hauptsächlichsten 
Dattelarten  Fezzän's  aufgeführt  haben , so  gebe  ich  ebenfalls  eine  Liste  derselben , theils 
wegen  meiner  Orthographie  der  Namen,  theils  zur  Vervollständigung  der  früher  erwähnten. 
Ich  ordne  dieselben  dabei  ungefähr  nach  ihrer  Güte  : Tellis,  TuÄtt , Aureq , Laduc, 

Makmal  el-Chandack,  Lashtr,  Nefuschl,  ScrÄwn , Tafsirt,  Bimi,  Sembilbil , Hafat,  GrÄ- 
gisch , Raurau,  Misliu,  Tamiskcl , Chadddr,  Arhelil , Kcrtäwt,  Fertckau,  Issaba,  llainar, 
Beijuda,  Tarhiat,  (^irbäwt,  Tcgcdaf,  Massert,  Sellaulau , Bonn,  Tassuet,  Chalfau,  Aqeib, 
Schaqtq,  Gogai. 


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GETREIDE-  UND  GEMÜSEBAU.  127 

jahre  gegen  vier  Oqqa,  d.  h.  zehn  Pfund  Datteln  täglich  gegessen; 
bis  zu  seinem  Tode  aber  hatte  er  es  keinen  Tag  unter  zwei  Oqqa 
oder  fünf  Pfund  gethan.  Ich  kannte  einen  seiner  Söhne,  von  dem 
die  Leute  behaupteten,  dass  er  es  auf  sechs  Oqqa  oder  fünfzehn  Pfund 
per  Tag  bringe.  Jedenfalls  ist  die  Dattel  dort  ein  unersetzliches 
Nahrungsmittel,  das  in  gleicher  Weise  Menschen  und  Thicren  dient. 
Der  Reisende  spart  mit  ihr  die  Arbeit,  welche  Getreide  und  andere 
Nahrung  für  ihre  Zubereitung  erfordern;  dem  Pferde  ersetzt  sie  zeit- 
weise die  Gerste;  das  Kameel  wird  mit  ihr  ernährt,  wenn  es  keine 
Futterkräuter  hat;  Ziegen  und  Schafe  gcnicssen  sie  mit  Vorliebe, 
und  selbst  der  Hund  findet  grossen  Geschmack  an  ihr. 

Mit  der  Dattel  spielt  eine  gleich  wichtige  Rolle  in  der  Oeconomie 
der  Fczzäner  das  Getreide,  doch  ist  mit  ihm  eine  viel  grössere  Mühe- 
waltung verknüpft  als  mit  der  Cultur  der  Dattelpalmen.  Der  kalk-, 
sand-  und  hier  und  da  thonreiche,  aber  humusarme  Boden  muss  aul 
das  Regelmässigste  bewässert  werden,  und  wird,  da  die  Leute  im 
Allgemeinen  des  Düngers  entbehren,  allzusehr  angestrengt  und  aus- 
genutzt. 

Wir  haben  beim  Besuche  der  Gärten  von  Murzuq  gesehen,  wie 
sich  in  Fezzän  die  nordischen  Getreidcarten,  Weizen  (Triticum) 
Qamah  — und  Gerste  (Hordeum)  — Scha'ir  — , mit  den  Negerccrea- 
lien,  der  Durra  (Sorghum),  dort  Ngäfoli  genannt,  und  dem  Duchn 
(Pcnicillaria),  dort  einfach  generell  Qasab  genannt,  über  die  Wüste 
hin  die  Hand  reichen;  w’ie  jene  im  Winter,  diese  im  Sommer  reifen, 
und  man  von  den  letzteren  bis  zu  vier  Ernten  gewinnt.  Die  Pcui- 
cillaria  kommt  in  einer  weiss-  und  in  einer  rothkörnigen  Art  vor,  und 
die  Durra  umfasst  den  Mais  — Massari  — und  das  Sorghum  vulgare 
mit  grösseren  gelben  oder  kleineren  weissen  Körnern. 

Von  Gemüsen  werden  gezogen:  Bohnen,  sowohl  die  Saubohne 
(Faha  vulgaris)  — Fül  — , als  auch  die  Lübiä  (Dolichos  Lubia); 
Erbsen  (Pisum  sativum)  — Dschildschilän  — ; gelbe  Rüben  (Daucus 
Carola ) — Fsenäri  — , welche  in  anderen  arabischen  Gegenden  Dschezr 
heissen;  Melüchia  (Corchorus  o/itorius);  Bämia  (Hibiscus  esculeutus).  * 
welche  in  Tunis  Qenäwia  genannt  w'ird;  w'eisse  Rüben  (Brassica  Rapa) 
— Lift;  Kohlrüben  (Brassica  oleracca)  — Koromb;  Gurken  (Cucu- 
mis sativus)  — Faqküs ; Melonen  — Batteich  — und  Wassermelonen 
Dulla  — , welche  ihre  arabischen  Namen  richtiger  Umtauschen 
wurden;  Kürbis  (Cucurbita  pepo)  — Kabüiä;  Portulak  (Portu/aca) 


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128  I.  BUCH,  4.  KAPITEL.  NATÜRLICHE  BESCHAFFENHEIT  FFZZÄN’s. 

Berdiqalis  — der  in  Tripolis  Blabische,  sonst  allgemeiner  Ridschel 
heisst;  Auberginen  ( Solanum  melongena)  — Bcdindschan;  Tomaten 
(Lycopersicum  esculentum) ; Rettige  ( Raphanus  sativus)  — Horrek  — , 
welche  anderswo  meist  Fidschel  genannt  wurden;  rothe  Rüben  {Beta 
vulgaris)  — Silq;  Zwiebeln  ( Al/i  um  Ccpa)  — Basall;  Knoblauch 
(Allium  sativum)  — Tüm;  spanischer  Pfeffer  {Capsicum  annuum)  — 
Fuleiffla.  Doch  alle  sind  nicht  sehr  häufig;  der  Kohl  gedeiht  schlecht; 
die  Wassermelonen  scheinen  nur  im  Wadi  Otba  gezogen  zu  werden; 
die  Auberginen  sind  selten.  Sonst  werden  noch  cultivirt  und  zu  den 
Speisen  verwerthet:  die  Malve  {Malva  parvißora)  — Chobeiza;  Sellerie 
{Apium  graveoletts)  — Kerefs;  Kreuzkümmel  {Cuminutn  Cyminum) 
— Kamün;  Coriander  {Coriandrum  sativum)  — Kuzbar  — mit  dem 
beliebten  Samen  Täbel;  Sudan-Pfeffer  {Capsicum  conicum  varict. 
Orient.)  — Schetta. 

Von  den  bei  der  Betrachtung  der  Gärten  Murzuq’s  und  Semnu's 
ausser  der  Dattelpalme  vorübergehend  erwähnten  Fruchtbäumen  ge- 
deiht noch  am  besten  der  Feigenbaum  ( Ficus  Carica),  Schedschrat 
el-Karmus  und  weiter  östlich  Sch.  et-Tin  genannt.  Sowohl  der 
Citronenbaum  {Citrus  Limonium)  — Schedschrat  el-Lim  — als  auch 
der  Orangenbaum  {Citrus  aurant.)  — Sch.  el-Bortuqän  — sind  in 
vereinzelten  Exemplaren  zu  finden;  der  Weinstock  — Dälia  — , meist 
mit  dem  Namen  der  frischen  Beeren  — Aneb  — (die  Rosinen  — 
Zebib  — werden  vom  Auslande  bezogen)  bezeichnet,  kommt  ver- 
hältnissmässig  gut  fort;  der  Apfelbaum  — Sch.  et-Tuffäh  — und  der 
Quittenbaum  — Sch.  cs-Sßferdschcl  — dürften  in  Fezzän  nur  in  einem 
oder  zwei  Exemplaren  Vorkommen;  doch  Mandelbäume  — Sch. 
cl-Luz  — , Pfirsichbäume  — Sch.  cl-Chüch  — , Aprikosenbäume  — 
Sch.  el-Mischmasch  (oder  Mischmisch)  — , Granatapfelbäume  — Sch. 
er-Rommän  — werden  in  den  Gärten  der  Wohlhabenderen  ein- 
zubürgern gesucht.  Ein  Exemplar  des  Oelbaums  endlich  — Sch. 
ez-Zeitün  — sollte  sich  damals  zu  Tesäwa  im  W.  Otba  befinden. 

Die  Produkte  der  aufgeführten  Bäume  können  jedoch  nur  als 
eine  Luxus-Nahrung  gelten  und  kommen  für  die  Ernährung  der  Ein- 
wohner nicht  mehr,  oder  vielmehr  weniger  in  Betracht,  als  derjenige 
Nutzen,  den  dieselben  aus  einigen  nicht  cultivirten  Pflanzen  und 
Bäumen  ziehen.  Von  diesen  ist  vor  Allen  die  Coloquinthe  zu  nennen, 
deren,  durch  eine  mühevolle  Arbeit  vorbereitete,  Kerne  einen  nicht 
unwesentlichen  Beitrag  zur  Nahrung  Aermerer  bilden.  Dieselben 


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NÄHR-  UND  NUTZPFLANZEN.  129 

sind  viel  nahrhafter  als  die  Beeren  des  Nabaq  ( Zisyphus  spinn 
Christi),  des  Sidr  (, Zisyphus  Lotus)  und  als  der  im  äusscrstcn  Süden 
sich  vereinzelt  findenden  Dümpalmc  (Llyphaenc  tkebaica).  Trüffeln 
oder  Tcrfäs  ( Choeromyces  Leonis ) sollen  nicht  selten  Vorkommen 
und  sind  recht  beliebt.  Lässt  Alles  im  Stich , so  ernährt  sich  im 
Nothfalle  der  Arme  und  Hungrige  von  den  erwähnten  Beeren  des 
Ghardeq  (Nitraria  tridentata),  von  den  Wurzeln  des  Aqül  ( Alhagi 
Mauroruvi),  von  Klee  und  den  Samen  des  Sabat  ( Aristida  pungens). 

Ausser  den  Nährpflanzen  entlocken  die  Fezzäner  ihren  Garten 
noch  vereinzelte  Baumwollensträucher  ( Gossypiutn  hcrbacemn),  die 
sehr  gut  gedeihen  und  grosse  Fruchte  tragen,  und  hier  und  da 
Indigo  ( Indigofera  urgenten)  — Nil  — , Culturen,  welche  keinen 
grossen  Nutzen  bringen,  da  beide  nicht  in  hinlänglicher  Menge 
gewonnen  werden  können,  und  der  Indigo  in  Masse  und  billig 
aus  den  Südänländern  kommt.  Wichtig  sind  in  ihren  Eigenschaften 
als  Futterpflanzen,  zu  denen  auch  der  Mensch,  wie  erwähnt,  im 
Nothfalle  seine  Zuflucht  nimmt,  die  Luzerne  ( Medicngo  sativn)  — Qa- 
dab  , und  der  Klee  — Safsafa  (Melilotus?)  oder  Fossa  ( Trifolium .-)  — , 
welche  in  keinem  grösseren  Garten  fehlen.  Gradezu  unentbehrlich 
als  Reiz-  und  Genussmittcl  ist  der  Tabak  — Dochän  — , welcher  der 
Art  des  Bauerntabaks  (Nieotiana  rustien)  angehört  und  als  Kautabak 
verwerthet  wird,  während  man  den  Rauchtabak  von  der  Nordküste 
einfuhrt. 

Lein  — Kettän  — - wird  in  sehr  geringer  Menge  gebaut,  da  nur 
der  Same  — Zera’  el-  Kettän  oder  cl-Atela  — hier  und  da  medi- 
cinisch  und  zur  Oelbereitung  benutzt  wird.  Zur  Fabrikation  von 
Schalen,  Schüsseln  und  Flaschen  cultivirt  man  wohl  den  Flaschen- 
Kiirbis  ( Lngennria ) — Qar'a;  doch  bei  dem  Uebcrflusse  an  billigen 
Gelassen  aus  Norden  spielt  derselbe  in  der  Oeconomie  der  Fezzäner 
bei  weitem  nicht  eine  so  wichtige  Rolle,  als  im  Sudan.  Zu  kosmeti- 
schen und  medicinischen  Zwecken  kommt  noch  hier  und  da  el-Hinnä 
( Lnwsonia  inermis)  vor,  mit  deren  gelbbrauner  Farbe  man  die  Finger 
der  Menschen  und  ihre  Nägel  oder  Füsse,  Schwanz  und  Mähne  eines 
hellfarbigen  Pferdes  zu  zieren  nicht  minder  liebt,  als  auf  der  Nord- 
küste, und  deren  adstringirende  Wirkung  zur  Behandlung  äusserer 
Entzündungen,  wuchernder  Geschwüre  und  dergleichen  verwendet  wird. 

Alles,  was  der  Ackerbau  den  Fezzänern  liefert,  reicht  eben  noth- 
dürftig  zur  Fristung  des  Daseins  hin,  und  würde  ohne  die  Beihülfe 

Nachtigal.  1-  *»• 


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130  I.  BUCH.  4.  KAPITEL.  NATÜRLICHE  BESCHAFFENHEIT  FEZZÄN’s. 

der  Dattelpalme  selbst  dazu  nicht  genügen.  Mit  der  ergänzenden 
Viehzucht  ist  zwar  die  Existenz  gesichert,  doch  Niemand  ist  durch 
beide  in  die  Lage  gesetzt,  für  die  Zeiten  der  Noth  und  des 
Alters  zurückzulegen.  Dazu  wurde  von  Alters  her  der  Handel  aus- 
gebeutet, und  das,  was  Fezzan  im  Laufe  der  Zeiten  an  Wohlstand 
gesehen  hat,  verdankt  es  ihm.  Die  fortlaufende  Reihe  von  Oasen, 
die  es  mit  der  Nordküste  und  die  zahlreichen  Wasserstationen,  welche 
es  mit  dem  Sudan  verbinden;  die  Nähe  der  Tuärik-  und  der  Tubu- 
landschaften;  das  frühzeitige  Eindringen  einer  relativen  Kultur  und 
geordneten  Regierung  in  seine  Oasen,  machten  es  frühzeitig  zu  einem 
wichtigen  Mittelpunkte  des  Handels.  Von  Alters  her  war  jeder  leid- 
lich situirte  Mann  in  Fezzan  ein  Kaufmann,  und  wenn  einst  die  Römer 
wahrscheinlich  nicht  selbst  bis  in  die  Südänländer  gelangten,  so 
kamen  doch  Produkte  aus  diesen  über  Fezzan  nach  Norden,  und  als 
später  der  Islam  nicht  allein  eine  höher  civilisirte  Bevölkerung  in  die 
Wüste  drängte,  sondern  selbst  am  Niger  und  am  Tsädsee  mohamme- 
danische Staaten  geschaffen  hatte,  entwickelte  sich  bald  ein  reger 
Verkehr  nach  allen  Seiten  hin. 

In  Fezzan  strömten  die  nordischen  Waaren  aus  Tunis,  Tripolis 
und  Egypten  zusammen,  welche  in  die  Landschaften  der  Wüste  und 
in  die  Neger-Länder  gingen;  dort  stapelten  sich  umgekehrt  die  Pro- 
dukte dieser  auf.  Von  Timbuktu  wurde  Jahrhunderte  hindurch  so 
viel  Gold  (meistens  in  Form  von  Staub,  doch  auch  in  Ringen,  kleinen 
Barren  etc.)  aus  den  Gegenden  des  oberen  Niger  nach  Fezzan  ge- 
bracht, dass  bis  in  den  Anfang  dieses  Jahrhunderts  hier  der  currente 
Werthmesser  das  Mitquäl  Gold  mit  seinen  Bruchtheilen  war.  Erst 
als  die  Goldzufuhr  spärlicher  wurde,  führte  man  österreichische  und 
spanische  Thaler  ein  und  gewann  anfangs  die  kleinere  Münze  durch 
mechanische  Zertheilung  derselben.  Dann,  nachdem  seit  einem 
Menschenalter  die  Goldzufuhr  ganz  aufgehört  hat,  und  seit  die  directe 
türkische  Verwaltung  etablirt  worden  ist,  kam  die  tripolitanische 
Scheidemünze  in  ausschliesslichen  Gebrauch.  Aus  den  Haussaländcrn 
kamen  Wasserschläuche,  gefärbtes  Ziegcnlcder,  Baumwollenfabrikate, 
Indigo,  Papageien  und  Zibeth  — Zibäd  — , aus  Bornü  dazu  Indigo, 
Tamarinden  — Tamr  el-Hind  — und  Leoparden-  und  Löwenfelle, 
aus  Baghirmi  und  Wadäi  noch  Lubän  und  Rhinoceroshorn  — Karke- 
dän  oder  Qarn  cl-Chartit.  Aus  den  meisten  der  genannten  Länder 
wurden  Straussenfedern  — Risch  en-Näm  --  und  Elfenbein  — Sinn 


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HANDELSVERHÄLTNISSE. 


131 


el-Fil  — und  aus  allen  der  gewinnbringendste  und  verbreitetste  Handels- 
artikel, Sclavcn  — Abid  oder  Raqiq  (plur.  Riqäq)  — , eingcfiihrt. 

Alle  diese  Gegenstände,  mit  Ausnahme  vielleicht  der  industriellen 
Erzeugnisse  derllaussastaaten,  waren  damals  noch  reichlich  begehrt  von 
Tunis  und  Egypten  und  über  das  Mittelmeer  hinaus  in  Constantinopel. 
Noch  leben  die  alten  Leute  in  Fezzan  auf,  wenn  sie  von  den  Zeiten  ihrer 
Jugend  sprechen,  in  denen  alljährlich  die  grossen  Pilgerkaravanen  von 
Timbuktu  mit  Gold  beladen  kamen  und  auf  dem  Heimwege  Waaren 
mitnahmen,  und  in  denen  die  Handelskaravanen  zum  mittleren  Sudan 
( Haussastaaten  und  Bornü)  mehrmals  im  Jahre  zu  Stande  kamen  und 
bei  ihrer  Rückkehr  Tausende  von  Köpfen  stark  waren. 

Die  rückgängige  Metamorphose,  welcher  die  mohammedanischen 
Länder  der  Nordküste  selbst  unterlagen,  schlechte  Handelsverhältnisse 
in  einem  Theile  des  Sudan,  Schaffung  neuer  Absatzwege  und  nicht 
zum  geringsten  Theile  die  Abschwächung  des  Sclavenhandcls,  haben 
einen  traurigen  Rückschritt  zur  Folge  gehabt.  Die  Zeiten  sind  vorüber, 
in  denen  Tunis  in  lebhafter  Verbindung  mit  Bornü  stand;  Tripolis 
selbst  ist  erheblich  zurückgegangen;  Thatkraft  und  Energie,  Capital 
und  Unternehmungslust  sind  dort  und  in  Fezzan  geschwunden.  Der 
Weg  von  Tripolis  nach  Wadai  durch  die  Tubulandschaften  erlitt 
häufige  Unterbrechungen,  und  zu  Anfang  dieses  Jahrhunderts  wurde  von 
Wadai  aus  eine  directe  Strasse  zur  Nordküste  eröffnet,  die,  nicht 
viel  länger  als  die  Entfernung  bis  Murzuq,  von  der  Oase  Dschalo  aus 
ebensowohl  nach  Benghäzi  als  nach  Kairo  führt.  Seitdem  ist  der 
Handel  der  Nordküste  mit  Wadai  zum  grossen  Theile  in  die  Hände 
der  Bewohner  von  Dschalo,  der  Medschäbra,  übergegangen.  Bornü 
ging  zurück,  seine  Produktionskraft  schwächte  sich  ab,  und  die  be- 
kannte Unzuverlässigkeit  seiner  Einwohner  wirkte  dadurch  um  so 
verderblicher.  Ferner  haben  die  Leute  von  Ghadämes  sich  mehr 
und  mehr  des  Handels  in  der  westlichen  Wüste,  mit  deren  Bewohnern 
sie  stammesverwandt  sind,  bemächtigt,  sind  dadurch  in  den  Besitz 
kürzerer  Strassen  in  die  Haussaländer  und  nach  Timbuktu  gekommen, 
und  errichteten  hier  und  dort  ihre  Handelshäuser.  Endlich  gaben 
die  Schwierigkeiten,  welche  dem  Sclavenhandel  entgegengesetzt 
wurden,  dem  Fezzäner  Handel  den  Rest.  Tünis  und  Constantinopel 
hatten  keinen  Bedarf  an  der  einträglichen  Waare  mehr;  der  von 
Tripolis  selbst  war  nie  sehr  gross  gewesen  und  der  von  Egypten 

9* 


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132 


. BUCH,  4.  KAPITEL.  NATÜRLICHE  KESCHAEFENHEI 1 FEZZÄN’s. 


konnte,  da  der  Absatz  in  Constantinopcl  aufhörte,  aus  seinen  eigenen 
heidnischen  Nachbarländern  befriedigt  werden. 

Der  Mandel  mit  Sclaven  überwog  früher  so  sehr  den  mit  anderen 
Produkten  und  war  so  einträglich,  dass  er  noch  jetzt  in  seiner  abge- 
schwächten  Gestalt  die  übrigen  Handelszweige  überwiegt  und  trotz 
seiner  Unsicherheit  von  den  Kaufleutcn  noch  immer  mit  Vorliebe 
betrieben  wird.  Freilich  kann  kein  Handelsherr  mehr  mit  Hunderten 
von  Sclaven  die  Städte  betreten  und  ihre  Märkte  beziehen,  doch  die 
kleineren  Trupps  der  unbedeutenderen  Kaufleute  können  leicht  in 
den  Gärten  der  Städte,  sei  es  Murzuq  oder  Tripolis,  oder  in  den 
benachbarten  Dörfern  untergebracht  und  unter  der  Hand  verkauft 
werden.  In  der  Stadt  Tripolis  selbst  ist  es  bei  ihrer  massigen  Aus- 
dehnung nicht  schwer,  mit  ernstem  Willen  eine  Controle  auszuüben, 
doch  ausserhalb  ist  eine  solche  bei  der  Dünnheit  der  Bevölkerung, 
bei  den  weit  auseinander  gelegenen  Ortschaften  fast  unmöglich.  Das 
gilt  für  Tripolitanien  und  in  noch  viel  höherem  Maasse  für  das  lang- 
gestreckte Egypten,  dessen  Herrscher  gewiss  seit  lange  ernstlich  be- 
strebt war,  den  Forderungen  der  europäischen  Welt  gerecht  zu  werden. 

Dazu  kommt,  dass,  wenn  die  Central-Regierungen,  zwar  nicht 
durch  eigene  Ueberzeugung  getrieben,  aber  von  politischen  Rück- 
sichten bewogen,  auch  wirklich  den  Willen  haben,  der  Sache  zu 
steuern,  doch  die  Provinzialbehörden,  ohne  die  höheren  politischen 
Interessen  der  P'ürsten,  ihrer  religiösen  Ueberzeugung  und  ihrem 
Vortheile ' folgen.  Jeder  Muselmann  .muss  die  Sclaverei  und  folglich 
auch  den  Sclavcnhandel  als  legitim  anschen.  Zähneknirschend  erträgt 
er  das  Joch  der  europäischen  Forderungen  und  hat  im  Herzen  ein 
tiefes  Bedauern,  dass  er  nicht  mehr  mit  den  Christen  verfahren  kann, 
wie  man  ihn  verhindern  will,  mit  den  Heiden  zu  thun.  Kann  also 
ein  Provinzialchef  cs  ungestraft  thun,  so  drückt  er  ein  Auge  zu  und 
begünstigt  sogar  die  Contravention,  wenn  sein  Vortheil  es  erheischt. 
Dass  dies  letztere  der  Fall  ist,  dafür  sorgen  die  Kaufleute.  Die 
finanziell  zerrütteten  Regierungen  bezahlen  ihre  Beamten  schlecht 
oder  gar  nicht;  erscheint  es  nicht  natürlich,  dass  diese  einen  Gewinn 
suchen  in  einem  Handel,  den  ihnen  ihre  religiöse  Ueberzeugung  als 
legitim  erscheinen  lässt? 

Der  Gouverneur  von  Fezzän  erhält,  alter  Regel  entsprechend, 
für  jeden  eingeführten  Sclaven  die  Summe  von  zwei  Mahäbüb  (etwa 
7 Mark),  was  ihm  früher  leicht  eine  Einnahme  von  etwa  40,000  Mark 


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SCI. A YKNH ANTM-.I  . 


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im  Jahre  verschaffen  konnte.  Ein  Beamter  in  der  südlichsten  Oase 
Fczzän's  übte  die  Controle  aus  und  hatte  natürlich  seinen  bescheidenen 
Antheil.  Es  ist  hart,  dem  zu  entsagen,  wenn  der  Ausfall  in  keiner 
Weise  gedeckt  wird.  Während  ich  mich  in  Fezzän  aufhielt,  kam, 
wie  es  von  Zeit  zu  Zeit  zu  geschehen  pflegt,  eine  Erneuerung  und 
Verschärfung  der  gegen  den  Sclavenhandcl  gerichteten  Verordnungen. 
Da  man  gleichzeitig  eine  Karawane  aus  Borini  erwartete,  so  hielt 
man  den  Erlass  zurück,  bis  jene  angekommen  war  und  ihre  Sclaven- 
steuer  entrichtet  hatte,  und  schlug  erst  dann  die  Verordnung  öffentlich 
an,  um  sie  allmählich  wieder  in  Vergessenheit  gerathen  zu  lassen. 
Trotzdem  hat  das  lucrative  Geschäft  im  Ganzen  sehr  abgenommen, 
und  wenn  früher  jährlich  5 80c»  Sclaven  Fezzän  passirten,  so  erreicht 

ihr  Import  jetzt  höchstens  ein  Dritttheil  dieser  Zahl.  Wenn  übrigens 
der  Islam  überhaupt  eine  milde  Handhabung  des  Instituts  der  Sclaverei 
mit  sich  bringt,  so  noch  vielmehr  der  sanfte,  gutmüthige  Charakter 
der  Fezzäner.  Sclaven  werden  durchaus  als  Familienglieder  behan- 
delt und  können  sich  in  Nichts  beklagen.  Selten  suchen  sie  in  ihr 
Vaterland  zuruckzukehren  und  ohne  Bedenken  werden  sie  von  ihren 
Herren  zu  Handelsreisen  in  ihre  Heimathländer  benutzt. 

Der  Ausfall,  den  Fezzän  in  seinen  Handelsuntcrnehmungen  mit 
den  Südänländern  erlitten  hat,  ist  durch  Nichts  gedeckt  worden. 
Ausser  dem  Produkte  der  erwähnten  Natronscen  — der  Bahär  et- 
Tröna  liefert  etwa  5000  Centner  Soda  nach  Tripolis  — , verlohnt  sich 
kein  Produkt  des  Transportes  bis  zur  Mittelmeerküste.  Früher  ging 
eine  nicht  unbeträchtliche  Quantität  von  Blättern  der  Scnna  aus  der 
Gegend  von  Tibesti  über  Fezzän  nach  Norden;  doch  bei  der  Billig- 
keit des  Produktes  wird  jetzt,  bei  den  erhöhten  Kameelpreisen,  der 
Transport  zu  theuer.  Irgend  welche  Industrie  hat  Fezzän  nicht,  und 
so  ist  denn  sein  früherer  relativer  Wohlstand  verschwunden.  Die 
Familien  Murzuq's,  welche  früher  ihres  Reichthums  wegen  berühmt 
waren,  sind  allmählig  verarmt  oder  haben  sich  in  ihre  Heimath, 
Audschila,  Söqna  etc.,  zurückgezogen.  Die  Familie  der  Ben  Alüa 
hielt  sich  durch  ihre  Wichtigkeit  in  der  Regierung  der  Provinz,  der 
Hädsclt  el-Amri,  der  Geschäftsthcilhaber  Herrn  Gagliuffi’s,  haupt- 
sächlich durch  die  Pacht  des  Natronsce's,  und  die  übrigen  drei  oder 
vier  Kaufleute,  welche  Reisen  in  die  Sudänländer  machten  oder 
Reisende  dorthin  unterhielten,  erfreuten  sich  nur  eines  massigen 
Wohlstandes.  Mit  grosser  Regsamkeit  — es  gab  Familien,  in  denen 


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134  I.  BUCH,  4.  KAPITEL.  NATÜRLICHE  BESCHAFFENHEIT  FEZZÄn’s. 

drei  Brüder  beständig  auf  Reisen  waren  nach  Tripolis  und  Kairo 
einerseits,  Ghat,  Haussa  und  Bornü  andererseits  — vermochten  sie 
nur  die  bescheidensten  Resultate  zu  erzielen. 

Dabei  haben  die  Fezzäner  kaum  die  nothwendigsten  Handwerker 
und  müssen  also  viele  Gegenstände  von  Tripolis  beziehen,  welche 
sie  anderenfalls  selbst  anfertigen  könnten.  Rothes  und  gelbes  Leder 
verstehen  sie  vortrefflich  zu  Schuhen,  Sattelüberzügen,  Bandelieren, 
Gürteln  zu  verarbeiten  und  mit  geschmackvoller  Stickerei  zu  ver- 
zieren, und  das  gewöhnliche  Schneiderhandwerk  wird  in  jedem  Hause 
geübt;  doch  die  Künste  des  Gerbens,  Webens  und  Färbens  liegen 
sehr  danieder.  Es  gab  zwar  damals  einen  Schreiner  oder  Zimmer- 
mann — Nedschär  — (beide  Handwerke  sind  in  jenen  Gegenden 
stets  in  einer  Person  vereinigt),  den  Hadsch  Mohammed  es-Settär, 
doch  dieser  w-ar  einer  der  angesehensten  Bürger,  Mitglied  des 
grossen  Rathes,  der  höchstens  für  sich  und  seine  Freunde  arbeitete, 
und  sonst  dem  Ackerbau  und  dem  Handel  oblag.  Ein  Drechsler 
existirte  nicht  in  Murzuq,  und  der  Schmied  — Haddäd  vermochte 
nur  sehr  einfache  Fabrikate  zu  liefern.  Er  war  gleichzeitig  Klempner, 
Schlosser,  Goldschmied,  hatte  oft  keine  Kohlen,  und  seine  Zeit  war 
durch  Gartenarbeiten,  denen  er  natürlich,  wie  alle  Uebrigen  obliegen 
musste,  da  sein  Handwerk  ihn  nicht  ernährt  haben  würde,  so  in 
Anspruch  genommen,  dass  die  professionelle  Arbeit  und  etwaige 
Clienten  warten  mussten.  Nur  die  nothwendigen  Töpfergeräthe,  die 
Korbflechtereien  aus  Palmenblättern,  die  Gewebe  aus  Kameelwolle 
wurden  in  genügender  Menge  für  den  Landesverbrauch  fabricirt. 
Alles  Uebrige  wurde  zum  grösseren  Theile  aus^Tripolis  (billige  Baum- 
wollenstoffe,  Tuch,  Seide,  Kupfcrgefässe) , zum  kleineren  aus  dem 
Sudan  (fertige  Baumwollengewänder,  Wasserschläuche,  Holzschüsseln) 
bezogen  und  erlitt  dadurch  natürlich  eine  Vertheuerung  von  mehr 
als  fünfzig  Procent. 


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Fünftes  Kapitel. 

KLIMA  UND  KRANKHEITEN. 


Meteorologische  Beobachtungen  zu  Murzuq*  — Temperatur- Beobachtungen.  — Maxima 
und  Minima.  — Tägliche  Wärmebewegung.  — Monatsmittel.  — Psychrometer-Unter- 
schiede. — Die  Grenzen  derselben.  — Monatsmittel  für  Dunstdruck  und  relative« 
Feuchtigkeit.  — Niederschläge  und  Wolkenbildung  im  Zusammenhang  mit  den 
Winden.  — Elektrische  Erscheinungen.  — Winde.  — Monatliche  Verthcilung  der- 
selben. — Luftdruck.  — Tägliche  Bewegung  desselben.  — Monatsmittel.  — Zu- 
sammenfassung der  meteorologischen  Verhältnisse.  — Krankheiten  der  Fezzaner.  — 
Pie  Malaria  zu  Murzuq.  — Typhus  und  Cholera.  — Pocken.  — Lungenkrankheiten. 
— Krankheiten  der  Verdauungsorgane.  — Rheumatische  Affectionen.  — Hautkrank- 
heiten. — Krätze  und  Guineawurm.  — Seltenheit  der  Lepra.  — Syphilis.  — Krank- 
heiten der  Harnorgane.  — Augcnaffcctionen.  — Frauenkrankheiten.  — Kinderkrank- 
heiten. — Gehirn-  und  Nervenkrankheiten.  — Thierische  Gifte.  — Chirurgische  Kennt- 
nisse der  Fezzaner.  — Uebematürliche  Ursachen  der  Krankheiten  und  die  Mittel  da- 
gegen. — Allgemeine  physiologische  Anschauungen.  — Heilmittel  und  Aerzte. 

Von  der  geographischen  Lage  und  den  Bodenverhältnissen  des 
Landes  hängt  das  Klima  und  zum  grössten  Theile  die  gesundheit- 
lichen Verhältnisse  der  Bewohner  ab. 

Mein  Aufenthalt  in  Murzuq  war  lang  genug,  um  ansehnliche 
Reihen  meteorologischer  Beobachtungen  aufzeichnen  zu  können, 
welche  sich  zwar  nicht  auf  das  ganze  Jahr  erstrecken,  da  meine 
Reise  nach  Tibesti  während  der  Monate  Juni  bis  September  da- 
zwischen fallt,  aber  doch  die  Monate  April  und  Mai  t8Ö9  und  die 
ganze  Zeit  von  Mitte  October  >869  bis  Anfang  April  1870  umfassen. 
Dieselben  erstreckten  sich  auf  den  Luftdruck,  die  Temperatur, 
die  Feuchtigkeit  und  die  Winde  und  sind  in  so  grosser  Anzahl 


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136 


I.  BUCH,  5.  KAPITEL.  KLIMA  UND  KRANKHEITEN. 


gemacht  worden,  dass  sie  trotz  mancher  Unzulänglichkeiten  zur  all- 
gemeinen Beurtheilung  der  meteorologischen  Verhältnisse  der  Gegend 
von  Murzuq  berechtigen,  ln  ausgewählter  Zusammenstellung  werden 
dieselben  im  Anhänge  beigefügt  werden;  hier  handelt  es  sich  nur 
darum,  -aus  ihnen  ein  kurz  gefasstes  Gesamnitbild  des  Klimas  zu 
geben. 

Die  Instrumente  waren  in  einem  aus  Holzleisten  mit  Zwischen- 
räumen gezimmerten  und  bedachten  Kasten  anfangs  auf  der  Nord- 
seitc  des  Hauses  am  oberen  Stockwerke  angebracht  um!  später  in 
dem  vor  Wind  und  Ausstrahlung  noch  geschützteren  Garten,  wo  sie 
allerdings  der  Erdoberfläche  näher  waren,  aufgestellt. 

Der  tägliche  Gang  der  Temperatur  war  im  ersten  Beobachtungs- 
monate, April  1869,  derartig,  dass  der  niedrigste  Stand,  der  zwischen 
7,4°  (5.)  und  23,0°  (30.)  schwankte,  gegen  6 Uhr  Morgens  eintrat, 
während  die  höchste  Temperatur,  welche  zwischen  19,8°  (7.)  und 
37,1°  (30.)  lag,  um  3 Uhr  Nachmittags  beobachtet  wurde.  Der 
höchste  Tagesunterschied  zwischen  Minimum  und  Maximum  der 
Temperatur  betrug  18,1 u (6.),  der  niedrigste  9,2°  (29.). 

Im  folgenden  Monat  Mai  finden  wir  die  niedrigsten  Thermometer- 
stände bald  nach  5 Uhr  Morgens,  während  der  höchste  fast  stets 
später  als  3 Uhr,  oft  erst  4 Uhr  Nachmittags  eintrat.  Die  niedrigsten 
Morgentemperaturen  schwankten  zwischen  17,7°  (13.)  und  28,5°  (29.), 
und  die  höchsten  Nachmittags -Temperaturen  hielten  sich  zwischen 
31,2°  (5.)  und  41,0°  (30.);  die  niedrigste  Tagesdifferenz  der  Tempe- 
ratur betrug  10,9°  (2.)  und  die  höchste  16, 8°  {27.). 

Als  nach  der  Tibesti-Reise  die  regelmässigen  Beobachtungen  im 
October  wieder  aufgenommen  w'urden,  verhielt  sich  dieser  Monat  in 
Bezug  auf  den  täglichen  Gang  der  Temperatur  etwa  wie  der  April. 
Die  höchsten  Stände  lagen  zwischen  25,2"  (27.)  und  29,9“  (31.)  und 
die  niedrigsten  zwischen  13,6°  (28.)  und  19,5"  (17.  und  31.);  der  höchste 
Unterschied  zwischen  beiden  an  demselben  Tage  betrug  13,0°  (24.), 
der  niedrigste  8,2  (17.). 

Mit  fortschreitender  Jahreszeit  näherten  sich  die  Eintrittszeiten 
der  täglichen  Maxima  und  Mirfima  einander;  diese  traten  später  ein, 
jene  früher,  so  dass  im  December  und  Januar  die  niedrigsten  Stände 
um  etw-a  7 Uhr  Morgens,  die  höchsten  kurz  nach  2 Uhr  Nachmittags 
zur  Beobachtung  kamen,  während  der  März  bereits  die  Tendenz 
zeigte,  den  Zeitraum  zwischen  beiden  zu  vergrössern. 


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TEMPK.RATUK. 


137 


Im  November  betrug  die  höchst  beobachtete  Temperatur  27,2° 
(25.)  und  die  niedrigste  8,5°  (16.),  während  der  höchste  Tagesunter- 
schied zwischen  Maximum  und  Minimum  12,0“  (7.)  und  der  niedrigste 
6,5°  {24.)  betrug. 

Im  December  sehen  wir  die  Maxima  schwanken  zwischen  13,5° 
(31.)  und  27,1"  (13.),  die  Minima  zwischen  1,0°  (23.)  und  13,2°  (26.) 
und  haben  wir  einen  höchsten  Tagesunterschied  zwischen  den  Ther- 
mometerständen von  22,2°  (25.),  einen  niedrigsten  von  7,0°  (30.). 

Im  Januar  1870  waren  die  Extreme  der  Maxima  14,0°  (13.)  und 
29,4°  (26.),  die  der  Minima  o,o°  (14.)  und  13,3“  (26.),  und  der  Unter- 
schied zwischen  den  Temperaturen  desselben  Tages  betrug  mindestens 
9,9°  (29.)  und  höchstens  20,2°  (22.). 

Im  Februar  hielt  sich  die  höchste  Temperatur  zwischen  1 5,6°  (3.) 
und  32,5°  (28.),  die  niedrigste  zwischen  1 ,8 0 (4.)  und  13,0°  (28.),  während 
ich  zwischen  Maximum  und  Minimum  desselben  Tages  eine  höchste 
Differenz  von  20,4"  (13.)  und  eine  niedrigste  von  9,6°  (1.)  constatirte. 

Während  des  März  endlich  registrirtc  ich  höchste  Tagestempe- 
raturen von  21,7°  (2.)  bis  37,0°  (13.)  und  niedrigste  von  7,0U  (4.)  bis 
20,0°  (14.)  und  fand  als  grösste  Differenz  zwischen  Minimum  und 
Maximum  desselben  Tages  2i,2u  (6.),  als  niedrigste  10,2°  ( 1 5 -)- 

Mit  Zugrundlegung  der  Beobachtungsstunden  von  6 U.  Morgens, 
2 U.  Nachmittags  und  10  U.  Abends  oder  61/»  U.  Morgens,  2 U. 
Nachmittags  und  12  U.  Nachts,  oder  8 U.  Morgens,  3 U.  Nachmittags 
und  12  Uhr  Nachts,  ergeben  sich  als  Monatsmittel  der  Temperatur 
für  18Ö9:  April  22,2°,  Mai  28,8°,  October  20,9°,  November  17,0°,  De- 
cember 14,0°  und  für  1870:  Januar  12, on,  Februar  14,8°,  März  19,9°. 

Vorzugsweise  nach  der  Temperatur  richtete  sich  der  Unter- 
schied zwischen  dem  trockenen  und  feuchten  Thermo- 
meter; je  höher  jene  stieg,  desto  grösser  wurde  dieser  und  umge- 
kehrt. Freilich  war  die  Luft  Murzuqs  dem  Einflüsse  der  gefüllten 
und  halbgefüllten  Salzwasserbassins  seiner  nächsten  Umgebung  aus- 
gesetzt; doch  diese  Quelle  genügte  nicht,  um  eine  erhebliche  Zu- 
nahme des  Wasserdampfgehaltes  der  Luft  zu  bewirken.  Der  geringste 
Unterschied  im  Stande  des  feuchten  und  trockenen  Thermometer  fiel 
mit  wenigen  Ausnahmen  auf  die  Zeit  der  niedrigsten  Temperatur  und 
betrug  im  April  1869  2, 1 0 , Mai  5,3°,  October  2,2°,  November  1,7", 
December  0,8°,  Januar  1870  0,8°,  Februar  0,6°,  März  1,4°.  Der 
höchste  Unterschied  richtete  sich  ungefähr  ebenso  regelmässig  nach 


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138 


I.  RUCH,  5.  KAPITEL.  KLIMA  UND  KRANKHEITEN. 


dem  höchsten  Temperaturstande  und  betrug  im  April  1869  18,0°, 
im  Mai  18,9°,  October  n,o°,  November  10, o°,  December  9,9°,  im 
Januar  1870  9,3°,  Februar  12,6°,  März  16,5°. 

Wir  finden  die  geringsten  Differenzen  im  April  bei  Nord- 
wind, im  Mai  bei  schwachem  Südwinde,  der  unsicher  von  West  bis 
Südost  schwankte,  im  October  bei  Ost,  im  November  bei  Nordost, 
im  December  bei  Nordwest,  im  Januar  bei  Nord,  im  Februar  bei 
West,  im  Marz  bei  Nordwest  (Regentag),  also  vorwaltend  bei  Winden 
aus  dem  nördlichen  Halbkreise  der  Windrose,  welche  dort  gleich- 
zeitig die  geringsten  Temperaturgrade  mit  sich  bringen.  Die  höch- 
sten Differenzen  beobachtete  ich  im  Gegentheil  im  April  bei  Süd- 
westwind, im  Mai  bei  Süd,  im  October  bei  Ost,  im  November  bei 
Südwest,  im  December  bei  Nordwest,  im  Januar  bei  Südwest,  im 
F'ebruar  bei  Süd,  und  im  März  bei  Südwest,  also  fast  ausschliess- 
lich bei  Winden,  welche  aus  dem  südlichen  Halbkreise  der  Windrose 
über  die  hochtemperirten  Wüstengegenden  nach  Murzuq  gelangten. 

Die  ausführlichere  Berechnung  der  Psychrometer  - Unter- 
schiede während  der  genannten  Monate  mit  Zugrundelegung  der 
für  die  Temperaturregistrirungen  gewählten  Beobachtungsstunden, 
ergab  folgende  Monatsmittel  für  den  Dunstdruck  und  die  relative 
Feuchtigkeit:  im  April  1869  5,02  mm  und  27%;  im  Mai  7,13  mm 
und  24%;  October  8,68  mm  und  47%;  November  8,17  mm  und 
56%;  December  6,57  mm  und  55%;  im.  Januar  1870  6,31  mm  und 
6i°/0;  Februar  6,29  mm  und  48%;  März  7,73  mm  und  45%- 

Sehr  selten  kommt  es  in  Fezzan  zum  Niederschlage,  und 
selbst  Th  au  fehlt  bei  dem  Mangel  der  Atmosphäre  an  Feuchtigkeit 
fast  ganz,  obgleich  die  Temperaturerniedrigung  in  den  Wintermonaten 
Morgens  seine  Bildung  begünstigen  sollte.  Nur  wenn  die  nördlichen 
Winde,  der  Nordost  aus  der  grossen  Syrte,  der  Nordwest  und  der 
Nordwind  Feuchtigkeit  genug  zuführen  und  gleichzeitig  die  Tempera- 
tur herabsetzen,  scheint  es  im  Winter  zu  Niederschlägen  zu  kommen. 
So  hatten  wir  im  December  mit  Nordostwind  wirkliche  Thaubildung. 
In  demselben  Monate  trat  zwei  Mal  Regen  ein,  ein  Mal  mit  West- 
wind und  das  andere  Mal  bei  einer  Windstille,  die  zwischen  zwei 
Tage  mit  Nordost-  und  Nordwestwind  fiel,  und  zwar  mit  heftigem 
Hagelschauer.  Während  der  ganzen  Monate  waren  die  Nordwest- 
und  die  Nordostwinde  ganz  entschieden  die  Vermittler  der  Regcn- 
wolkenbildung.  Während  der  ganzen  Monate  Januar  und  Februar 


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FEUCHTIGKEIT. 


139 


1870  gab  es  dann  keinerlei  Niederschläge,  und  erst  im  März  kam  ein 
vierstündiger  Regen  bei  Nordwestwind  zur  Beobachtung. 

Freilich  trat  Anfangs  Juni  1869  eine  Reihe  von  Tagen  ein,  die 
sich  durch  verhältnissmässig  hochgradige  Feuchtigkeit  auszeichne- 
ten, einige  Male  spärliche  Niederschläge  brachten  und  scheinbar 
von  andern  Winden  beherrscht  wurden,  als  die  winterlichen  Regen- 
tage. Diese  ganze  Periode  begann  am  5.  Juni  mit  einem  sehr  starken 
Nordostwinde  und  einem  sehr  geringen  Psychrometerunterschiede, 
und  am  6.  wehte  ein  starker  Ostwind  mit  dichten  Regenwolken  im 
Xordostcn  und  sehr  geringem  Psychrometerunterschiede;  doch  am 
folgenden  Tage  thürmten  sich  mit  mildem  Ostwind  dichte  Regen- 
wolken im  Südosten  auf.  Der  8.  und  9.  Juni  verhielten  sich  ähnlich, 
doch  hielten  sich  die  Regenwolken  mehr  im  Osten  und  am  9.  kam 
ein  spärlicher  Regen  zu  Stande.  Am  10.  aber  herrschte  der  Südwest 
vor  (wenn  auch  der  Wind  dieses  Tages  die  ganze  Windrose  durch- 
machte), thürmte  in  jener  Himmelsgegend  reichliche  Regenwolken 
auf  und  brachte  es  zu  spärlichem  Niederschlage,  während  endlich 
am  1 1 . der  Wind  aus  Süd  und  Südwest  wehte  und  in  eben  diesen 
Gegenden  des  Horizontes  Gewitterwolken  zusammentrieb.  Der  Anfang 
dieser  relativ  dampfreichen  Zeit  mit  Nordostwind  und  das  unregel- 
mässige Verhalten  des  Süd-  und  Südwestwindes  der  letzten  beiden 
Tage  scheinen  dafür  zu  sprechen,  dass  diese  ungewöhnliche  Periode 
mitten  im  Sommer  durch  abgelenkte  Nordostwinde  vermittelt  wurde. 

Der  Regen  war  in  den  seltenen  Fällen  seines  Vorkommens  von 
elektrischen  Erscheinungen  begleitet.  Die  hochgradige  Elektri- 
cität  der  Luft,  welche  bei  der  vorherrschenden  grossen  Trockenheit 
keine  Leitung  zur  Erde  fand,  wurde  nicht  instrumentell  beobachtet, 
kam  aber  stets  im  gewöhnlichen  Leben  zum  Ausdrucke.  Bei  trockenen 
Winden  der  südlichen  Himmelshälfte  besonders  konnte  man  aus  den 
wollenen  Decken  beim  Ausklopfen  elektrische  Funken  locken  und 
oben  auf  der  Terrasse  des  Hauses  den  grossen  Hund  Fräulein  Tinne's 
nicht  streicheln,  ohne  knisternde  Funken  hervorzurufen. 

Wir  können  die  Hygrometeore  nicht  beurtheilcn,  ohne  ihre  Ver- 
theiler,  die  Winde,  in  Betracht  zu  ziehen.  Da  die  Sahara  das 
trockenste  Gebiet  der  Erde  ist,  so  kann  vermehrte  Feuchtigkeit  zur 
Beobachtung  kommen  in  Folge  von  Winden,  welche  aus  dem  nicht 
allzuferncn  Mittelmeere  mehr  Feuchtigkeit  als  gew-öhnlich  Zufuhren 
oder  in  Folge  einer  Verminderung  der  Temperatur,  welche  eine  Ver- 


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140 


I.  Bl 'CH,  5.  KAPITEL.  KLIMA  l'NI.)  KRANKHEITEN. 


ringerung  der  Dampfcapacität  der  Atmosphäre  bewirkt.  Der  Be- 
obachtung, dass  der  grösste  Dampfgehalt  der  Atmosphäre  bei  vor- 
waltenden Winden  aus  der  nördlichen  Richtung,  und  der  geringste 
bei  südlichen  Winden  eintrat,  entsprechen  die  während  der  obigen 
Monate  registrirten  Winde. 

Im  April  1869  kamen  an  13  Tagen  Winde  aus  der  östlichen 
Himmelsgegend  (mit  Einschluss  der  Südrichtung)  zur  Beobachtung 
und  an  15  Tagen  solche  aus  der  westlichen  Hälfte  (mit  Einschluss 
der  Nordrichtung). 

Im  Mai  finden  wir  die  östlichen  und  südlichen  Winde  fast  aus- 
schliesslich; nur  an  einigen  Tagen  herrschten  die  entgegenge- 
setzten. 

Bei  der  in  den  folgenden  Monaten  ausgeführten  Reise  nach 
Tibesti  herrschte  der  regelmässige  Passatwind,  hier  als  Ost  oder 
Südost,  selten  als  Nordost,  fast  ganz  absolut. 

Nach  der  Rückkehr  wurden  in  der  zweiten  Hälfte  des  October 
noch  14  Tage  mit  Winden  aus  östlicher  und  südlicher  Richtung  und 
nur  3 Tage  mit  solcher  aus  West  und  Nord  aufgezeichnet. 

Auch  im  November  überwogen  jene  noch  beträchtlich  diese,  im 
Verhältniss  von  22  zu  6. 

Im  December  hielten  sich  beide  Richtungen  mehr  das  Gleich- 
gewicht, und  verhielten  sich  die  östlichen  Winde  zu  den  westlichen 
wie  16  zu  10. 

Im  Januar  1870  ferner  begann  sich  das  Verhältniss  zu  Gunsten 
der  westlichen  und  nördlichen  Luftströmungen  zu  gestalten,  welche 
an  15  Tagen  verzeichnet  wurden,  während  die  entgegengesetzten  14 
Mal  zur  Beobachtung  kamen. 

Im  Februar  freilich  überwog  wieder  der  Wind  aus  der  östlichen 
und  südlichen  Richtung  in  einem  Verhältniss  von  15  zu  13,  doch 
war  das  vielleicht  ausnahmsweise,  denn  im  darauf  folgenden  Monate 
März  finden  wir  denselben  14  Mal,  während  der  aus  der  westlichen 
und  nördlichen  Richtung  17  Mal  constatirt  wurde. 

Man  kann  also  kurz  sagen,  dass  in  Fezzän  im  Laufe  des  Jahres 
die  östlichen  und  südlichen  Winde  beträchtlich  vorwalten,  dass  sie 
von  Mai  bis  November  ausschliesslich  herrschen,  und  dass  in  den 
Monaten  December,  Januar,  Februar,  März,  April  die  Winde  aus  der 
westlichen  und  nördlichen  Richtung  jenen  die  Herrschaft  streitig 
machen  und  nicht  selten  den  Vorrang  abgewinnen. 


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WINDE. 


141 


Aus  der  westlichen  Hälfte  des  Himmels  sind  die  Südsüdwest- 
winde ebenso  hochgradig  trocken  als  die  östlichen,  denn  beide 
müssen  über  ungeheure,  jeder  Feuchtigkeit  baare  Strecken  hinziehen, 
bevor  sie  F'ezzan  erreichen.  Auf  die  Westwinde  mögen  dagegen  zu 
Zeiten  die  nicht  sehr  fernen  Hochlande  der  Tuärik  und  auf  die  süd- 
östlichen die  ausgedehnten  Gebirgsbildungen  Tibesti's  modificirend 
einwirken.  Auch  die  von  der  Nordküste  kommenden,  nördlichen, 
nordwestlichen  und  nordöstlichen  Winde  streichen  über  allzu  ausge- 
dehnte trockene  Strecken  hin,  um  stets  bemerkenswerthen  Dampf- 
gehalt mit  sich  zu  führen.  Die  Atmosphäre  ist  in  der  That  oft  bei 
ihrer  Herrschaft  von  auffallender  Klarheit  und  vollkommener  Wolken- 
losigkeit.  Doch  wenn  sie  stark  und  in  einer  gewissen  Massenaus- 
dehnung vom  Mittelmeer  herwehen,  bringen  sie  Wolken  und  Kegen, 
während  die  aus  Osten  und  Süden  wehenden  Winde  wohl  in  grosser 
Höhe  Federwolken  zeigen,  doch  sonst  fast  ausnahmslos  ohne  Wolken- 
bildung herrschen. 

Der  letztere  Zustand  des  Himmels  waltet  denn  auch  während 
des  grössten  Theils  des  Jahres  vor.  Selten  ist  zwar  der  Himmel  von 
der  klaren,  tiefblauen  Aetherfarbe,  wie  wir  sie  im  subtropischen  Ge- 
biete, in  den  Ländern  des  Mittelmeeres,  bewundern,  sondern  meist 
Weisslich  oder  bläulich  weiss,  doch  andere  Wolken  als  Cirri  in  der 
Hohe  sind  eine  grosse  Seltenheit.  Haufenwolken  kommen  noch, 
ausser  bei  den  nördlichen  Winden,  bei  West,  Südwest  und  Siidost 
zur  Beobachtung,  doch  Schichtwolken  fast  ausschliesslich  bei  Nord- 
west, Nord  oder  Nordost  und  bei  niedriger  Temperatur. 

Zur  Beobachtung  des  Luftdruckes  diente  mir  anfangs  ein  nicht 
ganz  zuverlässiges  Taschen-Aneroid  mit  Eintheilung  in  englische  Zoll, 
und  später  ein  sorgfältiger  eingestelltes  grösseres  Instrument  der  Art 
mit  Millimeter-Eintheilung.  Während  der  beiden  ersten  Monate  meines 
Aufenthaltes  in  Murzuq,  April  und  Mai  1869,  liess  ich  mir  durch 
unaufhörliche  Beobachtung  der  Stände  angelegen  sein,  eine  zuver- 
lässige Kenntniss  von  den  täglichen  regelmässigen  Fluctuatio- 
nen  des  Luftdruckes  zu  gewinnen.  Danach  fiel  während  des  April 
das  Hauptmaximum  zwischen  6 und  7 U.  Morgens,  während  das 
Hauptminimum  etwa  in  der  Hälfte  der  Beobachtungstage  um  4 U. 
Nachmittags  und  an  den  übrigen  Tagen  ebenso  oft  erst  um  6 U. 
Abends,  als  schon  um  2 U.  Nachmittags  beobachtet  wurde.  Im  Mai 
erstreckte  sich  die  Periode  des  Maximum  auf  die  Zeit  von  5*/a  bis 


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142 


I.  BUCH,  5.  KAPITEL.  KLIMA  UND  KRANKHEITEN. 


6'/s  U.  Morgens,  während  das  Minimum  zwischen  4 bis  6 U.  eintrat, 
aber  selten  schon  vor  4 U.  Nachmittags  beobachtet  wurde.  In  der 
darauf  folgenden,  ausserhalb  Murzuq’s  zugebrachten  Zeit,  fiel  das 
Morgenmaximum  noch  etwas  früher,  während  sich  das  Nachmittags- 
minimum in  der  Zeitwahl  wie  früher  verhielt. 

Als  ich  aus  Tibesti  zurückgekehrt  war,  im  Winter  1869/70,  wur- 
den meine  Beobachtungen  nicht  so  häufig  angestellt,  so  dass  diese  zwar 
zur  Gewinnung  der  Monatsmittel  dienen  können,  aber  weniger  zur 
genauen  Kenntniss  der  täglichen  Fluctuationen.  Ihren  Registrirungen 
zufolge  in  der  Zeit  von  Mitte  October  1869  bis  Ende  März  tSjO 
würde,  wie  es  sich  auch  in  gewissem  Grade  aus  der  vorgerückten 
Jahreszeit  erklärt,  das  Hauptmaximum  auf  die  Mitte  des  Vormittags 
fallen  und  das  Tagesminimum  zwischen  3 und  6U.  Abends.  Uebrigens 
war  das  letztere  in  seiner  Eintrittszeit  unzuverlässiger  und  unbestimmter 
als  das  Hauptmaximum  und  verlor  sich  bisweilen  ganz  gegen  die 
Nacht  hin,  wenn  das  zweite  Maximum  nicht  klar  hervortrat. 

Sehr  häufig,  besonders  bei  südöstlichen,  südlichen  und  südwest- 
lichen Winden,  zeigte  sich  bald  nach  der  Tagesmitte  in  dem  Gange 
des  Luftdruckes  gegen  sein  Minimum  hin  eine  vorübergehende,  un- 
bedeutende Steigerung. 

Das  zweite  Maximum  fehlte  bei  den  häufigen  Beobachtungen 
der  Monate  April  und  Mai  1869  fast  niemals  und  trat  in  der  über- 
wiegenden Mehrzahl  der  Fälle  zwischen  10  und  1 1 U.  Abends  ein. 
Zuweilen  kam  es  schon  um  8 U.  Abends  zum  Ausdruck,  sehr  selten 
früher  und  am  seltensten  gegen  Mitternacht.  Bei  den  beschränkteren 
Aufzeichnungen  während  der  Wintermonate  1869/70  schien  zuweilen 
das  zweite  Maximum  zu  fehlen.  Dies  hatte  bei  hohen  Barometer- 
ständen mit  südlichen  Winden  statt,  wo  ein  allmähliches  Fallen  des 
Quecksilbers  vom  ersten  Maximum  bis  gegen  Mitternacht  eintrat 
Wenn  ein  gewisser  Grad  von  Feuchtigkeit  in  der  Luft  war,  und 
nördliche  Winde  wehten,  so  war  auch  das  zweite  Maximum  deutlich 
erkennbar,  und  wenn  die  erstere  in  ungewöhnlichem  Grade  zunahm, 
so  stieg  auch  wohl  das  Quecksilber  von  der  gewöhnlichen  Stunde 
des  ersten  Maximum  bis  in  die  Nacht  hinein  ganz  allmählich. 

Der  höchste  beobachtete  Barometerstand  während  des  October 
1869  war  725,3  mm,  Tagesmaximum  des  18.  bei  klarem  Wetter  und 
Windstille.  Am  15.  November  betrug  das  Maximum  728,0  mm  bei 
schwachem  Ostwinde;  der  6.  December  zeigte  uns  728,8  mm,  der 


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• LUFTDRUCK.  14'$ 

6.  Januar  1870  728,0  mm  bei  massigem  Ost,  der  8.  Februar  724,0  mm 
bei  schwachem  Nordost,  der  März  endlich  72 3,3  mm  am  2.  bei  starkem 
Nord  und  am  22.  bei  starkem  Nordost. 

Die  barometrischen  Minima  betrugen  am  23.  October  1869  bei 
sehr  schwachem  Süd  718,7mm,  am  4.  November  bei  Windstille  718,5mm, 
und  am  25.  Dccembcr  bei  schwachem  West,  am  26.  Januar  1870  bei 
starkem  Südwest  und  am  14.  Februar  bei  massigem  Südwest  716,4  mm, 
endlich  am  29.  März  bei  starkem  Westnordwest  707,5  mm. 

Die  tägliche  Amplitude  war  während  des  April  1869  am  grössten 
am  7.  bei  mässigem  Nordnordwest  und  betrug  20,3  mm;  am  kleinsten 
am  27.  bei  mässigem  Ost  und  betrug  6,1  mm.  Der  Mai  zeigte  eine 
höchste  Differenz  zwischen  Maximum  und  Minimum  desselben  Tages 
von  13,2  mm  und  eine  geringste  von  8,5  mm.  Der  October  hatte 
als  höchsten  Tagesunterschied  2,6  mm.  (am  26.  bei  mässigem  Nord 
und  am  29.  bei  sehr  schwachem  Süd)  und  einen  geringsten  von 
1,0  mm  (am  21.  bei  sehr  schwachem  Südsüdost).  Als  entsprechende 
Zahlen  des  November  finden  wir  am  15.  bei  schwachem  Ost  2,4  mm 
und  am  12.  bei  sehr  schwachem  Süd  0,9  mm.  Am  6.  December  be- 
obachtete ich  eine  höchste  Amplitude  von  5,3  mm  bei  schwachem 
Ost  und  am  10.  eine  geringste  von  0,5  mm  bei  sehr  schwachem  Ost. 
Im  Januar  1870  haben  wir  entsprechende  Zahlen  von  3,6  mm  am  7. 
bei  schwachem  Südwest  und  von  0,5  mm  am  21.  bei  schwachem  Süd; 
im  Februar  3,0  mm  (am  7.  bei  starkem  Nordwest)  und  0,7  mm  (am 
22.  bei  schwachem  Nord),  und  endlich  im  März  6,2  mm  (am  28.  bei 
mässigem  West)  und  0,8  mm  (am  4.  bei  sehr  schwachem  Südwest). 

Wenn  demnach  die  Wintermonate  eine  geringere  tägliche  Ampli- 
tude des  Aneroid-Standes  darzubieten  scheinen  würden,  so  muss  da- 
gegen nicht  vergessen  werden,  dass  in  den  Aufzeichnungen  kaum 
die  höchsten  und  niedrigsten  Stände  zum  Ausdrucke  kommen,  und 
dass,  w-ie  gesagt,  für  die  Beurtheilung  des  täglichen  Ganges  des 
Barometers,  seiner  Amplitude,  nur  die  Aufzeichnungen  aus  den 
Monaten  April  und  Mai  1869  von  Werth  sind,  während  von  den 
Ständen  zur  Ableitung  des  in  Fezzän  herrschenden  mittleren  Luft- 
druckes im  Gegcntheile  nur  die  während  der  Wintermonate  beob- 
achteten in  Betracht  kommen.  Aus  diesen  sind  mit  Zugrundelegung 
der  Beobachtungsstunden  6 U.  Morgens,  2 U.  Nachmittags,  10  U. 
Abends,  oder  7 U.  Morgens,  2 U.  Nachmittags  und  12  U.  Nachts, 
oder  8 U.  Morgens,  2 U.  Nachmittags  und  12  U.  Nachts  folgende 


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144 


I.  BUCH,  5.  KAPITEL.  KLIMA  UND  KRANKHEITEN. 


Monatsmittel  berechnet  worden:  für  den  October  1869  721,4  mm 
November  721,8  mm,  December  720,5  mm,  Januar  1870  721,8  mm, 
Februar  720,3  mm,  März  717,4  mm. 

Es  ergiebt  sich  aus  den  vorausgeschickten  Einzelheiten,  dass  die 
meteorologischen  Bedingungen,  welchen  die  Atmosphäre  von  Fezzän, 
beziehungsweise  von  Murzuq,  unterliegt,  die  des  leicht  modificirten 
Sahara-Klima' s sind.  Noch  ist  der  Passatwind  nicht  ganz  zur  Herr- 
schaft gekommen,  denn  einerseits  berührt  im  mittleren  Fezzän  der 
nach  den  Polen  abfliessende  Aequatorial -Luftstrom  während  des 
Winters  die  Oberfläche  der  Erde,  und  andererseits  können  nördliche 
Winde  und  ihre  Ablenkungen  vom  Mittelmcere  dorthin  gelangen. 
Dadurch  werden  die  Bewegungen  der  Temperatur  und  der  Hygro- 
meteore  in  Etwas  beeinflusst,  und  der  extreme  Charakter  des  Wüsten- 
klima’s  kommt  in  den  Thermometer-  und  Psychrometer- Ständen  nicht 
immer  zu  vollem  Ausdruck. 

Aus  diesen  atmosphärischen  Zuständen,  der  einfachen,  gezwungen 
massigen  Lebensweise  und  der  geringen  Dichtigkeit  der  Bevölkerung 
kann  man  a priori  den  Schluss  ziehen,  dass  Fezzän  Theil  an  der 
hochgradigen  Salubrität  haben  wird,  welche  die  Wüste  im  Allge- 
meinen auszeichnet.  Einerseits  ist  dies  allerdings  der  Fall;  anderer- 
seits aber  beeinträchtigen  verschiedene  Momente  diese  glücklichen 
Bedingungen. 

Hier  ist  vorzüglich  die  Häufigkeit  der  Sebcha’s  oder  Salzsümpfe 
anzuklagen,  welche  die  Hauptplage  heisser  Länder,  das  Sumpffiebcr- 
gift,  das  sonst  der  Wüste  fremd  ist,  und  vielleicht  das  Typhusgift  ver- 
mitteln. ln  der  That  verhält  sich  in  Bezug  auf  die  Malaria  Murzuq 
nicht  besser,  als  die  Umgebung  des  Tsädsee's  mit  ihren  stagnirenden 
Wässern,  wohin  so  viele  Bewohner  der  Nordküste  zu  Handelszwecken 
reisen  und  wo  ihrer  so  Viele  zu  Grunde  gehen.  Ich  habe  zu  Murzuq 
mehr  vom  Fieber  gelitten , als  jemals  später  in  den  wasserreichen 
Gegenden  südlich  von  der  grossen  Wüste.  Vom  Herbste  1869  bis 
zum  Frühjahr  1870  war  ich  kaum  eine  Woche  ohne  Anfall  Araber 
und  Berber  sind  zwar  nicht  mehr  durch  Regierungs-Verordnung  vom 
Aufenthalte  in  der  Stadt  ausgeschlossen,  doch  die  meisten  fallen 
einem  Malariasiechthum  anheim,  von  dem  sie  für  den  Rest  des 
Lebens  zu  leiden  haben. 

Der  quotidiane  und  tertiane  Typus  walten  vor;  gefürchteter  ist 
der  nicht  rein  intermittirende,  sondern  nur  remittirende  Charakter 


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SUMl’FFIEIIEK. 


I4f> 


und  noch  mehr  das  Sieclithuni,  welches  nicht  als  eine  Folge  wieder- 
holter schwächerer  oder  stärkerer  Fieberanfälle  zurückbleibt,  sondern 
ganz  allmählich  und  unscheinbar  unter  dauernder  Schwellung  der 
grossen  Unterleibsdrüsen  die  Constitution  untergräbt.  Sehr  häufig  be- 
ginnt die  Krankheit  mit  heftigem  ununterbrochenem  Fieber,  aus  dem 
sich  erst  allmählich  ein  Typus  entwickelt.  Auch  pernieiüse,  in 
kürzester  Frist  tödtlich  endigende  Fälle  kommen  vor,  wenn  sie  auch 
nicht  gerade  häufig  sind.  Der  typische  Verlauf,  mit  Kälte-,  Hitze- 
und  Sch weiss- Stadien,  findet  sich  bei  den  einfachen  Fallen  oft  ganz 
wie  in  den  nördlicheren  Ländern,  erleidet  jedoch  fast  ebenso  oft 
Abweichungen  von  der  Regel.  Massenhafte  Gallenabsonderung  und 
erhebliche  Blutverluste  durch  den  Darmkanal  traten  nicht  allein  bei 
mir  auf  der  Höhe  des  Anfalls  ein,  sondern  kamen  auch  sonst  nicht 
selten  zur  Beobachtung. 

Wo  nur  die  leiseste  Unterbrechung,  oder  ein  merkbarer  Nachlass 
des  Fiebers  war,  fand  ich  das  Chinin  stets  wirksam,  ohne  grade  zu 
übermässig  grossen  Dosen  meine  Zuflucht  zu  nehmen,  ln  Murzuq, 
dem  Regierungs- Centrum,  das  in  regelmässigster  Verbindung  mit 
nordischer  Civilisation  stand,  wo  ein  türkischer  Militairarzt  Station irt 
war,  der,  wenn  auch  noch  so  unwissend,  doch,  und  gerade  vielleicht 
um  so  mehr,  das  tropische  Universalmittel  Chinin  kannte,  kam  dieses 
Mittel  schon  zu  ziemlich  häufiger  Verwendung.  Doch  sehr  Vielen 
war  ein  so  theures  Medicamcnt  nicht  zugänglich;  still  gingen  sie  zu 
Grunde  oder  genasen,  oder  suchten  durch  Aufenthaltswcchsel  den 
deletären  Einflüssen  der  Stadt  zu  entgehen.  Von  andern  Heil- 
mitteln suchte  man  höchstens  Abführ-  oder  Brechmittel,  den  kur- 
mässigen  Gebrauch  der  allbeliebten  Butter  oder  dergleichen  in  An- 
wendung zu  ziehen,  ohne  jedoch  grosses  Vertrauen  in  dieselben  zu 
setzen. 

Die  Hauptsaison  der  F'ieber  erstreckt  sich  auf  Sommer  und 
Herbst,  und  mit  Vorliebe  suchte  man  ihr  Auftreten  mit  der  Reife 
der  Wassermelonen  in  Verbindung  zu  bringen,  ganz  wie  ich  cs  in 
Tunis  unzählige  Male  hatte  behaupten  hören.  Üb  etwas  Wahres  der 
Behauptung  der  hochbetagten  Einwohner  Murzuqs,  dass  die  Häufig- 
keit und  Gefährlichkeit  der  Fieber  abgenommen  habe,  zum  Grunde 
liegt,  wage  ich  nicht  zu  entscheiden.  Gegen  die  nach  häufigen 
und  protrahirten  F'icbcrn  zurückbleibenden  Leber-  und  Milz-An 
Schwellungen,  von  denen  jene  Kesra  und  diese  Techän  (d.  h.  cigent- 

Noctuiga!.  I.  1Ü 


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14*)  1.  BUCH,  5.  KAPITE1.  KI.IMA  UNI)  KRANKHEITEN. 

lieh  nur  Milz)  genannt  werden,  wendet  man  das  unvermeidliche  Glüh- 
eisen oder  eine  Art  Haarseil  oberhalb  der  afficirten  Organe  oder 
innerlich  eine  Maceration  von  Kümmel  — Kamün  — und  Knob- 
lauch Tüm  — in  Ocl  mit  kurmässigem  Gebrauch  an. 

Ausser  Murzuq  sind  in  Fezzan  noch  die  Ortschaften  des  tief- 
liegenden, sebcha-  und  wasserreichen  W.  Schijäti  der  Malaria  aus- 
gesetzt. Hier  war  es  auch,  wo  zur  Zeit  meiner  Ankunft  eine  Epidemie 
grassirte,  die  nach  meinen  sorgfältigen  Erkundigungen  nur  ein  Typhus 
oder  typhusähnliches  Fieber  sein  konnte.  Die  Krankheit  sollte 
die  dieser  Annahme  entsprechenden  Symptome  haben,  und  die 
Bevölkerung  war  der  Ueberzeugung,  welche  auch  in  europäischen 
Ländern  Geltung  hat,  dass  die  Entscheidung  am  7.  oder  am  14.  Tage 
eintreten  müsse.  Allen  Nachrichten  zu  Folge  kommt  dieselbe  Krank- 
heit hier  und  da  in  sporadischer  Form  häufig  genug  vor. 

Von  andern  Arten  blutzersetzender  Krankheiten  hat  die  Cholera 

Bü  Qemasch  - gegen  Ende  der  fünfziger  Jahre  von  Tripolis 
ihren  Weg  nach  Fezzan  gefunden  und  viele  Opfer  gefordert.  Man 
stand  ihr  rathlos  gegenüber  und  begnügte  sich , sie  mit  Pulvern  aus 
Zimmct  und  Zucker  zu  behandeln.  Von  Süden  her  werden  nicht 
selten  durch  die  Sclavenkarawanen  Pocken  — Dschiddri  einge- 
schleppt, wie  es  bei  der  relativ  belebten  Bornüstrassc  erklärlich 
ist.  Bei  solchen  Epidcmieen  träufelt  man  im  Vorläuferstadium  dem 
Kranken  seinen  eigenen  Urin  in  die  Augen,  um  diese  zu  schützen, 
und  reibt  vor  der  Eruption  den  ganzen  Körper  mit  demselben  Mittel 
ein.  Nach  Ausbruch  der  Pusteln  bedeckt  man  die  ergriffenen  Körper- 
partieen  mit  Baumwolle,  welche  mit  erwärmtem  Kameelharn  durch- 
tränkt ist,  während  man  eine  leichte  Maceration  von  Zwiebeln  und 
Tamarinden  in  die  Augen  des  Kranken  träufelt.  Die  Impfung  ist  von 
Norden  her  bekannt  und  wird  bisweilen  ausgeübt,  wobei  man  die  Ope- 
ration mit  Vorliebe  am  Ohrläppchen  oder  an  den  Schläfen  macht. 

Wie  mir  von  vornherein  wahrscheinlich  war,  scheinen  die  ernsteren 
chronischen  Lungenkrankheiten,  welche  mit  Zerstörung  des 
Lungengewebes  und  Zehrfieber  einhergehen,  selten  zu  sein,  kommen 
jedoch  immer  noch  häufiger  vor,  als  ich  erwartet  hatte.  Die  Schwind- 
sucht ist  wohlbekannt  und  gefürchtet;  sie  gilt  sowohl  für  erblich 
als  für  ansteckend,  so  dass  man  derartige  Kranke  sorgfältig  meidet. 
Doch  war  auffallend,  dass  in  allen  Fällen  von  Verdichtungen  der 
Lungen  mit  hektischen  Zuständen,  die  mir  zur  Untersuchung  kamen, 


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•UNGK.NK  R ANKH  EITRN. 


117 


weder  Lungenblutungen  vorhergegangen,  noch  erbliche  Anlagen  deut 
lieh  nachzuweisen  waren.  Die  ersteren  sollen  jedoch  Vorkommen  und 
werden  dann  mit  Alaunpulver  in  flüssigem  Pctt  behandelt,  wahrend 
für  die  ganze  Erkrankung  der  kurmässige  Gebrauch  des  Hunde- 
fleisches und  Hundefettes  oder  einer  Suppe  des  Schwarzkäfers  beliebt 
ist.  Wohl  aber  waren  bei  den  meisten  derartigen  Zuständen  acute 
Krankheiten,  Lungen-  oder  Brustfell-Entzündungen,  nach- 
weislich vorhergegangen,  welche  also  wohl  die  Ausgangspunkte  ge- 
bildet hatten.  Diese  sind,  wenn  auch  selten,  doch  ebenfalls  häufiger 
als  ich  geglaubt  hatte,  werden  unter  dem  Namen  Bü  Dschencb, 
d.  h.  Vater  der  Seite,  zusammengefasst  und  haben  nicht  selten  einen 
ungünstigen  Verlauf.  Vergebens  erwartete  ich  bei  einer  Lungen- 
Entzündung  jene  plötzliche  kritische  Wendung,  welche  bei  uns  die 
Regel  ist;  das  Fieber  verlor  sich  allmählich,  der  Kranke  erholte  sich, 
doch  langsam  und  unvollständig,  und  untersuchte  ich  die  Lungen,  so 
fand  ich,  dass  dieselben  nicht  wieder  vollständig  durchgängig  ge- 
worden waren.  Häufiger,  als  diese,  sind  die  Brustfell-Entzündungen, 
welche  gern  ohne  violente  Erscheinungen  ihre  Ausschwitzungen 
machen,  aber  um  so  hartnäckiger  der  vollständigen  Aufsaugung 
Widerstand  leisten.  Bei  beiden  Krankheiten  ist  der  tödtliche  Aus- 
gang — immer  im  Verhältnis  zu  der  absolut  kleinen  Anzahl  der 
artiger  Erkrankungen  nicht  selten.  Man  behandelt  sie  äusscrlich 
mit  Schröpfköpfen  oder  dem  Universalmittel  Glüheisen  und  innerlich 
wohl  mit  einer  filtrirten  und  massig  erwärmten  Maceration  der  jungen 
zerquetschten  Sprossen  des  Tundub  (Capparis  Soda  da ).  Das  Schröpfen 
wird  ausgeführt,  indem  man  mit  dem  Rasirmesser  Einschnitte  macht 
und  darüber  konische  Wiederkäuerhörner,  die  an  der  Spitze  «lurch- 
bohrt und  durch  eine  kleine  Lederklappe  versch liessbar  sind,  mit  dem 
Munde  durch  Luftverdünnung  ansaugt. 

Wie  diese  Erkrankungen  im  Winter  Vorkommen,  so  natürlich 
auch  die  Lungenkatarrhe,  welche  sich  bisweilen  in  die  Länge 
ziehen  und  chronisch  werden,  ja  sogar  in  einzelnen  Fällen  zur 
Erweiterung  der  Lungenbläschen  und  zu  asthmatischen  Anfallen 
Veranlassung  geben.  Dieselben  werden  alle  nahezu  identisch  be- 
handelt mit  einem  Gemisch  von  Alaun,  Ingwer,  Südänpfeffer  und 
andern  reizenden  und  aromatischen  Substanzen,  welche  gepulvert  mit 
flüssigem  Fett  genossen  werden.  Auch  Keuchhusten-Epidemieen 
kommen  vor,  wie  ich  in  Murzuq  in  kleinem  Maassstabc  zu  beobachten 

10* 


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14* 


I.  BUCH,  5.  KAPITEL.  KLIMA  UND  KRANKHEITEN. 


Gelegenheit  hatte.  Man  behandelt  die  Krankheit,  indem  man  kleine 
Moxen  von  Baumwolle  mit  Schiesspulver  in  das  blaugraue  Papier  der 
Zuckerhüte  wickelt  und  auf  dem  oberen  Thcil  des  Brustbeins  appli- 
cirt,  wobei  nach  der  Meinung  der  Leute  gerade  jene  Art  von  Pack- 
papier zur  Erzielung  der  gewünschten  Wirkung  unentbehrlich  ist. 

Im  Ganzen  sind  jedoch  diese  Erkrankungen  immerhin  selten  und 
werden  weit  überwogen  von  den  Krankheiten  der  Verdauungs- 
Organe,  den  Rheumatismen,  den  Hautkrankheiten,  der 
Syphilis  und  den  Augenkrankheiten. 

Wenn  leichtere  Verdauungsstörungen  sehr  häufig  sind,  so  kamen 
doch  ernstere  Leiden  der  Art,  wie  Magenkrebs,  Magengeschwüre, 
Leberkrebs  und  dergleichen,  sehr  selten  zu  meiner  Beobachtung. 
Meine  eigenen  Erfahrungen  für  Fezzän  erstrecken  sich  freilich  nur 
auf  den  Zeitraum  eines  halben  Jahres,  aber  häufige  Erkundigungen  bei 
gebildeten  Personen  erlauben  mir  doch  manchen  sicheren  Schluss 
zu  ziehen.  Während  der  ganzen  Zeit  sah  ich  in  Murzuq  nur  einen 
Fall  von  Leberkrebs.  Einfache  Magenkatarrhe  werden  gern 
mit  Abführmitteln  Mushil  — oder  Vomitiven  — Muqeija  — be- 
handelt, oder  man  giebt  den  Kranken  Knoblauch  und  Butter  ab- 
wechselnd in  kleinen  Mengen.  Darmkatarrh  mit  Abweichen  in 
Folge  von  Ueberladung  des  Magens  mit  kräftiger,  stickstoffhaltiger 
Nahrung,  erfordert  Fenchel  mit  Datteln  und  Butter  zu  seiner  Heilung; 
ist  er  aber  eine  Folge  von  Süssigkeitcn,  so  wirkt  nach  dortiger 
Therapeutik  eine  leicht  säuerliche  Milch  mit  Gummi  besser.  Dyssen- 
terie  scheint  stets  sporadisch  vorzukommen,  tritt  selten  mit  so 
alarmirenden  Symptomen  auf,  wie  im  Norden,  ist  aber  dafür  um  so 
hartnäckiger.  Man  behandelt  sie  mit  dem  Qarad,  der  gerbstoff- 
haltigen Frucht  der  Acacia  milotica,  oder  mit  Knochenmehl  und 
schreitet  in  protrahirten  Fällen  wohl  zur  Application  des  Glüheisens 
auf  die  Gegend  der  Sitzknorren.  Sie  wird  häufig  verwechselt  mit 
Hämorrhoiden  — Bäsür,  plur.  Bawäsir  — , für  deren  Entstehung 
man  dem  Hocken  mit  dem  Rücken  gegen  die  von  der  Sonne  erhitzten 
Hauswände  Schuld  giebt.  Gegen  dieselben  empfiehlt  man  sympathische 
Mittel,  als  Sitzen  auf  grünen  Tabaksblättern,  Schlafen  auf  Löwen- 
oder Tigerfellen  und  dergleichen,  oder  Medicamentc,  als  rothen 
Pfeffer,  Hilba  ( Trigonelia  Foenum  graecum)  und  Weizenmehl  zu 
gleichen  Theilen  mit  Butter.  Bei  Rachen-  und  Mandel -Ent- 
zündung ist  man  schnell  bereit,  das  Zäpfchen  abzuschneiden,  wenn 


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KRANKH.  n.  VF.RDAUUNOSOKG.  — KHKl'MAT.  — HAUTKRANKH.  1-1P 

dies  sudanischem  Gebrauche  zufolge  noch  nicht  geschehen  ist,  oder 
es  wenigstens  zu  scarificiren:  sind  die  Kranken  messerscheu,  so  tragen 
sie  Knoblauch  um  den  Hals  und  man  feuchtet  ein  Gemisch  von  Hantit 
(Asa  foetida)  und  Zibäd  mit  Speichel  an  und  bestreicht  damit  Man- 
deln und  Zäpfchen.  — Gegen  die  häufig  vorkommende  Gelbsucht 
Bü  Safir  — geniesst  man  kurmässig  Morgens  ein  Gericht  aus  gut- 
gestossenem  Kurkum  (Curcuma),  Eiern  und  Zwiebeln,  die  in  Butter 
gebraten  werden  und  eine  Zuthat  von  Salz  verlangen.  Dabei  schläft 
man  auf  einer  Streu  von  Luzerne,  um  Morgens  den  Anblick  des 
Grünen  zu  haben. 

Ebenso  häufig,  als  die  gewöhnlichen  Verdauungsstörungen,  ist 
Rheumatismus,  der  vom  acuten  Gelenk-  bis  zum  leichtesten 
Muskelrheumatismus  zur  Beobachtung  kam,  doch  so,  dass  die- 
jenigen Fälle  bei  weitem  überwiegen,  bei  denen  keine  Ergüsse  in 
die  Gelenke  stattfinden,  sondern  welche  von  vornherein  einen  leich- 
teren doch  schleppenden  Charakter  haben.  Hier  tritt  vor  allen 
anderen  Mitteln  das  beliebte  Glüheisen  in  seine  Rechte,  da  die  auf 
der  Nordküste  bei  solchen  Affectionen  beliebten  heissen  Bäder  in 
Fezzän  nicht-  existiren. 

Die  vorkommenden  Hautkrankheiten  sind  sehr  mannichfach. 
Fieberhafte  Hautkrankheiten  wie  die  Masern  — el-Hasba  werden 
mit  einer  Abreibung  von  üel  und  Salz  behandelt,  während  die 
Nesseln  — el-Hasds  — die  Einreibung  mit  dem  weniger  appetit- 
lichen Unrath  von  Rind,  Hammel  und  Kameel  erheischen.  Bei  ober- 
flächlichen Hautentzündungen  in  Folge  von  übermässiger  Schweiss- 
bildung  bei  sich  berührenden  Hautflächen  (Intertrigo)  ist  eine  Paste 
aus  Alaun,  Fenchel,  Nelken,  Rosenblättern  und  pulverisirten  Dattel- 
kernen in  häufigem  Gebrauch.  Eine  besondere  Aufmerksamkeit 
wendet  man  den  Achselschweissen  zu,  deren  übler  Geruch  nach 
der  allgemeinen  Ueberzeugung  einen  grossen  Theil  der  Entzündungen 
der  Bindehaut  des  Auges  verschuldet.  Papeln  und  Pusteln 
Habb  esch-Schebeb  behandelt  man  in  leichteren  Fällen  mit  einem 
Liniment  aus  Jasminoel  mit  etwas  Wachs;  in  wenig  ausgedehnten 
und  hartnäckigeren  mit  dem  scharfen  Milchsäfte  der  Ca/otropis  pro- 
fern,  einer  Salbe  aus  den  gepulverten  Saamen  von  Ricinus  oder  mit 
der  ultima  ratio  des  Glüheisens.  Phlegmonöse  Entzündungen, 

Aqra  — Erysipele,  Blutgeschwüre,  Umläufe  und  Kar- 
bunkel bestreicht  man  mit  einem  Liminente  aus  Myrrhe,  Mahüleb 


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IÖO  I.  BUCH,  5.  KAPITK.I.  KLIMA  UND  KR ANKHKITEM. 

(Prunus  Mahaleb).  Safran  und  Rosen,  oder  bedeckt  sie  mit  einem 
Kataplasma  von  gepulverter  Hinnä  in  Ziegenfett  gekocht,  und  gegen 
Pilzbildungen  der  Haut  und  Krätze  - Dschcrab  — helfen  Lini- 
mente von  Schwefel  Kebrit  — mit  dem  ausgequetschten  Safte 
junger  Weizenpflanzen  oder  von  Schiesspulver  in  Oel.  Die  Krätze 
ist  sehr  häufig,  doch  muss  man  bei  der  Untersuchung  zweifelhafter 
Fälle  stets  im  Auge  haben,  dass  die  Krankheit  bei  der  grossen 
Reinlichkeit,  welche  der  Islam  Händen  und  Vorderarm  zuwendet, 
an  diesen  weniger  zum  Ausdruck  kommt. 

Zuweilen  sah  ich  unregelmässige  Pigment- Ablagerungen 
luiter  der  Wangenschleimhaut,  schwarze  oder  schwarzgraue  Flecken, 
welche  Kelef  genannt  und  mit  dem  schaumigen  Schweisse  der  Innen- 
flächen der  Oberschenkel  erhitzter  Pferde  behandelt  wurden.  Die 
Entfärbung  und  Atrophie  der  Haut,  wie  sie  ein  Stadium  der  Lepra 
kennzeichnet  und  als  Baras  auf  der  Nordküste  bekannt  ist,  kommt 
in  Fezzan  weniger  häufig  vor  als  in  den  Küstenländern  und  viel 
seltener  als  im  Sudan.  Der  in  dem  letzteren  so  häufige  Guinea- 
wurm  ( Filaria  Medinaisis)  wird  zwar  von  dort  bisweilen  eingeschleppt 
und  ist  unter  dem  Namen  Irq  (plur.  Oruq),  d.  h.  eigentlich  die  Ader, 
bekannt,  herrscht  aber  keineswegs  in  Fezzan  endemisch. 

An  die  Hautkrankheiten  schliesst  sich  in  natürlicher  Weise  die 
Syphilis,  durch  deren  häufiges  Vorkommen  in  der  Hauptstadt  man 
sich  nicht  verleiten  lassen  darf,  einen  Schluss  auch  auf  die  übrigen 
Oasen  zu  ziehen.  Bei  der  grossen  Unsittlichkeit,  welche  Murzuq's 
Bewohner  kennzeichnet,  ihrem  Reichthum  an  sensuellen  Sclavinnen, 
ihrem  häufigen  Verkehr  mit  Bornü  einer-  und  Tripolis  andererseits, 
kann  das  häufige  Vorkommen  der  Krankheit  nicht  Wunder  nehmen, 
und  der  Leichtsinn  der  davon  Ergriffenen  garantirt  die  weiteste  Ver- 
breitung. Noch  war  sie  bei  eien  Bewohnern  nordischen  Ursprungs, 
wie  in  Tunis  und  Tripolis,  als  el-Kebir,  el.  h.  die  grosse  (nämlich 
Krankheit),  oder  es-Sultäna,  d.  h.  die  Königin  (namJich  der  Krank- 
heiten), bekannt  und,  wenn  man  sich  so  ausdrücken  darf,  geschätzt. 
Wie  sie  dort  im  Volke  für  eine  sehr  anständige  Krankheit,  die  auch  im 
Paradiese  wohl  gelitten  sei,  gilt,  so  schämte  sich  in  Fezzan  wenigstens 
Niemand,  an  ihr  zu  leiden  oder  es  öffentlich  zu  erzählen.  Doch  in  den 
kleineren  Populationscentren  und  fern  von  der  grossen  Strasse  ist  diese 
für  uncivilisirte  und  halbcivilisirtc  Völker  so  verhängnissvolle  Seuche 
selten,  und  in  einigen  Orten  stiessen  meine  darauf  bezüglichen  Nach- 


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SVPHII.IS.  — KRANKHEITEN  PER  HARNORGANE.  151 

fragen  kaum  auf  Verständniss.  Ihr  Verlauf  scheint  im  Allgemeinen 
ein  rapider  zu  sein;  die  Symptome  der  Blutvergiftung  folgen  bald 
auf  die  locale  Ansteckung,  und  die  ganze  Reihe  der  constitutionellen 
Erscheinungen  bis  zu  den  Knochenerkrankungen  wickelt  sich  schnell 
ab.  Die  Behandlung  geschieht  bei  den  relativ  gebildeten  Leuten 
mit  der  generell  ’Oscheba,  d.  h.  eigentlich  Kraut,  genannten  Sarsa- 
parilla,  welche  in  Tunis  und  anderen  Ländern  der  Nordküstc  unter 
dem  schönen  Namen  Mabrüka,  d.  h.  die  Gesegnete,  berühmt  ist, 
oder  mit  anderen  Holztränken  unter  gleichzeitiger  Hungerkur.  Die 
eigentlichen  Eingeborenen  behelfen  sich  mit  der  in  der  Wüste  so 
weit  verbreiteten  Coloquinthc  Handal  — , indem  sie  in  bestimmten 
Zeitzwischenräumen  Milch  trinken,  welche  zwölf  Stunden  in  der  aus- 
gehöhlten Frucht  gestanden  hat.  Doch  während  dieser  Behandlung 
darf  der  Kranke  kein  Ziegen-,  Rind-  oder  Kameclfleisch  gcnicssen, 
sondern  muss  sich  auf  Hammelfleisch  beschränken.  Leichtere  locale 
Uebel,  die  aus  unreinem  Geschlechtsverkehr  resultiren,  sind  von 
erschreckender  Häufigkeit  und  haben  oft,  bei  der  mangelhaften  Be 
handlung,  die  man  ihnen  zu  Theil  werden  lässt,  die  betrübendsten 
Folgen,  wie  Verschliessung  der  Harnröhre,  Harnfisteln  und  so  weiter. 
Man  behandelt  sie  nur  innerlich  und  zwar  mit  Macerationen  von 
Granatapfelschaalen  oder  den  gerbstoffhaltigen  Schoten  der  Acacitt 
nilotica. 

Von  Krankheiten  der  Harnwerkzeuge  kamen  mir  die 
ernsteren  weder  zur  Beobachtung,  noch  schienen  sie  als  solche  be- 
kannt zu  sein,  wie  die  der  Nieren,  die  Steinkrankheit  u.  s.  w.  Gegen 
die  Unmöglichkeit,  den  Harn  zu  verhalten,  giebt  man  den  Kindern 
eine  Suppe  aus  einem  Theile  Cochenille  und  zwei  Theilen  Gersten- 
mehl, während  das  Gcgentheil,  die  Urinverhaltung,  einfach  mit 
Gerstenschleim  behandelt  wird.  Vergebens  suchte  ich  mir  das 
häufige  Vorkommen  des  Blutharncns  — ei-Harr  — ohne  Blasen- 
katarrh oder  Nierenkrankheiten  zu  erklären,  das  von  den  Einge- 
borenen als  eine  Folge  allzuheftiger  Einwirkung  der  Sonne  angesehen 
wird.  Es  verdankt  sicherlich  auch  dort  jenem  Entozoon  seinen  Ur- 
sprung, das  seitdem  vorzüglich  aus  Egypten  bekannt  geworden  ist. 
Man  behandelt  es  in  Fezzan  mit  Leinsaamenmehl  und  kohlensaurem 
Natron  in  Ocl. 

Neben  dem  Rheumatismus  in  seinen  leichteren  Formen  und 
den  chronischen  Verdauungsstörungen  stellen  die  Entzündungen 


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|»2  I.  BUCH,  5.  KAPITEL.  KI.IMA  UND  KRANKHEITEN. 

der  ausseren  Augengebilde  mit  ihren  Folgezuständcn  das  Haupt- 
contingent  zu  den  Erkrankungen.  Die  Leiden  des  inneren  Auges, 
der  graue  und  schwarze  Staar,  Leiden  der  Netz-  und  Aderhaut,  des 
Sehnerven  und  des  Glaskörpers,  sind  nicht  eben  zahlreich,  doch  ist 
die  Zahl  derjenigen  Personen,  welche  intactc  Horn-  und  Bindehäute 
haben,  noch  geringer.  Die  Aflfectionen  der  letzteren  fasst  man  unter 
dem  Namen  Ramad  zusammen  und  behandelt  sie  ebenso  summarisch 
entweder  mit  einem  aus  Kandiszucker,  Habbet  es-Södä  {Nigel/a  sa- 
tiva),  Lisän  el-Bahar  ( Os  Sepia?),  Myrrhe  und  Tütia  (unreines  Zink- 
oxyd) gemischtem  Pulver,  das  in  kleiner  Quantität  ins  Auge  ge- 
bracht wird,  oder  mit  getrockneter,  pulverisirtcr  und  zuckerge- 
mischter Rabcngalie  Merärat  el-Ghorab.  Ein  sehr  grosser  Tlieii 
der  zerstörten  und  dicht  getrübten  Hornhäute  kommt  auf  Rechnung 
der  Pocken. 

Von  Frauenkrankheiten  kamen  Menstruationsstörungen,  Un- 
fruchtbarkeit, Fehlgeburten,  Entzündungen  der  Brustdrüse,  Brust-  und 
Gebärmutterkrebs,  Mutterblutungcn  und  dergleichen  zu  meiner  Kennt- 
niss;  jedoch  waren  dieselben  nicht  häufig.  Dass  die  Pubertät  so 
aussergewöhnlich  früh  einträte,  wie  manche  Reisende  aus  Fezzän  be- 
richten, kann  ich  nicht  bestätigen.  Ich  habe  gewiss  ebenso  viele 
Mädchen  gesehen,  welche  mit  15  Jahren  noch  nicht  menstruirt  waren, 
als  solche,  die  das  Zeichen  der  Reife  mit  12  Jahren  darboten.  Um 
diese  Zeit  sucht  man  die  jungen  Mädchen  wohl  fett  zu  machen 
durch  die  tägliche  Darreichung  einer  kleinen  Quantität  Hantit  oder 
den  kurmässigen  Gebrauch  der  Hilba.  Tritt  die  Menstruation  trotz 
entwickelten  Körpers  nicht  ein,  oder  bleibt  sie  aus  ohne  Schwanger- 
schaft oder  nachweisbare  anderweitige  Erkrankung,  so  geniesst  die 
Kranke  drei  Tage  lang  eine  Paste  aus  der  Füa-Wurzel  (Färberröthe, 
Rubia  tmetorum)  und  Gerstenmehl  mit  Butter  und  Zucker.  Nach 
heftigem  Abweichen  tritt  oft  die  erwünschte  Blutung  ein.  Wenn 
diese  allzu  reichlich  wird,  so  duldet  man  sie  sieben  Tage  und  tritt 
ihr  dann  durch  ein  Getränk  von  stark  maccrirten  Feigenblättern  ent- 
gegen. Auch  die  Rose  von  Jericho  Komescht  en-Nebi  — und 
Schedschrat  er-Riäh  ( Haplophyllum  tubercu/alum)  werden  als  men- 
struationsbefördernd  gerühmt.  Die  Feigenblätter  bilden  auch  das 
1 lauptmittel  gegen  Gebärmutterblutungen  und  werden  in  ihrer  Wir- 
kung durch  äusserliche  Waschung  mit  Taubenkoth  in  Wasser  unter 
stützt.  Gegen  erschwerte  Menstruation  haben  getrocknete  Granat- 


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Al'GKNLKIDKN.  — I KAUtNKK ANKHEITKN.  Jftil 

apfelschalen,  in  Pulverform  in  die  Suppe  gethan,  einen  guten,  die 
Verheirathung  aber  den  besten  Ruf.  Die  Entzündung  der  Brust- 
drüse  wird  mit  sonderbarer  Einmüthigkeit  dem  unvorsichtigen 
Genüsse  eines  nicht  gesehenen  Haares  in  der  Milch  oder  iin  Wasser 
zugeschrieben  und  durch  ein  Liniment  aus  Myrrhe,  Moschus  und 
Safran  behandelt,  ganz  wie  der  Brustkrebs,  doch  muss  die  Kranke 
auf  das  Acngstlichste  jede  Nahrung  vermeiden,  welche  von  ge- 
schwänzten Thieren  kommt,  wie  Fleisch,  Fett,  Milch  und  Butter. 
Der  Gebärmutterkrebs  wird  vergebens  bekämpft  durch  den  kur- 
mässigen  Genuss  eines  Gerichtes,  das  aus  Hub-,  Hornklee-  und  Zwiebel- 
Saamen  und  Gerstenmehl  zu  gleichen  Thcilen  mit  etwas  Krcsse- 
Saamen  - Habbet  er-Reschäd  und  Eisenfeilspänen  zur  Paste  ge- 
formt wird. 

Die  Fruchtbarkeit  der  Frauen  sucht  man  zu  vermehren 
durch  den  unmotivirten  Genuss  getrockneter  Eingeweide  junger 
Häschen,  die  noch  an  der  Mutterbrust  waren.  Da  die  Keuschheit 
junger  Mädchen  eine  seltene  Erscheinung  in  Fczzän  ist,  und  doch 
ein  lebendiger  Beweis  ihres  Leichtsinns  unter  Umständen  ein  Hin- 
derniss für  die  Verheirathung  abgiebt,  so  sucht  man  nicht  selten 
Abortus  hervorzurufen.  Man  schreckt  um  so  weniger  davor  zurück, 
als  das  Gesetz  sich  um  solcherlei  Dinge  nicht  kümmert  und  alte 
Weiber  ungestraft  ihre  kundige  Beihülfe  leihen  können.  Die  be- 
kanntesten äusserlichen  dahin  zielenden  Mittel  sind  Kügelchen  von 
Rauchtabak  oder  solche  von  Baumwolle  mit  dem  Safte  des  Oschar 
(Calotropis  [>rocera)\  innerlich  sollen  Kuss  irdener  Kochgeschirre  und 
eine  1 linnä-Maccration  dieselbe  Wirkung  haben. 

Dass  ein  Kind  im  Mutterlcibe  für  Jahre  oder  sogar  für  immer 
, .schlafen”  könne,  bezweifelt  Niemand,  und  da  die  Fezzäner  häutig 
und  lange  auf  Reisen  sind,  so  giebt  dieser  fromme  Glaube  den  leicht- 
sinnigen Ehefrauen  eine  willkommene  und  bequeme  Handhabe,  um 
dem  Gatten  nach  Jahre  langer  Abwesenheit  einen  während  dieser 
Zeit  eingetretenen  Familienzuwachs  in  einem  ehrbaren  Lichte  er- 
scheinen zu  lassen.  Der  Keim  des  Kindes  ist  vor  der  Abreise  gelegt 
worden,  doch  Gott  hat  versäumt,  ihn  zum  wirklichen  Leben,  zur  Geburt 
rechtzeitig  zu  erwecken.  Mancher  Gatte  mag  wohl  in  solchem  Falle 
seine  Zweifel  nicht  ganz  unterdrücken  können,  doch  gegen  die  Mög- 
lichkeit jahrelanger  Geburts- Verzögerungen  ist  absolut  Nichts  zu 
sagen,  und  selbst  mein  kluger  Freund,  der  Hadsch  Brähim  Ben  Alüa, 


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I.  BUCH,  5.  KAPITK1..  KI.IMA  UND  KKANKIIKITKN. 


154 

war  von  der  Häufigkeit  solchen  Vorkonimens  auf  das  Festeste  uber- 
zeugt. 

Die  Geburten  verlaufen  meist  leicht  und  ohne  Kunsthülfe;  ist 
die  Wehenthätigkeit  zu  schwach,  so  verordnete  man  eine  Maceration 
von  Melüchiablättern  in  Oel.  Etwa  auf  Geburten  folgende  Entzün- 
dungen der  Gebärmutter  werden  in  eigenthümlicher  Weise  bekämpft, 
indem  man  Ziegenfleisch  mit  aromatischen  und  reizenden  Substanzen 
aller  Art  bis  zur  beginnenden  Fäulniss  hinstellt  und  alsdann  von 
den  Kranken  verzehren  lässt.  Die  Kopfblutgeschwulst  der  Neu- 
geborenen wird  mit  Cataplasmen  von  Weihrauch  Lubän  bedeckt. 
Koliken  der  kleinsten  Kinder  werden  mit  einem  Gemische  von 
Hantit,  Qarad,  Hilba,  Granatapfelschaalen,  Fenchel,  Rosmarin,  Schinh 
( Artemisia  hcrba-alba)  behandelt,  das  mit  Wasser  und  Zucker  in  den 
Lutschbeutel  gethan  wird.  Zeigen  sich  Aphthen  im  Munde  — Hü 
Qattäm  — so  bringt  man  ein  Gemisch  von  Fenchel-  und  Qarad- 
l’ulver  auf  die  betreffenden  Schleimhautstellen.  Wollen  die  Kinder 
an  der  Mutterbrust  nicht  vorangehen , so  werden . ausser  etwaiger 
Schwangerschaft  der  Mutter,  übernatürliche  Gründe  zur  Erklärung 
herbeigezogen,  und  folglich  auch  ebenso  unnatürliche  Mittel  ange- 
wendet. Man  wäscht  die  Kinder  in  Wasser,  das  aus  sieben  Brunnen 
genommen  wird,  und  in  das  man  Fenchel,  Hantit  und  dergleichen 
Substanzen  gethan  hat.  Hilft  dies  nicht,  so  wird  die  Mutter  als 
schwanger  angesehen  und  man  wartet  ruhig  auf  die  etwaige  Geburt  des 
neuen  Kindes.  Tritt  dieselbe  ein,  so  legt  man  das  erste  Kind,  wenn 
dasselbe  noch  am  Leben  ist,  in  die  Schüssel,  welche  die  ganze  Zugabe 
des  Neugeborenen  enthält,  und  ist  von  seiner  sicheren  Heilung  über- 
zeugt. Man  säugt  die  Kinder  mindestens  zwei  Jahr,  und  will  man 
die  Secretion  der  Muttermilch  versiegen  lassen,  so  drückt  man  diese 
in  ein  heisses  Porzellan-  oder  Metallgefass  aus;  mit  dem  Zischen  der- 
selben soll  man  sicher  sein,  dass  die  weitere  Absonderung  im  Busen 
erlischt. 

Diejenige  Klasse  von  Krankheiten,  welche  am  seltensten  zu  sein 
scheint,  ist  die  der  Gehirn-  und  Nervenkrankheiten;  wie  auch 
Geisteskrankheiten  kaum  zur  Beobachtung  kommen,  und  mir 
der  traurige  Anblick  der  nicht  simulirenden  heiligen  Irrsinnigen,  die 
in  den  civilisirteren  mohammedanischen  Ländern  uns  auf  Schritt  und 
Tritt  aufstossen,  in  Fezzän  gänzlich  erspart  blieb.  Zwar  kannte  man 
Schlaganfälle,  Gehirnficber,  epileptische  und  andere  Krämpfe,  Läh- 


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KRANKHHTKN  HKS  NKKVKNS VSTK.MS.  VKRCIKTL'NCKN.  |5o 

mungen  etc.,  doch  musste  man  schon  vielfache  Nachfragen  anstellen, 
ehe  man  Leute  fand,  die  dergleichen  gesehen  hatten.  Ich  selbst  sah 
nur  einige  Mal  schleichende  Rückenmarks-Fintzündungen,  Neuralgien, 
epileptische  Kranke  und  hysterische  Frauen.  Alle  derartige  Krank- 
heiten schreibt  man  übernatürlichen  Einwirkungen,  sei  es  dem  Teufel 
Iblis  — , sei  es,  und  zwar  häufiger,  den  Geistern  — Dschinn 
zu  und  behandelt  sie  dem  entsprechend  durch  Sympathie  und  zauber- 
volle Qoränsprüche.  Selbst  der  heisse  Gerstenbrei,  den  man  bei 
Gehirnentzündung  den  Kranken  auf  den  Kopf  legt,  muss  von  Hunden 
oder  Kindern  gegessen  werden,  wenn  er  wirksam  sein  soll;  oder  wenn 
man  in  demselben  Falle  ein  Gelass  mit  Wasser  auf  den  Kopf  setzt 
und  ein  glühendes  Eisen  in  demselben  löscht,  so  muss  jenes  nach 
hinten  vom  Kranken  entfernt  werden,  wenn  es  helfen  soll.  Schon 
bei  hartnäckigem  Kopfschmerz,  der  nicht  in  einfacher  Weise  erklärt 
werden  kann,  deutet  man  durch  das  gebräuchliche  Mittel  der  Räuche- 
rung mit  verbrannten  Haaren  eines  Bruders  oder  einer  Schwester 
des  Erkrankten  den  geheimnissvollen  Ursprung  der  Krankheit  an.  Bei 
auffallender  Schlaflosigkeit  thut  man  wohl  Eulenaugen  in  ein  Ge- 
fass  mit  Wasser  und  bindet  dasjenige,  welches  untersinkt  und  eines 
sinkt  nach  der  Behauptung  meiner  Referentin,  einer  vielbeschäftigten 
dortigen Collegin,  stets  auf  denGrund,  während  das  andere  schwimmt 
an  den  Kopf  des  Kranken,  während  im  Gegentheile  das  schwimmende 
Auge,  in  derselben  Weise  angewendet,  den  Schlaf  fernhalten  soll. 
Bei  epileptischen  und  andern  Krampfzufallen  vermeidet  man  die 
rothe  Farbe,  bedeckt  den  Kranken  mit  schwarzen  Stoffen,  giebt  ihm 
Indigo  zu  riechen  und  sorgt  dafür,  dass  sich  ihm  keine  Erwachsenen 
nähern. 

Von  Vergiftunge-n  kommen,  ausser  den  von  animalischen 
Giften  herrührenden,  höchstens  die  durch  Arsenik  und  Grünspan  vor, 
welche  mit  einer  Abkochung  von  Portulak  und  Rhinoceroshorn  be- 
handelt werden.  Letzteres  hat  übrigens  auch  dort  gegen  die  übrigen 
vorkommenden  Vergiftungen  durch  Vipernbiss  und  Scorpion- 
stich  den  ausgezeichneten  Ruf,  dessen  es  sich  in  der  ganzen  isla- 
mitischen Welt  erfreut.  Gegen  die  letzteren  gilt  auch  ein  anderes 
Verfahren  als  wirksam,  welches  ebenso  barbarisch  als  unsinnig  ist. 
War  der  verletzte  Theil  eine  Hand,  so  drängt  man  dieselbe,  so 
weit  es  geht,  mit  Gewalt  in  den  After  von  drei  lebendigen  Hühnern, 
bis  die  armen  Thiere  umkommen;  war  es  ein  Fuss,  so  tödtet  man 


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15fl 


I.  MICH,  5.  KAPITKL.  KLIMA  UND  KKANKIIKITEN. 


schnell  einen  Hund  und  setzt  den  Fuss  in  seinen  Bauch.  Als  wirk- 
sames Mittel  gegen  beide  wird  auch  das  Fett  der  Waran -Eidechse 
Ural  oder  Waral  — betrachtet,  welche,  lebendig  im  Hause  ge- 
halten, sowohl  Vipern  als  Scorpione  überhaupt  fern  hält.  Was  übrigens 
die  Scorpionsstichc  betrifft,  so  habe  ich  in  Fezzan  nie,  so  oft  ich 
auch  Gelegenheit  hatte,  dieselben  zu  beobachten,  dauernde  und 
ernsthafte  F'olgen  eintreten  sehen,  wenn  auch  Anschwellung  des 
verletzten  Theiles,  neuralgische  Schmerzen  und  Lähmungen  einige 
Tage  hindurch  anhielten.  Die  Hundswuth  war  den  Bewohnern 
durchaus  unbekannt. 

Auch  in  F'ezzan,  wie  in  vielen  Ländern  des  Orients,  sind  die 
Mittel,  welche  die  männliche  Kraft  vermehren  sollen,  ein  Gegenstand 
lebhafter  Nachfrage.  Die  von  Norden  gekommenen  Bewohner  machen 
wohl  Gebrauch  von  den  zahlreichen  zu  diesem  Zwecke  empfohlenen, 
meistens  durch  reizende  Substanzen , wie  Canthariden , sehr  schäd- 
lichen Medicamenten,  oder  von  Ingwer  und  Ambra,  welche  eines 
gewissen  Rufes  geniessen;  doch  die  mit  dem  Sudan  Vertrauten  wissen, 
dass  das  untrüglichste  Mittel  die  sogenannte  Teqwia  ist,  welche  in 
dem  Fett  gewisser  Körpertheile  des  Aju  genannten  Mn  na  tu  s Vogelii 
besteht.  Das  Thier  ist  verhältnissmässig  häufig  im  Binue  und  seinen 
Zuflüssen,  und  das  Mittel  wird  von  den  Kaufleuten  aus  den  Haussa- 
Slaalen  zurückgebracht  und  theuer  verkauft. 

In  chirurgischer  Beziehung  wissen  die  Fezzäner  einfache 
Wunden  zu  behandeln,  deren  Reinerhaltung  durch  Qarad-Abkochung 
oder  Alaunwasser  bezweckt  wird,  oder  welche  man  einfach  mit  etwas 
salziger  Butter  verbindet,  gewöhnliche  Verrenkungen  einzurichten 
und  Knochenbrüche  zu  schienen.  Um  die  neue  Knochcnbildung 
zu  unterstützen,  geniesst  der  Kranke  Duchnbrei  und  Hühnerfleisch, 
welche  in  dieser  Beziehung  einen  guten  Ruf  haben.  Gegen  Blutun- 
gen grosser  Gefässc  pflegt  man  siedende  Butter  in  Anwendung 
zu  ziehen;  doch  gegen  schwer  stillbarc  Blutungen  aus  Nase,  Darm- 
kanal, Gebärmutter  hilft  der  aus  Arabien  gebrachte  Ring  mit  einem 
Blutjaspisstein  — Chätem  ed-Dcmm  — , der  je  nach  dem  Sitze  der 
Blutung  am  Kopfe,  auf  dem  Bauche  etc.  befestigt  wird.  Rationeller 
war  die  Behandlung  der  Verbrennungen  mit  einem  Linimente  aus 
rohen  Eiern  und  den  gepulverten  Blättern  von  Corclwrtis  olitorius. 

Uebcr  die  Ursachen  der  Krankheiten  hat  der  Fezzäner  die  vagen 
und  abergläubischen  Theorien,  welche  auch  bei  den  ungebildeten 


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CHIRURGISCHE  KENNTNISSE.  — PHYSIOLOGISCHE  ANSCHAT' UNGEN.  ]ö7 

Klassen  europäischer  Völker  noch  vielfach  Geltung  haben.  Zum  Theil 
sind  es  die  Geister  Dschinn  , welche  angeschuldigt  werden;  noch 
mehr  Unheil  aber  richtet  der  böse  'Hl ick  el-'Ain,  d.  h.  das  Auge, 
an.  Ein  gesundes,  schönes  Kind,  ein  gutes  Kamccl,  ein  hübsches 
l’fcrd  kann  gar  nicht  sorgfältig  genug  vor  dem  Einflüsse  des  letzteren 
geschützt  werden.  Viele  üben  in  bewusstem  Neide  einen  derartigen, 
verhängnisvollen  Einfluss  aus;  Manche  aber  sind,  ohne  Zauberei  aus- 
uben  zu  wollen,  von  Natur  mit  dieser  gemeinschädlichen  Eigenschaft 
gebrandmarkt,  und  man  muss  sich  sehr  vor  ihnen  in  Acht  nehmen. 
Jedes  Haus  hat  an  der  Thür,  auf  der  Schwelle  oder  irgendwo  eine 
Inschrift,  ein  mystisches  Zeichen  zur  Abwehr,  und  Mensch  und 
Thier  trägt  am  Arme  oder  Halse  Eckzähne  des  Wildschweins, 
Fischknochen,  Hundszähne  oder  geschriebene,  geheimnisvolle  Amu- 
lete  gegen  die  bewussten  und  unbewussten  Zauberer.  Wenn  der 
Glaube  an  diese  auch  in  den  meisten  Ländern  Europas  erheblich 
abgenommen  hat , so  haben  die  unbestimmten  Theorien  der  nicht 
übersinnlichen  Krankheits-Entstehungen  im  Volke  bei  uns  noch  weit- 
verbreitete Geltung,  und  eben  dieselben  Anschauungen  finden  wir 
auch  in  Fczzän  gang  und  gäbe.  Auch  dort  wird  über  ein  Nahrungs- 
mittel als  „gesund"  oder  „ungesund",  als  „heiss"  oder  „kalt"  abge- 
urthcilt;  auch  dort  trägt  „das  Blut”  oft  die  Schuld  an  Erkrankungen, 
welche  dann  natürlich  anders  behandelt  werden  müssen,  als  wenn 
sie  aus  „Erkältung"  entspringen.  Hält  sich  der  Kranke  an  diese  für 
ihn  sehr  klaren  Begründungen  seines  Zustandes,  so  greift  er  auch 
nach  einer  für  ihn  rationellen  Behandlung  und  sucht  den  Einfluss 
der  heissen  Nahrungsmittel  durch  „kalte"  zu  paralysiren,  nimmt  „heisse" 
Sachen  gegen  die  Erkältung  ein  und  zieht  mit  ebensolcher  Energie 
gegen  „das  Blut  zu  Felde,  wie  noch  vor  einem  Menschenalter  bei 
uns  zu  geschehen  pflegte.  Glücklicher  Weise  ist  die  Kunst  des  Ader- 
lassens  in  Fezzän  nicht  geläufig  genug,  sonst  würden  sich  die  Ein- 
wohner im  Frühjahr  und  Herbste  regelmässig  die  Ader  schlagen 
lassen.  So  begnügen  sie  sich  in  regelmässigen  Pausen  mit  der  An 
wendung  der  Schröpfköpfe,  und  die  Gebildeten  nehmen  von  Zeit  zu 
Zeit  Abführmittel.  Zu  letzteren  wählt  man  mit  Vorliebe  Tamarinden, 
welche  Vielen  zugänglich  sind,  Rhabarber  - Räwend  , der  aller- 
dings, in  so  hohem  Ansehen  er  auch  bei  den  Mohammedanern  steht, 
selten  zu  haben  ist,  oder  Bittersalz  — Miläh  el-Inqlis,  d.  h.  englisches 
Salz  — , das  von  der  Nordküste  kommt.  Die  Ungebildeteren  wenden 


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I.  IIUCH,  5.  KAI'ITKI..  KLIMA  UNlJ  KRANKHEITEN. 


UW 

zur  Erzielung  der  angestrebten  Wirkung  Hausmittel  an,  wie  grössere 
Quantitäten  von  Honig,  frischem  Laqbi,  Kameelmilch,  denn  Alle 
haben  merkwürdiger  Weise  ein  gewisses  Vorurtheil  gegen  die  in 
ihrem  eigenen  Lande  so  verbreiteten  und  so  wirksamen  Mittel,  die 
Senna  und  die  Coloquinthe.  Man  zieht  diese  zwar  in  Gebrauch, 
doch  nur  in  hartnäckigen  Fällen  und  mit  einem  gewissen  Wider- 
streben. Die  Anwendung  des  Klystiers  wird,  wie  im  ganzen  Orient, 
so  auch  in  Fezzän  allgemein  verabscheut;  ein  dazu  rathender  Arzt 
stösst  auf  einen  entschiedenen,  schäm-  und  geheimnissvollen  Wider- 
stand. 

Neben  diesen  Hauptprincipien,  zu  denen  noch  die  Ueberzeugung 
von  der  Nützlichkeit  des  Glüheisens  und  der  flüssigen  Butter  oder 
des  Olivenöls  in  fast  allen  Fällen  von  Erkrankung  kommt,  lieben  die 
Fezzaner  in  den  einzelnen  Fällen  auch  eine  complicirtere  Therapie,  in 
der  wir  viele  Medicamente  finden,  welche  noch  jetzt  bei  uns  im 
Gebrauche  sind,  wie  aus  den  oben  aufgefiihrten  einzelnen  Recepten 
erhellt. 

Die  ärztliche  Kunst  wird  zwar  nicht  von  besonderen  Berufsärzten 
ausgeübt,  ist  aber  doch  vorzugsweise  im  Besitze  alter,  erfahrener 
Frauen,  die  aus  ihrer  praktischen  Anwendung  gewissermaassen  ein 
Gewerbe  machen  Doch  die  Grenzen  ihrer  Wirksamkeit  sind  voll- 
ständig bekannt,  und  jenseits  dieser  wird  ausschliesslich  an  die  Reli 
gion  appellirt,  die  ihre  geheimnissvollen  Amuletc  und  Talismane 
durch  die  Hand  „weiser  Männer”  liefert.  Hierin  unterscheidet  sich 
«ler  Fezzaner  durchaus  nicht  von  den  Bewohnern  der  Nordküste, 
lässt  sich  eben  so  viele  heilkräftige  Sprüche  auf  den  Körper,  in 
die  Nähe  des  leidenden  Organes,  schreiben,  verschluckt  eben  so 
häufig  ein  Stückchen  Papier  mit  der  heiligen  Inschrift  oder  trinkt 
die  abgewaschene  Tinte  derselben  und  glaubt  ebenso  fest  an  Liebes 
zauber  und  Amulete,  welche  kugel-,  hieb-  und  stichfest  zu  machen 
o«ler  Krankheiten  vorzubeugen  im  Stande  sind,  als  jene. 


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Sechstes  Kapitel. 

GESCHICHTE  UND  BEVÖLKERUNG  VON  FEZZÄN. 


Phazania,  «las  Laml  der  Garamanten.  — Hrrodot’s  Angalnm.  — Die  Römer  in  Fnaln.  — 
Nachrömisches  Dunkel.  — Libyer  und  Berber.  — Arabische  Elemente  in  Afrika  vor 
«lern  Islam.  — Araber  und  Berber.  — Invasion  der  Araber  nach  Gründung  des  Isläm. 
— Vordringen  der  Küstenl>evolkerung  in  die  Oasen  der  Wüste.  — Ausbreitung  «1er 
Kdnem Herrschaft  über  Fezzdn.  — Reste  derselben  in  Trdgen.  — Die  Nesör  und 
Qormdn.  — Die  Dynastie  der  Auläd  Mohammed  aus  Marokko.  — Abriss  ihrer  Ge- 
schichte. — Kämpfe  Fezzdn’*  um  seine  Unabhängigkeit  von  Tri)>oÜJi.  — Ende  der 
marokkanischen  Dynastie  durch  el-Muqnl.  — Die  Auläd  Soltmdn , ihre  Kämpfe  und 
Niederlage.  — Abd  el-Dschlll.  — Eroberung  Fezzdn’s  durch  die  Auldd  Soltmdn.  — 
Kämpfe  AM  el-DschlUs  gegen  die  Türken.  — Herrschaft  «ler  Türken.  — Einthcilung 
un«l  Administration  Fezzdn'*.  — QAimaqäm  oder  Mutdsarrif.  — Mudtr.  — Türkische 
Beamten wirthschaft.  — Abnahme  der  Bevölkerung  und  des  Wohlstandes.  — Steuer- 
kraft des  Landes.  — Machtlosigkeit  der  I^ocalregierung.  — Bevölkerungsstatistik.  — 
Bevölkerungselemente.  — Eigentliche  Fezzdner  und  ihre  allmähliche  Umbildung.  — 
Subäthiopische  Volksstänime.  — Beschreibung  «ler  Fezzdner.  — Verschietlenheil  von 
den  Tedd.  — Kleidung.  — Charakter  «ler  Städte  un«l  Häuser.  — Kastelle.  — Be- 
waffnung. — Sociale  Sitten.  — Religiöses  Leben.  — Die  Senüstja  und  ihre  Aus 
breituug.  — In  Fezzdn  Übliche  Sprachen  — - Zusammen  fassende  Charakteristik. 

Fezzän  ist  die  alte  Phazania.  das  Land  der  Garamanten,  welche 
zu  ihrer  Zeit  sich  freilich  nicht  auf  die  Grenzen  des  jetzigen  Fezzän 
beschrankt  zu  haben  scheinen.  Wo  Plinius  über  die  Expedition  des 
Cornelius  Balbus  in  jene  Gegend,  welche  diesem  einen  Triumphzug  cin- 
brachte,  berichtet,  sagt  er,  dass  oberhalb  der  Syrte,  gegen  die  Wüste 
hin,  sich  Phazania  ausdehne  mit  den  Städten  Alaela  und  Cillaba,  welche 
die  Römer  ebenso  unterjocht  hätten,  wie  Cydamus  in  dem  benachbar- 
ten District  von  Sabrata;  dass  dann  eine  lange  von  Osten  nach  Westen 


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1(50  I.  Hl’C'.H,  6.  KAPITEl-  GESCHICHTE  UND  IIEVÖI.KF.RUNG  VON  FKZZÄN. 

verlaufende  Kette  von  Bergen  folge,  welche  man  wegen  ihres  ver- 
brannten Aussehens  die  „schwarzen"  nenne;  und  dass  jenseits  der- 
selben die  eigentliche  Wüste  folge  mit  den  Städten  Matelges,  Dcbris 
und  Garanta,  von  denen  die  letztere  die  berühmte  Hauptstadt  der 
Garamanten  sei.  Von  diesen  und  allen  übrigen  bei  Gelegenheit  des 
Triumphzuges  des  Baibus  figurirenden  Orten  und  Stämmen  ver- 
mögen wir  Cydamus  mit  dem  heutigen  Ghadames,  Garama  mit 
der  Ortschaft  Dschcrma  des  W.  el-Gharbi  und  vielleicht  Cillaba  mit 
dem  heutigen  Zella  zu  identificiren.  Damit  ist  die  Identität  des 
heutigen  Fezzan  mit  der  alten  Phazania,  die  übrigens  schon  aus  dem 
Namen  erhellt,  voll  bewiesen,  wie  auch  kein  Zweifel  bleibt,  dass  in 
alten  Zeiten  die  Garamanten  diese  Gegend  inne  hatten. 

Herodot,  als  er  die  Bewohner  Libyens,  von  Egypten  aus  nach 
Westen  gehend,  aufzählt,  sagt,  nachdem  er  die  dem  Meere  zu- 
nächst wohnenden  erledigt  hat,  dass  eine  sandige  Erhebung  von 
Theben  bis  zu  den  Säulen  des  Herkules  verlaufe,  welche  in  Zwischen- 
räumen von  zehn  zu  zehn  Tagemärschen  Hügel  aus  Steinsalz  mit 
Süsswasserquellen  habe,  an  denen,  von  Theben  beginnend,  zuerst 
die  Ammonicr,  dann  die  Audschilcr  und  dann  die  Garamanten  wohn- 
ten. Westlich  von  diesen  wohnten  Gaetuler  und  südwestlich,  südlich 
und  südöstlich  Aethiopier.  Nachdem  das  Land  der  Garamanten 
durch  Cornelius  Baibus  zur  römischen  Provinz  Phazania  geworden 
war,  deren  Hauptstadt  Garama  blieb,  hatten  noch  einige  Expeditionen 
der  Römer  statt,  von  denen  eine  unter  der  Führung  des  Septimus 
Flaccus,  eine  andere  unter  Julius  Maternus  sogar  die  südlich  von 
Fczzän  gelegenen  äthiopischen  Länder  erreichte.  Spärliche  Reste 
von  Baulichkeiten  im  alten  Garama,  aus  mächtigen  Quadern  rötli- 
lichen  Sandsteins,  welcher  der  nahen  Amsakkette  entnommen  wurde, 
sind  die  Zeugen  der  römischen  1 lerrschaft. 

Der  Zug  des  Baibus  fand  zwei  Jahrzehnte  vor  unserer  Zeitrech- 
nung statt,  und  die  folgenden  Expeditionen  etwa  hundert  Jahre  später. 
Von  da  ab  verschwindet  das  Land  aus  den  überlieferten  Zeugnissen 
der  wechselvollen  Geschichte  Nordafrika’s.  Mehr  als  drei  Jahr- 
hunderte später  machten  die  Vandalen  nach  und  nach  der  römischen 
Herrschaft  in  Afrika  ein  Ende,  um  ihrerseits  nach  einem  Zeitraum 
von  weniger  als  einem  Jahrhundert  den  Mauren  und  Byzantinern 
zu  weichen.  Diese  tiefgreifenden  und  fast  rastlos  auf  einander 
folgenden  Umwälzungen  beschränkten  sich  auf  die  der  Küste  zu- 


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LIBYER,  PHÖNIZIER,  BERBER  UND  ARABER.  161 

nächst  gelegenen  I-änder;  die  eigentlichen  Wüstenlandschaften  mit 
ihrer  zerstreuten  Bevölkerung  und  natürlichen  Armuth  konnten  keine 
Rolle  bei  welterschütternden  Ereignissen  spielen,  und  die  Geschichte 
schweigt  über  ihre  Schicksale.  Die  mohammedanische  Invasion 
schloss  die  alte  Zeit  ab,  und  mit  der  neuen  Aera  kommen  wieder, 
wenn  auch  spärliche,  Nachrichten  über  einen  Theil  P'ezzän’s.  Es  ist 
jetzt  weder  von  Garamanten  die  Rede,  noch  von  Libyern,  noch  von 
einem  einheitlichen  Lande  Phazania,  sondern  von  Berbern  und  ein- 
zelnen Sitzen  derselben. 

Die  Libyer,  welche  schon  ein  Jahrtausend  vor  unserer  Zeitrech- 
nung von  den  Phöniziern  bei  der  Gründung  Utica's  vorgefunden 
wurden,  müssen  von  uns  als  Autochthoncn  angesehen  werden,  wie 
auch  Herodot  und  Polybius  nie  von  Afrika,  sondern  nur  von  Libya 
sprechen.  Dieselben  waren  Nomaden  in  den  Landschaften  um  die 
grosse  und  kleine  Syrte  und  hatten  als  südliche  Nachbarn  Aethiopier; 
sie  waren  die  nächsten  Verwandten  der  sesshaften  Ackerbauer  in  den 
fruchtbaren  Küstenstrichen  des  heutigen  Tunis,  Algerien  und  Marokko 
und  hatten  dort  auf  ihren  Südgrenzen  die  Sitze  der  umherschweifenden 
Gaetuler. 

Der  Grad  des  Antheils,  welcher  den  Libyern  an  der  Bildung 
der  späteren  Berber  zukommt,  ist  dunkel,  doch  sicherlich  sehr  be- 
deutend. Trotz  aller  versuchten  etymologischen  Erklärungen  des 
Wortes  Berber  ist  die  einfachste,  welche  den  Namen  mit  „Barbari" 
identificirt,  wohl  die  richtige,  und  dann  würden  mit  dem  Worte  nur 
Libyer,  d.  h.  Autochthonen,  gemeint  sein.  Doch  ohne  Zweifel  hielten 
sich  die  Libyer  nicht  rein  und  unvermischt.  Wenn  Sallust  aus  den 
Büchern  des  Hiempsal  berichtet,  dass  die  sedentären  Libyer  des 
westlichen  Nordafrika  durch  eine  Mischung  mit  Armeniern  und  Medern 
auf  der  Mittelmeerküste  zu  Mauren,  und  dass  die  Gaetuler  durch 
Vermischung  mit  in  Marokko  eingewanderten  Persern,  welche  nach 
Osten  vorrückten,  zu  Numiden  (oder  Nomaden)  geworden  seien,  so 
geht  aus  diesen  Nachrichten,  wenn  dieselben  auch  keinen  geschicht- 
lichen Werth  haben-,  doch  das  Bedürfnis  hervor,  in  irgend  einer 
Weise  die  allmähliche  Veränderung  der  alten  Libyer  zu  erklären. 

W’enn  auch  die  östlichen  nomadisirenden  Libyer  keiner  so  schnellen 
und  durchgreifenden  Umbildung  unterlagen,  so  blieben  doch  auch 
sie  nicht  frei  von  fremden  Elementen.  Ausser  den  fremden  Colonien 
an  der  Meeresküste,  welche  immerhin  so  viel  Einfluss  ausübten,  dass 

Nachtigal.  I.  11 


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]ß2  I.  BUCH,  6.  KAPITEL.  GESCHICHTE  UND  BEVÖLKERUNG  VON  FEZZÄN. 

Diodor  vier  Nationen  als  Bewohner  von  Libyen  aufTührt,  nämlich 
Libyer,  Phönizier,  Libyphönizier  und  Numiden,  sprechen  alle  Tra- 
ditionen und  Ansichten  der  Berber  selbst  und  arabischer  Gelehrten 
für  diese  Thatsache.  Die  letzteren  lassen  die  Berber  entweder  aus 
Jemen,  Kanaan  oder  Syrien  stammen  und  bringen  sie  in  Verbindung 
mit  Goliath  und  den  Philistern.  Ibn  Chaldün  führt  die  Ansichten 
arabischer  Gelehrten  auf  und  behauptet  darin  einfach,  dass  sie  von 
Kanaan,  dem  Sohne  Chams,  des  Sohnes  Noahs,  entsprossen  seien. 
Doch  spricht  dieser  gelehrte  Geschichtsforscher  ebenfalls  die  Ansicht 
aus,  dass  die  Berber  schon  Tausende  von  Jahren  vor  dem  Islam  ihre 
Sitze  inne  hätten.  Wie  wenig  er  sie  trotzdem  von  den  Arabern 
zu  trennen  im  Stande  war,  beweist  andererseits  wieder  seine  Behaup- 
tung, dass  beide  Völker  im  westlichen  Nordafrika  so  viele  Jahr- 
hunderte hindurch  zusammen  gewohnt  hätten,  dass  man  sich  kaum 
eine  Epoche  vorstellen  könne,  in  der  es  nicht  so  gewesen  sei. 

Die  meisten  Berberstämme  selbst  führen  ihren  Ursprung  auf 
Arabien  zurück,  und  für  Viele  bestätigen  die  arabischen  Gelehrten 
den  Zusammenhang.  Idrisi  behauptet  z.  B.,  dass  der  Berberstamm 
der  Zenäta  ursprünglich  rein  arabischen  Ursprungs  gewesen  und  nur 
im  Laufe  der  Jahrhunderte  durch  Vermischung  mit  den  Masmüda 
transformirt  sei,  und  el-Bekri  soll  gesagt  haben*),  dass  jene  abstammen 
von  Berr,  dem  Sohne  des  Qais,  der  im  fünften  Gliede  Nachkomme 
Adnän's  sei,  des  ältesten  sicheren  Gliedes  der  ismailitischcn  Genea- 
logie, welches  mehr  als  ein  Jahrhundert  vor  unserer  Zeitrechnung 
lebte.  Andere  bestätigen  diese  Abstammung,  während  Ibn  Chaldün  sie 
freilich  ebenso  leugnet,  wie  die  Berechtigung  der  zcnätischcn  Genea- 
logen, den  Ursprung  ihres  Stammes  auf  Himjar  Ibn  Saba,  der  von 
Kahtän,  dem  ersten  Herrscher  in  Jemen,  abstammte,  zurückzuführen. 

Andere  berberische  Stämme,  wie  die  Kitäma  und  Sanhädscha, 
haben  dieselben  Prätensionen,  und  zwar  erscheint  ihre  Berechtigung 
dazu  fast  keinem  arabischen  Gelehrten  zweifelhaft,  so  dass  selbst 
Ibn  Chaldün  sie  adoptirt.  Noch  andere  Stämme,  wie  die  Hawära, 
die  Lamta,  die  Luwäta  werden  selbst  von  arabischen  Genealogen 
auf  Himjar  Ibn  Saba  und  Jemen  zurückgeführt,  und  Idrisi  spricht  z.  B. 
von  den  Ersteren  als  von  einem  eingewanderten  und  mit  den  Ein- 
geborenen vermischten  Stamme.  Wenn  nun  auch  diese  Stammväter 

•)  Nach  Ibn  'Ad&ri ; in  den  auf  uns  gekommenen  Schriften  des  arabischen  Gelehrten 
findet  sich  diese  Behauptung  nicht.  S.  Fournel,  les  Herbes,  I.  pag.  34. 


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einstige  Berberstämme  im  heutigen  tripoi.itanien.  1(13 

grossentheils  selbst  zweifelhafte  Iiistorische  Persönlichkeiten  sind,  und 
die  ganze  Frage  über  den  Ursprung  der  Berber  noch  sehr  dunkel 
bleibt,  so  scheint  doch  aus  Allem  hervorzugehen,  erstens  dass  die 
alten  Libyer  den  wesentlichsten  Antheil  an  der  Bildung  der  Berber 
hatten,  und  zweitens,  dass  schon  vor  dem  Islam  ausser  den  phöni- 
zischcn  auch  arabische  Elemente  in  der  Bevölkerung  Nordafrika’s 
eine  gewisse  Rolle  spielten. 

Von  den  genannten  Berberstämmen  trat  vor  dem  Islam  nur  der 
Stamm  der  Luwäta  auf  der  geschichtlichen  Bühne  auf.  Derselbe 
war  mächtig  und  gefürchtet  in  Tripolitanien  und  seine  Empörungen 
unter  dem  Vandalenkönige  Hilderich  und  unter  dem  byzantinischen 
Kaiser  Justinian  (gegen  den  Statthalter  Sergius)  drohten  mehrmals 
die  ganze  dortige  Ordnung  der  Dinge  über  den  Haufen  zu  stossen. 

Dann  eröffnete  der  Islam  eine  neue  Periode.  Als  unter  dem 
zweiten  Chalifen  Omar  Ibn  el-Chattäb  sein  Feldherr  Omar  Ibn  el-Asi 
im  Jahre  642  Egypten  erobert  hatte,  marschirte  er  alsbald  auf  Barqa, 
das  er  ohne  Schwertstreich  nahm,  und  schickte  von  dort  Oqba  Ibn 
en-Näfi  el-  Fahrt  nach  Zawila  in  Fczzän,  während  er  selbst  gegen 
Tripolis  zog.  Von  hier  aus  zog  auf  seinen  Befehl  Bosr  Ibn  Abu 
Artaa  bis  VVaddän,  und  so  war  bald  dieser  Theil  von  Tripolitanien 
und  ein  Theil  Fezzän’s  ohne  Mühe  erobert. 

In  Barqa  waren  die  Eroberer  auf  die  Luwäta  gestossen;  zwischen 
Tripolis  und  Waddän  auf  die  Hawära;  zwischen  Barqa  und  Zawila 
zuerst  auf  die  Luwäta,  dann  in  Zalä  oder  Zalla,  doch  wohl  dem 
heutigen  Zella,  auf  den  Stamm  der  Mezäta  und  vielleicht  auf  den 
der  Hawära.  Vier  Jahre  später  soll  Oqba  Ibn  en-Näfi  auf  seinem 
Zuge  nach  dem  Westen  — Maghrib  — noch  einmal  eine  Digression 
nach  Süden  gemacht  haben.  Ibn  Abd  el-Hakam  erzählt,  dass  er 
von  Ghadämes  gegen  Waddän  gezogen  sei,  Dschcrmä  (Garama), 
damals  noch  die  Hauptstadt  Fezzän's,  und  die  übrigen  festen  Plätze 
des  Landes  erobert  und  seinen  Zug  bis  Kawär  ausgedehnt  habe. 
Doch  sind  Ausdehnung  und  Einzelnheiten  dieser  Unternehmung  sehr 
zweifelhaft,  wie  sie  denn  auch  von  den  übrigen  arabischen  Schrift- 
stellern nicht  berichtet  oder  doch  nur  dem  oben  genannten  nach- 
erzählt werden. 

Dann  hört  man  einige  Jahrhunderte  hindurch  Nichts  von  Fezzän 
und  Garama  oder  Dschermä,  und  erst  aus  dem  Anfänge  des  10.  Jahr- 
hunderts wird  von  Idrisi  berichtet,  dass  Zawila  von  Abd  Alläh  Ibn 

11* 


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164  I.  BUCH,  6.  KAPITEL.  GESCHICHTE  UND  BEVÖLKERUNG  VON  FEZZÄN. 

el-Chattäb  aus  dem  Stamme  der  Hawära  gegründet  und  zur  Haupt- 
stadt des  von  ihm  beherrschten  Fezzan  gemacht  sei.  Das  alte  von 
Oqba  einst  eroberte  Zavvila  muss  also  entweder  eine  andere  Stadt 
gewesen  oder,  was  wahrscheinlicher  ist,  im  Laufe  der  Zeit  zerstört 
worden  sein. 

Die  Herrschaft  der  Beni  Chattäb  dauerte  bis  gegen  das  Ende 
des  12.  Jahrhunderts,  zu  welcher  Zeit  ein  türkischer  Abenteurer, 
Namens  Scherfeddin  Karakosch  von  Egypten  her  in  Fezzan  einfiel, 
den  letzten  Herrscher  jener  Dynastie  tödtete  und  erobernd  hierhin 
und  dorthin  zog.  Doch  die  Macht  desselben  dauerte  nur  wenige 
Jahrzehnte.  Einer  der  Genossen  seiner  freibeuterischen  Unterneh- 
mungen veruneinigte  sich  mit  ihm  und  bekriegte  und  tödtete  ihn  zu 
Waddän,  wo  er  sich  festgesetzt  hatte.  Zwar  erschien  fast  ein  halbes 
Jahrhundert  nach  diesem  Ereigniss  ein  Sohn  Karakosch's  wieder  auf 
dem  Schauplatze  desselben,  doch  damals  hatten  die  Känem- Könige 
ihre  Macht  über  Fezzan  ausgedehnt  und  entledigten  sich  jenes  Prä- 
tendenten mit  leichter  Mühe. 

Bis  zu  dieser  Zeit  galt  Zawila  als  Hauptstadt  des  fezzänischen 
Oasencomplexes,  wie  denn  noch  heute  alle  Wüstenbewohner  und 
Neger  das  ganze  Land  nur  mit  dem  Namen  dieser  Ortschaft  be- 
zeichnen. 

Mit  der  wechselvollen  Geschichte  der  Küstenländer,  dem  An- 
dringen immer  neuer  Stämme,  wurden  von  den  Bewohnern  der  Nord- 
küste so  viele  in  die  sicheren  Oasen  der  Wüste  nachgedrängt,  als 
die  bescheidene  Natur  dieser  ertrug.  Reine  Araber  kamen  damals 
wohl  selten  in  das  Innere  des  Continents,  denn  die  Berber  leisteten 
dem  mächtigen  Impulse  der  Eroberer  einen  durch  lange  Jahrhunderte 
fortgesetzten,  ununterbrochenen  Widerstand  und  blieben  schliesslich 
in  so  weit  Sieger,  als  sie  das  fremde  Element,  wenn  auch  nicht  zurück- 
schlugen,  so  doch  absorbirten. 

Jetzt  weiss  man  dort  nichts  von  jenen  Zeiten,  in  denen  sich  ein 
grosses  Stück  Weltgeschichte  auf  der  Nordküste  Afrika's  vollzog; 
dieselben  haben  keine  sichtlichen  Spuren  zurückgelassen,  wie  die 
römische  Herrschaft  wenigstens  in  den  wenigen  Bausteinen  Garama’s. 
Erst  in  der  soeben  angedcuteten  Periode  der  Känemherrschaft  sehen 
wir  ganz  entgegengesetzte  Elemente  Land  und  Leuten  ihre  Spuren 
aufprägen. 

Wenige  Jahrhunderte  nach  der  Stiftung  des  Islam  scheinen  von 


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HERRSCHAFT  DER  BKNt  CHATTAB.  — ABHÄNGIGKEIT  VON  KÄNE.M.  Iß5 

Barqa  aus  Einwanderer,  welche  ihren  Ursprung  von  Himjar  in  Jemen 
herleiteten,  über  Audschila  nach  Süden  gezogen  und  allmählich  nach 
Känem  gelangt  zu  sein,  wo  sie  eine  Herrschaft  gründeten;  dass  sie 
diese  bald  nach  Norden  auszudehnen  begannen,  beweisen  manche 
Thatsachen.  Schon  in  der  Mitte  des  II.  Jahrhunderts  bestanden 
Bornü-  oder  Känem-Colonien  in  Kawär;  die  Känemkönige  unterhielten 
freundschaftliche  Beziehungen  zu  den  tunisischen  Fürsten,  machten 
frühzeitig  und  oft  Pilgerfahrten  nach  Mekka  und  führten  nach  Leo 
Africanus  das  Pferd  von  der  Nordküste  her  herein. 

Im  Anfänge  des  13.  Jahrhunderts,  also  sechs  Jahrhunderte  nach 
der  Gründung  des  Islam,  erstreckte  sich  nach  Abulfedä  die  Herr- 
schaft des  Kärtemkönigs  nach  Norden  über  ganz  Fezzän  bis  Waddän, 
und  dieses  Verhältnis  dauerte  nach  dem  Zeugniss  desselben  Schrift- 
stellers bis  in  das  14.  Jahrhundert.  Damals  war  Träghen  (oder  Tfträd- 
schin)  die  Hauptstadt  von  Fezzän  und  Sitz  der  Känem -Stattalter. 
Das  Amt  der  letzteren  war  bei  der  grossen  Entfernung  von  der  Cen- 
tral-Regierung  nothgedrungen  ein  sehr  unabhängiges  und  wohl  erblich, 
denn  die  Tradition  hat  eine  Bornü-Dynastie  der  Nesür  im  Gedächtniss 
des  Volkes  aufbewahrt.  Die  Regenten  scheinen  den  Königstitcl  geführt 
zu  haben,  denn  das  Grab  Mai  (König)  Alfs  ist  in  Träghen  wohl  bekannt. 

Es  bleibt  auffallend,  dass  sich  alle  bestimmten  Erinnerungen  an 
diese  Periode  auf  Träghen  beschränken,  wo  sich  nicht  allein  die  Reste 
eines  festen  Schlosses  der  Nesür,  das  genannte  Grab,  eine  in  frühester 
Zeit  gefasste  Quelle  u.  s.  w.  finden,  sondern  wo  zahlreiche  Gärten, 
Plätze,  Quellen  noch  heute  Namen  aus  der  Kanürisprache,  d.  h.  der 
Sprache  Känem's  und  Bornus,  tragen*). 

Wenn  den  Känemkönigen  wohl  an  dem  Besitze  der  Oase  Kawär 
mit  ihren  unerschöpflichen  Salzgruben  gelegen  sein  musste,  so  versprach 
ihnen  das  weit  entfernte  Fezzän  ausser  Datteln  kaum  irgend  eine 

*)  Ich  filhrc  einige  der  leuteren  an:  NM  Känlbc,  d.  h.  Ziegenplatz  (von  Na,  der  Ort, 
and  Kani,  die  Ziege);  Kingarüa,  d.  h.  der  an  Qarad  reiche,  nämlich  Platz,  (von  Kingar, 
die  Acacia  nilotica);  Schim  gänä,  d.  h.  die  kleine  Quelle;  Kaurani,  d.  h.  der  steinige, 
nämlich  Ort,  (von  Kau,  der  Stein);  Kaiga  Ennebi,  d.  h.  eigentlich  Gesang  des 
Propheten  und  soll  eine  Bezeichnung  für  Träghen  gewesen  sein ; Kirfir , als  Name 
eines  Platzes,  d.  b.  wohl  der  pferdereiche  (von  Fir,  das  Pferd).  So  heisst  ein  Garten 
noch  heute  Ngurütuwa,  d.  h.  der  Hippopotamus  - Garten ; ein  anderer  Kerlbi,  d h.  des 
Hundes,  also  Hundegarten;  ein  dritter  Bultube  (von  Bultu,  die  Hyäne).  Viele  Namen 
für  Gärten  und  Brunnen  endlich  sind  von  früheren  Besitzern  hergenommen,  wie  Dschadram, 
corrumpirt  aus  Sa’adram,  d.  h.  dem  Sa’ ad  gehörig;  Omaram , Musaram,  Kerlmbfi  und  , 
dergleichen  mehr. 


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K5G  !.  BUCH,  6.  KAPITEL.  GESCHICHTE  UND  BEVÖLKERUNG  VON  FEZZÄN. 

Ausbeute.  Wir  können  uns  also  nicht  darüber  wundern,  dass  die 
entlegene  Provinz  bald  gänzlich  den  Händen  der  Statthalter  über- 
lassen blieb.  Dazu  kam,  dass  im  14.  Jahrhundert  die  Umgestaltung 
des  Känemreiches  in  das  von  Bornü  sich  unter  rastlosen  Kämpfen 
vollzog  und  die  Thatkraft  der  Herrscher  gänzlich  absorbirte. 

Genug,  in  dieser  Periode  scheint  nicht  nur  der  direkte  Einfluss 
der  Bornüherrscher  in  Fezzän  erloschen  zu  sein,  sondern  auch  die 
mehr  oder  weniger  selbständig  gewordene  Regierung  ihrer  Statthalter 
aufgehört  zu  haben,  denn  die  Tradition  lässt  auf  diese  die  Herrschaft 
der  arabischen  (berberischen r)  Familie  der  Qormän  folgen,  welche 
Zawila  wieder  zum  Sitze  der  Regierung  wählten. 

Ursprung  und  Dauer  der  Herrschaft  der  Qormän  sind  bis  jetzt 
in  vollständiges  Dunkel  gehüllt,  da  uns  nicht  nur  geschichtliche 
Documente  fehlen,  sondern  auch  die  mündliche  Ueberlieferung  im 
Stich  lässt.  Nach  der  letzteren  könnte  diese  Familie,  welche  sich 
durch  Ungerechtigkeit  und  Habsucht  verhasst  gemacht  haben  soll, 
die  Regierung  nur  ganz  vorübergehend  in  Händen  gehabt  haben,  denn 
der  Volksmund  schreibt  der  auf  sie  folgenden  Dynastie  der  Auläd 
Mohammed,  welche  im  Anfang  dieses  Jahrhunderts  ihr  Ende  erreichte, 
eine  Dauer  von  500  Jahren  zu;  doch  diese  Annahme  ist  sehr  über- 
trieben, wie  wir  sogleich  sehen  werden.  Ein  Scherif  aus  Marokko,  wird 
erzählt,  habe  auf  seiner  Pilgerfahrt  Fezzän  berührt,  und  die  unter  dem 
Joche  der  Qormän  seufzenden  Einwohner  hätten  von  dem  frommen 
und  vornehmen  Fremdling  Rettung  erfleht.  Dieser  habe  die  Bevöl- 
kerung auf  seine  Rückkehr  von  Mekka  vertröstet  und  in  der  That 
nach  derselben  die  Regeneration  des  Landes  übernommen. 

Wenn  wir  von  den  Ereignissen,  welche,  diese  Umwälzung  be- 
gleiteten, nichts  wissen,  so  vermögen  wir  hingegen  mit  einiger  Sicher- 
heit ihren  Zeitpunkt  zu  bestimmen;  derselbe  fällt  wahrscheinlich  in 
den  Anfang  des  16.  Jahrhunderts.  Diesen  Schluss  gestattet  uns  eine 
ziemlich  genaue  Kenntniss  der  Regentengeschichte  der  Auläd  Mo- 
hammed, welche  wir  einer  arabischen  Handschrift  verdanken,  die 
Anfangs  1878  von  dem  Reisenden  Adolf  Krause*)  in  der  öffentlichen 
Bibliothek  auf  Malta  entdeckt  worden  ist.  Dieselbe'  stellt  einen  Aus- 


*)  Vergl.  Zeitschrift  der  Berliner  Gesellschaft  ftir  Erdkunde,  Bd.  XIII.  1878. 
S.  356  ff.  Dieser  Reisende  ist  derselbe,  den  ich  beim  Beginn  meiner  Reise  in  der  Gesell- 
, schaft  von  Fräulein  Tinue  kennen  lernte.  Damals  musste  er  seinem  lebhaften  Wunsche, 
ausgedehntere  Reisen  in  Afrika  eu  machen , entsagen  und  kehrte  vor  der  Ermordung 


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PERIODE  DER  QORMÄN.  — DYNASTIE  DER  AULAD  MOHAMMED.  167 

zug  aus  den  Archiven  der  Regentschaft  Tripolis  dar,  welcher  im 
Jahre  1794  von  dem  damaligen  französischen  Vice-Consul  daselbst, 
A.  C.  Froment  de  Champlagarde,  gemacht  und  mit  einer  Uebcr- 
setzung  versehen  worden  ist. 

Die  Chronik  beginnt  mit  der  Mitte  des  16.  Jahrhunderts  und 
erwähnt  ein  Vierteljahrhundcrt  später  als  damaligen  Herrscher  von 
Fezzän  el-Muntäsar,  den  Sohn  oder  Enkel,  wie  er  an  anderer  Stelle 
genannt  wird,  Mohammed  el-Fäsi’s.  Entweder  war  dieser  Muntäsar 
der  Begründer  der  Dynastie  — denn  die  Tradition  bezeichnet  Mun- 
täsar  UIed  Mohammed  als  solchen  — , und  dann  fällt  der  Beginn 
dieser  in  die  Mitte  oder  das  Ende  des  16.  Jahrhunderts,  oder  der 
Vater  oder  vielmehr  Grossvater  el-Muntätar's  hatte  sich  schon  der 
Herrschaft  bemächtigt,  und  dann  muss  der  Anfang  des  16.  Jahr- 
hunderts als  Beginn  der  Herrschaft  der  Auläd  Mohammed  bezeich- 
net werden.  In  beiden  Fällen  giebt  die  Tradition  dieser  Dynastie 
eine  um  ungefähr  zwei  Jahrhunderte  zu  lange  Dauer. 

Wenn  auch  sowohl  der  arabische  Text,  als  die  französische 
Uebersetzung  manches  Misstrauen  einflössen  müssen,  und  zwischen 
beiden  nicht  immer  die  wünschenswerthe  Uebereinstimmung  herrscht, 
so  können  wir  doch  sagen,  dass  mit  den  siebziger  Jahren  des  16.  Jahr- 
hunderts das  Dunkel,  welches  die  frühere  Geschichte  Fezzän’s  um- 
hüllt, schwindet.  Seit  dieser  Zeit  haben  die  Fürsten  und  Bewohner 
des  ausgedehnten,  doch  armen  Landes  mit  den  Herrschern  Tripoli- 
tanien's  um  ihre  Selbständigkeit  gerungen  mit  einer  Energie,  welche 
uns  mit  Bewunderung  und,  bei  der  Betrachtung  der  heutigen  Fezzaner, 
mit  Staunen  erfüllen  muss. 

Schon  unter  dem  genannten  el-Muntäsar  hatte  im  Jahre  1576/77 
in  Folge  der  Intrigue  einer  seiner  Frauen,  welche  aus  Eifersucht  den 
Regenten  von  Tripolis  herbeigerufen  hatte,  ein  Einfall  der  Tripolitaner 
in  Fezzän  statt.  Vor  der  vollendeten  Eroberung  des  Landes  starb  el- 
Muntäsar,  und  sein  Sohn  und  Nachfolger,  en-Näsir,  floh  nach  Kaschena 
in  den  Haussa-Staaten.  Doch  wenige  Jahre  später  (1581/82)  empörten 
sich  die  Fezzäner,  massacrirten  die  Besatzungen,  welche  die  Eroberer 
an  allen  wichtigen  Plätzen  zurückgelassen  hatten,  und  riefen  ihren 
Fürsten  aus  dem  Sudan  zurück,  der  dann  bis  1599  in  Frieden  regierte. 

seiner  Gönnerin  nach  Europa  zurück.  Doch  mit  seltener  Zähigkeit  "und  bewunderungs- 
werther  Willensstärke  arbeitete  er  rastlos  an  dem  Ziele,  das  er  sich  als  Lebensaufgabe 
gestellt  hat,  und  scheint  jetzt  der  Verwirklichung  seiner  Pläne  nahe  su  sein. 


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168  I.  BUCH,  6.  KAPITEL.  GESCHICHTE  UND  BEVÖLKERUNG  VON  KEZZÄN. 

Der  Sohn  en-Ndsir's,  der  el-Mansür  hiess,  aber  in  der  Hand- 
schrift auch  einige  Mal  el-Muntäsar  genannt  wird  und  1599  die 
Regierung  angetreten  hatte,  bezahlte  zwölf  Jahre  hindurch  einen 
unbedeutenden  Tribut  an  Tripolis,  von  dem  er  sich  dann  vergeblich 
frei  zu  machen  suchte.  Er  kämpfte  unglücklich  und  mit  Verlust 
seines  Lebens  zu  Omm  el-Abid  gegen  die  Tripolitaner,  welche  sich 
damit  zum  zweiten  Mal  der  Herrschaft  über  Fezzdn  bemächtigten. 
Doch  schon  nach  zwei  Jahren  empörten  sich  die  Einwohner  wieder, 
tödteten  den  Gouverneur  und  die  Besatzungen  und  riefen  den  bei 
der  letzten  Katastrophe  in  den  Sudan  geflüchteten  Prinzen  Tähir, 
den  Bruder  el-Mansür’s,  zurück. 

Tähir  Ibn  en-Näsir  regierte  unter  Tributzahlung  an  Tripolis 
in  Frieden  bis  zum  Jahre  1622/23,  zu  welcher  Zeit  er  sich  ebenfalls 
unabhängig  zu  machen  suchte.  Leider  hatte  er  sich  gleichzeitig  die 
Hozmdn  (oder  Hotmän,  wie  sie  heutigen  Tages  genannt  werden)  im 
W.  Ladschal  zu  Feinden  gemacht,  so  dass  er,  als  dieselben  sich  mit 
dem  damaligen  Pascha  von  Tripolis,  Ramadan  Dei,  verbündet  hatten, 
die  Flucht  ergreifen  musste.  Thörichterweise  ging  er  nach  Bornü, 
dessen  König  Omar,  Sohn  des  Idris  Alaöma,  er  früher  beleidigt 
hatte,  und  fand  dort  einen  gewaltsamen  Tod.  Die  Tripolitaner  aber, 
welche  indessen  einen  Gouverneur  vom  Stamme  der  Hozmdn  einge- 
setzt hatten,  behielten  auch  diesmal  die  Herrschaft  nur  kurze  Zeit. 
Die  Fezzdner  empörten  sich  schon  im  Jahre  1626  und  riefen  einen 
Grossncffen  Tdhir’s,  Namens  Mohammed  Ben  Dschehim  zum 
Herrscher  aus.  Derselbe  kämpfte  anfangs  siegreich  bei  Hamira  in 
der  Scherqija  gegen  den  Gouverneur,  musste  sich  aber  später,  als 
eine  tripolitanische  Hecresabtheilung  zur  Hülfeleistung  angekomtnen 
war,  zur  Bitte  um  Frieden  bequemen.  Er  schloss  diesen  mit  dem 
Befehlshaber  der  letzteren  und  wurde  durch  denselben  mit  der  Re- 
gierung des  Landes  unter  dem  Titel  eines  Scheich  belehnt  gegen 
einen  jährlichen  Tribut  von  4000  Mitqdl  Gold,  zur  Hälfte  zahlbar  in 
Goldstaub,  zur  Hälfte  in  Sclaven. 

Mohammed  Ben  Dschehim  regierte  in  Ruhe  und  Frieden  bis  zum 
Jahre  1658,  und  ebenso  sein  Sohn  Dschehim  bis  1681.  Der  Bruder 
des  letzteren  aber,  Namens  Nedschib,  suchte  alsbald  nach  seinem 
Antritte  der  Regierung  die  Fesseln  zu  lösen,  welche  ihn  an  Tripolis 
knüpften  und  verweigerte  den  Tribut.  Hasan  Pascha  Abdz,  der 
damalige  Herrscher  von  Tripolis,  schickte  eine  militairische  Expedition, 


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KEGENTENREIHE  DER  AUl.ÄD  MOHAMMED.  169 

gegen  welche  Nedschib  bei  Dclei'm  in  der  Nähe  von  Murzuq  eine 
unglückliche  Schlacht  lieferte  und  das  Leben  verlor.  Der  tripoli- 
tanische  Heerführer  machte  eine  reiche  Heute  (fünfzehn  Kameellasten 
Gold  und  eine  zahllose  Menge  von  Sclavcn)  und  setzte  als  Regenten 
Mohammed  Nasir,  einen  Bruder  Nedschib’s,  ein.  Derselbe  bezahlte 
seinen  Tribut  regelmässig  bis  zum  Jahre  1689,  versuchte  aber  zu 
dieser  Zeit  ebenfalls,  im  Vertrauen  auf  die  Unterstützung  der  ara- 
bischen Stämme,  sich  unabhängig  zu  machen.  Sein  damaliger  Lehns- 
herr, Mohammed  Pascha  Scliafb  el-’Ain,  schickte  seinen  Uzirjüsef  Bei 
mit  Heeresmacht  gegen  ihn  aus,  doch  der  in  der  Nähe  von  Murzuq 
entbrannte  Kampf  blieb  trotz  seiner  dreitägigen  Dauer  unentschieden. 
Erst  zwei  listigen  Tripolitanern  aus  der  Familie  Muqni,  Mohammed 
und  Alf,  gelang  es  durch  List  und  Verrath,  sich  Mohammed  Nüsir's 
zu  bemächtigen  und  denselben  in  Ketten  nach  Norden  zu  schicken, 
während  einer  von  ihnen  (Mohammed)  als  Statthalter  zurückblieb. 

Schon  fünf  Monate  nach  diesem  Ereignisse  empörten  sich  die 
Fezzäner,  tödteten  den  Gouverneur  und  riefen  einen  Sohn  Dschehim’s, 
Namens  Mohammed,  und  seinen  Vetter  Temmäm  herbei,  welche 
sich  in  den  Haussa  - Ländern  aufgehalten  hatten,  und  von  denen  der 
letztere  zum  Herrscher  ausgerufen  wurde.  Gleichzeitig  hatte  man 
zwar  nicht  verfehlt,  Geschenke  an  den  Herrscher  von  Tripolis  mit 
der  Bitte  um  Nachsicht  für  das  Vorgefallene  zu  schicken,  doch  die 
Familie  des  in  grausamer  Weise  ermordeten  Statthalters  (man  hatte 
ihm  zuvor  einen  Fuss  und  eine  Hand  abgeschnitten)  schrie  um  Rache, 
und  Ali  el- Muqni  wurde  mit  der  Bestrafung  der  aufrührerischen  Pro- 
vinz betraut.  Dieser  wusste  seiner  Expedition  den  Anschein  eines 
durchaus  friedlichen  Charakters  zu  geben  und  suchte  auf  diese  Weise 
zunächst  alle  Glieder  der  herrschenden  Familie  zu  sich  zu  locken, 
um  dieselben  alsdann  zu  ermorden  und  ein  grosses  Blutbad  unter  den 
Einwohnern  anzurichten.  Da  Mohammed  Ben  Dschehim  Kenntniss 
von  diesen  blutigen  Plänen  erhalten  hatte  und  nach  dem  Sudan  ent- 
flohen war,  und  Temmäm  allein  im  tripolitanischen  Lager  erschien, 
verschob  zwar  Ali  cl -Muqni  seine  Rache,  setzte  sich  aber  selbst  in 
Fezzän  fest,  jenem  nur  einen  kümmerlichen  Schatten  von  Regierungs- 
gewalt lassend. 

Der  flüchtige  Mohammed  Ben  Dschehim  erschien  schon 
nach  kurzer  Zeit  wieder  in  der  Heimath,  wusste  Streitkräfte  im  W.  el- 
Gharbi  um  sich  zu  sammeln,  und  es  gelang  ihm,  den  Muqni,  der 


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]7u  L BUCH,  6.  KAPITEL.  GESCHICHTE  UND  BEVÖLKERUNG  VON  FEZZAN. 

ihm  dorthin  entgegengezogen  war,  zu  überfallen,  so  dass  dieser  selbst 
nur  mit  Mühe  nach  Murzuq  entkam,  und  seine  Macht  fast  ganz  auf- 
gerieben wurde.  Dort  belagert,  erhielt  derselbe  gegen  die  Rück- 
erstattung Alles  dessen,  w’as  er  geraubt  hatte,  freien  Abzug  und 
begab  sich  nach  Sebha.  Nachdem  er  von  hier  aus  heimlich  seinen 
Bruder  Jüsef  in  Tripolis  benachrichtigt  hatte,  führte  ihm  dieser  von 
Seiten  seines  Herrn,  des  genannten  Mohammed  Pascha  Schäib  el-'Ain, 
ein  Hülfscorps  zu  und  befreite  ihn  aus  seiner  kritischen  Lage.  Klug 
gemacht  durch  diese  Ereignisse,  aus  denen  er  nur  mit  knapper  Noth 
sein  Leben  gerettet  hatte,  rieth  er  dem  genannten  Pascha  selbst,  den 
noch  immer  gefangenen  Mohammed  Näsir  frei  zu  geben  und  diesem 
die  Regierung  von  Fezzan  anzuvertrauen. 

So  geschah  es,  und  Mohammed  Näsir  blieb  ein  treuer  Vasall 
bis  zum  Jahre  1715,  wo  er  seine  Tributzahlung  wiedereinstellte.  Da 
eilte  sein  damaliger  Lehnsherr,  Ahmed  Pascha  el-Karamanli,  selbst 
mit  grosser  Schnelligkeit  herbei  und  griff  Murzuq  mit  solcher  Heftig- 
keit an,  dass  Fürst  und  Volk  um  Gnade  und  Verzeihung  flehten. 
Da  eine  Empörung  Ahmed  Pascha  nach  Tripolis  zurückrief,  so  wur- 
den keine  weiteren  Maassregeln  gegen  Mohammed  Näsir  genommen, 
und  derselbe  kam  seinen  Verpflichtungen  auch  regelmässig  nach  bis 
zu  seinem  im  Jahre  1718  erfolgten  Tode.  Sein  Sohn  Ahmed  be- 
gann alsbald  die  Regierung  wieder  mit  Tributverweigerung,  wurde 
zwar  durch  Waffengewalt  zum  Gehorsam  zurückgeführt,  empörte 
sich  aber  nach  dreizehnjährigem  Frieden  von  Neuem.  Der  Herrscher 
von  Tripolis,  dieser  ewigen  Widersetzlichkeiten  müde,  schickte  seinen 
Sohn  Mohammed  Bei  mit  ansehnlicher  Macht  und  dem  gemessenen 
Befehle,  nicht  allein  die  ganze  Provinz  streng  zu  züchtigen,  sondern 
vor  Allem  den  rebellischen  Regenten  Ahmed  gefangen  einzubringen. 
Dieser  letztere  wurde  in  der  That  nach  Tripolis  geführt  und  hatte 
es  nur  der  eifrigen  Verwendung  Mohammed  Bei’s  zu  danken,  dass 
er  nicht  zum  Tode  verurtheilt,  sondern  sogar  wieder  als  Scheich  von 
Fezzan  investirt  wurde.  Er  wurde  dorthin  zurückgeführt  von  einer 
zahlreichen  militairischen  Escorte,  welche  sich  zugleich  des  Auftrags 
entledigte,  die  Mauern  von  Murzuq  zu  zerstören;  dieselben  wurden 
erst  nach  dem  Tode  Ahmed  Paschas,  der  im  Jahre  1744  erfolgte, 
wieder  aufgebaut. 

Erst  seitdem  der  Widerstand  des  Scheich  Ahmed  gebrochen 
w’ar,  wurde  das  Vasallenverhältniss  Fezzdn's  ein  solideres  und  regcl- 


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ANGABEN  EINER  MURZUQER  HANDSCHRIFT. 


171 


massigeres,  und  sah  das  unglückliche  Ländchen  ein  halbes  Jahr- 
hundert hindurch  Tage  des  Friedens.  Nicht  allein  Ahmed,  der  ein 
sehr  hohes  Alter  erreicht  haben  muss,  denn  er  soll  nach  anderen 
Quellen  erst  im  Jahre  1766  oder  1767  auf  einer  Pilgerfahrt  zu  Aud- 
schila  gestorben  sein,  kam  seinen  Verbindlichkeiten  gegen  die  tripo- 
litanischcn  Lehnsherrn  mit  Treue  nach,  sondern  auch  weder  sein 
Sohn  Tähir,  der  neun  Jahre  hindurch  regierte,  noch  dessen  Vetter 
und  Nachfolger,  Ahmed  Ben  el-Mansür,  während  einer  vierzehn- 
jährigen Regierung,  noch  der  dann  folgende  Bruder  des  letztgenann- 
ten, Mohammed  el-Häkim,  störten  das  friedliche  Abhängigkeits- 
verhältniss.  *>* 

Die  Chronik  der  Bibliothek  zu  Malta,  der  ich  bei  der  vorstehen- 
den summarischen  Aufzählung  der  wechselnden  und  schweren  Schick- 
sale Fezzän's  gefolgt  bin,  wurde,  wie  erwähnt,  im  letzten  Jahrzehnt 
des  verflossenen  Jahrhunderts  geschrieben.  Nun  besitzen  wir  noch 
eine  andere,  welche  Gerhard  Rohlfs  von  dem  in  meinem  Reiseberichte 
erwähnten  Mohammed  Baserki,  einem  Enkel  des  letzterwähnten 
Herrschers  von  Fezzan,  Mohammed  el-Häkim,  zu  Murzuq  erhalten 
hat.  Diese  beginnt  mit  der  Regierung  Mohammed  Ben  Dschehim's 
im  Jahre  1626  und  weicht  in  vielen  Einzelheiten  von  der  maltesischen 
Handschrift  ab.  Die  Regentenreihe  ist  zwar  dieselbe,  doch  die  Ereig- 
nisse treten  hier  und  da  theils  in  anderer  Zeitfolge,  theils  in  anderem 
Zusammenhänge  auf. 

Nach  dieser  Quelle  soll  Dschehim  nicht  1658,  sondern  schon  1656 
seinem  Vater  Mohammed  Ben  Dschehim  gefolgt  und  schon  am  Tage 
des  Regierungsantritts  von  seinem  Bruder  Nedschib  ermordet  worden 
sein,  so  dass  dieser  also  bis  zum  Jahre  1681,  wo  er  nach  beiden 
Chroniken  in  der  Schlacht  von  Delcim  den  Tod  erlitt,  die  Herrschaft 
in  Händen  gehabt  hätte.  Die  auf  dieses  Ereigniss  folgende  Regierung 
Mohammed  cn-NäsirS  bis  1689  verschweigt  die  Rohlfs’sche  Quelle 
ganz,  sondern  sie  lässt  denselben  sofort  gefangen  nach  Tripolis  führen, 
während  Mohammed  el-Muqni  als  Statthalter  zurückblieb. 

Als  dieser  von  den  empörten  Fezzänern  dann  bald  ermordet 
wurde,  soll  bei  dem  Mangel  an  herrschberechtigten  männlichen  Indi- 
viduen eine  gewisse  FätTma,  Tochter  von  Mohammed  Ben  Dschehim, 
während  eines  Monats  regiert  haben,  bis  Temmäm  kam,  der  aber 
selbst  schon  nach  vier  Monaten  der  Gewalt  seines  Neffen,  Moham- 
med Ben  Dschehim  (nicht  Vetters,  wie  in  der  anderen  Chronik  angc- 


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172  I.  BUCH,  6.  KAPITEL.  GESCHICHTE  UND  BEVÖLKERUNG  VON  FEZZAN. 

geben  wird)  weichen  musste.  Auch  dieser  soll  schon  nach  sieben 
Monaten  durch  den  aus  der  Gefangenschaft  in  Tripolis  entwichenen 
Mohammed  en-Näsir  verdrängt  worden  sein,  welcher  seinerseits  wieder 
nach  Monatsfrist  vor  der  ihm  auf  dem  Fusse  folgenden  Expedition 
Ali  el-Muqni’s  zu  den  südöstlichen  Tuärik  nach  Agcdes  floh.  Dann 
habe  sich,  wird  behauptet,  der  Muqni  mit  seinem  Mitheerführer  Chalil 
Bei  in  die  Herrschaft  von  Fezzän  so  gctheilt,  dass  dieser  die  west- 
liche Hälfte  mit  Murzuq,  er  selbst  den  östlichen  Theil  mit  Träghen  als 
Hauptstadt  erhielt. 

Die  Chronik  schweigt  hierauf  über  Chalil  Bei  gänzlich;  doch  den 
Muqni  flflden  wir  alsbald  in  siegreichem  Kampfe  mit  den  Bewoh- 
nern der  Scherqija  und  dann  selbst  besiegt  bei  Dschermä  im  Wadi 
cl-Gharbi  von  einem  gewissen  Mohammed  el-Qäid  aus  dem  Ge- 
schlechte  der  Auläd  Mohammed.  Mit  dem  letzteren  einigte  er  sich 
dann  so  über  die  Theilung  des  Reiches,  dass  Mohammed  Qäid  die 
östliche,  Ali  el-Muqui  die  westliche  Hälfte  erhielt.  Doch  der  Letztere 
brütete  Verrath,  schickte  heimlich  um  Hülfe  nach  Tripolis  und  be- 
kriegte mit  Hülfe  seines  mit  Heeresmacht  herbeigeeilten  Bruders 
Jüsef  den  Regenten  des  östlichen  Fezzän.  Dieser  blieb  trotzdem 
siegreich,  Jüsef  floh  nach  Tripolis  zurück,  und  sein  Bruder  Ali  schloss 
sich  in  Sebha  ein. 

Die  unglücklichen  Einwohner  sollen  sich  damals  in  ihrer  Ver- 
zweiflung selbst  nach  Tripolis  mit  der  Bitte  um  eine  starke,  einheit- 
liche Regierung  gewendet,  aber  nur  einfach  Jüsef  el- Muqni  als  Statt- 
halter erhalten  haben.  Während  dieser  ebenfalls  zu  Verhandlungen 
mit  Mohammed  Qäid  in  Träghen  seine  Zuflucht  nahm  und  es  zu  einem 
freundschaftlichen  Abschluss  kommen  zu  sollen  schien,  kam  plötz- 
lich Mohammed  en-Näsir  aus  Agedes  mit  einem  Heere  von  Tuärik, 
das  Volk  jubelte  ihm  zu,  Mohammed  Qäid  wurde  nach  dem  Südän 
verbannt,  und  vom  Muqni  schweigt  die  Chronik. 

Mohammed  en-Näsir  blieb  in  ungestörtem  Besitze  der  Herrschaft 
bis  zu  seinem  Tode,  der  1709  erfolgt  sein  soll,  während  die  mal- 
tesische Handschrift  1718  angiebt.  Ist  die  erstere  Jahreszahl  die 
richtige,  so  hat  der  Sohn  und  Nachfolger  en-Näsir's,  Ahmed,  57  oder 
58  Jahre  hindurch  regiert,  denn  es  wird  angegeben,  dass  er  1766/67 
auf  der  Rückreise  von  Mekka  starb.  Für  die  beiden  Nachfolger 
Ahmed’s,  seinen  Sohn  Tähir  und  den  auf  diesen  folgenden  Ahmed, 
nimmt  die  Rohlfs’sche  Chronik  zwar  ebenfalls  23  Regierungsjahre, 


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ENDE  DER  DYNASTIE  DURCH  EL-MUQNf. 


173 


doch  für  jenen  7 anstatt  9 und  für  diesen  16  anstatt  14,  an.  Mit 
dem  Tode  des  letzteren  1789/90  schliesst  die  maltesische  Handschrift 
ab,  nachdem  sie  noch  als  seinen  Nachfolger  Mohammed  (el-Häkim) 
erwähnt  hat;  die  Rohlfs’schc  umfasst  dagegen  noch  die  Regierung 
Mohammed  el- Häkim's  und  die  Ereignisse,  welche  den  Nachfolgern 
desselben  Herrschaft  und  Leben  kosteten  und  dem  bekanntesten  Ver- 
treter der  für  Fezzän  so  verhängnissvollcn  Familie  Muqni  zur  Regent- 
schaft verhalfen. 

Als  nach  fünfzehnjähriger  Regierung  Mohammed  el-Häkim  Krank- 
heits  halber  zu  Gunsten  seines  Bruders  Mohammed  el-Muntäsar  ab- 
gedankt hatte  (1803/4),  führte  der  Ehrgeiz  und  Thatendurst  jenes 
soeben  erwähnten  Muqni  unter  der  Regierung  Jüsef  Paschas  des 
Karamanli  die  Katastrophe  herbei,  welche  der  Herrschaft  der  Auläd 
Mohammed  in  Fezzän  überhaupt  ein  Ende  machte.  Derselbe  setzte 
sich  mit  einem  ehrgeizigen  Neffen  Mohammed  el-Muntäsar's,  der  nach 
der  Herrschaft  strebte,  in  Verbindung,  eilte  mit  fast  unglaublicher  Ge- 
schwindigkeit (in  17  Tagemärschen)  von  Tripolis  nach  Murzuq,  tödtete 
mit  Hülfe  des  verräterischen  Prinzen  den  Regenten,  bereitete  dann 
jenem  dasselbe  Schicksal  und  wurde  Alleinherrscher  in  Fezzän,  wenn 
auch  tributär  seinem  Herrn  in  Tripolis. 

Nach  einjähriger,  greuelvoller  Herrschaft  el-Muqni’s  kam  der 
ruhelose  Stamm  der  Auläd  Solimän  aus  Egypten  zurück,  wohin  er 
sich  aus  der  Umgebung  der  grossen  Syrte  nach  ernstlichen  Zer- 
würfnissen mit  Jüsef  Päschä  zurückgezogen  hatte,  um  ihre  eigentliche 
Heimath  Fezzän  von  jenem  Eindringlinge  zu  befreien.  Während  sie 
Murzuq  belagerten,  schickte  Jüsef  seinem  P'eldherrn  und  Vasallen 
eine  Heeresabtheilung  unter  Mohammed  Tscherkes  zur  Hülfe,  vor 
der  sich  jene  nach  dem  Wädi  Schijäti  zurückzogen.  El-Muqni  folgte 
ihnen  mit  seiner  eigenen  Macht  und  Hülfstruppen,  schlug  sie  in 
blutigem  Zusammentreffen  und  massacrirte  dann  verräterischer  Weise 
zu  Temsäwa,  wohin  sie  sich  zurückgezogen  hatten,  nahezu  sämmt- 
liche  Männer  des  Stammes.  Von  den  übrig  bleibenden  Kindern 
wurde  Abd  el-Dschlil,  der  Sohn  Rhet's,  der  nächstberechtigte  zur 
Häuptlingschaft,  nach  Tripolis  gebracht  und  am  dortigen  Hofe  er- 
zogen, während  der  Muqni  noch  manches  Jahr  in  Murzuq  hauste. 

Während  seiner  Regierungszeit  besuchten  Lyon  und  Ritchie 
Fezzän  und  berichteten  von  den  häufigen  Kriegszügen,  welche  der 
rastlose,  grausame  Mann  in  die  Tubuländer,  bis  Känem  und  Bag- 


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174  I.  BUCH,  6.  KAPITEL.  GESCHICHTE  UNO  BEVÖLKERUNG  VON  FEZZAK. 

hirmi,  unternahm.  Dabei  begleitete  ihn  später  einige  Mal  Abd  el- 
Dschlil,  der  zur  Freude  Jüsef  Paschas  herangewachsen  war  und  seines 
Vertrauens  genoss.  Als  noch  später  Mohammed  Tscherkes  General- 
Gouverneur  von  Fezzän  war,  fungirte  Abd  el-Dschlil  sogar  als  Basch- 
Scheich  verschiedener  Stämme  zu  Sebha. 

Doch  der  alte  kriegerische  Geist  der  Aulad  Solimän  war  mit 
der  heranwachsenden  neuen  Generation  wieder  erwacht;  ihre  ver- 
schiedenen Abtheilungen  hatten  sich  wieder  geeinigt  und  zogen  wie 
früher  zwischen  Fezzan  und  der  Syrtengegend  hin  und  her.  Ihr 
früheres  Ansehen  unter  den  Nachbarstämmen  wurde  ihnen  wieder 
zu  Theil,  und  es  bedurfte  keines  grossen  Anstosses,  um  ihre  Rache- 
gefühle zu  heller  That  zu  entflammen.  Die  Urfilla,  alte  Bundes- 
genossen des  Stammes,  wendeten  sich  in  einer  Streitsache  mit  Jüsef 
Pascha  um  Hülfe  an  Abd  el-Dschlil,  welcher  gern  die  Gelegenheit 
ergriff,  seine  Rachepläne  zu  verwirklichen.  Er  nahm  Sebha,  Temen- 
hint,  Semnu,  Sirrhen  in  Besitz,  sammelte  die  Nomaden  um  sich,  drang 
über  Söqna  hinaus  nach  Bü  N’dscheim  und  Beni  Ulid,  schlug  eine 
ihm  entgegengeschickte  Hecresabtheilung  und  verfolgte  sie  bis  unter 
die  Mauern  der  Hauptstadt,  die  gleichzeitig  von  einem  Neffen  des 
Fürsten  in  dem  früher  berührten  Erbfolgestreit  eng  cernirt  wurde. 
Diese  Ereignisse  vollzogen  sich  um  das  Jahr  1831  und  schienen  einen 
wünschenswerten  Abschluss  zu  bekommen  durch  die  vollständige 
Selbständigkeit  Fezzän's  unter  dem  Sultan  Abd  el-Dschlil. 

Es  ist  schon  früher  berichtet  worden,  dass  der  Erbfolgestreit  in  * 
Tripolis  am  Schlüsse  von  Jüsef  Paschas  Regierung  damit  endigte, 
dass  die  Einwohner  der  Stadt  Tripolis  selbst  um  Hülfe  in  Constan- 
tinopel  baten,  und  dass  die  hohe  Pforte  bei  dieser  Gelegenheit  Tri- 
politanien  einfach  zu  einer  türkischen  Provinz  machte.  So  lange 
die  neue  Herrschaft  sich  noch  nicht  hinlänglich  befestigt  hatte,  liessen 
die  Türken  Abd  el-Dschlil  ruhig  gewähren,  und  waren  sogar  eine 
Reihe  von  Jahren  hindurch  in  diplomatischen  Verkehr  mit  ihm  ge- 
treten. Doch  dann  beanspruchten  sie  auch  die  Herrschaft  über 
P'ezzän  als  einen  Theil  Tripolitaniens.  Noch  einmal  erhob  sich  der 
kühne  Araberhäuptling,  sammelte  seine  Leute  und  Bundesgenossen 
um  sich  und  zog  nach  Norden.  Doch  regulären  türkischen  Truppen 
waren  seine  regellosen  Horden  nicht  gewachsen;  er  unterlag  und 
beschloss  ritterlich,  wie  er  gelebt  hatte,  in  der  entscheidenden 
Schlacht  bei  d-ßaghla  im  Jahre  1842  durch  den  Tod  seine  glänzende 


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HERRSCHAFT  ABD  EI.-DSCHL!l’S.  — TÜRKISCHE  REGIERUNG.  1 75 

I,aufbahn,  die  ihn  aus  einem  Araberscheich  zu  einem  Könige  gemacht 
hatte.  Seitdem  war  Fezzän  eine  türkische  Provinz  und  wurde  von 
türkischen  Paschas  oder  Mütäsarrifs  verwaltet,  welche  leider  selten 
verständnisvoller  und  redlicher  gewesen  zu  sein  scheinen,  als  der- 
jenige, dessen  Bekanntschaft  ich  zu  machen  Gelegenheit  hatte. 

Die  türkische  Administration  hat  die  Provinz  in  folgende  sechs 
Regierungsbezirke  eingetheilt,  welche  von  einem  besoldeten  Beamten 
oder  Mudir  regiert  werden: 

1.  Soqna  mit  Hün  und  VVaddän,  d.  h.  die  Dschofra; 

2.  die  nahe  bei  einander  gelegenen  Oasen  von  Sirrhen,  Semnu, 
Temenhint  und  Sebha; 

3.  Wadi  esch-Schijäti; 

4.  Wadi  esch- Scherqi; 

5.  Wadi  el-Gharbi  mit  dem  Wadi  Otba; 

6.  die  Scherqija  mit  der  Ilofra  von  Murzuq  und  dem  Districte 
von  Qatrün. 

Früher  bildeten  Bü  N'dscheim  und  Rhodwa  noch  besondere  Be- 
zirke, welche  jetzt  nur  noch  dem  Namen  nach  existiren  und  unbe- 
soldete Ehrenmudir’s  haben;  und  ein  früherer  Mudir  von  Zella  ist 
durch  einen  Basch-Scheich  ersetzt,  der  eine  geringe  Bedeutung  hat. 

In  besseren  Zeiten  hatten  auch  die  Hofra  und  der  District  von 
Qatrün  besondere  Mudir's  und  Sirrhen,  Semnu,  Temenhint  und  Sebha 
bildeten  damals  zwei  gesonderte  Bezirke.  Ein  Mudir  oder  Regierungs- 
präsident hat  500  türkische  Piaster  oder  etwa  80  Mark,  der  Basch- 
Scheich  von  Zella  nur  200  Ghirsch  oder  32  Mark  monatlichen  Gehalts. 
Alle  hängen  gänzlich  vom  Gouverneur  ab,  welcher  Qüimaqäm  (mili- 
tairischer  Gouverneur)  oder  Mütäsarrif  (Civilgouverneur)  ist  und  oft 
den  Titel  eines  Pascha  hat.  Dieser  setzt  ab  und  ein,  ohne  dass  er 
den  Wäll  oder  General  Gouverneur  von  Tripolitanicn  zu  Rathe  zu 
ziehen  nöthig  hätte,  wie  er  auch  in  fast  allen  anderen  Beziehungen 
selbständig  Beschlüsse  fasst  und  für  die  meisten  Fälle  directe  Be- 
fehle von  Constantinopel  emptängt.  Er  hat  unter  sich  in  der  Haupt- 
stadt den  Kätib  el-Mäl,  d.  h.  wörtlich  Schreiber  des  Besitzthums,  der 
die  Finanzwirthschaft  leitet,  den  Scheich  el-Beled,  der  ungeachtet 
des  Titels  nicht  blos  Bürgermeister  der  Hauptstadt  ist,  den  Amin 
es-Sandüq,  d.  h.  Bewahrer  des  Schatzes,  den  die  militärische  Macht 
commandirenden  Köl-Aghdsi  und  zur  Seite  einen  Medschelis  oder 
grossen  Rath,  der  aus  den  angesehensten  Einwohnern  der  Haupt- 


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17(i  I.  BUCH,  6.  KAPITEL.  GESCHICHTE  UNI)  BEVÖLKERUNG  VON  FEZZÄN. 

stadt  besteht  und  seine  Thätigkeit  auf  die  Angelegenheiten  der  ganzen 
Provinz  ausdehnt.  In  ähnlicher  Weise  hat  jeder  Mudir  wieder  einen 
aus  den  angesehensten  Personen  seines  Bezirkes  zusammengesetzten 
Medschelis  zur  Seite. 

Dieser  Rath  hat  eigentlich  nicht  blos  eine  berathende  sondern 
mitbeschliessende  Stimme,  so  dass  er  die  Macht  der  Gouverneurs 
in  nutzbringender  Weise  beschränken  würde,  wenn  diese  nicht 
allzu  gern  über  ihre  Befugnisse  hinausgingen,  und  der  Medschelis 
selbst  nicht  in  gewöhnlicher  Schwäche  und  Indifferenz  allzuoft  ver- 
säumte, von  seinen  Rechten  Gebrauch  zu  machen.  Früher,  scheint 
cs,  verletzte  man  diese  Form  nicht  so  sehr,  wie  in  der  neuesten  Zeit, 
und  alle  Depeschen  der  Central -Regierungen  in  Tripolis  oder  Con- 
stantinopel  waren  „an  den  Qäimaqam  und  Medschelis"  gerichtet,  wie 
andererseits  Schriftstücke  der  fezzänischen  Local-Regierung  von  beiden 
P'actorcn  unterzeichnet  sein  mussten.  — So  hängt  denn  die  Wohlfahrt 
des  Landes  zum  grössten  Theile  von  der  Wahl  des  Qäimaqäm  ab, 
die  in  türkischer  Unverständigkeit  meist  keine  glückliche  ist.  Anstatt 
einen  mit  dem  Wohl  und  Wehe  des  Landes  eng  verwachsenen  Ein- 
geborenen oder  wenigstens  einen  Araber  (beziehungsweise  Berber), 
welcher  die  Sprache  des  Landes,  die  Gewohnheiten  und  Bedürfnisse 
der  Einwohner  kennt,  für  diesen  Posten  zu  wählen,  erscheint  meistens 
ein  Türke,  der  seine  Erfahrungen  in  den  Bureaux  der  ottomanischen 
Hauptstadt  oder  in  der  Verwaltung  fern  liegender  asiatischer  oder 
europäischer  Districte  gesammelt  hat,  auf  der  ihm  so  fremdartigen 
Bühne,  beschleunigt  den  Verfall  des  ihm  anvertrauten  Landes  einige 
Jahre  hindurch,  giebt  der  Missachtung  und  Unzufriedenheit,  mit 
der  die  Leute  die  türkische  Regierung  betrachten,  neue  Nahrung, 
um  dann  einem  Nachfolger  Platz  zu  machen,  der  das  destructive 
Werk  mit  frischen  Kräften  fortsetzt.  Pflichtgefühl  und  Liebe  zur 
Menschheit  sind  selbst  im  besseren  Türken  nicht  stark  genug,  um 
ihn  mit  Freudigkeit  und  Hingebung  an  dem  Gedeihen  eines  Landes 
arbeiten  zu  lassen,  dessen  Sonne  seine  Energie  lähmt,  dessen  wüste 
Monotonie  Auge  und  Herz  ermattet,  dessen  kümmerliche  Erzeugnisse 
ihm  ernstliche  Entbehrungen  aufcrlegen,  dessen  Armuth  seiner  Hab- 
sucht nur  geringe  Befriedigung  schafft,  dessen  Vergnügungen  und  Er- 
holungen sich  auf  die  primitivsten  sinnlichen  Genüsse  beschränken. 

Eine  beschwerliche  Reise  von  wenigstens  einem  Monate  durch 
die  Wüste  führt  ihn  der  kleinen  Oase  von  Murzuq  zu  mit  ihrem 


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TÜRKISCHE  GOUVERNEURS. 


177 


Staube  und  Sande;  internirt  ihn  in  einer  Stadt,  die  auf  einem  Salz- 
sumpfe erbaut  ist,  dessen  giftige  Ausdünstungen  bald  an  seiner  Ge- 
sundheit zehren,  und  beschränkt  ihn  in  derselben  auf  ein  aus  Erde 
zusammengeklebtes  Haus  ohne  Fenster  und  ohne  Parket,  wie  ohne 
allen  Comfort.  Ist  er  ein  Freund  culinarischer  Genüsse,  so  kann 
ihm  die  beschränkte  Auswahl  in  Fleisch  und  Gemüse,,  der  Mangel 
an  Oel  und  Hutter  den  wohlversehenen  Markt  von  Stambul  nicht 
ersetzen,  und  die  primitive  Kochkunst  Murzuq's  lässt  ihn  die  Erzeug- 
nisse der  heimathlichen  Küche  schmerzlich  vermissen.  Keine  safti- 
gen Orangen,  aromatische  Pfirsiche  und  süsse  Aprikosen  erquicken 
ihn,  ohne  von  Kirschen,  Aepfeln,  Birnen  reden  zu  wollen;  einige 
kümmerliche  Melonen,  vereinzelte  Feigen  und  Granatäpfel,  die  kaum 
diesen  Namen  verdienen,  sollen  allein  seiner  Vorliebe  für  Früchte 
Genugthuüng  geben.  Kein  Wildpret  kommt  auf  seinen  Tisch,  kein 
mannigfaltiges  Backwerk  kitzelt  seinen  Gaumen,  keine  Sorbetti  kühlen 
bei  der  grässlichen  Sommerhitze  seinen  glühenden  Mund , und  der 
Kaffee  verdankt  selten  seine  Entstehung  dem  I.ande  Jemen.  Der 
tröstende  und  für  viele  Entbehrungen  entschädigende  Tabak  ist  auf 
der  Reise  zu  staubigem  Pulver  geworden,  und  der  auf  dem  Platze 
feilgebotene  widersteht  lange  seinen  verwöhnten  Geruchs-  und  Ge- 
schmacksorganen. 

Ist  er  ein  Freund  der  Studien,  der  Lectüre,  so  muss  er  sich  auf 
die  mitgebrachte  Bibliothek  beschränken,  denn  ausser  dem  Qorän 
dürfte  er  kaum  ein  Buch  in  Murzuq  entdecken.  Ist  er  ein  Freund 
der  geselligen  Unterhaltung,  so  muss  er  die  Kosten  derselben  tragen; 
denn  wenn  auch  die  Stadt  nicht  der  liebenswürdigen,  heiteren  und 
selbst  intelligenten  Personen  entbehrt,  so  ist  ihr  Ideenkreis  doch 
nothgedrungen  von  einer  Einfachheit,  wie  sie  ihrer  Umgebung  ent- 
spricht. Die  Einwohner  sind  zwar  grosse  Reisende,  aber  selten  in 
der  Richtung,  welche  den  Türken  interessirt.  „Wie  kann  man  ein 
Land  bewohnen”,  sagt  der  cpikuräisch  veranlagte  gelehrte  Scheich 
Mohammed  et-Tünisi  bei  Gelegenheit  eines  vorübergehenden  Auf- 
enthaltes in  Murzuq,  „in  welchem  es  nicht  ein  Gericht  giebt,  das 
ein  Genuss  wäre,  in  dem  kein  Tropfen  Regen  fallt,  und  Thiere  und 
Menschen  auf  dieselbe  Nahrung,  einige  Datteln,  beschränkt  sind ; wo 
die  Fieber  ihr  Standquartier  haben,  der  Weizen  die  Nahrung  der 
Könige  bildet,  und  die  Butter  so  unfindbar  ist,  als  der  Stein  der 
Weisen;  was  soll  der  Mensch  werden  in  einem  Lande,  in  welchem 

Nachtigal.  1.  12 


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178  I.  BUCH,  6.  KAPITEL.  GESCHICHTE  UND  BEVÖLKERUNG  VON  FEZZÄN. 

der  Klee  der  Wiederkäuer  von  Menschen  uni  die  Wette  mit  den 
Lämmern  geweidet  wird,  das  Huhn  einen  halben  Mitqäl  Gold  kostet, 
und  die  Frauen  ihre  Gunst  um  einige  Datteln  oder  eine  Handvoll 
Gerste  verkaufen  ?!’" 

Kann  man  sich  bei  diesen  Verhältnissen  wundern,  dass  ein  Pascha 
von  Fezzan,  kaum  angekommen,  schon  an  seine  Heimkehr  denkt 
und  in  der  Hoffnung  und  Erwartung  ihrer,  da  er  doch  einen  Vor- 
theil von  dieser  Verbannung  haben  muss,  einstweilen  nur  auf  die 
Zusammenscharrung  einiger  Thaler  bedacht  ist?  Was  kümmert  ihn 
das  Ansehen,  in  dem  die  Regierung  bei  Tudrik,  Tubu  und  räube- 
rischen Araberhorden  steht?  Warum  soll  er  sich  anstrengen,  die 
Prosperität  des  Landes  während  einiger  Jahre  zu  heben,  um  die 
P'rüchte  seines  Strebens  von  einem  weniger  scrupulösen  Nachfolger 
einheimsen  zu  lassen?  Etwa,  um  den  Ruhm  eines  geschickten,  ehr- 
baren Administrators  zu  ernten?  Wer  kümmert  sich  denn  daheim 
in  Stambul  um  Fezzän,  diesen  verlorenen  Posten  in  der  Wüste? 
Thorheit!  Zur  Bereicherung  des  Einzelnen  genügen  von  Zeit  zu  Zeit 
die  Kräfte  der  Einwohner  noch,  und  so  scharrt  er  und  zerrt  er,  so 
presst  er  und  quetscht  er,  bis  Einer  der  gutmüthigen,  duldsamen 
Fezzaner  nach  dem  Andern  seine  spärlichen  Maria -Theresia -Thaler 
aus  dem  Boden  wühlt  und  in  die  Kiste  des  reisefertigen  Hakim 
liefert.  Unter  einer  gerechten,  einsichtsvollen  und  energischen  Re- 
gierung könnte  dieser  so  tief  ins  Innere  Afrikas  vorgeschobene 
Keil  der  Ausgangspunkt  der  Civilisation  sowohl  für  die  Bewohner 
der  westlichen  Wüste,  die  Tuärik,  als  für  die  der  östlichen,  die  Tubu, 
werden,  und  einen  heilsamen  Einfluss  auf  die  mohammedanischen 
Negerreiche  des  nördlichen  Central-Afrika  ausüben.  Leider  sind  die 
Türken  dieser  Aufgabe  nicht  gewachsen. 

Wenn  man  die  Greise  in  Murzuq  von  der  glänzenden  Vergangen- 
heit Fezzän's  sprechen  hört,  von  der  Zeit,  in  der  noch  alljährlich  zahl- 
reiche Karawanen  in  die  Negerländer  zogen  und  von  dort  kamen  ; in 
der  die  Araber  noch  eine  wichtige  Rolle  im  Lande  spielten,  sich 
eines  gewissen  Pferdereichthums  erfreuten  und,  ohne  Abgaben  zu 
bezahlen,  nur  Dienste  bei  den  Kriegszügen  nach  Süden  leisteten;  in 
der  Handel,  Ackerbau,  kriegerischer  Sinn  und  Wohlstand  noch  blühten, 
und  die  Bevölkerung  eine  verhältnissmässig  zahlreiche  war:  so  mhss 
man  ohne  Zweifel  Vieles  davon  auf  arabische  Phantasie  und  auf  die 
Vorliebe  alter  Leute,  die  Vergangenheit  auf  Kosten  der  Gegenwart  zu 


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VERFALL  DES  LANDES. 


179 


loben,  schieben,  denn  die  Ertragfähigkeit  des  Landes  muss  zu  allen 
Zeiten  eine  höchst  bescheidene  gewesen  sein.  Doch  wenn  wir  in  der 
auf  Malta  gefundenen  Handschrift  lesen,  dass  Mansür  Ibn  en-NAsir 
am  Ende  des  16.  Jahrhunderts  den  Tripolitanern  mit  10,000  Mann 
entgegen  gezogen  und  sein  Bruder  Tähir  mit  dreizehn  Kameel- 
lasten  Gold  nach  Bornü  entflohen  sein  soll,  dass  Murad  Bei,  Heer- 
führer des  tripolitanischen  Regenten  Hasan  Pascha  Abäz,  gegen  Ende 
des  17.  Jahrhunderts  von  Nedschib  fünfzehn  Kameellasten  Gold 
erbeutet  haben  soll,  und  dass  Mohammed  Ibn  Dschehim  in  der 
Mitte  des  17.  Jahrhunderts  einen  Vertrag  mit  Tripolis  abschloss,  dem 
zufolge  ein  jährlicher  Tribut  von  4000  Mitqäl  Gold  entrichtet  werden 
sollte:  so  kann  man  sich  der  Ueberzeugung  nicht  verschliessen,  dass 
P'ezzän  früher  bevölkerter  und  reicher  gewesen  ist. 

Thatsache  ist,  dass  der  Muqni  noch  eine  beträchtliche  Summe 
alljährlich  an  seinen  Herrn  bezahlte,  und  dass  Abd  el-Dschlil  später 
mehr  Geld  zur  Kriegführung  aufbrachte,  als  cs  jetzt  möglich  sein 
würde.  Mein  späterer  Reisegefährte  Mohammed  Bü  Aischa,  früher 
Secretair  Abd  el -Dschlil's,  fand  einst,  nachdem  sein  Herr  sich  der 
Herrschaft  in  Fezzän  bemächtigt  hatte,  alte  Documente  in  den 
Archiven  von  Murzuq  mit  Angaben,  welche  deutlich  für  eine  höhere 
Bevölkerungszahl  und  Productionskraft  des  Landes  Zeugniss  abzu- 
legen schien.  Freilich  hatte  Bü  Aischa,  wenn  er  auch  ein  kluger 
und  unterrichteter  Mann  war,  Veranlassung,  die  Zeit,  während  welcher 
er  an  der  Regierung  Fezzän's  mitgewirkt  hatte,  hochzustellcn,  und 
die  von  ihm  angezogenen  Schriftstücke  waren  nach  seiner  Angabe 
bei  der  Umwälzung,  welche  der  Herrschaft  seines  Herrn  ein  Ende 
gemacht  hatte,  verloren  gegangen;  doch  die  progressive  Abnahme 
der  Bevölkerung,  welche  er  bei  den  periodischen,  in  langen  Zwischen- 
räumen unternommenen  Besuchen  in  seiner  Heimath  constatiren  konnte, 
bezeugte  ihm  jeder  in  Jahren  vorgerückte,  nicht  allzu  stumpfsinnige 
Einwohner. 

Jetzt  wird  wohl  kaum  irgend  jemals  ein  Bruchtheil  der  Ein- 
nahmen der  Localregierung  nach  Tripolis  oder  Constantinopel  abge- 
führt, ja  die  Unterhaltung  und  Besoldung  der  Garnison  geschieht 
von  der  Militair-Verwaltung  zu  Tripolis,  und  nicht  selten  müssen  von 
dort  auch  noch  Mittel  zur  Aufrechterhaltung  der  eigentlichen  Re- 
gierung geliefert  werden.  Im  Allgemeinen  jedoch  reichen  die  Ab- 
gaben der  Einwohner  und  die  Einkünfte  des  Beiliq  gerade  hin,  um 

12* 


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ISO  1.  BUCH,  6.  KAPITEL.  CESCHICHTE  UND  BEVÖLKERUNG  VON  FEZZÄN. 


den  Pascha  und  die  Beamten  zu  besolden  und  die  Kosten  der  Ver- 
waltungsmaschine zu  tragen.  Die  eingehenden  Steuern  belaufen  sicli 
auf  6 — 700, 000  türkische  Piaster  oder  durchschnittlicli  100,000  Mark, 
zu  denen  aus  den  Gütern  des  Beiliq,  welche  ausschliesslich  in  Dattel- 
pflanzungen bestehen,  noch  10 — 15,000  Mark  und  aus  der  Verpach- 
tung der  Natron-Ausbeute  etwa  ebenso  viel  hinzukommen.  Die  Ab- 
gaben lasten  fast  allein  auf  den  Dattelbäumen,  welche  allerdings 
den  wesentlichsten  Besitz  des  Volkes  bilden-  Doch  drückt  diese 
Steuer  hauptsächlich  das  arme  Volk;  die  Duanegebühren  der  Kauf- 
leute, welche  15  Procent  für  die  aus  dem  Sudan  importirten  Waaren 
betragen,  kommen  dagegen  nicht  in  Betracht,  und  eine  Steuer  auf 
Häusern,  Gärten,  Heerden  und  baarem  Vermögen  existirt  nicht.  Die 
Abgaben  von  den  Dattelbäumen  wechseln  von  einem  halben  türkischen 
Piaster  bis  zu  anderthalb,  je  nach  der  Tragfähigkeit  derselben,  und  um 
diese  und  die  Zahl  der  vorhandenen  Bäume  festzustellen,  erscheint 
von  Zeit  zu  Zeit  ein  Beamter  aus  Murzuq  oder  Tripolis,  und  con- 
trolirt  die  vom  Mudir  vorbereitete  Abschätzung.  An  die  noch  nicht 
tragenden  und  die  ganz  alten,  ausrangirten  Bäume  werden  keine 
Ansprüche  gemacht. 

Mit  diesen  kümmerlichen  Mitteln  kann  dieser  vorgeschobene 
Posten  türkischer  Herrschaft  natürlich  nur  in  sehr  unvollkommener 
Weise  gehalten  werden.  Die  Macht  der  I.ocal-Regierung  erstreckt 
sich  kaum  über  die  Mauern  von  Murzuq  hinaus  und  ist  in  den  ihrer 
Verwaltung  unterliegenden  Oasen  nur  eine  moralische.  Sie  hat  keine 
Mittel  in  ihrem  Besitze,  dieselbe  in  weiterer  Entfernung  fühlbar  zu 
machen,  keine  Pferde,  ja  keine  Kaineele,  um  Bewaffnete  auf  ihnen 
hinauszusenden , was  doch  bei  den  grossen  Entfernungen  so  noth- 
wendig  wäre.  Die  beweglichen  Tubu  rauben  ganze  Kameelhcerden 
in  der  Entfernung  einiger  Stunden  von  Murzuq,  und  die  Araber  der 
Scherqija  und  die  MeqärTha  aus  dem  W.  Schijäti  gehorchen  den 
Regierungsorganen  nur,  so  weit  es  ihnen  passt;  denn  wer  wollte  sic 
in  ihrer  Heimath  aufsuchen  und  züchtigen?  Etwa  die  Garnison  von 
.Murzuq,  nominell  aus  500  Türken,  factisch  aber  aus  300  Fezzänern 
bestehend,  die,  harmlos  in  der  Stadt  wohnend,  ihre  Gärten  bebauen, 
und  die  nicht  einmal  die  nothwendigen  Kameele  zur  Disposition 
haben,  um  ihnen  Mund-  und  Wasservorrath  und  die  Munition  ihrer 
Feuergewehre  bei  etwaigen  Märschen  mitzuführen  r Wenn  sich  wäh- 
rend meines  Aufenthaltes  daselbst  eine  ungewohnte  Menschenanzahl 


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M ACHTLOSIGKEIT  DER  REGIERUNG.  — SPÄRLICHE  BEVÖLKERUNG.  181 

fern  am  Horizonte  zeigte,  stürzten  die  Beamten  auf  die  Höhe  der 
Qasba,  um  die  verdächtige  Bewegung  zu  beobachten;  in  der  Stadt 
verbreitete  sich  dann  alsbald  das  Gerücht,  die  Tubu  oder  Tuärik 
zögen  gegen  die  Stadt  heran;  die  furchtsamen  Einwohner  bewaff- 
neten sich  bis  an  die  Zähne,  rotteten  sich  zusammen  und  schrieen 
sich  gegenseitig  Muth  ein,  und  die  Garnison  trat  unter  die  Waffen, 
bis  sich  die  Fremden  als  friedliche  Wanderer  herausstellten.  Hätte 
ohne  diesen  jammervollen  Zustand  der  Local -Regierung  meine  un- 
glückliche Reisegefährtin  in  der  Entfernung  weniger  Tagemärsche 
von  der  Hauptstadt,  so  zu  sagen  unter  ihren  Mauern,  auf  das  schmach- 
vollste ermordet  werden  können? 

Um  die  bescheidene  Einnahme  der  Regierung  von  100,000  Mark 
jährlich  nach  ihrem  wahren  Werthe  würdigen  zu  können,  muss  man 
sie  mit  der  Bevölkerungszahl  und  der  Productionskraft  des  Landes 
und  der  Einwohnfcr  vergleichen.  Wenn  der  Flächeninhalt  des  gesamm- 
ten  Tripolitanien  gegen  200,000  QKm  beträgt,  so  nimmt  Fezzän  davon 
mehr  als  ein  Drittheil  in  Anspruch;  und  wenn  die  Gesammtbevöl- 
kerung  des  ersteren  auf  U/4  Million  anzuschlagen  ist,  so  kommt  nicht 
der  zehnte  Thcil  dieser  Ziffer  auf  Fezzan.  Die  bisherigen  Schätzungen 
beruhen  auf  den  Angaben  der  Reisenden  und  diese  sind  allerdings 
sehr  verschieden  ausgefallen.  Hornemann  nahm  Ende  des  vorigen 
Jahrhunderts  70,000- Einwohner  an,  Richardson  giebt  die  Zahl  von 
26,000,  Vogel  schätzte  die  Bevölkerung  auf  54,000  Seelen,  und  erheb- 
lich abweichend  von  diesen  Annahmen  glaubt  Gerhard  Rohlfs  die 
Zahl  von  200,000  nicht  zu  hoch  gegriffen.  Mohammed  et-Tünisi 
berichtet,  dass  die  sesshafte  Bevölkerung  Fezzän's  sich  auf  100  Ort- 
schaften vertheile,  und  diese  Zahl  (oder  die  von  99,  welche  in  be- 
liebter mystischer  Weise  von  den  Arabern  vorgezogen  wird)  halten 
die  Einwohner  noch  heute  fest,  obgleich  dieselbe  wohl  nicht  ganz 
erreicht  wird.  Die  Hauptortschaften,  der  Einwohnerzahl  nach,  liegen 
auf  dem  von  mir  und  Anderen  bereisten  Postwege  von  Tripolis  nach 
Murzuq  und  dem  weiteren  von  der  letzteren  Stadt  nach  Kawär.  Oest- 
lich  von  diesem  Wege  berührte  Moritz  von  Beurmann  die  Oasen, 
welche  auf  dem  Wege  von  Audschila  nach  Murzuq  liegen,  und  andere, 
welche  östlich  bis  Wau  angetroffen  werden.  Nach  diesen  auf  persön- 
licher Anschauung  beruhenden  Erfahrungen  über  die  einzelnen  Oasen 
und  Ortschaften  und  nach  einer  summarischen  Abschätzung  der  übrigen 
werde  ich  versuchen,  zu  einem  Gesammtresultate  zu  gelangen.  Ich 


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182  I.  BUCH,  6.  KAPITEL.  GESCHICHTE  UND  BEVÖLKERUNG  VON  FEZZÄN. 

nehme  dabei  abweichend  von  Rohlfs,  der  nur  vier  Personen  auf 
den  Hausstand  rechnen  will,  sogar  sechs  Bewohner  eines  Hauses  an, 
da  an  den  Orten,  in  welchen  die  Leute  in  Erdhäusern  wohnen,  die- 
selben in  ihrer  bescheidenen,  indolenten,  ärmlichen  Weise  ziemlich 
zusammengedrängt  leben,  und  da  in  den  grösseren  Ortschaften  die 
nicht  unbedeutende  Anzahl  von  Sclaven  die  Rohlfs’sche  Annahme 
zu  gering  erscheinen  lässt.  Trotzdem  bleibt  die  Gesammtzahl  meiner 
Schätzung  weit  hinter  der  seinigen  zurück. 

Betrachten  wir  die  einzelnen  Verwaltungsbezirke  mit  ihren  Ort- 
schaften und  deren  Einwohnern,  so  haben  wir: 

1.  Den  District  des  unbesoldeten  Mudir  %'on  Bü  N’dscheim  mit 

einer  Ortschaft  gleichen  Namens,  der  ich  im  höchsten 
Falle  eine  Einwohnerzahl  von  200  zuschreiben  kann:  . . 200 

2.  Den  District  des  Basch -Scheich  von  Zella,  der  2 Ort- 
schaften enthält:  Zella  mit  500  und  Tirsa  mit  300  Ein- 
wohnern (nach  v.  Beurmann’s  Schätzung),  also  zusammen 

mit  Einw . 800 

3.  Die  Mudirija  von  Soqna,  umfassend  die  Ortschaften  Söqna, 

Hün  und  Waddän,  von  denen  der  Hauptort  2500,  der 
zweite  höchstens  1500  und  der  letzte  vielleicht  1000  Ein- 
wohner zählen  mag.  Die  beiden  letzteren  Zahlen  sind 
nur  nach  den  Abschätzungen  der  Leute  von  Soqna  im 
Vergleiche  zu  ihrer  Stadt  angenommen  worden.  Macht 


zusammen . 5000 

4.  Die  Mudirija  von  Semnu,  enthaltend  die  Oasen:  Sirrhen 

mit  etwa  150  Häusern  und  höchstens  Einw 1000 

Semnu  mit  250  Hausständen,  also  Einw 1500 

Temenhint  mit  133  Hausständen  oder  Einw 800 

und  Sebha  mit  den  Städten: 

Dschedid  (250  Hausstände)  Einw 1500 

Qarda  mit  der  Seelenzahl 1000 

Hadschära  mit  der  Seelenzahl 600 


(die  beiden  letztgenannten  Zahlen  beruhen  nur  auf  einer 
Abschätzung  der  Einwohner  Dschedid’s) 

Summa  6400 

5.  Den  District  des  unbesoldeten  Mudir  vonRhodwa  mit  einer 

Ortschaft  und  einer  Seelenzahl  von  höchstens  ....  200 


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EINWOHNERZAHLEN  HER  DISTRICTE  UND  ORTSCHAFTEN. 


183 


6.  Die  Stadt  Murzuq  enthielt  nach  meiner  Zählung  581  Häuser 


also  Einw.  ca 3500 

Die  Gärten  der  Stadt  sollten  nach  der  Angabe  des  Scheich 
el-Beled  nahezu  eine  ebenso  starke  Bevölkerung  zählen, 

was  ergeben  würde  ca 3000 

Summa  6500 

7.  Die  Mudirija  von  Schcrqija  enthält  in  den  Basch-Scheichatcn 


von  Träghen,  Omm  el-Aränib  und  Qatrün  folgende  Ort- 
schaften : 

a.  Im  District  von  Träghen  von  West  nach  Ost  gehend 
findet  man:  Mureiziq,  Deleim,  Hadsch  Hadschil  (mit 
zwei  Weilern),  Zezau;  von  hier  in  direct  östlicher 
Richtung:  Fungel,  Mochäten,  Erq  el-Libtän,  Disa, 
Garanlja,  Träghen,  und  von  Zezau  in  südlichem  Bogen 
um  den  ausgedehnten  Salzsumpf  von  Träghen  herum: 

Bidän,  el-Qleib,  Ben  Dlif,  Mäfen,  Dchebbär,  Tuila 
und  Settün,  zusammen  18  Dörfer,  von  denen  Träghen, 

Zezau,  Bidän,  el-Qleib,  Mäfen,  Tuila  mit  europäischen 
Augen  abgeschätzt  wurden,  mit  einer  Gcsammt- Be- 
völkerung von  ca 2500 

b.  Im  District  von  Omm  el-Aränib  zählt  man  die  Ort- 
schaften Maqwa,  Taälib,  Medschdül,  Omm  Saqir, 
Tewixva,  Terbü,  Omm  el-Aränib,  cl-Bedera,  Hamira, 

Omm  Sekin,  Zawila,  Tcmissa,  Foghaa,  zusammen 
13  Ortschaften,  von  denen  die  letzten  drei  die  be- 
deutendsten und  von  v.  Beurmann  zu  je  400  Einw. 
abgeschätzt  sind,  mit  einer  Gesammt- Bevölkerung 


von  etwa 2500 

c.  Im  District  von  Qatrün  finden  sich  die  schon  häufiger 
abgeschätzten  Ortschaften: 

Qatrün  mit  einer  Bevölkerungszahl  von  ungefähr  . 1500 

Bachi  „ ,,  „ „ „ . 600 

Medrüsa  „ ,,  ,,  „ „ . 500 

Tedscherri  „ „ „ „ 800 

Summa  8400 

8.  Die  Mudirija  Schijäti  mit  folgenden  13  Ortschaften,  von 
West  nach  Ost  gezählt:  Edcri,  Temissän,  Auät  (vielleicht 


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184  I.  BUCH,  6.  KAPITEL.  GESCHICHTE  UND  REVÖI.KERUNG  VON  FEZZAN. 

Wäd’),  el-Haggernnir,  Uenzerik,  Birgin  Hattija,  Birgin  * 
Beled,  Gotta  (vielleicht  Ghüta),  Qirda  (vielleicht  Qarda), 
Mahrüka,  Agar,  Temsawa,  Brak,  Selwäs,  ergiebt  kaum 
eine  grössere  Seelenzahl  als 2000 

9.  Die  Mudirija  des  Wadi  esch -Scherqi  mit  10  Ortschaften: 
Bimbega,  Qeräja,  Bahär  ed-Düd,  Ben  Lübci,  Leqser  (wahr- 
scheinlich el-Q'sei'r),  Süja,  Ch’lef,  el-Hamrä,  el-Abiad,  ist 
im  äussersten  Falle  auf  eine  Einwohnerzahl  zu  schätzen 
von 1 500 

10.  Die  Mudirija  des  Wadi  el-Gharbi  mit  dem  Wadi  Otba, 
umfassend  folgende  Dörfer  des  ersteren:  Taramha,  Ubari, 
Ugreifa  oder  Ghoreifa  (vielleicht  vielmehr  Dschureifa), 
Dschermä,  Tuweisch,  Berek,  Tewiwa,  el-Fuchchär,  Cha- 
raik,  Tekertiba,  el-Feschäsch,  QeräqTra,  und  folgende 
des  letzteren:  Tesauwa,  Agar,  Tiggerurtin,  Marhaba, 
Dudschäl,  zusammen  mit  17  Dörfern,  dürfte  eine  höchste 
Seelenzahl  ergeben  von 2000 

Die  zuletzt  aufgeführten  drei  Mudiratc  sind  mir  selbst  auch  nicht 
in  einem  einzigen  Dorfe  bekannt  geworden;  ich  urtheile  und  schätze 
dieselben  also  nur  nach  dem,  was  ich  von  kundigen  Bewohnern  Mur 
zuq's  gehört  habe,  und  nach  dem  Beispiele  der  Dörfchen  der  Hofra, 
welche  ich  selbst  sah.  Viele  derselben  bestehen  nur  aus  einigen  wenigen 
Hütten;  die  grössten  sollen  in  den  Hausständen  die  Zahl  50  nicht 
übersteigen.  Ich  glaube  also  nicht,  dass  ich  hinter  der  Wahrheit 
zurückbleibe,  wenn  ich  im  Durchschnitte  jede  Ortschaft  zu  20  Haus- 
ständen rechne.  Sollte  dies  trotzdem  der  Fall  sein,  so  liegen 
wenigstens  andererseits  bei  den  von  mir  gesehenen  Orten  die  unver- 
meidlichen Fehler  sicherlich  auf  der  Seite  der  Ueberschätzung. 

Nach  der  vorstehenden  Uebersicht  würde  Fezzan  im  äussersten 
Falle  90  Ortschaften  auf  seinem  ungeheuren  Territorium  haben  mit 
einer  sesshaften  Gesammt-Bevölkerung  von  ungefähr  33,000  Seelen. 

Einige  Tausend  von  diesen  bilden  dazu  noch  nicht  einmal  eine 
ständige,  sichere  Bevölkerung,  und  zwar  sind  dies  die  Tubu,  welche 
im  Districte  von  Qatrün  leben,  und  die  Tuärik,  welche  den  Wadi 
el-Gharbi  bewohnen.  Sie  flottiren  zwischen  ihrer  Heimath  und  den 
Sitzen  in  Fezzan,  welche  ihre  Stammesgenossen  seit  lange  inne  hatten, 
und  kehren  gern  nach  Hause  zurück,  wenn  sie  dort  irgend  zu  leben 


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NOMADENSTÄMME  UND  GESAMMT- BEVÖLKERUNG. 


185 


haben,  wobei  sie  allerdings  gewöhnlich  durch  andere  Landsleute 
ersetzt  werden. 

Was  die  eigentlichen  Nomaden  Fezzän’s  betrifft,  welche  arabisch 
Bawädi  (plur.  von  Bädi,  der  Wüstenbewohner)  heissen,  zum  Unter- 
schiede der  Bewohner  ständiger  Ortschaften,  welche  als  Hadarijin 
{plur.  von  Hadari,  der  Gegenwärtige,  Sesshafte)  bezeichnet  werden, 
so  kommen  diejenigen  nicht  in  Betracht,  welche  die  Gegend  südlich 
von  Bü  N'dschei'ni  beweiden,  da  dieselben  nördlichen  Stämmen  an- 
gehören. Diejenigen,  welche  ihre  Stammsitze  in  Fezzän  haben,  re- 
präsentiren  höchstens  ein  Dutzend  Stämme,  von  denen  viele  die 
Südabhänge  der  schwarzen  Berge  von  Söqna  beweiden  und  daneben 
Wohnsitze  in  den  Datteldörfern  der  westlichen  Thäler  haben,  wäh- 
rend die  anderen  in  verschiedenen  Oasen  der  Scherqija  ihre  Datteln 
besitzen  und  die  Abhänge  des  Harüdsch-Gebirges  durchziehen.  Jene 
gehören  zu  den  Stämmen  der  Meqäriha,  Hasäuna,  Suwei'd,  Quwci'da, 
Säqa,  Hotmän,  von  denen  die  ersten  beiden  besonders  nennenswerth 
sind,  diese  zu  den  Riäh,  Scha’üf,  Sejaina,  Aläuna,  von  denen  wir  ge- 
sehen haben,  dass  die  erstgenannten  theilweisc  in  Söqna  fest  wohnen. 
Der  blühendste  aller  Nomadenstämme  Fezzän's,  der  reichste  an  Pfer- 
den und  Kameelen,  war  augenblicklich  der  der  Meqäriha,  der  einzige 
Bruchthcil  der  Bevölkerung,  von  dem  ich  die  Leute  behaupten  hörte, 
dass  sie  nicht  zurück,  sondern  vorangegangen  seien  in  Zahl  und 
Wohlstand. 

Die  Seelenzahl  sämmtlicher  nomadisirender  Stämme  abzuschätzen, 
genügen  meine  Daten  nicht.  Sie  werden  ein  Drittel  der  sedentären 
Elemente  kaum  erreichen  und  ein  Viertel  derselben  übersteigen. 
Selbst  mit  ihnen  vermag  ich  die  Bevölkerung  Fezzän's  nicht  auf 
50,000  Seelen  in  meiner  Abschätzung  zu  bringen  — eine  Zahl,  welche 
schwerlich  von  der  Wahrheit  überstiegen  wird. 

Je  spärlicher  die  Bevölkerung  ist,  desto  mannichfaltiger  ist  sic  in 
ihrer  Erscheinung.  Betrachten  wir  die  heutigen  Bewohner  von  Fezzän, 
so  stellen  sie  ein  Gemisch  dar,  dessen  Erklärung  und  Zerlegung  den 
Reisenden  in  grosse  Verlegenheit  zu  bringen  vermag.  Da  sind  im 
Süden  reine  TubuTibesti’s(Tedscherri,  Medrüsa,  Bachi,  Qatrün),  im  Süd- 
westen reine  Tuärik  (W.  el-Gharbi)  und  im  Norden  und  Osten  einzelne 
Colonien  nördlicher  Berber  (Söqna,  Waddän,  Temissa);  reine  sesshafte 
Araber  und  arabische  oder  bcrberischc  Nomaden,  Sclaven  aus  Bornü, 
den  Haussa- Staaten  und  anderen  innerafrikanischen  Ländern  und  ihre 


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186  I.  BUCH,  6.  KAPITEL.  GESCHICHTE  UND  BEVÖLKERUNG  VON  FEZZAN. 

Abkömmlinge,  Freie  oder  Sclaven,  finden  sich  über  das  ganze  Land, 
zerstreut;  und  endlich  stossen  wir  überall  auf  andere  Leute,  weder 
den  Einen  noch  den  Andern  gleich,  doch  Vielen  ähnlich,  welche  wohl 
den  kleinen  Kern  eigentlicher,  doch  im  Laufe  der  Zeit  mannigfach 
veränderter  Fezzaner  darstellen. 

Die  ursprünglichen  Bewohner  des  Landes,  die  Garamanten,  bil- 
deten, wie  wir  gesehen  haben,  mit  andern  Volksstämmen  der  Wüste 
gewissermaassen  den  zweiten  Rang  der  Libyer,  stellten  eine  Ab- 
stufung dieser  dar.  Sie  waren  die  Nachbarn  der  südlich  von  ihnen 
wohnenden  Aethiopier  und  diesen  in  soweit  auch  ähnlich,  als  sich 
überhaupt  ein  allmählicher  Uebergang  von  den  Bewohnern  der 
afrikanischen  Küstenländer  zu  den  auf  dem  Südende  der  Wüste 
wohnenden  Stämmen  bemerkbar  macht.  Diese  Uebergangsstufen 
riefen  bei  den  Alten  die  Bezeichnung  „Melanogaetuler”  hervor  und 
veranlassten  Duveyrier  von  „subäthiopischen”  Stämmen  zu  sprechen. 
Jm  Nilthale  stromaufwärts  ziehend  kann  man  sich  überzeugen,  wie 
unmerklich  die  Bewohner  Ober-Egyptens  in  die  Berber  oder  Beräbra 
und  Bädscha- Leute,  und  diese  in  die  Sudaner  übergehen;  die  süd- 
lichen Tubu  oder  Ddza  stehen  den  Nigritiern  um  eine  Nüance  näher, 
als  die  nördlichen  oder  Tedä;  bei  den  Zoghäwa  im  Norden  D6r  For’s 
ist  man  in  Verlegenheit,  wohin  man  sie  rechnen  soll;  und  der  Unter- 
schied zwischen  den  Tuärik  und  den  Berbern  der  Küstenländer,  ob- 
gleich ihre  Verwandtschaft  eine  sehr  nahe  ist,  fällt  klar  genug  in  die 
Augen.  So  haben  wir  eine  Reihe  von  Abstufungen  und  Ucbergängen, 
deren  Grenzen  oft  sehr  schwer  zu  ziehen  sind. 

Die  Wüste  mit  ihren  riesigen  Entfernungen,  ihrem  scharl  aus- 
gesprochenen Klima,  der  Abgeschlossenheit  der  bewohnten  Oasen, 
dem  beschränkten  Verkehr,  muss  zwar  im  Allgemeinen  die  Er- 
haltung der  Eigenartigkeit  ihrer  Bevölkerungselemcnte  erleichtern, 
doch  dass  die  Garamanten  mit  ihrer  geringen  Zahl  allmählich  in 
der  Reinheit  ihrer  Zusammensetzung  beeinträchtigt  werden  mussten, 
begreift  sich.  Als  ihr  Land  unter  römischer  Herrschaft  stand,  fand 
immerhin  schon  Verkehr  mit  den  südlicheren  Ländern  statt,  aus 
denen  Elfenbein,  Straussenfedcrn,  Gold  und  andere  Producte  kamen, 
doch  mag  derselbe  beschränkt  genug  gewesen  sein.  Aber  als  die 
mohammedanische  Eroberung  Nord-Afrikas  mit  ihren  Stammver- 
schiebungen nach  Süden  erfolgte,  und  als  später  in  entgegengesetzter 
Richtung  die  Bornüleute  ihre  Ansiedlungen  und  ihre  Herrschaft  über 


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ALLMÄHLICHE  UMWANDELUNG  DER  URSPRÜNGLICHEN  BEVÖLKERUNG.  187 

Kawär  nach  Fezzän  vorschoben,  mussten  allmählich  die  fremden  Ele- 
mente die  spärlichen  Eingeborenen  überwältigen.  Ein  in  Anbetracht 
der  Wüste  reger  Handelsverkehr  entwickelte  sich  allmählich  zwischen 
Nord-Afrika  und  den  Negerländern,  und  hier  war  es  die  Strasse  von 
Fezzän  nach  der  Umgebung  des  Tsäd-See's,  welche  durch  ihren 
Wasserreichthum  und  die  Zahl  ihrer  Oasen,  durch  Sicherheit  und 
reichen  Gewinn  bald  die  besuchteste  wurde.  Berberische  und  arabische 
Kaufleute  aus  dem  Norden  siedelten  sich  in  Fezzän  an,  und  bald  war 
dies  Land  ein  Mittelpunkt  der  mannichfachsten  Handelsstrassen,  ein 
Handels- Centrum  zwischen  Tripolis  und  Bornü,  zwischen  Timbuktu 
und  Kairo,  zwischen  den  Tuärik  und  den  Tubu.  Zahlreiche  Karavanen 
kamen  und  gingen,  und  ihr  Haupthandel  erstreckte  sich  damals  wie 
später  auf  Sclaven,  von  denen  die  weiblichen  besonders  zur  Um- 
änderung der  ursprünglichen  Bewohnerschaft  beitragen  mussten. 
Nehmen  wir  dazu,  dass  Römer,  Araber,  Bornüleute  und  Türken  nach 
einander  über  die  dünne  Bevölkerung  herrschten  und  alle  derselben 
eine  dauernde  Marke  ihres  Einflusses  hinterliessen,  so  begreift  man 
leicht,  dass  eine  Bewohnerschaft  von  höchstens  100,000  Seelen  so 
mannichfachen  heterogenen  Einflüssen  und  dem  rapiden  Wechsel  der- 
selben nicht  widerstehen  konnte,  sondern  ihren  ursprünglichen  Cha- 
rakter einbüssen  musste. 

Jetzt  stossen  wir  in  den  Hauptortschaften  fast  nur  auf  Fremde. 
In  Zella,  erzählt  uns  v.  Beurmann,  wohnen  Auläd  Hareis,  welche  vor 
1000  Jahren  aus  Egypten  eingewandert  sein  sollen;  Foghaa,  Temissa 
und  Sirrhen  haben  Zejädin  in  ihren  Mauern ; Söqna  ist,  wie  Waddän, 
stets  vorw altend  von  reinen  Berbern  bewohnt  gewesen;  die  Herren 
von  Zawila  sind  Schurafä;  Temenhint  ist  in  den  Händen  seiner  Gründer, 
der  Beni  Bedr,  gewesen;  Dschedid  in  der  Oase  Sebha  soll  von  einem 
Muräbid  Hämed  el-Haderi*)  gegründet  worden  sein;  das  Thal 
Schijäti  ist  fast  ausschliesslich  im  Besitze  von  nordischen  Nomaden; 
Qatrün  ist  bevölkert  von  Muräbidija,  deren  Vorfahren  aus  Marokko 
cingewandert  sein  sollen;  in  Hün  sind  viele  Glieder  des  Muräbidija- 

*)  In  der  Malteser  Handschrift  wird  ein  Murdbid  Hümed  el-Hadlr  aus  Sebha  er- 
wähnt , welcher  bei  dem  Friedensschlüsse  zwischen  Mohammed  Ben  Dschehtm  und  den 
Tripolitanem  den  Vertrag  mit  ausarbeitetc.  Wenn  auch  damals,  vor  etwa  250  Jahren,  der 
Hauptort  Sebha's  wahrscheinlich  bereits  bestand,  so  ist  es  doch  nicht  unwahrscheinlich, 
dass  beide  Namen  nur  eine  Persönlichkeit  bezeichnen , und  dass  der  Volksmund  willkür- 
lich dem  in  der  Geschichte  der  Stadt  häufig  genannten  Namen  auch  die  Gründung  der 
selben  zuschricb. 


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188  I-  BVCH,  6.  KAPITFJ..  GESCHICHTE  USD  BEVÖLKERUNG  VON  FEZZAN. 

Stammes  der  Auiäd  Wäfi.  Mag  der  Ursprung  aller  dieser  Stamme 
und  Familien  ein  sehr  verschiedener  sein,  berberisch  oder  arabisch- 
jedenfalls  sind  sie  Fremde  und  können  höchstens  unscheinbare  Bruch- 
theile  der  alten  Garamanten  in  sich  bergen.  Nehmen  wir  zu  diesen 
noch  die  Tuärik  des  \V.  el-Gharbi,  die  Tubu  des  Districtes  von 
Qatnin,  die  zahlreichen  Sclaven  und  ihre  Nachkommen  und  die  in 
jüngster  Zeit  eingewanderten  nordischen  Berber  und  Araber,  und 
ziehen  Alle  von  der  ohnehin  spärlichen  Gcsammt- Bevölkerung  ab, 
so  bleibt  nur  eine  kleine  Summe  von  Individuen,  die  wir  unter  der 
Bezeichnung  Fezzäner  zusammenfassen  müssen , und  diese  scheinen 
wieder  ein  charakterloses  Gemisch  Aller  zu  sein. 

In  ihrer  Hautfärbung  bieten  sie  ebensowohl  die  Nüancen,  welche 
bei  den  Tuärik  und  den  Tubu  vonvalten,  als  auch  die  der  Tripoli- 
taner  und  der  Bornüleute,  wenn  sie  auch  in  dieser  Beziehung  ihren 
Wüstennachbarn  näher  stehen.  Durchschnittlich  sind  sie  etwas  heller 
als  die  nördlichen  Tubu,  von  der  ungefähren  Grösse  derselben,  doch 
ohne  ihre  zierliche  Eleganz,  ihre  elastische  Gewandtheit.  Sie  haben 
selten  die  ovale  Gesichtsform  und  die  scharf  geschnittenen  Züge  der- 
selben, sondern  runde  charakterlose  Gesichter,  sind  schwerfälliger 
und  zeigen  nicht  selten  eine,  für  die  Wüstenwelt  ungewöhnliche  Nei- 
gung zur  Fettbildung.  Harmlosigkeit  und  Schlaffheit  sprechen  aus 
ihren  Zügen ; von  ihren  Gouverneurs  lassen  sie  sich  tyrannisiren  und 
ausplündern  und  vor  ihren  Feinden  und  Nachbarn  fürchten  sie  sich. 
Sie  sind  unmässig  im  Essen  und  der  Frauenliebe  ergeben;  doch  gut- 
muthig,  sanft  und  ehrlich.  Die  letztere  Tugend  entlockte  schon  im 
Anfänge  dieses  Jahrhunderts  dem  Scheich  Mohammed  et-Tünisi 
Worte  der  Bewunderung  und  ziert  die  armen  Leute  noch  heute  in 
anerkennenswerther  Weise.  So  sehr  die  Schwäche  der  Regierung, 
die  Zerstreutheit  der  bewohnten  Plätze  und  die  herrschende  Armuth 
Habsucht,  Unredlichkeit  und  Diebstahl  begünstigen  sollten,  so  sicher 
fühlt  sich  in  dieser  Hinsicht  Jeder  in  Fezzän.  Den  ganzen  langen 
Weg  von  Tripolis  bis  Murzuq  kann  der  Reisende  furchtlos  allein 
zurücklegcn,  und  erst  mit  der  türkischen  Garnison  kam  z.  B.  in  Mur- 
zuq die  Sitte  auf,  Nachts  die  Häuser  zu  verschliessen. 

Der  Unterschied  des  Charakters  der  Fezzäner  von  dem  ihrer 
nächsten  Wüstennachbarn  ist  in  die  Augen  fallend  genug.  So  energie- 
los, furchtsam,  gutmüthig,  ehrlich  und  vergnügungssüchtig  der  Fezzäner 
ist,  so  mannhaft  und  streng  ist  der  Täriki,  so  rastlos,  egoistisch. 


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CHARAKTER  DER  FEZZÄNER. 


189 


schlau,  diebisch  und  massig  der  Tedetu  (sing,  von  Tedä  oder  Tubu). 
Fast  noch  charakteristischer  ist  der  Unterschied  zwischen  den  Frauen 
der  Fezzäner  und  denen  der  Tedä,  obgleich  doch  beide  Nationen 
nach  der  Ansicht  Vieler  nächste  Verwandte  sein  sollen.  Während 
die  Frauen  der  Tedä  schon  in  der  äusseren  Erscheinung,  den  Zügen, 
der  Haltung,  dem  Gange  ihren  determinirten  Charakter  verrathen, 
deuten  die  Fezzänerinnen  schon  äusserlich  das  Gegentheil  an.  Jene 
sind  in  der  Verwaltung  des  Hauses,  im  Handel  bei  Abwesenheit  ihrer 
Eheherren  von  männlicher  Entschiedenheit  und  Thatkraft  und  von 
exemplarischer  Treue;  diese  nachlässig,  schwach,  leichtsinnig,  unsitt- 
lich In  letztgenannter  Beziehung  spricht  sich  die  Verschiedenheit 
am  deutlichsten  in  den  Nationaltänzen  aus,  von  denen  die  der  P'ezzäne- 
rinnen,  sehr  fern  bleibend  von  den  graziösen,  durchaus  anständigen 
Bewegungen  der  Tubufrauen,  sich  ganz  den  unschönen  und  gemeinen 
Tänzen  der  Araberinnen  anschliessen. 

In  Murzuq,  wo  sich  natürlich  die  meiste  Gelegenheit  bietet,  ent- 
faltet sich  die  Lüderlichkeit  in  auffallender  Weise;  weder  die  Städte 
der  Nordküste  noch  Bornü  mit  seinen  sinnlichen  Bewohnern  können 
in  dieser  Beziehung  die  Concurrenz  aushalten.  Die  käufliche  Liebe 
ist  in  allen  Kreisen  vertreten;  verheirathete  F" rauen  und  junge 
Mädchen,  Honoratiorentöchter  und  öffentliche  Tänzerinnen:  Alles 
macht  sich  Concurrenz.  Wenige  Ghrüsch  (plur.  von  Ghirsch),  ein 
Mässchcn  Getreide  oder  Datteln  erkaufen  die  Gunst  dieser  Prieste 
rinnen,  und  Viele  von  ihnen  folgen  einfach  ihrem  guten  Herzen,  ohne 
sich  ihre  Unsittlichkeit  durch  Geld  unterstützen  zu  lassen.  Wenn 
man  die  harmlose  Natürlichkeit,  die  Gutmüthigkeit  beobachtet,  mit 
der  dort  dem  Laster  gefröhnt  wird,  so  urtheilt  man  unwillkürlich 
milder,  als  man  in  andern  Ländern  thun  würde,  wie  denn  selbst 
diejenigen  Einwohner,  denen  sonst  ernste  und  strenge  Begriffe  von 
Moralität  inne  wohnen,  in  dieser  Richtung  keinen  strengen  Maassstab 
an  legen. 

Ich  habe  schon  bei  der  Schilderung  der  Einwohner  von  Mur- 
zuq zu  erwähnen  Gelegenheit  gehabt,  dass  der  Fezzäner  in  seiner 
Kleidung  eine  Mittelstellung  zwischen  den  Leuten  der  Nordküste  und 
den  Nigritiern  einnimmt,  indem  er  zu  dem  wollenen  Umschlag- 
tuch der  ersteren  das  weite  Sudänhemd  angenommen  hat,  und  dass 
die  Frauen  zwar  meist  an  dem  langen  Hemde  der  Araberinnen  und 
den  schweren,  metallenen  I'ussspangen  derselben  festhalten,  aber  sonst 


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190  I.  BUCH,  6.  KAPITEL.  GESCHICHTE  UND  BEVÖLKERUNG  VON  FEZZÄN. 

Schmucksachen  und  Haartracht  bald  den  Araberinnen,  bald  den 
Tubufrauen,  bald  den  Negerinnen  folgen.  Gleichzeitig  habe  ich  er- 
wähnt, dass  der  Mangel  an  Reinlichkeitssinn  die  Frauen  Fezzan's 
von  den  Negerinnen  und  noch  mehr  von  den  Tubufrauen  trennt,  und 
sie  durchaus  den  Araberinnen  nähert. 

Wandelt  man  durch  die  Ortschaften  der  sesshaften  Bevölkerung, 
welche  mit  Mauern  umgebene  Städtchen  sind,  so  wird  man  in  der 
Anlage  des  Ortes  und  in  der  Bauart  der  Häuser  durch  Manches  an 
die  kleinen  Orte  der  Nordküste  erinnert,  durch  Manches  an  die  nörd- 
lichen Borniistädte.  Während  wir  durch  die  Ineinanderschachtelung  der 
Räumlichkeiten  in  den  Häusern  mit  dem  unbedachten  Raume  in  der 
Mitte  und  durch  die  engen  Strassen  an  den  Norden  gemahnt  werden, 
ist  das  Baumaterial,  die  Erde,  das  der  Negerländer.  Salzhaltige  Erde 
wurde  übrigens  nach  Herodots  Nachrichten  schon  in  den  frühesten 
Zeiten  als  ausschliessliches  Baumaterial  in  dieser  Gegend  Libyens 
verwendet.  Während  in  den  Städten  Bornus  Alles  weit  und  gross  ist, 
und  in  denen  Fezzan’s  Engheit  und  Kleinheit  vorwiegt,  finden  wir 
hier  im  Gegentheil  die  Eigenthümlichkeit  unverhältnissmässig  grosser 
Kastelle,  welche  die  niedrigen  Häuser  der  Einwohner  gigantisch  über- 
ragen, während  die  Königswohnungen  der  Negerländer  kein  solches 
Missverhältniss  zur  umgebenden  Stadt  zeigen. 

Diese  Riesenkastelle  erinnern  durch  ihr  Missverhältniss  in  Etwas 
an  die  Felsencitadellen  der  Tubu,  welche  man  in  Kawär  und  Borkü 
findet,  und  zu  deren  Füssen  sich  die  Hütten  der  Ortschaften  gruppiren. 
Dieselben  scheinen  auch  den  Berbern  während  einer  langen  Periode 
eigenthümlich  gewesen  zu  sein  und  haben  denselben  Charakter  in 
Soqna,  Temissa,  Tedscherri,  wie  auch  ähnliche  Bauten  in  der  jetzigen 
TuburOase  Dschebado,  in  Siggedim,  einer  verlassenen  Ortschaft  der 
Tedä  nördlich  von  Kawär,  in  Qissebi,  einer  zerstörten  Stadt  Kawär’s, 
und  in  Agrem,  einer  Oase  westlich  von  dort,  bestanden  haben  sollen. 
Alle  diese  Ortschaften  mit  Ausnahme  von  Söqna,  das  später  entstand, 
sollen  Berberkolonien  aus  derselben  Zeit  und  Gründungen  eines 
Stammes  sein. 

Die  niedrige,  längliche,  rechtwinklige  Hütte  aus  dem  mit  Matten 
behängten  Stangengerüst,  an  welcher  der  vorübergehend  dort  ange- 
siedelte  Tubu  oft  festhält,  kennt  der  Fezzäner  nicht,  doch  beide 
kommen  wieder  in  der  ähnlich  gestalteten  Behausung  zusammen, 
welche  die  ärmeren  Bewohner  der  Dörfer  und  Gärten  aus  Palm- 


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UNTERSCHIEDE  ZWISCHEN  FEZZÄNERN  UND  TUBU. 


191 


blättern  flechten.  Mit  Ausnahme  der  nordische  Kameele  züchtenden 
Nomaden,  welche  ihre  schweren  Zelte  aus  Kameelhaar  weben,  werden 
die  Bewohner  eben  durch  die  geringen  Hülfsquellen  der  Gegend  zu 
einer  gewissen  Uniformität  in  Wohnung  und  Lebensweise  trotz  natio- 
naler Verschiedenheit  gezwungen. 

Ein  anderes  Moment  endlich  musste  im  Laufe  der  Jahrhunderte 
zur  Verwischung  der  Stamm -Unterschiede  innerhalb  der  Grenzen 
Fezzän's  beitragen.  Die  Fortschritte  in  der  Cultur  mussten  von  Nor- 
den dorthin  gelangen  und  wurden  alle  durch  den  Islam  vermittelt. 
Die  seit  den  ältesten  Zeiten  mit  der  Nordküste  gepflogene  Verbin- 
dung führte  die  neue  Religion  und  ihre  höhere  Cultur  leichter  dorthin, 
als  in  die  Tuärik-  und  Tubu-Landschaften. 

So  entbehren  in  Fezzän  der  vollkommeneren  nordischen  Be- 
waffnung mit  Feuergewehren  nur  die  zeitweilig  dort  ansässigen 
Wüstennachbarn.  Zwar  findet  man  noch  hier  und  da  in  dem  ärmeren 
Theile  der  Bevölkerung  eine  Lanze,  doch  das  Wurfeisen  der  Tubu 
fehlt  gänzlich  und  die  arabische  Steinschlossflinte,  der  weitmündige 
Karabiner  und  Schwert  und  Säbel  sind  in  ihre  Rechte  getreten. 

Ebenso  schliessen  sich  die  socialen  Sitten,  die  Art  der  Be- 
grüssung,  die  Handhabung  der  verwandtschaftlichen  Beziehungen, 
die  Familien- Festlichkeiten  bei  Hochzeiten,  Geburten,  Beschneidung 
und  Begräbnissen  ganz  an  die  der  Araber  an  und  haben  Nichts  ge- 
mein mit  denen  der  Tuärik  und  der  Tubu.  Da  der  Schwerpunkt  des 
Gemeinwesens  endlich  in  der  sesshaften  Bevölkerung  liegt,  so  bürgerte 
sich  allmählich  die  autokratische  Regierungsform  ein,  während  bei  den 
Nomaden  diese  nicht  leicht  zur  Geltung  kommt.  Die  demokratischen 
Institutionen  der  Berber  sind  zwar  in  Fezzän  noch  repräsentirt  durch 
den  Medschelis,  der  dem  Päschä  sowohl,  als  dem  Mudir  zur  Seite 
steht,  doch  die  ursprünglich  weitgehenden  Berechtigungen  desselben 
sind  allmählich  illusorisch  geworden. 

Das  religiöse  Leben  in  Fezzän  wurde  bei  dem  harmlosen  Leicht- 
sinn der  Bewohner  und  mit  dem  Verluste  ihres  ursprünglichen  Cha- 
rakters allmählich,  so  zu  sagen,  verallgemeinert  und  abgeschwächt. 
Früher  haben  Viele  den  Secten  angehört,  welche  frühzeitig  im  Isläm 
im  fernen  Osten  entstanden  waren  und  bald  eine  grosse  Verbrei- 
tung unter  den  Berberstämmen  Nordafrika’s  gewonnen  hatten,  den 
Chauäridsch  und  den  Ibädija.  Doch  jetzt  sind  Alle  ruhige,  gemässigte, 
selbstverständliche  Sunniten,  dem  Ritus  der  Mälekija  folgend,  und 


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192  I.  BUCH,  5.  KAPITFX.  GESCHICHTE  UND  BEVÖLKERUNG  VON  FEZZAN. 


selbst  gebildete  Männer  kennen  nicht  einmal  die  Namen  jener  Secten 
mehr,  welche  in  den  ersten  Jahrhunderten  der  islamitischen  Zeitrech- 
nung den  Rechtgläubigen  die  Eroberung  des  Maghrib  oder  westlichen 
Nordafrika's  und  die  Unterjochung  der  Berber  so  sehr  erschwert  haben. 

Eine  Secte  der  Neuzeit,  welche  eigentlich  nur  eine  Gesellschaft 
für  innere  und  äussere  Mission  ist,  insofern  sie  weder  dogmatische 
noch  ritualistische  Abweichungen  von  den  rechtgläubigen  Secten 
predigt,  sondern  nur  Neubelebung  des  Glaubens  und  seine  Aus- 
breitung zum  Zwecke  hat,  die  der  Senüslja,  hat  sich  nach  und  nach 
des  religösen  Lebens  der  Fezzäner  bemächtigt,  ohne  freilich  diesem 
harmlosen  Völkchen  ihren  Fanatismus  einimpfen  zu  können.  Der 
Stifter  dieser  Genossenschaft,  Sidi  Senüsi,  nach  welchem  sie  genannt 
wird,  soll  aus  dem  ferneren  Westen,  aus  der  Gegend  von  Telemsan, 
nach  Ostafrika  gekommen  sein,  gründete  ein  unabhängiges  Centrum 
für  seine  Propaganda  zu  Dschaherbüb  auf  der  schwer  bestimmbaren 
Grenze  zwischen  Tripolitanien  und  Egypten  nicht  weit  von  der  Oase 
Siwa,  unterrichtete  und  begeisterte  dort  bis  zu  seinem  Tode  zahl- 
reiche Schüler  und  Anhänger  und  dehnte  seinen  Einfluss  über  die 
östliche  Hälfte  Nordafrika’s  weiter  und  weiter  aus. 

Sein  Sohn  und  Nachfolger  Sidi  Mähädi  hat  mit  Eifer  und  Ver- 
ständniss  die  heilige  Sache  fortgesetzt,  und  Hunderte  von  fanatischen 
Anhängern  werden  an  dem  wüsten  Orte,  der,  fern  von  allem  regel- 
mässigen Verkehr,  an  und  für  sich  aller  Lebensbedingungen  ent- 
behrt, unterrichtet,  gekleidet  und  genährt.  Die  Auserwählten  derselben 
ziehen  von  dort  aus  und  betreiben  die  Verbreitung  ihrer  Ideen  mit 
dem  praktischen  Verständniss  und  der  Lebensklugheit,  deren  Beispiel 
wir  im  Christenthum  nur  bei  den  einstigen  Jesuiten-Missioncn  finden. 
Sie  lassen  sich  nicht  allein  die  Wiederbelebung  des  Glaubens  bei  den 
erschlafften  Anhängern  des  Islam  in  den  ihnen  zugänglichen  Ländern 
argelegen  sein,  sondern  haben  hauptsächlich  ihr  Augenmerk  auf  die 
Bewohner  der  östlichen  Wüste  gerichtet,  die,  ob  nominelle  Moham- 
medaner, ob  Heiden,  sehr  der  Belehrung  bedürfen  und  eine  ge- 
schlossene Phalanx  jugendlich  kräftiger  und  fanatischer  Glaubens- 
wächter zu  bilden  versprechen.  Die  bcrberischen  Bewohner  der 
naheliegenden  Oasen  Siwa  und  Audschi'la  und  die  Medschäbra,  Be- 
wohner der  Oase  Dschälo,  in  nächster  Nähe  von  Audschila,  traten 
zu  ihnen  in  allerengste  Beziehung.  Bald  gründeten  sie  religiöse 
Institute  — Zäwia  — zu  Soqna,  Zawila,  Murzuq,  suchten  durch  ahn* 


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DIE  SENCStJA. 


193 


liehe  Missionsstationen  zu  Ghadames  und  Ghät  bei  den  Bewohnern 
der  westlichen  Wüste  Eingang  zu  gewinnen  und  strebten  allmählich 
nach  geistiger  Alleinherrschaft  über  die  Stämme  der  östlichen  Wüste. 
Zunächst  schoben  sie  eine  ihrer  Stationen  auf  dem  Wege  von  Dschälo 
nach  Wadai  vor  und  besetzten  die  bewohnerlose  Oase  Kutara,  deren 
Dattelbestand  ihnen  ausserdem  Existenzmittcl  bot,  colonisirten  nörd- 
lich von  Tibesti  die  Oase  Wau  und  nahmen  ihren  Sitz  in  der  grossen 
Tubu-Oase  Kawär  auf  der  Strasse  nach  Bornü.  Von  Kufara  rückten 
sie  nach  Wanjanga  und  nach  Wadai  selbst  vor,  dessen  König  Ali 
für  ihren  glühendsten  Anhänger  galt.  Seitlich  von  diesem  Wege  blieb 
ihnen  nach  Westen  Borkü  und  die  Däzagegend,  nach  Osten  die  Land- 
schaft Ennedi  mit  den  sie  bewohnenden  Bidejät  zu  reformiren,  be- 
ziehungsweise zu  islamisiren. 

Schon  während  meines  Aufenthaltes  in  Murzuq  bekam  ich  eine 
Ahnung  von  der  Beharrlichkeit,  mit  der  diese  Fanatiker  einen  grossen 
Theil  Afrikas  in  ihr  jesuitisches  Gewebe  spinnen,  von  der  gefähr- 
lichen Selbstlosigkeit,  mit  der  sie,  unbekümmert  um  die  rastlos  ver- 
rinnende Zeit  und  um  persönlichen  Erfolg,  ihrer  Sache  dienen,  und 
noch  oft  wurde  ich  im  Verlaufe  meiner  Reisen  auf  ihre  gefahrdrohende 
Bedeutung  hingeführt.  An  den  verhältnissmässig  hoch  civilisirten 
Funkten  suchen  sie  sich  zwar  Freunde  zu  erwerben,  drängen  sich  je- 
doch nicht  danach,  in  der  Menge  Proselyten  zu  machen.  Von  dem 
eigentlichen  Egypten  mit  seinen  in  der  ganzen  mohammedanischen 
Weltberühmten  Gelehrten  — ’Ulemä  — halten  sie  sich  zurück;  auch 
die  Stadt  Tripolis  passt  ihnen  nicht  als  Schauplatz  ihrer  Thätigkeit; 
Fezzän  scheint  ihnen  ebenfalls  mehr  zum  Ausgangspunkte  ihrer  Be- 
strebungen zu  dienen,  und  selbst  in  Bornü,  dessen  Gelehrte  mit  dem 
Scheich  'Omar  an  der  Spitze  einen  grossen  Ruf  in  der  sudanischen 
Welt  haben,  treten  sic  bescheiden  auf.  Die  von  solcherlei  Bestre- 
bungen bisher  verschonten  Gegenden  der  Tubu  (Tibesti,  Borkü, 
Bahär  el-Ghazäl,  Känem),  der  Bidejät  (Wanjanga  und  Ennedi),  die 
uncivilisirten  Stämme  von  Wadai  und  die  Oasen  Egyptens  sind  der 
Gegenstand  ihrer  Hoffnung  und  unterliegen  mehr  und  mehr  ihrem 
Einflüsse.  Die  gewonnenen  Anhänger  spenden  ihnen  reichlich  zur 
Ehre  Gottes,  und  wo  sie  in  der  Wüste  ihre  frommen  Stationen 
gründen,  schliessen  sie  zuvor  mit  den  Eingeborenen  einen  Vertrag 
über  die  ihnen  zu  überweisenden  Dattelpflanzungen  und  die  ihnen  zu- 
stchendcn  Gerechtsame. 

Nachiigal,  I.  13 


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194  1.  BUCH,  6.  KAPITEL.  GESCHICHTE  UND  BEVÖLKERUNG  VON  FEZZÄN. 

• 

Bisher  war  besonders  der  Westen  Nordafrika's  durch  religiöse  Ge- 
sellschaften und  durch  geistliche  Herren  ausgezeichnet,  deren  Macht  oft 
durch  weltlichen  Besitz  erhöht  war,  deren  politischer  Einfluss  aber 
auch  ohne  diesen  nicht  selten  den  der  Fürsten  übertraf.  Rohlfs  er- 
zählt von  einem  in  Marokko  fast  mit  päpstlicher  Gewalt  ausge- 
rüsteten geistlichen  Herrn;  in  Timbuktu  regiert  die  Familie  des 
Scheich  el-Baqai,  die  ihren  Ursprung  von  dem  berühmten  Eroberer 
des  nördlichsten  Afrika,  Sidi  ’Oqba  Ibn  cn-Näfi  el-Fahri,  dem  Gründer 
Kairuwans,  ableitet  und  unbestrittenen  Einfluss  über  die  westlichen 
Tuärik  bis  Tuät  ausübt;  von  den  Grenzen  Marokko’s  bis  nach  Tri- 
polis beugten  sich  Fürsten  und  Völker  vor  dem  Ansehen  Sidi  Ahmed 
el-Tedschanis,  des  Stifters  der  Tedschädschna,  der  zu  Ende  des 
vorigen  Jahrhunderts  lebte. 

Die  östliche  Wüste  hatte  eines  geistlichen  Lenkers  entbehrt,  bis 
ihr  ein  splcher  in  der  Person  des  Senüsi  erstand,  der  in  Schroffheit 
und  Strenge  seiner  religiösen  Anschauungen  und  in  seinem  Hasse  gegen 
die  Civilisation  und  ihre  Träger  seine  westlichen  Vorgänger  und 
Coilegen  weit  übertraf.  Der  marokkanische  Papst  war  Rohlfs'  treuester 
Beschützer,  selbst  als  er  seinen  christlichen  Charakter  kannte;  Ahmed 
el-Baqäi  schützte  Heinrich  Barth  vor  den  fanatischen  Verfolgungen 
der  oberherrlichen  Felläta-Fürsten,  und  der  Chef  der  Tedschädschna, 
den  ich  in  den  sechziger  Jahren  auf  seiner  Pilgerfahrt  am  Hofe  von  T ünis 
zu  sehen  Gelegenheit  hatte,  w'ar  ein  wohlwollender  Herr,  der  sich 
durch  ein  freundliches  Gespräch  mit  einem  Christen  nicht  verun- 
reinigt glaubte.  Die  Senüsija  dagegen  sind  glühende  Christenhasser, 
deren  Feindschaft  im  Verfolge  meiner  Reisen  mir  noch  manche  Ge- 
fahren und  Unannehmlichkeiten  bereiten  sollte. 

Fezzän’s  harmlose,  gutmüthige  Bevölkerung  — so  Viele  aus 
ihr  sich  auch  der  Lehre  von  Dschaherbüb  zuwendeten  — konnte 
sich  weder  zu  der  Ascetik  derselben  aufschwingen  — wenn  auch 
v.  Beurmann  darin  falsch  berichtet  war,  dass  die  Senüsija  das  Cöli- 
bat  predigen,  so  ist  doch  z.  B.  der  Tabak  bei  ihnen  verpönt  — , 
noch  ihren  vom  Islam  unzertrennlichen  Fanatismus  zur  aggressiven 
Höhe  jener  steigern.  Zwar  gelang  das  letztere  an  einzelnen  Punkten, 
wie  zu  Zawila,  w'o  Duveyrier  die  entsprechende  Erfahrung  machte, 
und  wo  die  Herren  der  Stadt  als  Schurafä  allerdings  eine  besondere 
Berechtigung  zum  Fanatismus  zu  haben  glauben.  Doch  im  Ucbrigen 
war  der  Verkehr  der  Christen  sowohl  mit  den  Einwohnern,  als  auch 


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RELIGION  UND  UNTERRICHT  IN  FEZZAN. 


195 


sogar  mit  den  zahlreichen  Muräbidija,  die  doch  aus  der  Geschichte 
ihrer  Familien  besonders  strenge  religiöse  Tendenzen  hätten  schöpfen 
sollen,  und  mit  den  officiellen  Glaubenswächtern  selbst,  z.  B.  mit  ihrem 
Chef,  dem  biederen  Qädi  von  Murzuq,  angenehmer  als  in  den  meisten 
mohammedanischen  Ländern. 

Mit  der  Religion  hängt  der  Unterricht  zusammen,  denn  dieser 
fliesst  dort,  wie  in  fast  allen  mohammedanischen  Ländern,  nur  aus 
jener.  Entsprechend  der  Lässigkeit  des  religiösen  Lebens  in  Fezzän 
ist  die  Gelehrsamkeit  eine  sehr  bescheidene.  Es  gab  in  Murzuq 
keinen  berühmten  Gelehrten,  der  von  Wissbegierigen  aus  der  Ferne 
aufgesucht  worden  wäre,  wie  sich  deren  selbst  in  den  Negerländern 
finden;  doch  immerhin  sind  die  Anforderungen  des  Civilisations- 
grades  der  Bewohner  und  der  äusseren  Verhältnisse  zwingend  genug, 
um  Jeden  zur  Erzielung  der  nothwendigsten  Kenntnisse  des  Lesens 
und  Schreibens  in  die  Elementarschulen  zu  treiben. 

Abgesehen  davon,  dass  in  den  Schulen  natürlich  das  Arabische 
nicht  nur  den  Gegenstand  des  Unterrichts,  sondern  auch  die  Sprache 
desselben  bildet,  lässt  uns  die  Betrachtung  der  Volkssprache,  welche 
sonst  ein  so  schwer  wiegendes  Kriterium  für  die  ethnologische  Fixirung 
von  Völkern  und  Stämmen  giebt,  bei  den  Fezzänern  etwas  im  Stich. 
Zwar  bedient  sich  der  flottirende  Theil  der  Bevölkerung,  welcher  den 
Tubu  und  den  Tuärik  angehört,  ausschliesslich  der  diesen  eigen- 
thümlichen  Idiome;  zwar  haben  in  den  vorher  aufgeflihrten  Berber- 
Kolonien  Soqna,  Waddän,  Temissa  Berberdialecte,  die  dem  von 
Ghadämes  nahe  stehen,  noch  Bürgerrecht  neben  der  arabischen 
Sprache:  doch  sind  dies  streng  abgeschlossene  Sprachinseln.  Trotz- 
dem der  südlichste  Theil  von  Fezzän  nicht  allein  Leute  Tibcsti's  zu 
seinen  Bewohnern  zählt,  sondern  den  Handelsverkehr  der  Provinz 
mit  dieser  Landschaft  ausschliesslich  vermittelt,  und  trotzdem  die 
Muräbidija  von  Qatrun  und  Bachi  mit  Vorliebe  ihre  Frauen  von  dort 
beziehen,  so  hat  sich  doch  die  Tubusprache  nie  über  diesen  District 
ausdehnen  können.  Allgemeiner  bedient  man  sich  der  ßornüsprache, 
welche  vor  der  Haussasprache,  die  ebenfalls  vielfach  bekannt  ist,  den 
Vorrang  hat  und  wohl  in  ganz  Fezzän  mehr  oder  weniger  verbreitet  ist. 
Doch  wenn  die  Kinder  überall  die  Bornü-  und  oft  die  Haussasprache 
erlernen,  ehe  sie  mit  dem  Arabischen  bekannt  werden,  und  wenn  in 
vielen  Häusern  vonvaltend  eine  derselben  gesprochen  wird,  so  darf 
man  dieser  Erscheinung  keinen  allzu  hohen  Werth  beilegen.  Der 

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196  I.  BUCH,  6.  KAPITEL.  GESCHICHTE  UND  BEVÖLKERUNG  VON  FEZZÄN. 

Reichthum  an  Sclavinnen,  der  seit  Jahrhunderten  auf  dieser  Strasse 
zu  den  Südänländern  ein  ausserordentlicher  war,  und  die  früher  so 
ausgedehnten  Handelsreisen  der  Einwohner  erklären  diesen  Umstand. 
Selbst  wo  legitime  F rauen  aus  dem  Norden  oder  dem  eigentlichen 
Fezzän  existiren,  gestattet  die  Religion  Kebsweiber,  welche  aus 
den  Negerländern  bezogen  werden.  Sehr  selten  findet  man  eine 
Familie,  in  der  nicht  hellfarbige  und  dunkelfarbige  Kinder  in 
verschiedenen  Nuancen  neben  einander  vertreten  sind;  alle  aber, 
welchen  Müttern  sie  auch  angehören  mögen,  sind  während  ihrer 
früheren  Lebensperiode  hauptsächlich  in  den  Händen  der  Sclavinnen. 
Wachsen  sie  heran,  so  gewinnt  die  arabische  Sprache  mehr  und 
mehr  die  Oberhand  und  im  Ganzen  und  Grossen  ist  sie  zweifellos 
die  allgemeinst  verbreitete. 

Fassen  wir  die  Charakteristik  der  Fezzäner  zusammen,  so  sehen 
wir  in  allen  ihren  Eigenschaften  und  Betätigungen,  ihrem  äusseren 
und  inneren  Leben,  einen  Ucbergang  von  den  Bewohnern  der  Nord- 
küste einerseits  zu  den  Wüstenstämmen,  andererseits  zu  den  Südän- 
leuten.  Von  Norden  her  wurde  durch  berbcrische  und  arabische  Ele- 
mente zuerst  ihre  Eigenartigkeit  alterirt;  von  Norden  her  kam  ihnen 
der  ihnen  zu  Theil  gewordene  Grad  der  Civilisation;  von  dort  wurden 
sie  durch  den  politischen  Einfluss  ihrer  Herren  umgewandelt.  Anderer- 
seits fand  dasselbe  periodisch  von  Süden  her  statt,  und  sudanisches 
Blut  wird  ihnen  bis  in  die  neueste  Zeit  zugeführt.  Mit  den  west- 
lichen Nachbarn,  den  Tuärik,  verbindet  sie  weder  sehr  viel  Ver- 
kehr, noch  Blutmischung;  mehr  mit  den  Tubu  Tibesti’s,  und  hier  ist 
es  wichtig  festzustellen,  dass  trotzdem  und  trotz  der  Achnlichkeit 
der  klimatischen  Verhältnisse,  in  denen  Beide  leben,  der  Unterschied 
zwischen  Fezzanern  und  Tubu  ein  sehr  ausgesprochener  ist.  Dies 
dürfte  gegen  die  Annahme  sprechen,  dass  die  ursprüngliche  Bevöl- 
kerung Fezzäns  identisch  gewesen  sei  mit  der  von  Tibcsti,  wenn 
auch  freilich  jene  sich  im  Laufe  der  Zeiten  sehr  verändert  hat,  und 
diese  in  ihrem  unzugänglichen  Fclsenlandc  sich  eine  gewisse  Stabilität 
bewahren  konnte.  Es  beweist  aber  jedenfalls,  dass  die  anderen 
Elemente  in  der  Mischbevölkerung  vorwalten. 


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ZWEITES  BUCH. 

TIBESTI  ODER  TU. 


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Erstes  Kapitel. 

DER  SÜDLICHSTE  THEIL  VON  FEZZÄN. 


Die  beiden  Tedä-Edlen.  — Abschluss  des  Contractes  mit  Akrfmi  KolokSmi.  — Einkauf 
von  Geschenken  und  Tauschwerthen.  — Bu'i  Mohammed’s  treuer  Sinn.  — Abreise 
Fräulein  Tinne's.  — Die  Brunnen  Tabanlja.  — Bidän  und  das  Laqbt-  Gelage.  — 
Verbrennung  durch  Sonnenstrahlen.  — Blr  ed-Domrän.  — Sandwüste.  — Ilatttja 
Mcstüta.  — Ankunft  ?.u  Qatrfin.  — 1 ISdsch  Dschäber  und  die  Muräbidtja.  — Hoch- 
gradige Hitze.  — Beschreibung  der  Stadt  und  ihrer  Bewohner.  — Behausungen  der 
Tubu.  — Gartcncullur.  — Bit  Zeid  und  seine  Ansprüche.  — Weitere  Ankäufe  für 
die  Reise.  — Bachl.  — Arabische  Ruinen.  — Zunehmende  Tubu -Besucher.  — 
Augenentzündung.  — Qasrauwa.  — Weg  durch  das  Thal  Ekema.  — Tedscherri  und 
seine  Qasba.  — Bevölkerung.  — Verrätherische  Pläne  der  Tubu.  — Abreise.  — Blr 
Mcschru.  — Traurige  Zeugen  des  Sclavenhandels.  — I.agöba  Buia.  — Lagoba  K8nö. 
— Hochebene  Ala&ta  Kju.  — Tummogebirge  oder  cl-Wär. 


Der  Mai  war  noch  reich  an  Fieberanfallen  flir  mich  gewesen, 
und  unter  ihrem  Einflüsse  hatte  sich  eine  schleichende  Dyssenteric  bei 
mir  entwickelt,  welche  mir  eine  baldige  Abreise  sehr  wünschcnswerth 
erscheinen  Hess.  Gegen  Ende  des  Monats  kam  auch  der  von  Seiten 
des  Hadsch  Dschäber  erwartete  Tubu -Edle  — Maina  — , welcher 
Akremi  hiess,  aber  mehr  unter  seinem  Beinamen  Kolokömi  bekannt 
war,  in  Begleitung  eines  Vetters,  Namens  Wolla.  Kolokömi  war  ein 
kräftiger  Mann  von  vierzig  und  einigen  Jahren,  von  guter  Mittelgrösse, 
dunkel  bronccfarbiger  Haut  und  rundem  Gesichte,  dessen  Züge  und 
voller  Bart  nichts  Negerhaftes  im  gewöhnlichen  Sinne  des  Wortes  an 
sich  trugen;  Wolla  war  magerer,  dunkelfarbiger  und  hatte  ein  ovales  Ge- 
sicht. Jener  hatte  iibrigcns  nach  seiner  Behauptung  etwas  Tuarikblut  in 
den  Adern,  so  selten  auch  Vermischungen  zwischen  beiden  Stammen 


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II.  BUCH,  I.  KAPITEL.  DER  SÜDLICHSTE  THEII.  VON  FEZZAN. 


200 

— abgesehen  von  den  Fällen,  in  denen  weibliche  Kriegsgefangene 
in  den  feindlichen  Stamm  gerathen  — Vorkommen  sollen.  Sein 
nicht  eben  durch  Sauberkeit  glänzendes  und  arg  zerfetztes  Bornü- 
gewand  Hess  keinen  hochstehenden  Mann  in  ihm  vermuthen;  doch 
das  ärmliche  Aeusscre  that  dem  würdevollen  Auftreten  und  dem 
Selbstbewusstsein  des  freien  Sohnes  der  Wüste  keinen  Eintrag.  Die 
Leute,  welche  ihn  von  seinen  wiederholten  Besuchen  in  Fczzän 
kannten,  stellten  ihm  das  verhältnissmässig  beste  Zeugniss  aus,  indem 
sie  ihn  als  einen  der  wenigst  Schlechten  unter  seinen  Stammes- 
genossen, die  freilich  insgesannnt  Schurken  seien,  bezeichneten. 

Am  24.  Mai  schloss  ich  einen  Contract  mit  diesem  Manne  ab,  dem 
zufolge  er  mich  durch  das  ganze  Land  Tibcsti,  wohin  ich  immer  zu 
reisen  wünschen  würde,  zu  führen  und  nach  Fezzän  zurückzugeleiten 
versprach,  während  ich  mich  verpflichtete,  ihm  80  Mahftbub  (nahezu 
300  Mark)  zu  bezahlen.  Von  dieser  Summe  sollte  ihm  die  eine 
Hälfte  vor  Beginn  der  Reise,  die  andere  nach  erfolgter  Rückkehr 
durch  den  Hadsch  Dschdber  ausgehändigt  werden.  Im  Falle  glück- 
lichen Gelingens  versprach  ich  ihm  noch  das  Extrageschenk  einer 
Steinschlossflinte  und  seinem  Cousin  eine  beliebige  Anerkennung 
seiner  Dienste.  Ausser  dem  Herrscher  des  Landes,  Tafertemi,  sollte 
jeder  der  hauptsächlichsten  Edlen  Tibcsti’s,  deren  Zahl  vorläufig  zu 
sieben  angenommen  wurde,  über  deren  Liste  aber  der  Hadsch  Dschä- 
ber entscheiden  sollte,  einen  rothen  Tuchburnus  erhalten.  Der  Micth- 
preis  war  ein  hoher,  wenn  ich  bedachte,  dass  der  in  Aussicht  ge- 
nommene zweite,  den  Muräbidija  von  Qatrfin  angehörende  Reisebe- 
gleiter sich  wahrscheinlich  zu  noch  grösseren  Ansprüchen  berechtigt 
halten  würde.  Da  es  aber  noch  wohlbekannt  in  Qatrün  war,  dass 
M.  v.  Beurmann  dieselbe  Summe  mit  dem  damaligen  Maina  Tafertemi, 
der  ihn  geleiten  wollte,  vereinbart  hatte,  so  musste  ich  das  Opfer 
bringen. 

Es  gelang  mir,  in  Murzuq  selbst  ein  halbes  Dutzend  rother  Tuch- 
burnussc  und  drei  indigogefarbte,  schwarzblaue  Südängewänder  auf- 
zutreiben. Jene  wechselten  in  ihrem  Preise  von  12  bis  20  Maria- 
Theresia-Thalcrn  (50  bis  80  Mark),  ohne  dass  der  Mottcnfrass,  der 
einige  derselben  gründlich  zerstört  hatte,  eine  Ermässigung  des  Preises 
mit  sich  gebracht  hätte.  Die  Kaufleute  suchten  sich  natürlich  die  Be- 
harrlichkeit, mit  der  ich  an  dem  Plane  der  Reise  nach  Tibesti  fcst- 
hiclt,  meine  Unerfahrenheit  und  den  Mangel  an  Concurrcnz,  so  sehr 


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CONTRACT  MIT  DEM  TUBU- EDLEN.  — RE1SEAUSRUSTUNG.  201 

sie  konnten,  zu  Nutze  zu  machen.  Die  Südäntoben  kosteten  nicht 
einmal  halb  so  viel  als  die  Burnusse  und  sollten  gleichwohl  in  Tibcsti 
nahezu  ebenso  sehr  geschätzt  sein.  Die  Tubu  sowohl  wie  die  Tuärik 
ziehen  die  dunkeln  Gewänder,  welche  gewissermaassen  mit  dem  ernsten 
Charakter  der  Wüste  und  ihrem  eigenen  finsteren  Sinne  harmoniren, 
den  hellfarbigen  vor  und  haben  ein  besonderes  Wohlgefallen  an  den 
genannten  Indigo-Toben,  die  ihrer  oft  hinlänglich  hellen  Haut  sicht- 
liche und  sehr  beliebte  Spuren  der  Unvollkommenheit  sudanischer 
Färbekunst  aufdrücken. 

Zu  diesen  Geschenken  fügte  ich  ein  Dutzend  rother  tunisischer 
Mützen,  Mussclinstoff  — Schäsch  — zu  weissen  Turbanen  für  etwa 
zwölf  Personen,  etwas  Benzoe  — Dschäwi  — , das  zum  Räuchern 
sehr  beliebt  ist,  Antimonpulver  — Köliöl  — , das  als  Cosmeticum 
und  Heilmittel  gegen  leichte  Ophthalmieen  auch  in  Tibesti  in  Ge- 
brauch ist,  eine  ansehnliche  Menge  Tabak  und  einige  Stücke  des 
Cham  genannten,  ungebleichten  europäischen  Baumwollenstoffs,  der 
als  Haupttauschwerth  in  Tibesti  dient.  Etwa  Fehlendes  konnte  ich 
voraussichtlich  in  Qatrün  bei  den  Muräbidija,  welche  den  ganzen 
Handel  mit  Tibesti  vermitteln,  finden.  Für  den  Fall,  dass  es  mir 
gelingen  sollte,  meine  Reise  bis  Borkü  auszudehnen,  fügte  ich  noch 
einige  sudanische  Gewänder  aus  Bornü,  Haussa,  Nife  bei,  welche 
einen  durchschnittlichen  Preis  von  15  Mark  das  Stück  hatten. 

Die  königlichen  Geschenke,  welche  mir  nach  Bornü  überzuführen 
oblag,  Hess  ich  natürlich,  da  keine  Aussicht  vorhanden  war,  etwa 
über  Tibesti  dorthin  reisen  zu  können,  und  weil  auch  das  ganze 
Unternehmen  zu  gewagt  und  zu  unsicher  erschien,  unter  der  Obhut 
des  Hadsch  Brählm  Ben  Alüa  zurück,  und  zum  Wächter  des  Hauses 
wurde  Ali  aus  Mandara  unter  der  Oberaufsicht  des  jungen  Mohammed 
Ben  Alüa  bestellt. 

Trotz  aller  Versicherungen  Kolokömi’s  und  Hadsch  Dschäber's 
blieb  der  brave  Mohammed  aus  Qatrün  der  ganzen  Reise  in  früherer 
Weise  abhold  und  berief  sich  mit  Recht  auf  die  Erfahrung  der  zwölf 
Jahre,  welche  er  in  der  Mitte  seiner  halben  Landsleute  im  südlichen 
Fezzdn  zugebracht,  und  der  beiden  Reisen,  welche  er  nach  Tibesti, 
der  Heimath  seines  Vaters,  unternommen  hatte.  Auf  den  Edlen 
Kolokömi  legte  er  keinen  grossen  Werth;  seine  einzige  Hoffnung 
beruhte  auf  der  Begleitung  des  Muräbid  von  Qatrün,  wenn  dieser 
entweder  der  mir  bereits  bekannte  ’Ali  aus  Bachi  oder  ein  gewisser 


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202  II.  BUCH,  I.  KAPITEU.  DER  SÜDLICHSTE  THEIL  VON  FEZZAN. 

Bü  Zc'id  aus  demselben  Dorfe  sein  wurde.  Da  der  berühmte  Be- 
gleiter Barths  kein  Jüngling  mehr  war,  und  ich  seinen  Widerwillen 
gegen  die  Unternehmung  sah,  machte  ich  ihm  den  Vorschlag,  mir 
einen  Diener,  welcher  der  Tubu-Sprache  mächtig  sei,  zu  suchen  und 
selbst  zurückzubleiben,  zumal  mir  dadurch  die  Erfüllung  meines  offi- 
ciellcn  Reisezweckes  gesicherter  erschien.  Doch  der  brave  Mann 
wies  diesen  Vorschlag  mit  einer  gewissen  Entrüstung  zurück,  indem 
er  hinzufügte:  „Ich  habe  Deinen  Freunden  in  Tripolis  versprochen, 
Dich  wohlbehalten  nach  Bornü  zu  führen,  wie  ich  auch  Deine  Brüder 
Abd  el-Kerim  (Barth)  und  Mustafa  Bei  (Rohlfs)  dorthin  geleitet  habe. 
Mit  Gottes  Hülfe  werden  wir  dies  Ziel  zusammen  erreichen;  bis 
dahin  werde  ich  Dich  nicht  verlassen,  und  wenn  Dir  bei  den  ver- 
rätherischen  Tubu  ein  Unglück  zustossen  soll,  so  will  ich  dasselbe 
mit  Dir  thcilen”. 

Während  die  Mundvorräthe,  welche  in  einem  Centncr  Mohammes, 
einem  halben  Ccntner  Reis  und  ebenso  viel  Zwieback  — Buqsmät 
bestanden,  theils  im  Hause  des  freundlichen  Hadsch  Brähim,  thcils 
in  der  Stadt  hergerichtet  wurden,  begab  sich  Büi  Mohammed  in 
sein  heimathliches  Dorf,  wo  sein  Sohn  meine  Kameclc  weidete,  um 
diese  zu  holen  und  um  von  seiner  Familie  Abschied  zu  nehmen. 
Von  jenen  bedurfte  ich  vier  zur  Reise,  die  beiden  übrigen  beabsich- 
tigte ich,  da  in  Dudschäl  die  Weide  schlecht  war,  in  dem  benach- 
barten, auf  unserem  Wege  liegenden  Dorfe  Bidän  bei  einem  dem 
Hadsch  Brähim  bekannten  Manne  in  Obhut  zu  geben. 

Bui  Mohammed  kam  mit  seiner  Ehehälfte,  seinem  achtzehn- 
jährigen Sprössling,  den  Kameelen  und  einem  jungen  Hunde,  den 
wir  nach  seinem  Heimathsorte  Dudschäli  nannten  und  mitzunehmen 
beschlossen,  am  4.  Juni  zurück,  an  demselben  Tage,  an  dem  meine 
feierliche  Entlassung  und  Ueberweisung  an  den  Tubu-Edlen  vor  dem 
versammelten  grossen  Rathe  stattfinden  sollte.  Die  Frau  Mohammed  s, 
ebenfalls  von  Tubu -Ursprung,  doch  in  Fezzan  geboren  und  alt  ge- 
worden, hatte  mit  der  Zeit  die  philosophische  Ruhe  ihres  Eheherrn 
angenommen,  war  dunkelfarbig,  wie  er,  und  zeichnete  sich  durch 
einen  sehr  schönen,  braunen,  egyptischen  Wollenshawl  für  Kopf  und 
Schultern  und  einen  ungewöhnlich  ansehnlichen,  rothen  Korallcn- 
cylinder  in  ihrem  rechten  Nasenflügel  aus.  Wenn  sich  auch  die 
Liebe  Beider  nicht  sehr  lebhaft  äusserte,  so  schienen  sie  doch  in 
rührender  Weise  an  einander  zu  hängen,  und  wenn  die  Gattin  die 


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ENTLASSUNG  VOM  MEDSCHEI.IS.  — TRENNUNG  VON  FRÄULEIN  TINNE.  203 

Tibesti-Reise  ebenfalls  mit  missbilligenden  Augen  betrachtete,  so  war 
es  nur  aus  Besorgniss  für  Mohammed. 

Kolokömi  benahm  sich  vor  Pascha  und  Rathsversammlung  ein- 
fach, verständig  und  nicht  ohne  Würde.  Ich  ward  ihm  feierlich  anver- 
traut, eine  gewisse  Verantwortung  für  mein  Leben  und  Eigenthum 
auf  sein  Haupt  gewälzt,  und  er  verpflichtet,  mich,  wenn  irgend  mög- 
lich, auch  nach  Borkü  zu  führen,  in  jedem  Falle  aber  nach  Fezzän 
zurück  zu  geleiten.  Für  Tibesti  nahm  er  die  Verantwortung  auf 
sich,  doch  die  Entscheidung  über  eine  Reise  nach  Borkü  schob  er 
auf  seine  Coilegen,  die  übrigen  Edlen,  von  denen  Manche  eine  ge- 
wichtigere Stimme  hätten,  als  er  selbst.  Ein  feierliches  Fättha  (Ein- 
gangsgebet des  Qorän)  segnete  unsere  Reise  ein,  deren  Antritt  auf 
den  zweitfolgenden  Tag  festgesetzt  wurde. 

Meine  genesene  Freundin  hatte  denselben  Tag  zur  Abreise  ge- 
wählt. Ichnuchen  wurde  im  Wadi  el-Gharbi  erwartet,  und  sie  beab- 
sichtigte, dort  die  nöthigen  Verabredungen  über  eine  Reise  mit  ihm 
in  die  Tuärikländer  zu  treffen.  Am  Abend  des  5.  Juni  begleitete  ich 
sie  zum  Westthore  hinaus,  wo  ihre  Leute  unter  den  Mauern  der  Stadt 
ihr  Lager  aufgeschlagen  hatten.  Meine  Reise  musste  als  ein  höchst 
gefahrvolles  Unternehmen  bezeichnet  werden,  da  die  Tubu  als  wort- 
brüchig, verrätherisch,  habgierig,  diebisch  und  grausam  bekannt  sind, 
während  die  ihrige,  garantirt  durch  einen  machtvollen  Häuptling, 
der  während  seines  langen  Lebens  — Ichnuchen  war  ein  hoch  be- 
tagter Greis  — den  Ruf  der  Zuverlässigkeit  erworben  hatte,  und  zu 
einem  Volke,  von  dem  man  sagt,  dass  es  auf  Treu  und  Glauben 
und  die  Heiligkeit  der  Verträge  halte,  keinerlei  ernste  Gefahren  mit 
sich  zu  bringen  schien.  In  diesem  Sinne  nahmen  wir  Abschied  von 
einander,  recht  herzlichen  Abschied,  denn  ich  hatte  während  unseres 
gemeinschaftlichen  Aufenthaltes  in  Murzuq  Geist  und  Herz  dieser 
Dame  gleich  hoch  schätzen  gelernt,  und  ahnte  wahrlich  nicht, 
dass  ich  nach  einer  lcidensvollen  Reise  und  glücklichen  Rettung  aus 
grossen  Gefahren  bei  meiner  Rückkehr  durch  die  Nachricht  des 
blutigen  Endes  der  verrathenen  Dame  mit  Schmerz  und  Entsetzen 
erfüllt  werden  würde. 

Während  sie  am  6.  Juni  ihrem  Vcrhängniss  entgegen  nach  Westen 
zog,  verliess  ich  mit  Giuseppe  Valprcda,  Bul  Mohammed,  'Ali  cl- 
Fezzdni  und  Sa’ad  die  Stadt  durch  das  östliche  Thor,  nachdem  der 
Hadsch  Brähim  noch  einmal  meinem  Tubu -Gefährten  ins  Gewissen 


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204  II.  BUCH,  I.  KAPITEL.  DER  SÜDLICHSTE  THE1L  VON  EEZZÄN. 

geredet  hatte.  Die  Tagesstunde  war  eine  sehr  vorgerückte  — es  war 
l Uhr  Nachmittags  — , eine  ungewöhnliche  Reisestunde  im  Sommer; 
doch  bei  dem  seit  drei  Tagen  wehenden  Nordostwinde  war  der  Tag 
kühl  und  der  Himmel  im  Nordosten  und  Osten  mit  der  seltenen 
Zierde  dichter  Regenwolken  bedeckt. 

Leider  beraubte  mich  die  Wahl  dieser  Tageszeit,  welche  jeder 
redliche  Murzuqer  unverkümmert  der  Siesta  weiht,  der  feierlichen 
Begleitung  seitens  meiner  Freunde,  und  das  Fehlen  der  gewohnheits- 
mässigen  Segenswünsche  machte  mir  bei  der  trüben,  verdunkelten 
Atmosphäre  einen  recht  peinlichen  Eindruck.  Es  hat  mich  auch 
später  stets  sehr  wohlthuend  berührt,  wenn  beim  Antritte  einer  Reise, 
welche  durch  die  mancherlei  von  ihr  unzertrennlichen  Gefahren  und 
die  lange  Zeit  der  Abwesenheit  in  jenen  Gegenden  zu  einem  ganz 
anderen  Ereigniss  wird  als  in  Europa,  einer  der  Zurückbleibenden 
mit  den  Worten:  „Wohlan,  Brüder,  das  Fätiha!"  das  Zeichen  zur 
Trennung  gab.  Es  ist  ein  feierlicher  Anblick,  wenn  alle  Anwesenden 
aufrecht  stehend  und  die  Innenfläche  der  halb  erhobenen  Hände  nach 
oben  gerichtet,  das  schöne  Eingangsgebet  des  Qorän  murmeln,  mit 
der  Rechten  über  Gesicht  und  Bart  streichen  und  mit  einfachem 
Händedrucke  oder  arabischer  Umarmung  in  ernstem  Schweigen  aus 
einander  gehen.  Nur  mein  Adjutant  Mohammed  Ben  Alüa  und  ein 
Nachbar,  Müsa  Ben  ’Otmän,  ein  junger  Kaufmann  von  seltener  Rührig- 
keit und  Energie,  begleiteten  mich  für  eine  kurze  Strecke. 

Unser  Weg  war  in  der  nächsten  Nähe  der  Stadt  wenig  anmuthig, 
denn  die  Gärten  und  Dattelhaine  blieben  beiderseits  weit  entfernt, 
und  der  Zerfall  der  ausgetrockneten  Sebchastellcn  bildete  einen 
schmutzigen  Staub,  der  nichts  weniger  als  angenehm  war.  Wir  zogen 
in  Ostsüdostrichtung  an  dem  aus  wenigen  Palmcnblatthütten  beste- 
henden Dörfchen  Mureizuq  (Diminutif  von  Murzuq)  vorüber  durch 
die  schwach  gewellte,  sandige  Ebene,  die  hier  und  da  durch  Kies- 
grund und  niedrige  Kalkhügclzüge  unterbrochen  ist.  Nach  einigen 
Stunden  .sticssen  wir  auf  einen  Hain  verwilderter  Wischqa’s,  welcher 
früher  zu  einem  Dorfe  gehört  hatte,  dessen  Erdmaucrrestc  unter  dem 
Namen  Rawät  rechts  am  Wege  blieben.  Weiter  nach  Nordosten 
sprachen  die  Ruinen,  welche  noch  vor  Kurzem  das  Dorf  Mcndschcli 
bildeten,  für  die  Abnahme  der  Bevölkerung.  Um  den  Weg  etwas 
abzukürzen,  Hessen  wir  kurz  darauf  das  Dörfchen  Hadsch  Hadschil 
nordnordöstlich  am  Wege  versteckt  in  seinem  Dattclhain.  Von  hier 


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DIE  BRUNNEN  TABANtjA.  — DAS  DORF  BiDÄN.  205 

ab  wurde  unsere  Richtung  südöstlich  oder  südsüdöstlich.  Links 
tauchten  die  Dattelhaine  der  Dörfchen  der  Hofra  auf,  während  gelbe 
Sandhügel  den  südlichen  und  südwestlichen  Horizont  begrenzten,  und 
unsere  nächste  Umgebung  zeigte  hier  durch  schlecht  gepflegte  Palmen- 
gruppen, dort  durch  grosse  Etelbüsche,  noch  anderswo  durch  Domrän- 
und  Aqül wuchs  ihre  kümmerliche  Vegetationskraft.  Die  Etelbüsche 
stehen  meist  auf  mehr  oder  weniger  ansehnlichen  Sandhügeln,  zu 
deren  Entstehung  sie  selbst  beigetragen  haben,  und  welche  zum 
Unterschiede  von  den  früher  erklärten  „Zeugen"  wohl  „Neulinge" 
genannt  werden. 

Mehr  als  vier  Stunden  nach  unserem  Abmarsche  stiegen  wir 
über  eine  unbedeutende  Hügelreihe  in  die  Tabanija  genannte  Ebene 
hinab,  welche  zwei  bekannte  Brunnen  enthält,  deren  westlicher  in 
alter  Gewohnheit  den  Tubu  zum  Lagerplatze  dient,  während  der  öst- 
liche von  den  Tuärik  besucht  wird,  wenn  die  Zeit  der  Dattelernte 
sie  herbeilockt.  Wir  wählten  den  östlichen  Brunnen,  der  in  der  Tiefe 
von  1,50  M.  eine  spärliche  Wassermenge  von  20,8°  C.  Wärme  enthielt, 
zu  unserem  Nachtlager,  und  hatten  uns  kaum  an  demselben  nieder- 
gelassen, als  die  Entladung  eines  Gewitters  begann,  mit  welcher  uns 
die  immer  massiger  gewordenen  Wolken  schon  seit  einigen  Stunden 
bedroht  hatten.  Der  Regen  war  spärlich,  reichte  aber  hin,  um 
unserm  Mohammed  und  dem  Tubu  die  feste  Ueberzeugung  zu  geben, 
dass  Ichnuchen  im  W.  el-Gharbi  lagere,  da  von  einer  Reise  dieses 
Häuptlings  nach  Eezzän  Regen  unzertrennlich  sei. 

Der  nächste  Morgen  führte  uns  in  östlicher  Richtung  über  eine 
ähnliche  sandige,  licht  mit  Palmen  bewachsene  Ebene,  zwischen 
runden,  grossen  Maulwurfshaufen  ähnelnden  Domränhügclchcn  und 
an  Neulingen  vorüber  bis  Bidän,  das  wir,  nachdem  wir  das  Dorf 
Zezau  nördlich  gelassen  hatten,  vier  und  eine  halbe  Stunde  nach 
unserem  Aufbruche  erreichten.  Bidän  war  ein  elender  Haufe  von 
Lehmruinen,  von  denen  nur  die  Moschee  und  zwei  Privatgebäude 
stehen  geblieben  waren;  die  übrigen  30  bis  40  Hausstände  bedienten 
sich  der  Hütten  aus  Palmblättcrn. 

Wir  hatten  die  Absicht  gehabt,  nur  die  Mittagshitze  im  Schatten 
des  zum  Dorfe  gehörigen  Palmenhains  zu  verbringen,  doch  die  Unter- 
bringung meiner  beiden  überflüssigen  Kameele  nahm  einen  grossen 
Theil  des  Tages  in  Anspruch,  da  der  Freund  Ben  Alüa’s,  wie  die 
meisten  Einwohner,  abwesend  war.  Kürzlich  hatten  räuberische  Araber 

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206  II.  BUCH,  1.  KAPITEL.  DER  SÜDLICHSTE  THEIL  VON  FEZZAN. 

aus  der  Umgegend  der  grossen  Syrte  hier  einige  70  Kameele  der 
Tubu  mit  ihren  Hirten  geraubt,  und  viele  Einwohner  hatten  sich 
aus  Furcht  vor  Repressalien  einstweilen  in  benachbarte  Dörfer  zu- 
rückgezogen. Schliesslich  vertraute  ich  dem  blinden  Ortsvorsteher 
die  Thiere  mit  dem  Briefe  des  Hadsch  Brähim  an,  doch  zur  Weiter- 
reise war  cs  zu  spät  geworden. 

Der  Tag  war  kühl;  ein  massiger  Wind  trieb  wieder  massige  Ge- 
witterwolken aus  Südosten  herauf,  und  der  erfrischende  Schatten 
unserer  Lagerstelle  bildete  einen  genussreichen  Gegensatz  zu  dem 
staubigen  und  sonnigen  Aufenthalte  in  der  Hauptstadt.  Die  schwarzen 
Diener  hatten  sich  eine  ansehnliche  Quantität  von  Laqbi  verschafft, 
und  Ali  und  Sa'ad  sich  bald  in  einen  unzurechnungsfähigen  Zustand 
versetzt.  Der  würdige  Bui  Mohammed  vergass  zwar  seine  Würde 
nicht  so  weit,  heiterte  sich  jedoch  genugsam  an,  um  eine  Beredsam- 
keit zu  entfalten,  wie  ich  sie  früher  nie  an  ihm  zu  bewundern  Gelegen- 
heit gehabt  hatte.  Für  mich  selbst  war  diese  erheiternde  Beschäftigung 
meiner  Dienerschaft,  die  ich  übrigens  in  träumerischem  Rückblicke 
auf  meine  Studentenzeit  mich  nicht  entschlossen  konnte  zu  stören, 
von  unheilvollen  Folgen.  Ich  war  im  Schatten  einer  Dattelpalme 
sanft  entschlummert  und  erwachte  selbst  dann  nicht,  als  die  fort- 
schreitende Sonne  ihre  Strahlen  auf  meine  nackten  Füsse  und  Unter- 
schenkel herabsandte,  während  meine  Begleiter  begreiflicher  Weise 
kein  Auge  für  meine  Gefahr  hatten.  Nach  dem  Erwachen  empfand 
ich  einen  dumpfen  Schmerz  und  ein  eigentümliches  Gefühl  von 
Schwere  in  beiden  Füssen,  die  ersten  Symptome  einer  Entzündung, 
welche  mir  einige  qualvolle  Tage  bereiten  sollte. 

Die  Strecke  zwischen  Bidan  und  Qatrün  ist  eine  vollständige, 
theils  sandige,  thcils  steinige  Wüste,  welche  nur  unterbrochen  ist 
durch  die  Hattija  von  Mcstüta  in  der  ungefähren  Mitte  des  Weges. 
Von  Bidän  ab  dehnt  sich  die  Vegetationsstrecke  noqli  für  eine  gute 
Stunde  aus  bis  zum  Bir  ed-Domran,  den  wir  am  folgenden  Morgen 
in  Südostrichtung  erreichten.  Wir  nahmen  aus  demselben,  der  nur 
0,75  m tief  ist,  unseren  Wasserbedarf,  Hessen  die  Kameele  sich  einige 
Stunden  im  Aqül  gütlich  thun  und  setzten  gegen  Mittag  unseren 
Weg  fort.  Leider  stellte  sich  mehr  und  mehr  heraus,  dass  die  Aus- 
dehnung der  Verbrennung  meiner  unteren  Extremitäten  eine  viel  be- 
deutendere war,  als  ich  gefürchtet  hatte.  Auf  den  geschwollenen 
und  heftig  schmerzenden  Gliedern  war  eine  ausgedehnte  Blasenbil- 


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HATTlJA  MKSTÜTA. 


207 


düng  eingetreten,  so  dass  jeder  Gebrauch  derselben  unmöglich  wurde. 
Wenn  schon  das  Kameelreiten  ohne  wirkliche  Reitsättel  oder  andere 
comfortable  Vorrichtungen  nicht  zu  den  Annehmlichkeiten  des  Lebens 
gezählt  werden  kann,  so  war  es  unter  den  obwaltenden  Umständen 
fast  unerträglich.  Wie  glühendes  Rlei  hingen  meine  Beine  auf  die 
Schultern  der  Kameclc  herab  und  jede  zufällige  Berührung  derselben 
mit  den  Knochen  des  Thiercs  oder  dem  Holze  der  Kisten,  auf  denen 
ich  sass,  verursachte  Schmerzen,  die  mich  fast  der  Besinnung  be- 
raubten. 

Vom  Bir  ed-Domrän  bis  Mestüta  dehnt  sich  eine  unregelmässige 
und  hochgehügelte,  schwer  zu  überwindende  Dünenregion  aus.  An- 
fangs war  der  Sand  eben,  auf  das  zarteste  gewellt,  in  der  Anordnung 
der  Wellenlinien  den  Einfluss  des  vorherrschenden  Nordostwindes 
zeigend  und  meist  von  tragfahiger  Härte.  Doch  dann  kamen  von 
Ost  nach  West  streichende  Sandhügclzüge,  und  zuweilen  kletterten 
wir  in  wahren  Labyrinthen  von  Berg  und  Thal  herum,  in  denen  mir 
unbegreiflich  war,  wie  meine  Begleiter  die  Wegrichtung  inne  zu  halten 
vermochten.  In  den  Thälern  entwickelt  sich  hier  und  da  eine  spar- 
same Vegetation  von  Nissi  ( Aristida  pltuuosa)  und  selbst  von  Häd; 
Die  Hügel  bestehen  aus  reinem  Flugsande.  Die  letzteren  wurden  im 
Laufe  des  Nachmittags  höher  und  erreichten  in  der  Mitte  der  Ent- 
fernung zwischen  Bidän  und  der  Mestüta-Oase,  wo  sie  entsprechend 
ihrer  Lage  Dschebel  en-Nusf,  d.  h.  Berg  der  Hälfte,  genannt  werden, 
eine  Höhe  von  30  bis  40  M.  Bis  zu  ihnen  hatten  wir  bei  zahlreichen 
Windungen  durch  die  Thäler  und  über  die  'Berge  eine  Durchschnitts- 
Wegrichtung  von  Südost  eingehalten;  von  da  ab  wurde  dieselbe  eine 
mehr  südliche.  Wir  erreichten  an  diesem  Tage  Mestüta  nicht  mehr, 
sondern  lagerten  nach  mehrstündigem  Marsche  an  einer  Stelle  der 
Dünengegend , welche  von  ihrem  Reichthum  an  Häd  den  Namen 
dieser  geschätzten  Kamcelfutterpflanze  trägt. 

Während  des  ganzen  Tages  war  der  Himmel  bewölkt  gewesen, 
und  am  folgenden  Morgen  (9.  Juni)  kam  es  zum  zweiten  Male  binnen 
wenigen  Tagen  in  einer  sonst  so  trockenen  Jahreszeit  zur  Erscheinung 
eines  halbstündigen  Regens,  während  wir  in  südlicher  Richtung  auf 
Mestüta  marschirten.  Wir  hatten  drei  Stunden  bis  dorthin  und  er- 
blickten von  der  Höhe  eines  der  Sandhügels,  welche  allmählich  be- 
trächtlich niedriger  wurden,  die  noch  einmal  anschwcllcnden  Dünen, 
zu  deren  Füssen  Mestüta  sich  ausdehnt,  als  einen  dunkelen  Höhen- 


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208 


TT.  BUCH,  I.  KAPITEL.  DER  SÜDLICHSTE  THEII.  VON  FEZZÄN. 


zug,  der  von  Nordost  nach  Südwest  verläuft  und  Dsch.  Mestüta  ge- 
nannt wird.  Jenseits  desselben  begann  eine  ausgedehnte  Vegetation 
von  Rischu  ( Calligonum  comosum)  in  dichten  Büschen  auf  halb- 
kugeligen Hügeln,  welche  beträchtlich  grösser  sind,  als  die  des 
Domran.  Bald  kamen  Etelbüsche  und  Palmengestrüpp  hinzu  und 
in  reicher  Auswahl  für  die  Kameele  Häd,  Aqül,  Domran,  Dis  ( Irnpc- 
rata  cylindrica),  Sebat  und  die  Leptochlia  bipinnata  oder  Eragrostis 
cynosuro'ides. 

Die  Hattija  ist  mehr  als  zwei  Stunden  lang  und  eine  halbe  Stunde 
breit  und  hat  an  ihren  Rändern  reinen  Sandboden,  doch  im  Innern 
theils  trockenen  Scbchagrund,  theils  sogar  sumpfigen  Boden.  An  der 
tiefsten  Stelle  befinden  sich  drei  oder  vier  oberflächliche  Wasser- 
löcher mit  leicht  brakischcm  Wasser,  das  eine  Temperatur  von 
23,7 0 C.  zeigte , und  nördlich  davon  zeugen  die  Ruinen  eines  Erd- 
kastelles  früherer  Fezzan-Herrschcr  von  besserer  Benutzung  dieses 
fruchtbaren  Fleckchens  mitten  im  Sandmeere.  Meinen  Füssen  zu 
Liebe,  zu  deren  Schmerzlindcrung  und  Behandlung  ich  glücklicher 
Weise  etwas  Oel  besass,  verbrachten  wir  den  ganzen  Tag  in  Mestüta, 
obgleich  der  unzureichende  Schatten  niedriger  Tamarisken,  deren 
Ausdünstung  überdies  dem  Menschen  schädlich  sein  soll,  wenig  ein- 
ladend war. 

Nachdem  in  der  folgenden  Nacht  ein  heftiger  Südwind  geweht 
hatte,  brachen  wir  am  10.  Juni  früh,  wieder  bei  sehr  bewölktem 
Himmel,  schwachem  Südwestwinde  und  spärlichem  Regen,  in  Süd- 
richtung auf  und  erreichten  bald  die  Grenze  der  Hattija.  Während 
wir  über  weisslichen  oder  aschgrauen  Kalkboden,  meist  mit  dünner 
Sandschicht  bedeckt,  und  dann  über  Kiesgrund,  mit  kleinen  braun- 
rothen  Steinen  bestreut,  hinzogen,  spendete  uns  der  Himmel  noch 
zweimal  einige  Regentropfen.  Gegen  Mittag  durchschnitten  wir  eine 
von  Nordost  nach  Südwest  streichende  Hügelkette,  welche  aus  einem 
Kalksteinkern  mit  hoher  Sandbedeckung  besteht  und  als  Ghard 
cl-kebir  d.  h.  der  grosse  Dünenzug,  das  Ende  des  ersten  Drittels  der 
Entfernung  von  Mestüta  bis  zum  Bir  Dckir  oder  Dekkir*)  bezeichnet. 
Von  da  ab  hört  jede  Hügelbildung  und  aller  Steinbelag  auf;  der 
Weg  führt  ununterbrochen  über  eine  weite,  sanftgewellte  Sandebene, 


*)  Die  letztere  Schreibweise  ist  wahrscheinlich  ilie  richtigere,  und  dann  bedeutet  wohl 
das  Wort  „lirunnen  der  männlichen  Dattelpalmen". 


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ANKUNFT  IN  QATRÖN. 


209 


in  der  wir  nach  zwölfstündigem  Marsche  in  fast  südlicher  Richtung 
unser  Nachtlager  aufschlugen. 

Der  Wind  war  allmählich  nach  Westen  und  Nordwesten  herum- 
gegangen und  hatte  uns  noch  einmal  einige  Regentropfen  gebracht; 
erst  auf  der  Höhe  des  Nachmittags  brach  die  Sonne  vorübergehend 
durch  die  Wolkenschicht.  Auch  am  folgenden  Tage  (i  i Juni)  drohten 
bei  hochgradiger  Hitze  Gewitterwolken  aus  Süden,  während  wir, 
den  Bir  Dekkir  östlich  lassend,  uns  in  der  Richtung  des  vorhergehenden 
Tags  unserem  Ziele  näherten.  Da  während  der  grössten  Tageshitze,  die 
aussergewöhnlich  stark  zu  werden  drohte,  ein  Palmenhain  durch 
Schatten  und  reichliches  Kameelfutter  zur  Tagesrast  einlud,  beschlossen 
wir,  erst  am  Abende  die  Stadt  der  Muräbidija  zu  betreten. 

Schon  hier  erhielt  ich  einen  Vorgeschmack  von  den  Ansprüchen 
und  Betteleien,  welche  mir  das  Leben  unter  den  Tubu  so  sehr  ver- 
bittern sollten,  indem  Kolokömi  der  Sucht,  vor  seinen  Landsleuten 
zu  glänzen,  nicht  widerstehen  konnte  und  nicht  ruhte,  bis  ich  ihm 
einen  der  feuerrothen  Burnusse  seiner  Coilegen  zum  Herumstolziren 
in  Qatrün  geliehen  hatte.  Nach  der  Tageshitze  — Qäda  — legten 
wir  in  anderthalb  Stunden,  über  Kiesboden  und  an  den  Gärten  der 
Einwohner  vorüber,  die  kurze  Entfernung  zurück,  welche  uns  noch 
von  unserem  Ziele  trennte  und  lagerten  auf  der  Südseite  der  Stadt. 

Sofort  bethätigte  sich  die  Gastfreundschaft  des  Hadsch  Dschäber, 
der  kurzweg  der  Murdbid  genannt  wurde,  durch  eine  reiche  Sendung 
von  Gerstenbrei,  Weizenbrod  und  einigen  Hühnern,  und  am  folgenden 
Morgen  erschien  der  würdige  Greis  selbst  mit  seinem  Bruder,  dem 
Hadsch  Hamdün,  und  den  Vornehmsten  der  religiösen  Bewohnerschaft, 
um  den  üblichen  BewillkommnungskafFee  einzunehmen  und  mich  seiner 
Ergebenheit  und  Dienstwilligkeit  zu  versichern.  Er  war  ein  kräftiger, 
ziemlich  hellfarbiger  Mann,  dem  man  seine  80  und  einige  Jahre  (er 
erwies  schon  dem  Capt.  Lyon  im  Jahre  1819  Gastfreundschaft)  nicht 
ansehen  konnte,  und  herrschte  mit  unbestrittener  automatischer  Ge- 
walt über  den  District,  dessen  Verwaltung  ihm  anvertraut  war.  Er 
sprach  kräftig  und  bestimmt  und  behandelte  seine  Mitbürger  und 
die  Edlen  von  Tibcsti  in  gleicher  Weise  als  Untergebene.  Der  gut- 
müthige  1 Iddsch  1 Lamdün  war  sein  Echo  und  hatte  mit  der  Zeit  die 
lächerliche  Gewohnheit  angenommen,  die  letzten  Worte  irgend  einer 
Bemerkung  seines  berühmten  Bruders  und  Chefs  mit  einer  Energie, 
die  ihm  sonst  fremd  war,  gleichsam  zur  Bekräftigung  zu  wiederholen. 

NachtigaJ.  1.  14 


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210  ii.  buch,  i.  Kapitel,  der  südlichste  theil  von  fezzAn. 

Während  jener  sprach,  ergötzte  er  mich  durch  die  sonderbarsten 
mimischen  Bestrebungen,  die  zum  Zweck  hatten,  mir  eine  hohe  Idee 
von  der  Macht,  der  Klugheit  und  der  Freundschaft  seines  Bruders 
beizubringen.  Schweigend  sassen  die  Andern,  unter  denen  der  her- 
vorragendste der  Hadsch  Mahmud,  der  Schreiber  der  Genossenschaft 
war,  und  tranken  eine  Tasse  Kaffee  nach  der  andern,  während  ich 
aus  Höflichkeit  vorläufig  vermied,  geschäftliche  Angelegenheiten  in 
die  Unterhaltung  zu  ziehen. 

Es  herrschte  an  diesem  Tage  eine  so  hochgradige  Hitze  bei  sehr 
schwachem  Südwinde  (wir  kamen  um  2 Uhr  Nachmittags  bis  auf 
49°  C.  im  Schatten),  dass  ich  auch  ohne  meine  noch  nicht  geheilten 
Beinwunden  nicht  im  Stande  gewesen  wäre,  etwas  zu  unternehmen. 
Aus  dem  Zelte  eilte  ich  in  den  Schatten  der  vollblättrigen,  aber 
vereinzelt  stehenden  Dattelpalmen,  wo  wenigstens  von  Zeit  zu  Zeit 
ein  leiser  Windstoss  momentan  Erfrischung  brachte.  Doch  der  Sand 
des  Bodens  glühte  und  trieb  mich  wieder  in  das  Zelt.  Die  Hunde 
gruben  mit  verzweifelter  Energie  an  schattigen  Stellen  Löcher  in  den 
Sand,  waren-  jedoch  nicht  im  Stande,  die  kühle  Bodenschicht  zu  er- 
reichen, und  die  geschenkten  Hühner  lagen  halb  todt  mit  weit  auf- 
gesperrtem  Schnabel  da.  Jeder  Trunk  des  lauwarmen  Wassers  schien 
tlie  Qual  zu  vermehren,  und  die  Verminderung  der  Kleidungsstücke 
gab  nur  für  Augenblicke  das  Gefühl  der  Erleichterung. 

Kolokönii  Hess  sich  durch  diese  Temperaturverhältnisse  nicht  in 
der  Befriedigung  seiner  Eitelkeit  beirren,  sondern  stolzirte  in  dem 
rothen  Tuchmantel,  der  bald  die  Schultern  eines  seiner  Landsleute 
zieren  sollte,  durch  die  Strassen  der  Stadt,  als  wenn  winterliche 
Kälte  geherrscht  und  das  prächtige  Kleidungsstück  ihm  gehört  hätte. 
Ueberhaupt  begannen  meine  Tububegleiter  jetzt,  wo  ihre  Landsleute 
häufiger  wurden,  mehr  auf  ihre  äussere  Erscheinung  zu  halten;  sie 
gingen  nur  noch  vollständig  bewaffnet,  den  Kopf  mit  einem  Shawl 
umwickelt,  der  gleichzeitig  das  Gesicht  verhüllte,  kokettirten  mit 
religiösen  Emblemen,  trugen  Rosenkränze  in  der  Hand,  Talismane 
um  den  Hals  und  heil-  und  zauberkräftige  Qoränsprüche  in  mannig- 
fach geformten  Ledertäschchen  an  Hals  und  Oberarm,  Turban  und 
Tobe.  Wolla  schien  viel  bewanderter  und  fester  in  den  Anforderungen 
und  Anschauungen  ihrer  Religion  zu  sein  als  Kolokömi.  Dieser, 
wenn  er  auch  höchst  regelmässig  seiner  Betpflicht  nachkam  und  un- 
gefähr gelernt  hatte,  zuvor  seine  Abwaschung  vorzunehmen,  ohne 


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HÄDSCH  DSCHÄBER  UND  SEINE  CEFAHRTEN.  21 1 

die  Vorschriften  des  Propheten  grob  zu  verletzen,  hatte  nicht  einmal 
vermocht,  seinem  schwerfälligen  Gehirne  den  zum  Beten  nothwen* 
digen  Inhalt  des  Qorän  einzuverleiben.  Den  Eingang  zum  moham- 
medanischen Glaubensbekenntnisse  sprach  er  mit  volltönender  Stimme, 
doch  dann  folgte  nur  noch  unverständliches  Gemurmel,  durch  das 
er  seine  beschämende  Unkenntniss  zu  verbergen  trachtete. 

Kaum  hatte  ich  am  folgenden  Morgen  durch  Bui'  Mohammed 
einen  feinen  weissen  Wollenburnus  und  ein  Fläschchen  mit  Rosen- 
Essenz  an  den  Hadsch  Dschäbcr  und  einen  tunisischen  Tarbüsch  an 
den  Hadsch  Hamdün  übersendet,  als  der  Erstere  mit  seinem  gestrigen 
Gefolge  erschien,  um  die  geschäftlichen  Rücksprachen  zu  nehmen. 
Nur  der  gelehrte  Secretär  hatte  seinem  Chef  sagen  lassen,  er  könne 
sich  an  dem  Besuche  nicht  betheiligen,  da  ich  ihn  bei  der  Verthei- 
lung  von  Geschenken  vernachlässigt  habe.  Nachdem  diese  kleine 
Differenz  erledigt  und  Hadsch  Mahmud  durch  das  Opfer  eines  Maria- 
Theresia -Thalers  meinerseits  versöhnt  war,  theilte  mir  der  Hadsch 
Dschäbcr  mit,  dass  er  nach  Kenntnissnahme  des  Ben  Alüa'schcn 
Briefes  beschlossen  habe,  mir  den  Muräbid  Bü  Ze'id  von  Bachi  als 
Begleiter  mitzugeben,  also  gerade  die  Person,  welche  ausser  dem 
mir  bekannten  'Ali  von  meinem  alten  Mohammed  als  die  geeignetste 
bezeichnet  worden  war.  Ali,  der  zwar  ohnehin  nach  Tibesti  reiste, 
wollte  sich  nicht  mit  mir  einlassen,  da  ihn  seine  kaufmännischen  Ge- 
schäfte nach  Borkü  riefen,  wohin  mich  zu  führen  er  durch  keine  Vor- 
stellungen zu  bewegen  war.  Da  Bü  Zcid  noch  in  seinem  heimath- 
lichen  Dorfe  weilte,  liess  sich  über  den  ihm  zu  zahlenden  Preis  noch 
Nichts  festsetzen. 

Der  Hadsch  Dschäber  nahm  Kenntnis»  von  den  mit  Kolokömi 
vereinbarten  Bedingungen  und  wies  einen  Versuch  desselben,  schon 
vor  der  Abreise  in  den  Besitz  der  zweiten  Hälfte  des  festgesetzten 
Mietpreises  zu  gelangen,  sehr  entschieden  zurück.  Kolokömi  nämlich 
fürchtete,  dass  bei  unserer  Ankunft  in  Tibesti  der  König  oder  Häuptling 
— Dardai  — Tafertemi  und  die  übrigen  mächtigeren  Maina’s  Protest 
gegen  meine  Besichtigung  des  Landes  erheben  und  daraus  Schwierig- 
keiten für  die  Restzahlung  erwachsen  würden.  Er  entwickelte  seinen 
Plan  vor  dem  Hadsch  Dschäber  dahin,  dass  er  mich  mit  Umgehung 
anderer  bewohnter  Plätze  in  das  Wädi  — in  der  Tubu-  oder  Tcdä- 
sprache  Enneri  --  Zuär,  den  Wohnsitz  Tafertömi's  und  der  ange- 
sehensten Edlen,  führen  und  von  dort,  nach  Maassgabe  der  Haltung 

14* 


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21 2 II.  HL'CH,  I.  KAPITEL.  DER  SÜDLICHSTE  THEII.  VON  EEZZAN. 

der  letzteren , entweder  auf  die  Rundreise  oder  nach  Fezzan  zurück- 
geleiten werde.  Hadsch  Dschaber  billigte  diesen  Plan  und  bestätigte, 
dass  Alles  darauf  ankommen  würde,  die  Geneigtheit  der  Herren  von 
Zudr  zu  gewinnen,  unter  denen  Arilmi,  Brähim  und  sein  Bruder 
Tökömi,  Akremi  Temidomi,  der  mütterliche  Onkel  llü  Zeids,  Uerdego 
Keidömi  und  einige  Andere  die  massgebende  Rolle  für  ganz  Tibesti 
spielten;  die  Edlen  von  Bardai  seien  von  geringerer  Bedeutung. 

Die  Heilung  meiner  Sonnenbrandwunden  war  so  weit  vorge- 
schritten, dass  ich  Nachmittags  eine  Besichtigung  der  Stadt  vor- 
nehmen und  dem  Hadsch  Dschaber  meinen  Gegenbesuch  machen 
konnte,  obgleich  der  Gang  durch  die  noch  fortdauernde  grosse 
Hitze  und  einen  heftigen  Staubwind  aus  Südosten  sehr  unangenehm 
gemacht  wurde.  Die  Stadt  liegt  in  Mitten  eines  grossen  Palmen- 
hains, unmittelbar  umgeben  von  Gärten,  welche  sich  an  die  Hünen- 
haften Umschlicssungsmauern  lehnen,  und  besteht  im  Innern  aus- 
schliesslich aus  Erdhäusern.  Diese  konnten  zwar  nicht  an  Grossartig- 
keit in  der  Anlage  mit  den  meisten  Häusern  Murzuq’s  wetteifern, 
trugen  aber  durch  die  Dicke  der  Mauern,  die  sorgfältige  Ausbesserung 
derselben,  und  die  häufige  Verwendung  von  Steinen  in  der  gewöhn- 
lichen Lehmerde  den  Charakter  grösserer  Solidität.  Nicht  selten 
waren  die  Häuser  geweisst  und  hatten  dadurch  und  durch  die  Rein- 
lichkeit der  Eingänge  und  die  sorgfältige  Herstellung  der  Thüren, 
obgleich  auch  hier  nur  das  faserige  Palmenholz  zur  Verwendung 
kommt,  ein  wohnliches  Aussehen. 

Ich  wandelte  durch  die  Strassen,  welche  nur  ganz  enge  Pfade 
darstellen,  zum  Muräbid,  der  in  der  Empfangshalle  seines  Hauses 
auf  einer  teppichbedeckten  Lehmbank  sass,  umgeben  von  seinen  an 
der  Erde  hockenden  Freunden  und  Clienten.  Ich  hatte  die  Ehre, 
neben  ihm  Platz  zu  erhalten  und  suchte,  da  bei  der  Abwesenheit 
Bü  Zeid's  weitere  Verhandlungen  über  die  Reise  vorläufig  überflüssig 
waren,  ihn  über  die  Vergangenheit  der  Stadt  und  seiner  religiösen 
Genossenschaft  auszufragen.  Doch  entgegen  der  Vorliebe  wirklicher 
Araber  für  ihre  Genealogie  lebten  die  Murübidija  ohne  bestimmte 
Traditionen  nur  der  Gegenwart.  Weder  ihr  Oberhaupt,  der  Nach- 
komme des  Begründers  der  Colonie,  noch  der  gelehrte  Mahmud 
wussten  mehr  anzugeben,  als  dass  ihr  Vorfahr  aus  Fäs  (Marokko) 
stamme  und  vor  300  bis  400  Jahren  in  Fezzan  eingewandert  sei. 


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Qatriln.  (S.  212.) 


yATRÜN  UND  DIK  MURABIIltjA. 


213 

Die  Muräbidijä  waren  zum  geringsten  Theile  von  so  heller  Haut- 
färbung, als  ihr  Oberhaupt  und  der  Hadsch  Mahmud;  der  Bruder  des 
Erstcren  war  von  dunkler,  in's  Röthliche  spielender  Hautfarbe  und  der 
Muräbid  'Ali  von  Bachi  fast  ganz  schwarz.  Es  erklärt  sich  dies  nicht 
allein  durch  ihre  fortdauernde  Vermischung  mit  den  Leuten  Tibesti's, 
deren  Landestöchter  sie  mit  Vorliebe  zu  Frauen  nehmen,  sondern 
auch  durch  ihre  rastlosen  Handelsreisen,  welche  ihnen  viele  Sclavinnen 
aus  dem  Sudan  verschaffen.  Ihr  sehr  ausgebildeter  Erwerbssinn  treibt 
sie  zu  diesen  Reisen,  welche  ihnen  durch  ihren  religiösen  Charakter 
erleichtert  werden.  Von  den  Tuärik  werden  sie  wegen  des  letzteren 
respectirt  und  mit  den  Tubu  sind  sic  verwandt,  so  dass  sie,  ohne 
Furcht  vor  diesen  beiden  Herren  und  Räubern  des  Weges,  allein 
unter  den  Bewohnern  Tripolitanien’s  es  wagen  können , die  Reise 
nach  Bornü  ohne  weitere  Begleitung  zu  machen.  Höchstens  fürch- 
teten sie  zu  jener  Zeit  auf  dem  Bornüwege  die  Begegnung  der  Auläd 
Solimän,  welche  gerade  damals  zu  wiederholten  Malen  arg  in  Kawär 
gehaust  hatten,  aber  selbst  diese  gewissenlosen  Räuber  hatten  manche 
Gastfreunde  unter  ihnen  und  begnügten  sich  vorkommenden  Falles 
damit,  einige  Erpressungen  an  ihnen  auszuüben. 

Ausserdem  zeichnen  sich  die  Muräbidijä  durch  die  grosse  Ge- 
wissenhaftigkeit aus,  mit  der  sie  der  Erfüllung  ihrer  religiösen  Pflichten 
nachkommen,  und  dadurch,  dass  sie  alle  lesen  und  schreiben  können. 
Sie  geniessen  ebensowohl  des  Rufes  grosstr  Wortfestigkeit  und 
Zuverlässigkeit,  als  desjenigen  der  Engherzigkeit  und  des  Geizes. 
Trotz  dieser  Eigenschaften  und  bei  aller  ihrer  Emsigkeit  hatten  aber 
die  Meisten  es  nicht  über  einen  bescheidenen  Wohlstand  gebracht, 
und  nur  der  Hadsch  Dschäber  war  reich  für  dortige  Verhältnisse. 
Andererseits  sinkt  selten  oder  nie  ein  Muräbid  in  einen  solchen  Zu- 
stand der  Dürftigkeit  und  Armuth,  wie  er  in  Murzuq  bei  so  vielen 
F’amilien  an  die  Stelle  früheren  Wohlstandes  getreten  ist. 

Die  Stadt  ist  rings  von  unregelmässigen,  sandigen  Erhebungen 
umgeben,  auf  denen  im  Norden,  Osten  und  Süden  eine  Tubu-Colonie 
ihre  luftigen  Behausungen  errichtet  hat.  Diese  Bevölkerung  ist  mehr 
oder  weniger  flottirend,  bleibt  Jahre  lang,  kehrt  auf  ebenso  lange  in 
ihre  Hcimath  zurück,  und  wenn  Manche  die  Wiederkehr  vergessen, 
so  treten  dafür  Andere  an  ihren  Platz.  Ihre  Behausungen  waren  aus- 
schliesslich aus  Blättern  der  Dattelpalme  angefertigt,  die  zuweilen 
durch  Verschmierung  mit  Erde  zu  einer  homogenen  Wandung  ver- 


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214  11.  BUCH,  I.  KAPITEL.  L>EK  SÜDLICHSTE  THEIL  VON  FEZZÄN. 

bunden  waren,  und  zeichneten  sich  durch  Sauberkeit  und  vielfach 
durch  Zierlichkeit  und  Geschmack  in  der  inneren  Einrichtung  aus. 

Die  Wohnungen  lagen  vereinzelt  oder  in  Gruppen  von  höchstens 
vier  und  hatten  alle  eine  fast  identische  Anordnung.  Sie  bestanden 
aus  einer  viereckigen  Umfriedigung,  an  die  sich  einerseits  im  Innern 
die  eigentliche  Wohnung  lehnte,  welche  sich  aus  vier  theils  bedachten, 
theils  oben  offenen  Räumlichkeiten  zusammensetzte.  Das  Ilaupt- 
gcmach  diente  als  Wohn-  und  Schlafzimmer,  war  gross  und  leer, 
hatte  aber  in  einer  Ecke  eine  Erdbank  und  hier  und  da  die  Zierde 
von  Matten.  Daneben  lag  ein  ebenfalls  bedachter  Raum  zur  Ver- 
richtung häuslicher  Arbeiten,  wie  z.  B.  des  Getreidemahlens.  Es 
folgte  ein  weiterer,  in  dem  allerlei  Werkzeuge  und  Reiseutensilien  auf- 
bewahrt wurden,  und  endlich  ein  unbedachter  Kochraum.  Zwischen 
den  Gemächern  und  der  äusseren  Umfriedigung  lief  ein  ebenfalls  un- 
bedachter Corridor,  auf  den  die  Thüröffnungen  der  ersteren  mündeten, 
und  in  einer  Ecke  des  noch  übrigen  Hofraums  befand  sich  ein  kleines, 
fast  halbkugeliges  Häuschen,  etwa  von  der  Form  ländlicher,  nord- 
deutscher Backöfen,  das  zum  Nachtaufenthalte  in  der  Winterkälte 
diente,  aus  steingemischter  Erde  oder  aus  Palmenblättern  mit  dicker 
Erdbekleidung  hcrgestcllt  war  und  eine  kleine  Thüröffnung  hatte, 
weiche  gerade  das  Hineinkriechen  gestattete. 

Vor  der  Wohnung,  welche  etwa  menschliche  Höhe  hatte,  diente 
gewöhnlich  ein  kleiner,  sauberer  Vorplatz  mit  sorgfältig  gehärtetem 
Boden,  zum  Betplatz,  zum  abendlichen  Aufenthalte  in  freier  Luft 
und  zum  Empfange  etwaiger  Besucher.  Ausserhalb  der  Umfriedigung 
hatten  fast  alle  noch  einen  kleinen,  bedeckten  Raum  zur  Aufnahme 
für  die  Hausthiere.  Von  diesen  letzteren  erblickte  man  hier  und  da 
ein  Kameel  der  Tubu-Zucht,  einige  grosse  Schaafe  mit  schwarzem, 
langem,  schwach  gelocktem  Haar,  ähnlich  der  in  Murzuq  gesehenen 
Art  der  Tuärik,  doch  grösser,  und  hauptsächlich  untersetzte,  glatt- 
und  kurzhaarige  Ziegen. 

In  den  Garten  der  Stadt  keimte  schon  auf  den  abgeernteten 
Feldern  der  nordischen  Getreidearten  Qasab  oder  Duchn  und  NgäfÖli 
oder  Durra,  deren  einzelne  Pflänzchen  einen  guten  halben  Fuss  von 
einander  getrennt  standen.  Ausserdem  wurden  Portulak,  Luzerne, 
Gurken,  Melonen,  Kürbisse,  Bedindschän , Tomaten,  Melüchia,  ver- 
einzelte Weinreben,  Feigen  und  Granatapfelbaume  gezogen.  Häufig  er- 
blickte man  in  der  Umgebung  der  Stadt  den  hierQarad  genannten  Sanat 


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TU  1!U  - COLON I E.  — GÄRTEN  OER  STADT. 


215 


(Acacia  nilotica),  der  durch  seine  gerbstoffhaltigcn  Früchte  Qarad 
sowohl  der  häuslichen  Industrie  der  Gerberei  als  der  Volksmedicin 
dient.  Wasser  findet  sich  überall  in  einer  Tiefe  von  drei  bis  fünf 
Metern  unterhalb  einer  Kalksteinlage,  welche  auf  die  oberflächliche 
Sandschicht  folgt.  Die  Bewässerung  der  Gärten  wird  nach  dem- 
selben Systeme  wie  im  übrigen  Fezzän  ausgeführt,  doch  sah  ich 
für  die  Ziehbrunnen  ausschliesslich  Sclaven  in  Anwendung.  Haupt, 
sachlich  sind  die  Einwohner  auf  die  Cultur  der  Dattelpalme  ange- 


Sanat  oder  (Ja nid  (Acacia  uilotica). 


wiesen,  deren  Früchte  einen  ausgezeichneten  Ruf  in  Fezzän  haben,  und 
deren  Arten  ebenso  zahlreich  sind,  als  die  Zahl  der  Bäume  gross 
ist;  die  übrigen  Erzeugnisse  der  Bodcncultur  können  nicht  dagegen 
in  Betracht  kommen.  Die  Frauen  wissen  aus  den  Blättern  sehr 
zierliche  Körbchen  und  Deckel  oder  Schalen  zu  verfertigen,  die 
sogar  in  die  übrigen  Oasen  Fezzän's  ausgeführt  werden. 

Man  kleidet  sich,  Frauen  und  Männer,  in  Qatrün  wie  in  Murzuq, 
doch  beginnen  sudanische  Gewänder  bei  beiden  Geschlechtern  mehr 
und  mehr  vorzuwalten,  wie  es  sich  aus  den  häufigen  Handelsreisen 
der  Einwohner  erklärt. 


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216 


II.  BUCH,  1.  KAPITEL  DER  SÜDLICHSTE  1 HEIL  VON  FEZZAN. 


Die  Stadt  enthielt  ungefähr  ebenso  viele  Einwohner  wie  Sirrhen, 
und  ihre  nächste  Umgebung  in  den  Palmenblattbehausungcn  noch 
etwa  halb  so  viel,  so  dass  ich  geneigt  bin,  eine  Einwohnerzahl  von 
1500  Seelen  für  Qatrün  anzunehmen. 

Am  folgenden  Tage  kam  Bü  Ze'id  von  Bachi  und  erklärte  sich 
in  einer  Zusammenkunft  mit  ihm  beim  Hadsch  Dschäber  zu  meiner 
Begleitung  bereit,  wenn  die  Dauer  der  Reise  nicht  einige  Monate  über- 
schreiten würde.  Er  war  ein  noch  junger,  magerer  Mann,  von  gelb- 
lich dunkler  Hautfarbe  und  ovalem  Tubugesicht,  ernst  und  verständig, 
doch  äusserst  zähe  in  seinen  persönlichen  Ansprüchen  und  sonstigen 
Forderungen.  Mein  Anerbieten,  ihm  60  Mahäbub  zu  zahlen,  wurde 
mit  Verachtung  zurückgewiesen,  und,  wie  ich  vorausgesehen,  geltend 
gemacht,  dass  er  als  Muräbid  natürlich  mehr  werth  sein  müsse,  als 
der  für  80  Mahäbub  gemicthete  Kolokömi.  Der  Hadsch  Dschäber 
leitete  die  Discussion  und  überredete  mich  und  scheinbar  auch  ihn 
zu  einer  Summe  von  100  Mahäbub,  von  der  ebenfalls  die  Hälfte  vor 
der  Abreise  bezahlt  werden  sollte.  Als  ich  mit  schwerem  Herzen 
eingewilligt  hatte,  trat  er  aber  mit  anderweitigen  Ansprüchen  zum 
Besten  seiner  Vettern  von  Tibesti  auf,  deren  Erfüllung  noch  viel 
kostspieliger  zu  werden  drohte,  als  das  ihm  gebrachte  Opfer.  Er 
muthete  mir  zu,  eine  solche  Unmasse  von  schwarzblauen  Südäntoben, 
von  verschiedenen  Nifcgewändcrn,  gewöhnlichen  Bornühcmdcn  und 
Stücken  Cham  mitzunehmen,  dass  ich  nicht  im  Stande  gewesen  sein 
würde,  darauf  einzugehen,  selbst  wenn  ich  mein  sämmtliches  baares 
Geld  hätte  opfern  wollen. 

Als  ich  mich  nothgedrungen  weigern  musste,  seinen  Anforderungen 
Folge  zu  geben,  rieth  er  mir  wohlmeinend  und  ernstlich  noch  einmal  von 
der  ganzen  Reise  ab.  Er  war  der  Ueberzeugung,  dass  jeder  Einwohner 
von  Tibesti  irgend  einen  Anspruch  an  mich  zu  erheben  berechtigt 
sei,  und  wurde  von  'allen  SachverständigcT!  in  der  Meinung  unter- 
stützt, dass  Jedermann , der  ohne  besondere  Familienverbindungen 
daselbst  das  Land  besuche,  nothwendig  mit  Nichts  wiederkehren 
müsse.  Dazu  erhöhte  er  die  Zahl  der  zu  ansehnlichen  Geschenken 
berechtigten  Mainas  von  sieben  auf  dreizehn,  so  dass  ich,  da  ich 
nach  den  bereits  gebrachten  Opfern  den  Plan  nicht  aufgeben  wollte, 
mit  schwerem  Herzen  darin  willigen  musste,  meine  Werthstücke 
erheblich  zu  vermehren.  Die  Zahl  der  Burnusse  konnte  ich  in  Qatrün 
nicht  erhöhen,  doch  musste  ich  di.e  der  Südäntoben  vergrössern, 


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ABKOMMEN  MIT  BO  ZEH). 


217 


meinen  Vorrath  an  Cham  geradezu  verdoppeln,  und  sogar  noch  Pur 
die  Frau  des  Dardai'  Tafertemi  zum  Kopf-  und  Schultershawl  ein 
grosses,  oblonges,  blaukarrirtes  Stück  Baumwollenzeug  mit  rothem 
Rande,  das  aus  Fgypten  kommt  und  Füta  genannt  wird,  kaufen. 
Alles  hatte  natürlich  unmögliche  Preise,  da  die  Muräbidija  eine 
solche  für  den  Käufer  zwingende  Gelegenheit  nicht  ohne  Nutzen  für 
sich  vorübergehen  lassen  wollten,  und  wahrscheinlich  war  der  Hadsch 
Dchaber,  dem  die  Uebrigen  aus  Furcht  und  Respect  keine  Con- 
currenz  zu  machen  wagten,  selbst  der  Verkäufer. 

Obgleich  ich  mich  den  Anordnungen  der  Muräbidija,  wenn  auch 
mit  Widerstreben  und  nach  mancher  Discussion,  gefügt  hatte,  drohte 
noch  Tags  vor  der  Abreise  der  ganze  Plan  an  einer  plötzlichen 
Weigerung  Bü  Zeid's  zu  zerschellen.  Seine  Furcht,  die  Reise  könne 
längere  Zeit  in  Anspruch  nehmen,  als  unsere  Absicht  war,  und  seine 
Hoffnung,  auf  diese  Weise  die  sofortige  Auszahlung  der  zweiten 
Hälfte  des  Mietpreises  von  mir  zu  erpressen,  trugen  die  Schuld 
daran.  Doch  der  Hadsch  Dschäbcr  liess  ihn  in  seiner  autokratischen 
Weise  hart  an,  führte  ihm  die  Heiligkeit  des  gegebenen  Wortes  zu 
Gemuthe  und  erfüllte  mich  mit  Achtung  vor  seiner  Genossenschaft, 
die  ohne  Zweifel  aus  in  ihrer  Weise  ehrbaren  und  pflichttreuen 
Leuten  besteht. 

Nach  Vollendung  der  neuen  Vorbereitungen  konnte  am  17.  Juni 
unsere  Abreise  erfolgen,  für  diesen  Tag  freilich  nur  nach  dem  nahen 
Bachi,  wo  wir  Bü  Zeid  abholen  wollten. 

Morgens  mit  Sonnenaufgang  kamen  die  vornehmsten  Muräbidija 
noch  einmal,  unser  Unternehmen  durch  ein  solennes  Fätiha  einzu- 
segnen, und  ihr  Oberhaupt  gab  mir  noch  die  letzten  Rathschläge, 
deren  Endworte  der  Hädsch  Hamdün  nicht  versäumte,  jedesmal 
kräftig  zu  wiederholen,  wobei  er  durch  ein  energisches  Aufstampfen 
seines  würdevollen,  etwa  sechs  Fuss  langen  Stabes  ihnen  einen  be- 
sonders verlässlichen  Charakter  geben  zu  wollen  schien. 

Bachi  liegt  nur  zwei  Marschstunden  in  südwestlicher  Richtung 
von  Qatrün;  zwischen  beiden  befindet  sich  gebügeltes  Sand-  und 
Kies-Terrain,  von  niedrigen  Kalksteinerhebungen  durchzogen  und  mit 
zahlreichen  Rischu-  und  Etelhügeln  besetzt.  Die  Gegend  von  Bachi 
ist  reich  an  Ruinen,  die,  wenn  sie  auch  keinerlei  Erinnerungen  wach- 
rufen, wie  römische  Baureste,  doch  von  Zeiten  regeren  Lebens  und 
grösseren  Wohlstandes  zeugen.  Die  erste  liegt  in  der  Mitte  zwischen 


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2 18 


II.  HUCH,  I.  KAPITEL.  HER  SÜDLICHSTE  THEI1.  VON  FEZZAN. 


Qatrün  und  Bachi,  östlich  vom  Wege,  und  heisst  Qasr  Ulcd  Animi;  eine 
halbe  Stunde  darauf  folgt  das  Qasr  Kimba  und  ungefähr  zehn  Minuten 
nordöstlich  von  Bachi  liegt  das  Qasr  Sercndibc.  Diese  Schlösser 
sind  offenbar  weder  sehr  fest  noch  sehr  gross  gewesen  und  bestan- 
den aus  durch  Mörtel  verbundenen  Luftziegeln.  Der  Mörtel  soll  mit 
Anonaceen-Pfcffer  oder  Kimba  ( llabzelia  acthiopica ) gemischt  gewesen 
sein,  und  daraus  das  zweite  Schloss  seinen  Namen  ableiten,  wie 
v.  Bcurmann  berichtete;  doch  war  davon  keine  Spur  zu  entdecken, 
sondern  der  Name  des  „Pfeffer- Schlosses"  scheint  vielmehr  nur  dem 
Umstande  seinen  Ursprung  zu  verdanken,  dass  einst  der  Gewinn  aus 
dem  Handel  mit  Kimba  seine  Erbauung  vermittelte. 

Bachi  zählte  ein  halbes  Dutzend  Behausungen  aus  Erde,  deren 
Besitzer  Muräbidija  waren;  fast  alle  übrigen  waren  von  der  Art  der 
bescheidenen  Tubu -Wohnungen  Qatrün's,  zu  denen  sich  eine  bis  da- 
hin noch  nicht  beobachtete  Form  gesellte,  welche  mir  als  in  Tibesti 
und  Borkü  vorwaltend  bezeichnet  wurde.  Es  waren  dies  kleine, 
viereckige  Hütten  von  etwa  fünf  Fuss  Höhe,  welche  aus  einem  mit 
Matten  aus  Dumpalmenblättern  umkleideten  und  bedeckten  Stangen- 
gerüst bestehen.  Die  seitlichen  Matten  können  im  Sommer  behufs 
der  Ventilation  emporgehoben  werden.  Die  Zahl  der  Tubu- Be- 
hausungen mochte  gegen  100  betragen,  so  dass  die  Bewohnerschaft 
von  Bachi  auf  höchstens  600  Seelen  zu  schätzen  sein  dürfte. 

Die  Gärten  glichen  durchaus  denen  Qatrün’s;  die  Brunnen  sind 
durchschnittlich  vier  Meter  tief  und  enthalten  ein  sehr  wohlschmecken- 
des Wasser,  das,  unmittelbar  aus  dem  Brunnen  kommend,  kalkig  trübe 
ist.  Es  gilt  im  ganzen  Süden  Fezzän's  für  das  beste  und  gesundeste 
Trinkwasser,  und  man  schreibt  ihm  den  vortrefflichen  Gesundheits- 
zustand zu,  durch  den  sich  die  Bewohner  Bachi's  auszeichnen  sollen. 
Bü  Ze'id  drängte  mich,  noch  einen  weiteren  Tag  in  Bachi  zu  bleiben, 
sei  es,  dass  er  seine  Vorbereitungen  noch  nicht  beendigt  hatte,  sei 
es,  weil  er  am  Freitag  nicht  reisen  wollte,  was  allerdings  die  meisten 
Mohammedaner  sehr  ungern  thun. 

Seit  ich  Qatrün  erreicht  hatte,  erhielt  ich  fast  täglich  Besuch  von 
Tibesti-Leuten,  welche  sich  auf  Grund  meines  Planes,  ihre  Heimath  zu 
besuchen,  für  berechtigt  hielten,  Ansprüche  an  mich  zu  erheben,  und 
welche  meine  eigentlichen  Absichten  in  Bezug  auf  ihr  Land  zu  er- 
gründen wünschten,  ln  Bachi,  wo  die  Tubu  an  Zahl  die  Fezzaner  sehr 
pberwogen,  wurden  diese  lästigen  Besucher  noch  viel  häufiger,  und 


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BACHf  UND  SEINE  GÄRTEN.  — AUSSERE  ERSCHEINUNG  DER  TUHU.  219 

während  ich  mich  in  Qatrtin  ihrer  durch  einige  Ghnisch  (Mehrzahl 
von  Ghirsch)  oder  etwas  Kautabak  entledigt  hatte,  wurden  jetzt  ihre 
Ansprüche  schwerer  zu  befriedigen.  Auch  die  blosse  Neugierde 
trieb  einzelne  Tubu  aus  Mcdrusa  und  Tedscherri  herbei,  denn  die 
Reise  nach  Tibcsti  galt  allgemein  als  ein  sehr  gewagtes  Unternehmen, 
zu  dem  sich  keineswegs  alle  Muräbidija  trotz  ihrer  engen  Verbin- 
dungen mit  den  Bewohnern  jenes  Landes  entschlossen.  Die  civili- 
sirteren,  wohlmeinenderen  Tubu,  welche  Biii  Mohammed  als  alte 
Kinwohner  Fezzän’s  kannte,  suchten  mich  noch  jetzt  von  der  Aus- 
führung meines  l’lanes  durch  lebhafte  Schilderungen  des  schlechten 
Charakters  ihrer  Landsleute,  ihrer  Habsucht  und  ihrer  Verrätherci 
abzuschrecken.  Doch  die  meisten  waren  höchst  lästige,  anspruchs- 
volle und  hochmüthige  Bettler,  welche  mir  wohl  einen  Vorgeschmack 
von  dem  zu  geben  geeignet  waren,  was  meiner  in  der  nächsten  Zu- 
kunft harrte. 

Die  Mehrzahl  der  Leute  war  von  dunkler  Hautfarbe  mit  ver- 
schiedengradig  gelblicher  Beimischung;  die  eigentlich  schwarze  Haut 
war  sehr  selten,  doch  eine  dunkle  Bronze-  oder  auch  Kupfcrfarbung 
ziemlich  häufig.  Alle  waren  magere,  fast  gänzlich  wadenlose  Leute 
von  ebenmässigem  Bau,  kleiner  Mittelgrösse  und  sehr  zarten  Glied- 
maassen  und  entfernten  sich  physiognomisch  wesentlich  von  dem 
Typus,  den  man  in  allerdings  recht  unbestimmter  Weise  als  den 
der  Neger  zu  bezeichnen  gewohnt  ist.  Ovale  Gesichter  von  geringem 
Prognathismus,  mit  sehr  häufig  wohlgeformten  Nasen  und  wenig 
hervortretenden  Jochbögen  walteten  vor.  Ihr  Haar  war  weniger 
kurz  oder  verfilzt  als  bei  den  meisten  Negern,  ihr  Bartwuchs  eben- 
falls spärlich,  ihr  Auge  lebhaft  und  intelligent,  ihr  Gang  und  ihre 
Bewegungen  elegant  und  elastisch. 

Die  Männer  trugen  den  Kopf  meistens  rasirt  und  mit  einem 
Käppchen,  der  gewöhnlichen  baumwollenen  Taqija  oder  dem  rothen 
Tarbüsch  bedeckt.  Die  Hauptzierde  aber,  auf  welche  sie  einen  be- 
sonderen Werth  legten,  war  der  Turban,  der,  aus  Musselin  - Schäsch 
arab.  — oder  wo  möglich  aus  einem  dichteren,  schwarzblau  gefärbten 
Baumwollcnstoffc  bestehend,  so  um  den  Kopf  gewunden  wird,  dass 
eine  Tour,  der  Gesichtsschleier  oder  Litluim,  den  unteren  Theil  des 
Gesichts,  Kinn,  Mund  und  Nase  verhüllt.  Ihre  übrige  Kleidung  war 
ärmlich  und  bestand  in  Hemd  und  Beinkleid  aus  ungebleichtem  oder 
blau  gefärbtem  Cham  oder  in  groben  Toben  aus  Bornü;  doch  wenn 


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22U 


II.  BUCH,  I.  KAPITEI..  DER  SÜDLICHSTE  THEII.  VON  FEZZAN. 


ihre  Vermögensverhältnisse  es  gestatteten  und  sic  sich  eine  der  oben 
angeführten  Südäntoben  gekauft  hatten,  so  spreizten  sie  sich  mit 
einer  solchen  Selbstgefälligkeit  und  Ostentation,  dass  man  sah,  welchen 
Grades  von  Eitelkeit  sie  fähig  ‘waren.  An  den  Füssen  trugen  sie 
höchstens  Sandalen. 

Ausser  den  bereits  angeführten  Waffen  sah  ich  zuweilen  noch, 
ovale  Schilde  aus  Antilopcnfell  von  etwa  fünf  Fuss  Höhe  und  massiger 
Convexität.  Ich  beobachtete  einen  der  Bekannten  Bü  Zeid’s,  als  er 
sich  diese  Schutzwaffe  aus  dem  frischen  Felle  nach  dem  Höhen- 
maasse  seiner  Augen  und  in  zweckmässiger  Breite  schnitt  und  dann 
auf  einer  Form  aus  hart  gestampfter  Erde  weiter  bearbeitete.  Man 
stellt  diese  Form  nach  Art  eines  Grabhügels  in  entsprechender  I-änge 
und  Convexität  her,  glättet  und  härtet  sie  sorgfältig  und  spannt  das 
Fell  durch  seitlich  eingefügte  Bänder,  die  rings  umher  an  schweren 
Steinen  befestigt  werden,  auf  ihr  aus.  In  dieser  Lage  beraubt  man  das 
Fell  seiner  Haare  und  lässt  cs  trocknen  und  erhärten.  Von  Schmuck- 
sachen begnügten  sich  die  von  mir  in  Fezzän  gesehenen  Männer 
mit  Ledertäschchen  in  dreieckiger,  viereckiger  oder  cylindrischer 
Form,  welche  eben  so  wohl  bestimmt  waren,  ihre  Person  zu  zieren, 
als  sie  gegen  Zauberei,  Krankheit  und  Verwundung  zu  sichern. 

Die  Frauen  trugen  ihr  Haar  seitlich  und  hinten  in  unzählige 
dünne  Flechten  geordnet,  welche,  wohl  eingefettet,  bis  auf  den  Hals 
herabhingen,  ln  der  Mittellinie  des  Kopfes  verlief  bei  jungen  Mäd- 
chen eine  dickere  Flechte  von  der  hochrasirten  Stirn  bis  zum  Nacken, 
und  die  verheiratheten  Frauen  hatten  deren  zwei.  Dieselben  waren 
durch  verschiedene  silberne  oder  elfenbeinerne  Ringe  oder  Halsringe 
in  verschiedener  Anordnung  befestigt  und  verziert.  Zuweilen  waren 
die  Ringe  concentrisch  in  einander  gelegt,  deckten  sich  bisweilen 
halb  oder  waren  ganz  isolirt  und  beschränkten  sich  oft  nicht  auf 
den  Hinterkopf,  sondern  lagen  den  Mittelflechten  in  ihrer  ganzen 
Länge  auf.  In  seltenen  Fällen  fehlten  die  Mittelflechten  und  waren 
durch  ein  Haarknäucl  ersetzt,  das  dem  vordersten  Theile  des  Kopf- 
haares auflag. 

Am  Vorderarme  trugen  sie  bis  zu  einem  Dutzend  Armbänder 
aus  Horn  oder  Elfenbein,  welche  sich  dann  vom  Handgelenk  bis  über 
die  Mitte  des  Vorderarmes  hinauf  erstreckten.  Oberhalb  des  Ellen- 
bogens befand  sich  gewöhnlich  noch  eine  andere,  schmale  Spange 
aus  Achatsteinen  oder  Kaurimuscheln,  und  ein  ähnlicher  Schmuck 


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TRACHT  UND  SCHMUCK  DER  MÄNNER  UND  FRAUEN. 


221 


umgab  wohl  in  einfacher  oder  doppelter  Reihe  den  Hals.  Ueber 
den  Fussknöcheln  lenkte  ein  enganschliessender,  dünner,  breiter, 
silberner  oder  kupferner  Ring  die  Aufmerksamkeit  des  Beschauers 
nach  unten,  und  das  Auge  haftete  dann  mit  Bewunderung  auf  den 
feingeformten,  hochgespannten  Füssen,  um  welche  manche  elegante 
europäische  Dame  die  halbwilde  Schöne  beneiden  würde. 

Fast  unentbehrlich  war  ein  kleiner  Cylinder  der  Edelkoralle  im 
rechten  Nasenflügel.  Wenn  dieser,  welcher  nicht  immer  leicht  er- 
schwinglich war,  fehlte,  so  wurde  er  einstweilen  ersetzt  durch  einen 
Cylinder  aus  Achat,  Elfenbein  oder  Horn,  und  die  alte  Gemahlin  des 
Dardai  Tafertemi  von  Tibesti,  welche  sich  dieser  in  Fezzän  ange- 
schaflt  hatte,  als  seine  Jahre  ihm  noch  erlaubten,  öfters  dorthin  zu 
reisen,  und  welche  mir  einen  Besuch  abstattete,  entblödete  sich  nicht, 
in  Ermangelung  aller  anderen  Zierrathen,  einen  Dattelkern  in  das 
Loch  des  Nasenflügels  zu  fügen. 

Die  Kleidung  des  weiblichen  Geschlechts  bestand  vorwaltend 
in  einem  blauen,  enganschliessenden  Hüftenshawl  und  einem  ähn- 
lichen Kopf-  und  Schultertuche,  welches  im  Vermögensfalle  von  der 
Art  war,  welche  ich  für  die  Tibesti-Gattin  Tafertemi's  gekauft  hatte. 
Viele  begnügten  sich  mit  dem  Hüftentuche  und  waren,  wenn  be- 
jahrtere Frauen,  dann  allerdings  abschreckend  in  ihrer  Magerkeit 
und  mit  den  ausgetrockneten  Brüsten,  welche  in  Gestalt  einer  Haut- 
falte herabhingen.  Die  jungen  Mädchen  dagegen,  welche  sämmtlich 
Kopf  und  Überkörper  unbedeckt  trugen,  waren  reizend  in  dermässigen 
Rundung  ihrer  zierlichen,  harmonischen  Formen.  Anne  oder  wenig- 
stens uncivilisirte  Frauen,  welche  erst  kürzlich  aus  ihrer  wilden  Felsen- 
heimath  nach  Fezzän  gekommen  waren,  trugen  auch  wohl  als  einzige 
Bekleidung  das  schön  behaarte  Fell  der  grossen,  schwarzen,  kurz 
zuvor  erwähnten  Schafe.  Doch  diese  waren  vereinzelte  Erscheinungen 
und  wohl  nur  zu  vorübergehendem  Aufenthalte  nach  Fezzän  ge- 
kommen. Bis  zur  Pubertät  gehen  die  Kinder  beiderlei  Geschlechts 
gänzlich  nackt;  höchstens  tragen  die  kleinen  Mädchen  Gürtel,  von 
denen  vorne  lange  Schamfranzen  aus  Leder  herabhängen.  Den 
Knaben  rasirt  man  ebenfalls  meist  den  Kopf,  lässt  jedoch  häufig 
entweder  einen  Schopf  auf  dem  Scheitel  Schäf  arab.  — oder 
eine  lange,  breite  Haarlinie  vom  Vorder-  bis  zum  Hinterkopfe  gleich 
einem  Helm-  oder  Hahnenkamm  stehen,  was  ihnen  ein  höchst  drolliges 
Aussehen  verleiht. 


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222  11.  BUCH,  I.  KAPITEL.  DER  SÜDLICHSTE  THEIL  VON  FEZZÄN. 

Leider  wurde  mir  die  Betrachtung  der  zahlreichen  Vertreter  des 
Stammes,  dessen  genauerer  Bekanntschaft  ich  nicht  ohne  Zagen  ent- 
gegenging,  fiir  einige  Zeit  fast  unmöglich  gemacht  durch  eine  eitrige 
Augenentzündung,  welche  zunächst  mein  linkes  Auge  ergriff.  Ohne 
ihre  Heilung  abzuwarten,  wendeten  wir  uns  am  Morgen  des  19.  Juni 
nach  dem  Dorfe  Medrüsa,  das  wir  in  zwei  und  einer  halben  Stunde 
in  Südsüdwestrichtung  erreichten.  Der  gewöhnliche  Kies-  und  Sand- 
boden des  Weges  ist  im  Anfänge  unterbrochen  durch  eine  sandige 
Bodenabflachung  mit  Palmenhain,  welche  den  Namen  Gringrum  führt. 
Während  wir  in  Medrüsa  die  Tageshitze  verbrachten,  litt  ich,  sowohl 
im  geschlossenen  Zelte  als  draussen  bei  dem  starken,  sandge- 
schwängerten Südostwinde,  durch  das  heftig  entzündete  Auge  entsetz- 
lich. Die  hohe  Temperatur  nahm  den  Umschlägen,  welche  ich  gegen 
die  Krankheit  machte,  trotz  der  lebhaften  Verdunstung  sofort  jeden 
kühlenden  und  lindernden  Einfluss.  Noch  ehe  wir  zu  einem  kurzen 
Nachmittagsmarsche  aufbrachen,  erreichte  uns  Bü  ZeVd,  dessen 
Sclave  und  Kameel  schon  bei  uns  waren ; doch  Kolokömi  hatte  den 
unerwarteten  Gewinn,  den  ich  ihm  zugewendet  hatte,  dazu  benützt, 
in  aller  Geschwindigkeit  eine  Frau  zu  nehmen,  und  wollte  wenigstens 
einige  „Flittertage"  geniessen,  bevor  er  die  kaum  Geehelichte  wieder, 
und  wer  konnte  sagen  auf  wie  lange,  verliess. 

Am  Nachmittag  erreichten  wir  durch  vierstündigen  Marsch  in 
fast  südlicher  Richtung,  nachdem  wir  unterwegs  das  Qasr  Kidde  von 
der  Art  der  in  der  Gegend  von  Bachi  beschriebenen  Schlösser 
passirt  hatten,  den  Bir  Sufra  tuddusma,  d.  h.  den  Brunnen  der  sieben 
Dattelpalmen,  der  übrigens  seit  lange  verschüttet  war.  Ostsüdöstlich 
von  ihm  liegt  der  ebenfalls  verschüttete  Bir  Toäl. 

Selbst  hier,  wo  keine  bewohnte  Ortschaft  in  der  Nähe  ist,  ver- 
folgten mich  die  Tubu,  von  denen  merkwürdigerweise  Jeder  ein  Maina 
oder  der  Sohn  eines  solchen  zu  sein  beanspruchte.  In  Bachi  war 
zu  meiner  grossen  Befriedigung  ein  Sohn  des  Dardai  von  Tibesti, 
der  wegen  eines  begangenen  Mordes  landflüchtig  war,  abwesend 
gewesen,  und  ich  hoffte  ihm  und  seinen  Ansprüchen  schon  entgangen 
zu  sein,  als  er  mich  am  Morgen  des  20.  Juni  vor  unserem  Aufbruche 
einholte.  Das  Opfer  zweier  Maria-Theresia-Thalcr  schien  der  Würde 
des  prinzlichen  Mörders  kaum  Genüge  zu  thun. 

Wir  erreichten  nach  etwa  anderthalb  Stunden  in  Südsüdwest- 


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MKDSÜSA  UND  QASRAUWA. 


223 


richtung  die  Ruinen  des  Dorfes  Qasrauwa*)  nördlich  von  einem  Pal- 
menhain und  lagerten  bald  darauf  in  dem  letzteren,  wo  der  würdige 
Mohammed  Jahre  lang  gehaust  und  Dattelzucht  getrieben  hatte. 
Jetzt  war  die  ganze  Pflanzung  verwildert;  die  vertrockneten  Blätter 
hingen  am  ganzen  Stamme  herunter  und  hüllten  den  Baum  in  ihr 
trauriges  Graubraun;  die  Schösslinge  waren  nirgends  verpflanzt  und 
sprossten  überall  zu  wildem  Gestrüpp  empor;  die  Befruchtung  wurde 
vernachlässigt.  Niemand  wohnte  dort  und  die  Ernte  fiel  den  Leuten 
von  Tedscherri  anheim. 

Von  dem  früheren  Dorfe  Qasrauwa  verlässt  der  gewöhnliche 
Weg  nach  Tibesti  das  Thal  oder  die  Niederung  Ekema.  Wir  konnten 
diesen  kürzeren  Weg  nicht  wählen,  nicht  allein,  weil  er  sehr  wasser- 
arm ist,  sondern  weil  wir  beabsichtigten,  möglichst  unbemerkt  Tibesti 
zu  erreichen.  Nachmittags  legten  wir  noch  fünf  Marschstunden  in  fast 
südwestlicher  Richtung  zurück,  anfangs  über  eine  weite,  unfruchtbare, 
steinige  Ebene,  auf  der  die  Reste  eines  festen  Gebäudes,  Namens 
Tuge  Fräoma**),  gesehen  wurden,  dann  durch  sandige  Gegend  mit 
dem  erwünschten  Had  und  endlich  über  vegetationsfähigeren  Boden, 
der  Dattelpalmen,  Dis  und  Rischu  hervorbrachte,  bis  wir  am  ver- 
schütteten Brunnen  Salemma  im  Sande  lagerten.  In  diesem  Terrain 
stiessen  wir  auf  drei  Brunnen,  deren  letzter  Namens  Uedebi  allein 
etwas  schmutziges  Wasser  erdigen  Geschmackes,  von  einer  Tempe- 
ratur von  28,8°  C.  bei  einer  Lufttemperatur  von  36,8°  C.,  in  der  Tiefe 
eines  Meters  enthielt.  Weder  der  Anblick  des  Dsch.  Ben  Qnemi, 
den  man  bei  klarem  Wetter  von  Bachi  östlich  sehen  kann,  war  mir 
zu  Theil  geworden,  noch  der  nahe  Berg  Ekema,  an  dem  der  erwähnte 
Weg  nach  Tibesti  vorüberführt,  kam  mir  von  Qasrauwa,  wo  man  ihn 
in  Ostsüdost  erblicken  kann,  zu  Gesicht.  Erst  gegen  Abend,  als  die 
Beleuchtung  milder  wurde,  erblickte  ich  am  südlichen  Horizonte  die 
Hügel,  welche  dem  ganzen  langgestreckten  Thale  Ursprung  geben, 
und  deren  ansehnlichster  Theil  als  Ras  (Kopf,  Vorsprung)  Tedscherri 
bekannt  ist.  Oestlich  in  weiterer  Ferne  zeigte  sich  die  arabisch 

•)  Der  Name  ist  wahrscheinlich  aus  Qasr,  Schloss,  und  dem  Eigenschaftswort  rauwa, 
wohl  bewässert,  entstanden. 

**)  Der  Name  gehört  der  Tedd-Sprache  an  und  ist  zusammengesetzt  aus  tuge,  Stein 
oder  fester  Hau,  und  frdonia , auf  der  1 lammdda  gelegen  oder  ihr  gehörig  (von  frdo, 
die  Hammdda). 


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224  II.  BUCH,  I.  KAPITEL.  HER  SÜDLICHSTE  THEIL  VON  FEZZÄN. 

el-Wigh  und  in  der  Tedä-Sprache  Emi  (Berg)  Debassai  genannte 
Hügelkette,  an  welcher  ebenfalls  der  Tibesti-Weg  hinläuft,  und  welche 
in  ihrem  südlichen  Ende  zum  Dsch.  Wigh  el-Kcbir  anschwillt,  wäh- 
rend der  nordwestliche  Ausläufer  als  Wigh  es-Srhir  oder  Debassai 
Doba,  d.  h.  eigentlich  Tochter  des  Debassai,  bekannt  ist.  Alles, 
Thal  und  Brunnen,  Ruinen  und  Palmenhain,  führt  in  dieser  Gegend 
schon  Tedä-Namen. 

Am  21.  Juni  erreichten  wir  die  südlichste  bewohnte  Ortschaft 
Fezzän's,  Tedscherri,  in  anderthalb  Stunden  Südsüdwestrichtung.  Bis 
dahin  waren  wir  auf  dem  westlichen  Rande  der  Thal -Niederung 
marschirt;  in  der  Nähe  Tedschcrris  zeigte  sich  bei  derselben  Weg- 
richtung die  dichteste  Vegetationslinie  westlich  von  uns,  während 
unsere  nächste  Umgebung  sich  auf  spärlichen  Dis-  und  Sebat-Wuchs 
beschränkte.  Nördlich  von  der  Stadt  liegt  ein  mehr  oder  weniger 
trockener  Sebcha  von  halbstündiger  Breite,  an  dem  wir  vorüberzogen, 
um  auf  der  Südseite  der  ersteren  zu  lagern.  Ich  sah  mit  grosser 
Freude  einer  mehr  tägigen  Rast  entgegen  — wir  mussten  uns  hier 
für  die  gänzlich  vegetationslose  Strecke  der  folgenden  Wüste  mit 
Kameelfutter  versehen  — , da  ich  auf  diese  Weise  hoffen  konnte, 
mein  Auge  vor  der  Weiterreise  geheilt  zu  sehen.  In  der  Tliat  besserte 
sich  dasselbe  so  wejt,  dass  ich  wenigstens  die  Stadt  besichtigen  und 
etwas  schreiben  konnte. 

Der  traurige  Zustand  Tedschcrris  entsprach  vollkommen  dem 
armseligen  Eindruck,  welchen  der  abgerissene,  bescheidene,  einäugige 
alte  Bürgermeister  auf  mich  gemacht  hatte.  Die  Stadt  liegt  übrigens 
reizend  in  ihrem  von  Hügeln  umgebenen,  mit  Palmenhainen  und 
Gärten  bedeckten  flachen  Kessel,  und  aus  der  Ferne  gesehen 
sieht  das  riesenhafte  Kastell,  um  das  sich  die  Häuser  gruppiren, 
imponirend  genug  aus.  In  diesem  hatte  einst  jeder  Einwohner 
für  die  Zeiten  der  Gefahr  eine  kleine  Wohnung,  in  welcher  er 
einige  Vorräthc  aufbewahrtc.  Früher  drohte  der  Stadt  ebenso- 
wohl von  Seiten  der  zügellosen  Araber,  welche  in  der  Umgegend 
der  grossen  Syrte  weiden , als  von  den  Tubu  und  Tuarik  Gefahr. 
Gegen  die  Araber  schützt  sie  jetzt  einigermaassen  die  Regierung;  die 
Tubu  bilden  selbst  eine  Colonie  in  Tedscherri;  es  bleiben  also  nur 
die  Tuärik,  welche  in  der  Tliat  von  Zeit  zu  Zeit  die  ärmlichen  Be- 
wohner brandschatzen.  Die  Stadtmauern  waren  gänzlich  verfallen, 
und  die  Qasba,  so  riesenhaft  sie  auch  im  Verhältniss  zu  den  Hütten 


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TF.nsniF.RKi. 


225 


der  Bewohner  erschien,  war  nur  ein  mächtiger  Trümmerhaufen. 
Gegen  200  Häuser,  selbst  Ruinen,  drängten  sich  um  das  Kastell, 
dessen  erhaltene  Seitemvandungen  etwa  12  M.  hoch  waren. 

Das  Thor,  durch  welches  ich  die  Stadt  betrat,  hatte  eine  Höhe 
von  1,40  M.  und  eine  Breite  von  1,25  M.;  seine  Seitenpfosten  und  der 
Querbalken,  welche  aus  roh  behauenen  Palmenstämmen  bestanden, 
sollen  einst  aus  ülivenholz  verfertigt  gewesen  sein.  Jetzt  stand  es 
einsam  und  zwecklos  da,  denn  durch  die  weiten  Lücken  in  der 
Mauer  zu  beiden  Seiten  konnte  man  ungehindert  in  das  Innere  der 
Stadt  gelangen.  In  den  engen  Strassen  konnten  sich  zwei  Be- 
gegnende kaum  ausweichen,  und  da,  wo  sie  bedacht  waren,  musste 
man  gebückt  einherschreiten.  Die  Erdhäuser  zeigten  mächtige  De- 
fecte  in  Dächern  und  Wänden,  welche  nothdürftig  mit  Palmenblatt- 
geflecht ausgefüllt  waren,  und  überragten  kaum  die  menschliche 
Höhe.  Viele  derselben  waren  leer;  in  den  übrigen  herrschte  sicht- 
licher Mangel.  Keine  von  den  bisher  gesehenen  Städten  Fezzans 
trug  den  Charakter  der  Verkommenheit  neben  den  Spuren  einer 
relativen  früheren  Grösse  so  ausgesprochen  wie  Tedscherri.  Nicht 
einmal  Datteln,  welche  der  zweckmässigste  Reiseproviant  für  die 
Kamcele  gewesen  sein  würden,  gab  es  zu  kaufen;  wir  mussten  uns 
damit  begnügen,  für  die  Thiere  auf  drei  bis  vier  Tage  Sebat  zu 
schneiden,  an  welchem  Grase  die  Gegend  am  reichsten  ist. 

Auch  hier  hatten  Tubu- Ansiedler  die  rings  um  die  Stadt  ge- 
legenen Höhen  inne,  erreichten  aber  bei  Weitem  nicht  die  Zahl 
ihrer  Landsleute  in  Q^rün,  Bachi  oder  Medrüsa.  Ueberall  scheinen 
sie  mit  Vorliebe  die  Höhen  zur  Errichtung  ihrer  Wohnungen  aus- 
zu wählen,  wohl  eine  Folge  ihrer  heimathlichen  Felsensitze.  Unter 
ihren  Behausungen  sah  man  hier  jene  niedrige  Mattenhütte,  die 
eigentliche  Nomadenwohnung  der  Tubu  Reschäde,  schon  häufiger, 
als  in  Bachi. 

Die  übrigen  Einwohner  bestehen  aus  einigen  hellfarbigen  Murä- 
bidija  der  Städte  Temissa,  Foghaa  und  Sirrhen  aus  dem  Stamme  der 
Zejädin  und  aus  einer  gemischten,  dunkelfarbigen  Bevölkerung,  welche 
schwer  zu  classificiren  ist.  Zwar  geht  die  Sage,  dass  die  Stadt  einer 
gleichen  Zeit  und  denselben  Gründen  ihren  Ursprung  verdanke  wie 
Temissa,  doch  in  dieser  Stadt  hat  sich  bis  heute  ein  Berbcrdialcct 
erhalten,  während  die  in  Tedscherri  übliche  Volkssprache  offenbar 

Nachfigal.  I.  15 


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226  H.  BUCH,  I.  KAPITEL.  PER  SÜDLICHSTE  THF.IL  VON  FEZZÄN. 

corrunipirtcs  Kanuri  ist*).  Alles  in  Allem  mochte  Tedschcrri  mit 
der  Tubu-Colonie  800  Einwohner  zählen. 

Auch  hier  machten  manche  Tubujimglingc  ihre  Aufwartung,  um 
formell  ihre  Ansprüche  an  meine  Grossmuth  geltend  zu  machen,  und 
ich  Hess  sie,  wenn  Mohammed  oder  Bü  Zei'd  ihre  aristokratische  Ab- 
stammung bezeugen  konnten,  nicht  unbeschenkt  von  dannen  gehen. 
Unter  ihnen  zeichnete  sich  Birsa  aus,  ein  Schwestersohn  jenes  be- 
kannten Arämi,  über  dessen  Ilochmuth  sich  schon  v.  Bcurmann  be- 
schwerte, und  der  noch  immer  mehr  Einfluss  in  Tibesti  ausüben 
sollte,  als  der  Dardai  selbst.  Da  Birsa  gleichzeitig  mit  uns  nach 
Tibesti  zurückzukehren  beabsichtigte,  so  versprach  ich  ihm  für  den 
Fall  seiner  Begleitung  ein  Haussa-Gewand,  einen  Tarbüsch  und  einen 
Turban,  was  um  so  gerathener  schien,  als  But  Mohammed  in  seiner 
stillen  Weise,  Erkundigungen  einzuziehen  und  Beobachtungen  anzu- 
stellen, die  Ueberzeugung  gewonnen  hatte,  dass  die  anwesenden 
Tubu  trotz  der  anständigen  Behandlung,  welche  sie  meinerseits 
erfuhren,  Verrath  brüteten. 

Der  zur  Pflege  ehelicher  Liebe  zurückgebliebene  Kolokömi  war 
mittlerweile  auch  wieder  zu  uns  gestossen,  nachdem  er  sich  noch 
eine  prächtige  Kameelstute  von  dem  Reste  seines  unverhofften  Ver- 
dienstes gekauft  hatte.  Auch,  er  sondirte  die  Gesellschaft  seiner 
Landsleute,  und  es  fand  sich  in  der  Tliat,  dass  dieselben  darauf 
rechneten,  uns  an  einem  Brunnen  südöstlich  von  Meschru  zu  über- 
fallen, auszuplündern  und  mich  so  zur  Rückkehr  nachFezzän  zu  zwingen. 
Da  wir  nämlich  den  gewöhnlichen  Weg  nach  Tibesti  nicht  von 
Mcdrüsa  oder  Qasrauwa  aus  eingeschlagen  hatten,  so  vermutheten  die 
Räuber  mit  Recht,  dass  wir  auf  der  Bornü-Strasse  bis  zum  Meschru- 
brunnen  zu  gehen  und  von  diesem  aus  jenen  Weg  wieder  zu  ge- 
winnen oder  einen  Richtwcg  einzuschlagen  beabsichtigten.  Um  ihre 
Pläne  zu  Schanden  zu  machen,  beschlossen  wir,  auch  diese  Richtung 
zu  vermeiden,  der  Bornüstrasse  bis  zum  Gebirge  el-Wär  — Tümmo 
ted.  — zu  folgen,  und  von  dort  in  südöstlicher  Richtung  und  mit 

•)  Wenn  die  ursprüngliche  Einwohnerschaft  später  von  Bo rn fl  - Elementen  verdrängt 
wurde,  so  muss  ein  ähnliches  Verhältniss  für  die  dem  gleichen  Ursprünge  zugeschriebenen 
Ortschaften  Dschebddo,  Siggedim,  Gissebi  und  Agrem  stattgefunden  haben.  Von  diesen 
gehörte  Gissebi  in  Kawdr  und  Siggedim  nordwestlich  von  dort,  welche  beide  jetzt  unbe* 
wohnt  sind,  den  Tubu-Keschdde;  Dschebddo,  ebenfalls  nordwestlich  von  Kawdr  gelegen, 
ist  noch  jetzt  vorwaltend  von  Tedd  bewohnt,  und  Agrem,  welches  westlich  von  Kawdr 
liegt,  hat  eine  Bomü-Bevülkerung. 


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VFRRATHERISCHER  PLAN  DER  TURU.  — AUFBRUCH  VON  TEDSCHERRI.  227 

Umgehung  der  nördlichsten  bewohnten  Thälcr  womöglich  unbemerkt 
das  Herz  Tibesti's  zu  erreichen.  Noch  einmal  suchten  der  einäugige 
Ortsvorsteher  Abd  el-Qäder  und  der  schwarzsehende  Mohammed 
mich  von  der  Reise  abzubringen,  zumal  der  oben  erwähnte  Raubzug 
der  Araber,  welche  zu  Bidän  die  Tubu  an  Vieh  und  Menschen  ge- 
schädigt hatten,  die  Letzteren  mit  Rachegedanken  erfüllte.  Manche 
derselben  waren  aus  Qatrün  und  den  von  uns  berührten  Ortschaften 
nach  Tibesti  zurückgekehrt,  und  in  Fezzan  erwartete  man  ihre  Schand- 
thaten.  Doch  der  Verwirklichung  meines  Planes  so  nahe  und  nach 
den  gebrachten  schweren  Opfern  konnte  ich  mich  nicht  zur  Umkehr 
cntschliessen,  und  nachdem  die  verrätherischen  Tubu,  die  fast  sämmt- 
lich  aus  Abo,  dem  nördlichsten  bewohnten  Theile  Tibesti's,  stammten, 
am  22.  Juni  aufgebrochen  waren,  setzten  auch  wir  Tags  darauf  unsere 
Reise  fort.  Dies  war  der  Tag  des  Milad,  des  Geburtstages  des 
Propheten,  und  da  ohnehin  der  Beginn  einer  grösseren  Reise  durciv 
ein  Extra -Fleischgericht  gefeiert  zu  werden  pflegt,  das  den  Namen 
Bü  Safar,  d.  h.  Vater  oder  Anfang  der  Reise,  führt,  so  hatten  wir 
Abends  zuvor  einen  fetten  Ziegenbock  geschlachtet  und  verzehrten 
ihn  Morgens  vor  dem  Aufbruche  zu  Ehren  des  Propheten  und  zur 
Inaugurirung  einer  glücklichen  Reise. 

Noch  ehe  die  Entzündung  auf  meinem  linken  Auge  gehoben 
war,  wurde  leider  auch  das  rechte  ergriffen,  so  dass  ich  auf  der 
nackten  Wüste  zwischen  Tedschcrri  und  dem  Tümmogebirge,  wo 
wegen  des  Wassermangels  rüstig  marschirt  werden  musste,  bei  der 
herrschenden  Temperatur  einer  nicht  sehr  heiteren  Reihe  von  Tagen 
entgegen  sah.  Am  23.  Juni  wurde  spät  aufgebrochen  — denn  nach 
dem  Festmahle  musste  noch  so  viel  Scbat  als  möglich  geschnitten 
werden  — , und  wir  zogen  in  fast  südlicher  Richtung  an  der  Qubba 
Sidi  Ali  Zedänis  und  den  Ruinen  eines  der  Kastelle  vorüber,  wie  wir 
sie  in  der  Gegend  von  Bachi  gesehen  hatten,  über  eine  geflügelte 
Sandebene  auf  eine  lange  grüne  Palmenlinie  zu,  welche  von  Südwest 
nach  Nordost  vom  äussersten  Südende  des  W.  Ekema  bis  zum  östlich 
von  der  Stadt  gelegenen  Räs  Tedscherri  verläuft  und  die  haupt- 
sächliche Rhäba  der  Bewohner  darstelltc.  Nach  einigen  Stunden 
lagerten  wir  in  ihr  nicht  weit  vom  Bir  Omah,  den  die  Leute  von 
Tedscherri  Bir  Ekema  nennen,  um  die  heissesten  Stunden  im  Schatten 
zu  verbringen,  und  marschirten  Nachmittags  noch  fünf  Stunden  in  der- 
selben Richtung  über  gewellte  Sandflächen  mit  allmählich  aufhörender 

15* 


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228  II.  BUCH,  I.  KAPITEL.  DER  SÜDLICHSTE  TIIE1I.  VON  FEZZAN. 

Vegetation.  Wir  nächtigten  nach  der  Passage  einer  als  el-Häd  be- 
kannten Bodenabflachung  — Dschüri  ted.  — , welche  das  Kraut,  das 
ihr  in  beiden  Sprachen  den  Namen  gab,  in  grosser  Menge,  doch  in 
ganz  vertrocknetem  Zustande  enthielt. 

Da  Mondschein  war,  packten  wir  bald  nach  Mitternacht  wieder 
auf,  passirten  gegen  Sonnenaufgang  ein  etwas  tiefer  in  den  Boden 
geschnittenes,  etwa  eine  Stunde  breites  Zeugenthal,  das  den  sonder- 
baren Namen  Dendal  Ghaladima,  d.  h.  der  Platz  des  Ghaladima 
(Titel  eines  hohen  Würdenträgers  in  verschiedenen  Siidänstaatcn) 
führt,  und  vertrauten  uns  nach  einigen  weiteren  Stunden  für  die 
Mittagszeit  dem  unzulänglichen  Schatten  des  Zeltes  an.  Das  durch- 
zogene Terrain  war  kiesig  oder  steinig  und  vegetationslos,  der  Grund 
des  eben  genannten  Thaies  mit  Sand  ausgefüllt  und  hier  und  da  mit 
kleinen  zerbröckelnden  Sandstcinfclsen  besetzt.  Mit  verbundenen 
Augen  und  peinigenden  Schmerzen  auf  dem  Kameele  hockend, 
konnte  ich  bei  der  grossen  Lichtscheu  und  der  reichlichen  Eiter- 
secretion  nur  mit  der  grössten  Anstrengung  und  Selbstüberwindung 
von  Zeit  zu  Zeit  die  Wegrichtung  und  den  Charakter  der  Umgebung 
controliren. 

Einige  Stunden  Nachmittagsmarscfyes  brachten  uns  um  Sonnen- 
untergang zum  Bir  Mcschru.  Dieser  wichtige  Brunnen,  die  einzige 
Wasserstation  zwischen  der  südlichen  Grenze  Fezzän's  und  dem 
Tüminogebirge  mit  sehr  wohlschmeckendem  Wasser  in  einer  Tiefe 
von  7,50  M.,  liegt  in  einem  länglichen,  nach  Norden  und  Nordwesten 
offenen  Erosions- Thale,  das  rings  von  Sandhügeln  umgeben  ist  und 
im  Grunde  zahlreiche  Zeugen  hat.  Vom  Dendal  Ghaladima  dacht 
sich  die  Gegend  allmählich  gegen  den  Brunnen  hin  ab,  welcher  nach 
der  Ansicht  der  Leute  in  directer  Verbindung  mit  den  Brunnen 
Tedscherri's  steht,  wie  denn  auch  sein  Wasser  in  der  That  sichtlich 
von  Norden  zufliesst. 

Die  nächste  Umgebung  des  Brunnens  war  bedeckt  mit  gebleich- 
ten menschlichen  Gebeinen  und  Kameelskelettcn.  Schaudernd  be- 
merkte ich  halb  im  Sande  begraben  die  inumificirten  Leichname 
einiger  Kinder,  welche  noch  mit  den  blauen  Kattunfetzen  bedeckt 
waren,  welche  einst  die  Kleidung  der  Lebenden  gebildet  hatten. 
Es  scheint,  dass  auf  dieser  letzten  Station  einer  langen,  trostlosen, 
schmerzensreichen  Reise  die  armen  Kinder  der  Negerlander  in  auf 
fallend  grosser  Anzahl  ihren  Tod  finden.  Die  lange,  bei  unzu- 


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DER  MESCHRL -15RUNNEN. 


229 


reichender  Nahrung  und  sparsamem  Wassergenuss  zurückgclcgte  Reise, 
der  Gegensatz  zwischen  der  hülfsquellcnrcichen  Natur  und  der  feuch- 
ten Atmosphäre  ihrer  Hcimath  und  der  zehrenden  trockenen  Wtistcn- 
luft,  die  Anstrengungen  und  Entbehrungen,  welche  ihre  Herren  und  ' 
die  Umstände  ihnen  auferlegen,  haben  die  Kräfte  der  jugendlichen 
Organismen  allmählich  aufgezehrt  ; der  Rückblick  auf  die  in  unerreich- 
bare Ferne  geschwundene  Hcimath,  die  Furcht  vor  der  unbekannten 
Zukunft,  das  endlose  Reisen  unter  Schlägen,  Hunger,  Durst  und  tödt- 
lichcr  Ermattung  hat  ihre  letzte  Widerstandskraft  gelähmt.  Fehlt 
den  Armen  die  Kraft  zum  Wiederaufstehen  und  Weiterwandern,  so 
werden  sie  einfach  im  Stiche  gelassen,  und  langsam  erlöschen  ihre 
Eebensgeister  unter  dem  vernichtenden  Einflüsse  der  Sonnenstrahlen, 
des  Hungers  und  des  Durstes.  Kein  Grab  deckt  dann  die  jugendlichen 
Gebeine,  sondern  die  trockene  Wüstenluft  mumificirt  und  skelcttirt 
allmählich  die  Opfer  menschlicher  Barbarei.  Oft  mögen  die  Aemi- 
sten  nach  dem  wasserlosen  Wege  vom  Tümmogebirge  unter  Aufbie- 
tung ihrer  letzten  Kräfte  den  Brunnen  erreichen,  um  für  kurze  Zeit 
neuen  Muth  und  neues  Leben  aus  seinem  Inhalte  zu  schöpfen,  finden 
ihn  vielleicht  verschüttet  und  sinken  verzweifelnd  dem  Tode  in  die 
Arme,  ehe  nach  mühevoller  Arbeit  der  Lebensquell  wieder  fliesst. 

Die  Versandung  des  Brunnens  wird  von  Jahr  zu  Jahr  häufiger. 
Die  früheren  Regierungen  in  Fezzän  liessen  es  sich  angelegen  sein, 
denselben  bei  seiner  Wichtigkeit  für  die  Reisenden  im  Stande  zu 
erhalten.  Der  Muqni  un4  Abd  el-Dschlil  hatten  dies  Bedürfniss 
auf  ihren  häufigen  Reisen  dach  Süden  würdigen  gelernt;  selbst  Hassan 
Pascha,  ein  Araber,  der  glänzendste  Gouverneur  Fezzan's  seit  der 
Türkenherrschaft,  hatte  einst  50  Menschen  geschickt,  um  den  Brunnen 
aus.  -auern  zu  lassen;  neuerdings  ging  jedoch  wieder  Alles  den  Weg 
eiligen  Verfalls. 

Auch  am  folgenden  Tage  benutzten  wir  das  Mondlicht,  um  in 
der  erträglichen  Temperatur  des  frühen  Morgens  reisen  zu  können, 
denn  der  grösste  Theil  des  Tages  war  wahrhaft  fürchterlich  mit 
seiner  verzehrenden  Hitze  und  dem  Sandbade,  in  das  er  Alles  ver- 
setzte, während  die  Nächte  mit  ihrer  Windstille  und  der  lebhaften 
Ausstrahlung  von  einer  durch  den  Gegensatz  doppelt  süssen  Frische 
und  Lieblichkeit  waren.  Gegen  Abend,  wenn  der  regelmässige  Ost- 
wind, der  mit  der  Sonne  stieg  und  fiel,  schwieg,  und  wenn  die  schräg 
auffallenden  Strahlen  die  Intensität  des  Lichtes  abschwächten  und 


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230  n.  BUCH,  I.  KAPITEL.  DER  SÜDLICHSTE  THEIL  VON  FEZZÄN. 

dem  Wanderer  die  freie  Umschau  erleichterten:  dann  klärte  sich  die 
Luft,  und  weit  und  immer  weiter  umfasste  das  Auge  die  Umgebung, 
bis  die  Sonne  sank.  Ich  begreife  nicht,  wie  Reisende  von  dem  „ewig 
klaren,  tiefblauen  Wüstenhimmcl’  sprechen  können;  ich  habe  ihn 
weder  zwischen  Tripolis  und  Murzuq,  noch  südlich  von  Fczzan  ge- 
funden. Selbst  ohne  verhüllenden  Staub-  und  Sandschleier  tritt  das 
Flau  der  Atmosphäre  gegen  die  Intensität  des  blendenden  Sonnen- 
lichtes zurück,  und  der  Himmel  erscheint  vielmehr  bläulich  weiss. 

Wir  stiegen  aus  dem  Mcschru-Thale  allmählich  auf,  passirten  in 
einer  Einsenkung  — Churma  - — die  dasselbe  nach  Süden  abschliessen- 
den Hügel,  welche  als  Bibän  Mcschru,  d.  h.  Mcschru-Thore,  bekannt 
sind,  und  durchzogen  eine  kiesige  Ebene  bis  zu  den  Vorläufern  der 
Felsen,  welche  die  sogenannte  Lagöba  Buia,  d.  h.  das  grosse  Thal, 
nach  Norden  begrenzen.  Sowohl  die  häufigen  Erhebungen  auf  der 
Ebene  als  die  genannten  Vorläufer,  die  wir  nach  sieben  Stunden 
erreichten,  bestehen  aus  rothem  Kalkstein,  der  mit  Sandsteinblöcken 
bedeckt  ist.  Am  Fusse  und  im  Schatten  eines  derselben,  des  Graisäro 
Mentoa,  verbrachten  wir  die  Qaila-  Unser  Weg  hatte  eine  südliche 
Richtung  mit  geringer  Abweichung  nach  Westen  gehabt  und  war 
rechts  und  links  in  weiterer  Ferne  von  unbedeutenden  Erhebungen  in 
der  gleichmässigen  Form  abgeschnittener  Pyramiden  begleitet  gewesen. 

In  einigen  Stunden  erreichten  wir  Nachmittags  die  Felsen, 
zwischen  denen  man  in  die  Lagöba  Buia  hinabsteigt.  Der  Abstieg  fuhrt 
steil  zwischen  den  horizontalen  Schichten  röthiiehen  Sandsteins  auf 
dem  sandigen  Zerfall  derselben  in  die  unbedeutende  Tiefe,  heisst 
Tcnija  el-Kebira,  d.  h.  der  grosse  Weg,  und  gilt  als  Feuerprobe  für 
die  Tüchtigkeit  sowohl  der  Kameele,  welche  von  Bornü  kommen, 
als  derjenigen,  welche  dorthin  bestimmt  sind.  Doch  ist  die  Schwierig- 
keit jedenfalls  grösser  für  diejenigen,  welche  von  Süden  kommend 
nach  mindestens  vierzig  bis  fünfzigtägiger  Reise  diesen  steilen  Weg 
erklimmen  müssen. 

Die  Lagöba  Buia  besteht  aus  terrassenförmiger  Folge  von  niedrigen 
Sandsteinkämmen,  welche  von  Nordost  nach  Südwest  streichen.  Sie 
hat  ihre  höchste  Erhebung  im  Osten  und  ist  sowohl  hier  ab  im 
Westen,  wohin  sie  sicli  abdacht,  vorzüglich  aber  im  Süden  von 
niedrigen  Tafelbergen  begrenzt.  Sic  bildet  ein  Ganzes  mit  der  fol- 
genden Lagöba  Könö,  d.  h.  dem  kleinen  Thale,  von  welcher  sie 
durch  eine  höhere  felsige  Terrainwelle  geschieden  ist.  Die  Lagöba 


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]>AS  TUMMO* GEBIRGE. 


231 


Huia  ist  in  unserer  südsüdwestlichen  Wegrichtung  nahezu  vier  Stun- 
den breit,  während  die  folgende  Lagöba  Könii  nur  anderthalb  Stunden 
misst  und  mehr  den  Charakter  eines  Flussthales  darbietet,  das  von  den 
ausgedehnten  östlichen  Tafelbergen  entspringt.  Wir  nächtigten  am 
25.  Juni  noch  in  der  ersteren,  durchschritten  vor  Anbruch  des  fol- 
genden Tages  die  letztere  und  stiegen  aus  ihr  durch  die  Tenija  es- 
Srhira,  d.  h.  den  kleinen  Weg,  zur  Hochebene  Alaöta  Kju  auf. 
Diese  steigt  in  der  Breite  eines  Tagemarsches  gegen  Süden  allmäh- 
lich zum  Tümmogebirge  an,  ist  selbst  sanft  gewellt  und  trägt  östlich 
vom  Wege  und  nahe  demselben  in  ihrem  nördlichen  Theile  die 
niedrige  Felshügelgruppe  Lebrek,  während  im  westlichen  Theile  ein 
ausgedehnterer  und  höher  entwickelter  Bergcomplex  in  grösserer  Ent- 
fernung gesehen  wird.  Dieser,  an  dem  in  früheren  Zeiten  die  Bornü- 
strasse  vorüberfuhrte,  wird  Dsch.  cl-Ain,  d.  h.  Quellenberg,  genannt. 

Alaöta  Kju  erhebt  sich  mehr  als  700  Meter  über  das  Meeres- 
niveau und  trägt  auf  dem  harten  Kies-  oder  Sandsteinboden  unregel- 
mässigen Steinbelag,  hat  also  den  echten  Charakter  einer  Hammäda. 
Als  wir  nach  fast  zwölfstündigem  Tagemarsche  nächtigten,  hatten  wir 
fast  ihr  Ende  erreicht,  so  dass  wir  schon  vor  Anbruch  des  folgenden 
Tages  (27.  Juni)  durch  die  sogenannten  Thore  — Bibän  — , den  Weg 
einfassende  Bergkegel,  die  Vorregion  des  Tümmogebirges  betraten. 
Wir  wanden  uns  während  sechs  Stunden  zwischen  stumpfen  Kegeln, 
abgestutzten  Pyramiden  und  Tafelbergen  durch  ihre  Thäler  und  Wasser- 
betten und  erreichten  auf  der  Höhe  des  Vormittags  die  Brunnen  des 
Gebirges,  welche  sich  im  südlichen  Theile  desselben  befinden,  auf 
dem  Nordabhange  seiner  massigsten  Entwicklung,  des  eigentlichen 
Tümmo,  der  in  Form  eines  langgestreckten  Paralleltrapezes,  schroff, 
als  ein  gigantischer  Zeuge  aus  der  erodirten  Hochebene  aufspringt. 

Wenn  die  Gegend  der  Vorberge  und  der  Zusammenhang  der- 
selben mit  dem  eigentlichen  Tümmo  auf  seiner  Nordseite  die  charak- 
teristische Zeugenform  in  Etwas  stört,  so  ist  diese  auf  der  Südseite 
in  voller  Reinheit  enthalten.  Von  dort  gesehen  steigt  die  lange 
Südwand  schroff  aus  der  Ebene  auf,  der  Parallelismus  der  oberen 
P'läche  mit  der  Basis  ist  vollkommen,  die  westliche  und  östliche 
Grenzlinie  gleichmässig  abfallend.  Leider  hatte  uns  Tags  zuvor  die 
Undurchsichtigkeit  der  Atmosphäre  verhindert,  von  Norden  her  aus 
grösserer  Entfernung  den  mächtigen  Tafelberg  zu  erblicken;  und  am 
Tage,  an  dem  wir  ihn  erreichten,  wurde  er  uns  durch  die  näheren 


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232  II-  HUCH,  1.  KAPITEL.  DER  SÜDLICHSTE  THEIL  VON  FEZZAN. 

Vorberge  verdeckt.  In  nächster  Nähe  zeigt  er  keine  so  vollständige 
Compactheit,  als  sich  aus  einiger  Entfernung  vermuthen  lässt:  er  ist 
voller  einschneidender  Thäler,  zerrissen,  wild,  schwierig  zu  passiren 
und  verdient  vollkommen  seinen  arabischen  Namen  el-Wär,  d.  h.  das 
Schwierige.  Die  zahlreichen  Flussthäler  und  Wasserbettchen,  welche 
aus  seinen  Theilen  hervorgehen,  senken  sich  nach  Südwesten.  Der 
Tümmo  ist  ebenfalls  von  Nordost  nach  Südwest  gerichtet  und  hat 
eine  ansehnliche  Längenausdehnung.  Nach  Osten  erblickt  man  in 
der  Entfernung  mehrerer  Stunden,  beziehungsweise  eines  halben  Tage- 
marsches, zwei  kleinere,  ähnlich  geformte  Gruppen  Namens  Tümmo 
Doba,  d.  h.  die  Töchter  des  Tümmo. 

Die  Grundlage  des  Tümmo  ist  Kalkstein;  auf  ihm  erheben  sich 
Sandsteinfelsen  in  der  Form  riesiger  Blöcke  und  von  meist  dunkler 
Färbung,  und  auf  ihnen  findet  sich  nicht  selten  eine  mehrere 
Fuss  dicke  Schicht  Lehmerde  mit  cingelagerten  Steinchcn.  Seine 
Höhenentwicklung  übersteigt  die  der  Hochebene  Alaöta  Kju  nur 
unbedeutend,  während  die  Ebene  zu  seinen  Füssen,  die  Thäler 
zwischen  seinen  F'elsgruppen  unter  dem  Niveau  jener  liegen,  und 
dies  ist  in  vollständiger  Uebereinstimmung  mit  der  Bildung  dieser 
Tafelberge  auf  dem  Wege  allmählicher  Erodirung  des  umgebenden 
Terrains.  Das  Wasser  der  fünf  unter  mächtigen  Sandsteinfelsen 
gelegenen  Brunnenlöcher  quillt  ganz  allmählich  in  einer  Tiefe  von 
einigen  Metern  aus  thoniger  Schicht  unter  jenen  hervor  und  ist 
von  herrlichem  Geschmacke  und  köstlicher  Frische.  Dies  ist  der 
Platz,  an  dem  die  von  Süden  kommenden  Karawanen  Tage  lang 
zu  rasten  pflegen;  die  steilen  Sandsteinwande  rings  herum  tragen 
zahlreiche  Namen,  Inschriften  und  Stammeszeichen,  und  auf  den 
sandigsten  Stellen  liegt  der  Kameelunrath  von  zahllosen  Karawanen 
aufgespeichert,  ein  unerschöpfliches  Brennmaterial,  auf  das  die  Reisen- 
den dort  zur  Bereitung  ihrer  Speisen  ausschliesslich  angewiesen  sind. 

Ich  konnte  mich  jetzt  des  Anblicks  meiner  Umgebung  und  der 
Ruhe  wieder  erfreuen,  ohne  durch  meine  schmerzenden  Augen  ge- 
hindert zu  sein  — auch  das  rechte  war  in  der  Heilung  begriffen  — , 
und  sah  mit  frischer  Hoffnung  und  neuem  Interesse  den  unbekannten 
Regionen  entgegen,  welche  wir  von  hier  ab  betreten  sollten. 


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Zweites  Kapitel. 

UNBEKANNTE  GEGENDEN. 


Weg  nach  Afafi.  — Kolokomi’s  Unkenntnis»  der  Gegend.  — Schwieriger  Nachtmarsch. 

— Wassermangel.  — Flussthal  Galiemma.  — Gefahr  des  Verschmachtens.  — Kettung 
aus  Gefahr.  — ßegriissungs-Ceremonien  der  TedA.  — Arbeit  am  Brunnen.  — Neue 
Ankömmlinge.  — Ernte  der  Coloquinthenkeme.  — Gebirgsgruppe  AfÄfi.  — Fluss- 
thal  Lolenmio.  — Fortsetzung  der  Reise.  — Sandsteinfelsen  der  Ebene.  — Noch 
einmal  Wassermangel.  — Birsa  geht  nach  Ar&bu.  — Widerstandsfähigkeit  der  Tubu 
gegen  Hunger,  Durst  und  Anstrengung.  — Zeitige  Rettung.  — Isoa.  — Gegend 
Afo.  — Ueberschreitung  des  Enneri  Udttf.  — Die  Berge  Tibesti’s.  — Der  Tarso  mit 
dem  Tusidde.  — Die  Flussthäler  Kjauno.  — Neue  Baume.  — Ausläufer  des  Tarso. 

— Emi  Mini.  — Gegend  von  TAo.  — Zunehmendes  Thierleben.  — Die  Flussthäler 
von  TAo,  DommAdo  und  DausAdo.  — Galma,  der  Sohn  Selemma’s.  — Seine  Tante 
KintÄfo.  — Spärliche  Bewohnerschaft  TAo’s. 


Nachdem  ich  nothdürftig  die  Reisenotizen  über  die  verflossenen 
Tage  vervollständigt  hatte,  brachen  %vir  gegen  Abend  (27.  Juni)  auf, 
um  den  Südabhang  des  Gebirges  zu  gewinnen.  Unter  Windungen 
erreichten  wir  schnell  die  höchste  Höhe,  folgten  dann  absteigend 
dem  Verlaufe  des  Gebirgsstockes  nach  Südwesten,  da  der  südliche 
Abfall  zu  schroff  war,  und  konnten  uns  dann  südlich  wenden.  Hier 
schied  sich  unser  Weg  von  der  in  südsüdwestlicher  Richtung  sich 
fortsetzenden  Bornüstrasse;  vor  uns  nach  Südosten  lagen  die  von  mir 
angestrebten,  noch  nie  von  europäischem  Fusse  betretenen  Land- 
schaften. Freilich  waren  dieselben  von  diebischen,  verräthcrischen, 
gewaltthätigen  Menschen  bewohnt,  doch  der  überwältigende  Reiz, 
der  im  Unbekannten  liegt,  und  der  Rückblick  auf  die  glänzenden 
und  glücklichen  Beispiele  meiner  Vorgänger  in  solchen  Untcrneh- 


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234 


II.  HUCH,  Z.  KAPITEL.  UNBEKANNTE  GEGENDEN. 


mungcn  Hessen  mich  mit  Hoffnung  und  Zuversicht  in  die  nächste 
Zukunft  schauen.  Nach  einem  dreistündigen,  mühsamen  Marsche,  der 
durch  die  cinbrcchcnde  Dunkelheit  und  durch  den  Mangel  an  Gewohn- 
heit der  arabischen  Kameele  im  Bergsteigen  erheblich  erschwert  ward, 
schlugen  wir  auf  der  Südseite  des  Tiimmo  unser  Nachtlager  auf. 

Zwischen  dem  überwundenen  Gebirgsstockc  und  den  ersten  be- 
wohnten Flussthälern  Tibesti's  lag  nach  der  Auskunft  unseres  Führers 
Kolokömi  die  Fclsengegend  von  Afäfi  mit  zahlreichen  Flussthälern 
und  ausgezeichnetem  Kameelfutter,  und  auf  diese  und  ihren  Wasser- 
gehalt hatte  er  für  unsern  Marsch  gerechnet.  Die  Einwohner  Tibesti  s 
führen  ihre  Kameele  wohl  dorthin  auf  die  Weide;  Kolokömi  war 
früher  dort  gewesen,  war  auch  einmal  in  seiner  Jugend  von  da  nach 
dem  Tiimmo  gereist;  doch  ein  üblicher,  bereister  Weg  führt  nicht 
durch  die  Gegend.  Den  nächsten  Brunnen  sollten  wir  nach  der 
Berechnung  unseres  Führers  am  Ende  des  zweiten  Marschtages 
erreichen. 

Vor  Sonnenaufgang  am  28.  Juni  auf  brechend,  zogen  wir  über 
hügeliges  und  sandiges  Terrain,  das  allmählich  dürrer,  steiniger  und 
ebener  wurde,  und  rasteten  schon  nach  dreistündigem  Marsche  in 
Südostrichtung,  weil  der  starke  Sandwind  unsern  Führer  leicht  in 
der  Wegrichtung  beirren  konnte,  und  eine  mit  Häd  bewachsene  Sand- 
insel unseren  Kameelen  wenigstens  einige  Nahrung  versprach.  Es  war 
jungfräuliches,  fast  nie  von  Menschen  betretenes  Terrain,  auf  dem 
keine  Wegspuren,  keine  von  Menschen  aus  Steinen  aufgethiirmten  Merk- 
zeichen A'aläm  (Sing.  ’Alem)  — , keine  auffallend  geformten  Berge 
und  Felsgruppen  die  Schritte  des  Wanderers  leiteten.  Gegen  Abend 
bedeckte  schwarzbrauner  Sandstein  häufig  die  Gegend,  und  oft  waren 
weite  Strecken  regelmässig  belegt  mit  grossen  Platten  eines  grauen, 
schieferigen  Gesteins.  Nach  Sonnenuntergang  herrschte  wieder  weicher, 
kalkiger,  viel  gehügelter  Boden  vor,  und  als  wir  nach  fünfstündigem 
Marsche  auf  eine  Stelle  nothdürftigen  Kamcelfutters  stiessen,  nächtig- 
ten wir,  obgleich  Kolokömi  nach  dem  Aufhören  des  Windes  und  der 
Klärung  der  Atmosphäre  noch  vergeblich  nach  unserem  Ziele  in  der 
Ferne  ausgeschaut  hatte.  Noch  am  Abend  ertheilte  er  uns  die  War- 
nung, nicht  zu  verschwenderisch  mit  dem  Wasser  umzugehen,  da  der 
Weg  noch  weit  sei.  Der  Rath  kam  etwas  spät;  denn  auf  die  sichere 
Ortskenntniss  unseres  Führers  und  nur  zwei  wasserlose  Tage  zählend, 
hatten  wir  mehr  als  die  Hälfte  unserer  sechs  Wasserschläuche  geleert. 


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MÜHEVOLLE  MARSCHE. 


235 

Am  29.  Juni  nahmen  wir  vor  Sonnenaufgang  unseren  Marsch 
wieder  auf  und  zogen  über  wüste,  steinige  Kbencn,  durch  sandige 
Erosionsthäler  mit  ihren  tafelförmigen,  niedrigen  Erhebungen  und 
über  endlose  Strecken,  welche  mit  den  erwähnten,  grauschwarzen 
Steinplatten  bedeckt  waren,  denen  unser  Fuss  oder  der  aufstampfende 
Wanderstab  oder  Lanzenschaft  einen  metallischen  Klang  entlockte, 
und  aus  deren  Spalten  eine  traurige  Vegetation,  vertrocknet  und  ver- 
kümmert, hervorlugte.  Nach  einem  siebenstündigen,  schnellen  Marsche 
ruhten  wir  einige  Stunden,  doch  Kolokömi  rief  bald  wieder  zum  Auf- 
bruch und  trieb  mit  einer  Hast  Thiere  und  Menschen  vorwärts,  die 
gegen  Abend,  als  seine  Augen  endlich  im  fernen  Südosten  den 
lange  vergebens  gesuchten  Hergkegel  gefunden  hatten,  nur  noch 
zunahm.  Als  er  auch  bei  vollständig  hereingebrochener  Nacht  noch 
keine  Ruhe  gestattete,  wurde  ich  mit  banger  Ahnung  erfüllt.  Kolo- 
kömi hatte  augenscheinlich  mindestens  eine  falsche  Abschätzung 
der  Entfernung  seinen  Dispositionen  zu  Grunde  gelegt,  war  aber 
vielleicht  nicht  einmal  der  Richtung  sicher.  Dazu  kam  die  Furcht, 
dass  die  von  ihm  früher  gekannten  Brunnen  Afäfi's  nicht  mehr 
existiren  oder  verschüttet  sein  möchten. 

Wir  befanden  uns  in  der  Mitte  des  Sommers,  wo  zweitägige 
Wasserentziehung  fast  sicheren  Tod  bedeutet,  und  die  Verdunstung 
verschlang  grosse  Quantitäten  unseres  fast  erschöpften  Vorrathes  trotz 
des  ausgezeichneten  Zustandes  unserer  Schläuche.  Für  das  Ende 
des  zweiten  Tages  hatte  uns  Kolokömi  einen  Brunnen  in  Aussicht 
gestellt;  unser  Wasserrest  musste  im  Laufe  des  folgenden  Tages 
selbst  bei  der  sorgfältigsten  und  sparsamsten  Eintheilung  endigen, 
und  die  untergehende  Sonne  zeigte  uns  unser  Ziel  in  weiter  Entfer- 
nung, deren  ganze  Grösse  ich  freilich  nicht  zu  beurtheilen  vermochte. 

Im  Beginne  der  eigentlichen  Nacht  stellte  sich  unserem  weiteren 
Marsche  eine  Bergmasse  entgegen,  die  wir  in  der  Dunkelheit  unter 
schweren  und  rastlosen  Anstrengungen  vergebens  zu  überwinden  ver- 
suchten. Kolokömi  Hess  uns  keine  Ruhe.  Hatten  wir  in  einer  an- 
steigenden Schlucht  nach  langer  Arbeit  unübersteiglichc  Hindernisse 
gefunden , so  kehrten  wir  um  und  versuchten  es  in  einer  anderen, 
um  schliesslich  entmuthigt  eine  dritte  Angriffsstelle  mit  noch  gerin- 
gerem Erfolge  zu  wählen.  Seit  der  mitgenommene  Sebat  Tedscherri  s 
zu  Ende  war,  hatten  die  Kameele  keine  ordentliche  Nahrung  ein- 
genommen; die  Hochebene  Alaöta  Kju  ist  solcher  gänzlich  baar, 


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236  II.  HUCH,  2.  KAPITEL.  UNBEKANNTE  GEGENDEN. 

und  der  seit  dem  Tütnmo.  gefundene  Häd  war  so  verdorrt,  dass  die 
Thiere  ihn  nicht  fressen  wollten.  Dazu  hatte  ich  während  meiner 
Augenentzündung  beständig  reiten  müssen  und  war  auch  während 
des  letzten  Nachtmarsches  in  den  Felsen  nicht  fähig  gewesen,  zu 
Fuss  zu  bleiben;  dazu  waren  die  Thiere  selbst  des  Bergsteigens  gänz- 
lich ungewohnt. 

Nach  vielstündigcn,  vergeblichen  Mühen  standen  wir  gegen  3 Uhr 
Morgens  einstweilen  von  der  Fortsetzung  unseres  Beginnens  ab  und  be- 
schlossen, bis  Anbruch  des  Tages  neue  Kräfte  zu  sammeln.  Der  letzte 
Versuch  um  diese  Zeit,  einen  Pass  zu  entdecken,  schlug  ebenfalls  fehl, 
und  erst  jetzt  kamen  wir  auf  den  vernünftigen  Gedanken,  den  Ge- 
birgsstock  zu  umgehen,  wie  wir  es  schon  theilweise  unwillkührlich 
gethan  hatten.  Gegen  8 Uhr  Morgens  (30.  Juni)  war  diese  Operation 
zwar  vollendet,  doch  die  Berge,  welche  den  ersehnten  Brunnen  bergen 
sollten,  schienen  bei  der  Morgenbeleuchtung  im  Vergleich  zu  dem 
Eindrücke,  welchen  wir  Tags  zuvor  unter  dem  Einflüsse  der  Nach- 
mittagssonnc  empfangen  hatten,  in  noch  weitere  Ferne  gerückt  zu  sein. 
Die  Dunkelheit  der  Nacht  hatte  uns  unglücklicherweise  nach  Osten 
von  unserer  ursprünglichen  Richtung  abgelenkt  und  so  die  qualvolle 
Ermüdung  der  verflossenen  Nacht  zur  F'olge  gehabt;  die  Berge  von 
Afäfi  lagen  jetzt  in  südsüdöstlicher  Richtung. 

Noch  besassen  wir  einen  halben  Schlauch  Wasser,  und  zehn 
Personen  sollten  davon  ihren  Antheil  empfangen;  das  konnte  mitten 
im  Sommer  nicht  weit  reichen.  Eine  ansehnliche  Sudan -Qirba  mag 
immerhin  gegen  30  Eiter  Wasser  enthalten  und  lässt  unter  gewöhn- 
lichen Verhältnissen  nicht  viel  Verdunstung  zu,  wenn  sic  neu  ist. 
Doch  die  Sonne  des  Hochsommers  trocknet  Alles  aus  und  recht- 
fertigt im  Verein  mit  der  ungewöhnlichen  Anstrengung  einen  reich- 
lichen Wasserverbrauch.  Gerhard  Rohlfs  führte  bei  einer  sommer- 
lichen Wüstenreise  an  einem  Tage  seinem  Körper  zehn  Liter  Wasser 
zu;  und  wir  hatten  für  sechs  Mann  — Kojokftmi  und  Bü  Zeid  be- 
sassen für  ihre  Personen  noch  kleine  Mengen  — im  Ganzen  höchstens 
zehn  Liter.  Dazu  waren  unsere  Kameelc,  wenigstens  die  meinigen, 
sehr  abgemattet;  die  der  Tubuvarietät  angehörenden  meiner  Begleiter, 
welche  weniger  beladen  gewesen  und  an  Felsklimmen  gewöhnt  waren, 
hatten  die  Schwierigkeiten  des  Terrains  besser  überwunden. 

Nachdem  wir  die  mühevolle  Felsgruppe  verlassen  hatten,  wagten 
wir  schon  nach  einstündigem  Marsche  nicht  mehr,  den  Kameelen 


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ZUNEHMENBE  ERMATTUNG. 


237 

den  Weitermarsch  unter  dem  Einflüsse  der  Sonne  zuzumuthen,  son- 
dern verbrachten  den  grössten  Theil  des  Tages,  dessen  hochgradige 
Hitze  durch  den  äusserst  schwachen  Ostwind  nicht  gemildert  wurde, 
in  einer  Bodensenkung,  in  der  ein  kümmerlicher  Hddbestand  einige 
grüne  Pflänzchen  entdecken  liess.  Doch  Kameele  fressen  bei  grosser 
Tageshitze  ungern,  und  lieben  zu  diesem  Zwecke  die  frühen  Mor- 
gen- und  Nachtstunden;  sind  sie  aber,  wenn  auch  nur  momentan, 
übermüdet,  so  bedürfen  sie  zunächst  der  Ruhe,  oder  ihr  Appetit 
muss  durch  frische  Kräuter  oder  etwas  Wassergenuss  angeregt 
werden. 

Wir  warteten  die  Verminderung  der  Hitze  im  unzulänglichen 
Schatten  des  Zeltes  ab  und  zehrten  in  dieser  Zeit  unseren  Wasser- 
vorrath  auf,  ohne  unsere  durstigen  Organismen  dadurch  befriedigt  zu 
haben.  Dann  strebten  wir  wieder  voran,  über  Stein  und  Sand,  durch 
Schluchten  und  über  Felsen  unserem  fernen  Ziele  zu,  das  sich  in 
der  hügeligen  und  felsigen  Gegend  den  Blicken  entzog,  und  wurden 
nur  zu  oft  durch  Terrainschwierigkeiten  genöthigt  zurückzugehen, 
die  Richtung  zu  wechseln  und  Hindernisse  zu  umgehen.  Von  Zeit 
zu  Zeit  erklomm  Kolokömi  einen  Felsen,  um  nach  dem  wasserver- 
heissenden  Berge  auszuspähen,  und  dann  verriethen  seine  Züge  eine 
Unsicherheit,  welche  ich  nicht  mehr  allein  einer  falschen  Berechnung 
der  Entfernung  zuzuschreiben  wagte,  sondern  in  welcher  ich  deutlich 
einen  Mangel  oder  Verlust  der  Oricntirung  erblickte. 

Stumm  wanderten  wir  einher,  Nase  und  Mund  durch  Turbanstoff 
verhüllt,  um  die  Austrocknung  der  Schleimhäute  und  dadurch  den 
Durst  zu  verringern;  jeder  unserer  Blicke  hing  mit  angstvoller  Span- 
nung an  den  Zügen  des  Führers,  den  direct  zu  fragen  uns  die  be- 
ginnende Muthlosigkeit  verhinderte.  Wieder  suchte  er  die  Höhen, 
wieder  hingen  wir  sprachlos  voll  Furcht  und  Erwartung  an  seinen 
Mienen,  und  immer  entmuthigender  ward  die  deutliche  Antwort 
seiner  unsicheren  Blicke,  die  er  höchstens  noch  verständlicher  machte 
durch  das  oft  gehörte:  md  zal,  noch  nicht!  Sonnenuntergang  kam; 
die  Zeit  der  grössten  Durchsichtigkeit  der  Atmosphäre  war  vorüber, 
und:  md  zal,  noch  immer  nicht! 

Immer  stiller  und  stiller  wurde  die  Gesellschaft,  in  der  Jeder  das 
düstere  Gespenst  ernstlicher  Wassersnoth  vor  seinen  inneren  Augen  auf- 
tauchen sah.  Mit  der  Energie  der  Furcht  vor  dem  am  meisten  gefürch- 
teten Schicksal  der  Wüstenreisenden  folgte  Jeder  dem  Führer;  doch  als 


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2ns 


II.  BUCH,  2.  KAPITEL.  UNBEKANNTE  HEGENDEN. 


eine  vollständige  Finsterniss  hercingebrochen  war,  weigerte  ich  mich 
nach  der  traurigen  Erfahrung  der  verflossenen  Nacht  und  ihrer  nutz- 
losen Kraftvergeudung,  weiter  zu  marschircn,  sondern  drang  darauf,  den 
Aufgang  des  Mondes  abzuwarten.  Dies  trug  mir  einige  Stunden  Rast 
in  der  erfrischenden  Kühle  der  Nacht  ein;  doch  für  einen  wirklich 
erquickenden  Schlaf  war  mein  Gemüth  zu  aufgeregt  und  mein  Körper 
zu  ermüdet.  Kurz , nach  Mitternacht  nahmen  wir  den  entsetzlichen 
Kampf  wieder  auf;  doch  jetzt  gaben  Alle,  Menschen  und  Thiere, 
deutliche  Spuren  überwältigender  Ermattung  kund.  Der  Eine  blieb 
zurück'  und  konnte  nur  durch  gewaltsame  Aufrüttlung  zur  Fortsetzung 
des  Marsches  gezwungen  werden;  ein  Anderer  kratzte  feuchte  Erde 
aus  dem  Boden,  als  wenn  sie  Aussicht  auf  lebendiges  Wasser  eröffnete; 
ein  Dritter  bat  flehentlich  um  einen  kleinen  Trunk  Wassers,  da  be- 
kannt geworden  war,  dass  Giuseppe  einen  kleinen  Vorrath  für  die 
äusserste  Noth  aufbewahrt  hatte,  und  'Ali  und  Sa'ad  flehten  ver- 
gebens beritten  gemacht  zu  werden.  So  lange  nicht  der  beginnende 
Tag  unsere  räumlichen  Fortschritte  klar  gemacht  hatte,  so  lange  die 
Hoffnung  nicht  wuchs,  konnten  die  Kameele  nicht  noch  mehr  be- 
lastet, durfte  der  letzte  Tropfen  Wasser  nicht  gewissermaassen  nutzlos 
verschleudert  werden. 

Der  Morgen  kam,  und  die  Hoffnung  Kolokömi’s  schien  mit  der 
gehaltenen  Umschau  nicht  zu  wachsen.  Sein  Vetter  Wolla  und  Bü 
Ze’id's  Diener  Galma  wurden  vermisst  und  waren  wahrscheinlich  im 
Dunkel  der  Nacht  unbemerkt  zurückgeblieben.  In  ernster  Berathung 
waren  die  wüstenkundigen  Männer  Kolokömi , Bü  Zeid , Birsa  und 
der  alte  Qatrüner  darüber  einig,  dass  weder  Mensch  noch  Thiere 
in  der  bisherigen  Weise  den  gesuchten  Brunnen  zu  erreichen  ver- 
möchten. Ich  musste  mich  also  entschliessen,  das  Gepäck  zurück- 
zulassen und  die  Leute  sämmtlich  beritten  zu  machen,  um  wenigstens 
das  Ziel,  wenn  der  Weg  zu  ihm  gefunden  sein  würde,  erreichen  zu 
können.  Der  gleichmiithige  Bui  Mohammed  suchte  vorsorglich  eine 
hochgelegene  Stelle  für  unsere  Habe,  da  man  nie  wissen  könne, 
ob  nicht  ein  plötzlicher  Regen  das  Thal  mit  einem  rauschenden 
Wasserstrome  anfüllen  werde,  und  die  Thiere  wurden  entlastet.  Dass 
die  Sachen  ohne  Bewachung  oder  Versteck  auf  freiem  Felde  gelassen 
wurden,  hatte  in  dieser  so  selten  von  Menschen  besuchten,  öden 
Wildniss  durchaus  kein  Bedenken.  • 

Giuseppe  ging  an  die  Verthcilung  des  Wasserrestes.  Jeder  erhielt 


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F.NTlF.  DES  WASSF.RVORRATIIES.  239 

ein  volles  Glas  von  sechs  bis  acht  Unzen  des  köstlichen  Nass,  das 
die  Frische  der  Nacht  und  die  Verdunstung  von  der  Oberfläche  der 
Qirba  fast  eisig  gekühlt  hatte,  und  gierig  sogen  wir,  mit  schmerz- 
lichem Bedauern,  dass  es  nicht  mehr  sei,  den  letzten  Tropfen  ein. 
Der  letzte  war  Kolokömi.  Er  schob  seinen  Gesichtsschleier  von 
Nase  und  Mund  nach  unten  über  das  Kinn  zurück,  ergriff  das 
Glas,  nahm  einen  Schluck,  kühlte  die  Schleimhaut  seines  Mundes 
mit  demselben,  spritzte  cs  in  langem  Strahle  durch  eine  Zahnlücke 
von  sich,  als  ob  es  nicht  heiliges  Wasser,  sondern  der  gewöhnliche 
Inhalt  eines  Tubumundes,  grünlicher  Tabaksaft,  wäre,  und  reichte 
mir  den  Rest  mit  dem  Bemerken , dass  er  noch  keinen  Durst  habe, 
aber  wohl  begreife,  dass  wir  als  Leute  des  Wassers  sogar  diesen  erst 
beginnenden  Mangel  nicht  ertragen  könnten.  Es  ist  nämlich  eine  allge- 
mein verbreitete  Ansicht  in  jenen  Gegenden,  dass  die  Christen  auf 
sumpfigen  Inseln  mitten  im  Meere,  eng  zusammen  gedrängt,  ein  halb 
amphibisches  Leben  führen.  Der  Mann  imponirte  mir,  wie  er,  aus- 
getrocknet gleich  den  öden  Gefilden  seiner  Heimath,  hart  und  schroff, 
wie  die  Felsen  seines  Landes,  Nichts  von  seiner  Energie  eingebüsst 
hatte.  Auch  Bü  Zeid,  Birsa  und  der  alte  Qatrüncr  hatten  Etwas 
von  dieser  Wüstennatur  in  sich,  während  wir  beiden  Christen,  mit 
Sa'ad  und  Ali  eine  Kategorie  bildend,  von  jenen  mit  einem  Mitleid, 
das  nicht  ganz  frei  von  Verachtung  war,  betrachtet  wurden. 

Ohne  Aufenthalt  ging  es  w’ieder  vorwärts.  An  der  Spitze  war 
Kolokömi,  der  seinen  Landsmann  Birsa  hinter  sich  auf  seine  noch 
rüstige  Näqa  (weibliches  Kameel)  genommen  hatte;  ihm  der  nächste 
war  Bü  Zeid  auf  seinem  schlanken  Thiere,  das  ebenfalls  nicht  durch 
Belastung  erschöpft  war  und  mit  zartem  Gliederbau  die  Energie  und 
leichte  Beweglichkeit  seiner  Rasse  vereinigte;  dann  folgte  ich,  und 
hinter  mir  kam  Giuseppe  Valpreda,  Jeder  allein  auf  einem  Kamcclc; 
Ali  Bü  Bekr,  mit  der  arabischen  Wachthündin  Feida  vor  sich,  war 
der  nächstfolgende,  und  Bui  Mohammed  mit  Sa’ad  auf  der  Croupe 
schloss  den  Zug,  dessen  Glieder  keineswegs  nahe  bei  einander 
blieben. 

Von  den  beiden  Hunden,  welche  uns  begleiteten,  musste  Feida 
schon  seit  manchen  Tagen  zu  Kameel  transportirt  werden.  Schon 
ehe  sie  Qatrün  erreichte,  hatte  der  kiesige  Sand  und  seine  Tempe- 
ratur die  harte  Haut  der  Fusssohlen  durchgescheuert  und  entzündet, 
und  bald  waren  diese  in  offene  Wunden  verwandelt.  Dudschäli  da- 


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240  II.  BUCH,  2.  KAPITEL.  UNBEKANNTE  GEGENDEN. 

gegen,  trotzdem  seine  Füsse  ebenfalls  in  einem  traurigen  Zustande 
waren,  konnte  nicht  bewogen  werden,  auf  dem  Kameelrücken  zu  blei- 
ben, obgleich  ihm  die  qualvolle  Hitze  und  die  grenzenlose  Ermü- 
dung unaufhörlich  ein  jämmerliches  Wimmern  und  Klagen  auspresste. 

Kolokömi  und  Bü  Zeid  waren  Dank  der  Lcichtfussigkeit  ihrer 
Tubukameele  bald  unseren  Blicken  entschwunden,  während  wir  unsere 
Thicre  nur  durch  unmenschliche  Züchtigung  bewegen  konnten,  ihren 
Spuren  zu  folgen.  Die  uns  in  nächster  Nähe  umgebenden  Felsen  ver- 
hinderten den  freien  Umblick  und  verdeckten  uns  das  lockende, 
rettende  Ziel.  Da,  etwa  eine  Stunde  nrch  Sonnenaufgang,  er  öffnete 
sich  vor  uns  plötzlich  ein  weites  Flussbett,  dessen  Anblick  unsem 
Muth  wieder  anfachte  und  uns  mit  neuer  Energie  belebte.  Am  Ur- 
sprunge  desselben,  zu  den  Füssen  der  hohen,  finsteren  Felsen,  die  wir 
aus  der  Ferne  erblickt  hatten,  sollte  der  heissersehnte  Brunnen  liegen. 
Die  Hoffnung  wuchs,  als  in  dem  reinen  Sande  des  Bettes  zahlreiche 
Fussspuren  von  Kameelen,  Eseln,  Antilopen  zu  beweisen  schienen,  dass 
noch  in  jüngster  Zeit  Wasser  in  der  Nähe  war.  Zum  ersten  Male 
sah  ich  hier  den  kräftigen  Eindruck  des  Straussenfusses  im  Sande, 
der  stets  für  ein  sicheres  Zeichen  von  Wasser  in  nicht  zu  grosser 
Ferne  gilt.  Allerdings  wollte  der  alte  Qatrüner,  dessen  Natur  sich 
nicht  leicht  zu  sanguinischer  Hoffnung  fortreissen  liess,  dieser  Erschei- 
nung nicht  den  hohen  Werth  beilegen,  den  ihr  meine  Phantasie  zu- 
schrieb. Auf  meine  Verwunderung  darüber  erklärte  er  mir,  dass  bei 
der  grossen  Ausdehnung  des  gebirgigen  Gebietes  und  bei  dem  eng 
zwischen  hohen  Felsen  eingebetteten  Sande  solche  Spuren  sich  lange 
unbedeckt  und  unverwischt  in  scheinbarer  Frische  erhalten  können, 
und  dass  also  kein  sicherer  Schluss  aus  ihnen  zu  ziehen  ist.  So 
viel  schien  mir  wenigstens  klar,  dass,  wenn  überhaupt  Wasser  am 
Ursprünge  des  Flussthaies  vorhanden  war,  wir  dasselbe  erreichen 
mussten;  dem  Gedanken,  dass  der  Brunnen  leer  sein  könne,  wagte 
ich  nicht  Raum  zu  geben. 

Unser  Weg  war  uns  jetzt  vorgezeichnet,  und  mit  Aufbietung 
aller  unserer  Kräfte  trieben  wir  mit  unseren  eisernen  Ladestöcken 
und  mit  Knütteln  die  armen,  erschöpften  Thiere  vorwärts  und  folgten 
den  Windungen  des  Flusses.  Bald  erhob  sich  der  grösste  Feind 
des  vom  Durste  Bedrohten  oder  Gequälten,  die  Sonne,- zu  bedenk- 
licher Höhe.  Glühend  sendete  sie  ihre  Strahlen  auf  die  dunkel- 
farbigen Felsen  der  Ufer  und  auf  den  hellen  Sand  zwischen  denselben, 


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QUALEN  DES  DURSTES. 


241 


und  Strahlung  und  Rückstrahlung  versetzte  uns  bald  in  ein  Meer 
von  Feuer  und  Gluth.  In  ihm  erstarb  die  momentan  aufgeflackerte 
Thatkraft,  drohte  der  kaum  angefachte  Hoffnungsfunke  schnell  wieder 
zu  erlöschen.  Furchtbarer  Durst  stellte  sich  ein;  die  Mund-,  Rachen-, 
Nasen-  und  Kehlkopf- Schleimhaut  wurde  ihrer  letzten  Feuchtigkeit 
beraubt;  um  Schläfe  und  Stirn  schien  sich  ein  eiserner  Ring  enger 
und  enger  zu  schliessen.  Kein  erfrischender  Windstoss  erreichte  uns 
im  engen  Thale;  die  Augen  brannten  schmerzhaft;  die  Ermattung 
wurde  grenzenlos.  Ausserdem  trugen  die  Kameele  der  Hoffnung 
auf  Rettung,  welche  in  der  Ferne  winkte,  keinerlei  Rechnung,  sondern 
begannen  in  beunruhigender  Weise  mit  den  Sajälakazien  zu  liebäugeln, 
welche  hier  und  da  im  Flusssande  durch  ihr  spärliches  aber  kräftiges 
Grün  das  Auge  erquickten  und  durch  ihren,  wenn  auch  noch  so 
kümmerlichen,  Schatten  zur  Rast  einluden.  Zweimal  legte  mein 
ermattetes  Thier  trotz  meiner  Schläge  seine  müden  Glieder  unter 
einen  Baum,  und  zweimal  gelang  cs  mir,  durch  Verdoppelung  der 
Züchtigung  das  arme  Geschöpf  zu  qualvollem  Weiterschwanken  zu 
bewegen.  Doch  als  dasselbe  sich  in  der  Mitte  des  Vormittags  zum 
dritten  Male  in  das  Geäst  einer  Akazie,  deren  lange,  kräftige  Stacheln 
mir  die  Haut  zerrissen,  gedrängt  und  niedcrgelegt  hatte,  entfaltete  es 
den  ganzen  Eigensinn  seiner  Art  und  war  durch  Nichts  zu  bewegen, 
den  sauer  errungenen  Schatten  aufzugeben. 

Ich  war  schon  geschwächt  genug,  um  eine  geheime  Befriedigung 
über  den  Entschluss  meines  Trägers  zu  empfinden  und  ohne  Rück- 
sicht auf  die  drohend  nahe  Zukunft  mich  am  nächsten  Genüsse  des 
Schattens  zu  erlaben.  Als  die  Kameele  meiner  Gefährten  nach  und 
nach  eintrafen,  folgten  sie  ohne  Zaudern  dem  Beispiele  ihres  Vor- 
gängers und  krochen  mit  ihrer  menschlichen  Bürde  unter  den  Baum. 
Bald  waren  wir  alle  vereint  und  beschlossen,  bis  gegen  Abend  im 
Schatten  zu  verweilen  und  dann  zu  versuchen,  mit  dem  Reste  unserer 
Kräfte  den  Brunnen  zu  erreichen,  wenn  bis  dahin  Kolokömi  und  der 
Muräbid  kein  Wasser  gesendet  haben  sollten.  Letzteres  hoffte  ich 
natürlich  von  ganzem  Herzen  und  suchte  meinen  Gefährten  diese 
Hoffnung  so  sicher  und  wahrscheinlich  als  möglich  darzustellen. 

Leider  gelang  es  mir  nicht,  auf  diese  Weise  die  Lebensgeister 
Alfs  und  Sa’ad's  aufzumuntern.  Der  Erstere  verfiel  schnell  in  einen 
Zustand  halber  Bewusstlosigkeit,  der  mir  eine  so  ernstliche  Besorgniss 
cinflösste,  als  der  erwachende  Egoismus  der  eigenen  Lebensgefahr 

Nachügal.  I.  IG 


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242  II.  BUCH,  2.  KAPITEL.  UNBEKANNTE  GEGENDEN. 

zuliess.  Der  Letztere  sprach  mit  entstellten  Zügen  nur  von  seinem 
nahen  Tode,  mir  für  den  Fall  meiner  Rettung  seine  Frau  und 
Kinder  auf  die  Seele  bindend,  erging  sich  dann  in  bitteren  Vor- 
würfen gegen  mich,  sie  trotz  der  Warnung  aller  vernünftigen  Leute 
in  dies  grässliche  Land  geführt  zu  haben,  und  bereitete  sich  endlich 
durch  laute,  heisse  Gebete  zum  Eintritt  in's  Paradies  vor.  Mohammed 
klammerte  sich  ohne  Ostentation  an  seine  einfache,  fatalistische 
Lebensanschauung  und  verwies  dem  thörichten  Sa'ad  ernstlich  seine 
Invectiven  gegen  mich,  indem  er  ihm  klar  machte,  dass  Alles  vom 
allmächtigen  Gott  so  bestimmt  sei,  und  dass  ich  doch  unmöglich 
mehr  thun  könne,  als  mit  ihnen  zu  sterben,  wenn  es  so  verhängt  sei. 
Giuseppe  Valpreda  endlich,  ein  energischer,  heftiger  Charakter,  brütete 
stumm  vor  sich  hin,  erhob  sich  dann  plötzlich,  steckte  den  Revolver 
in  den  Gürtel  und  erklärte  mir  mit  heiserer  Stimme,  er  sei  nicht  ge- 
willt, so  thatlos  den  Untergang  zu  erwarten,  sondern  werde  dem 
Laufe  des  Flussbettes  folgen  und  entweder  Wasser  finden,  oder  mit 
dem  Urheber  des  Unheils,  Kolokömi,  mittelst  des  Revolvers  abzu- 
rechnen wissen.  Trotz  meiner  und  Bui'  Mohammeds  Vorstellungen 
folgte  er  seinem  eigensinnigen  Kopfe.  Sowohl  Giuseppe  als  ich  boten 
schon  frühzeitig  die  Symptome  zunehmender  Heiserkeit  und  eines 
höchst  lästigen  Harnzwanges  dar,  von  denen  selbst  bei  Sa'ad  und 
Ali,  welche  doch  erschöpfter  zu  sein  schienen  als  wir,  nichts  wahr- 
zunehmen war. 

Zweckmässiger  würde  es  gewesen  sein,  den  Baum  zu  verlassen, 
und  abseits  vom  Flusse  irgendwo  einen  vollkommeneren  und  kühleren 
Felsschatten  zu  suchen;  doch  dann  hätten  unsere  weitergeeilten  Ge- 
nossen, wenn  sie  mit  dem  rettenden  Nass  eingetroffen  wären,  uns  erst 
suchen  müssen,  und  wir  wollten  in  einem  solchen  Falle  keinen  Augen- 
blick verlieren.  Mit  diesem  Grunde  fand  sich  unsere  Energielosigkeit 
leicht  in  das  passive  Harren.  Der  Schatten  des  Baumes  war  in  der 
That  sehr  unzureichend,  und,  wo  es  möglich  war,  suchte  Jeder  sich 
eng  an  eines  der  Kameele  zu  schmiegen,  um  im  Schatten  seines 
mächtigen  Körpers  zu  liegen.  Doch  die  Sonne  stieg  höher,  der 
Schatten  der  Thiere  und  der  ohnehin  sehr  kleinen  Baumblätter  wurde 
kürzer  und  kürzer,  und  die  stechenden  Sonnenstrahlen  zwangen  uns 
oft,  Platz  oder  Körperlage  zu  ändern.  Die  Minuten  schlichen  mit 
aufreibender  Langsamkeit  dahin;  Furcht  und  Hoffnung  hielten  ab- 
wechselnd den  Rest  unserer  Lebensgeister  wach;  doch  allmählich 


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HOFFNUNG  UND  VERZWEIFLUNG. 


24;i 


wurden  wir  stiller  und  stiller.  Kein  Geräusch  störte  die  Grabesstille 
der  umgebenden  Natur;  keine  Bewegung  milderte  das  starre,  todte 
Aussehen  der  düsteren  Felsen;  kein  Windeshauch  liess  die  Zweige 
und  Blätter  der  wenigen  Bäume,  dieser  kümmerlichen  Repräsen- 
tanten des  Lebens,  auch  nur  erzittern. 

Als  der  Nachmittag  herankam,  die  Sonne  sich  allmählich  zu 
senken  begann,  und  kein  Wasser  sich  zeigte,  fing  meine  Hoffnung 
an  zu  etblassen;  wahrscheinlich  hatten  unsere  voraufgeeilten  Begleiter 
kein  Wasser  in  dem  betreffenden  Brunnen  gefunden  und  suchten 
dasselbe  in  weiterer  Ferne.  Kein  Schlaf  wollte  mich  der  drohenden 
Gegenwart  für  Augenblicke  entrücken.  Bald  lehnte  sich  meine  ganze 
Hofihungskraft  in  momentaner  Energie  gegen  ein  so  frühes  Ende 
meiner  innerafrikanischen  Laufbahn  auf,  ehe  ich  noch  den  geringsten 
meiner  Pläne  ausgeführt  zu  haben  die  Genugthimng  hatte;  bald  ge- 
dachte ich  in  schmerzlicher  Rührung  der  zahlreichen  Freunde,  die 
mich  so  ungern  zu  der  gefahrvollen  Reise  hatten  scheiden  sehen; 
bald  suchte  und  fand  ich  einen  vorübergehenden  Trost  in  'dem  fata- 
listischen Gefühle  der  Ergebung  in  das  Unvermeidliche  und  in  dem 
Bewusstsein,  nach  bestem  Wissen  und  Willen  alle  Dispositionen  für 
die  verhängnissvolle  Reise  getroffen  zu  haben. 

Allmählich  wurden  diese  Gedanken  zu  unbestimmten  Empfin- 
dungen, verwischten  sich  in  Träumereien,  in  denen  ich  meine  Um- 
gebung sah,  ohne  in  ihr  zu  leben;  in  denen  Bilder  aus  meiner  Ver- 
gangenheit mit  den  P-rlebnissen  der  Gegenwart  verschmolzen,  und 
ich  mir  nicht  mehr  klar  bewusst  war,  ob  ich  in  der  fernen  Heimath, 
ob  am  F’usse  eines  Felsens  in  der  Sahara  weilte.  Zuweilen  ward 
ich  noch  aufgerüttelt  aus- meinem  Traumleben,  wenn  stechende 
Sonnenstrahlen  mein  Gesicht  trafen  oder  Sa’ad  in  neu  erwachender 
Glaubensgluth  seine  Gebete  inniger  murmelte.  Doch  bald  schwand 
Alles,  Gegenwart  und  Vergangenheit,  die  drohende  Todesgefahr  und 
die  nie  ganz  ersterbende  Hoffnung,  und  ein  Zustand  umfing  mich,  von 
dem  ich  nicht  weiss,  ob  er  ein  unvollkommener  Schlummer  oder  die 
beginnende  Bewusstlosigkeit  eines  nahen  Unterganges  war.  Ich  weiss 
nicht,  wie  lange  dieser,  ich  kann  nicht  sagen  qualvolle,  Zustand  dauerte, 
in  dem  meine  Sinnesorgane  Eindrücke  von  aussen  aufnahnien,  ohne 
dass  diese  zu  richtigem  Bewusstsein  gelangten. 

Da,  war  es  ein  Traum,  war  es  ein  Spiel  meiner  krankhaft  erregten 
Sinne?  Eilte  dort  nicht  mit  schnellen,  seltsamen  Sprüngen  eine  mäch- 

!<;* 


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5>44 


lt.  buch,  2.  Kapitel,  unbekannte  Gegenden. 


tige  Ziege  gerade  auf  unsere  Akazie  los,  und  trug  sie  nicht  gar  einen 
Menschen  auf  ihrem  Rücken?  Ich  hätte  nachher  darauf  schwören 
mögen,  Hörner  und  Hart  gesehen  zu  haben.  Freilich  war  es  ein 
Mensch,  ein  heiss  ersehnter  Mensch,  doch  die  Ziege  verwandelte 
sich  in  ein  Kameel,  auf  dem  uns  Birsa  in  zwei  Schläuchen  Wasser 
zutrug,  dessen  Anblick  uns  bei  unserer  Schwäche  und  Reizbarkeit 
Thränen  der  Rührung  auspresste.  Im  Nu  war  Ali  Bü  Bekr  wieder 
zum  Leben  erwacht,  Sa'ad  versparte  den  Rest  seiner  Gebete  auf  eine 
passendere  Gelegenheit,  und  ich  war  im  Augenblicke  voll  und  ganz 
zur  Gegenwart  zurückgekehrt.  Der  nicht  aus  dem  Gleichgewicht  zu 
bringende  Bui  Mohammed  allein  liess  sich  zu  keiner  unwürdigen  Leb- 
haftigkeit der  Gefühlsäusserung  hinreissen,  sondern  kramte  aus  unserem 
Proviantsäckchen  ein  Dutzend  Zwiebäcke,  brockte  sic  in  unser  Trink- 
gefass  und  meinte,  cs  sei  zuträglicher,  nach  längerem  Durste  vor  der 
Stillung  desselben  etwas  feste  Nahrung  zu  sich  zu  nehmen.  Erst 
dann  sogen  wir  uns  voll  des  köstlichsten  aller  Getränke.  Unter 
andern  Verhältnissen  wäre  dasselbe  freilich  schwerlich  von  Vielen 
angerührt  worden,  so  schmutzig  und  voll  fremder  Bestandtheile  war 
es.  Uns  schien  es  ein  Göttertrank,  und  unsere  Lippen  bebten  keines- 
wegs vor  den  verwesten  Materien  in  ihm  zurück. 

Nach  dem  ersten  ausgiebigen  Trünke  hatte  die  Schleimhaut  ihre 
normale  Feuchtigkeit  wieder  erlangt,  der  heisere  Choleraton  der 
natürlichen  Stimme  Platz  gemacht,  und  der  lästige  Harnzwang  ver- 
schwand wie  durch  Zaubcrschlag.  Mohammed  schob  zur  Feier  des 
Momentes  eine  ausgiebigere  Prise  Tabak  in  seinen  Mund,  biss  ein 
entsprechendes  Stück  Natron  mit  seinem  einsamen  Eckzahne  ab,  und 
Alles  war  Glück  und  Freude  und  Hoffnung.  Auch  die  beiden  Hunde 
wurden  nicht  vergessen  und  zu  neuem  Leben  gekräftigt,  und  den 
fehlenden  Giuseppe  hatte  Birsa  unter  einen  Felsen  hingesunken  ge- 
funden, hatte  ihm  Kopf  und  Schläfe  gewaschen  und  seinen  ganzen 
Tarbüsch  mit  Wasser  gefüllt.  Als  auch  nicht  ein  Tropfen  des  kost- 
baren Inhaltes  mehr  in  den  Schläuchen  war,  kam  der  vorher  ver- 
gebens als  Tröster  herbei  gesehnte  Schlaf,  der  gesundeste,  tiefste, 
erquickendste,  den  ich  je  im  Leben  schlief,  so  tief,  dass  ich  beim 
Erwachen  lange  Zeit  nöthig  hatte,  um  mich  in  Zeit,  Ort  und  Um- 
ständen zurecht  zu  finden. 

Ich  erwachte  über  der  Ankunft  Kolokömi's  und  Bü  Zeid's,  welche 
zwar  einen  weiteren,  knappen  Wasservorrath  brachten,  jedoch  be- 


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RETTUNG. 


245 


richteten,  dass  der  Brunnen  nicht  im  Stande  sei,  genug  Wasser  für 
uns  und  unsere  Kameele  zu  liefern.  Ersterer  sprach  von  einem 
anderen  Brunnen  in  der  Nähe,  den  er  wisse  und  aufsuchen  wolle,  wäh- 
rend die  Kameele  das  vorhandene  Wasser  trinken  und  das  im  Stiche 
gelassene  Gepäck  herbeiholen  würden.  Es  war  Donnerstag  Abend, 
und  es  mussten  also  fünf  Tage  verfliessen,  bevor  die  Thiere  nach  harter 
Arbeit  und  fast  gänzlicher  Nahrungslosigkeit  getränkt  werden  konnten. 

> Selbst  im  Hochsommer  würde  zwar  diese  Dauer  der  Wasserent- 
ziehung keine  aussergewöhnliche  gewesen  sein,  obgleich  das  Kameel 
der  Nordküste  an  häufigere  Tränkung  gewöhnt  ist,  wenn  nicht  der 
gleichzeitige  Mangel  an  Nahrung  und  die  übergrosse  Anstrengung 
bei  der  herrschenden  Temperatur  die  Entbehrung  complicirt  hätte. 

Am  nächsten  Morgen  (2.  Juli)  gaben  wir  dem  stärksten  meiner 
Kameele  vorläufig  einen  halben  Schlauch  Wasser  und  sandten  es 
mit  den  beiden  Thieren  Kolokömis  und  Bü  Zei'd’s,  welche  Tags 
zuvor  am  Brunnen  getränkt  worden  waren,  zur  Herbeiholung  des 
Gepäckes,  während  Ali  und  Sa'ad  die  übrigen  drei  zum  Brunnen 
führten,  um  ihnen  das  in  der  Nacht  in  demselben  angesammelte 
Wasser  zu  verabreichen  und  auch  uns  so  viel  als  möglich  zu  bringen. 
Nach  der  Rückkehr  Aller  wollten  wir  dann  nach  dem  von  Kolokömi 
erwähnten,  westlich  von  uns  gelegenen  Brunnen  ziehen,  an  dem  unser 
Führer  die  beiden  Vermissten  zu  finden  hoffte,  da  er  wusste,  dass 
Wolla  denselben  kannte. 

Der  Qatruner,  Bü  Zeid  und  Birsa,  welche  zur  Aufsuchung  des 
Gepäcks  abgegangen  waren,  kehrten  schon  nach  einer  halben  Stunde 
zurück,  da  sie  Wolla  und  Galma  bewusstlos  auf  ihrem  Wege  gefunden 
hatten.  Wir  wuschen  dieselben  ab,  flössten  ihnen  ganz  allmählich 
etwas  Wasser  ein,  und  nach  einigen  Stunden  fielen  auch  sie  in  einen 
gesunden  Schlaf,  aus  dem  sie  in  bestem  Wohlsein  erwachten.  Sie 
waren  in  der  That,  wie  Kolokömi  vermuthet  hatte,  zu  dem  andern 
Brunnen  gelangt,  hatten  aber  kein  Wasser  in  demselben  gefunden. 

Während  sie  noch  schliefen,  kamen  plötzlich  'AH  und  Sa’ad  mit 
entsetzten  Mienen  wieder  angelaufen,  um  die  Mittheilung  zu  machen, 
dass  der  Brunnen  von  einer  Bande  Tubu  besetzt  sei,  bei  deren  An- 
blick sie  die  Flucht  ergriffen  hätten.  Genauere  Nachfragen  stellten 
bald  heraus,  dass  Sa'ad  in  der  Nähe  des  Brunnens  ein  Kameel  und 
Waffen,  doch  keinen  Menschen  erblickt,  eilig  seinen  Gefährten  von 
einer  grossen  feindlichen  Bande  in  Kenntniss  gesetzt  hatte,  und  dass 


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24ti 


II.  BUCH,  2.  KAPITEL.  UNBEKANNTE  GECENDEN. 


Beide,  Kameclc  und  Qireb  im  Stiche  lassend,  in  wilder  Flucht  davon 
geeilt  waren.  So  unzulänglich  und  unsicher  auch  diese  Angaben  waren, 
versetzten  sic  doch  unsern  Führer  Kolokömi  in  die  lebhafteste  Unruhe. 
Entsprechend  dem  Rufe  der  Treulosigkeit  und  Verrätherei,  den  die 
Tubu  bei  allen  Nachbarvölkern  haben,  fürchtet  sich  Jeder  von  ihnen 
sogar,  einen  Landsmann  in  der  Wüste  zu  begegnen.  Wir  zogen  uns  in 
ein  schattiges  Felsenversteck  zurück,  von  dem  Kolokömi  fortwährend 
vorsichtig  auslugte,  und  überredeten  indess  die  beiden  feigen  Diener,  • 


Zwei  Tubu,  sich  begrusseud. 

umzukehren  und  wenigstens  die  drei  im  Stiche  gelassenen  Kameele 
und  ebenso  kostbaren  Wasserschläuche  in  Sicherheit  zu  bringen. 

Ehe  dieselben  zurückgekehrt  waren,  zeigte  sich  die  harmlose 
Ursache  ihrer  grenzenlosen  Furcht  in  der  Gestalt  eines  einzelnen 
Mannes,  der  mit  einem  beladenen  Kameele  friedlich  vom  Brunnen 
hergezogen  kam.  Da  er  allein  war,  machte  Kolokömi  beruhigt  die 
zur  Begegnung  nöthige  Toilette,  d.  h.  trug  Sorge,  dass  von  seinem 
Gesichte  nur  die  Augen  sichtbar  blieben,  und  alles  Uebrige  sorgfältig 
in  die  verhüllende  Turbantour  gewickelt  war,  ergriff  Lanze  und  Wurf- 
eisen und  trat  dem  Fremdling  entgegen,  der,  sein  Kameel  an  langer 
Halfter  führend,  jetzt  ebenfalls  seinen  Litham  über  die  Nase  in  die 


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BEGRÜSSUNGSCEREMONIE  DER  TUBU.  247 

Höhe  zupfte.  In  der  Entfernung  von  etwa  sechs  Schritten  von  ein- 
ander hockten  sie  nieder,  in  der  einen  Hand  die  auf  den  Boden  ge- 
stemmte Lanze,  in  der  andern  das  Wurfeisen,  und  vollzogen  den 
wichtigen  Act  der  wortreichen  Begriissung.  Kolokötni  begann  mit 
der  Frage  nach  dem  Befinden  des  Fremden,  welche  er  abwechselnd 
durch  „Lahainkennäho"  oder  „Lahadintschcda”  oder  „Lahaniheni" 
oder  „Killahäni " ausdrückte,  und  dieser  antwortete  durch  „Laha 
oder  „Killaha”.  Sobald  diese  Fragen  und  Antworten  etwa  ein 
Dutzend  Male  wiederholt  worden  waren,  intonirte  Koloknmi  ein  lautes, 
kräftiges  „Ihilla",  auf  das  der  Fremdling  dasselbe  Wort  erwiderte, 
und  es  folgte  nun  eine  wechselseitige  Wiederholung  dieses  Grusses, 
welche  uns  durch  ihre  Länge  in  Verzweiflung  setzte.  Anfangs  in 
kräftigster  Mannesstimme  erschallend  stieg  das  „Ihilla"  in  allmählicher 
Tonleiter  bis  zu  dumpfem,  unverständlichem  Murmeln  abwärts,  und 
das  Ganze  wurde  mit  einem  so  würdevollen  Ernste  ausgeführt,  dass 
der  Uneingeweihte  viel  eher  irgend  eine  wichtige  Ceremonie  als  eine 
einfache  Begrüssung  vermuthet  hätte.  Waren  sie  an  dem  tiefsten 
Laute  ihres  Kehlkopfes  angekommen,  und  schien  ihre  Stimme  im 
leisesten  Murmeln  zu  ersterben,  so  begann  wieder  Einer  der  Beiden 
ein  lautes,  hochtöniges  „Laha"  und  das  „Ihilla"  machte  von  Neuem 
die  ganze  Tonleiter  durch.  Dabei  schienen  sie  durchaus  kein  gegen- 
seitiges Interesse  an  ihren  Personen  zu  nehmen,  sondern  sahen  sich 
selten  an  und  schienen  vielmehr  geflissentlich  entweder  den  Blick 
in  die  weite  Ferne  schweifen  zu  lassen,  oder  vor  sich  in  den  Boden 
zu  bohren. 

Nach  einiger  Zeit  wurde  das  sonderbare  Wechselspiel  durch 
zahlreiche  Variationen  der  Frage:  „wie  geht  es  Dir?"  und  durch 
Antworten  „gut!"  oder  „mit  Frieden!"  unterbrochen  und  erst  gegen 
das  Ende  des  ganzen  Begrüssungsactes  mischten  sich  andere  Fragen 
nach  Ausgangspunkt  und  Ziel  der  beiderseitigen  Reisen,  nach  den 
Ereignissen  des  Landes,  nach  Lage  und  Zustand  der  nächsten  Brunnen 
unter  die  stereotypen  Fragen  und  Antworten.  Noch  kehrte  man  zwar 
stets  wieder  zum  „Ihilla"  zurück,  doch  kürzer  und  kürzer  wurden  die 
Reihen  desselben,  bis  allmählich  die  gewöhnliche  Unterhaltung  die 
Oberhand  gewann  und  endlich  die  Begrüssungsformcln  ganz  auf- 
hörten. Da  Kolokömi  den  Mann  nicht  kannte,  so  gab  er  ihm  weder 
vor  noch  nach  der  Begrüssungsscenc  die  Hand,  während  unter  Be- 
kannten die  arabische  Sitte  der  Handreichung  ihre  Geltung  hat. 


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248  II.  BUCH,  2.  KAPITEL.  UNBEKANNTE  GEGENDEN. 

Erkundigungen  bei  meinen  Tububegleitern  und  Bui  Mohammed 
lehrten  mich  noch  manche  Einzelheiten  der  Höflichkeitsregeln  in 
Tibcsti  kennen.  Bewohnt  man  in  den  nördlichen  Tubuländern  den- 
selben Ort,  sieht  sich  also  voraussichtlich  öfters,  so  reicht  man  sich 
stets  die  Hand  und  bietet  sich  die  Tageszeit,  wie  z.  B.  „Lahanizzeda” 
(ist  deine  Sonne,  d.  h.  Tag,  gut?)  oder  „Dogdsalaha'  (war  deine  Nacht 
eine  glückliche?)  oder  „Entoguddüni"  (wie  hast  du  die  Tageshitze  zu- 
gebracht?), und  nur  das  „Killahäni”  (bist  du  wohl?)  scheint  unter 
allen  Umständen  und  zu  allen  Zeiten  Gültigkeit  zu  haben.  Bei  der 
Trennung  sagt  man  gewöhnlich  Nichts,  wie  die  Araber,  oder  ruft 
denen,  die  man  verlässt,  wohl  zu:  ,, Allah  nkjufuk!"  — Höchst  erwünscht 
bei  jeder  Begrüssung  und  Begegnung  mit  Fremden  ist  jedenfalls  das 
sorgfältige  Einhüllen  des  Gesichtes  in  den  Litham.  Wenn  schon  die 
Begrüssung,  welche  sich  Araber  zu  Theil  werden  lassen,  dem  fremden 
Beobachter  ungebührlich  lang  erscheint,  so  scheint  sie  bei  den  Tubu 
gar  kein  Ende  zu  nehmen. 

Der  Reisende  war  ein  kleiner,  dunkelbroncefarbiger  Mann,  dessen 
harmloser  Anblick  sicherlich  nicht  einen  so  furchtbaren  Eindruck 
auf  meine  Diener  hätte  machen  können,  als  es  seine  Waffen  vermocht 
hatten.  Er  war  übrigens  ganz  allein,  im  Begriff  nach  Kawär  zu 
reisen  und  verbrachte  den  Tag  mit  uns. 

Sobald  unsere  Boten  das  Gepäck  herbeigebracht  hatten,  machte 
sich  der  alte  Qatrüner  nach  dem  Brunnen  auf,  um  'Ali  und  Sa'ad 
mit  ihren  bei  der  feigen  Flucht  im  Stiche  gelassenen  Kameelen  auf- 
zusuchen und  diese  zu  tränken.  Wir  selbst  beabsichtigten,  da  Wolla 
in  dem  seinem  Vetter  bekannten  benachbarten  Brunnen  gar  kein 
Wasser  gefunden  hatte,  uns  mit  dem  gefundenen  zu  begnügen,  in 
seiner  Nähe  unser  Lager  aufzuschlagen  und  durch  nachhelfende  Erd- 
arbeiten seinen  Inhalt  nach  Kräften  zu  vermehren. 

Dies  führten  wir  am  nächsten  Morgen  (3.  Juli)  in  aller  Frühe  aus. 
Wir  folgten  den  Windungen  des  sandigen  Flussthales,  {las  trotz  der 
von  allen  Seiten  andrängenden  Felsen  eine  Breite  von  etwa  100  Schritt 
hatte  und  fast  bis  zum  Ursprünge  so  blieb,  für  drei  Stunden  in  durch- 
schnittlicher Ostrichtung  und  lagerten  in  der  Nähe  unseres  Zieles. 
Das  Flussbett  führt  den  Namen  Galiemma,  entspringt  von  jenen  so 
angstvoll  angestrebten  dunklen  Felsenmassen  und  verliert  sich  nach 
einem  westlichen  Verlaufe  von  etwa  30  Km  in  einer  natronhaltigcn 
Ebene.  Mit  dieser  ist  man  aus  den  Afdfi- Bergen  herausgetreten; 


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COI.OQUINTHEN*-  KERNE. 


249 


weiterhin  nach  Westen  erstreckt  sich  bis  zur  Bornüstrasse  jenes  wüste 
steinige,  hier  und  da  erodirte  Terrain,  welches  wir  vom  Tümmo  ab 
durchzogen  hatten.  Unser  Brunnen  befand  sich  in  einer  halbkreis- 
förmigen, riesigen  Grotte  von  Sandsteinfelsen  in  erdegemischtem 
Sande,  der  in  einer  Schicht  von  2 bis  3 M.  dem  Felsgrunde  auflag. 
Der  ausgegrabene  Schacht  war  eng,  und  da  er  weder  ausgemauert, 
noch  nach  der  I.andessitte  mit  Baumzweigen  ausgekleidet  war,  fiel 
natürlich  bald  Sand  und  Erde  nach,  und  das  Wasser  sickerte  nur 
mühsam  hindurch.  Nach  dreistündiger  Arbeit  stiessen  wir  auf  den 
felsigen  Grund  und  in  ihm  auf  eine  Spalte,  aus  der  augenblicklich 
der  Lebensquell  etwas  reichlicher  floss. 

Während  wir  noch  eifrig  arbeiteten,  aber  unsere  Thiere  schon 
nothdürftig  abgetränkt  hatten,  erschienen  am  Nachmittage  noch  drei 
Tubu  mit  fünf  Kameelen  und  profitirten  alsbald  von  den  Früchten 
unserer  Arbeit.  Sie  betheiligten  sich  übrigens  eifrig  bei  der  letzteren, 
so  dass  wir  an  diesem  Tage  dem  wasserarmen  Brunnen  immerhin 
mehrere  hundert  Liter  entrangen.  Die  neuen  Ankömmlinge  waren  zu- 
fällig Verwandte  Kolokömi's  und  hatten  zur  Zeit  ihren  Aufenthalt  in  der 
Gegend  von  Afäfi,  hauptsächlich,  um  Coloquinthcn-Kerne  zu  ernten. 

Die  Bittergurke  wird  im  Arabischen  Handal,  in  der  Tubu-Sprache 
Aber  genannt,  und  ihre  Kerne,  welche  eigentlich  im  Arabischen  Auläd 
el-Handal  heissen,  führen  sowohl  bei  Arabern  jener  Gegend  als  bei  Tubu 
den  Namen  Tabarka,  in  dem  vielleicht  das  Wort  Aber  enthalten  ist. 
Der  Process,  durch  den  die  Kerne  geniessbar  gemacht  werden,  ist 
ein  sehr  complicirter.  Man  erntet  sic  im  Sommer,  trocknet  sie  ge- 
hörig, thut  sie  in  starke  Säcke  und  befreit  sic  durch  Treten  von 
einem  Theile  ihrer  Schalen  und  sondert  sie  durch  Worfeln  von  diesen. 
Alsdann  mischt  man  sic  mit  der  Asche  von  Kameelmist,  bearbeitet 
das  Gemisch  zwischen  glatten  Steinen,  wie  man  sie  zum  Mahlen  des 
Getreides  benutzt,  beraubt  sic  dadurch  eines  Theils  ihrer  Bitterkeit 
und  drastischen  Eigenschaft  und  entfernt  gleichzeitig  den  letzten 
Rest  der  Schalen.  Nachdem  man  sie  wieder  geworfelt  hat,  kocht 
man  sie  mit  den  Laubspitzen  des  Etcl-Busches,  wässert  sie  kalt  ein 
und  wiederholt  diese  Procedur,  bis  jede  Spur  von  Bitterkeit  ver- 
schwunden ist.  Endlich  trocknet  man  sic  an  der  Sonne  und  hat  ein 
angenehmes  und  in  Pulverform  sehr  geeignetes  Nahrungsmittel  ge- 
wonnen, zu  dem  man  gerne  Datteln  in  demselben  Zustand  fügt  und 


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II.  BUCH,  2.  KAPITE1*  UNBEKANNTE  GEGENDEN. 


250 


das  in  der  Oekonomie  der  Bewohner  Tibesti’s  nicht  ohne  Wichtigkeit 
ist  und  für  sehr  nahrhaft  gilt. 

Die  Verwandten  Kolokftmi's  waren  kräftige,  mittelgrosse,  ziemlich 
magere  Männer  von  dunklerer  Hautfarbe  als  die  meisten  der  bisher 
gesehenen  Tubu,  obgleich  die  Intensität  derselben  von  der  Schwärze 
meiner  farbigen  Diener  sehr  übertroffen  wurde.  Sie  waren  ebenfalls 
sehr  abgerissen  und  mit  Amuletcn  und  Talismanen  so  behängt,  dass 
ich  an  Einem  von  ihnen  16  Ledersäckchen  verschiedener  Form 
und  Grösse  an  Turban,  Hals  und  Armen  zählte.  Sie  führten  ausser 
ihren  Kamcelen  noch  drei  Windhunde  mit  sich,  jammervolle  Gerippe, 
welche,  obgleich  an  Grösse  und  schlankem  Wuchs  weit  gegen  die 
schönen  Vertreter  dieser  Rasse  in  Marokko  und  Tunisien  zurück- 
stehend,  doch  Gazellen  und  Antilopen  erjagen  sollen.  Ohne  diese 
nützliche  Eigenschaft  würden  sich  gewiss  die  praktischen  Tubu  nicht 
dazu  verstehen,  ihnen  ihr  spärliches  Futter  zu  gönnen.  Der  traurige 
Zustand  der  Ernährung  dieser  verhungerten  Geschöpfe  wurde  mir 
in  unerfreulicher  Weise  noch  persönlich  dadurch  klar  gemacht,  dass 
sie,  kaum  angekommen,  erfrischt  und  etwas  ausgeruht,  sofort  meine 
arabischen  ledernen  Schuhe  als  gute  Jagdbeute  ansahen  und  die 
dicken  Sohlen  derselben  aus  Büffelfell  ihren  heruntergekommenen 
Organismen  einverleibten,  während  ich  barfuss  der  Ruhe  pflegte. 

Während  noch  Alle  am  Brunnen  arbeiteten,  oder  auf  dem  Sande 
seiner  Umgebung  der  Ruhe  oblagen,  streifte  ich  auf  den  umliegenden 
Felsen  und  in  den  tiefen  Schluchten  herum  und  staunte  über  die 
Wildheit  beider.  Die  dunkle  Färbung  der  aufeinander  gethürmten, 
massigen  Blöcke,  die  Kahlheit  und  Nacktheit  des  Ganzen,  in  Mitten 
einer  Einsamkeit,  welche  durch  keine  rauschenden  Bäume,  kein 
plätscherndes  Wasser,  keine  Stimmen  der  Vögel  unterbrochen  oder 
gemildert  wurde,  erfüllten  mich  mit  einem  Gefühle  ehrfürchtigen 
Grauens,  wie  es  etwa  Kinder  Abends  allein  in  einer  Kirche  oder  auf 
einem  Friedhofe  empfinden.  An  den  senkrechten  Wänden  der 
Schluchten  trat  in  der  Tiefe  häufig  rother,  weisser,  grauer,  violetter, 
brauner  oder  gelber  Kalkstein  zu  Tage  unter  der  kolossalen  Hülle 
des  dunkelfarbigen  Sandsteins.  Hier  waren  abgerundete  Hügel  mit 
mächtigen  Blöcken  bedeckt,  dort  lagen  die  Riesenwürfel  über- ein- 
ander geschichtet  und  bildeten  entweder  grössere,  horizontale  Stein- 
flächen oder,  wenn  rings  die  nächste  Umgebung  zerstört  und  zerfallen 
war,  wahre  Kolosse  von  Säulen  und  Pfeilern, 


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DIE  KELSEN  UND  Kl.USSTHAL.ER  AKAKl’s.  251 

Die  Erhebung  des  Flussthaies  über  dem  Meeresspiegel  beträgt 
etwa  600  M.,  während  ich  für  die  durchschnittliche  Höhe  der  um- 
gebenden Felsen  70  M.  mehr  fand.  Von  der  Höhe  eines  solchen 
sah  man  die  scheinbar  regellos  angeordnete  Gebirgslandschaft  sich 
hauptsächlich  nach  Südosten  fortsetzen,  während  nach  Westen  hin 
die  Felsen  sich  bald  in  der  weiten  Ebene  verloren. 

Da  die  Brunnenarbeit  durch  den  fortwährend  nachfallenden  Sand 
sofort  wieder  zum  Theil  vernichtet  wurde,  und  das  Wasser  so  sicht- 
lich abnahm,  dass  es  zweifelhaft  erschien,  ob  wir  unseren  Reise- 
vorrath  aus  ihm  würden  schöpfen  können,  gingen  die  drei  zuletzt 
Angekommenen  mit  Sa'ad  und  'Ali  lange  vor  Tagesanbruch  in  den 
benachbarten  Enneri  Lolemmo,  um  an  dort  bekannten  Stellen  nach 
Wasser  zu  forschen.  Da  sie  um  Mittag  mit  günstigem  Berichte 
heimkehrten,  verlegten  wir  unser  Lager  in  die  Nähe  des  von  ihnen 
aufgefundenen  Brunnens.  Wir  verliessen  unser  Flussthal  durch  einen 
nördlichen  Pass  und  gelangten  aus  einem  folgenden,  flachen  Fcls- 
kessel  in  ostnordöstlicher  Richtung  durch  eine  enge  Schlucht  in  die 
weite,  steinige  Ebene  des  E.  Lolemmo,  welche  wir  in  südöstlicher 
Richtung  bis  zu  den  Felsengruppen  durchzogen,  aus  denen  sich  das 
Flussbett  entwickelt.  In  diese  einzudringen  konnten  wir  unserer, 
solchen  Terrains  ungewohnten,  arabischen  Kameele  wegen  in  der 
Dunkelheit  nicht  mehr  versuchen;  \tir  schlugen  also  unser  Lager  in 
der  Ebene  auf  und  schickten  die  Tubukamecle  zur  Wassereinnahme. 

Das  Flussthal  hat  einen  westsüdwestlichen  Verlauf  und  erfreut 
sich  einer  zwar  recht  spärlichen,  doch  immerhin  etwas  reicheren  Vege- 
tation von  Gräsern  und  Kräutern,  als  der  Galiemma.  Vom  Lolemmo 
aus  kannten  die  Verwandten  Kolokömi's  einen  Brunnen  in  der  Ent- 
fernung von  zwei  Tagemärschen  in  fast  südlicher  Richtung,  und  dieser 
sollte  durch  eine  ebensolche  Entfernung  von  der  wasserreichen  Fels- 
gruppe Mini,  welche  auf  der  Strasse  von  Abo  nach  Täo  liegt,  ge- 
trennt sein.  Ich  meinerseits  hätte  gewünscht,  in  südöstlicher  Richtung 
nach  der,  auf  der  gewöhnlichen  Strasse  von  Fezzän  nach  Tibesti 
gelegenen  sicheren  Wasserstation  Owi,  die  in  geringer  Entfernung 
von  uns  lag,  zu  gehen,  denn  die  Discussionen  über  den  Brunnen  vor 
uns  flössten  mir  kein  besonderes  Vertrauen  ein;  doch  die  Furcht 
Kolokömi's  und  Bü  Zeid's  vor  den  Leuten  von  Abo  war  unbesiegbar. 

Nach  reichlicher  Wassereinnahme  strebten  wir  am  Nachmittage 
des  5.  Juli  unter  Führung  eines  jungen  Mannes  aus  der  anderen  Ge- 


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252  II.  BUCH,  2.  KAPITEL.  UNBEKANNTE  GEGENDEN. 

Seilschaft  in  südlicher  Richtung  dem  in  Aussicht  gestellten  Brunnen 
zu.  Der  Weg  führte  uns  zunächst  durch  das  Thal  des  Flusses, 
welches  eine  spärliche  Vegetation  von  AquI  — Lakör  ted.  — , Häd 
— Dschüri  ted.  — und  andern  Futterkräutern  entfaltete,  während 
sein  eigentliches  Bett  in  gewöhnlicher  Weise  mit  Sajälakazien  — Tefi 
ted.  — geziert  war.  Bald  verschwand  diese  relative  Fruchtbarkeit 
und  der  öde  Charakter  der  steinigen  Wüste  waltete  wieder  vor.  Die 
eigentliche  Gebirgsgegend  von  Afäfi  hatten  wir  verlassen.  Die  Ebene 
vor  uns  zeigte  keine  ausgedehnten  Bergketten  mehr,  sondern  in  un- 
bestimmten Zwischenräumen  einzelne  Felsen  und  Gruppen,  die  durch 
ihre  wunderlichen  Formen  meine  Aufmerksamkeit  besonders  fessel- 
ten. Dunkel,  schroff,  steil,  aller  mildernden  Umgebung  entbehrend, 
bildeten  sie  einen  scharfen  Contrast  mit  dem  gelben,  hellen  Sand- 
oder Kiesboden,  aus  dem  sie  sich  erhoben.  Eine  der  ansehnlicheren, 
Namens  Schcrkedä,  deren  wild  zerrissene  Formen  sich  bei  der  durch- 
sichtigen Abendluft  in  scharfen  Umrissen  vom  klaren  Himmel  ab- 
hoben, erblickten  wir  nach  einigen  Marschstunden  in  dircctem  Osten 
und  nahezu  einen  halben  Tagemarsch  weit. 

Als  nach  vier  Stunden  die  volle  Dunkelheit  hereingebrochen 
war,  drängte  ich,  in  lebhafter  Erinnerung  an  die  zwecklosen  An- 
strengungen der  früheren  Tage  und  aus  Rücksicht  auf  die  Kamcele, 
welche  die  verflossene  Woche  keineswegs  vergessen  hatten,  zur 
Lagerung  trotz  des  Widerstrebens  Kolokömi’s  und  Bü  Zeid's,  welche 
mir  nicht  ohne  Zweifel  über  die  Existenz  und  die  Lage  des  zu 
suchenden  Brunnens  zu  sein  schienen.  Doch  um  drei  Uhr  Morgens 
waren  wir  wieder  auf  dem  Marsche,  erreichten  nach  einigen  Stunden 
das  Nordende  einer  langgestreckten  Felskette,  des  Emi  (Berg)  Kurna 
(Sand),  an  dessen  westlichem  Fusse  unser  Weg  für  eine  Stunde  hinlief, 
hatten  bald  darauf  in  gradem  Osten,  etwa  drei  Stunden  entfernt,  den 
Emi  Gencmtüa,  der  zahllose  scharfe  und  kurze  Zacken  gen  Himmel 
richtet,  und  marschirten  dann  bald  in  südlicher,  bald  in  südöstlicher  Rich- 
tung, nach  beiden  Seiten  ähnliche,  wenn  auch  weniger  bedeutende  Fels- 
gruppen erblickend,  bis  wir  nach  mehr  als  fünfstündigem  Marsche  die 
Mittagsrast  in  einem  Felsschatten  der  Gegend  Merüja  hielten.  Von  einer 
niedrigen  Kuppe  konnte  man  nach  allen  Richtungen  die  einzelnen 
Felsbildungen,  welche  die  Ebene  um  höchstens  200  F'uss  überragen, 
überblicken.  Ihre  Formen  wurden  immer  wunderlicher.  Kuppeln 
und  Dome,  byzantinische  Kirchen  und  antike  Amphitheater,  Moscheen 


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EILMÄRSCHE  DURCH  WÜSTE  FELSENGEGEND.  253 

und  alte  Kastelle,  moderne  Bauten  aller  Art  schienen  mit  einander 
abzuwechseln,  und  daneben  glaubte  man  hier  einen  langgestreckten 
Kameelhals  aus  der  Erde  emporragen  zu  sehen,  dort  das  Steinbild 
einer  Rieseneule  oder  eines  menschlichen  Kopfes  als  Zierde  einer 
einsamen  Säule  zu  erblicken.  Eine  lebhafte  Einbildungskraft,  beson- 
ders bei  der  zauberischen  Abendbeleuchtung,  konnte  sich  beim  An- 
blick dieser  gigantischen  Bauten  der  Natur  in  den  wundersamsten 
Träumen  ergehen  und  die  seltsamsten  Bilder  schaffen. 

Dazwischen  deckt  Fels-  oder  Sand-  oder  Kalkboden  die  Ebene, 
und  von  den  ansehnlicheren  Felsgruppen  senken  sich  Wasserbetten 
nach  Westen  oder  Südwesten,  abhängig  in  Ausdehnung  und  Vege- 
tation von  der  Bedeutung  jener.  Die  Namen  sind  stets  für  Berg 
Emi  , Flussthal  Enneri  und  die  ganze  Gegend  gemein- 
same. 

Der  Nachmittag  brachte  uns  noch  fünf  Stunden  weiter  in  süd- 
südöstlicher Richtung  durch  eine  ähnliche  Gegend,  vermochte  uns 
aber  nicht  die  Ueberzeugung  zu  verschaffen,  dass  der  Tubujüngling 
viel  Ortskenntniss  besitze.  Als  uns  vollständige  Dunkelheit  umfing, 
leistete  ich  wieder  aus  Rücksicht  für  die  Kameele  hartnäckigen 
Widerstand  gegen  den  Weitermarsch,  während  Kolokömi  und  Bü 
Zefd,  offenbar  von  den  ernstesten  Befurchtungen  gequält,  ohne  Auf- 
enthalt voraus  strebten.  Schon  gestand  der  Führer,  dass  wir  morgen 
noch  kein  Wasser  erreichen  würden,  und  beschränkte  unseren  Ver- 
brauch. Es  kam  zu  harten  Reden,  doch  vergeblich  versuchte  ich  aufs 
Neue,  meine  Gefährten  auf  den  eigentlichen  Weg  von  Fezzan  nach 
Tibesti,  der  keine  zwei  Tagemärsche  östlich  von  uns  verlief,  hinüber- 
zuleiten. 

Lange  vor  Tagesanbruch  (7.  Juni)  wieder  auf  den  Beinen,  erreich- 
ten wir  nach  wenigen  Stunden  die  scharfgeformte  Gruppe  Kirkennime 
und  hatten  im  weiteren  Verlaufe  östlich  von  unserem  Wege  die 
Felsenkette  Kjukoi,  welche,  von  Nord  nach  Süd  verlaufend,  mit 
unserer  südsüdöstlichen  Wegrichtung  convergirte,  und  die  wir  nach 
siebenstündiger  Anstrengung  erreichten,  um  in  ihrem  Schatten  die 
Qäila  zu  verbringen.  Das  Wasser  wurde  schon  gläserweise  vertheilt 
und  der  Durst  erschien  wieder  als  Schreckgespenst  der  nächsten 
Zukunft.  Glücklicherweise  war  der  Tag  verhältnissmässig  kühl , der 
Himmel  bis  gegen  Mittag  bedeckt,  und  der  Nachmittag  trieb  reich- 
liche Regenwolken  aus  Süden  herauf. 


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2M  II.  BUCH,  1.  KAPITEL.  UNBEKANNTE  GEGENDEN. 

Die  Furcht  trieb  uns  früh  am  Nachmittage  weiter  durch  eine, 
Anßfo  genannte,  weite,  sich  nach  Westen  senkende  Thalebene,  mit 
dem  Bette  eines  Wasserlaufs,  der  vom  Kjukoi  entspringt.  Eine 
kräftigere  Vegetation  schien  jüngst  gefallenen  Regen  anzudeuten, 
für  den  auch  zahlreiche  Spuren  des  Waddn,  der  Leucoryx -Antilope 
und  des  Strausses  sprachen.  Wieder  passirten  wir  eine  Felsengegend, 
auf  die  eine  hochgewellte  Kies-  und  Sandebene  und  steinige,  harte 
Wüste  folgte,  und  als  die  Nacht  hereingebrochen  war,  erneuerte  ich 
meinen  Vorschlag,  bis  zum  Aufgang  des  Mondes  zu  rasten.  Doch 
diesmal  weigerten  sich  Kolokömi  und  Bü  Zeid  mit  grösster  Ent- 
schiedenheit, obgleich  weder  wir  noch  die  Kameele  seit  zwei  Tagen 
zureichende  Ruhe  und  Nahrung  gehabt  hatten.  Bei  dem  gänzlichen 
Mangel  an  Wasser  musste  ich  nachgeben,  fügte  mit  schwerem  Herzen 
meine  Körperlast  zu  der  Ladung  eines  Kameels  und  machte  auch 
Giuseppe  und  den  bejahrten  Mohammed  beritten.  Bald  jedoch 
erklärte  unser  jugendlicher  F'ührer,  dass  er  die  von  uns  passirten 
F'elsen  nicht  mehr  kenne,  und  zu  meiner  traurigen  Genugthuung 
mussten  wir  nach  fünfzehnstündiger,  sorgenvoller  Anstrengung  vom 
Weitermarsche  abstehen. 

Die  Vervollständigung  der  Geständnisse  des  Führers  waren  wohl 
geeignet,  nach  der  traurigen  Erfahrung  der  verflossenen  Woche  die 
ernstesten  Besorgnisse  wachzurufen  und  unsere  Nachtruhe  zu  trüben. 
Er  hatte  den  Brunnen  nie  selbst  gesehen;  unser  Wasservorrath  war 
erschöpft;  die  ursprünglich  angegebene  Entfernung  hatten  wir  über- 
schritten, und  weder  der  Wegweiser  noch  meine  übrigen  Gefährten 
kannten  die  Gegend.  Kaum  hatte  die  Natur  ihr  Recht  geltend  ge- 
macht und  mich  in  einen  unruhigen  Schlaf  versetzt,  als  ich  durch 
lebhafte  Berathungen  erweckt  wurde.  Bei  diesen  war  Birsa  der  ver- 
ständigste und  entschiedenste.  Er  machte  mit  Recht  geltend,  dass, 
selbst  wenn  am  folgenden  Morgen  der  angestrebte  Brunnen  entdeckt 
sein  würde,  es  keineswegs  sicher  sei,  dass  derselbe  Wasser  enthalte,  da 
bekanntlich  die  Wasserbehälter  der  Gegend  keine  wirklichen  Brunnen 
mit  Bodenwasser  seien,  sondern  nur  Regenwasser- Reservoirs  in  den 
Spalten  und  Höhlungen  der  F'elsen.  Es  sei  unverständig,  einer  so 
ungewissen  Aussicht  Zeit  und  Kraft  zu  opfern,  während  man  mit 
Sicherheit  Wasser  aus  den  östlich  von  uns  gelegenen  nördlichen 
Thälern  Tibesti’s  beschaffen  könne.  Er  schlage  also  vor,  ihn  an  Ort 
und  Stelle  zu  erwarten;  er  werde  mit  dem  Kameele  Kolokomi's  nach 


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NEUER  WASSERMANGEL. 


255 


Osten  gehen  und  verspreche,  am  folgenden  Nachmittage  um  die  Zeit 
des  Asser  (etwa  4 Uhr  Nachmittags),  sofern  ihn  Gott  am  Leben 
erhalte,  unserer  Noth  ein  Ende  zu  machen.  So  zog  er  in  der  That 
kurz  nach  Mitternacht  auf  der  leistungsfähigen  Stute  Kolokömi’s  in 
die  Dunkelheit  hinaus,  begleitet  von  Hü  Zeid's  Diener,  der  sich 
auf  das  Kameel  des  unkundigen  Führers  schwang,  während  wir 
Uebrigen,  in  Etwas  beruhigt,  uns  dem  wohlverdienten  Schlafe  hin- 
gaben. 

Glücklicherweise  hatten  sich  während  des  Nachmittags  aus  Nord- 
osten reichliche  Regenwolken  angesammelt,  und  auch  am  nächsten 
Morgen,  als  uns  die  Sorge  frühzeitig  den  Schlaf  verscheuchte,  war 
der  Himmel  bedeckt,  der  Ostwind  kühlend,  die  Atmosphäre  nicht 
so  trocken  als  gewöhnlich,  also  auch  der  Durst  geringer.  Die  Nächte 
waren  besonders  kühl  geworden,  seit  wir  die  Gegend  von  Afäfi 
erreicht  hatten;  denn  während  bis  dahin  der  tägliche  Wind  mit  der 
Sonne  gestiegen  und  gefallen  war,  machte  sich  jetzt  mit  grosser 
Regelmässigkeit  ein  starker  Nachtwind  geltend,  der  etwa  um  10  Uhr 
Abends  begann  und  bis  einige  Stunden  nach  Mitternacht  anhiclt. 
Im  Schatten  und  in  vollständiger  Ruhe  konnten  wir  also  ohne  alle 
Besorgniss  die  Rückkehr  Birsa's  abwarten.  Doch  war  sie  sicher? 
Musste  man  nicht  bei  dem  Charakter  der  Tubu  Verrath  seinerseits 
befurchten?  Und  gab  nicht  überhaupt  der  ganze  unheilvolle  Beginn 
der  Reise  mit  Fussverbrennung,  Augenentzündung  und  Gefahr  des 
Verschniachtens  zu  den  übelsten  Ahnungen  und  ernstesten  Be- 
trachtungen reichen  Anlass?  Gerade  vor  einer  Woche  hatten  wir 
uns  in  derselben  gefahrvollen  Lage  befunden,  Dank  der  Unzuver- 
lässigkeit unserer  Führer  und  eigener  Sorglosigkeit,  und  selbst  der 
schweigsame  und  stets  resignirte  Bui  Mohammed  meinte,  es  sei  eine 
Schande  für  Männer  von  Verstand,  zweimal  in  einer  Woche,  Wasser- 
plätzen so  nahe,  Durst  leiden  zu  müssen. 

Trüben  Sinnes  schlichen  wir,  als  die  Sonne  sich  erhob,  in  den 
Schatten  der  Felsen,  Jeder  allein  seinen  melancholischen  Gedanken 
nachhängend.  Auf  den  Rand  der  starren  Felswand,  welche  mir 
Schatten  gewährte,  setzte  sich  ein  Aasgeier,  der  durch  die  Beharr- 
lichkeit, mit  der  er  auf  mich  herniederblickte,  andcuten  zu  wollen 
schien,  dass  er  mich  für  ein  ebenso  erwünschtes  als  sicheres  Opfer 
seiner  Gelüste  halte.  Der  heimtückische  Ausdruck,  welcher  diesen 
Thieren  eigen  ist,  schien  mir  in  meiner  Gemüthsstimmung  eine 


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256  M-  BUCH,  2.  KAPITEL.  UNBEKANNTE  GEGENDEN. 

passende  Illustration  des  Landes  und  seiner  Bewohner  und  ein  pro- 
phetisches Bild  des  meiner  wartenden  Schicksals.  Doch  auch  dies- 
mal, und  zwar  bald,  sollte  sich  dasselbe  zum  Bessern  wenden. 

Gleich  nach  Sonnenaufgang  hatte  unser  Führer  den  Lagerplatz 
zu  Fuss  verlassen,  um  sich  in  der  Gegend  zu  orientiren,  und  kehrte 
nach  kurzer  Zeit  mit  der  Behauptung  zurück,  dass  er  den  richtigen 
Weg  gefunden  habe.  Er  bestieg  das  Kameel  Bü  Zeids,  nahm  zwei 
Wasserschläuche,  und  als  er  um  Mittag  noch  nicht  zurück  war, 
konnten  wir  uns  der  Hoffnung  hingeben,  dass  er  den  Brunnen  ge- 
funden habe.  In  der  That  erschien  er  bald  darauf  mit  wohlgefüliten 
Schläuchen  vortrefflichen  Wassers,  und  alle  Noth  und  alle  trüben 
Gedanken  hatten  wieder  ein  Ende.  Er  kam  zurück  in  Begleitung 
eines  jungen  Mannes,  der  in  der  Nähe  des  rettenden  Brunnens  augen- 
blicklich der  vortrefflichen  Kameelweide  wegen  hauste  und  in  Klei- 
dung und  Benehmen  eine  gewisse  Distinction  zur  Schau  trug.  In 
der  That  war  er  ein  bekannter,  relativ  wohlhabender  Mann,  der 
häufig  Handelsreisen  nach  Fezzän,  Kawar  und  Bornü  gemacht  hatte. 
Er  war  hellfarbiger  als  seine  bisher  von  uns  gesehenen  Landsleute, 
hatte  ziemlich  regelmässige  Züge,  trug  eine  blauschwarze  Südäntobe, 
Beinkleid  und  Litham  von  derselben  Farbe  und  einen  rothen  Tarbüsch. 
Sein  Name  war  Isoa,  und  ich  erinnere  mich  seiner  mit  grossem  Ver- 
gnügen, da  er  keinerlei  bettelnde  Ansprüche  erhob,  durch  eine 
gewisse  Kenntniss  der  Nachbarländer  mir  Gelegenheit  zur  Unter- 
haltung bot  und  mir  während  dreier  Tage  den  Genuss  frischer 
Kameelmilch  verschaffte.  Er  wartete  mit  uns  auf  die  Rückkehr 
Birsa’s,  um  uns  dann  zum  Brunnen  zu  führen,  den  wir  durch  eine 
allzu  östliche  Richtung  verfehlt  hatten. 

Birsa  und  Galma  erschienen  pünktlich  dem  Versprechen  gemäss 
um  4 Uhr  Nachmittags  mit  vier  gefüllten  Schläuchen,  deren  Inhalt 
sie  in  dem  bewohnten  Flussthale  Arfibu  geschöpft  hatten.  Das- 
selbe liegt  einen  halben  Tagemarsch  südlich  von  Abo  oder  Uro,  das 
von  unserem  Standorte  anderthalb  lange  Tagemärsche  in  nordöstlicher 
Richtung  entfernt  war.  Das  Flussthal  Aräbu  vereinigt  sich  mit  dem 
von  Abo  oder  mündet  in  dasselbe,  hat  einen  mehr  oder  weniger 
westlichen  Verlauf  und  war  von  Birsa  in  östlicher  Richtung  an  der 
Felsgruppe  Schische  vorüber,  die  im  Bereiche  unseres  Auges  lag, 
erreicht  worden.  Ich  musste  wiederum  die  physische  Leistungs- 
fähigkeit dieser  Leute  bewundern.  Birsa  und  Wolla  schienen  echte 


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BIRSA  HOLT  WASSER  AUS  ARABU.  257 

Typen  ihres  Stammes,  wie  ich  denselben  in  Fezzan  stets  hatte  schil- 
dern hören.  Ohne  Schlaf,  ohne  Nahrung,  fast  ohne  Wasser  konnten 
sie  Tage  lang  ausharren,  ohne  von  ihrer  Energie  einzubüssen.  Wenn 
ich  sie  in  ihrer  Rastlosigkeit  beobachtete  und  die  Frische  und  Leich- 
tigkeit sah,  mit  der  sie  sich  körperlichen  Anstrengungen  unterzogen, 
während  wir  der  Ermattung  fast  erlagen,  so  konnte  ich  den  Erzäh- 
lungen des  alten  Qatrüner's  wohl  Glauben  schenken,  denen  zu  Folge 
die  Tubu  nach  tagclanger  Nahrungslosigkeit  die  gebleichten  Kameel- 
knochen  der  Wüste  pulvern  und  mit  Wasser  oder  dem  einer  Ader 
ihrer  Thiere  entnommenen  Blute  in  einen  geniessbaren  Teig  verwan- 
deln, oder  den  Lederring,  welcher  ihr  langes  Messer  am  Hand- 
gelenke befestigt,  oder  ihre  Sandalen  durch  Klopfen,  Zerschneiden 
und  Kochen  essbar  machen.  Ich  konnte  nach  meiner  kurzen  Erfah- 
rung es  für  möglich  halten,  dass  ein  Tubu -Mann  vier  Tagemärsche 
ohne  Wasser  zu  ertragen  vermag,  wenn  er  im  Besitze  eines  Kameels 
ist,  wohlverschleiert  bei  Nacht  reist  und  bei  Tage  regungslos  und 
schweigsam  im  Felsschatten  liegt,  ohne  durch  Einnahme  von  Nahrung 
oder  überflüssige  Bewegungen  den  Durst  zu  vermehren.  Erst  nach 
dieser  Zeit  sollen  sich  seine  Sinne  trüben,  und  er  zum  letzten  Mittel 
greifen,  sich  am  Sattel  seines  Kameels  zu  befestigen,  jeder  eigenen 
Initiative  zu  entsagen  und  sich  rückhaltslos  dem  Ortssinn  des  Thieres 
anzuvertrauen. 

Auch  abgesehen  von  der  physischen  Leistung  in  unserem  Inter- 
esse konnte  Birsa  Anspruch  auf  meine  volle  Dankbarkeit  erheben.  Erst 
viel  später  brachte  ich  in  Erfahrung,  dass  ihn  die  Bewohner  Aräbu’s, 
welche  mit  den  Leuten  von  Abo  derselben  Stammesabtheilung  ange- 
hören, bei  dieser  Gelegenheit  auf  alle  Weise  zu  überreden  versucht 
hatten,  uns  ohne  Wasser  zu  lassen,  da  Kolokömi,  Bü  Zeid  und  die 
übrigen  Landsleute  sich  schliesslich  schon  zu  helfen  wissen  würden, 
und  cs  aller  Welt  nur  dienen  könne,  wenn  ich  mit  dem  christlichen 
Diener  zu  Grunde  ginge.  Sie  hatten  durch  ihre  Genossen  von  Abo,  die 
nach  unserer  Abreise  von  Tedscherri  vergeblich  mehrere  Tage  im 
Hinterhalte  gelegen  hatten,  schon  davon  gehört,  dass  ein  Christ  auf 
irgend  einem  Wege  von  Fezzan  nach  Tibesti  unterwegs  sei.  Birsa 
hatte  den  Verrath  zurückgewiesen,  der  freilich  auch  ohne  seine  treue 
Haltung  keine  verliängnissvollen  Folgen  für  uns  gehabt  hatte. 

Noch  am  selben  Abend  (8.  Juli)  führte  uns  Isoa  seinem  Lager- 
plätze am  Brunnen  zu,  den  wir  in  einigen  Stunden  westsüdwestlicher 
Nathtigal.  I-  17 


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II.  BUCH,  2.  KAPITEL.  UNBEKANNTE  GEGENDEN. 


2f>8 

Richtung  erreichten.  Nordwestlich  verlief  die  niedrige  Bergkette  Afo, 
die,  von  Ostnordost  nach  Westsüdwest  gerichtet,  dem  nach  Süd- 
westen sich  senkenden  Flussbette  gleichen  Namens  Ursprung  giebt. 
Sowohl  dieses,  das  wir  eine  Stunde  nach  dem  Aufbruche  passirten, 
als  die  kleinen  zu  ihm  stossenden  Rinnsale  waren  die  Träger  eines 
Baumwuchses,  der  in  so  wüster  Gegend  üppig  erschien,  wenn  er  auch 
nur  in  Sajälakazien  bestand.  Dann  betraten  wir  eine  hoch  gewellte 
Gegend,  die  vor  uns  durch  einige  Hügel  begrenzt  war,  und  fanden 
jenseits  derselben  die  reiche  Weide,  welche  unseren  Führer  Isoa  dort- 
hin gelockt  hatte  und  auch  unseren  Thieren  wohlthun  sollte.  Hier, 
wo  die  Vipern  — el  - Efä  arab.,  Auso  ted.  — , deren  wir  in  der  That 
z.wei  gehörnte  tödteten,  besonders  zahlreich  sein  sollten,  lagerten  wir 
am  Fusse  eines  niedrigen  Felsens,  der  den  Namen  Gour  führt.  Eine 
Viertelstunde  weiter  lag  der  gleichnamige  Brunnen,  dessen  Wasser  in 
der  Tiefe  eines  Meters  unter  der  umgebenden  Bodenfläche  am  Fusse 
einiger  Felsblöcke  hervorquoll.  Wir  gönnten  natürlich  unsern  Ka- 
meelen  und.  uns  selbst  einen  Tag  der  Ruhe  und  reichlicher  Nahrung. 

Unser  Führer  oder  Irrleitcr  während  der  letzten  Tage  kehrte 
von  Afo  zu  seinen  Coloquinthen-Arbeiten  in  Afäfl  zurück,  und  auch 
Wolla,  der  in  Abo  wohnte,  wollte  uns  jetzt  verlassen.  Sie  waren 
die  beiden  schwärzesten  Tubu,  welche  ich  bis  dahin  gesehen  hatte, 
und  die  bescheidensten,  wie  ich  zu  ihrer  Ehre  sagen  muss.  Wolla 
besonders,  der  doch  mit  uns  von  Murzuq  gekommen  war,  benutzte 
diesen  Umstand  keineswegs,  um  Erpressungen  zu  versuchen,  sondern 
begnügte  sich  mit  zehn  Drä  Cham,  einigen  Packeten  Nadeln  und 
etwas  Rohöl  für  seine  Frau,  während  der  Erstgenannte  Musselinstofl* 
— Schdsch  — zu  einem  Turban  empfing. 

Wir  vcrliessen  Afo  am  io.  Juli  Nachmittags  in  südöstlicher 
Richtung,  eine  Strecke  weit  begleitet  von  Isoa,  dem  ich  zehn  Drä 
Cham  geschenkt  hatte,  liessen  nördlich  in  grösserer  Entfernung  eine 
Felsgruppe  mit  dem  häufig  vorkommenden  Namen  Emi  Kurna  und 
passirten  ein  kleines  Rinnsal,  das  dort  von  Osten  her  zum  Agimmi 
verläuft.  Letzterer  ist  ein  weiter  westlich  von  Nord  nach  Süd  ge- 
richtetes Nebenflussthal  des  E.  UdüT,  der  seinerseits  nur  die  west- 
liche Fortsetzung  des  E.  Abo  darstellt.  Nach  dreistündigem  Marsche 
fiel  plötzlich  der  Boden  zum  Thale  des  Udüi  ab,  auf  dessen  nörd- 
lichem Ufer  unter  uns  die  wilde,  kühn  geformte  Felsgruppe  Emi 
Abakkenär  den  Blick  fesselte.  Wir  stiegen  zu  ihr  hinab,  durch- 


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Felsgruppe  Göur  zu  Afo  in  Tibesti.  (S.  258.) 


blE  AFO- GEGEND  UND  l»AS  FI.USSTHAL  UDl'i.  25t* 

schritten  den  südöstlich  von  ihr  verlaufenden  Uduf,  dessen  flaches, 
ein  Kilometer  breites  Bett,  sich  nach  Südwesten  senkt  und  dicht  mit 
Futterkräutern  bedeckt  ist,  und  lagerten  auf  seinem  Ufer. 

E.  Udui,  resp.  Abo  oder  Uro,  erfreut  sich  in  der  Gegend  unserer 
l’assage  keinerlei  Baum  wuchses,  wie  solcher  seinen  Oberlauf,  in  welchem 
die  Dümpalme  gedeiht,  desto  häufiger,  zieren  soll.  Er  ist  eines  der 
bedeutendsten  Flussthäler  und  Populations-  Centren  Tibesti’s,  dessen 
eigentliches  Territorium  wir  somit  betreten  hatten.  Nahe  unserem 
Lagerplätze  vereinigte  sich,  von  Ostsüdosten  kommend,  der  ansehn- 
liche E.  Aru  mit  ihm,  der  in  gleicher  Weise  reich  an  Vegetation 
zu  sein  schien. 

Als  wir  am  nächsten  Morgen  vor  Sonnenaufgang  unseren  Weg 
längs  des  Südufers  des  Aru  in  ostsüdöstlicher  Richtung  fortsetzten, 
hatten  wir  den  nördlichen  Theil  des  Gebirges  von  Tibesti  vor  uns. 
Derselbe  erschien  als  Kette,  deren  nördlichster  für  uns  sichtbarer 
Punkt  ostnordöstlich  von  uns  lag  und  dem  Ursprung  des  Flusses 
Aräbu  entsprechen  sollte.  Von  diesem  aus  konnten  wir  die  Berge 
nach  Südosten  mit  den  Augen  verfolgen  bis  zu  einer  Stelle  des  Hori- 
zontes, auf  die  unsere  Wegrichtung  zuführte,  und  an  der  die  höchste 
Erhebung  Tibesti’s,  Emi  Tusidde,  liegen  sollte.  Dieser,  der  sich  auf 
dem  Hauptknotenpunkte  des  Gebirges,  dem  Tarso,  erhebt,  verlor  sich 
für  uns  in  dem  Schleier  der  gewöhnlichen  Morgenbeleuchtung. 

Wir  marschirten  nur  drei  Stunden  in  der  angegebenen  Ostsüd- 
ostrichtung auf  dem  Südufer  des  Aru  und  rasteten  dann  vor  unserer 
Trennung  von  ihm,  um  unsere  Thiere  noch  einige  Stunden  in  seinem 
üppigen  Krautwuchs  schwelgen  zu  lassen.  Dann  wurde  unsere 
Richtung  eine  südöstliche;  der  Weg  führte  über  kiesiges,  vegetations- 
loses Terrain  auf  eine  Reihe  kuppelförmiger  Felsaufsprünge  zu, 
Namens  Kenemtuen,  deren  nordöstlichsten  wir  nach  drei  Stunden 
erreichten,  und  von  hier  aus  in  derselben  Zeit  zum  massigen  Emi 
Buddai,  an  dessen  Südostfusse  wir  nächtigten.  Bevor  wir  denselben 
erreichten,  hatte  ich  bei  der  klaren  Abendbeleuchtung  die  freudige 
Ucbcrraschung,  meine  Erwartungen  von  Tarso  und  Tusidde  bei 
Weitem  übertroffen  zu  sehen. 

Man  ist  bei  den  Bewohnern  jener  Länder  so  an  Uebertreibungcn 
gewöhnt,  dass  die  von  irgend  einem  Gegenstände,  einer  Ortschaft, 
einem  E'lussc,  einem  Berge  gehegten  Erwartungen  des  Reisenden 
gewöhnlich  getauscht  werden.  Der  l'elsen  hatte  ich  seit  dem  Tümino 

17* 


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260 


II.  BUCH,  2.  KAPITEL.  UNBEKANNTE  GEGENDEN'. 


sehr  viele  gesehen,  doch  sicherlich  erhob  sich  keiner  von  ihnen  höher 
als  150  M.  über  die  Ebene;  und  die  oft  wiederholte  Aussage  der  Ein- 
geborenen von  Tibesti,  wonach  ihre  Berge  so  hoch  seien,  dass  dem 
nach  der  Spitze  Schauenden  der  Tarbüsch  nach  hinten  vom  Kopfe 
falle,  war  zwar  vollkommen  richtig,  doch  weniger  in  Folge  der  Höhe, 
als  vielmehr  wegen  der  Steilheit  der  Felsen.  Gefasst  auf  eine  ähnliche 
Enttäuschung  suchte  ich,  lange  nachdem  die  Umrisse  des  mächtigen 
Berges  für  meine  Begleiter  sichtbar  geworden  waren,  am  Horizonte 
vergeblich  nach  ihm,  indem  ich  sein  Auftreten  innerhalb  der  bläu- 
lichen F'ärbung  erwartete,  die  schon  ihm  selbst  angehörte.  Ueber- 
rascht  erkannte  ich  meinen  Irrthum.  Vor  mir  lag  wirklich  ein  massiger 
Berg,  der,  wohl  einige  tausend  Meter  hoch,  einen  grossen  Theil  des 
östlichen  Horizontes  einnahm.  Von  dem  Emi  Buddai  aus  gesehen  war 
er  ein  riesiger  Kegel,  der  aber  nach  der  Erläuterung  meiner  Gefährten 
in  zwei  Theile  zerfiel : die  mächtige  Basis,  den  weithin  ausgedehnten 
Tarso,  und  den  auf  ihm  thronenden  Kegel  Tusidde.  Dieser  letztere, 
der  höchste  Punkt  des  eigentlichen  Tibesti,  lag  anderthalb  Tage- 
reisen von  uns  entfernt,  und  an  ihm  vorüber  führt  der  Weg  über 
den  Rücken  des  Tarso  nach  dem  hauptsächlichsten  Bevölkerungs-Cen- 
trum des  östlichen  Landestheiles,  Bardai. 

Auch  am  12.  Juli  behielten  wir  die  Südostrichtung  bei,  kamen 
an  einem  Hügel  vorüber,  aus  dem  Eisenerde  gewonnen  wird,  und 
der  deswegen  Emi  Asebüta  (von  Asebu  oder  Asu,  das  Eisen)  heisst, 
durchschritten  den  E.  Lobbono,  der  von  Ausläufern  des  Tarso  kommend 
sich  nach  Südwesten  senkt,  befanden  uns  nach  einigen  Marschstunden 
am  westlichen  Fusse  des  Aterkelluli-Felsens  und  zogen  durch  eine  wüste, 
steinige  Ebene,  welche  von  den  drei  Flussbetten  Namens  Kjauno  durch- 
schnitten wird.  Diese  haben  dort,  wo  unser  Weg  sie  schnitt,  eine  süd- 
liche Richtung,  wenden  sich  aber  dann  nach  Westen  gegen  eine  Gruppe 
von  schroffen  Felsen  Namens  Mezdn,  welche  mehrere  Stunden  südsüd- 
westlich vom  Aterkelluli-Felsen  liegen.  In  der  Nähe  der  ersteren  ver- 
einigen sie  sich  und  nehmen  von  Norden  her  den  E.  Lobbono,  ein 
vom  Aterkelluli  - Felsen  entspringendes  Rinnsal  und  verschiedene 
andere  auf,  welche  wir  auf  unserem  Nachmittagsmarsche  noch  zu 
passiren  hatten. 

Der  Baumwuchs  ist  in  den  Kjaunobetten  reichlicher  als  in  den 
vorhergenannten,  und  es  tritt  zu  den  früheren  Akazien  ein  mittelhoher, 
knorriger  Baum,  dessen  dichtes  Astgewirr,  im  Missverhältniss  zu  dem 


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261 


DER  TARSO  MIT  AUSLÄUFERN  UNI»  AUFI.ÜSSEN. 

spärlichen  Laube  und  den  kleinen  Blättchen  stehend,  oft  hinreicht,  um 
den  dichtesten  Schatten  zu  bilden.  Derselbe  hat  stumpfe  Stacheln 
anstatt  der  spitzen  und  widerstandsfähigen  der  Sajälakazie  und  des 
Qarad,  wird  von  den  Arabern  Scrrah  und  von  den  Tedä  Arkenno 
oder  Arkcn  genannt  und  ist  eine  Maerua.  Auch  die  Calotropis 
procera  — Oschar  arab.,  Täso  ted.  — tritt  hier  in  grösserer  Menge 
auf,  die  Dümpalme  wird  häufiger  gesehen,  und  unter  den  Gräsern 


Osclwtr  arab.  (CAlotrupu  procera}. 


waltet  das  hohe,  verästelte  Knotengras  Panicum  turgidum  Bu 
Rukba  arab.,  Gumeschi  ted.  — vor. 

Wir  rasteten  während  der  heissesten  Tagesstunden  in  dem  zweiten 
Kjaunobette,  brachen  frühzeitig  am  Nachmittag  wieder  auf,  berührten 
das  westliche  Ende  des  Nanagamma,  eines  niedrigen  Eelsausläufers 
der  Centralkette,  der  wir  uns  mehr  und  mehr  genähert  hatten,  und 
stiessen  nach  einigen  Stunden  auf  den  ausgetretenen  Pfad,  der  von  Abo 
nach  den  südlicheren  Wohnsitzen  Tibesti's  führt.  Wir  folgten  dem 
hier  südlichen  Verlaufe  desselben,  bis  wir  nach  Passage  des  Fluss- 
bettchens  Tollobu,  das  dem  Systeme  des  Kjauno  angehört,  den  Emi 
Mini  erreichten.  Dieser  Gcbirgsstock  hat  seine  Hauptrichtung  von 
Ost  nach  West,  schlicsst  sich  an  die  Ccntralkette  und  birgt  in 


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II.  BUCH,  2.  KAPITEL.  UNBEKANNTE  CEC.ENDEN. 


seinem  Innern  einen  wirklichen  Brunnen  Namens  Gaesko  oder  An- 
gasko.  Wir  wanden  uns  von  seiner  westlichen  Peripherie  durch  das 
Innere,  fanden  zwar  den  Brunnen  verschüttet,  doch  Wasser  genug 
in  den  Rissen  und  Höhlungen  seiner  Felsen,  um  die  Thiere  tränken 
zu  können,  und  stiesscn  jenseits  desselben  auf  den  aus  ihm  ent- 
springenden E.  Mini.  Dieser  hat  ein  scharfgeschnittenes,  steiniges 
Bett  und  gehört  ebenfalls  den  Kjaunofiüssen  an.  Auf  seinen  Ufern 
fanden  wirSpuren  menschlicher  Thätigkeit  aus  der  jüngsten  Zeit  in  Ge- 
stalt kleiner,  aus  übereinander  gelegten  Steinen  errichteter  Huttchen, 
welche  den  Leuten  zur  Aufbewahrung  ihrer  Schaf-  und  Ziegenlämmer 
dienen.  Bald  darauf  lagerten  wir  in  einem  Flussbette,  das,  da  es 
nicht  bewohnt  war  und  keiner  besonders  hervortretenden  Felsgruppe 
seinen  Ursprung  verdankt,  keinen  bestimmten  Namen  zu  haben 
schien.  Dasselbe  wendet  sich  auch  zum  Kjauno,  an  der  westlich  von 
uns  gelegenen  Gebirgsgruppe  Bono'i  vorüber  und  aus  dieser  ein  Rinnsal 
aufnehmend.  Seit  wir  den  am  Rande  des  Hauptgebirges  sich  nach 
Süden  ziehenden,  betretenen  Weg  erreicht,  uns  also  dem  südwest- 
lichen Fusse  des  Tarso  am  meisten  genähert  hatten,  lag  der  bisherige 
Felsboden  der  Ebene  nicht  mehr  zu  Tage,  sondern  diese  war  bedeckt 
mit  einem  ausserordentlich  leichten,  mit  grösseren  und  kleineren 
Poren  versehenen  Gestein,  das  meist  weiss-  oder  gelbgrau,  zuweilen 
auch  gelb,  roth  oder  braun  war  und  in  breiten  und  oft  hohen  Wellen 
dem  Felsboden  auflag.  Dasselbe  sollte  nach  den  Aussagen  meiner 
Begleiter  den  ganzen  Tarso  einhüllen. 

Am  13.  Juli  mussten  wir  Täo,  eines  der  Hauptthäler  Tibesti's,  den 
ursprünglichen  Sitz  vieler  edler  Familien  des  Landes,  erreichen. 
Wir  setzten  unsern  Weg  in  südlicher,  dem  Hauptgebirge,  dessen 
Ausläufer  wir  wiederholt  berührten,  fast  paralleler  Richtung  fort. 
Die  an  diesem  Tage  überschrittenen  Abflussrinnen  des  Gebirges 
vereinigen  sich  mit  den  beiden  speciell  Täo  angehörenden  zu  einem 
Flussbette,  das  mit  dem  weiter  südlich  verlaufenden  E.  Zuär  den 
E.  Durso  bildet,  welcher  sich  bald  darauf  nach  Westen  in  der  Ebene 
verliert.  Zunächst  passirten  wir  das  Wasserbettchen  Kedän,  Hessen 
eine  von  Nordost  nach  Südwest  gerichtete  Reihe  von  sieben  Felsen 
Namens  Sosobschi  östlich  am  Wege,  während  wir  die  nach  Westen 
sich  senkenden,  zu  ihnen  gehörenden  Rinnsale  gleichen  Namens  über- 
schritten, und  hielten  uns  zwischen  dem  Central- Gebirge  und  einer 
diesem  parallelen  Kette  steiler  Felsen  Namens  Angrän,  bis  nach 


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ANKUNFT  IN  TÄO. 


263 


einigen  Stunden  die  regelmässige  Anordnung  des  ersteren  unter- 
brochen schien.  Der  südliche  Abfall  des  Tarso  erreicht  hier  die  Ebene, 
und  der  Gebirgsstock  schien  sich  nicht  als  zusammenhängende  Kette 
nach  Süden  fortzusetzen,  sondern  sich  mehr  nach  Südosten  zu  wenden. 

Mit  der  Annäherung  an  das  Gebirgs- Centrum  waren  in  den 
passirten  Schluchten  und  Thälern  die  Spuren  thicrischen  Lebens 
zahlreicher  geworden.  Grosse  Paviane,  der  Wadän,  die  Hyäne,  ver- 
schiedene Antilopen,  der  Fenck,  der  Strauss  waren  offenbar  zahlreich 
vertretene  Bewohner  der  Gegend. 

Während  wir  noch  am  frühen  Morgen  die  Ebene  der  Flussbetten 
Täo,  von  denen  das  nördliche,  E.  Dommädo,  die  an  diesem  Tage 
überschrittenen  Wasserbetten  aufnimmt,  betraten,  hatten  wir  im  Süd- 
westen die  schönen  Umrisse  des  Emi  Sercndibc.  Der  Dommädo  ist  ver- 
hältnismässig reich  bcholzt  mit  Akazien,  dem  Arkenno,  dem  Üschar  und 
einem  anderen  starkästigen  Stachelbaume  Namens  Tärik  und  sollte  in 
seinem  östlichsten  Theile  eine  lebendige  Quelle  und  einige  Dattelbäumc 
haben.  Zwischen  ihm  und  dem  Dausädo,  dem  zweiten  Flussbette  Täo's, 
das  eine  Anzahl  südlich  von  ihm  entspringender  Rinnsale  sammelt,  liegt 
etwa  eine  Stunde  felsigen  und  thonigen  Terrains.  Sobald  wir  den 
Dommädo  überschritten  hatten,  brachten  die  frischen  Fussspuren  eines 
einzelnen  Menschen  sichtliche  Zeichen  von  Unruhe  bei  meinen  Be- 
gleitern hervor,  ein  Umstand,  der  mir  für  Täo  keine  ausgedehnte 
Bekanntschaft  mit  den  Eingeborenen  in  Aussicht  stellte,  von  deren 
Existenz  uns  in  der  That  trotz  der  Nähe  der  Ortschaft  noch  keine 
Spur  zu  Gesicht  gekommen  war. 

Alsbald  zeigte  sich  der  wahrscheinliche  Urheber  der  Kusspuren 
und  näherte  sich  uns,  hoch  zu  Kameel,  langsam  und  vorsichtig.  Sorg- 
fältig zog  er  den  Litliam  über  die  Nase,  und  es  folgte  die  übliche, 
endlose  Begrüssungs-Ceremonie,  welche  meine  Begleiter  dieses  Mal 
stehend  durchmachten,  da  der  Fremdling  beritten  war.  Dieser  stellte 
sich  sogleich  als  ein  naher  Verwandter  Bü  Ze'id’s  heraus,  hiess 
Galma,  war  der  Sohn  Selemma's  und  hatte  den  grössten  Theil  seiner 
Jugend  in  F'ezzän  zugebracht,  von  wo  er  meinem  alten  Mohammed 
wohl  bekannt  war.  Da  er  in  Folge  dessen  mit  der  arabischen 
Sprache  vertraut  war,  so  konnte  die  Unterhaltung  grösstentheils  in 
dieser  geführt  werden  und  ich  mich  an  derselben  betheiligen.  Galma 
war,  wie  er  behauptete,  im  Begriff  gewesen,  nach  Fezzän  abzureisen, 
entschloss  sich  aber  alsbald,  einstweilen  diesen  Plan  aufzugeben, 


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264  II.  BUCH,  2.  KAPITEL.  UNBEKANNTE  GEGENDEN. 

um  dem  so  ungewöhnlichen  und  hochstehenden  Fremdling,  welcher 
mit  seinem  Vetter  ins  Land  gekommen  sei,  als  Beschützer  und 
Begleiter  zu  dienen.  Ich  beurthcilte  diese  scheinbar  wohlwollende 
Absicht  mit  Recht  als  eine  Speculation  auf  meine  Habe  und  suchte 
die  Begleitung  abzulehnen.  Doch  Bü  Zeid  wollte  sich  diese  Gelegen- 
heit, seinem  Verwandten  gefällig  zu  sein,  nicht  entgehen  lassen  und 
rühmte  den  Einfluss  und  die  Ortskcnntniss  desselben  in  Tibesti  und 
Borkü  so  sehr,  dass  ich  im  Hinblick  auf  meine  geringen  Erfahrungen 
und  meine  Unkenntniss  der  Landessprache  mich  bestimmen  liess,  ihn 
wenigstens  nicht  ganz  zurückzuweisen.  Meine  Willfährigkeit  wurde 
bald  hart  bestraft  und  bereitete  mir  manche  unangenehme  Stunde. 

Galma  war  über  Mittelgrösse,  schlank  und  mager,  wie  die  meisten 
seiner  Landsleute,  von  massig  dunkler,  in  s Gelbliche  spielender  Haut- 
farbe und  hatte  eine  platte,  herabhängende  Nase,  einen  grossen  Mund 
mit  dicken  Lippen,  ein  empor  strebendes  Kinn  und  einen  lauernden 
Blick,  der  seiner  Physiognomie  einen  höchst  widerwärtigen  Ausdruck 
verlieh.  Er  war  begleitet  von  einer  Tante  Namens  Kintäfo,  einer  Frau 
von  circa  fünfzig  Jahren  und  intelligentem  Aussehen,  welche  nach  der 
Weise  ihrer  Landsleute,  trotz  ihrer  edlen  Herkunft  und  ihres  verhält- 
nissmässigen  Wohlstandes,  den  Bui  Mohammed  bezeugen  konnte,  ein 
ärmliches  Aeussere  zur  Schau  trug.  Sie  besass  zwar  ein  wirkliches 
Hemde  aus  blau  gefärbtem  Cham,  doch  dasselbe  war  äusserst  zerfetzt 
und  schmutzig,  und  ihr  Schultershawl  aus  demselben  Stoffe  war  in 
keinem  besseren  Zustande.  Sie  selbst  war  von  gclbgraucr  Haut- 
farbung,  wie  Galma,  mittlerer  Grösse,  cbenniässigem  Wüchse,  fein 
geformten  Gliedmaassen,  stolzer,  freier  Haltung  und  hatte  einen 
weiten,  männlichen  Schritt.  Ausser  den  wunderbar  zierlich  geformten 
Händen  und  Füssen  hatte  sie  nichts  Feines  und  Weibliches  an  sich. 
Wie  sie  den  Gang  eines  Mannes  hatte,  so  kaute  sie  auch  Tabak  mit 
der  Virtuosität  eines  solchen  und  spritzte  den  grünlichen  Speichel 
mit  einer  Kraft  und  Sicherheit  durch  die  Zahnlücken,  wie  es  einem 
alten  Matrosen  Ehre  gemacht  haben  würde.  Ausser  ihr  war  noch 
eine  andere  Tubu-Frau  anwesend,  welche  sich  nur  unwesentlich  von 
ihr  unterschied,  und  Beide  waren  mit  Galma  und  ihren  Sclaven  vor- 
läufig die  einzigen  Bewohner  des  weit  und  breit  bekannten  Haupt- 
ortes  in  Tibesti. 


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Drittes  Kapitel. 

TÄO  UND  ZUÄR. 


Verschiedene  Arten  der  Behausungen.  — Ursache  der  augenblicklichen  Entvölkerung  Täo’s. 
— EmährungsverhäUnisse  der  TedÄ.  — Bardat  zur  Erntezeit.  — Ankunft  von 
Qatruner  Kauften  ten.  — Reise  nach  dem  E.  Zudr.  — Unliebsame  Nachrichten  von 
dort.  — Ebene  von  Zudr- Kai.  — BcgrÜssung  der  dortigen  Edelleutc.  — Ver- 
handlungen über  den  Durchgangs/oll.  — Der  edle  Dirküi  und  der  Sprecher  Dcrde- 
kore.  — Reise  den  E.  Zudr  aufwärts.  — Vegetation  und  Thierleben.  — Wasser- 
verhältnisse. — Ankunft  und  Aufnahme  bei  den  Zudr- Edlen.  — Neue  Gefahr  und 
eiliger  Rückzug.  — E.  Zug  und  das  Wasserreservoir  Kauerdd.  — Häusliche  Stellung 
der  Tubu- Krauen.  — Rückkehr  nach  Tdo.  — Unverschämtes  Betragen  Galma’s.  — 
Absendung  Bu  Zctd’s  nach  Bardai.  — Abreise  der  Qatrüner  nach  ßorkft.  — Ent- 
führung Bui  Mohammed  s und  Befreiung  desselben.  — Traurige  Zeit.  — Schmarotzer 
und  Räuber.  — Ankunft  Arlmi's.  — Hunger  und  Sorge.  — Bü  Zeid  kommt  nicht 
zurück.  — Traurige  Nachrichten  aus  Bardai.  — Bote  mit  Einladung  dorthin.  — Vor- 
bereitungen zur  Abreise, 

Die  verlassenen  Hütten,  in  deren  Nähe  wir  zu  Täo  unser  Lager 
aufgcschlagcn  hatten,  waren  jene  Mattenhütten,  welche  ich  in  Hachi 
und  Tedscherri  kennen  gelernt  hatte.  Starke,  i'/a  bis  2 M.  hohe,  mög- 
lichst grade  Aeste  der  Sajalakazie  werden  im  Boden  befestigt  und  so 
angeordnet,  dass  der  eingeschlossene  Raum  ein  Rechteck  von  etwa 
31/;}  M.  Länge  und  2 M.  Tiefe  darstellt.  Parallel  den  Langseiten 
läuft  in  der  Mitte  des  Raumes  eine  andere  Reihe  von  Stäben,  welche 
bestimmt  ist,  die  Mitte  des  Mattendaches  zu  tragen.  Dieses  letztere 
fallt  mit  geringer  Neigung  nach  den  Langseiten  zu  ab,  da  die  Mittcl- 
reihe  der  Stäbe  die  seitlichen  um  ein  Geringes  an  Höhe  übertrifft. 
Die  oberen  Enden  der  Stangen  sind  untereinander  durch  Querstäbe 


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266  II.  BUCH,  ,V  KAPITEL.  TAO  UND  ZUAR. 

vereinigt,  die  mit  Stricken  aus  Lif  oder  aus  Blattfasern  der  Düm- 
palme  an  jenen  befestigt  werden,  und  das  Ganze  ist  dicht  mit  Matten 
bedeckt  und  behängt.  Nur  an  dem  Ende  der  einen  Langseite  des 
Rechtecks  lässt  man  eine  Ocffnung,  welche  als  Thiit^  und  Fenster 
dient.  Eine  derartige  Behausung  macht  den  Eindruck  einer  etwas 
grossen  Hundehütte,  und  die,  wenigstens  dicht  und  sorgfältig  von 
den  Frauen  geflochtenen,  Matten  bilden  bei  aller  Einfachheit  noch 
den  kunstvollsten  Theil  der  Contruction. 

Ausser  diesen  Hütten  fand  ich  in  den  Felsen  und  Schluchten 
herumkletternd  noch  zahlreiche,  isolirte  und  versteckte  Behausungen 
anderer  Art,  welche  jedoch  ebenfalls  grosscntheils  verlassen  waren. 
Die  primitivsten  derselben  bestanden  einfach  in  den  natürlichen 
Höhlen  der  Felsen,  und  es  sind  wohl  diese,  welche  den  Bewohnern 
der  Gegend  schon  im  Alterthume  den  Beinamen  der  Höhlenbewohner 
verschafft  haben.  Dank  der  Unzahl  von  Felsblöcken,  ihrer  Massig- 
keit  und  der  Mannichfaltigkeit  ihrer  Anordnung  sind  diese  Höhlen- 
wohnungen nicht  selten  ausgezeichnet  geschützt  gegen  Sonne  und 
Regen,  äusserst  bequem,  erfordern  nicht  die  geringste  Nachhülfe 
durch  die  Kunst  und  sind  so  versteckt,  wie  es  der  heimliche  und  miss- 
trauische Charakter  der  Bewohner  und  ihre  Furcht  vor  Ueberfallen 
wünschenswerth  machen.  An  Einfachheit  diesen  zunächst  stehen  die- 
jenigen Wohnungen,  welche  aus  den  grossen,  überall  sich  findenden, 
unregelmässig  geformten  Steinen  construirt  sind.  Man  legt  diese  in 
kreisförmiger  Anordnung  über  einander,  ohne  sic  jedoch  durch  Lehm 
oder  Thonerde  zu  einer  wirklichen  Wand  zu  verbinden,  und  lässt 
eine  kleine  Thüröffnung.  Die  kreisförmige  Seitenwandung  erreicht 
eine  Höhe  von  i'/j  bis  2 M.  und  erhält  meistens  ein  Dach  aus  Aesten 
der  Sajälakazie  oder  aus  Palmenblättern,  das  dann  gewöhnlich  in 
der  Mitte  der  Hütte  durch  einen  soliden  und  geraden  Baumast  ge- 
stützt wird.  Bietet  ein  geeigneter,  überhängender  Felsen  die  Gelegen- 
heit, so  lehnt  man  eine  halbkreisförmige  Steincinfriedigung  dieser  Art 
an  ihn,  und  hat  nicht  nöthig,  dieselbe  mit  einem  Dache  zu  versehen. 
Diese  Steinhütten  liegen  vereinzelt  und  oft  in  grosser  Entfernung  von 
einander  auf  den  Abhängen  und  in  den  Schluchten,  und  wenn  diese  Zer- 
streutheit einerseits  die  natürliche  Folge  von  der  Vertheilung  der  Regen- 
wasserbehälter in  den  Felsen  sein  mag,  so  hat  sie  andrerseits  gewiss 
ihren  Grund  in  dem  Bestreben  der  Tubu,  sich  möglichst  von  Anderen 
abzuschliessen , und  das  ist  wieder  eine  natürliche  Folge  der  Heim- 


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WOHNUNGEN  UND  F.KNAHRUNGSVERHALTNISSF.  DER  TEDA.  2fi7 

lichkeit  ihres  Wesens,  der  Treulosigkeit  ihres  Charakters  und  ihrer 
Furcht  vor  Feinden. 

Die  Ursache  für  die  augenblickliche  Entvölkerung  Täo's  lag  in 
der  Jahreszeit  und  den  schwierigen  Ernährungsverhältnissen  des 
Landes.  Die  südwestlichen  Abhänge  des  centralen  Gebirges,  also 
die  südwestliche  Hälfte  der  ganzen  Landschaft  Tibesti,  bringt  nicht 
einmal  zur  dürftigsten  Ernährung  ihrer  spärlichen  Einwohner  genug 
hervor.  Die  armselige  Vegetation  der  Felsschluchten  und  Fluss- 
thaler  ist  es,  welche  ihnen  mittelbar  oder  unmittelbar  zur  Existenz 
verhelfen,  muss.  Ohne  sie  würde  das  Land  unbewohnbar  sein,  denn 
jede  Anlage  von  Gärten  zur  Cultur  von  Getreide,  Datteln  oder  Ge- 
müse wird  ihnen  durch  die  gänzliche  Abwesenheit  von  Bodenwasser 
unmöglich  gemacht.  Wenn  im  Sommer  und  Herbst  nach  den  Regen- 
fallen, die  in  keinem  Jahre  gänzlich  fehlen,  die  Futterkräuter  sprossen 
und  grünen,  und  sich  die  Bäume  mit  frischem  Laube  schmücken,  so 
finden  Kameele  und  Ziegen  die  Mittel  zu  einer  reichlichen  Milch* 
secretion,  und  so  lange  diese  anhält,  bildet  die  Milch  eins  der  haupt- 
sächlichsten Nahrungsmittel  der  Tubu  Reschäde.  Zu  gleicher  Zeit 
reifen  die  Saamenkörner  des  schon  genannten  Knotengrases  (Pankum 
turgiduin)  und  werden  als  Getreidekörner  behandelt  und  verwerthet. 

Wenn  weder  Kameele  noch  Ziegen  Milch  geben,  und  das  Mehl 
des  genannten  Grassaamens  verzehrt  ist,  so  beginnt  eine  lange, 
trostlose  Zeit,  während  welcher  die  Dümfrucht  in  ihre  Rechte  tritt 
und  einen  unverdienten  Platz  unter  den  menschlichen  Nahrungsmitteln 
erhält.  Selbst  die  so  entsagungsfähigen  Tubu  gestehen,  dass  der 
ausschliessliche  Genuss  der  Dümfrucht  nur  sehr  kurze  Zeit  das  Leben 
zu  fristen  im  Stande  sei. 

ln  dieser  trostlosen  Periode  befand  sich  das  Land  gerade  bei 
unserer  Ankunft.  Wenn  man  in  stiller  Sommernacht  das  melan- 
cholisch regelmässige  Klopfen  der  harten  Frucht  hörte,  deren  Rinden- 
substanz mit  einem  unverhältnissmässigen  Aufwande  von  Zeit  und 
Kraft  durch  einen  Stein  erweicht  oder  pulverisirt  werden  muss,  so 
wusste  man,  dass  der  Hunger  in  den  Eingeweiden  des  emsigen 
Klopfers  wühlte,  und  dass  nur  ein  kümmerlicher  Erfolg  seine  Geduld 
belohnte.  Ausser  den  Grassaamen  der  Wildniss  sucht  sich  zwar  Jeder 
noch  etwas  Getreide  aus  den  Theilen  des  Landes,  in  denen  Boden- 
wasser den  Gartenbau  ermöglicht,  oder  aus  Fezzan  zu  verschaffen,  denn 
auch  in  Tibesti  wird  Getreidenahrung  als  die  wünschenswert  beste 


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268 


M.  BUCH,  3.  KAPITET..  rAo  UND  ZUÄK. 


Grundlage  der  Ernährung  betrachtet;  doch  im  Sommer  ist  der  spär- 
liche Vorrath  längst  erschöpft. 

Zum  Genüsse  des  Fleisches  ihrer  Hausthiere  entschliessen  sich 
die  Tubu  trotzdem  nur  bei  aussergewöhnlichen  Gelegenheiten  und 
zwingenden  Festlichkeiten.  Für  gewöhnlich  liegt  Fleischnahrung  so 
sehr  ausserhalb  ihrer  Gewohnheiten,  dass  sie  selbst  bei  lebhaftem 
Hunger  nicht  daran  denken,  eine  ihrer  zahlreichen  Ziegen  zu  schlach- 
ten. Ist  ein  Kameel  durch  Krankheit  oder  Erschöpfung  seinem  Ende 
nahe,  so  tödten  sie  cs  vorschriftsmässig,  trocknen  das  in  Scheiben  und 
Streifen  geschnittene  F'leisch  an  der  Sonne  und  leben  eine  Zeit  lang 
von  demselben.  Da  dies  begreiflicherweise  gewöhnlich  altersgraue, 
abgetriebene  oder  durch  Krankheit  erschöpfte  Thiere  sind,  so  zeich- 
net sich  ihr  Fleisch  nicht  gerade  durch  Zartheit  und  Saftigkeit  aus, 
und  der  Tubu-Mann  bewaffnet  sich  daher  zu  der  ungewohnten  Kost  mit 
einem  Steine,  mit  dem  er  Fleisch,  Sehnen  und  Knochen  so  lange 
auf  harter  Grundlage  bearbeitet,  bis  sie  kaubar  oder  verschluckbar 
geworden  sind.  Das  gedörrte  Kamcelfleisch  — der  angedeutete 
Proccss  vollzieht  sich  bei  der  hohen  Temperatur  und  der  Trocken- 
heit der  Atmosphäre  mit  grosser  Schnelligkeit  — wird  meistens  unge- 
kocht verzehrt  und  gefiel  mir  in  diesem  Zustande  gar  nicht  übel. 
Um  eine  Ziege  zu  schlachten,  muss  schon  eine  Hochzeit,  eine  Be- 
schneidung oder  ein  ähnliches,  wichtiges  Familienfest  vorliegcn.  Das 
frische  Fleisch  wird  als  grosser  Leckerbissen  betrachtet  und  selbst 
bei  zarter  Beschaffenheit  mit  Hülfe  der  Steine  verzehrt,  um  desto 
sicherer  die  schwerverdaulichen  Bestandteile,  wie  Bindegewebe, 
Sehnen,  Bänder  und  Knochen,  mit  zur  Verwertung  zu  bringen. 

Einen  grösseren  Vorrath  haben  sie  oft  von  Datteln  eingelegt, 
welche  in  einigen  Thälern,  vorzüglich  im  Osten  des  Landes,  spärlich 
gedeihen;  doch  im  Sommer  ist  derselbe  ebenfalls  aufgezehrt,  und 
Alles  erwartet  dann,  in  der  geschilderten,  unzulänglichen  Weise  die 
Existenz  fristend,  den  Spätsommer  und  Herbst.  Zu  dieser  Zeit  werden 
Datteln  und  Getreide  geerntet,  sowohl  in  einigen  Theilen  Tibesti’s  als 
in  den  Nachbarländern,  und  Alle  ziehen  aus,  um  sich  gegen  Kameele, 
Schaafc,  Ziegen  oder  Felle  den  nötigsten  Vorrath  einzutauschen. 
Die  Einen  wenden  sich  in  die  bevorzugten  Thäler  des  eigenen  Landes, 
Andere  nach  Fezzän,  noch  Andere  nach  Kawär,  das  von  Landsleuten 
bewohnt  ist,  oder  nach  dem  benachbarten  Borkü.  Kawär  und  Borkü 
sind  weniger  geeignet,  zum  Zwecke  friedlicher  Verproviantirung  von 


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PERIODISCHE  ENTVÖLKERUNG  DER  WESTLICHEN  THAl.KR.  2t>9 

den  Tibesti-Leuten  besucht  zu  werden:  das  Erstere,  weil  es  zu  oft 
von  den  räuberischen  Auläd  Solimän  und  ihren  Bundesgenossen  aus 
Käncm  heimgesucht  und  gebrandschatzt  wird,  das  Letztere,  weil  es 
gänzlich  in  den  Händen  der  genannten  Araber  ist,  und  seine  Nomaden- 
stämme den  Tubu  Reschäde  keineswegs  freundlich  gesinnt  sind. 
Selbst  Fezzän  war  für  diese  damals  kein  Land  des  Friedens,  weniger 
freilich  durch  ihre  Schuld,  als  in  Folge  der  ungerechten  Ueberfalle 
der  tripolitanischcn  Araber.  Man  war  also  vorzugsweise  auf  das 
eigene  Land,  und  zwar  hauptsächlich  auf  den  nordöstlichen  Thcil 
desselben,  angewiesen.  Bardai  war  nach  der  Aussage  meiner  Be- 
gleiter das  einzige  Thal  mit  ausgedehnter  Dattelpalmenzucht  und 
Gartenkultur,  und  hatte  regelmässige  Ortschaften  mit  einer  verhältniss- 
mässig  zahlreichen  Einwohnerschaft,  welche  zu  keiner  Jahreszeit  den 
häuslichen  Heerd  verliess. 

Obgleich  die  gerade  reifenden  Datteln  noch  nicht  zur  Ernte 
bereit  sein  konnten,  so  waren  doch  schon  viele  Leute  aus  den  süd- 
westlichen Thälern  nach  Bardai  gewrandert,  selbst  wenn  sie  dort 
nicht  selbst  Dattelbäume  besassen.  Auch  in  Tibesti  nämlich  hat 
die  F'ezzäner  Sitte,  welche,  so  lange  die  Datteln  nicht  schnittreif 
sind,  Jedem  das  Recht  giebt,  reife  Früchte  zum  Genüsse  an  Ort 
und  Stelle  zu  pflücken  oder  aufzulesen,  Kraft  des  Gesetzes.  Nach 
Hause  tragen  darf  er  freilich  dieselben  nicht.  Andere  bereiteten 
ihre  Uebersiedelung  nach  Bardai  vor,  und  wie  Galma  berichtete, 
beabsichtigten  der  Dardai  Tafertemi  und  die  meisten  der  angesehenen 
Mainas  des  E.  Zuär  ebenfalls  in  allernächster  Zeit  ihre  Herbst- 
quartiere daselbst  aufzuschlagen.  Wollte  ich  also  diese  Herren  noch 
in  Zuär  treffen,  so  war  Eile  nöthig,  und  auf  das  Anerbieten  Galma’s 
schickte  ich  sofort  seinen  Sclaven  zur  genaueren  Berichterstattung 
voraus.  Obgleich  wir  anfangs  die  Absicht  gehabt  hatten,  die  Rück- 
kehr desselben  in  Täo  abzuwarten,  so  entschloss  ich  mich  doch,  ihm 
noch  selbigen  Tages  zu  folgen,  da  ich  für  den  Fall,  dass  Niemand 
mehr  dort  weilen  sollte,  fürchtete,  später  an  dem  Besuche  dieses  her- 
vorragenden Thaies  behindert  zu  werden.  Diese  Besorgniss  erwies 
sich  später  als  durchaus  gerechtfertigt,  denn  von  Bardai  aus  richte- 
ten sich  alle  meine  Gedanken  nur  auf  den  Heimweg,  und  würde  ich 
Zuar  nie  haben  besuchen  können.  Da  aber  am  Vormittage  (14.  Juli) 
zwei  Qatrüner  Muräbidija  — der  Eine  von  ihnen  war  mein  alter  Be- 
kannter Ali  aus  Baclu  ankamen,  welche,  kurz  vor  Täo  lagernd, 


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270 


I!.  BUCH,  _J.  KAPITEL.  TAO  UND  ZUAR. 


ihr  Kameel  verloren  und  das  Gepäck  desselben  zurtickgelassen  hatten, 
so  mussten  wir  ihnen  ein  Thier  zur  Herbeischaflfung  des  letzteren 
leihen  und  konnten  erst  am  späten  Nachmittag  aufbrechen. 

Nachdem  wir  einen  südwestlichen  Ausläufer  der  centralen  Ge- 
birgsmasse,  Namens  Kuzungru  umgangen  hatten,  überschritten  wir 
den  gleichnamigen  Abfluss  desselben,,  der  zum  E.  Dausädo  geht, 
und  hatten  hier  die  schön  geformte  Felsenkette  Serendibc  westnord- 
westlich in  der  Entfernung  einiger  Stunden  vor  uns.  Wir  begegneten 
um  diese  Zeit  drei  Einwohnern  des  E.  Zuär,  welche  die  Nachricht 
brachten,  dass  nur  noch  vier  gewichtige  Edelleute  dort  seien,  Tafer- 
temi  aber  das  Thal  bereits  verlassen  habe.  Wir  Hessen  uns  jedoch 
durch  diesen  Umstand  nicht  von  der  Fortsetzung  unseres  Weges  ab- 
halten, überschritten  bald  darauf  den  E.  Sabön,  passirten  eine  Boden- 
abflachung mit  Vegetation  Namens  Sarakung  und  lagerten  im  E.  Ka- 
zanei,  der,  wie  der  vorhergenannte,  von  Ostsüdost  nach  Westnord- 
west zum  Dausado  geht. 

Schon  hier  begann  der  mir  von  Anfang  an  widerwärtige  und 
verdächtige  Galma  mich  mit  den  unverschämtesten  Betteleien  zu 
quälen,  welche  er  hauptsächlich  darauf  begründete,  dass  er  der  Chef 
des  illüstren  Geschlechtes  der  Gunda  sei.  In  der  That  theilten  sich 
in  früheren  Zeiten  die  Gunda  und  die  Tomäghera  in  die  Häuptling- 
schaft, und  wenn  die  letzteren  jetzt  allein  Anspruch  auf  die  Herrschaft 
haben  — auch  Tafertömi  gehörte  dieser  Familie  an  , so  theilen  sich 
doch  die  Repräsentanten  Beider  der  Sitte  gemäss  in  die  ausserge- 
wöhnlichen  Einkünfte,  die  Geschenke  von  Reisenden  und  die  Ab- 
gaben von  Karawanen.  Obgleich  ich  mich  Galma  gegenüber  natür- 
lich dahinter  zu  verschanzen  suchte,  dass  er  ohne  Zweifel,  wenn  es 
zur  Vertheilung  der  Geschenke  kommen  würde,  seinem  Anrechte 
entsprechend  bedacht  werden  müsse,  so  unterlag  ich  natürlich,  wie 
gewöhnlich,  in  der  Unterhandlung  und  musste  dieselbe  mit  dem 
Versprechen  schliessen,  dem  Quälgeiste  unbeschadet  seiner  Rechts- 
ansprüche eine  schwarze  Südäntobc  zu  verabfolgen. 

Vor  uns  entsendete  die  centrale  Gebirgsmasse  nach  Südwesten 
den  mächtigen  Ausläufer  Merda  Sodoä,  dessen  Ueberwindung  zum 
Zwecke  der  Wegabkürzung  uns  und  besonders  unseren  Karneolen 
grosse  Mühe  machte.  Erst  nach  zwei  Stunden  hatten  wir  uns  müh- 
sam durch  die  Schwierigkeiten  des  Passes  auf  seine  höchste  Erhebung 
hinaufgearbeitet,  und  hinlänglich  Gelegenheit  gehabt,  zu  bedauern,  dass 


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WEG  NACH  ZUAr-KAI. 


271 


wir  nicht  unseren  Thieren  zu  Liebe  die  zeitraubende  Umgehung  des 
Gebirgszuges  in  der  Ebene  vorgezogen  hatten.  Wenn  auch  die 
Kameele  der  bergigen  Länder  beweisen,  wie  weit  diese  Thiere  es 
ini  Bergsteigen  bringen  können,  so  waren  doch  die  unsrigen,  der 
Nordküste  entsprossen,  solchen  Schwierigkeiten  durchaus  nicht  ge- 
wachsen. 

Als  wir  im  Begriffe  standen,  auf  der  jenseitigen  Seite  hinabzu- 
steigen, begegneten  wir  unserem  Boten,  der,  von  Zuär  kommend, 
die  erfolgte  Abreise  Tafertemi's  bestätigte  und  von  einer  nicht  sehr 
einladenden  Sprache  der  dort  gebliebenen  Edlen  berichtete.  Nach 
längerer  Ueberlegung,  ob  es  gerathen  sei,  trotz  der  unfreundlichen 
Stimmung  der  letzteren  unseren  Weg  fortzusetzen,  beschlossen  wir, 
einen  zweiten,  und  zwar  intelligenteren  Boten  zur  Lfnterhandlung 
mit  jenen  abzusenden  und  seine  Rückkehr  in  der  Nähe  abzuwarten. 
Birsa  unterzog  sich  dieser  Mission,  %vährend  wir  gegen  Südwesten 
eine  Strecke  hinabstiegen,  um  im  Bette  des  E.  Fisifisi  den  Erfolg 
abzuwarten.  Hinabsteigend  hatten  wir  nach  Westen  hin  einen  offenen 
Blick  über  die  Ebene,  durch  welche  sich  die  vereinigten  Flüsse  von 
Täo  in  südwestlicher  Richtung  gegen  den  Emi  Durso  hin  wenden, 
in  dessen  Nähe  der  E.  Zuär  von  Osten  her  zu  ihnen  stösst. 

Am  frühen  Nachmittage  traf  Birsa  mit  einer  günstigeren  Antwort 
der  Herren  von  Zuär  ein,  welche  uns  sogar  aus  dem  Innern  des 
Thaies  bis  nach  Zuar-Kai  (Zuär-Mündung),  d.  h.  dem  Orte,  an  welchem 
das  Flussthal  aus  den  Felsen  in  die  Ebene  hinaustritt,  entgegen 
kommen  wollten.  Alsbald  brachen  wir  auf,  folgten  jedoch  dem  Merda 
Sodod  nicht  ganz  bis  zu  seinem  südwestlichen  Ende,  sondern  fanden 
vorher  den  leicht  zu  überwindenden  Pass  AberdPgä,  dessen  südlicher 
Richtung  wir  folgten.  Bevor  wir  in  die  jenseitige  Ebene  hinabstiegen, 
welche  im  Westen  und  Südwesten  offen  und  übrigens  von  Bergen  ein- 
geschlossen war,  gewannen  wir  einen  ausgedehnten  Blick  über  die- 
selbe. Zahlreiche  Flussbetten,  die  sich  als  griine  Vegetationslinien 
aus  der  Umgebung  hervorhoben,  durchschnitten  sie.  In  der  Mitte 
verlief  der  E.  Zuär  selbst  nach  Westen,  und  östlich  von  uns  ver- 
einigten sich  von  Norden  her  einige  Wasserläufe  mit  ihm,  die  wir 
noch  durchschneiden  sollten.  Auf  der  Südseite  des  Flussthales- 
mündete  südsüdwestlich  von  uns  sein  ansehnlichstes  Nebenthal,  E. 
Suroe,  auch  Segre  und  Ziri  genannt,  nicht  weit  davon  nach  Osten 
das  unbedeutendere  Thal  T omädema,  und  gerade  südlich  von  unserem 


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272 


n.  buch,  3.  Kapitel,  täo  und  zuAr. 


Standpunkte  K.  Sugo,  dessen  Ursprungsberge  im  fernen  Siidosten 
erblickt  wurden.  Dann  folgte  E.  Sogursa,  dem  der  ebenfalls  im 
Siidosten  gelegene  gleichnamige  Berg  Ursprung  giebt,  und  in 
der  Mitte  der  weiten  Ebene  erblickten  wir  zu  beiden  Seiten  des 
E.  Zuär  selbst  die  Eelsen  Kedroä.  Die  südlichen  Nebenthäler  ver- 
laufen alle  mehr  oder  weniger  von  Südost  nach  Nordwest.  In  die 
Ebene  hinabsteigend,  überschritten  wir  in  südöstlicher  Richtung  die 
unbedeutenden  Flussbetten  Iberdasnossen,  Kazanei  und  Kodoä,  welche 
sämmtlich  von  Nordost  nach  Südwest  gerichtet  sind,  und  lagerten 
nach  vierstündigem  Nachmittagsmarschc  zu  Zuär-Kai. 

Kaum  hatten  wir  unser  Nachtlager  aufgeschlagen,  als  die  Edlen 
Zuär’s  mit  ihrem  Gefolge,  im  Ganzen  höchstens  zwanzig  Personen, 
erschienen,  um  mich  zu  begrüssen.  Alle  hockten  in  einem  weiten 
Bogen  vor  meinem  Zelte  nieder,  die  Lanze,  die  Wurfspeere  und  das 
Wurfeisen  aufrecht  in  der  Hand  haltend,  das  lange,  breite  Vorder- 
arm-Messer durch  einen  Lederring  am  Handgelenk  befestigt,  und 
begannen  ihre  Killahämi's,  Ihillas  und  anderen  Begrüssungsformeln, 
in  welche  ich  bei  der  Erwartung  der  bevorstehenden  unliebsamen 
Auseinandersetzungen  und  unvermeidlichen  Schwierigkeiten  nur  mit 
massiger  Freudigkeit  und  sicherlich  noch  geringerer  Sachkenntnis 
einstimmen  konnte.  Von  mir  begaben  sie  sich  zu  meinen  Leuten, 
und  stellten  diesen  mit  einer  Festigkeit,  welche  keine  Ablehnung 
zuliess,  das  Ansinnen,  ihnen  den  lang  entbehrten  Genuss  eines  warmen 
Abendessens  zu  Theil  werden  zu  lassen.  Ich  stimmte  dieser  be- 
scheidenen Bitte  mit  grosser  Bereitwilligkeit  zu,  da  ich  in  dem 
Augenblicke  naiv  genug  war,  zu  glauben,  dass  mein  Mohamines  den 
einzigen  Gegenstand  ihrer  Begehrlichkeit  bildete  und  ihre  Gemüther 
zur  Milde  stimmen  möchte. 

Mit  finsteren  Blicken  sahen  ’ Al»  und  Saad  den  kostbaren  Stoff 
in  den  hungrigen  Mäulern  der  zerlumpten  Fkllen  verschwinden.  In 
der  That  konnte  ein  derartiger  Angriff  auf  unsere  Vorräthe  im  Wieder- 
holungsfälle sehr  verderblich  werden,  denn  wer  bewies  mir,  dass  die 
Aussagen,  welche  Bardai  reichlich  mit  Datteln  und  Getreide  aus- 
statteten, nicht  ebenso  trügerisches  Blendwerk  waren,  wie  das  reich- 
liche Kameelfutter,  das  wir  südöstlich  vom  Tümmogebirge  hatten 
finden  sollen?  Und  wenn  ich  überhaupt  verhindert  werden  würde, 
Bardai  zu  erreichen?  Hier  auf  dieser  Seite  der  Berge  gab  es  augen- 
scheinlich Nichts;  wenigstens  ging  die  Gutmüthigkeit  eines  echten 


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DIE  EDELLEUTE  ZUÄr’s. 


273 


Herrn  des  Landes  gewiss  nicht  so  weit,  mir  auch  nur  gegen  Geld 
für  die  aufgezehrten  Mengen  Ersatz  von  Mehl  zu  verschaffen.  Doch 
was  half  es:  Jedenfalls  hoffte  ich,  mir  meine  Gäste  verpflichtet  zu 
haben  und  so  von  ihrer  Seite  auf  keinen  Widerstand  gegen  meinen 
Plan  zu  stossen,  sofort  gegen  Borkü  hin  zum  E.  Marmar,  E.  Krema 
und  vielleicht  E.  Domar  aufzubrechen. 

Inzwischen  hatte  ich  Müsse,  mir  diese  sonderbaren  Edelleute, 
die  mehr  einer  Bande  verhungerter  und  zerlumpter  Banditen  ähnelten, 
als  einer  Versammlung  der  Vornehmsten  ihres  Stammes,  genauer 
anzusehen.  Da  war  zuerst  der  Aelteste  unter  ihnen,  zugleich  aus 
dem  edelsten  Geschlechte,  der  Maina  Dirköl,  mit  weissgrauem  Voll- 
barte, von  massig  dunkler,  schmutzig  gelber  Färbung  der  Haut  und 
regelmässigen  Zügen , einer  gewissen  Würde  und  Gutmüthigkeit  des 
Ausdrucks  nicht  entbehrend.  Neben  ihm  sass  der  Maina  Derdekore, 
ein  Mann  in  bester  Mannesblüthc,  der  sich  ebenfalls  des  unter  seinen 
Stammcsgenossen  seltenen  Schmuckes  eines  respectablen  Bartwuchses 
erfreute,  ein  wenig  dunkler  war  als  Dirküi,  etwas  prognathe  Gesichts- 
bildung und  dicke  Lippen  hatte,  und  der  sich  mit  seinem  unauf- 
hörlichen Redeflüsse  sehr  bald  der  Wortführung  bemächtigte.  Wäh- 
rend die  Genannten  von  mässiger  Mittelgrösse  waren,  zeichnete  sich 
Gordoi'  oder  Gorddmi,  auch  Konki,  d.  h.  der  Kleine,  genannt,  ein 
Neffe  Arämi's  von  väterlicher  Seite,  durch  kleine  Statur  und  zarten 
Gliederbau  aus.  Er  hatte  ein  kleines  verschmitztes  und  verkniffenes 
Gesicht  und  ähnelte  dem  Vorhergehenden  in  der  Hautfärbung.  Der 
Letzte  war  Kcidömi,  ein  ruhiger,  ernster,  schweigsamer  Mann  von 
schwarzer  Hautfarbe,  langem,  regelmässigem  Gesichte,  welcher  die 
Uebrigen  durch  seine  stolze  Gestalt  überragte.  Alle  Uebrigen  der 
Versammlung  waren  Verwandte,  Klienten  und  Untergebene,  welche 
zur  Erhöhung  des  öffentlichen  Ansehens  und  in  der  dunklen  Hoffnung 
irgend  eines  Gewinnes  die  Maina  s begleiteten.  Wenn  schon  Niemand 
von  der  Versammlung  wohlgenährt  und  gutgekleidet  genannt  zu 
werden  verdiente,  so  war  das  Gefolge  in  einem  so  traurigen  Zustande 
der  Fett-  und  Fleischlosigkeit  und  der  Kleidung  so  bar,  dass  es 
sich  in  allen  Culturländern  dem  öffentlichen  Mitleide  in  eindringlicher 
Weise  empfohlen  haben  würde.  Sie  verhielten  sich  übrigens  in 
physischer  Beziehung  ungefähr,  wie  ihre  Gönner. 

Am  nächsten  Morgen  erschienen  sie  schon  vor  Tagesanbruch 
wieder,  um  die  genussreichen  Bestrebungen,  ihren  Ernährungszustand 

N*cbligai.  I 


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274 


II.  BUCH,  3.  KAPITEL.  TAo  UND  ZUAR. 


auf  meine  Kosten  zu  verbessern,  von  Neuem  zu  bethätigen.  Moham- 
med el-Qatrüni,  der  die  Mundvorräthc  verwaltete  und  die  Eigenschaft 
hatte,  für  seine  Person  wenig  zu  bedürfen  oder  wenigstens  sehr  ent- 
sagungsfähig zu  sein  und  Andern  gern  und  viel  mitzutheilen,  griff 
bedenklich  tief  in  unsere  Vorrathssäcke  ein  und  offerirte  den  aus- 
gehungerten Organismen  ein  Frühstück,  das  ebenso  reichlich  war, 
als  die  bereits  geopferte  Abendmahlzeit.  First  als  sie  den  Ver- 
dauungsprocess  begonnen  hatten  und  vielleicht  zur  Förderung  des- 
selben gaben  sie  sich  der  angenehmen  Aufregung  anderer  Recla- 
mationen  hin  und  erkundigten  sich  in  höchst  natürlicher  und  selbst- 
verständlicher Weise,  wie  es  mit  ihrem  „Rechte",  dem  „Rechte  ihres 
Thaies",  d.  h.  dem  ihnen  zu  entrichtenden  Durchgangszolle,  stände. 
Jetzt  begann  ein  Wortkampf,  der  von  Sonnenaufgang  bis  zur  Zeit 
der  ’Ascha  (anderthalb  Stunden  nach  Sonnenuntergang)  dauerte  und 
natürlich  mit  meiner  Niederlage  endigte. 

Die  feindliche  Partei  verliess  das  friedliche  Terrain  gemeinsamer 
culinarischer  Bestrebungen  und  zog  sich  in  ein  Gebüsch  von  Siwak- 
Sträuchern  (Salvadora  persica),  die  im  Zuär-Thale  zuerst  und  zwar 
in  grosser  Menge  auftraten,  zurück.  Dieser  Rückzug  ist  charakte- 
ristisch für  die  Tubu-  Sitten  und  entspricht  ganz  dem  Princip  der 
Isolirung  und  Heimlichkeit,  nach  dem  Jeder  auf  der  Reise  einem 
Landsmanne  auszuweichen  sucht  und  in  der  Heimath  seine  Hütte 
so  fern  als  möglich  von  der  des  Nachbarn  errichtet. 

Meine  Advokaten  waren  Galma,  Birsa  und  Bü  Zei'd.  Die  gänz- 
liche Unzulänglichkeit  des  Edlen  Kolokömi  erhellte  hier  zum  ersten 
Male  auf  das  Klarste.  Man  schob  ihn,  ohne  ein  Wort  zu  verlieren, 
einfach  bei  Seite,  und  von  Stunde  an  ward  er  im  Rathe  des  Volkes 
oder  seiner  Standesgenossen  nicht  mehr  gehört.  Anerbietungen  meiner- 
seits von  kleinen  vorläufigen  Geschenken  wurden  gemacht  und  zurück- 
gewiesen,  andere  discutirt,  angenommen,  ausgeführt  und  rückgängig 
gemacht.  Das  Schlimmste  war,  dass  sich  durch  irgend  eine  Indiscretion 
das  Gerücht  von  den  grossen  Summen  verbreitet  hatte,  'welche 
meinen  officiellen  Begleitern  Kolokömi  und  Bü  Ze'id  ausgezahlt  und 
versprochen  worden  waren.  Wenn  ein  Mann  ohne  alles  Ansehen,  wie 
der  Erstere  war,  80  Thaler  erhielt,  wie  viel  durfte  dann  ein  Maina 
von  edelstem  Blute  und  persönlichem  Ansehen  beanspruchen? 

Dies  gab  den  Anlass  zur  Discutirung  der  Motive  meines  Kommens 
überhaupt.  Bisher  war  kein  Christ  in  das  Land  gedrungen,  und  man 


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VERHANnM'NGEN  I BER  DAS  DURCHZUGSRECHT.  275 

wünschte  keinen  in  demselben  zu  sehen.  Wer  so  viel  Geld  opfere  so 
folgerten  die  Leute  — , müsse  nothwendigerwei.se  gewinnsüchtige  Plane 
verfolgen,  denn  nur  um  ihre  kahlen  Herge  und  ihre  Flussthaler  zu 
sehen,  könne  keiner  dieser  Europäer,  die  so  reich  und  klug  und 
machtvoll  sein  sollten,  thöricht  genug  sein,  sich  allein  in  ihr  unsicheres 
Land,  zu  ihrem  gewaltthätigen  Stamme  zu  wagen.  In  der  weiteren 
Forschung  nach  meinem  eigentlichen  Zwecke  mussten  sie  freilich  ge- 
stehen, dass  es  unbegreiflich  sei,  was  man  in  ihrem  hungerleidigen 
Lande  suchen  könne.  Doch  diesen  Mangel  an  Verständniss  schoben 
sie  ihrer  geringen  Kenntniss  der  Welt  und  ihrer  niedrigen  Culturstufe  zu, 
fest  überzeugt,  dass  die  klugen  Christen  wohl  wüssten,  welche  Schätze 
selbst  das  ferne  Tibesti  berge.  In  Bezug  auf  diese  ungeahnten 
Reichthümcr  ihres  Landes  nun  waren  die  Meisten  der  Ansicht,  dass 
ich  der  am  östlichen  Abhange  des  Tarso  befindlichen  heissen  Quelle, 
die  mit  genereller  Tedä  - Bezeichnung  Jerike  genannt  wird,  der 
grössten  Merkwürdigkeit  ihres  Landes,  nachstrebte,  wahrscheinlich, 
weil  in  derselben  Gold  oder  Silber  verborgen  sei.  Die  Verbreitung 
der  Thatsache,  dass  ich  wiederholt  bei  den  Eingeborenen  über  diese 
Quelle  Erkundigungen  eingezogen  hatte,  unterstützte  ihre  Vermuthung. 
Genug,  sie  waren  einig,  dass  ich  mit  der  Absicht  in  ihr  Land  ge- 
kommen sei,  mich  von  dem  Vorhandensein  eines  derartigen  Schatzes 
zu  überzeugen  und  dann  mit  Hülfe  meiner  Landsleute  sie  selbst  aus 
ihrer  Heimath  zu  vertreiben.  Vergebens  bot  Mohammed  aus  Qatrün, 
ihr  halber  Landsmann,  seine  ganze  Beredsamkeit  auf,  um  ihnen  die 
Harmlosigkeit  meiner  Pläne,  die  sonderbare  und  etwas  thörichte  Vor- 
liebe der  übrigens  so  klugen  Europäer  für  zweckloses  Umherreisen 
zu  erklären.  Vergebens  schwatzte  Galma  den  ganzen  Tag;  von  der 
Gefährlichkeit  meines  Beginnens  für  sie  selbst  waren  und  blieben  sie 
Alle  fest  überzeugt.  Um  so  grösser  und  schwärzer  erschien  ihnen 
aber  die  Treulosigkeit  Kolokömis  und  Bü  Zeid’s,  die  für  schnödes 
Geld  ihr  Vaterland  und  die  Interessen  ihrer  Stammesgenossen  ver- 
rathen  und  verkauft  hätten. 

Der  Sprecher  der  mir  feindlichen  Partei  war  Derdekore.  Selten 
habe  ich  eine  solche  Gewandtheit  in  der  Discussion,  eine  solche 
Redefertigkeit  beobachtet,  als  bei  diesem  Vertheidiger  seiner  und 
seiner  Genossen  Interessen.  Bui  Mohammed  konnte  nicht  immer 
schnell  genug  den  Wortlaut  der  Rede  desselben  ins  Arabische  über- 
tragen, und  in  dem  Eifer  der  Debatte  entging  mir  Manches;  doch  seine 

18* 


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27a 


II.  BUCH,  3.  KAPITEL.  tAO  UND  ZuAR. 


überzeugende  Darstellung,  seine  List,  gegnerische  Gründe  zu  über- 
gehen oder  als  nebensächlich  zu  behandeln,  seine  Fähigkeit,  den 
Inhalt  einer  Gegenrede  zu  verdrehen,  erfüllten  mich  mit  Bewunderung. 
Wenn  ein  Gegner  einen  Gesichtspunkt  besonders  betonte,  so  griff 
er  mit  Lebendigkeit  einen  andern,  der  mit  jenem  gar  Nichts  zu 
thun  hatte,  auf,  spielte  die  ganze  Discussion  auf  ein  anderes  Ge- 
biet, verwirrte  die  Köpfe  seiner  Zuhörer  und  nahm  ihre  Zustimmung 
im  Sturm. 

Wenn  ich  behauptete,  die  von  mir  mitgebrachten  Geschenke  nur 
in  die  Hände  des  Dardai  niederlegen  zu  können,  da  dieser  am  besten 
wissen  müsse,  welche  die  berechtigten  Ansprüche  der  einzelnen  Edel- 
leute seien,  so  antworteten  mir  die  Herren,  Tafertemi  sei  in  Bardai,  wo- 
hin sie  nicht  gehen  würden,  und  sie  selbst  kennten  am  besten  ihre  eige- 
nen Rechte.  Der  Mangel  an  Respect,  mit  dem  sie  bei  dieser  Gelegen- 
heit ihr  Staatsoberhaupt  behandelten,  erfüllte  mich  nicht  gerade  mit 
besonderem  Vertrauen  auf  den  Schutz,  den  ich  von  demselben  zu 
erwarten  hatte.  Wenn  ich  vorschlug,  man  möge  die  Briefe,  welche 
mir  der  Hadsch  Dschäber,  dessen  berechtigten  Einfluss  Jeder  anzu- 
erkennen schien,  an  den  Dardai  und  die  Versammlung  der  Mainas 
mitgegeben  habe,  einsehen,  so  erklärten  sic,  fremde  Briefe  zu  lesen 
sei  gegen  ihre  Gewohnheit,  und  wenn  ich,  am  Ende  meiner  Geduld, 
sie  aufforderte,  aus  meinem  Gepäck  zu  nehmen,  was  ihnen  gut  und 
recht  dünke,  da  sie  die  Gewalt  hätten,  so  antworteten  sie  mit  sittlicher 
Entrüstung,  sie  seien  keine  Räuber. 

Vergebens  lud  ich  Derdekore  ein,  sich  durch  den  Augenschein 
von  der  Menge  der  von  mir  zu  vertheilenden  Gegenstände  zu  über- 
zeugen; er  lehnte  es  als  eine  Indiscrction  ab.  Vergebens  drohte 
ich,  aus  einem  Lande,  bei  dessen  Betreten  man  mich  schon  ver- 
gewaltigen wolle,  sofort  abreisen  und  nach  Fezzan  zurückkehren  zu 
wollen.  Meine  Berechtigung  zu  diesem  Schritte  wurde  zwar  keines- 
wegs angefochten,  doch  in  listig  zurückhaltender  Weise  geltend  ge- 
macht, dass  die  Ausführung  eines  solchen  Planes  ihnen  nur  zum 
Vortheil  gereichen  würde,  da  sie  mir  dann  ausserhalb  ihrer  Wohn- 
sitze, nicht  gebunden  durch  die  Pflichten  der  Gastfreundschaft,  in 
freier  Ausübung  ihrer  Wüstensitten  gegenüberstehen  würden. 

Allerdings  hätten  wir  augenblicklich  die  Macht  gehabt,  Alles 
rund  abzuschlagen  und  abzurcisen;  doch  wohin?  Auf  dem  Wege 
nach  Bardai  würden  sie  gewiss  mit  Helfershelfern  in  den  centralen 


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ERMÜDENDE  BESEITIGUNG  DER  SCHWIERIGKEITEN.  H77 

Bergen  einen  Uebcrfall  auszuführen  nicht  unterlassen  haben,  und  wäre 
dann  einmal  Blut  zwischen  uns  geflossen,  hätten  wir  keinesfalls  im 
Lande  bleiben  können.  Nach  der  Bornüstrasse  und  Fezzän  zurück- 
zukehren war  wegen  des  traurigen  Zustandes  unserer  Kameele  kaum 
möglich  und  wegen  der  soeben  von  ihnen  selbst  angedeuteten  Perspec- 
tive nicht  gerathen.  Der  Mildeste  und  Traitabelstc  schien  Gordoi  zu 
sein,  der  sich  Nachmittags  bereit  erklärte,  mich  auch  ohne  sofortige  Aus- 
zahlung seines  „Rechtes”  nach  Bardai  zu  begleiten,  um  dasselbe  dort 
in  Empfang  zu  nehmen.  Mein  natürlicher  Advokat  Galma  war  selbst- 
verständlich dieser  Erklärung  ebenfalls  beigetreten,  doch  die  Majorität 
der  übrigen  drei  blieb  unveränderlich  bei  ihrer  Meinung.  Nachmit- 
tags waren  wir  schon  fast  einig  über  die  Auslieferung  eines  rothen 
Tuchburnus,  einer  schwarzblauen  Südäntobe,  einer  Maqta  Cham  und 
eines  Turban,  und  gegen  Abend  schienen  sie  einer  Vermehrung 
dieser  Gegenstände  um  zwei  Turbane  weichen  zu  wollen;  doch  der 
eifrige  Derdekore  wusste  stets  wieder  eine  feindselige  Stimmung  zu 
erzeugen.  Endlich  um  die  Zeit  der  ’Aschä  nahmen  sie  die  aufge- 
führten Gegenstände  und  dazu  zwei  Stücke  Cham  an,  mit  der  illu- 
sorischen Bestimmung  einer  theilweisen  Rückgabe,  im  Falle  mir  die 
Erlaubniss  zum  Herumreisen  Im  Lande  verweigert  werden  sollte, 
und  damit  hatte  die  ganze  Discussion  ihr  Ende  erreicht. 

Der  unermüdliche  Sprecher  Derdekore  nahm  zwar  seinen  An- 
theil  an  der  Erpressung  in  Cham  in  Empfang,  vertheilte  ihn  aber  so- 
fort unter  seine  Clienten  und  Untergebenen.  Ehrgeiz  war  das  Motiv 
dieser  Uneigennützigkeit;  man  sagte,  er  sei  eifersüchtig  auf  das  An- 
sehen des  mächtigen  Animi  und  suche  eine  ebenso  hervorragende 
Stellung  unter  seinen  Landsleuten  zu  erringen. 

Währenddem  hatten  die  Erpresser  durchaus  nicht  vergessen,  ihre 
Aufmerksamkeit  meinem  Mohammes  zuzuwenden,  und  es  war  ihnen 
gelungen,  während  dieser  anderthalb  Tage  eine  Lücke  in  meinen 
Vorräthcn  zu  erzeugen,  wie  unsere  alleinigen  Anstrengungen  sie  nicht 
in  einer  Woche  hervorzubringen  im  Stande  gewesen  wären.  Als  sie 
sich  zur  Abreise  rüsteten,  versicherten  sie  mich  übrigens  ihrer  Freund- 
schaft und  ihrer  Hülfe  für  den  Fall,  dass  ich  ihre  Wohnsitze  im 
Innern  des  E.  Zuär  besuchen  würde. 

Diese  günstige  Stimmung  meiner  mühsam  und  theuer  erworbenen 
neuen  F'reunde  beschloss  ich  alsbald  auszunutzen.  Unter  Bü  Zeid's 
Verantwortung  und  Giuseppe  s Uebcrwachung  sollten  — so  bestimmte 


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278 


II.  HUCH,  3.  KAPITEL.  TÄO  UND  ZUÄR. 


ich  — am  folgenden  Morgen  (17.  Juni)  Leute,  Kameele  und  Gepäck 
nach  Täo  zurückkehren,  während  ich  selbst  mit  Hui  Mohammed,  Sa'ad, 
Birsa  und  einem  Kameele  dem  Zuar-Thale  gegen  seinen  Ursprung  hin 
folgen  würde.  Bevor  ich  diese  Absicht  jedoch  auszufuhren  beginnen 
konnte,  unterlag  ich  in  einem  neuen  Kampfe  gegen  Gordoi  und  Galma. 
Der  Erstere,  welcher  sich  gestern  so  milde  und  zugänglich  gezeigt 
hatte,  kam  plötzlich  zurück  und  verlangte,  da  sein  Vorschlag,  die 
ganze  Erledigung  der  Angelegenheit  bis  zur  Ankunft  in  Barda'i  zu 
verschieben,  nicht  durchgedrungen  sei,  und  ich  seinen  Collegen  ihr 
„Recht  ausgezahlt  habe,  ebenfalls  den  ihm  zukommenden  Anthcil. 
Da  auch  Bü  Zeid,  der  dadurch  schon  dem  Interesse  seines  Vetters 
Galma  vorarbeitete,  darauf  drang,  jenen  abzufmden,  so  lieferte  ich 
ihm  mit  schwerem  Herzen  einen  Burnus,  einen  Tarbüsch  und  einen 
Turban-Shawl  aus,  wogegen  er  sich  freiwillig  erbot,  mich  zu  grösserer 
Sicherheit  nach  Barda'i  zu  begleiten.  Damit  war  ich  dem  unver- 
schämten Galma  natürlich  ebenfalls  verfallen,  obgleich  dieser  als 
aussergewöhnliches  Geschenk  schon  eine  indigogefärbte  Südäntobe 
erhalten  hatte.  Selbst  die  Auslieferung  ihres  Haqq,  d.  h.  Rechtes, 
ging  nicht  ohne  Schwierigkeiten  von  Statten.  Burnus,  Tarbüsch  und 
Turban  wurden  mit  der  Kritik  eines  raffinirten  Kaufmannes  unter- 
sucht, für  jede  kleine  Stelle  Mottenfrass  ein  Schadenersatz  verlangt, 
die  Färbung  des  Tarbüsch  oder  seine  Seidenquaste  mangelhaft  be- 
funden und  der  Turbanshawl  wegen  unzureichender  Länge  beanstandet. 
Die  Unterhandlungen  über  die  kleinsten  Gegenstände  nahmen  Stunden 
in  Anspruch. 

Endlich  konnten  wir  zu  unserer  Excursion  aufbrechcn  und  schon 
nach  einer  Viertelstunde  betraten  wir  den  eigentlichen  Kai  (Mund) 
des  E.  Zuär.  Ueber  100  Fuss  hohe,  senkrecht  aufstrebende  Felsen 
engten  hier  sein  Bett  bis  auf  fast  50  Schritte  ein,  ihm  nur  einen 
schmalen  Vegetationssaum  von  Siwäk  und  Oschar  als  Zierde  lassend. 
Während  wir  im  Sand  und  Kies  des  Bettes  nach  Ostsüdost  zogen, 
begegneten  wir  einigen  aus  dem  Zuär-Thale  über  Tao  und  den  Tarso 
nach  Barda'i  auswandernden  Familien,  das  heisst  Frauen  mit  ihren 
Kindern. 

Man  kann  zwar  aus  dem  obersten  Laufe  des  E.  Zuär  auf  einem 
kürzeren  Wege  über  die  Felsenberge  nach  Bardai  gelangen,  doch 
diese  Passage  ist  sehr  schwierig,  und  man  zieht  meistens  vor,  das 
Flussbett  nach  Westen  zu  verfolgen,  die  Felsen  zu  umgehen  und  erst 


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EXCURSION  IN  DAS  ZCAR- THAL. 


279 


jenseits  Tao  über  den  mächtigen,  doch  bequem  gewölbten  Tarso 
nach  Osten  zu  reisen. 

Die  Kinder  waren  allerliebste  Erscheinungen;  die  kleinsten  ritten 
zu  zweien  auf  Eseln,  welche  den  spärlichen  Hausrath  trugen,  und 
die  vier-  oder  fünfjährigen  marschirten  schon  rüstig  und  trieben  die 
Lastthiere  an.  Alle  waren  nackt,  selbst  ein  zehn-  oder  zwölfjähriges 
Mädchen,  welches  doch  sonst  schon  eitel  genug  war,  um  das  Haar 
in  den  üblichen  kleinen  Flechten  der  Erwachsenen  zu  tragen.  Die 
Frauen  waren  mager,  dunkelhäutig,  nur  mit  dem  langhaarigen,  glänzend 
schwarzen  Fell  der  oben  beschriebenen  Schaafe  bekleidet,  welches, 
wenn  es  allenfalls  genügen  konnte,  ihre  Blossen  zu  bedecken,  doch 
nicht  hinreichte,  die  skelettartige  Magerkeit  und  die  faltige,  glanzlose 
Haut  der  alternden  Schönen  zu  verbergen. 

Die  Einengung  des  Flussbettes  setzt  sich  auf  eine  Wegstunde 
nach  Ostsüdost  fort;  dann  verbreitert  sich  dasselbe  plötzlich  zu  einem 
weiten  Kessel,  der  durch  die  Einmündung  verschiedener  Nebenthäler 
entsteht,  und  dessen  Mitte  von  einer  ausgedehnten  Felsgruppe,  Emi 
Besär,  die  sich  etwa  300  Fuss  hoch  erhebt,  eingenommen  wird.  Von 
Nordwesten  mündet  hier  E.  Tarde,  von  Südwesten  E.  Abogr,  von 
Nordosten  E.  Mescher  ein.  Wir  verbrachten  die  Stunden  der  grössten 
Tageshitze  am  Fusse  des  Emi  Besär  in  einer  prächtig  kühlen,  gewiss 
niemals  von  einem  Sonncnstrahle  erreichten  Grotte,  und  ich  wollte 
mir  den  Genuss  nicht  versagen,  von  der  Höhe  des  Berges  einen 
Ueberblick  über  die  wilde  Felsenlandschaft  zu  gewinnen.  Doch  es 
gelang  mir  nicht,  eine  klare  Anschauung  von  der  Anordnung  der 
Ketten  und  Gruppen  zu  erhalten,  denn  diese  verhielten  sich  einerseits 
allzu  verschieden  in  Richtung  und  Zusammenhang,  und  andrerseits  war 
der  Berg  nicht  hoch  genug  für  meinen  Zweck.  Bergketten  und  Höhen- 
zuge verliefen  in  jeder  Richtung,  isolirtc  Felsen  und  combinirte  Gruppen 
erblickte  man  überall,  und  vergebens  suchte  das  Auge  die  geschlossene 
Kette,  die  wir  nördlich  von  Täo  im  Osten  erblickt  hatten. 

Auch  weiterhin  kommt  der  Zuär  aus  Ostsüdost,  und  zwar  als  ein 
stolzes,  an  vielen  Stellen  ein  Kilometer  breites  Thal.  Eingefasst  von 
wilden,  massigen  und  dunkelfarbigen  Felsen,  geschmückt  mit  reicher 
Vegetation,  die  durch  ihr  heiteres  Grün  einen  prächtigen  Contrast 
mit  den  finsteren  Uferhöhen  bildet,  und  in  dort  seltener  Weise  mit 
Thieren  belebt,  macht  es  einen  ebenso  imponirenden  als  mannich- 
faltigen  Eindruck  und  erfrischt  Herz  und  Sinn  nach  der  langen  Wan- 


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280 


II.  BUCH,  3.  KAPITEL.  TÄO  UND  ZUÄR. 


derung  durch  Gegenden,  in  welchen  nur  die  zerstörenden  Gewalten 
der  Natur  gewirkt  zu  haben  scheinen,  aber  nicht  ihre  schaffende, 
lebenspendende  Kraft  zum  Ausdrucke  kommt.  Welch’  ein  grossartiges 
Bild  entstand  hier,  wenn  die  Einbildungskraft  noch  die  Wassermassen 
hinzufügte,  welche  fast  alljährlich,  zwar  nur  vorübergehend,  aber  um 
so  mächtiger,  durch  das  Thal  brausen  und  Bäumen  und  Sträuchern, 
Menschen  und  Thieren  Verderben  drohen. 

Das  frische,  kräftige  Grün  der  Sajälakazic,  das  helle,  saftige  des 
Siwäk,  das  gelbliche  des  Tundub,  das  dunkle  des  Serrah  ( Maema ). 
das  fahle  des  Oschar  bedeckten  in  mannichfachcn  Schattirungen  den 


Grund  des  Thaies.  Während  früher  nur  Aasgeier  und  Steppenraben 
als  Repräsentanten  der  Vogelwelt,  und  auch  noch  selten  genug,  ge- 
sehen worden  waren,  trug  jetzt  jede  Baumkrone,  besonders  die  der 
Akazien,  mindestens  einige  Dutzend  jener  an  dünnen  Fäden  aufgehäng- 
ten Vogelnester,  welche  ihre  niedlichen  Bewohner  mit  der  Oeffnung 
nach  unten  und  einer  seitlichen  Ausbuchtung  als  Wohnung  so  kunst- 
voll zu  weben  verstehen.  Zwischen  den  Bäumen  und  Sträuchern 
hüpften  Gazellen  hierhin  und  dorthin,  zuweilen  zeigte  sich  eine  Säbcl- 
antilope  (A.  Leucoryx)  — Baqar  el-Wahschi  oder  Bii  Raqaba  arab.*) 

•)  Baqar  el-Wahscht  heisst  nur  wildes  Rind,  genereller  Ausdruck  für  rinderähnliche 
Antilopen  bei  den  Arabern,  und  der  Name  Ilu  Raqaba,  der  , .Inhaber  des  Halses"  oder 
, , merkwürdig  durch  seinen  Hals"  bedeutet,  verdankt  seine  Entstehung  der  braunen  Hals- 
und  Brustfarbung  dieser  Antilope. 


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PFLANZEN-  UNI»  THIERLEBEN  IM  E.  ZUAR. 


281 


und  Turin  Sode  ted.  — mit  ihrer  braunen  Hals-  und  Brustfärbung 
und  ihren  langen,  säbelförmig  gekrümmten,  nach  hinten  geneigten 
Hörnern.  Auf  den  Felsen  und  Bäumen  kletterte  dazu  ein  grosser 
Pavian  (Cynoccphalus  Babuin ?)  herum,  durch  seine  dunkle,  grünlich 
graue  Färbung  von  dem  Gestein  und  von  den  Baumstämmen  kaum 
zu  unterscheiden.  Mit  Vorliebe  und  rastloser  Gewandtheit  tummelt 
er  sich  besonders  in  den  Sajälakazien,  deren  Knospen  er  liebt,  ohne 
sich  vor  den  zahllosen  Stacheln  derselben,  welche  oft  eine  Länge 
von  mehreren  Zoll  erreichen,  und  spitz,  scharf,  unnachgiebig  sind, 
zu  scheuen.  Die  Tubu  verfolgen  ihn  nie,  theils  weil  er  sich  einer 
ansehnlichen  Körperkraft  erfreut  und  bei  seiner  Gewandtheit  schwer 
einzufangen  ist,  während  sie  der  Feuerwaffen  entbehren,  theils,  weil 
seine  Menschenähnlichkeit  sie  abhält,  ihn  zu  tödten  oder  gefangen 
zu  Hause  zu  halten. 

Das  für  Mensch  und  Thier  unentbehrliche  Wasser  sammelt  sich 
in  diesem  Theile  Tibesti's  bei  den  seltenen  Regenfallen  in  natürlichen 
Felsencisternen,  erhält  sich,  wenn  dieselben  geschützt  vor  der  Sonne 
sind,  in  ausgezeichneter  Frische  und  reicht,  bei  hinlänglicher  Ge- 
räumigkeit der  Behälter,  für  Jahre  hin.  Ueber  ihnen  kreisende  Vögel 
verrathen  Fremden  ihre  Lage.  Das  Bodenwasscr  fehlt  so  sehr,  dass 
auch  die  Dümpalmc  selten  ist,  und  ihre  trotz  ihres  geringen  Wcrthes 
als  Nahrungsmittel  unentbehrlichen  Früchte  von  begünstigteren  Punkten 
hcrbeigeholt  werden  müssen.  Als  Ersatz  für  dieselben  müssen  die 
Beeren  des  Siwäk  dienen,  welche  allerdings  noch  weniger  als  jene 
zur  Ernährung  des  Menschen  geeignet  sind,  da  sie  einen  scharfen, 
den  Darmcanal  reizenden  Stoff  enthalten. 

Nachmittags  zogen  wir  in  der  anmuthigen  Umgebung  weiter, 
an  der  Mündung  des  E.  Mescher  vorüber,  der  gegenüber  im  Kessel 
eine  niedrige  Hügelgruppe  aus  Kalk  und  Thonschiefer  mit  Sand- 
steinblöcken, Namens  Kusüe,  liegt,  bis  ein  erfrischender  Regen  aus 
Nordosten  uns  in  den  Schutz  eines  Serrah  trieb,  dessen  dicht  ver- 
schlungenes Geäst  vortrefflichen  Schutz  gewährte.  Nach  einstündigem 
Weitermarsche  passirten  wir  die  Mündung  des  von  Norden  kommen- 
den E.  Tigri,  bald  darauf  die  des  E.  Zug,  der  von  Süden  kommt, 
und  eine  weitere  Stunde  brachte  uns  zu  der  Stelle,  wo  von  Norden 
her  der  E.  Sudrum  einmündet.  In  dem  E.  Zug  war  der  Wohnsitz  des 
widerwärtigen  Gordo'i,  der  uns  demzufolge  verliess,  um  sein  Haus  zu 
bestellen  und  dann  bei  unserer  Rückkehr  zu  weiterer  Begleitung  nach 


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282 


II.  BUCH,  3-  KAPITEL.  TÄO  UND  ZUAR. 


Bardai  bereit  zu  sein.  Darauf  verengte  sich  das  Thal  wieder,  um 
sich  nach  einer  kleinen  Stunde  von  Neuem  zur  früheren  Breite  aus- 
zudehnen. Hier  lag  die  Cisterne,  deren  beständiger  Wasserinhalt 
den  Aufenthalt  Tafertömi's  und  der  meisten  Zuär-Edlcn  für  gewöhn- 
lich vermittelte,  und  in  ihrer  Nähe  verbrachten  wir  die  Nacht.  Wir 
hatten  während  des  ganzen  Tages  keine  20  Km.  zurückgelcgt,  doch 
die  Anmuth  des  Thaies  und  das  herrliche  Gefühl,  für  kurze  Zeit  der 
Bevormundung  Bü  Zeid’s  und  Kolokömi  s überhoben  zu  sein,  machten 
mir  den  Weg  zu  einem  höchst  genussreichen  Spaziergang. 

Am  nächsten  Morgen  (18.  Juni)  besichtigten  wir  noch  einige 
grosse  Regenwasserbehälter,  ohne  welche  die  Gegend  unbewohnbar 
sein  würde,  und  trafen  an  einem  derselben  einen  Bewohner  von 
Kawär,  der  aus  Borkü  kam  und  uns  von  den  räuberischen  Bulgedä 
(Nomadenstämme  Borkü's),  denen  er  nur  mit  genauer  Noth  entwischt 
war,  und  ihren  Plänen  auf  Tibesti  erzählte.  Er  behauptete,  die  ge- 
nannten Räuber  seien  bereits  auf  dem  Wege,  um  die  südwestlichen 
Thäler  E.  Marmar,  Zuär  und  vielleicht  Täo  auszuplündern,  und  er 
reise  deshalb  Tag  und  Nacht,  soweit  es  die  Kräfte  seines  Kameeles 
erlaubten.  Schon  in  Täo  hatten  wir  von  diesen  beabsichtigten  Raub- 
zügen der  Bulgedä  gehört,  doch  ich  hatte  den  Gerüchten  keinen 
Glauben  geschenkt,  da  ich  meine  Umgebung,  welche  gegen  eine  Reise 
nach  Borkü  durchaus  eingenommen  war,  im  Verdacht  hatte,  dieselben 
zu  erfinden. 

Die  eindringlichen  Warnungen  des  Kawär -Mannes  noch  discu- 
tirend  stiessen  wir  auf  ein  herrenloses  Kaineel , das  nach  der  ein- 
gehenden Prüfung  seiner  eingebrannten  Zeichen  von  Seiten  Birsas 
und  des  Qatrüncr’s  als  südlichen  Ursprungs  erkannt  wurde  und  den 
Verdacht  hätte  erregen  können,  etwaigen  im  Hinterhalte  liegenden 
Bulgedä  anzugehören,  wenn  nicht  das  sehr  abgenutzte  Ende  seiner 
am  Boden  schleifenden  Halfter  dafür  gesprochen  hatte,  dass  es  schon 
eine  Reihe  von  Tagen  herrenlos  herumlaufc.  Wir  bemächtigten  uns 
einstweilen  des  Thieres  und  kamen  alsbald  zu  einer  Stelle  des  weiten 
Thaies,  an  der  dieses  aus  zwei  schmalen  Armen,  dem  aus  Ostsüdost 
kommenden  E.  Zuär  und  dem  aus  Ostnordost  kommenden  E.  Kögu 
entstand.  Der  spitze  Winkel,  in  dem  beide  aufeinanderstiessen,  war 
von  einer  ansehnlichen  Felsgruppe  eingenommen.  Wir  folgten  für 
einige  Minuten  dem  E.  Kögu  aufwärts,  fanden  hier  den  Besitzer  des 
eingefangenen  Kameeis  mit  der  Aufsuchung  des  Thieres  beschäftigt, 


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BESUCH  BEI  DEN  EDELLEUTEN. 


283 


und  stiegen  aus  dem  Flussbette  gegen  den  E.  Zuär  hin  auf  das 
zwischen  beiden  gelegene  felsige  Terrain.  An  einer  Stelle,  wo  die 
Felsen  vereinzelter  waren,  lagen  die  wenigen  Hütten  meiner  Erpresser 
vom  vorhergehenden  Tag,  und  wenn  auch  rings  herum  in  den  Schluch- 
ten und  zwischen  den  Felsen  sicherlich  noch  manche  vereinzelte 
Wohnstätten  lagen,  so  war  doch  keine  Spur  von  einer  wirklichen 
Ortschaft  zu  entdecken. 

Die  Wohnungen  gehörten  der  Kategorie  der  beschriebenen 
Mattenhütten  an,  und  einer  derselben  entkroch  die  würdige  Gestalt 
Dirkin s,  des  Seniors  meiner  neuesten  Tubufreunde,  der,  sichtlich 
unangenehm  berührt  durch  meinen  Besuch,  sich  nur  unwillig  der 
Pflicht  der  Begrüssung  entledigte.  Nachdem  er  in  längerer  Rede 
sein  altes,  edles  Geschlecht  gefeiert  hatte,  schloss  er  dieselbe  mit 
einer  Betonung  der  Armuth  des  Landes  im  Allgemeinen  und  der 
seinigen  im  Besonderen,  welche  ihn  zu  seiner  grossen  Schande  ver- 
hindere, mir  durch  eine  Dijäfa,  d.  h.  Bewirthung,  seine  Gastfreund- 
schaft zu  beweisen.  Ueberhaupt,  meinte  er  ärgerlich,  hätte  ich  wohl 
hinlänglich  von  ihrem  Lande  gesehen,  um  ihre  ganze  Armuth  würdigen 
zu  können;  er  könne  nicht  begreifen,  weshalb  ich  noch  weiter  in  dem- 
selben herumirre.  Bald  darauf  kamen  der  unermüdliche  Sprecher 
Derdekore  und  der  schweigsame  Keidömi,  und  jener  griff  die  Sache 
energischer  an.  Er  entwickelte  in  langer  Rede,  wie  sie  tagtäglich 
einen  Ueberfall  von  Seiten  der  Bulgedä  erwarteten  und  nicht  im 
Stande  seien,  für  meine  Sicherheit  einzustchen;  wie  cs  eine  Schande 
für  sie  sein  werde,  wenn  mir  Böses  auf  ihrem  Territorium  widerführe, 
und  sie  doch  nicht  einmal  für  meine  Sicherheit  vor  ihren  eigenen 
Landsleuten  bürgen  könnten,  so  lange  ich  ohne  officielle  Erlaubniss 
vom  Landesoberhaupte  und  dem  Rathe  der  Mainas  herumreise.  Er 
schloss  damit,  dass  von  meiner  Excursion  nach  Südosten  in  das 
E.  Marmar  u.  s.  w.  durchaus  nicht  die  Rede  sein  könne.  Auch  als 
ich  mich  über  den  Weg  den  E.  Zuär  aufwärts  bis  zu  seinem  Ursprünge 
informirte,  stiess  ich  auf  dieselben  Einwendungen,  welche  unmittelbar 
darauf  eine  unwiderstehliche  Unterstützung  erfahren  sollten. 

Während  wir  nämlich  verhandelten,  erschien  ein  Reiter  zu  Kameel, 
gekleidet  in  das  übliche  schwarzblaue  Gewand  und  den  ähnlichen 
Litham,  setzte  sich  zu  uns,  ohne  mich  eines  Grusses  zu  würdigen, 
und  ritt,  was  noch  sonderbarer  war,  ohne  das  geringste  Geschenk 
erbeten  zu  haben,  sehr  bald  wieder  von  dannen,  nicht  ohne  zuvor 


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284 


II.  1IUCH,  3.  KAPITEL.  TÄO  UND  ZU  AR. 


eine  Art  Drohung  ausgestossen  zu  haben,  dass  man  mich  im  Noth- 
falle  mit  Gewalt  zu  verhindern  wissen  werde,  Jerikc  und  Bardai  zu 
besuchen.  Da  -aus  seinem  Gespräche  der  Zweck  seines  Besuches 
nicht  erhellte,  so  begleitete  ihn  Derdekore  eine  kurze  Strecke,  um 
mehr  zu  erfahren,  und  kam  mit  der  bedrohlichen  Auskunft  zurück, 
dass  der  Mann  ausschliesslich  gekommen  sei,  um  sich  von  meinem 
und  meiner  Leute  Aufenthalt  zu  überzeugen  und  jetzt  eilig  zurück- 
kehre,  um  einige  Mannschaft  zu  sammeln  und  uns  in  Zuär-Kai  auf- 
zuheben. Ihre  Pflicht,  fügte  Derdekore  hinzu,  sei  es,  mich  zu  warnen, 
damit  mir  kein  Unheil  in  ihrem  Thale  zustosse.  In  wie  weit  die 
Mittheilung  auf  Wahrheit  beruhte,  konnte  ich  damals  nicht  wissen, 
doch  waren  Birsa  und  Bui  Mohammed  so  fest  von  ihrer  Zuverlässig- 
keit überzeugt,  dass  ich  mich  ihrem  und  dem  Widerstande  der  Edel- 
leute fügen  musste  und  umzukehren  beschloss. 

Während  wir  uns  zum  Rückzuge  rüsteten,  trug  das  edle  Blut 
des  alten  DirkiTf  den  Sieg  über  seine  Armuth  und  seine  Sparsamkeit 
davon;  er  kam  mit  einer  Ziege  als  Gastgeschenk,  nicht  ohne  aus- 
drücklich zu  erwähnen,  dass  seine  Verhältnisse  ihm  nicht  gestatteten, 
mir  das  üblichere  Mahl  aus  Getreidemehl  anzubieten.  Mit  heroischer 
Selbstüberwindung  riss  er  sich  von  dem  Thiere  los,  das  er  seinem 
eigenen  Magen  schwerlich  geopfert  haben  würde,  und  suchte  sich 
zu  betäuben  und  zu  trösten,  indem  er  seine  Generosität  und  seinen 
Edelsinn  vor  uns  verherrlichte.  Man  liess  uns  nicht  Zeit,  das  Thier 
an  Ort  und  Stelle  zu  schlachten,  sondern  drängte  zur  Umkehr.  Nach- 
dem ich  noch  die  wortreiche  und  dringende  Ermahnung,  welche 
Birsa  mit  auf  den  Weg  nehmen  musste,  um  keinen  Preis  bei  etwaigem 
Uebcrfalle  die  Hand  gegen  seine  Landsleute  zu  erheben,  sondern 
sich  neutral  zu  verhalten,  angehört  hatte,  trat  ich  betrübt,  dem 
schönen  Thale  nicht  weiter  haben  folgen  zu  können,  den  Rückweg 
nach  Zuär-Kai  und  Tao  an. 

Als  wir  die  Einmündungsstelle  des  E.  Zug  erreicht  hatten,  bogen 
wir  in  denselben  ein,  theils  um  Gordo'f  abzuholen,  theils  um  dadurch 
vielleicht  den  nächtlicherweile  nach  Zuär-Kai  zu  unserem  Ucberfalle 
eilenden  Räubern  zu  entgehen.  E.  Zug,  der  in  diesem  Thcile  seines 
Verlaufes  von  Südsüdwest  nach  Nordnordost  gerichtet  ist,  hat  eine 
viel  geringere  Breite  als  E.  Zuär,  doch  sein  Bett  ist  dicht  bedeckt 
mit  den  Gräsern  der  Gegend  und  seine  Bäume  stehen  dichter,  als 
in  den  bisher  erwähnten  Thälern.  Wir  lagerten  bald  nahe  der 


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ENNERI  ZVC. 


285 


einsamen  Hütte  Gordofs,  schlachteten  den  Ziegenbock  und  gaben 
uns  in  stiller  Gemüthlichkeit  am  schönen  Abende  dem  Fleisch- 
genuss hin. 

Da  unser  Gastfreund,  der  uns  nicht  so  bald  zurückerwartet  hatte, 
noch  nicht  zur  Abreise  bereit  war,  so  setzten  wir  am  folgenden 
Morgen  (19.  Juni)  unscrn  Weg  allein  fort.  Wir  folgten  dem  Fluss- 
bette  gegen  seinen  Ursprung  hin  und  besichtigten  zunächst  die 
in  den  Felsen  des  östlichen  Ufers  gelegene  berühmte  Cisterne 
Kauerdä  oder  Kjauerdä,  welche  in  der  That  grossartig  in  ihrer 
Bildung  und  durch  ihren  Wasserreichthum  ist.  Mitten  in  einer 
hochgewölbten  Felsgrotte,  die  auch  nicht  dem  geringsten  Sonnen- 
strahl den  Zutritt  gestattet,  liegt  das  mächtige,  regelmässige  Stcin- 
bassin  mit  spiegelklarem  Wasser.  Dasselbe  steht  in  Verbindung  mit 
einem  darunter  liegenden,  viel  umfangreicheren,  das  nach  der  Aus- 
sage meiner  Begleiter  im  Lande  für  unergründlich  gilt.  Jedenfalls 
ist  die  Menge  des  Wassers  eine  sehr  beträchtliche,  und  Niemand  soll 
selbst  in  trockenen  Jahren  auch  nur  den  Inhalt  des  oberen  Bassins 
verschwinden  gesehen  haben. 

Schon  nach  kurzer  Zeit  verliessen  wir  das  Flussbett,  um  uns 
westlich  und  nordwestlich  wieder  der  Richtung  von  Zuär-Kai  zuzu- 
wenden und  gewannen  bald  von  der  felsgehügelten  Gegend  aus  wieder 
einen  Blick  auf  die  weite  Ebene,  durch  welche  der  Zuär  sich  gegen 
den  Enii  Durso  hinschlängelt.  Unter  beständigem  Uebcrschreiten 
unbedeutender  Wasserbetten,  von  denen  die  erwähnenswerthen , F'. 
Abogr  und  E.  Sögursa,  sich  aus  den  Bergen  in  nordwestlicher 
Richtung  zum  Zuär  wenden,  stiegen  wir  in  die  Ebene  hinab,  hielten 
uns  jedoch  hart  am  Felsengebietc,  indem  wir  in  nordwestlicher 
und  westnordwestlicher  Richtung  auf  den  E.  Zuär  zumarschirten,  und 
lagerten  in  der  Mitte  des  Vormittags  in  dem  Rinnsal  Kebüru  oder 
Kjebüru  da,  wo  dasselbe  zu  Zuär-Kai  in  das  Hauptflussbett  mündet. 
Kaum  100  Schritte  davon  stand  die  Hütte  Birsa’s,  dem  zu  Liebe  wir 
denn  auch  den  Rest  des  Tages  dort  verbrachten,  da  derselbe  seine 
Frau  seit  seiner  Rückkehr  aus  Fezzän  kaum  gesehen  und,  bevor  diese 
der  allgemeinen  Auswanderung  nach  Bardai  folgte,  noch  mancherlei 
häusliche  Angelegenheiten  mit  ihr  zu  besprechen  hatte.- 

Vielleicht  hatte  er  nur  das  Bedürfniss,  seine  Ehehälfte  nach 
monatelanger  Abwesenheit  einmal  einige  Stunden  hindurch  zu  sehen; 
denn  die  häuslichen  Anordnungen  würde  dieselbe  schon  ohne  seinen 


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2#6  II.  BUCH,  3.  KAPITEL.  TÄO  UND  ZUAR. 

Rath  und  Beistand  zweckmässig  getroffen  haben.  Es  ist  in  der  That 
bewunderungswürdig,  mit  welcher  Selbständigkeit  die  Frauen  der 
Tubu  Reschäde  dem  Hauswesen  vorstehen  und  in  der  Abwesenheit 
ihrer  Männer  die  gemeinsamen  Geschäfte  besorgen.  Der  Mann  bleibt 
Monate  und  selbst  Jahre  lang  aus,  und  Haus  und  Kinder,  Ziegen 
und  Kamcele  bleiben  ganz  der  Frau  überlassen,  welche,  ohne  jemals 
fremden  Beistandes  zu  bedürfen,  Alles  überwacht,  die  Kinder  ab- 
wartet, die  Hausthiere  besorgt,  Kauf  und  Verkauf  abschliesst,  den 
Wohnsitz  wechselt  und  Reisen  im  Innern  des  Landes  macht.  Ja, 
man  hegt  im  Allgemeinen  in  Tibesti  die  Ansicht,  dass  die  Frau 
besser  zur  Besorgung  dieser  Geschäfte  geeignet  sei,  als  der  Mann. 
Die  Frauen  haben  dort  in  der  That  nicht  allein  den  determinirten 
Gang  eines  Mannes  und  seine  Fertigkeit  im  Tabakkauen;  Gewohn- 
heit und  Erziehung  haben  ihnen  auch  den  geschäftlichen  Sinn,  den 
Verstand,  die  Entschlossenheit  gegeben,  die  sonst  nur  dem  starken 
Geschlechte  eigen  zu  sein  pflegen.  Dabei  leidet  freilich  die  be- 
scheidene Zurückhaltung,  welche  uns  als  eine  Hauptzierde  des  Weibes 
erscheint,  erhebliche  Einbusse.  Dass  sie  trotz  dieser  männlichen  und 
selbständigen  Bethätigungen  sich  eines  so  ausgezeichneten  Rufes  be- 
züglich ihrer  ehelichen  Treue  erfreuen,  könnte  auffallend  erscheinen; 
doch  liegt  vielleicht  gerade  in  der  Freiheit  ihrer  Bewegungen  bei 
der  gleichzeitigen  verantwortlichen  Stellung  an  der  Spitze  des  Hauses 
der  Grund  für  diese  Thatsache. 

Die  Räuber  aus  dem  oberen  Theile  des  E.  Zuär  waren  wirklich 
vergeblich  auf  unserem  früheren  Lagerplatze  gewesen,  während  wir 
im  E.  Zug  unsern  Ziegenbraten  gegessen,  in  Frieden  geschlafen 
und  unsere  Gefährten  längst  Tao  wieder  erreicht  hatten. 

Der  20.  Juni  vereinigte  uns  wieder  mit  den  Letzteren.  Wir 
folgten  unserem  früheren  Wege  über  den  Abcrdegä-l’ass  und  rasteten 
an  dem  Ausgange  des  letzteren  nach  kaum  vierstündigem  Marsche 
während  der  Tageshitze.  Vier  weitere  Stunden  brachten  uns  dann 
gegen  Abend  zu  unserem  früheren  Lagerplatze  in  Tao,  wo  wir  be- 
sonders von  den  Qatrüner  Muräbidija  herzlich  empfangen  wurden. 
Wenn  diese  schon  früher  von  meinem  Plane,  in  ihrer  Begleitung 
nach  Borkü  zu  gelangen,  Nichts  hatten  hören  wollen,  so  waren  sie 
jetzt,  seit  sie  Zeugen  des  Widerwillens  der  Einwohner  gegen  einen 
Fremden  geworden  waren,  noch  viel  unzugänglicher.  Sie  standen 
übrigens  im  Begriff,  ihre  Borkü -Reise  anzutreten  und  beabsichtigten 


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RÜCKKEHR  NACH  ZUÄR-KAI  l-'ND  TÄO. 


287 


sogar,  vielleicht  nach  Wadäi  zu  gehen,  um  auf  den  Wunsch  der 
Regierung  und  Kaufleute  Tripolitanien's  die  Wiedereröffnung  des 
Karawanenweges  zwischen  Fezzän  und  Wadäi  anzubahnen.  Doch  die 
augenblickliche  Unsicherheit  des  Weges  durch  die  Bulgedä  hatte 
ihren  ganzen  Plan  ins  Schwanken  gebracht. 

Nachdem  sie  länger  als  eine  Woche  mit  Ueberlegungen  ver- 
bracht hatten,  entschlossen  sie  sich  endlich  für  die  Abreise  und  zwar 
unter  dem  Schutze  Galma’s,  der  durch  seine  aus  Borkü  stammende 
Mutter  und  ihren  Anhang  und  durch  seine  zahlreichen  dortigen  Be- 
kanntschaften eine  hinlängliche  Sicherheit  zu  garantiren  schien. 

Auf  diese  Weise  konnte  ich  wenigstens  hoffen,  von  diesem 
Quälgeiste,  der  mir  seit  unserer  Rückkehr  von  Zuär  endlose  Wider- 
wärtigkeiten bereitet  hatte,  befreit  zu  werden.  Sobald  wir  ange- 
kommen waren,  begann  er  die  unverschämtesten  Ansprüche  zu 
erheben,  sowohl  an  mich,  als  sogar  an  Bui  Mohammed,  den  er  im 
Verdacht  hatte,  für  seine  Begleitung  nach  Tibesti  von  mir  eine  ähn- 
liche Summe  erhalten  zu  haben,  als  sein  Vetter  Bü  Zeid  und  Kolo- 
kömi,  und  von  dem  er  nun  unablässig  durch  Bitten  und  Drohungen 
Geld  oder  Geldeswerth  zu  erpressen  versuchte.  Bü  Zeid  vermochte 
Nichts  über  seinen  Vetter  oder  versuchte  wenigstens  nicht  energisch, 
seinen  Einfluss  geltend  zu  machen,  obgleich  er  doch  allein  die  Ursache 
war,  dass  sich  der  Schurke  uns  angeschlossen  hatte. 

Ausser  diesen,  gewissermaassen  häuslichen  Unannehmlichkeiten 
machten  andere  Gründe  meine  ganze  Lage  zu  einer  höchst  unerquick- 
lichen und  bedrohlichen.  Seit  meine  Ankunft  im  Lande  bekannt 
geworden  war,  verlauteten  feindselige  Kundgebungen  gegen  den 
Eindringling  aus  den  benachbarten  Thälcrn.  Die  Thatsachc,  dass  ich 
an  Kolokömi  und  Bü  Zeid  bedeutende  Summen  gezahlt  hatte,  um 
ihre  Begleitung  zu  gewinnen,  sprach  gegen  die  Harmlosigkeit  meiner 
Absichten,  und  die  Furcht  vor  der  Klugheit,  Habsucht  und  Macht 
der  Christen  liess  die  Patrioten  eifersüchtig  darüber  wachen,  dass  ihr 
grösster  Schatz,  die  wunderbare  heisse  Quelle,  deren  Ansehen  be- 
trächtlich zunahm,  und  das  ihr  benachbarte  Thal  Bardäi  nicht 
entweiht  werde. 

Ich  wäre  am  liebsten,  besonders  bei  der  bevorstehenden  Abreise 
der  Muräbidija,  die  mich  noch  schutzloser  machte,  ohne  Weiteres 
nach  Bardai  gegangen,  in  der  Hoffnung,  dass  meine  Briefe  vom 
Gouverneur  Fczzän’s  und  vom  Hadsch  Dschäber  aus  Qatrün  hinreichen 


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II.  BUCH,  3.  KAPITEI-  TAO  UND  ZUAR. 


288 

würden,  mir  Schutz  und  Sicherheit  zu  gewähren,  und  in  der  Uebcr- 
zeugung,  dass  die  einzige  Verantwortlichkeit  und  damit  das  einzige 
Interesse  für  meine  Person  immerhin  beim  Dardäi  lag,  mochte  der 
selbe  auch  noch  so  machtlos  sein.  Aber  die  Herren  von  Qatrün 
widerriethen  diesen  Schritt  auf  das  Emstlichste.  Die  Bewohner 
Bardai’ s seien  durch  ihre  Abgeschlossenheit  von  der  Aussenwclt  viel 
roher,  gewaltthätiger  und  Fremden  feindlicher  gesinnt,  als  die  eigent- 
lichen Tubu  Reschäde;  es  sei  unumgänglich,  vorher  ihre  Dispositionen 
zu  kennen.  Ihr  Rath  aber  sei  überhaupt,  so  schnell  als  möglich  nach 
Fezzan  zurückzukehren  und  ganz  auf  den  Besuch  ßardäi’s  zu  ver- 
zichten. 

Hierin  mochten  sie  Recht  haben;  doch  trotz  aller  finsteren  Ahnun- 
gen konnte  und  durfte  ich  meinen  Plan  noch  nicht  verloren  geben.  Aut 
der  einen  Seite  lockte  mich  die  Uebersteigung  des  Gebirgsstockes 
Tarso  und  der  Besuch  Bardafs  und  Jerike’s,  auf  der  andern  drohte 
uns,  selbst  bei  sofortiger  Rückkehr  nach  Fezzan,  durch  den  Mangel 
an  Mundvorräthen  unterwegs  der  empfindlichste  Hunger.  Auch  ineine 
Leute,  welchen  ich  die  Sachlage  vorstellte,  entschieden  sich  bei 
ihrem  lebhaften  Widerwillen  gegen  das  Hungern  für  den  Zug  nach 
Bardai.  Wir  konnten  damals  noch  nicht  ahnen,  dass  wir  bald  froh 
gewesen  sein  würden,  unter  ungleich  ungünstigeren  Nahrungsverhält- 
nissen  den  Rückweg  antreten  zu  können. 

Es  wurde  also  im  Rathe  beschlossen,  Bü  Ze'id  mit  Briefen  und 
Geschenken  vorauszuschicken,  um  die  Stimmung  des  Häuptlings,  der 
dortigen  Fidlen  und  der  Bewohner  Bardafs  zu  erforschen  und  einige 
Vorräthe  von  Datteln  und  Getreide  einzukaufen  Bardai  liegt  drei 
gute  Tagemärsche  von  Tdo  entfernt;  ein  Tag  wurde  auf  die  Ver- 
handlungen mit  den  verschiedenen  Factoren  gerechnet;  Bü  Zeid  ver- 
sprach also  am  siebenten  Tage  wieder  bei  uns  einzutreffen.  Bis  zu 
dieser  Zeit  konnten  auch  unsere  Mundvorräthe  ausreichen.  Um  Ruhe 
vor  Gahna  und  seines  Gleichen  zu  haben,  übergab  ich  fast  Alles, 
was  ich  an  Geld  und  Geldeswerth  besass,  an  Bü  Zeid;  auch  unsere 
Kameele  wurden  bis  zur  Rückkehr  des  letzteren  gegen  Weidegeld 
seiner  Tante  Kintäfo  anvertraut.  Um  diese  noch  mehr  in  unser 
Interesse  zu  ziehen,  miethete  ich  erstens  das  Kaineel  von  ihr,  auf 
dem  mein  Bote  nach  Bardai  gehen  sollte,  und  stellte  ihr  zweitens 
in  Aussicht,  für  den  Fall,  dass  ich  jenem  mit  den  übrigen  Leuten 
folgen  würde,  die  nöthigen  Lastthiere  ebenfalls  von  ihr  zu  beziehen, 


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GALMä’s  C.KWALTTHAT  GEGEN  MOHAMMED.  S8S) 

da  die  uneinigen  in  keinem  Falle  dazu  verwendet  werden  konnten. 
Der  gleissnerische  Gordof,  der  indessen  wieder  zu  uns  gestosscn  war, 
liess  es  sich  nicht  nehmen . den  Muräbid  nach  Barda'f  zu  begleiten, 
um  daraus  natürlich  später  die  weitgehendsten  Ansprüche  auf  Be- 
lohnung herleiten  zu  können. 

Zwei  Tage  darauf  drohte  die  Abreise  meiner  letzten  Freunde, 
der  beiden  Qatrüner,  mich  ganz  rath-  und  beistandslos  zu  machen. 
Schon  hatten  dieselben  an  dem  betreffenden  Tage  Abschied  von 
mir  genommen  und  mir  ahnungs-  und  sorgenvoll  die  letzten  Rath- 
schläge ertheilt,  als  plötzlich  Galma  hinter  einem  Felsblocke  hervor- 
kam, schweigend  auf  meines  Mohammed  Lagerstätte  zueilte  und 
demselben  sein  Gewehr  zu  entreissen  suchte.  Während  Beide  an 
demselben  hin-  und  herzerrten,  mischte  ich  mich  ein,  erklärte  die 
Waffe  für  mein  Eigenthum,  riss  sie  an  mich  und  trug  sic  in 
mein  Zelt,  während  der  Räuber  erklärte,  ohne  dieselbe  nicht  von 
hinnen  weichen,  oder  den  alten  Mohammed,  der  eigentlich  ein  Sclave 
seines  Vaters  und  folglich  sein  Kigenthum  sei,  ermorden  zu  wollen. 
Da  ich  auf  diese  Drohung  kein  Gewicht  legte,  zog  ich  mich  schweigend 
in  das  Zelt  zurück  und  glaubte  die  ganze  Angelegenheit  beendigt. 
Plötzlich  stürzte  nach  längerer  Zeit  Sa'ad  herein,  der  die  Kamecle, 
welche  noch  nicht  auf  ihre  neuen  Weideplätze  getrieben  worden  waren, 
gehütet  hatte,  und  erzählte  in  verworrener  Weise,  dass  er  den  Sohn 
Selemma’s  hoch  zu  Kameel  unterwegs  gesehen  habe,  wie  er  unseren 
Mohammed  gebunden  neben  sich  hinschleppe.  Ich  gerieth  in  heftigen 
Zorn,  der  durch  das  Benehmen  meiner  Tedä- Begleiter,  welche  mir 
die  Berechtigung  von  Galma's  gewaltthätigem  Vorgehen  beweisen 
wollten,  nur  noch  heller  aufloderte.  Bewaffnet  stürzte  ich  mit  Giuseppe 
auf  den  Weg  nach  Zuär-Kai,  um  der  Spur  des  Räubers  zu  folgen. 

Nach  einigen  Stunden  trafen  wir  die  kleine  Karawane  an  einer 
Stelle,  an  der  Galma  die  vorausgezogenen  Muräbidija  eingeholt  hatte, 
und  meine  übrigen  Diener,  die  sich  schon  vor  mir  auf  die  Verfolgung  be- 
geben hatten,  dazu  gestosscn  waren.  Alle  waren  in  lebhaftester  Discus- 
sion  begriffen,  der  ich  ein  plötzliches  Ende  machte  durch  die  ernste 
Drohung,  den  Schurken  sofort  niederzuschiessen,  wenn  er  nicht  den  Ver- 
gewaltigten frei  gäbe.  Beim  Anblick  unseres  reichen  Waffenapparates 
schleuderte  mir  Galma  mit  einigen  racheverkündenden  Drohungen 
den  würdigen  Diener  zu.  Dieser  nahm  unentwegt  Platz  und  schob 
zur  Beruhigung  die  übliche  Prise  Tabak  in  den  Mund,  ohne  seiner 

Nnchtignl.  I.  lü 


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29(1 


II.  BUCH,  3.  KAPITEL.  TÄO  UND  ZUÄR. 


gewöhnlichen  Schweigsamkeit  zu  entsagen.  Die  beiden  Muräbidija, 
welche  ihn  seit  ihrer  Kindheit  kannten  und  seine  freie  Geburt  wohl 
hatten  bezeugen  können,  fühlten  ihre  Abhängigkeit  von  dem  Räuber  auf 
ihrer  kaum  begonnenen  Reise  so  stark,  dass  sie  nicht  wagten,  dem- 
selben offen  und  vollständig  Unrecht  zu  geben,  sondern  einen  ver- 
mittelnden, ihn  bcsclnvichtigenden  Ausw'eg  suchten.  Sie  suchten 
mir  begreiflich  zu  machen,  dass  mein  Vortheil  erheische,  einem  Schur- 
ken gegenüber,  der  wohl  im  Stande  sei,  meine  ohnehin  unerquickliche 
Lage  zu  einer  äusserst  gefahrdrohenden  zu  machen,  ein  Opfer  zu 
bringen.  In  der  That  sprach  dieser  sofort  seine  Absicht  aus,  die  Reise 
nach  Borkü  aufzugeben,  und  fügte  drohend  hinzu,  dass  ich  augenblick- 
lich freilich  als  der  Stärkere  triumphire,  dass  er  aber  in  wenigen  Tagen 
mir  zu  beweisen  hoffe,  auf  wessen  Seite  die  Macht  und  die  Rache 
sei.  Den  Qatrfinern  zu  Liebe  und  um  den  gefährlichen  Schurken 
ausser  Landes  zu  wissen,  stimmte  ich  endlich  zu,  ihm  zwei  Maria- 
Theresia-Thaler  mit  auf  den  Weg  zu  geben,  und  wrar  noch  froh  über 
den  Ausgang,  da  mir  das  Ereigniss  gezeigt  hatte,  wie  wenig  ich 
mich  auf  Kolokömi  und  llirsa  in  kritischen  Momenten  verlassen 
konnte,  und  wie  rettungslos  ich  der  Rache  eines  Eingeborenen  in 
jener  rechtlosen  Welt  preisgegeben  sein  würde.  Schon  bei  meiner 
Rückkehr  hatte  ich  einen  erneuten  Beweis  von  der  Unzuverlässigkeit 
meiner  eben  genannten  Tubu- Begleiter,  welche  unsere  Abwesenheit 
benützt  hatten,  um  meinen  ohnehin  schon  sehr  beschränkten  Kattun- 
vorrath  auf  dem  ihnen  nicht  ungeläufigen  Wege  des  Diebstahls  zu 
schmälern. 

Es  folgten  nun  trübe  Tage  der  Sorge,  der  Langeweile  und  des 
Hungers.  Mein  Zelt  wrar  zwischen  zwei  Felsen  aufgeschlagcn,  w’elche 
einen  Winkel  bildeten,  der  nicht  völlig  geschlossen  war,  so  dass  gerade 
ein  Mensch  durch  die  Lücke  passiren  konnte.  Während  wir  so  im 
Rücken  ziemlich  gedeckt  waren,  sammelten  sich  allmählich  vor  uns  ver- 
dächtige Besucher,  welche  den  offenen  Bogen  des  Fclscnwinkels  all- 
mählich verschlossen  und  mich  moralisch  belagerten.  Wer  edlen  Ur- 
sprungs war  und  nicht  allzufern  von  uns  hauste,  kam  herbei  unter  dem 
euphemistischen  Vorgeben,  mich  zu  begrüssen,  in  Wahrheit  aber,  um 
seinen  Antheil  am  Raube  zu  haben.  Wie  die  Aasgeier  umkreisten  sie 
mich,  beanspruchten  von  mir  ernährt  zu  werden,  drohten  und  bettelten 
abwechselnd,  kurz,  machten  meine  Existenz  zu  einer  unleidlichen. 

Zuerst  kam  ein  älterer  Bruder  Kolokömi's  und  ein  lahmer 


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SCHMAROTZ  KR  UND  SPKCULAN  TEN. 


291 


Vetter  desselben,  Namens  Tangesi,  um  ihr  Haqq  in  Empfang  zu  nehmen. 
Der  Erstere  schien  noch  ein  ziemlich  bescheidener  alter  Mann  zu  sein, 
doch  Tangesi  glaubte  es  seinem  edlen  Blute  schuldig  zu  sein,  grosse 
Ansprüche  zu  erheben.  Sodann  erschien  ein  Bewohner  der  Gegend 
von  Jerike,  der  mit  Andern  ein  gewisses  Besitzrecht  auf  die  Quelle 
geltend  machte  und  von  den  kranken  Besuchern  derselben  eine  Ab- 
gabe zu  erheben  berechtigt  war.  Früher  hatte  dort  Jeder  unentgelt- 
lich baden  und  trinken  können,  jetzt  bezahlte  jeder  Besucher  für  die 
Kurzcit  eine  Füta,  jenen  mehrfach  erwähnten  blauen,  rothgestreiften 
Kattunshawl  der  F'rauen.  Nach  seiner  Schilderung  ist  die  sprudelnde 
Quelle  voller  detonirender  Gasblasen,  ihre  nächste  Umgebung  in 
Dampf  gehüllt  und  ihre  Temperatur  eine  so  hohe,  dass  man  nicht  in  ihrer 
unmittelbaren  Nähe  zu  verweilen  vermag.  Abfliessend  und  erkaltend 
bildet  sie  kleine  Bassins,  zu  deren  Bildung  der  Mensch  mitgeholfen 
hat,  und  das  Wasser  dieser  wird  getrunken  und  zum  Baden  benutzt. 
Man  trinkt  eine  massige  Quantität,  und  die  heilsamen  F'olgen  machen 
sich  geltend  ohne  merkliche  Einwirkung  auf  den  Darmkanal. , Die 
Heilkraft  erstreckt  sich  auf  alle  Krankheiten  der  Haut,  der  Muskeln, 
der  Knochen  und  sehnigen  Gebilde  und  wahrscheinlich  auch  auf 
die  Syphilis,  obgleich  das  negative  Resultat  meiner  Erkundigungen 
es  wahrscheinlich  macht,  dass  diese  Krankheit  in  Tibesti  kaum  vor- 
kommt. Bleibt  der  Gebrauch  der  Quelle  beim  ersten  Male  ohne 
jeden  merklichen  Fanfluss,  so  ist  überhaupt  kein  Erfolg  zu  hoffen; 
verspürt  jedoch  der  Kranke  nur  die  geringste  günstige  Einwirkung,  so 
wiederholt  er  die  Kur.  So  interessant  diese  Mittheilungen  des  „Herrn 
der  Quelle”  — sahab  el-’ain  arab.  — für  mich  auch  waren,  so  war  es 
mir  doch  keineswegs  erwünscht,  dass  derselbe  unter  dem  Vorgeben, 
mich  nach  Jerike  fuhren  zu  wollen,  nach  Herzenslust  an  der  Vertilgung 
meiner  letzten  Nahrungsmittel  Theil  nahm.  Den  Preis  für  den  „Ver- 
rath"  des  geheimnissvollstcn  Schatzes  in  Tibesti,  fünf  Stücke  Cham, 
konnte  ich  doch  nicht  bezahlen,  und  ich  muss  gestehen,  dass  mein 
Interesse  für  die  Quelle  in  demselben  Vcrhältniss  abnahm,  als  ich 
meinen  theuren  Mohammes  in  seinem  Munde  verschwinden  sah.  Noch 
viele  Andere  kamen  ; Manche  gingen*  an  einer  Beute  verzweifelnd,  bald 
wieder  von  dannen;  doch  Viele  blieben,  und  so  schlichen  die  wenigen 
Tage  bis  zum  Zeitpunkte,  wo  ich  meine  Boten  zurückerwarten  konnte, 
mit  ertödtender  Langsamkeit  dahin. 

P'estgebannt  an  Täo,  ohne  Kameele,  mit  gänzlich  geschwundenen 

19* 


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II.  BUCH,  3.  KAPITEL.  TAO  UND  ZUÄR. 


m 

Mundvorräthen,  inmitten  starrer,  nackter  Felsen,  von  Schmarotzern 
belagert  und  von  Dieben  bedroht,  lag  ich  meist  trübe  gestimmt  da 
und  beschäftigte  mich  automatisch  mit  Wetterbeobachtungen.  Nach- 
mittags suchte  ich  meiner  nächsten  Umgebung,  die  mir  einen  unüber- 
windlichen Widerwillen  einzuflössen  begann,  durch  kurze  Ausflüge  in 
das  Felsengebirge  zu  entgehen,  das  leider  auch  nicht  gerade  geeignet 
war,  mich  durch  seinen  Anblick  zu  erheitern.  Die  Nacktheit  der 
Felsen,  ihre  schwarze  Farbe  und  schroffen  Formen,  die  wilde  Ein- 
samkeit des  Ganzen  waren  nur  geeignet,  das  Gefühl  der  Verlassen- 
heit und  Hülflosigkeit  zu  erhöhen,  und  liessen  mich  finsterer  wieder- 
kehren, als  ich  gegangen  war.  Selbst  eine  Affenfamilie,  der  ich  fast 
täglich  auf  ihrem  Wege  zum  Brunnen  begegnete,  konnte  jene  trüben 
Eindrücke  nicht  verscheuchen.  Ihre  dunkle  Färbung  und  ihr  wildes 
Aussehen  harmonirten  viel  zu  sehr  mit  den  Felsen,  als  dass  der 
erheiternde  Eindruck,  den  ihre  grotesken  Bewegungen  unter  anderen 
Verhältnissen  auf  mich  gemacht  haben  würden,  hätte  zur  Geltung 
kommen  können.  Sie  erschienen  mir  vielmehr  als  kleine,  boshafte 
Felsteufel,  die  sich  mit  ihrem  heiseren  Gebell,  dessen  Echo  von  allen 
Seiten  unheimlich  zurückschallte,  an  meiner  verzweifelten  I-age  zu 
weiden  schienen.  Einige  wenige  Male  trabte  ein  Strauss  in  der  Ferne 
vorüber,  sich  mit  seinen  Flügeln  durch  die  Luft  rudernd,  doch  sicher 
vor  unserer  geringen  Jagdgeschicklichkeit.  Die  Eingeborenen  be- 
haupteten, dass  ihre  verkümmerten,  halbverhungerten,  windspielartigen 
Hunde  im  Stande  seien,  das  kostbare  Thier  im  Laufe  zu  erjagfcn. 
Anderes  Wild  zeigte  sich  nicht  in  unserer  Umgebung,  und  so  wurde 
die  Einförmigkeit  der  Scencrie  selten  gestört. 

Am  25.  Juli  Abends  war  ein  für  mich  sehr  wichtiger,  bereits  mehrfach 
erwähnter  Mann  auf  dem  Schauplätze  meiner  Bedrängnisse  erschienen. 
Dies  war  Arämi,  Birsa’s  und  Gordoi  s Onkel,  der  angesehenste  Maina 
des  Landes.  Von  ihm  konnte  ich  Ruhe  vor  den  übrigen  diebischen 
Schmarotzern,  und,  wenn  es  mir  gelang,  seinen  Schutz  zu  erkaufen, 
sichere  Rückkehr  nach  Fezzan  erhoffen.  Derselbe  war  spät  Abends 
angekommen  und  machte  mir  am  nächsten  Morgen  seinen  Besuch. 
Er  war  ein  schlankgewachsene?  Mann  schöner  Mittelgrösse,  an- 
scheinend Ende  der  Vierziger,  mit  einem  intelligenten  Gesichtsaus- 
drucke  und  etwas  civilisirterem  Wesen,  als  diejenigen  seiner  Lands- 
leute, deren  Bekanntschaft  zu  machen  ich  das  zweifelhafte  Vergnügen 
gehabt  hatte.  Er  war  offenbar  sehr  eitel  und  ehrsüchtig  und  sprach 


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ANKUNFT  AR  AMI ’s. 


293 

mit  Vorliebe  von  seinem  Ansehen  und  seiner  Macht  in  Tibesti,  von 
der  Armuth  und  Altersschwäche  Tafcrtemi’s,  und  wie  cs  nur  ihm 
möglich  sein  würde,  mir  sicheren  Schutz  angedeihen  zu  lassen.  Sein 
Aeusseres  trug  gleichwohl  ebenfalls  nur  wenig  Spuren  von  Wohl- 
stand und  Macht.  Seine  weisse  Tobe  aus  Bornü  war  von  derselben 
zweifelhaften  Färbung,  welche  in  Tibesti  vorherrschte,  und  seine 
Taqija®)  (Mütze)  war  zwar  roth  gewesen,  hatte  jedoch  im  Laufe  der 
Jahre  eine  unbestimmte  Färbung  angenommen.  Die  grosse  Zahl 
der  üblichen  kleinen  Leder- Täschchen  und  -Kapseln  mit  religiösen 
Zauberformeln  gegen  Krankheit,  Verwundung  und  böse  Geister  be- 
zeichnete  ihn  als  einen  gläubigen  Mann,  und  auch  diese  Eigenschaft 
diente  seiner  Koketterie.  Er  versäumte  nicht,  zu  wiederholten  Malen 
in  die  Unterhaltung  einfliessen  zu  lassen,  dass  die  Beziehungen  der 
Einwohner  Tibesti's  zu  Sidi  Senüsi  oder  seinem  Nachfolger  durch 
ihn  unterhalten  würden.  Auch  die  Tibesti  - Leute  schwören  auf  die 
Worte  der  Emissäre  dieser  zelotischcn  Genossenschaft  und  holen 
sich  in  schwierigen  Angelegenheiten  des  Landes  Rath  bei  dem  Chef 
der  religiösen  Niederlassung  — Zäwia  — zu  Wau  in  Fezzan. 

Ehe  sich  Animi  nach  seiner  Ankunft  entschloss,  mir  seinen  Be- 
such zu  machen,  erschien  Birsa  in  offieiöser  Weise,  um  sich  über 
Vernachlässigung  seines  hohen  Verwandten  meinerseits  zu  beklagen, 
da  ich  ihm  nicht  einmal  einen  Teppich  oder  eine  Decke  als  Bett 
angeboten,  und  als  Gastmahl  ein  sehr  unzureichendes  Gericht  Reis 
übersendet  habe.  Animi  sei  ausschliesslich  nach  Tao  gekommen, 
um  mich  zu  sehen  und  zu  beschützen,  nachdem  Derdekore  ihm  einen 
expressen  Boten  in  seinen  eigentlichen  Wohnsitz  Gabön  gesendet 
habe,  um  ihn  zu  dieser  Reise  zu  bewegen.  Bei  dieser  Gelegenheit 
musste  ich  dem  Boten  Derdekores,  der  zur  Bezahlung  gleich  mit- 
gekommen war,  noch  fünfzehn  Drä  Cham  (dort  fast  zwei  Maria- 
Theresia -Thaler  an  Werth)  geben.  Die  ausserdem  erhaltenen  Vor- 
würfe wegen  meines  Mangels  an  Gastfreundschaft  klangen  bei  dem 
nagenden  Hunger,  der  uns  quälte,  wie  Hohn,  und  waren  nur  die 
Einleitung  zu  den  unermüdlichsten  Erpressungen  des  Häuptlings. 
Sein  kundiges  Auge  hatte  unter  den  Gegenständen,  welche  meinem 
persönlichen  Gebrauche  dienten,  bald  das  erspäht,  dessen  er  sich 
bemächtigen  wollte,  da  er  wohl  wusste,  dass  die  von  mir  über- 

*)  tJas  Wort  Taqtja  bedeutet  eigentlich  nur  das  unter  dem  Tarbüsch  getragene  Mutt- 
chen, wird  aber  in  vielen  Gegenden  auch  für  den  lcUteren  selbst  gebraucht. 


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294  II.  BUCH,  3.  KAPITEL.  TÄO  UND  ZUÄR. 

brachten  Geschenke  für  Tibesti  und  Borkü  tlieils  in  Zuar  von  seinen 
Collegcn  erbeutet  worden  waren,  theils  sich  im  Gewahrsam  Bü  Zeid’s 
befanden.  In  der  Art  und  Weise,  zu  seinem  Ziele  zu  gelangen, 
folgte  er  ganz  der  widerwärtigen  Methode  seiner  habgierigen  Lands- 
leute in  solchen  Fällen.  Wenn  dieselben  mit  bewaffneter  Hand  die 
Sprache  von  Strassenräubern  führten  und  deren  gewaltsames  Benehmen 
offen  zur  Schau  trügen,  so  wüsste  man,  wie  man  sich  ihnen  gegen- 
über zu  verhalten  hätte.  Doch  so  jagen  sie  versteckter  Weise  und 
unermüdlich  Tage,  Wochen,  ja  Monate  lang  einem  Gegenstände 
nach,  der  ihnen  gefallt,  bitten  zuerst  in  einfacher  Form,  quälen  dann 
höchst  belästigend,  flechten  später  unbestimmte  Drohungen  und  ent- 
inuthigende  Zukunftsbilder  in  ihre  Bitten  ein,  geben  denselben  durch 
den  Umständen  angepasste,  allgemeine  Wahrheiten,  die  nicht  gerade 
erheiternder  Natur  sind,  Nachdruck,  wie  z.  B.  „der  Kopf  ist  kostbarer 
als  Geld  und  Gut”  oder  „viel  Besitz  tödtet  seinen  Herrn",  und  gehen 
erst  im  äussersten  Nothfalle  auf  die  mehr  speciellen  Drohungen  unter 
Hinweis  auf  ihren  reichen  Waffenapparat  über.  Einer  solchen  uner- 
müdlichen Zähigkeit,  einer  so  rastlosen  Consequenz,  wie  sic  die  Tubu 
entfalten,  hält  man  nicht  Stand,  man  müsste  denn  eine  hinlängliche 
Waffengewalt  entfalten  können,  um  ihnen  zu  imponiren,  und  weder 
in  Bezug  auf  Karneole  noch  auf  Nahrung  von  ihnen  abhängen. 

In  Bezug  auf  die  übrigen  Schmarotzer,  die  vorläufig  nur  solche 
waren,  aber  wohl  nur  eine  günstige  Gelegenheit  abwarteten,  um 
gewaltthätiger  aufzutreten,  war  mir  Arämi  auch  nicht  von  dem  ge- 
hofften Nutzen;  im  Gegentheilc,  seit  seiner  Ankunft  wuchs  die  Bande 
unheimlicher  Gesellen,  die  sich  um  unsern  Lagerplatz  sammelten. 
Immerhin  hatte  seine  Anwesenheit  das  Gute,  diese  Schurken  von 
offenen  Gewaltthätigkeitcn  abzuhalten.  Wir  waren  trotzdem  Tag 
und  Nacht  auf  unserer  Hut.  Ich  liess  meine  Leute  ihre  Gewehre 
sich  an  den  Körper  binden,  um  ihre  Entwendung  zu  verhindern  und 
sic  stets  im  Handbereiche  zu  haben,  und  legte  selbst  weder  am  Tage 
noch  in  der  Nacht  den  Revolver  ab.  Trotzdem  gelang  es  leider 
dem  sogenannten  „Herrn  der  Quelle",  uns  eine  gute,  doppelläufige 
Jagdflinte  zu  entwenden.  Nachdem  der  Mohammes-Vorrath  sein  Finde 
erreicht,  und  ich  wiederholt  erklärt  hatte,  dass  ich  vorläufig  Jerikc 
nicht  besuchen  könne,  beschloss,  derselbe,  zumeist  wohl  aus  dem 
ersteren  der  beiden  Gründe  — mich  zu  verlassen  und  nahm  in  der 
angedcuteten,  erkenntlichen  Weise  Abschied.  Der  leichtsinnige  Ali 


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ERPRESSUNG  UND  DIEBSTAHL.  205 

Bü  Bekr  hatte  am  Abend,  um  es  sich  bequem  zu  machen,  das  ihm 
anvertraute  Gewehr  neben  sich  an  die  Felswand  gelehnt,  und  der 
„sahab  el-’äin"  kam  nach  der  Abendmahlzeit,  um  mit  ihm  und 
Mohammed  zu  plaudern.  Als  Niemand  sich  dessen  versah,  sprang 
der  leichtfussige  Schurke  auf,  ergriff  das  Gewehr  mit  der  einen,  seine 
Waffen  mit  der  andern  Hand,  und  entwich  durch  die  Felslückc  im 
Rücken  meines  Zeltes.  Da  diese  Scene  unmittelbar  neben  diesem 
statt  hatte,  stürzte  ich  alsbald  hervor,  begriff  den  Streich,  eilte  durch 
die  Fclslücke  dem  Diebe  nach  und  empfing  zwar  keinen  von  den 
Schüssen,  die  derselbe  blindlings  hinter  sich  abfeuerte,  war  aber 
ebenso  wenig  im  Stande,  seiner  habhaft  zu  werden. 

Das  scharfe  Auge  der  Tubu,  das  an  die  Nacht,  in  der  sie  mit 
der  ihrem  ganzen  heimlichen  Wesen  entsprechenden  Vorliebe  selbst 
ehrliche  Geschäfte  abmachen,  gewöhnt  ist,  ihre  Terrainkenntniss,  ihre 
unglaubliche  Leichtfussigkeit  und  Schnelligkeit,  die  schon  im  Alter- 
thume  berühmt  war,  ihre  harten  Fussohlen,  die  ihnen  erlauben,  barfuss 
über  Felsen  und  Steine  zu  laufen  und  zu  springen:  Alles  dies  macht 
es  für  jeden  Andern  unmöglich,  sie  zwischen  ihren  Felsen,  noch 
dazu  in  der  Dunkelheit  einzuholen.  Ueber  ihre  Schnellfüssigkcit 
erzählt  man  die  wunderbarsten  Geschichten  unter  den  Fczzänern  und 
Arabern.  Ich  habe  ihrer  Viele  im  Scherze  laufen  sehen,  und  konnte 
aus  diesen  harmlosen  Uebungen  einen  Schluss  ziehen  auf  die  Functions- 
fahigkeit  ihrer  unteren  Extremitäten  und  ihrer  Lungen,  wenn  es  sich 
darum  handeln  würde,  ihnen  Leben  und  Sicherheit  zu  verdanken. 
Birsa  und  ein  Begleiter  Arämi's  machten  sich  an  die  Verfolgung  des 
Diebes;  doch  ich  hätte  sie  am  liebsten  daran  verhindert,  denn  ich 
war  ebenso  sehr  uberzeugt,  dass  sie  die  gestohlene  Flinte  nicht 
wiederbringen,  als  davon,  dass  sie  die  nutzlose  Verfolgung  später 
als  ein  mir  gebrachtes  Opfer  hoch  anrechnen  würden. 

Der  siebente  Tag  seit  der  Abreise  Bü  Zetd's  verstrich,  ohne 
dass  dieser  sich  zeigte  oder  ein  Lebenszeichen  sendete.  Auch  Kintäfo, 
welche  die  Kainecie  an  demselben  Tage  für  den  Fall  der  Rückkehr 
nach  Fezzän  zu  bringen  versprochen  hatte,  liess  Nichts  von  sich 
sehen.  Ob  nicht  die  letzteren  etwa  von  dem  perfiden  Galma,  der 
vielleicht  heimlich  umgekehrt  war,  zur  Befriedigung  seiner  Rache 
und  Habgier  gestohlen  worden  waren:  Mohammes  und  Zwieback 
waren  zu  Ende;  der  Reis  reichte  nur  noch  für  wenige  Tage;  ernste 
Besorgniss  bemächtigte  sich  meiner.  Wären  meine  Tubu-Schmarotzer 


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II.  HUCll,  3.  KAIMTEI..  TAO  UND  ZUÄR. 


2% 

nicht  gewesen,  so  hätte  ich  wahrscheinlich,  als  einige  Tage  darauf 
wenigstens  die  Frau  mit  den  Kameelcn  erschien,  eines  derselben 
geschlachtet  und  versucht,  mit  seinem  getrockneten  Fleische  auf 
dem  Wege  über  Abo,  den  der  alte  Qatrüner  kannte,  Fezzän  zu 
erreichen.  Doch  in  Gegenwart  all'  dieser  hungrigen,  feindlichen  Ge- 
stalten wäre  es  ein  unnützes  Opfer  gewesen,  das  nur  ihnen  zu  Gute 
gekommen  wäre  und  uns  doch  nicht  auf  den  Heimweg  gebracht 
haben  würde.  Vergebens  suchte  ich  ein  Glied  der  erwähnten  Affcn- 
familie  zu  erlegen,  obgleich  mir  dies  grosse  Ueberwindung  kostete; 
doch  meine  Jagdtalente  waren  nie  bedeutend  gewesen,  und  der  Chef 
jener  war  ein  sehr  vorsichtiger  Familienvater.  Das  Fleisch  derselben 
würden  wir  wenigstens  ganz  für  uns  gehabt  haben,  denn  ich  glaube 
nicht,  dass  irgend  einer  der  Landeseingeborenen  gewagt  haben  würde, 
ein  so  menschenähnliches  Geschöpf  zur  Nahrung  zu  verwenden.  Am 
zehnten  Tage  nach  der  Abreise  Hü  Zetd’s  waren  meine  Essvorräthe  gänz- 
lich erschöpft.  Es  gelang  mir  an  diesem  Tage  von  einer  nahe  wohnenden 
F’reundin  der  Kintäfo  für  einen  Maria-Theresia-Thaler  getrocknetes  Ka- 
meelfleisch  zu  kaufen,  das,  gleichmässig  an  Alle  vertheilt,  uns  noch  einige 
Tage  ernähren  konnte.  Dazu  brachte  mir  Kintäfo,  die  bisweilen  doch 
noch  sanftereren  Gefühlen  zugänglich  zu  sein  schien,  Milch  und  einen 
kleinen  Vorrath  von  Tabarka  (essbar  gemachte  Coloquinthenkernc). 

kindlich  am  zwölften  Tage  erschien  zwar  nicht  Bü  Zeit!,  doch 
ein  Brief  von  ihm,  der  die  lakonische  Nachricht  enthielt,  dass  die 
Datteln  noch  nicht  reif  und  die  Getreideernte  von  Insecten  zerstört 
sei.  Die  Bewohner  Bardai’s,  berichtete  er,  seien  bei  der  Nachricht 
von  meinem  beabsichtigten  Besuche  ihres  Thaies  aufrührerisch  ge- 
worden und  hätten  sie  (Bü  Zeid  und  Gordoi)  zu  tüdten  gedroht,  so 
dass  sie  sich  in  den  Felsen  der  Nachbarschaft  einige  Tage  zu  ver- 
bergen gezwungen  gewesen  wären.  Darauf  habe  der  Häuptling 
Tafertemi  nach  langer  Discussion  mit  den  Bewohnern  erklärt,  dass, 
wenn  man  nicht  wolle,  dass  der  an  ihn  adressirte  Fremdling  nach 
Bardai  komme,  er  selbst  über  die  Berge  zu  ihm  gehen  werde.  Dem- 
zufolge werde  Tafertemi  mit  meinen  Boten  und  einigen  andern  Be- 
gleitern am  zweiten  Tage  nach  Ankunft  des  Briefes  in  Täo  zu  meinem 
Besuche  erscheinen. 

Das  waren  traurige  Aussichten,  und  ich  sehnte  mich  recht  nach 
der  Möglichkeit,  sofort  nach  Fezzän  zurückkehren  zu  können.  Auch 
im  engeren  Käthe  mit  meinen  Dienern  wog  die  Ansicht  vor,  Bardai 


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NACHRICHTEN  VON  HÜ  /EU).  2l>7 

aufzugeben.  Animi  beförderte  diesen  Entschluss,  indem  er  mir  be- 
greiflich machte,  dass  die  Ankunft  Tafertemi's  sich  ebenso  lange 
hinausziehen  werde,  als  wir  auf  Bü  Zeid  gewartet  hätten,  und  dass 
es  bei  meiner  gänzlichen  Entblössung  von  Lebensmitteln  unmöglich 
sei,  dieselben  in  Tao  abzuwarten.  Als  ich  ihm  unsere  Neigung  mit- 
theilte, sofort  nach  Fezzän  abzureisen,  zollte  er  diesem  Plane  scheinbar 
Beifall,  machte  aber  meinen  Leuten  begreiflich,  dass  es  unmöglich 
sei,  ohne  alle  Getreidenahrung,  nur  mit  Kameelfleisch , den  weiten 
Weg  zurückzulegen,  und  schlug  vor,  ihn  nach  Zuär  und  Gabön  zu 
begleiten,  wo  er  seine  Heerde  und  einige  Vorräthe  habe;  dann  werde 
er  uns  mit  den  nöthigsten  Provisionen  auf  den  Weg  nach  Fezzän 
bringen.  Während  ich  mit  Bui  Mohammed  über  diesen  Vorschlag 
zu  Käthe  ging,  der  uns  durchaus  nicht  anmuthete,  lockte  uns  Kintäfo 
hinter  einen  Felsen  und  sagte  kurz  und  entschieden:  „Gehe  nicht 
mit  Arämi!  heute  folgst  Du  ihm  nach  Gabön,  morgen  lockt  man 
Dich  nach  Domar  zu  den  Dirkomdwija,  übermorgen  bist  Du  in  Borkü 
und  wer  wird  dann  später  wissen,  was  aus  Dir  geworden  ist?  Bin 
ich  nicht  selbst  eine  Tubu-Frau  und  weiss  genugsam,  wie  wortbrüchig 
und  treulos  unsere  Leute  sind?'' 

In  dankbarer  Erinnerung  an  die  Spende  von  Milch  und  Tabarka, 
mit  der  sie  mich  noch  kürzlich  beglückt  hatte,  lieh  ich  ihren  Worten 
Beachtung  und  beschloss,  in  keinem  Falle  Täo  für  andere  Zielpunkte 
als  Fezzän  oder  Bardai  zu  verlassen.  Thatsache  war,  dass  Arämi 
mich  gern  von  allen  übrigen  isolirt  und  endlich  gänzlich  ausgeplündert 
nach  Fezzän  zurückgeschickt  hätte;  dafür  waren  ihm  aber  jetzt  zu  viel 
theilberechtigte  Leute  gegenwärtig,  und  meine  Verhältnisse,  ela  die 
Kameele,  wenn  auch  sehr  heruntergekommen,  doch  vorhanden  waren, 
noch  zu  günstig.  Als  ich  ihm  erklärte,  Täo  nicht  verlassen  zu  wollen, 
und  er  meine  Begegnung  mit  Tafcrtemi  und  seinen  Begleitern  fiir 
unvermeidlich  zu  halten  anfing,  begann  er  seine  Ansprüche  immer 
bestimmter  zu  formuliren.  Zunächst  reclamirte  er  einen  tripolitanischen 
Teppich  und  eine  jener  grossen  wollenen  Decken  aus  Tunis,  welche 
Batanija  genannt  werden;  er  that  es  kühl  zurückhaltend,  doch  fest, 
und  machte  seine  Protection  von  diesen  unfreiwilligen  Geschenken 
abhängig. 

Ich  musste  in  diesen  Tagen  nur  zu  oft  an  die  Beschreibung  des 
Scheich  Mohammed  Ibn  Omar  et-Tünisi  denken,  der  vor  mehr  als 
einem  halben  Jahrhundert  auch  in  Tibcsti,  auf  dem  Wege  von  Wadäi 


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II.  BUCH,  3.  KAPITEL.  TAO  UNI)  ZUÄR. 


298 

nach  Murzuq,  die  Bekanntschaft  der  Tedä  gemacht  hatte.  Danach 
war  diese  lange  Zeit  spurlos  über  ihren  Häuptern  dahingeflossen, 
ohne  auch  nur  eine  Idee  an  ihnen  zu  ändern.  Hunger,  Habgier,  ver- 
schrobenes Rechtsgefühl  damals,  wie  jetzt.  So  verwirrt  waren  die  Be- 
griffe von  Recht,  dass  der  lahme  Tangesi  kommen  und  sich  beklagen 
konnte,  dass  ich  ihn  bei  der  Vertheilung  des  getrockneten  Kamcel- 
fleisches  habe  zu  kurz  kommen  lassen;  ein  Mensch,  den  ich  gar  nicht 
kannte,  der  mir  nicht  einmal  guten  Tag  sagte,  wenn  ich  ihm  zufällig  be- 
gegnete, der  auch  nicht  den  kleinsten  Gegendienst  zu  leisten  geneigt  war! 
Womit  sollte  ich  erst  den  Häuptling  und  seine  Genossen  bei  ihrem  dem- 
nächstigcn  Besuche  bewirthen  und  ihren  Ansprüchen  gerecht  werden, 
ich,  in  dessen  eigenen  Eingcweiden  der  Hunger  wühlte? 

Doch  Tafertümi  kam  nicht.  An  dem  Tage,  an  dem  wir 
nach  Bü  Zeid's  Angabe  seine  Ankunft  erwarten  mussten,  und  sich 
unsere  Augen  schon  müde  geschaut  hatten,  sahen  wir  endlich 
gegen  Abend  einen  einzelnen  Mann  mit  einem  Kameele  den  nord- 
östlichen Bergesabhang  herabklettern  und  erkannten  in  ihm  bald 
den  kleinen  Gordoi.  Er  führte  uns  eine  kleine  Kamcelladung  halb- 
reifer Datteln  zu,  das  einzige  Nahrungsmittel,  das 'aus  der  „Korn- 
kammer” Tibesti’s,  Bardai,  hatte  erzielt  werden  können,  und  berichtete 
über  die  Ereignisse  daselbst.  Als  der  erste  Aufruhr  über  das  Ge- 
rücht meines  Kommens  sich  gelegt,  und  die  Bevölkerung  sich  nach 
genauer  Durchsuchung  der  Umgegend  überzeugt  hatte,  dass  ich 
noch  nicht  in  ihrer  Nähe  sei,  hatten  die  Leute  mit  ruhigerem  Blute 
Kcnntniss  von  den  Briefen  der  Fezzäncr  Regierung  und  des  Hadsch 
Dschäbcr  genommen  und  erklärt,  dass,  wenn  Tafertümi  einmal  darauf 
bestände,  mich  zu  sehen,  sie  in  Rücksicht  auf  sein  hohes  Alter  (er 
sollte  ungefähr  90  Jahre  zählen)  meinem  Besuche  in  Bardai  kein 
Hinderniss  in  den  Weg  legen  wollten. 

Wiederum  begann  die  Uebcrlegung  einer  sofortigen  Rückkehr 
nach  Fezzän.  Arämi  beförderte  diesen  Plan  durch  seine  nichts 
weniger  als  verlockenden  Schilderungen  Tafertemi  s,  seiner  Habsucht, 
welche  allein  die  Ursache  der  Einladung  sei,  seiner  Machtlosigkeit, 
die  mich  nicht  zu  schützen  wissen  werde,  seiner  Armuth,  die  mich 
dem  Hungertode  aussetze.  Doch  wenn  ich  dann  die  Rückkehr  nach 
Fezzän  ins  Auge  fasste,  so  bestand  er  stets  auf  einer  vorherigen 
Reise  nach  seinem  gewöhnlichen  Wohnsitze,  auf  welche  ich  wieder 
picht  cingehen  wollte.  Hingegen  versicherte  er  andrererscits,  dass, 


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NACH  FEZZAN  ODER  NACH  UARDAi?  290 

wenn  ich  mich  wirklich  entschlossen  sollte,  nach  Bardai  zu  gehen, 
auch  dort  keine  ernstlichen  Gefahren  für  mich  zu  fürchten  seien,  wenn 
ich  mich  seinem  Schutze  anvertrauen  wolle.  Kr  werde  mich  nöthigen- 
falls  in  seinem  eigenen  Hause  zu  schützen  wissen,  und  mit  Gottes 
Hülfe  -■  in  sch'  Allah  — auf  den  Rückweg  nach  Fezzan  bringen. 
Alles  in  Allem  halte  er  meinen  Besuch  in  Bardai  für  ziemlicher 
gegenüber  dem  Sultan,  an  den  ich  doch  geschickt  sei,  für  ent- 
sprechender meinen  Wünschen,  da  ich  doch  gekommen  sei,  so  viel 
als  möglich  vom  Lande  zu  sehen,  und  für  weniger  schmachvoll  für 
sie  Alle,  die  sie  gleich  nach  meiner  Ankunft  im  Lande  den  grössten 
Theil  meines  Eigenthums  erhalten  hätten. 

Nach  reiflicher  Ueberlegung  sah  ich  keinen  andern  Ausweg  vor 
mir,  als  der  Einladung  zu  folgen,  obgleich  mir  dieselbe  bei  dem 
zweideutigen  Benehmen  Bü  Zeid’s  Verrath  zu  bergen  schien.  Arämi 
war  der  Einzige,  von  dem  ich  einen  sichtlichen  Einfluss  aufseine  Um- 
gebung gesehen  hatte,  und,  seitdem  seine  ersten  Ansprüche  befriedigt 
worden  waren,  sprach  derselbe  so  verständig  und  zuverlässig,  dass 
ich  mich  trotz  meines  Misstrauens  in  der  allgemeinen  Haltlosigkeit 
instinctiv  an  ihn  klammerte.  Dazu  war  der  Einzige,  der  ein  wirk- 
liches Interesse  an  meiner  ungefährdeten  Rückkehr  nach  Fezzan 
haben  musste,  mein  verantwortlicher  Begleiter  Bü  Zeid  in  Bardai. 
Endlich,  und  nicht  am  wenigsten,  trieb  uns  der  Hunger. 

Wenn  ich  auch  kaum  hoffen  konnte,  mit  Müsse  die  Theile 
des  Landes  zu  durchforschen,  deren  Besuch  mir  bevorstand,  und 
wenn  ich  auch  aus  Erfahrung  die  Habsucht  und  die  Eifersucht  der 
Einwohner  auf  die  Jungfräulichkeit  ihres  Landes  hinlänglich  kannte, 
um  danach  die  Schwierigkeiten,  die  meiner  harrten,  zu  ermessen,  so 
reizte  mich  doch  die  Uebcrsteigung  des  Tarso  und  der  Aufenthalt 
zu  Bardai,  das  jetzt  den  grössten  Theil  der  Tubu  Reschäde  in  seinem 
Thale  vereinigen  sollte.  Meine  Kamecle,  die  kaum  angefangen  hatten 
sich  zu  erholen,  konnte  ich  unmöglich  über  die  schwierigen  Berge 
führen,  zumal  die  Gegend  von  Bardai  der  Futterkräuter  fast  ganz 
entbehrt.  Ich  musste  sie  wieder  der  Pflege  Kintäfo's  übergeben  und 
beschloss  sogar,  mit  den  Thieren  die  mir  für  die  Reise  nicht  unbe- 
dingt nöthigen  Gegenstände  meines  Gepäckes  unter  ihrer  Obhut 
zurückzulassen.  Diese  Abreise  musste  schnell  ins  Werk  gesetzt 
werden,  denn  die  Befriedigung  des  ersten  Hungers  hatte  schon 
eine  ansehnliche  Verminderung  des  Dattelvorrathes  zur  Folge  gehabt; 


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3(JU  II.  BUCH,  3-  KAPITEL.  TAO  UNI)  ZUAK.  * 

bis  Bardai  hatten  wir  vier  Marschtage,  und  der  hungrigen  Magen 
waren  viele. 

Mit  dem  letzten  Stück  Kamcelflcisch  und  dem  Beschluss  der 
Abreise  zerstreuten  sich  die  Schmarotzer,  welchen  die  viertägige 
Reise  nach  Bardai  bei  unzulänglichem  Genüsse  halbreifer  Datteln 
nicht  verlockend  erschien;  nur  der  alte  Bruder  Kolokömi's  und  der 
hinkende  hochedle  Tangesi  hielten  Stand.  Jenen  nahm  ich  unter 
dem  Versprechen  einer  Südäntobe  mit  nach  Bardai;  doch  die  Aus- 
einandersetzung mit  diesem  nahm  fast  einen  ganzen  Tag  in  Anspruch. 
Sein  Blut,  setzte  er  auseinander,  stehe  hinter  dem  keines  Maina  zurück, 
mit  Ausnahme  vielleicht  desjenigen  des  alten  Dirküi  von  Zuär;  wenn 
ich  nicht  mehr  genug  besässe,  um  ihn  dementsprechend  zu  beschenken, 
so  müsse  er  auf  eine  Herausgabe  aller  erpressten  und  freiwilligen 
Geschenke  und  ihre  gleichmässigc  Vcrtheilung  dringen.  Nach  Bardai 
deswegen  zu  gehen,  weigerte  er  sich,  und  ich  musste  mich  nach 
endlosen  Discussionen  endlich  entschliessen,  ihm  durch  eine  Maqta 
Cham  aus  Bü  Zeids  Vorrath,  einen  Musselin -Turban,  den  ich. noch 
besass  und  das  Versprechen  eines  Tarbüsch  den  habsüchtigen  Mund 
zu  stopfen  und  die  böse  Zunge  zu  lähmen. 

Am  Abend  des  4.  August  schien  der  Abreise  kein  Hinderniss 
entgegen  zu  stehen ; es  erübrigte  nur  noch  die  Miethc  der  Lastthiere. 
Mein  früheres  Versprechen,  das  Kameel  zu  dieser  Reise  von  der 
Kintäfo  zu  miethen,  konnte  nicht  gehalten  werden,  da  Gordo'f  das 
seinige  verwendet  wissen  wollte.  Dieser  Blutegel  verlangte  nun  im 
Bewusstsein  der  Concurrenzlosigkeit  den  ungeheuren  Preis  von  8 Maria- 
Thercsia-Thalern  für  den  viertägigen  Weg,  während  das  Kameel  der 
Kintäfo,  das  Bü  Zeid  nach  Bardai  gebracht  hatte,  für  den  Hin-  und 
Rückweg  nur  5 Thaler,  d.  h.  einen  Thaler  mehr,  als  die  Sitte  recht- 
fertigte, gekostet  hatte.  Die  scheinbare  Vermittelung  Arfimi's  minderte 
den  verlangten  Preis  auf  6 Thaler  herab.  Dafür  bot  mir  Arämi, 
dessen  eigenes  Gepäck  fast  Null  war,  sein  Kameel  zur  Mitbenutzung 
an,  und  endlich  musste  Kolokömi  mit  seiner  Stute  aushclfen.  Arami 
war  aus  leicht  begreiflichen  Gründen  bestrebt,  mich  so  viele  Sachen 
mitnehmen  zu  lassen,  als  nur  irgend  möglich  war;  und  war  es  am 
Ende  sicherer,  dieselben  der  Kintäfo  anzuvertrauen,  als  sie,  wenn  auch 
in  feindlicher  Umgebung,  stets  unter  den  eigenen  Augen  zu  haben? 


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Viertes  Kapitel. 

REISE  NACH  BARDAI. 


Ersteigung  des  Tarso.  — Charakter  des  Gebirgsstocks.  — Kraterbildung  auf  der  Hohe. 
— Nächtigung  auf  der  Wasserscheide.  — Bergkegid  und  -Kelten  auf  der  breiten 
Wölbung  des  Tarso.  — Abstieg  nach  Nordosten.  — Hunger  und  mühevolle  Märsche. 
— Tiefeinschneidende  Flussthäler.  — Nächtigung  im  Enneri  Ud6no.  — Fels-Sculp- 
turen.  — Erreichung  der  Ebene.  — Enneri  Gönöa.  — Datteln  und  ungünstige  Nach- 
richten aus  Bardai.  — Weitere  Erpressungen  von  Seiten  Arätni's.  — Abendliche 
Ankunft  in  Bardaf.  — Dringende  Lebensgefahr  und  Rettung  durch  Ar&mi.  — Die 
Leute  von  Bardai  und  die  eigentlichen  Tuhu  Keschäde.  — Im  Schutze  Arami’s.  * — 
Verhallen  des  Dardai.  — Tägljche  Berathungen  über  mein  Schicksal.  — Allmählicher 
Abfall  meiner  Freunde.  — Thatsächliche  Gefangenschaft.  — Steinigung.  — Endlicher 
Besuch  des  Häuptlings.  — Glänzende  Rede  ArÄmi's.  — Resultatloser  Ausgang  der 
Zusammenkunft  mit  Tafertemi.  — Fremde  Besucher.  — Nagender  Hunger.  — 
Herzloses  Benehmen  der  Frauen  und  Kinder.  — Rohe  Angriffe  der  heran«  achsenden 
Jugend.  — Verzweifelte  Stimmung. 

Am  5.  August  konnten  wir  aufbrechen.  Unsere  Karawane  be- 
stand ausser  mir  und  meinen  Leuten  aus  Arämi  mit  einem  Diener 
oder  Clienten,  Kolokomi  und  seinem  älteren  Bruder,  Gordoi  und 
Birsa,  dem  Begleiter  oder  Diener  Bü  Zei'd's  und  dem  Boten,  den 
mir  der  letztere  von  Bardai  mit  einem  Briefe  gesandt  hatte. 

In  trockener  Jahreszeit  muss  man  sich  mit  Wasservorrath  für  den 
ganzen  Weg  versehen;  jetzt  mussten  die  stattgehabten,  wenn  auch 
unbedeutenden  Regen  zahlreiche  Wasserbecken  in  den  Felsen  gefüllt 
haben.  Einen  massigen  Vorrath  nahmen  wir  im  E.  Dommädo  ein, 
den  wir  nach  einem  Marsche  von  einer  guten  Stunde  in  nördlicher 
Richtung  erreichten,  nachdem  wir  anfangs  den  E.  Dausado  iiber- 


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302 


II.  BUCH,  4.  KAPITF.T,.  REISE  NACH  BARDAY. 


schritten  hatten.  In  dem  ersteren  beschlossen  wir  den  Aufenthalt,  den 
die  Wassereinnahme  erforderte,  gleich  auf  die  Mittagsrast  auszudehnen, 
und  setzten  erst  am  Nachmittag  unseren  Weg  fort.  Dieser  wendet  sich, 
stetig  ansteigend,  allmählich  nordnordöstlich,  nordöstlich  und  endlich 
ostnordöstlich.  Auch  hier  liegt  der  Gegend  eine  Schicht  jenes  leichten, 
porösen  Gesteins  von  gelblicher,  grauer  oder  röthlicher  Färbung  auf, 
das  mir  aufgefallen  war,  als  wir  von  Norden  kommend  uns  dem  Tarso 
am  meisten  genähert  hatten.  Durchbrochen  und  bedeckt  ist  das- 
selbe von  Sandsteinfelsen,  Granit-  und  Basaltblöckcn,  zwischen  deren 
Ketten  und  Gruppen  durch  wir  im  Laufe  des  Nachmittags  die  zahl- 
reichen, unbedeutenden  Ursprungsflussbetten  des  Dommado  überschrit- 
ten, welche,  tief  in  den  Boden  geschnitten,  alle  eine  mehr  oder  weniger 
südwestliche  Richtung  haben.  Mit  dem  Anstieg  werden  die  felsigen 
Durchbrüche  und  Ausläufer  seltener;  breite,  flache  Bergrücken  treten  an 
ihre  Stelle,  in  der  Oberfläche  von  einer  starken  Schicht  jenes  leichten 
Gesteins  gebildet,  dessen  sanfte,  fast  weiche  Oberfläche  den  Fuss 
von  dem  harten  Felsboden  und  seinen  scharfkantigen  Steinen  aus- 
ruhen lässt.  Das  Ganze  ist  nackt  und  kahl  und  wie  verbrannt;  nur 
die  Wasscrbettchen  bringen  unansehnliche  Sajalakazien  und  spärlichen 
Graswuchs  hervor.  Nach  fünfstündigem  Nachmittagsmarsche  nächtig- 
ten wir  am  Rande  eines  der  Ursprünge  des  Dommado,  des  E.  Ass, 
der  dort  von  Ost  nach  West  verläuft  und  sich  durch  seine  Grösse  vor 
den  übrigen  auszeichnet. 

Als  unsere  Wegrichtung  um  Sonnenuntergang  eine  mehr  ost- 
nordöstliche  geworden  war,  erblickten  wir  in  südöstlicher  Richtung 
den  scharfkantigen  Emi  Homo,  der  sich  in  der  ungefähren  Entfernung 
eines  halben  Tagemarsches  auf  dem  breitgewölbten  Bergrücken,  den 
wir  zu  übersteigen  im  Begriffe  waren,  erhob.  Der  König  der  Berge 
Tibesti's,  der  Emi  Tusidde,  erschien  bei  den  ungünstigen  atmo- 
sphärischen Verhältnissen  um  dieselbe  Zeit  als  eine  undeutlich  con- 
tourirte  Masse.  Am  nächsten  Morgen,  als  wir  uns  zur  Fortsetzung 
der  Reise  anschickten,  lag  er  jedoch  um  so  klarer  vor  uns,  die  nord- 
nordöstliche  bis  nordöstliche  Gegend  des  Horizontes  einnehmend; 
fast  in  gerade  östlicher  Richtung  hatten  wir  den  spitzen,  konischen 
Emi  Boto,  der,  von  Täo  aus  gesehen,  neben  dem  Tusidde  die  Berge 
und  Felsen  auf  den  Abhängen  und  zu  den  Füssen  des  Tarso  über- 
ragt. Auf  den  Zwischenraum  zwischen  jenen  beiden  Kegeln  richteten 
wir  mit  Sonnenaufgang  unseren  Marsch,  überschritten  die  Flussbetten 


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ERSTEIGUNG  1>ES  TARSO. 


303 

E.  Darda'i  Galma  und  E.  Wonner  Drusso,  die  in  südsüdwestlicher 
Richtung  verlaufen  und  noch  zum  System  der  Flüsse  von  Tao  ge- 
hören , und  machten  im  Bette  des  letzteren  eine  kurze  Rast , da 
meinen  Gefährten  der  Dattelvorrath  nicht  schnell  genug  endigen  zu 
wollen  schien. 

Wie  Tags  zuvor  bildete  das  leichte,  poröse  Gestein  die  äussere 
Schicht  des  Berges,  und  diese  war  hier  und  da  von  sandsteinge- 
krönten Granitfelsen  durchbrochen.  Bei  den  tiefen  senkrechten  Ein- 
schnitten der  Wasserbetten  konnte  man  sehen,  in  welcher  Mächtig- 
keit jene  Hülle  einer  noch  viel  ansehnlicheren  Schicht  verschieden 
gefärbten  Kalksteins  auflag.  Je  höher  wir  aufstiegen , desto  mehr 
schien  die  Masse  des  Tusidde  zusammenzuschrumpfen.  Während  er, 
von  seinem  westlichen  Fusse  gesehen,  aus  der  Ebene  zu  seiner  ge- 
waltigen Höhe  als  ein  Ganzes  aufzusteigen  scheint,  unterscheidet  man 
auf  der  Höhe  der  mächtigen  Gesammterhcbung,  mehr  zwischen  dieser 
und  ihm  selbst,  den  aufgesetzten  Kegel,  wobei  er  natürlich  an  Gross- 
artigkeit der  Erscheinung  verliert.  Um  Mittag,  nach  sechsstündigem 
Marsche  hatten  wir  ihn  etwa  vier  Stunden  weit  in  gerader  Linie 
nördlich  und  den  Boto,  von  dessen  spitzem  Kegel  sich  eine  kurze, 
scharfgeschnittene  Felskette  nach  Südwesten  erstreckt,  etwas  näher 
im  Südosten. 

Mit  der  zunehmenden  Höhe  wurde  die  Wölbung  des  mächtigen  Berg- 
rückens, auf  dem  wir  marschirten,  immer  flacher  und  glcichmässiger, 
und  die  auf  ihm  sich  erhebenden  F'clsgruppen  und  -Ketten  wurden 
seltener  und  schärfer  geformt.  Von  Mittag  ab  nahm  die  Steigung 
wieder  beträchtlicher  zu;  zwei  weitere  Stunden  brachten  uns  zum 
E.  Inti,  einem  unbedeutenden  Rinnsale,  das  ebenfalls  noch  nach  Süd- 
westen abfliesst;  eine  Stunde  danach  berührte  unser  Weg  den  Emi 
Jezeddunga  von  geringer  Erhebung,  und  kurze  Zeit  darauf  standen 
wir  am  südöstlichen  Rande  der  mir  oft  erwähnten  Natrongrube,  die 
sich  zu  Füssen  des  Tusidde  ausdehnt.  Der  Anblick  war  grossartiger, 
als  ich  geahnt  hatte.  Staunend  und  bewundernd  stand  ich  am  Rande 
eines  riesigen  Kraters,  der  uns  vom  Tusidde-Kegel  trennte.  Derselbe 
stellt  einen  unten  abgerundeten  Trichter  dar,  dessen  fast  kreisrunder, 
scharfer  Rand  wohl  3 bis  4 Stunden  im  Umkreise  haben  mag, 
und  der  mehr  als  50  M.  tief  ist.  Die  Wandungen  des  Trichters 
fallen  in  ihrem  oberen  Theile  steil  ab,  und  ihre  dunkle  Farbe  con- 
trastirt  scharf  mit  schmalen,  gewundenen  Fäden  von  weissen  Salzen, 


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304  II.  HUCH,  4.  KAPITEL.  REISE  NACH  ISARDA1. 

welche  den  einstigen  Krater  im  Lande  als  „Natrongrube''  bezeichnen 
lassen,  und  welche  sich  wie  Rinnsale  gegen  die  Mitte  des  Grundes 
hin  schlängeln.  Dort  erhebt  sich  an  der  abhängigsten  Stelle  ein 
kohlschwarzer  Hügel  von  regelmässiger  Kegelform,  der  an  der  Spitze 
eine  kleine,  kraterförmige  Einsenkung  mit  weissem  Inhalt  trägt  und 
dessen  Basis  von  derselben  weissen  Masse  umgeben  ist.  Jenseits 
dieser  mächtigen  Grube  erhebt  sich  der  Tusidde,  etwa  1000  Kuss  über 
die  Umgebung  des  Kraters. 

Ich  war  hier  wieder  in  der  Lage,  meine  Erwartungen  über- 
troffen zu  sehen.  Wie  gern  hätte  ich  hier  einige  Ruhetage  ge- 
habt, wäre  den  Tusidde  hinauf-  und  den  Krater  hinabgestiegen, 
hätte  von  der  höchsten  Höhe,  soweit  meine  Augen  und  mein  Fern- 
glas reichten,  das  ganze  weite  Panorama  Tibesti’s  umfasst  und  mich 
in  der  Tiefe  an  den  Wirkungen  der  zerstörenden  und  schaffen- 
den Naturkräfte  geweidet!  Unwillkührlich  setzte  ich  mich  auf  den 
Rand  des  Abgrundes  und  versank  in  träumerische  Bewunderung, 
bis  mich  meine  schmerzenden  Eüsse  zur  traurigen  Wirklichkeit 
zurückriefen.  Neun  Stunden  hatte  ich  schon  an  diesem  Tage  zu 
Fuss  auf  dem  häufig  recht  schwierigen  und  steinigen  Terrain  zurück- 
gelegt, und  noch  war  das  Tagewerk  nicht  vollbracht.  Doch  der 
Hunger  ist  eine  mächtige  Triebfeder.  Traurig  schlich  ich  den  am 
östlichen  Horizonte  verschwindenden  Gefährten  nach,  deren  Gesell- 
schaft mir  ohnehin  schon  die  Freude  an  der  wunderbaren  Welt,  die 
mich  umgab,  verleidete,  und  einer  nächsten  Zukunft  entgegen,  die 
mich  mit  qualvoller  Sorge  erfüllte.  Der  Weg  führte  für  eine  halbe 
Stunde  am  Rande  des  Kraters  in  ostnordöstlicher  Richtung  auf  den 
unregelmässig  geformten  und  mit  einer  scharfen  Spitze  versehenen 
Emi  Toäde  zu,  den  wir  südlich  am  Wege  Hessen,  und  erreichte  nach 
einer  weiteren  Stunde  die  höchste  Höhe  des  Passes,  jenseits  welcher 
wir  bald  darauf  in  einem  Rinnsale,  das  sich  schon  nach  Osten  senkte, 
unser  Nachtlager  aufschlugen. 

Wir  befänden  uns  hier  gegen  250x3  M.  über  dem  Meeresspiegel, 
wie  der  hypsometrische  Apparat  ergab  (mein  Aneroid  - Barometer 
hatte  leider  Tags  zuvor  seine  Funktionen  eingestellt),  eine  Höhe,  die 
sich  uns  durch  die  nächtliche  Temperaturerniedrigung  recht  fühlbar 
machte.  Wir  waren  im  Monat  August,  hatten  in  der  Ebene  zur 
Zeit  des  Sonnenaufgangs  mindestens  eine  Temperatur  von  25"  C. 
und  beanspruchten  ein  Tagesmaximum  von  ungefähr  40"  C. , wir 


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AUF  DER  HÖHE  DES  TARSO.  305 

fanden  also  die  Nacht  auf  der  Höhe  des  Tarso  bitter  kalt,  obgleich 
das  Thermometer  Morgens  vor  Sonnenaufgang  immer  noch  io°  C. 
zeigte.  Freilich  waren  auch  Dank  den  landesüblichen  Bestrebungen 
Arami's  unsere  Bettbestandtheile  erheblich  zusammengeschrumpft, 
und  mit  einem  verdoppelten,  stillen  Ingrimm  gedachte  ich  mit 
Giuseppe,  der  davon  am  meisten  betroffen  wurde,  unserer  wärmenden 
Decken  aus  den  besseren  Tagen  der  schönen  Tuchfabrik  von  Teburba 
in  Tunis,  die  jetzt  in  die  Hände  des  habgierigen  Tubu-Kdlen  gewan- 
dert waren.  Und  dieser  bediente  sich  ihrer  nicht  einmal,  sondern 
hielt  sie  sorgfältig  verpackt  (wohl  schon,  um  sie  den  Augen  seiner 
Landsleute  zu  entziehen)  und  hüllte  sich  nach  der  Sitte  des  Landes 
in  das  mehrerwähnte  grosse  Schaffell,  das  jeder  anständige  Eingc- 
borene  dort  auf  Reisen  als  Teppich  und  als  Ueberrock  mit  sich  führt. 

Meine  grosse  Krmüdung  in  Folge  des  beschwerlichen  Marsches 
und  die  dadurch  erzeugte  geringere  Widerstandsfähigkeit  schien 
meinem  Protector  die  erwünschte  Gelegenheit  zu  bieten,  neue  An- 
griffe auf  mein  Eigenthum  zu  machen.  Es  war  seine  Aufgabe,  schon 
vor  unserer  Ankunft  in  Bardai  so  viel  aus  mir  herauszupressen  als 
möglich,  und  in  der  Erfüllung  derselben  war  sein  hauptsächlichstes 
Werkzeug  Birsa.  An  diesem  Tage  entrangen  sic  mir  30  Drä'  Cham 
aus  Bü  Zei'd’s  Vorrath,  trotzdem  auf  mein  Drängen  Birsa  eine  gründ- 
liche Untersuchung  meiner  Habe  vorgenommen  hatte,  besonders 
der  beiden  Kisten,  welche  die  gierigen  Leute  für  geradezu  uner- 
schöpflich zu  halten  schienen.  Doch  meine  Absicht,  durch  diese 
Octilarinspection  dem  lästigen  und  unermüdlichen  Drängen  und  Pressen 
meiner  „Beschützer"  ein  Ende  zu  machen,  wurde  noch  lange  nicht 
erreicht. 

Merkwürdiger  Weise  war  in  diesen  Tagen  auf  der  Höhe,  im 
Gegensätze  zu  meiner  Beobachtung  in  der  Ebene  der  Wüste,  die 
Atmosphäre  gegen  Abend  viel  weniger  durchsichtig,  als  Morgens 
früh.  Als  wir  nach  der  kalten  Nacht  am  7.  August  gegen  Sonnen- 
aufgang um  uns  blickten,  sahen  wir  südöstlich  von  uns  in  der  Ent- 
fernung von  etwa  drei  Stunden  eine  kleine  Felsenkette  von  zackigen, 
scharfkantigen  Formen,  die  von  Nord  nach  Süd  zu  verlaufen  schien, 
Emi  Su  genannt  wurde  und  von  der  wir  am  vorhergehenden  Abende 
Nichts  bemerkt  hatten.  Ebenso  verhielt  es  sich  mit  der  ähnlich 
gestalteten  Kette  Emi  Tomortu,  die  in  einer  gleichen  Entfernung 
mehr  östlich  von  uns  lag,  und  mit  dem  Emi  Timi,  der  als  mächtiger 

Nachiigal.  I.  WO 


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II.  BUCH,  4.  KAPITEL.  REISE  NACH  BARDAT. 


.106 

Kegd,  gerade  nördlich  und  etwas  weiter  von  uns  entfernt,  lag  und 
nächst  dem  Tusidde  der  höchste  Berg  Tibesti's  zu  sein  schien.  Bald 
nach  unserem  Aufbruche  verloren  wir  durch  den  Abstieg  den  Tusidde 
aus  den  Augen,  und  der  Timi  beherrschte  die  Gegend;  beide  haben 
eine  regelmässigere  Kegelform  als  die  übrigen  und  weniger  zerrissene 
Seitenflächen. 

Anfangs  war  der  Abstieg  allmählich.  Noch  nahe  der  höchsten 
Höhe  stiessen  wir  auf  eine  weite  Einsenkung  mit  zahlreichen  abge- 
rundeten Kalk-  und  Thonhügeln  voll  staubigen  Zerfalls  der  Tarso- 
lnillc  und  mit  zahllosen  Bruchstücken  versteinerten  Holzes.  Aus  ihr 
stiegen  wir  in  das  Bett  des  E.  Nemai  Jasko,  d.  h.  des  Flussthaies 
der  schwarzen  Stadt,  das  sich  von  Südwest  nach  Nordost  senkt 
und  in  den  E.  Ifötui  , ein  Nebenflussthal  des  E.  Bardai,  mündet. 
Wir  folgten  seinem  breiten  Bette  voller  Felsblöcke  für  eine  kurze 
Strecke,  Hessen  den  Emi  Soso,  eine  in  Form  und  Richtung  dem  Emi 
Su  analoge  Felskctte,  südöstlich  am  Wege  und  marschirten  zwischen 
dem  Emi  Timi  im  Norden  und  dem  zuletzt  auftretenden  Emi  Dochänu 
im  Ostnordosten,  in  mehr  oder  weniger  nordöstlicher  Richtung  bergab. 
Die  letztgenannte  Berggruppe,  in  der  sich  ein  einzelner,  abgerissener, 
scharfkantiger  Kegel  auszeichnet,  hatten  wir  nach  etwa  zwei  Stunden, 
von  unserem  Aufbruche  an  gerechnet,  südöstlich  eine  halbe  Stunde 
von  unserem  Wege. 

Während  wir  über  die  flachen  Thonhügel  und  die  wieder  vor- 
waltende Tarsohülle  abstiegen,  tauchte  in  weiterer  Ferne  am  östlichen 
Horizonte  eine  ansehnliche  Gebirgskette  von  mannichfach  zerrissener 
Form  auf.  Wir  marschirten  in  nordöstlicher  Richtung  auf  ihr  nörd- 
liches Ende  zu  und  erreichten  dasselbe  nach  fünfstündigem  Marsche 
vom  Berge  Dochänu  ab.  Nördlich  von  ihr  verlief  eine  andere,  unbe- 
deutendere Kette  von  Nordost  nach  Südwest,  und  zwischen  beiden 
war  in  weiter  Ferne  der  nördliche  und  nordöstliche  Horizont  von 
einem  anscheinend  mächtigen  Gebirgszuge  eingenommen.  Gegen  die 
erste  der  Ketten  hin  wurde  das  Terrain  schwieriger,  die  weiche 
Sedimentschicht  mit  ihrem  versteinerten  Holze  fehlte  oft,  und  der 
Weg  führte  in  rapidem  Abfall  zwischen  ansehnlichen  Felsen  und  über 
steile  Einschnitte  in  die  Tiefe,  ln  den  letzteren,  welche  einst  von 
den  abfliessenden  Wässern  in  die  starren  Felsen  gegraben  worden 
waren,  sah  man  unter  der  deckenden  Hülle  rosenrothen  Kalkstein 
in  mächtiger  Schicht. 


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ABSTIEG  IN  DEN  E.  UDf.NO. 


307 

Alle  Wasserläufe  dieser  Gegend  sind  Nebenflüsse  des  li.  Udeno 
(d.  h.  Gazellenfluss),  in  den  wir  anderthalb  Stunden,  nachdem  der 
steilere  Abstieg  begonnen  hatte,  aus  einem  seiner  kleinen  nach  Nord- 
uordost  zu  ihm  verlaufenden  Nebenbetten  gelangten,  ln  mühsamen 
Windungen  hat  er  sich  quer  durch  die  Felsen  seinen  Weg  gebahnt 
und  senkt  sich  nach  Nordosten.  Die  senkrechten  Felswände,  welche 
ihn  einzwängen,  sind  30 — 50  M.  hoch  und  gigantische  Sandsteinblöcke, 
welche  einst  jene  gekrönt  haben  und  durch  urweltliche  Kraft  in  die 
Tiefe  geschleudert  sind,  sperren  häufig  das  Bett.  Auf  den  glatten 
Wänden  derselben  fand  ich  hier  und  da  Zeichnungen  der  Art,  wie 
sie  H.  Barth  und  Henri  Duveyrier  im  Gebiete  der  nordöstlichen 
Tuärik  gefunden  haben,  und  aus  denen  diese  Forscher  interessante 


Schlüsse  oder  doch  Vcrmuthungcn  über  das  frühere  Culturlebcn 
dieser  Länder  ziehen.  Auch  im  vorliegenden  Falle  sind  die  Gegen- 
stände der  künstlerischen  Darstellung  fast  ausschliesslich  Rinder,  und 
stets  sind  dieselben  mit  nach  vorn  gebogenen  Hörnern  abgebildet. 
Die  Linien  sind  mit  fester  Hand  in  den  Stein  gegraben;  doch  hat 
der  Sicherheit  der  Ausführung  nicht  immer  eine  naturgetreue,  künst- 
lerische Auffassung  zur  Seite  gestanden. 

Wenn  die  Urheber  der  Zeichnungen  die  Thiere  nur  auf  ihren 
Reisen  in  die  Südänländer  kennen  gelernt  haben,  so  ist  die  Wieder- 
gabe anerkennenswerth  genug,  doch  viele  sind  in  der  That  von 
äusserst  kindlicher  Darstellung.  Wie  bei  den  Barth'schen  Zeich- 
nungen sind  auch  hier  die  Beine  der  Thiere  am  mangelhaftesten 

•JO* 


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II.  BUCH,  4.  KAPITEL.  REISE  MACH  BARDAT. 


ausgcfuhrt.  Dieselben  erscheinen  vollkommen  ungegliedert  und  ent- 
behren der  Füsse  gänzlich.  Einige  der  Rinder  tragen  den  im 
Sudan  üblichen  Packsattel,  alle  aber  einen  Strick  um  die  Hörner 
gewunden,  an  dem  zum  Theil  von  unsichtbarer  Hand  gezogen  wird, 
wie  man  aus  der  widerstrebenden  Stellung  der  Thiere,  welche  die 
steifen  Beine  gegen  den  Boden  zu  stemmen  scheinen,  leicht  erkennt. 
Dieser  Strick  dürfte  dafür  sprechen,  dass  die  Zeichnungen  zu  einer 
Zeit  ausgeführt  wurden,  als  das  Rind  diesen  Wüstenlandschaften 
eigen  war;  denn  hätte  der  Künstler  nur  nach  einer  Reise  in  die 
Südänländer  seine  Erinnerungen  wiedergegeben , so  würde  er  den 
Halfterstrick  der  Thiere  durch  ihre  Nasenscheidewand  gezogen  haben, 
wie  es  dort  Sitte  ist.  Dass  den  Rindern  der  Sculpturen  der  Bucke! 
fehlt,  welcher  die  des  Sudan  kennzeichnet,  unterstützt  jene  Annahme; 
denn  der  Künstler  würde  sicherlich  nicht  eine  so  in  die  Augen  fallende 

Eigenschaft  vergessen,  sondern  dieselbe 
wahrscheinlich  sogar  in  grotesker  L'eber- 
treibung  dargestellt  haben.  N 

Neben  den  Rindern  findet  sich  noch  ein 
vereinzeltes  Kamcel  dargestellt,  doch  ist 
dies  Thier  noch  weniger  gelungen,  ob- 
gleich doch  die  Modelle  dem  Zeichner 
täglich  vor  Augen  gewesen  sein  müssen, 
wenn  nicht  die  Entstehung  der  ganzen 
Darstellung  in  eine  Zeit  fallend  gedacht 
wird , wo  das  Kameel  noch  nicht  in  jene 
Gegenden  eingefuhrt  war,  und  in  diesem 
Falle  würde  seine  Wiedergabe  überhaupt 
nicht  möglich  gewesen  sein.  Ich  bin  aber  vielmehr  geneigt  anzu- 
nehmen, dass,  wenn  diese  Sculpturen  überhaupt  sehr  alten  Datums 
sind,  das  Bild  des  Kameels  jedenfalls  in  neuerer  Zeit  in  schlechter 
Nachahmung  der  Rinderzeichnungen  von  einem  modernen  Tubu- 
knaben  hinzugefligt  wurde.  - Auf  dem  einen  der  Blöcke  neben  den 
Rindern  findet  sich  auch  ein  phantastisches,  thierisches  Geschöpf,  das 
ich  vergeblich  mit  einem  Repräsentanten  unserer  Thierwelt  zu  identi- 
ficiren  suchte;  doch  dasselbe  ist  gleichzeitig  so  stümperhaft  ge- 
zeichnet und  so  unsicher  gravirt,  dass  ich  kein  allegorisches  Bild, 
keine  mythologische  Darstellung  in  ihm  suchen  möchte.  Interessant 
ist  die  einzige  menschliche  Figur,  welche  dazwischen  allein  auf 


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FELSSCUI.PTUREN. 


309 


einem  Sandsteinblocke  gefunden  wurde.  Sie  stellt  einen  Krieger 
dar,  fast  in  Lebensgrösse  und  ganz  von  vorn  gesehen,  die  noch  jetzt 
gebräuchliche  Tubu- Lanze  aufrecht  in  der  linken  Hand  und  in  der 
andern  den  Schild  haltend,  der  merkwürdiger  Weise  durch  ein  Kreuz 
in  vier  Felder  getheilt  ist  und  sich  dadurch  und  durch  die  Grösse 
des  an  dem  vollen  Oval  seiner  Form  fehlenden  oberen  Abschnittes 
von  den  gewöhnlichen  Tubu-Schilden  unterscheidet. 

Meine  Begleiter  vermochten  keinerlei  Auskunft  über  die  Zeit 
der  Entstehung  und  die  etwaige  Bedeutung  dieser  Sculptpren  zu 
geben.  Man  sollte  vermuthen,  dass  die  jetzigen  Bewohner  des  Landes 
diese  Reliquien  einer  vergessenen  Zeitperiode  in  phantastischer  Weise 
auffassen,  ihnen  gern  eine  tiefere  Bedeutung  beilegen  würden;  doch 
ihr  nüchterner  Tubusinn  sucht  nach  natürlicher  Erklärung,  und  meine 
Begleiter  wenigstens  hielten  die  Zeichnungen  für  Producte  eines 
müssigen  Ziegenhirten  aus  ihrem  eigenen  Stamme,  wenn  auch  aus 
früheren  Zeiten. 

Gern  hätte  ich  sorgfältig  die  Zeichnungen  aller  Felsblöcke  ge- 
sammelt, doch  meine  Kräfte  waren,  als  wir  im  E.  Udeno  lagerten, 
nach  der  fast  zehnstündigen  Fusswanderung  über  schwieriges  Terrain 
und  fast  ohne  Nahrung,  allzu  erschöpft;  und  in  meiner  Abhängigkeit 
von  Arftmi  und  den  Uebrigen,  welche,  je  mehr  wir  uns  Bardai 
näherten,  einen  desto  weniger  respectvollen  Tön  anschlugen,  konnte 
ich  am  nächsten  Morgen  meine  Gesellschaft  nicht  überreden,  mir  die 
nöthige  Frist  zu  gewähren.  Die  wenigen  Copicn,  welche  ich  machen 
konnte,  sind  im  weiteren  Verlaufe  dieser  gefahrvollen  Reise  verloren 
gegangen;  nur  unter  den  während  des  Marsches  gemachten  Notizen, 
welche  aus  der  Schreckenszeit  in  Tibesti  zu  retten  mir  gelang,  be- 
finden sich  die  dürftigen  hier  wiedergegebenen  Zeichnungen. 

An  der  Stelle  des  Gazellenflusses,  wo  wir  nächtigten,  sollten 
böse  Geister  Moschi  — hausen,  und  da  diese  dort  zu  Lande  einen 
besonderen  Widerwillen  gegen  Pulvcrgeruch  haben,  so  Hessen  sich 
meine  Begleiter  nicht  nehmen,  so  lange  Flintenschüsse  abzufeuern, 
bis  sie  die  Luft  gründlich  gereinigt  glaubten.  Sie  setzten  diese 
Procedur  so  lange  fort,  und  die  Schüsse  widerhalltcn  so  mächtig 
von  alben  Seiten,  dass  mein  durch  Uebermüdung,  Hunger  und  ge- 
rechtfertigte Besorgniss  vor  der  nächsten  Zukunft  krankhaft  gereiztes 
Gehirn  mich  hierin  ein  Signal  für  die  Helfershelfer  meiner  ver- 
ratherischen  Genossen  wittern  Hess.  Eingezwängt  zwischen  den  hohen 


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II.  HUCH,  4.  KAPITEL.  REISE  NACH  RARDAl. 


310 

Ufcrfelsen,  in  dem  dadurch  frühzeitig  in  Nacht  gehüllten  Thale, 
arbeitete  meine  Phantasie  um  so  beängstigter.  Trotz  der  Müdigkeit 
verscheuchten  mir  die  hässlichen  Bilder  derselben  nur  zu  oft  den 
Schlaf;  aufgeschreckt  sprang  ich  empor;  die  gespenstischen  Schatten 
der  Felsen  mit  ihren  sonderbaren  Contouren,  welche  das  Mondlicht 
auf  den  hellen  Grund  des  Flussbettes  warf,  verwirrten  mein  Auge; 
schrill  schallte  das  Kläffen  des  Klippschliefers  (Hyrax)  rings  von 
den  Felsen  und  liess  mich  angestrengt  auf  die  Annäherung  von 
Menschen  und  Hunden  horchen.  Es  war  eine  böse  Nacht,  die 
prophetische  Vorläuferin  eines  böseren  Tages. 

An  diesem,  dem  8.  August,  mussten  wir  Bardai  erreichen;  und 
es  war  hohe  Zeit,  denn  unsere  Datteln  waren  auf  der  Höhe  des  Tarso 
bereits  zu  Ende  gegangen.  Von  dort  hatte  Arümi  seinen  Begleiter 
vorausgeschickt,  um  Tafertemi  und  Bü  Zeid  heimlich  von  unserer 
bevorstehenden  Ankunft  in  Kenntniss  zu  setzen,  und  um  die  Ueber- 
sendung  von  Datteln  bis  zu  einem  bestimmten  Punkte  unseres  Weges 
zu  vermitteln.  Hungrig  brachen  wir  auf,  folgten  für  kurze  Zeit  dem 
Laufe  des  E.  Udeno,  der  sich  dann  nach  Norden  wendet,  und  stiegen 
über  seine  Uferwände,  welche  hier  viel  weniger  hoch  und  steil 
sind,  in  nordöstlicher  Richtung  auf  ein  steiniges  Hügelland.  Von 
hier  hat  man  einen  weiten  Blick  nach  Norden,  wo  die  Tags  zuvor 
erblickten  Gebirgsketten  den  fernen  Horizont  einnehmen ; rechts  neben 
uns,  fast  parallel  mit  unserem  Wege,  lief  eine  Felsenkette  massiger 
Erhebung,  Kebriköta  genannt.  Nach  zweistündigem  Marsche  über- 
schritten wir  ein  flaches,  unbedeutendes  Rinnsal,  das  sich  in  nörd- 
licher Richtung  dem  Udeno  zuwendet,  und  stiegen  bald  darauf  ab- 
wärts gegen  ein  Flussthal  hin , dessen  ebene  Umgebung  mit  dicht 
gedrängten,  niedrigen,  spitzen,  kantigen  Hügeln  aus  blättrigem  Thon 
und  Thonschiefer  bedeckt  ist.  Das  Flussthal,  E.  Arabdei,  soll  im 
Ganzen  von  Südwest  nach  Nordost  verlaufen,  hat  aber  in  der  Gegend 
unseres  Weges  einen  mehr  nördlichen  Verlauf,  als  dieser,  so  dass 
wir  es  nach  einer  weiteren  Stunde  in  schräger  Richtung  durchschnitten 
hatten.  Es  ist  von  mässiger  Ausdehnung,  sein  östliches  etwa  30  Fuss 
hohes  Ufer  besteht  ganz  aus  blättrigem  und  Iamellösein  Thonstein. 
Kaum  eine  halbe  Stunde  weiter  östlich  verläuft,  parallel  dem  E.  Arabdei. 
zwischen  senkrechten  Felswänden  der  E.  Gonöa,  in  dessen  Bette  wir 
nach  kaum  vierstündigem  Marsche  rasteten,  nicht  sowohl  um  auszu- 
ruhen und  die  Tageshitzc  zu  verbringen,  als  vielmehr  um  Nahrung 


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NEUE  PKOÜE  DER  HAHUIF.K  ARAMl’s.  311 

und  Nachrichten  von  Hü  Ze'id  und  Tafertömi  zu  erwarten.  Beide 
Flüsse  sollen  direct  in  den  E.  Bardai  münden. 

Im  E.  Gonöa  wurde  unser  Auge  durch  eine  lebendige  Quelle 
erfrischt,  die  in  der  Mitte  seines  Bettes  unter  mächtigen  Felsblöcken 
hervorquillt,  und  in  ihrer  nächsten  Umgebung  eine  Vegetation  hervor- 
gerufen hat,  die  unserem  entwöhnten  Auge  als  ein  Bild  der  Ueppig- 
keit  erschien.  In  ihrer  Nähe  lagerten  wir,  ich  wenigstens  mit  schwerem 
Herzen  und  bangem  Vorgefühle,  das  durch  Arämi's  und  Birsa's  Be- 
tragen nur  noch  vermehrt  wurde. 

Arümi,  unterstützt  von  seinem  gehorsamen  Neffen,  hatte  während 
des  verflossenen  Tages  ein  missachtendes,  fast  drohendes  Benehmen 
an  den  Tag  gelegt  und  den  unglücklichen  Mohammed  als  meinen 
Vermittler  unaufhörlich  mit  Bitten  und  Drohungen  geplagt,  um 
ihn  zum  Verrathe  der  Schätze  zu  bringen,  die  ich  nach  seiner 
Ucbcrzeugung  nothwendig  noch  verbergen  musste.  Jetzt  war  viel- 
leicht der  letzte  Tag  gekommen,  an  dem  er  allein  von  mir  Nutzen 
ziehen  konnte,  denn  schon  am  folgenden  war  ich  dem  Könige 
und  den  übrigen  Edelleuten  preisgegeben;  er  suchte  ihn  also  zu 
benutzen.  Im  guten  Vertrauen  auf  meine  Armuth  brachte  ich  es 
dahin,  dass  Beide  noch  einmal  eine  gründliche  Untersuchung  meiner 
Gepäckstücke  Vornahmen,  und  aus  dieser  musste  ihnen  wenigstens 
die  Ucbcrzeugung  erwachsen,  dass  keine  Stoffe  (Burnusse,  Toben  und 
Cham),  auf  die  sich  die  Habgier  der  Tubu  vorzüglich  erstreckt,  mehr 
vorhanden  waren.  Den  Verdacht  verborgenen  Geldes  konnte 
ich  ihnen  freilich  nicht  nehmen.  Bei  dieser  Gelegenheit  entdeckte 
Arämi's  scharfes  Auge  noch  einen  weissen,  tunisischen  Burnus,  den 
ich  zu  eigenem  Gebrauche  bcsass  und  vorsichtiger  Weise  in  meine 
letzte  wollene  Decke  gewickelt  hatte,  da  man  mir  diese  als  einen 
unumgänglich  nothwendigen  Gegenstand  zu  belassen  geneigt  schien. 
Arämi  ruhte  natürlich  nicht  eher,  als  bis  der  erstere  in  seiner  Gewalt 
war.  Meine  anfängliche  Weigerung,  mich  von  ihm  zu  trennen,  be- 
antwortete er  einfach  durch  eine  Andeutung  des  Vorschlages,  mich 
meinen  Einzug  in  Bardai  allein  machen  zu  lassen,  eine  Aussicht, 
welche  jede  Einwendung  meinerseits  im  Keime  erstickte.  Im  Besitze 
des  Burnus  versicherte  mir  der  Quälgeist  dagegen  seine  ganze  Dicnst- 
willigkeit  und  wiederholte  sein  Versprechen,  mich  nicht  allein  wäh- 
rend meines  Aufenthaltes  in  Bardai  zu  beschützen  und  zu  ernähren, 


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312 


II.  BUCH,  4.  KAPITEU.  REISE  NACH  BARDAY. 


sondern  auch  mit  Gottes  Hülfe  ungcschädigt  an  meinem  Leibe  mit 
meinen  Leuten  bis  auf  den  Weg  nach  Fezzan  zu  bringen. 

Die  Nähe  bewohnter  Gegenden  verrieth  sich  im  E.  Gonöa  durch 
die  häufige  Erscheinung  von  Leuten  und  Eseln,  welche  unterwegs 
ihren  Durst  an  dpr  Quelle  stillten.  Jene  waren  ausschliesslich  Frauen 
und  Kinder,  fast  alle  in  das  nationale  Schaffell  gekleidet;  die  Frauen 
häufig  noch  mit  einem  viereckigen  Stücke  blauen  Kattuns  über  Kopf 
und  Schultern,  die  Kinder  baarhäuptig  und  ganz  nackt.  Das  Schaf- 
fell wird  von  der  rechten  Seite  her  um  den  Körper  gelegt  und  seine 
Zipfel  und  Enden  auf  der  linken  Schulter  und  über  der  linken  Hüfte 
geknüpft,  so  dass  die  eine  Brust  und  das  eine  Bein  unbedeckt  bleiben. 
Es  war  immerhin  merkwürdig,  dass  ein  so  wenig  sich  anschmiegen- 
des Kleidungsstück  mit  so  geringer  Kunsthülfe  der  weiblichen  Scham- 
haftigkeit ausreichend  zu  dienen  vermochte.  Doch  ich  hatte  augen- 
blicklich wenig  Sinn  für  genauere  Analysirung  von  Tracht  und  Zügen 
der  weiblichen  Bevölkerung  Barda'fs;  ich  war  in  der  Erwartung  der 
Aufnahme,  die  uns  am  Abend  zu  Theil  werden  würde,  in  einem  leicht 
begreiflichen  Zustande  höchster  Aufregung. 

Bald  nach  der  erwähnten  gewaltsamen  Verminderung  meiner 
Garderobe  erschien  ein  Jüngling  mit  einem  dattelbeladenen  Esel  in 
unserer  Mitte  und  erwies  sich  als  Mohammed,  Sohn  Akremi  Temidömi's, 
des  mütterlichen  Onkels  unseres  Murabid  Bü  Zeid.  Er  mochte  etwa 
|<S  Jahre  alt  sein,  war  unter  Mittelgrösse,  trug  einen  neuen,  rothen 
Tarbüsch,  den  ich  stark  im  Verdachte  hatte,  aus  meinem  Vorrathe 
zu  stammen,  hatte  eine  massig  bronzefarbige  Haut,  intelligente  Augen, 
eine  nicht  grade  plattgedrückte  Stumpfnase,  ein  wohlgebildetes  Kinn 
und  ein  rundlich  ovales,  etwas  prognathes  Antlitz. 

Wir  fielen  mit  Heisshunger  über  die  Datteln  her  und  nahmen 
Anfangs  die  Nachricht,  dass  Tafertömi  seit  einigen  Tagen  im  nahe- 
gelegenen  Dorfe  SuT  sei,  doch  im  Laufe  des  Tages  zurückerwartet 
werde,  mit  ziemlicher  Gleichgültigkeit  auf.  Doch  als  der  erste 
Hunger  gestillt  war,  wurden  wir  stutzig  bei  dieser  etwas  verdächtigen 
Kombination,  und  konnten  uns  über  ihren  bedenklichen  Charakter 
nicht  täuschen,  als  der  junge  Mann  weiterhin  mittheilte,  dass  sein  Vetter 
Bü  Zeid  ebenfalls  in  einer  benachbarten  Ortschaft  sei.  So  sehr  der 
Bote  den  Eindruck  seiner  Nachrichten  abzuschwächen  suchte,  indem 
er  ein  besonderes  Gewicht  darauf  legte,  dass  Beide,  Sultan  und 
Muräbid,  sicherlich  Abends  an  Ort  und  Stelle  sein  würden,  so  war 


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VOM  E.  GONÖA  NACH  BARDAT. 


313 


unser  Argwohn  doch  geweckt,  und  wir  beschlossen,  jedenfalls  unseren 
Rastplatz  zu  einer  vorgerückten  Stunde  zu  verlassen,  so  dass  wir 
erst  nach  Einbruch  der  Dunkelheit  in  der  Haupt-Ortschaft  Bardai’s 
ankommen  mussten. 

Unser  Weg  erhielt  eine  ostnordöstlichc  Richtung  und  führte 
durch  eine  unregelmässig  und  hoch  gebügelte  Gegend,  in  der  die 
Kalk-  und  Thonschieferhügel  vorwalteten.  Nach  einer  halben  Stunde 
berührten  wir  das  Bett  des  K.  Iraira,  das  dort  von  West  nach  Ost 
lief,  und  passirten  kurze  Zeit  darauf  das  Bett  des  E.  Fudrüsi,  der 
von  Nordwest  nach  Südost  in  jenen  mündet.  Jenseits  desselben  trat 
wieder  festeres  Gestein  auf,  wog  bald  vor,  ward  mächtiger  und  höher, 
und  als  wir  nach  einer  weiteren  Stunde  den  E.  Iraira  selbst  durch- 
schritten hatten,  erreichten  die  Felsen  hier  und  da  eine  Höhe  von 
ICO  M.  Jenseits  des  Iraira  standen  dieselben  so  dicht,  dass  kein 
Weg  hindurchführte;  wir  mussten  in  seinen  Nebenfluss  Oröa  einbiegen, 
der  mehr  oder  weniger  von  Süd  nach  Nord  zu  ihm  verläuft,  und 
dieser  selbst  war  fast  unpassirbar.  Eng  eingezwängt  zwischen  steile 
Kelsen,  war  das  Bett  vollständig  ausgefüllt  von  Steinen  und  Fcls- 
blöcken,  deren  Ueberwindung  besonders  den  Kameelen,  welche  doch 
diesem  Lande  angehörten  und  an  derartiges  Terrain  gewöhnt  waren, 
eine  entsetzliche  Anstrengung  kostete.  Wir  folgten  seinem  Laufe 
für  fast  eine  Stunde  in  Südsüdost-Richtung,  verliessen  ihn  an  einer 
Stelle,  wo  die  Uferfclsen  eine  ansehnliche  Lücke  darboten,  und 
gingen  allmählich  in  eine  östliche  Richtung  über,  welche  uns  in  einer 
guten  halben  Stunde  an  den  Eingang  des  Thaies  von  Barda't  brachte, 
da,  wo  von  Süden  her  ein  flaches  Flussthal  in  ihn  mündet.  Hier 
hielten  wir  an,  während  der  Sohn  Temidömi’s  voraus  ging,  um 
Tafertemi  und  Bü  Zeid  von  unserer  Ankunft  in  Kenntniss  zu  setzen, 
und  warteten  unter  einigen  Sajälakazien  die  Antwort  und  den  voll- 
ständigen Hereinbruch  der  Dunkelheit  ab. 

Leider  kehrte  nach  kurzer  Zeit  der  Jüngling  allein  zurück,  mit 
der  wenig  tröstlichen  Antwort,  dass  Beide  von  ihrem  Ausfluge  noch 
nicht  zurückgekehrt  seien,  dass  aber  die  Gattin  des  ersteren  mich 
einlade,  in  ihrer  Wohnung  abzusteigen.  Schweigend  vernahmen  wir 
die  unerfreuliche  Botschaft.  Meine  Tubugefahrten  verrichteten  in 
der  Erwartung  einer  höheren  Eingebung  ihr  Abendgebet,  und  nach 
Vollendung  der  feierlichen  Handlung  setzten  wir  uns  zögernd  wieder 
in  Bewegung. 


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I.  BUCH,  4.  KAP1TEI..  KEISK  NACH  BAKDAT. 


:H4 


Wir  hatten  das  breite  Thal  in  nordöstlicher  Richtung  schräg  zu 
durchschneiden  und  unglücklicherweise  den  ganzen  von  eigentlichen 
Bardai-Lcuten  bewohnten  Theil  zu  durchziehen,  da  Arämi  mit  den 
Tubu  Reschäde  der  westlichen  Thäler  auf  der  anderen  Seite  wohnte. 
Wir  betraten  das  Thal  und  begannen  schon  uns  zwischen  den 
graziösen  Gruppen  von  Dattelbäumen  und  Dümpalmen  durchzuwinden, 
die  hier  und  da  menschliche  Wohnungen  in  ihrem  Schatten  bargen, 
als  plötzlich  ein  dumpfes  Brausen,  ein  verdächtiges  Geräusch  an  unser 
Ohr  drang,  das  von  zahlreichen  schreienden  und  tobenden  mensch- 
lichen Stimmen  herzurühren  schien. 

Athemlos  hielten  wir  an  und  lauschten  rathlos.  Wenn  ich  an- 
fangs noch  nicht  glauben  wollte,  dass  dies  die  Einwohner  Bardai's 
seien,  welche  sich  beim  Gerüchte  unserer  Ankunft  zusammengerottet 
hatten  und  uns  blutig  zu  begrüssen  kamen,  so  dauerten  meine 
Zweifel  doch  nicht  lange.  Das  Getöse  kam  näher  und  näher;  die 
Männer  brüllten  — wahrscheinlich  waren  sie  unter  dem  Einflüsse  des 
Laqbi,  wie  fast  jeder  redliche  Einwohner  von  Bardai  am  Abend  , 
klirrten  und  rasselten  mit  den  Waffen;  die  Weiber  kreischten  und 
liessen  das  übliche  Zungenschlaggeräusch  hören;  die  Kinder  schrieen. 
Schon  unterschied  man  die  einzelnen  Stimmen,  hörte  ihre  Verwün- 
schungen gegen  die  Christen  und  ihre  blutdürstigen  Vorsätze.  Mit 
einer  Art  verzweifelter,  resignirter  Tronic  verdolmetschte  mir  Bui  Mo- 
hammed die  unerbaulichen  Bedeutungen  ihres  Geschreies.  In  seiner 
Kenntniss  von  Land  und  Leuten  zweifelte  er  keinen  Augenblick 
daran,  dass  unser  letztes  Stündlein  gekommen  sei,  doch  kein  Wort 
eines  eigentlichen  Vorwurfs  gegen  mich  kam  über  seine  Lippen; 
nur  die  Bitterkeit,  die  Ironie,  die  im  Tone  seiner  Worte  lag, 
schien  mir  zu 'sagen;  ,,da  sind  sie,  meine  früheren  Aussagen  zu  be- 
wahrheiten; Du  hast  es  gewollt,  da  Du  die  Rathschläge  der  Ver- 
nünftigen zurückwiesest!’'  Kampfbereit  hielt  der  Alte  sein  Gewehr 
in  der  Hand,  und  auch  in  diesem  Augenblicke  konnte  ich  nicht  um- 
hin, die  Tiefe  der  feindlichen  Gefühle  zu  constatiren,  welche  der 
sonst  in  seinen  Urtheilcn  über  Menschen  so  milde  Mann  gegen  Alles, 
was  Tubu  hiess,  nährte.  Giuseppe  betrug  sich  wie  ein  Mann;  Saäd 
erging  sich,  wie  bei  der  Verdurstungsscene,  in  wortreichen  Vorwürfen 
gegen  mich,  während  'Ali  Bü  Bekr  kaum  die  Kraft  hatte,  die  Worte 
auszustossen ; „Verflucht  sei  das  Geld,  um  dessentwillen  ich  hierher- 
kam !”  Entsetzt,  doch  ergeben  in  die  eiserne  Nothwendigkeit,  richtete 


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HKI>KOH1.ICHfcK  KMI’t'AKC  IN  KXKDAI.  315 

ich  meine  Augen  auf  die  dunkle,  sich  heranwälzende  Masse,  deren 
einzelne  Schatten  man  schon  unterscheiden  konnte. 

Eine  zaudernde  Unschlüssigkeit  hatte  sich  meiner  anderen  Be- 
gleiter und  Beschützer  bemächtigt.  Sie  hatten  sich  von  uns  zurück- 
gezogen und  bildeten  in  einiger  Entfernung  eine  überlegende  und 
rathschlagende  Gruppe.  Alles  hing  von  der  Haltung  Arämi's  ab,  in 
dessen  Innern  widerstreitende  Gefühle  kämpften.  Die  edleren 
Regungen,  Wortfestigkeit,  Pflichten  der  Gastfreundschaft  und  Mitleid, 
wenn  sie  überhaupt  in  ihm  lebten,  wurden  uns  kaum  gerettet  haben; 
doch  es  gab  glücklicherweise  noch  andere  Gründe , die  zu  unseren 
Gunsten  in  die  Wagschale  fielen.  Der  kindliche  Patriotismus  der 
Menge,  die  einen  Verrath  an  den  ihnen  selbst  unbekannten  Schätzen 
ihres  Landes  fürchtete,  ihre  unbestimmte,  übertriebene  Furcht  vor 
den  Christen  und  ihrer  Macht,  ihr  instinctiver  Hass  gegen  alles 
Fremde,  hatten  keine  Macht  über  ihn;  aber  sein  Stolz,  die  relative 
Abhängigkeit  des  Händchens  von  F'ezzän  und  die  politischen  Ver- 
hältnisse innerhalb  ihres  Gemeinwesens  sprachen  für  uns.  Er  war 
der  mächtigste  Mann  unter  den  eigentlichen  Tubu  Reschäde,  welche 
die  vom  Gebirgsstocke  nach  Südwesten  abfallenden  Thäler  bewohnen, 
und  sich  für  die  Herren  des  ganzen  Landes  halten.  Diese  umfassen 
die  edelsten  Geschlechter  Tibcsti's,  sind  Hirten  und  vorzugsweise 
Nomaden,  Herren  des  Raumes,  und  halten  sich,  wie  überall,  wo 
Nomaden  und  sesshafte  Ackerbauer  dasselbe  Land  bewohnen,  für 
die  bevorzugten,  über  die  letzteren  zu  herrschen  bestimmten  Leute. 
Ihre  Reisen  führen  sie  nach  F'ezzän,  Kawär,  Borkü,  Bornü,  wäh- 
rend die  Leute  von  Bardai  ihr  Thal  nie  verlassen,  ein  arbeitsames 
.Ackerbauleben  führen  und  in  ihrem  Blute  nicht  frei  sind  von  den, 
freilich  geringen  Sclavenelementen  des  Landes.  Ein  U eberfall  der 
Araber,  Tuärik  und  Bulgedä  triftt  nur  die  westlichen  Thäler  der 
Nomaden  oder  Halbnomaden,  welche  dadurch  zu  den  natürlichen 
Vertheidigern  des  ganzen  Landes  gestempelt  werden  und  sich  in 
Folge  dessen  für  die  besseren  Krieger  halten;  bis  nach  Bardai,  das 
nach  Westen  und  Süden  durch  mächtige  Gebirge,  nach  Norden  und 
Osten  durch  die  endlose  Wüste  geschützt  ist,  dringt  keine  Ghazia. 
Und  jetzt  sollten  diese  armseligen  Ackerbauer  es  wagen  können, 
einen  Fremdling,  den  er,  Animi,  der  hervorragendste  unter  den  Edel- 
lcuten,  aus  dem  königlichen  Geschlechtc  der  Tomäghera,  reicher 
und  persönlich  angesehener  als  sein  Vetter,  der  Dardai,  in  seinen 


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316 


II.  BUCH,  4.  KAPITEL.  REISE  NACH  BARDAl. 


Schutz  genommen  hatte,  zu  massacriren?  Es  war  eine  lockende  Ge- 
legenheit, sein  Ansehen  im  eigenen  Lande  zu  erproben  und  mir  und 
durch  mich  Fczzän  und  der  Fremde  seine  Macht  zu  beweisen. 

Dazu  kam,  dass  die  Tububevölkcrung  Fezzän’s  ganz  ausschliess- 
lich diesen  nomadischen  oder  halbnomadischen  Bestandteilen  der 
Nation  angehört,  und  dass  diesen  also  daran  gelegen  sein  musste, 
ihre  Brüder  und  Vettern  nicht  durch  meine  Ermordung  den  Re- 
pressalien der  Regierung  von  Fczzan  auszusetzen.  Wie  ich  meine 
Hoffnungen  hauptsächlich  auf  diese  meine  natürlichen  Geiseln  grün- 
dete, so  begriff  wenigstens  Arämi,  wenn  die  Uebrigen  vielleicht  nicht 
daran  dachten,  die  ganze  Gefahr,  welcher  man  dieselben  aussetzen 
würde,  indem  man  mir  ernstlich, Böses  zufügte.  Andererseits  konnte 
ihm  aus  meiner  Ermordung  keinerlei  Vortheil  erwachsen,  während 
er,  so  lange  ich  am  Leben  war,  mein  natürlicher  Rathgeber  und  Be- 
schützer blieb,  und  demnach  hoffen  konnte,  so  viel  aus  mir  heraus- 
zupressen,  als  ich  irgend  zu  geben  im  Stande  war. 

Alle  diese  Gründe  arbeiteten  ohne  Zweifel  im  Geiste  des 
Mannes  zu  unseren  Gunsten,  während  ihm  auf  der  anderen  Seite  die 
Klugheit  rieth,  den  Bogen  nicht  allzu  straff  zu  spannen  und  seine 
Popularität  nicht  durch  einen  allzu  rücksichtslosen  Kampf  gegen  den 
Willen  seiner  eigensinnigen  Landsleute,  die,  eben  so  stolz  als  er 
selbst,  irgend  eine  Autorität  nur  schwer  anerkennen,  aufs  Spiel  zu 
setzen,  zumal  man  ihn  sicherlich  beschuldigen  würde,  für  mich  cin- 
getreten  zu  sein,  um  meine  vermeintlichen  Schätze  nicht  mit  den 
Anderen  theilen  zu  müssen.  Die  Zeit  drängte;  da  Arämi  und  seine 
Genossen  sich  noch  immer  überlegend  seitwärts  hielten,  während  die 
wüthende  Menge  immer  näher  herantobte,  begab  ich  mich  zu  ihnen 
und  sagte  kurz,  sie  möchten  sich  beeilen.  Ich  könne  mir  nicht 
denken,  dass  es  so  schwer  sei,  sich  zu  entscheiden,  ob  man  treu  und 
wacker,  oder  verräthcrisch  und  feige  handeln  wolle.  Wenn  sie  das 
letztere  zu  thun  beabsichtigten,  so  möchten  sie  ihren  Entschluss  nur 
kundgeben,  wir  seien  bereit,  unser  Leben  theuer  zu  verkaufen,  und 
sic  sollten  nicht  glauben,  dass  Muselmanen  allein  wie  Männer  zu 
sterben  wüssten. 

Da  erhob  sich  Arämi;  sein  Entschluss  war  gefasst  und  damit  der 
der  Uebrigen.  „Mit  Gottes  Hülfe  wird  Dir  kein  Unheil  widerfahren", 
sagte  er,  „denn  ich  habe  Dir  meinen  Schutz  zugesagt".  Stolz  ging 
er  der  andringenden  Menge  entgegen,  die  offenbar  erwartet  hatte, 


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RETTUNG  DURCH  ARÄMI  UND  SEINE  GENOSSEN.  317 

uns  von  unseren  Begleitern  verlassen  zu  finden.  Es  war  die  höchste 
Zeit;  schon  schleuderten  die  Wüthigsten  oder  Betrunkensten  ihre 
Wurfspeere,  doch  ungeschickt  und  zögernd,  da  wir  nicht  allein  waren, 
wenn  wir  auch  abgesondert  standen.  Zum  Theil  schlug  Animi  die 
Waffen  in  der  Hand  der  Angreifer  nieder,  und  Niemand  wurde  ver- 
letzt. Kolokömi,  Gordoi,  Birsa  folgten  seinem  entschlossenen  Beispiel, 
und  nun  ging  es  an  ein  lebhaftes  l’arlamentiren. 

In  diesem  günstigen  Augenblicke  kamen  die  ferner  wohnenden 
Anhänger  und  Freunde  Arämi's,  sämmtlich  Bewohner  der  westlichen 
Thäler,  zu  denen  das  Gerücht  unserer  Ankunft  etwas  später  ge- 
drungen war.  Sie  waren  grösstentheils  im  Zustande  vorgeschrittener 
alkoholischer  Begeisterung  und  vermehrten  die  Partei  meiner  Freunde 
in  sehr  nutzbringender  und  erfreulicher  Weise.  Während  die  Meisten 
mit  Arami  zurückblieben,  um  die  ihnen  so  angenehme  Gelegenheit 
zu  Zank  und  Streit  auszubeuten,  führten  Andere  uns  und  unsere 
Kamecle  unbemerkt  von  der  Menge,  die  von  den  wortreichen  Unter- 
handlungen ausschliesslich  in  Anspruch  genommen  war,  in  die  Ge- 
gend der  Ortschaft,  welche  von  ihnen  bewohnt  wurde,  zum  Hause 
Arämi’s.  Meine  neuen  Freunde  und  Beschützer  suchten  mich  durch 
möglichst  wüstes  Geschrei  und  wildes  Schwingen  ihrer  Waffen  zu 
ermuthigen,  bedrohten  Jeden  mit  dem  Tode,  der  mir  ein  Haar 
krummen  würde  und  enthüllten  mit  einer  F reimiithigkeit,  welche  der 
Alkohol  erzeugte,  das  traurige  Niveau  ihrer  Civilisation.  Während 
Einige  sich  der  Mordthaten  rühmten,  welche  sie  schon  begangen 
hatten,  gingen  Andere  so  weit,  zu  behaupten,  dass  derjenige,  welcher 
noch  keinen  Menschen  getödtet  habe,  überhaupt  kein  Mann  sei. 
Eine  wüste  Bande  und  ein  unerquicklicher  Schutz! 

So  weit  die  Dunkelheit  und  unser  Weg,  der  möglichst  um  die 
Wohnstätten  herumführtc,  zu  sehen  gestattete,  lagen  die  Wohnungen 
zerstreut,  jede  in  reizender  Umgebung  von  Dattelbäumen  und  ver- 
einzelten Dümpalmcn,  und  waren  aus  Palmenblättern  hergestellt.  Un- 
belästigt  begaben  wir  uns  zwischen  Gärten,  Hütten  und  Baumgruppen 
hindurch  nach  der  Wohnung  Arämi’s,  welche  auf  der  nordöstlichen 
Seite  des  Thaies  lag. 

Als  wir  das  eigentliche  Dorf  hinter  uns  gelassen  hatten,  stiessen 
wir  auf  unseren  Muräbid  Bü  Zeid,  der,  seine  Flinte  im  Arm,  auf 
meine  ironische  Verwunderung,  ihn  schon  von  seinem  Ausfluge  zurück 
zu  sehen,  der  ihn  zu  so  günstiger  Stunde  von  Bardai  entfernt  habe, 


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II.  tll'CH,  4.  KAPITEL.  REISE  NACH  BARDAI. 


SIS 

ziemlich  verlegen  versicherte,  so  eben  aus  einem  Nachbardorfe,  wo- 
hin ihn  die  dringendsten  Geschäfte  gerufen  hatten,  zurückgekommen 
zu  sein.  Es  war  augenscheinlich,  dass  er,  in  nur  zu  genauer  Kennt- 
niss  der  Stimmung  der  Einwohner,  seine  Anwesenheit  verläugnet 
hatte.  Noch  durfte  ich  meinen  Gefühlen  über  sein  perfides  Benehmen 
keinen  Ausdruck  verleihen,  denn  ich  war  bei  der  sehr  zweifelhaften 
nächsten  Zukunft  seiner  Unterstützung  noch  allzu  sehr  bedürftig. 
Ebenso  wurde  es  mir  schnell  klar,  dass  Tafertemi  sich  in  seiner  Woh- 
nung verborgen  gehalten  hatte,  um  nicht  meine  Ermordung  durch 
seine  autoritätliehe  Gegenwart  gewissermassen  zu  sanctioniren. 

Arämi  hatte  uns  indessen  wieder  eingeholt  und  wies  uns  unseren 
Lagerplatz  vor  der  Thür  seiner  Wohnung  an,  während  seine  Schwester 
FätTma,  eine  Wittwe  oder  geschiedene  Frau,  die  ihrem  Bruder  in  Bardai 
die  Wirthschaft  führte  — die  Frau  desselben  wirthschaftete  in  Gabon  , 
die  Dijäfa  (Gastmahl)  bereitete.  Diese  bestand  zwar  in  dem  dort  sel- 
tenen, also  kostbaren  ’ Atsch,  doch  war  derselbe  über  die  Massen 
trocken,  und  da  keine  Sauce  zu  ihm  gereicht  wurde,  gänzlich  ge- 
schmacklos. Bei  unserem  grenzenlosen  Hunger  verhinderte  uns  aber 
weder  seine  schlechte  Qualität,  noch  unsere  bedrohliche  Lage , ihm 
die  grösste  Ehre  zu  erweisen,  und  ihn  bis  auf  das  letzte  Krümchen 
zu  verzehren.  Arämi  und  Birsa  hielten  Wache  bei  uns  — Kolokömi 
und  Gordoi  hatten  sich  zu  ihren  respectiven  Frauen  zurückgezogen  — , 
und  so  verbrachten  wir  die  erste  Nacht  in  Bardai',  voll  Dankbarkeit, 
aus  der  unmittelbarsten  Lebensgefahr  errettet  zu  sein,  doch  nicht 
ohne  Furcht  vor  dem  folgenden  Tage. 

Wüste  Träume  quälten  mich  im  Schlafe,  sobald  der  ersten 
Müdigkeit  Genüge  geschehen  war,  und  mehr  als  einmal  schreckte  ich 
jäh  empor,  wenn  eine  schwierige  Situation,  ein  blutdürstiger  Feind 
mir  Vernichtung  zu  drohen  schien.  Die  friedliche  Stille  der  Nacht, 
die  mich  umgab,  schien  dann  alle  Schreckbilder  Lügen  zu  strafen, 
bis  ein  Blick  auf  die  fremdartige  Umgebung  mir  die  Erinnerung  an 
den  fast  verhängnissvollcn  Abend  zurückbrachte  und  mir  sagte,  dass 
noch  manches  Schwere  meiner  warte.  Mit  Tagesanbruch  schlugen 
wir  das  Zelt  auf,  um  uns  beide  Christen  einigermassen  den  Blicken 
der  aufgeregten  Menge  zu  entziehen,  und  warteten  der  Dinge,  die 
da  kommen  sollten.  Mit  Sonnenaufgang  erschienen  die  F'reunde 
Arämi's  und  diejenigen  Tubu  Reschäde,  die  für  mich  Partei  zu 
nehmen  gesonnen  waren,  und  wenn  sie  auch,  ernüchtert,  nicht  mehr 


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ERSTER  TAG  IN  BARDAI. 


319 


so  tnasslose,  blutdürstige  Freundschaftsversicherungen  ihrem  Munde 
entströmen  Hessen,  als  am  vorhergehenden  Abende,  so  waren  sie 
doch  immer  noch  lebhaft  genug  in  ihren  Bethcuerungen.  Ach, 
sie  kannten  das  Yracuum  in  den  beiden  voluminösen  Kisten,  deren 
ungewohnter  Anblick  ihnen  reiche  Schätze  zu  verheissen  schien, 
noch  nicht! 

Die  Angesehensten  der  Versammlung  waren  augenscheinlich 
Arätni  und  der  Onkel  Bü  Zei'd's  mütterlicherseits,  Akremi  Temidömi, 
derselbe,  dessen  Sohn  uns  bis  zum  E.  Gonöa  Tags  zuvor  Datteln 
entgegengebracht  hatte.  Er  war  ein  Mann  in  mittleren  Jahren,  unter 
Mittelgrösse,  wie  sein  Sohn  Mohammed,  von  massiger  Bronzefarbe, 
fast  bartlos,  mit  kleinem  Gesichte,  ziemlich  regelmässigen  Zügen, 
klugen  Augen,  donnernder  Stimme  und  selbstbewusster  Haltung. 
Die  Uebrigen  waren,  so  weit  der  unentbehrliche  Litham  mir  zu  sehen 
erlaubte,  von  verschiedenen  Hautfarbenüancen,  vom  seltenen  Schwarz 
bis  zu  massiger  Bronzefarbung  und  meist  mit  leidlich  regelmässigen 
Zügen  ausgestattet.  Es  waren  wohlgebildete,  doch  magere  Gestalten, 
in  der  Mehrzahl  von  bescheidener  Mittelgrösse,  an  denen  die  schön- 
geformten und  zierlichen  Hände  und  Küsse  die  Bewunderung  des 
Beobachters  erregten. 

Lanze,  Speere  und  Wurfeisen  aufrecht  in  der  Hand  haltend  und 
auf  den  Boden  stemmend,  hockten  sie  vor  meinem  Zelte,  lebhaft 
schwatzend  und  von  Zeit  zu  Zeit  mit  hörbarem  Zischen  den  grünen 
mit  Tabakssaft  vermischten  Speichel  vor  sich  auf  den  Boden  schleu- 
dernd, um  eine  Vorberathung  über  ihre  Haltung  dem  Stabsober- 
haupt und  den  Leuten  — Näs  — von  Bardai  gegenüber,  sowie  über 
das  Schicksal  der  Christen  abzuhalten.  Alle  sprachen  willkürlich 
durcheinander  mit  einem  Redeflüsse,  der  eitel  Geschwätz  war  und 
der  Gestaltung  meiner  Zukunft  wenig  dienen  konnte.  Einige  Wenige 
näherten  sich  mir,  und  zwar  solche,  die  Fezzan  bewohnt  hatten,  mehr 
oder  weniger  arabisch  sprachen  und  also  einen  gewissen  Anspruch 
auf  Bildung  erhoben.  Unter  diesen  befand  sich  einer  der  beiden 
Fuqähä  (Flur,  von  Fakih,  der  Gelehrte),  deren  sich  Tibesti  erfreute, 
und  welche  beide  in  Bardai  w'ohnten,  ein  junger  Mann  von  dunkler 
Hautfärbung  und  regelmässigen,  zarten,  fast  weiblichen  Zügen. 

Yron  den  Leuten  BardaTs,  also  von  der  mir  feindlichen  Partei, 
war  Niemand  erschienen.  Diejenigen,  welche  Verbindungen  mit 
ihnen  unterhielten,  brachten  aber  die  Nachricht,  dass  sie  entsprechend 


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II.  BICH,  4.  KAPITEL.  REISE  NACH  BARDAI. 


320 

ihrem  feindseligen  Gebaliren  des  vorhergehenden  Abends  ihr  Recht 
aufrecht  hielten,  keinen  gemeinschädlichen  Fremden  in  ihrem  Thale 
zu  dulden.  Sie  behaupteten,  dass  sie  keineswegs  Tafertemi  zuge- 
stimmt hätten,  mich  zum  Besuche  Bardafs  einzuladen,  und  verlangten, 
dass  ich,  wenn  ich  hinlängliches  Eigenthum  bei  mir  führte,  ausgc- 
plündcrt  und  meinem  Schicksale  überlassen,  wenn  ich  aber  Nichts 
mehr  für  sie  hätte,  zu  meiner  Bestrafung,  zur  Abschreckung  für 
Fremde  und  zu  ihrer  eigenen,  religiösen  Erbauung  umgebracht 
werden  solle. 

Der  aristokratische  Ursprung  der  Wortführer  meiner  Partei 
brachte  den  natürlichen  Antagonismus  zwischen  den  eigentlichen 
Tubu  Reschäde  und  den  Leuten  von  Bardai  mit  ihrer  friedlichen 
und  unrühmlichen  Erdarbeit  und  ihrer  vulgären  Herkunft  zum  ver- 
schärften Ausdrucke,  und  sie  Hessen  den  letzteren  die  höhnische 
Aufforderung  zugehen,  doch  mit  den  Waffen  in  der  Hand  zu  kommen 
und  mich  mit  Gewalt  zu  nehmen.  So  wenig  Ernst  es  ihnen  nun 
auch  mit  diesen  Worten  sein  mochte,  denn  ich  glaube  nicht,  dass 
sie  jemals  um  ein  so  unlauteres  Object,  als  ein  Christ  in  ihren  Augen 
war,  einen  Speerwurf  mit  ihren  Brüdern  ausgetauscht  haben  würden, 
so  entsprach  doch  Niemand  dieser  Aufforderung,  sondern  man  be- 
gnügte sich,  durch  Bearbeitung  des  Häuptlings  auf  minder  gewalt- 
samem Wege  zum  Ziele  zu  gelangen. 

Dieser  hing,  wie  ich  bald  begriff,  besonders  augenblicklich  im 
Beginne  der  Dattelernte,  sehr  vom  guten  Willen  der  Leute  von 
Bardai  ab.  Er  war  arm  und  erwartete  vom  Wohlwollen  jener,  nicht 
nur  während  seines  Aufenthaltes  in  ihrem  Thale  ernährt  zu  werden, 
sondern  noch  eine  Winterprovision  zu  empfangen.  Seine  Armuth 
bei  der  hohen  Würde,  die  er  bekleidete,  liess  ihn  versuchen,  die 
seltene  Gelegenheit  ausserordentlichen  Gewinnes  mit  grösster  Rück- 
sichtslosigkeit und  raffinirter  Habsucht  auszubeuten.  Nur  diese  Ab- 
sicht hatte  ihn  bestimmt,  mich  trotz  des  Widerspruches  der  Herren 
des  Thaies,  die  kein  Interesse  hatten  mich  bei  sich  zu  sehen,  da  sie 
wohl  wussten,  dass  ihrem  Plebejerthume  Nichts  von  der  Beute  meiner 
Habe  zufallen  würde,  lügnerischer  Weise  einzuladen;  jene  hatten  in 
der  That  nie  ihre  Zustimmung  gegeben.  Um  aber  mein  Kommen 
zu  sichern,  ja  gewissermassen  zu  erzwingen,  hatte  er  Bü  Zei'd  halb 
gewaltsam  zurückgehalten  und  seinen  Freund  Gordoi  geschickt.  Jener 
hatte  sich  in  diese  vcrrätherische  Rolle  gefügt,  und  so  kam  cs,  dass 


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VERHALTEN  TAFERTKMl’s. 


321 


im  entscheidenden  Momente  meiner  Ankunft  beide,  Dardai  und 
Muräbid,  sich  der  Einmischung  in  die  Ereignisse  enthielten.  Tafer- 
tömi  war  ein  alter  Mann,  und  die  Regierung  von  Fczzan  würde  ihn 
sicherlich  nicht  meiner  Ermordung  wegen  in  seinen  heimathlichcn 
Bergen  beunruhigt  haben.  Doch  für  Bö  Zeit!  würde  mein  gewalt- 
sames Ende  ein  bedenkliches  Ereigniss  gewesen  sein,  und  hätte  sich 
dasselbe  gar  in  seiner  Gegenwart  vollzogen,  so  hätte  er  sich  nicht 
wieder  vor  seinem  speciellen  Chef,  dem  Hadsch  Dschäber,  und  dein 
Hadsch  Brähim  Ben  Alüa  sehen  lassen  dürfen. 

Das  erste  Erforderniss  war,  über  Haltung  und  Meinung  Tafertemi's 
klar  zu  werden.  Er  sei,  berichtete  man,  in  der  Nacht  zurückgekehrt 
ich  glaube,  er  war  stets  in  seiner  Behausung  gewesen  und 
erwarte  die  Gesellschaft  der  Mainas,  um  über  den  nie  dagewesenen 
Fall  eines  Christenbesuches  und  die  zu  nehmenden  Maassregeln  Rath 
zu  pflegen.  Als  sich  die  ganze  Gesellschaft  zu  ihm  verfügt  hatte, 
klagte  er  über  heftiges  Unwohlsein  und  bat  sie,  am  Abende  wieder 
zu  kommen,  konnte  sich  aber  nicht  versagen,  den  Gefühlen  der 
Kränkung,  die  er  durch  Aränti  in  seiner  fürstlichen  Würde  erfahren 
habe,  indem  derselbe  mich  ihm  entzogen  und  selbst  mit  Beschlag 
belegt  habe,  einen  bitteren  Ausdruck  zu  verleihen.  Die  Erklärung 
Arämi's,  dass  er  mich  unmöglich  in  seines  königlichen  Vetters  Ab- 
wesenheit der  Wuth  einer  mehr  oder  weniger  trunkenen  Volksmenge 
habe  aussetzen  können,  befriedigte  ihn  keineswegs,  sondern  kränkte 
ihn  noch  mehr,  indem  sie  anzudeuten  schien,  dass  sein  Ansehen  nicht 
hinreiche,  Gästen  durch  ihre  Aufnahme  in  seine  Wohnung  und  durch 
die  Gegenwart  seiner  Frau  hinlängliche  Sicherheit  zu  gewähren.  Beide 
schieden  in  Unfrieden,  und  auch  am  Abend  konnten  die  Verhand- 
lungen nicht  wieder  aufgenommen  werden,  da  das  Unwohlsein  des 
hochbetagten  Dardai  sich  noch  verschlimmert  hatte. 

Als  Arämi  nach  Hause  kam  und  mir  über  die  vergeblichen  Be- 
mühungen, seinen  hohen  Verwandten  zu  versöhnen,  berichtete,  stellte 
er  mir  anheim,  ob  ich  weiter  in  seinem  Schutze  verbleiben,  oder  zu 
jenem  übersiedeln  wolle.  Der  letztere  Gedanke  liess  mich  schaudern; 
weder  das,  was  ich  über  die  Häuptlingswürde  in  Tibesti  und  die 
damit  verbundene  geringe  Macht  im  Allgemeinen,  noch  das,  was  ich 
über  die  Persönlichkeit  Tafertemi's  im  Besonderen  erfahren  hatte, 
liess  mir  den  Gedanken  auch  nur  erträglich  erscheinen. 

Seine  Armuth  gab  ihn  ganz  in  die  Hände  der  Leute  von  Rardai 
Nachii^al,  I.  '21 


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II.  BUCH,  4.  KAPITEL.  REISE  NACH  BARDA'f. 


;>QO 

und  liess  ihn  eifrig  nach  jeder  Gelegenheit  zur  Bereicherung  streben. 
Seine  geistige  Befähigung  hatte  ihn  nie  zu  einem  gesuchten  Rath- 
geber und  zu  einem  geschätzten  Schiedsrichter  gemacht;  durch 
kriegerischen  Sinn  hatte  er  sich  ebenfalls  nie  ausgezeichnet,  und, 
obgleich  er  jetzt  häufig  den  kindischen  Eigensinn  des  Alters 
zeigte,  so  war  er  doch  im  Grunde  von  bedauerlicher  Schwäche  des 
Charakters. 

Gegen  mich  nahm  er  einstweilen  Partei,  nicht  sowohl  wegen  der 
Verletzung  seiner  Häuptlingswürde  durch  Arämi,  die  er  nur  zum  Vor- 
wände nahm,  sondern  weil  er  seine  materiellen  Interessen  geschädigt 
glaubte.  Er  war  überzeugt,  dass  ich,  abgesehen  von  den  Abgaben, 
welche  die  Edelleute  des  E.  Zuär  von  mir  erzwungen  hatten,  jenseits 
der  Berge  von  Arämi,  Gordoi,  Kolokfimi,  Bü  Zei'd  und  Anderen  gründ- 
lich ausgeplündert  sei.  Die  mir  feindliche  Partei  nährte  diesen  Arg- 
wohn aufs  Eifrigste,  während  Arämi  und  die  Uebrigen  ebenso 
entschieden  leugneten,  ausser  den  officiellen  Geschenken  und  den  in 
Fezzän  stipulirten  Honoraren  das  Geringste  erhalten  zu  haben.  Mir 
selbst  hatte  mein  Hauptbeschützer  zu  verstehen  gegeben,  dass  die 
geringste  Indiscretion  meinerseits  über  diesen  Punkt  ein  Aufhören 
seines  Schutzes  zur  Folge  haben  werde  Noch  hatte  übrigens  Tafer- 
tfimi  die  Hoffnung  nicht  aufgegeben,  Schätze  aus  mir  herauszupressen, 
und  wenn  er  eine  feindselige  Stellung  mir  gegenüber  einnahm,  so  stimmte 
nicht  etwa  mit  den  Leuten  von  Bardai  für  meinen  gewaltsamen  Tod, 
sondern  er  weigerte  sich  nur,  sein  Gewicht  für  mich  in  die  Wag- 
schale zu  legen,  um  mich  auf  diese  Weise  zur  Herausgabe  dessen, 
was  ich  nach  seiner  Ansicht  besitzen  musste,  zu  zwingen.  Als  er 
am  zweiten  Tage  nach  unserer  Ankunft  etwas  wohler  geworden  war, 
erklärte  er  einfach,  dass  er  sich  meiner  Person,  nachdem  Arämi  und 
Genossen  mich  ausgeplündert  hätten,  und  nachdem  ich  seinem  Schutze 
und  seiner  Leitung,  denen  ich  durch  die  Briefe  der  Fezzäner  Regie- 
rung und  des  Hadsch  Dschäber  anvertraut  sei,  entsagt  habe,  nicht 
mehr  annehmen  könne;  wir  könnten  allein  sehen,  wie  wir  mit  den 
Leuten  von  Bardai  fertig  würden.  Meine  von  Arämi  angebotene 
Auslieferung  wies  er,  da  ich  bereits  ausgebeutet  sei,  zurück;  dieselbe 
würde  ihm  auch  zu  meiner  Ernährung  Opfer  auferlegt  haben,  die 
über  seine  Kräfte  gingen;  für  mich  aber  wäre  sie  einem  langsamen 
Hungertode  gleichgekommen.  Genug,  es  konnte  keine  Einigung  mit 
ihm  erzielt  werden,  und  wenn  er  sich  auch  scheinbar  mit  Arämi  per- 


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ÖFFENTLICHE  BERATHUNGEN  ÜBER  MEIN  SCHICKSAL.  323 

sönlich  aussöhnte,  so  behielt  er  doch  seinen  Groll  gegen  ihn  wie 
gegen  mich. 

In  der  Erwartung  einer  Einigung  hielten  die  eigentlichen  Tubu 
Reschäde  tägliche  Berathungen  vor  meinem  Zelte,  oder  vielmehr  vor 
dem  Hause  Arämi's.  Das  ganze  ungewöhnliche  Ereigniss  gab  ihnen 
die  Gelegenheit  zu  einer  gewissen  Aufregung  und  Geschäftigkeit 
und  war  ihnen  gewiss  eine  angenehme  Unterbrechung  ihres  ein- 
förmigen, arbeitlosen  und  pflichtenarmen  Daseins.  Man  versammelte 
sich  mit  Sonnenaufgang,  und  erst,  wenn  die  Sonnenstrahlen  ihnen 
unerträglich  auf  die  Köpfe  brannten,  wurde  die  Morgenberathung  ge- 
schlossen. Nach  dem  Asser  (etwa  4 Uhr  Nachmittags)  begann  der 
zweite  Medschelis  (Rathsversammlung),  und  oft  kehrten  die  dem 
Wortkampfe  ergebenen  Mitglieder  erst  am  späten  Abend  heim. 

Wenn  es  auch  nicht  angenehm  war,  die  verhängnissvollcn  Even- 
tualitäten, von  denen  ich  bedroht  war,  entwickeln  und  discutiren  zu 
hören  — Bui  Mohammed  war  mein  getreuer  Dolmetscher  und  wurde 
nicht  selten  in  die  Discussion  hineingezogen  und  also  mein  Ver- 
theidiger  — , so  gehörten  doch  anfangs  die  Theilnehmer  an  diesen 
Berathungen  sämmtlich  der  mir  günstig  gestimmten  Partei  an.  Ent- 
weder hatte  ich  ihnen  gegeben,  oder  sie  hofften  durch  ihre  freund- 
lichen Gesinnungen  oder  durch  ihre  nahen  Beziehungen  zu  Arämi 
oder  Bü  Zeid  noch  Etwas  zu  erhalten;  denn  die  Ueberzeugung,  dass 
ich  wirklich  so  wenig  besässe,  als  ich  behauptete,  wollte  keinen  Ein- 
gang bei  ihnen  finden.  Anfangs  handelte  es  sich  weniger  um  meine 
Person  und  die  Bestimmung  über  dieselbe,  als  um  die  Regulirung 
ihres  Verhältnisses  zum  Sultan  und  zu  den  Leuten  von  BardaY.  Als 
sich  die  Gemüther  einigermassen  beruhigt  hatten,  wurden  auch  wohl 
die  edleren  Vertreter  der  letzteren  mit  zur  Berathung  gezogen;  doch 
eine  Einigung  konnte  nicht  erzielt  werden,  da  die  Grundbedingung 
für  dieselbe  meinerseits,  Geld  oder  Geldeswerth,  fehlte. 

Die  Verhandlungen  hatten  durchaus  keinen  gemüthlichen  Cha- 
rakter. Mit  ernster  Miene  und  Stimme  begrüssten  sie  sich  beim 
Beginne,  welche  Ceremonie  hier  unter  Leuten,  die  sich  alle  Tage 
sahen,  eine  viel  kürzere  war,  als  ich  sic  auf  der  Reise  zu  be- 
schreiben Gelegenheit  hatte.  Man  reichte  sich  einfach  die  Hand, 
fragte  nach  dem  Befinden  durch  „Killahäni",  bot  sich  die  Tages 
zeit  mit  „Dogßsoläha"  (Frage,  die  man  während  der  ersten  Hälfte 
des  Tages  an  den  Begegnenden  richtet)  oder  mit  „Entoguddeni" 

•_'l* 


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324 


!.  BUCH,  4.  KAPITEL.  RF.ISE  NACH  BAROAl. 


(Gruss,  der  dem  Nachmittage  zukommt)  und  erhielt  unveränderlich 
auf  diese  Fragen  die  Antwort  „Killaha"  oder  „Laha"  ohne  dass  die 
endlose  Tonleiter  von  „Ihilla”  den  Act  verlängerte.  Dann  hockte 
Alles  ordnungslos  nieder,  Niemand  leitete  die  Debatte,  und  Jeder 
suchte  seiner  Ansicht  mit  einem  merkwürdigen  Aufwande  von  Schlau- 
heit und  einer  bewunderungswürdigen  Redegewandtheit  Ausdruck 
und  Geltung  zu  verschaffen.  Oft  entstand  ein  wirres  Durcheinander, 
aus  dem  nur  Eingeweihte  die  Einzelheiten  auffassen  konnten,  und 
das  sich  natürlich  nicht  verdolmetschen  Hess,  bis  dann  ein  durch 
aristokratische  Geburt  und  persönliches  Ansehen  Berechtigter  die 
Discussion  für  kurze  Zeit  beherrschte.  Sorgfältig  entfernte  er  dann 
den  Tabaksbrei,  den  er  in  der  einen  Backentaschc  oder  unter  der 
Zunge  hielt,  indem  er  ihn  auf  seinem  sauberen  Wurfeisen  oder  auf 
einem  platten  Steine  zu  weiterer  Benutzung  auf  bewahrte,  und  ent- 
wickelte nach  der  Eingangsformel  „Mäzin”  (d.  h.  hört!)  einen  Rede- 
fluss, der  ihn  zum  geborenen  Advokaten  stempelte.  Dabei  blieben 
Züge  und  Haltung  unbewegt;  kein  wechselnder  Ausdruck,  keine 
Gesten  entsprachen  dem  wechselvollen  Inhalte  der  Rede  und  suchten 
ihm  Nachdruck  zu  geben.  Das  Auge,  diesen  „Spiegel  der  Seele', 
bohrte  er  dabei  entweder  vor  sich  in  den  Sand,  in  dem  er  mit  den 
Fingern  die  verschlungenstcn  Zeichnungen  zu  machen  ausschliesslich 
beschäftigt  schien,  oder  auf  die  Steinchen  vor  ihm,  die  er  zu  kunst- 
vollen Figuren  ordnete,  oder  er  liess  den  Blick  ziellos  in  die  F'erne 
schweifen,  ohne  äusserlich  auch  nur  eine  Spur  zu  verrathen  von  dem, 
was  in  ihm  vorging. 

Oft  trat  die  meine  Person  betreffende  Angelegenheit  in  den 
Hintergrund  gegenüber  Vorkommnissen  innerhalb  ihres  eigenen  Ge- 
meinwesens, die  ein  zwingenderes  Interesse  hatten.  Auch  aus  diesen 
schöpften  sie  reiche  Gelegenheit,  ihre  sophistische  Casuistik  und 
ihren  dialektischen  Scharfsinn  zu  üben  und  zu  zeigen.  Sobald  cs 
sich  um  ihre  nächsten  Interessen  handelte,  ergingen  sie  sich  in  ihren 
Discussioncn  nicht  allein  in  Spitzfindigkeiten  und  Nebenfragen,  um 
die  Hauptsache  in  den  Hintergrund  zu  drängen,  sondern  basirten 
ihre  Argumentation  auf  bewusste  Trugschlüsse,  auf  ein  eigensinnig 
und  gewaltsam  verdrehtes  Rechtsbewusstsein.  Jeder  hielt  mit  äusserster 
Zähigkeit  an  seinen  Scheingründen  und  eigenwillig  verdrehten  Auf- 
fassungen fest;  Niemand  schien  eine  andere  Norm  für  seine  Meinung 
zu  haben  als  den  Egoismus,  oder  eine  andere  Richtschnur  für  seine 


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REDKOEWANDTHEIT  UNI)  SOI'HISTIK.  UEk  TU  HU.  325 

Handlungsweise  als  die  Habsucht;  Niemand  schien  Billigkeit  zu 
kennen,  sondern  höchstens  starres  Recht,  das  seine  Selbstsucht  ihm 
verschroben  darstellte;  Gutmüthigkeit  schien  nicht  zu  existiren,  nur 
Eigensinn  und  Rachsucht.  Diesen  Gefühlen  ordneten  sie  augen- 
scheinlich jedes  Raisonnement  unter;  ihnen  zu  Liebe  fälschten  sie 
vor  sich  selbst  die  eigene  Ueberzeugung,  verschlossen  sich  hartnäckig 
jeder  fremden  Ansicht  In  Fragen,  welche  ihre  eigenen  Angelegen- 
heiten nicht  direct  berührten,  waren  sie  verständig  und  urtheilsfähig; 
sobald  diese  aber  in  Betracht  kamen,  war  es  mit  ihrem  guten  Willen 
und  ihrem  klaren  Urtheil  vorbei. 

Wenn  es  schon  trostlos  war,  sie  in  der  Discussion  über  ihre 
eigenen  Angelegenheiten  zu  beobachten,  so  war  es  geradezu  zum 
Verzweifeln,  selbst  darin  verwickelt  zu  sein  und  von  dem  Ergebnisse 
derselben  abzuhängen.  Ist  der  Umgang  mit  Arabern  ihrer  Doppel- 
züngigkeit, ihres  Mangels  an  Aufrichtigkeit  wegen  oft  unerfreulich,  so 
war  der  Verkehr  mit  den  Tubu  Reschade  geradezu  unheimlich;  bei 
jenen  bricht  wenigstens  immer  ein  gewisses  Anstandsgefuhl,  oft  eine 
hohe  Generosität  durch,  bei  diesen  fand  ich  stets  das  Gegentheil. 

Im  Beginne  der  Versammlung  hocken  Alle  zusammen,  wenn 
auch  ohne  Ordnung,  so  doch  nahe  bei  einander.  Bald  jedoch,  sobald 
hin  und  wieder,  für  und  gegen  Etwas  gesprochen  worden  ist,  lockt 
Jemand,  der  eines  gewissen  Ansehens  geniesst,  einen  oder  den  andern 
unbedeutenderen  Gegner  bei  Seite  und  sucht  ihn  zu  seiner  Ansicht 
hinüber  zu  ziehen  und  seine  Hauptgegner  zu  isoliren.  Ein  Anderer 
thut  dasselbe,  und  bald  sieht  man  die  ganze  Versammlung  in  Gruppen 
aufgelöst,  von  denen  nach  und  nach  diese  und  jene  wieder  zum 
Centrum  zurückkehren.  Die  einfachsten  Gegenstände  behandeln  sic 
in  dieser  Weise;  sic  schleichen  zu  Zweien  oder  Dreien  bei  Seite  und 
flüstern  stundenlang,  so  dass  der  Uneingeweihte  glauben  muss,  es 
handle  sich  um  etwas  Grosses,  Geheimnissvolles,  das  man  sich  aus- 
zusprechen scheue.  Wie  oft  ward  ich  in  neue  Bestürzung  versetzt, 
wenn  ich  den  alten  Qatrüner  wieder  und  wieder  von  Freund  und 
Feind  zu  diesen  intimen  Beratluingen  bei  Seite  geschleppt  sah, 
und  wie  oft  handelte  cs  sich  dann  glücklicherweise  nur  um  ein  Paar 
Nähnadeln,  um  ein  Stück  Schäsch  zum  Turban  oder  ähnliche  unbe- 
deutende Gegenstände!  So  dehnten  sic  auch  mit  Vorliebe  ihre  Ver- 
handlungen auf  die  Nacht  aus,  die  ihrem  heimlichen  Wesen  besonders 
zusagt.  Wenn  mich  die  bittere  Sorge  und  die  Kühle  der  Nacht 


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II.  BUCH,  4.  KAPI1KJ,.  KKISK  NACH  BAKUAl. 


326 

schlaflos  zum  Zelte  hinaustrieb,  sah  ich  noch  bis  tief  in  die  Nacht 
hinein  ihre  leichten  Gestalten  hin  und  her  huschen,  um  in  irgend 
einer  Angelegenheit  Bundesgenossen  zu  suchen,  Coalitionen  zu  bilden, 
Vergleiche  zu  Stande  zu  bringen. 

Wenn  die  Freunde  und  Verwandten  meiner  Begleiter  scheinbar 
uneigennützig  meine  Partei  ergriffen  hatten,  so  traten  allmählich  die 
Speculationen,  welche  sie  auf  ihrer  Haltung  basirt  hatten,  mehr  zu 
Tage.  Dieser  und  jener  kam,  um  grosse  und  kleine  Ansprüche 
geltend  zu  machen,  der  Angesehene  durch  Arämi  oder  Gordoi,  der  Ple- 
bejer durch  Bui  Mohammed,  der  scheinbar  Berechtigte  durch  Bü  Zeid. 
Durch  die  werthlosercn  Gegenstände,  die  mir  noch  zu  Gebote  standen, 
suchte  ich  den  Ansprüchen  einigermassen  gerecht  zu  werden,  doch 
das  beruhigte  nur  für  Augenblicke  und  veranlasste  im  Gcgentheil 
neue  Anforderungen.  Lange  konnten  sie  sich  nicht  mehr  darüber 
täuschen,  dass  der  Stand  meines  Vermögens  in  der  That  meinen 
Aussagen  vollständig  entspreche,  und  ihre  Enttäuschung  musste  ihren 
Abfall  von  meiner  Person  nach  sich  ziehen. 

Es  war  in  der  That  merkwürdig,  diese  zerlumpten,  mit  äusserster 
Armuth  und  beständigem  Hunger  kämpfenden  Tubu  die  unver- 
schämtesten Ansprüche  in  scheinbarem  oder  wirklichem  Glauben 
an  ihr  Recht  erheben  zu  sehen.  Ich  hatte  dem  DardaY  einen  rothen 
Tuchburnus,  eine  sudanische  Indigotobe,  zwei  tunisische  Tarbüsch's 
mit  Turban  und  eine  Füta  zum  Geschenke  gemacht,  und  er  benahm 
sich,  als  ob  er  Nichts  empfangen  hätte.  Sämmtliche  Grossen  des 
Landes  hatten  rothe  Tuchburnussc  und  verschiedene  Kleinigkeiten 
erhalten,  und  während  sie  aus  eigenen  Mitteln  kaum  im  Stande 
waren,  sich  ein  einfaches  Baumwollenhemd  zu  schaffen,  aber  jeden 
Burnus  gegen  ein  Kameel  austauschcn  konnten,  sprachen  und  han- 
delten sic  grade,  als  wenn  sie  die  unscheinbarsten  Dinge  empfangen 
hätten,  und  Manche  gaben  nicht  undeutlich  zu  verstehen,  dass  ihre 
aristokratische  Würde  eigentlich  durch  meine  bescheidenen  Geschenke 
geschädigt  worden  sei  und  also  einer  materiellen  Reparatur  bedürfe. 
Die  Wohlwollendsten  von  denen,  die  empfangen  hatten,  bewunderten 
meinen  naiven  Muth  und  meine  Unverständigkeit,  mit  so  geringen 
Mitteln  unter  ihnen  zu  erscheinen.  Jeder  glaubte  sich  dem  Anderen 
gleich  oder  überlegen,  Viele  aus  besserem  Blute,  als  das  Staatsober- 
haupt. Es  war  erstaunlich,  wie  viele  Verwandte  und  Abkömmlinge 
der  privilegirten  Aristokraten  im  Verhältnisse  zu  dein  spärlich  ver- 


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AI.I.MAHMCHKK  \UFAl.l.  MEINER  ERKUNDE. 


327 


tretenen  gemeinen  Volke  existirten.  So  glaubte  Jeder  die  Ansprüche 
des.Grössten  erheben  zu  dürfen,  und  die  Grössten  wiederum  glaubten 
mehr  verlangen  zu  müssen,  als  alle  Andern. 

Schon  wurde  Mancher  bei  dem  geringen  Erfolge  seiner  Spe- 
culation  mir  gegenüber  schwierig;  das  Murren. wurde  auch  in  den 
Reihen  meiner  Partei  laut  und  lauter.  Dass  ich  ein  unberechtigter 
Eindringling  in  ihr  Land  sei,  hatten  auch  die  Wohlwollendsten  nicht 
geleugnet;  mit  der  Zeit  ward  ich  allmählich  als  öffentlicher  Feind  an- 
gesehen. Diese  allgemeine  Stimmung  richtete  sich  zunächst  gegen 
Kolokömi,  ohne  den  ich  das  Land  nicht  betreten  haben  würde. 
Sein  Helfershelfer  Bü  Zei'd  stand  Tibesti  ferner  und  hatte  nicht  die 
gleichen  Verpflichtungen;  doch  dass  jener,  ein  durch  Geburt  und 
Persönlichkeit  unbedeutender  Maina,  es  gewagt  hatte,  mich  ins  Land 
zu  fuhren,  und  zwar  in  einem  Zustande,  welcher  der  allgemeinen 
Habsucht  so  wenig  Nahrung  bot,  nachdem  er  selbst  das  Fett  abge- 
schöpft hatte,  das  konnten  ihm  w'eder  Fürst  noch  Volk  verzeihen. 
Die  öffentliche  Stimmung  wurde  so  drohend,  dass  er  flüchtig  wurde. 
Wenn  auch  sein  geringes  Ansehen  ihn  zu  keinem  sehr  nützlichen 
Beistände  seinen  Landsleuten  gegenüber  für  mich  machte,  so  war  er 
mir  doch  als  Wegweiser  und  Besitzer  der  schönen  Kameclstute,  die 
er  von  meinem  Gelde  gekauft  hatte,  äusserst  wichtig  und  zu  meiner 
Abreise  geradezu  unentbehrlich.  Seine  Flucht  war  daher  ein  harter 
Schlag  für  mich,  der  wenigstens  hätte  versüsst  werden  können,  wenn 
er  seinen  alten  Bruder  mitgenommen  hätte,  dessen  Forderung  der 
versprochenen  Indigotobe  ich  nicht  gerecht  w'erden  konnte,  da  Bü 
Zei'd  die  letzte  in  „meinem  Interesse"  verausgabt  hatte,  ehe  ich 
Bardai  erreichte. 

Dabei  schien  sich  das  Unwohlsein  des  greisen  Staatsoberhaupts 
zu  verschlimmern,  und  man  fürchtete  eine  Zeitlang  sogar  für  sein 
Leben,  das  allerdings  die  gewöhnliche  menschliche  Grenze  längst 
überschritten  hatte.  Die  Krankheit  verhinderte  ihn  zwar  anfangs 
nicht,  Tag  und  Nacht  darüber  nachzugrubeln,  wie  er  mir  die  ver- 
heimlichten Schätze  entreissen  könne;  doch  als  weder  der  ihm  per- 
sönlich nahestehende  GordoY  Etwas  aus  mir  herauszupressen  vermocht 
hatte,  noch  eine  heimliche  Sendung  Bü  Zeid's  um  ein  Geschenk  von 
sieben  Maria-Theresia-Thalern  erfolgreich  gewesen  war,  hing  er  mehr 
und  mehr  seinem  körperlichen  Leiden  nach  und  schien  ganz  aufzu- 
hören, sich  um  meine  Angelegenheit  zu  bekümmern.  Ich  hörte 


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328  II.  BUCH,  4.  KAPITEL.  KE1SE  NACH  ISAKUAÜ. 

zwar  nie  auf,  Arämi  und  meine  nächsten  Freunde  aufzustacheln  und 
die  Erlaubniss  und  Sicherung  meiner  Abreise  zu  fordern,  doch 
ohne  Erfolg;  ich  musste  schon  wenigstens  den  Ausgang  der  Krank- 
heit ihres  Oberhauptes,  ohne  das  sie,  trotz  seines  geringen  Ansehens, 
nicht  handeln  wollten,  abwarten. 

Ein  verlängerter  Aufenthalt  würde  mir  leicht  und  eine  Quelle  der 
werthvollsten  Studien  und  Erfahrungen  geworden  sein,  wenn  es  mir  ver- 
gönnt gewesen  wäre,  herumzuschweifen  und  mit  den  Bewohnern  zu  ver- 
kehren, und  — wenn  ich  nicht  ausser  der  Langeweile  noch  so  viel  Hitze 
und  Hunger  hätte  ausstehen  müssen.  Ich  war  an  das  Zelt  gebannt,  das 
bei  einer  durchschnittlichen  höchsten  Tagestemperatur  von  40°  C.  zur 
wahren  Hölle  wurde,  da  es,  wie  schon  erwähnt,  aus  einer  einfachen  Lage 
Leinwand  bestand  und  die  Macht  der  Sonnenstrahlen  nicht  genug  abzu- 
schwächen vermochte,  und  unsere  Nahrung  beschränkte  sich  ausschliess- 
lich auf  Datteln,  die  uns  Aränii  Morgens  und  Abends  in  spärlicher  An- 
zahl verabreichte.  Von  Zeit  zu  Zeit  machte  ich  einige  schwache  Ver- 
suche, das  Wohlwollen  der  alternden  Schwester  Arämi’s  zu  erwerben 
und,  als  ich  bemerkte,  dass  sie  für  die  gewöhnlichen  Liebenswürdig- 
keiten nicht  zugänglich  war,  sei  es,  dass  ihr  gesetztes  Alter  über- 
haupt oder  die  Verachtung  des  Christen  speciell  sie  unempfindlich 
machte,  an  ihr  Mitleid  zu  appelliren,  um  einer  unbedeutenden  Quan- 
tität der  lang  entbehrten  Mehlspeise  theilhaftig  zu  werden:  doch 
Fätlma's  Herz  war  das  einer  Tubu  - Schönen , und  selbst  als  ich  die 
verständnissvollere  Saite  des  persönlichen  Interesses  in  ihrem  Busen 
anschlug  und  ihr  das  letzte  Halsband  echter,  wenn  auch  kleiner  Ko- 
rallen, das  mir  blieb,  überantwortete,  erhielt  ich  nur  barsch  die 
kummervolle  Antwort:  „Unser  Land  ist  kein  Land  des  Atsch". 

Da  lag  vor  mir  das  malerische  Thal  mit  seinen  anmuthigen 
Gruppen  von  Dattel-  und  Düm-Palmen,  die  sauberen  Hütten  der  Be- 
wohner nur  halb  verbergend,  mit  seinen  Gärten,  seinem  erfrischenden 
Grün  und  seinem  köstlichen  Schatten;  da  vollzog  sich  in  meiner  un- 
mittelbaren Nahe  das  Leben  seiner  Bewohner  in  Familie  und  Gemein- 
wesen, in  Sitten  und  Ideenkreisen,  die  ich  so  gerne  beobachtet  und 
betreten  hätte;  und  ich,  auf  den  nackten  Felsboden  gebannt,  der 
sengenden  Sonne,  dem  Hunger  und  dunkler  Besorgniss  anheim  ge- 
geben, konnte  mich  nur  in  stiller  Resignation  üben. 

Zwei  Mal  wagte  ich,  mich  auf  Momente  dieser  ertödtenden  und 
entmuthigenden  Gefangenschaft  zu  entziehen;  doch  beide  Versuche 


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HITZE,  HUNGER,  STEINIGUNG.  35f9 

lehrten  mich  in  sehr  eindringlicher  Weise,  dass  die  Aussenwelt  noch 
grössere  Unannehmlichkeiten  fiir  mich  berge  als  das  traurige  Zelt. 
Das  eine  Mal  wollte  ich  die  Zeit  der  grössten  Tageshitze,  in  welcher 
sich  die  Tubu  ruhiger  in  ihren  Wohnungen  hielten,  als  selbst  zur 
Nachtzeit,  benutzen,  um  einmal  zur  Siesta  des  verlockenden  Schattens 
zu  geniessen,  den  mir  eine  nur  wenige  hundert  Schritte  entfernte, 
reizende  Palmengruppe  winkte.  Auch  frisches  Wasser  sollte  dieser 
Platz  bergen,  und  so  schlich  ich,  mit  einer  Trinkschale  versehen,  zu 
dem  seltenen  Genüsse.  Mit  Wollust  streckte  ich  mich  in  den  reinlichen 
Sand  und  hielt  den  ersten  wirklich  erquickenden  Mittagsschlummer; 
leider  wurde  ich  in  sehr  unerfreulicher  Weise  aus  demselben  aufge- 
schreckt. Ein  junges  Mädchen  von  12  bis  14  Jahren  hatte  mich  er- 
späht, schnell  gleichaltrige  und  jüngere  Genossen  und  Genossinnen 
zusammengelockt  und  begann  mit  diesen  einen  so  energischen  An- 
griff mit  Steinwürfen  auf  mich,  dass  ich  an  schleunigen  Rückzug 
denken  musste.  Ein  kurzer  Versuch,  der  Anführerin  begreiflich  zu 
machen,  dass  ich  ihr  gegenüber  von  Nichts  weniger  als  feindseligen 
Gefühlen  beherrscht  sei,  erweckte  durchaus  keine  zarteren  Regungen 
in  ihrem  jugendlichen  Herzen,  sondern  wurde  mit  einem  Wurfe  be- 
lohnt, dessen  Folgen  ich  für  manche  Tage  spürte.  Die  Kinder 
schleuderten  mit  einer  solchen  Kraft  und  Geschicklichkeit  so  ansehn- 
liche Geschosse,  dass  ich  bei  grösserer  Entfernung  meines  Zufluchts- 
ortes ernstliche  Besorgnisse  hätte  hegen  müssen.  So  kam  ich  mit 
zahlreichen  Contusioncn  davon,  deren  Schmerzen  mich  während  der 
nächsten  Zeit  in  jedem  Augenblicke  daran  erinnerten,  wie  machtlos 
und  abhängig  ich  war. 

Das  andere  Mal  wollte  ich,  als  ich  fast  alle  männlichen  Ein- 
wohner bei  einem  gemeinsamen  Feste  und  die  übrigen  durch  die 
Mittagszeit  in  ihren  Hütten  zurückgehalten  glauben  konnte,  einen 
Brunnen  ganz  in  der  Nähe  unseres  Lagerplatzes  in  Bezug  auf  seine 
Tiefe  untersuchen.  Kaum  hatte  ich  ihn  erreicht,  so  war  auch  hier 
die  hoffnungsvolle  Jugend  wieder  da  und  griff  mich  unter  dem  lauten 
Kriegsgesehrei:  „auf  den  Heiden  1 auf  den  Heiden!'’  mit  den  oben 
erwähnten  Waffen  und  gleicher  Energie  an.  Zu  der  Gefahr  der 
Steinigung  kam  hier  noch  ein  laqbitrunkener  Mann  mit  seinem  Wurf- 
eisen, der,  angefeuert  durch  die  Kampfcswuth  der  Kinder  und  den 
genossenen  Alkohol  und  ermuthigt  durch  meinen  Rückzug,  den  ich 
so  würdevoll  als  möglich  auszuführen  bestrebt  war,  von  seiner  Waffe 


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330 


II.  HUCH,  3.  KAPITF.I,.  REISE  NACH  BARIM1. 


Gebrauch  machen  zu  müssen  glaubte.  Glücklicherweise  hatte  ihm 
der  Palmenwein  Auge  und  Hand  unsicher  gemacht,  so  dass  ich  mit 
einem  „Flachen"  davon  kam  und  ungeschädigt  meinen  Zufluchtsort, 
oder  vielmehr  mein  Gefängniss,  erreichte. 

Der  Sultan  blieb  länger  als  eine  Woche  krank.  In  den  Stunden 
leidlichen  Befindens  beschäftigte  er  sich  natürlich,  wie  alle  Welt,  mit 
meiner  Angelegenheit,  doch  leider  nur,  insoweit  er  noch  möglicher- 
weise Vortheil  aus  ihr  ziehen  konnte.  Da  ich  seinen  öffentlichen 
und  geheimen  Emissären  stets  der  Wahrheit  gemäss  alle  Schätze  ab- 
leugnete, so  ging  mit  der  Hoffnung,  Etwas  von  mir  erpressen  zu 
können,  auch  der  letzte  gute  Wille  verloren,  mich  auf  den  sicheren 
Rückweg  zu  bringen.  Arämi  seinerseits  wurde  es  allmählich  müde, 
fünf  Personen  zu  ernähren,  denn  wenn  wir  auch  nur  Datteln  erhielten, 
und  er  verhältnissmässig  gut  situirt  war  und  wohl  wusste,  warum  er 
mir  gab,  so  war  es  eben  doch  für  einen  Bewohner  Tibesti's  ein  un- 
geheures Opfer,  dies  wochenlang  fortzuführen.  Dazu  sassen  seine 
Frau  und  Kinder  zu  Gabön  ohne  hinlängliche  Vorräthe,  und  ein 
Regen  hatte  plötzlich  das  Flussbett  seines  Thaies  ih  einen  reissenden 
Strom  verwandelt  und  ihm  acht  Esel  fortgeschwemmt.  Er  hielt 
trotzdem  Stand  und  blieb  seinem  Versprechen,  uns  zu  schützen  und 
zu  ernähren,  treu,  arbeitete  aber  um  so  eifriger  daran,  mich  los  zu 
werden  und  zwar  in  friedlicher  Weise  und  unter  Mitwirkung  Tafertemi’s. 
Denn  wie  angesehen  er  auch  war  und  wie  selbstgefällig  er  auch  auf 
seine  Macht  pochte,  so  war  doch  deutlich  ersichtlich,  dass  er  nur  im 
äussersten  Nothfallc  und  höchst  ungern  sich  entschliessen  würde, 
ohne  Zustimmung  seines  fürstlichen  Cousin  zu  meinen  Gunsten  zu 
handeln.  Wiederholentlich  nannte  er  ihn  ein  greises  Kind,  unfähig, 
gehörig  zu  denken  und  zu  handeln,  und  brach  die  Verhandlungen 
mit  ihm  ab;  und  immer  wieder  knüpfte  er  an  und  suchte  zu  bereden, 
bat  und  drängte:  so  gross  blieb  auch  bei  den  zügellosen  Tubu 
noch  das  Prestige  des  Namens  Dardai  trotz  der  damit  verbundenen 
Machtlosigkeit.  Oft  glaubte  er  am  Ziele  zu  sein  und  den  greisen- 
haften Eigensinn  gebrochen  zu  haben,  doch  stets  rissen  die  Leute 
von  Bardai  und  diejenigen  der  Tubu  Reschäde,  die  leer  ausgegangen 
waren,  am  Morgen  wieder  nieder,  was  er  Tags  zuvor  mühsam  auf- 
gebaut hatte. 

Endlich  fast  14  Tage  nach  unserer  Ankunft  in  Bardai  kam 
Arämi  sehr  befriedigt  von  einer  Discussion  mit  Tafertämi  zurück  und 


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ZUSAMMENKUNFT  MIT  DEM  IMRDAl.  331 

meldete,  dass  er  glaube,  die  friedliche  Lösung  sei  nahe;  der  Dardai 
habe  versprochen,  den  ersten  Schritt  der  Annäherung  zu  thun  und 
mich  am  nächsten  Morgen  zu  besuchen.  Noch  zweifelte  ich  an 
dieser  lang  ersehnten  Wendung,  als  gegen  Abend  das  erste  Zeichen 
friedlicher  Kenntnissnahme  von  meiner  Person  Seitens  des  alten 
Häuptlings  eintraf:  ein  mächtiger  Dattelzweig,  der  die  Gastmahlzeit, 
welche  seine  Vermögensverhältnisse  ihm  nicht  gestatteten,  in  der  con- 
venablen  Form  des  üblichen  Mehlbreis  zu  liefern,  darstellen  sollte.  Am 
nächsten  Morgen  erhob  ich  mich  früher  als  gewöhnlich  von  meinem 
kummervollen  Lager,  um  bei  den  matinalen  Gewohnheiten  der  Tubu 
rechtzeitig  bei  der  Hand  zu  sein;  die  rathsberechtigten  Tubu  Reschäde 
und  Bardaier  versammelten  sich  vollzähliger  als  gewöhnlich,  und 
gegen  Sonnenaufgang  sah  man  das  greise  Staatsoberhaupt,  begleitet 
von  seinem  einzigen  Beamten,  dem  sogenannten  Dolmetscher,  heran 
kommen.  Man  musste  gestehen,  dass  die  äussere  Erscheinung  Tafer- 
tömi's  durchaus  nichts  Königliches  an  sich  hatte.  Ein  kleiner,  vom 
Alter  gekrümmter  Greis,  mager,  mit  hastigen  Bewegungen,  das  mit 
einem  bescheidenen  Barte  gezierte,  kleine,  verkniffene,  faltige,  massig 
dunkle  Antlitz  scheu  bald  hierhin,  bald  dorthin  wendend,  war  er  in 
eine  blaue  Tobe  aus  Bornü  gekleidet,  die  durch  Schmutz  und  defecte 
Stellen  ein  ansehnliches  Alter  verrieth,  trug  einen  abgeblassten,  faden- 
scheinigen Tarbüsch  mit  einem  schmierigen,  ursprünglich  weissen 
Turban,  dessen  Litham-Tour  lose  auf  die  Brust  herabhing,  und  unter- 
stützte seine  in  Sandalen  gekleideten  Küsse  durch  einen  dicken  Stab, 
der  ihn  selbst  an  Länge  übertraf,  und  den  er  in  der  Mitte  gefasst 
hielt.  Sein  Dolmetscher  war  ein  zerlumptes,  dunkelfarbiges,  noch 
weniger  Vertrauen  erweckendes  Individuum.  Ich  ging  ihm  mit  Bui 
Mohammed,  meinem  wirklichen  Dolmetscher,  zur  Bcgrüssung  ent- 
gegen, sprach  meine  Freude  aus,  ihn  endlich  von  Angesicht  zu  An- 
gesicht zu  sehen,  wonach  ich  mich  so  lange  gesehnt  habe,  und  meine 
Hoffnung,  dass  sich  nun  Alles  für  mich  zum  Besseren  wenden  werde. 
Seine  Krankheit,  von  der  ich  hoffe,  dass  er  vollständig  genesen  sei 
Gott  möge  seine  Tage  verlängern!  , habe  die  Schuld  getragen, 
dass  ich  in  seinem  Lande  mehr  gelitten  habe,  als  sich  mit  den 
Pflichten  der  Gastfreundschaft  vertrage.  Ich  sei  von  einer  der  seinigen 
befreundeten  Regierung  geschickt  an  ihn,  einen  mächtigen,  weisen 
und  gerechten  König,  der  durch  ein  Menschenalter  die  Geschicke 
seines  Landes  gelenkt  habe  und  darum  weit  und  breit  bekannt  sei, 


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332  II.  IIUCII»  4.  KAPII  EJ-  KEISK  NACH  BARI» Al. 

und  habe  doch  seit  meiner  Ankunft  nur  Gefahr,  Kränkung  aller  Art 
und  Hunger  erlitten.  Ich  hoffe,  dass  er,  der  die  Macht  habe,  mich 
jetzt  friedlich  auf  den  Weg  nach  Fczzän  bringen  werde,  denn  meinem 
ursprünglichen  Zwecke,  die  mächtigen  Berge  seines  Landes  und  alle 
Flussthälcr  zu  sehen,  habe  ich  entsagt,  seit  mir  klar  geworden  sei, 
dass  die  Einwohner  meinen  Besuch  nicht  mit  günstigen  Augen  an- 
sähen. Als  Bui  Mohammed,  der  dem  alten  Häuptling  persönlich  be- 
kannt war,  ihm  meine  wohlgesetzte  Rede  vortrug,  machte  diese 
augenscheinlich  nicht  den  geringsten  Eindruck  auf  das  verstockte 
Gcmuth  des  zielbewussten  alten  Herrn.  Ohne  auf  ihren  Inhalt  ein- 
zugehen, sagte  er  einfach  durch  den  Mund  seines  Dolmetschers,  der 
seine  Worte  nicht  etwa  zu  meinem  besseren  Verständniss  ins 
Arabische  übersetzte,  sondern  nur  der  Tubusprache  mächtig  war 
sein  Amt  bestand  nur  zur  Erhöhung  der  Würde  des  Dardai,  der  auf 
diese  Weise  nicht  direct  mit  jedem  Unwürdigen  zu  verhandeln 
hatte  — : „Bevor  wir  weiter  sprechen,  beantworte  mir  eine  Frage; 
wer  hat  bei  Deiner  Ankunft  in  Tibesti  Dein  Besitzthum  so  verringert, 
dass  Du  so  zu  sagen  mit  Nichts  hierher  nach  Bardai  gekommen 
bist?  Ich  muss  dies  wissen,  denn  ich  bin  für  Sicherheit  und  Gerechtig- 
keit in  meinem  Lande  verantwortlich  . Auf  meine  Antwort,  dass  ich 
nur  seinen  ersten  Edelleuten  im  E.  Zuär,  die  mir  vom  Hadsch  Dschaber 
selbst  als  berechtigt  genannt  seien,  ihr  „Haqq  el-Wädi"  (Recht  des 
Flussthals)  gegeben  habe,  bemerkte  er,  dass  dies  durchaus  unwahr- 
scheinlich sei,  denn  ich  sei  mit  vier  beladenen  Kameelen  in  s Land 
gekommen  Ich  setzte  ihm  auseinander,  dass  eines  derselben  den  Mund- 
vorrath,  der  allerdings  von  den  hungrigen  Einwohnern  seines  Landes 
auf  Nichts  reducirt  sei,  getragen  habe,  eines  die  Geschenke  und  die 
Geldwerthe,  ein  anderes  meine  persönliche  Habe  und  meine  Person, 
und  das  letzte  die  Wasserschläuche,  das  Zelt  und  dergleichen;  aber 
diese  Auskunft  befriedigte  ihn  keineswegs  Er  beharrte  dabei,  dass 
vier  Kameelc  eine  ungeheure  Kraft  repräsentirten,  dass  es  wahr- 
scheinlich sei,  sie  seien  wohlbepackt  gewesen,  und  dass  das,  was  ich 
in  officiellcr  Weise  gegeben,  keineswegs  das  gänzliche  Verschwinden 
der  Ladungen  erkläre.  Ich  möge  nur  furchtlos  und  offen  gestehen, 
wer  der  oder  die  Räuber  gewesen  seien,  denn  er  sei  die  Macht  und 
die  Gerechtigkeit.  Ich  hütete  mich  wohl,  die  Geschenke,  die  ich 
Arämi  und  den  Seinen  gegeben  hatte,  zu.  erwähnen,  und  blieb  bei 


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ENTTÄUSCHUNG  TAKER  TEMl’s. 


333 


meiner  Aussage.  Als  er  seinerseits  ebenfalls  bei  seiner  Meinung 
blieb  und  immer  wieder  darauf  zurückkam,  dass  vier  Kamecle  viel 
mehr  getragen  haben  müssten,  als  ich  zu  verrechnen  im  Stande  sei, 
so  wurde  ich  ärgerlich  und  sagte  ihm  kurz:  ,,ich  begreife  nicht,  was  Du 
willst;  habe  ich  Dir  nicht  einen  rothen  Tuchburnus,  eine  Indigo-Tobc 
v on  Afono  (bei  Arabern  und  Negern  üblicher  Name  für  Haussa),  einen 
tunisischen  Tarbüsch  mit  Turban  für  Dich  und  Deinen  Sohn,  eine 
herrliche  Füta  für  Deine  Frau  geschenkt?!  Waren  das  nicht  eines 
Königs  würdige  Gaben,  und  hast  Du  nicht  viel  mehr  erhalten,  als 
alle  übrigen  Edelleute  Deines  Landes?  Warum  traust  Du  meinen 
Worten  nicht?  Die  Kameele  habe  ich  nicht  mit  nach  Barda’t  bringen 
können,  weil  sie  zu  schwach  waren,  die  ungewohnten  Berge  zu  über- 
steigen, und  weil  ich  hier  kein  F'utter  für  sie  gefunden  haben  würde. 
Glaubst  Du,  dass  ihre  Ladungen  ebenfalls  drüben  geblieben  sind, 
so  lass  mich  von  Jemand  auf  den  Weg  nach  Fezzan  geleiten,  der 
sich  davon  überzeugen  kann,  ob  ich  Etwas  mit  von  hinnen  nehme. 
Oder  vermuthest  Du,  dass  ich  hier  noch  Schätze  verberge?  Dort  ist 
mein  Zelt,  das  ich  nicht  einmal  verlassen  kann,  ohne  in  unwürdiger 
Weise  von  Kindern  insultirt  zu  werden,  und  in  ihm  Alles,  was  ich 
besitze;  überzeuge  Dich  selbst  von  seinem  Inhalte!” 

Die  letzten  Worte  waren  das  Einzige  meiner  Rede,  das  ihn  an- 
muthete.  Der  praktische  Mann  der  Thatsachen  erhob  sich,  ohne  ein 
Wort  zu  sagen,  begab  sich,  gefolgt  vom  Dolmetscher  und  dem  alten 
Qatrüner,  in  mein  Zelt  und  nahm  eine  Ocularinspection  seines  In- 
haltes vor.  Leer  gähnten  ihm  die  beiden  verräterischen  Kisten  ent- 
gegen, denn  ihren  Inhalt  an  einigen  Büchern  und  meteorologischen 
Instrumenten  rechnete  er  verachtungsvoll  für  Nichts,  da  sie  keine 
unmittelbare  Verwertung  zuliessen,  und  sonst  fand  er  ausser  der 
Matratze,  die  ich  damals  noch  mein  nannte,  einer  einzigen  Rett- 
decke, und  den  Schiesswaffen,  die  ihm  nicht  dienen  konnten,  Nichts, 
gar  Nichts,  das  sein  Wohlwollen  für  mich  hätte  wieder  erwecken 
können. 

Erwartungsvoll  hingen  Aller  Augen  an  der  Zeltöffnung.  Raid 
trat  der  enttäuschte  Greis  hervor,  nahm  aber  sonderbarer  Weise  keine 
Notiz  von  irgend  Jemand,  durchschritt  stumm  die  Versammlung  und 
begann  sich  zu  entfernen.  Da  erhob  sich  Arämi  und  hielt  hoch  auf- 
gerichtet, die  Lanze  auf  den  Boden  gestemmt,  eine  glanzende  Rede. 
„Wohin  gehst  Du,  König?"  sagte  er  etwa;  „bist  Du  nicht  heute  hier- 


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II.  BUCH,  4.  KAPITEL.  REISE  NACH  BARDAT. 


334 

her  gekommen,  damit  wir  endlich  über  das  Schicksal  dieses  Mannes 
entscheiden,  der  durch  Dein  Zögern  hier  zurückgehalten  wird? 
Warum  lassen  wir  ihn  nicht  nach  Fezzän  ziehen,  von  wo  er  gekommen 
ist?  Was  wollen  wir  mit  ihm  machen?  Ihn  etwa  tödten?  So  viel 
ich  weiss,  haben  wir  nicht  die  Gewohnheit,  Menschenblut  zu  trinken, 
Wasserschläuche  aus  Menschenhaut  zu  machen  oder  Menschenfleisch 
zu  essen!  Und  sonst  hat  dieser  Fremdling  keine  Besitzthiimcr,  die 
uns  reizen  könnten;  warum  halten  wir  ihn  also  zurück?  Unsere 
Brüder  und  Vettern  wohnen  in  Fezzän;  dorthin  rufen  uns  unsere 
Handelsbeziehungen;  wenn  wir  diesen  Christen,  der  mächtiger  ist, 
als  die  ganze  Regierung  zu  Murzuq,  umbringen,  so  können  wir  nicht 
mehr  unsere  dortigen  Märkte  beziehen,  und  für  den  Tod  dieses  Einen 
fallen  zwanzig  der  Unseren  als  Opfer.  Ist  es  nicht  verständiger,  ihn 
ungeschädigt  an  seiner  Person  ziehen  zu  lassen?  Sein  Hab'  und  Gut 
hat  er  vcrtheilt  und  Jerike  nicht  gesehen;  seine  Kameele  sind  un- 
brauchbar; seine  Essvorräthe  haben  wir  aufgezehrt;  den  Weg  kennt 
er  nicht.  Ohne  Nahrung,  ohne  Wasser,  ohne  Wegkenntniss  wird  er 
in  der  Wüste  zu  Grunde  gehen;  aber  Gott  wird  ihn  getödtet  haben, 
nicht  wir.  Seit  seiner  Ankunft  in  Bardai  habe  ich  ihn  und  seine 
Leute  ernährt;  ich  kann  und  will  das  nicht  länger  thun,  sondern  ver- 
lange, dass  der  König  und  die  Versammlung  der  Edlen  ihn  ent- 
lassen”. 

Es  war  eine  schöne  Rede,  obwohl  ich  nicht  gerade  sagen  kann, 
dass  die  Bilder,  welche  sie  als  die  wahrscheinlichen  und  natürlichen 
Ziele  meiner  Feinde  entrollte,  oder  die  Perspectiven,  die  der  Redner 
als  den  meinen  Freunden  erwünschten  Ausgang  hinzustellen  schien,  mir 
besonders  zugelächelt  hätten.  Doch  ich  erwartete  immerhin  einen 
grossen  Eindruck  auf  den  König.  Leider  war  der  nüchterne  Sinn 
desselben  durchaus  gefeit  gegen  derartige  drastische  Angriffe  auf 
sein  Gefühlsleben.  Für  ging  auf  keine  der  oratorischen  Fragen  ein,  die 
scharf,  bestimmt  und  gedrängt  an  Verstand  und  Gefühl  der  Anwesen- 
den appellirten,  sondern,  schon  ausserhalb  des  Kreises  der  Versamm- 
lung, drehte  er  sich  nur  noch  einmal  um  und  sprach  mit  vernichten- 
der Einfachheit:  „ich  habe  das  leere  Holz  gesehen  und  gehe  nach 
Hause!"  Mit  jener  missachtenden  Bezeichnung,  welche  die  ganze 
Grösse  seiner  Enttäuschung  entfaltete,  belegte  er  meine  armen 
Kisten.  Auch  Akremi  Temidömi  erhob  seine  im  grellen  Contraste 
zu  seiner  kurzen  Person  stehende  Donnerstimme  zu  meinen  Gunsten, 


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REDE  ARAMl’S.  — RESULTAT  LOSER  AUSGANG.  335 

während  die  Gegner  zwar  zahlreich  waren,  aber  sich  nicht  zu  einer 
wirklichen  Rede,  zur  öffentlichen  Vertheidigung  einer  an  mir  zu  ver- 
übenden Gewaltthat  aufschwingen  konnten,  sondern  sich  begnügten, 
die  Rede  meiner  Beschützer  häufig  durch  aufreizende  Worte  zu  unter- 
brechen. „Was  hat  der  Heide  hier  zu  thun?!";  „warum  so  viel 
Wesens  um  einen  Christen  machen?";  „warum  ist  er  mit  so  wenig 
Besitzthum  hierher  gekommen,  dass  nur  Einzelne  Vortheil  von  ihm 
gehabt  haben?”;  „bin  ich  nicht  von  ebenso  edler  Geburt  als  die 
Besten  des  Landes?";  „er  ist  als  Spion  in  unser  Land  gekommen, 
das  noch  nie  von  einem  Türken  oder  Christen  betreten  wurde,  um 
seine  Schätze  zu  erspähen,  und  wenn  wir  ihn  nicht  umbringen,  so 
wird  er  uns  verrathen  und  verkaufen,  und  unser  Land  werden  Fremd- 
linge nehmen!":  das  waren  die  kurzen  Ausrufe  und  Bemerkungen, 
die  man  von  Diesem  oder  Jenem  hörte.  Doch,  wenn  sie  in  kleineren 
Versammlungen  diese  Gesichtspunkte  ungescheut  ausführlich  ent- 
wickelt hatten,  hier  wagten  sie  meine  Vernichtung  zwar  als  einen 
patriotischen  Act  an  zu  deuten,  aber  ihre  Gewandtheit  im  Rechts- 
verdrehen reichte  nicht  hin,  eine  solche  That  öffentlich  zu  rechtfer- 
tigen und  mit  den  Pflichten  der  Gastfreundschaft  in  Einklang  zu 
bringen.  Jeder  hatte  den  innigen  Wunsch,,  mich  durch  irgend  einen 
Zufall,  durch  Meuchelmord,  im  Streite,  oder  sonst  wie  verschwinden 
zu  sehen,  doch  kaum  den  Muth,  Arämi  und  andern  angesehenen 
Edelleuten  gegenüber  meine  Ermordung  als  eine  gerechte  Handlung 
zu  vertheidigen. 

Dem  entsprechend  liess  sich  auch  Taferteini  nicht  darauf  ein, 
denen,  die  für  mich  gesprochen  hatten,  in  sachlicher  Erwägung  zu 
erwidern,  sondern  setzte  einfach  seinen  Weg  nach  Hause  fort,  nach- 
dem er  sich  noch  einmal  umgewendet  und  in  verachtender  Kürze 
gesagt  hatte:  „der  Mann  hat  das  leere  Holz  gebracht;  ich  habe 
hier  Nichts  mehr  zu  thun!"  Sprach's  und  ward  nicht  mehr  gesehen. 

So  verlief  die  ganze  Zusammenkunft,  auf  die  Arämi  und  ich  so 
grosse  Hoffnungen  gegründet  hatten,  resultatlos.  Mein  Herz  wurde 
damit  recht  bedrückt  und  hoffnungslos.  Noch  glaubte  ich  zwar  nicht, 
dass  man  wagen  werde,  die  in  Fezzan  wohnhaften  Tubu  Reschäde 
durch  meinen  gewaltsamen  Tod  in  die  grösste  Lebensgefahr  zu 
bringen;  und  wenn  Giuseppe  bisweilen  nach  stürmischer  Rathsver- 
sammlung sich  nach  dem  Resultate  derselben  erkundigte  und  seinen 
Zeigefinger  mit  bezeichnender  Geberde  um  seine  Kehle  führend 


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3’JG 


».  BUCH,  4.  KAPITEL.  REISE  NACH  BARDA'f. 


fragte:  „Nun,  ist  es  schon  so  weit?”,  so  konnte  ich  immer  noch 
lächelnd  erwidern , dass  nach  meiner  Ansicht  uns  die  Geiseln  in 
Fezzan  sicher  stellten.  Doch  ich  fürchtete,  das  Interesse  der  Vor- 
nehmen zu  verlieren,  dem  Hunger  und  Elend  Preis  gegeben  zu 
werden  und  endlich  in  die  Hände  des  rohen  Volks  zu  fallen,  das  sich 
leicht  in  der  Leidenschaft  des  Augenblicks  zu  einer  blutigen  That 
hinreissen  lassen  konnte.  Jedenfalls  war  cs  eine  Thatsache,  dass  wir 
bei  unserem  gänzlichen  Mangel  an  Nahrungsmitteln  und  bei  unserer 
Unkenntniss  des  Weges  nur  mit  Hülfe  angesehener  Männer  das  Thal 
würden  verlassen  können,  und  das  Interesse  dieser  begann  zu  er- 
kalten. 

Das  Gerücht  meiner  misslungenen  Zusammenkunft  mit  dem 
Dardai  setzte  den  Strom  der  Besucher  wieder  in  Fluss,  der  in  den 
letzten  Tagen  schwächer  geworden  war.  Die  Freunde  der  ersten 
Zeit  begannen  aus  dem  Stadium  der  Zurückhaltung  in  das  der  Feind- 
seligkeit überzugehen,  seit  sie  eingesehen  hatten,  dass  meine  beharr- 
liche Abläugnung  aller  Schätze  auf  Wahrheit  beruhte.  Einer  der- 
selben, in  dem  ich  trotz  seiner  rauhen  Sprache  und  seines  barschen 
Wesens  etwas  ungewöhnlich  Offenes  und  Ehrliches  zu  sehen  geglaubt 
hatte,  murrte  besonders  laut.  Dieser  war  mir  vom  ersten  Tage  an 
durch  den  Umstand  aufgefallen,  dass  er  allein  von  Allen  die  nationale 
Beschäftigung  des  Tabakkauens  zuweilen  durch  Hauchen  unterbrach. 
Zu  diesem  Zwecke  ergriff  er  ein  längliches,  grosses  Verdauungs- 
produkt des  Kameels,  brachte  auf  dem  einen  Ende  desselben  eine 
Höhlung  zur  Aufnahme  des  Tabaks  an  und  dieser  diametral  gegenüber 
ein  Loch  in  der  krustenartigen  Oberfläche,  und  schmauchte  nun  mit 
innigem  Behagen  Tabak  und  Kameelunrath  zusammen.  Ob  ihm  die 
letzte  Cigarre,  die  mir  geblieben  war,  und  die  ich  ihm  in  der  Heiter- 
keit über  die  Fintdeckung  des  Kameelmistrauchens  verehrte,  besser 
schmeckte  als  der  letztere,  war  nicht  mit  Sicherheit  zu  entscheiden. 

Kranke  kamen  zwar  auch  von  Zeit  zu  Zeit,  und  je  ängstlicher 
ich  das  wenige  Besitzthum,  das  noch  vorhanden  war,  für  Arämi  und 
seine  Leute,  an  die  sich  meine  ganze  Hoffnung  klammerte,  hütete, 
desto  mehr  war  ich  bceifert,  mir  durch  Spendung  meines  Medica- 
mentenvorraths  nach  allen  Seiten  hin  F'reunde  zu  erwerben;  doch 
leider  bedurfte  man  im  Allgemeinen  der  therapeutischen  Eingriffe 
wenig.  Das  Klima  des  Landes  ist  äusserst  gesund ; die  Excesse  des- 
selben werden  gemildert  durch  das  Gebirge;  die  Lage  ist  eine  ziem- 


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WIDERWÄRTIGE  BESUCHER.  337 

lieh  hohe,  die  Luft  trocken,  die  Lebensweise,  wenn  wir  von  dem  Miss- 
brauch des  Laqbi  absehen,  eine  massige  und  regelmässige.  Von  den 
Heilmitteln  erfreuten  sich  die  Blasenpflaster  noch  des  grössten  Zu- 
spruchs. Sie  entsprachen  am  meisten  den  landesüblichen  äusseren 
Eingriffen,  die  sich  fast  ganz  auf  das  Glüheisen  beschränken,  und  mit 
wahrer  Befriedigung  fügten  die  Leute  zu  den  zahllosen,  oft  kolos- 
salen Narben  des  letzteren  noch  die  breiten,  wenn  auch  oberfläch- 
lichen, der  spanischen  Fliege.  Nächst  den  Blasenpflastern  waren  die 
Brechmittel  am  meisten  gesucht,  und  bei  den  verschiedenen  Augen- 
affectionen  konnte  ich  Manchem  Linderung  und  Heilung  bringen. 

Neugierde  endlich  und  die  Wichtigkeit  des  Ereignisses,  einen 
christlichen  Eindringling  im  Lande  zu  wissen,  führte  nach  und  nach 
auch  die  Einwohner  der  benachbarten  Ortschaften  und  Thäler  her- 
bei. Auch  Derdekore,  der  grosse  Sprecher  von  Zuar,  obgleich  er 
ursprünglich  nicht  hatte  nach  Bardai  gehen  wollen,  erschien,  um  in 
der  Angelegenheit  seine  gewichtige  Stimme  in  die  Wagschale  zu 
legen.  Glücklicherweise  nahm  er  in  seinem  Unheil  einen  höheren 
Standpunkt  ein  und  stimmte  aus  der  politischen  Rücksicht,  mit  Fczzän 
in  leidlichem  Einvernehmen  zu  bleiben,  für  meine  Entlassung.  Doch 
die  meisten  Besucher  verharrten  bei  den  engherzigsten  Anschauungen. 

An  einem  Tage  kam  ein  Maina,  aus  dem  Thale  Marmar,  der 
natürlich  in  seiner  F'erne  keinen  Antheil  an  meinen  Geschenken 
erhalten  hatte,  um  mir,  nach  einem  vergeblichen  Versuche,  einen 
Werthgegenstand  zu  erpressen,  ruhig  auseinanderzusetzen,  dass  er 
dies  als  eine  persönliche  Beleidigung  ansähe  und  sich,  sobald  ich 
aus  den  Händen  Arämi’s  entlassen  sein  würde,  entsprechend  zu  rächen 
wissen  werde.  An  einem  andern  Tage  erschien  ein  Mann  königlichen 
Blutes  aus  Joö,  constatirte  meine  Armuth  und  zeigte  mir  hohnlächelnd 
an,  dass  er  sich  nach  Täo  begeben  werde,  um  sich  seinen  Antheil 
an  meiner  Habe  in  Kameelen  zu  sichern.  Die  Leute  von  Abo,  die 
wir  auf  der  Hinreise  sorgfältig  vermieden  hatten,  schickten  eine 
Deputation  und  drohten,  sich  dafür,  dass  ich  nicht  den  gewöhnlichen 
Weg  von  F'ezzän  durch  ihr  Gebiet  gewählt  und  sie  demnach  um 
ihren  Durchgangszoll  geschädigt  habe,  auf  meiner  Heimreise,  wenn 
ich  diese  überhaupt  antreten  würde,  blutig  bezahlt  zu  machen.  Ja, 
ein  Fremdling  aus  Borkü  erschien  eines  Tages,  besichtigte  mich  und 
meinen  piemontesischcn  Diener  und  suchte  mit  Arämi  wegen  unseres 
Ankaufs  in  Unterhandlung  zu  treten.  Er  sei  nicht  iibel  geneigt,  uns 

Nach'igal.  I Äi 


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338  11.  BUCH,  4.  KAPITEL.  REISE  NACH  BARDAl. 

als  Merkwürdigkeit  zu  acquiriren,  könne  freilich,  da  wir  doch  als 
Arbcitssclaven  eigentlich  werthlos  seien,  keinen  hohen  Preis  bieten, 
wolle  aber  ein  gutes,  starkes  Kameel  opfern. 

Sobald  ein  neuer  Besucher  kam,  gerieth  ich  in  stille  Wuth; 
ich  wusste  im  Voraus,  dass  ich  nur  Unangenehmes  hören  würde. 
In  der  ganzen  Zeit  meines  gezwungenen  Aufenthaltes  in  Bardai'  sah 
ich  nur  ein  einziges  Individuum,  das  aus  reinem  Mitgefühl  mit  meiner 
unerquicklichen  Lage,  ohne  Speculation  auf  einen  persönlichen  Vor- 
theil, für  mich  einzutreten  suchte.  Er  war  aus  einer  der  Ortschaften 
des  Bardai -Thaies  und  führte  sich  eines  Tages  mit  einigen  Wasser- 
melonen bei  mir  ein,  indem  er  in  rührender  Einfachheit  auseinander 
setzte,  dass  er  in  seinem  Dorfe  von  dem  Christen  gehört  habe,  der, 
nachdem  er  gezwungener  Weise  sein  Besitzthum  fortgegeben  habe, 
Hunger  leiden  müsse,  gewaltsam  zurückgehalten  werde  und  dazu  noch 
seine  Feinde  von  ihren  Krankheiten  heile,  und  da  habe  er  gedacht, 
es  müsse  demselben  doch  Vergnügen  machen,  einige  Früchte  aus 
seinem  Garten  zu  haben.  Da  er  ein  ziemlich  angesehener  Mann  war, 
begab  er  sich  sodann  zu  Tafertömi  und  sprach  dort,  wie  ich  erfuhr, 
energisch  für  meine  Freilassung.  Ich  war  zwar  unmittelbar  gerührt 
über  das  ungewöhnliche  Zeichen  von  Mitgefühl,  konnte  aber  meine 
Zweifel  an  der  Aufrichtigkeit  desselben  nicht  unterdrücken  und 
wartete  von  einem  Tage  zum  andern  auf  die  Entwicklung  des  ego- 
istischen Motivs,  das  dem  anscheinenden  Edelmuthe  zum  Grunde 
läge;  doch  obwohl  er  mir  einen  zweiten,  durch  dieselbe  erquickende 
Gabe  vcrannehmlichten  Besuch  abstattete,  äusserte  er  keinen  Wunsch, 
kein  Verlangen,  und  seine  isolirte,  wohlthuende  Erscheinung  ist  mir 
durchaus  rein  und  unverdunkelt  in  dankbarer  Erinnerung  geblieben. 

Auch  die  Frauen  und  Kinder  kamen  mit  der  Zeit  nicht  selten, 
um  ihre  Neugierde  zu  befriedigen.  Ich  empfing  anfangs  ihre  Besuche 
gern,  da  ich  trotz  der  jugendlichen  Schönen,  die  mich  hatte  steinigen 
wollen,  und  seitdem  meine  enragirte  Feindin  geblieben  war,  im  Allge- 
meinen bei  ihnen  sanftere  Gefühle  und  grössere  Harmlosigkeit  vor- 
aussetzte, und  da  ich  von  jeher  ein  grosser  Kinderfreund  gewesen 
war.  Die  Frauen  waren  von  derselben  hochgradigen  Magerkeit,  wie 
die  Männer,  und  hatten  meist  regelmässige,  doch  oft  allzu  scharf 
geschnittene  Züge.  Die  Entwicklung  und  die  Form  ihrer  Nasen,  die 
im  Allgemeinen  ansehnlicher  zu  sein  schienen,  als  bei  den  Männern, 
und  sich  bisweilen  zu  aquiliner  Form  aufschwangen,  trennte  sie 


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UNDANKBARKEIT  DER  FRAUEN  UND  KINDER. 


339 


von  dem  gewöhnlichen  Negertypus.  Ihre  Magerkeit,  ihre  scharfen 
Züge,  ihr  männliches  Wesen  nahmen  ihnen  den  Reiz  der  Weiblich- 
keit, und  Hessen  mir  ihre  Gesichter,  wenn  dieselben  auch  noch  so 
regelmässig  waren,  niemals  ansprechend  und  gefällig  erscheinen. 
Vielleicht  war  es  auch  nur  der  fatale,  nicht  wegzuwischende  Tubu- 
Ausdruck,  welcher  mich  hinderte,  sie  hübsch  zu  finden. 

Leider  gelang  es  mir  aber  ebenso  wenig,  im  schönen  Geschlechte 
und  in  den  unschuldigen  Kindern  freundschaftliche  Gefühle  zu  wecken, 
als  bei  den  Männern.  Hatten  einige  Kinder  ihre  anfängliche  Furcht 
hinlänglich  besiegt,  uni  bis  in  meine  unmittelbare  Nähe  zu  kommen, 
und  hatte  ich  sie  dann  gehätschelt  und  mit  ihnen  gespielt,  wie  man 
mit  Kindern  zu  thun  pflegt,  ihnen  etwas  Zucker  geschenkt,  so  lange 
noch  eine  Spur  davon  vorhanden  war,  oder  einige  Nähnadeln,  für 
welche  sie  eine  grosse  Vorliebe  zeigten,  so  versuchte  ich  wohl,  sie 
einige  Schritte  weit  zu  begleiten.  Doch  kaum  hatte  ich  dann,  vorsichtig 
in  Folge  der  früheren  Erfahrungen,  den  Rücken  gewendet,  um  die 
freudlose  Stätte,  an  die  ich  geschmiedet  war,  wieder  aufzusuchen,  so 
warfen  diese  kleinen  Schurken,  offenbar  schon  Verräther  vom  Mutter- 
leibe her,  die  Maske  der  Unschuld  ab,  und  ihre  Steinwürfe  kränkten 
dann  mein  Gemütli  in  seinem  Glauben  an  die  Menschheit  mehr,  als 
sie  meinem  Körper  wehe  thaten. 

Eines  Tages  kam  eine  Schwester  oder  doch  nahe  Verwandte 
Tafertemi's,  um  mich  wegen  eines  chronischen  Lungenkatarrhs  zu 
consultiren.  Ich  belud  sie  förmlich  mit  Mitteln  aus  meinem  kleinen 
therapeutischen  Vorrathe,  schon  ihrer  hohen  Verwandtschaft  wegen. 
Sollte  man  cs  glauben,  dass  die  dankbare  Dame  unmittelbar  nach  ihrer 
Entfernung,  noch  unter  meinen  Augen,  eine  Bande  von  fünfzehn  bis 
zwanzig  Knaben  zu  einem  Angriffe  auf  mein  Zelt  organisirtc  und 
in  der  Nähe  Platz  nahm,  um  sich  an  diesem  Schauspiele  zu  weiden? 
Den  jugendlichen  Tubu,  von  denen  die  meisten  in  den  Flegeljahrcn 
waren,  sagte  dieses  Spiel  natürlich  ausserordentlich  zu.  Wir  durften 
uns  nicht  vertheidigen,  um  durch  einen  Kampf  gegen  Kinder  nicht 
unsere  Würde  zu  schädigen;  Animi  w’ar  über  Land  gegangen,  und 
selbst  seine  Schwester  FätTma  augenblicklich  abwesend.  Das  Zelt 
konnte  den  Geschossen  so  grosser  Jungen  unmöglich  Widerstand  leisten, 
und  ich  weiss  in  der  That  nicht,  was  daraus  geworden  sein  würde,  wenn 
nicht  Bü  Zei'd  und  der  ältere  Bruder  Kolokömi's  zufällig  gekommen 
wären  und  die  jugendliche  Bande  in  die  Flucht  geschlagen  hätten. 

25ä* 


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340 


IT.  BUCH,  4.  KAPITEL.  REISE  NACH  IIARDAl. 


So  schlichen  die  Tage  in  ertödtender  Langsamkeit,  unter  Sorge 
und  Aerger  dahin.  Wenn  die  Sonne  des  Morgens  am  klaren  Himmel 
aufstieg  über  der  lieblichen  Scenerie  des  Thaies,  begann  die  Tages- 
qual. Dann  kamen  halbe  Freunde  und  ganze  Feinde,  um  mich  durch 
die  Hirnlosigkeit  ihrer  Raisonnemcnts  zu  ärgern,  durch  schlechte  Nach- 
richten zu  entmuthigen  oder  durch  grausame  Reden  zu  kränken.  Die 
Hitze  im  Zelte  wurde  immer  unerträglicher  — wir  näherten  uns  dem 
Finde  des  Monats  August  — , und  der  Hunger  immer  quälender.  Die 
Tagesmahlzeit,  welche  nicht  nur  zur  Befriedigung  des  letzteren  diente, 
sondern  unter  den  obwaltenden  Verhältnissen  den  Reiz  einer  zeit- 
ausfüllenden,  genussreichen  Beschäftigung  gewann,  obgleich  sie  nur 
aus  oft  recht  schlechten  Datteln  bestand,  blieb  bald  nach  dem  Be- 
suche des  Dardai  meistens  aus,  da  das  Opfer  meinem  Beschützer 
allmählich  zu  gross'  erschien.  Animi  ging  seinen  Geschäften  nach 
und  erschien  oft  erst  Abends  lange  nach  Sonnenuntergang  mit  dem 
ersehnten  Körbchen,  und  der  Hunger  verscheuchte  sonach  häufig  den 
Mittagsschlummer,  der  mir  sonst  zuweilen  den  endlosen  Tag  gekürzt 
und  mich  durch  kurze  Träume  aus  der  trüben  Umgebung  in  glück- 
lichere Verhältnisse  versetzt  hatte.  Das  schmutzige  Wasser,  das  uns 
zu  schöpfen  erlaubt  war,  wenn  Niemand  sich  in  der  Nähe  befand, 
war  vielleicht  zu  Ende  gegangen;  doch  noch  war  die  Umgebung  zu 
belebt,  als  dass  meine  Diener,  welche  als  Christensclaven  kaum  weniger 
rohen  Schmähungen  und  körperlichen  Gewaltthätigkeiten  ausgesetzt 
waren,  als  ich  selbst,  den  Vorrath  zu  erneuern  gewagt  hätten,  und 
zu  Hitze,  Hunger,  Kummer  und  Langeweile  kam  wohl  noch  der 
Durst.  Endlich  neigte  sich  die  Sonne,  und  alle  unsere  Hoffnung 
concentrirte  sich  auf  die  Nacht.  Dann  musste  Animi  heimkommen, 
sicherlich  brachte  er  Datteln,  vielleicht  auch  Nachrichten;  wollte  Gott, 
dass  es  günstige  wären!  Dann  konnte  ich  mein  Gcfängniss  verlassen 
und  in  der  Abendkühle,  wie  ein  wildes  Thier  im  Käfig,  in  der 
nächsten  Umgebung  des  Zeltes  hin  und  her  gehen,  um  meinem 
Körper  einige  Bewegung  zu  verschaffen,  und  endlich  brachte  der 
Schlummer  der  Nacht  Ruhe  und  F'rieden  für  kurze  Stunden.  Dies 
war  der  traurige  Kreislauf  unseres  Lebens  fast  einen  Monat  hindurch. 
Ach,  wie  lang  erschien  mir  derselbe! 


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Fünftes  Kapitel. 

FLUCHT  AUS  BAR D AI  UND  RÜCKKEHR  NACH 

FEZZÄN. 


Verhalten  Bü  ZeitTs.  — Rastlose  Thätigkeit  Ar&mi's.  — Plan  zur  Flucht.  — Ankunft 
der  Tuba-Bewohner  Feuln's.  — Nachricht  von  der  Ermordung  Fräulein  Tinne’s.  — 
Nächtliche  Flucht.  — Erschöpfender  Rückzug  über  den  Tarso.  — Zusammentreffen 
mit  KolokJSmi,  — Ankunft  im  Enneri  Auso.  — Schicksal  meiner  Kamecle.  — Zustand 
der  Sclaven  in  Tibesti.  — Letzte  Erpressungen  der  Tubu.  — Treulosigkeit  Kolokömi’s. 
— Endliche  Abreise.  — Verlust  der  Hündin  Feida.  ■ — Trennung  von  KolokSmi  in 
AfAfi.  — Unbrauchbarkeit  der  Kameele.  — Zurücklassen  des  Gcj>äcks.  — Gänzliche 
Erschöpfung.  — Wasser-  und  Proviantmangel.  — Marschordnung.  — Ankunft  am 
Tümmo- Brunnen.  — Heendigung  des  Mundvorraths.  — Sclaven-Skelettc.  — Ankunft 
am  Mesch ru- Brunnen.  — Empfang  in  Tedscherri.  — Verderbliche  Befriedigung  des 
Hungers.  — Freude  des  H Ad  sch  DschAber.  — Araber  der  grossen  Syrte  in  Süd- 
Fezzän.  — Gcwaltthätigkeiten  derselben  in  Qatriin.  — Ankunft  in  Murzuq.  — Be- 
stätigung von  Fräulein  Tinne's  Untergang.  — Veränderungen  in*  der  Regierung 
FezzAns.  — Abrechnung  mit  Bö  Zeid.  — Krankheit  in  Folge  der  Reise. 


Ich  hatte  gehofft,  dass  die  Zeit  die  Gefühle  der  Leute  von  Bardai 
sänftigen  werde;  doch  ihre  Feindschaft  blieb  dieselbe,  und  nur  ihre 
Furcht  vor  mir  schwand  allmählich  und  damit  ihre  Zurückhaltung.  Diese 
Leute  verlassen,  wie  schon  erwähnt,  mit  seltenen  Ausnahmen  ihr 
heimathliches  Thal  nicht,  und  sehr  Viele  von  ihnen  hatten  niemals 
ein  weisses  Gesicht  gesehen,  denn  die  Ghazien  der  Araber  beschrän- 
ken sich  auf  die  westlichen  Thäler.  Nimmt  man  dazu  die  ungeheuer- 
lichen Vorstellungen,  die  sie  von  den  Christen  als  von  einer  kaum 
menschlichen  Art  von  Heiden  haben,  so  begreift  man,  dass  sie 
während  der  ersten  Tage  nach  meiner  Ankunft  irgend  eine  furchtbare, 


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342  II.  BUCH,  5.  KAP.  FLUCHT  AUS  HAKIM!  UND  RÜCKKEHR  NACH  FKZZ.tN. 

öffentliche  Calamität,  etwa  ein  vernichtendes  Naturereignis  oder  eine 
verheerende  Pest  oder  ein  allgemeines  Viehsterben  erwarteten.  Als 
von  allen  Befürchtungen  sich  keine  verwirklichte,  Sonne  und  Mond, 
Berg  und  Thal,  Thiere  und  Pflanzen,  unbeirrt  durch  den  fremden 
Eindringling,  in  gewohnter  Weise  fortexistirten,  und  auch  keine  ausser- 
gewöhnliche  Sterblichkeit  eintrat,  verlor  sich  die  Furcht,  und  nur 
die  Feindschaft  blieb.  Besonders  die  herangewachsene  männliche 
Jugend  war  unerbittlich.  Die  Männer  warteten  wenigstens  ruhig,  bis  uns 
Animi  aus  seinen  schützenden  Händen  entlassen  haben  würde;  doch  die 
Knaben  undjünglinge,  besonders  wenn  sie  durch  ihr  heimisches  Getränk, 
ihre  einzige  nationale  Unmässigkeit,  entflammt  waren,  drohten  oft  ernste 
Verwickelungen  herbeizuführen.  Sie  begnügten  sich  nicht  damit,  in  s 
Zelt  zu  speien,  oder  mit  ihrem  eklen  Tabaksaftc  nach  mir  zu  zielen, 
und  mir  so  detaillirt  und  anschaulich  als  möglich  zu  schildern,  wie  man 
bei  meiner  Entlassung  aus  Arämi’s  Schutze  mir  die  Lanzen  im  Leibe 
herumdrehen,  die  Eingeweide  herausreissen  und  den  Aasgeiern  und 
Hyänen  vorwerfen  werde,  sondern  wurden  auch  bisweilen  handgreiflich, 
schleuderten  ihre  Speere  gegen  das  Zelt  oder  in  dasselbe  und  schienen 
nur  die  Gelegenheit  einer  ernsten  Reaction  meinerseits  herbeizusehnen, 
um  daraus  ein  scheinbares  Recht  zu  meiner  Vernichtung  herleiten  zu 
können.  Arämi's  Schwester  musste  dann  gewöhnlich  aufgesucht 
werden  und  genügte  auch,  obgleich  eine  Frau,  vollständig,  um  die 
übermüthige  Jugend  in  ihre  Schranken  zurückzuweisen. 

Derjenige,  auf  dessen  schützenden  Einfluss  ich  am  zuversicht- 
lichsten gebaut  hatte,  der  Muräbid  Bü  Zeid , licss  uns  mehr  und 
mehr  im  Stiche.  Schon  von  Anfang  an  war  er  bei  seinem  Onkel 
Temidömi  wohnen  geblieben,  um  nicht  unseren  Hunger  theilen  zu 
müssen,  doch  hatte  er  sich  gewiss  wochenlang  redliche  Mühe  gegeben, 
eine  friedliche  Lösung  der  Dinge  herbeizuführen.  In  der  Tliat  konnte 
er  cs  nicht  wagen,  ohne  eine  feste  Gestaltung  meines  Schicksals 
nach  Fezzän  zurückzukehren,  an  das  ihn  die  engsten  Bande  der 
Familie  und  Interessen  knüpften.  Entweder  musste  er  mich  lebendig 
zurückbringen,  oder  ich  musste  einem  Tode  erlegen  sein,  den  er  nach- 
weislich nicht  zu  verhindern  im  Stande  gewesen  war.  Sein  Einfluss 
als  Muräbid  war  sowohl  vom  Hadsch  Dschäber  als  ihm  selbst  über- 
schätzt worden,  und  er  war  dem  allgemeinen  Widerwillen  gegen 
mich  um  so  weniger  gewachsen  gewesen,  als  ihn  das  Tubublut  in 


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BÜ  ZKin’s  ZWEIFELHAFTES  BENEHMEN.  343 

seinen  Adern  zusammen  mit  dem  von  mir  erhaltenen  Miethpreis  zu 
einer  Art  I.andesverräther  stempelte. 

Als  seine  Bemühungen  zu  unserem  Besten  fruchtlos  blieben, 
suchte  er  anfangs  Trost  im  sorgenbrechenden  Laqbi.  Seine  Besuche 
wurden  selten  und  seltener,  und  wenn  er  kam,  machte  der  hohe  Grad 
von  Reizbarkeit,  den  der  Alkoholgenuss  bei  ihm  zur  Folge  hatte, 
seine  Gesellschaft  widerwärtig.  Er  verlor  allmählich  die  bescheidene 
Rücksichtnahme,  welche  ihm  meine  Stellung  in  Fezzän  auferlegt 
hatte,  wurde  hoffärtig  und  begann  in  mir  die  hassenswerthe  Ursache 
seiner  Unannehmlichkeiten  zu  sehen.  Ich  bin  überzeugt,  es  wäre  ihm 
damals  am  liebsten  gewesen,  wenn  ich  durch  irgend  ein  Ereigniss, 
an  dem  er  Nichts  hätte  ändern  können,  aus  dem  Wege  geschafft 
worden  wäre.  Als  die  Verhandlungen  sich  in  die  I.änge  zogen  und 
einzuschlafen  schienen,  ohne  dass  Arami  sichtliche  Anstalten  zu 
energischen  Massnahmen  getroffen  hatte,  versuchte  Bü  Zcid  auf 
andere  Weise  zum  Ziele  zu  gelangen.  Er  wurde  streitsüchtig  und 
suchte  mich  zu  ernstlicher  Beleidigung  zu  provociren,  um  einen 
Bruch  zwischen  uns  herbei  zu  führen,  an  dem  ich  scheinbar  die 
Schuld  trüge,  und  so  eine  gewisse  Berechtigung  zur  Abreise  ohne 
mich  zu  haben.  Meine  Geduld  und  meine  Ruhe  diesem  unwürdigen 
Benehmen  gegenüber  waren  exemplarisch  und  Hessen  seine  Pläne  zu 
Schanden  werden;  doch  der  innere  Grimm  verzehrte  mich  viel  mehr 
ihm  gegenüber,  als  gegen  die  Tubu,  die  einfach  nicht  wussten,  was 
sie  thaten,  und  ich  bedaure  gestehen  zu  müssen,  dass  meine  Seele 
damals  voll  schwarzer  Rachegedanken  war. 

Arämi  selbst  war  sehr  in  Anspruch  genommen.  Mächtiger  und 
angesehener  als  Tafertemi  selbst,  wurde  er  von  allen  Seiten  aufgesucht 
als  Schiedsrichter,  Vermittler  und  Rathgeber.  Seine  Rastlosigkeit 
war  ein  lebendiges  Beispiel  der  Energie  und  Elasticität,  welche  diesen 
armen,  darbenden  Leuten  innewohnt.  Morgens  in  aller  Frühe  ging 
er  zu  seinen  Datteln,  die  gerade  reif  wurden,  schnitt  einen  Theil, 
trug  ihn  auf  seinen  Schultern  nach  Hause,  ordnete  die  Arbeiten  des 
Tages  für  seine  Schwester  und  einen  Sclaven,  und  arbeitete  an  seiner 
Hütte.  Dann  ging  er  zu  den  allgemeinen  Rathsversammlungen,  die 
stets  reichen  Anlass  zu  Streitfragen  und  Discussionen  brachten,  be- 
arbeitete das  Staatsoberhaupt  und  die  angesehenen  Leute  zu  Gunsten 
meiner  Entlassung  und  kam  gegen  i oder  2 Uhr  Nachmittags  nach 
Hause,  wo  seiner  irgend  welche  Leute  und  Schwierigkeiten  harrten, 


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344  II.  BUCH,  5-  KAP.  FLUCHT  AUS  ISARDAl'  UND  RÜCKKEHR  NACH  FEZZAlS. 

die  in  der  kühlen  Mittagsruhe  abgefertigt  wurden.  Nachmittags  ar- 
beitete er  wieder  in  seiner  Dattelpflanzung,  bereitete  die  tägliche 
Mahlzeit  seines  Kameeles,  das  mit  gepulverten  Dattelkernen  erhalten 
werden  musste,  und  trug  dieselbe  auf  den  unzureichenden  Weideplatz 
in  einiger  Entfernung  vom  Dorfe.  Dann  begab  er  sich  wieder  zum 
Häuptling  und  den  Edlen,  sei  es  wegen  meiner  Person  oder  zur  Er- 
ledigung anderer  Angelegenheiten,  oder  sass  bei  uns  und  besserte 
sich  sein  Hemd  oder  Beinkleid  aus  — das  Geschäft  des  Nähens  ist 
ausschliesslich  in  den  Händen  der  Männer  — , oder  lief  rastlos  zur 
Besorgung  anderer  Geschäfte  hin  und  her  und  kehrte  nicht  selten 
erst  um  10  oder  1 1 Uhr  Abends  heim.  Kaum  glaubte  man  ihn  ein- 
geschlafen, so  huschte  er  schon  wieder  über  die  Bühne,  ging  nicht 
selten  bei  Nacht  in  ein  anderes  Dorf,  wenn  dort  irgend  eine  schwie- 
rige Frage  zu  entscheiden  oder  ein  Streit  zu  schlichten  war,  und  der 
folgende  Morgen  sah  ihn  dann  wieder  in  Bardai  seiner  gewöhnlichen 
Tagesarbeit  hingegeben.  Dabei  vernachlässigte  er  keines  der  vor- 
geschricbcnen  Gebete,  trank  keinen  Tropfen  Laqbi,  und  ich  kann 
mich  nicht  entsinnen,  jemals  gesehen  zu  haben,  dass  er  Tabak  kaute. 
Er  bildete  eben  eine  Ausnahme.  Die  Andern  waren  auch  rastlos, 
doch  arbeiteten  sie  nicht.  Stets  auf  den  Beinen , gingen  sie  von 
Einem  zum  Andern,  ihrer  Vorliebe  für  Geschwätz  und  Discussionen 
huldigend.  Ausser  den  Mittagsstunden,  in  denen  sic  nicht  sichtbar 
waren  und  wahrscheinlich  der  Ruhe  pflegten,  begriff  ich  nicht,  wann 
diese  Leute  schliefen,  während  ihnen  doch  wahrlich  dazu  die  Zeit 
nicht  mangelte.  Bis  lange  nach  Mitternacht  war  ein  stetes  Kommen 
und  Gehen  in  unserer  Umgebung,  was  mich  oft  zu  ohnmächtiger 
Wuth  reizte,  da  mir  die  Aufstörung  meiner  wachsamen  Hunde  noch 
den  letzten  Trost  friedlicher  Nachtruhe  raubte. 

Als  Arämi  eines  Tages  durch  einen  heftigen  Katarrh  gezwungen 
war,  das  Haus  zu  hüten,  begab  ich  mich  mit  Bui  Mohammed  zu 
ihm,  um  eine  ernstliche  Besprechung  über  mein  endliches  Schicksal 
mit  ihm  zu  halten.  Seine  Wohnung  war  nach  Art  der  Palmblatthütten 
seiner  Landsleute  in  Eezzän,  doch  in  grösserem  Massstabc,  hergestcllt, 
hatte  am  Eingänge  ein  grosses,  offenes  Schattendach  als  Empfangshalle, 
wie  cs  sich  für  einen  solchen  Mann  der  Oeffentlichkeit  ziemte,  und 
im  Innern  des  Hofes  — die  übrigen  Gemächer  mit  ihrem  Inhalte 
bekam  ich  nicht  zu  sehen  — das  früher  beschriebene  backofenähnliche 
Winterhäuschen  aus  mit  Lehm  verschmierten  Steinen  in  ansehnlicher 


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FI.UCHTPI.AN. 


.•{45 

Grösse.  In  diesem  lag  er,  um  sich  möglichst  von  der  Luft  abzu- 
schlicssen,  und  wir  verhandelten  durch  die  kleine  Eingangsöffnung, 
die  mehr  zum  Durchschlüpfen  eines  Hundes  als  zum  Hineinkriechen 
eines  Menschen  geeignet  schien.  Ich  gab  ihm  einen  Rückblick  auf 
seine  treuen,  doch  bisher  erfolglosen  Anstrengungen,  mich  aus  meiner 
unangenehmen  Lage  zu  befreien,  erinnerte  ihn  an  sein  Versprechen, 
mich  mit  Gottes  Hülfe  auf  den  Weg  nach  Fezzän  zu  bringen,  schil- 
derte ihm  die  Unmöglichkeit,  lange  mit  einmaliger  Dattelnahrung 
als  Tagesration  zu  existiren,  obgleich  ich  gern  anerkennen  wolle, 
dass  er  grosse  Opfer  zu  unserer  Ernährung  gebracht  habe,  und  zeigte 
ihm,  wie  auch  die  wenigen  Freunde,  die  ich  ausser  ihm  habe,  mehr 
und  mehr  erkalteten,  und  die  Gefahr  für  mich  nahe  liege,  als  bcsitz- 
und  folglich  interesselos  gänzlich  zu  verkommen  und  von  irgend 
einem  Uebelthäter  erschlagen  zu  werden.  Ich  schloss  mit  dem  Vor- 
schläge, mir  für  die  wenigen  von  mir  reservirten  Thaler  etwas  Ge- 
treide- und  Dattelvorrath  zu  kaufen  und  uns  zur  Flucht  zu  verhelfen, 
indem  er  uns  mit  seinem  und  Gordoi's  Kameelc  bis  auf  die  andere 
Seite  der  Rerge  geleite  und  dort  unserem  Schicksale  überlasse. 

Für  diesen  Dienst  wolle  ich  ihm  gern  das  geben,  was  er  aus 
meiner  Habe  wünschen  werde,  und  sicherlich  nicht  verfehlen,  der 
Regierung  von  Fezzän  seinen  Einfluss  und  sein  Ansehen  bei  den 
Tedä  im  Gegensätze  zu  der  Machtlosigkeit  und  Schwäche  Tafertemi's 
in  lebhaften  Farben  zu  schildern.  Ich  könne  nur  Heil  für  Tibesti  in 
seiner  Person  erblicken,  die  offenbar  zum  Herrscher  über  die  Tubu 
Reschäde  bestimmt  sei,  wenn  auch  die  Häuptlingswürdc  nach  Tafcr- 
temi’s  Tode  eigentlich  dem  Maina  Tokfimi  im  E.  Joo  gebühre.  Da 
durch  seine  hohe  Einsicht  fn  politische  Dinge  ein  gutes  Verhältniss 
mit  Fezzän  angebahnt,  und  der  Karawanenverkehr  dieses  Landes 
mit  Wadäi,  der  doch  Tibesti  einen  ansehnlichen  Durchgangszoll  ver- 
spreche, wiederhergestellt  werden  könne,  so  werde  die  Murzuqer 
Regierung  sich  gewiss  bereit  finden  lassen,  ihm  zur  Erlangung  einer 
massgebenden  Stellung  in  Tibesti  behülflich  zu  sein,  und  dazu  könne 
ich  nicht  unerheblich  mitwirken.  Durch  meine  verzögerte  Rückkehr 
aber  müsse  das  ohnehin  schon  ungünstige  Verhältniss  zu  Fezzän 
noch  mehr  gestört  werden.  Wenn  die  übrigen  Edelleute  zu  kurz- 
sichtig seien,  um  es  zu  begreifen,  so  wisse  er  doch  recht  gut, 
dass  schon  jetzt  mein  Ausbleiben  Leben  und  Sicherheit  ihrer  Lands- 
leute im  District  von  Qatrün  gefährde,  und  dass  mein  gewaltsamer 


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346  H.  BUCH,  5.  KAP.  FLUCHT  AUS  U AK  DAT  UND  RÜCKKEHR  NACH  FEZZAN. 

Tod  nocli  viel  grössere  Gefahren  für  ganz  Tibcsti  mit  sich  bringen 
würde,  ohne  die  allergeringsten  Vortheile  zu  bieten.  In  der  That 
habe  meine  Zurückhaltung  in  Barda’t  für  Niemand  auch  nur  die  ge- 
ringste Annehmlichkeit,  wohl  aber  für  ihn  selbst  den  Nachtheil  der 
täglichen  Verminderung  seines  Dattelvorraths. 

Obgleich  Animi  sowohl  die  Richtigkeit  der  letzteren  Bemer- 
kungen anerkannte,  als  auch  durch  die  verlockende  politische  Per- 
spective, welche  ich  ihm  eröffnet  hatte,  und  durch  die  schmeichel- 
hafte Anerkennung  der  Bedeutung  seiner  Person  sehr  angenehm  be- 
rührt wurde,  so  verzweifelte  er  doch  noch  nicht  genug  an  seinem 
schliesslichen  Einflüsse  auf  den  Häuptling  und  fürchtete  eine  Vernach- 
lässigung und  Verletzung  desselben  noch  zu  sehr,  um  gleich  auf 
meinen  Plan  einzugehen.  Dieser  sei  das  äusserste  Mittel,  meinte  er, 
und  er  hoffe  noch  immer,  mich  am  hellen  Tage,  vor  den  Augen 
aller  Welt  aus  dem  Thale  zu  entlassen. 

Leider  brach  der  Grund,  auf  den  ich  den  Rest  meines  Sicher- 
heitsgefuhles  baute,  wenige  Tage  darauf  zusammen.  BuY  Mohammed 
weckte  mich  eines  Tages  mit  der  ersten  Morgendämmerung,  um  mir 
in  der  ihm  so  eigenen,  ruhigen  Weise  auswärtige  Besucher  anzukün- 
digen. Auf  meine  Frage,  wer  die  Leute  seien,  antwortete  er,  dass 
es  Tubu  Reschädc  aus  Fezzan  seien,  und  genaueres  Nachfragen 
ergab,  dass  die  ganze  dortige  Tubu-Colonic  in  ihr  Vaterland  zu- 
ruckgekehrt war.  Der  Raub,  den  arabische  Horden  an  den  Tubu 
bei  Bidän  ausgeübt  hatten,  wie  oben  erzählt  ist,  war  von  Repressalien 
gefolgt  worden.  Leute  aus  der  Tubu-Oasc  Dschebädo,  nordwestlich 
von  Kawär,  hatten  nicht  allein  eine  ansehnliche  Heerde  Fczzaner 
Kaineele,  ebenfalls  in  der  Nähe  von  Bidän,  aufgehoben,  sondern  auch, 
was  sie  von  Menschen  in  diesem  Dorfe  gefunden  hatten,  in  die  Ge- 
fangenschaft geschleppt.  Dafür  fürchteten  die  in  Fezzan  ansässigen 
Tubu  Reschäde  verantwortlich  gemacht  zu  werden,  und,  leicht  be- 
weglich und  besitzlos,  wie  sie  sind,  hatten  sie  sich  auf  ihre  Kameele 
gesetzt  und  waren  den  sicheren  Bergen  ihrer  Heimath  zugeeilt.  Da 
waren  sie  Alle;  Keiner  von  ihnen  schien  zurückgeblieben  zu  sein; 
die  Geiseln,  die  mir  einzig  und  allein  noch  eine  gewisse  Bürgschaft 
für  meine  Rettung  zu  bieten  schienen,  konnten  nicht  mehr  für  mein 
Leben  und  meine  Sicherheit  verantwortlich  gemacht  werden.  Ich 
war  auf's  Aeusserste  bestürzt;  meine  ruhige  Zuversicht  war  dahin, 
und  die  nächste  Zukunft  malte  sich  mir  in  den  schwärzesten  Farben. 


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HEIMKEHR  DER  TUBll  FEZZAn’S.  347 

Die  Berichte  dieser  Leute  über  die  Rachegelüste  der  Fezzäner  und 
die  Beschlüsse  der  Regierung,  mit  äusserstcr  Strenge  gegen  jeden  Tubu- 
Mann  vor/.ugehen,  dessen  sie  sich  bemächtigen  würde,  waren  nicht 
grade  geeignet,  die  Dispositionen  meiner  Richter  zu  mildern.  Anstatt 
Geiseln  in  Fezzän  zu  haben,  drohte  ich  selbst  eine  Art  Geisel  zu 
werden.  Denn  schliesslich  hatten  die  Leute  von  Dschebädo  nur  Re- 
pressalien geübt  für  die  Räubereien  der  gewaltthätigen  Araber,  waren 
also  nach  den  in  der  dortigen  gesetzlosen  Welt  üblichen  Begriffen 
zu  ihrem  feindlichen  Vorgehen  berechtigt  gewesen. 

Um  meine  Lage  noch  gefährlicher  zu  machen,  brachten  die 
Flüchtlinge  die  Nachricht  von  dem  entsetzlichen  Untergange  meiner 
Gefährtin  Alexandrine  Tinne  durch  den  schamlosen  Verrath  der 
Tuärik.  Da  wir  gleichzeitig  nach  Murzuq  gekommen  waren  und 
in  stetem  Verkehr  gestanden  hatten,  so  hielt  man  die  Dame,  deren 
selbstständige  Reise  ohnedem  unbegreiflich  erschienen  wäre,  für  meine 
Frau,  und  meine  Feinde  suchten  die  Nachricht  von  ihrem  schreck- 
lichen Ende  zu  meinem  Verderben  auszubeuten.  Sie  verhöhnten 
meine  Beschützer  unter  ihren  Landsleuten,  weil  sie  nicht  den  Muth 
hätten,  in  der  Sicherheit  ihrer  Berge  eine  That  zu  begehen,  welche 
die  Tuärik  wenige  Tagereisen  von  Murzuq,  auf  der  Grenze  des 
Fezzäner  Gebietes,  furchtlos  ausgefuhrt  hätten,  und  stachelten  das 
nationale  Gefühl  der  Schwankenden  durch  beleidigende  Parallelen 
zwischen  ihrer  feigen  Furcht  und  dem  männlichen  Vorgehen  ihrer 
berberischen  Erbfeinde  zu  einer  für  mich  äusserst  bedrohlichen  Höhe. 
Die  Tuärik  wüssten  die  Gefahr,  welche  ihrem  Lande  von  den  christ- 
lichen Eindringlingen  drohe,  wohl  zu  beurtheilen  und  ihr  besser  vor- 
zubeugen; sogar  die  Frau  hätten  sie  unschädlich  gemacht,  und  sie 
selbst,  die  Tubu,  sollten  sich  durch  die  Furcht  vor  den  Türken  ab- 
halten lassen,  sich  des  viel  gefährlicheren  Mannes  zu  entledigen? 
Sollte  man  sagen  können,  dass  die  Tubu  Reschädc  weniger  ent- 
schlossen und  muthig  seien,  als  die  Tuärik,  und  sollten  sich  ihre 
eigenen  Kinder  ihrer  schämen? 

So  wenig  ich  an  die  Schrcckcnsthat  der  Tuärik  damals  glaubte, 
so  wenig  konnte  ich  die  verhängnisvolle  Einwirkung  der  Nachricht 
auf  meine  Angelegenheit  verkennen.  Während  der  an  den  folgenden 
Tagen  abgehaltenen  Versammlungen  musste  ich  leider  sehen,  dass 
die  Schwankenden  unter  dem  Einflüsse  eines  missverstandenen  Pa- 


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348  II.  BÜCH,  5.  KAP.  FLUCHT  AUS  HAR D Ai  UND  RÜCKKEHR  NACH  FF.ZZ.AN. 

triotismus  zu  meinen  Feinden  übergingen,  und  dass  die  Gegner  mit 
erneuter  Energie  meine  Vernichtung  forderten. 

Allnächtlich  berieth  ich  mit  Animi  und  suchte  ihn  um  jeden 
Preis  zur  Annahme  meines  Fluchtvorschlages  zu  bewegen.  Doch 
selbst  das  Versprechen,  ihm  meine  Kanieelc  auf  der  andern  Seite 
des  Tarso,  also  das  Kostbarste,  was  ein  Flüchtling  in  der  Wüste 
haben  kann,  als  Lohn  für  seine  Beihülfe  zu  geben,  vermochte  nicht 
seine  Eitelkeit  zu  beugen,  welche  sich  schämte,  im  Rathe  seiner 
Landsleute  nicht  einen  vollen  Sieg  errungen  zu  haben  und  mich 
nicht  trotz  des  Widerspruches  der  Meisten  und  trotz  der  Haltung 
Tafertömi’s  offen  aus  dem  Thale  BardaT  hinausführen  zu  können. 

Glücklicherweise  überzeugte  ihn  ein  Ercigniss,  dessen  Zeuge  er 
war,  von  der  Nothwendigkeit  meiner  heimlichen,  nächtlichen  Entfer- 
nung. Ein  harmloser  Bewohner  des  südlichen  Tibesti  passirte  auf 
der  Durchreise  Bardai  mit  einem  wohlbeladenen  Kameele.  Der  Mann 
war  verschleiert,  wie  die  Meisten  auf  der  Reise,  von  Niemandem  er- 
kannt worden,  und  im  Nu  hatte  sich  das  Gerücht  verbreitet,  einer 
meiner  Leute  versuche  das  Thal  zu  verlassen  und  unser  Gepäck  in 
Sicherheit  zu  bringen.  Frauen,  Kinder  und  Sclaven  rotteten  sich  ' 
alsbald  zusammen,  beschimpften  und  bedrohten  ihn  und  gingen  dann 
zu  der  bei  ihnen,  wie  es  schien,  nicht  ungewöhnlichen  Gewaltthätigkeit 
der  Steinigung  über,  als  Arämi  und  einige  angesehene  Männer  vorüber- 
kamen, die  Sache  auf  klärten  und  dem  Beleidigten  und  Gemisshan- 
dclten  Genugthuung  verschafften.  Seit  dieser  Stunde  gab  Arämi  die 
Hoffnung  auf,  mich  in  friedlicher  Weise  offen  abreisen  zu  sehen,  und 
versprach  seine  Beihülfe  zu  nächtlicher  Entweichung.  Gordoi  und 
Birsa  wurden  eingeweiht,  und  der  Bruder  Kolokömi's,  der  den  Zu- 
fluchtsort des  letzteren  im  Thale  des  E.  Ifötui  kannte,  begab  sich  zu 
demselben,  um  ihn  auf  einen  gewissen  Punkt  unseres  Weges  zu  be- 
stellen, Arämi's  und  Gordo'fs  Kameele  wurden  in  die  Wohnung  des 
Ersteren  geschafft,  scheinbar  zum  Zwecke  medicinischcr  Behandlung, 
damit  die  Nachbarn  sich  in  der  Nacht  des  Aufbruches  nicht  wundern 
würden,  wenn  die  Thiere  im  Augenblicke  der  Belastung  die  gewöhn- 
lichen, blökenden  Töne  von  sich  gäben.  Indessen  kaufte  Bü  Zeid 
von  seinem  Onkel  Temidömi  für  einen  Thalcr  Weizen,  für  dieselbe 
Summe  Datteln  und  einen  Esel,  der  in  den  Felsen  des  Landes  sehr 
nützlich  zu  werden  versprach  und  vielleicht  später  für  einige  Zeit  ein 
Kameel  ersetzen  konnte.  Ich  wühlte  die  wenigen  im  Zelte  ver- 


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AUSFÜHRUNG  DER  FLUCHT. 


34!) 


grabenen  Thaler  aus  dem  Boden  und  wurde  durch  den  Hoffnungs- 
strahl mit  neuer  Kraft  und  frischem  Muthe  erfüllt. 

In  der  Nacht  vom  2.  auf  den  3.  September  sollte  die  Stunde 
der  Befreiung  schlagen.  Ich  war  in  einem  schwer  zu  schildernden  Zu- 
stande der  Aufregung.  Nach  Mitternacht  kamen  Gordof,  Birsa  und  Bü 
Zeid,  und  wir  begannen  die  beiden  Kameele  zu  beladen;  jedes  Blöken 
derselben  ging  mir  durch  Mark  und  Bein.  Doch  wie  gewöhnlich  das 
Packen  beim  Beginne  der  Reise  langsam  von  Statten  geht,  so  war 
es  nahezu  2 Uhr  Morgens  geworden,  als  wir  hatten  auf  brechen 
können.  Da  erklärte  Animi  plötzlich,  es  sei  für  diese  Nacht  zu  spät, 
und  wir  müssten  die  folgende  abwarten.  In  meiner  Hast,  dem  Schau- 
plätze meiner  Leiden  den  Rücken  zu  kehren,  war  ich  im  höchsten 
Grade  bestürzt  über  den  Aufschub  und  in  meiner  Aufregung  geneigt, 
an  Verrath  zu  glauben.  Bei  der  Nähe  der  Erlösung  schien  mir  jedes 
Hinausschieben  unserer  Flucht  einen  Zusammensturz  aller  meiner 
Hoffnungen  zu  bedeuten.  Ich  war  verzweifelt  und  schimpfte  und 
tobte  in  höchst  unvernünftiger  Weise,  deren  ich  mich  nach  ruhiger 
Ueberlegung  aufrichtig  schämte.  Wie  viel  kann  man  in  der  Herr- 
schaft über  sich  selbst  von  vielen  uncivilisirten  Völkern  lernen,  denen 
man  sich  so  sehr  überlegen  glaubt?  Wie  hoch  über  mir  standen  in 
dieser  Beziehung  der  alte  Qatrüner,  Arämi  und  seine  Verwandten 
und  selbst  der  Muräbid  Bü  Ze'id! 

Auch  der  folgende  Tag  verging,  wie  die  übrigen,  und  zeichnete 
sich  nur  dadurch  aus,  dass  FätTma,  welche  Wind  von  unseren  Ab.- 
sichten  bekommen  haben  mochte,  in  höchst  ungenirtcr  Weise  meine 
Habe  einer  Durchsicht  unterwarf  und  sich  die  unverschämtesten  Ent- 
fremdungen aus  derselben  erlaubte.  Wieder  kamen  um  Mitternacht 
unsere  Begleiter,  und  eine  Stunde  später  konnten  wir  auf  brechen. 
Meine  Habe  war  schon  so  erheblich  zusammengeschmolzen,  dass  mit 
Ausnahme  der  Zeltstange,  der  Matten  und  ähnlicher  Kleinigkeiten 
Alles  mitgenommen  werden  konnte.  Wir  umgingen  die  Ortschaft, 
wie  in  der  schrecklichen  Nacht  unserer  Ankunft,  und  erreichten  nach 
einigen  Stunden  das  steinreiche,  enge  E.  Oröa,  das  wir  bei  der 
ersten  Passage  schon  am  Tage  fast  unpassirbar  gefunden  hatten,  und 
dessen  Ueberwindung  bei  Nacht  fast  unmöglich  erschien.  Wir 
rasteten  deshalb  an  seinem  Eingänge  bis  zum  Anbruche  des  Tages, 
vermieden  die  Passage  des  E.  Gonöa  an  der  Stelle  der  Quelle  und 
erreichten  den  E.  Udeno  schon  am  frühen  Nachmittage.  Arämi  liess 


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350  H.  BUCH,  5.  KAP.  FLUCHT  AUS  BARDAI  UND  RÜCKKEHR  NACH  FEZZÄN. 

sich  unterwegs  angelegen  sein,  mich  und  die  Kameele  allmählich 
des  überflüssigen  Gepäckes  zu  seinem  und  seiner  Begleiter  Besten  zu 
entledigen,  deponirte  in  einer  Felsspalte  meine  schöne  Matratze  und 
überwies  seinem  Neffen  Birsa,  als  dieser  in  der  Nähe  des  E.  Gonöa 
Abschied  von  uns  nahm  und  nach  Bardai  zurückkehrte,  die  schlanke 
messingene  Wasserkanne  und  einen  eisernen  Kochtopf,  den  er  augen- 
scheinlich für  Kupfer  gehalten  hatte,  um  dieselben  in  seiner  Woh- 
nung abzuliefern.  Auch  der  Sohn  Temidömi’s  hatte  uns  seines 
Vetters  Bü  Zeid  wegen  begleitet  und  ruhte  nicht  eher,  als  bis  er 
sich  der  schönen,  vollen  Seiden -Quaste  meines  Tarbüsch  versichert 
hatte.  Noch  konnte  ich  mich  nicht  zum  Gefühle  voller  Sicherheit 
aufschwingen,  obgleich  es  allerdings  nicht  wahrscheinlich  war,  dass 
Jemand  uns  zu  verfolgen  wagen  würde,  da  man  alsbald  gehört  haben 
musste,  dass  Arämi  mit  seinen  Verwandten  uns  geleitete.  Dieser 
selbst  schlug  meine  in  dieser  Beziehung  geäusserten  Befürchtungen 
mit  der  stolzen  Bemerkung  nieder:  „Sei  ruhig,  ich  hiess  früher 
Uordömil"  Er  wollte  damit  ermuthigend  andeuten,  dass  er  im  Noth- 
falle  sich  nicht  scheuen  würde,  einen  Verfolger  niederzuschlagcn; 
denn  die  Vertauschung  seines  früheren  Namens  gegen  die  Benennung 
„Arämi”  stammte  von  der  Ermordung  eines  persönlichen  Feindes  im 
offenen  Streite.  Alle  Tubu  pflegen  nach  einer  solchen  That  einen 
neuen  Namen  anzunehmen. 

Der  zweite  Marschtag,  der  uns  vom  E.  Udeno  bis  fast  zur 
höchsten  Höhe  des  Passes  führte,  brachte  uns  eine  entsetzliche,  fast 
über  das  Mass  meiner  Kräfte  hinausgehende  Anstrengung.  Länger 
als  einen  Monat  hatte  ich  eine  strenge  Hungerkur  durchgemacht, 
und,  fast  an  dieselbe  Stelle  gebannt,  höchstens  nach  eingebrochener 
Nacht  meinen  engen  Käfig,  den  Lagerplatz,  durchmessen,  um  nicht 
ganz  den  Gebrauch  meiner  Glieder  zu  verlernen.  Jetzt  musste  ich 
zehn  Stunden  ununterbrochen,  oft  recht  steil,  aufsteigen  und  erhielt 
das  erquickende  Wasser  karg  zugemessen,  denn  ich  hatte  kaum  noch 
das  Recht,  mehr  zu  verlangen,  als  Diejenigen,  deren  Kameele  den 
Vorrath  trugen,  die  meine  Führer  und  Retter  waren  und  von  denen 
ich  gänzlich  abhing.  Wir  nächtigten  nahe  unserem  früheren  Lager- 
plätze und  der  Wasserscheide  unter  bitterer  Kälte,  welche  sich  bei 
der  spärlichen  Nahrung  und  dem  Mangel  an  hinlänglicher  Bedeckung 
recht  fühlbar  machte;  am  folgenden  Morgen  (6.  September)  gegen 
Sonnenaufgang  hatten  wir  nur  eine  Temperatur  von  6°  C.  Nachdem 


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ÜBER  STEIGUNG  DES  TARSO.  351 

wir  zunächst  Wasser  gesucht  und  in  einem  zerrissenen,  schwer  zu- 
gänglichen Felshügel,  über  dem  einige  Vögel  schwebten,  gefunden 
hatten,  tränkten  wir  die  Kameele  und  den  Esel,  nahmen  selbst  einen 
kleinen  Vorrath  ein  und  stärkten  uns  durch  ein  bescheidenes  Dattel- 
frühstück. Die  höhersteigende  Sonne  durchwärmte  unsere  steif- 
gefrorenen Gliedmassen,  zu  deren  Aufthauung  das  eisige  Felsen- 
wasser auch  nicht  grade  beigetragen  hatte,  und  auf  der  Höhe 
des  Vormittags  konnten  wir  einigermassen  erquickt  unseren  Weg 
fortsetzen. 

Gegen  Mittag  erreichten  wir  den  Krater  und  folgten  seinem  süd- 
lichen Rande  bis  dahin,  wo  der  Weg  in  südwestlicher  Richtung  nach 
Täo  führt.  Hinter  einem  Felsen  trat  hier  plötzlich  Kolokömi  hervor,  der 
mit  seinem  Bruder  und  einer  Kameelstute  auf  uns  gewartet  hatte.  Nach- 
dem derselbe  in  seinem  frommen  aber  abergläubischen Gemüthe  uns  ver- 
anlasst hatte,  einige  Datteln  mit  ihm  zu  essen  und  einige  derselben 
auf  einen  bestimmten  Stein  als  Opfergabe  — Sadiiqa  arab.  — nieder- 
zulegen, um  eine  glückliche  Beendigung  der  schwierigen  Aufgabe, 
welche  unser  noch  wartete,  zu  erflehen  oder  zu  verdienen,  folgten 
wir  dem  Rande  der  riesigen  Grube  erst  in  westlicher,  dann  in  nord- 
westlicher Richtung,  bis  wir  nach  einigen  Stunden  in  der  letzteren 
den  Umkreis  der  Krateröfthung  verliessen.  Bis  dahin  hatte  der  Weg 
gegen  den  Tusidde  bergauf  geführt;  nun  begannen  wir  nicht  ohne 
Schwierigkeiten,  besonders  für  die  Kameele,  rapide  in  der  Richtung 
des  Aterkelluli-Felsens  hinabzusteigen.  Der  Bruder  Kolokömi’s  war 
hier  unser  Führer;  doch  ging  es  ohne  Weg  und  Steg  über  Fels- 
blöcke und  Söhluchtcn,  über  die  Ursprünge  der  zahlreichen  Wasser- 
betten,’ welche  in  der  Ebene  die  Kjauno-Flussthäler  bilden,  und  die 
steil  abfallenden  Bergrücken,  welche  wie  mächtige  Strebepfeiler  den 
Fuss  des  Tusidde  nach  dieser  Seite  umgeben,  bergab.  Hier  fehlte 
die  fast  weiche  Hülle  des  Tarso  fast  gänzlich;  meine  Füsse  schmerzten 
von  den  harten,  unregelmässigen  und  scharfkantigen  Felsen  und  ich 
war  froh,  als  wir  nach  Sonnenuntergang  im  weichen  Sande  eines 
Wasserbettchens  auf  halber  Höhe  lagerten. 

Der  folgende  Tag  war  noch  ermüdender  und  liess  mich  bisweilen 
an  der  Zulänglichkeit  meiner  Kräfte  für  den  noch  übrigen  Theil 
unserer  schwierigen  Aufgabe  zweifeln.  Nach  spärlichem  Frühstücke 
ging  cs  weiter  bergab,  und  ein  zwölfstündiger  Marsch  genügte  noch 
nicht,  uns  zu  den  isolirt  aus  der  Ebene  aufspringenden  Felsen  zu 


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3f>2  II-  BUCH,  5.  KAP.  FLUCHT  AUS  BARDAt  UND  RÜCKKEHR  NACH  FEZZÄN. 

bringen,  an  denen  wir  bei  unserer  Ankunft  in  Tibesti,  auf  dem  Wege 
nach  Täo,  vorübergezogen  waren.  Die  Basis  des  Tusidde  fallt  hier 
steiler  ab  als  gegen  Täo  hin,  seine  Wasserabflüsse  schneiden  tiefer 
ein,  und  die  sic  trennenden  Bergrücken  wurden  oft  fast  unüberwind- 
lich durch  die  mächtigen  Blöcke,  welche  sie  dicht  bedeckten.  In 
der  ersten  Hälfte  des  Marsches  ging  es  noch  meist  steil  bergab; 
dann  wurde  die  Neigung  geringer,  und  die  scharfgeformten  Felsen 
rundeten  sich  zu  Hügeln  ab;  Kalk  und  Lehm  gewährten  den  brennen- 
den Füssen  zuweilen  eine  kurze  Erholung  von  den  schwierigen  Fels- 
blöcken; die  scharfen  Einschnitte  der  temporären  Bäche  wurden  zu 
Flussbetten,  und  die  jähen  Schluchten  zu  Thälcrn  mit  sanfter  ge- 
neigten Wänden.  Selbst  die  Büffelfell-Sohlen  unserer  Schuhe  hatten 
diesen  Felsen  keinen  Widerstand  zu  leisten  vermocht,  und  sowohl 
meine  als  Giuseppes  Füsse  waren  voller  Blasen  und  Wunden.  Nur 
die  Fusssohlen  unserer  Tubu- Begleiter  waren  intact  geblieben;  ihre 
Sandalen  hingen  zusammengebunden  an  den  Spitzen  ihrer  Lanzen, 
um  das  Felsklettern  nicht  zu  erschweren,  und  leichtflüssig  schlüpf- 
ten sie  ohne  Anschein  von  Ermüdung  über  die  Blöcke  und  durch 
die  Schluchten.  Während  eines  Tagemarsches  tranken  sic  nur  zwei 
Mal  und  dann  eine  grössere  Quantität;  der  Hunger  und  die  Anstren- 
gung der  Fussw'anderung  über  das  schwierige  Terrain  hatten  keine 
Macht  über  sie. 

Als  gegen  die  Ebene  hin  die  Ursprungsbetten  der  Kjaunoflüssc 
breiter  und  weniger  abfallend  wurden,  traten  auch  wieder  Akazien, 
Oscharbüsche,  Wüstenfenchel  (Deverra: ■),  Gräser  und  die  so  ver 
breitete  Sennapflanze  auf,  und  in  ihrer  Nähe  stiessen  wir  hier  und 
da  in  den  Schluchten  und  versteckt  in  den  Felsen  auf  Steinllütten, 
deren  Bewohner  der  Hunger  augenblicklich  anderswohin  getrieben 
hatte. 

Der  nächste  Tag  (8.  September)  sollte  uns  ganz  aus  den  Bergen 
hinaus  an  den  Ort  führen,  wo  wir  uns  von  Animi  und  Gordoi  trennen 
und  allein  den  unsicheren  Weg  nach  Fezzän  antreten  sollten.  Ein 
kurzer  Marsch  brachte  uns  über  die  letzten  Hügel  hinweg  in  die 
Ebene,  die  nur  durch  die  westlichen,  felsigen  Ausläufer  des  über- 
stiegenen Gebirgsstockes  unterbrochen  war,  und  nach  wenigen  Stun- 
den erreichten  wir  denjenigen  der  letzteren,  welcher  dem  E.  Auso, 
einem  Nebenflüsse  des  E.  Aru,  Ursprung  giebt.  Dort  sollten  wir 
unsere  Kameele  abwarten,  da  wir  nicht  wagen  durften,  dieselben 


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RAST  IM  F..  AUSO. 


353 


aus  dem  E.  Aräbu,  der  noch  zum  Territorium  der  Leute  von  Abo 
gehört,  selbst  abzuholen. 

Es  war  die  höchste  Zeit,  dass  wir  ankamen,  und  ein  Glück,  dass 
uns  hier  eine  Ruhe  von  einigen  Tagen  aufgezwungen  wurde,  denn 
die  Kräfte  Giuseppes  waren  erschöpft,  seine  Plattfüsse  in  einem  be- 
dauerlichen Zustande.  Schon  am  Morgen,  sobald  die  Berge  hinter 
uns  lagen,  hatte  er  sich  weiter  zu  gehen  geweigert  und  würde 
resignirt  am  Wege  liegen  geblieben  sein,  wenn  nicht  Arämi,  da 
unser  Ziel  nahe  war,  sich  seiner  erbarmt  und  ihn  auf  sein  Kameel 
gehoben  hätte. 

Ein  weites,  natürliches  Wasserreservoir  versah  uns  mit  dem 
herrlichsten  Getränk;  die  Felsen  lieferten  uns  die  geeigneten  Mahl- 
steine, mit  denen  Sa'ad  und  ’AIi  Bü  Bekr  alsbald  einen  Theil  unseres 
spärlichen  Weizenvorrathes  in  Mehl  *vcrwandelten;  der  Sand  war 
weich  und  der  Schatten  köstlich.  Es  wäre  ein  himmlischer  Genuss 
gewesen,  hier  zu  ruhen,  zu  essen  und  zu  trinken,  wenn  unsere  Rettung 
schon  eine  vollständige  gewesen  wäre.  Den  Genuss,  ja  das  Glück, 
welches  in  der  theuer  erkauften  Befriedigung  der  materiellen  Bedürf- 
nisse liegt,  die  man  lange  entbehrte,  kann  nur  derjenige  ermessen, 
der  in  ähnlichen  Lagen  war.  Auch  die  drohendsten  Gefahren  der 
nächsten  Stunden  vermögen  nicht  den  Genuss  des  ersten  reichlichen 
Trunkes,  der  ersten  ausgiebigen  Mahlzeit  nach  langem  Dursten  und 
Hungern,  der  ersten  vollständigen  Ruhe  nach  bis  zum  Erliegen 
erschöpfenden  Anstrengungen,  des  ersten  Gefühles  der  Sicherheit 
nach  bewusster,  mit  unmittelbarer  Vernichtung  drohender  Gefahr  zu  be- 
einträchtigen. Das  dauert  freilich  nicht  lange,  und  sobald  der  Körper 
annähernd  sein  Gleichgewicht  wiedergewonnen  hat,  beginnt  auch  die 
bleiche  Sorge  wieder  jeden  Genuss  zu  verbittern. 

Kaum  hatten  wir  gegessen,  getrunken  und  geschlafen,  so  be- 
gannen auch  Arämi  und  Gordoi  schon,  mir  das  mühsam  erkämpfte 
Dasein  zu  vergällen  und  die  Gefühle  der  Dankbarkeit,  die  ich  ihnen 
trotz  ihrer  speculativen  Habsucht  zollte,  zu  ersticken.  Gordoi  rückte 
zuerst  mit  seinen  Ansprüchen  hervor,  verlangte  den  Miethpreis  für  sein 
Kameel,  dessen  Bezahlung  wir  auf  Fczzan  zu  verschieben  iiberein- 
gekommen  waren,  und  beanspruchte  einen  Salam,  d.  h.  eben  so  wohl 
Begrüssungs-  oder  Unterw  ürfigkeitsgeschenk,  als  auch  Belohnung.  Die 
messingene  Waschschüssel,  welche  ich  ihm  anbot,  genügte  ihm  nicht, 
da  Arämi  die  dazu  gehörige  Wasserkanne  schon  im  Besitz  hatte,  und 

Nuhtigut.  I. 


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354  H.  BUCH,  5.  KAP.  FLUCHT  AUS  BARDA?  UND  RÜCKKF.HR  NACH  FEZZAN. 

cs  entstand  ein  Streit,  der  mir  eine  traurige  Aussicht  auf  die  nächsten 
Tage  eröffnete.  Während  dieser  sollte  Bü  Zei'd  nach  Aräbu  gehen 
und  von  der  alten  Kintäfo  die  Kameele  und  das  ihr  anvertraute  Ge- 
päck zurückfordern. 

Als  derselbe  ,mit  Kolokömi's  Bruder  abgereist  war,  wurde  das 
Zusammenleben  mit  den  beiden  habsüchtigen  Tubu  immer  unerfreu- 
licher. Es  gelang  mir,  am  ersten  Tage  nach  Bii  Zeid's  Abreise  die 
unvermeidlichen  Discussioncn  mit  denselben  hinauszuschieben,  doch 
am  zweiten,  an  dem  der  Muräbid  und  die  Kameele  erwartet  wurden, 
kam  es  zu  den  heftigsten  Auseinandersetzungen.  Arämi  machte 
unserem  natürlichen,  leider  unzulänglichen  Beistände  Kolokömi  be- 
greiflich, dass  mein  sämmtliches  Hab  und  Gut  billiger  Weise  ihm 
gehöre,  nachdem  er  mich  und  meine  Leute  fast  einen  Monat  lang 
ernährt  und  mir  thatsächlich  das  Leben  gerettet  habe.  Wenn  ich 
in  Frieden,  ungeschädigt  an  meinem  Leibe,  von  hinnen  ginge,  so 
sei  das  Alles,  was  ich  füglich  erwarten  könne.  Er  werde  also,  so- 
bald Kameele  und  Sachen  gekommen  seien,  mein  Eigenthum  anncc- 
tiren  und  seinem  Neffen  Gordoi  den  ihm  gebührenden  Antheil  zu- 
kommen lassen.  Ich  wurde  gar  nicht  dabei  gefragt  oder  höchstens, 
wenn  ich  Einspruch  that,  höhnend  aufgefordert,  doch  abzureisen, 
ohne  sie  befriedigt  zu  haben,  wenn  ich  es  wagte.  Ihr  Benehmen 
war  so  gefühllos  und  hämisch,  dass  ich  bisweilen  dem  Entschlüsse 
nahe  war,  mit  Gewalt  ihre  Ansprüche  zurückzuweisen  und  mich 
endlich  einmal  des  lang  verhaltenen  Giftes,  der  reichlich  aufgc- 
speichcrten  Galle  gegen  die  Tubu  zu  entledigen.  Giuseppe  war 
entschieden  dieser  Ansicht  und  schlug  vor,  unsere  anspruchsvollen 
Befreier  bis  zu  unserer  Abreise  gefangen  zu  halten  und  dann  wo- 
möglich gefesselt  zurück  zu  lassen.  Mit  unseren  Waffen  würde  cs 
ein  Leichtes  gewesen  sein,  unsere  Quälgeister  zu  besiegen  und 
unserem  berechtigten  Grimm  einen  gewaltthätigen  Ausdruck  zu  geben. 
Doch  schliesslich  waren  dieselben  trotz  alledem  unsere  Lebensretter, 
und  der  eigene  Vortheil,  wenn  ich  unsere  Rückreise  nach  Fezzän, 
für  die  uns  die  Führerschaft  Kolokömi’s  unentbehrlich  war,  in  Be- 
tracht zog,  und  die  Rücksicht  auf  künftige  Forschungsreisende  riethen 
zu  friedlicher  Lösung.  Ich  gestehe,  dass  das  Rachegefuhl  für  Augen- 
blicke so  stark  und  verlockend  in  mir  war,  dass  es  eine  gewisse 
Anstrengung  kostete,  ihm  nicht  nachzugeben  und  den  aufgeregten 
Sinn  zur  Vernunft  und  Moral  Zurückzufuhren. 


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DIE  SCHWIERIGE  FRAGE  DER  TRANSPORTMITTEI. 


355 

Am  ii.  September  Morgens  früh  kehrten  endlich  Hü  Zeid  und 
Kolokömi  s Bruder  zurück,  begleitet  von  einer  Schwester  Kintäfo's  und 
einem  jungen  Manne,  und  führten  fünf  Kameele  mit  sich,  deren  Anblick 
mich  mit  den  kühnsten  Hoffnungen  erfüllten.  Es  stellte  sich  freilich  als- 
bald heraus,  dass  nur  eines  derselben  mein  Eigenthum  war.  Von  meinen 
übrigen  Thiercn  waren  nach  Kintäfo’s  Behauptung  zwei  gestorben, 
und  das  dritte  mit  dem  zurückgelassenen  Thcile  meines  Gepäckes 
gestohlen  worden.  Zum  Beweise  des  Todes  der  ersteren  wurden 
mir  zwei  mit  getrocknetem  Fleische  gefüllte  Ledersäcke  überreicht. 
Ueber  die  Wahrheit  oder  Unwahrheit  dieser  Aussagen  zu  rechten, 
war  gänzlich  zwecklos;  Kintäfo  war  ausser  unserem  Bereiche,  und 
es  handelte  sich  für  uns  darum,  so  schnell  als  möglich  den  Weg 
nach  Fezzän  zu  betreten,  um  unseren  spärlichen  Vorrath  von  Weizen 
und  Datteln  nicht  vor  Beginn  der  Reise  aufzuzehren. 

Meinem  Versprechen  gemäss  iiberliess  ich  Arämi  das  letzte  meiner 
Kameele,  das  übrigens  bei  seiner  sichtlichen  Schwäche  Fezzän  schwer- 
lich erreicht  haben  würde,  und  ging  an  die  Unterhandlung  über  die 
miethweise  Ueberlassung  der  von  Bü  Zeid  zu  diesem  Zwecke  herbei 
geführten  fremden  Thicre.  Zwei  derselben  gehörten  der  begleitenden 
Frau,  eines  dem  erwähnten  Jünglinge,  und  das  dritte  war  das  bei 
seiner  Abreise  nach  Bardai  zurückgclassene  Eigenthum  Bu  Zei'd’s. 
Es  würde  wahrscheinlich  gelungen  sein,  die  erstgenannten  beiden  zu 
miethen,  wenn  nicht  die  Besitzerin  meinen  Diener  Sa'ad  zu  Gesicht 
bekommen  hätte.  Dieser  aber  gefiel  ihr  so  gut,  dass  sie  das  Anerbieten 
machte,  uns  die  nöthigen  Transportmittel  zu  liefern,  wenn  ich  ihr  den 
hübschen  Sclaven  geben  wolle.  Schon  öfters  war  Sa'ad,  so  hässlich, 
unliebenswürdig  und  unzuverlässig  er  auch  war,  ein  Gegenstand  leb- 
hafter Begehrlichkeit  von  Seiten  der  Hausfrauen  Bardäfs  gewesen,  und 
manche  Stunde  banger  Sorge  um  seine  Zukunft  war  daraus  für  ihn 
erwachsen,  denn  die  Sclaven  der  Tubu  Reschäde  waren  wirklich  in 
einem  herzzerreissenden  Zustande  der  Verkommenheit.  Lebte  man 
in  Tibesti  im  Allgemeinen  schon  sehr  knapp,  so  unterwarf  man  die 
Sclaven  geradezu  einer  continuirlichen  Hungerkur,  welche  den  aus 
den  fruchtbaren,  productenreichen  Ländern  des  Sudan  Kommenden 
um  so  empfindlicher  sein  musste.  Den  Luxus  von  Kleidern  erlaubte 
man  ihnen  ebenfalls  selten;  ein  Stückchen  Baumwollenstoff  oder 
Leder,  mit  der  Bestimmung  des  paradiesischen  Feigenblattes  und 
kaum  viel  grösser,  musste  ihnen  genügen  und  führte  die  gegen  die 

23* 


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35ß  II.  BUCH,  KAP.  FI.UCHT  AUS  BARDA?  UND  RÜCKKEHR  NACH  FF.ZZÄN. 

Kälte  so  empfindlichen  Negerorganismen  im  Verein  mit  dem  Hunger 
oft  einem  schleunigen  Tode  entgegen.  Manche  Herren  führten  mir 
ihre  Sclaven  als  krank  zu,  die  in  der  That  nur  auf  dem  Wege  des 
langsamen  Verhungerns  in  Folge  unzureichender  und  ungeeigneter 
Nahrung  zu  sein  schienen. 

Ein  denkender  Sclave  muss  in  Tibesti  zur  Verzweiflung  getrieben 
werden.  Hat  er  in  andern  Ländern  einen  bösen  Herrn,  so  hält  ihn 
die  Hoffnung  aufrecht,  in  die  Hände  eines  wohlwollenderen  über- 
zugehen oder  im  Nothfalle  davonzulaufen.  Aus  Tibesti  giebt  es 
keine  Kettung:  dort  endet  seine  Hoffnung  und  sein  Leben.  Entlaufen 
ist  sicherer  und  baldiger  Tod  in  der  pfadloscn  Wüste;  lileiben  eine 
endlose  Reihe  von  Leiden,  ein  oft  nur  langsames  Sterben.  Es  sind 
Fälle  bekannt,  wo  von  Bornü  kommende  Sclaven,  wenn  sic  in  Kawär 
von  Tubu  Reschade  gegen  Kamcele  eingetauscht  wurden,  sich  das 
Leben  nahmen,  obgleich  sich  dieselben  doch  sonst  mit  einer  uns  un- 
verständlichen Ergebung  und  Leichtigkeit  in  jede  Gestaltung  ihres 
Schicksals  fügen.  So  allgemein  ist  die  F'urcht  vor  der  Sclaverei 
bei  den  Tubu;  und  wer  sie  in  der  Nähe  beobachtet  hat,  versteht  die 
Todeswahl  der  bemitleidenswcrthen  Opfer. 

Die  Unmöglichkeit  meinerseits,  ihren  Wunsch  zu  erfüllen  und  Sa'ad 
zu  opfern,  liess  die  F'rau  in  ihrem  Aerger  überhaupt  das  Project,  ihre 
Kameele  zu  vermiethen,  aufgeben,  und  mit  der  höhnischen  Bemerkung, 
ihretwegen  könnten  wir  flir  immer  auf  den  P'elsen  sitzen  bleiben,  ritt 
sie  davon.  Der  Jüngling,  welcher,  kürzlich  von  Borkü  gekommen,  auf 
dem  Wege  zu  Verwandten  in  Fezzän  war,  hatte  schon  mehr  Veran- 
lassung, sein  Kameel  zur  Disposition  zu  stellen,  und  cs  gelang  mir  auch, 
nach  endlosem  Hin-  und  Herreden,  dasselbe  zu  miethen,  freilich  für 
den  exorbitanten  Preis  von  27  Maria-Theresia-Thalem , während  der 
gewöhnliche  Preis  eines  Miethkamccls  zwischen  Fezztin  und  Tibesti 
6 bis  loThaler  beträgt.  Mit  diesem  Thiere,  dem  allerdings  schwachen 
Kameele  Bu  Zeids,  und  der  Stute  Kolokömi’s  konnten  wir  uns  füg- 
lich begnügen. 

Vor  der  Abreise  ging  es  an  eine  Discussion  und  Regulirung  der 
mannichfachen  Ansprüche,  die  von  Allen  noch  zuletzt  erhoben  wurden, 
und  die  Arümi  schon  so  drohend  angedeutet  hatte.  Dieser  selbst 
begnügte  sich  endlich  mit  dem  Kameel  und  dem  kupfernen  Koch- 
kessel; sein  Neffe  Gordoi  ergriff  die  letzte  ßatanija  und  empfing 
einen  Handschein  über  den  Mietli preis  seines  Kameels  von  Bardäi 


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TRENNUNG  VON  MEINEN  ANSPRUCHSVOLLEN  RETTERN.  357 

nach  dem  E.  Auso;  der  Bruder  Kolokömi's,  der  nun  schon  wochenlang 
mit  uns  herumgezogen  war  ohne  den  geringsten  Erfolg  seiner  specu- 
lativen  Anhänglichkeit,  erhielt  die  letzten  drei  Thaler,  zwölf  Dra  Cham, 
den  Tarbüsch  Bui  Mohammed  s,  und  gab  sich  nicht  eher  zufrieden,  als 
bis  er  noch  einen  Schuldschein  über  sieben  Maria-Thercsia-Thaler  in 
Händen  hatte.  Die  Schuldscheine  wurden  von  ihren  Besitzern  dem 
Muräbid  Bü  Zeid  anvertraut,  der  gleichzeitig  Bürge  für  ihre  Bezahlung 
wurde.  Zum  Schlüsse  hieben  meine  Quälgeister  noch  einmal  wacker 
auf  unsere  ohnehin  schon  unzureichenden  Vorräthe  ein  und  versäumten 
nicht,  das  gedörrte  Fleisch  meiner  gestorbenen  Kameele  mit  uns  zu 
thcilen,  um  für  den  Rückweg  in  ihre  Heimath  (Gordoi  begab  sich 
nach  Zuar  und  Animi  nach  Gabön)  einigen  Mundvorrath  zu  haben. 
Endlich  war  Alles  zur  Abreise  bereit,  und,  ohne  an  die  schwierige 
Aufgabe,  die  uns  bevorstand,  zu  denken,  lechzte  ich  nur  nach  dem 
Augenblicke  der  Trennung  von  meinen  Tubu-Gefährten,  deren  An- 
blick allein  mich  schon  in  einem  Zustande  nervöser  Irritation  erhielt. 

Dahin  flogen  die  zahlreichen  Steinproben,  welche  ich  gesammelt 
hatte,  und  die  mir  desto  werthvoller  sein  mussten,  je  unzulänglicher 
meine  eigenen  Kenntnisse  in  dieser  Richtung  waren,  und  die  Bücher, 
welche  als  unnütze  Last  erkannt  wurden.  Jeder  der  Anwesenden 
wühlte  in  den  Kisten  und  nahm,  was  ihm  gut  dünkte,  bis  das  Ge- 
wicht derselben  dem  Herrn  des  gemietheten  Karneols  leicht  genug 
erschien.  Endlich,  als  auch  die  Wasserschläuche  gefüllt  waren,  gingen 
wir  an  die  Bcpackung  der  Kameele,  Da  erblickte  ich  zu  meinem 
Erstaunen  und  Entsetzen  Kolokömi,  wie  er  sich  mit  seinem  schnell 
und  heimlich  beladenen  Kameele  ohne  Abschied  zu  entfernen  begann. 
Keine  Rufe  hielten  ihn  zurück,  und  als  ich  den  alten  Mohammed  dem 
Treulosen  nachsenden  wollte,  kam  plötzlich  dessen  lang  verhaltener 
Groll  gegen  mich,  seine’  halben  Landsleute  und  unsere  Reise  zum 
vollen  Ausbruch.  „Siehst  Du",  rief  er,  „wie  der  Letzte,  dem  verräthe- 
rischen  Charakter  seines  Stammes  entsprechend,  uns  verlässt!?  Geh' 
doch  jetzt  auf  dem  Wege,  den  Du  so  sorgfältig  aufgeschrieben  hast, 
nach  Fezzan,  wenn  Du  es  vermagst!  Habe  ich  Dir  nicht  vorher  ge- 
sagt, wie  es  kommen  würde?!  Oh,  diese  Christen,  die  nur  einen 
eigensinnigen  Kopf  und  viel  Wissen,  aber  keinen  Verstand  haben! 
Bei  Gott,  wie  Du  die  Hauptschuld  hast,  so  hast  Du  auch  den  Haupt- 
nachtheil. Du  kannst  jetzt  wählen,  ob  Du  getödtet  werden  — er 
machte  die  ominöse  circuläre  Bewegung  mit  dem  Zeigefinger  um  den 


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358  II.  BUCH,  5.  KAP.  FLUCHT  AUS  BAKDAt  UNI)  KÜCKKKHR  NACH  FEZZAN. 

I lals  oder  verhungern  willst.  Wir  Andern  mit  unserer  schwarzen 
Haut  kommen  wenigstens  mit  dem  Leben  davon,  denn  man  wird 
uns  höchstens  zu  Sclavcn  machen;  nur  fiir  Dich  giebt  cs  kein 
Entrinnen!” 

Ohne  mich  auf  seine  Perorationen  einzulassen,  eilte  ich  Kolokömi 
nach,  um  ihn  zu  seiner  Pflicht  zurückzuführen,  denn  ohne  ihn  war  unsere 
Abreise  fast  unmöglich.  Freilich  kannte  Hui  Mohammed  den  Weg 
über  Abo,  aber  abgesehen  von  der  Gefahr,  die  uns  dort  drohte, 
besonders  wenn  wir  ohne  Tubu- Begleiter  sein  würden,  genügten 
unsere  Transportmittel  nicht  für  die  sieben  wasserlosen  Tage  dieser 
Strecke.  Ohne  einen  Führer  bis  zur  Bornüstrasse,  die  dem  alten 
Mohammed  ebenfalls  bekannt  war,  mussten  wir  auf  der  Schwelle  der 
Rettung  zu  Grunde  gühen. 

Kolokömi  trieb  hastig  sein  Kameel  vorwärts  und  antwortete 
kurz,  er  sähe  nicht  ein,  wesshalb  er  noch  bei  mir  bleiben  solle,  nach- 
dem ich  alle  meine  Habe  an  Andere  vertheilt  habe,  und  er  immer 
leer  ausgegangen  sei.  Er  habe  das  Verdienst  und  die  Mühe  gehabt 
und  dafür  den  Hass  seiner  Landsleute  geerntet,  diese  aber  hätten 
mein  Besitzthum  getheilt.  Jetzt,  wo  ich  absolut  Nichts  mehr  mein 
nenne,  sei  kein  Grund  vorhanden,  mich  noch  zu  begleiten,  denn  bei 
mir  sei  kein  Nutzen,  kein  Gewinn.  Der  Hinweis  auf  unseren  Contract 
war  wirkungslos;  erfolgreicher  war  jedoch  das  Versprechen  eines 
Geschenkes  nach  Erreichung  unseres  Zieles  und  besonders  die 

schliessliche  Drohung,  ihn  im  Nothfalie  zur  Erfüllung  seiner  Pflicht 
mit  Waffengewalt  zwingen  zu  wollen.  Im  Grunde  war  Kolokömi 
nicht  ohne  Gutmüthigkeit  und  hatte  es  wohl  hauptsächlich  auf 

eine  Erpressung  abgesehen.  Freilich  war  er  bei  dem  obwraltenden 
feindseligen  Verhältnisse  zwischen  Fezzanern  und  Tubu  nicht  zu  be- 
wegen, seinen  Contract  bis  zu  Ende  zu  erfüllen  und  uns  bis  Fezzän 
zu  geleiten,  doch  gelang  es  mir  gegen  das  schriftliche  Versprechen 

eines  neuen  Anzuges,  seine  Begleitung  bis  dahin  zu  gewinnen,  wo 

wir,  das  Tümmo-Gebirge  vor  Augen,  des  Weges  sicher  sein  konnten. 

Arämi,  GordoY  und  Kolokömis  Bruder  waren,  Jeder  in  der  Rich- 
tung seiner  Heiniath,  verschwunden.  Ich  war  wie  von  einem  Alp  befreit 
und  begann  nach  der  Wiedergewinnung  unseres  Führers  mit  frischem 
Muthe  die  Heimwanderung,  die  bei  unserem  geringen  Mundvorrathe 
nur  einem  in  der  Entbehrung  hart  geschulten  Wüstenbewohner  mög- 
lich erscheinen  konnte.  Wir  wanden  uns  in  westlicher  Richtung  aus 


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OIE  BEUNRUHIGENDE  ABNAHME  MEINER  KRÄFTE. 


359 


den  Ursprungsfdsen  des  E.  Auso  in  die  Ebene,  hielten  uns  dann 
nordwestlich,  überschritten  den  E.  Ogöso,  wie  jener  ein  Nebenfluss- 
bett des  E.  Aru,  und  lagerten,  bevor  wir  diesen  erreicht  hatten. 

Nachdem  wir  am  12.  September  am  Ursprünge  des  E.  Aru 
Wasser  eingenommen  hatten,  setzten  wir  in  fast  derselben  Richtung 
unseren  Weg  fort,  liessen  das  genannte  Flussbett  nach  einigen 
Stunden  hinter  uns  und  lagerten  bald  darauf  während  der  heissen 
Tagesstunden  auf  einsamer  Hammäda,  um  nicht  etwa  von  den  Be- 
wohnern des  Arabu  und  des  Udüi  gesehen  zu  werden.  Gegen  Abend 
brachen  wir  wieder  auf,  trieben  unsere  Kameele  zu  aussergewöhn- 
lieber  Geschwindigkeit  an  und  überschritten  in  dem  Dunkel  der 
Nacht  und  unter  dem  tiefsten  Schweigen  nach  drei  Stunden  das  erst- 
genannte der  beiden  Flussbetten  und  nach  zwei  weiteren  den  Udüi. 
Jenseits  des  letzteren,  nachdem  unsere  Richtung  eine  ganz  nordnord- 
westliche geworden  war,  stiegen  wir  stark  auf  zu  der  hochgelegenen 
Felsengegend,  welche  nördlich  vom  Abo  oder  Udüi  sich  ausdehnt,  und 
lagerten  um  Mitternacht  nach  elfstündigem  Tagemarsche  bei  den 
ersten  Gruppen  derselben. 

Die  allgemeine  Schwäche  in  Folge  einer  lange  fortgesetzten 
Hungerkur,  die  Aufregung  der  letzten  Tage,  der  elfstündige  Marsch 
im  Geschwindschritt,  die  wunden  Füsse,  welche  von  den  scharfen,  in 
die  zerrissenen  Schuhe  dringenden  Steinchen  des  groben  Kieses  em- 
pfindlich schmerzten,  die  Furcht,  dass  meine  Kräfte  den  uns  erwar- 
tenden Anstrengungen  nicht  gewachsen  sein  möchten:  Alles  dies 
hatte  mich  in  einen  fieberhaften  Zustand  versetzt,  der  mich  mit 
neuer  Sorge  erfüllte  und  mir  die  so  nothwendige  Erquickung  ruhigen 
Schlafes  schmälerte.  Obgleich  wir  bei  unserem  kargen  Wasservor- 
rathe,  der  bis  Afäfi  ausreichen  sollte,  übereingekommen  waren,  dass 
Allen  gleichmässig  ihre  Ration  zugemessen  werden  solle,  und  die 
Kühle  der  Nacht  nur  einen  sehr  mässigen  Trunk  zu  rechtfertigen 
schien,  musste  ich  schon  dort  eine  Bevorzugung  in  Anspruch  nehmen: 
so  verzehrt  von  innerer  Fiebergluth  war  ich,  so  aufgeregt  und  über- 
müdet. 

Der  folgende  Tag  war  nicht  besser;,  das  Gefühl  von  Schwäche 
und  Fieber  verliess  mich  nicht;  die  ausgetrockneten  Schleimhäute 
von  Augen,  Nase  und  Mund  schmerzten,  wie  die  blutigen  Füsse:  ich 
war  im  wahrhaften  Sinne  des  Wortes  todtmüde  und  verzweifelte 
mehr  und  mehr  an  dem  Gelingen  meines  Unternehmens.  Ich  heftete 


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36U  II.  BUCH,  5.  KAP.  FLUCHT  AUS  I1ARDAI  UND  RÜCKKEHR  NACH  FKZZÄN. 

meine  Schritte  an  die  Kolokömi's,  liess  mir  in  kindischer  Weise  mög- 
lichst oft  wiederholen,  dass  Afäfi  nicht  weit  sei,  dass  wir  bald  unsere 
Mittags-  oder  Nacht-Rast  machen  würden  und  dergleichen  mehr,  und 
suchte  einen  kärglichen  Trost  und  einen  kleinen  Zuwachs  meiner 
Energie  aus  seinen  Antworten  zu  schöpfen.  Wir  marschirten  wieder 
fast  zehn  Stunden  in  nordnordwestlicher  Richtung  über  den  gleich- 
massigen  Kiesgrund  und  zwischen  den  isolirt  aufspringenden  und 
scharfgeformten  Felsgruppen,  die  hier  nach  Osten  hin  seltener  werden, 
und  hatten  noch  einen  schweren  Tag  vor  uns,  ehe  wir  den  E.  Lolemmo, 
über  dessen  Wassergehalt  Kolokömi  überdies  einige  Zweifel  nährte, 
erreichen  konnten. 

Dieser  folgende  Tag  (14.  September)  entmuthigte  mich  noch 
mehr,  und  wenn  wir  nicht  eine  fünfstündige  Tagesrast  in  einer 
wunderbar  kühlen  Felsgruppe  gehalten  hätten,  so  würde  ich  wohl 
den  fast  vierzehnstündigen  Marsch  nicht  bis  zu  Ende  ertragen  haben. 
Die  genussreiche  Mittagsruhe  kostete  uns  leider  den  Besitz  der 
pflichttreuen  Feida.  Beim  Aufbruche  Nachmittags  war  sie  in  den 
Felsen  versteckt  zurückgeblieben,  und  als  All  Bü  Bekr,  der  Einzige, 
welchem  sie  äussere  Zeichen  der  Anhänglichkeit  zollte,  zurückgekehrt 
war,  um  sie  zu  holen,  hatte  sie  resignirt  jede  fernere  Kraftanstrengung 
verweigert.  Ali  vermochte  nicht,  sie  zu  tragen,  und  wir  waren  in- 
dessen weiter  marschirt.  Später  hatte  Niemand  Muth  und  Kraft, 
einen  neuen  Versuch  zu  machen,  und  so  musste  das  arme  Thier  im 
Stiche  gelassen  w’erden.  Der  Anblick  der  Berge  von  Afäfi  hielt 
meine  Energie  während  des  Nachmittags  mühsam  aufrecht.  Dieselben 
schienen  so  nahe,  und  in  ihnen  hoffte  ich  Ruhe  und  Schlaf  und 
hoffentlich  den  unbeschränkten  Genuss  köstlichen  Felsenwassers  zu 
finden.  Schon  um  Sonnenuntergang  erreichten  wir  sie,  doch  fast 
noch  vier  Stunden  lang  wurden  unsere  Geduld  und  Kraft  durch 
endlose  Windungen  bei  schwierigem  Boden  und  dunkler  Nacht  auf 
die  härteste  Probe  gestellt.  Endlich  war  der  Lolemmo  erreicht  und 
in  ihm  fanden  u'ir  glücklicherweise  einige  wohlgefüllte  Wasser- 
reservoirs. 

Das  Flussthal  war  durch  die  Begünstigung  kürzlicher  Regengüsse 
mit  einer  Fülle  frischer  grüner  Kräuter  geziert,  die  ihm  zwischen  den 
100  Fuss  hohen  einschliessenden  Felsen  einen  Charakter  ungewöhn- 
licher Ueppigkeit  verliehen.  Eine  Kameelstute  war  hier  sorglos  der 
Weide  überlassen  und  verschaffte  uns  den  bei  unseren  kümmerlichen 


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HAST  IN  AFAFI. 


361 


Verhältnissen  doppelt  kostbaren  Genuss  frischer  Milch.  In  diesen 
einsamen  Gegenden  können  die  Besitzer  es  unbedenklich  wagen,  ihre 
Thiere  ohne  Aufsicht  dem  frischen  Kräutergenusse  zu  uberlassen, 
denn  Fremde  führt  ihr  Weg  dort  nicht  vorüber,  und  die  engeren 
Landsleute  können  aus  Furcht  vcfr  der  fast  unvermeidlichen  Ent- 
deckung einen  Kamceldiebstahl  nicht  wagen.  Die  Thiere  selbst 
aber  bedürfen  keiner  Abwartung,  da  sie  bei  dem  Genüsse  frischer 
Kräuter  und  ohne  alle  Anstrengung  wochenlang  nicht  getränkt  zu 
werden  brauchen.  Auch  Kolokömi  wollte  seine  Stute  dort  vor  dem 
Zorne  seiner  Landsleute  sicher  stellen  und  entzog  uns  dadurch  für 
die  nächsten  Tage  einen  grossen  Theil  unserer  Transportkraft  Trotz 
aller  Einsprache  wollte  er  sich  nicht  entschliessen,  von  diesem  Plane 
abzugehen;  doch  stimmte  er  endlich  wenigstens  zu,  uns  persönlich 
aus  den  Afäfi- Bergen  hinaus  auf  den  sicheren  Weg  nach  dem 
Tümmo  zu  bringen.  Bü  Ze'id  in  seiner  Tubu-Natur  suchte  natürlich 
aus  diesem  Umstande  Gewinn  zu  ziehen,  und  ich  musste  ihm  dafür, 
dass  er  das  letzte  Kochgeschirr,  die  Essschüssel  und  den  Beutel 
mit  Getreide  auf  sein  Kamccl  lud,  die  Summe  von  fünf  Thalern  in 
Fezzän  auszuzahlen  versprechen. 

Ich  benutzte  den  Ruhetag  des  15.  September  so  gut  als  mög- 
lich zur  Wiedergewinnung  eines  Theils  meiner  Kräfte,  nahm  in  einem 
zu  diesem . Zwecke  vortrefflich  geeigneten  Regenwasserbehälter  ein 
erquickendes  Bad  seit  der  Flucht  aus  Bardai  hatte  ich  keine 
Gelegenheit  zu  einer  europäischen  Gewohnheiten  entsprechenden 
Körperabwaschung  gehabt  — , ass,  so  viel  ich  hatte,  schlief,  so 
viel  ich.  konnte,  und  setzte  fühlbar  gestärkt  am  16.  September  die 
kummervolle  Reise  fort. 

Die  Ursprünge  des  Galiemma  umgingen  wir  in  nördlichem 
Bogen  und  fanden  in  der  Nähe  derselben  eine  reich  gefüllte 
Cisternc,  aus  der  wir  uns  für  den  ganzen  Weg  nach  dem  Tümmo, 
der  immerhin  drei  Tagereisen  entfernt  sein  konnte,  versehen  mussten. 
Wir  nahmen  sechs  Wasserschläuche,  von  denen  zwei  von  Menschen 
getragen  werden  mussten,  brachen  im  Anfänge  des  Nachmittags  auf 
und  lagerten  schon  vor  Sonnenuntergang  nahe  dem  Punkte,  wo  wir 
am  Tage  der  ersten  Wassersnoth  den  letzten  Tropfen  Wasser  ver- 
theilt und  das  Gepäck  im  Stiche  gelassen  hatten.  Hier  verliess  uns 
Kolokömi , gab  uns  unsere  Wegrichtung  an  und  kehrte  zu  seiner 
Stute  nach  dem  E.  Lolemmo  zuruck,  um  sich  später  für  einige  Zeit 


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362  H.  BUCH,  5.  KAP.  FLUCHT  AUS  HARDAl  UND  RÜCKKEHR  NACH  FEZZAN. 

vor  seinen  übelwollenden  Landsleuten  nach  Kawär  zurückzuziehen. 
Wir  folgten  in  westlicher  Richtung  dem  Laufe  des  E.  Galiemma  und 
behielten  diesen,  nachdem  wir  aus  den  Afäfibergen  herausgetreten 
waren,  stets  südlich  neben  uns,  bis  er  sich  in  einer  mit  dünner  Kruste 
von  Natronsalzen  bedeckten  weiten  Ebene  verlor.  Am  Ende  derselben 
lagerten  wir  gegen  Mittag  wahrend  der  heissesten  Tagesstunden  im 
Schatten  der  Felsblöcke  eines  Hügels,  setzten  Nachmittags  in  west- 
nordwestlicher Richtung  den  Weg  fort,  passirten  ein  unbedeutendes, 
dicht  mit  Etelbüschen  bedecktes  Flussbett,  und  hatten  dann  nördlich 
von  uns  eine  scharf  gegen  uns  abfallende  Hammäda,  deren  Rand 
wir  gegen  Sonnenuntergang  erstiegen.  Auf  dieser,  welche  mit  grossen 
schiefrigen  Platten  bedeckt  war,  marschirten  wir  in  nordnordwestlicher 
Richtung  bis  tief  in  die  Nacht  hinein  und  legten  uns  nach  mehr  als 
dreizehn  Marschstunden  zu  kurzer  Ruhe  nieder. 

Da  wir  das  Tümmogebirge  noch  nicht  gesehen  hatten,  mussten 
wir  äusserst  sparsam  mit  dem  Wasser  umgehen,  und  zu  der  ver- 
zweifelten Uebermüdung  kam  die  Qual  des  Durstes,  mit  der  sich  bei 
uns  Europäern  wieder  eine  starke  Heiserkeit  geltend  machte.  Nach 
fieberhaft  verbrachter  Nacht  erstieg  ich  um  Sonnenaufgang  des 
18.  September  einen  benachbarten  Hügel,  um  nach  dem  Tümmo 
auszuschauen.  Da  lag  er  in  der  That  im  Nordnordwesten  vor  uns, 
doch  in  entmuthigender  Ferne.  Schwach  zeichnete  sich  die  charak- 
teristische Form  des  riesigen  Zeugen  durch  den  nebelhaften  Dunst, 
der  bei  steigender  Sonne  stets  über  der  Wüste  lagert,  und  mehrere 
qualvolle  Tagemärsche  schienen  uns  bis  zu  ihm  bevorzustehen.  Be- 
trübt schlich  ich  mit  Giuseppe  durch  die  unregelmässig  geformte 
Gegend,  welche  dort  weit  und  breit  die  Bildung  von  Erosionsthälern 
mit  ihren  niedrigen  Tafelbergen  zeigt.  Die  Sonne  brannte  furchtbar; 
der  Sand,  mit  dem  die  Zwischenräume  der  Hügel  ausgefullt  waren, 
hemmte  unseren  Schritt;  der  Tümmo  erschien  mir  unerreichbar,  schon 
nach  wenigen  Stunden  fühlte  ich  mich  so  vollständig  am  Ende  meiner 
Kräfte,  dass  ich  den  Augenblick  nahe  wähnte,  wo  ich  erliegen  würde. 

Da  erblickten  wir,  schon  früh  am  Vormittage,  eine  Verzögerung 
in  der  Bewegung  unsrer  Gefährten,  die  mit  den  Kameclen  in  einiger 
Entfernung  von  uns  des  Weges  zogen.  Das  war  nicht  der  vorüber- 
gehende Aufenthalt,  welcher  durch  Verschiebung  der  Gepäckstücke 
eines  Kameeles  entsteht;  es  fand  eine  sichtliche  und  beträchtliche 
Verlangsamung  ihrer  Vorwärtsbewegung  statt.  Aengstlich  näherten 


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geurauchsunkAhigkeit  der  kameele. 


363 


wir  uns,  und  unsere  Besorgniss,  dass  sich  etwas  Ernstliches  mit  einem 
der  Kameele  ereignet  habe,  bestätigte  sich  nur  allzusehr.  Das  Thier 
des  Tubu-Jünglings  war  „battäl",  d.  h.  funktionsunfähig,  geworden.  Wie 
schmerzlich  diese  Entdeckung  auch  sein  musste,  so  überwog  doch  so 
sehr  das  Gefühl  meiner  physischen  Unfähigkeit,  dass  ich  eine  heim- 
liche Genugthuung  empfand,  schon  so  frühzeitig  am  Tage  zu  einer 
längeren  Rast  gezwungen  zu  sein. 

■ { Bei  der  zunehmenden  Tageshitze  war  keine  Aussicht,  das  Kameel 
vorwärts  zu  bringen.  Wenn  dasselbe  überhaupt  noch  Dienste  leisten 
konnte,  so  war  dies  nur  in  der  Abend-  und  Nachtkühle  zu  erwarten. 
Wir  kletterten  auf  einen  der  Hügel,  der  mit  Schatten  spendenden 
Sandsteinblöcken  bedeckt  war,  und  beschlossen,  die  Kisten,  welche 
das  Thier  trug,  dort  zu  verbergen,  und  so  viel  als  möglich  zu  essen 
und  zu  trinken,  um  das  Gewicht  des  Gepäckrestes  auf  das  Aeusserste 
zu  vermindern.  Die  Rast  war  eine  lange,  kam  mir  jedoch  wenig  zu 
Gute.  Mein  Herz  klopfte,  meine  Schläfe  pochten,  meine  Haut 
brannte,  und  die  Zunge  klebte  mir  am  Gaumen.  Alle  Hessen  sich 
das  getrocknete  Kameelfleisch,  das  man  auch,  wie  erwähnt,  ungekocht 
geniessen  kann,  schmecken,  doch  es  war  mir  unmöglich,  dasselbe  in 
seiner  Trockenheit  und  mit  seinem  scharfen,  salzigen  Geschmacke 
hinunter  zu  bringen.  Ich  versuchte,  wenigstens  Datteln  zu  essen, 
aber  die  Süssigkeit  derselben  widerstand  mir.  Ich  hoffte  zu  schlafen, 
aber  die  fieberhafte  Aufregung  der  Uebermüdung  machte  es  unmög- 
lich. Verzweifelt  lag  ich  da,  den  Oberkörper  entkleidet  und  auf  die 
feuchten,  eben  geleerten  Wasserschläuche  gelagert,  um  die  brennende 
Haut  zu  kühlen,  und  suchte  vergeblich  mit  dem  in  Folge  der  Ver- 
dunstung durch  die  Schlauchwandungen  eisig  gekühlten  und  reichlich 
gespendeten  Wasser  den  inneren  Brand  zu  löschen.  Die  Sonne  stieg 
höher  und  höher;  der  Mittag  kam;  die  Schatten  begannen  sich  zu 
verlängern;  ich  sah  mit  Entsetzen  den  Augenblick  des  Wiederauf- 
bruches näher  und  näher  rücken,  doch  kein  Gefühl  von  Kräftigung 
und  Hoffnung  befähigte  mich  zur  Fortsetzung  des  Marsches. 

Um  vier  Uhr  Nachmittags  brachen  wir  wieder  auf.  Die  Kisten 
waren  auf  dem  Hügel  zurückgelassen  worden;  das  schwache  Kameel 
wurde  ohne  Gepäck  mit  getrieben,  und  dasjenige  Bü  Zei'd’s  trug  die 
beiden  noch  vorhandenen  Wasserschläuche  mit  ihrem  erheblich  ver- 
minderten Inhalt.  Wir  hatten  den  Muräbid  überreden  wollen,  sein 
persönliches  Gepäck  ebenfalls  dem  Versteck  anzuvertrauen,  um  sein 


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364  II.  BUCH,  5.  KAP.  FLUCHT  AUS  BARDAf  UND  RÜCKKEHR  NACH  FEZZAN. 

schwaches  Thier  zu  schonen  und  uns  die  Dienste  desselben  für  den 
Wassertransport  zu  sichern;  doch  seine  Habsucht  konnte  sich  nicht 
cntschliessen,  kleine  geschäftliche  Erwerbungen,  die  er  in  Tibesti  ge- 
macht hatte,  im  Stiche  zu  lassen.  Im  Gegentheil  fügte  er  noch  zu 
seiner  Ladung  mein  Zelt,  das  er  auf  diese  Weise  zu  erwerben  hoffte. 
Der  beliebte  Spruch,  den  ich  so  oft  in  Tibesti  in  Form  einer 
Drohung  hatte  hören  müssen,  wenn  man  Etwas  von  meinem  Eigen- 
thume  zu  erpressen  suchte:  „en-nefs  cheir  min  el-mäl",  d.  h.  das 
Leben  ist  kostbarer  als  das  Gut,  existirte  nicht  für  ihn,  und  Bui 
Mohammed  meinte  sogar  höhnisch,  Bü  Zeid  kehre  den  Spruch  um 
und  sage  „el-mäl  cheir  min  en-nefs",  d.  h.  das  Gut  ist  kostbarer  als 
das  Leben. 

Schon  unmittelbar  nach  dem  Aufbruche  schleppte  ich  mich  mit 
Aufbietung  aller  meiner  Kräfte  durch  den  sandigen  Detritus  des 
weiten  Thaies;  meine  Knie  zitterten,  die  sonst  auch  bei  Anstren- 
gungen in  Folge  der  durstigen  Wüstenluft  so  trockene  Haut  bedeckte 
sich  mit  Schweiss.  Mechanisch  schwankte  ich  vorwärts  mit  dem  un- 
klaren Bestreben,  bis  zum  Momente  einer  kurzen  Nachtruhe  auszu- 
halten, doch  mit  geringer  Hoffnung  auf  Erfolg,  und  für  einen  solchen 
Fall  waren  wir  übereingekommen,  da  bei  der  drohenden  Lebens- 
gefahr Alle  gleich  seien,  dass  derjenige,  welcher  nicht  vorwärts 
könne,  erbarmungslos  zurückgelassen  werden  müsse. 

Um  Sonnenuntergang  stiegen  wir  aus  dem  Zeugenthale  auf  den 
Rand  der  umgebenden  Hammäda  und  erblickten  plötzlich  unter  der 
günstigeren  Abendbeleuchtung  den  Tümmo  in  scheinbar  viel  grösserer 
Nähe  vor  uns,  als  wir  vermuthet  hatten.  Noch  am  Morgen  schien 
er  Tagereisen  entfernt  zu  sein;  jetzt  traten  uns  seine  charak- 
teristischen Umrisse,  die  Einzelheiten  seiner  scharfen  Formen  so 
deutlich  entgegen,  dass  wir  glauben  mussten,  ihn  in  längstens  einem 
Tagemarsche  erreichen  zu  können.  Meine  Hoffnung  belebte  sich 
aufs  Neue,  doch  das  Gefühl  der  Hinfälligkeit  drohte  trotzdem  un- 
überwindlich zu  werden.  Da  stiessen  wir  mitten  in  der  durchaus 
vegetationslosen  Umgebung  auf  eine  kleine  mit  Had  bedeckte  Boden- 
senkung. Die  scheinbare  Nähe  des  Tümmo  und  das  Streben,  ihre 
Kameele  zu  erhalten,  bewogen  Bü  Zeid  und  den  Tubu -Jüngling, 
darauf  zu  dringen,  den  ermatteten  und  ausgehungerten  Thieren  diese 
Stärkung  zu  bieten.  Wir  Hessen  uns  nieder,  die  Kameele  frassen, 
und  unter  dem  Einflüsse  der  wieder  erwachten  Hoffnung  kam  mir 


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NEUE  KRAFT  UND  HOFFNUNG. 


365 


der  Schlaf,  ein  Schlaf,  so  intensiv  und  erquickend , wie  ich  ihn  nur 
an  jenem  verhängnisvollen  Abende  der  Errettung  aus  erster  Wassers- 
noth  geschlafen  hatte. 

Nach  drei  Stunden  bot  der  kleine  Weidegrund  keine  der  stach- 
ligen Futterpflanzen  mehr,  und  ich  erwachte  mit  neuer  Kraft.  Ich 
zweifelte  nicht  mehr,  dass  ich  den  Tümmo  erreichen  würde,  und  be- 
gann rüstig  den  Nachtmarsch.  Eine  merkwürdige  Fähigkeit  voraus- 
zumarschiren  und  dann  aus  einem  Schlummer  von  fünf  oder  zehn 
Minuten  Stärkung  zu  schöpfen,  bis  die  langsam  marschirenden  Ka- 
rneole mich  eingeholt  hatten,  war  über  mich  gekommen.  Gegen 
Morgen  machten  wir  eine  mehrstündige  Pause  und  zogen  um  Sonnen- 
aufgang weiter.  Lange  ohne  Unterbrechung  zu  marschiren  waren 
wir  nicht  mehr  im  Stande.  Nach  dreistündiger  Morgenwanderung 
erwarteten  wir  wieder  im  Schatten  eines  Zeugen  die  Nachmittags- 
kühle, tranken  den  Rest  unseres  Wassers,  näherten  uns  um  weitere 
vier  Stunden  unserem  nächsten  Ziele,  rasteten  bis  Mitternacht  und 
befanden  uns  gegen  Morgen  auf  der  Südseite  des  Tümmo,  seine  steil 
aufstrebende  Südwand  nahe  vor  uns.  In  der  Sicherheit,  demnächst 
am  frischen  Wasser  seiner  Brunnen  rasten  zu  können,  überliessen  wir 
uns  einem  kurzen  Morgenschlummer,  während  Sa’ad  und  Ali  mit 
dem  kleinen  Schlauche  eines  Ziegenlammfelles  vorauseilten. 

Leider  hatte  uns  unsere  Wegrichtung  nicht  an  das  südwestliche 
Ende  des  Tümmo,  von  dem  der  Weg  in  das  Innere  des  Gebirgs- 
stockes  führt,  gebracht,  so  dass  uns  noch  ein  für  unsern  Kräftezu- 
stand äusserst  mühsamer  Kampf  mit  den  Vorbergen  erwartete.  Die 
Kameele  weigerten  sich  beide  von  vornherein,  denselben  aufzunehmen 
und  mussten  entlastet  zurückgclassen  werden;  auch  Giuseppe  war 
durch  Nichts  zu  bewegen,  sich  der  Anstrengung  zu  unterziehen,  und 
ich  musste  ihn  sich  selbst  überlassen,  bis  wir  nach  eigener  Stärkung  ihn 
gegen  Abend  würden  aufsuchen  können.  Wir  nahmen  den  Kochtopf, 
die  Datteln,  den  kleinen  Beutel  mit  Mehl,  den  unbedeutenden  Vorrath 
von  getrocknetem  Kameclfleisch  und  einige  leere  Wasserschläuche 
mit  uns  upd  hegten  die  Hoffnung,  die  Kameele  in  der  Abendkühle 
bis  zu  den  Brunnen  schaffen  zu  können.  Noch  mehr  als  drei  Stunden 
dauerte  die  Qual  der  Bergwanderung,  bergauf  und  bergab,  durch 
Sand  und  über  Felsen,  über  Steingerölle  und  Felsblöcke.  Gegen 
Mittag  kamen  uns  Ali  und  Sa’ad  mit  dem  Zommat  (kleiner  Wasser- 
schlauch aus  dem  Felle  eines  Ziegcnlammcs)  entgegen,  und  gierig 


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366  II.  BUCH,  5.  KAR.  FLUCHT  AUS  RAROaT  UND  RÜCKKF.HR  NACH  FEZZAN. 

sog  der  ausgetrocknete  Körper  das  belebende  Nass  ein,  das  er 
anfangs  nicht  einmal  die  Kraft  hatte,  durch  Verschliessung  der 
natürlichen  Wege  bei  sich  zu  behalten. 

Um  Mittag  lagerten  wir  in  der  schattigen  Umgebung  der  Brunnen 
und  konnten  nach  einem  Dattclimbiss  uns  dem  kräftigenden  Schlafe 
überlassen,  ohne  durch  das  Schreckgespenst  des  unmittelbar  bevor- 
stehenden Wiederbeginnens  der  Qual  im  süssen  Genüsse  gestört  zu 
werden.  Denn  dort  beschlossen  wir  zu  bleiben,  bis  der  letzte  Rest 
unserer  Vorräthe  aufgezehrt  sein  würde,  um  aus  diesen  bei  vollstän- 
diger Ruhe  und  uneingeschränktem  Wassergenussc  den  grösstmög- 
lichsten  Nutzen  für  unseren  Kräftezustand  zu  ziehen.  Gegen  Abend 
wurde  ein  dünner  Mehlbrei  in  festlicher  Weise  genossen,  und  der 
Vorrath  genügte,  den  gleichen  Genuss  für  zwei  weitere  Male  sicher 
zu  stellen.  Dazu  wurden  die  aufbewahrten  Sehnen  und  Knochen 
meiner  einstigen  Kamcelc  vcrtheilt,  und  Jeder  beschäftigte  sich  eifrig 
mit  der  Verwerthung  der  in  Tibcsti  gewonnenen  Erfahrungen  bezüg- 
lich der  Nutzbarmachung  selbst  der  ungeniessbarsten  Dinge.  Die 
Knochen  wurden  allmählich  gepulvert,  die  Sehnen  mürbe  geklopft 
und  Morgens  zu  der  Mahlzeit  sorgsam  abgezählter  Datteln  und 
Abends  zu  dem  Näpfchen  Mehlbrei  genossen.  Dazwischen  ward  ge- 
trunken, geschlafen  und  unbeweglicher  Ruhe  gehuldigt.  Jeder  un- 
nöthige  Schritt,  jedes  überflüssige  Wort  schien  uns  eine  unverantwort- 
liche Kraftvergeudung  zu  sein. 

Während  wir  uns  gegen  Abend  mit  dem  Schicksal  Giuseppes 
beschäftigten,  und  'Ali,  der  sich  gegen  eine  Geldbelohnung  freiwillig 
zur  Aufsuchung  des  Zurückgebliebenen  erboten  hatte,  grade  im  Be- 
griffe stand,  die  Brunnen  zu  verlassen,  stieg  eine  wunderliche  Gestalt 
von  dem  Rande  der  südlichen  Tümmowand  gegen  den  Brunnen  her- 
nieder, und  es  war  bald  nicht  schwer,  in  ihr  den  Gesuchten  zu  er- 
kennen. Er  hatte  von  der  Südseite  des  Gebirges  einen  schmalen 
Pfad  gefunden,  der  ihn  mit  Vermeidung  des  Passumweges  in  kurzer 
Zeit  auf  unsern  Abhang  geführt  hatte,  und  war  in  einer  Stimmung, 
die  sich  ebenso  wenig  als  sein  äusserer  Aufzug  in  der  Folge  auf- 
klärte. Mürrisch  und  bitter  erwiderte  er  unsere  Begrüssung,  wie 
wenn  wir  ihn  aus  Bosheit  im  Stiche  gelassen  hätten,  und  sein 
Aeusscres  übertraf  an  Sonderbarkeit  noch  seine  Gemüthsvcrfassung. 
Als  das  erste  Kameel  seine  Functionen  einstellte,  hatte  er  aus  den 
zurückzulassenden  Sachen  ein  Paar  ihm  gehöriger  hoher  Wasserstiefel 


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RUHETAGE  IM  TÜMMO. 


367 


angelegt,  und  diese  bildeten  jetzt  mit  einem  Schurz,  den  er  aus 
einem  Flanellhemd  hergestellt  hatte,  indem  er  die  Aermel  desselben 
um  die  Taille  gürtete,  seine  einzige  Bekleidung.  Am  nächsten  Tage 
wurde  das  von  ihm  zurückgelassene  Gewehr  aufgefunden,  doch  blieb 
dunkel,  was  aus  seinen  übrigen  Kleidungsstücken  geworden  war. 

Am  folgenden  Tage  wurden  die  Kameele  mit  ihrer  spärlichen 
Ladung  zum  Brunnen  herübergeschafft  und  getränkt,  und  ihnen 
Kräuter  in  den  Bergschluchten  gesammelt.  Auch  der  zweite  Tag 
war  noch  der  Ruhe  bestimmt,  und  erst  am  dritten  sollte  die  letzte 
und  nicht  leichteste  Etappe  in  Angriff  genommen  werden.  Vom 
Tiimmo  bis  zum  Meschru-  Brunnen  rechnet  man  zwei  und  einen 
halben  Tagemarsch,  und  von  diesem  nach  Tcdscherri  anderthalb. 
Doch  das  Bewusstsein  der  Nähe  des  rettenden  Zieles,  und  die  aus 
der  mehrtägigen  Ruhe  geschöpfte  Kraft  erfüllten  uns  mit  Hoffnung 
und  Vertrauen,  trotzdem  wir  unsere  Essvorräthe  aufgezehrt  hatten 
und  die  Kameele  in  ihrer  Leistungsfähigkeit  durchaus  zweifelhaft 
blieben.  Um  von  diesen  für  den  Wassertransport,  die  Haupt- 
schwicrigkcit,  den  grösstmöglichsten  Nutzen  zu  ziehen,  Hessen  wir 
alles  und  jedes  Gepäck,  das  nicht  von  uns  selbst  getragen  werden 
konnte,  auch  das  Bü  Zei'd's,  in  den  Felsen  des  Tiimmo  zurück. 

Jeder  wickelte  seine  Müna  oder  Awln  (d.  h.  den  Essvorrath),  die 
aus  etwa  fünfzig  Datteln  bestand,  in  einen  Zipfel  der  zerfetzten 
Kleidung  und  trug  seine  Feuerwaffe.  Die  beiden  Wasserschläuche 
wurden  dem  Kameele  Bü  Zeid’s  aufgelegt,  und  das  Thier  des  Tubu- 
Jünglings  sollte  nicht  einmal  einen  Sattel  tragen.  Ali  und  Sa'ad 
nahmen  Jeder  noch  eine  kleine  Quantität  Wasser  auf  den  Rücken, 
und  so  brachen  wir  am  Abend  des  23.  September  vom  Tümmo- 
Brunnen  auf.  Aber  kaum  hatten  wir  nach  drei  Stunden  den  Aus- 
gang der  Berge  erreicht,  als  dem  Kamcel  Bü  Zeid's  von  Neuem  die 
Kräfte  versagten.  Sein  Herr  konnte  sich  noch  immer  nicht  ent- 
schlossen, es  ganz  zurückzulassen,  und  wir  rasteten  ihm  zu  Liebe 
wieder  bis  zum  Morgen.  Als  es  auch  zu  dieser  Zeit  jede  Fort- 
bewegung hartnäckig  verweigerte,  musste  es  endgültig  aufgegeben 
werden,  und  wenige  Stunden  darauf  hatte  das  andere  Kamcel,  das 
wir  versuchten  an  seine  Stelle  treten  zu  lassen,  dasselbe  Schicksal. 
So  waren  wir  auch  für  den  Transport  des  Wassers  ganz  auf  uns 
selbst  angewiesen,  und  es  war  nicht  leicht,  den  Bedarf  von  sieben 
Menschen  auf  der  Reise  für  zwei  und  einen  halben  Tag  in  somrner- 


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368  H.  BUCH,  5.  KAP.  FLUCHT  AUS  BARDAT  UND  RÜCKKEHR  NACH  FEZZÄN. 

% 

lieber  Wüstenluft  auf  den  Schultern  zu  tragen,  besonders  flir  Leute 
unseres  Kraftzustandes. 

Wir  tranken  also  noch  einmal  so  reichlich  als  möglich,  gossen 
mit  innigem  Bedauern  einen  Theil  der  köstlichen  Flüssigkeit  auf  die 
durstige  Erde,  belasteten  Sa'ad  und  Ali  mit  dem  Reste  und  machten 
eine  sorgfältige  Zeiteintheilung.  Es  wurde  beschlossen,  täglich  vom 
Beginne  der  Abendkühle  bis  nach  Sonnenaufgang  mit  den  Unter- 
brechungen, welche  unsere  körperliche  Schwäche  unvermeidlich 
machte,  zu  marschircn  und  die  Tageszeit  im  Schatten  von  Fels- 
blöcken so  schweigsam  und  unbeweglich  als  möglich  zu  verbringen. 
Die  Quantität  von  etwa  anderthalb  Liter  Wasser  für  Jeden  vertheil- 
ten wir  auf  den  Anfang  und  das  Ende  unseres  Tages-  resp.  Nacht- 
marsches. So  erreichten  wir  gegen  Morgen  der  zweiten  Nacht  die 
Berge  Lebrek  auf  der  Hochebene  Alaöta  Kju  und  verbrachten  den 
Tag  des  25.  September  in  der  köstlichen  Kühle  einer  zur  Lagöba 
Könö  gehörigen  Felsgruppe,  die  östlich  am  Wege  lag. 

Wie  die  nächste  Umgebung  des  Meschru-Brunnens  durch  mensch- 
liche Gebeine  gekennzeichnet  ist,  so  fanden  wir  auf  der  ganzen 
Strecke  vom  Tümmo  bis  zu  jenem  in  den  Höhlungen  der  Felsen 
noch  manche  skelettirte  Opfer  des  Sclaven handeis.  Wo  wir  rasteten, 
hatten  auch  diese  Unglücklichen,  einst  von  ihren  Herren  krank  oder 
hoffnungslos  erschöpft  zurückgelassen,  Schutz  gegen  die  Sonne  ge- 
sucht und  ihr  entsetzliches  Ende  erwartet.  Der  Eindruck  ihrer  Reste 
auf  uns  war  um  so  lebhafter,  als  wir  nicht  mehr  einzig  und  allein 
in  der  Bethätigung  des  Selbsterhaltungstriebes  aufgingen,  der  gleich- 
gültig  gegen  die  Leiden  Anderer  macht.  Unsere  Hoffnung  auf 
Rettung  wurde  mehr  und  mehr  zur  sicheren  Ueberzeugung,  und  wir 
konnten  dankerfüllt  und  mitleidsvoll  derjenigen  gedenken,  deren 
Schicksal  uns  so  lange  in  unmittelbarer  Nähe  gedroht  hatte,  und 
welche,  weniger  glücklich  als  wir,  so  nahe  dem  rettenden  Ziele 
ihrem  grauenvollen  Verhängniss  erlegen  waren.  Mit  welcher  Ver- 
zweiflung, öde  und  unbegrenzt,  wie  die  des  Lebens  und  Horizontes 
baare  Umgebung,  mussten  die  Armen  in  den  Schutz  dieser  Felsen 
gekrochen  sein,  um,  allein  mit  ihrer  kummervollen  Erinnerung  an 
Heimath,  Familie  und  verlorenes  Glück  das  Erlöschen  ihrer  Lebens- 
kräfte zu  erwarten! 

Die  nächste  Nacht  führte  uns  durch  die  Lagöba  Könö  und  Buia 
auf  die  kiesige  Hochebene,  welche  sich  nach  Norden  gegen  Fezzän 


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DIE  LETZTE  ETAPPE. 


309 


hin  senkt.  Nachdem  wir  den  Tag  nahe  dem  Rande  derselben  verbracht 
hatten,  stiegen  wir  am  Morgen  des  27.  September  von  den  Meschrit- 
llugeln  zum  ersehnten  Brunnen  hinab.  Die  Unterbrechungen  unseres 
Marsches  wurden  immer  häufiger;  fast  nach  jeder  Stunde  legten  wir 
uns  nieder,  um  einige  Kräfte  zur  folgenden  zu  sammeln.  Zu  längerer 
Nachtruhe  war  die  stattfindende  Temperatur-Erniedrigung  zu  bedeu. 
tend,  obgleich  wir  im  Monat  September  waren.  Unsere  Kleidung  be- 
stand in  dürftigen  Fetzen,  und  da  wir  keine  Decken  besassen,  so  ver- 
scheuchte die  empfindliche  Kälte  bei  aller  Ermüdung  den  Schlaf. 

Trotzdem  der  Kampf  noch  leidensvoll  genug  war,  so  malte  meine 
Phantasie  mir  in  der  sicheren  Zuversicht  des  Sieges  doch  schon  den 
Aufenthalt  in  Fezzan  mit  seinen  culinarischen  Genüssen,  seiner  Sicher- 
heit. seiner  ungestörten  Nachtruhe  und  Siesta  in  den  hoffnungsreich- 
sten Farben.  Schon  lebte  ich  im  Glücke  der  Nachrichten,  welche* 
ich  reichlich  aus  der  Hcimath  erwarten  durfte,  und  konnte  schon  zu- 
weilen herzlich  lachen  über  den  grotesken  Anblick,  den  unsere  kleine 
Reisegesellschaft  gewährte;  Al?  und  Sa'ad  in  adamitischer  Einfachheit 
gekleidet,  mit  den  Wasserschläuchen  auf  dem  Rücken;  der  ernste  Bui 
Mohammed,  mein  ganzes  Gepäck  auf  dem  Nacken  und,  seinem  Alter 
wie  seiner  Stellung  entsprechend,  sich  eines  langen,  wenn  auch  lücken- 
haften Hemdes  erfreuend;  Giuseppe  mit  seinen  wunden  Plattfiissen  sich 
mühsam  einherschleppend  und  den  Mangel  des  nothwendigsten  Klei- 
dungsstückes in  unvollkommener  Weise  durch  seine  Wasserstiefel 
ersetzend,  die  erfolglos  bestimmt  schienen,  sich  dem  kurzen  Flanell- 
hemdchen  zu  nähern ; ich  selbst  endlich  barfuss,  die  Beine  mit  baum- 
wollenen Fetzen  umwickelt,  welche  man  mit  kühnstem  Euphemismus 
nicht  mehr  als  Beinkleider  bezeichnen  konnte,  doch  den  Oberkörper 
in  einen,  freilich  arg  mitgenommenen  Pariser  Sommerüberrock  gehüllt 
und  keuchend  unter  der  Last  zweier  Gewehre;  Bü  Zeid  in  seiner  Hab- 
sucht fast  unter  dem  Gewichte  eines  Gepäcksackes  erliegend,  den  er 
dem  Tümmoverstccke  nicht  hatte  anvertrauen  wollen;  und  Alle  so  gut 
als  möglich  Mund  und  Nase  verhüllend,  um  den  Durst  zu  verringern. 

Wie  die  arme  wachsame  Fcida  in  eigener  Wahl  den  Kampf  um 
die  Hcimath  aufgegeben  und  ein  trauriges  Ende  gefunden  hatte,  so 
drohte  ihrem  armen  Gefährten  Dudschali,  nachdem  er  mit  anerkennens- 
werther  Zähigkeit  unter  Hunger  und  Anstrengung  bis  zur  Grenze 
seiner  Hcimath  gelangt  war,  noch  zu  guter  Letzt  Verderben,  und 
zwar  von  unserer  Seite.  Ich  glaubte  meinen  hungernden  Gefährten 

Nachtigal.  L 24 


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370  H.  BUCH,  5.  KAP.  FLUCHT  AUS  BARDAT  UND  RÜCKKEHR  NACH  FEZZÄN. 

anheimstellen  zu  müssen,  ob  sie  nicht  trotz  der  bemitleidenswerthen 
Magerkeit  des  ausgehungerten  Geschöpfes  am  Meschru-Brunnen  eine 
Mahlzeit,  die  einzige  zwischen  Tümmo  und  Tedscherri,  aus  seinem 
fleischlosen  Körper  bereiten  wollten , und  überliess  die  Frage  der 
Mehrheit  zur  Entscheidung.  Sa’ad  und  Ali  wären  mit  Giuseppe 
wohl  geneigt  gewesen,  die  bejahende  Majorität  zu  bilden,  doch 
schämten  sich  die  Ersteren  vor  Bü  Zei'd  und  Bui  Mohammed,  welche 
der  Ansicht  waren,  dass  es  bei  der  kurzen  noch  zurückzulegenden 
Strecke  bis  Tedscherri  eine  unverantwortliche  Schande  sein  würde, 
sich  mit  dem  Genüsse  eines  unreinen  Thieres  zu  versündigen,  und 
muselmanisches  Vorurtheil  rettete  den  gefährdeten  Hund  zu  meiner 
aufrichtigen  Genugthuung. 

Da  in  der  unmittelbaren  Nähe  des  Meschru-Brunnens  keinerlei 
Schatten  zu  finden  ist,  so  setzten  wir  unseren  Weg  fort,  sobald  die 
Strahlen  der  emporsteigenden  Sonne  uns  das  Verharren  an  derselben 
Stelle  unmöglich  machten,  rasteten  um  Mittag  zwischen  den  Sandstein- 
blöcken eines  Zeugen,  marschirten  sogar  Nachmittags  und  fühlten  uns 
durch  die  sichere  Aussicht  auf  nahe  Rettung  so  gekräftigt,  dass  wir  auch 
während  der  folgenden  Nacht  nur  kurze  Zeit  ruhten.  Am  28.  September 
Morgens  passirten  wir  die  cl-Häd  genannte  Bodenabflachung  und  er- 
blickten auf  der  Höhe  des  Vormittags  von  einem  Hügel  die  dunkle  Linie 
der  Rhäba  Tedscherri’s.  Wir  nahmen  noch  einen  Trunk  des  Meschru- 
Wassers  und  eilten  mit  einer  letzten  Kraftanstrengung  die  Datteln 
zu  erreichen,  welche  uns  vom  nagendsten  Hunger  befreien  sollten. 

Die  Dattelpflanzung  Tedscherris  ist  gegen  Süden  und  in  gerin- 
gerem Masse  auch  gegen  Norden  von  einem  unterbrochenen  Dünen- 
gürtel umgeben,  dessen  Ueberwindung  unserer  Kraftlosigkeit  noch 
erhebliche  Schwierigkeiten  darbot.  Um  Mittag  war  auch  dies  letzte 
Hindemiss  beseitigt,  und  wir  stürzten  auf  den  ersten  Dattelbaum  zu. 
der  uns  aufstiess  und  reife  Früchte  trug.  Wir  mussten  nach  so  langer 
Hungerkur  vorsichtig  in  der  Nahrungseinnahme  sein,  waren  es  aber 
trotz  der  Reserve,  die  wir  uns  in  dieser  Beziehung  auferlegten,  bei 
Weitem  nicht  genug,  wie  uns  die  Folge  lehrte.  Wir  verharrten  in 
der  schattenreichen  Pflanzung  bei  einem  ihrer  oberflächlichen  Brunnen 
bis  gegen  Abend  und  erreichten  dann  in  einigen  Stunden  das  Städt- 
chen, das  voller  Araber  aus  dem  nördlichen  Tripolitanicn  war,  wie 
stets  zur  Zeit  der  begonnenen  Dattelernte. 

Unsere  Ankunft  brachte  eii^e  grosse  Aufregung  in  dem  kleinen 


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ANKUNFT  IN  TEDSCHERRt. 


371 


Orte  hervor,  denn  Jeder,  der  die  Tubu  Reschäde  kannte,  hatte  seit 
lange  die  Hoffnung  aufgegeben,  uns  je  wiederzusehen.  Alle  empfingen 
uns  mit  freudigem  Erstaunen  und  mit  ungeheuchelter  Bewunderung 
unserer  physischen  Leistung.  Den  wenigen  Tubu,  welche  sich  noch 
dort  befanden,  konnte  dieselbe  allerdings  als  keine  aussergewöhnliche 
erscheinen,  aber  die  doch  ebenfalls  an  Massigkeit  und  Anstrengung 
gewöhnten  nomadisirenden  Araber  beglückwünschten  uns  aufrichtig 
zu  derselben.  Der  Scheich  el-Beled  schickte  alsbald  einen  Expressen 
an  den  Hadsch  Dschäber  nach  Qatrün,  denn  die  Regierung  in  Murzuq, 
welche  besorgt  zu  werden  und  an  unseren  Untergang  zu  glauben  be- 
gonnen hatte,  bürdete  die  Verantwortung  für  mein  Schicksal  dem 
Chef  der  Muräbidija  auf.  Dieser  hatte  in  seiner  Noth  und  Besorgniss 

schon  einen  Boten  mit  Kamcel  nach  Tibesti  geschickt,  dessen  frische 

% 

Spuren  wir  in  der  That  bisweilen  auf  dem  Wege  gesehen  hatten. 

Schüsseln,  deren  Zahl  und  Inhalt  mit  den  bescheidenen  Gewohn- 
heiten Tedscherri's  in  Widerspruch  standen,  überschwemmten  unseren 
Lagerplatz.  Hühner,  Datteln,  Gerstenbrei,  welcher  letztere  grade  in 
Tcdscherri  die  unangenehmsten  Folgen  für  die  nicht  daran  gewöhnten 
Verdauungsorgane  nach  sich  zu  ziehen  im  Rufe  steht,  bildeten  unge- 
wohnte culinarische  Schätze  für  uns,  deren  Genuss  wir  uns  rücksichts- 
loser hingaben,  als  bei  unseren  geschwächten  Verdauungsorganen  rätli- 
lich  war.  Bittere  Tropfen  wurden  leider  in  den  Kelch  meines  Glückes 
geträufelt,  denn  die  Nachricht  von  dem  schrecklichen  Untergange 
meiner  hochsinnigen  Freundin  durch  den  Verrath  ihrer  Begleiter  wurde 
hier  zweifellos,  wenn  ich  auch  die  Einzelheiten  des  tragischen  Ereig- 
nisses noch  nicht  erfuhr. 

Unsere  Mittheilungen  über  die  feindseligen  Pläne  der  Tubu 
Reschäde  gegen  Fezzan  verbreiteten  eine  allgemeine  Besorgniss  und 
besonders  die  fremden  Araber  beschlossen,  sich  schon  andern  Tages 
zu  ihren  zahlreicheren  Stammesgenossen  in  Qatrün  zurückzuziehen. 

Auch  wir  brachen  schon  am  Abende  des  folgenden  Tages  von 
dem  gastlichen  Städtchen  wieder  auf,  nachdem  ich  Morgens  zum 
abwechselnden  Reiten  für  die  allzu  Ermüdeten  und  zum  Tragen  des 
Handgepäcks  einen  Esel  für  dreizehn  Real  Fezzaner  Währung  auf 
Credit  gekauft  hatte. 

Die  Freude  des  Hadsch  Dchäber  bei  dem  Empfange  der  Nach- 
richt von  unserer  Ankunft  war  unbeschreiblich  gewesen.  Der  Bote, 
welcher  ihm  dieselbe  überbracht  hatte,  begegnete  uns  auf  seiner 

24* 


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372  II.  RUCH,  5.  KAP.  FLUCHT  AUS  BARDAl  UND  RÜCKKEHR  NACH  FEZZÄN. 

Rückkehr  nach  Tedscherri  und  erzählte,  dass  der  alte  Herr,  sonst 
in  dem  Hange  zum  Geiz  den  Muräbidija  ein  so  würdiges  Vorbild,  in 
seiner  Aufregung  ihm  drei  blanke  Maria-Theresia-Thaler  geschenkt 
habe.  Sein  ganzes  Leben  bot  kein  Beispiel  einer  ähnlichen  Frei- 
gebigkeit. Bei  unserer  Ankunft  in  Qqtrün  wurden  wir  von  ihm  und 
seinem  brüderlichen  Schatten  Hamdün  mit  Broden,  Hühnern  und 
Datteln  wahrhaft  überschüttet,  und  wenn  meine  Verdauungsorgane 
schon  den  gastfreundlichen  Angriffen  der  Leute  Tcdscherri’s  nur  unzu- 
reichenden Widerstand  zu  leisten  vermocht  hatten,  so  wurden  sie  in 
Qatrün  vollständig  besiegt  und  nicht  grade  zum  Besten  des  Wiederge- 
winnes meiner  Kräfte  functionsunfähig  gemacht.  Nicht  wenig  trug  dazu 
ein  fetter  Ziegenbock  bei,  den  ich  zur  Feier  der  Rettung  gekauft  hatte. 

Auch  in  Qatrün  hatte  die  Dattelernte  begonnen,  und,  wie  alljähr- 
lich, waren  Schaaren  von  Arabern  aus  dem  nordöstlichen  Tripoli- 
tanien  herbeigekommen,  um  ihren  Wintervorrath  einzukaufen.  Die- 
selben führen  ausser  ihren  mit  Getreide,  Butter  und  Fett  beladenen 
Lastkamcelen  gewöhnlich  ihren  ganzen  Besitz  an  Mutterkanieelen  mit 
sich,  theils  weil  die  Milch  derselben  ihnen  den  Reisemundvorrath  er- 
setzt, theils  weil  dieselben  mit  ihren  Kälbern  beim  Verkaufsehr  hohe 
Preise  erzielen.  Der  grösste  Theil  dieser  regelmässigen  Gaste  gehörte 
verschiedenen  Abtheilungen  des  weitverzweigten  Stammes  der  Urfilla 
und  derjenigen  Abtheilung  der  Auläd  Solimdn  an,  welche  nicht  bei 
den  Kämpfen  Abd  el-Dschlil's  gegen  die  Türken  betheiligt  gewesen 
ist  und  deshalb  ungestört  unter  ihrem  Häuptlinge  Seif  en-Nasr  in 
Barqa  hausen  darf.  Durch  die  gastfreundlichen  Gaben  der  Muräbidija 
angelockt,  belagerten  sie  mein  Zelt  vom  frühen  Morgen  bis  zum 
späten  Abend  und  machten  die  Ruhe,  deren  ich  so  sehr  bedurfte, 
illusorisch. 

Rohe  Nomaden,  die  selten  oder  nie  das  gesittete  Leben  der 
Städte  kennen  lernen,  und  in  socialen  Gebräuchen  vielfach  weit  hinter 
den  Negern,  die  sie  verachten,  zurückstehen,  waren  sie  für  mich  sehr  un- 
bequeme, anspruchsvolle  und  rücksichtslose,  für  die  Einwohner  Qatrün  s 
aber  selbst  gefährliche  Besucher.  Seit  langen  Jahren  sind  sic  in  Fezzän 
gefürchtet,  denn  wenn  sic  sich  nicht  immer  Uebergriffe  gegen  die  Be- 
wohner selbst  zu  Schulden  kommen  lassen,  so  benutzen  sie  doch  jede 
Gelegenheit,  Tubu  und  Tuärik  zu  überfallen  und  auszuplündern,  kehren 
dann  eiligst  in  ihre  sichere  Hcimath  zurück  und  setzen  das  Land  rück- 
sichtslos den  Racheacten  jener  aus.  Furcht  vor  der  Obrigkeit  stört 


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FREMDENVERKEHR  IN  SUD-FEZZÄN  WAHREND  DER  DATTELERNTE. 


373 


sie  wenig,  denn  von  Tripolis  sind  sic  schwer  erreichbar,  und  in 
Fezzän  sind  die  Rcgicrungsorgane  durchaus  machtlos.  Im  schlimmsten 
Falle  rüsten  die  Ucbclthätcr  einen  Raubzug  nach  dem  fernen  Süden  aus 
und  ziehen  raubend  und  mordend  durch  die  Grenzbezirke  der  östlichen 
Tuäriklander,  plündern  Kawär,  die  südwestlichen  Thaler  Tibesti’s 
und  vereinigen  sich  für  einige  Jahre  mit  ihren  im  Sudan  gefürchteten 
Vettern,  den  Auläd  Solimän  Abd  clDschhTs,  in  Borkü  und  Känem. 

Auch  jetzt  schrieb  man  ihnen  ähnliche  Absichten  zu,  und  ihr 
unverschämtes,  ja  feindseliges  Benehmen  gegen  die  Qatrüner  recht- 
fertigte diese  Vermuthung.  Es  waren  ihrer  mehr  als  fünfhundert, 
und  Jeder  beanspruchte  für  seine  Lieferung  an  Butter,  Fett  und  der- 
gleichen sofort  mit  Datteln  versorgt  zu  werden,  obwohl  diese  doch 
erst  allmählich  geschnitten  werden  konnten.  Der  Hadsch  Dschäber, 
unterstützt  durch  sein  Alter,  politisches  Ansehen  und  seinen  lang- 
jährigen Verkehr  mit  den  unbequemen  Gästen,  verfuhr  mit  grosser 
Energie  und  Gerechtigkeit,  doch  trotzdem  kam  cs  zu  gewaltthätigen 
Sccncn  mit  der  zügellosen  Bande,  und  verschiedene  angesehene 
Muräbidija  wurden  mit  den  beleidigendsten  Schimpfwörtern  belegt 
und  sogar  mit  Stöcken  und  Flintenkolben  gemisshandelt.  Die  Auläd 
Solimän  vorzüglich  zeichneten  sich  durch  ihre  Rohheit  aus,  verlangten 
allen  Andern  in  der  Abfertigung  vorzugehen  und  drohten  andern- 
falls die  Stadt  zu  plündern.  In  einer  Nacht  machte  sich  der  Hädsch 
Mahmud  heimlich  auf  und  ritt  nach  Murzuq,  um  womöglich  mili- 
tairischen  Beistand  zu  holen.  Das  Gerücht  von  diesem  Schritte  ver- 
schlimmerte die  Sache,  und  da  folgenden  Tages  dieser  Muräbid 
nicht  gesehen  und  als  in  Folge  der  erlittenen  Misshandlungen  erkrankt 
ausgegeben  wurde,  entblödeten  sich  die  Räuber  nicht,  den  greisen 
Hädsch  Dschäber  zu  prügeln,  bis  an  die  Zähne  bewaffnet  in  der 
Stadt  zu  bivouakiren  und  die  geängstigten  Einwohner  durch  bestän- 
diges Schiessen  zu  schrecken.  Dadurch  wurden  die  rohen  Leute 
zwar  von  mir  abgelenkt,  doch  ich  beeilte  mich,  die  weitere  Ent- 
wicklung dieser  Zwistigkeiten  nicht  abzuwarten,  lieh  von  dem  ge- 
kränkten alten  Chef  der  Stadt  ein  Kameel  mit  Wasserschläuchen 
und  etwas  Mundvorrath  und  zog  unbemerkt  am  5.  Octobcr  früh 
Morgens  gen  Murzuq. 

Wir  erreichten  am  Mittag  des  folgenden  Tages  Mestüta,  setzten 
noch  Nachmittags  unseren  Marsch  fort  und  hatten  die  Freude,  gegen 
Abend  auf  einen  Boten  des  vortrefflichen  Hädsch  Brähim  Ben  Alüa  zu 


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374  II.  BUCH,  5-  KAP.  FLUCHT  AUS  BARDAf  UND  RÜCKKEHR  NACH  FEZZAN. 

stosscn,  der  mir  mit  einem  prächtig  aufgezäumten  Kameel,  Vorrathen 
an  Reis,  Makkaroni,  Kaffee,  Zucker,  Eiern  und  feinem  Backwerk  und 
einem  liebenswürdigen  Briefe  seines  Herrn  entgegenkam.  Selbst  tür- 
kischen Tabak  mitCigarrettenpapier  hatte  mein  ausgezeichneter  Freund 
nicht  vergessen,  und  wo  er  ein  Dutzend  wirklicher  Cigarren  aufge- 
f rieben  hatte,  ist  mir  niemals  enthüllt  worden.  Wir  lagerten  natür- 
lich sofort  in  dem  einladenden  Sande,  tranken  den  lang  entbehrten 
Kaffee,  Hessen  uns  das  kunstvolle  Backwerk  schmecken,  und  noch 
nie  glaubte  ich  Cigarren  von  solchem  Aroma  geraucht  zu  haben. 
Alles  dies  diente  leider  meinen  Verdauungsorganen  sehr  wenig.  Ein 
heftiger  Magendarmkatarrh  war  die  Folge,  und  ich  war  von  Herzen 
froh,  als  ich,  am  8.  October  in  meiner  Häuslichkeit  zu  Murzuq  ange- 
kommen, durch  Ruhe  und  zweckmässige  Nahrung  meine  baldige 
Genesung  erhoffen  zu  können  glaubte. 

Ehe  ich  mich  freilich  der  Pflege  meiner  Gesundheit  widmen 
konnte,  musste  ich  mich  erst  durch  die  Gratulationsbesuche  der 
Honoratioren  von  Murzuq  hindurcharbeiten,  die  mit  desto  grösserer 
Bewunderung  unsere  Reise  nach  Tibesti  betrachteten,  je  verweich- 
lichter und  fauler  sie  selbst  waren.  Alle  waren  beeifert,  mir  meine 
Rettung  als  eine  besondere  Gnade  Gottes  zu  preisen  und  als  ein 
sicheres  Zeichen  des  Gelingens  meiner  künftigen  Reisepläne.  „Omrek 
tawil! -(Dein  Leben  wird  lang  seinl)”^ meinten  sie;  „denn  wen  Gott 
aus  solchen  Gefahren  errettet,  dem  hat  er  ein  langes  Leben  bestimmt, 
und  nachdem  Du  aus  den  Händen  der  Tubu  Reschade  wiederkehrtest, 
kannst  Du  mit  ruhiger  Zuversicht  überall  hingehen  1" 

Die  Stadt  war  noch  erfüllt  von  dem  entsetzlichen  Ende  Fräulein 
Tinne's,  deren  Leute  alsbald  kamen,  um  sich  unter  meinen  Schutz 
zu  stellen.  Ich  Hess  ihnen  diesen  um  so  lieber  zu  Theil  werden,  als 
ich  nur  durch  meinen  täglichen  Verkehr  mit  ihnen  Allen  in  die  Lage 
kommen  konnte,  die  Grcuelthat  und  ihren  Verlauf,  ihre  Urheber 
und  die  Motive  derselben  richtig  zu  beurtheilen.  Die  Regierung 
selbst  war  ziemlich  im  Unklaren  über  die  Thäter,  denn  der  unfähige 
Pascha  hatte  sich  wenig  angelegen  sein  lassen,  dieselben  zu  entdecken 
und  zu  ergreifen;  vielmehr  wollte  man  wissen,  dass  er  eine  unver- 
kennbare Freude  darüber  empfunden  habe,  dass  das  traurige  Schick- 
sal seiner  Schutzbefohlenen  ihn  von  einer  Geldschuld  befreite,  die 
er  bei  derselben  contrahirt  hatte.  Nicht  einmal  um  die  Beerdigung 
der  armen  Dame  hatte  er  sich  bekümmern  wollen,  und  es  war  der 


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ANKUNFT  IN  MURZUQ. 


375 


Häclsch  Brähim  gewesen,  der  einen  besonderen  Boten  zu  dem  Zwecke 
an  den  Ort  der  Tliat  geschickt  hatte.  Der  als  Beamter  und  Mensch 
gleich  wenig  achtbare  l’äschä  war  glücklicherweise  für  ihn  selbst  und 
die  ihm  anvertraute  Provinz  in  Folge  seiner  Krankheiten  und  Trunk- 
sucht mit  Tode  abgegangen,  und  an  seiner  Statt  hatte  provisorisch 
der  Kätib  cl-Mäl,  Hamed  Bei,  die  Zügel  der  Regierung  ergriffen. 
Wenn  dieser  nicht  so  unfähig  war,  als  sein  zur  Freude  der  Einwohner 
heimgegangener  Vorgänger,  so  übertraf  er  denselben  kaum  in  der 
Sorge  für  Volkswohl  und  Gerechtigkeit.  Das  ganze  Land  bedauerte 
aufrichtig,  dass  die  Central-Regierung  in  Tripolis  bis  zur  Ernennung 
des  neuen  Mütäsarrif  nicht  den  Hadsch  Brähim  Ben  Alüa  mit  der 
Verwaltung  der  Provinz  betraut  hatte. 

Unser  Bericht  über  das  gcwaltthätige  Betragen  der  fremden 
Araber  in  Qatrün  bestätigte  die  Aussagen  des  Hadsch  Mahmud,  und 
einige  Tage  nach  unserer  Ankunft  liefen  noch  bedrohlichere  Nach- 
richten ein,  denen  zu  Folge  die  ungemüthlichen  Gäste  die  Stadt  ge- 
plündert und  sogar  Menschen  gefangen  fortgeführt  hatten.  Hamed 
Bei  benutzte  diese  Gerüchte  zur  Entfaltung  eines  kriegerischen  Schau- 
spieles, an  dessen  Spitze  er  seine  eigene  unmilitairische  Person  stellte. 
Die  Garnison  trat  in  einer  Stärke  von  etwa  150  Mann  mit  Trommel- 
schlag unter  die  Waffen ; die  invaliden,  gespannlosen  Kanonen  wurden 
aus  der  Qasba  auf  den  Platz  vor  ihr  geschleppt,  die  vorhandenen 
acht  Pferde  der  Stadt  und  der  Garnison  gesattelt  und  bestiegen,  und 
alle  waffenfähigen  Männer  der  Stadt  ergriffen  ihre  Flinten,  Pistolen, 
Schwerter  und  waren  bestrebt,  durch  Paukenschall,  Pulvergeknall  und 
kriegerische  Ausrufe  zu  ersetzen,  was  ihnen  an  wirklichem  Muthe 
abging.  Gleichzeitig  wurden  Boten  zu  den  Arabern  Schijäti's,  den 
Mcqäriha,  alten  Feinden  der  Auläd  Solimän  und  der  diesen  verbün- 
deten Stämme,  um  Zuzug  mit  Reitermacht  geschickt.  Die  gefürch- 
teten Araber,  von  denen  das  Gerücht  ging,  dass  sic  auf  dem  W'ege 
in  ihre  heimathlichen  Sitze  sogar  die  Hauptstadt  Fezzän  s zu  plündern 
beabsichtigten,  waren  glücklicherweise  nicht  Zeugen  dieser  kriege- 
rischen Schaustellung,  denn  der  Anblick  derselben  würde  sie  sicherlich 
zu  den  grössten  Ausschreitungen  verlockt  haben,  wenn  sie  überhaupt 
derlei  Absichten  genährt  hatten.  Zum  Glück  waren  sowohl  ihre  Unge- 
setzlichkeiten in  Qatrün  übertrieben  worden,  als  ihre  Absichten  auf 
Murzuq  eine  müssige  Erfindung,  wie  mein  Rcisegenosse  Bü  Zeid  bald 
darauf  bei  seinem  Besuche  in  der  Hauptstadt  bestätigte. 


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376  lt.  BUCH,  5.  KAP.  FLUCHT  AUS  BARDAl  UND  RÜCKKEHR  NACH  FEZZÄN. 

Bü  Zeid  kam,  thcils  um  mit  mir  betreffs  der  Tibesti-Rcisc  abzu- 
rechnen, theils  um  einen  jungen  Tubu-Vcrwandten  zu  befreien,  der 
als  Geisel  für  die  aus  Bidän  nach  Dschebädo  entführten  Fezzäner 
gefangen  gehalten  wurde.  Es  war  nämlich  der  Regierung,  entgegen 
der  mir  in  Tibesti  gewordenen  Nachricht,  doch  gelungen,  sich  einer 
Anzahl  von  Tubu  zu  bemächtigen,  deren  einen  jetzt  Bü  Zeid,  gegen 
eine  kleine  Fczzäncrin  aus  Dschebädo  auszuwechseln  suchte.  Bei 
der  Unsicherheit  der  Wege  südlich  von  Fezzan  benützte  ich  diese 
Gelegenheit,  meinem  Reisegefährten  zur  Erfüllung  seines  Zweckes 
unter  der  Bedingung  behülflich  zu  sein,  dass  sein  befreiter  Vetter 
meinen  Mohammed  und  'Ali  Bü  Bckr  bei  der  Aufsuchung  unseres  unter- 
wegs versteckten  Gepäckes  unterstützen  würde.  Nachdem  ich  noch  mit 
Bü  Zeid  vor  dem  Qädi  und  dem  Hadsch  Brähim  sämmtliche  Rech- 
nungen regulirt  hatte,  wobei  ich  meinem  Reisegefährten  manchen 
harten  Tadel  für  sein  oft  an  Treulosigkeit  streifendes,  stets  aber 
habsüchtiges  Benehmen  nicht  ersparen  konnte,  und  nachdem  auf 
Veranlassung  der  beiden  Würdenträger  sämmtliche  mehr  oder  weniger 
erpressten  Schuldverschreibungen,  welche  von  der  Kameelrniethe, 
versprochenen  Geschenken  und  dergleichen  herrührten,  auf  die  Hälfte 
oder  zwei  Drittel  herabgesetzt  und  bezahlt  worden  waren,  kaufte  ich 
ein  kräftiges  Kamecl,  und  Bü  Zeid,  sein  freigegebener  Schützling 
und  meine  Leute  reisten  zusammen  ab. 

Nach  der  Abwicklung  dieser  Geschäfte  musste  ich  um  so  ernst- 
licher an  die  l’flege  meiner  Gesundheit  denken,  als  ich  erwarten 
durfte,  dass  sich  bald  eine  Gelegenheit,  in  Gesellschaft  nach  Bornü 
zu  reisen,  finden  würde.  An  den  acuten  Magenkatarrh,  mit  dem 
ich  Murzuq  wieder  betreten  hatte,  schloss  sich  eine  chronische  Dys- 
senterie,  und  in  Folge  meiner  Schwäche  und  Blutarmuth  stellte  sich 
eine  Schwellung  der  Füssc  ein,  welche  mich  Monate  lang  hinderte, 
Schuhe  zu  tragen  und  weitere  Gänge  zu  machen.  Bis  weit  in  den 
Winter  hinein  kämpfte  ich  ohne  merklichen  Erfolg  gegen  Krankheit 
und  Schwäche,  und  als  ich  wirklich  nennenswerthe  Fortschritte  zu 
machen  begonnen  hatte,  stellte  sich  das  Sumpffieber  wieder  ein  und 
drohte  mit  seinen  mindestens  allwöchentlich  wiederkehrenden  Anfallen 
den  mühsam  erzielten  Fortschritt  wieder  zu  vernichten. 


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Sechstes  Kapitel.  • 

TOPOGRAPHIE  UND  NATÜRLICHE  BESCHAFFENHEIT 

TIBESTI’S. 


Historische  Notizen.  — Unsere  gänzliche  Unkenntnis*  des  Landes.  — Eikundigungen 
der  Reisenden.  — Unvollkommenheit,  meiner  Untersuchungen.  — Unsicherheit  der 
ge ographi sehen  Lage.  — Controllinien  der  Reiseroute.  — Bedeutung  des  Namen-. 
Tu.  — Zusammenhang  mit  dein  Gebirge  dcrTuarik.  — Allgemeine  Anordnung  des  Tn* 
Gebirges.  — Richtung.  — Knotenpunkte.  — Breitendurehmesser.  — I lohcncntwick- 
lung.  — Die  von  mir  gewonnenen  I lohenzahlen.  — Frühere  Zweifel  an  dem  Vor- 
kommen hoher  Berge.  — Vulkanische  Bildungen  (Krater  — Therme).  Kmi  Tarsu. 
der  nördliche  Knotenpunkt.  — Die  Südwestseile  des  Gebirges.  — Strasse  von  Süd- 
Fczzan  nach  Nord-Tibesti.  — PTussthalbild ungen.  — Kimeri  Abo.  — E.  Kjauuo.  — 
K.  Tao.  — K.  Zu:\r.  — Anknüpfungen  einzelner  Punkte  an  die  Bornöstrasse.  — 
Strassen  zwischen  Zudr  und  Boikii.  — E.  Marmor.  — E.  Kreina  mit  seinen  Zuflüssen 
Jöö,  Maro,  Ogui  und  Arr.  — F.  Domnr.  — Südgrenzc  von  Tu.  — Kmi  Kussi,  der 
südöstliche  Gebirgsk nuten.  — Entfernungen  des  Kmi  Kussi  von  Borkii,  Wanjanga 
und  Banlai.  — Nordostseile  des  Gebirges.  — E.  Bartlai  und  sein  Zusammenhang 
mit  dem  Kmi  Kussi.  — Weg  von  Banlai  nach  Wanjanga.  — Der  südöstlichste  Theil 
der  Landschaft  mit  Gurö  und  Uri.  ■ — Grenzen  und  Gesammtausdchnung  des  Landes. 
— Bodcnbcschaflenhcit  und  Klima.  — Meteorologische  Beobachtungen.  — Flora  und 
Fauna.  — Ilülfstjuellcn  der  Bewohner. 

Das  Land  der  nördlichen  Abtheilung  der  Tubufainilie,  welches 
von  den  Arabern  Tibcsti,  von  den  Eingeborenen  Tu  genannt  wird, 
ist,  trotzdem  es  dem  bekannten  Kczzän  und  der  wahrscheinlich  schon 
seit  einigen  Jahrtausenden  frequentirten  Karavanenstrasse,  welche 
von  dort  nach  Bornü  führt,  so  nahe  liegt,  bisher  fast  ganz  unbekannt 
geblieben.  Zwar  erwähnt  Hcrodot  ein  Land  der  troglodytischen 
Aethiopier,  .südlich  von  den  Sitzen  der  Garamanten,  welche  er  in 


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378  II.  BUCH,  6.  KAP.  TOPOGRAPHIE  U.  NATÜRL.  BESCHAFFENHEIT  TIBESTl’s. 

seiner  von  Osten  nach  Westen  gehenden  Aufzählung  der  entfernter 
von  der  Küste  wohnenden  libyschen  Stämme  an  die  Rewohner  von 
Audschila  reiht,  und  es  kann  kaum  zweifelhaft  sein,  dass  mit  ihm 
das  heutige  Tibesti  gemeint  sei.  Doch  wir  erkennen  dies  nur  aus 
der  Schilderung  der  Rewohner,  denn  der  „Vater  der  Geschichts- 
schreibung” fügt  keine  Rcschreibung  des  Landes  hinzu. 

Nachdem  Lucius  Cornelius  Ralbus  das  Land  der  Garamanten 
erobert  und  zur  römischen  Provinz  gemacht  hatte,  gelang  es  zwar 
später  den  Heerführern  Septimius  Flaccus  und  Julius  Maternus,  wie 
uns  Marinus  von  Tyrus  berichtet,  über  dasselbe  hinaus  nach  Süden 
in  das  Land  Agisymba  vorzudringen,  doch  man  hat  keinen  Anhalt, 
in  diesem  Tibesti  zu  sehen,  sondern  vermuthet  wohl  mit  Recht  in  ihm 
das  heutige  Asben  oder  Ahir,  die  Landschaft  der  südöstlichen  Tuärik. 
Ptolemäus  erwähnt  ferner,  dass  die  Herrschaft  der  Garamanten  sich 
über  die  östliche  Wüste  bis  zum  Sudan  ausgedehnt  habe,  doch  ohne 
die  Stämme  dieses  ungeheuren  Gebietes  und  ihre  Wohnsitze  aufzu- 
führen. Vielleicht  galt  dies  nur  für  die  damals  bekannteste  Gegend 
dieses  Theils  der  Wüste,  für  den  Weg  zwischen  Fezzän  und  Rornü; 
jedenfalls  hat  man  sich  unter  dieser  Herrschaft  der  Garamanten  kein 
einheitliches  Reich  vorzustellen,  das  die  ganze  östliche  Hälfte  der 
Sahara  umfasste.  Selbst  später,  als  nach  der  Eroberung  der  Nord- 
küste durch  die  Araber  eine  Verschiebung  der  Küstenbewohner  in 
die  Oasen  der  Wüste  stattfand,  und  als  noch  später  das  Reich  Käncm 
durch  Einwanderer  entstand,  welche  von  Norden  kamen  und  un- 
zweifelhaft das  Tubu -Gebiet  durchzogen  haben  mussten,  blieb  die 
Hauptlandschaft  des  letzteren  unerwähnt.  Eben  so  wenig  finden  wir 
in  der  Rcschreibung  des  grossen  Reichs  der  Zoghäwa  oder  Zaghä, 
das  sich  nach  Westen  bis  zur  Rornüstrasse,  nach  Nordwesten  bis 
Fezzän  und  nach  Osten  bis  an  die  Nilländer  erstreckte,  bei  den 
arabischen  Schriftstellern  Idrisi  und  Ibn  Sa’id  das  Land  der  Tedä 
ausdrücklich  verzeichnet. 

Erst  später,  als  Fezzän  seine  vorübergehende  Abhängigkeit  vom 
Rornü-Rciche  gelöst  und  sich  mehr  an  das  eigentliche  Tripolitanien 
gelehnt  hatte,  und  als  es  durch  seinen  Handel  mit  Bornü,  den  Haussa- 
staaten  und  Timbuktu  einerseits  und  Egypten,  Tripolitanien  und 
Tunisien  andererseits  zu  einer  gewissen  Macht  gelangt  war,  hörte 
man  häufiger  von  Tibesti  als  der  durch  ihre  felsige  Reschaffenheit  und 
den  verräterischen  Charakter  der  Bewohner  schwer  zugänglichen 


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r.lSHKRIGE  UNKENNTNISS  DES  LANDES. 


370 


Hcimath  der  nördlichen  Tubu  sprechen.  Als  dann  der  Islam  die 
Wadäistamme  zu  einem  Staatswesen  vereinigt  hatte  (gegen  die  Mitte 
des  17.  Jahrhunderts),  entwickelte  sich  allmählich  ein  Handelsverkehr 
dieses  jungen  Reiches  einerseits  mit  Egypten,  und  andererseits 
mit  Fezzan,  und  der  Weg  zum  letzteren  führte  durch  das  Land 
Tibcsti.  Doch  der  brutale  Charakter  dieser  abgeschlossenen  Felsen- 
bewohner und  ihr  freibeuterisches  Wesen  verhinderte  eine  genauere 
Bekanntschaft  der  durchreisenden  Kaufleute  mit  ihnen  und  ihrem 
Lande.  Die  Fezzaner  und  Tripolitancr  bcgniigten  sich,  am  südwest 
liehen  Fusse  des  Gebirges  von  Tu  nach  Zahlung  ihres  Durchgangs- 
zolles so  schnell  als  möglich  weiter  zu  ziehen,  und  waren  froh,  wenn 
sie  die  berüchtigten  Einwohner  hinter  sich  gelassen  hatten. 

Gegen  Ende  des  vorigen  Jahrhunderts  machten  allerdings  die 
Herrscher  von  Fezzan  einige  Versuche,  die  Bewohner  Tibesti's  in  ein 
tributäres  Verhältnis*  zu  zwingen,  um  ihren  Gewalttätigkeiten  und 
Räubereien  auf  den  Wegen  von  Murzuq  nach  Wadai  und  nach 
Bornü  — denn  auch  der  letztere  fällt  noch  in  das  Gebiet  der 
nördlichen  Tubu  — ein  Ende  zu  machen.  Aber  wenn  dies  auch 
voriibergehend  in  gewissem  Grade  gelang,  so  sicherte  jenen  doch 
die  Unzugänglichkeit  ihrer  Felsensitzc,  von  denen  sic  den  Namen 
Tubu  Reschäde,  d.  h.  Feiscn-Tubu,  empfangen  hatten,  auf  die  Dauer 
ihre  Unabhängigkeit. 

Als  endlich  zu  Anfang  dieses  Jahrhunderts  durch  den  intelligenten 
VVadäikönig  Abd  el-Kenm,  genannt  Sabün,  der  directe  Handelsweg 
von  seinem  Lande  zur  Mittelmeerküste  eröffnet  wurde,  konnte  man 
hoffen,  dass  das  Dunkel,  welches  über  tler  ganzen  östlichen  Hälfte 
der  grossen  Wüste  lagerte,  gelichtet  und  damit  auch  Tibcsti  be- 
kannter werden  würde.  Auch  diese  Erwartung  erfüllte  sich  nicht; 
ja,  während  der  neue  Weg,  welcher  von  Wadai  in  nördlicher  Rich- 
tung nach  Benghäzi  führt,  selbst  ausserhalb  der  Ostgrenze  Tu's  ver- 
läuft, und  also  direct  Nichts  zur  Aufhellung  dieses  Landes  thun 
kann,  machte  sogar  seine  Eröffnung  dem  Karavanenwcge  von  Fezzan 
eine  erhebliche  Concurrenz.  Der  Verkehr  auf  diesem  letzteren  erstarb 
allmählich,  und  der  erstere  selbst  erlitt,  nachdem  sein  Handel  etwa  ein 
halbes  Jahrhundert  hindurch  diesen  centralsten  und  ödesten  Theil 
der  östlichen  Wüste  belebt  hatte,  eine  anhaltende  Unterbrechung, 
welche  bis  in  die  neueste  Zeit  gedauert  hat.  So  blieb  Tu  für  uns 
in  sein  tausendjähriges  Dunkel  gehüllt. 


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380  II.  BUCH,  6.  KAP.  TOPOGRAPHIE  U.  NATURL.  BESCHAFFENHEIT  TIBESTl’S. 

Wahrend  der  Aufrechterhaltung  und  regelmässigen  Frequentirung 
der  genannten  Handelsstraßen  gelang  cs  den  Europäern  nicht,  ihre 
Entdeckungsbestrebungen,  die  für  den  westlichen  Theil  Nord-Afrikas 
zum  Theil  von  glänzendem  Erfolge  gekrönt  gewesen  waren,  auch  in  der 
östlichen  Wüste  zu  bethätigen.  Zunächst  waren  diese  Strassen  und  der 
Verkehr  auf  ihnen  den  umwohnenden  Stämmen  selbst  noch  nicht  so  be- 
kannt und  geläufig  geworden,  dass  Fremde  sich  mit  einigem  Vertrauen 
ihrer  hätten  bedienen  können,  und  dann  schien  ihr  Endpunkt  Wadäi 
christlichen  Besuchern  sicheres  Verderben  zu  drohen.  So  war 
man  bisher  einzig  und  allein  auf  die  Nachrichten  der  Fczzäner  und 
Tripolitaner  angewiesen,  welche  Tibesti,  sei  es  zu  Handelszwecken, 
sei  es  in  kriegerischer  Absicht  durchzogen  oder  berührt  hatten,  und 
ihre  Angaben  wurden  wiederholt  von  europäischen  Reisenden  in  an- 
erkennenswerth  sorgfältiger  Weise  gesammelt  und  kritisch  verwerthet. 
Lucas,  der  im  Aufträge  der  British  African  Association  zu  Ende  des 
vorigen  Jahrhunderts  in  Afrika  war  und  seine  Nachrichten  auf  der 
Nordküste  einzog,  und  Hornemann,  der  einige  Jahre  später  von 
Audschi'la  nach  Fezzän  reiste,  haben  die  ersten,  sehr  allgemeinen 
Daten  gesammelt.  Später  folgten  die  Erkundigungen  der  Reisenden, 
welche,  von  Tripolis  auszichcnd,  nach  dem  Sudan  strebten:  Lyon  und 
Ritchie  (1818—1820),  die  nicht  über  Fezzän  hinauskamen,  und  bald 
darauf  (1822  1824)  Denham,  Clappcrton  und  Oudney,  welche  nach 

Bornu  gingen. 

Die  Anwesenheit  Lyon’s  in  Fezzän  fiel  in  eine  für  Fürkundigungen 
günstige  Zeit,  da  dieselbe  reich  war  an  Verkehr  des  Landes  mit  Tibesti, 
wenn  auch  dieser  freilich*  nur  kriegerischer  Natur  war.  Damals  unter- 
nahmen der  Statthalter  von  Fezzän,  el-Muqni,  und  der  Araber-Scheich 
Abd  el-Dschli!  die  grossartigen  Raubzüge  nach  Tibesti,  Borkü,  Wan- 
janga,  dem  Bahar  el-Ghazäl  und  Känem,  von  denen  in  dem  Abriss  der 
Geschichte  von  Fezzän  die  Rede  gewesen  ist,  und  Lyon  verstand  es  vor- 
trefich,  diese  Gelegenheit  zu  benutzen.  Auch  die  von  Richardson,  Barth, 
Overweg  und  Vogel  (1850  1855)  eingezogenen  Erkundigungen  waren 

von  höchster  Wichtigkeit  für  unsere  bescheidene  Kenntniss  des  Landes 
Tu  und  seiner  Bewohner.  F'ast  zu  derselben  Zeit  stellte  der  fran- 
zösische Consul  F’resnel  seine  Nachrichten,  die  er  hauptsächlich  in 
Benghäzi  und  Dschälo  cingezogen  hatte,  zusammen  und  erkundete 
sorgfältig  die  zuverlässigsten  Angaben  über  die  Strassen,  welche  von 


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ERKUNDIGUNGEN  DER  REISENDEN. 


381 


Fezzan  über  Tibesti  und  von  Dschälo  über  Kufüra  und  Wanjanga 
nach  Wadä'i  fuhren. 

Wie  unzulänglich  die  topographische  Ausbeute  war,  trotz  der 
Erkundigungen  von  Leuten,  welche,  wie  Fresnel  und  Barth,  die 
Kunst  auszufragen  im  allerhöchsten  Grade  besassen  und  wohl  Kritik 
zu  üben  wussten,  geht  aus  der  bekannten  kartographischen  Arbeit 
von  Petermann  und  Hassenstein*)  hervor,  welche  die  bis  zu  den  Jahren 
1861  bis  1863  gesammelten  Materialien  zur  Anschauung  bringt,  und,  ob- 
gleich mit  höchstem  Verständniss  übernommen  und  ausgeführt,  doch  nur 
ein  sehr  unvollkommenes  Bild  jener  Gegend  zu  liefern  vermag.  Man 
wusste  eben  nur,  dass  Tibesti  ein  Land  voller  Felsen  und  Berge  sei, 
behauptete,  dass  diese  zum  Theil  eine  in  den  Wüstengegenden  un- 
gewöhnliche Höhe  erreichten,  rühmte  den  Wasserreichthum  der  Land- 
schaft, erzählte  von  Sclnvefelausbcute  und  einer  heissen  Quelle  daselbst 
und  nannte  die  Namen  einzelner  Abtheilungen  der  Tedä.  Hoch  über 
Verlauf  und  Beschaffenheit  der  Berge,  über  Zahl,  Bedeutung  und 
V'erlauf  der  Thäler,  über  die  Wohnsitze  der  einzelnen  Stamm- 
abtheilungen und  über  die  Ausdehnung  des  ganzen  Landes,  seine  Be- 
völkerungszahl und  seine  Erzeugnisse  war  man  gänzlich  im  Dunkeln. 
Bei  den  phantastischen  Neigungen  arabischer  Berichterstatter  be- 
zweifelte man  die  Nachrichten  über  die  Höhe  der  Berge  und  ihren 
vulkanischen  Ursprung,  für  den  die  Therme  sprechen  konnte,  und 
hoffte  sehnlichst,  dass  es  einem  Europäer  gelingen  möchte,  durch  den 
Augenschein  das  Wahre  vom  Falschen  zu  sondern.  Zwar  hatte  ein  ge- 
bildeter Muhammedaner,  der  gelehrte  Scheich  Mohammed  Ibn  Omar 
et-Tünisi,  seine  Reise  von  Wadai  nach  Fezzan  (1812),  welche  Tibesti 
durchschnitten  hatte,  beschrieben**),  aber  über  den  Weg  selbst  und  die 
Topographie  von  Tibesti  gaben  seine  nach  einer  langen  Reihe  von 
Jahren  niedergeschriebenen  Aufzeichnungen  so  gut  wie  gar  keine 
Aufschlüsse.  Die  aus  seiner  Schilderung  gewonnene  Kenntniss  von 
Tibesti  beschränkt  sich  auf  seine  übrigens  sehr  zutreffenden  Worte: 
„Das  Gebiet  der  Tubu  Reschädc  ist  ein  versengtes  Land,  starrt  von 
steilen  und  nackten  Felsen  und  bietet  nur  eine  traurige  und  kärgliche 
Vegetation”. 

Endlich  beabsichtigte  mein  unglücklicher  Vorgänger  M.  von  Beur- 

*)  fcrgunzungshaml  II.  der  Peteroiann’schen  Milt  Heilungen  1S62/63. 

**)  Voyage  au  ( »uaday  j>ar  le  Cheik  Mohammed  Ihn  ’Omar  et -Tounsi  traduit  de 
l arabe  par  le  Dr.  Perron.  Paris  1851. 


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382  ii  iircH,  6.  kap.  topograi*hik  u.  natürl.  Beschaffenheit  TinEsn's. 

mann  im  Jahre  1862  sein  Ziel  Wadat,  das  er  auf  dem  directen  Wege 
von  Dschälo  aus  vergeblich  angestrebt  hatte,  von  F'ezzän  aus  durch 
die  Tubuländer  zu  erreichen.  Dies  gelang  ihm  indessen  ebensowenig, 
als  einige  Jahre  später  (1866)  Gerhard  Rohlfs,  welcher  aber  wenig- 
stens in  Kawär  so  reichhaltige  und  sorgfältige  Erkundigungen  einzog, 
tlass  er  eine  Karte  von  Tibesti  entwerfen  konnte,  die  im  Allgemeinen 
eine  richtige  Idee  von  der  Physiognomie  des  Landes  giebt.  Mir 
endlich  war  es  Vorbehalten,  als  erster  Europäer  das  Land  zu  betreten, 
und  wenn  mein  Aufenthalt  daselbst  nicht  die  wünschenswerthen 
wissenschaftlichen  Resultate  ergeben  hat,  so  erklärt  sich  dies  aus  den 
unglücklichen  Verhältnissen,  unter  denen  ich  die  Reise  machte,  und 
allerdings  auch  aus  meinem  Mangel  einer  besonderen,  auf  derartige 
Zwecke  gerichteten  wissenschaftlichen  Vorbereitung.  Ich  sah  nur 
einen  kleinen  Theil  des  ausgedehnten  Gebietes,  und  meine  Beobach- 
tungen und  Aufzeichnungen  wurden  beständig  ebensosehr  beeinträch- 
tigt durch  Hunger  und  Durst,  Krankheit  und  Anstrengung,  als  durch 
Bosheit  und  Hass  der  Bewohner.  Die  Aufnahme  der  Reiseroute, 
welche  ohnehin  schon  ungenau  genug  ausfallen  musste,  weil  sie  nur 
auf  Compassnotirungen  und  nicht  auf  astronomischen  Beobachtungen 
beruht,  musste  durch  Erkundigungen  ergänzt  werden,  welche  durch 
den  Mangel  an  gutem  Willen  der  Berichterstatter  noch  erheblich 
litten.  Die  Höhenmessungen  mussten  mit  Instrumenten  vorgenommen 
werden,  welche  mir  aus  Europa  nachgesendet  und  nicht  gehörig  con- 
trolirt  und  verglichen  worden  waren,  und  bleiben  mithin  nur  annähernd 
verwerthbar.  Die  bescheidenen  Sammlungen  von  Gesteinproben  und 
Pflanzen,  welche  einigermassen  meine  rudimentären  Kenntnisse  in  der 
Geologie  und  Botanik  hätten  ersetzen  können,  und  selbst  Aufzeich- 
nungen verschiedener  Art  gingen,  wie  oben  bemerkt,  bei  der  flucht- 
artigen Rückreise  aus  dem  unwirklichen  Lande  verloren. 

Die  Unsicherheit  der  Wegaufnahme  wird  dadurch  erheblich  er- 
höht, dass  der  Endpunkt  derselben  an  keinen  geographisch  festliegen- 
den Punkt  geknüpft  werden  kann.  Von  Norden  her  mindert  zwar  der 
von  Fezzän  nach  dem  Norden  Tu’s  (Finnen  Abo)  führende,  bei  den 
Eingeborenen  bekannte  und  häufig  bereiste  Weg  die  Ungenauigkeit 
einigermassen;  von  Westen  her  knüpfen  verschiedene  Strassen  die 
von  mir  im  Westen  Tibesti’s  besuchten  Punkte  an  den  als  geographisch 
festliegend  anzunchmenden  Weg  von  Fezzän  nach  Bornü.  Doch  von 
Osten  gab  es  in  weiterer  Ferne  nur  die  Karavanenstrassc  von 


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UNSICHERHEIT  DER  GEOGRAPHISCHEN  I.AGE  TU’S. 


383 


Dschälo  nach  Wadai,  welche  selbst  kartographisch  nur  wenig  fest- 
gelegt ist,  und  nach  Süden  bot  kein  bekannter  Punkt  einen  nur 
einigermassen  festen  Halt.  Aus  diesem  Grunde  beabsichtigte  ich 
später,  von  Bornü,  dessen  Hauptstadt  als  astronomisch  bestimmt  er- 
achtet werden  kann,  nach  Nordosten  in  die  Wüste  zu  dringen,  um 
von  dort  den  südöstlichsten  Punkt  meiner  Tibesti-Route  womöglich  zu 
erreichen  und  dieser  einen  neuen  Halt  zu  geben.  Wenn  mir  auch 
die  Erreichung  des  angestrebten  Punktes  nicht  gelang,  und  ich  noch 
etwa  zwölf  Tagereisen  von  demselben  in  südöstlicher  Richtung  entfernt 
blieb,  so  erblickte  ich  doch  dort,  im  Lande  Borkü,  nach  Norden  zu  die 
Gebirgskette,  welche  sich  in  südöstlicher  Richtung  fast  ununterbrochen 
vom  Tümmo-Gebirge  bis  nach  Wanjanga  erstreckt,  und  näherte  mich 
dieser  letzteren  Landschaft  und  damit  dem  Karavanenwege,  welcher 
Wadai'  mit  der  Nordküste  verbindet,  bis  auf  weniger  als  fünf  Tage- 
märsche. Durch  diese  von  allen  Seiten  zusammenwirkenden  Control- 
linien werden  die  bei  der  kartographischen  Niederlegung  Tibesti's 
unvermeidlichen  Fehler  in  engere  Grenzen  gebannt,  wenn  ich  auch 
nicht  bezweifle,  dass  später  wissenschaftliche  Expeditionen  manche 
Verschiebungen  der  Hauptpunkte  und  viele  Umgestaltungen  der 
Einzelheiten  zur  Folge  haben  werden. 

Das  Felsenland  Tu,  dessen  Name  nach  der  Aussage  seiner  Be- 
wohner „Fels"  bedeuten  soll,  obwohl  man  jetzt  in  der  Landessprache, 
der  mödi  Tedä,  stets  andere  Ausdrücke  für  Berg  und  Fels  anwendet, 
muss  im  Zusammenhänge  mit  dem  Gebirgsstocke  der  Tuarik  Haggär, 
welcher  im  östlichen  Theile  der  westlichen  Wüste  eine  mächtige  Er- 
hebung bildet,  gedacht  werden.  Während  das  vulkanische  Centrum 
desselben  nach  Duveyrier*)  eine  Höhe  von  2000  M.  erreicht,  und 
die  sich  nach  Nordosten  und  Osten  daran  schliessenden  Hochlande 
der  Tuärik  Asgar,  das  nördliche  Tassili  und  die  Gebirgslandschaft 
Anhef,  noch  eine  Meereshöhe  von  1500  bis  1800  M.  haben,  gehen 
die  letzteren  in  terrassenförmiger  Abstufung  in  die  Hochebene  über, 
welche  sich  nach  Südosten  gegen  Tibesti  hin  ausdehnt.  Diese  zeigt 
da,  wo  sie  von  der  aus  Fczzän  nach  Bornü  führenden  Strasse  durch- 
schnitten wird,  noch  eine  Erhebung  von  6co — -700  M.  und  trägt  auf 
der  gleichmassig  abfallenden  Strecke,  die  in  einer  Ausdehnung  von 
etwa  500  Km.  zwischen  der  Gegend  von  Ghät  und  dem  Tümmo- 

*)  Henri  Duveyricr,  les  Touareg  du  Nord.  I’arLs  1864. 


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384  11.  BUCH,  6.  KAP.  TOPOGRAPHIE  U.  NATÜRL.  BESCHAFFENHEIT  TIBESTl's. 

Gebirge  liegt,  Felsenketten,  welche,  wenn  auch  stellenweise  unter- 
brochen, doch  das  letztere  mit  den  Gebirgen  der  nördlichen  Tuarik 
in  einen  gewissen  Zusammenhang  setzen. 

Das  Tünimo- Gebirge  aber  ist  nur  durch  wenige  Tagereisen  in 
Südostrichtung  von  der  Felsenlandschaft  Afäfi  getrennt,  welche  ihrer- 
seits den  nordwestlichsten,  ebenfalls  noch  etwas  lückenhaften  Theil 
der  Gebirgslandschaft  Tu  bildet.  Von  hier  aus  (ungefähr  22°  N.  11.) 
erstreckt  sich  das  Gebirge  in  der  Richtung  von  Nordwest  nach  Süd- 
ost innerhalb  des  zwischen  dem  15“  und  17°  Ö.  L.  gelegenen  Raumes 
bis  zum  20 u N.  B.,  nimmt  dann  mehr  und  mehr  eine  ostsüdöstliche 
Richtung  an  und  verläuft  zwischen  dem  20°  und  180  N.  B.  bis  etwa 
zum  21°  O.  L.,  wo  es  in  Wanjanga,  der  Landschaft  der  Wanja, 
endigt  oder  wenigstens  eine  ansehnliche  Unterbrechung  erleidet. 

Die  Karavanenstrasse  von  Fezzan  nach  Wadaf  fuhrt  am  west- 
lichen und  südwestlichen  Fusse  dieses  Gebirges  bis  Borkü,  und  ist 
vielfach  von  Arabern  bereist  worden,  welche  über  den  Verlauf  des- 
selben Auskunft  zu  geben  vermögen.  Ich  selbst  zog  von  Norden 
kommend  auf  der  Südwestseite  des  Gebirges  hart  an  seinem  Fusse, 
seine  Ausläufer  zuweilen  überschreitend,  bis  über  den  20 0 N.  B. 
(E.  Zuär)  hinaus  und  erblickte  spater,  von  Süden  gekommen  und 
einige  Längengrade  weiter  östlich,  vom  nördlichsten  Theilc  Borku's 
{ungefähr  iS“  N.  II.)  aus  seine  Fortsetzung.  Zwischen  den  End- 
punkten dieser  beiden  Reisen,  Borkü  und  dem  nordwestlichen 
Tibcsti,  stellen  bekannte  Strassen  die  Verbindung  her,  vermitteln  uns 
eine  Kenntniss  der  auf  ihnen  überschrittenen  Flussbetten,  welche  sich 
nach  Südwesten  senken,  und  lassen  uns  durch  Richtung  und  Bedeu- 
tung der  letzteren  einen  weiteren  Schluss  auf  den  Verlauf  des 
höchsten  Theilcs  der  ganzen  Erhebung  machen. 

Während  sich  diese  demnach  in  einer  Längenausdehnung  von 
mehr  als  700  Km.  in  der  Gesammtrichtung  von  Westnordwest  nach 
Ostsüdost  erstreckt,  ist  seine  Breitenausdehnung  weniger  leicht  zu 
bestimmen.  Nichts  berichtet  uns  mit  einiger  Sicherheit  über  die  Aus- 
dehnung der  Felsregion  nach  Nordosten.  Keine  Karavanenstrassen 
fuhren  durch  die  dortige  Gegend;  selbst  die  räuberischen  Araber, 
welche  vom  östlichen  Theile  Fezzan’s  oder  von  Borkü  aus  oft  weite 
Plünderzüge  unternehmen  und  allein  dort  hingelangen  könnten, 
werden  durch  die  Spärlichkeit  und  Armuth  der  Bevölkerung  und 
durch  die  Unzugänglichkeit  ihrer  Wohnsitze  abgeschreckt.  Sogar 


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KNOTENPUNKTE  OES  GEBIRGES. 


385 


die  Bewohner  der  Südwestabhänge  selbst  überschreiten  nur  an  ver- 
einzelten Punkten  das  Gebirge.  Jedenfalls  stellt  dieses  keine  einfache 
Kette  dar,  sondern  eine  mannichfach  complicirte  Felsenlandschaft, 
welche  einzelne  Knotenpunkte  zu  haben  scheint. 

Die  höchste  Erhebung  in  ihrem  nordwestlichen  Theile  stellt  der 
massige,  von  mir  passirte  Tarso  dar.  Seine  Ueberschreitung  in  der 
zum  Verlaufe  des  Gebirges  ungefähr  perpendiculären  Richtung  kostet 
zwei  bis  drei  Tagemärsche,  welche  in  der  Ebene  einer  Strecke  von 
etwa  ioo  Km.  gleichkommen  würden.  Von  dieser  Zahl  ist  bei  der 
sehr  allmählichen  Steigung  des  Berges,  der ' wahrscheinlich  eine 
Meereshöhe  von  nahezu  2500  M.  hat,  und  bei  der  ebenen  Beschaffen- 
heit seiner  breiten  Wölbung  nur  ein  geringer  Abzug  zu  machen,  um 
die  horizontale  Entfernung  zwischen  den  beiden  Endpunkten  zu  er- 
halten. Vom  östlichen  Abhänge  erblickt  man  den  nordöstlichen  und 
östlichen  Horizont  noch  von  ansehnlichen  Bergketten  eingenommen, 
und  von  Bardai  gelangt  man  in  östlicher  Richtung  durch  ein  fort- 
gesetztes Felsengebiet  zum  Thale  Aözo  in  zwei  Tagereisen,  so  dass 
dieses  mindestens  60  Km.  vom  Fusse  des  Tarso  entfernt  liegen 
dürfte. 

Einen  ähnlichen  Knotenpunkt  scheint  der  südöstliche  Theil  des 
Gebirges  im  Emi  (Berg)  Kussi  zu  haben,  den  ich,  wie  erwähnt,  vom 
Norden  Borkü’s  aus  in  nördlicher  Richtung  in  der  Entfernung  von 
drei  bis  vier  Tagereisen  als  ansehnlichen  Kegel  erblickte.  Beide 
Knotenpunkte  sind  durch  eine  Bodenerhebung  verbunden,  von  der 
sich  zwischen  zahlreichen  Felsen-Ketten  und  -Gruppen  mannich- 
fachster  Anordnung  Flussbetten  nach  Südwesten  senken,  welche  zum 
Theil  einen  Verlauf  von  der  Länge  mehrerer  Tagemärsche  innerhalb 
des  Felsengebietes  haben,  bevor  sie  in  die  Ebene  hinaustreten.  So 
sollen  sich  die  Flussthäler  Zuär , Joö,  Maro,  Domar  verhalten1,  und 
man  darf  also  im  mittleren  Tibesti  den  südwestlichen  Abfall  des  Ge- 
birges, von  der  Wasserscheide  bis  zur  Ebene,  auf  mindestens  60  Km. 
veranschlagen.  Ueber  den  Abfall  der  Erhebung  nach  der  entgegen- 
gesetzten Seite  können  wir,  mit  Ausnahme  des  Theilcs,  den  mein  Weg 
nach  Bardai  durchschnitt,  nur  Vermuthungen  aussprechen.  Danach 
scheint  derselbe  steiler  zu  sein,  als  auf  der  Südwestscite,  die  Ebene 
jedoch  zu  ihren  Füssen  höher  zu  liegen,  als  auf  der  letzteren.  Einen, 
freilich  sehr  unsicheren,  Anhalt  zur  Abschätzung  des  Breitendurch- 
messers  der  Erhebung  haben  wir  auf  der  nordöstlichen  Seite  noch  in 

Kachtigal.  I.  .j'. 


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380  H.  BUCH,  6.  KAP.  TOPOGRAPHIE  U.  NATÜRL.  BESCHAFFENHEIT  TlBF.STl’S. 


einigen  Reiserouten,  welche  am  Fusse  derselben  von  Bardai  nach 
VVanjanga  führen,  aber  weder  zahlreich  noch  zuverlässig  genug  sind, 
um  mit  hinlänglichem  Vertrauen  verwcrthet  werden  zu  können. 

Was  die  Höhenentwicklung  der  Berge  von  Tibesti  betrifft,  so 
können  die  von  mir  durch  Aneroid-Notirungen  und  Kochpunkt- 
bestimmungen gewonnenen  Zahlen  nur  einen  sehr  geringen  Werth 
beanspruchen,  und  ich  würde  dieselben  nicht  zu  veröffentlichen 
wagen,  wenn  überhaupt  andere  Höhenmessungen  existirten.  Ich  be- 
sass  ein,  in  englische  Zolle  getheiltes  Taschen- Aneroi'd  und  ein  Koch- 
thermometer, welche  mir,  ohne  mit  verlässlichen  Quecksilber-Baro- 
metern verglichen  zu  sein,  nachgesendet  worden  waren.  Es  würde 
kaum  möglich  sein,  die  Angaben  derselben  überhaupt  zu  verwerthen, 
wenn  nicht  einerseits  zahlreiche  Beobachtungen  früherer  Reisender 
aus  Fezzän  und  dem  Tümmo-Gebirge  zur  Vergleichung  vorlägen, 
und  ich  andererseits  nicht  Gelegenheit  gehabt  hätte,  das  Verhalten 
beider  Instrumente  in  langen  Beobachtungsreihen  zu  Murzuq  und  auf 
der  späteren  Reise  nach  Bornü  mit  einem  vortrefflichen  grösseren 
Aneroid  zu  vergleichen.  Aus  diesen  Vergleichen  leitete  ich  die 
Correctur  der  Angaben  meiner  Instrumente  ab,  und  so  erklärt  es 
sich,  dass  die  in  Folgendem  gegebenen  Höhenschätzungen  erheblich 
von  denjenigen  Zahlen  abweichen,  welche  unmittelbar  nach  meiner 
Tibesti-Rcise  aus  einigen  vereinzelten,  in  meinen  Briefen  enthaltenen 
Aneroidständen  hergeleitet  und  veröffentlicht*)  worden  sind.  Ent- 
sprechend der  Unsicherheit  meines  Materials  gebe  ich  im  Folgenden 
nur  runde  Zahlen. 

Von  dem  Hochlande  der  Tuarik  Asgar  ( 1 5c» — 1800  M.  nach 
Duveyrier)  dacht  sich , wie  erwähnt,  eine  Hochebene  nach  Südosten 
ab,  welche  dort,  wo  die  Bornü-Strasse  sie  schneidet,  in  der  Hammäda 
von  Alaöta  Kju  und  in  der  Masse  des  Tümmo  eine  Meereshöhe  von 
rund  650  M.  hat.  Die  Ebene  südlich  vom  Tümmo-Gebirge,  das 
eigentlich  in  einem  Erosionsthalc  liegt,  hat  eine  ungefähre  Erhebung 
von  500-  550  M.  und  steigt  nach  Südosten  bis  in  die  Nähe  der  Felsen- 
gegend Afäfi  zu  etwa  600  M.  an,  während  die  einzelnen  Berge  der 
letzteren  sich  bis  zu  ca.  700  M.  erheben.  Von  Afäfi  aus  in  die  am 
westlichen  Fusse  des  Tu -Gebirges  sich  hinziehende  Ebene  hinab- 
steigend, befinden  wir  uns  in  der  Ebene  des  nördlichsten  bewohnten 


*)  Petermann.  Geogr.  Miltheil.  Band  XVI,  pag.  2S7. 


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HÖHENSCHÄTZUNGKN. 


387 

Flussthaies  (E.  Abo  oder  Udüi)  und  seiner  Nebenflüsse  etwa  550  M. 
über  dem  Meeresspiegel,’ sind  aber  vom  Fusse  der  centralen  Erhebung, 
welche  man  im  Osten  als  Kette  erblickt,  noch  etwa  einen  Tagemarsch 
entfernt.  Sich  der  letzteren  nähernd  hat  man  mit  Tao  eine  ungefähre 
Meereshöhe  von  700  M.  erreicht  und  steigt,  von  hier  aus  in  südlicher 
Richtung  nach  Zuär-Kai  reisend,  im  westlichen  Thcile  der  Merda  Sodoä 
genannten  Gebirgsgruppc  bis  über  750  M.  auf.  Südlich  von  der  letz- 
teren liegt  die  Ebene  des  E.  Zuär  bis  Zuär-Kai  wieder  550  M.  über 
dem  Meeresspiegel  und  von  hier  steigt  das  Flussthal  nach  Osten  inner- 
halb eines  guten  halben  Tagemarsches  um  etwa  100  M an. 

Bei  der  Ueberschreitung  des  Tarso  von  Tao  (700  M.)  aus  stiegen 
wir  während  des  ersten  halben  Tagemarsches  zum  E.  Ass  mit  etwa 
1000  M.  Meereshöhe  auf  und  erreichten  nach  einem  weiteren  Tage- 
marsche die  Höhe  des  Berges  mit  etwa  2400  M.,  während  sich  auf 
seinem  breiten  Rücken  Ketten,  Gruppen  und  Kegel,  unter  denen 
der  Tusidde,  auf  der  Höhe  der  Wölbung  thronend,  der  bedeutendste 
ist,  anscheinend  noch  wenigstens  100  M.  über  ihre  Basis  erheben.  Von 
der  Wasserscheide  nach  der  entgegengesetzten  Richtung  absteigend, 
fand  ich  auf  dem  Nordostabhang  den  E.  Udeno  noch  etwa  1 100  M. 
hoch  und  das  eine  halbe  Tagereise  weiter  in  der  Ebene  gelegene 
Thal  Bardai  dürfte  nach  den  in  der  angeführten  Weise  corrigirten 
Angaben  meines  Kochthermometers  in  seinem  mittleren  Theile  noch 
eine  Meereshöhe  von  ungefähr  900  M.  haben.  Da  dasselbe  nach  der 
Aussage  der  Eingeborenen  einen  Verlauf  von  Ostsüdost  nach  West- 
nordwest oder  doch  von  Südost  nach  Nordwest  haben  soll,  so  müssen 
im  südöstlichen  Theile  von  Tu  noch  ansehnliche  Erhebungen  liegen. 
In  der  That  liegt  dort  der  erwähnte  Emi  Kussi,  und  von  ihm  soll 
sich  ein  ansehnlicher  Höhenzug,  der  Emi  Gümmer,  nach  Norden  er- 
strecken und  dem  Flussthale  Ursprung  geben.  Derselbe  müsste  bei 
der  angenommenen  Meereshöhe  des  Hauptortes  Bardai  mindestens 
1000  M.  hoch  sein  und  sich  weit  genug  nach  Norden  erstrecken, 
um  die  angeführte  Richtung  des  Enncri  zu  ermöglichen,  und  würde 
dadurch  wieder  für  den  ansehnlichen  Brcitendurchmesser  dieses 
Theiles  der  ganzen  Erhebung  sprechen. 

Der  Emi  Kussi  soll  nach  der  Aussage  derjenigen  Eingeborenen, 
welche  sowohl  ihn  als  den  Tarso  kannten,  ebenso  hoch  sein  als  der 
Tusidde.  Fast  alljährlich  soll  auf  ihm  die  Eisbildung  zur  Beobachtung 
kommen  und  die  Kameele  seiner  Bewohner,  der  Ama  (Leute)  Kussöa, 

s!f>* 


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388  ii.  nucH,  6.  kap.  Topographie  u.  natürl.  Beschaffenheit  tibesti’s. 

sollen  auffallend  behaart  sein,  wie  die  Katneele  der  Nordküste  und 
der  Küstengebirge.  Die  Aussagen  meines  Berichterstatters,  eines 
verständigen  Borkü-Mannes,  dürften  in  Bezug  auf  die  letzteren 
Thatsachen  um  so  eher  Glauben  verdienen,  als  er  keinerlei  sonstige 
Kenntniss  von  der  Eisbildung  hatte  und  Nichts  von  einem  ursäch- 
lichen Zusammenhänge  zwischen  Klima  und  Art  der  Kameel-Behaarung 
ahnte. 

Wie  der  Bericht  von  dem  häufigen  Vorkommen  des  Eises  auf 
dem  Kussi  für  eine  ansehnliche  Höhe  dieses  Berges  spricht,  so  ver- 
leihen auch  die  von  mir  auf  dem  Tarso  beobachteten  Thermometer- 
stände den  unsicheren  Angaben  des  Kochthermometers  eine  allge- 
meine Glaubwürdigkeit.  Als  wir  im  Anfänge  des  Monats  August 
auf  der  Passhöhe  nächtigten,  hatten  wir  eine  Morgentemperatur  von 
etwa  io°  C.,  während  wir  vorher  zu  Täo  in  einer  Beobachtungsreihe 
von  vierzehn  Tagen  kaum  eine  solche  unter  25"  gehabt  hatten, 
und  als  wir  ungefähr  einen  Monat  später  denselben  Weg  wieder 
machten,  zeigte  das  zuverlässige  Thermometer  Morgens  vor  Sonnen- 
aufgang nur  6°. 

Die  in  die  Ebene  reichenden  Ausläufer  des  Gebirges  und  die 
vereinzelt  in  jener  aufspringenden  Gruppen  haben  eine  unbedeutende 
relative  Erhebung  und  überragen  nur  um  höchstens  200  M.  die 
Ebene.  Wenn  man  dem  Dr.  Vogel  den  von  der  Bornü-Strasse  sicht- 
baren Berg  Fadscha  als  den  höchsten  Berg  im  Tubu-Lande  bezeichnete 
und  ihm  versicherte,  dass  die  Felsen  dieses  Landes  an  Höhe  das 
Tüinmo- Gebirge  nirgends  überstiegen,  so  konnte  der  Reisende  mit 
Recht  daran  zweifeln,  dass  es  in  Tu  wirklich  so  hohe  Berge  gäbe, 
als  man  von  anderer  Seite  behauptete.  Noch  weniger  konnten  einst 
Denham  und  seine  Gefährten  die  Ueberzeugung  von  dem  Vorkommen 
solcher  gewinnen,  wenn  man  ihnen  die  östlich  und  südöstlich  von 
Tedscherri  liegenden  Berggruppen  Wigh  es-Srhir  und  Wigh  el-Kebir 
als  Erhebungen  bezeichnete,  welche  denen  Tibesti's  in  Höhe  und 
Aussehen  ähnlich  seien.  Die  Berichte  dieser  Reisenden  hatten  zur 
Folge,  dass  man  in  Europa  geneigt  war,  die  zuweilen  auftauchenden 
Angaben  über  das  Vorkommen  von  für  die  Sahärä-Verhaltnisse  unge- 
wöhnlich hohen  Bergen  in  Tibesti  als  phantastische  Uebertreibungen 
der  Eingeborenen  zu  betrachten. 

Wie  man  sich  hierin  täuschte,  so  liess  man  sich  auch  mit  Un- 
recht verleiten,  das  Vorkommen  vulkanischer  Gebilde  in  Tibesti  zu. 


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THERMEN. 


38U 

bezweifeln.  Seit  man  durch  Vogel  wusste,  dass  die  Schwarzen  Berge 
bei  Söqna  zum  grössten  Theile  dem  durch  Eisen  schwarz  gefärbten 
Sandstein  ihre  Farbe  verdanken,  und  als  sich  weder  für  den  Dsch. 
Harüdsch  el-Assuad,  noch  für  den  Dsch.  es-Södä  der  Basaltcharakter 
und  die  Kratcrbildungen  bewahrheiteten,  von  denen  noch  Horncmann 
und  die  Denham'sche  Expedition  berichtet  hatten,  so  glaubte  man 
auch  die  früher  allgemein  verbreitete  Ueberzeugung  vom  Vorhanden- 
sein vulkanischer  Bildungen  für  Tibesti  erschüttern  zu  müssen.  Die 
schwarze  Farbe  der  Berge  und  F’elsen  konnte  allerdings  auf  dieselbe 
Weise  erklärt  werden,  als  sic  für  den  Dsch.  es-Södä  begründet  war; 
doch  die  heisse  Quelle  in  Tibesti,  welche  aus  einem  rings  mit 
Schwefel  bedeckten  Boden  hervorkommen  sollte,  und  eine  grosse 
Rolle  in  den  Erzählungen  aller  Tubu  Reschäde  über  ihr  Land  spielt, 
war  schwerer  wegzuläugnen.  Gleichwohl  erhielt  Vogel  „authentische 
Nachricht",  dass  die  vorzüglich  seit  Lyon  s Erkundigungen  bekannte 
„kochende  Quelle"  Tibesti’s  ein  einfacher  Brunnen  mit  gewöhnlicher 
Temperatur  sei,  in  dem  viele  Luftblasen  aufstiegen,  und  seitdem  war 
man  geneigt,  dem  Tedä- Lande  nur  einen  harmlosen  „Säuerling'  zu- 
zuerkennen. 

Die  Thermennatur  der  berühmten  Quelle,  welche  schon  durch 
den  generellen  Namen  Jerike,  der  dem  arabischen  Hammäm  (warmes 
Bad,  warme  Quelle)  entspricht,  angedeutet  wird,  kann  nicht  zweifel- 
haft sein.  Ihr  Wasser  scheint  sogar  so  heiss  zu  sein,  dass  man  sich 
dem  Sprudel  bei  seiner  Dampfentwicklung  nicht  ganz  nähern  kann; 
doch  variirten  die  Angaben  der  Eingeborenen  über  den  Hitzegrad 
einigermassen.  Jedenfalls  war  man  einig  über  die  mit  dem  Her- 
vorsprudcln  verknüpften  Gasblasen  und  über  die  Thatsache,  dass 
das  Wasser  erkalten  müsse,  ehe  es  zum  Gebrauche  der  Menschen 
dienen  könne.  Auch  die  therapeutische  Anwendung  desselben  gegen 
alle  Krankheiten  der  Haut,  der  Muskeln,  Knochen  und  sehnigen  Ge- 
bilde spricht  für  die  Thermennatur  der  Quelle.  Es  war  eine  schwere 
Entsagung  für  mich,  in  Bardai,  tagtäglich  den  ihre  Lage  andeutenden 
Berg  vor  Augen,  auf  ihren  Besuch  verzichten  zu  müssen.  Doch 
wenn  ich  selbst  die  dazu  nothwendige  Freiheit  der  Bewegung  gehabt 
hätte,  würde  das  Wagniss  des  Besuches  mit  wirklicher  Lebensgefahr 
für  mich  verknüpft  gewesen  sein;  für  so  kostbar  und  begehrenswert!! 
halten  die  Einwohner  diesen  Schatz,  diesen  ihren  einzigen  Reich- 
thum, wie  sie  in  richtiger  Würdigung  ihrer  armseligen  Heimath 


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31M  I II.  BUCH,  6.  KAP.  TOPOGRAPHIE  U.  NATÜRL.  BESCHAFFENHEIT  TIBESTl’S. 

sagen.  Dass  sie  aber  der  Quelle  einen  so  hohen  Werth  beilegen, 
während  sie  selbst  doch  bei  ihren  ausgezeichneten  gesundheitlichen 
Verhältnissen  nur  einen  sehr  geringen  Nutzen  aus  ihr  ziehen,  beweist 
ebenfalls  den  aussergewöhnlichen  Charakter  derselben  und  spricht 
für  die  Glaubwürdigkeit  der  von  den  meisten  Reisenden  über  sie  ein- 
gezogenen  Erkundigungen.  Nur  was  die  massenhafte  Ablagerung 
von  Schwefel  in  der  Umgebung  der  Quelle  betrifft,  so  ging  mir  die- 
selbe nicht  ebenso  klar  aus  den  Berichten  der  Eingeborenen,  die 
sich  überhaupt  mit  grosser  Zurückhaltung  über  alles  ihre  Heimath 
Betreffende  mir  gegenüber  aussprachen,  hervor,  als  die  hohe  Tem- 
peratur. 

Die  Quelle  befindet  sich  am  östlichen  Eusse  des  Tarso,  und 
wenn  ihre  hohe  Temperatur  für  die  Nähe  vulkanischer  Gebilde  spricht, 
so  erinnert  uns  auf  der  Höhe  des  Berges  eine  enorme  Kraterbildung 
noch  weiter  an  deren  vulkanischen  Ursprung.  Die  ganze  Masse  der 
breiten  Wölbung  ist  zwar  in  eine  ansehnliche  Schicht  sedimentären, 
zahllose  Versteinerungen,  besonders  von  Holz,  enthaltenden,  mit 
kleinen  blasigen  Höhlungen  durchsetzten  und  durch  sein  ungewöhn- 
lich geringes  Gewicht  sich  auszeichnenden,  fettig  anzufühlenden  Steines 
gehüllt,  doch  ist  diese  Decke  an  vielen  Stellen  von  unregelmässigen 
Kegeln,  Ketten  und  Gruppen  vulkanischer  Bildung  durchbrochen.  Da, 
wo  auf  den  seitlichen  Abhängen  die  Gewalt  des  Wassers  tiefe  Ein- 
schnitte in  die  Bergmasse  gemacht  hat,  sieht  man  unter  der  dicken, 
meist  gelblichen  Hülle  mit  ihren  Versteinerungen  eine  viel  mächtigere 
Schicht  dichten,  bunten,  am  häufigsten  röthlichen  Kalksteins.  Fast 
am  Fusse  des  Berges  angelangt  sehen  wir  die  etwa  50  M.  hohen 
Felsenwände  des  E.  Udeno  in  ihrem  unteren  Theile  aus  ähnlichem 
Kalkstein,  in  der  Höhe  aber  aus  dunklem  Sandstein  bestehen,  der 
oft  in  Riesenblöcken  in  die  Tiefe  geschleudert,  das  Flussbett  unwegsam 
macht.  Auf  der  höchsten  Höhe  des  Tarso  aber,  seinem  nordwest- 
lichsten Theile,  erhebt  sich,  wie  erwähnt,  der  Tusidde,  ein  regel- 
mässig geformter  Kegel  mit  schwarzen  Flanken,  und  zu  seinen  Füssen 
dehnt  sich  die,  schon  im  Reiseberichte  ausführlich  beschriebene, 
mächtige  Grube  aus,  die,  wenn  sie  auch  keine  regelmässige  Trichter- 
form hat,  sondern  im  unteren  Theile  muldenförmig  abgerundet  ist, 
doch  in  ihrer  ganzen  Bildung  mit  dem  grossen  Eruptionskegel 
(Tusidde)  zur  Seite  und  dem  kleinen  kohlschwarzen  Fumarolenkegel 
an  der  abhängigsten  Stelle,  kaum  einen  Zweifel  an  ihrem  Krater 


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KKATERBll.DUNG. 


391 


Charakter  und  dem  vulkanischen  Ursprünge  der  ganzen  Erhebung 
aufkommen  lässt. 

Es  ist  merkwürdig  und  nicht  unwichtig,  dass  mein  hauptsäch- 
lichster Borkü- Berichterstatter,  als  er  mir  vom  Emi  Kussi  erzählte, 
den  er  selbst  besucht  hatte,  von  einer  ähnlich  tiefen  und  ausge- 
dehnten „Natrongrubt”  auf  der  Höhe  des  Berges,  welche  auch  sehr 
viel  Schwefel  enthalte,  und  von  zwei  warmen  Quellen  an  seinem 
Kusse  erzählte,  ohne  dass  ich  ihm  vom  Tarsokrater  und  der  Jerfke 
Tibesti's  gesprochen  hatte. 

Die  in  der  Umgebung  der  centralen  Erhebung  aus  der  Ebene 
aufspringenden  Felsgruppen  und  Ketten,  deren  phantastische  Formen 
ich  schon  im  allgemeinen  Reiseberichte  zu  schildern  versucht  habe, 
und  welche  vorzüglich  charakteristisch  zwischen  der  Afäfi-Gegend 
und  dem  E.  Udüi  auftreten,  gehören  der  Sandsteinformation  an. 

Wenn  so  der  Ursprung  der  centralen  Erhebung  Tibesti’s  der- 
selbe zu  sein  scheint,  welcher  einst  in  der  westlichen  Wüste  das 
Haggär -Gebirge  emporhob,  und  die  Entstehung  beider,  die  durch 
eine  Hochebene  mit  einander  in  Verbindung  stehen,  in  dieselbe 
geologische  Epoche  fallen  dürfte,  so  ist  doch  die  äussere  Gestaltung 
des  Landes  Tu  eine  andere,  als  diejenige  der  zwischen  Fezzän  und 
Tuät  gelegenen  Gegend  der  nördlichen  Tuärik.  Hier  lehnen  sich, 
nach  Duveyrier,  an  das  selbst  plateauartige  Haggär-Centrum  terrassen- 
artig ausgedehnte  l’lateau -Bildungen  mit  vereinzelten  Gipfeln  und 
niedrigen  Höhenzügen;  dort  scheinen  wir  im  Ganzen  und  Grossen  eine 
zusammenhängende,  breite  Kette  mässiger  Erhebung  mit  mehreren 
Knotenpunkten  von  massiger  Entwicklung  und  ansehnlicher  Höhe 
zu  haben. 

Das  Land  Tibesti  oder  Tu  beschränkt  sich  auf  dieses  Gebirge 
mit  den  aus  ihm  in  die  Ebene  hinabreichenden,  zahlreichen  Wasser- 
betten, das  Gebiet  der  Bewohner  aber  dehnt  sich  über  die  Grenzen 
dieser  ihrer  eigentlichen  Heimath  nach  verschiedenen  Richtungen  hin 
aus.  Die  Tubu  besassen  früher  im  Nordosten  von  Tu  die  grosse  Oase 
Kufära  (zwischen  dem  2T.°  und  22. 0 ().  L.  und  dem  25."  und  27. 0 N.  B.) 
und  bilden  die  hauptsächliche  Bevölkerung  der  südlichen  Ortschaften 
Fczzän's;  sie  haben  seit  lange  ausschliesslich  die  Oase  Kawär  inne, 
sind  in  einzelnen  Stammabtheilungen  bis  Känem  und  Bornü  gedrungen 
und  bewohnen  die  westlichsten  Thäler  der  den  Bidejät  oder  Baele 
gehörigen  Landschaft  Ennedi.  Doch  hier,  wie  in  Wadäi",  Bornü  und 


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31*2  H.  BUCH,  6.  KAP.  TOPOGRAPHIE  U.  NATÜRL.  BESCHAFFENHEIT  TIBESTl's. 

Fczzän  sind  sic  untergeordnete  Einwanderer  und  stehen  unter  der 
betreffenden  Landesregierung.  Nur  Kawär,  wenn  auch  ein  selbstän- 
diges, abgesondertes  Gemeinwesen  bildend,  gilt  immer  noch  als  eine 
Colonie  Tibesti's,  wie  denn  die  Herrschaft  der  Teda  iiber  die  Brunnen 
und  Oasen  der  Bornü- Strasse  vom  Tümmo-Gebirgc  bis  südlich  von 
Kawär  unbestritten  ist.  Sogar  über  diese  hinaus  besassen  dieselben 
die  Oasen  Dschebädo  und  Lösch i , westlich  von  Kawär,  und  bilden 
noch  jetzt  den  ansehnlichsten  Theil  ihrer  Bewohnerschaft.  Aus 
Kufiira  sind  sie  verdrängt  worden  und  in  ostsüdöstlicher  Richtung 
gehört  ihnen  Wanjanga  (etwa  auf  dem  21.“  ().  L.)  nicht  mehr.  Nach 
diesen  Angaben  erstreckt  sich  das  Gebiet,  in  welchem  die  Tedä 
ausschliesslich  herrschen,  vom  i8.°  bis  zum  23."  N.  B.  und  vom 

12.0  bis  20.“  30'  O.  L.  und  hat  also  einen  Flächeninhalt  von  rund 

500.000  Km.,  dessen  Kern  Tibesti  bei  der  vorliegenden  Besprechung 
allein  in  Betracht  kommt.  Bei  Gelegenheit  der  Bornü -Reise  werde 
ich  Veranlassung  haben,  Kawär  besonders  zu  besprechen,  die  übrigen 
zerstreuten  Bruchtheile  der  Tedä  werden  ihre  Erwähnung  finden  bei 
den  Landschaften,  welche  sic  bewohnen 

Das  nörd liehst  bewohnte  Thal  des  Landes,  E.  Abo  oder  Uro, 
in  seinem  westlichen  Theile,  wo  es  an  verschiedenen  Stellen  von  mir 
passirt  ward,  Udüi  genannt,  steht  in  directer  Wegverbindung  von 
neun  Tagereisen  mit  Fezzän.  Diese  Strasse  ist  die  kürzeste  und 
allgemein  üblichste,  doch  eine  Nefäza*)  von  sechs  oder  gewöhnlich 
sieben  wasserlosen  Tagemärschen,  die  wegen  ihrer  Wasserlosigkeit 
um  so  länger  sein  müssen,  macht  sie  zu  einer  äusserst  schwierigen. 
Die  Erkundigungen  von  Fresnel,  Lyon,  Overweg,  Rohlfs  und  mir 
selbst  stimmen  in  Bezug  auf  die  Stationen  dieser  Strasse,  welche 
von  Medrüsa  oder  Qasrauwa,  südlich  von  Qatrün,  ausgeht,  ziemlich 
befriedigend  überein,  obgleich  die  Namen  der  Rastplätze,  je  nachdem 
die  Erkundigungen  von  Arabern  oder  Tedä  eingezogen  wurden,  in 
sehr  verschiedener  Form  auftreten.  Der  erste  Tag  führt  den  Reisenden 
an  dem  Dsch.  Ekema  vorüber,  der  westlich  oder  südwestlich  vom 
Wege  liegen  bleibt,  bis  zu  der  von  den  Arabern  Wigh  es-Srhir  ge- 
nannten Berggruppe,  welche  bei  den  Tedä  Debasse  Döba  heisst. 
Dieselbe  steht  durch  niedrige  F'elsbildungcn  in  Verbindung  mit  dem 

*)  Dies  Wort  kommt  von  dem  Zeitwort  nefed,  durchdringen,  durchziehen,  und  wird 
von  einer  Reihe  anstrengender  Eilmärsche  gebraucht,  in  denen  man  hülfsquelleuarme, 
wüste  Gegenden  zu  durchreisen  gezwungen  ist. 


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WEG  VON  1 EZZAN  NACH  1 I BESTI. 


393 


östlich  vom  Wege  verlaufenden  Gebirgszuge  cl-Wigh  oder  Debasse, 
dessen  an  der  Strasse  liegender  Endpunkt  nach  einem  starken  halben 
Tagemarsche  erreicht  wird.  Die  Nefäza  beginnt  von  Debasse  Döba, 
da  im  eigentlichen  Debasse  oft  kein  Wrasser  gefunden  wird,  und  man 
dann  gewöhnlich  am  zweiten  Tage  nicht  am  letzteren,  sondern  am 
Kmi  Mädema  (d.  h.  rother  Berg)  lagert.  Von  hier  aus  erreicht  man 
am  dritten  Tage  den  Kurni  Ebere  Deä  (d.  h.  Sand  der  Tauben?)  oder 
die  nahegelegenen  Tügä  Mädöä  (d.  h.  rothe  Felsen),  deren  Localität 
mit  der  von  Fresnel  Kuwayrah  genannten  übereinkommt  und  bei 
Rohlfs  als  Tea  Gamado  erscheint;  am  vierten  den  Lebo  genannten 
Platz,  der  bei  Fresnel  als  Meläky  figurirt;  am  fünften  eine  Oertlich- 
keit,  welche  den  sonderbaren  Namen  More  Deä  (d.  h.  die  freige- 
borenen Mütter?),  wohl  in  Folge  einer  Sage  oder  irgend  eines  Ereig- 
nisses, fuhrt,  welche  wir  bei  Fresnel  unter  der  etwas  corrunipirten 
Bezeichnung  Muray  diah  wiederfinden,  und  die  Rohlfs  Merui  Gcdei 
schreibt;  am  sechsten  die  arabisch  Bibän  (d.  h.  Pforten)  genannte 
Bergpassage,  welche  nach  Rohlfs  bei  den  Tedä  Kurinjo  heisst;  am 
siebenten  die  Station  Kaisöno;  am  achten  die  Brunnenstation  Berai 
(Brai,  Brail,  Beri,  Bre  bei  andern  Berichterstattern)  im  Flussthale 
gleichen  Namens,  und  am  neunten  den  1 lauptort  des  ansehnlichen 
Thaies  Abo  oder  Uro. 

Nachdem  man  vom  Debasse  an  einige  Tage  lang  über  eine  kahle, 
durchaus  sterile  und  allen  Lebens  baare  Hammäda,  die  östliche  Fort- 
setzung von  Alaöta  Kju,  gereist  ist,  beginnen  am  fünften  Marsch- 
tage zu  beiden  Seiten  des  Weges  Hügelketten  und  Felsgruppen  auf 
zuspringen , in  denen  man  bei  günstigen  meteorologischen  Verhält- 
nissen sogar  W'asser  findet.  Jedenfalls  thut  man  gut,  Kameelfutter 
(Dis  oder  Sebat)  für  eine  Reihe  von  Tagen  mitzunehmen,  denn  erst 
in  den  Bibän  oder  zu  Kaisöno  tritt  der  erste  Krautwuchs  (Häd) 
wieder  auf.  Zwischen  Kaisöno  und  Börai,  näher  dem  ersteren  Orte, 
passirt  man  das  Flussthal  Ardemme,  dessen  Nebenfluss  Owi,  mit 
Wassergehalt  in  seinen  natürlichen  Cisternen,  westlich  am  Wege 
bleibt  oder  auch  als  Reisestation  benutzt  wird.  Die  Wasserstation 
Owi  knüpft  den  von  mir  zurückgelegten  Weg  an  diese,  allgemein 
bekannte  Strasse,  denn  vom  Ursprünge  des  Flussthales  Galiemma 
in  der  Landschaft  Afäfi  hatten  wir  dieselbe  in  der  Entfernung  eines 
ansehnlichen  Tagemarsches  in  südöstlicher  Richtung. 

Wie  die  verschiedenen  Reisenden  in  Zahl  und  Entfernung  der 


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3! (4  II.  Ill'CH,  6.  KAP.  TOPOGRAPHIE  U.  NA  TURE.  BESCH  AFFF.NHK1T  TIllESTl’S. 

aufgezeichneten  Stationen  dieser  Strasse,  im  Allgemeinen  gut  überein- 
stimmen, so  geben  sie  aucli  dem  Wege  ungefähr  dieselbe  Richtung; 
doch  diese  setzt  den  Forscher  einigermassen  in  Verlegenheit , weil 
sic  eine  viel  östlichere  sein  soll,  als  mit  anderen  Verhältnissen 
vereinbar  erscheint.  Wenn  man  nach  den  Angaben  der  Tubu  und 
Fezzancr,  ohne  Berücksichtigung  der  Beziehungen  zur  Bomü-Strasse, 
diesen  Weg  construiren  wollte,  so  würde  sein  Kndpunkt  Abo  erheb- 
lich östlicher  fallen,  als  es  wahrscheinlich  ist.  Doch  hier  tritt  nicht 
allein  der  von  mir  selbst  zurückgelegte  Weg  vom  Tümmo  über  Afäfi 
nach  dem  Udui',  anderthalb  Tagemärsche  südwestlich  von  dem 
l’opulationscentrum  Abo,  entscheidend  oder  corrigircnd  ein,  sondern 
verhindern  auch  die  vom  Bir  el-Ahmar  und  der  Oase  Jat  auf  der 
Bornü-Strasse  nach  Abo  führenden  und  in  ihren  Entfernungen  einiger- 
massen bekannten  Strassen  eine  allzuweitc  Verlegung  des  letzteren 
Ortes  nach  Osten.  Der  Weg  von  Bir  el-Ahmar  verläuft  am  Berge 
Fadscha  vorüber  für  drei  lange  Tage  nach  Südosten  bis  Söbözen, 
wo  er  mit  der,  von  der  Oase  Jat  aus  Westsüdwesten  kommenden 
Strasse  zusammen  trifft,  und  in  mehr  oder  weniger  östlicher  Rich- 
tung über  den  Lagerplatz  Kezen  am  zweiten  Tage  LTdüi'  und  am 
dritten  Abo  erreicht. 

Während  in  Fezzän  die  bewohnbaren  Stellen  Bodenabflachungen 
(Oasen)  sind,  in  denen  die  Wassernähe  die  Bodenarbeit  ermöglicht 
und  den  kostbaren  Dattelbaum  gedeihen  lässt,  enthalten  in  Tibesti 
die  auf  beiden  Seiten  des  Gebirges  abfallenden  Flussthäler  die 
Fopulationscentren  oder  die  zerstreute  Bevölkerung.  Denn  wenn 
dieselben  auch  auf  der  Südwestseite  des  Bodenwassers  vielfach  ent- 
behren, so  bringen  doch  die  in  keinem  Jahre  ganz  fehlenden  Regen 
Futterkräuter  genug  für  die  Heerden  hervor.  Da  das  Wasser  für 
Mensch  und  Thier  vorzugsweise  in  den  natürlichen  Felsencisternen 
gefunden  wird,  an  denen  das  Gebirge  reich  ist,  so  finden  wir  ge- 
wöhnlich die  Bevölkerung  der  Flussthäler  dort  angesiedelt,  wo  die- 
selben aus  den  Felsen  (mit  ihrem  Wasser)  in  die  Ebene  (mit  ihrem 
Kräuterwuchs)  hinaustreten.  Aber  auch  in  der  Mitte  der  Felsregion 
scheinen  Thäler  und  Flussbetten  genug  vorhanden  zu  sein,  um  einer 
spärlichen  Bevölkerung  eine  bescheidene  Existenz  zu  gewähren. 

Die  im  nordwestlichsten  Theile  des  eigentlichen  Tu  befindlichen 
Flussthäler  haben  keine  ständigen  Bewohner.  Auf  dem  erläuterten 
Medrusa- Wege,  südlich  von  Kaisöno,  stösst  man  zuerst  auf  den 


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DIE  THALEK  DER  LANDSCHAFT.  395 

E.  Ardemme,  der  sich  aus  den  E.  Ovvi,  Gaesker  und  Zedumbcle 
zusammensetzt,  und  dann,  ehe  man  Abo  erreicht,  auf  den  E.  Berat. 
Alle  haben  eine  unbedeutende  Iämgenentwicklung,  eine  westliche  bis 
südwestliche  Richtung  und  sind  nur  vorübergehend  bewohnt.  Vom 
Tümmogebirge  nach  dem  Udfii  reisend,  giebt  die  Felsengegend  von 
Afäfi,  wie  wir  in  der  Beschreibung  der  Reise  gesehen  haben,  ansehn- 
lichen Flussbetten  Ursprung,  den  EE.  Galiemma,  Lolemmo,  Moammo 
und  Barka,  welche  spärlich  mit  Sajälakazien  bestanden,  doch  oft  reich 
an  Futterkräutern,  sich  nach  der  ungefähren  Länge  eines  Tage- 
inarsches,  in  mehr  oder  weniger  westlicher  Richtung  in  einer  flachen 
Sebcha-Ebene  verlieren.  Auch  diese  werden,  wie  die  südlich  von 
Afäfi  in  der  Ebene  von  den  zahlreichen,  isolirt  aufspringenden 
F'elsengruppen  erzeugten,  unbedeutenden  Flussthäler  Kurna,  Anefo, 
Afo  und  andere,  nur  zeitweise  als  Weideplätze  für  Kamecle  auf- 
gesucht. 

Doch  südlich  von  diesen  erfordert  das  K.  Abo  oder  Uro,  als 
das  nördlichste  derjenigen  Thäler,  welche  eine  ständige  Bevölkerung 
enthalten  und  von  der  nicht  mehr  unterbrochenen  Gebirgskette  ent- 
springen, eine  grössere  Beachtung.  Es  senkt  sich  nach  Südwesten, 
wird  in  seinem  südwestlichen  Theile  Udüi  genannt  und  hat  eine 
Gesammtlänge  von  zwei  bis  drei  Tagereisen,  ln  seiner  nordöstlichen 
Hälfte  bringt  es  einige  Dattelbäume  hervor,  viele  Dumpalmen,  Sajäl- 
akazien, Qaradbäume  (Acacia  nilotica)  und  andere  Akazien,  Futter- 
kräuter (Scbat,  Bü  Rukba,  Häd)  in  Menge,  während  der  Udüi  ge- 
nannte Theil  nur  reich  an  Gräsern  und  Kräutern  ist  und  des  Baum- 
wuchses gänzlich  entbehrt. 

Das  Thal  ist  reich  an  Nebenflussbetten,  von  denen  ich  auf  der 
Nordseite  vom  Ursprung  beginnend,  folgende  in  Erfahrung  brachte: 
E.  Aba,  Madäkai,  Tömo,  Täkai , Käbo,  Odöröa,  Elli,  Suri,  Idfdäki, 
Agimmi.  Auf  der  Südostseite  münden  in  ihn,  derselben  Richtung 
in  der  Aufzählung  folgend,  E.  Kunäheir,  zwei  EE.  Aräbu,  E.  Aru 
mit  den  Nebenflüssen  Semetö,  Ankjuru,  Ogöso,  Auso  (diese  von  Nord 
nach  Süd  gezählt),  E.  Sügügu.  Die  ansehnlichsten  der  letzteren, 
E.  Aru  und  die  beiden  Aräbu  hatte  ich  Gelegenheit,  zum  Theil 
mehrfach  zu  passiren. 

Von  Abo  legt  man  den  Weg  nach  Täo  hart  am  Fusse  des  Ge- 
birges in  drei  Tagereisen  mit  südlicher  Richtung  zurück.  Nach- 
dem man  die  südöstlichen  Zuflüsse  des  E.  Abo  überschritten  hat, 


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396  II.  m/UI,  6.  KAI'.  lOPOORAPHIE  U.  NATÜRL.  UESCHAKFENHEIT  TlllESTl’S. 

zieht  man  östlich  vom  Aterkelluli- Felsen  vorüber,  schneidet  die 
drei  Kjaunoflussthälcr,  passirt  die  Felsengruppe  Mini,  welche  der 
Tarso  nach  Westen  in  die  Ebene  vorschiebt,  und  die  aus  ihr  zu  jenen 
laufenden  Wasserbetten,  und  endlich  die  Ursprungsfiüsse  Dommädo 
und  Dausädo  des  K.  Täo,  bevor  man  am  dritten  Tage  das  Populations- 
Centrum  Täo  erreicht. 

E.  Kjauno  setzt  sich  zusammen  aus  drei  Flussbetten  gleichen 
Namens,  welche  vom  westlichen  Abhange  des  Tarso,  resp.  Tusidde, 
entspringen  und  in  ihren  Anfängen  von  mir  bei  Gelegenheit  der 
Rückkehr  von  Bardai,  in  ihrem  weiteren  Verlaufe  aber  auf  der  Hin- 
reise nach  Täo  überschritten  wurden.  Sic  verlaufen  im  Felsengebiete 
nach  Westsüd  westen,  dann  südwestlich  und  wenden  sich  bei  der 
steilen  Felsengruppc  Mezän  nach  Westen,  um  sich  hier  nach  einer 
Gesammtlänge  eines  starken  Tagemarsches  in  der  Ebene  zu  ver- 
lieren. 

Von  Norden  her  empfangen  die  Kjaunoflüsse  den  von  Ausläufern 
des  Gebirges  kommenden  E.  Lobbono  und  das  vom  Aterkelluli- 
Felsen  entspringende  Rinnsal  gleichen  Namens,  und  auf  ihrer  Süd- 
ostseite münden  in  sie  von  Osten  her  die  Flussbettchen  Tollöbu, 
Mini  und  Bönöi.  Die  Vegetation  der  Kjaunobetten  setzt  sich  aus 
einigen  Akazien,  dem  Serrah  (Alaerua),  der  uns  hier  ebenso  wie  der 
Oschar  (Ca/otropis  procera),  zuerst  in  vereinzelten  Exemplaren  auf- 
stiess,  und  aus  den  schon  erwähnten  Kräutern  und  Gräsern  zusammen. 

Südlich  von  den  eigentlichen  Kjaunoflüssen  stösst  der  Weg  vom 
E.  Udut  nach  Tao  in  südöstlicher  Richtung  auf  den  westlichen  Fuss 
des  Tarso  mit  seinen  Ausläufern,  Emi  Nanagamma  und  Mini,  und 
vereinigt  sich  daselbst  mit  dem  von  Abo  kommenden,  südlich  ver- 
laufenden Wege. 

E.  Täo  setzt  sich  aus  den  beiden  EE.  Dommädo  und  Dausädo 
und  ihren  Nebenflüssen  zusammen  und  bildet  ein  System  mit  dem 
E.  Zuär.  Die  beiden  genannten  Täoflüsse  entspringen  von  dem  süd- 
westlichen Abhange  des  Tarso,  wo  ich  auf  dem  Wege  von  Täo 
nach  Bardai  die  Anfänge  des  Dommädo  überschritt  (E.  Ass  u.  s.  w.J, 
verlaufen  in  südwestlicher  Richtung  bis  zum  Emi  Durso,  an  dem  sic, 
bereits  vereinigt,  sich  mit  dem  von  Osten  kommenden  E.  Zuär  ver- 
binden. 

Vom  Gebirgsausläufer  Mini  kommend,  überschreitet  man  nach 
wenigen  Stunden  das  erste  Nebenflussthal  des  Dommädo,  E.  Kedän, 


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DIF.  THÄI.ER  DER  LANDSCHAFT. 


397 


zieht  an  der  Westseite  der  sieben  Felsgruppen  Sosobschi  hin,  die 
aus  diesen  hervorgehenden  Regenbetten  gleichen  Namens  passirend, 
lässt  gleichfalls  die  dem  centralen  Gebirge  parallele  Felsenkette 
Angrän  östlich,  ihren  gleichnamigen  Abfluss  schneidend,  und  sieht 
im  Westen  die  kurz.e  Bergkette  Serendlbe  ihr  Wasserbett  nach  Süd- 
osten  zum  Dommädo  senden.  E.  Dausädo  empfängt  seine  Zuflüsse 
von  Osten  her,  wie  den  K.  Sabön,  vereinigt  sich  darauf  mit  dem 
E.  Dommädo  zum  E.  Täo,  welcher  noch  einige  Abflüsse  des  Emi 
Merda  Sodoä  aufnimmt,  wie  die  in  der  Wegebeschreibung  aufgeführten 
E.  Ellin  und  E.  Fisifisi.  Zu  den  angeführten  Akazien,  dem  Serrah, 
dem  Oschar,  den  Gräsern  und  Kräutern  der  aufgezähltcn  Flussbetten 
kommt  in  den  Täoflüssen  der  uns  hier  zum  ersten  Male  begegnende 
Tundub  (Capparis  Sotiada). 

Südlich  vom  E.  Dausädo,  zwischen  ihm  und  dem  E.  Sabön,  be- 
findet sich  die  Oertlichkeit,  welche  man  als  das  Populationscentrum 
Täo  bezeichnet.  Sowohl  diese  Ortschaft  als  der  Fuss  des  Tarso 
sind  durch  einige  den  Tedä  bekannte  Routen  mit  der  Bornü-Strasse, 
den  Oasen  Jat  und  Kawär  verbunden.  Von  Jat  aus  gelangt  man  in 
mehr  weniger  östlicher  Richtung  nach  sieben  ansehnlichen  Tage- 
märschen zum  E.  Kjauno  und  am  achten  zum  Tarso,  und  die  nörd- 
lichste Ortschaft  von  Kawär,  An  i,  ist  durch  zehn  mässige  Tage- 
märsche  in  ostnordöstlicher  Richtung  mit  Täo  verbunden.  So  werden 
auch  für  diesen  Theil  Tibesti's  die  Verschiebungsfehler  nach  Osten 
in  engere  Grenzen  gebannt. 

Beim  Emi  Durso,  ungefähr  auf  dem  20. 0 N.  B.  und  dem  16.0  Ö.  L., 
vereinigt  sich  mit  dem  E.  Täo  der  von  Osten  kommende  E.  Zuär. 
Die  Thäler  beider  sind  nahe  ihrer  Vereinigung  durch  den  oben 
erwähnten  Emi  Merda  Sodoä  von  einander  getrennt.  Man  kann  diesen 
Ausläufer  entweder  in  grader  südlicher  Richtung  auf  schwierigem  Pfade 
überschreiten,  oder  den  leichteren  Abcrdegä-Pass  nahe  seinem  Ende 
benutzen,  oder  in  westlichem  Bogen  die  ganze  Schwierigkeit  umgehen. 
In  jedem  Falle  kann  man  den  Punkt  des  E.  Zuär,  an  welchem 
derselbe  die  Felsen  hinter  sich  lässt,  seine  Einmündungsstelle  in  die 
Ebene  (Zuär-Kai)  von  Täo  aus  in  einem  kleinen  Tagemarsche  erreichen. 
Beide  Punkte  liegen  ungefähr  gleich  weit  von  der  Vereinigungsstelle 
der  beiden  P'lüsse  am  Emi  Durso;  doch  während  die  Täo-Flüsse  nur 
ungefähr  die  Verlaufslänge  eines  ansehnlichen  Tagemarsches  haben, 
scheint  der  E.  Zuär  die  doppelte  Länge  allein  innerhalb  des  Gebirges 


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398  n.  BUCH,  6.  KAP.  TOPOGRAPHIE  U.  NATÜRI..  BESCHAFFENHEIT  TIBF.STl’s. 

zu  besitzen.  Ausserhalb  des  Felsengebietes  nimmt  derselbe,  von  seiner 
Vereinigungsstelle  mit  dem  Täo  beginnend,  an  Nebenflüssen  auf  von 
Norden  her  die  EK.  Iberdasnossen,  Kazanei,  Ködöa,  welche  ich  vom 
Aberdegä-Passe  in  südöstlicher  Richtung  gegen  Zuär-Kai  hin  nieder- 
steigend, sammtlich  überschritt,  und  von  Süden  her  die  EK.  Zegre, 
Tomädema,  Sügo  und  Sogursa,  welche  ich  alle  als  in  mehr  oder 
weniger  nordwestlicher  Richtung  durch  die  Ebene  strömend,  von  der 
Höhe  des  Aberdegä-I’asses  erblickte.  Von  Zuär-Kai  dem  Klussbette 
aufwärts  folgend,  wurden  mir  an  Nebenflussbetten  bekannt  die  von 
Norden,  resp.  Nordosten  kommenden  EE.  Tarde,  Mescher,  Tigri, 
Sudrum,  Kögu  und  die  auf  der  Südseite  mündenden  EE.  Abogr 
und  Zug. 

Das  Bevölkerungscentrum  des  Zuär-Thales  liegt  eine  halbe  Tage- 
reise östlich  von  Zuär-Kai. 

Im  mittleren  Tibesti  ist  E.  Zuär  eines  der  bedeutendsten  Thälcr. 
Obgleich  oft  eng  zwischen  Felsen  eingekeilt,  erreicht  er  doch 
auch  nicht  selten  die  Breite  eines  Kilometers  und  trägt  neben  den 
gewöhnlichen  Futterkräutern  und  Gräsern  einen  dichten  Baumbestand 
von  Siwäk,  Serrah,  Sajäl-,  Qarad-  und  anderen  Akazien,  Oschar  und 
Tundub. 

E.  Zuär  war  das  letzte  der  von  mir  besuchten  Thäler  der  Süd- 
westabhänge  Tibesti's,  und  Zuär-Kai  ist  eine  Station  auf  dem  so  lange 
vereinsamten  und  in  neuester  Zeit  wieder  aufgenommenen  Karavanen- 
wege  von  Fezzän  nach  Wadäf.  Bekannte  Strassen  verbinden  diesen 
Punkt  mit  der  unbewohnten  Hattija  Jäjo  und  mit  der  bekanntesten 
Oase  Borkü's,  Jin,  welche  beide  von  mir  auf  meiner  späteren  Reise 
vom  Tsadsce  nach  Borkü  besucht  wurden. 

Der  Weg  von  Zuär-Kai  führt  in  südsüdöstlicher  bis  südöstlicher 
Richtung  in  acht  ansehnlichen  Tagemärschen  nach  der  bekannten,  zu 
der  ausgedehnten  Weidelandschaft  Bodöle,  südwestlich  von  Borkü, 
gehörigen  Hattija  Jäjo  el-Kebir.  Der  erste  lange  Tagemarsch  fuhrt 
den  Reisenden  durch  die  Ebene  des  Zuär  über  den  westlichsten  und 
bedeutendsten  Nebenfluss  desselben  von  Süden  her,  E.  Zegre  (für  den 
ich  in  verschiedenen  Gegenden  auch  den  Namen  Zuroe,  Segre,  Ziri 
hörte)  in  südsüdöstlicher  Richtung  über  steinige  Wüste  nach  dem 
Flussthale  Marmar.  Von  hier  gelangt  man  durch  eine  vollständig 
wüste  Ebene  in  derselben  Richtung  über  den  E.  Krema,  der,  aus  den 
EE.  Joo,  Ogfl'i,  Märo  und  Arr  (oder  Ao?)  entstanden,  sich  als  breites 


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WF.GR  ZWISCHEN  TIBESTI  UND  l!OKKls.  390 

Thal  zu  baldigem  Versiegen  nach  Süden  senkt,  und  zwar  in  vier 
Tagemärschen  nach  Subka,  einem  flachen  Thale  in  sandiger  Gegend. 

Bis  Marmar  erblickt  man  die  Tibesti-Felsen  am  östlichen  Hori- 
zonte; von  dort  ab  verschwinden  sie  mehr  und  mehr,  und  nur  ver- 
einzelte, unbedeutende  Felsgruppen  springen  aus  der  wüsten  Ebene 
auf.  K.  Krema,  der  am  Ende  des  zweiten  Tagemarsches  (von  Marmar 
ab)  erreicht  wird,  enthält  einige  Regenwasserbecken  in  den  ver- 
einzelten Felsen  und  wenig  üppige  Weide,  während  das  Thal  Subka 
schon  durch  sein  sandiges  Terrain  und  Diimwuchs  die  grössere  Nähe 
des  Bodenwassers  andeutet.  Von  Subka  führt  eine  Tagereise  in  un- 
gefährer Südostrichtung  nach  Erkeb,  einer  Wasserstation  in  sandiger 
Gegend,  welche,  ausser  den  bis  dahin  gesehenen  Gräsern,  das  bei 
den  Hausthieren  so  beliebte  Nissi  ( Aristida  plumosa)  hervorbringt. 
Einige  Stunden  südöstlich  von  Erkeb  liegt  Turki,  und  etwas  weiter 
von  hier  in  derselben  Richtung  die  Hattija  Guri.  Die  wüste  Gegend 
senkt  sich  mehr  und  mehr  nach  Bödele  zu;  sandiges  Terrain  waltet 
vor  in  den  Bodenabflachungen,  welche  um  die  kurzen  Brunnen  einen 
reichen  Bestand  von  Futterkräutern  (Häd,  Nissi,  Sebat,  Bü-Rubka) 
haben,  und  in  denen  die  Sajäl-Akazien  und  Dümpalmen  nicht  selten 
sind.  Von  Guri  führen  zwrei  und  ein  halber  Tagemarsch  in  sudsüd- 
östlicher Richtung  zu  dem  Ziele  Jäjo  el-Kebir,  einer  ausgedehnten 
Hattija  mit  kurzem  Brunnen  und  reicher  Kameehveide. 

Häufiger  als  diese  Strasse,  welche  nur  von  den  Arabern  gewählt 
wird,  um  die  bewohnten  l’lätze  des  südlichen  Tibesti  und  Borkü’s  zu 
umgehen,  wird  von  den  Eingeborenen  diejenige  bereist,  welche  von 
Marmar  in  ungefähr  südöstlicher  Richtung  nach  der  Borkü-Oase  Jin 
fuhrt  und  neun  ansehnliche  Tagemärsche  erfordert.  Man  reist  am 
ersten  T age  hart  auf  der  Grenze  des  Felsengebietes  in  südöstlicher 
Richtung  bis  zum  Flussthaie  Joo,  weicht  am  zweiten  etwas  von  dieser 
nach  Süden  zu  ab  und  erreicht  den  E.  Maro,  nachdem  derselbe  zuvor 
den  E.  Ogüi  aufgenommen  hat.  Wenn  man  die  Bewohner  des  letz- 
teren besuchen  will,  so  behält  man  die  Südostrichtung  des  Tages 
zuvor  bei  und  wendet  sich  dann  am  dritten  Tage  in  eben  derselben 
zum  E.  Auf,  während  man  anderenfalls  von  der  Station  des  E.  Maro 
an  diesem  Tage  in  einer  ähnlichen  Richtung  zum  E.  Hoü  (auch  Foü 
genannt)  gelangt,  ln  jedem  Falle  überschreitet  man  zwischen  Maro 
und  Hoü  den  E.  Arr.  Am  vierten  Tage  wird  E.  Domar  in  ostsüd- 


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400  II.  BUCH,  6.  KAP.  TOPOC1R  APHIE  U.  NATl'RI..  BESCHAFFENHEIT  TinF.RTl’s. 

östlicher  Richtung  erreicht,  sei  es,  dass  man  vom  E.  Hoü,  sei  es,  dass 
man  von  E.  Aui  aufgebrochen  ist. 

Der  Weg  von  Joö  nach  Ogüi  ist  noch  reich  an  Felsbildungen, 
welche  man  in  der  Richtung  auf  den  Maro  zu  vermeidet.  Zwischen 
der  Station  dieses  letzteren  und  E.  Aui  sowohl  als  E.  Hoü  treten 
die  Felsen  nach  Osten  zurück,  und  der  Weg  verläuft  auf  dem  ge- 
wellten Terrain  einer  steinigen  Wüste,  während  der  Reisetag,  welcher 
nach  Domar  führt,  wieder  durch  zahlreiche,  niedrige  Felsbildungen 
erschwert  ist. 

Von  der  Station  Domar  kann  man  in  fünf  Tagen  auf  zwei  ver- 
schiedenen Wegen  nach  Jin  reisen.  Der  südwestlichere  von  beiden 
führt  am  ersten  Tage  aus  dem  E.  Domar  durch  felsenlose  Gegend 
zum  E.  Galleridc,  welcher  nur  das  Ende  jenes  darstellt,  das  nach 
anfänglich  südwestlichem  Verlaufe  sich  hier  bogenförmig  nach  Süden 
wendet  und  verliert,  und  erfordert  einen  langen  Marsch  in  südsüd- 
östlicher Richtung.  Die  übrigen  vier  Tagemärsche  haben  ostsüdöst- 
liche oder  südöstliche  Richtung  und  führen  in  regelmässigen  Zwischen- 
räumen nach  den  Stationen  Segissega,  Alhaulendi,  Kussaleschi  und 
Jin.  Der  erste  dieser  l äge  zeigt  felsiges  Terrain,  die  übrigen  steinig- 
sandige Wüste  mit  jenen  ärmlich  ausgestatteten  Rastplatzen,  welche 
zum  Thcil  kärgliche  Regenwasser- Ansammlungen  im  Hoden  haben 
und  neben  den  zuvor  genannten  Futterkräutern  und  Gräsern  ziemlich 
häufig  den  Tundub  hervorbringen. 

Häufiger  als  dieser  Weg’  wird  der  nordöstlichere  benutzt,  welcher 
von  Domar  in  zwei  und  einem  halben  Tagemarsche  in  ostsüdöst- 
licher Richtung  zur  Hattija  Tore  oder  Tirre  und  von  hier  in  ebenso 
weitem  Marsche  mit  südöstlicher  Richtung  nach  Jin  führt.  So- 
wohl aus  der  ersten,  als  aus  der  zweiten  Hälfte  dieser  Strecke  macht 
man  je  nach  Bediirfniss  zwei  lange  oder  drei  kurze  Tagemärsche. 
Von  Domar  gelangt  man  in  massigem  Marsche  nach  der  Station 
Tukki,  welche  in  einem  Weideplätze  am  Ende  eines  aus  Osten  kom- 
menden Flussthalcs  besteht,  das  den  E.  Domar  nicht  zu  erreichen 
vermag.  Von  dieser  liegt  eben  so  weit  E.  Oschim,  ein  kleines  Fluss- 
thal mit  einigem  Baum-  und  Pflanzenwuchs,  und  zwischen  diesem 
und  der  vegetationsreichen  Hattija  Tere  liegt  nur  die  Entfernung 
eines  halben  Tagcmarsches,  Von  hier  wendet  sich,  wie  gesagt,  der 
Weg  südöstlich  und  erreicht  nach  starken  anderthalb  Tagemärschen 
durch  felsige  Gegend  die  Hattija  Assne,  welche  ihrerseits  noch  einen 


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PIK  SÜDWESTLICHEN  FLUSSBETTEN.  401 

guten  Tagemarsch  nach  Jin  erfordert.  Auf  allen  genannten  Stationen 
finden  sich  Regenwasserbehälter,  welche  fast  stets  einigen  Inhalt  haben. 

Das  Territorium  von  Tibesti  schliesst  auf  dem  Wege  nach  Jäjo 
noch  die  Station  Guri  ein  und  reicht  auf  der  Strasse  nach  Jin  bis  an 
die  Hattija  Assoe,  so  dass  man  den  westlichen  Theil  seiner  Süd- 
grenze etwas  südlich  vom  i8.°  N.  B.  zu  legen  berechtigt  ist. 

Die  auf  dem  Wege  nach  Jin  passirten  Flussthäler  sammeln,  wie 
die  KE.  Abo,  Kjauno,  Tao  und  Zuär,  die  Regenwässer  derTu-Bergc 
und  führen  dieselben  nach  Südwesten  oder  da,  wo  das  Gebirge  eine 
mehr  ostsüdöstliche  Richtung  hat,  nach  Südsüdwesten  ab,  um  sich 
in  der  Ebene  sehr  bald  zu  verlieren. 

Das  auf  den  E.  Zuär  folgende  Flussthal,  E.  Marmar,  scheint  eine 
Länge  von  anderthalb  Tagemärschen  zu  haben,  ist  von  Nordost  nach 
Südwest  gerichtet  und  nur  spärlich  bewohnt.  Es  verdankt  seinen 
Ruf  einer  Quelle  in  seinem  Bette  mit  herrlichem  Wasser,  doch  von 
einem  fischreichen,  aus  ihr  entstehenden  Bache,  von  dem  manche  Be- 
richterstatter erzählt  haben,  konnte  ich  Nichts  in  Erfahrung  bringen. 
Zu  den  gewöhnlichen  Futterkräutern  und  Akazien  sollen  hier  einige 
Exemplare  des  Hedschlidsch  oder  Seifenbaumes  (Balanites  aegyptiaca) 
kommen. 

Einen  halben  Tagemarsch  in  Südostrichtung  trifft  man  auf  den 
E.  Sörom,  ein  unbedeutendes,  dem  vorigen  paralleles  Flussthal  mit 
kärglicher  Weide  und  spärlichem  Akazienbestand,  das  nur  vorüber- 
gehend bewohnt  ist. 

E.  Joö  kommt  aus  ansehnlicher  Entfernung  in  Nordosten,  wendet 
sich  später  südlich  und  vereinigt  sich  mit  den  folgenden  zum 
FT  Krema.  Dort,  wo  er  passirt  wird,  erzeugt  er  nur  eine  massige 
Menge  von  Futterkräutern  und  Akazien,  erfreut  sich  jedoch  des 
gegen  vier  Klafter  tiefen  Brunnens  Scherta  in  seinem  Bette.  Sein 
oberer  Lauf  entsteht  durch  die  EE.  Tägähän  (oder  Forschi)  und 
Gobön,  die  sich  beide  durch  reichliches  Bodenwasser  auszeichnen 
und  also  eine  relativ  zahlreiche  und  sesshafte  Bevölkerung,  welche 
Bodcncultur  treibt,  ernähren.  In  den  Tägähan  mündet  von  Nord- 
osten her  FT  Jidu,  von  dem  aus  man  in  einem  langen  Tagemarsche 
über  schwer  passirbare  Felsen  nach  Bardai  gelangen  soll.  Tügähän 
liegt  nach  meinen  Berichterstattern  etwa  anderthalb  Tagemärsche  in 
mehr  oder  weniger  südwestlicher  Richtung  von  Jidu  und  bleibt  in 
ungefähr  südöstlicher  fast  eben  so  weit  vom  Ursprünge  des  FT  Zuär 

Nachtigal.  1.  21) 


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402  n.  buch,  6.  kap.  topooraphif.  u.  natüri..  Beschaffenheit  tiresti's. 

entfernt;  von  diesem  aus  aber  soll  man  in  zwei  Tagemärschen  nord- 
nordöstlicher Richtung  durch  ähnliche  schwer  passirbarc  Felsen- 
gegend  ebenfalls  Bardai  erreichen  können. 

Wenn  die  Einzelheiten  dieser  Angaben  zuverlässig  sind,  so 
hat  der  Joo,  der  allerdings  allgemein  für  ein  sehr  ansehnliches 
Flussthal  gilt,  eine  grössere  Längenentwicklung,  als  irgend  eines 
der  übrigen  Flussthäler  Tibesti's.  Doch  gestehe  ich,  dass  ich  cs 
wohl  für  möglich  halte,  dass  sowohl  E.  Tägähän,  als  E.  Gobön 
selbständige,  im  Innern  des  Felsengebietes  in  kurzem  Verlaufe  sich 
erschöpfende  Flussbetten  darstellen,  welche  nur  durch  die  Phantasie 
der  Eingeborenen,  die  stets  zur  Construction  von  Flussnetzen  geneigt 
sind,  mit  dem  E.  Jod  in  Verbindung  gebracht  wurden,  weil  sie 
ebenfalls  südöstlich  vom  Tarso,  zwischen  Bardai  einerseits  und  den 
Flüssen  Zuär,  Marmar,  Jo6  andererseits  ihre  Lage  haben. 

E.  Ogui,  der  viele  tiefe  Brunnen  in  seinem  Bette  hat,  bietet  mit 
dem  E.  Maro  ebenfalls  die  für  Bodencultur  und  sesshafte  Bevölke- 
rung nothwendigen  Bedingungen,  die  auf  der  ganzen  Südwestseite 
Tibesti's  so  selten  sind.  Er  entsteht  durch  den  Zusammenfluss  der 
von  Nordosten  aus  geringer  Entfernung  kommenden  EE.  Doischke, 
Audera,  Mozzo  und  Kadiska  und  verbindet  sich  bald  mit  dem 
E.  Märo.  Er  zeichnet  sich  durch  seinen  Dümpalmenbcstand  aus  und 
ernährt  eine  verhältnissmässig  zahlreiche  Einwohnerschaft. 

E.  Maro  entsteht  durch  den  Zusammenfluss  von  EE.  Geli,  Böge 
und  Möjake,  verläuft  in  westsüdwestlicher,  beziehungsweise  südwest- 
licher Richtung,  verbindet  sich  mit  dem  E.  OgiTi,  nimmt  den  E.  Arr 
auf  und  bildet  mit  diesen  und  dem  von  Norden  kommenden  E.  Joö 
den  mächtigen,  breiten  E.  Krema.  Der  Märo  soll  an  Ausdehnung 
dem  E.  Zuär  nahe  kommen  und  ist  ebenso  reich  an  Brunnen,  Vege- 
tation (auch  viel  Siwäkwuchs  findet  sich  in  seinem  Bette)  und  Ein- 
wohnern, als  der  freilich  kleinere  Ogui.  E.  Arr  hat  nur  Regen- 
wasserbehälter, und  E.  Krema,  der  sich  übrigens  bald  in  der  Ebene 
verliert,  bietet  den  Reisenden  oft  nicht  einmal  diese,  sondern  nur  eine 
kärgliche  Kameelweide. 

Der  darauf  folgende  E.  Auf,  der  auf  dem  Wege  nach  dem  E.  IIoü 
umgangen  werden  kann,  kommt  aus  Ostnordost,  und  wird  in 
seinem  oberen  Laufe  E.  Gomor  oder  in  der  abgekürzten  Form  E.  Göor 
genannt.  Er  entsteht  aus  den  Ursprungsflüssen  Uge,  Göor  und  Goau 
und  gewinnt  nirgends  eine  grosse  Bedeutung. 


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DIF.  SÜDWESTLICHEN  FLUSSBETTEN.  4ttt 

E.  Hoü  ist  noch  unbedeutender,  kommt  aus  derselben  Richtung 
und  wird  nahe  seinem  Ende  passirt.  Beide  haben  Regenwasscr- 
ansammlungcn,  und  ausser  den  der  Gegend  cigenthümlichen  Kräutern 
gedeiht  von  Bäumen  in  ihnen  nur  die  Akazie. 

Viel  bedeutender  ist  der  E.  Domar  (oder  nach  der  Redeweise 
der  südlichen  Tubu  abgekürzt  Döar),  dessen  Hauptursprünge  E.  Miski 
und  E.  Modrunga  sind.  Jener  ist  der  bedeutendere  und  entspringt 
von  den  Westabhängen  des  Emi  Kussi,  der  mehr  als  drei  Tagemärsche 
Ostnordost  von  der  Station  Domar  liegt;  dieser  hat  seinen  Ursprung 
in  den  Felsenmassen,  welche  sich  vom  Emi  Kussi  nach  Nordwesten 
gegen  die  Ausläufer  des  Tarso  hin  fortsetzen.  E.  Miski  scheint,  von 
seinem  Ursprung  an  gerechnet,  die  unbedeutenden  Nebenthäler  Gäto, 
Sou,  Tuggöma  und  Zoar  Mägerim  mit  dem  kleinen  Tiddenga  aufzu- 
nehmen, doch  erhellt  die  Verbindung  derselben  mit  dem  Hauptfluss- 
thale  nicht  ganz  sicher  aus  den  Erkundigungen.  Sobald  darauf 
E.  Modrunga  sich  mit  dem  letzteren  vereinigt  hat,  geht  dasselbe  als 
E.  Domar  für  eine  kurze  Zeit  nach  Südwesten,  nimmt  darauf  eine 
südliche  Richtung  an,  und  verliert  sich  bald  unter  dem  Namen 
E.  Galleride  in  der  Ebene.  Während  der  südlichste  Theil  des 
Flusses  keine  Brunnen  hat,  befindet  sich  an  der  Stelle  der  gewöhn- 
lichen Passage  der  Brunnen  Odigge,  nahe  dabei  nach  Nordosten  der 
Brunnen  Kuddu  und  etwas  weiter  in  dieser  Richtung  der  Tottus  ge- 
nannte. E.  Döar  und  Galleride  sind  reich  an  Futterkräutern  und 
Tundub  und  sogar  durch  einen  mässigen  Bestand  von  Dattelpalmen 
ausgezeichnet. 

Der  Emi  Kussi,  welcher  dem  Mauptthcilc  des  E.  Domar  Ursprung 
giebt  und  eine  der  Hauptanschwellungen  des  Tibcsti-Gebirges  bildet, 
liegt,  wie  gesagt,  drei  bis  vier  Tagemärsche  von  der  Borkii-Oase  Tiggi 
in  einer  von  der  nördlichen  etwas  nach  Westen  abweichenden  Richtung. 
Nördlich  von  Tiggi  stösst  man  nach  einem  halben  Tagemarsche  auf  die 
kleine  Oase  Ani,  von  der  aus  man  am  ersten  Tage  die  Felsengruppe  Säon- 
tschöwo  erreicht,  um  nach  zwei  weiteren  Tagen  guten  Marsches  am 
Fusse  des  Emi  (oder  abgekürzt  Ei)  Kussi  anzukommen.  Von  Assöe 
aus  erreicht  man  in  nordnordwestlicher  Richtung  in  zwei  und  einem 
halben  Tagemarsche  den  E.  Miski.  nachdem  man  am  ersten  Tage 
unbedeutende  Felscnkctten  überschritten,  am  zweiten  in  der  dichten 
Felsengegend  Kikßtö  genächtigt  und  am  dritten  Tage  in  der  Morgen- 
frühe den  E.  Tukki  passirt  hat.  Vom  E.  Miski,  der  reich  ist  an 

20* 


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■404  II.  BUCH,  6.  KAP.  TOPOGRAPHIE  U.  NATÜRI..  BESCHAFFENHEIT  TIBESTl’s. 

Kräutern  und  Siwäkbcstand , gelangt  man  in  einem  kurzen,  halben 
Tagemarsche  zum  E.  Tuggöma,  dem  ebenfalls  der  Emi  Kussi  Ur- 
sprung giebt,  und  erblickt  diesen  in  der  ungefähren  Entfernung  eines 
Tagemarsches  in  Ostnordostrichtung.  Vom  E.  Tuggoma,  der  im 
Ganzen  südwestlich  verläuft,  gelangt  man  über  eine  Felsenkette, 
welche  den  Namen  Emi  Tiddenga  zu  führen  scheint,  in  einem  guten 
halben  Tagemarsche  zum  E.  Zoär  Magerim,  der  ebenso  unbedeutend 
ist,  einen  ähnlichen  Verlauf  hat  und  von  nordwestlichen  Ausläufern 
des  Emi  Kussi  entspringt.  Es  ist  übrigens  sehr  wohl  möglich,  dass 
beide,  sowie  der  E.  Tiddenga,  ein  Nebenflussbettchen  des  E.  Zoär 
Magerim,  nicht  in  directem  Zusammenhänge  mit  dem  E.  Domar 
stehen;  wenigstens  waren  manche  meiner  Berichterstatter  dieser 
Ansicht. 

Vom  Emi  Kussi  ab  setzt  sich  das  Gebirge,  sich  allmählich  ver- 
schmälernd,  nach  Ostsüdosten  fort  bis  zum  2i.°  O.  L.,  den  es  süd- 
lich von  Wanjanga  berührt.  Die  Entfernung  von  jenem  Berge  bis 
zu  den  Ortschaften  der  Wanja  scheint  ungefähr  sechs  Tagereisen 
zu  betragen,  und  zwischen  beiden  Endpunkten  liegt  die  Felsen- 
ortschaft Guro  fast  in  der  Mitte.  Alle  drei  Punkte  werden  durch 
die  Erkundigungen  über  die  Entfernungen  und  Richtungen,  unter 
denen  sie  zu  einander  liegen,  und  die  sie  mit  Borkü  verbinden, 
einigermassen  in  ihrer  geographischen  Lage  fixirt.  Jin  dürfte  unge- 
fähr fünf  Tagereisen  vom  E.  Kussi  im  Norden  und  etwa  sechs 
von  Wanjanga  im  Ostnordosten  entfernt  sein  und  hat  Gurö  im 
Nordosten  in  der  Entfernung  von  vier  und  einem  halben  Tage- 
marsche. 

Der  E.  Domar  ist  das  letzte  bedeutende  Flussthal,  welches  das 
Gebirge  nach  Südwesten  entsendet,  denn  der  Weg,  welcher  aus  Jarda, 
der  nordöstlichsten  Oase  Borkus,  in  ostnordöstlicher  Richtung  am 
F'usse  der  Kette  in  vier  Tagereisen  nach  Wanjanga  fuhrt,  trifft  auf 
keine  ähnlichen  Wasserbetten  mehr.  Der  südöstlichste  Theil  des 
Gebirges  scheint  also  seine  Hauptabflüsse  auf  der  andern  Seite, 
d.  h.  der  nordöstlichen,  zu  haben. 

Von  der  Physiognomie  der  Nordostseite  Tibesti’s  uns  eine  be- 
friedigende Vorstellung  zu  machen,  genügen  die  uns  zu  Gebote 
stehenden  Daten  nicht.  Zwar  überschritt  ich  den  nordwestlichen 
Theil  des  Gebirges,  Emi  Tarso,  und  erreichte  dort  das  Flussthal 
BardaV,  doch  an  einen  Punkt  festgebannt  und  ohne  Berichterstatter, 


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DIE  NOKDOSTSEITE  TU’S. 


405 

konnte  ich  meinen  Aufenthalt  daselbst  zu  einer  genügenden  Orien- 
tirung  nicht  ausbeuten. 

Von  dort,  grade  nach  Norden,  getrennt  durch  eine  unbewohnte 
Wüste  von  etwa  vier  Breitegraden,  liegt  der  östlichste  Theil  des  Kczzän- 
Districtes  Scherqija,  die  Oasengruppc  Wau.  Der  Weg  dorthin  ist 
den  Tu -Leuten  bekannt,  denn  in  einer  derselben  wohnt  ihre  geist- 
liche Autorität,  ein  Senüsi-Missionar,  zu  dem  nicht  selten  aus  reli- 
giösem Bedürfniss  und  zur  Einholung  weltlichen  Käthes  gepilgert 
wird.  Doch  immerhin  ist  die  Strasse  nicht  so  bekannt,  wie  die  zur 
Befriedigung  materieller  Bedürfnisse  und  zur  Erzielung  kaufmän- 
nischen Gewinnes  oder  kriegerischer  Beute  regelmässig  bereisten 
Wege  zu  sein  pflegen.  Nach  Nordosten,  etwa  fünfzehn  Tagereisen 
weit,  liegt  die  den  Tedä  in  früheren  Zeiten  gehörige  Oasengruppe 
Kufära,  die  bei  ihnen  noch  den  Landesnamen  Teser  fuhrt,  und  Ein- 
zelnen mag  der  Weg  dorthin  noch  bekannt  sein.  Doch  ein  wirk- 
licher Verkehr  mit  ihr  besteht  nicht  mehr,  seit  ihr  bescheidener 
Reichthum  an  Datteln  von  Norden  her  ausgebeutet  wird,  und  dass 
sic  die  Hauptstation  eines  directen  Handclswcgcs  aus  den  Tubu-Län 
dern  nach  Egypten  gewesen  sei,  ist  nur  noch  sagenhaft  bekannt. 
Noch  im  Jahre  1811,  als  die  erste  Karavane  den  directen  Weg  von 
Wadäi  nach  Benghäzi  bereiste,  fand  man  Kufära  schwach  von  Tubu 
Keschäde  bewohnt;  doch  dann  entvölkerten  die  Invasionen  der 
Araberstamme  Barqa’s  ihre  Oasen  vollständig,  und  erst  in  neuerer 
Zeit  hat  ein  religiöses  Institut  — Zäwia  — der  Senüsija  daselbst  den 
Krystallisationspunkt  für  neue  Ansiedler  gebildet. 

Als  im  Jahre  1813  eine  andere  Wadäi-Karavane  den  vollständig 
wüsten  Weg  zwischen  Wanjanga  und  Kufära  ln  westlichem  Bogen 
umgehen  wollte,  wurden,  wie  berichtet  wird,  fast  täglich  Thäler 
mit  Viehweiden  und  Niederlassungen  der  Tubu  Keschäde  mit  ihren 
Heerden  von  Kleinvieh  getroffen:  Der  letzte  Punkt,  der  von  der 

Karawane  in  nordwestlicher  Richtung  erreicht  wurde,  war  der  Wadi 
Koür,  der  sich  auf  etwa  fünf  Tagereisen  der  südwestlichen  Peripherie 
Kufära’s  nähert,  und  also  etwa  durch  die  doppelte  Entfernung  von 
Bardai  getrennt  sein  würde.  Ich  muss  gestehen,  dass  ich  die  Be- 
schreibungen der  phantasievollen  Araber  von  der  Fruchtbarkeit  jenes 
Wadi  und  des  zu  ihm  eingeschlagenen.  Weges  nur  mit  grosser  Vor- 
sicht aufnehmen  kann.  Im  Gegensätze  zu  der  allen  Lebens  baren 
Wüste,  welche  zwischen  Wanjanga  und  Kufära  sich  ausdehnt,  in- 


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406  II.  BUCH,  6.  KAP.  TOPOGRAPHIE  U.  NATÜRL.  BESCHAFFENHEIT  TIBESTl’S. 

mitten  von  Hunger,  Durst  und  Entbehrungen  aller  Art,  mochten 
ihnen  die  kümmerlichen  Weiden  den  Eindruck  der  Ueppigkeit 
machen,  und  die  spärlichen  Bewohner  und  Heerden  zahlreich  er- 
scheinen. Grosse  Tedä-Dörfer  und  fliessende  Gewässer,  von  denen 
die  Ueberlebendcn  dieses  schreckensreichen  Karawanenzuges  erzähl- 
ten, waren  gewiss  nur  Ausgeburten  ihrer  krankhaft  gereizten  Phan- 
tasie. Wenn  schon  das  eigentliche  Tibesti  nur  eine  Bevölkerung 
von  einer  Spärlichkeit  fast  ohne  Gleichen  hat,  so  bin  ich  überzeugt, 
dass  der  E.  Koür,  wenn  er  existirt,  nur  eine  höchst  bescheidene 
Oase  mit  spärlicher  Vegetation  ist,  welche  vorübergehend  von 
Tibesti-Leuten  besucht  wird,  und  dass  schon  drei  oder  vier  Tage- 
reisen von  Bardai  oder  irgend  einem  andern  Punkte  am  nordöst- 
lichen Kusse  des  Gebirges  nach  Nordosten  zu  jener  trostlose  Cha- 
rakter der  Wüste  herrscht,  der  überhaupt  die  östliche  Hälfte  der 
Sahara  kennzeichnet. 

Bardai,  das  Hauptcentrum  der  Bevölkerung  des  gleichnamigen 
Thaies  und  des  ganzen  nordöstlichen  Tibesti,  soll  nach  den  spär- 
lichen Angaben  meiner  dortigen  Umgebung  etwa  in  der  Mitte  seines 
Enneri  liegen,  und  dieser  bei  einer  Länge  von  etwa  vier  Tagereisen 
eine  Richtung  von  Ostsüdost  nach  Westnordwest  oder  von  Südost 
nach  Nordwest  haben.  Leider  kann  dieser  östlichste  Punkt  meiner 
Tibesti -Reise  an  keinen  in  seiner  geographischen  Lage  gesicherten 
Punkt  geknüpft  werden,  und  die  Wege,  welche  von  dort  nach  andern 
zugänglichen  Punkten  Tibesti’s  oder  nach  Wanjanga  führen,  verlaufen 
innerhalb  des  I'elscngebietes  und  sind  dadurch  der  Beurtheilung 
weniger  zugänglich.  Nach  der  Aufnahme  meiner  Reiseroute,  welche 
bei  den  traurigen,  alle  meine  Kräfte  in  Anspruch  nehmenden  Verhält- 
nissen, in  denen  ich  den  Weg  zurücklegte,  nicht  den  wünschens- 
werthen  Grad  von  Genauigkeit  haben  kann,  und  nach  den  möglichst 
gesichteten  Angaben  eingeborener  Berichterstatter,  mit  Berücksich- 
tigung  der  von  mir  später  gewonnenen  Einsicht  in  die  Topographie 
des  südöstlichen  Theils  von  Tibesti,  bin  ich  geneigt,  Bardai  ungefähr 
auf  20°  40'  N.  B.  und  17“  20'  Ö.  L.,  und  das  Ende  des  ganzen  Thaies 
ungefähr  dahin  zu  legen,  wo  der  17. 0 Ö.  L.  von  der  2istcn  Parallele 
geschnitten  wird.  Danach  würde  der  Ursprung  desselben  ungefähr 
auf  den  20.“  N.  B.  zwischen  dem  18. 0 und  19. u Ö.  L.  zu  suchen 
sein,  in  einer  Gegend,  die  etwa  1000  M.  Meereshöhe  haben  muss, 
da  die  Erhebung  von  Bardai,  einige  Tagereisen  das  Klussthal  ab- 


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ENNER!  BARDAf. 


4»j7 

wärts,  noch  etwa  830  M.  betragt.  Ob  jene  eine  isolirte  Erhebung 
ist,  wie  mir  in  Bardai,  wo  man  sie  Kmi  Dusso  nannte,  wahrscheinlich 
gemacht  wurde,  oder  ob  eine  fortlaufende  ansehnliche  Bodenerhebung 
vom  Emi  Kussi,  der  nach  den  vorliegenden  Angaben  etwa  vier 
Tagereisen  weiter  südöstlich  liegen  muss,  bis  dorthin  reicht,  muss 
ich  dahin  gestellt  sein  lassen.  Meine  erfahrenen  Berichterstatter  von 
Borkü  behaupteten,  dass  vom  Emi  Kussi  aus  sich  eine  Kette, 
Namens  Emi  Gümmer,  nach  Norden  erstrecke,  und  dem  Bardai 
Ursprung  gäbe.  Dieselbe  müsste  jedenfalls  in  mehr  nordwestlicher 
Richtung  verlaufen,  wie  es  auch  der  Richtung  des  ganzen  Gebirges 
mehr  entspricht,  und  an  ihrem  Endpunkte  nahezu  die  Hälfte  der 
Erhebung  des  Kussi  selbst  haben.  Die  Berichterstatter  waren  zum 
Thcil  allerdings  geneigt,  diesem  in  Bezug  auf  Höhe  den  Vorrang  vor 
dem  Tarso  zuzusprechen.  Auf  der  andern  Seite  dürfte  auch  der 
Tarso  sich  nach  Südosten  fortsetzen,  und  dadurch  würde  in  nord- 
östlicher Richtung  von  Döar  ein  ansehnlicher  Breitendurchmesser  der 
Gebirgsgegend  entstehen. 

E.  Bardai  scheint  eine  grosse  Menge  von  Nebenflussthälern 
auf  seiner  Südwestseitc  vom  Tarso  her  aufzunehmen.  Der  bei 
unserem  Herabsteigen  von  diesem  passirte  E.  Udeno  verläuft  dort, 
wo  ich  ihn  sah,  von  Sud  nach  Nord  und  soll  sich  weiterhin 
zum  Ifötui  wenden,  der  seinerseits,  von  den  Abhängen  des  Tarso 
entspringend,  sich  in  nordöstlicher  Richtung  zum  E.  Bardai  senken 
soll.  In  die  Ebene  hinabsteigend,  überschritten  wir  weiterhin  die 
EE.  Arabdei,  Gönöa,  Iraira,  welche  sich  theils  in  nordnordöstlicher, 
theils  in  nordöstlicher  Richtung  zum  Bardai  senken.  Nordwest- 
lich vom  E.  Ifötui,  so  wurde  berichtet,  entspringt  der  E.  Ege 
ebenfalls  vom  Tarso,  und  mündet  nach  nordöstlichem  Verlaufe  in 
den  Bardai,  und  südöstlich  von  uns  sollte  E.  Simri  in  ungefähr  nörd- 
licher Richtung  zum  Hauptbette  stossen.  — - Die  auf  der  Nordostseite 
in  den  E.  Bardai  mündenden  Nebenflussbetten  sollen  geringer  an 
Zahl  sein,  jedoch  die  Feindseligkeit  der  Bewohner  versagte  mir  alle 
specielleren  Nachrichten  über  diese  Gegend. 

Ausser  dem  Hauptpopulations- Centrum  gleichen  Namens  scheint 
es  im  Thale  mindestens  noch  sechs  bewohnte  Ortschaften  zu  geben, 
von  denen  drei,  nämlich  Züi,  Düdue  und  Serdegai,  südöstlich,  drei, 
Ermesbe,  Sugra  und  Muska,  nordwestlich  von  der  Hauptortschaft 
liegen  sollen. 


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40S  II.  BUCH,  6.  KAP.  TOPOGRAPHIE  U.  NATÜRI-.  BESCHAFFENHEIT  TIBESTl’s. 

Im  ganzen  E.  Bardai  und  in  vielen  seiner  Nebenflüsse  findet 
sich  reichlich  süsses  Wasser  in  sehr  geringer  Tiefe,  und  ich  sah  nicht 
allein  eine  Quelle  im  E.  Gönöa,  sondern  Brunnen  im  Hauptflussthale, 
welche  kaum  0,5  M.  tief  sind. 

Von  der  Hauptortschaft  erblickt  man  in  ungefähr  südlicher  Rich- 
tung, in  der  Entfernung  eines  guten  Tagemarsches,  einen  Berg,  an  dessen 
Eussc  die  Therme  liegt,  und  welcher  mir  als  Emi  Tasserterri  bezeichnet 
wurde.  Von  demselben  Punkte  aus  gelangt  man,  nach  den  Angaben 
meiner  Berichterstatter,  in  fünf  Tagemärschen  mit  südöstlicher  Rich- 
tung zum  Berge  Kussi.  Man  reist  während  zweier  Tage  durch  felsige 
Gegend  ohne  beträchtliche  Erhebung,  mit  Nächtigung  nach  dem 
ersten  Tage  zu  Loa  und  nach  dem  zweiten  zu  Tarsiji  — beide 
Stationen  sind  Weideplätze  — , übersteigt  am  dritten  die  südöstliche 
Verlängerung  des  Tarso  und  nächtigt  im  E.  Modrunga,  der  von 
jenem  nach  Süden  zum  E.  Miski  abflicsst.  Am  vierten  Tage  erreicht 
man  das  Thal  Soü,  am  fünften  den  Emi  Kussi,  an  dessen  Fussc 
eines  der  Ursprungsflüsschen  des  E.  Miski,  der  E.  Gäto,  passirt  wird, 
und  nächtigt  in  der  Nahe  desselben.  Erst  am  sechsten  Tage  erreicht 
man  um  Mittag  die  Höhe  des  Emi  Kussi. 

Weiter  nach  Nordosten,  nahe  der  Grenze  des  Felsengebietes, 
verläuft  ein  Weg,  den  man  von  Bardai  nach  Wanjanga  einschlägt, 
und  dessen  Beschreibung  ich  dem  Muräbid  Ali  von  Qatrun  verdanke. 
Wenn  dieser  Berichterstatter  auch  durchaus  vertrauenswürdig  war, 
so  nimmt  doch  der  Umstand,  dass  er  in  der  Richtung  unsicher  war 
und  den  Weg  nur  einmal,  wie  ich  glaube,  gemacht  hatte,  seinen 
Angaben  einen  Theil  ihres  Werthes.  Er  wendete  sich  von  Bardai 
nach  Osten  zum  E.  Aözo,  den  er  nach  zwei  Tagereisen  erreichte, 
nächtigte  darauf  zweimal  in  der  Wüste  und  erreichte  am  dritten 
Tage  von  Aözo  ab  das  Flussthal  Jibi,  das  vom  Emi  Kussi  oder 
seinem  Ausläufer  entspringt.  Der  folgende  Tag  führte  ihn  nach  dem 
hoch  gelegenen  Jibi  Däso,  d.  h.  Kopf  des  Jibi,  oftenbar  einem  sich  in. 
der  Gegend  des  Ursprunges  des  Flussthals  aus  der  Umgebung  hervor- 
hebenden Berge.  Von  diesem  aus  stieg  er  in  die  Ebene  hinab,  näch- 
tigte an  einem  Weideplätze  Namens  Közßn,  erreichte  von  hier  in  einem 
Tagemarsche  die  Oertlichkeit  Kurzebo  in  felsiger  Gegend,  und  am 
darauf  folgenden  Tage  frühzeitig  den  letzten  Teda-Ort  vor  Wanjanga, 
das  Felscndorf  Gurö,  das  seinerseits  zwei  bis  drei  Tagereisen  in  west- 


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GEGEND  ZWISCHEN  ÜARDA'f  UND  WANJANGA. 

nordwestlicher  Richtung  von  Wanjanga  Jöa  bleibt.  Der  ganze  Weg 
von  Aözo  bis  Wanjanga  Jöa  umfasst  zehn  starke  Tagemärschc. 

Wenn  schon  der  Verlauf  des  E.  Bardai  nacli  den  vorstehenden 
Daten  vieles  Zweifelhafte  behält,  so  ist  dies  in  viel  höherem  Grade 
der  Fall  mit  den  Flussthalern  Aözo  und  Jibi,  über  deren  Richtung 
und  etwaigen  Zusammenhang  mit  dem  Bardai -Thalc  ich  nur  sehr 
unsichere  und  wenig  unter  sich  übereinstimmende  Nachrichten  von 
den  Tedä  erhalten  konnte.  Beide  haben  übrigens,  wie  auch  das 
Thal  Gurö,  Dattelpflanzungen  und  ernähren  eine  verhaltnissmässig 
zahlreiche  Bewohnerschaft  mit  ansehnlichen  Hcerden. 

Vom  Emi  Kussi  gelangt  man  endlich  in  vier  sehr  langen  Tage- 
märschen ostnordöstlicher  Richtung  zu  einer  andern  Niederlassung 
der  Tubu  Rcschädc,  nach  Uri.  Von  der  heissen  Quelle  (Jerike)  am 
östlichen  Busse  des  Berges  erreicht  man  am  ersten  Tage  E.  Urcschille, 
der  sich  nach  Norden  senkt  und  keine  ständigen  Bewohner  hat, 
am  zweiten  den  Brunnen  Jiga  Drusso  (d.  h.  Tiefbrunnen),  der  zwölf 
Klafter  tief  in  einem  Flussthale  liegt,  das  sich  ebenfalls  nach 
Norden  senkt,  am  dritten  E.  Auunga,  der  dieselbe  Richtung,  eine 
spärliche  Vegetation  und  kein  Wasser  hat,  und  am  vierten  E.  Uri, 
ein  fruchtbares  Thal,  das  nach  Nordnordosten  gerichtet  ist,  und  in 
dem  eine  verhaltnissmässig  wohlhabende  und  zahlreiche  Bewohner- 
schaft Ackerbau  treibt.  Der  directe  südöstlich  verlaufende  Weg 
von  Uri  nach  Wanjanga  entbehrt  des  Wassers  gänzlich,  so  dass 
man  vorzieht,  über  Gurö,  das  einige  Tagereisen  südsüdwestlich 
liegt,  dorthin  zu  reisen. 

Dies  sind  die  Materialien,  welche  ich  der  kartographischen  Dar- 
stellung des  Landes  zum  Grunde  legte,  und  welche  besonders  seine 
Südgrenze  feststellen.  Wie  wir  oben  gesehen  haben,  fallt  der  west- 
liche Theil  derselben  etwas  südlich  vom  i8.°  N.  B.  Weiter  östlich, 
zwischen  dem  19. w und  20.0  0.  L.,  finden  wir  umgekehrt  die  Borkü- 
I, eute  (Oase  Tiggi)  über  diese  Parallele  nach  Norden  hinausgehen. 
Scheidet  man  aus  dem  Gesammtgcbiete  der  Tedä  das  eigentliche 
Tibesti  aus,  so  fällt  dasselbe  zwischen  den  22. 0 und  18. 0 N,  B.  einer- 
seits und  den  15.“  und  20. 0 30'  Ö.  L.  andrerseits  und  hat  einen 
Flächeninhalt  von  annähernd  260,000  □ Km. 

Das  Gebiet  der  Tubu  Rcschädc  entspricht  in  der  That  der 
erwähnten  traurigen  Beschreibung,  welche  der  Scheich  el-Tünisi  von 
ihm  entwarf,  vollständig.  Ungefähr  gleich  weit  von  der  Nordküste 


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410  II.  BUCH,  6.  KAP.  TOPOGRAPHIE  U.  NATÜRL.  BESCHAFFENHEIT  TIBESll’s. 

und  vom  Sudan,  vom  rothen  Meere  und  dem  atlantischen  Ocean 
gelegen,  unterliegt  es  meteorischen  Bedingungen , welche  im  Verein 
mit  der  traurigen  Bodenbeschaffenheit  das  Land  fast  unbewohnbar 
machen. 

Schon  a priori  konnte  man  sagen,  dass  ein  so  continentales, 
mitten  in  einer  ungeheuren  Wüste  südlich  vom  Wendekreise  gelegenes 
Land,  sehr  hohe  Tagestemperaturen,  verhältnissmässig  niedrige  Nacht- 
temperaturen  und  eine  sehr  trockene  Luft,  also  sehr  spärlichen  Regcn- 
fall  haben  müsse.  Ich  habe  sowohl  zu  Tao,  als  auch  zu  ßardai, 
während  der  Monate  Juli  und  August  regelmässige  meteorologische 
Beobachtungen  angestellt,  welche  freilich  nur  kurze  Reihen  aus- 
machen  und  der  ungünstigen  lokalen  Verhältnisse  wegen  nicht  den 
wünschenswerthen  wissenschaftlichen  Werth  beanspruchen  können. 
Die  Instrumente  mussten  entweder  im  Schatten  der  Felsen  oder  im 
allseitlich  zum  Luftdurchtritte  aufgeschlagenen  Zelte  aufgestellt  werden. 
Dieses,  aus  einer  einfacher  Lage  Segeltuch  bestehend,  vermochte  den 
directen  Einfluss  der  Sonnenstrahlen  nicht  genugsam  abzuwehren, 
und  die  Felsen  gaben  selbst  dort,  wo  sie  während  des  ganzen  Tages 
nicht  von  den  Sonnenstrahlen  getroffen  wurden,  durch  die  Rück- 
strahlung der  benachbarten  felsigen  LTmgebung  und  durch  die  eigene 
Durchglühung  ungünstige  Beobachtungs- Bedingungen.  Dies  ist  der 
Grund  für  die  Höhe  der  von  mir  in  Tibesti  beobachteten  Tem- 
peraturen. 

Zu  Tao  betrug  die  höchste  Temperatur  vom  20.  Juli  bis  zum 
5.  August,  welche  nach  2 Uhr  Nachmittags  beobachtet  wurde,  im 
Durchschnitte  in  runder  Zahl  40°,  während  die  niedrigste,  welche 
um  die  Zeit  des  Sonnenaufgangs  statthatte,  durchschnittlich  27 0 zeigte. 
Obgleich  der  Unterschied  zwischen  beiden  schon  130  beträgt,  so  geht 
doch  die  durch  die  Flntfernung  des  Meeres  und  die  rege  Ausstrahlung 
des  Wüstenbodens  erwartete  nächtliche  Temperatur-Erniedrigung  aus 
diesen  Zahlen  nicht  so  klar  hervor,  als  ich  unter  andern  Verhält- 
nissen in  der  Wüste  beobachtet  habe.  Als  wir  später,  Ende  Sep- 
tember, auf  der  fluchtartigen  Rückreise  nach  Fezzän  den  Weg 
zwischen  dem  Tümmo  und  Tedscherri  zurücklegtcn,  raubten  uns 
die  niedrigen  Nachttemperaturen  noch  das  geringe  Mass  von  Schlaf, 
welches  uns  die  spärlich  zugemessene  Zeit  verhiess. 

Der  höchste  beobachtete  Unterschied  zwischen  dem  feuchten 
und  trockenen  Thermometer  des  August'schcn  Psychrometers  betrug 


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METEOROLOGISCHE  BEOBACHTUNGEN. 


411 


22°  und  als  niedrigster  wurden  5,4°  registrirt.  Die  höchsten  Unter- 
schiede wurden  durchschnittlich  um  4 Uhr  Nachmittags  constatirt. 
und  die  niedrigsten  entweder  Morgens  kurz  nach  Sonnenaufgang 
oder  ausnahmsweise  bei  eintretendem  Regen  beobachtet.  Das  Hygro- 
meter Saussure  fiel  bis  zu  20,  stieg  aber  auch  bei  regnigem  Wetter 
bis  zu  78  seiner  Kintheilung.  Von  Niederschlägen  kam  Thau  nicht 
zur  Beobachtung,  doch  fehlte  der  Regen  von  der  zweiten  Hälfte  des 
Juli  ab  nicht. 

Während  uns  Anfangs  der  Aufenthalt  zwischen  den  durchgluhten 
Felsen  trotz  des  Schattens,  den  sie  spendeten,  fast  unerträglich  ge- 
wesen war,  trieb  später  der  in  den  oberen  Luftregionen  ununter- 
brochen herrschende,  östliche  Wind  fast  täglich  dichte  Regenwolken 
über  die  Berge,  wenn  auch  der  lokale  Wind  oft  aus  westlicher  Rich- 
tung blies.  Die  Wolkcnansammlung  hatte  unmittelbar  nach  der 
Tagesmitte  statt;  ihre  Anhäufung  geschah  unter  plötzlichen  Wind- 
stössen,  die  mich  stets  für  meine  Thermometer,  deren  ich  auch 
mehrere  einbüsste,  fürchten  Hessen.  Die  Berg-  und  Felsenmassen 
schienen  dem  westlichen  Zuge  der  Wolken  einige  Schwierigkeiten 
zu  bereiten;  in  den  meisten  Fällen  erfuhren  sie  in  einer  gewissen 
Höhe  eine  Ablenkung  nach  Nord  oder  Süd.  Wenn  sie  sich  ganz 
oder  theil weise  über  uns  entluden,  so  waren  die  Regen  doch  nie 
reichlich  genug,  uns  von  unserem  übel  gewählten  Lagerplatze  zu 
vertreiben.  Dieselben  haben  in  Tibesti  nicht  nöthig,  mit  tropischer 
Fülle  aufzutreten,  um  die  Flussbetten  zu  füllen,  denn  es  geht  bei  dem 
Mangel  an  absorptionsfahigem  Boden  im  Gebirge  kein  Tropfen  verloren. 
Die  Felsen  füllen  ihre  natürlichen  Reservoirs  und  leiten  den  Rest 
in  die  Flussbetten.  War  ich  doch  eines  Morgens  lebhaft  erstaunt, 
nach  einem  nächtlichen  Regen,  der  uns  nur  wenig  beunruhigt  hatte, 
das  Rauschen  der  Fluthen  zu  vernehmen,  welche  E.  Dausädo  vor- 
überwälzte. Freilich  ist  eine  solche  Erscheinung  nicht  von  langer 
Dauer,  kommt  aber  in  den  verschiedenen  Thälern  gar  nicht  selten 
zur  Beobachtung  und  wird  durch  die  Plötzlichkeit  ihres  Auftretens 
oft  gefährlich.  Fast  alljährlich  geht  eine  Anzahl  von  Eseln,  Schafen 
und  Ziegen  bei  allzuplötzlicher  Füllung  eines  Flussbettes  zu  Grunde 
und  selbst  Kamcele  erliegen  nicht  selten  diesem  allzu  reichen  Segen 
des  Himmels. 

Wenn  auch  die  Niederschläge  in  verschiedenen  Jahren  ungleich 
in  Zahl  und  Wassermenge  auftreten,  so  sind  doch  die  absolut 


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412  II.  BÜCH,  6.  KAP.  TOPOGRAPHIE  U.  NATÜRL.  BESCHAFFENHEIT  TIBESTl’s. 

regenlosen  Jahre  sehr  selten.  Die  häufigste  und  massenhafteste 
Wolkenbildung  scheint  im  Monat  August  einzutreten , und  diese 
Coincidenz  mit  dem  Höhepunkte  der  sommerlichen  Sudan-Regen  lässt 
wohl  annehmen,  dass  diese  auch  die  Quelle  für  die  Regenwolken 
Tibesti’s  sind. 

Ocstlich  vom  Gebirge,  zu  Bardai,  hatten  wir  während  des  Monats 
August  eine  niedrigste  Temperatur  von  21 0 bis  230  gegen  6 Uhr 
Morgens,  und  Mittags  zwischen  12  und  2 Uhr  stieg  fast  alltäglich 
das  Thermometer  auf  40".  Das  Hygrometer  bewegte  sich  zwischen 
50  bis  70  seiner  Scala,  doch  Regen  fiel  wider  mein  Erwarten  nur 
zwei  oder  drei  Mal  in  Gestalt  weniger  Tropfen.  Dies  erschien  mir 
um  so  auffallender,  als  ich  die  täglich  in  Tao  von  Osten  und  Sud- 
osten heranziehenden  Regenwolkenmassen  mit  der  grade  im  Sudan 
herrschenden  Regenzeit  in  Verbindung  zu  setzen  geneigt  war. 

Der  vorherrschende  Wind  war  während  der  ganzen  Zeit  meiner 
Tibesti-Reisc  der  Passat,  der,  wie  erwähnt,  selbst  wenn  lokale  Be- 
dingungen einen  anderen  Wind  in  den  unteren  Regionen  erzeugten, 
im  Zuge  der  Wolken  erkennbar  war,  wenn  solche  vorhanden  waren. 
Sein  täglicher  Entwicklungsgang  war  in  den  verschiedenen  Gegenden 
verschieden.  Während  vom  südlichen  Fezzän  ab  bis  zu  den  Bergen 
von  Afäfi  der  Wind  in  grosser  Regelmässigkeit  mit  der  Sonne  stieg 
und  fiel,  folgte  von  Afäfi  bis  Udfii  ein  starker  Nachtwind,  der  allmäh- 
lich aus  dem  schwachen  Tagwinde  zu  seiner  Höhe  anschwoll.  So 
lange  wir  uns  dann  am  westlichen  Russe  der  Central-Kette  aufhielten, 
zu  Tao  und  Zuär,  folgte  die  Stärke  des  Windes  wieder  der  Sonne, 
und  östlich  vom  Gebirge,  zu  Bardai',  zeichneten  sich  die  Morgen 
durch  Windstille  aus,  während  die  grösste  Stärke  in  die  Zeit  des 
Sonnenunterganges  und  zuweilen  in  den  ersten  Theil  der  Nacht  fiel. 

Aussergewöhnliche  Stände  des  Aneroids,  das  leider,  wie  erwähnt, 
bei  meinem  Ucbergange  über  den  Tarso  seine  Dienste  versagte, 
kamen  mir  nicht  zur  Beobachtung.  Es  erhielt  sich  bei  der  Regel- 
mässigkeit der  Winde  mit  unbedeutenden  Schwankungen  auf  der 
durch  die  Erhebung  über  dem  Meeresspiegel  bedingten  Höhe.  Ich 
registrirte  am  Tage  stets  nur  ein  Maximum,  welches  mit  wenigen 
Ausnahmen  vor  8 Uhr  Morgens  eintrat,  und  ein  Minimum  zwischen 
2 und  3 Uhr  Nachmittags.  Das  zweite  Maximum  schien  nach  10  Uhr 
Abends  einzutreten,  und  über  das  zweite  Minimum  gestattete  mir 
meine  Erschöpfung  nicht,  Beobachtungen  anzustellen. 


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ZUR  FLORA  TU’S. 


413 


Ohne  die  Regenfälle,  welche  in  Folge  der  beträchtlichen  und 
ausgedehnten  Bodenerhebungen  häufiger  sind,  als  in  den  niedrigeren 
Kbenen  der  Sahara,  würde  in  der  That  ein  grosser  Theil  des  jetzt 
bewohnten  Tibesti  gänzlich  öde  sein.  Die  EH.  Abo , Kjauno,  Täo, 
Zuär,  Marmar,  Arr,  Auf,  Hoü  und  ein  grosser  Theil  des  E.  Joö  und 
Domar  würden  nicht  bewohnt  werden  können,  und  nur  die  EH.  OguT 
und  Maro,  Gobön  und  Tägahan  (oder  Forschi)  auf  der  Südwcst- 
seite,  und  die  EE.  Bardai,  Aözo,  Jibi,  Gurö,  Uri,  in  denen  Boden- 
wasser die  Gartencultur  und  Dattelzucht  gestattet,  auf  der  Nordost- 
seite würden  eine  spärliche  ständige  Bevölkerung  ernähren  können. 
Doch  der  in  Folge  des  Regens  ansehnliche  Reichthum  an  Futter- 
kräutern und  Gräsern  erleichtert  die  Viehzucht  und  ein  beschränktes 
Nomadenthum  auch  in  den  übrigen  Thälcrn. 

Von  den  Gräsern  sind  vorzüglich  verbreitet  in  den  Flussthälern 
und  andern  sandigen  Niederungen:  das  verästelte  Knotengras  Bu 
Rukba  ( Panicutn  turgidum ) , das  bei  den  Tedä  Gümeschi  heisst; 
der  Sebat  (Aristida  pungens)  Mejoku  ted.  , der  Nissi  (Aristida 
plumosa)  Mali  ted.  , und  ein  Hüscheigras  (Imperata  cylindrica), 
das  bei  den  Arabern  Dis  heisst,  und  dessen  Tedä- Namen  ich  nicht 
in  Erfahrung  bringen  konnte.  In  den  nördlichsten  Bezirken  giebt 
cs  Rischu  (Calligonum  comosum),  und  in  den  südlichsten  soll  das 
im  Sudan  und  den  ihm  benachbarten  Steppen  so  häufige  Akresch- 
Gras  (Vilfa  spie  ata?)  Abu  Säbe  arab.  unter  dem  Namen  Ontul,  und 

endlich  Kreb  arab.  (Eragrostis)  unter  der  Bezeichnung  Deger  Vor- 
kommen. Von  den  beliebtesten  Kameelfutterkräutern  finden  sich 
Aqül  (Alhagi  manniferutn  oder  Maurorum)  — Lakör  ted.  — und 
Häd  ( Cornulaca  monaeantha ) — Dzüri  oder  Dschüri  ted.  - in 
grosser  Menge. 

Ueberall  in  den  Thälern  und  Schluchten  gedeiht  die  Senna 
(Cassia  obirvata)  — Haschischa  arab.  und  Tuggomodi  ted.  — , welche 
früher  sogar  ein  Ausfuhrprodukt  Tibesti's  bildete.  In  den  sandigen 
Niederungen  der  Ebene  wuchert  die  Coloipiinthe  — Handal  arab.  und 
Aber  ted.  — . Auf  dem  Kussi-Berge  wird  die  Artemisia  herba-alba 
— Sch  iah  arab.  und  Odiisir  ted.  — - gefunden. 

Von  grösseren  Sträuchcrn  macht  sich  überall  in  den  wüsten  Ge- 
genden der  Etel  (Tamarix)  unter  dem  Namen  Döso  und  die  Sueda 
(Suaeda),  Seger  genannt,  bemerkbar,  und  hier  und  da  findet  sich  der 
March  (Leptadenia  pyrotechnica)  — Kizzen  ted.  — . In  den  Fluss- 


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414  II.  BUCH,  6.  KAP.  TOPOGRAPHIE  U.  NATI'RL.  BESCHAFFENHEIT  TIBESTl’S. 


thälern  gedeiht  der  Siwäk  (Salvadora  persica)  — • Ojü  ted.  — , der 
Oschar  (Calotropis proccra)  — Säno  ted.  — und  der  Tundub  ( Capparis 
Sodada)  — Kussomo  ted.  — . Von  den  ansehnlicheren  Räumen  habe 
ich  zu  der  oft  erwähnten  Sajälakazie  — Tefi  ted.  — und  dem  Qarad 
(Acacia  nilotica ) — Gobor  ted.  — noch  zwei  andere  Akazien,  Edden 
und  Here,  hinzuzufügen  und  den  vereinzelt  vorkommenden  und  eben- 
falls bereits  erwähnten  Serrah  ( Mnerita)  — Arken  ted.  — aufzu- 
führen. Here  hat  von  den  dortigen  Akazien  die  meisten  Blüthen 
und  das  beste  Gummi,  und  wird,  wie  der  Edderi,  nach  Art  des 
Qarad  zum  Gerben  benutzt.  Die  Dümpalme  (Hyphacne  thebaica) 
— Sobu  ted.  — und  der  Hedschlidsch  oder  Seifenbaum  (Balanites 
aegyptiaca)  — Alo  ted.  — haben  unter  diesem  Meridian  hier  ihre 
Nord  grenze. 

Wenn  manche  von  diesen  Gewächsen,  welche  die  Natur  den 
Teda  spendet,  schon  einen  erheblichen  Beitrag  zu  ihrer  Ernährung 
liefern,  wie  die  Coloquinthe,  der  Siwäk,  die  Dümpalme,  so  erzeugt  die 
menschliche  Arbeit  in  den  Thälern,  welche  die  Gartencultur  erlauben, 
auch  etwas  Getreide,  das  den  generellen  Namen  Bede  führt.  Weizen, 
den  ich  nur  mit  dem  arabischen  Namen  Qanuih  bezeichnen  hörte, 
Duchn  (Penicillaria),  der  Qasab  oder  Annere  genannt  wird,  und 
Durra  (Sorghum  vulgare ),  welche  Huntülu  oder  mit  ebenfalls  fremd- 
ländischem Namen  Ngäfoli  heisst  und  als  wcissc  — Huntfilu  tschu 
und  als  rothe  — H.  mädo  — vorkommt,  werden  in  spärlicher 
Menge  in  den  Gartenfeldern  — Wöno  ted.  — gebaut.  Bohnen 
Gälo  — , Gurken  — Kokküs  — , Melonen  — Bambus  — , Wasser- 
melonen — Olü  — , Kürbisse  — Sägädu  — , Flaschenkürbisse  — WuT  — , 
Erdmandeln  — Ngangäla  — , Baumwolle  — Kulkutton  — , Karäsu 
( Hibiscus  cannabinus),  Bämia  und  Melöchia  — Kobbelu  — sind  zwar 
bekannt,  doch  ihre  fast  alle  aus  der  Kanürisprachc  übernommenen 
Namen  sprechen  für  ihre  Seltenheit  und  ihren  südänischen  Ursprung. 
Nur  die  Namen  für  Wassermelone  und  für  den  Flaschenkürbis  ge- 
hören der  Tedä-Sprache  ausschliesslich  an. 

Die  grosse  Rolle,  welche  die  Dattelpalme  — Tinni  ted.  — in 
der  Oeconomie  der  Einwohner  Tibesti's  spielt,  obgleich  sie  keines- 
wegs auch  nur  annähernd  in  solcher  Menge  und  Güte,  wie  in  Fezzän, 
vorkommt,  habe  ich  bereits  mehrfach  zu  erwähnen  Gelegenheit 
gehabt. 

Andere  Fruchtbäume,  wie  wir  sie  vereinzelt  in  Fezzäner  Gärten 


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ZUR  FAUNA  Tü’s. 


415 


kennen  gelernt  haben,  z.  B.  der  Granatapfelbaum,  der  Feigenbaum 
u.  s.  w.,  und  die  Weinrebe  werden  von  den  Tedä  nicht  kultivirt. 

Werfen  wir  einen  Blick  auf  die  Thierwelt  Tibesti’s,  so  finden  wir 
zunächst  an  Hausthieren  — Rezzi  pl.  Rezze  — das  Kamcel  — Güni 
pl.  Gönä  oder  Ai  pl.  Aä  — , das  Schaf  — Irömo  pl.  Iroä  — , den 
Ksel  — Armi  pl.  Armä  — , den  Hund  — Kidi  pl.  Kide  — , die  Katze 
— Ngäm  — und  das  Huhn  - Köki  oder  Kokoia. 

Den  Reichthum  der  Tedä  an  Kameelcn  fand  ich  bei  weitem 
nicht  so  gross,  als  ich  nach  der  Schilderung  der  Leute  Fezzän's  er- 
wartet hatte.  Wenn  die  auf  diese  Thiere  angewiesenen  arabischen 
Nomaden  ihre  Kamcclheerdcn  nach  Hunderten  zählen,  können  die 
Tedä  nur  nach  Zehnern  rechnen.  Die  Kinwohner  Abo  s und  Domar  s 


Südliche«  und  nördliche»  Kaniccl. 


scheinen  deren  noch  am  meisten  zu  besitzen,  obwohl  man  sich  sehr 
hüten  muss,  auf  Grund  der  Berichte  von  Hingeborenen  in  dieser  Be- 
ziehung Angaben  zu  machen.  Jedenfalls  besitzt  Bardai,  ein  sonst 
verhältnissmässig  so  reich  ausgestattetes  Thal,  die  geringste  Anzahl 
dieser  Thiere,  und  alle  übrigen  Thaler  sind  in  nur  mässigem  Grade 
mit  ihnen  versehen.  Wenn  ihre  Zahl  demnach  in  Tibcsti  keine  be- 
sonders grosse  ist,  so  befriedigen  sie  hingegen  desto  mehr  durch  ihre 
Qualität.  Die  Tubu  züchten  mit  den  Leuten  von  Ennedi  die  besten 
Kameclc  von  allen  Stämmen  im  östlichen  Theilc  der  grossen  Wüste, 
und  zwar  gehören  die  ihrigen  derjenigen  Varietät  an,  welche  der  mitt- 
leren und  südlichen  Sahara  überhaupt  eigen  ist,  und  welche  sich  auf 
den  ersten  Blick  von  dem  nördlichen  Kameele,  das  man  das  arabische 


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41G  II.  «ICH,  6.  KAP.  TOPOC.RAPHIF.  r.  NA  TI  RI..  BESCHAFFENHEIT  TIBESTl’S. 


nennen  könnte,  unterscheidet.  Dieses,  mit  verhältnissmässig  kurzen, 
stämmigen  Gliedmassen,  plumperem  Körper,  dickerem  und  niedriger 
getragenem  Kopfe  und  Halse  und  zottigem  Haar,  scheint  von  Natur 
mehr  zum  Lasttragen  bestimmt;  jenes  der  Tuärik,  Tedä  und  Bae le- 
ist hochbeiniger,  schlanker,  kurz-  und  glatthaariger,  trägt  seinen 
schlankeren  Hals  und  kleineren  Kopf  mit  einer  gewissen  Leichtigkeit 
und  weist  durch  seinen  ganzen  Bau  entschieden  mehr  auf  die  Schnel- 
ligkeit der  Locomotion  hin,  als  auf  das  Tragen  schwerer  Lasten. 
Es  ist  bewunderungswürdig,  mit  welcher  Sicherheit  und  Leichtigkeit 
diese  Thiere  in  ihren  heimathlichen  Bergen  herumklettern,  und  nicht 


Schaf  der  Tedi, 


übertrieben,  wenn  der  Scheich  et-Tünisi  sagt,  dass  die  Tubu  sic  wie 
Pferde  zu  dressiren  verstehen.  Freilich  hatte  ich  später  Gelegenheit, 
einzusehen,  dass  dieselben  doch  in  der  Züchtung  von  Reitkamcclen 
erheblich  hinter  den  Tuärik  und  einzelnen  Stämmen  der  arabischen 
Wüste  zurückstehen.  Die  Tubu-Kameele  werden  nicht  durch  einen 
Zugel  gelenkt,  der  ihren  schlaffen  Nasenflügel  einerseits  durchbohrt, 
wie  dies  bei  vielen  Stämmen  Sitte  ist,  sondern  durch  eine  Halfter  mit 
eiserner  Klammer,  welche  der  Nase  aufliegt.  Wenn  es  unmöglich 
ist,  ihnen  mit  nordischen  Kameelen  zu  folgen,  besonders  auf  Fels- 
boden  und  in  den  Bergen,  so  sind  diese  dagegen  meist  stärker  und 
in  der  Ebene  bei  gleicher  Nahrung  ausdauernder. 

Ausser  den  Kameelen  besitzen  die  Tedä  zur  Arbeit  noch  gute, 


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ZUR  FAUNA  Tü’s. 


417 


starke  Es?l , welche  bei  der  nicht  übergrossen  Anzahl  der  ersteren 
sehr  nothwendig,  für  die  Leute  einzelner  Gegenden,  wie  z.  B.  des 
E.  Bard.'ii,  gradezu  unentbehrlich  sind. 

Ihre  Hauptludfsquelle  besteht  in  grossen  Hecrden  von  Ziegen, 
die,  zwischen  den  Felsen  herumkletternd,  stets  Nahrung  genug  für 
ihre  bescheidenen  Ansprüche  finden.  Sie  sind  klein,  kräftig,  glatt- 
und  kurzhaarig  und  meist  dunkelfarbig.  — Seltener  und  viel  ge- 
schätzter sind  die  Schafe,  die  sich  sehr  wesentlich  von  denen  an- 
derer Länder  unterscheiden.  Das  Fettschwanzschaf  der  Küsten- 
länder ist  in  Tibesti  unbekannt;  alle  daselbst  vorkommenden  haben 
jenen  langgestreckten  Hals,  die  hohen  Beine,  den  langen  dünnen 
Schwanz,  der  fast  auf  die  Erde  reicht,  und  das  prächtige,  lange, 
schwarze,  glänzende  Haar  anstatt  der  Wolle,  die  ich  schon  wieder- 
holt erwähnt  habe.  Ein  Fell  dieser  Thierc  genügt  allenfalls  zu  einem 
Wintermantel  oder  Teppich  für  einen  erwachsenen  Menschen  und 
ist  unter  dem  Namen  Derei  oder  Delei  bekannt.  Leider  sind  diese 
edlen  Tliicre  keineswegs  häufig,  und  nur  die  östlichen  Thälcr,  BardaY, 
Aözo,  Jibi,  Gurö,  Uri  und  die  Abhänge  des  Enii  Kussi  scheinen 
einen  gewissen  Ueberfluss  an  ihnen  zu  haben. 

Die  Hunde  Tus  gehören  der  in  Fezzän  vorkommenden  Art 
unvollkommener  Windhunde  an,  und  ihre  mangelhafte  Rasse  und 
schlechte  Ernährung  scheinen  ihrer  Bestimmung,  Gazellen,  Antilopen 
und  Straussc  zu  jagen,  wenig  zu  entsprechen.  Sie  sind  spärlich  vor- 
handen, doch  immer  noch  häufiger  als  die  Katze,  deren  der  Bornü- 
Sprache  entlehnte  Name  Ngäm  schon  allein  flir  ihre  Seltenheit  zeugt. 

Das  Huhn  findet  sich  ebenfalls  nur  ganz  vereinzelt  und  führt 
einen  mit  der  entsprechenden  Bornü-Bezeichnung  identischen  Namen 
— Köki  oder  Kokoia. 

Das  Pferd  — Aski  ted.  — soll  früher  in  Tibesti  öfters  vor- 
gekommen sein,  ist  jetzt  vielleicht  in  einzelnen  Exemplaren  im  E. 
Domar  vorhanden,  war  aber  sicherlich  zu  keiner  Zeit  ein  häufiges 
Hausthier  der  Tubu.  Wahrscheinlich  ist,  dass  das  Rind  — Für 
einstmals  diesen  Landschaften  eigentümlich  war,  wie  auch  durch 
die  von  mir  gefundenen  Steinzeichnungen  des  E.  Udeno  wahrschein- 
lich gemacht  wird.  Jetzt  giebt  es  wohl  kaum  ein  Stück  Rindvieh 
im  Lande,  wenn  nicht  etwa  die  südöstlichen  Thäler  es  zufällig  einmal 
aus  Borkü,  Wanjanga  oder  Enncdi  cinführen. 

Von  wilden  Thieren  — Käküi  fehlen  die  reissenden  bis  auf 

Nachtigal.  I.  »7 


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418  lt.  BUCH,  6.  KAP.  TOPOGRAPHIE  U.  NATÜRI..  BESCHAFFENHEIT  TIBESTl’s. 

die  Hyäne  gänzlich.  Diese  kommt  in  drei  Arten  vor:  die  gefleckte 
Molöhur  , die  gestreifte  - Turdi  — und  eine  grössere  dunkel- 
und  einfarbige  Zigir  — , welche  keine  lebenden  Thiere  angreift, 
sondern  nur  vom  Aas  lebt  Der  Schakal  — Turko,  pl.  Turkä  — ist 
in  den  östlichen  Thälern  so  zahlreich  vertreten,  wie  nur  irgendwo,  und 
nicht  selten  stösst  man  auf  die  Spuren  des  kleinert  Fenek  oder  Wüsten- 
fuchses, welcher  den  mit  dem  entsprechenden  Ausdruck  in  der  Bornü- 
Sprache  — Kölegg  — gleichen  Namen  — Külükü  oder  KflekT  — führt. 

Die  felsigen  Ufer  der  Flussthäler  bevölkert  der  beschriebene 
Pavian  ( Cynocephalus  Babuin)  - Dunku  — , unbehelligt  von  den  Ein- 
wohnern, denen  es  als  eine  grosse  Schande  gilt,  diesem  „verzauberten 
Menschen”  Leid  zuzufügen  oder  ihn  im  Hause  zu  halten. 

Jagdbar  sind  einige  Antilopen,  das  Mähnenschaf  oder  Wadän  (Ovis 
tragelaphus ),  der  kleine  Wüstenhase  - Tschomar  oder  Tjomar  — und 
dergl.  Von  den  ersteren  ist  ausser  der  Gazelle  Udeno  — die  eben- 
falls bereits  erwähnte  Antilopa  leucoryx  Bü  Raqaba  oder  Baqar  el- 
Wahschi  arab.  und  Turui  Zöde  ted.  vertreten.  Man  benutzt  ihr 
mächtiges  Fell  im  Lande  zur  Fabrikation  von  Schilden  und  verarbeitet 
die  in  ihrem  Dickendurchmesser  besonders  entwickelte  Nackenhaut  in 
benachbarten  Gegenden,  in  denen  Schuhe  getragen  werden,  wie  in 
Fezzän,  zu  Sohlen.  Häufiger  als  das  Thier  der  Ebene  ist  der  Wadän 
mit  seinen  mächtigen  Hörnern  und  seiner  zottigen  Halsmähne, 
welcher  die  Bezeichnung  Mischi  führt.  Mit  ihm  bewohnt  die  Felsen 
in  grösster  Zahl  der  Klippschliefer  (Hyrax),  dort  von  den  Arabern 
nicht  Keko,  wie  im  nubischen  und  sudanischen  Egypten,  oder  Wabr, 
wie  in  den  nördlicheren  cgvptischen  Provinzen,  sondern  Tcis  el-Had- 
schar,  vgn  den  Teda  aber  Adegobo  genannt,  und  erfüllt  die  Einsamkeit 
der  Nächte  mit  seinem  schrillen  Gekläff.  Das  äusserlich  wenigstens 
durchaus  schwanzlose  Thierchen  wird  selten  getödtet,  obgleich  sein 
Fleisch  nicht  unbeliebt  ist,  da  es  bei  seiner  Wachsamkeit  und  Ge- 
wandtheit in  den  schwer  zugänglichen  Felsen  nicht  leicht  zu  erlegen 
ist.  Obwohl  es  an  den  glattwandigstcn , steilsten  Felsen  mit  Leich- 
tigkeit cmporklcttert  und  dadurch  leicht  entrinnt,  so  versäumt  es  des- 
wegen doch  keineswegs,  seine  grossen  gemeinsamen  Niederlassungen 
durch  sorgfältig  organisirten  Wachdienst  zu  sichern.  Seine  aromatisch 
riechenden  Excremente  haben  bei  den  Tubu  einen  grossen  Ruf  in 
gewissen  geschlechtlichen  Krankheiten,  gegen  die  man  sie  gröblich 
zerstossen  in  Wasser  einnimmt. 


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ZUR  FAUNA  TU *S. 


4t!) 


Die  grosse  Varaneidechse  — Degontöno  — , welche  bei  den 
Arabern  als  Urol  bekannt  ist,  und  kleine  Wüsten-  und  Mauereidechsen 
sind  häufig.  Das  Chamäleon  — Kazunku  — kommt  zuweilen  zur 
Beobachtung,  und  Schlangen  — Drenu  , von  denen  es  giftige  und 
harmlose  giebt,  sowie  Scorpionc  — Etti  fehlen  nicht.  Von  den 
giftigen  Schlangen  sind  hauptsächlich  zwei  Vipern  — Auso  gefürch- 
tet, von  denen  ich  »eine,  die  Hornviper,  mehrfach  gesehen  habe. 

Von  Vögeln  — Kebri  — erwähne  ich  neben  dem  sparsam 
vorkommenden  Huhn  das  Perlhuhn  — Koki  Kadschi  — , das  in 
einigen  bevorzugten  Thälern  Tibesti's  gesehen  wird,  und  die  Tauben, 
welche  unter  dem  generellen  Namen  Aiberi  oder  Eberi  die  Turtel- 
taube — Kutkurro  , die  zahme  Haustaube,  eine  kleine,  zierliche 
graue  Taube  mit  zwei  schwarzen  Ringen  um  den  Hals  und  eine 
grössere,  wilde  Taube  umfassen.  Am  häufigsten  von  allen  Vögeln 
sind  in  Tibesti  der  Aasgeier  — - Zinki  — , und  der  Wüstenrabc  - 
Wowei  — , denen  das  Land  ebenfalls  nur  spärliche  Existenzbedin- 
gungen zu  bieten  vermag. 

Der  Strauss  Kjedo  oder  Tschedo  — , welcher  früher  in  der 
ganzen  Wüste  verbreitet  gewesen  zu  sein  scheint,  wird  in  Tibesti 
offenbar  ebenfalls  schon  selten.  Ich  erblickte  zwar  zuweilen  seine 
mächtigen , charakteristischen  Spuren  im  Sande  der  Thäler,  doch 
nur  einige  wenige  Male  sah  ich  ihn  selbst.  In  der  relativ  üppigen 
Vegetation  der  Elussbetten  hängt  der  Webervögel  seine  Nester  auf,  und 
einige  kleine  Singvögel  beleben  die  einsame,  schweigende  Gegend. 

Für  die  Entwicklung  der  Insekten  sind  Boden  und  Klima  noch 
ungünstiger,  als  für  die  der  höher  organisirten  Thiere.  Zwar  existirt 
die  Fliege  — Sideno  — , die  Biene  — Sideno  Edschimfi  (d.  h.  die  Honig- 
fliege) — , die  Mücke  — Inteki  — , die  Heuschrecke  — Gomsfcu  — , die 
Bremse  — Du  — , die  Kameelzecke  — Mataso  — , die  Talha-Wanzc 
— Karmi  Tefi  — , die  Kleiderlaus  — Mäsko  — , die  Ameise  — Ed- 
schingßri  — und  selbst  die  Termite  Tschono  — , doch  vervielfältigen 
sich  diese  Thierchen  nicht  derartig,  dass  sie  lästig  würden.  Die  vielen 
Unterarten  der  Ameisen  des  Sudan  existiren  in  Tu  noch  nicht,  und 
ein  Name  umfasst  sie  alle;  die  Termite  erreicht  in  Tibesti  ihre  Nord- 
grenze. Der  Floh  fehlt  auch  hier,  wie  in  Fezzän,  und  die  Spinnen 
sind  spärlich  vertreten. 


27» 


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Siebentes  Kapitel. 

DIE  TEDÄ. 


Die  Tubu-Familie.  — Tedä  und  Däza.  — Der  Name  Tubu.  — Tu,  Tedälu  und  Tedl.  — 
Historisches  Dunkel.  — Eigenartigkeit  und  politische  Unabhängigkeit  der  Tedä.  — 
Physische  Eigentümlichkeiten.  — Hautfärbung.  — Die  im  Sfldän  Übliche  Farben- 
scala.  — Gesichtsbildung.  — Andere  physische  Eigentümlichkeiten.  — Klimatische 
Verhältnisse  und  allgemeiner  Gesundheitsstand.  — Vorkommende  Krankheiten.  — 
Medicinische  und  chirurgische  Heilmittel.  — Geistige  lind  moralische  Eigenschaften. 
— Sociale  Ordnung.  — Politische  Verfassung.  — Fürst,  Edelleute  und  gemeines 
Volk.  — Geringe  Bedeutung  des  Dardai.  — Stellung  der  Schmiede.  — Der  Isläm 
bei  den  Tedl  — Todtenliestattung.  — Ehe.  — Gercchtigkcitspflege  und  Familien- 
beziehungen.  — Namensänderung  der  Männer.  Kleidung,  Haartracht  und  Schmuck- 
gegenstände der  Frauen.  — Tätowirung.  — Die  Sitte  des  Li täm -Tragens.  — Tech- 
nische Fertigkeiten.  — Handel  und  Verkehr.  — Wertmesser.  — Die  einzelnen 
Stämme  der  Tedä.  — Die  nordwestlichen  und  südöstlichen  Tedä.  — Bevölkerungsziffer. 


Die  Hartnäckigkeit,  mit  der  sich  die  östliche  Sahara  bisher  den 
Forschungen  der  Reisenden  entzogen  hat,  das  Dunkel,  in  welches 
Abstammung  und  Geschichte  ihrer  Bewohner,  welche  zum  grossen 
Theile  nächste  Verwandte  der  Leute  von  Tu  sind,  bis  jetzt  gehüllt 
blieben,  der  kulturgeschichtliche  Zusammenhang  derselben  mit  den 
Bornü-Leuten  oder  Kanüri,  den  Heinrich  Barths  Einblick  in  die 
Sprachen  beider  und  die  Geschichte  Bornü's  beweisen,  geben  dem 
Studium  von  Land  und  Leuten  dieser  Gegenden  ein  besonderes  Inter- 
esse. Die  Beleuchtung  der  ethnographischen  Stellung  der  ganzen 
Völkerfamilie,  zu  der  die  Tedä  gehören,  kann  freilich  erst  vorge- 
nommen werden  nach  vorhergegangener  Kenntnis«  auch  der  übrigen 
Abtheilungen,  und  ich  muss  mich  vorläufig  darauf  beschränken,  die 


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DIK  TCBU-FAMILIE. 


421 


Einwohner  von  Tibesti  allein  zum  Gegenstände  der  Betrachtung  zu 
machen.  Erst  wenn  dem  Leser  im  Verläufe  der  Reiscbeschrcibung 
die  Einwohner  von  Kawär,  die  derselben  Familie  angchörendcn 
Stämme  in  Bornü  und  Känem,  die  Leute  von  Borkü  und  dem  Bahär 
el  Ghazäl  vorgeführt  sein  werden,  ist  eine  Erörterung  der  ihnen  zu- 
kommenden Stellung  in  der  Gruppirung  der  Völker  am  Platze. 

Ich  habe  bereits  erwähnt,  dass  die  Leute  von  Tu  sich  Tedä 
nennen  und  früher  eine  grössere  Verbreitung  in  der  Wüste  hatten, 
als  in  der  Gegenwart.  Jetzt  haben  sich  diejenigen,  welche  früher 
Kufara  bewohnten,  nach  dem  Osten  Tibesti’s  zurückgezogen,  und 
ihre  Colonisten  in  Fezzan  sind  spärlicher  geworden.  Dafür  finden 
sich  aber  viele  dem  Lande  Tu  angehörige  Stammabtheilungen  süd- 
lich von  der  grossen  Wüste  in  Bornü  und  Känem,  und  die  Auswan- 
derung dorthin  scheint  sich  allmählich  und  für  Viele  erst  in  jüngster 
Zeit  vollzogen  zu  haben.  Auf  der  Bornü  - Strasse  hingegen  sind 
Kawär  und  einige  diesem  Ländchen  nahcgelegenc  kleinere  Oasen 
seit  manchen  Jahrhunderten  von  Tedä  bewohnt. 

Die  Bewohner  des  Nachbarländchcns  Borkü  werden  von  ihnen 
unterschieden  und  führen  den  Namen  Amä  Borkü,  d.  h.  Leute  von 
Borkü;  ebenso  diejenigen  des  Bahär  el-Ghazäl,  welche  sich  grossen- 
thcils  Däzä  nennen.  Trotz  der  Verschiedenheit  der  Namen  jedoch 
kennen  Alle  sehr  wohl  ihre  Zusammengehörigkeit,  die  ausserdem 
durch  eine  gemeinsame,  wenn  auch  in  zwei  Dialecte  getrennte 
Sprache  bewiesen  wird.  Entsprechend  diesen  beiden  Dialcctcn  kann 
man  füglich  die  ganze  Familie,  für  welche  die  Abtheilungen  derselben 
selbst  keine  Collectivbezeichnung  haben,  in  Tedä  (Bewohner  von  Tu 
und  Kawär)  und  in  Däzä  (Bewohner  von  Borkü,  dem  Bahär  el-Ghazäl 
und  Känem)  eintheilen.  Die  Araber  nennen  jene  Tubu  und  diese 
Qor'än,  umfassen  aber,  je  nachdem  dieselben  im  nördlichen  Theilc 
der  Wüste  oder  im  Südän  wohnen,  auch  wohl  Beide  mit  jeder  dieser 
Bezeichnungen,  obgleich  wenigstens  der  Name  Tubu  logisch  nur 
den  Bewohnern  Tibesti’s  zukommt.  Trotzdem  werde  ich  mich  im 
Verlaufe  meines  Reiseberichtes  ebenfalls  dieses  Ausdruckes  be- 
dienen, wenn  von  sämmtlichen  Abtheilungen  der  Nation  die  Rede 
ist,  da  man  einen  zusammenfassenden  Namen  nicht  gut  entbehren 
kann,  und  der  in  Rede  stehende  dort,  von  wo  uns  die  erste  Kunde 
über  diese  Völkerschaft  wurde,  also  in  Tripolitanien  und  Fczzän,  im 
allgemeinen  Sinne  gebraucht  wird. 


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422 


II.  BUCH,  7.  KAPITEL.  IMF.  TEDA. 


Dieser  Name  muss  folgerichtig  „Tubu"  geschrieben  werden,  wie 
auch  der  Imam  Ahmed,  ein  Bornii- Historiker  des  16.  Jahrhunderts, 
und  der  tunisischc  Reisende  Mohammed  Ibn  'Omar  zu  Anfänge 
dieses  Jahrhunderts  gethan  haben,  denn  das  Wort  zeigt  eine  kanü- 
rische  Pluralbildung,  deren  Kern  Tu,  der  einheimische  Name  für 
Tibesti,  ist.  Die  Endung  ,,bu"  ist  in  der  Bomü- Sprache  — Manna 
Kanüri  gleichbedeutend  mit  „Leute  ",  und  ihre  Einzahl  heisst  „ma  ", 
wie  z.  B.  Kanem-ma  den  Mann  von  Künem  und  Känem-bu  die  Leute 
von  Känem  bedeutet.  Das  Wort  Tu-ma  für  den  einzelnen  Bewohner 
von  Tu  existirt  freilich  auch  in  Bomü  nicht;  doch  immerhin  muss 
die  Schreibweise  „Tubu”  anstatt  „Tibu"  als  die  allein  etymologisch 
richtige  bezeichnet  werden.  Bis  jetzt  hat  fast  jeder  Reisende  mit 
seinem  Gehör  das  Wort  als  „Tibu”  aufgefasst;  so  schrieben  die  eng- 
lischen Reisenden  Lyon,  Denham  etc.,  so  die  deutschen,  wie  Horne- 
mann,  Vogel,  von  Beurmann  und  Rohlfs,  und  so  ich  selbst,  so  lange 
ich  nur  der  Auffassung  meines  Gehörs  folgte.  Uebrigens  kommen 
beide  Worte  bei  einer  kurzen  Aussprache  der  ersten  Silben  einander 
ganz  nahe.  Will  man  „Tebu”  mit  einem  stummen  „e”  aussprechen, 
wie  Fresnel  es  thut,  so  fällt  der  Laut  des  Wortes  mit  dem  jener 
beiden  ebenfalls  fast  zusammen.  Nur  dass  Barth  eine  Zeitlang 
„Tebu  mit  einem  gedehnten  „e"  gesprochen  wissen  wollte,  war  ein 
entschiedener  Irrthum,  von  dem  er  übrigens  später,  wie  seine  central- 
afrikanischen  Vocabularien  beweisen,  ebenso  zurückkam,  als  von  dem 
Plural  „Tcda”  anstatt  „Tedä"  oder,  wie  man  zur  Erleichterung  einer 
richtigen  Aussprache  vielleicht  noch  besser  schreiben  sollte,  Teddä. 

Die  Einzahl  von  Tedä  sollte  nach  der  mödi  Tedä,  der  Sprache 
des  Landes,  „Tede”  lauten,  und  es  ist  sehr  merkwürdig,  dass  die 
Einwohner  diese  Form  niemals  ohne  Hinzufügung  des  Wortes  Tu 
bilden,  so  dass  ein  einzelner  Einwohner  von  Tibesti  nur  „Tedetu” 
heisst.  Dieser  Ausdruck,  der  wörtlich  einen  der  Tedä  des  Landes 
Tu  bedeutet,  ist  der  einzige  Beweis  dafür,  dass  das  Wort  Tedä 
ursprünglich  noch  andere  Abtheilungen  dieser  Familie  mit  umfasste, 
während  dies  jetzt,  wie  erwähnt,  entschieden  nicht  der  Fall  ist.  Anstatt 
Tede-tu  hört  man  bisweilen  auch  Tede-emi,  ein  Beweis,  dass  ursprüng- 
lich das  Wort  tu,  welches  jetzt  aus  der  gewöhnlichen  Sprache  ver- 
schwunden zu  sein  scheint,  dieselbe  Bedeutung  mit  emi  hatte, 
welches  die  gewöhnliche  Bezeichnung  für  Berg  oder  Fels  ist.  Beide 
Ausdrücke  sind  der  beste  Beweis  für  die  Berechtigung  der  Araber, 


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BEDEUTUNG  DER  NAMEN  TU  UND  TEP.A.  423 

die  Einwohner  Tibesti's  „Tubu  Rcschäde",  d.  h.  Felscn-Tubu  (von 
Reschäd,  Stein  oder  Kcls)  zu  nennen. 

Die  Geschichte  erwähnt,  wie  schon  oben  gesagt,  das  Land  und 
seine  Bewohner  niemals  ausdrücklich.  Während  der  Kern  des 
Reiches  der  Garamanten  die  römische  Provinz  l’hazania  bildete, 
kannte  man  die  südlichen  Nachbarstämme  derselben  nur  unter  der 
allgemeinen  Bezeichnung  der  Acthiopicr.  Unter  ihnen  werden  von 
Herodot  als  den  Garamanten  nahewohnend  troglodytische  Stämme 
aufgeführt,  deren  Schilderung  durchaus  auf  die  heutigen  Bewohner 
Tu’s  passt,  welche  noch  jetzt  vielfach  die  natürlichen  Höhlungen 
ihrer  Felsen  bewohnen,  weit  und  breit  wegen  ihrer  Gewandtheit 
und  Schnellfussigkcit  berühmt  sind,  und  deren  Sprache  ausserhalb 
der  Grenzen  ihrer  Wohnsitze  wenig  bekannt  ist. 

Wahrend  Herodot  die  Garamanten,  indem  er  sie  mit  den  Am- 
moniern  und  den  Bewohnern  von  Audsclula  aufzählt,  an  die  Libyer 
reiht,  trennt  er  jene  Troglodylen  schon  dadurch  von  dieser  Gruppe, 
dass  er  sie  als  Aethiopicr  bezeichnet.  Wären  dieselben  mit  den 
Garamanten  eines  Stammes  gewesen,  so  würden  diese  schwerlich 
ihre  schnellfussigen  Vettern  als  eine  so  untergeordnete  Völkerschaft 
betrathtet  haben,  dass  sie  dieselben  gewohnheitsgemäss  nach 
libyscher  Sitte  mit  Viergespannen  jagten,  wie  Herodot  berichtet, 
und  dieser  Geschichtsforscher  hätte  nicht  von  ihrer  Sprache  sagen 
können,  dass  sie  von  keiner  der  umwohnenden  Völkerschaften  ver- 
standen wurde.  Selbst  wenn  die  scharfsinnige  Vennuthung  Barth  s 
richtig  wäre , dass  „Phazania",  der  alte  Name  für  Fezzän  eigentlich 
„©adania"  gelautet  habe  und  „Land  der  Tedä”  bedeute,  so  würde 
ich  deshalb  noch  nicht  geneigt  sein,  beide  Völkerschaften  zu  iden- 
tificiren,  sondern  nur  der  Vermuthung  Raum  geben,  dass  die  ursprüng- 
lichen Sitze  der  Garamanten  etwas  nördlicher  lagen. 

Als  das  Reich  der  Garamanten  sich  unter  römischem  Einflüsse 
ausdehnte,  geschah  dies  naturgemäss  längs  bekannter  Strassen  nach 
Süden.  Schon  frühzeitig  vermittelten  sie  den  Verkehr  zwischen 
Nordküste  und  Sudan,  und  ohne  Zweifel  auf  den  noch  jetzt  üblichen 
Strassen  nach  Bornü  und  den  Haussa  Staaten , und  durch  sie  gelang 
es  den  Römern,  nach  Süden  in  die  Landschaften  der  Aethiopier  vor- 
zudringen. Doch  auf  diesen  Zügen,  welche  sich  nicht  auf  die  öst- 
lichen Landschaften  der  Wüste  und  nicht  bis  jenseits  der  Sahfträ 
ausgedehnt,  sondern  im  Lande  Air  (Ahir)  geendigt  zu  haben  scheinen, 


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424  II.  BUCH,  7.  KAPITEL.  DIE  TEDA. 

wurde  Nichts  von  dem  so  charakteristischen  l'elsenlande  Tibesti  be- 
kannt. Auch  später,  als  die  Macht  der  Garamanten  sich  über  einen 
grossen  Theil  der  östlichen  Wüste  bis  zum  Sudan  erstreckt  haben 
soll,  werden  dieselben  sich  wohl  darauf  beschrankt  haben,  sich  die 
nächste  Strasse  dorthin,  welche  über  Kawär  führt,  zu  sichern,  und 
höchstens  die  übrigen  Wüstenstämme  in  ein  lockeres  Abhängigkeits- 
verhältniss  zu  bringen.  So  erklärt  es  sich  auch,  dass  weder  Ptoleinäus, 
noch  die  arabischen  Schriftsteller,  welche  aus  späterer  Zeit  von  einem 
ebenso  ausgedehnten  Reiche  der  Zoghäwa  oder  Zaghä  berichten,  die 
Tcdä  besonders  erwähnen,  sei  es  in  namentlicher  Aufführung,  sei  es 
durch  eine  charakteristische  Schilderung. 

Von  der  ganzen  Blüthe  des  Garamantenreiches,  das  wahrschein- 
lich erst  gänzlich  zerfiel,  als  die  Eroberung  der  afrikanischen  Nord- 
küste durch  den  Islam  höher  civilisirte  Stämme  nach  Süden  vorschob 
und  die  Völkerverhältnisse  der  Wüste  allmählich  änderte,  wissen  wir 
so  gut  als  Nichts.  Auch  sein  Zerfall  scheint  sich  ohne  grosse  Um- 
wälzungen vollzogen  zu  haben:  Beweis  dafür,  dass  seine  Macht  nie 
eine  bedeutende,  sein  innerer  Zusammenhang  stets  ein  lockerer  war. 
Wenn  man  später  im  Lauf  der  Jahrhunderte  Tcdä  erwähnt  hat,  so 
ist  dies  in  der  Geschichte  Bornu  s und  in  der  Neuzeit  bei  den  Ereig- 
nissen in  Fezzän  geschehen  und  hat  dies  diejenigen  Abtheilungen  der 
Nation  betroffen,  welche  in  Känem,  Kawär  oder  Fezzan  wohnten, 
niemals  den  Stamm,  welcher  ein  Gemeinwesen  im  Lande  Tu  bildete. 
Es  war  dies  natürlich,  denn  der  letztere  unterhielt  nur  spärliche  Be- 
ziehungen zu  den  Nachbarstämmen  und  war  kaum  jemals  irgend 
einem  anderen  Volke  gänzlich  unterworfen,  ebenso  wenig  den  Gara- 
manten und  Zoghäwa,  als  später  dem  seine  Macht  nach  Norden  aus- 
dehnenden Bornü-Reiche  und  endlich  dem  selbständigen  oder  tripoli- 
tanischcn  Fczzän. 

Die  schwierige  Natur  ihrer  Heimath  hielt  sie  einestheils  vom 
Verkehr  mit  der  Ausscnwelt  ab,  und  sicherte  ihnen  andcrcntheils 
ihre  Unabhängigkeit.  Die  Armuth  des  Landes  konnte  kein  gcwalt- 
thätiges  Nachbarvolk  reizen;  Hunger  und  Durst  drohte  jedem  Fremd- 
ling in  ihm;  die  Einwohner  hielten  ihren  einzigen,  für  die  Wüsten- 
stämme begehrenswerthen  Schatz,  die  Kamcele,  in  möglichst  schwer 
zugänglichen  Thälern  verborgen  und  versteckten  sich  selbst  mit 
ihrem  Kleinvieh  auf  und  zwischen  den  Felsen.  Da  war  kein  ge- 
schlossenes Dorf  zu  überfallen  und  keine  Aussicht  auf  Menschen-  und 


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ABGESCHLOSSENHKIT  LND  EIGENARTIGKEIT  DER  TEDÄ. 


425 


Vichbeute,  wohl  aber  drohte  in  den  engen  Thälern  und  Schluchten 
dem  Eindringling  Tod  und  Verderben  aus  den  sicheren  Verstecken 
der  Einwohner.  Nur  da,  wo  die  vom  Gebirge  sich  senkenden  Fluss- 
thäler  die  Ebene  erreichen  und  gesuchte  Weideplätze  bilden,  in 
deren  Nähe  vereinzelte  Felsgruppen  Wasscrvorrath  bergen  und 
nöthigenfalls  einen  Versteck  abgeben,  wurden  wohl  zuweilen  Kameel- 
heerden  und  Frauen,  Kinder  und  Sclavcn  geraubt;  aber,  wie  gesagt, 
eine  dauernde,  thatsächliche  Abhängigkeit  von  einem  andern  Lande 
hat  wohl  Tibesti  trotz  der  kleinen  Zahl  und  der  Ohnmacht  seiner 
Bewohner  niemals  empfunden. 

Dies  musste  ihre  Eigenartigkeit  sichern.  Dazu  kam,  dass  sie 
an  keiner  grossen  Handelsstrasse  wohnten,  wie  ihre  Brüder  von 
Kawär  denn  der  Verkehr  Tripolitanien’s  mit  Wadai  datirt  erst 
aus  der  neuesten  Zeit  , dass  sie  keine  l’roducte  ihres  Landes  zu 
verwerthen  hatten  und  sich  also  nur  schwer  Sclavinnen  aus  dem 
Sudan  verschaffen  konnten.  Aus  sich  heraus  vermochten  sie  bei  den 
geringen  Hülfsquellen  des  Landes  und  der  unglaublichen  Spärlichkeit 
der  Bewohner  keine  socialen  Fortschritte  zu  machen;  eine  fremde 
Civilisation  aber  trat  nicht  an  sie  heran.  So  blieben  sie  zum  grossen 
Theile,  wie  sie  im  Alterthume  waren,  während  die  verwandten 
Stämme  fremden  Einflüssen  mehr  unterlagen. 

Während  das  benachbarte  Fezzän  dem  Beobachter  eine  bunte, 
ini  Einzelnen  schwer  zu  entwirrende  Mischbevölkerung  darbictet, 
tritt  uns  in  Tibesti  eine  durchaus  homogene  Fänwohncrschaft  ent- 
gegen. Daselbst  kann  wohl  ein  einzelner  Mann  aus  Borkü  oder 
Kawär  wohnen  — und  auch  das  ist  von  grosser  Seltenheit  — , doch 
in  ganz  Tu  ist  kein  Araber  oder  Tank}  oder  freier  Bornü-Mann  an- 
gesiedelt; Jeder  ist  ein  Tedetu,  Alle  sind  Tedä.  Wenn  sie  auch  der 
individuellen  Unterschiede  nicht  entbehren,  so  geben  ihnen  doch  die 
wesentlichen,  selten  fehlenden,  physischen  und  psychischen  Eigen- 
schaften, die  ich  im  Verlaufe  des  Reiseberichtes  geschildert  habe, 
und  die  ich  zur  Abrundung  des  Bildes  noch  einmal  kurz  zusammen- 
fasse, ein  charakteristisches  Gepräge. 

Wenn  auch  einzelne  grosse  Leute  unter  den  Tedä  nicht  fehlen, 
so  sind  doch  die  kleinen  häufiger;  ihr  Durchschnitt  ist  von  be- 
scheidener Mittelgrösse.  Ihr  Körper  ist  ausserordentlich  wohlpropor- 
tionirt  und  zierlich;  ihre  Hände  und  Füssc  meist  noch  zarter  und 


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426 


II.  BUCH,  7.  KAPITEL.  DIE  TEDA. 


kleiner;  als  die  mittelgros.se  Gestalt  zum  harmonischen  Gesammtbilde 
erfordern  würde.  Ihre  grosse  Magerkeit  fallt  daher  nicht  unangenehm 
auf,  sondern  bringt  njjr  den  Eindruck  elastischer  Leichtigkeit  und 
Beweglichkeit  hervor.  In  der  That  scheint  durch  den  gänzlichen 
Fettmangel  die  Entwicklung  ihrer  Waden-  und  Oberarm-Muskeln  so 
kümmerlich,  dass  der  Fremdling  staunt,  wenn  er  trotz  dieser  an- 
scheinenden Schwäche  ihre  Kraft  und  Ausdauer  in  körperlichen 
Uebungen  zu  beobachten  Gelegenheit  hat.  Ihre  Magerkeit  ist  die 
Folge  des  Klimas  und  der  Lebensweise,  welcher  sie  gezwungen 
huldigen.  Die  trockene  Wüsten-  und  stärkende  Bergluft  mit  ihrer 
lebhaften  Verdunstung  und  ihrem  beschleunigten  Stoffwechsel,  die 
Rastlosigkeit,  mit  der  die  Tedä  im  steten  Kampfe  um  das 
Dasein,  in  unübertroffener  Beweglichkeit  die  wüsten  Strecken  ihrer 
heimathlichen  Lande  durchziehen,  und  endlich  die  mangelhafte  Er- 
nährung, der  sie  trotz  ihrer  Anstrengungen  doch  nur  theilhaftig 
werden,  erklären  jene  hinlänglich.  Ich  habe  oben  zu  schildern  ver- 
sucht, wie  der  Hunger  während  eines  grossen  Theils  des  Jahres  ihr 
Begleiter  ist;  wie  dann  die  zur  Ernährung  herbeigezogenen  Fruchte 
der  Dumpalme  oder  der  Salvadora  pcrsica  ihre  Existenz  nur  mühsam 
fristen,  und  wie  spärlich  ihnen  in  der  günstigsten  Jahreszeit  der  die 
Fettbildung  begünstigende  Genuss  stärkemehlhaltiger  Nahrungsmittel 
zugemessen  ist. 

Ich  habe  erzählt,  dass  ihre  körperliche  Gewandtheit  im  Laufen  und 
Springen  noch  jetzt  ebenso  sprichwörtlich  ist,  wie  sic  es  im  Alterthum 
war;  dass  ihre  Widerstandsfähigkeit  gegen  Ermüdung,  Hunger  und 
Durst  unübertroffen  bleibt.  Bei  einem  Mundvorrathe,  welcher  einem 
Europäer  zum  Durchmachen  einer  Hungerkur  nicht  spärlicher  zuge- 
messen werden  würde,  marschirt  der  Tedetu  noch  zehn  bis  zwölf 
Stunden  neben  seinem  schnellschreitenden  Kameele  mit  einer  schweben- 
den Leichtigkeit  einher,  die  ihm  allen  Anschein  der  Schwäche  und 
Ermüdung  nimmt.  Es  ist  merkwürdig,  wie  die  Leute  bei  einer  solcher» 
gewohnheitsmässigen  und  gezwungenen  Enthaltsamkeit  sich  bei  einer 
günstigen  Gelegenheit  zu  schmarotzen  einer  Unmässigkeit  ohne  LJn- 
bequemlichkeit  für  ihren  Körper  hingeben  können.  Hierin  scheinen 
sie  ihren  Wüstennachbarn,  den  Tuärik,  denen  sie  durch  ähnliche 
klimatische  Bedingungen,  in  körperlicher  Ausdauer  und  Entbehrungs- 
fähigkeit überhaupt  nahe  stehen,  sehr  zu  gleichen.  Doch  muss  man 


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PHYSISCHE  EICENTHÜMLICHKE1TEN. 


427 


sagen,  dass,  abgesehen  von  den  seltenen  Gelegenheiten  zu  solchen 
Excessen,  ihre  Gesetze  des  Anstandes  das  unmässige  Essen  strenger 
verurtheilen,  als  die  Sitten  der  benachbarten  Völker  cs  thun.  Auch 
die  Araber  sind  massig,  doch  scheuen  sie  bei  günstiger,  d.  h.  kosten- 
freier, Gelegenheit  nicht,  sich  der  grössten  Unmässigkeit  hinzugeben, 
und  die  Neger  suchen  sogar  vielfach  Etwas  in  einer  gewissen  Gc- 
frässigkeit. 

Die  Verschiedenheiten,  welche  die  Teda  in  der  Hautfarbung 
darbieten,  sind  ziemlich  bedeutend,  obgleich  darüber  kein  Zweifel 
sein  kann,  dass  sie  durchschnittlich  um  ein  Erhebliches  heller  sind, 
als  die  Bewohner  des  Sudan.  Die  Araber,  welche  im  Sudan  leben 
oder  doch  von  der  Nordküste  dorthin  reisen,  bedienen  sich  einer  Scala 
der  Hautfarbe  - Nuancen , welche  mit  der  Zeit  in  jenen  Ländern  eine 
gewisse  allgemeine  Gültigkeit  erworben  hat.  Es  ist  so  schwer,  die 
verschiedenen  Abstufungen  in  der  Hautfärbung  treffend  zu  bezeichnen 
und  bei  den  allmählichen  Ucbergängen  von  einer  zur  andern  aus- 
einander zu  halten,  und  der  Eindruck  von  Earbenerscheinungen  auf 
den  Beobachter  ist  ein  individuell  so  verschiedener,  dass  es  schwer 
ist,  gewisse  Nüancen  in  einer  für  Alle  sicher  verständlichen  Weise 
zu  bezeichnen.  Welche  zahllosen  Farbentöne  und  Abstufungen  fallen 
nicht  unter  die  Bezeichnungen  „chocoladenbraun ",  ,,cafc-au-lait-farbig", 
„kupferfarbig'"  und  „broncefarbig ",  welche  wir  in  den  Beschreibungen 
der  Reisenden  und  anderer  Beobachter  finden!  Dazu  kommt,  dass 
bei  denselben  Individuen  die  verschiedenen  Körpcrtheile  verschieden 
gefärbt  erscheinen,  dass  die  Hautfarbe  der  Hände  von  der  des  Ge- 
sichtes, und  diese  von  der  des  Rumpfes  häufig  abweicht,  wobei  die 
Vielen  unerwartete  Thatsache  zu  constatiren  ist,  dass  in  den  meisten 
Fällen  die  dem  Lichte  und  der  Luft  ausgesetzten  Körpertheile  einen 
helleren  Ton  haben,  als  die  vorwaltend  bedeckten. 

Die  Araber  und  Sudaner  bedienen  sich  in  Mitten  dieser  grossen 
Farben -Mannichfaltigkeit,  welche  von  der  Färbung  der  nördlichen 
Araber  bis  zu  dem  tiefen  Schwarz,  das  bei  einigen  Negerstämmen  vor- 
waltet, alle  Abstufungen  umfasst,  ihrer  Scala  mit  grosser  Sicherheit, 
wobei  sie  ausschliesslich  die  Gesichtsfärbung  in  Betracht  ziehen.  Da 
ich  mich  im  Laufe  dieses  Reiseberichtes  öfters  auf  diese  Scala  beziehen 
werde,  so  gebe  ich  dieselbe  hier  und  hoffe,  dass  man  sie  verständ- 
licher finden  wird,  als  jene  von  dem  verdienten  Cailliaud  bei  der 
Besprechung  der  Sennär- Bewohner  gegebene,  welche  eine  so  harte 


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42« 


II.  BUCH,  7.  KAPITEL.  DIE  TEllA. 


Kritik  von  Seiten  Rob.  Hartmann’s*)  erfahren  und  allerdings  manches 
Unverständliche  hat. 

Man  unterscheidet  also  an  Hautfarbungen  in  einem  grossen  Theile 
der  östlichen  Sahara  und  im  Sudan: 

1.  Abjad  (d.  h.  vveiss),  Farbe  der  Europäer  und  mancher  Städte- 

bewohner der  Nordküste. 

2.  Ahmar  (d.  h.  roth),  vorvvaltende  Farbe  der  Araber  und  Berber. 

3.  Asfar  (d.  h.  gelb),  einer  hellen  Broncefarbe  entsprechend,  bei 

manchen  Araber-  und  Berber-Stämmen  vorwaltend. 

4.  Asmar  (d.  h.  braun),  dunkle  Kupferfarbe,  vielen  Wüstenbewoh- 

nern und  sudanischen  Arabern  gemischten  Blutes  eigen. 

5.  Achdar  (d.  h.  grün),  sehr  dunkle  Broncefarbe , bei  manchen 

Wüstenbewohnern,  vielen  Negern  und  manchen  sudanischen 

Arabern  unreiner  Abkunft  vorkommend. 

6.  Azreq  (d.  h.  grau),  vorwaltcnde  Farbe  der  Nigritier. 

7.  Assuad  (d.  h.  schwarz),  individuell  häufig,  als  Stammesfarbe 

selten  bei  den  Nigritiern. 

Zu  dieser  auf  den  ersten  Blick  zum  Theil  sonderbaren  Nomen- 
clatur  ist  zu  bemerken,  was  in  noch  höherem  Masse  von  der 
Cailliaud'schen  gilt  und  dieselbe  einigermassen  erklärt,  dass  die 
Farbenbezeichnungen  in  der  arabischen  Umgangssprache  und  in 
den  sudanischen  Idiomen  für  verschiedene  Gegenden  einen  ver- 
schiedenen Werth  haben.  So  unterliegen  besonders  die  Bezeich- 
nungen Achdar  und  Azreq  einer  mannichfachen  Bedeutung  im 
Arabischen.  Jenes  umfasst  vielfach  neben  dem  Grün  das  Blau,  und 
in  Tunis  bezeichnet  man  die  Farbe  der  Rappen,  die  nicht  grade 
tief  schwarz  sind , mit  diesem  Worte.  Azreq  bedeutet  eigentlich 
„blaue  Augen  habend",  also  blau;  doch  während  man  in  Tunis  in 
der  That  dieses  Eigenschaftswort  auf  den  wolkenlosen  Himmel  an- 
wendet,  wird  es  in  vielen  Gegenden  für  alle  Abstufungen  des  Grau 
bis  zum  Schwarz  gebraucht.  Die  Benutzung  dieser  Eintheilung  wird 
bei  den  nicht-arabischen  Südän-Bewohncrn,  welche  sich  der  arabischen 
Sprache  häufig  bedienen,  noch  dadurch  complicirt,  dass  in  den  ihnen 
eigcnthümlichen  Idiomen  eine  fast  noch  grössere  Verwirrung  in  den 
Farbenbezeichnungen  herrscht.  Die  meisten  nicht-arabischen  Stämme 
und  Völker  der  östlichen  Wüste  und  des  Sudan  haben  z.  B.  für  das 

*)  Die  Nigritier,  anthropologisch -ethnologische  Monographie  von  Dr.  Robert  llart- 
ntann.  Berlin  1876. 


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HAUTFÄRBUNC. 


429 


Grün  der  Vegetation  und  für  das  Blau  des  Himmels,  obgleich  ihre 
Augen  die  Verschiedenheit  beider  Farben  sehr  wohl  aufzufassen  ver- 
mögen, nur  eine  Bezeichnung,  und  die  meisten  Individuen  der  in 
Rede  stehenden  Gegenden  sind  beim  Anblick  von  Quitten-  oder 
Safran-Gelb  in  Verlegenheit,  ob  sie  dieselben  als  Grün  oder  als  Roth 
bezeichnen  sollen. 

Trotz  dieser  Schwierigkeiten  und  Unsicherheiten  sah  ich  doch 
selten  Jemand  in  Zweifel  darüber,  welcher  Kategorie  ein  Individuum 
zuzuweisen  sei,  und  allmählich  fand  ich  die  Einthcilung,  deren  Rubrik- 
grenzen natürlich  keine  festen  sein  können,  in  der  Ermanglung  einer 
allgemein  angenommenen  Farben-Tafel,  welche  einen  sicheren  Anhalt 
bietet  und  eine  directe  Vergleichung  ermöglicht,  recht  praktisch. 
Der  Beobachter  bemerkt  bei  wiederholten  Versuchen,  sich  dieser  Scala 
zu  bedienen,  bald,  dass  die  zwischen  Ahmar  und  Azreq  liegenden 
Farbenstufen  zwei  verschiedenen  Reihen  angehüren,  von  denen  die 
eine  nach  unserer  Auffassung  einen  mehr  röthlichen,  die  andere 
einen  mehr  gelblichen  Ton  hat.  Asfar  und  Asmar  können  unter 
Umständen  dieselbe  Intensität  haben,  doch  jenes  fällt  in  die  gelbliche, 
dieses  in  die  röthliche  Reihe.  Auch  Asmar  und  Achdar  können  die- 
selbe Dunkelheit  zeigen;  doch  das  Achdar  gehört  der  gelblichen 
Reihe  an.  Die  Farbe  Azreq  wird  eigentlich  als  das  Endglied  der 
röthlichen  Reihe  betrachtet. 

Bei  den  Tedä  finden  sich  die  beiden  ersten  Kategorien  dieser 
Scala  (Weiss  und  Roth)  durchaus  nicht,  und  die  letzte  (Schwarz)  ist  sehr 
selten.  Grau  kommt  ebenfalls  nur  in  der  Minderheit  vor,  doch  Grün 
und  Gelb  sind  häufig,  und  zwischen  beiden  bewegt  sich  in  lebhafter 
Intensitäts- Verschiedenheit  die  Ilautfarbung  der  Leute  Tu's,  welche 
demnach  in  die  gelbliche  Reihe  fallen  würde.  So  lange  europäische 
Reisende  die  Repräsentanten  der  Tedä  vorzugsweise  in  Kawar  beob- 
achteten, war  man  geneigt,  eine  Hautfarbe  als  vorwaltend  anzunehmen, 
welche  derjenigen  der  Bewohner  von  Bornü  an  Dunkelheit  gleichkam, 
wenif  sie  dieselbe  nicht  übertraf.  In  dem  letztem  Lande  nämlich 
hat  sich  in  der  herrschenden  Familie  des  Kanüri- Stammes,  die  selbst 
zu  einem  ansehnlichen  Stamme  hcrangewachsen  ist,  viel  Blut  der 
von  Norden  gekommenen  Einwanderer,  welche  einst  Reich  und 
Dynastie  gründeten,  erhalten,  und  die  Fremden  bcurthciltcn  nach 
der  Farbe  dieser  diejenige  der  Allgemeinheit.  In  Kawär  dagegen 
haben  Jahrhunderte  hindurch  Bornü-Colonien,  die  zum  grössten  Theile 


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430 


II.  BUCH,  7.  KAPITEL.  DIE  TEDÄ. 


aus  Sclaven -Elementen  gebildet  waren,  geblüht  und  sich  allmählich 
mit  den  Tedä  gemischt.  Die  Leichtigkeit  für  die  Kawär-Leute,  aus 
ihrer  auf  der  grossen  Bornu- Strasse  gelegenen  Oase  in  den  Sudan 
zu  gelangen,  oder  doch  Sclaven  und  Sclavinnen  von  den  passirenden 
Karawanen  einzutauschen,  hatte  dieser  Mischung  noch  besonderen 
Vorschub  geleistet,  und  jetzt  sind  dieselben  gewiss  nicht  mehr  geeignet, 
eine  richtige  Idee  von  der  den  echten  Tedä  zukommenden  oder  bei 
ihnen  vorwaltenden  Hautfarbe  zu  geben. 

Ich  muss  gestehen , dass  ich  früher,  ehe  ich  eine  ausgedehntere 
Bekanntschaft  mit  den  Nigritiern  gemacht  hatte,  ein  viel  höheres 
Gewicht  auf  diese  hellere  Hautfarbe  legte,  als  ich  ihr  jetzt  bei- 
messen kann.  Dieselbe  frappirtc  mich  damals,  wo  ich  aus  den 
Sudan  - Ländern  fast  nur  die  aus  den  südlichen  Heiden -Ländern 
stammenden  und  nach  Norden  ausgeführten  Sclaven  kannte,  ganz 
besonders.  Als  ich  aber  später  in  Bornu,  Känem  und  Wadäi  sah,  wie 
gross  der  Unterschied  in  der  Hautfarbe  bei  den  als  Neger  zusammen- 
gefassten Innerafrikanern  ist,  sowohl  zwischen  den  einzelnen  Stäm- 
men als  auch  zwischen  den  Individuen  desselben  Stammes,  als  ich 
sah,  wie  zahlreiche  und  allmähliche  Abstufungen  und  Artverschieden- 
heiten in  dieser  Hinsicht  Vorkommen,  und  constatirte,  dass  die  süd- 
lichen Tubu  im  Allgemeinen  dunkler  gefärbt  sind  als  die  nörd- 
lichen, verlor  für  mich  dieser  Unterschied  an  Werth  in  der  Argu- 
mentation. 

Aehnlich  verhält  es  sich  mit  der  Kopf-  und  Gesichtsbildung, 
obgleich  die  individuellen  Unterschiede  hierin  bei  den  Tedä  innerhalb 
engerer  Grenzen  bleiben,  und  ihr  Durchschnitt  sie  entschiedener  von 
den  meisten  Nigritiern  trennt,  als  die  hellere  Hautfarbe.  Ohne  über 
die  Schädelbildung  der  Tubu-Stamme  im  Verhältniss  zu  derjenigen 
der  Nigritier  urtheilen  zu  können,  da  nur  sorgfältige  Messungen 
in  dieser  Beziehung  wirklichen  Werth  beanspruchen  können,  und 
diese  zu  machen  mir  nicht  vergönnt  war,  so  ist  es  vorzüglich  der 
Grad  von  Prognathismus,  die  Stellung  der  Jochbeine,  die  Bildung 
von  Nase  und  Mund,  welche,  als  leichter  in  die  Augen  fallend,  vor- 
züglich in  Betracht  kommen.  Zwar  begegnet  man  auch  bei  den 
Tedä  Beispielen  vorspringender  Backenknochen,  wulstiger  Lippen, 
plattgedrückter  Nasen,  und  auf  der  andern  Seite  bleiben  zahllose 
Individuen  von  Negerstämmen  und  selbst  ganze  Stämme,  an  deren 
Negercharakter  Niemand  gczweifclt  hat,  sehr  fern  von  dem  Bilde, 


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OESICHTSBILDUNO. 


431 


das  man  in  Europa  noch  immer  zu  sehr  als  Negertypus  festhält;  doch 
im  Ganzen  und  Grossen  stehen  die  Tedä  unzweifelhaft  höher,  als  die 
südlich  von  der  grossen  Wüste  lebenden  Völkerschaften.  Man  darf 
hier  wieder  ebensowenig  ihre  in  Kawär  oder  Bomü  lebenden  Ver- 
treter zur  Gewinnung  eines  Urtheils  vorzugsweise  in  Betracht  ziehen, 
als  man  von  den  Nigritiern  nur  diejenigen  zur  Vergleichung  nehmen 
darf,  welche  als  Sclaven  nach  Norden  gelangten.  Auch  die  in  den 
Steppen  von  Känem  und  nördlich  von  Wadäi  lebenden  Glieder  der 
Tubu- Familie  darf  man  nicht  allein  bei  der  Schlussfolgerung  zum 
Grunde  legen,  sondern  muss  vor  Allem  die  in  ihrer  Eigenartigkeit  reiner 
erhaltenen  Tedä  betrachten.  Bei  diesen  waltet  in  der  Körperbildung 
eben  so  sehr  die  schlanke,  zierliche  Form  vor,  als  bei  den  ihnen 
nahewohnenden  Nigritiern  das  Massige,  Plumpe  die  Herrschaft  hat. 
Die  Nasen  sind  meist  grade,  wenn  auch  nicht  eben  lang;  doch  wenn 
ich  Stumpfnasen  genug  sah,  so  fehlten  auch  die  Nasen  mit  leicht 
aquiliner  Krümmung  nicht  ganz.  Der  Mund  ist  im  Durchschnitt 
massig,  sowohl  in  Grösse,  als  in  Lippenbildung,  das  ganze  Antlitz 
von  ovaler  Form;  kurz,  die  Züge  würden*  in  ihrer  vorwaltenden 
Regelmässigkeit  und  Zierlichkeit,  wenn  auch  begreiflicher  Weise  nicht 
Alle  hübsche  Leute  sind,  gefällig  und  einnehmend  genannt  werden 
können,  wenn  der  Ausdruck  etwas  Freundliches  und  Offenes  an  sich 
hätte,  und  nicht  ein  finsterer,  argwöhnischer,  falscher  Blick  den 
ersten  günstigen  Eindruck  sofort  wieder  verwischte.  Sowohl  in  der 
Hautfärbung,  als  in  der  Regelmässigkeit  der  Gesichtsbildung  dürften 
die  Tedä  sich  den  Tuärik  nähern,  wenn  auch  die  letzteren  in  beiden 
Beziehungen  den  Vorzug  haben  mögen. 

Dass  die  Frauen  derselben  Vortheile  eines  schlanken  Wuchses, 
zierlicher  Hände  und  Füssc,  ovaler  Gesichtsbildung  und  regelmässiger 
Züge  gemessen,  habe  ich  ebenfalls  früher  beschrieben,  und  dass 
diese  Eigenschaften  durch  die  jenen  eigenthümliche  stolze,  freie  und 
elegante  Haltung  in  jugendlichem  Alter  sehr  zur  Geltung  kommen, 
ist  begreiflich.  Im  frühen  jungfräulichen  Alter  sind  die  Tedä- 
Mädchen  reizende  Erscheinungen,  doch  bald  entfernt  die  Magerkeit, 
welche  sie  ebenfalls  mit  den  Männern  gemein  haben,  ihre  Formen 
allzusehr  von  plastischer  Rundung.  Mangel  an  Fettbildung  lässt 
frühzeitig  den,  kurze  Zeit  hindurch  schön  geformten  Busen  als  eine 
leere  Hautfalte  erscheinen,  die  aber,  da  jener  nie  voluminös  war, 
wenigstens  nicht  tief  hcrabhängt.  Diese  Magerkeit  im  Verein  mit 


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432 


II.  BUCH,  7.  KAPITF.I..  DIE  TEDA. 


einem  wohlgeformten  Hecken  giebt  ihnen  freilich  in  unseren  Augen 
auch  einen  Vorzug  vor  den  Frauen  vieler  Sudan -Stamme,  deren 
mächtiges,  fettreiches  Gesäss  bei  der  häufig  starken  Neigung  des 
Beckens  nach  unserem  Geschmacke  widerwärtig  vorspringt,  wenn 
dasselbe  auch  freilich  für  die  Inhaberinnen  selbst  ein  Gegenstand  des 
Stolzes  und  der  Koketterie  ist.  Doch  im  Uebrigen  ist  der  Fett- 
mangel der  Tibesti- Schönen  sicherlich  ein  Hauptgrund,  warum  ich 
sie  weniger  hübsch  fand,  als  die  Männer.  Bei  aller  Zierlichkeit  be- 
kommen dadurch  ihre  Gliedmassen  etwas  Dürres  und  Sehniges,  bei 
aller  Eleganz  ihre  Bewegungen  etwas  Eckiges  und  Männliches,  bei 
aller  Formenschönheit  der  einzelnen  Gesichtstheile  ihre  Züge  etwas 
Scharfes  und  Hartes,  wie  es  mit  unseren  Begriffen  von  weiblicher 
Schönheit  und  Anmuth  unvereinbar  ist.  Teda-Frauen  und  -Mädchen, 
die  in  einem  geeigneteren  Klima  durch  ein  zweckmässiges  Fett- 
polster ihren  zierlichen  Gliedern  die  wünschcnswerthc  Rundung,  ihren 
wohlgeformten  Zügen  eine  gewisse  Weichheit  hinzugefügt  hatten, 
wie  man  sie  in  Bornü  oder  Känem  findet,  haben  mir  später  viel 
besser  gefallen.  Ich  will  freilich  nicht  läugnen,  dass  ich  möglicher- 
weise bei  den  unglücklichen  Verhältnissen , unter  denen  ich  mich  in 
Tibesti  aufhielt,  bei  der  schlechten  Behandlung,  deren  ich  mich  so- 
gar von  Seiten  des  zarten  Geschlechts  zu  erfreuen  hatte,  gegen 
meinen  Willen  ungerecht  gegen  die  physischen  Vorzüge  desselben 
geworden  bin. 

Das  Haar  der  Teda  ist  etwas  weniger  kurz  und  verfilzt,  als  das 
der  meisten  Neger;  doch  es  ist  glanzlos  und  noch  weit  entfernt  von 
der  Länge  und  Schlichtheit  desjenigen,  welches  die  nach  Peschei 
sogenannten  mittelländischen  Völker  charakterisirt.  Auch  ihr  Bart- 
wuchs ist  noch  spärlich;  demselben  wird  übrigens,  soweit  die  Natur 
ihn  gespendet  hat,  ungehindertes  Wachsthum  gestattet. 

Bei  dem  gesunden  Klima,  der  abgeschlossenen  Lage  des  Landes, 
und  ihrer  massigen  Lebensweise,  unterliegen  die  Organismen  der 
Teda  nur  geringfügigen  Störungen;  es  giebt  wenig  Krankheiten  und 
Kranke.  Zunächst  verleihen  diejenigen  Eigenschaften  des  Landes, 
welche  den  Bewohnern  übrigens  so  harte  Entbehrungen  auferlegen, 
nämlich  die  felsige  oder  sandige  Beschaffenheit  des  Bodens  und  die 
Seltenheit  des  Regens  und  Bodenwassers,  eine  fast  vollständige  Ga- 
rantie gegen  das  Malariagift,  das  in  heissen  Ländern  sonst  das  haupt- 
sächlichste, ursächliche  Moment  der  Erkrankungen  darstellt.  Auch 


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GESUNDHEITLICHE  VERHÄLTNISSE. 


433 


die  Seltenheit  oder  relative  Abwesenheit  der  typhusähnlichen  Fieber, 
des  Guineawurms,  des  Bandwurms,  lepröser  Zustände,  der  acuten 
Leberkrankheiten , der  Dysenterie  dürften  diesen  günstigen  Verhält- 
nissen grösstentheils  ihren  Ursprung  verdanken.  In  heissen  Ländern 
gilt  die  für  Reisende  beherzigenswerthe  Thatsache,  dass  Sand-  oder 
Felsboden  und  hohe  Lage  auch  salubre  Lebensbedingungen  mit 
sich  bringen,  und  dass  geringe  Erhebung  über  den  Meeresspiegel 
und  Wasserreichthum  des  Bodens  viele  Krankheiten  erzeugen  und 
besonders  den  Fremden  verderblich  sind.  Wenn  auch  die  Wüste  im 
Allgemeinen  durch  ihre  Regenarmuth  den  höchsten  Anforderungen 
in  dieser  Richtung  entspricht,  so  haben  wir  doch  bei  Gelegenheit  der 
Besprechung  von  Murzuq  gesehen,  welchen  Grad  von  Insalubrität 
stehendes  Wasser  selbst  in  der  Wüste  zu  erzeugen  vermag. 

Meine  Erfahrungen  über  die  in  Tibesti  herrschenden  und  vor- 
kommenden Krankheiten  waren  in  Folge  der  ungünstigen  Umstände, 
welche  meinen  Aufenthalt  daselbst  zu  einem  relativ  unfruchtbaren 
machten,  sehr  spärlicher  Natur,  und  eigene  Beobachtungen  mussten 
meistens  durch  Erkundigungen  ersetzt  werden,  welche,  abgesehen 
von  dem  Umstande,  dass  sie  mir  ebenfalls  sehr  erschwert  wurden, 
überhaupt  immer  unzureichend  bleiben  müssen. 

Entsprechend  den  meteorischen  und  Bodenverhältnissen  scheinen 
chronische  Rheumatismen  der  Muskeln  und  Gelenke  die  häufigst  vor- 
kommende Kategorie  der  Erkrankungen  zu  bilden;  dann  folgen  die 
katarrhalischen  Entzündungen  der  Bindehaut  des  Auges  und  leichtere 
Hornhaut- Affectionen , ferner  Hautkrankheiten  und  endlich  Krank- 
heiten der  Respirationsorgane.  — Von  den  chronischen  Hautkrank- 
heiten beobachtete  ich  Schuppenausschläge  (Psoriasis  etc.)  und 
Bläschen-  und  Pustelausschläge  (Ekzem  etc.);  von  den  Affectionen 
der  Luftwege  chronische  Katarrhe,  Erweiterung  der  Lungenbläschen 
(Emphysem)  und  chronische  Verdichtungen,  unter  denen  auch  solche 
der  oberen  Lungenpartieen , welche  den  Verdacht  auf  Tuberkulose 
rechtfertigten,  nicht  ganz  fehlten.  Doch  waren  beide  Klassen,  so- 
wohl die  Krankheiten  der  Haut,  als  auch  die  der  Athmungsorgane, 
und  besonders  die  letzteren,  spärlich  vertreten. 

Die  gezwungen  massige  Lebensweise  und  die  Seltenheit  schäd- 
licher Nahrungs-  und  Genussmittel  machen  im  Ganzen  die  Krank- 
heiten der  Verdauungsorganc  selten.  Bei  herrlichem  Trinkwasser, 
Datteln,  Milch  und  wenig  Getreidenahrung  leiden  die  Verdauungs- 

Nachu^.il.  I.  28 


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434 


II.  BUCH,  7.  KAPITF.t..  DIE  TEDÄ. 


organe  nicht  leicht.  Sehr  häufig  consultirte  man  mich  zwar  wegen 
des  Mcrär  (d.  h.  Galle),  das  eine  Collectivbezeichnung  für  Verdauungs- 
Storungen  aller  möglichen  Art  darstellt,  doch  geschah  dies  mehr 
meinen  Brechmitteln  zu  Liebe,  als  in  Folge  eines  wirklichen  Bedürf- 
nisses, denn  ich  konnte  selten  auch  nur  einen  Magenkatarrh  con- 
statiren.  Nur  eine  schädliche  Folge  vorwaltender  Dattelnahrung, 
die  Zahncaries,  deren  Häufigkeit  in  Fezzän  schon  erwähnt  worden 
ist,  richtet  auch  in  Tibesti  unter  den  Backzähnen  selbst  junger 
Leute  arge  Verwüstungen  an.  Dazu  nimmt  der  Missbrauch  des 
Tabakkauens  den  erhaltenen  Schneidezähnen,  auch  der  Frauen,  jene 
blendende  Weisse,  welche  Denham  und  Clapperton  bei  den  Schönen 
Kawär's  im  Gegensätze  zu  ihrer  dunkeln  Hautfärbung  so  sehr  be- 
wunderten. 

Wichtiger  für  die  Teda  als  Volk  ist  die  relative  Abwesenheit 
der  Syphilis,  die  auf  so  viele  uncivilisirte  oder  halbcivilisirte  Nationen, 
welche  von  ihr  heimgesucht  werden,  einen  fast  vernichtenden  Einfluss 
übt.  Ich  sah  nicht  allein  keinen  Fall  dieser  Krankheit  iii  Tibesti. 
sondern  man  kannte  dieselbe  nach  meiner  Beschreibung  nicht  ein- 
mal, und  der  Muräbid  Bü  Zeid  und  Mohammed  el-Qatrüni,  welche 
vertraut  mit  ihrer  Bedeutung  und  ihren  Symptomen  waren,  versicherten 
mir,  dass  es  den  Fezzänern  wohl  bekannt  sei,  dass  Tu  sich  durchaus 
frei  von  ihr  gehalten  habe.  Die  Abgeschlossenheit  des  Landes,  die 
geringe  Zahl  der  Sclavinnen,  welche  die  Teda  besitzen,  ihre  natürliche 
Enthaltsamkeit,  die  Ehrbarkeit  der  Frauen,  die  langen  Reisen,  welche 
sie,  selbst  wenn  sie  im  Sudan  oder  Fezzän  inficirt  waren,  noch 
machen  müssen,  um  ihre  Heimath  wieder  zu  gewinnen:  Alles  dies 
mag  ihr  Land  bisher  in  seltenem  Grade  vor  diesem  Uebel  bewahrt 
haben. 

Auch  andere  Dyskrasicn  oder  im  Blute  verlaufende,  in  der  Ge- 
sammtconstitution  zum  Ausdruck  kommende  Krankheiten  scheinen 
sehr  selten  zu  sein;  von  Scrophulose  und  Rhachitismus  war  Nichts 
zu  entdecken. 

Vor  der  Einschleppung  von  Epidemieen,  wie  solche  in  den  Neger- 
ländern  oft  die  Bevölkerungen  decimiren,  schützt  sic  die  abgeschlossene 
Lage  ihres  Landes.  Die  Cholera-Epidemie,  welche  in  den  fünfziger 
Jahren  von  Tripolis  trotz  der  dazwischen  liegenden  wüsten  Strecken  nach 
Fezzän  gelangte  und  trotz  der  dünn  gesäeten  Bevölkerung  zahlreiche 
Opfer  forderte,  vermochte  den  Wüstengürtel,  welcher  ihren  letzten 


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KRANKHEITEN  UND  HEILMITTEL.  435 

Schauplatz  von  Tibesti  trennt,  nicht  zu  überschreiten.  Und  selbst 
die  Pockcn-Epidemieen,  welche  so  häufig  im  Sudan  wüthen,  und  von 
dort  durch  Sclavenkaravanen  nach  Norden  gebracht  werden,  scheinen 
selten  bis  nach  Tu  zu  gelangen  und  dort  bei  dem  Mangel  an  ge- 
schlossenen Ortschaften  jedenfalls  schnell  zu  erlöschen. 

Ohne  Zweifel  kommen  die  verschiedensten  entzündlichen  Krank- 
heiten, acute  Gelenkrheumatismen  und  daraus  resultirende  Herzkrank- 
heiten, Brustfell-  und  Lungenentzündungen,  Unterleibs-  und  Gehirn- 
entzündungen, Blasen-  und  Nierenkrankheiten  vor,  doch  sind  sie 
selten , und  grade  vor  den  verhängnisvollsten  chronischen  Krank- 
heiten, welche  das  Leben  des  Menschen  in  heissen  Ländern  bedrohter 
erscheinen  lassen,  als  in  den  übrigen  Zonen,  sind  die  Tedä  durch 
die  trockene  Wüstenluft,  den  sterilen  Charakter  ihrer  Landschaft,  die 
eigene  Noth  und  ihre  geringe  Zahl  geschützt. 

Die  therapeutischen  Eingriffe  sind  fast  noch  einfacher,  als  die 
nosologischen  Verhältnisse.  Wo  die  Leute  Schmerzen  haben,  sei  es 
äusserlieh  oder  innerlich,  appliciren  sie  das  Glüheisen,  oft  mit  bar- 
barischer Energie.  Selbst  Hautausschläge  beschränkter  Ausdehnung 
umkreisen  sic  zuerst  mit  dem  beliebten  Instrumente,  und  zerstören 
sie  dann  auf  dieselbe  Weise.  Flüssige  Butter  verwenden  sic  als  eine 
Art  Universal -Mittel  in  innerem  und  äusserem  Gebrauche,  soweit 
_ ihnen  dieselbe  bei  ihrer  Seltenheit  und  ihrem  hohen  Preise  zugäng- 
lich ist. 

Von  innerlichen  Mitteln  wenden  sie  mit  grosser  Vorliebe  kohlen- 
saures  Natron  an;  seltener  und  nur  in  ernstlichen,  hartnäckigen  Fällen 
die  Coloquinthe  und  die  Senna,  obgleich  sie  beide  im  Ueberflusse 
besitzen.  Die  Anwendung  des  Kohöl  bei  Augenentzündungen,  und 
der  Hinnä  in  äusserem  Gebrauche,  nach  dem  Muster  der  Araber, 
habe  ich  schon  erwähnt;  auch  der  Qarad  findet  wegen  seines  Gerbsäure- 
gehaltes bei  Diarrhöen  Verwendung.  Ueber  den  hohen  Ruf  der  heissen 
Quelle,  deren  sich  das  Land  erfreut,  gegen  eine  ganze  Reihe  chro- 
nischer Krankheiten,  habe  ich  meine  Ermittelungen  oben  schon  mit- 
getheilt.  Von  vielen  bei  ihnen  üblichen  Heilmitteln  habe  ich  ohne 
Zweifel  keine  Kenntniss  erhalten;  doch  ist  die  Vermuthung  gerecht- 
fertigt, dass  ihre  Therapeutik  im  Ganzen  der  in  Fezzän  üblichen 
nahe  steht. 

Am  meisten  ausgebildet  in  der  Heilmittellehre  der  Tedä  ist 
offenbar  die  Chirurgie,  wie  denn  auch  die  in  ihr  Gebiet  fallenden 

28* 


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436 


II.  BUCH,  7.  KAPITEL.  DIE  TEDA. 


Erkrankungen  relativ  häufig  in  Tibesti  sind,  zumal  die  in  Folge  der 
häufigen  Zänkereien  vorkommenden  Verletzungen.  Haut-  und  Muskel- 
wunden vereinigen  sie  durch  Knopfnaht,  oder  häufiger  durch  die  um- 
schlungene Naht,  bei  der  die  Karlsbader  Insektennadeln  durch  die 
langen,  spitzen  und  widerstandsfähigen  Stacheln  der  Sajäl- Akazie 
ersetzt  werden.  Bedeutendere  Blutungen  werden  durch  das  Glüheisen 
oder  siedende  Butter  gestillt.  — Bei  Schädelfracturen  untersuchen 
sie  die  Hirnhäute,  soweit  die  Wunde  es  erlaubt;  sind  dieselben  un- 
verletzt, so  reseciren  sie  die  aus  ihrer  Ebene  gewichenen  Knochen- 
partieen;  im  andern  Falle  stellen  sie  tödtliche  Prognose  und  enthalten 
sich  jeden  gewaltsamen  Eingriffs, 

Die  häufiger  vorkommenden  Verrenkungen  wissen  sie  einzurichten 
und  einen  leichten  und  wirksamen  Schienenverband  bei  Knochen- 
brüchen herzustellen;  allzu  spitze  und  aus  der  Lage  gewichene  Bruch- 
enden reseciren  sie  dabei. 

Schon  in  Tibesti  endlich  wird  eine  Operation  als  prophylaktisches 
Mittel  gegen  mancherlei  Krankheiten  geübt,  welche  ich  in  allen  von 
mir  besuchten  mohammedanischen  Negerländern  allgemein  gebräuch- 
lich fand,  die  Amputation  des  Zäpfchens  im  kindlichen  Alter. 

Die  Hauptbehandlung  jedoch,  welche  wenigstens  in  inneren 
Krankheiten  grösseren  Vertrauens  bei  den  Tedä  geniesst,  als  alle 
genannten  Medicamente  und  Eingriffe,  besteht  in  dem  Gebrauche 
heiliger  Sprüche,  welche  entweder  in  den  beschriebenen  Leder- 
täschchen als  Amulette  getragen  oder  auf  die  Haut  der  Kranken 
geschrieben  oder  endlich  auf  die  Holztafeln  der  Elementarschüler 
geschrieben,  mit  Wasser  abgewaschen  und  in  dem  letzteren  getrunken 
werden. 

Was  das  Geistesleben  der  Tedä  betrifft,  so  sind  sie  ein  aus- 
gezeichnet veranlagtes  Volk.  Innerhalb  des  bescheidenen  Gesichts- 
kreises, in  den  die  kümmerliche  Natur  ihres  Landes  und  ihrer  Verhält- 
nisse sie  bannt,  haben  sie  ihre  natürlichen  Anlagen  in  einem  hohen  Grade 
ausgebildet.  Freilich,  je  bescheidener  der  Wirkungskreis  des  Menschen 
ist,  desto  vollendeter  wird  dieser  in  demselben  wirken,  wenn  seine 
Existenz  von  ihm  abhängt,  und  wenn  gleichzeitig  kein  anderes  Ziel 
im  Bereiche  seiner  Kenntniss  oder  seines  Ehrgeizes  ist.  Die  Noth  ist 
den  Tedä  eine  energische  Erzieherin  und  Bildnerin  gewesen  und  hat 
nicht  blos  ihre  Sinnesorgane  geschärft  und  ihren  Charakter  gestählt, 
sondern  auch  ihr  Urtheil  gebildet  und  ihre  Erfindungsgabe  entwickelt. 


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GEISTIGE  EIGENSCHAFTEN. 


437 


Die  unwirthlichc  Heimath,  von  weiten  Strecken  der  ödesten  Wüste 
umgeben,  hat  ihren  topographischen  Sinn  zu  einer  für  uns  unbegreif- 
lichen Vollendung  entwickelt,  so  dass  sie  selbst  die  Wüstenaraber 
weit  hinter  sich  lassen.  Immer  unterwegs,  um  sich  Existenzmittel 
zu  sichern,  sei  es  in  legaler,  sei  es  in  gewaltthätigcr  Weise,  müssen 
sie  ihr  erstes  Augenmerk  darauf  richten,  die  immensen  räumlichen 
Schwierigkeiten  zu  besiegen,  welche  ihnen  von  allen  Seiten  entgegen- 
starren. Haben  sic  diese  überwunden,  so  folgt  die  Erfüllung  des  eigent- 
lichen Zweckes,  und  in  dieser  Richtung  sind  sie  die  überlegendsten, 
listigsten  und  geschicktesten  Kaufleute  und  Diebe  geworden,  welche  die 
dortige  Welt  kennt.  Sie  sind  auch  in  dieser  Richtung  den  Arabern  und 
nicht  minder  den  mir  bekannt  gewordenen  Negern  überlegen.  Sie 
können  in  Tibesti  natürlich  kaum  jemals  dazu  kommen,  grosse  Kauf- 
leute im  Sinne  derer  von  Tripolis  und  Murzuq  zu  werden;  ihre 
Heimath  und  ihre  beschränkten  Mittel  hindern  sie  daran.  Doch 
diejenigen,  welche  sich  in  Bornü  angesiedelt  haben,  überragen  bald 
an  Ausdehnung  der  Geschäfte  und  an  Gewinn  Eingeborene  und  Araber. 
In  der  Heimath  sind  sie  beständig  beschäftigt,  sich  unter  einander 
den  Rang  abzulaufen  und  darüber  nachzusinnen,  wie  sie  über  die 
Durchschnittsstufe  der  dortigen  Existenz,  welche  die  der  peinlichsten 
Sorge  und  Noth  ist,  hinaus  gelangen  können.  Ich  habe  bereits 
erzählt,  welchen  Grad  der  Argumentationsschärfe,  welchen  Aufwand 
von  Schlauheit  in  ihren  Angelegenheiten  persönlichen  Interesses, 
welche  Urtheilsfeinheit  in  den  Discussionen  ihrer  öffentlichen  An- 
gelegenheiten sie  entwickeln,  und  geschildert,  wie  die  Frauen  in  dieser 
Beziehung  den  Männern  kaum  nachstehen. 

Leider  haben  dieselben  Gründe,  welche  zur  Entwicklung  der 
Intelligenz  der  Tedä  beigetragen  haben,  auf  ihr  Gefühlsleben  den 
allertraurigsten  Einfluss  gehabt.  Die  Noth,  welche  sie  erfinderisch  in 
den  Mitteln  zur  Existenzgewinnung  macht,  lässt  sie  auch  gewissenlos 
in  der  Wahl  derselben  sein.  Dass  Leute,  welche  beständig  am  Noth- 
wendigsten  Mangel  leiden,  beständig  von  dem  Wunsche  verfolgt  w erden, 
einmal  das  Ueberflitssige  zu  gewinnen,  ist  wohl  natürlich.  Egoismus 
und  Gewinnsucht  werden  sie  mit  allen  uncivilisirten  Völkern,  deren 
Sitze  stiefmütterlich  von  der  Natur  behandelt  sind,  theilen,  doch 
bestehen  in  dieser  Hinsicht  bedeutende  Gradunterschiede.  Sie  lassen 
sich  in  der  That  keine  Gelegenheit  entgehen,  ihrem  Vortheil  zu 
dienen;  ihr  ganzes  Dichten  und  Trachten  ist  auf  ihn  gerichtet.  Diesem 


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438 


II.  BUCH,  7.  KAPITEL.  DIE  TEDÄ. 


Ziele  gegenüber  tritt  das  Gefühl  gänzlich  in  den  Hintergrund,  so 
dass  schliesslich  jeder  Appell  an  ihr  Herz,  selbst  wenn  es  sich  nicht 
gerade  um  das  Aufgeben  eines  Vortheils,  eines  Besitzes  handelt,  für 
sie  unverständlich  und  ohne  Widerhall  bleibt. 

Das  Wettringen  Aller  nach  dem  kümmerlichen  Besitz  macht 
den  Einzelnen  rücksichtslos,  argwöhnisch  und  betrügerisch.  Jeder 
sucht  den  Andern  zu  schädigen,  wenn  er  ihm  im  Wege  steht,  und 
Alle  stehen  sich  im  Wege  in  jener  Welt  der  Noth;  man  ist  nicht 
allein  bestrebt,  den  Nächsten  in  relativ  legitimer  Weise  zu  über- 
vortheilen,  sondern  sucht  sein  Mitringen  nach  dem  Preise  unmöglich 
zu  machen,  oder  ihn  irgendwie  des  letzteren  zu  berauben.  Zu  diesem 
Zwecke  lügt,  stiehlt  und  mordet  der  Tedetu,  wenn  es  sein  muss. 
Darum  sehen  wir  ihn  die  Gemeinschaft  der  Menschen  fliehen  und 
versteckt  in  den  Felsen  seine  einsame  Hütte  aufschlagen,  sehen  ihn 
auf  seinen  Wüstenpfaden  durch  die  Spuren  eines  Stammesgenossen 
mit  Besorgniss  erfüllt  werden  und  mit  Vorliebe  die  heimliche  Nacht 
zur  Ausführung  seiner  Pläne  benutzen. 

So  lebt  Jeder  für  sich,  und  jeder  Gedanke  an  die  Stammes- 
genossen, jedes  Gefühl  für  Volksleben,  jedes  Streben  für  Gemeinwohl 
liegt  ihm  fern.  Gemeinsame  Gefahr  von  aussen  her,  oder  gemeinsame 
Raubzüge  vereinigen  die  Leute,  niemals  gemeinschaftliche  Arbeit 
und  harmloses  Volksleben.  Letzteres  existirt  kaum;  der  Ernst  des 
Lebens  hat  alle  Harmlosigkeit  von  ihnen  genommen.  Wohl  haben 
sie  auch  bei  ihren  Festlichkeiten  und  bei  den  Zusammenkünften  der 
Jugend  die  Trommel,  das  Tambourin  und  die  Pfeife  Fezzan's,  doch 
die  fröhlichen  Gesichter  fehlen,  in  denen  bei  solchen  Gelegen- 
heiten ihre  Vettern  von  Kawär  und  noch  mehr  die  Fezzäner  und 
Bornü-Leutc  in  harmloser  Lust  strahlen.  Ihre  Volksversammlungen 
sind  vielmehr  Uebungsarenen  sophistischer  Argumentation  und 
schlauster  Rechtsverdrehung  und  endigen  wohl  gar  im  blutigen 
Streit. 

Sie  haben  einen  gewissen  Hang  zur  Eitelkeit,  zu  äusserer  Schau- 
stellung, den  frühere  Reisende  vielfach  hervorgehrtben  haben,  und  der 
mir  besonders  lebendig  entgegentrat  in  meinem  Begleiter  Kolokömi,  als 
er  in  Qatrim  mit  dem  von  mir  entliehenen  Tuchburnus  bei  40°  bis 
50°  C.  einherstolzirte;  doch  gewinnt  derselbe  nie  die  Oberhand  über 
ihren  praktischen  Sinn.  Meine  Bücher  und  Instrumente,  selbst  Uhren 
waren  sicher  vor  ihrer  Begehrlichkeit,  ebenso  wenig  strebten  sie 


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MORA]. ISCHE  EIGENSCHAFTEN.  439 

nach  meinen  Schiessgewehren,  sondern  stets  nach  Gegenständen, 
welche  unmittelbare  Verwerthung  zuliesscn.  Wenn  mir  der  Herr 
der  Jerike  eine  Doppelflinte  stahl,  so  geschah  das  mit  dem  bestimmten 
Zwecke,  seinen  Bruder,  welcher  bei  den  Auläd  Solimän  in  Känem 
gefangen  gehalten  wurde,  gegen  dieselbe  auszutauschen.  Die  rothen 
Tuchburnusse,  auf  deren  Besitz  sie  sehr  stolz  sind,  verhandelten  sie 
trotzdem  gegen  Kamecle  oder  Schafe,  und  Spiegel  und  Essenzen 
fanden  nicht  den  Zuspruch,  den  ich  von  ihrer  oft  betonten  Eitelkeit 
erwartete. 

Wenn  so  ein  im  Ganzen  sehr  unvortheilhaftes  Bild  vom  Charakter 
der  Tedä  zu  Stande  kommt,  so  muss  man  nicht  ausser  Acht  lassen, 
dass  ich  dieselben  nur  von  ihrer  hässlichsten  Seite  kennen  zu  lernen 
Gelegenheit  hatte,  und  dass  diese  persönlichen  Erfahrungen,  wenn 
ich  auch  bestrebt  war,  ein  möglichst  objectiver  Beobachter  zu  bleiben, 
doch  unwillkürlich  zu  einer  allzu  pessimistischen  Auffassung  Ver- 
anlassung gegeben  haben  werden.  Zur  Milderung  des  Urtheils  darf 
man  nicht  vergessen,  dass  ein  in  Folge  der  isolirten  Lage  und  der 
beschrankten  Lebensverhältnisse  engherziger  Patriotismus  mich  als 
Landesfeind  betrachtete,  dass  gleichwohl  auch  Beispiele  von  rein 
menschlichem  Wohlwollen  gegen  mich  vorkamen,  und  dass  endlich 
zu  ihrem  ungefügen  und  treulosen  Charakter  auch  Umstände  bei- 
tragen, an  denen  die  Nachbarstämme  die  Schuld  tragen.  Ks  muss 
uns  stets  die  Thatsache  gegenwärtig  bleiben,  dass  die  unglücklichen 
Einwohner  Tibesti's  seit  jeher,  sobald  sie  sich  aus  ihren  Bergen  her- 
vorwagten, um  ausserhalb  derselben  eine  Verbesserung  und  Be- 
reicherung ihres  mühevollen  und  entbehrungsreichen  Daseins  zu 
suchen,  den  Verfolgungen  ihrer  civilisirteren  und  mächtigeren  Nach- 
barn ausgesetzt  waren.  Friedlichen  Verkehr  unterhielten  sie  wenig 
mit  der  Aussenwelt,  und  so  wurden  sie  stets  von  den  umwohnenden 
Stämmen  als  Feinde  betrachtet.  Die  hüifsquelienarmen  Fürsten  und 
Gouverneurs  von  Fezzän  berührten  früher  häufig  die  westliche  Seite 
der  Berge  Tu's,  um  Kameele,  Frauen  und  Kinder  auf  den  dortigen 
Weideplätzen  zu  rauben,  die  Araber  der  grossen  Syrte  brandschatzen 
das  arme  Land  noch  immer  so  viel  als  möglich  auf  ihren  häufigen 
Plünderzügen  nach  Borkü  und  Känem,  und  die  kriegerischen  Tuärik 
verfolgen  die  Tedä  seit  Jahrhunderten,  wo  und  wie  sie  können.  Trieb 
sie  früher  Hunger  und  Noth  nach  Fezzän,  so  waren  sie  rücksichtslos 
den  Uebervortheilungen  und  Erpressungen  der  Autoritäten  und  der 


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II.  BUCH,  7.  KAPITEL.  DIE  TEDÄ. 


sie  verachtenden  Araber  Preis  gegeben.  Noch  jetzt,  wo  sich  allmählich 
durch  Blutvermischung  ein  rechtliches  Verhältniss  zu  den  Bewohnern 
des  Districtes  von  Qatrün  herausgebildet  hat,  scheuen  sic  es  sehr, 
sich  in  der  Hauptstadt  Murzuq  zu  zeigen.  Von  allen  Seiten  verfolgt, 
lernten  sie  natürlich  ihre  Nachbarn  in  gleicher  Weise  hassen  und 
jede  Gelegenheit  zur  Rache  benutzen,  und  wurden  treulos,  lügnerisch, 
diebisch  und  verrätherisch.  Damit  hängt  auch  ihre  bekannte  Hart- 
herzigkeit und  selbst  Grausamkeit  gegen  ihre  Sclaven  zusammen,  von 
der  schon  die  Rede  gewesen  ist. 

Der  beste  Beweis,  dass  die  Tedä  bei  friedlicheren  und  harm- 
loseren Beziehungen  zu  den  Nachbarn  und  inmitten  einer  gesetz- 
licheren Umgebung  ihren  Charakter  wesentlich  niodificircn  würden, 
liegt  in  der  Thatsache,  dass  diejenigen  von  ihnen,  welche  das  süd- 
liche Fezzän  bewohnen,  sich  nicht  allein  mit  Leichtigkeit  den  dortigen 
geregelten  Zuständen  fügen  und  sich  gewöhnen,  ehrlicher  und  wort- 
fester  zu  sein,  sondern  dass  sie  sich  nach  längerem  Aufenthalte 
daselbst  sogar  schwer  entschliessen,  in  ihre  Hcimath  zurückzukehren, 
und  endlich  nur  mit  Furcht  an  die  Gewaltthätigkeit  und  Treulosig- 
keit ihrer  Landsleute  denken. 

In  Tu  kann  sich  allerdings  kein  Sinn  für  öffentliche  Ordnung 
und  Gesetzlichkeit  entwickeln.  Je  mehr  Jeder  auf  eigene  Kraft  und 
Schlauheit  angewiesen  ist,  desto  mehr  entwickelt  sich  sein  Selbst- 
gefühl, desto  stolzer  hält  er  an  seiner  mühsam  eroberten  socialen 
Position  fest.  So  hat  sich  ein  hocharistokratischer  Sinn  entwickelt, 
der  ihrem  politischen  Verbände  nur  einen  lockeren  Zusammenhang 
gestattet  und  die  Macht  der  Häuptlinge  auf  das  bescheidenste  Mass 
beschränkt.  Tradition  und  Usus  halten  mühsam  die  einigenden  Bande 
aufrecht. 

Die  Tedä  theilen  sich  in  Edle  — Maina  — und  Volk;  an  der 
Spitze  des  Gemeinwesens  stehen  Fürsten  — Dardai  (pl.  Dardeä)  — , 
die  für  den  Norden  des  Landes  abwechselnd  aus  den  Häuptlings- 
familien derjenigen  vier  Zweige  des  Stammes  der  Tomäghera, 
welche  im  Lande  wohnen,  hervorgehen.  Eine  wie  geringe  Macht- 
entfaltung diese  Würde  mit  sich  bringt,  hatte  ich  hinlängliche  Ge- 
legenheit, an  dem  geringen  Einflüsse  zu  sehen,  dessen  ihr  der- 
zeitiger Inhaber  Tafcrtemi  genoss.  Zwar  haben  einzelne  Häupt- 
linge, wie  noch  der  Vorgänger  des  jetzigen,  Namens  Taherke,  sich 
grosser  Autorität  erfreut,  doch  war  diese  stets  mehr  in  den  persön- 


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SOCIALE  UND  POLITISCHE  ORDNUNG. 


Ml 


liehen  Eigenschaften  des  Staatsoberhauptes  als  in  seiner  officiellen 
Stellung  begründet.  Diese  ist  an  sich  weder  sehr  einflussreich  noch 
einträglich. 

Der  Dardai  präsidirt  der  Versammlung  der  Edlen,  welche  alle 
Fragen  von  öffentlichem  Interesse  ventilirt  und  entscheidet.  Er  wird 
bei  allen  Vorkommnissen  zu  Rathe  gezogen  und  hat  das  Recht,  für 
kriegerische  Unternehmungen  (Ghäzien)  den  mit  ausgedehnter  Gewalt 
bekleideten  Anführer  zu  ernennen.  Bei  der  Frage,  ob  dieser  oder 
jener  Kriegsz,ug  unternommen  werden  soll  oder  nicht,  ist  seine  Stimme 
zwar  von  grossem  Gewicht,  doch  nicht  entscheidend,  wie  denn  der- 
gleichen Expeditionen  auch  gegen  seinen  Willen  und  seine  Ansicht 
zu  Stande  kommen.  Noch  weniger  kann  er  irgend  eine  andere  das 
Gemeinwohl  betreffende  Frage  • selbständig  entscheiden.  Seine  Zu- 
stimmung sucht  man  zwar  zu  Allem,  handelt  jedoch  vorkommenden 
F'alls  auch  ohne  dieselbe  nach  freiem  Ermessen.  Er  kann  hingegen 
in  keinem  Falle  der  Zustimmung  der  Versammlung  der  Edlen  ent- 
behren. Selbst  die  Rechtspflege  ist  kein  seiner  Stellung  vorbehaltenes 
Attribut. 

Die  materiellen  Vortheile,  welche  dem  Dardai  aus  seiner  hervor- 
ragenden Stellung  erwachsen,  sind,  wie  gesagt,  sehr  unbedeutend. 
Bei  seinem  Regierungsantritt  empfangt  er  als  Nationalausstattung  ein 
Zelt,  einen  Teppich  und  einen  tunisischen  Tarbüsch  mit  dem  wichtig- 
sten Insigne  eines  Fürsten,  dem  Turban  — in  Tu  und  im  Sudan  mit 
auffallender  arabischer  Benennung  gewöhnlich  Qodmüla  genannt  — , 
doch  hat  er  weder  auf  eine  Civilliste  noch  auf  die  Verwaltung  von 
Staatskassen  — die  Einwohner  sind  so  glücklich,  keine  Steuern  zu 
z.ahlen  — und  Nationalgütern  zu  rechnen.  Erwirbt  er  sich  Nichts 
durch  eigene  Thätigkeit,  so  kann  er  trotz  seines  hohen  Amtes  in 
kläglicher  Armuth  verharren,  wie  wir  es  an  Tafertemi  gesehen  haben. 
In  welche  Abhängigkeit  das  Staatsoberhaupt  durch  eine  solche 
Armuth  geräth,  hatte  ich  hinlängliche  Gelegenheit  zu  meinem  Nach- 
theile zu  erfahren. 

Als  besondere  Emolumente  kommen  dem  Dardai  nach  alter 
Sitte  nur  beträchtliche  Antheile  an  den  Abgaben  der  das  Land 
passirenden  Karawanen  und  an  der  Kriegsbeute  zu.  Doch  die 
einzigen  Karawanen  der  dortigen  Gegend  — diejenigen,  welche 
zwischen  Fezzan  und  Wadäi  reisen  — haben  seit  lange  eine  Unter 


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II.  BUCH,  7.  KAPITEL.  DIE  TEDA. 


brcchung  erfahren*),  einzelne  reisende  Kaufleute,  mit  Ausnahme  etwa 
der  Qatrüner,  wagen  sich  nicht  durch  das  wasser-  und  futterarme 
Land  der  perfiden  Tedä,  und  nennenswerthe  Kriegsbeute  wird  selten 
heimgebracht. 

In  früheren  Zeiten  stand  an  der  Spitze  der  Tu-Leute  eine  grössere 
Anzahl  erblicher,  qodnuila-berechtigter  Häuptlinge,  von  denen  jeder 
einigermassen  zahlreiche  und  al.te  Stamm  den  seinigen  hatte.  Doch 
im  Norden  des  Landes  hatten  die  beiden  Stamme  der  Tomäghera 
und  Gunda  ein  derartiges  Uebergewicht,  dass  es  nur  zwei  gleich- 
berechtigte, aus  ihnen  hervorgehende  Häuptlinge  gab.  Dies  dauerte 
bis  gegen  die  Mitte  unseres  Jahrhunderts.  Neben  dein  Vorgänger 
Tafertömi’s,  dem  erwähnten  Darda'i  Taherke,  welcher  dem  ersteren 
der  beiden  Stämme  angehörte,  fungirte  noch  der  Chef  der  Gunda,  ’AIi 
Ben  Sidi.  Die  Gunda  nahmen  darauf  durch  Auswanderung  erheblich 
an  Zahl  ab  — wir  werden  den  Resten  ihrer  Hauptabtheilung  mit  ihrem 
Chef  Kussüo  Köremi,  welcher  der  berechtigte  Nachfolger  Ali  Ben 
Sidi’s  sein  würde,  im  Verlaufe  meiner  Reisen  begegnen  — , so  dass 
man  sich  in  Tu  dahin  einigte,  den  Tomäghera  allein  das  Anrecht 
auf  die  Qodmüla  (gleichsam  Krone)  zu  überlassen,  während  die  Gunda 
nur  dadurch  ausgezeichnet  blieben,  dass  der  jeweilige  Chef  ihrer  im 
Lande  gebliebenen  Abtheilung  bei  der  Beutevertheilung  und  den 
Durchgangszöllen  den  gleichen  Antheil  mit  dem  Darda'i  bezieht. 
Die  Theile  des  Landes,  in  denen  jetzt  der  Tomäghera -Häuptling 
Geltung  hat,  sind  die  nördlichen  Thäler,  EE.  Abo,  Kjauno,  Täo, 
Zuär,  Marmar  und  Jöö  auf  der  Westseite,  und  die  EE.  Bardai  und 
Aözo  im  Nordosten  des  Landes.  Die  südlichen  und  südöstlichen 
EE.  Ogüi,  Märo,  Arr,  Auf,  Foü,  Domar,  Jibi,  Gurö,  Uri  und  die 
Ortschaften  des  Emi  Kussi  unterliegen  dem  herrschenden  Einflüsse 
des  Häuptlings  der  zahlreichen  Anna  (Arinda,  Arna),  welcher  zur 
Zeit  meiner  Anwesenheit  im  Lande  Kodda  hiess. 

Das  gemeine  Volk  hat  keine  Rechte,  aber  auch  keine  Pflichten. 
Abgaben  sind  ihm  unbekannt;  doch  ist  trotzdem  sein  Loos  bei  der 
Armuth  des  Landes  kein  beneidenswerthes.  Wo  nicht,  wie  im  Eluss- 
thal  Bardai  und  einigen  andern,  Arbeit  und  Landbau  in  etwas  blüht, 


*)  Tripolitanische  Kaufleute  haben  diesen  Weg  seit  dem  Jahre  1873  wieder  an- 
genommen. 


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SOCIALE  UNO  POLITISCHE  ORDNUNG. 


443 


ist  dasselbe  fast  ganz  der  Gnade  der  Edlen  anheim  gegeben,  und 
diese  sind  ebenso  zahlreich  als  arm  und  habgierig.  Da  der  Geburts- 
adel allein  Berechtigung  verleiht,  so  werden  die  zahlreichen  Stamm- 
bruchtheile  der  Tedä,  welche  man  irf  Känem , Bornii  und  Ennedi 
trifft,  vorwaltend  den  Ueberschuss  des  rechtlosen,  gemeinen  Volkes 
darstellen,  welcher,  zu  zahlreich  für  die  Hülfsquellen  der  Heimath, 
sein  Brod  in  der  Kerne  suchte.  Nur  so  erklärt  es  sich,  dass  im 
westlichen  Theile  des  Landes,  wo  fast  kein  Landbau  gedeihen  kann, 
jeder  dritte  Mensch  ein  Maina  ist,  freilich  ein  Edelmann  in  Lumpen 
und  von  Hunger  verzehrt,  aber  deswegen  nicht  minder  stolz  auf  seine 
edle  Abkunft,  nicht  minder  hochmuthig  und  anspruchsvoll.  Um  so 
verständlicher  wird  dadurch  die  Ueberhebung,  mit  welcher  die  Halb- 
nomaden der  westlichen  Thäler  auf  die  Landarbeiter  Bardafs  herab- 
sehen. In  dieses  Thal  mit  seinen  Hülfsquellen  für  diejenigen,  welche 
arbeiten  wollten,  zog  sich  vorzugsweise  das  niedere  Volk,  und  es  ist 
jetzt  nicht  allein  die  Arbeit,  welche  die  Leute  von  Bardai  schändet 

mein  vornehmer  Beschützer  Arümi  schämte  sich  körperlicher 
Arbeit  keineswegs  — , sondern  ihre  unedle  Geburt. 

Diese  sociale  Schichtung  und  politische  Ordnung  schliesst  sich 
den  Zuständen  an,  die  wir  bei  verschiedenen  Gliedern  der  grossen 
Berberfamilie  finden,  und  sondert  die  Tedä  entschieden  von  den 
reinen  Negervölkern,  bei  denen  die  absolute  Herrschaft  der  Fürsten 
ohne  hemmendes  aristokratisches  Element  die  vorherrschende  Staats- 
form  ist. 

Aus  dem  Volke  scheidet  sich  ein  Element  ab,  dessen  traurige 
Ausnahme-Stellung  bei  vielen  Stämmen  Inner-Afrika  s gefunden  wird, 
und  das  bei  vielen  Völkern  eine  gesonderte  sociale  Stellung  einnimmt: 
das  der  Schmiede.  Wenn  der  Volksglaube  in  vielen  civilisirten 
Ländern  an  diese  Profession  noch  jetzt  sonderbare  und  geheimniss- 
volle  Eigenschaften  (die  sich  nicht  selten  auch  auf  die  Frau  über- 
tragen) knüpft,  nachdem  die  Civilisation  doch  derselben  längst  zu  voller 
bürgerlicher  Gleichberechtigung  verholten  hat,  so  unterscheidet  sich 
die  Stellung  des  Schmiedes  in  Tu  doch  durch  die  Eigentümlichkeit, 
dass  man  nicht  sowohl  ihm  die  Kcnntniss  von  Zaubertränken  und 
bösen  Künsten  zuschreibt  (obgleich  er  darin  ebenfalls  erfahren  ist), 
als  vielmehr  ihn  grenzenlos  verachtet.  Der  Schmied  — Haddäd  arab., 
und  Aze  (pl.  Azä)  ted.  — steht  gewissermassen  ausserhalb  der  bürger- 
lichen Gesellschaft.  Jemanden  einen  Schmied  heissen  ist  eine  Be- 


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II.  ULCH,  7.  KAPITEL.  DIE  TEDA. 


leidigung,  welche  nur  mit  Blut  abgewaschen  werden  kann.  Niemand 
giebt  seine  Tochter  einem  Schmied  zur  Frau;  Niemand  lässt  seinen 
Sohn  das  Handwerk  eines  solchen  erlernen;  Niemand  unterhält  freund- 
schaftliche Beziehungen  zu  diesem  Paria.  Das  Handwerk  vererbt 
sich  vom  Vater  auf  den  Sohn;  die  Verheirathungen  der  Kinder  der 
Schmiede  geschehen  nur  innerhalb  ihrer  Familien,  und  so  bleibt  die 
Kaste  für  sich,  rein  und  unvermischt.  Uebrigens  spricht  Manches 
dafür,  dass  diese  Verachtung  noch  mit  einem  andern  Gefühle  ge- 
mischt ist.  Es  wird  z.  B.  Niemand  sich  erlauben,  einen  Schmied  zu 
beleidigen,  so  tief  auch  die  Verachtung  ist,  welche  demselben  anklebt; 
gar  die  Waffen  gegen  ihn  aufzuheben,  gilt  für  eine  schwer  tilgbare 
Schande.  Die  Sitte,  in  dem  Schmied  ein  fremdartiges,  recht-  und 
schutzloses  Wesen  zu  sehen,  ist  sicherlich  vorislamitischen  Ursprungs, 
obgleich  die  mohammedanischen  Neger  zahlreiche  Legenden  haben, 
welche  beweisen  sollen,  dass  einst  ein  Schmied  durch  P'revel  am 
Glauben  und  Vcrrath  am  Propheten  seinen  ganzen  Stand  mit  ewiger 
Schande  bedeckt  habe;  denn  wir  finden  eine  ähnliche  sociale  Aus- 
nahmestellung der  Schmiede  sowohl  bei  heidnischen  Völkern  Afrika  s, 
als  überhaupt  in  wenig  civilisirten  Ländern,  und  zwar  auch  in  solchen, 
in  denen  der  Islam  nie  eine  Rolle  spielte,  verbreitet,  sei  es,  dass  man 
sie  als  weise  Männer  verehrt,  sei  es,  dass  man  sic  als  böse  Zauberer 
fürchtet. 

Dasjenige  äussere  Moment,  das  die  ursprüngliche  Natur  der 
Tedä  am  durchgreifendsten  hätte  umgestalten  können,  die  moham- 
medanische Religion,  scheint  erst  in  neuerer  Zeit  bei  ihnen  Eingang 
gefunden  zu  haben.  Das  ist  wenigstens  die  allgemeine  Annahme 
der  umwohnenden  Völkerschaften,  obgleich  keine  Thatsachen,  die 
für  eine  bestimmte  Epoche  der  Einführung  des  Islätn  sprechen  könnten, 
bekannt  sind.  Die  Tedä  selbst,  wie  sie  überhaupt  ohne  jeden  Blick 
in  die  Vergangenheit,  ohne  allen  bewussten  Zusammenhang  mit  den 
Jahrhunderten  ihrer  Vorväter  ausschliesslich  der  Gegenwart  leben, 
haben  keinerlei  Tradition  über  diese  Frage.  Man  irrt  sich  sehr  in 
der  Annahme,  dass  Mohammed’s  Lehre  keine  tiefen  Wurzeln  bei 
ihnen  geschlagen  habe,  und  dass  sie  deshalb  vielleicht  toleranter  und 
weniger  abgeschlossen  gegen  Fremde  sein  möchten.  Sie  haben  im 
Gegentheil  diejenige  fanatische  Hingabe  an  ihre  Religion,  welche 
die  ungelehrten  Massen  oft  kennzeichnet.  Ich  habe  die  Erfahrung 
gemacht,  und  gewiss  Viele  mit  mir,  dass,  je  gelehrter  ein  Moslim 


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DER  IST, AM  IN  TU. 


44ö 


ist,  d.  h.  je  besser  er  den  Qorän  und  die  Ueberliefcrungen  des  Pro- 
pheten kennt,  je  kenntnissreicher  er  in  der  islamitischen  Jurisprudenz, 
und  je  bewanderter  er  in  der  arabischen  Sprache  und  Literatur  ist, 
desto  leichter  der  Umgang  mit  ihm  wird.  Nicht,  dass  er  vorurteils- 
frei und  tolerant  würde;  aber  es  ist  leichter,  mit  seinem  Fanatismus 
zu  rechten  und  ein  neutrales  Gebiet  zu  finden. 

Wenn  die  Araber  mit  Bezug  auf  die  Tubu  wohl  sagen:  „was 
wissen  diese  Munde  vom  Glauben  an  Gott  und  seinen  Propheten!?  , 
so  thun  sie  dies  nur,  um  das  Unrecht,  mit  dem  sie  dieselben  ver- 
folgen, zu  beschönigen.  Wahrlich,  diese  Leute  wissen  ungefähr  grade 
so  viel  davon,  als  sie  selbst,  nur  mit  dem  Unterschiede  vielleicht,  dass 
dieselben  sich  ihrer  Unkenntniss  mehr  bewusst  sind  und  das,  was 
ihnen  ein  Geheimniss  blieb,  mit  um  so  grösserer  Innigkeit  verehren. 
Freilich  giebt  es  Viele  unter  ihnen,  deren  Kenntniss  der  vorge- 
schriebenen Gebete  mit  „Allah  akbar"  anfangt  und  auch  schon  endigt, 
doch  dafür  halten  sic  die  Stunden  des  Gebetes  pünktlich  ein  und 
denken  bei  dem  einfachen  Allah  akbar  grade  so  viel  oder  so  wenig, 
als  Manche,  die  in  feierlich  klingendem  Tonfall  nach  allen  Regeln  der 
Kunst  zu  beten  verstehen  und  sich  durch  diese  Kenntniss  über  Andere 
erhaben  glauben.  Sie  halten  den  Fastenmonat  — Rhamadän  — ein, 
geniessen  nur  das  Fleisch  von  Thieren,  welche  nach  den  Vorschriften 
der  Religion  geschlachtet  sind,  und  üben  die  Beschncidung  — dieser 
Act  pflegt  hinausgeschoben  zu  werden,  bis  die  Knaben  etwa  12  Jahre 
alt  sind  — ; was  können  die  übrigen  Bekenner  des  -Islam,  die  sich 
fast  überall  ausschliesslich  an  die  Erfüllung  der  Formen  halten,  mehr 
von  den  armen  Felsenbewohnern  verlangen?  Genug,  ich  habe  sie 
als  sehr  eifrige  Mohammedaner  kennen  gelernt  — viel  zu  eifrig  für 
meine  Wohlfahrt!  — , denen  die  Geheimnisse  ihrer  Religion  freilich 
verschlossen  waren,  die  aber  grade  deshalb  um  so  stolzer  waren,  ihr 
anzugehören.  Der  einzige  Verstoss,  den  sich  die  Tedä  gegen  die 
Vorschriften  der  Religion  mit  vollem  Bewusstsein  zu  Schulden  kom- 
men lassen,  ist  der  Genuss  des  berauschenden  Laqbi,  den  freilich 
selbst  fromme  und  gelehrte  Männer  höher  civilisirter  Länder  im 
ungegohrenen  Zustande  für  erlaubt  halten. 

Dass  der  religiöse  Eifer  der  Tedä  nicht  erkalte,  dafür  sorgt  die 
religiöse  Genossenschaft  der  Senüsija,  deren  ich  bei  der  Besprechung 
Fezzän's  ausführlich  gedacht  habe,  und  die  sich  das  Seelenheil  der 
Bewohner  der  östlichen  Wüste  vorzüglich  angelegen  sein  lassen,  um 


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446 


II.  BUCH,  7.  KAP1TEI-.  DIE  TEDÄ. 


hier  dem  sinkenden  Glauben  frische  Kräfte  zuzuführen.  Merkwürdiger 
Weise  haben  diese  fanatischen  Sektirer  kein  religiöses  Institut  — Zäwia 
in  Tibcsti  selbst  errichtet,  obgleich  Bardai  ein  sehr  geeignetes 
Centrum  zu  diesem  Zwecke  sein  würde,  und  obgleich  die  neubevölkerte 
Oase  Kufära  und  das  kleine  Wanjanga  mit  ihrer  viel  unbedeutenderen 
Bevölkerung  sich  einer  solchen  erfreuen.  Der  Sitz  des  nächsten 
Glaubenswächters  dieser  Genossenschaft  ist  die  kleine  Oase  Wau  am 
äussersten  östlichen  Ende  des  Fezzänischcn  Bezirkes  Scherqija,  und 
von  dort  aus  werden  die  Tedä  geistig  regiert.  Eine  solche  Schürung 
ihres  Glaubens  von  aussen  her  ist  vorläufig  noch  nothwendig,  da  aus 
ihrer  eigenen  Mitte  bis  jetzt  keine  gelehrten  und  frommen  Kirchen- 
lichter, keine  Säulen  und  Pfeiler  des  Islam  hervorgegangen  sind. 
Mühsam  erziehen  sie  in  Fezzan  einige  bescheidene  Gelehrte 
Fakih  pl.  Fuqähä  arab.  — , welche  in  jenen  Gegenden  vorwaltcnd 
Mo’allim  arab.  genannt  werden,  und  deren  Kenntnisse  grade  hin- 
reichen, um  die  heranwachsende  Jugend  ihrer  Umgebung  in  den 
nothwendigsten  Gebeten  und  deren  Recitirung  zu  unterweisen,  und 
dem  seltenen  Ereignisse  eines  Briefes  gewachsen  zu  sein,  der  doch 
gelesen  und  beantwortet  werden  muss.  Bis  zu  einem  der  theolo- 
gischen Jurisprudenz  kundigen  Fakih  oder  Mo’allim  aus  ihrem  eigenen 
Stamme,  der  als  Qädi  hätte  fungiren  können,  hatten  es  die  Tibesti- 
I. cute  zur  Zeit  meiner  Anwesenheit  noch  nicht  gebracht. 

Von  den  religiösen  Anschauungen  ihrer  Vorfahren,  die  noch 
keinen  Theil  an  den  Segnungen  des  Islam  hatten,  konnte  ich  Nichts 
in  Erfahrung  bringen,  sei  es,  dass  keine  Erinnerung  an  dieselben 
mehr  im  Lande  erhalten  war,  sei  es,  dass  sie  als  eifrige  Moham- 
medaner sich  der  heidnischen  Zeit  schämten,  grade  wie  dieses  Ge- 
fühl bei  den  mohammedanischen  Negern  im  Sudan  uns  die  inter- 
essantesten Aufschlüsse  über  die  früheren  Kulturperioden  der  dortigen 
Stämme  vorenthält.  Wahrscheinlich  sind  die  Feste,  die  zur  Erflehung 
von  befruchtendem  Regen  und  kriegerischem  Siege,  zur  Abwendung 
von  Krankheit  und  Gefahr  gefeiert  werden,  und  bei  denen  man  Ziegen 
opfert,  sowie  die  Sitte  der  Reisenden,  an  bestimmten  Plätzen  einige 
Naturprodukte  als  Opfergabe  — Sadiiqa  arab.  — niederzulegen. 
Ueberbieibsel  aus  heidnischer  Zeit. 

Den  Glauben  an  den  übernatürlichen  Einfluss  von  Qoransprüchen, 
die  von  besonders  kundiger  und  frommer  Hand  geschrieben  sind, 
und  die  Sitte,  dieselben  in  wahrer  Unmasse,  wie  ich  früher  beschrieben 


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TODTENBESTATTUNG.  --  EHE.  447 

habe,  in  kleinen,  sauber  gearbeiteten  Lederfutteralen,  an  Mütze  und 
Turban,  Oberarm  und  Hals  zu  tragen  selbst  Hals  oder  Heine  der 
Kameele  glaubt  man  durch  sie  gegen  Krankheit  oder  bösen  Blick  zu 
feien  - , haben  die  Tedä  mit  den  Negern  gemein,  wenigstens  über 
treffen  sie  die  Araber  und  Fezzäner  bedeutend  in  dieser  Beziehung. 

Zur  Beerdigung  ihrer  Todten  sollen  sic  die  Grube  tiefer  graben, 
als  bei  Arabern  und  Fezzancrn  Sitte  ist.  Wenn  sie  das  auf  den 
Leichnam  geworfene  Erdreich  von  Zeit  zu  Zeit  durch  Steine  solider 
machen,  so  habe  ich  zur  Erklärung  dieser  Thatsache  keinen  beson- 
deren Aberglauben  vom  Wiederauferstehen  der  Todten  und  der- 
gleichen, wie  Vogel  berichtete,  in  Erfahrung  bringen  können.  Sie 
begraben  übrigens  begreiflicherweise  nach  mohammedanischer  Sitte, 
doch  sollen  sie  im  Grunde  der  Gruft  keine  seitliche  Nische  zur  Auf- 
nahme des  Leichnams  anbringen,  wie  die  Fezzäner  thun. 

Von  der  Erlaubniss  der  Polygamie,  welche  ihnen  der  Islam  giebt, 
machen  sie  einen  sehr  massigen  Gebrauch.  Sie  haben  wohl  nie  zwei 
Frauen  an  demselben  Orte,  und  selbst  die  Verstossung  der  Frau  ist, 
scheint  es,  ein  selteneres  Ereigniss,  als  in  anderen  islamitischen  Län- 
dern. I löchstens  fugen  sie  zu  der  heimischen  Ehegefahrtin  noch 
eine  Reserve-Frau  in  Fezzan  oder  Kawär,  je  nachdem  sie  durch  ihre 
Verbindungen  mehr  hierhin  oder  mehr  dorthin  geführt  werden,  oder 
halten  in  sehr  seltenen  Fällen,  wenn  sie  aus  dem  Westen  des  Landes 
stammen,  noch  eine  Frau  für  die  Dattelsaison  von  Barda'i.  Die  kleine 
Anzahl  von  Frauen  im  Lande,  ihr  hartes  Leben  der  Anstrengung 
und  Entsagung,  das  der  Entwicklung  der  Sinnlichkeit  nicht  eben 
günstig  ist;  der  entschiedene  Charakter  der  Frau:  Alles  begünstigt 
in  Tibesti  die  Monogamie.  Ohne  diese  würde  die  Frau  nicht  die 
massgebende  Stellung  in  Haus  und  Familie  einnehmen  können,  deren 
sic  sich  thatsächlich  erfreut,  und  eine  Aenderung  dieses  Verhältnisses 
würde  sicherlich  sehr  zum  Nachtheile  der  oft  und  lange  abwesenden 
Gatten  ausschlagen. 

Den  Heirathen  gehen  äusserst  bindende  Verlöbnisse  voraus,  die 
kaum  jemals  gebrochen  werden , so  lang  auch  oft  der  Zeitraum  ist, 
der  die  Versprochenen  von  der  wirklichen  Knüpfung  des  Bandes  trennt. 
Dies  geht  so  weit,  dass,  wenn  der  Verlobte  stirbt,  gemeiniglich  sein 
Bruder  oder  nächster  Verwandter,  wenn  derselbe  unverheirathet  ist, 
an  seine  Stelle  tritt.  Es  ist  freilich  nicht  sowohl  die  Heilighaltung 
des  Versprechens,  welche  hierbei  in  erster  Linie  zwingend  wirkt, 


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II.  BUCH,  7.  KAPITEL.  DIE  TEDÄ. 


als  vielmehr  das  materielle  Interesse,  welches  überhaupt  die  Familien- 
verbindungen zumeist  knüpft.  Oft  dauern  die  Verlöbnisse  so  lange, 
um  dem  Bräutigam  die  Zeit  zu  geben,  sich  das  nöthige  Vermögen  zu 
erwerben.  Je  nach  seinen  eigenen  Verhältnissen  und  seiner  socialen 
Stellung  beansprucht  nämlich  der  Vater  der  Braut  von  dem  künftigen 
Schwiegersöhne  Kameele,  Esel,  Schafe,  Ziegen,  gewissermassen  als 
Kaufpreis,  von  dem  er  allerdings  bei  der  Hochzeit  einen  Theil  als 
Aussteuer  zurückgiebt. 

Am  Tage  der  Vcrheirathung,  welche  übrigens  fast  nach  arabischer 
Sitte  gefeiert  wird  (Herumführen  der  Braut  auf  einem  geschmückten 
Kameele,  in  Begleitung  von  Frauen  und  Mädchen,  welche  singen  und 
das  übliche  Zalrhüta  ertönen  lassen),  freilich  ohne  die  beliebte  Pulver- 
verschwcndung,  führt  der  Mann  seine  junge  Gattin  in  sein  Haus,  be- 
hält sie  sieben  Tage  und  liefert  sie  danach  den  Eltern  zurück,  indem 
er  selbst  seine  Kameele  auf  die  Weide  treibt  oder  auf  kaufmännische 
Reisen  nach  Borkü,  Kawär,  Fezzän  geht  und  nicht  selten  Jahre  lang 
ausbleibt.  Während  dieser  Zeit  bleibt  die  junge  Frau  im  elterlichen 
Hause;  kommt  jedoch  später  wieder  eine  längere  Abwesenheit  des 
Gatten  vor,  so  steht  sie  dem  gemeinschaftlichen  Hause  vor. 

Die  Ehen  sind  im  Allgemeinen  nicht  kinderreich,  w>as  theilweise 
wohl  in  den  klimatischen  und  allgemeinen  Lebensverhältnissen,  theils 
gewiss  in  der  häufigen  und  langen  Abwesenheit  der  Ehemänner  be- 
gründet ist.  Während  der  letzteren  befleissigen  sich  die  Frauen,  wie 
ich  schon  zu  rühmen  Gelegenheit  hatte,  eines  sie  von  den  Fezzäne- 
rinnen  und  Bornü-Frauen  sehr  unterscheidenden,  musterhaften  Lebens- 
wandels. Ueberhaupt  geniessen  sie,  besonders  in  Fezzän,  des  Rufes, 
weit  und  breit  die  besten  .Hausfrauen  zu  sein,  zeichnen  sich,  wie  er- 
wähnt, durch  ihre  selbständige,  energische  Leitung  des  Haushaltes, 
durch  Ordnungsliebe,  Sauberkeit  und  Geschäftstüchtigkeit  aus,  so 
dass  sie  um  dieser  Tugenden  willen  mit  Vorliebe  von  den  praktischen 
Qatrünern,  die  als  strebsame  Kaufleute  viel  auf  Reisen  sind,  zu  Ehe- 
frauen gewählt  werden. 

Nach  geheiligter  Landessitte,  welche  Kraft  des  Gesetzes  hat, 
fällt  der  Mörder  der  Blutrache  anheim  und  kann  in  keinem  Falle 
sofort  sein  Verbrechen  durch  Geldbusse  — Dia  — sühnen.  Er  wird 
nach  der  That  landesflüchtig  und  kehrt  nicht  u'ieder  zurück,  wenn 
nicht  endlich,  wie  dies  nach  langen  Jahren  des  Exils  oft  geschieht, 
die  Familie  des  Ermordeten  ihm  gegen  ein  hohes  Sühnegeld  wieder 


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ÖFFENTLICHE  UN1>  FAMILIEN  • BEZIEHUNGEN.  449 

den  Aufenthalt  in  der  Hcimath  gestattet.  Schwere  Beleidigungen 
in  Wort  und  That  führen  bei  der  Zornmüthigkeit  und  dem  Stolze 
der  Tedä  gewöhnlich  zu  blutigem  Kampf.  — Diebstähle,  Verläum- 
d ungen,  leichtere  Beleidigungen  werden  durch  grössere  und  geringere 
Geldbusse  gesühnt,  je  nach  der  Schwere  des  Falles  und  dem  Ver- 
mögen des  Schuldigen.  Ehebruch  und  Mädchenverführung,  die 
übrigens  sehr  selten  zu  sein  scheinen,  überliefern  den  Thäter  der 
Rache  des  beleidigten  Gatten  oder  Vaters. 

Wie  wir  gesehen  haben,  genügt  jeder  ältere,  angesehene  Edel- 
mann, die  streitigen  Fälle  zu  entscheiden,  und  ist  die  Einmischung 
des  Dardai  durchaus  nicht  nöthig.  — In  schwierigen  Fällen  und 
die  klarsten  und  einfachsten  werden  oft  zu  solchen  bei  der  Recht- 
haberei der  Tedä  — appellirt  man  an  mehrere  Schiedsrichter,  oder 
die  ganze  Versammlung  der  Edlen  nimmt  die  Angelegenheit  in  die 
Hand,  und  nach  endlosen  Discussionen  und  Verhandlungen  gelingt 
es  denn  auch  gewöhnlich,  den  Handel  beizulegen  Wenn  ihre  Weis- 
heit zu  Ende  ist,  so  wenden  sie  sich  an  den  Senüsi- Missionär  in 
Wau,  der  dann  als  Qädi  fungirt  und  dessen  Urtheil  als  endgültig 
angenommen  wird. 

Wie  ihre  Zornmüthigkeit  und  Zanksucht  und  die  allzu  häufigen 
blutigen  Folgen  derselben  die  Sitte  erzeugt  haben,  im  heimathlichen 
Dorfe  ohne  Waffen  herumzugehen,  so  darf  man  auch  das  ccremoniöse 
Benehmen,  welches  die  Tedä  bei  ihrer  Begegnung  ausserhalb  der 
Ortschaften,  in  einsamer  Wüste,  gegen  einander  an  den  Tag 
legen,  nicht  einer  wirklichen  Höflichkeit  zuschreiben.  Es  liegt  dem- 
selben vielmehr  gegenseitiges  Misstrauen,  das  Bewusstsein  eigener 
Treulosigkeit,  der  allgemeinen  Rechtlosigkeit  zum  Grunde.  Aus  arg- 
wöhnischer Vorsicht  halten  sie  sich  vollständig  bewaffnet  und  in 
rathsamer  Entfernung  von  einander  während  der  Begrüssung  und 
verlängern  die  Ceremonie  möglichst,  damit  Jeder  über  Motive  und 
Zwecke  des  Andern  klar  zu  werden  die  Zeit  habe.  Wie  wenig  da- 
bei eine  Verfeinerung  der  Sitten  im  Spiele  ist,  geht  daraus  hervor, 
dass  oft  Fragen  persönlichen  Interesses  die  endlosen  Höflichkeits- 
formeln unterbrechen  und  von  Zeit  zu  Zeit  einen  wüthenden  Streit 
erregen,  der  wenig  im  Einklänge  mit  der  ganzen  Ceremonie  steht. 

Abgesehen  von  dieser  lauernden  Zurückhaltung  haben  sie  das 
selbstbewusste  Benehmen  freier  Männer  gegen  einander,  welche,  auf 
eigene  Kraft  und  Klugheit  angewiesen,  im  beständigen  harten  Kampfe 

Nadiiigal.  I. 


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450 


II.  BÜCH,  7.  KAPITEt..  DIE  TEDÄ. 


mit  Natur  und  Menschen  liegen,  und  selbst  der  besitzlose  Client  oder 
Schützling  — Melo  ted.  — lässt  sich  durch  seine  abhängige  Stellung 
niemals  ein  so  unterwürfiges  Benehmen  seinem  Protector  gegenüber 
aufzwingen,  als  in  den  Südänländern  häufig  die  Regel  ist. 

Vielfach  eigenthiimlich  ist  die  Handhabung  der  Familienbezic- 
hungen  bei  den  Tedä,  die  manche  Analogie  in  den  Negeriändern 
hat.  Wie  bei  allen  patriarchalisch  geordneten  Völkern  finden  wir 
das  Ansehen  des  Alters,  den  Respect  der  Kinder  vor  dem  Vater 
und  des  jüngeren  Bruders  vor  dem  älteren,  in  hohem  Grade  bei 
ihnen  ausgebildet.  Wir  werden  sehen,  dass  sie  sich  hierin  wesentlich 
zu  unterscheiden  scheinen  von  ihren  östlichen  Wüstennachbarn,  den 
Baele  oder  Bidejät. 

Wenn  der  Tedetu  auch  nicht  in  dem  Grade  ein  Gegenstand 
schamhafter  Zurückhaltung  für  die  Frauen  seiner  Familie  wird,  wie 
der  Tärlki,  der  sich  nie  unverschleiert  vor  denselben  sehen  lässt,  so 
nimmt  er  doch  ihnen  gegenüber  ebenfalls  eine  eigentümliche  Stel- 
lung ein.  So  frei  und  selbständig  das  Benehmen  der  Frau  in  der 
Oeflfentlichkeit  sein  darf,  wenn  ihr  auch  nicht  so  weite  Grenzen  ge- 
steckt sind,  als  der  TärTki-Frau,  so  reservirt  und  verschämt  ist  das- 
selbe ihrem  Eheherrn  gegenüber.  Sie  wird  niemals  in  seiner  Gegen- 
wart oder  gar  mit  ihm  gemeinschaftlich  ihre  Nahrung  zu  sich  nehmen, 
nur  abgewendeten  Gesichtes  mit  ihm  sprechen  und  anderen  Leuten 
gegenüber  ungern  seinen  Namen  aussprechen.  Der  Name  des  ver- 
heirateten Mannes  geht  überhaupt  allmählich  verloren  und  wird  durch 
eine  Umschreibung  ersetzt;  denn  auch  die  Anverwandten  seiner  Frau 
scheinen  das  Gefühl  zu  haben,  zu  ihm  in  eine  höchst  delicate  und 
schwierige  Stellung  getreten  zu  sein.  Für  die  Schwiegereltern  und 
die  Geschwister  der  Frau  wird  er  ein  Individuum,  dessen  man  nur 
im  Notfälle  unter  seinem  eigentlichen  Namen  Erwähnung  thut, 
und  das  man  meidet,  so  weit  es  möglich  ist.  Sitzt  er  in  einer  Ge- 
sellschaft von  Männern,  und  sein  Schwiegervater  kommt  herbei,  so 
steht  er  eiligst  auf  und  entfernt  sich;  kommt  sein  Schwager  und  er- 
blickt ihn,  so  bleibt  er  zwar  sitzen,  doch  jener  geht  vorüber.  Anderer- 
seits setzt  er  sich  nicht  nieder  in  einer  Versammlung,  in  der  sich 
sein  Schwager  befindet,  sondern  zupft  sich  seinen  Litäm  über  das 
Gesicht  und  schreitet  vorüber.  Hat  er  Kinder  und  muss  man  seines 
Namens  Erwähnung  thun,  so  umschreibt  man  denselben  durch  „Vater 
des  und  des  Sohnes",  oder  „Vater  der  und  der  Tochter". 


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BEWAFFNUNG. 


451 


Ich  rufe  bei  dieser  Aenderung  des  Namens,  welche  den  ursprüng- 
lichen allmählich  vollständig  verdrängt,  die  Sitte  in  das  Gedächtniss 
des  Lesers  zurück,  welche  ich  bei  der  Besprechung  der  Vertauschung 
von  Arämi's  ursprünglichem  Namen  Uordömi  gegen  den  ersteren  er- 
wähnte, und  nach  welcher  Jeder,  der  einen  Mord  begangen  hat, 
einen  neuen  Namen  annimmt.  Ich  habe  diesen  Gebrauch  bei  den 
Negerstämmen  meiner  Bekanntschaft  nicht  gefunden. 

Was  die  Kleidung  und  Bewaffnung  der  Männer,  Tracht  und 
Schmuck  der  Frauen  Tu’s  betrifft,  so  bedürfen  die  hier  und  da  im 
Berichte  zerstreuten  Bemerkungen  über  dieselben  einer  übersicht- 
lichen Zusammenfassung.  Da  während  meines  gezwungenen  Aufent- 
haltes in  Bardai  Leute  aus  allen  Thälern  des  Landes  zusammen- 


Lan/cn-  und  Wurfapecr  - Spitzen  der  Teda. 


strömten,  so  hatte  ich  nicht  selten  Gelegenheit,  den  vollständigen 
Waffenschmuck  eines  Tedetu  zu  studiren. 

Die  Lanze  Edi  bui  (d.  h.  die  grosse  Lanze)  — ist  sieben  bis 
neun  Fuss  lang,  und  ihr  Eisen  variirt  in  der  Länge  von  anderthalb  bis 
zwei  F’uss,  von  denen  ungefähr  zwei  Drittel  auf  den  schneidenden  Theil 
kommen.  Die  Leute  sind  so  industriearm , dass  diese  Lanzen  mit 
wenigen  Ausnahmen  aus  dem  Auslande,  Borkü,  Wadai,  Bornü  oder 
Baghirmi,  kommen.  Man  erkennt  ihren  Ursprung  an  der  verschiedenen 
Form  und  Arbeit;  doch  tritt  dies  bei  dem  Wurfspeere  noch  deutlicher 
hervor.  Dieser  — Edi  tenei  (d.  h.  die  kleine,  dünne  Lanze  — hat 
eine  Gesammtlänge  von  etwa  sechs  Fuss,  von  denen  bis  zu  andert- 
halb Fuss  auf  den  metallenen  Theil  kommen.  Der  schneidende 

20* 


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452 


II.  BUCH,  7.  KAPITEL.  DIE  TEdA. 


Theil  des  letzteren,  welcher  einen  halben  bis  einen  Fuss  misst,  ist 
nicht  allein  verletzend,  sondern  auch  der  Stiel  des  Eisens  ist  meist 
mit  Zähnen  oder  Widerhaken  versehen,  und  zwar  sollen  viele  kurze 
Zähne  der  Bornü-Fabrikation  cigenthümlich  sein,  während  die  Landes- 
manufactur  gern  weniger  aber  längere  anzubringen  scheint,  und  die 
Baghirmi-  Schmiede  mit  Vorliebe  den  nicht  schneidenden  Theil  mit 
einem  in  zwei  Spitzen  endigenden,  schlangenförmigen  Eisen  um- 
winden sollen. 

Das  Wurfeisen  sodann  — Midschri  — , von  den  Arabern  der 
Nachbarländer  Schangermangor*)  genannt,  sind  von  mannichfachster 
Form,  ungefähr  drei  Spannen  lang  (von  denen  etwa  die  Hälfte  auf 
den  Stiel  kommt),  haben  Fortsätze  verschiedener  Form  und  Richtung, 
durchschnittlich  eine  Spanne  lang,  und  sind  im  unteren  Theile  des 


Körpers  doppelschncidig,  während  die  Fortsätze  gewöhnlich  Rucken 
und  Schneide  haben.  Sie  bestehen  aus  einem  Stück  Eisen  und  der 
Endtheil  des  Stieles  wird  zur  besseren  Handhabung  mit  Lederstreif- 
chen  oder  Bindfaden  umwickelt.  Die  Leute  von  Ennedi  wurden  mir 
als  besonders  geschickt  in  der  Verfertigung  dieser  Lieblingswaffe 
jener  Gegenden  gerühmt. 

Der  Handdolch  — Lo'i  — ferner,  welcher  die  Länge  unserer 
Hirschfänger  hat,  wird  durch  einen  dreifingerbreiten  Lederring  am 
linken  Handgelenk  befestigt,  so  zwar,  dass  bei  herabhängendem 
Arme  die  Spitze  nach  oben  sieht  und  der  Kreuzgriff  der  Innenfläche 
der  Hand  anliegt.  Seine  Form  ist  stets  dieselbe,  da  er  ausschlicss- 

*)  Der  Ursprung  dieses  Wortes  ist  mir  unbekannt;  jedenfalls  hat  dasselbe  Nichts 
mit  der  arabischen  Sprache  zu  thun.  Auch  beschränkt  sich  sein  tiebrauch  auf  die  l.eute 
des  südlichen  Tripolitanien ; bei  den  süddnischen  Arabern  heisst  das  Wurfeisen  Kurbädsch. 


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BEWAFFNUNG. 


453 


lieh  aus  den  heimathlichen  Werkstätten  Bardai's  hervorgeht ; höch- 
stens wechselt  seine  Länge  unbedeutend.  Im  Innern  seines  Scheiden- 
eingangs findet  sich  gewöhnlich  noch  ein  kleiner  Behälter  zu  einem 
Messerchen,  dessen  Stiel  die  Form  einer  Pincette  hat.  Dieses  Instru- 
ment, hauptsächlich  dazu  bestimmt,  in  den  Fuss  getretene  Dornen 
und  Stacheln  zu  entfernen,  ist  den  Tedä  trotz  ihrer  lederharten  Haut 
von  grosser  Wichtigkeit.  — Das  Schwert  Akäsu  , welches  breit, 
zweischneidig,  von  ansehnlicher  Länge,  grade  und  mit  Kreuzgriff  ver- 
sehen ist,  kommt  zu  ihnen  aus  dem  Lande  der  Tuärik,  stammt  aus 
Europa,  und  zwar  vorzugsweise  aus  Deutschland  (Solingen)  und  ist 
keineswegs  im  Besitze  Aller.  - Als  Schutzwaffe  endlich  dient  der 
Schild,  der  fast  elliptisch  (mit  oberem  breiten  Ende)  ist  und  von  der 
Erde  etwa  bis  zur  Höhe  der  Augen  reicht.  Er  ist,  wie  früher  erwähnt 
worden  ist,  aus  dem  Felle  der  Leucoryx-Antilope  gemacht  und  setzt 
nicht  einmal  den  Wurfspeeren  einen  sicheren  Widerstand  entgegen. 
Man  sucht  diese  daher  schräg  mit  ihm  aufzufangen  und  so  abgleiten 
zu  lassen. 

Dass  sich  die  Tedä  ihrer  Waffen  gut  zu  bedienen  w issen,  haben 
alle  Reisende,  welche  sic  zu  beobachten  Gelegenheit  hatten,  berichtet. 
In  der  That  schleudern  sie  ihre  Wurfspeere  mit  grosser  Kraft  und 
Sicherheit  auf  eine  Entfernung  von  etwa  fünfzig  Meter.  Sie  erheben 
die  Hand  mit  dem  Speere  ein  wenig  über  die  Schulterhöhe  und  geben 
demselben,  bevor  sie  ihn  schleudern,  eine  stark  vibrirende  und  zugleich 
rotirende  Bewegung,  welche  durch  das  harte,  schwere  und  elastische 
Holz  der  Sajäl- Akazie,  aus  dem  der  Schaft  meistens  besteht,  wesent 
lieh  erleichtert  wird.  Das  Wurfeisen  wird  horizontal  geschleudert 
und  muss,  wenn  geschickt  geworfen,  schwere  Verwundungen  der 
unteren  Extremitäten  hervorbringen  können.  Die  Leute  halten  ausser- 
ordentlich auf  den  Glanz  und  die  Schneidefähigkeit  ihrer  Waffen,  und 
meine  Tedä-Begleiter  beeiferten  sich,  möglichst  häufig  das  weichere 
Eisen  ihrer  Hieb-  und  Stichwaffen  an  unseren  härteren  Stahlklingen 
zu  schärfen  und  meinen  Vorrath  an  Butter,  so  lange  ich  deren  be- 
sass,  zum  Nachtheil  meines  Magens  und  zum  Vortheil  ihrer  Waffen 
zu  verringern.  Im  Uebrigen  verachten  sie  unsere  Messer  ihrer  Klein- 
heit wegen  und  bedienen  sich  in  der  That  ihrer  1 5 — 25  Zoll  langen, 
breitklingigen  Dolche  mit  grosser  Geschicklichkeit  zu  den  minu- 
tiösesten Schnitten. 

An  den  Gebrauch  der  Waffen  w’erden  die  Leute  von  frühester 


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II.  HUCH,  7.  KAPITEL.  DIE  IE6A. 


454 

Kindheit  an  gewöhnt.  Schon  zarten  Knaben  giebt  man  eine  Lanze 
mittlerer  Länge,  gleichzeitig  Lanze  und  Wurfspeer,  aus  scharf  zuge- 
spitztem Holze,  mit  der  sie  sich  üben  und  die  sie  nicht  aus  der  Hand 
lassen.  Anstatt  des  Wurfeisens  giebt  man  ihnen  in  diesem  Alter  ein 
plattgeschnittenes,  in  der  Fläche  gekrümmtes  und  an  einem  Rande 
geschärftes  Holz,  das  durch  seine  Form  an  den  Schangermangor  er- 
innert. Wenn  diese  Waffe  kaum  ernstlich  zu  verletzen  vermag,  so 
ist  dagegen  das  scharf  gespitzte  Fnde  der  kleinen  Akazienholz  Lanze 
eher  dazu  im  Stande.  Im  vorgerückteren  Knabenalter  vertraut  man 
ihnen  einen  wirklichen  Wurfspeer,  doch  kleinen  Massstabes,  an  und 
fügt  später  das  Wurfeisen  und  die  Lanze  hinzu,  bis  sie  mit  dem 
Eintritt  in  das  Jünglingsalter  in  den  Besitz  des  vollen  Waffenapparates 
treten.  Die  Männer  sind  in  Folge  dessen  so  sehr  daran  gewöhnt, 
wenigstens  Speer  und  Wurfeisen  in  der  Hand  zu  haben,  dass  sie  in 
ihren  heimathlichcn  Dörfern,  wo  sie  nicht  bewaffnet  herumgehen 
dürfen,  zur  Gewohnheit  ihrer  Knabenjahre,  dem  hölzernen  Speer  und 
dein  platten,  krummen  Holze,  zurückkehren.  Dass  die  Sitte  ihnen 
verbietet,  innerhalb  ihrer  Wohnorte  mit  metallenen  Waffen  zu  er- 
scheinen, hat  besonders  für  Bardaf  und  die  übrigen  ständigen  Ort- 
schaften die  triftigsten  Gründe.  Ueberall  rechtfertigt  der  Hang  der 
Einwohner  zu  Streit  und  Zank  diese  Sitte;  doch  in  Bardaf  und  anderen 
Ortschaften  des  östlichen  Tibesti  kommt  zu  ihrem  streitsüchtigen  Cha- 
rakter noch  die  Leidenschaft  für  den  Laqbi,  welche  die  Gelegenheiten 
zum  Streite  vervielfältigt  und  die  Neigung  zu  blutiger  Ausgleichung 
vermehrt. 

Trotzdem  hören  ernste  Streitigkeiten  und  blutige  Zänkereien  in 
Bardaf  nicht  auf.  Keine  Woche  verging  während  meiner  Anwesen- 
heit daselbst,  ohne  dass  nicht  ein  Todtschlag  oder  leichte  und 
schwere  Verwundungen  in  Folge  der  allgemeinen  Streitsucht  statt- 
hatten. Schon  in  Zuär  und  Täo  war  es  mir  aufgefallen,  dass  mit 
Ausnahme  einiger  Weniger  die  männlichen  Tedä  sämmtlich  durch 
mehr  oder  weniger  in  die  Augen  fallende  F'olgen  von  Waffengewalt 
gekennzeichnet  waren.  Ich  spreche  nicht  nur  von  den  Narben  der 
Kopfschwarte  und  denjenigen,  die  sich  auf  Haut  und  Muskeln  anderer 
Körpcrtheile  beschränken,  denn  ich  sah  Niemanden,  der  ihrer  nicht 
reichlich  gehabt  hätte,  sondern  von  wirklichen  Verstümmelungen, 
unter  denen  Verluste  einzelner  Finger  und  Zehen  und  Gelenksteifig- 
keiten  im  Fussgelenkc,  in  der  Hüfte,  in  Schulter,  Ellbogen  und 


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STREITSUCHT  DER  MÄNNER  UND  FRAUEN. 


455 


Handgelenk  am  häufigsten  vorzukommen  schienen.  Dieselben  waren 
nur  in  der  Minderzahl  Errungenschaften  von  dem  zweifelhaft  ehren- 
vollen Felde  der  Ghazien  und  Beutezüge,  sondern  meistens  traurige 
Folgen  ihrer  heimischen  Zanksucht  und  Zornmüthigkeit.  Diese  letz- 
teren scheinen  übrigens  nicht  nur  ein  Privilegium  der  Männer  zu  sein, 
sondern  auch  den  Verkehr  der  Tedä -Frauen  unter  einander  zu  er- 
schweren. Dieselben  tragen  vielfach  einen  etwa  handlangen  Dolch  auf 
der  Hüfte  unter  der  Kleidung,  doch  wenn  Richardson  diese  Sitte  ihren 
häufigen  Liebesintriguen  und  den  damit  verbundenen  Gefahren  zu- 
schreiben zu  müssen  glaubte,  so  kann  ich  diese  Erklärung  nach  dem, 
was  ich  über  die  im  Vergleiche  mit  den  Nachbarländern  musterhafte 
Ehrbarkeit  der  Tibesti- Frauen  vorausgeschickt  habe,  nicht  als  zu- 
treffend annehmen.  Der  genannte  und  andere  Reisende  haben  ihre 
Beobachtungen  über  die  Tedä  ausschliesslich  in  Fezzän  und  Kawär 
angestellt,  und  auf  der  grossen  Verkehrsstrasse  nach  Bornü  mit 
ihrem  Strome  von  Arabern  und  Negern  herrscht  freilich  nicht  die 
strenge,  in  Tu  übliche  Sitte.  Hier  ist  es  vielmehr  der  fast  männliche 
Sinn  und  die  nationalen  Charakterfehler,  welche  die  Frauen  dazu 
bringen,  ihre  Streitigkeiten  nicht  selten  durch  Faustkampf,  oder  mit 
Knitteln,  oder  im  Nothfalle  mit  der  scharfen  Waffe  zu  entscheiden. 
Zu  Bardai  sah  ich  dieselben  selten  anders  ausgehen,  als  mit  einem 
ansehnlichen  Knittel  bewaffnet,  der  an  einem  ledergefiochtenen 
Riemen,  welcher  vorn  mit  der  Hand  gehalten  wurde,  über  der 
Schulter  nach  hinten  hing.  Die  Bedeutung  dieser  Gegenstände  inter- 
essirte  mich  lebhaft,  bis  ich  eines  Tages  Zeuge  ihrer  Benutzung 
wurde.  Zwei  zornige  Weiber,  denen  der  Wortstreit  nicht  genügte, 
trennten  plötzlich  im  Laufe  desselben  den  Riemen  vom  Knittel, 
schürzten  mit  demselben  als  Gürtel  ihr  Gewand  hoch  und  eng  auf, 
und  bedienten  sich  nun,  unbehindert  im  Gebrauche  ihrer  Gliedmassen, 
der  Fäuste  und  Knittel  mit  der  Leidenschaft  der  Frauen  und  der 
Kraft  der  Männer.  Bevor  es  übrigens  in  diesem  Falle  zur  Anwen- 
dung der  ultima  ratio  des  Hüftendolches  kam,  trennte  man  die 
Kämpfenden. 

Zu  der  Beschreibung  der  bei  den  Tedä  üblichen  Kleidung,  welche 
bei  der  Besprechung  der  Fezzäner  Tubu-Colonic  gemacht  wurde,  ist 
wenig  hinzuzufügen.  Die  Männer  gehen  häufiger  barhäuptig  und  er- 
freuen sich  nicht  so  oft  eines  Beinkleids,  als  ihre  Brüder  in  Fezzän; 
das  ist  fast  der  einzige  Unterschied.  Wenn  sie  sich  im  Allgemeinen 


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II.  BUCH,  7.  KAPITEL.  DIE  TEDA. 


4Ö6 

in  Kleidung  und  Bewaffnung  den  Südän-Bewohnern  anschliessen,'  so 
nähert  sie  ihre  Neigung,  den  Kopf  bedeckt  und  das  Gesicht  ver- 
schleiert zu  tragen,  ihren  Wüstennachbarn,  den  Tuärik.  Besonders 
die  letztere  Sitte  ist  nicht  ohne  ethnologische  Bedeutung,  da  sie  die 
Teda  unter  die  sogenannten  Mulattemün  (die  Gesichtsverschleierten, 
Litäm-Trager)  einreiht,  als  welche  Ibn  Chaldun  sieben  Berberstänime 
der  Wüste  aufführt. 

Auch  die  Frauen  Tu's  können  sich  begreiflicherweise  nicht 
immer  das  blaue  baumwollene  Hemd  der  Fezzänerinnen,  das  bis 
zum  Knie  reicht,  oder  das  Füta  genannte  Umschlagtuch  verschaffen, 
und  nehmen  also  häufig  ihre  Zuflucht  zu  Ziegen-  und  Schaffellen. 
Uebrigens  tragen  sie  dieselben  schmalen  Fussspangen  aus  Kupfer, 
seltener  aus  Silber,  welche  sich  so  wesentlich  von  denen  der 
Araberinnen  unterscheiden,  dieselben  zahlreichen  Armbänder  aus 
Horn  und  seltener  aus  Elfenbein,  dieselben  Halsschnüre  aus  Achat- 
stückchen, Glasperlen,  Kauri -Muscheln  oder  kleinen  rundgeschnittc- 
nen  Plättchen  aus  Strausseneischale,  dieselben  dünnen  P'lechtchen 
der  Haartracht  mit  den  starken  Mittelflechten  — Snunger  - und 
dem  Schmucke  aus  Silberringen  oder  Korallen,  dieselben  Zicrrathe 
in  Nasenflügel  und  Ohren,  wie  es  bei  den  Teda -Frauen  in  Fezzän 
beschrieben  wurde.  Es  versteht  sich  von  selbst,  dass  sie,  wie  die 
Sudanerinnen,  denen  sie  in  der  Kleidung  am  nächsten  stehen,  ihr 
Haar  einfetten  und  mit  wohlriechenden  Pulvern  aus  Zimmet  — Qirfa 
arab.  — , Nelken  — Qäromful  arab.  — , Benzoe  — Dschäwi  arab.  — , 
Mahäleb  (Prunus  Mahaleb)  — etc.  bestreuen,  und  mit  Vorliebe  auch 
zu  den  übrigen  Toilettemitteln  der  Araberinnen,  dem  Köhöl,  der 
Hinnä  und  dem  Zeit  es-Schiäh  (Essenz  von  Artemisia  herba-alba)  ihre 
Zuflucht  nehmen. 

Schnittnarben  haben  die  Frauen  nicht  im  Gesicht,  während  bei 
den  Männern  im  Gegentheil  zu  dem,  was  andere  Reisende  berichtet 
haben,  ohne  Ausnahme  drei  oder  vier  derselben  von  ein  bis  zwei 
Zoll  Länge  jederseits  von  der  Schläfe  auf  die  Jochbogen  herabsteigen. 

Die  Industrie  der  Teda  beschränkt  sich  neben  der  Aufrichtung  der 
Wöhnungen,  welche  in  ihren  verschiedenen  Arten  mehrfach  von  mir 
beschrieben  und  ihrer  Sauberkeit  wegen  lobend  erwähnt  worden  sind, 
auf  die  Verfertigung  ihrer  nothwendigsten  Haus-  und  Reise-Utensilien, 
welche  sie  mit  praktischem  Geschick,  doch  ohne  besonderen  Kunst- 
sinn herstcllen.  Sic  wissen  ihre  Ziegenhäute,  die  sie  vermittelst  der 


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TRACHT.  — BESCHÄFTIGUNGEN.  457 

Früchte  des  Qarad  — Gobor  oder  Goor  ted.  gerben,  zu  Wasser- 
schläuchen und  zur  Kleidung  zu  verarbeiten  und  bereiten  aus  Knochen 
und  Dattelkernen  Theer,  mit  dem  sie  die  Wasserschläuche  wider- 
standsfähig machen  und  die  Hautkrankheiten  der  Kameelc  behandeln. 
Sie  flechten  Matten  aus  Dümpalmengestrüpp  — und  zwar  ist  das  eine 
Arbeit  der  Frauen  — und  drehen  ihre  Stricke  aus  den  Fasern  der 
Dümpalmenblätter  oder  aus  dem  auch  in  der  Trockenheit  wider- 
standsfähigen Lif  (Fasergewebe,  das  die  Blattursprünge  der  Dattel- 
palme umgiebt).  Ausserdem  verfertigen  sie  ihre  Schilde,  Lanzcn- 
und  Speerschäfte  und  ihre  metallenen  Waffen,  soweit  ihr  Eisen  reicht, 
das  nur  in  unzureichender  Menge  im  Lande  gewonnen  wird. 


Kamcclsattel  der  Tedä. 


Anstatt  der  in  ganz  Tripolitanien  üblichen  Häwia  wird  in  Tibesti 
ein  anderer  Kameelsattel,  der  den  arabischen  Namen  Basür  fuhrt,  be- 
nutzt. Derselbe  wird  durch  zwei  Gabeln  aus  Akazienholz  hergcstellt, 
die  klammerförmig  vor  und  hinter  dem  Höcker  des  Thieres  zu  liegen 
kommen  und  deren  Schenkel  unter  einander  auf  beiden  Seiten  durch 
kreuzweise  daran  befestigte  Stäbe  verbunden  werden.  Das  gante 
Gestell,  dessen  einzelne  Theile  durch  Ledcrstreifchen  anstatt  der 
weniger  haltbaren  Stricke  an  einander  befestigt  sind,  ruht  auf  dickem 
Polster  von  Strohgeflecht  oder  Palmenbast,  wie  die  beigefügte  Zeich- 
nung, auf  der  die  letzteren  nur  einseitig  angebracht  sind,  klar  zu 
machen  sucht. 

Zu  den  Beschäftigungen,  welche  für  die  Tedd  im  Osten  des  Landes 


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458 


II.  BUCH,  7.  KAPITEL*  DIE  TEDA. 


aus  der  Zucht  der  Dattelbaumc  und  aus  der  nöthigsten  Getreide-  und 
Gemüse-Cultur,  die  nach  Fezzäner  Muster  betrieben  werden,  im  Westen 
aus  der  Besorgung  ihrer  Heerden  und  überall  aus  der  Ernte  der  Colo- 
quinthenkernc  her\'orgehen,  kommt,  was  bei  ihrem  beständigen  Mangel 
an  Nahrungsmitteln  merkwürdigerscheinen  könnte,  diejagd  kaum  hinzu. 
Ihre  Thäler  sind  verhältnissmässig  reich  an  Gazellen  und  Antilopen,  und 
auch  Strauss  und  Wadän,  Hase  und  Fenek  kommen  vor;  man  sollte  also 
meinen,  dass  die  Tedä,  bei  ihrem  Ueberflusse  an  Zeit,  sich  besonders 
diesem  ritterlichen  Zeitvertreibe  hingeben  würden.  Sie  fangen  auch 
wohl  hier  und  da  die  Jagdthiere  in  Fallgruben  oder  Schlingen,  oder 
jagen  sie  mit  ihren  verkümmerten  Windhunden,  doch  ohne  sich  der 
Jagd  als  nationalem  Vergnügen  oder  gewinnbringender  Beschäftigung 
hinzugeben. 

Ihr  energischer,  rastloser  und  zäher  Sinn  hat  nur  ein  Auskunfts- 
mittel gefunden,  die  Zeit  mit  einigem  Nutzen  zu  verbringen,  und  das 
ist  das  Reisen.  Sie  sind  entweder  selbst  Kaufleute  — doch  dann 
nur  in  bescheidenem  Massstabe  , oder  mit  ihren  Kameelen  unter- 
wegs, um  diese  von  Fezzän  nach  Kawär,  von  hier  nach  Bornü  und 
zurück  zu  vermiethen.  Kleinere  kaufmännische  Reisen  unternehmen 
sie  ausserdem  nach  Borkü,  Wanjanga,  Ennedi,  Känem  und  Wadäi. 
Ihre  Hauptreiseziele  bleiben  aber  Fezzän,  Kawär  und  Borkü;  die- 
jenigen Tedä,  welche  man  in  Bornü,  Wadäi  oder  Käncm  u.  s.  w.  findet, 
sind  gewöhnlich  nicht  in  Tibesti  angcsiedclt,  sondern  stammen  aus 
Kawär  oder  gehören  weit  verschlagenen  Bruchtheilen  der  Tibesti- 
Stämme  an. 

Sind  sic  zu  Hause,  so  schwatzen  sie,  streiten  in  Wort  und  That 
und  berathen  Plünderzüge  gegen  Fezzän,  die  Tuärik  oder  andere 
Tubu-Stämmc,  die  sie  in  der  Weise  nächtlicher  Ueberfälle  und  Diebe- 
reien ausführen.  Bei  dieser  wirklich  nationalen  Beschäftigung  werden 
sic  von  ihrer  nüchternen,  zähen  Natur,  ihrer  körperlichen  Gewandt- 
heit und  ihren  leistungsfähigen  Kameelen  wesentlich  unterstützt. 

Der  Verkehr  mit  Fezzän  ist  den  Tedä  fast  unentbehrlich. 
Kawär  ist  ihnen  ein  allzu  unsicheres  Land,  zu  sehr  ausgesetzt  den 
Ghazien  der  Auläd  Solimän  und  Däza  von  Känem  und  zu  abhängig 
von  den  Tuärik  Kelowi,  um  sicher  auf  seinen  Markt  und  seine  Ein- 
wohner zählen  zu  können.  Ackerbauproducte  liefert  Kawär  über- 
dies gar  nicht;  die  Datteln  sind  von  sehr  mittelmässigcr  Qualität,  und 
der  Markt  in  Kleiderstoffen  ist  unsicher  und  mässig  versorgt.  Fezzän 


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HANDEL  UND  VERKEHR. 


4ö'.t 


im  Gegenthcil,  mit  seiner  ausgedehnten  Zucht  des  Dattelbaumes 
und  der  ausgezeichneten  Qualität  der  Früchte  desselben,  mit  seiner 
regelmässigen  Einfuhr  von  europäischen  Waaren  von  Tripolis  her 
und  von  Stoffen  aus  Bornü  und  den  Haussa-I.ändern,  und  mit  seinem 
sicheren  Absatz  der  unbedeutenden  Landesproducte  Tibesti’s,  ist 
ihnen  absolut  nothwendig  geworden.  Dies  wissen  die  Tubu  Keschädc 
sehr  gut,  und  wenn  sie  in  den  beständig  sich  wiederholenden  Miss- 
helligkeiten zwischen  Tibesti  und  Fezzän  meistens  allmählich  nach- 
geben, so  geschieht  dies  wohl  weniger  aus  Furcht  vor  der  kraftlosen 
Regierung  zu  Murzuq,  als  aus  dem  Bewusstsein,  dass  sie  materiell 
zu  sehr  von  ihrem  begünstigteren  Nachbarlandc  abhängen,  um  eine 
lange  anhaltende  Unterbrechung  des  Verkehrs  mit  ihm  ertragen  zu 
können. 

Zur  Ausfuhr  dorthin  bietet  das  Land  sehr  wenig.  Von  dem 
Schwefel,  der  aus  Tibesti  früher  auf  die  Märkte  von  Kairo  und  Murzuq 
gelangt  sein  soll,  habe  ich  nie  etwas  gesehen;  und  selbst  die  Senna,  an 
der  das  Land  so  reich  ist,  und  die  früher  thatsächlich  in  grösserer  Menge 
ausgeführt  wurde,  findet  keinen  Absatz  in  Murzuq  mehr,  seit  sie  in 
sehr  grosser  Menge  aus  den  nördlichen  Tuärikgebietcn  mit  geringeren 
Transportkosten  an  die  Küste  gelangt.  So  sind  denn  die  grossen 
schwarzen  Schafe,  welche  in  dem  an  Hausthieren  so  armen  Fezzän  einen 
hohen  Preis  haben,  aber  schwer  zu  transportiren  sind,  die  Kameelc,  an 
denen  die  Tu -Leute  selbst  nicht  reich  sind,  und  etwa  das  Fell  einer 
erlegten  Leucoryx-Antilope  die  einzigen  Verkaufsartikel,  welche  hin 
und  wieder  von  ihnen , wenn  sie  irgend  ein  zwingendes  Bedürfniss 
befriedigen  wollen,  zu  Markte  gebracht  werden.  Sie  kaufen  dafür 
Getreide,  Datteln  und  Baumwollenstoffe,  und  zwar  von  diesen  meist 
das  Cham  genannte,  mangelhafte,  europäische  Fabrikat. 

Dieses  letztere  bildete  in  Tibesti  zur  Zeit  meines  Besuches  das 
gangbarste  Verkehrs-  und  Tauschmittel;  doch  machte  sich  neben 
ihm  der  Maria- Theresia -Thaler  — Abu  Te'ir  — geltend  und  war 
grade  damals  sehr  gesucht.  Der  Abwesenheit  von  kleiner  Münze 
hilft  man  durch  Zerschneidung  der  Thaler  ab,  welche  ich  bis  zur 
Viertheilung  beobachtete.  Für  diese  beiden  Marktwcrthe  kaufte  und 
verkaufte  man  Datteln,  Getreide,  Ziegen,  Kameele,  Toben  und  Sclaven. 
Das  Stück  — Maqta  — Cham,  welches  anderthalb  bis  zwei  Fuss 
breit  und  ungefähr  vierundvierzig  Drä'  (etwa  20  M.)  lang  ist,  kostete 
damals  zu  Murzuq  drei  Thaler  — Redl  — , während  in  Tibesti  ein 


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46t) 


II.  BUCH,  7.  KAPITEL.  DIE  TEDA. 


solcher  Thaler  nur  acht  Dra  dieses  Stoffes  gab,  so  dass  dem  ent- 
sprechend das  ganze  Stück  mindestens  fünf  und  einen  halben  Maria- 
Theresia-Thalcr  gekostet  haben  würde. 

Hin  gutes  Kamcel,  dessen  Werth  identisch  war  mit  dem  eines 
Sedäsi-Sdaven , d.  h.  eines  sechs  Spannen  hohen  Knaben,  den  man 
jeder  Zeit  in  Kawär  dafür  eintauschen  konnte,  kostete  damals  25  bis 
35  Redl  Bü  Teir,  war  also  fast  ebenso  theuer  als  in  Fezzdn.  Fast 
ebenso  wenig  konnte  sich  die  Ausfuhr  der  prächtigen  Schafe  lohnen, 
welche  drei  Thaler  an  Ort  und  Stelle  kosteten.  Die  Ziegen  hatten 
nur  den  dritten  Theil  dieses  Werthes.  Bei  Straf-  oder  Entschädigungs- 
Zahlungen  gelten  seit  lange  in  Tu  als  mittlere,  fest  stehende  Sätze: 
für  ein  Kameel  acht,  für  ein  Schaf  zwei  und  für  eine  Ziege  ein  Redl 
Bü  Teir. 

Ein  Keil*)  Weizen  kostete  damals  einen  Thaler,  war  aber  fast 
nicht  aufzutreiben,  ebenso  wenig  als  der  sonst  dort  häufigere  Duchn 
oder  Qasab  — Annere  ted.  — . Die  vier  Kijdl  Datteln,  welche  ich 
für  unsere  Flucht  aus  Bardai  kaufen  liess,  berechnete  man  mir  auch 
mit  einem  Bü  Teir;  doch  glaube  ich,  dass  ihr  eigentlicher  Preis  nur 
etwa  die  Hälfte  betrug. 

Von  den  Kleinigkeiten,  die  ich  zu  unbedeutenderen  Geschenken 
mit  mir  führte,  wie  Scheeren,  Nähnadeln,  Gewürze,  kleine  Handspiegel, 
erwiesen  sich  merkwürdigerweise  die  in  Murzuq  und  selbst  auf  den 
meisten  Marktplätzen  des  Süddn  so  werthlosen  Näh-  oder  Stopf- 
nadeln als  ausserordentlich  gesucht.  Von  mir  erpresste  man  die- 
selben freilich,  ohne  Etwas  dagegen  zu  geben,  doch  meine  Leute 
erzählten  mir,  dass  man  in  Bardai  eine  gute  Nähnadel  oft  mit  einer 
Sd  Datteln  bezahlt. 

Fassen  wir  das  entworfene  Bild  der  Teda  zusammen,  ihre  phy- 
sischen, intellectuellen  und  moralischen  Eigenschaften,  ihre  Sitten  und 
Anschauungen,  ihre  Lebensweise  und  Beschäftigungen,  so  müssen 
wir  gestehen,  dass  sie  in  gleicher  Weise  Vieles  gemein  haben  mit  den 
Berbern  der  Wüste  und  mit  den  Süddnbewohnern.  ln  wie  weit  die 
Achnlichkeit  mit  den  Einen  oder  den  Andern  auf  ursprünglicher 
nationaler  Verwandtschaft  oder  auf  dem  nivellirenden  Einflüsse  gleicher 
klimatischer  und  Lebensbedingungen  beruhen,  und  in  wie  weit  die 
Verschiedenheit  von  den  Nigritiern  aus  der  Unähnlichkeit  ihrer  beider- 


*)  Vcrgl.  ü'1'  >»  Ftutn  Üblichen  Masse  py.  95. 


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MARKTPREISE.  — STAMMVKRHAI.I  NISSE. 


4(31 


seitigen  Wohnsitze  entspringen  mag.  wird  besser  ein  Gegenstand  der 
Erörterung  sein,  sobald  wir  auch  die  übrigen  Abtheilungen  dieser 
Nation  kennen  gelernt  haben  werden.  Aus  diesem  Grunde  gehe  ich 
auch  vorläufig  nicht  ein  auf  einen  Gegenstand,  der  für  die  ethno- 
graphische Bcurtheilung  eines  Volkes  oder  Stammes  von  der  grössten 
Wichtigkeit  ist,  die  Betrachtung  der  Tedä- Sprache  Modi  Tedä. 
Erst  wenn  wir  ihren  Schwesterdialect  der  südlichen  Tubu-Abthei- 
lungen,  die  Midi  Däza,  kennen  gelernt  haben  werden,  kann  die  Frage 
von  der  Entwicklung  der  Sprache,  ihrer  Verwandtschaft  mit  derjenigen 
der  Kanüri  und  der  Zusammenhang  zwischen  den  Bewohnern  der 
östlichen  Wüste  und  den  Bornü-Leuten  besprochen  werden. 

Es  erübrigt  die  Zerlegung  der  Tedä  in  einzelne  Stämme  und  die 
Vertheilung  derselben  über  die  bewohnten  Theile  Tibesti's. 

Als  das  Ausgangsthal  der  Tomäghera  wird  E.  Marmar  ange- 
sehen. Dieselben  theilen  sich  in  diejenigenTibesti’s  und  dieKawär's;  aus 
den  letzteren  geht  gleichfalls  der  Dardai  dieser  grossen  Oase  hervor. 
Die  Tomäghera  Tibesti's  zerfallen  in  die  Mohammedöga,  denen  noch 
jetzt  Marmar  gehört,  die  Arämidöga,  welche  im  E.  Jöo  wohnen,  und 
die  Erdindöga  und  Laindöga,  welche  E.  Zuär  inne  haben.  Zu  den 
Tomäghera  scheinen  noch  die  in  dem  Thale  Gobon  wohnenden 
Göbödä  zu  gehören. 

Die  Gunda  Tibesti’s,  welche  aus  Täo  stammen,  und  jetzt  dort 
und  in  Bardai  wohnen,  zerfallen  in  Gäwia,  Nemadöga  und  Isöadöga. 
Doch  der  grössere  Theil  der  Gunda  ist  zerstreut,  und  wir  finden 
Individuen  dieses  Stammes  über  alle  Ortschaften  Kawär’s  verbreitet 
und  ihren  ansehnlichsten  Bruchtheil  im  Nordwesten  Känem’s. 

Die  Leute  von  Abo  finden  wir  mit  ihren  Abtheilungen,  Abeä, 
Kresa  und  Terintüra,  über  den  E.  Abo  und  seine  Zuflussthäler 
vertheilt. 

Im  E.  Bardai'  wohnen,  ausser  spärlichen  Bruchtheilcn  der  Gunda, 
die  Fuktja,  Adeböga  und  ICdriwa.  Im  Gebiete  des  E.  Aözo  die 
Aözöa,  welche  früher,  so  lange  sie  im  Kufära  ansässig  waren,  jeden- 
falls einen  andern  Namen  führten,  und  die  Taramma. 

Der  kleine  Stamm  Mäda,  der  früher  den  E.  Sörom  inne  hatte, 
lebt  zerstreut  mit  den  Arinda  in  Borkü  und  Känem. 

Die  gleichfalls  von  Hause  aus  unbedeutenden  Stämme  der  Ate- 
mäta,  Täwia,  Dschöarda,  Moggede,  deren  ursprüngliche  Wohn- 
sitze man  in  den  F3.  Kjauno  mit  seinen  Zufhissthälern  verlegt,  scheinen 


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462 


II.  BUCH,  7.  KAPITEL.  DIE  TEOA. 


ganz  aus  Tu  verschwunden  zu  sein  und  bilden  einen  ansehnlichen 
Thcil  der  Bewohner  Kawär’s. 

Die  aufgeführten  Stamme  bilden  die  Bevölkerung  des  nordwest- 
lichen Tibesti  und  unterliegen  der  Führung  des  Tomäghera-Dardai. 

Im  E.  Ogtii  und  seinen  Nebenflussthälern  wohnen  die  Arinda 
(oder  Anna)  Ogüä  und  die  Dirsöne  und  in  einem  seiner  Neben- 
thäler,  E.  Mozzo,  die  Oderöä. 

Im  E.  Maro  mit  seinen  Ursprüngen  und  Zuflüssen  sitzen  die 
Arinda  Tagerema  und.  die  Scheda.  Ueber  die  Thäler  des  Domar 
vertheilen  sich  die  Arinda  Dirköma  und  die  Tuzzöä,  die  mit 
Borkü-Leuten  gemischt  zu  sein  scheinen. 

Die  Bewohner  des  Emi  Kussi  werden  unter  dem  Namen  Kussödä 
(oder  Kussöä)  zusammengefasst  und  setzen  sich  zusammen  aus 
Jerinta,  Bridtma,  Ogerdemma  und  Kedemma. 

E.  Jibi  gehört  den  Magädena  und  ebenso  sind  die  Guröa, 
welche  Gurö  bewohnen,  nichts  anderes  als  Magädena. 

Ueber  die  Tedä  des  östlichsten  Thaies  von  Tibesti,  Uri,  bin  ich 
nicht  ganz  klar  geworden.  Seine  jetzigen  Einwohner  scheinen 
Magädena  zu  sein,  doch  stammen  aus  ihm  z.  B.  die  Bescha,  welche 
jetzt  einen  Bestandtheil  der  Jinöa  (Bewohner  von  J in)  in  Borkü  aus- 
machen. 

Die  aufgeführten  Stämme  bilden  die  Bevölkerung  des  südöstlichen 
Tibesti  und  stehen  unter  dem  Häuptlinge  der  Arinda.  Die  in  dieses 
Gebiet  fallenden  Elussthäler  Arr,  Auf  und  Höu  sind  nur  zeitweise 
von  den  ihnen  zunächst  hausenden  Arinda-Abtheilungen  bewohnt. 

Wie  Bewohner  des  nordwestlichen  Tu  die  Oase  Kawär  bevölkert 
haben,  so  bilden  die  des  südöstlichen  Theiles  die  Bewohner  der 
westlichen  Thäler  Ennedi’s,  wo  wir  im  E.  Kaule  und  im  E.  Murdo 
Abtheilungen  der  Arinda  finden. 

Ueber  einen  von  dem  mehrfach  erwähnten  Scheich  Mohammed 
et-TünTsi  aufgeführten  Stamm  Tibesti's,  mit  dem  derselbe  eine  uner- 
freuliche Bekanntschaft  machte,  und  der  in  der  französischen  Ueber- 
setzung  Tourkmän  genannt  wird,  ist  man  bisher  gänzlich  im  Un- 
klaren gewesen.  Der  Scheich  reiste  von  Wadäf,  ohne  Borkü  zu 
berühren,  bis  zur  Hattija  Jäjo,  welche  in  seiner  Reisebeschreibung 
unter  dem  auch  jetzt  noch  von  den  Arabern  zuweilen  gebrauchten 
Namen  Bir  cd-Düm  aufgefuhrt  wird,  wendete  sich  dann  mehr  nach 
Norden  und  stiess  im  südlichen  Theilc  Tu's,  also  im  Gebiete  der 


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ST A M M AB  I H K I ! U NT,  EN. 


463 

Arinda,  auf  den  genannten  Stamm.  Der  Name  desselben  ist  augen- 
scheinlich nichts  Anderes,  als  eine  corrumpirte  Form  von  Dirköma, 
wie  die  Hauptabtheilung  der  Arinda  (vom  Stammvater  Dirko)  in  der 
Tedä  Sprache  heisst,  oder  von  Dirkomawija,  wie  die  dortigen  Araber 
den  Plural  von  Dirkomäwi  (Dirköma  = Individuum)  bilden,  obgleich 
Dirköma  an  und  für  sich  schon  eine  Mehrheit  bezeichnet.  Wenn 
wir  bedenken,  dass  der  Reisende  seine  Erinnerungen  erst  nach  Jahren 
niederschrieb,  und  dass  ihm,  dem  schriftkundigen  Araber,  der  Stamm- 
name  Turkmän  geläufig  war,  so  können  wir  uns  über  die  Verwechs- 
lung nicht  wundern,  zumal  beide  Worte  für  das  Ohr  sehr  viel  mehr 
Aehnlichkeit  haben,  als  für  das  Auge.  Dass  dort  selbstverständlich 
kein  turkman'scher  Stamm  wohnen  kann,  hätte  zwar  der  Scheich 
wissen  sollen,  doch  selbst  gelehrte  Araber  sind  in  ethnologischer 
Beziehung  zu  den  wunderlichsten  Annahmen  geneigt. 

Die  Kopfzahl  der  aufgefuhrten  Stämme  auch  nur  annähernd  an- 
zugeben ist  sehr  schwer,  bei  dem  Mangel  an  geschlossenen  Ort- 
schaften. In  Bardai  würde  ich  eine  günstige  Gelegenheit  zu  genauerer 
Abschätzung  gefunden  haben,  da  eine  grosse  Anzahl  der  westlichen 
Bewohner  sich  zur  Dattelernte  dorthin  begeben  hatte,  wenn  ich  mich 
frei  hätte  bewegen  können.  Die  ungefähre  Zahl  von  5000  Seelen,  welche 
Gerhard  Rohlfs  in  der  oberflächlichen  Schätzung,  die  ihm  zu  machen 
möglich  war,  angiebt,  bleibt  entschieden  hinter  der  Wahrheit  zurück. 
Denn  wenn  auch  der  wüste  und  armselige  Charakter  des  Landes  nur 
die  dünnste  Bevölkerung  gestattet,  so  ist  doch  der  Flächeninhalt 
des  ganzen  Gebietes  ein  ungeheurer,  und  die  Zahl  der  bewohnten 
Thäler  keine  unbedeutende.  Die  Reihenfolge  der  nennenswerthen 
Thäler  und  ihrer  Districtc  in  der  Bevölkerungszahl  dürfte  in  ab- 
steigender Linie  etwa  folgende  sein:  E.  Bardai,  Zuär,  E.  Domar, 
E.  Abo,  E.  Maro,  E.  Ogüi,  E.  Jöö,  E.  Jibi.'E.  Täo,  E.  Marmar, 
E.  Gurö,  E.  Uri,  E.  Aözo.  Wenn  ich  die  folgende  Abschätzung 
der  Tibesti-Stämme  zu  machen  wage,  so  bin  ich  mir  ihrer  Unsicher- 
heit vollständig  bewusst. 

Indem  ich  flir  die  Tomäghera  eine  Zahl  von  2000,  für  die  Leute 
von  Bardai  von  1500,  für  die  von  Abo  von  1200,  für  die  Bruchtheile 
der  Gunda  im  E.  Tao,  und  die  der  Stämme  im  E.  Kjauno  und  auf 
dem  Tarso  von  1000,  und  für  die  Leute  des  Aözo  von  300  Seelen 
annehme,  erreiche  ich  für  den  nordwestlichen  politischen  Verband 
unter  dem  Vortritt  der  Tomäghera  eine  Gesammtzahl  von  ca.  6000  Be- 


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41  >4  11.  BUCH,  7.  KAPITEL.  DIE  TEDA. 

wohnern.  Für  den  politisch  verbundenen  südöstlichen  Thcil  Tibesti's 
erhalte  ich  bei  dieser  Schätzung  eine  Gesammtzahl  von  ca.  5000  Be- 
wohnern, von  denen  ich  2500  auf  die  Arinda  der  EE.  Domar,  Maro 
und  Ogui,  1000  auf  die  Magädena  des  E.  Jibi  und  des  Emi  Kussi, 
1000  auf  die  kleineren  Abtheilungen  des  E.  Guro,  E.  Uri  und  der 
unbedeutenderen  Thäler  nördlich  von  Borkü  und  500  auf  die  meinen 
Erkundigungen  weniger  zugängliche  Gegend  nördlich  vom  Emi  Kussi 
rechne,  und  spreche  danach  die  Vermuthung  aus,  dass  die  Gesammt- 
zahl  der  Tedä  Tu’s  12,000  Seelen  nicht  übersteige. 


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DRITTES  BUCH. 


REISE  NACH  BORNÜ. 


Erstes  Kapitel. 

MURZUQ  IM  WINTER  1869/70. 


Beliebte  über  Alexandrine  Tinne’s  Ermordung.  — Ihre  Reisegesellschaft  (europäische 
Diener,  Neger  aus  den  Nil-Ländern,  algerische  Frauen,  befreite  Sclavcn).  — Diener 
aus  Tönis  und  Murzuq.  — Ichnuclien's  Rückkehr  nach  Ghöt.  — Hädsch  Ahmed  Bü 
Slah.  — Der  Tärikt  Hadsch  esch-Scheich  und  seine  Gesellschaft.  — Araber  und  ihre 
Miethkameele.  — Abreise  Fräulein  Tinne’s  von  Murzuq.  — Der  verhängnisvolle 
l.  August.  — Ausbruch  der  Verschwörung.  — Ermordung  der  beiden  Holländer.  — 
Verwundung  und  langsamer  Tod  der  Reisenden.  — Rohheiten  und  Theilung  des 
Raubes.  — Thätcr  und  Urheber  des  Verbrechens.  — Verhalten  der  Behörden  in 
Murzuq  und  Tripolis.  — Schleppender  Process.  — Sendung  der  Hinterlassenschaft 
und  der  Zeugen  nach  Tripolis.  — Unerfreuliche  Zustände  in  Fezzan.  — Ungcmüth- 
lichcs  Weihnachtsfest  1869.  — Endliche  Hoffnung  auf  Abreise.  — Gesandtschaft  'All 
RizA  PäschÄ's.  nach  bomü.  — Ränke  «los  WÄlt  gegen  meine  Reise.  — Ankunft 
Hallm  Paschd’s  als  Mütasarrif.  — Ankunft  Mohammed  Bu  Aischa's,  des  Gesandten 
an  den  König  von  Bornu.  — Marokkanische  Pilger  und  Akrobaten.  — Vorbereitun- 
gen zur  Abreise. 

Nach  unserer  am  8.  October  1869  erfolgten  Rückkehr  aus  Tibesti 
lag  mir  ausser  der  Pflege  meiner  Gesundheit  die  Ordnung  der  Ange- 
legenheiten meiner  ermordeten  Reisegefährtin  ob.  Die  Dienerschaft 
derselben  betrachtete  mich  als  ihren  natürlichen  Anwalt,  der  hollän- 
dische General -Consul  zu  Tripolis  wendete  sich  betreffs  der  Hinter- 
lassenschaft der  unglücklichen  Dame  durch  mich  an  die  Fezzäner 
Lokalbehördcn , und  diese  selbst  schienen  es  selbstverständlich  zu 
finden,  dass  ich  in  allen  Angelegenheiten,  welche  auf  das  schmerz- 
liche Ereigniss  Bezug  hatten,  zu  Rathe  gezogen  wurde. 

Zunächst  Hess  ich  mir  angelegen  sein,  eine  möglichst  genaue 
BCenntniss  von  dem  ganzen  Vorgänge  zu  gewinnen,  denn  man  schien 

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468 


III.  BICH,  I.  KAPIIEL.  MCRZUQ  IM  WINTER  1869/70. 


mir  in  Tripolis  weder  hinlänglich  über  dasselbe  unterrichtet  zu  sein, 
noch  überhaupt  das  ernste  Bestreben  zu  haben,  jedes  darüber 
schwebende  Dunkel  zu  lichten.  Bei  der  erst  kurzen  Zeit,  welche  seit 
der  Katastrophe  verflossen  war,  hielt  es  nicht  schwer,  die  Erinne- 
rungen der  Augenzeugen,  unverfälscht  durch  den  Mangel  an  Gedächt- 
niss  derselben  und  ihren  Hang  zu  phantastischer  Ausschmückung,  zu 
sammeln  und  zu  einem  klaren  Bilde  zusammen  zu  stellen.  Ich  licss 
mir  zu  diesem  Zwecke  von  jedem  Einzelnen  der  Leute  den  Hergang 
der  Dinge  erzählen,  und  war  nach  wenigen  Tagen,  als  ich  Jung  und 
Alt.  Männer  und  Weiber,  Araber  und  Neger,  und  zwar  Jeden  isolirt, 
ausgefragt  hatte,  wohl  in  der  Lage,  mir  ein  Urtheil  zu  bilden  und 
mehr  von  der  Sache  zu  wissen,  als  der  in  Tripolis  zu  verhandelnde 
Process  später  je  ans  Tageslicht  zu  bringen  versprach. 

Von  der  Dienerschaft  Fräulein  Tinne’s,  welche  eine  sehr  bunt 
zusammengewürfelte  gewesen  war,  hatten  die  beiden  früher  genannten 
europäischen  Diener  das  Schicksal  ihrer  Herrin  getheilt.  Ihre  drei 
Lieblingsneger  Abdallah,  Denqi  und  Freah,  welche  seit  Jahren  ihre 
nächste  Umgebung  bildeten,  waren  unverständige  junge  Leute,  von 
denen  der  Erstgenannte  zu  jener  Zeit  abwesend  war,  um  in  Tripolis 
Kamecle  zur  Reise  nach  Bornü  zu  kaufen.  Der  weibliche  Thcil  ihres 
Hausstandes  war  ohne  Ausnahme  zugegen  gewesen:  die  Egypterin 
Habiba,  Abdallahs  verstossenc  Frau;  zwei  Algerierinnen  Beja  und 
Rbza,  von  denen  die  erstere  die  damalige  Frau  Abdaliah's  war;  eine 
alte  Negerfrau,  welche  seit  langen  Jahren  als  ihre  Kqmmerfrau  fun- 
girte;  endlich  das  kleine  Njamnjam- Mädchen  Jasmina,  welches  von 
den  Mördern  mit  nach  Ghat  geschleppt  worden  war. 

Zu  diesen  ihren  Begleitern,  welche  theils  schon  seit  Jahren  in  ihren 
Diensten  standen,  theils  in  Algerien  gemiethet  worden  waren,  hatte  sie 
in  Tunis  einen  gewissen  Mohammed  el-Kebir,  in  Fezzan  den  Sohn  des 
früheren  Rathsschreibers  — Kätib  el  Medschelis  — Ahmädi  Effendi, 
Namens  Abd  er-Rahmän,  und  ebendaselbst  den  beurlaubten  Sbäihi 
(irregulärer  Reiter)  Ramadan  in  ihre  Dienste  genommen,  und  der 
Tross  von  freigeiassenen  oder  durch  sic  befreiten  Sclaven,  welcher 
unter  ihrem  Schutze  nach  dem  Sudan  zu  gelangen  hoffte,  hatte  sie 
auch  auf  ihrer  Excursion  mit  Ichnuchen  zu  begleiten  gewünscht,  um 
seinen  kostenfreien  Unterhalt  nicht  zu  verlieren. 

Nachdem  die  Dame  gleichzeitig  mit  mir  aus  Murzuq  aufgebrochen 
war,  hatte  sie  sich  ohne  Verzug  in  den  Wadi  Gharbi  begeben  und 


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Al.EXANDRINE  TINNE  UND  IIIR  GEFOLGE.  409 

den  berühmten  Tuärik-Häuptling  bereits  dort  vorgefunden.  Derselbe 
war  ohne  Weiteres  geneigt  gewesen,  die  Reisende  mit  sich  nach  Ghät 
und  in  seine  Weidebezirke  zu  führen,  hatte  aber  leider  die  Geschäfte, 
welche  ihn  auf  das  Territorium  von  Fczzän  geführt  hatten,  früher 
beendigt,  als  jene  erwartet  hatte.  Als  er  ihr  eines  Tages  den  bevor- 
stehenden Aufbruch  nach  Ghät  ankündigte,  musste  sie  gestehen,  dass 
sie  von  der  Plötzlichkeit  desselben  überrascht  sei  und  darauf  ge- 
rechnet habe,  den  wesentlichen  Theil  ihrer  Reiseausrüstung  nach 
einer  Berathung  über  dieselbe  mit  ihm  zuvor  in  Murzuq  machen  zu 
können.  Da  Ichnuchen  nicht  so  lange  warten  zu  können  behauptete, 
so  übergab  er  seine  Schutzbefohlene  dem  Muräbid  Hadsch  Ahmed 
Bü  Släh,  der  im  Wadi  Gharbi  seinen  Wohnsitz  hatte,  doch  aus  dem 
Tuärik- Lande  stammte,  mit  dem  Aufträge,  sie  nach  Murzuq  und 
darauf  nach  Ghät  zu  geleiten.  Mit  der  Versicherung,  dass  sie  in  den 
Händen  jenes  frommen  Mannes  grade  so  sicher  sein  werde,  als  in 
seinen  eigenen,  reiste  der  alte  Häuptling  ab. 

Während  nun  Fräulein  Tinne,  in  die  fezzänische  Hauptstadt  zurück- 
gekehrt, mit  ihrem  Geleitsmann  die  Vorbereitungen  zur  Abreise  betrieb, 
erhielt  sie  den  Besuch  von  acht  Tuärik  aus  dem  Gefolge  Ichnuchen's, 
die  ebenfalls  zur  Besorgung  persönlicher  Angelegenheiten  zurückge- 
blieben zu  sein  behaupteten.  Dieselben  waren  keineswegs  aufdringlich, 
machten  ihr,  als  einer  distinguirten  Fremden,  die  demnächst  ihr  Land 
besuchen  werde,  einen  Anstandsbesuch  und  stellten  sich  für  den  Fall 
ihrer  gleichzeitigen  Reise  in  jeder  Hinsicht  zu  ihrer  Verfügung. 
Unter  diesen  befand  sich  der  Hadsch  esch -Scheich,  ein  Schwester- 
sohn Ichnuchen’s,  und  ein  Onkel  des  in  Murzuq  gemietheten  Abd 
er-Rahmän,  dessen  Mutter  eine  Täriki-Frau  gewesen  war. 

Fräulein  Tinne  war  hoch  erfreut  über  die  Aussicht  einer  solchen 
Reisegesellschaft,  welche  alle  Bedingungen  der  Sicherheit  in  sich  zu 
schliessen  schien,  schenkte  den  Leuten  Ehrengewänder  und  verab- 
redete mit  ihnen  eine,  wenn  auch  nicht  gemeinschaftliche,  so  doch 
gleichzeitige  Reise  nach  Ghät.  Die  Zeit  derselben  kam  heran,  und 
da  die  Reisende  zu  den  wenigen  Kameelen,  die  ihr  noch  von  Tripolis 
übrig  geblieben  waren,  von  den  Arabern  des  Wädi  Schijäti  sieben- 
undzwanzig weitere  gemiethet  hatte,  deren  jedes  von  einem  Treiber 
begleitet  zu  sein  pflegt,  so  war  ihre  Gesellschaft  unerfreulich  gross 
geworden. 

Die  acht  Tuärik  verliessen  in  der  That  gleichzeitig  mit  ihr  die 


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47U 


III.  BUCH,  I.  KAPITEI..  MURZUQ  IM  WINTER  l86g/70. 


Stadt,  nächtigten  täglich  in  der  Nähe  ihres  Lagers,  brachen  mit  ihr 
zu  derselben  Stunde  auf  und  blieben  auf  dem  Marsche  in  Sicht. 
Man  machte,  wie  es  bei  grossem  Gefolge  und  im  Anfänge  einer 
Reise  gewöhnlich  der  Fall  zu  sein  pflegt,  kleine  Märsche  und  erreichte 
das  Aberdschüdsch-Thal,  wohin  man  nüthigenfalls  in  zwei  Tagereisen 
von  Murzuq  aus  gelangen  kann,  erst  in  der  dreifachen  Zeit.  In 
dieser  Richtung  hören  die  bewohnten  Ortschaften  bald  auf.  Tesäwa 
im  Wadi  Otba  ist  das  letzte  Dorf  und  liegt  etwa  einen  Tagemarsch 
östlich  vom  Aberdschüdsch  ■ Thale;  nördlich  von  diesem  verläuft  in 
ungefähr  derselben  Entfernung  der  Wadi  cl-Gharbi. 

Es  war  am  i.  August,  als  man  von  Aberdscluidsch  aufzubrechen 
beabsichtigte.  In  der  Morgenfrühe  hatte  man  begonnen,  das  Lager  ab- 
zubrechen;  ein  Theil  der  Kamcele  war  bereits  beladen;  doch  noch  stan- 
den die  Zelte  der  Frauen.  Die  leicht  beweglichen,  gepäcklosen  Tuärik 
standen,  auf  ihre  Lanzen  gestützt  und  ihrer  Sitte  gemäss  mit  verschleier- 
ten Antlitzen,  in  der  Nähe  und  warteten  des  allgemeinen  Aufbruchs. 
Da  begannen,  wohl  Verabredetermassen,  zwei  der  mit  ihren  Kameelen 
gemietheten  Araber  einen  Streit  über  das  ihren  Thieren  aufzulegende 
Gepäck.  Sie  entwickelten  dabei  jene  Lebhaftigkeit,  welche  den  nicht 
mit  den  Sitten  ungebildeter  Araber  Vertrauten  als  ein  Ausfluss  hoch- 
gradigster Leidenschaft  erscheint  und  der  harmlosesten  Angelegenheit 
einen  gefahrdrohenden  Anschein  giebt.  Die  beiden  holländischen 
Diener  waren  reisefertig;  ihre  Reitkameele  waren  bepackt,  ihre  Feuer- 
waffen hingen  an  den  Sätteln,  und  sie  selbst  bethätigten  sich  hier  und  da 
helfend  und  ordnend.  Kees  Oostmans  war  in  der  Nähe  der  streiten- 
den Araber,  mischte  sich  in  ihren  Wortwechsel  und  suchte  vermit- 
telnd, schlichtend,  zur  Ruhe  verweisend  einzugreifen.  Dieser  Um- 
stand musste  den  Verschwörern  als  Veranlassung  zur  Ausführung 
ihrer  schändlichen  Pläne  dienen.  Die  Streitenden  wendeten  sich 
gegen  den  holländischen  Diener  und  verbaten  sich  seine  Einmischung; 
Scheltworte  flogen  hin  und  her,  die  Leidenschaftlichkeit  wuchs  sicht- 
lich, und  Thätlichkeiten  schienen  nahe.  Da  plötzlich  sprang  der 
Täriki  Hadsch  esch-Scheich  mit  erhobener  Lanze  unter  die  Streiten- 
den und  durchbohrte  den  jungen  Holländer  mit  den  Worten: 
„Warum  mischest  Du  Dich  in  den  Streit  von  Muselmanen  r"  Der- 
selbe stürzte  todt  zu  Boden,  und  damit  war  die  Scene  der  Verwirrung, 
welche  den  Zweck  des  verabredeten  oder  doch  künstlich  in  Scene 
gesetzten  Vorganges  bildete,  herbeigeführt.  Kees'  Gefährte,  Ary 


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ERMORDUNG  DER  RASENDEN  UND  IHRER  EUROPÄISCHEN  BEGLEITER.  471 

Jacobse,  stürzte  beim  Anblick  seines  ermordeten  Kameraden  auf  sein 
Kameel  zu,  um  sein  Gewehr  zu  ergreifen,  doch  ehe  er  dasselbe  er- 
reichte, streckte  ihn  ein  Schwerthieb  des  Mörders  über  den  Hinter- 
kopf zu  Boden,  und  ein  Lanzenstich  vollendete  die  That.  Alles  war 
das  Werk  weniger  Augenblicke  gewesen,  und  im  Nu  war  das  ganze 
Lager  der  Schauplatz  der  grössten  Bestürzung  und  Kopflosigkeit. 
Die  Frauen  stürzten  heulend  und  händeringend  aus  ihren  Zelten;  die 
befreiten  Sclaven  glaubten  ihr  letztes  Stündlein  gekommen;  Schuldige 
und  Unschuldige  schrieen  und  tobten  und  drängten  durcheinander. 
Der  wüste  Tumult  rief  natürlich  Fräulein  Tinnc  aus  ihrem  Zelte  her- 
bei, doch  ihre  befehlende  Stimme  verhallte  ohnmächtig,  und  bald 
befand  sich  die  arme  Dame,  auf  deren  Leben  es  abgesehen  war,  im 
dichten  Getümmel,  umgeben  von  verräterischen  Arabern,  von  feigen 
oder  mitschuldigen  Dienern  und  gewaltthätigen  Tuärik. 

Ein  Araber  war  es,  der  zuerst  die  Hand  aufhob  gegen  das  wehr- 
lose Weib,  jener  Otmän  aus  dem  Stamme  der  Bü  Sef,  der  noch  heute 
auf  tripolitanischem  Gebiete  ein  freies,  wenn  auch  seit  jenem  Ver- 
brechen gesetzloses  und  räuberisches,  Leben  führt.  Sein  Hieb  mit 
scharfer  Waffe  über  Hals  und  Schulter  streckte  sie  noch  nicht  zu 
Boden;  erst  nach  einem  zweiten  über  den  Vorderarm,  den  ein  Sclave 
des  Hadsch  esch-Schei'ch  geführt  haben  soll,  und  nach  dem  starken 
Blutverluste  sank  die  zarte  Dame  zusammen.  Ihr  Bewusstsein  schwand 
glücklicherweise  bald,  doch  erst  als  die  Sonne  die  Mitte  ihrer  Bahn 
überschritten  hatte,  hauchte  die  Arme  das  Leben  aus. 

Im  Bewusstsein  der  Schmach,  mit  der  sie  ihre  Unthat  bedeckte 
auch  in  jener  Welt  der  Rechtlosigkeit,  des  Raubes  und  Mordes, 
in  der  ein  Menschenleben  von  sehr  geringem  Gewicht  ist,  gilt  es  für 
eine  Schande,  ein  Weib  zu  tödten  , suchten  die  Mörder  sich  vor 
sich  selbst  und  der  Welt  zu  entschuldigen,  indem  sie  ihre  verräthe- 
rische  That  als  den  Ausfluss  ihres  religiösen  Gefühls,  ihres  Hasses 
gegen  die  Christen  darstellten.  Dadurch  erschien  dieselbe  in  den 
Augen  der  Begleiter  ihres  Opfers,  deren  Bildungsgrad  nicht  hinreichte, 
um  die  Vorschriften  des  Islam  über  die  Behandlung  Andersgläubiger 
zu  kennen , wenn  nicht  gerechtfertigt , so  doch  in  milderem  Lichte. 
Das  gesammte  Negerpersonal  und  die  Frauen  wurden  von  den  Ver- 
schworenen in  die  noch  aufrecht  stehenden  Zelte  verwiesen  mit  der 
tröstenden  und  ermuthigenden  Versicherung,  dass  man  ihnen  kein  Haar 
krümmen  werde,  denn  es  sei  nur  auf  die  Christen  abgesehen  gewesen. 


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472 


III.  HUCH,  I.  KAPITKt..  MURZUQ  IM  WINTER  1869/70. 


Darauf  machten  sich  die  Thäter  an  die  Befriedigung  ihrer  Hab- 
sucht, welche  ohne  Zweifel  das  alleinige  Motiv  zur  That  gebildet 
hatte.  Wenn  schon  für  den  ärmlichst  ausgerüsteten  europäischen 
Reisenden  eine  gewisse  Gefahr  in  seiner  Habe  liegt,  die  trotz  aller  ihrer 
Bescheidenheit  dem  armen  Wüstenbewohner  reich  und  begehrenswert!! 
erscheint,  so  musste  dies  in  ganz  anderer  Weise  der  Fall  sein  bei 
unserer  holländischen  Reisenden,  welcher  der  Ruf  eines  märchenhaften 
Reichthums  vorausging.  Schon  ehe  sie  Fezzän  erreicht  hatte,  er- 
zählte man  in  den  Hofkreisen  Küka’s  von  der  seltenen  Erscheinung 
einer  einzelnen  Reisenden  und  von  ihren  Schätzen,  und  das  Gerücht 
von  der  „Königstochter"  — Bcnt  el-Re  — , wie  sie  die  Küsten- 
bewohner getauft  hatten,  verbreitete  sich  alsbald  nach  allen  Rich- 
tungen bei  den  Stämmen  der  Wüste.  Dem  Anblicke  ihrer  zahllosen 
Kisten  und  Gepäckstücke,  den  Gerüchten  über  ihren  unbeschreib- 
lichen Reichthum  hatten  die  gewaltthätigen  Tuärik  nicht  widerstehen 
können,  zumal  ihre  hcimathlichen  Wohnsitze  ihnen  volle  Straflosig- 
keit sicherten.  Dass  die  Tuärik  die  Anstifter  waren,  erleichterte 
wieder  den  Arabern  die  Theilnahme  am  Complotte,  denn  es  musste 
diesen  später  immer  leicht  sein,  dieThat  denErsteren  allein  aufzubürden. 
Furcht  vor  der  Regierung  in  Fezzän  konnte  Niemand  abhalten,  denn 
diese  hatte  eben  so  wenig  die  Mittel,  Einfluss  auf  ihre  ruhelosen  und 
räuberischen  Nachbarn  zu  gewinnen,  als  ihre  eigenen  Unterthanen 
zur  Gesetzlichkeit  zu  zwingen  und  die  Uebelthatcr  zu  bestrafen. 
Fezzän  regierte  sich  eben  durch  die  Gutmüthigkeit  der  Bewohner, 
nicht  durch  die  Kraft  der  Regierung. 

Es  ist  nicht  unwahrscheinlich,  dass  der  tunisische  Diener  Moham- 
med cl-Kebir  und  der  in  Murzuq  gemiethete  Abd  er-Rahmän,  dessen 
mütterlicher  Onkel  von  manchen  meiner  Referenten  anstatt  des 
Hadsch  esch-Schei'ch  als  erster  Mörder  bezeichnet  wurde,  mit  in  der 
Verschwörung  waren.  Besonders  der  Erstere  wurde  von  Allen, 
welche  bei  dem  Schreckensereignisse  gegenwärtig  gewesen  waren, 
als  Mitwisser,  wenn  nicht  als  Anstifter  angesehen.  Als  Abdallah 
sich  vor  der  Abreise  seiner  Herrin  nach  Tripolis  begeben  hatte, 
rückte  Mohammed  el-Kebir  in  die  Stelle  des  vertrauten  Dieners, 
wurde  mit  der  Sorge  für  das  gesammtc  Gepäck  betraut  und  schien 
sich  um  so  besser  für  diesen  Posten  zu  eignen,  als  er  mit  der  Feder 
umzugehen,  die  notlnvendige  arabische  Correspondenz  zu  besorgen 
und  die  Listen  und  Rechnungen  zu  fuhren  verstand.  Schon  unter- 


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DIE  MOTIVE  DER  THAT. 


473 


wcgs  hatte  er,  sobald  man  das  Lager  aufgeschlagen  hatte,  einen  ge- 
wissen Verkehr  mit  den  Tuärik  unterhalten,  und  nach  der  blutigen 
That  war  er  es,  der  die  Kisten  und  Kasten  eröffnete  und  den 
Räubern  das  baare  Geld  aushändigte,  dessen  geringer  Betrag  eine 
allgemeine  Enttäuschung  zur  Folge  hatte. 

Die  Vertheilung  des  übrigen  Inhalts  der  Kisten  und  Säcke  wurde 
auf  dem  Wege  der  Versteigerung  der  einzelnen  Gegenstände  an  den 
Meistbietenden  vorgenommen,  wobei  das  zuvor  vertheilte  Geld,  Ka- 
meele,  Waffen  und  dergleichen  als  Kaufmittc!  dienten.  Sogar  wäh- 
rend dieser  Zeit  war  das  Schlachtopfer  nicht  vor  den  Rohheiten  ihrer 
Henker  sicher.  Noch  aus  ihren  Wunden  blutend  und  leise  stöhnend 
wurde  sie  ihrer  Kleider  beraubt,  und  zwar  wurde  allgemein  Abd 
er-Rahmän  als  Anstifter  dieser  neuen  Schändlichkeit  bezeichnet,  so 
dass  also  die  vorherige  Mitwissenschaft  desselben  ebenfalls  sehr  wahr- 
scheinlich ist. 

Der  Markt  nahm  bald  ein  Ende,  und  Vieles  von  dem  Gepäcke, 
das  den  Wüstenbewohnern  unnütz  oder  nicht  kostbar  genug  erschien, 
war  unverkauft  geblieben  und  lag  zerstreut  am  Boden.  Die  Diener 
hatten  von  den  Räubern  ein  Kameel  und  einige  Wasserschläuche  zur 
Rückkehr  nach  Fezzän  erhalten,  und  mehr  erfreut,  dass  ihnen  selbst 
kein  Unheil  widerfahren  war,  als  traurig  über  den  Verlust  einer 
Herrin,  deren  Wohlthaten  sie  stets  mit  Undank  gelohnt  hatten, 
zögerten  sic  nicht,  den  sicheren  Mauern  Murzuq's  zuzueilen. 

Gegen  zwei  Uhr  Nachmittags  hatte  Alcxandrinc  Tinnc  ihr 
heldenmüthiges,  glückarmes  Leben,  das  sie  aus  der  glänzenden  Welt 
ihrer  Jugend  in  die  Wüsten  Afrikas  geführt  hatte,  ausgehaucht. 
Einst  an  Königshöfen  bewundert  in  der  Entfaltung  ihres  Geistes 
und  ihrer  Schönheit,  hatte  sie  die  Wunden  eines  unbefriedigten 
Herzens  durch  überweibliche  Anspannung  physischer  und  geistiger 
Kräfte  zu  heilen  oder  zu  vergessen  gesucht  und  ihr  Wohlwollen 
an  diejenigen  verschwendet,  welche  sie  jetzt  verrathen  hatten. 

Die  Mörder  und  Räuber  kehrten  auf  den  verschiedenen  Wegen 
in  ihre  Heimath  zurück;  die  lieblose  Schaar  der  Diener  verliess 
eiligst  den  Schreckensort,  fast  ohne  einen  Blick  auf  ihre  Wohlthäterin 
zurück  zu  werfen,  welche,  jüngst  Besitzerin  von  Millionen,  jetzt 
ihrer  Kleider  beraubt  und  mit  klaffenden  Wunden,  kaum  den  letzten 
Athemzug  gethan  hatte.  Bald  lagerte  wieder  die  heilige  Stille  der 


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474  III.  BUCH,  I.  KAPITEL.  MURZUQ  IM  WINTER  1869/70. 

Wüste  über  dem  Schauplatze  des  blutigen  Verbrechens,  und  nur  die 
Aasgeier  bewachten  ihre  sichere  Beute. 

So  war  die  unglückliche  Dame,  die  trotz  ihres  zarten  Körpers 
den  mannichfachen  Gefahren  ihrer  früheren  Reisen,  dem  verderb- 
lichen klimatischen  Einflüsse  der  gefürchteten  Gegend  der  westlichen 
Nil-Zuflüsse  siegreich  getrotzt  hatte,  dem  Verrathe  von  Leuten  erlegen, 
zu  deren  Besuche  ich  ihr  selbst  gerathen  hatte,  und  denen  man  in 
der  That  ein  solches  Verbrechen  nicht  hätte  Zutrauen  sollen.  Die 
Tuärik  sind  wohl  gewaltthätig  und  fanatisch,  geniessen  jedoch  des 
Rufes  der  Wortfestigkeit  und  eines  gewissen  mannhaften  Edelmuthes. 
Ichnuchen  hatte  ein  Leben  von  fast  drei  Menschenaltcrn  hinter  sich, 
und  man  kann  sich  nur  schwer  zu  der  Annahme  entschliessen,  dass 
er  um  weltlichen  Besitzes  willen  seine  für  jene  Welt  achtbare 
Existenz  mit  einem  Verbrechen  zu  beschliessen  sich  nicht  gescheut 
haben  sollte.  Henri  Duveyricr,  der  beste  Kenner  der  Tuärik  und 
ein  ruhiger,  vorurtheilsfreier  Beobachter,  schrieb  mir  nach  meiner 
Rückkehr  aus  Tibesti  über  das  traurige  Ereigniss,  dass  er  nun  und 
nimmer  daran  glauben  könne,  dass  Tuärik  die  Thäter  seien,  sondern 
ohne  vollgültige  Beweise  des  Gegentheils  überzeugt  sein  müsse,  dass 
die  Schuld  den  Arabern  zufalle. 

Trotzdem  ist  die  Urheberschaft  des  ganzen  Verraths  aufSeiten  der 
Tuärik  wahrscheinlich,  ihre  Mitschuld  sicher.  Möglich  ist  cs,  dass  die 
acht  Tuärik  wirklich  persönliche  Angelegenheiten  in  Murzuq  zu  er- 
ledigen hatten,  und  dass  sic  nicht  schon  zur  leichteren  Ausführung  des 
schändlichen  Planes  zurückblicben;  möglich  ist  cs,  dass  erst  unterwegs 
der  tunisischc  Diener  ihre  Habgier  rege  machte,  oder  dass  ein  perfider 
Araber  den  ganzen  Plan  schmiedete  und  sie  zur  Mitwirkung  ver- 
mochte, aber  nicht  wahrscheinlich.  Die  Tuärik  kommen  nur  sehr 
vereinzelt  nach  Murzuq  und  haben  wenig  Beziehungen  daselbst;  ihr 
Erscheinen  in  der  Zahl  von  acht  verräth  ganz  besondere  Zwecke. 
Nimmt  man  den  ganzen  Verlauf  der  Reise,  die  blutige  Initiative  des 
angesehensten  Täriki  und  die  unthätige  Zuschauerrolle,  welche  der 
mit  der  Verantwortlichkeit  für  die  Sicherheit  der  Ermordeten  betraute 
Hadsch  Ahmed  Bü  Släh  spielte,  so  muss  man  es  für  höchst  wahr- 
scheinlich halten,  dass  die  Tuärik  die  Anstifter  des  Complottes 
waren,  zu  dessen  Ausführung  sie  natürlich  die  Araber  als  Bundes- 
genossen haben  mussten.  Die  Schuld  weder  jener  noch  dieser  kann 
geläugnct  werden;  man  kann  höchstens  zweifelhaft  sein,  wer  von 


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IMF.  URHEBER  IIES  VERBRECHENS. 


475 


beiden  Thcilen  der  intellectuclle  Urheber  war.  Um  hierüber  klar 
zu  werden  und  um  die  Schuldigen  zur  Rechenschaft  zu  ziehen,  dazu 
geschah  von  den  Regierungen  zu  Murzuq  und  Tripolis  ebensowenig, 
als  zur  Feststellung  der  Rolle,  welche  die  verdächtigen  Diener  gespielt 
hatten. 

Als  das  Gefolge  Fräulein  Tinne’s  mit  der  Trauernachricht  in 
Murzuq  eintraf,  war  das  erste  Gefühl  des  Gouverneurs,  wie  gesagt, 
das  der  Freude,  nun  der  Rückzahlung  einer  bei  der  Verstorbenen 
contrahirten  Schuld  uberhoben  zu  sein.  Man  steckte  zwar  den 
tunisischcn  Diener,  den  Sohn  Ahmädi  Kffendi's  und  den  Sbäihi  Ra- 
madan in  s Gefängniss,  doch  den  Erstercn  entliess  man  nach  wenigen 
Tagen,  für  den  Zweiten  wurde  sein  Vater  Bürge  — Dämin  — , und 
als  ich  in  Murzuq  eintraf,  hielt  man  nur  den  Letzten  und  zugleich 
Unschuldigsten  dieser  drei  gefangen.  Von  den  arabischen  Kameel- 
treibern  hatten  sich  nur  diejenigen  ergreifen  hissen,  welche  keine 
thätigen  Mitschuldigen  waren:  die  Uebrigen,  unter  denen  der  als 
Hauptmörder  bekannte  Bü  Sefi  Otmän,  lebten  sicher  im  Wadi  Schi- 
jäti.  Freilich  muss  man  zur  Entschuldigung  der  Behörden  von  Fezzän 
hinzufügen,  dass  sie  kaum  in  der  Lage  sind,  irgend  Jemand  in  den 
Bezirken  der  Nomadenstämme  zu  ergreifen,  wenn  diese  denselben 
nicht  ausliefern  wollen,  denn  die  Fusssoldaten  der  Garnison  sind 
schwer  durch  die  Wüste  zu  schicken,  und  Pferde  und  Kameele  hat 
die  Regierung  nicht  zur  Verfügung.  Die  Zeiten  sind  vorbei,  als  der 
Araberhäuptling  Abd  el-Dschlil  noch  dort  regierte,  und  als  wenigstens 
späterhin  die  Türken  einmal  den  vernünftigen  Gedanken  hatten,  einen 
arabischen  Gouverneur,  Hassan  Pascha,  einzusetzen;  Beide  hielten 
darauf,  dass  eine  gewisse  Anzahl  von  Pferden  und  Reitkameelen  stets 
zur  Verfügung  der  Regierung  waren. 

Man  begnügte  sich,  das  Ereigniss  nach  Tripolis  zu  berichten,  die 
Effecten  der  Verstorbenen  in  Aufbewahrung  zu  nehmen,  nach  dem 
Wadi  Schijäti  um  Auslieferung  des  Bü  Sefi  zu  schreiben  und  von 
Ichnuchen  zu  verlangen,  er  solle  das  gefangene  Njamnjam- Mädchen 
Jasmina,  die  geraubten  Sachen  und  die  Mörder  nach  Murzuq  senden. 
Der  Hadsch  Ahmed  Bü  Släh  war  begreiflicherweise  aus  Furcht,  zur 
Verantwortung  gezogen  zu  werden,  mit  seinen  Verwandten,  den  Tuärik, 
nach  Ghät  gezogen  und  kehrte  vorläufig  nicht  an  seinen  Wohnsitz 
zurück. 

In  Tripolis  war  Ali  Riza  Pascha,  der  Ichnuchen  als  seinen  Freund 


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III.  BUCH,  I.  KAPITEL.  MURZUQ  IM  WINTER  1869/70. 


476 

bezeichnet  und  von  seinem  Einfluss  auf  denselben  und  die  Tuärik 
Asgar  gesprochen  hatte,  beeifert,  die  ganze  Schuld  auf  die  Araber 
zu  wälzen,  deren  habhaft  zu  werden  er  gleichwohl  keine  Anstalten 
machte.  Er  befahl,  alle  Diener  und  sonstigen  Begleiter  Fräulein  Tinne's 
nach  Tripolis  zu  schaffen,  und  dort  sollte  der  Process  geführt  werden. 
Darüber  verstrich  eine  geraume  Zeit.  Zwei  Monate  waren  bereits 
seit  der  Mordthat  verflossen,  als  ich  aus  Tibesti  zurückkehrte,  und  erst 
im  Anfänge  des  November  begann  man  von  der  Absendung  der 
Leute  zu  sprechen,  w elche  um  die  Mitte  des  Monats  beabsichtigt  wurde. 
Doch  diese  waren  durchaus  nicht  beeifert,  nach  Tripolis  zu  gehen. 
Einerseits  befanden  sie  sich  mit  den  drei  Ghirsch  täglich,  welche  von 
der  Regierung  als  zu  ihrem  Unterhalte  erforderlich  festgesetzt  w'orden 
waren,  recht  wohl,  andrerseits  hatten  sie  Furcht  vor  einem  Ueberfalle 
von  Seiten  der  Araber  Schijätfs,  welche  gedroht  haben  sollten,  Jeden 
aufzuheben,  der  zur  Ablegung  eines  Zeugnisses  iibcr  den  Christen- 
mord nach  Tripolis  gehen  werde.  Abdallah  konnte  in  Murzuq 
ungestraft  und  ohne  grossen  Kostenaufwand  seinem  Hange  zur  Lieder- 
lichkeit fröhnen;  Freäh  und  Denqi  steckten  sich  hinter  die  Frauen, 
welche  sic  durch  beunruhigende  Schilderungen  der  Gefahren,  die 
ihrer  unterwegs  von  Seiten  der  drohenden  Araber  warteten,  dazu 
brachten,  abwechselnd  Krankheitszustände  zu  simuliren,  um  die  Ab- 
reise hinauszuschieben.  Endlich  gegen  Ende  des  Monats  musste  die 
Absendung  der  Meisten  auf  dringende  Reclamation  des  holländischen 
Consuls  in  Tripolis  erfolgen.  Vor  Schluss  des  Jahres,  also  mehr 
als  vier  Monate  nach  dem  Ereigniss,  konnten  sie  nicht  daselbst  ein- 
treffen,  und  im  günstigen  Falle  konnte  also  die  Fahndung  auf  die 
Schuldigen  beginnen,  nachdem  ein  halbes  Jahr  seit  ihrem  Verbrechen 
verstrichen  wTar.  Alles  schien  sich  mit  Vorliebe  um  die  Sicherstellung 
der  noch  vorhandenen  Habe  der  Verstorbenen  zu  bekümmern;  aber 
Niemand  zeigte  ein  ernstes  Bestreben,  die  Schuldigen  zu  suchen  und 
das  Verbrechen  bestraft  zu  sehen. 

Je  mehr  Zeit  in  dieser  Hinsicht  thatlos  verstrich,  desto  unzuver- 
lässiger mussten  die  Aussagen  der  Zeugen  werden,  von  denen  die 
meisten  sich  nicht  eben  einer  hohen  geistigen  Begabung  erfreuten, 
und  die  zum  Theil  aus  Frauen  und  halberwachsenen  Jünglingen  be- 
standen, und  desto  weniger  Eifer  musste  die  Bevölkerung,  in  deren 
Mitte  ein  Theil  der  Mörder  lebte,  zeigen,  dieselben  der  Gerechtigkeit 
zu  überliefern.  Wie  wrenig  man  in  Tripolis  die  Verhältnisse  in  Fezzän 


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MASSNAHMEN  DER  BEHÖRDEN. 


477 


kannte  und  sich  zu  energischen  Mnssregcin  entschloss,  geht  daraus 
hervor,  dass  noch  nach  einem  halben  Jahre  der  holländische  General* 
Consul  brieflich  bei  mir  anfragte,  wie  es  doch  komme,  dass  der  Haupt- 
mörder noch  immer  nicht  aus  h'czzän  in  Tripolis  angekommen  sei. 
Um  endlich  einen  gewissen  Eifer  zu  zeigen,  nahm  man  im  Anfänge 
des  December  auf  dem  Markte  Murzuq’s  einen  Täriki  vom  Stamme 
der  Tinelkuni,  der  zum  grossen  Theil  im  Wadi  Gharbi  seine  Wohn- 
sitze hat,  gefangen.  Derselbe  sollte  nach  den  Aussagen  der  damals 
noch  in  Murzuq  vorhandenen  Zeugen  der  Mordthat  noch  auf  den 
todten  Ary  Jacobse  geschossen  haben,  wurde  aber  bald  aus  Mangel 
an  wirklichen  Beweisen  freigelassen. 

Dabei  lauteten  die  Gerüchte  über  die  Absichten  der  Mcqäriha  und 
Auläd  Bü  Sef  immer  drohender.  Dieselben  sollten  geschworen  haben, 
nur  die  eigentlichen  Diener  der  ermordeten  Reisenden  nach  Tripolis 
reisen  zu  lassen,  ihre  gefangenen  Stammesgenossen  und  die  übrigen 
Zeugen  aber  unterwegs  abzufangen  und  sich  der  Hinterlassenschaft 
zu  bemächtigen.  Erst  im  Anfänge  des  folgenden  Jahres,  sechs  Monate 
nach  dem  aufzuklärenden  Ereignisse,  kam  der  Basch -Agha  der 
Sbäihiju  von  Tripolis  mit  einer  kleinen  Reitermacht,  um  die  Ueber- 
führung  der  Zeugen  und  der  Hinterlassenschaft  zu  leiten,  und  wurde 
später,  als  er  diesen  Auftrag  ausgeführt  hatte,  in  den  Wadi  Schijäti 
geschickt,  um  die  widerspenstigen  Mcqäriha  zur  Ordnung  zu  bringen 
und  sich  der  Mörder  zu  bemächtigen.  Von  jenen  ausgezeichnet  auf- 
genommen, bevvirthet  und  beschenkt,  kehrte  derselbe  Ende  Februar 
zurück  und  berichtete  vortheilhaft  über  die  Dispositionen  des  über- 
müthigen  Stammes;  aber  die  Mörder  — hatte  er  nicht  gefunden. 

Um  dieselbe  Zeit  wurde  von  der  Regierung  die  energische  Auf- 
forderung an  Ichnuchen  wiederholt,  die  kleine  Jasmina  und  den 
Muräbid  Hadsch  Ahmed  Bü  Slah  nach  Fczzän  zu  schicken.  Der 
Letztere  hütete  sich  vorläufig  wohl,  an  seinen  Wohnsitz  zurückzu- 
kehren; Ichnuchen  aber  kümmerte  sich  wenig  um  die  diplomatische 
Note,  und  einen  Tuärik- Häuptling,  Hadsch  Dschabör,  der  seit  lange 
mit  jenem  in  Fehde  lag,  sich  auf  tripoiitanisches  Gebiet  zurück- 
gezogen und  hier  der  Regierung  angeboten  hatte,  den  Hauptschul- 
digen Hadsch  esch- Scheich  gefangen  einzubringen,  liess  Ali  Riza 
I’äschä  ins  Gefängniss  werfen.  So  verstrich  die  Zeit,  und  als  ich  im 
Spätfrühjahr  zur  Abreise  nach  Bornü  bereit  war,  schleppte  sich  der 


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III.  BUCH,  I.  KAPITEL.  MUKZUQ  IM  WINTER  1869/70. 


Process  nur  noch  mühsam  dahin  und  drohte  immer  unklarer  zu  werden 
und  endlich  resultatlos  zu  verlaufen. 

Ich  war  froh,  als  endlich  die  speciellsten  Diener  der  Verstorbenen 
Abdallah,  Freäh,  Denqi,  Bc-ja,  Habiba,  Roza  und  die  alte,  treue 
Negerin  Murzuq  verliessen.  Abdallah  war,  wie  gesagt,  ein  zügellos 
liederlicher  Mensch,  über  dessen  schamloses  Leben  ich  mit  seiner 
Herrin  früher  manche  ernste  Unterredung  gehabt  hatte.  Die  beiden 
jüngeren  Genossen  folgten  seinem  Beispiele,  und  als  sie  den  letzten 
moralischen  Halt  durch  den  Tod  ihrer  Herrin  verloren  hatten,  wurde 
die  Unordnung  unerträglich.  Von  dem  zahlreichen  Gefolge  war  allein 
die  alte  Negerfrau  ihrer  Herrin  von  Herzen  ergeben;  alle  Andern 
waren  nur  durch  Interesse  an  ihre  Wohlthäterin  gebunden  ge- 
wesen, und  hatten  keinerlei  wirkliche  Anhänglichkeit  gefühlt.  — Die 
Gesellschaft  war  sehr  schwer  in  Ordnung  zu  halten;  täglich  kamen 
Streitigkeiten,  die  nicht  selten  in  Thätlichkeiten  ausarteten,  vor,  und 
der  interimistische  Gouverneur  Hamcd  Bei  wich  in  seinen  An- 
schauungen und  Entscheidungen  stets  durchaus  von  dem  ab,  was 
ich  für  recht  hielt. 

Als  endlich  der  letzte  Mann  und  das  letzte  Stück  Gepäck  Fräulein 
Tinne's  expedirt  war,  begann  ich  lebhaft  meine  Abreise  nach  Bornü 
herbeizusehnen.  Gesundheit  und  Kräfte  waren  einigemiassen  wieder- 
hergestellt, und  die  vorläufige  schriftliche  Niederlegung  meiner  Er- 
innerungen und  Erfahrungen  aus  der  Tibesti-Reise,  die  um  so  noth- 
wendiger  bald  hatte  geschehen  müssen,  als  meine  Aufzeichnungen 
an  Ort  und  Stelle,  wie  erwähnt,  theils  ungenügend  gewesen,  theils 
bei  der  fluchtartigen  Rückkehr  verloren  gegangen  waren,  hatte  ich 
beendigt.  Sodann  wurde  ich  ärztlich  mehr  in  Anspruch  genommen, 
als  mir  die  Rücksicht  auf  die  Zukunft  und  den  abnehmenden  Medi- 
camenten-Vorrath  wünschenswerth  erscheinen  Hessen;  endlich  drohte 
das  auch  während  des  Winters  nie  ganz  erloschene  Fieber  bei  der 
zunehmenden  Temperatur  der  bevorstehenden  Monate  mit  erneuter 
Kraft  an  meiner  Gesundheit  zu  rütteln. 

Dabei  wurden  die  öffentlichen  Zustände  in  Murzuq  immer  uner- 
freulicher. Die  ganze  Stadt  litt  unter  der  kleinlichen  Habsucht  und 
den  Ungerechtigkeiten  Ilamed  Bei’s.  Besonders  der  Qädi  und  die 
Familie  Ben  Alüa,  von  denen  man  Abhülfe  erwartete,  führten  einen 
allmählich  sich  verbitternden  Kampf  mit  der  Unfähigkeit  und  dem 
bösen  Willen  des  augenblicklichen  Machthabers,  und  dieses  Vcr- 


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UNERFREULICHE  ZUSTANDE  IN  MUKZUQ. 


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hältniss  übte  einen  drückenden  Einfluss  auf  die  gesellschaftlichen  Zu-  . 
stände  der  Hauptstadt  aus.  Hamed  Hei  war  nicht  der  Mann,  den 
Tcdä  und  Tuärik  Respect  einzuflössen  und  die  nicht  minder  ge- 
fürchteten Nomaden  der  Provinz  und  der  grossen  Syrte  im  Zaume 
zu  halten,  so  dass  ein  unbehagliches  Gefühl  öffentlicher  Unsicherheit 
auf  den  Bewohnern  lastete.  Die  Araber  des  VVädi  Schijäti  ver- 
spotteten die  Regierung,  und  die  der  Scherqija  und  der  grossen 
Syrte  hoben  Pilgerkarawanen  auf;  die  Teda  der  Oase  Dschebädo 
hatten  zwar  die  früher  in  Bidän  fortgeschleppten  Leute  zurück- 
geliefert, aber  bald  darauf  zwischen  Murzuq  und  Qatrün  eine  Kawar- 
Karawane  geplündert;  ein  Gerücht  endlich  erhielt  sich  lange,  dass 
Ichnuchen  sich  mit  dem  Auläd  Solimän  verbündet  habe,  um  Fezzän 
ganz  in  Besitz  zu  nehmen. 

Die  Strenge  der  Jahreszeit  war  auch  nicht  eben  erfreulich.  Die 
Thatsache,  dass  die  dortige  Winterkälte  einen  von  mir  früher  unge- 
ahnten Grad  der  Intensität  erreicht,  machte  sich  mir  bisweilen  recht 
unangenehm  fühlbar.  Zwei  der  scheibenlosen  Fensteröffnungen  meines 
Wohnzimmers  verschloss  ich  durch  vorgespanntes  Baumwollcnzeug 
und  würde  gern  dasselbe  mit  dem  dritten  gethan  haben,  wenn  ich 
dadurch  nicht  das  Licht  gänzlich  ausgeschlossen  hätte.  Ein  Kohlen- 
becken hatte  ich  mir  zwar  von  den  Ben  Alüa  geliehen,  allein  die 
Tuärik  des  Wadi  Gharbi  brachten  bisweilen  wochenlang  keine  Kohlen 
auf  den  Markt,  und  mit  50  oder  6°  C.  im  Zimmer,  wie  nicht  selten 
des  Morgens,  ist  Lesen  und  Schreiben,  worauf  ich  doch  angewiesen 
war,  eben  keine  angenehme  Beschäftigung. 

Mit  dem  Winter  trat  auch  die,  allerdings  sehr  seltene,  Gefahr  des 
Regnens  ein.  Die  Salzerde  schmilzt  vorkommenden  Falls  leicht,  und  es 
ist  ein  unbehagliches  Gefühl,  nicht  zu  wissen,  ob  man  dem  Erdbau  noch 
einige  Stunden  Vertrauen  schenken  darf,  oder  ob  es  vorzuziehen  ist, 
sich  in  den  Regen  hinauszubegeben.  Ich  verdankte  dem  italienischen 
Consul  zu  Tripolis  einige  Flaschen  schottischen  Whiskeys,  die  ich 
mir  sorgfältig  versagt  hatte,  um  mit  meinem  Diener  Giuseppe  am 
Weihnachtsabend  und  in  der  Sylvester-Nacht  die  festliche  Stimmung 
zu  erzeugen,  welche  im  fernen  Norden  bei  diesen  Gelegenheiten  vor- 
herrscht. Der  Weihnachtsabend  kam  heran;  mit  ihm  aber  auch  der 
Regen.  Die  Cigarre  war  angezündet;  das  Glas  Grogk  stand  vor  mir. 
Ob  der  Regen  wohl  auf  hören,  das  Haus  Zusammenhalten  würde? 
Unruhig  hörte  ich  hier  und  da  schwere  Tropfen  auf  Erdboden  und 


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4X0  III.  BUCH,  I.  KAPITEL.  MURZUQ  IM  WINTER  1R69/7O. 

Bett  fallen.  Das  Tempo  derselben  wurde  schneller,  und  besorgt  rollte 
ich  meine  Lagerstatt  zusammen.  Da  bröckelten  Stückchen  Erde  vom 
kunstlosen  Plafond  auf  meine  Papiere  und  Bücher,  bald  lagen  in 
einer  Ecke  des  Zimmers  die  Palmenholzbalken  skelcttirt  da,  und  der 
Regen  drang  ungehindert  ein.  Durfte  ich  schliesslich  einen  stürzenden 
Balken  als  Beweis  abwarten,  dass  das  Haus  hinweg  schmelzen  und  zer- 
bröckeln würde,  wie  ganz  Temenhint  einem  plötzlichen  Regen  erlegen 
war?  Resignirt  packte  ich  meine  Habe  in  Kisten  und  Koffer,  wie  zur  Ab- 
reise ; der  Grogk  war  kalt  geworden,  und  die  Erinnerung  an  die  Heimath 
und  fernen  Lieben  konnte  gegen  die  Anforderungen  der  Gegenwart 
nicht  aufkommen.  Noch  machte  ich  einen  Versuch,  meinen  Zweck 
zu  erreichen,  indem  ich  in  Giuseppes  Zimmer  übersiedelte,  das  im 
Erdgeschosse  lag  und  mehr  Sicherheit  versprach.  Ich  versuchte  cs 
mit  einem  frischen  Glase  des  wärmenden  Getränkes,  raffte  alle  Ge- 
müthlichkeit  zusammen,  deren  meine  deutsche  Natur  fähig  war,  setzte 
mich  auf  eine  Kiste  und  versuchte  von  Neuem  zu  rauchen  und  zu 
träumen.  Da  regnete  es  plötzlich  in  mein  Glas.  Das  Fenster  in 
Giuseppc’s  Zimmer  bestand  in  einer  Lücke  des  platten  Daches,  und 
seine  Scheiben  waren  durch  eine  Nummer  der  Londoner  Times  er- 
setzt, welche  grade  den  Substanzverlust  deckte.  So  zähe  und  wider- 
standsfähig sich  dieses  Blatt  auch  stets  in  anderer  Beziehung  erwiesen 
haben  mag,  der  Regen  bohrte  sich  bald  seine  Lücken.  Kaum  hatte 
ich  mich  mit  meiner  Kiste  und  meinem  Glase  in  eine  andere  Gegend 
des  Zimmers  geflüchtet,  als  mir  ein  Stück  Erde  in  den  Grogk  polterte; 
und  so  ging  es  fort  in  rastlosem  Kampfe  zwischen  meiner  deutschen 
Gemüthlichkeit  und  der  in  der  Wüste  unerfreulichen  Naturerscheinung, 
bis  die  erstere  unterlag.  Um  drei  Uhr  Morgens  hörte  der  Regen  auf, 
und  erst  gegen  vier  Uhr  schlich  ich  wehmüthig  meinem  Lager  auf 
der  Strohmatte  zu. 

Solche  Kleinigkeiten  konnten  natürlich  nur  Eindruck  machen  in 
Mitten  des  müssigen  Stilllebens  von  Murzuq.  Es  war  hohe  Zeit,  dass 
ich  endlich  Gelegenheit  fand,  weiter  zu  reisen  und  meine  durch 
Krankheit  und  Eintönigkeit  gedrückten  Lebensgeister  wieder  aufzu- 
rütteln. Leider  gab  es  noch  immer  keine  Aussicht  auf  eine  baldige 
Handelskarawane.  Wohl  kam  gegen  die  Mitte  des  December  von 
Bornü  her  eine  Gesellschaft  Medschäbra,  deren  Menschenwaare  bei 
dem  verschärften  Verbote  des  Sclavenhandels  zum  ersten  Male  heim- 
lich bei  Nacht  in  die  Stadt  gebracht  wurde,  nachdem  freilich  Hamed 


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UNGEMÜTHLICHE  WEIHNACHT.  — REISEAUSSICHT.  481 

Bei  nicht  versäumt  hatte,  die  übliche  Summe  von  zwei  Mahäbub  fin- 
den Kopf  — Räs  — zu  erheben  — man  sagte  sogar,  er  habe  bei 
den  schwierigen  Verhältnissen  die  doppelte  Summe  gefordert  und 
erhalten  — , doch  für  die  umgekehrte  Richtung  gab  es  keine  Reise- 
lustigen. 

Endlich  im  Anfänge  des  neuen  Jahres  lief  die  Nachricht  ein, 
dass  'Ali  Riza  Pascha  die  Absicht  habe,  ebenfalls  eine  Gesandtschaft 
an  den  König  von  Bornü  zu  schicken.  Dieselbe  sollte,  sagte  man, 
diesem  Negerfürsten  Geschenke  überreichen  und  durch  seine  Ver- 
mittlung eine  Sammlung  wilder  Thiere  zur  Uebersendung  nach  Con- 
stantinopel  zurückbringen.  Der  Grossherr  Abd  el-Aziz  hatte  ein 
grosses  Interesse  für  Löwen,  Tiger  und  ähnliche  Bestien  gewonnen, 
und  der  Gouverneur  einer  Provinz  hat  es  sehr  nothwendig,  durch 
kleine  Aufmerksamkeiten  allerhöchsten  Ortes  von  Zeit  zu  Zeit  seine 
Person  in  freundliche  Erinnerung  zu  bringen.  Daneben  konnten 
einige  Eunuchen  mitgebracht  werden , deren  Bedarf  in  den  Palästen 
der  Grossen  Stambul’s  noch  immer  gross  ist,  und  welche  das  er- 
wünschteste Geschenk  bilden  für  die  mächtigen  Vermittler  zwischen 
dem  fern  von  der  Hauptstadt  lebenden  Würdenträger  und  dem  Be- 
herrscher der  Gläubigen. 

Die  Reisegesellschaft  einer  solchen  Gesandtschaft  konnte  mir 
keineswegs  angenehm  sein.  Es  war  vorauszusehen,  dass  der  türkische 
Muschir  seinen  Sendboten  mit  allem  Glanze  eines  wirklichen  Ge- 
sandten des  Grossherrn  ausstatten,  und  dass  derselbe  mich  sowohl 
durch  äusseres  Auftreten  als  durch  seinen  muselmanischen  Charakter 
überall  und  bei  jeder  Gelegenheit  in  den  Schatten  stellen  würde.  In 
den  sudanischen  Ländern  werden  Boten,  wie  der  auszusendende  Beamte 
des  Wall  und  meine  eigene  Person,  als  wirkliche  Gesandte,  unmittelbare 
Vertreter  ihrer  Herrscher  angesehen,  und  das  bescheidene  Auftreten, 
zu  dem  ich  von  vornherein  verurtheijt  war,  musste  meinem  persön- 
lichen Ansehen  und  dem  Rufe  meiner  heimischen  Regierung  um  so 
mehr  schaden,  je  weiter  es  hinter  dem  des  ottomanischcn  Sendboten 
zurückstand,  und  je  unmittelbarer  es  mit  demselben  verglichen  werden 
konnte.  Doch  wie  dem  auch  sein  mochte:  wenn  keine  Karawane 
von  Kaufleuten  bis  zur  Verwirklichung  der  tripolitanischen  Gesandt- 
schaft zu  Stande  gekommen  war,  musste  ich  froh  sein,  auf  diese 
Weise  überhaupt  nach  Bornü  zu  gelangen. 

Eine  Zeit  lang  schien  es  sogar,  als  ob  mir  auch  diese  Möglich- 

Kachiigal.  t.  hl 


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482 


III.  BUCH,  I.  KAPITEL.  MURZUQ  IM  WINTER  1 869/70. 


keit  entzogen  werden  sollte.  Das  Gerücht  der  Gesandtschaft  be- 
wahrheitete sich  zwar,  und  es  wurde  zu  ihrer  Uebernahme  einer  der 
Regierungssecretaire  in  Tripolis,  der  Hadsch  Mohammed  Hü  Äi'scha, 
ein  Bruder  jenes  früheren  Mudir,  der  mir  in  Semnu  Gastfreundschaft 
hatte  angedeihen  lassen,  bestimmt;  doch  der  Muschir  selbst  suchte 
meine  Mitreise  unmöglich  zu  machen.  Meine  Freunde  schrieben  mir 
aus  Tripolis,  dass  Ali  Riza  seinen  künftigen  Sendboten  angewiesen 
habe,  Alles  aufzubieten,  um  meine  Mitreise  zu  verhindern.  Darauf 
liess  ich  die  Regierung  durch  Herrn  Luigi  Rossi  formell  ersuchen, 
mich  ihrem  Abgesandten  speciell  zu  empfehlen,  und  erkannte  aus 
der  Weigerung,  dies  zu  thun,  die  Richtigkeit  der  mir  zugegangenen 
Nachricht.  Der  General-Gouverneur  theilte  dem  östreichischen  Consul 
officiell  mit,  dass  er  vergebens  versucht  habe,  dem  genannten  Hü 
Ai’scha  die  gemeinschaftliche  Reise  mit  mir  anzuempfehlen;  dass 
dieser  und  seine  Gefährten  seit  der  Hrmordung  Fräulein  Tinne’s  sich 
scheuten,  mit  einem  Christen  die  unsichere  Wüste  zu  durchziehen, 
und  dass  er  nicht  in  der  Lage  sei,  einen  Druck  auf  dieselben  aus- 
zuüben, da  sie  zu  kaufmännischen  Zwecken  nach  Bornü  gingen  und 
nur  aus  Gefälligkeit  seine  Briefe  und  Geschenke  mit  sich  nähmen. 
Abgesehen  von  einem  gewissen  Uebelwollen,  das  er  mir  von  Anfang 
an  gezeigt  hatte,  sei  es,  dass  er  seinen  Hass  gegen  Herrn  Rossi  auch 
auf  mich  übertrug,  sei  es  aus  irgend  einem  anderen  Grunde,  fürchtete 
er  wahrscheinlich,  dass  ich  Zeuge  des  Handels  werden  könnte,  den  sein 
Gesandter  mit  Eunuchen  und  anderen  Sclaven  für  eigene  und  seines 
Herrn  Rechnung  treiben  würde,  und  dass  die  Königlichen  Geschenke, 
deren  Ueberbringer  ich  war,  seine  bescheidene  Sendung  am  Hofe 
von  Küka  in  Schatten  stellen  würden.  Als  ihm  später  durch  diplo- 
matische Vermittlung,  welche  ich  angerufen  hatte,  von  Constantinopel 
der  Befehl  zuging,  in  jeder  Weise  meine  Reisepläne  zu  fördern, 
machte  er  dorthin  ebenfalls  die  obigen  Einwendungen  geltend, 
schilderte  den  unsicheren  Zustand  der  Karawanenstrasse,  indem  er 
sich  auf  die  Ermordung  Fräulein  Tinne's  berief,  und  schlug  scheinbar 
in  meinem  Interesse  vor,  die  deutschen  Geschenke  durch  einen  Ein- 
geborenen Fezzän’s  nach  Bornü  überführen  zu  lassen.  Es  entstand 
aus  diesen  Ränken  des  Wäli  eine  höchst  unerfreuliche  Correspondenz, 
die  mich  Monate  lang  in  Aufregung  und  Aerger  erhielt.  Nur  der 
Hadsch  Brähim  Ben  Alüa  lachte  über  meine  Besorgnisse  und  erklärte 
es  gradezu  für  unmöglich,  mich  durch  lntriguen  des  Muschir  von  der 


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INTR1GUEN  DES  WÄLt.  — DER  NEUE  MÜTÄSARRIF.  483 

Mitreise  auszuschliessen.  Bü  ’A'ischa  selbst,  meinte  er,  werde  sicher- 
lich nicht  einmal  den  Versuch  machen,  mich  abzuhalten,  und  selbst 
in  diesem  Falle  sei  ein  Erfolg  desselben  um  so  weniger  denkbar, 
als  sich  auch  verschiedene  Kaufleute  aus  Fezzan  und  speciell  aus 
Murzuq  zur  Mitreise  vorbereiteten. 

Der  kurze  Winter  war  längst  zu  Ende  gegangen,  und  man  er- 
wartete allwöchentlich  die  Ankunft  Mohammed  Ku  Äischa’s,  der  noch 
im  Aufträge  der  Central-Regierung  eine  neue  Steuerveranlagung  in  Fez- 
zän  machen  sollte.  Inzwischen  endigte  im  Februar  die  interimistische 
Regierung  Hained  Bei’s  mit  dem  Eintreffen  des  neu  ernannten  Gouver- 
neurs Halim  Pascha.  Dieser  hatte  schon  einmal  die  Geschicke  der 
Provinz  gelenkt  und  ein  gutes  Andenken  bei  der  Bevölkerung  hinter- 
lassen. Im  Beginn  des  Monats  kam  als  sein  Vorläufer  der  neue 
Commandeur  der  Murzuqer  Garnison,  ein  hübscher,  soldatischer  Mann 
von  etwa  vierzig  Jahren,  der  sich  lange  genug  in  Tripolis  aufgehalten 
hatte,  um  fertig  arabisch  zu  sprechen,  mit  intelligenten  Augen,  fein, 
doch  scharf  geschnittener  Nase  und  energischem,  doch  nicht  eben 
wohlwollendem  und  vertrauenerweckendem  Gesichtsausdruck.  Er 
kehrte  als  neuer  Besen  gut,  und  versetzte  sowohl  die  Üfficiere  als 
die  Soldaten  in  die  höchste  Verwunderung  durch  tägliche  Exercitien 
und  militairische  l ebungen,  deren  sie -durchaus  ungewohnt  waren. 
Der  alte,  abgelöste,  opiumvcrtilgende  K61-Aghäsi  sah  sich  die  Sache 
sehr  gleichmiithig  an,  und  die  Neuerung  schlief  denn  auch  sehr 
bald  wieder  ein.  Man  muss  schon  ein  durchaus  aussergewöhnlicher 
Charakter  sein,  um  gegen  die  allgemeine  Lethargie,  welche  Murzuq 
umfängt,  mit  Erfolg  ankämpfen  zu  können. 

Elastischer  erschien  Halim  Pascha  selbst,  ein  kleiner,  lebendiger, 
fröhlicher,  auf  der  Grenze  des  Greisenalters  stehender  Mann,  dessen 
Gesicht  einen  wohlwollenden  Ausdruck  hatte,  und  dessen  Auftreten, 
wenn  nicht  grade  Intelligenz,  so  doch  eine  gewisse  praktische  Klugheit 
verrieth.  Er  war  voll  guter  Absichten  und  Pläne,  welche  zu  beweisen 
schienen,  dass  die  Erfahrungen  seines  früheren  Aufenthaltes  in  Fezzan 
nicht  ganz  spurlos  an  ihm  vorübergegangen  waren.  Man  konnte  freilich 
bald  erkennen,  dass  ihm  zu  einer  wirklichen  Umwandlung  der  Ver- 
waltung Fezzan’s  Ernst  und  Tiefe  abgingen.  Gleiclnvohl  war  das 
harmlose  Volk  mit  ihm  zufrieden;  ihm  genügte  bei  seinen  traurigen 
Erfahrungen,  dass  er  nicht  bösartig  war.  Gleich  anfangs  trat  er 
auch  den  Tedd  und  Tudrik  gegenüber  mit  einer  gewissen  Festigkeit 

3t  * 


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III.  HUCH,  I.  KAPITEL.  MURZUQ  IM  WINTER  1S69/7O. 


4*4 

auf  und  zeigte  ihnen  durch  besondere  Boten  an,  dass  er  jeden  Räuber 
unerbittlich  hinrichten  lassen  werde;  andrerseits  drohte  er,  ebenso 
streng  die  Uebergrifife  der  übernnithigen  Araber  Fezzän's  und  der 
Syrtengegend  zu  bestrafen.  Doch  in  dieser  Beziehung  blieb  Alles 
beim  Alten;  die  Drohungen  waren  wohl  weder  von  ihm  selbst  so 
ernstlich  gemeint,  noch  glaubte  Jemand  an  die  Möglichkeit  ihrer 
Ausführung.  In  der  inneren  Verwaltung  hielt  er  augenscheinlich  an 
dem  in  der  Türkei  üblichen  Günstlingswesen  fest,  denn  er  ernannte 
alsbald  einen  gewissen  Abd  el-Bei,  einen  früheren  Memfi  (Deportirtcn), 
der  durch  Opiummissbrauch  gänzlich  demoralisirt  war,  zum  Mudir 
des  Wadi  Gharbi,  machte  einen  Sohn  des  erwarteten  Bü  Äi'scha 
zum  Mudir  des  Wadi  Scherqi  und  versprach  auch,  meinen  Gast- 
freund aus  Semnu  wieder  einzusetzen.  Mit  Halim  war  sein  jüngster 
Sohn  gekommen,  ein  lebendiger,  kräftiger  Jüngling  von  etwa  acht- 
zehn Jahren,  der  als  Sohn  einer  Ildschija*)  so  werden  die 
weissen  Sclavinnen  in  türkischen  Landen  genannt  — aus  Circassien 
mit  seinem  weissen  Teint,  blonden  Haar  und  blauen  Augen  seltsam 
mit  dem  Aussehen  seiner  Umgebung  contrastirte.  Es  war  fast  ein 
Verbrechen,  einen  jungen  Menschen  an  einen  solchen  Platz  zu  führen, 
und  ich  zweifle  nicht  daran,  dass  derselbe  in  der  unerträglichen  Ein- 
förmigkeit des  dortigen  Lebens,  in  Mitten  des  geistigen  Schlafs  oder 
Todes,  in  den  Alles  versunken  war,  seine  Unterhaltung  in  den  rohsten 
sinnlichen  Genüssen  gesucht  haben  und  in  wenigen  Jahren,  wenn  ihn 
das  Schicksal  nicht  auf  einen  andern  Schauplatz  geführt  hat,  voll- 
endeter Lasterhaftigkeit  anheimgefallen  sein  wird.  Eine  solche  Bc- 
amtenschule  wird  aber  in  den  ferner  gelegenen  Provinzen  des  tür- 
kischen Reiches  für  ausreichend  gehalten,  und  wenn  der  Sohn  Halim 
Paschas  wahrscheinlich  bald  darauf  zum  Mudir  eines  Fezzäner  Be- 
zirkes ernannt  wurde,  so  kann  man  sich  denken,  wie  es  mit  Ordnung 
und  Recht  in  demselben  bestellt  sein  musste. 

In  den  letzten  Tagen  des  Februar  traf  Mohammed  Bü  ’Ai'scha 
ein,  ein  kräftiger,  hochgewachsener,  lebhafter  Mann  von  funfundfünfzig  • 
bis  sechzig  Jahren,  welcher  der  Gutmüthigkeit  zwar  nicht  zu  ent- 
behren schien,  aus  dessen  Augen  aber  vor  Allem  List  und  Klugheit 
leuchtete.  Er  gehörte  dem  mehrfach  erwähnten  Stamme  der  Auläd 

*)  Das  Wort  1 Wisch  bedeutet  eigentlich  ,, Barbar”,  Barbarus  religinneui  Muhanitncrfi* 
non  profitens  (Freitag,  Lexicnn  nrabico * latinum).  .*  - i 


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i>f.r  gesandte  bü  ’AYscha.  485 

Solimän  an  und  war  voller  Erinnerung  an  die  glanzende  Periode  der- 
selben unter  ihrem  Häuptling  Abd  el-Dschlil,  als  dessen  Sccretair 
Kätib  — er  einst  fungirt  hatte.  So  lange  jener  in  Fezzän  geherrscht 
und  in  Frieden  mit  der  türkischen  Regierung  in  Tripolis  gelebt  hatte, 
war  er  als  sein  Agent  bei  der  letzteren  accreditirt  gewesen.  Später  war 
er  ein  thätiger  Zeuge  der  heroischen  Kämpfe  des  Araberhäuptlings 
gegen  die  Türken  gewesen,  und  als  sein  Herr  in  der  entscheidenden 
und  verlorenen  Schlacht  den  Tod  gefunden  hatte,  war  er  selbst  ver- 
wundet und  gefangen  nach  Tripolis  geführt  worden,  wo  er  es,  mit  der 
Zeit  wieder  zu  Gnaden  angenommen,  zu  der  Stellung  eines  Regierungs- 
schreibers gebracht  hatte.  Er  liebte  die  Erinnerungen  an  jene  inter- 
essante Zeit  und  freute  sich  darauf,  seine  Stammesgenossen,  welche 
seit  einem  Menschenalter  in  Känem  ihr  Wesen  trieben,  und  von 
denen  er  noch  Viele  persönlich  kannte,  wiederzusehen. 

Von  einem  Versuche  seinerseits,  die  gemeinschaftliche  Reise  mit 
mir  zu  umgehen,  war  nicht  die  Rede;  er  schien  meine  Gesellschaft 
bis  Bornü  vielmehr  als  selbstverständlich  anzusehen.  Ich  verdankte 
dies  einestheils  seiner  Bekanntschaft  mit  dem  Consul  Rossi,  mit 
welchem  er  in  Geschäftsverbindung  stand,  anderntheils  dem  sich  um 
diese  Zeit  verbreitenden  Gerüchte  von  der  demnächstigen  Abberufung 
Ali  Rizä's.  Welche  bescheidene  Stellung  ich  freilich  an  seiner  Seite 
unterwegs  und  in  Bornü  einnehmen  würde,  ging  mir  aus  dem  officiellen 
Empfange  hervor,  den  ihm  Haltm  Pascha  zu  Theil  werden  liess. 
Dieser  empfing  ihn  zu  Pferde  ausserhalb  der  Stadt,  in  grosser  Uniform 
an  der  Spitze  der  ganzen  Garnison,  und  begleitet  von  allen  höheren 
Beamten,  den  Mitgliedern  des  Medschelis  und  den  Honoratioren  der 
Stadt.  Sein  Einzug  war  ebenso  festlich,  als  der  des  Gouverneurs 
gewesen  war,  und  ich  fühlte  mich  in  der  That  einigermassen  bedrückt, 
w'enn  ich  seine  glänzende  Uniform  mit  meiner  bescheidenen  arabischen 
Kleidung  verglich,  und  wenn  ich  seine  stolzen  Pferde  betrachtete, 
während  ich  bisher  stets  auf  einfache  Lastkamcele  zum  Reiten  be- 
schränkt gewesen  war. 

Während  des  ganzen  Monat  März  war  Bü  Äischa  mit  der  neuen 
Steuereinschätzung  der  Fezzäner  beschäftigt,  die  natürlich  darauf  be- 
rechnet war,  noch  etwas  mehr  als  früher  aus  den  gutmüthigen  Leuten 
heraus  zu  pressen,  und  die  also  allgemeines  Missvergnügen  erzeugte. 
Obgleich  die  Nachricht  von  Tripolis  einlief,  er  solle  diese  Thätigkeit 
einstellen,  da  von  der  Stambuler  Regierung  ein  Special -Commissar, 


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480  III.  BUCH,  I.  KAPITKI..  MUKZUQ  IM  WINTER  1 869/70. 

ein  sogenannter  Mufettisch,  für  ganz  Tripolitanien  ernannt  sei,  so 
verheimlichte  er  doch  diesen  Befehl,  um  aus  der  Ausführung  des 
Auftrages  noch  einige  kleine  materielle  Vortheile  zu  ziehen. 

Ich  vollendete  indessen  meine  Reisevorbereitungen,  entschloss 
mich  zum  Ankauf  eines  Pferdes,  das  nach  der  Versicherung  Aller 
unumgänglich  nothwendig  sei,  um  einigermassen  anständig  in  Bornü 
aufzutreten,  und  erwartete  mit  Sehnsucht  den  Moment  der  Abreise. 
Bu  Äischa  besass  ungefähr  zwanzig  Kameele,  obwohl  die  Geschenke, 
deren  Ueberbringer  er  war,  ausser  zwei  Pferden  nur  aus  einem  Säbel 
und  einem  Qorän  bestanden,  und  hatte  ein  so  grosses  Gefolge,  dass 
ich  voraussah.  ich  würde  mich  mit  meinen  neun  Kameelen  und  fünf 
Leuten  unterwegs  allen  seinen  Anordnungen  zu  fügen  haben.  Seine 
Gesellschaft  bestand  aus  Verwandten,  Clienten  und  Sclaven,  von 
denen  die  Ersteren  die  lange  und  mühsame  Reise  ohne  eine  be- 
stimmte Zusicherung  von  Gewinn  in  der  unbestimmten  Hoffnung 
unternahmen,  dass  von  den  Reichthümern,  mit  denen  die  Freigebig- 
keit des  Scheich  Omar  unzweifelhaft  ihren  Gönner  überschütten  würde, 
auch  für  sie  Etwas  ablallen  werde.  Böse  Zungen  in  Murzuq  be- 
haupteten, dass  die  vielen  Kisten  und  Kasten,  welche  der  Gesandte 
mit  sich  führte,  keine  VVaaren,  wie  er  glauben  machen  wollte,  ent- 
hielten, sondern  leer  und  nur  bestimmt  seien,  den  Herrscher  von 
Bornü  und  seine  Würdenträger  zu  blenden  und  auf  Kosten  derselben 
gefüllt  zurück  gebracht  zu  werden. 

Dieser  Entfaltung  von  Macht  und  Glanz  gegenüber  freute  ich 
mich,  als  ausser  den  Kaufleuten,  welche  die  Reise  mitzumachen  be- 
absichtigten, aber  weder  durch  Zahl  noch  durch  Ansehen  ein  Gegen- 
gewicht gegen  Bü  Äischa  zu  bilden  verhiessen,  eine  grosse  Gesell- 
schaft marokkanischer  Gaukler  unsere  Karawane  zu  vergrössern  ver- 
sprach. Im  Süden  Marokkos,  von  Agadir  bis  zur  Säqia  el-Hamrä, 
blüht  dieses,  sonst  in  der  Welt  des  Islam  nicht  besser  als  bei  uns  an- 
gesehene Gewerbe  ausserordentlich , ist  den  Bewohnern  ganzer  Ort- 
schaften eigenthümlich  und  erbt  in  den  Familien  fort.  Ueber  alle  Länder 
des  Islam  verbreiten  sich  diese  Akrobaten  in  oft  ansehnlichen  Banden, 
und  nicht  selten  hat  man  sogar  Gelegenheit,  sie  in  den  Städten 
Europas  ihre  Turnkünste  und  Kraftstücke  producircn  zu  sehen.  Wie 
Marokko  überhaupt  das  Land  mystischer  Secten,  fanatischer  Religions- 
gesellschaften und  geheimnissvollcr  Heiliger  ist,  so  umgeben  sich  auch 
diese  Leute  mit  einem  mystisch  • religiösen  Nimbus  und  vereinigen 


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MAROKKANISCHE  oaukier  und  pii.cer.  487 

gewöhnlich  ihre  Kunstreisen  mit  der  Pilgerfahrt  nach  Mekka.  Trotz 
der  grossen  Entfernung  und  obgleich  die  mit  der  Ausübung  eines 
solchen  Gewerbes  verbundene  Reise  Jahre  bis  zur  Rückkehr  erfordert, 
ist  Marokko  ebenso  reich  an  Pilgern  Hadsch  pl.  Hadsch idsch  — , 
als  an  Abkömmlingen  des  Propheten  — Scherif  pl.  Schurafd,  Scherdfa 
oder  Aschrdf  — und  Manche  jener  Gaukler  reisen,  so  zu  sagen, 
zwischen  ihrer  Heimath  und  dem  heiligen  Lande  beständig  hin  und 
her.  Meist  stehen  solche  Pilger  Gesellschaften  in  Verbindung  mit 
religiösen  Instituten  Zäwia  — , welche  in  grosser  Anzahl  bestehen 
und,  wie  unsere  Klöster,  theils  zum  Aufenthalte  für  fromme  Nichts- 
thuer,  theils  als  religiöse  Unterrichts-Anstalten,  theils  als  Stätten 
der  Gastfreundschaft  und  der  Wohlthätigkeit  dienen.  Von  diesen 
werden  sie  zu  der  langen  Reise  ausgestattet,  bringen  aber  dafür 
oft  relativ  beträchtliche  Summen  in  die  Kassen  ihrer  Institute 
zurück. 

Die  Marokkaner,  um  welche  es  sich  im  vorliegenden  Falle  han- 
delt, und  welche  in  der  zweiten  Hälfte  des  März  in  Murzuq  anlangten, 
stammten  aus  dem  Lande  Süs,  wo  Sidi  Husein,  einer  jener  heiligen 
Männer  der  islamitischen  Welt,  die  an  Ansehen  mit  Fürsten  wett- 
eifern, von  seiner  weit  und  breit  berühmten  Zäwia  zu  Tasruäl  aus 
seinen  Einfluss  auf  die  Stämme  des  Wädi  Süs,  des  unteren  Wädi 
ed-Drd'  und  der  Sdqia  ausübte.  Wie  fast  alljährlich  hatten  sich  dort 
Männer,  Jünglinge  und  Knaben  aus  der  Gegend  zur  Pilgerfahrt  ge- 
sammelt und  der  Hadsch  Sdlih,  der  bereits  zwölf  Mal  Mekka  besucht 
hatte,  war  wieder  zum  Chef  — Moqaddem  oder  Scheich  — der  Ge- 
sellschaft ernannt  worden.  Diese  war,  etwa  fünfzig  Köpfe  stark,  in 
nordöstlicher  Richtung  durch  Marokko  gezogen,  hatte  die  hauptsäch- 
lichsten Städte  Algerien  s berührt,  in  Tunis  ihre  Künste  gezeigt  und 
war  endlich  nach  Tripolis  gekommen,  wo  man  dem  Hadsch  Sdlih 
gerathen  hatte,  zum  Besten  seiner  Zawia  den  Umweg  durch  die 
Sudan-Länder  nicht  zu  scheuen  und  die  Höfe  der  sclavenreichen  und 
freigebigen  Negerfürsten  zu  besuchen.  Ohne  eine  klare  Idee  von 
der  Grösse  des  Umweges  und  den  Schwierigkeiten  und  Zeitverlusten 
zu  haben,  welche  eine  solche  Reise  mit  sich,  bringen  musste,  folgte 
der  kühne,  abenteuerliche  Sinn  der  Pilgergesellschaft  diesem  Rathe. 
Anstatt,  wie  gewöhnlich,  längs  der  Nordküstc  über  Siwa  nach  Egypten 
zu  wandern,  schlug  derselbe  von  Tripolis  aus  den  Weg  nach  Fezzan 
ein  und  kam  schon  ziemlich  enttäuscht  über  die  Fruchtlosigkeit  des 


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488  III.  BUCH,  I.  KAPITKI..  MURZUQ  IM  WINTER  l86q/70. 

Wüstenweges  in  Murzuq  an.  Da  schon  in  Algerien  und  Tunis  Viele 
in  Folge  von  Zwistigkeiten  ihre  Gefährten  verlassen  und  Andere  sich 
geweigert  hatten,  den  weiten  Weg  durch  die  Negerländer  zu  machen, 
so  war  die  Gesellschaft  bei  ihrer  Ankunft  in  Murzuq  bereits  auf  fünfund- 
zwanzig Individuen  zusammengcschmolzen , von  denen  ungefähr  die 
Hälfte  noch  in  dem  kindlichen  Alter  von  neun  bis  fünfzehn  Jahren  stand. 
Es  waren  interessante  Erscheinungen,  in  der  Mehrzahl  unverfälschte 
Berber,  von  denen  Manche  nur  wenige  Worte  der  arabischen  Sprache 
verstanden.  Mit  Ausnahme  des  Hadsch  Sälih,  der  ein  Fünfziger  war, 
und  eines  andern  älteren  Mannes,  waren  die  Erwachsenen  junge, 
kräftige  und  elastische  Leute,  die  Kinder  sehr  frisch  und  lebendig. 
Die  armen  Kleinen  hatten  nicht  allein  den  ganzen  Weg  zu  Fuss  zu- 
rückgelegt, sondern  gewiss  in  den  Nächten  von  Kälte  und  an  den 
Tagen  von  Durst  arg  gelitten,  denn  sie  besassen  nur  zwei  Kameele, 
welche  das  gesammte  Gepäck  und  den  ganzen  Wasservorrath  tragen 
mussten.  Der  Hadsch  Sälih  schien  kein  Freund  von  Weichlichkeit 
und  Bequemlichkeit  zu  sein.  Einige  waren  vortreffliche  Springer, 
Andere  führten  ungewöhnliche  Kraftleistungen  aus,  und  der  Hadsch 
Sälih  balancirte  eine  etwa  20  Fuss  lange,  mächtige  Stange  in  den 
Händen  oder  im  Gürtel,  während  drei  oder  vier  Knaben  an  derselben 
turnten.  Manche  verstanden  keinerlei  Gauklerstücke,  füllten  aber  die 
I’ausen  zwischen  den  Productionen  der  Gymnasten  durch  musikalische 
Unterhaltung  auf  Trommel  und  Pfeife  aus.  Noch  Andere  endlich, 
welche  bei  den  öffentlichen  Vorstellungen  in  keiner  Weise  mitwirken 
konnten,  mussten  die  Hausarbeit  thun,  Wasser  holen,  kochen,  nähen 
und  andere  Dienstleistungen  verrichten. 

Dass  von  den  armen  Einwohnern  Murzuq’s  keine  erheblichen 
Einnahmen  zu  erwarten  waren,  begreift  sich.  Hädsch  Sälih  musste 
sich  damit  begnügen,  in  und  vor  den  Häusern  der  Honoratioren  Vor- 
stellungen zu  geben,  und  derer,  welche  in  der  Lage  und  geneigt 
waren,  anständig  zu  bezahlen,  waren  nicht  Viele.  Der  Päschä,  Hadsch 
Mohammed  Ben  Alüa,  sein  Sohn  Hädsch  Brähim , der  Qädl,  Bü 
Ai'scha,  der  Hädsch  el-Ämri,  der  Kätib  el-Mäl  und  meine  Person 
waren  die  Einzigen,  welche  ihr  Scherflein  zur  Kunstreise  und  Pilger- 
fahrt beitrugen.  Um  mir  einen  Anhang  zu  verschaffen,  der  mich 
unter  Umständen  unabhängig  von  Bü  Aischa  und  seinem  Gefolge 
machen  konnte,  suchte  ich  mir  diese  Leute,  von  denen  die  Erwach- 
senen ausserordentlich  geschickt  mit  ihren  vortrefflichen  marokka- 


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MEINE  REISEBEGLEITUNG. 


489 


nischen  Steinschlossgewehren  umzugehen  wussten,  geneigt  zu  machen, 
schenkte  ihnen,  als  sie  vor  meinem  Hause  ebenfalls  eine  Vorstellung 
gaben,  zehn  Maria  - Theresia -Thaler  und  schoss  ihnen  die  nöthige 
Summe  zum  Ankäufe  eines  dritten  Kameels,  dessen  sie  unumgäng- 
lich bedurften,  unter  der  Bedingung  vor,  dass  sic  mit  mir  und  nach 
meinem  Wunsche  reisen  würden.  Der  Ruf  der  Mannhaftigkeit,  dessen 
sich  die  Berber  überall  erfreuen,  die  zahlreichen  Beispiele  von  Muth, 
welche  ich  während  der  tunisischen  Revolution  an  den  Zuäwa  aus 
den  algerischen  Bergen  zu  bewundern  Gelegenheit  gehabt  hatte,  und 
die  strenge  Zucht,  welche  Hadsch  Sälih  in  seiner  Gesellschaft  hielt, 
schienen  mir  eine  ausgezeichnete  Begleitmannschaft  zu  versprechen. 
Dieselbe  konnte  mir  um  so  nützlicher  werden,  als  ich  sehr  schlecht 
mit  Dienstpersonal  versehen  war.  Den  oft  beim  Diebstahl  ertappten 
Ali  aus  Mandära  hatte  ich  seit  längerer  Zeit  als  unverbesserlich  aus 
meinem  Dienste  entlassen,  und  ihn  nur,  da  er  andernfalls  sicherlich 
in  die  Sclaverei  zurückverfallen  würde,  erlaubt,  unter  meinem  Schutze 
in  seine  Heimath  zurückzukehren.  Dass  ich  diesen  als  Diener 
verlor,  konnte  ich  nicht  sehr  bedauern,  da  er  weder  mit  Kameelcn 
umzugehen  verstand,  noch  irgend  welche  Erfahrung  im  Wüstenreisen 
hatte;  doch  dass  ich  auch  den  Fezzäner ’Ali,  der  ein  höchst  brauch- 
barer Mann  in  dieser  Hinsicht  war,  entlassen  musste,  war  ein  grosser 
Verlust  für  mich.  Das  müssige  Leben  während  des  ganzen  Winters 
1869/70  hatte  ihn  in  landesüblicher  Weise  liederlich  und  in  Folge 
dessen  auch  unredlich  gemacht.  Alles  Geld,  dessen  er  mit  Recht 
oder  Unrecht  habhaft  werden  konnte,  trug  er  zu  seiner  Schönen  in  s 
Nachbarhaus,  und  als  er  ihren  Anforderungen  nicht  mehr  Genüge 
leisten  konnte,  machte  er  mein  Pferd,  das  er  alle  Morgen  spazieren 
zu  reiten  den  Auftrag  hatte,  zur  Quelle  des  Gewinnes.  Während  ich 
mir  alle  erdenkliche  Mühe  gab,  das  kaum  gekaufte  Thier  für  die  be- 
vorstehende Wüstenreise  zu  stärken  und  zu  kräftigen,  benutzte  er 
dasselbe,  um  zu  einem  bei  der  dortigen  Pferdearmuth  erklärlichen, 
verhältnissmässig  hohen  Preise  heimlich  alle  Stuten  der  Umgegend 
decken  zu  lassen.  Leichtsinnig  und  starrköpfig,  wie  er  war,  schlug  er 
alle  guten  Lehren  und  Rathschläge  in  den  Wind,  und  es  gab  endlich 
keinen  Ausweg  mehr,  als  ihn  zu  entlassen.  So  blieben  mir  von 
meiner  ursprünglichen  Dienerschaft  nur  Büi  Mohammed,  Sa'ad  und 
Giuseppe,  von  denen  die  beiden  Letzteren  nie  W'üstenrcisen  gemacht 
hatten,  und  ich  musste  daran  denken,  ihre  Zahl  wieder  zu  vervoll- 


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490 


III.  BUCH,  I.  KAPITEI..  MCKZUQ  IM  WINTER  1869/70. 


ständigen.  Ich  micthetc  mir  also  für  den  bevorstehenden  Weg  nach 
Bornü  einen  Fezzäner,  Namens  Ben  Zekta,  der  grade  aus  der  Mur- 
zuqer  Garnison  geschieden  war,  um  bei  einem  reichgewordenen 
Bruder,  der  als  Kaufmann  in  Ktika  lebte,  eine  wenn  auch  nicht  mühe- 
losere, so  doch  ergiebigere  Existenz  zu  suchen.  Ausserdem  überwies 
mir  der  Hadsch  Brähim  seinen  Haussasclaven  Barka,  den  er  mit  zwei 
Kamecllasten  Waaren  nach  Bornü  schickte,  zur  Hülfslcistung. 

Meine  Kameele  hatte  ich  auf  neun  gebracht,  gute  Haussa-Wasser- 
schläuche  — Qirba  — und  fezzanische  Gepäcksäcke  — Ghurära  — ge- 
kauft, und  Reis,  Mohammes,  Datteln  und  Buqsmät  als  Mundvorrath 
— Müna  oder  Awm  — angeschafft:  Bui  Mohammed  hatte  die 

Kameelsattel , Stricke  und  dergleichen  erneuert  und  sah  ebenfalls 
sehnsüchtig  dem  Tage  der  Abreise  entgegen,  welche  sich  so  lange 
hinausgeschoben  hatte,  dass  ich  bisweilen  zu  zweifeln  begann,  ob  sie 
sich  jemals  realisiren  werde. 


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Zweites  Kapitel. 

REISE  NACH  KAWÄR. 


Abschied  von  meinen  Freunden.  — Nachtlager  zu  IMdsch  Hadschll.  --  Zczatt  und 
cl-Quleib.  — Sebcha  von  Trügen  und  Müfcn.  — Weg  von  Mdfen  nach  Mcstüta.  — 
Bü  'Aischa's  Erzählungen  aus  der  Vergangenheit  Fczzdn’s. — Der  alte  Zein  cl-’Abidin. 
Marsch  nach  Bir  Dckklr  und  Qatrun.  — Tod  des  Hddsch  Dschübcr.  — Arabische 
Pferdekenner.  — - Drohender  Kaubzug  der  Tedd  Tu'*.  — Zwistigkeiten  unter  den 
Marokkanern.  — Phantastische  Abendvorstellung  derselben.  — Ankunft  unserer  Reise- 
gefährten aus  Murzuq.  — Marsch  nach  Tedschcrri  und  Kmpfang  daselbst.  — Dattcl- 
uiid  Strohproviant.  — Strecke  bis  zuin  Tüinmo.  — Kbcne , Berg  und  Brunnen  MÄ- 
döma.  — Station  MafSras.  — Vegetation  der  Gegend.  — Die  Oase  Jat.  — Die  Düm- 
palmc  und  ihre  Frucht.  — Die  Oase  Jeggeba.  — Die  Strasse  nach  Bornu  im  All- 
gemeinen. — Barbarische  Strenge  des  Hddsch  Sdlih.  — Ankunft  in  der  Nähe  KawÄr's. 


Als  Tag  des  Aufbruchs  war  der  18.  April  bestimmt  worden. 
Hü  Äischa,  Hadsch  Abd  er-Rahmän,  Schwiegersohn  des  älteren  Ben 
Alüa,  Hadsch  Hamida,  Schwager  des  Scheich  Omar  von  Bornu,  und 
Hadsch  Bü  Hädi,  ein  Murzuqer  Kaufmann,  welche  die  vornehmsten 
Glieder  unserer  Karawane  waren,  beabsichtigten  noch  einige  Tage 
in  der  Stadt  zu  verweilen,  expedirten  aber  wenigstens  ihre  Leute 
und  ihr  Gepäck  zur  festgesetzten  Zeit.  Ich  selbst  war  viel  zu  erfreut, 
dass  die  Reise  endlich  beginnen  sollte,  als  dass  ich  mich  auch  nur 
einen  Tag  hätte  zurückhalten  lassen.  Wir  versammelten  uns  in  den 
vor  dem  Ostthore  der  Stadt  gelegenen  Gärten,  und  die  vornehmsten 
Einwohner  Hessen  es  sich  nicht  nehmen,  uns  dort  Lebewohl  zu  sagen 
und  unsere  Reise  durch  das  übliche  Fätiha  einzusegnen.  Hin  Jahr 
war  grade  verflossen,  seit  ich,  von  Norden  kommend,  durch  dasselbe 


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III.  BUCH,  2.  KAPITEL.  REISE  NACH  KAWAR. 


492 

Thor  eingezogen  war,  und  wenn  ich  auch  fast  die  Hälfte  dieser  Zeit 
auf  der  denkwürdigen  Excursion  nach  Tibesti  abwesend  gewesen  war, 
so  hatte  ich  doch  lange  genug  in  der  Stadt  selbst  gelebt,  um  unter 
den  Einwohnern  manche  liebenswürdige  Bekannte  und  selbst  warme 
Freunde  erworben  zu  haben.  Man  war  mir  im  Ganzen  mit  viel  Wohl- 
wollen begegnet;  niemals  hatte  ich  von  religiösem  Fanatismus  ge- 
litten, und  nur  der  eitle  und  falsche  Hamed  Bei  war  nicht  mein 
Freund  geworden.  Nach  Kräften  hatte  ich  mich  bemüht,  durch  Aus- 
übung der  ärztlichen  Kunst  meine  Dankbarkeit  für  diese  Aufnahme 
zu  beweisen,  und  so  waren  Bande  geknüpft  worden,  deren  Lösung 
mich  mit  aufrichtigem  Bedauern  erfüllte.  Besonders  schwer  wurde 
mir  der  Abschied  von  den  Gliedern  der  Familie  Ben  Alüa,  nament- 
lich von  dem  greisen  Hadsch  Mohammed  und  dem  verständigen 
Hadsch  Brähim.  Nicht  ohne  eine  tiefe  Rührung  vermochte  ich  ihnen 
Lebewohl  zu  sagen,  wenn  ich  auch  damals  natürlich  nicht  ahnen 
konnte,  dass  Beide  bald  darauf  fast  gleichzeitig  aus  dem  Leben 
scheiden  sollten.  Auch  von  dem  braven  Qädi,  der  so  vorurtheilsfrei 
war,  wie  man  selten  einen  islamitischen  Glaubenswächter  finden 
dürfte,  dem  harmlosen  Scherif  Baserki,  den  beiden  Ben  Otmän  und 
dem  Hadsch  el-'Amri  trennte  ich  mich  mit  aufrichtigem  Bedauern. 

Nach  dem  Fatiha,  das  der  brave  Qädi  vorsprach,  umarmte  ich 
noch  einmal  meine  Freunde,  und  gegen  drei  Uhr  Nachmittags  zogen 
wir  über  den  Sand  der  nächsten  Umgebung  der  Stadt  mit  seinem 
spärlichen  Dattelpalmenbcstande  und  über  den  kalkigen  Boden  der 
Hammäda  von  Murzuq  gen  Südosten.  Wir  hielten  uns  östlicher,  als 
auf  dem  Zuge  nach  Tibesti  und  schlugen  um  Sonnenuntergang  in 
der  Nähe  des  Dörfchens  Hadsch  Hadschil  unser  Nachtlager  auf. 
Ich  fühlte  mich  wie  von  einer  unendlichen  Last,  einem  drückenden 
Alp  befreit,  seit  das  einförmige  Murzuq  hinter  mir  lag,  uHd  war  in 
der  gehobenen  Stimmung,  welche  ein  neues  Ziel  dem  Reisenden  stets 
verleiht.  Wenn  ich  daran  dachte,  wie  ich  vor  einem  halben  Jahre 
zerlumpt,  halbverhungert  und  mit  einem  auf  Credit  gekauften  Esel  als 
einzigem  Besitzthum,  auf  dieser  Strasse  in  umgekehrterRichtung  einher- 
gezogen war,  und  jetzt,  hoch  zu  Rosse,  meine  Augen  auf  neun  vortreff- 
liche Kameele  und  eine  Leibgarde  von  25  Maghrebinern  (Marokkanern) 
richtete,  so  konnte  ich  wohl  mit  freudiger  Hoffnung  in  die  Zukunft 
blicken  und  mit  Zuversicht  an  die  Erfüllung  meiner  nächsten  Auf- 
gabe gehen. 


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ABSCHIFI)  VON  Ml'RZl'Q. 


4‘J3 


Bis  Hadsch  Hadschil  hatte  uns  Bui  Mohammeds  Gattin  das  Ge- 
leit gegeben.  Der  Abschied  trug  keine  sichtlichen  Spuren  grosser 
beiderseitiger  Rührung  an  sich,  denn  jener  würde  cs  unter  seiner 
Würde  gehalten  haben,  ähnliche  Gefühle  zum  Durchbruch  kommen 
zu  lassen,  und  diese  war  nicht  nur  an  jahrelange  Abwesenheiten  ihres 
Eheherrn  gewöhnt,  sondern  besass  jetzt  auch  in  ihrem  erwachsenen 
Sohne  einen  ausreichenden  Schutz  und  eine  hülfreiche  Hand  in  der 
Besorgung  von  Haus  und  Garten. 

Mit  lebhaftem  Bedauern  gedachte  ich  der  pflichttreuen  Feida, 
welche  früher  Nachts  unseren  Lagerplatz  mit  ihrem  Gebell  erfüllt 
hatte,  und  ihres  Gefährten  Dudschäli,  dessen  Verlust  ich  ebenfalls  zu 
beklagen  hatte.  Nachdem  dieser  den  Fährlichkeiten  der  Tibesti- 
Reise  glücklich  entgangen  war,  fiel  er  bald  darauf  den  culinarischen 
Gelüsten  einiger  vorurtheilsfreier  Bewohner  von  Murzuq  zum  Opfer; 
er  war  gestohlen  und  geschlachtet  worden.  Als  Ersatz  hatte  ich 
eine  Windhündin  aus  dem  W.  Schijäti,  Namens  Ghazäla,  angeschafft, 
welche  uns  in  den  jagdreichen  Steppen  der  südlichen  Sahärä  Gazellen 
und  Antilopen  erjagen  sollte. 

Am  folgenden  Morgen  (19.  April)  erreichten  wir  in  derselben 
Ostsüdostrichtung  und  über  den  kalkig- staubigen  Boden  der  Um- 
gebung Murzuq’s  bald  das  armselige  Dörfchen  Zezau,  das  aus  einigen 
Dutzend  Erdhäuschen  besteht,  die  den  gewöhnlichen  Zustand  des  Ver- 
falls zeigten,  und  berühmt  wegen  seiner  Tabakscultur  ist.  Vor  uns 
in  weitem  Bogen  schienen  die  Dattelpflanzungen  desselben  im  Osten, 
des  Dorfes  el-Quleib  im  Südosten  und  Bidän's  im  Süden  zusammen 
zu  stossen.  Während  grade  nach  Osten  sich  ein  ausgetretener  Weg 
zur  Quelle  Ain  - von  Traghcn  abzweigte,  marschirten  wir  auf 

el-  Qu  leib  zu,  von  dem  wir  durch  eine  mehre  Stunden  breite,  mit 
Etel  tragenden  Neulingen  besetzte  Ebene  getrennt  waren.  Nach 
sechsstündigem  Tagemarsche  lagerten  wir  in  der  unmittelbaren  Nähe 
einer  vortrefflichen  Aqül- Weide  bei  dem  Dörfchen.  Dieses  bestand 
aus  vereinzelten  Palmenzweighütten  und  lag  auf  einem  Hügel,  zu 
dessen  Füssen  sich  einige  schlecht  gepflegte  Gärten  ausdehnten,  in 
denen  Weizen  und  Gerste  gebaut  und  zum  grössten  Thcil  schon  ge- 
schnitten worden  war.  Die  jetzigen  Einwohner  waren  Leute  von 
Bidän,  %velche  vor  den  Ueberfallen  der  Tubu  Reschäde  dorthin  ge- 
flohen waren;  von  den  früheren  wusste  man  nur  zu  sagen,  dass  sie 
unter  dem  Drucke  der  schlechten  Zeiten  allmählich  verschwunden, 


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494 


III.  BUCH,  2.  K.APITE1..  REISE  NACH  KAWÄR. 


gestorben  oder  ausgewandert  waren.  Die  Marokkaner  waren  meinen 
Leuten  eifrig  beim  Ab-  und  Aufladen  behülflich  gewesen,  und  mach- 
ten auf  dem  Wege  in  ihrer  Ordnung  und  Manneszucht  einen  vor- 
trefflichen Eindruck.  Ihr  Scheich  Hess  die  Jüngeren  alle  in  einer 
Reihe  marschiren,  und  Müdigkeit  durften  selbst  die  kleinsten  nicht 
zeigen.  Noch  am  Nachmittag  mussten  sie  den  spärlichen  Bewohnern 
el-Quleib’s  eine  Probe  ihrer  Kunst  ablegen,  welche  ihnen  einen  kleinen 
Dattelvorrath  einbrachte. 

Das  Ziel  des  folgenden  Tages  war  Mäfen,  wo  Bü  Äi'scha  zu  uns 
zu  stossen  versprochen  hatte.  Die  Gegend  bildet  durch  ihren  Aqül 
Wuchs  und  ihren  Bestand  von  Rischü  und  Domrän  beliebte  Weide- 
plätze, welche  zur  Zeit  des  frischen  Krautwuchses  von  Tuärik- Ab- 
theilungen aufgesucht  werden,  auf  deren  Mattenhütten  wir  hier  und 
da  stiessen.  Im  Nordosten  lag  die  Dattelwaldung  von  Träghen,  und 
vor  uns,  ungefähr  in  der  Mitte  zwischen  el-Quleib  und  Mäfen,  das 
elende  Dörfchen  Ben  Dlif.  Auf  dieses  folgte  in  unserer  ostsüdöst- 
lichen Wegrichtung  eine  langgestreckte  Niederung,  welche  in  ihrem 
Beginne  auf  sandigem  Boden  einen  ungepflegten  Dattelhain  trug  und 
im  Norden  von  einem  Sebcha  begrenzt  war,  der  sie  von  den  Pflan- 
zungen Traghcn’s  trennte  und  in  seinem  trockenen  Theile  Dis-Wuchs 
zeigte.  Je  mehr  wir  uns  Mäfen,  das  wir  fünf  Stunden  nach  unserem  Auf- 
brüche erreichten,  näherten,  desto  besser  gehalten  war  der  Dattelhain. 

Das  Dorf  war  grösser,  als  die  an  den  vorhergehenden  Tagen 
gesehenen,  und  zeigte,  wenn  auch  halbverfallen,  wie  die  meisten 
Dörfer  Fezzän’s,  doch  in  den  Häusern  manche  Spuren  früherer  Wohl- 
habenheit und  in  den  Gärten  viele  Beweise  reger  Thatigkeit.  Ausser 
dem  Getreide,  das  kurzhalmig,  doch  vollährig,  zum  grössten  Theile 
noch  nicht  geschnitten  war,  und  neben  den  gewöhnlichen  anderen 
Gartenfrüchten  zogen  die  Einwohner  viele  Stauden  rothen  Pfeffers 
und  Leinsamenpflanzen  — el-Atela  — . Das  Wasser  der  drei  Meter 
tiefen  Brunnen  zeichnet  sich  durch  seinen  süssen  Geschmack  aus, 
während  dasselbe  weiter  westlich  häufig  brakisch  ist.  Das  relativ  gute 
Aussehen  der  Ortschaft  und  ihrer  Gärten  datirt  noch  aus  der  nahe- 
liegenden Zeit,  in  der  manche  reiche  Medschäbra  ihren  Wohnsitz  da- 
selbst hatten.  Seit  die  Handelsbestrebungen  derselben  sich  wieder  mehr 
Wadäi  zugewendet  haben,  und  der  Weg  nach  Bornü  mehr  und  mehr 
verödet,  ist  Mäfen  wüeder  zuriiekgegangen,  und  selbst  der  Mudir  des 
Bezirkes,  ebenfalls  ein  Medschebri,  hatte  seinen  Wohnsitz  in  dem 


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DÖRFER  DFK  HOFRA. 


495 


nicht  fernen  Tuila  genommen.  Auch  der  Scheich  von  Bornü  besass 
ein  Landgut  daselbst  mit  ansehnlichem  Dattelbestande,  dessen  Ver- 
walter schon  mit  dem  Bornütitel  Kaschelia  beehrt  wurde. 

Als  wir  bei  den  Gärten  des  Dorfes  lagerten,  fehlten  Giuseppe 
und  Ben  Zekta  und  waren  selbst  nach  einigen  Stunden  noch  nicht 
zu  uns  gestossen.  Hadsch  Sälih  liess  es  sich  nicht  nehmen,  einige 
seiner  Leute  mit  einem  kleinen  Wasservorrathe  zu  ihrer  Aufsuchung 
auszusenden,  doch  ehe  diese  zurückkehrten,  fanden  sich  die  Ver- 
missten wieder  ein.  Der  arme  Ben  Zekta  war  in  Folge  getrübter 
Hornhäute  halb  blind,  hatte  den  Weg  nach  Träghen  eingeschlagen 
und  auch  Giuseppe  irre  geführt.  Eben  daher  kam  Bü  Aischa  gegen 
Abend  mit  der  Nachricht,  dass  unsere  übrigen  Reisegefährten  erst 
folgenden  Tages  aufzubrechen  und  in  Qatrün  zu  uns  zu  stossen  beab- 
sichtigten. 

Bevor  wir  am  nächsten  Morgen  (21.  April)  von  Mäfen  aufbrachen, 
machte  der  Mudir,  Hadsch  Mohammed  es-Süfi  aus  Tuila,  seine  Auf- 
wartung und  bildete  durch  seine  freundliche  und  intelligente  Phy- 
siognomie und  sein  lebhaftes  Wesen  einen  angenehmen  Gegensatz 
zu  den  meist  etwas  schläfrigen  Einwohnern  Fezzän's.  Er  ritt  eine 
kleine,  braune  Bornüstute,  welche  durch  ihre  zierlichen  und  elastischen 
Gliedmassen  und  ihre  eleganten  Formen  meine  volle  Bewunderung 
erregte  und  meine  früheren  Vorstellungen  von  den  Bornüpferden  erheb- 
lich modificirte.  Der  Hadsch  Bü  Hädi  nämlich  besass  ebenfalls  ein  sehr 
brauchbares,  starkes,  aber  plumpes  und  ponyartiges  Pferd  aus  Bornü, 
und  ich  hatte  dasselbe  stets  für  einen  Repräsentanten  der  dortigen 
Rasse  gehalten.  Der  Mudir  war  begleitet  von  dem  Ortsältesten,  und 
in  Folge  dieses  Besuches  brachen  wir  erst  um  acht  Uhr  Morgens 
auf,  obgleich  uns  ein  langer  Tagemarsch  bis  Mcstüta  bevorstand. 

Mäfen  liegt  am  Südrande  der  Hofra  und  ist  von  Qatrün  durch 
dieselbe  Sandwüste  getrennt,  welche  wir  auf  der  Tibesti -Reise  von 
Bidän  ab  passirt  hatten.  Doch  wird  der  Weg  über  Mäfen  nach 
Qatrün,  obwohl  ein  Umweg,  vielfach  von  den  Reisenden  gewählt, 
weil  die  Sandregion  hier  sowohl  schmäler  als  weniger  gehügelt  ist, 
während  weiter  westlich  die  hohen  Hügel  aus  Flugsand  den  be- 
ladenen Kameelen  erhebliche  Schwierigkeiten  bereiten.  Sobald  wir 
die  niedrigen  Dünen,  welche  die  Hofra  und  Scherqija  nach  Süden 
begrenzen,  überwunden  hatten,  zogen  wir  in  nahezu  südlicher  Rich- 
tung über  eine  weite  Serir,  welche  nur  hier  und  da  durch  lang 


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496 


III.  BUCH,  2.  KAPITEI«  REISE  NACH  KAWÄR. 


gestreckte  Sandhügel,  die  Ausläufer  der  westlicheren  Dünen,  unter- 
brochen war.  Nach  etwa  acht  Stunden  tauchte  in  der  Ferne  vor 
uns  die  dunkle  Vegetationslinie  der  Hattija  Mestüta  auf;  um  Sonnen- 
untergang zeigten  sich  die  ersten  Domrän- Hügel,  und  nach  einigen 
weiteren  Stunden  erreichten  wir  das  verfallene  Schloss  und  den 
Brunnen  der  verlassenen  Oase.  Die  Dauer  des  Marsches  und  die 
hereingebrochene  Dunkelheit  brachten  Unordnung  und  Zerfahrenheit 
in  die  Karawane,  wie  solche  überhaupt  im  Beginne  einer  Reise  häufig 
eintreten.  Zuletzt  dehnte  sich  unser  Zug  auf  eine  IJinge  von  fast 
zwei  Stunden  aus,  und  der  Nachtrab  schimpfte  auf  meinen  braven 
Mohammed,  welcher  den  Führer  machte,  und  den  man  beschuldigte, 
den  Weg  verloren  zu  haben.  Ich  war  wieder  voller  Bewunderung 
für  die  Knaben  der  Marokkaner,  welche  den  fast  zwölfstündigen 
Marsch  mit  grösster  Leichtigkeit  und  Munterkeit  zurücklegten,  sogar 
unterwegs  noch  Zeit  und  Lust  zu  Scherz  und  Spiel  fanden  und  end- 
lich mir,  wie  gewöhnlich,  noch  beim  Abladen  der  Kameele  und  dem 
Aufschlagen  des  Zeltes  behülflich  waren. 

Bü  Äischa  vertrieb  mir  die  lange  Zeit  des  Marsches  in  recht 
interessanter  Weise  durch  seine  Erzählungen  aus  der  Geschichte 
Fezzan's,  deren  Documente  leider  unter  der  Herrschaft  der  Aulid 
Solimän  verloren  gegangen  zu  sein  scheinen.  Er  war  ein  belesener, 
schriftgewandter  und  kluger  Mann,  der  Vieles  über  die  Vergangen- 
heit seines  Vaterlandes  gehört  und  selbst  reiche  Gelegenheit  gehabt 
hatte,  Beobachtungen  zu  sammeln.  Es  war  erklärlich,  dass  er  die 
Vergangenheit  auf  Kosten  der  Gegenwart  über  Gebühr  lobte,  doch 
thatsächlich  lässt  sich  der  allmähliche  Rückschritt  von  Tripolis  und 
Fezzan  nicht  leugnen.  Mochten  seine  Zahlen  übertrieben  sein,  wenn 
er  erzählte,  dass  Jüsef  Pascha  im  Anfänge  dieses  Jahrhunderts  noch 
mit  40,000  Mann  zu  kriegerischen  Unternehmungen  ausziehen  konnte; 
dass  die  Städte  und  Dörfer  in  der  Nähe  der  Mittelmeerküste  auf  den 
zehnten  Theil  ihres  Contingents  an  Reitern  und  Kriegern  gegen 
früher  reducirt  seien:  für  Fezzan,  das  er  als  Regierungssccretair  Abd 
el-DschhTs  genau  gekannt  haben  musste,  und  dessen  Einwohner  er 
jetzt  zur  Steuer  eingeschätzt  hatte,  konnte  er  die  bedcnk'iche  Be- 
völkerungsabnahme mit  Zahlen  beweisen.  Die  Reste  der  arabischen 
Kastelle  übrigens,  welche  im  südlichen  Fezzan  dem  Reisenden  auf- 
stossen,  wie  die  Schlösser  - Qasr  pl.  Qusür  Mestüta,  Dekkir. 
Serendibe,  Kimba,  UIed  Ammi,  Kidde  etc.  legen  das  lebendigste 


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MESTÜTA.  — NEUE  REISEBEGLEITER. 


497 


Zeugniss  grösseren  Wohlstandes,  zahlreicherer  Bevölkerung  und 
höherer  Thatkraft  in  früheren  Zeiten  ab.  So  weit  auch  dieselben 
gegen  die  Kriegsbauten  der  Araber  und  Berber  anderer  Gegenden 
zurückstehen,  so  wenig  werden  sie  in  Festigkeit  und  künstlerischer 
Ausführung  von  den  fezzänischen  Bauten  der  Jetztzeit  erreicht. 

Noch  in  der  Nacht  stiess  ein  einäugiger  Medschcbri  aus  Tuila 
zu  uns,  der  sich  der  Bornükarawane  anschliessen  wollte,  und  über- 
redete Bü  Ä'fscha,  der  natürlich  als  Karawanenältester  — Scheich 
el-Qäffla  — betrachtet  wurde,  einen  Ruhetag  in  Mestüta  zu  machen, 
wo  vielleicht  schon  unsere  Reisegefährten  von  Murzuq  zu  uns  stossen 
würden.  Mit  ihm  kam  ein  alter  Bekannter  von  mir  aus  Murzuq, 
Zein  el-’Abidin,  der  mir  eine  Zeit  lang  als,  freilich  wenig  zuverläs- 
siger, Lehrer  der  Kanüri- Sprache  gedient  hatte,  und  ein  sehr  harm- 
loser und  braver  Mann  war.  Er  zählte  etwa  siebzig  Jahre  und  be- 
fand sich  mit  seiner  alten  Ehegattin  und  einer  kleinen  Enkelin  im 
Zustande  äusserster  Armuth  und  Verlassenheit.  Seine  drei  Söhne 
waren  einer  nach  dem  andern  nach  Bornii  gewandert,  um  sich  aus 
den  armseligen  Verhältnissen  der  Hcimath  herauszuarbeiten,  und  so 
entschloss  sich  der  alte  Mann,  im  Vertrauen  auf  die  Freigebigkeit  des 
Scheich  Omar,  dem  er  persönlich  wohl  bekannt  war,  dort  ebenfalls 
einige  Existenzmittel  zu  suchen.  Er  machte  die  Reise  zum  dritten 
Male,  und  der  Entschluss  zu  derselben  war  ihm  bei  seinem  Alter 
und  bei  seiner  grossen  Zärtlichkeit  für  die  kleine  Enkelin  jede 
Erinnerung  an  die  Trennung  von  ihr  presste  ihm  Thräncn  aus  — 
recht  schwer  geworden.  Er  war  bei  seinen  Landsleuten  sehr  beliebt 
und  zeichnete  sich  durch  zwei  Eigenthümlichkeiten  aus,  welche  weit 
und  breit  bekannt  waren  und  uns  häufig  Gelegenheit  zu  Scherzen 
gaben.  Erstens  führte  er  einen  Stab  bei  sich,  der  ihn  seit  vierund- 
zwanzig Jahren  nicht  verlassen  und  auch  die  früheren  Reisen  nach 
Bornü  mitgemacht  hatte,  und  zweitens  trug  er  stets  einen  Dattelkern 
im  Munde,  der  ihm  seit  siebzehn  Jahren  Tabak  und  Güronüsse  gewisser- 
massen  ersetzte,  Genüsse,  welche  er  sich  aus  eigenen  Mitteln  nicht 
verschaffen  konnte.  Beide  Gegenstände  waren  ihm  alte,  liebe  Freunde 
geworden,  die  zu  verlieren  er  für  ein  grosses  Unglück  gehalten  haben 
würde. 

Der  Marsch  des  folgenden  Tages  (23.  April)  durch  die  zwischen 
Mestüta  und  Qatrün  liegende  Wüste  war  durch  seine  Länge  nicht 
minder  anstrengend  als  derjenige  von  Mäfen  ab,  da  er  der  wasser- 

Nachtignl.  I ^ 


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49H  III.  BUCH,  2.  KA PITEI..  REISE  NACH  KAWAR. 

und  futterbedurftigen  Pferde  wegen  nicht  gut  auf  zwei  Tage  vertheilt 
werden  konnte.  Gegen  Mittag  arbeiteten  wir  uns  durch  die  als 
Ghard  el-Kebir  bekannte  Dünenkette,  erblickten  gegen  Abend  im 
Osten  die  Vegetationslinie  der  Thalniederung,  die  sich  als  Wadi 
Ekema  von  Tedscherri  nach  Medschdül  erstreckt,  erreichten  aber 
trotz  unseres  vierzehnstündigen  Marsches  unser  eigentliches  Ziel 
Qatrün  nicht,  sondern  mussten  in  der  Nähe  des  nördlich  davon  ge- 
legenen Bir  ed-Dekkir  lagern,  den  selbst  zu  finden  uns  die  vorge- 
schrittene dunkle  Nacht  verhinderte.  Ein  heftiger  Sandwind,  der 
glücklicherweise  aus  Nordosten,  also  theilweise  aus  unserem  Rücken 
kam,  machte  den  weiten  Marsch  zu  einem  äusserst  mühsamen,  der 
in  der  Trennung  der  einzelnen  Karawanen-Gruppen  und  im  Verfehlen 
des  Zieles  einen  entsprechenden  Abschluss  fand.  Glücklicherweise 
waren  die  Marokkaner  und  Barka  (Ben  Alüa’s  Sklave)  bei  mir  ge- 
blieben, und  wir  gaben  uns  bei  der  abseitigen  Ermüdung  ohne  grosses 
Bedauern  über  den  Wassermangel,  der  uns  am  Abkochen  hinderte, 
der  Nachtruhe  hin. 

Nachdem  wir  am  frühen  Morgen  des  folgenden  Tages,  in  Rück- 
sicht auf  die  grosse  Nähe  Qatrün’s  und  unsere  weidereiche  Umgebung, 
die  Kameele  zu  einem  Morgenimbiss  hinausgeschickt  hatten,  während 
einige  Leute  zu  dem  einigermassen  versandeten  Brunnen  gegangen 
waren,  um  sein  spärliches  Wasser  zu  sammeln,  fand  uns  Bii  Äi'scha, 
der  zum  Aufbruch  bereit  war.  Da  wir  auf  Thiere  und  Wasser  warten 
mussten,  Hessen  wir  ihn  voraus  ziehen,  nahmen  ein  kleines  Frühstück 
von  Zommeta  ein  und  folgten  erst  nach  einigen  Stunden.  Wir  folgten 
dem  flachen  Ekema-Thale,  das  wir  bei  dem  Bir  ed-Dekkir  betreten 
hatten,  und  dessen  Terrain  hier  abwechselnd  aus  steiniger  Wüste, 
Sand-  und  trockenem  Sebcha-Boden  besteht,  erreichten  Qatrün  nach 
etwa  fünfstündigem  Marsche  und  lagerten  auf  der  Nordwestseite  der 
Stadt,  wo  Bü  Äi'scha  bereits  sein  Lager  aufgeschlagen  hatte.  Da 
wir  voraussichtlich  hier  einige  Tage  in  der  Erwartung  unserer  Reise- 
gefährten zu  verbringen  hatten,  so  hatte  Bü  Äi'scha  nicht  allein  seine 
beiden  grossen  einfachen,  kegelförmigen  Zelte  aufgeschlagen,  neben 
denen  das  meinige,  das  ausser  meinem  Gepäcke  kaum  zwei  Personen 
zu  beherbergen  im  Stande  w'ar,  sich  schon  äusserst  armselig  aus- 
nahm, sondern  prunkte  mit  dem  prächtigen  Pascha -Zelte,  mit  dem 
ihn  der  tripolitanische  General-Gouverneur  ausgestattet  hatte.  Schon 
hier  fühlte  ich  klar,  dass  es  für  mich  unmöglich  seüi  w'ürde,  in 


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QATRON  UND  DER  ENKEt.  HADSCH  DSCHABKR’s.  499 

äusserem  Auftreten  mit  meinem  Gefährten  zu  concurriren.  Bü  Äischa 
hatte  ausserdem  die  natürliche  Vorliebe  der  Araber  für  Prachtentfaltung 
und  wusste  mit  der  ihm  eigenthümlichen  Lebensklugheit  und  seiner 
genauen  Kenntniss  von  Land  und  Leuten  seine  Stellung  als  Regie- 
rungsbeamter und  Gesandter  den  geizigen  Muräbidija  von  Qatrün 
gegenüber  gehörig  geltend  zu  machen,  um  sie  zu  einer  ungewöhn- 
lichen Bethätigung  der  Gastfreundschaft  zu  zwingen. 

Augenblicklich  stand  an  der  Spitze  der  Qatrüner  und  des  ganzen 
Bezirkes  Sälih,  ein  Enkel  Hadsch  Dschäber’s.  Der  Letztere  war  kurz 
nach  meiner  Rückkehr  aus  Tibesti,  wie  man  sagte,  in  Folge  der  Auf- 
regung, in  welche  ihn  die  rohen  Uebergriffe,  Drohungen  und  Thät- 
lichkeiten  der  Nomaden  Barqa's,  deren  Zeuge  ich  noch  zum  Theil  ge- 
wesen war,  versetzt  hatten,  plötzlich  gestorben.  Sein  Sohn,  der  eigent- 
liche Erbe  seines  Ansehens  und  seiner  Stellung  — auch  Regierungs- 
stellen werden  in  jenen  Gegenden  oft  erblich  — , befand  sich  seit  län- 
gerer Zeit  in  Bornü,  und  sein  Bruder,  der  freundliche  Hadsch  Hamdün, 
das  Echo  seines  bewunderten  Bruders,  war  im  Aufträge  der  Fezzäner 
Regierung  nach  Tibesti  gegangen,  um  den  unaufhörlichen  Räubereien 
der  Tubu  Reschäde  endlich  ein  Ziel  zu  setzen.  So  ruhten  auf  dem 
jungen  Sälih,  der  aber  schon  jetzt,  wie  sein  Grossvater,  kurzweg  ,,der 
Muräbid”  genannt  wurde,  die  Pflichten  der  Repräsentation  und  Gast- 
freundschaft, deren  er  sich  auch  mit  der  Sicherheit  entledigte,  welche 
die  fest  normirten  Sitten  des  patriarchalischen  Lebens  selbst  dem 
Jüngsten  und  Unerfahrensten  geben.  Er  war  ein  hochgewachsener, 
junger  Mann  mit  regelmässigen,  nicht  unedlen  Zügen,  erinnerte  aber 
durch  seine  Hautfarbung  wenig  an  seinen  Grossvater  und  den  marok- 
kanischen Ursprung  seiner  Vorfahren,  denn  er  war  dunkler,  als  die 
meisten  Tedä. 

Ich  war  froh,  dass  wir  einige  Tage  in  Qatrün  bleiben  mussten, 
denn  mein  kürzlich  gekauftes  Pferd  begann  mir  schon  im  Beginne 
der  Reise  durch  verschiedene  Krankheitserscheinungen  ernstliche 
Sorge  zu  machen.  Der  erfahrene  Bü  Äischa  wurde  consultirt  und 
belehrte  mich , dass  sein  Zustand  eine  Folge  allzu  reichlicher  Ge- 
treidenahrung sei,  die  auf  der  Reise  stets  vermindert  werden  müsse. 
Dem  Thiere  wurde  in  Folge  dessen  Wasser  und  Gerste  entzogen, 
eine  nasse  Decke  während  der  Nachtkälte  auf  den  Rücken  gelegt 
und  ein  Aderlass  in  Aussicht  gestellt.  Dies  gab  meinem  Reise- 
gefährten Gelegenheit,  die  wunderlichsten  Ansichten  über  die  Natur 

32* 


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III.  BUCH,  2.  KAP1TET..  REISE  NACH  KAW.tR. 


600 

der  Pferde  und  über  die  Erkennung  ihrer  Eigenschaften  und  Krank- 
heiten zu  entwickeln,  und  mir  von  Neuem  den  Beweis  zu  liefern, 
dass  die  Araber  ihre  ausgezeichnete  Beobachtungsgabe  wegen  ihrer 
Vorliebe  für  das  Uebernatürliche  nie  zu  voller  Geltung  kommen 
lassen.  Ohne  Zweifel  sind  sie  vortrefflliche  Pferdekenner,  doch  ab- 
gesehen von  den  berechtigten  Urtheilen,  welche  sie  aus  dem  ganzen 
Bau  der  Thiere  ableiten,  ziehen  sie  aus  den  zufälligsten  Eigenschaften, 
wie  besonders  aus  der  Richtung  und  Anordnung  des  Haarwuchses 
am  Halse,  auf  der  Stirn  und  in  den  Weichen,  die  gewagtesten 
Schlüsse  über  Temperament,  Ausdauer  und  Geschwindigkeit  der 
Thiere,  fällen  danach  auf  den  ersten  Blick  llrtheile  über  ihre  Lebens- 
dauer und  glauben  fest,  aus  den  gleichgültigsten  äusseren  Merkmalen 
einen  mystischen  Einfluss  auf  das  Wohl  und  Wehe  ihrer  Eigen- 
thümer  erkennen  zu  können.  So  sind  die  Araber  in  Allem.  Neben 
einer  Fülle  von  verständigen,  sinnigen  Beobachtungen  halten  sie  an 
den  widersinnigsten  Anschauungen  fest,  welche  um  so  mehr  An- 
hänger gewinnen,  je  unvereinbarer  sie  mit  dem  gesunden  Menschen- 
verstände erscheinen.  Selbst  Bü  Äischa,  ein  sonst  sehr  verständiger 
Mann,  suchte  mir  in  vollster  Ucberzeugung  aus  seiner  Erfahrung  die 
Beweise  für  die  Berechtigung  dieser  abergläubischen  Ansichten  zu 
liefern. 

Am  zweiten  Tage  unserer  Anwesenheit  in  Qatrün  brachte  mein 
Tibesti- Gefährte  Bü  Zcid  von  einer  Reise  nach  Murzuq  die  Nach- 
richt mit,  dass  ein  expresser  Bote  aus  Ghät  der  Fezzäner  Regierung 
gemeldet  habe,  die  Tubu  Reschade  ständen  im  Begriffe,  170  Reit- 
kameele  — Mahäri  pl.  Mahäri*)  — gegen  Fezzän  auszurüsten.  Halim 
Pascha  und  Hadsch  Brähim  hatten  in  Folge  dessen  den  Mudir  der 
Scherqija  beauftragt,  mit  fünfzig  Reitern  den  ersten  Theil  unseres 
Weges  zu  sichern.  Sowohl  diese  Reiterescorte  als  auch  unsere 
Murzuqer  Reisegefährten  stiessen  folgenden  Tages  zu  uns  und  be- 
reiteten mir  noch  eine  besondere  Freude  durch  die  Ueberbringung 
zahlreicher  Briefe  und  Nachrichten  aus  der  Heimath. 

Während  ich  bisher  die  Ordnung,  Mannszucht  und  Einigkeit 
unter  den  Marokkanern  bewundert  hatte,  zeigten  sich  schon  in 
Qatrün  Spuren  von  Spaltungen  in  ihrem  Kreise,  die  im  Laufe  der 


*)  Dieser  weit  verbreitete  Name  für  Reit-  oder  Rennkamcele  leitet  seinen  Ursprung 
von  dein  Districte  MahÄra  in  llmlramaut  ab. 


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ARABISCHE  PEF.RDEKENNKR.  — ZERWÜRFNISSE  BEI  liF.N  MGHARBA.  5ül 

Reise  sehr  tief  gehen  und  auch  mich  vielfach  berühren  sollten.  Zwei 
junge  Männer  der  Gesellschaft  kamen  zu  mir  mit  der  Erklärung, 
dass  sie  ihre  Gefährten  zu  verlassen  beabsichtigten,  um  nach  Tripolis 
zurückzukehren  und  auf  der  Nordküste  den  Weg  nach  Mekka  fort- 
zusetzen, und  mit  der  Bitte,  von  ihrem  Scheich  die  Auslieferung 
einer  ihnen  gehörigen  Fahne  zu  erwirken.  Wahrend  ich  mich  ver- 
geblich über  die  Gründe  ihres  Entschlusses  in  s Klare  zu  setzen 
suchte,  erschien  der  Hadsch  Sälih  selbst  in  unserer  Mitte.  Die  beiden 
Jünglinge  erhoben  sich,  küssten  ihrem  Anführer  die  Hand  und  wurden 
von  ihm  gleichfalls  umarmt  und  auf  die  Stirn  geküsst.  Beide  Theile 
versicherten,  keinerlei  Grund  zu  gegenseitiger  Unzufriedenheit  zu 
haben;  die  jungen  Leute  wollten  nie  ein  böses  Wort  von  ihrem  Chef 
gehört  haben,  und  dieser  schwor,  sie  zu  lieben,  wie  seine  Söhne. 
Gleichwohl  hielten  jene  mit  der  den  Berbern  eigentümlichen  Hart- 
näckigkeit an  ihrer  Absicht  der  Trennung  fest.  Hadsch  Sälih  hielt 
die  eindringlichste  Rede,  halb  arabisch  und  halb  berberisch,  mit 
einer  Beredtsamkeit,  welche  mir  gänzliches  Schweigen  auferlegte,  bat 
sie  flehentlich,  zu  ihm  zurückzukehren,  küsste  sic  wiederholt  auf's 
Haupt  und  fesselte  sich  die  Hände  auf  den  Rücken.  Ehrfurchtsvoll 
lösten  jene  die  Bande,  erhoben  keinerlei  Klage  gegen  ihn  und  waren 
ebensowenig  zur  Darlegung  ihrer  Gründe,  als  zur  Aenderung  ihres 
Entschlusses  zu  bewegen.  Selbst  Bui  Mohammed  suchte  sie  mit 
einer  Redefertigkeit,  die  ich  ihm  gar  nicht  jeugetraut  hätte,  zur  Ver- 
söhnlichkeit zu  bewegen,  führte  rührende  Beispiele  an,  wie  die 
heterogensten  Elemente  in  einer  Karawane  durch  ihren  gemein- 
schaftlichen Zweck  und  die  Nachgiebigkeit  der  Einzelnen  zusammen- 
gehalten würden,  und  lenkte  ihren  Blick  auf  die  Kameele,  die  in  grösster 
Einigkeit  zusammenreisten,  und  von  denen  nie  eines  allein  gehen  würde. 
Alles  war  vergebens. 

Trotz  dieses  Zerwürfnisses  gaben  uns  die  Marokkaner  am  Abende 
desselben  Tages  eine  höchst  pittoreske  Vorstellung  zum  Besten. 
Fünfzehn  von  ihnen,  dem  Alter  und  der  Grösse  nach  geordnet,  in 
schneeweissen  Kleidern,  von  denen  die  rothen  Gürtel  und  Bandeliere 
mit  den  glänzend  geputzten,  metallenen  Dolchscheiden  sich  bei  dem 
aufleuchtenden  Feuer  der  ringsum  unterhaltenen  Holzbrände  phan- 
tastisch abhoben,  vollführten  einen  eigenthümlichen  Tanz  zum  Klange 
zweier  Tamburins  und  einer  Flöte  und  begleiteten  denselben  mit 
melancholischen  Gesangsweisen  und  rhythmischem  Händeklatschen. 


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502  111.  BUCH,  2.  KAPITEI..  REISE  NACH  KAW.AR. 

Ein  Vortänzer  gab  die  Tanzbewegungen  an,  die,  erst  langsam  und 
feierlich,  im  weiteren  Verlaufe  von  Minute  zu  Minute  rapider  und 
leidenschaftlicher  wurden.  Zwei  fast  gleichaltrige  Knaben  im  Alter 
von  dreizehn  bis  fünfzehn  Jahren,  durchaus  gleich  gekleidet,  mit 
Talismanen  und  Amuleten  behängt,  den  Kopf  mit  weiss-  und  roth- 
seidenen  Tüchern  umwunden,  mädchenhaften  Aussehens  mit  ihren 
langen,  weissen  Gewändern  und  den  frischen  Farben  ihrer  erregten 
Gesichter,  lösten  sich  dann  aus  der  Reihe  der  Tanzenden  im  Zustande 
höchster  Erregung.  Ein  leises  Zittern  durchschauerte  anfangs  ihren 
zarten  Körper,  schien  dann  tiefer  und  tiefer  ihr  ganzes  Wesen  zu 
durchdringen,  und  zuletzt  schwebten  sie  mit  fast  unsichtbaren  Be- 
wegungen der  Füsse  auf  dem  Boden  des  Tanzplatzes  hin  und  her, 
bis  sie  geisterhaft  im  Dunkel  der  Nacht  verschwanden  und  nicht 
wieder  zum  Vorschein  kamen.  Der  eigenthümliche  Contrast  zwischen 
den  Physiognomieen  der  Betheiligten,  den  ernsten  und  rauhen  Zügen 
der  meisten  Männer  neben  den  zarten  Milch-  und  Blut-Gesichtern 
der  Knaben  in  ihren  hellen  Kleidern,  dem  finster  und  gcheimnissvoll 
blickenden,  broncefarbigen  Moqaddcm  neben  seinem  Neffen  und 
Vertrauten,  einem  blonden  Jünglinge  von  fast  deutschen  Zügen, 
erschien  durch  die  wechselnde  Beleuchtung  der  lodernden  Feuer 
noch  phantastischer.  Bald  schien  die  ganze  märchenhafte  Gruppe 
in  tiefes  Dunkel  versinken  zu  wollen,  bald  wurde  sie  grell  beleuchtet 
von  dem  aufflackernden  Feuer  der  trockenen  Palmblattrippen.  Der 
eigenartige  Gesang  in  fremder  Zunge  und  mit  fremdem  Tonfall,  die 
nicht  zur  arabischen  Musik  zu  passen  schienen;  die  nächtlichen 
Schatten  der  umgebenden  Palmen;  die  buntgekleideten  Knaben  mit 
ihren  fremdartigen  Gesichtern  unter  den  in  stummes  Staunen  ver- 
sunkenen dunkelfarbigen  Zuschauern  aus  Qatriin:  Alles  machte  einen 
märchenhaften,  zauberischen  PLindruck,  der  mich  bis  tief  in  die  Nacht 
hinein  den  Schlaf  vergessen  Hess. 

Wir  hatten  am  29.  April  Qatriin  verlassen  wollen,  wurden  aber 
durch  einen  Wechselfieber- Anfall  des  Hadsch  Abd  er-Rahmän  an 
unserm  Vorhaben  gehindert.  Ich  benutzte  diesen  Aufschub,  um  mir 
noch  ein  zweites  Zelt  zum  Schutze  meines  Gepäckes  anzuschaffen,, 
kaufte  entsprechend  meiner  Armuth  ein  altes  und  schlechtes  für 
zwanzig  Thaler  und  musste,  charakteristisch  genug  für  meine  peku- 
niäre Ausrüstung,  schon  im  Beginne  der  Reise  eine  so  kleine  Summe 
mit  einer  Anweisung  auf  Tripolis  bezahlen.  Bü  Äi’scha  aber  nahm 


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TANZVORSTELLUNG  UF.R  MGHAKHA.  — FORTSETZUNG  UFR  REISE.  Ö03 

die  Gelegenheit  wahr,  eine  viel  wichtigere  Acquisition  zu  machen;  er 
suchte  und  fand  im  I,aufe  des  Tages  eine  passende  Frau  und  ver- 
heirathete  sich  gegen  Abend  mit  der  den  Landessitten  entsprechen- 
den Leichtigkeit,  unter  Assistenz  zweier  Muräbidija  als  Zeugen  und 
unter  dem  heiligenden  Beten  des  Fättha. 

Im  Beginne  einer  langen  Wüstenreise  findet  eine  grössere  Kara- 
wane stets  grosse  Schwierigkeiten,  sich  von  den  letzten  Stationen 
bewohnter  Gegenden  loszureissen.  Dem  Einen  fehlt  noch  ein  Last- 
thier, dem  Andern  ein  Theil  seines  Mundvorrathes,  und  ein  Dritter 
hat  noch  ein  unaufschiebbares  Geschäft  vor  der  Abreise  abzuwickeln. 
So  gelangten  wir  auch  am  30.  April  nur  bis  Bach},  wo  Bü  Ai'scha, 
der  noch  manches  Lastthier  nöthig  hatte,  Kameele  zu  miethen  be- 
absichtigte, wie  man  wenigstens  für  die  gänzlich  vegetationslose 
Strecke  bis  zu  der  Bir  el-Ahmar  genannten  Station  zu  thun  pflegt. 
Man  verfahrt  hierbei  so,  dass  man  entweder  die  Thiere  selbst  miethet, 
ohne  ihre  Belastung  festzusetzen,  und  bezahlt  dann  auf  die  genannte 
Strecke  von  sechs  bis  sieben  Tagemärschen  vierundzwanzig  bis  acht- 
undzwanzig Mark  für  jedes  Kameel,  oder  dass  man  über  den  Trans- 
port von  Gepäck  contrahirt,  zum  ungefähren  Preise  von  sechs  bis 
zehn  Mark  für  den  Centner.  Unsere  Haupthoflhung  setzten  wir  in 
dieser  Beziehung  auf  Tedscherri  und  hofften  vor  Allem,  dort  die 
nothwendigen  Vorräthe  an  Datteln  für  Thiere  und  Menschen  zu  finden. 

Der  Weg  dorthin  führte  uns  am  ersten  Tage  durch  die  mir  von 
früher  bekannte  sandige  Gegend  in  achtstündigem  Marsche  nach 
Qasrauwa,  wo,  wie  gewöhnlich,  Niemand  hauste.  Wie  dieser  Ort 
allmählich  verlassen  worden  war  und  nur  noch  zur  Zeit  der  Dattel- 
ernte von  den  Besitzern  seiner  Pflanzung  besucht  wurde,  so  schien 
auch  Medrüsa,  das  wir  hart  westlich  am  Wege  liegen  gelassen  hatten, 
seiner  Auflösung  entgegen  zu  gehen.  Die  beständigen  Einfalle  der 
Tubu  hatten  seine  Bewohnerschaft  auf  eine  sehr  bescheidene  Zahl 
reducirt,  und  der  Verkehr  der  ganzen  Gegend  war  so  zurückgegangen, 
dass  die  am  Wege  liegenden  Brunnen  früherer  Zeit,  Sufra  Tuddusma 
und  Toäl,  nie  wieder  wasserhaltig  werden  zu  sollen  schienen,  und 
der  von  Qasrauwa  wenigstens  eine  erhebliche  Arbeit  zu  seiner  Ent- 
sandung erforderte. 

Noch  trennten  uns  sieben  Marschstunden  von  Tedscherri,  welche 
wir  am  2.  Mai  zurücklegten.  Wir  hielten  uns  auf  dem  westlichen 
Rande  der  Thalniederung,  zogen  an  dem  „Schloss  der  wüsten  Ebene 


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504 


III.  BUCH,  2.  KAPITEL.  REISE  NACH  KAWÄR. 


Qasr  Tuge  Fraoma  vorüber  und  erreichten  den  nördlichen 
Dattelhain  der  Stadt.  An  seinem  südlichen  Rande,  der  durch  eine 
breite  Strecke  trockenen  Sebcha-Bodens  von  der  Stadt  getrennt  ist. 
mussten  sich  die  Glieder  unserer  Karawane  sammeln,  denn  Bü  Aischa 
hielt  auf  einen  feierlichen  Einzug.  Voran  zog,  hoch  zu  Kameel,  der 
Paukenschläger  Bü  Aischa  führte  als  Scheich  el-Qäfila  dies  unent- 
behrliche Emblem  des  Anführers  einer  grösseren  Karawane  mit 
sich  sein  Instrument  eifrig  mit  einem  am  Ende  geknoteten  Tau 
bearbeitend , lind  gefolgt  von  den  Herren  der  Karawane.  Der  Zug 
war  umschwärmt  von  unsern  Leuten,  welche  begierig  den  Augen- 
blick der  beliebten  Pulververschwendung  erwarteten. 

Auch  die  spärliche  Bevölkerung  der  Stadt,  die  bald  vor  uns 
auftauchte,  hatte  sich  augenscheinlich  Mühe  gegeben,  uns  so  festlich 
als  möglich  einzuholen.  Zwei  Trommeln,  deren  zersprungenen  Fellen 
leider  nur  unvollkommene  Töne  entlockt  werden  konnten,  leiteten  den 
Zug  ein,  der  grösstenthcils  aus  Frauen  und  Mädchen  bestand.  Ihre 
Art,  uns  zu  begrüssen,  gehörte  schon  südlicheren  Gegenden  an.  Fast 
Alle  trugen  Palmenblättcr,  Laubbüschel  oder  andere  Gegenstände 
in  der  Hand,  die  sie,  sich  selbst  in  anmuthigen,  halb  tanzenden 
Bewegungen  hin  und  her  wiegend,  graziös  schwangen,  während  sic 
ihre  Begrüssungen  in  den  verschiedensten  Gesangesweisen  vortrugen 
und  dieselben  von  Zeit  zu  Zeit  durch  die  unvermeidliche  Zalrhüta 
unterbrachen.  Unter  den  Begrüssungen  hörte  man  zwar  noch  das 
dort  gebräuchliche  arabische  „Asalamatkum"  (Gottes  Segen  über 
Fluch!),  doch  vorwaltend  den  Gruss  der  Kanüri  „Laie",  der  nur  durch 
die  arabische  Pluralbildung  zu  „Lälekum"  (Willkommen  Fluch!)  zu- 
gestutzt wurde.  Der  begleitenden  Männer  waren  Wenige.  Voran 
schritt  Sälih,  der  Muräbid  von  Qatrün,  dann  folgte  mein  alter  Be- 
kannter Abd  el-Qädir,  der  einäugige  Scheich  el-Beled,  und  als  Vor- 
tänzer fungirte  ein  kleiner,  verwachsener  Mann,  wobei  ich  beiläufig 
erwähnen  möchte,  dass  derartige  Diiformitäten  in  der  Wüste  sehr 
selten  Vorkommen. 

So  zogen  wir  unter  dem  Flintengeknall  unserer  Leute,  den 
dumpfen  Tönen  der  Pauke  und  dem  F' reudentriller  der  Frauen  auf 
die  Südseite  der  Stadt,  wo  wir  unser  Lager  aulschlugen.  Bis  Ted- 
scherri  war  Bü  Aischa  bei  seinen  Besuchen  Fezzän's  seit  langen 
Jahren  nicht  gekommen,  und  er  vermochte  seiner  schmerzlichen  Ver- 
wunderung über  den  gänzlichen  Verfall  der  Stadt,  den  ich  früher 


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EMPFANG  IN  TEDSCHER  RI. 


505 


schon  ausführlich  geschildert  habe,  nicht  genug  Ausdruck  zu  geben. 
Die  Stadt  erschien  in  der  That  noch  öder  und  verlassener,  als  bei 
meinem  ersten  Besuche,  da  sich  die  Teda,  wie  aus  den  übrigen  Ort- 
schaften Fezzän’s,  bei  der  gegen  sie  herrschenden  feindseligen  Stirn 
mimg  grossentheils  in  ihre  Heimath  Tu  zurückgezogen  hatten.  Unter 
den  Zurückgebliebenen  war  der  taubstumme  Schwiegersohn  des 
Bürgermeisters,  der  stets  betrunkene  Gedde,  dessen  Bekanntschaft 
ich  schon  früher  gemacht  hatte,  und  der  sich  nach  wie  vor  ausschliess- 
lich mit  Laqbi-Trinken  beschäftigte. 

Von  Tedscherri  aus  stand  uns  die  erwähnte  vegetationslose  Strecke 
bis  zum  Bir  el-Ahmar  bevor.  Für  diese  musste  ein  Keisevorrath  von 
Datteln  und  Kameelfutter  (trockenes  Stroh)  mitgenommen  werden, 
während  der  Gersteproviant  für  die  Pferde  sogar  bis  Kawär  reichen 
musste.  Ich  bedurfte  für  jeden  Tag  4 Kijal  Datteln,  also  28  Kel  bis 
zum  Bir  el-Ahmar,  und  12  Kel  Gerste,  die  Tagesration  zu  3 — 4 Sä 
gerechnet.  Die  geringe  Gartencultur  in  Tedscherri  machte  die  Be- 
schaffung dieser  Vorräthe  sehr  schwierig,  und  wenn  wir  dieselben 
nicht  glücklicherweise  schon  in  den  vorhergehenden  Ortschaften  be- 
gonnen hätten,  würden  wir  kaum  in  der  Lage  gewesen  sein,  ohne 
einen  erheblichen  Zeitverlust  reisefertig  zu  werden.  Selbst  das,  was 
die  Einwohner  besassen,  war  nur  schwer  und  allmählich  aus  ihnen 
herauszulocken,  so  dass  wir  volle  fünf  Tage  verweilen  mussten,  um 
unsern  Zweck  zu  erreichen.  Sogar  das  trockene  Gras  war  in  der 
nächsten  Nähe  der  Ortschaft  so  spärlich  vorhanden,  dass  die  Ein- 
wohner es  an  den  ihnen  bekannten  Stellen  schnitten  und  an  uns  ver- 
kauften. Um  einen  kleinen  Dattelvorrath  vom  Bir  el-Ahmar  bis  Kawär 
mitfuhren  zu  können,  miethete  auch  ich  von  dem  taubstummen  Gedde 
noch  ein  Kameel  und  belastete  es  mit  drei  Centnern.  Die  Marokkaner 
Mgharba  — suchten  ihren  Dattelproviant  durch  öffentliche  Kunst- 
leistungen zu  erwerben,  doch  die  Einnahme  war  eine  so  ungenügende, 
dass  ich  mich  veranlasst  sah,  ihren  Vorrath  zu  vervollständigen.  Der 
Hädsch  Sälih  zeigte  sich  sehr  dankbar,  war  meinen  Leuten  behiilflich, 
wo  er  immer  konnte,  und  erfreute  mich  von  Zeit  zu  Zeit  durch  ein 
in  heisser  Asche  gebackenes  Gerstenbrod  oder  durch  ein  marok- 
kanisches Fleischgericht,  wenn  etwa  das  Fleisch  einer  Ziege  zur  Ver- 
theilung  gekommen  war. 

Einige  Tage  vor  unserer  Abreise  trafen  unsere  letzten  Reise- 


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506  III.  BUCH,  J.  KAPITEI..  REISE  NACH  KAWAR. 

gefährten  ein,  die  Kaufleute' Hadsch  Zelläwi  und  Bossarnii,  Beide 
von  Tedä-Ursprung,  doch  wohnhaft  in  Qatrün. 

Am  7.  Mai  waren  wir  endlich  mit  den  letzten  Rcisezurustungcn 
fertig  geworden  und  am  Morgen  des  folgenden  Tages  im  Begriff, 
unser  Lager  aufzuheben,  als  im  letzten  Augenblicke  Gedde  mit  der 
gewöhnlichen  Unzuverlässigkeit  seiner  Landsleute  sich  weigerte,  mir 
das  von  ihm  gemiethete  Kameel  zu  stellen.  Auch  seinem  Schwieger- 
vater Abd  el-Qädir,  den  ich  durch  ein  Geschenk  von  zehn  Dra 
Turbanmusselin  Schäsch  erfreut  hatte,  gelang  es  nicht,  ihn 
zur  Erfüllung  seiner  Pflicht  anzuhalten.  Erst  seine  Schwiegermutter 
vermochte  einen  zwingenden  Einfluss  auf  ihn  auszuüben,  und  lieferte 
mir  wieder  einen  glänzenden  Beweis  von  dem  energischen  Charakter 
der  Tedä-Frauen  und  dem  grossen  Einflüsse,  den  sie  in  der  Familie 
ausüben. 

Schon  nach  dreistündigem  Marsche  lud  uns  der  südwestlichste 
Theil  des  YV.  Ekema  mit  seinem  reichlichen  Bestände  von  Domrän 
und  Rischü  zur  Rast  während  der  Mittagshitze  ein,  und  am  späten 
Abende  lagerten  wir  nach  weiterem  sechsstündigen  Marsche  in  der 
el-Häd  genannten  Bodenabflachung.  Schon  seit  mehreren  Tagen 
herrschte  eine  unerträgliche  Hitze  unter  dem  Einflüsse  von  Ost-,  Süd- 
und  Südwest-Winden,  welche  die  Rast  auf  der  Höhe  des  Tages  unter 
dem  nicht  gefütterten  Zelte , in  dem  das  Thermometer  über  45 0 C. 
zeigte,  fast  noch  qualvoller  machte,  als  den  Marsch.  Auch  die 
marokkanischen  Knaben  begannen  unter  dieser  Sonne  zu  leiden,  und 
als  wir  am  folgenden  Tage  (9.  Mai)  durch  das  Dendal  Ghaladima 
genannte  Thal  zogen,  brach  einer  derselben  zusammen.  Hier  hatte 
ich  das  erste  Beispiel  der  Rohheit  und  Hartherzigkeit  des  Hadsch 
Sälih,  der  kein  Mitleid  mit  dem  zarten  Alter  der  Kinder  hatte, 
sie  beständig  der  Simulation  beschuldigte  und  sie  wirklichen  Wasser- 
mangel leiden  Hess.  Mit  schlcchtverhehltem  Aerger  sah  er  mich 
den  Knaben  auf  mein  Pferd  nehmen,  bis  wir  die  Kameele  erreicht 
und  ihn  auf  einem  derselben  befestigt  hatten. 

Wie  ich  vor  fast  Jahresfrist  diesen  Weg  mit  einer  heftigen  Augen- 
entzündung zurücklegcn  musste,  so  war  diesmal  Giuseppe  Valpreda 
demselben  Schicksal  verfallen.  Schon  in  Tedscherri  hatte  das  Leiden 
begonnen,  aber  da  er  seit  Qatrün  wieder  in  seine  unzufriedene,  ge-  _ 
hässige  Stimmung  verfallen  war,  so  hatte  er  jede  ärztliche  Hülfe- 
leistung  meinerseits  unwirsch  zurückgewiesen,  und  ich  sah  mich  nun 


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WEITERREISE  ZUM  TUMMO. 


507 


gezwungen,  ihn  zu  Pferde  zu  transportiren  und  selbst  zu  Kuss  zu 
gehen,  da  die  Kameele  ihre  Extraladung  noch  nicht  genug  vermin- 
dert hatten,  um  ihnen  uberdiess  die  Last  eines  Menschen  aufbürden 
zu  können. 

Am  Abend  des  letztgenannten  Tages  erreichten  wir  den  Meschru- 
Brunnen,  den  wir  leider  arg  verschüttet  fanden.  Unsere  Leute 
machten  sich  sofort  an  die  Arbeit  der  Ausräumung  und  förderten  im 
ersten  Theile  der  Nacht  wenigstens  so  viel  Wasser  zu  Tage,  als  hin- 
reichte, um  den  Kameelen  das  nöthige  Verlangen  nach  Futter  zu 
geben.  Der  Zufluss  des  Wassers  machte  sich  aber  so  langsam,  dass 
wir  noch  während  des  ganzen  folgenden  Tages  am  Brunnen  zurück- 
gehalten wurden,  um  Thiere  und  Menschen  befriedigen  und  den 
nöthigen  Vorrath  einnehmen  zu  können.  Selbst  am  darauf  folgenden 
it.  Mai  brachen  wir  erst  am  Nachmittage  auf,  um  die  Pferde  noch 
für  diesen  Tag  aus  dem  Brunnen  tränken  und  so  den  Inhalt  unserer 
VVasserschläuche  schonen  zu  können.  Nachdem  wir  uns  dann  durch 
die  Hügel  gewunden  hatten,  welche  das  flache  Thal  des  Brunnens 
fast  allseitig  einschliessen,  zogen  wir  über  die  steinige  und  wüste 
Ebene,  welche  der  Lagöba  Bui'a  vorhergeht,  und  lagerten  um  Mitter- 
nacht am  Eingänge  der  letzteren.  Es  folgte  der  Abstieg  in  dieselbe, 
wie  früher,  durch  die  Tenija  el-Kebira,  ebenso  die  Passage  der 
beiden  Lagöbas  und  endlich  der  Aufstieg  durch  die  Tenija  es-Srhira 
zur  wüsten  Hochebene  Aläöta  Kju,  Eingangs  deren  wir  die  Nacht 
verbrachten.  Als  auch  diese  am  folgenden  Morgen  überwunden  war, 
betraten  wir  schon  zeitig  am  Vormittage  das  flache  Thal,  aus  dem 
sich  das  Tümmo-Gebirge  oder  Dsch.  elAVär  erhebt.  Sobald  wir  die 
Vorberge  desselben  — el-Bibän  — passirt  hatten,  hielten  wir  uns 
westlicher  als  bei  unserem  vorjährigen  Besuche,  wo  wir  in  unmittel- 
barer Nähe  der  Wasserspenden  zu  lagern  gewünscht  hatten.  Wir 
vermieden  auf  diese  Weise  die  dicht  gedrängten  Berge  und  schwie- 
rigen F'elspartiecn  und  zogen  durch  Thäler  und  Flussbetten,  welche 
den  sich  nach  Südwesten  senkenden  Wadi  el-Wär  bilden,  mussten 
aber  auch  fern  von  den  Brunnen  lagern.  Von  diesen  enthielten 
sammtlichc  acht  Wasser  in  reichlicher  Menge,  während  wir  im  Jahre 
zuvor,  einen  Monat  später  in  der  Jahreszeit,  nicht  mehr  als  zwei 
wasserhaltig  gefunden  hatten. 

Sobald  wir  in  südwestlicher  Richtung  das  Gebirge  östlich  ge- 
lassen hatten,  wendete  sich  der  Weg  mehr  nach  Süden  und  führte 


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III.  HUCH,  2.  KAP1TEI-.  REISE  NACH  KAWAr. 


508 


zwei  Stunden  nacli  unserem  Aufbruche  über  eine  unbedeutende 
I lügelreihe  in  die  weite  „rothe  Ebene ' — Mädöma  — . Dieselbe  hat 
den  Charakter  einer  Serir  und  wird  im  Westen  durch  einen  niedrigen 
Höhenzug  begrenzt,  der,  für  unsere  arabischen  Begleiter  namenlos, 
von  den  Tedä  Ulisnöswon,  d.  h.  etwa  „Grab  des  todten  Heiligen’ 
genannt  wird.  Im  weiteren  Verlaufe  der  Ebene  wird  die  rothe  Fär- 
bung des  felsenharten  Bodens  ausgesprochener  und  das  Terrain 
gleichförmiger.  Etwa  15  M.  hohe  Hügel  von  derselben  Farbe  be- 
setzen hier  und  da  die  Ebene,  und  nur  in  weiterer  Entfernung  östlich 
und  westlich  vom  Wege  zeigen  sich  ansehnlichere  Erhebungen, 
deren  Abschätzung  jedoch  in  Entfernung  und  Höhe  durch  den 
Staubschleier,  in  den  ein  heftiger  Nordwind  die  ganze  Gegend  hüllte, 
nur  eine  sehr  unvollkommene  sein  konnte.  Die  mit  diesem  Winde 
verbundene  kühlere  Temperatur  erlaubte  uns,  den  ganzen  Tag  hin- 
durch zu  marschiren,  und  nachdem  wir  gegen  Abend  in  der  stets 
eingehaltenen  Südsüdwest-Richtung  durch  die  Lücke  einer  quer  vor 
uns  liegenden  Felsenreihe  von  braunrothem  Sandstein,  welche  den 
allgemeinen  Namen  Quwei'rat  führte,  gezogen  waren,  lagerten  wir 
nach  elfstündigem  Tagemarsche. 

Der  Charakter  der  Ebene  blieb  auch  während  der  ersten  Hälfte 
des  folgenden  Tagemarsches  (15.  Mai)  derselbe,  doch  senkte  sich 
die  röthliche  Serir  nach  Süden  zu,  wo,  etwas  nach  Westen  hin,  der 
Emi  Mädema  (der  rothe  Berg)  das  ungefähre  Tagesziel  andeutete. 
Nach  einigen  Stunden  zogen  wir  in  der  beibehaltenen  Südsüdwest- 
Richtung  zwischen  zwei  braunrothen  Felsgruppen  hindurch , welche 
sich  etwa  50  M.  über  die  Ebene  erheben,  und  erblickten  dann  vor 
uns  die  Baumlinie  des  E.  Lakakenno  oder  Lakadundo,  in  dem  wir 
nach  einigen  weiteren  Stunden  zur  Verbringung  der  Tageshitze 
lagerten,  nach  der  langen  F'arbenmonotonie , welche  das  Auge  seit 
Fezzän  ermüdete,  erfrischt  durch  das  spärliche  Grün  der  Sajälakazien, 
mit  denen  das  Flussthal  ausschliesslich  bestanden  ist. 

E.  Lakakenno  entspringt  hauptsächlich  vom  Emi  Tji  Grünto 
Mädema,  den  wir  am  westlichen  Horizonte  erblickten.  Noch  weiter 
westlich  vom  Wege  soll  sich  der  Gebirgszug  Emi  Bläka  in  nahezu 
südwestlicher  Richtung  etwa  vom  22. °N.  B.  bis  in  die  Nahe  der  Oase 
Dschebddo  erstrecken.  Nach  der  Beschreibung  Bui  Mohammeds, 
dem  kein  Winkel  des  Tubu-Gebietes  unbekannt  war,  muss  der  Emi 
Bläka  keine  isolirte  Kette,  sondern  eine  Felscnlandschaft , etwa  vom 


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EBENE  UND  BERG  MADKMA. 


509 


Charakter  derjenigen  von  Afafi  sein.  Seine  Thäler  sollen  des  Baum- 
wuchses entbehren,  aber  wegen  eines  reichen  Bestandes  von  Futter- 
kräutern, besonders  von  Hdd,  beliebte  Kameelweiden  sein.  Nach- 
dem der  Lakakenno  noch  verschiedene  Nebenflussthäler  vom  Kmi 
Mädöma  und  anderen  Bodenerhebungen  aufgenommen  hat,  wendet 
er  sich  südöstlich  über  die  Bornü  - Strasse  hinaus  bis  in  die  Nähe 
des  Emi  Fadscha,  der  mit  dem  gleichnamigen  Brunnen  ungefähr 
eine  Tagereise  östlich  vom  Wege  bleibt. 

Ein  Marsch  von  einigen  Stunden,  nach  deren  Ablauf  wir  den  etwa 
drei  Stunden  entfernten  Emi  Mädßma  im  graden  Westen  hatten, 
führte  uns  Nachmittags  zu  zwei  bis  zum  Rande  versandeten  Brunnen, 
deren  Umgebung  mit  einer  Vegetation  von  solcher  Frische  und  ver- 
hältnissmässiger  Ueppigkeit  geziert  war,  wie  man  sie  im  nördlichen 
Fezzän  nur  am  Ende  des  Winters  und  im  weiteren  Süden  der  Wüste 
nur  nach  Regenfällen  findet.  Hier  fanden  wir  auch  zum  ersten  Male 
auf  unserem  Wege  den  Siwäk  - Strauch  (Salvadora  persica).  Um 
unsere  Kameele  in  dem  Krautwuchs  schwelgen  zu  lassen,  beschlossen 
wir  zu  lagern,  obwohl  die  auf  dieser  Strasse  von  den  Karawanen 
gewöhnlich  benutzte  Wasserstation  der  Mädöma-Gegend  werter  süd- 
westlich liegt,  und  trotzdem  die  Entsandung  der  Brunnen  eine  müh- 
same und  zeitraubende  Arbeit  in  Aussicht  stellte.  Nachdem  diese 
sofort  in  Angriff  genommen  war,  stiessen  wir  in  einer  Tiefe  von 
2l/-j  M.  auf  das  erste  Wasser,  das  reichlich  genug  hervorsickerte,  um 
bis  zum  nächsten  Morgen  die  Deckung  unseres  Bedarfs  zu  ver- 
sprechen. Freilich  musste  fast  während  der  ganzen  Nacht  gearbeitet 
werden,  da  die  Kameele  nach  dem  austrocknenden  Winde  und  der 
hohen  Temperatur  des  Tages  — der  Nordwind  der  vorhergehenden 
Tage  war  zum  Nordost  geworden  und  im  E.  Lakakenno  hatten  wir 
eine  Temperatur  von  45 0 C.  gehabt  — vor  der  Tränkung  sogar 
ihrem  Lieblingskraute,  dem  Häd,  nicht  zusprechen  wollten.  Die 
Wandungen  der  Brunnenschächte  zeigten  in  der  Oberfläche  eine  zwei 
bis  drei  Fuss  hohe  Sandschicht  und  eine  auf  diese  folgende  Thon- 
lagc,  die  an  Mächtigkeit  etwa  das  Doppelte  betrug.  Unterhalb  der 
dann  folgenden  lockeren,  wasserspendenden  Schicht  lag  harter  Fels- 
boden. Der  Wohlgeschmack  des  hier  gewonnenen  Wassers  und  die 
weiderciche  Umgebung  Hessen  diese  Station  jetzt  häufiger  als  Lager- 
platz wählen  anstatt  des  südwestlicheren  Bir  Ahmar  esch- Scherqi, 
seit  ein  Tedetu  die  Brunnen  gegraben  und  lange,  seinen  Kameelen 


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510  III.  BUCH,  2.  KAIMTEI..  REISE  NACH  KAWAR. 

zu  Liebe,  oder  weil  er  Grund  hatte,  seine  Landsleute  zu  fliehen,  an 
ihnen  gehaust  hatte.  'Ihr  einziger  Nachtheil  war  der,  dass  die  Ent- 
fernung bis  zur  nächstfolgenden  Station  der  Strasse,  Namens  Mafäras, 
einen  allzulangen  Tagemarsch  erforderte. 

Da  die  Kameele  erst  gegen  Morgen  abgetränkt  werden  und  von 
der  üppigen  Weide  zu  profitiren  beginnen  konnten,  so  Hessen  wir  sie 
während  des  ganzen  folgenden  Tages  in  derselben,  und  setzten  erst 
am  17.  Mai  unseren  Weg  fort.  Wir  reisten  im  Ganzen  sehr  langsam, 
rasteten  schon  nach  zwei  Stunden  an  dem  erwähnten  Bir  Ahmar  esch- 
Scherqi,  der  Wasser  in  der  geringen  Tiefe  von  1 1/4  M.  unter  der  Boden- 
oberfläche enthielt,  und  erreichten  Abends  nicht  nur  begreiflicher- 
weise nicht  den  Mafäras -Brunnen,  sondern  nicht  einmal  die  auf  der 
Hälfte  des  Weges  gelegene  Buddema-Niederung.  Nach  sechsstündigem 
Nachmittagsmarsche  in  derselben  nahezu  südwestlichen  Richtung,  an- 
fangs über  steiniges  Terrain,  das  sich  in  unbedeutenden  Abstufungen 
terrassenförmig  nach  Süden  senkte,  lagerten  wir  zur  Nachtruhe.  Die 
Abstufungen  waren  durch  graue,  schiefrige  Kalksteinerhebungen  ge- 
bildet, welche  in  Gestalt  von  Bodenwellen  von  Nordost  nach  Süd- 
west strichen.  Der  felsige  Charakter  ging  mit  der  Senkung  des 
Terrains  allmählich  verloren,  und  am  Abend  war  ein  weicher  Sand- 
und  Kiesgrund  vorwaltend.  In  der  Dunkelheit  Hessen  wir  die  lang- 
gestreckte Erhebung  Sufra  Tintal,  welche  in  der  Entfernung  die  Form 
eines  regelmässigen  Trapezes  zu  haben  schien,  und  auf  deren  west- 
liche Extremität  unsere  Marschrichtung  zuführte,  östlich  am  Wege. 
Schon  eine  Stunde  nach  Mitternacht  setzten  wir  den  Marsch  fort, 
überschritten  nach  drei  Stunden  die  Buddema-Niederung,  einen 
schmalen  Strich  einigermassen  fruchtbaren  Bodens,  dessen  spärlicher 
Krautwuchs  jedoch  die  Begierden  unserer  Kameele  wenig  reizte,  und 
gaben  uns  nach  drei  weiteren  Stunden  der  Tagesrast  hin.  Das 
Terrain  blieb  sanft  gewellt,  — auf  den  Wellenhöhen  waltet  der 
Steinbelag  und  in  den  Wellentiefen  der  Sandboden  mit  kümmer- 
licher Vegetation  vor  — , doch  mit  Ausnahme  des  am  Tage  zuvor 
gesehenen  Sufra  Tintal  hatte  das  Auge  nach  keiner  Richtung  hin 
nennenswerthe  Bodenerhebungen  erblickt.  Bei  günstigen  atmosphä- 
rischen Bedingungen  hätte  man  zweifelsohne,  etwa  von  Buddema 
aus,  den  Emi  Fadscha  sehen  müssen,  dem  Vogel  eine  Höhe  von 
300  M.  über  der  Ebene  giebt,  doch  der  seit  mehreren  Tagen  herr- 
schende Wüstenwind  verschleierte  die  Luft.  Selbst  am  Nachmittage 


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SENKUNG  DES  TERRAINS  NACH  SÜDEN. 


511 


des  18.  brachten  uns  sechs  Stunden  noch  nicht  bis  Mafäras,  sondern 
erst  am  folgenden  Tage  lagerten  wir  nach  eben  so  langem  Marsche 
am  südlichen  Brunnen  dieser  Niederung,  nachdem  wir  schon  zwei 
Stunden  früher  den  nördlichen,  welcher  seit  Jahren  verschüttet  war, 
westlich  gelassen  hatten.  Während  Tages  zuvor  der  Boden  der 
Gegend  wieder  steiniger  und  felsiger  geworden  war,  zeigte  er  sich 
in  der  Nähe  der  Mafäras-Niederung  weich,  nicht  nur  etwa,  weil  auf 
seiner  Oberfläche  mehr  sandiger  Detritus  lag,  sondern  weil  er  unter 
diesem  einen  thonigen  Charakter  angenommen  hatte.  Der  aufgewühlte 
Staub  war  nicht  mehr  bräunlich,  sondern  bläulich  grau. 

Wenn  ich  an  die  qualvollen  Märsche  während  meiner  Tibesti- 
Keise  dachte,  so  war  ich  herzlich  zufrieden  mit  der  etwas  bequemen 
Fortbewegungsmethode,  welcher  wir  uns  hingaben,  und  an  der  ich 
oder  vielmehr  meine  Leute  zum  Theil  die  Schuld  trugen.  Ich  konnte 
machen,  was  ich  wollte,  meine  Leute  waren  stets  im  Rückstände, 
brachen  als  die  Letzten  vom  Lagerplätze  auf  und  kamen  zu  spät 
auf  demselben  an,  oder  die  Uebrigen  mussten  bei  hereingebrochener 
Nacht  ihnen  zu  Liebe  lagern.  Büi  Mohammed  war  eben  etwas  lang- 
sam und  bedächtig,  und  seine  Gehülfen  verstanden  nicht  viel  mehr 
von  Kameelen  und  ihrer  Belastung,  als  ich  selbst. 

Der  nördliche  Brunnen  liegt  hart  am  Rande  der  eigentlichen 
Mafäras-Niederung,  in  die  man  über  eine  Bodenwelle  hinabsteigt. 
Der  südliche  Brunnen  war  leider  wieder  so  versandet,  dass  er  alle 
vorhandenen  Kräfte  bis  zum  Abend  in  Anspruch  nahm.  Es  sind 
diese  häufigen  Verschüttungen  der  Wasserspenden,  welche  einerseits 
den  Fortschritt  einer  Karawane  sehr  verzögern  und  zur  Anstrengung 
der  Märsche  noch  die  nicht  minder  ermüdende  Arbeit  auf  dem 
Lagerplatze  fügen,  andererseits  die  Wüstenreisen  weniger  Individuen 
schwierig  und  selbst  gefährlich  machen.  Nachdem  übrigens  der  Sand 
und  unter  diesem  etwas  Morast  hinweggeräumt  worden  waren,  lieferte 
der  Brunnen  in  einer  Tiefe  von  2l/a  M.  ein  zwar  in  unerfreulicher 
Weise  mit  erdigen  Bestandtheilen  gemischtes,  aber  wohlschmeckendes 
Wasser. 

Die  Mafäras-Niederung  bringt  zwar  in  der  Umgebung  des  süd- 
lichen Brunnens  eine  reichliche  Vegetation  von  Nissi  (Aristida  plu- 
mosa)  und  Bu  Rukba  (Panicum  turgidum)  und  selbst  einige  Sajäl- 
Akazien  und  Dattelpalmengestrupp  hervor,  doch  von  jenen  Gräsern 
ist  zwar  das  erstere  ein  geschätztes  Pferdefutter,  aber  keins  von  beiden 


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512  HI.  BUCH,  2.  KAPITF.l..  REISE  NACH  KAWÄR. 

geniesst  als  Kaineelnahrung  eines  besonderen  Rufes.  Wir  setzten 
daher  ani  20.  Mai  frühzeitig  unseren  Weg  fort  auf  die  östliche  Grenze 
einer  vor  uns  liegenden  niedrigen  Berggruppe  von  der  abgestutzten 
Pyramidenform  der  meisten  Wüstenerhebungen  zu  und  rasteten  wäh- 
rend der  Tagesmitte  nach  einem  Marsche  von  etwas  mehr  als  sechs 
Stunden  in  einem  flussbettähnlichen  Thale,  das  sich  von  der  erwähnten 
Berggruppe,  welche  den  Namen  Tji  Grünto  führt,  nach  Osten  senkt 
und  reichlich  sowohl  Nissi,  als  Häd  enthielt.  Der  Tji  Grünto  hat 
seine  Hauptausdehnung  von  Nord  nach  Süd,  erhebt  sich  nur  wenige 
hundert  Fuss  über  die  Ebene  und  besteht  im  Kern  aus  Kalkstein 
und  in  der  Höhe  aus  Sandstein.  Die  übrige  Gegend  ist  niedrig-  und 
breitgewcllt,  so  dass  weite,  flache  Thäler  entstehen,  die  hier  und  da 
am  fernen  Horizonte  von  niedrigen  Tafelbergen  begrenzt  sind.  Im 
Grunde  derselben  findet  sich  dieselbe  Vegetation  von  Nissi,  Bü  Rukba 
und  Häd,  und  auch  am  Nachmittage  des  20.  Mai  lagerten  wir  nach 
dreistündigem  Marsche,  während  dessen  wir  den  südlichen  Theil  des 
Tji  Grünto  westlich  neben  uns  hatten,  zum  Vortheile  unserer  Kameele 
inmitten  ihres  letztgenannten  Lieblingsfutters. 

Der  21.  Mai  legte  uns  eine  ansehnliche  Leistung  auf,  indem  wir 
die  grössere  Oase  Jat  erreichen  mussten.  Erhebungen  von  der  cha- 
rakteristischen Wüstenform,  welche  sich  an  den  Tji  Grünto  schliessen, 
charakterisiren  die  Gegend;  dazwischen  ist  weicher,  sandiger  Boden. 
Berge  und  Ebene  sind  unregelmässig  mit  meist  dunkelfarbigen  Steinen 
bedeckt;  die  ganze  Physiognomie  gleicht  derjenigen  der  peripherischen 
Theile  Tibesti's.  Allmählich  treten  die  Erhebungen  zurück,  während 
der  Horizont  von  ihnen  begrenzt  bleibt,  die  Gegend  wird  freier  und 
nach  neunstündigem  Marsche  stiegen  wir  gegen  die  Oase  Jat  hinab, 
deren  dunkle  Baumlinie  wir  erst  in  ihrer  nächsten  Nähe  erblickten, 
da,  wie  alltäglich,  ein  heftiger  Ostwind  die  Atmosphäre  verschleierte. 
Bei  der  Möglichkeit,  in  der  Oase  einige  Bewohner  Tibesti's,  denen 
dieselbe  gehört,  anzutreflen,  konnte  sich  Bü  Aischa  das  Vergnügen 
nicht  versagen,  unserem  Einzuge  einen  militairischen  Charakter  zu 
geben,  und  in  geordnetem  Zuge  unserer  Leute  betraten  wir  unter 
Paukenschall  und  Flintengeknall  anderthalb  Stunden  darauf  ihren 
westlichen  Theil.  Wir  fanden  in  der  Oase  keine  Tcdä,  welche  sonst  ein 
historisch  begründetes  Recht  haben,  von  den  Reisenden  einen  Durch- 
gangszoll zu  erheben,  und  lagerten  an  ihren  zahlreichen  Brunnen- 
löchern, welche  Wasser  in  der  Tiefe  von  nur  einem  Meter  haben. 


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ÖIE  OASE  JAT. 


öl  3 

Die  Oase  wird  in  der  Tcdii- Sprache  Jat  und  in  ihrem  östlichen 
Theile  Dastomde  genannt,  während  sic  bei  den  Arabern  Sahija, 
d.  h.  die  heitere,  heisst,  und  nicht  etwa  Srhira,  d.  h.  die  kleine,  wie 
man  fälschlich  auf  einigen  Karten  angegeben  findet.  Der  letztere 
Name  könnte  auch  höchstens  bei  dem  Vergleiche  mit  Kawär  passen, 
denn  von  Fczzan  bis  dorthin  kann  es  keine  Hattija  oder  Oase  mit 


Dümpatme  ( Hyphaenc  tktbmica J. 


Jat  an  Grösse  und  Pflanzenreich thum  aufnehmen.  Sic  erstreckt  sich 
von  West  nach  Ost  in  einer  Iainge  von  gegen  zwanzig  Kilometer,  misst 
in  der  Breite  durchschnittlich  drei  Kilometer  und  bietet  eine  reiche 
Vegetation  von  Dumpalmen,  Sajäl- Akazien,  Dattelpalmengestrüpp 
und  den  oft  angeführten  Gräsern  und  Kräutern.  Hier  ist  auf  dem 
Bornü-Wege  die  Nordgrenze  der  Dümpalme,  welche  ich  zum  ersten 
Machligal.  1.  33 


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III.  BUCH,  2.  KAPITEL.  REISE  NACH  KAWAR. 


514 

Male  in  grösserer  Menge  beisammen  zu  sehen  Gelegenheit  hatte,  da 
mir  in  Tibesti  nur  vereinzelte  Exemplare  aufgestossen  waren. 

Diese  Palme  ( Hyphaenc  thebaica ) erreicht  nur  eine  massige  Höhe 
und  zeichnet  sich  durch  die  Zweitheilung  des  Stammes  und  der 
Aeste  aus.  Die  Früchte  haben,  wie  ich  bei  Gelegenheit  meines 
Aufenthaltes  in  Tibesti  beschrieben  habe,  die  Grösse  mittelgrosser 
Aepfel,  sind  in  unreifem  Zustande  von  grünlichem  Graubraun,  im 
reifen  von  einem  fahlen  Braun  und  haben  eine  essbare  Rindensub- 
stanz  und  einen  grossen  Kern.  Jene  umschliesst  den  letzteren  in  einer 
etwa  ein  Centimetcr  dicken  Lage  und  ist  selbst  in  ihrem  reifen 
Zustande  so  hart,  dass  sie  nur  durch  mühsames  Klopfen  mit  Steinen 
mürbe  und  geniessbar  gemacht  werden  kann.  Sie  hat  einen  ausge- 
sprochenen Pfefferkuchengeschmack  und  einen  ausserordentlich  ge- 
ringen Nährwerth,  wie  ich  bei  der  Schilderung  der  Nahrungsverhält- 
nisse  der  Tubu  Rcschäde  bereits  erwähnt  habe.  Der  dunkelgraue, 
im  Innern  weissliche  und  opalisirende  Kern,  in  dessen  Mitte  sich  eine 
kleine  Höhlung  befindet,  ist  so  hart,  dass  man  ihn  am  Nil,  wo  er 
schon  häufiger  zur  Verwendung  kommt,  vegetabilisches  Elfenbein 
nennt.  Giuseppe , der  zu  mechanischen  Arbeiten  grosses  Geschick 
hatte,  schnitzte  aus  ihm  während  unserer  Gefangenschaft  in  Tibesti 
zierliche  kleine  Pfeifenköpfchen  und  Cigarrenspitzchcn,  und  ich  habe 
seitdem  in  Europa  bei  Leuten,  welche  Kerne  der  Dümfrucht  aus 
Egypten  mitgebracht  hatten,  die  zierlichsten  Drechslerarbeiten,  Schach- 
figuren und  dergleichen,  aus  ihnen  verfertigt  gesehen. 

Auch  das  Thierleben  begann  sich  zu  regen,  und  unsere  Wind- 
hunde — Bü  Ai'scha  führte  deren  mehrere  mit  sich  — fanden  die 
erste  Gelegenheit  sich  nützlich  zu  erweisen,  indem  sie  mehrere 
Gazellen  und  einen  P'enek  (Wüstenfuchs) , dessen  Fleisch  gar  nicht 
übel  war,  einfingen. 

Da  die  folgende  Station  Jeggeba  zwei  ansehnliche  Tagemärsche 
von  Jat  entfernt  ist,  so  brachen  wir,  um  womöglich  die  Pferde  nur 
einmal  aus  den  Wasserschläuchen  tränken  zu  müssen,  am  22.  Mai 
erst  in  der  zweiten  Tageshälfte  auf.  FYüher  wählte  man  auf  dieser 
Strecke  gewöhnlich  einen  längeren,  westlicheren  Weg,  welcher  den 
Vortheil  hatte,  in  seiner  Mitte  die  Oase  Siggcdim  zu  berühren,  die 
mit  ihrem  Reichthum  an  Dattelpalmen  früher  eine  ständige  Be- 
wohnerschaft von  Dschebädo-Leuten  hatte,  deren  verfallene  Flrd- 
behausungen  noch  vorhanden  sind.  Seitdem  die  Oase  vereinsamt 


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DIE  DÜMPALME.  — OASF.  JEGGEBA.  515 

ist,  und  der  Reisende  also  keine  Gelegenheit  mehr  findet,  sich  da- 
selbst mit  Reisevorräthen  zu  versehen,  vermeidet  man  natürlich  den 
Umweg  und  folgt  der  Südsüdwestrichtung  der  früheren  Strecke.  In 
dieser  steigt  man  allmählich  über  eine  nackte,  steinige  Wüste,  die 
sich  aber  durch  ihren  unebenen  Charakter  von  den  nördlicheren  Serir 
und  Hammäda  unterscheidet,  bis  zum  Berge  Gere  Tedetuma  In  der 
Mitte  zwischen  Jat  und  Jcggeba  auf  und  von  diesem  ebenso  allmählich 
wieder  zu  der  letzteren  Oase  und  weiter  nach  Kawar  ab. 

Wir  reisten  am  Nachmittage  des  22.  Mai  vier  Stunden  lang,  und 
sieben  Marschstunden  am  folgenden  Vormittage  brachten  uns  bis  zu 
dem  genannten  Berge,  welcher  die  gewöhnliche  Pyramidenform  hat 
und,  obgleich  er  nur  etwa  um  60  M.  seine  Umgebung  überragt,  wegen 
der  Wölbung  seiner  Basis  weithin  gesehen  wird.  Nachdem  wir  an 
seinem  östlichen  Kusse  während  der  Tageshitze  gerastet  hatten,  ge- 
riethen  wir  nach  einem  dreistündigen  Nachmittagsmarschc,  während 
dessen  wir  uns  wahrscheinlich  zu  weit  westlich  gehalten  hatten,  denn 
unsere  Richtung  war  eine  südwestliche  und  zeitweise  selbst  eine  west- 
südwestliche  gewesen,  bei  hereinbrechender  Dunkelheit  in  ein  solches 
Gewirr  von  Hügeln  und  Kelsgruppen,  von  Thälern  und  Schluchten, 
dass  die  Kameeltreiber  über  die  Wegrichtung  unsicher  wurden,  wäh- 
rend die  Pferdeinhaber  sich  von  dem  reichen  Nissiwuchs  der  Gegend 
nach  allen  Richtungen  verlocken  Hessen.  Schliesslich  war  die  ganze 
Karawane  zerstreut  und  aufgelöst,  und  wir  waren  froh,  als  sich 
nach  einigen  Stunden  am  südlichen  Rande  der  Felsgegend  wieder 
Alle  zum  Nachtlager  zusammengefunden  hatten. 

Für  den  24.  Mai  blieben  uns  noch  etwa  sieben  Marschstunden 
bis  Jeggeba,  welche  aber  unser  Führer  durch  eine  südlichere  Richtung 
um  eine  verkürzte,  wälirehd  die  wegekundigen  Mitglieder  der  Kara- 
wane auf  einer  südsüdwestlichen  bis  südwestlichen  bestanden.  Das 
Terrain  ähnelt  dem  der  vorhergehenden  Tage,  doch  sind  die  flachen 
Erhebungen  der  Gegend  alle  auf  die  östliche  Seite  des  Weges  ge- 
rückt, während  nach  Südwesten  und  Westen  sich  dem  Auge  eine 
allmählich  ansteigende  Ebene  zeigt.  Die  Oase  Jeggeba  ist  viel 
kleiner,  als  die  von  Jat,  etwa  fünf  Kilometer  lang  und  zwei  Kilo- 
meter breit,  ist  gerichtet  wie  diese,  zeichnet  sich  ebenfalls  durch  viel 
Dümwuchs  und  Futtergräser  aus,  und  ihre  Brunnen  enthalten  schon 
in  der  geringen  Tiefe  von  */s  bis  1 M.  ein  sehr  wohlschmeckendes 
Wasser. 

33* 


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516 


III.  BUCH,  2.  KAPITEL.  REISE  NACH  KAWÄR. 


Wir  hätten  am  nächsten  Tage  (25.  Mai)  sehr  gut  Kawär  er- 
reichen können,  doch  dann  würden  wir  die  Oase  zu  später  Abend- 
stunde, unangemeldet  und  ohne  festliches  Gepränge  betreten  haben, 
was  Bü  Äi'scha  wenig  zusagte. 

Zwischen  der  Oase  Jeggeba  und  Kawär  dehnt  sich  eine  ge- 
wölbte Hammäda  aus,  wie  zwischen  der  ersteren  und  Jat.  Wir 
stiegen  auf  derselben  für  sieben  Stunden  bis  zu  einem  Punkte  auf, 
an  dem  zahlreiche  Sandsteinfelsen  östlich  hart  am  Wege  aufspringen, 
deren  ansehnlichster  den  Namen  Kiljanarang  fuhrt.  Von  hier  senkt 
sich  die  wüste  Ebene  nach  Süden,  im  Osten  von  unregelmässigen 
Berggruppen  und  Hügeln  begrenzt  und  nach  Westen  ganz  allmählich 
ansteigend.  Die  östlichen  Berge  gehen  in  den  Gebirgszug  über, 
welcher  Kawär  in  seiner  ganzen  Länge  nach  Osten  zu  begrenzt,  und 
senden  nördlich  von  der  Oase  verschiedene  Hügelreihcn  nach  Westen. 
Als  wir  nach  weiteren  zwei  Stunden  die  erste  derselben  nahe  ihrem 
westlichen  Ende  überschritten  hatten,  beschlossen  wir  zu  nächtigen, 
da  uns  nur  noch  eine  geringe  Entfernung  von  der  Oase  trennte. 

Die  Hälfte  des  Weges  von  Murzuq  nach  Küka,  der  Hauptstadt 
Bornü's,  war  mit  Kawär  ohne  Unfall  zurückgelegt.  Menschen  und 
Thierc  erfreuten  sich  des  besten  Wohlseins,  und  wir  konnten  in  dem 
vor  uns  liegenden  Tubu-Ländchen  einer  angenehmen  Zeit  der  Er- 
holung und  der  Kräftigung  für  die  schwierigere  zweite  Hälfte  des 
Weges  entgegensehen. 

Die  Strasse  von  Tripolis  nach  Bornü  mit  ihren  häufigen  Wasser- 
stationen  und  Weideplätzen,  den  Oasen  Fezzän’s  und  dem  Ländchen 
Kawär,  ist  die  bequemste  der  Strassen,  welche  vom  Mittelmeere 
nach  dem  Sudan  fuhren.  Auf  dem  Täriq  el-Arb'ain  (d.  h.  Weg  der 
vierzig  Tage),  welcher  von  Sujüt  oder  Asjut  am  Nil  durch  die  Wüste 
nach  Där  För  führt,  kommen  mehrfach  sechs  wasserlosc  Tage  hinter 
einander  vor,  und  giebt  cs  fast  gar  kein  Kameelfutter;  die  Strasse, 
welche  ßenghäzi  über  Dschälo,  Kutära  und  Wanjanga  mit  Wadäi 
verbindet,  soll  bis  zu  zehn  wasserlosen  Tagen  in  einer  Folge  haben 
und  ist  in  fast  zwei  Dritteln  gänzlich  vegetationslos;  diejenigen,  welche 
von  Ghadämes  und  von  Marokko  nach  Timbuktu  fuhren,  scheinen 
dieselben  Schwierigkeiten  darzubicten;  der  Weg  endlich,  auf  dem  sich 
die  Ghadämestja  über  Ghät  nach  den  Haussa-Staaten  begeben,  erreicht 
ebenfalls  in  Bezug  auf  Bequemlichkeit  die  Bornü-Strasse  nicht. 

Wir  waren  ausserdem  langsam,  d.  h.  mit  häufiger  Unterbrechung 


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ANNÄHERUNG  AN  KAWÄR. 


517 


durch  Rasttage,  gereist,  so  dass  wir  der  Erholung  nicht  sehr  be- 
dürftig waren.  Nur  die  marokkanischen  Knaben  hatten  mehr  leisten 
müssen,  als  ihnen  bei  ihrem  zarten  Alter  hätte  zugemuthet  werden 
sollen  und  als  selbst  in  den  Verhältnissen  lag.  Ihr  Moqaddem 
unterwarf  sie  einem  so  sparsamen  Verbrauche  von  Trinkwasser,  wie 
selbst  kein  Erwachsener  der  übrigen  Karawane  sich  zumuthete,  und 
schmälerte  ihnen  die  Ruhe  auf  den  Lagerplätzen,  indem  er  sie  am 
meisten  zu  den  Brunnenarbeiten  und  anderen  Leistungen  heranzog. 
In  Folge  seiner  Strenge  und  Härte  trat  eine  tiefe  Missstimmung  in 
seiner  Gesellschaft  mehr  und  mehr  zu  Tage;  die  Ordnung,  Manneszucht 
und  scheinbare  Einigkeit  beruhten  bei  den  Kindern  nur  auf  Furcht  und 
bei  den  Erwachsenen  auf  ihrem  ungewöhnlich  ausgebildcten  Gefühle 
der  Zusammengehörigkeit.  Der  Knabe,  welcher  im  Dcndal  Ghaladima 
bewusstlos  zusammengebrochen  und  noch  immer  krank  war,  ritt  zwar 
jetzt  auf  einem  ihrer  Kameele,  bekam  aber  dafür  desto  mehr  Schläge 
und  um  so  weniger  Wasser,  denn  wenn  der  Hadsch  Sälih  auf  Vor- 
stellungen unsererseits  über  die  Wasserentziehung  im  Allgemeinen 
erwiderte,  dass  die  Knaben  sich  an  Entbehrungen  gewöhnen  müssten, 
so  behauptete  er  im  Besonderen,  dass  derjenige,  welcher  der  Be- 
quemlichkeit des  Reitens  fröhne,  überhaupt  nicht  berechtigt  sei, 
Durst  zu  haben.  Als  auf  dem  Wege  von  Jeggcba  nach  Kawar  das 
Kamee),  auf  dem  der  Knabe  ritt,  aus  irgend  einem  Grunde  einmal 
niedcrkniccn  musste,  und  dieser  aus  Unachtsamkeit  vornüber  auf  den 
Boden  stürzte,  so  dass  das  Blut  ihm  aus  der  Nase  strömte,  hielt 
sein  Chef  diese  Strafe  durchaus  nicht  für  genügend,  sondern  be- 
arbeitete ihn  in  rohster  Weise  mit  Fusstritten.  Solche  Scenen 
mehrten  sich  und  gefährdeten  unser  kameradschaftliches  Verhältniss 
ernstlich. 


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Drittes  Kapitel. 


KAWÄR  ODER  ENNERI  TUGE. 


Hu  ’Aischa's  Verdienste  um  die  Kaw&r-Leute.  — Feierlicher  Empfang  zu  Anai,  dem  nörd- 
lichsten Dorfe.  — Zufluchtsfelsen  der  Ortschaft.  — Dorf  Anikumma  und  Wieder- 
sehen mit  Arami.  — Getreidepreise.  — Gastfreundschaft.  — Aschenumina  und 
das  sogenannte  MögÖdöm- Gebirge.  — Eidschi.  — Anmuthige  Frauen  — Markt- 
verhältnisse. — Salzseen  um  Dirki.  — Die  Hauptstadt  von  KawÄr.  — Empfang 
durch  König  Dunnoma.  — Kameelreiter.  — Meine  zahnärztliche  Thätigkeit.  — 
Durchgangszoll  der  einzelnen  Karawanenglieder.  — Unverschämte  Forderung  des 
Dardai.  — Schiminedru,  Sitz  des  Senüst-  Missionars.  — Hochmüthiges  Benehmen 
desselben.  — Veränderte  Windrichtung  und  Wolkenbildung.  — Emi  Mädema  und 
die  Aqülweide  zu  Agerr.  — Der  Salzdistrict  von  Bilmä.  — Stadt  Garu  und  Kalala. 
— SaUcxport.  — Art  und  Weise  der  Gewinnung  des  Salzes.  — Aerztliche 
Thätigkeit.  — Vorbereitung  zur  Weiterreise.  — Zusammen  fassende  Betrachtung  des 
Weges  nach  Kawär  und  der  Oase  seihst.  — Höhenverhältnisse.  — Enneri  TSgA  — 
Dattelcultur  und  Salzhandel.  — Zahl  der  Ortschaften  und  ihre  Bewohner.  — Stämme 
und  Familien  Kawär's.  — Verbindung  der  Oase  mit  Ahtr  und  Ghät. 

Nachdem  wir  am  26.  Mai  in  nahezu  südlicher  Richtung  noch 
zwei  Ausläufer  der  östlichen  Felsenkette  nahe  ihrem  westlichen  Ende 
überschritten  hatten,  erreichten  wir,  zwei  Stunden  nach  unserem  Auf- 
bruche, das  breite  Thal  von  Kawär,  das  in  der  Gestalt  eines  sich 
nach  Süden  verlierenden  Palmenwaldes  vor  uns  lag.  Während  wir 
die  Sammlung  der  Karawane  erwarteten,  legte  Bü  Äischa  seine  Fest- 
kleidung an,  schmückte  sich  mit  einem  goldgestickten  Gewehr- 
gehänge von  Sammet  und  einem  ähnlichen  Gürtel  mit  Pulver-  und 
Kugeltasche,  hing  einen  Säbel  mit  kostbarem  Griff  um,  der  an  einem 
dicken,  aus  rother  Seide  geflochtenen  Bandelier  hing,  und  hüllte 


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BC  ’A'I'SCHa’s  VERDIENSTE  UM  KAWAK.  51‘J 

Iiaupt  und  Schultern  in  einen  Hatk  aus  dem  Dscherid,  so  dass  ich 
mir  ganz  zerlumpt  neben  ihm  vorkam , und  mein  Ansehen  bei  der 
Karawane  und  den  Kawär-Leuten  grosse  Gefahr  lief. 

Bü  Äischa  konnte  auf  einen  besonders  feierlichen  Empfang  von 
Seiten  der  Einwohner  rechnen.  Dieselben  waren  sowohl  durch  das 
Band  der  Dankbarkeit,  als  auch  durch  das  der  Speculation,  welches 
letztere  bei  den  Tubu  gewöhnlich  das  wirksamere  ist,  an  ihn  geknüpft. 
Die  räuberischen  Araberstamme  der  Umgebung  der  grossen  Syrte, 
welche  Mangel  und  abenteuernder  Sinn  nicht  selten  zu  den  in  Känem 
hausenden  Auläd  Solimän  treibt,  hatten  wiederholt  mit  diesen  Kawär 
uberfallen  und  Frauen  und  Kinder  der  Einwohner  als  gute  Beute  in 
ihre  Heimath  geschleppt.  Da  die  Regierung  von  Tripolis  darauf 
bedacht  sein  muss,  ihren  Kaufleuten  den  Weg  nach  Bornü  frei  zu 
halten,  so  hatte  sie,  als  die  Klagen  der  unglücklichen  Kawar-Leutc" 
uberlaut  wurden,  vor  einigen  Jahren  ernstliche  Schritte  gethan,  um 
die  Räuber  zur  Auslieferung  ihrer  Gefangenen,  welche  überdies  als 
Mohammedaner  nach  islamitischem  Recht  nicht  hätten  zu  Sclaven 
gemacht  werden  dürfen,  zu  bewegen.  Bü  Ai'scha  war  damit  betraut 
worden,  dies  Ziel  auf  gütlichem  Wege  zu  erreichen,  und  es  war  ihm 
gelungen,  die  meisten  der  Geraubten  ihrer  Heimath  und  Familie 
zuruckzugeben.  Ausser  diesem  Gefühle  der  Dankbarkeit,  das  die 
Kawär  Leute  ihrem  Befreier  und  Wohlthäter  entgegenbrachten,  trugen 
die  weiteren  Hoffnungen,  welche  man  an  den  Besuch  desselben  in 
Bornü  knüpfte,  zu  seinem  besonders  ehrenvollen  Fhnpfange  bei.  Wenn 
irgend  Jemand,  so  schien  er  der  Mann  zu  sein,  einen  günstigen  Ein- 
fluss auf  seine  Stammesgenossen,  die  Auläd  Solimän,  die  erbarmungs- 
losen Erbfeinde  der  Oase,  auszuüben  und  den  schutzlosen  Einwohnern 
einen  dauernden  F’rieden  zu  sichern. 

Sobald  die  Karawane  sich  gesammelt  hatte,  Hessen  wir  unsere 
Pauke  erschallen , die  Reiter  hielten  sich  zusammen , und  die  Fuss- 
gänger  umschwärmten  sie,  ihre  Gewehre  schwingend  und  nach  Herzens- 
lust Pulver  verknallend.  Die  Antwrort  von  Anai,  der  nördlichsten 
Ortschaft  Kawärs,  deren  F'elsen  wir  vor  uns  erblickten,  Hess  nicht 
lange  auf  sich  werten;  einige  Schüsse  fielen  und  die  Töne  einer 
Trommel  wurden  hörbar.  Langsam  und  mit  Würde  vorrückend, 
stiessen  wir  bald  auf  die  spärlichen  Einwohner  des  Dorfes,  welche  von 
zwei  Reitern  zu  Kameel  in  schwarzer  Südän-Tobe  und  mit  schwarzem 
Kopf-  und  Gesichtsshawl  angeführt  wurden.  Sobald  wir  diesen  sichtbar 


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520  III.  BUCH,  3.  KAPITEL.  KAWÄR  ODER  EXNERI  TUG£. 

geworden  waren,  setzten  sie  ihre  Thicrc  in  eine  Art  Galopp  und 
erhöhten  durch  die  unermüdliche  Bearbeitung  der  Kameelflanken  mit 
ihren  Beinen  den  grotesken  Anblick,  den  dies  Thier  bei  dem  ihm 
ungewohnten  Laufen  ohnehin  schon  gewährt.  Ihre  Gefährten  rasselten 
dazu  mit  den  Specren  und  schlugen  die  Wurfeisen  aneinander. 

Die  Meisten  waren  dunkelfarbig,  zeigten  aber  vorwaltend  die 
scharf  geschnittenen  Tubuphysiognomien.  Der  weibliche  Theil  der 
Bevölkerung  war  entschieden  der  anmuthigere.  Die  nervigen,  männ- 
lichen Bewegungen  der  Frauen  Tu’s  kamen  hier  in  gemilderter  Form 
zum  Ausdruck;  das  Negerblut,  welches  die  Bewohner  von  Kavvär 
durchdringt,  fügte  zur  ursprünglichen  Sehnigkeit  und  Geschmeidigkeit 
eine  gewisse  Weichheit  und  Anmuth.  Unter  der  üblichen  Zalrhtita*) 
bewegten  sich  die  F'rauen  und  Mädchen  Anai’s,  anmuthig  den  Ober- 
körper auf  den  Hüften  wiegend  und  hierhin  und  dorthin  neigend, 
kokett  die  Zipfel  ihrer  Füta  um  Kopf  und  Schultern  drapirend  oder  einen 
primitiven  Fächer  von  Straussfcdcrn  oder  das  Blatt  einer  Dattelpalme 
graziös  schwingend,  von  einer  Gruppe  der  Karawane  zur  andern, 
bald  unterwürfig  auf  den  Boden  knieend  und  den  Staub  desselben 
auf  Haupt  und  Schultern  streuend,  bald  dem  Ilauptgcgenstandc  ihrer 
Begrüssung,  Bü  Äischa,  in  leidenschaftlicher  Begeisterung  ihre  Hul- 
digung darbringend,  bald  in  kecker  und  herausfordernder  Weise 
unsere  jungen,  waffentragenden  Männer  zu  weiterer  I’ulververschwen- 
dung  anreizend.  Im  Gegensätze  zu  dem  Eindrücke,  den  ich  in 
Tibesti  empfangen  hatte,  schienen  mir  die  F rauen  Kawar’s  mehr 
hellfarbige  Individuen  zu  zählen,  als  die  Männer,  und  jedenfalls  hatte 
die  Mischung  ihres  Stammes  mit  Bornü-Elementen  sie  anmuthiger 
gemacht,  als  ihre  Schwestern  in  Tu  mir  erschienen  waren. 

Unter  den  unaufhörlichen  Aeusserungen  einer  festlichen  Stimmung 
langsam  vorrückend,  erreichten  wir  nach  einer  kleinen  Stunde  das 
Dorf  Anai,  das  mitten  im  Thale,  am  I'usse  einer  kurzen  Reihe  von 
Sandsteinfelsen  liegt.  Wir  hatten  ursprünglich  nicht  die  Absicht- 
gehabt,  uns  daselbst  aufzuhalten,  doch  die  Bewohner  duldeten  nicht, 
dass  wir  ihre  Gastfreundschaft,  deren  wesentlichster  Theil,  das  Mahl, 
bereits  hergerichtet  war,  verschmähten.  Der  Genuss  desselben  — cs 
bestand  aus  dein  gewöhnlichen  steifen  Duchn-Brei  mit  Melüchia- 
Sauce  — wurde  mir  verannehmlicht  durch  die  Zukost  von  kleinen, 

*■)  Siehe  Seile  101. 


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Anai  in  Kawär. 


EMPFANG  ZU  ANAI. 


521 


grauen  Feldtauben,  an  denen  Kawär  sehr  reich  ist,  und  von  denen 
meine  Leute  viele  erlegten.  Die  meisten  Hütten  waren  nach  Art 
derjenigen  der  Tcdä  in  Fezzän  aus  Palmblättern  geflochten,  doch 
in  ihren  Wandungen  häufig  durch  dichte,  aus  Haifa-  oder  Dümpalmen- 
gestrüpp  geflochtene  Matten  verstärkt;  andere  waren  aus  unbehauenen 
und  unverbundenen  Steinen  nach  der  Tibcsti-Sitte',  doch  in  vier- 
eckiger Form,  aufgeführt;  im  Ganzen  mochte  der  Ort  100  Haus- 
stände zählen. 

Der  ansehnlichste  der  Sandsteinfclscn,  etwa  30  M.  hoch  und 
mit  senkrechten  Wänden,  diente  als  Zufluchtsort  bei  Ucberfällen. 
Auf  die  Höhe  dieser  Felsenfestung  gelangte  man  mittelst  einer 
plumpen , doch  soliden  Leiter,  die  aus  zwei  mässig  dicken  Palmen- 
stämmen hergestellt  war,  an  welche  die  Sprossen  aus  dem  Holze 
der  Sajäl -Akazie  durch  breite  Fellstreifen  fest  und  sicher  befestigt 
waren.  Oben  befanden  sich  aus  Steinen  erbaute,  bedachte  Räume 
für  die  Flüchtlinge  und  ihre  Vorräthe,  deren  Zugänge  durch  wohl- 
verschlossene Thüren  und  durch  eine  vor  diesen  aufgeführte  Erd- 
mauer von  fast  Meter- Höhe  geschützt  waren.  Die  Masse  des 
Felsens  zeigt  auf  allen  Seiten  Höhlungen  und  Gänge  verschiedener 
Tiefe,  die  zur  Aufnahme  und  Sicherung  des  Kleinviehs  in  Zeiten 
der  Gefahr  dienen.  Unmittelbar  am  Fusse  des  Felsens  auf  der  Seite 
des  Dorfes  befindet  sich  ein  Brunnen,  in  den  man  von  der  Zinne  des 
Felsens  einen  Eimer  herablassen  kann.  Freilich  enthält  diese  Cisterne 
nur  selten  zureichendes  Wasser,  und  in  diesem  Falle  ist  die  sonst 
schwer  einnehmbare  Festung  natürlich  nur  für  wenige  Tage  haltbar. 

Vom  zweiten  Dorfe  Kawär's,  welches  den  Namen  Anikumma 
— Corruption  von  Ei  Tschuima  oder  Kjui'ma  (d.  h.  weisser  Felsen)  — 
führt,  trennte  uns  nur  die  Entfernung  einer  kleinen  Stunde,  die  am 
nächsten  Morgen  (27.  Mai)  zurückgelegt  wurde.  Dasselbe  lag  nahe 
dem  Ostrandc  der  Oase,  ebenfalls  am  Fusse  eines  isolirten  Zufluchts- 
felsens und  bestand  aus  60  bis  70  Hütten.  Auch  an  ihm  zogen  wir 
nicht  vorüber,  denn  Bü  Äischa  schien  entschlossen,  den  Aufenthalt 
in  der  Oase  so  gut  als  möglich  auszubcuten,  die  Huldigungen  und 
die  Gastmähler  aller  Dörfer  entgegenzunehmen  und  überall  nach  der 
Gelegenheit  möglichst  wohlfeilen  Kameelerwerbs,  dessen  er  noch 
benöthigt  war,  zu  spähen.  Die  festliche  Einholung  hatte  denselben 
Charakter,  wie  zu  Anai,  wurde  jedoch  noch  feierlicher  durch  die 
Mitwirkung  dreier  Pauken  und  einer  Trommel,  auf  deren  Besitz  die 


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522  III.  BUCH,  3.  KAPITEL.  KAWÄR  ODER  EN  NEU!  TÖCE. 

Einwohner  stolz  waren.  Die  Scene  verlängerte  sich  glücklicherweise 
nicht  allzusehr,  da  bald  ein  starker  Ostwind  das  ganze  Thal  mit 
glühender  Hitze  und  drückendem  Staube  umfing  und  selbst  die  wahr- 
lich daran  gewöhnten  Eingeborenen  in  ihre  Häuser  trieb. 

Schon  zu  Anai  hatte  ich  erfahren,  dass  einige  meiner  Tibesti- 
Bekannten  in  der  Nähe  seien,  und  je  weniger  der  Groll  gegen 
die  Gesammtheit  der  Tedä  Tu's  aus  meinem  Herzen  gewichen 
war,  mit  desto  grösserer  Genugthuung  erfüllte  es  mich,  jenen 
hier  im  vollen  Gefühle  der  Sicherheit  und  Unabhängigkeit  entgegen 
treten  zu  können.  In  der  That  erschienen  schon  an  diesem  Tage 
gegen  Abend  der  Sohn  Temidömi’s  und  mein  Retter  Arämi , theils, 
um  uns  zu  begrüssen,  theils  und  hauptsächlich,  um  Bü  Ai'scha  um 
seine  Vermittlung  bei  den  Auläd  Solimän  Käncm’s  zur  Auslieferung 
gefangener  und  geraubter  Landsleute  anzugehen,  und  um  Briefe  von 
ihm  zu  erbitten,  mit  denen  sie  nach  Murzuq  zu  gehen  beabsichtigten, 
um  Frieden  mit  den  gekränkten  Fezzanern  zu  schliessen.  Sobald 
Arämi  diese  Angelegenheiten  mit  unserem  Scheich  el-Qäfila  geordnet 
hatte  und  das  Abenddunkel  hereingebrochen  war,  kam  er  im  Ver- 
trauen auf  die  Dienste,  welche  er  mir  in  seiner  Hcimath  geleistet 
hatte,  um  in  einer  gegen  früher  allerdings  gemilderten  *•  Form  einige 
Geschenke  von  mir  zu  erpressen.  Doch  der  Hass  meiner  Leute 
gegen  ganz  Tibesti  und  gegen  alle  Tubu  war  noch  so  tief  und  leb- 
haft, dass  sie  ihn,  dem  wir  bei  aller  seiner  Habsucht  doch  immerhin 
unsere  Rettung  verdankten,  mit  ausgesuchter  Grobheit  behandelten. 
Ich  versuchte  zwar,  sie  zur  Ruhe  und  Vernunft  zu  bringen  und 
versöhnliche  Gespräche  mit  meinem  Gaste  anzuknüpfen,  doch,  da 
ich  nicht  in  der  Lage  war,  ihm  Geschenke  zu  machen,  so  verliess 
er  mich  im  Zorn  und  mit  der  Drohung,  dass  man,  wenn  es  mich 
noch  einmal  gelüsten  sollte,  nach  Tibesti  zu  kommen,  summarischer 
mit  mir  verfahren  werde.  Ich  gestehe,  dass  ich  damals  wirklich  sehr 
wenig  Neigung  hatte,  die  Wahrhaftigkeit  seiner  Bemerkung  auf  die 
Probe  zu  stellen. 

Es  gelang  Bü  Äischa  hier  noch  nicht,  die  gewünschten  Kamcele 
zu  erwerben,  denn  wenn  man  auch  deren  einige  vortreffliche  aus 
Tibesti,  Borkü  und  Känem  zu  Markt  brachte,  so  kam  es  doch  bei 
der  Schwierigkeit,  mit  den  listigen,  habgierigen  und  eigensinnigen 
Tubu  zu  feilschen,  zu  keinem  Abschluss.  Aber  wir  kauften  Ge- 
treide, das  merkwürdiger  Weise  wohlfeiler  war,  als  in  Fezzän. 


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ALTE  UEKANNTE.  — GETRBIDEPREISE. 


523 


Man  bezahlte  sechs  Kijäl  Durra  in  Kawär  mit  acht,  zu  Murzuq 
mit  zehn  Mark,  und  dabei  war  das  Kel  Kawär' s noch  erheblich 
umfangreicher  als  das  Fezzän’s.  Diese  massigen  Preise  setzten 
mich  um  so  mehr  in  Erstaunen,  als  die  Kawär-Leute  fast  gar  kein 
Getreide  bauen,  sondern  dasselbe  zumeist  von  ihren  westlichen 
Nachbarn,  den  Tuärik,  gegen  Salz  eintauschen.  Von  diesen  be- 
ziehen sie  die  Durra,  während  der  Duchn  aus  Fezzän  und  Bornü 
eingeführt  wird.  Die  Gerste  kommt  aus  Fezzän  und  war  aller- 
dings auch  dem  entsprechend  theurer  als  dort.  Wir  kauften 
das  Getreide  entweder  in  grösserer  Menge,  und  in  diesem  Falle 
gewöhnlich  von  den  Männern  und  um  baares  Geld  ( Maria-Theresia- 
Thaler),  oder  tauschten  es  in  kleinen  Quantitäten  von  den 
Frauen  gegen  Schmuckgegenstände  (Glas-  und  Porzellanperlen, 
Korallen  und  dergl.)  oder  andere  Toilettenerfordernisse  (Köhöl, 
Benzoe  und  dergl.)  ein.  — Auch  Luzerne,  in  Fezzan  Qadab,  in 
Kawär  Safsafa  genannt,  brachten  die  Frauen  und  Mädchen  als 
Pferdefutter  gegen  Tabak  zum  Verkaufe,  und  die  Datteln  der  Oase, 
freilich  in  der  Qualität  sehr  gegen  die  Fezzan’s  zurückstehend,  aber 
doch  als  Extranahrung  der  Kameele  sehr  wünschenswerth,  waren 
überall  für  Gelcl  oder  Tabak  zu  haben. 

Nachdem  wir  Abends  noch  Gelegenheit  gehabt  hatten,  uns  der 
üppigen  Gastfreundschaft  der  Dorfbewohner,  die  sich  in  der  über- 
sendeten Dijäfa  sogar  auf  Weizenbrot,  Reispudding  mit  Meluchia- 
Sauce  und  getrocknetes  Kameelfleisch  verstiegen,  zu  erfreuen  und 
die  graziösen  und  sittsamen  Tänze  der  Frauen  und  Mädchen  bei  Ge- 
sang und  Trommelschlag  zu  bewundern,  verlegten  wir  am  nächsten 
Morgen  (28.  Mai)  unser  Quartier  nach  Aschenumma.  Wenige  Mi- 
nuten brachten  uns  von  Anikumma  in  Südostrichtung  an  den  öst- 
lichen Rand  der  Oase,  auf  dem  wir  nach  Süden  marschirten.  Der 
Höhenzug,  welcher  Kawär  nach  Osten  begrenzt,  ist  hier  höher  und 
weniger  unterbrochen,  als  in  seinem  nördlichsten  Theile,  fällt  ziem- 
lich scharf  gegen  das  Thal  hin  ab,  und  schiebt  von  Zeit  zu  Zeit  Fels- 
vorsprünge, die  sich  zuweilen  ganz  von  ihm  ablösen,  in  dasselbe  vor. 
Ich  bezweifle,  dass  die  ganze  niedrige,  um  einige  hundert  Fuss  die 
Ebene  nirgends  überragende  Erhebung  den  Namen  des  Mögödöm- 
Gebirges  führt,  wie  sie  Gerhard  Rohlfs  nennt,  und  dass  sie  überhaupt 
einen  Gesammtnamen  hat.  Mögödöm  ist  der  Name  einer  früher  an 
ihrem  Fusse  gelegenen  und  jetzt  nicht  mehr  existirenden  Ortschaft. 


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524  Hl.  BUCH,  3-  KAPITEL.  KAWAR  ODER  ENNERI  TÜGfc. 

Nachdem  unser  Weg  drei  jener  nach  Westen  gerichteten  und 
vom  Grenzgebirge  abgelösten  felsigen  Ausläufer  westlich  gelassen 
hatte,  erreichten  wir  nach  vier  Stunden  Aschenumma,  in  dessen 
Nähe  uns  der  gewohnte  festliche  Empfang  zu  Theil  wurde.  Das 
Dorf  liegt  auf  einem  kleinen,  nackten,  nach  Westen  geneigten  Plateau 
am  Fusse  der  östlichen  Kette,  in  der  ein  besonders  steiler  Felsen 
wieder  als  allgemeine  Zufluchtsstätte  dient.  Derselbe  war,  wie  die 
früher  gesehenen,  zu  diesem  Zwecke  mit  Leiter  und  Vorrathskammern 
versehen,  und  auch  die  übrigen  in  der  Nähe  liegenden  P'elsen  ent- 
hielten in  ihren  Höhlungen  und  zwischen  ihren  Sandsteinblöcken 
zahlreiche  Wohnungen.  Im  Ganzen  zählte  das  Dorf  etwa  100  Haus- 
stände, von  denen  die  grössere  Zahl  viereckige  Steinhäuser  und  die 
übrigen  Palmblatthütten  waren.  Ihrer  viele  standen  leer,  da  die 
Eigenthümer  theils  auf  ihren  häufigen  Handelsreisen  abwesend,  theils 
aus  Furcht  vor  den  Auläd  Solimän,  welche  grade  in  den  letzten 
Jahren  arg  gegen  die  Oase  gewüthet  hatten,  ausgewandert  waren. 
Der  anhaltend  östliche  Wüstenwind  machte  mir  bei  dem  dürftigen 
Schatten  meines  Zeltes  den  Aufenthalt  zu  Aschenumma  äusserst 
peinvoll.  Der  Wind  schien  einem  glühenden  Ofen  zu  entströmen; 
das  Quecksilber  des  Thermometers  erreichte  im  gelüfteten  Zelte  fast 
50°  C.;  wie  gelähmt  lag  ich  in  stummer  Resignation  und  fast  para- 
diesischem Costüme  da,  wahrend  die  arme  Windhündin  verzweiflungs- 
voll Löcher  in  den  Boden  kratzte,  ohne  Kühlung  zu  finden. 

Der  29.  Mai  brachte  uns  nach  kaum  zwei  Stunden  zu  der  fol- 
genden Ortschaft  Eidschi,  die  in  ähnlicher  Weise  wie  Aschenumma 
auf  einem  kleinen  Plateau  am  Fusse  der  östlichen  Felsenkettc  liegt, 
etwa  ebenso  gross,  als  diese,  und  seit  den  letzten  Uebcrfällen 
der  Auläd  Solimän  ebenso  schwach  bewohnt  ist.  Vom  Dorfe  aus 
hat  man  die  Aussicht  auf  das  zehn  Minuten  weiter  südlich  und 
ähnlich  gelegene  TTgöruämi  von  nur  20  — 30  Hausständen  und  einen 
lieblichen  Blick  nach  Südwesten  auf  einen  von  üppiger  Vegetation 
umgebenen  See  und  einen  ausgedehnten  Palmenhain  im  Hinter- 
gründe. 

Als  die  Alles  lähmende  Tageshitze  nachgelassen  hatte,  ent- 
wickelte sich  ein  ziemlich  lebhafter  Markt  um  unseren  Lagerplatz, 
der  eine  günstige  Gelegenheit  bot,  die  denselben  vermittelnden 
Frauen  und  Mädchen  zu  beobachten.  Die  Letzteren  waren  in  erster 


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ELDSCHt  UND  SEIN  MARKT. 


525 


JugendbUithe  höchst  anmuthige  Erscheinungen,  welche,  das  gefällige 
Antlitz  und  das  Haupt  mit  der  einfachen  Jungfrauenflechte  stets  un- 
bedeckt, die  Reize  der  gerundeten  Schultern  und  des  zierlichen 
Busens  selten  verhüllt,  unbefangen  aus  ihren  glänzenden  Augen 
blickend,  die  Bewunderung  der  Beschauer  herausforderten,  ohne 
jemals  frech  oder  unanständig  zu  erscheinen.  Dabei  bestand  die 
Kleidung  des  schönen  Geschlechtes  nie,  wie  so  oft  in  Tibesti,  aus 
einem  Schaffell,  sondern  unter  der  Füta  trugen  sie  nicht  selten  ein 
Hemd  von  blaugefarbtem  Cham  oder  selbst  ein  luxuriöseres  Gewand 
aus  den  manufacturreichen  Haussaländern.  Das  in  zahllose  Flechten 
geordnete  Haar  war  sorgfältig  eingefettet,  wie  es  die  Schönen 
Tibesti's  bei  ihrem  Mangel  an  Butter  nicht  oft  haben  können,  und 
trug  mit  den  üblichen  Mittelflechten  die  Zierrathe  von  silbernen 
Ringen  und  Halbringen,  von  Korallen  und  Glasperlen,  welche  ich 
früher  ausführlich  beschrieben  habe , und  deren  Beschaffung  der 
häufige  Karawanenverkehr  den  Kawär-Leuten  erleichtert.  Sie  brachten 
Ziegen,  Klee,  Datteln,  Getreide  und  Salz  zutn  Verkauf,  und  ich  erwarb 
zwei  Wassermelonen,  deren  Köstlichkeit  bewies,  dass  diese  in  der 
Wüste  doppelt  erfrischende  Frucht  mit  Erfolg  in  Kawär  cultivirt 
wird.  Man  verlangte  für  die  Waaren  baarcs  Geld,  die  oben  ge- 
nannten Schmuckgegenstände  und  wohlriechende  Substanzen  oder 
Tabak  aus  P’ezzän.  Gewöhnliche  Stahl-  und  Eisenwaaren  aus  F2uropa, 
wie  Nadeln,  Scheeren,  Messer,  können  nur  selten  verwerthet  werden. 
Steiermärkische  Rasirmesser  z.  B.,  welche  in  grosser  Menge  nach 
Inner-Afrika  ausgeführt  werden,  kosteten  damals  nur  I Ghirsch  oder 
17  Pfennig,  hatten  also  einen  Preis,  den  man  trotz  ihrer  mangelhaften 
Qualität  und  dürftigen  äusseren  Ausstattung  nicht  einmal  am  Orte 
ihrer  P'abrication  für  möglich  halten  sollte.  Von  den  Ziegen  wurde 
keine  verkauft,  denn  Jeder  hoffte,  dass  am  folgenden  Tage  die  Gast- 
mahlzeit zu  Dirki,  welche  vom  Herrscher  des  Händchens  zu  erwarten 
stand,  auch  ein  Stück  Schlachtvieh  cinschliessen  würde.  Wäre  Maina 
Adern  aus  der  Königsfamilie  Kawär’s,  der  einst  mit  Gerhard  Rohlfs 
von  Murzuq  nach  Kawär  gereist  war,  und  dessen  Bekanntschaft  ich 
später  in  Bornü  machte,  in  seinem  heimathlichen  Dorfe  Tfgömämi  ge- 
wesen, so  würden  wir  schon  in  Fidschi  einer  reichlichen  Dijäfa  theil- 
haftig  geworden  sein.  Doch  derselbe  war  durch  kaufmännische  Ge- 
schäfte in  Bornü  mit  der  Zeit  ein  reicher  Mann  geworden  und  schien 


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526  I».  BUCH,  3.  KAPITEL.  KAWAr  ODER  EN'NERI  TÜGt. 

sich  zu  scheuen,  den  Wohnsitz  wieder  in  seiner,  räuberischen  Ueber- 
fällen  schutzlos  ausgesetzten  Heimath  zu  nehmen. 

Um  nach  Dirki,  der  Residenz  des  Ka  war  -Herrschers  Dunnoma, 
welche  im  westlichen  Theile  der  Oase  liegt,  zu  gelangen,  marschirten 
wir  am  30.  Mai  in  Südwestrichtung  auf  den  von  Eidschi  erblickten 
See  zu,  hielten  uns  einige  Zeit  auf  seinem  südöstlichen  Ufer  und 
durchschritten  dann  einen  dichten,  schlecht  gepflegten  Palmenhain 
und  endlich  einen  lichten  Wald,  in  dem  die  Sajäl- Akazie  und  der 
Sanat  (Acacia  nilotica)  vorwalten.  Der  See  ist  ein  Salzsee,  nahezu 
zwei  Kilometer  lang  und  an  seinen  Ufern  mit  Schilfdickicht  bedeckt. 
Er  liefert  ausser  Salz,  das  neben  dem  vortrefflichen  Produkte  der 
unerschöpflichen  Salzgruben  von  Bilmä  bei  seiner  schlechten  Qualität 
nicht  in  Betracht  kommt,  jene  früher  besprochene  Larve  des  Bahär 
ed-Düd  in  Fezzän,  doch  in  geringer  Menge  und  Güte.  In  der  auf 
den  See  folgenden  Waldung  macht  sich  die  Nähe  des  Wassers  gel- 
tend durch  das  frische  Grün  und  die  verhältnissmässig  kräftige  Ent- 
wicklung der  Bäume.  Bevor  wir  nach  zwei  kleinen  Stunden  die 
Hauptstadt  erreichten,  stiessen  wir  auf  die  Einwohner,  welche,  ange- 
führt von  ihrem  jugendlichen  Darda'i,  uns  einen  der  Bedeutung  des 
Ortes  entsprechend  glänzenden  Empfang  bereitete. 

Der  junge  Fürst  und  seine  höchsten  Würdenträger  waren  zu 
Pferde  — im  Ganzen  erblickten  wir  vier  Reiter  — , führten  Spiele 
nach  der  Sitte  der  Araber  auf  und  liessen  dazu  die  kleine  Anzahl 
ihrer  Feuerwaffen  knallen.  Andere  sassen  auf  Rennkameelen  — - Mahäri 
pl.  Mahäri  — und  zeichneten  sich  in  nicht  geringem  Grade  durch 
ihre  Reiterkünste  aus.  Besonders  ein  Mann,  der,  aufrecht  in  dem 
hoch  auf  dem  Höcker  befindlichen  concaven  Reitsattel  stehend,  das 
Thier  zu  rasendem  Laufe  antrieb,  ohne  durch  die  unglcichmässigen 
und  stossenden  Bewegungen  desselben  das  Gleichgewicht  zu  verlieren, 
rief  durch  seine  vollendete  Leistung  unsere  ungetheilte  Bewunderung 
hervor.  Fürst  Dunnoma  war  ein  junger  Mann  von  zwanzig  und 
einigen  Jahren,  von  dunkler  Hautfärbung,  kleiner  und  kräftiger 
Statur,  regelmässiger  und  fast  einnehmender  Physiognomie,  trug  die 
beliebte  Haussa-Tobe,  ritt  ein  graues  Bornü-Pferd  und  begrüsste  uns 
in  einfacher,  fast  biederer  Weise.  F'ünfzig  bis  sechzig  Personen 
beiderlei  Geschlechts  waren  in  seinem  Gefolge,  Alle  durch  die  Klei- 
dung einen  gewissen  Wohlstand  und  in  ihren  Manieren  eine  Urbanität 


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EMPFANG  VOM  KÖNIG  DUNNOMA  ZU  DIRKI.  527 

verrathcnd,  welche  die  natürliche  Folge  ihrer  häufigen  Berührungen 
mit  Fremden  war. 

Die  Begriissung  von  Seiten  der  Frauen  war  enthusiastischer  und 
leidenschaftlicher,  als  in  den  zuvor  berührten  Ortschaften,  und  ihre 
Huldigungen,  welche  sie  zwischen  Bü  Äischa  und  ihrem  Häuptlinge 
theiltcn,  schienen  kein  Ende  zu  nehmen.  Jetzt  sah  man  sie  in  un- 
nachahmlicher Leichtigkeit  über  den  Boden  hinschweben  oder  in 
anmuthigem  Wiegen  und  Biegen  des  Körpers  ihre  Grazie  entfalten, 
Alle  zusammen  und  doch  Jede  für  sich,  während  Alle  ihren  Fürsten 
oder  ihren  Wohlthäter  in  rccitativem  Gesänge  verherrlichten  oder 
Chor  bildeten  zu  den  zwanglosen  Reimen,  welche  Eine  unter  ihnen 
improvisirte.  Dann  wieder  erblickte  man  die  ganze  Gesellschaft  auf 
den  Knieen,  unterwürfig  Sand  und  Staub  auf  Haupt  und  Schultern 
streuend,  oder  Alle  stürzten,  wie  auf  Verabredung,  ohne  von  der 
Anmuth  ihrer  Bewegungen  einzubüssen,  auf  unsere  jungen  Männer 
zu,  dieselben  mit  Palmenzweigen,  Straussenfedcrn  oder  Schilf  be- 
fachernd,  um  sie  zu  immer  neuem  Abfeuern  ihrer  Flinten  zu  bewegen. 
Sie  waren  begleitet  von  zwei  Künstlern,  deren  Einer  eine  grosse 
Trommel  — Tobel  arab.  — bearbeitete,  während  der  Andere,  ohne 
sich  Im  Geringsten  um  den  Rhythmus,  den  der  Erstere  einhiclt,  zu 
kümmern,  unermüdlich  einem  Antilopenhorn  Töne  entlockte,  die 
nicht  grade  zu  den  melodischen  gehörten.  Allen  rieselte  der  Schweiss 
von  der  Stirn  in  Folge  der  Anstrengung  und  einer  Hitze,  die  fast 
noch  unerträglicher  war  als  an  den  vorhergegangenen  Tagen  und 
das  Quecksilber  des  Thermometers  im  dichten  Baumschatten  über 
45°  hinauf  trieb. 

Unter  Anfuhrung  der  uns  einholenden  Menge  zogen  wir  an 
einem  zweiten,  kleinen  und  fast  trockenen,  Salzsee  vorüber,  der  ein 
reineres  Produkt  liefert  als  der  zuvor  berührte  und  auf  der  Ostseite 
der  Stadt  liegt,  und  schlugen  auf  der  Südseite  dieser  in  einem 
lichten  Palmenhain  unser  Lager  auf.  Bald  darauf  schickte  der  Häupt- 
ling als  Gastgeschenk  einen  jungen  Stier,  den  zu  schlachten  sich  die 
Marokkaner,  denen  die  Handhabung  des  Messers  unter  allen  Ver- 
hältnissen ein  Lieblingsvergnügen  ist,  nicht  nehmen  Hessen.  Mit 
Arami,  der  noch  einmal  seinen  Besuch  machte,  noch  etwas  verstimmt 
über  die  Grobheit  meiner  Leute,  kam  Kolokömi,  mein  einstiger 
Führer  aus  Tibesti,  dessen  Mangel  an  Wegkcnntniss  mir  so  qualvolle 
Stunden  und  Tage  bereitet  hatte.  Gegen  Mittag  hatte  die  grenzen- 


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528  Ul.  BUCH,  3.  KAPITEL.  KAWÄR  ODER  ENNERI  TÜc£. 

lose  Hitze  die  neugierigen  Bewohner  der  Stadt  in  ihre  kühlen  Be- 
hausungen getrieben  und  uns  unter  die  schattigen  Bäume  zerstreut. 
Als  sich  dieselbe  etwas  gemildert  hatte,  unternahm  ich  eine  Be- 
sichtigung der  Stadt,  welche  die  älteste  und  bedeutendste  Kawärs 
ist.  Sie  wird  von  den  Tcdä  auch  Dirko  genannt  und  verräth  durch 
Anlage  und  Bauart  ihren  Bornü -Ursprung.  Dieser  fällt  vielleicht 
schon  in  den  Anfang  des  elften  Jahrhunderts  unserer  Zeitrechnung, 
zu  welcher  Zeit  der  König  Arki  eine  Colonie  von  Sclaven  und  Bomü- 
Leuten  dort  ansicdelte.  Die  Häuser  sind  sämmtlich  aus  salzhaltiger 
Erde  aufgeführt,  ganz  wie  in  den  Städten  Bornus  in  Strassen  ge- 
ordnet, und  Reste  der  einstigen  Erdmauer  umgeben  die  Stadt.  In 
der  Ausdehnung  übertrifft  diese  Qatrün,  doch  war  sie  in  Folge  der 
häufigen  üeberfälle  während  der  letzten  Jahre  ebenso  entvölkert, 
wie  die  übrigen  Ortschaften  der  Oase.  Auch  auf  der  Südwestseite 
der  Stadt  befindet  sich  ein  See,  dessen  Ueberschuss  an  schlechtem 
Salz  zu  Hügeln  in  seinem  Innern  aufgethürmt  ist. 

Wie  Murzuq  mit  den  Salzsümpfen  in  seiner  nächsten  Umgebung, 
so  ist  auch  Dirki  von  der  Malaria,  der  auch  die  Eingeborenen  nicht 
ganz  entgehen,  heimgesucht.  In  meiner  Eigenschaft  als  Europäer 
und  Arzt  musste  ich  einen  Theil  des  Tages  mit  Consultationen 
verbringen  und  fand  ausser  dem  Sumpffieber  und  seinen  Folge- 
zuständen  Fälle  von  rheumatischen  Afifectioncn,  von  Krankheiten  der 
äusseren  Augcngebilde,  von  grauem  Staar  und  von  Lungenkatarrh. 
Mehr  aber  als  alle  diese  nahmen  die  cariösen  Zähne  der  Leute 
meine  Thätigkcit  in  Anspruch,  ln  Aschenumma  hatte  ein  junges 
Mädchen  gesehen,  wie  ich  einen  meiner  Diener  von  einem  kranken 
Zahn  befreite,  und  seitdem  war  meine  Ruhe  dahin.  Der  Ruf  meiner 
Geschicklichkeit  auf  diesem  Gebiete  der  niederen  Chirurgie  folgte 
mir  nach  Eidschi  und  Dirki,  und  zwanzig  bis  dreissig  ausgerissene 
Zähne  im  Laufe  eines  Tages  waren  meine  geringsten  Trophäen.  Alt 
und  Jung  unterzog  sich  mit  seltenem  Muthe,  ohne  die  geringste 
Schmerzäusserung  der  widerwärtigen  Operation,  und  cs  gab  Indi- 
viduen, welche  drei  oder  vier  Zähne  in  einer  Sitzung  opferten,  ohne 
vollkommen  befriedigt  zu  sein.  Ein  junges  Mädchen,  dem  ich  auf 
ihr  dringendes  Verlangen  bereits  fünf  Zahnruinen  entfernt  hatte,  bat 
mich,  doch  ja  ordentlich  nachzusehen,  ob  nicht  noch  etwa  eine 
Wurzel  zurückgeblieben  sei. 

Am  folgenden  Morgen  hielten  wir  eine  Berathung  über  die  dem 


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DIE  HAUPTSTADT  KAWAü’s.  - DURCH«  AN0SZOI.L.  f)2B 

Häuptling  zu  machenden  Geschenke,  doch  konnte  keine  Einig- 
keit erzielt  werden,  da  die  Stellungen  der  einzelnen  Karawanen- 
Mitglieder  zu  dieser  Frage  sehr  verschiedene  waren.  Der  Hadsch 
Hamida  hatte  als  Glied  des  Königshauses  von  Bornü  keinerlei 
pfiiehtmässiges  Geschenk  zu  entrichten ; der  Hadsch  Bü  Hädi  war 
als  Muräbid  aus  dem  Stamme  der  Auläd  Wdfi  ebenfalls  frei  von 
jedem  Salam  (Begrüssungs-  oder  Unterwürfigkeits-Geschenk),  und 
Hadsch  Zelläwi  und  Bossarmi  hatten  wieder  als  Stammesgenossen 
Nichts  zu  bezahlen.  Der  Hadsch  Äbd  cr-Rahmän  aus  AudschTla  und 
der  Hadsch  Mohammed  el-Medschebri  aus  Dschälo  endlich  riefen  das 
alte  Recht  ihrer  Landsleute  an,  bei  der  Passage  Kawär’s  keinen 
Durchgangszoll  zu  entrichten  oder  doch  nur  ein  kleines  Geschenk, 
7.  B.  von  einigen  Pfunden  Zucker,  zu  machen,  ein  Recht,  das  ver- 
tragsmässig  den  Teda  Kawär’s  die  freie  und  ungehinderte  Passage 
der  genannten  Oasen  auf  ihren  Pilgerfahrten  garantirt.  Obgleich 
nun  einige  der  Genannten  nicht  streng  an  ihrem  Recht  festhaltcn, 
sondern  in  Rücksicht  auf  die  glänzende  Aufnahme  ein  Opfer  bringen 
zu  wollen  erklärten,  so  waren  zu  einer  Abgabe  verpflichtet  eigentlich 
nur  Bü  Äischa  und  meine  Person,  und  wir  Beide  hatten  wiederum 
nicht  den  Charakter  gewöhnlicher  kaufmännischer  Reisender.  Ich 
übersandte  dem  Darda'f  durch  Bui  Mohammed  einen  Tuchburnus, 
einen  tunisischcn  Tarbüsch,  zwölf  Ellen  Musselin  zum  Turban,  einen 
Rosenkranz  aus  Sandelholz  und  drei  Fläschchen  Rosenessenz,  welche 
Gegenstände  im  Ganzen  einen  etwas  höheren  Werth  repräsentirten, 
als  das  Geschenk  Bö  Aischa’s.  Doch  während  Mai  Dunnoma  — man 
hörte  in  Kawär  schon  häufig  den  in  Bornü  üblichen  Königstitel 
anstatt  der  Tedä- Bezeichnung  Dardai  — die  Gaben  aller  Uebrigen 
mit  Dank  annahm,  weigerte  er  sich,  die  meinigen  als  zureichend 
gelten  zu  lassen,  indem  er  darauf  fusste,  dass  Gerhard  Rohlfs  seinem 
Vorgänger  70  Maria -Theresia- Thaler  bezahlt,  und  dass  ich  selbst 
seinen  Vetter  und  Collegen  in  Tu  viel  reicher  bedacht  habe,  während 
doch  Kawär,  als  die  Karawanenstrasse  nach  Bornü  beherrschend, 
sehr  viel  wichtiger  sei,  als  das  Mutterland.  Als  Bü  Äischa  und 
unsere  übrigen  Gefährten  meine  Geschenke  sehr  anständig  fanden, 
und  ich,  im  Vertrauen  auf  die  Stärke  unserer  Karawane,  mich 
weigerte,  mehr  aus  mir  erpressen  zu  lassen,  so  fügte  sich  der  Häupt- 
ling mit  der  ebenso  freundlichen  als  naiven  Versicherung,  dass  er 
mich  ganz  anders  ausgebeutet  haben  würde,  wenn  ich  allein  ge- 

Naditigat.  I.  34 


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530  m.  buch,  3.  kapitei..  kawär  oder  enneri  tug£. 

kommen  wäre,  und  dass  er  auf  meiner  Rückreise  dies  nachholen  zu 
können  hoffe.  Ich  konnte  ihm  nur  Erwidern,  dass  ich  von  der  Wahr- 
haftigkeit seiner  Worte  vollständig  überzeugt  sei,  dass  ich  aber  mit 
Gottes  Hülfe  — in  sch'  Allah  — ihn  nicht  wiederzusehen  hoffe. 
Gleichwohl  fügte  ich  für  seinen  Onkel,  den  Hadsch  Billäh,  noch 
einen  Tarbüsch  und  einen  abgetheilten  egyptischen  Turbanshawl  — 
Subetti  — hinzu,  in  Rücksicht  darauf,  dass  dieser  eigentlich  bei  der 
Jugend  und  Unerfahrenheit  seines  Neffen  die  Zügel  der  Regierung  in 
Händen  hatte. 

Wenn  zu  Dirki  der  weltliche  Herrscher  von  Kawär  residirte,  so 
befand  sich  das  geistliche  Oberhaupt  in  Schimmedru.  Hier  hatten 
die  Senüsija  eine  Zäwia  errichtet,  und  dem  Chef  derselben  wurde  cs 
um  so  leichter,  grossen  Einfluss  zu  gewinnen  und  zu  bewahren,  als 
die  Oase  leicht  übersehbar  ist,  die  Einwohner  durch  den  Karawanen- 
verkehr eine  gewisse  Umgänglichkeit  und  ein  höheres  Verständniss 
gewonnen  haben,  und  als  dieselben  von  ihm  wenigstens  einigen 
Schutz  gegen  ihre  arabischen  Erbfeinde  in  Känem  erwarten  konnten. 
In  der  That  waren  schon  bei  dem  jüngsten  Ueberfalle  der  letzteren 
Schimmedru  und  die  Bewohner  der  benachbarten  Ortschaften,  welche 
sich  dorthin  geflüchtet  hatten,  sehr  viel  weniger  gebrandschatzt 
worden  als  die  übrigen.  Wir  erreichten  Schimmedru  am  1.  Juni  in 
einer  starken  Stunde  in  Südsüdostrichtung  und  wurden  zunächst  wieder 
fast  ausschliesslich  vom  weiblichen  Theile  der  Einwohnerschaft  empfan- 
gen. Die  Begrüssungen  zeichneten  sich  durch  geregelte  Tanzauffüh- 
rungen aus,  bei  denen  zwei  junge  Frauen  in  der  Mitte  eines  Kreises 
ihre  graziösen  Evolutionen  machten,  während  die  Umstehenden  durch 
rhythmisches  Händeklatschen  und  Fussstampfen  den  Tact  angaben. 

Als  w’ir  in  die  Nähe  der  Zawia  gekommen  waren,  hielten  wir 
inne,  um  dem  Glaubenswächter  unseren  Rcspcct  zu  bezeugen,  mussten 
jedoch  geraume  Zeit  werten,  bis  es  dem  geistlichen  Herren  gefällig 
war,  herauszutreten.  Endlich  erschien  er  an  der  Spitze  der  männ- 
lichen Bewohner  Schimmedru’s,  denen  er  durch  sein  zögerndes  Ent- 
gegenkommen einem  so  hochstehenden  Manne  gegenüber,  als  Bü 
Äischa  war,  gewiss  sehr  imponirte,  und  hatte  die  Herablassung,  uns 
bis  auf  eine  Entfernung  von  etwa  hundert  Schritten  von  seiner  Woh- 
nung .eptgegenzukommen.  Wir  selbst  stiegen  demüthig  vom  Pferde 
und  bewegten  uns  in  möglichst  w'ürdiger  Haltung  auf  den  heiligen 
Mann  zu.  Einer  nach  dem  Andern  aus  der  Karawane  trat  auf  ihn 


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SCH1MMF.DRU  UND  DKR  SENÜSt- SCHF.VcH.  531 

zu  und  küsste  ihn  unterwürfig  auf  die  Brust,  während  er  selbst,  wie 
in  fromme  Meditationen  versunken,  seinen  Rosenkranz  nachlässig 
durch  die  Finger  der  einen  Hand  gleiten  liess  und  mit  der  andern 
scheinbar  eine  umarmende  Bewegung  machte.  Diese  letztere  wurde 
aber  trotz  der  zur  Schau  getragenen  Gleichgültigkeit  sehr  sorgfältig 
nach  Stand  und  Ansehen  der  Begrüssenden  abgestuft  und  niiancirt. 

Der  Hochmuth  und  die  Anmassung  dieser  Senüsija-  Scheichs, 
welche  die  wahre  Frömmigkeit  gepachtet  zu  haben  scheinen,  über- 
steigen alle  Begriffe  und  werden  nur  noch  übertroffen  von  der  Klug- 
heit und  List,  mit  denen  sie  ihr  Ansehen  zu  erhöhen  und  Einfluss 
zu  gewinnen  wissen.  Was  sollten  die  bescheidenen  Einwohner  Kawär's 
von  der  Grösse  dieses  frommen  Mannes  denken,  wenn  sie  sahen,  dass 
ein  Mann,  wie  Bü  Äfscha,  welcher  der  Regierung  in  Tripolis  so  nahe 
stand  und  in  ihren  Augen  ein  directer  Abgesandter  des  Beherrschers 
aller  Gläubigen  war,  schon  in  einer  Entfernung  von  fünfzig  Schritten 
vom  Pferde  stieg,  um  ihm  den  Saum  des  Gewandes  zu  küssen? 
Ich  selbst  kam  natürlich  bei  der  ganzen  Scene  am  schlechtesten 
fort,  denn  als  die  Reihe  der  Begrüssung  an  mich  kam  und  ich  auf 
ihn  zuging,  um  ihm  die  Hand  zu  reichen,  zog  er  die  seinige  zurück 
und  begnügte  sich,  einige  Worte  des  Willkommens  zu  murmeln,  wie 
man  sie  selbst  einem  Ungläubigen  zu  Theil  werden  lassen  kann. 
Glücklicherweise  nahmen  nur  Wenige  die  Zurückweisung  meiner  Höf- 
lichkeit wahr. 

Schimmedru  liegt  hart  am  Fusse  des  östlichen  Gebirgszuges  und 
zählt  120  bis  130  Häuser,  welche  meistens  in  viereckiger  Form  aus 
unregelmässigen,  durch  Erde  mit  einander  verbundenen  Steinen  erbaut 
sind  und  im  Innern  aus  drei  bis  fünf  Abtheilungen  bestehen,  von 
denen  gewöhnlich  nur  eine  bedacht  ist.  Sie  liegen  ziemlich  zerstreut 
auf  den  Abhängen  und  am  Fusse  des  auch  hier  existirenden  Zufluchts- 
felsens, und  zwar  vorwiegend  auf  der  Nordwestscite  desselben.  Der 
Felsen,  dessen  relative  Höhe  etwa  80  M.  beträgt,  ist  nur  von  der 
Südostseite  her  zugänglich  und  trägt  auf  seiner  Höhe  einen  Aufsatz 
mit  senkrechten  Wänden,  der  nur  mit  einer  Leiter  erstiegen  werden 
kann.  Dieser  bildet  die  letzte  Zufluchtsstätte  in  der  Stunde  äusserster 
Gefahr,  ist  aber  nicht  ausgedehnt  genug,  um  so  viele  Proviantkammern 
und  Wohnungen  enthalten  zu  können,  als  wir  z.  B.  in  Anai  gesehen 
hatten.  Der  Ort  hat  verschiedene  Brunnen  im  Thalgrunde,  die 
Wasser  in  der  Tiefe  von  */»  bis  l M.  haben ; in  der  höher  gelegenen 

34* 


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532  III.  BUCH,  3.  KAPITF.I,.  KAWÄR  ODER  ENNERT  TÜot. 

Zawia  war  jedoch  ein  besonderer  Brunnen  durch  Thon-  und  Fels- 
boden bis  zu  einer  Tiefe  von  1 1 M.  gegraben. 

Da  Bü  Äfecha  eine  gewisse  Freundschaft  mit  dem  Scheich  der 
Zawia  zu  zeigen  für  passend  erachtete,  und  da  das  religiöse  Institut, 
das  natürlich  ganz  von  den  Bewohnern  Kawär’s  unterhalten  werden 
muss,  sich  durch  seine  Gastmahlzciten  auszeichnetc,  verweilten  wir 
mehrere  Tage  in  Schimmedru.  Während  meine  Reisegefährten  dort 
schwelgten  und  die  Frommen  spielten,  ging  ich,  der  begreiflicher- 
weise Nichts  von  dem  fanatischen  Missionär  und  seinen  Schüsseln  zu 
sehen  bekam,  meiner  gewöhnlichen  Beschäftigung  in  den  Musse- 
stunden,  der  ärztlichen  Thätigkeit,  nach. 

Ich  fügte  mich  übrigens  bei  der  Hitze,  welche  unseren  ganzen 
Aufenthalt  in  Kawär  begleitet  hatte  und  nicht  abnehmen  zu  wollen 
schien,  gern  in  den  Aufenthalt,  zumal  unsere  Kamecle  von  Schim- 
medru aus  täglich  auf  eine  ausgezeichnete,  weiter  südlich  gelegene 
Aqül-Wcide  getrieben  wurden,  die  ihnen  so  wohl  gefiel,  dass 
sie  Abends  bei  der  Heimkehr  selbst  ihre  Lieblingsnahrung,  die 
Datteln,  verschmähten.  Der  Aqül  hat  den  Vorzug  vor  anderen  Futter- 
kräutern, dass  er  während  der  Tageshitzc  besonders  gern  von  den  Ka- 
meelen  gefressen  wird.  Zu  dieser  Zeit  nämlich  sollen  die  Stacheln  des 
Krautes,  welche  in  der  ersten  Morgenfrühe  allzu  starr  zu  sein  und 
die  ersten  Verdauungswege  zu  sehr  zu  reizen  scheinen,  erschlaffen. 
Kawär  zeichnet  sich  durch  seinen  Reichthum  an  Aqül  aus  und  bildet 
durch  diesen  Vorzug,  unmittelbar  vor  der  schwierigen  und  vegetations- 
losen Dünenregion,  welche  südlich  von  der  Oase  in  ansehnlicher  Breite 
folgt,  eine  schätzenswerthe  Reisestation. 

Nachdem  am  2.  Juni  der  bisherige  Ost-  und  Südostwind  einer 
unsicheren,  bald  südlichen,  bald  südwestlichen  Richtung  gewichen 
war,  trat  am  Abende  des  folgenden  Tages  ein  starker  Wind  aus 
Südosten  ein,  welcher  einen  mildernden  Einfluss  auf  die  Temperatur 
ausiibte.  Derselbe  dauerte  während  der  ganzen  Nacht  an,  schwächte 
sich  im  Laufe  des  4.  Juni  ab  und  erhob  sich  am  späten  Abende 
dieses  Tages  wieder  zu  solcher  Stärke,  dass  wir  uns  sogar  gezwungen 
sahen,  die  Zelte  niedcrzulegen.  Dabei  kam  es  zu  ausgedehnter  Bil- 
dung von  Schicht-  und  Haufcnwolken,  das  Hygrometer  Saussure  be- 
gann zu  steigen,  und  am  5.  Morgens  um  Sonnenaufgang  fielen  sogar 
einige  Regentropfen.  Die  Wolken  zogen  nach  Nordnordwesten  und 
lösten  sich  mit  der  zunehmenden  Tagestemperatur  wieder  auf,  um  sich 


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AQÜL-WEIDE  ZU  AGKRk. 


b33 

aber  im  Laufe  des  folgenden  Tages  wieder  zu  bilden  und  am  Abende 
desselben  ebenfalls  einige  Tropfen  fallen  zu  lassen.  An  diesem  Tage 
war  ganz  deutlich  in  den  unteren  Luftregionen  ein  schwacher  Südwest- 
wind zu  erkennen,  während  der  dominirende  Luftstrom  aus  Südsud- 
osten kam,  wie  der  Zug  der  Wolken  bewies. 

Wir  waren  am  4.  Juni  mit  Südrichtung  in  fünf  Viertelstunden 
nach  der  kleinen  Ortschaft  Emi  MddPma  weitergezogen,  welche 
auf  zwei  kleinen  dicht  bei  einander  liegenden  Felsvorsprüngen 
erbaut  ist,  etwa  80  Wohnstätten  zählt,  aber  relativ  bewohnter  ist,  als 
die  angeführten  Dörfer.  Von  ihr  hatten  wir  am  folgenden  Tage  in 
derselben  Richtung  nach  einem  Stündchen  den  ansehnlichen  Felsen 
Ingissomi,  der  von  dem  östlichen  Gebirgszuge  in  das  Thal  vorspringt, 
mit  dem  verlassenen  Dorfe  Göbödotü  passirt,  waren  dann  in  südwest- 
licher Richtung  gegen  den  westlichen  Theil  der  Oase  zu  marschirt 
und  lagerten  nach  einer  weiteren  Stunde  in  der  bewohnerlosen  Lo- 
kalität Agerr  mitten  auf  der  erwähnten  Aqül-Weide.  Um  dieser 
willen  sowohl,  als  auch  wegen  des  ausgezeichnet  süssen  Wassers, 
das  sich  in  verschiedenen  */2  — 1 M.  tiefen  Brunnen  in  grosser  Reich- 
lichkeit fand,  konnten  sich  die  meisten  Mitglieder  der  Karawane 
nicht  entschliessen,  schon  am  6.  Juni  nach  den  südlichsten  Ortschaften 
Kawdr's,  welche  unter  dem  Namen  Bilmä  zusammen  gefasst  werden, 
aufzubrechen,  und  nur  der  Hadsch  Hamida,  ärgerlich  über  unser 
schneckenhaftes  Vorrücken,  reiste  dorthin  voraus. 

Mit  lebhafter  Neugier  trat  ich  am  7.  Juni  den  Weg  nach  Bilmä 
an,  dem  Bezirk  jener  unerschöpflichen  Salzgruben,  welche  einen 
grossen  Theil  der  grossen  Wüste,  fast  ganz  Bornü  und  die  Haussa- 
staaten  mit  ihrem  kostbaren  Inhalte  versorgen.  Diese  veranlassten  einst 
die  alten  Känemkönige  zur  Besetzung  Kawdr's,  lassen  jetzt  die  Tudrik 
eifersüchtig  über  ihren  Einfluss  auf  die  Oase  wachen  und  sollten 
eigentlich  die  türkische  Regierung  bewegen,  in  Kawdr  einen  mili- 
tärischen Posten  zu  errichten,  dadurch  die  Strasse  nach  Bornü  zu 
beherrschen  und  sicher  zu  machen  und  die  Ausfuhr  des  wichtigsten 
Wüstenproduktes  in  die  salzarmen  Länder  des  Sudan  zu  regeln. 
Dicht  bei  unserem  Lagerplätze  zu  Agerr,  der  nicht  weit  entfernt  von 
der  westlichen  Grenze  des  Thaies  lag,  erstreckte  sich  eine  Boden- 
erhebung von  Nord  nach  Süd,  welche  wir  im  westlichen  Bogen 
im  Laufe  einer  Stunde  umgingen.  Wir  fielen  darauf  in  die  Süd- 
richtung der  verflossenen  Marschtagc  zurück,  erreichten  nach  drei 


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534  III.  BUCH,  3.  KAPITEL.  KAWiR  ODER  ENNF.RI  TUGfc. 

weiteren  Stunden  die  Hauptortschaft  für  die  Salzgewinnung,  Kaläla, 
und  lagerten  kurz  darauf  auf  der  Südseite  von  Garü,  der  eigentlichen 
Bilmä- Stadt. 

Schon  fast  eine  Stunde,  bevor  wir  die  erstgenannte  der  beiden 
Ortschaften  erreicht  hatten,  kamen  uns  etwa  zwanzig  Männer  ent- 
gegen, unter  denen  drei  aufStuten  ritten,  welche  eine  grosse  Aufregung 
unter  unseren  Pferden  hervorbrachten.  Wie  die  Pferde  für  einen  ge- 
wissen Wohlstand  sprachen,  so  auch  ihre  Kleider,  unter  denen  die 
indigogefärbten  Toben  der  Häussa-Staaten  vorwalteten.  Der  physische 
Charakter  dieser  Leute  schien  ein  vorwaltend  sudanischer  zu  sein; 
man  sah  kaum  noch  Tubu-Gesichter  unter  ihnen.  Auch  bei  den 
Frauen,  die  bald  darauf  zu  ungefähr  fünfzig,  und  ebenfalls  vcrhält- 
nissmässig  reich  gekleidet,  erschienen,  walteten  die  Sudan -Gesichter 
vor,  und  man  hörte  die  Kanüri-Sprachc  mehr  als  die  der  Tedä.  Als 
wir  an  Kaläla  vorüberzogen,  beschütteten  uns  die  zu  Hause  geblie- 
benen Frauen  zur  Begrüssung  mit  Salz,  welches,  da  Bilmä  ihm  seine 
ganze  zeitweilige  Prosperität  verdankt,  auch  als  Sinnbild  der  gast- 
freundlichen Gesinnung  ihrer  Bewohner  gilt. 

Garü  ist  mit  Dirki  die  einzige  Stadt  der  Oase,  d.  h.  sie  ist  mit 
Mauern  verseilen,  die  freilich  kaum  noch  diesen  Namen  verdienen, 
und  hat  eine  Ausdehnung,  welche  die  Annahme  einer  Bewohnerschaft 
von  etwa  2000  Seelen  rechtfertigen  würde.  Doch  in  der  Nähe  be- 
trachtet, besteht  die  eine  Hälfte  der  Ortschaft  in  Ruinen,  während 
die  andere  grossentheils  unbewohnt  ist.  Wenn  die  ergiebige  Industrie 
der  Salzgewinnung  eine  für  die  Wüste  ungewöhnliche  Prosperität 
der  Bilmä-Ortschaften  erwarten  lässt,  so  darf  man  die  unglücklichen 
politischen  Verhältnisse,  unter  denen  dieselben  leiden,  und  ihre  schutz- 
lose Lage  nicht  vergessen.  Bilmä  ist  stets  das  erste  Ziel  aller  räube- 
rischen Ueberfälle.  Dort  sucht  man  salzholcnde  Tuärik  ihrer  Kameele 
zu  berauben,  und  dort  finden  die  Räuber,  wenn  auch  die  Hoffnung 
auf  fremde  Kameele  getäuscht  wird,  noch  den  meisten  ßesitz  bei  den 
Einwohnern.  Bei  allen  Ueberfällen  der  Auläd  Solimän  hat  Bilmä 
stets  am  meisten  gelitten,  und  nach  dem  letzten  war  die  Noth  eine 
so  grosse  gewesen,  dass  man  behauptete,  sechzig  Personen  seien  dem 
Hungertode  erlegen.  Die  nächste  Umgebung  der  Stadt  ist  nicht 
reich  an  Dattelpalmen,  bietet  jedoch  durch  den  üppigen  Kraut-  und 
Gräserwuchs  und  durch  die  Gärten  der  Einwohner  einen  im  Hinblick 
auf  die  wüste  Umgebung  sehr  lieblichen  Anblick.  Zahlreiche  süsse 


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DER  D1STRICT  BILMA  UND  SEINE  ORTSCHAFTEN.  535 

Quellen,  welche  zum  Theil  die  Pflanzungen  der  Leute  bewässern, 
zum  Theil  jedoch  ungenützt  verrinnen,  vermitteln  diese  Vegetation. 
Zum  ersten  Male  in  der  Oase  stiess  uns  hier  der  mir  von  Tibesti 
her  bekannte,  und  vereinzelt  auch  in  Fezzän  vorkommende  Oschar 
(Calotropis  procera)  auf,  dessen  eigentliche  Heimath  der  Sudan  ist. 

Da  Mai  Dunnoma  mit  seinem  Onkel  und  Rathgeber,  dem  Hadsch 
Billäh,  nach  Garü  gekommen  war,  um  der  Karawane  oder  vielmehr 
Bü  Äischa  Lebewohl  zu  sagen,  so  hatten  wir  nicht  allein  Nachmit- 
tags ein  glänzendes  Schauspiel  unserer  marokkanischen  Gymnasten, 
dem  immerhin  200  Zuschauer  beiderlei  Geschlechtes  beiwohnten,  son- 
dern Abends  auch  eine  bis  in  die  Nacht  hinein  sich  verlängernde 
Tanzvorstellung  der  Frauen  von  Bilmä. 

Kaläla,  dem  ich  am  folgenden  Tage  einen  Besuch  machte,  war 
etwas  kleiner,  als  Garü,  machte  aber  einen  weniger  verfallenen  Ein- 
druck, und  damit  stimmte  auch  der  Ruf  seines  Wohlstandes  überein. 
Gleichwohl  war  es  noch  mehr  verlassen  von  den  Einwohnern,  welche 
sich  grösstentheils  nach  Bornü  zurückgezogen  haben  sollten.  An 
beiden  Orten,  Garü  und  Kaläla,  findet  begreiflicherweise  ein  grosser 
Fremdenverkehr  statt,  denn  abgesehen  von  den  in  den  letzten  Jahren 
allerdings  seltenen  Karawanen,  welche  den  Verkehr  zwischen  Tripo- 
litanien  und  Bornü  vermitteln,  kommen  und  gehen  Tuärik  und  Tubu 
während  des  ganzen  Jahres.  Von  diesen  lagern  die  ersteren  gewohn- 
heitsgemäss  zu  Kaläla,  während  die  letzteren  ihr  Quartier  zu  Garü 
aufschlagen.  Wenn  auch  grössere  Karawanen,  wie  sie  die  Tuärik 
ausrüsten,  um  das  Salz  in  die  Haussa- Staaten  zu  führen,  nur  etwa 
drei  Mal  im  Jahre  zu  Stande  kommen  — und  jede  mag  von  Ahir 
ab  etwa  3000  Kameele  umfassen  — , so  ist  doch  die  Zahl  der  klei- 
neren Tuärik-  und  Tubu-Gesellschaften,  welche  das  Salz  in  ihre  hei- 
mathlichen  Sitze  und  nach  Känem,  Bornü  und  Haussa  exportiren, 
eine  ungeheure.  Man  muss  den  Besitz  der  Stämme  an  Kameelen  in 
Betracht  ziehen  und  bedenken,  dass  die  zeitweise  Salznahrung  einen 
sehr  wichtigen  Faktor  für  das  Gedeihen  dieser  Thicre  bildet,  um 
sich  eine  richtige  Idee  von  der  Menge  des  Jahr  aus,  Jahr  ein  ver- 
brauchten Salzes  zu  machen.  Dann  erscheint  uns  die  Behauptung 
der  Eingeborenen,  dass  im  Laufe  des  Jahres  etwa  70,000  Kameel- 
ladungen  Salz  aus  Bilmä  geholt  werden,  weniger  unglaublich. 

Bornü,  Baghirmi,  die  Haussa-Staaten,  Adamäwa.  und  die  südlich 
von  ihnen  gelegenen  Heidenländer  sind  relativ  dicht  bevölkert  und 


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III.  HUCII,  3.  KAPITEL.  KAWÄR  ODER  ENNERI  TÜGfc. 


536 

entbehren  des  Salzes  fast  ganz.  In  allen  wird  zwar  ein  Salz  unter- 
geordneter Qualität  aus  der  Asche  verschiedener  Bäume  und  Sträuchcr, 
des  Durra-Rohrs  und  selbst  des  Rindcrkothes  gewonnen  und  in  einigen 
begünstigten  Orten  aus  der  Erde  gelaugt,  doch  ist  die  Mühe  gross, 
die  Menge  gering  und  wird  das  unvergleichlich  viel  bessere  Salz  der 
Wüste  natürlich  vorgezogen.  Das  werthvollste  Tauschmittel,  wenn 
man  von  den  genannten  mohammedanischen  Negerstaaten  nach 
Süden  reist,  ist  das  Salz.  Die  Sahara  hat  noch  viele  Gegenden,  in 
denen  Salz  gewonnen  wird,  sowohl  in  ihrenj  westlichen  Theile  (Tuärik- 
Gebiet),  als  in  ihrer  östlichen  Hälfte  (Borkü,  Ennedi  und  Zoghäwa- 
Gebiet).  Von  denselben  aus  werden  einerseits  Timbuktu  und  ein  Theil 
der  Nigcrländer,  andererseits  Wadai,  Dar  For  und  die  diesen  an- 
grenzenden Heidenländer  mit  dem  vielbegehrten  Gewürz  versorgt; 
doch  die  grösste  Menge  und  das  reinste  Produkt  liefern  die  Bilmä- 
Gruben.  Die  Tuärik  und  zwar  die  Stämme  der  Kelovvi  und  Kelgeris 
vermitteln,  wie  gesagt,  die  Ausfuhr  nach  Westen  und  Südwesten, 
nach  Tu  holen  es  die  Tedä,  und  nach  Känem  und  Bornü  bringen 
es  die  Däza.  Da  die  Tuärik  am  streitbarsten  sind  und  die  grösste 
Menge  Salz  ausführen,  so  haben  sie  eine  gewisse  Suprematie  über 
Kawär  errungen  und  gestatten  den  Einwohnern  kaum  die  allernoth- 
wendigste  Kultur  von  Getreide,  um  durch  die  Einführung  dieses  noth- 
wendigsten  Nahrungsmittels  den  Salzmarkt  zu  beherrschen. 

Das  Salz  wird  in  flachen  Bodenvertiefungen  gewonnen,  die  je 
nach  der  Jahreszeit  mehr  oder  weniger  Wasser  enthalten.  Dieses, 
das  in  ganz  Kawär  nahe  der  Bodenoberfläche  gefunden  wird,  steht 
hier  in  Tümpeln,  löst  die  oberflächliche  Schicht  von  Steinsalz  und 
enthält  je  nach  seiner  Menge  und  dem  Grade  seiner  Verdunstung 
das  Salz  in  mehr  oder  weniger  cor.centrirter  Lösung.  Auf  der  Ober- 
fläche scheiden  sich  mit  der  Verdunstung  Salzkrystallc  aus  und  bilden 
mit  dem  Staube  und  Sande,  welche  der  selten  rastende  Wind  her- 
beiführt, eine  Decke,  welche,  entsprechend  dem  grösseren  oder  ge- 
ringeren Salzgehalte,  von  weisslicher  oder  grauer  Farbe  ist  und  stellen- 
weise ein  so  homogenes  Aussehen  hat  und  sich  so  wenig  für  das 
Auge  von  der  Erdfarbe  der  Umgebung  unterscheidet,  dass  man  meinen 
sollte,  auf  ihr  gehen  zu  können.  Ein  sondirender  Stab  durchbohrt  die- 
selbe ohne  Widerstand,  lässt  alsbald  klares  Salzwasser  auf  die  Ober- 
fläche dringen  und  stösst  dann  in  geringer  Tiefe  auf  die  breiige  Masse 
des  wieder  ausgeschiedenen  Salzes,  in  welche  er  unter  zunehmendem 


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SALZGEWINNUNG. 


537 


Widerstande,  doch  ohne  Schwierigkeit,  etwa  einen  Fuss  tief  ein- 
dringt. 

Die  hauptsächlichste  Ausbeute  wird  zur  Zeit  der  höchsten  Sommer" 
hitze,  also  der  regsten  Wasserverdunstung,  erzielt.  Dann  wird  die 
deckende  Schicht  zweimal  in  der  Woche  durchstossen,  die  erdhaltigste 
Masse  bei  Seite  geworfen,  und  dadurch  das  freiliegende  Wasser 
regerer  Verdunstung  ausgesetzt.  Die  Arbeit  geschieht  durch  Stäbe 
und  die  abgehärteten  Füsse  der  Leute,  welche,  fast  bis  zum  Knie  im 
Salzbrei , so  viel  als  möglich  auch  die  Grundschicht  zu  zerstampfen 
und  mit  dem  Wasser  in  Berührung  zu  bringen  suchen.  Wenn  die 
Verdampfung  des  Wassers  und  damit  die  Ausscheidung  des  Salzes 
hinlänglich  vor  sich  gegangen  ist,  so  fördert  man  das  letztere  zu 
Tage  und  formt  es,  wenn  es  mittlerer  Qualität  ist,  nach  Art  der 
Zuckerhüte  oder  in  rundliche,  platte  Brote.  In  diesem  Falle  hat  es  je 
nach  dem  Grade  seiner  Reinheit  eine  graue,  grünlich  graue  oder  weiss- 
liche  Farbe  und  wird  bei  seinem  billigen  Preise  trotz  seines  bitteren 
Geschmackes  noch  vielfach  als  Speisesalz  benutzt,  dient  aber  vorzugs- 
weise als  Thiernahrung.  Von  den  zuckerhutförmigen  Stücken,  welche 
in  ihrer  Grösse  verschieden  sind,  machen  etwa  zehn  eine  Kameel- 
ladung  aus,  und  eine  solche  bezahlen  die  Tuärik  mit  16 — 20  Sa  Durra, 
die  bei  den  höchsten  Getreidepreisen  nicht  mehr  als  einen  Maria- 
Theresia-Thaler  werth  sind.  Auf  den  Hauptmarktplätzen  südlich  von 
der  Wüste,  zu  Kanö  oder  Sokoto  erzielen  dieselben  dann  wohl  das 
Dreissigfache  des  Ankaufswerthes,  so  dass  sich , wenn  man  wirklich 
ein  Drittel  davon  auf  die  durch  Kameele  und  Proviant  verursachten 
Unkosten  rechnet,  ein  beträchtlicher  Gewinn  ergiebt. 

Das  reinste,  ausschliesslich  zu  Speisen  verwandte  Salz  ist  von 
schöner,  weisser  Farbe,  wird  in  cylinderförmigen  Gelassen  aus  der 
Grube  genommen  und  in  Krystallen  oder  als  ein  mehr  oder  weniger 
feines  Pulver  verschickt.  Wenn  die  Stellen,  an  denen  sich  dasselbe 
findet,  noch  besonders  geschützt  liegen  vor  verunreinigenden  Ein- 
flüssen, so  bildet  sich  bei  der  regsten  Sommerverdunstung  auf  der 
Oberfläche  des  Wassers  eine  dünne  abhebbare  Kruste  reinsten  Salzes, 
ganz  nach  Art  einer  Eisdecke. 

Zur  Zeit  unserer  Anwesenheit  arbeiteten  die  Bilmä-Leute  noch 
nicht  regelmässig  in  den  Gruben.  Diese  sind  io — 20  M.  lang,  6 — 10  M. 
breit,  von  ovaler  P'orm  und  zerfallen  in  ihrem  Innern  wieder  durch 
kleine  Dämme  in  verschiedene,  unregelmässig  gestaltete  Unterabthei- 


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538  III.  BUCH,  3.  KAPITEL.  KAWAR  OPER  ENNERI  TUG  ft. 

lungcn.  Sie  sind  umgeben  von  Hügeln,  die  sich  allmählich  aus  der 
ausgelaugten  und  fortgeworfenen  Erde  aufgethürmt  haben  und  zu 
weilen  eine  Höhe  von  8 bis  io  M.  erreichen. 

Da  die  Gastmahlzeiten  ausserordentlich  reichliche  und  für  die 
bescheidenen  Verhältnisse  Kawar’s  glänzende  waren,  so  fanden  viele 
Glieder  unserer  Karawane  gern  einen  Vorwand  in  dem  üppigen 
Aqühvuchs  der  Gegend,  um  mehrere  Tage  in  Garn  zu  bleiben,  ob- 
gleich wir  mit  der  Zeit  wahrlich  Erholung  von  den  gehabten  An- 
strengungen und  Stärkung  zu  der  noch  bevorstehenden  Reise  in 
reichem  Maasse  gehabt  hatten.  Ich  bezahlte  den  Tribut  meiner  Dank- 
barkeit für  den  gastfreundlichen  Empfang,  wie  gewöhnlich,  durch 
ärztliche  Thätigkcit,  sah  Hautkrankheiten,  Rheumatismen,  Entzün- 
dungen der  äusseren  Augengebilde , Fälle  von  grauem  Staar,  sogar 
einmal  Lungenkatarrh  mit  asthmatischen  Anfällen,  eine  Rippenfell-Ent- 
zündung, einen  Greis,  der  durch  Altersbrand  verschiedene  Finger- 
gliedcr  beider  Hände  eingebüsst  hatte,  und  extrahirte  die  übliche 
Menge  cariöser  Zähne. 

Die  Abreise  war  endlich  auf  den  10.  Juni  festgesetzt  worden. 
Einen  Führer  — Chabir  — für  den  Weg  bis  Bornü  hatten  wir  be- 
reits zu  Schimmedru  um  den  Preis  von  68  Mark  gemiethet;  die  Ka 
meele  waren  in  ausgezeichnetem  Ernährungszustände;  unsere  Vor- 
räthe  hatten  wir  vervollständigt,  und  die  Meisten  waren  begierig, 
endlich  weiter  zu  kommen.  Mai  Dunnoma  und  Hadsch  Billäh  blieben 
bis  zu  unserer  Abreise,  verharrten  anfangs  in  einer  wenig  freundlichen 
Reserve  mir  gegenüber,  besuchten  mich  aber  später  doch  und  schieden 
schliesslich,  besonders,  als  ich  ihnen  noch  einige  Kleinigkeiten,  wie 
Rosenkränze  und  etwas  Rosenessenz,  geschenkt  hatte,  in  bester  Freund- 
schaft von  mir. 

Ehe  wir  zum  südlichen  Theile  der  grossen  Wüste  übergehen, 
dürfte  es  wünschenswcrth  sein,  die  auf  der  Tibesti-Reise  nicht  berührte 
Strecke  vom  Tümmo- Gebirge  bis  Kawär  zusammenfassend  zu  über- 
blicken und  eine  übersichtliche  Betrachtung  der  grossen  Tedä-Oase 
und  ihrer  Bevölkerung  vorzunehmen. 

Der  höchst  gelegene  Thcil  der  Wüste  auf  der  bereisten  Strasse 
ist  derjenige,  in  dem  sich  das  Tümmo-Gebirge  in  einem  ausgedehnten 
Erosionsthale  erhebt,  und  erstreckt  sich  ungefähr  vom  230  io'  bis 
22°  30'  N.  B.  Die  Hochebene  von  Alaöta  Kju  und  die  Masse  des 
genannten  Gebirges  haben,  wie  früher  erwähnt,  eine  ungefähre  Mceres- 


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DIE  WÜSTE  ZWISCHEN  FEZZÄN  UND  KAWÄR. 


539 


höhe  von  635  M. ; einzelne  Kegel  überragen  dieselben  um  100  bis  150M. 
Von  da  ab  nach  Süden  dacht  sich,  wie  sich  aus  den  unterwegs  ge- 
machten Beobachtungen  meines  empfindlichen  Aneroids  ergiebt,  die 
Mädema-Ebene  sehr  allmählich  zum  Bir  el-Ahmar  ab,  welcher  580  M. 
hoch  liegt.  Die  südlich  vom  22. 0 N.  B.  sich  ausdehnende  Ebene, 
welche  mit  der  Mafäras-Niederung  ihren  Abschluss  findet,  hat  eine  Er- 
hebung von  515  M.,  während  die  letztere  selbst  zu  490  M.  Höhe  an- 
genommen werden  kann.  Auf  sie  folgt  eine  430  M.  hohe  Ebene,  die 
sich  nach  der  Oase  Ja t hin  abdacht,  und  diese  liegt  noch  415  M.  über 
dem  Meeresspiegel.  Zwischen  Jat  und  Kawär  erleidet  die  allmähliche 
und  regelmässige  Senkung  des  Terrains  eine  Unterbrechung,  indem 
die  Gegend  nördlich  von  der  Hattija  Jcggcba  sich  noch  einmal  für 
eine  kurze  Strecke  bis  nahezu  500  M.  emporwölbt.  Jeggcba  selbst 
hat  etwa  die  Erhebung  von  Jat,  und  dann  folgt  Kawär,  welches 
in  seinem  nördlichen  Theile  von  Anai  bis  Aschenunima  390  M.,  in 
seinem  südlichsten,  Bilmä,  330  M.  Meereshöhe  hat.  Die  Senkung  bej 
ginnt  von  Aschenumma  und  erstreckt  sich  über  Dirki  (380  M.), 
Schimmedru  (375  M.)  und  Agerr  (350  M.)  nach  Bilmä.  Nach  den 
wiederholt  in  dieser  Beziehung  gemachten  Bemerkungen  dürfte  es 
fast  überflüssig  erscheinen,  hinzuzufügen,  dass  diese  Zahlen  nur  einen 
relativen  Werth  haben. 

Mit  der  Abdachung  der  Wüste  modificirt  sich  auch  ihr  Charakter. 
Während  zwischen  Fezzän  und  dem  Tümmo  jene  gleichmässig  ebenen, 
durchaus  sterilen,  steinig-kiesigen  Hochebenen  herrschen,  welche  ihren 
vollsten  Ausdruck  in  der  Hammäda  Alaöta  Kju  finden,  so  prägt  sich 
südlich  von  dem  genannten  Gebirge  dieser  Charakter  nur  noch  in 
der  Mädema-Ebene  aus.  Südlich  von  dieser  nehmen  selbst  die 
kiesigen  Ebenen,  welche  die  Niederungen,  in  denen  $J'e  Brunnen- 
stationen sich  finden,  von  einander  trennen,  allmählich  einen  anderen 
Charakter  an,  werden  gewellt,  mit  nicht  ganz  unfruchtbaren,  sandigen 
oder  thonigen  Abflachungen  durchsetzt  und  erfreuen  sich  in  den 
letzteren  einer,  wenn  auch  spärlichen,  so  doch  allmählich  reicher 
werdenden  Vegetation.  Im  Bir  Ahmar  finden  wir  das  Wasser  noch 
in  einer  Tiefe  von  2*/*  M. ; in  Kawär  dagegen  stösst  man  im  Grunde 
des  Thaies,  wie  wir  gesehen  haben,  überall  auf  solches,  bevor  man 
noch  ein  Meter  tief  in  den  Boden  gedrungen  ist.  Der  Gesteincharakter 
der  Gegend  ist  noch  der  in  den  nördlichen  Theilcn  der  Wüste  con- 
statirte.  Tafelförmige  Erhebungen  mit  pyramidal  abfallenden  Seiten- 


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540  III.  BUCH,  3-  KAPITEL,  KAW.AR  ODER  ENNERI  TLGfe. 

Wandungen  besetzen  in  der  geringen  Höhe  von  50  bis  100  M. 
hier  und  da  die  Ebene;  flache,  kaum  flussbettähnliche  Thäler 
senken  sich  von  ihnen  nach  Osten  oder  Südosten  — denn  die  ganze 
Region  dacht  sich  von  Westen  nach  Osten,  oder  von  Nordwesten 
nach  Südosten  ab  — , und  bringen  die  Gräser  und  Kräuter  hervor, 
die  wir  auch  in  Fezzan  finden,  und  von  denen  nur  Panictun  turgidum 
und  Aristida  plumosa  häufiger  geworden  sind.  An  den  Grad  der 
Vegetation  ist  natürlich  die  Entwicklung  des  Thierlebens  gebunden, 
das  sich  weder  qualitativ  noch  quantitativ  von  dem  nördlich  vom 
Tümmo  zur  Beobachtung  gekommenen  unterscheidet. 

Mehr  Interesse  verdient  die  Oase  Kawär,  welche,  in  der  Mitte 
zwischen  Fezzan  und  Bornü  gelegen,  die  Reise  auf  dieser  Strasse  so 
sehr  erleichtert  und  durch  ihren  Reichthum  an  Salz  schon  frühzeitig 
die  Aufmerksamkeit  der  dieses  Gewürzes  so  sehr  bedürftigen 
Bornü -Leute  auf  sich  zog.  Dieselbe  erstreckt  sich  in  der  Länge 
von  etwa  80  Km.  und  in  der  Breite  von  zwei  bis  drei  Stunden 
(8  bis  10  Km.)  als  ein  etwas  gewundenes  Thal  von  Nord  nach 
Süd.  Seine  Ostgrenze  wird  von  einem  niedrigen,  schroff  gegen 
das  Thal  abfallenden  Gebirgszuge  gebildet,  der  den  Charakter  der 
Wüstenberge  überhaupt  hat,  schon  nördlich  von  der  Oase  zwischen 
ihr  und  der  Hattija  Jeggeba  seinen  Anfang  nimmt  und  nach  Süden 
zu  mit  der  Senkung  des  Thaies  selbst  an  Höhe  etwas  zunimmt, 
doch  auch  dort  die  relative  Höhe  von  100  M.  kaum  übersteigt. 
Nach  Westen  gerichtete  Ausläufer  dieses  Gebirges  schränken  von 
Zeit  zu  Zeit  das  Thal  ein.  Nach  Westen  zu  ist  der  Höhenunter- 
schied zwischen  dem  Thale  und  der  angrenzenden  Wüste  sehr  unbe- 
deutend und  verschwindet  oft  ganz. 

Kawär  gehört  den  Tedä  und  ist  von  Alters  her  von  ihnen  be- 
völkert, wenn  auch  schon  vor  manchen  Jahrhunderten,  wie  erwähnt, 
die  Bornü-Leute  ihre  Colonien  dorthin  vorschoben.  Die  Tedä  nennen 
die  Oase  Enneri  Tuge,  d.  h.  eigentlich  „Felsenthal”  (Tuge  be- 
deutet Fels,  Stein),  doch  in  weiterer  Bedeutung  „Thal  festgebauter 
Ortschaften",  wie  aus  dem  Namen  Tugübä  hervorgeht,  den  die 
Tedä  den  Leuten  von  Bornü  zuweilen  geben,  und  der  „Städte- 
bewohner" heissen  soll.  In  der  That  kann  nur  diese  abgeleitete  Be- 
deutung von  Tilge  zur  Erklärung  des  Namens  angezogen  werden, 
denn  die  ursprüngliche  „Felsen”  würden  die  Leute  von  Tibesti,  dem 
Lande  der  Felsen  par  excellcnce,  kaum  auf  Kawär  angewendet  haben, 


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OASE  KAWÄR. 


541 

wie  sie  noch  weniger  den  Bewohnern  von  Bornü,  einem  Lande,  das 
der  Felsen  durchaus  entbehrt,  den  von  jenem  Worte  abgeleiteten 
Namen  „Tugüba"  gegeben  haben  würden. 

Wenn  auch  jetzt  die  Bevölkerung  der  Oase  aus  den  eigentlichen 
Herren  derselben,  den  Tedä,  als  vorwaltcndcm  Bestandteil,  und  aus 
Bornü  - Leuten , als  Einwanderern,  so  gemischt  ist,  dass  beide  nicht 
mehr  auseinander  gehalten  werden  können,  so  zeigt  sich  doch  in  der 
Anlage  der  Ortschaften  noch  die  ursprüngliche  Verschiedenheit  Beider. 
Während  die  Tubu  Reschäde,  der  Natur  ihrer  Heimath  und  ihrem 
aus  derselben  hervorgehenden  Bedürfnisse  entsprechend,  ihre  Dörfer 
an  die  ihnen  durch  die  Natur  gebotenen  Felsenfesten  lehnten,  sich 
also  am  Fusse  des  östlichen  Gebirgszuges  und  seiner  Ausläufer  an- 
siedelten, gründeten  die  Bornü -Leute,  der  Felsen  durchaus  un- 
gewohnt, ihre  Wohnsitze  in  dem  Grunde  des  Thaies,  und  begnüg- 
ten sich,  der  heimatlichen  Sitte  folgend,  nicht  mit  zerstreuten 
Wohnungen  und  kleinen  Dörfern,  sondern  legten  Städte  mit  Erd- 
häusern  und  Strassen  an  und  umschlossen  dieselben  zu  ihrer  Ver- 
teidigung mit  Mauern.  So  war  die  älteste  Stadt  Kawar's,  Gisscbi, 
im  nördlichen  Theile  des  Thaies,  nahe  seinem  Westrande,  wo  man 
ihre  Trümmer  noch  findet,  gebaut,  und  denselben  Charakter  hat 
Dirki  und  die  Bilmästadt  Garü. 

Jetzt  enthält  Kawär  elf  Ortschaften,  wenn  ich  ein  Dorf  mit- 
rechne, das  ich  nicht  selbst  sah,  d.as  aber  Gerhard  Rohlfs,  welcher 
einen  längeren  Aufenthalt  in  der  Oase  nahm,  besucht  hat.  Wenn  ich 
versuche,  die  Einwohnerzahl  des  Ländchens  abzuschätzen,  so  unter- 
scheide ich  zwischen  der  Bevölkerung,  welche  die  Grösse  der  Ort- 
schaften vermuthen  lässt,  und  derjenigen,  welche  zur  Zeit  meines 
Besuches  wirklich  vorhanden  zu  sein  schien.  Die  Zahlen  schwanken 
augenscheinlich  nach  den  politischen  Verhältnissen  sehr.  Unmittelbar 
nach  einem  räuberischen  Ueberfalle  entvölkert  sich  die  Oase,  aber 
Heimathstrieb,  Abschwächung  der  Erinnerung  an  die  erlebten  Gräuel 
und  sich  wieder  belebende  Hoffnung  führen  die  Leute  allmählich 
wieder  zurück.  Dazu  kommt,  dass  manche  Tibesti -Leute  bei  der 
Armuth  ihrer  Heimath  an  Datteln  und  anderen  Existenzmitteln,  sich 
eine  Wohnstätte  in  Kawär  gründen,  die  sie  gewöhnlich  erst  zur  Zeit 
der  Dattelreife,  welche  auch  mit  dem  reichsten  Salzcrtrage  zusammen- 
fällt, aufsuchen.  Endlich  sind  viele  Einwohner  auf  kaufmännischen 


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542  III.  BUCH,  3.  KAPITEL.  KAWÄR  ODER  ENNERI  TVJüfc. 

Reisen  abwesend,  so  lange  nicht  die  Dattelernte  und  die  Salzarbeit 
begonnen  haben. 

Mit  Berücksichtigung  dieser  Verhältnisse  und  Schwankungen 
komme  ich  zu  folgenden  Gesammtresultaten  sowohl  für  die  Bevöl- 
kerung, welche  Kawär  unter  den  günstigsten  Verhältnissen  haben 


mag,  als  auch  für  diejenige,  welche  die  Oase  zur 

Zeit 

meines 

dortigen 

Aufenthaltes  zu  haben  schien: 

Anai  mit 

ungefähr  100  Wohnstätten  kann  berge! 

n 400  Kinw.  und 

hatte 

ca. 

180  Einw. 

Anikumma 

mit  60—70  ,,  ,,  », 

250 

1 1 

II 

11 

100  „ 

Aschenumma 

..  80—90  „ „ ,, 

350  .. 

yi 

II 

ti 

150  i. 

Eldscht 

mit  ca.  100  „ ,,  M 

400  ,, 

»1 

11 

1 • 

t5°  - 

TTgömdmi 

M II  3°  II  1»  II 

120  ,, 

„ 

,, 

„ 

5°  .. 

Babus 

schätzte  Gerhard  Rohlfs  zu 

100  „ 

Dirki 

mit  ca.  250  Häusern  kann  bergen 

1200  Einw.  und 

hatte 

ca. 

500  Einw. 

Schimmedru 

mit  120— 130  1 f ,,  ,, 

500  „ 

»1 

,, 

11 

300  „ 

Emi  Mddema 

„ 60—70  ,,  „ 

250  „ 

1» 

,, 

,, 

15°  .• 

Garu  mit  ca.  300  ,,  ,,  ,, 

1500  ,, 

„ 

„ 

1 • 

500  „ 

Kaläla 

>f  11  200  ,,  ,,  0, 

1000  ,, 

„ 

ti 

11 

200  „ 

Diese  natürlich  nur  approximativen  Zahlen  würden  für  die  Zeiten 
der  Dattelemte  und  der  Salzfabrication,  vorausgesetzt,  dass  längere 
Jahre  des  Friedens  vorhergingen,  eine  Totalbevölkerung  von  rund 
6000  und  für  die  Zeit  meines  Besuches  von  rund  2300  Seelen  ergeben. 
Dabei  bin  ich  nicht  sicher,  ob  das  von  Rohlfs  angeführte  Babus,  das 
ich  durch  den  Umweg  über  Dirki  nicht  berührte,  noch  bewohnt  ist; 
jedenfalls  waren  die  von  dem  genannten  Forscher  angeführten  Ort- 
schaften Muschel  und  Agerr  gänzlich  verödet. 

Die  ursprünglich  in  Dirki,  Gissebi  und  Bilmä  angesiedelten  Bornü- 
Leute  waren  zum  grösseren  Theile  Sclaven  und  gehörten  zum  kleineren 
dem  Kanüri- Stamme  der  Turä  an.  Die  jetzige  Tedä-  Bevölkerung 
vertheilt  sich  auf  die  uns  grossentheils  aus  Tu  bekannten  Stämme  der 
Tomäghera,  welche  hauptsächlich  in  Dirki  und  Aschenumma  wohnen, 
der  Gunda,  die  ursprünglich  in  Eidschi  sassen  und  jetzt  verringert  in 
Zahl  zerstreut  leben,  der  Anna  oder  Arinda  zu  Schimmedru,  der  Ate- 
mäta  zu  Aschenumma,  der  Dschöarda  zu  Tigömämi,  der  Dirkäwa  zu 
Dirki,  der  Täwia  zu  Anikumma  und  der  Jelmäna  aus  Gissebi.  Die  letzt- 
genannten gelten  für  die  ältesten  Kawär-Bewohner,  existiren  nur  noch 
in  einzelnen  Individuen  und  werden  auch  in  Tibesti  nicht  mehr  ge- 
funden. Die  Herrschaft  liegt  nominell,  wie  in  Tu,  in  den  Händen 
eines  ohnmächtigen  Dardai  (oder  Mai);  doch  die  Zustände  sind  in 
Folge  des  kleineren  Territoriums  und  des  Fremdenverkehrs  etwas 


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BEWOHNER  KAWÄR’s. 


543 


geregeltere,  als  im  Mutterlande.  Der  Häuptling  geht  ebenfalls  aus 
dem  Stamme  derTomäghera  hervor  und  zwar,  da  diese  hier  in  zwei 
Familien  geschieden  sind,  abwechselnd  aus  den  Kilimädä  und  den 
Kifgdä. 

Ausser  Salz  und  Datteln  untergeordneter  Qualität  hat  Kawär 
jetzt  keine  nennenswerthen  Bodenproducte,  obwohl  sein  leicht  bearbeit- 
barer, nicht  unfruchtbarer  Boden  und  der  Wasserreichthum  desselben 
Alles  zur  Ernährung  der  Einwohner  Nöthige  in  hinreichendem  Maasse 
liefern  würde.  Doch  der  Getreidebau  ist  durch  die  Tuärik,  wie 
schon  erwähnt,  gehindert,  und  das  Ländchen  durch  seine  Bilmä- 
Gruben  und  seine  günstige  Lage  zwischen  Bornü,  Fezzan,  Ahir  und 
Ghät  mehr  auf  den  Handel  angewiesen,  als  auf  Ackerbau.  So  sind 
die  Fiinwohner  denn  auch  beständig  unterwegs  nach  den  beiden  End- 
punkten der  Strasse,  in  deren  Mitte  sie  wohnen,  vermitteln  einen 
Handel  von  Sudan -Producten,  die  ihnen  die  Bornü-Karawanen  zu- 
führen, nach  Ghät  und  unterhalten  einen  regen  Verkehr  mit  Agädes. 

Alles,  was  die  Kawär-Leute  an  europäischen  Waaren  bedürfen, 
kommt  ihnen  von  Fezzan  zu:  Kattune,  baares  Geld,  Schmuckgegen- 
stände, Essenzen,  Kurzwaaren  etc.  Das,  was  ihnen  der  Sudan  liefert, 
gelangt  zu  ihnen  ehtweder  aus  Bornü,  wie  Gewänder  dieses  Landes, 
Sclaven,  Butter,  zuweilen  Rindvieh  und  Duchn,  oder  durch  die  Tuärik 
aus  den  Haussa- I^ändern,  wie  Gewänder  dortiger  Manufactur,  unter 
denen  die  indigogefärbte  Tobe  obenan  steht,  Lederfabrikate,  eben- 
falls Sclaven,  Wasserschläuche,  Ess-  und  Trinkgefässe,  Südän-Pfeffer 
und  dergleichen  mehr.  Aus  der  Wüste  beziehen  sie  von  den  Tuärik 
den  grössten  Theil  des  ihnen  nöthigen  Getreides  (Durra)  und  hin 
und  wieder  ein  Kamecl;  von  ihren  Stammesgenossen  aus  Tu  kaum 
etwas  Anderes,  als  ein  Stück  Kleinvieh,  ein  Kameel,  gelegentlich 
eine  Partie  Strausscnfedern.  Sie  nähren  sich  von  Getreide  und 
Datteln,  genicssen  sehr  selten  Fleisch  und  cultiviren  ausser  Kürbissen, 
Wassermelonen  und  Bämia  keinerlei  Gemüse.  Die  letztere  liefert 
ihnen  zu  dem  üblichen  Mehlbrei  die  gewöhnliche  Sauce,  welche  sie 
der  Abwechselung  wegen  bisweilen  noch  mit  jungen  Luzernepflanzen 
verkochen.  Die  wenigen  Schafe,  die  man  zu  Gesicht  bekommt,  sind 
bei  weitem  nicht  so  schön,  als  die  oft  erwähnten,  welche  Tibesti 
hervorbringt,  und  auch  die  Ziegen  sind  ziemlich  kümmerliche  Ge- 
schöpfe. Wie  in  Tu,  so  giebt  es  auch  in  Kawär  fast  gar  keine 
Hühner;  auch  Hunde  und  Katzen  vermisst  man;  Rinder  sind  höchst 


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544  III.  BUCH,  3.  KAPITEI..  KAW.tR  ODER  KNNF.RI  TUOfc. 

vereinzelt,  und  Pferde,  welche  mit  seltenen  Ausnahmen  aus  Bornu 
stammen,  nur  im  Besitze  der  Vornehmsten. 

Kawär  ist  die  am  westlichsten  gelagene  grössere  TubuOasc. 
Weiter  westlich  liegen  noch  Dschebädo  und  Agram,  so  dass  man 
sagen  kann,  die  Grenze  zwischen  Tcda  und  Tuärik  fallt  auf  den  12.0 
O.  L.  Zwischen  den  beiden  oben  genannten  Oasen  und  Ahir  liegt 
eine  fast  wasser-  und  vegetationslose  Hammäda  in  einer  Breite  von 
300  bis  400  Km.  Doch  gehören  Agram  und  Dschebädo  nicht  aus- 
schliesslich der  Tubu-Nation  an;  die  erstere  Oase  ist  vielmehr  eine  mit 
Tubu-Elementen  gemischte  Bomu-Colonie,  und  die  letztere  hat  eine 
Bevölkerung,  in  der  die  Tcdä  vorwalten,  aber  auch  die  Bewohner  von 
Siggedim,  welches  gleichzeitig  mit  Dirki  von  Bornu  her  colonisirt 
wurde,  vertreten  sind. 

Wenn  die  Eingeborenen  von  Dirki  nach  Agädes  und  Ahir  reisen, 
so  erreichen  sie  in  den  bei  ihnen  üblichen  starken  Marschen  nach 
drei  Tagen  den  Brunnen  Aschegür,  reisen  dann  über  die  breite 
Hammäda  durch  sechs  sehr  lange  Tagemärsche,  von  denen  fünf 
wasserlose  sind,  und  erreichen  nach  zwei  weiteren  ihr  Ziel.  Von 
Bilmä  aus  führt  der  Weg  über  die  Hattijen  Tosso  und  kurz  darauf 
Agaru  und  die  in  derselben  Breite  folgende  Hammäda  nach  Agädes. 
Gehen  sie  in  nordnordwestlicher  Richtung  nach  Ghät,  so  berühren 
sie  Dschebädo,  das  sic  nach  vier  Tagen  über  Jeggeba,  das  verlassene 
Siggedim  und  den  Brunnen  Oleki  erreichen,  haben  dann  wieder  fünf 
Tage  eines  wasserlosen  Hammäda-Wegcs,  nach  deren  Ablauf  sie 
den  Brunnen  Inäzan  berühren.  Auf  diesen  folgt  nach  zwei  Tagen 
der  Brunnen  Häla  und  nach  wiederum  dreien  Ghät. 

Zwischen  den  beiden  Städten  Dirki  und  Agädes  liegt  eine  Ent- 
fernung von  rund  700  Km.  und  zwischen  der  ersteren  und  Ghät 
eine  solche  von  nahezu  800  Km.  Dass  die  Kawär-Leute  ihr  Mutter- 
land Tu  bequemer  und  schneller  erreichen,  ist  bei  Gelegenheit  der 
Besprechung  des  letzteren  schon  erwähnt. 


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Viertes  Kapitel. 

VON  KAWÄR  NACH  BORNU. 


Schwierige  DUneuregion.  — Oase  Zau  Kurra.  — Zunehmendes  I'hier-  und  Pflanzenlchen.  — 
Wüstennächte.  — Oase  Dibbfila.  — Weiterer  l'ebergang  <ler  Wüste  zur  Steppe.  — Oase 
AgSdem.  — Antilopenlicerden  und  Jagd  mit  Windhunden.  — Ddza  KTdiilA.  — Steppe 
Tintumma.  — Däza-Karawane.  — Beginnender  Baumwuchs.  — Brunnen  Relgäschlfari. 
— l'ebergang  von  Steppe  zu  Wald.  — Ucppiges  Thier-  und  Pflanzenlcben.  — 
Brunnen  KüfA.  — Uneinigkeit  bei  den  Marokkanern.  — Brunnen  Azi.  — Ankunft 
an>  Ts  Alle.  — Ngiguii,  die  erste  Bomß-  Ortschaft.  — Ueberwältigender  Eindruck 
des  tropischen  Lebens.  — Hippopotamen.  — Bewohner  von  Ngigmi.  — Gouver- 
neur Kazelma  Hassen.  — Neue  Bekanntschaften.  — Heftiges  Gewitter.  — Salz- 
dörfer. — Barüa.  — Westlicher  Zufluss  des  TsAde.  — Stadt  Joö.  — Besucher  aus 
Küka.  — Mohammed  et-Titlwl.  — Begrüssungsgaben  des  Scheich  'Omar.  — Ankunft 
in  nächster  Nähe  Kflka's.  — Zahlreiche  Besucher. 


Am  io.  Juni  setzten  wir  entsprechend  unserer  Absicht  die  Reise 
fort,  Bü  Ätscha  zufrieden  mit  dem  ehrenvollen  Empfange,  der  ihm 
geworden  war  und  noch  befriedigter  von  den  Rcisevorräthen,  mit 
denen  ihn  die  dankbaren  Bewohner  überhäuft  hatten,  wir  Uebrigen 
froh,  endlich  vorwärts  zu  kommen. 

Schon  eine  halbe  Stunde  südlich  von  Garü  endigte  die  Vege- 
tation und  ein  Brunnen  schloss  die  Oase  ab.  Im  graden  Osten  von 
uns  lag  das  scharf  abgeschnittene  Ende  des  Kawär  begrenzenden 
Gebirgszuges  und  etwa  vier  Stunden  weiter  eine  abgesonderte  Fels- 
gruppe Namens  Braun.  Noch  einmal  zeigte  sich  kurz  darauf  in  einer 
Bodenabflachung  spärlicher  Gtaswuchs,  und  dann  begann  die  Dünen- 
region, welche  den  schwierigsten  Theil  der  ganzen  Reise  ausmacht 
und  während  einer  Reihe  von  Tagen  Geduld  und  Kraft  der  Rcisen- 

Nachtigal.  I.  Uff 


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III.  BUCH,  4.  KAPITEL.  VON  KAWAR  NACH  BORNÜ. 


546 

den  und  noch  mehr  der  Kameele  auf  eine  ernste  Probe  stellt.  Die- 
selbe setzt  sich  zusammen  aus  mehr  oder  weniger  parallelen,  von  Ost 
nach  West  streichenden  Ketten  von  Flugsandhügeln , die,  obwohl 
meist  nur  etwa  1 5 M.  hoch,  wegen  ihrer  steilen  Abhänge  schwer  zu 
überwinden  sind. 

Vor  uns  in  Südsüdostrichtung  bildete  die  Berggruppe  Muskatnü 
von  der  in  der  Wüste  vorwaltenden  Form  und  von  geringer  Aus- 
dehnung das  Ziel  der  Morgenwanderung.  Wir  wendeten  uns  ihrem 
westlichen  Fussc  zu  und  lagerten  nach  der  Uebersteigung  von  drei 
Dünenketten,  drei  Stunden  nach  unserem  Aufbruch,  in  dem  sich 
von  der  Felsgruppe  nach  Südwesten  senkenden  gleichnamigen  Thale. 
In  diesem  finden  sich  zahlreiche  Brunnen  von  geringer  Tiefe  (*/*  1 M.). 

deren  scharfsalziger  Inhalt  übel  berufen  ist  und  in  der  That  bei 
Einigen  unter  uns  Darm-  und  Blasenreizung  zur  Folge  hatte. 

Während  des  Nachmittags  wiederholten  sich  die  Dünenketten, 
welche  wir  in  südöstlicher  Richtung  erklommen,  um  jenseits  in  süd- 
westlicher hinabzusteigen,  und  wurden  besonders  um  die  Zeit  des 
Sonnenuntergangs  recht  schwierig.  Bei  der  Uebcrwindung  derselben 
machte  sich  die  jugendliche  Mannschaft  der  Marokkaner  sehr  nütz- 
lich. Während  sich  die  Kameele  dem  jedesmaligen  Anstieg  näherten, 
stürzten  die  Knaben  voraus  und  stellten  in  grosser  Geschwindigkeit 
breite,  schräg  auf  die  Höhe  führende  Wege  von  geringer  Neigung 
für  die  unbehülflichen  Thiere  her. 

Im  Osten  war  während  der  Zeit  der  Blick  stets  begrenzt  durch 
vereinzelte  Felsen,  welche  eine  geringere  Höhe  haben,  als  die  Kawars; 
eine  compaktere  Gruppe,  Namens  Kudöböfussi,  erblickten  wir  kurz 
nach  Sonnenuntergang  in  der  Entfernung  einiger  Stunden  im  graden 
Osten.  Nach  Westen  verlieren  sich  die  Dünenketten  in  einer  weiten, 
anscheinend  rasch  ansteigenden  Sandebene,  welche  nur  einmal,  nach 
fünfstündigem  Marsche,  durch  den  einsamen  Felsen  Kau  Tilo,  dessen 
Name  der  Bornü-Sprache  angehört  und  „alleinstehender  Felsen"  be- 
deutet, unterbrochen  war.  Dieser,  an  und  für  sich  von  unbedeutender 
Höhe,  ist  durch  seine  dunkle  Wüstenfarbung  in  Mitten  der  ebenen  und 
hellfarbigen  Umgebung  auf  eine  weite  Entfernung  sichtbar  und  dient  in 
den  regel-  und  pfadloscn  Sandmassen  als  Wegweiser.  Als  wir  ihn  im 
graden  Westen  hatten,  betraten  wir  die  Ebene  Tingcrtingcr,  die,  ent- 
blösst  von  der  die  Umgebung  bedeckenden  Sandschicht,  sich  durch 
viele  Versteinerungen  und  dadurch  auszeichnet,  dass  sie  durch  zahl- 


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OASEN  MUSKATNC  UNO  DIE  HEIDEN  ZAU. 


547 


reiche  Zerklüftungslinien  in  grössere  Vierecke  und  innerhalb  dieser  in 
kleinere  Fünfecke  gctheilt  ist.  Südlich  von  ihr  mühten  wir  uns  noch 
mit  einem  halben  Dutzend  Dünenketten  ab  und  lagerten  am  späten 
Abend  im  Sande. 

Am  folgenden  Tage  (i  I.  Juni)  wechselten  vegetationslose,  steinige 
Ebenen  mit  schwierigen  Dünenketten  ab,  deren  Passage  mir  um  so 
peinvoller  wurde,  als  das  beständige  Waten  im  Sande  meine  unteren 
Extremitäten  mit  einem  hochrothcn  Hautausschlag  in  den  wunder- 
lichst geformten  Flecken  bedeckt  hatte,  der  wie  Feuer  brannte. 
Unser  Weg  verlief,  wie  gestern,  in  Südsüdostrichtung,  und  führte  an 
der  westlich  bleibenden  Oase  Zau  Ganna  ( Bornü-Namc),  d.  h.  Klein- 
Zau,  deren  Siwäk-Büschc  wir  sehr  gut  zu  erkennen  vermochten,  vor- 
über auf  eine  ansehnliche  Gebirgsmasse  zu,  welche  mit  der  zu  ihr 
gehörigen  weiten  Hattija  den  Namen  Gross-Zau  — Zau  Kurra  führt. 
Wir  hatten  uns  dem  westlichen  Theile  der  Berggruppe  so  weit  ge- 
nähert, dass  wir  ihre  von  Nordwest  nach  Südost  gerichtete  Längs- 
ausdehnung  zu  erkennen  vermochten.  Ihr  nördlicher,  westlicher  und 
südlicher  Theil  ist  von  der  Hattija  umgeben,  und  die  Breitenentwick- 
lung dieser  so  ansehnlich,  dass  wir  vom  Nordrande  bis  zu  der  Gegend 
der  Brunnen  noch  zwei  Stunden  aufwenden  mussten.  Mit  Bedauern 
zogen  wir  an  den  mit  zahllosen  Nestern  des  Webervogels  behängten 
Akazien,  an  den  die  Luft  mit  ihrem  scharfen  Dufte  erfüllenden  Siwäk- 
Büschen,  welche  den  Grund  des  Thaies  mit  frischem  Grün  zierten, 
an  den  zu  ansehnlichen  Bäumen  entwickelten  Etel -Büschen  und  an 
den  'auf  der  Stufe  der  Wischqa's  stehen  gebliebenen  Dattelpalmen 
vorüber,  um  unser  Lager  in  der  schattenlosen  Nähe  der  Brunnen  auf- 
zuschlagen. Dieser  gab  es  acht,  von  denen  zwei  voll  ausgezeichneten 
Wassers  waren,  das  sich  bis  auf  zwei  Fuss  der  Bodenoberfläche\ 
näherte  und,  umgeben  von  meterhohem  Grase,  beschattet  und  be- 
schützt von  dichtem  Dattelgestrüpp,  sich  in  köstlicher  Frische  und 
Klarheit  erhielt. 

Allmählich  schien  sich  der  Uebergang  in  andere  Zonen  vorzu- 
bereiten. Die  zunehmende  Vegetation  von  Siwäk  - Büschen  verlieh 
den  Oasen  einen  bis  dahin  ungewohnten  Charakter  von  Frische  und 
Ueppigkeit;  das  lebhafte  Treiben  der  Vögel  in  den  Bäumen,  die 
zahlreichen  Spuren  von  Gazellen  und  grösseren  Antilopen,  zeugten 
von  einem  Thierleben,  wie  es  die  Wüste  nördlich  von  Kawar 
nicht  kennt ; Alles  Hess  die  Nähe  fruchtbarerer  1 limmelsstriche  ahnen. 

35* 


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III.  BUCH,  4.  KAPITEL.  VON  KAWÄR  NACH  BORNÖ. 


548 


Wir  feierten  zu  Zau  Kurra  das  Geburtstagsfest  des  Propheten  — 
Miläd  — durch  einen  Rasttag,  an  dem  ein  starker  Südwind,  der  Alles 
mit  dicker  Sandlage  überzog  und  die  Zelte  zerriss,  uns  zu  absoluter 
Ruhe  verurtheiltc  und  keine  lebhafte  Aeusserung  einer  festlichen 
Stimmung  zuliess. 

Obgleich  auch  der  folgende  Tag  (13.  Juni)  unter  der  Herrschaft  dieses 
Windes  stand,  brachen  wir  kurz  nach  Mittag  «auf  und  bestanden  noch 
einen  siebenstündigen  rastlosen  und  harten  Kampf  mit  den  in  un- 
unterbrochener Folge  sich  uns  entgegenstellenden  Dünenketten.  Das 
war  die  Wüste,  wie  sie  typisch  in  der  Vorstellung  der  meisten  Euro- 
päer lebt,  aber  glücklicherweise  nur  in  einzelnen  Gegenden  erscheint 
und  dann  freilich  bei  Mensch  und  Thier  die  Anspannung  aller  Kräfte 
in  Anspruch  nimmt.  Mühsam  erklimmt  man  die  Kette,  um  von  der 
Höhe  derselben  aus  eine  unabsehbare  Reihe  von  Hindernissen  gleicher 
Art  zu  überblicken.  Prüfend  sucht  man  den  leichtesten  Uebergang  in 
der  Hoffnung,  dass  der  Sand,  wie  es  hier  und  da  der  Fall  ist,  tragfähig 
sein  möge.  Doch  tief  sinkt  das  Kameel  ein,  und  wenn  es  sich  mühsam 
auf  die  Höhe  der  Kante  gearbeitet  hat,  ist  vielleicht  der  jenseitige 
Abfall  so  jäh,  dass  das  ungeschickte  Thier  der  Schwere  seines 
Körpers  und  seiner  Last  keinen  Widerstand  zu  leisten  vermag  und 
entweder  selbst  stürzt  oder  doch  die  Ladung  in  den  Sand  wirft.  Oft 
genug  muss  das  Thier  entlastet  werden,  um  die  Schwierigkeit  überwän- 
den zu  können,  und  der  Mensch  hat  zu  aller  Mühe  und  Hitze  noch  die 
Gepäckstücke  der  Ladung  einzeln  an  den  Fuss  der  Düne  zu  schleppen. 

In  beständigem  Zickzack  und  endloser  Eintönigkeit  geht  es  Düne 
auf  und  Düne  ab.  Unwillkürlich  erhofft  man  von  der  Höhe  jeder 
einzelnen  die  Aussicht  auf  eine  günstigere  Bodenconfiguration ; er- 
schöpft kommt  man  oben  an  und  richtet  das  ermüdete  Auge  prüfend 
in  die  Ferne,  um  — denselben  Anblick  zu  haben  und  die  Hoffnung 
auf  den  Ausblick  von  der  nächsten  Dünenhöhe  zu  verschieben. 
Immer  wieder  hofft  man,  und  immer  wieder  folgt  die  Enttäuschung. 
Ist  der  Tag  klar,  so  wagt  man  kaum  um  sich  zu  blicken,  um  das 
geblendete  Auge  vor  der  rückstrahlenden,  glänzenden  Fläche  zu  be- 
wahren; weht  der  Wind,  so  ist  man  in  eine  Sandatmosphäre  gehüllt, 
dichter  als  ein  englischer  oder  holländischer  Nebel,  und  vermag  das 
brennende  verklebte  Auge  kaum  zu  öffnen.  Das  Interesse  an  der 
eigenartigen  Umgebung,  der  überwältigende  Eindruck  dieses  Sand- 
meeres, der  an  Grossartigkeit  dem  des  Meeres  nicht  nachsteht,  den- 


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SAND  WÜSTE. 


549 


selben  an  majestätischer  Ruhe  aber  ubertrifft,  schwächt  sich  allmählich 
ab  und  geht  im  Kampfe  mit  der  Natur  unter. 

Erst  hier  lernt  man  die  Bedeutung  des  Kameels  richtig  würdigen; 
erst  hier  wird  uns  dasselbe  zum  wahren  Schiffe  der  Wüste,  wie  es  bald 
auf  der  Höhe  der  Sandwogen  erscheint,  bald  in  der  Tiefe  verschwindet, 
und  wie  es  allein  den  Menschen  befähigt,  die  Sahärä  zu  durch- 
reisen. Sprachlos,  wie  bei  allen  übergrossen  physischen  Anstren- 
gungen, ringt  man  mechanisch  weiter,  vergeblich  sinnend  über  die 
geheimnissvolle  Gewalt,  welche  den  Menschen  treibt,  um  den  spär- 
lichsten Lohn  sich  im  ewigen  Kampfe  mit  den  hindernden  Gewalten 
der  Natur  abzumühen,  und  fast  unbewusst  der  Weiterentw'icklung  des 
ganzen  Menschengeschlechtes  zu  dienen. 

Kein  Pfad  führt  begreiflicherweise  durch  diesen  Düncngürtel, 
und  selbst  dem  scharfen  Auge  der  Wüstenbewohner  bieten  die  ihre 
Umrisse  beständig  wechselnden  Sandhügel  keine  Anhaltspunkte,  die 
als  Merkzeichen  des  Weges  dienen  könnten.  Nur  die  seltenen  Felsen, 
welche  seit  Jahrtausenden  den  Angriffen  des  Sandes  getrotzt  haben 
und  starr  und  finster  ihre  schwarzen  Häupter  über  die  wogende  und 
wechselnde  Umgebung  emporheben,  bilden  in  diesem  Sandmeerc 
die  leitenden  und  rettenden  Leuchtthurine. 

Die  Dünen  wurden  höher  und  schwieriger  am  Nachmittage  des 
13.  und  am  Vormittage  des  14.  Juni,  und  die  von  unserer  Sudrichtung 
abweichenden  Zickzackbewegungen  dadurch  immer  ausgiebiger  und 
zeitraubender.  Wenn  wir  Anfangs  von  dieser  Südrichtung  nach 
Osten  abgewichen  waren,  so  wurde  dies  bald  durch  eine  Abweichung 
nach  Westen  ausgeglichen.  Nachdem  wir  uns  am  Morgen  des  letzt- 
genannten Tages  drei  Stupden  lang  abgemüht  hatten,  erblickten  wir 
zwei  bis  drei  Stunden  östlich  vom  Wege  eine  Felsgruppe,  deren 
Namen  unser  Chabir,  obgleich  er  zum  vierzehnten  Male  nach  Bornü 
reiste,  nicht  kannte,  und  vor  uns  im  Süden  eine  andere  Namens 
Etjukoi,  auf  deren  westliche  Grenze  wir  zu  marschirten.  Noch  che  wir 
dieselbe  erreichten,  rasteten  wir  nach  weiteren  zwei  Stunden  im  Inter- 
esse unserer  Thiere,  welche  Abends  zuvor  keine  Nahrung  erhalten 
hatten,  zwischen  zwei  Dünenreihen,  wo  etwas  Nissi  und  Sebat  wuchs. 
Am  Nachmittage  Hessen  wir,  zwei  Stunden  nach  unserem  Aufbruch,  die 
Etjukoi-Gruppe,  welche  ihre  finsteren  Felsen  kaum  höher  als  40  M. 
aus  dem  Sande  emporstreckt,  östlich  hart  am  Wege,  setzten  unseren 
Kampf  mit  den  Dünen,  die  an  Höhe  und  starren  Formen  abzunehmen 


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550  Hl.  BUCH,  4.  KAPITEL.  VON  KAWAR  NACH  BORNÜ. 

begannen,  fort  und  lagerten  nach  siebenstündigem  Marsche  in  äusserster 
Erschöpfung  zur  Nachtruhe. 

Der  Abend  entschädigt  reichlich  für  die  Qual  des  Tages.  Der 
Sandwind  schweigt;  der  unverhüllte  Himmel  erscheint  klar  und  tief- 
dunkel  und  besäet  sich  mit  Gestirnen,  deren  Glanz  wir  in  ähnlichem 
Grade  bei  uns  nur  in  seltenen  Wintemächten  zu  bewundern  Gelegen- 
heit haben.  Eine  tiefe  Ruhe  lagert  sich  über  den  Schauplatz  der 
mühseligen  Tagesarbeit,  des  tosenden  Windes  und  des  wirbelnden 
Flugsandes.  In  wunderbarer  Schärfe  und  Klarheit  zeichnen  sich  die 
Conturen  der  mannigfach  gestalteten  Sandberge  auf  dem  klaren 
Grunde  der  Atmosphäre;  phantastisch  überragt  dazwischen  ein 
dunkler  Felsen  die  hellen  Hügel;  eine  lichte  Färbung  am  fernen 
Horizonte  verkündet  den  Aufgang  des  Mondes,  der  bald  als  silberne, 
glänzende  Kugel  durch  den  Aethcr  schwebt,  so  leicht  und  heiter, 
dass  man  jeden  Augenblick  meint,  er  müsse  eine  schnellere,  hüpfende 
Bewegung  annehmen.  Scharfe  Lichter  und  Schatten  bringen  dann 
eine  geheimnissvolle  Mannichfaltigkeit  in  die  vielgestaltigen  Dünen, 
viel  reicher  und  schöner,  als  das  Licht  des  Tages  es  vermochte. 

Das  ist  auch  die  beste  Zeit  zum  Reisen,  und  wenn  die  Nacht 
nicht  des  nordischen  Menschen  Freund  ist,  so  ist  sie  durch  Mondcn- 
schein  oder  klaren  Sternenhimmel,  durch  Kühle  und  Windstille  der 
beste  des  Wüstenreisenden. 

Als  wir  einige  Stunden  nach  Mitternacht  am  15.  Juni  wieder 
aufbrachen,  lag  im  Mondlicht,  klarer  und  schärfer  als  auf  der 
Tageshöhe  möglich  gewesen  wäre,  ein  einzelner  Felsen  als  Weg- 
weiser vor  uns,  den  wir  nach  zwei  Stunden  Südsüdwestrichtung 
erreichten,  und  der  sich  in  der  Nähe  als  das  höchste  Anfangsglied 
einer  Reihe  von  ähnlich  gestalteten,  isolirten  Felsen  herausstcllte. 
Die  einzelnen  Glieder  dieser  Kette,  welche  von  Ost  nach  West  ver- 
läuft, sind  durch  ansehnliche  Zwischenräume  von  einander  getrennt 
und  haben  alle  eine  abgerundete,  kuppelförmige  Gestalt,  welche  wenig- 
stens dem  höchsten,  der  allein  in  grösserer  Entfernung  sichtbar  ist,  den 
Namen  Ngai  Zigir,  d.  h.  Krug  (Wasserkrug  oder  Kochtopf)  der  Hyäne, 
gegeben  hat.  Er  gleicht  in  seiner  Form  einem  umgestürzten  Topfe, 
und  der  Zusatz  der  der  Tedä-Sprache  angehörigen  Hyänen-Bezeich- 
nung  „Zigfr"  deutet  das  häufige  Vorkommen  dieses  TJjieres  dort  an. 

Wir  marschirten  östlich  an  ihm  vorüber  und  erblickten  mit  dem 
beginnenden  Morgen  vor  uns  die  ansehnlichen  Berge  von  Dibböia, 


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WÜSTENNACHTF..  — OASE  DIBBp.I.A. 


551 


von  denen  wir  durch  eine  hochgewölbte  Ebene  getrennt  waren. 
Wir  durchschnitten  diese  in  Südrichtung,  liessen  in  ihrem  südlichen 
Theile,-  nahe  den  Bergen,  unsere  Thierc  sich  im  Vorübergehen  an 
der  üppigen  Weide  laben,  ohne  jedoch  zu  rasten,  und  überschritten 
nach  sechsstündigem  Marsche  den  sich  im  Ganzen  von  Westnordwest 
nach  Ostsüdost  erstreckenden  Gebirgszug  in  Südwestrichtung.  Der 
Pass  trennt  das  Gebirge  in  zwei  Thcile,  von  denen  der  nordwestliche, 
dessen  Berge  sich  nach  Nordwest  und  nach  West  erstrecken,  unter 
dem  Namen  Jeriram  zusammengefasst  wird,  wahrend  dem  südöstlichen 
der  Name  Dibbela  zukommt.  Jenseits  der  Hauptkette  befanden  wir  uns 
vor  einer  zweiten,  unbedeutenderen,  welche  sich  von  der  Dibbela-Massc 
nach  Westen  abzweigt,  und  von  der  ersteren  durch  eine  mächtige 
Sandansammlung  getrennt  ist.  Allmählich  wieder  in  die  südliche 
Richtung  zurückfallcnd,  überschritten  wir  die  letztere  Kette  nahe  ihrem 
westlichen  Ende,  überwanden  die  auch  südlich  von  ihr  angesammelten 
Sandmassen  und  stiegen  in  die  Oase  hinab,  an  deren  südöstlichem 
Rande  wir  in  Mitten  schattiger  Dümpalmen  lagerten. 

Die  ganze  Oase  ist  etwa  dreiviertel  Stunde  lang  und  halb  so 
breit;  eine  Dünenkette  thcilt  sie  in  eine  kleinere  nördliche  Hälfte, 
welche  reichlich  mit  Sajäl-Akazien  bewachsen  ist,  und  eine  grössere 
südliche,  welche  dieser  Bäume  entbehrt.  Die  letztere  ist  reich  an 
Wasserlöchern,  von  denen  die  östlicheren,  der  Bergkette  näher  ge- 
legenen, trübes  und  etwas  brakisches  Wasser  haben,  während  der  Inhalt 
der  westlichen  durchaus  klar  und  süss  ist.  Die  aus  Bornü  kommenden 
Reisenden  sollen  unfehlbar  durch  den  Wassergenuss  Dibbeia's  einen 
Darmkatarrh  davontragen,  während  der  aus  Fczzari  kommende 
Reisende  in  dieser  Beziehung  für  unempfindlich  gilt.  Die  Araber 
suchen  mit  ihrer  Leichtigkeit,  für  alle  Beobachtungen  eine  Erklärung 
zu  finden , den  Grund  für  die  geringere  Empfindlichkeit  der  von 
Norden  kommenden  Leute  in  der  vorhergegangenen  Dattclnahrung. 
Die  Brunnen  sind  von  Dattelpalmengcstrüpp  umgeben , haben  eine 
Tiefe  von  t */«  bis  2*/a  M.  und  zeigen  unter  der  dünnen,  oberfläch 
liehen  Schicht  von  Sand  und  Kies,  eine  fusshohe  Lage  von  Thon- 
erde und  unter  dieser  feinen  Sand.  Die  Felsen  haben  Höhe  und 
Form  der  gewöhnlichen  Wüstenberge  und  bestehen  noch  immer 
aus  dunkelfarbigem  Sandstein  auf  kalkiger  Grundlage. 

Am  16.  Juni  Nachmittags  verliesscn  wir  Dibbela,  überstiegen  die 
Sandhügel,  welche  die  Oase  im  Süden  begrenzen,  liessen  nach  einer 


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552  III.  BUCH,  4.  KAPITEL.  VON  KAWAR  NACH  BORNÜ. 

Stunde  westlich  am  Wege  eine  von  Nordwest  nach  Südost  streichende 
kurze  Fclskcttc,  welche  mit  einer  zweiten,  ihr  parallelen  und  eine 
kleine  Stunde  weiter  südlich  verlaufenden,  unter  dem  Namen  Tschigrin 
zusammengefasst  wird,  kamen  nach  einigen  weiteren  Stunden  am 
vereinzelten  Tefraskafelsen  vorüber  und  lagerten  nach  sechsstündigem 
Marsche  in  beständig  cingehaltcncr  ungefährer  Südrichtung. 

Die  steinige  Wüste  in  ihrer  typischen  Form  war  schon  seit 
Kawär  nicht  mehr  gesehen;  jetzt  lag  auch  die  beschwerliche  Dünen- 
region, welche  sich  in  der  ungefähren  Breite  von  120  Km.  südlich  von 
Kawär  bis  Dibbßla  ausdehnt,  hinter  uns.  Eine  hoch  und  breit  ge- 
wellte Gegend  mit  sandigem  Boden  trat  an  ihre  Stelle  und  begann, 
besonders  in  den  Wellentiefen,  sich  mit  Vegetation  zu  bedecken. 
Schon  zwischen  Zau  Kurra  und  Dibbfila  beweisen  die  nicht  selten  im 
Sande  sprossenden  Gräser  und  Kräuter,  dass  derselbe  nicht  ganz  der 
fruchtbaren  Bestandtheilc  entbehrt.  Anfangs  nur  in  den  Tiefen  der 
Tcrrainwellen,  zeigt  sich  der  Pflanzenwuchs  auch  allmählich  auf  der 
Höhe  derselben,  und  südlich  von  Dibbela  beginnt  ein  fortlaufender 
Vegetationsschmuck.  Noch  sind  die  Pflanzen  und  Thicre  die  frühe- 
ren, doch  weiter  nördlich  auf  die  Oasen  und  Flussthäler  beschränkt, 
beleben  sie  hier  die  ganze  Gegend.  Besonders  das  Thierlcben  ent 
faltet  sich  schnell  in  überraschender  Weise. 

Die  schon  seit  Kawär  beobachteten  atmosphärischen  Verände- 
rungen traten  südlich  von  Dibbela  immer  entschiedener  hervor.  Die 
Winde  wurden  schwankender,  und  wenn  auch  auf  der  Höhe  des  Tages 
der  östliche  Luftstrom,  gewöhnlich  jetzt  als  Südost,  die  Oberhand 
gewann,  so  machte  ihm  doch  in  der  Tagesfrühe  oft  eine  westliche 
Richtung  den  Rang  streitig,  oder  cs  kam  für  längere  Zeit  nur  zu 
einem  unsicheren  Südwinde.  Der  früher  so  wolkenlose  Himmel  zeigte 
in  der  zweiten  Tageshälfte  nicht  selten  Haufenwolken,  das  Hygrometer 
Saussure  stieg  dauernd,  und  die  in  der  mittleren  Wüste  selbst  bei 
grossen  Anstrengungen  trocken  bleibende  Haut  begann  sich  mit 
Schweiss  zu  bedecken. 

Gegen  die  Oase  Agädem  hin,  welche  etwa  80  Km.  südlich  von 
Dibbela  liegt,  wird  dieser  Charakter  immer  ausgesprochener,  und 
nachdem  wir  am  Morgen  des  17.  Juni  sechs  Marschstunden  in  unge- 
fährer Südrichtung  zurückgelegt  hatten  r erschien  am  Nachmittage 
die  ganze  Gegend,  deren  hohe  Wellen  fast  Berg  und  Thal  darstellen, 
krautreich  und  thierbelebt.  Wohin  das  Auge  sich  wendete,  erblickte 


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Antilopen  bei  Agädem.  (S.  553  ) 


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ZUNEHMENDE  VEGETATION.  — ANTILOPENJAGD.  553 

cs  friedlich  grasende  Antilopen,  die  dort  so  selten  der  Verfolgung 
von  Seiten  des  Menschen  ausgesetzt  sind,  dass  sie  sich  auch  bei 
grösserer  Annäherung  in  ihrer  Beschäftigung  nicht  stören  Hessen. 
Unsere  Windhunde  wurden  entfesselt,  und  bald  waren  drei  der  harm- 
losen Thiere,  ein  Weibchen,  ein  Männchen  und  ein  Kalb,  erlegt. 
Der  schriftkundige  Bit  ’Aischa  hielt  darauf,  dass  die  Hunde  vorher 
an  der  I.eine  gehalten  wurden,  denn,  andernfalls  würde  die  Beute, 
selbst  wenn  sie  kunstgerecht  vor  dem  Verenden  unter  dem  üblichen 
,,im  Namen  des  allbarmherzigen  Gottes”  abgethan  wäre,  ,, Haram”, 
d.  h.  Sünde,  gewesen  sein. 

Wie  die  meisten  grösseren  Antilopen  wurde  auch  diese  Art  von 
meinen  Begleitern  in  genereller  Weise  Baqar  cl-Wahschi,  d.  h.  Wildes 
Rind,  genannt;  es  war  eine  Mendes-Antilopc  (Addax).  Dieselbe  ist  in 
der  Jugend  schwach  gazellenfarbig,  im  ausgewachsenen  Zustande  von 
weisslicher  Farbe,  und  zeichnet  sich  durch  prächtige,  korkzicherartig 
gedrehte  und  und  elegant  gewundene,  fast  einen  Meter  lange,  geringte, 
oben  glatte,  leicht  divergirendc  und  sehr  spitze  Hörner  aus,  deren 
Wurzeln  nach  der  Stirn  zu  von  einem  grossen,  isabellfarbigen  Flecke 
umgeben  sind.  Nach  der  Behauptung  der  Leute  genügt  diesen 
Thieren  die  Feuchtigkeit  der  frischen  Krautnahrung  so  vollständig, 
dass  sie  wirkliches  Wasser  fast  nie  bedürfen.  Sie  erfreuen  sich  ge- 
wöhnlich eines  so  vortrefflichen  Ernährungszustandes,  dass  sie  schwer 
beweglich  und  aus  diesem  Grunde  leicht  zu  jagen  sind.  Ihr  Fell  ist 
dick  und  widerstandsfähig  und  darum  zu  Schuhsohlen  beliebt,  wenn 
man  nicht  die  Haut  des  südlicheren  Büffels  oder  die  Nackenhaut 
der  im  weiteren  Osten  vorwaltenden  Leucoryx -Antilope  zur  Ver- 
fügung hat. 

Die  Zahl  dieser  Thiere  war  fast  unglaublich;  man  erblickte  sie 
einzeln,  in  kleinen  Trupps,  in  Heerden  von  Hunderten  nach  allen  Rich- 
tungen. Man  nennt  sie  im  Däza-Dialecte  der  Tubu-Sprache  Turue 
Tschongi,  und  gewisse  Abtheilungen  der  östlich  von  der  Bornü- 
Strasse,  zwischen  Borkü  und  Känem,  noniadisirenden  Däza  kommen 
nicht  selten  nach  Agädcm,  um  Jagd  auf  sie  zu  machen,  ihr  Fleisch 
zu  trocknen  und  in  ihrer  Heimath  und  an  Karawanen  als  Vorrath 
zu  verkaufen.  Die  zahlreichen  Hunde,  entartete  oder  unvollkommene 
Windhunde,  welche  sie  behufs  dieser  Jagd  halten,  haben  ihnen  bei 
den  übrigen  Tubu  den  Beinamen  der  Kfdidä,  d.  h.  Leute  der  Hunde 
(von  Kfdi,  der  Hund),  verschafft. 


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554 


III.  BUCH,  4.  KAPITEL.  VON  KAWAR  NACH  BORNC. 


Die  erlegten  Individuen  waren  jung,  doch  das  Weibchen  kam  in 
der  Grösse  einem  ansehnlichen  Esel  gleich  und  konnte  nur  mit  Mühe 
von  mehreren  Menschen  am  Boden  hingeschleppt  werden.  Der  in 
Aussicht  stehenden  üppigen  Abendmahlzeit  zu  Liebe  lagerten  wir 
frühzeitig,  hatten  aber  trotzdem  eine  sehr  gestörte  Nacht,  denn  das 
Zerlegen,  Vcrtheilen,  Kochen,  Rösten  und  Verschniauscn  der  Jagd- 
beute, besonders  aber  die  sich  daraus  ergebende  fröhliche  Stimmung 
liess  die  Leute  erst  um  Mitternacht  zur  Ruhe  kommen. 

Schon  nach  einigen  Stunden  brachen  wir  am  18.  Juni  wieder 
auf,  rückten  wegen  der  im  Iläd  schwelgenden  Kameele  nur  langsam 
voran  und  erblickten  nach  dreistündigem  Marsche  in  der  südlichen 
Richtung  unseres  Weges  die  nahen  Berge  von  Agädetn,  welche  wir 
bei  der  durch  den  gehabten  Erfolg  geweckten  Jagdlust  der  Leute 
erst  nach  fast  vier  Stunden  erreichten.  Der  Weg  führt  auf  den 
nordwestlichsten  Theil  der  Bergkette  zu,  schneidet  das  äusserste 
Ende  derselben  ab  und  steigt  in  die  Oase  hinab,  welche,  wie  die 
Bergkette,  einen  Verlauf  von  Nordnordwest  nach  Südsüdost  hat,  und 
in  deren  nördlichem  Theile  wir  lagerten. 

Die  Berge  von  Agädem  haben  das  gewöhnliche  Aussehen  der 
Wüstenerhebungen  und  erreichen  nirgends  eine  grössere  Höhe  als 
120  M.  über  der  Ebene.  Ihre  Seitenflächen  sind  mit  Sand  bedeckt, 
und  wo  dieser  fehlt,  sieht  man  auf  den  senkrechten  Einschnitten 
unten  eine  mächtige  Schicht  verschieden  gefärbter  Kalkstcinlagen 
ungleicher  Höhe,  dann  eine  niedrige  Schicht  von  Kies  und  Lehm, 
und  in  der  Höhe  den  dunkel  gefärbten  Eisensandstein.  Die  Ebene 
ist  bedeckt  von  einer  hohen  Thonschicht,  wie  die  Brunnen  zeigen, 
von  denen  die  nördlichen  in  der  Tiefe  von  l bis  2 '/«  M.  wechseln. 
An  einzelnen  Stellen  finden  sich  vegetationslose  Niederungen  von  in 
der  Oberfläche  dunkler  Färbung,  bei  deren  Betreten  der  Fuss  bis 
zur  Wade  in  einen  weissen,  kalkigen  Staub  sinkt,  der  bei  jedem 
Schritte  wie  Mehl  umherstäubt.  Die  Oase,  welche  sich  längs  des 
westlichen  Fusses  der  Bergkette  hinzieht,  ist  ungefähr  drei  Kilometer 
breit  und  acht  bis  zehn  Kilometer  lang.  Sic  entbehrt  mit  Ausnahme 
einiger  Sajäl-Akazien  und  Dümpalmen  wirklicher  Bäume  ganz,  ist 
aber  desto  reicher  an  Siwäk-Büschen  und  durch  ihren  üppigen  Häd- 
wuchs  lind  ihren  reichen  Bestand  an  Sebat,  Bü  Rukba,  Nissi,  Aqiil 
eine  der  gesuchtesten  KameeKveiden.  Zu  den  Gräsern  kommt  hier 
der  Akrcsch  (Vilfa  spicatar),  sonst  von  den  Arabern  wohl  Abu  Säbc 


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OASE  AGA  DEM. 


555 


genannt,  mit  spitzen,  widerstandsfähigen  Blättern  und  langen,  ver- 
ästelten Blüthenstengeln.  Die  Früchte  des  Siwäk  dieser  Oase  unter- 
scheiden sich  von  denen  der  Oase  Zau  durch  ihre  Grösse  und  ihren 
scharfen  Geschmack.  Viele  unserer  Lcuse  litten  in  Folge  des  zu 
reichlichen  Genusses  dieser  Beeren  an  lebhaften  Darmreizungen.  Zu 
den  Hyänen  und  Schakalen  der  nächstvorhergchendcn  Stationen 
kommen  hier  Raben  und  Aasgeier,  und  besonders  das  niedere  Thier- 
lcben  geflügelter  Insekten,  wie  der  Motten,  Mücken  und  Ameisen 
nimmt  sehr  an  Mannichfaltigkeit  zu. 

Sowohl  Dibbela,  als  Agädem  und  BelgäschTfari  sind  sehr  unsichere 
Stationen  für  die  Reisenden.  Bevor  man  die  Oasen  betritt,  schickt  man 
Kundschafter  aus,  sich  zu  überzeugen,  dass  keine  Tubu-  oderTuärik- 
Bande  im  Hinterhalte  liegt,  und  wenn  man  nicht  über  eine  hinläng- 
liche Anzahl  Feuerwaffen  gebietet,  pflegt  man  seinen  Aufenthalt 
nicht  länger  auszudehnen,  als  Tränkung,  Fütterung  der  Thiere,  Wasscr- 
cinnahme  und  Rast  der  Menschen  durchaus  erfordern.  In  Agädem 
fürchtet  man  hauptsächlich  Däza  und  Araber  Kancm's,  während 
BelgäschTfari  mit  Vorliebe  von  Tuärik -Räubern  heimgesucht  wird. 
Früher  soll  die  Gegend  von  Agädem  bis  Bornü  beständig  von  Däza- 
Abthcilungcn  bewohnt  und  durchzogen  gewesen  sein;  doch  die  Nähe 
ihrer  Erbfeinde,  der  kriegerischen  Tuarik,  hat  sic  aus  diesen  isolirten 
und  vorgeschobenen  Posten  zurückgedrängt.  Nur  zuweilen  wird  noch 
an  dem  einem  oder  anderen  Orte  von  ihnen,  wenn  sic  in  hinläng- 
licher Anzahl  vorhanden  sind,  um  ihr  Recht  geltend  zu  machen,  ein 
Brunnenzoll  erhoben,  der  dann,  wie  in  der  Oase  Jat,  einen  Thaler 
für  jedes  Kamccl  betragen  soll. 

Die  Erkrankung  einiger  Kamcele  Bü  Äischa’s,  welche,  da  natür- 
lich das  „Blut"  die  Schuld  trug,  unser  Chabir  durch  Aderlässe  am 
Halse  bekämpfte  (am  Auge  weiss  jeder  Araber  und  Tubu  unbe- 
deutende Venen  zu  öffnen,  doch  nur  Wenige  verstehen  sich  auf  diese 
Operation  an  den  grösseren  Halsvcnen),  rechtfertigte  einen  Rasttag, 
und  auch  am  20.  Juni  brachte  uns  der  Morgenmarsch  nur  bis  zum 
südlichen  Brunnen.  Der  Weg  dorthin  durchschnitt  die  Oase  fast 
ihrer  grössten  Länge  nach,  indem  er  nur  sehr  unbedeutend  von  ihrer 
Längsachse  nach  Westen  abwich,  und  führte  an  dem  ersten  Tumtum- 
Baum  vorüber,  in  dem  ich  einen  alten  Bekannten  aus  Tibesti,  den 
Kussomo  (Capparis  Sodada)  begrüsste.  Das  Wort  Tumtum  rührt 
von  den  Bornü-Leuten  her  und  ist  eine  Corrumpirung  des  Namens 


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556 


III.  BUCH,  4.  KAPITEL.  VON  KAWAR  NACH  BORNÜ. 


Tundub,  der  bei  manchen  sudanischen  Arabern  üblich  ist.  Der  süd- 
liche Brunnen  war,  wie  wir  die  meisten  nördlichen  gefunden  hatten, 
verschüttet,  gab  jedoch  nach  kurzer  Arbeit  in  einer  Tiefe  von  vier 
Metern  reichlich  Wasser. 

Während  des  fünfstündigen  Nachmittagsmarsches  wurde  die 
kräuterreichc  Ebene  zur  wirklichen  Steppe,  und  am  Morgen  des 
21.  Juni  wurde  der  Marsch  durch  die  sich  bis  zur  folgenden  Station  Bel 


Tundub  (Cafifiaris  Soda  da). 


gäscluferi  in  einer  Breite  von  ungefähr  100  Km.  ausdehnenden  Steppe 
Tintumma  fortgesetzt.  Die  gänzliche  Abwesenheit  aller  auf  grössere 
Entfernung  sichtbaren  Erhebungen,  der  Mangel  eines  ausgetretenen 
Pfades,  ihr  vollständig  gleichmässigcr  Charakter,  machen  das  Reisen 
in  ihr  nur  unter  sicherer  Führung  möglich.  Das  den  Boden’  be- 
deckende Grün  erleidet  keine  Unterbrechung  mehr  und  ist  dicht 
und  frisch  geworden.  Wir  verbrachten  die  Tageshitze  unter  einem 
einsamen  Tundub  und  nächtigten  nach  vierstündigem  Nachmittags- 
marsche in  Südsüdwestrichtung  in  der  ungefähren  Mitte  der  Tin- 
tumma. 


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STEPPE  TINTUMMA. 


557 


Am  22.  Juni  begegneten  wir  Vormittags  einer  kleinen  Karawane, 
deren  Erscheinen  am  Horizonte  keine  geringe  Aufregung  unter  uns 
hervorbrachte.  Sobald  der  erste  Reiter  am  Horizonte  aufgetaucht 
war,  trafen  wir  alle  Vorbereitungen,  um  einem  etwaigen  Angriffe  zu 
begegnen,  entfalteten  und  ordneten  unsere  ganze  Macht,  und  ritten 
erst  dann  vorsichtig  auf  jenen  zu.  Derselbe  war  jedoch  ein  harm- 
loser Däza-Mann  aus  Bornü,  der  mit  etwa  zehn  Kameelen  auf  dem 
Wege  nach  Kawär  war,  um  dort  Butter,  in  der  Sonne  gedörrtes 
Fleisch  — Qadid  — und  Duchn  zu  verkaufen,  und  zugleich  für  seinen 
Herrn,  den  oben  erwähnten  Maina  Adern,  Erkundigungen  über  unsere 
erwartete  Ankunft  einzuziehen.  Er  war  dunkelbroncefarbig,  ritt  ein 
Bornü-Pferd  auf  schmalem  Holzsattel,  mit  niedriger  Rückenlehne, 
nach  vorngebogenem  Knauf  und  mit  Steigbügeln  von  fast  europäischer 
Form , in  die  nur  vier  Zehen  gesetzt  werden  — die  grosse  bleibt 
ausserhalb  — und  war  voll  Furcht  vor  den  Auläd  Solimän.  Wir 
hielten  mit  diesen  Leuten  gemeinschaftliche  Mittagsrast,  und  ich 
kaufte  bei  dieser  Gelegenheit  etwas  gedörrtes  Antilopenfleisch  und 
einen  Krug  flüssiger  Butter,  welche  nach  der  Sitte  der  Bornü-Leutc 
mit  Kuhurin  versetzt  worden  war  — diese  Behandlung  soll  sie  auf- 
bewahrungsfähiger machen  — und  dadurch  einen  mir  durchaus  un- 
gewohnten und  widerwärtigen  Geschmack  erhalten  hatte. 

In  der  zweiten  Hälfte  der  Tintumma  mehren  sich  die  vereinzelten 
Tundub- Bäume  und  Akazien,  vereinigen  sich  zu  Gruppen,  und  all- 
mählich wird  der  Weg  zum  ausgetretenen  Pfade.  Die  Nacht  auf  den 
23.  Juni  mussten  wir  noch  in  der  Steppe  verbringen,  theils  weil  wir  nach 
sechsstündigem  Abendmarsche  noch  immer  zu  weit  von  dem  Brunnen 
entfernt  waren,  der  sie  im  Süden  abscldiesst,  theils  weil  ein  Mann 
aus  Kawär,  der  unter  Bü  Aischa’s  Schutz  nach  Bornü  zu  gelangen 
hoffte,  krank  auf  dem  Wege  liegen  geblieben  war  und  mit  ihm  das 
bejahrteste  Mitglied  der  marokkanischen  Gesellschaft  fehlte.  Als 
wir  am  nächsten  Morgen  nach  vierstündiger  Wanderung  den  Brunnen 
BelgäschTfari  erreicht  hatten,  Hess  uns  die  Arbeit,  welche  die  Ent- 
sandung desselben  erforderte,  und  die  Beschäftigung,  welche  die 
Lagerung  mit  sich  bringt,  zunächst  nicht  an  die  Zurückgebliebenen 
denken.  Spät  am  Nachmittage,  als  sich  einige  der  Unsrigen  an- 
schickten sie  aufzusuchen,  trafen  dieselben  endlich  in  so  bemitlcidens- 
werthem  Zustande  ein,  dass  wir  am  darauf  folgenden  Morgen  den 
Weg  noch  nicht  fortsetzen  konnten. 


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558 


III.  BUCH,  4.  KAPITEL.  VON  KAWAR  NACH  BORNÜ. 


Belgäsclufari  und  seine  Umgebung  schliesst  die  Uebergangszone 
ab.  Die  Umgebung  der  Brunnen  zeichnet  sich  nicht  mehr  als  Oase 
oder  Ilattija  vor  der  übrigen  Gegend  aus,  die  steinigen  Gebilde  sind 
verschwunden,  und  die  Brunnen  5,65  M.  tief  geworden.  Es  gab  der 
letzteren  drei,  von  denen  der  eine  fast  bis  zur  Mündung  versandet 
war,  der  andere  wenigstens  kein  Wasser  enthielt,  der  dritte  jedoch 
einen,  wenn  auch  spärlichen  und  trüben,  doch  wohlschmeckenden 
und  im  Nothfalle  zureichenden  Inhalt  hatte. 

Noch  glich  die  Gegend,  welche  wir  am  Nachmittage  des  24.  Juni 
sieben  Stunden  hindurch  in  der  gewohnten  Richtung  durchzogen, 
dem  südlichen  Theile  der  Steppe;  doch  wir  stiessen  hier  auf  den 
ersten  Seifenbaum  — Hedschlidsch  arab.  (Balanites  aegyptiaca)  — , 
dessen  längliche,  von  den  Kanüri  Bito  genannte  Früchte  wohl  bei 
den  Arabern  „Datteln  der  Sclaven”  — Tamr  el-Abid  — heissen, 
und  bemerkten  nach  Sonnenuntergang  die  ersten  schwachen  Regen- 
spuren.  Tagtäglich  wehte  jetzt  am  Vormittage  ein  schwacher  Süd- 
west bei  klarem,  meist  wolkenlosem  Himmel,  und  während  dann  am 
Nachmittage  der  Wind  aus  der  östlichen  Himmelshälfte  allmählich 
die  Herrschaft  errang,  bildeten  sich  im  Süden  und  Südosten  Haufen- 
und  Schicht-Wolken,  welche  sich  nicht  selten  zu  massigen  Gewitter- 
wolken verdichteten. 

Wenn  der  Uebergang  von  der  vollständigen  Wüste  zur  kraut- 
reichen, doch  baumlosen  Steppe  sich  ganz  allmählich  vollzogen  hatte, 
so  änderte  sich  nun,  wo  w'ir  die  Nordgrenze  der  regelmässigen 
Sommerregen  überschritten,  der  landschaftliche  Charakter  plötzlicher 
und  wesentlicher.  Bis  dahin  hatten  dieselben  Gräser  und  Kräuter, 
welche  auch  in  der  mittleren  Wüste  an  begünstigten  Stellen  wuchsen, 
die  Gegend  beherrscht  und  nur  an  Menge  zugenommen.  Der  Siwäk 
allein  hatte  das  Bild  der  südlichen  Oasen  wirklich  verändert,  doch 
ein  vereinzelter  Tundub  oder  ein  Hedschlidsch  von  kümmerlicher 
Entwicklung  vermochte  den  Eindruck  der  Steppe  kaum  mannichfal- 
tiger  zu  gestalten.  Als  aber  am  25.  Juni,  nachdem  wir  bald 
nach  Mitternacht  aufgebrochen  waren,  das  erste  Morgenlicht  unsere 
Umgebung  beleuchtete,  fühlten  wir  uns  in  eine  andere  Welt  versetzt. 
Nach  der  Tintumma  würde  uns  ein  erneutes  Auftreten  der  Wüste 
nicht  überrascht  haben;  jetzt  fühlten  wir,  dass  diese  vollständig  über- 
wunden hinter  uns  lag,  dass  wir  eine  andere  Zone  mit  reicherer 
Natur  und  glücklicheren  Lebensbedingungen  betreten  hatten. 


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BRUNNEN  BELgXsChYfaRI.  - BEGINNENDE  WALDREGION.  f)59 

Die  spärlichen  Raumgruppen  der  Steppe  haben  hier  einem  fort- 
laufenden, lichten  Walde  Platz  gemacht,  in  dem  zwar  die  stachligen 
Akazien  noch  vorwalten  und  der  wüstenhafte  March  (Lepta Jenia  pyro- 
technica),  auch  Rctemm*)  genannt,  Kizzen  ted.  und  Kalembu  kan. 
wieder  auftritt,  doch  neben  diesen  und  den  zuvor  erwähnten,  welche 
allerdings  nicht  recht  zum  Bilde  der  Ueppigkeit  passen  wollen, 
treten  auch  bisher  nicht  gesehene,  stolzere,  schatten-  und  laub- 
reichere  Bäume  auf.  Der  frucht-  und  stachelreiche  Kurna-Baum 
drängt  hier  seinen  nächsten  Verwandten,  den  Nabaq  ( Zizyphus 
Spina  Christi),  ganz  in  den  Hintergrund;  der  Serrah  (Macrua  rigida) 

Arken  ted.  und  Ingisseri  kan.  — entfaltet  hier  seine  Aeste  und 
Belaubung  zu  ganz  anderer  Fülle,  als  ich  in  dem  dürren  Tibesti 
beobachtet  hatte;  der  gummireiche  Omm  el-Barka  (Acacia  — r)  — 
Käbi  oder  Käfi  kan.  — und  die  oft  ansehnliche  Haräza  (Acacia 
albida)  — Karage  kan.  — werden  häufig;  und  alle  stellen  die  be- 
scheidenen Entwicklungsformen  der  früheren  Wüstenbäume  in  den 
Schatten,  wie  die  fahle  Färbung  des  Hedschlidsch , der  dürftige 
March  und  der  fast  blattlose  Tundub  vor  dem  frischen  Grün  der 
dichtbelaubten  Siwäk- Büsche  zurücktreten.  Dazu  sind  die  Bäume, 
besonders  die  Akazien,  mit  Schmarotzerpflanzen,  wie  Loranthns  glo- 
hifer,  bedeckt  und  von  Schlinggewächsen,  wie  Momordica  Balsamina, 
umrankt,  welche  aus  luftiger  Höhe  ihre  Wurzeln  dem  Boden  zu- 
senden. 

Zu  den  Füssen  dieser  laubreichen  Bäume  entwickelt  sich  zur 
Regenzeit  — bei  unserer  Ankunft  waren,  wie  gesagt,  die  ersten 
Regen  gefallen  — ein  grüner  Bodenteppich,  in  dem  die  südlichen 
Gräser  und  Kräuter  noch  mehr  die  Oberhand  gewinnen  über  die- 
jenigen, welche  sich  aus  der  Wüste  eingeschlichen  haben,  als  es  bei 
den  Räumen  der  Fall  ist.  Die  eigentlichen  Kameelfuttcrkräuter,  wie 
Aqül  und  Häd,  sind  verschwunden;  noch  gedeihen  Scbat,  Bü  Rukba 
und  Nissi,  und  mehr  als  sie  der  stachlige  Akresch,  der  so  recht 
eigentlich  der  Steppe  angehört;  doch  andere  Gräser  walten  bald  vor. 
Leider  dienen  diese  oft  nicht  zu  besonderer  Annehmlichkeit  des 
Reisenden,  wenn  sie  auch  sein  nach  Wechsel  und  Männichfaltigkeit 
verlangendes  Auge  befriedigen.  Am  Boden  liegen  verrätherische 

*)  Der  Name  Retcmm  bezeichnet  ursprünglich  <lie  in  Noidafrika  verbreitete  Ginster- 
art Retarna  Rottum,  wird  aber  häufig  auf  die  im  Aussehen  ähnliche  Asclepiadec  Leptadenin 
pyrotechnita  übertragen,  welche  in  den  Nil-Ländern  allgemein  March  genannt  wird. 


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III.  BÜCH,  4.  KAPITEL.  VON  KAWÄR  NACH  BORNÜ. 


5(30 

Samenkapseln:  der  dreikantige,  scharfspitzige  Kaje  der  Bornü-Leute 
(Tributes)  und  die  platte,  klettenartige,  stachlige  Neurada  (?)  — 
Dreze  oder  Kra  el-Arneb  (d.  h.  Hasenfuss)  arab.  und  Schi  Turgona 
(d.  h.  gleichfalls  wörtlich  Hasenfuss)  kan.  — , die  sich  der  Reisende 
in  den  Fuss  tritt,  während  er  mit  den  Kleidern  die  Früchte 
der  gefürchteten  Gräser  Pcnnisctum  dichotomum  und  Cenchrus  echi- 
natus  — Askanit  arab.  und  Ngibbi  kan.  — abstreift,  deren  zahllose 
Stacheln  ihm  bald  Kleider  und  Haut  erfüllen.  Andere  dienen  dem 
Menschen  ohne  diese  Schattenseiten  zur  Nahrung  oder  zu  häuslicher 
Industrie.  Das  Gras  Fagam  (Dactyloctenium  aegyptium)  hat  nicht  nur 
als  Pferde-  und  Kameelfutter  einen  guten  Ruf,  sondern  muss  auch  im 
Nothfalle,  wie  übrigens  ebenfalls  Askanit,  Akresch  und  noch  viel 
mehr  die  .samenreichen,  getreidevertretenden  Kreb-Arten  (Eragrostis) 
— Kascha  kan.  — den  Menschen  ernähren.  Das  bei  den  Bomü- 
Leuten  Kobro  genannte  Gras,  das  mit  seinen  starken,  dicken  Halmen 
und  seinem  starren,  rüthlichen  Wurzelbarte  zur  Ausfiitterung  der 
Brunnen  benutzt  wird;  das  hohe.  Sukko- Gras,  dessen  starke  Halme 
das  Flechtwerk  der  Umschliessungszäune  der  Häuser  Bornus  bilden; 
das  Kadschidschi  (Andropogon  [Gymnantelia]  Inniger?),  dessen  Halme 
zum  Stopfen  der  Kameelsättel  verwendet  werden,  und  dessen  aro- 
matische Wurzeln  ein  beliebtes  Räuchermittel  abgeben;  das  Hyänen- 
kraut (Aerva  javanica)  — Kadschim  Bultube  kan.  — , mit  dem  man 
Polster  und  Kissen  ausstopft,  treten  auf  und  viele  andere,  die  dem 
geübten  Auge  eines  Botanikers  nicht  entgangen  sein  würden. 

Welch'  malerische  Gruppen,  welcher  Reichthum  der  Färbung, 
welche  Mannichfaltigkcit  der  Formen!  Mit  inniger  Lust  weilt  das 
Auge  des  Wüstenwanderers  auf  diesen  Schöpfungen  der  Natur,  deren 
Genuss  ihm  durch  den  Gegensatz  zu  der  todten  Welt,  die  hinter 
ihm  liegt,  in  s Unendliche  vervielfältigt  wird. 

Derjenige  freilich,  welcher  südlichere  Gegenden  bewohnt  hat, 
vermisst  hier  noch  tropische  Fülle;  selbst  für  den  Nordländer  ver- 
schwindet der  Charakter  der  Ucppigkeit  in  der  trockenen  Jahreszeit, 
welche  die  Regenzeit  an  Zeitdauer  um  das  Dreifache  übertrifft,  und 
die  Gegend  erscheint  ihm  dann  als  verbrannte,  wenn  auch  baumreiche 
Steppe.  Die  Akazien,  untermischt  mit  Seifen-  und  Kurna- Baumen, 
herrschen  hier  so  absolut  vor,  dass  man  wohl  von  einem  Akazien- 
walde  sprechen  kann.  Nur  da,  wo  wasserreiche  Flussthäler,  stehende 
Gewässer  oder  perennirende  Flüsse  den  nöthigen  Wasserreichthum 


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Waldung  nördlich  vom  Tsddc.  (S.  561.) 


PFLANZEN-  UND  THIERLEBEN.  56t 

liefern,  vervielfältigt  sich  der  Baumwuchs  und  bleibt  der  Charakter 
der  Frische  während  des  ganzen  Jahres. 

Wir  betraten  diese  Gegend  unter  den  günstigsten  Verhältnissen. 
Die  beginnende  Regenzeit  und  die  Nähe  des  Tsäd-Sees  schmückten 
die  Gegend  mit  ihren  schönsten  Reizen.  Nicht  fern  von  Belgilschtfari 
stiessen  wir  auf  die  ersten  Spuren  des  wasser-  und  schattenbedürf- 
tigen Löwen,  der  hier  schon  reiche  Gelegenheit  findet,  seine  Antilopen- 
jagden abzuhalten,  und  auf  die  mächtigen  Fussabdrücke  der  schlanken, 
scheuen  Giraffe,  welche  hier  den  weiten,  menschenleeren  und  doch 
vegetationsreichen  Spielraum  findet,  den  sie  liebt.  Auf  den  Abhängen 
der  reizvollen  Bodenwellen  graste  furchtlos  die  graziöse  Mohor-An- 
tilope  (A.  Mohor ) — Kirdschige  kan.  — , von  den  Arabern  auch 
wohl  Ariel  genannt,  weiss  mit  breit  über  den  Rücken  sich  erstrecken- 
dem braunem  Halskragen;  neben  ihr  nicht  selten  der  Strauss,  der 
eine  besondere  Vorliebe  für  ihre  Gesellschaft  hegen  soll  und  von 
hier  aus  den  endlosen  Raum  der  Steppe  durcheilt.  Dabei  erschallte 
der  Wald  ringsum  von  den  langentbehrten  Stimmen  der  Vögel, 
deren  Nester  die  Bäume  bedeckten , und  die  sich  der  beginnenden 
Regenzeit,  des  dortigen  Frühlings,  erfreuten.  Alles  war  Leben 
und  Gedeihen,  Anmuth  und  Fülle. 

In  Mitten  dieser  herrlichen  Natur  fühlten  wir  uns  selbst  neu- 
belebt, von  fröhlicher  Hoffnung  erfüllt  und  marschirten  am  25.  Juni 
ohne  das  Gefühl  der  Ermüdung  Morgens  sieben  und  Nachmittags 
acht  Stunden  bis  in  die  Nacht  hinein  durch  eine  fortlaufende  Reihe 
anmuthiger,  kesselförmiger,  flacher  Thäler,  an  deren  Reizen  wir 
uns  nicht  satt  sehen  konnten.  Wenn  bis  dahin  unsere  Wegrich- 
tung  von  der  südlichen  nach  Westen  abgewichen  war,  so  neigte  sic 
jetzt  nach  Osten.  Am  26.  Juni  erreichten  wir  nach  siebenstündiger 
Wanderung  die  Brunnen  von  Kufe.  Diese  liegen  im  Schatten  mäch- 
tiger Haräza’s  (Acacia  albida)  — Karäge  kan.  — , deren  Wipfel  zahl- 
reiche Reihernester  trugen,  und  schienen  seit  Jahren  versandet.  Da 
ihre  Umgebung  als  Lieblingsaufenthalt  der  Löwen  berüchtigt  ist,  so 
nächtigten  wir  fern  von  ihnen. 

Das  pflanzliche  und  thierische  Leben  ward  reicher  und  reicher. 
Massen  von  geringelten,  meist  braunen,  doch  auch  schwarz  und  weiss 
gestreiften  Würmern  mit  zahlreichen  Füssen,  gegen  vier  Zoll  lang  und 
von  der  Dicke  eines  kleinen  Kinderfingers,  bedeckten  den  Boden  und 
legten  Zeugniss  ab  von  kürzlich  gefallenem  Regen.  Diese  Tausendfüsse 

Nachtigal.  I.  36 


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562  m.  BUCH,  4.  KAPITEL.  VON  KAWÄR  NACH  BORNÜ. 

heissen  Dengeli  in  der  Kanüri- Sprache,  und  die  Leute  von  Tripolis 
und  Fezzän  neckten  unsere  schwarzen  Gefährten  damit,  dass  die- 
selben eine  Lieblingsnahrung  der  Südän-Bewohner  seien.  Ausserdem 
war  der  grüne  Boden  mit  zahllosen  kleinen,  zierlichen  Spinnen 
von  prächtiger  Purpurfarbe  mit  sammtähnlicher  Körperoberfläche 
geziert,  welche,  da  sie  stets  nach  den  ersten  Regenfallen,  wie  durch 
Zauberschlag,  in  unzähliger  Menge  auftreten,  Kuli  Ningflibe  (d.  h. 
Wurm  des  Regens)  oder  nach  der  Farbe  Fanna  Kimme  in  der 
Kanüri-Sprache  genannt  werden.  Da  man  für  ihre  schöne  Farbe  und 
eigenthümlich  weiche  Körperoberfläche  nur  ein  Analogon  findet  in 
dem  rothen  Sammet,  der  bisweilen  von  der  Nordküste  nach  Bornü 
gelangt,  so  behauptet  der  Volksmund,  dass  dieser  in  den  Christen- 
ländern durch  Tausende  und  Abertausende  solcher  Spinnchen  erzeugt 
werde. 

Weder  diese  schöne  Umgebung,  noch  die  Nähe  unseres  Zieles 
nach  der  langen  Wanderung,  noch  das  Gefühl  gemeinsam  über- 
standener Mühen  vermochten  die  Eintracht  bei  den  Marokkanern 
wiederherzustellen,  welche  fast  seit  dem  Beginne  der  Reise  im 
Schwinden  begriffen  war.  Schon'  in  Kawar  hatte  einer  ihrer  ge- 
schicktesten „Künstler"  sich  der  strengen  Herrschaft  des  Moqaddem 
zu  entziehen  gewagt  und  sich  seitdem  bald  diesem,  bald  jenem 
Reisenden  angeschlossen.  Später  hatte  ein  Anderer,  Hadsch  Brek, 
versucht,  sich  des  Hadsch  Salih  wegen  von  seinen  Gefährten  zu 
trennen,  und  er  war  nur  durch  Bü  Äischa  und  mich  mühsam  über- 
redet worden,  wenigstens  bis  Küka  auszuharren.  In  Kufe  kam  ein 
dritter  ihrer  jungen  Leute,  Namens  Hammu,  auf  meinen  Lager- 
platz und  erklärte  in  seinem  gebrochenen  Arabisch,  dass  er  ent- 
schlossen sei,  nicht  zum  Hadsch  Salih,  der  ihn,  einen  erwachsenen 
Mann,  geschlagen  habe,  zurückzukehren,  und  dass  er  hoffe,  ich  werde 
ihn  nicht  aus  meiner  Gesellschaft  verweisen.  Bü  Äischa,  ich  selbst 
und  meine  Leute  versuchten  alle  unsere  Ueberredungskunst,  um  ihn 
zu  wenigstens  zeitweiser  Rückkehr  zu  den  Seinigen  zu  bewegen,  doch 
mit  dem  den  reinen  Berbern  eigenthümlichen  Starrsinn  verschwor 
er  sich  durch  die  heiligsten  Eide  gegen  diese  Zumuthung,  selbst 
w'cnn  Niemand  von  uns  ihn  aufnehmen  wolle  und  er  in  der  Wildniss 
bei  den  Löwen  bleiben  müsse.  Um  das  allgemeine  Einvernehmen 
nicht  zu  stören  und  doch  den  sehr  natürlichen  Wunsch  Hammu's  zu 
erfüllen,  erbat  ich  vom  Hadsch  Salih  als  eine  Gunst,  den  Flüchtling 


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NÄHE  DES  TSÄDE. 


563 


bei  der  geringen  Anzahl  meiner  Leute  während  der  ersten  arbeit- , 
reichen  Zeit  in  Bornü  behalten  zu  dürfen,  und  erhielt  die  widerwillige 
Zustimmung  desselben.  Ein  Vierter  endlich,  ein  junger,  wirklicher 
Scherif  von  feinen  Zügen  und  vornehmen  Manieren,  den  der  Moqaddem 
selbst  mit  einem  gewissen  Respcct  behandelte,  Hadsch  Husetn,  theiltc 
mir  am  folgenden  Tage  ebenfalls  mit,  dass  er  sich  mit  seinem  Chef 
wegen  der  Behandlung  der  Kinder  übenvorfen  habe,  nur  noch  bis 
zur  Abreise  seiner  Genossen  aus  Bornü  die  Gemeinschaft  mit  ihm 
ertragen  und  nach  dieser  Zeit  bei  mir  anfragen  werde,  ob  ich  ihn 
in  meine  Dienste  nehmen  wolle. 

Fünf  Marschstunden  in  der  Morgenfrühe  des  27.  Juni  brachten 
uns  in  südlicher  Richtung  an  den  Brunnen  Azi,  der  in  einem  wunder- 
schönen Thale  schon  in  der  Nähe  des  Tsade  gelegen  ist.  Mit  der  Nähe 
des  Wassers  wurde  der  Wald  dichter,  und  die  Spuren  des  thierischen 
Lebens  noch  häufiger.  Die  dichtverzweigten  Bäume  bildeten  schattige 
Säulengänge  oder  dichtverschlungene  Bosquets,  mit  wuchernden 
Schlingpflanzen  behängt  und  vortreffliche,  vor  den  Sonnenstrahlen 
und  dem  Auge  des  Menschen  geschützte  Schlupfwinkel  der  wilden 
Thiere  bergend.  Von  allen  Seiten  widerhallte  der  Wald  in  der 
Frische  des  schönen  Morgens  von  nie  gehörten  Vogelstimmen,  deren 
Inhaber  wir  theilweise  zu  Gesicht  bekamen.  Da  war  ein  wiedehopf- 
ähnlicher  Vogel  mit  schönem  gelbrothem  Federbusch  auf  dem  Scheitel, 
Üdiüdi  Zannama  in  der  Bornü-Sprache  genannt,  dessen  erste  Namens- 
hälfte  ungefähr  seine  Stimme  wiedergeben  soll.  Er  baut  sein  Nest 
mit  Vorliebe  in  den  Höhlungen  der  Termiten -Hügel  — Ngotkum 
kan.  und  bewohnt  in  Ermangelung  dieser,  wie  im  vorliegenden 
Falle,  kleine  Baumhöhlungen,  In  eben  solchen  hatte  ein  anderes 
Vögelchen  Namens  Zogum,  dessen  wir  ebenfalls  habhaft  wurden,  und 
das  noch  lauter  sein  „tschütschü,  tschütschü"  ertönen  liess,  seine  Woh- 
nung aufgeschlagcn.  Dasselbe  hat  einen  weissen  Körper,  kurze,  dunkel- 
farbige Flügel,  einen  schwarzen  Scheitel  und  einen  ebenfalls  schwarzen, 
schwach  gebogenen  Schnabel  von  unverhältnissmässiger  Länge. 
Aehnlich  in  Gestaltung,  doch  mit  bunten  Flügeln  und  einem  rothen 
Schnabel  von  derselben  unverhältnissinässigen  Lange  ist  der  Kokodschi 
kan.,  dessen  Ruf  „kodsch,  kodsch"  nicht  minder  laut  durch  die  Ein- 
samkeit schallte.  — Die  in  Form  und  Farbe  so  charakteristischen 
Excremente  des  Elcphanten,  seine  vielfachen,  tief  in  den  Boden  ge- 
drückten Fussspuren  und  seine  ausgiebigen  Verwüstungen  in  den 

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564  III.  BUCH,  4.  KAPITEL.  VON  KAWÄR  NACH  BORNÜ. 

Zweigen  der  Bäume  verriethen,  dass  die  Umgegend  des  Brunnens 
ein  Lieblingsaufenthalt  des  mächtigen  Dickhäuters  ist.  Noch  war 
uns  dieser  ebensowenig  zu  Gesicht  gekommen,  als  die  Giraffe, 
welche,  nach  der  Häufigkeit  ihrer  unverkennbaren,  breiten  Fuss- 
eindrücke  zu  urtheilen,  nicht  seltener  dort  vorkommt,  als  jener. 

Wir  beeilten  uns,  unsere  Thiere  in  dem  nur  3,68  M.  tiefen,  in 
dichtem,  hartem  Thon  gegrabenen  Brunnen  zu  tränken  und  unseren 
Weg  fortzusetzen,  da  die  nordwestlichen  Ufer  des  Tsäde  durch  die 
südöstlichen  Tuärik  beständig  unsicher  gemacht  werden.  So  war  es 
zur  Zeit  des  Barth'schen  Besuches  von  Bornü,  so  war  es  noch  jetzt, 
und  obgleich  ich  sehr  begierig  war,  die  ersten  Bewohner  des  Landes 
zu  sehen,  so  sehnte  ich  mich  durchaus  nicht  danach,  in  die  Hände 
von  Freibeutern  zu  fallen.  Wir  reisten  an  diesem  Tage  noch  füm 
Stunden  in  südsüdwestlicher  Richtung  mit  immer  gleichem  Genuss 
an  der  schönen  Umgebung,  nächtigten  und  traten  am  28.  Juni  mit 
besonderer  Feierlichkeit  den  Marsch  an,  da  dieser  Tag  uns  zur 
nördlichsten  Bornü -Ortschaft  bringen  sollte.  Wir  hielten  uns  sechs 
Stunden  lang  südwestlich;  Düm-  und  Dattelpalmen  traten  auf, 
fette  Weidegründe  unterbrachen  den  Baumwuchs,  und  der  Wald 
wiederhallte  von  fremdartigen  Vogelstimmen,  doch  nach  Spuren 
von  menschlichem  Leben  und  Wirken  sahen  wir  uns  noch  vergeb- 
lich um. 

Wieder  näherten  wir  uns  dem  See  in  südlicher  Richtung;,der 
Wald  ward  lichter,  und  nach  zwei  Stunden  waren  wir  in  nächster 
Nähe  unseres  Zieles  angekommen.  Erwartungsvoll  suchten  unsere 
Blicke  die  Waldung  zu  durchdringen  und  den  berühmten  See  oder  das 
erste  Negerdorf  zu  entdecken.  Da  zeigten  sich  wenigstens  die  ersten 
Zeichen  naher  Ansiedlungen  in  weidenden  Hausthieren,  prächtigen 
Rindern,  welche  uns  ihre  Anwesenheit  durch  gemüthliches  Brüllen, 
wie  ich  es  schon  seit  Jahren  nicht  gehört  hatte,  verriethen,  noch 
ehe  sie  uns  selbst  zu  Gesicht  kamen.  In  grosser  Heerde  belebten 
sie  die  lichte  Waldumgebung  des  nahen  Ngigmi.  Neugierig  starrten 
uns  die  Wiederkäuer  an,  welche  mich  trotz  ihres  fremdartigen  Riesen- 
gehörns  heimathlich  anmutheten,  und  im  Geiste  schwelgten  wir  in 
dem  lange  entbehrten  und  lebhaft  ersehnten  Genüsse  ihrer  Milch 
und  ihres  Fleisches. 

Bald  traten  wir  auf  die  sandige  Hügelreihe  hinaus,  welche  dem 


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Tside  bei  Ngigmi.  (S.  565.) 


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ANBLICK  DER  LAGUNE  UND  DES  ERSTEN  NEGERDORFES.  56J) 

Sec  gegen  den  Wald  hin  Schranken  setzt.  Kaum  ein  halbes 
Stündchen  grasreicher  Ebene  trennte  uns  von  der  augenblicklichen 
Grenze  des  Tsäde,  und  am  Rande  des  Wassers  dehnten  sich  die 
langen  Reihen  der  zuckerhutformigen  Strohhiittcn  Ngigmi's  aus.  Flach 
und  schmucklos,  mit  einförmigem  Ufer  und  schilfigem  Rande  lag 
der  vielgenannte  Sec  vor  uns.  Vor  Jahren  hatte  ich  in  langweiligen 
Schulstunden  oft  träumerisch  seine  Conturen  betrachtet,  welche  damals 
mit  dem  fabelhaften  Mondgebirge  allein  das  weite,  weisse  Inner-Afrika 
auf  den  geographischen  Karten  zierten.  Jetzt  hatte  ich  dies  Ziel  meiner 
kindlichen  Träume  und  meines  späteren  Strcbcns  erreicht;  doch  die 
Wirklichkeit  vermochte  meine  Erwartungen  nur  in  geringem  Masse  zu 
befriedigen.  Ich  wenigstens  hatte  diese  nicht  hoch  gespannt,  doch  das 
lebhafte  Erstaunen,  dem  diejenigen  meiner  Gefährten,  welche  zum 
ersten  Male  Bornü  besuchten,  Ausdruck  gaben,  als  sie  anstatt  der 
erwarteten  ausgedehnten  Wassermassen  diese  unbestimmten  Ufer  mit 
dem  sich  weit  ins  Innere  der  Lagune  erstreckenden  Schilfgewirr  und 
in  der  Ferne  die  das  Wasser  durchsetzenden  flachen  Landstreifen 
erblickten,  bewies  die  Grösse  ihrer  Enttäuschung. 

Wenn  in  der  That  der  Anblick  etwas  unendlich  Flaches  und 
Einförmiges  hatte  und  in  seiner  Horizontlosigkcit  cinigcrmassen  der 
glücklich  überwundenen  Wüste  glich,  welche  noch  lebhaft  in  unserer 
Erinnerung  war,  so  entschädigte  dafür  das  fremdartige  Leben,  das 
sich  auf  dem  Ufer  vor  uns  entfaltete.  Die  grosse  Wiesenflächc, 
welche  die  offene  Ortschaft  umgab,  war  bedeckt  mit  Rindern,  Eseln, 
Schafen,  Ziegen;  die  Einwohner  bewegten  sich  geschäftig  hin  und  her; 
zahllose  Wasservögel , fremdartige  Störche,  Reiher,  Enten,  Pelikane 
und  dunkelfarbige  Gänse  gingen  unbekümmert  um  Mensch  und  Thier 
ihrer  Nahrung  nach,  und  nahe  dem  Dorfe  stand  am  Rande  des 
Wassers  ein  friedlicher  Elephant,  der  seinen  Durst  löschte  und  sich 
mit  Wasser  den  mächtigen  Körper  berieselte. 

In  den  Anblick  dieses  Bildes  versunken,  verharrten  wir  eine 
geraume  Zeit  auf  der  Sandhöhe,  ohne  dass,  zur  grossen  Enttäuschung 
meines  ehrsüchtigen  Reisegefährten  Bü  Äischa,  Jemand  gekommen 
wäre,  uns  festlich  zu  begrüssen  und  cinzuholen.  Nachdem  wir  ver- 
geblich erwartet  hatten,  dass  unser  Anblick  die  etwa  vorbereiteten 
Festlichkeiten  zur  Bcthätigung  bringen  würde,  mussten  wir  uns  endlich 
entschliessen,  in  die  Ebene  hinabzusteigen  und  unser  Lager  aufzu- 
schlagcn.  Erst  als  dies  geschehen  war,  erschien  der  Chef  des  nörd- 


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566  IH.  BUCH,  4.  KAPITEI..  VON  KAWAR  NACH  BORN0. 

lichsten  Bornü-Districts,  der  vorn  Namen  Kazel  des  letzteren  den 
Titel  Kazelma  führt  und  aus  seiner  Residenz  Barüa  vor  einiger 
Zeit  auf  Befehl  seines  Herrn  nach  Ngigrni  übergesiedelt  war,  um 
unsere  Ankunft  daselbst  zu  erwarten.  Der  Kazelma  Hassen,  ein 
bejahrter,  einäugiger,  dunkelfarbiger  Mann,  machte  zuerst  dem  Ab 
gesandten  des  Oberherrn  von  Stambul  und  dann  mir  seine  Auf- 
wartung, bcgrüsste  uns  im  Namen  des  Scheich  'Omar,  schilderte, 
wie  dieser  seit  lange  erwartungsvoll  unserer  harre,  fragte  nach  den 
Neuigkeiten  aus  Fezzdn  und  Tripolis,  sprach  über  die  politischen 
Ereignisse  der  Sudan-Länder,  die  zu  erwartende  Ernte  und  die  Ge- 
treidepreise, und  zog  sich  dann  zurück,  um  die  übliche  Gastmahlzeit 
vorzubereiten. 

Ich  nahm  diese  Mussezeit  wahr,  um  neugierig  der  nächstgelegencn 
Stelle  des  Sees  zuzueilen,  von  der  zwar  der  harmlose  Elephant  ver- 
schwunden war,  wo  sich  aber  zwanzig  bis  dreissig  andere  Dickhäuter, 
die  in  der  Landessprache  Ngurütu  genannten  Flusspferde,  fröhlich  im 
Wasser  tummelten.  Neugierig  und  unbekannt  mit  der  Mordlust  und 
Zerstörungskraft  civilisirter  Menschen  kamen  sie  furchtlos  in  die  un- 
mittelbare Nähe  des  Ufers,  und  ich  hütete  mich  wohl,  ihre  heiteren 
Spiele  zu  stören.  Metallische"  Geräusche  gefielen  ihnen  augenschein- 
lich sehr,  und  selbst  wenn  alle  sich  zurückgezogen  zu  haben  schienen, 
konnte  man  sicher  sein,  sie  durch  die  Behandlung  eines  kupfernen 
Kessels  als  Trommel  von  allen  Seiten  zu  musikalischem  Genüsse 
herbeischwimmen  zu  sehen.  Giuseppe  hatte  leider  nicht  dasselbe 
harmlose  Vergnügen  an  ihren  Spielen,  sondern  sendete  einem  der- 
selben eine  Kugel  in  den  mächtigen,  aufgesperrten  Rachen.  Zum 
Tode  getroffen  zog  sich  das  arme  Thier  in  das  ferne  Schilf  des 
Wassers  zurück,  und  die  heitere  Gesellschaft  verschwand.  Erst  nach 
eingebrochener  Nacht  kamen  die  sonderbaren  Ungeheuer  ans  Land, 
und  ich  wurde  nicht  müde,  soweit  es  die  Dunkelheit  gestattete,  diese 
Reste  einer  früheren  Schöpfungsperiode  mit  ihren  langen,  niedrigen, 
mächtigen  Körpern  und  plumpen  Köpfen  zu  beobachten,  wie  sie 
gleich  vorweltlichen  Schweinen  auf  der  Wiese  herumgrunzend  ihrer 
Nahrung  nachgingen  und,  aufgestört,  mit  einer  bei  ihren  schwerfälligen 
Körpern  und  ihren  kurzen  Beinen  fast  unglaublichen  Geschwindigkeit 
dem  Wasser  zueilten. 

Die  Bewohner  Ngigmi's,  welche  dem  Kanembu -Stamme  der 
Tomäghera  angehören,  zögerten  ihrerseits  ebenfalls  nicht,  ihre  Neu- 


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DER  DISTR ICTSCHEF  l’ND  DIE  I.F.UTE  VON  NGIGMI. 


567 


gierde  zu  befriedigen.  Besonders  die  Frauen  kamen  und  gingen  mit 
grosser  Regsamkeit  und  hatten  bald  einen  lebhaften  Markt  in  unserem 
Lager  geschaffen.  Sic  boten  Hühner  — K6ki  — , Zwiebeln  — Basall,  wie 
im  Arabischen  — , getrocknete  Fische  Büni  — , Milch,  sowohl  frische 
— Kiam  killi  — , als  säuerliche  — Kiam  — und  eingedickte  — Kin- 
dermo  — , Erdnüsse  (Arachis  hypogaea)  — Koltschi  — , schlechte 
Wassermelonen  — Fali  — , Tabak  — Taba  oder  Tafa  — , flüssige 
Butter  — Kindägo  — , Baumwollensamen  — Tamäli  — , Stidänpfcffer,  — 
Nschetta  — , Duchn  — Argum  moro  — , Indigo  — Nil  — und  der- 
gleichen feil,  zu  Preisen,  welche  nach  unseren  Begriffen  zwar  beispiellos 
billig,  doch  nach  dortigen  Verhältnissen  ziemlich  theuer  waren.  In  Er- 
wartung der  Mahlzeiten  und  Gastgeschenke  an  Rindern  und  Schafen 
von  Seiten  des  Kazelma  begnügten  sich  die  Glieder  der  Karawane 
damit,  ihrem  Fleischbedürfnissc  durch  den  Ankauf  von  Hühnern 
Rechnung  zu  tragen,  von  denen  das  Stück  ein  halbes  Dutzend  Glas- 
perlen oder  drei  bis  vier  Nürnberger  Stopfnadeln  kostete. 

Die  Männer  waren  von  dunkler  Hautfarbe  verschiedener  Inten- 
sität, die  meist  etwas  ins  Röthliche  spielte,  schlank  und  wohl  ge- 
wachsen, und  erinnerten  mich  durch  ihre  oft  recht  wohlgcbildeten 
Gesichter  vielfach  an  die  Tubu-Physiognomien,  wie  auch  ihr  Stamm- 
name Tomäghcra  eine  gewisse  Verwandtschaft  zwischen  Känembu 
und  Tubu  ahnen  liess.  Sie  waren  meist  barhäuptig,  trugen  aber 
auch  nicht  selten  ein  im  Verhältniss  zur  arabischen  Taqija  hohes 
Käppchen  — Dschöka  kan.  — aus  meist  blaugefärbtem  Baumwollen- 
stoff, und  kleideten  sich  in  das  gewöhnliche  aus  dreifingerbreiten 
Streifen  — Gabaga  — zusammengenähte  Bornü  Gewand  — Tob  arab. 
und  Kulgu  kan.  — , für  das  sie  ebenfalls  die  dunkelblaue  Indigo- 
färbung vorzuziehen  schienen.  Die  Frauen  waren,  so  weit  sie  den 
Känembu  angehörten,  schlank,  doch  von  runderen  Formen  und 
weicheren  Gesichtszügen,  als  die  Vertreterinnen  des  schönen  Ge- 
schlechts in  Tibesti,  und  ihre  Hautfarbe  hatte  ebenfalls  einen  röth- 
lichen  Schimmer.  Sie  hatten  die  beiden  oft  erwähnten  Shawls  um 
Schultern  und  Hüften  geschlagen,  und  trugen  das  Haar  auf  der  Höhe 
des  Kopfes  in  dünne,  kurze  Flechten  geordnet,  während  die  Schläfen 
und  der  grössere  Theil  des  Hinterhauptes  sauber  rasirt  waren. 

Der  Kazelma,  welcher  früher  die  höhere  Stellung  eines  Chefs 
von  Ngornu,  der  zweitgrössten  Stadt  des  Reiches,  mit  dem  Titel 
eines  Fugoma  inne  gehabt  hatte,  war  von  Sclavenursprung  und  seine 


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568  m.  BUCH,  4.  KAPITEL,  von  kawAr  nach  BORNß. 

schon  ursprünglich  wenig  edlen  Züge  waren  durch  den  Verlust  eines 
Auges  nicht  grade  verschönt  worden.  Seine  Begleitung  bestand  aus 
sechs  berittenen  Dienern,  unter  denen  ein  junger  Schöa  (eingeborener 
Araber)  durch  wahrhaft  monströse  Fettleibigkeit  auffiel,  und  achtzehn 
flintenbewaffneten,  doch  nicht  uniformirten  Soldaten,  welche  mich 
alsbald  in  bescheidener  Weise  um  etwas  Pulver,  einige  Flintensteine 
und  ähnliche  Kleinigkeiten  baten. 

Wie  im  Traume  betrachtete  ich  Alles;  ich  konnte  mich  in  dieser 
fremdartigen  Welt  nach  meinem  anderthalbjährigen  Aufenthalt  in  der 
Wüste  nicht  sogleich  zurecht  finden. 

Schon  in  erster  Morgenfrühe  des  folgenden  Tages  (29.  Juni) 
erschienen  die  Ortsvorsteher  Ngigmi’s,  recht  höfliche  und  bescheidene 
Leute  und  unverfälschte  Känembu,  um  ihre  Aufwartung  zu  machen. 
Bald  darauf  entledigte  sich  der  Kazelma,  seiner  Bewirthungspflicht, 
und  zwar  gegen  mich  durch  Uebersendung  einer  Schlachtkuh, 
einiger  Kijal  Duchn  und  einer  auf  einige  Tage  zureichenden  Menge 
Grünfutters  für  das  Pferd.  Er  hatte  dazu  möglichst  viele  Boten  ge- 
wählt, um  seinen  Leuten  einen  Verdienst  zuzuwenden,  denn  Jeder  der 
selben  hatte  Anspruch  auf  ein  kleines  Geschenk.  Die  Höherstehenden 
erhielten  je  einen  Rosenkranz,  die  Geringeren  je  ein  Päckchen  Nadeln 
oder  dergleichen,  und  auch  ihrem  Herrn  schickte  ich  bei  dieser  Ge- 
legenheit ein  ihm  zustehendes  Bcgrüssungsgcschenk  — Salam  — , das 
aus  einem  tunisischcn  Tarbüsch,  einem  Turbanshawl,  einem  Fläschchen 
Rosenessenz  und  einem  Rosenkränze  bestand. 

Dann  machte  ich  einen  Besuch  im  Dorfe,  dessen  Einwohner 
grade  beschäftigt  waren,  ihre  Hütten  abzubrcchen  und  in  weitere 
Entfernung  vom  See  nach  Norden  zu  verlegen,  bevor  allzuhäufige 
Regcnfällc  sic  darin  zu  stören  drohten.  Da  der  Tsäde  in  der  zweiten 
Hälfte  der  Regenzeit  erheblich  anschwillt  und  später  über  die  flachen 
Ufer  hinaustritt,  so  sind  die  Bewohner  oft  genöthigt,  sich  bis  auf  die 
erwähnte  Dünenreihe  in  sichere  Höhe  zurückzuziehen.  Das  Dorf 
bestand  aus  etwa  300  Hütten,  welche  einer  Einwohnerzahl  von  gegen 
2000  Seelen  entsprechen  dürften;  augenblicklich  waren  jedoch  viele 
derselben  nicht  bewohnt.  Die  Hütten  sind  in  der  ungefähren  Gestalt 
eines  Zuckerhutes  aus  grobem  Geflecht  des  Sukko- Grases,  das  auf 
einem  kunstlosen  Gerüst  dünner  Baumästc  derselben  Form  ruht, 
erbaut  und  haben  eine  kleine  Eingangsöflfnung  von  I bis  i‘/s  M.  Höhe. 
Je  nach  der  Bedeutung  des  Haushaltes  sind  in  der  Nähe  der  Haupt- 


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BESUCH  IM  DORFE  NGIGMI. 


569 


hütte  noch  eine  oder  mehrere  kleinere  für  Frauen,  Kinder  und 
Sclaven  und  besondere  Räumlichkeiten  für  das  Vieh  errichtet,  und 
das  Ganze  wird  von  2 bis  2 */»  M.  hohen  Zäunen  aus  dem  erwähnten 
Sukkogeflecht,  das  den  Namen  Siggedi  führt,  umfriedigt. 

Ngigmi  hat  sonderbarer  Weise  drei  Ortsvorstcher,  deren  obersten, 
welcher  den  mir  unerklärt  gebliebenen  Titel  Sorna  führt,  ich  auf  dem 
öffentlichen  Platze  des  Dorfes  fand.  Er  sass  daselbst  unter  dem 
üblichen  Schattendache,  das  aus  Stangen  und  darüber  gedecktem 
Siggedi  hergcstcllt  wird  und  als  Versammlungsort  der  Männer  dient, 
auf  einer  hoch  aufgeschütteten  Lage  reinlichen  Sandes  und  lud  mich 
freundlich  ein,  ihm  in  seine  Wohnung  zu  folgen.  In  dieser  wurde 
ich  mit  ausgezeichneter,  frischer  Milch  bewirthet  und  machte  die 
Bekanntschaft  seiner  Frau,  welche  meinen  ärztlichen  Rath  in  Anspruch 
nahm.  Der  gastfreundliche  Empfang  machte  mir  einen  sehr  wohl- 
thuenden  Eindruck,  der  Abends  durch  eine  zweite  Sendung  frischer 
Milch  nicht  unwesentlich  erhöht  wurde.  Mein  neuer  Freund  empfahl 
sich  übrigens  zum  Begleiter  bei  einer  etwaigen  Excursion  in  das 
Innere  des  Tsäde,  da  er  eine  ausgedehnte  Kenntniss  seiner  Inseln 
und  mannichfache  freundschaftliche  Beziehungen  zu  den  Budduma, 
den  Bewohnern  derselben,  habe. 

Schon  Tags  zuvor  hatten  sich  nach  morgendlichem  Südwestwinde 
gegen  Abend  im  Osten  und  Südosten  dichte  Regenwolken  ange- 
.sammelt,  welche  mehrmals  ihre  Entleerung  gedroht,  sich  aber  schliess- 
lich doch  wieder  zerstreut  hatten.  Am  29.  Juni  wiederholte  sich 
derselbe  schwache  Südwestwind  während  der  ersten  Tageshälfte  und 
dieselbe  drohende  Anhäufung  von  Gewitterwolken  im  Osten  atn 
Nachmittage;  doch  diesmal  zerstreuten  sich  dieselben  nicht  wieder, 
sondern  plötzlich  erhob  sich  ein  heftiger  Sturm,  der  trotz  der  Auf- 
bietung aller  unserer  Kräfte  mein  Zelt  zu  Boden  warf  und  von 
einem  Regen  tropischer  Kraft  und  Fülle  gefolgt  war,  der  uns  in 
einen  überaus  kläglichen  Zustand  versetzte. 

Obgleich  die  Nacht,  welche  dem  Unwetter  folgte,  im  allerhöchsten 
Grade  unerquicklich  gewesen  war,  und  der  Regen  unser  Gepäck  gründ- 
lich durchnässt  hatte,  so  war  doch  der  Wunsch,  so  bald  als  möglich  Küka 
zu  erreichen,  allzu  lebhaft  in  uns,  als  dass  wir  nicht  am  folgenden  Tage 
(30.  Juni)  die  Reise  hätten  fortsetzen  sollen.  Dies  war  um  so  wünschens- 
werter, als  wir  Tags  zuvor  durch  einen  Eilboten  den  Scheich  Omar 
schriftlich  von  unserer  Ankunft  in  Kenntniss  gesetzt  hatten.  Wir  folgten 


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570  III.  BUCH,  4.  KAPITEL.  VON  KAWAR  NACH  BORN0. 

dem  Rande  des  Sees,  vier  Stunden  in  südwestlicher,  zwei  in  südlicher 
und  zwei  in  südsüdöstlicher  Richtung,  und  nächtigten  bei  dem  Dorfe 
Kindschälia  (d.  h.  Sclavenort,  von  Kindschi,  Sclave),  das  nur  periodisch 
von  den  Sclaven  der  Leute  Ngigmi’s  zum  Behufc  der  Salzbcreitung 
aus  der  Asche  des  Siwäkholzes  bewohnt  wird.  Anfangs  führte  der 
Weg  dicht  an  dem  mit  Schilf  und  Riedgras  eingefassten  See  hin, 
dem  sich  die  Waldung  dort  mehr  nähert,  als  bei  Ngigmi.  Zuweilen 
ward  der  sandige  Boden  humusreicher  und  dann  sumpfig,  oder  grosse 
Lachen  Wassers,  mit  unzähligen  Enten,  Gänsen,  Reihern  und  kleineren 
Wasservögeln  bevölkert,  zwangen  uns  zeitweise  den  Wald  zu  be- 
treten. Allmählich  verbreiterte  sich  der  schmale  Rand  zwischen  See 
und  Wald  wieder  zu  einer  Ebene  mit  üppiger  Weide.  Von  Zeit  zu  Zeit 
stiessen  wir  auf  ein  Dutzend  oder  weniger  zur  Zeit  unbewohnte  Hütten, 
welche  ebenfalls  der  Salzfabrikation  dienten,  und  auf  der  Mitte  unseres 
Marsches  erreichten  wir  die  durch  einen  kleinen  Bestand  von  Dattel- 
palmen sich  auszeichnende  Oertlichkcit  der  früheren  Stadt  Wüdi 
oder  Üdi,  welche  vorübergehend  die  Residenz  der  Bornü- Könige 
gewesen  ist.  Dann  wurde  der  Wald  dichter,'  der  Weg  verliess  den 
See  und  war  durch  den  Baumreichthum  nicht  selten  schwierig  für 
die  Kameclc,  gefahrdrohend  für  ihre  Ladung  und  unangenehm  für 
uns,  da  die  langen  Stacheln  der  vorwaltenden  Akazien  uns  die 
Kleider  arg  beschädigten.  Während  der  zweiten  Hälfte  unseres 
Marsches  berührten  wir  zwei  Dörfchen,  deren  Bewohner  gerade  be- 
schäftigt waren,  auf  niedrigen  Lehmherden  in  gebrannten  Thon- 
gefässen  aus  der  Siwäk- Asche  durch  Siedung  und  Auslaugung  ein 
unreines  und  spärliches  Salz  zu  gewinnen. 

Mit  uns  reiste  natürlich  der  Kazelma,  dessen  Residenz  Barüa 
wir  berühren  mussten,  und  dessen  Begleitungsmannschaft  uns  als 
Escorte  diente.  Der  ganze  Weg  von  Ngigmi  am  Rande  des  Sees 
bis  Küka  wird  von  den  Budduma  unsicher  gemacht,  welche  einzelne 
Reisende  und  selbst  kleine  Karawanen  nicht  selten  überfallen,  berauben, 
niedermachen  oder  als  gute  Kriegsbeute  auf  ihre  Inseln  schleppen. 
Hinter  dem  Schilf  des  Seeufers  liegen  sie  im  Hinterhalte,  führen 
ihren  Handstreich  aus  und  sind  im  Augenblick  nach  der  That  wieder 
in  ihren  Barken  und  in  sicherer  Entfernung.  Wenn  sie  auch  mit 
den  Leuten  einiger  Känembu-Dörfer  längs  des  Secufers  in  friedlichem 
Handelsverkehr  stehen,  so  werden  sie  doch  von  den  übrigen  Bornü- 
Bewohncrn  ausserordentlich  gehasst,  und  unsere  Soldaten  konnten 


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WEITERREISE  NACH  BARCa. 


571 


es  sich  nicht  versagen,  als  sich  Vormittags,  wenn  auch  ausser  Schuss 
weite,  eine  Budduma-Barke  zeigte,  ihre  Steinschlossflinten  abzufeuern, 
in  so  weit  sie  im  Besitz  von  Pulver  waren. 

Der  Kazelma  hatte  um  seinen  rothen  Tarbüsch  einen  breiten, 
rothwollcnen  Shawl  gewunden,  der  sehr  schön  von  seiner  schwarzen 
Hautfarbe  abstach , und  ritt  ein  kräftiges,  wenn  auch  kleines  Pferd 
des  Landes  mit  einem  so  schnellen  Passgange,  dass  ich  nur  in  gutem 
Trott  gleichen  Schritt  mit  ihm  zu  halten  vermochte.  Der  Adjutant 
dieses  Würdenträgers,  der  fcttsüchtigc  Schöa-Jüngling,  war  barhäuptig 
und  trug  einen  ebensolchen  rothen  Wollshawl  zur  Zierde  um  Schultern 
und  Taille,  war  ebenfalls  beritten  und  führte  als  Waffen  die  Lanze 
und  ein  langes  Schwert.  Auch  ein  Wasserträger  mit  gefülltem 
Schlauch  und  Trinkschale  war  zu  Pferde,  doch  die  beiden  Sclaven, 
welche  das  Schwert  und  den  weitmündigen  Karabiner  des  Herrn 
neben  ihren  Lanzen  trugen,  suchten  uns  Reitern  im  Dauerlauf  zu 
folgen. 

Der  i.  Juli  führte  uns  in  fünfstündigem  Marsche  und  südsüdöst- 
licher Richtung  durch  den  allmählich  lichter  werdenden  Wald,  in 
dem  ausser  Akazien  und  Seifenbäumen  der  Siwäk-Busch  noch  immer 
eine  Hauptrolle  spielt,  und  zum  Theil  auf  dem  niedrigen  Dünenzuge, 
der  hier  und  da  wieder  hervortritt,  nach  Barüa.  Die  Residenz  des 
Kazelma  ist  am  Kusse  der  Dünen,  zum  Theil  auf  mächtigen  Schutt- 
haufen, von  deren  Höhe  man  selbst  da,  wo  sie  die  Ortschaft  über- 
ragen, den  See  nicht  erblicken  kann,  erbaut.  Sic  gewann  durch 
die  umgebende  Erdmauer  den  Charakter  einer  Stadt  und  war  von 
der  ungefähren  Grösse  Ngigmi's.  Die  Wohnungen  waren  natürlich 
durch  die  umschliessende  Mauer  auf  einen  engeren  Raum  zusammen- 
gedrangt,  bestanden  jedoch,  mit  Ausnahme  von  zwei  oder  drei  dem 
Herrscher  gehörenden  Erdbehausungen,  nur  aus  Strohhütten  — Kiizi 
arab.  und  Ngim  kan.  — . 

Gegen  Abend  stattete  ich  dem  Kazelma  einen  Besuch  in  seiner 
Wohnung  ab,  erfreute  mich  an  dem  lebhaften  Treiben  auf  den  kleinen 
Platzen  und  in  den  regellosen  Strassen  der  Stadt  und  empfing  wieder 
die  besten  Eindrücke  von  der  Bevölkerung  durch  die  wohlwollenden, 
naive  Verwunderung  bekundenden  Begrüssungen  der  Erwachsenen 
und  das  zutrauliche  Benehmen  der  kleinen,  nackten  Kinder.  Die 
Einwohner  sind  ebenfalls  zum  grösseren  Theile  Känembu  und  haben, 
wie  die  von  Ngigmi,  eine  grosse  Furcht  vor  den  Ueberfällen  der 


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572  lll.  BUCH,  4.  KAPITEL.  VON  KAWAR  NACH  BORNC. 

Tuärik,  denen  sie  sogar  eine  Art  von  Tribut,  der  hauptsächlich  aus 
Fischen  besteht,  bezahlen,  um  einigcrmassen  Frieden  und  Sicher- 
heit zu  haben.  Meine  hohe  Idee  von  der  Macht  des  Bomü- Herr- 
schers wurde  einigcrmassen  herabgedriickt,  als  ich  einsah,  dass  diese 
in  der  That  nicht  hinreicht,  um  die  nördlich  von  dem  westlichen 
Zuflusse  des  Tsäde , dem  Flusse  von  Joo  — Komodiigu  Joöbe  — 
wohnenden  Unterthanen  gegen  die  Uebergriflfc  der  räuberischen 
Wiistenbewohner  zu  schützen. 

Den  Fluss  von  J06  erreichten  wir  am  folgenden  Tage  (2.  Juli) 
nach  zehnstündigem  Marsche,  dessen  erste  Hälfte  wir  in  südlicher, 
und  dessen  zweite  wir  in  südsüdöstlicher  Richtung  zurücklegten.  Der 
Weg  führte  uns  anfangs  durch  Felder  von  Duchn,  und  dann  über 
eine  spärlich  mit  Akazien,  Siwdk  und  anderen  Büschen  bestandene 
Ebene,  welche  ein  reiches  Antilopcnlcben  entfaltete.  Hier  sprangen 
Gazellen  auf,  dort  zeigte  sich  eine  etwas  grössere  von  den  Schoa 
Haimerän  und  von  den  Kanüri  Komosseno  genannte  Antilopenart,  und 
zum  ersten  Male  erblickte  ich  eine  ansehnliche  Heerde  Kuhantilopen 
(Antilopa  bubalis)  — Tete!  arab.  und  Kargum  kan.  — . Auf  der 
Hälfte  des  Marsches  Hessen  wir  die  grössere  Ortschaft  Alädem  öst- 
lich, während  wir  ihre  Baunnvollcnpflanzungen  und  ihre  der  Getreide- 
kultur bestimmten  Felder,  die  durch  das  Verbrennen  der  trockenen 
Straucher  und  Gräser  zur  Aussaat  vorbereitet  waren,  durchschnitten. 

Je  mehr  wir  uns  dem  Komodiigu  Joöbe  näherten,  desto  häufiger 
wurden  die  Dümpalmen,  welche,  anfangs  nur  krüppelhaft,  bald  zu 
ansehnlichen  Bäumen  mit  üppiger  Entfaltung  ihrer  Fächerblätter 
wurden,  und  endlich  mit  den  Akazien,  Kurna-  und  Hcdschlidsch- 
Bäumen  in  der  Baumvegetation  vorwalteten.  Im  Schatten  dieses 
dichter  und  dichter  werdenden  Waldes  huschten  zahllose  Perlhühner 
hierhin  und  dorthin,  kleine  Hasen  und  scheue  Gazellen  wurden  auf- 
gestört, oder  ein  Wildschwein  floh  grunzend  einem  Hinterwasser  des 
Flusses  zu,  während  wir  uns  oft  mühsam  durch  das  Gebüsch  des 
Unterholzes  winden  mussten.  In  diesem  setzte  eine  kanürisch  Kurna 
Bultubc  (d.  h.  Hyänen-Kurna)  und  arabisch  Nabaq  el-Fil  (d.  h.  Ele- 
phanten-Nabak)  genannte  Zizyphus-Art  mit  ihren  kurzen,  gekrümmten, 
scharfen  und  widerstandsfähigen  Stacheln  unseren  Kleidern  besonders 
hart  zu.  Am  Flusse  zeigte  sich  mir  der  majestätische,  vollkronige 
Tamarindenbaum  — Temsuko  kan.  — zum  ersten  Male  in  seiner 
Schönheit  und  bildete  mit  den  Dümpalmen  die  Hauptzierde  der  Ufer. 


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DER  FLUSS  VON  JOÖ. 


573 


Wir  erreichten  den  Fluss  einige  Kilometer  zu  weit  nach  Osten  von 
unserem  Ziele,  folgten  ihm  stromaufwärts,  bis  wir  uns  der  Stadt  Joo 
gegenüber  befanden,  traten  dann  aus  dem  Walde  hinaus  und  hatten 
ein  landschaftliches  Bild  von  überraschender  Schönheit  vor  uns.  Noch 
hatte  allerdings  der  Fluss  keinen  fortlaufenden  Wasserstrom,  sondern 
nur  vereinzelte  Tümpel  in  seinem  Bette,  doch  die  herrliche  Ein- 
fassung seiner  Ufer,  das  saftige  Grün,  mit  dem  sich  jenseits  die 
Ebene  bedeckt  hatte,  die  langbeinigen  Wasservögel,  welche  ehrwür- 
dig im  Flussbette  oder  auf  der  Wiese  herumstolzirten,  in  einiger  Ent- 
fernung auf  dem  südlichen  Ufer  die  Ortschaft  mit  ihren  Hütten  und 


Häusern  im  Schatten  mächtiger  Bäume,  und  daneben  die  mit  Wasser- 
krügen auf  den  Schultern  oder  Köpfen  kommenden  und  gehenden 
Frauen,  gewährten  ein  reizvolles  Bild  natürlicher  Anmuth  und  mensch- 
lichen Friedens.  Später,  am  Ende  der  Regenzeit  und  nach  ihr, 
rauscht  hier  ein  ansehnlicher  Strom  dem  Tsade  zu,  welcher  der 
Passage  von  Karawanen  erhebliche  Schwierigkeiten  entgegen  zu 
setzen  im  Stande  ist  und  die  landschaftliche  Schönheit  natürlich  noch 
erhöht. 

Barth  verwirft  mit  Unrecht  den  Namen  Komodügu  Joöbe,  den 


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III.  HUCH,  4.  KAPITEL.  VON  KAWAR  NACH  BORNÜ. 


r>74 

er  durch  K.  Waube  ersetzt  wissen  will.  Er  scheint  fälschlich  ge- 
glaubt zu  haben , dass  das  Wort  Waube  der  wirkliche  Eigenname 
des  Flusses  sei,  während  dasselbe  in  der  That  nur  der  Genitiv  des 
Ortsnamens  Wau  ist,  grade  wie  Joobe  von  Jod  gebildet  ist.  Diese 
letztere  Stadt  ist  aber  der  hauptsächlichste  Ort  der  ganzen  Gegend, 
bei  dem  die  meisten  nordischen  Karawanen  den  Fluss  überschreiten, 
und  hat  also  viel  mehr  Berechtigung,  dem  Flusse  den  Namen  zu 
geben,  als  Wau,  das  eine  weiter  östlich  gelegene  Ortschaft  geringerer 
Bedeutung  ist.  Der  Fluss  hat  bei  Jod  eine  fast  grade  östliche  Rich- 
tung, während  er  weiter  stromaufwärts  aus  Südwesten  kommt  und 
sich  weiter  stromabwärts  wieder  nach  Nordosten  wendet,  um  bei 
Bosso  in  den  Tsade  zu  münden. 

Nachdem  wir  den  Fluss  an  einer  trockenen  Stelle  seines  Bettes 
überschritten  hätten,  lagerten  wir  ein  Vicrtclstündchen  südöstlich  von 
der  Stadt,  wo  sich  alsbald  Hunderte  von  dunkelfarbigen,  nackt- 
halsigcn  Geiern  um  unseren  Lagerplatz  sammelten,  und  ohne  Scheu 
vor  den  Menschen  ihren  Antheil  an  etwa  zu  schlachtenden  Thieren 
erwarteten.  Bald  erschienen  wieder  die  Frauen  des  Ortes  mit  ihren 
Handelsartikeln,  machten  aber  in  Rücksicht  auf  die  zu  erwartende 
Gastmahlzcit  keine  besseren  Geschäfte,  als  ihren  Schwestern  von 
Ngigmi  und  Barua  zu  Theil  geworden  waren.  Die  Gastmahlzeit  ent- 
sprach freilich  der  allgemeinen  Erwartung  nicht,  denn  der  Ortsvorstand, 
welcher  den  Titel  Schitlma  fuhrt,  war  grade  abwesend.  Die  Würde 
eines  Schitlma  ist  nicht  etwa,  wie  der  Titel  Kazelma  oder  Fügoma,  an 
einen  bestimmten  Verwaltungspostcn  gebunden,  sondern  kommt  vielen 
Verwaltungs-  und  Hofbeamten  von  Kanüri-  oder  Känembu-Ursprung 
zu.  Das  Wort  ist  wahrscheinlich  aus  tsidi,  d.  h.  Land,  Bezirk,  und 
ma,  dem  die  Person  bezeichnenden  Suffix,  entstanden,  und  würde 
demnach  Bezirkschef  bedeuten,  wie  der  Chef  einer  einzelnen  Ort- 
schaft — Billa  — , also  der  Bürgermeister  oder  Ortsschulze,  Billama 
genannt  wird. 

Am  nächsten  Morgen  früh  wurde  das  Reitpferd  Bü  A'ischa’s,  das  ich 
seiner  Ausdauer  und  seiner  gleichmässigen,  gestreckten  Gangart  wegen 
oft  bewundert  hatte,  todt  gefunden,  ohne  dass  eine  andere  Ursache 
des  Todes  hätte  gefunden  werden  können,  als  übermässiger  Getreide- 
genuss am  vorhergehenden  Tage.  Während  wir  noch  beschäftigt 
waren,  den  unangenehmen  Zufall  zu  discutiren,  kam  ein  kleiner  Trupp 
arabischer  Reiter,  um  uns  theils  im  Namen  des  Scheich  'Omar,  thcils 


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LAGER  ZU  JOÖ.  — BESUCHE  AUS  KÖKA. 


575 


aus  persönlicher  Höflichkeit  zu  begrüssen.  Der  officielle  Bote  des 
Scheich  war  Mohammed  et-Titiwi,  der  Bruder  des  Kämmerers  oder 
Schatzmeisters  — Amin  es-Sandüq  — von  Murzuq,  der  seit  einer 
langen  Reihe  von  Jahren  in  Bornü  seinen  Wohnsitz  aufgcschlagen 
hatte.  Er  stand  in  hoher  Gunst  beim  Scheich  und  war  der  aner- 
kannte Vertreter  aller  nordischen  Fremden,  welche  nur  durch  ihn  mit 
dem  Könige  verkehren  konnten.  Sowohl  durch  die  Berichte  euro- 
päischer Reisender,  als  durch  Vieles,  was  ich  in  Murzuq  über  ihn  ge- 
hört hatte,  war  er  mir  eine  bekannte  Persönlichkeit  geworden.  Schon 
Barth  hatte  ihn  vor  zwanzig  Jahren  in  Bornü  getroffen,  und  Gerhard 
Rohlfs  hatte  während  seines  Besuches  daselbst  in  nicht  sehr  freundschaft- 
lichen Beziehungen  zu  ihm  gestanden.  In  Fezzän  hatte  ich  manche 
üble  Nachrede  über  ihn  gehört,  und  besonders  mein  ehrenwerther 
Freund,  der  Hadsch  Brähim  Ben  Alüa,  hatte  sich  stets  ungünstig 
über  ihn  ausgesprochen.  Ueberhaupt  war  er  in  Tripolis  und  Fezzän 
schlecht  angeschrieben,  denn  man  schob  ihm  die  Schuld  zu,  dass  bei 
den  häufigen  Todesfällen  unter  den  nordischen  Kaufleuten  in  den 
ungesunden  Gegenden  des  Tsäde  selten  Etwas  von  ihrer  Hinterlassen- 
schaft an  ihre  Familien  daheim  gelange.  Wie  wenig  günstig  ich  ihn 
auch  später  in  seiner  öffentlichen  Thätigkeit  beurtheilen  lernte,  so 
kann  ich  doch  nur  mit  Dankbarkeit  an  die  zahlreichen  Gefällig- 
keiten und  wichtigen  Dienste  zurückdenken,  welche  er  mir  erwies, 
und  an  die  wohlthuende,  gastfreundliche  Aufnahme,  die  ich  stets  in 
seinem  Hause  fand.  Er  war  von  schmutzig  gelber  Hautfarbe , ein 
kurzer,  sehr  dicker  und  schwerfälliger  Herr  von  fünfzig  und  einigen 
Jahren,  der  mit  der  Reinlichkeit  auf  etwas  gespanntem  Fusse  stand 
und,  wohl  in  Folge  meiner  Voreingenommenheit  gegen  ihn,  zunächst 
keinen  günstigen  Eindruck  auf  mich  machte. 

Mit  ihm  waren  als  nennenswerthe  Persönlichkeiten : der  Scherif 
el-Haschäschi  aus  Tripolis,  der  mehr  in  Bornü  zu  Hause  war,  als  in 
seiner  Heimath;  der  Scherif  Hasan  aus  Fezzän,  der  seit  mehr  als 
zwanzig  Jahren  von  dem  W’ohlwollen  des  Scheich  Omar  am  Hofe 
von  Küka  lebte;  endlich  Mustafa  Tufairi,  ein  wohlhabender  Kauf- 
mann, der  für  eigene  Rechnung  und  die  des  Scheich  el-Beled  von 
Tripolis  (des  berüchtigten  Ali  el-Kerkeni)  vor  einigen  Jahren  mit 
einem  für  dortige  Verhältnisse  ungewöhnlich  reichen  Waarenkapital 
nach  Bornü  gekommen  war  und  jetzt  im  Begriff  stand,  nach  Norden 
zurückzukehren.  Die  Aufmerksamkeit  dieser  Herren  galt  begreif- 


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576  Hl.  BUCH,  4.  KAPITEL.  VON  KAWAR  NACH  BORNÜ. 

licherweise  nur  meinem  Reisegefährten,  dessen  Bedeutung  als  Abge- 
sandter des  Sultans  zu  Constantinopel  durch  den  Titiwi  beim  Scheich 
in  ein  helles  Licht  gestellt  wurde,  obgleich  seine  Sendung  aus- 
schliesslich das  Werk  des  Generalgouvcrneurs  von  Tripolitanien  war. 
Der  ihm  zugeschriebene  Charakter  versprach  eine  aussergewöhnliche 
Generosität  des  freigebigen  Bornu- Herrschers,  von  der  natürlich  der 
officiellc  Vermittler  seinen  Antheil  erwartete.  Dass  dem  entsprechend 
die  Bedeutung  meiner  Sendung  und  meiner  Person  von  diesen  Herren 
möglichst  in  den  Hintergrund  gedrängt  werden  sollte,  hatte  ich  stets 
gefürchtet  und  erfuhr  ich-  alsbald  zu  meinem  Missbehagen. 

In  dem  Briefe,  den  ich  von  Ngigmi  aus  an  den  Scheich  Omar 
gerichtet  hatte,  um  ihm  meine  Ankunft  und  den  Zweck  meiner  Reise 
anzuzeigen,  hatte  ich  die  Bitte  ausgesprochen,  mir  das  „Christen- 
haus”, in  dem  schon  Barth  und  Overweg  und  später  auch  Rohlfs  ge- 
wohnt hatten,  zum  Aufenthalte  herrichten  zu  lassen,  um  frei  von  den 
Einflüssen  und  Verpflichtungen  zu  bleiben,  denen  man  durch  die 
Gastfreundschaft  eines  der  Würdenträger  nothwendig  unterliegt.  Ich 
war  also  sehr  unangenehm  berührt,  auf  meine  Nachfrage  vom  Titiwi 
zu  hören,  dass  jenes  Haus  in  sehr  baufälligem  Zustande  und  nicht 
geeignet  sei,  mich  aufzunehmen,  noch  mehr  aber,  aus  seinen  aus- 
weichenden Reden  über  die  mir  bestimmte  Wohnung  die  Ueber- 
zeugung  schöpfen  zu  müssen,  dass  man  bei  der  allgemeinen  Auf- 
regung über  die  bevorstehende  Ankunft  eines  Gesandten  des  Emir 
el-Mümenin  (des  Oberhauptes  der  Gläubigen)  nicht  daran  gedacht 
hatte,  eine  solche  herrichten  zu  lassen. 

Mit  den  Grüssen  des  Scheich  überbrachte  sein  Bote  ein  Bewill- 
kommnungsgeschenk  in  Gestalt  eines  Körbchens  frischer  Güro-Nüsse, 
welche  als  ein  Zeichen  besonderen  Wohlwollens  gelten,  und  eines  mit 
den  landesüblichen  Süssigkeiten  Näkia  und  Dendokalia  gefüllten  Leder- 
säckchcns.  Die  letzteren  werden  aus  Reis-  und  Getreidemehl,  mit 
Butter,  Honig  und  Gewürzen  bereitet  und  gewöhnlich  zu  grösseren 
und  kleineren  Kugeln  geformt,  die  sich  durch  die  aufbewahrungs- 
fähige Butter,  das  Gewürz  und  die  äussere  Kruste,  welche  sich  bildet 
und  den  Luftzutritt  behindert,  lange  halten.  Das  uns  übersendete  Ge- 
bäck schien  von  sehr  respcctablem  Alter  zu  sein,  denn  es  war  allmählich 
ganz  ausgetrocknet  und  von  kleinen,  holzwurmähnlichen  Insekten  nach 
allen  Richtungen  zerfressen.  Ucbrigens  lag  der  Hauptwerth  des  Ge- 
schenkes in  den  Güro-Nüsscn,  die  allen  denjenigen,  welche  früher  schon 


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SAI.AM  DES  SCHBlCH.  — AtlKKISE  VON  JOÖ.  577 

in  Bornü  gewesen  waren,  einen  hohen  Genuss  bereiteten,  und  nur 
von  mir,  der  ich  ihnen  noch  keinen  Geschmack  abgewonnen  hatte, 
mit  grösster  Freigebigkeit  vertheilt  wurden.  Mein  Antheil  am  Salam 
war  besonders  verpackt,  während  der  Rest  an  Bü  ’Aischa,  als  dem 
Scheich  el-Qäffla,  zur  Vertheilung  übergeben  wurde. 

Da  der  Herrscher  des  Landes  sehr  ungeduldig  zu  sein  schien, 
uns  in  seiner  Hauptstadt  zu  sehen,  so  hatten  wir  die  Absicht  gehabt, 
noch  am  Nachmittage  desselben  Tages  aufzubrechen.  Durch  eine 
eigenthümlichc  Erkrankung  einiger  Kamcele  unseres  Gefährten,  des 
Hadsch  Abd  er-Rahmän,  wurde  diese  Absicht  jedoch  vereitelt.  Auf 
den  Ufern  des  Flusses  von  Joö  nämlich  wächst  ein  Strauch,  den  ich 
leider  nicht  zu  Gesicht  bekam,  und  dessen  Blätter  Vergiftungssymptome, 
Muskelzittern,  Convulsioncn , Bewusstlosigkeit  bei  den  Thieren  her- 
vorbringen. Die  Sinnesschärfe  der  Kamcele  genügt  nicht,  diese  Pflanze 
zu  vermeiden,  und  nicht  selten  sollen  in  Folge  des  Genusses  derselben 
Todesfälle  unter  ihnen  zu  Joö  Vorkommen.  Nachdem  die  erkrankten 
Thiere  mit  Tamarinden  in  saurer  Milch  behandelt  worden  waren, 
erholten  sie  sich  im  Verlaufe  des  Abends  vollständig,  und  nachdem 
wir  unseren  Gästen  durch  das  allseitige  Opfer  unseres  ganzen  Mo- 
hammes-Vorraths  ein  anständiges  Gastmahl,  das  sie  an  die  Heimath 
erinnerte,  und  bei  dem  das  Fleisch  nicht  fehlte  — wir  hatten  aus  Joö 
zwei  Schlachtkühe  und  vier  Schafböcke  als  Gastgeschenk  erhalten  — , 
vorgesetzt  hatten,  konnten  wir  kurz  nach  Mitternacht  aufbrechen. 

Unser  Weg  führte  in  Südrichtung,  zuweilen  mit  östlicher  Ab- 
weichung, durch  lichte  Waldung,  die  hier  und  da  von  Ackerfeldern 
und  unbedeutenden  Dörfchen  unterbrochen  war.  Mehrmals  stiessen 
wir  gegen  Morgen  auf  Thierhürden  — Bert  — mit  Dorn-Einfrie- 
digungen  und  ansehnlichen  Rinderheerden,  und  der  Titiwi  versäumte 
nicht,  jedes  Mal  von  den  Hirten  einen  Morgentrunk  frischer  Milch  für 
uns  zu  requiriren. 

Unterwegs  hatte  ich  Gelegenheit,  die  vortrefflichen  und  hübschen 
Pferde  zu  bewundern,  welche  unsere  Gäste  ritten,  und  die  allerdings 
wohl,  entsprechend  der  socialen  Stellung  der  Reiter,  zu  den  besten 
des  Landes  gehören  mochten.  Sie  waren,  besonders  der  schöne 
Rappe  des  Haschäschi,  mit  phantastischen  Zierrathen  aus  seidc- 
gesticktem  Tuche  und  Leder,  bunten  Troddeln  aus  Wolle  und  Seide, 
Messingplatten,  Gehängen  und  Amuletten  an  Kopf  und  Hals  über- 
laden und  an  einen  schnellen  Passgang  gewöhnt,  der  es  mir  sehr 
Na*.tidj(al.  I 37 


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578  III.  BUCH,  4.  KAPITEL.  VON  KAWÄR  NACH  BORnC. 

schwer  machte,  gleichen  Schritt  mit  ihnen  zu  halten.  Nach  sieben 
Stunden  hielten  wir  die  Mittagsrast  im  Districte  Kalilua,  wohin  der 
epikuräischc  Titiwi  trotz  der  Entfernung  von  fast  50  Km.  von  Küka 
aus  ein  üppiges  Mahl  beordert  hatte,  und  trennten  uns  dann  von 
unseren  Gästen.  Diese  eilten  voraus  zur  Hauptstadt,  um  unseren 
Empfang  vorzubercitcn , während  wir  langsamer  folgen  und  am 
nächsten  Tage  zu  Dauergo,  eine  gute  Stunde  nördlich  von  Küka, 
wo  der  Sitte  zufolge  die  von  Norden  kommenden  Karawanen  den 
Tag  vor  dem  Betreten  der  Hauptstadt  verbleiben,  lagern  sollten. 
Nachmittags  betraten  wir  den  Distrkt  Ngurütua,  reisten  in  südsüd- 
östlicher Richtung  durch  sich  mehr  und  mehr  lichtende  Gegend  mit 
Weidegründen,  Hessen  nach  vier  Stunden  das  Dörfchen  Ngaläro  west- 
lich, berührten  bald  darauf  den  Brunnen  Alero  und  nächtigten 
nach  fast  sechsstündigem  Marsche  nahe  der  Grenze  des  Districtes. 
Einige  Stunden  brachten  uns  am  nächsten  Morgen  (5.  Juli)  nach 
Dauergo,  einem  elenden,  auf  einem  Hügel  gelegenen  Dörfchen,  wo 
wir  bereits  einige  Leute  aus  Küka  in  der  Erwartung  unserer  Ankunft 
vorfanden. 

Der  Titiwi  hatte  die  Aufmerksamkeit  gehabt,  mir  leihweise  ein 
anständiges  Zelt,  zu  schicken,  um  mir  die  Schande  des  meinigen, 
das  klein,  alt  und  zerrissen  war,  zu  ersparen,  und  ich  legte,  ent- 
sprechend den  allgemeinen  Vorbereitungen,  meine  beste  Kleidung 
an,  welche  die  eines  tripolitanischen  oder  fezzanischen  Städte- 
bewohners war.  So  erschien  ich,  der  Christ,  sonderbarer  Weise  in 
einer  Tracht  von  Muselmanen,  während  Bü  ’Aischa,  der  an  diesem 
feierlichen  Tage  als  Sendbote  des  Grosssultans  die  europäische  Uni- 
form eines  türkischen  Civilbeamten  trug,  seiner  Kleidung  nach  für 
einen  Christen  hätte  genommen  werden  können.  Mein  Reisegefährte 
war  natürlich  der  Mittelpunkt  der  allgemeinen  Aufmerksamkeit. 
Einige  Araber,  Qatrüner  und  andere  Fczzäncr,  unter  denen  die 
Söhne  unseres  alten,  weichherzigen  Zein  el-Äbidin,  kamen  am  frühsten 
zu  seiner  Begrüssung;  erst  Nachmittags  erschien  die  ganze  Gesell- 
schaft der  wohlhabenden  Tedä- Kaufleute  und  Qatrüner,  die  sich 
augenblicklich  in  Küka  aufhielten,  vierzig  bis  fünfzig  an  der  Zahl, 
mit  dem  Maina  Adern  an  der  Spitze,  welche,  wie  erwähnt,  die  grössten 
Hoffnungen  auf  Bü  Äischa's  Vermittlungen  bei  den  Auläd  Solimän 
zur  Sicherung  des  Friedens  für  Kawär  bauten. 

Ich  erhielt  zwar  die  Besuche  dieser  Herren  in  zweiter  Linie  eben- 


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I.AGER  ZU  DAUERGO. 


579 


falls,  trat  aber  doch  im  Ganzen  sehr  in  den  Hintergrund.  Ansehen 
und  politische  Macht  in  den  mohammedanischen  Mittelmeerländern 
verleiht  den  Europäern  im  Innern  Nord- Afrika’s,  soweit  die  Verbin- 
dung mit  der  Küste  reicht,  noch  ein  gewisses  Ansehen,  welches  der 
innerlichen  Verachtung,  mit  der  dieselben  als  Christen  betrachtet 
werden,  einigermassen  das  Gleichgewicht  hält.  Neben  dem  Vertreter 
des  allmächtigen  Stambul  konnte  dasselbe  mir  nicht  zu  Gute  kommen, 
und  selbst  die  Seltenheit  der  Erscheinung  eines  Europäers,  welche 
meinen  Vorgängern  das  Interesse  von  Herrscher  und  Volk  gesichert 
hatte,  vermochte  nicht,  die  allgemeine  Aufmerksamkeit  in  erwünschter 
Weise  auf  mich  zu  lenken. 

Nur  ein  Besuch  war  ausschliesslich  für  mich  bestimmt.  Im  Laufe 
des  Vormittags  stieg  ein  höchst  drolliges  Individuum , einem  Nuss- 
knacker in  der  kurzen,  gedrungenen  Gestalt  und  dem  grossen  Munde 
nicht  unähnlich,  vor  meinem  Zelte  vom  Pferde,  gefolgt  von  einem 
Sclaven,  der  durch  seinen  scharlachrothen,  europäischen  Tuchleib- 
rock in  Verbindung  mit  der  weiten  blauen  Südän-Hose  und  der 
Hemdlosigkeit  einen  noch  lächerlicheren  Eindruck  machte.  Der 
Erstere  nannte  sich  Dunkas  und  führte  sich  mit  erstaunlichem  Wort- 
schwall als  „Christensclav”  bei  mir  ein,  der  einst  dem  bekannten 
Abd  el-Wähid  (Dr.  Eduard  Vogel)  angehört  habe.  Er  sei  mit  diesem 
als  Knabe  nach  Jakoba  und  Adamäwa  gereist  und,  als  derselbe  später 
seinen  Weg  nach  Wadaf  genommen  habe,  im  Hause  des  schon  aus 
Barth  s Reisen  bekannten  Lamino  zurückgelassen  worden.  Dunkas 
nahm  zwar  den  Mund  sehr  voll,  schien  aber  übrigens  ein  höchst  gut- 
müthiger,  junger  Mensch  zu  sein,  der  seinem  unglücklichen  christ- 
lichen Herrn  das  wärmste  Andenken  bewahrte.  Er  kam  mit  freund- 
lichen Grüssen  und  einem  ansehnlichen  Vorrathc  von  Hühnern  und 
Eiern  von  Seiten  des  ebengenannten  Lamino,  der  ihm  nach  dem 
Tode  seines  Herrn  ein  treuer  Beschützer  geblieben  war. 

Abends  erschien  ein  langer  Zug  von  Sclaven  aus  dem  Haushalte  des 
Scheich,  welche  die  übliche  Mahlzeit  herbeitrugen,  wohl  fünfzig  oder 
sechzig  Schüsseln,  von  denen  zehn  vor  meinem  Zelte  niedergesetzt 
wurden,  während  Bü  Ä'ischa  die  übrigen  vertheilte.  Die  Speisen 
bestanden  in  dem  gewöhnlichen  Duchn-Brei,  Weizenbrot,  säuerlichen 
Fladen  aus  Duchn-Mehl,  und  jedes  dieser  Gerichte  war  mit  einer 
andern  Kräutersauce  versehen  und  mit  Rind-  oder  Hammelfleisch 
garnirt.  Ausserdem  gab  cs  gebratene  Hühner  und  kleine,  in  Honig 

37* 


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580  III.  BUCH,  4.  KAPITEL.  VON  KAWÄR  NACH  BORNÜ. 

schwimmende  l’fannenkuchen  aus  Weizen,  die  mit  einer  Verschwen- 
dung von  Butter  bereitet  waren,  welche  das  Entzücken  unserer  Leute 
hervorrief.  Die  Schüsseln  selbst  waren  aus  schwarzgebeiztem  Holze 
geschnitzt,  zum  Theil  von  gewaltigem  Umfange,  von  fast  halb- 
kugeliger Form  und  hatten  nur  zum  kleineren  Thcile  drei  kurze 
Küsse.  Wie  hungrige  Raubthiere  erwarteten  die  Träger  den  Moment, 
in  dem  unser  Hunger  gestillt  sein  würde  — und  wir  vermochten 
nicht  den  dritten  Theil  des  üppigen  Mahles  zu  vertilgen  — , um  sich 
auf  die  Reste  zu  stürzen,  welche  ihnen  bei  dieser  ersten  Ucberbrin- 
gung  der  Gastmahlzeit  des  Herrschers  nach  der  Sitte  als  ihr  Recht, 
anstatt  des  sonst  üblichen  Trinkgeldes,  zukommen. 


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Fünftes  Kapitel. 

EMPFANG  IN  KÜKA. 


Festliche  Einholung  durch  den  Kronprinzen.  — Gefolge  desselben.  — Kusssoldaten.  — 
Kathsherrn.  — l’anzerreiter.  — .Musikbande.  — Kronprinz  Aba  Hü  Bekr.  — Ebene 
von  Küka.  — Acussere  Erscheinung  der  Stadt.  — Stadtmauer.  — Das  Innere  der 
Oststadt.  — Beleidigende  Zurücksetzung.  — Wohnungsschwicrigkeit.  — Der  Haus- 
wirth  Ahmed  Ben  Brähtm.  — Bcgrüssungs- Audienz.  — Das  Innere  des  Königs- 
palastes. — Scheich  'Omar.  — Audienz  zur  l’ebcrreichung  der  Geschenke.  — 
Religiöse  Bedenken  gegen  einige  derselben.  — Hohe  Befriedigung  des  Scheich.  — 
Besuche  bei  einigen  Würdenträgern.  — Der  Digma  Ibrähtm  und  seine  Ungnade.  — 
I-amlno.  — Seine  Umgebung.  — Seine  Vergangenheit.  — Sein  culinarisches  Ver- 
ständnis. — Seine  Stellung  und  Bedeutung.  — Mo’allim  Mohammed  und  seine 
Gelehrsamkeit.  — Weitere  Bekanntschaft  mit  Ahmed  Ben  Brähtm  und  Mohammed 
ct-Titiwl.  — Gastgeschenke  des  Scheich.  — Trinkgelder.  — Besuch  beim  Kron- 
prinzen. — Feindschaften  der  Würdenträger  unter  einander. 

Der  6.  Juni  war  für  uns  ein  Tag  voller  Aufregung,  denn  an  ihm 
sollte  unser  festlicher  Einzug  in  die  Hauptstadt  stattfinden.  Mit 
Sonnenaufgang  setzten  wir  uns  in  Bewegung.  Von  den  Dienern 
hatte  ich  Barqa,  den  Sclaven  Ben  Alüa’s,  Sa'ad  und  Al!  so  gut  als 
möglich  gekleidet  und  behielt  sic  in  meiner  unmittelbaren  Nahe  als 
Gewehrträger  und  Pferdehalter.  Bald  sticssen  wir  auf  die  ange- 
sehensten Araber  und  Fremden  der  Stadt,  unter  denen  der  eigent- 
liche Chef  der  nordischen  Araber,  die  zum  Unterschiede  von  den 
Schöa  oder  sudanischen  Arabern  „Wassili"  genannt  werden,  der  alte 
Bü  Aläq,  mir  aus  den  Barth'schen  Mittheilungen  schon  vortheilhaft 
bekannt  war.  Er  war  ein  Uled  Solimäni  von  altem  Schrot  und  Korn 
und  hatte  das  wilde  Räuberleben  der  jetzigen  Generation  seiner 


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582  Ul.  BUCH,  5.  KAPITEI..  EMPFANG  IN  KÜKA. 

Stammesgenossen  schon  lange  mit  der  friedlichen  Existenz  in  der 
Hauptstadt  Küka  vertauscht,  wo  er  Scheich  el-Ärb  und  Kökena 
oder  Mitglied  des  grossen  Rathes  war.  Wie  er  sich  mit  dem  gott- 
losen Treiben  seines  Stammes  nicht  hatte  befreunden  können,  so 
hatte  er  sich  aber  leider  auch  nicht  in  das  Leben  der  hauptstädtischen 
und  höfischen  Intriguen  zu  finden  gewusst  und  war  in  Einfluss  und 
Vermögen  von  schlauen  Strebern,  wie  dem  Titiwi  und  Anderen,  weit 
überholt  worden.  Auch  von  den  Tedä  und  Qatrünern  fehlte  Niemand, 
und  unter  diesen  fiel  mir  vorzüglich  der  reiche  Hadsch  cl-Hddi  auf, 
der  ein  kostbares,  ausgezeichnet  geschultes  Rennkamcel  ritt,  dessen 
Sattel  mit  grossen  Leopardendecken  behängt  war.  Alle  entfalteten 
den  ganzen  Rcichthum  in  Kleidung  und  Pferdeschmuck,  über  den 
sie  gebieten  konnten,  und  ich  konnte  die  Menge  zierlicher  Bomü- 
Pferdc  nicht  genug  bewundern,  welche  feurig  und  gewandt  auf  der 
Ebene  getummelt  wurden.  Es  waren  prächtige  Thierc  darunter,  mit 
denen  die  beiden  Pferde,  welche  Bü  Äischa  als  Geschenke  für  den 
Scheich  aus  Tripolis  brachte,  wenn  dieselben  auch  einen  höheren 
Wuchs  hatten,  in  eleganten,  harmonischen  Formen  nicht  wetteifern 
konnten. 

Der  Titiwi  brachte  die  Nachricht,  dass  der  Scheich  seinen  ältesten 
Sohn  und  muthmasslichcn  Thronfolger,  Aba  Bü  Bckr  — Aba  hat 
ebensowohl  die  Bedeutung  „Vater"  als  „Herr"  — mit  glänzender 
Suite  . zu  unserer  festlichen  Einholung  beordert  habe.  Wir  warteten 
also  an  Ort  und  Stelle  seine  Ankunft  ab,  stiegen  von  den  Pferden, 
machten  Bekanntschaften,  tauschten  Nachrichten  aus  dem  Norden 
gegen  die  aus  der  sudanischen  Welt  ein,  und  setzten  uns  erst  wieder 
in  Bewegung,  als  ein  Reiter  meldete,  dass  der  Kronprinz  herannahe. 
Je  weiter  wir  mit  würdevoller  Langsamkeit  vorrückten,  desto  belebter 
wurde  die  Ebene,  die  sich  fast  baumlos,  mit  der  einförmigen  Vege- 
tation der  Calotropis  procera  bedeckt,  zwischen  Dauergo  und  Küka 
ausdehnt.  Bald  kamen  wir  in  Sicht  der  dichten  Menge  der  Ein- 
geborenen, deren  Mittelpunkt  der  Prinz  auf  einem  Sandhügel  ein- 
nahm, und  vermochten  allmählich  die  Einzelheiten  des  bunten,  farben- 
reichen und  lebensvollen  Bildes  erkennen. 

Auf  dem  freigehaltenen  Raume  vor  dem  Prinzen  hielt  sich  flinten- 
bewaffnetes  Fussvolk,  das  durch  die  denkbar  sonderbarste  Unifor- 
mirung  den  Charakter  einer  regelmässigen  Truppe  gewinnen  sollte, 
und  doch  nur  in  der  groteskesten  Weise  von  der  landesüblich  ge- 


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FESTLICHE  EINHOLUNG. 


583 

kleideten  Menge  abstach.  Die  Leute  steckten  in  engen  Jacken  und 
Beinkleidern  europäischen  Schnittes  und  verschiedenster  Farbe,  welche 
entweder  fertig  von  der  Nordküste  gekommen  waren  oder  die  Leistung 
eines  nach  Bornti  verschlagenen  nordischen  Schneiders  zweifelhafter 
Kunstfertigkeit  bildeten.  Vielleicht  hatten  ursprünglich  die  einzelnen 
Farben  verschiedene  Abtheilungen  der  bewaffneten  Macht  kennzeich- 
nen sollen;  jetzt  waren  aus  dem  Vorrathe  die  einzelnen  Kleidungs- 
stücke den  Individuen,  je  nach  Bedürfniss  zngetheilt  worden,  und  so 
trug  der  Eine  eine  rothe  Jacke  und  gelbe  Beinkleider,  ein  Anderer 
eine  gelbe  Jacke  und  grüne  Beinkleider,  während  ein  Dritter  halb  blau 
und  halb  roth  gekleidet  war,  und  einem  Vierten  vielleicht  nur  eine 
farbige  Jacke  zu  dem  weissen  Beinkleid  von  landesüblichem  Schnitt 
zu  Theil  geworden  war.  Dazu  waren  die  meisten  Uniformstücke  zu 
klein  ausgefallen,  so  dass  das  Beinkleid  entweder  nicht  die  Jacke 
erreichte  oder  schon  weit  oberhalb  der  Fussknöchel  endigte,  oder 
dass  die  Kürze  der  Aermcl  den  weit  über  sie  hinausragenden  Armen 
den  Anschein  affenartiger  Länge  verlieh.  Die  Leute  waren  übrigens 
bestrebt,  durch  reichlichen  Pulvervcrbrauch  ihrem  Stande  Ehre  zu 
machen  und  die  Feierlichkeit  des  Augenblicks  zu  erhöhen,  und  wurden 
darin  höchstens  von  unseren  Leuten  übertroffen. 

In  der  nächsten  Umgebung  des  Prinzen  hielten  sich  reichgekleidete 
Würdenträger  in  verschiedenfarbigen,  goldgestickten  Tuchburnussen 
und  ebensolchen  seide-  oder  goldgestickten,  weiten  Beinkleidern,  im 
rothen  Tarbüsch  mit  oder  ohne  Turban,  mit  verhülltem  oder  offenem 
Gesichte,  auf  edlen  Pferden  mit  arabischen  Sätteln  und  Bügeln. 
Diese  waren  entweder  sogenannte  Kökenäwa  (Mehrzahl  von  Kökena), 
d.  h.  Mitglieder  des  grossen  Rathes  — Nokena  — , zumeist  freie 
Känembu,  Kanüri  und  Schöa,  oder  sogenannte  Kaschellawa  (Mehrzahl 
von  Kaschella),  d.  h.  Kriegshauptleute,  die  fast  alle  aus  Sclaven  des 
Staatsoberhauptes  hervorgehen.  Unter  dem  linken  Oberschenkel  der 
Reiter  war  gewöhnlich  ein  langes,  grades  Schwert  am  Seitentheile 
des  Sattels  befestigt,  und  auf  der  anderen  Seite  hing  ein  zierlicher, 
weitmündiger  Karabiner  am  hohen  Knaufe  desselben. 

Auf  diese  Herren  folgten  Panzerreiter,  theils  solche,  welche  ein 
maschiges  Metallhemd  und  einen  metallenen  Helm  mit  vorspringenden 
Visirstangen,  zuweilen  auch  Armschienen  trugen,  theils  und  vornehm- 
lich solche,  welche  in  weniger  kriegerisch  aussehende,  unbehülfliche 
Wattenpanzer  — Libbes  — gekleidet  waren.  Diese  letzteren  bestehen 


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584 


III.  BUCH,  5.  KAPITEL.  EMPFANG  IN  KÜKA. 


in  so  umfangreichen,  wattirten  und  gesteppten  Röcken,  dass  der 
Körper  vollständig  in  ihnen  verschwindet,  und  sind  so  dick  und  fest 
durchnäht,  dass  der  Inhaber  jeder  freien  Bewegung  beraubt  ist. 


Punzcrrcitcr  in  BornO. 


Dazu  gehört  eine  ähnliche  Kopfbedeckung,  und  womöglich  werden 
auch  die  Pferde  in  gleicher  Weise  ausgerüstet.  Schwere  Watte- 
umhüllungen umgeben  den  Hals  und  den  Körper  der  Thicrc  bis  auf 


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KRONPRINZ  BÖ  BF.KR  UND  SEIN  GEFOLGE. 


585 


die  Füsse,  und  ihr  Gesicht  wird  durch  eine  drei  bis  vier  Zoll  breite, 
leicht  gepolsterte  Messingplatte  geschützt,  welche  einen  stumpfen 
Winkel  bildet,  um  der  Haut  des  Thieres  nicht  aufzuliegen.  Um  diese 
Rüstung  und  den  schweren  Reiter  zu  tragen,  müssen  die  stärksten 
Pferde  ausgesucht  werden,  denn  für  einen  solchen  Krieger  beruht 
in  kritischen  Lagen  das  Heil  in  der  Kraft  und  Schnelligkeit  seines 
Pferdes;  er  selbst  wird  ohne  dasselbe  durch  seine  Unbehülflichkeit 
durchaus  unfähig  zum  Angriff  wie  zur  Vertheidigung.  Im  Kampfe 
muss  Womöglich  Jeder  in  dieser  Weise  Gepanzerte  einen  Fussgänger 
zur  Seite  haben,  der  beim  Falle  oder  Tode  des  Pferdes  den  Reiter 
so  schnell  als  möglich  von  seiner  hinderlichen  Hülle  zu  befreien 
sucht.  In  diesen  Panzerreitern,  welche  als  Waffen  die  Lanze  und 
meist  ein  kurzes,  breites  Schwert  führen,  beruht  die  Hauptreitermacht 
des  Landes,  und  jeder  Würdenträger  sucht  aus  seinen  berittenen 
Sclaven  so  Viele  als  möglich  mit  Wattenpanzern  zu  versehen. 

Um  den  glänzenden  Kern  der  Escortc  tummelten  sich  zwanglos 
leichte  Reiter  in  der  einfachen  Tobe  des  Landes,  meist  barhäuptig, 
nur  mit  einer  Lanze  bewaffnet  und  auf  weniger  gutgehaltenen  Pferden 
mit  einheimischen  Sätteln  und  Bügeln,  ferner  Sclaven  zu  Fuss,  mit 
Speer  und  Wurfeisen  gerüstet,  und  heidnische  Bogenschützen  aus 
den  südwestlichen  Grenzländern  des  Reiches,  die  oft  nur  um  die 
Hüftengegend  bekleidet  waren. 

Als  wir  uns  dem  Prinzen  auf  etwa  zwanzig  Schritte  genähert 
hatten,  wurden  wir  angewiesen  vom  Pferde  zu  steigen,  um  den  Ver- 
treter des  Herrschers  zu  begrüssen.  Während  wir  auf  ihn  zugingen, 
vollführte  eine  Musikbande  mit  dumpfdröhnenden  Paukenschlägen, 
regellosem  Trommelwirbel,  schrillen  Pfeifen,  schnarrenden  Antilopen- 
hömern,  in  tiefem  Bass  ertönenden , langen  Posaunen  aus  Holz  oder 
Metall  und  kreischenden  Dudelsäcken  ein  sinnverwirrendes  und  ohren- 
zerreissendes  Getöse.  Aba  Bü  Bckr  hielt  sich  ernst  und  würdig  auf 
der  Höhe  des  sandigen  Hügels,  war  in  einen  goldgestickten  Burnus 
von  feinem  dunkelblauen  Tuch  gekleidet,  trug  einen  Tarbüsch  ohne 
Turban,  und  ritt,  auf  silbergesticktem  Sattelüberzuge  von  blauem 
Sammet,  ein  herrliches,  prachtvoll  gezäumtes,  schwarzes  Pferd  mit 
vergoldeten  Steigbügeln.  Kr  war  von  fast  schwarzer  Hautfarbe, 
wenig  edlen  Zügen,  spärlichem  Bart  um  Kinn  und  Wangen,  hatte 
eine  ansehnliche  Gestalt  und  schien  in  der  zweiten  Hälfte  der  Dreissigcr 
zu  stehen.  Nachdem  er  uns  freundlich  in  arabischer  Sprache  und 


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586 


III.  BUCH,  5.  KAPITEL.  EMPFANG  IN  KÜKA. 


mit  Händedruck  willkommen  im  Lande  seines  Vaters  geheissen,  sich 
nach  der  zurückgelegten  Reise  und  nach  unserer  Gesundheit  kurz 
erkundigt  hatte,  stiegen  wir  wieder  zu  Pferde  und  der  Zug  setzte 
sich  in  Bewegung,  unter  dem  Getöse  der  Musik,  dem  Geheul  der 
Menge  und  unaufhörlichem  Pulvergeknall.  Voran  ritt  der  Prinz  und 
die  Würdenträger  in  der  bunten  Farbenpracht  ihrer  Kleider  und 
Pferderüstung;  dann  folgten  die  Mitglieder  unserer  Karawane,  und 
von  allen  Seiten  umschwärmten  die  Reiter  den  Zug.  Bald  löste  sich 
einer  der  Fusssoldaten  aus  seiner  grotesk  gekleideten  Truppe,  sprang 
vor  den  Prinzen  hin  und  schoss  unter  wunderlichen  Körperver- 
drehungen sein  Gewehr  ab;  bald  sprengte  einer  der  Reiter  quer  vor 
dem  Zuge  hin,  und  feuerte  in  gestrecktem  Galopp  in  die  Luft,  oder 
die  Erwachsenen  der  marokkanischen  Gesellschaft  legten  vor  dem 
Prinzen  eine  Probe  ihrer  Geschicklichkeit  im  Schnellfeuern  ab. 

Soweit  das  Auge  reichte,  wimmelte  die  Ebene  von  Neugierigen; 
Niemand  schien  in  der  Hauptstadt  zurückgeblieben  zu  sein.  Diese 
suchte  mein  Auge,  über  die  einförmige  Ebene  schweifend,  anfangs 
vergeblich.  Nichts  hob  sich  über  den  sandigen  Thonboden,  aus  der 
fahlen  Farbe  des  Oschar  und  den  verkrüppelten  Akazien  empor. 
Endlich  tauchten  am  südlichen  Horizonte  Bäume  auf,  eine  lang- 
gestreckte Vegetationslinie,  welche  allmählich  den  Anschein  eines 
ausgedehnten  Haines  gewann.  Allmählich  wurden  die  einzelnen 
Baumkronen  sichtbar,  und  dann  entdeckte  man  zu  den  Füssen  der- 
selben eine  Erdmauer,  welche  in  der  Färbung  natürlich  kaum  von 
der  Staubfarbe  des  Bodens  und  seiner  Vegetation  abwich.  In  langer, 
gleichförmiger  Linie  schien  sich  dieselbe  von  Ost  nach  West  zu  er- 
strecken und  zeigte  erst  bei  grösserer  Annäherung  eine  allmählich 
breiter  werdende  Lücke,  auf  die  wir  uns  zu  bewegten.  Der  west- 
liche Theil  der  Mauer  war  die  Nordseite  der  Umschliessungsmauer 
der  Weststadt,  der  östliche  gehörte  in  derselben  Weise  der  Oststadt 
an,  denn  Küka  besteht  aus  zwei  Städten  und  müsste  also  eigentlich 
Kükawa  heissen. 

Als  das  frühere  Küka  zu  Ende  der  vierziger  Jahre  durch  den 
König  Mohammed  Scherif  von  Waddi  zerstört  worden  war,  hat  es 
Scheich  Omar  in  Gestalt  zweier  Städte  wieder  aufgebaut,  von  denen 
er  mit  seinen  Beamten  und  Sclaven  vorwaltend  die  östliche  bewohnt, 
während  die  westliche  vorzugsweise  dem  Volke  und  den  Fremden 
zum  Aufenthalte  dient.  Man  muss  gestehen,  dass  der  Gründer  der 


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EINZUG  IN  DIE  HAUPTSTADT. 


587 


Hauptstadt,  der  Vater  Scheich  Omars,  der  in  der  Südän-Wclt  so 
berühmte  Scheich  Mohammed  el-Amin  el-Känemi,  der  im  An- 
denken des  Volkes  als  der  „grosse  Scheich”  lebt,  keinen  hohen 
Grad  von  Schönheitssinn  in  der  Wahl  des  Ortes  bekundet  hat.  Ohne 
die  reichen  Baumzierden  und  das  rege,  gefiederte  Leben  in  ihnen 
würde  auch  in  nächster  Nähe  der  über  alle  Beschreibung  todte  und 
monotone  Eindruck,  den  Küka  aus  der  Entfernung  macht,  nicht 
schwinden. 

Wir  betraten  den  weiten  Zwischenraum,  der  die  Schwesterstädte 
trennt  und  in  seinem  nördlichen  Theile  wenig  bebaut  ist,  während 
der  südliche  ein  fast  ebenso  dichtes  Häusergewirr  enthält,  als  die 
Städte  selbst,  und  hielten  bald  darauf  unseren  Einzug  in  die  östliche 
oder  Königsstadt  durch  das  westliche  Thor  ihrer  Umschliessungsmaucr, 
während  die  Kamcelc  mit  den  nöthigen  Dienern  in  die  uns  bestimmten 
Quartiere  der  Weststadt  geschickt  wurden.  Das  kunstlose  Thor  war 
breit  genug,  um  zwei  bis  drei  Reitern  gleichzeitig  den  Durchtritt  zu 
gestatten,  konnte  durch  zwei  mächtige,  roh  gezimmerte  Thorflügcl 
mittelst  eines  davor  gelegten  Querbalkens  verschlossen  werden  und 
gewann  durch  vielfachen  Eisenbcschlag  eine  gewisse  Festigkeit.  Die 
etwa  zwanzig  Fuss  hohe,  crcnelirte  Mauer  hatte  im  unteren  Theile 
eine  ansehnliche  Dicke,  da  die  Innenseite  mit  breiten  Abstufungen 
für  das  etwaige  Hinaufsteigen  der  Vertheidiger  versehen  war.  Sic 
bestand  aus  kiesgemischter  Thonerde  und  trug  schon  zahlreiche  Spuren 
des  zerstörenden  Einflusses  der  kaum  begonnenen  Regenzeit,  denn 
der  obere,  dünnere  Theil  war  hier  und  da  bereits  zusammengestürzt 
oder  hinweggewaschen.  Doch  dafür  gedieh  die  terrassenförmige 
Innenseite  in  anderer  Beziehung;  sie  hatte  sich  in  eine  abschüssige 
Wiese  umzuwandeln  begonnen,  welche  von  den  Ziegen  der  benach- 
barten Einwohner  abgeweidet  wurde. 

Von  dem  Thore  führte  ein  grader  Weg,  der  in  seiner  Breite 
mehr  einem  Platze  als  einer  Strasse  ähnlich  sah,  nach  Osten  grade 
auf  den  Palast  des  Scheich  zu.  Trotz  des  weiten  Raumes  war  das 
Gedränge  der  schaulustigen  Menge  so  dicht,  dass  wir  nur  mit  grossem 
Zeitaufwande  bis  zur  Königswohnung  gelangen  konnten  und  unsere 
pulververpuffende  Gesellschaft  kaum  Platz  für  ihre  Thätigkeit  fand. 
Ein  tiefer,  staubiger  Sand  hüllte  uns  in  dichte  Wolken  und  Hess  die 
breite  Strasse  mit  den  staubgrauen,  niedrigen  Häusern  zu  beiden 
Seiten  nicht  sehr  heiter  erscheinen.  Nur  rechts  am  Wege,  wo  mir 


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588  III.  BUCH,  5-  KAPITEL.  EMPFANG  IN  KOKA. 

das  Haus  Aba  Bü  Bekr’s  gezeigt  wurde,  und  auf  der  anderen  Seite, 
wo  der  dritte  Sohn  des  Herrschers,  Aba  Haschemi,  wohnte,  gewahrten 
feigenähnliche  Bäume  einen  dichten  Schatten.  Vor  der  Wohnung 
des  Scheich,  etwas  zur  Seite  nach  Norden  gerückt,  schaute  ein 
niedriges  Minaret  über  die  Umschliessungsmaucr  eines  Häuser-  und 
Hütten-Complcxes  und  kennzeichnete  diesen  als  Moschee. 

Vor  der  Königswohnung,  die  sich  durch  ihre  Ausdehnung,  ein 
oberes  Stockwerk  und  einige  tburmähnlichc  Aufsätze  vor  den  übrigen 
Häusern  auszeichnet,  stellten  wir  uns  auf,  und  Flintcnknallen  und 
musikalisches  Getöse  erreichten  hier  ihren  höchsten  Grad.  Scheich 
Omar,  der  hinter  schiessschartenähnlichen  Fensteröffnungen  des 
oberen  Stockes  fremde  Ankömmlinge  und  Festaufzüge  zu  betrachten 
pflegt,  blieb  uns  unsichtbar.  Den  Glanzpunkt  der  Vorstellung  bil- 
deten die  Marokkaner,  deren  eine  Hälfte  ihren  Pfeifen,  Tamburins 
und  kleinen  Trommeln  Töne  entlockten,  welche  schon  eher  den 
Namen  der  Musik  verdienten,  während  die  andere  die  äusserste  An- 
strengung in  der  schnellen  Handhabung  ihrer  langen,  sauber  ge- 
putzten und  kunstvoll  gearbeiteten  heimathlichcn  Steinschlossflintcn 
machte. 

Nach  einiger  Zeit  betrat  Aba  Bü  Bekr  das  Innere  des  väter- 
lichen Palastes,  bald  folgte  ihm  der  Titiwi,  und  endlich  wurde  auch 
Bü  Aischa  gerufen,  der  nach  kurzer  Zeit,  mit  einem  scharlachrothen, 
goldgestickten  Tuchburnus  behängt,  wieder  heraustrat.  Wenn  ich 
auch  eine  gewisse  Zurücksetzung  neben  meinem  Reisegefährten  er- 
wartet hatte,  so  fühlte  ich  es  doch  als  eine  Schädigung  des  euro- 
päischen Ansehens,  dass  ich  nicht  ebenfalls  sofort  zur  Begrüssungs- 
audienz  geladen  wurde.  Die  Vernachlässigung  ärgerte  mich  um  so 
mehr,  als  ich  geneigt  war,  die  Ursache  derselben  nicht  dem  wohl- 
wollenden Fürsten,  sondern  Bü  Aischa  und  dem  Titiwi  zur  Last  zu 
legen.  Ich  konnte  nicht  umhin , dem  Letzteren  meinen  Unwillen  in 
scharfen  Worten  auszudrücken,  und  musste  aus  seinen  verlegenen 
Entschuldigungen  und  gezwungenen  Erklärungen  die  Ueberzcugung 
gewinnen,  dass  man  dem  braven  Scheich  meinen  Brief  aus  Ngigmi 
vorenthalten  hatte.  Der  gutmüthige  Bü  Aläq,  Mustafa  Tufai'ri  und 
Andere  thaten  ihr  Möglichstes,  mich  zu  beruhigen,  doch  ich  zog 
mich  grollend  in  die  mir  bestimmte  Wohnung  der  Weststadt  zurück, 
begleitet  vom  Titiwi,  der  sich  in  Entschuldigungen  und  Bitten  um 


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WOHNUNGSSCHWIERIGKEIT. 


589 


Verzeihung  erschöpfte,  ohne  dass  ich  in  der  Laune  war,  darauf  zu 
antworten. 

Meine  Wohnung  lag  in  dem  grossen  Hause  Ahmed  Ben  Brähim’s, 
eines  der  ersten  Würdenträger  des  Landes  und  vielleicht  des  einfluss- 
reichsten Höflings,  und  bestand  vorläufig  aus  einigen  Höfen  und  nur 
einem  einzigen  Erdhäuschen,  das  vielleicht  grade  zur  Unterbringung 
des  Gepäckes  hinreichte.  An  ein  Unterkommen  für  meine  Person 
und  meine  Diener  war  nicht  gedacht  worden.  Wenn  ich  mich  schon 
geärgert  hatte,  dass  ich  grade  bei  dem  Manne  wohnen  sollte,  den 
ich  durch  meine  Bitte  um  Ueberlassung  des  Christenhauses  haupt- 
sächlich hatte  vermeiden  wollen,  so  wurde  mein  Unwille  durch  den 
Mangel  aller  Vorbereitungen  noch  erheblich  gesteigert.  Ich  befahl 
kurz,  mein  Pferd  wieder  vorzuführen,  und  erklärte  dem  Titiwi, 
dass  ich  direct  zu  seinem  Herrn  zurückzukehren  und  über  diese 
schamlose  Vernachlässigung  und  Beleidigung  Klage  zu  führen  beab- 
sichtige. Dies  half.  Noch  war  das  Pferd  nicht  gesattelt,  so  war 
auch  schon  eine  Axt  zur  Hand,  mit  der  in  wenigen  Minuten  eine 
Thür  durch  eine  Mauer  gebrochen  und  damit  eine  für  dortige  Ver- 
hältnisse anständige  Wohnung  gewonnen  wurde.  Die  improvisirte 
Thür  führte  auf  einen  schön  geformten,  quadratischen  Hof  mit 
einem  mächtigen  Hedschlidsch  vor  einem  grösseren  Gebäude,  das 
ein  geräumiges  Zimmer  und  daneben  eine  Vorrathskammer  enthielt 
und  sich  ganz  zu  meiner  persönlichen  Wohnung  eignete.  Auf  dem- 
selben Hofe  befanden  sich  noch  zwei  bedachte  Räumlichkeiten,  in  denen 
meine  Dienerschaft  wohnen  und  die  Küche  eingerichtet  werden  konnte. 

Ich  war  froh,  dass  ich  nicht  gezwungen  wurde,  auf  der  Tages- 
höhe — Mittag  war  bereits  herangekommen  — noch  stundenlang 
einer  Wohnung  nachzujagen,  erklärte  mich  für  befriedigt  und  suchte 
mich  von  den  Aufregungen  und  Anstrengungen  der  vergangenen 
Tage  und  von  dem  Aerger  des  Morgens  durch  einen  Mittagsschlaf 
zu  erholen.  Der  Titiwi  kehrte  indessen  eiligst  zum  Scheich  zurück, 
setzte  denselben  von  meiner  Stimmung  in  Kenntniss,  und  kaum  hatte 
ich  meine  Rast  beendigt  und  etwas  Toilette  gemacht,  als  auch  schon 
ein  Bote  aus  dem  Palaste  kam,  mich  zur  Audienz  zu  laden. 

Mein  Hausherr  und  Gastfreund  Ahmed  Ben  Brahim  holte  mich 
zu  derselben  ab  und  machte  mir  damit  gleichzeitig  seinen  Bewill- 
kommnungs-Besuch. Er  war  ebenso  dick  als  der  Titiwi,  aber  grösser 
und  jedenfalls  von  noch  viel  weniger  vertrauenerweckender  Phy- 


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590  in.  BUCH,  5.  KAPITEL.  EMPFANG  IN  KCKA. 

siognomie,  als  dieser.  Seine  Haut  war  von  tiefer  Broncefarbe,  also 
für  einen  Araber  — er  gehörte  dem  Schöa-Stamme  der  Aulad  Hamed 
an  — sehr  dunkel.  Seine  Züge  waren  nicht  die  des  Sudan-Bewohners, 
konnten  aber  auch  nicht  für  charakteristisch  arabische  gelten.  Der 
mächtig  entwickelte  Unterkiefer  und  der  sinnliche  Mund  verriethen 
einen  brutalen  Epicuräismus,  dessen  Erfolg  aus  der  monströsen  Ent- 
wicklung seines  Bauches  erhellte.  Die  heruntergebogene  Spitze  seiner 
sonst  wohlgebildeten  Nase  gab  ihm  im  Verein  mit  dem  vorspringen- 
den Kinn  und  den  lauernden  Augen  den  Ausdruck  der  Berechnung 
und  Unaufrichtigkeit.  Dabei  stand  ihm  der  Hochmuth  auf  dem  Ge- 
sichte geschrieben  und  lag  in  jeder  Bewegung  seines  schwerfälligen 
Körpers.  Selbst  die  süsslichc,  höfliche  Sprache  der  ersten  Begegnung 
vermochte  nicht  den  Mangel  an  der  Gutmüthigkeit  zu  verdecken, 
welche  augenscheinlich  sogar  dem  berechnenden  TitJwi  innewohnte. 

Sein  prächtiges  Pferd,  für  die  Rasse  des  I^andes  von  seltener 
Stärke,  wie  sie  für  einen  solchen  Reiter  allerdings  sehr  nothwendig 
war,  wartete  vor  der  Thüre  meines  Hauses.  Ein  Sclave  hielt  das- 
selbe, während  ein  zweiter  auf  der  rechten  Seite  des  Pferdes  sich 
mit  der  ganzen  Schwere  seines  Körpers  an  den  Sattel  hing,  um  das 
Gegengewicht  gegen  seinen  aufsteigenden  Herrn  zu  bilden,  und  vier 
andere  den  letzteren  emporzuheben  bestrebt  waren.  Sobald  dieser 
im  Sattel  war,  glitt  das  Thier  in  dem  schnellen  Passgange  dort  ge- 
schulter Pferde  dahin,  während  seine  Sclaven  zu  Fuss  im  Trotte 
folgten.  Der  Höchststehende  derselben  hielt  sich  am  nächsten  bei 
seinem  Herrn,  die  rechte  Hand  hinter  dem  Sattel  auf  dem  Rücken 
des  Thieres  haltend;  ein  Zweiter  trug  das  Schwert,  ein  Dritter  den 
Karabiner  des  Herrn,  ein  Anderer  die  übliche  Reitpeitsche  aus 
Hippopotamushaut,  ein  Fünfter  die  Halfter  und  die  beiden  Uebrigen 
trabten  ohne  sichtlichen  Zweck  hinterdrein. 

Während  ich  andere  Personen,  welche  bei  Hofe  zu  thun  hatten, 
ihrem  Range  entsprechend  in  grösserer  oder  geringerer  Entfernung 
von  des  Königs  Wohnung  absitzen  sah,  gestattete  uns  die  hohe  Stel- 
lung meines  Wirthes  und  meine  eigene  Bedeutung,  hart  an  der  Ein- 
gangsthür derselben  vom  Pferde  zu  steigen.  Wir  betraten  den 
Palast  durch  eine,  von  einer  Reihe  viereckiger  Erdsäulen  getragene 
Vorhalle,  in  der  sich  die  Hüter  der  äusseren  Thüre  befanden  und  ein 
halbes  Dutzend  kleiner  Bronce -Kanonen  aufgestellt  war,  deren  be- 
schädigte Laffeten  von  roher  Landcsmanufactur  gerechte  Zweifel  an 


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BESUCH  IM  KÖNIGSPALAST. 


591 


ihrer  Transportfahigkeit  erweckten.  Von  der  Anforderung  der 
Etikette,  in  dieser  Vorhalle  die  Fussbeklcidung  abzulegen,  wich 

ich  insoweit  ab,  als  ich  mich  nur  der  Ueberschuhe  entledigte, 

unter  denen  ich  kleine,  sohlenlose  Schuhe  aus  feinem  gelbem 

Leder  trug,  wie  sie  die  nordischen  Araber  der  Küstenstädte  zu 

tragen  pflegen,  um  nicht  barfuss  oder  auf  Strümpfen  im  Hause 
herumgehen  zu  müssen.  Mein  Begleiter  übergab  hier  Burnus,  Tar- 
büsch  und  Turban  ebenfalls  einem  Diener,  da  die  Sitte  auch  diese 
Kleidungsstücke  den  Unterthanen  in  Gegenwart  des  Herrschers  ver- 
bietet. Wir  überschritten  einen  länglichen  Hof  und  gelangten  durch 
ein  Durchgangs-  und  Warte-Zimmer  in  einen  unbedachten  Raum,  in 
welchem  aus  Siggedi  und  einer  dicken  Lage  ungeflochtenen  Sukko- 
Strohs  eine  gegen  Sonne  und  Regen  in  gleicher  Weise  schützende 
Halle  für  W'artende  errichtet  war. 

Von  hier  aus  wurde  unsere  Ankunft  dem  Könige  gemeldet, 
und  bald  darauf  betraten  wir  durch  einen  anderen  Vorhof,  in  dem 
sich  einige  Eunuchen  und  Sclaven  aufhielten,  das  eigentliche  Raths- 
und Audienz -Gebäude.  Dieses  enthielt  einen  Raum,  der  nicht  von 
aussergewöhnlicher  Grösse  war  und  durch  eine  doppelte  Reihe 
mächtiger,  viereckiger,  sich  nach  oben  etwas  verjüngender  Säulen, 
auf  denen  einheimische  Kunst  einige  lineare  Verzierungen  angebracht 
hatte,  noch  kleiner  erschien.  Ohne  Thür  und  Zwischenwand  ge- 
langten wir  in  einen  Ausbau  dieses  Saales,  von  dem  man  einen  Theil 
des  letzteren  übersehen  konnte , und  der  zu  meinem  Empfange  be- 
stimmt war.  Sein  Fussboden  war  mit  Teppichen  belegt  und  seine 
grauen  Thonwände  mit  bunten  Stoffen  der  verschiedensten  Muster 
ausgeschlagen.  Eine  hübsche,  eiserne  Bettstelle  europäischer  Fabri- 
kation und  ein  roh  gezimmerter  hölzerner  Lehnstuhl  bildeten  mit 
einer  Bank,  welche  durch  eine  Matratze,  .Teppiche  und  Kissen  zu 
einem  Divan  hergerichtet  war,  das  Mobiliar  des  kleinen  Raumes. 

Auf  der  Bank  sass  mit  untergeschlagenen  Beinen  der  Scheich 
Omar  Ibn  el-Hädsch  Mohammed  el-Anun  el-Känemi.  Er  trug  einen 
einfachen  Tuchburnus  über  weisspn  Bornü- Gewändern  und  einen 
kunstvoll  geschlungenen,  weissen  Turban  von  ansehnlicher  Grösse, 
der  jedoch  bei  Weitem  nicht  die  kolossalen  Dimensionen  hatte,  welche 
nach  Denhams  Beschreibung  früher  am  Bornü -Hofe  für  vornehme 
Herren  von  der  Sitte  gefordert  wurden.  Vor  ihm  auf  dem  Divan 
lag  sein  Königsschwert,  neben  ihm  auf  einem  Kissen  ein  mit  Silber 


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592 


III.  BUCH,  5.  KAPITEL.  EMPFANG  IN  KÜKA. 


ausgelegter  Karabiner,  und  am  Boden  vor  ihm  standen  gelbe,  nach 
tunisischer  oder  tripolitanischer  Sitte  gearbeitete  Bantoffeln.  Seine 
Fiisse  waren  mit  weissen  Strümpfen  bekleidet,  und  eine  Tour  des 
Turbans  hatte  er  nach  der  Sitte  seiner  Vorfahren  als  Litätn  über 
Mund  und  Nase  geführt.  Seine  ganze  Erscheinung  war  die  eines 
wohlhabenden  Fezzaner’s,  erinnerte  durch  die  Einfachheit  der  Klei- 
dungsstücke in  Farbe  und  Verzierung  an  seinen  religiösen  Charakter 
und  zeichnete  sich  durch  die  höchste  Sauberkeit  aus.  Er  schien  ein 
Mann  mittlerer  Grösse,  von  runden  Formen  zu  sein,  war  von  durchaus 
schwarzer  Hautfarbe,  vollem  Gesichte  und,  als  er  die  verhüllende 
Turbantour  entfernte,  von  überaus  freundlichem  Ausdruck  seines 
intelligenten  Gesichtes.  Dabei  zeigten  die  einzelnen  Theile  desselben 
Nichts  von  den  Missverhältnissen,  mit  denen  man  sich  die  Neger  vor- 
zustellen liebt,  und  Nase,  Mund  und  Backenknochen  waren,  wenn 
nicht  edel  und  hübsch,  so  doch  ziemlich  regelmässig  geformt  und 
angeordnet.  Sein  hist  faltenloses  Antlitz  gab  ihm  den  Anschein 
eines  starken  Fünfzigers;  doch  sein  spärlicher,  weisser  Bart  und  sein 
fast  zahnloser  Mund  mit  den  schrumpfenden  Kiefern  und  der  undeut- 
lichen Sprache  Hessen  ihn  älter  erscheinen.  Er  stotterte  in  seiner 
freundlichen  Weise  vielmals:  „Willkommen  — Marhabä  — !’’  und 
„Lob  sei  Gott  — Hamd  Lilläh  — 1”,  erkundigte  sich  nach  der  zurück- 
gelegten Reise,  nach  den  Verhältnissen  in  Fezzän,  Tripolis  und  Con- 
stantinopel,  fragte  nach  meinem  Lande  und  Könige  und  erzählte  von 
Heinrich  Barth’s  und  Gerhard  Rohlfs'  Besuchen  in  Bornü  und  seiner 
Freundschaft  für  dieselben. 

Um  meine  Stellung  zu  klären  und  mein  Ansehen  zu  wahren, 
benützte  ich  diese  Gelegenheit,  ihm  zu  schildern,  mit  welcher  Freude 
ich  dem  Aufträge  meines  Herrn  und  Königs  nachgekommen  sei,  zu 
ihm,  dem  mächtigsten  Sudan -Fürsten  zu  reisen,  der  meinen  Lands- 
leuten stets  eine  wahrhaft  königliche  Freundschaft  und  die  edel- 
müthigste  Unterstützung  gewährt  habe,  und  wie  ich  leider  durch  den 
mir  zu  Tlieil  gewordenen  Empfang  arg  enttäuscht  worden  sei.  Ich 
könne  die  am  Vormittage  erfahrene  Vernachlässigung  nicht  auf  meine 
Person  beziehen,  welche  keinerlei  Ansprüche  erhebe,  sondern  müsse 
dieselbe  in  Anbetracht  des  Zweckes  meiner  Sendung  als  einen  Mangel 
an  Aufmerksamkeit  gegen  meinen  König,  den  mächtigen  Herrn  von 
Norddeutschland,  empfinden. 

Der  verlegene  alte  Herr  erwiderte,  dass  durch  ein  Missverständnis^ 


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EMPFANG  BEIM  SCHEfCH  ’OMAR.  593 

mein  Briel  von  Ngigmi  erst  vor  einigen  Stunden  in  seine  Hände 
gelangt  sei,  er  also  Zweck  und  Charakter  meiner  Reise  nicht  ge- 
kannt habe,  dass  er  aber  trotzdem  für  den  begangenen  Fehler  um 
Verzeihung  bitte  und  wohl  versichern  könne,  dass  ihm  Nichts  ferner 
liege,  als  Gäste  und  besonders  Sendboten  meines  Landes  beleidigen 
zu  wollen,  dessen  Söhne  und  Vertreter  er  seit  Jahren  kennen  und 
schätzen  gelernt  habe.  Er  bat  mich,  nach  dieser  Versicherung  das 
Missverständniss  ruhen  zu  lassen,  und  endigte  die  unliebsame  Aus- 
einandersetzung durch  einen  Wink  an  den  Eunuchen  Abd  el-Kerim, 
der  mir  einen  seidegefütterten  Burnus  von  feinem  schwarzen  Tuch 
um  die  Schultern  hing.  Der  Titiwi,  der  während  der  Audienz  ge- 
kommen war,  suchte  das  Werk  der  Beruhigung  zu  vollenden,  indem 
er  mich  darauf  aufmerksam  machte,  dass  ich,  anstatt  mich  beleidigt 
zu  fühlen,  im  Gegentheile  alle  Veranlassung  habe  stolz  darauf  zu 
sein,  dass  ein  so  mächtiger  Fürst,  wie  der  Scheich  Omar,  mich  um 
Verzeihung  gebeten  habe.  Ich  zeigte  mich  nicht  nur  mit  dieser 
Erklärung  zufrieden,  sondern  war  froh,  dass  das  gute  Einvernehmen 
wiederhergestellt  war.  Nachdem  wir  noch  einige  höfliche  Redens- 
arten ausgetauscht  hatten,  zog  ich  mich  zurück,  äusserst  befriedigt 
von  der  gewinnenden  Freundlichkeit,  der  einfachen  Würde  und  dem 
verständnissvollen  Wesen  des  Mannes,  von  dessen  Wohlwollen  meine 
künftigen  Reiseunternehmungen  zum  grossen  Theile  abhängen  mussten. 

Schon  am  Tage  darauf  sollte  die  feierliche  Ueberreichung  der 
Geschenke  König  Wilhelm  s stattfinden.  Ich  hätte  gern  die  officielle 
Uebergabe  derselben  noch  um  einen  Tag  hinausgeschoben,  um  die 
einzelnen  Gegenstände,  welche  ich  seit  meiner  Abreise  von  Tripolis 
ihrer  sorgfältigen  Verpackung  wegen  nicht  mehr  untersucht  hatte, 
einer  genauen  Prüfung  zu  unterziehen.  Doch  die  Neugierde  des 
Scheich  duldete  keinen  Aufschub;  ich  fand  nur  grade  Zeit  genug, 
die  Kisten  zu  öffnen  und  mich  durch  einen  oberflächlichen  Blick 
von  dem  intacten  Zustande  ihres  Inhalts  zu  überzeugen.  Nur  die 
Zündnadelgewehre  nahm  ich  heraus,  um  sie  einzuölen  und  um 
Giuseppe  Valpreda,  der  bei  der  Uebergabe  ihren  Gebrauch  erläutern 
sollte,  in  ihrer  Handhabung  zu  üben.  Das  unförmliche  Gehäuse, 
welches  den  Glanzpunkt  der  ganzen  Sendung,  den  Thronsessel,  barg, 
wagte  ich  überhaupt  nicht  zu  öffnen,  um  seinen  Transport  in  den 
Königspalast  nicht  zu  erschweren,  und  war  also  der  Befürchtung 
nicht  überhoben,  dass  die  Motten,  welche  in  Fczzan  während  meiner 

Nachtigai.  f.  äS 


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594  III.  BUCH,  5.  KAPITEL.  EMPFANG  IN  KÜKA. 

Reise  nach  Tibesti  eine  vollständige  Vernichtung  meiner  wollenen 
Kleidungsstücke  angerichtet  hatten,  dieses  wichtige  Geschenk  ge- 
schädigt haben  möchten.  In  Verlegenheit  setzte  mich  der  Zustand 
des  Harmoniums,  das  wir  in  Tripolis  den  von  Berlin  gekommenen  Ge- 
schenken hinzugefügt  hatten,  und  das  in  Folge  dessen  weniger  gut 
verpackt  gewesen  war.  Dasselbe  hatte  durch  den  langen  Transport 
und  die  trockene  Wüstenluft  so  gelitten,  dass  man  ihm  nur  ganz 
vereinzelte,  heisere  Töne  zu  entlocken  vermochte.  Wenn  ich  auch 
nicht  zu  befürchten  hatte,  dass  die  künstlerischen  Anforderungen 
Scheich  Omars  sehr  hochgehende  sein  würden,  so  zweifelte  ich  doch 
sehr,  ob  Giuseppes  Geschicklichkeit  hinreichen  würde,  das  Instru- 
ment für  die  königlichen  Ohren  auch  nur  leidlich  functionsfahig 
wieder  herzustellen.  Ein  weiteres  Bedenken  bezog  sich  auf  die 
lebensgrossen  Bildnisse  Sr.  Majestät  des  Königs,  Ihrer  Majestät  der 
Königin  und  Sr.  Königl.  Hoheit  des  Kronprinzen,  welche  mit  den 
Anschauungen  des  Islam  einigermassen  in  Widerspruch  standen,  und 
besonders  auf  eine  Stutzuhr,  deren  Hauptzierde,  eine  wenig  bekleidete 
allegorische  Figur,  unzweifelhaft  in  den  Augen  strenggläubiger  Mo- 
hammedaner für  eine  sündhafte  Darstellung  gelten  musste. 

Am  Nachmittage  beluden  wir  einige  Karneele  mit  den  ober- 
flächlich wieder  verschlossenen  Kisten  und  begaben  uns  zur  Ueber- 
reichungs-Audicnz.  Wie  der  Scheich  an  diesem  Tage  dem  officiellen 
Litäm  entsagt  hatte,  so  waren  auch  die  Bodenteppiche  und  stoffenen 
Wanddecorationen,  die  eiserne  Bettstelle  und  der  hölzerne  Lehnstuhl 
verschwunden.  Ich  stellte  Giuseppe,  der  sich  schon  verletzt  gefühlt 
hatte,  dass  er  nicht  mit  zur  ersten  Audienz  genommen  war,  dem 
Könige  als  einen  sehr  geschickten,  in  allen  Handwerken  wohl- 
erfahrenen  Mann  vor,  der  ihm  sicherlich  bei  seiner  Vorliebe  für  die 
Erzeugnisse  europäischer  Kunstfertigkeit  in  der  Folge  von  höchstem 
Werthe  sein  werde,  und  befahl  demselben,  die  Kisten  zu  öffnen. 
Mit  einer  gewissen  Aufregung  folgte  ich  der  Auspackung  des  Thron- 
sessels und  hatte  die  grosse  Freude,  ihn  in  seiner  ganzen  ursprüng- 
lichen Pracht  und  Herrlichkeit  seinem  jahrelangen  Gefängnisse  ent- 
steigen zu  sehen.  Seine  vortreffliche  Polsterung  in  Sitz  und  Lehne, 
der  schöne  Ueberzug  aus  rothem  Sammet,  die  reiche  Vergoldung 
der  kunstvoll  geschwungenen  Füsse  und  Armlehnen  gewannen  die 
vollste  Bewunderung  des  Fürsten.  Demnächst  wurden  die  königlichen 
Bildnisse  herausgenommen,  und  ich  konnte  mit  grosser  Genugthuung 


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l'eberreichung  der  Geschenke  König  Wilhelm  s an  Scheich  'Omar  von  Bornil.  (S.  594.) 


ÜBERREICHUNG  »ER  GESCHENKE  KÖNIG  WILHELM’s.  595 

wahrnehmen,  dass,  trotzdem  meine  Besorgniss  nicht  ungerechtfertigt 
gewesen  war,  in  dem  feinfühlenden  Fürsten  Stolz  und  Rührung  über 
die  religiösen  Bedenken  die  Oberhand  gewannen.  Als  ich  ihm  aus- 
einander setzte,  wie  mein  König  und  Herr,  unserer  hcimathlichen 
Sitte  folgend,  auf  diese  Weise  die  in  Folge  der  grossen  Entfernung 
unmögliche  persönliche  Bekanntschaft  habe  ersetzen  wollen,  half  er 
mir  in  liebenswürdigster  Weise  über  meine  Sorge  vor  allzu  strenger 
Auffassung  hinweg,  indem  er  sagte:  ich  selbst  wisse  wohl,  dass  der 
Islam  nur  diejenige  Nachbildung  menschlicher  Formen  verurtheile, 
welche  einen  Schatten  zu  werfen  im  Stande,  also  als  Statuen  oder 
Reliefbildungen  dargcstellt  seien,  dass  aber  das  auf  flachem  Papier 
oder  ebener  Leinwand  erzeugte  Gemälde  nicht  in  den  Bereich  der 
Sünde  gehöre.  Damit  war  freilich  der  allegorischen  Figur  der  Stutz- 
uhr das  Urtheil  gesprochen. 

Nächst  dem  Thron  erregten  die  Zündnadelgewehre  die  grösste 
Freude  und  Bewunderung  des  hohen  Herrn.  Unzählige  Male  mussten 
wir  ihm  die  Handgriffe  zur  Oeffnung  und  Schliessung  der  Kammer,  die 
Zündnadel  selbst  und  die  Patronen  zeigen  und  erklären.  Obgleich  der 
Königspalast  eine  verhältnissmässig  reiche  Sammlung  der  verschie- 
densten Gewehrsysteme  enthielt,  so  gab  es  doch  noch  kein  preussisches 
Zündnadelgewehr  in  derselben.  — Das  Harmonium  hatte,  wie  schon 
erwähnt,  seine  Funktionen  gänzlich  eingestellt,  weniger  zu  meinem 
Bedauern,  der  ich  ihm  bei  meiner  geringen  musikalischen  Begabung 
doch  keine  Harmonien  hätte  entlocken  können,  als  zu  dem  des 
braven  Scheich,  der  natürlich  voraussetzte,  dass  Jeder  die  in  seinem 
Vaterlande  gebräuchlichen  musikalischen  Instrumente  zu  spielen  ver 
stehe.  Ich  vertröstete  ihn  auf  die  Kunstfertigkeit  Giuseppes  und 
nahm  cs  wieder  mit  in  meine  Wohnung. 

Von  den  wollenen,  seidenen  und  sammetnen  Stoffen,  den  Shawls, 
Mützen  und  Burnussen,  den  Uhren,  Fernrohren  und  anderen  Dingen, 
welche  der  Bornü- Herrscher  auch  sonst  durch  die  nordischen  Kauf- 
leute häufig  genug  empfängt,  nahm  derselbe  nur  noch  ein  stark 
versilbertes  Theeservicc,  eine  goldene  Taschenuhr  mit  Kette  und 
ein  Fernrohr  in  speciellen  Augenschein,  sprach  mir  seinen  Dank  aus 
für  die  grosse  Menge  Rosenessenz,  die  ihm,  wenn  auch  nicht  zu  per- 
sönlichem Gebrauche,  so  doch  für  die  Frauen  und  Töchter  seines 
ausgedehnten  Haushaltes  von  wirklichem  Werthc  sein  musste,  und 
erfreute  sich  dann  ausschliesslich  des  kunstvoll  geschriebenen  könig- 

38* 


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III.  BUCH,  5.  KAPITEL.  EMPFANG  IN  KOKA. 


596 

liehen  Begleitschreibens,  das  ich  ihm  mit  der  beigefügten  arabischen 
Uebersetzung  in  zierlicher  Kapsel  überreichte.  Wohl  ein  halbes 
Dutzend  Male  musste  ich  dasselbe  in  deutscher  Sprache  vorlesen, 
wobei  ich  durch  kraftvolle  Betonung  und  declamatorischen  Vortrag 
zu  ersetzen  suchte,  was  dem  Hörer  an  Verständniss  abging,  und  als 
ich  den  Inhalt  dann  übersetzte,  soweit  meine  Kenntniss  des  Arabischen 
es  gestattete,  während  er  die  schriftliche  Uebertragung  mitlas,  war 
der  liebenswürdige  Negerfürst  sichtlich  bewegt.  Die  dankbare  Er- 
wähnung der  materiellen  Unterstützungen,  welche  er  Moritz  von  Beur- 
mann  und  Gerhard  Rohlfs  hatte  angedeihen  lassen,  erfüllte  ihn  mit 
Rührung  und  Beschämung  und  bestärkte  ihn  in  seiner  wohlwollenden 
Beurtheilung  des  Charakters  der  Europäer.  Es  war  ihm  in  gleicher 
Weise  erstaunlich,  sowohl  dass  diese  Herren  voll  Dankbarkeit  seine 
Grossmuth  und  Biederkeit  in  Schrift  und  Wort  in  ihrer  Heimath  ge- 
rühmt hatten,  als  dass  ein  mächtiger  europäischer  König  in  so  an- 
erkennender Weise  seine  ihm  so  natürlich  erscheinenden  Handlungen 
als  Edelmuth  pries. 

Als  ich  endlich  noch  erwähnt  hatte,  dass  zwar  ein  Gegenstand, 
den  ihm  auf  seinen  besonderen  Wunsch  Mustafa  Bei  (G.  Rohlfs)  in 
Aussicht  gestellt  habe,  nämlich  ein  Wagen,  unter  den  Geschenken 
fehle,  dass  aber  auf  die  Sendung  desselben  nur  verzichtet  worden 
sei,  weil  mein  König  nicht  gewusst  habe,  ob  Jemand  die  Expedition 
begleiten  werde,  der  fähig  wäre,  die  Bestandtheile  eines  solchen  zu- 
sammen zu  fugen,  und  dass  diese  Versäumniss  bei  der  nächsten  Gelegen- 
heit hoffentlich  gut  gemacht  werden  könne:  da  war  seine  Befriedigung 
und  seine  Freude  eine  vollkommene.  Er  wisse  sehr  wohl,  erwiderte 
er,  dass  nur  ein  solcher  Grund  Ursache  der  Unterlassung  gewesen  sein 
könne,  denn  es  sei  weltbekannt,  wie  fest  wir  Christen  an  dem  ge- 
gebenen Versprechen  hielten.  In  der  That  ist  der  Ruf  der  Europäer 
in  dieser  Beziehung  nicht  allein  im  weiteren  Innern,  sondern  sogar 
auf  der  Küste  und  selbst  bei  Fanatikern  und  Christenhassern  ein  so 
ausgezeichneter,  dass  Jeder,  der  Jahre  lang  auf  der  Nordküste  ge- 
wohnt hat  und  also  weiss,  dass  vielfach  nicht  grade  die  Elite  der 
europäischen  Bevölkerung  jene  Länder  zum  Schauplatze  ihrer  Thätig- 
keit  wählt,  sich  des  höchsten  Staunens  nicht  erwehren  kann.  Auch 
in  Bornii  erzählte  man  sich  mit  Verwunderung,  dass  wir  merkwürdiger 
Weise  niemals  die  Unwahrheit  sagten  und  sclavisch  an  unseren  Ver- 
sprechungen festhielten. 


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ZUFRIEDENHEIT  DES  SCHEICH.  — BESUCH  BEIM  DIGMA.  597 

Sobald  ich  die  Königswohnung  — Beit  esch-  Scheich  arab.  und 
Fäto  Maibe  kan.  verlassen  hatte,  durchdrang  das  Gerücht  vom 
Reichthume  der  Christengeschenke  die  Stadt,  und  dies  hob  zwar 
einerseits  mein  Ansehen,  weckte  aber  andererseits  Hoffnungen  bei 
den  Würdenträgern,  welche  zu  befriedigen  ich  durchaus  nicht  in  der 
Lage  war.  Ich  erkannte  erst  später,  dass  es  gerathen  gewesen  wäre, 
die  für  den  Herrscher  bestimmten  Geschenke  zum  Besten  seiner 
obersten  Rathgeber  etwas  zu  vermindern,  da  diese  nicht  allein  gewohnt 
sind,  bei  den  Geschenken  benachbarter  oder  befreundeter  Könige  mit 
berücksichtigt  zu  werden,  sondern  speciell  in  Bornü  bei  der  Gut- 
müthigkeit  und  Schwäche  ihres  Herrn  die  wichtigste  Rolle  spielen. 

Nach  der  Erledigung  meines  officiellcn  Zweckes  machte  ich 
meine  Besuche  bei  denjenigen  Würdenträgern,  für  die  ich  Empfehlungs- 
briefe hatte,  und  welche  mir  als  die  bedeutendsten  Männer  des  Staates 
bezeichnet  worden  waren.  Vor  Allem  hatte  Gerhard  Rohlfs  meine 
Aufmerksamkeit  auf  jenen  l’ulo  oder  Fclläti  Ibrahim  gelenkt,  welcher 
schon  zur  Zeit  Barths,  also  vor  zwanzig  Jahren,  das  Amt  eines  so- 
genannten Digma  oder  Dugma  inne  hatte,  und  zu  den  Zeiten  beider 
Reisenden  in  hoher  Gunst  beim  Herrscher  und  in  grossem  öffent- 
lichen Ansehen  stand.  Wenn  ich  gewusst  hätte,  wie  sehr  sein  Stern 
erbleicht  war,  so  hätte  ich  ihm,  trotz  der  Dankbarkeit,  welche  wir 
ihm  für  sein  grades  und  wohlwollendes  Benehmen  unseren  Lands- 
leuten gegenüber  schuldig  sind,  aus  politischer  Rücksicht  nicht  die 
Aufmerksamkeit  erweisen  dürfen,  welche  ich  ihm  zu  Theil  werden 
liess.  Denn  er  war  in  der  That  einer  der  Letzten  in  der  Hof- 
hierarchie geworden,  und  cs  musste  natürlich  den  Ucbrigen,  welche 
ihn  in  der  Gunst  des  Scheich  überflügelt  hatten  und  wahrscheinlich 
die  Schuld  an  seinem  Sturze  trugen,  auffallen,  dass  ich  ihm  vor  Allen 
zuerst  meinen  Besuch  machte.  Er  führte  noch  immer  den  Titel  des 
Digma,  wenigstens  im  Munde  des  Volkes,  wohnte  in  der  Oststadt 
und  war  ein  freundlicher,  sehr  mangelhaft  arabisch  sprechender  Herr 
von  gelbgrauer  Hautfarbe,  mit  grauem  Barte  und  jenem  regelmässigen 
Gesichte,  klugen  Ausdruck  und  lebhaften  Blick,  welche  die  merk- 
würdige Nation  der  Felläta  oder  Fulbe  auszeichnen.  Er  machte  den 
Eindruck  eines  braven  Mannes,  erinnerte  sich  mit  grossem  Vergnügen 
seiner  Freunde  Abd  cl-Kcrlm  und  Mustafa  Bei,  und  hatte  sich  aus 
der  langen  Zeit  seiner  öffentlichen  Macht  eine  Würde  bewahrt,  welche 


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598  III.  BUCH,  5.  KAPITEL.  EMPFANG  IN  KÜKA. 

im  Verein  mit  seinem  semitischen  Aussehen  wenig  zu  seinem  Sclaven 
stände  passen  wollte. 

Von  ihm  begab  ich  mich  zum  berühmten  Lamino  (el-Amin),  der 
nach  dem  Urtheile  Aller  bei  weitem  der  mächtigste  unter  allen 
Würdenträgern  und  selbst  mehr  ein  Beschützer  als  ein  Anhänger  des 
Kronprinzen  Aba  Bü  Bekr  war.  Während  der  kurzen  Zeit,  welche 
ich  in  der  Hauptstadt  verweilt  hatte,  war  mir  so  viel  Gutes  und 
Merkwürdiges  über  diesen  Mann  berichtet  worden,  dass  ich  höchst 
neugierig  war,  seine  Bekanntschaft  zu  machen,  besonders  wenn  ich 
die  Verschiedenheit  der  Urtheile  in  Betracht  zog,  welche  Barth  und 
Rohlfs  über  ihn  gefällt  haben. 

Schon  vor  seiner  weitläufigen  Behausung,  die  an  einem  ge- 
räumigen Platze  in  der  Oststadt  lag,  konnte  ich  aus  der  Menge  reich- 
geschirrter Pferde,  die  vor  der  Thür  auf  ihre  Herren  warteten,  aus 
den  vielen  den  Zugang  bewachenden  Sclaven,  aus  der  Zahl  der  be- 
scheideneren Beamten  und  Clienten,  und  aus  der  grossen  Schaar 
von  Bettlern,  welche  die  Thür  belagerten,  auf  seine  Macht  und  Be- 
deutung schliessen.  Der  Platz  vor  dem  Hause  war  nicht  grade  sauber 
gehalten,  sondern  wurde  durch  grosse  Abfallgruben  verunziert, 
deren  kothige  Umgebung  zu  meiner  Ueberraschung  von  verschiedenen 
halbgezähmten  Schweinen  durchwühlt  wurde,  ln  der  Eingangshalle 
zog  zuerst  ein  grosses  Ichneumon  Durban  arab.  und  Schäschi 
kan.  — , welches  dort  nach  Art  eines  Hundes  angekettet  war  und 
meine  Küsse  beschnupperte,  meine  Aufmerksamkeit  auf  sich;  weiter 
glotzte  mich  eine  junge,  ungefesselte  Hyäne  mit  ihren  heimtückischen 
Augen  an,  und  rings  herum  lagerten  Sclaven  und  in  Ketten  ge- 
fesselte Uebelthäter.  Im  darauf  folgenden  ersten  Hofe  lag  an  einer 
Kette  jener  prächtige  afrikanische  Steppenluchs  (F.  Caracal),  welcher 
gelbgrau  oder  isabellenfarbig  mit  weisser  Karbe  des  Unterleibes, 
wegen  seiner  langen,  auf  der  Spitze  der  aufrechten  dunklen  Ohren 
emporstehenden  Haarpinsel  von  den  Bornü-Leuten  Sumoli  (von  Sumo, 
das  Ohr)  und  von  den  Schöa  Abu  Risch  (d.  h,  eigentlich  Vater  oder 
Inhaber  der  Kedern)  genannt  wird. 

Hier  waren  Sclaven  beschäftigt,  einige  dreissig  Kameele,  welche 
von  den  Landgütern  des  Herrn  Getreide  zur  Stadt  gebracht  hatten, 
zu  entlasten,  und  dort  lagen  einige  riesige  Büffelköpfe,  Jagdtrophäen 
von  den  Ufern  des  Tsäde.  Eine  Durchgangshalle,  die  von  Bitt- 
stellern, Sclaven  und  besonders  eingeborenen  Arabern  wimmelte  — 


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HAUS  UND  UMGEBUNG  LAMlNO’s.  599 

denn  Lamino  warVerwaltungschef  der  meisten  Schoa-Stämme  — , führte 
in  einen  andern  Ilof,  auf  den  die  Thür  des  Audienzzimmers  ging. 
Hier  sassen  Araberchefs  und  die  besser  gekleideten,  höher  stehenden 
Sclaven,  welche  mir  als  Kriegshauptleute  des  Hausherrn  bezeichnet 
wurden,  in  Gruppen  am  Boden.  Der  Lamino  unterhielt  eine  regel- 
mässige Reitermacht  von  etwa  1000  Mann,  unter  denen  wenigstens 
300  Panzerreiter  waren,  und  eine  Leibgarde  von  40  bis  50  Reitern, 
welche  stets  in  seiner  unmittelbaren  Nähe  waren  und  seine  Wohnung 
nur  mit  ihm  verliessen,  wenn  er  etwa  den  Scheich  nach  auswärts  be- 
gleitete oder  sich  nach  Magommeri,  der  Hauptstadt  seiner  Verwaltungs- 
bezirke und  seiner  Residenz  ausserhalb  Küka's,  begab. 

Durch  seinen  Obereunuchen  Mesa’ud  — der  mächtige  Mann  ge- 
stattete sich  den  für  Bornü-Unterthanen  ungewöhnlichen  Luxus  von 
Verschnittenen  — , welcher  sich  einer  bei  diesen  Unglücklichen  so 
häufigen  grossen  Fettleibigkeit  erfreute,  wurde  ich  angemeldet  und 
eingefuhrt.  Nachdem  wir  uns  durch  die  wartende  Menge  gedrängt 
hatten,  betraten  wir  das  weite,  offene  Audienzzimmer,  in  dem  der 
Hausherr  vom  Morgen  bis  zum  Abend  seine  Untergebenen,  Besucher 
und  Bittsteller  empfing.  Er  allein  von  den  Kökenäwa  hatte  die  Be- 
rechtigung, nicht  zur  täglichen  Rathsversammlung  im  Palaste  des 
Scheich  zu  erscheinen,  sondern  begab  sich,  wenn  er  Etwas  mit  dem 
letzteren  zu  berathen  hatte,  in  stiller  Nachmittagsstunde  zu  ihm, 
wurde  dann  durch  keinen  der  Höflinge  gestört  und  war  sicher,  alle 
etwa  am  Morgen  gefassten  Beschlüsse,  falls  sie  ihm  nicht  genehm 
waren,  wieder  umzustossen. 

Dort  sass  der  einflussreiche  Mann,  kahlköpfig,  dickleibig  und 
etwas  schmutzig,  von  seinen  Vertrauten  umgeben,  auf  einem  Antilopen- 
felle, liess  mir  ebenfalls  ein  solches  hinbreiten  und  empfing  mich  mit 
dem  freundlichsten  Lächeln.  Er  hatte  eine  röthlich-graue  Hautfarbe, 
trug  seinen  mächtigen  Kopf  auf  einem  wahren  Büffelnackcn,  erfreute 
sich  eines  in  jener  Gegend  ungewöhnlich  vollen,  weissen  Bartes  und 
hatte  Gliedmassen,  welche  an  die  Dickhäuter  seines  Vaterlandes  er- 
innerten. Diese  physischen  Eigentümlichkeiten  traten  um  so  mehr 
hervor,  als  er  in  der  Nachmittagskühle  mit  entblösstem  Oberkörper, 
dessen  Muskulatur  und  Fettbedeckung  mit  der  breiten,  weissbehaarten 
Brust  einen  bemerkenswerten  Anblick  boten,  dasass,  wie  er  es  liebte, 
wenn  er  hauptsächlich  Vertraute  empfing. 

Grosse  Körbe  mit  Ketten  standen  in  seiner  nächsten  Umgebung, 


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600  III.  BUCH,  5.  KAPITEL.  EMPFANG  IN  KÜKA. 

da  er  eine  Art  Polizeiminister  war,  wie  schon  zur  Zeit  Barths,  der 
ihn  in  der  Thätigkeit  eines  solchen  sehr  hart  beurtheilt.  Diesem 
Reisenden  zufolge  war  Lamino  der  gewalttätigste,  grausamste,  herz- 
loseste Schurke,  der  nicht  aus  überlegter,  gerechter  Strenge,  sondern 
einfach  aus  innerem  Gefallen  an  Grausamkeiten  aller  Art  eine  Herr- 
schaft des  Schreckens  über  seine  Untergebenen  und  über  Alle,  die 
in  seinen  Machtbereich  kamen,  ausübte.  Freilich  war  er  in  seiner 
Jugend  ein  gewaltthätiger,  gesetzloser  Mann  gewesen,  denn  es  war 
männiglich  bekannt,  dass  er  sich  nach  Art  mittelalterlicher  Ritter 
mit  Strassenrnub  beschäftigt  hatte,  ehe  der  intelligente  Hadsch  Beschir, 
der  zu  Barth  s Zeit  allmächtig  beim  Scheich  'Omar  war,  seine  Fähig- 
keiten erkannte  und  ihn  in  die  Dienste  des  Königs  zog.  Jetzt  aber 
war  in  der  Hauptstadt  Alles  Bewunderung  für  diesen  so  reichen,  so 
mächtigen,  so  freigebigen  und  so  gutmiithigen  Mann;  er  war  sicher  die 
populärste  Persönlichkeit  in  Pornü.  Wenn  er  gegen  die  Criminalver- 
brecher  der  Hauptstadt,  über  welche  er  mit  unbeschränkter  Machtvoll- 
kommenheit abzuurtheilen  hatte  — nur  die  Verhängung  der  Todesstrafe 
zu  Kiika  war  alleiniges  Vorrecht  des  Scheich  — , eine  oft  grausame 
Strenge  entfaltete,  so  muss  man  bedenken,  dass  die  Schwäche  des 
Staatsoberhauptes  und  der  ungerechte,  bestechliche  Sinn  der  Prinzen 
und  Würdenträger  die  Zahl  der  Uebelthäter  zu  einer  bedenklich  grossen 
machten,  und  dass  in  Folge  dessen  grosse  Strenge,  vorausgesetzt, 
dass  sie  mit  Gerechtigkeit  gepaart  war,  zur  Aufrechterhaltung  der 
öffentlichen  Ordnung  und  Sicherheit  ein  tief  gefühltes  Bedürfniss  war. 
Wenn  er  oft  allzu  schnell  mit  dem  Urtheil  bei  der  Hand  war,  so  darf 
man  nicht  vergessen,  dass  ihn  die  Erfahrungen  der  eigenen  Vergangen- 
heit und  seine  grosse  Kenntniss  der  Personen  und  Zustände  mehr  als 
irgend  einen  Andern  befähigten,  ohne  strenge  Beweise,  nach  moralischer 
Ueberzeugung  zu  urtheilen,  und  dass  endlich  seine  Art  zu  entscheiden 
dem  Charakter  des  halbcivilisirten  Landes  und  der  oberflächlichen 
Einwohner  durchaus  entsprach.  So  wie  er  war,  war  er  gefürchtet 
von  den  Uebclthätem,  gehasst  von  den  Hof-Intriguanten,  geachtet 
von  den  Leuten,  welche  nicht  in  die  Oeffentlichkeit  traten,  geschätzt 
vom  Könige,  verehrt  von  den  Schoa,  vergöttert  von  seinen  Sclaven 
und  gesegnet  von  den  Armen. 

Seine  Lieblingsbeschäftigung  war  offenbar  nicht  das  Aburtheilen 
der  Verbrecher,  sondern  die  sorgfältige  Ueberwachung  seiner  Küche. 
Unaufhörlich  wurden  ihm  Speisen  zur  Besichtigung  und  Prüfung  zu- 


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LAMlNO. 


601 


getragen  und  blieben  entweder  zu  seinem  eigenen  Gebrauche  oder 
kamen  in  Stadt  und  Haushalt  zur  Vertheilung.  Seine  culinarische 
Thätigkcit  nahm  einen  guten  Theil  des  Tages  in  Anspruch.  Er 
kostete  jedes  Gericht,  das  gebracht  wurde,  und  hatte  die  verschie- 
densten Zuthaten  in  seinem  Handbereich,  mit  denen  .er  eigenhändig 
den  Lieblingsschüsseln  die  letzte  Würze  gab.  Er  erging  sich  gern 
in  belehrender  Beschreibung  aus  den  einzelnen  Gebieten  seiner  Koch- 
kunst, erläuterte  mit  Sachkenntniss  die  Ingredienzien  der  mannich- 
faltigen  Mehlbreisaucen  und  ihre  Mischungsverhältnisse  und  rühmte 
sich,  die  geschicktesten  Sclavinnen  in  dieser  Beziehung  aus  allen 
Landern  zwischen  Nil  und  Niger  zu  besitzen.  Mächtige  Körbe,  mit 
Hühnereiern  gefüllt,  standen  im  Hintergründe  des  Zimmers  und  rings 
herum  eine  Sammlung  von  Eiern  der  verschiedenartigsten  Wasser- 
vögel von  den  Ufern  des  Tsäde.  Hier  waren  Krüge  voll  Butter, 
welche  augenblicklich  im  Gebrauche  waren,  dort  Schüsseln  mit  Milch 
in  allen  Stadien  und  Arten,  süss,  gesäuert,  eingedickt;  Honig  und 
Zucker  befanden  sich  stets  in  seiner  Nähe;  Büffelfleisch,  gebratene 
Hühner  und  Süssigkeiten  wurden  von  Zeit  zu  Zeit  aufgetragen,  und 
er  verfehlte  bei  der  Anpreisung  der  Gerichte  nicht,  als  Wirth  mit 
gutem  Beispiele  voranzugehen.  Als  ich  mich  bald  weigern  musste, 
meinen  Magen  mehr  mit  diesen  ungewöhnlichen  Gerichten  zu  be- 
lasten — der  Nordländer  kann  in  dieser  Hinsicht  nicht  vorsichtig 
genug  sein  — , bereitete  er  mir  sofort  mit  kundiger  Hand  ein  stark 
gewürztes  Getränk  aus  Reismehl,  Honig  und  Milch,  welches  seinem 
Geschmacke  alle  Ehre  machte.  Wenn  dieser  Epikuräer  auch  nie- 
mals ein  alkoholisches  Getränk  angerührt  haben  würde,  so  theilte 
er  wenigstens  nicht  die  hippokratische  Vorliebe  für  gewöhnliches 
Wasser. 

Inmitten  dieser  heterogenen  Thätigkeit  vergass  er  keineswegs 
seine  Geschäfte,  sondern,  indem  er  eifrig  seine  Speisen  umrührte  und 
würzte,  ertheilte  er  gleichzeitig  Audienzen,  fertigte  Bittsteller  ab, 
hörte  Verklagte  an,  nahm  Berichte  entgegen  und  gab  Verhaltungs- 
befehle. Dazwischen  erzählte  er  mir  mit  grosser  Lebhaftigkeit  von 
der  Zeit,  in  der  Barth  das  Land  besuchte,  gedachte  in  treuer  An- 
hänglichkeit seines  Herrn  und  Freundes,  des  Hadsch  Beschir,  und 
bewahrte  besonders  Gerhard  Rohlfs  die  freundlichste  Erinnerung. 
Er  versprach  mir  seinen  vollen  Schutz,  ging  gleich  auf  meinen  Plan, 
die  Inseln  des  Tsade  zu  besuchen,  ein  und  fand  ihn  mit  Hülfe  eines 


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602 


III.  BUCH,  5-  KAPITEL.  EMPFANG  IN  KCKA. 


der  Budduma-Häuptlinge,  des  Kaschella  Kimme,  recht  wohl  ausführbar. 
Nur  bedauerte  er,  dass  ich  zu  einer  Zeit  ins  Land  gekommen  sei, 
in  welcher  das  allgemeine  Viehsterben  eine  erhebliche  Beeinträch- 
tigung des  öffentlichen  Wohlstandes  zur  Folge  gehabt  habe.  Welche 
Verheerungen  die  Lungenseuche,  die  vor  einigen  Jahren  aus  Westen 
gekommen  war,  unter  dem  Rindvieh  angerichtet  hatte,  bewies  er 
mir  durch  seine  eigenen  Verluste;  von  32,000  Stück,  auf  welche 
er  vorher  seinen  Bestand  geschätzt  hatte,  behauptete  er  kaum  noch 
den  fünfzigsten  Theil  zu  besitzen.  Seit  Kurzem  sei  aber  auch  unter 
den  l’ferden  eine  verheerende  Krankheit  ausgebrochen,  welche  ihm 
kurz  vor  meiner  Ankunft  binnen  drei  Tagen  vier  der  für  seine  Person 
ausgewählten  Reitpferde  in  der  Stadt  und  eine  grosse  Anzahl  auf 
dem  Lande  fortgerafft  habe. 

Ich  empfing  einen  sehr  bedeutenden  Eindruck  von  diesem  Manne, 
der  nach  dem  Urtheile  Aller,  die  ich  über  ihn  hatte  sprechen  hören, 
in  so  weit  den  Herrscher  selbst  an  Macht  ubertraf,  als  er  der  Einzige 
war,  der  denselben  aus  seinen  häufigen  Verlegenheiten  und  seinen  in 
gutmüthiger  Schwäche  eingegangenen  Verbindlichkeiten  retten  konnte, 
und  gegen  dessen  Rath  und  Meinung  jener  Nichts  zu  tliun  wagte. 
Fehlte  dem  Scheich  Etwas,  so  war  Laniino  der  Mann,  es  zu 
schaffen;  setzte  jenen  eine  verwickelte  politische  Schwierigkeit  be- 
treffs seiner  Vasallen  oder  Nachbarkönige  in  Verlegenheit:  dieser 
nahm  sie  auf  seine  Schultern  und  wusste  sie  stets  mit  Klugheit  und 
Entschiedenheit  zu  entwirren.  Lamino  war  eine  der  wenigen  Per- 
sonen in  Küka,  denen  die  arabischen  Kaufleute  ohne  besondere  Vor- 
sichtsmassregeln  ihre  Waaren  verkauften,  denn  er  zahlte  baar  in 
Silber  oder  Sclaven,  was  er  bedurfte,  während  sich  sonst  die  höch- 
sten Beamten  nicht  schämten,  Handel  und  Wandel  durch  ihre  Wort- 
brüchigkeit langsam  zu  vernichten.  Von  den  niedrigen  Ränken, 
welche  das  Hofleben  in  Küka  charakterisirten , und  von  denen  ich 
während  der  kurzen  Zeit,  seitdem  ich  die  Grenzen  des  Landes  über- 
schritten hatte,  beständig  hörte,  hielt  er  sich  offenbar  fern,  und  wenn 
alle  Andern  sich  gegenseitig  verläumdeten  und  herabsetzten,  so 
urtheiitc  er  zwar  über  Manche  ebenfalls  sehr  hart,  aber  Niemand 
wagte  seine  Reputation  zu  verunglimpfen. 

Höchst  befriedigt  von  meiner  Bekanntschaft  mit  diesem  Manne, 
der  mir  für  meine  künftigen  Reiseunternehmungen  wichtiger  erscheinen 
musste,  als  der  Scheich  selbst,  suchte  ich  denjenigen  auf,  an  den 


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MO’ALLIM  MOHAMMED. 


603 

mich  der  Hadsch  Brähim  Ben  Alüa  besonders  empfohlen  hatte,  den 
Staats-  und  Geheimsecretair  des  Königs,  Moallim  Mohammed  Ben 
Jüsef  el-Komämi,  der  gewöhnlich  kurz  Moallim  Mohammed  genannt 
wurde  und  mir  ebenfalls  aus  Barths  Erzählungen  bekannt  war.  Dieser 
Herr  war  hauptsächlich  Ausleger  des  religiösen  Gesetzes  — Sehern  — 
und  oberster  Richter,  welchem  Amte  er  nach  dem  Urtheile  Aller 
mit  Rechtschaffenheit  und  Gewissenhaftigkeit  Vorstand.  Er  genoss 
weit  und  breit  des  Rufes  hoher  Gelehrsamkeit  und  besass  eine 
Bibliothek,  deren  Reichhaltigkeit  von  Chartüm  bis  Timbuktu  ihres 
Gleichen  nicht  hatte.  Seine  Unterweisungen  in  der  theologischen 
Jurisprudenz  und  der  Grammatik  führte  Lernbegierige  aller  Sudan- 
Lander  nach  Küka,  von  denen  freilich  nur  Wenige  in  ihren  Studien 
vorgeschritten  genug  waren,  um  seinen  Vorlesungen  folgen  zu  können. 
Man  schrieb  ihm  einen  weitgehenden  Ehrgeiz  zu,  der  ihn  bei  den 
übrigen  Hof-  und  Staatsbeamten  wenig  beliebt  machte. 

Der  Mo’allim  Mohammed  stammte  aus  dem  in  seiner  Reinheit 
zweifelhaften  Känembu -Stamme  der  KadschTti,  war  gleichfalls  nicht 
so  dunkelfarbig,  als  Scheich  Omar,  und  seine  Erscheinung  entsprach 
ganz  der  Vorstellung,  welche  ich  mir  nach  den  Erzählungen  Be- 
kannter von  ihm  gemacht  hatte.  Er  war  eine  hagere  Persönlichkeit 
mit  ernstem,  gefurchtem,  wenig  ansprechendem  Gesichte  und  hatte 
ein  zurückhaltendes,  pedantisches  Wesen.  Er  war  sauber  und  einfach 
gekleidet,  wie  es  einem  Manne  der  Religion  zusteht,  trug  einen 
rothen  Tarbüsch  und  sprach  von  der  Türkei,  den  europäischen 
Lindern,  ihrer  Macht,  Industrie  und  Bildung,  mit  einer  für  seine 
Verhältnisse  grossen  Sachkenntnis,  mit  welcher  er  seiner  Umgebung 
gegenüber  bescheiden  zu  prahlen  schien.  Da  er  bei  diesem  ersten 
Besuche  nicht  sehr  mitthcilsam  erschien,  so  entfernte  ich  .mich  bald, 
um  meinem  Hauswirthe  die  formelle  Aufwartung  zu  machen. 

Ahmed  Ben  Brähim  el-Wadäwi,  dessen  physische  Erscheinung 
zu  beschreiben  ich  schon  Gelegenheit  hatte,  stand  in  so  hoher  Gunst 
beim  Scheich,  dass  sein  Einfluss  demjenigen  Lamino’s  und  des  Kron- 
prinzen bisweilen  mit  Erfolg  Concurrenz  zu  machen  vermochte.  Seine 
ursprüngliche  Bedeutung  entsprang  den  grossen  Diensten,  welche 
sein  Vater,  der  aus  Wadäi  gekommen  war  und  deshalb  Brähim  el- 
Wadäwi  hiess,  dem  Scheich  Mohammed  el-Amin  bei  seinen  .staats- 
umwälzenden Unternehmungen  geleistet  hatte.  Derselbe  war  der 
treueste  und  taplerstc  Freund  des  „grossen  Scheich"  gewesen  und 


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604  III.  BUCH,  5.  KAPITEL.  EMPFANG  IN  KÜKA. 

hatte  im  ganzen  Lande  das  beste  Andenken  als  Bü  Hawa  (d.  h.  Vater 
Eva's)  zurückgelassen.  Aber  so  kriegerisch,  sittencinfach  und  treu 
der  Vater  gewesen  war,  so  verweichlicht,  eigennützig  und  unzuver- 
lässig war  der  Sohn,  der  sich  durch  die  oberste  Frau  des  Scheich 

— dieselbe  führt  den  Titel  Gumso  — in  das  Vertrauen  und  die 
Gunst  des  Herrschers  geschlichen  hatte  und  seine  Stellung  durch 
listige  Schmeichelei  und  ränkevolle  Verläumdung  zu  behaupten 
wusste. 

Ich  fand  den  gefürchteten,  aber  wenig  geachteten  Mann  im  Hofe 
seines  Hauses  die  Abendkühle  geniessen.  Er  lag  auf  Teppichen  und 
Kissen,  den  fetten  Körper  mit  feinen  Gewändern  beladen,  und  war 
von  Sclavinnen  umgeben,  deren  einige  seine  unförmlichen  Beine 
kneteten,  während  andere  ihm  mit  Fächern  Kühlung  zuwehten  und 
alle  durch  lascive  Gespräche  seinem  Gcschmacke  huldigten.  Die 
Unterhaltung  wurde  durch  meine  Erscheinung  noch  besonders  pikant, 
da  meine  Ehelosigkeit  der  heiteren  Gesellschaft  manchen  Stoff  zu 
Neckereien  und  schwer  zu  beantwortenden  Fragen  bot.  Da  bald 
darauf  Schüssel  auf  Schüssel  neben  sein  Lager  gesetzt  wurde,  ent- 
sprach ich  seinem  sichtlichen  Wunsche,  die  Abendmahlzeit  allein  zu 
geniessen  — denn  er  machte  keine  Miene,  mich,  wie  es  der  Anstand 
auch  in  Bornü  erfordert,  zur  Theilnahmc  an  derselben  aufzufordern  — , 
und  beschloss  meine  officiellen  Visiten  mit  einem  Besuche  bei  dem 
Titiwi,  der  ebenfalls  die  Weststadt  bewohnte. 

Vor  dem  Hause  des  „Consuls  der  Araber  ',  wie  ihn  Schmeichler 
wohl  nannten,  verbreiterte  sich  die  Strasse  zu  einem  kleinen  Platze, 
auf  dem  durch  eine  niedrige  Lehmmauer  ein  reinlicher  Betplatz  — 
Musallä  — abgctheilt  war.  Mehr  als  zwanzig  Personen  verrichteten 
grade  mit  Bü  Äischa,  der  als  Vorbeter  — Imam  — fungirte,  ihr 
Abendgebet,  und  nach  Vollendung  desselben  machten  sich  Alle  an 
die  Abendmahlzeit,  welche  in  einer  mindestens  für  dreissig  Personen 
hinreichenden  Schüsselzahl  bereits  aufgetragen  war.  Ich  glaubte 
anfangs,  dass  es  sich  um  ein  besonderes  Festmahl  — 'Azüma  arab. 

— handle,  wurde  jedoch  bald  belehrt,  dass  der  kluge  Titiwi  tag- 
täglich offene  Tafel  hielt.  Wenn  derselbe  den  Kaufleuten  von  Tri- 
polis, Fezzan  und  Dschalo  in  ihren  kaufmännischen  Geschäften  wenig 
Hilfe  und  Beistand  gewährte,  und  die  öffentliche  Stimme  ihn  sogar 
beschuldigte,  mit  den  gewissenlosen  Einwohnern  an  ihrem  Ruine  zu 
arbeiten  und  sie  mit  berechnender  Schlauheit  auszusaugen,  so  suchte 


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AHMED  BEN  BRAHlM.  — MOHAMMED  ET-TITtWt.  fiÖf> 

er  wenigstens  einen  Theil  der  öffentlichen  Meinung  durch  eine  unge- 
wöhnlich generöse  Gastfreundschaft  wieder  zu  erobern,  und  seine 
Landsleute  Hessen  diese  Gelegenheit,  gut  und  billig  zu  schmausen,  , 
nicht  ungenützt  vorübergehen.  Fast  die  Hälfte  der  Anwesenden  be- 
stand aus  verarmten  Arabern,  denen  die  Rückkehr  in  ihre  Heimath 
durch  Mittellosigkeit  abgeschnitten  war  — der  böse  Leumund  be- 
zeichnete  sie  als  Opfer  des  Gastgebers  , und  welche  gestandener- 
massen  nur  der  Mahlzeit  wegen  kamen.  Da  der  Titiwi  selbst  ein 
grosser  Freund  culinarischer  Genüsse  war,  so  fehlten  leckere  Weizen- 
gerichte und  frisches  Rind-  und  Hammelfleisch  nicht,  doch  wusste 
er  die  Schüsseln  so  zu  vertheilen,  dass  die  Hungrigen  mehr  auf  die 
Masse  der  gewöhnlicheren  Gerichte  mit  Rindfleisch  angewiesen  waren, 
und  für  die  Honoratioren  die  feineren  und  leichteren  Speisen  mit 
Limmbraten  und  dergleichen  reservirt  blieben.  Auch  ich  nahm 
natürlich  an  dem  allgemeinen  Mahle  Theil,  ass  nach  Tische  anstatt 
des  Kaffee  noch  eine  halbe  Güro-Nuss,  wie  sie  der  Hausherr  an  die 
Distinguirteren  seiner  Gäste  vertheilte,  und  kehrte  spät  nach  Hause  mit 
dem  Bewusstsein  zurück,  ein  gutes  Stück  vom  Kükaer  Leben  gesehen 
zu  haben. 

In  meiner  Wohnung  war  indessen  von  Jedem  der  Herren,  denen 
ich  meine  Aufwartung  gemacht  hatte,  das  übliche  Gastgeschenk 
eines  Schaf bockes  eingelaufen,  so  dass  ich  bald  einen  meiner  Höfe 
mit  diesen  Thieren  beleben  konnte.  Ueberhaupt  hatte  ich  nicht 
nöthig,  an  unsere  Küche  zu  denken,  die  während  der  ersten  drei 
oder  vier  Tage  ausschliesslich  aus  dem  Palaste  des  Königs  versehen 
wurde,  sondern  speicherte  vielmehr  Vorräthe  auf,  welche  meinen 
ganzen  Haushalt  für  einige  Zeit  sicherten.  Am  ersten  Abende  hatte 
ein  Eunuche  des  Herrschers  eine  Abendmahlzeit  von  etwa  zehn 
Schüsseln  überreicht;  ein  zweiter  war  der  Ueberbringer  von  einem 
Centner  Reis  — Schinkafa  kan.  — , einem  und  einem  halben  Centncr 
Weizen,  zwei  Centnern  Duchn  — Argum  möro  kan.  — , einem  grossen 
Henkelkrug  mit  etwa  fünfzehn  Pfund  Butter  — Kindago  kan.  — und 
zwei  irdenen  Krügen  mit  Honig  — Kemägen  kan.  — gewesen;  ein 
dritter,  nicht  verschnittener  Sclave  endlich  hatte  zwei  ungewöhnlich 
schöne  und  fette  Schafböckc  gebracht. 

Allerdings  lasteten  erhebliche  Unkosten  auf  diesem  Genüsse  der 
Freigebigkeit  des  Scheich,  denn  Bornü  ist  das  gelobte  Land  der 
Trinkgeld -Speculanten.  Diese  Sitte  oder  Unsitte  ist  zu  einer  so 


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606  III.  BUCH,  5-  KAPITEL.  EMPFANG  IN  KOKA. 

zwingenden  geworden,  dass  die  Herren  Eunuchen  und  sonstigen 
Sciaven  förmliche  Taxen  für  Fremde  und  Eingeborene  haben,  denen 
, man  sich  nicht  entziehen  kann.  Ich  konnte  mich  in  dieser  Beziehung 
völlig  auf  die  Erfahrung  und  Sachkenntnis  des  alten  Qatrüners  ver- 
lassen und  musste  trotz  der  Sparsamkeit  desselben  dem  ersten 
Eunuchen  vier,  dem  zweiten  drei  und  dem  dritten  Sciaven  zwei 
Maria-Theresia-Thaler  geben.  Und  dies  Trinkgeld  gehörte  nur  den- 
jenigen, welche  den  Transport  der  Gegenstände  überwachten;  die 
eigentlichen  Träger  hatten  keinen  Theil  daran,  waren  für  sich  selbst 
glücklicherweise  viel  bescheidener  und  begnügten  sich  mit  kleinen 
Geschenken  von  Handspiegeln,  bunten,  baumwollenen  Tüchern  der 
schlechtesten  Qualität  und  den  unglaublich  billigen  steiermärkischen 
Rasirmessern,  welche  die  Sudan-Länder  überfluthen. 

Am  Abende  nach  der  Ueberreichung  der  königlichen  Geschenke 
erhielt  ich  ausser  der  Dijäfa  noch  zwei  Gewänder  aus  der  Königs- 
wohnung, welche,  wie  jene,  durch  einen  Eunuchen  gebracht  wurden, 
aber  nur  ein  Trinkgeld -Opfer  von  zwei  Abu  Teir  erforderten.  Das 
eine  der  Gewänder  gehörte  dem  Schnitte  nach  der  Gattung  Gomädschi 
an  und  dem  Muster  nach  der  Perlhuhn-Art  — Kädschi  — . Ein  Go- 
mädschi stellt  ein  wirkliches  Hemd  dar,  d.  h.  ist  seitlich  geschlossen, 
hat  sehr  weite  und  sehr  lange  Aermel  und  einen  runden  Ausschnitt, 
der  grade  zum  Hindurchstecken  des  Kopfes  hinreicht,  ist  wenig  durch 
Stickerei  geziert  und  hat  keine  oder  zwei  längsgeschlitzte  Taschen 
vorn  in  halber  Höhe  und  zu  beiden  Seiten  der  Mittellinie  des  Ge- 
wandes. Das  Perlhuhn-Muster  wird  dadurch  erzeugt,  dass  die  er- 
wähnten Streifen  — Gabag  — aus  abwechselnd  weissen  und  dunkel- 
blauen Fäden  gewebt  werden,  so  dass  das  Ganze  klein  karrirt  oder 
gesprenkelt,  ähnlich  der  Zeichnung  des  Perlhuhns,  erscheint.  Das 
zweite  Gewand  war  dem  Schnitte  nach  ein  Tob  arab.  — Kulgu  kan.  — 
und  dem  Muster  und  Stoffe  nach  Säki  harir.  Ein  Kulgu  unterscheidet 
sich  von  dem  Gomädschi  durch  einen  grösseren,  länglich  viereckigen 
Kopfausschnitt,  der  bis  auf  die  Mitte  der  Brust  herab  reicht,  durch 
eine  riesige,  quergeschlitzte  Tasche  mit  kunstreich  gestickter  Vorder- 
wand,  welche  die  linke  Brusthälfte  einnimmt,  und  dadurch,  dass  sie 
seitlich  offen  ist,  indem  Vorder-  und  Hinterstück  nur  unten  durch 
einen  schmalen  Saum  verbunden  sind  und  keine  wirklichen  Aermel 
existiren.  Die  Gabaga  säki  harir  ist  ebenso  gemustert,  wie  die  des 
Kädschi -Gewandes,  aber  um  einen  fingerbreiten  aus  einheimischer 


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GASTFREUNDSCHAFT  DES  SCHEICH. 


607 


rothcr  Seide  gewebten  Streifen  breiter.  Beide  Kleidungsstücke 
kommen  vornehmlich  aus  Nife  am  Niger,  sind  sowohl  in  den  Haussa- 
Staaten,  als  in  Bornü,  Baghirmi  und  Wadäi  sehr  geschätzt  und  haben 
auf  dem  Markte  von  Küka  je  nach  Güte,  Stickerei  und  Nachfrage 
einen  Werth  von  12  bis  25  Abu  Te'ir  (ungefähr  50  bis  100  Mark). 

Die  Gastfreundschaft  des  Scheich  beschränkte  sich  jedoch  nicht 
auf  diese  Gaben,  sondern  auch  der  dritte  Tag  brachte  mir  noch 
ähnliche  Beweise  seines  Wohlwollens.  Morgens  vermehrte  ein  junger 
Stier  die  Menge  meines  Schlachtviehs,  am  Abend  kam  wiederum 
die  gewöhnliche,  reichliche  Dijäfa  und  Nachts  zwischen  ein  und  zwei 
Uhr  wurde  ich  noch  einmal  geweckt,  um  ein  hübsches,  scheckiges 
Pferd  in  Empfang  zu  nehmen.  Meine  Verwunderung  über  die  son- 
derbare Wahl  der  Stunde  war  nicht  gering  und  verschwand  erst,  als 
ich  erfuhr,  dass  man  bessere  Pferde,  die  durch  Verkauf  oder  Schenkung 
in  anderen  Besitz  übergehen,  gern  zur  Nachtzeit  transportirt,  um  sie 
vor  dem  „bösen  Blick"  der  Menschen  zu  sichern.  Die  Trinkgelder 
dieses  Tages  durften  der  Sitte  entsprechend  noch  weiter  ermässigt 
werden,  mit  Ausnahme  der  an  das  Pferd  geknüpften,  die  zwölf  Abu 
Teir  für  einen  der  höchststehenden  Eunuchen,  den  Schatzmeister 
Mala  — Abel  el-Kerim,  der  in  eigener  Person  kam,  und  jwei  für  den 
Stallknecht,  der  das  Thier  geführt  hatte,  betrugen.  Eine  Sendung 
endlich  von  zwanzig  Turkedi,  d.  h.  dunkel- indigogefärbten  Frauen- 
Umschlagtüchern  aus  Kanö,  welche  ebenso  gut  wie  die  Maria- 
Theresia  -Thalcr  auf  dem  Markte  Cours  haben,  zur  Bestreitung  der 
ersten  Haushaltungskostcn  beendigte  die  Reihe  der  Gastfreundschafts- 
beweise,  welche  der  gütige  Scheich  mir  für  die  erste  Einrichtung  zu 
Thcil  werden  liess. 

Meine  Geschenke  an  die  erwähnten  Würdenträger  fielen  be- 
scheidener aus,  als  bei  der  Wichtigkeit  derselben  und  meinem  Cha- 
rakter als  Gesandter  eines  mächtigen,  europäischen  Fürsten  erwünscht 
war.  Ich  bestimmte  für  den  Titiwi,  den  Kronprinzen,  den  früheren 
Digma,  Lamino  und  Ahmed  Ben  Brahim  je  einen  Tuchburnus,  einen 
tunisischen  Tarbüsch,  einen  Rosenkranz  oder  ein  Armband  von  echten 
Korallen,  vier  bis  sechs  Flacons  Rosenessenz,  etwas  aromatisches 
Holz  — Aud  el-Aukmäri  arab.  — und  für  den  Aba  Bü  Bekr  und 
I-amino  noch  je  ein  Stück  Sammet  zu  einem  Sattelüberzuge.  Der 
Moallim  Mohammed  erhielt  dieselben  Gegenstände,  doch  da  mir 
kein  Burnus  mehr  zu  Gebote  stand,  eine  silberne  Taschenuhr,  weil 


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III.  BUCH,  5.  KAPITEL.  EMPFANG  IN  KÜKA. 


ich  voraussetzte,  dass  er  ein  Freund  solcher  für  ihn  gewissermassen 
wissenschaftlicher  Instrumente  sein  müsse.  Die  meisten  dieser  Be- 
grüssungsgeschenke  — Salain  arab.  und  Koffolo  kan.  — überschickte 
ich  durch  den  Qatrüner  Mohammed,  nur  die  für  Lamino  und  den 
Kronprinzen  bestimmten  überreichte  ich  selbst. 

Die  Wohnung  des  Letzteren,-  vor  der  die  Menge  von  Reitern 
und  Bittstellern  lautes  Zeugniss  von  der  politischen  Bedeutung  des 
Inwohners  ablegte,  zeichnete  sich  dadurch  aus,  dass  sein  Empfangs- 
raum mehr  nordischen  Comfort  entfaltete,  als  die  Häuser  der  übrigen 
Vornehmen.  Das  grosse  Zimmer  war  ganz  mit  Matten  und  Teppichen 
belegt,  und  im  Hintergründe  sass  Aba  Bü  Bekr  selbst  auf  einer 
teppichbelegten  Matratze,  umgeben  und  gestützt  von  Kissen  mit 
seidenen  Ueberzügen  und  in  jeder  Grösse,  wie  die  Städte-Araber  es 
zu  lieben  pflegen.  Er  war  grösser  und  hagerer  als  sein  Vater,  fest 
ebenso  dunkelfarbig,  von  unedler  Gesichtsbildung,  grossem  Munde 
mit  noch  grösseren  Zähnen  und  ohne  den  gewinnenden  Ausdruck, 
der  das  Antlitz  Scheich  Omar  s verschönte.  Doch  sah  er  energischer 
aus,  als  dieser  und  unterstützte  diesen  Eindruck  durch  eine  tiefe, 
raühe  Stimme.  Er  trug  verschiedenfarbige  Gewänder  aus  Bornü  und 
den  Haussa- Staaten,  einen  dunklen  Tuchburnus  nachlässig  um  die 
Schultern  geschlagen  und  den  Kopf  mit  einem  Turban  geziert,  wäh- 
rend sonst  die  freien  Bornü -Männer  mit  Vorliebe  barhäuptig  einher- 
gehen. Seine  Umgebung  war  eine  durchaus  andere,  als  die  des 
Scheich;  denn  ein  Prinz,  besonders  ein  Thronfolger,  hat  in  jenen 
Ländern  seinen  eigenen  Hofstaat,  mit  denselben  Aemtern  und  Würden, 
wie  am  Hofe  des  Vaters,  wenn  dieselben  auch  vorläufig  bis  zum 
Tode  des  letzteren  ohne  wirkliche  Bedeutung  sind.  Der  Empfang 
war  ein  recht  freundlicher;  der  Prinz  sprach  das  Arabische,  wenn 
auch  nicht  mit  der  Kcnntniss  seines  Vaters,  so  doch  geläufig  genug 
zur  Unterhaltung,  stellte  die  üblichen  Fragen  über  die  Türkei  und 
die  europäischen  Christenländer  und  nahm  mein  Koffolo,  das  ich  ihm 
mit  der  Bitte  überreichte,  dasselbe  als  das  Geschenk,  nicht  meines 
Königs,  sondern  einer  bescheidenen  Privatperson  zu  betrachten, 
gnädig  entgegen. 

Wenn  auch  die  beschenkten  Herren  nicht  ganz  ihren  Erwartungen 
entsprechend  bedacht  waren,  so  suchten  sie  doch  ihre  Beziehungen 
zu  mir  enger  und  fester  zu  gestalten,  der  Eine  in  der  Hoffnung  auf 
eine  ergiebigere  Zukunft,  der  Andere  in  dem  Wunsche,  mich  dem 


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ABA  BÜ  BEXR.  — GERINGES  EINVERNEHMEN  DER  WÜRDENTRÄGER.  f)00 

Einflüsse  der  Uebrigen  zu  entziehen.  Es  war  charakteristisch  für  das 
dortige  rankevolle  Hofleben,  dass  fast  Alle  mich  alsbald  vertraulich 
vor  ihren  Collegen  zu  warnen  und  von  ihrem  eigenen  Werthe  zu  über- 
zeugen suchten.  Der  erwähnte  Dunkas  brachte  mit  der  Frcundschafts- 
versichcrung  Lamino’s  den  Rath  desselben,  mich  vor  meinem  Haus- 
«irthe  in  Acht  zu  nehmen  und  wo  möglich  nicht  einmal  von  den  aus 
seiner  Küche  mir  etwa  zukommenden  Speisen  Etwas  zu  geniessen. 
Auch  der  frühere  Digma  Hess  mir  seine  Hoffnung  ausdrücken,  dass 
ich  mich,  wie  es  ihrer  Zeit  meine  Vorgänger  gethan  hätten,  in  allen 
meinen  Angelegenheiten  an  ihn  wenden  werde,  denn  der  Mo'allim 
Mohammed  sei  ein  versteckter  Intriguant,  der  Titiwi  ein  Schurke  und 
Ahmed  Ben  Brähim  eine  Canaille,  und  man  könne  ihnen  gegenüber 
nicht  vorsichtig  genug  sein.  Sodann  sprach  der  Mo'allim  Mohammed 
die  Erwartung  aus,  dass  ich  ihn  in  allen  Dingen  zu  Rathe  ziehen  werde, 
beschränkte  sich  aber  als  ein  gelehrter  und  politisch  gebildeter  Mann 
in  seiner  Warnung  auf  die  allgemeine  Bemerkung,  dass  man  in  Küka 
nicht  vorsichtig  genug  in  der  Wahl  seiner  Rathgeber  sein  könne 
und  besonders  den  Herren  vom  Hofe  keineswegs  trauen  dürfe.  End- 
lich beanspruchte  Ahmed  Ben  Brähim,  da  der  Scheich  mich  ganz 
in  seine  Hände  gegeben  habe,  das  Recht,  meine  sämintlichen  An- 
gelegenheiten zu  besorgen,  und  benützte  die  Gelegenheit,  den  früheren 
Üigma  einen  „Hundesohn"  zu  schimpfen  und  die  Uebrigen  mit  andern, 
allerdings  vorsichtigeren,  Ehrentiteln  zu  belegen.  Nur  der  Titiwi,  als 
ein  fremder  Eindringling  in  eine  einflussreiche  Hofstellung  und  in 
arabischer  Zurückhaltung,  hüllte  sich  in  vorsichtiges  Schweigen, 
zumal  er  mich  offenbar  an  meinen  Hausherrn  vertragsmäßig  zur 
Ausbeutung  überlassen  hatte,  während  ihm  zu  eigener  Nutznicssung 
Bü  Äischa  gesichert  war. 

Nachdem  ich  in  dieser  Weise  meine  Stellung  bei  Hofe  und  in 
der  „Gesellschaft'  begründet  hatte,  konnte  ich  daran  denken,  mich 
mit  der  übrigen  Umgebung,  der  Stadt  und  ihrem  mannichfaltigcn 
Leben  genauer  bekannt  zu  machen,  und  ritt  zu  diesem  Endzwecke 
— kein  einigermassen  auf  äussere  Würde  haltender  Mann  macht 
auch  nur  den  kleinsten  Weg  zu  Fuss  — täglich  aus. 


Naclili|;al.  L 


ä't 


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Sechstes  Kapitel. 

DIE  HAUPTSTADT  VON  BORNU. 


Nächste  Umgebung  der  Stadt.  — Die  Weststadt.  — Der  Nachmittagsmarkt.  — Die 
Hauptstrasse  oder  Dcndal.  — Die  Oststadt.  — Die  Erdbauten.  — Ihre  Bedachung.  — 
Ihre  innere  Einrichtung.  — Standort  der  Pferde.  — Sorgfältige  Abwartung  derselben.  — 
Die  Stroh-  und  Rohr-Hütten.  — Verschiedene  Arten  derselben.  — Ihre  innere  Ein- 
richtung. — Strassenleluin.  — Der  vornehme  Kanüri.  — Frauen  auf  der  Strasse. 
— Verschiedene  I landwerker.  — Arme  und  Blinde.  — Die  fahrenden  Schüler.  — 
Bevolkerungsmenge.  — Mein  Haus.  — Kintheilung  desselben.  — Dienerschaft.  — 
Mangel  an  weiblicher  Dienerschaft.  — Giuseppe’ s Islamisiruog.  — Schwierigkeit,  den- 
selben abzulohnen.  — Hauseinrichtung.  — Wildes  Gcthicr.  — Fremde  in  Kuka.  — • 
Reiselust  der  Araber  und  Halbaraber.  — Mo’allim  Adern  aus  Wad  Ai.  — Scher!  f 
Ahmed  el -Moden!.  — 'All  Maltja,  der  Kokena. 


Die  nächste  Umgebung  der  Stadt  zeigt  nur  auf  der  Nordseite 
die  öde  Einförmigkeit,  welche  ich  zu  beschreiben  Gelegenheit  hatte, 
und  selbst  dort  hat  die  Weststadt  zu  beiden  Seiten  des  Weges, 
welcher  vom  Thorc  nach  Norden  führt,  Ackerdörfer  und  Häuser- 
gruppen, welche  sich  noch  mehr,  als  die  Stadt  selbst,  der  Zierde  von 
vogelbelebtcn  Bäumen  erfreuen.  Auf  der  West-,  Nord-  und  Südseite, 
besonders  auf  der  letzteren,  sind  die  Ackerdörfer  und  zerstreuten 
1 läusergruppen  sehr  häufig  und  beleben  in  freundlicher  Weise  die 
von  Natur  so  reizlose  Umgebung.  Ein  Garten  des  Scheich  auf  der 
Nordscitc,  Namens  Gauangc,  beweist  durch  die  Ueppigkcit  seiner 
Vegetation,  was  selbst  der  sandige  Boden  der  Ebene  von  Kiika  bei 
einiger  Sorgfalt  und  Thätigkeit  des  Menschen  zu  leisten  im  Stande 
ist.  Der  Boden  der  ganzen  Gegend  zeigt  in  der  Oberfläche  eine 


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NÄCHSTE  UMGEBUNG  DF.R  STADT.  — WESTSTADT.  611 

Sandschicht;  auf  sie  folgt  eine  Thonlagc,  unter  welcher  lockerer 
Sandboden  mit  Kalk  gemischt  liegt,  und  unter  diesem  findet  man  in 
einer  Tiefe  von  12 — 16  M.  Wasser,  das  in  manchen  Gegenden  der 
Stadt  süss,  in  anderen  leicht  brakischer  Natur  ist. 

Am  Fusse  der  Umschi iessungsmaucr  stösst  man  häufig  auf 
mächtige  Gruben,  aus  denen  der  Lehm  zum  Häuserbau  gewonnen 
wird.  Ebenfalls  in  der  nächsten  Umgebung  der  Stadt  finden  sich 
hier  und  da  ausgedehnte  Begräbnissplätze , welche  ein  lebhaftes 
Zeugniss  dafür  ablcgcn,  dass  man  in  Bornü  wenig  der  Todtcn 
gedenkt.  Die  Gruben  sind  so  oberflächlich,  dass  oft  die  Malten, 
iä  die  man  die  Leichname  einzuwickeln  wenigstens  im  Volke  die  Ge- 
wohnheit hat,  mit  einem  Zipfel  aus  der  Erde  hervorsehen.  Die 
Grabhügel  sind  niedrig,  oft  kaum  merklich  über  der  Bodenober- 
flache erhaben  und  tragen  als  Zierden  höchstens  einen  Stecken  mit 
einigen  Tuch-  oder  Kattun-Fetzen  oder  einige  Topfscherben.  Ohne 
schützende  Einfriedigung  ist  Alles  den  nächtlichen  Verwüstungen  der 
Hyänen  Preis  gegeben,  gegen  welche  die  Dornenzweige,  welche  man 
wohl  auf  die  einzelnen  Grabstätten  legt,  nicht  genügen. 

Von  den  beiden  Städten,  welche  Küka  zusammensetzen,  ist  die 
westliche  — Billa  fütebe  die  grössere  und  bildet  ein  fast  quadra- 
tisches Viereck,  dessen  Seiten  ziemlich  genau  nach  den  Himmels- 
richtungen orientirt  sind.  Die  Ausdehnung  von  West  nach  Ost  be- 
tragt etwas  mehr  als  zwei  Kilometer,  während  die  von  Nord  nach 
Süd  dieses  Maass  nicht  ganz  erreicht.  Die  sie  umschlicsscndc  Mauer 
ist  durch  je  ein  Thor  in  der  Mitte  der  vier  Seiten  durchbrochen, 
und  die  Hauptverkehrsader  verbindet  in  fast  grader  Linie,  doch  in 
sehr  verschiedener  Breite,  das  West-  mit  dem  Ostthor,  theilt  also 
die  Stadt  in  eine  nördliche  und  eine  südliche  Hälfte.  Von  dieser 
Hauptstrasse,  die  man  auch  wohl  als  Dendal  bezeichnet,  führt 
eine  fast  grade,  sich  allmählich  verbreiternde  Strasse  zum  nörd- 
lichen, und  eine  lange,  schmale  Gasse  zum  südlichen  Thore.  Nahe 
dem  Westthore  ist  der  Dendal  platzähnlich  breit  und  dient  zur  Ab- 
haltung eines  täglichen  Marktes  Durria  , der  seine  Hauptfrequenz 
in  den  Nachmittagsstunden  hat.  Solcher  Märkte  existiren  noch 
mehrere,  doch  dieser  ist  der  bedeutendste  und  übertrifft  an  Lebhaf- 
tigkeit fast  den  Wochenmarkt  der  Stadt  Tripolis.  Die  alltäglichen 
Bedürfnisse  kann  man  stets  auf  ihm  befriedigen,  Getreide,  Honig, 
Milch,  Matten,  Trinkgefässc,  Korbflechtereien,  hölzerne  Schüsseln, 

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ßl2 


III.  BUCH,  6.  KAPITEL.  DIE  HAUPTSTADT  VON  BORNO. 


gewöhnliche  Lederarbeiten,  Kleidungsstücke,  Hühner,  Tauben,  Ziegen, 
Schafe,  ja  nicht  selten  auch  Last-  und  Reitthiere  kaufen ; doch  findet 
man  grössere  Auswahl  und  billigere  Preise  auf  dem  grossen  Wochen- 
markte — Kassuku  — , der  ausserhalb  der  Stadt  vor  dem  Westthore 
an  jedem  Montage  abgehalten  wird  und  der  Hauptstadt  ein  hervor- 
ragendes Interesse  verleiht. 

Die  Erdhäuser  zu  beiden  Seiten  des  Dendal  sind  niedrig  und 
unansehnlich,  haben  aber  oft  eine  enorme  Flächenausdehnung.  Folgt 
man  dem  Dendal  nach  Osten,  so  gelangt  man  am  Ende  seines 
ersten  Drittels  auf  eine  platzähnliche  Erweiterung  desselben,  deren 
nordöstlicher  Theil  von  der  Wohnung  des  Scheich  in  der  Weststadt 
und  einer  daran  stossenden  Moschee  eingenommen  wird,  und  in  deren 
südwestlicher  Ecke  das  Haus  Ahmed  Ben  Brähims  liegt.  Durch 
Moschee  und  Palast  wird  der  Dendal  eng  eingeschnürt,  gewinnt  dann 
östlich  von  jenen  eine  mittlere  Breite  und  bewahrt  dieselbe  bis  zum 
östlichen  Thore.  Neben  dem  Dendal  existiren  nur  wenige  regel- 
mässig gebildete,  grade  Strassen.  Die  zahlreichen  Verkehrswege  sind 
vielmehr  gewundene  Pfade,  welche  wie  durch  die  Anlage  der  Häuser 
zufällig  entstanden  erscheinen  und  dem  Ganzen  einen  Charakter  der 
Regellosigkeit  geben,  der  nicht  ohne  Reiz  für  den  Fremdling  ist. 
Verlasst  man  die  Weststadt  durch  das  östliche  Thor,  so  betritt  inan 
den  zwischen  den  Schwesterstädten  gelegenen,  mehr  als  ein  Kilo- 
meter breiten  Raum  und  nähert  sich  auf  einem  sandigen,  mehrere  hun- 
dert Schritt  breiten  Wege,  der  zu  beiden  Seiten  noch  planloser  an- 
gelegte Stadttheile  und  Häusergruppen  zeigt,  als  zuvor  der  Fall  war, 
der  Oststadt. 

Diese  — Billa  gedibe  — hat  eine  regelmässige,  derjenigen  der 
Weststadt  ähnliche  Gestalt,  ist  jedoch  etwas  länger  und  schmäler, 
als  diese,  und  hat  zwei  Westthore,  zwei  Ostthore  und  zwei  Südthore. 
Der  Dendal  ist  hier  von  enormer  Breitenausdehnung,  viel  breiter, 
als  in  der  Weststadt,  durchschneidet  aber  nicht  die  ganze  Stadt, 
sondern  hört  am  Ende  des  zweiten  Drittels  ihrer  Langenausdehnung 
mit  dem  eigentlichen  Königspalastc  und  der  vor  diesem  liegenden 
Moschee  auf. 

In  der  Oststadt,  welche  von  fast  allen  in  unmittelbarer  Be- 
ziehung zum  Hofe  stehenden  Personen  bewohnt  wird,  wenn  dieselben 
nicht  fremden  Ursprungs  sind,  walten  im  Ganzen  die  Erdhäuser  noch 
mehr  vor,  als  in  der  Weststadt,  in  der,  wrie  erwähnt,  die  Masse  des 


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PLAN  VON  KßKA. 


613 


i.  Haus  Dr.  Nachtigall. 
l Haus  Ali  Malija’s.  3.  Haus 
Mohammed  Titiwt’s.  4.  Haus 
Mohammed  Bü  Äischas. 
> Palast  des  Scheich  in 
1«  Weststadt  mit  Moschee. 
6.  Haus  des  Schertf  Ahmed 
d-Medeni.  7.  Das  frühere 
Chnstcnhaus.  8.  Haus  Mo'- 
“Him  Mohammed’s.  9.  Haus 
Umtno’s.  10.  Haus  Aba 
Bä  Kekr’s.  1 1 . I laus  Aba 
fbscbeml’s.  12.  Haus  Aba 
BrihWs.  13.  Haus  Al>a 
Majtafa’s.  14.  Moschee  der 
(,5t3tadt.  15.  Palast  des 
'dicich  in  der  Oststadt. 
*6.  Gartenhaus  des  Scheich. 


Garten  if. Scheich 


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014 


m.  huch,  6.  kapitel.  niK.  Hauptstadt  von  bornü. 


Volkes  und  die  Fremden  leben.  Doch  auch  in  dieser  erblickt  rnan 
an  den  Hauptverkehrswegen  vornehmlich  nackte,  graue,  fensterlose 
Thonmauern,  und  dieser  Anblick  würde  ein  höchst  monotoner  sein, 
wenn  nicht  hier  und  da  eine  Ausbuchtung  oder  Erweiterung  der 
Strasse  durch  einen  schattenreichen  feigenähnlichen  Baum  mit  seinem 
dunkeln  Grün,  eine  schlanke  Kurna,  einen  riesenhaften  Aftenbrod- 
baum  oder  einen  ästereichen  1 fedschlidsch  geziert  wäre.  Der  sand- 
gemischte Thonboden  der  Ebene  von  Küka  hat  nur  eine  geringe  . 
Widerstandsfähigkeit  gegen  den  Regen,  so  dass  die  aus  ihr  aufge- 
führten Häuser  in  der  entsprechenden  Jahreszeit  ein  Aufenthalt  be- 
ständiger Furcht  und  unaufhörlicher  Ausbesserung  sind.  Jeder  Regen- 
guss — und  es  kommen  deren  recht  starke  vor  — wäscht  einen 
Theil  der  platten  Bedachung  und  der  Wände  hinweg,  und  besonders 
jene  muss  sehr  sorgfältig  hergestellt  und  überwacht  werden.  Die 
innere  Anordnung  dieser  Häuser  ähnelt  zwar  der  in  Fczzän  üblichen, 
ist  jedoch  einerseits  weniger  complicirt,  andererseits  grossartiger 
durch  die  Ausdehnung  der  cingcschlossencn  Räume.  Während  dort 
verschiedene  Zimmer  und  Gänge  und  nicht  selten  ein  oberes  Stock- 
werk ein  complicirtes  Ganzes  bilden  und  die  Hofräume  klein  sind, 
walten  die  letzteren  in  den  Erdbehausungen  Bornü’ s auf  Kosten  der 
Wohnräumc  vor.  Gewöhnlich  ist  die  ganze  innerhalb  der  Um- 
schliessungsmauer gelegene  Stätte  in  verschiedene  Höfe  gcthcilt,  in 
denen  Strohhütten  und  einige  wenige  würfelförmige  Erdhäuscr  stehen, 
die  gewöhnlich  nur  ein  Zimmer,  höchstens  mit  einem  daranstossenden 
Kämmerchen  enthalten,  so  dass  oft  drei  Viertheile  des  ganzen 
Etablissements  auf  1 lofräumc  und  unbedachte  Abtheilungen  kommen. 

ln  den  aus  Erde  gebauten  Wohnhäusern  — Söro  kan.  (viel- 
leicht von  dem  ursprünglich  persischen  Worte  ScraT,  der  Palast) 

— liegen  den  Seitenwänden,  die  meist  von  ansehnlicher  Dicke 
sind,  einige  roh  behauene  Längsbalken  auf,  welche  kürzeren  und 
schwächeren  Querhölzern  zur  Stütze  dienen.  Die  letzteren  sind 
so  zahlreich,  dass  sie  nur  Zwischenräume  von  etwa  zwei  Fuss 
zwischen  sich  lassen,  und  diese  sind  durch  entsprechend  lange, 
cylindrische , dicht  neben  einander  gelagerte  Stücke  eines  leichten 
Holzes  — gewöhnlich  des  Oschar  — von  mchrzölligem  Durch- 
messer ausgefüllt.  Auf  dies  Holzgerüst  des  Daches  wird  die  mit 
Wasser  ungerührte  Thonerde,  gemischt  mit  Kies,  Häcksel  und  Mist, 
in  dicker  Schicht  aufgetragen.  Sind  die  Zimmer  einigermassen 


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HAUSER  AUS  THONERDE. 


615 


gross,  so  stützt  wohl  in  ihrer  Mitte  eine  mächtige,  viereckige  Säule 
das  schwere  Dach. 

Da  die  Querstangen  und  Zwischenhölzchen  fast  stets  in  ihrer 
Gestaltung  von  der  graden  Linie  abweichen,  sich  also  selten  in  ihrer 
ganzen  Lange  berühren,  so  ist  es  begreiflich,  dass,  wenn  nicht  eine 
dicke  Erdschicht  auf  ihnen  ruht,  und  diese  nicht  stets  in  ihrer  Ober- 
fläche glatt  und  leicht  gewölbt  gehalten  wird,  der  Regen  bald  seinen 
Weg  in  die  Zimmer  findet.  Sind,  wie  in  den  Wohnungen  der 
Reicheren,  die  Zwischenhölzchen  durch  Matten  aus  Dümpalmen- 
gestrüpp  ersetzt,  welche  durch  Berührung  mit  Wasser  besonders 
dicht  werden,  so  ist  das  ganze  Dach  sowohl  leichter,  als  auch  besser 
geeignet,  den  Regen  abzuhalten.  In  der  trockenen  Jahreszeit  spaltet 
und  klüftet  sich  die  Erde  des  Daches  unter  dem  Einflüsse  der  Sonne 
nach  allen  Richtungen,  so  dass  im  Beginne  der  Regenzeit  eine  gründ 
liehe  Untersuchung  und  Ausbesserung  vorgenommen  werden  muss. 
Trotzdem  werden  die  Wohnräume  oft  genug  überschwemmt,  und  der 
Vorsichtige  packt  bei  einem  heftigen  Regen  seine  Habe  in  nordische 
Kisten  oder  landeseigenthümliche  Ledersacke. 

Wenn  die  Erdhäuser  den  Vorzug  vor  den  Stroh-  oder  Rohrhütten 
haben,  geräumiger  und  in  der  heissen  Jahreszeit  kühler  zu  sein,  so 
zeichnen  sie  sich  andererseits  unvortheilhaft  vor  den  letzteren  durch 
eine  ungemüthliche  Nacktheit  aus.  Das  zierlich  aufgestapelte  Ilaus- 
gerath  bleibt  den  Strohhütten  der  Frauen  Vorbehalten,  und  selbst 
das  übrige  Besitzthum  des  Hausherrn  befindet  sich  meist  im  Ge- 
wahrsam der  letzteren  oder  in  kleinen  Nebenkammern.  Nur  wenn 
derselbe  durch  seinen  Verkehr  mit  nordischen  Kaufleuten  in  den  Be- 
sitz von  verschlicssbaren  Kisten  — Sandüq  arab.  — gekommen  ist, 
in  denen  er  seine  besseren  Kleidungsstücke,  Schmucksachen,  ein 
arabisches  Buch  oder  baares  Geld  verwahren  kann,  so  setzt  er  die- 
selben'wohl  in  sein  Emgfangszimmer  und  bringt  sie  in  Sicherheit  vor 
Termiten  und  anderen  Ameisen  auf  rohgearbeiteten  Mulden  — 
Kuzzera  — , die  von  vier  plumpen,  divergirenden  Füssen  getragen 
werden. 

Das  einzige  Möbel,  das  selten  in  einem  Wohnzimmer  fehlt,  ist 
eine  breite  Bank  mit  seitlichen  Wänden  anstatt  der  Füsse,  welche  aus 
den  Brettern  des  leichten  Phogu-l  Iolzes  (Ambadschr),  das  auf  den  Ufern 
und  Inseln  des  Tsäde  wächst,  verfertigt  wird  und,  mit  Matten  und  Tep- 
pichen bedeckt,  als  Lagerstätte  dient.  Sonst  erblickt  man  nur  nackte 


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616  IH.  BUCH,  6.  KAPITEI..  DTE  HAUPTSTADT  VON  BORNÜ. 

Wände,  und  im  besten  Falle  bedecken  gröbere  oder  feinere  Matten 
den  Fussboden.  Die  letzteren  sind  besonders  bei  den  nordischen  Frem- 
den beliebt,  während  selbst  bei  den  vornehmeren  Eingeborenen  der 
Fussboden,  wenn  auch  sauber  und  geglättet,  so  doch  nackt  zu  sein 
pflegt.  Nur  der  Hausherr  sitzt  auf  einer  Matte,  einem  Antilopenfell 
oder  einem  nordischen  Teppich,  diese  Unterlage  höchstens  solchen  Be- 
suchern überlassend,  welche  ihm  unzweifelhaft  an  Rang  überlegen 
sind.  Ausser  diesen  wenigen  häuslichen  Utensilien  findet  man  zuweilen 
noch  eine  mit  Füssen  versehene  Stange  von  zwei  bis  drei  Meter 
Länge  — Aragäja  — , von  welcher  oben  einige  Arme  ausgehen, 
die  geeignet  sind,  eine  Schüssel  aufzunchmen,  um  ihren  Inhalt 
(irgend  ein  Lieblingsgericht,  das  man  aufzubewahren  wünscht)  vor 
den  zahlreichen  Ratten  sicher  zu  stellen.  Gegen  die  besonders  nach 
der  Regenzeit  in  wahrhaft  unglaublicher  Weise  Ueberhand  nehmenden 
Ameisen  genügt  diese  Vorsichtsmassrcgcl  nicht,  und  man  nimmt  seine 
Zuflucht  zu  Stricken,  welche,  an  den  Querhölzern  der  Bedachung 
befestigt  und  frei  herabhängend,  unten  geflochtene  Ringe  zur  Auf- 
nahme von  Schüsseln  und  Schalen  haben;  doch  auch  dieses  Mittel 
erweist  sich  nur  in  beschränktem  Masse  zureichend. 

In  den  Wohnungen  der  Grossen  des  Landes,  welche  oft  ein 
Areal  bedecken,  wie  es  bei  uns  ein  Haus  mit  Blumen-  und  Gemüse- 
garten innc  hat  das  Ganze  heisst  Fato,  entsprechend  dem  arabischen 
llausch  — , dienen  die  äusseren  Höfe  zum  Aufenthalte  für  die  männ- 
lichen Sclaven,  während  sich  in  den  inneren  die  Hütten  der  F rauen 
und  Sclavinncn  befinden.  In  einem  der  Aussenhöfc  bildet  der  sorg- 
fältig  gegen  den  „bösen  Blick"  abgeschlossene  Pferdehof  — Muli  — 
unter  der  Aufsicht  eines  Sclaven,  des  sogenannten  Mülima,  eine  Ab- 
theilung, welche  durch  ihre  grosse  Sauberkeit  und  musterhafte  Ord- 
nung bemerkenswerth  ist. 

Die  Pferde  — Fir  pl.  firwa  — Bornü's  sind  nach  Leo  Africanus 
von  der  Nordküstc  eingeführt  und  zwar  wahrscheinlich  vor  nahezu 
800  Jahren.  Sic  sind  in  der  Mehrzahl  von  der  Höhe  der  arabischen 
Pferde,  übertreffen  dieselbe  kaum  jemals,  bleiben  aber  nicht  selten 
unter  derselben.  Sie  zeichnen  sich  durch  feine  Gliedmassen  und 
grosse  Lebhaftigkeit  aus,  werden  aber  an  schönen  Formen  von  den 
arabischen  übertroffen.  Die  Rasse  hat  sich  ausgezeichnet  acclimatisirt, 
denn  die  Nachbarländer  Baghirmi  und  Wadai  erhalten  ihren  Pferde- 
bestand nur  aus  dem  Ueberflusse  Bornü’s  aufrecht.  Auch  hier  sind  es 


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ZUCHT  UNO  PFI.EOE  OER  PFF.ROF..  017 

vorzüglich  die  arabischen  Stamme , welche  sich  um  die  Zucht  ver- 
dient machen,  und  in  zweiter  Linie  merkwürdiger  Weise  die  Tubu, 
in  deren  heimathlichen  Sitzen  doch  das  l’ferd  kaum  vorkommt. 

In  dem  Muli  stehen  die  Thierc,  das  Gelenk  eines  Vorderfusses 
durch  einen  meterlangen,  starken  Strick  an  einem  seitlich  eingc- 
rammten  Pfahle  — Dateram  — befestigt,  auf  einer  dicken  Lage  Sandes 
anstatt  unserer  Streu.  Wenn  sie  besonders  feurig  und  unbändig  sind, 
so  fesselt  man  das  Qelenk  des  andern  Vorderfusses  durch  einen  älm- 
lichen  Strick  an  den  entsprechenden  Hintcrfuss.  Der  Sand  wird 
täglich  frisch  aufgeschüttet,  gilt  als  unerlässlich  für  das  Gedeihen  der 
Thiere  und  wird  so  sauber  gehalten,  dass  ein  Sclav  unmittelbar  nacli 
jeder  Verunreinigung  desselben  durch  das  Pferd  den  betroffenen 
Thcil  entfernt  und  durch  frischen  Sand  ersetzt.  Das  trockene  Gras  — 
Kädschim  — wird  den  Thieren  beständig  in  kleinen  Quantitäten 
dargeboten;  Grünfutter  erhalten  sic  nur  im  Anfänge  der  Regenzeit 
als  erfrischend  und  blutreinigend.  Das  Futterkorn  — Duchn  und 
hier  und  da  Durra  — wird  Morgens  und  Abends  verabfolgt,  gewöhn- 
lich in  Futtersäckchen  — Mucheläja  arab.  und  N göre  ge  kan.  — doch 
auch  in  Vorgesetzten  Gefässcn,  und  in  vielen  Häusern  der  Reicheren 
fand  ich  es  üblich,  dasselbe  während  des  ganzen  Tages  den  Thieren 
zu  freier,  unbeschränkter  Verfügung  zu  stellen.  Für  die  edlern  Pferde 
errichtet  man  wohl  ein  schützendes  Schatten-  und  Regendach. 

Wenn  auch  die  beschriebenen  Erdbehausungen  durch  das  nackte, 
graue,  schmucklose  Acussere  grade  keinen  freundlichen  Eindruck 
machen,  so  haben  doch  die  Bornü-Leute  im  Ganzen  viel  Sinn  für  ge- 
muthliche  Häuslichkeit  und  zierliche  Anordnung,  und  dieser  findet  be- 
sonders in  den  Stroh-  oder  Rohrwohnungen  — Ngim  pl.  ngirnwa  — 
seinen  Ausdruck.  Diese  bestehen  aus  einer  i •/*  bis  2 */a  M.  hohen 
Umfriedigung  aus  dem  oft  erwähnten  groben  Mattenwerke  Siggedi 
und  je  nach  den  Vermögensverhältnissen  des  Besitzers  aus  einer, 
zwei  oder  mehreren  Hütten  in  dem  sauber  gehaltenen,  oft  sorgfältig 
geebneten  und  geglätteten  Hofraume. 

Die  Hütten  sind  verschieden  in  Form  und  Grösse.  Die  Form 
der  gewöhnlichsten  und  einfachsten  Art  hält  sich  zwischen  der 
Zuckerhut-  und  Glockenform,  und  wird  in  der  Weise  hergestellt,  dass 
man  ein  entsprechend  gestaltetes  Skelett  aus  Baumzweigen  mit  Stroh- 
oder Rohrgeflecht  umkleidet.  Die  besseren  und  geräumigeren  Hütten 
hingegen  haben  einen  grade  aufstrebenden,  etwa  1 */*  M.  hohen,  kreis- 


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III.  BUCH,  6.  KAPITEL.  DIE  HAUPTSTADT  VON  BORNÜ. 


G18 

runden  Unterbau,  der  entweder  aus  einer  Erdmaucr  besteht  oder  von 
einer  aussen  mit  Siggcdi  oder  Rohr  umgebenen  Reihe  starker  Pfahle 
gebildet  wird  und  das  glockenförmige  Dach  trägt.  Je  grösser  die 
1 bitte  und  je  schwerer  das  Dach,  desto  erwünschter  ist  die  Her- 
stellung des  Unterbaues  aus  Erde.  Bei  den  sorgfältigeren  und 
solideren  Constructionen  besteht  das  Dach  nicht  aus  dem  einfachen 
Siggedi-Flcchtwerk,  sondern  aus  dicken  Lagen  eng  zusammengefügter 
Strohbündel,  und  schützt  dann  sehr  viel  besser  gegen  den  Regen 
als  die  Erdhäuser.  Der  Schutz  dagegen,  den  die  1 lütten,  deren  ganze 
Bekleidung  in  einfachem  Siggedi  besteht,  verleihen  können,  ist  be- 
greiflicherweise ein  sehr  unzureichender.  Die  Grösse  dieser  Hütten 
unterliegt  grossen  Schwankungen;  der  mittlere  Durchmesser  mag 
3 bis  4 M.  betragen,  doch  die  Hütten  der  Vornehmen  erreichen 
nicht  selten  einen  solchen  von  6 M.  und  mehr. 

Aussen  tragen  die  meisten  auf  der  lang  ausgezogenen  Spitze 
als  Zierde  ein  bis  vier  Strausscneicr,  welche  nach  Barth’s  Er- 
kundigungen den  Inwohnerinnen  Fruchtbarkeit  sichern  sollen.  Um 
Körper  und  Dach  der  Hütte  schlingt  eine  der  zahlreichen  Kürbis- 
arten  jener  Gegend  ihre  grossen  Blätter,  oder  ein  anderes  Ranken- 
gewächs spinnt  sie  allmählich  in  sein  freundliches  Grün.  Die  i bis 
i ’/jj  M.  hohen  Thüröffnungen  werden  von  einer  dicken,  dach- 
förmig zugesclmittenen  Strohlage  zum  Schutze  gegen  den  Regen 
überragt  und  mit  Vorhängcthüren  geschlossen,  welche  nach  Art 
unserer  Holzjalousicn  aus  lose  vereinigten  Rohrhalmen  bestehen,  deren 
Zwischenräume  den  Insassen  den  Blick  nach  Aussen  gestatten,  aber 
jeden  indiscreten  Einblick  in  den  dunkleren  Innenraum  von  aussen 
her  unmöglich  machen. 

Im  Innern  der  besseren  Frauenhütten  läuft  rings  an  der  Wand 
herum  eine  Erdbank  von  etwa  einem  halben  Meter  Höhe  und  ungefähr 
derselben  Breite,  welche  theils  zum  Sitzen,  theils  zur  Aufstellung  der 
häuslichen  Utensilien  dient.  Je  nach  den  Mitteln  der  Eigenthümer  sind 
die  letzteren  in  verschiedenem  Grade  mannichfaltig  und  schön,  doch  fast 
durchgehends  sauber  gehalten.  Da  sind  Trinkgefasse,  sorgfältig  aus 
Kiirbisschalcn  gearbeitet,  innen  lackirt,  aussen  mit  gefälligen  linearen 
Verzierungen  in  gelber,  rother,  schwarzer  Farbe  versehen,  von  der 
Grösse  solcher,  deren  Inhalt  zur  Tränkung  eines  Pferdes  hinreicht, 
bis  zu  den  kleinsten  Näpfchen,  wie  sie  als  Schöpflöffel  verwendet 
werden.  Eine  Schale  steckt  in  der  andern,  so  dass  sie  eine  sich 


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STROHREItAUSUNGEN. 


019 

nach  oben  verjüngende  Säule  bilden,  deren  Sockel  ein  Körbchen 
darstellt,  in  dem  die  unterste  Schale  ihren  Halt  findet.  • Von  diesen 
Untersatz-Körbchcn  hat  man  ebenfalls  in  guten  Haushaltungen  zahl- 
lose in  verschiedenster  Grösse  und  Güte. 

Neben  den  Kürbisschalen  als  Gcfässen  zur  Aufnahme  von  Flüssig- 
keiten findet  sich  eine  ähnliche  Säule  von  Essschüsseln,  die,  aus 
hartem  Holz  geschnitzt,  schwarz  gebeizt  und  ähnlich  in  der  Form, 
aber  verschieden  in  der  Grösse,  ebenfalls  mit  Untersatz -Körbchen 
versehen  sind  oder  auf  drei  oder  vier  kurzen  Füssen  ruhen. 

Dazwischen  prangen  Korbdeckcl  aus  buntgefärbtem  Stroh  oder 
aus  Streifchcn  der  Dümblätter  in  den  verschiedenartigsten  und  ge- 
schmackvollsten Mustern,  dicht  und  solide  geflochten,  doch  in  dieser 
Beziehung  weit  hinter  denen  aus  Dar  För  zurückstehend,  ihre 
schwach  convexe  Aussenfläche  ist  nicht  selten  mit  Kauri -Muscheln 
oder  europäischen  Glasperlen  eigenartig  verziert. 

Auch  europäische  Gefässc  von  Kupfer  und  Messing,  Kochtöpfe, 
Waschschüsseln  und  Kannen , blank  gescheuert  und  gefällig  auf- 
gestellt,  fehlen  in  den  Haushaltungen  der  Wohlhabenden  nicht. 
Sogar  Porzellan,  das  merkwürdiger  Weise,  obgleich  sehr  unter- 
geordnetes europäisches  Fabrikat,  den  arabischen  Namen  des  chine- 
sischen — Sini  — fuhrt,  findet  nicht  selten  unzerbrochen  seinen  Weg 
nach  Bornü  und  bleibt  in  den  Händen  der  Bewohner  zuweilen  intact, 
so  lange  cs  als  Wohnungszierde  dient. 

Vor  der  Thür,  im  Schatten  und  Luftzuge,  stehen  die  umfang- 
reichen Wasserkrüge  aus  gebranntem  Thon ; daneben  ist  der  Feuer- 
platz,  und  ein  auf  schlankem  Stangengerüst  errichtetes  leichtes  Schattcn- 
dach,  unter  dem  der  Aufenthalt  demjenigen  im  hochtcmperirtcn  Innern 
der  Hütte  bei  weitem  vorzuziehen  ist.  In  der  Ecke  des  Hofes  be- 
findet sich  häufig  zu  ebener  Erde  ein  niedriges  rcchtwinkeliges  Tauben- 
häuschen aus  Lehm,  zuweilen  in  mehreren  Etagen,  mit  Reihen  von 
runden  Eingangsöffnungen  für  die  Thierchen.  Das  anmuthige  Bild 
wird  vervollständigt  durch  einen  oder  mehr  schattige  Bäume,  die  fast 
keinem  Hofraum  fehlen  und  die  Stadt  aus  der  Ferne  als  lichten  Wald 
erscheinen  lassen.  Leider  bevölkern  sich  diese  schönsten  Zierden 
der  Wohnungen  oft  so  bedenklich  mit  dunkelfarbigen  Störchen, 
Reihern,  Weber-  und  kleinen  Singvögeln,  deren  heiteres  Leben 
zu  stören  die  Pietät  verbietet,  dass  der  Mensch  sich  des  Baum- 
schattens nicht  erfreuen  kann,  ohne  empfindlich  durch  die  rege  Ver- 


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III.  HUCH,  6.  KAPITEL.  DIE  HAUPTSTADT  VON  RORNÜ. 


620 

dauung  der  beweglichen  Thierchen  zu  leiden.  Nur  die  feigenartigen 
Baume  werden  fast  immer  von  ihnen  verschmäht,  während  der 
Iledschlidsch  sich  ihrer  besonderen  Gunst  erfreut  und  oft  zwanzig, 
fünfzig,  selbst  hundert  und  mehr  Nester  trägt.  Man  sicht  Räume  in 
Küka  derartig  mit  Nestern  überladen,  dass  sie  buchstäblich  langsam 
ersticken  und  absterben. 

Das  öffentliche  Leben  der  Stadt  conccntrirt  sich  hauptsächlich 
auf  den  Dcndal,  an  dessen  westlichem  Endpunkte  der  Marktplatz  den 
thätigen  Thcil  der  Bevölkerung  lockt,  während  im  Osten  der  Königs- 
palast den  Zielpunkt  aller  Ehrgeizigen  und  spcculircnden  Nichts- 
thuer  bildet.  Spazierritte  durch  diese  Hauptverkehrsader  waren  stets 
für  mich  von  neuem,  fesselndem  Interesse,  und  enthüllten  ein  Leben 
von  solcher  Mannichfaltigkeit  und  selbst  Grossartigkeit,  wie  es  ein 
Europäer  mit  der  Vorstellung  von  einer  Negerstadt  kaum  zu  ver- 
binden vermag.  Selbst  die  Folgen  der  begonnenen  Regenzeit,  die 
seeartigen  Wasseransammlungen  und  ihre  kothige  Umgebung,  ver- 
mochten das  rege  Treiben  nur  wenig  zu  stören.  Männer  und  Frauen, 
Freie  und  Sclaven,  Einheimische  und  Fremde,  Geschäftige  und  Müssige 
durchwateten  die  Wassertümpel  des  westlichen  Dendal,  nackte  Kinder 
beiderlei  Geschlechts  tummelten  sich  vergnügt  in  denselben  herum, 
und  eingeborene  und  fremde  Reiter,  oft  auf  bemerkenswert!!  hübschen, 
mit  Zierrathen  und  Amulcten  behängten  Pferden,  durcheilten  die 
breite  Strasse  und  überschütteten  die  harmlosen  Fussgänger  mit  dem 
durchwühltcn,  nichts  weniger  als  klaren  Wasser.  Dabei  hatte  man 
zuweilen  von  der  Höhe  des  Sattels  einen  interessanten  Blick  über 
die  Strohzäune  hinweg  in  das  häusliche  Treiben  der  Leute,  auf  die 
müssigen  oder  nähenden  Männer  unter  dem  Schattendache,  die 
kochenden  oder  getrcidcmahlenden  Frauen,  die  spielenden,  nackten 
Kinder,  die  freundlich  herüber  wiehernden  Pferde. 

Gegen  das  Ostende  der  westlichen  Stadt  steigt  der  Boden  etwas 
an  und  bleibt  vom  stehenden  Wasser  verschont,  so  dass  man  hier 
mit  mehr  Müsse  die  Umgebung  zu  mustern  vermag.  Freie  Männer, 
stets  mit  unbedecktem  und  glatt  geschorenem  Haupte,  wenn  sic 
nicht  fremden  Ursprungs  sind,  ziehen  dort  durch  die  alfectirte  Würde, 
die  eitle  Ostentation,  mit  der  sic  einherwandeln,  die  Aufmerksamkeit 
des  Fremden  auf  sich.  Die  Städtebewohner,  der  wohlsituirtc  Kanüri 
und  Känenima  (Sing,  von  Künembu)  und  der  einflussreiche  Sclav 
eines  angesehenen  Hauses,  behängen  sich  gern  mit  Kleidungsstücken, 


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(S.  620.) 


STR ASSEN LEHEN. 


621 


deren  Anzahl  im  schreienden  Widerspruche  zu  der  gewöhnlich 
herrschenden  Temperatur  steht.  Zwei,  drei  oder  vier  Gewänder,  deren 
jedes,  der  soliden  Manufactur  entsprechend,  ein  ansehnliches  Gewicht 
hat,  sind  den  Bewohnern  der  Hauptstadt  keine  Last,  sondern  ein 
Stolz,  ein  Vergnügen.  Erblickt  man  zufällig,  was  allerdings  selten 
genug  der  Fall  ist,  einen  Reichen  zu  Fuss,  so  begreift  man,  dass  die 
Last  seiner  Kleider  ihn  zu  dem  würdevollen  Gange  zwingt,  der  ihm 
Gewohnheit  geworden  ist.  Weite  Beinkleider,  womöglich  von  gold 
und  seidebenähtem  Tuch,  in  denen  sich  drei  europäische  Extremi- 
tätenpaare verlieren  würden,  fallen  bis  auf  die  Füssc  herab  und 
nöthigen  ihm  die  breitspurige  Gangart  auf,  welche  seiner  Eitelkeit 
so  zusagt.  Ueber  die  weiten  Gewänder  aus  Bornü  oder  Haussa  hängt 
er  einen  oder  zwei  Tuchburnusse  aus  Tripolis,  sorgfältig  darauf  achtend, 
dass  die  Goldstickerei  und  der  buntfarbige  Seidenbesatz  im  Innern 
derselben  dem  Auge  der  Vorübergehenden  nicht  verloren  gehe.  Auf 
diese  Weise  werden  die  Vornehmen  zu  kolossalen  Maschinen,  die 
mühsam  von  ihren  Dienern  auf  die  l’fcrdc  gehoben  werden.  Mit 
der  Körperfülle,  welche  ihnen  Klima  und  Lebensweise  selten  ver- 
sagen, fühlen  sie  sich  ganz  und  gar  als  bcncidenswerthc  Persönlich- 
keiten, wenn  sie  auf  schnellem  Passgänger,  dessen  Hals  und  Kopf 
in  bunten  Troddeln  und  Halsbändern  aus  Wolle  und  Tuch,  in  Lcder- 
kapseln  mit  heiligen  Sprüchen  und  in  dem  erwähnten  Stirnschmuck 
aus  Messing  in  getriebener  Arbeit  prangen,  gefolgt  von  trabenden 
Sclavcn,  zum  Königspalast  eilen. 

Das  sind  die  Günstlinge  der  Neuzeit.  Daneben  wandelt  wohl 
hier  und  da  ein  Greis,  in  ein  grobes,  weisses  Gewand  gekleidet,  den 
Kopf  sauber  rasirt,  mit  bescheidener  Würde  einher,  durch  einen 
langen,  schweren  Stab  mit  olivenförmiger  Endanschwellung  — Mbäre 
als  ein  Edelmann  gekennzeichnet,  dessen  Vorfahren  zu  den 
Grossen  des  Reiches  unter  der  früheren  Dynastie  zählten.  Diese 
Repräsentanten  der  edlen  Kanüri-Familien  werden  vom  Scheich  Omar, 
der  jetzt  zu  fest  in  der  Liebe  des  Volkes  wurzelt,  als  dass  er  die 
Erinnerungen  an  die  früheren  Zeiten  noch  fürchten  sollte,  gewisser- 
massen  ernannt  und  mit  dem  Mbäre  belehnt,  ohne  dass  freilich  diese 
Würde  irgend  welche  Emolumente  mit  sich  bringt.  Ihre  aristokratische 
Herkunft  wird  ihnen  gewissermassen  von  dem  Herrscher  bezeugt  durch 
die  Verleihung  des  historischen  Stabes,  der  früher  von  den  Aeltcsten 


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622  III.  BUCH,  6.  KAPITEL.  DIE  HAUPTSTADT  VON  BORN'C. 

des  Volkes  edler  Herkunft  geführt  wurde  und  denselben  das  Amt 
von  Uebcrwachern  der  öffentlichen  guten  Sitte  verlieh. 

Ein  scharfer  Unterschied  trennt  diese  echten  Vertreter  ihres 
Landes  von  jenem  tripolitanischen  Kaufmann,  der  stolz  auf  dem 
höheren,  nordischen  Pferde,  in  rothem  Tarbüsch  und  arabischer 
Tracht  seine  Umgebung  überragt,  oder  von  jenem  Wüstenbewohner, 
der  sich  durch  seinen  Kopfshaw]  und  durch  den  Nase  und  Mund 
verhüllenden  Litäm  kenntlich  macht. 

Die  nicht  arbeitenden  Frauen  und  Mädchen  schlendern  mit  Vor- 
liebe auf  den  Strassen  herum",  um  ihre  Reize  zu  zeigen.  Um  die 
Hüften  ist  der  übliche  Shawl  so  geschlungen,  dass  er  zwischen  den 
Füssen  durch  in  Form  einer  langen  Schleppe  den  Boden  fegt,  wenn 
dieser  einigermassen  trocken  ist.  Ein  kurzes  Hemdchen,  weiss 
oder  blau,  mit  bunter  Seide  von  oben  bis  unten  in  eigentümlichen 
Mustern  gestickt,  umhüllt  die  Schultern  und  reicht  bis  auf  die  Mitte 
des  Oberschenkels.  Oft  fehlt  dasselbe  und  dann  wird  ein  Shawl 
nachlässig  so  um  den  Oberkörper  geschlungen , dass  wo  möglich 
eine  Schulter  und  eine  Brust  frei  bleibt.  Auf  dem  Hinterkopfe  ziert 
ein  halbmondförmiger  Silberschmuck  — Tümmcr  — das  sorgfältig 
in  zahllose  kurze  Flcchtchen  geordnete  Haar,  und  ein  Stückchen 
Edelkoralle  prangt  im  rechten  Nasenflügel.  So  stolzirt  die  Schöne, 
hüftenwiegend,  schultcrdrehend  einher,  schleudert  herausfordernde 
Blicke  nach  allen  Seiten  und  zeigt  bei  lautem  Lachen  und  Schwatzen 
die  durch  Gorgo  (Pulver,  in  dem  der  Tabak  und  die  Guro-Nuss  vor- 
waltcn)  braungefärbten  Zähne. 

Neben  den  herumschlcndernden  Koketten  und  schwerfälligen 
Müssiggängern  fehlen  auch  die  Vertreter  der  Arbeiter  nicht,  denn 
das  leichter  bewegliche  niedere  Bornü-Volk  schafft  im  Ganzen  viel. 
Die  tiefen  durch  ein  Dorngehcgc  eingefriedigten  Brunnen  sind  be- 
lagert von  Frauen  und  Mädchen,  die,  schwatzend  und  Neuigkeiten 
austauschend,  ihre  grossen  Thonkrüge  füllen  und  auf  den  Köpfen 
nach  Hause  tragen.  Es  ist  erstaunlich,  mit  welcher  Kraft  und  Ge- 
schicklichkeit selbst  zehn  oder  zwölfjährige  Mädchen  die  Last  der 
oft  20  Liter  haltenden  Gcfasse  balancircn.  — Arbeitende  ScJaven, 
welche  das  Gewand  bei  Seite  gelegt  haben  und  nur  ein  Schurzfell 
tragen,  sind  unter  einem  Baumeister  in  F>dc  — Katima  — (von  Kati, 
die  Erde)  oder  Kati  tandoma  (etwa  Meister  in  Erde)  — oder  auch 
unter  einem  sachverständigen  Aufseher  beschäftigt , die  eingestürzte 


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STRASSENLEBEN. 


623 


Mauer  der  Wohnung  ihres  Herrn  wieder  aufzurichten;  oder  ein  be- 
scheidener situirter  Mann  baut  mit  Hülfe  eines  sachverständigen  Nach- 
barn seine  einfache  Strohhütte  oder  lässt  durch  einen  professionellen 
Ngimma  oder  Ngim  tandöma  eine  solche  grösser  und  sorgfältiger 
herstellen.  In  der  Vorhalle  eines  Hauses  hat  ein  Eiementarlehrer 
seine  Schule  — Mägärendi  — eingerichtet  und  plärrt  seinen  Schülern 
gedankenlos  die  Verse  des  heiligen  Buches  vor,  oder  ein  l’rivat- 
gelehrtcr,  .halblaut  aus  vergilbten  Blättern  lesend  und  mechanisch 
die  Perlen  des  Rosenkranzes  durch  die  Finger  gleiten  lassend,  för- 
dert still  sein  Wissen  und  sein  Seelenheil  oder  durchwandclt,  ohne 
seine  Thätigkeit  zu  unterbrechen,  pharisäisch  prahlend  die  Strassen. 

Hier  erschallt  aus  der  Werkstatt  eines  Färbers  — Alinma 
das  Walken  und  Klopfen  der  gefärbten  Gewänder;  dort  hämmert  ein 
Schmied  — Kägilma  — die  nothwendigsten  eisernen  Geräthschaften, 
Waffen  und  landwirtschaftliche  Instrumente,  oder  verwandelt  harte 
Thalcr  — Gurs  — in  Fingerringe,  Arm-  und  Fussspangen  und  andern 
Silberschmuck  der  Frauen. 

Vor  der  Thür  spinnt  eine  Hausfrau  die  gereinigte  Baumwolle 
mit  der  Hand  zu  Fäden,  welche  der  Weber  — Sagäma  — zu  langen, 
schmalen  Streifen  verarbeitet,  während  der  Schneider  Kindütöma 
oder  Libräma  (Mann  der  Nadel)  — dieselben  zu  Toben  vereinigt. 
Diese  Zweige  der  häuslichen  Industrie  sind  zwar  männiglich  bekannt 
und  werden  vielfach  in  den  Familien  von  Sclavcn  und  Freien  geübt, 
doch  der  Luxus  der  Residenzstadt  verlangt  künstlerische  Ausfüh- 
rung, und  die  mannichfachen  Anforderungen  der  zahlreichen  Ein- 
wohnerschaft haben  zur  Arbeitsteilung  gezwungen;  so  haben  sich 
allmählich  professionelle  Vertreter  dieser  Handwerke  hcrausgebildet. 
Ebenso  verhält  es  sich  mit  der  Mattenflechterei,  die  bei  dem  starken 
Consum  nicht  mehr  der  häuslichen  Industrie  allein  Vorbehalten 
bleiben  konnte,  und  man  sieht  den  Büschima  (von  Büschi,  die  Matte) 
in  der  Süqei'fa  (Vorhalle)  seines  Hauses,  umgeben  von  Blattstreifen 
des  Dümgestrüpps  und  von  roth,  gelb  und  schwarz  gefärbten  Blatt- 
und  Baststreifchen,  seiner  Kunst  obliegen. 

An  einer  trockenen  Stelle  der  Strasse  hat  eine  Geschäftsfrau 
aus  vier  Stangen  und  einer  darüber  gelegten  Matte  eine  Bude  im- 
provisirt  und  bietet  frische  und  geröstete  Erdnüsse,  einige  Datteln 
und  Güro- Nüsse  und  kleine  Kuchen  aus  Duchn  mit  Honig  feil.  In 
ebenso  primitiven  Werkstätten  stellt  der  Lederarbeiter  seine  Erzeug- 


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III.  BUCH,  6.  KAPITEL.  DIE  HAUPTSTADT  VON  BORNÜ. 


nisse  aus,  und  durch  die  offene  Thür  eines  Hofraumes  gewinnt  man 
einen  oberflächlichen  Blick  auf  die  Thätigkeit  eines  Schreiners,  der 
ein  seinen  unvollkommenen  Instrumenten  entsprechendes  beschränktes 
Feld  der  Thätigkeit  hat,  eines  Sattlers,  d.  h.  Verfertigers  der  höl- 
zernen Sattclgestelle,  oder  eines  Töpfers,  der  neben  einer  Thon- 
grube, welcher  er  sein  Material  entnimmt,  seinen  Wohnsitz  aufge- 
schlagen hat. 

Während  diese  Handwerker  still  an  Ort  und  Stelle  schaffen, 
durchzieht  der  Barbier  — Wanzamma  durch  schrilles  Pfeifen  die 
Kunden  anlockend,  die  Stadt,  wird  hier  in  ein  Haus  zur  Ausübung 
seiner  Kunst  gerufen,  oder  hockt  dort  auf  der  Strasse  nieder  und 
bearbeitet  die  Köpfe  vor  ihm  knieender  Männer  und  Frauen  mit  den 
beliebten  steiermärkischen  Rasirmesscrn,  oder  schröpft  hülfsbcdiirftige 
Personen  kunstgerecht  am  Hinterkopf,  indem  er  die  Einschnitte  mit 
dem  Messer  macht  und  konische  Schröpfköpfe  aus  Horn,  die  an  der 
Spitze  durchbohrt  sind,  ansaugt  und  dann  mit  Wachs  vcrschliesst. 

Laut  gehen  die  Milchfrauen  ihrem  Geschäfte  nach  und  rufen, 
Gefässe  mit  frischer  und  saurer  Milch  auf  den  Köpfen  und  in  den 
Händen,  — wie  überall,  möglichst  unverständlich  — , ihre  Waare  aus: 
Kiain  (Milch)!  Kiam  killi  (frische  Milch)!  Fula  (frische  Butter)! 

Dazwischen  durchreiten  Pferdemakler  die  Hauptstrasse  und 
suchen  bald  durch  Caprioien  das  Feuer  der  Thiere,  bald  durch 
schnellen  Passgang  ihre  Brauchbarkeit  zu  beweisen.  Kleine  Kara- 
wanen von  Packpferden,  Eseln  und  Ochsen  bringen  getrocknete 
Fische  vom  Tsad-See,  Güro-Nusse,  Gewänder  und  Leder  von  Kano, 
gefärbte  Bornii- Toben  aus  der  Provinz  Kölöko  oder  fuhren  Bilma- 
Salz,  Natron  oder  Manufacturgegenstände  der  Hauptstadt  in  die 
Provinzen. 

Vor  den  Häusern  der  Grossen  halten  Kaineel-  oder  Ochsenkara- 
wanen, welche  von  den  Landgütern  den  Hausbedarf  an  Getreide  in 
die  Stadt  bringen,  oder  Stämme  und  Ortschaften  senden  durch  Ab- 
gesandte ihrem  Oberhaupte  bei  Hofe  die  pflichtmässigen  Steuern 
an  Getreide,  Butter  und  Vieh,  oder  Deputationen  der  Grenzstämme 
und  Provinzen,  in  oft  fremdartiger  und  kriegerischer  Tracht,  suchen 
bittstellend  oder  klagend  durch  ihre  Vertreter  das  Ohr  des  Herrschers 
zu  erreichen. 

Wer  jedoch  der  Arbeit  nicht  nothwendig  zur  Existenz  bedarf 
— und  die  dortigen  Bedürfnisse  sind  mit  geringen  Kosten  zu  be- 


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STRASSENI.ERF.N. 


625 


schaffen  — , huldigt  dem  Müssiggange,  und  wo  ein  schattiger  Raum 
oder  ein  Schattendach  mit  trockenem  Plätzchen  sich  findet,  da  sitzen 
vom  Morgen  bis  zum  Abend  schwatzende  Männer.  Gegen  Abend, 
wenn  die  Sonne  unterzugehen  im  Begriffe  ist,  ertheilcn  die  Vor- 
nehmen mit  Vorliebe  öffentliche  Audienzen  auf  der  Strasse,  in  Mitten 
ihrer  Clienten,  Dienstmannen  und  Sclaven,  mit  denen  sic  wohl  ge- 
meinschaftlich das  Maghreb-  (Sonnenuntergang-)  Gebet  verrichten. 
Dann,  zur  Zeit  der  Abendmahlzeit  — 'Ascha  arab.  und  Lesä  kan.  — , 
zieht  sich  Jeder  in  seine  Behausung  zurück  ; erst  später  vereinigt  sich 
die  Jugend  in  den  Strassen  und  auf  den  Plätzen  zu  Musik  und  Tanz, 
und  selten  schweigt  der  einförmige  Gesang  der  l'raucn  und  Mädchen 
und  ihr  rythmisches  Händeklatschen  vor  Mitternacht. 

Das  bunte  und  im  Ganzen  so  heitere  Bild  des  täglichen  Strasscn- 
lebens  entbehrt  aber  auch  der  Schatten  nicht,  und  der  dunkelste  ist 
sicherlich  die  unglaubliche  Anzahl  der  Blinden,  welche  halb  nackt 
und  halb  verhungert  am  Wege  sitzen  und  von  der  Mildthätigkcit  der 
Vorübergehenden  in  kreischenden  Tönen  ihren  kümmerlichen  Lebens- 
unterhalt erflehen,  oder  in  langen  Reihen  von  zehn  und  mehr  Per- 
sonen, Einer  hinter  dem  Andern,  sich  unter  der  Führung  des  Kun- 
digsten unter  ihnen  durch  die  belebtesten  Strassen  tasten  und  durch 
klagendes  Geheul  die  Herzen  ihrer  Mitbürger  zu  rühren  suchen. 

Weniger  traurige,  doch  höchst  charakteristische  und  eigenthüm- 
liche  Erscheinungen  sind  in  den  Strassen  Küka’s  die  Bettelstudenten 
oder  fahrenden  Schüler,  welche  aus  allen  benachbarten  Ländern  und 
Nationen  die  Hauptstadt  Bornü’s  mit  ihren  berühmten  Religionslehrcm 
und  ihrer  gutmüthigen  Bewohnerschaft  aufsuchen,  um  Gelehrsamkeit 
und  das  tägliche  Brod  zu  erwerben.  Ihre  Ansprüche  sind  keines- 
wegs hochfliegend.  Ist  es  ihnen  gelungen,  die  Durchlcsung  des 
Qorän  einmal  zu  beenden,  so  ziehen  sie  als  Mo’allemln  oder  Fuqähä 
befriedigt  ihrer  Heimath  zu,  mit  einem  Anspruch  auf  die  Achtung 
ihrer  Landsleute  und  vielleicht  so  viel  Kenntnissen,  dass  sic  mühsam 
einen  gewöhnlichen  Brief  zu  entziffern  oder  zu  schreiben  verstehen, 
einen  Vorrath  von  heilkräftigen  Formeln  und  schützenden  Talismanen 
erworben  haben,  oder  den  ersten  Elementarunterricht  ertheilen 
können.  Sie  zeichnen  sich  Alle  durch  gleiche  Tracht  und  gleiche 
Attribute  aus.  Ihre  Kleidung  besteht  in  einem  Ziegen-,  Leoparden- 
oder Hyänenfell,  das,  auf  der  einen  Schulter  und  Hüfte  geknüpft, 
mühsam  ihre  Blosse  deckt.  In  der  einen  Hand  tragen  sie  einen 
Nachtigal.  I.  40 


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626  I».  BUCH,  6.  KAPITEL.  DIE  HAUPTSTADT  VON  BORNO. 

langen  Stab  und  eine  Kiirbisschale,  in  der  sie  die  milden  Gaben,  zu 
denen  sie  berechtigt  sind,  sammeln,  in  der  andern  oder  auf  der 
linken  Seite  an  einer  Schnur  hängend,  ihre  hölzerne  Schrcibtafel  — 
Loah  arab.  — mit  einem  Tintenfass  aus  Thon  oder  einem  kleinen 
Flaschenkürbis,  in  dem  die  plumpe  Rohrfeder  steckt.  Alle  sind 
gänzlich  besitzlos.  Einige  werden  in  den  Vorhallen  der  Reicheren 
beherbergt,  genährt  und  mit  den  Söhnen  des  Hauses  unterrichtet, 
Andere  müssen  betteln  oder  durch  kleine  Dienstleistungen  am  Tage 
ihren  Lebensunterhalt  erwerben.  Dann  bleibt  ihnen  nur  die  Nacht 
zu  ihren  Studien,  und  am  späten  Abend,  einige  Stunden  nach  Sonnen- 
untergang, wenn  das  kärgliche  Abendessen  verzehrt  ist,  sowie  am 
frühen  Morgen  vor  dem  ersten  Gebet  erglänzen  auf  den  Plätzen  und 
breiten  Strassen  ihre  Feuer,  zu  denen  Jeder  von  ihnen  Holz  zu 
liefern  verpflichtet  ist,  und  tönt  unter  der  Leitung  eines  Lehrers  ihr 
frommes  Geplärre  laut  durch  die  Nacht.  Bei  so  unzureichenden 
Studien  ist  es  natürlich,  dass  Viele  ein  vorgerücktes  Alter  erreichen, 
bevor  sie  ihr  Ziel  gewinnen,  und  dass  man  die  verschiedensten  Lebens- 
alter unter  ihnen  vertreten  findet.  Manche  der  kleinen  Knaben, 
welche  der  zärtlichen  Sorge  einer  Mutter  noch  nicht  entbehren  sollten, 
während  sic  in  früher  Reife  als  fahrende  Schüler  die  dortige  Welt 
durchziehen,  sterben  als  Greise,  noch  immer  Bettelstudenten,  wahre 
bemooste  Häupter. 

Auch  vor  dem  Ostthore  der  westlichen  Stadt  wird  ein  täglicher 
Markt  abgehalten,  und  das  ganze  Terrain  des  Zwischenraumes  zwischen 
beiden  Städten  und  die  Oststadt  selbst  haben  den  Vorzug,  etwas  höher 
zu  liegen  und  weniger  stehendes  Wasser  in  der  Regenzeit  anzu- 
sammeln. 

Das  Leben  auf  dem  Dendal  der  Oststadt  ist  weniger  mannich- 
faltig,  als  das  der  Weststadt,  deren  Bevölkerung  mehr  auf  Arbeit 
angewiesen  ist.  Dafür  ist  es  glänzender  durch  die  Menge  der  Hof- 
beamten, schöner  Pferde  und  reichgekleideter  Reiter,  .welche  der 
Königswohnung  zustreben  oder  bei  den  zahlreichen  Prinzen,  Brüdern 
und  Söhnen  des  Scheich,  ihren  ehrgeizigen  oder  gewinnsüchtigen 
Zielen  nachgehen. 

Fern  vom  Dendal  in  den  Nebenstrassen  schwächt  sich  der  Ver- 
kehr erheblich  ab.  Die  Pfade  sind  winklig  und  schmal,  die  Woh- 
nungen bescheidener,  und  man  stösst  nicht  selten  auf  Häuser  in 
Ruinen,  unbebaute  Plätze,  grosse  Sand-  und  Lehmgruben,  Abfalls- 


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NEBF.NSTR  ASSEN.  — BKVÖLKERUNGSZIFFER.  627 

häufen,  stinkende  Pfützen  und  tiefe  Rcgcnteiche.  Diese  letzteren 
sind  zum  Theil  von  beträchtlichem  Umfange,  und  in  demjenigen,  an 
welchem  mich  mein  Weg  zur  Wohnung  des  TitiwJ  häufig  vorüber- 
führte,  schien  sich  sogar  ein  kleines  Krokodil  recht  wohl  zu  befinden. 
Während  und  nach  der  Regenzeit  1870  war  dasselbe  nicht  bemerkt 
worden;  es  zeigte  sich  zuerst  nach  der  Regenzeit  1871  und  kam  auch 
im  Herbst  (872  wieder  zum  Vorschein,  obgleich  der  Teich  während 
der  trockenen  Jahreszeit  einige  Monate  hindurch  gänzlich  wasserlos 
gewesen  war.  Die  während  der  Regenzeit  wassergcfüllten  und  dann 
allmählich  austrocknenden  Gruben  werden  zu  ausgedehnten  Brut- 
stätten der  Malaria,  und  die  Anhäufung  von  Unrath  und  ver- 
wesenden Stoffen  kann  begreiflicherweise  der  allgemeinen  Gesund- 
heit nicht  zuträglich  sein.  Dieselbe  würde  sicherlich  noch  viel 
verderblicher  wirken,  wenn  nicht  auf  den  Bäumen  und  Mauern  zahl- 
lose Aasgeier  sässen  und  durch  schleunige  Wegräumung  gefallenen 
Viehs  und  dergleichen  sich  eine  prompte  Sanitätspolizei  auszuüben 
angelegen  sein  Hessen. 

Im  Ganzen  mag  Küka  eine  Bevölkerungszahl  von  50—60,000  Seelen 
erreichen,  eine  Ziffer,  die  noch  gering  genug  erscheint,  wenn  man 
bedenkt,  dass  die  I-ängc  der  Stadt,  vom  äussersten  West-  bis  zum 
aussersten  Ost -Ende,  mehr  als  eine  halbe  deutsche  Meile,  und  dass 
ihre  Breite  fast  eine  Viertelmeile  ausmacht.  Zwei  Dritttheile  der 
Bewohner  mögen  auf  die  Weststadt  kommen,  in  der  die  kleineren 
Wohnungen  dichter  gedrängt  stehen,  während  die  ausgedehnten  Be- 
hausungen der  Grossen  in  der  Königsstadt,  trotz  des  Reichthums  an 
Sclaven , den  sie  bergen , doch  einen  unverhältnissmässig  grossen 
Raum  einnehmen.  In  der  Oststadt  bildet  die  königliche  Familie,  der 
Scheich  mit  seinen  kinderreichen  Brüdern  und  Söhnen,  einen  ansehn- 
lichen Bruchtheil  der  Einwohnerschaft.  Während  der  greise  Herrscher 
noch  Kinder  im  zartesten  Alter  hatte,  erfreute  sich  der  Kronprinz  einer 
Nachkommenschaft  von  siebenzig  und  einigen  Kindern,  und  einer  seiner 
jüngeren  Brüder  hatte  diese  Zahl  bereits  übertroflen. 

Meine  Wohnung  lag,  wie  erwähnt,  am  grossen  Dendal  der  West- 
stadt, in  unmittelbarer  Nähe  des  Platzes,  den  das  Haus  des  Scheich 
und  die  daranstossende  Moschee  nach  Osten  begrenzt,  einige  hundert 
Schritte  westlich  von  ihnen.  Sobald  ich  mich  einige  Tage  hindurch 
in  der  Stadt  und  unter  den  Leuten,  die  mich  zunächst  interessiren 
mussten,  orientirt  hatte,  machte  ich  mich  an  die  möglichst  behagliche 

40* 


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628  m.  buch,  6.  kapitel.  die  Hauptstadt  von  bornC. 

Einrichtung  meiner  Häuslichkeit,  da  ich  voraussichtlich  eine  Reihe 
von  Monaten  in  ihr  zu  verbringen  hatte.  Das  Haus  war  geräumig 
genug  und  gefiel  mir  bald  in  dem  Thcile,  den  ich  spcciell  zu  meinem 
Aufenthalte  gewählt  hatte,  ausserordentlich.  Mit  wirklichem  Ver- 
gnügen betrat  ich  nach  jeder  Abwesenheit  den  schön  geformten 


• H 

* 


Grundriss  Von  Dr.  G.  Nach t i gal' s Wohnhaus  in  Köka. 

I  Suqeifa  oder  Eingangshalle. 

II  Bui  Mohammcd's  Häuschen. 

III  Mein  Wohnhaus  mit  Vorrathskämmerchen 

IV  Giuseppe'*  Haus. 

V Diener/immcr. 

VI  Küche  für  die  Dienerschaft, 
a,  h,  c.  d unbedeckte  Gange. 

I Pferdestand. 

a Höfchen  vor  Bui  Mohammed’*  Häuschen. 

3 Hofraum. 

4 Innerer  Hofraum  mit  HedscMidsch  Baum  (H). 

5 Als  Küche  dienender,  unbedachter  Kaum. 

6 Huhnarhof  mit  Kuma  Baum  (K). 

Hof  (4)  — Belbel  — mit  dem  grossen  Hedschlfdsch  (H),  der  die 
Vorderseite  meines  Wohnhauses  (III)  beschattete.  An  dieselbe  lehnte 
sich  noch  ein  breites  Schattendach,  unter  dem  sich  häufig  meine 
Leute  aufhielten  und  die  Wasserkrüge  standen.  Das  Kämmerchen 
neben  meinem  Wohnzimmer  diente  als  Vorrathskammer,  und  nicht 
weit  davon  an  der  südlichen  Wand  des  Hofes  bewohnte  Giuseppe 


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MEINE  WOHNUNG  UND  DIENERSCHAFT. 


629 


mit  seinem  Gehülfcn,  dem  Marokkaner  Hammu,  ein  in  zwei  Zimmer 
getheiltes  Häuschen  (IV)  und  kochte  in  dem  daneben  befindlichen 
unbedachten  Raume  (5).  Bui  Mohammed  residirte  in  einem  verschliess- 
baren  Erdhäuschen  (II)  nahe  der  Eingangshalle  (I)  — Siiqeifa  arab. 
— und  hatte  dort  alles  Reisegepäck  und  die  Getreidevorräthe  für 
Leute  und  Pferde  in  seiner  Obhut.  Die  letzteren  hatten  ihren  Stand 
in  einem  der  grossen  Höfe  (l),  und  die  Diener,  vorläufig  nur  Sa'ad 
und  Ali  aus  Mandara,  bewohnten  ein  Zimmer  (V)  im  Nebengebäude, 
das  von  einem  hübschen  Kurna-Baume  (K)  beschattet  war,  während 
in  dem  daneben  befindlichen  Gemache  (VI)  die  Küche  für  die  Leute 
besorgt  wurde. 

Ali  aus  Mandara,  den  ich  schon  in  Fczzän  wegen  wiederholten 
Diebstahls  entlassen  und  nur  aus  Barmherzigkeit  mit  nach  Bornü 
genommen  hatte,  gewann  den  milde  urthcilenden  Mohammed  für 
sich  und  blieb,  da  dieser  gewissermassen  für  ihn  gut  sagte,  einst- 
weilen im  Hause;  Sa’ad  wurde  mit  der  ersten  nach  Tripolis  be- 
stimmten Karawane  zurückgeschickt,  und  an  seiner  Statt  nahm  ich 
aus  Höflichkeit  für  Lamino  den  „Christensclavcn"  Dunkas  in  Dienst, 
von  dessen  Ortskenntnis  ich  mir  manchen  Vortheil  versprach,  ob- 
gleich übrigens  sein  grosssprecherisches  Wesen  kein  grosses  Ver- 
trauen cinflösste.  Nach  unserer  Ankunft  in  Küka  meldeten  sich  aus 
der  Reihe  der  mehr  und  mehr  sich  auflösenden  Truppe  der  Marokkaner 
diejenigen,  welche  ich  unterwegs  auf  die  Zukunft  vertröstet  hatte, 
Hadsch  Brek  und  Hadsch  Husein;  doch  auch  jetzt  wies  ich  sic 
zurück,  so  lange  ihre  Gefährten  noch  in  der  Stadt  sein  würden. 
Der  gutmüthige,  halbblinde  Ben  Zckta  endlich,  der  den  traurigen 
Garnisondienst  von  Murzuq  aufgegeben  hatte,  um  von  dem  Glücke, 
das  sein  Bruder  als  Kaufmann  in  Küka  gemacht  hatte,  Nutzen 
zu  ziehen,  musste  gänzlich  enttäuscht  mit  der  ersten  Karawane 
in  seine  Heimath  zurückkehren.  Sein  Bruder  war  kurz  zuvor  ge- 
storben und  seine  Hinterlassenschaft  mit  Beschlag  belegt  worden, 
da  er  noch  Kinder  in  Fezzän  hatte.  Der  Scheich  pflegte  in  solchen 
Fällen  zwei  arabische  Verwalter  der  Masse  zu  ernennen,  deren  einer 
gewöhnlich  der  Titiwi  war,  und  map  konnte  stets  sicher  sein,  dass 
im  besten  Falle  nur  ein  höchst  unbedeutender  Bruchthcil  des  Nach- 
lasses bis  zu  den  Erbberechtigten  gelangte. 

Die  Hauptunannchmlichkeiten  eines  Reisenden  erwachsen  ihm 
aus  seiner  Dienerschaft,  zumal  wenn  er  in  einem  Lande,  in  dem  ällc 


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630  in.  buch,  6.  Kapitel,  die  Hauptstadt  von  bornü. 

Arbeit  gewohnheitsgemäss  von  Sclaven  verrichtet  wird,  von  freien, 
salarirtcn  Dienern  umgeben  sein  will.  Wenn  diese  sich  auch  im  Norden 
unter  den  Arabern  ihrer  untergeordneten  und  dienenden  Stellung  nicht 
geschämt  haben,  so  versteht  sich  doch  ihr  Selbstgefühl  nur  schwer  dazu, 
unter  und  mit  Sclaven  zu  arbeiten.  Sie  stehen  in  der  Leistung  weit 
hinter  den  Letzteren  zurück  und  wollen  gleichwohl  besser  behandelt 
sein.  Ihre  Ansprüche  wachsen  noch  erheblich  beim  ruhigen  Aufenthalte 
in  einer  Stadt,  wo  ihre  Thätigkcit  wenig  in  Anspruch  genommen  wird 
und  sich  die  Gelegenheiten,  das  Leben  zu  gemessen,  auf  Schritt  und 
Tritt  darbieten.  Ich  hatte  deswegen  meine  Augen  auf  die  Marokkaner 
geworfen,  welche,  so  unangenehm  auch  ihr  halsstarriger  Sinn  und  ihre 
brutale  Heftigkeit  sind,  wenigstens  eine  energische  Thätigkeit  lieben  und 
sich  wenig  um  das  Urtheil  der  Menschen  kümmern.  Vorläufig  aber 
genügte  mir  Hammu,  der  sich  als  ein  gutmüthiger  und  treuer,  wenn 
auch  fauler,  eigensinniger  und  ungeschickter  Mensch  zeigte,  zumal 
ich  von  Ali  noch  nicht  befreit  war. 

Eine  Hauptschwierigkeit  für  die  Aufrechterhaltung  meines  Haus- 
standes lag  in  dem  Mangel  weiblicher  Bedienung.  Die  Neger  hielten 
es  für  unvereinbar  mit  ihrer  Wurde,  ihre  Nahrung  selbst  zu  bereiten, 
da  in  Bornü  diese  Arbeit  den  Frauen  zufallt.  Da  ich  den  Ankauf 
von  Sclavinnen  vermeiden  zu  müssen  glaubte,  so  sah  ich  mich  ge- 
zwungen, zu  diesem  Endzwecke  eine  Frau  zu  miethen.  Doch  bei 
der  Weitläufigkeit  des  Hauses  und  meinen  anderweitigen  Beschäf- 
tigungen sah  ich  mich  ausser  Stande,  dieselbe  zu  controlircn,  und  Bui 
Mohammed,  dem  die  Aufsicht  über  diesen  Thcil  der  Haushaltung 
zufiel,  sah  aus  Gutinüthigkeit  und  im  Bewusstsein  eigener  Unvoll- 
kommenheit durch  die  Finger.  Sobald  Sa'ad  nach  Norden  abgereist 
war,  bildete  sich  ein  intimes  Verhältnis  zwischen  Ali  und  der  Köchin 
heraus,  und  bald  sah  man  Beide  in  neuen  Gewändern  herumstolziren, 
für  deren  Pracht  meine  Freigebigkeit  keine  Erklärung  bot.  Mein 
Argwohn  erwachte,  doch  der  alte  Qatrüner  war  nicht  aus  seinem 
Gleichmuth  zu  bringen,  und  erst  wohlwollende  Nachbarn  lieferten 
mir  den  Beweis,  dass  Ali  mein  Getreide  auf  dem  Markte  verkaufte, 
während  die  Pferde  abmagerten,  und  dass  täglich  erst  die  ganze  Fa- 
milie der  Kochfrau,  ihre  Eltern  und  Geschwister,  gespeist  wurden, 
bevor  meine  Leute  ihre  Mahlzeiten  erhielten.  Bui  Mohammed  aber, 
so  ehrlich  und  treu  er  sich  sonst  zeigte,  war  trotz  seiner  Würde  und 
seines  vorgerückten  Alters  den  Freuden  der  Liebe  nicht  abhold,  hielt 


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häusliche  übelstände.  631 

sich  eine  Geliebte,  deren  Familie  zu  bedenken  er  sich  ebenfalls  für  ver- 
pflichtet hielt,  und  drückte  so  bei  den  Veruntreuungen  Äli's  ein  Auge  zu. 

Dunkas  aber,  der  mir  durch  seine  Kenntniss  des  Landes  nützlich 
werden  sollte,  stellte  sich  bald  als  gänzlich  unbrauchbar  heraus; 
seine  Leistungen  standen  im  umgekehrten  Vcrhältniss  zu  seinem 
grosssprecherischen  Wesen.  Er  hatte  sich  unter  dem  grossmüthigen 
Schutze  und  der  Freigebigkeit  Lamino's  der  Arbeit  gänzlich  ent- 
wöhnt und  war  zu  einem  Luxusdiener  geworden,  wie  cs  deren  in 
einem  sclavcnrcichen  Lande,  wie  Hornü,  unzählige  giebt.  Ich  hatte 
ihn  an  meine  Person  attachiren  wollen,  aber  er  beanspruchte,  die 
Nacht  in  seinem  Hause,  das  auf  der  Südseite  der  Oststadt  ausserhalb 
der  Mauern  lag,  zu  verbringen  und  kam  Morgens  zu  sehr  vorgerückter 
Stunde  oder,  wenn  es  regnete,  überhaupt  nicht,  bis  der  Himmel 
wieder  klar  geworden  war.  Mit  naiver  Unverschämtheit  miethete  er 
sich  schliesslich  einen  Diener,  Namens  Solimän,  für  ein  Viertel  seines 
Lohnes  als  Stellvertreter  und  lebte  als  Freiherr. 

Im  Innern  des  Hauses,  wo  Giuseppe  herrschte,  fehlten  die  Un- 
annehmlichkeiten ebenfalls  nicht.  Seit  der  Abreise  aus  Fczzän  zeigte 
derselbe  wieder  sein  früheres  unzufriedenes  und  mürrisches  Wesen, 
hatte  mir  unterwegs  manche  unangenehme  Stunde  bereitet  und  ver- 
bitterte mir  in  Küka  den  häuslichen  Aufenthalt.  Er  hatte  die  Hoff- 
nung genährt,  von  mir  als  gleichberechtigter  Genosse  beim  Herrscher 
und  seinen  Würdenträgern  eingefuhrt  zu  werden,  war  durch  die  Reise 
nach  Tibesti  arg  enttäuscht  worden  und  hatte  trotz  meiner  War- 
nungen unerfüllbare  Erwartungen  von  der  Reise  gehegt.  Er  war  kein 
übelwollender  Mann,  sondern  von  Hause  aus  gutnnithig  und  wohl- 
meinend; doch  sein  Streben  nach  Gewinn  und  seine  Unzufriedenheit 
mit  einer  einfach  dienenden  Stellung  hatten  ihm  den  Kopf  ver- 
dreht. Schon  auf  der  Reise  hatte  er  einen  Plan  geschmiedet,  den 
er  bald  nach  unserer  Ankunft  in  Küka  zur  Ausführung  brachte. 
Er  begab  sich  eines  Tages  ohne  mein  Vorwissen  zum  Scheich,  setzte 
demselben  auseinander,  dass  er  schon  in  Fczzän  ohne  mein  Wissen 
Mohammedaner  geworden  sei  und  jetzt  unmöglich  länger  in  Abhän- 
gigkeit von  einem  Christen  leben  könne,  und  erbat  von  seiner  Gnade 
Wohnung  und  Existenzmittel,  da  er  die  Absicht  habe,  in  Hornü  zu 
bleiben.  Der  König  wies  ihn  an  Lamino,  der  dann  eines  Tages 
seinen  Eunuchen  Mesa'üd  mit  der  Anfrage  zu  mir  schickte,  ob  ich 
etwas  dagegen  habe,  wenn  mein  bisheriger  Diener  Giuseppe  aus 


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632  HI.  BUCH,  6.  KAPITEL.  DIE  HAUPTSTADT  VON  BORNÜ. 

meinem  Dienste  scheide  und  in  sein  Haus  übersiedle.  Ich  konnte 
nur  erwidern,  dass  Giuseppe  ein  freier  Mann  sei  und  handeln  müsse, 
wie  Gewissen,  Neigung  und  Vortheil  ihm  geböten.  Noch  an  dem- 
selben Tage  verliess  der  Mann,  auf  dessen  Anhänglichkeit  meine 
tunisischcn  Freunde  und  ich  selbst  so  sehr  gebaut  hatten,  ohne  Lebe- 
wohl mein  Haus,  und  erfüllte  die  Stadt  mit  bewundernden  Gerüchten 
über  seine  Islamisirung.  Seitdem  war  ich  gehässigen  Verläum- 
dungen  und  Angriffen  von  seiner  Seite  ausgesetzt,  welche  mir  bei 
seiner  durch  den  Religionswechsel  unter  den  Leuten  befestigten 
Glaubwürdigkeit  nicht  allein  unangenehm  sein  mussten,  sondern  selbst 
ernstliche  Nachtheile  im  Gefolge  haben  konnten.  Denn  einen  Unter- 
schied in  Bildung  und  Erziehung  zwischen  uns  zu  entdecken  waren 
die  Leute  begreiflicher  Weise  nicht  im  Stande;  ja,  Viele  mochten 
den  Apostaten  bei  seiner  Fertigkeit  in  mechanischen  Arbeiten,  nach- 
dem er  von  Gott  mit  der  richtigen  religiösen  Erkenntniss  begnadigt 
worden  war,  nicht  nur  für  den  klügeren,  sondern  auch  für  den 
besseren  Menschen  ansehen. 

In  einem  fanatischeren  Lande,  zum  Beispiele  in  Wadäf,  würde 
dieser  Abfall  meines  Dieners  verderblichere  Folgen  gehabt  haben; 
in  Bornü  blieb  ich  trotzdem  der  Vornehmere  und  bot  der  Speculation 
eine  mehr  versprechende  Aussicht  als  Giuseppe,  der  selbst  sein  Glück 
von  Land  und  Leuten  erwartete.  Das  religiöse  Gefühl  trat  bei  der 
leichtsinnigen  Menge  dieser  Berechnung  gegenüber  in  den  Hinter- 
grund , und  der  Scheich  selbst  war  nicht  allein  durch  natürliche 
Toleranz  ausgezeichnet,  sondern  zu  verständig,  um  nicht  die  wahren 
Motive  des  scheinbaren  Religionswechsels  zu  erkennen.  Besonders 
der  Umstand,  dass  Giuseppe  behauptete,  in  Fezzan  zum  Islam  über- 
getreten zu  sein,  während  ich  doch  Nichts  von  den  Folgen  einer 
etwaigen  Beschneidung  wusste  und  keine  derartige  Nachricht  mit 
unserer  Karawane  nach  Bornü  gekommen  war,  Hess  Manchen  an  der 
Thatsächlichkcit  des  Uebertrittes  zweifeln.  Noch  nach  Jahren  war 
es  bekannt,  dass  der  kirchlich  strenge  Scheich  diejenigen  Speisen 
nicht  anrührte,  welche  Giuseppe,  nun  Mohammed  el-Muselmäni,  der 
ein  grosser  Kochkünstler  war,  ihm  von  Zeit  zu  Zeit  bereitete. 

Der  übelste  Umstand  für  mich  war  jedoch  nicht  der,  dass  mein 
einziger  europäischer  Begleiter  zum  Islam  übergetreten  schien,  ob- 
gleich dies  das  Ansehn  einer  christlichen  Gesandtschaft  nicht  grade 
heben  konnte,  sondern  die  Unmöglichkeit,  seinen  pecuniärcn  An- 


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GIUSEPPE'S  P EMG  IONS  WECHSEL.  633 

Sprüchen  gerecht  zu  werden.  Ich  hatte  mich  nämlich  nur  unter  der 
Bedingung  entschlossen,  ihn  mit  mir  zu  nehmen,  dass  sein  Gehalt 
erst  nach  gemeinschaftlicher  Rückkehr  zahlbar  würde;  der  höhere 
Monatslohn,  im  Vergleich  zu  dem  der  übrigen  Diener,  wurde  für 
mich  bei  den  geringen  Mitteln,  mit  denen  ich  die  Reise  begann,  auf- 
gewogen durch  den  Vortheil,  ihn  nachträglich  bezahlen  zu  können. 
Im  Augenblicke  seines  böswilligen  Rückzuges  gestattete  mir  aber  die 
Kärglichkeit  meiner  Mittel  nicht,  mich  der  Schuld  an  ihn  zu  entledigen, 
denn  dieselbe  war  für  die  Jahre  1869  und  1870,  bei  einem  Monats- 
gehalte von  12  Abu  Tei'r  (ungefähr  48  Mark),  zu  einer,  für  mich  un- 
erschwinglichen Summe  herangewachsen.  Ich  musste  mich  damit 
begnügen,  ihm  an  baarem  Gelde  und  Werthstücken  zu  opfern,  so 
viel  mir  irgend  möglich  war,  gab  ihm  ein  gutes  doppelläufiges  Jagd- 
gewehr und  einen  Burnus,  um  seine  in  Tibesti  erlittenen  Verluste  zu 
decken,  und  stipulirte  von  Neuem  vor  Zeugen  bei  einem  öffentlichen 
Schreiber,  dass  der  Rest  erst  nach  unserer  beiderseitigen  Rückkehr 
in  die  Mittelmeerländer  zahlbar  sei. 

Glücklicherweise  hatte  Hammu,  der  anfängliche  Gehülfe 
Giuseppe  s,  in  der  Kochkunst  Fortschritte  genug  gemacht,  um  seinen 
Lehrer  ersetzen  zu  können,  und  ich  hatte,  als  ich  nach  mehrfachem 
Wechsel  der  Köchin  endlich  eine  ehrbare  Nachbarin  in  vorgerücktem 
Alter  für  die  Dienerküche  gewonnen  hatte,  eine  wohlthucnde  Zeit 
des  Friedens  und  der  Ordnung  im  Hause.  Freilich  zeigte  sich  der 
Ersatzmann  Dunkas’,  der  tiefschwarze  Känembu- Mischling  Solimän, 
als  er  aus  dem  tiefen  Elend,  in  dem  jener  ihn  gefunden  hatte,  her- 
ausgezogen und  einige  Zeit  ordentlich  genährt  und  gekleidet  worden 
war,  so  grenzenlos  der  Frauenliebe  ergeben,  dass,  obwohl  er  übrigens 
ein  ehrlicher,  kluger  und  brauchbarer  Mann  war,  seine  Liederlichkeit 
selbst  in  der  leichtlebigen  Hauptstadt  Bornu  s zu  mannichfachen 
Klagen  der  Nachbarn  und  meiner  eigenen  Leute  Veranlassung  gab. 
Doch  da  er  unter  der  Botmässigkeit  Bu'i  Mohammeds  stand,  so 
kannte  ich  seine  Fehler  nicht  im  ganzen  Umfange  und  überliess  die 
Verantwortung  dem  erfahrenen  Qatrüner. 

Das  von  mir  bewohnte  Gebäude  hatte  ich  zunächst  mit  einem 
Fenster  versehen,  d.  h.  ich  hatte  mit  der  Hacke  eine  l*/j  Fuss  hohe 
und  breite  Oeffnung  in  die  auf  den  Hof  gehende  Wand  geschlagen 
und  im  Zimmer  im  unmittelbaren  Bereiche  dieser  Lichtquelle  mittelst 
meiner  drei  Kisten,  wie  in  Fczzän,  einen  Schreibtisch  improvisirt, 


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634  III.  BUCH,  6.  KAPITEL.  DIE  HAUPTSTADT  VON  BORNÜ. 

hinter  dem  ein  umgestürzter  Holzmörser  als  Sessel  fungirte.  Den 
Erdboden  hatte  ich  mit  groben  Matten  — Büschiwa  ngimbe  (d.  h. 
Hausmatten)  — belegt,  auf  einer  I’högubank  mein  Lager  aus  Tep 
pichen  bereitet  und  Thur  und  Fenster  mit  Rohrjalousicn,  wie  ich  sie 
als  Vorhängethiiren  erwähnt  habe,  verhängt.  Unter  dem  breiten 
Schattendach  vor  dem  llause  befanden  sich  die  meteorologischen 
Instrumente,  so  lange  wenigstens  keine  gefahrdrohenden  Thicrc  den 
Hof  bevölkerten. 

Letzteres  dauerte  jedoch  nicht  lange,  denn  cs  hatte  sich  bald  in 
der  Stadt  das  Gerücht  verbreitet,  dass  ich  ein  grosser  Freund  von 
allerlei  Gcthicr  sei,  und  Viele  suchten  diesen  Umstand  zu  benutzen, 
mich  auf  eine  leichte  Art  zu  verpflichten.  Schon  in  den  ersten 
Tagen  hatte  der  Scheich  ein  stolzes  Strausscnpaar,  das  allerdings 
seiner  besten  Federn  beraubt  war,  gesendet,  Enten  vom  Tsäde,  sehr 
verschieden  in  Grösse  und  Färbung,  und  Gänse  ebendaher  mit  dunk- 
lem, grünlich  schillerndem  Gefieder  und  einem  halbzölligcn  Knochen- 
sporn  am  Ellbogen-Flügclgelenk  (Plcctroptcrus  gambctisis),  der  einst 
dem  braven  Baserki  Scherif  zu  Murzuq  Veranlassung  gegeben  hatte, 
mich  in  kindischer  Ucbertreibung  vor  der  Gefährlichkeit  dieser  Thicrc 
zu  warnen.  Andere  Bekannte  waren  dem  Beispiele  des  Scheich  gefolgt, 
und  bald  wimmelte  der  Hof,  den  ich  zu  diesem  Zwecke  reservirt  hatte, 
von  interessantem  Geflügel.  Da  war  das  gewöhnliche  Perlhuhn  — 
Kädschi  — und  eine  sich  durch  die  weisse  Farbe  des  Bauches  von 
jenem  unterscheidende  Varietät,  die  mir  als  Kädschi  jerabc  bezeichnet 
wurde.  Unter  den  eben  erwähnten  Gänsen  — Ngndäkäbu  — zeich- 
nete sich  eine  Art  (Sarcidwrrtis  africana)  durch  einen  zollhohen, 
fleischlappigen  Kamm  aus,  der  von  der  Wurzel  des  Schnabels  bis  über 
die  Mitte  und  zuweilen  bis  an  das  Ende  desselben  reichte.  Die  Enten 
waren  zum  Thcii  gross,  schnccweiss,  mit  purpurrothen  Seitcntheilen 
des  Kopfes,  von  der  Gestalt  unserer  türkischen  Enten  (Anas  moschata) 
und  wurden  dann  Kauangc  genannt,  zum  Theil  kleiner  und  schlanker 
als  unsere  gewöhnlichen  Hausenten,  doch  diesen  ähnlich  gezeichnet  und 
hiessen  dann  Sugulgüli.  Diese  letzteren  zeigten  mangelhaft  entwickelte 
Schwimmhäute  der  Weibchen,  während  die  ersteren  sämmtlich  durch 
bogenförmig  nach  innen  gekrümmte  Zehen  gekennzeichnet  waren,  eine 
Eigentümlichkeit,  welche  sic  mit  den  sich  durch  einen  fleischigen 
Kamm  auf  dem  Schnabel  auszeichnenden  Gänsen  gemein  hatten.  Zum 
ersten  Male  sah  ich  hier  den  Hornvogel  Buccros  abyssinicus  — 


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MENAGERIE  IM  HAUSE.  635 

Kägim  — , der,  von  der  Grösse  einer  Gans,  mit  den  ausgebreiteten 
schwarzen  Flügeln  bis  zu  zwei  Metern  misst,  nackt  und  blauroth  an  den 
Wangen  und  dem  oberen  Theilc  des  Maises  ist  (das  Männchen  tragt 
daselbst  noch  die  Zierde  von  rothen,  fleischigen  Lappen)  und  sich  durch 
einen  schwarzen  8 Zoll  langen,  schwach  gekrümmten  Schnabel  aus- 
zeichnet,  welcher  auf  seiner  Wurzel  einen  \l/3  Zoll  hohen,  hornigen, 
hohlen  und  nach  vorn  geöffneten,  ebenso  gefärbten  Aufsatz  trägt. 

Der  Titiwi  schickte  mir  ein  Pärchen  der  Zwerg -Schafe  aus  der 
Musgo- Gegend , die  durch  ihren  stämmigen,  fetten  Körper  auf  den 
kurzen  Beinchen,  ihr  dickes,  schwarzes,  ungelocktes  Haar  und  ihre 
stark  gewundenen  Ilörner  mir  den  grossen  Unterschied  zeigten,  der 
zwischen  der  Rasse  der  südlich  von  den  grossen  Sudan-Staaten  sich 
ausdehnenden  Heidcnländcr  und  den  mächtigen  Schafen  der  Känembu 
besteht.  Der  Kronprinz  fügte  die  sehr  wenig  passende  Gesellschaft 
einer  jungen  gefleckten  Hyäne  — Bultu  Kare  — , eines  jungen 
Schakals  - Delä  — und  eines  kleinen  falkenähnlichen  Raubvogels  zu 
der  harmlosen  Colonie,  während  Ahmed  Ben  Bräln'm  eine  kleine  Zebra- 
manguste (Herpcstes  fasciatus)  - Tscliiroma  — , der  Möa’llim  Moham- 
med eine  Zibethkatze  (Vivcrra  civetta)  — Ngäm  zibbeda  und  andere 
Bekannte  Gazellen  — Ingeli  und  Landschildkröten  — Kudu  über- 
sandten. Wenn  jemand  sonst  Nichts  zu  schenken  hatte,  so  schickte  er 
einen  Affen,  und  mein  hoher,  mit  zahlreichen  Nestern  der  Weber- 
vögel auf  das  Zierlichste  behängter  Hedschlidsch-Baum  war  bald  ein 
Schauplatz  der  tollsten  Sprünge  und  Spiele  von  röthlichen  und  grauen 
Meerkatzen  (Cercopit/ucus  grisco-viridis)  Dägel  böla  und  killi 

Kurz,  meine  Wohnung  verwandelte  sich  in  eine  vollständige 
Menagerie,  und  ich  musste  bald  darauf  bedacht  sein,  eine  Ver- 
grösserung  derselben  zu  verhindern.  Nur  mit  Mühe  konnte  ich  den 
Scheich  davon  abbringen,  mir  Löwen,  Leoparden,  Luchse  und  andere 
grössere  Raubthiere,  deren  Fleischrationen  in  bedauerlichem  Missver- 
haltniss  zu  meinen  Mitteln  gestanden  haben  würden,  zu  meiner  Unter- 
haltung ins  Haus  zu  schicken.  Er  hatte  deren  eine  ganze  Samm- 
lung, welche  nahe  dem  Wcstthore  in  einigen  Strohhütten  unter- 
gebracht war  und  unter  der  Oberaufsicht  Ahmed  Ben  Brähim’s  von 
einigen  Sclaven  verpflegt  wurde.  Die  Thiere  lagen  an  Ketten,  die 
um  Pfahle  geschlungen  waren,  und  es  war  erstaunlich,  mit  welcher 
Furchtlosigkeit  die  Leute  dicht  neben  den  durch  Nichts  abgesperrten 
Huttenkäfigen  wohnten.  Vielleicht  grade  dadurch  wurden  die  Thiere 


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636  UI.  BUCH,  6.  KAPITEL.  DIE  HAUPTSTADT  VON  BORNÜ. 

ungefährlicher  und  dem  Menschen  unterwürfiger;  wenigstens  wurden 
, sie  mehrmals  auf  Befehl  des  Scheich  ohne  Schwierigkeit  von  ihren 
Wärtern  über  die  Strasse  bis  zu  meiner  Wohnung  geschleppt,  um 
von  mir  bewundert  zu  werden. 

Um  meine  Thicrsammlung  zu  vereinfachen,  gab  ich  das  Straussen- 
paar  in  Pension  bei  Lamino,  der  eine  ausgedehnte  Zucht  dieser  Thiere 
in  Magommeri  betrieb,  und  überwies  die  Hyäne  meinem  Hausherrn, 
der  eine  sonderbare  Vorliebe  für  das  Fleisch  von  Raubthicrcn  hegte, 
obwohl  dasselbe  sonst  in  Missachtung  bei  den  Mohammedanern  steht. 
Der  kleine  Raubvogel  verschwand ; der  Schakal  starb;  und  die  Gazellen, 
Enten  und  Perlhühner  decimirte  ich  allmählich  zum  Besten  meiner 
Küche.  Unter  den  Enten  waren  viele  von  ausgezeichnetem  Wohl- 
geschmack; auch  junge  Perlhühner  waren  nicht  übel;  doch  die  Ganse 
hatten  stets  einen  widerwärtigen,  thranigen  Geschmack  und  entsetz- 
lich zähes  Fleisch. 

Als  dauernde  Gesellschaft  behielt  ich  die  kleine  gestreifte  Man- 
guste, die  Zibethkatze  und  die  Affen.  Die  erstere  mit  der  rastlosen 
Thätigkeit,  mit  welcher  sie  Alles  durchwühlte,  zerkratzte  und  zer- 
nagte, ihrer  wirklich  beunruhigenden  Lebendigkeit,  der  Furchtlosig 
keit  und  naiven  Frechheit,  mit  der  sie  Mensch  und  Thier  angriff  oder 
mit  ihnen  spielte,  der  im  höchsten  Grade  komischen  Art  und  Weise, 
mit  der  sic  ihre  Lieblingsnahrung,  die  Eier,  sich  auf  die  Hinterfüsse 
setzend,  zwischen  den  Vorderpfoten  emporhob  und  mit  möglichst 
kräftigem  Wurfe  gegen  den  Boden  zu  zertrümmern  suchte,  verdanke 
ich  manchen  Augenblick  der  Unterhaltung.  Die  Zibethkatze,  wenn 
auch  nicht  in  gleichem  Grade  gemüthlich  und  bei  Tage  einem  zu- 
rückgezogeneren Leben  huldigend,  wurde  ebenfalls  recht  zutraulich, 
und  die  kleinen  Affen  bildeten  für  mich  eine  unerschöpfliche  Quelle  der 
Heiterkeit.  Nach  der  Tagesarbeit  breitete  ich  mir  eine  Matte  auf 
dem  schattigen  Hofe  aus  und  wurde  nicht  müde,  ihren  gewagten 
Sprüngen  im  Baume  zuzusehen,  ihre  lächerlichen  Einfalle,  die  durch 
den  zur  Schau  getragenen  Ernst  um  so  komischer  wirken,  zu  beob- 
achten und  mich  ihrer  leidenschaftlichen  Anhänglichkeit  zu  freuen. 
Freilich  bereiteten  sie  mir  auch  manchen  Aerger  durch  die  frechen 
Diebereien,  welche  sie  in  der  Nachbarschaft  verübten,  und  durch  die 
boshaften  Streiche,  die  sie  mir  im  eigenen  Hause  spielten. 

Meine  Tage  verliefen  auf  das  Angenehmste  mit  dem  Studium 
der  Kanüri-Sprache,  meteorologischen  Beobachtungen,  Erkundigungen 


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FREMDE  IN  KÜKA. 


0 37 


der  verschiedensten  Art  über  Land  und  Leute  und  einer  fast  über- 
wältigenden ärztlichen  Thätigkeit.  Dabei  machte  ich  zahlreiche  nütz- 
liche Bekanntschaften  mit  Fremden  und  Eingeborenen,  aus  denen 
auch  manche  engere  Freundschaft  erwuchs. 

Küka  ist  immer  voll  Fremder,  seien  es  Kaufleute,  Pilger  oder 
Abenteurer.  Der  Ruf  der  Frömmigkeit  und  Freigebigkeit,  dessen 
Scheich  'Omar  weit  und  breit  geniesst,  lockt  zahlreiche  wirkliche 
und  vermeintliche  Scheräfa  aus  Mekka,  Medina  und  Marokko  an; 
fromme  Leute  aus  Egypten  und  Tunis,  aus  Timbuktu  und  vom 
Senegal,  die  aus  ihrer  Frömmigkeit  eine  Speculation  machen  und 
Jahrzehnte  hindurch  bei  den  Fürsten  der  islamitischen  Welt  hcrum- 
reisen,  um  ein  bequemes  und  lucratives  Leben  zu  führen,  machen 
eine  lange  Station  zu  Küka.  Sämmtliche  Pilger  des  Westens:  die 
Schinqitija,  welche  westlich  von  Timbuktu  hausen,  die  Fulbe  aus 
den  Fellata-Staaten  am  Senegal,  Niger  und  Binue,  und  die  frommen 
Haussa-Lcute  sprechen,  wenn  es  irgend  ihre  sociale  Stellung  erlaubt, 
am  Hofe  von  Küka  vor  und  bleiben  nicht  selten  Monate,  ja  selbst 
Jahre  hindurch.  Wenn  sie  hinlängliche  Ausdauer  haben,  so  schlägt 
ihre  Speculation  selten  fehl.  Wochenlang  sieht  man  einen  armen 
Faqih  in  Schmutz  und  äusserster  Dürftigkeit  täglich  zum  Königspalast 
pilgern,  bis  er  Einen  der  Grossen  gewonnen  hat,  der  ihn  beim  frei- 
gebigen Herrscher  einfuhrt.  Bald  darauf  begegnet  man  ihn  in  neuer 
Rornü-  oder  Haussa-Kleidung,  oder  ein  Burnus  schmückt  seine  Schul- 
tern, und  nach  einigen  Monaten  erblickt  man  ihn  vielleicht  schon 
hoch  zu  Ross,  von  einigen  Sclaven  begleitet  und  ohne  eine  Spur  der 
Demuth,  die  ihn  kürzlich  noch  zu  kennzeichnen  schien. 

Weniger  leicht  gelingt  es  den  Kaufleuten,  welche  durch  Un- 
glücksfälle oder  leichtsinnigen  Verkauf  ihrer  Waaren  auf  Credit  ver- 
armt sind,  sich  durch  die  Gunst  des  Königs  wieder  emporzuarbeiten. 
Ihrer  sind  Viele,  und  die  Meisten  derselben  fristen  ein  kümmerliches 
Dasein  in  Küka,  machen  mühselige  und  unfruchtbare  Handelsreisen 
nach  Kanö,  Adamäwa,  Logon,  Baghirmi  oder  Känem,  um  den  noth- 
wendigen  Lebensunterhalt  zu  erwerben,  und  cntschliessen  sich  erst  nach 
langen  Jahren  in  die  Heimath  zurückzukehren,  wenn  schliesslich  ihr 
Schamgefühl  im  fortgesetzten  Elend  erstickt  ist.  Viele  haben  auch 
wenig  zu  verlieren,  sondern  verlassen  mit  einem  kleinen  Waarenvor- 
rath,  den  ein  Esel  bequem  fortschaffen  kann,  Heimath  und  Familie,  um 
ihr  Glück  in  der  Fremde  zu  suchen.  Jahre  hindurch  ziehen  sie  von 


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638  ui.  nucii,  6.  Kapitel,  die  Hauptstadt  von  bornC. 

Land  zu  Land,  nicht  in  der  Absicht,  auf  Kosten  Anderer  zu  leben, 
sondern  kaufend  und  verkaufend,  gewinnend  und  verlierend,  und 
harren  geduldig  der  Zeit,  zu  welcher  ihre  kaufmännischen  Erfolge 
ihnen  gestatten  werden,  ohne  Schande  heimzukehren.  Der  Reise- 
drang  der  Araber  und  Halbarabcr  ist  grenzenlos  und  wird  nicht  un- 
wesentlich unterstützt  durch  die  Leichtigkeit,  mit  der  sic  überall  sich 
eine  Familie  auf  beliebige  Zeitdauer  gründen  können,  ohne  gegen  Moral 
und  Sitte  zu  verstossen.  Weit  und  breit  trifft  man  in  Inner-Afrika  diese 
freiwillig  Exilirtcn,  hört  sie  sehnsüchtig  von  ihren  Kindern  und  ihrem 
Vaterlande,  die  sic  vielleicht  seit  zehn  oder  fünfzehn  Jahren  nicht 
sahen,  erzählen  und  erjiält  auf  Befragen,  warum  sie  nicht  heimgekehrt 
seien,  die  resignirte  Antwort:  „Gott  hat  mir  den  Weg  noch  nicht 
eröffnet,  denn  ich  kann  doch  nicht  mit  leeren  Händen  vor  meinen 
Kindern  erscheinen."  Man  darf  dabei  nicht  vergessen,  dass  Frau 
und  Kinder  gewöhnlich  durch  Dattelbesitz  und  Gartenkultur,  wenn 
es  sich  um  Wüste  und  Nilthal  handelt,  oder  anderswo  durch  ein  Land- 
gütchen und  Viehbesitz  vor  dem  äussersten  Mangel  geschützt  sind. 

Eines  Tages,  bald  nach  meiner  Ankunft  in  Küka,  besuchte  mich 
ein  Araber  aus  Fczzan,  der  soeben  von  einer  Handelsreise  zurück- 
gekehrt war,  um  mir  einen  Brief  zu  überbringen,  den  ihm  Heinrich 
Barth  einst  in  Küka  zur  Besorgung  an  Eduard  Vogel,  der  sich  da- 
mals in  Adamawa  aufhalten  sollte,  anvertraut  hatte.  Er  habe,  sagte 
er,  den  Letzteren  damals  in  Adamawa  nicht  mehr  angetroffen,  seit- 
dem nie  wieder  einen  Christen  gesehen,  sei  auch  nicht  in  seine  Hei- 
math  zurückgekehrt  und  halte  sich  also  für  verpflichtet,  mir  den  Brief 
zu  überliefern.  Seit  fast  zwei  Jahrzehnten  reiste  dieser  Mann  rastlos 
hin  und  her  und  hatte  bei  aller  Thätigkeit,  ohne  unverständig  und 
anspruchsvoll  zu  sein,  nicht  vermocht,  so  viel  zu  erübrigen,  dass  ihm 
sein  Ehrgefühl  die  Rückkehr  in  die  Hcimath  gestattet  hätte.  Sein 
trauriges,  allerdings  nicht  ungewöhnliches  Schicksal  und  die  Treue, 
mit  der  er  eine  lange  Reihe  von  Jahren  jenen  Brief  aufbewahrt  hatte, 
erhöhten  das  tiefe  Bedauern,  das  ich  empfand,  als  der  Arme  bald 
darauf  in  wenigen  Tagen  einer  acuten  Halskrankheit  (wahrscheinlich 
Diphtheritis)  erlag. 

Unter  meinen  zahlreichen  Bekanntschaften  muss  ich  vorzüglich 
zwei  Leute  erwähnen,  von  denen  der  Eine  mein  nächster  Nachbar, 
der  Mo'allim  Adern  vom  Wadäf-Stamme  der  Abu  Senün  oder  Kodoi, 
der  Andere  ein  Scherif  Ahmed  von  Medina,  bekannt  als  Scherif  el- 


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mo’allim  adf.m.  — scherIf  el-mEdEnI. 


639 


Medgni,  war.  Jener,  einer  der  strenggläubigsten  und  fanatischsten 
Mohammedaner,  die  ich  je  gesehen  habe,  überwand  erst  ganz  all- 
mählich seinen  Widerwillen  gegen  mich  als  einen  Christen,  wurde 
aber  dann  mein  werthvollster  Berichterstatter  über  Wadai,  wohin  zu 
gelangen  ich  damals  nicht  hoffen  konnte.  Er  war  ein  vcrhältniss- 
mässig  gut  unterrichteter  Mann,  der  nicht  blos  den  Qorän  lesen  und 
recitiren  konnte,  wie  die  Gelehrten  jener  Länder,  sondern  die  arabische 
Grammatik  kannte,  folglich  von  unschätzbarem  Werthe  für  mein 
Studium  der  Wadai- Sprache  war.  Während  er  Anfangs  in  seiner 
religiösen  Engherzigkeit  sogar  meine  Diener  von  mir  abwendig  zu 
machen  suchte,  indem  er  ihnen  unaufhörlich  von  der  Schande 
und  Sünde  sprach,  welche  für  den  Muselman  darin  liege,  einem 
Christen  zu  dienen,  wurde  er  später,  als  er  die  erste  Scheu  vor  der 
Berührung  mit  einem  solchen  überwunden  hatte  und  sah,  dass  ich 
freundschaftliche  Beziehungen  zum  Mo’allim  Mohammed,  dieser  von 
ihm  bewunderten  Leuchte  des  Glaubens  und  der  Wissenschaft,  unter- 
hielt, mein  täglicher  Besucher.  Wenn  ich  manche  unfruchtbare  Stunde 
der  religiösen  Discussion  mit  ihm  durchmachen  musste,  so  verdanke 
ich  ihm  dafür  auch  viele  werthvolle  geographische  und  linguistische 
Notizen  über  sein  Vaterland. 

Der  Andere,  der  lebenserfahrene  Scherif  el-Medeni,  der  oft  über 
das  unermüdliche  Bestreben  Mo'allim  Adem's,  mich  zu  bekehren, 
lachte,  war  mir  in  anderer  Beziehung  von  fast  noch  höherem 
Werthe.  Er  kannte  die  Länder  der  Nordkiiste  Afrika's,  von  Marokko 
bis  Egypten , hatte  Syrien  und  Palästina  besucht,  die  Christen  in 
Malta  kennen  gelernt  und  erzählte  gerne  von  der  wohlwollenden 
Behandlung,  welche  ihm  als  Scherif  der  heiligen  Stadt  Medina  von 
Seiten  der  französischen  Behörden  in  Algerien  zu  Theil  geworden 
war.  Seit  einer  ansehnlichen  Reihe  von  Jahren  lebte  dieser  Mann 
in  Küka,  anfangs  durch  die  Freigebigkeit  des  Scheich  in  relativ 
glanzenden  Verhältnissen  und  dann,  als  er  sich  nicht  entschlossen 
konnte,  zur  rechten  Zeit  das  Land  zu  verlassen,  auf  seine  eigenen 
Kräfte  angewiesen.  Er  hatte  sich,  wie  die  meisten  Ausländer,  eine 
Familie  gegründet  und  musste  jetzt  die  grössten  Anstrengungen 
machen,  um  sich  anständig  durchzubringen.  Schon  seit  Jahren 
hatte  er  vergeblich  danach  gestrebt,  in  sein  Vaterland  oder  nach 
der  Nordküste  Afrika’s  zurückzukehren.  Einige  Male  war  es  ihm 
wirklich  gelungen,  soviel  Sclaven,  Straussenfedern  und  Elfenbein 


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III.  BUCH,  6.  KAPITEL.  DIE  HAUPTSTADT  VON  BORNC. 


040 

zusammenzubringen,  dass  er  glaubte  abreisen  zu  können;  doch  stets 
hatten  ihn  aussergewöhnliche  Unglücksfälle  im  letzten  Augenblicke 
zurückgehaltcn.  Das  eine  Mal  hatte  ihn  eigene  Krankheit  — er  litt 
erheblich  vom  dortigen  Klima  — niedergeworfen,  ein  anderes  Mal 
hatte  eine  Epidemie  seine  Sclavenschaar  gelichtet,  ein  drittes  Mal 
waren  ihm  seine  Lastthierc  gestorben,  und  fatalistisch  tröstete  er 
sich  damit,  dass  „Gott  ihm  den  Heimweg  noch  nicht  bestimmt  habe". 
Er  war  ein  intimer  Freund  von  Gerhard  Rohlfs  gewesen  und  über- 
trug seine  Anhänglichkeit  an  diesen  auch  auf  mich.  So  lange  ich 
mein  Hauptquartier  in  Küka  hatte,  blieb  er  mein  zuverlässigster 
und  erfahrenster  Rathgeber,  stellte  mir  die  Liste  meiner  Aus- 
rüstungs-Gegenstände zusammen,  so  oft  ich  von  Bornü  aus  Reisen 
unternahm,  denn  er  kannte  alle  Sudan  - Länder  und  ihre  Waaren  - Be- 
dürfnisse, und  kaufte  mir  meine  Reiscbedurfnisse  billiger,  als  es  mir 
jemals  auf  anderem  Wege  gelang.  Während  meiner  späteren  Ab- 
wesenheiten von  Küka  betraute  ich  ihn  stets  unter  Mitwissen  des 
Scheich  und  zum  grossen  Missvergnügen  Ahmed  Ben  Brdhtm’s  mit 
der  Vertretung  meiner  Interessen. 

Solche  Leute,  die  trotz  der  Noth,  unter  der  sie  selbst  leiden, 
sich  nicht  verleiten  lassen,  von  der  strengen  Redlichkeit  abzuweichen, 
obgleich  sie  in  einer  Umgebung  leben,  in  der  eine  entgegengesetzte 
Handlungsweise,  besonders  einem  Ungläubigen  gegenüber,  ganz  natür- 
lich gefunden  werden  würde,  müssten  besser  belohnt  werden,  als  es 
deutschen  Reisenden  leider  möglich  zu  sein  pflegt.  — Zu  jener  Zeit 
war  der  Scherif  el  -Medöni  grade  aus  den  Niger  - Ländern  mit  etwa 
20, ooo  Güro- Nüssen,  in  deren  schwieriger  Behandlung  er  besonders 
erfahren  war,  zurückgekehrt. 

Von  meinen  Nachbarn  unterhielt  ich  noch  einen  freundschaft- 
lichen Verkehr  mit  dem  mir  gegenüberwohnenden  Rathsherrn 
Kökena  - Ali  Malija,  dessen  Familie  aus  Tibesti  stammte,  der  aber 
selbst  sein  eigentliches  Vaterland  nie  gesehen  hatte.  Er  war  einer 
der  officiellen  Vertreter  der  Tubu  (Teda  und  Däza)  in  der  Nokena, 
beim  Scheich  wohl  gelitten,  doch,  da  er  jeder  Schlauheit  und  jeden 
Talentes  zur  Intrigue  baar  war,  ohne  wirklichen  Einfluss,  ein  freund- 
licher, wohlwollender,  wenig  fanatischer  Mann,  der  keine  Aehnlichkeit 
mit  seinen  Stammesgenossen,  wie  sic  in  meiner  Erinnerung  lebten, 
hatte.  Mit  seiner  einzigen  Frau,  einer  nahen  Verwandten  des  Scheich, 
welche  ich  im  Jahre  darauf  am  Mutterkrebs  zu  Grunde  gehen  sah, 


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’AI.t  MALtjA.  041 

und  mit  seinen  Kindern  stand  er  in  liebevollstem  Verkehr,  so  dass 
ich  durch  das  ausgezeichnete  Familienverhältniss  oft  an  die  Heimath 
erinnert  wurde. 

An  vorübergehenden  Bekanntschaften  und  Besuchern  fehlte  es 
übrigens  nie.  Eingeborene  Nachbarn  der  unteren  Stände,  die  eine 
Güro-Nuss  zu  erobern  hofften,  verarmte  Tripolitaner  oder  Kaufleute 
aus  den  Nil-Ländern,  die  den  Kaffee  lange  entbehrt  hatten,  durch- 
reisende Pilger  und  Abenteurer,  die  eine  Reiseunterstützung  erbaten, 
Neugierige  aus  den  Nachbarländern,  die  noch  keinen  Christen  ge- 
sehen hatten,  Prinzen  oder  junge  Leute  aus  vornehmen  Häusern,  die 
auf  ein  Geschenk  speculirten,  freigelassene  Sclaven,  welche  Tunis, 
Tripolis  oder  Constantinopcl  kannten,  Hülfe  suchende  Kranke  und 
Reisegefährten  aus  Fczzan,  welche  ein  Stündchen  verplaudern  oder 
ein  Darlehn  aufnehmen  wollten,  raubten  mehr  von  meiner  kostbaren 
Zeit,  als  mir  lieb  war. 


Nachtigal.  I. 


41 


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Siebentes  Kapitel. 

KLEIDUNG  UND  ERNÄHRUNG  DER  BORNÜ-LEUTE. 


Annahme  der  Bornü-Tracht.  — Vorzüge  und  Nachtheile  derselben.  — Vorliebe  der  Kanüri 
für  Kleiderpracht.  — Webe-  und  Färbe- Kunst.  — Verzierung  der  Kleidungsstücke. 
— Toben  und  Hemden.  — Gewänder  aus  ßomfl,  Haussa  und  Ntfe  und  ihre  Preise. 
— Beinkleider,  Kopftracht  und  Fussbekleidung.  — Kleidung  der  Frauen.  — Hüften- 
shawl,  Schultertuch  und  gestickte  Hemdchen.  — Haartrachten.  — Schmuckgegen- 
stände. — Ernährung  der  Bornti- Leute.  — Duchn  und  Durra.  — Durra- Arten.  — 
Mehlfabrikation.  — Das  vorwaltende  Gericht.  — Weizen-  und  Gerste -Gerichte.  — 
Reis-  und  Mais* Verwendung.  — Surrogate  des  Getreides.  — Bereitung  des  'Atsch 
und  anderer  Gerichte.  — Die  Saucen  und  ihre  Bereitung.  — Ihre  vegetabilischen 
und  animalischen  Bestandteile.  — Genuss  frischen  Fleisches  der  Ilausthiere.  — 
Wildfleisch.  — Har  Am  und  Makroh.  — Genuss  frischer  Fische.  — Die  Fische  des 
TsAde.  — Die  Heuschrecken  als  Nahrungsmittel.  — Verschiedene  Arten  derselben. 
— Frösche.  — BaumfrÜchtc.  — Gartenfrüchte.  — Bohnen.  — Erdnüsse.  — Tages- 
zeit der  Mahlzeiten.  — Anstandsregeln  beim  Essen.  — Getränke.  — Milch.  — 
Honig.  — Kaffee.  — Die  Güro-Nuss.  — Ihr  Vorkommen  und  Preis.  — Empfind- 
lichkeit und  Krankheiten  derselben.  — Merissa.  — Tabak. 

In  meinem  Verkehr  mit  der  Aussenwelt  suchte  ich  mich  ganz 
den  herrschenden  Sitten  und  Gebräuchen  anzuschmiegen  und  ver- 
zichtete zunächst  auf  die  europäische  Kleidung,  indem  ich  die 
Landestracht  adoptirtc.  Abgesehen  davon,  dass  ich  auf  diese 
Weise  meiner  Person  den  Charakter  des  Fremdartigen  und  da- 
durch Misstrauen  Erregenden  in  Etwas  nahm,  so  wurde  ich  dadurch 
auch  in  den  Stand  gesetzt,  stets  anständig,  ja  vornehm  gekleidet  zu 
sein,  während  mein  geringer  Vorrath  an  europäischen  Kleidern  mich 
bei  dem  Verluste  von  Knöpfen,  bei  unvermeidlichen  Flecken  und 
Löchern  dem  Rufe  der  Armuth,  Unsauberkeit  und  Nachlässigkeit 
ausgesetzt  haben  wurde.  Dazu  bieten  die  faltige  Tobe  und  das  aus- 


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DIE  kornO-traciit. 


<543 

giebige  Beinkleid  des  Sudan  nicht  allein  kleidsamere  und  nach 
dortigen  Begriffen  anständigere  Kleidungsstücke,  als  unsere  knappen 
Rockchen  und  besonders  unsere  die  Formen  des  Körpers  allzusehr 
hervorhebenden  Beinkleider,  sondern  sind  auch  durch  Schnitt  und 
Stoff  der  Gesundheit  entschieden  zuträglicher,  indem  sie  die  Haut- 
ausdünstung erleichtern.  Ich  verzichtete  sehr  bald  auf  wollene  Unter- 
jacken und  Flanellhcmdcn,  welche  mir  ein  unerträgliches  Hautjucken 
und  Hitzegefühl  erzeugten,  bediente  mich  im  Hause  ausschliesslich 
eines  massig  weiten,  weissen  Shirting-Hemdes  und  ebensolchen  Bein- 
kleides und  fügte  zu  ihnen  auf  der  Strasse  eins  der  mir  vom 
Scheich  geschenkten  Gewänder  oder  bei  besonderen  Gelegenheiten 
deren  zwei.  Wenn  ich  mir  nicht,  der  Landessitte  entsprechend,  mein 
Kopfhaar  rasirte,  da  mich  die  üblichen  Rasirmesscr  mit  einigem 
Misstrauen  erfüllten,  so  liess  ich  es  doch  mit  der  Schcere  so  kurz 
als  möglich  schneiden,  trug  in  der  Wohnung  ein  kleines  Baum- 
wollenkäppchen oder  ging  barhäuptig  und  bediente  mich  ausserhalb 
eines  Tarbüsch  zum  Schutze  gegen  die  Sonne  und  um  meinen  nor- 
dischen Ursprung  anzudeuten.  Da  ich  nur  einen  sehr  kleinen  Vor- 
rath von  Strümpfen  besass,  so  bediente  ich  mich  derselben  nur, 
wenn  ich  einen  Besuch  bei  Hofe  oder  bei  einem  sehr  vornehmen 
Manne  machte,  und  trug  sonst  im  Hause  oder  ausserhalb  nur  die 
bequemen  Schuhe,  welche  in  Bornü  in  grosser  Menge  aus  dem  feinen, 
gelbgefärbten  Ziegenleder  der  Haussa- Staaten  verfertigt  werden. 

Ich  gewöhnte  mich  sehr  leicht  an  diese  Tracht,  wusste  bald  die 
weit  über  die  Fingerspitzen  hinausreichenden  Seitentheile  oder  Aermel 
der  weiten  Gewänder  mit  Leichtigkeit  über  die  Schulter  zurück- 
zuschlagen, um  die  Arme  frei  zu  machen,  und  fand  den  Luftdurch- 
tritt, welchen  die  von  oben  bis  unten  seitlich  offenen  Toben  gestatten, 
höchst  erfrischend.  Auf  Reisen  sind  diese  Kleidungsstücke  allerdings 
wenig  praktisch  und  eignen  sich  überhaupt  nur  für  denjenigen,  der, 
wie  die  Vornehmen  des  Landes,  keine  Arbeit  zu  verrichten,  sondern 
nur  daran  zu  denken  hat,  wie  er  es  sich  am  bequemsten  machen 
oder  den  Leuten  am  meisten  imponiren  kann.  Sie  behindern  durch 
ihre  Weite  und  Länge  das  schnelle  Gehen  und  Laufen,  das  Besteigen 
der  Pferde  und  Kameele  und  den  Gebrauch  der  Waffen  und  bieten 
den  Stacheln  der  vorwaltenden  Akazien  und  Zizyphus- Arten  zu  viele 
Angriffspunkte.  Auf  Reisen  und  bei  körperlicher  Arbeit  schürzen 
die  Einwohner  das  Gewand  bis  auf  die  Oberschenkel  auf,  befestigen 

41* 


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C44  III.  BUCH,  7.  KAP.  KLEIDUNO  UNI)  F.RNÄIIRUNO  DF.R  BORNÜ-LEUTE. 

es  durch  einen  Gürtel  um  die  Taille  und  binden  die  bis  auf  die 
Schultern  aufgerollten  Aermel  im  Nacken  zusammen. 

Dass  die  Bornii- Leute  die  Kleiderpracht  sehr  lieben  und  sich 
gern  mit  Toben,  von  denen  sie  eine  über  die  andere  ziehen,  in  der 
beschwerlichsten  und  selbst  unförmlichsten  Weise  behängen,  habe 
ich  bereits  erwähnt.  Dies  gilt  natürlich  vor  Allen  von  den  Städtern 
und  unter  diesen  von  den  Kanüri.  Von  den  in  den  Dörfern  leben- 
den Leuten  huldigen  die  Araber,  die  Tubu  und  Kojäm  einer  grösseren 
Einfachheit,  als  die  Kanüri,  Mäkäri  und  Kanembu,  und  von  diesen 
sind  wieder  die  Letztgenannten  die  wenigst  anspruchsvollen.  Die  Allen 
gemeinsame  Kleidung  besteht  aus  Tobe,  Beinkleid  und  Lederschuhen; 
selbst  die  meisten  der  nordischen  Araber,  deren  Beinkleid  dem  der 
Bornü-Leute  in  der  Weite  schon  nahe  kommt,  adoptiren  die  Tobe 
und  fügen  höchstens  in  der  Erinnerung  an  die  Heimath  noch  einen 
Shawl  um  Schultern  und  Kopf  hinzu.  Vielen  jedoch  erlaubt  ihre 
Armuth  nur  einzelne  Stücke  eines  solchen  Anzuges,  und  in  den  Dör- 
fern sicht  man  die  meisten  Leute  ohne  Schuhe  und  Viele  nur  mit 
einem  Schurzfell  um  die  Hüften  bekleidet. 

Die  Toben  — Kulgu,  pl.  kulgua  — kommen  entweder  aus  den 
industriereichen  Haussa-  und  Nigerländern  in  fertigem  Zustande,  oder 
werden  im  Lande  selbst  verfertigt.  Im  letzteren  Falle  werden  sie 
aus  4 bis  5 Cm.  breiten  Baumwollenstreifen  — Gabag  — , welche 
ebenfalls  im  Lande  fabrizirt'  werden,  zusammengenäht.  Während 
weiter  im  Westen  die  Streifen  zu  manchen  Zwecken  bis  zur  Hand- 
breite und  darüber  hinaus  gewebt  werden  können,  wissen  die  Bornü- 
Leute  ihre  Webeproducte  nur  in  der  angegebenen  Breite  herzustellen. 
Die  feinsten  Webereien  werden  fast  ausschliesslich  in  Privathäusern 
gemacht,  weil  die  Herstellung  derselben  zu  viel  Zeit  und  Mühe  erfor- 
dert und  für  den  Verkauf  nicht  lohnend  genug  sein  würde.  Der  dazu 
dienende  Apparat  ist  ein  sehr  einfacher.  Die  Kettenfaden  werden,  je 
nach  der  Breite  der  zu  webenden  Streifen , iiber  zwei  bewegliche 
Rahmen  gespannt,  von  denen  der  eine  die  grade,  der  andere  die  un- 
grade Zahl  der  Fäden  enthält.  Um  dieselben  straff  zu  ziehen,  sind 
sie  an  ihren  Enden  durch  Holz-  oder  Steingewicht  befestigt.  Durch 
Verschieben  der  Rahmen  wird  das  Durchziehen  des  Einschlags- 
fadens  ermöglicht  und  schliesslich  das  Gewebe,  gewöhnlich  mittelst 
eines  Kammes,  gedichtet.  In  der  Uinge  sind  die  so  entstehenden 
Streifen  nicht  beschränkt,  indem  man  an  die  Enden  der  Fäden  andere 


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GEWÄNDER  DER  LANDESMANUEACTUR. 


G45 


knüpft,  so  dass  man  die  in  den  reichen  Häusern  verfertigte  feine 
Weberei  in  einem  scheibenförmig  aufgeroliten  Streifen  von  mehr  als 
ICO  Dra  Länge  findet,  aus  dem  dann  das  Gewand  zugeschnitten  wird. 
Den  fertigen  Gewändern  giebt  man  die  nöthige  Appretur  durch  fort- 
gesetztes Klopfen  mit  dazu  bestimmten  Schlägeln. 

Die  Bornü-Toben  sind  entweder  weiss  oder  indigogefärbt,  und 
zwar  ist  die  erstgenannte  Art  die  häufigere,  die  letztere  die  beliebtere. 
Die  Färbekunst  ist  in  Bornü  bei  weitem  nicht  so  verbreitet  und  aus- 
gebildet, als  in  den  Haussa-Ländern,  doch  geniesst  die  Provinz  Kötüko 
in  dieser  Beziehung  eines  vortrefflichen  Rufes.  Da  natürlich  die  ge- 
färbten Gewänder  theurer  werden,  so  sind  diejenigen  geringster  Qua- 
lität, welche  einen  Werth  von  nur  */a  bis  i Maria- Theresia -Thaler 
{2  bis  4 Mark)  haben,  die  Kosten  des  Färbens  nicht  werth.  Man 
färbt  hellblau  oder  blauschwarz  und  liebt  diese  Farben,  besonders 
die  dunklere,  um  ihrer  selbst  willen,  und  nicht  etwa  nur  deshalb, 
weil  sic  die  Gewänder  kostspieliger  oder  praktischer  machen. 

Die  in  Bornü  gefertigten  Gewänder,  besonders  die  besseren,  sind 
langer  und  umfangreicher  als  die  aus  Westen  cingefuhrten  und 
werden  ebenso  geschickt  verziert  und  gestickt  als  die  letzteren.  Die 
Verzierungen  sind  sehr  eigenartig  und  erstrecken  sich  auf  die  früher 
erwähnte  grosse  Brusttasche,  deren  vordere  Wand  in  rnannichfachcr 
Weise  mit  durchbrochener  Arbeit  verziert  ist,  und  auf  den  dem  linken 
Schulterblatt  entsprechenden  Theil,  der  gewöhnlich  eine  kreisförmige 
Stickerei  mit  verschiedenen  Feldern  trägt.  Die  Farbe  der  Verzie- 
rungen ist  gewöhnlich  weiss,  ihr  Material  besteht  in  roher  Seide  oder 
feiner  Baumwolle. 

Mannichfaltiger  in  Qualität  und  Musterung  des  Gewebes,  als  die 
in  Bornü  selbst  gefertigten  Gewänder,  sind  diejenigen,  welche  aus 
den  westlich  von  Bornü  gelegenen  Landschaften  eingeführt  werden. 
Von  diesen  wiederum  sind  die  beliebtesten:  für  die  Vornehmeren  das 
in  bester  Qualität  aus  Nifc  und  in  geringerer  aus  Kanö  kommende 
Perlhuhn -Gewand  — Kulgu  kädschi  kan.  oder  Tob  säki  arab.  — , 
welches  ich  bereits  früher  beschrieben  habe,  und  für  die  Mittel- 
klasse die  oft  in  diesem  Berichte  erwähnte,  schwarzblau  gefärbte  und 
durch  vollständiges  Imprägniren  mit  Indigo  und  nachhaltiges  Walken 
hart,  spiegelglatt  und  glänzend  gewordene  Körörobschi  -Tobe,  deren 
Fabrikation  ihren  Hauptsitz  in  Kanö  hat;  auch  das  gleichfalls  be- 
schriebene Gewand  Säki  harir  ist  recht  beliebt.  Die  Stickereien  der 


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646  111.  BUCH,  7.  KAP.  KLEIDUNG  UND  ERNÄHRUNG  DER  BORNÜ-I.EUTE. 


Haussa- Gewänder  sind  bei  einer  weissen  Farbe  dieser  und  bei  den 
Kädschi-Tobcn  meistens  ebenfalls  weiss,  bei  den  mit  rothen  Seiden- 


streifen versehenen  vorwaltend  grün,  und  bei  den  Körörobschi-Gc- 
wändern  stets  sehr  einfach  und  ebenfalls  schwarzblau. 

Dem  Schnitt  nach  zerfallen  die  Männergewänder  in  Kulgu,  Go- 


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VERSCHIEDENHEIT  NACH  SCHNITT  UND  STOFF.  »VI 7 

mädschi  und  Tugöbuski,  von  denen  die  erste  Art  der  arabischen 
Tobe  entspricht,  die  zweite  unserem  Hemde  am  nächsten  kommt, 
wahrend  der  Tugöbuski  durch  die  grössere  Weite  der  Aerme!  zwischen 
Beiden  steht.  Das  letztere  Gewand  figurirt  übrigens  selten  in  der 
Nomenclatur  und  wird  gewöhnlich  ebenfalls  Gomädschi  genannt. 

Die  Bornü-Leute  haben  eine  endlose  Reihe  von  Bezeichnungen 
für  die  gebräuchlichen  Gewänder,  je  nach  Stoff,  Schnitt,  Karbe  und 
Verzierung  derselben.  Unter  den  Hemden  Gomädschi  ist  das 
armseligste  Kleidungsstück  Gomädschi  tälagäbe  (d.  h.  wörtlich  „Hemd 
des  Armen”),  von  grobem  Stoff  engen  und  kurzen  Acrmeln  und  ohne 
Verzierung;  dasselbe  hat  einen  ungefähren  Preis  von  nur  ’/s  Maria-The- 
resia-Thaler  (2  Mark).  Von  demselben  geringen  Stoffe  und  spärlichen 
Umfange,  doch  mit  einiger  Verzierung  ist  G.  leiawa  zum  Preise  von 
etwa  I Thalcr.  Eine  Stufe  höher  steht  G.  scliäja,  und  beliebt  bei 
der  Mittelklasse  ist  G.  täschiläfia,  das  schon  einen  Preis  von  3 bis  4 
Thalern  haben  kann.  Stutzer  und  Vornehme  lieben  das  sogenannte 
Elephantenhemd  (so  genannt  wegen  seiner  grossen  Weite  und  Länge 
und  seiner  mächtigen  Aermel),  das  gewöhnlich  aus  Perlhuhn -Gabag 
besteht,  also  aus  den  Haussa-Ländern  stammt,  reich  verziert  ist  und 
wohl  12  bis  15  Thalcr  kostet. 

Von  den  Toben  ist  Kulgu  döra  die  ärmlichste  (sie  hat  einen 
Preis  von  nur  etwa  '/*  Thaler);  etwas  höher  steht  K.  ädabe  (von 
äda,  das  allgemein  Uebliche)  oder  K.  gedibe  (d.  h.  des  Ostens), 
welche  1 bis  2 Thaler  kosten,  und  von  denen  die  letztere  von 
den  solider  arbeitenden  Mäkäri  fabricirt  wird,  oder  auch  die  aus 
Chäm  gemachte  Tobe  — K.  maqtabe  — , von  denen  zwei  auf  ein 
Stück  — Maqta  — gehen.  Die  besseren  Toben  im  Stoff  und  aus- 
giebigeren im  Umfang  liebt  man  gefärbt,  wie  K.  amagdi,  deren  Preis 
4 bis  5 Thaler  beträgt,  oder  K.  näschi,  von  ähnlicher  Qualität,  doch 
in  der  Provinz  Kötöko  gefärbt  und  darum  theurer,  oder  auch  K.  kerde 
— Kerde  werden  in  Bornü  vielfach  die  Baghirmi- Leute  genannt  — , 
die  man  mit  dunkelblauen  Streifen  versieht  und  die  vorzugsweise  von 
alten,  ehrwürdigen  Leuten  getragen  wird.  K.  säme  wird  aus  euro- 
päischem Seidenstoffe  in  Bornü  gearbeitet  und  erreicht  bei  guter 
Qualität  und  lebhafter  Nachfrage  wohl  einen  Preis  von  50  Thalern. 

Die  genannten  Gewänder  gehören  mit  Ausnahme  des  Elephantcn- 
hemdes  der  Bornü-Manufactur  an.  Von  denen,  welche  in  den  Haussa- 
Ländern  gefertigt  werden,  und  deren  Arten  sehr  viel  zahlreicher 


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(548  III.  BUCH,  7.  KAP.  KLEIDUNG  UND  ERNÄHRUNG  DER  PORNO-LEUTE. 

sind,  als  die  Bornü-Gewänder,  haben  wir  die  nennenswerthestcn  und 
die  am  meisten  auf  dem  Markte  von  Küka  vertretenen : K.  Körörobschi 
(3  bis  6 Thaler),  die  Perlhuhn-Töbe,  die  bis  zu  20  Thalern  und  selbst 
mehr  kosten  kann , und  dieselbe  mit  Seidenstreifen  — K.  kädschi 
harJhva  — , die  gewöhnlich  aus  weniger  guten  Kädschi-Gabag  besteht 
und  darum  billiger  ist,  bereits  kennen  gelernt.  Die  bescheidenste 
Haussa-Tobe  ist  K.  köre  (die  kurze,  kleine),  welche  weiss  oder  ge- 
färbt sein  kann  und  für  ca.  3 Thaler  gekauft  wird.  Dann  folgt  K. 
gäli,  nicht  selten  farbig  gestickt  und  in  Küka  etwa  5 Thaler  werth. 
Sehr  weiss  gebleicht,  von  sehr  feinem  Gewebe  und  reich  verziert  ist 
K.  bunuffi  aus  Nife,  die  in  Bornü  mit  ungefähr  20  Thalern  bezahlt 
wird.  Das  feinste  Gewebe  hat  K.  zongua-t-ere  (Hausse-Name),  und 
ihr  reicher  Zierrath  von  Seidenbesatz  und  Stickerei  lässt  sie  nicht 
selten  einen  Preis  von  40  Maria-Theresia-Thalern  erreichen. 

Der  aus  Europa  oder  Amerika  cingeführte,  ungebleichte,  grobe 
und  locker  gewebte  Baumwollcnstoffi,  der  als  Cham  von  Norden  und 
als  MCrikäni  von  Westen  kommt  und  stets  auf  dem  Markte  Cours 
hat,  wird  nur  vom  Mittelstände  und  den  Aermeren  zur  Kleidung 
verarbeitet,  da  er  in  jeder  Hinsicht  hinter  dem  einheimischen  Fabrikate 
zurücksteht.  Die  Vornehmen  tragen  hingegen  oft  Hemd  und  Bein- 
kleid aus  dem  feineren,  weissgebleichten  Baumwollenstofte  der  Cultur- 
lander,  der  unter  dem  Namen  Dibelän  (verstümmelt  aus  der  auf  der 
Nordküste  gebräuchlichen  Bezeichnung  Madopolan)  vom  Niger  oder 
Nil  nach  Bornü  gelangt  oder  aus  Tripolis  kommt  und  in  diesem  Falle 
Mahmüdi  heisst  und  von  geringerer  Qualität  ist.  Die  Beinkleider  — 
Jangc  — sind  in  einer  so  ungeheuerlichen  Weite  beliebt,  dass  man 
nicht  selten  zu  einem  einzigen  zwanzig  Meter  des  etwa  ein  halbes 
Meter  breiten  Stoffes  verwendet  findet. 

Wenn  die  Kanüri,  Käncmbu  und  Mftkäri  meistcntheils  barhäuptig 
gehen,  so  haben  doch  die  Känembu  eine  nationale  Kopfbedeckung, 
welche  nach  Art  der  arabischen  Taqija,  doch  höher,  aus  blaugefärbten 
Gabag  gefertigt  und  Dschöka  genannt  wird. 

Der  bequemen,  aus  gelb-  oder  rothgefärbtem  Ziegenleder  ge- 
machten Schuhe,  von  denen  die  gelben  nicht  selten  recht  gefällig  mit 
rother  Seide  gestickt  sind,  und  zu  deren  Sohlen  man  mit  Vorliebe  Büffel- 
haut verwendet,  habe  ich  bereits  Erwähnung  gethan,  muss  aber  noch 
hinzufugen,  dass  die  Aermeren  barfuss  gehen  oder  sich  bei  weiteren 
Gängen  der  Sandalen  bedienen.  Die  geschmackvollsten  der  letzteren, 


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EINGEFUHRTE  STOFFE.  — MEINET. EIDER.  — KOI’F-  U.  FUSS-JIKKI.EIliUNG. 

besonders  für  die  Frauen,  kommen  aus  den  Haussa -Ländern  und 
haben  in  seltenen  Fällen  die  Zierde  einer  Rosette  aus  schwarzen 
Straussfedern  auf  dem  über  den  Fussrücken  verlaufenden  breiten 
Lederstreifen.  Auch  darf  eine  Bornü  durchaus  eigentümliche  Art 
von  leichter,  sohlenloscr  Fussbeklcidung  für  Reiter,  die  entweder  ein 
Schuh  oder  ein  bis  über  die  Wade  reichender  Stiefel  ist,  nicht  ver- 
gessen werden.  Der  vordere  Theil  derselben  zeigt  nach  Art  eines 
Fausthandschuhs  zwei  Abtheilungen,  von  denen  die  eine  nur  die 
grosse  Zehe  aufnimmt,  und  die  andere  für  die  übrigen  bestimmt  ist; 
zwischen  beiden  hält  der  Reiter  einen  Schenkel  des  Steigbügels. 


Samhilcsi  Au» 


Die  Kleidung  der  Frauen  setzt  sich  aus  dem  schon  erwähnten 
Huftenshawl,  dem  Umschlagctuch  für  die  obere  Körperhälfte  und 
zuweilen  dem  kurzen,  gestickten  Ilemdchen  zusammen.  Die  beiden 
ersten  stammen  fast  ausschliesslich  aus  den  Haussa -Ländern,  denn 
sic  bestehen  fast  immer  aus  Turkedi,  so  dass  der  Huftenshawl  sogar 
nur  diese  Benennung  führt.  Die  Turkedi  kommen  aber  in  solcher 
Menge  und  zu  so  geringen  Preisen  auf  die  Märkte  Bornü's,  dass  man 
dieselben  aus  einheimischen  Gabag  nicht  nachahmen  kann,  da  man 
sie  auswärts  färben  lassen  müsste.  Das  Gewebe  der  Turkedi  ist 
durchaus  das  der  Körörobschi  - Tobe ; sic  ist  ebenso  mit  Indigo 
impragnirt  und  durch  anhaltendes  Walken  zu  einem  ebenso  steifen 
und  glänzenden  Stoffe  geworden  als  diese.  Sic  wechselt  einiger- 
massen  in  Grösse,  reicht  aber  in  ihrer  Länge  von  etwa  3 M.  bei 
einer  Breite  von  1 bis  1 '/j  M.  zu  den  genannten  Tüchern  kaum  hin, 
so  dass  man  oft  ihrer  mehrere  zusammennäht.  Man  bedient  sich 
jedoch  nicht  allein  der  Turkedi  zu  den  Shawls,  sondern  lässt  oft, 
vorzüglich  bei  den  Schultertüchcrn  — Zeni  — , die  schwarzblauen 
Gabag  derselben  mit  Kädschi- Streifen  oder  mit  Gabag  säki  harir 
abwechscln. 


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650  III.  BUCH,  7.  KAP.  KLEIDUNG  UND  ERNÄHRUNG  DER  BORNÜ-LEUTE. 

Eine  TurkSdi  von  der  angegebenen  Grösse  kann  je  nach  der 
Güte  des  Gewebes  und  der  Färbung  ’/s  bis  3 Thaler  kosten;  wenn 
die  schwarzblauen  Streifen  der  Turkedi  mit  Kädschi-Gabag  ab- 
wechseln, so  erhält  der  Hüftenshawl  den  Namen  Gambaräja  und 
sein  Preis  liegt  zwischen  1 und  4 Thalcrn.  Zu  den  Umschlagtüchern 
aus  gewöhnlicher  Turkedi  kommen  noch:  Zeni  mailamömi  mit 

Seidenstreifen;  Z.  amanga  mit  breiten,  abwechselnd  blauen  und 
weissen  Gabag;  Z.  geddu  mit  handbreiten  Gabag  (soll  aus  Illöri 
stammen);  Z.  schikangeri  aus  eben  solchen  Streifen,  die  jedoch 


Gestickte»  Hcmdchcn  der  Bornii-  Frauen. 


abwechselnd  hellblau  und  dunkelblau  sind;  Z.  fczzäka,  in  dem  die 
breiten  Streifen  noch  schmale  Kädschi-Gabag  mit  Scidenstreifen 
zwischen  sich  haben.  Alle  wechseln  in  der  Lange  von  2 bis  3 M. 
und  im  Preise  von  1 bis  4 Thalern. 

Die  gestickten  Hemdchen  werden  meist  aus  Cham,  der  hell-  oder 
dunkelblau  gefärbt  ist,  zuweilen  aus  Dibelän,  seltener  aus  Kädschi- 
Gabag  und  am  seltensten  aus  Seide  gemacht.  Die  das  Gewand 
zierende  Stickerei  mit  rother,  gelber,  hellblauer,  grüner,  dunkel- 
blauer P'lockseide  zeigt  höchst  eigenartige  und  geschmackvolle  Muster 
und  beleidigt  das  Auge  weder  durch  die  Ucberladung,  noch  durch 


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Kl, EIDUNG,  HAARTRACHT  UND  SCHMUCK  DER  FRAUEN.  651 

die  oft  in  grellen  Contrastcn  zusammengestellten  Farben.  Diese 
zierlichen  Gewänder  können  je  nach  dem  Stoff,  nach  der  Qualität 
der  Seide , nach  dem  Reichthum  und  Muster  der  Stickerei  einen 
Werth  von  2 bis  25  Maria-Theresia-Thalcrn  haben. 

Die  Kanüri-Frauen  tragen  das  Haar  an  Schläfen  und  Hinterhaupt 
in  kleinen,  kurzen,  dicht  neben  einander  liegenden  und  am  Ende 
pinselartig  aufgelösten  Flechten ; das  des  Scheitels  ist  durch  einen 
Querscheitel  in  eine  vordere  und  hintere  Abtheilung  geschieden, 
deren  jede  wieder  in  ähnliche  Flechten  mit  noch  längeren,  künstlich 
zerzausten  Enden  geordnet  ist.  Stirn  und  Schläfen  sind  stets  ziemlich 
hoch  ausrasirt.  Im  Vergleich  zu  den  Araberinnen  und  Fezzancrinnen 
treiben  sie  einen  nur  massigen  Missbrauch  mit  Hutter  und  Essenzen 
für  ihre  Coiffure.  Die  jetzt  übliche  Haartracht  scheint  erst  seit 
einigen  Mcnschcnaltern  Mode  geworden  zu  sein.  Früher  sollen 
die  Bornu- Damen  alle  der  Mode  gefolgt  sein,  welche  sich  bei  den 
Frauen  der  Ngomätibu  (Abtheilung  der  Bornu -Bewohner)  erhalten 
hat,  und  derzufolgc  das  Haar  von  allen  Seiten  auf  eine  von  der 
Stirn  zum  Hinterkopf  verlaufende,  nach  Art  eines  Helmkammes  ge- 
formte Unterlage  hinauf  gekämmt  ist.  Wir  werden  bei  der  Be- 
schreibung der  Reise  durch  das  Gebiet  der  Ngomätibu  diese  kleid- 
same Haartracht  noch  weiter  kennen  lernen. 

Die  Känembu-Frauen  rasiren  nicht  allein  den  der  Stirn  nächst  ge- 
legenen Thcil  des  Kopfhaares,  sondern  auch  die  seitlichen  und  hinteren 
Partiecn  desselben  und  ordnen  die  übrigen  Haare  in  eine  vordere 
und  hintere  Abtheilung,  deren  zierliche  Flcchtchcn  am  Ende  nicht 
aufgelöst  sind,  wie  die  der  Kanüri-Frauen.  Eine  eigentümliche  an 
anderer  Stelle  zu  beschreibende  Haartracht  haben  die  Frauen  der 
Mäkäri  in  der  Provinz  Kötöko,  welche  der  später  zu  besprechenden 
Mäsa- Familie  angehören.  Die  Schöa- Frauen  tragen  längere,  dünne 
Flechtchen,  welche,  das  Gesicht  freilasscnd,  seitlich  und  hinten  herab- 
fallen; doch  die  im  Südosten  Bornus  wohnenden  Araberinnen  haben 
ausserdem  eine  vom  Scheitel  nach  hinten  laufende,  starke  Flechte, 
welche  sich  im  Nacken  fragezeichenförmig  nach  oben  krümmt. 

Von  Schmuckgegenständen  zieren,  ausser  dem  angeführten  halb- 
mondförmigen, silbernen  Haarschmuck , noch  breite,  dünngewalztc, 
eng  anschliessende,  silberne  Spangen  am  Vorderarm  — Musköram  — , 
über  dem  Ellnbogengelenk  — Bibiram  — und  über  den  Fussknöcheln 
— Rckä  — und  das  unvermeidliche  Stück  Edelkoralle  — Mordschän 


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652  HI.  BUCH,  7.  KAP.  KLEIDUNG  UND  ERNÄHRUNG  DER  BORNC-LKUTE. 

arab.  und  kan.  — im  rechten  Nasenflügel  die  eitlen  Bornü -Damen. 
Als  Halsschmuck  werden  Gehänge  von  Perlen  — Charaz  arab.  und 
Kullulu  kan.  — , von  selteneren  Glas-  und  Porzellan-Perlen,  von  Korallen-, 
Bernstein-  und  Achat- Stückchen  für  die  Vornehmeren,  von  gewöhn- 
lichen Glas-  und  Thonperlen  und  unächten  KoraHen  — Mordschän 
tälägäbe  (d.  h.  Koralle  des  Armen)  kan.  — für  die  Aermeren  ver- 
wendet. Die  Araber-Frauen  lieben  für  ihre  Halsketten  den  Bernstein 
in  möglichst  grossen  Stücken  — man  sieht  ihn  bis  zur  Taubenei- 
grösse — und  tragen  nicht  selten  in  dem  linken  Nasenflügel  grosse, 
fast  geschlossene  Silberringe,  auf  welche  Korallen-  und  Bernstein- 
perlen gereiht  sind. 

Wenn  ich  mich  sehr  bald  in  der  Bornü-Kleidung  zu  Hause  fühlte, 
so  machte  ich  nicht  so  schnelle  Fortschritte  in  der  Gewöhnung 
meiner  Verdauungsorganc  an  die  dort  übliche  Nahrung.  Ich  nahm 
täglich  zwei  Mahlzeiten,  wie  die  Eingeborenen,  zu  mir,  um  Mittag 
und  um  die  Zeit  der  Aschä  (i’/2  Stunde  nach  Sonnenuntergang), 
doch  behielt  ich  noch  lange  in  der  Wahl  und  Zubereitung  der  Speisen 
europäische  Gewohnheiten.  Mittags  pflegte  ich  ein  Gericht  von 
wildem  Reis,  oder  ein  Weizengericht  mit  oder  ohne  Fleisch  und  ein 
Paar  gebratene  Tauben  oder  ein  ebenso  zubereitetes  Huhn,  und 
Abends  eine  Fleischsuppe  mit  Bohnen  oder  Tomaten  und  gekochtem 
Hammelfleisch  zu  essen.  Meine  Küche  wurde  dadurch  mit  der  Zeit 
etwas  einförmig,  und  ich  war  froh,  hin  und  wieder  beim  Titiwi  oder 
Bü  A'ischa  oder  Ahmed  Ben  Brähim  speisen  zu  können , und  dann 
und  wann  einen  aus  Lamino’s  Kochkunst  hervorgegangenen  Lecker- 
bissen zu  erhalten. 

Im  Volke  hat  unter  den  Speisen  der  in  Tunis  Asida,  in  Tripolis 
Bazina  und  im  sudanischen  Arabisch  Aisch  genannte,  steife  Mehlbrei, 
der  hier  vorzugsweise  aus  Duchn  oder  Durra  bereitet  wird,  die  Herr- 
schaft. Obwohl  Bornü  durch  einen  grossen  Reichthum  an  Schlacht- 
vieh ausgezeichnet  ist,  so  wird  doch  die  Getreidenahrung  als  die 
Grundbedingung  der  Ernährung  und  das  Fleisch  nur  als  eine,  wenn 
auch  sehr  erwünschte,  Beigabe  betrachtet  Es  kommt  Niemandem 
bei,  die  erstere  für  ersetzbar  durch  die  letztere  zu  halten,  und  ich 
würde  beispielsweise  meine  Diener  durch  eine  vermehrte  Fleischration 
nie  zur  Verzichtleistung  auf  den  gewohnten  Aisch  zu  überreden  ver- 
mocht haben.  Dieser  figurirt  Morgens  und  Abends  und  im  Mittel- 
stände einzig  und  allein  auf  der  Speisekarte  und  gestattet  nur  geringe 


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' GETREIDENAHRUNG.  — DUCHN  UND  DURRA.  653 

Abwechselungen  in  der  Wahl  der  dazu  verwendbaren  Getreidearten 
und  in  der  Zubereitung.  Im  Allgemeinen  gilt  der  aus  Duchn  (Peni- 
cillaria)  bereitete  Aisch  für  den  nahrhafteren,  doch  geniessen  einige 
Sorghum- Arten  ebenfalls  eines  guten  Rufes. 

Die  Ptnicillaria  — Argum  möro  — scheint,  wenigstens  im 
nördlichen  und  mittleren  Bornü  nicht  in  verschiedenen  Arten  vorzu- 
kommen. Das  Sorghum  — Ngäberi,  Ngäföli,  Ngäböli  — ist  sehr 
viel  arten-  und  varietätenreicher.  Man  unterscheidet  an  wilden 
Arten  desselben:  Ngäföli  burgu,  das  mit  hohen  Malmen,  grossen, 
dunkelfarbigen  und  so  bitteren  Körnern,  dass  selbst  die  Vögel  dieselben 
verschmähen  sollen,  in  der  unmittelbaren  Nähe  des  Tsade  wächst,  und 
Xg.  kdgara,  das  mit  sehr  hohen  Halmen  und  kleinen  Körnern  vor- 
züglich in  der  Gegend  von  Ngornu  Vorkommen  soll  und  nur  bei 
Xothstand  gegessen  wird.  In  dem  sandigen  Terrain  der  Gegend  von 
Küka  wird  mit  dem  meisten  Nutzen  Nutzen  Ng.  gollu,  mit  kleinen, 
länglichen  Körnern  cultivirt,  und  in  den  fruchtbaren,  wasserreichen 
Uferbezirken  des  Tsade  dieser  Gegend  des  Reiches  ist  Ng.  mere  mit 
mittelgrossen,  röthlichen  Körnern  am  verbreitesten.  Seltener  als  diese 
ist  Ng.  singer,  das  als  der  König  unter  den  Arten  seiner  Nahrhaftig- 
keit, seiner  Ergiebigkeit,  der  Mächtigkeit  seiner  Aehren  und  der 
Höhe  seiner  Halme  wegen  bezeichnet  wird  und  ebenfalls  in  dem 
wasserreichen  Humusboden  der  Tsade- Nähe  gedeiht.  Ng.  dzerma 
oder  tsarma  mit  grossen,  gelben  und  harten  Körnern  und  sehr  hohen, 
starken  und  holzigen  Halmen  soll  hauptsächlich  im  Marghi-Lande 
Vorkommen,  und  Ng.  keriram  mit  grossen,  graufarbigen  Körnern  und 
kurzen,  höchstens  meterhohen  Halmen,  wird  aus  dem  Districte  Ngo- 
mäti  zur  Hauptstadt  gebracht.  Im  Südwesten  des  Landes  gedeiht 
noch  eine  Art  mit  sehr  grossen  Körnern,  die  nur  geröstet  genossen 
werden , und  kurzen  Halmen  unter  dem  Namen  Ng.  njellogo  oder 
keläkeläno.  Sehr  bekannt  ist  Ng.  mütschi,  das  vorzüglich  im  Süd- 
osten des  Landes  wächst,  sich  durch  kleine,  röthliche  Körner,  die 
selten  zur  Nahrung  verwendet  werden,  und  hauptsächtlich  durch  seine 
rothen  Earbestoff  enthaltenden  Halme  auszeichnet.  Der  Duchn  ge- 
deiht besser  in  leichtem,  sandigen  Boden,  und  ist  daher  verbreiteter 
im  Norden  und  mittleren  Theile  des  Reiches,  während  die  Durra  den 
feuchten  und  fetten  Boden  mehr  liebt.  Man  säet  beide  gleichzeitig 
im  Anfänge  der  Regenzeit  und  erntet  nach  ungefähr  zwei  Monaten, 


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GT)4  III.  BUCH,  7.  KAP.  KLEIDUNG  UND  ERNÄHRUNG  DER  BORNÜ-LEUTE. 

so  zwar,  dass  der  Duchn  etwa  eine  Woche  früher  reif  ist,  als  die 
Durra. 

Noch  schneller  reift  Sorghum  saccharatum  — Sa  bä  du  — , dessen 
zuckerhaltige  Halme  allein  benutzt  werden.  Ich  erwähne  bei  dieser 
Gelegenheit  das  Sorghum  cernuum  — Massakiia  — , das  im  Beginn  der 
zweiten  Hälfte  der  Regenzeit  auf  schwerem  Boden,  am  schlammigen 
Rande  von  Wassertümpeln,  ausgesäet  wird.  Sobald  die  Regenzeit 
endet  und  der  Boden  etwas  trocken  geworden  ist,  nimmt  man  die 
jungen  l’flanzen  aus  der  Erde  und  verpflanzt  sie  einzeln  über  die 
zuvor  mit  Wasser  bedeckte  Fläche,  giesst  sie  an  und  lässt  sie  dann 
mit  Hülfe  des  Bodenwassers  und  des  Herbstthaues  wachsen  und  reifen. 
Die  Ernte  findet  2 '/g  Monat  nach  der  Aussaat  statt. 

In  den  besseren  Häusern  wird  eine  grosse  Sorgialt  auf  die  Mehl- 
fabrikation verwendet,  welche  im  Allgemeinen  in  Bornü  gegen  die 
der  Nachbarländer  zurücksteht.  Die  Armuth  des  Landes  an  harten 
Steinen,  wie  sic  anderswo  zum  Mahlen  gebräuchlich  sind,  zwingt  die 
Einwohner,  sich  mit  dem  Zerstampfen  der  Körner  in  Holzmörsern 
zu  begnügen,  und  trotz  der  Zeit  und  Kraft,  welche  die  Frauen  auf 
diese  Arbeit  verwenden,  lässt  der  Grad  der  Feinheit  des  hergestellten 
Mehlcs  viel  zu  wünschen  übrig.  Verschiedene,  oft  höchst  zeit- 
raubende Proccduren  sind  im  Gebrauch,  um  das  Mehl  feiner,  reiner 
und  weisser  zu  machen,  doch  reichen  in  der  Mittelklasse  dazu  die 
Arbeitskräfte  nicht  aus.  In  ihr  und  bei  den  Aermeren  erzielt  man 
höchstens  dadurch  eine  kleine  Abwechselung,  dass  man  die  grob- 
gestossenen,  von  dem  Abfall  befreiten  Körner  einige  Tage  im  Wasser 
der  Gährung  überlässt,  trocknet  und  in  Mehl  verwandelt,  das  dann 
einen  säuerlichen  Geschmack  angenommen  hat.  Sonst  ist  der  Brei 
an  und  für  sich  durchaus  geschmacklos,  da  er  weder  Gewürz  noch 
irgend  eine  andere  Zuthat  erhält;  der  Geschmack  wird  ihm  durch 
die  Sauce  und  ihre  Zuthaten  gegeben.  Ausser  dem  A'isch,  der  in 
der  Kanüri-Sprache  Bcri  heisst,  aber  ebenso  oft  nur  mit  dem  gene- 
rellen Namen  Kumbu,  d.  h.  Nahrung,  belegt  wird,  bereitet  man  noch 
aus  den  genannten  Negercerealien,  nachdem  man  die  Körner  hat 
auswachsen  lassen  und  den  Mehlteig  mit  einem  Ferment  versehen 
hat,  dünne,  säuerliche  Pfannenkuchen,  welche  Senäsin  heissen. 

Selbst  die  Vornehmeren,  denen  die  selteneren  und  theureren 
europäischen  Getreidearten  Weizen  und  Gerste  zugänglich  sind  — 
beide  werden  nach  vollendeter  Regenzeit  im  Monat  October  gesäet, 


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VERSCHIEDENE  GETREIDEARTEN  UND  IHRE  VERWENDUNG, 


GÖ5 


bedürfen  regelmässiger,  künstlicher  Bewässerung  und  kommen  zwei 
volle  Monate  nach  der  Aussaat  zur  Reife  — , entsagen  deshalb  dem 
gewöhnlichen  Aisch  durchaus  nicht,  sondern  begnügen  sich,  aus 
jenen  hin  und  wieder  zur  Abwechselung  nordische  Gerichte,  wie 
Kuskiisu,  Mohammes  und  andere  herzustellen,  oder  mit  Honig  und 
Butter  verschiedene  Kuchen  aus  ihnen  zu  backen,  wie  Fingäso,  Mo- 
tobbek,  Tirmitirmi  und  Käk,  von  denen  der  letztere,  wie  sein  Name, 
der  arabischen  Küche  entlehnt  ist.  Zur  Aisch- Bereitung  verwendet 
man  den  Weizen,  ganz  abgesehen  von  seiner  Seltenheit,  übrigens 
nur  ausnahmsweise;  geschieht  es,  so  fuhrt  der  Brei  den  Kanüri- 
Namen  Gudda.  Häufiger  macht  man  aus  demselben  aber  die  oben 
unter  dem  Namen  Senäsin  erwähnten,  gesäuerten  Pfannenkuchen. 

Der  nur  wild  vorkommende  Reis  ( Oryza  punctata ) — Firgämi 
oder  Schinkäfa  — , welcher  allerdings  in  der  Güte  weit  hinter  dem 
cultivirten  zurücksteht,  wird  im  Ganzen  nicht  sehr  geschätzt  und 
entweder  als  einfacher  Brei  gegessen  oder  häufiger  zur  Bereitung 
einiger  gewürzreicher  und  süsser  Speisen  verwendet.  Wir  haben 
von  den  letzteren  bereits  die  Näkia,  in  der  Reismehl  mit  Honig  und 
etwas  Butter  zu  einer  homogenen  Paste  eingekocht  ist,  kennen  ge- 
lernt. Aehnlich  verhält  sich  die  beliebte  Adschina  zarka  (d.  h.  der 
graue  Teig)  von  derselben  Consistenz,  und  berühmt  ist  die  Inzai  oder 
Tigra  Wadäf’s,  welche  aus  Rcismehl  besteht,  das  zu  mässig  steifem 
Brei  eingekocht,  mit  Pfeffer  und  anderen  Gewürzen  versetzt  und  mit 
Honig  gut  durchgearbeitet  wird. 

Selbst  der  in  allen  wasserreichen  Gegenden  Bornü's  mit  fettem, 
humusreichem  Boden  vielfach  gebaute  Mais  (Zea  Mays)  — Massarmi 
— wird  nie  zu  Aisch  verwendet,  sondern  man  begnügt  sich,  die 
Kolben  kurze  Zeit  der  Einwirkung  kochenden  Wassers  auszusetzen 
oder  sie  oberflächlich  zu  rösten  und  die  Körner  als  solche  zu  ge- 
messen. Der  Mais  wird  vor  Beginn  der  Regenzeit  ausgesäet,  liebt 
einen  wasserreichen,  fetten  Boden  und  erfordert  etwas  mehr  als  zwei 
Monate  bis  zur  Reife. 

Bei  Misswachs  und  bei  Hungersnoth  in  Folge  von  Kriegen  und 
dergleichen  anormalen  Zuständen  nimmt  das  Volk  seine  Zuflucht  zu 
den  Samen  der  zahlreichen  Körner  tragenden  Gräser,  welche  das 
Land  bietet.  Der  aus  ihnen  bereitete  Aisch  ist  zum  Theil  sehr 
wohlschmeckend,  wenn  auch  vielleicht  weniger  nahrhaft;  doch  er- 
fordert das  Einsammeln  derselben  eine  zeitraubende  Arbeit.  Man 


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65G  III.  BUCH,  7.  KAP.  KLEIDUNG  UND  ERNÄHRUNG  DER  BORNÜ-LEl'TE. 

verwendet  in  dieser  Weise  vor  Allem  die  zahlreichen  Kreb -Arten 
(Eragrostis  sp.)  — Kascha  — , die  Elcusitie  fiagellifera,  den  Askanit 
(Cenchrus  echinatus)  — Ngibbi  — , den  Akresch  oder  Abu  Säbe 
(Vilfa  spicata.-),  das  oft  erwähnte  Knotengras  Bü  Rukba  arab.  (Pani- 
cum  turgidum),  das  Dactyloctenium  acgyptium  — Fagam  — und  das 
Andropogon  — Kädschtdschi  — . Die  Kreb- Arten,  unter  denen  in 
Bornu  Kascha  ngörögo  oder  magaia  bekannt  und  beliebt  ist,  geben 
eine  so  reiche,  nahrhafte,  leicht  verdauliche  und  wohlschmeckende 
Ausbeute,  dass  man  sie  auch  ohne  Nothstand  verwendet.  Die  Zeit 
der  Reife  dieser  Gramineen  fallt  ungefähr  mit  der  Duchn-  und  Ngäberi- 
Ernte  zusammen. 

Der  ’Aisch  aus  dem  Mehl  dieser  Samenkörner  wird  ganz  wie 
aus  dem  der  cultivirten  Cerealien  bereitet.  Unter  beständigem  Um- 
rühren  mit  einem  starken  Stabe  schüttet  man  das  Mehl  ganz  allmäh- 
lich in  einen  thönernen  Topf  mit  kochendem  Wasser,  und  setzt  diese 
Manipulation  des  Umrührens  über  dem  Feuer  fort,  bis  der  Inhalt  zu 
einem  dicken  Brei  eingekocht  ist.  Wenn  die  Zähigkeit  des  letzteren 
das  Umrühren  nicht  mehr  gestattet,  so  thut  man  denselben  in  eine 
Schüssel  und  stülpt  diese  über  einer  anderen  um,  so  dass  der  ’Aisch 
als  halbkugelige  Masse  in  der  letzteren  liegt.  Die  Furche  zwischen 
Brei  und  Schüssclwand  wird  mit  der  Sauce,  welche  nach  dem  dazu 
verwendeten  Grünzeug  in  der  Kanüri- Sprache  den  Namen  Kälu 
(eigentlich  Blatt)  führt  und  im  Arabischen  Idäm  (eigentlich  Zugemüse) 
oder  Weke  heisst,  ausgefullt  und  diese  muss  dem  ganzen  Gerichte 
den  Geschmack  geben. 

Duchn-  und  Durra-Körner  dienen  ausser  zur  Bereitung  von  Aisch 
und  Senäsin  noch  zur  Herstellung  anderer  Gerichte.  Durchknetet 
man  das  Mehl  derselben  einfach  mit  etwas  heissem  Wasser,  so  ent- 
steht die  Tigra,  welche  mit  Milch  oder  Honig  genossen  wird.  Setzt 
man  Mehl  von  keimendem  Getreide  diesem  Brei  zu,  lässt  denselben 
eine  Zeit  lang  stehen,  durchknetet  ihn  noch  einmal  mit  Wasser  und 
trocknet  ihn  dann,  in  einzelne  Häufchen  getheilt,  an  der  Sonne,  so 
erhält  man  die  Tigra  ngamdu,  d.  h.  die  trockene  Tigra,  welche,  mit 
süsser  Milch  genossen,  sehr  beliebt  ist.  Werden  die  Getreidekörner 
nur  grob  zerstossen  und  zerrieben  und  dann  zu  einem  wenig  homo- 
genen Brei  verkocht,  so  heisst  das  Gericht  Ngädschi.  Von  Kindern 
und  Aermeren  sehr  geschätzte  Süssigkeiten  sind  Üliüli  (geröstete 
und  zerstossene  Duchn -Körner  und  Erdnüsse  mit  Butter  zu  kleinen 


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ZUBEREITUNG  HER  GEWÖHNLICHEN  MEHLSPEISEN.  — SAUCEN.  0Ö7 

Kuchen  geformt)  und  Tabiska  (Teig  aus  Duchn-Mehl,  in  Butter 
gebacken).  Kinder,  Reisende,  welche  der  Hülfe  von  Frauen  ent- 
behren, und  Kranke  essen  anstatt  des  wohlzubereiteten  Aisch  wohl 
eine  dicke  Mehlsuppe  oder  einen  weichen  Mehlbrei,  welche  den 
Namen  Bülliim  führen.  Man  bereitet  dieselben  aus  Duchn,  Durra, 
Weizen  oder  Gerste,  setzt  ihnen  nach  Bcdürfniss,  Geschmack  und 
Vermögen,  Gewürze  und  Butter  oder  Honig  zu,  liebt  aber  vorzugs- 
weise, ihnen  durch  Abkochung  mit  Düm,  Blto,  Tamarinden  den 
diesen  Früchten  eigentümlichen  Geschmack  zu  geben.  Ein  solcher 
ßüilüm  wird  allgemein  während  des  Fastenmonats  unmittelbar  nach 
Sonnenuntergang  zur  Stillung  des  ersten  Hungers  genossen,  grade 
wie  um  die  angegebene  Zeit  Städtebewohner  höher  civilisirter 
mohammedanischer  Länder  Kaffee  oder  Limonade  mit  feinen 
Backwaaren  nehmen,  während  die  eigentliche  Mahlzeit  bereitet 
wird. 

Die  Saucen  zu  den  Mehlspeisen  bestehen  gewöhnlich  in  einer 
Abkochung  von  Baum-  und  Strauch-Blättern,  Früchten  oder  Kräutern 
mit  frischem  oder  getrocknetem  Fleisch.  Von  den  ersteren  werden 
die  des  Affenbrodbaumes  — Küka  — , des  Hedschlidsch  — Bito  — , 
des  Rankengewächses  Digdcgi  kan.  (Momordica  Balsamina) , des 
Maniok  (Manihot  utilissima)  — Karäsu  — und  anderer  verwendet. 
Von  den  Baumfrüchten  benutzt  man  vorzugsweise  die  der  Dümpalme, 
des  Hedschlidsch,  des  Affenbrodbaumes  und  der  Kurna,  und  von  den 
cultivirten  Gemüsen  sind  zu  demselben  Zwecke  beliebt:  Bämia  arab. 
(Hibiscus  csculentus)  — Kobbclu  — , die  Melüchia  arab.  (Corchorus 
olitorins)  — Ngamzeno  — , Tomaten,  Bohnen  — Lubia  arab.  und 
Ngälo  kan.  — (z.  B.  Dolichos  Lubia.  D.  Lablab,  Vigna  sinensis). 
Erdnüsse  (Arachis  hypogaca  — Koltschi  — und  Voandseia  snbterranea 
— Ngangala  — ) und  Sesam  — Semsem  arab.  und  Marraschi  kan.  — . 
Die  in  den  verschiedenen  Gegenden  des  Landes  zur  Bereitung  der 
Saucen  verwendeten  wilden  Kräuter  sind  zahllos. 

Das  mit  den  Saucen  verkochte  gedörrte  Fleisch  — Qadid  arab. 
ist  stets  Kuhfleisch,  und  man  zerstampft  es  zuvor  zur  Erleichte- 
rung des  Kochproccsses  in  den  Holzmörsern  so  gut  als  möglich  zu 
Pulver.  Die  Stiere  werden  hauptsächlich  zum  Lasttragen  auferzogen, 
sind  darum  theurer  und  werden  höchstens  in  jugendlichem  Alter  von 
den  besser  Situirten  auch  zum  Genüsse  frischen  Fleisches  geschlachtet. 
Die  Kühe  dagegen,  wenn  sie  nicht  grade  Milchkühe  sind,  eignen 
Nachtigal.  1.  42 


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G58  III.  BUCH,  7.  KAP.  KLEIDUNG  UND  ERNÄHRUNG  DER  BORNÜ-LEUTE. 

sich  durch  ihren  geringen  Preis  am  besten  zur  Herstellung  des  Qadid 
und  zur  Ernährung  der  unteren  Klassen. 

In  der  Nähe  des  Tsäde  und  seiner  fischreichen  Zuflüsse  ist  zu 
den  Saucen  die  Verwendung  der  an  Ort  und  Stelle  fast  werthlosen 
getrockneten  Fische  sehr  beliebt.  An  dem  widerwärtigen  Geschmack 
und  Geruch  derselben,  der  den  meisten  Europäern  unerträglich  er- 
scheint, nehmen  die  Sudaner  nicht  nur  keinen  Anstoss,  sondern  finden 
sogar  ein  besonderes  Gefallen  an  ihm.  Die  ärmeren  Städter,  die 
anspruchslosen  Bewohner  abgelegener  Dörfer  und  die  Viehzucht  trei- 
benden Känembu  und  Schöa,  welche  sich  zum  Opfer  eines  Stückes 
Schlachtvieh  schwer  entschliessen,  begnügen  sich  anstatt  der  sonst 
üblichen  Sauce  mit  etwas  verwässerter,  saurer  Milch. 

Zu  der  Abkochung  von  Fleisch  oder  Fisch  mit  Vegetabilien 
fügt  man  etwas  Mehl  und  setzt  dann  die  Gewürze  hinzu:  Salz,  ent- 
weder reines  Speisesalz  aus  Bilmä,  oder  das  unreine  Product  vege- 
tabilischer Asche  (im  Norden  Bornü’s  meist  des  Siwak),  Sudan-Pfeffer 
(Capsicum  conicutn)  - Schetta  arab.  und  Nschetta  oder  Njetta  kan.  — , 
der  überall  in  grosser  Menge  cultivirt  wird,  Kumba-  (auch  Kimba-) 
Pfeffer  (Xylopia  acthiopica) , der  in  Bornü  kaum  wächst,  aber  in 
grossen  Mengen  aus  den  Haussa  - Ländern  auf  den  Markt  gebracht 
wird,  und  gern  eine  kleine  Quantität  von  Natron,  das  in  grosser 
Menge  von  den  Inseln  des  Tsäde  gebracht  wird. 

Sind  Äisch  und  Sauce  zusammen  aufgetragen,  so  übergicsst  man, 
wenn  die  Mittel  es  erlauben,  das  Gericht  mit  der  üblichen  flüssigen 
Butter  und  schätzt  dasselbe  um  so  höher,  je  grösser  die  Quantität 
der  letzteren  ist. 

In  den  vornehmeren  Häusern  wird  fast  täglich  noch  ausserdem 
frisches  Fleisch  zubereitet,  sei  es,  dass  man  es  mit  der  Sauce  kocht, 
sei  cs,  dass  man  cs  in  Butter  gebraten  oder  einfach  am  F'euer  ge- 
röstet genicsst.  Es  giebt  viele  Häuser  in  Küka,  in  denen  Tag  für 
Tag  ein  oder  mehrere  Stück  Vieh  geschlachtet  werden.  Allerdings 
werden  diese  selten  oder  nie  auf  dem  Markte  gekauft,  sondern  theils 
als  Abgaben,  theils  als  Geschenke  von  Bittstellern  und  Schützlingen 
dem  Hausherrn  gebracht,  theils  besitzt  dieser  auf  seinen  Landgütern 
und  in  seinen  Dörfern  grosse  Heerden.  Zum  Genüsse  frischen 
Fleisches  zieht  man  das  der  Schafe,  Ziegen  und  Kamecle  dem  des 
Rindes  vor,  das  in  der  That  in  jenen  Gegenden  weder  wohlschmeckend 
noch  leicht  verdaulich  ist.  So  ausgezeichneter  Verdauungsorgane 


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FI.EISCHNAHRITNG. 


659 

ich  mich  auch  erfreute,  so  war  ich  doch  sicher,  nach  jedem  Genüsse 
von  frischem  Rindfleisch  Störungen  derselben  zu  erleiden.  Die  Schaf- 
zucht, besonders  bei  einigen  Kanembu-Stämmen,  liefert  ausserordent- 
lich grosse  und  fette  Thiere  zu  sehr  massigen  Preisen.  Auch  das 
Kameelfleisch  ist  sehr  beliebt  und  gut  vertraglich,  kommt  aber  be- 
greiflicherweise weniger  zur  Verwendung,  da  die  Thiere  selten  und 
theuer  sind.  Es  hat  allerdings,  wie  ich  schon  bei  früherer  Gelegen- 
heit erwähnte,  einen  etwas  eigentümlichen  Geschmack , an  den  ich 
mich  jedoch  leicht  gewöhnte.  Auch  Hühner  werden  in  Bornü 
häufiger  verwendet,  doch  überlässt  man  gern  ihren  Genuss,  wie  auch 
den  ihrer  Eier,  Frauen  und  Kindern.  Beliebter  sind  die  Tauben  — 
Kataböra  — , welche  merkwürdiger  Weise  nur  im  zartesten  Alter,  noch 
unvollkommen  befiedert,  in  geröstetem  oder  gebratenem  Zustande 
genossen  werden. 

Wildfleisch  — Da  kärdgäbe  (von  Kardga,  die  Wildniss)  — kommt 
im  Verhältnis  zu  der  Häufigkeit  der  Antilopen,  Büffel  — Ngaran  — , 
Wasservögel  (Gänse  und  Enten)  und  Perlhühner  sehr  selten  zur  Verwen- 
dung, theils  wohl,  weil  das  Jägerhandwerk  in  allen  jenen  Gegenden 
keiner  besonderen.  Achtung  geniesst,  theils  aber  auch,  weil  die 
Hausthierc  so  zahlreich  und  wohlfeil  sind.  Nur  Liebhaber,  wie 
Lamino,  verschafften  sich  das  Fletsch  junger  Büffel  und  jugendlicher 
Giraffen  — Kindscher  — , und  ich  muss  gestehen,  dass  dasselbe 
ausserordentlich  wohlschmeckend  ist.  Nur  bisweilen  kommen  Hasen 
— Turgona  — , die  in  einer  grösseren  und  einer  kleineren  Art  Vor- 
kommen, oder  Feldhühner,  von  denen  man  Kujuk  und  Ferfer  (oder 
Ferfer  känäm,  weil  cs  mit  Vorliebe  Termiten  — Kftnäm  — frisst) 
unterscheidet,  deren  Namen  onomatopoetisch  von  ihrer  Stimme  ge- 
nommen sind,  oder  Feld-  und  Waldtauben  auf  den  Markt.  Von  den 
reissenden  Thieren,  deren  Fleisch  Ahmed  Ben  Brahim  zu  gemessen 
die  Vorurtheilslosigkeit  hatte,  behagte  mir  der  Löwenbraten  eben- 
falls, weniger  dagegen  Leoparden-  und  Hyänenfleisch.  Im  Allge- 
meinen verdammt  der  Mohammedaner  ihren  Genuss,  wenn  nicht  als 
„haräni”,  d.  h.  wirklich  sündhaft,  so  doch  als  „makroh",  d.  h.  unziem- 
lich. In  diese  Categoric  gehört  auch  das  Fleisch  der  grossen  Feld- 
ratte — Züloa  — und  der  Springrattc  — Züloa  schigal  kurugu  (d.  h. 
eigentlich  Ratte  mit  langem  Unterschenkel)  — , welches  beim  Land- 
volk sehr  beliebt  ist,  das  des  Hippopotamus  — Ngurütu  — , des 
Krokodils  — Karäm  — , welches  aber  von  den  Anwohnern  des 

4j>* 


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fifjO  III.  BUCH,  7.  KAP.  KI. EIDUNG  UND  ERNÄHRUNG  DER  BORnO-UEUTE. 

Schäri  nie  verschmäht  wird  und  in  der  That  sehr  wohlschmeckend 
ist,  der  Waran -Eidechse  — Margöban  — , und  vor  Allen  des  Wild- 
schweins — Gadü  — . Ueber  dies  letztere  Thier  sind  die  Ansichten 
der  dortigen  Gelehrten  nicht  einig,  denn  wenn  cs  auch  die  Meisten 
mit  dem  Schwein  der  Bibel  und  der  Europäer  identificiren,  so  giebt 
es  doch  auch  Manche,  welche  dicss  bestreiten  und  für  sein  Fleisch 
den  Character  des  haräm  leugnen  und  dasselbe  nur  als  makröh 
gelten  lassen  wollen. 

Es  fiel  mir  sehr  auf,  dass  die  Kaniiri  und  selbst  die  in  den  Städten 
wohnenden  Kancmbu  wenig  auf  den  Genuss  frischer  Fische  hielten, 
während  doch  die  Inselbewohner  des  Tsäde  hauptsächlich  von  den- 
selben leben  sollen,  die  Anwohner  des  Schäri,  wie  ich  später  zu  be- 
obachten Gelegenheit  hatte,  ebenfalls  grosses  Gefallen  an  ihnen 
finden,  und  der  Name  Buni  durch  seinen  entschiedenen  Zusammen- 
hang mit  buskin  (d.  h.  ich  esse)  anzudeuten  scheint,  dass  der  Fisch 
früher  als  Haupt-  oder  Lieblingsnahrung  des  ganzen  Volkes  angesehen 
wurde.  Die  Känembu  der  nahe  gelegenen  Uferdörfer  des  Sees 
brachten  nur  selten  frische  Fische  auf  den  Markt  von  Küka, 
und  es  gelang  mir  bei  Weitem  nicht  immer,  am  Montage  solche  zu 
erhalten,  obgleich  ich  Bekannte  in  beiden  Städten  beauftragte,  schon 
vom  frühesten  Morgen  an  auf  dieselben  zu  fahnden.  Diejenigen, 
welche  ich  zu  essen  Gelegenheit  hatte,  waren  von  ausgezeichnetem 
Geschmack  und  ansehnlichen  Dimensionen. 

Ich  habe  von  den  Fischen  des  Tsäde  wenig  Kenntniss  erlangt; 
doch  die  zahlreichen  Kanüri -Namen  sprechen  für  das  Vorkommen 
vieler  Arten.  Wenn  ich  jene  zum  Theil  anführc,  so  geschieht  es, 
um  künftigen  Reisenden  einen  Anhalt  zur  Erkundigung  und  Iden- 
tificirung  der  letzteren  zu  geben.  Man  nannte  mir  zunächst  den 
Büni  mogu,  den  elektrischen  Fisch,  dessen  charakteristische  Eigen- 
schaft natürlich  die  Leute  frappiren  musste.  Buni  käga  wurde  als 
grosser  Raubfisch  beschrieben,  B.  tola  als  ein  rundmäuliger,  unge- 
wöhnlich langer  Fisch,  und  andere  heissen:  B.  karöa,  B.  käwui, 
B.  komodu,  B.  sclfinomillife,  B.  sunozäwerwe,  B.  gangerän,  B.  kondol, 
B.  jögoli,  B.  schegu,  B.  kemäga.  Der  llo  oder  Jilo  ist  ein  Säuge- 
thier des  Tsäde  und  Schäri,  vielleicht  identisch  mit  dem  Manatus 
V'ogelii. 

Zu  der  animalischen  Nahrung  liefert  die  Natur  leider  allzu  oft 
einen  erheblichen  Beitrag  durch  Schaaren  von  Heuschrecken,  welche 


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FISCHE.  — HEUSCHRECKEN.  661 

in  zahlreichen  Arten  existiren  und  sich  fast  alle  zu  culinarischer  Ver- 
werthung  eignen.  Man  entfernt  Flügel  und  Beine  derselben  und 
röstet  sie  mit  etwas  Butter  oder  kocht  sie  in  der  beschriebenen 
Sauce.  Die  Heuschrecken  bilden  ein  ausserordentlich  beliebtes 
und,  da  man  sagt,  dass  Lilla  Fätfma,  die  Tochter  des  Propheten, 
sie  gern  gegessen  habe,  auch  sehr  angesehenes  Nahrungsmittel,  und 
ich  muss  zugeben,  dass  sie  in  geröstetem  Zustande  mir  sehr  wohl 
schmeckten. 

Von  den  Heuschrecken  — Käfi  — unterscheiden  die  Einge- 
borenen zahlreiche  Arten,  welche  sämmtlich  gegessen  werden,  wenn 
sie  auch  nicht  in  gleicher  Weise  beliebt  sind.  Die  verheerende  fahl- 
braune Wanderheuschrecke  Käfi  difu,  die  sich  von  Baumblättern  er- 
nährt, und  die  etwas  hellfarbigere  K.  kamanwa,  welche  das  Getreide 
verwüstet,  sind  beide  von  mittlerer  Grösse  {3 — 4 Ctm.  lang),  erscheinen 
in  Masse  am  Ende  der  Regenzeit  und  gelten  für  die  wohlschmeckendsten. 
K.  ngalangädschiram  (grün)  und  K.  lüluderman  (grün  und  weiss  getüpfelt 
und  daher  mit  dem  Zunamen  troktrok,  punktirt)  sind  von  der  Grösse  der 
vorigen,  leben  vereinzelt  und  treten  zur  Erntezeit  auf.  Grösser  sind  die 
ebenfalls  vereinzelt  lebenden  K.  kerrei  küka,  K.  legära  demba,  K.  killi 
süguma  und  K.  sugundo,  von  denen  die  beiden  letzteren  sich  von 
Getreide  ernähren.  K.  ngolondo  mairambe  (d.  h.  der  Finger  der  Prin- 
zessin) ist  mindestens  5 Ctm.  lang,  grasgrün  mit  weissen  Querstreifen 
am  Halse,  lebt  vereinzelt  und  findet  sich  zur  Regenzeit  mit  Vorliebe 
auf  dem  Oschar,  zeichnet  sich  durch  einen  bitteren  Geschmack  aus 
und  wird  deshalb  selten  gegessen.  Etwa  fingerlang  ist  K.  dschenna 
zeirobe,  welche  vereinzelt  lebt  und  Getreide  frisst.  Die  grösste 
von  Allen  ist  K.  dschongolo  kögio,  grasgrün,  vereinzelt  vor- 
kommend, mit  scharfgedorntem  Kamm  des  Halsschildes  und  dem 
Getreide  ungefährlich.  Kleiner  sind  K.  tombu  kaschäschima  und 
K.  dunno  kemäun,  von  denen  die  letztgenannte  sich  durch  unver- 
hältnissmässig  starke  Beine  auszeichnct,  und  am  kleinsten  und  dunkel- 
farbigsten ist  K.  kintäge  tschetsche,  welche  zirpende  Laute  von  sich 
giebt  und  daher  ihren  Beinamen  führt.  Ich  erwähne  bei  dieser  Ge- 
legenheit das  Vorkommen  der  Grille  Ngiki  oder  Ngitti,  deren  man 
zwei  Arten  unterscheidet. 

Ungebildete  Leute,  fern  von  den  Städten,  Sclavcn  und  Kinder 
essen  natürlich,  ohne  sich  um  religiöse  Bedenken  zu  kümmern,  Alles, 


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C62  III.  BUCH,  7.  KAP.  KLEIDUNG  UND  ERNÄHRUNG  DER  BORNÜ-LEUTE. 

was  da  „kreucht  und  fleucht",  wie  Raupen,  geflügelte  Termiten  — 
Känäm  zfizu  — , Frösche  und  dergleichen. 

Von  den  Fröschen  — Köko  — wird  am  liebsten  gegessen  eine 
grosse,  gelbliche  Art,  deren  Name  Bertetege  ungefähr  ihre  Stimme 
wiedergiebt.  Auch  eine  kleinere,  grünliche,  hellquakende  Art  Namens 
Ardschädscha  dient  als  Nahrungsmittel,  während  ein  graufarbiger,  mit 
hellem  Stirnflecke  und  mit  einer  dumpfen  Stimme  begabter,  vorzugs- 
weise Köko  genannter  Frosch  verschmäht  wird.  Streng  denkende 
Muselmanen  betrachten  diese  Thiere  als  makröh. 

Die  meisten  der  oben  genannten  Baum-  und  Bodenfrüchtc  werden 
auch  begreiflicherweise  für  sich  genossen  und  bilden  zum  Theil  nicht 
unwichtige  Nahrungsmittel.  Die  meisten  derselben  reifen  während 
oder  nach  der  Regenzeit.  Von  den  Baumfrüchten,  welche  sämmtlich 
ohne  Zuthun  des  Menschen  heranreifen,  spielen  die  wichtigste  Rolle 
in  der  Oekonomie  der  Bornü -Leute  die  des  Hedschlidsch  und  die 
des  Kurna- Baumes.  Die  Frucht  des  Hedschlidsch  heisst  Bito  — 
Tamr  el  Abid  arab.  — ; sie  ist  von  länglich  runder  Form,  etwas 
kürzer  und  dicker  als  eine  mittlere  Dattel  und  hat  eine  gelblich- 
graue  Schale  von  geringer  Widerstandsfähigkeit,  welche  durch  eine 
dünne  Schicht  gelbbrauner,  schleimiger,  fadenziehender  Masse  von 
bittersüssem  Geschmacke  mit  dem  grossen  Kern  verbunden  ist.  Die 
das  Fleisch  der  Frucht  darstellende  Masse  wird  zwar  besonders  von 
Kindern  gern  vom  Kern  abgesogen,  sonst  aber  höchstens  als  Zusatz 
zu  Saucen  oder  zum  Büllüm  benutzt.  Der  Werth  der  Frucht  liegt 
im  Kern,  dessen  bitterer,  fester  Inhalt  ausgelöst,  durch  Einwässern 
seines  Bitterstoffes  beraubt,  an  der  Sonne  getrocknet  und  geröstet 
oder  ungerüstet  gegessen  wird.  In  dieser  Form  heisst  derselbe  Nage. 

Die  Frucht  des  Kurna -Baumes  ist  viel  kleiner,  unter  Kirschen- 
grösse, rund,  in  reifem  Zustande  bräunlich,  ohne  ablösbare  Schale 
und  hat  über  dem  harten  Kern  ein  trockenes,  zähes,  säuerlich-süsses 
Fleisch,  aus  dem  man  sogar  eine  brodartige,  beim  Volke  recht 
beliebte,  leicht  nach  Pfefferkuchen  schmeckende  Masse  herstellt.  Bei 
der  grossen  Menge  der  Kurna- Bäume  in  den  Ortschaften  und  ihrer 
Nähe  sind  diese  für  die  Ernährung  der  Armen  nicht  ohne  Bedeutung. 

Die  Früchte  der  übrigen  im  nördlichen  Bornü  vorkommenden 
Bäume  können  als  Nahrungsmittel  nicht  in  Betracht  kommen.  Datteln 
finden  sich  nur  sehr  vereinzelt,  w'erden  aus  Kanem  und  Kawär  ein- 
geführt und  haben  also  Preise,  welche  sie  zu  Leckerbissen  stempeln. 


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BAUM-  l!Ntl  GARTF.NFRÜCHTE. 


663 

Der  Inhalt  der  Frucht  von  Adansonia  digitata  — Küka  (die  Frucht 
heisst  Küka  bul)  — wird  zwar  mit  seinem  säuerlichen  erfrischenden, 
Geschmacke  ebenfalls  Saucen,  Suppen  und  Getränken  zugesetzt,  kann 
aber  ebenso  wenig  als  die  Frucht  der  Dümpalme  — Kirzim  — oder 
die  des  Tamarindenbaumes  — Erdebc  arab.  und  Tcmsüku  kan.  — , 
die  man  in  ähnlicher  Weise  verwerthet,  als  eigentliches  Nahrungsmittel 
betrachtet  werden.  Nicht  mehr  dienen  als  solche  die  Früchte  des 
Dschochän  /Diospyrus  tncspiliformis)  — Birgirn  — , die  des  wilden 
Feigenbaumes  — Termo  — , der  dem  letztgenannten  ähnlichen 
Dschedscha  kan.,  und  der  Sycomore  (Ficus  Sycomorus)  — Ngäborc — , 
welche  ausserdem  ziemlich  geschmacklos  sind.  Aehnlich  verhält  sich 
der  Hommed  — Kemaua  — , Frucht  von  Spondias  Birrra.  die  von  der 
Grösse  unserer  Eierpflaumen,  im  reifen  Zustande  gelb,  saftig  und 
von  säuerlichem  Geschmack,  doch  in  jener  Gegend  nicht  häufig  ist. 
Die  ausgezeichnete  Gunda,  die  Frucht  von  Carica  Papaya  kommt 
ebenfalls  allzu  vereinzelt  vor,  um  in  Betracht  gezogen  werden  zu 
können,  und  die  Deleb-Palme  (Borassus  flabelliformis)  — Kemi- 
ludu  — , der  Butterbaum  (Butyrospermum)  — Toso  — , die  Parkia 
biglobosa  — Rtinno  — und  andere  Bäume,  die  eine  grössere  Bedeutung 
haben  würden,  finden  sich  erst  im  südlichen  Bornü. 

Von  den  cultivirten  Gartenfrüchten  spielen  die  wichtigste  Rolle 
die  Bohnen,  die  Erdnüsse  und  der  Sesam.  Von  den  Bohnen,  welche 
im  Anfänge  der  Regenzeit  gesetzt  werden  und  ungefähr  zwei  Monate 
bis  zur  Reife  gebrauchen,  giebt  es  im  nördlichen  Bornü  sehr  viele 
Arten,  unter  denen  die  Ngalo  ngornuma,  d.  h.  die  hauptsächlich  in 
der  Nähe  von  Ngornu  gebaute  Bohne,  die  bekannteste  und  beliebteste 
ist.  Sic  kommt  in  verschiedenen  Farben  vor  und  reift  vor  allen 
übrigen  Arten.  Man  unterscheidet  ausserdem  noch  nach  Färbung, 
Grösse  und  Gegend  des  Vorkommens:  Ngälo  kälem,  Ng.  käfi  oder 
dschongulo,  Ng.  bugdibügu,  Ng.  dschigar  (klein,  sehr  hart  und  grau), 
Ng.  kädel,  Ng.  debbaie  und  andere.  Die  Erdnüsse  (Arachis  hypo- 
gaea  und  Voandzcia  subterranea),  welche  frisch,  geröstet,  in  Saucen 
und  die  letztere  sogar  im  Nothfalle  zu  Ai'sch  verarbeitet,  gegessen 
werden,  sind  fast  noch  wichtiger.  Die  Arachis,  aus  der  man 
ausserdem  für  den  Haushalt  vortreffliches  Ocl  gewinnt,  ist  besonders 
beliebt  und  scheint  mit  Ausnahme  einer  grösseren  Varietät,  welche 
den  Namen  Koltschi  koana  führt,  überall  dieselbe  zu  sein;  sie  ist 
unterirdisch  und  hat  eine  gegitterte  Hülse  mit  zwei,  zuweilen  drei 


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(j(U  III.  BÜCH,  7-  KAP.  KLEIDUNG  UND  ERNÄHRUNG  DF.R  BORNC-LEUTE. 

Kernen.  Von  der  grösseren  Voandzcia  — Ngangala  — unterscheidet 
man  eine  Reihe  verschieden  gefärbter  Sorten:  Ng.  bidi  (bräunlich), 
Ng.  tsillim  (schwärzlich),  Ng.  dsche  (schwarz  und  weisslich  gefleckt), 
Ng.  köro  (gelb),  Ng.  funta  (weiss) , Ng.  kägoram  (bunt).  — Der 
Sesam  Marraschi  — ist  nicht  allein  beliebt  als  Nahrungsmittel, 
sondern  liefert  ebenfalls  ein  vortreffliches  Oel.  — Auch  Habb  el-Aziz 
( Cy perus  csculentus)  — Nüfu  — kommt  zur  Verwendung,  wenn  cs 
auch  nur  eine  unbedeutende  Rolle  spielen  kann.  — Von  den  Cucur- 
bitaceen kommen  in  Betracht  der  Kürbis  (Cucurbita  Pepo)  — Sä- 
gädu  — , die  Gurke  — Ngurli  oder  auch  Bambus  — , die  Melone 
— Bambus  — und  die  Wassermelone  — Fäli  — , welche  bei  dem 
Mangel  an  saftigen  Baumfrüchten  beliebte  Erfrischungsmittel  sind. 

Die  essbaren  Wurzelknollen  können  noch  nicht  recht  zur  Geltung 
kommen,  da  sie  im  nördlichen  Bornü  allzu  selten  sind.  Bekannt 
sind  die  süsse  Batate  (ßatatas  edulis)  unter  ihrem  Haussa- Namen 
Dankäli,  die  Colocasia  — Qulqäs  arab.  und  Bürma  kan.  — , die  Dios- 
corea,  doch  nicht  im  allgemeinen  Gebrauch. 

Die  Zeit  der  Abendmahlzeit  — Aschä  arab.  und  Lcsa  kan. 
wird  in  allen  Häusern  mit  einer  gewissen  Regelmässigkeit  innc  ge- 
halten; doch  für  das  Frühstück  — F'tur  arab.  — hält  man  keine 
bestimmte  Stunde  ein  und  gcnicsst  dasselbe  ebensowohl  bald  nach 
Sonnenaufgang,  als  gegen  Mittag.  Die  fertigen  Schüsseln  werden  in 
den  Thcil  des  Hauses  gebracht,  in  dem  sich  der  I lausherr  aufzuhalten 
pflegt  und  seine  Besuche  empfängt.  Frauen  und  Kinder  essen  allein; 
nur  wenn  die  letzteren  herangewachsen  und  keine  Gäste  oder  doch 
nur  eng  befreundete  Personen  zugegen  sind,  erweist  ihnen  der  Vater 
bisweilen  die  hohe  Gunstbezeugung,  sie  zur  Mahlzeit  heranzuziehen. 
Die  Frau  jedoch  zieht  sich  sorgfältig  aus  der  Gegenwart  des  speisen- 
den Mannes  zurück,  wie  sie  es  auch  vermeidet,  selbst  essend  von 
diesem  gesehen  zu  werden.  Sind  Besucher  bei  dein  Hausherrn,  so 
nehmen  dieselben  ohne  besondere  Einladung  an  dem  Mahle  Theil, 
suchen  sich  aber  vorher  zurückzuziehen,  wenn  jener  ein  wenig 
begüterter  Mann  ist.  Die  Schüssel  wird,  wenn  sic  keine  Füsse  hat, 
in  ein  Untersatzkörbchen  gesetzt,  oder  man  kratzt  zu  ihrer  Aufnahme 
eine  kleine  Grube  in  den  Erdboden,  falls  derselbe  nicht  gehärtet  ist, 
oder  in  zu  diesem  Zwecke  aufgeschütteten  Sand. 

Selbst  bei  wenig  gebildeten  Leuten  herrscht  beim  Essen  viel 
Anstand  und  Sitte.  Alle  waschen  sich  zuvor  oberflächlich  die  Hände 


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DIF.  TÄGLICHEN  MAHLZEITEN.  ANSTANnSREGEl.V  HEIM  ESSEN.  Gt)5 

und  hocken  mit  einem  „Bisrn  Illähi",  d.  h.  im  Namen  Gottes,  um  die 
Schussel  herum,  so  dass  bisweilen  sechs  bis  acht  Menschen  dieselbe 
umgeben  und  einen  so  weiten  Kreis  bilden  müssen,  dass  Jeder  nur 
ganz  aus  der  Ferne  mit  den  Fingerspitzen  den  ’Ai'sch  erreichen  kann. 
So  wenig  auch  vorhanden  sein  mag,  würde  es  für  ein  Zeichen  grosser 
Rohheit  gelten,  wenn  man  durch  eine  gewisse  Schnelligkeit  des 
Essens  seine  Comnicnsalcn  überflügeln  zu  wollen  auch  nur  den 
Verdacht  erweckte.  Man  nimmt  eine  kleine  Quantität  des  Breies 
mit  den  zugespitzten  Fingern  der  rechten  Hand  die  linke  ist  sehr 
schlecht  angesehen  — , taucht  sie  in  die  Sauce  und  durchknetet  sie 
mit  derselben  in  massigem  Grade,  formt  den  Bissen  — Luqnia  arab. 

in  der  Hohlhand  und  führt  ihn  mit  grosser  Geschicklichkeit,  ohne 
den  geringsten  Verlust  auch  nur  eines  Tropfens  Sauce,  zum  Munde. 
Wenn  ich  oft  nicht  im  Stande  war,  mit  meinen  zarteren  Fingern  zu- 
zugreifen, da  sich  das  Innere  des  Breies  lange  sehr  heiss  erhält,  so 
waren  meine  Nachbarn  an  der  Schüssel  stets  so  höflich  und  freundlich, 
für  mich  Bissen  zu  formen  und  vor  mich  zu  legen.  Ist  die  Schüssel 
geleert,  so  leckt  man  sich  die  Finger  ab,  thut  durch  möglichst  lautes 
Aufstosscn  und  durch  ein  „el-Hamd  Lilläh",  d.  h.  Gottlob,  seine 
vollständige  Befriedigung  kund  und  wascht  sich  zum  Schlüsse  wieder 
die  Hände. 

Von  den  Getränken  zur  Stillung  des  Durstes  kommt  in  Bornü 
fast  nur  Wasser  in  Betracht.  Man  thut  in  dasselbe  gern  grob- 
gestossene  Duchn-  oder  Durra -Körner  Ngädschi  — und  erhält 
dadurch  ein  sehr  erfrischendes  und  angenehmes  Getränk.  Bei  dem 
grossen  Reichthume  des  Landes  an  Rindvieh  muss  cs  sonderbar 
erscheinen,  dass  die  süsse  Milch  — Ilalib  arab.  und  Kiam  killi  kan. 
eine  verhältnissmässig  so  geringe  Verwendung  findet.  Die  Rinder- 
bcsitzer  entnehmen  ihr  die  Butter,  mischen  sie  mit  Wasser  und  lassen 
sie  in  dazu  bestimmten  Gährungsgefässen  sauer  werden,  um  sie  an 
das  ärmere  Volk  zu  verkaufen.  Dieser  Zustand  scheint  so  sehr  als 
der  normale  der  Milch  betrachtet  zu  werden,  dass  man  unter  dem 
generellen  Namen  Kiam  nur  die  verwässerte,  saure  Leben  arab. 
versteht  und  zur  Bezeichnung  der  süssen,  die  man  selten  zu  Gesicht 
bekommt,  das  Beiwort  killi,  d.  h.  grün  oder  frisch,  fugt.  Eine  beliebte, 
aber  ebenfalls  selten  gesehene  Form  der  Milch  ist  die  eingedickte, 
welche  Kindermo  — Räi'b  arab.  — genannt  wird.  Bei  der  geringen 
Mannichfaltigkcit,  welche  ich  meiner  Küche  zu  geben  vermochte, 


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f>66  III.  BUCH,  7.  KAP.  KLEIDUNG  UND  ERNÄHRUNG  DER  BORNÜ-LEUTE. 

suchte  ich  mich  während  meines  Aufenthaltes  in  Küka  an  den  täg- 
lichen Genuss  frischer  Milch  zu  gewöhnen,  was  mir  auch,  obgleich 
dieselbe  im  Rufe  steht,  den  Fremden  nicht  zuträglich  zu  sein,  allerdings 
nach  einem  längeren  Widerstande  meiner  Verdauungsorgane,  zur 
Zufriedenheit  gelang. 

Luxusgetränkc  bereitet  man  in  den  besseren  Häusern  noch  gern 
aus  Reiswasser,  Milch,  Honig,  Rumba-Pfeffer,  Schetta  und  anderen 
gewürzigen  und  aromatischen  Substanzen,  und  besonders  Lamino 
mischte  dieselben  mit  besonderer  Vorliebe  und  Kunstfertigkeit. 

Der  Honig  erfreut  sich  eines  grossen  Ansehens  bei  den  leckcr- 
mäuligen  Bornü -Leuten,  ohne  dass  sich  jedoch  die  Bienenzucht  bei 
ihnen  entwickelt  hätte.  Sehr  selten  sieht  man  übrigens  frischen 
Scheibenhonig,  da  die  Leute,  welche  ihn  im  Walde  sammeln,  ihn 
sogleich  zur  Aufbewahrung  in  Krüge  tliun  und  dann  nach  Bedürfniss 
auf  den  Markt  bringen.  Der  meiste  gelangt  erst  auf  Umwegen  zum 
Verkauf;  denn  die  Districtc,  welche  sich  durch  Reichthum  an  Honig 
auszeichnen,  haben  gewöhnlich  eine  so  hohe  Abgabe  davon  in  natura 
zu  liefern,  dass  wenig  für  den  directen  Verkauf  übrig  bleibt.  Erst 
aus  den  Händen  der  Würdenträger,  in  denen  gewohnheitsgemäss  die 
Hälfte  des  Eingelieferten  verbleibt,  geht  er  in  die  der  kleinen  Kauf- 
leute über.  Man  unterscheidet  Baumhonig,  den  die  gesellige  Biene 
Kuli  kemägenbe  hervorbringt,  und  Erdhonig,  das  Product  von 
Däzo,  einer  mit  weissen  Haaren  bedeckten  Erdbiene.  Letztere  de- 
ponirt  den  Honig  in  ansehnliche,  faust-  bis  kindskopfgrossc  Erd- 
höhlungen, in  welche  von  einer  ziemlich  weiten  Zugangsöffnung  ver- 
schiedene Wege  münden.  ' 

Die  europäischen  Luxusgetränke  Kaffee  und  Thce  sind  in  Bornü 
kaum  in  Gebrauch  und  fast  ganz  durch  die  Güro-Nuss  verdrängt  worden. 
Zwar  bringen  die  tripolitanischen  Kaufleute  und  Mekka-Pilger  geringe 
Quantitäten  Kaffee  als  Geschenk  für  die  gebildeten  Vornehmen,  wie 
z.  B.  den  Moällim  Mohammed,  und  für  etwaige  Landsleute  mit, 
doch  auf  dem  Markte  findet  man  ihn  selten  in  grösserer  Menge. 
Niemand  vermisst  ihn  übrigens,  denn  selbst  die  Fremden  finden  an 
dem  Hauptgenussmittel  der  Bornü -Leute,  der  Güro-Nuss,  grösseres 
Gefallen. 

Diese  ist  der  Samenkern  einer  Sterculia  (meist  St.  acuminata), 
von  der  durchschnittlichen  (»rosse  einer  ansehnlichen  Rosskastanie 
und  von  ähnlichem  Aussehen.  Doch  ist  sic  nicht,  wie  diese,  in  eine 


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GETRÄNKE.  — DIE  GÖRO-NUSS. 


667 


ablösbare  Schale  gehüllt,  sondern  stellt  eine  homogene,  harte  Masse 
dar,  welche  aussen  braun  und  innen  gelblich  weiss  bis  rosenroth  ist. 
Sie  kommt  im  Westen  des  nördlichen  tropischen  Afrika  vom  Senegal 
bis  zu  den  Niger-  und  Binuc-Ländem  vor,  und  findet  sich  im  ganzen 
äquatorialen  Theilc.  Doch  haben  ihre  Varietäten  eine  sehr  verschiedene 
Gute.  Die  in  den  Haussa -Ländern  und  in  Bornü  allein  geschätzten 
kommen  aus  den  Nigerländern.  Die  kaufmännische  Ausfuhr  der 
besten  Art,  welche  in  Nife  gedeiht  und  unter  dem  Namen  Labödschi 
bekannt  ist,  soll  nach  den  Gesetzen  des  Landes  bei  harter  Strafe 
verboten  sein,  indem  nur  der  König  das  Recht  hat,  sic  zu  verschenken. 
Die  Kerne  der  besseren  Sorten  bestehen  aus  zwei  Hälften,  welche 
so  fest  aneinander  gelagert  sind,  dass  cs  oft  schwer  hält,  sie  ohne 
instrumentale  Hülfe  zu  trennen,  und  sollen  auf  den  Berührungsflächen 
derselben,  wie  im  Innern,  möglichst  rosenroth  gefärbt  sein,  und  einen 
leicht  bitteren,  aber  keinen  faden,  schleimigen  Geschmack  haben. 
Dieser  letztere  ist  z.  B.  denjenigen  eigen,  welche  aus  Adamäwa, 
südlich  vom  Binue,  stamrtien,  innen  gelbljchweiss  gefärbt  sind  und 
häufig  eine  natürliche  Theilung  in  drei  Tingle  erlauben.  Die  schlech- 
teren Sorten  scheinen  auch  durch  einen  geringeren  Gehalt  jenes 
animirenden  und  appetiterregenden  Principes  ausgezeichnet  zu  sein, 
das  bei  den  Arabern  der  Güro-Nuss  die  Bezeichnung  Qahua  es- 
Südän,  d.  h.  Kaffee  des  Sudan,  verschafft  hat,  und  das  iu  der  That 
nicht  allein  eine  kaffec-  und  theeähnlichc  Wirkung  erzeugt,  sondern 
auch  nach  I.iebig  chemisch  dem  Gaffeln  und  Thein  nahe  steht. 

Ich  gewöhnte  mich  bald  so  Sehr  an  dieses  Reizmittel,  von  dem 
ich  niemals  eine  schädliche  Einwirkung  auf  die  Verdauungsorganc 
oder  das  Nervensystem  beobachtete,  dass  ich  dasselbe  vorkommenden 
Falles  mehr  als  Kaffee,  Thec  oder  Tabak  vermisste.  Freilich  wird 
sein  Genuss  selbst  im  billigen  Bornü  etwas  theurer  als  Kaffee,  da 
die  Sitte  erfordert,  dass  man  Besuchern  eine  Güro-Nuss,  oder  min- 
destens die  Hälfte  einer  solchen  anbietet,  grade  wie  man  in  arabischen 
Landern  den  Gästen  alsbald  eine  Tasse  Kaffec  vorsetzt.  Im  Wcrthc 
geht  aber  manche  Tasse  Kaffee  auf  eine  Güro-Nuss.  Von  dieser 
kauft  man  gewöhnlich  ein  Hundert,  das  je  nach  ihrer  Grösse,  Güte 
und  der  Nachfrage  2 bis  io  Maria-Theresia -Thalcr  (8  bis  50  Mark) 
kostet.  Die  grossen  Nüsse,  die  nicht  selten  4 5 Ctm.  im  Durchmesser 

haben,  sind  sehr  viel  besser  als  die  kleinen,  und  haben  einen  ungleich 
höheren  Werth.  Da  die  Güro-Nuss  in  ungeheurer  Menge  geerntet 


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668  UI.  BUCH,  7.  KAP.  KLEIDUNG  UND  ERNÄHRUNG  DER  BORNÜ-I.EUTE. 

wird,  so  würde  auch  ihr  Preis  niedriger  sein,  trotzdem  die  Einfuhr 
aus  ihrer  Heimath  nach  Bornü  eine  Reise  von  mehreren  Monaten 
erfordert,  wenn  nicht  ihr  Transport  und  ihre  Behandlung  so  schwierig 
und  unsicher  wären.  Nicht  Jeder  kann  über  den  Niger  hinaus 
nach  Gondscha  reisen,  um  Güro-Nüssc  zu  holen;  denn  das  Unter- 
nehmen erfordert  ebenso  grosse  Sorgfalt  als  Sachkenntniss.  Diese 
empfindliche  Frucht  verlangt  ein  gewisses  Maass  von  Feuchtigkeit 
und  kühler  Temperatur,  verträgt  aber  allzuviel  Wasser  ebenso  w'enig 
als  trockene  Hitze.  Der  Kaufmann  verpackt  sic  in  grossen  Körben 
aus  Düm- Matten,  welche  zuvor  mit  einer  dicken  Lage  grosser, 
Fetta  genannter  und  befeuchteter  Blätter  gepolstert  werden,  be- 
deckt die  Oberfläche  der  Nüsse  mit  einer  ebensolchen  Lage  und 
umwickelt  das  Ganze  nach  allen  Richtungen  mit  Stricken,  die  so 
fest  als  möglich  geschnürt  werden  müssen.  Je  grösser  die  Menge 
der  zusammengepackten  Früchte,  desto  geringer  ist  die  Gefahr 
des  Verderbens.  Bei  einer  Anzahl  von  Tausenden  in  demselben 
Behälter  genügt  es  zur  Regenzeit,  die  Körbe  nach  einem  halben 
Monat  zu  öffnen,  die  Nüsse  auszubreiten,  sie  eine  kurze  Zeit  der 
frischen  Luft  auszusetzen,  und  sie  und  ihre  Umhüllung  mit  Wasser 
zu  besprengen.  Handelt  es  sich  jedoch  nur  um  einige  Hunderte, 
und  befindet  man  sich  wohl  gar  noch  in  der  trockenen  Jahreszeit, 
so  muss  man  diese  Proccduren  mehrmals  in  der  Woche  wiederholen. 
Zur  Zeit  der  trockenen  Sommerhitze  sind  sic  grosser  Gefahr  aus- 
gesetzt,  und  man  muss  sie  bei  der  Eröffnung  der  Körbe  sorgfältig 
untersuchen,  um  etwa  erkrankte  zweckmässig  zu  behandeln  oder  aus- 
zuscheiden, damit  sie  nicht  andere  inficircn.  Sind  sie  nur  etwas 
welk  geworden,  so  genügt  cs  oft,  sie  eine  kurze  Zeit  in  Wasser  zu 
legen,  um  sic  wieder  hart  und  fest  werden  zu  lassen;  zeigen  sich 
jedoch  auf  ihrer  Oberfläche  pockenartige  Flecke,  so  muss  man  diese 
sorgfältig  ausschneiden,  um  sie  selbst  und  die  benachbarten  Nüsse 
zu  retten.  Zuweilen  zeigen  sich  gelbbraune  Flecke  und  verrathen 
die  Hille  genannte  Krankheit  (so  genannt  von  el-Hinnä,  die  eing 
ähnliche  Färbung  erzeugt),  welche  das  Innere  fahl-weiss  und  voll- 
ständig geschmacklos  macht  und  den  gänzlichen  Verlust  der  Frucht 
zur  Folge  hat.  Werden  die  Früchte  zu  feucht  gehalten,  so  zeigen 
sich  dunkle  Flecke  auf  der  Oberfläche,  das  Innere  wird  hart,  todt  und 
saftlos,  und  man  sagt,  die  Nuss  sei  von  Dasemsera  ergriffen.  Eine 
andere  Krankheit  Namens  Tulo  erzeugt  schwarze  Flecke,  welche 


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IHR  GOrO-NUSS. 


669 

langsam  um  sich  greifen  und  das  Gewebe  der  Nuss  in  schwarz- 
braunen Staub  verwandeln.  Zuweilen  endlich  werden  die  Nüsse  von 
zwei  Würmern  zerstört,  welche  unter  dem  Namen  Zanköra  zusammen- 
gefasst werden,  und  von  denen  der  eine  weiss  und  länglich,  der 
andere  kürzer  und  grau  ist. 

Die  richtige  Behandlung  der  Güro-Nuss  ist  eine  so  schwierige, 
dass  das  Volk,  nach  Gründen  für  die  häufigen  Misserfolge  suchend, 
seine  Zuflucht  zu  übernatürlichen  Einwirkungen  nimmt.  In  Bornü 
ist  es  z.  B.  allgemein  bekannt,  dass  Leute,  welche  die  unheilvolle 
Gabe  des  bösen  Blickes  besitzen,  oder  liederlich  und  lügenhaft  sind, 
sie  nicht  mit  Erfolg  behandeln  können.  Die  Schwierigkeit,  diese 
empfindlichen  Früchte  auf  dem  Transporte  durch  die  heisse  und 
trockene  Luft  der  Wüste  gesund  zu  erhalten,  erklärt  es  auch,  dass 
dieselben,  obwohl  sie  in  der  ganzen  mohammedanischen  Welt  be- 
kannt sind  und  auch  im  nördlichsten  Afrika  eines  hohen  Rufes  ge- 
messen, doch  fast  niemals  in  frischem  Zustande  dorthin  gelangen. 
Man  schätzt  sie  dort  sogar  noch  im  trockenen  Zustande,  in  welchem 
sie  eine  glanzlose,  runzliche  Oberfläche,  und  ein  steinhartes,  hraun- 
rothes  Innere  haben  und  im  Sudan  nur  vom  ärmsten  Volke  unter 
dem  Namen  Kauda  genossen  werden. 

Für  die  Haussa-  und  Bornü -Leute  ist  die  Güro-Nuss  ein  unent- 
behrlicheres Genussmittel  geworden,  als  für  andere  Völker  Kaffee 
und  Thee,  und  wenn  Misswachs  oder  kriegerische  Verhältnisse  ihre 
Zufuhr  zu  den  Märkten  verringert,  so  wird  dies  als  allgemeine  Cala- 
mität  empfunden.  Man  bringt  die  grössten  Opfer,  um  dieses  Lieb- 
lings-Genusses theilhaftig  zu  werden,  wenn  man  denselben  längere 
Zeit  entbehrt  hat,  und  der  Kanüri  z.  B.  zögert  nicht,  zu  diesem 
Zwecke  sein  Pferd  oder  seine  Bettsclavin,  für  ihn  sonst  die  höchsten 
Guter  auf  Erden,  zu  verkaufen.  Das  Geschenk  von  Güro-Nüssen  ist 
stets  ein  Zeichen  besonderer  Freundschaft,  und  ihrer  wenige  ge- 
nügen, tim  die  Gunst  leichtfertiger  Mädchen  zu  erkaufen. 

Wenn  der  Kaffee  gegen  die  Güro-Nuss  schon  ganz  in  den  Hinter- 
grund tritt,  so  ist  der  Thee  höchstens  wenigen  Fremden  aus  eigener 
Krfahrung  bekannt,  von  Bornü-Leuten  aber,  mit  Ausnahme  des  Scheich 
Omar  und  seiner  Umgebung,  wohl  kaum  jemals  genossen  worden. 
Selbst  das  im  ganzen  Südän  so  verbreitete  alkoholische  Getränk,  die 
Merissa,  hat  kaum  Zugang  in  Bornü  gefunden,  trotzdem  man  glauben 
sollte,  dass  die  genusssüchtigen,  leichtfertigen  Einwohner  an  einem 


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G70  HI.  BUCH,  7.  KAP.  KLEIDUNG  UND  ERNÄHRUNG  DER  BORNO-LEUTE. 

leichten  Rausche  Gefallen  finden  würden.  Freilich  mag  der  seit 
vielen  Jahrhunderten  dort  blühende  Islam  den  Leuten  das  Bewusst- 
sein der  Ucberlegenheit  über  diejenigen  ihrer  Nachbarn  (Baghirmi 
und  Wadäi),  welche  am  längsten  im  Hcidenthume  befangen  waren 
und  trotz  der  Annahme  der  neuen  Religion  dem  Merissa- Genüsse 
nicht  entsagt  haben,  und  damit  das  erhöhte  Pflichtgefühl  gegeben 
haben,  würdige  Vertreter  ihrer  Religion  zu  sein.  Auch  im  Genüsse 
des  Tabaks  sind  die  Bornü- Leute  sehr  massig,  und  zeichnen  sich 
hierin  vor  fast  allen  umwohnenden  Stämmen  aus,  welche  den  Tabak 
entweder  kauen,  oder  schnupfen  oder  rauchen,  oder  auch  mehreren 
dieser  Gebrauchsmethoden  huldigen.  Es  giebt  freilich  genug  Per- 
sonen, welche  den  fast  überall  im  Sudan  cultivirtcn,  kleinblättrigen 
Tabak  kauen,  doch  die  bei  weitem  grössere  Zahl  übt  diesen  Ge- 
brauch nicht,  Wenige  sind  an  das  Schnupfen  gewöhnt  und  das 
Rauchen  kennt  bei  den  Eingeborenen  fast  Niemand. 

Von  anderen  Betäubungs-  und  Reizmitteln,  deren  Genuss  manchen 
mohammedanischen  Ländern  eigen  ist,  wie  vom  Opium  und  dem 
Haschisch  (indischer  Hanf)  kann  hier  nicht  die  Rede  sein;  sie  sind 
beide  den  Eingeborenen  kaum  dem  Namen  nach  bekannt. 


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Achtes  Kapitel. 

HANDELS-  UND  MARKT-VERHÄLTNISSE  IN  KÜKA. 


LVr  grosse  Montagsmarkt.  — Der  Marktplatz  und  seine  Eintheilung.  Verkauf  von 
' Holz  und  Gras.  — Siggedi-  und  Matten- Verkauf.  — Pferde-  und  Rinder-Markt.  — 
Gemüse  und  Geflügel.  — Kürliisschalen  und  Holz-Schüsseln.  — Producte  der  Korb- 
flechterei. — Fcll-IIändler  und  I.eder-Erzeugnisse.  — Trödelbuden.  — Kleidermarkt. 
— Fabrikate  der  Schreiner  und  Schmiede.  — Die  Kojäm  und  ihre  Verkaufsgegen- 
stände. — Schlächter  und  Garküchen.  — Kameelmarkt.  — Die  Käncmhu  und  ihre 
Erzeugnisse.  — Die  Kuri-  oder  Bare -Rinder.  — Die  Manga.  — Der  Sclavenmarkt. 
— Die  Preise  der  verschiedenen  Sclaven-Gattungen.  — Die  Bett -Sela vinnen.  — Die 
Eunuchen.  — Die  Schöa  und  ihre  Verkaufsgegenstände.  — Die  Schöa- Kinder.  — 
Buntes  Bild  der  Marktmenge.  — Anstrengungen  eines  Markttages.  — Feste  Werth - 
maasse.  — Einführung  der  österreichischen  Thaler.  — Die  Kauri -Muschel  als 
Scheidemünze.  — Preisliste  der  Marktgcgenständc.  — Importirle  Waaren  und  ihre 
Preise.  — Die  verschiedenen  Klassen  der  Kaufleute  in  Bomü.  — Exportwaren.  — 
Handel  mit  Sclaven,  Straussfedcm  un<I  Elfenliein.  — Schwierigkeiten  für  die  fremden 
Kauflcute.  — Leichtsinn  und  Unzuverlässigkeit  der  Bornil-Lcutc.  — Unzulänglichkeit 
des  rechtlichen  Weges. — Kingiam  oder  Sendbote  des  Königs.  — Schlechte  Verwal- 
tung der  Hinterlassenschaften  Fremder. 

Um  allmählich  einen  Ucberblick  über  die  wichtigsten  natürlichen 
und  industriellen  Erzeugnisse  des  Landes  zu  gewinnen,  liess  ich  mir 
im  Beginne  meines  Aufenthaltes  in  Küka  angelegen  sein,  so  oft  als 
möglich  den  grossen  Montagsmarkt  zu  besuchen,  der  vor  dem  West- 
thore  der  Stadt  abgehalten  wird  und  eines  der  grossartigsten  Schau- 
spiele darstellt,  welches  diese  Negerhauptstadt  zu  bieten  vermag. 
Schon  vor  Sonnenaufgang  ,sieht  man  die  Bewohner  der  östlich  von 
Küka,  am  Rande  des  Tsäde  gelegenen  Känembu-Dörfer  den  Dendal 
passiren,  um  ihre  Produkte  auf  den  Marktplatz  zu  schaffen.  Die 


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672  HI.  BUCH,  8.  KAP.  HANDELS-  UND  MARKT-VERHÄLTNISSE  IN  KÜKA. 


verschiedenen  Handwerker,  Detail -Verkäufer  und  -Verkäuferinnen 
von  Lebensmitteln,  Trödler  und  Kurzwaarcnhändler,  Besitzer  von  ver- 
käuflichem Vieh,  Klciderhändler  u.  s.  vv.  ziehen  hinaus,  um  ihre 
Plätze  einzunehmen,  und  schon  lange  vor  Tagesanbruch  sind  die 
ferner  wohnenden  Schöa  und  Kanembu,  welche  die  für  das  tägliche 
Leben  unentbehrlichsten  Vorräthe  herbeifiihrcn,  angekommen.  Alle 
Verkaufsobjecte  haben  auf  der  dazu  bestimmten  Ebene  ihren  her- 
kömmlichen Platz. 

Wenn  man  die  Stadt  durch  das  Westthor  verlässt,  so  erreicht 
man  nach  wenigen  Minuten  den  weiten  Marktplatz.  Hier  stösst  man 
zunächst  auf  Verkäufer,  welche  kein  anderes  Anlage-Capital  zum  Be- 
trieb ihres  Handels  nöthig  haben,  als  einen  bescheidenen  Aufwand 
von  Arbeitskraft.  Mittellose  Leute  und  halbfreic  Sclaven,  welche 
nach  eigenem  Gutdünken  ihrem  Erwerbe  nachgehen  und  ihrem 
Herrn  nur  eine  bestimmte  Abgabe  zahlen,  haben  trockenes  Gras  für 
die  Hausthierc  geschnitten,  Brennholz  gesammelt,  Stangen  für  die 
Umzäunung  und  Schattendächer,  Holz,  für  die  Bedachung  der  Erd-  * 
häuser,  Zweige  fiir  das  Gerüste  der  Strohhütten  im  Walde  ge- 
schnitten und  aus  Sukko-Stroh  Siggedi  zur  Herstellung  der  Zäune 
und  zur  Umkleidung  der  Hütten  geflochten.  Um  diese  Artikel  in 
solchen  Mengen  aufstapeln  zu  können,  müssen  sic  einen  grossen  Theil 
der  verflossenen  Woche  gearbeitet  haben,  denn  die  Umgebung  der 
Stadt  bietet  weder  Wald,  noch  grasreiche  Flur,  und  was  in  einiger 
Nähe  vorhanden  war,  ist  längst  den  Ansprüchen  der  zahlreichen  Be- 
wohnerschaft Küka’s  zum  Opfer  gefallen. 

Hier  haben  auch  die  Verfertiger  der  Matten  aus  Ngille  (Düm- 
palmengestrüpp)  ihre  Verkaufsstelle.  Die  letzteren  sind  verschieden 
in  Grösse  und  Güte,  je  nachdem  sie  zur  Belegung  gewöhnlicher 
Zimmer,  als  Unterlagen  für  die  Betenden  oder  zum  Gebrauche  der 
vornehmen  Herren  dienen  sollen,  und  erfreuen  sich  eines  lebhaften 
Zuspruchs.  Doch  wenn  der  Ankauf  von  Malten  sich  nach  dem 
Stande  der  Kasse  des  Käufers  richten  kann,  so  kann  man  nicht 
ebenso  willkürlich  in  Bezug  auf  das  Brennholz  und  das  Pferdefutter 
verfahren.  Beide  sind  denn  auch  trotz  der  ansehnlichen  Mengen,  in 
denen  sic  feil  geboten  werden,  oft  so  schnell  vergriffen,  dass  man 
nicht  frühzeitig  genug  auf  den  Markt  schicken  kann. 

In  der  Mittellinie  des  Marktes  sich  nach  Westen  bewegend,  ge- 
langt man  alsbald  zu  den  Verkaufsstellen  für  Pferde,  Rinder  und 


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HOLZ-  UND  STROH-VERKAUF.  — PFERDE-  UND  RINDVIEH-MARKT.  673 

Esel.  Von  den  ersteren  — Fir*)  — werden  die  besseren  Reitpferde 
unter  der  Hand  oder  täglich  durch  Makler  in  der  Stadt  verkauft; 
auf  öffentlichem  Markte  findet  man  meistens  nur  untergeordnete 
Thiere,  kleine  stämmige  Geschöpfe,  welche  den  östlich  und  westlich 
von  Bornü  gelegenen  Ländern  eigenthümlich  sind  und  theils  als 
Reitpferde,  theils  als  Packthiere  für  Reisen  nach  Adamäwa,  Massenja, 
Kanö,  Zinder  u.  s.  w.  gekauft  werden. 

Entsprechend  der  grossen  Rolle,  welche  die  Pferde  im  Leben 
der  Bornü-Lcute  spielen,  haben  dieselben  nach  ihren  Eigenschaften 
zahlreiche,  unterscheidende  Benennungen.  Das  Fir  ngilla  oder  kischi, 
d.  h.  das  gute  oder  schöne  Pferd,  steht  dem  Klepper  — Kaddära  — 
entgegen.  Nach  der  Gangart  unterscheidet  man;  F.  doa,  das 
schnelle  Pferd  oder  den  Schnellläufer,  F.  kelisa,  den  Schnellschreitcr, 
und  F.  kamandära,  den  Passgänger.  Das  Bornü-Pferd  läuft  fast  nur 
im  Galopp;  der  Trab  ist  bei  Arabern  und  Eingeborenen  einerseits 
durchaus  nicht  beliebt  und  wird  andererseits  in  der  Schnelligkeit 
ubertroffen  durch  den  Passgang,  in  dem  die  wohlgeschulten  Thiere 
fast  so  viel  leisten,  als  die  Maulthiere  in  Tunis.  Die  Unter- 
scheidungen nach  Farben  sind  natürlich  sehr  viel  zahlreicher.  Man 
spricht  von  einem  Braunen  — F.  dägel  (hergenommen  von  der 
F'arbe  einer  rothbraunen,  Dägel  genannten  Meerkatze)  oder  mord- 
schän  (eigentlich  korallenroth)  — , von  einem  Fuchs  — F.  scheqera 
(ursprünglich  arabisches  Wort)  — , einem  Isabellenfarbigen  — F. 
elges  — , einem  Eisengraucn  — F.  kera  — , einem  Hellgrauen  - 
F.  bidi,  d.  h.  eigentlich  staubgrau  (von  Bidi,  der  Staub)  — , einem 
Braunen  mit  Blässe  und  weissen  Füssen  — F'.  böla  — , und  einem 
F.  dschurü  oder  Schecken.  Der  Schimmel  — F.  killi  (eigentlich 
das  frische  oder  grüne  Pferd)  — begreift  in  seine  Categorie  das  wirk- 
lich weisse  Pferd  — F.  killi  bul  — , den  Rothschimmel  — F.  killi 
kenära  — , den  Grauschimmel  — F.  killi  tsillimbe  — und  das  getigerte 
Pferd  — P\  killi  kägara  — . 

Die  Rinder  — Fe  — umfassen  das  Schlachtrind  — Fe  debate- 
ram  — , die  Milchkuh  — Fe  kenära  oder  Fe  mitdäräbe  — , den  Zucht- 
stier — Bulann  oder  Galann  — und  den  Laststier  — Keniemo  — . 
Sind  die  Stiere  verschnitten,  so  nennt  man  sie  im  jugendlichen  Alter 


*)  Die  beigefügten  Wörter  der  Kanüri-  oder  arabischen  Sprache  sind  ohne  Rück- 
sicht auf  das  gleichbedeutende  deutsche  Wort  im  Singular  gegeben. 

Nachiigal.  I.  43 


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G74  in.  buch,  8.  kap.  Handels*  und  markt-veriiältnisse  in  kOka. 


Ngordi,  während  man  sich  sonst  begnügt,  ihnen  das  Wort  jesek, 
d.  h.  verschnitten,  beizufügen.  Junge  Rinder  sind  zum  Schlachten 
am  beliebtesten,  während  die  Kälber  — das  männliche  heisst  Dälo, 
das  weibliche  Kirna  — zu  diesem  Zwecke  nicht  benutzt  werden. 
Schlachtkühe  und  Ochsen,  welche  die  besten  Lastthiere  für  Reisen 
in  jenen  Gegenden  abgeben,  sind  an  jedem  Markttage  in  grosser 
Zahl  ausgestellt.  Von  den  beiden  Rinderrassen,  welche  in  Bornü 
gleichmässig  vertreten  sind,  wird  weiter  unten  die  Rede  sein. 

Jenseits  des  Viehmarktes  haben  Frauen  ihren  Stand,  welche 
Getreide,  Kurna-  und  Kussolo-Früchte,  Erdnüsse,  Sesam,  Güro-Nüsse, 
Zwiebeln,  Kürbisse,  Melonen  und  Wassermelonen,  Datteln  aus 
Kawär  und  Kanem,  Bilmä-Salz  und  Pfeffer,  zuweilen  Tomaten,  ge- 
trocknete und  zerstossene  Baumblättcr  und  Kräuter,  Bohnen,  Bamia 
und  den  essbaren  Theil  der  Dümfrucht  zu  den  vegetabilischen  Saucen 
feilbieten. 


Nicht  weit  davon  finden  wir  Hühner  — Köki  — , von  denen 
man  ausser  dem  grossen,  gelblich  gefiederten  K.  kumilga  noch  K. 
toksa,  das  von  mittlerer  Grösse,  dünn  befiedert  und  beschwingt  ist 
und  nackte  Beine  hat,  K.  öäda  mit  ausserordentlich  kurzen  bis  zu 
den  Füssen  befiederten  Beinen  und  K.  ngödögo,  von  dem  die  Sage 
geht,  dass  seine  Eier  stets  zwei  Dotter  enthalten  und  zwei  Junge 
geben,  unterscheidet.  Der  Hahn  heisst  Göbögum,  das  Küchlein 
Fijogma  und  das  Ei  Ngubbel  kökibe. 

Es  folgen  die  Verkäuferinnen  von  Trinkschalen  und  Gcfässen 
aus  verschiedenen  Arten  der  Lagcnaria  vulgaris  (Flaschenkürbis), 
die  in  unglaublicher  Menge  in  Stadt  und  Umgegend  gezogen  wird, 

denn  der  Consum  an  Hausgeräthen  dieser 
Art  ist  ein  ungeheurer.  Von  der  vollendeten 
Glättung  der  Innenfläche  der  Schalen  und 
ihrer  Lackirung,  der  gefälligen,  bunten  Linear- 
verzierung auf  der  zwischen  gelb  und  braun 
sich  haltenden  Aussenflächc  und  ihren 
i rinkschaie  - Qar’a  arab.  Grössenunterschieden  ist  schon  bei  der 

unu  Kumitio  kan.  — 

'Beschreibung  des  Hausgeräthes  in  den 
Hütten  der  Frauen  die  Rede  gewesen.  Die  ausschliesslich  zu  Schalen 
verwendete  Art  heisst  in  der  Kanüri-Spraclie  Kummo  — Qar'a  arab.  — 
und  die  sich  durch  die  grössten  F'rüchte  auszeichnende  Varietät 
Demba.  Ausserdem  unterscheidet  man  vom  Flaschenkürbis  — 


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HAUSGERÄTH. 


675 


Kapeto  — nach  der  Form  der  aus  ihm  hervorgehenden  Gefässe  noch: 
K.  dschibi  (gewöhnliche  Flaschcnform),  K.  dungögi  (dieselbe  mit  ge- 
bogenem Halse),  K.  zeni  (mit  langgesticltcm  kleinem  Körper),  dessen 
Hälften  die  dort  allein  üblichen  Löffel  geben,  K.  zungeru,  welcher 
ein  längliches,  halsloses  Gelass  liefert,  das  man  mit  Stcinchen  oder 
harten  Erdnüssen  füllt  und  als  musikalisches  Instrument  zur  Begleitung 
des  Tanzes  benützt,  K.  zontu,  der  sehr  lang  gestreckt  ist  und,  oben 
und  unten  abgeschnitten,  ebenfalls  musikalischen  Zwecken  dient,  und 
K birtetik,  eine  Varietät  mit  rauher  Oberfläche. 

Neben  diesen,  in  der  Hauptstadt  gefertigten  und  viel  begehrten 
Gefässen  haben  Leute  aus  dem  waldreichen  Süden  die  oft  kunstvoll 


Verschiedene  Korbdeckei  — Tabaq  arab.  und  Fillc  kan.  — . 


aus  hartem  Holz  geschnitzten,  schwarz  gebeizten  Essschüsseln  jeder 
Grösse  aufgtstapelt,  und  nicht  weit  davon  hält  sich  der  Töpfer  — 
Ngerna  — mit  Hunderten  von  Thonkrügen  jeder  Grösse  und  Form, 
denn  der  Bedarf  an  Kochtöpfen,  Wassergcfasscn  und  Honigkrügen 
ist  ein  um  so  grösserer,  als  dieselben  ausserordentlich  wohlfeil  sind 
und  leicht  zerbrechen. 

Nicht  minder  zahlreich  vertreten  sind  die  zu  den  Kürbisschalen 
und  Essschüsseln  gehörigen,  gröberen  und  feineren  Korbflechtereien 
in  Gestalt  von  bunten  Deckeln  — Tabaq  arab.  und  Fille  kan.  — und 
Untersatzkörbchen  und  die  kunstlosen,  mächtigen  Körbe  aus  Düm- 

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f)76  III.  BUCH,  8.  KAP.  HANDELS-  UND  MARKTVERHÄLTNISSE  IN  KÜKA. 

blattgeflecht  zur  Aufbewahrung  des  Getreides,  des  Muschelgeldes  und 
anderer  Vorräthe.  Von  der  gefälligen  Zeichnung»  der  bunten  Muster 
der  Korbdeckel  mögen  die  beigefügten  Abbildungen  Zeugniss  ab- 
legen.  Die  Mannichfaltigkeit  derselben  ist  eine  so  grosse,  dass  von 
den  nahezu  hundert  Korbdeckeln!  welche  ich  durch  die  Güte  des 


Gefülltes  rundes  Haussa  Kissen  — Bir  kan. 


Scheich  in  den  verschiedensten  Grossen  erhielt,  auch  kein  einziger 
in  seiner  Musterung  vollkommen  dem  andern  glich. 

Die  Lederarbeiter  Ndschirima  (von  Ndschlri,  das  gegerbte  und 
gefärbte  Ziegenfell)  nehmen  weiter  gegen  die  Mitte  des  Marktes  hin 


länglicher  Kissenüberzug  aus  Haussa. 


einen  grossen  Kaum  in  Anspruch,  denn  sie  zerfallen  in  mehrere  Catc- 
gorien,  und  arbeiten  unter  kleinen  Schattendächern.  Einige  derselben, 
die  eigentlich  Ndschirima  genannten,  verkaufen  die  Felle  als  solche, 
sowohl  die  schlechteren  und  meist  rothgefärbten  der  liornü-Manufactur, 


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i.edf.rwaarf.n. 


677 


als  die  ausgezeichnet  gegerbten  und  roth  oder  gelb  gefärbten  der 
Haussa-Leute , ferner  die  bunt  gemusterten  runden  oder  länglichen 
Kissenüberzüge  — Bir  — - . abtheilungsreiche  Sattcltaschen  für  Schrift- 
stücke und  Bücher  — Dschebira  arab.  — , viereckige,  cylinderförmige 
und  dreieckige  Amulet-Behälter  — Hadschäb  arab.  — und  die  Bischer 


Depcsehcntasche  — Dschebtra  aral».  — 'aus  Haussa. 


— Bischt  arab.  — genannten  Uebcrzügc  der  Sattelgestelle.  Andere 
sindPfcrdcgeschirrmacher  — Mundclma  - und  verkaufen  Gebissriemen, 
Steigbügel riemen , Brustriemen  — Ngandschilala  — , Halsschmuck 
der  Pferde  — Dömbüs  — und  Schwanzriemen 


- Damtsche.  Daneben  halten  sich  die  Schuh- 
macher — Sunoma  — , welche  rothe  und  gelbe 
Schuhe  verfertigen,  dieselben  mit  Sohlen  aus 
der  widerstandsfähigen  Haut  des  Büffels  ver- 
sehen und  zierlich  mit  Seide  sticken.  Noch 
Andere,  die  fast  ausschliesslich  mit  Kameelhaut 
arbeiten,  führen  den  Namen  Tonduma  und  ver- 
kaufen die  aus  ungegerbter,  oft  nicht  einmal 
vollständig  enthaarter  Kameelhaut  verfertigten, 
schöngeformten , langhalsigcn  und  doppcltge- 


Lederbüchse  — - Tondu  kan. 


henkelten  Lederbüchsen  — Tondu  - , die  zur  Aufbewahrung  von 


Butter  bestimmt  sind,  und  graufarbige,  quadratische  Säcke  — Kewa 


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678  in.  buch,  8.  kap.  Handels-  und  markt-verhältnisse  in  kCka. 

— aus  mangelhaft  gegerbtem  Kameelieder  und  in  verschiedener  Grösse, 
je  nachdem  in  ihnen  die  Lasten  — Katkun  — der  Kameele,  der  Stiere 
oder  Esel  fortgeschafft  werden  sollen. 

Dazwischen  sitzen  arme  Frauen,  deren  einziger  Verkaufsartikel 
einfaches  Trinkwasser,  oder  das  beschriebene  Ngädschi- Getränk  ist, 
mit  dem  sic  für  wenige  Muscheln  die  ermatteten  Käufer  während 
der  Tageshitze  erquicken,  oder  welche  auf  einem  Stückchen  Matte 
einige  geröstete  Erdnüsse  und  Kurnafrüchte,  Üliüli  und  Tebiska  für 
Kinder  bereit  halten,  denen  ihre  Eltern  oder  Herren  einiges  Muschel- 
geld zu  eigener  vergnüglicher  Verwendung  mit  auf  den  Markt  ge- 
geben haben. 

Mit  den  Seilern,  welche  Stricke  — Dsche  — aus  den  Blattfasern 
des  Dümgestrüpps,  aus  dem  faserigen  Gewebe,  das  die  Blattursprünge 
der  Dattelpalme  umgiebt  — Lif  arab.  — , aus  Fasern  des  Bohnen- 
strohs, aus  Oscharbast,  Lederstreifen  und  anderem  Material  drehen 
und  feilbicten,  haben  wir  in  der  Mittellinie  das  Centrum  des  Marktes 
erreicht,  das  von  Industrie -Erzeugnissen  höherer  Ordnung  einge- 
nommen wird.  Hier  finden  sich  die  Baumwollenwaaren  der  Landes- 
manufactur,  sowie  der  Haussa -Industrie  und  Europas  zusammen; 
Hunderte  von  gewöhnlichen  Bornii- Toben,  Turkcdi's  und  Stücken 
Cham  liegen  dort  aufgehäuft;  Makler,  beladen  mit  nordischen  Bur- 
nussen, kostbaren  Toben  aus  Kanö  und  Nife,  feinen  weissen  Bornü- 
Gcwändern  aus  Dibclan  oder  Mahmüdi  und  vereinzelten  Stücken 
Sammet  und  Seide  drängen  sich  durch  die  Menge  und  rufen  mit 
Stentorstimme  den  letzten  Preis  des  grade  zu  verkaufenden  Stückes 
aus.  Ebendaselbst  haben  Trödler  ihre  Buden  errichtet,  wahre  ethno- 
graphische Museen,  zu  denen  die  heterogensten  Erzeugnisse  aus  aller 
Herren  Ländern  oft  auf  gewiss  merkwürdigen  Umwegen  ihren  Weg 
gefunden  haben.  Europäischer  Musselin  zu  Turbanen,  rothe  Mützen 
aus  Tunis,  grobes,  rothes  Tuch  aus  Europa  zu  Wattenpanzern  — 
Libbcs  — , ein  abgeschabter,  Silber-  oder  goldgestickter  tripolitanischer 
Sattelüberzug  aus  Sammet,  ein  Paar  mit  Straussfedern  geschmückter 
Sandalen  und  eine  Depeschentasche  aus  Kanö,  ein  Kaftan  aus  Stam- 
bul,  ein  Panzerhemde  — Sulge  — aus  Kleinasien,  ein  Ueberrock  — 
Abaja  — aus  dem  Hedschaz,  der  übliche  Kopfschmuck  der  Bornü- 
l’ferde  aus  Messing  — Feriram — : Alles  kann  hier  gekauft  werden, 
und  oft  zu  staunenswerth  geringen  Preisen,  weil  die  meisten  Gegen- 
stände schon  manchem  Herrn  gedient  haben. 


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KLEIDERSTOFFE  UND  TRÖDELBUBEN.  679 

Hier  findet  man  Umschlagtücher  der  Männer,  die  nach  ihren 
Verschiedenheiten  in  Stoff  und  Ursprung  auf  arabisch  Dschcridi, 
Bäräkan,  Ihräm,  Melöfa  und  anders  heissen;  Frauenshawls  aus  Bornü 
oder  den  Haussa-Ländern,  wie  sie  schon  beschrieben  sind,  oder  aus 
Egypten,  wie  sie  als  Füta  oder  Füta  harir  (in  letzterem  Falle  mit 
rothen  Seidenstreifen  durchwebt)  die  ganze  Gestalt  einwickeln;  flockige 
rothe  Seide,  welche  über  Tripolis  eingeflihrt  wird;  abgetheilte  egyp- 
tische  Turbane  — Subetti  — und  seidegestickte  Frauenhcmdchen  — 
Gomädschi  — . Neben  einem  Gürtel  aus  Marokko,  einem  Schwert 
aus  Solingen,  einem  Dutzend  Datteln  aus  dem  Belcd  el-Dschcrid  oder 
aus  Donqola  am  Nil,  einem  Fläschchen  mit  Rosenessenz  oder  mit 
Zeit  esch-Schiäh  (Essenz  aus  Artemisia  herba-alba),  neben  den  Ricch- 
hölzem  Sandei  — Zandal  — und  Aukmdri  — Aud  el-Aukmäri  — , 
neben  Benzoe,  Kohol,  Zibbcd  und  el-Hinnä  erblickt  man  hier  europäische 
Flaschen,  Trinkgläser,  Tassen  und  Porzcllanteller,  dort  eine  Thee- 
kanne,  eine  zerbrochene  Uhr,  einen  kupfernen  Kessel,  Schnüre  aus 
Thon-  und  Glasperlen  — Charaz  arab.  und  Kullulu  kan.  — , echte 
und  nachgemachte  Korallen  — Mordschan  horr  und  M.  keddäb  arab.  — , 
Bernstein,  Achatschnüre,  Ringe  mit  Blutjaspis,  Rosenkränze  — Sebha 
arab.  und  TadschTbi  kan.  — aus  Knochen,  Elfenbein,  Olivenholz, 
Porzcllanperlcn  und  Sandelholz,  Nägel  und  Hufeisen,  ein  Paar  arabischer 
Steigbügel,  ein  Stückchen  wohlriechender  europäischer  Seife,  grobes 
Papier  — KatkiSdu  — , Messer,  Scheercn  und  Handspiegel  — 
Kudrum  — und  zahllose  Näh-  und  Stopfnadeln  — Libra  (vom 
arab.  Ibra)  — . 

Hier  ist  die  Menge  am  dichtesten,  denn  hier  halten  sich  die- 
jenigen Käufer,  welche  für  Reisen  in  die  Provinzen  und  Nachbarländer 
ihren  Reisebedarf  an  den  dort  gangbarsten  der  aufgefuhrten  Waaren 
einkaufen.  Diesen  lebhaftesten  Theil  des  Marktes  durchstreifen  auch 
die  Barbiere  — Wanzamma  — mit  ihrem  lauten  Pfeifen,  und  hier 
befindet  sich  die  leichte  Hütte  des  Marktinspectors,  der  vorkommende 
Streitigkeiten  schlichtet  und  die  Marktpolizei  handhabt. 

Wenn  man  in  der  Mittellinie  über  das  Centrum  hinaus  nach 
Westen  hin  vordringt,  so  stösst  man  auf  die  zusammengehörigen 
Handwerke  der  Holz-  und  Eisenarbeitcr,  von  denen  jene  — Nedschär 
arab.  und  Taframa  kan.  — die  Künste  der  Schreiner,  Drechsler  und 
Zimmerleute  ausüben,  und  diese  — Haddäd  arab.  und  Kägilma  kan. 


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680  in.  BUCH,  8.  KAP.  HANDELS-  UND  MARKT-VERHÄLTNISSE  IN  KÜKA. 

— sowohl  die  Arbeiten  des  Grobschmiedes  als  die  der  Gold-  und 
Silberarbeiter  ausführen. 

Die  Ersteren  haben  ein  beschränktes  Gebiet,  denn  so  weit  die 
Holzarbeit  bei  eisernen  Geräthschaften  verwandt  wird,  gehört  sie  in 
das  Gebiet  des  Schmiedes,  und  das  hauptsächliche,  oft  einzige  Stück 
der  Zimmer-Einrichtung,  die  als  Lagerstatt  dienende  Phögubank,  wird 
von  den  Ufer-  und  Insel-Bewohnern  des  Tsade,  in  deren  Gebiet  dies 
Holz  sich  findet,  verfertigt.  Doch  machen  sie  rohe  Thüren  — Tafra 

— und  die  trichterförmig  aus  hartem  Holze  geschnitzten  und  mit 
ihren  Fortsätzen  in  Boden  und  Mauer  gefügten  Angeln,  in  denen 
sich  die  ersteren  mit  ihren  Zapfen  drehen.  Ausserdem  gehören  die 
beschriebenen  Apparate  Aragäja  und  Kuzzera,  welche  die  Speisen 
vor  Ratten  und  Ameisen  und  die  Kleidungsstücke  und  anderes  zer- 
störbares Besitzthum  vor  den  gefrässigen  Termiten  sicher  stellen 
sollen,  und  der  unentbehrliche  Holzmörser  — Kurru  — ihrem 
Ressort  an. 

Von  den  Schreinern  unterschieden,  obgleich  ebenfalls  Holz- 
arbeiter, sind  die  Sattel-Fabrikanten  — Sirdima  — , welche  aus  dem 
harten  Holze  des  Dschochän  arab.  (Diospyrus  mespiliformis) , des 
Birgim,  des  Hommed  (Spondias  Birrea)  — Kemaua  — oder  der 
Murraja  arab.  (Treculiaf)  — Kagim  — die  landesüblichen  Sattel- 
gestelle machen.  Die  Bornü- Sättel-  unterscheiden  sich  durch  eine 
niedrigere,  nach  vorn  concave,  und  leicht  nach  hinten  geneigte 
Rückenlehne,  durch  einen  nach  vorn  gebogenen,  mit  der  Hand  um- 
fassbaren Knauf  und  im  Ganzen  durch  Leichtigkeit  und  Zierlichkeit 
von  den  arabischen  Sätteln. 

Der  Schmied  hat  an  Ort  und  Stelle  seinen  kleinen  Ambos 
neben  dem  improvisirten  Kohlenheerde  aufgestcllt  und  verfertigt, 
während  der  Lehrling  einen  primitiven  Blasebalg  aus  Ziegen- 
oder Schaffell,  dessen  hintere  Ocffnungen  sich  beim  Drucke  durch 
Klappen  schliessen,  mit  beiden  Händen  bearbeitet,  Ackerbau- 
Gcräthschaften , Beile  — Begu  — , Nasenringe  für  Kameelc  und 
Lastthiere  — Türdsche  oder  Dzär  — , Steigbügel  — Rökäb  arab. 
und  Döal  kan.  — und  rohe  Pferdegebisse  — Ledschäm  arab.  und 
Lidzam  kan.  — , eiserne  Ketten  — Sensela  arab.  und  Zinzer 
kan.  — , Lanzenspitzen  und  Messer  — Dschenä  — , welche  in  der 
Scheide  einen  kleinen  Behälter  für  die  bei  den  häufigen  Stachel- 


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HOLZ-  UND  EISEN  WA  AREN.  — FLEISCH-  UND  KAMEELMARKT.  681 

bäumen,  Kletten  und  stachlichen  Gräsern  so  nützliche  Pincette  — 
Tomgu  — haben. 

Die  Eisen  der  Hacken  zum  Auflockern  der  Erde,  der  Beile 
mit  längs-  und  quergestellter  Schneide  umfassen  gewöhnlich  nicht 
die  Stiele,  sondern  endigen  in  spitzen  Fortsätzen,  welche  in  die  am 
Ende  keulenförmig  anschwellenden  Stiele  aus  Hedschlidsch-Holz  ge- 
trieben werden.  In  langen  Reihen  stehen  vor  der  Werkstatt  der 
Schmiede  Lanzen  — Kasakka  — und  Wurfspeere  — Balem  — , 
seltener  die  nicht  in  Bornü  gebräuchlichen  Wurfeisen  — Gölio  — , 
und  harren  der  Käufer. 

In  dieser  Gegend  des  Marktplatzes  halten  sich  auch  die  Kojäm, 
welche  einige  Tagereisen  westlich  von  Küka  wohnen,  vereinzelte 
Pferde,  Rinder,  Schafe  und  Ziegen  zu  Markte  bringen  und  auf  den 
ihnen  eigenthümlichcn  Kamcelen,  die  sie  in  seltener  Anhänglichkeit 
an  dieses  Thier  — ihre  Vorfahren  stammen  aus  den  Tubu- Ländern 
— trotz  der  ungünstigen  klimatischen  Bedingungen  zu  züchten  ge- 
wusst haben,  Holzkohlen,  etwas  Getreide  und  Butter  herbeiführen. 

Weiter  folgen  die  Schlächter  — Sunöri  — , welche  nicht  allein 
an  Ort  und  Stelle  Kühe,  Schafe,  Ziegen  und  seltener  Kameele  ab- 
thun  und  an  die  minder  Begüterten,  welche  nicht  alle  Tage  frisches 
Fleisch  essen  können,  und  deren  kleiner  Hausstand  das  Opfer  eines 
ganzen  Hammels  nicht  rechtfertigt,  im  Detail  verkaufen,  sondern 
auch  Feuerheerde  mit  eisernen  Rosten  errichtet  haben,  um  dem 
N’ahrungsbcdürfnissc  der  Auswärtigen,  die  vom  ersten  Morgengrauen 
bis  zur  sinkenden  Nacht  auf  dem  Markte  aushaltcn  müssen,  Genüge 
zu  leisten. 

Hier  schliesst  die  Verkaufsstelle  der  Kameele  den  Markt  nach 
Westen  hin  ab.  Das  gedrungene,  behaarte,  nordische  Kameel,  das 
die  Waaren  tripolitanischer  Kaufleute  durch  die  Wüste  herbei  trug, 
erwartet  hier  die  Vollendung  seines  traurigen  Schicksals.  Bleibt  es 
in  Bornü,  so  geht  es  mit  grösster  Wahrscheinlichkeit  in  der  unge- 
wohnten, nächsten  Regenzeit  zu  Grunde ; hat  es  noch  Kräfte  genug, 
um  das  Auge  eines  nordischen  Kaufmannes  auf  sich  zu  ziehen,  so 
erreicht  cs  vielleicht  Fezzän,  um  in  der  kaum  wiedergefundenen  Hei- 
math  sein  mühevolles  Dasein  zu  bcschlicssen.  Trotz  seiner  Ermattung 
in  Folge  der  eben  zurückgelegten  Wüstenreise  wird  es  oft  von  den 
Reisenden,  welche  nach  Norden  zu  gehen  beabsichtigen,  den. 
zuw'eilen  aus  Käncm  zum  Verkäme  kommenden,  stolzen  Karneolen 


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682  HI-  BUCH,  8.  KAP.  HANDELS-  UND  MARKT-VERHÄLTNISSE  IN  KÜKA. 

der  südlichen  Wüste  vorgezogen,  da  diese  sehr  viel  theurer  sind 
und  im  Norden  ebenso  sicher  zu  Grunde  gehen.  Jedenfalls  verdient 
es  den  Vorzug  vor  demjenigen  der  Kojäm,  dessen  Leistungsfähigkeit 
im  umgekehrten  Verhältnisse  zu  seinem  mächtigen  Knochenbau  steht. 

Das  war  die  Mittellinie  des  Marktes.  Fast  die  ganze  Nordseite 
wird  von  Kanembu  eingenommen,  welche  auf  den  ihnen  eigentüm- 
lichen Küri -Rindern  aus  den  nahe  am  Rande  des  Tsade  gelegenen 
Dörfern  Maduäri,  Kaua,  Binder  und  Beri,  aus  den  Ortschaften  des 
untersten  Laufes  des  Flusses  von  Joo,  aus  Barüa  und  Ngigmi  und 


Kuri-Rind  in  BorniV 


aus  dem  Districtc  Dütschi  westlich  von  Küka  am  Komodügu  Joöbe 
die  Erzeugnisse  ihrer  Arbeit  zu  Markte  bringen. 

Die  Küri-  oder  auch  Bare- Rinder  zeichnen  sich  durch  riesige 
Hörner  aus,  welche  oberhalb  ihrer  fast  in  einander  übergehenden 
Ursprünge  zuweilen  0,50  M.  und  mehr  im  Umfange  messen  und  sich 
leier-  oder  kreisbogenformig  nach  oben  krümmen.  Sic  haben  nicht 
immer  den  fleischigen  Höcker  zwischen  den  Schultern  entwickelt  und 
unterscheiden  sich  ausserdem  von  den  übrigen  Rindern  des  Landes 
durch  einen  gestreckteren  Bau  und  einen  längeren  Kopf,  der  beim 
Gehen  in  Folge  des  Hörnergewichts  niedersinkt  und  hin-  und  her- 
schwankt. 

Das  Küri-Rind  ähnelt  dem  aus  Ost-Afrika  bekannten  Zanka-Rinde, 


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VERKAUFSGEGENSTÄNDE  DER  KÄNEMBU. 


«83 


ist  jedoch  von  mächtigerer  Gestalt.  Ausser  diesen  Thieren  selbst 
und  auf  ihnen  bringen  die  Kanembu  getrocknete  Fische  des  Tsäde, 
gereinigte  und  ungereinigte  Baumwolle,  Indigo,  gesäuerte  Milch  mit 
darin  schwimmender  frischer  Butter,  seltener  frische  Milch  und  flüssige 
Butter,  Matten  und  buntgefärbte  Streifen  der  Dümpalmenblättcr  zu 
den  feineren  Korbflechtereien,  Natron  von  den  Ufern  und  Inseln  des 
Tsäde,  Peitschen  aus  Hippopotamushaut,  Gerätschaften  aus  I’högu 
und  mächtige,  ramsnasige,  lang-  und  kurzhaarige  Schafe  von  be- 
merkenswerter Fettleibigkeit  zum  Verkauf. 

Westlich  von  ihnen  halten  sich  die  Manga,  ein  merkwürdiger 
Bomü- Stamm,  der  im  Westen  des  Reichs  auf  dem  Nordufer  des 


Bora  ft  - Schaf- 


I'lusses  von  Joö  wohnt,  mit  den  Erzeugnissen  ihrer  Industrie:  Korb- 
und  Mattenflechtereien  geringer  Güte  und  unreinem  Salz,  das  sie 
aus  dem  Erdboden  und  vegetabilischer  Asche  gewinnen. 

Auf  der  Südseite  des  Marktes  haben  im  östlichen  Theile  des- 
selben die  Sclavenmakler  grosse  Buden  aufgeschlagen,  in  deren  Schutz 
gegen  Sonne  und  Regen  ihre  Waare  in  langen  Reihen,  in  Ketten  und 
ungefesselt,  ausgestellt  ist.  Sclaven  beiderlei  Geschlechts  — Kindschi 
heisst  der  Sclav  ohne  Rücksicht  auf  Geschlecht,  Kalia  ist  der  männ- 
liche Sclav,  Kir  die  Sclavin  — , jeden  Alters  und  Preises,  aus  den 
verschiedensten  südlich  von  den  Sudan-Staaten  gelegenen  Heiden- 
ländern erwarten  dort  ihr  Schicksal.  Neben  kleinen  Kindern,  die 


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6£4  III.  HUCH,  8.  KAP.  HANDELS-  UND  MAR  KT- VFRHÄI.TNISSE  IN  KÜKA. 

der  zärtlichen  Sorge  einer  liebenden  Mutter  entrissen  wurden,  bevor 
sie  das  Bild  derselben  in  ihre  Erinnerung  aufnehmen  konnten,  sitzen 
lebensmüde  Greise;  zwischen  hässlichen  Weibern,  denen  die  fahle 
Haut  um  die  fleischlosen  Knochen  schlottert,  und  die  in  Arbeit  und 
Elend  stumpf  geworden  sind,  blicken  frische  junge  Mädchen  mit  den 
vollen,  prallen  Formen  der  ersten  Jugcndblüthe,  in  kokettem  Kopf- 
putz, sauber  gewaschen  und  in  Butter  erglänzend,  hoffnungsvoll  in 
die  Zukunft. 

Die  gangbarste  Klasse  der  Menschenwaarc  ist  der  sogenannte 
Sedäsi,  d.  h.  der  vom  Fussknöchel  bis  zur  Spitze  des  Ohrs  sechs 
Spannen  messende  männliche  Sclav,  dessen  Maass  einem  ungefähren 
Alter  von  zwölf  bis  fünfzehn  Jahren  entspricht,  und  dessen  Preis  den 
Stand  der  ganzen  Waare  kennzeichnet.  Wenn  sich  ein  fremder 
Kaufmann  über  die  Sclaven-Preise  eines  Landes  unterrichten  will,  so 
frägt  er:  „wie  viel  kostet  der  Sedäsi?"  und  leitet  sich  selbst  aus  der 
Antwort  die  Preise  der  übrigen  Altersklassen  ab.  Auch  die  den 
Sedäsi  nächststehende  Klasse  des  Chomäsi  oder  der  Chomäsija, 
d.  h.  der  fünf  Spannen  hohen  männlichen  und  weiblichen  Sclaven, 
welche  in  einem  Alter  von  zehn  bis  dreizehn  Jahren  stehen,  ist  sehr 
gesucht,  da  sie  schon  eine  gewisse  Widerstandsfähigkeit  gegen  ver- 
ändertes Klima  und  fremde  Lebensweise  hat  und  doch  physisch  und 
moralisch  noch  ausserordentlich  accommodationsfähig  ist.  Die  fünfzehn- 
bis  zwanzigjährigen  Sebä'i’s  (d.  h.  die  sieben  Spannen  Messenden),  die 
sich  den  ungewohnten  klimatischen  Bedingungen  noch  besser  anzu- 
passen vermögen,  sind  ebenfalls  noch  gut  verkäuflich,  doch  ist  ihre 
Erziehung  schwieriger,  als  die  der  noch  im  Kindesalter  Stehenden, 
und  sie  lassen  sich , wenn  sie  nicht  etwa  seit  langen  Jahren  an  die 
Sclaverei  gewöhnt  sind,  schon  leichter  zum  Fmtlaufcn  verleiten.  Aus 
diesem  Grunde  liebt  man  die  ausgewachsenen  Männer  — Gurzem  — 
wenig,  besonders  wenn  dieselben  nicht  erprobt  sind  und  nicht  etwa  nur 
aus  besonderen  Verhältnissen  zum  Verkaufe  kommen.  Am  wenigsten 
geschätzt  sind  ältere  Männer,  vor  denen  die  älteren  F'rauen  — Scliö- 
malija  — wenigstens  den  Vorzug  haben,  besser  zu  häuslichen  Ar- 
beiten verwendet  werden  zu  können.  Im  Preise  übertreffen  die 
jungen  reifen  Mädchen,  welche  zu  Concubinen  geeignet  sind,  begreif- 
licher Weise  den  Sedäsi  um  ein  Bedeutendes;  aber  sie  bilden  einen 
weniger  gangbaren,  ziemlich  unsicheren  Marktartikel,  da  ihr  Werth 


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SC.LAVENVERKAUF. 


G85 


je  nach  dem  Grade  ihrer  Schönheit  und  dem  Geschmackc  des  um 
sie  Feilschenden  sehr  schwankt. 

Diese  jungen  Mädchen  oder  Frauen  — Surrija  pl.  Serräri  {wahr- 
scheinlich von  Sirr,  das  Geheimniss)  arab.  - ziehen  gewöhnlich  das 
beste  Loos  unter  den  Sclaven.  Sie  füllen  vollständig  den  Platz  einer 
Hausfrau  aus  und  sind  viel  mehr  als  diese  bestrebt,  durch  Fleiss  und 
Liebenswürdigkeit  das  Wohlwollen  ihrer  Herren  zu  erwerben  und  zu 
bewahren,  um  nicht  aus  einer  Hand  in  die  andere  zu  gehen.  Wenn 
sie  auch  in  Fällen,  wo  sie  einen  allzu  grossen  Einfluss  auf  den  Letz- 
teren gewinnen,  leicht  hochmüthig,  anspruchsvoll  und  putzsüchtig 
werden,  so  machen  sie  doch  im  Ganzen  viel  geringere  Unterhaltungs- 
und damit  Haushaltungs-Kosten,  als  die  legitimen  Frauen.  Sie  sind 
ein  wahrer  Segen  für  unbemittelte  Männer  und  Leute,  die  zu  grossen 
Reisen  und  langen  Abwesenheiten  gezwungen  sind,  denn  legitime 
Frauen  sind  selten  geneigt,  Heimath  und  Sippe  zu  verlassen,  und 
können  nach  dem  religiösen  Gesetz  nicht  einmal  dazu  gezwungen 
werden.  Wird  die  Sclavin  mit  Kindern  gesegnet,  so  ist  sie  überdies 
fast  ebenso  sicher  in  ihrer  Stellung,  als  eine  legitime  Frau,  denn  nur 
die  allerzwingendsten  Verhältnisse  können  einen  nur  einigermassen 
rechtlich  denkenden  Muselman  dazu  bringen,  sich  von  der  Mutter 
seiner  Kinder  durch  Verkauf  zu  trennen. 

Einen  exceptionellen  Werth  haben  die  Eunuchen  Adim 
welche  jedoch  kaum  jemals  auf  den  öffentlichen  Markt  kommen. 
Ks  ist  eine  so  grosse  Nachfrage  nach  ihnen  von  Seiten  der  fremden 
Kaufleute,  welche  sie  für  die  Grossen  der  mohammedanischen  Welt 
Europas,  Asiens  und  Afrika's  suchen,  während  doch  der  Vorrath  an 
ihnen  nur  gering  sein  kann,  dass  sie  sehr  schnell  unter  der  Hand 
verkauft  werden.  Die  meisten  Eunuchen,  welche  in  Bornü  zum  Ver- 
kauf kommen,  stammen  aus  Baghirmi,  doch  auch  mancher  mächtige 
Mann  des  Landes  selbst  hat  sich  nicht  geschämt,  ihre  Zahl  zu  ver- 
mehren, um  des  unmittelbaren  Gewinnes  willen,  oder  um  sie  als 
kostbares  Geschenk  für  den  Scheich  in  Bereitschaft  zu  halten.  Auch 
Lamino  scheint  gewissenlos  genug  gewesen  zu  sein,  zuweilen 
Hunderte  von  Knaben  aufzusammeln  und  der  selbst  vom  Islam 
verdammten  Verstümmelung  zu  unterwerfen.  Die  operirenden  Bar- 
biere pflegen  unter  dem  Vorgeben,  die  Knaben  beschneiden  zu 
wollen,  mit  schnellem  Grifte  die  gesammten .äusseren  Geschlechts- 
theile  derselben  mit  der  linken  Hand  zu  umfassen  und  mit  der 


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G8G  in.  buch,  8.  kap.  Handels-  und  markt-verhältnisse  in  küka. 

rechten  mittelst  eines  scharfen  Messers  zu  amputiren.  Siedende 
Butter  wird  bereit  gehalten  und  den  Unglücklichen  zur  Stillung 
der  Blutung  auf  die  frische  Wunde  gegossen.  Sehr  Viele  gehen  be- 
greiflicher Weise  an  der  schrecklichen  Operation  zu  Grunde. 

Auch  taubstumme  Sclavinnen,  wenn  sie  gleich  nicht  ebenso  kost- 
bar sind  als  die  Eunuchen,  werden  von  den  Grossen  der  höher 
civilisirten  Lander  des  Islam  als  Dienerinnen  ihrer  Frauen  sehr  ge- 
sucht und  theuer  bezahlt,  und  Zwerge  — Wada  — , womöglich  zu 
Hofnarren  erzogen,  bilden  noch  immer  ein  beliebtes  Spielzeug  für 
mohammedanische  Fürsten.  Beide  sah  ich  in  Küka  zur  Ausfuhr 
nach  Norden  verkaufen. 


Buckelrind  der  Schoa  in  ftomü. 


Westlich  von  den  Sclavcnbudcn  schliessen  die  Schöa  die  Süd- 
seite des  Marktes  ab.  Die  Nomaden-Natur  ihrer  Vorfahren  verleug- 
nend, bringen  sic  hauptsächlich  die  Producte  sesshaften  Ackerbaues 
zu  Markte  und  haben  das  Kamcel  ihrer  Vorfahren  durch  mächtige, 
kurzhornige  Stiere  ersetzt,  die  sich  durch  einen  kurzen,  dicken  Kopf, 
eine  breite  Brust,  einen  starken  Hals,  längs  dessen  eine  breite 
Hautfalte  tief  hcrabhängt,  und  einen  fleischigen  Höcker  zwischen 
den  Schultern  auszcichnen.  Sic  sind  im  Ganzen  massiger,  stärker 
als  die  Küri-Rinder,  und  können  in  ähnlicher  Weise,  wie  diese  mit 
den  Zanka-Rindern,  mit  den  Zebu  (Buckelrindern)  Ost -Afrikas  ver- 
glichen werden;  doch  ist  der  Grössenunterschied  hier  noch  bedeuten- 
der, als  zwischen  jenen.  Gar  nicht  selten  zeigen  diese  Buckelrinder 


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MARKTERZEUGNISSE  DER  SCHÖA.  - 687 

Bornus  die  sonderbare  Eigenthümlichkeit  eines  oder  des  anderen 
beweglichen  Hornes,  das  oft  schon  bei  beschleunigter  Gangart  des 
Thieres  sichtlich  hin-  und  herschwankt.  Leider  wurde  mir  keine  Ge- 
legenheit geboten,  diese  unzweifelhafte  und  gar  nicht  seltene  That- 
sache  durch  genauere  Untersuchung  eines  derartigen  Falles  nach  dem 
Tode  des  Thieres  etwas  mehr  aufzuklären. 

Schon  in  der  Nacht,  die  dem  Markte  vorhergeht,  kommen  die 
Schöa  aus  ihren  südwestlich  und  südlich  von  Küka  gelegenen,  oft 
mehrere  Tagereisen  entfernten  Sitzen,  und  die  aufgehende  Sonne 
sieht  bereits  in  langen  Reihen,  Sack  an  Sack,  Duchn,  Durra,  Weizen, 
Gerste  und  Reis  aufgcstellt.  Weizen  und  Gerste  sind  spärlich  ver- 
treten und  werden  mehr  von  Nicht-Arabern  in  der  Nähe  der  Hauptstadt 
cultivirt,  doch  von  den  Negerccrealien,  besonders  von  Duchn,  kommt 
eine  solche  Menge  allwöchentlich  zu  Markte,  dass  sich  fast  die  Hälfte 
aller  Hausstände  Küka’s  bis  zum  Markttag  der  nächsten  Woche  damit 
versorgen  kann.  Nur  die  Würdenträger,  Chefs  von  Districten  und 
Stämmen,  und  die  Besitzer  von  grösseren  Landgütern  in  der  Nähe 
der  Hauptstadt,  werden  natürlich  von  ausserhalb  mit  Vorräthen  ver- 
sehen. Weizen  und  Gerste  kostete  damals  noch  einmal  so  viel  als 
Duchn  und  Durra,  und  selbst  der  Reis  war  theurer  als  diese,  obgleich 
er  keinerlei  Aussaat  und  Cultur,  sondern  nur  die  Arbeit  des  Ein- 
sammelns  der  Samenkörner  nöthig  macht.  Hinter  den  Getreide- 
sacken, zwischen  ihnen  und  den  in  Reihen  gefesselten  Laststieren, 
sitzen  die  Eigenthümer  mit  ihren  Frauen  und  Töchtern  in  Mitten 
ihrer  Vorräthe  von  flüssiger  Butter  und  Honig,  die  sie  ebenfalls  feil- 
bieten. Sie  zeigen  die  verschiedensten  Farbenabstufungen  der  Haut, 
vom  Roth  der  Araber  Arabiens  und  der  Nordküste  Afrika’s  bis  zum 
Grau  — Azfek  — (nach  der  früher  gegebenen  Farbenscala)  und 
darüber  hinaus  bis  zum  Schwarz  — Assuad  — , wie  es  auch  bei  den 
Kanüri  und  Kanembu  nicht  häufig  ist.  Etwas  mehr  als  die  Farbe 
der  Haut  und  die  Tracht  ihrer  Vorfahren  haben  sie  ihre  semitischen 
Züge  bewahrt,  und  wenn  alle  diese  Kennzeichen  ihrer  Herkunft  unter 
jahrhundertelanger  Einwirkung  einer  Mischung  mit  fremdem  Blut 
geschwunden  sind,  so  ist  ihnen  doch  die  Sprache  der  arabischen 
Halbinsel  fast  in  alter  Reinheit  geblieben. 

Vom  Morgen  bis  zum  Abend  wogt  hier  eine  Menge  von  oft  mehr 
als  10,000  Menschen  hin  und  her,  ist  auf  der  Tageshöhe  am  dichtesten 
und  verliert  sich  bei  untergehender  Sonne.  Trotz  des  ungeheuren 


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688  III.  BUCH,  8.  KAP.  HANDELS-  UND  MARKT- VERHÄLTNISSE  IN  KÜKA. 

Gedränges  und  des  unzulänglichen  Abschlusses  der  einzelnen  Ver- 
kaufsplätze von  einander  durch  Buden  oder  freien  Raum , wickelt 
sich  der  vielseitige  Verkehr  in  einer  bewundernswerthen  Ordnung 
und  Friedfertigkeit  ab.  Der  polizeiliche  Oberaufseher  des  Marktes 
hat  wenig  mit  der  Schlichtung  von  Streitigkeiten  und  der  Handhabung 
der  öffentlichen  Ordnung  zu  thun;  Rohheiten,  Diebstähle,  Gewalt- 
thätigkeiten  gehören  zu  den  Seltenheiten.  Und  doch  sind  von  Seiten 
Küka’s  fast  ausschliesslich  die  niederen  Klassen,  Diener  und  Sclaven, 
und  ausserdem  das  wenig  von  den  verfeinerten  Sitten  der  Hauptstadt 
berührte  Landvolk  in  dem  Gewimmel  vertreten.  Das  Bornü-Volk 
im  Ganzen,  so  verschieden  auch  einzelne  Bestandthcile  sein  mögen, 
zeichnet  sich  eben  nicht  sowohl  durch  gesetzlichen  Sinn,  als  durch 
Harmlosigkeit,  rücksichtsvolle  Höflichkeit  und  milde  Sitten  aus. 

Für  mich  war  bei  dem  ersten  Besuche  des  grossen  Marktes  nicht 
sowohl  die  Menge  und  Verschiedenartigkeit  der  Waaren  und  ihre 
Preise  vom  höchsten  Interesse,  als  vielmehr  das  bunte  Gemisch  von 
Vertretern  der  verschiedensten  Länder  und  Stämme,  unter  denen  ich 
mich  vergebens  zurecht  zu  finden  suchte.  Es  war  allerdings  nicht 
schwer,  die  hochgewachsenen,  knapp  gekleideten  Käncmbu  der  Um- 
gegend, die  Schöa  mit  ihrem  arabischen  Gepräge  zu  erkennen,  und 
die  Frauen  jener  und  dieser  durch  Gestalt  und  Haartracht  von  den 
übrigen  zu  unterscheiden.  Doch  die  übrigen  BormVMänner  und 
-Frauen,  ja  die  Kanüri  selbst  schienen  zahlreiche  heterogene  Elemente 
einzuschliessen  und  machten  in  Gestalt,  Hautfarbe  und  Gesichtszügen 
keineswegs  einen  einheitlichen  Eindruck.  Die  plumpen  Mäkäri,  die 
hässlichen  Manga  schienen  nicht  durch  nationale  Bande  an  jene  ge- 
knüpft zu  sein  — so  verschieden  war  der  Eindruck,  den  sie  machten  — ■, 
und  cs  hielt  besonders  schwer,  das  einigende  Band  zwischen  den 
Frauen  der  verschiedenen  Stämme  oder  Stammabtheilungen  zu  finden. 

Noch  viel  verwirrender  war  die  Mannichfaltigkeit  in  den  Typen 
der  Fremden  und  Sclaven.  Hier  hatten  einige  nahewohnende  Ver- 
treter der  räuberischen  Budduma  den  Marktbesuch  gewagt  und  boten 
das  Natron  ihrer  Inseln,  Peitschen  aus  Hippopotamushaut  und  leichte, 
wie  Matten  zusammengerollte  Fähren  aus  Phögu-Holz  feil.  Dort  hielt 
sich  eine  Gruppe  von  Felläta,  wie  die  Araber  und  Neger  sie  nennen, 
oder  Ful-be,  wie  sie  in  ihrer  eigenen  Sprache  heissen,  trotz  ihres 
vielfach  ganz  semitischen  Gepräges  so  verschieden  von  den  Arabern, 
mit  den  von  ihnen  unzertrennlichen  Rindern.  Diese  sind  bei  einer 


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M \NNICHF ALTICIKF.IT  HER  MAKKTHF.SrCHF.R. 


ßW 

ausgesprochenen  Verschiedenheit  von  denen  der  Küri  doch  auch 
nicht  identisch  mit  denen  der  Scliöa , wie  z.  B.  das  häufige  Fehlen 
des  Fleischhöckers  beweist.  Man  nennt  dieselben  in  Bornu  wohl 
nach  einer  Felläta-Abthcilung  Oböre-Rinder.  Hier  zog  eine  Musgo- 
Frau  mit  den  rüssclfürmig  vorgezerrten  Lippen,  in  denen  fast  thalcr- 
grosse  Knochenplattcn  beim  Sprechen  klappernd  auf  einander  schlugen, 
und  dem  Pfeifenstummel  im  Mundwinkel,  dort  ein  schurzfellbekleideter 
Fäli-Sclav  mit  seinen  spitzgefeilten  Zähnen  und  überall  wunderbare 
Tatowirungen,  künstliche  Haarfrisuren  und  sonderbare  Trachtver- 
schiedenheiten die  Blicke  des  Beschauers  auf  sich.  Vornehme  und 
Geringe,  Reiter  und  Fussgänger,  Fremde  und  Einheimische,  Freie  und 
Sclaven  drängten  und  schoben  sich  in  unentwirrbarem  Gewimmel 
durcheinander. 

Während  mein  Begleiter  Dunkas  auf  den  ersten  Blick  anzugeben 
wusste,  welchem  Stamme  ein  Individuum  angchörtc,  wenn  er  auch 
die  Unterschiede  nicht  zu  präcisiren  vermochte,  starrte  ich  verwirrt 
von  dem  bunten  Bilde,  betäubt  von  dem  dumpfen  Geräusche  der 
Menschenmenge,  überwältigt  von  der  Vielseitigkeit  der  Eindrücke, 
in  rathloser  Neugier  um  mich.  Dabei  war  ich  selbst  nicht  minder 
ein  Gegenstand  des  öffentlichen  Interesses,  besonders  für  die  Fremden 
und  das  Landvolk,  und  ich  war  bald  bei  meinen  Wanderungen  durch 
den  Marktplatz  von  einer  ansehnlichen  Menge  Neugieriger  begleitet. 
Als  ich  darüber  unwillig  zu  werden  begann,  besänftigten  mich  die  ver- 
ständigen Bemerkungen  eines  Mannes  aus  der  Umgebung  sehr  schnell. 
Derselbe  sprach  mir  seine  Verwunderung  darüber  aus,  dass  ich  nicht 
zu  wissen  scheine,  ein  wie  selten  in  ihrer  Welt  gesehenes  Exemplar 
der  Familie  Mensch  ich  sei,  und  meinte,  dass  ich  es  natürlich  finden 
müsse,  wenn  man  mich  mit  derselben  Aufmerksamkeit,  welche  ich 
ihnen  selbst  zuwende,  zu  betrachten  und  zu  studiren  suche. 

Für  meine  Diener  war  der  Montag  stets  ein  Tag  erheblicher 
Anstrengung.  Bei  der  grossen  räumlichen  Ausdehnung  des  Marktes, 
bei  der  lebhaften  Nachfrage  nach  einzelnen  Gegenständen,  wie  vor 
Allem  nach  Brennholz,  Getreide  und  Pferdefutter,  mussten  sie  früh 
bei  der  Hand  sein,  durften  sich  nie  zurückdrängen  lassen  und  sahen 
sich  genöthigt,  das  Gekaufte  in  der  Stadt  in  Sicherheit  zu  bringen 
und  dann  zurückzukehren.  Erhielt  man  aber  die  nöthigen  Vorräthc 
nicht  auf  dem  Montagsmarkte,  so  konnte  man  in  grosse  Verlegenheit 
gcrathen;  Brennholz  war  in  der  nahen  Umgegend  nicht  zu  finden, 
Nacltligal.  I.  44 


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690  III.  BUCH,  8.  KAP.  HANDELS*  UNI)  MARKT-VERHALTNISSE  IN  KÖKA. 

ebensowenig  Pferdefuttcr,  und  das  Getreide  war  wenigstens  auf  der 
Durria  sehr  viel  theurer. 

Im  Vergleich  zu  andern  Ländern  ist  der  Marktverkchr  in  Bornü 
ausserordentlich  erleichtert  durch  die  vollständige  Handels-  und  Ge- 
werbefreiheit und  durch  die  Einführung  eines  officicllen  Marktwerthes. 
Jene  wird  in  Etwas  durch  eine  Einrichtung  modificirt,  welche  gleich- 
zeitig sehr  zur  Herstellung  einer  gewissen  Ordnung  beiträgt:  dadurch 
nämlich,  dass  alle  grösseren  Objecte  durch  einen  angestcllten  und  ver- 
eidigten Auctionator  — Libäjama  (d.  h.  Verkäufer)  verkauft  werden, 
und  dass  für  andere  Waaren  Makler  Dilälma  — die  Vermittler 
machen.  So  haben  Auctionatoren  die  Verkaufsstellen  der  Kamecle, 
Pferde  und  Sclaven  unter  ihrer  Leitung,  und  so  bringen  Makler 
Ordnung  in  Kauf  und  Verkauf  der  Baumwollenwaaren,  welche  sonst, 
bei  dem  grossen  Zudrange  zu  ihrer  Verkaufsstelle,  für  Viele  un- 
erreichbar sein  würden.  Noch  wichtiger  für  die  Erleichterung  des 
Marktverkehrs  zu  Küka  ist  die  allgemeine  Gültigkeit  des  öster- 
reichischen Maria-Thcrcsia-Thalcrs  und  des  Muschelgeldcs  als  Scheide- 
münze. Man  erkennt  dies  dankbar  an,  wenn  man  in  anderen  Sudan- 
Ländern  erfahren  hat,  wie  ausserordentlich  mühsam  und  zeitraubend  cs 
ist,  in  den  Besitz  bestimmter  Verkaufsobjecte  zu  gelangen,  weil  die- 
selben verschiedene  Marktwerthe  erfordern  und  man  ihrer  oft  erst 
auf  dem  Wege  wiederholten  Umtausches  theilhaftig  wird. 

Als  vor  mehr  als  dreissig  Jahren  der  Hadsch  Beschlr,  damals 
der  einflussreichste  Würdenträger  und  Rathgcbcr  Scheich  Omars, 
eine  Pilgerfahrt  nach  Mekka  unternommen  hatte,  lernte  er  in  Egypten 
und  Dschedda  den  grossen  Unterschied  zwischen  der  Cultur  der 
Mittelmeerländer  und  derjenigen  seiner  Heimath,  die  hohe  Bedeutung 
des  Handels  für  die  Hebung  eines  Volkes  und  Landes,  und  die  Er- 
leichterung des  Verkehrs  durch  den  Gebrauch  fester,  allgemein 
gültiger  Wcrthmaasse  kennen.  Es  war  auf  seinen  Vorschlag,  dass 
nach  seiner  Rückkehr  der  Scheich  die  allgemeine  Gültigkeit  der  be- 
reits vielfach  im  Lande  circulirenden  Thaler  — Gurs  — , sowohl 
der  Maria-Theresia-Thaler  — Abu  Teir  arab.  — als  der  spanischen 
Colonnaten-Thaler  Abu  Mcdfa — , decretirte,  von  denen  die  ersteren 
noch  jetzt  mit  der  Jahreszahl  1780  und  dem  Brustbildc  Maria-Thercsia’s 
zur  Ausfuhr  nach  Afrika  geprägt  werden. 

Damals  bestand  in  Bornü,  wie  in  den  meisten  Nachbarländern, 
das  gangbarste  Kaufmittel  in  Baumwollcnstreifen  von  fünf  bis  sechs 


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WF.RTHMESSF.R  IN  HORNÜ. 


691 


Centimeter  llreite  und  drei  bis  vier  Meter  Länge  — Gabag  - , welche 
ihrerseits  das  früher  vorwaltend  gebrauchte  Werthmaass,  nämlich  be- 
stimmte Gewichtsmengen  Kupfer,  kurzweg  Rotl  genannt,  verdrängt 
hatten.  Die  bei  der  Werthgrösse  des  Gurs  unentbehrliche  Scheide- 
münze stellte  Hadsch  Beschir  durch  die  Kauri-Muschel  (Cypraea 
Motieta)  — Oad'a  arab,  und  Kungöna  kan.  — her.  In  der  Erinnerung 
an  die  Zeit  der  früheren  Kupferwahrung  nannte  man  die  Bruchtheile 
des  Thalers,  welche  32  Muscheln  umfassen,  Rotl  (d.  h.  Pfunde)  und 
fixirte  von  Zeit  zu  Zeit  durch  königliches  Decret  die  Zahl  der  in 
einem  Thaler  enthaltenen  Rotl.  Zur  Zeit  meiner  Ankunft  zerfiel  der 
Thaler  in  120  bis  130  Rotl,  umfasste  also  etwa  4000  Kauri-Muscheln. 
Es  war  nicht  zu  fürchten,  dass  Mangel  an  Muscheln  entstehen  oder 
dass  sie  in  allzugrosser  Menge  zufliessen  würden,  denn  auch  die 
industriellen  und  verkehrsreichen  Haussa-Länder  bedienen  sich  dieses 
Geldes,  und  Bornü  ist  zu  weit  von  den  Meeresküsten  entfernt,  um 
eine  massenhafte  Einfuhr  vortheilhaft  erscheinen  zu  lassen.  Natürlich 
schwankt  je  nach  der  Menge  der  im  Lande  circulirenden  Thaler 
ihr  Werth,  und  während  der  letzten  Zeit  meiner  Anwesenheit  in  Bornü 
gab  ein  Thaler  180  Rotl  Kungöna.  Steigt  oder  fallt  der  Thaler 
allzusehr,  so  setzt  die  Regierung,  soweit  es  in  ihrer  Macht  steht, 
einen  Zwangscours  fest;  doch  mehr  als  einmal  erlebte  ich,  dass  die 
Wechsler,  welche  überall  in  der  Stadt  und  auf  den  Märkten  gegen 
einen  äusserst  geringen  Gewinn  die  Thaler  umsetzen,  bei  einer  plötz- 
lichen Reducirung  ihrer  Muschelwerthe  ihre  Standorte  verliessen,  oder 
dass  Thaler  und  Waaren  zurückgehalten  wurden. 

Es  ist  zwar  mühsam  und  zeitraubend,  beim  Wechseln  des  Thalers 
sein  Aequivalent  in  Muscheln  abzuzählen,  doch  haben  die  Eingebore- 
nen es  hierin  zu  einer  grossen  Fertigkeit  gebracht,  indem  sie  stets 
vier  als  Einheit  nehmen  und  also  bei  der  Zahl  acht  ein  Rotl  gezählt 
haben,  wobei  sie  behufs  späterer  Controle  eine  Muschel  bei  Seite  legen, 
Um  einzelne  Muscheln  stimmt  die  Rechnung  nie,  ja  selbst  ein  Rot! 
stellt  sich  oft  als  zu  viel  oder  zu  wenig  heraus;  wenn  cs  sich  jedoch 
nicht  um  mehr  handelt,  wird  kein  Gewicht  darauf  gelegt.  Für 
diese  Mühe  und  unvermeidliche  Ungenauigkeit  hat  man  aber  den 
Vortheil,  in  Küka  und  Umgegend  alle  Verkaufsgegenstände  für  den 
Thaler  und  seine  Muschel-FYactioncn  erhalten  zu  können  und  in  der 
Kauri -Muschel  eine  ausserordentlich  kleine  Scheidemünze  zu  haben, 
während  man  die  Märkte  der  Naehbarländer  mit  Baumwollenstreifen, 

44* 


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092  III.  BUCH,  8.  KAP.  HANDELS-  t’ND  MARKT-VERHÄLTNISSE  IN  KÜKA. 


Glasperlen,  Papier,  Ricclihölzern  und  andern  Gegenständen  geringen 
Werthes  besuchen  muss,  ohne  immer  sicher  zu  sein,  ob  und  durch 
welche  Ucbergangsstufen  man  die  gewünschten  Waaren  cintauschen 
kann.  Die  Haumwollenstreifcn,  welche  neben  den  Muscheln  gangbar 
blieben  und  fern  von  der  Hauptstadt  bis  heute  vorwaltendc  Geltung 
haben,  schwanken  erheblich  in  ihrer  Qualität  und  demzufolge  in 
ihrem  Werthe.  Dieselben  hatten  zur  Zeit  meiner  Anwesenheit  in 
Küka  einen  Durchschnittswerth  von  vier  Rotl,  also  etwa  zwölf 
Pfennigen,  so  dass  man  sich  genöthigt  sah,  sie  im  kleinsten  Einzel- 
handel, da  sic  nicht  mehr  verkleinert  werden  können,  durch  einzelne 
Bogen  Papier,  einige  Glasperlen  und  dergleichen  zu  ersetzen.  Mit 
der  Theilung  des  Thalers  in  4000  Muscheln  erhält  man  hingegen 
ein  kleinstes  Werthmaass  von  etwa  7..  Pfennig,  wodurch  es  den 
Armen  möglich  wird,  die  kleinste  Menge  eines  zertheilbaren  Gegen- 
standes zu  kaufen. 

Die  natürlichen  und  industriellen  Erzeugnisse,  welche  zu  Küka 
in  den  Handel  gelangen,  sind  von  einer  nach  unseren  Begriffen  un- 
glaublichen Wohlfeilheit,  und  es  dürfte  nicht  überflüssig  erscheinen, 
eine  möglichst  ausführliche  Liste  der  damaligen  Preise  zu  geben: 

Sclaven  — Kindschi  — kosteten : Mar.-TW-Thir. 

4—  5 
6 — 10 
12  — 14 
10 — 15 

15  — 18 

16  — 22 
20  — 25 
16  — 20 
40-100 
50  — 80 


2- 4 
3 — 5 
4-8 

/»  3 

Roll 

3- 5 


ein  alter  Mann  — Kjäri  — 

eine  alte  Frau  — Kömorsu  — 

ein  kräftiger  Mann 

eine  Frau  mittleren  Alters  — Schomalija  — 

ein  junger  bärtiger  Mann  — Gurzem  — 

ein  Jüngling  — Sub’äi  — 

ein  Sedäsi  und  eine  Chomäsija 

ein  Chomäsi 

eine  Surrija 

ein  Eunuch  — Adim  — im  Knabenalter 

Unter  den  Hausthicrcn  — Käzu  — kosteten: 
Von  Rindern  — Fe  — : 

die  Schlachtkuh  — Fe  debäteram  — 

die  Milchkuh  — Fe  kenara  oder  mädärabe  — . . . . 

Zuchtstier  — Bullann  — und  Lastochsc  — Keniemo  — . 
Kälber  — Dalo  und  Kirna  — je  nach  dem  Alter  . . . 

Einzelne  Pfunde  Rindfleisch  waren  verkäuflich  zu  . . 


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PREISE  I)EK  SU.AVEN  UND  HAUSTHIEKE.  6Ü.‘J 

Von  Karneolen  — Kalgimmo  — gaben:  Mu.-Tiwr.-Thit. 

die  von  der  Reise  gekommenen  nordischen  bis  zu  . . 15 

die  der  Kojäm 6 15 

die  der  Tuärik,  Känem-  und  WadaV-Leute 15- -40 

Von  Pferden  — Fir  bezahlte  man: 
ein  Zwergpferd  aus  den  südlichen  Heidenländern  oder 
einen  schlechten  Bornüklepper  (Packpferd)  mit  . . . 4 — 10 

ein  gutes,  starkes  Reitpferd  von  gewöhnlicher  Bornü- 

Zucht  mit 15  — 25 

ein  gutes,  schönes  Reitpferd,  von  Schöa  oder  Tubu  ge- 
züchtet, mit 20  — 40 

ausgezeichnete  Pferde  der  Bornü-Zucht  oder  schöne  Thicre 
aus  den  Ländern  der  Nordküste  hatten  oft  einen  Preis 
von  mehr  als 100 


Füllen  — Kusta  — variirten  natürlich  sehr  im  Preise,  je 
nach  Alter  und  Herkunft. 

Esel  — Köro  — kamen  nur  als  gewöhnliche  Lastesel  der 
Landeszucht  — K.  därawi  arab.  (von  Dar,  Haus,  Land) 

auf  den  Markt  und  kosteten  etwa 2 — 5 

Von  Schafen  und  Ziegen  hatten: 
der  Widder  — Ngeläro  — und  das  Schaf  — Dimi  — einen 

Preis  von  . - '/*  — 1 V» 

der  Bock  — Dal  — und  die  Ziege  — Käni  — einen 

solchen  von — 1 

während  das  einzelne  Pfund  Hammelfleisch  bezahlt  wurde  Kou 

m't 5-7 

Hühner  - Köki  — und  Hähne  — Göbögum  kosteten 

je  nach  ihrer  Grösse  und  Güte 1 — 5 

Küchlein  - Fijogma  waren  entsprechend  billiger, 
und  von  Hühnereiern  — Ngubbel  kökibe  — erhielt  man 

4 Stück  für 1 

Für  junge  Tauben  Kataböra  - verlangte  man  pro 

Stück 2 3'/* 

Von  wilden  Thiercn  — Bundi  oder  Da  (Fleisch)  kärägäbe  — , 
soweit  sic  der  Ernährung  des  Menschen  dienen  können,  kamen  zu- 
weilen allerdings  Antilopen,  Hasen  und  dergl.  auf  den  Markt,  doch 
immerhin  so  selten,  dass  von  wirklichen  Marktpreisen  nicht  die  Rede 


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f)U4  III.  HUCH,  8.  K.\r.  HANDELS-  UNI»  MARKT-VERHÄLTNISSE  IN  KÜKA. 

sein  konnte.  Die  häufigeren  Perlhühner,  Feldhühner,  Feld-  und 
Waldtauben  waren  bei  der  geringen  Nachfrage  im  Vergleich  zu  der- 
jenigen nach  Haushühncm  und  Haustauben  wohlfeiler  als  diese. 
Straussc  — Kirgeko  — waren  nicht  selten  verkäuflich,  hatten  jedoch 
ganz  willkürliche  Preise;  ihre  Eier  — Ngubbcl  kirgekobe  — wurden 
mit  8 -io  Rotl  das  Stück  bezahlt. 

Ausser  den  Getreidearten,  deren  Preise  bereits  oben  erwähnt 
sind,  hatten  noch  von  Garten-  und  Feldfrüchten  cinigermasscn  be- 
stimmte Preise: 

die  Bohnen  — Ngälo  — , von  denen  der  Centner  etwa  i Thlr.  kostete; 
die  Zwiebeln  — Basall  — , von  denen  man  für  i Rotl  etwa  i Kilogr. 
erhielt; 

Melonen  — Bambus  — und  Wassermelonen  — Fäli  oder  Pali  — , von 
denen  je  nach  Grösse  und  Güte  das  Stück  i — 7 Rotl  kostete; 
Sägädu  (Cucurbita  Pepo)  und  Gurken  — Ngurli  — , die  noch  erheb- 
lich billiger  waren; 

Tomaten,  von  denen  man  ihrer  grösseren  Seltenheit  wegen  allerdings 
einige  wenige  Stück  mit  mehreren  Rotl  bezahlen  musste. 

Die  zu  den  'Atsch- Saucen  verwendeten  Blätter,  Kräuter  und 
Früchte  waren  so  unglaublich  wohlfeil,  dass  man  fiir  einige  Rotl  ge- 
nug erhielt,  um  einen  ganzen  Hausstand  für  eine  Woche  zu  dem  an- 
gedeuteten  Zwecke  zu  versehen. 

Die  Fische  — Büni  — wurden  nicht  in  solcher  Menge,  wenig- 
stens nicht  im  frischen  Zustande,  auf  den  Markt  gebracht,  als  die 
Nähe  des  Tsädc  vermuthen  lässt.  Uebrigens  bezahlte  man  einen 
grossen,  frischen  Fisch,  der  zu  einem  Mahle  für  vier  bis  sechs 
Menschen  hinreichte,  mit  10 — 15  Rotl. 

Süsse  Milch  — Kiam  killi  — kam  öffentlich  selten  zum  Verkauf, 
sondern  musste  meistens  aus  den  Häusern  bezogen  werden;  sie  kostete 
dann  pro  Liter  etwa  5 — 8 Rotl.  Die  auf  Marktplätzen  feilgebotene  und 
auf  den  Strassen  ausgerufene  saure  Milch  — Kiain  — hatte  kaum 
den  vierten  Theil  dieses  Werthes. 

Von  der  aufbewahrungsfähigen  Butter  — Kindägo  — erhielt 
man  10 — 12  Pfund  für  1 Mar. -Ther. -Thlr. ; die  frische  Butter — Zibda 
arab.  und  Fula  kan.  wurde  nicht  nach  dem  Gewichte  verkauft. 

Vom  Honig  Kcmägen  kosteten  7 9 Pfund  1 Mar.-Ther.- 
Thlr. 


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PR  KI  SK  VON  GARTENUAU-,  VIEHZUCHT-  UNI)  INDISTRIF.-ERZEUÜNISSK.N.  (illf) 


Von  Thicrfcllcn  und  ihren  Verarbeitungen  fand  man  auf  dem 
Markte  häufig: 

Mar.  Ther.-Thlr. 


Löuenfclle 

Leopardenfelle  . . . . 

Antilopenfelle 

Rinderfelle 

•Schaf-  und  Ziegenfclle  in  ungegerbtem  Zustande 
Schaf-  und  Ziegenfelle,  in  Kanö  gegerbt  und  gefärbt, 
Schaf-  und  Ziegenfelle,  in  Bornü  gegerbt  und  gefärbt, 

Wasserschläuche  Satki  — aus  Kanö 

„ aus  Bornü  

Schuhe  Sunö  aus  gewöhnlichem  Bornü-Schaf- 

leder 

Schuhe  aus  Haussa-Leder 

Reitschuhe,  vorn  in  zwei  Abtheilungen  gespalten, 

aus  Bornü 

Sandalen  Näl  der  Landesmanufactur  .... 

Sandalen  aus  Kanö 

Kissenüberzüge  Bir  , von  runder  oder  länglicher 
Form  in  den  verschiedensten  Mustern,  aus  Kanö  . 
Zwei  Gepäcksäcke  aus  mangelhaft  gegerbtem  Kameel- 
ieder Kewa  - , welche  stets  paarweise  ver- 
kauft werden 


ZU 

1 

•> 

zu 

V, 

1 

zu 

7« 

7* 

Rot! 

zu 

1 5 

30 

zu 

5 

•5 

zu 

20- 

40 

zu 

10- 

20 

Mar.-Ther.-TI 

zu 

7«- 

1 

zu 

7* 

74 

R 

Oll 

zu 

20 

30 

zu 

40 

60 

zu 

5- 

IO 

zu 

3 

s 

zu 

15 

30 

zu 

50  - 

100 

zu  etwa  ioo 


Die  Preise  der  in  Küka  üblichen  Kleidungsstücke  sind  schon 
bei  der  Aufzählung  ihrer  Arten  aufgeführt;  von  andern  Bedürfnissen 
des  täglichen  Lebens,  welche  dort  zu  Lande  unentbehrlich  sind, 
gelten  die  nachstehend  verzeichneten  Angaben. 

Brennholz  wurde  in  grösseren  Bündeln  verkauft,  deren  eins  ro1| 
z.  B.  genügte,  um  die  Küche  meines  ganzen  Haushaltes 
von  etwa  sechs  Personen  für  eine  ganze  Woche  zu  ver- 
sorgen, und  zwar  zum  Preise  von 20  30 

Stangen  zur  Errichtung  von  Schattendächern  und  zur  Stütze 
von  Einfriedigungen  kosteten  im  Dutzend  ungefähr 

ebenfalls 20  30 

Siggcdi- Stücke  (Sukko- Geflecht),  gegen  3 M.  lang  und 
2 2'/*  M.  breit,  wurden  bezahlt  mit 8 — 12 


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(H)G  III.  IIUCH,  8.  KAP.  HANDELS-  UND  MARKT-VERHÄLTNISSE  IN  KÜKA. 


Gewöhnliche  Bornü-Matten  — Büsch i ngitnbe  aus  Düm-  r0u 
gestrüpp  (Ngille)  variirten  im  Preise  je  nach  der  Grösse  von  4 7 

Bessere  Bornü-Matten  in  bunten  Mustern  kosteten  ...  30  50 

Feine  Matten  aus  Kanö  und  Nife  kamen  im  Preise  bis  auf  . 100 

Grobgeflochtene  Körbe  — Qufla  arab.  hatten,  wenn 
sie  sehr  umfangreich  waren,  wie  z.  B.  die  zur  Aufbewahrung 
des  Getreides  dienenden  und  Dschigä  genannten,  einen 

Preis  von 10  12 

und  wenn  sie  kleiner  waren  — Dzimbära  - von  . . 1 — 4 

Die  öfters  erwähnten  Vorhängethüren  Farfar  kosteten, 
wenn  sie  in  Logon  oder  Kötöko  verfertigt  waren  ...  20  50 

wenn  sie  aber  der  eigentlichen  Bornü-Manufactur  angc- 

hörten  ..' 5 — 8 

Geflochtene  Deckel,  vorzüglich  der  Schüsseln  Tabaq  arab. 
und  Fille  kan.  , waren,  wenn  kunst-  und  schmucklos  her- 

gestellt,  zu  haben  für 2 — 5 

während  die  sorgfältig  gearbeiteten  und  zierlich  ge- 
musterten etwa  den  doppelten  Preis  hatten. 

Die  Kürbisschalen  Qar’a  arab.  und  Kummo  kan.  , wie 
sie  beschrieben  worden  sind,  lackirt  und  bemalt, 

schwankten  im  Preise  von 3 — 10 

während  die  aus  Holz  geschnitzten  und  schwarzgebeizten 
Essschüsseln  Qadäh  arab.  --  verkauft  wurden  zu  . . 6 — 20 

Die  Wasserkrüge  Nge  ~T  und  Kochtöpfe  — Qidr  arab.  , 
aus  Thon  gebrannt,  waren  um  wenige  Rotl  zu  haben,  und 
die  mühselige  Arbeit,  ein  Stück  Baumstamm  harten  Holzes 
zu  einem  Mörser  Kurru  — behufs  der  Mehlbereitung 
auszuhöhlen,  fand  nur  den  bescheidenen  Lohn  von  etwa  20 

Eine  Quantität  Stroh  oder  Gras  Kadschim  oder  Kad- 
schim  killi  — , wie  sie  etwa  die  Tagesration  eines  Pferdes 

ausmacht,  kostete ca.  8 

Die  Beläge  für  die  Wohlfeilheit  der  südänischcn  Arbeit  könnten 
natürlich  noch  erheblich  vervielfältigt  werden,  doch  ich  beschränke 
mich  darauf,  nur  noch  kurz  die  Preise  der  ausser  den  bereits  be- 
sprochenen Sclaven  allein  in  Betracht  kommenden  Ausfuhrproducte, 
des  Elfenbeins  und  der  Straussenfedern , zu  erwähnen.  Jenes  hatte 
damals  pro  Ccntncr  einen  Werth  von  50  Mar.-Ther.-Thlr.,  und  diese 


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PREISE  VON  HAUSGEKATI1SCH AKTEN. 


IMPORT- WAAREN. 


61»7 

wurden  gewöhnlich  nicht  nach  dem  Gewicht  verkauft,  sondern  in 
ganzer  Straussenhaut,  welche  zu  jener  Zeit  ungefähr  20  Mar.-Thcr.- 
Thlr.  kostete. 

Betrachten  wir  die  aus  Europa  oder  den  Ländern  der  Nord- 
küste in  Bornu  eingeführten  Waaren  übersichtlich,  so  sind  in  erster 
Linie  die  geprägten  Münzen  (vorwaltend  die  österreichischen  Maria- 
Theresia-Thaler,  seltener  der  spanische  Colonnaten-Thalcr)  und  der 
oft  erwähnte  Cham  zu  nennen.  Sodann  folgen,  was  Menge  der  Ein- 
fuhr und  Verwerthbarkeit  anbetrifft,  Schmuckgcgenständc  der  Frauen, 
Glas-,  Thon-  und  Porzellanperlen,  Korallen,  Bernstein,  Achat  u.  s.  w. 
Von  diesen  kommen  die  erstgenannten  Perlen  hauptsächlich  bei  den 
uncivilisirteren  Negerfrauen  zur  Verwendung,  während  Bernsteinpcrlen 
(von  der  Grösse  einer  Nuss  bis  zu  der  eines  Hühnereies)  ein  beliebter 
Schmuck  der  Schoa- Frauen  sind,  der  Achat  vorzugsweise  von  den 
Felläta  verlangt  wird  und  die  kleinen  Cy linder  der  Edelkoralle,  wie 
wir  gesehen  haben,  ein  fast  unentbehrlicher  Zierrath  der  meisten 
Bornu- Damen  sind.  Nach  diesen  Erfordernissen  der  Frauentoilette 
müssen  die  massenhaft  eingeführten  Rosenkränze  Sebah  arab. 
und  TadschTbi  kan.  aus  Sandelholz,  Olivenhojz,  Korallen,  Elfen- 
bein, Knochen,  Porzcllanperlen  u.  s.  w.  erwähnt  werden,  welche,  ur- 
sprünglich Werkzeuge  des  mohammedanischen  Ritus,  allmählich 
Schmuckgegenstände  der  Männer  geworden  sind.  Auch  wohl- 
riechende Essenzen  (allerdings  sehr  selten  wirkliche  Rosen-  oder 
Jasminessenz,  sondern  solche  geringeren  Werthes,  wie  z.  B.  das  oft 
erwähnte  Zeit  esch-Schiäh,  Sandal-Essenz,  Riechhölzer  und  das  wahr- 
scheinlich aus  der  Acacia  Farncsiana  bereitete  Zeit  el-Fitna),  Benzoe, 
Ambra,  Campher,  Nelken  oder  Nägelchen,  Mahälcb,  Simbil  (Vale- 
riana ccltica)  und  dergleichen  machen  einen  nicht  unerheblichen 
Theil  der  eingeführten  Waaren  aus,  denn  Männer  und  Frauen  machen 
mit  gleicher  Vorliebe  von  ihnen  Gebrauch. 

Von  Kleiderstoffen  kommen  aus  Europa,  ausser  dem  Cham,  in 
geringer  Menge  bessere  Baumwollenstoffe,  meist  ungefärbt  und  un- 
gemustert,  als  Mahmüdi  und  Dibelän  für  die  Vornehmeren;  Tuch, 
das  entweder  in  guter  Qualität  schon  verarbeitet  als  Burnus,  Kaftan 
oder  Beinkleid,  oder  in  geringer  Güte  zu  den  gesteppten  Watten- 
panzern der  Reiter  und  Pferde  Libbes  — eingefiihrt  wird.  Auch 
Seide  und  Sammet  zu  Luxuskleidern,  Pferdeschmuck  und  Sattelübcr- 
zügen,  Teppiche  aus  Tripolitanien  und  Constantinopel,  Wollendeckcn 


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f>!)8  III.  BUCH,  8.  KAP.  HANDELS-  UND  MAB  KT- VERHÄLTNISSE  IN  KC'KA. 


aus  Tunisien,  Shawls  von  den  gewöhnlichen  rothen  Wollenshawls 
bis  zu  den  feinen  Kaschmirs  der  Könige  kann  man  zur  Noth  in  Kiika 
finden.  Häufiger  sind  die  oft  besprochenen  Tarbüsch's,  die  allerdings 
nur  selten  ihren  Ursprung  in  Tunis  haben,  und  Musselinstoffe  zu 
Turbanen  gehen  in  ansehnlicher  Menge  in  die  Sudan-Länder.  Auch 
das  Papier  bildet  zu  Kiika  einen  nicht  unwichtigen  Handelsartikel. 
lCs  ist  von  sehr  grober  Qualität,  doch  für  die  arabische  Schrift  mit 
Rohrfedern  recht  geeignet,  und  verräth  durch  sein  Wasserzeichen 
dreier  Halbmonde  mit  der  Legende  „tre  lune”  seine  italienische  Her- 
kunft. 

Von  Eisen-  und  Stahlwaaren  werden  die  gewöhnlichen  landes- 
üblichen Waffen  von  den  Eingeborenen  verfertigt,  wozu  sich  die 
nöthige  Eisenerde  in  vielen  Landstrichen  findet.  Aus  den  Küstenländern, 
beziehungsweise  aus  Europa , kommen  arabische  Steinschlossfiintcn 
und  schlechte  Pcrcussionsgcwehrc , gerade  Schwerter,  welche  meist 
aus  Deutschland  (Solingen)  stammen,  seltener  krumme  Säbel  und 
häufig  maschige  Panzerhemden,  die  ihren  Ursprung  im  südöstlichen 
Europa  haben.  Von  anderen  Stahlwaaren  überfluthen  elende  Näh- 
und  Stopfnadeln,  Schceren,  Messer  u.  s.  w.  aus  Deutschland  und 
Italien  den  Markt,  während  dieselben  Gegenstände  in  geringer  Menge, 
aber  guter  Qualität  aus  England  eingefuhrt  werden.  Kleine  englische 
Nähnadeln,  die  von  ihrem  runden  Oehr  „Fischaugen”  — Ä'in  cl-Haut 
genannt  werden,  sind  besonders  geschätzt,  während  man  die  grösseren 
deutschen  und  italienischen,  die  allerdings  beim  ersten  Gebrauche  ge- 
wöhnlich zerbrechen,  oft  kaum  verwerthen  kann.  Ein  äusserst  beliebter 
Artikel  bei  geringster  Güte,  aber  auch  billigstem  Preise,  sind  die  mehr- 
fach erwähnten  steiermärkischen  und  oberösterreichischen  Rasirmesser. 
Die  von  mir  gesehenen  trugen  die  wunderlichen  Fabrik-Marken  „Vin- 
cenz  Ofterberger,  bürgerlicher  Scheermesserschmicd  zu  Steyr,  schlägt 
das  Zeichen  W , und  „Leopold  Werndt,  bürgerlicher  Scheermesscr- 
schmied  zu  Steyr,  schlägt  das  Zeichen  drei  3”. 

Im  Einzelverkaufc  hatten  die  hauptsächlichsten  der  aufgeführten 
Import-Waaren  zur  Zeit  meines  Aufenthaltes  folgende  Preise: 


Das  Stück  — Maqta  — Cham  von  ca.  20  M.  Länge  und  M4r.-Thcr.  Tbit. 

etwa  '/ii  M.  Breite 3 

Das  Stück  Mahmüdi  von  30  bis  35  M.  Länge  und  ca. 

'/2  M.  Breite 5 -6 


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PREISE  DER  VON  NORDEN  HER  EINGEFÜHKTEN  WAAREN. 


699 


Die  Maqta  Musselin  — Schäsch  arab.  — zu  Turbanen 

von  14  M.  Länge 

Egyptische,  abgetheiltc  Turbanshawls  Subetti  arab.  — 
Leidlicher  europäischer  Sammet  Qätifa  arab.  — durch- 
schnittlich pro  M.  . 

Kleine  Stücke  Seide  von  8'/g  M.  Länge 

Stücke  Halbseide  von  5 — 6 M.  Länge  

Gute  Seide  pro  Pfund 

Ein  Burnus  von  gutem  Tuch 

Ein  Burnus  von  geringerer  Qualität 

Ein  Burnus  Keffi  (d.  h.  von  der  Art  der  zu  el-KcflT  in 

Tunis  gewebten) 

Ein  Burnus  Dscheridi  (d.  h.  aus  dem  Beled  cl-Dscherid 

in  Tunis) 

Ein  Tarbüsch 

Mahälcb 

Benzoe  — Dschäwi  arab.  - 

Sandelholz  — Zandal  — 

Valeriana  celtica  — Simbil  arab.  

Antimonpulver  - - Kohol  arab.  — 

Nelken  oder  Nägelchen  - Qaromful  arab.  --.... 

Zimmct  — Qirfa  arab.  - 

Von  Wohlgerüchcn  — ’Atßr  arab.  — : 

4 Gramm  Rosenessenz 

30  Gramm  Sandelessenz 

60  Gramm  Artemisiaessenz 

Zucker,  meist  in  kleinen  Hüten  von  etwa  2 Pfund  Gewicht 

eingeführt,  pro  Pfund 

Schreibpapier  pro  Rizma  (500  Bogen) 

der  einzelne  Bogen 

Von  Glas-,  Thon-  und  Porzellan-Perlen  — Charaz  arab. 
und  Kullülu  kan.  — kosteten  die  besseren,  wie  z.  B.  die 
„Sterne"  — Nidschem  arab.  — genannten,  und  die  un- 
ächten  Korallen  Mordschän  keddäb  — pro  Tausend 
andere  weniger  gesuchte  wurden  bezahlt  mit  . . 

Italienische  und  deutsche  Stopfnadeln  galten  pro  Tausend 
je  nach  grösserer  oder  geringerer  Zufuhr  und  Nachfrage 


Mar  -Thcr.-Thlr- 


V.— * 


5 

8 


8 


1 s —20 
10—15 


15  — 18 


15—18 
*— 3 

durchschnittlich 
pro  Pfund 

Mar.-Ther.-Thlr. 

I 


Vs 

'/3 


I 


7. -Vs 
ca.  6 
Roll 

1 Vs  — 2 

Mar.-Ther.-Thlr 


5-8 


2 — 8 


1 — 6 


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7(JU  III.  BUCH,  8.  KAP.  MANUELS-  UNI)  M AK  KT- VERHÄLTNISSE  IN  KÜKA. 


Die  kleinen  englischen  Nähnadeln  — Ai'n  el-llaut  — hatten  mehr 
als  den  zehnfachen  Werth  der  vorher  genannten. 

Roll 

Die  gewöhnlichen  Rasirmesser  kosteten 8 - 16 


Die  unglaublich  schlechten  Scheeren  hatten  ungefähr 
denselben  Preis  und 

Kleine,  runde  Handspiegel,  je  nach  der  Grösse,  einen 
solchen  von io  — 30 

Die  von  Norden  kommenden  Kaufleute  — Säfirma  (d.  h.  der 
weite  Handelsreisen  ausfuhrende  Kaufmann)  , geben  ihre  Waaren 
an  die  einheimischen  Händler  und  zwar  je  nach  der  Bedeutung  dieser 
in  verschiedener  Menge  ab.  Den  grössten  Vorrath  kauft  der  an 
Ort  und  Stelle  bleibende  Kaufmann,  gewissermassen  Grosshändler 
Masobbeb  — , und  ihm  zunächst  im  Consum  steht  der  Togurtschi,  wie 
in  Bomu  derjenige  Händler  genannt  wird,  welcher  mit  einigen  Pack- 
pferden, Ochsen  oder  Eseln  in  die  Nachbarländer  und  die  entfernteren 
Provinzen  reist.  Bescheidener  kauft  der  Hausircr  Katkulma  kan. 
(von  Katkun,  die  Last)  — , der  sein  Waarenpäckchen  auf  dem  Kopfe  trägt 
und  die  kleinen  Marktplätze  und  Ortschaften  besucht.  Der  kleinste 
Dctailhändler  ist  der  Fatkema,  der  von  den  Arabern  Farräsch  (d.  h. 
eigentlich  der  den  Teppich  oder  die  Matte  Ausbreitende)  genannt 
wird  und  seinen  bunten  Kram  in  den  kleinsten  Mengen  auf  einer  Matte 
vor  sich  auslegt.  Dieser  letztere  kann  gewöhnlich  nur  den  Tagesbedarf 
fiir  sein  Geschäft  einkaufen  und  bezahlt  auch  diesen  oft  erst  aus  der 
gelösten  Summe.  Sehr  gangbare  Gegenstände  behält  der  fremde 
Kaufmann  häufig  selbst,  wenn  er  nicht  über  grosse  Vorräthc  und  Mittel 
gebietet,  bestreitet  aus  ihnen  seine  täglichen  Lebensbedürfnisse  oder 
veräussert  sie  sogar  in  seiner  Behausung  im  Einzelverkaufe  allmählich 
gegen  Muscheln,  um  gegen  diese  Thalcr  einzuwechseln  und  endlich 
die  von  ihm  gewünschten  Ausfuhr-Artikel  zu  kaufen. 

Diese  beschränken  sich  fast  ganz  auf  Sclaven,  Straussfedern  und 
Elfenbein;  alle  anderen  Landesproducte,  wie  Tamarinden,  Felle, 
Arachis- Oel  etc.  können  bei  den  grossen  Transportkosten  nicht  zur 
Geltung  kommen.  Von  den  crstcrcn  bildeten  bis  vor  wenigen  Jahren 
die  Sclaven  die  vorwaltende  Waare,  und  wenn  auch  ihre  Ausfuhr 
in  Folge  der  Hindernisse,  welche  ihrem  Verkaufe  auf  der  Nordküste 
entgegen  gesetzt  worden  sind,  erheblich  abgenommen  hat,  so  wird 
doch  noch  viel  Zeit  vergehen,  ehe  die  Erwartungen  der  Menschen- 


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KLASSEN  DER  KAL  FLEUTE. 


HANDEL  MIT  SCLAVKN. 


701 


freunde  in  dieser  Hinsicht  ganz  befriedigt  sein  werden.  Den  Gewalt- 
habern auf  der  Nordküste,  wie  dem  Vice -Könige  von  Egypten  und 
dem  General-Gouverneur  von  Tripolitanien,  selbst  wenn  sie  den  besten 
Willen  haben,  fällt  es  allzuschwer,  die  Gouverneure  der  entfernteren 
Provinzen  zu  beaufsichtigen.  So  lange  diese  als  Mohammedaner  von 
der  Rechtmässigkeit  des  Menschenhandels  überzeugt  sind  und  ein 
materielles  Interesse  an  seinem  Gedeihen  haben,  werden  sic  bei  den 
Einwohnern  die  Uebertretung  des  Verbotes  begünstigen.  Ich  hatte 
in  Fezzän  gesehen,  dass  der  Gouverneur  der  Provinz  durch  einen 
erheblichen  Eingangszoll , der  zwei  Maria-Theresia-Thaler  pro  KopG 
- Ris  — betrug,  eine  Einnahme  hatte,  welche  sein  eigentliches 
Gehalt  überstieg,  und  konnte  mich  also  in  Küka  nicht  wundern, 
dass  die  erste  der  nach  Norden  gehenden  Karawanen,  mit  der  meine 
Begleiter  Sa’ad  und  Ken  Zekta  Bornü  verliessen,  noch  1400  Sclaven 
mit  sich  führte.  Von  diesen  wird  wahrscheinlich  ungefähr  ein  Drittel 
nach  Ghät  und  ein  zweites  nach  Egypten  geführt  worden  sein, 
"ährend  das  letzte  den  Bedarf  Tripolitanien’s  gedeckt  haben  wird. 

Der  auf  den  Sclaven  ruhende  Nutzen  ist  ansehnlich  genug,  um 
unternehmende  Kaufleute  selbst  die  Gefahr  der  Confiscation  nicht 
scheuen  zu  lassen,  und  beträgt  das  Drei-  oder  Vierfache  des  An- 
kaufspreises. Dabei  bedarf  diese  Waare  keiner  oder  doch  nur  unbe- 
deutender Transportmittel,  welche  bei  den  Wüstenreisen  hauptsächlich 
in  Betracht  kommen,  sondern  stellt  vielmehr  selbst  ein  solches  für 
leichtere  Gegenstände  dar.  Die  für  sie  erforderlichen  Mundvorräthe 
haben  in  Bornü  so  geringe  Preise,  dass  sic  gegen  die  Transportkosten 
nicht  in  Betracht  kommen. 

Die  Zufuhr  von  Sclaven  zu  den  Bornü- Märkten  stammt  theils 
aus  den  Raubzügen,  welche  die  Regierung  in  die  umliegenden  Heiden- 
■andschaften  der  Musgo,  Gamergu  und  Marghi  im  Süden,  der  Bedde, 
Kerrikerri  und  Babir  im  Westen  und  Südwesten  des  Reiches  unter- 
nimmt, theils  aus  den  Abgaben  der  Vasallenfiirsten  auf  der  Peripherie 
iles  Landes,  welche  ebenfalls  zu  diesem  Zwecke  einen  beständigen 
Krieg  gegen  ihre  heidnischen  Nachbarn  fuhren,  theils  aus  den  Han- 
delsergebnissen mit  den  Nachbarländern  Haussa,  Adamäwa  und  vor- 
züglich Baghirmi. 

Die  Straussfedern  bilden  den  demnächst  einträglichsten  Ausfuhr- 
artikel, da  sie  den  grossen  Vorzug  geringen  Gewichts  und  folg- 
lich geringer  Transportkosten  haben.  Freilich  sind  sie,  als  der  Mode 


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702  III.  BÜCH,  8.  KAP.  HANDELS*  UNI)  MARKT-VERHÄLTNISSE  IN  KÜKA. 

unterworfen,  einem  grossen  Schwanken  der  Preise  auf  der  Nordküste 
und  in  Europa  ausgesetzt,  so  dass  der  Kaufmann  bei  der  langen  Zeit 
seines  Ausbleibens  leicht  Gefahr  läuft,  zu'theucr  cinzukaufen.  In 
Bornü  sind  die  Straussfedern  überdies  nicht  häufig  genug,  um  ein 
einigermassen  schnelles  Resultat  zu  versprechen.  Allerdings  vermag 
ein  einziges  Kameel  ein  ganzes  Vermögen  in  auserlesenen,  weissen 
Straussfedern  auf  seinem  Rücken  zu  tragen,  doch  welch  ein  ungeheurer 
Zeitraum  ist  erforderlich,  um  eine  solche  Menge  zu  sammeln!  Auf 
den  Markt  von  Küka  gelangen  dieselben  aus  den  Steppen  von  Kanem 
bis  Zinder,  welche  das  Land  nach  Norden  begrenzen,  und  aus 
den  weniger  dicht  bevölkerten  Grenzdistricten  des  Landes  im  Westen 
und  Südwesten.  Man  pflegt  sie,  wie  erwähnt,  mit  den  ganzen  Häuten 
zu  verkaufen,  aus  denen  man  zuvor  die  werthvollen  Schwung-, und 
Schwanzfedern  entfernt  hat,  und  welche  dann  im  besten  Falle  ein 
Pfund  weisser  und  drei  Pfund  schwarzer  Federn  geringer  Qualität 
enthalten.  Ich  werde  Gelegenheit  haben,  bei  der  Beschreibung 
Wadäi’s,  wo  dieser  Handel  in  viel  grösserer  Blüthe  steht,  naher  auf 
denselben  einzugehen. 

Die  Preise  der  Elephantenzähne  in  den  Küstenstädten  Afrikas 
und  in  Europa  schwanken  zwar  weniger,  als  die  der  Straussfedern, 
doch  mindert  die  Schwierigkeit  des  Transportes  wieder  den  Gewinn. 
Wenn  auch  der  in  Küka  um'  50  Maria-Theresia-Thaler  (200  Mark) 
gekaufte  Centner  Elfenbein  auf  der  Nordküste  den  dreifachen  Werth 
haben  mag,  so  erfordern  doch  ungefähr  vier  Centner  desselben  den  An- 
kauf eines  Kameels,  und  dieselben  bilden  unförmliche  Gepäckstücke, 
welche  das  Thier  ausserordentlich  leicht  schädigen.  Wie  in  allen  Sudan- 
Ländern,  so  nimmt  die  Zufuhr  dieses  Artikels  auch  in  Bornü  erheb- 
lich ab,  doch  haben  Känem  in  der  Nähe  des  Tsäde,  einige  Ufer  und 
Inseln  des  letzteren  und  einige  Grenzdistricte  im  Süden  und  Südwesten 
des  Landes  noch  den  Vorzug,  eine  grössere  Anzahl  der  kostbaren 
Thiere  zu  bergen.  Von  dorther  und  aus  den  Nachbarländern  Adamäwa 
und  Baghirmi  wird  denn  auch  der  Markt  in  Küka  versorgt. 

Mit  Ausnahme  der  Sclaven  kommen  diese  werthvollen  Ausfuhr 
artikel  (ur  gewöhnlich  nicht  auf  den  öffentlichen  Markt,  sondern 
werden  von  den  fremden  Kaufleuten  durch  die  Vermittlung  der 
öffentlichen  Verkäufer  — Libäjama  — oder  Makler  — Dilälma 
meistens  in  den  Häusern  gekauft.  Trotzdem  dieser  Modus  grössere 
Mengen  ergiebt,  als  der  Ankauf  aus  erster  Hand,  vergeht  doch  oft  eine 


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HANDEL  MIT  STRAL’SSFEDKRN  ETC.  — RÜCKGÄNC.ICKEIT  DES  HANDELS.  703 

geraume  Zeit,  bevor  die  Kaufleute  ihre  bescheidenen  Capitalien  umge- 
setzt haben,  und  wenn  man  zu  diesem  Opfer  noch  die  Unkosten  rechnet, 
welche  sich  aus  dem  zweimaligen  Ankäufe  eines  Kameels  für  je  vier 
Centner  der  eingeführten  und  ausgeführten  Waaren  ergeben  - denn 
die  Thierc  sind  nach  Vollendung  der  Wüstenreise  fast  werthlos  , 
und  bedenkt,  dass  Anstrengungen,  Gefahren  und  Verluste  aller  Art 
unzertrennlich  von  diesen  Handelsreisen  sind,  so  begreift  sich,  dass 
der  Kaufmann  bei  der  Rückkehr  auf  die  Nordküste  trotz  der  200  und 
selbst  300  Procent,  welche  er  an  manchen  der  zurückgebrachten 
Waaren  verdient,  oft  kein  glänzendes  Geschäft  macht. 

In  neuerer  Zeit  hat  der  Handel  Bornus  mit  den  Ländern  nörd- 
lich von  der  Wüste  erheblich  abgenommen,  wie  wir  bei  der  Schilde- 
rung der  rückgängigen  Verhältnisse  Fezzän's  gesehen  haben.  Derselbe 
scheint  freilich  seit  lange  zu  gerechtfertigten  Klagen  der  nordischen 
Kaufleute  Veranlassung  genug  gegeben  zu  haben  schon  Dcnham 
schilderte  vor  einem  halben  Jahrhundert  die  Handelsvcrhältnisse  in 
Romü  als  sehr  wenig  glänzende  , doch  während  der  letzten  Jahr- 
zehnte sind  die  Reiseunternehmungen  dorthin  immer  weniger  lohnend 
geworden.  Wenn  schon  in  früheren  Zeiten  die  fremden  Kaufleute 
in  ihren  Geschäften  mit  den  Berauna  (Bewohner  von  Bornü)  viel 
von  dem  Leichtsinne  und  der  Unzuverlässigkeit  der  letzteren  zu  leiden 
gehabt  haben,  so  überschritten  diese  Untugenden  zur  Zeit  meiner 
Anwesenheit  wirklich  alle  Grenzen.  Gegen  sofortige  Bezahlung  fand 
man  fast  keinen  Käufer  mehr.  Ein  empfindlicher  Mangel  an  baarem 
Golde  erschwerte  die  Situation;  denn  der  Leichtsinn  der  Bornü-Leute 
und  ihr  Hang  zum  schönen  Gcschlechte  verwandelt  einen  erheblichen 
Theil  der  Maria-Theresia Thaler  in  Schmucksachen,  Kopfzierrathen, 
Arm-  und  Fussspangen.  Manche  kauften  Waaren  auf  Credit  zu 
enormen  Preisen,  um  sie  unmittelbar  nachher  zu  Spottpreisen,  doch 
gegen  Baarzahlung,  zu  verschleudern,  nur  um  sich  das  von  ihren 
Frauen  und  Concubinen  verlangte  Silber  zu  verschaffen.  Ausser  den 
erwähnten  vermögenden  und  ehrlichen  Männern  (Lamino,  Moallim 
Mohammed  und  Aba  Mustafa,  Bruder  des  Scheich),  gab  cs  Niemand 
aus  den  besseren  Klassen,  dem  man  nicht  mit  grösster  ßesorgniss 
verkaufte. 

Am  besten  lohnte  sich  noch  der  Verkauf  der  Schmucksachen, 
Essenzen  und  Stahlwaaren  an  die  kleinen  Trödler  — Farräschin 
arab.  — , welche  täglich  einen  kleinen  Waarenvorrath  entnahmen 


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704  HI.  RUCH,  8.  KAP.  HANDELS-  UND  MARKT- VERHÄLTNISSE  IN  KÜKA. 

und  diesen  am  Abende  aus  dem  von  der  Durria  heimgebrachten 
Erlös  bezahlten.  Im  Uebrigen  waren  Alle,  selbst  sehr  angesehene 
Männer,  von  einer  schamlosen  Unzuverlässigkeit.  Bei  Ankunft  einer 
Karawane  kauften  sie  mit  dem  grössten  Leichtsinn,  oder  auch  mit 
böswilliger  Berechnung  zu  den  übertriebenen  Preisen,  durch  die  es 
ihnen  gelungen  war,  die  Habsucht  der  Verkäufer,  besonders  der  Neu- 
linge unter  denselben,  zu  reizen,  setzten  aber  dann  allen  Ansprüchen 
auf  Bezahlung  den  hartnäckigsten  Widerstand  entgegen.  Die  Ein- 
treibung der  schuldigen  Summen  gehörte  zu  den  mühevollsten  und 
erfolglosesten  Bestrebungen  der  nordischen  Kaufleutc,  und  erforderte 
einen  ganz  anderen  Aufwand  von  Kraft  und  Geduld,  als  die  ganze 
beschwerliche  Wüstenreise. 

Es  giebt  in  der  That  kaum  ein  wirksames  Mittel,  die  Säumigen 
zur  Bezahlung  zu  zwingen.  Zunächst  schleppt  man  den  wortbrüchigen 
Käufer  vor  die  Scheria,  das  religiöse  Gericht.  Derselbe  erkennt  auch 
vor  dem  Mo’allim  Mohammed  oder  einem  andern  Qädi  zwanglos  die 
Schuld  an,  beschwört  jedoch  nach  dem  Opfer  eines  alten,  fast  unver- 
käuflichen und  zu  hohem  Preise  gerechneten  Sclaven  oder  einer 
unbrauchbaren  Kaddära,  dass  er  durchaus  Nichts  besitze,  was  nicht 
zur  Lebensnahrung  und  Nothdurft  unbedingt  erforderlich  sei,  und 
danach  ruht  die  Angelegenheit  für  lange  Zeit.  Dabei  handelt  es 
sich  zumeist  um  hochstehende  Leute,  die  man  zu  schonen  genöthigt 
ist,  um  nicht  alle  Hof-  und  Regierungsbeamten  gegen  sich  zu  haben, 
die  Gunst  des  Herrschers  zu  verscherzen  und  sich  alle  übrigen  Ge- 
schäfte zu  verschliesscn.  Mit  einem  erstaunlichen  Aufwande  von  List 
und  Ausdauer  wissen  die  vornehmen  Schuldner  den  verzweifelten 
Gläubiger  Jahre  lang  zu  narren.  Heute  machen  sie  ihm  ausgiebige 
Versprechungen,  morgen  lassen  sie  sich  vor  ihm  verläugnen  und  am 
dritten  Tage  zeigen  sie  ihm  zur  Wiedererweckung  seiner  Hoffnung 
die  Werthobjecte,  welche  sie  zu  verkaufen  gedenken,  um  ihn  zu  be- 
friedigen. An  den  darauf  folgenden  Tagen  verlassen  sie  vielleicht 
das  Haus  schon  mit  dem  ersten  Morgengrauen,  um  erst  mit  sinkender 
Nacht  heimzukehren,  und  gewinnen  so  eine  Erholungspause  in  den 
unerquicklichen  Erörterungen,  und  dann  heisst  es  zur  Abwechslung 
wieder,  dass  es  ihnen  noch  nicht  gelungen  sei,  jene  Werthobjecte 
zu  veräussern.  Ein  anderes  Mal  behaupten  sie  frech,  ein  Diener  sei 
mit  dem  Gelde  grade  nach  dem  Hause  des  Gläubigers  unterwegs, 
oder  geben  vor  den  Augen  und  Ohren  des  letzteren  den  Auftrag, 


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UNZUVERLÄSSIGKEIT  DER  BORNÜ-I.EUTE  IM  HANDELS- VERKEHR.  705 

diese  Sclavin  und  jenes  Pferd  um  jeden  Preis  zu  verkaufen,  oder 
bedauern  mit  schmerzlicher  Ergebung  in  den  Willen  des  Königs, 
dass  Sklna  (d.  h.  unser  Herr)  Alles,  was  sie  zur  Bezahlung  der  Schuld 
hatten  verwenden  wollen,  zu  Regicrungsbedürfnissen  eingezogen  habe. 
Sie  sind  gradezu  unerschöpflich  in  der  Erfindung  von  glaubwürdigen 
Ausflüchten  und  der  Entfaltung  von  trügerischen  Hoffnungen,  die  in 
der  allernächsten  Zukunft  Geld  oder  Geldeswerth  versprechen,  und 
wenn  nach  langer  Zeit  ihr  reiches  Repertoire  erschöpft  ist,  so  be- 
ginnen sie  den  wundervollen  Wechsel  von  Versprechungen,  Bitten 
und  Lügen  von  Neuem. 

Monate  und  selbst  Jahre  lang  ist  die  einzige  Beschäftigung  des 
nordischen  Kaufmannes  in  Küka,  mit  Sonnenaufgang  zu  Pferde  zu 
steigen,  die  Runde  bei  seinen  Schuldnern  zu  machen  und  erschöpft 
von  Hitze  und  Aerger  nach  Sonnenuntergang  heimzukehren.  Schliess- 
lich dankt  er  seinem  Schöpfer,  wenn  ihm  von  dem  erhofften,  fabel- 
haften Gewinne  von  400  Procent  auch  nur  der  zehnte  Theil  übrig 
bleibt,  und  in  sehr  vielen  Fällen  gelingt  ihm  auch  dies  nicht  ein- 
mal. Viele  müssen  zufrieden  sein,  wenn  sic  nur  ihr  Anlagekapital 
retten,  und  Manche  sterben  hin  über  den  Versuchen,  zu  ihrem  Rechte 
zu  gelangen.  Die  Verständigeren  beginnen  frühzeitig,  um  ihren 
Lebensunterhalt  zu  erwerben,  einen  kleinen  Handel  mit  den  ent- 
legeneren Provinzen  und  den  Nachbarländern  und  geben,  wenn  dieser 
gedeiht,  allmählich  die  Versuche  auf,  ihren  Schuldnern  Etwas  zu 
entreissen.  Viele  aber  leben,  nachdem  das  Ihrige  aufgezehrt  ist,  ver- 
kümmert und  verarmt  im  fremden  Lande,  mehr  durch  die  Hülfe- 
leistung  glücklicherer  Landsleute,  als  von  eigenem  Verdienst,  und 
müssen  zuweilen  an  die  Gnade  derjenigen  appelliren,  die  ihren  Ruin 
verschuldeten  und  sich  trotz  ihrer  schamlosen  Handlungsweise  selbst 
stets  des  gleichen  Ansehens  erfreuen.  So  sah  ich  in  den  wenigen 
Jahren  meiner  Anwesenheit  in  Bornü  meinen  Reisegefährten  Hadsch 
Abd  er-Rahmän,  den  Schwiegersohn  des  angesehenen  Ben  Alüa  in 
Murzuq,  in  der  Gefahr  gänzlich  zu  verkommen.  Mit  dem  Eigen- 
sinne eines  Berbers  — er  stammte  aus  Audschfla  — hielt  er  an 
seinen  Forderungen  fest,  sah  sich  nicht  nach  neuen  Hülfsquellen  um, 
nahm  keinen  Rath  an  und  hatte  die  traurige  Aussicht,  am  Bettel- 
stäbe zu  enden. 

Bisweilen  lässt  sich  ein  temperamentvoller  Kaufmann  verleiten, 
wenn  seine  Geduld  erschöpft  ist,  den  renitenten  Schuldner  beim 
N.ichtigal.  I,  4;> 


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706  III.  BUCH,  8.  KAP.  HANDELS-  UND  MARKT-VERHÄLTNISSF.  IN  KÜKA. 

Scheich  zu  verklagen,  fährt  aber  dabei  kaum  besser.  Zwar  empfängt 
er  von  dem  gerecht  denkenden  Herrscher  alsbald  einen  sogenannten 
Kingiam  oder  Königlichen  Boten,  der  den  Schuldner  zur  Bezahlung 
anzuhaltcn  hat  und  ihn  eventuell  durch  Exccution  zur  Erfüllung  seiner 
Verbindlichkeiten  zwingen  soll.  Doch  dieser  Gerichtsbote,  der  einen 
bestimmten  Bruchtheil  der  eingetriebenen  Schuld  zu  empfangen  hat, 
sucht  auf  anderem  Wege  mehr  Vortheil  aus  der  Angelegenheit  zu 
ziehen,  als  auf  dem  ihrer  einfachen  rechtlichen  Abwicklung  möglich 
ist.  Entweder  lässt  er  sich  von  vornherein  bestechen,  und  dann  be- 
ginnt eine  lange  Reihe  von  Ausflüchten,  Lügen,  Versprechungen  und 
Schwüren,  mannichfaltiger  und  sinnreicher  als  die  früheren,  oder  er 
bringt  den  verzweifelten  Gläubiger  dazu,  diejenigen  Werthstücke,  welche 
er  scheinbar  dem  Schuldner  entrissen  hat,  zu  fabelhaften  Preisen  an- 
zunehmen, oder  endlich,  er  bringt  einen  Vergleich  zu  Stande,  den 
der  erschöpfte  Kläger  endlich  eingeht,  der  aber  die  Schuld  oft  um 
mehr  als  die  Hälfte  verringert,  und  zieht  von  beiden  Seiten  den 
besten  Nutzen.  Welche  Lösung  auch  der  räuberische  Kingiam  be- 
schliessen  mag,  es  ist  räthlich,  sich  ihr  zu  unterwerfen,  und  nicht 
etwa  die  Sache  noch  einmal  vor  den  Herrscher  zu  bringen,  denn 
Scheich  'Omar  ist  zwar  ein  freundlicher  und  wohlwollender  Greis,  aber 
seit  einer  langen  Reihe  von  Jahren  gewöhnt,  nur  angenehme  Dinge 
von  seiner  Umgebung  zu  hören,  und  wünscht  nicht,  aus  seiner  Illusion, 
dass  Land  und  Leute  reich,  glücklich  und  zufrieden  seien,  gerissen 
zu  werden. 

Wird  ein  Fremder,  wie  es  häufig  vorkommt,  von  klimatischen 
Krankheiten  fortgerafft,  so  wird  an  eine  Bezahlung  seiner  ausstehenden 
Forderungen  selten  gedacht,  wohl  aber  an  eine  Sicherstellung  der 
Hinterlassenschaft,  scheinbar  für  seine  ferne  Familie,  in  Wahrheit 
aber  zum  Besten  von  Intriguanten.  Zur  Verwaltung  der  Masse  er- 
nennt der  Scheich  einen,  zwei  oder  drei  Commissarien,  welche  sich 
so  lange  damit  beschäftigen,  Ausstände  einzufordem,  Schulden  zu 
bezahlen  und  Besitzthum  des  Verstorbenen  in  Geld  zu  verwandeln, 
dass  schliesslich  Niemand  sich  mehr  ein  einigermassen  klares  Bild 
von  der  Sachlage  machen  kann.  Dann  stellt  sich  gewöhnlich  heraus, 
dass  Nichts  mehr  übrig  ist;  Alles  ist  „Haua  fi  haua”,  d.  h.  Luft  in 
Luft,  wie  die  Araber  sagen,  geworden.  Selten  gelangt,  wenn  ein 
Tripolitaner,  der  mit  ansehnlichem  Kapital  seine  Heimath  verlassen 
hat,  in  den  ungesunden  Niederungen  des  Tsade- Ufers  am  Fieber  ge- 


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MANGEL  AN  GESETZLICHER  ORDNUNG. 


707 


storben  ist,  auch  nur  ein  Pfennig  an  Frau  und  Kinder,  und  es  war 
dieser  Umstand,  welcher  dem  Titiwi,  der  gewöhnlich  einer  der  Ver- 
walter der  Erbschaftsmassen  nordischer  Kaufleute  war,  seinen  un- 
günstigen Ruf  in  der  Heinrath  verschafft  hatte. 

Schon  seit  lange  riethen  die  Behörden  in  Tripolis  und  Murzuq 
den  Kaufleuten  davon  ab,  ihr  Geld  nach  Bornü  zu  tragen,  und  suchten 
vielmehr  die  Verlegung  ihrer  Handelsinteressen  in  andere  Länder 
anzubahnen.  Die  Bornü-Karawancn  wurden  seltener,  und  die  Haussa- 
Lander  und  Wadäf  wurden  häufigere  Ziele  der  Tripolitaner;  doch 
Manche  trieb  alte  Gewohnheit,  der  natürliche  Reichthum  des  Landes 
und  Scheu  vor  den  fremdartigen  Verhältnissen  anderer  Gegenden 
immer  wieder  nach  Bornü.  Ilalim  Pascha  suchte  noch  Tags  vor 
meiner  Abreise  von  Murzuq  eine  längere  Unterredung  mit  mir  und 
bat  mich,  doch  den  Scheich  Omar,  der  auf  das  Verständniss  und 
die  Wahrhaftigkeit  der  Christen  grossen  Werth  lege,  von  diesen 
wahren  Gründen  der  Verminderung  des  Handels  zwischen  Tripolis 
und  Bornü  eingehend  zy  unterrichten.  Ich  entledigte  mich  bei  einer 
sich  darbietenden  günstigen  Gelegenheit  dieser  Verpflichtung,  aber 
der  gute  Scheich  schreckte  wieder  instinctiv  vor  diesem  Misston  in 
der  Harmonie  seiner  ganzen  Existenz  zurück ; seine  grenzenlose 
Schwäche  gewann  über  seine  Einsicht  und  seinen  rechtlichen  Sinn 
die  Oberhand  und  überlieferte  ihn  ganz  dem  Einflüsse  seiner  gewissen- 
losen Umgebung,  die,  keiner  hohen  Idee  zugänglich,  ohne  Patriotismus 
und  ohne  Sinn  für  Ehre  und  Recht,  nur  in  niedrigster  Weise  der 
Eitelkeit,  Habsucht  und  Lasterhaftigkeit  fröhnt. 


4f>* 


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Neuntes  Kapitel. 

HOF,  REGIERUNG  UND  KRIEGSMACHT  DES 
SCHEICH. 


Die  Rathsversammlung  oder  Nokena.  — Die  Rathsherren  "oder  Kokenäwa.  — Sohne  und 
Brüder  des  Scheich.  — Ihr  Verhältnis  zum  Herrscher.  — Der  Kronprinz  Aha 
Bu  Bekr.  — Die  Vertreter  der  Bevölkerungs- Gruppen  Bomu's  in  der  Nokena.  — 
Geringe  Bedeutung  der  Nokena.  — Hofamter  in  Bomfi  und  ihre  Umgestaltung  im 
I-aufe  der  Zeit.  — Kaigamma.  — Jerima.  — Tschiroma.  — Dscherma.  — Ghala- 
dima.  — Schittma  Belumma.  — Ilirima.  — Jurama.  — Digma.  — Dschegebäda. 

— Ardschinöma.  — Ffigoma.  — Zentama.  — Kazelma.  — Kagustema.  — Bagartma. 
— Mainla , Makinta  und  Sintelma.  — Fergima.  — Möltma.  — Die  Eunuchen 
(Juröma,  Mistrema  und  Mala).  — Einflussreiche  Frauen  am  Hofe  zu  Kuka  (Magtra  und 
Gumso).  — Die  Kriegshauptleute  oder  Kaschellawa  und  ihre  Bezirke.  — Ganzenreiter, 
flintenbewaffnete  Krieger  und  Bogenschützen.  — Die  Strcitkräfte  der  einzelnen  Haupt- 
leute und  Würdenträger.  — Verfall  der  Bomö- Macht  im  Innern  und  nach  Aussen. 

— Rebellische  Haltung  des  Vasallen  Fürsten  Tanemon  von  Zinder.  — Energielosig- 
keit des  Scheich. 


Während  der  ersten  Monate  meines  Aufenthaltes  zu  Küka  nahm 
ich  häufig  Veranlassung,  den  Scheich  in  der  Mitte  seiner  Höflinge 
zu  beobachten,  und  begab  mich  zu  diesem  Zwecke  zur  Zeit  der 
Rathsversammlung  — Nokena  — , welche  täglich  während  des  Vor- 
mittags abgehalten  wird,  in  den  Palast.  Dieselbe  setzt  sich  zusammen 
aus  Gliedern  der  königlichen  Familie,  d.  h.  den  Brüdern  und  Söhnen 
des  Scheich,  und  aus  den  Rathsherren  — Kökena,  pl.  Kokenäwa  — , 
welche  theils  freigeborene  Vertreter  der  verschiedenen  Bevölkerungs- 
Elemente,  theils  Kriegshauptleute  — Kaschelia,  pl.  Kaschellawa  — 
mit  Sclavenursprung  sind. 


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RATHSVERSAMMLUNG  DES  KÖNIGS  ODER  NÖKENA.  701) 

Alle  erscheinen  Morgens  im  Königspalast,  legen  am  Eingänge 
Schuhe,  Kopfbedeckung  und  Burnus  ab,  und  hocken  dann  überall 
in  den  Vorhallen  und  Höfen  an  den  Wänden  und  auf  dem  Boden 
herum,  schwatzend  und  scherzend,  klatschend  und  Ränke  schmiedend, 
bis  ein  musikalisches  Getöse  von  Trommeln,  Pfeifen,  Posaunen  und 
Hörnern  sie  electrisirt  und  in  den  Empfangs-  und  Sitzungssaal  treibt. 
Bei  diesem  Zeichen  verlässt  der  Herrscher  seine  Privatgemächer  und 
betritt  den  Ausbau  des  Empfangsaales,  welcher  bei  meiner  officiellen 
Audienz  beschrieben  worden  ist,  begleitet  von  einigen  seiner  Brüder 
und  Söhne  und  fettleibigen  Eunuchen,  welche  sämmtlich  kurz  ab- 
gebrochene Rufe  zu  seinem  Ruhme,  wie  z.  B.  „die  Weisheit!  der 
Löwe!  der  Siegreiche!",  ausstossen.  Während  er  sich  auf  dem  Divan 
niederlässt,  beeilt  sich  Jeder  der  Anwesenden  niederzuhocken  — es 
ist  dort  zu  Lande  ebenso  unziemlich,  vor  einem  hochstehenden  Manne 
aufrecht  zu  bleiben,  als  in  unseren  Ländern,  sich  ohne  Aufforderung 
eines  solchen  zu  setzen  — und  den  Staub  des  Bodens  auf  sein  Haupt 
zu  streuen  oder  wenigstens  die  Pantomime  dieser  Unterwürfigkeits- 
Bezeugung  zu  machen,  denn  bei  dem  sorgfältig  geglätteten  Boden 
würde  es  schwer  halten,  die  nöthige  Menge  Erde  zusammen  zu 
kratzen.  Ein  Strom  von  Begrüssungen  wie:  „Allah  ngubbßro  degä!” 
„Allah  kabundscho!'  oder  von  Seiten  der  arabischen  Herren  „Allah 
itül  ’omrek!",  welche  alle  etwa  dieselbe  Bedeutung  haben:  „Gott  ver- 
längere Dein  Dasein!",  entquillt  den  unterwürfigen  Höflingen,  die  mit 
untergeschlagenen  Beinen,  das  Gesicht  vornüber  zur  Erde  geneigt, 
daliegen.  Der  Scheich  murmelt  einige  „’Afija!  Afija!"  (Heil!  Frieden!) 
oder  „Marhabä!"  (Willkommen  1),  was  von  der  versammelten  Menge 
wieder  dankbar  durch  zahlreiche  „Usse!  Usse!"  (d.  h.  Dank!  Dank!) 
begrüsst  wird. 

Jeder  hat  seinen  bestimmten  Platz,  je  nach  seiner  Würde  näher 
oder  ferner  vom  Herrscher.  Neben  dem  Divan  desselben,  an  der- 
selben Wand,  doch  im  Innern  des  Hauptsaales,  lassen  sich  seine 
Söhne  und  Brüder  nieder.  Von  jenen  hatten  damals  Sitz  und  Stimme 
in  der  Nökena  folgende  fünf,  dem  Alter  nach  geordnet:  Aba  Bü 
Bekr,  Aba  Brähim,  Aba  Haschim  (gewöhnlich  mit  Kanüri- Endung 
Haschßmi  genannt),  Aba  Tajib,  Aba  Abdallah  Menuffi.  Ausser  ihnen 
waren  von  den  Söhnen  noch  erwachsen  Aba  Känembu,  der  Schwieger- 
sohn Ali  Malija's,  und  Aba  Mustapha,  welcher  sich  noch  im  Palaste 
des  Vaters,  wenn  auch  mit  selbstständigem  Haushalte,  aufhielt; 


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710  III.  BUCH,  g.  KA1\  HOF,  REGIERUNG  U.  KRIEGSMACHT  DES  SCHE'fCH. 

die  übrigen,  Aba  Musta  Mäkäri,  Aba  Äbdullatif,  Aba  Senüsi,  Aba 
Abd  el-Aziz  und  Aba  Ahmed,  lebten  als  Kinder  noch  in  der  Familie 
des  Vaters.  Von  den  Brüdern  des  Scheich  waren  noch  folgende  am 
Leben,  ebenfalls  dem  Alter  nach  geordnet:  Aba  Menuffi,  Aba  Bcschir, 
Aba  Rüfäi,  Aba  Mustafa,  Aba  Anas,  Aba  Chalil,  Aba  Hadschi  (oder 
zusammengezogen  Abädschi). 

Wie  in  allen  Sudan-Ländern  (und  noch  manchen  anderen),  so  ge- 
nossen auch  in  Bornü  die  Brüder  des  Herrschers  nur  eines  sehr  be- 
schränkten Ansehens,  sowohl  beim  Volke  als  bei  dem  königlichen 
Bruder.  So  wohlwollend  auch  der  Scheich  war,  so  hatte  er  doch  wohl 
durch  die  trüben  Erfahrungen  mit  seinem  im  Alter  auf  ihn  folgenden 
Bruder  Abd  er-Rahmän,  der  sich  während  Barth  s Reise  nach  Timbuktu, 
im  Anfänge  der  fünfziger  Jahre,  gegen  ihn  empört  und  die  Regierung 
an  sich  gerissen  hatte,  das  volle  Vertrauen  zu  seinen  Brüdern  verloren. 
In  diesem  Bruderkriege  hatte  der  Scheich  einen  der  wenigen  Be- 
weise von  Energie,  zu  denen  er  sich  in  seinem  Leben  aufgerafft 
hat,  geliefert,  sich,  allerdings  nach  längerem  Zögern,  zu  einem  kurzen, 
entscheidenden  Kampfe  entschlossen  und  den  besiegten  Empörer  im 
Interesse  der  öffentlichen  Wohlfahrt  hinrichten  lassen. 

Abd  er-Rahmän  war  ein,  wenn  auch  etwas  roher,  so  doch  nach 
dem  Urthcile  Aller  sehr  willenskräftiger  Mann  gewesen,  in  vieler 
Hinsicht  das  Gegentheil  von  seinem  gebildeten,  menschenfreundlichen, 
schwachen  Bruder,  und  schien  die  Eigenschaft  der  Energie  auf  seinen 
ältesten  Sohn  übertragen  zu  haben.  Da  es  für  mich  nach  Massgabe 
der  Verhältnisse  nicht  ziemlich  gewesen  sein  würde,  die  Bekannt- 
schaft mit  dem  letzteren  zu  suchen,  so  habe  ich  ihn  nie  gesehen;  er 
galt  jedoch  im  Volke  als  ein  sehr  verständiger  und  hoffnungsvoller 
junger  Mann,  auf  den  Manche  der  Missvergnügten  ihre  Augen  für 
die  fernere  Zukunft  richteten.  Die  halberwachsenen,  jüngeren  Söhne 
Abd  er-Rahmäns  hingegen  standen  bei  den  Leuten  der  Stadt  in 
bösem  Rufe  ihrer  rohen  und  gewaltthätigen  Streiche  wegen.  Sie  be- 
lästigten mich  anfangs  häufig  mit  ihrem  Besuche,  doch  sah  ich  mich 
später,  als  ich  entdeckte,  dass  sie  jeden  freundlichen  Empfang  mit 
der  äusserst  geschickten  Entfremdung  irgend  eines  Gegenstandes  be- 
lohnten, in  der  Nothwendigkeit,  ihnen  das  Haus  zu  verbieten. 

Genug,  die  meisten  Brüder  des  Scheich  spielten  eine  sehr  unter- 
geordnete Rolle  am  Hofe  und  in  der  Hauptstadt.  Nur  Aba  Rüfäi 
und  Aba  Mustafa,  vorzüglich  der  Letztere,  gewöhnlich  kurz  Aba  Musta 


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MITGLIEDER  DES  RATHES  ODER  KÖKENAWA.  711 

genannt,  erfreuten  sich  des  öffentlichen  Ansehens  und  der  Achtung 
des  Bruders.  Die  Uebrigen  erschienen  selten  oder  nie  in  der  Nokcna, 
bekümmerten  sich  durchaus  nicht  um  öffentliche  Angelegenheiten 
und  erreichten  in  ihrem  Wohlstände,  und  also  in  ihrem  Ansehen 
beim  Volke,  niemals  die  höheren  Beamten.  Ich  lernte  zwar  Einige 
derselben  kennen,  doch  meist  in  ärztlicher  Eigenschaft,  nur  mit  Aba 
Musta,  einem  klugen,  rechtlichen  und  wohlhabenden  Manne,  unter- 
hielt ich  freundschaftliche  Beziehungen. 

Von  den  Söhnen  kamen  in  Betracht  die  drei  ältesten,  Aba  Bü 
Bekr,  Aba  Brähim  und  Aba  Haschcmi,  welche,  reich  dotirt  mit  der 
Verwaltung  oder,  was  dasselbe  sagen  will,  Ausbeutung  von  Stämmen, 
Districten  und  Ortschaften,  wichtige  Persönlichkeiten  waren  und  vom 
Vater  häufig  mit  der  Führung  von  kriegerischen  Unternehmungen 
betraut  wurden.  Die  Uebrigen  hatten,  wenn  sich  auch  der  sechste, 
Aba  Känembu,  ebenfalls  der  Gunst  des  Vaters  zu  erfreuen  schien, 
keinerlei  Bedeutung  im  Lande  und  keinerlei  Einfluss  bei  jenem.  Der 
älteste,  Bü  Bekr,  so  wenig  er  auch  seinem  Vater  glich,  war  offen- 
bar der  Lieblingssohn  und  wurde  vielleicht  mehr  als  irgend  ein 
anderer  Würdenträger  (natürlich  mit  Ausnahme  Lamino's)  in  wich- 
tigen Angelegenheiten  zu  Rathe  gezogen.  Je  mehr  der  Scheich  in 
Jahren  vorrückte,  desto  mehr  richtete  sich  begreiflicher  Weise  die 
öffentliche  Aufmerksamkeit  auf  den  muthmasslichen  Thronfolger. 
Derselbe  war  früher  bei  den  höchsten  Staatsbeamten  nicht  beliebt 
gewesen,  doch  seit  Larnino  sich  für  ihn  erklärt  hatte,  schien  seine 
Stellung  sich  zu  befestigen  und  seine  Zukunft  sich  sicherer  zu  ge- 
stalten. Die  Gunst  seines  Vaters  und  besonders  seine  Feindschaft 
gegen  den  lange  Zeit  so  mächtigen  Digma  hatten  ihm  auch  Ahmed 
Ben  Brähim  als  Bundesgenossen  zugeführt,  und  als  jener  gemeinsame 
Feind  gestürzt  war,  hielt  sich  eigentlich  nur  der  Mo'allim  Mohammed 
noch  in  einer  gewissen  Reserve  dem  Kronprinzen  gegenüber.  Da- 
neben suchte  Aba  Bü  Bekr  die  Partei  der  alten  Berauna  (Bornü-Leute), 
die  von  früherem  Glanze  und  einstigerHerrlichkeit  des  Landes  träumten, 
für  sich  zu  gewinnen,  zeigte  bei  jeder  Gelegenheit  kriegerische  Gelüste 
und  kitzelte  durch  eine  hochfahrende  Sprache  gegen  die  Nachbar- 
fursten  die  chauvinistischen  Gelüste  der  eitlen  Bornü-Jugend. 

Ich  lernte  Manche  der  Prinzen  kennen,  besuchte  jedoch  regel- 
massig nur  den  Kronprinzen  und  Aba  Brähim,  dessen  niedliches 
Töchtcrchcn  ich  von  einer  chronischen  Augenkrankheit  befreit  hatte. 


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712  111.  BUCH,  9 KAP.  HOF,  REGIERUNG  U.  KRIEGSMACHT  DES  SCHETCH. 

Keiner  von  Allen  hatte  die  ausgezeichneten  Eigenschaften  des  väter- 
lichen Geistes  und  Herzens,  wohl  aber  zeigte  der  Erstgenannte  eine 
gewisse  Thatkraft,  welche  bei  der  bedauerlichen  Schwäche  des  Vaters 
ihm  einen  gewissen  Anhang  sicherte. 

Zur  Seite  und  vor  sich  hatte  der  Scheich  än  der  Nokena  die 
Reihe  der  eigentlichen  Kokenäwa,  das  heisst  derjenigen  Würden- 
träger, welche,  wie  die  Prinzen,  nicht  blos  Sitz,  sondern  auch  Stimme 
in  der  Nokena  hatten:  die  freigeborenen  — Kambe  — Vertreter  der 
Hauptbevölkerungselemente  Bornus,  der  Kanüri,  Känembu,  Tubu 
und  Araber. 

Die  Kanüri  waren  repräsentirt  durch  den  Schitima  Mohammedu 
Uled  Abräm  und  den  Juräma  Beddui;  die  Känembu  durch  Schitima 
Ali,  Schitima  Abba,  Maina  Mohammedu  und  Maina  Känem;  die  Tubu 
durch  Ali  Malija,  Aba  Kiäri  und  Aqid  Bekr  Tibesti;  endlich  die 
Araber  durch  Bü  Bekr  es-Südäni,  Sälih  Tirab,  Ahmed  Ben  Brähim, 
Scheich  el-’Abbäs  und  Bü  Aläq,  den  officiellen  Scheich  el-’Arb,  d.  h. 
Vertreter  der  nordischen  Araber.  Wie  wir  schon  gesehen  haben,  er- 
scheinen zwei  wichtige  Rathgeber  des  Scheich,  Lamino  und  der 
Staatssecretair  Mo'allim  Mohammed  nicht  in  der  Nokena;  doch  wäh- 
rend von  Beiden  der  Erstere  mächtiger  war,  als  die  ganze  Versamm- 
lung, so  konnte  der  Letztere  nur  in  sehr  vorsichtiger  Weise  seinen  Ein- 
fluss geltend  machen,  da  er,  wie  erwähnt,  eines  schrankenlosen  Ehr- 
geizes verdächtig  war,  und  ihn  seine  Feinde  sogar  beschuldigten,  im 
Einverständnisse  mit  Wadäi  flir  seine  Person  auf  die  Herrschaft  in 
Bornü  zu  speculircn. 

Es  muss  auffallend  erscheinen,  dass  der  herrschende  Stamm  der 
Kanüri  die  geringste  Anzahl  von  Kokenäwa  stellte.  Vielleicht  war 
derselbe  ursprünglich  überhaupt  nicht  besonders  vertreten,  da  man 
vom  Könige,  der  ihm  selbst  angehörte,  keine  Schädigung  seiner 
Interessen  fürchtete;  vielleicht  aber  wurde  seine  Vertretung  auch  nicht 
von  derjenigen  der  ihm  so  eng  verbundenen  Känembu  getrennt.  Dass 
in  diesem  Falle  unter  den  vereinigten  Kanüri -Känembu  die  letzteren 
neuerdings  vorwalten,  Hesse  sich  dann  leicht  aus  dem  Umstande  er- 
klären, dass  die  neue  Dynastie  ihnen  angehört. 

Was  die  den  Kokenäwa  anhaftenden  Titel  betrifft,  so  ist  der 
eines  Schitima*)  nicht  mehr  an  bestimmte  Aemter  gebunden,  sondern 


*)  Erklärung  des  Wortes  Schitima  s.  pag.  574. 


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MITGLIEDER  DES  KÄTHES  ODER  KÖKENAWA. 


713 


hat  eine  allgemeine  Bedeutung,  wie  etwa  das  türkische  „Eflendi”,  ge- 
wonnen und  wird  verdienten  Leuten  verliehen.  Der  Titel  Juräma 
stammt  aus  der  Zeit  der  alten  Bornü- Dynastie,  und  ist  jetzt  ohne 
alle  thatsächliche  Bedeutung  Maina  ferner  heisst  im  Allgemeinen 
I’rinz  oder  Edelmann,  und  das  einem  der  Tubu-Vertreter  anhaftende 
Aqid  kann  nur  ein  zufällig  entstandener  Beiname  sein,  da  in  den 
Tubu-lAndern  dieser  in  Wadäi  übliche  Titel  nicht  vorkommt. 

Mohammed  ct-Titiwi  wurde  gewissermassen  als  nicht  heimath- 
berechtigt  in  Bornü  angesehen  und  hatte  daher  nominell  nicht  Sitz 
und  Stimme  in  der  Nökena.  Gleichwohl  erschien  er  allmorgendlich 
in  derselben  und  übertraf  den  dort  berechtigten  Bü  Aläq,  dessen 
Thätigkeit  er  thatsächlich  fast  ganz  an  sich  gerissen  hatte,  an  Macht 
und  Einfluss  beträchtlich. 

Die  ganze  Nökena  ist  nur  der  Schatten  einer  früheren  aristo- 
kratischen Reichsverfassung  und  hat  gegenwärtig  keinerlei  thatsächliche 
Bedeutung  mehr.  Die  Institution  stammt  noch  aus  der  Zeit,  in  welcher 
die  herrschenden  Familien  sich  ihres  nordischen  Ursprungs  bewusst 
waren,  und  die  Könige  neben  sich  die  mächtigsten  Edelleute  als  be- 
rechtigte Rathgeber  duldeten,  wie  die  Sitten  der  Wüstenbewohner, 
seien  diese  Araber,  Berber  oder  Tubu,  es  mit  sich  bringen.  Jetzt  galt 
nur  der  Wille  des  Herrschers  und  der  Einfluss  der  Günstlinge. 
Freilich  hatten  die  freien  Kökenäwa  das  Bewusstsein  ihrer  freien  Her- 
kunft den  Sclaven  des  Scheich  gegenüber,  doch  dieser  trug  der  edlen 
Geburt  keine  Rechnung,  und  der  Freie  beugte  sich  vor  dem  Sclaven, 
wenn  derselbe  höher  in  der  Gunst  des  Herren  stand.  Von  den 
freien  Rathsherren  wurden  persönlich  vom  Scheich  geschätzt  und  um 
ihrer  selbst  oder  ihrer  Väter  willen  geliebt:  Schitima  Mohammedu 
Uled  Abräm,  Schitima  Ali,  Bü  Bekr  es-Südäni,  Sälih  Tirab  und 
Ahmed  Ben  Brähim.  Die  Ersteren  waren  alte,  würdige  Leute,  eng 
mit  den  Traditionen  des  Landes  und  der  angesehensten  Familien 
verwachsen.  Bü  Bekr  es-Südäni,  der  noch  während  meiner  Anwesen- 
heit in  Küka  starb,  hatte  Anspruch  auf  die  Achtung  des  Herrschers 
als  der  Sohn  eines  der  rüstigen  Waffengefahrten  des  „grossen 
Scheich",  mit  denen  dieser  die  Umgestaltung  der  verrotteten  Ver- 
hältnisse des  Landes  unternommen  hatte.  Sälih  Tirab  ferner  war 
der  Sohn  des  vielgenannten  königlichen  Freundes  und  Rathgebers 
Hädsch  Beschir,  und  Ahmed  Ben  Brähim  endlich  befand  sich,  wie 
wir  gesehen  haben,  einerseits  ebenfalls  in  der  Lage,  auf  die  Ver- 


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714  II!.  HUCH,  g.  KAP.  HOF,  REGIERUNG  U.  KRIEGSMACHT  DES  SCHEICH. 

dienste  seines  Vaters  pochen  zu  dürfen,  und  hatte  andererseits  ver- 
standen, sich  theils  durch  die  Gumso,  theils  durch  eigene  Ränke  in 
der  Gunst  seines  Herrn  festzusetzen. 

Wenn  schon  diese  Landesvertrctung,  welche  die  junge  Dynastie 
des  „Käncmi"  aus  der  früheren  Zeit  mit  in  die  neue  Acra  hinüber  ge- 
nommen hatte,  sich  nur  noch  des  Grades  von  Macht  erfreute,  den 
der  persönliche  Einfluss  der  Einzelnen  beim  Fürsten  mit  sich  brachte, 
so  galt  dies  noch  bei  weitem  mehr  von  den  Inhabern  der  Hofamter, 
an  die  vor  Zeiten  sich  legitime  Berechtigungen  knüpften.  Es  hatte 
den  neuen  Herrschern  offenbar  am  Herzen  gelegen,  die  alte  Ordnung 
der  Dinge,  welche  allzusehr  an  die  frühere  Dynastie,  die  länger  als 
ein  halbes  Jahrtausend  Bornü  regiert  hatte,  erinnerte,  durch  eine  neue 
zu  ersetzen,  und  zwar  allmählich,  da  dieselbe  allzu  fest  eingewurzelt 
war,  um  plötzlich  umgestürzt  werden  zu  können,  und  so  blieben  zwar 
die  meisten  Hof-  und  Verwaltungs-Aemter  bestehen,  doch  ihre  Rang- 
ordnung und  Bedeutung  erlitten  oft  erhebliche  Veränderungen.  In  alten 
Zeiten  war  z.  B.  der  Digma  weit  entfernt  von  der  Machtfülle  ge- 
wesen, mit  der  zur  Zeit  der  deutschen  Reisenden  Barth  und  Rohlfs 
der  Felläta-Sclav  Ibrahim  bekleidet  war.  Ich  wiederum  sah  diesen 
selben  Digma  gänzlich  seiner  Macht  entkleidet,  mitten  unter  Sclaven, 
die  früher  den  Sand  der  Strasse  vor  ihm  auf  ihr  Haupt  gestreut 
hatten,  aussen  an  der  Thüre  des  grossen  Empfangssaales  sitzen,  in 
dessen  Innerem  er  früher  einen  der  ersten  Plätze  innc  gehabt  hatte. 
Noch  immer  hiess  er  Digma,  noch  immer  hatte  er  einige  ursprüng- 
lich charakteristische  Functionen  des  Amtes  inne,  doch  seine  Macht 
war  dahin.  Dass  er  die  hervorragende  Bedeutung,  in  der  ihn 
Gerhard  Rohlfs  einst  sah,  und  welche  dieser  dem  Amte  zuschrieb, 
nur  seinen  persönlichen  Eigenschaften  verdankte,  dürfte  noch  daraus 
erhellen,  dass  sein  Nachfolger,  der  Hadsch  Bezzem,  obgleich  sehr 
wohlgelitten  beim  Scheich,  keineswegs  zu  derselben  Machtstellung 
gelangt  war. 

Man  muss  bedenken,  dass  die  meisten  Hofchargen,  welche  bei 
der  automatischen  Macht  des  Fürsten  ausschliesslich  der  persönlichen 
Bedienung  desselben  entsprangen  (wie  in  civilisirten  Staaten  die 
Aemter  eines  Oberhofmundschenkes,  Oberstkämmerers  und  Anderer 
einen  ähnlichen  Ursprung  haben),  fast  immer  in  den  Händen  von 
Sclaven  waren,  zu  denen  die  Herrscher  stets  ein  ungleich  grösseres 
Vertrauen  hatten,  als  zu  ihren  eigenen  Verwandten  und  freien 


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REICHS-  UNI)  HOF-BEAMTE. 


715 


Stammesgenossen,  und  auf  deren  Ergebenheit  allerdings  mehr  zu 
rechnen  war.  Aus  diesen  Gründen  wurde  auch  von  Alters  her  die 
Vcrtheidigung  des  Landes  vorzugsweise  Sclaven  anvertraut,  so  dass 
wir  die  kriegerischen  Posten  hauptsächlich  in  deren  Händen  sehen. 

Andererseits  hatten  die  Bornü-Fürsten  gewöhnlich  eine  sehr  zahl- 
reiche Verwandtschaft  von  Brüdern,  Söhnen  und  Kindern  der  Sohne  und 
Töchter,  fiir  welche  gesorgt  werden  musste.  Von  diesen  wurden  die 
ersteren  naturgemäss  mit  einem  gewissen  Argwohn  betrachtet  und 
am  schlechtesten  bedacht.  Auch  unter  den  Söhnen  befanden  sich 
gewöhnlich  einige,  deren  Macht  in  gewisse  Schranken  zu  bannen  die 
Vorsicht  gebot,  und  das  gleiche  Verhalten  wurde  nicht  selten  gegen 
die  Abkömmlinge  der  Königssöhne  Maidögu  — beobachtet,  welche, 
da  die  Erbfolge  in  der  männlichen  Abstammungslinie  statthatte,  even- 
tuell herrschaftsberechtigt  waren  und  also  eines  gefährlichen  Ehrgeizes 
verdächtig  werden  konnten.  Dem  entsprechend  finden  wir  die  wichtig- 
sten Hofamter  in  Bornü  in  den  Händen  der  Sclaven  und  die  Posten 
fern  vom  Regierungssitze  in  denjenigen  der  Prinzen,  und  zwar  vor- 
waltend  der  Söhne  von  Prinzessinnen  — Täta  mairambe  — , welche 
kaum  jemals  gefährlich  werden  konnten.  Da  Verwaltungsämter  nur 
als  Dotirungen  anzusehen  waren  — denn  die  Inhaber  derselben  be- 
kamen nicht  etwa  Gehälter,  sondern  waren  auf  die  Erträge  der  Ver- 
waltung ihrer  Stämme,  Districte  oder  Städte  angewiesen  — , so  konnte 
es  nicht  ausbleiben,  dass  die  an  der  Quelle  aller  Gunstbezeugungen 
befindlichen  Sclaven,  die  ebensowenig  Gehaltseinkommen  hatten, 
auch  in  dieser  Beziehung  häufig  am  besten  bedacht  wurden. 

Um  die  Beamtenhierarchie,  welche  mit  der  Verwaltung  des 
ganzen  Landes  auf  das  Innigste  zusammenhängt,  verstehen  zu  können, 
müssen  wir  die  Reihenfolge  der  Würden  und  Acmter  durchgehen, 
welche  seit  alten  Zeiten  in  Bornü  gebräuchlich  waren,  und  welche, 
wenn  auch  die  gegenwärtige  Dynastie  dieselben  mannichfach  zu  ver- 
ändern bestrebt  gewesen  ist,  fast  alle  bis  auf  den  heutigen  Tag  be- 
stehen. 

Der  mächtigste  Beamte  des  alten  Bornü -Reiches  war  der  Kai- 
gamma  oder  Kegamma,  der  höchste  Kriegsanführer  des  Landes, 
welcher  stets  Sclavenursprungs  war.  Da  die  kriegerischen  Bestre- 
bungen naturgemäss  nach  Süden  gegen  die  Heidenländer  gerichtet 
waren  — nach  Norden  grenzt  das  Land  an  die  SahSrä  — , so  lag 
seine  Hauptthätigkeit  dort,  und  wir  finden  in  früherer  Zeit  die  seiner 


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716  III.  BUCH,  9-  KAP.  HOF,  REGIERUNG  U.  KRIEGSMACHT  DES  SCHEl'CH. 

Verwaltung  unterstellten  Districte  in  den  Landschaften,  welche  sich 
auf  der  Südgrenze  in  fortlaufender  Linie  von  der  Grenze  des  Soköto- 
Reiches  bis  nach  Logon  erstrecken  und  die  Districte  Daia  mit  der 
Hauptstadt  Gudschöba  und  zahlreichen  benachbarten  Ortschaften, 
Mabani  und  Bulgoa  umfassen.  Jetzt  ist  der  Titel  des  Kaigamma 
mehr  und  mehr  in  Vergessenheit  gerathen,  und  nur  die  mit  der  Ver- 
gangenheit vertrauten  Berauna  bedienen  sich  desselben,  indem  sie 
ihn  auf  den  Kaschelia  Bilal  anwenden.  Die  Stellung  dieses  Würden- 
trägers entsprach  zwar  zur  Zeit  meiner  Anwesenheit  in  Bornü  am 
meisten  derjenigen  des  früheren  Kaigamma,  doch  seine  Verwaltungs- 
districte  lagen  im  Osten  und  Südosten  des  Landes. 

Auf  den  Kaigamma  folgte  in  der  Macht  der  Jerima,  der  als 
Freigeborener  — Horr  arab.  und  Kämbe  kan.  — und  Sohn  einer  Prin- 
zessin — Tata  mairambe  — jenen  vielleicht  an  Ansehen  bei  den 
Kanüri  überragte.  Dem  Jerima  war,  so  lange  Bornü  eine  gewisse 
Oberherrschaft  über  die  Nachbarländer  ausübte,  der  ganze  Nord- 
westen und  fernste  Westen,  Munio,  Zinder,  Ahir,  Mariädi,  Göber, 
Soköto,  Nife,  Zegzeg,  Katsöna,  Zäria,  Kanö,  Bautschi,  Koröröfa  unter- 
stellt, während  er  speciell  Chef  der  Baniwa,  einer  Fraction  der  Mä- 
gömi,  d.  i.  der  die  Königsgeschlechtcr  umfassenden  Abtheilung  der 
Kanüri,  war.  Seine  hauptsächlichste  Pflicht  war,  ein  wachsames  Auge 
auf  die  südöstlichen  Tuärik  zu  haben  und  das  Land  gegen  ihre  Ein- 
fälle zu  schützen.  Der  Jerima  ist  fast  gänzlich  verschollen;  noch 
existirt  Jemand  mit  diesem  Titel,  doch,  weit  entfernt  von  der  soeben 
entwickelten  Machtfülle  seiner  Vorgänger,  ist  er  einer  der  unbe- 
deutendsten Beamten,  von  dessen  Existenz  Viele  keine  Ahnung 
haben.  Der  äusserste  Nordwesten  pflegt  gegenwärtig  der  Verwal- 
tung des  Digma  anvertraut  zu  werden. 

Als  der  Dritte  in  der  alten  Bornü -Hierarchie  dürfte  der  Thron- 
folger, Sohn  oder  Bruder  des  Königs,  welcher  den  jetzt  selten  ge- 
brauchten Titel  Tschiröma  führte,  zu  betrachten  sein.  Natur- 
gemäss schwankte  die  Bedeutung  desselben,  je  nach  dem  Grade  der 
Zuneigung,  deren  er  sich  bei  seinem  herrschenden  Vater  oder  Bruder 
erfreute,  und  je  nach  der  Frist,  die  voraussichtlich  noch  bis  zu  seinem 
Regierungsantritte  verstreichen  konnte,  so  dass  er  sich  schwer  in  die 
Rangordnung  einreihen  lässt.  Der  Tschiröma  befehligte  früher  die 
Stämme  der  Dschatko  und  Mobber  auf  dem  Nordufer  des  Komo- 
dugu  Joöbe,  einige  Tage  nordwestlich  von  Küka,  und  hatte  im  Süd- 


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REICHS-  UND  HOF-BEAMTE. 


717 


osten  des  Reiches  die  alten  Söü-  (oder  So  ) Bezirke  Ngäla,  Ndiflfu, 
Kala  Kebira,  Sangaia,  I^ögömanc,  Käza  und  den  Sclioa-  Stamm  der 
Beni  Scheqq  zu  verwalten. 

Der  jetzige  Tschiröma  Aba  Bü  Bckr  überragt  die  früheren  an  Be- 
deutung und  hat  gänzlich  veränderte  Quellen  seiner  Macht  in  der  Ver- 
waltung einiger  Kojäm-Bezirke  auf  dem  Südufer  des  Jod-Flusses  und 
einiger  Mobber-  und  Kanüri -Bezirke,  aus  denen  ihm  die  nöthigen 
Einkünfte  zufliessen.  Im  ferneren  Westen  hat  er  ferner  die  Oberauf- 
sicht über  die  Provinz  Gummel  und  über  die  heidnischen  Grenzland- 
schaften der  Bedde  und  Kerrikerri,  welche  seine  kriegerische  Bedeu- 
tung hervorheben. 

Ein  wichtiger  und  hochstehender  Beamter  war  früher  derjenige 
Sclave  des  Königs,  der  den  Titel  Dschcrma  führt.  Derselbe  hatte 
den  Marstall  unter  seiner  Aufsicht  und  hielt  sich  stets  in  der  un- 
mittelbaren Nähe  des  Herrschers,  da  er  mit  der  Ueberwachung  der 
persönlichen  Sicherheit  desselben  betraut  war.  Er  war  Oberhaupt 
des  Kanüri- Stammes  der  Türa  und  hatte  seine  Verwaltungsbezirke 
am  Komodiigu  Joobe  in  der  Nähe  der  einstigen  Hauptstadt  und  Re- 
sidenz (generell  ,,Birni”)  Qasr  Eggomo.  Die  Würde  des  Dschcrma 
existirt  noch  heute,  doch  nur  mit  einem  Schein  früherer  Bedeutung 
bekleidet. 

Der  in  allen  Staaten  West-Südäns  wiederkehrende  Würdenträger 
Ghalad  ima  hatte  und  hat  in  Bornü  in  der  Beamten-Hierarchie  eine 
Ausnahmestellung.  Er  war  schon  frühzeitig  mehr  ein  Vasallenfürst, 
als  ein  Beamter  urtd  befehligte  im  Westen  des  eigentlichen  Bornü, 
südöstlich  von  Zinder,  im  Gebiet  von  Bundi,  in  Katagum  und  in  der 
Landschaft  Bedde  und  residirte,  wie  heutigen  Tags,  zu  Nguru  in 
Bundi.  Er  erscheint  nicht  häufig  am  Hofe  des  Lehnsherrn,  muss 
jedoch  von  Zeit  zu  Zeit  seine  Aufwartung  machen  und  verweilt  dann 
einige  Monate  in  der  Hauptstadt.  Würde  und  Stellung  des  Ghala 
dima  scheinen  qualitativ  im  Laufe  der  Zeiten  unverändert  geblieben 
und  nur  im  Verhältnis  zur  Machtverringerung  Bornus  im  Territorial- 
besitz  etwas  eingeschränkt  zu  sein. 

Der  nächst  zu  nennende  Beamte  mit  dem  Titel  eines  Schitima 
Belumma  war  der  General-Steuer-Einnehmer,  Gouverneur  des  Marghi- 
Gebietes  mit  dem  Centrum  Mullggi.  Er  war  stets  ein  freigeborener 
Mann  und  eine  höchst  wichtige  und  angesehene  Persönlichkeit.  Nicht 


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718  ni.  BUCH,  9-  KAP.  HOF,  REGIERUNG  U.  KRIEGSMACHT  DES  SCHEICH. 

einmal  der  Schatten  dieser  Würde  ist  unter  der  jetzigen  Dynastie 
beibehalten  worden. 

Fast  ebenso  verhalten  sich  der  Hirima  oder  Irima,  der  wohl 
zu  unterscheiden  ist  von  dem  Jerima,  und  dem  die  Sugurti  mit  ihren 
Ortschaften  längs  des  Westufers  des  Tsade,  die  Tomäghera  und 
Bruchtheile  der  Ngumma  und  Dibbiri  damals  gehorchten,  und 

der  Jurama  oder  Uräma,  welcher  den  Bezirk  Baqära  auf  dem 
Nordufer  des  Flusses  von  Joö,  Dütschi  gegenüber  gelegen  und  von 
Mobber  bewohnt,  verwaltete,  und  wie  der  Hirima,  gewöhnlich  den 
Kaigamma  auf  seinen  Kriegszügen  begleitete.  Aemter  und  Würden 
Beider  sind  bis  auf  den,  einem  Mitgliede  des  grossen  Rathes  anhaf- 
tenden, ganz  bedeutungslosen  Titel  Juräma  gänzlich  aus  der  Beamten- 
hierarchie Bornus  verschwunden. 

Die  Pflichten  des  früheren  Digma  oder  Dugma  bestanden 
darin,  dass  er  die  Correspondenz  des  Herrschers  besorgte,  indem 
alle  von  demselben  ausgehenden  oder  an  ihn  einlaufenden  Briefe 
durch  seine  Hand  gingen,  dass  er  den  Verkehr  der  Fremden  mit 
seinem  Herrn  vermittelte,  für  die  Verpflegung  der  königlichen  Gäste 
Sorge  trug  und  endlich  die  zum  grossen  Opferfeste  aus  dem  ganzen 
Lande  eingelieferten  Schafböcke  in  Empfang  nahm  und  an  die 
prinzlichen  Familien,  die  Hofbeamten  und  die  Fremden  vertheilte. 
Unter  der  Känem- Dynastie  hat  sich  diese  Würde  nicht  allein  mit 
derselben  Amtsthätigkeit  verbunden  erhalten,  sondern  ist  sogar  zeit- 
weise, wie  wir  an  dem  Digma  Ibrahim  gesehen  haben,  durch  die 
Günstlingsstellung  ihrer  Inhaber  zu  einer  Bedeutung  erhoben  worden, 
welche  ihr  ursprünglich  nicht  beiwohnte.  Wie  der  Letztgenannte 
noch  die  Opferböcke  zu  vertheilcn  hatte,  aber  keiner  thatsäch- 
lichen  Bedeutung  genoss,  so  vermittelte  zwar  der  Hadsch  Bezzem 
den  schriftlichen  und  mündlichen  Verkehr  der  Aussenwelt  mit  dem 
Scheich,  hatte  aber  bei  Weitem  nicht  die  ausgedehnten  Districte 
unter  seiner  Oberaufsicht,  welche  einst  seinem  Vorgänger  gehorcht 
hatten.  Der  Verwaltungsbezirk  des  Digma  der  früheren  Zeit  lag 
rings  um  die  damalige  Residenz  (Qasr  Eggomo),  während  dem 
jetzigen  die  Landschaft  Demägherim  mit  Zinder  und  den  benach- 
barten Gebieten  und  der  Befehl  über  den  Stamm  Kerde  übertragen 
- zu  werden  pflegt.  Diese  sind  auch  dem  Pulo  Ibrahim  noch  ver- 
blieben, während  Hadsch  Bezzem  hauptsächlich  auf  den  Bezirk 
Ngullemi , südlich  vom  Joo-Flusse  und  nicht  fern  von  der  früheren 


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REICHS-  UND  HOF-BEAMTE. 


719 


Hauptstadt  des  Landes,  und  das  in  alten  Zeiten  dem  Tschiröma  ge- 
hörige Gebiet  Teil,  nördlich  vom  Komodügu,  angewiesen  ist.  All- 
mählich dürften  allerdings  auch  die  übrigen  Attribute  des  nominellen 
Digma  auf  ihn  übergehen. 

Der  Digma  war  von  Alters  her  Sclav,  wie  auch  der  ihm  in 
Amtstätigkeit  und  Würde  nahe  stehende  Dschegebäda  oder 
ZlgJbäda,  der  als  königlicher  Bote  oder  Commissarius  innerhalb 
der  Hauptstadt  verwendet  wurde.  Diese  Würde  besteht  noch  in 
früherer  Bedeutung,  und  ihr  Träger  hat  im  Westen  des  Reiches,  südlich 
vom  Gebiete  des  Digma  seinen  grossen  Verwaltungsdistrict,  die  Land- 
schaft der  Manga,  Borsäri,  Donäri  etc.  umfassend,  während  er  im  Osten 
noch  aus  den  Ortschaften  Wulegi,  Soerum,  Dgbiia  und  einigen  anderen 
Einkommen  bezieht  und  die  Oberaufsicht  über  die  Kojäm  hat. 

Der  folgende  Würdenträger  Ardschinöma,  der  Sitte  ent- 
sprechend Tata  mairambe,  scheint  eine  vorwaltend  kriegerische 
Stellung  im  Gefolge  des  Kaigamma  inne  gehabt  zu  haben.  Sein 
Bistrict  lag  südlich  von  Küka,  nicht  fern  vom  Tsäde,  und  umfasste 
Jcdi,  Missene,  Kulli,  Minter,  Sabbela  und  einige  kleinere  Ortschaften. 
Die  Würde  besteht  noch  jetzt,  aber  ohne  überwiegend  kriegerische 
Bedeutung,  und  ohne  dass  ein  besonderes  Ansehen  mit  ihr  verknüpft 
wäre;  ihr  Inhaber  trägt  jetzt  die  Fahne  vor  dem  Scheich  bei  seinen 
Auszügen  her. 

Auch  Persönlichkeit  und  Amt  des  Fügoma  haben  sich  nicht 
unwesentlich  geändert.  Früher  war  dieser  Würdenträger  zwar  auch 
Sclav;  doch  wenn  derselbe  früher  Gouverneur  der  Hauptstadt  ge- 
wesen war,  wo  er  auch  während  der  Abwesenheit  des  Herrschers 
zurückblieb  und  dann  sogar  Recht  über  Leben  und  Tod  sprach,  so 
ist  ihm  jetzt  nur  noch  die  zweite  Stadt  des  Landes  an  Grösse,  Ngornu, 
unterstellt.  Dort  residirt  er  fast  beständig,  und  dorther  bezieht  er  seine 
Einkünfte  fast  ausschliesslich,  wie  seine  Vorgänger  früherer  Zeiten 
aus  dem  Birni.  Stets  ist  sein  Verwaltungsgebiet  ausserhalb  der  ihm 
anvertrauten  Stadt  ein  sehr  beschränktes  gewesen. 

Der  Zentama,  der  dem  Fügoma  im  Range  folgte,  war  wieder 
Sohn  einer  Prinzessin  und  seine  öffentliche  Thätigkeit  eine  kriegerische 
unter  dem  Befehle  des  Kaigamma.  Seine  Verwaltungsbezirke  Bamma, 
Kudingeri,  NgabSla  lagen  einige  Tagereisen  südwestlich  von  Küka. 
Obwohl  eine  genauere  Nachfrage  die  Existenz  auch  dieses  Titels 
noch  jetzt  beweist,  so  hört  man  ihn  doch  kaum  jemals  nennen,  und 


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720  HI.  BUCH,  9.  KAP.  HOF,  REGIERUNG  U.  KRIEGSMACHT  DES  SCHEICH. 

jedenfalls  hat  sein  Inhaber  nicht  den  geringsten  Einfluss,  weder  am 
Hofe  noch  im  Lande. 

Der  Kazelma  oder  Kadzelma  oder  Kadschelma,  dessen  Be- 
kanntschaft wir  bei  unserem  Betreten  des  Bornü-Gebietes  machten,  war 
ursprünglich  ein  Freigeborener  und  zwar  ein  Prinzensohn  — Maidögu  — . 
Derselbe  hielt  sich  früher  meist  im  Birni  auf  und  ging  alljährlich 
nach  der  Regenzeit  auf  etwa  vier  Monate  in  seinen  Bezirk  Kazel  (auch 
Kadzel  oder  Kadschel  genannt),  den  er  gegen  die  räuberischen  Einfalle 
der  Tuärik  zu  bewachen  hatte.  Die  Hauptortschaften  seiner  jetzigen 
Verwaltung,  Ngigmi  und  Barüa,  gehörten  ihm  damals  nicht,  doch  die 
ganze  Reihe  der  zahlreichen  auf  dem  Nordufer  des  Komodügu,  von 
der  Mündung  bis  J06  gelegenen  Ortschaften  Bosso,  Billaganna,  Jäwa, 
Alädem,  Itügüa,  Wau  u.  s.  w.  lieferten  ihm  seine  Subsistenzmittel. 
Das  Amt  stand  früher  in  höherem  Ansehen,  überragte  sogar  vielleicht 
das  des  Fügoma,  war  aber,  wie  wir  gesehen  haben,  zur  Zeit  meines 
Besuches  in  den  Händen  eines  Sclaven,  der  vom  Amte  eines  Fügoma 
gewissermassen  nach  Kazel  verbannt  worden  war. 

Der  Kagustema,  Tata  mairambe,  stand  einst  an  der  Spitze 
des  Stammes  der  Kubüri,  welcher  jetzt  dem  Kaschelia  Abdullähi 
MarghTmi  unterstellt  ist,  befehligte  in  Ngornu  und  verwaltete  den 
Bezirk  von  Kiskäwa  längs  des  Tsade- Randes  bis  zum  eigentlichen 
Känem,  dessen  Hauptortschaften  Mao,  Mondo,  Jagubberi,  Ndschimi 
den  Dälätöa  und  Tündscher  anvertraut  waren.  Sein  Amt  war  früher, 
als  Känem  noch  eine  Bornü- Provinz  und  der  Schauplatz  häufiger 
Kriege  war,  ein  wichtiges  und  hat  auch  heutigen  Tages  noch  ein 
gewisses  Ansehen  bewahrt. 

Fast  verschwunden  ist  der  Titel  des  Bagarima,  der  von  seinem 
Verwaltungsdistricte  Bagari,  sechs  Tagereisen  westsüdwestlich  von 
Küka,  auf  der  Ostgrenze  der  Landschaft  der  heidnischen  Ngizzem 
gelegen,  das  Territorium  der  letzteren  zu  beaufsichtigen  hatte. 

Ebensowenig  scheint  von  dem  im  Range  dem  Bagarima  nahe- 
stehenden Med  ela  der  früheren  Zeiten  übrig  geblieben  zu  sein. 
Dieser  hatte  das  interessante  Amt,  einmal  im  Jahre  eine  Rundreise 
durch  das  ganze  Reich  zu  unternehmen  und  über  die  Verwaltung, 
den  Ackerbau,  die  Industrie,  den  Wohlstand  und  den  Grad  der  Ge- 
setzlichkeit der  Einwohner  Bericht  zu  erstatten.  Er  war  ein  frei- 
geborener  Mann  und  wurde  vom  Herrscher  für  die  Dauer  der  Reise 
mit  den  ausgedehntesten  Vollmachten  ausgerüstet. 


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REICHS-  UND  HOF-BEAMTE. 


721 


Die  in  der  Rangordnung  folgenden  drei  Beamten  haben  in  Mitten 
der  mannichfachen  Umwälzungen  der  Beamten-Hierarchie  ihre  alten 
Würden  behauptet.  Dieselben  sind  Sclaven  und  fuhren  die  Titel: 

Mainta,  welcher  der  Verwalter  der  königlichen  Vorräthc  an 
landesüblichem  Getreide  (Duchn  und  Durra)  ist; 

Makinta,  der  die  Vorräthe  des  Königs  an  Holz  und  Kohlen, 
an  getrockneten  Fischen  und  Gemüsen  in  Verwahrung  hat  und  für 
Grünzeug,  Zwiebeln,  Melonen,  Tomaten  in  der  Küche  des  Palastes 
sorgt;  und 

Sintelma,  welcher  Butter,  Honig,  Reis  und  Weizen  des  könig- 
lichen Haushaltes  unter  seiner  Aufsicht  hat,  und  dem  die  Sorge 
für  frisches  und  gedörrtes  Fleisch  obliegt. 

Alle  waren  und  sind  mit  verschiedenen,  zwischen  Küka  und  der 
alten  Hauptstadt  des  Reiches  dem  Komodügu  joöbe  mehr  oder 
weniger  nahegelegenen  Ortschaften  belehnt,  aus  denen  sic  ihre 
Einkünfte  beziehen. 

Ungefahr  in  dem  Range  dieser  wird  noch  ein  freigeborener 
Beamter  früherer  Zeiten  aufgeführt,  der  Fcrgima,  welcher  die  Ober- 
aufsicht über  Dirki,  d.  h.  Kawär,  hatte,  wo  der  unreine  Kanüri- Stamm 
der  Türa  zum  Theile  angesiedelt  war,  und  der  dem  Kaigamma  auf 
Kriegszügen  folgte.  Jetzt  ist  Amt  und  Titel  desselben  nur  noch 
alten  Kanüri-Leuten  dem  Namen  nach  bekannt. 

Mit  der  Erwähnung  des  Mülima,  dessen  Titel  sein  Amt  der 
Oberaufsicht  über  den  Milli,  den  Standort  der  Pferde,  verräth,  und 
der  stets  von  Sclavenursprung  war,  ist  die  Reihe  derjenigen  Hof- 
beamten beendigt,  welche  eine  gewisse  Bedeutung  im  Lande  hatten.®) 

*)  Die  Zahl  der  untergeordneten  Verwaltungsämter  ist  eine  ausserordentlich  grosse, 
und  man  stösst  im  Gespräche  mit  den  Einwohnern  immer  wieder  auf  neue  Titel,  die 
meistens  kleinen  Bezirken  oder  einzelnen  Ortschaften  ihre  Entstehung  verdanken.  So 
i.  B.  folgende: 


Argolingamma, 

Tschüramn. 

Sugundreina, 

Gutina, 

Luntftna, 

Sulama, 

Dabema, 

Karctoma, 

Kirgirma, 

Ulgamina, 

Kaladelima, 

Ngedamma, 

Zahcma, 

Kedelemma, 

Gadschigamma, 

Sambutna, 

Dibbclema, 

Gallefemma, 

Schamema, 

Maliina, 

Nigruma, 

Kcrama, 

Oredschemma, 

Dauama, 

Fugodalamn, 

Tegoma , 

Madschiburruma, 

Kinddgoma, 

Atschdma, 

Baggoma. 

Maphumma, 
Nachtigal.  I. 

Kaldmn, 

4*> 

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722  III.  BUCH,  Q.  KAP.  HOP,  REGIERUNG  U.  KRIEGSMACHT  DES  SCHEl'CH. 

Doch  wichtiger  und  höher  im  Ansehen,  als  die  Meisten  der 
Vorgenannten,  waren  und  sind  die  Beamten  des  innersten  Hauses 
des  Herrschers,  die  Eunuchen.  Der  höchste  im  Range  unter  diesen 
ist  der  Juröma,  der  in  der  Residenz  sich  nicht  um  die  Frauen, 
Sclavinnen  und  Kinder  kümmert,  sondern  nur  auf  etwaigen  Kriegs- 
zügen oder  Reisen  des  Herrschers  die  mitgeflihrten  Frauen  beauf- 
sichtigt. Er  zog  einst  den  Zehnten  vom  Getreide  im  Westen  des 
Reiches  ein,  hat  noch  jetzt  die  Oberaufsicht  über  das  Gebiet  des 
Ghaladima  und  des  Herrn  von  Maschena  oder  Mätjena  und  wurde 
oft  mit  vertraulichen  Aufträgen  gewissemiassen  als  Repräsentant 
seines  Herrn  nach  Aussen  geschickt. 

Der  zweite  dem  Range  nach,  aber  in  gewöhnlichen  Zeiten  wich- 
tigste Eunuch  ist  der  Mistrema,  der  eigentliche  Befehlshaber  der 
Frauenabtheilung  und  Gouverneur  sämmtlicher  unerwachsenen  Prinzen 
und  Prinzessinnen. 

Der  dritte  kaum  minder  wichtige  Eunuch  ist  der  Mala,  dem 
die  Aufsicht  über  den  Königs-Palast  selbst  und  alles  Leblose  in  dem- 
selben obliegt.  Er  vcrschliesst  jenen  allabendlich  und  eröffnet  ihn 
mit  dem  ersten  Grauen  des  Morgens;  er  ist  der  Bewahrer  des  könig- 
lichen Hausschatzes  und  übergiebt  aus  diesem  auf  Befehl  seines 
Herrn  fremden  Gästen  die  bestimmten  Geschenke. 

Ein  vierter  Eunuch  mit  dem  Titel  Schitima  steht  den  Uebrigen 
sehr  im  Range  nach  und  ist  eigentlich  nur  ein  Gehülfe  oder  Adjutant 
des  Juroma. 

Früher  gab  es  noch  einen  Verschnittenen  mit  dem  Titel  Üdima*), 
der  die  nördlichsten  Ortschaften  des  Landes  am  Tsäde  von  Ngigmi 
bis  Barüa  zu  verwalten  hatte,  die  von  Norden  kommenden  Karawanen 
und  Nachrichten  empfing  und  solche  in  umgekehrter  Richtung 
expedirte. 

Von  allen  Beamten  des  Hofes  haben  die  Eunuchen  am  voll- 
ständigsten den  Glanz  ihrer  Stellung  der  früheren  Jahrhunderte  be- 
wahrt. Während  der  Kaigamma  als  solcher,  der  Jcrima,  Hirima, 
Uräma,  Dscherma,  Schitima  Belumma,  Zentama,  Ardschinoma,  Baga- 
rima,  Kagustema,  Ferglma  theils  nicht  mehr  existiren,  theils  nur 
noch  einen  Schein  früherer  Bedeutung  haben,  und  nur  der  Tschiroma, 


*)  Cdi  oder  Wüdi  war,  wie  erwähnt,  eine  Ortschaft  südlich  von  Ngigmi,  in  der 
einst  vorübergehend  die  früheren  Domü-Könige  residirt  haben. 


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EUNUCHEN  UND  HOCHSTEHENDE  FRAUEN. 


723 


Digma,  ZlgTbäda,  Fiigoma,  Kazelma,  Mainta,  Makinta  und  Sintelma 
noch  das  Amt  ihrer  Vorgänger  einigcrmassen  in  der  früheren  Gestalt 
inne  haben,  ist  die  Stellung  der  Eunuchen  ganz  so  geblieben,  wie  sic 
vor  Zeiten  war,  und  sind  ihre  Einkünfte  am  wenigsten  geschmälert 
worden. 

In  allen  mohammedanischen  Negerstaaten  spielen  einzelne 
Frauen  der  Königsfamilie  eine  bedeutende  Rolle.  Diese  fällt  in 
den  meisten  Fällen  der  Königin- Mutter,  oft  aber  auch  der  obersten 
Frau  des  Herrschers  und  zuweilen  wohl  einer  Schwester  desselben  zu. 
In  Bornü  trat  eine  solche  bevorzugte  Dame  zwar  nicht  eben  so  sehr 
in  den  Vordergrund,  als  in  den  östlichen  Sudan-Staaten,  in  denen  sie, 
wie  w ir  in  Baghirmi,  Wadaf  und  Dar  For  sehen  werden,  nicht  selten 
eine  hervorragende  politische  Rolle  gespielt  haben,  doch  immerhin 
ist  auch  dort  die  Magira  oder  Königin-Mutter  durch  eine  reiche 
Belehnung  mit  Bezirken  und  Ortschaften  ausgezeichnet. 

Die  oberste  Frau  des  Herrschers  führt  den  Titel  Gumso  und 
wird  zwar  begreiflicherweise  oft  einen  grossen  Einfluss  auf  ihren  Ge- 
mahl auszuüben  in  der  Lage  sein,  aber  ihre  Macht  ist  mehr  an  ihre 
Persönlichkeit,  als  an  ihre  officiclle  Stellung  geknüpft.  Die  Gumso 
Scheich  'Omar  s stand  in  gutem  Ansehen  beim  Volke  und  erfreute 
sich  bei  der  gutmüthigen  Schwäche  des  letzteren  ebenfalls  eines 
grossen  Einflusses.  Leider  machte  sie  denselben  nicht  immer  zum 
Besten  des  Landes  geltend  und  trug  z.  B.,  wie  man  sagte,  an  der 
Machtstellung  Ahmed  Ben  Brahim’s,  der  ihr  Liebhaber  gewesen  sein 
soll,  die  Schuld. 

Von  den  Schwestern  des  Scheich  nimmt  keine  in  Bornü  eine 
officielle  Stellung  ein,  und  die  Töchter  des  braven  Fürsten  führten 
einen  ebenso  leichtfertigen  Lebenswandel,  wie  ich  ihn  später  bei  den 
jungen  Prinzessinnen  der  östlichen  Nachbarstaaten  Bornus  zu  beob- 
achten Gelegenheit  hatte. 

Wichtiger  als  die  Meisten  dieser  Hofbeamten  und  freien  Raths- 
herren  sind  für  den  Bornü- Herrscher  diejenigen  Sclaven,  welchen 
die  kriegerische  Macht  des  Landes  anvertraut  ist,  die  Kriegshaupt- 
leute — Kaschella  pl.  Kaschellawa  — , von  denen  die  bedeu- 
tendsten ebenfalls  Sitz  in  der  Nokena  haben.  Wenn  auch  bei  grösseren 
Kriegen  die  einzelnen  Stämme  der  Bevölkerung  durch  ihre  Zuzüge 
die  eigentliche  Landesvertheidigung  bilden,  so  haben  doch  jene  eine 
stets  bereite  Macht  unter  ihrem  Befehle,  welche  den  Kern  der  Armee 

4tj* 


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724  III.  BUCH,  9.  KAP.  HOF,  REGIERUNG  U.  KRIEGSMACHT  DES  SCHEICH. 

darstellt  und  zu  kleineren  Einfällen  in  die  benachbarten  Heidenländer 
genügt. 

Der  hervorragendste  derselben  war  damals  der  oft  erwähnte  Ka- 
schella  Biläl,  ein  hochbetagter  Greis,  welcher  für  den  schneidigsten  und 
tapfersten  Krieger  des  Landes  galt  und  seit  einem  halben  Jahrhundert 
des  höchsten  Ansehens  genoss.  Er  war  Chef  des  Känembu-Stammes 
der  Sugurti  und  Herr  in  einem  grossen  Theile  des  südöstlichen 
Bornü,  denn  ihm  gehorchten  die  Ortschaften  auf  dem  Westufer  des 
Tsäde  von  der  Mündung  des  Komodügu  Joobe  bis  zum  Südwest- 
winkel des  See’s,  und  er  hätte  die  Oberaufsicht  in  den  Mäkari-Herr- 
schaften  längs  des  Schäri:  Maffate,  Ngulfei',  Kusseri  und  Logon.  Ihm 
nahe  an  Bedeutung  stand  der  Kaschelia  Abdullähi  Marghimi,  welcher 
Chef  der  Känembu  Kubüri  war  und  im  Südwesten  des  Reiches  von 
Gudscheba  aus  die  Grenzen  bewachte.  Er  theiltc  sich  gewisser- 
massen  mit  dem  Vorigen  in  die  Macht  des  früheren  Kaigamma, 
obgleich  die  Würde  desselben  auf  den  Kaschella  Biläl  übergegangen 
war.  Beide  hatten  Sitz  in  der  Nökena  und  hielten  sich  bei  den  Aus- 
zügen des  Herrschers,  der  Eine  rechts,  der  Andere  links  von  ihm. 

Nenncnswerth  waren  ausser  ihnen:  Kaschella  Koftera  Dschema', 
mit  dem  Centrum  seiner  Macht  am  südwestlichen  Umfange  des 
Tsäde;  Kaschella  Manzo,  der  im  Westen  des  Landes  von  Borsäri 
aus  commandirte;  Kaschella  Cheralläh,  der  seinen  Sitz  einige  Tage- 
reisen nordwestlich  von  Küka  am  Komodügu  Joöbe  hatte;  Kaschella 
Dschäto,  der  im  Westen  des  Landes  die  Grenzen  gegen  die  Heiden 
von  Kerrikerri  bewachte;  K.  Zäid,  der  im  Districtc  der  Manga  mit 
seiner  Residenz  zu  Donäri  oder  Katäbcri  den  militärischen  Oberbefehl 
hatte  und  nach  Südwesten  die  halbunterworfenen  Bedde  in  Schach 
hielt;  K.  Omar  Daura,  der  ebenfalls  auf  den  äussersten  Westgrenzen 
sass;  K.  Bira,  der  die  Nachbarländer  im  Südosten  des  Reiches  auf 
dem  rechten  Ufer  des  Schäri  beaufsichtigte;  K.  Ismail  (gewöhnlich 
Sm’atn  genannt),  Ali  Dendal's  Sohn,  und  K.  Bäschä,  Säles  Sohn, 
deren  Väter  beide  zu  Barths  Zeit  in  Amt  und  Würden  waren;  K. 
Midwe,  K.  Alf  Fökärä  und  K.  Mohammed  Gumzerima.  Alle  waren 
Reiteranfiihrer  und  ihre  Leute  waren  mit  Speeren  bewaffnet  und  zum 
Theil  mit  Schwertern  und  mit  Metall-  oder  Wattenpanzern  versehen. 

Andere  Kaschellawa  befehligten  flintenbewaffnete  Leute,  die 
theils  beritten,  theils  Fusssoldaten  waren.  Unter  ihnen  war  der  be- 
deutendste der  Kaschella  Nbürsa,  der  ebenfalls  Sitz  in  der  Nokena 


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KRIEGSHAUPTLEUTE  ODER  KASCHELLAWA. 


725 


hatte,  und  dessen  Hauptbezirke  im  Westen,  gegen  die  Bedde  und 
Ngizzem,  lagen.  Neben  ihm  fungirten  die  Kaschellavva  Wandelämi, 
Alangaua  Bedde,  Mala,  Lebo,  Magadschi,  Dscherma,  Abdulcma 
Salami,  Kjäri,  Ali  Larre,  Gogömo,  Billama. 

Die  heidnischen  Bogenschützen  wurden  von  den  Kaschellawa 
Bekr  und  ’Abdu  befehligt,  von  denen  jener  der  Sohn  des  früheren 
Führers  Kaschella  Nbanna  war,  welcher  ebenfalls  Sitz  in  der  Nokcna 
gehabt  hatte. 

Eine  kleine  Abtheilung  heidnischer  Soldaten,  die  mit  den  hohen 
Schildern  ihrer  Heimath  und  Lanzen  bewaffnet  waren,  wurde  vom 
Kaschella  Mbumm  geführt. 

Endlich  hielt  sich  zur  beständigen  Verfügung  des  Scheich  eine 
Leibgarde  von  vierzig  Panzerreitern,  welche  keinen  Oberbefehlshaber 
hatten,  sondern  unter  Adjutanten  oder  Lieutenants  — Grema  standen. 

Ausser  dieser  berittenen  Leibgarde  und  der  halbuniformirten 
Fusstruppe,  welche  ich  bei  unserer  Ankunft  in  Küka  belacht  hatte, 
bekümmerte  sich  der  Scheich  durchaus  nicht  um  den  Unterhalt  seiner 
Soldaten.  Die  Kriegshauptleute  warben  ihre  Leute,  wo  sie  dieselben 
fanden,  und  hatten  je  nach  ihrem  kriegerischen  Sinne  und  ihrer  Frei- 
giebigkeit grösseren  oder  geringeren  Zuzug.  Ihre  Lanzenreiter  ohne 
und  mit  Panzer  vertheilten  sich  ungefähr  folgendermassen: 


I. 

Kaschella  Bilal  hatte  zu 
seiner  Verfügung  etwa 

200 

Reiter 

und 

25 

Panzerreiter, 

2. 

K.  Abdullähi  Marghfmi 

IOO 

ff 

M 

20 

ff 

3- 

K.  Koftera  Dschema' 

150 

pp 

fl 

SO 

ff 

4- 

K.  Manzo 

200 

pp 

fl 

40 

ff 

5- 

K.  Zäid 

80 

. » 

M 

20 

ff 

6. 

K,  Cheralläh 

80 

ff 

ff 

15 

ff 

7- 

K.  Dschäto 

80 

pt 

pp 

20 

ff 

8. 

K.  ’Omar  Daura  .... 

80 

pp 

PP 

10 

ff 

9 

K.  Sm’ain 

15 

pp 

PP 

4 

ff 

to. 

K.  Bäschä 

2 

pp 

PP 

I 

ff 

ii. 

K.  Midwe 

s 

tt 

ff 

2 

ff 

12. 

K.  Bira 

IOO 

pp 

ff 

15 

ff 

'3 

K.  Ali  Fökärä 

60 

tt 

ff 

10 

ff 

'4- 

K.  Mohammed  Gumzerima 

50 

pp 

tt 

— 

ff 

Summa 

1202 

Reiter 

und 

232 

Panzerrciter. 

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72(j  III.  BUCH,  g.  KAP.  HOF,  REGIERUNG  U.  KRIEGSMACHT  DES  SCHEICH. 

Manche  hatten  früher  über  eine  grössere  Reitermacht  verfügt. 
So  hatten  Kaschella  Sm'ain  und  Bäschä  von  ihren  Vätern  'Ali  Dendal 
und  Säle,  angesehenen  Anführern  früherer  Jahrzehnte,  einen  bei 
weitem  grösseren  Anhang  ererbt,  waren  aber  wegen  ihres  Mangels 
an  kriegerischem  Sinn  und  Freigiebigkeit  allmählich  von  denselben 
verlassen  worden.  Andere  verfügten  noch  vor  wenigen  Jahren  über 
eine  zahlreichere  Schaar,  doch  z.  B.  die  Leute  Dschäto's  und  Omar 
Daura’s  waren  während  der  letzten  Jahre  arg  von  den  Heiden  von 
Kerrikcrri  decimirt  worden.  Kaschella  Zäid  hatte  gegen  die  Bedde 
und  Cheralläh  gegen  die  Tuärik  viele  Leute  eingebüsst. 

Zählt  man  zu  diesen  Reitern  noch  40  Panzerreitcr,  welche  die 
erwähnte  Leibgarde  des  Scheich  bilden,  so  erhält  man  für  die  da- 
malige Zeit  eine  zu  unmittelbarer  Verfügung  des  Scheich  stehende, 
mit  Lanzen  bewaffnete  Reitermacht  von  rund  1500  theils  gewöhnlichen, 
theils  gepanzerten  Reitern.  Zu  diesen  kam  die  flintenbewaffnete 
Mannschaft,  theils  Reiter,  theils  Fusssoldaten,  welche  sich  auf  die 
obengenannten  Anführer  ungefähr  folgendermassen  vertheilte: 


I. 

Kaschella  Nbürsa 

verfügte 

über 

ca. 

200 

Gewehre 

11 

Wandelämi  . . . 

II 

II 

11 

70 

II 

3. 

11 

Alangaua  . . . . 

II 

11 

80 

II 

4- 

ff 

Abdulema  Salami  . 

II 

11 

100 

II 

5- 

tf 

Kjäri 

II 

11 

SO 

II 

6. 

ft 

Mala 

II 

n 

60 

II 

7- 

tf 

Magädschi  . . . 

II 

n 

40 

II 

8. 

rt 

Lebo 

II 

11 

30 

II 

9- 

tt 

Bedde  

II 

11 

20 

II 

IO. 

11 

Dscherma . . . . 

• 1 

n 

30 

II 

11. 

tt 

Ali  Larre  . . . 

II 

11 

I 

12. 

ti 

Gögörni  . . . . 

fl 

n 

5° 

II 

13- 

11 

Billama  . . . . 

II 

11 

1 

Bedenkt  man,  dass  der  Scheich  Omar  im  Besitze  eines  ansehn- 
lichen Vorrathes  von  arabischen  Steinschlossflinten  ist,  und  dass  deren 
von  Zeit  zu  Zeit  zur  Vertheilung  und  Einübung  kommen,  so  darf 
man  die  zu  unmittelbarer  Verfügung  stehende  Anzahl  von  Feuer- 
waffen auf  etwa  1000  schätzen. 

Die  Bogenschützen  unter  Kaschella  Bckr  und  'Abdu  beliefen 
sich  auf  ungefähr  200,  und  die  lanzenbewaffneten  Schildträger  des 
Kaschella  Mbumm  auf  nur  etwa  fünfzig. 


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STREITKRÄFTE  DER  KRIF.GSHAUPTl.EUTE  UND  R AMTS  HERREN. 


727 


Neben  der  sich  aus  dem  Vorstehenden  ergebenden  Gcsammtzahl 
von  nahezu  3000  Mann  sind  zu  fast  ebenso  unmittelbarer  Verfügung 
des  Herrschers  diejenigen  Bewaffneten,  welche  sich  jeder  Prinz,  jeder 
Höfling  und  Beamte,  auch  wenn  seine  Wurde  nicht  grade  einen 
kriegerischen  Charakter  hat,  hält,  wenn  er  irgend  einen  Anspruch 
auf  Bedeutung  und  Ansehen  bei  Fürst  und  Volk  erhebt.  Diese 
vertheiltcn  sich  nach  sorgfältigen  Erkundigungen  2ur  Zeit  meines 
Aufenthaltes  in  Küka  etwa  folgendermassen: 

1 . Lamino  hatte  unter  1 5 Haupt- 
leuten   700  gewöhnl.  u.  3c»  gepanz.  Reiter. 


2.  Aba  Bü  Bekr  besass  unter 


mehreren  Hauptleuten  . . 

500 

ft 

11 

IOO 

ff 

3 

Aba  Haschemi 

200 

ff 

11 

40 

ff 

ff 

4- 

„ Brähim 

150 

11 

11 

3° 

ff 

ft 

5- 

„ Abdallah  Menufli  . . . 

100 

t» 

19 

15 

ff 

ff 

6. 

„ Tajib 

70 

11 

11 

IO 

ff 

19 

7- 

„ Känembu 

5o 

11 

11 

IO 

»» 

II 

8. 

,,  Musta  Ganna  .... 

80 

11 

II 

1 5 

ff 

ff 

9- 

„ Mustafa,  Bruder  des 

Scheich 

200 

it 

11 

50 

ff 

ff 

IO. 

Aba  Rüfäi 

80 

11 

11 

>5 

ff 

11. 

„ Menuffi 

70 

tt 

11 

— 

11 

ff 

12. 

„ Anas 

40 

11 

11 

10 

11 

»t 

'3- 

Mo’allim  Mohammed  .... 

100 

11 

II 

— 

ff 

11 

14. 

Schitima  Mohammedu  . . . 

80 

11 

11 

IO 

ff 

>f 

«5 

„ Ali 

60 

19 

— 

ff 

ft 

16. 

Bü  Bekr  es-Südäni  .... 

50 

11 

ff 

iS 

,, 

ff 

17- 

Sälih  Tirab 

50 

11 

ff 

— 

ff 

ft 

18. 

Scheich  Abbas 

40 

11 

— 

ff 

ff 

19. 

Ahmed  Ben  Brähim  .... 

30 

ii 

II 

— 

ff 

ff 

20. 

J uroma  Abdu 

60 

» 1 

II 

IO 

ll 

ff 

21. 

Der  Mistrema 

80 

19 

11 

20 

11 

ff 

22. 

Mala  Abd  el-Kerim  .... 

150 

11 

ff 

40 

ll 

tt 

23- 

Fügoma  Mullewi  zu  Ngornu  . 

80 

11 

ff 

15 

ff 

tt 

24. 

Digma  Ibrahim 

80 

II 

ff 

20 

„ 

tt 

25- 

Hadsch  Bezzem 

100 

11 

ff 

15 

ff 

tt 

Summa  32c»  gewöhnl.  u.  740  gepanz.  Reiter. 


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728  III.  BUCH,  9.  KAP.  HOF,  REGIERUNG  U.  KRIEGSMACHT  OES  SCHF.YCH. 

Transport  3200  gcwöhnl.  u.  740  gepanz.  Reiter. 

26.  ZigYbäda  od.  Zcbäda  Dschäwa, 

der  frühere  Inhaber  dieser 

Würde 

27.  Ziglbäda  Ascham  oder  Siam  . 

28.  Mainta 

29.  Kazelma  Hassen 

3375  gewöhnl.  u.  760  gepanz.  Reiter. 

Die  aus  Allem  sich  ergebende  Gesammtzahl  von  etwa  7000  stets 
bereiten  Kriegern  war  wohl  früher  übertroffen  worden,  würde  aber 
zur  Aufrechterhaltung  der  Ordnung  im  Lande,  zur  Sicherung  der 
Grenzen  und  zur  Unternehmung  von  kleinen  Expeditionen  in  die 
benachbarten  Heidenländer  genügt  haben,  wenn  kriegerischer  Sinn 
im  Volke  und  Kraft  und  fester  Wille  beim  Herrscher  und  seinen 
Rathgebern  lebendig  gewesen  wären.  Aber  in  dieser  Beziehung  schien 
das  Land  in  rapidem  Verfall  begriffen  zu  sein.  Der  Vater  des 
Scheich  Omar  und  Begründer  der  Dynastie  schien  vor  einem  halben 
Jahrhundert  dem  schon  damals  demoralisirten  Volke  neue  Lebens- 
kraft einzuflössen,  war  ihm  in  Thatkraft  und  Sittenreinheit  mit  gutem 
Beispiele  vorangegangen,  hatte  es  im  Nothfalle  durch  Herrscher- 
strenge zur  Tugend  und  Gesetzlichkeit  gezwungen  und  wusste  es 
durch  eigenen  Enthusiasmus  zu  entflammen.  Sein  friedlicher,  frommer, 
liebenswürdiger  und  schwacher  Sohn  war  leider  nicht  geeignet,  das 
Regenerationswerk  fortzusetzen.  Mit  der  Schwäche  desselben  verfiel 
seine  Umgebung  bald  wieder  in  Genusssucht  und  weibische  Schwäche, 
und  er  selbst  gerieth,  trotz  seines  hervorragenden  Verstandes,  mit 
zunehmenden  Jahren  mehr  und  mehr  in  die  Hände  seiner  feigen  und 
selbstsüchtigen  Rathgeber.  Was  mit  der  sich  im  Allgemeinen  nicht 
grade  durch  ein  Ucbermaass  kriegerischen  Sinnes  kennzeichnenden 
Bevölkerung  doch  geleistet  werden  konnte,  hatte  der  Scheich 
Mohammed  el-Amin  gezeigt.  Einer  intelligenten,  sittenstrengen, 
thatkräftigen  Regierung  würde  es  bei  dem  natürlichen  Reichthume 
des  Landes  und  der  Lenk-  und  Regsamkeit  der  Hauptbestandteile 
der  Bevölkerung,  der  Kanüri  und  Kanembu,  noch  für  geraume  Zeit 
leicht  sein,  Bornü  die  erste  Rolle  unter  den  Sudan-Reichen  zu  sichern. 
Doch  wie  wir  gesehen  haben,  dass  der  lucrativc,  regelmässige  Han- 
delsverkehr mit  den  Mittelmeer-Ländern  in  Folge  der  unzuverlässigen 


30  II  II  5 »»  I» 

So  „ „15 

50  II  II  II  II 

15  II  II  II  II 


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VERFALL  OER  POLITISCHEN  MACHT  HOBNÜ’s.  729 

Rechtsverhältnisse  von  Jahr  zu  Jahr  abnahm  und  ganz  aufzuhören 
drohte,  so  wurde  Vertrauen,  Ordnung,  Wohlstand  und  Patriotismus 
im  Lande  durch  leichtfertige  und  unredliche  Verwaltung  und  Mangel 
an  Schutz  an  höchster  Stelle  allmählich  untergraben.  Districte,  Be- 
zirke und  Ortschaften  wurden  von  Söhnen,  Enkeln  und  Günstlingen 
schonungslos  ausgesogen,  und  der  Weg  zum  Scheich  war  weit  und 
schwierig.  Gelang  es  aber  einem  Kläger,  bis  zu  ihm  vorzudringen,  so 
gewann  dieser,  trotz  seines  gerechten  Sinnes,  selten  die  Energie, 
rücksichtslos  gegen  den  Schädiger  der  öffentlichen  Wohlfahrt  vor- 
zugehen, während  andererseits  der  Erstere  bei  tausend  Gelegenheiten 
der  Rache  des  mächtigeren  Verklagten  ausgesetzt  war. 

Mit  der  Energielosigkeit  und  Genusssucht  bei  Hofe,  dem  sinken- 
den Wohlstände  und  dem  Gefühle  der  Schwäche  der  Bevölkerung 
im  Innern  schwand  auch  der  geringe  Grad  kriegerischen  Sinnes,  der 
dem  Volke  von  Natur  innewohnte,  und  eine  bald  sichtbar  werdende 
Folge  dieser  allgemeinen  Demoralisation  war  das  sinkende  Ansehen 
des  Landes  nach  Aussen.  Freilich  waren  die  westlichen  Grenz- 
nachbarn, die  Haussa- Stämme,  trotz  der  hohen  Entwicklung  ihres 
Handels  und  ihrer  Industrie  politisch  so  grenzenlos  schwach,  dass 
von  ihnen  nicht  nur  Nichts  zu  fürchten  war,  sondern  dass  dieselben 
sogar  in  Bornü  noch  stets  das  Schreckgespenst  vergangener  Jahr- 
hunderte fürchteten.  Doch  der  Respect,  mit  dem  das  junge  Wadä't- 
Reich  den  westlichen  Nachbar,  der  durch  religiöse  und  politische 
Entwicklung  länger  als  ein  halbes  Jahrtausend  den  halbhcidnischen 
Gegenden  des  Sudan  zum  Muster  gedient  hatte,  zu  betrachten 
gewohnt  gewesen  war,  schwand  sichtlich.  Ein  thatkräftiges,  wenn 
auch  rohes  Volk  wurde  dort  von  einem  eminenten  Herrscher  zu 
Cultur,  Wohlstand  und  kriegerischer  Macht  erzogen,  und  die  Zeit 
dürfte  nicht  fern  sein,  dass  in  ihm  ein  gefährlicher  Nebenbuhler  für 
Bornü  ersteht. 

Die  Zeichen  der  verfallenden  Macht  Börnü's  kamen  jedoch  zu- 
nächst in  grösserer  Nähe  zum  Ausdruck.  Es  waren  die  halbunter- 
worfenen, tributzahlenden  Heidenstämme  aus  den  Westgrenzen  des 
Reiches  und  ehrgeizige  Fürsten  regelmässiger  Vasallenstaaten,  welche 
zuerst  zum  Bewusstsein  der  zunehmenden  Schwäche  des  Lehnsherrn 
gelangten  und  sich  dieselbe  nutzbar  zu  machen  versuchten.  Der 
früher  so  sichere  Weg  nach  Kano  wurde  seit  einiger  Zeit  unauf- 
hörlich und  in  frechster  Weise  von  den  südlich  davon  wohnenden 


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730  III.  BUCH,  g.  KAP.  HOF,  REGIERUNG  U.  KRIEGSMACHT  DES  SCHEICH. 

Bedde  beunruhigt;  die  südlichen  Nachbarn  dieser,  die  Kcrrikerri, 
hatten  die  letzten  zur  Erhebung  des  Tributs  in  ihr  Land  geschickten 
Colonnen  aufgerieben,  und  die  ihnen  wieder  benachbarten  Bäbir 
konnten  ebenfalls  nicht  mehr  durch  Waffengewalt  zur  regelmässigen 
Tributzahlung  gezwungen  werden.  Der  angesehenste  Häuptling  der 
Bedde,  cl-Hädschi,  der  Sohn  Babüdschi’s,  hatte  im  September  1870 
die  Frechheit,  einen  Boten  Aba  Bü  Bekr’s,  dem  die  Oberaufsicht 
über  die  Landschaft  zustand,  ohne  Antwort  und  ohne  Pferd  heini- 
zusenden, und  liebäugelte  mit  den  Haussa -Regierungen  und  den  be- 
nachbarten Kcrrikerri,  während  die  Letztgenannten  in  demselben 
Monate  eine  unter  den  oben  aufgeführten  Hauptleuten  Omar  Daura, 
Kjäri  und  Mala  gegen  sie  ausgesandtc  Heeresmacht  vernichteten, 
so  dass  nur  ein  Diener  des  Erstgenannten  entkam. 

Noch  bedrohlicher  war  das  gewaltthätige  Betragen  des  Vasallen- 
fiirsten  Tanemon  von  Zinder,  der  im  Nordwesten  des  Reiches  ein 
unabhängiges  Reich  aufrichten  zu  wollen  schien.  Er  hatte  damit 
begonnen,  einen  der  treusten  und  beliebtesten  Vasallen  des  Scheich, 
den  Herren  von  Munio,  den  sogenannten  Munioma,  zu  erschlagen 
und  das  Gebiet  desselben  dem  seinigen  einzuverleiben.  Tanemon, 
ursprünglich  Ferrara  genannt,  war  ein  ehrgeiziger,  energischer, 
grenzenlos  frecher  und  gewaltthätiger  Mann.  Aus  der  Stellung  eines 
Billama  (d.  h.  Bürgermeister)  in  der  Munio-Ortschaft  Dagüsa  hatte  er 
sich  zu  seiner  fürstlichen  Stellung  aufgeschwungen,  und  dies  hatte  ihm 
der  Munioma  nie  verzeihen  können.  Fern  von  der  Hauptstadt,  auf 
der  Grenze  zwischen  Bornü,  den  Haussa -Staaten  und  den  wüsten 
Landschaften  der  Tuarik  in  Sicherheit  sitzend,  hatte  er  sich  seit 
Jahren  an  eine  übermüthige  Selbständigkeit  gewöhnt,  unterhielt  eine 
zahlreiche  Reitermacht,  hatte  sich  durch  nordische  Kaufleute  eine 
ungewöhnlich  grosse  Anzahl  von  Feuerwaffen  verschafft,  besass 
sogar  Kanonen  und  schien,  indem  er  versuchte,  die  benachbarten 
Vasallengebiete  des  Ghaladima  und  des  Herrn  von  Mäschßna  unter 
seinen  Einfluss  zu  bringen,  die  ganze  Landschaft  Demägherim  zu 
einem  selbständigen  Staate  vereinigen  zu  wollen.  Der  Ghaladima, 
der  erst  kürzlich  nach  dem  Tode  seines  Vaters  neu  belehnt  worden 
war,  setzte  zwar  diesen  Absorbirungsgelüsten  einen  kräftigen  Wider- 
stand entgegen  und  stand  deshalb  in  hoher  Achtung  bei  seinem 
Lehnsherrn,  doch  zum  Unglück  starb  auch  der  Herr  von  Mäschena, 
und  sein  Nachfolger  entbehrte  vorläufig  noch  der  nöthigen  Erfah- 


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REBELLISCHES  BENEHMEN  DES  FÜRSTEN  VON  ZINDER.  731 

rung  und  sicheren  Stellung,  um  in  gleicher  Weise  gegen  Tanemon 
aufzutreten. 

Es  war  nicht  unwahrscheinlich,  dass  der  Herr  von  Zinder  zu 
seinem  frechen  Vorgehen  von  der  Regierung  in  Soköto  aufgestachelt 
worden  war,  aus  Rache  für  die  Unbill,  welche  der  Fürst  von  Gummel, 
dessen  Gebiet  südlich  von  Zinder  an  die  Haussa-Staaten  grenzt,  auf 
Anstiften  des  stets  kriegerisch  gesinnten  Aba  Bü  Bekr  den  nächst- 
gelegenen  Gebieten  des  Nachbarreiches  beständig  zufügte.  Als  der 
entrüstete  Scheich  Omar  ein  energisches  Schreiben  an  den  über- 
müthigen  Tanemon  richtete,  erwiderte  derselbe  keck,  er  sei  ein 
treuer  Vasall,  doch  sein  Streit  mit  dem  Muniöma  ginge  den  Lehns- 
herren nichts  an,  und  er  würde,  selbst  wenn  die  Sache  ungeschehen 
gemacht  werden  könnte,  dieselbe  That  noch  einmal  begehen.  Auf 
die  Antwort  des  Scheich,  welche  gegen  Verzeihung  die  Auslieferung 
seiner  sämmtlichen  Kanonen  und  Flinten  beanspruchte,  erfolgte 
keinerlei  Rückäusserung.  Wohl  aber  erzählte  man  sich  zu  dieser 
Zeit  in  Küka  ein  Wort  Tancmon's,  demzufolge  er  nur,  wenn  der 
Scheich  in  Person  gegen  ihn  zu  Felde  ziehen  sollte,  sich  zu  seinen 
Freunden,  den  südlichen  Tuärik,  in  die  sichere  Wüste  zurückziehen 
werde.  Sollte  aber  etwa  Aba  Bü  Bekr  gegen  ihn  ausgeschickt  werden, 
so  werde  er  demselben  ohne  die  geringste  Besorgniss  Widerstand  leisten 
und  ihn  hoffentlich  erschlagen,  denn  selbst  für  eine  solche  That  sei 
es  am  Hofe  von  Küka  nicht  schwer,  sich  Straflosigkeit  zu  sichern; 
er  habe  nur  etwa  nöthig,  dem  Erschlagenen  die  Haut  abzuziehen 
und  dieselbe  mit  Geld  auszustopfen.  Der  Uebelthäter  wusste  wohl, 
dass  man  sich  in  Küka  zu  einem  kräftigen  Handeln  keinesfalls  vor 
dem  Ramadan  aufraflen  würde,  und  da  der  Anfang  desselben  in  das 
Ende  des  November  fiel,  so  hatte  er  Zeit  genug,  durch  seine  Freunde 
unter  den  erbärmlichen  Höflingen,  vor  Allen  durch  Ahmed  Ben 
Brähim  den  energielosen  Scheich  von  jedem  kriegerischen  Entschlüsse 
abzubringen.  Lange  Zeit  war  zwar  beständig  die  Rede  von  einem 
grossartigen  Zuge  nach  Westen,  den  Scheich  'Omar  selbst  anfuhren 
werde.  Es  wurden  sogar  für  denselben  Vorbereitungen  getroffen, 
Bekanntmachungen  erlassen  und  die  Stämme  zu  rechtzeitiger  Zu- 
sendung ihrer  Contingente  ermahnt,  aber  die  Erfahrenen  glaubten 
nicht  an  die  Ausführung  dieser  Pläne. 


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Zehntes  Kapitel. 

DAS  ENDE  DES  JAHRES  1870. 


Regenreichthum  des  Jahres.  — Die  Zeit  der  Malaria.  — Mörderische  Epidemie  in  Kuka. 
— Rindviehseuche  und  Pferdesterblichkeil . — Meine  täglichen  Beschäftigungen.  — 
Studium  der  Kanüri- Sprache.  — Aerztliche  Thätigkcit  und  ihr  geringer  Erfolg.  — 
Furcht  der  Eingeborenen  vergiftet  zu  werden.  — Ein  Hochzeitsfest  und  sein  Verlauf. 
— Anhaltende  Schwellung  des  Ts&de  und  ihre  Folgen.  — Schicksale  der  Marok- 
kaner. — RamadAn  oder  Fastenmonat.  — Gastfreundschaft  des  Scheich  während  des 
RamadAn.  — ’ld  el-Fatra  oder  Fest  des  kleinen  Bairam.  — Auszug  des  Scheich  zum 
Festgebet.  — Glänzender  Aufzug.  — Musikalische  Instrumente.  — Paradepfcrdc.  — 
Kanonen -Mohammed  und  Wagen -'Abdallah.  — Gratulations-Cour.  — Friedliche 
Aussichten.  — Reiseplan. 


Wahrend  ich  allmählich  einen  Einblick  in  die  zuvor  geschilderten 
Verhältnisse  gewann,  wartete  ich  ruhig  ab,  ob  der  Scheich  Omar 
den  geplanten  Kriegszug  zur  Ausführung  bringen  würde,  um  ihn  in 
diesem  Falle  zu  begleiten,  oder  ob  die  Verhältnisse  mir  gestatten 
würden,  einen  Besuch  bei  den  Budduma  und  Küri  auf  den  Inseln 
des  Tsäde  zu  machen. 

Die  Regenzeit  — Ningßli  — des  Jahres  1870,  in  deren  Beginn  wir 
das  Bornü-Gebiet  betreten  hatten,  war  indessen  mit  allen  ihren  Un- 
annehmlichkeiten zu  Ende  gegangen.  Den  ersten  Regenfall  hatten 
wir  am  29.  Juni  zu  Ngigmi  gehabt,  nachdem  wir  freilich  schon  unter- 
wegs Spuren  unbedeutender  Niederschläge  gefunden  hatten;  der  letzte 
hatte  am  24.  September  stattgefunden.  Nach  der  Behauptung  der 
Einwohner  von  Küka  war  der  Niederschlag  dieses  Jahres  ein  ausser- 
gewöhnlich  reichlicher  gewesen,  und  diejenigen,  welche  sich  der  Be- 
suche von  Barth  und  Rohlfs  erinnerten,  die  in  ebenso  regenreiche 


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ABLAUF  DER  REGENZEIT. 


VERHEERENDE  KRANKHEITEN. 


733 


Jahre  gefallen  waren,  neigten  schon  dazu,  die  Erscheinung  von  Christen 
in  Bornü  mit  der  Wasserfälle  in  einen  mysteriösen  Zusammenhang 
zu  bringen. 

Lange  Wochen  hindurch  blieben  die  tiefer  gelegenen  Gegenden 
der  Stadt  und  Umgegend  in  Seen  verwandelt,  und  als  die  stehenden 
Gewässer  abzunehmen  begannen,  machten  sich  die  traurigen  Folgen 
des  sonst  so  segensreichen  Elementes  auf  die  Menschen  geltend. 
Bald  gab  es  in  allen  Häusern  der  Stadt  Kranke,  und  von  der  Mitte 
des  September  an  machte  sich  eine  bedenkliche  Sterblichkeit  geltend, 
welche  bald  die  Proportionen  einer  mörderischen  Epidemie  annahm. 
Anfangs  herrschten  die  Wechsclfieber  unter  ihren  verschiedenen 
Formen  und  ergriffen  vor  Allen  die  Nordländer.  Wenige  wurden 
verschont;  Manche  unterlagen;  Viele  entgingen  nur  mit  genauer 
Noth  dem  Verderben  und  trugen  die  Spuren  der  zerstörenden  Kraft 
der  Sumpffieber  noch  lange  auf  ihren  fahlen,  blutleeren  Gesichtern. 
Auch  die  vermeintliche  Immunität  der  Neger  gegen  diese  Krankheit 
erwies  sich  als  eine  sehr  unvollkommene;  zu  Dutzenden  lagen  in 
vielen  Häusern  die  Sclaven  am  Fieber  danieder,  und  ihre  Herren 
litten  nicht  weniger  als  sie. 

Die  Erkrankungen  an  reinen,  unverkennbaren  Wechselfiebern 
äusserten  sich  allerdings  bei  den  Eingeborenen  unter  leichterer  Form, 
als  bei  den  nordischen  Fremden;  aber  im  weiteren  Verlaufe  des 
Herbstes  richtete  grade  unter  den  P'rsteren  eine  Krankheit  arge 
Verwüstungen  an,  welche  ich  dem  Sumpffieber  in  ihren  Ursachen 
zu  nähern  geneigt  bin.  Dieselbe  zeigte  zwar  weder  einen  inter- 
mittirenden  Charakter,  noch  war  sie  von  Wechsclfieber  eingeleitet, 
endigte  jedoch  im  P'alle  der  Genesung  häufig  mit  einem  solchen. 
Plötzliches  Auftreten,  hochgradiges  Fieber,  blutige  Entleerungen  aus 
Nase  und  Darmkanal,  schnelle  Entscheidung  waren  die  Symptome. 
Fehlten  die  massenhaften,  meist  blutigen  Ausscheidungen,  so  erfolgte 
der  Tod  gewöhnlich  am  vierten  oder  fünften  Tage. 

Freilich  ist  meine  Beurtheilung  dieser  Krankheit  eine  durchaus 
unsichere,  weil  nur  auf  Erkundigungen  beruhende,  denn  die  Erkran- 
kungsfälle kamen  sehr  selten,  in  ihrem  ganzen  Verlaufe  nie,  zu  meiner 
Beobachtung.  Bei  heftiger,  acuter  Erkrankung  denkt  der  dortige 
Mensch  begreiflicher  Weise  nicht  daran,  die  ungewöhnliche  Hülfe  eines 
fremden  Arztes  in  Anspruch  zu  nehmen,  und  für  mich,  den  Fremden 
und  Christen,  war  es  nicht  gerathen,  mich  im  Interesse  der  Wisscn- 


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734  HL.  BUCH,  IO.  KAPITEL.  DAS  ENDE  DES  JAHRES  1870. 

schaft  zur  Beobachtung  zu  drängen.  Ich  that  dies  um  so  weniger, 
als  mein  Vorrath  von  Chinin  bei  Weitem  nicht  hinreichte,  um  eine 
nur  einigermassen  bemerkenswerthc , allgemeine  Hülfe  leisten  zu 
können.  Ich  musste  bestrebt  sein,  die  Verminderung  dieses  kost- 
baren Medicamentes,  des  grössten  Schatzes  für  den  in  tropischen 
Gegenden  Reisenden,  so  viel  als  möglich  zu  vermeiden.  Und  doch 
hatte  ich  nach  Ablauf  der  Fiebersaison  nicht  mehr  als  etwa  I1/*  Unzen 
Chinin  gerettet,  mit  denen  ich  einer  voraussichtlich  langen  und  fieber- 
reichen Zeit  entgegen  gehen  sollte;  aber  cs  ist  schwer,  wenn  man 
gesund  ist  und  das  Mittel  zur  Heilung  zu  besitzen  glaubt,  dem 
Leidenden  die  Hülfe  zu  versagen. 

Aus  dem  Hause  meines  Hausherrn  wurden  während  weniger 
Wochen  sechs  Personen  zu  Grabe  getragen,  und  fast  tagtäglich  und 
allnächtlich  vernahm  man  das  Geheul  der  Klageweiber  in  der 
nächsten  Umgebung.  Die  Schriftgelchrten  — Fuqähä  arab.  — hatten 
viel  Arbeit  und  machten  gute  Geschäfte.  Vom  Morgen  bis  zum  Abend 
waren  sie  beschäftigt,  Qorän-Sprüche  und  heilbringende  Formeln  zu 
schreiben,  und  wenn  sich  die  Bornü-Leutc  schon  für  gewöhnlich  mit 
Dutzenden  von  Ledertäschchen  schützenden  Inhalts  behängen,  so 
vermehrten  sie  während  dieser  Zeit  die  Zahl  derselben  ins  Unge- 
heuerliche. Ganze  Tage  wurden  dazu  verwendet,  durch  das  Lesen 
des  Qorän  den  Krankheitsgenius  zu  beschwören , und  Hunderte  von 
Gläubigen  sah  man  Abends  auf  der  Strasse  zusammensitzen,  um  sich 
durch  tausendfaches  Umkreisen  mit  dem  heiligen  Buche  feien  zu 
lassen.  Die  Sterblichkeit  wurde  eine  so  entmuthigende,  dass  sich 
schon  eine  gewisse  Demoralisation  geltend  machte.  Man  vermied 
die  gegenseitigen  Besuche,  man  vernachlässigte  die  Pflege  der  Kranken 
und  man  scharrte  die  verstorbenen  Sclaven  in  der  oberflächlichsten 
Weise  in  der  nächsten  Nähe  der  Stadt  ein. 

Auch  die  Nachrichten  aus  den  Provinzen  waren  nicht  erfreulich. 
In  den  wasserreichen  Niederungen  am  südwestlichen  Umfange  des 
Tsäde  und  überall  da,  wo  stagnirendes  Wasser  den  Boden. in  einen 
Sumpf  verwandelt  hatte,  der  nur  sehr  allmählich  austrocknete,  waren 
Krankheit  und  Tod  von  unerhörter  Häufigkeit. 

Gleichzeitig  verheerte  die  Lungenseuche  den  Rindviehbestand 
des  Landes,  und  einer  anderen  Krankheit  fielen  ungewöhnlich  viel 
Pferde  zum  Opfer.  Dass  die  Epidemie,  welche  seit  einigen  Jahren  die 
grossen  Heerden  der  Haussa- Länder,  Bornus,  Baghirmi's  und  theil- 


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TÄGLICHE  STUDIEN. 


735 


weise  Wadäi’s  decimirte,  in  einer  Lungenseuche  bestand,  hatte  icli 
nicht  selten  Gelegenheit  zu  constatiren.  Man  schlachtete  die  Thiere 
gern  im  Beginne  der  Krankheit,  und  ich  versäumte  nicht,  hin  und 
wieder  die  Autopsie  vorzunehmen,  welche  eine  gallertige  Entzündung 
des  Lungengewebes  und  eine  eben  solche  Ausschwitzung  in  der 
Brustfellhöhle  ergab.  Das  Fleisch  der  erkrankten  Thiere  wurde 
übrigens,  nachdem  man  die  sichtlich  ergriffenen  Theilc  fortgeworfen 
hatte,  ohne  Bedenken  gegessen.  Das  Wesen  der  Krankheit,  welche 
die  Pferde  hinraffte,  wurde  mir  nicht  genauer  bekannt;  nach  den 
Behauptungen  der  Leute  soll  in  Bornü  in  aussergewöhnlich  wasser- 
reichen Jahren  eine  vermehrte  Sterblichkeit  der  Pferde  als  Regel  be- 
trachtet werden. 

Mir  schwand  diese  Zait  rasch  dahin.  Wenn  ich  nicht  am  Fieber 
litt,  was  freilich  oft  genug  der  Fall  war,  arbeitete  ich  während  der 
ersten  Tageshälfte  für  mich , registrirte  meteorologische  Beobach- 
tungen, erlernte  die  Kanüri  Sprache,  zog  Erkundigungen  über  Land 
und  Leute  ein  und  studirte  mit  dem  Faqih  Adern  mein  späteres 
Reiseziel  Wadai,  und  am  Nachmittage  öffnete  ich  den  Kranken  Thür 
und  Thor. 

Das  Studium  der  Kanüri  Sprache  wurde  mir  durch  die  verdienst- 
vollen Arbeiten  des  Missionärs  Kölle,  welche  mir  wenigstens  theilweise 
in  Fezzän  zugekommen  waren,  sehr  erleichtert.  Es  bleibt  ein  glän- 
zender Beweis  unermüdlicher  Geduld  und  hohen  Verständnisses,  dass 
derselbe  fern  von  Bornü,  in  Sierra  Leone,  mit  Hülfe  eines  einzigen 
Individuums,  einen  so  tiefen  Blick  in  die  Sprache  gethan  hat,  dass 
ich  in  vielen  Fällen,  in  denen  Heinrich  Barth  die  Richtigkeit  der 
Behauptungen  seines  Vorgängers  anzweifeln  zu  müssen  glaubte,  das 
Recht  auf  Seiten  des  Letzteren  fand. 

Meine  Untersuchungen  über  die  topographische  und  administra- 
tive Anordnung  Bornü's,  über  seine  Vasallenstaaten  und  heidnischen 
Nachbarn,  über  die  Bestandtheile  der  Bevölkerung  des  Landes  waren 
nur  von  geringem  Erfolge  gekrönt.  Es  gelang  mir  nur  selten  und 
vorübergehend,  geeignete  Personen  zur  Unterstützung  bei  dieser  Arbeit 
zu  finden,  denn  Einige,  welche  in  der  Geschichte  und  geographischen 
Kenntniss  ihres  Landes  wohlbewandert  waren,  Hessen  sich  aus  Hoch- 
muth  und  fanatischem  Misstrauen  nicht  zur  Berichterstattung  herbei, 
Andere,  deren  Auskunft  ich  durch  materiellen  Lohn  erkaufte,  er- 
wiesen sich  als  nicht  hinlänglich  zuverlässig,  und  übrigens  hatte  das 


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786  III.  BUCH,  IO.  KAPITEL.  DAS  ENDE  DES  JAHRES  1870. 

lange,  staatliche  Bestehen  Bornü’s,  seine  ereignissreiche  Geschichte 
theils  die  fernere  Vergangenheit  so  gänzlich  verdunkelt,  theils  so 
viele  Verschmelzungen,  Verschiebungen  und  Umwälzungen  mit  sich 
gebracht,  dass  es  trotz  der  verdienstvollen  Vorarbeiten  Barths  über 
die  Geschichte  Bornü’s  ausserordentlich  schwer  hielt,  einen  klaren 
Einblick  in  die  staatliche  und  ethnologische  Zusammensetzung  von 
Land  und  Volk  zu  gewinnen. 

Die  Resultate  meiner  ärztlichen  Beobachtungen  werde  ich  später- 
hin mit  den  meteorologischen  Aufzeichnungen  zusammenstellen.  Das 
Zuströmen  der  Kranken  war  so  beträchtlich,  dass  ich  mich  bald 
genöthigt  sah,  dasselbe  einzuschränken,  denn  da  ich  an  einem  Tage 
oft  mehr  als  fünfzig  Kranke  untersuchte  und  mit  Medicamenten  ver- 
sah, so  drohte  mein  Vorrath  an  den  letzteren  ein  schnelles  Ende  zu 
nehmen.  Da  nur  die  Vornehmsten  auch  bei  acuten  Leiden  meine 
Hülfe  in  Anspruch  zu  nehmen  wagen  konnten,  so  lernte  ich 
hauptsächlich  die  herrschenden,  chronischen  Krankheiten  kennen. 
Meine  therapeutischen  Erfolge  waren  gering,  wenigstens  bei  den 
inneren  Krankheiten.  Den  Leuten  so  häufig,  als  ich  gewünscht  hätte, 
Achtung  vor  unserem  ärztlichen  Wissen  und  Können  durch  den  über- 
raschenden und  sicheren  Erfolg  von  Chinin  einzuflössen,  verbot  mir, 
wie  gesagt,  die  Beschränktheit  meines  Vorraths.  Die  vielfach  vor- 
kommenden Krankheiten  der  Verdauungsorgane  boten  mir  bei  der 
•Unmöglichkeit,  gleichzeitig  ein  rationelles  diätetisches  Verhalten 
durchzuführen,  ebenfalls  wenig  Gelegenheit,  überzeugende  Erfolge 
zu  erzielen.  Wenn  chronische,  innere  Krankheiten  schon  überhaupt 
einen  ungünstigen  Boden  für  die  des  Erfolges  bedürftige  Heilkunst 
bilden,  so  wurde  es  mir  in  Küka  noch  ganz  besonders  schwer, 
meinen  Arzneimitteln  Geltung  zu  verschaffen.  Die  Kranken  konnten 
sich  nicht  entschlossen,  der  landesüblichen  Heilmethode  zu  entsagen, 
machten  neben  meinen  Verordnungen  unfehlbar  Gebrauch  von  ihren 
Kräutern  und  Qorän-Sprüchen,  und  ein  etwa  erzielter  Erfolg  kam  dem 
Ruhme  der  letzteren  zu  Gute. 

Sehr  Viele  ferner  nahmen  zwar  die  erbetenen  Medicamente  willig 
an  und  bewahrten  sie  sorgfältig  auf,  konnten  sich  aber  nicht  ent- 
schlossen, dieselben  auch  anzuwenden.  Wenn  Misstrauen  und  Arg- 
wohn gegen  den  Fremden  und  Christen  zwar  nicht  im  Augenblick  der 
Consultation  hervortraten,  so  machten  sie  doch  nachträglOh  fast 
immer  ihren  Einfluss  geltend.  Selbst  sonst  verständige  Eingeborene 


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AERZTI.ICHE  THÄTIGKEIT. 


737 


konnten  sich  nicht  von  dem  Gedanken  losmachen,  dass  jeder  Christ 
von  dem  starrsten  Fanatismus  erfüllt  sein  müsse  und  gern  seine  über- 
legene Kenntniss  von  Medicamenten  und  Giften  benützen  werde,  um 
seinen  Hass  gegen  den  Islam  durch  eine  Vernichtung  der  Bekenner 
desselben  zum  Ausdruck  zu  bringen.  Wenn  ich  dagegen  geltend 
machte,  dass  es  augenscheinlich  im  Interesse  des  einzelnen  Reisenden, 
der  gänzlich  vom  Wohlwollen  der  Eingeborenen  abhänge,  liegen 
müsse,  diesen  möglichst  viele  Wohlthaten  zu  erweisen,  so  wurde 
diese  für  Alle  auf  den  ersten  Blick  durchaus  gerechtfertigte  Folge- 
rung wieder  hinfällig  durch  die  allgemein  verbreitete  Ueberzeugung 
von  der  übernatürlichen  Herrschaft  der  Christen  über  die  Natur- 
krafte.  „Wer  will  Dich  verantwortlich  machen”,  hielt  man  mir  wohl 
entgegen,  „für  eine  Wirküng  Deines  Giftes  nach  zwei,  vier,  sechs  oder 
acht  Jahren"  — die  letztgenannte  Frist  ist  nämlich  durch  die  allge- 
meine Annahme  als  äusserste  Zeitdauer  festgesetzt,  während  welcher 
das  Gift  latent  verharren  kann  , „wenn  Du  seit  langer  Zeit  in  Deine 
Heimath  zurückgekehrt  bist?” 

Als  ich  bei  der  schnellen  Abnahme  meines  Arzneischatzes  dem 
Scheich  in  öffentlicher  Rathssitzung  eines  Tages  einen  kleinen  Vor- 
rath der  üblichsten  und  einfachsten  Medicamente  mit  schriftlicher 
Gebrauchsanweisung  überreichte,  entstand  unter  den  versammelten 
Kökenäwa  ein  Murren,  das  sich  zu  lauten  Warnungen  steigerte. 
Zwar  erhob  der  anwesende  Prinz  Aba  Bü  Bekr  seine  Stimme  und 
sagte  missbilligend  zu  der  Versammlung:  „Wisst  Ihr  denn  nicht, 
dass  die  Christen  ihre  Feindschaft  gegen  den  Islam  nie  durch  Ver- 
rath  bethätigen,  sondern  dass  dies  höchstens  die  Juden  thun?’’,  doch 
ich  bezweifle  sehr,  dass  seine  Worte  überzeugend  wirkten,  und  dass 
der  Scheich,  trotz  der  eigenen  guten  Meinung  von  den  Christen,  je- 
mals Gebrauch  von  meinem  Geschenke  gemacht  hat. 

Während  der  ganzen  Zeit  unterhielt  ich  einen  regen  Verkehr 
mit  meinen  Bekannten  unter  den  Fremden  und  Eingeborenen, 
assistirte  nach  der  Tagesarbeit  der  offenen  Tafel  des  Titiwi  oder 
rauchte  plaudernd  ein  Pfeifchen  Tabak  vor  der  Thür  des  Scherif 
cl-Medöni.  Mein  Nachbar  Ali  Malija  verheirathete  damals  eine  seiner 
Töchter  an  Aba  Käncmbu,  den  sechsten  Sohn  des  Scheich  Omar, 
und  ich  nahm  die  Gelegenheit  wahr,  Zeuge  des  grössten  Theils  der 
Feierlichkeiten  zu  sein,  welche  eine  Bornü- Hochzeit  in  den  höheren 
Kreisen  begleiten. 

Niu.-iuiK.il.  i.  47 


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738 


III.  BUCH,  IO.  KAPITEL.  DAS  ENDE  DES  JAHRES  1870. 


Ein  Hochzeitsfest  — Nika  erfordert  für  seinen  ganzen  Ver- 
lauf ungefähr  eine  Woche  Zeit.  Wirbt  Jemand  um  ein  Mädchen 
bei  dem  Vater  derselben,  so  vergewissert  sich  dieser,  wenn  der  in 
Aussicht  stehende  Schwiegersohn  ihm  befreundet  oder  ein  ange- 
sehener Mann  ist,  vor  der  Ertheilung  seiner  Zustimmung  durch  eine 
alte  Frau  unter  seinen  Verwandten  oder  intimen  Freunden  des  jung- 
fräulichen Zustandes  seiner  Tochter.  Wird  bei  dieser  Gelegenheit 
eine  unliebsame  Entdeckung  gemacht,  so  verweigert  der  Vater  das 
Jawort  und  sucht  sich  einen  armen  und  abhängigen  Heirathscandi- 
daten,  der  nur  allzu  froh  ist,  ein  Mädchen  aus  guter  Familie  mit 
reicher  Mitgift  zu  bekommen.  Solche  Fälle  kommen  oft  genug  vor, 
da  die  Mädchen  in  Küka  einer  grenzenlosen  Freiheit  geniessen, 
Abends  zum  Tanz  gehen,  wohin  und  so  lange  sie  wollen  und  sogar 
die  Nacht  ausserhalb  des  elterlichen  Hauses  verbringen , ohne  dass 
der  Vater  dies  erfährt.  Je  grösser  die  Freiheit  der  jungen  Leute  und 
je  häufiger  die  unausbleiblichen  Folgen  derselben  sind,  desto  weniger 
Aufhebens  wird  im  Allgemeinen  von  der  Sache  gemacht,  und 
mancher  enttäuschte  junge  Ehemann  mag  über  die  Entdeckung 
der  leichtfertigen  Vergangenheit  seiner  Frau  ein  sehr  begreifliches 
Schweigen  bewahren.  Doch  unter  feinen,  gebildeten  Leuten  erfor- 
dert das  Zartgefühl  jene  vorläufige  Feststellung. 

Ist  der  Vater  in  der  Lage  gewesen,  seine  Zustimmung  zu  er- 
theilen  — das  Mädchen  wird,  wie  in  fast  allen  mohammedanischen 
Ländern,  um  seine  Wünsche  nicht  gefragt  — , und  steht  die  Hoch- 
zeit nahe  bevor,  so  übersendet  der  Bräutigam  dem  künftigen 
Schwiegervater  den  sogenannten  „Preis  des  Mädchens  Haqq  el- 
Bneija  arab.  — ”,  der  sich  natürlich  ganz  nach  den  Vermögensver- 
hältnissen Beider  richtet  und  in  Geld,  Sclaven,  Pferden  u.  dergl. 
besteht.  Sobald  der  Tag  der  Hochzeit  bestimmt  ist,  schickt  der 
Bräutigam  Reis,  Honig  und  Butter  in  das  schwiegerelterlichc  Haus  zur 
massenhaften  Bereitung  des  Festgebäckes  in  der  Form  der  (schon  er- 
wähnten) Näkia.  Der  Vater  der  Braut  prüft  die  Menge  dieser  Zu- 
tliaten  und  vermehrt  dieselbe  durch  ein  Opfer  von  io,  20  oder  selbst 
50  Maria-Theresia-Thalern  oder  landesüblichen  Toben,  je  nach  seinem 
Vermögen  und  seinen  Ansprüchen.  Die  Frauen  des  bräutlichen 
Hauses  bereiten  den  Kuchen  zum  festgesetzten  Tage  und  überreichen 
ihn  dem  Bräutigam  zur  Vcrtheilung  an  die  beiderseitigen  Verwandten 


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HOCHZF.ITSSF.ST  ODKR  NlKA. 


7;«) 


und  Freunde  in  Schüsseln,  deren  Zahl  in  den  mittleren  und  höheren 
Klassen  von  20 — 100  schwanken  mag. 

Am  folgenden  zweiten  Tage  der  Feierlichkeiten  pflegt  der  Vater 
der  Braut,  wenn  er  in  guten  Verhältnissen  ist,  seinen  Schwiegersohn 
mit  einem  l’ferde,  einem  Sclaven,  einigen  Gewändern  und  womöglich 
einem  Burnus,  einem  Tarbüsch,  einem  Tuchbcinkleid  und  einem 
Teppich  auszustatten  und  als  Ausgabegeld  für  die  erste  Zeit  des 
jungen  Haushalts  etwa  ein  halbes  Tausend  Gabag  oder  eine  ähnliche 
Summe  in  Kauri-Muscheln  zu  hinterlegen.  Mit  einbrechender  Nacht 
erscheinen  dann  Abgesandte  des  Bräutigams  mit  einem  Pferde  und 
einem  Burnus,  um  die  Braut  abzuholen.  Diese  sitzt  in  festlichem 
Gewände  und  bräutlichem  Schmucke  auf  einer  Matte,  erhebt  und 
setzt  sich  sieben  Mal,  wird  von  den  anwesenden  Verwandten  und 
Bekannten  umkreist,  und  unter  Berührung  ihres  Hauptes  mit  dem 
Qorän  giebt  ihr  ein  feierliches  Fätiha  die  hochzeitliche  Weihe. 
Erst  dann  wird  sie  unter  scheinbarem  Widerstreben  ihrerseits  in  den 
Burnus  gehüllt,  auf  das  Pferd  gehoben  und  von  F rauen  und  Mädchen 
unter  Gesang  in  das  Haus  des  demnächstigen  Gatten  geleitet.  Hier 
verbringt  sie  die  Nacht  unter  Musik  und  Tanz  in  Mitten  ihrer  weib- 
lichen Begleitung,  die  sich  an  einem  Gerichte  aus  Duchn-Mehl,  Ge- 
würzen und  Honig  — Bellolö  - gütlich  thut. 

Am  dritten  Tage  folgt  der  eigentliche  Hochzeitsschmaus,  ln 
der  ersten  Morgenfrühe  fuhrt  die  ganze  Sippschaft  der  Braut  grosse 
Vorräthe  von  Mehl  auf  Kameelen  und  Eseln  herbei,  der  Bräutigam 
schlachtet  einige  Rinder,  und  liefert  Butter,  Honig,  Salz  und  Holz 
zur  Bereitung  des  Mahles.  Die  Gefährtinnen  der  Braut,  denen  diese 
Arbeit  obliegt,  fragen  zunächst  den  Bräutigam  nach  der  Zahl  der 
herzustellenden  Schüsseln,  die  bei  wohlsituirten  Leuten  nicht  selten 
mehr  als  100  beträgt.  Gewöhnlich  greift  der  Bräutigam  die  Zahl 
höher,  als  die  von  ihm  gelieferten  Zuthaten  erlauben;  die  Frauen 
wenden  sich  dann  um  Zuschuss  an  den  Brautvater  und  pressen  aus 
demselben  so  viel  als  möglich  heraus,  um  schliesslich  die  Zahl  der 
gewünschten  Schüsseln  zum  Besten  der  Vorrathskammern  des  jungen 
Ehepaares  zu  verringern.  Während  des  ganzen  Tages  wird  gekocht, 
gebacken  und  geschmaust,  und  freigebig  vertheilt  man  von  den 
Schüsseln  an  Nachbarn,  Bekannte  und  Arme.  Vom  wohlsituirten 
Bräutigam  aber  wird  an  diesem  Tage  erwartet,  dass  er  an  die  Braut- 
jungfern reichlich  Güro-  Nüsse  vertheile  und  der  jungen  Frau  einige 

•17* 


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740  III.  BUCH,  IO.  KAPITEL.  DAS  ENDE  DES  JAHRES  1870. 

feinere  Hausgewänder,  Schulter-  und  Hüften- Umschlagtücher  und 
seidegestickte  Hemdchen  überreiche. 

Auch  die  auf  diesen  Haupttag  der  Nika  folgende  Nacht  ver- 
bringt das  j'unge  Mädchen  noch  in  Mitten  ihrer  Brautjungfern.  Erst 
am  vierten  Tage  entledigt  sich  der  junge  Hausherr  allmählich  der 
überflüssigen  Frauenzimmer,  sowohl  derer,  welche  als  Kochkünst- 
lerinnen  fungirten,  als  auch  derjenigen,  welche  die  Braut  wuschen, 
frisirten  und  schmückten  oder  auch  nur  als  Ehrenwächterinnen  dienten, 
indem  er  sie  beschenkt  und  von  den  letztgenannten  nur  zwei  Ma- 
tronen zurückbehält,  denen  die  Pflicht  obliegt,  ihre  Schutzbefohlene 
für  die  nun  folgende  Brautnacht  einzukleiden.  Sie  legen  ihr  ein 
sauberes,  weisses  Gewand  an  und  überlassen  dann  das  Paar  sich 
selbst,  das  Brautgemach  bewachend.  Noch  während  der  Nacht  ent- 
reissen  dieselben  der  jungen  Frau  ihr  Gewand  und  tragen  es  in 
erster  Morgenfrühe  triumphirend  zum  Brautvater,  der  sich  dann  oft 
noch  vom  selbstbewussten  Schwiegersohn  ein  Extrageschenk  erpressen 
lässt,  zuweilen  aber  auch  den  darauf  abzielenden  Besuch  desselben 
ablehnt. 

Am  fünften  Tage  endlich  wird  der  Hausrath,  mit  dem  die  Braut 
aus  dem  elterlichen  Hause  ausgestattet  wird,  in  das  neu  begründete 
Haus  übergefuhrt.  In  feierlichem  Aufzuge  und  unter  Vortritt  einer 
Musikbande  erscheinen  geputzte  Frauen  und  Mädchen  mit  Schüsseln, 
Schalen,  Deckeln,  Körbchen  und  Krügen  auf  den  Köpfen,  und  auch 
an  diesem  Tage  wird  nach  Herzenslust  geschmaust,  musicirt  und  ge- 
tanzt. Nach  Verlauf  von  zwei  weiteren  Tagen,  welche  ebenfalls 
noch  einen  festlichen  Charakter  tragen,  verlassen  auch  die  beiden 
Matronen  das  Haus,  und  die  jungen  Eheleute  bleiben  allein. 

Nach  dem  Ende  der  Regenzeit,  während  desOctober  und  November, 
als  rings  im  Lande  die  stehenden  Lachen  austrock'neten,  nahm  mit 
der  andauernden  Schwellung  des  Tsäde  der  Wasserreichthum  in  der 
nächsten  Umgebung  des  Sees  noch  zu.  Die  Einwohner  von  Ngigmi 
hatten  sich  längst  auf  die  schützenden  Dünen  zurückgezogen,  die 
östlich  von  Küka  auf  dem  Ufer  der  Lagune  wohnenden  Käncmbu, 
welche  seit  sechszehn  Jahren  keine  Veranlassung  gehabt  hatten,  für 
ihre  Dörfer  zu  furchten,  schoben  diese  nach  Westen  zurück;  Ngomu 
wurde  zur  Hälfte  verlassen,  und  der  höher  gelegene  Theil  der  Stadt 
verwandelte  sich  in  eine  Insel.  Noch  weiter  südlich  befuhren  die 
Leute,  wie  von  Reisenden  erzählt  ward,  die  Gegend  weit  und  breit 


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NACH  DER  REGENZEIT.  — SCHICKSALE  DER  MAROKKANER.  74  1 

* 

mit  Nachen;  längst  versiegte  Brunnen  in  der  Umgegend  von  Küka 
füllten  sich  wieder,  und  später  begann  man  sogar  für  die  Hauptstadt 
zu  fürchten. 

Im  Laufe  des  November  verringerte  sich  die  allgemeine  Sterb- 
lichkeit; die  mörderische  Krankheit  hatte  ihr  Ende  erreicht.  Als  ich 
einst  einen  Spazierritt  um  die  Stadt  machte,  legten  mir  die  zahl- 
losen frischen  Gräber  der  nahen  Friedhöfe,  die  man  mit  Dornen 
und  mit  Scheuchen  gegen  Hyänen  und  Hunde  bedeckt  hatte,  Zeug- 
niss  von  der  Zahl  der  Opfer  ab,  welche  die  Regenzeit  gefordert 
hatte.  Doch  die  Wechselfieber  dauerten  unvermindert  fort.  Manche 
meiner  Bekannten  und  Reisegefährten  waren  indessen  aus  dem  Leben 
geschieden.  Mehr  als  einmal  fürchtete  ich  für  das  Leben  des  Scherif 
cl-Medeni,  der  kräftige  Bü  Äischa  und  manche  seiner  Leute  waren 
zu  Schatten  geschwunden,  und  mehrere  der  letzteren  waren  gestorben. 
Der  Titiwi  hatte  eines  Tages  mehr  als  zwanzig  schwarze  Fieberkranke 
im  Hause,  und  aus  meiner  Begleitung  befand  sich  nicht  allein  der 
Marokkaner  Hammu  im  elendesten  Zustande,  sondern  selbst  BuY  Mo- 
hammed, der  sich  bis  dahin  so  unempfänglich  für  das  Sumpfficbcr 
gezeigt  hatte,  hütete  sein  Lager.  Giuseppe  und  ich  selbst  blieben 
natürlich  nicht  verschont,  sondern  wurden  zeitweise  recht  hart  mit- 
genommen, doch  wenn  wir  rings  um  uns  überall  Tod  und  Krankheit 
sahen,  konnten  wir  mit  innigem  Dankgcfuhl  und  vertrauensvoll  in 
die  Zukunft  blicken. 

Für  die  Marokkaner  hatte  die  verflossene  Zeit  schmerzliche  Ver- 
luste und  herbe  Erfahrungen  gebracht.  Ihrer  fünf  oder  sechs  waren 
dem  Fieber  der  Jahreszeit  erlegen;  ihre  Hoffnungen  auf  die  Frei- 
giebigkeit des  Scheich,  der  die  Akrobatenkünste  nicht  eben  liebte, 
waren  nicht  erfüllt  worden;  die  Rohheit  und  Strenge  des  Moqaddem 
hatte  die  Gesellschaft  um  die  Hälfte  verringert.  Nach  der  Ankunft 
in  Bornü  war  der  Ilädsch  Brek  dem  Beispiele  Hammu's  gefolgt,  und, 
da  ich  mich  anfangs  weigerte,  ihn  aufzunehmen,  einige  Monate  hin- 
durch im  Lande  herumgereist.  Schliesslich  kehrte  er  zu  mir  zurück 
und  war  durch  Nichts  zu  bewegen,  mein  Haus  zu  verlassen  Drei 
Andere,  Hadsch  Mbärek,  Azizi  und  ein  Knabe  waren  nach  Westen 
entflohen,  um  über  Soköto  und  Timbuktu  ihre  Heimath  wieder  zu 
gewinnen.  Ein  alter  Mann  endlich  und  ein  Knabe  hielten  sich  bei 
den  mitleidigen  Einwohnern  der  Stadt  verborgen.  Verbittert  kam 
Hadsch  Sälih,  als  das  Land  hinlänglich  abgetrocknet  war,  um  die 


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742  III.  HUCH,  IO.  KAPITEL.  DAS  ENDE  DES  JAHRES  1870. 

Fortsetzung  der  Reise  nicht  zu  erschweren,  eines  Tages,  um  Ab- 
schied v'on  mir  zu  nehmen.  Vor  der  Thür  meines  Hauses,  das  er 
sich  aus  Hass  gegen  seine  früheren  Gefährten  zu  betreten  weigerte, 
suchte  er  mich  durch  eine  drastische  Schilderung  alles  dessen,  was 
er  in  Bornü  gelitten  habe,  zur  Mitreise  zu  bewegen.  Der  härteste 
Verlust  stand  ihm  am  Tage  der  Abreise  selbst  bevor.  Hadsch 
Hussein,  ein  wirklicher  Scherif  und  Kind  der  Zäwia,  aus  welcher  die 
ganze  Expedition  hervorgegangen  war,  hatte,  wie  oben  erwähnt; 
schon  beim  Betreten  Bornus  Streit  mit  seinem  gcwaltthätigen  Chef 
gehabt.  Jetzt  hatte  er  sich  zwar  an  den  Vorbereitungen  zur  Abreise 
betheiligt,  zog  mit  seinen  Gefährten  bis  zum  Thore  der  Stadt,  erklärte 
aber  hier  plötzlich  seinen  Entschluss,  sic  zu  verlassen,  und  als  ich 
am  Abend  dieses  Tages  von  einem  Spaziergänge  zurückkehrte,  fand 
ich  ihn  ebenfalls  in  meinem  Hause  vor.  Obgleich  ich  ihn  von  allen 
seinen  Genossen  am  meisten  schätzte,  hatte  ich  doch  aus  Rücksicht 
auf  den  Hadsch  Sälih  seine  Dienste  bis  dahin  stets  zurückgewiesen ; 
aber  ein  echter  Marokkaner  lässt  nicht  von  einem  einmal  gefassten 
Entschluss.  Mit  Verwünschungen  gegen  Bornü  hatte  Hadsch  Sälih 
mein  Haus  verlassen,  mit  Flüchen  gegen  mich  und  diejenigen  der 
Seinen,  welche  dem  Christen  folgten,  war  er  zum  Stadtthore  hinaus- 
gezogen. Das  Schicksal  verfolgte  und  strafte  ihn  noch  weiter.  In 
Känem,  F'ittri  und  Wadäi  verlor  er  noch  mehrere  seiner  Begleiter 
durch  Tod  und  Flucht;  und  in  Dar  Für,  wo  ich  einige  Jahre  später 
einen  der  Knaben  am  Hofe  des  Königs  Brähim  fand,  erfuhr  ich,  dass 
er  mit  nur  drei  oder  vier  Personen,  dem  kümmerlichen  Reste  seiner 

einst  so  stolzen  Pilgerkarawanc,  Mekka  erreicht  habe. 

So  war  der  Ramadan  herangekommen,  und  die  Vorbereitungen 
zu  demselben  brachten  einige  Abwechslung  in  das  etwas  einförmig 
werdende  Leben  der  Hauptstadt.  Wer  auf  dem  Wege  nach  Küka 
war,  suchte  vor  Beginn  der  Fasten  sein  Ziel  zu  erreichen.  Karawanen 
beeilten  sich,  ihren  Einzug  zu  halten;  ein  Abgesandter  des  Be- 
herrschers der  Haussa- Länder,  der  sich  den  stolzen  Titel  „Emir  el- 
Musclmin”  beilegt,  traf  rechtzeitig  ein,  um  sich  über  das  räuberische 
Benehmen  des  Herrn  von  Gummel,  eines  Vasallen  Scheich  ’Omar's 
zu  beklagen;  ein  Bevollmächtigter  des  Königs  von  Adamäwa,  der 
Mo'allim  Zamq,  konnte  noch  vorher  die  Verhandlungen  zur  Beilegung 
von  Grenzstreitigkeiten  beginnen;  Pilger  auf  dem  Wege  nach  Mekka 
oder  in  die  Heimath  unterbrachen  ihre  Reise,  um  sich  durch  die 


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kamadAn  und  ’Id  el-fatra. 


743 


wahrend  des  Ramadan  verdoppelte  Gastfreundschaft  des  freigebigen 
Scheich  das  Fasten  zu  erleichtern.  Die  Bewohner  der  Hauptstadt 
suchten  nothwendige  Geschäfte  abzusch Hessen  und  schwebende  Ver- 
handlungen zu  Ende  zu  bringen.  Man  machte  die  Runde  bei  seinen 
Freunden  und  Gönnern  und  verabschiedete  sich  von  ihnen,  denn 
während  der  Fasten  hält  man  sich  gern  ruhig  zu  Hause. 

Die  Gastfreundschaft  des  Bornü- Herrschers  wird  während  des 
Ramadan  auf  eine  harte  Probe  gestellt,  denn  nicht  allein  versieht  er 
vor  Beginn  desselben  seine  Gäste  mit  Vorräthen  von  Weizen,  Reis, 
Butter,  Honig  und  Schlachtvieh,  sondern  einer  alten  Sitte  folgend 
sendet  er  jedem  Fremdling  in  der  Stadt,  der  ihm  seine  Aufwartung 
gemacht  hat  oder  der  bei  Hofe  vorgestellt  ist,  die  tägliche  Abend- 
mahlzeit. Eine  Liste  aller  dazu  Berechtigten  wird  vorher  zusammen- 
gestellt, und  allabendlich  steigt  ein  Beamter  zu  Pferde  und  durch- 
zieht an  der  Spitze  von  mehr  als  hundert  Sclaven,  welche  die 
Schüsseln  auf  den  Köpfen  tragen,  die  Strassen  der  Stadt,  um  nach 
Würde  und  socialer  Bedeutung  der  Fremden  und  nach  dem  Grade 
der  Gunst,  dessen  sie  sich  beim  Herrscher  erfreuen,  die  Vertheilung 
vorzunehmen.  Wie  reichlich  Alles  bemessen  wird,  mag  daraus  erhellen, 
dass  ich  ausser  einem  Weizengericht,  einer  Reisspeise,  dem  gewöhn- 
lichen Aiisch,  einem  Weizengebäck  mit  Honig  und  ihren  Fleisch- 
beilagen oft  noch  ein  halbes  gebratenes  Lamm  oder  ein  Dutzend 
gebratener  Hühner  oder  dergleichen  erhielt. 

Am  25.  November  hatte  die  Elrscheinung  der  neuen  Mondsichel 
den  Monat  Schaabän  beendigt  und  sich  die  Fastenstille  über  die 
sonst  so  lebhafte  Hauptstadt  gelagert.  Am  22.  December  in  vor- 
geschrittener Nacht  verkündete  eine  lange  Reihe  äusserst  schnell  sich 
folgender  Böllerschüsse,  dass  der  Scheich  die  Augenzeugen  des 
wieder  erschienenen  Neumondes  vernommen  und  glaubwürdig  be- 
funden habe,  und  dass  also  das  fröhliche  kleine  Bairamfest  — Id 
el-Fatra  arab.  — den  Entbehrungen  der  Fastenzeit,  welche  den 
culinarischcn  Genüssen  eifrig  zugethanen  Bornil  - Leuten  sehr  hart 
erscheinen,  ein  Ziel  setze.  In  den  Ländern  des  Islam  wird  das  ’ld 
el-Fatra  von  allen  mohammedanischen  Festtagen  am  meisten  gefeiert. 
Man  legt  Festkleider  an,  enthält  sich  der  Arbeit  und  macht  Gratu- 
lationsbesuche. Man  kocht,  backt  und  isst  nach  Kräften  neben  der 
Erfüllung  der  religiösen  Pflicht,  welche  in  den  höher  civilisirten 
Ländern  des  Islam  die  Obrigkeit  und  das  V’olk  zu  feierlichen  Gebeten 


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744  III.  IIUCH,  IO.  KAPITEL.  DAS  ENDE  DES  JAHRES  1870. 

in  den  Moscheen  zusammenruft.  In  Ländern,  deren  Culturgrad  nur 
wenige  und  kleine  Gotteshäuser  geschaffen  hat,  pflegen  festliche  Auf- 
züge auf  herkömmliche  Plätze  ausserhalb  der  Ortschaften  stattzu- 
finden, bei  denen  der  grösstmöglichste  Glanz  entfaltet  wird.  Dieser 
Sitte  folgte  man  auch  in  Küka,  und  am  23.  Deccmber  um  9 Uhr 
Morgens  verkündete  ein  Kanonenschuss  der  Hauptstadt,  dass  Scheich 
Omar  sich  anschicke,  seinen  Palast  zu  verlassen,  um  ausserhalb  der 
Stadt  das  Festgebet  zu  verrichten. 

Der  zu  dieser  feierlichen  Handlung  bestimmte  Platz  befindet  sich 
einige  Kilometer  von  der  Stadt  auf  der  sich  nördlich  von  dieser 
ausdehnenden  Oschar- Ebene.  Auch  ich  hatte  meine  besten  Kleider 
angelegt,  ritt  hinaus  und  wählte  meinen  Standort  auf  einem  sandigen 
Hügel  neben  dem  königlichen  Prachtzelte,  das  man  daselbst  für  den 
Herrscher  aufgeschlagen  und  mit  einer  etwa  acht  Fuss  hohen  Ein- 
friedigung von  buntem  Kattun  umspannt  hatte.  Der  Scheich  befand 
sich  mit  seinen  Familiengliedern,  Rathsherrn  und  Kriegsanführern 
bereits  im  Innern  des  Zeltes;  in  der  nächsten  Umgebung  des  letz- 
teren hielt  sich  die  berittene  Leibgarde  im  Fest-  und  Waffenschmuck 
und  das  mit  Feuergewehren  bewaffnete  Fussvolk;  die  weite  Ebene 
war  mit  Schaulustigen  bedeckt. 

Der  Rückzug  in  die  Stadt  gestaltet  sich  bei  dieser  Gelegenheit 
zu  einem  geordneten  Festzuge,  zu  dem  die  Würdenträger  ihre  Dienst- 
mannen aus  der  Provinz  in  die  Hauptstadt  zu  rufen  pflegen,  und  in 
welchem  die  meisten  Stämme  des  Reichs  vertreten  sind.  Dass  in 
diesem  Jahre  der  Zuzug  von  aussen  in  Folge  der  grossen  Sterblich- 
keit von  Menschen  und  Hausthieren  nicht  in  dem  gewohnten  Maasse 
geschehen  sei,  hatte  ich  bereits  gehört;  doch  immerhin  war  die  zur 
Feier  versammelte  Menge  eine  sehr  beträchtliche. 

Sobald  das  Gebet  beendet  war,  schwangen  sich  die  Reiter  in 
den  Sattel,  die  Fussgänger  ordneten  sich  nach  Waffengattung  und 
Nationalität,  und  als  der  Scheich  sein  stolzes  Pferd  bestiegen  hatte, 
entfaltete  sich  der  glänzende  Zug.  An  der  Spitze  desselben  hielten 
sich  Trupps  leicht  berittener  Araber,  und  in  zweiter  Linie  die 
schweren  Reiter  der  in  der  Hauptstadt  anwesenden  Würdenträger. 
Dann  folgte,  getragen  auf  hoher  Stange,  ein  Emblem,  dessen  Be- 
deutung mir  Niemand  unter  meinen  Bekannten  enträthseln  konnte. 
Es  bestand  in  einer  hohen,  fast  kegelförmigen  Mütze,  aus  abwechselnd 
gelben  und  rothen  Feldern  zusammengenäht,  und  wurde  jederseits 


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FRSTZUG  AM  ’ll)  EI.-KATRA. 


745 


von  einem  Reiter  in  europäischer  Kürassier -Uniform,  d.  h.  in  wirk- 
lichem metallenem  Helm  und  Kürass  und  auf  wattegepanzertem 
Pferde,  geleitet.  Hinter  ihm,  umgeben  von  den  flintenbewaffneten 
Fusssoldaten  in  ihrer  buntscheckigen  Tracht,  trug  man  das  mit 
musikalischem  Geklingel,  Rosshaarschweifen  und  dem  mohammeda- 
nischen Halbmond  gezierte  Gestell,  welches  der  Janitscharenmusik 
angehört  und  dem  Scheich  einst  von  einem  Miitäsarrif  Fezzän’s 
geschenkt  worden  war.  Unmittelbar  vor  dem  dann  folgenden 
Herrscher  hielten  sich  vier  Fahnenträger  mit  grünen  und  rothen 
Fahnen. 

Die  Erscheinung  des  Scheich  im  weissen  Turban  und  Litäm, 
von  weissem  Burnus  umhüllt,  auf  hohem,  schneeweissem  Pferde, 
harmonirte  in  ihrer  einfachen  Würde  mit  dem  religiösen  Charakter 
der  F'eier.  Nur  durch  den  grossen,  gelbseidenen  königlichen  Sonnen- 
schirm, der  an  langer  Stange  von  einem  neben  dem  Pferde  einher- 
schreitenden  hochgewachsenen  und  kräftigen  Sclavcn  über  seinem 
Haupte  gehalten  wurde,  durch  den  reich  mit  Gold  gestickten  rothen 
Sammetsattel  und  eine  von  diesem  über  das  Hintertheil  des  Pferdes 
weithin  nachschleppende,  buntseidene  Decke  kam  neben  der  hohe- 
priesterlichen  Würde  der  königliche  Glanz  zum  Ausdruck.  Auf  jeder 
Seite  des  Herrschers  hielten  sich  sechs  Reiter  in  weissen,  rothen  und 
gelben  Burnussen,  auf  ungewöhnlich  starken,  in  neue,  buntgefclderte 
Wattenpanzer  gehüllten  Pferden,  die  Befehlshaber  der  königlichen 
Leibgarde.  Ihre  Leute,  schwere  Reiter,  umgaben  diesen  Theil  des 
Zuges,  dessen  Mittelpunkt  der  Scheich  einnahm,  und  trugen  Alle 
ausser  dem  unförmlichen  Libbes  eine  hohe,  ebenso  dickwattirte  Kriegs- 
mütze — Goto  — mit  einem  Blechaufsatze  — Kogo  gotobe  — , wie 
er  mit  seiner  gewöhnlichen  Zierde  eines  Straussfederbusches  in  einer 
früheren  Abbildung*)  dargestellt  worden  ist.  Hinter  dem  Scheich 
vollführte  die  Musikbande,  welche  aus  Trommel-  und  Paukenschlägern, 
Posaunen-  und  Hornbläsern,  Pfeifern  und  Blechschlägern  zusammen- 
gesetzt war,  ihr  betäubendes  Getöse.  Die  Pauke  — Ganga  — witd 
zu  Pferde  mitgeführt  und  mit  geknotetem  Tauende  geschlagen;  die 
kleineren,  meist  mehr  oder  weniger  cylinderförmigcn  Trommeln,  von 
denen  die  grössere,  Duno  genannte,  etwa  i M.  in  der  Länge  misst, 
*/,  M.  im  Durchmesser  hat  und  nur  an  einem  Ende  verschlossen  ist. 


*)  Siche  pag.  584. 


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746  III.  BUCH,  IO.  KAPITEL.  DAS  ENDE  DES  JAHRES  1870. 

während  die  kleinere  Namens  Bäla  auf  beiden  Seiten  mit  Fell  über- 
spannt ist,  hängen  an  einem  um  den  Hals  geschlungenen  Tragbande 
und  werden  mit  den  Händen  bearbeitet.  Ein  ähnliches,  an  beiden 
Enden  mit  Fell  überspanntes  Instrument  — Gunda  — , von  geringem 
Dickendurchmesser  doch  ansehnlicher  Länge,  ist  in  der  Mitte  stark 
eingeschnürt  und  am  ganzen  Körper  mit  Metallstückchen  behängt, 
welche  beim  Trommeln,  was  mit  den  Fingern  geschieht,  laut  klingeln 
und  rasseln.  Den  etwa  i'/j  M.  langen  Posaunen  — Fumfum  — aus 
Holz  oder  Blech,  den  ausgehöhlten  Antilopenhörnern  - Mangum  — 
und  kürzeren  Pfeifen  — Schillaschilla  — , welche  aus  Holz,  Messing 
oder  Horn  gearbeitet  werden,  ein  metallenes  Mundstück  haben  und 
auf  der  Oberfläche  mit  zahlreichen  Kauri -Muscheln  verziert  sind, 
werden  ganz  entsetzliche  Töne  entlockt. 

Neben  der  imponirenden  Erscheinung  des  Scheich  selbst  bildeten 
die  Paradepferde  desselben  den  Glanzpunkt  des  Zuges.  Dieselben 
wurden  in  der  Zahl  von  acht,  von  denen  zwei  durchaus  weiss,  zwei 
Grauschimmel,  zwei  eisengrau  und  zwei  gescheckt  waren,  nachgeführt 
und  trugen  kostbare  gold-  und  silbergestickte  Sammetsättel  in  rother, 
grüner,  dunkelblauer  und  brauner  Farbe,  vergoldete  oder  versilberte 
arabische  Steigbügel  und  buntfarbige,  seidene  Decken,  welche  am 
Sattel  befestigt,  über  das  Hintcrtheil  des  Thieres  hin  nachschleppten. 
Die  Pferde  gehörten  theils  nordischer  Rasse,  thcils  der  Landeszucht 
an  und  waren  ohne  Ausnahme  von  ausgezeichneter  Schönheit  und 
vortrefflich  gehalten. 

Der  nun  folgende  Theil  des  Zuges  schwächte  die  empfangenen 
Eindrücke  von  Pracht  und  Grossartigkeit  erheblich  ab.  Zunächst 
wurde  eine  kleine  dürftige  Kanone  auf  niedriger,  im  Lande  ge- 
arbeiteter Laffetc  mit  plumpen  Holzscheiben  anstatt  der  Räder  von 
zwei  kleinen,  melancholisch  einherschleichenden  Maulthieren  — diese 
Thiere  scheinen  im  Sudan  durchaus  nicht  zu  gedeihen  — mühsam 
über  den  unebenen  Boden  gezerrt.  Das  armselige,  wenig  kriegerisch 
aussehende  Geschütz  wurde  von  vier  Kanonieren  geleitet  und  in  der 
Fortbewegung  unterstützt,  während  der  Befehlshaber  der  bescheidenen 
Gruppe,  ein  Fezzäner,  dem  sein  Amt  eines  Artillerie-Chefs  im  Lande 
den  Namen  Mohammed  Medfa,  d.  h.  Kanonen-Mohammcd,  verschafft 
hatte,  beritten  war.  Dann  folgte  nicht  minder  mühsam  ein  anderes 
Probestück  fremdländischer  Cultur,  ein  halbvcrdecktes  Wägelchen, 
das  die  Richardson-Barth'sche  Expedition  vor  zwanzig  Jahren  nach 


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GRATULATIONS-COUR.  — REISEAUSSICHTEN. 


747 


Bornü  gebracht  hatte  und  das  den  locomotorischcn  Bestrebungen 
eines  dritten  Maulthiers  anvertraut  war.  Das  letztere  wurde  unter 
der  Oberleitung  des  berittenen  Wagen  - Commandantcn,  der  seinem 
Amte  den  Namen  Abdallah  Karussa,  d.  h.  Wagen- Abdallah,  ver- 
dankte, am  Zügel  geführt.  Das  Verdeck  des  Wagens  hatte  sein 
Lederdach  mit  der  Zeit  eingebüsst  und  war  anstatt  dessen  mit  roth- 
geblümtem  Wollstoff  überzogen.  Abdallah  Karussa  war  mit  der 
Richardson'schen  Expedition  nach'  Bornü  gekommen,  wegen  seiner 
Geschicklichkeit  zur  Zusammensetzung  des  in  zerlegtem  Zustande 
durch  die  Wüste  transportirten  Vehikels  verwendet  und  dann 
vom  Scheich  mit  der  Oberaufsicht  über  dasselbe  betraut  worden. 
Er  war  eigentlich  Schneider  seines  Zeichens  und  verdankte  seiner 
Kunstfertigkeit  in  diesem  Handwerk  hauptsächlich  seinen  Unterhalt, 
ebenso  wie  Mohammed  Medfa  nicht  von  seinem  Amte  in  der 
Artillerie  leben  konnte,  sondern  kaufmännische  Geschäfte  trieb. 

Wenn  Alles  wieder  in  die  Stadt  zurückgekehrt  ist,  schickt  man 
sich  an,  Gratulationsbesuche  zu  machen  und  zu  empfangen,  und  über 
diese  verstreichen  die  beiden  ersten  Tage  des  Festes.  Obgleich  ich 
als  Christ  von  denselben  hätte  verschont  bleiben  sollen,  so  lockten 
doch  meine  Güro-Niisse  die  Besucher  allzu  sehr  an,  als  dass  ich  nicht 
zahlreiche  Glückwünsche  hätte  empfangen  sollen.  Erst  am  dritten 
Tage  hielt  der  Scheich  officiellc  Gratulationscour  ab,  zu  welcher  der 
grossen  Menschenmenge  wegen  der  gewöhnliche  Raths-  und  Audienz- 
Saal  nicht  benutzt  werden  konnte.  Der  Herrscher  wählte  zu  diesem 
Zwecke  ein  Zimmer,  das  auf  den  ersten  grossen  Hof  des  Palastes 
ging,  und  empfing  die  Gratulanten  in  diesem,  nachdem  er  ein  mäch- 
tiges Zelt  hatte  darüber  spannen  lassen.  Von  der  äusseren  Halle 
des  Palastes  bis  zum  Zimmer  des  Scheich  bildeten  flintenbewaffnete 
Soldaten  ein  Spalier,  durch  das  die  Besucher  passiren  mussten,  und 
vor  jenem  standen  zwei  Kürassiere.  Ich  hatte  die  Ehre,  in  die 
nächste  königliche  Umgebung,  wo  die  angesehensten  Kokenäwa  ver- 
sammelt waren,  zugclassen  zu  werden,  und  beobachtete  von  dort 
aus  die  endlose  Reihe  der  gratulirenden  Scherff’s,  Pilger,  fremden 
Kaufleute  und  Corporationcn  einheimischer  Stämme  und  Gewerke. 
Neben  dem  Divan  des  Scheich  hielten  sich  jederseits  vier  flinten- 
bewaffnete  Gardisten,  die,  barhäuptig,  in  rothe  Tuchkaftan’s  gekleidet, 
nahezu  sechs  Fuss  gross  und  mit  ansehnlicher  Körperfülle  begabt, 
recht  imponirende  Erscheinungen  waren.  Nachdem  zahllose  Fätiha's 


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748  III.  BUCH,  IO.  KAPITEL.  DAS  ENDE  DES  JAHRES  1870. 

gebetet  worden  waren  — ohne  das  Eingangsgebet  des  Qorän  thut 
es  kein  Scherif,  Pilger  oder  Gelehrter  — , hob  der  Scheich  um  Mittag 
die  Cour  auf  und  zog  sich  in  seine  Gemächer  zurück. 

Mit  dem  Ende  des  Fastenmonats  näherten  wir  uns  dem  Schluss 
des  Jahres  1870,  und  dieser  Abschnitt  brachte  mir  die  schnelle  Ver- 
gänglichkeit der  Zeit  wieder  zum  Bewusstsein.  Ich  war  ausserdem 
des  beständigen  Stilllebens  müde  und  fühlte  das  Bedürfniss,  zu  neuen 
Unternehmungen  auszuziehen.  Gleichzeitig  kam  der  geplante  Kriegs- 
zug des  Scheich  in  den  Westen  des  Reiches  in  Wegfall,  denn  un- 
mittelbar nach  dem  Ramadan  schickte  Fürst  Tanemon  von  Zinder 
einen  Gesandten  mit  freilich  sehr  magerem  Tribut,  aber  mit  desto 
unterwürfigerer  Botschaft  an  seinen  Lehnsherrn  und  mit  ansehnlichen 
Geschenken  an  seine  Freunde  unter  den  Höflingen.  Damit  verschwand 
das  Schreckgespenst  eines  Kriegszuges,  das  die  Geinüther  der  feigen 
und  verweichlichten  Kökenäwa  geängstigt  hatte,  und  Alles  war 
Freude  und  Heiterkeit  am  Hofe  von  Küka. 

Ich  war  also  auf  die  Ausführung  meines  Besuches  der  Tsäde- 
Inscln  hingewiesen,  da  der  Scheich  noch  immer  von  einer  Reise  nach 
Wadäi  Nichts  hören  wollte  und  mit  überzeugendem  Ernste  auf  das 
traurige  Schicksal  meiner  Landsleute  Vogel  und  v.  Beurmann  hinwies, 
welche  auf  seine  Warnungen  nicht  hätten  hören  wollen.  Schon  seit 
längerer  Zeit  hatte  ich  aus  einer  verständigen  Känembu-Frau,  welche 
lange-  Zeit  auf  den  Budduma-Inseln  verheirathet  gewesen  war,  mehr 
Nachrichten  über  den  Tsäde- Archipel  und  seine  Bewohner  hcraus- 
gelockt,  als  sie  selbst  wohl  für  möglich  gehalten  hatte;  jetzt  schickte 
Lamino  an  den  Kascheila  Kimme,  einen' der  wenigen  Budduma- 
Häuptlingc,  die  sich  der  Bornü -Regierung  ergeben  gezeigt  hatten, 
den  Befehl,  so  bald  als  möglich  zur  Hauptstadt  zu  kommen.  Mit 
ihm  sollte  ich  den  See  nach  Süden  bis  zu  seinem  südöstlichen 
Theilc  umkreisen,  mich  über  die  Sitze  der  Asäla-Araber  nach  Karka, 
den  Inseln  der  Küri,  begeben,  und  von  dort  mit  Hülfe  des  herrschen- 
den Ostwindes  über  die  Inseln  der  Budduma  und  das  offene  Wasser 
des  Sees  nach  Küka  zurückkehren. 

Durch  w’elche  Ereignisse  auch  dieser  Reiseplan  zerfiel,  und  wie 
ich  noch  einmal  für  eine  lange  Zeit  in  die  Sahara  zurückgeführt 
wurde,  werde  ich  im  folgenden  Thcile  meines  Reiseberichtes  erzählen, 

«•*«•<» 


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ANHANG. 


Erläuterungen  zu  den  Tabellen. 

Die  in  diesem  Anhang  gegebenen  Tabellen  i — 19  enthalten  die  während 
der  Jahre  1869  und  1870  auf  den  Reisen  von  Tripolis  nach  Murzuq  (Tab.  1 und  2), 
von  Murzuq  nach  Tibesti  (Tab.  7—9)  und  von  Murzuq  nach  Bornfi  (Tab.  17 
bis  19)  und  zu  Murzuq  selbst  (Tab.  3 — 6 und  10 — 17)  angestellten  und  auf- 
gezeichneten Beobachtungen  über  Temperatur,  Feuchtigkeit  und  Luftdruck, 
sowie  über  Richtung  und  Stärke  des  Windes,  Ansicht  des  Himmels  (d.  h.  der 
oberen  Schichten  der  Atmosphäre)  und  Art  der  Bewölkung,  und  endlich  über 
den  Zustand  der  Luft  (d.  h.  der  unteren  Schichten  der  Atmosphäre),  Regen 
und  andere  atmosphärische  Erscheinungen. 

Die  Temperatur-Ablesungen  wurden  bei  längerem  Aufenthalte  an  demsel- 
ben Orte  an  einem  Thermometer  nach  R.,  auf  der  Reise  an  einem  solchen  nach 
C.  gemacht;  in  den  Tabellen  sind  die  ersteren  auf  °C.  reducirt  wiedergegeben. 

Die  Angaben  des  Luftdruckes  wurden  zuerst  an  einem  Anero'id  mit  Ein- 
theilung  in  engl.  Zoll  (vergl.  S.  141),  später  an  einem  solchen  mit  Millimeter- 
Eintheilung  abgelesen;  die  ersteren  sind  in  den  Tabellen  1 — 9 auf  Millimeter 
reducirt  wiedergegeben. 

Aus  den  zahlreichen  Beobachtungszeiten  im  Laufe  jedes  Tages  über 
Temperatur  und  Luftdruck,  welche  besonders  auf  den  Reisen  oft  wechselten, 
wurden  für  die  Tabellen  diejenigen  Stunden  oder  Zeiten  ausgewählt,  welche 
den  Gang  der  Temperatur  und  des  Luftdruckes  am  besten  darzustellen 
schienen ; dieselben  sind  am  Kopfe  jeder  Tabelle  angegeben.  Zur  genaueren 
lllustrirung  des  täglichen  Ganges  der  Temperatur  und  des  Luftdruckes  zu 
Murzuq  sind  für  je  einen  Sommer-  und  Winter-Monat  (Mai  und  December  1869) 
in  den  Tabellen  5,  6 und  13  aus  dem  Beobachtungsjoumal  die  sämmtlichen 
Ablesungen  aufgeführt. 

Die  auf  S.  137  und  144  gegebenen  Monatsmittel  der  Temperatur  und  des 
Luftdruckes  für  Murzuq  sind  theils  aus  einer  grösseren  Zahl  von  Beobachtungen, 
theils  aus  anderen  Beobachtungsstunden,  als  in  den  Tabellen  gegeben  sind,  abge- 
leitet worden;  in  den  letzteren  ist  von  allen  Mittelwerthen  Abstand  genommen. 

Richtung  und  Stärke  des  Windes  sind  nach  den  im  Tagebuche  Morgens, 
Mittags  und  Abends  verzeichneten  Schatzungen,  und  Ansicht  des  Himmels,  Art 
der  Bewölkung,  Zustand  der  unteren  Luftschichten  u.  s.  w.  nach  den  im  Ver- 
laufe des  Tages  gemachten  Wahrnehmungen  in  den  Tabellen  wiedergegeben. 

Bei  allen  Tabellen,  welche  sich  auf  die  während  der  Reisen  gemachten 
Beobachtungen  beziehen,  ist  in  der  letzten  Spalte  für  den  betreffenden  Tag 
der  Beobachtungsort  angegeben. 

Am  Fusse  einiger  Tabellen  sind  noch  Ablesungen  des  Koch-Thermometers 
mit  der  gleichzeitig  beobachteten  Luft-Temperatur  verzeichnet,  und  allgemeine 
Beobachtungen,  welche  keine  besondere  Spalte  erhalten  konnten,  angemerkt. 


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Tab.  i.  1869  Februar.  — Reise  von  Tripolis  nach  Murzuq. 


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Tab.  5.  1869  Mai.  — Murzuq. 


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KUckrciar  von  Tibe»tl  nach  Mufjiuq 


1869  November.  Murzuq. 


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Tab.  13.  1869  December.  — Murzuq. 


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Tal).  15.  1870  Februar.  — Murzuq. 


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täyo  März.  Murzucj. 


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: 96  po«  (L.T.  SSI«)  94  b a.  m : am  21,:  96. »o"  1L.  T.  3.1s“)  6 h p.  m,:  am  88.:  98  io«  (L.T.  39«“)  10  b a.  m ; im  84  : 98. '.'(«  (L.  T.  45««)  12  h m.;  am  25.:  98  45»  (L.T.  37.4“) 


1870  Juni.  — Reise  von  Murzuq  nach  Bornü. 


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Tab.  13.  1869  December.  — Murzuq. 


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Tali.  15.  1870  Februar.  — Murzuq. 


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Tut».  1 6.  1870  Mar/,  Murzuq. 


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