Sahara und Sudan
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Gustav Nachtigal
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TRIPOLIS, FEZZÄN, TIBESTI und BORNU.
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SAHARA UND SUDAN.
ERGEBNISSE SECHSJÄHRIGER REISEN IN AFRIKA
VON
Dr. GUSTAV NACHTIGAL.
ERSTER TU EIL.
MIT NEUNUNDVIERZIG HOLZSCHNITTEN UND ZWEI KARTEN.
sr/ a
//-?3 3
BERLIN, 1879.
W EIDM ANNSC.IE BUCHHANDLUNG WlEGANDT, H EMI’EI. & PAREV
(Hans Reim kh). (Paul Parry).
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U .b • AfK. $4*' *v C ')
Prof. Dr. W. Krickeberg
B»rlin-Wi!mersdorf
Detmolder Straße 10
1i
Das Recht eine l ebersetzung ins Englische und Französische zu veranstalten
wird Vorbehalten.
" RECEIVED
*pr i i 4077
gfcABÖOl MU86UI1
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SEINER MAJESTÄT
DEM
DEUTSCHEN KAISER,
KÖNIG WILHELM VON PREUSSEN
IN TIEFSTER EHRFURCHT
AI.LKKL'NTEKTHANIGST GEWIDMET.
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Vorwort.
Die grossartigen Erfolge, welche die Afrika- Forschung gerade
in den letzten Jahren errungen hat, durften in mir die Besorg-
nis erwecken, dass das Interesse für Reisen, welche vor nun be-
reits vier Jahren ihren Abschluss fanden, sich inzwischen gewisser-
massen abgeschwächt habe. Der Umstand jedoch, dass die epoche-
machenden Entdeckungsreisen der letzten Jahre in Afrika sich
ausschliesslich auf die südäquatoriale Hälfte des Continents er-
streckten, die meinigen hingegen sich stets nördlich vom Acquator
hielten, sowie die freundliche Bcurtheilung, welche meine fragmen-
tarischen Veröffentlichungen in den weitesten Kreisen erfuhren, er-
muthigen mich, nunmehr mit den Gesammtcrgebnissen meiner Reisen
in der grossen Wüste und den Sudan-Ländern vor die Ocffentlichkeit
zu treten.
Die allseitige Anerkennung, welche mich nach der Beendigung
meiner fast sechsjährigen Wanderungen belohnte und mir stets in
dankbarster Erinnerung bleiben wird, berechtigte wohl zu der Erwar-
tung, dass ich meine Erfahrungen in schnellerer Weise verarbeiten
würde, als es mir thatsächlich gelungen ist, und mancher Leser wird
mit um so höheren Ansprüchen an das Buch hcrantreten, je länger
sich die Veröffentlichung desselben verzögert hat. Doch nach meiner
Rückkehr in die Heimath, welche ich dreizehn Jahre zuvor verlassen
hatte, traten mancherlei Ansprüche an mich heran und zersplitterten
meine Zeit, und die schwierige und zeitraubende Sichtung meiner oft
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VIII
VORWORT.
unter den ungünstigsten Verhältnissen gemachten Reisenotizen hat
langsamere Fortschritte bedingt, als ich jemals voraussetzen zu
müssen glaubte.
Wenn gleichwohl meine Arbeit nach vielen Richtungen nicht
den Vorzug gewinnen konnte, den Anforderungen, welche man an
die exacte geographische Forschung zu stellen berechtigt ist, völlig
Genüge zu leisten, so liegt der Grund für diese Thatsache in dem be-
dauerlichen Umstande, dass ich bei Uebernahme der Sendung, welche
die Veranlassung zu meinen übrigen Reisen geworden ist, für wissen-
schaftliche Forschungen nicht genügend vorbereitet war. Als Arzt
in Tunis lebend, hatte ich keine Gelegenheit gehabt, mir die Kennt-
niss der astronomischen Beobachtungsmethoden zu geographischen
Ortsbestimmungen anzueignen, ohne welche in neuester Zeit kaum
noch ein Reisender ausgeschickt wird. Ich habe mich zwar bemüht,
diesen Mangel durch eine möglichst sorgfältige Wegaufnahme und
durch die Beschaffung eines grossen, auf Erkundigungen beruhenden,
topographischen Materials, soweit in meinen Kräften stand, weniger
fühlbar zu machen, doch für die richtige Verwendung des letzteren
würden einige sichere Punkte von unschätzbarem Werthe gewesen
sein. Auch in wichtigen Zweigen der beschreibenden Naturwissen-
schaften waren meine Kenntnisse unzulänglich, und ich gebot leider
niemals über die nöthigen Mittel, um diesen Mangel durch natur-
wissenschaftliche Sammlungen cinigermassen ersetzen zu können.
Aehnlich verhielt sich in diesen Beziehungen mein Vorgänger in
einem mit dem meinigen zum kleineren Theile zusammenfallenden,
zum grösseren demselben benachbarten Forschungsgebiete, Heinrich
Barth, und ihn, der ungefähr mit denselben inneren und äusseren
Schwierigkeiten zu kämpfen hatte, nahm ich mir zum beständigen
Vorbilde.
Meine Mittellosigkeit während der ganzen Reisezeit muss
zur gerechten Beurtheilung meiner bescheidenen Leistungen in
billige Erwägung gezogen werden. Sobald ich die Mission, Ge-
schenke Sr. Majestät unseres Kaisers und Königs an den Herr-
scher von Bornü, Scheich Omar, zu überbringen, erfüllt hatte,
durfte ich, da ich von der heimathlichen Regierung keinerlei Auf-
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VORWORT.
IX
trag zu weiteren Reisen empfangen hatte, nur auf eigene Hilfs-
quellen rechnen. Zu der Kärglichkeit dieser kam die damalige
Seltenheit der Karawanen zwischen Tripolitanien und Bornü, welche
auch diejenigen Mittel, die mir inzwischen durch das Wohlwollen der
Regierung und der geographischen Gesellschaft zu Berlin zugewendet
worden waren, erst nach Jahren in meine Hände gelangen liess. So lebte
und reiste ich lange Zeit theils durch die grossmüthige Unterstützung
des Scheich Omar, theils durch Darlehne, welche ich bei nordischen
Kaufleuten aufnahm, fiel dadurch der Abhängigkeit von Anderen
anheim, war zu einer Sparsamkeit gezwungen, welche mich in den
verderblichen Ruf des Mangels an Freigiebigkeit brachte, und musste
zur Ausführung meiner Pläne eine unverhältnissmässig lange Zeit
opfern. Wenn ein Reisender nicht in der Lage ist, sich durch an-
gemessene Geschenke an die Machthaber die Wege zu bahnen, wenn
er gelegentlich vor dem Ankäufe eines Lastthiers zurückschrccken
und überlegen muss, ob er seinen Leuten eines Tages einen Hammel
schlachten dürfe oder nicht, so ist es schlimm um ihn bestellt. Die
ewige Sorge um die Bedürfnisse des täglichen Lebens nagt an seiner
Thatkraft, die ohnehin schon durch Klima, Krankheit und geistige
Vereinsamung leidet, und beeinträchtigt natürlich seine wissenschaft-
liche Thatigkeit.
In allen Ländern, welche zu besuchen mir vergönnt war, bin ich
bestrebt gewesen, über die abseits von meinen Reisewegen liegenden
Gegenden möglichst viele Erkundigungen zu sammeln, deren Ein-
ziehung mir durch meine Vertrautheit mit der arabischen Umgangs-
sprache und eine leidliche Kenntniss des Bornü -Idioms erleichtert
wurde, und habe in diesem Reiseberichte dann versucht, dieselben
mit meinen eigenen Beobachtungen zu einem Ganzen zu verarbeiten.
Wenn auch viele Einzelheiten sich bald als fehlerhaft heraussteilen
mögen und cxacteren Untersuchungen und Beobachtungen weichen
werden, so gebe ich mich doch der Hoffnung hin, dass meine Arbeit
dem Leser ein wahrheitsgetreues Gesammtbild von Ländern und
Völkern ermöglichen wird, über die entweder bisher nur vereinzelte
Daten aus früheren Reisen Vorlagen, oder welche niemals vor mir
von gebildeten Reisenden besucht worden sind.
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X
VORWORT.
Die sich auf die Topographie erstreckenden Erkundigungen zur
kartographischen Darstellung eines I^andes zu verwerthen, ist eine
entsprechend der Unsicherheit und Dehnbarkeit des Materials zeit-
raubende und unbefriedigende Arbeit, welche im vorliegenden Falle
einen nicht unwesentlichen Antheil an dem verzögerten Erscheinen
des Buches hat. Ich bin dem Ingenieur-Geographen, Herrn Kuno
Streit, zu Danke verpflichtet für das Vcrständniss und den Eifer mit
denen er mich bei der Herstellung der Karten unterstützt hat. —
Auch der hülfreichen Rathschlage Anderer habe ich mich zu erfreuen
gehabt. Dem rühmlichst bekannten Botaniker und Pflanzengeographen
Herrn Prof. Dr. P. Ascherson, ist die Feststellung mancher in meinen
Notizen erwähnten Pflanzen, welche nicht von mir identificirt werden
konnten, gelungen; Herr Dr. G. v. Boguslawski, Sectionsvorstand im
hydrographischen Bureau der Kaiserlichen Marine, ist mir bei der
Zusammenstellung der meteorologischen Beobachtungen und der Ab-
leitung von Höhenschätzungen bchülflich gewesen, und der gelehrte
Orientalist, Herr Dr. Wetzstein, war stets bereit, mir iiber die Recht-
schreibung der Wörter arabischen Ursprungs Auskunft zu geben.
Leider ist in der letztgenannten Beziehung meine Absicht, die
richtige Aussprache der Fremdwörter aus den hier in Betracht
kommenden Sprachen durch eine möglichst einfache Schreibweise,
d. h. ohne die verwirrende Verwendung ungewohnter Accente, Zeichen,
Buchstaben und Buchstabenwerthe, dem Leser nahezulegen, nur sehr
unvollkommen gelungen. Das beste Mittel, um eine möglichst richtige
Aussprache bei gleichzeitiger Rechtschreibung nach den Anforde-
rungen der Ursprache zu sichern, würde ohne Zweifel die Anwendung
des Standard-Alphabets von Lcpsius gewesen sein; doch während ich'
dasselbe für die wissenschaftliche Verarbeitung meiner linguistischen
Reiseausbeute nicht entbehren möchte, erschien seine Verwendung
in einem für das allgemeine Publikum bestimmten Reiseberichte
nicht geeignet. Selbst andere, weniger complicirte Systeme der
Transscription, wie sie von einigen wissenschaftlichen Gesellschaften
aufgestellt sind, schienen mir für den nicht linguistisch gebildeten
Leser noch zu viele Schwierigkeiten zu bieten. Ich habe mich also
darauf beschränkt, Silben, deren Maass allzu zweifelhaft erschien,
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VORWORT.
XI
mit Kürzungs- und Dehnungs-Zeichen zu versehen, und bediene mich
des deutschen Alphabets mit den wenigen Ausnahmen der Verwen-
dung des Z als weichen und des S als scharfen Zischlautes, der
Wiedergabe des gutturalen K der Semiten durch Q und der An-
deutung des arabischen Ain durch Die verschiedenen T- und D-Laute
und die beiden schwächeren H -Laute der arabischen Sprache habe
ich nur durch je einen Buchstaben dargestellt, während das stark
gutturale H der Araber durch Ch (wie im deutschen Worte „Rache”)
und der Buchstabe Rhain, je nach der lokalublichen Aussprache eines
Wortes, durch Rh oder Gh wiedergegeben worden ist. Abgesehen
von diesen vereinfachenden, aber freilich den Kigenthümlichkeitcn
der arabischen Sprache nicht streng Rechnung tragenden Grundsätzen,
habe ich die der letzteren angehörigen Wörter möglichst so ge-
schrieben, wie es die Rechtschreibung der Ursprache erfordert. Für
die Wiedergabe der Tubu- und Kamiri -Wörter habe ich mich nach
der Auffassung meines Ohres gerichtet und von der soeben ent-
wickelten Schreibweise nur die Kürzungs- und Dehnungs-Zeichen und
Z und S in den obigen Werthen beibehalten. Dass sich einzelne
Abweichungen von dieser Schreibweise eingeschlichen haben, muss
durch die Unzulänglichkeit der Grundsätze selbst, welche ich später,
als es schon zu spät war, gern modificirt hätte, seine Erklärung und
Entschuldigung finden.
Schliesslich spreche ich Herrn l’rof. Dr. R. Hartmann meinen
Dank für die liebenswürdige Unterstützung aus, welche derselbe mir
bei der Herstellung der Illustrationen zu Thcii werden Hess.
Berlin, ii. Juni 1879.
Dr. G. Naehtigal.
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Errata.
Seite .14
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Tosso.
Agarn.
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INHALTS-VERZEICHNISS.
Erstes Buch.
• TRIPOLIS UND FEZZÄN.
ERSTES KAPITEL. Tripolis Seite 3.
Aufenthalt in Tunis. — Verfall des lindes. — Revolution 18114- — Expe-
dition gegen die Rebellen. — Cholera 1866, DUrre und Hungersnoth 1807.
— llebernahme der Mission König Wilhelm’s nach Bornü. — Giuseppe
Valpreda. — Ausrüstung in Malta. — Ankunft auf der Rhede von Tripolis.
— Beschreibung der Stadt. Europäisches Quartier. — Das Regierungs-
gebUudc. — Die Bäzär's. — Die Fonduq’s. — Die Privathäuser. — Das
Judenviertel. — Das maltesische Quartier. — Bevölkerung. — Die Ein-
geborenen. — Kuruglija. — Türken. — Juden. -- Neger. — Europäer. —
Herr Luigi Rossi. — Gerhard Rohlfs’ Haushalt in der Meschtja. — Moham
med el-Qatrünf. — Kameelsattel. — Kameelc und Reiseutensilien. — Die
übrigen Diener. — Die europäische Gesellschaft. — Die türkischen Regie-
rungsorgane. — Der General-Gouverneur und seine Reformen. — Der Bürger-
meister der Stadt und sein Einfluss. — Schlechte Verwaltung. — Fräulein
Finne. — Marktverhältnissc. — Letzte Einkäufe. — I-agerung vor der Stadt.
— Internationales Piknik. — Abreise.
Zweites Kapitel. Reise nach Fezzän Seite 3«».
Strassen von Tripolis nach Fezzän. — Sandzone südlich von der Stadt.
Zunehmende Fruchtbarkeit. — Aufsteigung zum Tarhüna Gebirge. — Ab
ilüsse des Gebirges nach Norden. — Die Stämme Akara, Aläuna, Hamädät,
Drähfb, Auläd JQsef, Serädna. — Römische Ruinen. — Vegetation der Ge
birgsgegend. — Flussthäler südlich vom Gebirge. — Wadi und Schctejib
oder Halbwädi. — Das Thal Bern' Ulfd und seine Olivenpflanzung. —
Türkisches Qasr und arabische Qasba. — Weitere Wudjän und SchetejibaL
Meschähid oder Steinzeuge. — Ma’aqil oder Steinbrustwehr. — Die Serfr,
das sorwaltendc WUstenterrain. — W. Söfedschfn mit seinen Nebenfluss-
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XIV
INHA1.TS-VERZEICHNISS.
thälern. — Serfrat Omm el Ghirbal. — W. Bei. - Ankunft zu HO N'dsche'fm.
Wüster Charakter der Gegend und Kümmerlichkeit der Ortschaft. —
Komische Ruinen. — Wüstenwind. — Dschebel el M’halla, Hü Na’adscha,
Hü Atela, Tuzizzet. — Serfr, Hammada und „Zeugen”. — Dschebel el-Tur.
— Die Ebene von Süqna mit ihren Wasserbetten. — El-Dschofra. — Empfang
in Süqna. — Herberischer Ursprung der Einwohner. — Einwohnerzahl. —
Beschreibung der Stadt. — Panorama vom Qasr. — Gartencultur. — Thier-
leben. — el Melaqf, der Sammler. — Bfr Godefa. — Uebersteigung des
Dsch. es-Söda. — Dahftr el Mümin, die Höhe des Passes. — Wasserabflüsse
auf der Nord- und Südseite. — Kameelpost zwischen Tripolis und Murzuq. —
MaitSba Soda und Maiteba Hamra. Qoff el- Gharbf und Qofl' esch-Scherqf.
— Serfr Ben Alien. — Ramla el-Kebfra und Ramla es-Srhfra. — Sclaven
karawanen. — Mähiaf Knei'r. — Hattfja Omm el-’Ahfd. — Die Oase Sirrhen
und ihre Bewohner. — Die Oase Semnu. — Die Stadt und ihre Bewohner.
— Die Oase Temenhint. — Die Oase Sebha. — Die Bibfin. — Die Serfr
el Maulä. — Die Oase Rhodwa. — Der grosse Beiram oder ’ld el-Kebfr. —
Laqbf, der gegohrene Dattelpalmensaft. — ’Alem oder Wegzeichen.
Scheqwa. — Ankunft zu Murzuq. — Seite 3y.
Drittes Kapitel. Murzuq Seite ps.
Einzug in die Stadt. — Allgemeiner Charakter derselben und ihrer Um-
gebung. — Die Brüder Ben Alüa. — Beschreibung meines Wohnhauses. —
Beweise der Gastfreundschaft. — Besuche der Honoratioren. — Die Familie
Ben Alüa. — Andere hervorragende Einwohner. — Der Gouverneur. —
Meine Geschenke und Erwiderungsbesuche. — Hadsch Brahfm Ben Alüa
und der Theegenuss in Afrika. — Fräulein Tinne und ihre ReiseplUne. —
Beschreibung der Stadt. — Die Qasba und ihre Garnison. — Häuser und
Einwohnerzahl. — Ungünstige Bodenverhältnisse der nächsten Umgebung.
Begräbnissplütze. — Die Qärten der Stadt. — Bewässerung derselben. —
1 lausthiere. — Monotonie der Stadt. — Der Marktverkehr. — Laqbf-Genuss
und Schnapsfabrikation. Bevölkerungselemente von Murzuq. — Die ge-
bräuchlichen Sprachen. — Kleidung, Schmuck und Haartracht. — Ver-
gnügungen der Einwohner. — Mein täglicher Lebenslauf. — Die Leiden der
Jahreszeit. — , Die Abende bei Fräulein Tinne. — Aerztliche ThUtigkeit. —
Sumpffieber. — Meine Nahrungsmittel. — Schnaps -Ibrahim. — Schwere
Krankheit Fräulein Tinne’s. — Plan der Tibesti- Reise. — Fräulein Tinne's
Plan einer Reise zu den Tuarik.
Viertes Kapitel. Natürliche Beschaffenheit Fezzän’s . Seite u z.
Die grosse Wüste oder Sahara. — Ihre Erhebung Uber dem Meeresspiegel.
KUstengebirge und centrale Erhebungen. — Steinige Hochebenen und
Dünenregionen. — Topographische Verhältnisse zwischen Tripolis und
Murzuq. — Das Küstengebirge. — Seine weidereichen Ebenen und Abflüsse.
— Abdachung der llammäda el- Hamra nach der grossen Syrte zu. —
Serfr. — Dschebel et-Tur und el-Dschofra. — Die natürliche Nordgrenze
Fezzün's. — Dsch. es -Soda in Erhebung, Ausdehnung und Beschaffenheit.
-- Seine Abflüsse. — Oasen-Complex des eigentlichen Fczzän. — W. Schijatf
und Hattfja Omm el ’Abfd. — Dünen Edeycn. — Salzige Seen. — W. Ladschal
und die Oasen Sebha, Temenhint, Semnu und Sirrhen. — W. Otba und
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INHALTS- VERZEICHNISS.
XV
die Oase Rhodwa. — Die Hofra von Murzuq. — Die Scherqija. — Isolirte
Oasen. — W. Ekcma mit den südlichen Ortschaften. - Südgrenzc Fezzän’s.
Pflanzen und Thierlehen. Viehzucht und animalische Kost der Hin
wohncr. - Ackerbau. — Kultur der Dattelpalme. Getreidebau. Vege-
tabilische Nahrungsmittel der F'ezzäner. — Der Handel Fezzän’s sonst und
jetzt. — Grund seines Rückganges. — VVaaren. Mangel an Industrie in
Fezzän.
Fünftes Kapitel. Klima und Krankheiten Seite i35.
Meteorologische Beobachtungen zu Murzuq. — Temperatur Beobachtungen.
Maxima und Minima. — Tägliche Wärmehe wegung. - Monatsmittel. —
Psychrometer- Unterschiede. Die Grenzen derselben. — Monatsmittel für
Dunstdruck und relative Feuchtigkeit. Niederschläge und Wolkenbildung
im Zusammenhang mit den Winden. — Elektrische Erscheinungen. —
Winde. — Monatliche Vertheilung derselben. — Luftdruck. — Tägliche Be
wegung desselben. — Monatsmittel. — Zusammenfassung der meteoro
logischen Verhältnisse. — Krankheiten der F'ezzäner. — Die Malaria zu
Murzuq. — Typhus und Cholera. — Pocken. — Lungenkrankheiten.
Krankheiten der Verdauungsorgane. — Rheumatische Atfectionen. Haut
krankheiten. — Krätze und Guineawurm. — Seltenheit der Lepra. — Sy
philis. — Krankheiten der Harnorgane. Augenaffectionen. — Frauen-
krankheiten. — Kinderkrankheiten. — Gehirn und Nervenkrankheiten. ~
Thierische Gifte. — Chirurgische Kenntnisse der F'ezzäner. — Lebernatür
liehe Ursachen der Krankheiten und die Mittel dagegen. — Allgemeine phy-
siologische Anschauungen. — Heilmittel und Aerzte.
SECHSTES Kapitel. Geschichte u. Bevölkerung von Fezzän Seite iJo.
Phazania, das Land der Garamanten. Herodot's Angaben. — Die Römer
in Fezzän. — Nachrümisches Dunkel. — Libyer und Berber. — Arabische
Elemente in Afrika vor dem Islam. — Araber und Berber. Invasion der
Araber nach Gründung des Islam. — Vordringen der Küstenbevölkerung in
die Oasen der Wüste. Ausbreitung der Känem- Herrschaft über Fezzän.
— Reste derselben in Träghen. Die Nesur und Qormän. — Die Dynastie
der Auläd Mohammed aus Marokko. Abriss ihrer Geschichte. — Kämpfe
Fezzän's um seine Unabhängigkeit von Tripolis. — Ende der marok-
kanischen Dynastie durch el-Muqnf. - Die Auläd Solimän, ihre Kämpfe
und Niederlage. — Abd ei -Dschlfl. — Eroberung Fezzän’s durch die Auläd
Solimän. — Kämpfe Abd el-DsehhTs gegen die Türken. — Herrschaft der
Türken. — Eintheilung und Administration Fezzän's. — Qä’fmaqäm oder
Mütäsarrif. Mudir. Türkische Beamtcnwirthschaft. — Abnahme der
Bevölkerung und des Wohlstandes. — Steuerkraft des Landes. — Macht
losigkeit der Localregierung. - Bevölkerungsstatistik. Bevölkerungs
demente. — Eigentliche F'ezzäner und ihre allmähliche Umbildung. — Sub
äthiopische Volksstämme. — Beschreibung der F'ezzäner. — Verschiedenheit
von den Tedä. - Kleidung. — Charakter der Städte und Häuser. —
Kastelle. - Bewaffnung. — Sociale Sitten. Religiöses Lehen. — Die Se
nüsija und ihre Ausbreitung. — In Fezzän übliche Sprachen. — Zusammen -
fassende Charakler‘stik.
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XVI
INHALTS-VERZEtCHNISS.
Zweites Buch.
TIBESTI ODER TU.
Erstes KapITEI.. Der südlichste Theil von Fezzän . . Seite hm.
Die beiden Tedä-Edlen. — Abschluss des Contractes mit Akremi Kolokömi.
— Einkauf von Geschenken und Tauschwerthen. — Bu'f Mohammed’s
treuer Sinn. — Abreise FrUulein Tinne’s. Die Brunnen Tabanfja. Bidän
und das Laqbf- Gelage. Verbrennung durch Sonnenstrahlen. — Bir ed-
Domrän. — Sandwliste. — Hattija Mestüta. Ankunft zu Qatrün. — Hadsch
Dschäber und die Muräbidija. — Hochgradige Hitze. — Beschreibung der
Stadt und ihrer Bewohner. — Behausungen der Tubu. — Gartencultur. —
BO Ze'fd und seine Ansprüche. - Weitere Ankäufe für die Reise. — Bachf.
— Arabische Ruinen. — Zunehmende Tubu-Besucher. Augenentzündung.
— Qasrauwa. — Weg durch das Thal Ekema. — Tedscherri und seine
Qasba. — Bevölkerung. Verrätherische Pläne der Tubu. — Abreise. — Bir
Meschru. — Traurige Zeugen des Sclavenhandels. — LagSba Buiä. — LagSba
Konti. — Hochebene Alaota Kju. — Tümnio Gebirge oder el-Wur.
ZWEITES Kapitel. Unbekannte Gegenden Seite 233.
Weg nach Afäti. — Kolokömi’s Unkcnntniss der Gegend. — Schwieriger
Nachtmarsch. — Wassermangel. -- Flussthal Galiemma. — Gefahr des Vcr-
schmachtens. - Rettung aus Gefahr. — Begrüssungs Cercmonien der Tedä.
— Arbeit am Brunnen. — Neue Ankömmlinge. — Ernte der Coloquinthen
Kerne. — Gebirgsgruppe Afäfi. — Mussthal Lolemmo. — Fortsetzung der
Reise. — Sandsteinfelscn der Ebene. — Noch einmal Wassermangel.
Birsa geht nach Ariibu. Widerstandsfähigkeit der Tubu gegen Hunger,
Durst und Anstrengung. — Zeitige Rettung. — Isoa. — Gegend Afo. —
Ueberschreitung des Pinneri Udö'f. — Die Berge Tibesti’s. — Der Tarso mit
dem Tusidde. — Die P'lussthälcr Kjauno. — Neue Bäume. — Ausläufer des
Tarso. — Emi Mini. — Gegend von Tao. — Zunehmendes Thierleben.
Die Flussthäler von Täo, Dommädo und Dausado. — Galma, der Sohn
Selemma's. — Seine Tante Kintafo. — Spärliche Bewohnerschaft Täo's.
Drittes Kapitel. Täo und Zuär Seite 265.
Verschiedene Arten der Behausungen. — Ursachen der augenblicklichen
Entvölkerung Täo's. — Ernährungsverhältnisse der Tedä. — Barda'i zur
Erntezeit. — Ankunft von Qatruncr Kaufleuten. — Reise nach dem E. Zuär.
— BegrUssung der dortigen Edcllcutc. — Verhandlungen Uber den Durch-
gangszoll. — Der edle Dirkui und der Sprecher Derdekore. — Reise den E.
Zuär aufwärts. — Vegetation und Thierleben. — Wasserverhältnisse. — An-
kunft und Aufnahme bei den Zuär-Edlen. — Neue Gefahr und eiliger Rück-
zug. — E. Zug und das W assorreservoir Kauerdä. — Häusliche Stellung der
Tubu Trauen. — Rückkehr nach Täo. — Unverschämtes Betragen Galma's.
— Absendung BO Zei’d's nach BardäI. — Abreise der Qatruncr nach Borku.
— Entführung Bu'f Mohammed’s und Befreiung desselben. — Traurige Zeit.
— Schmarotzer und Räuber. — Ankunft Arämi’s. — Hunger und Sorge.—
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INH ALTS -VERZEICHN ISS.
XVII
Bü Ze'fd kommt nicht zurück. — Traurige Nachrichten aus Barda'f. — Bote
mit Einladung dorthin. — Vorbereitungen zur Abreise.
VIERTES Kapitel. Reise nach BardaY Seite 3oi.
Ersteigung des Tarso. — Charakter des Gebirgsstocks. — Kraterbildung auf
der Höhe. — Nächtigung auf der Wasserscheide. — Bergkegel und -Ketten
auf der breiten Wölbung des Tarso. — Abstieg nach Nordosten. — Hunger
und mühevolle Märsche. — Tiefeinschneidende Flussthäler. — Nächtigung
im Enneri Udc’no. — Fels-Sculpturen. — Erreichung der Ebene. — Enneri
Gfinöa. - Datteln und ungünstige Nachrichten aus Barda'f. — Weitere Er-
pressungen von Seiten ArSmi's. — Abendliche Ankunft in Barda'f. — Drin-
gende Lebensgefahr und Rettung durch Ar Ami. — Die Leute von Barda'f
und die eigentlichen Tuhu Reschade. Im Schutze ArSmi’s. — Verhallen
des Darda'f. — Tägliche Berathungen über mein Schicksal. — Allmählicher
Abfall meiner Freunde. — Thatsächliche Gefangenschaft. — Steinigung. —
Endlicher Besuch des Häuptlings. — Glänzende Rede ArSmi’s. — Resultat-
loser Ausgang der Zusammenkunft mit Tafertemi. — Fremde Besucher. —
Nagender Hunger. — Herzloses Benehmen der Frauen und Kinder. — Rohe
Angriffe der heranwachsenden Jugend. — Verzweifelte Stimmung.
Fünftes Kapitel. Flucht aus BardaY und Rückkehr nach
Fezzän Seite J41.
Verhalten Bü Ze'fd’s. — Rastlose Thätigkeit Arftmi’s. Elan zur Flucht. —
Ankunft der Tuhu- Bewohner Fezzän’s. Nachricht von der Ermordung
Fräulein Tinne’s. — Nächtliche Flucht. — Erschöpfender Rückzug Uber
den Tarso. — Zusammentreffen mit KolokSmi. — Ankunft im Enneri Auso.
— Schicksal meiner Kamcele. — Zustand der Sclaven in Tibesti. Letzte
Erpressungen der Tubu. — Treulosigkeit KolokBmi’s. — Endliche Abreise.
- Verlust der Hündin Feida. — Trennung von Kolokumi in Afäfi. — Un-
brauchbarkeit der Kameele. — Zurücklassen des Gepäcks. — Gänzliche
Erschöpfung. - - Wasser und Provinntmangel. — Marschordnung. — An-
kunft am Türamo- Brunnen. -- Beendigung des Mundvorraths. — Sclaven-
Skelette. — Ankunft am Meschru- Brunnen. — Empfang in Tedscherri. —
Verderbliche Befriedigung des Hungers. - Freude des Hadsch Dschaber. —
Araber der grossen Syrte in Süd-Fezzän. — Gewalttätigkeiten derselben
in Qatrfln. — 1 Ankunft in Murzuq. — Bestätigung von Fräulein Tinne’s
Untergang. - Veränderungen in der Regierung Fczzan’s. Abrechnung
mit Bü Ze'fd. — Krankheit in Folge der Reise.
Sechstes Kapitel. Topographie und natürliche Beschaffenheit
Tibesti’s Seite 3“.
Historische Notizen. — Unsere gänzliche Unkenntniss des Landes. — Er-
kundigungen der Reisenden. — Unvollkommenheit meiner Untersuchungen.
Unsicherheit der geographischen Lage. — Control-Linien der Reiseroute.
— Bedeutung des Namens Tu. — Zusammenhang mit dem Gebirge der
Tuärik. — Allgemeine Anordnung des Tu-Gebirges. — Richtung. — Knoten-
punkte. — Breitendurchmesser. — Höhenentwicklung. — Die von mir ge-
wonnenen Höhenzahlen. — Frühere Zweifel an dem Vorkommen hoher
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XVIII
INHALTS -VERZEICHNISS.
Berge. — Vulkanische Bildungen (Krater, Therme}. — F.mi Tarso, der nörd-
liche Knotenpunkt. — Die SUdwestseitc des Gebirges. — Strasse von Süd
Fczzän nach Nord-Tibesti. — Flussthalbildungen. — Enneri Abo. — E.
Kjauno. — E. Tao. — E. Zu5r. — Anknüpfungen einzelner Punkte an die
Bornü- Strasse. — Strasse zwischen Zuiir und Borkü. — E. Marmar. — FI.
Krema mit seinen Zuflüssen Jöö, Maro, Ogfi'f und Arr. — E. Domar. —
Südgrenze von Tu. — Emi Kussi, der südöstliche Gebirgsknoten. — Ent
fernungen des FImi Kussi von Borkü, Wanjanga und Barda'f. — Nordost
seite des Gebirges. — E. Barda'f und sein Zusammenhang mit dem Emi
Kussi. — Weg von Barda'f nach Wanjanga. — Der südöstlichste TheU der
Landschaft mit Gurö und Uri. — Grenzen und Gesammtausdehnung des
Landes. — Bodenbeschaflenheit und Klima. — Meteorologische Beob-
achtungen. — Flora und Fauna. — Hülfsquellen der Bewohner.
Siebentes Kapitel. Die Tedä Seite 420.
Die Tubu F'amilie. — Tedä und Däza. — Der Name Tubu. — Tu, Tedetu
und Tedä. — Historisches Dunkel. — Fligenartigkeit und politische Unab-
hängigkeit der Tedä. — Physische Fligenthümlichkeiten. — Hautfärbung. —
Die im Südän übliche Farhenscala. — Gesichtsbildung. — Andere physische
Eigentümlichkeiten. — Klimatische Verhältnisse und allgemeiner Gesund-
heitsstand. — Vorkommende Krankheiten. — Medicinische und chirur-
gische Heilmittel. — Geistige und moralische Fligenschaften. — Sociale
Ordnung. — Politische Verfassung. — F'Urst, Edelleute und gemeines Volk.
— Geringe Bedeutung des Darda'f. — Stellung der Schmiede. — Der Islam
bei den Tedä. — Todtenbestattung. — Ehe. — Gerechtigkeitspflege und
Familienbeziehungen. — Namensänderung der Männer. — Kleidung, Haar-
tracht und Schmuckgegenstände der Frauen. — Tätowirung. — Die Sitte
des Litäm-Tragens. — Technische Fertigkeiten. — Handel und Verkehr. —
Werthmesser. — Die einzelnen Stämme der Tedä. — Die nordwestlichen
und südöstlichen Tedä. — Bevölkerungsziffer.
Drittes Buch.
REISE NACH BORNÜ.
ERSTES KAPITEL. Murzuq im Winter 1869/70 Seite 407.
Berichte Uber Alexandrine Tinne's Ermordung. — Ihre Reisegesellschaft
(europäische Diener, Neger aus den Nil-Ländern, algerische Frauen, befreite
Sclaven). — Diener aus Tönis und Murzuq. — Ichnuchen's Rückkehr nach
Ghät. — Hadsch Ahmed Bö Sidh. — Der Tartkf Hadsch esch-Sche'fch und
seine Gesellschaft. — Araber und ihre Miethkameele. — Abreise Fräulein
Tinne's von Murzuq. — Der verhängnisvolle i. August. — Ausbruch der
Verschwörung. — Ermordung der beiden Holländer. — Verwundung und
langsamer Tod der Reisenden. — Rohheiten und Theilung des Raubes. —
Thätcr und Urheber des Verbrechens. — Verhalten der Behörden in Murzuq
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INH AI. TS -VERZEICHNISS,
XIX
und Tripolis. — Schleppender Proccss. — Sendung der Hinterlassenschaft
und der Zeugen nach Tripolis. — Unerfreuliche Zustande in Fezzän. —
l'ngemUthliches Weihnachtsfest i8bn. — Endliche Hoffnung aui Abreise.
— Gesandtschaft 'Alf Riza Päscha’s nach Bornü. — RUnke des Wäli gegen
meine Reise. — Ankunft Halfm Päscha's als Mütäsarrif. — Ankunft Mo-
hammed Bü ’Äfscha's des Gesandten an den König von Bornü. — Marok-
kanische Pilger und Akrobaten. — Vorbereitungen zur Abreise.
ZWEITES Kapitel. Reise nach Kawär Seite 40t.
Abschied von meinen Freunden. — Nachtlager zu Hadsch Hadschil. —
Zezau und el-Qäle'fb. — Sebcha von Träghen und Mäfen. — Weg von
Mäfen nach Mcstüta. — Bü ’Ä'fscha’s Erzählungen aus der Vergangenheit
Fezzän’s. — Der alte ZeTn el-’Abidfn. — Marsch nach Bfr Dekkir und
Qatrün. — Tod des Hadsch Dschäber. — Arabische Pferdekenner. —
Drohender Raubzug der Tedä Tu’s. — Zwistigkeiten unter den Marok-
kanern. — Phantastische Abendvorstellung derselben. — Ankunft unserer
Reisegefährten aus Murzuq. - Marsch nach Tedscherri und Empfang da-
selbst. — Dattel- und Strohproviant. — Strecke bis zum Tiimmo. — Ebene,
Berg und Brunnen MädSma. — Station MafSras. — Vegetation der Gegend.
— Die Oase Jat. — Die Dümpalme und ihre Frucht. — Die Oase Jeggeba.
— Die Strasse nach Bornü im Allgemeinen. — Barbarische Strenge des
Hadsch Sälih. — Ankunft in der Nähe Kawär's.
DRITTES Kapitel. Kawär oder Enneri Tiigü Seite 5iS.
Bü ’ÄTscha’s Verdienste um die Kawär- Leute. — Feierlicher Empfang zu
Anai, dem nördlichsten Dorfe. — Zutluchtsfelsen der Ortschaft. — Dorf
Anikumma und Wiedersehen mit Arämi. — Getreidepreise. — Gastfreund-
schaft. — Aschenumma und das sogenannte Mögödöm-Gebirge. — Fidschi'.
— Anmuthige Frauen. — Marktverhältnisse. — Salzseen um Dirki. — Die
Hauptstadt von Kawär. — Empfang durch König Dunnoma. — Karneol
reiter. — Meine zahnärztliche Thütigkeit. — Durchgangszoll der einzelnen
Karawanenglieder. — Unverschämte Forderung des Dardn'f. Schimmedrü.
Sitz des Senüsf Missionars. — Hochmüthiges Benehmen desselben. — Ver-
änderte Windrichtung und Wolkenbildung. — - Emi Mädöma und die Aqül
weide zu Agerr. - Der Salzdistrict von Bilmä. — Stadt Garü und Kaläla.
— Salzexport. — Art und Weise der Gewinnung des Salzes. — Aerztliche
Thätigkcit. — Vorbereitung zur Weiterreise. — Zusammenfassende Be
trachtung des Weges nach Kawär und der Oase selbst. — Hühenver
hältnisse. — Enneri Tuge. — Dattelcultur und Salzhandel. — Zahl der Ort-
schaften und ihre Bewohner. — Stämme und Familien Kawär’s. — Ver-
bindung der Oase mit Ahfr und Ghät.
VIERTES Kapitel. Von Kawär nach Bornü Seite 543.
Schwierige DUncnregion. — Oase Zau Kurra. — Zunehmendes Thier- und
Pffanzenleben. — WUstennächte. — Oase Dibbela. — Weiterer Uebergang
der Wüste zur Steppe. — Oase Agädem. — Antilopenheerden und Jagd
mit Windhunden. — Däza Kidrdä. — Steppe Tintumma. — Däza-Karawane.
— Beginnender Baumwuchs. — Brunnen Bolg&schifari. Uebergang von
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INH ALTS -VERZEICHNISS.
Steppe zu Wuld. — Ueppiges Thier- und Pflanzcnleben. — • Brunnen Küfe.
— Uneinigkeit hei den Marokkanern. — Brunnen Äzi. — Ankunft am
Tsäde. Ngigmi, die erste Bomü- Ortschaft. — Ueberwältigender Eindruck
des tropischen Lebens. — Hippopotamen. — Bewohner von Ngigmi. —
Gouverneur Kazelma Hassen. — Neue Bekanntschaften. — Heftiges Gewitter.
— Salzdörfer. — Baröa. — Westlicher Zufluss des Tsäde. — Stadt Jo6. —
Besucher aus Küka. — Mohammed et-Titfwf. — BegrUssungsgaben des
Sche'fch 'Omar. — Ankunft in nächster Nahe Küka's. — Zahlreiche Be-
sucher.
Fünftes Kapitel. Empfang in Küka Seite 58i.
Festliche Einholung durch den Kronprinzen. — Gefolge desselben. — F'uss-
soldaten. — Rathsherrn. — Panzerreiter. — Musikbande. Kronprinz Aha
Btl Bekr. - Ebene von Küka. — Aeussere Erscheinung der Stadt. Stadt-
mauer. - Das Innere der Oststadt. — Beleidigende Zurücksetzung. —
Wohnungsschwierigkeit. — Der Hauswirth Ahmed Ben Brähfm. — Be
grlissungs Audienz. — Das Innere des Königspalastes. — Scheich 'Omar.
Audienz zur L’eberreichung der Geschenke. — Religiöse Bedenken gegen
einige derselben. — Hohe Befriedigung des Scheich. — Besuche bei einigen
Würdenträgern. - Der Digma Ibrahim und seine Ungnade. Lamfno. -
Seine Umgebung. — Seine Vergangenheit. — Sein culinarisches Verständniss.
Seine Stellung und Bedeutung. — Mo'allim Mohammed und seine Gelehr-
samkeit. - Weitere Bekanntschaft mit Ahmed Ben Brähfm und Mohammed
et Titfwf. — Gastgeschenke des Scheich. — Trinkgelder. — Besuch beim
Kronprinzen. — Feindschaften der Würdenträger unter einander.
Sechstes Kapitel. Die Hauptstadt von Bornü .... Seite tiio.
Nächste Umgebung der Stadt. — Die Weststadt. Der Nachmittagsmarkt.
Die Hauptstrasse oder Dendal. — Die Oststadt. Die Erdbauten. — Ihre
Bedachung. — Ihre innere Einrichtung. — Standort der Pferde. Sorg
l'ältige Abwartung derselben. — Die Stroh- und Rohrhütten. — Verschiedene
Arten derselben. — Ihre innere Einrichtung. — Strassenleben. — Der vor-
nehme Kamin. Frauen auf der Strasse. — Verschiedene Handwerker. —
Arme und Blinde. — Die fahrenden Schüler. — Bevölkerungsmenge. —
Mein Haus. — Eintheilung desselben. — Dienerschaft. — Mangel an weib-
licher Dienerschaft. — Giuseppe's Islamisirung. - Schwierigkeit denselben
abzulohnen. — Hauseinrichtung. — Wildes Gethier. — Fremde in Küka. —
Reiselust der Araber und Halbaraber. — Mo'allim Adern aus WadaT. —
Scherif Ahmed el MJdenf. — 'Ali Malija, der Kokena.
SIEBENTES Kapitel. Kleidung und Ernährung der Bornü-
Leute Seite 042.
Annahme der Bornü Tracht. Vorzüge und Nachtheile derselben. — Vor-
liebe der Kanüri für Kleiderpracht. — Webe- und F'iirbe-Kunst. — Ver-
zierung der Kleidungsstücke. — Toben und Hemden. — Gewänder aus
Bornü, Haussa und Ni'fc und ihre Preise. — Beinkleider, Kopftracht und
Fussbekleidung. — Kleidung der Frauen. - Hüftenshawl, Schultertuch und
gestickte Hemdchen. — Haartrachten. — Schmuckgegenstünde. — Emäh-
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INHALTS- VERZEICHNISS.
XXI
rung der Bornfl- Leute. — Duchn und Durra. — Durra -Arten. — Mehl-
fabrikation. — Das vorwaltende Gericht. — Weizen- und Gerste-Gerichte.
— Reis- und Mais- Verwendung. — Surrogate des Getreides. — Bereitung
des 'Atsch und anderer Gerichte. — Die Saucen und ihre Bereitung. — Ihre
vegetabilischen und animalischen Bestandtheile. — Genuss frischen Fleisches
der Hausthicre. — Wildfleisch. — Haram und Makroh. — Genuss frischer
Fische. — Die Fische des Tsäde. — Die Heuschrecken als Nahrungsmittel.
— Verschiedene Arten derselben. — Frösche. — BaumfrUchte. — Garten-
früchte. — Bohnen. — Erdnüsse. — Tageszeit der Mahlzeiten. — Anstands-
regeln beim Essen. — Getränke. — Milch. — Honig. — Kaffee. — Die Güro-
Nuss. — Ihr Vorkommen und Preis. — Empfindlichkeit und Krankheiten
derselben. — Mcrissa. — Tabak.
ACHTES KAPITEL. Handels- u. Marktverhältnisse inKüka. Seite 671.
Der grosse Montagsmarkt. — Der Marktplatz und seine Eintheilung. — Ver-
kauf von Holz und Gras. — Siggedi- und Matten-Verkauf. — Pferde- und
Rindermarkt. — Gemüse und Geflügel. — KUrbisschalen und Holzschüsseln.
— Producte der Korbflechterei. — Fellhändler und Leder -Erzeugnisse. —
Trödelbuden. — Kleidermarkt. — Fabrikate der Schreiner und Schmiede.
— Die Kojäm und ihre Verkaufsgegenstände. — Schlächter und Garküchen.
— Kameelmarkt. — Die Känembu und ihre Erzeugnisse. — Die Küri- oder
Bäre-Rinder. — Die Manga. — Der Sclavenmarkt. — Die Preise der ver-
schiedenen Sdaven- Gattungen. — Die Bett -Sela vinnen. — Die Eunuchen.
— Die Schoa und ihre Verkaufsgegenstände. — Die Schöa- Rinder. —
Buntes Bild der Marktmenge. — Anstrengungen eines Markttages. — Feste
Werthmaasse. — Einführung der österreichischen Thaler. — Die Kauri-
Muschel als Scheidemünze. — Preisliste der Marktgegenstände. — Impor-
tirte Waaren und ihre Preise. — Die verschiedenen Klassen der Kaufleute
in Bomü. — Exportwaarcn. — Handel mit Sclaven, Straussfedem und
Elfenbein. — Schwierigkeiten für die fremden Kaufleute. — Leichtsinn und
Unzuverlässigkeit der Bornü- Leute. — Unzulänglichkeit des rechtlichen
Weges. — Kingiam oder Sendbote des Königs. — Schlechte Verwaltung
der Hinterlassenschaften Fremder. '
Neuntes Kapitel. Hof, Regierung und Kriegsmacht des
Scheich Seite pog.
Die Rathsversammlung oder Nokena. — Die Rathsherren oder KSkenäwa.
— Söhne und Brüder des Scheich. — Ihr Verhältniss zum Herrscher. —
Der Kronprinz Aba BÖ Bekr. — Die Vertreter der Bevölkerungs- Gruppen
Bornfl's in der Nökena. — Geringe Bedeutung der Nokena. — Hofämter
in Bornö und ihre Umgestaltung im Laufe der Zeit. — Kaigamma. —
Jcrima. — Tschiröma. — Dscherma. — Ghaladfma. — Schitima Belumma.
— Hirfma. — Juräma. — Digma. — DschegSbäda. — Ardschinöma. —
Ffigoma. — Zentama. — Kazelma. — Kagustema. — Bagarfma. — Mainta,
Makinta und Sintelma. — Fergfma. — Mülima. — Die Eunuchen (Juröma,
Mistrema und Mala'. — Einflussreiche Frauen am Hofe zu Köka (Magira
und Gumso . — Die Kriegshauptleute oder Kaschellawa und ihre Bezirke.
— Lanzenreiter, flintenbewaff#ete Krieger und Bogenschützen. — Die Streit-
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XXII
INHAI.TS-VERZKICHNISS.
kräfte der einzelnen Hauptleute und Würdenträger. — Verfall der Bomu-
Macht im Innern und nach Aussen. — Rebellische Haltung des Vasallen
fUrsten Tanemon von Zinder. — Energielosigkeit des Sche'ich.
ZEHNTES Kapitel. Das Ende des Jahres 1870 .... Seite 732.
Regenreichthum des Jahres. — Die Zeit der Malaria. — Mörderische Epi-
demie in KQka. — Rindviehseuche und Pferdesterblichkeit. — Meine täg-
lichen Beschäftigungen. — Studium der Kanüri- Sprache. — Aerztliche
Thätigkeit und ihr geringer Erfolg. — Furcht der Eingeborenen, vergiftet
zu werden. — Ein Hochzeitsfest und sein Verlauf. — Anhaltende Schwellung
des Tsäde und ihre Folgen. — Schicksale der Marokkaner. — Ramadan
oder Fastenmonat. — Gastfreundschaft des Sche'ich während des Ramadan,
’ld cl -Fatra oder Fest des kleinen Bairam. — Auszug des Sche'fch zum
Festgebet. — Glänzender Aufzug. — Musikalische Instrumente. — Parade
pferde. — Kanonen- Mohammed und Wagen-’Abdallah. — Gratulations-
Cour. — Friedliche Aussichten. — Reiseplan.
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ERSTES BUCH.
TRIPOLIS UND FEZZÄN.
Naclui^al. I
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Erstes Kapitel.
TRIPOLIS.
Aufenthalt in Tunis. — Verfall des Landes. — Revolution 1S64. — Expedition gegen
die Rehellen. — Cholera 1866, Dürre und Hungcrsnoth 1867. — Uebcrnahme der
Mission König Wilhelm’s nach Romu. — Giuseppe Valpreda. — Ausrüstung in Malta.
Ankunft auf der Rhede von Tripolis. — Beschreibung der Stadt. — Europäisches
Quartier. — Das Regicrungsgebäude. — Die Bazar’s. — Die Fonduq’s. — Die
Privatliäuscr. — Das Judenviertel. — Das maltesische Quartier. — Bevölkerung. —
Die Eingeborenen. — Kurugllja. — Türken. Juden. — Neger. — Europäer. —
Herr Luigi Rossi. — Gerhard Rohlfs' Maushalt in der Mescldja. — Mohammed el-
Qatruni. — Kameelsättel. — Kameele und Reiseutensilien. — Die übrigen Diener. —
Die europäische Gesellschaft. — Die türkischen Regierungsorgane. — Der General-
Gouverneur und seine Reformen. — Der Bürgermeister der Stadt und sein Einfluss. —
Schlechte Verwaltung. — Fräulein Pinne. — Marktverhältnisse. — Letzte Einkäufe —
Lagerung vor der Stadt. — Internationales Piknik. — Abreise.
Gegen das Ende des Jahres 1862 hatten mich meine kranken
Lungen auf die Nordküste von Afrika geführt. Ich hatte mich in
Algerien, besonders in der Provinz (Konstantine, aufgehalten, war im
folgenden Jahre aus Neugierde nach Tunis gekommen und hatte dort
vollständige Genesung gefunden.
Die wenig verfälschte Eigenartigkeit dieser Krone aller maghre-
binischen Städte gegenüber dem durch die französischen Eroberer
curopäisirten Wesen Algeriens hatte mich zuerst angelockt. Der
natürliche Reichthum, das glückliche Klima des Ländchens, seine
wcchselvolle, einst so glänzende Geschichte mit ihren der Zeit noch
trotzenden Spuren hatten mir den Aufenthalt in ihm lieb und inter-
essant gemacht, Dankbarkeit für die wiedergewonnene Gesund-
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I. HUCH, I. KAPITKI.. TRIPOLIS.
heit, dort erworbene Freunde und eine angesehene ärztliche Stellung
fesselten mich an dasselbe.
Viele Monate habe ich damals auf den Ruinen von Carthago
gesessen und die Rüder einer grossen Vergangenheit an meinem
Geiste vorüberziehen lassen, nicht ohne den betrübenden Eindruck
des Vergleiches zwischen Sonst und Jetzt zu empfinden, wenn ich,
wie alljährlich, den Sommer im Hause des damaligen Premier-
Ministers, Sidi Mustafa Chasnadär, am alten Kriegshafen Carthago s
zubrachte. Kümmerlich blickt dort die Kapelle des heiligen Ludwig
herab von der Höhe des Hügels, den einst die stolze Byrsa krönte.
Alles, die mächtigen Mauern, die stolzen Bauten der Stadt, welche
einst Rom die Herrschaft streitig machen konnte, ist dahin gesunken,
fast ohne Trümmer zurückzulassen.
Die folgende römische Herrschaft bedeckte das fruchtbare Händ-
chen mit Städten und Burgen, deren Ruinen den Gegensatz jener
Periode zur Jetztzeit überall zum lebhaften Ausdruck bringen. Wie
überwältigend und beschämend sprechen nicht die gigantischen Reste
des Gordianischen Prachtbaus, des stolzen Amphitheaters zu Tysdrus,
welche zu el-Dschemtn mitleidig auf die elenden Hütten der jetzigen
Bewohner herabzublicken scheinen, von einstiger Macht und Herr-
lichkeit und jetziger Verkommenheit!
Wo ist auch nur die Zeit des mittelalterlichen Glanzes von Tunis
el-Chadra*) oder die sichtbare Erinnerung daran geblieben? Alles hat
dem Mangel und Elend Platz gemacht. Freilich, in den Augen der
islamitischen Welt prangt die „grüne" Stadt noch im Gewände früherer
Herrlichkeit, und im Innern Afrikas wird man von frommen, be-
lesenen Mohammedanern beneidet, diesen Inbegriff aller irdischen
Pracht mit Augen geschaut zu haben.
Seit ich den classischen Boden Tunisiens betreten hatte, vollzog
sich der Verfall des so reich von der Natur ausgestatteten Händchens
mit betrübender Schnelligkeit.
Unter einem gutmüthigen Herrscher von betrügerischen Würden-
trägern verwaltet und von europäischen Speculantcn und Wucherern
ausgesogen, brachte es eine mehrjährige Dürre an den Rand des
Abgrundes. Bis in den Anfang der sechziger Jahre ohne irgend eine
*) Kl-Chadrä heisst die ,, grüne” und nicht etwa ,,dic wohlbe wachte", wie mau hier
und da angegeben findet, aber wohl weniger von der sie umgebenden Natur, welche
ziemlich kahl und staubfarbig ist, als figürlich im Gegensätze zum abgestorbenen Carthago.
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AUFENTHALT IN TUNIS.
5
Schuldenlast, war der bedenkliche Weg der europäischen Anleihen
kurz vor meiner Ankunft betreten, und in wenigen Jahren von der
gewissenlosen Regierung eine unerträgliche Schuldenlast contrahirt
worden.
Die Einwohner wurden auf das Nichtswürdigste ausgebcutet;
der Ackerbau minderte sich um. fast das Zehnfache gegen früher;
die Nomaden zogen sich in die Wüstengebiete des benachbarten
Algeriens zurück, beraubten und bekämpften sich unter einander
und vereinigten sich endlich gegen die Regierung.
Im Jahre 1864 brach im Centrum des Reiches eine Revolution
aus, welche nahe daran war, der ganzen Dynastie ein Ende zu
machen. Ich durchlebte sie von Anfang bis zu Ende im Innern des
Landes mit dem Chef einer gegen die Empörer ausgesendeten
militärischen Kolonne, dem damaligen Minister des Innern, Sidi
Rustam, der als tscherkessischer Mameluk im Knabenalter nach
Tunis und zu hohen Ehren gekommen war.
Dieser bildete mit dem in einer späteren Periode an der Spitze
der Regierung stehenden Sidi Cheireddin, dem ebenfalls nachmals
als Minister thätigen Sidi Huse'in Heide waren, wie Rustam, tscher-
kessischen Ursprungs — und dem damaligen Marineminister Sidi
Mohammed Chasnadär, einst ein griechischer Mameluk , eine
kleine Gruppe ehrenhafter Männer, welche mit trauerndem Herzen
den rapiden Verfall ihres Adoptiv- Vaterlandes sahen, ohne ihn auf-
halten zu können.
An der Spitze der Revolution , welche fast alle Stamme des
Centrums von Tunisien umfasste, hatte sich ein Chef des Araber-
stammes der Mädscher, Namens Ali Ren Ghadähum, gestellt. Nur
die wenigen Städte des Innern, Kairuwän, Bädscha, el-Kcff, und die
zahlreicheren der Ostküste, Susa, Mehedija, Monastir, Sfäqes, Qäbes,
hielten wirklich oder scheinbar zur Regierung.
Der Wüstenantheil Tunisiens, das Beled eJ-Dschcrid oder Dattel-
land, lag zu weit vorn Mittelpunkte des Landes entfernt, um sich an
der Bewegung zu betheiligen. Die Bergbewohner im Nordwesten
des Landes und an der tripolitanischenGrenze, wenn sie auch wenig
Gemeinsames mit den empörten Arabern hatten, waren ohnehin tler
Regierung stets feindlich gesinnt gewesen.
Unter den ungünstigsten Aussichten zogen wir mit etwa 5000 Mann
aus, welche sich aus einem Bataillon regulärer Infanterie, etwa 2000
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!. BUCH, X. KAPITEI.. TRIPOLIS.
Mann Zuäwa, d. h. Berbern der algerischen Berge, die seit lange
eine irreguläre Truppe der tunisischen Fürsten bildeten, und irre-
gulären arabischen Reitern zusammensetzten.
Die Aufgabe des Führers, Sidi Rustam, war eine kriegerisch-
politische und fast verzweifelte, wurde jedoch bei der politischen
Unfähigkeit der Rebellen durch seine Versöhnlichkeit, Geduld, Klug-
heit und Zähigkeit zu einem glücklichen Ende geführt. Nachdem
die empörten Stämme durch die schlauen Intriguen der tunisischen
Regierung zur Uneinigkeit gebracht waren, schlugen unsere Truppen
den Rebellenhäuptling und seine Schaaren bei der Quelle Ain Bä-
busch, südlich von el-Keff, und später bei den Ruinen von Haidra, nahe
der algerischen Grenze, etwa 5 Stunden von Tcbessa, aufs Haupt. Ali
Ben Ghadähum überschritt nach dem letztgenannten Gefechte die
benachbarte Grenze; die Revolution war zu Ende, und gerade ein
Jahr, nachdem wir die Hauptstadt verlassen hatten, zogen wir sieg-
reich wieder in dieselbe ein.
Trotz des Erfolges ging die Regierung geschwächt aus der
Revolution hervor und eilte nur um so rastloser ihrem Untergange
entgegen. Leider hob ihr Sieg für den Augenblick den gesunkenen
Credit in Europa; neue Millionen flössen ihr vom Auslande zu, und
schonungslos entrang sie den erschöpften Provinzen die letzten Kräfte,
um den daraus entspringenden Verpflichtungen zu genügen.
Dazu hatten die regenarmen Jahre eine Reihe von Missernten
im Gefolge und, um das Maass des Unheils voll zu machen, ver-
heerte eine Cholera- Epidemie im Jahre 1866 das Land und entmuthigte
die arme Bevölkerung. Das Elend des folgenden Winters wurde
fürchterlich. Eine Hungersnoth folgte der Dürre und raffte hin,
was Revolution und Cholera verschont hatten.
Aus den Moscheen und religiösen Herbergen wurden die Ver-
storbenen Morgens gesammelt und auf Wagen zum Massenbegräbniss
geführt; auf den Landwegen stiess man auf unbeerdigte, unförmlich
geschwollene Leichname, und fern von der Hauptstadt wurden hier
und da Kinder geschlachtet und verzehrt.
Der Hungertyphus wüthete während des Winters 1867/68; der
Himmel goss eine scheinbar unversiegbare Schaale des Unheils auf
das arme, gequälte Land aus. Alles brach zusammen. Die Ein-
wohner waren decimirt und ihr Wohlstand untergraben; der Credit
des Landes erschöpft und die Schuldenlast eine ungeheure. Die
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MISSION NACH IIORNl'.
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Männer, welche durch ihre Intelligenz und Ehrenhaftigkeit zur Rettung
des Staiites berufen schienen, zogen sich zurück und nur die unheil-
vollen Spitzen der Regierung blieben unentwegt und arbeiteten mit
alter Emsigkeit am allgemeinen Ruine.
Angewidert von der Unredlichkeit und Unfähigkeit, deren Zeuge
ich sein musste, und verzweifelnd an der Wiedergeburt des herrlichen
Ländchens, bereitete ich meine Rückkehr nach Deutschland vor, als
Gerhard Rohlfs auf seiner Reise nach Tripolitanien Tunis berührte.
Er war Träger der Geschenke, welche Se. Majestät König Wilhelm,
damals noch nicht Kaiser von Deutschland, dem Scheich Omar,
Sultan von Bornü, zu senden beschlossen hatte, in dankbarer An-
erkennung des treuen Schutzes und der materiellen Unterstützung,
welche derselbe deutschen Reisenden, Barth und Overweg, Vogel,
v. Beurmann und Rohlfs, stets so grossmüthig gewährt hatte.
Wenn kein geeigneter Deutscher zur Uebernahme dieser Mission
gefunden würde, so sollten die Geschenke dem alten bewährten
Diener Barth’s und Rohlfs', Mohammed aus Qatrun in Fezzan zur
Ucberfiihrung nach Bornü anvertraut werden.
Wenn früher nicht selten der Wunsch lebhaft in mir aufgestiegen
war, mehr von dem geheimnissvollen Continente, auf dessen Nord-
küste mich das Schicksal geführt hatte, zu sehen, der, obgleich er
in der Geschichte eine so hervorragende Rolle gespielt hat und
Europa so nahe liegt, doch eine räthselvolle Sphinx für uns geblieben
ist, so hatte ich doch in Rücksicht auf meine geringe Befähigung zu
wissenschaftlichen Forschungsreisen diesem Gedanken zu entsagen
gelernt. Mir fehlte Erfahrung im Reisen, und ich beherrschte keines
der naturwissenschaftlichen Fächer, ein Mangel, welcher die Ergeb-
nisse meiner späteren langen und mühevollen Wanderung in ihrem
Werthe nur allzusehr beschränkt.
Trotz des Bewusstseins meiner wissenschaftlichen Unzulänglich-
keit vermochte ich dieser sich darbietenden Gelegenheit , die mir
im ungünstigsten Falle eine erinnerungsreiche Reise versprach, nicht
zu widerstehen, zumal ich ohnehin meinen Aufenthalt in Tunis auf-
zugeben beabsichtigte. Es erschien mir als Pflicht, wenn kein Besserer
gefunden würde, diese Gelegenheit nicht unbenutzt vorübergehen zu
lassen, und mein ärztlicher Charakter und meine Kenntniss der
arabischen Umgangssprache und mohammedanischer Sitte versprachen
mir die Lösung der Aufgabe zu erleichtern.
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I. BUCH, 1. KAPITEL. TRIPOLIS.
So entschloss ich mich zur Reise und wenige Wochen nach
Gerhard Rohlfs' Durchreise, einige Tage nach dem Weihnachtsfeste
des Jahres 1868, folgte ich ihm. Ich vermochte dem Drängen meines,
jedem tunisischen Arzte unter dem wohlklingenden Titel eines Dol-
metschers anhaftenden, israelitischen Dieners David nicht zu wider-
stehen und erlaubte ihm, mich zu begleiten. Doch als ich mich im
Hafenorte der Stadt Tunis, Halk el-Wädi, in der italienischen Ueber-
setzung La Goletta genannt, nach Malta einschiffte, drang ein anderer
Mann, den ich lange als Koch und Diener in einem befreundeten
Hause kennen zu lernen Gelegenheit gehabt hatte, Giuseppe Valpreda,
ein Piemontcse, in mich, ihn zum Begleiter zu wählen. Da derselbe
im Berichte über meine ersten Reisejahrc oft erwähnt werden wird,
so will ich hier einige Worte über ihn vorausschicken.
Bäcker von Profession hatte sich Giuseppe als solcher in La
Goletta niedergelassen, nachdem er die zuvor angedeutctc Stellung
aufgegeben hatte. Er hatte unter der rückgängigen wirtschaftlichen
Bewegung des Landes, unter der Geldlosigkeit der Beamten und
der Armut der Bewohner schwer zu leiden gehabt und sehnte sich
lebhaft vom Platze seiner Enttäuschungen hinweg. Ich kannte ihn
als einen mutigen, in allen mechanischen Fertigkeiten sehr geschick-
ten, praktischen Mann, und der Gedanke, meinen allzu jugendlichen
David, der überdies in den mir bevorstehenden mohammedanischen
Ländern eines primitiven Fanatismus als Jude nicht recht am Platze
schien, durch ihn zu ersetzen, war mir durchaus nicht unangenehm.
Doch setzte ich ihm die Zwecke meiner Reise auseinander, schilderte
ihm die Mühen, Entsagungen und Gefahren, die von einer derartigen
Unternehmung unzertrennlich sind, und suchte ihm auf jede Weise
seinen Plan auszureden.
Kaum in Malta angekommen , setzten mich Depeschen meiner
Freunde davon in Kenntniss, dass Giuseppe mit grosser Festigkeit
an dem Gedanken , mich zu begleiten , fcsthalte , und so wurde mir
der Entschluss nicht schwer, David zurückzuschicken und jenen
nachkommen zu lassen. Ich begab mich eiligst nach Tripolis, wo
Gerhard Rohlfs meiner wartete, besprach mit diesem meine be-
scheidene Ausrüstung und den ganzen Plan der Reise, und kehrte
mit demselben Schiffe nach Malta zurück, um die erstere zu voll-
enden.
Giuseppe war mittlerweile angekommen. Einige Feuerwaffen
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AUSRÜSTUNG IN MALTA.
9
und ihre Munition, einige Uhren, ein kleines Zelt, zweckmässige
Kleidungsstücke, Seife, Schreibmaterialien, Fleischextract, Chokolade,
Thee, Kaffee und dergl. waren bald eingekauft, österreichische
Maria-Theresia-Thaler, die in so vielen Ländern Nord- Afrikas
hauptsächliche Verbreitung haben, schnell eingewechselt, und schon
mit dem nächsten Schiffe konnte ich nach Tripolis zurückkehren.
Vieles Wichtige war leider in Malta nicht zu beschaffen, so z. B.
konnte ich trotz aller erdenklichen Mühe, welcher sich der Befehls-
haber der dortigen Flottenstation, Sir Clarcnce Paget, mit grosser
Liebenswürdigkeit unterzog, nur wenige meteorologische Instrumente
auftreiben, und musste die meisten derselben aus Kuropa nach-
kommen lassen.
Ich muss bekennen, dass ich damals kein Auge für Malta hatte,
diesen merkwürdigen Fels im Meere, mit seinen geschichtlichen
Erinnerungen, seinem grossartigen , belebten Hafen und seiner inter-
essanten, rastlosen Bevölkerung, welche ein so wichtiges colbnisa-
torisches Element auf der Nordküste Afrikas bildet, und dass selbst
Tripolis mich nicht zu fesseln vermochte; waren doch alle meine
Gedanken auf Bornü und die Geheimnisse des innersten Afrika ge-
richtet.
Und doch war es ein liebliches Bild, das sich vor den Augen
des ankommenden Reisenden allmählig auf der Rhede von Tripolis
Taräbülus — entfaltete. In den Strahlen der glitzernden Morgen-
sonne anfangs verschwimmend, hoben sich allmählig zuerst links die
malerische Masse des festen Schlosses und dann vor uns- über der
Stadt die gleich Säulen oder Mastbäumen emporragenden schlanken
Minarets der Moscheen hervor.
Allmählig zeichneten sich die luftigen Kuppeln der religiösen
Gebäude, die reinlichen, weissen Stadtmauern mit ihren Zinnen und
Thurmchen und die reizende Zierde der hier und da das Ganze
überragenden schlanken Dattelpalmen für das Auge bestimmter.
Rechts trug eine ins Meer vorspringendc Felszunge Festungswerke,
und allmählig unterschied man die einzelnen sauberen Häuser mit
ihren Dachterrassen, von denen die ansehnlicheren der Europäer, die
niedrige Stadtmauer überragend, die Aussicht auf das Meer haben.
Beim Besuche orientalischer Städte muss sich der Reisende an
Enttäuschungen gewöhnen. Aus der Ferne Sauberkeit und Glanz,
pflegt innen Alles Schmutz, Ruine und Elend zu sein. Auch Tripolis
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I. BUCH, 1. KAPITEL. TRIPOLIS.
leistet nicht das, was es verspricht, ohne gleichwohl das Gepräge
des Verfalls in einem Grade an sich zu tragen, wie so viele Schwester-
städte auf der Küste des Mittelmeers.
Rechts, wo die Felszunge beginnt, liegt das Bäb el-Bahär, das
Scethor, durch das man in das Innere des Städtchens gelangt, und
die sauberen Marinegebäude. Neben dem Landungsplätze ist ein
grosses arabisches Kaffeehaus mit seinen beschatteten Bänken und
ihren bunt gemischten Insassen, links neben dem unverfallenen Thore
die Handelsgewölbe mit ihrem Getöse und Menschengewimmel. Um
das Thor gruppirt sich das regste Leben, das Tripolis zu entfalten
vermag. Dort sind die Kaffeehäuser mit ihrer bunten Gesellschaft
und ihren bescheidenen Genüssen, die Barbierstuben mit ihren Neuig-
keitskrämern, die geräuschvollen Bazars der Malteser, die relativ
grossartige Thätigkeit des Seehandels.
Vom Bäb el-Bahär fuhren zwei breite Strassen — Schära — , die
eine am Meere entlang, zwischen der niedrigen Stadtmauer, auf deren
halber Höhe man einherwandeln kann, und den ansehnlichsten Ge-
bäuden europäischer Kaufleute und Consuln nach Osten, die andere
in s Innere der Stadt. Die Strassen sind reinlich, schutt- und trümmer-
los, ohne Kehrichthaufen und ohne die Leichname ausgesetzter,
neugeborener Kätzchen, wie sie in Tunis die unvermeidliche Beigabe
so vieler Verkehrswege sind, geebnet urn^ gehärtet.
Folgen wir der europäisch gebauten, in der ganzen Länge der
Stadt am Ufer sich hinziehenden Seestrasse, welche ihren Bewohnern
die herrlichste Fernsicht über das Meer gestattet und gleichzeitig
von der erfrischenden Brise bestrichen wird, so gelangen wir auf
einen kleinen Platz, auf dem das modernste Gebäude von Tripolis
steht, der Uhrthurm, dessen unterstes Stockwerk Läden enthält, vor
denen die Würdenträger und Notablen des Ortes ihre Mussestunden
im Zuschauen des Strassenlebens verbringen. In seiner Höhe zeigt
eine Uhr die Stunden der türkischen Tageseintheilung. Mit diesem
Monumente hatte der damalige Gouverneur, Ali Riza Pascha, die
Hauptstadt der ihm anvertrauten Provinz beschenkt.
Von diesem Thurmplatze führen zwei Wege zu den südöstlichen
Thoren, dem Bäb el-Chandaq und dem Bäb el-Meschija, und einige
Strassen in das Innere der Stadt. An dem ersteren Thore, zwischen
ihm und dem Meere, liegt die mächtige, etwas formlose Masse des
Gouvernementsgebäudes, das unmittelbar ans Meer stösst und nach
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BESCHREIBUNG DER STADT.
11
der Seeseite hin durch mächtige Mauern seiner Zeit eine gewiss
uneinnehmbare Festung bildete. Es hat nicht das Aussehen eines
Palastes, sondern eines von der übrigen Stadt abgeschiedenen, festen
Schlosses. Alle Jahrhunderte haben ihre architectonischen Spuren
an dieser sonderbaren Masse hinterlassen, welche hier ein fenster-
loser Thurm zu sein scheint, dort auf der luftigen Höhe seiner
Terrasse ein Frauenhäuschen mit vergitterten Fenstern trägt und
dann wieder eine Fagade zeigt mit Fenstern in jeder Grösse, in den
verschiedensten Höhen angebracht, aus deren Durcheinander sich
das mächtige Fenster hervorhebt, ' in dem der genannte General-
Gouverneur zu sitzen liebte.
Im Innern des Schlosses befinden sich ausser den Wohnungen
des Pascha und seines Hofstaates alle Kanzleien und Beamten-
wohnungen, und es muss nicht leicht sein, sich in seinen Höfen und
Höfchen, Gängen und Winkeln, Gewölben und Treppen zurecht zu
finden. Das Ganze ist nicht nur unregelmässig und unzweckmässig,
es ist auch unschön und bei aller Massenhaftigkeit ärmlich.
Die Strasse, welche nach dem Bäb el-Meschija führt, ist dem
Verkaufe von Gemüsen und den Erzeugnissen der kleinen Hand-
werker gewidmet, und hat neben sich den überwölbten Suq el-arba,
in dem Stoffe und Kostüme feilgeboten werden. Dort kauft man
die bunten Wolldecken, Burnusse und Haik’s aus dem tunisischen
Beled el-Dscherid oder häufiger von der Insel Dscherba, deren industrie-
reiche Bewohner in grosser Zahl in Tripolis angesicdelt sind.
Eine andere Strasse führt vom Thurmplatze in die Haupt- Bäzar-
strasse, welche, wie in allen mohammedanischen Städten der Mittel-
meer-Küste, die sauberste, reichste und interessanteste ist. Dies ist
der sogenannte Suq el-Turk mit seinen türkischen und arabischen
Handelsherren, die ernst und würdevoll in ihren kleinen Läden sitzen,
nie ihre Waare anpreisen, nie ihre Preise verrücken, und, scheinbar
uninteressirt um Kauf und Verkauf, den Tag im Gespräche mit den
Nachbarn und Besuchern, mit Lectüre oder in dem indifferenten Schwei-
gen und müssigen Träumen verbringen, das den Orientalen so wenig
schwer fallt. Unbekümmert um die Concurrenz der Neuzeit, welche
ihren Markt mit europäischen Waaren überschwemmt, die, den ihrigen
unstreitig ähnlich, sich zwar durch Mangel an Solidität, aber auch
durch billige Preise auszeichnen, leben sic in der Welt ihrer Erinne-
rung und ihrer Träume. Neben ihnen verkaufen auch Juden türkische
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12
I. BUCH, I. KAPITEL, TRIPOLIS.
und arabische Stoffe in Wolle, Seide und Baumwolle mit ihren Nach-
ahmungen aus Europa und wissen dort wie überall, in widerlichem
Contraste zu ihren würdigen Nachbarn sich und ihre Waaren zu oft
unberechtigter Geltung zu bringen Dort finden sich auch leiden
mit .Tabak, Tschibuk’s und Nargile’s, mit schöngeformten Kannen,
Schüsseln und Trinkschalen aus Kupfer und Messing, mit Essenzen
und Wohlgerüchen aus Constantinopel. mit Teppichen aus aller
Herren Ländern.
Hier und da stösst man dazwischen auf die einfachen Kaffee-
häuser mit ihren kleinen Kochherden, ihren Kännchen und Tässchen,
ihren nackten Wänden und Bretterbänken, und auf die Eingänge zu
den Absteigequartieren der Reisenden. Diese werden, wie in Tunis,
Fondue] genannt und bestehen aus viereckigen, rings von Arkaden
umschlossenen Höfen, in welche sich niedrige, kleine, fensterlose,
zur Aufbewahrung des Gepäckes und der Waaren der Reisenden
bestimmte Gelasse mit ihren schlecht verschliessbaren Thüren öffnen.
Diese werden den nicht in der Stadt ansässigen Kaufleuten als
Lagerräume vermiethet, und im oberen Stock giebt es zuweilen
noch Schlafzimmer für die Besitzer der Waaren.
Die Fortsetzung des Suq el-Turk wird zum Bäzär der Schneider
Suq el-Tuarzi — , welche fast sammtlich Juden sind, und seitlich
gelangt man aus jenem in den Bäzär der Seidenwirker Suq
cl Harrära — aus deren Werkstätten jene grossen, viereckigen, meist
halbseidenen Männer -Umschlagtücher, welche die in Tripolitanien
wenig üblichen Burnusse ersetzen und unter dem Namen Haram dort
bekannt sind, hervorgehen.
In den Bäzärs pulsirt, wie in den übrigen mohammedanischen
Landern, das öffentliche Leben, und wenn dasselbe in Tripolis nicht
besonders rege ist, so zeichnet es sich doch durch seine bunte
Physiognomie aus. Tripolis ist ein Hauptausgangspunkt des Handels
der Ghadämcsija, Bewohner von Ghadänies, deren Handel die west-
liche Wüste beherrscht, und welche die Beziehungen zu den Tuärik
vermitteln, Comtoirs in den Haussa- Staaten haben und über Tuät
nach Timbuktu reisen. Die Kaufleute der. Stadt selbst und der
Cyrenaica, die Bewohner von Ghariän und der Oasen Fezzän's thcilcn
ihre Handelsbeziehungen zwischen den Haussastaatcn und Bornü und
haben neuerdings angefangen, nach .Wadäi zu reisen. Dem ent-
sprechend findet man neben diesen Kaufleuten ihre Geschäftsfreunde
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13
BESCHREIBUNG DE« STAKT.
aus den verschiedensten Ländern Inner-Afrikas: den reichen Ghadä-
inesi im Humus und in Schnabelschuhen neben dem antlitzver-
schleierten Täriki; den Bewohner von Fezzän neben dem Neger aus
Bomü und llaussa und dem schlanken Tubu.
Um diesen Theil der Stadt, die besseren Bäzär’s, wohnen die
wohlhabenderen Leute in Häusern, welche im Ganzen in künstlerischer
Fracht weit hinter den besseren Gebäuden von Tunis zurückstehen,
wenn auch ihre Anordnung dieselbe ist. Hin Erdgeschoss und ein
Stockwerk öffnen ihre Zimmer auf einen viereckigen, offenen, mit
Quadern oder Fliesen gepflasterten Hofraum , der rings von zwei
Etagen Arkaden umgeben ist, deren untere aus Marmor oder Sand-
stein, die obere nur* aus Holz zu bestehen pflegt.
Aus dieser Gegend gelangt man durch das Ghariän- Viertel zürn
Südthore, dem einzigen nach dem Innern des Landes gerichteten,
das erst neuerer Zeit seinen Ursprung verdankt und darum Bäb el-
Dschedid heisst. Westlich von jenem liegt das Hara oder Juden-
viertel mit seinem Strassengewirre, seinem Lärm, seinem Schmutz,
seinen üblen Gerüchen und seiner zur Schau getragenen Aermlich-
keit; und zwischen ihm und der südlichen Stadtmauer der armselige
Theil, in dem die Venus vulgivaga ihr trauriges, wenig lohnendes
Gewerbe treibt.
An das Hära lehnt sich derjenige Theil der muselmanischen
Stadt, in dem die Malteser ihr Heim aufgeschlagen und der Um-
gebung ihr charakteristisches Gepräge aufgedruckt haben, ln allen
Kustenstädten Tripolitaniens, Tunisiens und Algeriens ist dieses
Element reichlich vertreten, hat die engsten Beziehungen zur moham-
medanischen Bevölkerung, ist von einer rastlosen Thätigkeit, bewun-
derungswürdigen Geschäftsklugheit, seltenen Sparsamkeit und in seiner
Lebenskraft und Elastizität von höchster Wichtigkeit für die Ent-
wicklung des gesammten Lebens. Fast alle Malteser in Tripolis sind
Kaufleute, und wahrhaft unglaublich ist die Mannichfaltigkcit der
Gegenstände, mit denen sie handeln, und die Kleinheit des Raumes,
in dem sie dieselben unterzubringen wissen. Englisches Bier, Wein,
türkischen Tabak, abscheuliche Cigarren, Taschentücher, Tassen,
Tschibuks, fertige Beinkleider, Kaffee, Thee, Wachskerzen, Zünd-
hölzchen, Hemden, Messer, Orangen: Alles findet man bei diesen
merkwürdigen Repräsentanten einer Uebergangsstufe von Afrikanern
zu Europäern. Wenn sic auch von den Muselmanen verachtet sind,
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14
I. HUCH, I. KAPITEL. TRIPOLIS.
so werden sie doch unter ihnen geduldet und, überall im westlichen
Theile des nördlichsten Afrika ist die Ansicht volksthümlich, dass
die Malteser durch Christenblut corrumpirte Araber seien.
Westlich von dieser Gegend dehnt sich das arme maurische
Quartier bis zu einem Ruinenhaufen aus, in den vor wenig mehr als
einem Jahrzehnt ein stattliches Fort durch eine furchtbare Pulver-
explosion verwandelt worden war.
Damit hat man die Runde durch die ganze kleine Stadt gemacht.
Tripolis ist eng gebaut, d. h. enthalt keine weiten unbebauten Platze,
wie Tunis, das freilich daneben auch zahllose enge Gässchen be-
sitzt , und häufig sind die Strassen durch Mauerbögen überwölbt,
welche die gegenüberliegenden Häuser verbinden. Die engen Gassen
werden, wie in Tunis, Zanka genannt, die breiten Wege heissen
Schära, während die Strassen der Kaufleute auch hier die Bezeich-
nung Suq, d. h. Bazar, führen.
Die mir später gemachten Angaben der Regierungsbeamten über
die Bevölkerungsmenge der Stadt, die natürlich auch hier nicht
amtlich festgestellt wird, stimmten ungefähr mit meiner Annahme
von gegen 20,000 Seelen.
Je kleiner die Stadt ist, desto zahlreicher erscheinen im Verhält-
niss die fremden Elemente und desto mehr treten sic hervor. Die
eigentlichen Stadtbewohner von Tripolis (Araber, Berber, Mauren),
verschwinden fast gegen die Fremden und haben sich mit der Zu-
nahme dieser mit Vorliebe in die Gärten der Stadt, welche in
unmittelbarer Nähe derselben eine besondere Ortschaft bilden, zurück-
gezogen. Sie machen im Ganzen keinen so noblen, energischen
Findruck, als die Tuniser. Auch in der Kleidung weichen sie von
diesen ab und, wie mir nach meinem langen Aufenthalte in Tunis
schien, nicht zum Vortheile ihrer Erscheinung.
Das bis zum Knie massig weite und dann enger werdende, bis
auf die Knöchel reichende Beinkleid, welches cl-Färcsi, d. h. die des
Reiters (nämlich Hose) genannt wird, sagte meinen Augen bei weitem
nicht so zu, als das schön und regelmässig dicht gefaltete, weite
Beinkleid der Tuniser, das dicht unterhalb des Knies abschlicsst.
Noch weniger gefiel mir die Sitte, das Hemd in seinem unteren
Theile über dem Beinkleid zu tragen. Das Kamisol Sedrija — ,
die Weste Bedäja — und die Jacke — Rhelila hatten zwar
den tunisischcn Schnitt, bekundeten jedoch durch ihren bunten, gross-
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EINWOHNER.
lf>
geblümten leichten Kattunstoff einen tiefer stehenden Geschmack
der Tripolitancr, als dieselben Kleidungsstücke aus Tuch mit ein-
facher Einfassung oder leichter Stickerei ihrer westlichen Nachbarn.
Die so kleidsame anständige Dschubba*) der wohlhabenderen
Klassen in Tunis, welche nicht blos das Hausgewand ist, sondern
auch draussen getragen wird, erscheint in Tripolis seltener, und sie
sowohl, als der Burnus der Algerier und der Tuniser, werden ersetzt
durch den schon erwähnten Shawl, in den man Haupt und Glieder
cinzuwickeln liebt. Das elegante, aus feiner Wolle gewebte und mit
weissen Seidenstreifen durchzogene oder mit Scidenfaden durch-
schossene Umschlagtuch, das in Tunis unter dem Burnus getragen
und auf der Insel Dscherba oder im Beled el -Dscherid, fabricirt wird,
ist bei den auf Kleiderglanz haltenden Leuten ebenfalls beliebt. Der
Ruf dieses Kleidungsstückes geht in Afrika weit über den nörd-
lichsten Theil hinaus, und noch in Bornil fand ich ihn, unter der
dem Namen seiner Hcimath entnommenen Bezeichnung Dschcridi
allgemein bewundert. Auch die Frauen tragen einen ähnlichen Shawl;
nur hüllen sie ängstlicher den ganzen Körper in denselben, denn bei
ihnen vertritt er gleichzeitig die Rolle des Gesichtsschleiers, der bei
den westlicheren Bewohnerinnen der Küstenstädte Sitte ist. Eine
schmale Spalte gewährt den Verhüllten den allernothwcndigsten
Durchblick zur Auffindung des Weges.
Zahlreicher als diese eigentlichen Bewohner der Stadt sind die
von den seit Jahrhunderten im Lande angesessenen Türken abstam-
menden, aus Ehen derselben mit Araberinnen hervorgegangenen
Kuruglija. Sie ähneln den soeben besprochenen Bewohnern der
Stadt jetzt in der äusseren Tracht und sind ebenso aus Macht und
Ansehen verdrängt worden, wie diese. Auch sie haben sich vielfach
in der Meschija, der obenerwähnten Oase der zur Stadt gehörigen
Gärten angesiedelt und haben nur in so weit mit der Regierung
Zusammenhang, als sic die unregelmässige Reiterei bilden und des-
halb keine Steuern bezahlen. Seit die Türken ihre Herrschaft auf
der Nordküste Afrikas begründeten, musste natürlich die Zahl der
*) Der Name Dschubba kommt in verschiedenen Ländern sehr verschiedenen Klei-
dungsstücken zu. In Tunis ist die Dschubba ein etwa bis zum Knie reichendes ziemlich
weites, sackförmig geschnittenes Gewand aus den verschiedensten Stoffen, das weite,
*ÜKc Aermel hat und , mit Ausnahme eines bis zum untern Theile der Brust reichenden
Ausschnitts Tür den Durchtritt des Kopfes, vorn geschlossen ist.
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16
I. BICH, I. KAPITEL. TRIPOLIS.
Kuruglija allmählig zunehmen, und noch unter der Dynastie der
Karamanlija während des ganzen vorigen Jahrhunderts waren sie das
wichtigste und einflussreichste Element der Bevölkerung. Sie Hessen
nur selten die eigentlichen Eingeborenen zu Macht und Ansehen
gelangen, und selbst heut zu Tage, wo eine rein türkische Regierung
eingeführt ist, und sie selbst in den Hintergrund gedrängt worden
sind, haben sie noch das stolze Bewusstsein der Ueberlegenheit jenen
gegenüber.
Die Macht ist jetzt ganz bei den türkischen Beamten, welche
unter einem Wall oder General-Gouverneur, gewöhnlich einem Muschir,
dessen Rang den eines Divisions-Generals überragt, stehen. Trotz
ihrer immerhin beschränkten Zahl treten sie bei der geringen Ge-
sammt - Bevölkerung unangenehm in den Vordergrund in ihrem
schwarzen Tuchrock mit Stehkragen Stambulija — , ihren unver-
meidlichen Glanzschuhen mit niedergetretenen Kappen und ihrem
türkischen Tarbüsch, dessen fahles Braunroth und schwarze, spärliche
Quaste mir gegen die unvergleichliche Farbe und die vollen, schön
blauen Behänge der tunisischen Mützen abscheulich vorkamen.
Einen wohlthucnderen Eindruck, als sie, machten die von der
tunisischen Insel Dscherba stammenden Leute, welche eine ansehn-
liche Kolonie in Tripolis bilden. Sie sind thätig und klug, wie die
Berber, denen sie angehören, körperlich wohlgebildet und gut ge-
kleidet, und haben einen grossen Theil der besseren Läden der
Bazars innc.
Wie in Tunis, bilden auch in Tripolis die Juden einen beträcht-
lichen Bruchtheil der Bevölkerung, der sich für beide Städte auf ein
gutes Viertel belaufen mag. Doch der, allerdings nur oberflächliche
Vergleich, den ich zwischen den jüdischen Bewohnern beider Städte
zu machen Gelegenheit hatte, fiel sehr zu Gunsten derer von Tunis
aus. Unter diesen treten dem Beobachter überall herrliche Jüng-
lingsgestalten entgegen, wie sie der an seine heimischen Juden ge-
wöhnte Europäer mit Erstaunen betrachtet, und die Schönheit der
jüdischen Jungfrauen von Tunis ist unübertroffen. Im Hara von
Tripolis herrscht derselbe Schmutz und derselbe Gestank, ohne dass
der Besucher des Quartiers durch den Anblick wohlgebildeter junger
Männer und in den blühendsten Farben prangender Mädchen dafür
entschädigt wird. Durch ihr treues Zusammenhalten, ihre Wohl*
thätigkeit gegen die Glaubensgenossen, ihre Orthodoxie, ihre Leiden-
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EINWOHNER.
17
schaft für Streit und Discussion scheinen sic sich jedoch ihren Brüdern
des Westens durchaus anzuschlicssen.
Eine Klasse der Bevölkerung, welche in Tripolis entschieden
bei weitem mehr hervortritt, als in Tunis, ist die der Neger von
mehr oder weniger reinem Blute, ein Umstand, der sich aus der bis
in die neueste Zeit fortdauernden Einfuhr von Vertretern des Barr
el-Abid, d. h. des Landes der Sclaven, erklärt. In Tunis hat der
Sclavenhandel so vollständig aufgehört, dass bei meiner Abreise von
dort der Bei und sein damaliger Premier -Minister in meiner Ab-
schieds-Audienz scherzend baten, ich möchte doch ja so viel als
möglich kleine Usfän (Mehrzahl. von Usif, Neger) mitbringen. Wenn
die hohen Herren von Tunis ihren Hausstand um schwarze Diener,
Eunuchen oder Arbeitsselavinnen vermehren wollen, so schicken sie
nach Tripolis und lassen sie daselbst zu hohen Preisen kaufen.
Freilich ist der Sclavenhandel auch in Tripolis streng verboten
und gewiss sehr zurückgegangen, doch im Verborgenen findet noch
mancher Umsatz in schwarzer Menschenwaare statt. Nach wie vor
kommen alljährlich verschiedene Sclaven -Caravanen nach Tripolis,
doch die Trupps werden von Jahr zu Jahr kleiner, und anstatt sie
in die Stadt zu führen, bringt man sie in die Gärten der Meschija,
um sie von dort aus allmählig und einzeln zu verkaufen. Glücklich
bis zu diesem Ziele gelangt, sind die armen Ercmdlinge aller Sorge
überhoben, auf das Humanste behandelt, mit einem Freibrief —
Atäka — ausgestattet und stehen nach kurzer Zeit in dem Verhält-
nisse der römischen Freigelassenen zu ihren Herren. Sobald sie die
Lust zum Verheirathen erfasst und das kommt unrettbar bald bei
einem Neger — und sich im Hause ihrer Herren keine Gelegenheit
findet, einen selbstständigen Haushalt zu gründen, so domicilircn sie
sich ausserhalb, doch fast nie wird das Vcrhältniss zu ihren einstigen
Herren gänzlich gelöst.
Wenn man von einem Neger in Tripolis hört, er stamme aus
dem Sudan, d. h. dem Land der Schwarzen, so muss man nicht
denken, dass es sich im weiteren Sinne um die südlich von der
Wüste sich von den Nil- bis zu den Nigerländern erstreckenden
Landschaften handele, sondern schon auf der Küste wie in der
ganzen Wüste und in einem grossen Thcile des Sudan selbst ge-
braucht man diesen Ausdruck im engeren Sinne nur für die westlich
von Bornü gelegenen Haussa - Staaten , aus denen in der That die
N.iduigul. t. 2
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1«
t. HUCH, I. KAPITEL. TRIPOLIS.
meisten und beliebtesten der nach Tripolis gelangenden Sclavcn
stammen. Schon hier, im herrlichsten Klima, sollen übrigens die
Neger nicht mehr gedeihen, häufig langsam zu Grunde gehen und
eine spärliche, wenig lebenskräftige Nachkommenschaft erzielen.
Wir kommen endlich zu den Europäern, die, was Zahl anbe-
triflfit, fast ganz aus Maltesern bestehen, den gläubigsten Anhängern
und Beförderern der in Tripolis unter der Leitung eines Padre
Prefetto bestehenden katholischen Mission. Wie in allen Iündcrn
der Nordküste Afrikas, komihen sie besitzlos an und bringen es
durch bewunderungswürdige Sparsamkeit und Mässigkeit, durch Ge-
schicklichkeit, Schlauheit und rastlose Thätigkcit ohne Gleichen,
nicht selten in zehn Jahren zu einem ansehnlichen Vermögen. Handel
bleibt ihr Hauptelement, doch eignen sie sich fast ebenso gut zum
Landbau, zum Schiffsdienst, zur Viehzucht. Ihre Fruchtbarkeit, ihr
Kinderreichthum . ist .staunenerregend. Die vornehme Klasse der
Europäer endlich wird durch die Consuln und ihre Beamten, und
durch die in Tripolis angesessenen reichen Kaufleute gebildet.
Mit ihnen und dem General -Gouverneur, Ali Riza Pascha, hatte
ich zunächst zu thun und suchte alsbald den östreichischen Consul
Luigi Rossi, für die Eingeborenen unter dem Namen Dschidschi eine
wohlbekannte Persönlichkeit, auf, der auch Deutschland vertrat. Er
bewohnte in der Seestrasse eines der ansehnlichsten Häuser, war ein
in der Blüthe der Jahre stehender, etwas vor der Zeit ergrauter
Mann von kräftigem Bau und rundem, blühendem Gesichte und nahm
mich mit der Urbanität auf, welche in der Fremde so verbreitet und
wohlthuend ist, und in welcher sich die Italiener und Halbitaliener
vorzüglich auszeichnen. Er war kein Berufsconsul, sondern Kauf-
mann, stammte aus Triest, hatte aber fast sein ganzes Leben in
Tripolis zugebracht und war mit Land und Leuten vertraut, wie
Wenige. Von zahlreicher, blühender Kinderschaar umgeben, ein
wohlhabender, angesehener Mann, lebte er damals in Glück und
Zufriedenheit und erschien mir beneidenswerth. Als ich aus tausend
Gefahren glücklich hervorgegangen, nach Jahren das Mittelmeer
wiedersah, hatte ihn ein unerbittliches Geschick auf das Kranken-
lager geworfen, von dem er sich nicht wieder erheben sollte, und
es war mir nicht vergönnt, ihn wiederzusehen.
Gerhard Rohlfs war in der Erwartung meiner Rückkehr von
Malta und seiner eigenen Abreise in ein Gartenhaus Herrn Rossi's
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ROHI-FS IN DER MESCHIJA.
19
in der Meschija übergesiedelt und wir begaben uns alsbald zu ihm.
Vor dem Thorc stand eine Anzahl Esel bereit, den regen Verkehr
mit der zahlreich bevölkerten Garten-Oase zu unterhalten. Die Pferde
sind nicht sehr zahlreich in Tripolis und die Wagen noch spärlicher.
Den einzigen der letzteren, der damals zu öffentlichem Gebrauch
existirte, hatte ein unternehmender Malteser in Gestalt eines leichten,
zweirädrigen Fiakers mit Längs-Sitzen, wie sie in seiner Heimath
gebräuchlich sind, eingeführt. Die Esel, welche dort nicht, wie in
Tunis, in der Einzahl Behim, sondern in richtigem Arabisch Ilimär
heissen, und die zu reiten für keine Schande gehalten zu werden
schien, waren durch Individuen vertreten, welche ziemlich kümmer-
lich erschienen, wenn man sie mit ihren ägyptischen oder auch nur
mit ihren maltesischen Brüdern verglich, bewirkten aber unter ent-
sprechender Aufmunterung ihrer Treiber unsere Ueberfuhrung nach
der Meschija in anerkennenswerther Geschwindigkeit.
Anfangs über den weiten, wüsten Platz reitend, der zur Ab-
haltung eines ansehnlichen Wochenmarktes und auch zu Spazier-
gängen der in dieser Beziehung nicht verschwenderisch bedachten
Europäer dient , wendeten wir uns dem sandigen Meeresufer zu und
erreichten bald das am Rande der kümmerlich dem Sande abge-
wonnenen Oase gelegene Landhaus des Consuls. Man darf sich das-
selbe freilich nicht als eine üppige Villa, wie solche die nächste Um-
gebung Algiers oder die Gärten der Manüba und Marsä bei Tunis
zieren, vorstellen; es war ein einfaches kleines Häuschen, nur zum
Verbringen der Tageszeit in einem mühsam geschaffenen Grün ge-
eignet, doch von Gerhard Rohlfs für einige Wochen recht wohnlich
hergerichtet. Ein enthusiastischer deutscher Kellner hatte sich
diesem als Diener aufgedrängt und fungirte als Koch, während ein
junger Photograph aus Berlin, der die Expedition in die Cyrenai'ca
behufs beabsichtigter Aufnahmen begleiten sollte, sich der übrigen
Haushaltung annahm.
Diese Landsleute erschienen mir wenig beachtungswerth gegen-
über dem würdigen Mohammed el-Qatrüni, dem Gefährten Barth’s
nach Timbuktu, der auch Gerhard Rohlfs nach Bornü und Mandara
begleitet hatte, und seinem weissen Tuarik-Kameel, das ihn von der
letzten Reise aus Bornü heimgetragen hatte. Er .war aus seiner
Heimath Fezzan , wo er in dem Dorfe Dudschäl nahe der Haupt-
stadt Murzuq lebte, herbeigekommen, um auch mich zu ge-
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20
!. HUCH, I. KAPITEL. TRIPOLIS.
leiten und war in einem Stalle beschäftigt, die Kameelsättel zur be-
vorstehenden Reise zu verfertigen. Mit achtungsvoller Scheu be-
trachtete ich sein schwarzes rundes Antlitz mit den zahllosen Furchen,
der kleinen Stumpfnase mit den weiten Nüstern, dem zahnlosen
Munde, den vereinzelten weissen und schwarzen Barthaaren, den
grossen Ohren und den treuen Augen.
Der alte Mohammed war kein Mann vieler Worte, wie ich noch
Jahre hindurch zu beobachten Gelegenheit hatte; er war ein stiller,
freundlicher alter Mann, der den Freu-
den des Lebens nicht abhold war,
aber selten aus seiner durch Natur
und reiche Erfahrung bedingten aequi-
tas animi heraustrat. Maassvoll be-
antwortete er meinen Gruss und den
Ausdruck meiner Freude, seine Be-
kanntschaft zu machen, und benützte
die Unterbrechung der Arbeit, um
aus einem kleinen ledernen, zusam-
menschniirbaren Beutel eine Prise
grob zerstossener, grüner Tabacks-
blätter in den Mund zu schieben und
mit seinen Zahnresten von einem
Stück Natron — Trona etwas als
zweckmässiges Corrigens des Tabacks
abzubeissen. Er trug über dem weiten Hemde seiner Heimath und
Gewohnheit die auch in Fezzan übliche solide, wärmende Woll-
decke, welche ihm jetzt vom kurzbehaarten Kopfe lose nach hinten
herunterhing, um seine Arbeit nicht zu beeinträchtigen, und sass
mit gekreuzten Beinen in dem Stroh, mit dem er die Sättel stopfte.
Der dortige Kameelsattel Hawia wird aus einem zwei
Meter langen Schlauche Kameelgarngewebes, der, wenn nicht gefüllt,
also platt, fast einen halben Meter breit ist, verfertigt. Man theilt
ihn in zwei Hälften, stopft diese mit kurzem Stroh oder ähnlichem
Material fest aus und näht sie dann zu. Die wurstförmigen Hälften
sind bestimmt, die Höcker des Kameels zu umfangen; die Naht
kommt nach hinten und ermöglicht die Knickung; die freien, vorderen
Enden werden durch eine darauf gesetzte und an sie befestigte,
starke, breite Holzklammer, welche selbst einen kleinen Sattel bildet,
Mohammed cl-QatrClnl.
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MOIIAM.MKh El.- (JA I krS'i.
21
zusammen gehalten. Aul der guten Füllung und noch mehr auf der
Solidität der Holzklammer und dem Winkel, den ihre Hälften bilden,
beruht die Brauchbarkeit der ganzen Hawia. Das Holzgestell hat
zunächst das Gewicht zu tragen, denn die Stricke, welche die beiden
Hälften der Kameellast vereinigen, ruhen auf ihm; es muss also in
seinen Theilen solide zusammengehalten werden. Ist der Winkel,
den es bildet, zu gross, so sinkt unter der I.ast der Ladung mit
der allmähligcn Zusammenpressung der Füllung die Hawia so tief
Kanicchattcl.
auf den Rücken des Thieres herab, dass das Holzgestell selbst druckt
oder gar die darüber laufenden Stricke in die Haut einschneiden.
Man kann in der Verfertigung dieser Sättel nicht sorgfältig genug
verfahren, denn eine zweckmässige Anordnung der Ladung schont
die Thiere unendlich und ist ihnen fast nothwendiger, als reichliche
Nahrung. Ueberdies ist es auch für die Reisenden keineswegs an-
genehm, auf den Märschen, nach des Tages Last und Mühe, die
Ruhestunden zum Nähen, Flicken, Binden und dergleichen Aus-
besserungen verwenden zu müssen.
Sechs Kameele waren während meiner Abwesenheit in Malta
um den Preis von durchschnittlich 50 Maria - Theresia -Thalern oder
200 Mark jedes gekauft und von Mohammed el-Qatrüni, einem
grossen Kameelkenner, wenn nicht enthusiastisch bewundert, so doch
nach menschlicher Berechnung für ausreichend erklärt worden. Die
Sattel der Thiere gingen ihrer Vollendung entgegen; auf dem
nächsten Wochenmarkte sollte Mohammed den nothwendigen Vor-
rath von Stricken, die Säcke zur Aufnahme der Kamcelladung,
welche am besten aus Kameelwolle gewebte sind und dann Ghurära
heissen, und die Wasserschläuche aus behaarten, innen gegerbten
Ziegenfellen, — Qirba (in der Mehrzahl Qireb) , welche in unüber-
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22
I. BUCH, I. KAPITEL. TRIPOLIS.
troffener Güte aus den I laussa-Staaten kommen, kaufen. Dann mussten
noch Koch- und Essgeräthschaften für die Leute, einige kupferne
Kessel, ein Dreifuss, ein weites, flaches, verzinntes Kupfergefass, das
zur Kameeltränkung, als Waschgefäss und unter Umständen als Ess-
schüssel dient, ein Ledereimer Delü zum Wasserschöpfen,
Kameelzäume und dergleichen nothwendige Reiseutensilien, ange-
schafift werden, deren Abwesenheit den Reisenden oft in grosse Ver-
legenheit setzt und von denen nur der erfahrene Reisende keines ver-
gisst. An uns Europäern war es, für die Beschaffung der Reise-
mundvorräthe Sorge zu tragen, und wir beschlossen, gleich folgenden
Tages nach Zusammenstellung der Liste in ruhiger Abendstunde
alles darauf Bezügliche mit Herrn Rossi zu verabreden.
Zunächst sahen wir die bereits angekauften Kameele an, welche
in der Nähe unter der Aufsicht eines jungen Mannes aus Eezzän
weideten, der Ali Abu Bekr hiess, aber von uns Ali el-Fezzani ge-
nannt wurde, und auf des alten Qatrüner's Veranlassung geraiethet
w'orden war. Derselbe war als Vagabonde zugelaufen, im höchsten
Grade zerlumpt, mit einem weisslichen Hautausschlage behaftet, der
alle Schwarzen auf der Küste mit ihrer salzigen Seeluft befallen soll,
und hatte anfänglich nur aus seinem Elende befreit und in seine
Heimath zurückgeführt zu werden gebeten. Mohammed entdeckte
Talente zum Wüstenreisen in ihm, oder wollte ihm als Landsmann
wohl, oder kannte seine Verwandten, genug er ward sein Bürge und
vermittelte sein Engagement. Noch zwei andere Neger, Saad, ein
verheiratheter Freigelassener eines angesehenen Bürgers der Stadt,
und ein anderer, Ali, aus Mandara im Süden Bornü’s gebürtig und
mit zweifelhafter Vergangenheit in Bezug auf seine Freiheitsgewin-
nung, waren gemiethet worden, aber noch nicht zu unserem Haus-
stande gestossen. Ali der Fezzäncr war ebenso dunkelfarbig als
Mohammed, kleiner Statur, hatte eine verhältnissmässig grosse, platt-
gedrückte Nase, einen grossen Mund mit weissen Zähnen, war gänz-
lich bartlos und trug eines der praktischen dunkelgestreiften dicken
Wollengewänder, welche Gerhard Rohlfs in Rücksicht auf die winter-
liche Jahreszeit für die Leute angeschafft hätte. Dasselbe war mässig
weit und vorn geschlossen, reichte- bis zum Knie, hatte einen aus-
giebigen Kopfausschnitt und erfreute sich einer Kapuze, die in jenen
Ländern, wo Alle auf die Wannhaltung des Kopfes bedacht sind,
von grossem Werthe ist.
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EUROPAF.KR DER STAKT.
23
Wir besichtigten am nächsten Tage die Geschenke unsers Königs,
die, so weit es mit den nothwendigen Rücksichten auf die Kameele
vereinbar war, in den heimischen Kisten belassen wurden, besprachen
mit Herrn Rossi die Beschaffung des Mundvorrathes, der in Schiffs-
zwieback — Buqsmät — , Reis Ruzz und grobkörnigem Kus-
kussu*) — Mohammes — bestehen sollte, und machten Besuche bei
den vornehmsten Europäern und den obersten Beamten der Re-
gierung.
Die Erfüllung der letzteren Pflichten hatte ihre Schwierigkeiten
durch die lächerlichen, aber tief gehenden gesellschaftlichen Spal-
tungen, durch welche die europäischen Einwohner von Tripolis sich
das Leben erschwerten. Ausser den offiziellen Vertretern der christ-
lichen Mächte, den General-Consuln, Consuln und Vice-Consuln von
England, Frankreich, Italien, Amerika, Holland und Spanien, unter
denen Herr Rossi, wenn auch bei den Eingeborenen durch seine
Geschäftsverbindungen ein angesehener Mann, in Folge seines kauf-
männischen Charakters eine zweifelhafte Stellung einnahm , lebte in
Tripolis seit langen Jahren die Familie Dickson, welche mit den
Resten der Familie des bekannten und hochverdienten früheren
englischen General -Consuls, Colonel VVarrington, verschwägert war.
Dazu kam der aus Barths Erzählungen bekannte Kaufmann und
frühere englische Consular- Agent in F'ezzän, Gagliuffi, der in ver-
wandtschaftlichem Verhältnisse zu unserem Vertreter stand. Der
Chef der englischen Telegraphen -Station, welche mit Malta und
Benghäzi in Verbindung stand, der aus Barths und Vogels Berichten
bekannte Frederick Warrington, Sohn des genannten General-Con-
suls, der Chef der katholischen Mission il padre prefetto — und
ein italienischer Straussenfederhändler waren die übrigen nennens-
werthen Vertreter der europäischen Gesellschaft.
Leber Herrn Gagliuffi, der in einem Societäts- Verhältnisse zu
einem bekannten Kaufmanne in Murzuq, dem Hadsch el-Amri,
stand und mit diesem einen Agenten und Geschäftsinhaber, den
ebenfalls aus Barth’s Berichten bekannten Mohammed es-Stäqesi in
Bornü unterhielt, gingen bei seinen F'eindcn sonderbare Gerüchte
*) Kuskussu ist das Lieblings- Gericht der Einwohner von Tunisien, Algerien und
Marokko und besteht aus Weizenmehlkiigclchen , welche womöglich mit Fleischbrühe
gekocht werden.
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f
t
24 I. HUCH, >• KAPITEL. TRIPOLIS. . *
über seine frühere Betheiligung am Sclavenhande), die seiner officiellen
Stellung in Fezzan, welche nur zum Zwecke der Unterdrückung des-
selben geschaffen war, wenig entsprochen haben würde. Diese Ge-
rüchte hatten begreiflicherweise ihren Grund in den genannten Ge-
schäfts-Verbindungen. Zweifelsohne konnten Hadsch cl-Amri und
Mohammed cs-Sfäqesi keinen Handel im Sudan treiben, ohne Sclaven
zu kaufen und zu verkaufen, und durch sein eingeschossenes Capital
war Herr Gagliuffi indirect daran betheiligt. Doch wenn dies Ver-
haltniss Tadel verdiente, so müsste man allen europäischen Kauf-
leuten, die sich an den Handelsreisen der Eingeborenen materiell
betheiligen, dieselben Vorwürfe machen. Herr Gagliuffi genoss der
vollen Achtung bei den Kaufleuten in Tripolis, Fezzan und Bornü,
war der bestunterrichtete Europäer in Tripolis über innerafrikanische
Verhältnisse und seine Rathschläge und Empfehlungen sind vom
höchsten Werthe für mich gewesen.
Eine interessante Persönlichkeit war mir Frederick Warringlon,
der liebenswürdigste, gefälligste, bescheidenste Mensch von der Welt.
Er war eine Autorität in Allem, was arabisches Wesen und Umgangs-
sprache, Sitten in F'ezzan und dem Sudan betraf, und sprach die
Borniisprache; doch er war gänzlich in afrikanischen Verhältnissen
aufgegangen und konnte nur in einer sehr bescheidenen Stellung am
englischen Gcncral-Consulate verwendet werden.
Nachdem wir uns glücklich durch die zahlreichen Klippen des
gesellschaftlichen Verkehrs lavirt, überall die Berichte über die Ur-
sachen der complicirten Zerwürfnisse entgegen genommen und sorg-
fältig vermieden hatten, feindliche Gewalten einander zu nähern,
knüpften wir mit Herrn Rossis Hülfe die nothwendigen Beziehungen
zu den Autoritäten Tripolitanien’s an. Dies war auch nicht ohne
Schwierigkeiten und geschah nur mit einem gewissen inneren Wider-
streben von Seiten des Consuls, der ein bekannter Widersacher so-
wohl des General-Gouverneurs selbst, als auch des berüchtigten Scheich
cl-Beled oder Bürgermeisters von Tripolis, Ali el-Kerkeni, war.
All Riza Pascha war ein algerischer Araber, in Frankreich
erzogen, hatte es in der Türkei bis zur Stellung eines Muschir ge-
bracht und lenkte die Geschicke Tripolitanien's erst seit kurzer Zeit,
wie denn die türkische Regierung überhaupt den Grundsatz zu haben
scheint, so oft als möglich die Funktionäre auf solchen Posten zu
wechseln. Damit ist fast jedes ernste Streben, jeder redliche Wille
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TUKKISCHK HKAMTK.
derselben, die Wohlfahrt der ilinen anvertrauten Statthalterschaft
Wiläja zu heben, illusorisch gemacht, wenn wirklich eine rara avis
solchen, im türkischen Verwaltungs-Schematismus utopischen, Be-
strebungen Kaum geben sollte. Gewöhnlich erscheint der hohe
Beamte in dem ihm fremden Lande, um den Aufenthalt daselbst,
den er als eine Art Verbannung betrachtet, möglichst schnell zu
seinem Vortheile auszunutzen, und geht nach wenigen Jahren, sei es
in Folge der sich mehrenden Klagen der ausgeplünderten Einwohner,
sei es, weil seine Freunde bei der hohen Pforte ihn in das Elysium
Stambul zurückrufen lassen oder ihm zu höheren Ehren verhelfen,
mit gefüllten Taschen von dannen.
Ali Riza hätte durch seinen arabischen Ursprung den Bewohnern
der Regentschaft näher stehen sollen, als die übrigen Wulfs, und
hatte immerhin ein höheres Verständniss Tür Fortschritt und Zivili-
sation, als die meisten seiner V'orgänger, doch war das letztere nicht
tief genug, um ihn eine Klippe vermeiden zu lassen, an der die
meisten derartigen Herren scheitern. In grossartigem Maassstabe
liefert der Vicekönig von Egypten ein lehrreiches Beispiel, warum
in jenen Landern die Reformations- und Civilisations-PIäne, selbst bei
vollem Verständniss für dieselben und ihre Vortheile und bei grossen
Mitteln, oft mit einen» kläglichen Fiasko endigen. Während der
Aufbau eines Hauses nur von unten auf einem soliden Fundamente
beginnen und nur nach Maassgabe der vorhandenen Kräfte und
Mittel ausgefuhrt werden kann, bekümmern sich orientalische Fürsten
und Herren oft wenig um die vorhandene Basis, rechnen nicht mit
den gegebenen Factoren, sondern bauen in die Lüfte, mit unzuläng-
lichen Fundamenten, mit schlechtem Material und ohne verständnis-
volle Mitarbeiter. Bald stürzt auf der einen Seite mehr zusammen,
als auf der anderen geschaffen wird, und endlich muss der ganze
Bau wegen fehlender Mittel und Arbeiter liegen bleiben.
Und nur Wenige sind ausgerüstet mit dem Verständniss des
Chcdiwe, mit seinen Mitteln und seinem grossartigen Ehrgeize. Bei
den Meisten beschränkt sich das Verständniss für Civilisation auf
eine schwache Kenntniss der französischen Sprache, die Nach-
ahmungssucht der Pariser Moden, einen unbesiegbaren Drang nach
europäischen Orden, im besten P'allc auf die Anlage einer Wasserleitung
oder Gasbeleuchtung, einer Telegraphenlinie oder einer Strecke Eisen-
bahn. Mit diesen Schöpfungen streuen sie den unter ihnen lebenden
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I. HUCH, I. KAPITEL. TRIPOLIS.
2t)
4
Europäern oder Touristen Sand in die Augen und wenn sie ihr, oft be-
zahltes, Lob in europäischen Zeitungen lesen, so halten sie sich selbst
für grosse Reformatoren, während sie nur ungeschickte Nachahmer
sind. Wenn nicht die Neuerungen aus dem Bewusstsein und dem
Bedürfnisse des Volkes unter der Beihülfe der Gebildeten hervor-
gehen, sind sie ephemere, kostspielige und nutzlose Erscheinungen.
In Tunis hatte man eine Fregatte, Avisos und Transportschiffe,
kaufte Hunderte von Kanonen und führte Gerichtshöfe mit Instanzen-
weg nach europäischem Muster ein. Die Ankäufe jener untergruben
den Wohlstand des Landes und dienten nur wenigen höheren Be-
amten zu willkommenen Gelegenheiten, sich zu bereichern; diese
hatten bestechliche Richter und erzeugten bei dem gewohnten Schlen-
drian Processe, die nie ehdigten. Was nützen dem Chediwe seine
grossartigen Schöpfungen, so lange das Volk sich ihrer nicht be-
dienen kann, sondern nur den Schweiss seiner Arbeit zu ihrer Ent-
stehung verwenden muss, und so lange er nicht unter seinen Unter-
thanen verständnisvolle, redliche Mitarbeiter findet, welche nach ihm
das Civilisationswerk fortzusetzen vermögen?
So lange die Volkserziehung darniederliegt, und so lange cs
nicht gelingt, eine geordnete, ehrbare Verwaltung zu schaffen, bleiben
alle Reformen unzulänglich. Jene aber, die Volkserziehung, scheint
mit dem Islam unverträglich, der an und für sich stationär ist. Die
einzigen in ihrer Weise Gebildeten jener Länder sind die Ulcmä,
die gelehrten Kenner des Qorän, des Inbegriffs aller Weisheit und
seiner Ausflüsse, welche aber Alles, was ausser dem heiligen Buche
an Kenntnissen in der Welt existirt, auf's Tiefste verachten. Sie
sind die Ausleger des Rechts, die Rathgeber der Mächtigen, die
Lehrer des Volkes, die Erzieher der Jugend und — die Feinde aller
abendländischen Bildung. In den Schulen lernt man den Qorän
mechanisch auswendig und mit dieser Grundlage tritt man ins Leben;
woher soll da das Verständniss für civilisatorische Reformen kommen?
Die öffentliche Moral steht auf einer nicht höheren Stufe als das
Verständniss. So viel ehrbare Leute es im Volke giebt, so selten
sind dieselben unter den Verwaltungsbeamten, und selbst im religiösen
Richterstande ist Unbestechlichkeit eine seltene Tugend. Das Be-
amtenheer ist nur allzuhäufig in mohammedanischen Landen eine
Räuberbande, welche so weite Verzweigungen hat, dass das Volk
ihr rettungslos preisgegeben ist.
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SCHLECHTE VERWALTUNG.
27
So war cs auch in Tripolitanien und das Volk schrie laut gegen
den VVäli, seine Untergouverneure und andere Helfershelfer, trotz
der Wohlthaten der Civilisation, mit denen er das Land beschenkte.
Er liess artesische Brunnen bohren, führte in der Stadt Tripolis
Strassenbeleuchtung ein, gründete eine Schule, in der Türkisch ge-
lehrt wurde, machte Anpflanzungen in der wüsten Umgebung der
Stadt und war zur Zeit unserer Anwesenheit im Begriffe, in dem
östlichsten Theile der Provinz, der alten Marmarica, an den Buchten
von Bomba und von Tobruk, Colonien zu gründen, deren Gedeihen
er durch die Eröffnung des Suezcanals für gesichert hielt. Die
Brunnen sind längst verfallen, die Schule hat Nichts geleistet, die
Anpflanzungen sind niemals lebenskräftig geworden, und nur die
bescheidene Strassenbeleuchtung hat ihren Gründer überdauert. Die
pomphaft angekündigten Colonien aber, welche den Ruhm Ali Rizas
auf alle Zeiten sichern sollten, sind nie über einen embryonalen Zu-
stand hinausgekommen, sondern im Keime zu Grunde gegangen.
Unter den Günstlingen des VVäli war der schlaueste und ge-
fährlichste, der geradezu verhängnissvoll für Stadt und Land wurde,
der obengenannte Scheich el-Beled oder Bürgermeister von Tripolis,
nach der tunisischen Insel Kerkena, aus der er stammte, Ali el-Kerkeni
genannt. Seit Jahren plünderte und beraubte er das arme Land und
war bei weitem der mächtigste und reichste Mann im Lande. Zahl-
lose Häuser der Stadt gehörten ihm, ein ihm gehöriger Dampfer
lief zwischen Tripolis und Malta, und fürstliche Geschenke für die
constantinopolitanisehen Grossen gingen von ihm alljährlich nach
Stambul. Alle Beamten waren in seiner Hand und krochen vor ihm
im Staube; alle Bürger fürchteten ihn ebenso sehr, als sie ihn hassten.
Der Gerichtshof war aus seinen Creaturen zusammengesetzt; alle
administrativen Behörden der Stadt und der Provinzen standen in
seinem Solde. Alle Steuern des Landes gingen durch seine Hand
und blieben zum grossen Theile in derselben. Selten hat wohl ein
Beamter in gleichem Umfange, mit gleicher Frechheit und auf eine
gleich lange Zeit Land und Leute bestohlen, als Ali el-Kerkeni. Es
gab kein Mittel, den öffentlichen Hass gegen ihn wirksam zum Aus-
druck zu bringen. Ali Riza war sein Beschützer und, ihm an Schlau-
heit unterlegen, gänzlich in seinen Händen; die Grossen in Constanti-
nopel seine „theuren" Freunde; die Richter seine Creaturen.
Herr Luigi Rossi, der durch seine Geschäfte und seinen langen
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1. BUCH, I. KAI’ITEI.. TRIPOUS.
•jx
Aufenthalt mit dem Volke innig verwachsen war und besser als die
Berufs Consuln die unheilvolle Wirksamkeit jener Herren beurtheilen
konnte, hasste die beiden gefährlichen Genossen und fürchtete sich
sogar nicht, seine Gefühle durchblicken zu lassen. Doch um so mehr
musste er bceifert sein, den ausseren Formen zu genügen, und die
ersten Besuche, welche wir mit ihm machten, galten dem Wäli und
dem Scheich el-Beled. Die Besuche waren formelle Staatsvisiten
und boten keinerlei Interesse für mich. Cigaretten wurden präsentirt
und geraucht diese haben seit langer Zeit die früheren Tschibuks
ersetzt , der Qahuädschi oder Kaffeediener brachte mit der Serviette
über dem Arme auf dem kupfernen l'räscntirteller die kleinen Täss-
chen Findschal — mit ihren Untersätzen Zarf und die Unter-
haltung wurde beim General Gouverneur in französischer, beim Scheich
el-Beled in arabischer Sprache geführt. Jener, ein kleiner, breit-
schultriger Mann mit grauem Barte und rothem Gesicht, anscheinend
den Sechzigern nahe, trug eine Interimsuniform, rauchte seine Ciga-
retten aus einem würdevollen Tschibukrohre mit schönem Bernstein-
mundstück, sprach mit Volubilität Französisch, enthüllte mir seine
grossartigen Reform- und Civilisationspläne, liess sich aber weniger
hoffnungsvoll über meine Reiseprojecte aus. Ali el-Kerkeni hatte
ein rundes, weisses, etwas wächsernes Gesicht mit schwarzem Voll-
barte, regelmässige Züge, unheimlich funkelnde, dunkle Augen, und
eine wohlgewachsene volle Gestalt von schöner Mittclgrössc. Die
Unterhaltung mit ihm war gezwungen, beschränkte sich auf leere
Förmlichkeiten und bezog sich auf Malta, die Ueberfahrt, auf das
Wetter und auf europäische Politik; das Misstrauen des gefürchteten
Herren gegen Herrn Rossi, und also auch gegen mich, war sichtlich.
Beide Würdenträger interessirten mich wenig; sie waren Typen, wie
ich sie aus meiner tunisischen Erfahrung nur allzu genau kannte.
In Tunis war das Raubsystem grossartiger, das Land aber auch
reicher; in Tripolitanien war dasselbe im Verhältniss zu den Kräften
des Landes gewiss nicht minder ausgedehnt.
Bei solchen Regierungsorganen und wo die höheren Beamten
von den geschilderten Motiven getrieben werden, stehen natürlich
die unteren auf keinem höheren moralischen Standpunkte — , bei
dem ungeheuren Flächeninhalte Tripolitanien’s, der eine einheitliche
Leitung erschwert, bei den im Verhältniss zur Gesammtbevölkerung
zahlreich vertretenen Nomaden, die sich jeder geordneten Regierung
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OESCHICHTLICHES.
29
unfern fügen, ist die Ruhe, welche im Lande herrscht, bewunderungs-
würdig. Seit der Häuptling Rhuma zur Zeit des Krimkrieges seine
arabischen Landsleute zur offenen Empörung gegen die türkische
Fremdherrschaft begeistert und, seinem Ziele nahe, in der Nähe der
Hauptstadt seinen Patriotismus mit dem Leben bezahlt hat, ist kein
Versuch zur Rebellion gemacht worden, ja der tiefste Frieden, die
vollständigste Sicherheit herrscht in dem ganzen, weiten Lande. Die
turbulenten Araber im Süden von Algerien benutzen noch jede Ge-
legenheit, Aufstände gegen die verhasste Fremdherrschaft anzuzetteln,
trotz der grossen militärischen Macht derselben; die tunisischen
Araber hatten ebenfalls, wie ich Eingangs erzählt habe, des bestän-
digen Ausplünderns müde, ihre Zuflucht zu blutiger Revolution ge-
nommen; die Tripolitaner scheinen sich trotz der geringen materiellen
Macht, mit der die Türken das Land in Respect hielten, mit grösster
Ergebung in ihre Lage zu finden.
Die Regierung von Tripolis gebietet nur über eine Truppen-
macht von ca. 5000 Mann, und hat keine reguläre Reiterei, welche
bei der Zerstreutheit der l’opulationscentren so nothwendig erscheinen
sollte. Die Provinzial-Gouverneure, Mutasarrif (Civiltitel) oder Qäima-
qäm (militärischer Titel) regieren ihre Bezirke fast ohne Unterstützung
einer bewaffneten Macht. Und doch besteht die reine Türkenherr-
schaft noch kein halbes Jahrhundert. Die Dynastie der Karamanlija
ist noch nicht vergessen, und noch leben genug der Zeitgenossen
und Verbündeten des einst so glänzenden Stammes der Aulad Solimän,
mit dem sie der türkischen Macht bei. der Eroberung des Landes
so heroischen Widerstand geleistet haben. Der Muth der kriegerischen
Nomadenstämme ist wohl mit ihrem Glanze zu Grabe getragen, und
diesen gründlich zu vernichten hat ein Menschenalter türkischer Be-
amtenwillkür hingereicht. Wenn man nur einem geringen Theile der
Schilderungen Glauben schenken will, welche die Einwohner von
Tripolis mit allerdings wohl orientalischer Phantasie und mit der
Vorliebe der Greise für frühere Zeiten, von dem allgemeinen Wohl-
stände des Landes zur Zeit Jusef Paschas, des letzten Karamanli,
machten, so war die rückgängige Bewegung aller Verhältnisse aller-
dings eine höchst betrübende.
Die Karamanlija hatten im Anfänge des vorigen Jahrhunderts
in Tripolis der dreiköpfigen Regierung ein Ende gemacht, welche
dort, wie in Algier und in Tunis früher geherrscht hatte. In allen
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I. BUCH, I. KAPITEL. TRIPOLIS.
30
drei Staaten hatte es einen Dei, der aus den Janitscharen hervorging,
einen erblichen Hei und einen vom spirituellen Oberherrn in Con-
stantinopel bestallten Pascha gegeben. Wahrend in Algier der Dei die
höchste Machtvollkommenheit in seiner Hand vereinigt, und in Tunis
sich im Anfänge des vorigen Jahrhunderts der Hei zum Alleinherrscher
zu machen gewusst hatte, war es bald darauf in Tripolis dem Pascha
Ahmed cl-Karamanli durch einen blutigen Staatsstreich gelungen,
sich zum alleinigen Regenten zu machen.
Derselbe hatte eine lange, gesegnete Regierung, welche bis gegen
die Mitte des vorigen Jahrhunderts dauerte, und wurde von seinem
Sohne Mohammed Pascha gefolgt, der, ein vortrefflicher Mann, leider
nur 9 Jahre herrschte. Sein Sohn und Nachfolger war Ali Karamanli,
der als ein wohlwollender und gerechter Herrscher, unter dem es
die dort lebenden Christen besonders gut gehabt haben sollen, ge-
schildert wird, aber trotz des persönlichen Muthes, der ihn aus-
zeichnete, durch eine heklagenswcrthe Schwache seinen Söhnen
gegenüber den gänzlichen Verfall des Landes und den Sturz seiner
Dynastie vorbereitete. Von seinen Söhnen Hasan, Ahmed und Jüsef
erregte der erstgenannte älteste durch seine glänzenden Eigenschaften
den Neid und durch sein herrschsüchtiges Wesen den Hass seiner
Hrüder. Ahmed ertrug seinem gutmüthigen, harmlosen Charakter
zufolge die Zurücksetzung leichter, doch Jüsef brütete Rache und
Verrath. Nachdem er im Jahre 1790 den gehassten Bruder und
muthmaasslichen Thronfolger bei einer, behufs ihrer Versöhnung
vereinbarten Zusammenkunft heimtückisch ermordet hatte, bedrohte
er bald auch den Vater und älteren Bruder Ahmed, die man anfangs
glauben gemacht hatte, dass die Gräuelthat nur begangen sei, uni
jenen vor der Herrschsucht Hasan s sicher zu stellen und diesem die
Thronfolge zu sichern.
Nachdem der Brudermörder dann verschiedene, vergebliche Ver-
suche, sich der Herrschaft zu bemächtigen, gemacht hatte, schien er
im Sommer des Jahres- 1793 seinem Ziele nahe zu sein, als ein
türkisches Geschwader vor Tripolis erschien, das ein Absetzungs-
decret des von seinem Sohne belagerten Vasallen und einen neuen
Regenten von Constantinopel brachte. Trotz der geringen kriege-
rischen Macht, welche der letztere mit sich führte, und der thatsäch-
lichen Unabhängigkeit des Landes von der Pforte, erleichterten
ihm doch die durch den Bürgerkrieg muthlos gewordenen Tripo-
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GECHICHTI.ICHES.
31
litaner die Besetzung der Stadt, und Ali Karnmanli floh nach Tuni-
sien. Doch das Unglück einte seine beiden Söhne, und wir finden
Ahmed und Jüsef gemeinschaftlich den Usurpator, der vom Gross-
herrn zu Constantinopel nur moralisch gestützt wurde, in Tripolis be-
lagern und die Dynastie der Karamanlija noch einmal für kurze Zeit
wieder zur Geltung bringen. Jüsef Pascha hatte noch eine lange,
glänzende Regierung und war der letzte Herrscher seiner Dynastie.
In seine Zeit fallen die vielfachen Wirren, in denen der Araberstamm
des Auläd Solimän eine hervorragende Rolle spielte. Als diese unter
ihrem berühmten Häuptlinge Abd el-Dschlil im Jahre 1830/31 aus
Fezzün gegen Tripolis heranzogen, war in Folge der Abdankung
Jüsef Paschas ein Erbfolgestreit entbrannt, welcher der Herrschaft
der Karamanlija ein definitives Ende bereitete. Die doppelt geängstig-
ten Tripolitaner hatten sich selbst mit der Bitte um Herstellung einer
festen Ordnung an die hohe Pforte gewendet, welche diese Gelegen-
heit benutzte, einfach das Land in eine türkische Regentschaft zy
verwandeln. Der eine der Prätendenten hatte damals die Flucht
ergriffen und war verschollen, der andere wurde nach Constantinopel
geführt, wo er seine Tage endete, und der türkische Commissar war,
ohne Anwendung irgend welcher Gewalt, als erster Wäli oder Ge-
neral-Gouverneur in die Stadt eingezogen. Seitdem hatte eine lange
Reihe derselben die Geschicke der Regentschaft zum eigenen Vortheil
gelenkt und Ali Riza war weder der unverständigste, noch der
schlechteste von ihnen.
Noch uninteressanter waren die Besuche, welche wir den Sternen
zweiter und dritter Grösse abstatteten, dem Muain oder Gehülfen des
Pascha, also Vice -Gouverneur, dem Schatzmeister oder Defterd.ir,
welche beide in der Hierarchie den Scheich el-Belcd überragen,
einigen Unterstatthaltern der Provinzen, welche zufällig in der Haupt-
stadt anwesend waren, und dem Befehlshaber der wenigen tausend
Mann, welche das tripolitanische Heer bildeten. Unbedeutende
Menschen, zum Theil nicht einmal der arabischen Sprache mächtig
und wenig bewandert in den Angelegenheiten des Landes, konnten
sie der entsprechend dürftigen Unterhaltung auch nicht den geringsten
Reiz verleihen, und es war ein wahres Glück, dass Cigaretten und
Kaffee die unvermeidlichen Pausen zweckmässig ausfüllten.
Unsere interessanteste Bekanntschaft war zweifelsohne die von
Fräulein Alexandrina Petronella Francina Tinne, geboren im Haag
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32 I. Bt'CH, 1. KAPITEI.. TRIPOLIS.
am 17. October 1834, welche sich schon durch ihre Reisen im Ge-
biete des oberen Nil bekannt gemacht hatte. Dieselbe hatte ver-
geblich versucht, von den algerischen Besitzungen aus nach Süden
in die Tuarik-Länder zu dringen, und war jetzt kurz vor meiner An-
kunft mit zahlreicher Begleitung in Tripolis angekommen, um nach
Kezzän und weiter zu reisen. Eine Dame, welche schon so viele
Proben hohen Strebens und festen Willens abgelegt, schon so viele
Erfahrungen gesammelt hatte und weiche trotz der schmerzlichen
Verluste, die sie bei früheren Reisen erlitten hatte — ihre Mutter,
geb. van Capellen, und ihre Tante, Adriana van Capellen, waren
einst beide im Gebiete des Gazellenflusses den Einflüssen des Klima s
erlegen — mit bewunderungswürdiger Zähigkeit an ihren Zielen fest-
hielt und mit frischem Muthe den jetzt gewählten Weg zur Erreichung
derselben zu betreten im Begriffe stand, eine solche Dame erfüllte
mich zunächst nur mit scheuer Ehrfurcht. Meine tripolitanische Be-
gegnung mit ihr war nicht geeignet, dies Gefühl wesentlich zu
modificiren. Ihre edlen, scheinbar kalten Züge, ihr distinguirtes,
reservirtes Wesen mussten Jeden, der sich in Folge ihrer abenteuer-
lichen Carriere, wie sie sonst nur Männern Vorbehalten ist, etwa ein
emancipirtes Wesen vorgestellt hätte, zwar einerseits auf das Ange-
nehmste enttäuschen, vermochten jedoch andererseits, bei oberfläch-
licher Bekanntschaft wenigstens, nicht zu erwärmen. Ihre Begleitung
bestand aus zwei holländischen Seeleuten , Kcs Oostmans und Ary
Jacobsc, einigen ihr gehörigen Negern vom oberen Nil, algerischen
Frauen, Arabern aus Tunis und Algier, freigewordenen Negersclaven,
die unter ihrem Schutze ihre Heimath wiederzugewinnen hofften,
und Adolf Krause, einem jungen Deutschen, der in seinem Enthusias-
mus für Afrikareisen das heimathliche Gymnasium verlassen und in
Tripolis den verhängnisvollen Continent erreicht hatte. Die Stadt
war erfüllt von dem Rufe ihres Reichthums, und schon damals war
sie nur unter der Bezeichnung Bent el-Re, d. h. die Tochter des
Königs, bekannt, die sie bis zu ihrem tragischen Untergange behalten
sollte. Ihre grossen Mittel und ihr zahlreiches, zusammengewürfeltes
Gefolge Iiessen mir die gemeinschaftliche Reise nach Murzuq, unsrem
nächsten Ziele, nicht besonders wünschcnswerth erscheinen , und ich
licss sie, da sie ihre Vorbereitungen beendigt hatte, vorausreisen,
zumal die vollständige Sicherheit, welche in den tripolitanischen
Staaten herrschte, es gestattete, allein zu gehen.
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TRIPOLITANISCHE MÜNZEN UND HEENDIOUNC, DER EINKÄUFE. 33
Ich begleitete Mohammed el-Qatrüni auf den Wochenmarkt, wo
er die noch fehlenden Reiseutensilien einkaufen sollte, um von seiner
Erfahrung zu profitiren. Die circulirende Münze ist der türkische
Piaster — Ghirsch*) et-Turki — , der aus zwei Zwanzigparastücken
Abu Aschrin, d. h. Vater der zwanzig besteht und von dem
wieder zwanzig einen Mahabub darstellen. Der letztere ist eine
imaginäre Münze, figurirt aber nach dem türkischen Piaster am
häufigsten in der Rechnung. Ihm am nächsten steht der Fünf-
franken-Thaler, welcher durchschnittlich 23 türkische Piaster enthält;
dann folgt der östreichischc Maria-Theresia-Thaler Abu Teir d. h.
Vater des Vogels, von dem Doppeladler auf der einen Bildfläche
genannt — der je nach dem Course einen Werth von 23 bis 25
türkischen Piastern hat, und diesem macht hier und da der spanische
Colonnaten-Thaler — von den Säulen des Herkules auf seiner einen
Bildfläche, welche die Araber für Kanonen genommen haben, Abu
Medf’a, d. h. Vater der Kanone, genannt — , erfolgreiche Concurrenz.
Zwei und ein halber türkischer Piaster, also fünf Abu Aschrin, W'crden
wohl als arabischer Piaster — Ghirsch el-Aräbi — bezeichnet, während
drei türkische Piaster, also sechs Zwanzigpara-Stücke, Sebili heissen.
Wenn bei Tage die nothwendigen Geschäfte besorgt und die
nöthigen Besuche gemacht waren , zogen wir uns gegen Abend in
das kleine Gartenhaus Herrn Rossi’s zurück und sassen bis tief in die
Xacht hinein bei deutschem Wein oder Bier, während Gerhard Rohlfs
aus seinem unerschöpflichen Reiseleben erzählte und mir Personen
und Zustände der neuen Welt enthüllte, in der ich demnächst aus-
schliesslich leben sollte. Ich zähle jene Abende ländlicher Einsam-
keit zu den interessantesten meines Lebens.
Endlich war Alles zur Abreise bereit. Zwieback, Mohammes
und Reis war in einigen Centncrn vorhanden; Hammelfett, Salz und
Pfeffer nicht vergessen ; Tabak, Cigarren und Zündhölzer für einige
Zeit eingepackt. Auf alkoholische Getränke verzichtete ich von
vornherein gänzlich, da es doch bald hätte geschehen müssen und
ihr Transport ein unbequemer ist, doch Thee, Kaffee, Chocolade,
Fleischextract hatte ich von Malta mitgebracht. Einige hundert
Maria-Theresia-Thaler und ein entsprechender Beutel mit Abu Aschrin
*) Das Wort , .Ghirsch” ist von dem deutschen ..Groschen” nbzuleiten und verdankt
»eine Verbreitung im Orient den Kreu/.ziigen.
N achtmal. I. 3
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34
1. BÜCH, I. KAPITEL. TRIPOLIS.
als Kleingeld befanden sich in meinen Kisten; Stearinkerzen und ein
Paar Laternen sollten für Beleuchtung sorgen; Zeltpflöcke, Stricke,
Nägel, Hammer, Säge waren eingekauft, und wenn Etwas vergessen
war, wie es beim Anfänge einer langen Reise kaum anders mög-
lich ist, so hatten wir auf dem Wege immer noch Gelegenheit zur
Ergänzung.
AH Riza Pascha hatte mir einen offenen, übrigens sehr kühlen,
Empfehlungsbrief — Fermän an die Localbehörden übergeben
und einen Dabti oder Polizeisoldaten, Miläd Abeja mit Namen, zu
meinem officiellen Begleiter bestellt. Einige Tage vor der wirklichen
Abreise waren wir in die Stadt übergesiedelt, wo ich Abschieds-
besuche machte und Scheidebriefe in die Heimath schrieb, während
Gerhard Rohlfs die europäische Gesellschaft der Stadt und die Be-
hörden zu einem festlichen Piknik lud und mit Hülfe meines Pie-
montesen, der ein ausgezeichneter Koch war, die Vorbereitungen
dazu traf.
Schon am 16. Februar hatte ich die Stadt verlassen wollen, wie
man es eigentlich mehrere Tage vor der Abreise tluin soll, um etwa
Vergessenes nach holen und Verfehltes ändern zu können — Beides
stellt sich beim Zeltleben bald heraus — doch Wind und Regen
hatten mich gehindert.
Am Morgen des folgenden Tages wurden die Karneole beladen,
zu denen ich noch zwei bis zur ersten Hauptstation Beni Ulld ge-
miethet hatte, deren Treiber zugleich unsere Führer waren. Gern
hätte ich ein Pferd gehabt, doch die Kosten, welche aus dem Trans-
port seiner Gerste und seines Wassers erwachsen mussten, erlaubten
mir diesen Luxus nicht, und ich beschloss, mich mit meinen natür-
lichen Fortbewegungsorganen und dem „Schiffe der Wüste” zu be-
gnügen. Das stärkste der Kamecle trug den rothsammtenen, an
Lehne und Füssen reich vergoldeten künftigen Thronsessel des
Herrschers von Bornü in seiner unförmlichen Kiste einerseits, und
die lebensgrossen Bildnisse König Wilhelms, der Königin Augusta
und des Kronprinzen andererseits. Die Ladung war weniger schwer
wiegend, als durch ihre Unförmlichkeit für das Thier lästig. Das
Kameel liebt durchaus nicht, dass die beiderseitigen Hälften der
Ladung — Adila — weit nach unten hängen, oder Vorder- und
Hinterbeine berühren; ein Centner mehr, aber die Gepäckstücke
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GEPÄCK UND BELASTUNG DER KAMEELE. 35
beiderseits vom Höcker dem mächtigen Leibe anliegend, ist ihm
erwünschter.
Ein zweites Thier trug eine Partie Zündnadelgewehre mit ent-
sprechender, schwer wiegender Munition friedlich neben einer Anzahl
heiliger Schriften in arabischer Sprache, um deren Mitnahme Herr
Robert Arthington aus Leeds in England gebeten hatte; ein drittes
die übrigen Geschenke, welche in einer bronzenen Pendeluhr, goldener
Taschenuhr mit Kette, einem Doppelfernglas, einem halben Dutzend
gewöhnlicher silberner Taschenuhren, einem doppelt versilberten
Theeservice , einigen Stücken Seide und Sammet , einem Pfunde
echten Rosenöls und einem solchen gewöhnlicherer Geraniumessenz,
Rosenkränzen, Armbändern und Halsbändern von echten Korallen,
zwölf Burnussen aus Sammet, Tuch und feinem tunisischen Wollstoffe,
einem Dutzend echt tunisischer Tarbüsch's und einem Harmonium,
das uns noch unsre Abende in der Einsamkeit der Meschija ver-
schönt hatte, bestanden. Zwei weitere Kameele wurden mit meinen
persönlichen Reiseeffecten an Büchern, Instrumenten, Kleidern und
Medicamenten belastet und sollten im Nothfalle meine eigene Person
fortschaffen; zwei andere trugen Mundvorräthe, Kochgeschirr, Zelt
und andere Geräthschaften, während das letzte endlich für den Wasser-
transport bestimmt war. Für längere Reisen soll man das dortige
Kameel mit nicht mehr als drei bis vier Centnern belasten.
Im Ganzen ist es vielleicht zweckmässiger, auf dem Wege von
Tripolis nach Fezzän die Kameele zu miethen ; denn die der flachen
Küste entsprossenen haben keinen besonders guten Ruf und stehen
an Körperkraft und Energie entschieden zurück gegen diejenigen,
welche aus den höher gelegenen und zeitweise weidereichen Ge-
genden von Söqna , dem Dschebel Harüdsch , den Districten der
Urfilla, Abu Sef und anderer Stämme kommen. Während die mcinigen
in Tripolis unter ihres Gleichen einen brillanten Eindruck machten,
zweifelte man in Söqna schon mit Recht an ihrer Fähigkeit, Bornü
zu erreichen. Dazu kommt, dass dies Thier gegen Klimawechsel
ausserordentlich empfindlich ist. Das südliche Kameel des Qatrüner s,
ein stolzes, freilich altersgraues Exemplar seiner Varietät, hatte durch
■seinen einmonatlichen winterlichen Aufenthalt in Tripolis schon erheb-
lich gelitten und konnte nur mühsam durch tägliche Gerstenahrung
aufrecht erhalten werden. Stolz schritt der alte Wüstensohn, seine ple-
bejischen Kameraden hoch überragend, ohne Gepäck, doch steif und
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36
I. BUCH, I. KAPITEL. TRIPOLIS.
mühsam einher und erregte von Anfang an die Furcht in mir, dass
er unser nächstes Reiseziel nicht erreichen, sondern sein Leben fern
von der Heimath auf der Landstrasse endigen werde.
Wir zogen zum Südthore der Stadt hinaus und lagerten eine
halbe Stunde entfernt von ihr in Mitten einer reizenden Gruppe von
Maulbeer-, Oliven- und Orangenbäumen, wo Frederick Warrington,
der historisch gewordene Geleitsmann aller von dort ausziehenden
europäischen Afrika-Reisenden, welcher auch mich einige Tagereisen
weit zu begleiten die Güte haben wollte, bereits sein Zelt aufge-
schlagen hatte, und wo die Abschiedsfeierlichkeit stattfinden sollte.
Sobald mein einfaches Zelt und das zierliche, welches Gerhard Rohlfs
aus Frankreich mitgebracht hatte, aufgestellt waren, erschien Giuseppe
Valpreda, der mit seinen Braten, Pasteten und Mehlspeisen, seinen
Kuchen und Früchten, seinem Wein und Bier für lange Zeit zum
letzten Male für europäisch gebildete Gaumen seine culinarischen
Fähigkeiten in ein helles Licht zu setzen versucht hatte.
Nach und nach kamen auf Pferden und Eseln die gebildeten
Vertreter der europäischen Colonic, so weit ihre gesellschaftlichen
Missliebigkeiten es gestatteten. Die Beamten des französischen Ge-
ncral-Consulats und der alte Herr, welcher Amerika vertrat, wichen
zu unserem Bedauern den letzteren und fehlten; die Herren Hay,
Agent Englands, Baron Testa, holländischer General -Consul und
enthusiastischer Bewunderer Ali Riza Paschas, der lebenslustige
italienische Vertreter, Herr Bosio, der englische und der spanische
Vice-Consul, der Telegraphen- Vorsteher Smith, die Glieder der viel-
verzweigten Familien Dickson und Gagliuffi hatten sich ausser unserm
Herrn Rossi mit ihren Damen eingefunden, und zur Genugthuung
der Meisten hatte der Herr General -Gouverneur mit seinem levan-
tinischcn Secretair vorgezogen, durch seine Abwesenheit zu glänzen
Der Reverend Fenner, mein ältester Freund in Afrika und englischer
Caplan in Tunis, war in seiner Anhänglichkeit gekommen, mir das
letzte Lebewohl zu sagen. Giuseppe hatte dem Rufe seiner Kunst-
fertigkeit alle Ehre gemacht; das Wetter war herrlich geworden und
gestattete uns, trotz des winterlichen Februar, schmausend, trinkend
und plaudernd auf dem natürlichen Rasen zu lagern, sobald nicht
die requirirte Musikbande durch die Klänge eines heimathlichen
Walzers, einer Quadrille, einer lustigen Polka die Füsse der jungen
Damen und die unsrigen zu anderer Bethätigung veranlasste.
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INTERNATIONALES PIKNIK UND NACHT VOR DER ABREISE. 37
So blieben wir in lauter Heiterkeit bis gegen Abend bei Musik
und Tanz zusammen und tranken reichlich auf das Wohl meines
Königs und Vaterlandes, auf mich und meine Erfolge, auf diejenigen,
welche vor mir dieselbe Strasse gezogen und glücklich heimgekehrt
waren, und weihten ein stilles Glas dem Andenken derer, die fern
von ihrer Heimath ihrem Forschungstriebe das Leben zum Opfer
gebracht hatten. Auf der Grenze der Wüste hatte ich mir so noch
einmal die ferne Heimath vor Augen geführt; Deutschen, Engländern,
Franzosen, Italienern, Holländern, Spaniern und in ihnen gleichsam
Europa noch einmal die Hand gedrückt; noch einmal ein volles Bild
europäischen Lebens, von dem ich auf so lange scheiden sollte, zu
reicher, nachhaltiger Erinnerung in mich aufgenommen.
Der Berliner Photograph fixirte die heitere internationale Gruppe
und als die Sonne sank, war ich allein, allein mit meinen (jedanken
und Gefühlen, meiner Erinnerung und meiner Hoffnung, in Mitten
einer fremden Welt. Schweigend, von den mannigfachsten Gefühlen,
den ungeordnetsten Gedanken bestürmt und aufgeregt, wandelte ich
vor meinem Zelte noch lange hin und her. Dort bildeten die Kameelc,
mit regelmässigem Zähneknirschen der Pflicht des Wiederkäuens ob-
liegend, die Knie- und Fussgclenke gefesselt, ihre charakteristische
Wüstengruppe. Ein zottiger, arabischer Wachthund, Feida, d. h.
Gewinn, genannt, der erst Tags zuvor angeschafft worden war, erfüllte
schon seine Pflicht, obgleich er noch mit Niemand Freundschaft ge-
schlossen hatte. Die beiden Alis und Sa'ad schliefen bald den Schlaf
der Jugend, Gesundheit und Sorglosigkeit, während Mohammed aus
Qatrün noch manche Prise Tabak in den Mund schob, noch manche
Stückchen Tröna mit seinen Zahnruinen abbiss und noch manchen
erfahrenen, prüfenden Blick über Kameele und Zelt gleiten liess, ehe
er sich die Kaputze seines prächtigen, dicken, gestreiften Burnus über
den Kopf zog und sich dem Schlaf des Gerechten überliess.
Still war die Nacht, welche dem geräuschvollen, heiteren Tage
folgte, und welche einer noch stilleren und einsameren Zukunft vor-
herging. Der Schlaf wollte nicht kommen; im Zelte ward es mir
zu eng; und so rollte ich mich draussen in meine warmen tunisischen
Decken und durchträumte die herrliche Nacht. Bilder der Ver-
gangenheit verschmolzen mit denen der Gegenwart, die norddeutsche
Heimath mit der afrikanischen Küste des Mittelmeers. Das mächtige
Carthago, das römische Afrika, die reiche Cyrenaica, Türken und
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38 I. HUCH, I. KAPITEL. TRIPOLIS.
Christen, Neger und Vandalen, Araber und Garamanten, Berber und alte
Egypter tummelten sich in meinem träumenden Gehirne. Ich entrollte
die wechselvollen Geschicke dieser Länder und gedachte der Zeit, wo
ich auf den pedantischen Schulbänken so oft gewünscht hatte, lieber
dieselbe mit allen ihren schreckensreichen Ereignissen zu durchleben,
als ihre zahllosen Daten meinem rebellischen Gedächtnisse aufzu-
zwingen. Die Bilder wurden allmählig unklar und verwirrten sich mehr
und mehr, bis endlich gegen Morgen ein tiefer Schlaf sie auflöste.
Mit Sonnenaufgang war Gerhard Rohlfs und Herr Rossi ge-
kommen, mir das letzte Lebewohl zu sagen. Die Kameele wurden
bepackt, das Zelt abgebrochen, und schweigsam der letzte Hände-
druck gewechselt. Ich bestieg mein Wüstenschiff und zog still und
ernst in die sandige Ebene hinaus mit wehmüthiger Erinnerung an
das, was ich verliess, an die, welche ich liebte und ehrte in der
Heimath und die ich so lange entbehren, vielleicht nimmer Wieder-
sehen sollte, aber auch mit freudiger Hoffnung auf eine glückliche Heim-
kehr und dem festen Vorsatze, meinem Unternehmen physische, intel-
Iectuelle und moralische Kraft, so viel mir zu Gebote stand, zu widmen.
Wenn ich damals gewusst hätte, dass mein Schicksal mich länger
als fünf Jahre in den unbekannten Gegenden des verhängnisvollen
Continents zurückhalten würde: hätte ich wohl den Muth gehabt, zur
Ausführung zu schreiten? Langer als fünf Jahre eine gänzliche geistige
Isolirtheit zu ertragen, in Mitten harter Entbehrungen, schwerer Ent-
sagung, unerbittlicher Krankheiten und drohender Gefahren, ist mehr
als selbst glühender Enthusiasmus auf sich zu nehmen liebt. Später
freilich, fern von der fieberhafter Hast des europäischen Lebens und
seinen mannichfachen Genüssen, lernt man Zeit und Raum anders bc-
urtheilen, wird bescheidener in seinen Zielen, zäher in der Ausfüh-
rung seiner Plane, geduldiger im Ausharren und Leiden.
Körperliche Elasticität und Widerstandskraft in Krankheit und
Anstrengung, die natürliche Gabe, mit Menschen aller Art in Mitten
jener fremdartigen Welt zu verkehren, sind die unerlässlichen Be-
dingungen, mit denen der Entdeckungsreisende ausgestattet sein
muss; Geduld aber ist die Tugend, welche das Geheimniss des Er-
folges birgt. Sie zu üben ist oft nicht leicht, und manchen schtveren
Kampf sollte ich noch durchkämpfen, ehe ich, in dieser Hinsicht
einigermaassen gelautert, durch die Thorheit und die Unzuverlässig-
keit der Menschen meinen Weg zu finden wusste.
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Zweites Kapitel.
REISE NACH FEZZÄN.
Strassen von Tripolis nach Fezian. — Sandzonc südlich von der Stadt. — Zunehmende
Fruchtbarkeit. — Aufsteigung zum Tarhünagebirge. — Abflüsse des Gebirges nach
Norden. — Die Stämme Akara, AlAuna, IlamAdAt, Drnhtb, AulAd Jüsef, Ser Ad na. —
Römische Ruinen. — Vegetation der Gebirgsgegend. — Flussthäler südlich vom Ge-
birge. — WAdl und Schet&jib oder HalbwAdl. — Das Thal Bent Gltd und seine
Olivenpflanzung. — Türkisches Qasr und arabische Qasba. — Weitere WudjAn und
SchetejibAt. — MeschÄhid oder Steinzeuge. — Ma'aqil oder Steinbrustwehre. — Die
Serir, das vorwaltende Wüstenterrain. — W. Sofedschtn mit seinen Nebenflussth&lcm.
— Serirat Omm el-GhirbAl. — W. Bei. — Ankunft zu Bü N'dscheim. — Wüster
Character der Gegend und Kümmerlichkeit der Ortschaft. — Römische Ruinen. —
Wüstenwind. — Dschebel el-M’halla, Bü Xaadscha, Bü Atela, Tuzizzet. — Serli,
IlammAda und „Zeugen”. — Dschebel et-TAr. — Die Ebene von S6qna mit ihren
W asseibetten. — El-Dschofra. — Empfang in S6qna. — Bcrberischer Ursprung der
Einwohner. — Einwohnerzahl. — Beschreibung der Stadt. — Panorama vom Qasr.
— Gartencultur. — Thierleben. — el-MelAqt, der Sammler. — Btr Godcfa. — Ueber-
steigung des Dsch. es-Soda. — Dahar cl-Mümin, die Höhe des Passes. — Wasser-
abflüsse auf der Nord- und Südseite. — Kameelpost zwischen Tripolis und Murzuq.
— Maiteba SödA und Maiteba HamrA. — QoflT el-Gharbl und Qoff es-Schcrqi. —
Serir Ben Afien. — Ramla el-Kebtra und Ramla es-Srhlra. — Sela venkara van en. —
MAhiaf Kneir. — Haiti ja Omm el-Abtd. — Die Oase Sinrhen und ihre Bewohner. —
Die Oase Semntt. — Die Stadt und ihre Bewohner. — Die Oase Tcmeiihint. —
Die Oase Sebha. — Die Biban. — Die Serir el-Madla. — Die Oase Rhodwa. — Der
grosse Bairam oder 'Id el-Kcblr. — Laqbt, der gegohrene Dattelpalmensaft. — Alcm
oder Wegzeichen. — Scheqwa. — Ankunft zu Murzuq.
Es giebt zwei Strassen von Tripolis nach Murzuq, der Haupt-
stadt von Fezzän, von denen die kürzere über Dsclicbel Ghariän und
Misda fast direct südlich führt und sich im weiteren Verlaufe in einen
westlicheren Weg, der von Richardson, Barth und Overweg, *_und in
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I. BUCH, 2. KAPITEL. REISE NACH KEZZAN.
einen östlicheren, der von Rohlfs bereist worden ist, scheidet. Die
andere längere weicht von der erstcren, besonders in ihrem Beginne,
erheblich nach Osten ab, und ist hauptsächlich durch Lyon, Vogel
und Duveyrier bekannt geworden.
Trotz ihres nicht unbedeutenden Umweges ist die letztere die
eigentliche Karavanen- und Poststrasse, da sie in regelmässigeren
Zwischenräumen mit Wasser versehen ist, und in den Populations-
centren von Beni Ulid, Bü N'dscheim, Soqna und den folgenden Oasen
Fezzän’s erwünschte Zwischenstationen hat. Man legt sie gewöhn-
lich in etwa dreissig Tagereisen zurück, während der westliche Weg
nur zwanzig und einige erfordert. Doch von diesem schrecken
Mangel an Städten und Dörfern und grosse wasserlose Strecken die
Karavanen ab. Dazu verleihen die bevölkerten Zwischenstationen
der östlichen Strasse einen Charakter ganz besonderer Sicherheit,
der vielleicht, ausser den Rücksichten auf die erleichterte Verprovian-
tirung mit Wasser, Mundvorrath und Reiseutensilien, ebenfalls dazu
beigetragen hat, sie zur hauptsächlichen Karavanenstrassc zu machen.
Es war ein frischer, kühler Morgen, als meine kleine Karavanc
auf dieser Poststrasse am 18. Februar 1869 am südlichen Rande der
Meschija und dem Mausoleum — Qubba — Ahmed el-Masris vor-
über durch den Sandgürtel dahinzog," der sich bis unmittelbar an
die Gärten der Stadt erstreckt und langsam nach Norden vorzurücken
scheint. Anfangs lockere, sandige Ebene, unterbrochen durch jene
festeren Bodenstellen mit salzigen Efflorescenzen, an denen Nord-
afrika so reich ist und welche bei Wasserreich thum zu oberflächlichen
Salzsümpfen werden und Sebcha heissen, zeigt diese Zone dann eine
dicht gedrängte Menge abgerundeter Sandhügel von geringer Er-
hebung. Dieser etwa vier Kameclstunden oder 16 Kilometer breite
Wüstengürtel hat in seiner Mitte einen kümmerlichen Weidegrund,
welcher die einen kleinen Teich bildende Quelle Ain — Zära umgiebt
und mit einigen Oliven- und Dattelbäumen den wenigen Einwohnern
eine ärmliche Existenz vermittelt, und weiterhin einen Brunnen -
Bir — mit herrlichem Wasser, den der Wohlthätigkeitssinn eines
tripolitanischen Kaufmanns, Namens Zekelläi', gestiftet hat.
Von der Grenze dieser Sandzone, welche den Namen Dschedrat
el-Dschelläba, d. h. eigentlich die Grenze der iinportirenden Kauf-
leute, führt, marschirten wir auf mässig fruchtbarem Boden und
lagerten nach fast sechs Stunden südsüdöstlicher Richtung in der
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ÜBERSTEIGUNO DES TARHCNAGEBIRGES.
41
Gegend Tobräs, welche dem unbeileutendcn Stamme der Akära
Weide für seine spärlichen Schaafheerdcn bietet und den nöthigsten
Ackerbau gestattet.
Am folgenden Tage legten wir sogar nur ungefähr 16 Kilometer
in südlicher Richtung durch eine fruchtbare, wohlangebaute Ebene
zurück, welche Gerste und Weizen in humusreichem Sandboden her-
vorbringt, und lagerten auf einer fetten Weide in der geheiligten
Nähe der CJubba Sidi es-Säjah's. Ein Verwalter der Gerechtsame
des verstorbenen Heiligen, ein sogenannter Häres cl-Oqla, d. h. der
Wächter der Abgabe, zog von den Umwohnenden die der Qubba
zu leistenden Spenden ein und gewann dadurch eine zwar bescheidene,
doch mühelose Existenz. Während unsres kurzen Marsches hatten
wir bei klarer Atmosphäre im Osten die gebirgige Gegend von
Meselläta, im Südwesten das Gebirge — Dschebel Gharian, im
Süden und Südosten den Dschebel Tarhüna gehabt.
Wir näherten uns dem Tarhüna Gebirge am Morgen des 20. Fe-
bruar über leidliche Weidegründe und zeitweise im Bette des Wadi
es-Samär, der von Süd nach Nord verläuft und bei einer Breite von
bis zu 100 Schritt durch seine vier bis fünf Meter hohen Uferwände
zeigt, welche Wassermengen ihm bisweilen aus den Bergen zugeführt
werden. Cisternen mit sorgfältig verschliessbarer oberer Oeflhung
dienen hier und da in seinem Bette zur Sammlung und Aufbewah-
rung seiner ephemeren Wasser, und beweisen durch die Sorgfalt und
Solidität der Construction ihren Ursprung aus besseren Zeiten.
Ueber eine fruchtbare Ebene mit üppigen Weiden und ausge-
dehnten Ackerfeldern, welche dem Stamm der Hamädät gehören,
wendeten wir uns dem Gebirge zu und drangen in dasselbe ein durch
den Wadi Melrha, welcher aus diesem Theile des Tarhüna das
Regenwasser dem W. es-Samär zuführt. Langsam aufsteigend folgten
wir seinem Laufe, im steinigen Bette oder auf den felsigen Ufern,
hier und da Reste antiker Constructionen von Brücken und Dämmen
bemerkend, bis wir nach nahezu achtstündigem Marsche in durch-
schnittlicher Südostrichtung auf dem Territorium des Stammes der
Drähib nahe dem Ursprünge des Wädi Melrha unser Lager auf-
schlugen. Drei Brunnen mit antiker Fassung nahmen die Mitte des
schmalen Thaies ein, während rings herum zahlreiche Ueberreste von
Baulichkeiten aller Art und die Ruine eines grossen römischen Kastells
beweisen, dass einst dort ein ansehnliches Populationscentrum bestand.
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I. BUCH, 2. KAPITEL. KE1SE NACH FEZZÄN.
Bald war die höchste Höhe des Tarhüna- Gebirges erreicht, die
sich als wellenförmige Ebene mit Weidegründen und dazwischen
einigen Gerstenfeldern weithin ausdehnte. Dieselbe gehört den Auläd
Jtisef und den Serädna, welche dort gemeinschaftlich weiden und
Ackerbau treiben. Zahlfeiche Beduinen -Lager und Schaafhccrden
zeugten für eine im Vergleich zu der zuvor durchreisten Strecke
dichte Bevölkerung und für den relativen Wohlstand derselben.
Während wir unsern Weg in derselben Südsüdostrichtung fortsetzten,
verlor nach einigen Stunden die Landschaft ihren fruchtbaren Charak-
ter, wurde steinig und sandig und brachte anstatt üppiger Weiden
Zwiebelgewächse, Sa ater (Thymus hirtus), Rosmarin Kelil -
(Rosmarinus officinalis) , den dornigen Busch Sidr (Zizyphus Lotus)
und einige andere Gewächse hervor. Rechts in grösserer Entfernung
beherrschte von einem Bergkegel, an dessen Fuss der W. el-Kemm
verläuft, ein weithin sichtbares römisches Kastell die Gegend, bis wir
in das hochgelegene Thal des W. Tcnziwa hinabstiegen, das durch
seine üppigen, stacheligen Futterkräuter eine starke Verlockung für
unsere Kameelc wurde. Dasselbe ist schmal und nach Südosten
begrenzt durch einen Hügelrücken, jenseits dessen wir in das weite
Thal des W. el-Aqrabija gelangten, das sich hier von West nach
Ost erstreckte und durch seine ausgedehnten Gerstenfelder und be-
lebenden Heerden einen erfreulichen Eindruck machte. Nach sieben-
stündigem Marsche lagerten wir in demselben, wieder in Mitten
römischer Baureste.
Der 22. Februar führte uns aus dem Thale des W. el-Aqrabija
über einen steinigen Hügelrücken stets in derselben Südsudostrichtung
in das weite fruchtbare Thal des W. Maader, das von allen um-
wohnenden Stämmen als gemeinschaftliche Weide benutzt wird und
in das auch die Regierung im Frühjahr ihre Kavalleriepferdc zur
Rcbija oder Frühlingsweide schickt.
Der W. Maader, der, wie alle vorgenannten, für gewöhnlich
wasserlos ist, nimmt dort von seiner Sudseite her den W. es-Sedäda
auf und hat eine Nordostrichtung. Mauern, Wasserabdämmungen,
Häuserfundamente aus römischer Zeit ziehen von allen Seiten im
Thale die Aufmerksamkeit des Reisenden auf sich, während die
Höhen mit Kastellresten gekrönt sind. Das Thal des W. Maader
ist ebenfalls durch einen Hügelrücken von dem des W. Ukirre ge-
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NEBENFI l’SSTHAI.ER DES W. MERDÜM. 43
trennt, auf dessen Ufern uns zum ersten Male die Zierde zahlreicher
Botumbäume (Pistacia atlantica) entgegen trat.
Aus dem weiten Thale des letzteren gelangt man über eine
ähnliche niedrige Terrainerhebung in sein Nebenthal, W. Qarär cd-
Darbük. Von der Höhe zwischen beiden erblickt man in weiterer
Entfernung westlich die Berge von Ghariän ; in derselben Richtung,
doch näher, die Kegel Halejin und im Nordosten nahe bei einander
die beiden Tcräfit (Mehrzahl von Tarfüt). Auf den W. Qarär cd-
Darbük folgte in unserer Wegrichtung der W. el-Halfäwi, der sein
zeitweises Wasser durch den W. Qardschüma in den von Beni Ulid
abfuhrt. Auf seinem Uferterrain, das schon den Leuten von Beni
Ulid gehört, lagerten wir nach siebenstündiger Tagesarbeit.
Der folgende sechste Tag unserer Reise sollte den ersten Haupt-
abschnitt des Weges nach Murzuq beendigen und uns nach Beni
Ulid führen. Wir erreichten dies Ziel in achtstündigem mühevollem
Marsche durch eine Gegend , welche den verhaltnissmässig frucht-
baren Charakter der Tarhünabcrge mehr und mehr einbüsst. Der •
Weg führt über steinige Höhen und kahle Ebenen, die durch zahl-
lose flache Einsenkungen getrennt sind, welche, ohne sich zum
Charakter von Flussbetten Wadi (in der Mehrzahl Wudjän)
aufzuschwingen, doch in regenreichen Jahren zuweilen Wasser führen,
dann mit ihrem Sand und Lehmboden zur Cultur verwendet werden
und in genereller Weise Schetcjib heissen, ln den meisten derselben
finden sich aus alten Zeiten wasservertheilende und -sammelnde Stein-
dämme. Augenblicklich boten sie nach mehrjähriger, ungewöhnlicher
Dürre sehr wenig Spuren menschlicher Thatigkeit und natürlichen
Schaffens. In einigen wenigen war etwas Gerste gebaut, und die
Natur beschränkte sich auf die Erzeugung von Haifa -Gras (Lygeum
Spartum*), einigen Disteln, Dornbüschen und Botumbaumen. Die
breiten, sich wenig über die Einsenkungen erhebenden und diese
trennenden Hügelrücken, welche oft horizontale Schichtung zeigten,
nahmen mehr und mehr den öden Charakter der steinigen Wüste an.
Vom W. el-Halfäwi aus gelangten wir nach einigen Stunden der
zuvor eingeschlagencn Südsudostrichtung zum kleinen W. Rhalabün,
der zum System des W. Merdüm — so scheint der eigentliche Name
*) Esparto oder Haifa ist seit einigen Jahren ein wichtiger Ausfuhrartikel für Tripolis
geworden, von dem, Privatnachrichtcn zufolge, innerhalb eines der letzten Jahre Ihr fast
drei Millionen Mark zur Papiererzeugung nach England verschifft wurde.
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[. BUCH, 2. KAPITEL. REISE NACH FEZZAN.
des Flusses von Beni Ulid zu lauten — gehört, und betraten dann
eine steinbedeckte, wüste, hochgelegene Ebene, um dieselbe bis Beni
Ulid nicht wieder zu verlassen. Sowohl die weidereichen Hoch-
ebenen, als auch die fruchtbaren Thäler der Wudjän des Gebirges
und die flachen lehmreichen Schetejibät (Mehrzahl von Schctejib),
die man als Halbwudjän bezeichnen kann, waren verschwunden; nur
die tief in den Boden geschnittenen Wasserbetten unterbrachen zu-
weilen die Einförmigkeit der steinigen Höhen. Auch der einige
Marschstunden nach dem W. Rhalabün folgende W. Dinar, den wir
links vom Wege in seinen Ursprüngen sahen, gehört durch den
W. TemäsTle dem W. Merdüm an.
Nach fünfstündigem Marsche erblickten wir von der Höhe in
der Richtung unsres Weges das Qasr von Beni Ulid, während im
Südwesten die vereinzelten Gebirgsbildungen, welche sich an den
Dschebel Ghariän nach Süden schlicsscn, den Horizont begrenzten.
Wir stiegen von hier aus durch den W. Maqräwa, der einen eventuellen
Zufluss zum W. Dinar darstellt, abwärts, hatten noch einen beschwer-
lichen Marsch über steinige Höhen und erreichten endlich, durch ein
Gewirre von kleinen Zuflussthälern des W. Merdüm, das herrliche,
breite, mächtige Thal des letzteren, in dem ein ausgedehnter Hain
so schöner Olivenbäume, wie ich nur jemals gesehen hatte, das Auge
des Reisenden überrascht und entzückt.
Im Schatten der stattlichen Bäume, welche unter- dem con-
trastirenden Einflüsse der wüsten Umgebung einen Eindruck von
Frische und Ueppigkeit machen, wie derselbe sonst nicht von den
unscheinbaren, fahlgrünen Olivenbäumen hervorgebracht zu werden
pflegt, schlugen wir unser Lager auf. Die erste Etappe unseres
Weges war zurückgelegt; hier mussten wir die gemietheten Kameele
entlassen und uns neue verschaffen; hier beabsichtigten wir, noch
einige Wasserschläuche und etwas Oel zum Kochen zu kaufen, und
beschlossen also einen Rasttag zu machen. Ich konnte mit dem
Beginne der Reise zufrieden sein; Leute und Kameele hatten sich
leidlich bewährt, und kein Unfall hatte unsere Personen oder Sachen
betroffen.
Dass die genannten Gründe uns hier einen Ruhetag aufzwangen,
war mir sehr lieb; denn wenn ich es meinen Begleitern verbarg, so
musste ich mir selbst doch gestehen, dass mich der letzte Marsch-
tag entsetzlich ermüdet hatte. Ich war der Ucbung wegen bis dahin
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DAS THAI. VON BKNf ULlD.
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zu Fuss gegangen, und war ein guter Fussgänger; doch der felsig
harte Boden des letzten Tages mit seiner ungleichen Steinbedeckung
hatte meine Fiisse arg mitgenommen. Glücklicherweise unterstützte
die Jahreszeit meine Ucbungen, ja, machte sie in den Morgenstunden
sehr erwünscht. Hatten wir doch Tags zuvor Morgens vor Sonnen-
aufgang eine Temperatur von nur 6,6° C. gehabt, und wenn auch
die Mittagszeit manchen Schweisstropfen kostete, so hatten wir doch
bei schönem, klarem Wetter und schwachem Südwinde an dem Ruhe-
tage im Thale von Beni L'lid nur eine höchste Tagestemperatur von
22,7° C. gehabt.
Die Schnelligkeit unserer Karavane betrug nach sorgfältigen
Messungen drei und einen halben Kilometer pro Stunde in Gegenden,
wo die Kameele seitlich am Wege von den vorhandenen Kräutern
frassen, vier Kilometer, wenn ihnen keine Gelegenheit dazu geboten
war und bei günstigen Bodenverhältnissen und keinerlei Aufenthalt
noch etwas mehr. Auch später habe ich häufig derartige Messungen
wiederholt und bin stets zu demselben Resultate gekommen. Eine
etwas grössere Geschwindigkeit erzielt man in Gegenden, wo es Sitte
ist, den Kopf jedes Kameels an den Schwanz des vorhergehenden
zu befestigen und dadurch jeden überflüssigen Schritt der gern vom
Wege abweichenden Thiere zu vermeiden.
Das Thal von Beni Ulid verläuft mit ausgiebigen Windungen
von Westen nach Osten, war an der Stelle unserer Lagerung fast
700 Schritt breit, nimmt einige Stunden weiter nach Osten den
W. Temäsile auf und vereinigt sich einen weiteren Tagemarsch nach
Osten mit dem W. Sofedschin, um bald darauf in die grosse Syrte
zu münden. Auf der südlichen steilen Uferhöhe befindet sich das
türkische Kastell mit dem Mudir oder Bezirkschef, dem Regierungs-
secretair und der aus 50 Mann bestehenden und von einem Haupt-
mann befehligten Besatzung. Auf der nördlichen, weniger steilen
Thalhöhe zeugt das arabische Kastell Serrär, generell Qasba ge-
nannt, halb zerstört, doch durch einen ausgezeichneten Mörtel vor
gänzlicher Vernichtung bewahrt, sowohl von Zeiten grösserer Macht
als auch von manchen blutigen Kämpfen. Seit zuletzt vor einigen
Jahrzehnten der romantische Araberhäuptling Abd el-Dschlil, Scheich
der Auläd Solimän, in ihm vergeblich den Türken zu widerstehen
gesucht hatte, sank es langsam in Trümmer.
Die Pflanzung des Thaies hat eine Ausdehnung von vier Weg-
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I. BUCH, 2. KAPITEI.. REISE NACH FEZZÄN.
4<)
stunden, enthält etwa 4000 Olivenbäunic lind hier und da Feigen- und
I’flaumcnbäume ausser diesen findet man noch die in der Wüste
Talha genannte Sajälakazic (Acacia Sajal) und Tamarisken- oder
Etel-Büsche (Tamarix articulata) — , und gehört einer grossen Zahl
von Dörfern und Weilern, welche zu beiden Seiten des Thaies liegen,
und mir vom Regierungssecretair, der den abwesenden Mudir vertrat,
auf 45 angegeben wurden.
In fruchtbaren, wasserreichen Jahren füllt sich zeitweise das
Wasserbett des Thaies, so dass die Communication zwischen beiden
Ufern gänzlich unterbrochen wird, und der Wadi rauscht dann für
Sajälakazic (Acacia Sajal).
eine kurze Zeit als ein mächtiger Strom dahin. Jetzt entbehrte man
eines ordentlichen Winterregens schon seit vier Jahren, was eine all-
gemeine Noth zur Folge hatte. Viele der Einwohner hatten sich
über das ganze Land zerstreut, um ihren Unterhalt irgendwie und
irgendwo zu erwerben, und die Theucrung war eine derartige, dass
ich für eine Eselladung Stroh nach unserem Geldc etwa sechs Mark
bezahlen musste.
Als ich am folgenden Morgen (25. Februar) Abschied vom
Regierungsschreiber und dem Kommandanten des Kastells, welche
bald nach unserer Ankunft ihre Visiten gemacht hatten, genommen
hatte, setzten wir unsere Reise in Südostrichtung fort über die steinigen
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W. sftFEDSCHlN UNI) SEINE ZUFLUSSTHÄUER.
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und öden, hochgelegenen Ebenen der letztverflossenen Tage, passirten
einen Halbwädi, Schetejib es-Suwedä, der in Südostrichtung zum
W. Ghobin verläuft, und unmittelbar darauf diesen selbst, der sich
in Ostsüdostrichtung dem W. Söfedschin zuwendet. In beiden sprechen
ebenfalls zahlreiche Dämme und an ihrer Vereinigungsstelle die aut
dem Südufer des W. Ghobin gelegene Ruine eines römischen Kastells
Qasr el-'Alqa — für eine grössere Thätigkeit und zahlreichere
Bevölkerung in vergangenen Zeiten.
Wir folgten dem Laufe des W. Ghobin für einige Stunden, uns
an seiner bescheidenen Vegetation von Sajälakazien, Sidr und
Tamariske — Eiel* arab. — (Tumarix articulata).
Dschedärl-Büschen (Rhus dioi'ca) erfreuend, wendeten uns etwas mehr
südlich, passirten einen weiteren Nebenfluss des W. Söfedschin, den
W. Mimün mit einem, dem W. Ghobin parallelen Verlaufe, und zogen
von der südlichen Uferhöhe desselben auf der sich allmählig gegen
die grosse Syrte hin abdachenden Ebene einem Punkte des Söfedschin
zu, der durch einen massigen, abgestutzten Kegel mit einer Qubba
des heiligen Abd es-Seläm ausgezeichnet ist. Nach neunstündigem
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4H
l. BUCH, 2. KAPITEL. REISE NACH FEZZAN.
Marsche in durchschnittlicher Südostrichtung lagerten wir auf dem
Nordufer des Söfedschin nahe der Mündung des 1 lalbwädi cl-Amirija,
zufrieden, mit der Senkung des Terrains einige Futterkräuter für die
Kamecle zu finden.
Die Ebene des Söfedschin war einst ein Hauptschauplatz der
blutigen Kämpfe, welche die ruhelosen Auldd Solimän unter Seif en-
Nasr mit ihren Bundesgenossen, den Urfilla gegen die Tarhünn-
Stämme, die Abd el-Hädi unter seiner Führung vereinigte, bestanden,
und zahlreiche Steinhaufen — Meschähid*) zeugen noch jetzt
von den Opfern, welche dieselben hingerafft haben. Ringsum trugen
die Hügel noch die Steinbrustwehren Ma'aqil**) hinter denen
die Auläd Solimän sich gegen die übermächtigen Feinde verschanzt
hatten.
Der 26. Februar führte uns in Südostrichtung über den W. Sö-
fedschin und östlich an dem genannten Berge, (jalaat Sidi Abd es-
Seläm vorüber. Derselbe liegt zwischen zwei grösseren Schetejibät,
welche neben ihm in den VV. Söfedschin münden, und von denen
wir den östlichen Sch. el-Mocharrem passiren mussten. Der dem
Heiligen geweihte Berg besteht aus Kalk- und Sandstein und erhebt
sich fast 200 Meter hoch. Er begrenzt nach Westen hin die weite
Ebene des W. Söfedschin und seiner Schetejib’s, welche im Süden
und Südosten von einer Hügelkette vor uns, im Osten von einem
von letzterer detachirten Berge, Namens Schifschil, und im Norden
von den von uns passirten Uferhöhen des Mimun eingeschlossen
wird. Dieselbe ist sanft gewölbt, besteht grösstentheils aus Kalk,
der zahllose Versteinerungen enthält, heisst als Ganzes el-Batn, d. h.
eigentlich Bauch, und da, wo die Kalkfläche zu Tage liegt, Kerkaf
Dort sah ich zum ersten Male die Tartut (Cynomorium coccineum)
genannte Schmarotzer-Pflanze, deren lange fleischige Wurzel genossen
wird, und deren kolbenförmige Aehre mit zahllosen rothen Blüth-
ehen besetzt ist.
*) Meschähid kommt von dem Verbum „Schahad”, Zeugniss ablegen, und bedeutet
den Ort, wo dies geschieht, den Zeugnissort , daher auch den Ort, an dem Jemand
,, blutiges Zcugniss ablegt’', für die Religion den Tod erlitten hat . Wo überhaupt Jemand
eines gewaltsamen Todes gestorben ist , deutet man die Stätte durch einen Steinhaufen
an, den die Vorüberkommenden »1er Sitte entsprechend vergrössern.
**) Ma'aqil kommt von ,,’Aqal" binden, umgeben, und bedeutet den Ort, der umgiebt,
birgt, d. h. die llurg, den Zufluchtsort.
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GEGEND DES W. /EM/ EM UND W. BEI.
4!»
Wir passirten nach einander die Halbwudjän Omni cl-Hibäl. el-
Uzra und el-Asäfa, welche dem vor uns liegenden Hiigelrücken ihre
Ursprünge verdanken, überstiegen den letzteren in einem Passe
Churma — und lagerten nach achtstündigem Marsche in Südost-
richtung jenseits desselben in dem dicht mit Akazien und Dschedari-
Büschen bewachsenen Bette des W. Nefeid, der noch dem Systeme des
W. Söfedschin angehört. Der W. Nefeid ist durch eine Hügelscheide
vom W. Nefed getrennt, der nach Osten verlauft, jenen in sich auf-
ninimt, später durch eine nördliche Windung sich mit dem Söfedschin
vereinigt und mit antiken Brunnen und vielem Gebüsch geziert ist.
Das Gebiet des Söfedschin ist von dem W. Zemzem und seinen
Nebenthälern durch eine, steinige, sehr vegetationsarme, schwach
gewölbte Ebene getrennt. Dieselbe besteht theils aus Sandboden,
der verschiedene aromatische Kräuter hervorbringt, theils schon aus
jenem felsharten, an sich nicht ganz unfruchtbaren, doch ausgedörr-
ten, steinbedeckten Boden, welcher das vorwaltende Terrain der
Sahara bildet. Der Grund war zwischen den Steinen und Steinchen
hier und da bedeckt mit der Erdweizen Qamah el-Wotä ge-
nannten Flechte (Lccanora desertorum). Die ganze Gegend vom
W. Söfedschin ab ist ziemlich wasserarm und gehört den GedädTfa,
einer der vielen Abtheilungen des kriegerischen Urfilla -Stammes,
welcher so zahlreich sein soll, dass er sich unter achtzig Scheichs
vcrtheilt. Gleichwohl erblickte man kein menschliches Wesen, da
die anhaltende Dürre Alle in begünstigtere Striche getrieben hatte.
Da nach sieben und einer halben Marschstunde in Südsiidost-
richtung am folgenden Tage der W. Zemzem noch fern war, ver-
brachten wir die Nacht in einem unbedeutenden Nebcnthale dessel-
ben, dem W. M bcllem. Derselbe zog sich in unserer Wegrichtung
znm W. el-Lahja, der sich als eine grüne Vegetationslinie nach Osten
schlangelt und bald mit dem W. Zemzem vereinigt. Bevor jener
erreicht wird, unterbricht der fünfzig Meter hohe Hügel Maazul M’bel-
lem, an dem die von Bern" Ulid und von Söqna kommenden Postboten
sich begegnen und ihre Briefbehälter austauschcn, die Ebene.
Südlich vom W. el-Lahja senken sich zwei Schetejibät el-Rhanam
zum W. Zemzem, doch wir rasteten weder in - ihnen noch an den»
Brunnen des letzteren selbst, der wegen seiner Tiefe dieselbe soll
lunfzig Klafter betragen und wegen seines süssen Wassers be-
kannt ist und deshalb Tawi el-Asel, d. h. der tiefe Honigbrunnen,
Nachtigal. I. 4
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t. BUCH, 2. KAPITFX. REISE NACH FEZZÄN.
f)0
genannt wird , sondern passirten noch zwei Halbwudjän mit dem
Namen cl-Dochöla und lagerten an diesem Tage (28. Februar)
nach neun Stunden guten Marsches am Fusse der breiten Hügel-
kette, welche den W. Zemzem vom W. Hei trennt. Dieselbe heisst
Omni el-Ghirb.il, wie die sich daran schlicsscnde Ebene, welche sich
allmählig gegen den W. Bei hin abdacht, von einigen Halbwudjän
desselben Namens unterbrochen ist und immer ausschliesslicher den
Charakter vollständigster, steiniger Wüste trägt.
Auf dieser Ebene Serirat Omni el-Ghirbäl näherten wir uns
in der an den verflossenen Tagen eingehaltenen Richtung am 1 . März
dem W. Bei, überschritten die breite Vegetationslinie desselben und
lagerten nach siebenstündigem Marsche, der in Folge der geringen
Verlockung der Kameele durch Futterkräuter etwas beschleunigter
als gewöhnlich gewesen war, in einem langgestreckten Thalc, das
den W. Bei nicht erreicht, mit üppigem Kameelfutter bedeckt war
und Qrärat Chämir cn-Neqäb heisst. Der folgende Tag brachte uns
dann, anfangs über kalkige Sandniederungen, welche noch etwas
Krautwuchs erzeugten, und dann über eine allen Lebens baarc
Steinwüste, in fünf Stunden nach B11 N’dscheVm, dem nördlichsten
Orte der Provinz Fezzän.
In Mitten einer kahlen Kalkcbene Kerkaf mta' Bü N'dscheim
weithin sichtbar, macht dieser Bezirksort einen wahrhaft trostlosen
Eindruck mit seinem halb zerstörten, finsteren, unbewohnten Kastell
und den wenigen Hütten zu seinen Füssen, und würde es in der
Nähe noch mehr thun, wenn nicht einige kümmerliche Gärten mit
vereinzelten Dattelbäumen die einförmige Ocde in Etwas unterbrächen.
Das Bild erschien wohl noch trauriger als gewöhnlich, da ein starker
Wüstenwind aus Westen die Atmosphäre mit Staub und Sand erfüllte
und das Ganze in einen dichten, gelbgrauen Schleier hüllte. «
Die arme, kaum 200 Seelen zählende Einwohnerschaft, welche
dem Stamme der Urfilla angehört, hat nur ein sehr beschränktes
Areal ackerfähigen Bodens und besitzt von Hausthieren nur einige
Kameele und Esel. Zehn Minuten östlich von der Oase liegt,
halb im Sande verschüttet, eine ausgedehnte römische Ruine, die
Mauern eines mäclrtigen vierseitigen Gebäudes, von Osten nach
Westen 300 Schritt lang, von Norden nach Süden 200 Schritt tief,
mit abgerundeten Ecken und gewölbten Eingangsthoren nach den
vier Himmelsrichtungen, die bis zu ihren Bogen verschüttet waren.
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nC nd’scheTm. 51
In Mitten der weiten Arena standen einige viereckige Pfeiler auf-
recht.
Der Wind schwieg am Abend, so dass wir wenigstens für die
vier wasserlosen Tage, welche uns bis zur Gegend von Söqna bevor-
standen, ungefährdet unsere Schlauche füllen, unsere Nahrung ohne
allzureichliche Zugabe von Sand gemessen und der Ruhe pflegen
konnten, ohne im Sande begraben zu werden. Doch am nächsten Mor-
gen erhob er sich zeitig wieder in der früheren Stärke und aus der-
selben Richtung, die Atmosphäre verschleiernd, Alles in Sand hüllend,
Nase und Ohren verstopfend und unsere Haut und Augen empfindlich
peinigend. Der Zerfall der offen zu Tage liegenden Kalk- und Gyps-
schicht der Gegend liefert das Material zu der sandigen Masse, welche
nicht nur die abhängigen Stellen der Gegend ausfüllt, sondern durch
die Macht des Windes zu Hügeln zusammengeweht wird.
Die spärliche Vegetation der vergangenen Tage verseil wand
mehr und mehr; gespenstisch erschienen in unklaren Umrissen die
Sand- und Kalkhügel durch die nebelhafte Atmosphäre, und schweigend
kämpften Thiere und Menschen gegen die Gewalt des Sandsturmes.
Nichts kennzeichnet den Weg, bis einige Stunden weiter ein Keläja
genannter Hügel sich aus der allmahlig ansteigenden Ebene empor-
hebt und weiterhin ein riesiger Wegweiser in Gestalt eines mächtigen
rundlichen Kalkblockes, der auf der Spitze eines Hügels diesen gleich-
sam erdrücken zu wollen scheint und el-Bazina*) heisst, den Reisenden
orientirt.
Die ansehnlichen Flussthäler, welche weiter nördlich von den
Ausläufern des Ghariängebirges und von den Ostabhängen der Ham-
mäda el-Hamrä zur grossen Syrte verlaufen, vermisst man hier; nur
unbedeutende Bodenabflachungen treten zuweilen unter dem Schutze
der niedrigen Hügel als flache Thäler auf, wie um die Mitte unseres
Iagemarsches die wegen der Menge zu Tage liegender Salze Nukbat
el-Miläh, d. h. Salzloch, genannte Oertlichkeit. Unsere Richtung war
eine südliche, der Charakter der Gegend derselbe trostlose, wüste
und einförmige, bis nach achtstündigem Marsche ansehnlichere Hügel
ihre unklaren Umrisse durch die verdüsterte Atmosphäre zeichneten.
*) ISa/ina ist der in Tripolis übliche Name fiir den steifen Mehlbrei von halbkugliger
f"nu, welcher im nordöstlichen Afrika bis in die Negerländer hinein das vorwaltende
bericht bildet. Die Form des Felsblockes veranlasste im vorliegenden Falle die Be-
nennung.
4*
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!. »ICH, 2. KAPITF.l.. REISE NACH FKZZÄN.
52
Mit ihnen erstand wieder ein kümmerlicher Pflanzenwuchs und in
ihrem Schutze trachteten wir dem rasenden Winde zu entgehen.
Alles musste platt auf den Boden gelagert, kein Zelt konnte aufge-
schlagen werden, denn die Gewalt des Sturmes, der, oft in Wirbeln
einherbrausend, gespenstisch über die Ebene hinschwebende grau-
gelbe Sandhosen mit sich führte, schien, entgegen der Beobachtung
an den verflossenen Tagen, gegen Abend noch zunehmen zu wollen.
Im Anfänge der Nacht jedoch veränderte er allmählig seine westliche
Richtung in eine nördliche und endlich in eine östliche, legte sich
dabei fast ganz und behielt nur gerade noch Kraft genug, um uns
aus der grossen Syrte einige nach dem trockenen Wüstenwinde
erquickende Feuchtigkeit zuzuführen.
Schon am nächsten Tage änderte sich der Charakter der Land-
schaft durch verschiedene von Südvvest nach Nordost streichende
Höhenzüge, die wir in Südsüdwestrichtung zu passiren hatten. W ir
überstiegen die erste dieser Ketten, welche, aus einem breiten System
von Hügeln bestehend, mehrere Stunden zu ihrer Ueberwindung
erforderte und Dschebel el-M’halla heisst, durch den gleichnamigen
Churmat el-M'halla, d. h. Pass der Kriegscolonnc, passirten den
zweiten, Osch. Bü Naadscha, und den dritten, Dsch. Bü Atela, an
ihren südwestlichen Enden, und zogen eine kurze Zeit am westlichen
Kusse eines vierten, des Dsch. Tuzizzet, hin, bis dieser, unsere Weg-
richtung schneidend, ebenfalls seine Uebersteigung erforderte. Ehe
wir seinen Pass erreichten, stiessen wir auf ein von ihm ausgehendes
Flussthälchen, das sich bald im Sande verliert und einen kleinen
Bergkegel auf seinem Ufer trägt, der wegen seiner regelmässigen
Form von den Arabern el-Cheima, d. h. das Zelt, genannt wird.
Die Hügel der genannten Ketten von vorwiegend kalkiger Structur
sind so eng mit einander verbunden, dass sie, aus der Ferne ge-
sehen, als ununterbrochene Kammlinien erscheinen.
Mit den Erhebungen nahm auch die Vegetation wieder zu, und
Kameelheerden bewiesen die Nähe von Menschen. Diese waren
ebenfalls Urfilla, doch besuchen in anderen Jahren auch andere
Stämme diese Weideplätze. Der Wassermangel der Gegend ist
natürlich eine erhebliche Schwierigkeit für die dortige Existenz;
doch es ist bekannt, dass bei frischen Kräutern die Kameele der
Tränkung nicht bedürfen, und von den Leuten behauptete man,
dass sie sich gänzlich auf die Milch jener als Getränk beschränkten.
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SF.RiK UND HAMMÖOA.
53
Nur für Kinder und Kranke sollten sic zeitweise von dem nächsten
der fernliegenden Brunnen einige Schläuche Wassers holen, sonst aber
sogar zu ihrer religiösen Waschung sich des Milchserums bedienen,
ln Wahrheit schienen sie etwa alle Woche aus einem entfernten
Brunnen so viel Wasser zu entnehmen, als ihr Besitz an Schläuchen
ermöglichte, sonst aber hauptsächlich von Milch zu leben. Die
Kameele dieser Gegend geniessen eines ausgezeichneten Rufes und
sind viel starkknochiger, muskulöser und fettreicher als die des Küsten-
saumes.
Wir überschritten den Churmat et -Tuzizzct am 5. März in Süd
sudostrichtung und hatten dann östlich vom Wege nur noch eine
weite Ebene. Auch westlich hörten die Ausläufer des Gebirges auf,
und bald zogen wir über eine der schon erwähnten wüsten Ebenen
hin, welche, jeden Lebens baar, zwar nicht der Vorstellung ent-
sprechen, die man sich noch allzu oft in Europa von der grossen
Wüste macht, und die von Sand unzertrennlich ist, aber die Sahara
am meisten charakterisiren. In mittlerer Erhebung gelegen, den
• felshartcn , ausgedörrten Boden dicht bedeckt mit kleinen, vielfach
abgeschliffenen Steinen auf einer dünnen Lage dunkelgelblichen
Staubes, jeder Vegetation entbehrend, führen sic die Bezeichnung
Scrir, welches Wort eine Ebene bedeutet, die sich über ihre Um-
gebung erhebt. Sie unterscheiden sich von den Hammäden oder
wüsten Hochebenen nur durch die höhere Lage der letzteren und
die grösseren und unregelmässigeren Steine, mit denen dieselben be-
deckt sind. In beiden bilden sich durch Verwitterung flache Erosions-
Thaler mit Tafelbergen, deren Höhe dem Niveau des umgebenden
Terrains entspricht und ihren ursprünglichen Zusammenhang mit dem-
selben zeigt, und welche deshalb „Zeugen" genannt werden.
Wie gewöhnlich legten wir einen Tagemarsch von etwa acht
Stunden zurück, passirten das Flussthal W. Zcmäm, das von Westen
nach Osten verläuft, und erblickten gegen Ende desselben bei ge-
ringerer Verschleierung der Atmosphäre westlich einen Höhenzug
und östlich eine Berggruppe. Jener giebt sowohl dem W. Zemärn
Ursprung, als auch den am folgenden Tage (6. März) passirten Fluss-
thalern, den Wudjän Häd Bit Tobel, Tenin und Tallia Bit Tobel,
von denen der erste und letzte einem reisenden tripolitanischcn Kauf-
mann Namens Tobel zu Ehren, ihre Namen führen.
Der Gebirgszug verläuft von Nordnordwest nach Südsüdost und
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54
I. BUUI, 2. KAP1TEI.. REISE NACH KI.ZZAS.
scheint keinen Gesanimtnanien zu haben, sondern nur in seinen
Theilen nach den von ihm entspringenden Flussthälcrn, welche sich
mehr oder weniger nach Nordost wenden, benannt zu werden. Wir
folgten dem W. Talha Hü Tobel aufwärts bis zu seinem Ursprünge
am Südende des Höhenzuges, der dort in den Dsch. et-Tär, eine aus-
gedehnte Gebirgsgegend, jenseits welcher die Ebene von Söqna liegt,
übergeht, und lagerten sehr ermüdet nach neunstündigem Marsche
im Churmat et-Tär nahe einem Hrunnen desselben Namens.
Das Gebirge besteht aus einer Menge einzelner Gruppen von
wilden, zum Theil wundervollen Formen. Kegel- und pyramiden-
förmig erheben sich, die Felsparthiecn, geschieden durch Thäler mit
Wasserbetten, welche offenbar erst vor Kurzem gefüllt gewesen
waren und nach den kahlen Gegenden der verfllossenen Marschtagc
uns mit ihrer frischen Vegetation den wohlthuendsten Eindruck
machten. Während meine Leute aus dem Hrunnen, dessen Wasser
fast das Niveau des umgebenden Hodens erreicht, einen kleinen Vor-
rath cinnahmcn, erstieg ich einen der bedeutenderen steilen Kegel,
der auf Kalk, Thon und Schiefer gelagerten dunklen Sandstein trug,
und sich etwa 300 Meter über die Ebene erhob.
Nach fünfstündigem Marsche durchschnittlicher Südrichtung lag
der Pass hinter uns; westlich vom Wege erblickten wir noch einige Aus-
läufer des Gebirges, während vor uns auf der andern Seite sich zwei
herrliche Herggruppen, der Dsch. Hamöra und der Dsch. Türirin, aus
der Ebene von Söqna erhoben. Diese letztere wird von breiten und
schmalen Wasserbetten durchschnitten, welche aus dem Dsch. et-Tär
kommen, dicht mit Futterkräutern bestanden waren und sich süd-
östlich bald in der Ebene verlieren. Jenseits der vor uns liegenden
Ebene nahmen die dunkeln Häupter der schwarzen Herge von Söqna
den südlichen Horizont ein. Nachdem wir unsern Weg in Südsüd-
west-Richtung noch durch einige Stunden fortgesetzt hatten, lagerten
wir nach etwas mehr als sechsstündigem Marsche am westlichen
Fusse des Dsch. Hamöra.
Je mehr wir uns der Stadt Söqna näherten, desto häufiger zeig-
ten sich die Spuren von Menschen und diese selbst. Die Meisten
waren Urtilla, einige auch Leute aus Hün. Schon seit dem Churmat
et-Tuzizzet gehört der Grund und Boden eigentlich zu Söqna, doch
beackern, besäen und beweiden ihn zur Zeit des Regens diejenigen,
welche zuerst temporären Besitz von ihm ergreifen.
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DAS (JEHIRCJE et-tar und DIE DSCHüFKA. / {> 5
Die Ebene Söqna's, welche im Norden vom lisch. ct-Tär, im
Süden durch den Dsch. es-Södä begrenzt wird, steigt nach Westen
allmählig zu dem wüsten Hochlande der Hammäda el-Hamrä auf,
umfasst nach Osten noch die kleinen Oasen von Hün und Waddän
und wird el-Dschofra genannt. Sie besteht aus kalkhaltigem Sand-
boden, dem häufig Thon beigemischt ist, und in dem man nicht
selten Salz und Gyps findet. Die erwähnten grösseren und kleineren
Wasserläufe, welche vom Dsch. et- Tür oder seinen südlichen Aus-
läufern kommend, sie in grosser Anzahl durchziehen, sind von Norden
nach Süden die Wudjän Nüweir, Malih, et-Tär, Tenizzelen, Urfelli,
Hamöra, welche vom W. Urfelli gesammelt und nach Südosten zu
baldiger Versiegung abgeführt werden. Weiterhin werden die Wudjän
Dinden, en-Nusf, Ferdschän, Meter im W. Ferdschän vereinigt, der
sich unmittelbar nördlich von der Stadt nach Osten wendet, um sich
in der Gegend von Hün in der Salz- oder Sebcha -Ebene Aqärib zu
verlieren. Hün liegt etwas mehr als eine halbe Tagereise östlich
von Söqna und um ebenso viel weiter in derselben Richtung liegt
Waddän, eine Colonie von Schurafä (Mehrzahl von Scherif, der Nach-
komme des Propheten). Von beiden ist Hün der volkreichere Ort,
stellt jedoch selbst in dieser Beziehung gegen Söqna weit zurück.
Die Stadt Söqna, eine Hauptetappe unserer Reise, war nahe;
es genügte, am nächsten Morgen erst gegen neun Uhr aufzubrechen,
um bei Zeiten einzutreffen. Der Tag war herrlich warm, die Euft
klar und durchsichtig. Doppelt schön präsentirten sich die pracht-
vollen Formen des Dsch. Türirin im Südosten und ein mit zierlichem
Palmcnhain bestandener Sandhügel, dem wir uns zuwandten, im
Süden. Derselbe hat an seinem Fusse zwei Brunnen guten Wassers,
anderthalb Meter tief, und wird el-Hamam genannt, wegen seines
Reichthums an Tauben, und nicht etwa el-Hammäm (das warme
Bad), wie er heissen könnte, wenn warmes Brunnen- oder Quellwasser
auf ihm vorhanden wäre. Nicht weit von ihm verbarg uns ein gleich-
falls mit Palmen bewachsener Sandhügelzug den Anblick der Stadt.
Als derselbe überschritten war, lag diese mit ihrem riesigen Kastell,
einigen Minarcts und ihren Mauern und Thoren vor uns, und um
Mittag schlugen wir in einem dicht an die Stadt stossenden Garten
unser Lager auf.
Alsbald erschienen die Notabilitäten der Stadt, der Mudir Sfdi
Ahtnädi Billäh und der Vorsitzende des Rathes, der Baschalläh
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5l?
. Ill'CH, KAPITKI.. REISE NACH KEZZAS.
Hadsch Mohammed und zwei Brüder des Letzteren, um mich zai be-
grüssen. Es waren liebenswürdige, verständige Herren, von denen be-
sonders der Baschalläh ein erfahrungsreicher, weit gereister Kaufmann
war, der wiederholt eine öffentliche Rolle in seiner Heimath gespielt
hatte. Sie waren berberischen Ursprungs, wie die Masse der Ein-
wohnerschaft, ohne dass sie trotz ihrer relativen Bildung anzugeben
gewusst hätten, aus welcher Gegend ihre Vorfahren gekommen waren
und welchem Stamme sie angehört hatten. Sie wussten nur, dass
dieselben vor etwa 300 Jahren aus Westen eingewandert waren und
die Stadt gegründet hatten, in welcher gleichzeitig die umliegenden
Dörfchen der Dschofra aufgingen, ln der That gehört ein erheb-
licher Bruchtheil der Einwohner dem arabischen Stamme der Riäh
an, welche jedoch zur Winterszeit mit ihren Kameelen in weide-
reichere Gegenden ziehen. Die Masse des Volkes spricht einen
besonderen berberischen Dialcct, der grosse Aehnlichkeit mit dem
von Ghadämcs hat; jedoch Alle verstehen und sprechen arabisch.
Früher wurde die Dschofra von Tripolis aus verwaltet, jetzt gehört
sie administrativ zu Fezzän, das seinen Verwaltungsbezirk sogar bis
auf Bi» N dscheim ausgedehnt hat.
Die Herren klagten sehr über den Verfall aller Verhältnisse und
die Abnahme der Bevölkerung. Noch im Anfänge des Jahrhunderts,
zur Zeit el-Muqni's, ja selbst spater, als Abd el-Dschltl durch seine
rebellischen Unternehmungen die .dortige Welt aufrührte, sei Söqna
viel mächtiger und bevölkerter gewesen; jetzt könnten sie höchstens
500 waffenfähige Männer stellen, ohne freilich den schwarzen Bruch-
theil der Bevölkerung mitzurechnen. Es schien nach Allem wahr-
scheinlich, dass Söqna noch gegen 300c Seelen in seinen Mauern
berge.
Die Stadt bildet ein längliches Septagon, das seine grösste Aus-
dehnung von Nordost nach Südwest hat, und dessen längste Seite die
nach Westen gekehrte ist. Sie hat sieben Thorc und zweiunddreissig
Bastionen an den Ringmauern, die aus Kalkstein mit Mörtel erbaut
sind und keinen sehr vertrauenerweckenden Eindruck machten: wenig-
stens schienen die Stützbalken der Thore und diese waren nur aus
l’almcnholz geschnitten das solideste Element der Umschliessung
zu sein. Es giebt fünf Moscheen Dschämi'a von denen zwei
mit unscheinbaren Minarets geziert sind, und drei Elementarschulen
Mcdresa - in der Stadt. Alles wird hoch überragt von dem
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sügXA.
57
riesigen Kastell, das, gänzlich verfallen, jetzt keinerlei Zweck mehr
dient. Von seiner Höhe hat, man einen herrlichen Rundblick über
die Umgegend, deren Einzelnheiten mir einer der Rriider des
Baschalläh mit grosser Liebenswürdigkeit erläuterte.
Gerade im Westen der Stadt, in der Entfernung eines halben
Tagemarsches, liegt die Berggruppe Qannäsa; im Nordwesten, zwischen
dieser und dem Tär-Gebirge, der einzelne Berg Machrik, der haupt-
sächlich dem W. Urfelli Ursprung giebt; im Südwesten Quweirat er
Riäh und Bü Schiqfa, Berggruppen, welche ebenfalls nur einen halben
Tageinarsch von der Stadt entfernt sind. Zwischen dieser und den
schwarzen Bergen, welche den südlichen Horizont einnehmen, liegen
die einzelnen Berge Qäret esch-Schäusch im Südsüdwesten, Tamzcrükt
im Süden, und linizoghen el-Atja im Südsüdosten, und den ostsüd-
östlichen Horizont begrenzt die Gebirgsgruppe Filqi.
Von der finsteren Linie des Dsch. es-Sodd liessen sich die Ein-
zelheiten nicht mehr deutlich erkennen, da sich der Sandwind wieder
zu erheben begann. Stadt, Strassen und Menschen boten nichts
Bemerkcnswerthes. Wenn ich die Stadt mit später gesehenen ver-
gleiche, so bildet sie einen Uebergang von den kleineren Ortschaften
der Nordkiistc zu den im eigentlichen Kczzan gelegenen. Noch sind
Steine häufiger zum Bauen verwendet als weiter südlich; doch figu-
riren die an der Sonne getrockneten Klumpen thoniger Erde, schlecht
geformte Luftziegeln, anstatt jener häufiger, als in grösserer Nähe
der Nordküstc. Schon ist die Dattelpalme mit ihrem faserigen
Hoizc als Baumaterial in ihre Rechte getreten, doch erlaubt die
Nahe von Tripolis noch, häusliche Utensilien aus Holz von dort zu
beziehen.
Die Einwohner der Stadt verwendeten, ihrem Berbercharakter
entsprechend, offenbar viel Sorgfalt auf die Cultur ihrer Garten.
Auf den Regen kann dabei nicht gerechnet werden, denn derselbe
fallt natürlich sehr selten — beispielsweise hatte es in dem gerade
beendigten Winter vier Mal, jedes Mal mit geringem Niederschlage,
geregnet ; vielmehr wird das Wasser, welches sich fast überall in
der 'I iefe von höchstens fünf Metern unter der Erdoberfläche findet,
aus Ziehbrunnen, welche Esel in Bewegung setzen, vertheilt. Der
Garten wird zu diesem Zwecke in kleine eingedämmte Vierecke ge-
theilt, zwischen denen ausgegypste Canäle hinlaufen, und man sorgt
durch abwechselnde Eröffnung und Vcrschliessung der verschiedenen
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I. 11UCH, 2. KAPITEL. REISE NACH l'EZZAX.
58
Damme dafür, dass jedes Viereck wenigstens einmal in der Woche
während eines ganzen Tages unter Wasser steht. In den östlichen
Gärten findet sich sieben Klafter tief ein zur Gartenbewässerung sehr
geschätztes, laues Wasser.
Man cultivirt in den Gärten Gerste und Weizen, deren grosse
und volle Aehren der Reife nahe waren, und später im Jahre Durra
(Sorghum) und Duchn (Penicillaria), welche vom Spätsommer bis
Spätherbst geerntet werden. Ausserdem gab es Klee- und Zwiebel-
felder, Radieschen, Tomaten, Melüchia (Corchorus olitorius), Rohnen,
und ausser den Datteln gewann man Aprikosen, Pfirsiche, Granat-
äpfel, Feigen, Mandeln, wenn auch in geringer Menge; ja sogar
zwei Apfelbäume sah ich in verhältnissmässigem Wohlsein.
Das Thierleben der Gegend ist nicht von Bedeutung. Kameele,
Esel, Ziegen bilden die Hausthiere; Pferde und Rinder existiren nur
in ganz vereinzelten Exemplaren. Von jagdbaren Thieren giebt es
Gazellen, Hasen und Füchse, doch auch diese nur in geringer Zahl.
Es war gut, dass ich schon am Tage unserer Ankunft Stadt
und Gärten besichtigt hatte, denn am Abend desselben erhob sich
ein heftiger Südwind, der während des ganzen folgenden Tages
(10. März) mit ungeschwächten Kräften anhielt und die ganze Atmo-
sphäre so verfinsterte, dass man selbst ganz nahe Gegenstände nur
unklar zu sehen vermochte. Der Staub und die hochgradige Hitze
um 2 Uhr Nachmittags stieg das Quecksilber auf 43 0 C.
machten jede Thätigkcit fast unmöglich; erst gegen Abend, als sich
der Wind abschwächte, konnte man daran denken zu essen, zu
sprechen und umher zu blicken, ohne Mund und Augen voll Santi
zu bekommen. Auch im Laufe des 11. März erhob sich der Wind
wieder, so dass wir die beabsichtigte Abreise noch einen Tag hinaus-
zuschieben uns veranlasst sahen.
Die Herren der Stadt Hessen es während der Zeit unserer An-
wesenheit nicht an guter Bewirthung fehlen, und Fleisch und beson-
ders schönes Weizenbrod erschien uns als ein seltener Genuss,
obgleich wir noch keinen Monat die materiellen Genüsse der Haupt-
stadt entbehrt hatten. Zur Weiterreise Hess ich einen kleinen Vor-
rath von Brod backen und kaufte auch einen Krug jener flüssigen
Butter, welche die Araber ausschliesslich zum Essen benutzen und
durch Kochen aufbewahrungsföhig machen.
Mit zwei frischen, kräftigen Miethkamecicn nahmen wir am
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L'BERSTF.IOUNO I'EK SCHWARZEN UERCE. 50
12. März unsere Reise wieder auf, hielten uns, während wir an einem
palmenbewachsenen Sandhügel mit den Quellen Aweinat cn-Näsi
und an der kleinen Dattelpflanzung el-A’arcscha im Thale des von
Süden kommenden W. Hamämis, der zum W. Ferdschän geht, vor-
überzogen, südsüdwestlich und schlugen nach einigen Stunden eine
südwestliche Richtung ein. Die ganze Ebene war durchzogen von
Halbwudjän, deren grüne Baumlinien hin und wieder aus dem Staub
nebel tauchten und mehr oder weniger gegen den W. Hamämis hin
liefen, bestand jedoch selbst aus einförmiger Scrir. Westlich am
Wege blieb der isolirte Kegel Qäret cr-Riah; östlich verlief die Berg
gruppe Bü Schiqfa fast parallel unserm Wege von Nordost nach
Südwest, wo sie eine ähnliche Gruppe, welche weiter westlich von
Norden nach Süden verläuft und Chischm es- Sultan heisst, erreichen
zu wollen schien.
Zwischen beiden und den schwarzen Bergen entsteht eine Art
Kessel in den von Süden, Westen und Osten die zeitweiligen Berg-
wasser sich sammeln, che sic in die Ebene von Söqna zum W.
Ferdschän abgeführt werden. Durch dieses Thal, das den be-
zeichnenden Namen el-Meläqi, d. h. der Sammler, führt, und in dem
von Südosten der W. I.afnüd, von Süden der W. el-Ahläq und von
Südwesten der W. el-Bir zusammenlaufen, führte unser Weg zum
Gebirgspass, zu dem wir in den Windungen des letztgenannten der
Abflussbetten über Sand und Stein, Kalkboden und Basaltstück-
chen zwischen dunklem Sandstein einige Stunden hindurch aufstiegen,
bis wir nach achtstündigem Tagemarsche unter einer ansehnlichen
Sajälakazie am Bir Godefa lagerten.
Dieser Brunnen, welcher ausgezeichnetes Wasser in der Tiefe
von nahezu fünf Meter enthalt, liegt in einem Bergkessel, etwa
500 Meter über dem Meeresspiegel und fast 200 Meter über der
Ebene von Söqna. In dem westlichen Umfange des Kessels bildet
das Thal el-Maurid den Ausgang. Wir benutzten diesen, folgten
dann für kurze Zeit dem Bette des W. el-Wischqa, der aus Süd-
■ westen kommt, bis zum Passe desselben Namens, und fielen mit dem
Nebcnthale desselben, Luschäka, in die frühere Südsüdwestrichtung
zurück. Etwas weiter westlich führt der sogenannte Tariq et-Tittäwin,
d. h. der Weg der Quellen, und im Osten am Fussc des den öst-
lichen Horizont begrenzenden Höhenzuges Dsch. Nefda der Tariq
esch-Schantar, d. h. der Postweg, in das eigentliche Fczzän. Wir
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. BUCH, 2. KAPITEL. REISE NACH KEZZAN.
60
wanden uns durch die Hügel und über ihre Rücken hinweg, bald
mehr nach Osten, bald mehr nach Westen von der südlichen Richtung
abweichend, überschritten den W. Zeqär, der aus Westsüdwesten
kommend seine Wasser, wie die vorher passirten, dem Meläqi, zu-
sendet, und stiegen in seinem Zuflussthalc Tafermi, das aus Südwesten
kommt, stetig und allmählig aufwärts.
Durch schwarzen Eisensandstein und Basalt nehmen die Berge
ringsum einen düsteren Charakter an, und nur liier und da bleibt
der auf Thon ruhende Kalk frei von der schwarzen Bedeckung
Bald stiegen wir eine ziemlich steile Höhe, Dahär el-Mümin, hinan,
deren breiter Rücken eine mit kümmerlicher Vegetation gezierte Ab-
flachung, el-Mädschena, d. h. die Mulde, trägt, und erreichten jenseits
dieser nach fünfstündigem Tagemarsche die höchste Erhebung des
l’asses. Von hier hatten wir einen weiten Ueberblick über die
schwarzen Berge, sahen den Dalnlr cs-Södä, die höchste Erhebung
im westlichen Thcile des Gebirges und den Qäret et -Tafermi, den
höchsten l’unkt in der östlichen Hälfte desselben. Näher lag uns
im Westen der Qalb Warqän, im Nordwesten Qäret cs-Zeqär und
vor uns im Süden zeigten sich die einzelnen Berghäupter Qalabät
elHamädät.
Von der Passhöhe, welche etwa 700 Meter über dem Meeres-
spiegel liegt, stiegen wir ziemlich rapide bergab, überschritten den
W. Bü Freja und jenseits eines Hügelrückcns die VVudjän Meisa und
Bü Talha und nächtigten bald darauf im Bette des W. Bü 1-Haschim.
Dieser entspringt, wie die drei vorhergenannten, aus dem westlichen
Thcile des Gebirges und bildet, mit ihnen sich weiter östlich ver-
einigend, den W. Musci'rät, der sich dann bald in der Ebene verliert.
Ein klarer, windloser Morgen lockte uns mit seiner Kälte wir
hatten gegen Sonnenaufgang nur 40 C. zu frühem Aufbruch, als
gerade der Kameel -Postbote von Murzuq eintraf und schicklicher
Weise erst, wenn auch einfach mit Datteln, bewirthet und ausgefragt
werden musste.
Öiesc K amcelpost, welche allwöchentlich einmal von Tripolis
und von Murzuq abgeht und den Weg in achtzehn Tagen zurück-
legt, während andere Reisende mindestens eine Woche mehr noth-
wendig haben, ist eine der wenigen Wohlthaten, welche die türkische
Regierung für Tripolitanien geschaffen hat. Mit gut gezüchteten
Rennkameelen der Tuärik Mahäri würde diese Frist noch
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GEGEND SÜDLICH VOM DSCH. ES-SÖDÄ.
61
erheblich herabgemindert werden können, doch stände allerdings zu
furchten, dass diese kostbaren Thiere den klimatischen Hinflüssen der
Küste nicht Stand halten würden. An den Hauptstationen werden
die Ersatzkameele zur festgesetzteu Zeit bereitgehalten, und der Ver-
waltungschef entnimmt der verschlossenen Posttasche, zu der er einen
Schlüssel besitzt, die dir ihn und seinen Bezirk bestimmten Briefe.
Der Bote übernimmt auch gegen Vergütung die Besorgung von
Packeten, und ich bekam später in Murzuq durch seine Vermittlung
aus Tripolis recht ansehnliche Kisten.
So lange der westliche Theil des Dsch. es-Södä noch nahe war,
folgte Flussthal auf Flussthal. Die meisten verlaufen von Westnord-
west nach Ostsüdost, sind flach, mit kiesigem Bette auf lehmiger
Unterlage, und die Träger einer Vegetation, die aus Sajalakazien,
Coloquinthen und verschiedenen Gräsern besteht. Das zwischen ihnen
gelegene Terrain trägt entweder den Charakter der Serir und erhebt
sich dann nur wenig über das Niveau der Flussbetten, oder besteht
aus steinigen, mit Basaltstücken beworfenen Hügelrücken, lieber
einen solchen stiegen wir aus dem Bette des W. Bü 1-Haschim in
das Thal des W. Tenqesir hinab und strebten in der gewohnten
Sudsüdwestrichtung den sich einige hundert F'uss über die Ebene
erhebenden Bergkegeln Qalabät Moqris zu, zwischen denen durch
wir das flache Thal des seichten W. Moqris el-Ghäriq betraten.
Derselbe verliert sich in der Flbene nach Osten zu, wie der folgende
W, Moqris es-Samah und auch der W. Ghäncn, nachdem sich der-
selbe zuvor mit dem folgenden W. Finqer vereinigt hat. Am W.
Ghänen begegneten wir einer kleinen Karawane fröhlicher, gut ge-
haltener Sclaven, mit denen wir uns durch unzählige Haies und Afia's
begrüssten, und mit deren Herren wir die gewöhnlichen Höflichkeits-
bezeugungen und F'ragen und Antworten austauschten. Im W. F'inqer
hat in seltenem Gemeinsinn ein Wohlthäter der Menschheit sich
durch Construction eines Brunnens verewigen wollen. Als man nach
langer Arbeit auf Wasser gestossen war, wollte er, sagt man, sich
selbst von dem PIrfolge überzeugen, stürzte aber dabei in den Schacht
und fand seinen Tod. Man grub ihm sein Grab unter einer nahen
Sajälakazie, der Brunnen aber blieb unvollendet.
Die ganze Gegend steigt von W. Bü' 1-Haschim an allmählig an,
besonders aber nach der Passage des W. Finqer, bis wir nach einem
1 agemarsche von mehr als acht Stunden jenseits des W. Temeschin
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02
I. BUCH, 2. KAPITEL. REISE NACH FEZZÄN.
lagerten, an einer Stelle, wo ein gewisser Maqirsi ebenfalls vergeblich
versucht hat, einen Brunnen graben zu lassen.
Für die folgenden Tage fehlte nicht allein das Wasser, sondern
all und jedes Kameelfutter, das wir bisher wenigstens stets noch in
den zahlreichen Flussthälcrn gefunden hatten. Wir brachen am
15. März erst spat am Vormittage auf und betraten, nachdem bald
die letzten Umrisse der schwarzen Berge unseren Augen entschwun-
den waren, eine unabsehbare, ansteigende, durch zahllose Stückchen
schwarzen Eisensteins dunkelgefärbte Ebene, die Maiteba Soda oder
schwarze Maiteba, welche mit ihrer höchsten Erhebung und einem
dichteren dunkeln Belag sich scharf absetzt gegen die folgende, etwas
unter ihrem Niveau liegende Maiteba Hamrä. Diese hat dieselbe C011-
figuration wie die erstere, unterscheidet sich aber von ihr durch das
bräunliche Gestein, mit dem sie bedeckt ist, und, das zusammen mit
dem Staube seines Zerfalls ihr den Namen der rothen Maiteba ver-
lieh. Auch sie steigt allmählig an und schneidet in ihrer höchsten
Erhebung mit einem stumpfen Kamme weissen Kalksteins ab.
Von dem höchsten Punkte der Gegend, dem Endpunkt der
schwarzen Maiteba, erblickten wir vor uns das scharf abgeschnittene
Ende einer von Westen heranziehenden Hügelkette, das sogenannte
Qoff*) el-Gharbi und in noch weiterer Ferne das ebenso geformte
Ende eines von Nordosten kommenden 1 löhenzuges, das Qoff esch-
Scherqi. Wir hielten in unserer bisherigen Wegrichtung gerade auf
das Qoff el-Gharbi, bis wohin sich eine charakteristische Serir aus-
dehnt. Diese ist durch den W. Warqan unterbrochen, der mit seiner
fast ausschliesslichen Vegetation von Coloquinthen — Handal sich
nach Südosten zu verliert.
Vom endlich erreichten Qoff el-Gharbi, das aus einem sand-
bedeckten Kalkhügel mit grobem Sandstein besteht, und offene
Kalkzüge in die Ebene schickt, betraten wir die weite, sanft an-
steigende Serir Ben Afien, welche in einer Breite von reichlich fünf
Stunden vor uns lag und an grossartiger Einförmigkeit alle bis
dahin gesehenen Ebenen der Art übertraf. Nichts, woran das Auge
haften konnte, auch nicht die leiseste Spur von Leben, ein voll-
ständiges Bild der Leere und Unendlichkeit. Nirgends fühlt der
Mensch sich so klein und verloren, und doch wieder nirgends so
*) Ooft licleiitet eine steinige Erhebung.
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MAITEBA, QOEF UNI> RAMLA. 63
stark und gehoben, als im Kampfe mit dieser hülfloscn Verlassenheit,
im leblosen, scheinbar unbegrenzten Raume. Wüstenreisen machen
den Menschen ernst und nachdenklich, und die echtesten der Wüsten-
sohne, die Tuärik und die Tubu, welche ihr ganzes Leben in diesem
einsamen Kampfe gegen den weiten, wüsten Raum verbringen, haben
ein fast finsteres Aussehen, zu dem keine harmlose Heiterkeit mehr
zu passen scheint. Der finstere Charakter dieser niederdrückenden
Grossartigkeit wurde erhöht durch einen neuen Sandsturm aus Süden
mit allen seinen kleinen Leiden im Gefolge. Unter seinem Einflüsse
und dem der beginnenden Dunkelheit hatten wir schliesslich die
Richtung verloren und legten uns, sobald wir dessen inne wurden,
nach neunstündigem Tagemarsche zur Nachtruhe nieder.
Bei klarerer Luft führte uns der Anblick eines fernen Sand-
hügel/.uges, der als Ramla el-Kebira, d. h. der grosse Sand, ein be-
kannter Wegweiser ist, am folgenden Morgen wieder auf den richtigen
Weg, von dem wir nach Westen abgewichen waren. Bis zu diesem
niedrigen Dünenzuge, der, von Nord nach Süd verlaufend, einen
westlichen Ausläufer hat und gleichfalls jeder Vegetation entbehrt,
ist die Serir Ben Afien durch Nichts unterbrochen. Jenseits der
Sandhügel wird das wüste Terrain sanft gewellt, erhebt sich an einer
Stelle flach und breit als Arqüb el-Meschija, d. h. der Aufstieg der
Meschija, über die Umgebung und zeichnet sich weiter durch vier-
zehn regelmässig angeordnete tiefere Bodenwellen aus, deren. Tiefen
unter dem Namen el-Ahfär, d. h. die Gruben, zusammengefasst
werden.
Kein Fremder wird einen Unterschied zwischen dieser Gegend
und der iibrigen steinigen Wüste bemerken, doch der Araber, der
in der Einförmigkeit seiner Umgebung viel Sinn für die kleinsten
Verschiedenheiten derselben hat, kennt denselben sehr gut und ent-
deckt ihn aus weiter Ferne. Von Welle zu Welle durchzogen wir
die Einöde; vergebens hoffte das gelangweilte Auge von jeder
folgenden eine Aenderung der Sceneric; selbst eine geringe Terrain-
erhebung, mit Eisensandsteinstücken besäet, welche als Ruheplatz
für die von ümm el-Abid kommenden Karawanen dient und den
Namen Qureinfätu führt, konnte in dieser Beziehung nicht befrie-
digen. Nach achtstündigem Marsche in unserer gewöhnlichen Süd-
südwestrichtung passirten wir diesen Ort, strebten einer kaum merk-
lichen Erhebung zu, welche unter dem Namen Räs et-Tubäwi, d. h.
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I. Bl'CH, 2. KAPITEL. RF.ISF. NACH FEZZAN.
Ö4
der Vorsprung des Tubu, bekannt ist, und lagerten nach weiteren
zwei Stunden jenseits des Musallä es-Sultän, d. h. Hetplatz des Königs,
genannten Punktes in äusserster Iürmüdung kurz vor dem Eintritt in
die Sandhügelregion des Ramla es-Srhira, d. h. des kleinen Sandes.
Fast täglich begegneten wir jetzt kleinen Sclavenkarawancn,
doch war Haltung und Physionomie der Armen im Ganzen recht
zufriedenstellend. Gut gekleidet und genährt, scheinbar heiter und
zufrieden, zogen sie dem Ende ihrer mühseligen, leidensvollen Wan-
derung entgegen. Der Handel mit Sclaven war offenbar noch in ziem-
licher Blüthc, und man fragte nach ihrem Preise gerade so einfach, als
man sich nach dem des Getreides, des Oels und der Butter er-
kundigte.
Der 17. März war der fünfte Tag seit unserer Abreise von Söqna;
an ihm sollte durch die Erreichung des Thaies von Omni el-Abid,
d. h. Mutter des Sclaven, mit seinen Brunnen der Wassermangel des
Weges sein Ende erreichen. Die empfindliche Morgenkälte (40 C.
vor Sonnenaufgang) sowie die Bestrebung, die wüste Sandgegend
des Ramla es-Srhira möglichst bald hinter uns zu haben, brachten
uns zum frühen Aufbruch. Die Sandgegend vor uns sollte eigent-
lich Ramla el-Kebira heissen, denn sie übertrifft an Ausdehnung bei
weitem die Abends zuvor passirten Dünen. Die ganze Region er-
streckt sich in wüstem Gewirre von Nordost nach Südwest und be-
steht aus einfachen Dünenhügeln, Kalkbergen und Sandsteinfelsen.
Der sichtbare Weg hört hier bei dem geringsten Winde sofort auf,
doch war der Sand trotz der gänzlichen Abwesenheit von Feuchtig-
keit stellenweise hart genug, um Menschen und Kameelc zu tragen.
Nach einstündiger Arbeit hatten wir die eigentlichen Sandberge
überschritten, sandbedeckte Kalkhügcl traten in den Vordergrund,
und weiterhin Felsen von grobem, zerbröckeltem, verwittertem Sand-
stein, die mehr oder weniger im Sande stecken und sich nicht über
100 Fuss hoch erheben. Diese Gegend heisst Mahiaf KneYr, und
einer der Felsen, der von regelmässiger Kegelform auf seiner Spitze
einen plumpen Kopf vortäuscht, ist unter dem Namen el-Ame'ima,
d. h. der kleine Turban, bekannt. Von der Höhe desselben Übersicht
das Auge nach Süden eine weite unregelmässig gewellte Ebene, ein-
gefasst von Berggruppen und einzelnen Kegeln und durchsetzt von
Hügeln und Thälcrn. Nach Südwesten setzt sich die eben über-
wundene Region weithin fort, sich durch die helle Farbe ihres Sandes
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HATTIJA OMM F.I -ABll).
(;.*)
scharf von der Umgebung abhebend. Westlich am Wege sahen w ir
ein Flussbett nach Südwest verlaufen, das von seiner ausschliesslichen
Tamarix -Vegetation W. el-Etel genannt wird, und vor uns einen
Ruis el-Bäbüschi genannten Höhenzug, von dem wir in die Hattija
Omm el-Abid niederstcigen sollten.
Der Sand hört hier allmählig auf, lässt Kalkgestein durch-
brechen, bedeckt sich hier und da mit Gras und Hadkraut (Cornulaca
Zweig von Häd (Cornulaca monocantha) in etwas verkleinertem Maaststabe.
monocantha), dem besten Kameelfutter jener Gegend, wird durch
Thonboden und einen kleinen ausgetrockneten Sebcha unterbrochen
und schliesst gänzlich ab mit einem breiten, flachen Thale, das sich
verschiedener kleiner Wasserbetten erfreut und von Ost nach West
erstreckt. Diese Rinnsale haben ein lehmiges Bett, heissen Tlahät
cl Mansüri und verlieren sich alsbald in der Ebene.
Sobald jenseits des Thaies der genannte niedrige Höhenzug über-
schritten war, begann eine reichere Vegetation, welche ihren Höhepunkt
Nachteil. I. b
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[. BICH. 2. KA1MTF.I.. REISE MACH KF.ZZÄN.
HC,
erreichte in der angestrebten Hattija mit ihren Dattelpalmen und Tama-
risken, ihren Gräsern und Futterkrautern unter diesen besonders der
von den Kameelen geliebte Aqul(Alhagi Maurorum) , ihren Sandstein-
hügeln und Wasserspenden. An den letzteren, deren eigentlich zwei
waren, ein Wasserloch unmittelbar unter der Bodenoberfläche in der
Tiefe des Thaies — Ain Omm cl-Abid und ein Galerie-Brunnen
Fuchchär Omm el-Abid schlugen wir nach siebenstündigem Marsche
Zweig von Ai|til (Allingi Mnurorum) in verkleinertem Mnnsa»iabe.
unser Lager auf. Der letztere Brunnen, dessen System aus verticalen
Brunnenlöchern besteht, welche durch horizontale, passend inclinirte
Canäle verbunden sind, und der natürlich sorgfältiger Instandhaltung
bedarf, war zwei Klafter tief, aber versandet — merdüm — .
Die Hattija - das Wort bedeutet eine fruchtbare Ebene, kleine
Oase Omm cl-Abid kann als das östliche Ende des langgestreck
teil W. Schijäti angesehen werden, das südlich von der Hammäda
el-Hamrä, zwischen ihr und den östlichen Ausläufern der Dünen
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OASE sirrhen’.
rt?
Edeien*) liegt. Hier beginnt der Archipel der Oasen, welche das eigent-
liche Fezzan bilden und in kurzen Zwischenräumen auf einander folgen.
Schon nach drei und einer halben Stunde Südwestrichtung erreichten wir
die Dattelpflanzungen von Sirrhen, nachdem wir über Kalk- und Sand-
steinhügel, Serir und Sand, an den Kegeln Rüs el-Ghelät, welche etwa
150 Fuss hoch westlich vom Wege bleiben, vorübergezogen waren.
Als wir in Sicht des ersehnten Grün der Pflanzung — Rhäba —
kamen, waren wir von ihr getrennt durch eine Niederung, die von
länglichen mit Domran (Traganum) und Etelbüschen bestandenen
Sandhügelchen — Siüf (Mehrzahl von Seif, das eigentlich Säbel
heisst, uneigentlich aber auch scharf getormte kleine Sandhügel be-
deutet — durchsetzt war. Nachdem sich die Kameele in dem Dom-
rän gütlich gethan hatten, zogen wir noch fast eine Stunde durch
die Dattelpflanzungen und Gärten der Ortschaft auf diese selbst zu.
Sirrhen ist ein Städtchen mit jetzt verfallenen Ringmauern von
150 Wohnstätten, Häusern, die aus kalk- und sandhaltigem Lehm
gebaut sind und einen nur unzulänglichen Schutz gegen Regen ge-
währen. Ein verfallenes Kastell — Qasr — , aus demselben Material
erbaut, doch mit mächtigen Wänden, ragt im Centrum hoch über
die niedrigen, würfelförmigen oder länglichen Häuschen mit ihren
platten Dächern empor. Die 800 bis 1000 Einwohner sind Zejädin
(Mehrzahl von Zeidän) von Foghaa im östlichen Fezzän und als
solche Muräbidija, d. h. gehören einem Stamme von erblich religiösem
Charakter an. Sie sind die Herren des Städtchens ; mit ihnen wohnen
Leute aus dem Nomaden -Stamme der Meqäriha, deren eigentliche
Sitze im W. Schijäti sind. Zwei Stunden Südsüdwest von Sirrhen
beginnt die Oase von Semnu, getrennt von jener durch eine Serir,
auf der eine Sandhügelreihe die genaue Mitte zwischen beiden Städt-
chen bezeichnet. Wir zogen an Sirrhen vorüber, um in der Mitte
des Nachmittags auf der Westseite von Semnu unser Lager aufzu-
schlagen.
Das Städtchen Semnu hat ebenfalls keine eigentliche Ringmauer
mehr, doch ein reinlicheres und besser unterhaltenes Aeussere als
Sirrhen und weniger verfallene Gebäude, in deren Construction aller-
dings der Lehm vorwaltet, aber auch guter, zum Theil schwarzer Sand-
*) Kdeien ist die Mehrzahl von Idehi und eine generelle Bezeichnung für Düne im
Tuink-Dialecte der Berhersprache.
6*
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IW
I. KUCH, 2. KAPITF.I.. RFISK NACH KKZZAN.
stein verwendet ist. Neben dein Charakter grösserer Solidität, den
ihnen das Baumaterial verlieh, machten die Häuser dadurch, dass
sic vielfach gcweisst waren, auch einen freundlicheren Eindruck.
Das Qasr, welches auch diese Stadt überragt, ist zur Zeit Abd
el-ÜschhTs erbaut worden, ein fast quadratisches Gebäude mit vier
Eckthürmen, dicken Mauern mit Schiessscharten in der oberen Etage,
in welcher Galerien ringsherumlaufen, und einem offenen Hofraum
in der Mitte. Zwei Minarets, wenn auch nur von geringer Höhe,
gesellen sich zu den vier Eckthürmen des Schlosses und bilden mit
den zahlreichen Dattelpalmen, welche von allen Seiten die Stadt
tiberragen, ein malerisches und graziöses Ensemble.
Das Städtchen bildet ein unregelmässiges Viereck, dessen Seiten
nach den vier Himmelsgegenden gerichtet sind. Die Strassen sind
so eng, dass sie nicht einmal beladenen Kameelen den Durchtritt
gestatten, sondern gerade nur zur Circulation der Bewohner hin-
reichen.
Die Stadt soll sehr alt sein, wenn auch zur Zeit Abd el-Dschlü’s
Vieles erneuert wurde. Sie zählte 250 Hausstände Ilausch — ,
also etwa 1202 bis 1500 Einwohner, welche theils Muräbidija, wie
die Leute von Sirrhen, theils gemischte Eezzäncr, theils Araber, und
zwar ebenfalls Meqärfha, sind, während früher viele der Auläd
Solimän ihren Dattelbcsitz daselbst hatten. Die Einwohner leben
meist von Gartencultur, unternehmen zuweilen Handelsreisen und
treiben nur sehr wenig Viehzucht. Einige Kameele, kleine Ziegen-
heerden, die nöthigen Esel zur Bewässerung der Gärten, hier und
da ein Pferd, bilden ihren ganzen Viehbestand. Im Qasr überraschte'
mich der ungewohnte Anblick zweier Pferde, welche dem Bezirks-
vorsteher gehörten, der folgenden Tages mit uns nach seinem Wohn-
orte Temenhint zu gehen beabsichtigte.
Die Cultur des Bodens erstreckt sich auf Dattelpalmen, deren
Früchte auf den Markt von Murzuq gebracht werden, auf Weizen,
Gerste, Duchn und Durra. Die Gärten waren sauber gehalten und
gut geflegt, zeigten aber in der Mannichfaltigkeit der Erzeugnisse
schon einen erheblichen Abstand von denen Söqna's. Die Dattelpalmen
iiberwogen erheblich und waren zum Theil prächtige, schöne Bäume:
doch die Weizen- und Gerstefelder waren bei weitem nicht so üppig,
der Klee kümmerlicher als in Söqna, und von Fruchtbäumen gedieh
in einigen wenigen Gärten nur etwa ein vereinzelter Granatapfelbaum,
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OASK StMNir. tili
eine dürftige Weinrebe oder ein leidlicher Feigenbaum. Das Wasser
zur Bewässerung der Garten wird nahe der Oberfläche im Kalk und
Lehmboden, in grösserer Tiefe unter dem Sandstein gefunden, so
dass die Brunnen in ihrer Tiefe variiren von zwei bis zu zwöli
Klaftern. Das Wasser ist klar, wohlschmeckend und süss.
Regen ist selten und unerwünscht, nicht allein, weil er die Lehm-
hauser .hinwegwäscht, wenn er cinigermassen reichlich ist, sondern
auch, weil die Bewohner für die Dattel- und Gartencultur die regel-
mässige Brunnenbewässerung vorziehen. Die Dattelpalme soll ihren
Fuss im Wasser, ihr Haupt in der Sonne haben. Wenn die Früchte
nach Regen schlecht gcrathen, so ist es nicht unwahrscheinlich, dass
das Wasser desselben den Baumwurzeln durch seinen Salzgehalt, den
es aus dem Boden empfangt, schädlich wird. Man bezeichnctc mir
das Wasser des Regens als mejit, d. h. todt, das des Bodens als hai,
d. h. lebendig, lebenspendend.
Mein Gastfreund in Semnu wurde ein freundlicher, ältlicher Herr,
Namens Bü Äischa, der alsbald nach meiner Ankunft mich zu be
grossen und mir seine Dienste anzubieten kam. Er war früher Mudir
des Bezirks, in dem Semnu liegt, und der auch Sirrhen, Tcmenhint
und Sebha umfasst, gewesen und bei Gelegenheit des letzten I’äschä-
wechsels in Murzuq von seinem Amte abberufen worden. An
seiner Stelle war ein Bewohner des benachbarten Tcmenhint, wenn
nicht zum Mudir, so doch zum Basch -Scheich, d. h. zum Ober-
ältesten oder Districtsvorstchcr, ernannt worden, was den alten Bieder-
mann sehr gekränkt hatte. Sowohl er als sein Vetter, el-Hädsch
Dinar, waren sehr geachtete Muräbidija, und Beide beciferten sich,
uns nach Kräften mit sehr wohlschmeckendem Brode und fleisch-
haltiger Sauce aus Melüchia zu bewirthen. Wir blieben auch am
folgenden Tage noch in dem gastlichen Orte, theils, weil ich noch
verschiedene Erkundigungen bei den freundlichen Leuten einziehen
wollte, hauptsächlich aber, weil Giuseppe eine sehr heftige Augen-
entzündung hatte, und ein starker Sandsturm sich aus Westen erhob,
der wohl geeignet schien, dieselbe zu verschlimmern.
Der Weg nach Temenhint, der folgenden Oase, die wir am
-O. März in sechs Stunden erreichten, verläuft in westlicher Richtung
mit ganz unbedeutender Abweichung nach Süden und führt durch
eine gekugelte Sandebene, die mit jener schon während der letzten
Tage so massenhaft beobachteten Kameelfutterpflan/.e Domrän bc-
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I
70 I. BICH, 2. KAPITEL. KElSli NACH FEZZ.tN.
wachsen ist. Südlich, nahe am Wege und fast parallel mit ihm,
zeigt sich eine lange Reihe, zum Theil eng zusammenhängender,
abgestutzter Kegel von dunklem Sandstein, deren Zwischenräume
mit Sand ausgefüllt sind, die Mcrei'ti'ba, und zwei von ihr abgeson-
derte vollständige Kegel, die Ruisät oder Köpfchen. Man durch-
schneidet dann ein kleines Thal mit Dattelpflanzungen, Namens
Qurmeda, das sich von einem unbedeutenden, abgestumpften Kegel
gleichen Namens nach Nordwesten erstreckt und ausser den Dattel-
palmen, welche den Muräbidija von Sirrhen gehören, noch Tamarisken
und Qataf (Atriplex) hervorbringt. Weiterhin berührt der Wreg den
südlichen Rand einer ähnlichen Dattelpflanzung, el-Ahsein, deren
Ernte dem Fiscus — Bciliq — gehört. Eine dünne Linie von Palmen
zieht sich von ihr bis zu den Gärten von Tcmcnhint, welche wir über
steinigen und hügeligen Boden erreichten, nachdem wir südlich am
Wege noch einen vereinzelten Berg, Ras Bir esch-Schebdni, d. h.
Brunnenkopf des Alten, gelassen hatten.
Tcmcnhint umfasste 133 Hausch, zählte also etwa 800 Einwohner
und liegt reizend in der Mitte wundervoll gruppirtcr Dattelpalmen.
Doch mehr als ein Drittheil der aus Lehm gebauten Häuser, wie
auch das Qasr, waren im letzten Sommer durch einen wolkenbruch-
artigen Regen zerstört worden, der nach Sonnenuntergang bei West-
wind cintrat und um die Zeit der Aschä, d. h. anderthalb Stunden
später, sein Werk der Zerstörung beendigt hatte. Sechs Menschen
und fünfzig Thiere verloren das Leben bei dieser Katastrophe, die
gewiss ebenso unerwartet, als in solcher Starke unbekannt, die Ein-
wohner kopflos gemacht hatte.
Der Ort ist gegründet worden von Leuten des ausgestorbenen
Stammes der Beni Bedr, wurde dann der Regierung der Auläd
Mohammed unterstellt und theilte seitdem die Geschicke der ganzen
Provinz. Die Auläd Solimän sind später im fast ausschliesslichen
Besitze des Ortes gewesen. Die jetzigen Bewohner waren arme
Leute, welche mühsam ihren Lebensunterhalt durch Gartcncultur
und hin und wieder durch kaufmännische Reisen gewannen. Sie
schienen in noch bescheideneren Verhältnissen zu leben, als ihre
Nachbarn in Scmnu, und konnten sich nicht einmal zu einer gastlichen
Bewirthung aufschwingen.
Bei der Weiterreise am folgenden Tage (21. März) erblickten
wir am Ausgange der Gärten zwei Berggruppen, cl-Ghräbdt, nahe
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Dschedld in der Oase Sebha. (S. 71.)
OASEN I KMENHINT UN1> SEMI
71
dem südlichen Rande der Oase. Wir hielten Südwest-Richtung ein.
durchschnitten eine sandige Niederung mit Dattelpflanzung, Namens
et-Tuweischät, welche sich im nördlichen Hogen bis zu den Garten
Temenhint's erstreckt, liessen den Felskegel Qalaat el-Mäl nord-
westlich am Wege und passirten den stets wasserlosen W. el-Ghäzi
mit spärlichen Sandstein -Felsen auf seinem südöstlichen Ufer. Die
Gegend wurde tinwirthlicher, die Vegetation ärmer, bis wir gegen
Ende des sechsstündigen Marsches von der Höhe des Dsch. Ben
Arif, eines Felsens von dunklem Sandstein horizontaler Schichtung,
auf ein weites gewelltes Thal hinabschauten, das fast allseitig von
einem Palmengürtel eingefasst, die Oase Sebha mit den drei Ort-
schaften Dschedid, Qarda und Hadschära bildet. Wir stiegen in die-
selbe herab und lagerten nahe bei der erstgenannten der drei Ort
schäften.
Dschedid ist eine mit Ringmauern, Eckthurmen und einigen
Minarets versehene Stadt, aus Sandstein, Lehm und Kalk gebaut,
die nicht so neu ist, als ihr Name - Dschedid heisst ,neu' — an-
dcuten könnte. Sie soll vor 280 Jahren vom Murabid Ham cd el-Haderi
gegründet worden sein und seitdem an allen Phasen politischen
Wechsels, an denen Fezzän so reich ist, lebhaften Thcil genommen
haben. Auch die Oase Sebha war eine Zeit lang fast ausschliesslich
in den Händen der Auläd Solimän. Jetzt zahlt Dschedid 220 250
Hauser; Qarda erreicht diese Zahl nahezu, während Hadschära es
auf nicht viel mehr als 100 gebracht hat.
Mauern, Häuser und Thüren hatten zwar etwas Festeres, Wohl-
crhalteneres, als die der beiden vorher berührten Ortschaften, doch
war Lage und Landschaft weniger reizvoll und freundlich. Ebenso
war mir der harmlose, freundliche Bü Ai'scha in Semnu eine viel
angenehmere Erscheinung, als der viel angesehenere Mudir oder
Regierungspräsident, der mir mit den Notabilitäten der Stadt Dschedid
sofort seinen sehr höflichen, aber förmlichen Besuch machte. Das
gastliche Abendessen, bei dem sich der genannte Chef sogar bis
zum Opfer eines Huhnes verstieg, verrieth einen Grad öffentlichen
Wohlstandes, wie er den Leuten der benachbarten Oasen nicht eigen
zu sein schien.
Die Oase Sebha kann als das östliche Ende des langgestreckten
W. Ladschal betrachtet werden, der sich in der Länge von einigen hun-
dert und in der Breite von fast zehn Kilometern von der Amsakkctte
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l'J ' I. Ill’lH, KAIMTKK. KU SK NACH IKZZAN.
nach Ostnordost erstreckt und in eine westliche Hälfte W. cl-Gharbi
und eine östliche W. esch- Scherqi - zerfällt.
Die nächste Oase auf dein Wege nach Murzuq, Rhodwa, ist
zwei Tagemärsche von Sebha entfernt. Wir hielten Südsüdwest-
Richtung ein, zogen über die salzhaltige und sandreichc Alluvial-
schicht des Bodens der Oase Sebha , hatten die Palmenpflanzungen
Dschedids nach einer Stunde hinter uns, Qarda im Osten, Hadschära,
das dem ersteren näher liegt, im Nordosten, die Berggruppe Gharibät
eine halbe Tagereise weit im Westen, und hielten auf einen niedrigen
Höhenzug zu, der den Weg schneidet und den Namen Bibän, d. h.
Thore, führt.
Die Ebene stieg allmählig an und bestand aus reinem Sande,
der auf seiner harten Oberfläche unter dem Einflüsse des vor-
herrschenden Nordostpassat zart gewellt erschien. Sie trug im
Beginne humusgemischte Hiigelchen mit Domrän- Büschen, wurde
dann einförmiger und kahler und war endlich ohne alle Vegetation.
Wir erreichten die Bibän, eine Reihe von Kegeln, welche von West
nach Ost verlaufen und in denen Sandstein vorwaltet, nach fun!
Stunden, passirten sie und noch drei andere ihnen parallele Höhen
züge, welche in weiten Zwischenräumen unsern Weg schnitten, und
betraten nach achtstündigem Marsche die Serir el-Maälü genannte
wüste Ebene.
Wir hatten gehofft, den Bircl-Muqni zu erreichen, besonders da
der Brunnen der Bibän seit lange versandet war, doch das alters-
schwache Tuärik • Kameel des Qatruncrs hatte durch seine Kraft-
losigkeit einigen Aufenthalt verursacht und die Nacht stand bevor.
Daher beschlossen wir nach zehnstündigem Marsche, in einem nahen
Thale, das sich uns durch eine Linie von Sajälakazien verrieth, dem
W. es-Südäni, die Nacht zu verbringen.
Die Reise durch die Serir cl-Maälä (23. März) wurde wieder sehr
unangenehm gemacht durch einen heftigen Westwind mit Sand-
tromben und prickelndem Kies- Regen. Während sonst der Wind,
welcher meistens aus der östlichen Hälfte des Himmels bliess, regel-
mässig mit dem Stande der Sonne zu- und abnahm, begleitete uns
derselbe an diesem Tage nicht nur bis zu unserem Tagesziele Rhodwa.
das wir nach acht Stunden erreichten , sondern hielt sogar noch bis
Mitternacht an.
Die Ebene selbst ist ausser von dem W. es-Südäni noch von
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OASK RIIMIHVA.
7.i
einigen anderen flussbettähnlichen Thälern durchschnitten, die sicli
von den zahlreichen nordwestlich gelegenen Berggruppen, -Ketten
imd -Kegeln nach Südsüdosten senken, und zeigt nicht den reinen
Serir- Charakter, sondern ist häufig durch Gesteinaufsprünge und
Sand unterbrochen, und ihre Vcgetationslosigkeit ist eine weniger
absolute. Nach sechsstündigem Marsche näherten wir uns ihrem
Ende; eine von Nordost nach Südwest streichende Reihe von Dattel-
bäumen und Etelhügeln tauchte allmählig aus dem graugelben Nebel
des Wüstenwindes, und bald erreichten wir den Bir el-Wischqa, der
eigentlich kein Brunnen, sondern eine unter einer freiliegenden,
anderthalb Meter starken Schicht Sandstein zu Tage tretende Quelle
ist. Hier ist der Endpunkt des W. Ncschfia, der einige Tagereisen
nordwestlich von Murzuq im W. Otba beginnt uud anfangs Ostnordost
und dann Nordost verläuft.
Bir el-Wischqa liegt am Eingänge des auf Stunden sich aus-
dehnenden, doch bedauerlich vernachlässigten Palmenhains von
Rhodwa. Dieser gehörte grösstentheils dem Beiliq und auf diesem
Umstande beruhte sein Zustand der Verwilderung, der bedauerlich mit
der Sorgfalt contrastirte, welche sonst in Fczzän von den Bewohnern
aufdicCultur dieses nützlichen, dort geradezu unentbehrlichen Baumes
verwendet wird. Die überall aufgeschossenen Sprösslinge hatte man
versäumt abgesondert zu verpflanzen und so ihrer vollen Entwicklung
entgegenzuführen. Alles blieb da, wo es entstanden war, nahm dem
Mutterbaume die Kraft und konnte selbst nicht gedeihen. So war
der ganze Hain ein dichtes, oft undurchdringliches Gebüsch von
Wischqa's, d. h. jungen ungepflegten Dattelbäumchen, die sich gegen-
seitig in ihrem Gedeihen beeinträchtigten und wenig Früchte trugen.
Wir durchzogen ihn in fast südwestlicher Richtung und erreich-
ten nach achtstündigem Tagemarsche die Qubba des berühmten
Muräbid Sidi Mesaud el-Emir mit den Ruinen des früheren Rhodwa
und gleich darauf das Dörfchen selbst. Dieses war die miserabelste
von allen Ortschaften, die wir seit Tripolis gesehen hatten. Einige
Dutzend Hausstände, deren viele in Hütten aus Palmenblättern etablirt
waren, bildeten den Rest des früheren Dorfes, von dem zwei Drittel
in Trümmer gesunken waren. Früher hatte die Cultur Rhodwa’s lOO
Kafis Datteln — i Kafis enthält 24 Kel oder fast 4 Centner ge-
liefert, jetzt gab sie nicht mehr die Hälfte, so dass die Einwohner ein
sehr kümmerliches Leben führten. Diese waren so verkommen in
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74
I. BUCH, 2. KAPITEL. REISE NACH KEZZÄN.
ihrer Arinuth, dass sie sich zu keiner Anstrengung mehr aufschwingen
konnten, wie denn Energie überhaupt nicht zu den Eigenschaften des
F'ezzaners gehört. Früher war Rhodwa der Sitz eines Mudirs ge-
wesen; jetzt existirte nur noch ein Ehrenmudir in Gestalt eines alten
Negers, der noch aus der Zeit Jüsef Päschä’s stammte und ebenso
wenig zu thun hatte, als er bezahlt wurde.
Wir hatten gern Murzuq zum grossen Bairamfestc, dem Id el-
Kebir, das auf den 24. März fiel, erreicht. Da dies unmöglich war,
so beschlossen wir, den üblichen Hammel in Rhodwa zu schlachten
und in der uns zugänglichen bescheidenen Weise den Tag festlich
zu begehen. Der Hammel kostete allerdings nach unserem Golde
zwölf Mark, war jedoch dafür von anerkennenswerther Fettleibigkeit,
wie denn überhaupt sämmtliche Schafe, Ziegen, Tauben und Hühner
F'ezzäns sich in dieser Hinsicht auszeichnen. Zu dem Hammel kaufte
ich eine hinlängliche Quantität Laqbi, d. h. gegohrenen Dattcl-
palniensaft, um es an der festlichen Stimmung nicht fehlen zu lassen,
denn die eigentlichen Fezzäncr unter meinen Lenten, Bui (d. h. Väter-
chen) Mohammed und Ali Bü Bekr, waren in dieser Beziehung keine
Kostverächter. Der grosse Dattelhain von Rhodwa lieferte zwar,
wie gesagt, im Verhältnis zu seiner Ausdehnung wenig Früchte,
schien aber um so regelmässiger zur Produktion jenes beliebten Ge-
tränkes ausgebeutet zu werden.
Um den Laqbi zu gewinnen, macht man eine Höhlung im so-
genannten Dschummär, dem jungen Holze der Dattelpalme, und legt
eine Röhre oder Canüle in die abhängigste Stelle derselben, welche
den reichlich fliessenden Saft in ein darunter befestigtes Gelass leitet.
Die verschiedenen Bäume sind durchaus nicht in gleicher Weise zu
diesem Zwecke geeignet, sondern verhalten sich sowohl nach ihrer
Varietät als nach ihrem Alter sehr verschieden in Bezug auf die
Reichlichkeit und auf die Güte des Produktes. Gut tragende Bäume
wählt man nicht zu diesem Zwecke, da die Ernte des betreffenden
Jahres verloren ist; allzu alte ebenfalls nicht, weil der Saft nur spär-
lich fliesst.
Da es bekanntlich dem Muslim verboten ist, sich der be-
rauschenden Getränke zu erfreuen, so wird der Laqbi von den
ehrbaren Gläubigen nur im frischen Zustande getrunken, bevor es
durch die Gährung zu wirklicher Alkoholbildung gekommen ist. Der
frisch ausgeflossene Saft, z. B. das Ergcbniss einer Nacht, ist von
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I.AQItl OI>EK UATTEl.PAl.MENSAKT.
75
weisslich bläulicher Färbung und von widerlicher Sussigkeit. Doch
der Zucker der Dattelpalme zerfallt mit grosser Schnelligkeit und
am zweiten Tage hat man schon ein alkoholreiches Getränk, beson-
ders wenn man die Fermentation durch unreine, diesem Zweck be-
ständig dienende Gefässe unterstützt. Wartet man mehrere Tage,
so ist die saure Gährung bereits eingetreten und ein höchst unan-
genehm schmeckender Essig hat sich zu bilden begonnen. Bei dem
rapiden Uebergange von einem Stadium in das andere ist nun der
eifrige Anhänger des Propheten glücklicherweise schwer zu con-
troliren, und unter dem Vorgeben Dattelmost zu trinken, reizt und
narkotisirt mancher strenge Gläubige sein Gehirn mit alkoholreichcm
Laqbi.
In dieser Beziehung sind bekanntlich die Mohammedaner über
aus erfindungsreich, um ihr Gwissen zu betäuben und sich und Andere
zu tauschen. Der Eine behauptet, Bier sei ein erlaubtes Getränk,
da es aus Gerste und Hopfen gemacht sei; ein Anderer belehrt
seinen unwissenden Glaubensgenossen, dass gebrannte Wasser, zu
deren Destillation man die Kraft des Feuers verwende, auf diese
Weise geläutert seien und nicht in die Kategorie der verbotenen
Getränke fallen; noch Andere sitzen mit Europäern bei Tische, ruhig
ihren Wein trinkend, aber Sorge tragend, jedesmal etwas Wasser
hinzuzufügen, indem sie den verwunderten Ungläubigen auseinander-
setzen, dass sie durch den Wasserzusatz das verpönte Princip tödten.
Die Bewohner der Insel Kcrkcna nahe der Ostküste von Tunis pro-
duciren eine grosse Menge Wein und trinken ihn fast ganz allein, indem
sie zu ihrer Rechtfertigung geltend machen, dass sie ihn in frischem,
ungegohrenen Zustande geniessen. Was den Laqbi betrifft, so fand
ich ihn im Anfangs-Stadium der Gährung von angenehmem, säuerlich-
süssem Geschmacke, doch von sonst nicht sehr angenehmen Neben-
wirkungen. Ich hatte etwa ein Liter davon zu mir genommen, und
wurde von der Fermentationsarbeit, welche das ungewohnte Getränk
in meinem Magen mit ungeschwächten Kräften fortzusetzen schien,
auf das Höchste belästigt. Es dauerte lange, bis ich durch eine
vorsichtige, mässige Bewegung das unbehagliche Gefühl hoch
gradiger Flatulenz verwinden konnte. Doch Bui Mohammed und
Ali el-F ezzäni waren solider veranlagt oder besser acclimatisirt; sie
tranken stetig und sicher, bis der letztere seiner Jugend entsprechend
der Heiterkeit die Zügel schiessen Hess, und der würdige Qatrüner,
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7(> ' I. BICH, 2. KABU KI.. REISK NACH KK//ÄN.
der sonst so schweigsam war, die wunderbarsten Geschichten aus
seinem erfahrungsreichen Leben zum Besten gab.
Noch blieben uns anderthalb Tagemarsche bis zu unserem Reise-
ziele, und zwar ohne bewohnte Ortschaften auf dem Wege. Von
diesen bewältigten wir am 25. die ansehnliche Tagesarbeit von neun
und einer halben Stunde in Stidwestrichtung. Anfangs hatten wir west-
lich am Wege den tamariskenreichen W. Xeschüa, in welchem nach
des Qatrüncr’s Aussage das Wasser so nahe der Bodenoberfläche ist,
dass man es einfach mit den Händen herauskratzen kann, und
Hessen östlich von uns eine Akaziengruppe, welche den Bir esch-
Schebäni birgt. Das Terrain des Weges ist serirartige, steinige
Wüste, stark gewellt und wird nur unterbrochen durch den mit
Sajäiakazien gezierten W. en-Niml (Ameisenflussthal), der von Süd-
osten zum W. Neschüa verläuft. Dieser letztere wich mehr und mehr
von unserer Wegrichtung nach Westen ab und als wir nach etwa
fünfstündigem Marsche den gleichnamigen Brunnen in seinem Bette
westlich von uns hatten, war er schon eine Wegstunde von uns entfernt.
Dann wurde die Wüste durch Nichts mehr unterbrochen, und
in ihr verbrachten wir die Nacht, bald nachdem wir einen Hügel
auf dem ein Steinhaufe als Wegzeichen aufgerichtet war, passirt
hatten. In denjenigen Gegenden der Wüste, in denen sich keine
Spur eines Weges erhält, richtet man gerne auf den erhöhten,
weit hin sichtbaren Punkten diese Wegzeichen — ’Alcm, in der
Mehrzahl A'aläm, auf, welche der Vorüberreisende sich verpflichtet
fühlt, durch Hinzufugung einiger Steine zu unterhalten. Das in Rede
stehende hiess ’Alcm ct-Tcrfäs, d. h. Marke der Trüffeln, welche in
jener Gegend häufiger sind, als man erwarten sollte.
Wenn wir auch den folgenden Tag leicht zum letzten Reisetage
hätten machen und Murzuq erreichen können, so zogen wir doch
vor, uns nur der Stadt zu nähern, um unsere Ankunft vorher an-
melden zu können. Unter heftigem Winde, der ausnahmsweise sich
schon in der Nacht erhob und im Laufe des Vormittages recht stark
aus Nordwest blies, zogen wir durch dieselbe einförmige Gegend und
in einer Richtung, die gegen Ende des Marsches eine ganz süd-
westliche wurde, an einem Wege vorüber, der in mehr südlicher
Richtung von dem unsrigen nach dem östlich von Murzuq liegenden
Dorfe Delei'm führt, bis Scheqwa, das wir nach fünf Stunden er-
reichten.
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SCHEQWA.
77
Scheqwa ist ein von Ost nach West streichendes Thal mit
feuchtem Sebchagrunde, in dem humusreiche Sandhügel mit Ftcl-
büschen und kleinere mit Ghardek (Nitraria tridentata) bewachsen
sind, während in den Seitentheilen, wo die Salzkruste fehlt, Reihen
von Dattelbaumen stehen. Der Ghardek ist ziemlich verbreitet in
I'ezzän, ein Strauch mit röthlichen Beeren, die den Namen Damüsch
oder nach Anderen Müsa fuhren, die Form kleiner Oliven haben,
ein scharfes Princip enthalten und vielfach gegessen werden; man
sagt, dies seien die Sagenreichen Lotusfrüchtc.
Von hier aus schickte ich meinen officiellen Begleiter, den Polizei*
Soldaten Miläd Abeja mit der Nachricht meiner Ankunft voraus an
den Hadsch Brähim Ben Alüa, den Scheich el-Belcd oder Bürger-
meister von Murzuq, an den ich empfohlen war und dem ich schon
mit der Post die Bitte ausgesprochen hatte, mir eine Wohnung zu
miethen.
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Drittes Kapitel.
MURZUQ.
Einzug in die Stadt. — Allgemeiner Charakter derselben und ihrer Umgebung. — Die
Brüder Ben Alfla. — Beschreibung meines Wohnhauses. — Beweise der Gastfreund-
schaft. — Besuche der Honoratioren. — Die Familie Ben Alua. — Andere hervor-
ragende Einwohner. — Der Gouverneur. — Meine Geschenke und Erwiderungs-
besuche. — Hadsch Brühim Ben AlAa und der Theegenuss in Afrika. — Fräulein
Tinne und ihre Reisepläne. — Beschreibung der Stadt. — Die Qasba und ihre Gar-
nison. — Häuser- und Einwohnerzahl. — Ungünstige Bodenverhältnisse der nächsten
Umgebung. — Begräbnissplatz. — Die Gärten der Stadt. — Bewässerung derselben.
— Hausthiere. — Monotonie der Stadt. — Der Marktverkehr. — Laqhtgenuss und
Schnapsfabrikation. — Bevölkerungselemente von Murzuq. — Die gebräuchlichen
Sprachen. — Kleidung, Schmuck und Haartracht. — Vergnügungen der Einwohner.
— Musik- und Tanzabende. — Unmoralität der Einwohner. — Mein täglicher Lebens-
lauf. — Die Leiden der Jahreszeit. — Die Abende bei Fräulein Tinne. — Aerztliche
Thätigkeit. — Sumpffieber. — Meine Nahrungsmittel. — Schnaps - Ibrähtm. —
Schwere Krankheit Fräulein Tinne’s. — Plan »1er Tibesti -Reise. — Fräulein Tinne’ s
Plan einer Reise zu den Tu Arik.
Wenige Stunden des 27. März genügten, uns nach der Haupt-
stadt von Fezzan zu bringen. Nur eine Stunde waren wir auf dem
wüsten, steinigen Terrain, welches die grosse Oase von Murzuq um-
giebt, angestiegen, als wir bei der klaren Atmosphäre des Tages einen
Blick über die weite Thalebene der Stadt und ihrer Gärten gewannen
und in südwestlicher Richtung gegen die erstere hinabzusteigen be-
gannen. Ein jüngerer Bruder des bereits genannten Hadsch Brüh im
kam mir zu Pferde entgegen, um mich im Namen seines Bruders zu
begrüssen und in die Stadt zu führen, und musste, da ich selbst kein
Pferd besass und zu Fuss ging, aus Höflichkeit derselben Fortbewe-
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EINZt'C, IN DIE STADT.
79
gungsmethode huldigen. Er hiess Mohammed und war ein junger
Mann von kaum mehr als zwanzig Jahren, von sehr kleiner, untersetzter
Statur und sehr heller Hautfärbung. Während er mir die Grüsse
seines Bruders und Vaters überbrachte, die üblichen Höflichkeits-
fragen nach der Reise und unserem Befinden an mich richtete, wateten
wir durch den tiefen Sandgürtel, der die Stadt in nächster Nähe nach
allen Richtungen umgiebt, der kleine Mann in seinen arabischen
Reiterstiefeln nicht ohne Mühe. Die wenigen Gärten, an denen unser
Weg vorbeiführtc , waren gut gehalten; das Getreide in ihnen reifte
und stand vortrefflich; an Fruchtbäumen schien jedoch kein Ueber-
fluss zu herrschen.
Am Hauptthore der Stadt, welches auf ihrer Ostseite liegt und
nach Südosten sieht, da diese Seite der Stadt von Nordnordost nach
Südsüdwest gerichtet ist, erwartete mich der Hadsch Brähim Ben
Alüa, die wichtigste Person in Fezzän, ein kleiner, ziemlich starker
Mann in der Mitte der Dreissig, mit spärlichem Barte, von röthlich-
grauer Hautfarbe und wohlwollenden und dabei intelligenten Zügen.
Seine grossen, klaren, ruhig prüfenden Augen entschädigten reich-
lich für die weiten Nüstern seiner Nase und die starken Lippen,
welche er von seiner Mutter geerbt hatte. Er war sehr fein und
sauber gekleidet in die Tracht wohlsituirter Bewohner der Stadt
Tripolis, sehr ruhig, höflich, sicher und selbstbewusst und doch nicht
ohne Wärme. Der Mann gefiel mir ausserordentlich gut; seit ich
Tunis verlassen hatte, war mir eine ähnliche Erscheinung weder in
Tripolis noch unterwegs unter den Eingeborenen vorgekommen.
Das Thor, an dem auch die Duane liegt, passirten wir nicht
ohne Widerstreben der seit lange der Städte entwöhnten Kameele
und betraten dann die Hauptstrasse der Stadt, welche von Südosten
nach Nordwesten verläuft und in der letzteren Richtung mit dem
stolzen Baue der Qasba oder Citadellc, in welcher die Besatzung
casernirt ist, abschliesst. Die Häuser zu beiden Seiten dieser un-
vcrhaltnissmässig breiten Strasse, welche dem Ganzen einen von
den nördlicheren Städten abweichenden Charakter verleiht, waren
ganz aus Erde erbaut und noch leichter vom Regen wegzuwaschen,
als die Semnu's und anderer Ortschaften, da der Boden der Um-
gegend sehr salzhaltig ist. Doch machten sie gleichwohl einen an-
sehnlicheren Eindruck durch die höhere Kunst der Construction und
ihre grössere Ausdehnung. Viele hatten ein Stockwerk mit regel-
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I. BICH, 3. KAPITEL. ML'RZIQ.
massigen Fensteröffnungen, die, wenn auch nicht durch Glasscheiben,
doch durch Laden verschlossen werden konnten. Diese, wie die
Thüren, waren zuweilen von Schreinern aus europäischem Nutzholz,
in der grossen Mehrheit der Fälle aber aus Palmenholz gearbeitet.
Als wir etwa die Hälfte der Strasse zurückgelegt hatten, bogen
wir nach Südwest in eine Nebengasse, an deren Eingänge das Häus-
chen lag, das mir der Hadsch Brähim um den Preis von 8 Mark
monatlich gemiethet hatte. Es war die traurige Aussicht vorhanden,
dass ich dasselbe lange bewohnen würde, da eine Karawane nach
Bornü vor einigen Monaten abgegangen war, und die allgemeinen
Handelsverhältnisse in jenem Lande zur Zeit nicht so verlockend auf
die nordischen Kaufleute wirkten, dass wir bald wieder eine Reise-
gesellschaft zu finden erwarten konnten. Das Häuschen erfreute sich
ebenfalls eines Stockwerkes oder wenigstens eines Zimmers mit Vor-
saal auf der Höhe der Terrasse. Im Parterre war nur die Thür-
öffnung, doch zeigte der obere Stock einige Fensteröffnungen mit
verschliessbaren Laden.
Unten im Hausgangc war rechts eine reservirte, verschlossene
Kammer des Hausbesitzers, links ein kleines, finsteres Gemach für
den Thürhiiter. Der Gang führte in einen hohen, viereckigen Raum,
in dessen Mitte eine Säule in Gestalt eines Palmenstammes die Decke
stützte, und der in Lage und Bestimmung, wenn er oben offen ge-
wesen wäre, den inneren Hofraum arabischer und südeuropäischer
Häuser gebildet haben würde. In seiner südöstlichen Ecke war die
Treppe zum oberen Stockwerke angebracht; auf seiner Nord- und
Südseite führten zwei Thüren in Zimmer, die durch kleine schiess-
schartenartige Löcher nothdürftig erhellt wurden, und auf der dem
Hausgangc gegenüberliegenden Westseite ging eine Thüröffnung auf
einen Corridor, aus dem man in einen I lofraum mit Gelass für Kameel-
sättel und dergleichen Geräthschaften und weiter in den Garten ge-
langte, dessen einzige Zierde oder vielmehr dessen einziger Inhalt
eine junge Dattelpalme war.
Ich stieg dann zur Untersuchung des oberen Stockwerks die
etwas primitive Treppe hinan. Ihre breiten vier unteren Stufen
lagen noch im Mittelraume des Hauses und waren durch eine Thür
von den weiter nach oben führenden getrennt. Leider waren die-
selben so zerbröckelt und ungleich, dass man beim Hinaufsteigen alle
Aufmerksamkeit auf sie verwenden musste und dabei häufig mit dem
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EINRICHTUNG DES WOHNHAUSES. tfl
Kopfe gegen den Querbalken der drei und einen halben Fuss hohen
Thür rannte. Die Treppe mündete oben auf eine Art Vorsaal, aus
dem eine Thür auf die Terrasse, d. h. das platte Dach des Hauses
— Satah — , soweit dasselbe kein oberes Stockwerk trug, und eine
andere in das von drei Fenstern erhellte Zimmer führte. Dies wählte
ich um so lieber zu meinem ständigen Aufenthalte, als es von dem
übrigen Hause ganz abgeschlossen war.
Der Hadsch Brähim hatte darauf gerechnet und das ganze
Zimmer schon mit Strohmatten auslegen lassen. Sofort liess ich
mein Bett daselbst aufschlagen, stellte durch zwei grosse, in ent-
sprechende Entfernung von einander gestellte Kisten und eine dritte
niedrigere, welche den sich zugekehrten Rändern jener auflag, meinen
Schreibtisch, und aus einer auf die Seite gestellten Kiste meinen
Stuhl her, deckte einen Teppich auf die Erdbank, welche in einer
Ecke des Zimmers die Stelle des Canapes vertrat; kurz, richtete
mich alsbald so wohnlich als möglich ein.
Giuseppe Valpreda hatte eines der unteren Zimmer für seinen
Gebrauch in Beschlag genommen, während in dem anderen die dem
Scheich Omar bestimmten Geschenke aufbewahrt wurden. Meine Leute,
welche kein Alleinsein liebten — denn Neger oder halbe Neger sind
ausserordentlich gesellige Geschöpfe — , blieben im grossen Mittel-
raume, an dessen Palmensäule die Hündin Feida gekettet wurde. Die
Küche endlich wurde in dem Durchgänge, aus dem man in Hof und
Garten gelangte, eingerichtet.
Der Hadsch Brähim hatte sich einstweilen discret zurückgezogen,
um mich mir und meiner Hauseinrichtung zu überlassen; doch bald
kam sein alter Vater, der Hadsch Mohammed Ben Alüa, ein magerer,
weissbärtiger Greis von 74 Jahren, der das Amt eines Reis el-Med-
schelis oder Vorsitzenden des grossen Rathes inne hatte und an-
scheinend lebhafter und energischer war, als sein Sohn Rrähim, um
mich für einen Augenblick zu begrüssen. Er stammte aus Audsehila,
war also Berberursprungs, und ein Schwiegersohn jenes Bu Chalüm,
der als junger Mann mit Denham und Clapperton nach Bornu gereist
war und zur Zeit, als der Muqni Fezzän regierte, viel gegolten hatte.
Er schien gleich vielen alten Leuten gern zu erzählen und versprach
mir manche schätzbare Mittheiiungen. Sodann schickte der Mutasarrif
seinen Dolmetscher und einen Officier, um mich zu begrüssen und
seine Dienste anzubieten, und endlich erschien einer der holländischen
Nochtigal. L 6
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I. BUCH, 3. KAPITEL. MURZUQ.
Diener Fräulein Tinne’s mit freundlichen Grüsscn von seiner Herrin,
einem fetten Hammel, Eiern, Broden, Butter, Zwiebeln und der-
gleichen als Bcwillkommnungsgcschenk, wie es in Ländern Sitte ist,
in denen keine Hotels dem Reisenden zu Gebote stehen.
Das ausgezeichnete Frühstück, das der Hadsch Brähim bald
darauf in sauberen, blankgescheuerten Zinngefässcn übersandte, gab
mir eine hohe Idee von dem culinarischen Verständniss dieses Würden-
trägers und der Kunstfertigkeit seiner Frauen, und liess mich mit
einer gewissen Beruhigung der nächsten Zukunft entgegensehen. Da
war ein Reisgericht mit Huhn, Hammelcotclettes in vortrefflichem
Oel gebraten, verschiedene in Butter und Fett schwimmende Gemüse,
wie Bdmia, Melüchia, Bedindschän oder Auberginen und Bohnen,
mit Fleischsti/fckchen und Fleischklöschcn garnirt, endlich kunstvolle
Gebäcke und Süssigkeiten, auf die in vornehmen arabischen Häusern
grosser Werth gelegt wird: kurz eine Menge Gerichte, welche mir
nach der vorausgegangenen Entbehrung als höchst begehrenswerthe
Leckerbissen erschienen.
Es war ein genussreicher Tag. Der erste Theil des Weges war
ohne Unfall zurückgelegt; die Anstrengungen desselben — ich war
fast stets zu Fuss gegangen — hatten meinem Körper zugesagt; nach
der bescheidenen Leistung war Ruhe, Ruhe in einem zwar nicht un-
bekannten, doch immerhin fremdartigen Lande, ein reizvoller Genuss.
Noch hatte ich nie Noth, nie quälenden Hunger gelitten, und noch
nie hatten die Anstrengungen das Maass meiner Kräfte überstiegen.
Noch hatte ich freilich nicht die grosse Befriedigung, ein schwieriges
Ziel erreicht zu haben, gekostet; doch schon jetzt fand ich einen
reicheren Genuss in der Befriedigung von Hunger und Durst, im
Wechsel von Anstrengung und Ruhe, als ich jemals für möglich ge-
halten hätte.
Der folgende Tag war der erste Ostertag und ein klarer, schöner
Tag, ohne die häufige Zugabe von Wind und Sand, wenn auch leider
kein Frühlingstag, wie er unseren oft so unwirthlichen, heimathlichcn
Breitegraden den Hauptreiz verleiht. Die morgendliche Frische und
Klarheit der Atmosphäre schien mich aufzufordern, die Stadt zu be-
sichtigen und ihre Gärten zu besuchen. Doch es war nicht ziemlich,
in Stadt und Umgegend herumzustreifen, ohne dem Gouverneur auf-
gewartet zu haben, und diesem wieder wollte ich zur Wahrung meiner
Würde nicht den ersten Besuch machen. Derselbe liess sich denn
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HONORATIOREN VON MURZl’Q.
«I
auch für den Nachmittag ansagen; doch schon wahrend der ersten
Tageshälfte hatte ich zahlreiche Besuche zu empfangen.
Zuerst, etwa Morgens um sieben Uhr, der convenabclsten Be-
suchszeit, erschien Hamcd Bei, der Kätib el-Mäl oder Finanzministcr
der Provinz, ein reinlich und sorgfältig in den türkischen schwarzen
Tuchrock mit Stehkragen der Beamten .gekleideter, bebrillter Herr,
der das Arabische, das er hauptsächlich aus Büchern kannte, mit
allen Vocalcn sprach und mir mit seiner spitzen Nase, seinen tief-
liegenden Augen, seinen süsslich höflichen Redensarten kein beson-
deres Vertrauen einflösste. Sodann kamen die Glieder der Familie
Ben Alüa, von denen ich Hadsch Mohammeds ältesten Sohn, den
Hadsch Abdallah, der viel kaufmännische Reisen in die Südänländcr,
freilich stets mit schlechtem geschäftlichem Krfolge, gemacht hatte,
noch nicht kannte. Der vierte, Mohammed, welcher mich Tags zuvor
eingeholt hatte, wurde zu meiner beständigen Disposition gestellt.
Den dritten der Söhne, Namens Sälim, sah ich nicht; derselbe führte
ein eingezogencs, unabhängiges Leben und hielt sich gern von Be-
kanntschaften und Regierungskreisen fern. Ein fünfter Sohn endlich,
etwa zwölf Jahre alt, besuchte noch die Schule. Von diesen hatten nur
Hadsch Brälüm und Hadsch Abdallah Negerblut in ihren Adern; die
übrigen waren sehr hellfarbig. Später kam der alte Mohammed
Baserk? Schcrif, der letzte Abkömmling der Auläd Mohammed, die
Fezzän Jahrhunderte hindurch regiert hatten. Derselbe hatte mit
Gerhard Rohlfs innige Freundschaft geschlossen und war ein herzens-
guter, abergläubischer Mann, der durch die Leidenschaft des Opium-
genusses seine ursprünglich schon nicht sehr mannichfaltigen Geistes-
kräfte noch mehr reducirt hatte. Der Köl-Aghäsi (Commandeur eines
halben Bataillons), Commandant der Garnison, ein alter, ebenfalls
durch Opiumgenuss abgestumpfter, weissbärtiger Türke; der Bataillons-
arzt mit dem Titel Tabib Köl-Aghasi, ein junger, sich durch medi-
cinische Unwissenheit auszeichnender Mann; der Garnisonschreiber
— Kätib el-Asker — , der einen sehr angenehmen Eindruck durch Leb-
haftigkeit und Verständniss machte und recht gut arabisch sprechen
gelernt hatte, und endlich ein Schwager des Scheich Omar von
Bornü, ein Mann von durchaus schwarzer Hautfärbung, Hadsch
Hamida, der ebenfalls dem Opium in ausgiebigster Weise huldigte:
das waren die Honoratioren, welche aus eigener Initiative ihre Auf-
wartung zu machen sich für verpflichtet hielten. Der Hadsch Brähim
6*
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I. BUCH, 3. KAPITEL. MURZUQ.
führte mir noch seinen intimsten Freund, den Qädt von Murzuq, zu,
einen kräftigen, alten, freundlichen Mann von dunkler Hautfärbung,
der seinem vor einigen Jahren im Alter von 120 Jahren gestorbenen
Vater erst kürzlich im Amte nachgefolgt war, und den sogenannten
Amin es-Sandüq oder Schatzmeister, Namens Titiwi, welcher sich
durch unförmlichen Körperumfang auszeichnete und ein Bruder jenes
Mohammed el-Titiwi war, der in Bornü am Hofe des Scheich Omar
eine hervorragende, nicht immer erfreuliche Rolle spielte.
Nachmittags kam der Pascha, ein Türke aus guter, aber her-
untergekommener Familie, der zu den armen VVüstenbcwohnern ge-
schickt war, um seinen zerrütteten Vermögensverhältnissen aufzu-
helfen, und der, körperlich und geistig noch heruntergekommener
als diese, ohne Kenntniss von Land und Leuten, ohne eine Ahnung
von der arabischen Sprache, in Fezzän eine traurige und verderb-
liche Rolle spielte. Er war ein Mann von vierzig und einigen Jahren,
trug die türkische Beamtenkleidung mit einem weissen, goldgestickten
Tuchburnus und schien zu einem traurigen Leben der Isolirtheit ver-
urtheilt zu sein, denn selbst sein Dolmetscher wusste das Türkische
nur mangelhaft zu sprechen. Ich ging ihm bis an die Treppe
entgegen, liess den üblichen Kaffee präsentiren und hielt nur müh-
sam eine längere Unterhaltung mit ihm aufrecht, sowohl wegen der
angedeutqten Sprachschwierigkeit, als auch weil er von den Verhält-
nissen, welche mich hauptsächlich interessirten, noch weniger wusste,
als ich selbst. Freilich war er ebenfalls erst vor einigen Monaten
angelangt, vorher nie aus Stambul herausgekommen, und hatte seit
seiner Ankunft den Kummer über seine Verbannung durch eine
fortgesetzte Alkoholintoxication zu betäuben gesucht. Das einzige
Thema, das er mit regem Interesse zu besprechen wusste, war
das seiner Krankheiten, und das war allerdings ein sehr mannichfal-
tiges. Meine Reisepläne betreffs der Tedä-Länder konnte ich ihm
kaum erwähnen, denn ich glaube, er ahnte von der Existenz dieser
nicht das Geringste. Es war mir ebenso unerklärlich, wie dieses
körperlich und geistig gleich unzulängliche Geschöpf sich zu der
Reise in das fremde, unwirthliche Land hatte entschlossen, als wie
man ihn für diesen Posten hatte auswählen können.
Der unerwünschte Besuch eines Uebelthäters, der sich über die
Schwelle meines Hauses geflüchtet hatte, um mich zu einer Inter-
vention zu seinen Gunsten zu zwingen, machte den Beschluss des
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ANTRITTSBESUCHE.
85
Tages. Da derselbe nur einfach seine Geliebte geprügelt hatte, gegen
die er nicht mit Unrecht den Verdacht der Untreue nährte, und da
er die geheiligte Schwelle meines Hauses einmal überschritten hatte,
so verwendete ich mich für ihn, gleichzeitig meine Leute anweisend,
derartige Invasionen, mit denen man selten Ehre einlegt, zurückzu-
weisen. Fräulein Tinnc hatte schon drei entlaufene Sclaven in ihren
Schutz genommen, sowie die Bettsclavin des früheren Kätib el-Mäl,
der sich Veruntreuungen hatte zu Schulden kommen lassen und nun,
weil man zum Ersatz sein ganzes Besitzthum veräussertc, und er
fürchtete, man werde bis auf seine Concubine gehen, diese in den
sicheren Schutz von Fräulein Tinnc gebracht hatte.
Der Ostermontag war der Erwiderung der von mir empfangenen
Besuche gewidmet. Zuvor schickte ich die Geschenke, welche ich zu
spenden hatte, an den Hadsch Brähim und den Baserki Schertf. Das
dem letzteren für seine Gerhard Rohlfs bewiesene Freundschaft be-
stimmte Andenken bestand in einem gedruckten, gebundenen Qorän,
in zehn Maria-Thcresia-Thalcrn und einem Rosenkranz aus rothen Edel-
korallen und war vollständig ausreichend, da keinerlei Leistung von
ihm erwartet werden konnte. Doch die Gaben für den Hadsch
Brähim waren kümmerlich und wurden durch die gastfreundlichen Sen-
dungen aus der Küche desselben allein schon beschämt. Sic bestanden
aus einem feinen, weissen wollenen Burnus, einem Rosenkränze echter
Korallen, einem tunisischen Tarbüsch und zwei mit Rosenessenz in
spärlichster Quantität gefüllten Flacons, und entsprachen weder seinem
Bildungsgrade, noch seinen Verhältnissen, noch seiner Generosität.
Ich traf ihn selbst bei einem seiner Lieblingsgenüsse, starkem, sehr
versüsstem Thec.
Der Theegenuss ist im Innern Afrikas nur bei wenigen, gereisten
und gebildeten Leuten Sitte, mit Ausnahme etwa Marokkos, wo er
mehr Eingang und Verbreitung gefunden hat. Man benutzt nur
grünen Thee, zu dem man oft noch aromatische Kräuterblättcr fugt,
und setzt vor dem Aufgusse des kochenden Wassers eine so grosse
Menge Zucker hinzu, dass man von der aromatischen, zuckergesättig-
ten Flüssigkeit nur sehr kleine Quantitäten geniessen kann. Dem
entsprechend pflegt man dieselbe aus kleinen Gläsern, welche nur eine
bis zwei Unzen fassen, zu trinken. An der Küste bezieht man den Thec
meist aus England, doch ist der Karawanenthee bei Kennern wohl an-
gesehen und gelangt aus Arabien, wohin ihn asiatische Pilger bringen,
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I. BUCH, 3. KAPITEL. MURZUQ.
in die afrikanischen Länder. Hadsch Brähim litt an Milz- und Leber-
anschwellung, an Hämorrhoiden und fast beständigen Kopfschmerzen,
konnte sich aber nicht entschliessen , dem täglichen Genuss starken
asiatischen Thecs zu entsagen. Auch dem sogenannten „Kaffee des
Sudan”, der Güronuss, welche ich in frischem Zustande zum ersten
Male bei ihm sah und kostete, ohne damals Geschmack an ihr zu
finden, huldigte er, und sobald der Vorrath an frischen, die sehr
empfindlich gegen Witterungseinflüssc und ungeschickte Behandlung,
also schwer zu transportiren und aufzubewahren sind, erschöpft war,
so begnügte er sich mit getrockneten, welche Kauda genannt werden
und mir in ihrer steinigen Härte und trockenen Bitterkeit noch we-
niger zusagten.
Von diesem Manne, welcher bei der Unfähigkeit des Gouver-
neurs die Seele der Lokalregierung war, oder wenigstens mühsam
das, was als Regierung bezeichnet werden konnte, aufrecht erhielt,
begab ich mich zum nominellen Träger der Regierungsgewalt, der
sich am nordwestlichen Ende der Hauptstrasse die obere Etage eines
verhältnissmässig ansehnlichen Hauses leidlich zur Wohnung hatte
hcrrichten lassen. Derselbe verfügte sogar über ein gedieltes Zimmer
mit Fenstern, und zwar wirklichen Fenstern mit Glasscheiben, wenn
diese letzteren auch nicht vollzählig waren. Seine einzige anerkennens-
werthe Leistung war eine gewisse Sauberkeit, welche er auch in seiner
nächsten Umgebung cinzuführcn gewusst hatte. Zwei Negersclaven,
noch Knaben, welche er in scharlachrothc Tuchleibröcke gesteckt
hatte, und welche in dieser wunderlichen Verkleidung europäische
Lakaien vorzuläuschen bestimmt schienen, während sie nicht einmal
den Kaffee zu präsentiren wussten, waren höchst groteske Erschei-
nungen. Er selbst war in einen rehfarbenen Kaftan gehüllt und sass,
ein Bild trauriger physischer und intcllectueller Verkommenheit, theil-
nahmlos und stumpfsinnig da, denn es war früh am Tage und noch
hatte er den Rest seiner Lebensgeister nicht durch Schnaps hin-
länglich aufgerüttelt.
Fräulein Tinne wohnte ebenfalls in der Hauptstrasse, und zwar
in der Mitte derselben, wenige Häuser von mir entfernt, in einem
grossen Gebäude, in dein vor einem halben Jahrhundert der Muqni
gehaust hatte. Ich fand sie in Gesellschaft ihres prächtigen, alten,
riesigen Hundes, der, glaube ich, ihr treuester Freund in ihrer Um-
gebung war, ruhig, ernst, distinguirt, wie immer, doch herzlicher und
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WOHNUNG DKS PASCHA. — FKÄUI.EIN TINNE’s PLÄNE. 87
wärmer, als in Tripolis. Sie war entschlossen, ebenfalls nach Bornü
zu reisen, war aber ganz zufrieden, dass vorläufig keine Karawane in
Aussicht war, denn sic beabsichtigte während des Sommers auf dem
reicher versehenen Markte von Tripolis die nöthigen Karneole an-
kaufen zu lassen, und hatte gerade um Geschenke für den Scheich
Omar und einen hinlänglichen Vorrath von Maria -Thercsia-Thalern
nach Europa geschrieben. Gegen Ende des Sommers konnte sic
bereit sein, und wir verabredeten, dass, wenn sich bis zu dieser Zeit
keine Reisegesellschaft von Kaufleuten zusammengefunden haben
sollte, wir allein mit Hülfe einer gemietheten, bewaffneten Escorte
die Reise unternehmen würden.
Bis dahin beabsichtigten wir, Jeder für sich, eine kleinere Wüsten-
reisc zu machen, und zwar hatte die kühne Dame dieselbe Idee ge-
hegt, welche ich nährte, nämlich die einer Reise in die Fclsenland-
schaft Tibcsti. Ich hatte dem Hadsch Brähim meine Absicht, diese
Landschaft der berüchtigten Tubu Rcschäde oder Felsen -Tubu zu
besuchen, ausgesprochen, doch bemerkt, dass derselbe diesen Plan
mit grosser Besorgniss aufnahm. Ungleich bedenklicher musste ihm
eine solche Unternehmung fiir Fräulein Tinne erscheinen, deren
Reichthüm gegenüber sicherlich der Rest von Gesetzlichkeit der
Tubu nicht Stand halten würde, und ich musste ihr sagen, dass ich
kaum glauben könne, dass die Autoritäten zu einer solchen Reise
ihrerseits die Hand bieten würden.
Für diesen Fall erinnerten wir uns, dass der General-Gouverneur
in Tripolis uns darauf aufmerksam gemacht hatte, dass er ausserhalb
der Grenzen seines Gebietes auch nicht die geringste Macht, nicht
den kleinsten Einfluss zu unseren Gunsten auszuüben vermöge, mit
alleiniger Ausnahme des Falles, dass Einer von uns Lust haben sollte,
den Tuärik Häuptling Ichnuchcn in Ghät zu besuchen. Diesen alten
Asgar-Chef nenne er seinen Freund und könne sich fest genug auf
ihn verlassen, um ihm befreundete Personen zu empfehlen. Wer
dachte damals, dass wenige Monate nach unserer Erinnerung an diese
Worte Ali Riza s meine hochherzige Freundin von den Leuten gerade
dieses Ichnuchcn erschlagen werden würde!
Bei meinen weiteren Besuchen bekam ich allmählich einen Ein-
blick in die Anordnung der Stadt, deren Topographie ich Tags
darauf noch genauer studirte. Nur die Ostseite ist schief geneigt
und verläuft von Südsüdwest nach Nordnordost, doch die Nordscite,
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I. BUCH, 3. KAPITEL. MURZUQ.
die Westseite und die Südseite sind regelmässig orientirt. Die Ost-
seite geht durch eine kurze fünfte Seite, welche nach Nordost sieht,
in die nach Norden gerichtete über, ebenso wie diese durch eine
Rundung in die westliche. Die Mauer ist weder sehr hoch, noch sehr
mächtig, war jedoch gut unterhalten und in regelmässigen Zwischen-
räumen mit Bastionen versehen.
Von dem Ost- oder Ilauptthore — Bäb el-Kebir — der Haupt-
strasse folgend fällt der Blick vor Allem auf die Hauptwache mit ihrer
von Holzsäulen getragenen Vorhalle und auf eine Reihe von Verkaufs-
läden jederseits, vor denen ebenfalls säulengetragenc Hallen zum
schattigen Aufenthalte für Käufer und Verkäufer hinlaufen. Hier
wird der tägliche Markt abgehalten, der in den Nachmittagsstunden
am lebhaftesten ist. Jenseits dieses Bäzär endigte die Strasse links
mit der Wohnung des Pascha, rechts mit der des Garnisonschreibers
und öffnet sich auf einen weiten Platz, auf dem die Citadcllc steht,
ein mächtiges, fast quadratisches Gebäude, dessen Seiten den vier
Himmelsrichtungen entsprechen. An ihm vorübergehend nach Norden
stösst man auf das im westlichen Theilc der Nordseite befindliche
Thor — Bäb cl-Bahiiri — , während man an seiner Südseite vorüber
zu dem Westthore — Bäb el-Gharbi — gelangt.
Die Qasba selbst hat innerhalb ihrer mächtigen, mit Bastionen
versehenen Ringmauern rechts zunächst dem Eingänge die Kaserne,
ein schlecht unterhaltenes, doch für l'ezzäner Verhältnisse in gross-
artigem Maassstabe angelegtes, quadratisches Gebäude mit grossem
Hof ein der Mitte. Ihr gegenüber liegt die in bescheideneren Ver-
hältnissen erbaute Moschee, westlich von dieser die Garnisonbäckerei,
und an die Kaserne schlicsst sich nach Westen ein Garten. Zwischen
Garten und Bäckerei nimmt das eigentliche Kastell — Qasr — die
Mitte des Hintergrundes ein. Wenn auch nur aus Erde aufgeführt,
macht dies mit seinen mächtigen Wänden in Mitten der ganzen
Umgebung einen imposanten Eindruck. In seinem Innern sind ge-
räumige Wohnungen für den Päschä und die Beamten, ein Sitzungssaal
für den grossen Rath, und oben auf dem platten Dache neben dem
Flaggcnstockc hat man einen weiten Blick über die niedrigen Häuser
der Stadt und die allerdings nichts weniger als pittoreske Umgegend.
Ich konnte nicht begreifen, warum die Gouverneurs nicht die
Wohnung auf dieser freien Höhe der traurigen Stadt vorzogen, doch
seit Hassän Päschä hatte keiner derselben die Qasba bewohnt Sechs
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Qasba (Citadelle) von Murzuq. (S. 88.)
STADT, CITADELLE UND EINWOHNERZAHL.
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kleine, zum Theil schadiiafte Kanonen vertheidigten das feste Schloss,
das allerdings Arabern, Tubu und Tuärik gegenüber als uneinnehm-
bar gelten konnte. Die Besatzung war auf 50x3 Mann berechnet,
doch augenblicklich in der Zahl auf etwa 300 reducirt. Die kriege-
rischen Türken hatten überdies allmählig friedlichen Fezzäncrn Platz
gemacht, welche, meist verheirathet, in der Stadt ihrem Handwerk
oder dem Gartenbau lebten.
Durch die Hauptstrasse wird die Stadt in nahezu gleiche
Hälften getheilt, deren jede in höchst unregelmässiger Weise von
meist engen und winkligen Gassen durchschnitten ist. Die Hauser
sind alle aus Salzerde und Lehm gebaut, und zwar so, dass man,
besonders bei den neueren Gebäuden, zwei abwechselnde Schichten
in den Mauern deutlich unterscheiden kann, deren eine aus thoniger
Sebcha-Erde und die andere aus reinem Lehm besteht. Die südliche
Hälfte enthielt 300 und einige Häuser, die nördliche 280 und einige,
also beide zusammen ungefähr 600 Hausstände, welche, jeder einzelne
zu durchschnittlich sechs Personen gerechnet, eine Einwohnerzahl
von etwa 3500 Seelen ergeben würden. Früher war die Stadt nach
Süden zu um ein Viertel grösser gewesen. Noch waren dort Reste
der früheren Ringmauer sichtbar, welche den Räs, d. h. Kopf, wie
der verlassene Stadttheil hiess, cinschloss. In der Mitte der jetzigen
Südseite hatte früher noch ein viertes Thor bestanden, das aber jetzt
zugemauert war.
Nach der Aussage aller urtheilsfahigen Personen enthielten die
Gärten der Stadt ungefähr ebenso viele Einwohner, als diese, ein
Verhaltniss, das wegen der Zerstreutheit der Aussenwohnungen sich
einer genauen Controle entzog. Jedenfalls suchte ich aber in den
nächsten Tagen auch von diesem Theile meiner Umgebung eine un-
gefähre Kenntniss zu erlangen. Ich besuchte zu diesem Endzweck
den Garten des Hadsch Brähim, der eine halbe Stunde nach Norden
von der Stadt entfernt lag.
Fast die ganze Nordseite der Stadt ist von salzigen Wasser-
tümpeln und Salzsümpfen begrenzt, in deren Mitte merkwürdiger
Weise einige Süsswasscrquellen entspringen, und ebenso verhält sich
das Terrain auf der Südseite. Die Thorhcit, welche die Gründer
der Stadt begingen, indem sie das Terrain ausgedehnter Salzsümpfe
zur Ansiedlung wählten, wird ewig unbegreiflich bleiben. Die Wüste
erfreut sich durchgängig eines so hohen Grades von Salubrität, dass
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I. BUCH, 3. KAPITEL. MURZUQ.
es einer förmlichen Ueberlegung bedurfte, die ungünstigste, unge-
sundeste Localität ausfindig zu machen, deren giftige Exhalationen
seitdem so vielen Menschen Gesundheit und Leben geraubt haben.
Im Süden der Stadt, in ihrer nächsten Nähe, befand sich ein
Bcgrabnissplatz, der, uneingefriedigt und ungepflegt, ein wüstes und
durch sonderbare Grabzierden auffälliges Aussehen hatte. Wenn die
Seltenheit den Strausscnciern schon ein gewisses Anrecht auf den
Charakter eines Zierraths verlieh, so war doch nicht so leicht zu
begreifen, mit welcher Berechtigung sich ein zerbrochener Topf, ein
henkelloses Nachtgeschirr, eine Flasche aus grünem Glase oder der-
gleichen zu monumentaler Grabausschmückung eignen könne. Selbst
der etwaigen Bestimmung, gefiederten Besuchern des Friedhofes nach
Regenfall Gelegenheit zum Trinken zu bieten, konnten diese rudi-
mentären Gefasse nicht dienen, da sie meistens umgekehrt, d. h. den
Boden nach oben, angebracht waren.
Jenseits des Gürtels von tiefem Sande, welcher die Stadt utn-
giebt, begannen die Gärten, meist mit Einfriedigungen aus Palmen-
blättern versehen und im Ganzen gut gehalten. Der des llädsch
Brahitn war von grosser Ausdehnung und hatte neben der äusseren
Umzäunung in seinem Innern noch verschiedene niedrigere Umfriedi-
gungen, welche besondere Abthcilungcn, wie Fruchtbaumgruppen
und Gemüsegärten, abschlossen. Auf der ganzen Ausdehnung des
Gartens bildeten Dattelpalmen einen lichten Wald, in dessen Schatten
sich die Getreide-, Gemüse- und Luzernefeldcr ausdehnten und einige
bescheidene Feigen-, Granatapfel-, Mandel- und Apfelbäume, der
einzige Citronenbaum Murzuq’s und ein Exemplar der indischen
Feige (Opuntia) das man zum Versuche von Ghät eingeführt hatte,
ein kümmerliches Dasein fristeten. Von Gemüsen säete oder pflanzte
man gerade Tomaten, Zwiebeln, Bohnen, Melüchia, Bämia, Melonen
und Gurken und hatte augenblicklich reife Radieschen und gelbe
Rüben.
Das letzte Getreide (Weizen) war gerade geschnitten; die Aehren
waren gross und voll. Durchschnittlich behauptete der Herr des
Gartens bei Sorgfältiger Cultur und gutem Saatkorn vierzehnfaches,
unter ungünstigeren Verhältnissen aber nur achtfaches Korn zu ernten;
der aus Russland eingeführte Weizen gab nach seiner Erfahrung
einen reicheren Ertrag. Nach der Ernte der nordischen Getreide-
arten sollten jetzt, der Gewohnheit entsprechend, auf denselben
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GARTENBAU. ' 91
Feldern die Negcrccrealien , der in Fezzän Qasab, d. h. eigentlich
nur Rohr, genannte Duchn (Penicillaria) in einigen Varietäten und
die Durra (Sorghum) , welche dort den nicht arabischen Namen
Ngäfoli führt, gesäet werden. Von diesen werden im Laufe des
Sommers und Herbstes bis zu vier Ernten erzielt, von denen freilich
die letzte oder die beiden letzten nicht mehr zur Reife kommen,
sondern als Vichfuttcr verwendet werden. Der Garten war, wie ich
cs in Söqna, Semnu und den übrigen Orten gesehen hatte, in kleine
eingedammte Vierecke gctheilt, welche abwechselnd, wenigstens
wahrend eines Tages in der Woche, unter Wasser gesetzt werden.
Das Wasser wurde in der, in ganz Fezzän üblichen Weise aus
dem etwa vier Klafter tiefen Brunnen durch Menschen oder Thiere
emporgezogen. Aus der Tiefe des weiten Brunnens erheben sich
zwei Palmenstämme, die hoch oben durch einen ebensolchen Stamm
als Querbalken verbunden sind, welcher zwei Rollen trägt. Ueber
diese laufen Stricke, deren einer am Grunde, der andere an der
weiten Mundöffnung eines mächtigen Ledersackes befestigt ist. Vor
dem Brunnen befindet sich eine abschüssige Bahn, auf welcher die
zu dieser Arbeit verwendeten Rinder, Esel oder Menschen auf- und
absteigen. Wenn sich diese auf der geneigten Bahn aufwärts bewegen, *
so senkt sich der leere Sack an den frei gelassenen Stricken in die
Tiefe des Brunnens und füllt sich; geschieht aber die Bewegung
jener in entgegengesetzter Richtung, so werden die Stricke ange-
zogen und der gefüllte Sack steigt empor, bis er die Oberfläche des
Bodens und mit ihr die Höhe eines Reservoirs erreicht hat, aus dem
das Wasser in die Kanäle des Gartens fliesst. In diesem Augen-
blicke kann der am Munde des Sackes befestigte Strick nicht mehr
angezogen werden, wohl aber der andere am Grunde angebrachte,
was eine Hebung des letzteren und eine Entleerung des Sackes aus
der niedrigeren Mundöffnung in das Reservoir zur Folge hat. Die
gewöhnlich benutzten Säcke oder Schlauche fassen etwa fünfzig Liter
Wasser. Die Brunnen wechseln in der Tiefe von zwei bis acht Klaftern
und sind je nach der Tiefe auch verschieden in Quantität und Quali-
tät des Wassers. Je oberflächlicher die Brunnen sind, desto brakischer
ist ihr Inhalt; je tiefer jene, desto süsser, aber auch sparsamer dieser.
Rinder sind sehr spärlich vertreten, werden also selten zu dieser
Arbeit benutzt. Vorwaltend werden Esel und Menschen verwendet,
jene von mittlerer Güte, diese natürlich Sclavcn.
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I. BUCH, 3. KAPITEL. MURZUQ.
Was Hadsch Brähim an Thieren besass, war augenblicklich im
Garten, wo sogar ein schöner, sehr geräumiger Stall für dieselben
erbaut war. Einige Schafe, welche aus dem Gebiete der Tuärik
stammten, erregten meine besondere Aufmerksamkeit durch ihre
hohen Beine, ihren langen, dünnen Schwanz, gestreckten Hals und ihr
langes, feines Haar anstatt der Wolle.
Die übrigen Gärten, soweit ich im Vorübergehen zu bemerken
Gelegenheit hatte, ähnelten alle dem gesehenen, wenn auch die
meisten von geringerer Ausdehnung und Mannichfaltigkcit waren.
In ihnen erlabte sich wenigstens das Auge in etwas an der grünen
Farbe der Bäume und Felder, wenn auch beide nur allzuoft durch
dicke Lagen sandigen Staubes in ein fahles Grau gehüllt wurden.
Doch in der Stadt wurde der Aufenthalt durch die Einförmigkeit
ihrer Physiognomie und durch die Monotonie des täglichen Lebens
auf die Dauer ertödtend langweilig.
Von meinem Fenster sah ich auf eine altersgraue, hohe Dattel-
palme im Hofe der Moschee; sie war eine der wenigen, welche das
Innere der Stadt zierten. Sonst hatte Alles eine fahle Färbung,
war grau in grau gemalt. Ermüdet schweifte das Auge von der
Höhe der Terrasse des Hauses über die platten Dächer; vergebens
suchte cs Erfrischung in dem Gegensätze einer klar-blauen Färbung
des Himmels. Staub lagerte auf Allem, hüllte Alles in seinen grauen
Schleier, und auch an klaren Tagen verlor der Himmel seine weiss-
liche Färbung nicht. Mit der steigenden Sonne erhob sich der Wind
und genügte, selbst wenn er nicht Sandtromben mit sich führte und
Alles mit dicken Lagen Sandes überschüttete, fast immer, den feinen
Staub des Alluvialbodens der Hofra von Murzuq aufzuwühlen und
mit ihm die Atmosphäre zu erfüllen. Hierbei erhielt die breite
Hauptstrasse einen unendlich viel trüberen Charakter als die engen
Gassen, in denen wenigstens die Augen auf den Häuserreihen,
wenn dieselben auch gerade nichts Heiteres an sich hatten, haften
konnten.
Das menschliche Leben und Treiben konnte an und für sich
auch nicht sehr mannichfaltig sein an einem Orte, der rings von
Wüste umgeben ist und seine Bedeutung als Handelsplatz seit lange
cingebüsst hat. Die bedeutenden, noch aus besseren Zeiten stam-
menden Kaufleute der Stadt waren Fremde, Berber aus AudschTla
und Söqna, Araber aus Tripolis oder Hün, und litten als solche von
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STRASSEN- UND MARKTI.EBEN. 93
dem Sumpfklima. Erdfahl oder gallig gelb, mit bleichen Lippen
und matten Augen, schlichen sie kraftlos und apathisch ihren Ge-
schäften nach und trugen durch ihre Erscheinung noch zur Herab-
stimmung des Gesammtcindruckes bei. Selbst ihre Kleidung, die
grauen und graubraunen Shawls, die fahlblauen Hemden harmonirten
in ermüdender Weise mit der Physiognomie ihrer Träger und der
Stadt.
Mit dem Staube begann auch die Hitze auf der Tageshöhe
erheblich zu wachsen, obgleich wir erst im Anfang des April waren
und z. B. noch am io. d. M. eine Morgentemperatur von nur 8,ou C.
hatten. Jeder hielt sich zu Hause, soweit es seine Beziehungen irgend
gestatteten, und nur die kleineren Kaufleute traf man in ihren Waaren-
lagern im Bäzär während des grössten Theiles des Tages. Uas einzige
Kaffeehaus am Eingänge des Bäzar's lockte mit seinem zweifelhaften
Getränk, zu fünf Para, d. h. 2x/i Pfennig, die Tasse nur die Soldaten
der Garnison oder ähnliche Kundschaft an, und kein schattiges Plätz-
chen auf den Strassen lud zum Niedersitzen und Plaudern ein. Jeder
hatte es in seinem Heim besser als draussen und zog sich dahin
zurück, sobald er konnte.
Wenn nicht der Marktverkehr gewesen wäre mit der einheimischen
Gartenbevölkerung und die zahlreichen fremden Elemente in der
Stadt, welche zum grossen Theile südlicheren, glücklicheren Himmels-
strichen entsprossen, über der wüsten Monotonie Murzuq’s noch nicht
die Heiterkeit und Lebenslust ihrer 1 leimath cingebüsst hatten, so wäre
die Hauptstadt Fezzan's allerdings noch viel eintöniger und langweiliger
für mich gewesen. Im Laufe des Vormittags zogen die Insassen der
Gärten allmählich in die Stadt ein und bevölkerten mit den Produkten
ihrer Kultur den Markt, der während der Nachmittagsstunden am
besuchtesten war. Morgens wurden die Kameele, Schafe und Ziegen
geschlachtet, von denen das Fleisch der Schafe das beliebteste war.
Frauen aus der Stadt brachten frisch gebackenes Brod, und Krämer
kamen allmählich und boten in bescheidener Quantität, doch reicher
Mannigfaltigkeit Lebensbedürfnisse des civilisirten Europa und der
afrikanischen Nordküste feil, wie Zündhölzer, Cigarettenpapier, tür-
kischen Tabak, Süssigkeiten aus Tripolis oder gar Constantinopel,
Kafieetässchen , Kochgeschirr und Schüsseln aus Kupfer und Zinn,
holländischen Käse, Pfeifenköpfe, Rasirmesser, Nadeln, kleine Hand-
spiegel, Scheeren, Messer, Schmucksachen der Frauen, Armbänder
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I. RUCH, 3. KAPITF.I.. MUKZÜQ.
und Fussspangen aus Kupfer, Messing, Silber, Horn und Elfenbein,"
Halsbänder aus Achat, Bernstein, Glasperlen und Korallen.
Stoffe aus Europa in Kaumwolle, Seide und Tuch, arabische
Anzüge, tunisische Mützen, Burnusse aus afrikanischem Wollenstoffc
oder europäischem Tuch, feine Häfk's aus Tunisien oder Tripolis,
bunte, weiche Wollendecken von riesiger Ausdehnung von der Insel
Dschcrba oder dem Beled cl-Dscherid, schlechte Teppiche aus Mesräta
oder bessere aus Constantinopel und den Christenländcrn, Frauen-
shawls aus Egypten, arabische Sättel und Steigbügel, Sattelüberzüge
aus gold- oder silbergesticktem Sammet oder marokkanischem Leder,
dicke, filzige Satteldecken, feine Gewänder aus dem Sudan, scide-
gesticktc Schuhe aus gelbem Leder, Säcke aus Kamcclwollc ein-
heimischer Fabrikation, Wasserschläuche aus den Haussa- Staaten
und andere werthvollere Gegenstände wurden von öffentlichen Ver-
käufern ausgeboten. Laut schrieen diese Makler den letztgebotenen
Preis aus, die Waare in der gehobenen Hand, hier stillstehend, um
dieselbe prüfen zu lassen, dort ihre Vorzüglichkeit anpreisend. Rast-
los liefen sie von einem Ende des Marktes zum andern bei einer
Preiserhöhung von vielleicht nur einem halben oder einem Viertel-
piaster, und nicht zufrieden mit den Marktbesuchern, suchten sie auch
wohl die Leute, deren Kauflust oder Bedürfnisse sie kannten, in ihren
Häusern auf. Eine Commission von meist einem Para auf jeden
Piaster belohnte das anstrengende Gewerbe.
Als Werthmesser dient das in Tripolis gebräuchliche Geld; nur
werden die* dort schon verwirrten Marktverhältnisse in Fezzän noch
complicirt durch den Gebrauch des Real el-Fezzanf, der, wie der
Mahäbüb, nicht als geprägte Münze existirt, und 1 5 Ghirsch et-Turki
gleichkommt.
Als Gewichtsmaasse figuriren, wie in Tripolis, der Qantar (Plur.
Qanätir) oder Centner, der 40 Oqqa oder 100 Rotel (d. h. Pfund)
gleichkommt. Das Rotel enthält 16 Unzen — Oqtja — -, welche
wieder in Halbe, Viertel, Achtel zerfallen. Als kleinste Gewichte
dienen die Samenkerne des Johannisbrodbaums — Charrüb — oder
die sehr viel kleineren Getreidekörnchen.
Das ausschliesslich gebräuchliche Längenmaass des Murzuqer
Marktes ist, wie in den Südänländern , die natürliche Elle, welche
vom Olecranon oder Ellbogenknochen bis zur Spitze des Mittelfingers
reicht und darum ed-Drä‘, d. h. der Vorderarm, heisst. Anatomische
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VF.RK AUFSCEGKNST A NDE. — MAASSF. UND GEWICHTE. 95
Verschiedenheiten der Menschen ergeben natürlich einige Unterschiede
in der Länge, welche häufig Streitigkeiten zwischen Käufer und Ver-
käufer hervorrufen.
Als grösstes Hohlmaass gilt der Kafis, der bei Datteln ungefähr
4 Qanätir beträgt; derselbe enthält 24 Keil (I’lur. Kijäl) und jeder
Keil zerfallt in 8 Sa. Keil bezeichnet eigentlich nur jedes Hohlmaass
und hat sich allmählig für die Weiba, die man ebenfalls noch in
Gebrauch findet, eingeschlichen*).
Stand Karawanenverkehr in Aussicht, so wurden Kameeie aus
Fezzan, den Tuärikländern und den Tubulandschaften zu Markte ge-
bracht, und schon mit Sonnenaufgang zogen Tuarik aus dem YVüdi
Gharbi mit Holzkohlen, deren Fabrikation ihre Special-Industrie dar-
stellt, durch das Westthor in die Stadt. Hei der Baumarmuth der
Gegend bildeten diese ein kostbares, oft seltenes Erzeugnis, das
man zuweilen, um seiner habhaft zu werden, schon vor Sonnenauf-
gang am Thorc oder auf der Landstrasse erwartete. Allmählich
kamen dann die Bewohnerinnen der Gärten mit Getreide in Körnern,
als Mehl oder als Mohammes; mit Gemüsen, wie Bohnen und Mclüchia,
Zwiebeln und Bamia, gelben Rüben und Radieschen, Coloquinthen-
körnern, rothem Pfeffer aus dem Sudan oder schwarzem aus Europa.
Von Früchten waren natürlich die Datteln vorwiegend, doch auch
die Melonen nicht selten; sonst kamen höchstens noch kleine Feigen
und kümmerliche Granatäpfel auf den Markt, denn Quitten, Aprikosen,
Pfirsiche, Aepfel, Weintrauben stellten nur vereinzelte Zuchtresultate
der Reichen dar. Da Milch und Butter wegen des spärftciien Rind-
viehs theucr waren, verlohnte cs sich schon der Mühe für Reisende
von Norden, von dem ausgezeichneten Olivenöl aus Beni Ulid oder
dem Ghariängebirge zu bringen, und dies fand sich denn auch oft
auf dem Markte.
Viele Frauen brachten schamlos Laqbi zu Markte, natürlich
» unter dem Vorgeben seines frischen Zustandes, und es gab gottlose
Muselmanen, welche sogar europäischen Schnaps öffentlich verkauf-
*) In Maassen und Gewichten herrscht in «len Ländern «les Islam eine noch viel
grossere Verwirrung, als in der übrigen Welt. Fast in jedem Lande haben Rotel, Oqqa,
Kafis, Weiba, Sä einen anderen Werth. Seihst der Mudd, das gebräuchlichste kleinere
Hohlmaass zur Zeit «les Propheten (vom lateinischen Modius), das in Fezzän von dem
viel kleineren Sä verdrängt worden ist, wechselt in den verschiedenen mohammedanischen
Ländern erheblich an Umfang.
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9G I. BUCH, 3. KAPITEL. MURZUQ.
tcn. Und doch war dies durchaus nicht nöthig, denn es gab einen
Christen in Murzuq, welcher diesen Zweig europäischer Civilisation
nicht vernachlässigte und mit einem gleichgearteten Türken aus Dat-
teln ein miserables Getränk destillirte. Beide waren deportirte Ver-
brecher — Memfi*) — , deren die türkische Regierung zuweilen einige
in Fezzän internirt. Auch Tabak, wie er zum Kauen benutzt wird
und besonders geschätzt aus dem benachbarten Dorfe Zezau kommt;
cl-Hinnä zum Färben der Nägel und zu medicinischen Zwecken;
Antimonpulver — Kohol — zum Bestreichen der Augenlidränder;
Petersilie, Senna, Leinsamen, die Füa-Wurzel, Fenchel, Malven und
andere Erzeugnisse des Bodens fehlten selten auf dem Markte. Das
gab denn natürlich für die Zeit der grössten Marktfrequenz ein leb-
haftes Treiben auf der breiten Strasse, und trotz des wenig distin-
guirten Publikums begab ich mich um diese Zeit oft in das erwähnte
Kaffeehaus, von dem aus das Auge den Markt beherrschte. Zu-
weilen fand ich auch wohl einen Gebildeteren oder nahm meinen
Adjutanten Mohammed Ben Alüa mit und konnte so einigermaassen
die Marktgesellschaft in ihre verschiedenen, oft sehr heterogenen
Bestandtheile zu zerlegen lernen.
Alle Hautfärbungen, von dem städtebewohnenden Türken aus
Europa in seiner nordischen Weisse bis zur Ebenholzschwärze, wie
sie individuell bei Nigritiern gefunden wird, waren vertreten. Die
röthlichen Araber oder Berber der Nordküste, die Wüsten-Berber in
ihrer Broncefarbe, die Tubu als weiterer Uebergang zu den eigent-
lichen Negern, und diese selbst in aller Mannichfaltigkeit und Ver-
schiedenheit bildeten eine endlose Stufenfolge. Wenn Gestalten,
Köpfe und Züge der echten Araber für mich familiäre Erscheinungen,
und die nordischen Berber, unter gleichen Bedingungen lebend und
vielfach mit jenen vermischt, kaum von denselben zu trennen waren;
wenn die Bewohner der centralen Wüste mit ihren regelmässigeren
Zügen, ihren meist wohlgeformten Nasen, ihren mässigen Lippen,
ihrem geringen Prognathismus sich deutlich von den Südänvölkern
schieden; so gelang es mir vorläufig nicht, die letzteren auseinander
zu halten und in zusammengehörige Gruppen zu zerlegen. Ich konnte
keinen charakteristischen Unterschied zwischen den Leuten aus Bornü,
Baghirmi, Mandara, den Haussa-Staaten entdecken, und nur die ver-
*) Kommt von dem Zeitwort nafa, herausheben, ausstossen, vertreiben.
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MARKTBESUCHER.
97
einzelten Repräsentanten jener merkwürdigen innerafrikanischen Völ-
kerschaft, die schon manchen Ethnologen verwirrte, der Felläta, mit
ihren semitischen Zügen, wollten nicht in diese Allgemeinheit passen.
Hier wurde die arabische, dort die Tubu-, noch anderswo die
Haussa- Sprache gesprochen, und am meisten hörte man die der
Borntilcute, die Mana Kanüri. Von Weitem erkannte man schon die
eigentlichsten Wüstenbewohner, die finsteren Tuärik und die zier-
lichen Teda, an ihrem gemessenen Wesen, ihrer dunklen Kleidung
und dem womöglich dunklen Gesichtsschleier. Kein Lächeln schlich
über die Züge des gravitätisch einherschreitenden Täriki, und be-
dächtig spritzte der Tubu einen Strahl grünlicher Tabaksflüssigkeit
weithin durch die Zahnlücken, ehe er eine Aeusserung that oder
eine Antwort ertheilte. Ueberlegen und stolz im Gefühle ihrer fort-
geschrittenen Civilisation sahen die reinen Araber und nördlichen
Berber auf die Umgebung herab, und harmlos lachten und schwatz-
ten die Neger.
Dieser schloss sich durch seine Kleidung (Burnus, Jacke, Weste,
Beinkleid) an die Bewohner der Nordküste; jener hatte das bequeme
Südänhemd gegen die nordische Kleidung eingetauscht, oder umge-
kehrt Jemand jenes mit dem tripolitanischcn Shawl combinirt, und
noch Andere trugen das primitive Schaffell ihrer heimathlichen Wohn-
sitze. Die Einen waren gewichtige Handelsleute, welche dem west-
lichen Sudan zustrebten und über Ghat in die industriellen llaussa-
Länder zu reisen beabsichtigten; Andere kamen von dort und hatten
als Reiseziel Tripolis, Benghäzi oder Kairo; noch Andere wohnten
in Fezzän. Die vereinzelten Tuärik und Tubu kamen nie aus weiter
Ferne und nur zu kurzem Marktaufenthalte; und die Neger waren
Sclaven oder Freigelassene, welche dem Lande ihrer Geburt zu-
strebten oder fern von demselben eine neue Heimath gefunden hatten,
oder fromme Pilger, deren der westliche Sudan alljährlich so viele
gen Osten sendet und welche bisweilen ihren Weg über Fezzän und
das nördliche Egypten nehmen.
Auf dem Gemüse- und Fruchtmarkte hockten in überwiegender
Mehrheit Frauen hinter ihren Körben aus Palmblättern, und wenn
die Männer ein niannichfaltiges Bild in Typen und Trachten bildeten,
so fesselte bei jenen vorzüglich die Eigentümlichkeit der Haartracht
und Schmuckgegenstände das Auge des Beschauers. Unterschiede
in der Hautfärbung traten am wenigsten hervor, denn die Frauen
Kachiigal. I. <
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98
t. BUCH, 3. KAPITEL. MURZUQ.
der Araber und Nordberber in ihrer höheren socialen Stellung sah
man kaum auf dem Markte, und auch Tuärikfrauen erscheinen fast
nie. Vereinzelte, schlanke Tubafrauen im blauen Hüften- und Schulter-
shawl, mit ihren zierlichen Gliedmaassen, ihrer halbdunklen Haut,
dem koketten Korallen -Cylinder im rechten Flügel der meist wohl-
geformten Nase und den zahllosen, dünnen, halblangen Flechten,
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Gruppe von Frauen und Mädchen, dem Markte zu Murzuq entnommen.
Bornüsclavin. Musgosclavin. Fellätasclavin.
Haussasclavin. Fczxäncrin. Tubuntadchcn.
welche, besonders seitlich über die Schläfen herabfallend, das feine
Oval des Gesichtes einrahmten, waren dagegen schon häufiger. Eine
weite Kluft trennte sie augenscheinlich von den dicken, runden
charakterlosen Gesichtern der Fezzanerinnen. Diese trugen gewöhn-
lich ein langes, mässig weites, meist blaugetärbtes Hemd aus euro-
päischem Baumwollenstoffc und darüber einen dicken Wollenshawl,
der Kopf und Schultern und zur Noth die ganze Gestalt einzuhüllen
vermochte, und variirten in der Hautfärbung von der röthlichen der
Araberinnen bis zur grauschwarzen vieler Negerinnen. An den Armen
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FRAUF.NTR ACHTRN.
99
trugen sie, wie die Tubufrauen, eine grosse Anzahl von Spangen aus
Metall, Horn und Elfenbein, und die Beine belasteten sie mit schweren
silbernen, kupfernen oder messingenen Fussringcn, wie die Arabe-
rinnen zu thun pflegen. Im Schmutz wetteiferten sie mit den Be-
duinenweibern und contrastirten dadurch scharf mit den meist sehr
sauberen Tubufrauen.
Ihre Koketterie schien sich auf die Haartracht zu concentriren,
in der die Sitte dem Geschmacke und der Erfindungsgabe der
Schönen einen weiten Spielraum Hess. Diejenigen von arabischer
oder doch nordischer Abstammung schlossen sich durch die
dicken Flechten, welche um den Kopf gewunden waren oder vor
dem Ohre herabhingen, an die Araberinnen; Andere theilten die
üppige Masse des Haares in vier Theile, von denen ein vorderer
vom Scheitel auf die Stirn fiel, ein hinterer vom Scheitel in den
Nacken hing und zwei seitliche den Ohren auflagcn. Diese waren
entweder alle in Flechten von der Dicke eines Rabenfeder- bis Gänse-
fedcrkiels geordnet, oder der vordere Theil war in einen Knoten zu-
sammengeballt, welcher der Mitte der Stirn auflag, oder künstlich in
einen Zustand der Unordnung versetzt, wie ihn unsere Damen zeit-
weise nicht wenig liebten, und wie er mir auch dort ein Zeichen be-
sonderer Gefallsucht zu sein schien. Noch Andere endlich — und
das schien mir die eigenartigste Haartracht der Fezzanerinnen zu
sein — ordneten Alles in glcichmässige Flechten von mittlerer Dicke
und Länge, die, vom Scheitel ausgehend und dicht neben einander
dem Kopfe aufliegend, in ihren Endpunkten durch eine circulare
Flechte, welche über den unteren Theil der Stirn, die Schläfen- und
Hinterhaupt-Gegend verlief, zusammengehalten wurden, so dass das
ganze Haupt wie von einer gleichmässigen Kappe umschlossen war.
Diese dichte Haarkappe war zuweilen auf Stirn und Vorderkopf in
zwei Hälften getheilt.
Welcher Mode die schönere Hälfte der Murzuqer Marktbevöl-
kerung in der Haartracht aber folgen mochte, eine Zierde fehlte
ihnen nie, und in dieser zeigte der ästhetische Sinn Aller eine sel-
tene Ucbereinstimmung: das Haupt troff von Fett, wenn es die Ver-
mögensverhältnisse irgend gestatteten. Entweder war dieses appetit-
liche Haaröl unvcrmischte, flüssige Butter, welche mit Staub und
F>de sich bald zu einer unbestimmten Schmutzkruste verband, oder
Oel war mit aromatischen Pflanzenpulvern von Zimmet — Gurfa
7*
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I. BUCH, 3. KAPITEL. MURZUQ.
oder Qirfa — , Nelken (Nägelchen) — QaromfuI — , Sandelholz und
Mahaleb ( Prunus Mah&leb) zu einer zweifelhaften Pomade verarbeitet.
Wie in der Vorliebe für dieses Cosmeticum die Repräsentantinnen
der sonst verschiedensten Stämme durchaus einig waren, so stand
auch offenbar die Korallenzierde des rechten Nasenflügels in den
meisten der vertretenen Länder in gleichem Ansehen.
Die Negerinnen, welche im Ganzen vorwalteten und die ver-
schiedensten Stämme und Völker vertraten, Sclavinnen oder Frei-
gelassene, suchten, wenn sie die Concubinen ihrer Herren waren, in
Tracht und Schmuck die legitimen Frauen nachzuahmen. Andern-
falls begnügten sie sich mit den meist blauen Hüften- und Schulter-
Tüchern und nahmen ihre Zuflucht zu selteneren Glas- und Thon-
perlen, die sie mit echten Korallen untermischt als Ketten um den
Hals trugen, und zu einigen Silbermünzen oder Korallenstückchen,
die Haar und Ohren zierten. Die Füsse waren nur in seltenen Fällen
mit rothen oder gelben Schuhen bekleidet, die man in Murzuq zu
verfertigen und in geschmackvoller Weise mit Seide zu sticken weiss.
Häufiger trugen die Frauen Sandalen, von denen die locker aus
Palmblattstreifen geflochtenen nur zu ephemerem Tagesgebrauch be-
stimmt schienen, meistens waren sie jedoch jeder P'ussbekleidung baar.
Das war ein buntes Bild und nur zu früh endigte es mit Sonnen-
untergang, zu welcher Zeit die Gartenbewohnerinnen spätestens ihren
Palmenzweighütten zueilen mussten, um zur Abendmahlzeit — Aschä —
anzukommen. Zu dieser Zeit kehrten die in der Nähe der Stadt ge-
weideten Kameele, die unentbehrlichen Staffagen der Strassen, eben-
falls heim und begaben sich ohne Ausnahme bei Einbruch der Nacht,
fremde wie einheimische, wie auf Verabredung auf den Qasbaplatz,
um daselbst die Nacht zu verbringen.
Dann vereinsamten die Strassen und Plätze der Stadt für mehrere
Stunden. Später — die Abende zeichneten sich gewöhnlich durch
Windstille aus — sammelte sich Alles, was Anspruch auf Jugend
und Lebenslust machte, in den Strassen, auf den Plätzen, in den
Häusern, um in zwangsloser Unterhaltung, bei Musik und Tanz bis
Mitternacht beisammen zu bleiben. Entweder hat ein wohlhabender
Mann in Folge irgend eines freudigen Familienereignisses Musikanten
und Tänzerinnen bestellt und lässt Nachbarn und Freunde in» Innern
des Hofes an diesem Sinnengenuss Theil nehmen; oder die Künstler
ergreifen die Initiative und sammeln irgendwo durch die Töne ihrer
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TANZBELUSTIGUNGEN.
10t
J
0
Instrumente einen Kreis von jungen und alten professionellen Tän-
zerinnen. Der Eine schwingt gewöhnlich ein Tamburin — Tär — ,
der Zweite schlägt eine kleine Trommel — Debdeba — , welche,
von der Form eines Zuckerhutes mit abgerundeter Spitze, eine
mit Fell überzogene, 6-8 Zoll im Durchmesser haltende Grund-
fläche hat, und ein Dritter strengt seine Lungen mit der Bear-
beitung der Dudelsackpfeife — Suchera — an. Der Kreis von Mäd-
chen und Frauen, der sich alsbald um die Künstler bildet, begleitet
die einförmige, meist melancholische Musik mit halbpoetischen Im-
provisationen, welche den Herrn des Hauses, vornehme Nachbarn
oder Anwesende verherrlichen, oder ihnen in humoristischer Weise
ihre Schwächen und Fehler Vorhalten. Unter dem aufregenden Ein-
flüsse der Musik lösen sich dann einige der Mädchen und Frauen
aus dem Kreise, stellen sich einander gegenüber und kokett mit den
vorgestreckten Händen ihren Shawl in graziöser Mannichfaltigkeit
drapirend beginnen sie sparsame Körperbewegungen, welche nur
sehr uncigentlich den Namen des Tanzes verdienen. Sic schieben
sich, ohne auch nur die Füsse vom Boden zu erheben, unter lasciven
Beckenbewegungen und Berührungen auf einander zu und an einander
vorüber, jede Bewegung langsam, berechnet, ein Bild der rohesten
Sinnlichkeit. Sind die Darstellerinnen ermüdet, so treten andere an
ihre Stelle und suchen, ohne die geringste Abwechselung in das
widerliche Gebärdespiel zu bringen, höchstens in der Raffinirtheit
der obseönen Bewegungen mit den ersten zu rivalisiren. Dieser lang-
weilige Verlauf wird nur zuweilen unterbrochen durch Acte der
Generosität der Zuschauer in Form kleiner Geldspenden. Dann
lasst einer der Musikkünstler laut seine Stimme erschallen: „Aleikum,
ja auläd, aleikum, ja benät men and . . d. h. „für Euch, Ihr Jüng-
linge, für Euch, Ihr Mädchen, von dem . . .", und es folgt der Name
des Gebers mit den üblichen ehrenden Beiwörtern des reichen, klugen,
freigebigen u. s. w. Die Musik fällt ein und die Weiber lassen jenes
unnachahmliche Zungenschlaggeräusch ertönen, das vom atlantischen
Ocean bis nach Persien und vom Mittclmecr bis fast zum Aequator
bei den Frauen einer gehobenen Stimmung Ausdruck zu verleihen
bestimmt ist und im Arabischen Zalrhüla*) heisst.
Die Veranstaltung solcher Festlichkeiten wird meist sehr billig
für den Gastgeber dadurch, dass die Gäste nach und nach durch
♦) Kommt von dem Zeitwort zalrhat, verlocken.
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I. BUCH, 3- KAPITEI.. MVHRZUQ.
ihre Geldspenden die Musikanten bezahlen. Die tanzenden und sin-
genden Frauenzimmer haben trotz obiger Rufe keinen Anthcil an
diesen Einnahmen, sondern begnügen sich damit, die Gelegenheit
z,u ihrer gewerbsmässigen Liederlichkeit auszunützen. In dieser Be-
ziehung ist ihnen ein guter Erfolg sicher, denn oft erst lange nach
Mitternacht zerstreuen sich die Festgenossen, aber dann fast immer
paarweise, ein Mannlein und ein Fräulein. Dies schien mir vorläufig
das einzige Volksvergnügen der Fczzäner zu sein, und selten verging
ein Abend, an dem man nicht noch in vorgeschrittener Nacht die
rhythmischen Schlage der Debdeba und dazwischen das Freuden-
geschrei der Beglückten hörte.
Ich. hatte schon in der ersten Zeit nach meiner Ankunft Gelegen-
heit, bequem von meinem Hause aus diese stets in gleicher Weise
verlaufenden Festlichkeiten zu beobachten, einmal bei meinem Nach-
bar, dem Kätib el-Mäi, als ihm ein Sohn geboren war, und ein an-
deres Mal bei meinem Nachbar auf der anderen Seite, als eine ge-
wisse Fätima sich verheirathete. Bei der letzteren Gelegenheit wieder-
halltcn schon Nachmittags die Strassen der Stadt vom Pulvergeknall,
während Fätima stolz in einem rothverhängten Baldachin auf dem
Rücken eines prächtig aufgezäumten und mit buntseidenen Bändern
gezierten Kameels nach arabischer Sitte umhergeführt wurde. Ich
vermuthete Anfangs, es sei die Hochzeit einer vornehmen Dame,
bis ich endlich entdeckte, als der Zug am Nachbarhause hielt, dass
es sich um eine der zahlreichen, zweifelhaften Schönen handelte,
welche dasselbe bewohnten. FatTma war ein gutmüthiges, nicht
schönes und ältliches Mädchen, welches seit langen Jahren sein
speciclles Wohlwollen der Garnison gewidmet hatte, ohne dass diese
stürmische Vergangenheit sie gehindert hätte, einen Gatten zu finden,
noch die ehrsamsten Bürger der Stadt, zu ihrem Ehrentage so viel
Pulver zu verschwenden, als wenn es sich um die Tochter des Bürger-
meisters gehandelt hätte. Als ich, über die Milde der öffentlichen
Beurtheilung nachsinnend, zuschautc, setzte mir Ali der Fczzäner
auseinander, dass er niemals eine wirkliche Frau nehmen werde, son-
dern nur hoffe, bei der Reise mit mir so viel zu erübrigen, dass er
sich eine Sclavin kaufen könne. Denn, begründete er weise seinen
Plan, „verheirathe ich mich, so bin ich sicher, dass meine Frau mir
untreu ist; kaufe ich eine Sclavin, so wird diese allerdings vielleicht
auch leichtfertig sein, aber ich habe doch die Freiheit, sie wieder
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KLEINE LEIDEN DES TÄGLICHEN LEBENS.
103
zu verkaufen, sobald ich ihre Untreue bemerke.” Dies Raisonnement
ist nicht selten und dort nicht ganz unberechtigt. Bedenkt man
dazu, dass eine Sclavin, neben der angeführten äusseren Veranlassung
zur Treue, von Hause aus fleissiger, gehorsamer und anspruchloser
ist, so kann man sich nicht wundern, dass dort Viele das berechtigte
Concubinat vorziehen und in vielen Hausern, wo legitime Frauen
existiren, die Vorliebe des Herrn der Sclavin zufallt.
Entsprechend dem mich umgebenden Leben verliefen meine
Tage in einförmiger Regelmässigkeit. Während des Vormittags be-
reitete ich mich, so weit mir Mittel zu Gebote standen, für meine
weitere Reise vor, studirte die Bornüsprache, wozu die Gelegenheit
nicht mangelte, registrirte meine meteorologischen Beobachtungen,
behandelte oft recht uninteressante Kranke und empfing Besuche,
die selten fruchtbringende waren.
Die häuslichen Arbeiten waren in dieser Jahreszeit, unserem Früh-
ling, in qualvoller Weise erschwert durch das Treiben der Fliegen, das
seinen Höhepunkt erreicht hatte. In der grössten Winterkälte nimmt
dasselbe an Lebhaftigkeit ab und im Hochsommer erstirbt es ganz.
Jetzt waren die Thiere zum Verzweifeln hartnäckig, besonders auf
der Tageshöhe, wo sie, von der Hitze gelähmt, sich nicht einmal
leicht verscheuchen Hessen. Das Tintegefass musste verschlossen
gehalten und bei jedem Eintauchen der Feder vorsichtig geöffnet
werden; beim Genüsse einer Tasse Kaffee, eines Glases I.aqbi musste
die freie Hand ununterbrochen bestrebt sein, die massenhaft andrin-
genden Insecten zu verjagen, und nicht selten drang bei unvorsich-
tigem Sprechen eine Fliege mit der Inspiration bis zum Kehlkopf.
VV'eniger hatte ich von den Mücken zu leiden, welche den Leuten,
die an der Stadtmauer in der Nähe der Salzsümpfe wohnen, eben-
falls recht lästig fallen.
Wenn die Fliegen mich bei Tage bisweilen fast zur Verzweiflung
brachten, so erfreute ich mich während der Nacht dafür einer um
so ungestörteren Ruhe, da die Wüstenortschaften einer absoluten
Immunität geniessen gegen eine Landplage, welche den Frieden der
Menschen sowohl auf der Nordküste Afrika’s, als auch im Sudan
erheblich beeinträchtigt, gegen die der F'löhe. Die Südgrenze des
nordischen Flohs ist Bu N'dscheim. Die oft mit dem Floh gleich-
zeitig genannte Laus findet dagegen alle Bedingungen zu der diesem
Thierchen eigentümlichen rapiden und massenhaften Vermehrung.
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1. BUCH, 3. KAPITEL. MURZUQ.
Zwar nimmt die Kopflaus merklich ab, doch die Kleiderlaus ist so
unzertrennlich vom Menschen, dass man den exorbitanten Anspruch,
frei von ihr bleiben zu wollen, nur bei längerem Aufenthalte an
einem Orte mit einigem Erfolge aufrecht zu erhalten vermag.
Nicht selten wurde ich von Arabern gefragt, ob es wahr sei, dass
die Christen frei von diesem Ungeziefer seien, wobei ich zu meiner
Verwunderung bemerkte, dass sie die supponirte Läuselosigkeit durch-
aus nicht für einen Vorzug, sondern eher für eine göttlichcrseits be-
absichtigte Vernachlässigung zu halten schienen. Da einmal die Rede
von den an Haus und Mensch gebundenen Insecten ist, so will ich
bei dieser Gelegenheit erwähnen, dass die Wanzen dort keineswegs
fehlen, und dass die Motten einen Grad von Zerstörungsfähigkeit und
Gefrässigkeit entwickeln, wie er mir kaum irgendwo vorgekommen
ist und von dem ich die betrübendsten Beweise selbst erfahren sollte.
Nachmittags ging ich zuweilen aut den Markt, besuchte die
Kranken, welche in ihren Wohnungen behandelt werden mussten,
und setzte mich um Sonnenuntergang zu Alexandrinc Tinne auf die
Terrasse ihres hohen Hauses, mich mit ihr erlabend an den herr
liehen Abenden , die einen so wohlthucndcn Gegensatz zu den win-
digen, staubigen und oft glühendheissen Tagen bildeten. Während
wir im April noch häufig eine empfindliche Morgenkälte hatten und
selbst bei Tage nicht über zu grosse Hitze klagen konnten, wenn
nördliche Winde wehten, so wurden diese letzteren mit der Zeit sel-
tener, und gegen Ende desselben Monats überstieg unsere höchste
Tagestemperatur schon stets 30° C. Ununterbrochen sendete später
die Sonne ihre glühenden Strahlen von dem wolkenfreien Himmel
auf die schattenlose Stadt, während der Wind nicht, wie in anderen
Gegenden, Kühlung zu bringen vermochte, sondern Alles in Staub
und Sand hüllte. Die Sonne vermochte nur undeutlich als weiss-
licher Fleck mit verschwommenen Rändern ein kümmerliches Eicht
durch den dichten Schleier zu senden, und die ganze Natur erschien
fahl, farblos, unheimlich.
Erst wenn gegen Sonnenuntergang der Wind schwieg, und die
Sonne wenigstens ihren Scheidegruss sichtbar zu uns gesendet hatte,
traten die umgebenden Gegenstände in klaren Conturen und be-
stimmten Färbungen hervor; der Himmel crblaute wieder für die
kurze Zeit bis zur schnell hcrcinsinkenden Nacht; bald tauchten aus
der dunkelnden, fleckenlosen Wölbung über uns die Sterne in ungc-
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REIZVOLLE ABENDE. 105
wohnter Klarheit hervor, und der Mond stellte nicht mehr die bleiche
Scheibe meiner Hcimath dar, sondern schwebte als wunderbar leuch-
tende Kugel durch den Weltraum. Dann war es schön auf der
hohen Terrasse über der schweigenden Stadt. In wunderbarer Schärfe
zeichneten die Dattelpalmen in der Umgebung bei der scheidenden
Sonne nicht blos ihre herrlichen Formen von unnachahmlicher Grazie
gegen den geklärten Himmel, sondern jede Fieder des Blattes wurde
sichtbar. Alles schien nähergerückt und vergrössert; die fern am
Horizonte auftauchenden Menschen, wie die heimkehrenden Kameele
erschienen fast in gespenstischer Grösse. Auf der Höhe der klarsten,
wind- und staubfreiesten Tage hatte man nie eine Transparenz der
Atmosphäre, wie gegen Abend. Alhnählig versanken die ferneren
Gegenstände in die allgemeine Dunkelheit; nur die vereinzelten Pal-
men der Stadt warfen geisterhafte Schatten auf die im Mondlicht
erglänzenden platten Dächer, und im Hintergründe der Stadt erhob
sich gigantisch die massige Qasba.
Unser lebhaftes Gespräch über unsere Plane der Zukunft und über
die erfahrungsreiche Vergangenheit meiner Freundin, über unsere
Heimatli und die übrige Welt unterlag dem Einflüsse der zauberischen
Stille und verrann allmählich. Je mehr wir äusserlich verstummten,
desto mehr versanken wir in Träumereien, bis die fernher in melan-
cholischer Weise durch die Nacht tönende Debdeba uns zur Wirk-
lichkeit zurückrief und mich zum Aufbruch mahnte.
Meine ärztliche Thätigkcit, der ich mich mit regem Eifer widmete,
verschaffte mir nicht allein wichtige klimatologischc Einblicke
und eine ausreichende ‘Kcnntniss der vorkommenden chronischen
Krankheiten und thcilwcisc der acuten, sondern auch zahlreiche Be-
* ruhrungspunkte mit Leuten der verschiedensten Art und Lebenslage,
denen ich manche Erfahrung, manche Auskunft, manche Gcnug-
thuung durch wirklich gespendete Hülfe und manche Freude an der
Erkenntlichkeit der Menschen zu danken hatte.
Mit der schwindenden Winterkälte meldete sich der Feind des
Fremdlings in Gestalt der Sumpf- oder Malariafiebcr mehr und mehr.
Dieselben werden mit fortschreitendem Sommer häufiger und inten-
siver, beginnen im Spätherbst abzunehmen und erlöschen endlich im
Winter fast ganz. Wenn auch Neger eine geringere Empfänglichkeit
für das Malariagift haben, als hellfarbige Leute, so wurden doch nicht
wenige farbige Diener Fräulein Tinne's davon ergriffen. Im Ganzen
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106
!. BUCH, 3. KAPITEL. MURZUQ.
waren die Murzuqer der Ansicht, dass dieser Krankheitsstoff und
seine Wirkungen in der Stadt seit Jahren allmählich abnähmen. Früher
hatten die Weisscn, erzählten meine Berichterstatter, in Murzuq über-
haupt nicht verweilen können, ohne vom Fieber ergriffen zu werden,
und cs sei deshalb noch nicht lange her, dass denselben nur der
Aufenthalt wahrend der drei Wintermonate gestattet gewesen sei.
Freilich entsprang diese Verordnung keiner väterlichen Fürsorge der
Regierung für die Weisscn, sondern der Ansicht, dass diese das
Krankheitsgift reproducirten und also die Sumpffieber an Häufigkeit
zunehmen müssten.
Für uns neue Ankömmlinge vollzog sich die Acclimatisirung nicht
ohne erhebliche Unbequemlichkeiten. Im Anfänge machten sich in
Folge des Nahrungswcchsels hartnäckige Verdauungsstörungen gel-
tend; Magen- und Darmkatarrhe traten auf, und es verging fast der
ganze April, ohne dass die Funktionen meiner Verdauungsorganc regel-
mässige geworden wären. Dies wurde allerdings erschwert durch
die nicht immer zweckmässige Nahrung, welche ich einzunehmen
gezwungen war. Von den geträumten culinarischen Genüssen nämlich
hielt es Giuseppe Valpreda nicht dir gut, mir etwas zuzuwenden.
Erstens waren die Marktpreise dir Fleisch nicht unerheblich, denn
Hammel- oder Ziegenfleisch kostete die Oqqa (2*/j Pfund) immerhin
1 Mark, ein Huhn hatte den Preis von 50 bis 80 Pfennigen, und nur
das Kameelfleisch war billig, indem es nur den halben Werth des
Hammelfleisches hatte. Sodann aber gelang es mir nicht, eine heil-
same Abwechselung unter den Gemüsen in meine Küche einzudihren.
Soviel ich auch meinem pietnontesischdh Koche zuredete, sich
allmählig der ihm vorläufig unbekannten, landesüblichen Gemüse an-
zunehmen, und Melüchia, Bämia und dergleichen zu kochen, so hielt er
doch diese Accommodation an die Verhältnisse für eine Herabwürdi-
gung seiner Kunst und kochte heute gelbe Rüben mit Hammelfleisch,
morgen Bohnen mit Huhn oder vereinigte umgekehrt das Huhn mit
den Rüben und das Hammelfleisch mit den Bohnen. Ein Versuch
seinerseits, sich meinen Wünschen zu fügen, endigte mit einer lächer-
lichen Verwechselung, die leicht drastische Folgen hätte haben
können. Eine Schüssel mit kleinen ovalen, platten Kernen von gelb-
lichgrauer Farbe sollte mein Mahl verherrlichen, und wenn auch
Giuseppe seine Verwunderung darüber aussprach, dass dieselben
nicht gahr hätten werden wollen, so setzte ich mich doch nieder mit
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ERNAHRVNGSSCHWIERIOKEITEN.
107
dem festen Entschluss, diese erste Nachgiebigkeit des eigensinnigen
Mannes durch einen lebhaften Appetit meinerseits zu belohnen. Ent-
setzt fuhr ich freilich zurück, als ich entdeckte, dass er mich mit
Coloquinthenkcrnen zu beglücken die Absicht gehabt hatte, und ver-
suchte auch nicht wieder, seinen Sinn auf eine Vervielfältigung meiner
Gemüsegenüssc zu lenken. Nur unsere Gewöhnung an Duchn und
Durra anstatt des theueren und später seltenen Weizens stellte ich
ihm als absolut nüthig vor, und so hatte ich denn das zweifelhafte
Vergnügen, beide Getreidearten in der Form von aufgequellten, ge-
kochten Kornern als Gemüse zu geniessen und mir mit den unver-
daulichen Hülsen den Magen zu verderben.
Bescheiden suchte ich an Stelle anderer Genüsse den frischer
oder dicker Milch zu setzen, zu dem mir Ibrahim mit dem bedenk-
lichen Zunamen Bt'iza (Schnaps- oder Bier-Ibrähim), der Garnison
Schreiber, die willkommene Gelegenheit bot. Seit dieser geschickte
und lebhafte Mann durch seine Frau vom Laster der Trunksucht,
zu dem ihn allmählig die ertödtende Monotonie Murzuq’s getrieben
hatte, geheilt worden war, gab er sich dem Häuser- und Gartenbau
und der seltenen Rindviehzucht hin. Ich ging zuweilen zu ihm, um
mit innigem Vergnügen seine kleinen, den entsprechenden Hülfs-
quellen gemäss bescheidenen, doch immer sauberen und geschmack-
vollen häuslichen Einrichtungen, die er eigener Maurer- oder Schreincr-
arbeit verdankte, anzusehen, und die Sinnigkeit zu bewundern, mit
welcher er die ärmlichen Pflänzchen, die Klima und Entfernung von
andern Tendern ihm gestatteten, zu Gartcnanlagen zu verwenden
und allen seinen Einrichtungen einen ästhetischen Hauch zu geben
wusste. Unter Anderem hatte er sich auch Kühe angeschafft, eine
seltene Erscheinung in Murzuq, und dies gab mir die Idee an die
Hand, durch ihn zu einer täglichen Ration von Milch zu gelangen,
welche für mich freilich ein ungewohntes Getränk war. Durch
alle diese Schwierigkeiten arbeitete sich mein Körper übrigens mit
anerkennenswerther Energie durch, und ich konnte gerade nach
Monatsfrist behaupten, eine vollständige Verdauungsfähigkeit für
Duchn und Durra, für Kameelfleisch und Milch erkämpft zu haben.
Im folgenden Monat Mai ereilte auch mich das Schicksal der
Malaria-Vergiftung und zwar in sehr intensiver Weise. Leider fiel
meine Erkrankung in eine für Fräulein Tinnc so ungünstige Zeit,
dass meine Abwesenheit von ihrem Krankenbette beinahe verhäng-
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1Ö8
I. BUCH, 3. KAPITEL. MURZUQ.
nissvoll fiir sic geworden wäre. Nachdem sie sehr bald nach unserer
Ankunft leichte Ficberanfälle gehabt hatte, zog sie sich gegen Ende
April eine Blinddarmentzündung zu, welche nach dem sechsten Tage
den Weg der Besserung betrat. Schon vorher war die zwar energische
aber delikate Dame nicht stark gewesen, und ich hatte sie oft vergeb-
lich gedrängt, sich durch ausgewähltc Kost, soweit dies möglich war,
zu kräftigen. Seit Beginn der Krankheit hatte sie jede Nahrungs-
cinnahme verweigert, und selbst nach Beginn der Reconvalescenz
war sic nicht zu einer solchen zu bewegen.
Als ich fast eine Woche lang durch die eigene Krankheit an
meinem Besuche .verhindert gewesen war, fand ich die Arme in einem
Befürchtung erregenden Zustande. Skclettartig abgemagert, mit
schmerzhaften Contracturen der Gliedmaassen , furchtbaren Neural-
gieen, gänzlicher Schlaflosigkeit und absoluter Unfähigkeit, Nahrung
einzunehmen, erregte sie gerechten Zweifel in mir an der Möglich-
keit unserer gemeinsamen Reise nach Bornü. Ich wagte sie kaum
noch zu verlassen, und einige Wochen vergingen, che sie unter dem
Gebrauche von Narcoticis und vorsichtigster, allmählicher Einflössung
leicht verdaulicher Nahrungs- und Reizmittel sich zu neuem Leben
aufschwang.
Nach ihrer Wiederherstellung gingen wir ernstlich an die Rcali-
sirung unserer vorläufigen Reiseprojectc. Ein Muräbid Ali aus dem
Dorfe Bachi bei Qatrun war durch Geschäfte nach Murzuq geführt
worden und kam mit Hadsch Brähim, um mein Tibesti-Project zu
besprechen. Er war ein kleiner, dunkelfarbiger Mann mit vorwal-
tendem Tubublut in den Adern, doch von strenger Rechtlichkeit,
verständig und durch eigene Erfahrung ein competenter Richter über
die Ausführbarkeit meiner l’länc. Er schilderte den Charakter seiner
Vettern, der Tubu, in wenig ermuthigender Weise und rieth dem-
entsprechend, wie die Murzuqer Freunde, von dem Vorhaben ab,
hielt es aber nicht für durchaus unmöglich, mit Hülfe des Chefs der
Muräbidija von Qatrün, des greisen Hadsch Dschäber, ungefährdet
eine Reise nach Tibcsti zu machen. Eine Ausdehnung derselben
bis Borkü erklärte er für vollständig unausführbar. Seine Mutter
stammte aus Tibcsti, nahe Verwandte von ihm lebten in Borkü,
und selbst in Wanjanga war er vom östlichen Tibcsti aus gewesen;
doch lehnte er für den Kall meiner Reise von vornherein seine per-
sönliche Begleitung ab.
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Pl.AN DER TIBEST1- REISE.
1U9
Ich selbst war entschlossen zu gehen, und selbst wenn die Ge-
fahren noch drohendere gewesen wären, als meine Berather sie
schilderten. Abgesehen davon, dass in Murzuq meiner nur Fieber,
Hitze, Staub und ertödtende Einförmigkeit wartete, war es eine
Ehrensache für mich, nicht ein halbes, vielleicht sogar ein ganzes
Jahr thatlos liegen zu bleiben. Um in dem oft von wissenschaftlichen
Männern durchreisten Fezzän die wenigen Hundert Thaler, welche
ich mein eigen nannte, zu Excursionen zu verwenden, dazu versprachen
diese nicht Resultate genug, wahrend selbst eine unwissenschaftliche
Reise nach Tibesti eine lohnende Ausbeute verhiess. Seit europäische
Reisende von Tripolis aus nach Bornü gegangen waren, hatte man
von diesem Felseniande der Tubu im Südosten von Fezzän gehört,
das sich durch mächtige Berge und merkwürdige, heisse Quellen aus-
zeichnen sollte. So lebhaft auch der Verkehr war, welcher vom
Süden Fezzän’s, besonders durch die Muräbidija von Qatrün, mit dieser
Landschaft unterhalten wurde, so wenige Fczzaner unternahmen die
Reise in dieselbe persönlich, und so unbekannt war sie selbst den
Arabern geblieben.
Fast alle meine Vorgänger auf demselben Wege hatten gewünscht,
das so nahe gelegene unil doch gänzlich unbekannte Ländclicn
unserer Kenntniss zu 'erschliessen, doch Alle waren vor der schlech-
ten Reputation der Tubu, ihrem Rufe der Treulosigkeit zuruck-
geschreckt und hatten bei den ernsten Abmahnungen der Local-
behörden ihrem Plane entsagt. Moritz von Beurmann war’ demselben
am nächsten getreten, d. h. er hatte bereits durch die Muräbidija
von Qatrün einen Contract mit dem Häuptling und dem unbestreitbar
angesehensten Edelmanne des Landes, die ich beide später genauer
kennen zu lernen eine nur allzulange Gelegenheit hatte, als Begleitern
abgeschlossen. Doch ihre Unzuverlässigkeit und Wortbrüchigkeit
Hessen auch ihn auf die Ausführung verzichten.
Genug, ich war entschlossen und veranlasste sofort einen officiellen
Brief an den Hadsch Dschäber in Qatrün, der nach dem Urtheile
Aller die Schlüssel zu dem Felsenlande in seinen Händen hatte.
Dieser sprach sich sogar etwas zuversichtlicher für die Ausführbar-
keit des Planes aus, als der Muräbid Ali, und schien nicht abgeneigt,
eine gewisse Verantwortlichkeit für das Gelingen auf sich zu nehmen.
Er habe, schrieb er, gerade einen Edelmann aus Tibesti in Qatrün,
der ihm zuverlässig und angesehen genug erscheine, um mir als
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110
I. BUCH, 3. KAPITEL. MURZUQ.
Schutz- und Gelcitsmann dienen zu können, und werde einen ge-
eigneten Mann aus seiner eigenen Genossenschaft, der eine viel höhere
Hedeutung haben werde, als jener, als weiteren Begleiter mitgeben.
Zur grösseren Sicherheit wurde der Tubu-Edle aufgefordert, sich
in Murzuq den Behörden vorzustellen und mit ihnen einen Contract
zu vereinbaren. In Erwartung dieses Mannes — Qatrün liegt vier
Tagereisen von Murzuq entfernt — machte ich die geeigneten Zu-
rüstungen durch Ankauf von Geschenken und durch Vorbereitung
des Mundvorraths, und suchte gleichzeitig meiner wiederhergestellten
Freundin zur Realisirung ihres Planes an die Hand zu gehen. Der
Chef der Tuärik Asgar, der greise Ichnuchen, hatte eine freundliche,
ja zuvorkommende Antwort auf Fräulein Tinne’s Brief gegeben, des
Inhalts, dass er selbst, durch Geschäfte in den westlichen Theil des
W. Ladschal gerufen, sie abholen werde. Bei ihren Vorbereitungen
zur Reise übernahm ich gewöhnlich die Vermittelung zwischen ihr
und den Behörden, und cs fiel mir hierbei auf, dass, wenn ich in
ihrem Interesse zu dem freundlichen, wohlwollenden und stets gc-
gefälligen Hadsch Brähim oder irgend einem Andern kam, ich zwar
stets die höfliche Bereitwilligkeit des Beamten und wohlerzogenen
Mannes fand, aber jene Wärme, jenes herzliche Entgegenkommen
vermisste, welche mir so reichlich zu Theil wurden. Man hätte
gerade im Gegentheil erwarten sollen, dass eine Dame, welche über
so grosse Mittel gebot, der so dringende und werthvolle Empfeh-
lungen zur Seite standen, welche endlich ganz allgemein nur als Bent
el-Re, d. h. Königstochter, bekannt war, mit einer aussergewöhnlichen
Zuvorkommenheit behandelt werden würde. Der Unterschied der
uns widerfahrenden Behandlung war mir lange unerklärlich, bis ich
allmählich einsah, dass derselbe dem harmlosen Umstande entsprang,
dass sie nicht verheirathet war. Die Murzuqer Herren, welche selbst
der Frauenliebe sehr ergeben sind, konnten sich so wenig ein weib-
liches Geschöpf mit anderen Zwecken als dem der Kindererzeugung
und des sinnlichen Genusses vorstellen, dass sie geneigt waren, dem
ledigen Stande der „Königstochter” unnatürliche Gründe unterzu-
schieben. Die unsinnigsten Gerüchte circulirten über diese Frage
bei den Leuten, und unter diesen fand am meisten dasjenige Anklang,
welches sie beschuldigte, einen verzauberten Mann in Gestalt ihres
riesigen Lieblingshundes bei sich zu führen, der nur unter dein
Dunkel der Nacht eine menschliche Gestalt annähme. Als dieses
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MISSACHTUNG UNVERHEIRATETER. 1 1 1
brave Thier im Laufe des Monat Mai an Altersschwäche starb, und
seine Herrin einen dort unbegreiflichen Schmerz über seinen Tod zur
Schau trug, zweifelten nur wenige Skeptiker mehr an der Richtig-
keit jener Annahme. Schon jeder Mann nimmt als Junggeselle eine
missachtete Stellung in jenen Gegenden ein und provocirt durch seine
Frauenlosigkeit nicht sehr schmeichelhafte Bcurtheilungen seiner Per-
son, doch bei einer Frau erschien ein solches Verhältniss von noch
viel gravirenderer Bedeutung, besonders da die in Rede stehende
durch ihre Ziele und Zwecke so sehr in die Oeflentlichkeit trat. Ich
mochte noch so sehr auf ihre Wohlthätigkeit, Generosität und Vor-
liebe für islamitische Länder hinweisen, ganz vermochte ich den
Schatten, der auf ihrer Person lastete, nicht zu tilgen.
Bald war, so weit es an uns lag, Alles zu unserer beiderseitigen
Abreise vorbereitet. Doch bevor wir den ersten Blick in eine* bis
dahin uns verschlossen gewesene Welt werfen, dürfte es zweckmässig
erscheinen, eine zusammenfassende und ergänzende Uebersicht über
Fezzan zu gewinnen.
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Viertes Kapitel.
NATÜRLICHE BESCHAFFENHEIT FEZZÄN’S.
Die grosse Wüste oder Saharä. — Ihre Erhebung Ulier dem Meeresspiegel. — Küsten -
gebirge und centrale Erhebungen. — Steinige HocheWncn und Dünenregionen. —
Topographische Verhältnisse zwischen Tripolis und Murzuq. — Das Küstengebirge.
— Seine weidereichen Ebenen und Abflüsse. — Abdachung der liamniäda el-IIanwd
nach der grossen Syrte zu. — Serir. — Dschebcl et-TÄr und ei - Dschofra. — Die
natürliche Nordgrenze Fezz&n's. — Dsch. es-Sodd in Erhebung, Ausdehnung und
Beschaffenheit. — Seine Abflüsse. — Oasen - Complex des eigentlichen Fezzän. —
W. Schijdti und Ilattija Omni el- Abtei. — Dünen Edeyen. — Salzige Seen. —
W. Ladschal und die Oasen Sebha, Temenhint, Senmu und Sirrhen. — W. Otba
und die Oase Rhodwa. — Die (Iofra von Murzuq. — Die Scherqlja. — Isolirte
Oasen. — W. F.kema mit den südlichen t htschaften. — SUdgrenze Fezzdn's. —
Pflanzen- und Thierleben. — Viehzucht und animalische Kost der Einwohner. —
Ackerbau. — Cultur der Dattelpalme. — Oetreidehau. — Vegetabilische Nahrungs-
mittel der Fezzdner. Der Handel Fezzdn’s sonst und jetzt. — (»rund seines Rück-
ganges. — Waaren. — Mangel an Industrie in Fezzdn.
Der vulgäre Irrthum, dass jenseits der Gebirgsketten, welche
parallel der Nordküste Afrikas von Marokko bis Tunis und Tripolis
verlaufen, eine unter dem Meeresspiegel gelegene wüste Sandebene
in einer Ausdehnung von ungefähr fünfzehn Breitegraden die Nordküste
von den fruchtbaren Ländern des nördlichen Central -Afrika trenne,
sollte zwar längst als beseitigt betrachtet werden können, stösst uns
aber hier und da immer noch wieder auf, wie die Discussioncn über
die verschiedenen Probleme, die grosse Wüste oder Sahara in grösserer
Ausdehnung unter Wasser zu setzen beweisen. In der That ist die
Wüste, als Ganzes betrachtet, eine beträchtlich über dem Meeres-
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DIE GROSSE WÜSTE ODER SAHARA.
113
Spiegel erhabene Gegend; der Sand tritt felsigem und hartem Kies-
boden gegenüber in den Hintergrund und anstatt der Ebene haben
wir eine ungeahnte Mannigfaltigkeit von Berg und Thal.
Die Küstengebirge sind nicht als einzelne, aus der Ebene sich
erhebende Ketten zu betrachten, sondern bilden die Terrassen zu hoch-
gelegenen, mit einzelnen Gebirgsstöcken und isolirten Berggruppen
gezierten Ebenen, welche von zahlreichen, wasserlosen Flussthälern
durchschnitten sind. Auf ihrer ungeheuren Ausdehnung findet man
dann mehr oder minder ausgedehnte Strecken mit Sandbergen und
Sandflächen bedeckt. Bei der gewaltsamen Erhebung, welche einst
die Gebirgsstöcke im Norden und im Innern der Wüste erzeugte,
scheinen weite, ungeheure Ebenen in ihrer Gesammtheit und in ihrer
Oberfläche unverändert mit erhoben zu sein, und im Laufe der Jahr-
tausende haben sich dann aus der Verwitterung der Felsen und
Ebenen und unter dem anordnenden Einflüsse des Windes in be-
stimmten Gebieten zusammenhängende Sandmassen aufgehäuft, welche
in Länge und Breite variirende Züge oder vereinzelte, bewegliche
Dünen darstellen.
So hat man in dem ganzen westlichen Afrika, von der Nordküste
kommend, wenn man sich die Anordnung in grossartigen Dimen-
sionen und schematisch vorstellt, eine mehr oder weniger von Westen
nach Osten verlaufende Gebirgskette vor sich, von deren Höhe man
jenseitig nur unwesentlich absteigt. Südlich von ihr dehnen sich
Massen dünenartiger Erhebungen gelben, sandigen Detritus aus, und
auf diese folgen terrassenförmige Plateaus wüster Hammäden und
kiesiger Serir's.
Wenn die Regelmässigkeit dieses Systems im ganzen westlichen
Theile Nordafrika’s klar in die Augen fällt, so stellen sich diese Ver-
hältnisse etwas anders dar auf dem Wege von Tripolis nach Fezzün.
Dieselben Ursachen, welche den weiten Ausschnitt der Nordküste,
die beiden Syrten, erzeugten, Hessen hier die atlantische Ge-
birgskette in wirren Ausläufern endigen und die lange nördliche
Dünenreihe den Meridian von Tripolis nicht mehr erreichen, und
vermittelten die Bildung der zahlreichen Oasengruppen, welche l'ezzdn
zusammensetzen. Besonders der östliche der beiden besprochenen
Wege giebt nicht mehr eine klare Idee der ganzen Anordnung, da
seine erste Hälfte zu nahe der Syrte verläuft, gegen welche hin die
an die westlichen Gebirgsstöcke gelehnten Hochplateaus sich bis zu
Kachticul. I 8
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I 14 1. BUCH, 4. KAPITEL. NATÜRLICHE BESCHAFFENHEIT FEZZAn's.
Tiefebenen abdachen, und seine zweite Hälfte innerhalb der natür-
lichen Grenzen des Oascncomplexes von Fezzän fällt. Doch ist wohl
Alles gleichmässig, wenn auch nicht gleichzeitig entstanden. Die
tripolitanischcn Gebirgsstöckc Dsch. Dui'rät, Neffisa, Ghariän und
Tarhüna, der Dsch. es- Soda und der Harudsch werden sich mit den
westlicheren atlantischen Ketten erhoben haben, wie weiterhin im
Süden die Bergmassen von Tibcsti, das Gebirge Ahaggär und die
Berge von Ahlr eine gleiche Entstehung hatten, und wo die vul-
kanischen Massen nicht durchbrechen konnten, wurde die Kruste zu
wirklichen Hochplateaus — Hammada — oder zu weniger hoch
gelegenen Ebenen — Serir — in Masse und gleichförmig empor-
gehoben.
Der volle Charakter der Wüste beginnt einige Tagereisen von
den südlichen Abhängen des nördlichen Gebirgsstockes, welcher sich
bis zu ca. 700 Meter erhebt und hauptsächlich aus Kalksteinfelsen
besteht, hervorzutreten. Zunächst zieht man noch auf hohen Ebenen
mit vortrefflichen Viehweiden dahin, die unterbrochen sind von zahl-
losen, weiten Thälern mit fast immer trockenen Flussbetten —
Wudjän — und fruchtbarem Boden, in dem hier und da Getreide
cultivirt wird. Dann wird mit den spärlicheren Niederschlägen Humus,
Sand- und Lehmboden seltener; Felsgrund, mit Steinen jeder Art
besäet, oder nackter Kalkboden walten vor; die Flussthäler werden
weniger scharf geschnitten und unfruchtbarer, die zahlreichen Hügel
nackter, und endlich zieht man auf jenen weiten, unabsehbaren Serir's
mit ihrem harten Kiesgrunde dahin, welche den wüstesten Theil der
Wüste bilden.
Diese lehnen sich an die grosse Hammada el-Hamrä, welche
sich westlich von ihnen in einer Länge von etwa 6c» Kilometern
von Ost nach West und einer Breite von 200 Kilometern von Nord
nach Süd ausdehnt, und gehen nach Osten und Nordosten über in
die Tiefebenen, welche die Syrte umgeben. Während die Hammada
el-Hamrä etwa 600 Meter über dem Meeresspiegel liegt, haben die Serir’s
daneben nur etwa die halbe Erhebung; während jene mit zahllosen
Steinen, unregelmässig in Form und Grösse, bedeckt ist, zeigen diese
einen gleichmassigen Belag von gleich kleinen, abgeschliffenen und
meist auch gleich gelärbtcn Steinen. Beide sind des Lebens in
gleicher Weise baar. Wo auf ihnen der Wind etwas Sand zusammen-
getrieben hat, entwickelt sich ein Pflanzenleben der bescheidensten
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GEBIRGE, WfJSTE EBENEN UND TH M. FM I. DÜNGEN. 115
Form, doch auf ihnen selbst keimt durchaus Nichts. Nackte, kahle
Hügel von der Form abgestutzter Kegel oder Pyramiden, Produkte
der Boden -Erosion, unterbrechen hier und da die Gleichförmigkeit
und zeigen durch die allen gemeinsame unbedeutende Höhe das
frühere Niveau des Terrains. Wenn auch in der Serir die Wasser-
schicht der Bodenoberfläche näher liegt, als in der höher erhobenen
Hammada, so werden doch auch in jener die Brunnen seltener und
tiefer.
Diese hänförmigkeit wird unterbrochen durch die Vorberge des
Dsch. es- Soda, das Gebirge et-Tär, mit schwarzem Sandstein ge-
krönte Kegel, welche sich isolirt oder in Gruppen zu 500 -~6oo Meter
Meereshöhe erheben und zwischen sich und die „Schwarzen Berge"
selbst die reichbewässerte Ebene el-Dschofra mit Söqna, Hün und
Waddän fassen , deren Sandboden auf Thon ruht und vielfach mit
Kalk und Salz gemischt ist. Aus dieser etwas mehr als 300 M. über
dem Meeresspiegel gelegenen Ebene, welche eine Breite von ca.
35 Km. hat, steigt man zu dem Dsch. es- Soda auf, der die natür-
liche Nordgrenze von Fezzan bildet. Derselbe springt am südlichen
Theile des Ostrandes der Hammada el-Hamrä zu einer Höhe von
etwas über 900 M. auf, und erstreckt sich bogenförmig, an Höhe
abnehmend, über den Meridian von Söqna hinaus, wo er allmählig
in den schwarzen Harüdsch — Harüdsch el-Assuad — übergeht. Die
Masse des Gebirges besteht aus Kalk, der auf mächtiger Thonschicht
ruht und schwarzen Sandstein trägt. Es hat bei einer I^ngenent-
wickelung von ungefähr 200 Km. (von West nach Ost), eine Breite
von etwa 50 Km. (von Nord nach Süd), und wird durch einen Pass
in einen ausgedehnteren und höheren westlichen Theil — Soda el-Ghar-
bija — mit dem höchsten Punkte Dahär es -Soda und in einen öst-
lichen — Soda esch-Scherqija — getheilt. Der höchst gelegene Punkt
des Passes ist Dahär el-Mümin und hat eine Erhebung von 750 M.
Südlich lehnen sich an das Gebirge wüste, wasserlose Ebenen,
welche sich von dem südöstlichsten Theile der Hammada el-Hamrä
nach Osten senken , und anfangs in ihrem Charakter noch von den
zahlreichen Wudjän beherrscht werden, welche vom westlichen Theile
des Gebirges entspringen. Nach wenigen Tagen befindet man sich
wieder auf charakteristischen Serir-Ebencn, bis man etwa 130 Km.
südlich vom Dsch. es-Södä die Nordgrenze des bewohnten Theiles
des eigentlichen Fezzän überschreitet, welche gewissermaassen eine
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] 1 0 I. niTCH, 4. KAPITEL. NATÜRLICHE BESCHAFFENHEIT FEZZÄN’s.
Fortsetzung des Südrandes der Hammäda el-Hamrä bildet. Damit
ändert sich der Charakter der Landschaft; Alluvialboden tritt auf,
und in dem Thale von Omm el-Abid findet man wieder das Wasser
wenige Meter unter der Oberfläche der Umgebung. Diese Hattija
kann gewissermaassen als der östliche Endpunkt des W. esch-Schijäti
angesehen werden, der sich zwischen dem 27. und 28. Grad nördl.
Br. von West nach Ost erstreckt. Derselbe hat leichten, in der
Oberfläche salzreichcn Alluvialboden von grossem Wasserreichthum
einige Meter unter der Oberfläche, und in seinem östlichen Theile
eine Erhebung von gegen 500 Meter*).
Gegen das östliche Ende des W. Schijäti erstreckt sich von Süd-
westen her der langgestreckte W. Ladschal, ohne jenen jedoch zu
erreichen. Zwischen beide drängt sich von Westen her jene Dünen-
zone, welche unter dem ursprünglich generellen Namen Edeyen be-
kannt ist, vermag aber nicht weit nach Osten vorzudringen. Sobald
sie die Westgrenze der grossen Wudjan erreicht hat, löst sie sich
allmählig in einzelne Hügel auf und überschreitet den Meridian von
Murzuq nur in Gestalt einer gewellten Flugsandebene. Zwischen dem
13. und 14. Grad östl. L. von Gr. nehmen ihre vereinzelten, doch
immer noch mächtigen Dünenhügcl — fand doch Ed. Vogel einen
derselben um 500 engl. Fuss die Ebene überragend — eine Anzahl
natronhaltigcr Seen zwischen sich (Mandara, Omm el-Mä, Omm el
Hasan, Omm et-Trona, Fcredra, Tademka, Bahär ed-Düd)., welche
zum Thcil behufs der Gewinnung von Natron — Trona — und
essbaren Würmern — Düd — ausgebeutet werden.
Der W. Ladschal zerfällt in einen westlichen Theil, W. cl-Gharbi,
und einen östlichen, W. esch-Schcrqi, ist etwa 200 Km. lang und 8 Km.
breit und wird kurz als ,,dcr Wadi" bezeichnet. Seine beiden Theile
haben denselben Charakter: in der Oberfläche jenes salzhaltige, sandige
Alluvium, welches in Fezzan in den Niederungen so vorwaltet und
Heischa genannt wird, und darunter Wasser überall in der durch-
schnittlichen Tiefe von 3*/» M. Er verdankt seinen Ursprung der
Amsakkette, welche ihrerseits eine östliche Abstufung der Hochlande
*) Die Senkung des \V. SchijÄtl von West nach Ost für seinen ganzen Verlauf ist
nicht sicher. Es ist nicht unmöglich , dass das Thal in seinem mittleren Theile höher
liege, als nach beiden Seiten hin, denn in seinem westlichen Theile hat es nach einigen
Beobachtern nur ungefähr 350 M. Meereshöhe.
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W. LADSCHAL, HOERA VND SCHERQljA. 1 1 7
üarstellt, die sich an das vulkanische Ahaggär-Ccntrum lehnen. Sein
nordöstliches Ende erreicht fast die Oase Sebha, und die nahe bei
einander liegenden, in derselben Richtung aufeinander folgenden
Oasen Temenhint, Semnu und Sirrhcn verlängern ihn gewissermaassen
ebenfalls bis Omni el-Abld. Wo er sich an die Ainsakkctle lehnt,
hat er eine ungefähre Höhe von 600, im nordöstlichen Ende von
etwa 400 M. Südlich von ihm, seinem Verlaufe parallel, dehnt
sich die sogenannte Hammäda von Murzuq aus und trennt ihn von
einer länglichen Thalnicdcrung geringerer Ausdehnung, dem W. Otba,
dessen erster Anfang bis auf die von der Amsakkette sich abzweigen-
den Herge von Aberdschüdsch, ungefähr 100 Km. westlich von Mur-
zuq, zurückzuführen ist und der sich durch den W. Neschüa sehr
allmählig nach Nordosten bis zur Oase Rliodwa senkt. Etwa 50 Km.
in nordwestlicher Richtung trennen den W. Otba von dem grossen
Wädi und kaum 40 Km. in südlicher Richtung von Murzuq.
Murzuq selbst bildet das westliche Ende einer über 100 Km.
langen und 15 — 20 Km. breiten Bodensenkung, welche die Ilofra,
d. h. Grube oder Senkung, genannt wird, und deren Bodenbeschaffcn-
heit die grösste Aehnlichkeit mit der der übrigen Thäler hat, viel-
leicht aber reicher an Thon ist. In ihr ist der Wasserreichthum
des Bodens gross, und von einer Quelle der alten Stadt Trägen
sollen früher sogar Kanäle bis zu den ausgedehnten, jetzt verwilder-
ten Dattelpflanzungen von Rliodwa geführt haben. Die abhängigste
Stelle der Hofra ist durch einen mächtigen ausgetrockneten Salz-
sumpf eingenommen, wie sich ähnliche Sebchagriinde in Murzuq und
zu Scheqwa finden.
Die Hofra ist nur durch eine schmale, wüste Terrainerhebung
mit dem Charakter einer Serir von dem Distrikte Schcrqija getrennt,
einer Gegend, welche noch weniger nach Art der früheren Wudjän
gestaltet ist, als die Hofra, sondern unregelmässige Senkungen zwischen
hohem, wüstem und geflügeltem Terrain darstcllt, in denen die wenigen
zerstreuten Ortschaften liegen.. Sowohl in der Hofra als in der Scher-
qija haben wir keine regelmässige Abnahme der Bodenerhebung; die
einzelnen Oasen der Ortschaften wechseln von etwa 300 bis 500 M.
Meereserhebung. Im Norden von der Scherqija, welche als einiger-
massen zusammenhängende Thalnicdcrung bis Temissa gedacht wer-
den muss, liegt die vereinzelte Oase Foghaa, welche eine selbst-
ständige Bodensenkung bildet, und im Osten ist die kaum 300 M.
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118 t. BUCH, 4. KAPITEL. NATÜRLICHE BESCHAFFENHEIT FEZZAN’S.
über dem Meeresspiegel liegende Oase Wau ebenfalls durch ausge-
dehntes wüstes Terrain von der Scherqija getrennt.
Von dem südlichsten bewohnten Punkte Fezzän's, der Stadt
Tedscherri, mit ungefähr SCO M. Erhebung, senkt sich ganz regel-
mässig ein flaches Thal, wohl W. Ekema genannt, gegen Medschdül
in der Scherqija hin, welches nur wenig höher als 300 M. liegt. Das
Thal enthält die südlichsten Ortschaften der Provinz in einer Reihe,
welche sich von Tedscherri bis Qatrün, gegen 80 Km. lang, erstreckt,
und setzt sich durch verschiedene Brunnen von letzterem Orte in
der Richtung gegen Medschdül fort, ohne diesen Ort zu erreichen.
Nach Süden von Tedscherri steigt das Terrain zu einer glcich-
mässigen Hammäda an, welche sich zwischen dem Lande der Tuärik
und dem der Tubu ausdehnt, eine Erhebung von 750 M. erreicht
und nach Süden durch das Tümmo-Gebirge oder Dsch. el-Wär und
Bergketten und Berggruppen begrenzt wird, welche sich nach Nord-
westen bis zu dem Ahaggär-Gebirge der Tuärik, und nach Südosten
bis zum Gebirgslande Tibesti in unterbrochener Linie fortsetzen.
Hier ist die natürliche Südgrenze Fezzän's, wie die Schwarzen Berge
von Söqna seine natürliche Nordgrenze darstcllen. Nehmen wir zu
diesen Grenzen im Westen die Ausläufer und hohen Terrassen der
Tuärikländer, so haben wir ein abgerundetes Territorium, das ein-
gefasst von hohen Rändern, welche nur im Osten fehlen, durchzogen
von langen, flachen Thälem, durchsetzt von zahlreichen eingesenkten
Oasen und von West nach Ost abgedacht, etwa 620 Km. von Nord
nach Süd und etwas mehr als 500 Km. von West nach Ost misst,
und ungefähr zwischen dem 24. und 29. Grad nördl. Br. und dem
12. und 18. Grad östl. L. von Gr. liegt. Dass das Gebiet von Fezzän
nach Norden seine natürliche Grenze in Folge der administrativen
Eintheilung Tripolitanien's überschritten hat und die am nördlichen
Fussc des Dsch. es-Södä sich ausdehnende Dschofra, noch nördlicher
Bü N’dscheim und am nördlichen Fusse des Harüdsch cl-Assuad die
Oase Zella in sich begreift, ist bereits envähnt worden.
Das ganze Territorium von Fezzän gehört der Wüste an, und
selbst die nördlichst gelegenen Oasen, so nahe der grossen Syrtc
Bü N'dschcim liegt kaum 100 Km. von ihr entfernt — , liegen in
durchaus wüster Umgebung. Dieser Lage entspricht das bescheidene
Pflanzen- und Thierleben, soweit dasselbe nicht von der Bemühung
des Menschen abhängt.
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FLOKA UND FAUNA.
11 f
Während im Norden der Wüste noch ausgedehnte und mannig-
faltige Viehweiden in der günstigen Jahreszeit die Nomaden herbei-
locken, Thymus- und Artemisia- Arten und der Marmel (Peganutn
Harmala) die Höhen bedecken, Botum (Pistacia ntlantica), Sidr ( Zizy-
phus Lotus). Tamarisken, March (Genista), Retemm (Retama Raetam)
und Dschedäri (Ritus dioeca) häufig sind, hört in I'ezzän die wilde
Flora fast ganz auf. Noch einmal schwingt sich für eine kurze
Periode des Jahres die Natur auf den Abhängen der Schwarzen Berge
und des Harudsch zu einer ephemeren Produktion auf, doch bald
entwöhnt sich auf den vorwaltenden steinigen Kbenen das Auge aller
Vegetation, und nur in den sandigen Bodenabflachungen unterbricht
die Talha genannte Akazie mit ihrem bescheidenen Blätterschmucke,
die fahle Tamariske, einige Kameelfutterkräuter, wie die stachlige
Leguminose Aqül (Alhagi Maurorutn), die starre Salsolacee el-Häd
(Cornulaca monacantha), der Domrän (Traganutn). die Senna (Cassia
oboi'ata), die unter dem Namen Coloquinthe bekannte Bittergurke
und einige Gräser, wie Aristida pungens und p/umosa, die Haifa
Lygeum Spartum) und das verästelte Knotengras Bü Rukba (Pani-
cum turgidum), die farblose Oede, wie ieh bei der Wegbeschreibung
zu schildern versucht habe.
Noch kümmerlicher ist das Thierleben, das sich fast ganz auf
die Oasen beschränkt. Nur auf den Gebirgsabhängen, welche das
eigentliche Fezzän einschliessen und in den Thälern, welche durch
sie zu Stande kommen , fristen das Mähnenschaf — Wadän — , die
Gazelle — Ghazäl — , der Schakal — Dib — , der Wüstenfuchs —
Fenek — und die Feldrattc — Fär — ein mühsames Dasein. Der
Strauss — Näm — , welcher mancherlei Nachrichten zufolge früher
auch im nördlichen Theile der Sahara nicht selten gewesen sein
muss, hat sich südlicher gezogen, und nur einige Raubvögel, Tauben,
Raben und Eulen vertreten die Vogclwclt. Relativ zahlreicher finden
sich einige Reptilien (der Sandgeko, die Waran -Eidechse, Vipern)
und vorzüglich die Skorpione, während einige Insekten, wie der Floh,
ganz fehlen und andere, wie Fliegen und Mücken, eine in Raum und
Zeit sehr beschränkte Entwickelung finden.
Ein solches Land musste von jeher durch Lage, Klima und die
von diesem abhängigen Hüifsquellen der Zahl und dem W'ohlstandc
der Bevölkerung enge Grenzen ziehen. P'ezzän ist ein Land der,
Wüste, das in Folge seiner fast dreissigtägigen Entfernung von der
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120 I. BUCH, 4- KAPITEL. NATÜRLICHE BESCHAFFENHEIT FEZZAn’s.
Nordküstc lind einer etwa doppelt so grossen vom Sudan, getrennt
von beiden durch unwirthliche Gegenden, auf sich selbst und eine
sehr bescheidene Existenz angewiesen ist. Selbst der Handel, der
früher den Bewohnern eine ansehnliche Hülfsquclle bot, konnte bei
den ungeheuren Entfernungen und bei den zu überwindenden Schwierig-
keiten und Gefahren doch nur von Wenigen und in grösseren Zeit-
pausen betrieben werden.
Die Einwohner waren also stets zur Sicherung ihrer Existenz,
auf den Ackerbau angewiesen, und selbst die Viehzucht konnte ihnen
nur geringe Hülfsquellen bieten, ln Ländern wie in Tunis und
Algerien, in denen regelmässige Regen fallen und den Ackerbau
erleichtern, und in denen unmittelbar südlich von den dem Ackerbau
gewidmeten Strichen in den Thälern und auf den Abhängen der
Gebirge die üppigsten Weiden einen grossen Theil des Jahres hin-
durch bestehen und periodisch Flüsse rauschen, arbeiten Ackerbau
und Viehzucht einander in die Hände, ln den Zeiten der nahe der
Küste reichlichen Regen, während deren das Getreide keimt und
wächst, zieht der Nomade mit seinen grossen Kamecl- und Schaf-
heerden gen Süden, wo die seltneren Niederschläge immer noch
hinreichen, um frische Kräuter sprossen zu lassen, ohne die Gesund-
heit der regenscheuen Kameele zu schädigen, bis in die Oasen der
Dattelpalmenkultur. Gegen die Zeit der Getreideernte im Norden
kehrt er in die fruchtbare Küstengegend zurück und verkauft die
Wolle seiner Schafe, die Gewebe, welche seine häusliche Industrie
aus ihr erzeugte, und die Datteln der Oasen, um Getreide, Oel und
Erzeugnisse nordischer Industrie dagegen heimzuflihrcn.
In Fezzän ist die Entfernung von der Küste zu gross, diese selbst
zu wenig produktiv und die eigenen Oasen sind ohne Viehweiden: von
einem Austausche der Erzeugnisse beider Gegenden kann nicht die
Rede sein. So ist man auf die eigene Bodenkultur angewiesen und
diese muss auf künstliche Bewässerung rechnen; man gewinnt gerade
nur, was man gebraucht. Da, w'o Gebirgsbildung die Niederschläge
begünstigt, finden sich noch gute Weiden und Triften; hat man aber
die natürliche Nordgrenze Fezzans überschritten, so häufen sich die
Schwierigkeiten mehr und mehr. Die Wasserarmuth des Bodens,
selbst wenn im Winter in den Thälern noch Gras- und Kräuter-
nahrung der Thiere gedeiht, erschwert die Schafzucht. Weiterhin
kommen die Bodenabflachungen der Oasen, in denen zwar die Wasser-
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VIEHZUCHT.
121
nahe Dattelpalmenzucht und Ackerbau erlaubt, aber die Viehweiden
fehlen. Man kann dort wohl ein halbes Dutzend Kamcelc und
Schafe oder Ziegen auf der Weide erhalten, und meist nur mit
künstlicher Beihülfe (gewissermaassen mit Stallfütterung), aber nie-
mals grössere Heerdcn. Die Besitzer von Kamcclen in Murzuq
schicken diese in die Berge von Söqna oder auf die Abhange und in
die Thaler des Harüdsch, und halten dieselben nur bei zu erwartender
Abreise in der Nähe der Stadt. Während ich sechs Kamcelc längere
Zeit in der Nähe von Murzuq weiden Hess, musste ich denselben
zur Erhaltung ihrer Kräfte noch täglich Durra -Kohr für etwa eine
Mark verabreichen.
Wir finden also die Hausthiere nur in spärlicher Anzahl ver-
treten. Am seltensten sind die Rinder, welche von Norden her ein-
geführt werden. Sic sind kleine, unansehnliche Geschöpfe, die nur
mit grosser Mühe und Arbeit — man säet ihnen in den Gärten
Luzerne und Klee — auf einer mässigen Stufe des Gedeihens erhalten
werden können. Nicht viel häufiger ist das Pferd, das ebenfalls von
der Nordküste cingeiführt, bei der sesshaften Bevölkerung nur Besitz-
thum einiger Vornehmer ist und in grösserer Anzahl nur von den
Nomaden gehalten wird. Die spärlichen Schafe (generell Rhanam,
als Bock Kebsch und als weibliches Schaf Na'adscha genannt), stam-
men entweder aus Norden und haben dann einen Fettschwanz und
nordische Wolle, welche etwa drei Mark pro Vliess im Handel giebt,
oder aus den Tuärik- oder Tubu- Ländern und zeichnen sich dann,
von den ersteren durchaus verschieden, durch ein hohes Knochen-
gerüst, einen langen, dünnen Schwanz, gestreckten Hals, schmalen
Kopf und langes, leichtgclocktes, feines Haar anstatt der Wolle aus.
Die Ziegen (generell Mälz, als Bock Atüd und als weibliche Ziege
Anz genannt) sind meist glatt- und kurzhaarig und dann stämmiger
gebaut, kommen aber ebenfalls in einer höheren, schlankeren, lang-
haarigen Varietät vor, und sind nicht viel häufiger, als die Schafe.
Kameele, Hühner und Tauben sind eigentlich die einzigen Hausthiere,
welche von den Fezzänern gezüchtet werden und welche keiner Ein-
führung von aussen bedürfen, um ihre Art zu erhalten.
Das Kameel Fezzän’s gehört der arabischen Varietät an, welche
sich nicht unerheblich von der der Tuärik und der Tubu unter-
scheidet, wie wir später sehen werden. Es zeichnet sich hauptsäch-
lich in den Gegenden der Schwarzen Berge und des Harüdsch durch
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122 I. HUCH, 4. KAPITEL. NATÜRLICHE BESCHAFFENHEIT FFZZAn’s.
kräftigen Bau und gute Ernährung aus und trägt dort noch für die
kühle Jahreszeit in ungleicher Verthcilung über die verschiedenen
Körpcrthcile langes, dichtwolligcs Haar, das man alljährlich scheert
und spinnt, um daraus die üblichen soliden Zeltstoffe und Gcpäck-
säcke zu weben. Das Kamcel dieser Gegenden übertrifft sowohl das
der Küste, als das der eigentlichen Oasen Fezzän's an Körperkraft.
Wirklich gute Kameele hatten zur Zeit meines Aufenthaltes in Fezzän
einen Durchschnittswerth von 200 Mark, und ein Metzger erzielte
wohl noch etwas mehr aus dem Verkaufe des sehr beliebten Fettes,
des Fleisches und des Felles. So vortreffliche Kameele man nun
auch in Fezzän findet, so sind dieselben doch weit davon entfernt,
in solcher Häufigkeit vorzukommen, wie bei vielen arabischen Stäm-
men in einigen Gegenden der nördlichen Wüste und der Steppen
ihres südlichsten Theils, in Kordofän, einem Thcile von Egypten,
auf den Nordgrenzen von Dar För und WadäV, bei vielen Tuärik-
und einigen Tubu-Stämmen.
Bei der vcrhältnissmässigen Seltenheit und dem hohen Preise von
Hammel- und Ziegenfleisch müssen Hühner und Tauben oft seine Stelle
vertreten, und das ärmere Volk nimmt seine Zuflucht zu den Würmern
des Bahär ed-Düd (Wurmsee), des erwähnten kleinen Sees am nörd-
lichen Rande des W. Scherqi. Dies Gewässer enthält
in ungeheurer Menge das dem Brakwasser eigenthüm-
f liehe Krustenthier Artemia Oudneyi, neben dem auch
zahlreiche Dipteren-Larven Vorkommen. Von diesen
essbaren Wasserthieren wird eine geschätztere, rothe
Sorte Düd, eine geringere, braune Takcrüka genannt.
A Man knetet sie mit Datteln und Danga, einer Alge
Diui ««ab. desselben See's, deren Existenz zu den Thieren in Bc-
Auomia Oi“i"c>i. ziehung steht, und mit verschiedenen Gewürzen zu
einem beliebten Teige.
Ausser den oben erwähnten Hausthieren, will ich bei dieser Ge-
legenheit noch der im Ganzen selten vorkommenden Hunde er-
wähnen, welche entweder jener auf der Nordküste bei den Arabern
so beliebten, lang- und dichthaarigen, meist weissen Art des Wacht-
hundes angehören, wie sie in meinem Hause durch Feida repräsentirt
war, oder leidlich hübsche Jagdwindhunde von massiger Grösse sind,
wie sie schöner und häufiger in Tripolitanien und Tunisien Vorkommen.
Je weniger Hülfsquellen von jeher die Viehzucht den Fezzäncrn
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DIE HATTE!. PA!. ME.
123
darbieten konnte, um so mehr bemühten sich diese, die sicheren Be-
dingungen ihrer Existenz dem Boden abzuringen. Dieser, so viel
Arbeit er auch für die Cultur des Getreides erfordert, und so un-
dankbar er sich für Gemüsebau und Obstbaumzucht erweist, erleich-
tert durch die Nähe seines Wassers das Gedeihen eines Baumes, ohne
den der Bewohner Fezzan's und mancher anderer Wüstenländcr kaum
gedacht werden kann, nämlich der Dattelpalme (Phoenix dactylifera),
arabisch dort Nachla genannt.
Wenige haben eine Ahnung von der Fülle kostbarer Eigen-
schaften und unersetzlicher Hülfsquellen, welche dieser wunderbare
Baum dem Wüstenbewohner in Mitten seiner kargen Welt liefert.
Er ist die Hoffnung und der Genuss des Reisenden, der Tage lang
seine müden Glieder durch die Einöden der steinigen Wüste, über
die ermüdenden Dünenzüge geschleppt hat und endlich am Horizonte
die ersehnte grüne Linie der Rhaba, d. h. Pflanzung, erblickt. Gierig
taucht er seine Blicke in die Farbe der Hoffnung und des Lebens;
die Linie wird breiter und breiter und löst sich allmählig in ihre
Bestandtheile auf, deren Entwicklung Cr mit einem Genüsse ohne
Gleichen verfolgt. Bald unterscheidet er die anmuthigen Kronen,
die sich auf dem hohen, schlanken Stamme sanft hin und her wiegen
und ihm einen freundlichen Willkommen entgegen zu winken scheinen ;
schon wandert sein Auge prüfend von Gruppe zu Gruppe, wie sie
sich in ihrer bezaubernden Grazie vor ihm entfalten, um in der Wahl
des Lagerplatzes ja Nichts von ihrer Schönheit und ihrem Schatten
zu verlieren. Noch ist ihm das Leben verschlossen, das sich im
Schoosse und Schutze des Haines regt, noch denkt er nicht an die
materiellen Genüsse, die seiner warten; alle seine Sinne und Empfin-
dungen sind befangen von der Anmuth, der reizvollen Erscheinung
dieser Herrscherin in den Oasen.
Was ist die Oase ohne Dattelpalme? Ein unbewohnbarer Weide-
platz mit kümmerlicher Vegetation, die ohne den erfrischenden
Schatten ihrer Beschützerin nach kurzer Existenz einem frühzeitigen
Tode anheimfallen würde. In Fezzan kommt ihr Werth, ihre Wichtig-
keit zu voller Geltung; dort ist sie der Trost der Armen, die Helferin
und Retterin für Alle. Sie scheint daselbst überall die Wasserschicht
des Bodens zu erreichen und bedarf keiner künstlichen Bewässerung
zu üppigem Gedeihen; sie ist die einzige Gunst, welche das unwirk-
liche Land den armen Bewohnern, aber auch in verschwenderischem
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124 I. BUCH, 4. KAPITEL. NATÜRLICHE BESCHAFFENHEIT FEZZAn’S.
Maasse gewährt. Wenn man auch dort ebenfalls das Getreide als
die solideste Basis der Ernährung betrachtet, so kommt für Viele die
Frucht der Dattelpalme mehr in Betracht als jenes und hat für die
Meisten dieselbe Wichtigkeit. Alle übrigen Theile des Baumes sind
aber ebenfalls von unschätzbarem Werthc. Der Stamm, dort wohl
Chcscheba (d. h. eigentlich Nutzholz) genannt, liefert die Balken der
Häuser, die Pfosten der Thüren, die Säulen und Pfeiler, die Gerüste
zu den Ziehbrunnen, die Bretter zu Thüren und Fenstern, und muss
so in vielfachster Weise das Bauholz begünstigterer Lander ersetzen.
Die Blätter — Dscherid — dienen zum Bau der Hütten und zur Ein-
zäunung der Grundstücke; ihre Rippen stellen Wanderstäbe dar;
ihre Fiedern werden zu Sandalen und Körben geflochten, und ihre
breiten Ursprünge, die auch nach ihrem Abschnciden dem Stamme
verbleiben, und Kirnäf genannt werden, müssen nur allzuoft dem
Mangel an Brennholz und Holzkohlen abhelfen. Das Fasergewebc,
das den Stamm und die Blattursprünge unter dem Namen Lif um-
giebt, liefert, in Wasser und feuchtem Boden erweicht, und dann
zerzupft und zwischen den Händen ineinander gedreht die haltbarsten
Stricke, und die Stammspitze — Dschummär — , in ihrem Zucker-
und Saftreichthum selbst essbar, liefert dem Liebhaber süssen Most
und starken Wein, wie wir früher gesehen haben.
Man pflanzt die Dattelpalme am besten durch Schösslinge —
Maghrüsa — fort, und zwar im Herbst, weniger gut durch die Frucht-
kerne. Wenn die erstcren aus der unmittelbaren Nähe des Mutter-
baumes entfernt sind, müssen sie mindestens drei Monate hindurch
begossen werden, ehe sie sich selbstständig erhalten können. Im
Alter von drei bis fünf Jahren, je nach der Güte des Bodens, ist die
junge Dattelpalme in ihrer Entwickelung genug fortgeschritten, um
befruchtet werden zu können. Dieser I’rocess wird im Frühjahr vor-
genommen, indem man einen Theil des männlichen Blüthenstandes
Dakr — , welcher sich bekanntlich auf eigenen Bäumen befindet,
in die Mitte der weiblichen Rispe — Graua — bringt, die aus der
Blüthenscheide — Taghlifa — hervorkommt. Der weiter entwickelte
Fruchtstand — Schemschül — trägt die jungen Fruchtanlagcn —
Narhfa — , welche aus drei Theilen — Carpellen — bestehen, von
denen zwei — Sis — verkümmern und nur der dritte sich zur Frucht
ausbildet, und heisst in seinem unteren Theile, dem Schafte, Ardschün.
Sis heissen überhaupt auch unvollkommen entwickelte Datteln in
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PIE DATTEL.
125
Folge mangelhafter Befruchtung, sei es, dass der Blüthenstaub schlecht
war, sei es, dass die Copulation nicht sorgfältig pusgeführt wurde.
Wird die junge Dattelpalme sich selbst überlassen, schlecht befruchtet,
nicht von ihren zahlreichen Ablegern in der Umgebung befreit, die
ihr Wachsthum schmälern, so heisst sie Wischqa.
Die Ernte der Dattein — Tamr — geschieht im Herbste, doch
je nach den zahlreichen Varietäten nicht gleichzeitig. Manche, die
den Einfluss der Sonne nicht vertragen und dadurch nur weicher
Krone einer ihiilclpalmc mit Früchten
werden, geniesst man bei vollständiger Reife im frischen, weichen
Zustande — Rotob — ; die meisten Arten aber, welche die Vorraths-
kammern füllen sollen, nimmt man vor vollendeter Reife ab und breitet
sie in der Sonne aus, welche den Reifungsprocess vollendet und sie
gleichzeitig trocknet. Edle Sorten, welche als Rotob gegessen werden
müssen, pflückt man aus oder schneidet den Ardschün ab, ohne ihn
zu Boden fallen zu lassen. Die übrigen werden abgeschüttelt oder
mit abgeschnittenem Ardschün herabgeworfen. Das Hinaufsteigen
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1 20 1- BUCH, 4. KAPITEI,* NATÜRLICHE BESCHAFFENHEIT FEZZÄN’s.
wird vermittelt durch die Reste der Blattstiele, welche den Stamm
dicht gedrängt umgeben. Die edlen Sorten presst man wohl in ihrem
mehr oder weniger weichen Zustande, mit oder ohne Kerne, in ent-
haarte und gegerbte Ziegenfelle, welche man sorgfältig zunäht, und
bewahrt sie so auf. Man findet bevorzugte Bäume, welche eine
Kameelladung Früchte liefern, also gegen 4 Centner, die einem
Kafis oder 24 Kel gleichkommen, doch durchschnittlich muss man
ein halbes Dutzend Bäume auf diese Menge rechnen. Im Allgemei-
nen kaufte man zu meiner Zeit in den dattelreichen Oasen einen
Centner, ungefähr 6 Kijäl, für 3 Mark*).
Die Güte der Datteln ist ausserordentlich verschieden nach der
Varietät des Baumes. Fezzan zeichnet sich durch seine Mannig-
faltigkeit der Dattelarten aus, während die vorwaltenden Arten z. B.
im Belcd el-Dscherid Tunisiens und im egyptischen Donqola die
meisten Fczzandatteln an Güte übertreffen.
Die Dattelnahrung gilt für ausserordentlich gesund, wenn auch,
ausschliesslich genossen, nicht für zulänglich zur Ernährung des
Menschen. Selbst der Arme verlangt daneben einige, wenn auch
noch so spärliche Getreidenahrung, der Nomade von Zeit zu Zeit
Fleisch oder Kameelmilch. Für den letzteren bilden Datteln und
Kameelmilch die wahrhaft ideale Nahrung.
Wenn die Dattel, selbst vorwaltend genossen, in der That kaum
irgend wie den Darmkanal belästigt, so zerstört sie desto ausgiebiger
die Zähne. Nirgends in der Welt ist die Caries derselben so häufig
als in den Ländern, in denen der Mensch auf vorwaltende Dattel-
nahrung angewiesen ist, und selbst ganz junge Leute erfreuen sich
dort oft keines einzigen intactcn Backzahns mehr.
Für den ausgezeichneten Einfluss der Dattclnahrung auf den
menschlichen Körper wurde in Murzuq stets der Vater des Qädi
citirt, der einige Jahre vor meiner Ankunft in ungewöhnlich hohem
Alter gestorben war. Derselbe hatte während seiner besten Mannes-
*) Da meine Vorgänger Eduard Vogel und Gerhard Rohlfs die hauptsächlichsten
Dattelarten Fezzän's aufgeführt haben , so gebe ich ebenfalls eine Liste derselben , theils
wegen meiner Orthographie der Namen, theils zur Vervollständigung der früher erwähnten.
Ich ordne dieselben dabei ungefähr nach ihrer Güte : Tellis, TuÄtt , Aureq , Laduc,
Makmal el-Chandack, Lashtr, Nefuschl, ScrÄwn , Tafsirt, Bimi, Sembilbil , Hafat, GrÄ-
gisch , Raurau, Misliu, Tamiskcl , Chadddr, Arhelil , Kcrtäwt, Fertckau, Issaba, llainar,
Beijuda, Tarhiat, (^irbäwt, Tcgcdaf, Massert, Sellaulau , Bonn, Tassuet, Chalfau, Aqeib,
Schaqtq, Gogai.
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GETREIDE- UND GEMÜSEBAU. 127
jahre gegen vier Oqqa, d. h. zehn Pfund Datteln täglich gegessen;
bis zu seinem Tode aber hatte er es keinen Tag unter zwei Oqqa
oder fünf Pfund gethan. Ich kannte einen seiner Söhne, von dem
die Leute behaupteten, dass er es auf sechs Oqqa oder fünfzehn Pfund
per Tag bringe. Jedenfalls ist die Dattel dort ein unersetzliches
Nahrungsmittel, das in gleicher Weise Menschen und Thicren dient.
Der Reisende spart mit ihr die Arbeit, welche Getreide und andere
Nahrung für ihre Zubereitung erfordern; dem Pferde ersetzt sie zeit-
weise die Gerste; das Kameel wird mit ihr ernährt, wenn es keine
Futterkräuter hat; Ziegen und Schafe gcnicssen sie mit Vorliebe,
und selbst der Hund findet grossen Geschmack an ihr.
Mit der Dattel spielt eine gleich wichtige Rolle in der Oeconomie
der Fczzäner das Getreide, doch ist mit ihm eine viel grössere Mühe-
waltung verknüpft als mit der Cultur der Dattelpalmen. Der kalk-,
sand- und hier und da thonreiche, aber humusarme Boden muss aul
das Regelmässigste bewässert werden, und wird, da die Leute im
Allgemeinen des Düngers entbehren, allzusehr angestrengt und aus-
genutzt.
Wir haben beim Besuche der Gärten von Murzuq gesehen, wie
sich in Fezzän die nordischen Getreidcarten, Weizen (Triticum)
Qamah — und Gerste (Hordeum) — Scha'ir — , mit den Negerccrea-
lien, der Durra (Sorghum), dort Ngäfoli genannt, und dem Duchn
(Pcnicillaria), dort einfach generell Qasab genannt, über die Wüste
hin die Hand reichen; w’ie jene im Winter, diese im Sommer reifen,
und man von den letzteren bis zu vier Ernten gewinnt. Die Pcui-
cillaria kommt in einer weiss- und in einer rothkörnigen Art vor, und
die Durra umfasst den Mais — Massari — und das Sorghum vulgare
mit grösseren gelben oder kleineren weissen Körnern.
Von Gemüsen werden gezogen: Bohnen, sowohl die Saubohne
(Faha vulgaris) — Fül — , als auch die Lübiä (Dolichos Lubia);
Erbsen (Pisum sativum) — Dschildschilän — ; gelbe Rüben (Daucus
Carola ) — Fsenäri — , welche in anderen arabischen Gegenden Dschezr
heissen; Melüchia (Corchorus o/itorius); Bämia (Hibiscus esculeutus). *
welche in Tunis Qenäwia genannt w'ird; w'eisse Rüben (Brassica Rapa)
— Lift; Kohlrüben (Brassica oleracca) — Koromb; Gurken (Cucu-
mis sativus) — Faqküs ; Melonen — Batteich — und Wassermelonen
Dulla — , welche ihre arabischen Namen richtiger Umtauschen
wurden; Kürbis (Cucurbita pepo) — Kabüiä; Portulak (Portu/aca)
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128 I. BUCH, 4. KAPITEL. NATÜRLICHE BESCHAFFENHEIT FFZZÄN’s.
Berdiqalis — der in Tripolis Blabische, sonst allgemeiner Ridschel
heisst; Auberginen ( Solanum melongena) — Bcdindschan; Tomaten
(Lycopersicum esculentum) ; Rettige ( Raphanus sativus) — Horrek — ,
welche anderswo meist Fidschel genannt wurden; rothe Rüben {Beta
vulgaris) — Silq; Zwiebeln ( Al/i um Ccpa) — Basall; Knoblauch
(Allium sativum) — Tüm; spanischer Pfeffer {Capsicum annuum) —
Fuleiffla. Doch alle sind nicht sehr häufig; der Kohl gedeiht schlecht;
die Wassermelonen scheinen nur im Wadi Otba gezogen zu werden;
die Auberginen sind selten. Sonst werden noch cultivirt und zu den
Speisen verwerthet: die Malve {Malva parvißora) — Chobeiza; Sellerie
{Apium graveoletts) — Kerefs; Kreuzkümmel {Cuminutn Cyminum)
— Kamün; Coriander {Coriandrum sativum) — Kuzbar — mit dem
beliebten Samen Täbel; Sudan-Pfeffer {Capsicum conicum varict.
Orient.) — Schetta.
Von den bei der Betrachtung der Gärten Murzuq’s und Semnu's
ausser der Dattelpalme vorübergehend erwähnten Fruchtbäumen ge-
deiht noch am besten der Feigenbaum ( Ficus Carica), Schedschrat
el-Karmus und weiter östlich Sch. et-Tin genannt. Sowohl der
Citronenbaum {Citrus Limonium) — Schedschrat el-Lim — als auch
der Orangenbaum {Citrus aurant.) — Sch. el-Bortuqän — sind in
vereinzelten Exemplaren zu finden; der Weinstock — Dälia — , meist
mit dem Namen der frischen Beeren — Aneb — (die Rosinen —
Zebib — werden vom Auslande bezogen) bezeichnet, kommt ver-
hältnissmässig gut fort; der Apfelbaum — Sch. et-Tuffäh — und der
Quittenbaum — Sch. cs-Sßferdschcl — dürften in Fezzän nur in einem
oder zwei Exemplaren Vorkommen; doch Mandelbäume — Sch.
cl-Luz — , Pfirsichbäume — Sch. cl-Chüch — , Aprikosenbäume —
Sch. el-Mischmasch (oder Mischmisch) — , Granatapfelbäume — Sch.
er-Rommän — werden in den Gärten der Wohlhabenderen ein-
zubürgern gesucht. Ein Exemplar des Oelbaums endlich — Sch.
ez-Zeitün — sollte sich damals zu Tesäwa im W. Otba befinden.
Die Produkte der aufgeführten Bäume können jedoch nur als
eine Luxus-Nahrung gelten und kommen für die Ernährung der Ein-
wohner nicht mehr, oder vielmehr weniger in Betracht, als derjenige
Nutzen, den dieselben aus einigen nicht cultivirten Pflanzen und
Bäumen ziehen. Von diesen ist vor Allen die Coloquinthe zu nennen,
deren, durch eine mühevolle Arbeit vorbereitete, Kerne einen nicht
unwesentlichen Beitrag zur Nahrung Aermerer bilden. Dieselben
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NÄHR- UND NUTZPFLANZEN. 129
sind viel nahrhafter als die Beeren des Nabaq ( Zisyphus spinn
Christi), des Sidr (, Zisyphus Lotus) und als der im äusscrstcn Süden
sich vereinzelt findenden Dümpalmc (Llyphaenc tkebaica). Trüffeln
oder Tcrfäs ( Choeromyces Leonis ) sollen nicht selten Vorkommen
und sind recht beliebt. Lässt Alles im Stich , so ernährt sich im
Nothfalle der Arme und Hungrige von den erwähnten Beeren des
Ghardeq (Nitraria tridentata), von den Wurzeln des Aqül ( Alhagi
Mauroruvi), von Klee und den Samen des Sabat ( Aristida pungens).
Ausser den Nährpflanzen entlocken die Fezzäner ihren Garten
noch vereinzelte Baumwollensträucher ( Gossypiutn hcrbacemn), die
sehr gut gedeihen und grosse Fruchte tragen, und hier und da
Indigo ( Indigofera urgenten) — Nil — , Culturen, welche keinen
grossen Nutzen bringen, da beide nicht in hinlänglicher Menge
gewonnen werden können, und der Indigo in Masse und billig
aus den Südänländern kommt. Wichtig sind in ihren Eigenschaften
als Futterpflanzen, zu denen auch der Mensch, wie erwähnt, im
Nothfalle seine Zuflucht nimmt, die Luzerne ( Medicngo sativn) — Qa-
dab , und der Klee — Safsafa (Melilotus?) oder Fossa ( Trifolium .-) — ,
welche in keinem grösseren Garten fehlen. Gradezu unentbehrlich
als Reiz- und Genussmittcl ist der Tabak — Dochän — , welcher der
Art des Bauerntabaks (Nieotiana rustien) angehört und als Kautabak
verwerthet wird, während man den Rauchtabak von der Nordküste
einfuhrt.
Lein — Kettän — - wird in sehr geringer Menge gebaut, da nur
der Same — Zera’ el- Kettän oder cl-Atela — hier und da medi-
cinisch und zur Oelbereitung benutzt wird. Zur Fabrikation von
Schalen, Schüsseln und Flaschen cultivirt man wohl den Flaschen-
Kiirbis ( Lngennria ) — Qar'a; doch bei dem Uebcrflusse an billigen
Gelassen aus Norden spielt derselbe in der Oeconomie der Fezzäner
bei weitem nicht eine so wichtige Rolle, als im Sudan. Zu kosmeti-
schen und medicinischen Zwecken kommt noch hier und da el-Hinnä
( Lnwsonia inermis) vor, mit deren gelbbrauner Farbe man die Finger
der Menschen und ihre Nägel oder Füsse, Schwanz und Mähne eines
hellfarbigen Pferdes zu zieren nicht minder liebt, als auf der Nord-
küste, und deren adstringirende Wirkung zur Behandlung äusserer
Entzündungen, wuchernder Geschwüre und dergleichen verwendet wird.
Alles, was der Ackerbau den Fezzänern liefert, reicht eben noth-
dürftig zur Fristung des Daseins hin, und würde ohne die Beihülfe
Nachtigal. 1- *»•
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130 I. BUCH. 4. KAPITEL. NATÜRLICHE BESCHAFFENHEIT FEZZÄN’s.
der Dattelpalme selbst dazu nicht genügen. Mit der ergänzenden
Viehzucht ist zwar die Existenz gesichert, doch Niemand ist durch
beide in die Lage gesetzt, für die Zeiten der Noth und des
Alters zurückzulegen. Dazu wurde von Alters her der Handel aus-
gebeutet, und das, was Fezzan im Laufe der Zeiten an Wohlstand
gesehen hat, verdankt es ihm. Die fortlaufende Reihe von Oasen,
die es mit der Nordküste und die zahlreichen Wasserstationen, welche
es mit dem Sudan verbinden; die Nähe der Tuärik- und der Tubu-
landschaften; das frühzeitige Eindringen einer relativen Kultur und
geordneten Regierung in seine Oasen, machten es frühzeitig zu einem
wichtigen Mittelpunkte des Handels. Von Alters her war jeder leid-
lich situirte Mann in Fezzan ein Kaufmann, und wenn einst die Römer
wahrscheinlich nicht selbst bis in die Südänländer gelangten, so
kamen doch Produkte aus diesen über Fezzan nach Norden, und als
später der Islam nicht allein eine höher civilisirte Bevölkerung in die
Wüste drängte, sondern selbst am Niger und am Tsädsee mohamme-
danische Staaten geschaffen hatte, entwickelte sich bald ein reger
Verkehr nach allen Seiten hin.
In Fezzan strömten die nordischen Waaren aus Tunis, Tripolis
und Egypten zusammen, welche in die Landschaften der Wüste und
in die Neger-Länder gingen; dort stapelten sich umgekehrt die Pro-
dukte dieser auf. Von Timbuktu wurde Jahrhunderte hindurch so
viel Gold (meistens in Form von Staub, doch auch in Ringen, kleinen
Barren etc.) aus den Gegenden des oberen Niger nach Fezzan ge-
bracht, dass bis in den Anfang dieses Jahrhunderts hier der currente
Werthmesser das Mitquäl Gold mit seinen Bruchtheilen war. Erst
als die Goldzufuhr spärlicher wurde, führte man österreichische und
spanische Thaler ein und gewann anfangs die kleinere Münze durch
mechanische Zertheilung derselben. Dann, nachdem seit einem
Menschenalter die Goldzufuhr ganz aufgehört hat, und seit die directe
türkische Verwaltung etablirt worden ist, kam die tripolitanische
Scheidemünze in ausschliesslichen Gebrauch. Aus den Haussaländcrn
kamen Wasserschläuche, gefärbtes Ziegcnlcder, Baumwollenfabrikate,
Indigo, Papageien und Zibeth — Zibäd — , aus Bornü dazu Indigo,
Tamarinden — Tamr el-Hind — und Leoparden- und Löwenfelle,
aus Baghirmi und Wadäi noch Lubän und Rhinoceroshorn — Karke-
dän oder Qarn cl-Chartit. Aus den meisten der genannten Länder
wurden Straussenfedern — Risch en-Näm -- und Elfenbein — Sinn
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HANDELSVERHÄLTNISSE.
131
el-Fil — und aus allen der gewinnbringendste und verbreitetste Handels-
artikel, Sclavcn — Abid oder Raqiq (plur. Riqäq) — , eingcfiihrt.
Alle diese Gegenstände, mit Ausnahme vielleicht der industriellen
Erzeugnisse derllaussastaaten, waren damals noch reichlich begehrt von
Tunis und Egypten und über das Mittelmeer hinaus in Constantinopel.
Noch leben die alten Leute in Fezzan auf, wenn sie von den Zeiten ihrer
Jugend sprechen, in denen alljährlich die grossen Pilgerkaravanen von
Timbuktu mit Gold beladen kamen und auf dem Heimwege Waaren
mitnahmen, und in denen die Handelskaravanen zum mittleren Sudan
( Haussastaaten und Bornü) mehrmals im Jahre zu Stande kamen und
bei ihrer Rückkehr Tausende von Köpfen stark waren.
Die rückgängige Metamorphose, welcher die mohammedanischen
Länder der Nordküste selbst unterlagen, schlechte Handelsverhältnisse
in einem Theile des Sudan, Schaffung neuer Absatzwege und nicht
zum geringsten Theile die Abschwächung des Sclavenhandcls, haben
einen traurigen Rückschritt zur Folge gehabt. Die Zeiten sind vorüber,
in denen Tunis in lebhafter Verbindung mit Bornü stand; Tripolis
selbst ist erheblich zurückgegangen; Thatkraft und Energie, Capital
und Unternehmungslust sind dort und in Fezzan geschwunden. Der
Weg von Tripolis nach Wadai durch die Tubulandschaften erlitt
häufige Unterbrechungen, und zu Anfang dieses Jahrhunderts wurde von
Wadai aus eine directe Strasse zur Nordküste eröffnet, die, nicht
viel länger als die Entfernung bis Murzuq, von der Oase Dschalo aus
ebensowohl nach Benghäzi als nach Kairo führt. Seitdem ist der
Handel der Nordküste mit Wadai zum grossen Theile in die Hände
der Bewohner von Dschalo, der Medschäbra, übergegangen. Bornü
ging zurück, seine Produktionskraft schwächte sich ab, und die be-
kannte Unzuverlässigkeit seiner Einwohner wirkte dadurch um so
verderblicher. Ferner haben die Leute von Ghadämes sich mehr
und mehr des Handels in der westlichen Wüste, mit deren Bewohnern
sie stammesverwandt sind, bemächtigt, sind dadurch in den Besitz
kürzerer Strassen in die Haussaländer und nach Timbuktu gekommen,
und errichteten hier und dort ihre Handelshäuser. Endlich gaben
die Schwierigkeiten, welche dem Sclavenhandel entgegengesetzt
wurden, dem Fezzäner Handel den Rest. Tünis und Constantinopel
hatten keinen Bedarf an der einträglichen Waare mehr; der von
Tripolis selbst war nie sehr gross gewesen und der von Egypten
9*
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132
. BUCH, 4. KAPITEL. NATÜRLICHE KESCHAEFENHEI 1 FEZZÄN’s.
konnte, da der Absatz in Constantinopcl aufhörte, aus seinen eigenen
heidnischen Nachbarländern befriedigt werden.
Der Mandel mit Sclaven überwog früher so sehr den mit anderen
Produkten und war so einträglich, dass er noch jetzt in seiner abge-
schwächten Gestalt die übrigen Handelszweige überwiegt und trotz
seiner Unsicherheit von den Kaufleutcn noch immer mit Vorliebe
betrieben wird. Freilich kann kein Handelsherr mehr mit Hunderten
von Sclaven die Städte betreten und ihre Märkte beziehen, doch die
kleineren Trupps der unbedeutenderen Kaufleute können leicht in
den Gärten der Städte, sei es Murzuq oder Tripolis, oder in den
benachbarten Dörfern untergebracht und unter der Hand verkauft
werden. In der Stadt Tripolis selbst ist es bei ihrer massigen Aus-
dehnung nicht schwer, mit ernstem Willen eine Controle auszuüben,
doch ausserhalb ist eine solche bei der Dünnheit der Bevölkerung,
bei den weit auseinander gelegenen Ortschaften fast unmöglich. Das
gilt für Tripolitanien und in noch viel höherem Maasse für das lang-
gestreckte Egypten, dessen Herrscher gewiss seit lange ernstlich be-
strebt war, den Forderungen der europäischen Welt gerecht zu werden.
Dazu kommt, dass, wenn die Central-Regierungen, zwar nicht
durch eigene Ueberzeugung getrieben, aber von politischen Rück-
sichten bewogen, auch wirklich den Willen haben, der Sache zu
steuern, doch die Provinzialbehörden, ohne die höheren politischen
Interessen der P'ürsten, ihrer religiösen Ueberzeugung und ihrem
Vortheile ' folgen. Jeder Muselmann .muss die Sclaverei und folglich
auch den Sclavcnhandel als legitim anschen. Zähneknirschend erträgt
er das Joch der europäischen Forderungen und hat im Herzen ein
tiefes Bedauern, dass er nicht mehr mit den Christen verfahren kann,
wie man ihn verhindern will, mit den Heiden zu thun. Kann also
ein Provinzialchef cs ungestraft thun, so drückt er ein Auge zu und
begünstigt sogar die Contravention, wenn sein Vortheil es erheischt.
Dass dies letztere der Fall ist, dafür sorgen die Kaufleute. Die
finanziell zerrütteten Regierungen bezahlen ihre Beamten schlecht
oder gar nicht; erscheint es nicht natürlich, dass diese einen Gewinn
suchen in einem Handel, den ihnen ihre religiöse Ueberzeugung als
legitim erscheinen lässt?
Der Gouverneur von Fezzän erhält, alter Regel entsprechend,
für jeden eingeführten Sclaven die Summe von zwei Mahäbüb (etwa
7 Mark), was ihm früher leicht eine Einnahme von etwa 40,000 Mark
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SCI. A YKNH ANTM-.I .
133
im Jahre verschaffen konnte. Ein Beamter in der südlichsten Oase
Fczzän's übte die Controle aus und hatte natürlich seinen bescheidenen
Antheil. Es ist hart, dem zu entsagen, wenn der Ausfall in keiner
Weise gedeckt wird. Während ich mich in Fezzän aufhielt, kam,
wie es von Zeit zu Zeit zu geschehen pflegt, eine Erneuerung und
Verschärfung der gegen den Sclavenhandcl gerichteten Verordnungen.
Da man gleichzeitig eine Karawane aus Borini erwartete, so hielt
man den Erlass zurück, bis jene angekommen war und ihre Sclaven-
steuer entrichtet hatte, und schlug erst dann die Verordnung öffentlich
an, um sie allmählich wieder in Vergessenheit gerathen zu lassen.
Trotzdem hat das lucrative Geschäft im Ganzen sehr abgenommen,
und wenn früher jährlich 5 80c» Sclaven Fezzän passirten, so erreicht
ihr Import jetzt höchstens ein Dritttheil dieser Zahl. Wenn übrigens
der Islam überhaupt eine milde Handhabung des Instituts der Sclaverei
mit sich bringt, so noch vielmehr der sanfte, gutmüthige Charakter
der Fezzäner. Sclaven werden durchaus als Familienglieder behan-
delt und können sich in Nichts beklagen. Selten suchen sie in ihr
Vaterland zuruckzukehren und ohne Bedenken werden sie von ihren
Herren zu Handelsreisen in ihre Heimathländer benutzt.
Der Ausfall, den Fezzän in seinen Handelsuntcrnehmungen mit
den Südänländern erlitten hat, ist durch Nichts gedeckt worden.
Ausser dem Produkte der erwähnten Natronscen — der Bahär et-
Tröna liefert etwa 5000 Centner Soda nach Tripolis — , verlohnt sich
kein Produkt des Transportes bis zur Mittelmeerküste. Früher ging
eine nicht unbeträchtliche Quantität von Blättern der Scnna aus der
Gegend von Tibesti über Fezzän nach Norden; doch bei der Billig-
keit des Produktes wird jetzt, bei den erhöhten Kameelpreisen, der
Transport zu theuer. Irgend welche Industrie hat Fezzän nicht, und
so ist denn sein früherer relativer Wohlstand verschwunden. Die
Familien Murzuq's, welche früher ihres Reichthums wegen berühmt
waren, sind allmählig verarmt oder haben sich in ihre Heimath,
Audschila, Söqna etc., zurückgezogen. Die Familie der Ben Alüa
hielt sich durch ihre Wichtigkeit in der Regierung der Provinz, der
Hädsclt el-Amri, der Geschäftsthcilhaber Herrn Gagliuffi’s, haupt-
sächlich durch die Pacht des Natronsce's, und die übrigen drei oder
vier Kaufleute, welche Reisen in die Sudänländer machten oder
Reisende dorthin unterhielten, erfreuten sich nur eines massigen
Wohlstandes. Mit grosser Regsamkeit — es gab Familien, in denen
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134 I. BUCH, 4. KAPITEL. NATÜRLICHE BESCHAFFENHEIT FEZZÄn’s.
drei Brüder beständig auf Reisen waren nach Tripolis und Kairo
einerseits, Ghat, Haussa und Bornü andererseits — vermochten sie
nur die bescheidensten Resultate zu erzielen.
Dabei haben die Fezzäner kaum die nothwendigsten Handwerker
und müssen also viele Gegenstände von Tripolis beziehen, welche
sie anderenfalls selbst anfertigen könnten. Rothes und gelbes Leder
verstehen sie vortrefflich zu Schuhen, Sattelüberzügen, Bandelieren,
Gürteln zu verarbeiten und mit geschmackvoller Stickerei zu ver-
zieren, und das gewöhnliche Schneiderhandwerk wird in jedem Hause
geübt; doch die Künste des Gerbens, Webens und Färbens liegen
sehr danieder. Es gab zwar damals einen Schreiner oder Zimmer-
mann — Nedschär — (beide Handwerke sind in jenen Gegenden
stets in einer Person vereinigt), den Hadsch Mohammed es-Settär,
doch dieser w-ar einer der angesehensten Bürger, Mitglied des
grossen Rathes, der höchstens für sich und seine Freunde arbeitete,
und sonst dem Ackerbau und dem Handel oblag. Ein Drechsler
existirte nicht in Murzuq, und der Schmied — Haddäd vermochte
nur sehr einfache Fabrikate zu liefern. Er war gleichzeitig Klempner,
Schlosser, Goldschmied, hatte oft keine Kohlen, und seine Zeit war
durch Gartenarbeiten, denen er natürlich, wie alle Uebrigen obliegen
musste, da sein Handwerk ihn nicht ernährt haben würde, so in
Anspruch genommen, dass die professionelle Arbeit und etwaige
Clienten warten mussten. Nur die nothwendigen Töpfergeräthe, die
Korbflechtereien aus Palmenblättern, die Gewebe aus Kameelwolle
wurden in genügender Menge für den Landesverbrauch fabricirt.
Alles Uebrige wurde zum grösseren Theile aus^Tripolis (billige Baum-
wollenstoffe, Tuch, Seide, Kupfcrgefässe) , zum kleineren aus dem
Sudan (fertige Baumwollengewänder, Wasserschläuche, Holzschüsseln)
bezogen und erlitt dadurch natürlich eine Vertheuerung von mehr
als fünfzig Procent.
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Fünftes Kapitel.
KLIMA UND KRANKHEITEN.
Meteorologische Beobachtungen zu Murzuq* — Temperatur- Beobachtungen. — Maxima
und Minima. — Tägliche Wärmebewegung. — Monatsmittel. — Psychrometer-Unter-
schiede. — Die Grenzen derselben. — Monatsmittel für Dunstdruck und relative«
Feuchtigkeit. — Niederschläge und Wolkenbildung im Zusammenhang mit den
Winden. — Elektrische Erscheinungen. — Winde. — Monatliche Verthcilung der-
selben. — Luftdruck. — Tägliche Bewegung desselben. — Monatsmittel. — Zu-
sammenfassung der meteorologischen Verhältnisse. — Krankheiten der Fezzaner. —
Pie Malaria zu Murzuq. — Typhus und Cholera. — Pocken. — Lungenkrankheiten.
— Krankheiten der Verdauungsorgane. — Rheumatische Affectionen. — Hautkrank-
heiten. — Krätze und Guineawurm. — Seltenheit der Lepra. — Syphilis. — Krank-
heiten der Harnorgane. — Augcnaffcctionen. — Frauenkrankheiten. — Kinderkrank-
heiten. — Gehirn- und Nervenkrankheiten. — Thierische Gifte. — Chirurgische Kennt-
nisse der Fezzaner. — Uebematürliche Ursachen der Krankheiten und die Mittel da-
gegen. — Allgemeine physiologische Anschauungen. — Heilmittel und Aerzte.
Von der geographischen Lage und den Bodenverhältnissen des
Landes hängt das Klima und zum grössten Theile die gesundheit-
lichen Verhältnisse der Bewohner ab.
Mein Aufenthalt in Murzuq war lang genug, um ansehnliche
Reihen meteorologischer Beobachtungen aufzeichnen zu können,
welche sich zwar nicht auf das ganze Jahr erstrecken, da meine
Reise nach Tibesti während der Monate Juni bis September da-
zwischen fallt, aber doch die Monate April und Mai t8Ö9 und die
ganze Zeit von Mitte October >869 bis Anfang April 1870 umfassen.
Dieselben erstreckten sich auf den Luftdruck, die Temperatur,
die Feuchtigkeit und die Winde und sind in so grosser Anzahl
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136
I. BUCH, 5. KAPITEL. KLIMA UND KRANKHEITEN.
gemacht worden, dass sie trotz mancher Unzulänglichkeiten zur all-
gemeinen Beurtheilung der meteorologischen Verhältnisse der Gegend
von Murzuq berechtigen, ln ausgewählter Zusammenstellung werden
dieselben im Anhänge beigefügt werden; hier handelt es sich nur
darum, -aus ihnen ein kurz gefasstes Gesamnitbild des Klimas zu
geben.
Die Instrumente waren in einem aus Holzleisten mit Zwischen-
räumen gezimmerten und bedachten Kasten anfangs auf der Nord-
seitc des Hauses am oberen Stockwerke angebracht um! später in
dem vor Wind und Ausstrahlung noch geschützteren Garten, wo sie
allerdings der Erdoberfläche näher waren, aufgestellt.
Der tägliche Gang der Temperatur war im ersten Beobachtungs-
monate, April 1869, derartig, dass der niedrigste Stand, der zwischen
7,4° (5.) und 23,0° (30.) schwankte, gegen 6 Uhr Morgens eintrat,
während die höchste Temperatur, welche zwischen 19,8° (7.) und
37,1° (30.) lag, um 3 Uhr Nachmittags beobachtet wurde. Der
höchste Tagesunterschied zwischen Minimum und Maximum der
Temperatur betrug 18,1 u (6.), der niedrigste 9,2° (29.).
Im folgenden Monat Mai finden wir die niedrigsten Thermometer-
stände bald nach 5 Uhr Morgens, während der höchste fast stets
später als 3 Uhr, oft erst 4 Uhr Nachmittags eintrat. Die niedrigsten
Morgentemperaturen schwankten zwischen 17,7° (13.) und 28,5° (29.),
und die höchsten Nachmittags -Temperaturen hielten sich zwischen
31,2° (5.) und 41,0° (30.); die niedrigste Tagesdifferenz der Tempe-
ratur betrug 10,9° (2.) und die höchste 16, 8° {27.).
Als nach der Tibesti-Reise die regelmässigen Beobachtungen im
October wieder aufgenommen w'urden, verhielt sich dieser Monat in
Bezug auf den täglichen Gang der Temperatur etwa wie der April.
Die höchsten Stände lagen zwischen 25,2" (27.) und 29,9“ (31.) und
die niedrigsten zwischen 13,6° (28.) und 19,5" (17. und 31.); der höchste
Unterschied zwischen beiden an demselben Tage betrug 13,0° (24.),
der niedrigste 8,2 (17.).
Mit fortschreitender Jahreszeit näherten sich die Eintrittszeiten
der täglichen Maxima und Mirfima einander; diese traten später ein,
jene früher, so dass im December und Januar die niedrigsten Stände
um etw-a 7 Uhr Morgens, die höchsten kurz nach 2 Uhr Nachmittags
zur Beobachtung kamen, während der März bereits die Tendenz
zeigte, den Zeitraum zwischen beiden zu vergrössern.
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TEMPK.RATUK.
137
Im November betrug die höchst beobachtete Temperatur 27,2°
(25.) und die niedrigste 8,5° (16.), während der höchste Tagesunter-
schied zwischen Maximum und Minimum 12,0“ (7.) und der niedrigste
6,5° {24.) betrug.
Im December sehen wir die Maxima schwanken zwischen 13,5°
(31.) und 27,1" (13.), die Minima zwischen 1,0° (23.) und 13,2° (26.)
und haben wir einen höchsten Tagesunterschied zwischen den Ther-
mometerständen von 22,2° (25.), einen niedrigsten von 7,0° (30.).
Im Januar 1870 waren die Extreme der Maxima 14,0° (13.) und
29,4° (26.), die der Minima o,o° (14.) und 13,3“ (26.), und der Unter-
schied zwischen den Temperaturen desselben Tages betrug mindestens
9,9° (29.) und höchstens 20,2° (22.).
Im Februar hielt sich die höchste Temperatur zwischen 1 5,6° (3.)
und 32,5° (28.), die niedrigste zwischen 1 ,8 0 (4.) und 13,0° (28.), während
ich zwischen Maximum und Minimum desselben Tages eine höchste
Differenz von 20,4" (13.) und eine niedrigste von 9,6° (1.) constatirte.
Während des März endlich registrirtc ich höchste Tagestempe-
raturen von 21,7° (2.) bis 37,0° (13.) und niedrigste von 7,0U (4.) bis
20,0° (14.) und fand als grösste Differenz zwischen Minimum und
Maximum desselben Tages 2i,2u (6.), als niedrigste 10,2° ( 1 5 -)-
Mit Zugrundlegung der Beobachtungsstunden von 6 U. Morgens,
2 U. Nachmittags und 10 U. Abends oder 61/» U. Morgens, 2 U.
Nachmittags und 12 U. Nachts, oder 8 U. Morgens, 3 U. Nachmittags
und 12 Uhr Nachts, ergeben sich als Monatsmittel der Temperatur
für 18Ö9: April 22,2°, Mai 28,8°, October 20,9°, November 17,0°, De-
cember 14,0° und für 1870: Januar 12, on, Februar 14,8°, März 19,9°.
Vorzugsweise nach der Temperatur richtete sich der Unter-
schied zwischen dem trockenen und feuchten Thermo-
meter; je höher jene stieg, desto grösser wurde dieser und umge-
kehrt. Freilich war die Luft Murzuqs dem Einflüsse der gefüllten
und halbgefüllten Salzwasserbassins seiner nächsten Umgebung aus-
gesetzt; doch diese Quelle genügte nicht, um eine erhebliche Zu-
nahme des Wasserdampfgehaltes der Luft zu bewirken. Der geringste
Unterschied im Stande des feuchten und trockenen Thermometer fiel
mit wenigen Ausnahmen auf die Zeit der niedrigsten Temperatur und
betrug im April 1869 2, 1 0 , Mai 5,3°, October 2,2°, November 1,7",
December 0,8°, Januar 1870 0,8°, Februar 0,6°, März 1,4°. Der
höchste Unterschied richtete sich ungefähr ebenso regelmässig nach
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I. RUCH, 5. KAPITEL. KLIMA UND KRANKHEITEN.
dem höchsten Temperaturstande und betrug im April 1869 18,0°,
im Mai 18,9°, October n,o°, November 10, o°, December 9,9°, im
Januar 1870 9,3°, Februar 12,6°, März 16,5°.
Wir finden die geringsten Differenzen im April bei Nord-
wind, im Mai bei schwachem Südwinde, der unsicher von West bis
Südost schwankte, im October bei Ost, im November bei Nordost,
im December bei Nordwest, im Januar bei Nord, im Februar bei
West, im Marz bei Nordwest (Regentag), also vorwaltend bei Winden
aus dem nördlichen Halbkreise der Windrose, welche dort gleich-
zeitig die geringsten Temperaturgrade mit sich bringen. Die höch-
sten Differenzen beobachtete ich im Gegentheil im April bei Süd-
westwind, im Mai bei Süd, im October bei Ost, im November bei
Südwest, im December bei Nordwest, im Januar bei Südwest, im
F'ebruar bei Süd, und im März bei Südwest, also fast ausschliess-
lich bei Winden, welche aus dem südlichen Halbkreise der Windrose
über die hochtemperirten Wüstengegenden nach Murzuq gelangten.
Die ausführlichere Berechnung der Psychrometer - Unter-
schiede während der genannten Monate mit Zugrundelegung der
für die Temperaturregistrirungen gewählten Beobachtungsstunden,
ergab folgende Monatsmittel für den Dunstdruck und die relative
Feuchtigkeit: im April 1869 5,02 mm und 27%; im Mai 7,13 mm
und 24%; October 8,68 mm und 47%; November 8,17 mm und
56%; December 6,57 mm und 55%; im. Januar 1870 6,31 mm und
6i°/0; Februar 6,29 mm und 48%; März 7,73 mm und 45%-
Sehr selten kommt es in Fezzan zum Niederschlage, und
selbst Th au fehlt bei dem Mangel der Atmosphäre an Feuchtigkeit
fast ganz, obgleich die Temperaturerniedrigung in den Wintermonaten
Morgens seine Bildung begünstigen sollte. Nur wenn die nördlichen
Winde, der Nordost aus der grossen Syrte, der Nordwest und der
Nordwind Feuchtigkeit genug zuführen und gleichzeitig die Tempera-
tur herabsetzen, scheint es im Winter zu Niederschlägen zu kommen.
So hatten wir im December mit Nordostwind wirkliche Thaubildung.
In demselben Monate trat zwei Mal Regen ein, ein Mal mit West-
wind und das andere Mal bei einer Windstille, die zwischen zwei
Tage mit Nordost- und Nordwestwind fiel, und zwar mit heftigem
Hagelschauer. Während der ganzen Monate waren die Nordwest-
und die Nordostwinde ganz entschieden die Vermittler der Regcn-
wolkenbildung. Während der ganzen Monate Januar und Februar
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FEUCHTIGKEIT.
139
1870 gab es dann keinerlei Niederschläge, und erst im März kam ein
vierstündiger Regen bei Nordwestwind zur Beobachtung.
Freilich trat Anfangs Juni 1869 eine Reihe von Tagen ein, die
sich durch verhältnissmässig hochgradige Feuchtigkeit auszeichne-
ten, einige Male spärliche Niederschläge brachten und scheinbar
von andern Winden beherrscht wurden, als die winterlichen Regen-
tage. Diese ganze Periode begann am 5. Juni mit einem sehr starken
Nordostwinde und einem sehr geringen Psychrometerunterschiede,
und am 6. wehte ein starker Ostwind mit dichten Regenwolken im
Xordostcn und sehr geringem Psychrometerunterschiede; doch am
folgenden Tage thürmten sich mit mildem Ostwind dichte Regen-
wolken im Südosten auf. Der 8. und 9. Juni verhielten sich ähnlich,
doch hielten sich die Regenwolken mehr im Osten und am 9. kam
ein spärlicher Regen zu Stande. Am 10. aber herrschte der Südwest
vor (wenn auch der Wind dieses Tages die ganze Windrose durch-
machte), thürmte in jener Himmelsgegend reichliche Regenwolken
auf und brachte es zu spärlichem Niederschlage, während endlich
am 1 1 . der Wind aus Süd und Südwest wehte und in eben diesen
Gegenden des Horizontes Gewitterwolken zusammentrieb. Der Anfang
dieser relativ dampfreichen Zeit mit Nordostwind und das unregel-
mässige Verhalten des Süd- und Südwestwindes der letzten beiden
Tage scheinen dafür zu sprechen, dass diese ungewöhnliche Periode
mitten im Sommer durch abgelenkte Nordostwinde vermittelt wurde.
Der Regen war in den seltenen Fällen seines Vorkommens von
elektrischen Erscheinungen begleitet. Die hochgradige Elektri-
cität der Luft, welche bei der vorherrschenden grossen Trockenheit
keine Leitung zur Erde fand, wurde nicht instrumentell beobachtet,
kam aber stets im gewöhnlichen Leben zum Ausdrucke. Bei trockenen
Winden der südlichen Himmelshälfte besonders konnte man aus den
wollenen Decken beim Ausklopfen elektrische Funken locken und
oben auf der Terrasse des Hauses den grossen Hund Fräulein Tinne's
nicht streicheln, ohne knisternde Funken hervorzurufen.
Wir können die Hygrometeore nicht beurtheilcn, ohne ihre Ver-
theiler, die Winde, in Betracht zu ziehen. Da die Sahara das
trockenste Gebiet der Erde ist, so kann vermehrte Feuchtigkeit zur
Beobachtung kommen in Folge von Winden, welche aus dem nicht
allzuferncn Mittelmeere mehr Feuchtigkeit als gew-öhnlich Zufuhren
oder in Folge einer Verminderung der Temperatur, welche eine Ver-
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I. Bl 'CH, 5. KAPITEL. KLIMA l'NI.) KRANKHEITEN.
ringerung der Dampfcapacität der Atmosphäre bewirkt. Der Be-
obachtung, dass der grösste Dampfgehalt der Atmosphäre bei vor-
waltenden Winden aus der nördlichen Richtung, und der geringste
bei südlichen Winden eintrat, entsprechen die während der obigen
Monate registrirten Winde.
Im April 1869 kamen an 13 Tagen Winde aus der östlichen
Himmelsgegend (mit Einschluss der Südrichtung) zur Beobachtung
und an 15 Tagen solche aus der westlichen Hälfte (mit Einschluss
der Nordrichtung).
Im Mai finden wir die östlichen und südlichen Winde fast aus-
schliesslich; nur an einigen Tagen herrschten die entgegenge-
setzten.
Bei der in den folgenden Monaten ausgeführten Reise nach
Tibesti herrschte der regelmässige Passatwind, hier als Ost oder
Südost, selten als Nordost, fast ganz absolut.
Nach der Rückkehr wurden in der zweiten Hälfte des October
noch 14 Tage mit Winden aus östlicher und südlicher Richtung und
nur 3 Tage mit solcher aus West und Nord aufgezeichnet.
Auch im November überwogen jene noch beträchtlich diese, im
Verhältniss von 22 zu 6.
Im December hielten sich beide Richtungen mehr das Gleich-
gewicht, und verhielten sich die östlichen Winde zu den westlichen
wie 16 zu 10.
Im Januar 1870 ferner begann sich das Verhältniss zu Gunsten
der westlichen und nördlichen Luftströmungen zu gestalten, welche
an 15 Tagen verzeichnet wurden, während die entgegengesetzten 14
Mal zur Beobachtung kamen.
Im Februar freilich überwog wieder der Wind aus der östlichen
und südlichen Richtung in einem Verhältniss von 15 zu 13, doch
war das vielleicht ausnahmsweise, denn im darauf folgenden Monate
März finden wir denselben 14 Mal, während der aus der westlichen
und nördlichen Richtung 17 Mal constatirt wurde.
Man kann also kurz sagen, dass in Fezzän im Laufe des Jahres
die östlichen und südlichen Winde beträchtlich vorwalten, dass sie
von Mai bis November ausschliesslich herrschen, und dass in den
Monaten December, Januar, Februar, März, April die Winde aus der
westlichen und nördlichen Richtung jenen die Herrschaft streitig
machen und nicht selten den Vorrang abgewinnen.
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WINDE.
141
Aus der westlichen Hälfte des Himmels sind die Südsüdwest-
winde ebenso hochgradig trocken als die östlichen, denn beide
müssen über ungeheure, jeder Feuchtigkeit baare Strecken hinziehen,
bevor sie F'ezzan erreichen. Auf die Westwinde mögen dagegen zu
Zeiten die nicht sehr fernen Hochlande der Tuärik und auf die süd-
östlichen die ausgedehnten Gebirgsbildungen Tibesti's modificirend
einwirken. Auch die von der Nordküste kommenden, nördlichen,
nordwestlichen und nordöstlichen Winde streichen über allzu ausge-
dehnte trockene Strecken hin, um stets bemerkenswerthen Dampf-
gehalt mit sich zu führen. Die Atmosphäre ist in der That oft bei
ihrer Herrschaft von auffallender Klarheit und vollkommener Wolken-
losigkeit. Doch wenn sie stark und in einer gewissen Massenaus-
dehnung vom Mittelmeer herwehen, bringen sie Wolken und Kegen,
während die aus Osten und Süden wehenden Winde wohl in grosser
Höhe Federwolken zeigen, doch sonst fast ausnahmslos ohne Wolken-
bildung herrschen.
Der letztere Zustand des Himmels waltet denn auch während
des grössten Theils des Jahres vor. Selten ist zwar der Himmel von
der klaren, tiefblauen Aetherfarbe, wie wir sie im subtropischen Ge-
biete, in den Ländern des Mittelmeeres, bewundern, sondern meist
Weisslich oder bläulich weiss, doch andere Wolken als Cirri in der
Hohe sind eine grosse Seltenheit. Haufenwolken kommen noch,
ausser bei den nördlichen Winden, bei West, Südwest und Siidost
zur Beobachtung, doch Schichtwolken fast ausschliesslich bei Nord-
west, Nord oder Nordost und bei niedriger Temperatur.
Zur Beobachtung des Luftdruckes diente mir anfangs ein nicht
ganz zuverlässiges Taschen-Aneroid mit Eintheilung in englische Zoll,
und später ein sorgfältiger eingestelltes grösseres Instrument der Art
mit Millimeter-Eintheilung. Während der beiden ersten Monate meines
Aufenthaltes in Murzuq, April und Mai 1869, liess ich mir durch
unaufhörliche Beobachtung der Stände angelegen sein, eine zuver-
lässige Kenntniss von den täglichen regelmässigen Fluctuatio-
nen des Luftdruckes zu gewinnen. Danach fiel während des April
das Hauptmaximum zwischen 6 und 7 U. Morgens, während das
Hauptminimum etwa in der Hälfte der Beobachtungstage um 4 U.
Nachmittags und an den übrigen Tagen ebenso oft erst um 6 U.
Abends, als schon um 2 U. Nachmittags beobachtet wurde. Im Mai
erstreckte sich die Periode des Maximum auf die Zeit von 5*/a bis
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I. BUCH, 5. KAPITEL. KLIMA UND KRANKHEITEN.
6'/s U. Morgens, während das Minimum zwischen 4 bis 6 U. eintrat,
aber selten schon vor 4 U. Nachmittags beobachtet wurde. In der
darauf folgenden, ausserhalb Murzuq’s zugebrachten Zeit, fiel das
Morgenmaximum noch etwas früher, während sich das Nachmittags-
minimum in der Zeitwahl wie früher verhielt.
Als ich aus Tibesti zurückgekehrt war, im Winter 1869/70, wur-
den meine Beobachtungen nicht so häufig angestellt, so dass diese zwar
zur Gewinnung der Monatsmittel dienen können, aber weniger zur
genauen Kenntniss der täglichen Fluctuationen. Ihren Registrirungen
zufolge in der Zeit von Mitte October 1869 bis Ende März tSjO
würde, wie es sich auch in gewissem Grade aus der vorgerückten
Jahreszeit erklärt, das Hauptmaximum auf die Mitte des Vormittags
fallen und das Tagesminimum zwischen 3 und 6U. Abends. Uebrigens
war das letztere in seiner Eintrittszeit unzuverlässiger und unbestimmter
als das Hauptmaximum und verlor sich bisweilen ganz gegen die
Nacht hin, wenn das zweite Maximum nicht klar hervortrat.
Sehr häufig, besonders bei südöstlichen, südlichen und südwest-
lichen Winden, zeigte sich bald nach der Tagesmitte in dem Gange
des Luftdruckes gegen sein Minimum hin eine vorübergehende, un-
bedeutende Steigerung.
Das zweite Maximum fehlte bei den häufigen Beobachtungen
der Monate April und Mai 1869 fast niemals und trat in der über-
wiegenden Mehrzahl der Fälle zwischen 10 und 1 1 U. Abends ein.
Zuweilen kam es schon um 8 U. Abends zum Ausdruck, sehr selten
früher und am seltensten gegen Mitternacht. Bei den beschränkteren
Aufzeichnungen während der Wintermonate 1869/70 schien zuweilen
das zweite Maximum zu fehlen. Dies hatte bei hohen Barometer-
ständen mit südlichen Winden statt, wo ein allmähliches Fallen des
Quecksilbers vom ersten Maximum bis gegen Mitternacht eintrat
Wenn ein gewisser Grad von Feuchtigkeit in der Luft war, und
nördliche Winde wehten, so war auch das zweite Maximum deutlich
erkennbar, und wenn die erstere in ungewöhnlichem Grade zunahm,
so stieg auch wohl das Quecksilber von der gewöhnlichen Stunde
des ersten Maximum bis in die Nacht hinein ganz allmählich.
Der höchste beobachtete Barometerstand während des October
1869 war 725,3 mm, Tagesmaximum des 18. bei klarem Wetter und
Windstille. Am 15. November betrug das Maximum 728,0 mm bei
schwachem Ostwinde; der 6. December zeigte uns 728,8 mm, der
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• LUFTDRUCK. 14'$
6. Januar 1870 728,0 mm bei massigem Ost, der 8. Februar 724,0 mm
bei schwachem Nordost, der März endlich 72 3,3 mm am 2. bei starkem
Nord und am 22. bei starkem Nordost.
Die barometrischen Minima betrugen am 23. October 1869 bei
sehr schwachem Süd 718,7mm, am 4. November bei Windstille 718,5mm,
und am 25. Dccembcr bei schwachem West, am 26. Januar 1870 bei
starkem Südwest und am 14. Februar bei massigem Südwest 716,4 mm,
endlich am 29. März bei starkem Westnordwest 707,5 mm.
Die tägliche Amplitude war während des April 1869 am grössten
am 7. bei mässigem Nordnordwest und betrug 20,3 mm; am kleinsten
am 27. bei mässigem Ost und betrug 6,1 mm. Der Mai zeigte eine
höchste Differenz zwischen Maximum und Minimum desselben Tages
von 13,2 mm und eine geringste von 8,5 mm. Der October hatte
als höchsten Tagesunterschied 2,6 mm. (am 26. bei mässigem Nord
und am 29. bei sehr schwachem Süd) und einen geringsten von
1,0 mm (am 21. bei sehr schwachem Südsüdost). Als entsprechende
Zahlen des November finden wir am 15. bei schwachem Ost 2,4 mm
und am 12. bei sehr schwachem Süd 0,9 mm. Am 6. December be-
obachtete ich eine höchste Amplitude von 5,3 mm bei schwachem
Ost und am 10. eine geringste von 0,5 mm bei sehr schwachem Ost.
Im Januar 1870 haben wir entsprechende Zahlen von 3,6 mm am 7.
bei schwachem Südwest und von 0,5 mm am 21. bei schwachem Süd;
im Februar 3,0 mm (am 7. bei starkem Nordwest) und 0,7 mm (am
22. bei schwachem Nord), und endlich im März 6,2 mm (am 28. bei
mässigem West) und 0,8 mm (am 4. bei sehr schwachem Südwest).
Wenn demnach die Wintermonate eine geringere tägliche Ampli-
tude des Aneroid-Standes darzubieten scheinen würden, so muss da-
gegen nicht vergessen werden, dass in den Aufzeichnungen kaum
die höchsten und niedrigsten Stände zum Ausdrucke kommen, und
dass, w-ie gesagt, für die Beurtheilung des täglichen Ganges des
Barometers, seiner Amplitude, nur die Aufzeichnungen aus den
Monaten April und Mai 1869 von Werth sind, während von den
Ständen zur Ableitung des in Fezzän herrschenden mittleren Luft-
druckes im Gegcntheile nur die während der Wintermonate beob-
achteten in Betracht kommen. Aus diesen sind mit Zugrundelegung
der Beobachtungsstunden 6 U. Morgens, 2 U. Nachmittags, 10 U.
Abends, oder 7 U. Morgens, 2 U. Nachmittags und 12 U. Nachts,
oder 8 U. Morgens, 2 U. Nachmittags und 12 U. Nachts folgende
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144
I. BUCH, 5. KAPITEL. KLIMA UND KRANKHEITEN.
Monatsmittel berechnet worden: für den October 1869 721,4 mm
November 721,8 mm, December 720,5 mm, Januar 1870 721,8 mm,
Februar 720,3 mm, März 717,4 mm.
Es ergiebt sich aus den vorausgeschickten Einzelheiten, dass die
meteorologischen Bedingungen, welchen die Atmosphäre von Fezzän,
beziehungsweise von Murzuq, unterliegt, die des leicht modificirten
Sahara-Klima' s sind. Noch ist der Passatwind nicht ganz zur Herr-
schaft gekommen, denn einerseits berührt im mittleren Fezzän der
nach den Polen abfliessende Aequatorial -Luftstrom während des
Winters die Oberfläche der Erde, und andererseits können nördliche
Winde und ihre Ablenkungen vom Mittelmcere dorthin gelangen.
Dadurch werden die Bewegungen der Temperatur und der Hygro-
meteore in Etwas beeinflusst, und der extreme Charakter des Wüsten-
klima’s kommt in den Thermometer- und Psychrometer- Ständen nicht
immer zu vollem Ausdruck.
Aus diesen atmosphärischen Zuständen, der einfachen, gezwungen
massigen Lebensweise und der geringen Dichtigkeit der Bevölkerung
kann man a priori den Schluss ziehen, dass Fezzän Theil an der
hochgradigen Salubrität haben wird, welche die Wüste im Allge-
meinen auszeichnet. Einerseits ist dies allerdings der Fall; anderer-
seits aber beeinträchtigen verschiedene Momente diese glücklichen
Bedingungen.
Hier ist vorzüglich die Häufigkeit der Sebcha’s oder Salzsümpfe
anzuklagen, welche die Hauptplage heisser Länder, das Sumpffiebcr-
gift, das sonst der Wüste fremd ist, und vielleicht das Typhusgift ver-
mitteln. ln der That verhält sich in Bezug auf die Malaria Murzuq
nicht besser, als die Umgebung des Tsädsee's mit ihren stagnirenden
Wässern, wohin so viele Bewohner der Nordküste zu Handelszwecken
reisen und wo ihrer so Viele zu Grunde gehen. Ich habe zu Murzuq
mehr vom Fieber gelitten , als jemals später in den wasserreichen
Gegenden südlich von der grossen Wüste. Vom Herbste 1869 bis
zum Frühjahr 1870 war ich kaum eine Woche ohne Anfall Araber
und Berber sind zwar nicht mehr durch Regierungs-Verordnung vom
Aufenthalte in der Stadt ausgeschlossen, doch die meisten fallen
einem Malariasiechthum anheim, von dem sie für den Rest des
Lebens zu leiden haben.
Der quotidiane und tertiane Typus walten vor; gefürchteter ist
der nicht rein intermittirende, sondern nur remittirende Charakter
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SUMl’FFIEIIEK.
I4f>
und noch mehr das Sieclithuni, welches nicht als eine Folge wieder-
holter schwächerer oder stärkerer Fieberanfälle zurückbleibt, sondern
ganz allmählich und unscheinbar unter dauernder Schwellung der
grossen Unterleibsdrüsen die Constitution untergräbt. Sehr häufig be-
ginnt die Krankheit mit heftigem ununterbrochenem Fieber, aus dem
sich erst allmählich ein Typus entwickelt. Auch pernieiüse, in
kürzester Frist tödtlich endigende Fälle kommen vor, wenn sie auch
nicht gerade häufig sind. Der typische Verlauf, mit Kälte-, Hitze-
und Sch weiss- Stadien, findet sich bei den einfachen Fallen oft ganz
wie in den nördlicheren Ländern, erleidet jedoch fast ebenso oft
Abweichungen von der Regel. Massenhafte Gallenabsonderung und
erhebliche Blutverluste durch den Darmkanal traten nicht allein bei
mir auf der Höhe des Anfalls ein, sondern kamen auch sonst nicht
selten zur Beobachtung.
Wo nur die leiseste Unterbrechung, oder ein merkbarer Nachlass
des Fiebers war, fand ich das Chinin stets wirksam, ohne grade zu
übermässig grossen Dosen meine Zuflucht zu nehmen, ln Murzuq,
dem Regierungs- Centrum, das in regelmässigster Verbindung mit
nordischer Civilisation stand, wo ein türkischer Militairarzt Station irt
war, der, wenn auch noch so unwissend, doch, und gerade vielleicht
um so mehr, das tropische Universalmittel Chinin kannte, kam dieses
Mittel schon zu ziemlich häufiger Verwendung. Doch sehr Vielen
war ein so theures Medicamcnt nicht zugänglich; still gingen sie zu
Grunde oder genasen, oder suchten durch Aufenthaltswcchsel den
deletären Einflüssen der Stadt zu entgehen. Von andern Heil-
mitteln suchte man höchstens Abführ- oder Brechmittel, den kur-
mässigen Gebrauch der allbeliebten Butter oder dergleichen in An-
wendung zu ziehen, ohne jedoch grosses Vertrauen in dieselben zu
setzen.
Die Hauptsaison der F'ieber erstreckt sich auf Sommer und
Herbst, und mit Vorliebe suchte man ihr Auftreten mit der Reife
der Wassermelonen in Verbindung zu bringen, ganz wie ich cs in
Tunis unzählige Male hatte behaupten hören. Üb etwas Wahres der
Behauptung der hochbetagten Einwohner Murzuqs, dass die Häufig-
keit und Gefährlichkeit der Fieber abgenommen habe, zum Grunde
liegt, wage ich nicht zu entscheiden. Gegen die nach häufigen
und protrahirten F'icbcrn zurückbleibenden Leber- und Milz-An
Schwellungen, von denen jene Kesra und diese Techän (d. h. cigent-
Noctuiga!. I. 1Ü
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14*) 1. BUCH, 5. KAPITE1. KI.IMA UNI) KRANKHEITEN.
lieh nur Milz) genannt werden, wendet man das unvermeidliche Glüh-
eisen oder eine Art Haarseil oberhalb der afficirten Organe oder
innerlich eine Maceration von Kümmel — Kamün — und Knob-
lauch Tüm — in Ocl mit kurmässigem Gebrauch an.
Ausser Murzuq sind in Fezzan noch die Ortschaften des tief-
liegenden, sebcha- und wasserreichen W. Schijäti der Malaria aus-
gesetzt. Hier war es auch, wo zur Zeit meiner Ankunft eine Epidemie
grassirte, die nach meinen sorgfältigen Erkundigungen nur ein Typhus
oder typhusähnliches Fieber sein konnte. Die Krankheit sollte
die dieser Annahme entsprechenden Symptome haben, und die
Bevölkerung war der Ueberzeugung, welche auch in europäischen
Ländern Geltung hat, dass die Entscheidung am 7. oder am 14. Tage
eintreten müsse. Allen Nachrichten zu Folge kommt dieselbe Krank-
heit hier und da in sporadischer Form häufig genug vor.
Von andern Arten blutzersetzender Krankheiten hat die Cholera
Bü Qemasch - gegen Ende der fünfziger Jahre von Tripolis
ihren Weg nach Fezzan gefunden und viele Opfer gefordert. Man
stand ihr rathlos gegenüber und begnügte sich , sie mit Pulvern aus
Zimmct und Zucker zu behandeln. Von Süden her werden nicht
selten durch die Sclavenkarawanen Pocken — Dschiddri einge-
schleppt, wie es bei der relativ belebten Bornüstrassc erklärlich
ist. Bei solchen Epidcmieen träufelt man im Vorläuferstadium dem
Kranken seinen eigenen Urin in die Augen, um diese zu schützen,
und reibt vor der Eruption den ganzen Körper mit demselben Mittel
ein. Nach Ausbruch der Pusteln bedeckt man die ergriffenen Körper-
partieen mit Baumwolle, welche mit erwärmtem Kameelharn durch-
tränkt ist, während man eine leichte Maceration von Zwiebeln und
Tamarinden in die Augen des Kranken träufelt. Die Impfung ist von
Norden her bekannt und wird bisweilen ausgeübt, wobei man die Ope-
ration mit Vorliebe am Ohrläppchen oder an den Schläfen macht.
Wie mir von vornherein wahrscheinlich war, scheinen die ernsteren
chronischen Lungenkrankheiten, welche mit Zerstörung des
Lungengewebes und Zehrfieber einhergehen, selten zu sein, kommen
jedoch immer noch häufiger vor, als ich erwartet hatte. Die Schwind-
sucht ist wohlbekannt und gefürchtet; sie gilt sowohl für erblich
als für ansteckend, so dass man derartige Kranke sorgfältig meidet.
Doch war auffallend, dass in allen Fällen von Verdichtungen der
Lungen mit hektischen Zuständen, die mir zur Untersuchung kamen,
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•UNGK.NK R ANKH EITRN.
117
weder Lungenblutungen vorhergegangen, noch erbliche Anlagen deut
lieh nachzuweisen waren. Die ersteren sollen jedoch Vorkommen und
werden dann mit Alaunpulver in flüssigem Pctt behandelt, wahrend
für die ganze Erkrankung der kurmässige Gebrauch des Hunde-
fleisches und Hundefettes oder einer Suppe des Schwarzkäfers beliebt
ist. Wohl aber waren bei den meisten derartigen Zuständen acute
Krankheiten, Lungen- oder Brustfell-Entzündungen, nach-
weislich vorhergegangen, welche also wohl die Ausgangspunkte ge-
bildet hatten. Diese sind, wenn auch selten, doch ebenfalls häufiger
als ich geglaubt hatte, werden unter dem Namen Bü Dschencb,
d. h. Vater der Seite, zusammengefasst und haben nicht selten einen
ungünstigen Verlauf. Vergebens erwartete ich bei einer Lungen-
Entzündung jene plötzliche kritische Wendung, welche bei uns die
Regel ist; das Fieber verlor sich allmählich, der Kranke erholte sich,
doch langsam und unvollständig, und untersuchte ich die Lungen, so
fand ich, dass dieselben nicht wieder vollständig durchgängig ge-
worden waren. Häufiger, als diese, sind die Brustfell-Entzündungen,
welche gern ohne violente Erscheinungen ihre Ausschwitzungen
machen, aber um so hartnäckiger der vollständigen Aufsaugung
Widerstand leisten. Bei beiden Krankheiten ist der tödtliche Aus-
gang — immer im Verhältnis zu der absolut kleinen Anzahl der
artiger Erkrankungen nicht selten. Man behandelt sie äusscrlich
mit Schröpfköpfen oder dem Universalmittel Glüheisen und innerlich
wohl mit einer filtrirten und massig erwärmten Maceration der jungen
zerquetschten Sprossen des Tundub (Capparis Soda da ). Das Schröpfen
wird ausgeführt, indem man mit dem Rasirmesser Einschnitte macht
und darüber konische Wiederkäuerhörner, die an der Spitze «lurch-
bohrt und durch eine kleine Lederklappe versch liessbar sind, mit dem
Munde durch Luftverdünnung ansaugt.
Wie diese Erkrankungen im Winter Vorkommen, so natürlich
auch die Lungenkatarrhe, welche sich bisweilen in die Länge
ziehen und chronisch werden, ja sogar in einzelnen Fällen zur
Erweiterung der Lungenbläschen und zu asthmatischen Anfallen
Veranlassung geben. Dieselben werden alle nahezu identisch be-
handelt mit einem Gemisch von Alaun, Ingwer, Südänpfeffer und
andern reizenden und aromatischen Substanzen, welche gepulvert mit
flüssigem Fett genossen werden. Auch Keuchhusten-Epidemieen
kommen vor, wie ich in Murzuq in kleinem Maassstabc zu beobachten
10*
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14*
I. BUCH, 5. KAPITEL. KLIMA UND KRANKHEITEN.
Gelegenheit hatte. Man behandelt die Krankheit, indem man kleine
Moxen von Baumwolle mit Schiesspulver in das blaugraue Papier der
Zuckerhüte wickelt und auf dem oberen Thcil des Brustbeins appli-
cirt, wobei nach der Meinung der Leute gerade jene Art von Pack-
papier zur Erzielung der gewünschten Wirkung unentbehrlich ist.
Im Ganzen sind jedoch diese Erkrankungen immerhin selten und
werden weit überwogen von den Krankheiten der Verdauungs-
Organe, den Rheumatismen, den Hautkrankheiten, der
Syphilis und den Augenkrankheiten.
Wenn leichtere Verdauungsstörungen sehr häufig sind, so kamen
doch ernstere Leiden der Art, wie Magenkrebs, Magengeschwüre,
Leberkrebs und dergleichen, sehr selten zu meiner Beobachtung.
Meine eigenen Erfahrungen für Fezzän erstrecken sich freilich nur
auf den Zeitraum eines halben Jahres, aber häufige Erkundigungen bei
gebildeten Personen erlauben mir doch manchen sicheren Schluss
zu ziehen. Während der ganzen Zeit sah ich in Murzuq nur einen
Fall von Leberkrebs. Einfache Magenkatarrhe werden gern
mit Abführmitteln Mushil — oder Vomitiven — Muqeija — be-
handelt, oder man giebt den Kranken Knoblauch und Butter ab-
wechselnd in kleinen Mengen. Darmkatarrh mit Abweichen in
Folge von Ueberladung des Magens mit kräftiger, stickstoffhaltiger
Nahrung, erfordert Fenchel mit Datteln und Butter zu seiner Heilung;
ist er aber eine Folge von Süssigkeitcn, so wirkt nach dortiger
Therapeutik eine leicht säuerliche Milch mit Gummi besser. Dyssen-
terie scheint stets sporadisch vorzukommen, tritt selten mit so
alarmirenden Symptomen auf, wie im Norden, ist aber dafür um so
hartnäckiger. Man behandelt sie mit dem Qarad, der gerbstoff-
haltigen Frucht der Acacia milotica, oder mit Knochenmehl und
schreitet in protrahirten Fällen wohl zur Application des Glüheisens
auf die Gegend der Sitzknorren. Sie wird häufig verwechselt mit
Hämorrhoiden — Bäsür, plur. Bawäsir — , für deren Entstehung
man dem Hocken mit dem Rücken gegen die von der Sonne erhitzten
Hauswände Schuld giebt. Gegen dieselben empfiehlt man sympathische
Mittel, als Sitzen auf grünen Tabaksblättern, Schlafen auf Löwen-
oder Tigerfellen und dergleichen, oder Medicamentc, als rothen
Pfeffer, Hilba ( Trigonelia Foenum graecum) und Weizenmehl zu
gleichen Theilen mit Butter. Bei Rachen- und Mandel -Ent-
zündung ist man schnell bereit, das Zäpfchen abzuschneiden, wenn
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KRANKH. n. VF.RDAUUNOSOKG. — KHKl'MAT. — HAUTKRANKH. 1-1P
dies sudanischem Gebrauche zufolge noch nicht geschehen ist, oder
es wenigstens zu scarificiren: sind die Kranken messerscheu, so tragen
sie Knoblauch um den Hals und man feuchtet ein Gemisch von Hantit
(Asa foetida) und Zibäd mit Speichel an und bestreicht damit Man-
deln und Zäpfchen. — Gegen die häufig vorkommende Gelbsucht
Bü Safir — geniesst man kurmässig Morgens ein Gericht aus gut-
gestossenem Kurkum (Curcuma), Eiern und Zwiebeln, die in Butter
gebraten werden und eine Zuthat von Salz verlangen. Dabei schläft
man auf einer Streu von Luzerne, um Morgens den Anblick des
Grünen zu haben.
Ebenso häufig, als die gewöhnlichen Verdauungsstörungen, ist
Rheumatismus, der vom acuten Gelenk- bis zum leichtesten
Muskelrheumatismus zur Beobachtung kam, doch so, dass die-
jenigen Fälle bei weitem überwiegen, bei denen keine Ergüsse in
die Gelenke stattfinden, sondern welche von vornherein einen leich-
teren doch schleppenden Charakter haben. Hier tritt vor allen
anderen Mitteln das beliebte Glüheisen in seine Rechte, da die auf
der Nordküste bei solchen Affectionen beliebten heissen Bäder in
Fezzän nicht- existiren.
Die vorkommenden Hautkrankheiten sind sehr mannichfach.
Fieberhafte Hautkrankheiten wie die Masern — el-Hasba werden
mit einer Abreibung von üel und Salz behandelt, während die
Nesseln — el-Hasds — die Einreibung mit dem weniger appetit-
lichen Unrath von Rind, Hammel und Kameel erheischen. Bei ober-
flächlichen Hautentzündungen in Folge von übermässiger Schweiss-
bildung bei sich berührenden Hautflächen (Intertrigo) ist eine Paste
aus Alaun, Fenchel, Nelken, Rosenblättern und pulverisirten Dattel-
kernen in häufigem Gebrauch. Eine besondere Aufmerksamkeit
wendet man den Achselschweissen zu, deren übler Geruch nach
der allgemeinen Ueberzeugung einen grossen Theil der Entzündungen
der Bindehaut des Auges verschuldet. Papeln und Pusteln
Habb esch-Schebeb behandelt man in leichteren Fällen mit einem
Liniment aus Jasminoel mit etwas Wachs; in wenig ausgedehnten
und hartnäckigeren mit dem scharfen Milchsäfte der Ca/otropis pro-
fern, einer Salbe aus den gepulverten Saamen von Ricinus oder mit
der ultima ratio des Glüheisens. Phlegmonöse Entzündungen,
Aqra — Erysipele, Blutgeschwüre, Umläufe und Kar-
bunkel bestreicht man mit einem Liminente aus Myrrhe, Mahüleb
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IÖO I. BUCH, 5. KAPITK.I. KLIMA UND KR ANKHKITEM.
(Prunus Mahaleb). Safran und Rosen, oder bedeckt sie mit einem
Kataplasma von gepulverter Hinnä in Ziegenfett gekocht, und gegen
Pilzbildungen der Haut und Krätze - Dschcrab — helfen Lini-
mente von Schwefel Kebrit — mit dem ausgequetschten Safte
junger Weizenpflanzen oder von Schiesspulver in Oel. Die Krätze
ist sehr häufig, doch muss man bei der Untersuchung zweifelhafter
Fälle stets im Auge haben, dass die Krankheit bei der grossen
Reinlichkeit, welche der Islam Händen und Vorderarm zuwendet,
an diesen weniger zum Ausdruck kommt.
Zuweilen sah ich unregelmässige Pigment- Ablagerungen
luiter der Wangenschleimhaut, schwarze oder schwarzgraue Flecken,
welche Kelef genannt und mit dem schaumigen Schweisse der Innen-
flächen der Oberschenkel erhitzter Pferde behandelt wurden. Die
Entfärbung und Atrophie der Haut, wie sie ein Stadium der Lepra
kennzeichnet und als Baras auf der Nordküste bekannt ist, kommt
in Fezzan weniger häufig vor als in den Küstenländern und viel
seltener als im Sudan. Der in dem letzteren so häufige Guinea-
wurm ( Filaria Medinaisis) wird zwar von dort bisweilen eingeschleppt
und ist unter dem Namen Irq (plur. Oruq), d. h. eigentlich die Ader,
bekannt, herrscht aber keineswegs in Fezzan endemisch.
An die Hautkrankheiten schliesst sich in natürlicher Weise die
Syphilis, durch deren häufiges Vorkommen in der Hauptstadt man
sich nicht verleiten lassen darf, einen Schluss auch auf die übrigen
Oasen zu ziehen. Bei der grossen Unsittlichkeit, welche Murzuq's
Bewohner kennzeichnet, ihrem Reichthum an sensuellen Sclavinnen,
ihrem häufigen Verkehr mit Bornü einer- und Tripolis andererseits,
kann das häufige Vorkommen der Krankheit nicht Wunder nehmen,
und der Leichtsinn der davon Ergriffenen garantirt die weiteste Ver-
breitung. Noch war sie bei eien Bewohnern nordischen Ursprungs,
wie in Tunis und Tripolis, als el-Kebir, el. h. die grosse (nämlich
Krankheit), oder es-Sultäna, d. h. die Königin (namJich der Krank-
heiten), bekannt und, wenn man sich so ausdrücken darf, geschätzt.
Wie sie dort im Volke für eine sehr anständige Krankheit, die auch im
Paradiese wohl gelitten sei, gilt, so schämte sich in Fezzan wenigstens
Niemand, an ihr zu leiden oder es öffentlich zu erzählen. Doch in den
kleineren Populationscentren und fern von der grossen Strasse ist diese
für uncivilisirte und halbcivilisirtc Völker so verhängnissvolle Seuche
selten, und in einigen Orten stiessen meine darauf bezüglichen Nach-
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SVPHII.IS. — KRANKHEITEN PER HARNORGANE. 151
fragen kaum auf Verständniss. Ihr Verlauf scheint im Allgemeinen
ein rapider zu sein; die Symptome der Blutvergiftung folgen bald
auf die locale Ansteckung, und die ganze Reihe der constitutionellen
Erscheinungen bis zu den Knochenerkrankungen wickelt sich schnell
ab. Die Behandlung geschieht bei den relativ gebildeten Leuten
mit der generell ’Oscheba, d. h. eigentlich Kraut, genannten Sarsa-
parilla, welche in Tunis und anderen Ländern der Nordküstc unter
dem schönen Namen Mabrüka, d. h. die Gesegnete, berühmt ist,
oder mit anderen Holztränken unter gleichzeitiger Hungerkur. Die
eigentlichen Eingeborenen behelfen sich mit der in der Wüste so
weit verbreiteten Coloquinthc Handal — , indem sie in bestimmten
Zeitzwischenräumen Milch trinken, welche zwölf Stunden in der aus-
gehöhlten Frucht gestanden hat. Doch während dieser Behandlung
darf der Kranke kein Ziegen-, Rind- oder Kameclfleisch gcnicssen,
sondern muss sich auf Hammelfleisch beschränken. Leichtere locale
Uebel, die aus unreinem Geschlechtsverkehr resultiren, sind von
erschreckender Häufigkeit und haben oft, bei der mangelhaften Be
handlung, die man ihnen zu Theil werden lässt, die betrübendsten
Folgen, wie Verschliessung der Harnröhre, Harnfisteln und so weiter.
Man behandelt sie nur innerlich und zwar mit Macerationen von
Granatapfelschaalen oder den gerbstoffhaltigen Schoten der Acacitt
nilotica.
Von Krankheiten der Harnwerkzeuge kamen mir die
ernsteren weder zur Beobachtung, noch schienen sie als solche be-
kannt zu sein, wie die der Nieren, die Steinkrankheit u. s. w. Gegen
die Unmöglichkeit, den Harn zu verhalten, giebt man den Kindern
eine Suppe aus einem Theile Cochenille und zwei Theilen Gersten-
mehl, während das Gcgentheil, die Urinverhaltung, einfach mit
Gerstenschleim behandelt wird. Vergebens suchte ich mir das
häufige Vorkommen des Blutharncns — ei-Harr — ohne Blasen-
katarrh oder Nierenkrankheiten zu erklären, das von den Einge-
borenen als eine Folge allzuheftiger Einwirkung der Sonne angesehen
wird. Es verdankt sicherlich auch dort jenem Entozoon seinen Ur-
sprung, das seitdem vorzüglich aus Egypten bekannt geworden ist.
Man behandelt es in Fezzan mit Leinsaamenmehl und kohlensaurem
Natron in Ocl.
Neben dem Rheumatismus in seinen leichteren Formen und
den chronischen Verdauungsstörungen stellen die Entzündungen
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|»2 I. BUCH, 5. KAPITEL. KI.IMA UND KRANKHEITEN.
der ausseren Augengebilde mit ihren Folgezuständcn das Haupt-
contingent zu den Erkrankungen. Die Leiden des inneren Auges,
der graue und schwarze Staar, Leiden der Netz- und Aderhaut, des
Sehnerven und des Glaskörpers, sind nicht eben zahlreich, doch ist
die Zahl derjenigen Personen, welche intactc Horn- und Bindehäute
haben, noch geringer. Die Aflfectionen der letzteren fasst man unter
dem Namen Ramad zusammen und behandelt sie ebenso summarisch
entweder mit einem aus Kandiszucker, Habbet es-Södä {Nigel/a sa-
tiva), Lisän el-Bahar ( Os Sepia?), Myrrhe und Tütia (unreines Zink-
oxyd) gemischtem Pulver, das in kleiner Quantität ins Auge ge-
bracht wird, oder mit getrockneter, pulverisirtcr und zuckerge-
mischter Rabcngalie Merärat el-Ghorab. Ein sehr grosser Tlieii
der zerstörten und dicht getrübten Hornhäute kommt auf Rechnung
der Pocken.
Von Frauenkrankheiten kamen Menstruationsstörungen, Un-
fruchtbarkeit, Fehlgeburten, Entzündungen der Brustdrüse, Brust- und
Gebärmutterkrebs, Mutterblutungcn und dergleichen zu meiner Kennt-
niss; jedoch waren dieselben nicht häufig. Dass die Pubertät so
aussergewöhnlich früh einträte, wie manche Reisende aus Fezzän be-
richten, kann ich nicht bestätigen. Ich habe gewiss ebenso viele
Mädchen gesehen, welche mit 15 Jahren noch nicht menstruirt waren,
als solche, die das Zeichen der Reife mit 12 Jahren darboten. Um
diese Zeit sucht man die jungen Mädchen wohl fett zu machen
durch die tägliche Darreichung einer kleinen Quantität Hantit oder
den kurmässigen Gebrauch der Hilba. Tritt die Menstruation trotz
entwickelten Körpers nicht ein, oder bleibt sie aus ohne Schwanger-
schaft oder nachweisbare anderweitige Erkrankung, so geniesst die
Kranke drei Tage lang eine Paste aus der Füa-Wurzel (Färberröthe,
Rubia tmetorum) und Gerstenmehl mit Butter und Zucker. Nach
heftigem Abweichen tritt oft die erwünschte Blutung ein. Wenn
diese allzu reichlich wird, so duldet man sie sieben Tage und tritt
ihr dann durch ein Getränk von stark maccrirten Feigenblättern ent-
gegen. Auch die Rose von Jericho Komescht en-Nebi — und
Schedschrat er-Riäh ( Haplophyllum tubercu/alum) werden als men-
struationsbefördernd gerühmt. Die Feigenblätter bilden auch das
1 lauptmittel gegen Gebärmutterblutungen und werden in ihrer Wir-
kung durch äusserliche Waschung mit Taubenkoth in Wasser unter
stützt. Gegen erschwerte Menstruation haben getrocknete Granat-
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Al'GKNLKIDKN. — I KAUtNKK ANKHEITKN. Jftil
apfelschalen, in Pulverform in die Suppe gethan, einen guten, die
Verheirathung aber den besten Ruf. Die Entzündung der Brust-
drüse wird mit sonderbarer Einmüthigkeit dem unvorsichtigen
Genüsse eines nicht gesehenen Haares in der Milch oder iin Wasser
zugeschrieben und durch ein Liniment aus Myrrhe, Moschus und
Safran behandelt, ganz wie der Brustkrebs, doch muss die Kranke
auf das Acngstlichste jede Nahrung vermeiden, welche von ge-
schwänzten Thieren kommt, wie Fleisch, Fett, Milch und Butter.
Der Gebärmutterkrebs wird vergebens bekämpft durch den kur-
mässigen Genuss eines Gerichtes, das aus Hub-, Hornklee- und Zwiebel-
Saamen und Gerstenmehl zu gleichen Thcilen mit etwas Krcsse-
Saamen - Habbet er-Reschäd und Eisenfeilspänen zur Paste ge-
formt wird.
Die Fruchtbarkeit der Frauen sucht man zu vermehren
durch den unmotivirten Genuss getrockneter Eingeweide junger
Häschen, die noch an der Mutterbrust waren. Da die Keuschheit
junger Mädchen eine seltene Erscheinung in Fczzän ist, und doch
ein lebendiger Beweis ihres Leichtsinns unter Umständen ein Hin-
derniss für die Verheirathung abgiebt, so sucht man nicht selten
Abortus hervorzurufen. Man schreckt um so weniger davor zurück,
als das Gesetz sich um solcherlei Dinge nicht kümmert und alte
Weiber ungestraft ihre kundige Beihülfe leihen können. Die be-
kanntesten äusserlichen dahin zielenden Mittel sind Kügelchen von
Rauchtabak oder solche von Baumwolle mit dem Safte des Oschar
(Calotropis [>rocera)\ innerlich sollen Kuss irdener Kochgeschirre und
eine 1 linnä-Maccration dieselbe Wirkung haben.
Dass ein Kind im Mutterlcibe für Jahre oder sogar für immer
, .schlafen” könne, bezweifelt Niemand, und da die Fezzäner häutig
und lange auf Reisen sind, so giebt dieser fromme Glaube den leicht-
sinnigen Ehefrauen eine willkommene und bequeme Handhabe, um
dem Gatten nach Jahre langer Abwesenheit einen während dieser
Zeit eingetretenen Familienzuwachs in einem ehrbaren Lichte er-
scheinen zu lassen. Der Keim des Kindes ist vor der Abreise gelegt
worden, doch Gott hat versäumt, ihn zum wirklichen Leben, zur Geburt
rechtzeitig zu erwecken. Mancher Gatte mag wohl in solchem Falle
seine Zweifel nicht ganz unterdrücken können, doch gegen die Mög-
lichkeit jahrelanger Geburts- Verzögerungen ist absolut Nichts zu
sagen, und selbst mein kluger Freund, der Hadsch Brähim Ben Alüa,
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I. BUCH, 5. KAPITK1.. KI.IMA UND KKANKIIKITKN.
154
war von der Häufigkeit solchen Vorkonimens auf das Festeste uber-
zeugt.
Die Geburten verlaufen meist leicht und ohne Kunsthülfe; ist
die Wehenthätigkeit zu schwach, so verordnete man eine Maceration
von Melüchiablättern in Oel. Etwa auf Geburten folgende Entzün-
dungen der Gebärmutter werden in eigenthümlicher Weise bekämpft,
indem man Ziegenfleisch mit aromatischen und reizenden Substanzen
aller Art bis zur beginnenden Fäulniss hinstellt und alsdann von
den Kranken verzehren lässt. Die Kopfblutgeschwulst der Neu-
geborenen wird mit Cataplasmen von Weihrauch Lubän bedeckt.
Koliken der kleinsten Kinder werden mit einem Gemische von
Hantit, Qarad, Hilba, Granatapfelschaalen, Fenchel, Rosmarin, Schinh
( Artemisia hcrba-alba) behandelt, das mit Wasser und Zucker in den
Lutschbeutel gethan wird. Zeigen sich Aphthen im Munde — Hü
Qattäm — so bringt man ein Gemisch von Fenchel- und Qarad-
l’ulver auf die betreffenden Schleimhautstellen. Wollen die Kinder
an der Mutterbrust nicht vorangehen , so werden . ausser etwaiger
Schwangerschaft der Mutter, übernatürliche Gründe zur Erklärung
herbeigezogen, und folglich auch ebenso unnatürliche Mittel ange-
wendet. Man wäscht die Kinder in Wasser, das aus sieben Brunnen
genommen wird, und in das man Fenchel, Hantit und dergleichen
Substanzen gethan hat. Hilft dies nicht, so wird die Mutter als
schwanger angesehen und man wartet ruhig auf die etwaige Geburt des
neuen Kindes. Tritt dieselbe ein, so legt man das erste Kind, wenn
dasselbe noch am Leben ist, in die Schüssel, welche die ganze Zugabe
des Neugeborenen enthält, und ist von seiner sicheren Heilung über-
zeugt. Man säugt die Kinder mindestens zwei Jahr, und will man
die Secretion der Muttermilch versiegen lassen, so drückt man diese
in ein heisses Porzellan- oder Metallgefass aus; mit dem Zischen der-
selben soll man sicher sein, dass die weitere Absonderung im Busen
erlischt.
Diejenige Klasse von Krankheiten, welche am seltensten zu sein
scheint, ist die der Gehirn- und Nervenkrankheiten; wie auch
Geisteskrankheiten kaum zur Beobachtung kommen, und mir
der traurige Anblick der nicht simulirenden heiligen Irrsinnigen, die
in den civilisirteren mohammedanischen Ländern uns auf Schritt und
Tritt aufstossen, in Fezzän gänzlich erspart blieb. Zwar kannte man
Schlaganfälle, Gehirnficber, epileptische und andere Krämpfe, Läh-
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KRANKHHTKN HKS NKKVKNS VSTK.MS. VKRCIKTL'NCKN. |5o
mungen etc., doch musste man schon vielfache Nachfragen anstellen,
ehe man Leute fand, die dergleichen gesehen hatten. Ich selbst sah
nur einige Mal schleichende Rückenmarks-Fintzündungen, Neuralgien,
epileptische Kranke und hysterische Frauen. Alle derartige Krank-
heiten schreibt man übernatürlichen Einwirkungen, sei es dem Teufel
Iblis — , sei es, und zwar häufiger, den Geistern — Dschinn
zu und behandelt sie dem entsprechend durch Sympathie und zauber-
volle Qoränsprüche. Selbst der heisse Gerstenbrei, den man bei
Gehirnentzündung den Kranken auf den Kopf legt, muss von Hunden
oder Kindern gegessen werden, wenn er wirksam sein soll; oder wenn
man in demselben Falle ein Gelass mit Wasser auf den Kopf setzt
und ein glühendes Eisen in demselben löscht, so muss jenes nach
hinten vom Kranken entfernt werden, wenn es helfen soll. Schon
bei hartnäckigem Kopfschmerz, der nicht in einfacher Weise erklärt
werden kann, deutet man durch das gebräuchliche Mittel der Räuche-
rung mit verbrannten Haaren eines Bruders oder einer Schwester
des Erkrankten den geheimnissvollen Ursprung der Krankheit an. Bei
auffallender Schlaflosigkeit thut man wohl Eulenaugen in ein Ge-
fass mit Wasser und bindet dasjenige, welches untersinkt und eines
sinkt nach der Behauptung meiner Referentin, einer vielbeschäftigten
dortigen Collegin, stets auf denGrund, während das andere schwimmt
an den Kopf des Kranken, während im Gegentheile das schwimmende
Auge, in derselben Weise angewendet, den Schlaf fernhalten soll.
Bei epileptischen und andern Krampfzufallen vermeidet man die
rothe Farbe, bedeckt den Kranken mit schwarzen Stoffen, giebt ihm
Indigo zu riechen und sorgt dafür, dass sich ihm keine Erwachsenen
nähern.
Von Vergiftunge-n kommen, ausser den von animalischen
Giften herrührenden, höchstens die durch Arsenik und Grünspan vor,
welche mit einer Abkochung von Portulak und Rhinoceroshorn be-
handelt werden. Letzteres hat übrigens auch dort gegen die übrigen
vorkommenden Vergiftungen durch Vipernbiss und Scorpion-
stich den ausgezeichneten Ruf, dessen es sich in der ganzen isla-
mitischen Welt erfreut. Gegen die letzteren gilt auch ein anderes
Verfahren als wirksam, welches ebenso barbarisch als unsinnig ist.
War der verletzte Theil eine Hand, so drängt man dieselbe, so
weit es geht, mit Gewalt in den After von drei lebendigen Hühnern,
bis die armen Thiere umkommen; war es ein Fuss, so tödtet man
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15fl
I. MICH, 5. KAPITKL. KLIMA UND KKANKIIKITEN.
schnell einen Hund und setzt den Fuss in seinen Bauch. Als wirk-
sames Mittel gegen beide wird auch das Fett der Waran -Eidechse
Ural oder Waral — betrachtet, welche, lebendig im Hause ge-
halten, sowohl Vipern als Scorpione überhaupt fern hält. Was übrigens
die Scorpionsstichc betrifft, so habe ich in Fezzan nie, so oft ich
auch Gelegenheit hatte, dieselben zu beobachten, dauernde und
ernsthafte F'olgen eintreten sehen, wenn auch Anschwellung des
verletzten Theiles, neuralgische Schmerzen und Lähmungen einige
Tage hindurch anhielten. Die Hundswuth war den Bewohnern
durchaus unbekannt.
Auch in F'ezzan, wie in vielen Ländern des Orients, sind die
Mittel, welche die männliche Kraft vermehren sollen, ein Gegenstand
lebhafter Nachfrage. Die von Norden gekommenen Bewohner machen
wohl Gebrauch von den zahlreichen zu diesem Zwecke empfohlenen,
meistens durch reizende Substanzen , wie Canthariden , sehr schäd-
lichen Medicamenten, oder von Ingwer und Ambra, welche eines
gewissen Rufes geniessen; doch die mit dem Sudan Vertrauten wissen,
dass das untrüglichste Mittel die sogenannte Teqwia ist, welche in
dem Fett gewisser Körpertheile des Aju genannten Mn na tu s Vogelii
besteht. Das Thier ist verhältnissmässig häufig im Binue und seinen
Zuflüssen, und das Mittel wird von den Kaufleuten aus den Haussa-
Slaalen zurückgebracht und theuer verkauft.
In chirurgischer Beziehung wissen die Fezzäner einfache
Wunden zu behandeln, deren Reinerhaltung durch Qarad-Abkochung
oder Alaunwasser bezweckt wird, oder welche man einfach mit etwas
salziger Butter verbindet, gewöhnliche Verrenkungen einzurichten
und Knochenbrüche zu schienen. Um die neue Knochcnbildung
zu unterstützen, geniesst der Kranke Duchnbrei und Hühnerfleisch,
welche in dieser Beziehung einen guten Ruf haben. Gegen Blutun-
gen grosser Gefässc pflegt man siedende Butter in Anwendung
zu ziehen; doch gegen schwer stillbarc Blutungen aus Nase, Darm-
kanal, Gebärmutter hilft der aus Arabien gebrachte Ring mit einem
Blutjaspisstein — Chätem ed-Dcmm — , der je nach dem Sitze der
Blutung am Kopfe, auf dem Bauche etc. befestigt wird. Rationeller
war die Behandlung der Verbrennungen mit einem Linimente aus
rohen Eiern und den gepulverten Blättern von Corclwrtis olitorius.
Uebcr die Ursachen der Krankheiten hat der Fezzäner die vagen
und abergläubischen Theorien, welche auch bei den ungebildeten
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CHIRURGISCHE KENNTNISSE. — PHYSIOLOGISCHE ANSCHAT' UNGEN. ]ö7
Klassen europäischer Völker noch vielfach Geltung haben. Zum Theil
sind es die Geister Dschinn , welche angeschuldigt werden; noch
mehr Unheil aber richtet der böse 'Hl ick el-'Ain, d. h. das Auge,
an. Ein gesundes, schönes Kind, ein gutes Kamccl, ein hübsches
l’fcrd kann gar nicht sorgfältig genug vor dem Einflüsse des letzteren
geschützt werden. Viele üben in bewusstem Neide einen derartigen,
verhängnisvollen Einfluss aus; Manche aber sind, ohne Zauberei aus-
uben zu wollen, von Natur mit dieser gemeinschädlichen Eigenschaft
gebrandmarkt, und man muss sich sehr vor ihnen in Acht nehmen.
Jedes Haus hat an der Thür, auf der Schwelle oder irgendwo eine
Inschrift, ein mystisches Zeichen zur Abwehr, und Mensch und
Thier trägt am Arme oder Halse Eckzähne des Wildschweins,
Fischknochen, Hundszähne oder geschriebene, geheimnisvolle Amu-
lete gegen die bewussten und unbewussten Zauberer. Wenn der
Glaube an diese auch in den meisten Ländern Europas erheblich
abgenommen hat , so haben die unbestimmten Theorien der nicht
übersinnlichen Krankheits-Entstehungen im Volke bei uns noch weit-
verbreitete Geltung, und eben dieselben Anschauungen finden wir
auch in Fczzän gang und gäbe. Auch dort wird über ein Nahrungs-
mittel als „gesund" oder „ungesund", als „heiss" oder „kalt" abge-
urthcilt; auch dort trägt „das Blut” oft die Schuld an Erkrankungen,
welche dann natürlich anders behandelt werden müssen, als wenn
sie aus „Erkältung" entspringen. Hält sich der Kranke an diese für
ihn sehr klaren Begründungen seines Zustandes, so greift er auch
nach einer für ihn rationellen Behandlung und sucht den Einfluss
der heissen Nahrungsmittel durch „kalte" zu paralysiren, nimmt „heisse"
Sachen gegen die Erkältung ein und zieht mit ebensolcher Energie
gegen „das Blut zu Felde, wie noch vor einem Menschenalter bei
uns zu geschehen pflegte. Glücklicher Weise ist die Kunst des Ader-
lassens in Fezzän nicht geläufig genug, sonst würden sich die Ein-
wohner im Frühjahr und Herbste regelmässig die Ader schlagen
lassen. So begnügen sie sich in regelmässigen Pausen mit der An
wendung der Schröpfköpfe, und die Gebildeten nehmen von Zeit zu
Zeit Abführmittel. Zu letzteren wählt man mit Vorliebe Tamarinden,
welche Vielen zugänglich sind, Rhabarber - Räwend , der aller-
dings, in so hohem Ansehen er auch bei den Mohammedanern steht,
selten zu haben ist, oder Bittersalz — Miläh el-Inqlis, d. h. englisches
Salz — , das von der Nordküste kommt. Die Ungebildeteren wenden
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I. IIUCH, 5. KAI'ITKI.. KLIMA UNlJ KRANKHEITEN.
UW
zur Erzielung der angestrebten Wirkung Hausmittel an, wie grössere
Quantitäten von Honig, frischem Laqbi, Kameelmilch, denn Alle
haben merkwürdiger Weise ein gewisses Vorurtheil gegen die in
ihrem eigenen Lande so verbreiteten und so wirksamen Mittel, die
Senna und die Coloquinthe. Man zieht diese zwar in Gebrauch,
doch nur in hartnäckigen Fällen und mit einem gewissen Wider-
streben. Die Anwendung des Klystiers wird, wie im ganzen Orient,
so auch in Fezzän allgemein verabscheut; ein dazu rathender Arzt
stösst auf einen entschiedenen, schäm- und geheimnissvollen Wider-
stand.
Neben diesen Hauptprincipien, zu denen noch die Ueberzeugung
von der Nützlichkeit des Glüheisens und der flüssigen Butter oder
des Olivenöls in fast allen Fällen von Erkrankung kommt, lieben die
Fezzaner in den einzelnen Fällen auch eine complicirtere Therapie, in
der wir viele Medicamente finden, welche noch jetzt bei uns im
Gebrauche sind, wie aus den oben aufgefiihrten einzelnen Recepten
erhellt.
Die ärztliche Kunst wird zwar nicht von besonderen Berufsärzten
ausgeübt, ist aber doch vorzugsweise im Besitze alter, erfahrener
Frauen, die aus ihrer praktischen Anwendung gewissermaassen ein
Gewerbe machen Doch die Grenzen ihrer Wirksamkeit sind voll-
ständig bekannt, und jenseits dieser wird ausschliesslich an die Reli
gion appellirt, die ihre geheimnissvollen Amuletc und Talismane
durch die Hand „weiser Männer” liefert. Hierin unterscheidet sich
«ler Fezzaner durchaus nicht von den Bewohnern der Nordküste,
lässt sich eben so viele heilkräftige Sprüche auf den Körper, in
die Nähe des leidenden Organes, schreiben, verschluckt eben so
häufig ein Stückchen Papier mit der heiligen Inschrift oder trinkt
die abgewaschene Tinte derselben und glaubt ebenso fest an Liebes
zauber und Amulete, welche kugel-, hieb- und stichfest zu machen
o«ler Krankheiten vorzubeugen im Stande sind, als jene.
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Sechstes Kapitel.
GESCHICHTE UND BEVÖLKERUNG VON FEZZÄN.
Phazania, «las Laml der Garamanten. — Hrrodot’s Angalnm. — Die Römer in Fnaln. —
Nachrömisches Dunkel. — Libyer und Berber. — Arabische Elemente in Afrika vor
«lern Islam. — Araber und Berber. — Invasion der Araber nach Gründung des Isläm.
— Vordringen der Küstenl>evolkerung in die Oasen der Wüste. — Ausbreitung «1er
Kdnem Herrschaft über Fezzdn. — Reste derselben in Trdgen. — Die Nesör und
Qormdn. — Die Dynastie der Auläd Mohammed aus Marokko. — Abriss ihrer Ge-
schichte. — Kämpfe Fezzdn’* um seine Unabhängigkeit von Tri)>oÜJi. — Ende der
marokkanischen Dynastie durch el-Muqnl. — Die Auläd Soltmdn , ihre Kämpfe und
Niederlage. — Abd el-Dschlll. — Eroberung Fezzdn’s durch die Auldd Soltmdn. —
Kämpfe AM el-DschlUs gegen die Türken. — Herrschaft «ler Türken. — Einthcilung
un«l Administration Fezzdn'*. — QAimaqäm oder Mutdsarrif. — Mudtr. — Türkische
Beamten wirthschaft. — Abnahme der Bevölkerung und des Wohlstandes. — Steuer-
kraft des Landes. — Machtlosigkeit der I^ocalregierung. — Bevölkerungsstatistik. —
Bevölkerungselemente. — Eigentliche Fezzdner und ihre allmähliche Umbildung. —
Subäthiopische Volksstänime. — Beschreibung «ler Fezzdner. — Verschietlenheil von
den Tedd. — Kleidung. — Charakter «ler Städte un«l Häuser. — Kastelle. — Be-
waffnung. — Sociale Sitten. — Religiöses Leben. — Die Senüstja und ihre Aus
breituug. — In Fezzdn Übliche Sprachen — - Zusammen fassende Charakteristik.
Fezzän ist die alte Phazania. das Land der Garamanten, welche
zu ihrer Zeit sich freilich nicht auf die Grenzen des jetzigen Fezzän
beschrankt zu haben scheinen. Wo Plinius über die Expedition des
Cornelius Balbus in jene Gegend, welche diesem einen Triumphzug cin-
brachte, berichtet, sagt er, dass oberhalb der Syrte, gegen die Wüste
hin, sich Phazania ausdehne mit den Städten Alaela und Cillaba, welche
die Römer ebenso unterjocht hätten, wie Cydamus in dem benachbar-
ten District von Sabrata; dass dann eine lange von Osten nach Westen
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1(50 I. Hl’C'.H, 6. KAPITEl- GESCHICHTE UND IIEVÖI.KF.RUNG VON FKZZÄN.
verlaufende Kette von Bergen folge, welche man wegen ihres ver-
brannten Aussehens die „schwarzen" nenne; und dass jenseits der-
selben die eigentliche Wüste folge mit den Städten Matelges, Dcbris
und Garanta, von denen die letztere die berühmte Hauptstadt der
Garamanten sei. Von diesen und allen übrigen bei Gelegenheit des
Triumphzuges des Baibus figurirenden Orten und Stämmen ver-
mögen wir Cydamus mit dem heutigen Ghadames, Garama mit
der Ortschaft Dschcrma des W. el-Gharbi und vielleicht Cillaba mit
dem heutigen Zella zu identificiren. Damit ist die Identität des
heutigen Fezzan mit der alten Phazania, die übrigens schon aus dem
Namen erhellt, voll bewiesen, wie auch kein Zweifel bleibt, dass in
alten Zeiten die Garamanten diese Gegend inne hatten.
Herodot, als er die Bewohner Libyens, von Egypten aus nach
Westen gehend, aufzählt, sagt, nachdem er die dem Meere zu-
nächst wohnenden erledigt hat, dass eine sandige Erhebung von
Theben bis zu den Säulen des Herkules verlaufe, welche in Zwischen-
räumen von zehn zu zehn Tagemärschen Hügel aus Steinsalz mit
Süsswasserquellen habe, an denen, von Theben beginnend, zuerst
die Ammonicr, dann die Audschilcr und dann die Garamanten wohn-
ten. Westlich von diesen wohnten Gaetuler und südwestlich, südlich
und südöstlich Aethiopier. Nachdem das Land der Garamanten
durch Cornelius Baibus zur römischen Provinz Phazania geworden
war, deren Hauptstadt Garama blieb, hatten noch einige Expeditionen
der Römer statt, von denen eine unter der Führung des Septimus
Flaccus, eine andere unter Julius Maternus sogar die südlich von
Fczzän gelegenen äthiopischen Länder erreichte. Spärliche Reste
von Baulichkeiten im alten Garama, aus mächtigen Quadern rötli-
lichen Sandsteins, welcher der nahen Amsakkette entnommen wurde,
sind die Zeugen der römischen 1 lerrschaft.
Der Zug des Baibus fand zwei Jahrzehnte vor unserer Zeitrech-
nung statt, und die folgenden Expeditionen etwa hundert Jahre später.
Von da ab verschwindet das Land aus den überlieferten Zeugnissen
der wechselvollen Geschichte Nordafrika’s. Mehr als drei Jahr-
hunderte später machten die Vandalen nach und nach der römischen
Herrschaft in Afrika ein Ende, um ihrerseits nach einem Zeitraum
von weniger als einem Jahrhundert den Mauren und Byzantinern
zu weichen. Diese tiefgreifenden und fast rastlos auf einander
folgenden Umwälzungen beschränkten sich auf die der Küste zu-
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LIBYER, PHÖNIZIER, BERBER UND ARABER. 161
nächst gelegenen I-änder; die eigentlichen Wüstenlandschaften mit
ihrer zerstreuten Bevölkerung und natürlichen Armuth konnten keine
Rolle bei welterschütternden Ereignissen spielen, und die Geschichte
schweigt über ihre Schicksale. Die mohammedanische Invasion
schloss die alte Zeit ab, und mit der neuen Aera kommen wieder,
wenn auch spärliche, Nachrichten über einen Theil P'ezzän’s. Es ist
jetzt weder von Garamanten die Rede, noch von Libyern, noch von
einem einheitlichen Lande Phazania, sondern von Berbern und ein-
zelnen Sitzen derselben.
Die Libyer, welche schon ein Jahrtausend vor unserer Zeitrech-
nung von den Phöniziern bei der Gründung Utica's vorgefunden
wurden, müssen von uns als Autochthoncn angesehen werden, wie
auch Herodot und Polybius nie von Afrika, sondern nur von Libya
sprechen. Dieselben waren Nomaden in den Landschaften um die
grosse und kleine Syrte und hatten als südliche Nachbarn Aethiopier;
sie waren die nächsten Verwandten der sesshaften Ackerbauer in den
fruchtbaren Küstenstrichen des heutigen Tunis, Algerien und Marokko
und hatten dort auf ihren Südgrenzen die Sitze der umherschweifenden
Gaetuler.
Der Grad des Antheils, welcher den Libyern an der Bildung
der späteren Berber zukommt, ist dunkel, doch sicherlich sehr be-
deutend. Trotz aller versuchten etymologischen Erklärungen des
Wortes Berber ist die einfachste, welche den Namen mit „Barbari"
identificirt, wohl die richtige, und dann würden mit dem Worte nur
Libyer, d. h. Autochthonen, gemeint sein. Doch ohne Zweifel hielten
sich die Libyer nicht rein und unvermischt. Wenn Sallust aus den
Büchern des Hiempsal berichtet, dass die sedentären Libyer des
westlichen Nordafrika durch eine Mischung mit Armeniern und Medern
auf der Mittelmeerküste zu Mauren, und dass die Gaetuler durch
Vermischung mit in Marokko eingewanderten Persern, welche nach
Osten vorrückten, zu Numiden (oder Nomaden) geworden seien, so
geht aus diesen Nachrichten, wenn dieselben auch keinen geschicht-
lichen Werth haben-, doch das Bedürfnis hervor, in irgend einer
Weise die allmähliche Veränderung der alten Libyer zu erklären.
W’enn auch die östlichen nomadisirenden Libyer keiner so schnellen
und durchgreifenden Umbildung unterlagen, so blieben doch auch
sie nicht frei von fremden Elementen. Ausser den fremden Colonien
an der Meeresküste, welche immerhin so viel Einfluss ausübten, dass
Nachtigal. I. 11
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]ß2 I. BUCH, 6. KAPITEL. GESCHICHTE UND BEVÖLKERUNG VON FEZZÄN.
Diodor vier Nationen als Bewohner von Libyen aufTührt, nämlich
Libyer, Phönizier, Libyphönizier und Numiden, sprechen alle Tra-
ditionen und Ansichten der Berber selbst und arabischer Gelehrten
für diese Thatsache. Die letzteren lassen die Berber entweder aus
Jemen, Kanaan oder Syrien stammen und bringen sie in Verbindung
mit Goliath und den Philistern. Ibn Chaldün führt die Ansichten
arabischer Gelehrten auf und behauptet darin einfach, dass sie von
Kanaan, dem Sohne Chams, des Sohnes Noahs, entsprossen seien.
Doch spricht dieser gelehrte Geschichtsforscher ebenfalls die Ansicht
aus, dass die Berber schon Tausende von Jahren vor dem Islam ihre
Sitze inne hätten. Wie wenig er sie trotzdem von den Arabern
zu trennen im Stande war, beweist andererseits wieder seine Behaup-
tung, dass beide Völker im westlichen Nordafrika so viele Jahr-
hunderte hindurch zusammen gewohnt hätten, dass man sich kaum
eine Epoche vorstellen könne, in der es nicht so gewesen sei.
Die meisten Berberstämme selbst führen ihren Ursprung auf
Arabien zurück, und für Viele bestätigen die arabischen Gelehrten
den Zusammenhang. Idrisi behauptet z. B., dass der Berberstamm
der Zenäta ursprünglich rein arabischen Ursprungs gewesen und nur
im Laufe der Jahrhunderte durch Vermischung mit den Masmüda
transformirt sei, und el-Bekri soll gesagt haben*), dass jene abstammen
von Berr, dem Sohne des Qais, der im fünften Gliede Nachkomme
Adnän's sei, des ältesten sicheren Gliedes der ismailitischcn Genea-
logie, welches mehr als ein Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung
lebte. Andere bestätigen diese Abstammung, während Ibn Chaldün sie
freilich ebenso leugnet, wie die Berechtigung der zcnätischcn Genea-
logen, den Ursprung ihres Stammes auf Himjar Ibn Saba, der von
Kahtän, dem ersten Herrscher in Jemen, abstammte, zurückzuführen.
Andere berberische Stämme, wie die Kitäma und Sanhädscha,
haben dieselben Prätensionen, und zwar erscheint ihre Berechtigung
dazu fast keinem arabischen Gelehrten zweifelhaft, so dass selbst
Ibn Chaldün sie adoptirt. Noch andere Stämme, wie die Hawära,
die Lamta, die Luwäta werden selbst von arabischen Genealogen
auf Himjar Ibn Saba und Jemen zurückgeführt, und Idrisi spricht z. B.
von den Ersteren als von einem eingewanderten und mit den Ein-
geborenen vermischten Stamme. Wenn nun auch diese Stammväter
•) Nach Ibn 'Ad&ri ; in den auf uns gekommenen Schriften des arabischen Gelehrten
findet sich diese Behauptung nicht. S. Fournel, les Herbes, I. pag. 34.
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einstige Berberstämme im heutigen tripoi.itanien. 1(13
grossentheils selbst zweifelhafte Iiistorische Persönlichkeiten sind, und
die ganze Frage über den Ursprung der Berber noch sehr dunkel
bleibt, so scheint doch aus Allem hervorzugehen, erstens dass die
alten Libyer den wesentlichsten Antheil an der Bildung der Berber
hatten, und zweitens, dass schon vor dem Islam ausser den phöni-
zischcn auch arabische Elemente in der Bevölkerung Nordafrika’s
eine gewisse Rolle spielten.
Von den genannten Berberstämmen trat vor dem Islam nur der
Stamm der Luwäta auf der geschichtlichen Bühne auf. Derselbe
war mächtig und gefürchtet in Tripolitanien und seine Empörungen
unter dem Vandalenkönige Hilderich und unter dem byzantinischen
Kaiser Justinian (gegen den Statthalter Sergius) drohten mehrmals
die ganze dortige Ordnung der Dinge über den Haufen zu stossen.
Dann eröffnete der Islam eine neue Periode. Als unter dem
zweiten Chalifen Omar Ibn el-Chattäb sein Feldherr Omar Ibn el-Asi
im Jahre 642 Egypten erobert hatte, marschirte er alsbald auf Barqa,
das er ohne Schwertstreich nahm, und schickte von dort Oqba Ibn
en-Näfi el- Fahrt nach Zawila in Fczzän, während er selbst gegen
Tripolis zog. Von hier aus zog auf seinen Befehl Bosr Ibn Abu
Artaa bis VVaddän, und so war bald dieser Theil von Tripolitanien
und ein Theil Fezzän’s ohne Mühe erobert.
In Barqa waren die Eroberer auf die Luwäta gestossen; zwischen
Tripolis und Waddän auf die Hawära; zwischen Barqa und Zawila
zuerst auf die Luwäta, dann in Zalä oder Zalla, doch wohl dem
heutigen Zella, auf den Stamm der Mezäta und vielleicht auf den
der Hawära. Vier Jahre später soll Oqba Ibn en-Näfi auf seinem
Zuge nach dem Westen — Maghrib — noch einmal eine Digression
nach Süden gemacht haben. Ibn Abd el-Hakam erzählt, dass er
von Ghadämes gegen Waddän gezogen sei, Dschcrmä (Garama),
damals noch die Hauptstadt Fezzän's, und die übrigen festen Plätze
des Landes erobert und seinen Zug bis Kawär ausgedehnt habe.
Doch sind Ausdehnung und Einzelnheiten dieser Unternehmung sehr
zweifelhaft, wie sie denn auch von den übrigen arabischen Schrift-
stellern nicht berichtet oder doch nur dem oben genannten nach-
erzählt werden.
Dann hört man einige Jahrhunderte hindurch Nichts von Fezzän
und Garama oder Dschermä, und erst aus dem Anfänge des 10. Jahr-
hunderts wird von Idrisi berichtet, dass Zawila von Abd Alläh Ibn
11*
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164 I. BUCH, 6. KAPITEL. GESCHICHTE UND BEVÖLKERUNG VON FEZZÄN.
el-Chattäb aus dem Stamme der Hawära gegründet und zur Haupt-
stadt des von ihm beherrschten Fezzan gemacht sei. Das alte von
Oqba einst eroberte Zavvila muss also entweder eine andere Stadt
gewesen oder, was wahrscheinlicher ist, im Laufe der Zeit zerstört
worden sein.
Die Herrschaft der Beni Chattäb dauerte bis gegen das Ende
des 12. Jahrhunderts, zu welcher Zeit ein türkischer Abenteurer,
Namens Scherfeddin Karakosch von Egypten her in Fezzan einfiel,
den letzten Herrscher jener Dynastie tödtete und erobernd hierhin
und dorthin zog. Doch die Macht desselben dauerte nur wenige
Jahrzehnte. Einer der Genossen seiner freibeuterischen Unterneh-
mungen veruneinigte sich mit ihm und bekriegte und tödtete ihn zu
Waddän, wo er sich festgesetzt hatte. Zwar erschien fast ein halbes
Jahrhundert nach diesem Ereigniss ein Sohn Karakosch's wieder auf
dem Schauplatze desselben, doch damals hatten die Känem- Könige
ihre Macht über Fezzan ausgedehnt und entledigten sich jenes Prä-
tendenten mit leichter Mühe.
Bis zu dieser Zeit galt Zawila als Hauptstadt des fezzänischen
Oasencomplexes, wie denn noch heute alle Wüstenbewohner und
Neger das ganze Land nur mit dem Namen dieser Ortschaft be-
zeichnen.
Mit der wechselvollen Geschichte der Küstenländer, dem An-
dringen immer neuer Stämme, wurden von den Bewohnern der Nord-
küste so viele in die sicheren Oasen der Wüste nachgedrängt, als
die bescheidene Natur dieser ertrug. Reine Araber kamen damals
wohl selten in das Innere des Continents, denn die Berber leisteten
dem mächtigen Impulse der Eroberer einen durch lange Jahrhunderte
fortgesetzten, ununterbrochenen Widerstand und blieben schliesslich
in so weit Sieger, als sie das fremde Element, wenn auch nicht zurück-
schlugen, so doch absorbirten.
Jetzt weiss man dort nichts von jenen Zeiten, in denen sich ein
grosses Stück Weltgeschichte auf der Nordküste Afrika's vollzog;
dieselben haben keine sichtlichen Spuren zurückgelassen, wie die
römische Herrschaft wenigstens in den wenigen Bausteinen Garama’s.
Erst in der soeben angedcuteten Periode der Känemherrschaft sehen
wir ganz entgegengesetzte Elemente Land und Leuten ihre Spuren
aufprägen.
Wenige Jahrhunderte nach der Stiftung des Islam scheinen von
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HERRSCHAFT DER BKNt CHATTAB. — ABHÄNGIGKEIT VON KÄNE.M. Iß5
Barqa aus Einwanderer, welche ihren Ursprung von Himjar in Jemen
herleiteten, über Audschila nach Süden gezogen und allmählich nach
Känem gelangt zu sein, wo sie eine Herrschaft gründeten; dass sie
diese bald nach Norden auszudehnen begannen, beweisen manche
Thatsachen. Schon in der Mitte des II. Jahrhunderts bestanden
Bornü- oder Känem-Colonien in Kawär; die Känemkönige unterhielten
freundschaftliche Beziehungen zu den tunisischen Fürsten, machten
frühzeitig und oft Pilgerfahrten nach Mekka und führten nach Leo
Africanus das Pferd von der Nordküste her herein.
Im Anfänge des 13. Jahrhunderts, also sechs Jahrhunderte nach
der Gründung des Islam, erstreckte sich nach Abulfedä die Herr-
schaft des Kärtemkönigs nach Norden über ganz Fezzän bis Waddän,
und dieses Verhältnis dauerte nach dem Zeugniss desselben Schrift-
stellers bis in das 14. Jahrhundert. Damals war Träghen (oder Tfträd-
schin) die Hauptstadt von Fezzän und Sitz der Känem -Stattalter.
Das Amt der letzteren war bei der grossen Entfernung von der Cen-
tral-Regierung nothgedrungen ein sehr unabhängiges und wohl erblich,
denn die Tradition hat eine Bornü-Dynastie der Nesür im Gedächtniss
des Volkes aufbewahrt. Die Regenten scheinen den Königstitcl geführt
zu haben, denn das Grab Mai (König) Alfs ist in Träghen wohl bekannt.
Es bleibt auffallend, dass sich alle bestimmten Erinnerungen an
diese Periode auf Träghen beschränken, wo sich nicht allein die Reste
eines festen Schlosses der Nesür, das genannte Grab, eine in frühester
Zeit gefasste Quelle u. s. w. finden, sondern wo zahlreiche Gärten,
Plätze, Quellen noch heute Namen aus der Kanürisprache, d. h. der
Sprache Känem's und Bornus, tragen*).
Wenn den Känemkönigen wohl an dem Besitze der Oase Kawär
mit ihren unerschöpflichen Salzgruben gelegen sein musste, so versprach
ihnen das weit entfernte Fezzän ausser Datteln kaum irgend eine
*) Ich filhrc einige der leuteren an: NM Känlbc, d. h. Ziegenplatz (von Na, der Ort,
and Kani, die Ziege); Kingarüa, d. h. der an Qarad reiche, nämlich Platz, (von Kingar,
die Acacia nilotica); Schim gänä, d. h. die kleine Quelle; Kaurani, d. h. der steinige,
nämlich Ort, (von Kau, der Stein); Kaiga Ennebi, d. h. eigentlich Gesang des
Propheten und soll eine Bezeichnung für Träghen gewesen sein ; Kirfir , als Name
eines Platzes, d. b. wohl der pferdereiche (von Fir, das Pferd). So heisst ein Garten
noch heute Ngurütuwa, d. h. der Hippopotamus - Garten ; ein anderer Kerlbi, d h. des
Hundes, also Hundegarten; ein dritter Bultube (von Bultu, die Hyäne). Viele Namen
für Gärten und Brunnen endlich sind von früheren Besitzern hergenommen, wie Dschadram,
corrumpirt aus Sa’adram, d. h. dem Sa’ ad gehörig; Omaram , Musaram, Kerlmbfi und ,
dergleichen mehr.
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K5G !. BUCH, 6. KAPITEL. GESCHICHTE UND BEVÖLKERUNG VON FEZZÄN.
Ausbeute. Wir können uns also nicht darüber wundern, dass die
entlegene Provinz bald gänzlich den Händen der Statthalter über-
lassen blieb. Dazu kam, dass im 14. Jahrhundert die Umgestaltung
des Känemreiches in das von Bornü sich unter rastlosen Kämpfen
vollzog und die Thatkraft der Herrscher gänzlich absorbirte.
Genug, in dieser Periode scheint nicht nur der direkte Einfluss
der Bornüherrscher in Fezzän erloschen zu sein, sondern auch die
mehr oder weniger selbständig gewordene Regierung ihrer Statthalter
aufgehört zu haben, denn die Tradition lässt auf diese die Herrschaft
der arabischen (berberischen r) Familie der Qormän folgen, welche
Zawila wieder zum Sitze der Regierung wählten.
Ursprung und Dauer der Herrschaft der Qormän sind bis jetzt
in vollständiges Dunkel gehüllt, da uns nicht nur geschichtliche
Documente fehlen, sondern auch die mündliche Ueberlieferung im
Stich lässt. Nach der letzteren könnte diese Familie, welche sich
durch Ungerechtigkeit und Habsucht verhasst gemacht haben soll,
die Regierung nur ganz vorübergehend in Händen gehabt haben, denn
der Volksmund schreibt der auf sie folgenden Dynastie der Auläd
Mohammed, welche im Anfang dieses Jahrhunderts ihr Ende erreichte,
eine Dauer von 500 Jahren zu; doch diese Annahme ist sehr über-
trieben, wie wir sogleich sehen werden. Ein Scherif aus Marokko, wird
erzählt, habe auf seiner Pilgerfahrt Fezzän berührt, und die unter dem
Joche der Qormän seufzenden Einwohner hätten von dem frommen
und vornehmen Fremdling Rettung erfleht. Dieser habe die Bevöl-
kerung auf seine Rückkehr von Mekka vertröstet und in der That
nach derselben die Regeneration des Landes übernommen.
Wenn wir von den Ereignissen, welche, diese Umwälzung be-
gleiteten, nichts wissen, so vermögen wir hingegen mit einiger Sicher-
heit ihren Zeitpunkt zu bestimmen; derselbe fällt wahrscheinlich in
den Anfang des 16. Jahrhunderts. Diesen Schluss gestattet uns eine
ziemlich genaue Kenntniss der Regentengeschichte der Auläd Mo-
hammed, welche wir einer arabischen Handschrift verdanken, die
Anfangs 1878 von dem Reisenden Adolf Krause*) in der öffentlichen
Bibliothek auf Malta entdeckt worden ist. Dieselbe' stellt einen Aus-
*) Vergl. Zeitschrift der Berliner Gesellschaft ftir Erdkunde, Bd. XIII. 1878.
S. 356 ff. Dieser Reisende ist derselbe, den ich beim Beginn meiner Reise in der Gesell-
, schaft von Fräulein Tinue kennen lernte. Damals musste er seinem lebhaften Wunsche,
ausgedehntere Reisen in Afrika eu machen , entsagen und kehrte vor der Ermordung
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PERIODE DER QORMÄN. — DYNASTIE DER AULAD MOHAMMED. 167
zug aus den Archiven der Regentschaft Tripolis dar, welcher im
Jahre 1794 von dem damaligen französischen Vice-Consul daselbst,
A. C. Froment de Champlagarde, gemacht und mit einer Uebcr-
setzung versehen worden ist.
Die Chronik beginnt mit der Mitte des 16. Jahrhunderts und
erwähnt ein Vierteljahrhundcrt später als damaligen Herrscher von
Fezzän el-Muntäsar, den Sohn oder Enkel, wie er an anderer Stelle
genannt wird, Mohammed el-Fäsi’s. Entweder war dieser Muntäsar
der Begründer der Dynastie — denn die Tradition bezeichnet Mun-
täsar UIed Mohammed als solchen — , und dann fällt der Beginn
dieser in die Mitte oder das Ende des 16. Jahrhunderts, oder der
Vater oder vielmehr Grossvater el-Muntätar's hatte sich schon der
Herrschaft bemächtigt, und dann muss der Anfang des 16. Jahr-
hunderts als Beginn der Herrschaft der Auläd Mohammed bezeich-
net werden. In beiden Fällen giebt die Tradition dieser Dynastie
eine um ungefähr zwei Jahrhunderte zu lange Dauer.
Wenn auch sowohl der arabische Text, als die französische
Uebersetzung manches Misstrauen einflössen müssen, und zwischen
beiden nicht immer die wünschenswerthe Uebereinstimmung herrscht,
so können wir doch sagen, dass mit den siebziger Jahren des 16. Jahr-
hunderts das Dunkel, welches die frühere Geschichte Fezzän’s um-
hüllt, schwindet. Seit dieser Zeit haben die Fürsten und Bewohner
des ausgedehnten, doch armen Landes mit den Herrschern Tripoli-
tanien's um ihre Selbständigkeit gerungen mit einer Energie, welche
uns mit Bewunderung und, bei der Betrachtung der heutigen Fezzaner,
mit Staunen erfüllen muss.
Schon unter dem genannten el-Muntäsar hatte im Jahre 1576/77
in Folge der Intrigue einer seiner Frauen, welche aus Eifersucht den
Regenten von Tripolis herbeigerufen hatte, ein Einfall der Tripolitaner
in Fezzän statt. Vor der vollendeten Eroberung des Landes starb el-
Muntäsar, und sein Sohn und Nachfolger, en-Näsir, floh nach Kaschena
in den Haussa-Staaten. Doch wenige Jahre später (1581/82) empörten
sich die Fezzäner, massacrirten die Besatzungen, welche die Eroberer
an allen wichtigen Plätzen zurückgelassen hatten, und riefen ihren
Fürsten aus dem Sudan zurück, der dann bis 1599 in Frieden regierte.
seiner Gönnerin nach Europa zurück. Doch mit seltener Zähigkeit "und bewunderungs-
werther Willensstärke arbeitete er rastlos an dem Ziele, das er sich als Lebensaufgabe
gestellt hat, und scheint jetzt der Verwirklichung seiner Pläne nahe su sein.
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168 I. BUCH, 6. KAPITEL. GESCHICHTE UND BEVÖLKERUNG VON KEZZÄN.
Der Sohn en-Ndsir's, der el-Mansür hiess, aber in der Hand-
schrift auch einige Mal el-Muntäsar genannt wird und 1599 die
Regierung angetreten hatte, bezahlte zwölf Jahre hindurch einen
unbedeutenden Tribut an Tripolis, von dem er sich dann vergeblich
frei zu machen suchte. Er kämpfte unglücklich und mit Verlust
seines Lebens zu Omm el-Abid gegen die Tripolitaner, welche sich
damit zum zweiten Mal der Herrschaft über Fezzdn bemächtigten.
Doch schon nach zwei Jahren empörten sich die Einwohner wieder,
tödteten den Gouverneur und die Besatzungen und riefen den bei
der letzten Katastrophe in den Sudan geflüchteten Prinzen Tähir,
den Bruder el-Mansür’s, zurück.
Tähir Ibn en-Näsir regierte unter Tributzahlung an Tripolis
in Frieden bis zum Jahre 1622/23, zu welcher Zeit er sich ebenfalls
unabhängig zu machen suchte. Leider hatte er sich gleichzeitig die
Hozmdn (oder Hotmän, wie sie heutigen Tages genannt werden) im
W. Ladschal zu Feinden gemacht, so dass er, als dieselben sich mit
dem damaligen Pascha von Tripolis, Ramadan Dei, verbündet hatten,
die Flucht ergreifen musste. Thörichterweise ging er nach Bornü,
dessen König Omar, Sohn des Idris Alaöma, er früher beleidigt
hatte, und fand dort einen gewaltsamen Tod. Die Tripolitaner aber,
welche indessen einen Gouverneur vom Stamme der Hozmdn einge-
setzt hatten, behielten auch diesmal die Herrschaft nur kurze Zeit.
Die Fezzdner empörten sich schon im Jahre 1626 und riefen einen
Grossncffen Tdhir’s, Namens Mohammed Ben Dschehim zum
Herrscher aus. Derselbe kämpfte anfangs siegreich bei Hamira in
der Scherqija gegen den Gouverneur, musste sich aber später, als
eine tripolitanische Hecresabtheilung zur Hülfeleistung angekomtnen
war, zur Bitte um Frieden bequemen. Er schloss diesen mit dem
Befehlshaber der letzteren und wurde durch denselben mit der Re-
gierung des Landes unter dem Titel eines Scheich belehnt gegen
einen jährlichen Tribut von 4000 Mitqdl Gold, zur Hälfte zahlbar in
Goldstaub, zur Hälfte in Sclaven.
Mohammed Ben Dschehim regierte in Ruhe und Frieden bis zum
Jahre 1658, und ebenso sein Sohn Dschehim bis 1681. Der Bruder
des letzteren aber, Namens Nedschib, suchte alsbald nach seinem
Antritte der Regierung die Fesseln zu lösen, welche ihn an Tripolis
knüpften und verweigerte den Tribut. Hasan Pascha Abdz, der
damalige Herrscher von Tripolis, schickte eine militairische Expedition,
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KEGENTENREIHE DER AUl.ÄD MOHAMMED. 169
gegen welche Nedschib bei Dclei'm in der Nähe von Murzuq eine
unglückliche Schlacht lieferte und das Leben verlor. Der tripoli-
tanische Heerführer machte eine reiche Heute (fünfzehn Kameellasten
Gold und eine zahllose Menge von Sclavcn) und setzte als Regenten
Mohammed Nasir, einen Bruder Nedschib’s, ein. Derselbe bezahlte
seinen Tribut regelmässig bis zum Jahre 1689, versuchte aber zu
dieser Zeit ebenfalls, im Vertrauen auf die Unterstützung der ara-
bischen Stämme, sich unabhängig zu machen. Sein damaliger Lehns-
herr, Mohammed Pascha Scliafb el-’Ain, schickte seinen Uzirjüsef Bei
mit Heeresmacht gegen ihn aus, doch der in der Nähe von Murzuq
entbrannte Kampf blieb trotz seiner dreitägigen Dauer unentschieden.
Erst zwei listigen Tripolitanern aus der Familie Muqni, Mohammed
und Alf, gelang es durch List und Verrath, sich Mohammed Nüsir's
zu bemächtigen und denselben in Ketten nach Norden zu schicken,
während einer von ihnen (Mohammed) als Statthalter zurückblieb.
Schon fünf Monate nach diesem Ereignisse empörten sich die
Fezzäner, tödteten den Gouverneur und riefen einen Sohn Dschehim’s,
Namens Mohammed, und seinen Vetter Temmäm herbei, welche
sich in den Haussa - Ländern aufgehalten hatten, und von denen der
letztere zum Herrscher ausgerufen wurde. Gleichzeitig hatte man
zwar nicht verfehlt, Geschenke an den Herrscher von Tripolis mit
der Bitte um Nachsicht für das Vorgefallene zu schicken, doch die
Familie des in grausamer Weise ermordeten Statthalters (man hatte
ihm zuvor einen Fuss und eine Hand abgeschnitten) schrie um Rache,
und Ali el- Muqni wurde mit der Bestrafung der aufrührerischen Pro-
vinz betraut. Dieser wusste seiner Expedition den Anschein eines
durchaus friedlichen Charakters zu geben und suchte auf diese Weise
zunächst alle Glieder der herrschenden Familie zu sich zu locken,
um dieselben alsdann zu ermorden und ein grosses Blutbad unter den
Einwohnern anzurichten. Da Mohammed Ben Dschehim Kenntniss
von diesen blutigen Plänen erhalten hatte und nach dem Sudan ent-
flohen war, und Temmäm allein im tripolitanischen Lager erschien,
verschob zwar Ali cl -Muqni seine Rache, setzte sich aber selbst in
Fezzän fest, jenem nur einen kümmerlichen Schatten von Regierungs-
gewalt lassend.
Der flüchtige Mohammed Ben Dschehim erschien schon
nach kurzer Zeit wieder in der Heimath, wusste Streitkräfte im W. el-
Gharbi um sich zu sammeln, und es gelang ihm, den Muqni, der
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]7u L BUCH, 6. KAPITEL. GESCHICHTE UND BEVÖLKERUNG VON FEZZAN.
ihm dorthin entgegengezogen war, zu überfallen, so dass dieser selbst
nur mit Mühe nach Murzuq entkam, und seine Macht fast ganz auf-
gerieben wurde. Dort belagert, erhielt derselbe gegen die Rück-
erstattung Alles dessen, w’as er geraubt hatte, freien Abzug und
begab sich nach Sebha. Nachdem er von hier aus heimlich seinen
Bruder Jüsef in Tripolis benachrichtigt hatte, führte ihm dieser von
Seiten seines Herrn, des genannten Mohammed Pascha Schäib el-'Ain,
ein Hülfscorps zu und befreite ihn aus seiner kritischen Lage. Klug
gemacht durch diese Ereignisse, aus denen er nur mit knapper Noth
sein Leben gerettet hatte, rieth er dem genannten Pascha selbst, den
noch immer gefangenen Mohammed Näsir frei zu geben und diesem
die Regierung von Fezzan anzuvertrauen.
So geschah es, und Mohammed Näsir blieb ein treuer Vasall
bis zum Jahre 1715, wo er seine Tributzahlung wiedereinstellte. Da
eilte sein damaliger Lehnsherr, Ahmed Pascha el-Karamanli, selbst
mit grosser Schnelligkeit herbei und griff Murzuq mit solcher Heftig-
keit an, dass Fürst und Volk um Gnade und Verzeihung flehten.
Da eine Empörung Ahmed Pascha nach Tripolis zurückrief, so wur-
den keine weiteren Maassregeln gegen Mohammed Näsir genommen,
und derselbe kam seinen Verpflichtungen auch regelmässig nach bis
zu seinem im Jahre 1718 erfolgten Tode. Sein Sohn Ahmed be-
gann alsbald die Regierung wieder mit Tributverweigerung, wurde
zwar durch Waffengewalt zum Gehorsam zurückgeführt, empörte
sich aber nach dreizehnjährigem Frieden von Neuem. Der Herrscher
von Tripolis, dieser ewigen Widersetzlichkeiten müde, schickte seinen
Sohn Mohammed Bei mit ansehnlicher Macht und dem gemessenen
Befehle, nicht allein die ganze Provinz streng zu züchtigen, sondern
vor Allem den rebellischen Regenten Ahmed gefangen einzubringen.
Dieser letztere wurde in der That nach Tripolis geführt und hatte
es nur der eifrigen Verwendung Mohammed Bei’s zu danken, dass
er nicht zum Tode verurtheilt, sondern sogar wieder als Scheich von
Fezzan investirt wurde. Er wurde dorthin zurückgeführt von einer
zahlreichen militairischen Escorte, welche sich zugleich des Auftrags
entledigte, die Mauern von Murzuq zu zerstören; dieselben wurden
erst nach dem Tode Ahmed Paschas, der im Jahre 1744 erfolgte,
wieder aufgebaut.
Erst seitdem der Widerstand des Scheich Ahmed gebrochen
w’ar, wurde das Vasallenverhältniss Fezzdn's ein solideres und regcl-
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ANGABEN EINER MURZUQER HANDSCHRIFT.
171
massigeres, und sah das unglückliche Ländchen ein halbes Jahr-
hundert hindurch Tage des Friedens. Nicht allein Ahmed, der ein
sehr hohes Alter erreicht haben muss, denn er soll nach anderen
Quellen erst im Jahre 1766 oder 1767 auf einer Pilgerfahrt zu Aud-
schila gestorben sein, kam seinen Verbindlichkeiten gegen die tripo-
litanischcn Lehnsherrn mit Treue nach, sondern auch weder sein
Sohn Tähir, der neun Jahre hindurch regierte, noch dessen Vetter
und Nachfolger, Ahmed Ben el-Mansür, während einer vierzehn-
jährigen Regierung, noch der dann folgende Bruder des letztgenann-
ten, Mohammed el-Häkim, störten das friedliche Abhängigkeits-
verhältniss. *>*
Die Chronik der Bibliothek zu Malta, der ich bei der vorstehen-
den summarischen Aufzählung der wechselnden und schweren Schick-
sale Fezzän's gefolgt bin, wurde, wie erwähnt, im letzten Jahrzehnt
des verflossenen Jahrhunderts geschrieben. Nun besitzen wir noch
eine andere, welche Gerhard Rohlfs von dem in meinem Reiseberichte
erwähnten Mohammed Baserki, einem Enkel des letzterwähnten
Herrschers von Fezzan, Mohammed el-Häkim, zu Murzuq erhalten
hat. Diese beginnt mit der Regierung Mohammed Ben Dschehim's
im Jahre 1626 und weicht in vielen Einzelheiten von der maltesischen
Handschrift ab. Die Regentenreihe ist zwar dieselbe, doch die Ereig-
nisse treten hier und da theils in anderer Zeitfolge, theils in anderem
Zusammenhänge auf.
Nach dieser Quelle soll Dschehim nicht 1658, sondern schon 1656
seinem Vater Mohammed Ben Dschehim gefolgt und schon am Tage
des Regierungsantritts von seinem Bruder Nedschib ermordet worden
sein, so dass dieser also bis zum Jahre 1681, wo er nach beiden
Chroniken in der Schlacht von Delcim den Tod erlitt, die Herrschaft
in Händen gehabt hätte. Die auf dieses Ereigniss folgende Regierung
Mohammed cn-NäsirS bis 1689 verschweigt die Rohlfs’sche Quelle
ganz, sondern sie lässt denselben sofort gefangen nach Tripolis führen,
während Mohammed el-Muqni als Statthalter zurückblieb.
Als dieser von den empörten Fezzänern dann bald ermordet
wurde, soll bei dem Mangel an herrschberechtigten männlichen Indi-
viduen eine gewisse FätTma, Tochter von Mohammed Ben Dschehim,
während eines Monats regiert haben, bis Temmäm kam, der aber
selbst schon nach vier Monaten der Gewalt seines Neffen, Moham-
med Ben Dschehim (nicht Vetters, wie in der anderen Chronik angc-
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172 I. BUCH, 6. KAPITEL. GESCHICHTE UND BEVÖLKERUNG VON FEZZAN.
geben wird) weichen musste. Auch dieser soll schon nach sieben
Monaten durch den aus der Gefangenschaft in Tripolis entwichenen
Mohammed en-Näsir verdrängt worden sein, welcher seinerseits wieder
nach Monatsfrist vor der ihm auf dem Fusse folgenden Expedition
Ali el-Muqni’s zu den südöstlichen Tuärik nach Agcdes floh. Dann
habe sich, wird behauptet, der Muqni mit seinem Mitheerführer Chalil
Bei in die Herrschaft von Fezzän so gctheilt, dass dieser die west-
liche Hälfte mit Murzuq, er selbst den östlichen Theil mit Träghen als
Hauptstadt erhielt.
Die Chronik schweigt hierauf über Chalil Bei gänzlich; doch den
Muqni flflden wir alsbald in siegreichem Kampfe mit den Bewoh-
nern der Scherqija und dann selbst besiegt bei Dschermä im Wadi
cl-Gharbi von einem gewissen Mohammed el-Qäid aus dem Ge-
schlechte der Auläd Mohammed. Mit dem letzteren einigte er sich
dann so über die Theilung des Reiches, dass Mohammed Qäid die
östliche, Ali el-Muqui die westliche Hälfte erhielt. Doch der Letztere
brütete Verrath, schickte heimlich um Hülfe nach Tripolis und be-
kriegte mit Hülfe seines mit Heeresmacht herbeigeeilten Bruders
Jüsef den Regenten des östlichen Fezzän. Dieser blieb trotzdem
siegreich, Jüsef floh nach Tripolis zurück, und sein Bruder Ali schloss
sich in Sebha ein.
Die unglücklichen Einwohner sollen sich damals in ihrer Ver-
zweiflung selbst nach Tripolis mit der Bitte um eine starke, einheit-
liche Regierung gewendet, aber nur einfach Jüsef el- Muqni als Statt-
halter erhalten haben. Während dieser ebenfalls zu Verhandlungen
mit Mohammed Qäid in Träghen seine Zuflucht nahm und es zu einem
freundschaftlichen Abschluss kommen zu sollen schien, kam plötz-
lich Mohammed en-Näsir aus Agedes mit einem Heere von Tuärik,
das Volk jubelte ihm zu, Mohammed Qäid wurde nach dem Südän
verbannt, und vom Muqni schweigt die Chronik.
Mohammed en-Näsir blieb in ungestörtem Besitze der Herrschaft
bis zu seinem Tode, der 1709 erfolgt sein soll, während die mal-
tesische Handschrift 1718 angiebt. Ist die erstere Jahreszahl die
richtige, so hat der Sohn und Nachfolger en-Näsir's, Ahmed, 57 oder
58 Jahre hindurch regiert, denn es wird angegeben, dass er 1766/67
auf der Rückreise von Mekka starb. Für die beiden Nachfolger
Ahmed’s, seinen Sohn Tähir und den auf diesen folgenden Ahmed,
nimmt die Rohlfs’sche Chronik zwar ebenfalls 23 Regierungsjahre,
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ENDE DER DYNASTIE DURCH EL-MUQNf.
173
doch für jenen 7 anstatt 9 und für diesen 16 anstatt 14, an. Mit
dem Tode des letzteren 1789/90 schliesst die maltesische Handschrift
ab, nachdem sie noch als seinen Nachfolger Mohammed (el-Häkim)
erwähnt hat; die Rohlfs’schc umfasst dagegen noch die Regierung
Mohammed el- Häkim's und die Ereignisse, welche den Nachfolgern
desselben Herrschaft und Leben kosteten und dem bekanntesten Ver-
treter der für Fezzän so verhängnissvollcn Familie Muqni zur Regent-
schaft verhalfen.
Als nach fünfzehnjähriger Regierung Mohammed el-Häkim Krank-
heits halber zu Gunsten seines Bruders Mohammed el-Muntäsar ab-
gedankt hatte (1803/4), führte der Ehrgeiz und Thatendurst jenes
soeben erwähnten Muqni unter der Regierung Jüsef Paschas des
Karamanli die Katastrophe herbei, welche der Herrschaft der Auläd
Mohammed in Fezzän überhaupt ein Ende machte. Derselbe setzte
sich mit einem ehrgeizigen Neffen Mohammed el-Muntäsar's, der nach
der Herrschaft strebte, in Verbindung, eilte mit fast unglaublicher Ge-
schwindigkeit (in 17 Tagemärschen) von Tripolis nach Murzuq, tödtete
mit Hülfe des verräterischen Prinzen den Regenten, bereitete dann
jenem dasselbe Schicksal und wurde Alleinherrscher in Fezzän, wenn
auch tributär seinem Herrn in Tripolis.
Nach einjähriger, greuelvoller Herrschaft el-Muqni’s kam der
ruhelose Stamm der Auläd Solimän aus Egypten zurück, wohin er
sich aus der Umgebung der grossen Syrte nach ernstlichen Zer-
würfnissen mit Jüsef Päschä zurückgezogen hatte, um ihre eigentliche
Heimath Fezzän von jenem Eindringlinge zu befreien. Während sie
Murzuq belagerten, schickte Jüsef seinem P'eldherrn und Vasallen
eine Heeresabtheilung unter Mohammed Tscherkes zur Hülfe, vor
der sich jene nach dem Wädi Schijäti zurückzogen. El-Muqni folgte
ihnen mit seiner eigenen Macht und Hülfstruppen, schlug sie in
blutigem Zusammentreffen und massacrirte dann verräterischer Weise
zu Temsäwa, wohin sie sich zurückgezogen hatten, nahezu sämmt-
liche Männer des Stammes. Von den übrig bleibenden Kindern
wurde Abd el-Dschlil, der Sohn Rhet's, der nächstberechtigte zur
Häuptlingschaft, nach Tripolis gebracht und am dortigen Hofe er-
zogen, während der Muqni noch manches Jahr in Murzuq hauste.
Während seiner Regierungszeit besuchten Lyon und Ritchie
Fezzän und berichteten von den häufigen Kriegszügen, welche der
rastlose, grausame Mann in die Tubuländer, bis Känem und Bag-
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174 I. BUCH, 6. KAPITEL. GESCHICHTE UNO BEVÖLKERUNG VON FEZZAK.
hirmi, unternahm. Dabei begleitete ihn später einige Mal Abd el-
Dschlil, der zur Freude Jüsef Paschas herangewachsen war und seines
Vertrauens genoss. Als noch später Mohammed Tscherkes General-
Gouverneur von Fezzän war, fungirte Abd el-Dschlil sogar als Basch-
Scheich verschiedener Stämme zu Sebha.
Doch der alte kriegerische Geist der Aulad Solimän war mit
der heranwachsenden neuen Generation wieder erwacht; ihre ver-
schiedenen Abtheilungen hatten sich wieder geeinigt und zogen wie
früher zwischen Fezzan und der Syrtengegend hin und her. Ihr
früheres Ansehen unter den Nachbarstämmen wurde ihnen wieder
zu Theil, und es bedurfte keines grossen Anstosses, um ihre Rache-
gefühle zu heller That zu entflammen. Die Urfilla, alte Bundes-
genossen des Stammes, wendeten sich in einer Streitsache mit Jüsef
Pascha um Hülfe an Abd el-Dschlil, welcher gern die Gelegenheit
ergriff, seine Rachepläne zu verwirklichen. Er nahm Sebha, Temen-
hint, Semnu, Sirrhen in Besitz, sammelte die Nomaden um sich, drang
über Söqna hinaus nach Bü N’dscheim und Beni Ulid, schlug eine
ihm entgegengeschickte Hecresabtheilung und verfolgte sie bis unter
die Mauern der Hauptstadt, die gleichzeitig von einem Neffen des
Fürsten in dem früher berührten Erbfolgestreit eng cernirt wurde.
Diese Ereignisse vollzogen sich um das Jahr 1831 und schienen einen
wünschenswerten Abschluss zu bekommen durch die vollständige
Selbständigkeit Fezzän's unter dem Sultan Abd el-Dschlil.
Es ist schon früher berichtet worden, dass der Erbfolgestreit in *
Tripolis am Schlüsse von Jüsef Paschas Regierung damit endigte,
dass die Einwohner der Stadt Tripolis selbst um Hülfe in Constan-
tinopel baten, und dass die hohe Pforte bei dieser Gelegenheit Tri-
politanien einfach zu einer türkischen Provinz machte. So lange
die neue Herrschaft sich noch nicht hinlänglich befestigt hatte, liessen
die Türken Abd el-Dschlil ruhig gewähren, und waren sogar eine
Reihe von Jahren hindurch in diplomatischen Verkehr mit ihm ge-
treten. Doch dann beanspruchten sie auch die Herrschaft über
P'ezzän als einen Theil Tripolitaniens. Noch einmal erhob sich der
kühne Araberhäuptling, sammelte seine Leute und Bundesgenossen
um sich und zog nach Norden. Doch regulären türkischen Truppen
waren seine regellosen Horden nicht gewachsen; er unterlag und
beschloss ritterlich, wie er gelebt hatte, in der entscheidenden
Schlacht bei d-ßaghla im Jahre 1842 durch den Tod seine glänzende
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HERRSCHAFT ABD EI.-DSCHL!l’S. — TÜRKISCHE REGIERUNG. 1 75
I,aufbahn, die ihn aus einem Araberscheich zu einem Könige gemacht
hatte. Seitdem war Fezzän eine türkische Provinz und wurde von
türkischen Paschas oder Mütäsarrifs verwaltet, welche leider selten
verständnisvoller und redlicher gewesen zu sein scheinen, als der-
jenige, dessen Bekanntschaft ich zu machen Gelegenheit hatte.
Die türkische Administration hat die Provinz in folgende sechs
Regierungsbezirke eingetheilt, welche von einem besoldeten Beamten
oder Mudir regiert werden:
1. Soqna mit Hün und VVaddän, d. h. die Dschofra;
2. die nahe bei einander gelegenen Oasen von Sirrhen, Semnu,
Temenhint und Sebha;
3. Wadi esch-Schijäti;
4. Wadi esch- Scherqi;
5. Wadi el-Gharbi mit dem Wadi Otba;
6. die Scherqija mit der Ilofra von Murzuq und dem Districte
von Qatrün.
Früher bildeten Bü N'dscheim und Rhodwa noch besondere Be-
zirke, welche jetzt nur noch dem Namen nach existiren und unbe-
soldete Ehrenmudir’s haben; und ein früherer Mudir von Zella ist
durch einen Basch-Scheich ersetzt, der eine geringe Bedeutung hat.
In besseren Zeiten hatten auch die Hofra und der District von
Qatrün besondere Mudir's und Sirrhen, Semnu, Temenhint und Sebha
bildeten damals zwei gesonderte Bezirke. Ein Mudir oder Regierungs-
präsident hat 500 türkische Piaster oder etwa 80 Mark, der Basch-
Scheich von Zella nur 200 Ghirsch oder 32 Mark monatlichen Gehalts.
Alle hängen gänzlich vom Gouverneur ab, welcher Qüimaqäm (mili-
tairischer Gouverneur) oder Mütäsarrif (Civilgouverneur) ist und oft
den Titel eines Pascha hat. Dieser setzt ab und ein, ohne dass er
den Wäll oder General Gouverneur von Tripolitanicn zu Rathe zu
ziehen nöthig hätte, wie er auch in fast allen anderen Beziehungen
selbständig Beschlüsse fasst und für die meisten Fälle directe Be-
fehle von Constantinopel emptängt. Er hat unter sich in der Haupt-
stadt den Kätib el-Mäl, d. h. wörtlich Schreiber des Besitzthums, der
die Finanzwirthschaft leitet, den Scheich el-Beled, der ungeachtet
des Titels nicht blos Bürgermeister der Hauptstadt ist, den Amin
es-Sandüq, d. h. Bewahrer des Schatzes, den die militärische Macht
commandirenden Köl-Aghdsi und zur Seite einen Medschelis oder
grossen Rath, der aus den angesehensten Einwohnern der Haupt-
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17(i I. BUCH, 6. KAPITEL. GESCHICHTE UNI) BEVÖLKERUNG VON FEZZÄN.
stadt besteht und seine Thätigkeit auf die Angelegenheiten der ganzen
Provinz ausdehnt. In ähnlicher Weise hat jeder Mudir wieder einen
aus den angesehensten Personen seines Bezirkes zusammengesetzten
Medschelis zur Seite.
Dieser Rath hat eigentlich nicht blos eine berathende sondern
mitbeschliessende Stimme, so dass er die Macht der Gouverneurs
in nutzbringender Weise beschränken würde, wenn diese nicht
allzu gern über ihre Befugnisse hinausgingen, und der Medschelis
selbst nicht in gewöhnlicher Schwäche und Indifferenz allzuoft ver-
säumte, von seinen Rechten Gebrauch zu machen. Früher, scheint
cs, verletzte man diese Form nicht so sehr, wie in der neuesten Zeit,
und alle Depeschen der Central -Regierungen in Tripolis oder Con-
stantinopel waren „an den Qäimaqam und Medschelis" gerichtet, wie
andererseits Schriftstücke der fezzänischen Local-Regierung von beiden
P'actorcn unterzeichnet sein mussten. — So hängt denn die Wohlfahrt
des Landes zum grössten Theile von der Wahl des Qäimaqäm ab,
die in türkischer Unverständigkeit meist keine glückliche ist. Anstatt
einen mit dem Wohl und Wehe des Landes eng verwachsenen Ein-
geborenen oder wenigstens einen Araber (beziehungsweise Berber),
welcher die Sprache des Landes, die Gewohnheiten und Bedürfnisse
der Einwohner kennt, für diesen Posten zu wählen, erscheint meistens
ein Türke, der seine Erfahrungen in den Bureaux der ottomanischen
Hauptstadt oder in der Verwaltung fern liegender asiatischer oder
europäischer Districte gesammelt hat, auf der ihm so fremdartigen
Bühne, beschleunigt den Verfall des ihm anvertrauten Landes einige
Jahre hindurch, giebt der Missachtung und Unzufriedenheit, mit
der die Leute die türkische Regierung betrachten, neue Nahrung,
um dann einem Nachfolger Platz zu machen, der das destructive
Werk mit frischen Kräften fortsetzt. Pflichtgefühl und Liebe zur
Menschheit sind selbst im besseren Türken nicht stark genug, um
ihn mit Freudigkeit und Hingebung an dem Gedeihen eines Landes
arbeiten zu lassen, dessen Sonne seine Energie lähmt, dessen wüste
Monotonie Auge und Herz ermattet, dessen kümmerliche Erzeugnisse
ihm ernstliche Entbehrungen aufcrlegen, dessen Armuth seiner Hab-
sucht nur geringe Befriedigung schafft, dessen Vergnügungen und Er-
holungen sich auf die primitivsten sinnlichen Genüsse beschränken.
Eine beschwerliche Reise von wenigstens einem Monate durch
die Wüste führt ihn der kleinen Oase von Murzuq zu mit ihrem
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TÜRKISCHE GOUVERNEURS.
177
Staube und Sande; internirt ihn in einer Stadt, die auf einem Salz-
sumpfe erbaut ist, dessen giftige Ausdünstungen bald an seiner Ge-
sundheit zehren, und beschränkt ihn in derselben auf ein aus Erde
zusammengeklebtes Haus ohne Fenster und ohne Parket, wie ohne
allen Comfort. Ist er ein Freund culinarischer Genüsse, so kann
ihm die beschränkte Auswahl in Fleisch und Gemüse,, der Mangel
an Oel und Hutter den wohlversehenen Markt von Stambul nicht
ersetzen, und die primitive Kochkunst Murzuq's lässt ihn die Erzeug-
nisse der heimathlichen Küche schmerzlich vermissen. Keine safti-
gen Orangen, aromatische Pfirsiche und süsse Aprikosen erquicken
ihn, ohne von Kirschen, Aepfeln, Birnen reden zu wollen; einige
kümmerliche Melonen, vereinzelte Feigen und Granatäpfel, die kaum
diesen Namen verdienen, sollen allein seiner Vorliebe für Früchte
Genugthuüng geben. Kein Wildpret kommt auf seinen Tisch, kein
mannigfaltiges Backwerk kitzelt seinen Gaumen, keine Sorbetti kühlen
bei der grässlichen Sommerhitze seinen glühenden Mund , und der
Kaffee verdankt selten seine Entstehung dem I.ande Jemen. Der
tröstende und für viele Entbehrungen entschädigende Tabak ist auf
der Reise zu staubigem Pulver geworden, und der auf dem Platze
feilgebotene widersteht lange seinen verwöhnten Geruchs- und Ge-
schmacksorganen.
Ist er ein Freund der Studien, der Lectüre, so muss er sich auf
die mitgebrachte Bibliothek beschränken, denn ausser dem Qorän
dürfte er kaum ein Buch in Murzuq entdecken. Ist er ein Freund
der geselligen Unterhaltung, so muss er die Kosten derselben tragen;
denn wenn auch die Stadt nicht der liebenswürdigen, heiteren und
selbst intelligenten Personen entbehrt, so ist ihr Ideenkreis doch
nothgedrungen von einer Einfachheit, wie sie ihrer Umgebung ent-
spricht. Die Einwohner sind zwar grosse Reisende, aber selten in
der Richtung, welche den Türken interessirt. „Wie kann man ein
Land bewohnen”, sagt der cpikuräisch veranlagte gelehrte Scheich
Mohammed et-Tünisi bei Gelegenheit eines vorübergehenden Auf-
enthaltes in Murzuq, „in welchem es nicht ein Gericht giebt, das
ein Genuss wäre, in dem kein Tropfen Regen fallt, und Thiere und
Menschen auf dieselbe Nahrung, einige Datteln, beschränkt sind ; wo
die Fieber ihr Standquartier haben, der Weizen die Nahrung der
Könige bildet, und die Butter so unfindbar ist, als der Stein der
Weisen; was soll der Mensch werden in einem Lande, in welchem
Nachtigal. 1. 12
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178 I. BUCH, 6. KAPITEL. GESCHICHTE UND BEVÖLKERUNG VON FEZZÄN.
der Klee der Wiederkäuer von Menschen uni die Wette mit den
Lämmern geweidet wird, das Huhn einen halben Mitqäl Gold kostet,
und die Frauen ihre Gunst um einige Datteln oder eine Handvoll
Gerste verkaufen ?!’"
Kann man sich bei diesen Verhältnissen wundern, dass ein Pascha
von Fezzan, kaum angekommen, schon an seine Heimkehr denkt
und in der Hoffnung und Erwartung ihrer, da er doch einen Vor-
theil von dieser Verbannung haben muss, einstweilen nur auf die
Zusammenscharrung einiger Thaler bedacht ist? Was kümmert ihn
das Ansehen, in dem die Regierung bei Tudrik, Tubu und räube-
rischen Araberhorden steht? Warum soll er sich anstrengen, die
Prosperität des Landes während einiger Jahre zu heben, um die
P'rüchte seines Strebens von einem weniger scrupulösen Nachfolger
einheimsen zu lassen? Etwa, um den Ruhm eines geschickten, ehr-
baren Administrators zu ernten? Wer kümmert sich denn daheim
in Stambul um Fezzän, diesen verlorenen Posten in der Wüste?
Thorheit! Zur Bereicherung des Einzelnen genügen von Zeit zu Zeit
die Kräfte der Einwohner noch, und so scharrt er und zerrt er, so
presst er und quetscht er, bis Einer der gutmüthigen, duldsamen
Fezzaner nach dem Andern seine spärlichen Maria -Theresia -Thaler
aus dem Boden wühlt und in die Kiste des reisefertigen Hakim
liefert. Unter einer gerechten, einsichtsvollen und energischen Re-
gierung könnte dieser so tief ins Innere Afrikas vorgeschobene
Keil der Ausgangspunkt der Civilisation sowohl für die Bewohner
der westlichen Wüste, die Tuärik, als für die der östlichen, die Tubu,
werden, und einen heilsamen Einfluss auf die mohammedanischen
Negerreiche des nördlichen Central-Afrika ausüben. Leider sind die
Türken dieser Aufgabe nicht gewachsen.
Wenn man die Greise in Murzuq von der glänzenden Vergangen-
heit Fezzän's sprechen hört, von der Zeit, in der noch alljährlich zahl-
reiche Karawanen in die Negerländer zogen und von dort kamen ; in
der die Araber noch eine wichtige Rolle im Lande spielten, sich
eines gewissen Pferdereichthums erfreuten und, ohne Abgaben zu
bezahlen, nur Dienste bei den Kriegszügen nach Süden leisteten; in
der Handel, Ackerbau, kriegerischer Sinn und Wohlstand noch blühten,
und die Bevölkerung eine verhältnissmässig zahlreiche war: so mhss
man ohne Zweifel Vieles davon auf arabische Phantasie und auf die
Vorliebe alter Leute, die Vergangenheit auf Kosten der Gegenwart zu
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VERFALL DES LANDES.
179
loben, schieben, denn die Ertragfähigkeit des Landes muss zu allen
Zeiten eine höchst bescheidene gewesen sein. Doch wenn wir in der
auf Malta gefundenen Handschrift lesen, dass Mansür Ibn en-NAsir
am Ende des 16. Jahrhunderts den Tripolitanern mit 10,000 Mann
entgegen gezogen und sein Bruder Tähir mit dreizehn Kameel-
lasten Gold nach Bornü entflohen sein soll, dass Murad Bei, Heer-
führer des tripolitanischen Regenten Hasan Pascha Abäz, gegen Ende
des 17. Jahrhunderts von Nedschib fünfzehn Kameellasten Gold
erbeutet haben soll, und dass Mohammed Ibn Dschehim in der
Mitte des 17. Jahrhunderts einen Vertrag mit Tripolis abschloss, dem
zufolge ein jährlicher Tribut von 4000 Mitqäl Gold entrichtet werden
sollte: so kann man sich der Ueberzeugung nicht verschliessen, dass
P'ezzän früher bevölkerter und reicher gewesen ist.
Thatsache ist, dass der Muqni noch eine beträchtliche Summe
alljährlich an seinen Herrn bezahlte, und dass Abd el-Dschlil später
mehr Geld zur Kriegführung aufbrachte, als cs jetzt möglich sein
würde. Mein späterer Reisegefährte Mohammed Bü Aischa, früher
Secretair Abd el -Dschlil's, fand einst, nachdem sein Herr sich der
Herrschaft in Fezzän bemächtigt hatte, alte Documente in den
Archiven von Murzuq mit Angaben, welche deutlich für eine höhere
Bevölkerungszahl und Productionskraft des Landes Zeugniss abzu-
legen schien. Freilich hatte Bü Aischa, wenn er auch ein kluger
und unterrichteter Mann war, Veranlassung, die Zeit, während welcher
er an der Regierung Fezzän's mitgewirkt hatte, hochzustellcn, und
die von ihm angezogenen Schriftstücke waren nach seiner Angabe
bei der Umwälzung, welche der Herrschaft seines Herrn ein Ende
gemacht hatte, verloren gegangen; doch die progressive Abnahme
der Bevölkerung, welche er bei den periodischen, in langen Zwischen-
räumen unternommenen Besuchen in seiner Heimath constatiren konnte,
bezeugte ihm jeder in Jahren vorgerückte, nicht allzu stumpfsinnige
Einwohner.
Jetzt wird wohl kaum irgend jemals ein Bruchtheil der Ein-
nahmen der Localregierung nach Tripolis oder Constantinopel abge-
führt, ja die Unterhaltung und Besoldung der Garnison geschieht
von der Militair-Verwaltung zu Tripolis, und nicht selten müssen von
dort auch noch Mittel zur Aufrechterhaltung der eigentlichen Re-
gierung geliefert werden. Im Allgemeinen jedoch reichen die Ab-
gaben der Einwohner und die Einkünfte des Beiliq gerade hin, um
12*
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ISO 1. BUCH, 6. KAPITEL. CESCHICHTE UND BEVÖLKERUNG VON FEZZÄN.
den Pascha und die Beamten zu besolden und die Kosten der Ver-
waltungsmaschine zu tragen. Die eingehenden Steuern belaufen sicli
auf 6 — 700, 000 türkische Piaster oder durchschnittlicli 100,000 Mark,
zu denen aus den Gütern des Beiliq, welche ausschliesslich in Dattel-
pflanzungen bestehen, noch 10 — 15,000 Mark und aus der Verpach-
tung der Natron-Ausbeute etwa ebenso viel hinzukommen. Die Ab-
gaben lasten fast allein auf den Dattelbäumen, welche allerdings
den wesentlichsten Besitz des Volkes bilden- Doch drückt diese
Steuer hauptsächlich das arme Volk; die Duanegebühren der Kauf-
leute, welche 15 Procent für die aus dem Sudan importirten Waaren
betragen, kommen dagegen nicht in Betracht, und eine Steuer auf
Häusern, Gärten, Heerden und baarem Vermögen existirt nicht. Die
Abgaben von den Dattelbäumen wechseln von einem halben türkischen
Piaster bis zu anderthalb, je nach der Tragfähigkeit derselben, und um
diese und die Zahl der vorhandenen Bäume festzustellen, erscheint
von Zeit zu Zeit ein Beamter aus Murzuq oder Tripolis, und con-
trolirt die vom Mudir vorbereitete Abschätzung. An die noch nicht
tragenden und die ganz alten, ausrangirten Bäume werden keine
Ansprüche gemacht.
Mit diesen kümmerlichen Mitteln kann dieser vorgeschobene
Posten türkischer Herrschaft natürlich nur in sehr unvollkommener
Weise gehalten werden. Die Macht der I.ocal-Regierung erstreckt
sich kaum über die Mauern von Murzuq hinaus und ist in den ihrer
Verwaltung unterliegenden Oasen nur eine moralische. Sie hat keine
Mittel in ihrem Besitze, dieselbe in weiterer Entfernung fühlbar zu
machen, keine Pferde, ja keine Kaineele, um Bewaffnete auf ihnen
hinauszusenden , was doch bei den grossen Entfernungen so noth-
wendig wäre. Die beweglichen Tubu rauben ganze Kameelhcerden
in der Entfernung einiger Stunden von Murzuq, und die Araber der
Scherqija und die MeqärTha aus dem W. Schijäti gehorchen den
Regierungsorganen nur, so weit es ihnen passt; denn wer wollte sic
in ihrer Heimath aufsuchen und züchtigen? Etwa die Garnison von
.Murzuq, nominell aus 500 Türken, factisch aber aus 300 Fezzänern
bestehend, die, harmlos in der Stadt wohnend, ihre Gärten bebauen,
und die nicht einmal die nothwendigen Kameele zur Disposition
haben, um ihnen Mund- und Wasservorrath und die Munition ihrer
Feuergewehre bei etwaigen Märschen mitzuführen r Wenn sich wäh-
rend meines Aufenthaltes daselbst eine ungewohnte Menschenanzahl
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M ACHTLOSIGKEIT DER REGIERUNG. — SPÄRLICHE BEVÖLKERUNG. 181
fern am Horizonte zeigte, stürzten die Beamten auf die Höhe der
Qasba, um die verdächtige Bewegung zu beobachten; in der Stadt
verbreitete sich dann alsbald das Gerücht, die Tubu oder Tuärik
zögen gegen die Stadt heran; die furchtsamen Einwohner bewaff-
neten sich bis an die Zähne, rotteten sich zusammen und schrieen
sich gegenseitig Muth ein, und die Garnison trat unter die Waffen,
bis sich die Fremden als friedliche Wanderer herausstellten. Hätte
ohne diesen jammervollen Zustand der Local -Regierung meine un-
glückliche Reisegefährtin in der Entfernung weniger Tagemärsche
von der Hauptstadt, so zu sagen unter ihren Mauern, auf das schmach-
vollste ermordet werden können?
Um die bescheidene Einnahme der Regierung von 100,000 Mark
jährlich nach ihrem wahren Werthe würdigen zu können, muss man
sie mit der Bevölkerungszahl und der Productionskraft des Landes
und der Einwohnfcr vergleichen. Wenn der Flächeninhalt des gesamm-
ten Tripolitanien gegen 200,000 QKm beträgt, so nimmt Fezzän davon
mehr als ein Drittheil in Anspruch; und wenn die Gesammtbevöl-
kerung des ersteren auf U/4 Million anzuschlagen ist, so kommt nicht
der zehnte Thcil dieser Ziffer auf Fezzan. Die bisherigen Schätzungen
beruhen auf den Angaben der Reisenden und diese sind allerdings
sehr verschieden ausgefallen. Hornemann nahm Ende des vorigen
Jahrhunderts 70,000- Einwohner an, Richardson giebt die Zahl von
26,000, Vogel schätzte die Bevölkerung auf 54,000 Seelen, und erheb-
lich abweichend von diesen Annahmen glaubt Gerhard Rohlfs die
Zahl von 200,000 nicht zu hoch gegriffen. Mohammed et-Tünisi
berichtet, dass die sesshafte Bevölkerung Fezzän's sich auf 100 Ort-
schaften vertheile, und diese Zahl (oder die von 99, welche in be-
liebter mystischer Weise von den Arabern vorgezogen wird) halten
die Einwohner noch heute fest, obgleich dieselbe wohl nicht ganz
erreicht wird. Die Hauptortschaften, der Einwohnerzahl nach, liegen
auf dem von mir und Anderen bereisten Postwege von Tripolis nach
Murzuq und dem weiteren von der letzteren Stadt nach Kawär. Oest-
lich von diesem Wege berührte Moritz von Beurmann die Oasen,
welche auf dem Wege von Audschila nach Murzuq liegen, und andere,
welche östlich bis Wau angetroffen werden. Nach diesen auf persön-
licher Anschauung beruhenden Erfahrungen über die einzelnen Oasen
und Ortschaften und nach einer summarischen Abschätzung der übrigen
werde ich versuchen, zu einem Gesammtresultate zu gelangen. Ich
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182 I. BUCH, 6. KAPITEL. GESCHICHTE UND BEVÖLKERUNG VON FEZZÄN.
nehme dabei abweichend von Rohlfs, der nur vier Personen auf
den Hausstand rechnen will, sogar sechs Bewohner eines Hauses an,
da an den Orten, in welchen die Leute in Erdhäusern wohnen, die-
selben in ihrer bescheidenen, indolenten, ärmlichen Weise ziemlich
zusammengedrängt leben, und da in den grösseren Ortschaften die
nicht unbedeutende Anzahl von Sclaven die Rohlfs’sche Annahme
zu gering erscheinen lässt. Trotzdem bleibt die Gesammtzahl meiner
Schätzung weit hinter der seinigen zurück.
Betrachten wir die einzelnen Verwaltungsbezirke mit ihren Ort-
schaften und deren Einwohnern, so haben wir:
1. Den District des unbesoldeten Mudir %'on Bü N’dscheim mit
einer Ortschaft gleichen Namens, der ich im höchsten
Falle eine Einwohnerzahl von 200 zuschreiben kann: . . 200
2. Den District des Basch -Scheich von Zella, der 2 Ort-
schaften enthält: Zella mit 500 und Tirsa mit 300 Ein-
wohnern (nach v. Beurmann’s Schätzung), also zusammen
mit Einw . 800
3. Die Mudirija von Soqna, umfassend die Ortschaften Söqna,
Hün und Waddän, von denen der Hauptort 2500, der
zweite höchstens 1500 und der letzte vielleicht 1000 Ein-
wohner zählen mag. Die beiden letzteren Zahlen sind
nur nach den Abschätzungen der Leute von Soqna im
Vergleiche zu ihrer Stadt angenommen worden. Macht
zusammen . 5000
4. Die Mudirija von Semnu, enthaltend die Oasen: Sirrhen
mit etwa 150 Häusern und höchstens Einw 1000
Semnu mit 250 Hausständen, also Einw 1500
Temenhint mit 133 Hausständen oder Einw 800
und Sebha mit den Städten:
Dschedid (250 Hausstände) Einw 1500
Qarda mit der Seelenzahl 1000
Hadschära mit der Seelenzahl 600
(die beiden letztgenannten Zahlen beruhen nur auf einer
Abschätzung der Einwohner Dschedid’s)
Summa 6400
5. Den District des unbesoldeten Mudir vonRhodwa mit einer
Ortschaft und einer Seelenzahl von höchstens .... 200
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EINWOHNERZAHLEN HER DISTRICTE UND ORTSCHAFTEN.
183
6. Die Stadt Murzuq enthielt nach meiner Zählung 581 Häuser
also Einw. ca 3500
Die Gärten der Stadt sollten nach der Angabe des Scheich
el-Beled nahezu eine ebenso starke Bevölkerung zählen,
was ergeben würde ca 3000
Summa 6500
7. Die Mudirija von Schcrqija enthält in den Basch-Scheichatcn
von Träghen, Omm el-Aränib und Qatrün folgende Ort-
schaften :
a. Im District von Träghen von West nach Ost gehend
findet man: Mureiziq, Deleim, Hadsch Hadschil (mit
zwei Weilern), Zezau; von hier in direct östlicher
Richtung: Fungel, Mochäten, Erq el-Libtän, Disa,
Garanlja, Träghen, und von Zezau in südlichem Bogen
um den ausgedehnten Salzsumpf von Träghen herum:
Bidän, el-Qleib, Ben Dlif, Mäfen, Dchebbär, Tuila
und Settün, zusammen 18 Dörfer, von denen Träghen,
Zezau, Bidän, el-Qleib, Mäfen, Tuila mit europäischen
Augen abgeschätzt wurden, mit einer Gcsammt- Be-
völkerung von ca 2500
b. Im District von Omm el-Aränib zählt man die Ort-
schaften Maqwa, Taälib, Medschdül, Omm Saqir,
Tewixva, Terbü, Omm el-Aränib, cl-Bedera, Hamira,
Omm Sekin, Zawila, Tcmissa, Foghaa, zusammen
13 Ortschaften, von denen die letzten drei die be-
deutendsten und von v. Beurmann zu je 400 Einw.
abgeschätzt sind, mit einer Gesammt- Bevölkerung
von etwa 2500
c. Im District von Qatrün finden sich die schon häufiger
abgeschätzten Ortschaften:
Qatrün mit einer Bevölkerungszahl von ungefähr . 1500
Bachi „ ,, „ „ „ . 600
Medrüsa „ ,, ,, „ „ . 500
Tedscherri „ „ „ „ 800
Summa 8400
8. Die Mudirija Schijäti mit folgenden 13 Ortschaften, von
West nach Ost gezählt: Edcri, Temissän, Auät (vielleicht
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184 I. BUCH, 6. KAPITEL. GESCHICHTE UND REVÖI.KERUNG VON FEZZAN.
Wäd’), el-Haggernnir, Uenzerik, Birgin Hattija, Birgin *
Beled, Gotta (vielleicht Ghüta), Qirda (vielleicht Qarda),
Mahrüka, Agar, Temsawa, Brak, Selwäs, ergiebt kaum
eine grössere Seelenzahl als 2000
9. Die Mudirija des Wadi esch -Scherqi mit 10 Ortschaften:
Bimbega, Qeräja, Bahär ed-Düd, Ben Lübci, Leqser (wahr-
scheinlich el-Q'sei'r), Süja, Ch’lef, el-Hamrä, el-Abiad, ist
im äussersten Falle auf eine Einwohnerzahl zu schätzen
von 1 500
10. Die Mudirija des Wadi el-Gharbi mit dem Wadi Otba,
umfassend folgende Dörfer des ersteren: Taramha, Ubari,
Ugreifa oder Ghoreifa (vielleicht vielmehr Dschureifa),
Dschermä, Tuweisch, Berek, Tewiwa, el-Fuchchär, Cha-
raik, Tekertiba, el-Feschäsch, QeräqTra, und folgende
des letzteren: Tesauwa, Agar, Tiggerurtin, Marhaba,
Dudschäl, zusammen mit 17 Dörfern, dürfte eine höchste
Seelenzahl ergeben von 2000
Die zuletzt aufgeführten drei Mudiratc sind mir selbst auch nicht
in einem einzigen Dorfe bekannt geworden; ich urtheile und schätze
dieselben also nur nach dem, was ich von kundigen Bewohnern Mur
zuq's gehört habe, und nach dem Beispiele der Dörfchen der Hofra,
welche ich selbst sah. Viele derselben bestehen nur aus einigen wenigen
Hütten; die grössten sollen in den Hausständen die Zahl 50 nicht
übersteigen. Ich glaube also nicht, dass ich hinter der Wahrheit
zurückbleibe, wenn ich im Durchschnitte jede Ortschaft zu 20 Haus-
ständen rechne. Sollte dies trotzdem der Fall sein, so liegen
wenigstens andererseits bei den von mir gesehenen Orten die unver-
meidlichen Fehler sicherlich auf der Seite der Ueberschätzung.
Nach der vorstehenden Uebersicht würde Fezzan im äussersten
Falle 90 Ortschaften auf seinem ungeheuren Territorium haben mit
einer sesshaften Gesammt-Bevölkerung von ungefähr 33,000 Seelen.
Einige Tausend von diesen bilden dazu noch nicht einmal eine
ständige, sichere Bevölkerung, und zwar sind dies die Tubu, welche
im Districte von Qatrün leben, und die Tuärik, welche den Wadi
el-Gharbi bewohnen. Sie flottiren zwischen ihrer Heimath und den
Sitzen in Fezzan, welche ihre Stammesgenossen seit lange inne hatten,
und kehren gern nach Hause zurück, wenn sie dort irgend zu leben
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NOMADENSTÄMME UND GESAMMT- BEVÖLKERUNG.
185
haben, wobei sie allerdings gewöhnlich durch andere Landsleute
ersetzt werden.
Was die eigentlichen Nomaden Fezzän’s betrifft, welche arabisch
Bawädi (plur. von Bädi, der Wüstenbewohner) heissen, zum Unter-
schiede der Bewohner ständiger Ortschaften, welche als Hadarijin
{plur. von Hadari, der Gegenwärtige, Sesshafte) bezeichnet werden,
so kommen diejenigen nicht in Betracht, welche die Gegend südlich
von Bü N'dschei'ni beweiden, da dieselben nördlichen Stämmen an-
gehören. Diejenigen, welche ihre Stammsitze in Fezzän haben, re-
präsentiren höchstens ein Dutzend Stämme, von denen viele die
Südabhänge der schwarzen Berge von Söqna beweiden und daneben
Wohnsitze in den Datteldörfern der westlichen Thäler haben, wäh-
rend die anderen in verschiedenen Oasen der Scherqija ihre Datteln
besitzen und die Abhänge des Harüdsch-Gebirges durchziehen. Jene
gehören zu den Stämmen der Meqäriha, Hasäuna, Suwei'd, Quwci'da,
Säqa, Hotmän, von denen die ersten beiden besonders nennenswerth
sind, diese zu den Riäh, Scha’üf, Sejaina, Aläuna, von denen wir ge-
sehen haben, dass die erstgenannten theilweisc in Söqna fest wohnen.
Der blühendste aller Nomadenstämme Fezzän's, der reichste an Pfer-
den und Kameelen, war augenblicklich der der Meqäriha, der einzige
Bruchthcil der Bevölkerung, von dem ich die Leute behaupten hörte,
dass sie nicht zurück, sondern vorangegangen seien in Zahl und
Wohlstand.
Die Seelenzahl sämmtlicher nomadisirender Stämme abzuschätzen,
genügen meine Daten nicht. Sie werden ein Drittel der sedentären
Elemente kaum erreichen und ein Viertel derselben übersteigen.
Selbst mit ihnen vermag ich die Bevölkerung Fezzän's nicht auf
50,000 Seelen in meiner Abschätzung zu bringen — eine Zahl, welche
schwerlich von der Wahrheit überstiegen wird.
Je spärlicher die Bevölkerung ist, desto mannichfaltiger ist sic in
ihrer Erscheinung. Betrachten wir die heutigen Bewohner von Fezzän,
so stellen sie ein Gemisch dar, dessen Erklärung und Zerlegung den
Reisenden in grosse Verlegenheit zu bringen vermag. Da sind im
Süden reine TubuTibesti’s(Tedscherri, Medrüsa, Bachi, Qatrün), im Süd-
westen reine Tuärik (W. el-Gharbi) und im Norden und Osten einzelne
Colonien nördlicher Berber (Söqna, Waddän, Temissa); reine sesshafte
Araber und arabische oder bcrberischc Nomaden, Sclaven aus Bornü,
den Haussa- Staaten und anderen innerafrikanischen Ländern und ihre
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186 I. BUCH, 6. KAPITEL. GESCHICHTE UND BEVÖLKERUNG VON FEZZAN.
Abkömmlinge, Freie oder Sclaven, finden sich über das ganze Land,
zerstreut; und endlich stossen wir überall auf andere Leute, weder
den Einen noch den Andern gleich, doch Vielen ähnlich, welche wohl
den kleinen Kern eigentlicher, doch im Laufe der Zeit mannigfach
veränderter Fezzaner darstellen.
Die ursprünglichen Bewohner des Landes, die Garamanten, bil-
deten, wie wir gesehen haben, mit andern Volksstämmen der Wüste
gewissermaassen den zweiten Rang der Libyer, stellten eine Ab-
stufung dieser dar. Sie waren die Nachbarn der südlich von ihnen
wohnenden Aethiopier und diesen in soweit auch ähnlich, als sich
überhaupt ein allmählicher Uebergang von den Bewohnern der
afrikanischen Küstenländer zu den auf dem Südende der Wüste
wohnenden Stämmen bemerkbar macht. Diese Uebergangsstufen
riefen bei den Alten die Bezeichnung „Melanogaetuler” hervor und
veranlassten Duveyrier von „subäthiopischen” Stämmen zu sprechen.
Jm Nilthale stromaufwärts ziehend kann man sich überzeugen, wie
unmerklich die Bewohner Ober-Egyptens in die Berber oder Beräbra
und Bädscha- Leute, und diese in die Sudaner übergehen; die süd-
lichen Tubu oder Ddza stehen den Nigritiern um eine Nüance näher,
als die nördlichen oder Tedä; bei den Zoghäwa im Norden D6r For’s
ist man in Verlegenheit, wohin man sie rechnen soll; und der Unter-
schied zwischen den Tuärik und den Berbern der Küstenländer, ob-
gleich ihre Verwandtschaft eine sehr nahe ist, fällt klar genug in die
Augen. So haben wir eine Reihe von Abstufungen und Ucbergängen,
deren Grenzen oft sehr schwer zu ziehen sind.
Die Wüste mit ihren riesigen Entfernungen, ihrem scharl aus-
gesprochenen Klima, der Abgeschlossenheit der bewohnten Oasen,
dem beschränkten Verkehr, muss zwar im Allgemeinen die Er-
haltung der Eigenartigkeit ihrer Bevölkerungselemcnte erleichtern,
doch dass die Garamanten mit ihrer geringen Zahl allmählich in
der Reinheit ihrer Zusammensetzung beeinträchtigt werden mussten,
begreift sich. Als ihr Land unter römischer Herrschaft stand, fand
immerhin schon Verkehr mit den südlicheren Ländern statt, aus
denen Elfenbein, Straussenfedcrn, Gold und andere Producte kamen,
doch mag derselbe beschränkt genug gewesen sein. Aber als die
mohammedanische Eroberung Nord-Afrikas mit ihren Stammver-
schiebungen nach Süden erfolgte, und als später in entgegengesetzter
Richtung die Bornüleute ihre Ansiedlungen und ihre Herrschaft über
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ALLMÄHLICHE UMWANDELUNG DER URSPRÜNGLICHEN BEVÖLKERUNG. 187
Kawär nach Fezzän vorschoben, mussten allmählich die fremden Ele-
mente die spärlichen Eingeborenen überwältigen. Ein in Anbetracht
der Wüste reger Handelsverkehr entwickelte sich allmählich zwischen
Nord-Afrika und den Negerländern, und hier war es die Strasse von
Fezzän nach der Umgebung des Tsäd-See's, welche durch ihren
Wasserreichthum und die Zahl ihrer Oasen, durch Sicherheit und
reichen Gewinn bald die besuchteste wurde. Berberische und arabische
Kaufleute aus dem Norden siedelten sich in Fezzän an, und bald war
dies Land ein Mittelpunkt der mannichfachsten Handelsstrassen, ein
Handels- Centrum zwischen Tripolis und Bornü, zwischen Timbuktu
und Kairo, zwischen den Tuärik und den Tubu. Zahlreiche Karavanen
kamen und gingen, und ihr Haupthandel erstreckte sich damals wie
später auf Sclaven, von denen die weiblichen besonders zur Um-
änderung der ursprünglichen Bewohnerschaft beitragen mussten.
Nehmen wir dazu, dass Römer, Araber, Bornüleute und Türken nach
einander über die dünne Bevölkerung herrschten und alle derselben
eine dauernde Marke ihres Einflusses hinterliessen, so begreift man
leicht, dass eine Bewohnerschaft von höchstens 100,000 Seelen so
mannichfachen heterogenen Einflüssen und dem rapiden Wechsel der-
selben nicht widerstehen konnte, sondern ihren ursprünglichen Cha-
rakter einbüssen musste.
Jetzt stossen wir in den Hauptortschaften fast nur auf Fremde.
In Zella, erzählt uns v. Beurmann, wohnen Auläd Hareis, welche vor
1000 Jahren aus Egypten eingewandert sein sollen; Foghaa, Temissa
und Sirrhen haben Zejädin in ihren Mauern ; Söqna ist, wie Waddän,
stets vorw altend von reinen Berbern bewohnt gewesen; die Herren
von Zawila sind Schurafä; Temenhint ist in den Händen seiner Gründer,
der Beni Bedr, gewesen; Dschedid in der Oase Sebha soll von einem
Muräbid Hämed el-Haderi*) gegründet worden sein; das Thal
Schijäti ist fast ausschliesslich im Besitze von nordischen Nomaden;
Qatrün ist bevölkert von Muräbidija, deren Vorfahren aus Marokko
cingewandert sein sollen; in Hün sind viele Glieder des Muräbidija-
*) In der Malteser Handschrift wird ein Murdbid Hümed el-Hadlr aus Sebha er-
wähnt , welcher bei dem Friedensschlüsse zwischen Mohammed Ben Dschehtm und den
Tripolitanem den Vertrag mit ausarbeitetc. Wenn auch damals, vor etwa 250 Jahren, der
Hauptort Sebha's wahrscheinlich bereits bestand, so ist es doch nicht unwahrscheinlich,
dass beide Namen nur eine Persönlichkeit bezeichnen , und dass der Volksmund willkür-
lich dem in der Geschichte der Stadt häufig genannten Namen auch die Gründung der
selben zuschricb.
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188 I- BVCH, 6. KAPITFJ.. GESCHICHTE USD BEVÖLKERUNG VON FEZZAN.
Stammes der Auiäd Wäfi. Mag der Ursprung aller dieser Stamme
und Familien ein sehr verschiedener sein, berberisch oder arabisch-
jedenfalls sind sie Fremde und können höchstens unscheinbare Bruch-
theile der alten Garamanten in sich bergen. Nehmen wir zu diesen
noch die Tuärik des \V. el-Gharbi, die Tubu des Districtes von
Qatnin, die zahlreichen Sclaven und ihre Nachkommen und die in
jüngster Zeit eingewanderten nordischen Berber und Araber, und
ziehen Alle von der ohnehin spärlichen Gcsammt- Bevölkerung ab,
so bleibt nur eine kleine Summe von Individuen, die wir unter der
Bezeichnung Fezzäner zusammenfassen müssen , und diese scheinen
wieder ein charakterloses Gemisch Aller zu sein.
In ihrer Hautfärbung bieten sie ebensowohl die Nüancen, welche
bei den Tuärik und den Tubu vonvalten, als auch die der Tripoli-
taner und der Bornüleute, wenn sie auch in dieser Beziehung ihren
Wüstennachbarn näher stehen. Durchschnittlich sind sie etwas heller
als die nördlichen Tubu, von der ungefähren Grösse derselben, doch
ohne ihre zierliche Eleganz, ihre elastische Gewandtheit. Sie haben
selten die ovale Gesichtsform und die scharf geschnittenen Züge der-
selben, sondern runde charakterlose Gesichter, sind schwerfälliger
und zeigen nicht selten eine, für die Wüstenwelt ungewöhnliche Nei-
gung zur Fettbildung. Harmlosigkeit und Schlaffheit sprechen aus
ihren Zügen ; von ihren Gouverneurs lassen sie sich tyrannisiren und
ausplündern und vor ihren Feinden und Nachbarn fürchten sie sich.
Sie sind unmässig im Essen und der Frauenliebe ergeben; doch gut-
muthig, sanft und ehrlich. Die letztere Tugend entlockte schon im
Anfänge dieses Jahrhunderts dem Scheich Mohammed et-Tünisi
Worte der Bewunderung und ziert die armen Leute noch heute in
anerkennenswerther Weise. So sehr die Schwäche der Regierung,
die Zerstreutheit der bewohnten Plätze und die herrschende Armuth
Habsucht, Unredlichkeit und Diebstahl begünstigen sollten, so sicher
fühlt sich in dieser Hinsicht Jeder in Fezzän. Den ganzen langen
Weg von Tripolis bis Murzuq kann der Reisende furchtlos allein
zurücklegcn, und erst mit der türkischen Garnison kam z. B. in Mur-
zuq die Sitte auf, Nachts die Häuser zu verschliessen.
Der Unterschied des Charakters der Fezzäner von dem ihrer
nächsten Wüstennachbarn ist in die Augen fallend genug. So energie-
los, furchtsam, gutmüthig, ehrlich und vergnügungssüchtig der Fezzäner
ist, so mannhaft und streng ist der Täriki, so rastlos, egoistisch.
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CHARAKTER DER FEZZÄNER.
189
schlau, diebisch und massig der Tedetu (sing, von Tedä oder Tubu).
Fast noch charakteristischer ist der Unterschied zwischen den Frauen
der Fezzäner und denen der Tedä, obgleich doch beide Nationen
nach der Ansicht Vieler nächste Verwandte sein sollen. Während
die Frauen der Tedä schon in der äusseren Erscheinung, den Zügen,
der Haltung, dem Gange ihren determinirten Charakter verrathen,
deuten die Fezzänerinnen schon äusserlich das Gegentheil an. Jene
sind in der Verwaltung des Hauses, im Handel bei Abwesenheit ihrer
Eheherren von männlicher Entschiedenheit und Thatkraft und von
exemplarischer Treue; diese nachlässig, schwach, leichtsinnig, unsitt-
lich In letztgenannter Beziehung spricht sich die Verschiedenheit
am deutlichsten in den Nationaltänzen aus, von denen die der P'ezzäne-
rinnen, sehr fern bleibend von den graziösen, durchaus anständigen
Bewegungen der Tubufrauen, sich ganz den unschönen und gemeinen
Tänzen der Araberinnen anschliessen.
In Murzuq, wo sich natürlich die meiste Gelegenheit bietet, ent-
faltet sich die Lüderlichkeit in auffallender Weise; weder die Städte
der Nordküste noch Bornü mit seinen sinnlichen Bewohnern können
in dieser Beziehung die Concurrenz aushalten. Die käufliche Liebe
ist in allen Kreisen vertreten; verheirathete F" rauen und junge
Mädchen, Honoratiorentöchter und öffentliche Tänzerinnen: Alles
macht sich Concurrenz. Wenige Ghrüsch (plur. von Ghirsch), ein
Mässchcn Getreide oder Datteln erkaufen die Gunst dieser Prieste
rinnen, und Viele von ihnen folgen einfach ihrem guten Herzen, ohne
sich ihre Unsittlichkeit durch Geld unterstützen zu lassen. Wenn
man die harmlose Natürlichkeit, die Gutmüthigkeit beobachtet, mit
der dort dem Laster gefröhnt wird, so urtheilt man unwillkürlich
milder, als man in andern Ländern thun würde, wie denn selbst
diejenigen Einwohner, denen sonst ernste und strenge Begriffe von
Moralität inne wohnen, in dieser Richtung keinen strengen Maassstab
an legen.
Ich habe schon bei der Schilderung der Einwohner von Mur-
zuq zu erwähnen Gelegenheit gehabt, dass der Fezzäner in seiner
Kleidung eine Mittelstellung zwischen den Leuten der Nordküste und
den Nigritiern einnimmt, indem er zu dem wollenen Umschlag-
tuch der ersteren das weite Sudänhemd angenommen hat, und dass
die Frauen zwar meist an dem langen Hemde der Araberinnen und
den schweren, metallenen I'ussspangen derselben festhalten, aber sonst
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190 I. BUCH, 6. KAPITEL. GESCHICHTE UND BEVÖLKERUNG VON FEZZÄN.
Schmucksachen und Haartracht bald den Araberinnen, bald den
Tubufrauen, bald den Negerinnen folgen. Gleichzeitig habe ich er-
wähnt, dass der Mangel an Reinlichkeitssinn die Frauen Fezzan's
von den Negerinnen und noch mehr von den Tubufrauen trennt, und
sie durchaus den Araberinnen nähert.
Wandelt man durch die Ortschaften der sesshaften Bevölkerung,
welche mit Mauern umgebene Städtchen sind, so wird man in der
Anlage des Ortes und in der Bauart der Häuser durch Manches an
die kleinen Orte der Nordküste erinnert, durch Manches an die nörd-
lichen Borniistädte. Während wir durch die Ineinanderschachtelung der
Räumlichkeiten in den Häusern mit dem unbedachten Raume in der
Mitte und durch die engen Strassen an den Norden gemahnt werden,
ist das Baumaterial, die Erde, das der Negerländer. Salzhaltige Erde
wurde übrigens nach Herodots Nachrichten schon in den frühesten
Zeiten als ausschliessliches Baumaterial in dieser Gegend Libyens
verwendet. Während in den Städten Bornus Alles weit und gross ist,
und in denen Fezzan’s Engheit und Kleinheit vorwiegt, finden wir
hier im Gegentheil die Eigenthümlichkeit unverhältnissmässig grosser
Kastelle, welche die niedrigen Häuser der Einwohner gigantisch über-
ragen, während die Königswohnungen der Negerländer kein solches
Missverhältniss zur umgebenden Stadt zeigen.
Diese Riesenkastelle erinnern durch ihr Missverhältniss in Etwas
an die Felsencitadellen der Tubu, welche man in Kawär und Borkü
findet, und zu deren Füssen sich die Hütten der Ortschaften gruppiren.
Dieselben scheinen auch den Berbern während einer langen Periode
eigenthümlich gewesen zu sein und haben denselben Charakter in
Soqna, Temissa, Tedscherri, wie auch ähnliche Bauten in der jetzigen
TuburOase Dschebado, in Siggedim, einer verlassenen Ortschaft der
Tedä nördlich von Kawär, in Qissebi, einer zerstörten Stadt Kawär’s,
und in Agrem, einer Oase westlich von dort, bestanden haben sollen.
Alle diese Ortschaften mit Ausnahme von Söqna, das später entstand,
sollen Berberkolonien aus derselben Zeit und Gründungen eines
Stammes sein.
Die niedrige, längliche, rechtwinklige Hütte aus dem mit Matten
behängten Stangengerüst, an welcher der vorübergehend dort ange-
siedelte Tubu oft festhält, kennt der Fezzäner nicht, doch beide
kommen wieder in der ähnlich gestalteten Behausung zusammen,
welche die ärmeren Bewohner der Dörfer und Gärten aus Palm-
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UNTERSCHIEDE ZWISCHEN FEZZÄNERN UND TUBU.
191
blättern flechten. Mit Ausnahme der nordische Kameele züchtenden
Nomaden, welche ihre schweren Zelte aus Kameelhaar weben, werden
die Bewohner eben durch die geringen Hülfsquellen der Gegend zu
einer gewissen Uniformität in Wohnung und Lebensweise trotz natio-
naler Verschiedenheit gezwungen.
Ein anderes Moment endlich musste im Laufe der Jahrhunderte
zur Verwischung der Stamm -Unterschiede innerhalb der Grenzen
Fezzän's beitragen. Die Fortschritte in der Cultur mussten von Nor-
den dorthin gelangen und wurden alle durch den Islam vermittelt.
Die seit den ältesten Zeiten mit der Nordküste gepflogene Verbin-
dung führte die neue Religion und ihre höhere Cultur leichter dorthin,
als in die Tuärik- und Tubu-Landschaften.
So entbehren in Fezzän der vollkommeneren nordischen Be-
waffnung mit Feuergewehren nur die zeitweilig dort ansässigen
Wüstennachbarn. Zwar findet man noch hier und da in dem ärmeren
Theile der Bevölkerung eine Lanze, doch das Wurfeisen der Tubu
fehlt gänzlich und die arabische Steinschlossflinte, der weitmündige
Karabiner und Schwert und Säbel sind in ihre Rechte getreten.
Ebenso schliessen sich die socialen Sitten, die Art der Be-
grüssung, die Handhabung der verwandtschaftlichen Beziehungen,
die Familien- Festlichkeiten bei Hochzeiten, Geburten, Beschneidung
und Begräbnissen ganz an die der Araber an und haben Nichts ge-
mein mit denen der Tuärik und der Tubu. Da der Schwerpunkt des
Gemeinwesens endlich in der sesshaften Bevölkerung liegt, so bürgerte
sich allmählich die autokratische Regierungsform ein, während bei den
Nomaden diese nicht leicht zur Geltung kommt. Die demokratischen
Institutionen der Berber sind zwar in Fezzän noch repräsentirt durch
den Medschelis, der dem Päschä sowohl, als dem Mudir zur Seite
steht, doch die ursprünglich weitgehenden Berechtigungen desselben
sind allmählich illusorisch geworden.
Das religiöse Leben in Fezzän wurde bei dem harmlosen Leicht-
sinn der Bewohner und mit dem Verluste ihres ursprünglichen Cha-
rakters allmählich, so zu sagen, verallgemeinert und abgeschwächt.
Früher haben Viele den Secten angehört, welche frühzeitig im Isläm
im fernen Osten entstanden waren und bald eine grosse Verbrei-
tung unter den Berberstämmen Nordafrika’s gewonnen hatten, den
Chauäridsch und den Ibädija. Doch jetzt sind Alle ruhige, gemässigte,
selbstverständliche Sunniten, dem Ritus der Mälekija folgend, und
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192 I. BUCH, 5. KAPITFX. GESCHICHTE UND BEVÖLKERUNG VON FEZZAN.
selbst gebildete Männer kennen nicht einmal die Namen jener Secten
mehr, welche in den ersten Jahrhunderten der islamitischen Zeitrech-
nung den Rechtgläubigen die Eroberung des Maghrib oder westlichen
Nordafrika's und die Unterjochung der Berber so sehr erschwert haben.
Eine Secte der Neuzeit, welche eigentlich nur eine Gesellschaft
für innere und äussere Mission ist, insofern sie weder dogmatische
noch ritualistische Abweichungen von den rechtgläubigen Secten
predigt, sondern nur Neubelebung des Glaubens und seine Aus-
breitung zum Zwecke hat, die der Senüslja, hat sich nach und nach
des religösen Lebens der Fezzäner bemächtigt, ohne freilich diesem
harmlosen Völkchen ihren Fanatismus einimpfen zu können. Der
Stifter dieser Genossenschaft, Sidi Senüsi, nach welchem sie genannt
wird, soll aus dem ferneren Westen, aus der Gegend von Telemsan,
nach Ostafrika gekommen sein, gründete ein unabhängiges Centrum
für seine Propaganda zu Dschaherbüb auf der schwer bestimmbaren
Grenze zwischen Tripolitanien und Egypten nicht weit von der Oase
Siwa, unterrichtete und begeisterte dort bis zu seinem Tode zahl-
reiche Schüler und Anhänger und dehnte seinen Einfluss über die
östliche Hälfte Nordafrika’s weiter und weiter aus.
Sein Sohn und Nachfolger Sidi Mähädi hat mit Eifer und Ver-
ständniss die heilige Sache fortgesetzt, und Hunderte von fanatischen
Anhängern werden an dem wüsten Orte, der, fern von allem regel-
mässigen Verkehr, an und für sich aller Lebensbedingungen ent-
behrt, unterrichtet, gekleidet und genährt. Die Auserwählten derselben
ziehen von dort aus und betreiben die Verbreitung ihrer Ideen mit
dem praktischen Verständniss und der Lebensklugheit, deren Beispiel
wir im Christenthum nur bei den einstigen Jesuiten-Missioncn finden.
Sie lassen sich nicht allein die Wiederbelebung des Glaubens bei den
erschlafften Anhängern des Islam in den ihnen zugänglichen Ländern
argelegen sein, sondern haben hauptsächlich ihr Augenmerk auf die
Bewohner der östlichen Wüste gerichtet, die, ob nominelle Moham-
medaner, ob Heiden, sehr der Belehrung bedürfen und eine ge-
schlossene Phalanx jugendlich kräftiger und fanatischer Glaubens-
wächter zu bilden versprechen. Die bcrberischen Bewohner der
naheliegenden Oasen Siwa und Audschi'la und die Medschäbra, Be-
wohner der Oase Dschälo, in nächster Nähe von Audschila, traten
zu ihnen in allerengste Beziehung. Bald gründeten sie religiöse
Institute — Zäwia — zu Soqna, Zawila, Murzuq, suchten durch ahn*
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DIE SENCStJA.
193
liehe Missionsstationen zu Ghadames und Ghät bei den Bewohnern
der westlichen Wüste Eingang zu gewinnen und strebten allmählich
nach geistiger Alleinherrschaft über die Stämme der östlichen Wüste.
Zunächst schoben sie eine ihrer Stationen auf dem Wege von Dschälo
nach Wadai vor und besetzten die bewohnerlose Oase Kutara, deren
Dattelbestand ihnen ausserdem Existenzmittcl bot, colonisirten nörd-
lich von Tibesti die Oase Wau und nahmen ihren Sitz in der grossen
Tubu-Oase Kawär auf der Strasse nach Bornü. Von Kufara rückten
sie nach Wanjanga und nach Wadai selbst vor, dessen König Ali
für ihren glühendsten Anhänger galt. Seitlich von diesem Wege blieb
ihnen nach Westen Borkü und die Däzagegend, nach Osten die Land-
schaft Ennedi mit den sie bewohnenden Bidejät zu reformiren, be-
ziehungsweise zu islamisiren.
Schon während meines Aufenthaltes in Murzuq bekam ich eine
Ahnung von der Beharrlichkeit, mit der diese Fanatiker einen grossen
Theil Afrikas in ihr jesuitisches Gewebe spinnen, von der gefähr-
lichen Selbstlosigkeit, mit der sie, unbekümmert um die rastlos ver-
rinnende Zeit und um persönlichen Erfolg, ihrer Sache dienen, und
noch oft wurde ich im Verlaufe meiner Reisen auf ihre gefahrdrohende
Bedeutung hingeführt. An den verhältnissmässig hoch civilisirten
Funkten suchen sie sich zwar Freunde zu erwerben, drängen sich je-
doch nicht danach, in der Menge Proselyten zu machen. Von dem
eigentlichen Egypten mit seinen in der ganzen mohammedanischen
Weltberühmten Gelehrten — ’Ulemä — halten sie sich zurück; auch
die Stadt Tripolis passt ihnen nicht als Schauplatz ihrer Thätigkeit;
Fezzän scheint ihnen ebenfalls mehr zum Ausgangspunkte ihrer Be-
strebungen zu dienen, und selbst in Bornü, dessen Gelehrte mit dem
Scheich 'Omar an der Spitze einen grossen Ruf in der sudanischen
Welt haben, treten sic bescheiden auf. Die von solcherlei Bestre-
bungen bisher verschonten Gegenden der Tubu (Tibesti, Borkü,
Bahär el-Ghazäl, Känem), der Bidejät (Wanjanga und Ennedi), die
uncivilisirten Stämme von Wadai und die Oasen Egyptens sind der
Gegenstand ihrer Hoffnung und unterliegen mehr und mehr ihrem
Einflüsse. Die gewonnenen Anhänger spenden ihnen reichlich zur
Ehre Gottes, und wo sie in der Wüste ihre frommen Stationen
gründen, schliessen sie zuvor mit den Eingeborenen einen Vertrag
über die ihnen zu überweisenden Dattelpflanzungen und die ihnen zu-
stchendcn Gerechtsame.
Nachiigal, I. 13
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194 1. BUCH, 6. KAPITEL. GESCHICHTE UND BEVÖLKERUNG VON FEZZÄN.
•
Bisher war besonders der Westen Nordafrika's durch religiöse Ge-
sellschaften und durch geistliche Herren ausgezeichnet, deren Macht oft
durch weltlichen Besitz erhöht war, deren politischer Einfluss aber
auch ohne diesen nicht selten den der Fürsten übertraf. Rohlfs er-
zählt von einem in Marokko fast mit päpstlicher Gewalt ausge-
rüsteten geistlichen Herrn; in Timbuktu regiert die Familie des
Scheich el-Baqai, die ihren Ursprung von dem berühmten Eroberer
des nördlichsten Afrika, Sidi ’Oqba Ibn cn-Näfi el-Fahri, dem Gründer
Kairuwans, ableitet und unbestrittenen Einfluss über die westlichen
Tuärik bis Tuät ausübt; von den Grenzen Marokko’s bis nach Tri-
polis beugten sich Fürsten und Völker vor dem Ansehen Sidi Ahmed
el-Tedschanis, des Stifters der Tedschädschna, der zu Ende des
vorigen Jahrhunderts lebte.
Die östliche Wüste hatte eines geistlichen Lenkers entbehrt, bis
ihr ein splcher in der Person des Senüsi erstand, der in Schroffheit
und Strenge seiner religiösen Anschauungen und in seinem Hasse gegen
die Civilisation und ihre Träger seine westlichen Vorgänger und
Coilegen weit übertraf. Der marokkanische Papst war Rohlfs' treuester
Beschützer, selbst als er seinen christlichen Charakter kannte; Ahmed
el-Baqäi schützte Heinrich Barth vor den fanatischen Verfolgungen
der oberherrlichen Felläta-Fürsten, und der Chef der Tedschädschna,
den ich in den sechziger Jahren auf seiner Pilgerfahrt am Hofe von T ünis
zu sehen Gelegenheit hatte, w'ar ein wohlwollender Herr, der sich
durch ein freundliches Gespräch mit einem Christen nicht verun-
reinigt glaubte. Die Senüsija dagegen sind glühende Christenhasser,
deren Feindschaft im Verfolge meiner Reisen mir noch manche Ge-
fahren und Unannehmlichkeiten bereiten sollte.
Fezzän’s harmlose, gutmüthige Bevölkerung — so Viele aus
ihr sich auch der Lehre von Dschaherbüb zuwendeten — konnte
sich weder zu der Ascetik derselben aufschwingen — wenn auch
v. Beurmann darin falsch berichtet war, dass die Senüsija das Cöli-
bat predigen, so ist doch z. B. der Tabak bei ihnen verpönt — ,
noch ihren vom Islam unzertrennlichen Fanatismus zur aggressiven
Höhe jener steigern. Zwar gelang das letztere an einzelnen Punkten,
wie zu Zawila, w'o Duveyrier die entsprechende Erfahrung machte,
und wo die Herren der Stadt als Schurafä allerdings eine besondere
Berechtigung zum Fanatismus zu haben glauben. Doch im Ucbrigen
war der Verkehr der Christen sowohl mit den Einwohnern, als auch
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RELIGION UND UNTERRICHT IN FEZZAN.
195
sogar mit den zahlreichen Muräbidija, die doch aus der Geschichte
ihrer Familien besonders strenge religiöse Tendenzen hätten schöpfen
sollen, und mit den officiellen Glaubenswächtern selbst, z. B. mit ihrem
Chef, dem biederen Qädi von Murzuq, angenehmer als in den meisten
mohammedanischen Ländern.
Mit der Religion hängt der Unterricht zusammen, denn dieser
fliesst dort, wie in fast allen mohammedanischen Ländern, nur aus
jener. Entsprechend der Lässigkeit des religiösen Lebens in Fezzän
ist die Gelehrsamkeit eine sehr bescheidene. Es gab in Murzuq
keinen berühmten Gelehrten, der von Wissbegierigen aus der Ferne
aufgesucht worden wäre, wie sich deren selbst in den Negerländern
finden; doch immerhin sind die Anforderungen des Civilisations-
grades der Bewohner und der äusseren Verhältnisse zwingend genug,
um Jeden zur Erzielung der nothwendigsten Kenntnisse des Lesens
und Schreibens in die Elementarschulen zu treiben.
Abgesehen davon, dass in den Schulen natürlich das Arabische
nicht nur den Gegenstand des Unterrichts, sondern auch die Sprache
desselben bildet, lässt uns die Betrachtung der Volkssprache, welche
sonst ein so schwer wiegendes Kriterium für die ethnologische Fixirung
von Völkern und Stämmen giebt, bei den Fezzänern etwas im Stich.
Zwar bedient sich der flottirende Theil der Bevölkerung, welcher den
Tubu und den Tuärik angehört, ausschliesslich der diesen eigen-
thümlichen Idiome; zwar haben in den vorher aufgeflihrten Berber-
Kolonien Soqna, Waddän, Temissa Berberdialecte, die dem von
Ghadämes nahe stehen, noch Bürgerrecht neben der arabischen
Sprache: doch sind dies streng abgeschlossene Sprachinseln. Trotz-
dem der südlichste Theil von Fezzän nicht allein Leute Tibcsti's zu
seinen Bewohnern zählt, sondern den Handelsverkehr der Provinz
mit dieser Landschaft ausschliesslich vermittelt, und trotzdem die
Muräbidija von Qatrun und Bachi mit Vorliebe ihre Frauen von dort
beziehen, so hat sich doch die Tubusprache nie über diesen District
ausdehnen können. Allgemeiner bedient man sich der ßornüsprache,
welche vor der Haussasprache, die ebenfalls vielfach bekannt ist, den
Vorrang hat und wohl in ganz Fezzän mehr oder weniger verbreitet ist.
Doch wenn die Kinder überall die Bornü- und oft die Haussasprache
erlernen, ehe sie mit dem Arabischen bekannt werden, und wenn in
vielen Häusern vonvaltend eine derselben gesprochen wird, so darf
man dieser Erscheinung keinen allzu hohen Werth beilegen. Der
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196 I. BUCH, 6. KAPITEL. GESCHICHTE UND BEVÖLKERUNG VON FEZZÄN.
Reichthum an Sclavinnen, der seit Jahrhunderten auf dieser Strasse
zu den Südänländern ein ausserordentlicher war, und die früher so
ausgedehnten Handelsreisen der Einwohner erklären diesen Umstand.
Selbst wo legitime F rauen aus dem Norden oder dem eigentlichen
Fezzän existiren, gestattet die Religion Kebsweiber, welche aus
den Negerländern bezogen werden. Sehr selten findet man eine
Familie, in der nicht hellfarbige und dunkelfarbige Kinder in
verschiedenen Nuancen neben einander vertreten sind; alle aber,
welchen Müttern sie auch angehören mögen, sind während ihrer
früheren Lebensperiode hauptsächlich in den Händen der Sclavinnen.
Wachsen sie heran, so gewinnt die arabische Sprache mehr und
mehr die Oberhand und im Ganzen und Grossen ist sie zweifellos
die allgemeinst verbreitete.
Fassen wir die Charakteristik der Fezzäner zusammen, so sehen
wir in allen ihren Eigenschaften und Betätigungen, ihrem äusseren
und inneren Leben, einen Ucbergang von den Bewohnern der Nord-
küste einerseits zu den Wüstenstämmen, andererseits zu den Südän-
leuten. Von Norden her wurde durch berbcrische und arabische Ele-
mente zuerst ihre Eigenartigkeit alterirt; von Norden her kam ihnen
der ihnen zu Theil gewordene Grad der Civilisation; von dort wurden
sie durch den politischen Einfluss ihrer Herren umgewandelt. Anderer-
seits fand dasselbe periodisch von Süden her statt, und sudanisches
Blut wird ihnen bis in die neueste Zeit zugeführt. Mit den west-
lichen Nachbarn, den Tuärik, verbindet sie weder sehr viel Ver-
kehr, noch Blutmischung; mehr mit den Tubu Tibesti’s, und hier ist
es wichtig festzustellen, dass trotzdem und trotz der Achnlichkeit
der klimatischen Verhältnisse, in denen Beide leben, der Unterschied
zwischen Fezzanern und Tubu ein sehr ausgesprochener ist. Dies
dürfte gegen die Annahme sprechen, dass die ursprüngliche Bevöl-
kerung Fezzäns identisch gewesen sei mit der von Tibcsti, wenn
auch freilich jene sich im Laufe der Zeiten sehr verändert hat, und
diese in ihrem unzugänglichen Fclsenlandc sich eine gewisse Stabilität
bewahren konnte. Es beweist aber jedenfalls, dass die anderen
Elemente in der Mischbevölkerung vorwalten.
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ZWEITES BUCH.
TIBESTI ODER TU.
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Erstes Kapitel.
DER SÜDLICHSTE THEIL VON FEZZÄN.
Die beiden Tedä-Edlen. — Abschluss des Contractes mit Akrfmi KolokSmi. — Einkauf
von Geschenken und Tauschwerthen. — Bu'i Mohammed’s treuer Sinn. — Abreise
Fräulein Tinne's. — Die Brunnen Tabanlja. — Bidän und das Laqbt- Gelage. —
Verbrennung durch Sonnenstrahlen. — Blr ed-Domrän. — Sandwüste. — Ilatttja
Mcstüta. — Ankunft ?.u Qatrfin. — 1 ISdsch Dschäber und die Muräbidtja. — Hoch-
gradige Hitze. — Beschreibung der Stadt und ihrer Bewohner. — Behausungen der
Tubu. — Gartcncullur. — Bit Zeid und seine Ansprüche. — Weitere Ankäufe für
die Reise. — Bachl. — Arabische Ruinen. — Zunehmende Tubu -Besucher. —
Augenentzündung. — Qasrauwa. — Weg durch das Thal Ekema. — Tedscherri und
seine Qasba. — Bevölkerung. — Verrätherische Pläne der Tubu. — Abreise. — Blr
Mcschru. — Traurige Zeugen des Sclavenhandels. — I.agöba Buia. — Lagoba K8nö.
— Hochebene Ala&ta Kju. — Tummogebirge oder cl-Wär.
Der Mai war noch reich an Fieberanfallen flir mich gewesen,
und unter ihrem Einflüsse hatte sich eine schleichende Dyssenteric bei
mir entwickelt, welche mir eine baldige Abreise sehr wünschcnswerth
erscheinen Hess. Gegen Ende des Monats kam auch der von Seiten
des Hadsch Dschäber erwartete Tubu -Edle — Maina — , welcher
Akremi hiess, aber mehr unter seinem Beinamen Kolokömi bekannt
war, in Begleitung eines Vetters, Namens Wolla. Kolokömi war ein
kräftiger Mann von vierzig und einigen Jahren, von guter Mittelgrösse,
dunkel bronccfarbiger Haut und rundem Gesichte, dessen Züge und
voller Bart nichts Negerhaftes im gewöhnlichen Sinne des Wortes an
sich trugen; Wolla war magerer, dunkelfarbiger und hatte ein ovales Ge-
sicht. Jener hatte iibrigcns nach seiner Behauptung etwas Tuarikblut in
den Adern, so selten auch Vermischungen zwischen beiden Stammen
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II. BUCH, I. KAPITEL. DER SÜDLICHSTE THEII. VON FEZZAN.
200
— abgesehen von den Fällen, in denen weibliche Kriegsgefangene
in den feindlichen Stamm gerathen — Vorkommen sollen. Sein
nicht eben durch Sauberkeit glänzendes und arg zerfetztes Bornü-
gewand Hess keinen hochstehenden Mann in ihm vermuthen; doch
das ärmliche Aeusscre that dem würdevollen Auftreten und dem
Selbstbewusstsein des freien Sohnes der Wüste keinen Eintrag. Die
Leute, welche ihn von seinen wiederholten Besuchen in Fczzän
kannten, stellten ihm das verhältnissmässig beste Zeugniss aus, indem
sie ihn als einen der wenigst Schlechten unter seinen Stammes-
genossen, die freilich insgesannnt Schurken seien, bezeichneten.
Am 24. Mai schloss ich einen Contract mit diesem Manne ab, dem
zufolge er mich durch das ganze Land Tibcsti, wohin ich immer zu
reisen wünschen würde, zu führen und nach Fezzän zurückzugeleiten
versprach, während ich mich verpflichtete, ihm 80 Mahftbub (nahezu
300 Mark) zu bezahlen. Von dieser Summe sollte ihm die eine
Hälfte vor Beginn der Reise, die andere nach erfolgter Rückkehr
durch den Hadsch Dschdber ausgehändigt werden. Im Falle glück-
lichen Gelingens versprach ich ihm noch das Extrageschenk einer
Steinschlossflinte und seinem Cousin eine beliebige Anerkennung
seiner Dienste. Ausser dem Herrscher des Landes, Tafertemi, sollte
jeder der hauptsächlichsten Edlen Tibcsti’s, deren Zahl vorläufig zu
sieben angenommen wurde, über deren Liste aber der Hadsch Dschä-
ber entscheiden sollte, einen rothen Tuchburnus erhalten. Der Micth-
preis war ein hoher, wenn ich bedachte, dass der in Aussicht ge-
nommene zweite, den Muräbidija von Qatrfin angehörende Reisebe-
gleiter sich wahrscheinlich zu noch grösseren Ansprüchen berechtigt
halten würde. Da es aber noch wohlbekannt in Qatrün war, dass
M. v. Beurmann dieselbe Summe mit dem damaligen Maina Tafertemi,
der ihn geleiten wollte, vereinbart hatte, so musste ich das Opfer
bringen.
Es gelang mir, in Murzuq selbst ein halbes Dutzend rother Tuch-
burnussc und drei indigogefarbte, schwarzblaue Südängewänder auf-
zutreiben. Jene wechselten in ihrem Preise von 12 bis 20 Maria-
Theresia-Thalcrn (50 bis 80 Mark), ohne dass der Mottcnfrass, der
einige derselben gründlich zerstört hatte, eine Ermässigung des Preises
mit sich gebracht hätte. Die Kaufleute suchten sich natürlich die Be-
harrlichkeit, mit der ich an dem Plane der Reise nach Tibesti fcst-
hiclt, meine Unerfahrenheit und den Mangel an Concurrcnz, so sehr
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CONTRACT MIT DEM TUBU- EDLEN. — RE1SEAUSRUSTUNG. 201
sie konnten, zu Nutze zu machen. Die Südäntoben kosteten nicht
einmal halb so viel als die Burnusse und sollten gleichwohl in Tibcsti
nahezu ebenso sehr geschätzt sein. Die Tubu sowohl wie die Tuärik
ziehen die dunkeln Gewänder, welche gewissermaassen mit dem ernsten
Charakter der Wüste und ihrem eigenen finsteren Sinne harmoniren,
den hellfarbigen vor und haben ein besonderes Wohlgefallen an den
genannten Indigo-Toben, die ihrer oft hinlänglich hellen Haut sicht-
liche und sehr beliebte Spuren der Unvollkommenheit sudanischer
Färbekunst aufdrücken.
Zu diesen Geschenken fügte ich ein Dutzend rother tunisischer
Mützen, Mussclinstoff — Schäsch — zu weissen Turbanen für etwa
zwölf Personen, etwas Benzoe — Dschäwi — , das zum Räuchern
sehr beliebt ist, Antimonpulver — Köliöl — , das als Cosmeticum
und Heilmittel gegen leichte Ophthalmieen auch in Tibesti in Ge-
brauch ist, eine ansehnliche Menge Tabak und einige Stücke des
Cham genannten, ungebleichten europäischen Baumwollenstoffs, der
als Haupttauschwerth in Tibesti dient. Etwa Fehlendes konnte ich
voraussichtlich in Qatrün bei den Muräbidija, welche den ganzen
Handel mit Tibesti vermitteln, finden. Für den Fall, dass es mir
gelingen sollte, meine Reise bis Borkü auszudehnen, fügte ich noch
einige sudanische Gewänder aus Bornü, Haussa, Nife bei, welche
einen durchschnittlichen Preis von 15 Mark das Stück hatten.
Die königlichen Geschenke, welche mir nach Bornü überzuführen
oblag, Hess ich natürlich, da keine Aussicht vorhanden war, etwa
über Tibesti dorthin reisen zu können, und weil auch das ganze
Unternehmen zu gewagt und zu unsicher erschien, unter der Obhut
des Hadsch Brählm Ben Alüa zurück, und zum Wächter des Hauses
wurde Ali aus Mandara unter der Oberaufsicht des jungen Mohammed
Ben Alüa bestellt.
Trotz aller Versicherungen Kolokömi’s und Hadsch Dschäber's
blieb der brave Mohammed aus Qatrün der ganzen Reise in früherer
Weise abhold und berief sich mit Recht auf die Erfahrung der zwölf
Jahre, welche er in der Mitte seiner halben Landsleute im südlichen
Fezzdn zugebracht, und der beiden Reisen, welche er nach Tibesti,
der Heimath seines Vaters, unternommen hatte. Auf den Edlen
Kolokömi legte er keinen grossen Werth; seine einzige Hoffnung
beruhte auf der Begleitung des Muräbid von Qatrün, wenn dieser
entweder der mir bereits bekannte ’Ali aus Bachi oder ein gewisser
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202 II. BUCH, I. KAPITEU. DER SÜDLICHSTE THEIL VON FEZZAN.
Bü Zc'id aus demselben Dorfe sein wurde. Da der berühmte Be-
gleiter Barths kein Jüngling mehr war, und ich seinen Widerwillen
gegen die Unternehmung sah, machte ich ihm den Vorschlag, mir
einen Diener, welcher der Tubu-Sprache mächtig sei, zu suchen und
selbst zurückzubleiben, zumal mir dadurch die Erfüllung meines offi-
ciellcn Reisezweckes gesicherter erschien. Doch der brave Mann
wies diesen Vorschlag mit einer gewissen Entrüstung zurück, indem
er hinzufügte: „Ich habe Deinen Freunden in Tripolis versprochen,
Dich wohlbehalten nach Bornü zu führen, wie ich auch Deine Brüder
Abd el-Kerim (Barth) und Mustafa Bei (Rohlfs) dorthin geleitet habe.
Mit Gottes Hülfe werden wir dies Ziel zusammen erreichen; bis
dahin werde ich Dich nicht verlassen, und wenn Dir bei den ver-
rätherischen Tubu ein Unglück zustossen soll, so will ich dasselbe
mit Dir thcilen”.
Während die Mundvorräthe, welche in einem Centncr Mohammes,
einem halben Ccntner Reis und ebenso viel Zwieback — Buqsmät
bestanden, theils im Hause des freundlichen Hadsch Brähim, thcils
in der Stadt hergerichtet wurden, begab sich Büi Mohammed in
sein heimathliches Dorf, wo sein Sohn meine Kameclc weidete, um
diese zu holen und um von seiner Familie Abschied zu nehmen.
Von jenen bedurfte ich vier zur Reise, die beiden übrigen beabsich-
tigte ich, da in Dudschäl die Weide schlecht war, in dem benach-
barten, auf unserem Wege liegenden Dorfe Bidän bei einem dem
Hadsch Brähim bekannten Manne in Obhut zu geben.
Bui Mohammed kam mit seiner Ehehälfte, seinem achtzehn-
jährigen Sprössling, den Kameelen und einem jungen Hunde, den
wir nach seinem Heimathsorte Dudschäli nannten und mitzunehmen
beschlossen, am 4. Juni zurück, an demselben Tage, an dem meine
feierliche Entlassung und Ueberweisung an den Tubu-Edlen vor dem
versammelten grossen Rathe stattfinden sollte. Die Frau Mohammed s,
ebenfalls von Tubu -Ursprung, doch in Fezzan geboren und alt ge-
worden, hatte mit der Zeit die philosophische Ruhe ihres Eheherrn
angenommen, war dunkelfarbig, wie er, und zeichnete sich durch
einen sehr schönen, braunen, egyptischen Wollenshawl für Kopf und
Schultern und einen ungewöhnlich ansehnlichen, rothen Korallcn-
cylinder in ihrem rechten Nasenflügel aus. Wenn sich auch die
Liebe Beider nicht sehr lebhaft äusserte, so schienen sie doch in
rührender Weise an einander zu hängen, und wenn die Gattin die
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ENTLASSUNG VOM MEDSCHEI.IS. — TRENNUNG VON FRÄULEIN TINNE. 203
Tibesti-Reise ebenfalls mit missbilligenden Augen betrachtete, so war
es nur aus Besorgniss für Mohammed.
Kolokömi benahm sich vor Pascha und Rathsversammlung ein-
fach, verständig und nicht ohne Würde. Ich ward ihm feierlich anver-
traut, eine gewisse Verantwortung für mein Leben und Eigenthum
auf sein Haupt gewälzt, und er verpflichtet, mich, wenn irgend mög-
lich, auch nach Borkü zu führen, in jedem Falle aber nach Fezzän
zurück zu geleiten. Für Tibesti nahm er die Verantwortung auf
sich, doch die Entscheidung über eine Reise nach Borkü schob er
auf seine Coilegen, die übrigen Edlen, von denen Manche eine ge-
wichtigere Stimme hätten, als er selbst. Ein feierliches Fättha (Ein-
gangsgebet des Qorän) segnete unsere Reise ein, deren Antritt auf
den zweitfolgenden Tag festgesetzt wurde.
Meine genesene Freundin hatte denselben Tag zur Abreise ge-
wählt. Ichnuchen wurde im Wadi el-Gharbi erwartet, und sie beab-
sichtigte, dort die nöthigen Verabredungen über eine Reise mit ihm
in die Tuärikländer zu treffen. Am Abend des 5. Juni begleitete ich
sie zum Westthore hinaus, wo ihre Leute unter den Mauern der Stadt
ihr Lager aufgeschlagen hatten. Meine Reise musste als ein höchst
gefahrvolles Unternehmen bezeichnet werden, da die Tubu als wort-
brüchig, verrätherisch, habgierig, diebisch und grausam bekannt sind,
während die ihrige, garantirt durch einen machtvollen Häuptling,
der während seines langen Lebens — Ichnuchen war ein hoch be-
tagter Greis — den Ruf der Zuverlässigkeit erworben hatte, und zu
einem Volke, von dem man sagt, dass es auf Treu und Glauben
und die Heiligkeit der Verträge halte, keinerlei ernste Gefahren mit
sich zu bringen schien. In diesem Sinne nahmen wir Abschied von
einander, recht herzlichen Abschied, denn ich hatte während unseres
gemeinschaftlichen Aufenthaltes in Murzuq Geist und Herz dieser
Dame gleich hoch schätzen gelernt, und ahnte wahrlich nicht,
dass ich nach einer lcidensvollen Reise und glücklichen Rettung aus
grossen Gefahren bei meiner Rückkehr durch die Nachricht des
blutigen Endes der verrathenen Dame mit Schmerz und Entsetzen
erfüllt werden würde.
Während sie am 6. Juni ihrem Vcrhängniss entgegen nach Westen
zog, verliess ich mit Giuseppe Valprcda, Bul Mohammed, 'Ali cl-
Fezzdni und Sa’ad die Stadt durch das östliche Thor, nachdem der
Hadsch Brähim noch einmal meinem Tubu -Gefährten ins Gewissen
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204 II. BUCH, I. KAPITEL. DER SÜDLICHSTE THE1L VON EEZZÄN.
geredet hatte. Die Tagesstunde war eine sehr vorgerückte — es war
l Uhr Nachmittags — , eine ungewöhnliche Reisestunde im Sommer;
doch bei dem seit drei Tagen wehenden Nordostwinde war der Tag
kühl und der Himmel im Nordosten und Osten mit der seltenen
Zierde dichter Regenwolken bedeckt.
Leider beraubte mich die Wahl dieser Tageszeit, welche jeder
redliche Murzuqer unverkümmert der Siesta weiht, der feierlichen
Begleitung seitens meiner Freunde, und das Fehlen der gewohnheits-
mässigen Segenswünsche machte mir bei der trüben, verdunkelten
Atmosphäre einen recht peinlichen Eindruck. Es hat mich auch
später stets sehr wohlthuend berührt, wenn beim Antritte einer Reise,
welche durch die mancherlei von ihr unzertrennlichen Gefahren und
die lange Zeit der Abwesenheit in jenen Gegenden zu einem ganz
anderen Ereigniss wird als in Europa, einer der Zurückbleibenden
mit den Worten: „Wohlan, Brüder, das Fätiha!" das Zeichen zur
Trennung gab. Es ist ein feierlicher Anblick, wenn alle Anwesenden
aufrecht stehend und die Innenfläche der halb erhobenen Hände nach
oben gerichtet, das schöne Eingangsgebet des Qorän murmeln, mit
der Rechten über Gesicht und Bart streichen und mit einfachem
Händedrucke oder arabischer Umarmung in ernstem Schweigen aus
einander gehen. Nur mein Adjutant Mohammed Ben Alüa und ein
Nachbar, Müsa Ben ’Otmän, ein junger Kaufmann von seltener Rührig-
keit und Energie, begleiteten mich für eine kurze Strecke.
Unser Weg war in der nächsten Nähe der Stadt wenig anmuthig,
denn die Gärten und Dattelhaine blieben beiderseits weit entfernt,
und der Zerfall der ausgetrockneten Sebchastellcn bildete einen
schmutzigen Staub, der nichts weniger als angenehm war. Wir zogen
in Ostsüdostrichtung an dem aus wenigen Palmcnblatthütten beste-
henden Dörfchen Mureizuq (Diminutif von Murzuq) vorüber durch
die schwach gewellte, sandige Ebene, die hier und da durch Kies-
grund und niedrige Kalkhügclzüge unterbrochen ist. Nach einigen
Stunden .sticssen wir auf einen Hain verwilderter Wischqa’s, welcher
früher zu einem Dorfe gehört hatte, dessen Erdmaucrrestc unter dem
Namen Rawät rechts am Wege blieben. Weiter nach Nordosten
sprachen die Ruinen, welche noch vor Kurzem das Dorf Mcndschcli
bildeten, für die Abnahme der Bevölkerung. Um den Weg etwas
abzukürzen, Hessen wir kurz darauf das Dörfchen Hadsch Hadschil
nordnordöstlich am Wege versteckt in seinem Dattclhain. Von hier
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DIE BRUNNEN TABANtjA. — DAS DORF BiDÄN. 205
ab wurde unsere Richtung südöstlich oder südsüdöstlich. Links
tauchten die Dattelhaine der Dörfchen der Hofra auf, während gelbe
Sandhügel den südlichen und südwestlichen Horizont begrenzten, und
unsere nächste Umgebung zeigte hier durch schlecht gepflegte Palmen-
gruppen, dort durch grosse Etelbüsche, noch anderswo durch Domrän-
und Aqül wuchs ihre kümmerliche Vegetationskraft. Die Etelbüsche
stehen meist auf mehr oder weniger ansehnlichen Sandhügeln, zu
deren Entstehung sie selbst beigetragen haben, und welche zum
Unterschiede von den früher erklärten „Zeugen" wohl „Neulinge"
genannt werden.
Mehr als vier Stunden nach unserem Abmarsche stiegen wir
über eine unbedeutende Hügelreihe in die Tabanija genannte Ebene
hinab, welche zwei bekannte Brunnen enthält, deren westlicher in
alter Gewohnheit den Tubu zum Lagerplatze dient, während der öst-
liche von den Tuärik besucht wird, wenn die Zeit der Dattelernte
sie herbeilockt. Wir wählten den östlichen Brunnen, der in der Tiefe
von 1,50 M. eine spärliche Wassermenge von 20,8° C. Wärme enthielt,
zu unserem Nachtlager, und hatten uns kaum an demselben nieder-
gelassen, als die Entladung eines Gewitters begann, mit welcher uns
die immer massiger gewordenen Wolken schon seit einigen Stunden
bedroht hatten. Der Regen war spärlich, reichte aber hin, um
unserm Mohammed und dem Tubu die feste Ueberzeugung zu geben,
dass Ichnuchen im W. el-Gharbi lagere, da von einer Reise dieses
Häuptlings nach Eezzän Regen unzertrennlich sei.
Der nächste Morgen führte uns in östlicher Richtung über eine
ähnliche sandige, licht mit Palmen bewachsene Ebene, zwischen
runden, grossen Maulwurfshaufen ähnelnden Domränhügclchcn und
an Neulingen vorüber bis Bidän, das wir, nachdem wir das Dorf
Zezau nördlich gelassen hatten, vier und eine halbe Stunde nach
unserem Aufbruche erreichten. Bidän war ein elender Haufe von
Lehmruinen, von denen nur die Moschee und zwei Privatgebäude
stehen geblieben waren; die übrigen 30 bis 40 Hausstände bedienten
sich der Hütten aus Palmblättcrn.
Wir hatten die Absicht gehabt, nur die Mittagshitze im Schatten
des zum Dorfe gehörigen Palmenhains zu verbringen, doch die Unter-
bringung meiner beiden überflüssigen Kameele nahm einen grossen
Theil des Tages in Anspruch, da der Freund Ben Alüa’s, wie die
meisten Einwohner, abwesend war. Kürzlich hatten räuberische Araber
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206 II. BUCH, 1. KAPITEL. DER SÜDLICHSTE THEIL VON FEZZAN.
aus der Umgegend der grossen Syrte hier einige 70 Kameele der
Tubu mit ihren Hirten geraubt, und viele Einwohner hatten sich
aus Furcht vor Repressalien einstweilen in benachbarte Dörfer zu-
rückgezogen. Schliesslich vertraute ich dem blinden Ortsvorsteher
die Thiere mit dem Briefe des Hadsch Brähim an, doch zur Weiter-
reise war cs zu spät geworden.
Der Tag war kühl; ein massiger Wind trieb wieder massige Ge-
witterwolken aus Südosten herauf, und der erfrischende Schatten
unserer Lagerstelle bildete einen genussreichen Gegensatz zu dem
staubigen und sonnigen Aufenthalte in der Hauptstadt. Die schwarzen
Diener hatten sich eine ansehnliche Quantität von Laqbi verschafft,
und Ali und Sa'ad sich bald in einen unzurechnungsfähigen Zustand
versetzt. Der würdige Bui Mohammed vergass zwar seine Würde
nicht so weit, heiterte sich jedoch genugsam an, um eine Beredsam-
keit zu entfalten, wie ich sie früher nie an ihm zu bewundern Gelegen-
heit gehabt hatte. Für mich selbst war diese erheiternde Beschäftigung
meiner Dienerschaft, die ich übrigens in träumerischem Rückblicke
auf meine Studentenzeit mich nicht entschlossen konnte zu stören,
von unheilvollen Folgen. Ich war im Schatten einer Dattelpalme
sanft entschlummert und erwachte selbst dann nicht, als die fort-
schreitende Sonne ihre Strahlen auf meine nackten Füsse und Unter-
schenkel herabsandte, während meine Begleiter begreiflicher Weise
kein Auge für meine Gefahr hatten. Nach dem Erwachen empfand
ich einen dumpfen Schmerz und ein eigentümliches Gefühl von
Schwere in beiden Füssen, die ersten Symptome einer Entzündung,
welche mir einige qualvolle Tage bereiten sollte.
Die Strecke zwischen Bidan und Qatrün ist eine vollständige,
theils sandige, thcils steinige Wüste, welche nur unterbrochen ist
durch die Hattija von Mcstüta in der ungefähren Mitte des Weges.
Von Bidän ab dehnt sich die Vegetationsstrecke noqli für eine gute
Stunde aus bis zum Bir ed-Domran, den wir am folgenden Morgen
in Südostrichtung erreichten. Wir nahmen aus demselben, der nur
0,75 m tief ist, unseren Wasserbedarf, Hessen die Kameele sich einige
Stunden im Aqül gütlich thun und setzten gegen Mittag unseren
Weg fort. Leider stellte sich mehr und mehr heraus, dass die Aus-
dehnung der Verbrennung meiner unteren Extremitäten eine viel be-
deutendere war, als ich gefürchtet hatte. Auf den geschwollenen
und heftig schmerzenden Gliedern war eine ausgedehnte Blasenbil-
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HATTlJA MKSTÜTA.
207
düng eingetreten, so dass jeder Gebrauch derselben unmöglich wurde.
Wenn schon das Kameelreiten ohne wirkliche Reitsättel oder andere
comfortable Vorrichtungen nicht zu den Annehmlichkeiten des Lebens
gezählt werden kann, so war es unter den obwaltenden Umständen
fast unerträglich. Wie glühendes Rlei hingen meine Beine auf die
Schultern der Kameclc herab und jede zufällige Berührung derselben
mit den Knochen des Thiercs oder dem Holze der Kisten, auf denen
ich sass, verursachte Schmerzen, die mich fast der Besinnung be-
raubten.
Vom Bir ed-Domrän bis Mestüta dehnt sich eine unregelmässige
und hochgehügelte, schwer zu überwindende Dünenregion aus. An-
fangs war der Sand eben, auf das zarteste gewellt, in der Anordnung
der Wellenlinien den Einfluss des vorherrschenden Nordostwindes
zeigend und meist von tragfahiger Härte. Doch dann kamen von
Ost nach West streichende Sandhügclzüge, und zuweilen kletterten
wir in wahren Labyrinthen von Berg und Thal herum, in denen mir
unbegreiflich war, wie meine Begleiter die Wegrichtung inne zu halten
vermochten. In den Thälern entwickelt sich hier und da eine spar-
same Vegetation von Nissi ( Aristida pltuuosa) und selbst von Häd;
Die Hügel bestehen aus reinem Flugsande. Die letzteren wurden im
Laufe des Nachmittags höher und erreichten in der Mitte der Ent-
fernung zwischen Bidän und der Mestüta-Oase, wo sie entsprechend
ihrer Lage Dschebel en-Nusf, d. h. Berg der Hälfte, genannt werden,
eine Höhe von 30 bis 40 M. Bis zu ihnen hatten wir bei zahlreichen
Windungen durch die Thäler und über die 'Berge eine Durchschnitts-
Wegrichtung von Südost eingehalten; von da ab wurde dieselbe eine
mehr südliche. Wir erreichten an diesem Tage Mestüta nicht mehr,
sondern lagerten nach mehrstündigem Marsche an einer Stelle der
Dünengegend , welche von ihrem Reichthum an Häd den Namen
dieser geschätzten Kamcelfutterpflanze trägt.
Während des ganzen Tages war der Himmel bewölkt gewesen,
und am folgenden Morgen (9. Juni) kam es zum zweiten Male binnen
wenigen Tagen in einer sonst so trockenen Jahreszeit zur Erscheinung
eines halbstündigen Regens, während wir in südlicher Richtung auf
Mestüta marschirten. Wir hatten drei Stunden bis dorthin und er-
blickten von der Höhe eines der Sandhügels, welche allmählich be-
trächtlich niedriger wurden, die noch einmal anschwcllcnden Dünen,
zu deren Füssen Mestüta sich ausdehnt, als einen dunkelen Höhen-
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208
TT. BUCH, I. KAPITEL. DER SÜDLICHSTE THEII. VON FEZZÄN.
zug, der von Nordost nach Südwest verläuft und Dsch. Mestüta ge-
nannt wird. Jenseits desselben begann eine ausgedehnte Vegetation
von Rischu ( Calligonum comosum) in dichten Büschen auf halb-
kugeligen Hügeln, welche beträchtlich grösser sind, als die des
Domran. Bald kamen Etelbüsche und Palmengestrüpp hinzu und
in reicher Auswahl für die Kameele Häd, Aqül, Domran, Dis ( Irnpc-
rata cylindrica), Sebat und die Leptochlia bipinnata oder Eragrostis
cynosuro'ides.
Die Hattija ist mehr als zwei Stunden lang und eine halbe Stunde
breit und hat an ihren Rändern reinen Sandboden, doch im Innern
theils trockenen Scbchagrund, theils sogar sumpfigen Boden. An der
tiefsten Stelle befinden sich drei oder vier oberflächliche Wasser-
löcher mit leicht brakischcm Wasser, das eine Temperatur von
23,7 0 C. zeigte , und nördlich davon zeugen die Ruinen eines Erd-
kastelles früherer Fezzan-Herrschcr von besserer Benutzung dieses
fruchtbaren Fleckchens mitten im Sandmeere. Meinen Füssen zu
Liebe, zu deren Schmerzlindcrung und Behandlung ich glücklicher
Weise etwas Oel besass, verbrachten wir den ganzen Tag in Mestüta,
obgleich der unzureichende Schatten niedriger Tamarisken, deren
Ausdünstung überdies dem Menschen schädlich sein soll, wenig ein-
ladend war.
Nachdem in der folgenden Nacht ein heftiger Südwind geweht
hatte, brachen wir am 10. Juni früh, wieder bei sehr bewölktem
Himmel, schwachem Südwestwinde und spärlichem Regen, in Süd-
richtung auf und erreichten bald die Grenze der Hattija. Während
wir über weisslichen oder aschgrauen Kalkboden, meist mit dünner
Sandschicht bedeckt, und dann über Kiesgrund, mit kleinen braun-
rothen Steinen bestreut, hinzogen, spendete uns der Himmel noch
zweimal einige Regentropfen. Gegen Mittag durchschnitten wir eine
von Nordost nach Südwest streichende Hügelkette, welche aus einem
Kalksteinkern mit hoher Sandbedeckung besteht und als Ghard
cl-kebir d. h. der grosse Dünenzug, das Ende des ersten Drittels der
Entfernung von Mestüta bis zum Bir Dckir oder Dekkir*) bezeichnet.
Von da ab hört jede Hügelbildung und aller Steinbelag auf; der
Weg führt ununterbrochen über eine weite, sanftgewellte Sandebene,
*) Die letztere Schreibweise ist wahrscheinlich ilie richtigere, und dann bedeutet wohl
das Wort „lirunnen der männlichen Dattelpalmen".
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ANKUNFT IN QATRÖN.
209
in der wir nach zwölfstündigem Marsche in fast südlicher Richtung
unser Nachtlager aufschlugen.
Der Wind war allmählich nach Westen und Nordwesten herum-
gegangen und hatte uns noch einmal einige Regentropfen gebracht;
erst auf der Höhe des Nachmittags brach die Sonne vorübergehend
durch die Wolkenschicht. Auch am folgenden Tage (i i Juni) drohten
bei hochgradiger Hitze Gewitterwolken aus Süden, während wir,
den Bir Dekkir östlich lassend, uns in der Richtung des vorhergehenden
Tags unserem Ziele näherten. Da während der grössten Tageshitze, die
aussergewöhnlich stark zu werden drohte, ein Palmenhain durch
Schatten und reichliches Kameelfutter zur Tagesrast einlud, beschlossen
wir, erst am Abende die Stadt der Muräbidija zu betreten.
Schon hier erhielt ich einen Vorgeschmack von den Ansprüchen
und Betteleien, welche mir das Leben unter den Tubu so sehr ver-
bittern sollten, indem Kolokömi der Sucht, vor seinen Landsleuten
zu glänzen, nicht widerstehen konnte und nicht ruhte, bis ich ihm
einen der feuerrothen Burnusse seiner Coilegen zum Herumstolziren
in Qatrün geliehen hatte. Nach der Tageshitze — Qäda — legten
wir in anderthalb Stunden, über Kiesboden und an den Gärten der
Einwohner vorüber, die kurze Entfernung zurück, welche uns noch
von unserem Ziele trennte und lagerten auf der Südseite der Stadt.
Sofort bethätigte sich die Gastfreundschaft des Hadsch Dschäber,
der kurzweg der Murdbid genannt wurde, durch eine reiche Sendung
von Gerstenbrei, Weizenbrod und einigen Hühnern, und am folgenden
Morgen erschien der würdige Greis selbst mit seinem Bruder, dem
Hadsch Hamdün, und den Vornehmsten der religiösen Bewohnerschaft,
um den üblichen BewillkommnungskafFee einzunehmen und mich seiner
Ergebenheit und Dienstwilligkeit zu versichern. Er war ein kräftiger,
ziemlich hellfarbiger Mann, dem man seine 80 und einige Jahre (er
erwies schon dem Capt. Lyon im Jahre 1819 Gastfreundschaft) nicht
ansehen konnte, und herrschte mit unbestrittener automatischer Ge-
walt über den District, dessen Verwaltung ihm anvertraut war. Er
sprach kräftig und bestimmt und behandelte seine Mitbürger und
die Edlen von Tibcsti in gleicher Weise als Untergebene. Der gut-
müthige 1 Iddsch 1 Lamdün war sein Echo und hatte mit der Zeit die
lächerliche Gewohnheit angenommen, die letzten Worte irgend einer
Bemerkung seines berühmten Bruders und Chefs mit einer Energie,
die ihm sonst fremd war, gleichsam zur Bekräftigung zu wiederholen.
NachtigaJ. 1. 14
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210 ii. buch, i. Kapitel, der südlichste theil von fezzAn.
Während jener sprach, ergötzte er mich durch die sonderbarsten
mimischen Bestrebungen, die zum Zweck hatten, mir eine hohe Idee
von der Macht, der Klugheit und der Freundschaft seines Bruders
beizubringen. Schweigend sassen die Andern, unter denen der her-
vorragendste der Hadsch Mahmud, der Schreiber der Genossenschaft
war, und tranken eine Tasse Kaffee nach der andern, während ich
aus Höflichkeit vorläufig vermied, geschäftliche Angelegenheiten in
die Unterhaltung zu ziehen.
Es herrschte an diesem Tage eine so hochgradige Hitze bei sehr
schwachem Südwinde (wir kamen um 2 Uhr Nachmittags bis auf
49° C. im Schatten), dass ich auch ohne meine noch nicht geheilten
Beinwunden nicht im Stande gewesen wäre, etwas zu unternehmen.
Aus dem Zelte eilte ich in den Schatten der vollblättrigen, aber
vereinzelt stehenden Dattelpalmen, wo wenigstens von Zeit zu Zeit
ein leiser Windstoss momentan Erfrischung brachte. Doch der Sand
des Bodens glühte und trieb mich wieder in das Zelt. Die Hunde
gruben mit verzweifelter Energie an schattigen Stellen Löcher in den
Sand, waren- jedoch nicht im Stande, die kühle Bodenschicht zu er-
reichen, und die geschenkten Hühner lagen halb todt mit weit auf-
gesperrtem Schnabel da. Jeder Trunk des lauwarmen Wassers schien
tlie Qual zu vermehren, und die Verminderung der Kleidungsstücke
gab nur für Augenblicke das Gefühl der Erleichterung.
Kolokönii Hess sich durch diese Temperaturverhältnisse nicht in
der Befriedigung seiner Eitelkeit beirren, sondern stolzirte in dem
rothen Tuchmantel, der bald die Schultern eines seiner Landsleute
zieren sollte, durch die Strassen der Stadt, als wenn winterliche
Kälte geherrscht und das prächtige Kleidungsstück ihm gehört hätte.
Ueberhaupt begannen meine Tububegleiter jetzt, wo ihre Landsleute
häufiger wurden, mehr auf ihre äussere Erscheinung zu halten; sie
gingen nur noch vollständig bewaffnet, den Kopf mit einem Shawl
umwickelt, der gleichzeitig das Gesicht verhüllte, kokettirten mit
religiösen Emblemen, trugen Rosenkränze in der Hand, Talismane
um den Hals und heil- und zauberkräftige Qoränsprüche in mannig-
fach geformten Ledertäschchen an Hals und Oberarm, Turban und
Tobe. Wolla schien viel bewanderter und fester in den Anforderungen
und Anschauungen ihrer Religion zu sein als Kolokömi. Dieser,
wenn er auch höchst regelmässig seiner Betpflicht nachkam und un-
gefähr gelernt hatte, zuvor seine Abwaschung vorzunehmen, ohne
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HÄDSCH DSCHÄBER UND SEINE CEFAHRTEN. 21 1
die Vorschriften des Propheten grob zu verletzen, hatte nicht einmal
vermocht, seinem schwerfälligen Gehirne den zum Beten nothwen*
digen Inhalt des Qorän einzuverleiben. Den Eingang zum moham-
medanischen Glaubensbekenntnisse sprach er mit volltönender Stimme,
doch dann folgte nur noch unverständliches Gemurmel, durch das
er seine beschämende Unkenntniss zu verbergen trachtete.
Kaum hatte ich am folgenden Morgen durch Bui' Mohammed
einen feinen weissen Wollenburnus und ein Fläschchen mit Rosen-
Essenz an den Hadsch Dschäbcr und einen tunisischen Tarbüsch an
den Hadsch Hamdün übersendet, als der Erstere mit seinem gestrigen
Gefolge erschien, um die geschäftlichen Rücksprachen zu nehmen.
Nur der gelehrte Secretär hatte seinem Chef sagen lassen, er könne
sich an dem Besuche nicht betheiligen, da ich ihn bei der Verthei-
lung von Geschenken vernachlässigt habe. Nachdem diese kleine
Differenz erledigt und Hadsch Mahmud durch das Opfer eines Maria-
Theresia -Thalers meinerseits versöhnt war, theilte mir der Hadsch
Dschäbcr mit, dass er nach Kenntnissnahme des Ben Alüa'schcn
Briefes beschlossen habe, mir den Muräbid Bü Ze'id von Bachi als
Begleiter mitzugeben, also gerade die Person, welche ausser dem
mir bekannten 'Ali von meinem alten Mohammed als die geeignetste
bezeichnet worden war. Ali, der zwar ohnehin nach Tibesti reiste,
wollte sich nicht mit mir einlassen, da ihn seine kaufmännischen Ge-
schäfte nach Borkü riefen, wohin mich zu führen er durch keine Vor-
stellungen zu bewegen war. Da Bü Zcid noch in seinem heimath-
lichen Dorfe weilte, liess sich über den ihm zu zahlenden Preis noch
Nichts festsetzen.
Der Hadsch Dschäber nahm Kenntnis» von den mit Kolokömi
vereinbarten Bedingungen und wies einen Versuch desselben, schon
vor der Abreise in den Besitz der zweiten Hälfte des festgesetzten
Mietpreises zu gelangen, sehr entschieden zurück. Kolokömi nämlich
fürchtete, dass bei unserer Ankunft in Tibesti der König oder Häuptling
— Dardai — Tafertemi und die übrigen mächtigeren Maina’s Protest
gegen meine Besichtigung des Landes erheben und daraus Schwierig-
keiten für die Restzahlung erwachsen würden. Er entwickelte seinen
Plan vor dem Hadsch Dschäber dahin, dass er mich mit Umgehung
anderer bewohnter Plätze in das Wädi — in der Tubu- oder Tcdä-
sprache Enneri -- Zuär, den Wohnsitz Tafertömi's und der ange-
sehensten Edlen, führen und von dort, nach Maassgabe der Haltung
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21 2 II. HL'CH, I. KAPITEL. DER SÜDLICHSTE THEII. VON EEZZAN.
der letzteren , entweder auf die Rundreise oder nach Fezzan zurück-
geleiten werde. Hadsch Dschaber billigte diesen Plan und bestätigte,
dass Alles darauf ankommen würde, die Geneigtheit der Herren von
Zudr zu gewinnen, unter denen Arilmi, Brähim und sein Bruder
Tökömi, Akremi Temidomi, der mütterliche Onkel llü Zeids, Uerdego
Keidömi und einige Andere die massgebende Rolle für ganz Tibesti
spielten; die Edlen von Bardai seien von geringerer Bedeutung.
Die Heilung meiner Sonnenbrandwunden war so weit vorge-
schritten, dass ich Nachmittags eine Besichtigung der Stadt vor-
nehmen und dem Hadsch Dschaber meinen Gegenbesuch machen
konnte, obgleich der Gang durch die noch fortdauernde grosse
Hitze und einen heftigen Staubwind aus Südosten sehr unangenehm
gemacht wurde. Die Stadt liegt in Mitten eines grossen Palmen-
hains, unmittelbar umgeben von Gärten, welche sich an die Hünen-
haften Umschlicssungsmauern lehnen, und besteht im Innern aus-
schliesslich aus Erdhäusern. Diese konnten zwar nicht an Grossartig-
keit in der Anlage mit den meisten Häusern Murzuq’s wetteifern,
trugen aber durch die Dicke der Mauern, die sorgfältige Ausbesserung
derselben, und die häufige Verwendung von Steinen in der gewöhn-
lichen Lehmerde den Charakter grösserer Solidität. Nicht selten
waren die Häuser geweisst und hatten dadurch und durch die Rein-
lichkeit der Eingänge und die sorgfältige Herstellung der Thüren,
obgleich auch hier nur das faserige Palmenholz zur Verwendung
kommt, ein wohnliches Aussehen.
Ich wandelte durch die Strassen, welche nur ganz enge Pfade
darstellen, zum Muräbid, der in der Empfangshalle seines Hauses
auf einer teppichbedeckten Lehmbank sass, umgeben von seinen an
der Erde hockenden Freunden und Clienten. Ich hatte die Ehre,
neben ihm Platz zu erhalten und suchte, da bei der Abwesenheit
Bü Zeid's weitere Verhandlungen über die Reise vorläufig überflüssig
waren, ihn über die Vergangenheit der Stadt und seiner religiösen
Genossenschaft auszufragen. Doch entgegen der Vorliebe wirklicher
Araber für ihre Genealogie lebten die Murübidija ohne bestimmte
Traditionen nur der Gegenwart. Weder ihr Oberhaupt, der Nach-
komme des Begründers der Colonie, noch der gelehrte Mahmud
wussten mehr anzugeben, als dass ihr Vorfahr aus Fäs (Marokko)
stamme und vor 300 bis 400 Jahren in Fezzan eingewandert sei.
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Qatriln. (S. 212.)
yATRÜN UND DIK MURABIIltjA.
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Die Muräbidijä waren zum geringsten Theile von so heller Haut-
färbung, als ihr Oberhaupt und der Hadsch Mahmud; der Bruder des
Erstcren war von dunkler, in's Röthliche spielender Hautfarbe und der
Muräbid 'Ali von Bachi fast ganz schwarz. Es erklärt sich dies nicht
allein durch ihre fortdauernde Vermischung mit den Leuten Tibesti's,
deren Landestöchter sie mit Vorliebe zu Frauen nehmen, sondern
auch durch ihre rastlosen Handelsreisen, welche ihnen viele Sclavinnen
aus dem Sudan verschaffen. Ihr sehr ausgebildeter Erwerbssinn treibt
sie zu diesen Reisen, welche ihnen durch ihren religiösen Charakter
erleichtert werden. Von den Tuärik werden sie wegen des letzteren
respectirt und mit den Tubu sind sic verwandt, so dass sie, ohne
Furcht vor diesen beiden Herren und Räubern des Weges, allein
unter den Bewohnern Tripolitanien’s es wagen können , die Reise
nach Bornü ohne weitere Begleitung zu machen. Höchstens fürch-
teten sie zu jener Zeit auf dem Bornüwege die Begegnung der Auläd
Solimän, welche gerade damals zu wiederholten Malen arg in Kawär
gehaust hatten, aber selbst diese gewissenlosen Räuber hatten manche
Gastfreunde unter ihnen und begnügten sich vorkommenden Falles
damit, einige Erpressungen an ihnen auszuüben.
Ausserdem zeichnen sich die Muräbidijä durch die grosse Ge-
wissenhaftigkeit aus, mit der sie der Erfüllung ihrer religiösen Pflichten
nachkommen, und dadurch, dass sie alle lesen und schreiben können.
Sie geniessen ebensowohl des Rufes grosstr Wortfestigkeit und
Zuverlässigkeit, als desjenigen der Engherzigkeit und des Geizes.
Trotz dieser Eigenschaften und bei aller ihrer Emsigkeit hatten aber
die Meisten es nicht über einen bescheidenen Wohlstand gebracht,
und nur der Hadsch Dschäber war reich für dortige Verhältnisse.
Andererseits sinkt selten oder nie ein Muräbid in einen solchen Zu-
stand der Dürftigkeit und Armuth, wie er in Murzuq bei so vielen
F’amilien an die Stelle früheren Wohlstandes getreten ist.
Die Stadt ist rings von unregelmässigen, sandigen Erhebungen
umgeben, auf denen im Norden, Osten und Süden eine Tubu-Colonie
ihre luftigen Behausungen errichtet hat. Diese Bevölkerung ist mehr
oder weniger flottirend, bleibt Jahre lang, kehrt auf ebenso lange in
ihre Hcimath zurück, und wenn Manche die Wiederkehr vergessen,
so treten dafür Andere an ihren Platz. Ihre Behausungen waren aus-
schliesslich aus Blättern der Dattelpalme angefertigt, die zuweilen
durch Verschmierung mit Erde zu einer homogenen Wandung ver-
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214 11. BUCH, I. KAPITEL. L>EK SÜDLICHSTE THEIL VON FEZZÄN.
bunden waren, und zeichneten sich durch Sauberkeit und vielfach
durch Zierlichkeit und Geschmack in der inneren Einrichtung aus.
Die Wohnungen lagen vereinzelt oder in Gruppen von höchstens
vier und hatten alle eine fast identische Anordnung. Sie bestanden
aus einer viereckigen Umfriedigung, an die sich einerseits im Innern
die eigentliche Wohnung lehnte, welche sich aus vier theils bedachten,
theils oben offenen Räumlichkeiten zusammensetzte. Das Ilaupt-
gcmach diente als Wohn- und Schlafzimmer, war gross und leer,
hatte aber in einer Ecke eine Erdbank und hier und da die Zierde
von Matten. Daneben lag ein ebenfalls bedachter Raum zur Ver-
richtung häuslicher Arbeiten, wie z. B. des Getreidemahlens. Es
folgte ein weiterer, in dem allerlei Werkzeuge und Reiseutensilien auf-
bewahrt wurden, und endlich ein unbedachter Kochraum. Zwischen
den Gemächern und der äusseren Umfriedigung lief ein ebenfalls un-
bedachter Corridor, auf den die Thüröffnungen der ersteren mündeten,
und in einer Ecke des noch übrigen Hofraums befand sich ein kleines,
fast halbkugeliges Häuschen, etwa von der Form ländlicher, nord-
deutscher Backöfen, das zum Nachtaufenthalte in der Winterkälte
diente, aus steingemischter Erde oder aus Palmenblättern mit dicker
Erdbekleidung hcrgestcllt war und eine kleine Thüröffnung hatte,
weiche gerade das Hineinkriechen gestattete.
Vor der Wohnung, welche etwa menschliche Höhe hatte, diente
gewöhnlich ein kleiner, sauberer Vorplatz mit sorgfältig gehärtetem
Boden, zum Betplatz, zum abendlichen Aufenthalte in freier Luft
und zum Empfange etwaiger Besucher. Ausserhalb der Umfriedigung
hatten fast alle noch einen kleinen, bedeckten Raum zur Aufnahme
für die Hausthiere. Von diesen letzteren erblickte man hier und da
ein Kameel der Tubu-Zucht, einige grosse Schaafe mit schwarzem,
langem, schwach gelocktem Haar, ähnlich der in Murzuq gesehenen
Art der Tuärik, doch grösser, und hauptsächlich untersetzte, glatt-
und kurzhaarige Ziegen.
In den Garten der Stadt keimte schon auf den abgeernteten
Feldern der nordischen Getreidearten Qasab oder Duchn und NgäfÖli
oder Durra, deren einzelne Pflänzchen einen guten halben Fuss von
einander getrennt standen. Ausserdem wurden Portulak, Luzerne,
Gurken, Melonen, Kürbisse, Bedindschän , Tomaten, Melüchia, ver-
einzelte Weinreben, Feigen und Granatapfelbaume gezogen. Häufig er-
blickte man in der Umgebung der Stadt den hierQarad genannten Sanat
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TU 1!U - COLON I E. — GÄRTEN OER STADT.
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(Acacia nilotica), der durch seine gerbstoffhaltigcn Früchte Qarad
sowohl der häuslichen Industrie der Gerberei als der Volksmedicin
dient. Wasser findet sich überall in einer Tiefe von drei bis fünf
Metern unterhalb einer Kalksteinlage, welche auf die oberflächliche
Sandschicht folgt. Die Bewässerung der Gärten wird nach dem-
selben Systeme wie im übrigen Fezzän ausgeführt, doch sah ich
für die Ziehbrunnen ausschliesslich Sclaven in Anwendung. Haupt,
sachlich sind die Einwohner auf die Cultur der Dattelpalme ange-
Sanat oder (Ja nid (Acacia uilotica).
wiesen, deren Früchte einen ausgezeichneten Ruf in Fezzän haben, und
deren Arten ebenso zahlreich sind, als die Zahl der Bäume gross
ist; die übrigen Erzeugnisse der Bodcncultur können nicht dagegen
in Betracht kommen. Die Frauen wissen aus den Blättern sehr
zierliche Körbchen und Deckel oder Schalen zu verfertigen, die
sogar in die übrigen Oasen Fezzän's ausgeführt werden.
Man kleidet sich, Frauen und Männer, in Qatrün wie in Murzuq,
doch beginnen sudanische Gewänder bei beiden Geschlechtern mehr
und mehr vorzuwalten, wie es sich aus den häufigen Handelsreisen
der Einwohner erklärt.
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II. BUCH, 1. KAPITEL DER SÜDLICHSTE 1 HEIL VON FEZZAN.
Die Stadt enthielt ungefähr ebenso viele Einwohner wie Sirrhen,
und ihre nächste Umgebung in den Palmenblattbehausungcn noch
etwa halb so viel, so dass ich geneigt bin, eine Einwohnerzahl von
1500 Seelen für Qatrün anzunehmen.
Am folgenden Tage kam Bü Ze'id von Bachi und erklärte sich
in einer Zusammenkunft mit ihm beim Hadsch Dschäber zu meiner
Begleitung bereit, wenn die Dauer der Reise nicht einige Monate über-
schreiten würde. Er war ein noch junger, magerer Mann, von gelb-
lich dunkler Hautfarbe und ovalem Tubugesicht, ernst und verständig,
doch äusserst zähe in seinen persönlichen Ansprüchen und sonstigen
Forderungen. Mein Anerbieten, ihm 60 Mahäbub zu zahlen, wurde
mit Verachtung zurückgewiesen, und, wie ich vorausgesehen, geltend
gemacht, dass er als Muräbid natürlich mehr werth sein müsse, als
der für 80 Mahäbub gemicthete Kolokömi. Der Hadsch Dschäber
leitete die Discussion und überredete mich und scheinbar auch ihn
zu einer Summe von 100 Mahäbub, von der ebenfalls die Hälfte vor
der Abreise bezahlt werden sollte. Als ich mit schwerem Herzen
eingewilligt hatte, trat er aber mit anderweitigen Ansprüchen zum
Besten seiner Vettern von Tibesti auf, deren Erfüllung noch viel
kostspieliger zu werden drohte, als das ihm gebrachte Opfer. Er
muthete mir zu, eine solche Unmasse von schwarzblauen Südäntoben,
von verschiedenen Nifcgewändcrn, gewöhnlichen Bornühcmdcn und
Stücken Cham mitzunehmen, dass ich nicht im Stande gewesen sein
würde, darauf einzugehen, selbst wenn ich mein sämmtliches baares
Geld hätte opfern wollen.
Als ich mich nothgedrungen weigern musste, seinen Anforderungen
Folge zu geben, rieth er mir wohlmeinend und ernstlich noch einmal von
der ganzen Reise ab. Er war der Ueberzeugung, dass jeder Einwohner
von Tibesti irgend einen Anspruch an mich zu erheben berechtigt
sei, und wurde von 'allen SachverständigcT! in der Meinung unter-
stützt, dass Jedermann , der ohne besondere Familienverbindungen
daselbst das Land besuche, nothwendig mit Nichts wiederkehren
müsse. Dazu erhöhte er die Zahl der zu ansehnlichen Geschenken
berechtigten Mainas von sieben auf dreizehn, so dass ich, da ich
nach den bereits gebrachten Opfern den Plan nicht aufgeben wollte,
mit schwerem Herzen darin willigen musste, meine Werthstücke
erheblich zu vermehren. Die Zahl der Burnusse konnte ich in Qatrün
nicht erhöhen, doch musste ich di.e der Südäntoben vergrössern,
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ABKOMMEN MIT BO ZEH).
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meinen Vorrath an Cham geradezu verdoppeln, und sogar noch Pur
die Frau des Dardai' Tafertemi zum Kopf- und Schultershawl ein
grosses, oblonges, blaukarrirtes Stück Baumwollenzeug mit rothem
Rande, das aus Fgypten kommt und Füta genannt wird, kaufen.
Alles hatte natürlich unmögliche Preise, da die Muräbidija eine
solche für den Käufer zwingende Gelegenheit nicht ohne Nutzen für
sich vorübergehen lassen wollten, und wahrscheinlich war der Hadsch
Dchaber, dem die Uebrigen aus Furcht und Respect keine Con-
currenz zu machen wagten, selbst der Verkäufer.
Obgleich ich mich den Anordnungen der Muräbidija, wenn auch
mit Widerstreben und nach mancher Discussion, gefügt hatte, drohte
noch Tags vor der Abreise der ganze Plan an einer plötzlichen
Weigerung Bü Zeid's zu zerschellen. Seine Furcht, die Reise könne
längere Zeit in Anspruch nehmen, als unsere Absicht war, und seine
Hoffnung, auf diese Weise die sofortige Auszahlung der zweiten
Hälfte des Mietpreises von mir zu erpressen, trugen die Schuld
daran. Doch der Hadsch Dschäbcr liess ihn in seiner autokratischen
Weise hart an, führte ihm die Heiligkeit des gegebenen Wortes zu
Gemuthe und erfüllte mich mit Achtung vor seiner Genossenschaft,
die ohne Zweifel aus in ihrer Weise ehrbaren und pflichttreuen
Leuten besteht.
Nach Vollendung der neuen Vorbereitungen konnte am 17. Juni
unsere Abreise erfolgen, für diesen Tag freilich nur nach dem nahen
Bachi, wo wir Bü Zeid abholen wollten.
Morgens mit Sonnenaufgang kamen die vornehmsten Muräbidija
noch einmal, unser Unternehmen durch ein solennes Fätiha einzu-
segnen, und ihr Oberhaupt gab mir noch die letzten Rathschläge,
deren Endworte der Hädsch Hamdün nicht versäumte, jedesmal
kräftig zu wiederholen, wobei er durch ein energisches Aufstampfen
seines würdevollen, etwa sechs Fuss langen Stabes ihnen einen be-
sonders verlässlichen Charakter geben zu wollen schien.
Bachi liegt nur zwei Marschstunden in südwestlicher Richtung
von Qatrün; zwischen beiden befindet sich gebügeltes Sand- und
Kies-Terrain, von niedrigen Kalksteinerhebungen durchzogen und mit
zahlreichen Rischu- und Etelhügeln besetzt. Die Gegend von Bachi
ist reich an Ruinen, die, wenn sie auch keinerlei Erinnerungen wach-
rufen, wie römische Baureste, doch von Zeiten regeren Lebens und
grösseren Wohlstandes zeugen. Die erste liegt in der Mitte zwischen
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II. HUCH, I. KAPITEL. HER SÜDLICHSTE THEI1. VON FEZZAN.
Qatrün und Bachi, östlich vom Wege, und heisst Qasr Ulcd Animi; eine
halbe Stunde darauf folgt das Qasr Kimba und ungefähr zehn Minuten
nordöstlich von Bachi liegt das Qasr Sercndibc. Diese Schlösser
sind offenbar weder sehr fest noch sehr gross gewesen und bestan-
den aus durch Mörtel verbundenen Luftziegeln. Der Mörtel soll mit
Anonaceen-Pfcffer oder Kimba ( llabzelia acthiopica ) gemischt gewesen
sein, und daraus das zweite Schloss seinen Namen ableiten, wie
v. Bcurmann berichtete; doch war davon keine Spur zu entdecken,
sondern der Name des „Pfeffer- Schlosses" scheint vielmehr nur dem
Umstande seinen Ursprung zu verdanken, dass einst der Gewinn aus
dem Handel mit Kimba seine Erbauung vermittelte.
Bachi zählte ein halbes Dutzend Behausungen aus Erde, deren
Besitzer Muräbidija waren; fast alle übrigen waren von der Art der
bescheidenen Tubu -Wohnungen Qatrün's, zu denen sich eine bis da-
hin noch nicht beobachtete Form gesellte, welche mir als in Tibesti
und Borkü vorwaltend bezeichnet wurde. Es waren dies kleine,
viereckige Hütten von etwa fünf Fuss Höhe, welche aus einem mit
Matten aus Dumpalmenblättern umkleideten und bedeckten Stangen-
gerüst bestehen. Die seitlichen Matten können im Sommer behufs
der Ventilation emporgehoben werden. Die Zahl der Tubu- Be-
hausungen mochte gegen 100 betragen, so dass die Bewohnerschaft
von Bachi auf höchstens 600 Seelen zu schätzen sein dürfte.
Die Gärten glichen durchaus denen Qatrün’s; die Brunnen sind
durchschnittlich vier Meter tief und enthalten ein sehr wohlschmecken-
des Wasser, das, unmittelbar aus dem Brunnen kommend, kalkig trübe
ist. Es gilt im ganzen Süden Fezzän's für das beste und gesundeste
Trinkwasser, und man schreibt ihm den vortrefflichen Gesundheits-
zustand zu, durch den sich die Bewohner Bachi's auszeichnen sollen.
Bü Ze'id drängte mich, noch einen weiteren Tag in Bachi zu bleiben,
sei es, dass er seine Vorbereitungen noch nicht beendigt hatte, sei
es, weil er am Freitag nicht reisen wollte, was allerdings die meisten
Mohammedaner sehr ungern thun.
Seit ich Qatrün erreicht hatte, erhielt ich fast täglich Besuch von
Tibesti-Leuten, welche sich auf Grund meines Planes, ihre Heimath zu
besuchen, für berechtigt hielten, Ansprüche an mich zu erheben, und
welche meine eigentlichen Absichten in Bezug auf ihr Land zu er-
gründen wünschten, ln Bachi, wo die Tubu an Zahl die Fezzaner sehr
pberwogen, wurden diese lästigen Besucher noch viel häufiger, und
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BACHf UND SEINE GÄRTEN. — AUSSERE ERSCHEINUNG DER TUHU. 219
während ich mich in Qatrtin ihrer durch einige Ghnisch (Mehrzahl
von Ghirsch) oder etwas Kautabak entledigt hatte, wurden jetzt ihre
Ansprüche schwerer zu befriedigen. Auch die blosse Neugierde
trieb einzelne Tubu aus Mcdrusa und Tedscherri herbei, denn die
Reise nach Tibcsti galt allgemein als ein sehr gewagtes Unternehmen,
zu dem sich keineswegs alle Muräbidija trotz ihrer engen Verbin-
dungen mit den Bewohnern jenes Landes entschlossen. Die civili-
sirteren, wohlmeinenderen Tubu, welche Biii Mohammed als alte
Kinwohner Fezzän’s kannte, suchten mich noch jetzt von der Aus-
führung meines l’lanes durch lebhafte Schilderungen des schlechten
Charakters ihrer Landsleute, ihrer Habsucht und ihrer Verrätherci
abzuschrecken. Doch die meisten waren höchst lästige, anspruchs-
volle und hochmüthige Bettler, welche mir wohl einen Vorgeschmack
von dem zu geben geeignet waren, was meiner in der nächsten Zu-
kunft harrte.
Die Mehrzahl der Leute war von dunkler Hautfarbe mit ver-
schiedengradig gelblicher Beimischung; die eigentlich schwarze Haut
war sehr selten, doch eine dunkle Bronze- oder auch Kupfcrfarbung
ziemlich häufig. Alle waren magere, fast gänzlich wadenlose Leute
von ebenmässigem Bau, kleiner Mittelgrösse und sehr zarten Glied-
maassen und entfernten sich physiognomisch wesentlich von dem
Typus, den man in allerdings recht unbestimmter Weise als den
der Neger zu bezeichnen gewohnt ist. Ovale Gesichter von geringem
Prognathismus, mit sehr häufig wohlgeformten Nasen und wenig
hervortretenden Jochbögen walteten vor. Ihr Haar war weniger
kurz oder verfilzt als bei den meisten Negern, ihr Bartwuchs eben-
falls spärlich, ihr Auge lebhaft und intelligent, ihr Gang und ihre
Bewegungen elegant und elastisch.
Die Männer trugen den Kopf meistens rasirt und mit einem
Käppchen, der gewöhnlichen baumwollenen Taqija oder dem rothen
Tarbüsch bedeckt. Die Hauptzierde aber, auf welche sie einen be-
sonderen Werth legten, war der Turban, der, aus Musselin - Schäsch
arab. — oder wo möglich aus einem dichteren, schwarzblau gefärbten
Baumwollcnstoffc bestehend, so um den Kopf gewunden wird, dass
eine Tour, der Gesichtsschleier oder Litluim, den unteren Theil des
Gesichts, Kinn, Mund und Nase verhüllt. Ihre übrige Kleidung war
ärmlich und bestand in Hemd und Beinkleid aus ungebleichtem oder
blau gefärbtem Cham oder in groben Toben aus Bornü; doch wenn
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22U
II. BUCH, I. KAPITEI.. DER SÜDLICHSTE THEII. VON FEZZAN.
ihre Vermögensverhältnisse es gestatteten und sic sich eine der oben
angeführten Südäntoben gekauft hatten, so spreizten sie sich mit
einer solchen Selbstgefälligkeit und Ostentation, dass man sah, welchen
Grades von Eitelkeit sie fähig ‘waren. An den Füssen trugen sie
höchstens Sandalen.
Ausser den bereits angeführten Waffen sah ich zuweilen noch,
ovale Schilde aus Antilopcnfell von etwa fünf Fuss Höhe und massiger
Convexität. Ich beobachtete einen der Bekannten Bü Zeid’s, als er
sich diese Schutzwaffe aus dem frischen Felle nach dem Höhen-
maasse seiner Augen und in zweckmässiger Breite schnitt und dann
auf einer Form aus hart gestampfter Erde weiter bearbeitete. Man
stellt diese Form nach Art eines Grabhügels in entsprechender I-änge
und Convexität her, glättet und härtet sie sorgfältig und spannt das
Fell durch seitlich eingefügte Bänder, die rings umher an schweren
Steinen befestigt werden, auf ihr aus. In dieser Lage beraubt man das
Fell seiner Haare und lässt cs trocknen und erhärten. Von Schmuck-
sachen begnügten sich die von mir in Fezzän gesehenen Männer
mit Ledertäschchen in dreieckiger, viereckiger oder cylindrischer
Form, welche eben so wohl bestimmt waren, ihre Person zu zieren,
als sie gegen Zauberei, Krankheit und Verwundung zu sichern.
Die Frauen trugen ihr Haar seitlich und hinten in unzählige
dünne Flechten geordnet, welche, wohl eingefettet, bis auf den Hals
herabhingen, ln der Mittellinie des Kopfes verlief bei jungen Mäd-
chen eine dickere Flechte von der hochrasirten Stirn bis zum Nacken,
und die verheiratheten Frauen hatten deren zwei. Dieselben waren
durch verschiedene silberne oder elfenbeinerne Ringe oder Halsringe
in verschiedener Anordnung befestigt und verziert. Zuweilen waren
die Ringe concentrisch in einander gelegt, deckten sich bisweilen
halb oder waren ganz isolirt und beschränkten sich oft nicht auf
den Hinterkopf, sondern lagen den Mittelflechten in ihrer ganzen
Länge auf. In seltenen Fällen fehlten die Mittelflechten und waren
durch ein Haarknäucl ersetzt, das dem vordersten Theile des Kopf-
haares auflag.
Am Vorderarme trugen sie bis zu einem Dutzend Armbänder
aus Horn oder Elfenbein, welche sich dann vom Handgelenk bis über
die Mitte des Vorderarmes hinauf erstreckten. Oberhalb des Ellen-
bogens befand sich gewöhnlich noch eine andere, schmale Spange
aus Achatsteinen oder Kaurimuscheln, und ein ähnlicher Schmuck
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TRACHT UND SCHMUCK DER MÄNNER UND FRAUEN.
221
umgab wohl in einfacher oder doppelter Reihe den Hals. Ueber
den Fussknöcheln lenkte ein enganschliessender, dünner, breiter,
silberner oder kupferner Ring die Aufmerksamkeit des Beschauers
nach unten, und das Auge haftete dann mit Bewunderung auf den
feingeformten, hochgespannten Füssen, um welche manche elegante
europäische Dame die halbwilde Schöne beneiden würde.
Fast unentbehrlich war ein kleiner Cylinder der Edelkoralle im
rechten Nasenflügel. Wenn dieser, welcher nicht immer leicht er-
schwinglich war, fehlte, so wurde er einstweilen ersetzt durch einen
Cylinder aus Achat, Elfenbein oder Horn, und die alte Gemahlin des
Dardai Tafertemi von Tibesti, welche sich dieser in Fezzän ange-
schaflt hatte, als seine Jahre ihm noch erlaubten, öfters dorthin zu
reisen, und welche mir einen Besuch abstattete, entblödete sich nicht,
in Ermangelung aller anderen Zierrathen, einen Dattelkern in das
Loch des Nasenflügels zu fügen.
Die Kleidung des weiblichen Geschlechts bestand vorwaltend
in einem blauen, enganschliessenden Hüftenshawl und einem ähn-
lichen Kopf- und Schultertuche, welches im Vermögensfalle von der
Art war, welche ich für die Tibesti-Gattin Tafertemi's gekauft hatte.
Viele begnügten sich mit dem Hüftentuche und waren, wenn be-
jahrtere Frauen, dann allerdings abschreckend in ihrer Magerkeit
und mit den ausgetrockneten Brüsten, welche in Gestalt einer Haut-
falte herabhingen. Die jungen Mädchen dagegen, welche sämmtlich
Kopf und Überkörper unbedeckt trugen, waren reizend in dermässigen
Rundung ihrer zierlichen, harmonischen Formen. Anne oder wenig-
stens uncivilisirte Frauen, welche erst kürzlich aus ihrer wilden Felsen-
heimath nach Fezzän gekommen waren, trugen auch wohl als einzige
Bekleidung das schön behaarte Fell der grossen, schwarzen, kurz
zuvor erwähnten Schafe. Doch diese waren vereinzelte Erscheinungen
und wohl nur zu vorübergehendem Aufenthalte nach Fezzän ge-
kommen. Bis zur Pubertät gehen die Kinder beiderlei Geschlechts
gänzlich nackt; höchstens tragen die kleinen Mädchen Gürtel, von
denen vorne lange Schamfranzen aus Leder herabhängen. Den
Knaben rasirt man ebenfalls meist den Kopf, lässt jedoch häufig
entweder einen Schopf auf dem Scheitel Schäf arab. — oder
eine lange, breite Haarlinie vom Vorder- bis zum Hinterkopfe gleich
einem Helm- oder Hahnenkamm stehen, was ihnen ein höchst drolliges
Aussehen verleiht.
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222 11. BUCH, I. KAPITEL. DER SÜDLICHSTE THEIL VON FEZZÄN.
Leider wurde mir die Betrachtung der zahlreichen Vertreter des
Stammes, dessen genauerer Bekanntschaft ich nicht ohne Zagen ent-
gegenging, fiir einige Zeit fast unmöglich gemacht durch eine eitrige
Augenentzündung, welche zunächst mein linkes Auge ergriff. Ohne
ihre Heilung abzuwarten, wendeten wir uns am Morgen des 19. Juni
nach dem Dorfe Medrüsa, das wir in zwei und einer halben Stunde
in Südsüdwestrichtung erreichten. Der gewöhnliche Kies- und Sand-
boden des Weges ist im Anfänge unterbrochen durch eine sandige
Bodenabflachung mit Palmenhain, welche den Namen Gringrum führt.
Während wir in Medrüsa die Tageshitze verbrachten, litt ich, sowohl
im geschlossenen Zelte als draussen bei dem starken, sandge-
schwängerten Südostwinde, durch das heftig entzündete Auge entsetz-
lich. Die hohe Temperatur nahm den Umschlägen, welche ich gegen
die Krankheit machte, trotz der lebhaften Verdunstung sofort jeden
kühlenden und lindernden Einfluss. Noch ehe wir zu einem kurzen
Nachmittagsmarsche aufbrachen, erreichte uns Bü ZeVd, dessen
Sclave und Kameel schon bei uns waren ; doch Kolokömi hatte den
unerwarteten Gewinn, den ich ihm zugewendet hatte, dazu benützt,
in aller Geschwindigkeit eine Frau zu nehmen, und wollte wenigstens
einige „Flittertage" geniessen, bevor er die kaum Geehelichte wieder,
und wer konnte sagen auf wie lange, verliess.
Am Nachmittag erreichten wir durch vierstündigen Marsch in
fast südlicher Richtung, nachdem wir unterwegs das Qasr Kidde von
der Art der in der Gegend von Bachi beschriebenen Schlösser
passirt hatten, den Bir Sufra tuddusma, d. h. den Brunnen der sieben
Dattelpalmen, der übrigens seit lange verschüttet war. Ostsüdöstlich
von ihm liegt der ebenfalls verschüttete Bir Toäl.
Selbst hier, wo keine bewohnte Ortschaft in der Nähe ist, ver-
folgten mich die Tubu, von denen merkwürdigerweise Jeder ein Maina
oder der Sohn eines solchen zu sein beanspruchte. In Bachi war
zu meiner grossen Befriedigung ein Sohn des Dardai von Tibesti,
der wegen eines begangenen Mordes landflüchtig war, abwesend
gewesen, und ich hoffte ihm und seinen Ansprüchen schon entgangen
zu sein, als er mich am Morgen des 20. Juni vor unserem Aufbruche
einholte. Das Opfer zweier Maria-Theresia-Thalcr schien der Würde
des prinzlichen Mörders kaum Genüge zu thun.
Wir erreichten nach etwa anderthalb Stunden in Südsüdwest-
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MKDSÜSA UND QASRAUWA.
223
richtung die Ruinen des Dorfes Qasrauwa*) nördlich von einem Pal-
menhain und lagerten bald darauf in dem letzteren, wo der würdige
Mohammed Jahre lang gehaust und Dattelzucht getrieben hatte.
Jetzt war die ganze Pflanzung verwildert; die vertrockneten Blätter
hingen am ganzen Stamme herunter und hüllten den Baum in ihr
trauriges Graubraun; die Schösslinge waren nirgends verpflanzt und
sprossten überall zu wildem Gestrüpp empor; die Befruchtung wurde
vernachlässigt. Niemand wohnte dort und die Ernte fiel den Leuten
von Tedscherri anheim.
Von dem früheren Dorfe Qasrauwa verlässt der gewöhnliche
Weg nach Tibesti das Thal oder die Niederung Ekema. Wir konnten
diesen kürzeren Weg nicht wählen, nicht allein, weil er sehr wasser-
arm ist, sondern weil wir beabsichtigten, möglichst unbemerkt Tibesti
zu erreichen. Nachmittags legten wir noch fünf Marschstunden in fast
südwestlicher Richtung zurück, anfangs über eine weite, unfruchtbare,
steinige Ebene, auf der die Reste eines festen Gebäudes, Namens
Tuge Fräoma**), gesehen wurden, dann durch sandige Gegend mit
dem erwünschten Had und endlich über vegetationsfähigeren Boden,
der Dattelpalmen, Dis und Rischu hervorbrachte, bis wir am ver-
schütteten Brunnen Salemma im Sande lagerten. In diesem Terrain
stiessen wir auf drei Brunnen, deren letzter Namens Uedebi allein
etwas schmutziges Wasser erdigen Geschmackes, von einer Tempe-
ratur von 28,8° C. bei einer Lufttemperatur von 36,8° C., in der Tiefe
eines Meters enthielt. Weder der Anblick des Dsch. Ben Qnemi,
den man bei klarem Wetter von Bachi östlich sehen kann, war mir
zu Theil geworden, noch der nahe Berg Ekema, an dem der erwähnte
Weg nach Tibesti vorüberführt, kam mir von Qasrauwa, wo man ihn
in Ostsüdost erblicken kann, zu Gesicht. Erst gegen Abend, als die
Beleuchtung milder wurde, erblickte ich am südlichen Horizonte die
Hügel, welche dem ganzen langgestreckten Thale Ursprung geben,
und deren ansehnlichster Theil als Ras (Kopf, Vorsprung) Tedscherri
bekannt ist. Oestlich in weiterer Ferne zeigte sich die arabisch
•) Der Name ist wahrscheinlich aus Qasr, Schloss, und dem Eigenschaftswort rauwa,
wohl bewässert, entstanden.
**) Der Name gehört der Tedd-Sprache an und ist zusammengesetzt aus tuge, Stein
oder fester Hau, und frdonia , auf der 1 lammdda gelegen oder ihr gehörig (von frdo,
die Hammdda).
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224 II. BUCH, I. KAPITEL. HER SÜDLICHSTE THEIL VON FEZZÄN.
el-Wigh und in der Tedä-Sprache Emi (Berg) Debassai genannte
Hügelkette, an welcher ebenfalls der Tibesti-Weg hinläuft, und welche
in ihrem südlichen Ende zum Dsch. Wigh el-Kcbir anschwillt, wäh-
rend der nordwestliche Ausläufer als Wigh es-Srhir oder Debassai
Doba, d. h. eigentlich Tochter des Debassai, bekannt ist. Alles,
Thal und Brunnen, Ruinen und Palmenhain, führt in dieser Gegend
schon Tedä-Namen.
Am 21. Juni erreichten wir die südlichste bewohnte Ortschaft
Fezzän's, Tedscherri, in anderthalb Stunden Südsüdwestrichtung. Bis
dahin waren wir auf dem westlichen Rande der Thal -Niederung
marschirt; in der Nähe Tedschcrris zeigte sich bei derselben Weg-
richtung die dichteste Vegetationslinie westlich von uns, während
unsere nächste Umgebung sich auf spärlichen Dis- und Sebat-Wuchs
beschränkte. Nördlich von der Stadt liegt ein mehr oder weniger
trockener Sebcha von halbstündiger Breite, an dem wir vorüberzogen,
um auf der Südseite der ersteren zu lagern. Ich sah mit grosser
Freude einer mehr tägigen Rast entgegen — wir mussten uns hier
für die gänzlich vegetationslose Strecke der folgenden Wüste mit
Kameelfutter versehen — , da ich auf diese Weise hoffen konnte,
mein Auge vor der Weiterreise geheilt zu sehen. In der Tliat besserte
sich dasselbe so wejt, dass ich wenigstens die Stadt besichtigen und
etwas schreiben konnte.
Der traurige Zustand Tedschcrris entsprach vollkommen dem
armseligen Eindruck, welchen der abgerissene, bescheidene, einäugige
alte Bürgermeister auf mich gemacht hatte. Die Stadt liegt übrigens
reizend in ihrem von Hügeln umgebenen, mit Palmenhainen und
Gärten bedeckten flachen Kessel, und aus der Ferne gesehen
sieht das riesenhafte Kastell, um das sich die Häuser gruppiren,
imponirend genug aus. In diesem hatte einst jeder Einwohner
für die Zeiten der Gefahr eine kleine Wohnung, in welcher er
einige Vorräthc aufbewahrtc. Früher drohte der Stadt ebenso-
wohl von Seiten der zügellosen Araber, welche in der Umgegend
der grossen Syrte weiden , als von den Tubu und Tuarik Gefahr.
Gegen die Araber schützt sie jetzt einigermaassen die Regierung; die
Tubu bilden selbst eine Colonie in Tedscherri; es bleiben also nur
die Tuärik, welche in der Tliat von Zeit zu Zeit die ärmlichen Be-
wohner brandschatzen. Die Stadtmauern waren gänzlich verfallen,
und die Qasba, so riesenhaft sie auch im Verhältniss zu den Hütten
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TF.nsniF.RKi.
225
der Bewohner erschien, war nur ein mächtiger Trümmerhaufen.
Gegen 200 Häuser, selbst Ruinen, drängten sich um das Kastell,
dessen erhaltene Seitemvandungen etwa 12 M. hoch waren.
Das Thor, durch welches ich die Stadt betrat, hatte eine Höhe
von 1,40 M. und eine Breite von 1,25 M.; seine Seitenpfosten und der
Querbalken, welche aus roh behauenen Palmenstämmen bestanden,
sollen einst aus ülivenholz verfertigt gewesen sein. Jetzt stand es
einsam und zwecklos da, denn durch die weiten Lücken in der
Mauer zu beiden Seiten konnte man ungehindert in das Innere der
Stadt gelangen. In den engen Strassen konnten sich zwei Be-
gegnende kaum ausweichen, und da, wo sie bedacht waren, musste
man gebückt einherschreiten. Die Erdhäuser zeigten mächtige De-
fecte in Dächern und Wänden, welche nothdürftig mit Palmenblatt-
geflecht ausgefüllt waren, und überragten kaum die menschliche
Höhe. Viele derselben waren leer; in den übrigen herrschte sicht-
licher Mangel. Keine von den bisher gesehenen Städten Fezzans
trug den Charakter der Verkommenheit neben den Spuren einer
relativen früheren Grösse so ausgesprochen wie Tedscherri. Nicht
einmal Datteln, welche der zweckmässigste Reiseproviant für die
Kamcele gewesen sein würden, gab es zu kaufen; wir mussten uns
damit begnügen, für die Thiere auf drei bis vier Tage Sebat zu
schneiden, an welchem Grase die Gegend am reichsten ist.
Auch hier hatten Tubu- Ansiedler die rings um die Stadt ge-
legenen Höhen inne, erreichten aber bei Weitem nicht die Zahl
ihrer Landsleute in Q^rün, Bachi oder Medrüsa. Ueberall scheinen
sie mit Vorliebe die Höhen zur Errichtung ihrer Wohnungen aus-
zu wählen, wohl eine Folge ihrer heimathlichen Felsensitze. Unter
ihren Behausungen sah man hier jene niedrige Mattenhütte, die
eigentliche Nomadenwohnung der Tubu Reschäde, schon häufiger,
als in Bachi.
Die übrigen Einwohner bestehen aus einigen hellfarbigen Murä-
bidija der Städte Temissa, Foghaa und Sirrhen aus dem Stamme der
Zejädin und aus einer gemischten, dunkelfarbigen Bevölkerung, welche
schwer zu classificiren ist. Zwar geht die Sage, dass die Stadt einer
gleichen Zeit und denselben Gründen ihren Ursprung verdanke wie
Temissa, doch in dieser Stadt hat sich bis heute ein Berbcrdialcct
erhalten, während die in Tedscherri übliche Volkssprache offenbar
Nachfigal. I. 15
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226 H. BUCH, I. KAPITEL. PER SÜDLICHSTE THF.IL VON FEZZÄN.
corrunipirtcs Kanuri ist*). Alles in Allem mochte Tedschcrri mit
der Tubu-Colonie 800 Einwohner zählen.
Auch hier machten manche Tubujimglingc ihre Aufwartung, um
formell ihre Ansprüche an meine Grossmuth geltend zu machen, und
ich Hess sie, wenn Mohammed oder Bü Zei'd ihre aristokratische Ab-
stammung bezeugen konnten, nicht unbeschenkt von dannen gehen.
Unter ihnen zeichnete sich Birsa aus, ein Schwestersohn jenes be-
kannten Arämi, über dessen Ilochmuth sich schon v. Bcurmann be-
schwerte, und der noch immer mehr Einfluss in Tibesti ausüben
sollte, als der Dardai selbst. Da Birsa gleichzeitig mit uns nach
Tibesti zurückzukehren beabsichtigte, so versprach ich ihm für den
Fall seiner Begleitung ein Haussa-Gewand, einen Tarbüsch und einen
Turban, was um so gerathener schien, als But Mohammed in seiner
stillen Weise, Erkundigungen einzuziehen und Beobachtungen anzu-
stellen, die Ueberzeugung gewonnen hatte, dass die anwesenden
Tubu trotz der anständigen Behandlung, welche sie meinerseits
erfuhren, Verrath brüteten.
Der zur Pflege ehelicher Liebe zurückgebliebene Kolokömi war
mittlerweile auch wieder zu uns gestossen, nachdem er sich noch
eine prächtige Kameelstute von dem Reste seines unverhofften Ver-
dienstes gekauft hatte. Auch, er sondirte die Gesellschaft seiner
Landsleute, und es fand sich in der Tliat, dass dieselben darauf
rechneten, uns an einem Brunnen südöstlich von Meschru zu über-
fallen, auszuplündern und mich so zur Rückkehr nachFezzän zu zwingen.
Da wir nämlich den gewöhnlichen Weg nach Tibesti nicht von
Mcdrüsa oder Qasrauwa aus eingeschlagen hatten, so vermutheten die
Räuber mit Recht, dass wir auf der Bornü-Strasse bis zum Meschru-
brunnen zu gehen und von diesem aus jenen Weg wieder zu ge-
winnen oder einen Richtwcg einzuschlagen beabsichtigten. Um ihre
Pläne zu Schanden zu machen, beschlossen wir, auch diese Richtung
zu vermeiden, der Bornüstrasse bis zum Gebirge el-Wär — Tümmo
ted. — zu folgen, und von dort in südöstlicher Richtung und mit
•) Wenn die ursprüngliche Einwohnerschaft später von Bo rn fl - Elementen verdrängt
wurde, so muss ein ähnliches Verhältniss für die dem gleichen Ursprünge zugeschriebenen
Ortschaften Dschebddo, Siggedim, Gissebi und Agrem stattgefunden haben. Von diesen
gehörte Gissebi in Kawdr und Siggedim nordwestlich von dort, welche beide jetzt unbe*
wohnt sind, den Tubu-Keschdde; Dschebddo, ebenfalls nordwestlich von Kawdr gelegen,
ist noch jetzt vorwaltend von Tedd bewohnt, und Agrem, welches westlich von Kawdr
liegt, hat eine Bomü-Bevülkerung.
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VFRRATHERISCHER PLAN DER TURU. — AUFBRUCH VON TEDSCHERRI. 227
Umgehung der nördlichsten bewohnten Thälcr womöglich unbemerkt
das Herz Tibesti's zu erreichen. Noch einmal suchten der einäugige
Ortsvorsteher Abd el-Qäder und der schwarzsehende Mohammed
mich von der Reise abzubringen, zumal der oben erwähnte Raubzug
der Araber, welche zu Bidän die Tubu an Vieh und Menschen ge-
schädigt hatten, die Letzteren mit Rachegedanken erfüllte. Manche
derselben waren aus Qatrün und den von uns berührten Ortschaften
nach Tibesti zurückgekehrt, und in Fezzan erwartete man ihre Schand-
thaten. Doch der Verwirklichung meines Planes so nahe und nach
den gebrachten schweren Opfern konnte ich mich nicht zur Umkehr
cntschliessen, und nachdem die verrätherischen Tubu, die fast sämmt-
lich aus Abo, dem nördlichsten bewohnten Theile Tibesti's, stammten,
am 22. Juni aufgebrochen waren, setzten auch wir Tags darauf unsere
Reise fort. Dies war der Tag des Milad, des Geburtstages des
Propheten, und da ohnehin der Beginn einer grösseren Reise durciv
ein Extra -Fleischgericht gefeiert zu werden pflegt, das den Namen
Bü Safar, d. h. Vater oder Anfang der Reise, führt, so hatten wir
Abends zuvor einen fetten Ziegenbock geschlachtet und verzehrten
ihn Morgens vor dem Aufbruche zu Ehren des Propheten und zur
Inaugurirung einer glücklichen Reise.
Noch ehe die Entzündung auf meinem linken Auge gehoben
war, wurde leider auch das rechte ergriffen, so dass ich auf der
nackten Wüste zwischen Tedschcrri und dem Tümmogebirge, wo
wegen des Wassermangels rüstig marschirt werden musste, bei der
herrschenden Temperatur einer nicht sehr heiteren Reihe von Tagen
entgegen sah. Am 23. Juni wurde spät aufgebrochen — denn nach
dem Festmahle musste noch so viel Scbat als möglich geschnitten
werden — , und wir zogen in fast südlicher Richtung an der Qubba
Sidi Ali Zedänis und den Ruinen eines der Kastelle vorüber, wie wir
sie in der Gegend von Bachi gesehen hatten, über eine geflügelte
Sandebene auf eine lange grüne Palmenlinie zu, welche von Südwest
nach Nordost vom äussersten Südende des W. Ekema bis zum östlich
von der Stadt gelegenen Räs Tedscherri verläuft und die haupt-
sächliche Rhäba der Bewohner darstelltc. Nach einigen Stunden
lagerten wir in ihr nicht weit vom Bir Omah, den die Leute von
Tedscherri Bir Ekema nennen, um die heissesten Stunden im Schatten
zu verbringen, und marschirten Nachmittags noch fünf Stunden in der-
selben Richtung über gewellte Sandflächen mit allmählich aufhörender
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228 II. BUCH, I. KAPITEL. DER SÜDLICHSTE TIIE1I. VON FEZZAN.
Vegetation. Wir nächtigten nach der Passage einer als el-Häd be-
kannten Bodenabflachung — Dschüri ted. — , welche das Kraut, das
ihr in beiden Sprachen den Namen gab, in grosser Menge, doch in
ganz vertrocknetem Zustande enthielt.
Da Mondschein war, packten wir bald nach Mitternacht wieder
auf, passirten gegen Sonnenaufgang ein etwas tiefer in den Boden
geschnittenes, etwa eine Stunde breites Zeugenthal, das den sonder-
baren Namen Dendal Ghaladima, d. h. der Platz des Ghaladima
(Titel eines hohen Würdenträgers in verschiedenen Siidänstaatcn)
führt, und vertrauten uns nach einigen weiteren Stunden für die
Mittagszeit dem unzulänglichen Schatten des Zeltes an. Das durch-
zogene Terrain war kiesig oder steinig und vegetationslos, der Grund
des eben genannten Thaies mit Sand ausgefüllt und hier und da mit
kleinen zerbröckelnden Sandstcinfclsen besetzt. Mit verbundenen
Augen und peinigenden Schmerzen auf dem Kameele hockend,
konnte ich bei der grossen Lichtscheu und der reichlichen Eiter-
secretion nur mit der grössten Anstrengung und Selbstüberwindung
von Zeit zu Zeit die Wegrichtung und den Charakter der Umgebung
controliren.
Einige Stunden Nachmittagsmarscfyes brachten uns um Sonnen-
untergang zum Bir Mcschru. Dieser wichtige Brunnen, die einzige
Wasserstation zwischen der südlichen Grenze Fezzän's und dem
Tüminogebirge mit sehr wohlschmeckendem Wasser in einer Tiefe
von 7,50 M., liegt in einem länglichen, nach Norden und Nordwesten
offenen Erosions- Thale, das rings von Sandhügeln umgeben ist und
im Grunde zahlreiche Zeugen hat. Vom Dendal Ghaladima dacht
sich die Gegend allmählich gegen den Brunnen hin ab, welcher nach
der Ansicht der Leute in directer Verbindung mit den Brunnen
Tedscherri's steht, wie denn auch sein Wasser in der That sichtlich
von Norden zufliesst.
Die nächste Umgebung des Brunnens war bedeckt mit gebleich-
ten menschlichen Gebeinen und Kameelskelettcn. Schaudernd be-
merkte ich halb im Sande begraben die inumificirten Leichname
einiger Kinder, welche noch mit den blauen Kattunfetzen bedeckt
waren, welche einst die Kleidung der Lebenden gebildet hatten.
Es scheint, dass auf dieser letzten Station einer langen, trostlosen,
schmerzensreichen Reise die armen Kinder der Negerlander in auf
fallend grosser Anzahl ihren Tod finden. Die lange, bei unzu-
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DER MESCHRL -15RUNNEN.
229
reichender Nahrung und sparsamem Wassergenuss zurückgclcgte Reise,
der Gegensatz zwischen der hülfsquellcnrcichen Natur und der feuch-
ten Atmosphäre ihrer Hcimath und der zehrenden trockenen Wtistcn-
luft, die Anstrengungen und Entbehrungen, welche ihre Herren und '
die Umstände ihnen auferlegen, haben die Kräfte der jugendlichen
Organismen allmählich aufgezehrt ; der Rückblick auf die in unerreich-
bare Ferne geschwundene Hcimath, die Furcht vor der unbekannten
Zukunft, das endlose Reisen unter Schlägen, Hunger, Durst und tödt-
lichcr Ermattung hat ihre letzte Widerstandskraft gelähmt. Fehlt
den Armen die Kraft zum Wiederaufstehen und Weiterwandern, so
werden sie einfach im Stiche gelassen, und langsam erlöschen ihre
Eebensgeister unter dem vernichtenden Einflüsse der Sonnenstrahlen,
des Hungers und des Durstes. Kein Grab deckt dann die jugendlichen
Gebeine, sondern die trockene Wüstenluft mumificirt und skelcttirt
allmählich die Opfer menschlicher Barbarei. Oft mögen die Aemi-
sten nach dem wasserlosen Wege vom Tümmogebirge unter Aufbie-
tung ihrer letzten Kräfte den Brunnen erreichen, um für kurze Zeit
neuen Muth und neues Leben aus seinem Inhalte zu schöpfen, finden
ihn vielleicht verschüttet und sinken verzweifelnd dem Tode in die
Arme, ehe nach mühevoller Arbeit der Lebensquell wieder fliesst.
Die Versandung des Brunnens wird von Jahr zu Jahr häufiger.
Die früheren Regierungen in Fezzän liessen es sich angelegen sein,
denselben bei seiner Wichtigkeit für die Reisenden im Stande zu
erhalten. Der Muqni un4 Abd el-Dschlil hatten dies Bedürfniss
auf ihren häufigen Reisen dach Süden würdigen gelernt; selbst Hassan
Pascha, ein Araber, der glänzendste Gouverneur Fezzan's seit der
Türkenherrschaft, hatte einst 50 Menschen geschickt, um den Brunnen
aus. -auern zu lassen; neuerdings ging jedoch wieder Alles den Weg
eiligen Verfalls.
Auch am folgenden Tage benutzten wir das Mondlicht, um in
der erträglichen Temperatur des frühen Morgens reisen zu können,
denn der grösste Theil des Tages war wahrhaft fürchterlich mit
seiner verzehrenden Hitze und dem Sandbade, in das er Alles ver-
setzte, während die Nächte mit ihrer Windstille und der lebhaften
Ausstrahlung von einer durch den Gegensatz doppelt süssen Frische
und Lieblichkeit waren. Gegen Abend, wenn der regelmässige Ost-
wind, der mit der Sonne stieg und fiel, schwieg, und wenn die schräg
auffallenden Strahlen die Intensität des Lichtes abschwächten und
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230 n. BUCH, I. KAPITEL. DER SÜDLICHSTE THEIL VON FEZZÄN.
dem Wanderer die freie Umschau erleichterten: dann klärte sich die
Luft, und weit und immer weiter umfasste das Auge die Umgebung,
bis die Sonne sank. Ich begreife nicht, wie Reisende von dem „ewig
klaren, tiefblauen Wüstenhimmcl’ sprechen können; ich habe ihn
weder zwischen Tripolis und Murzuq, noch südlich von Fczzan ge-
funden. Selbst ohne verhüllenden Staub- und Sandschleier tritt das
Flau der Atmosphäre gegen die Intensität des blendenden Sonnen-
lichtes zurück, und der Himmel erscheint vielmehr bläulich weiss.
Wir stiegen aus dem Mcschru-Thale allmählich auf, passirten in
einer Einsenkung — Churma - — die dasselbe nach Süden abschliessen-
den Hügel, welche als Bibän Mcschru, d. h. Mcschru-Thore, bekannt
sind, und durchzogen eine kiesige Ebene bis zu den Vorläufern der
Felsen, welche die sogenannte Lagöba Buia, d. h. das grosse Thal,
nach Norden begrenzen. Sowohl die häufigen Erhebungen auf der
Ebene als die genannten Vorläufer, die wir nach sieben Stunden
erreichten, bestehen aus rothem Kalkstein, der mit Sandsteinblöcken
bedeckt ist. Am Fusse und im Schatten eines derselben, des Graisäro
Mentoa, verbrachten wir die Qaila- Unser Weg hatte eine südliche
Richtung mit geringer Abweichung nach Westen gehabt und war
rechts und links in weiterer Ferne von unbedeutenden Erhebungen in
der gleichmässigen Form abgeschnittener Pyramiden begleitet gewesen.
In einigen Stunden erreichten wir Nachmittags die Felsen,
zwischen denen man in die Lagöba Buia hinabsteigt. Der Abstieg fuhrt
steil zwischen den horizontalen Schichten röthiiehen Sandsteins auf
dem sandigen Zerfall derselben in die unbedeutende Tiefe, heisst
Tcnija el-Kebira, d. h. der grosse Weg, und gilt als Feuerprobe für
die Tüchtigkeit sowohl der Kameele, welche von Bornü kommen,
als derjenigen, welche dorthin bestimmt sind. Doch ist die Schwierig-
keit jedenfalls grösser für diejenigen, welche von Süden kommend
nach mindestens vierzig bis fünfzigtägiger Reise diesen steilen Weg
erklimmen müssen.
Die Lagöba Buia besteht aus terrassenförmiger Folge von niedrigen
Sandsteinkämmen, welche von Nordost nach Südwest streichen. Sie
hat ihre höchste Erhebung im Osten und ist sowohl hier ab im
Westen, wohin sie sicli abdacht, vorzüglich aber im Süden von
niedrigen Tafelbergen begrenzt. Sic bildet ein Ganzes mit der fol-
genden Lagöba Könö, d. h. dem kleinen Thale, von welcher sie
durch eine höhere felsige Terrainwelle geschieden ist. Die Lagöba
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]>AS TUMMO* GEBIRGE.
231
Huia ist in unserer südsüdwestlichen Wegrichtung nahezu vier Stun-
den breit, während die folgende Lagöba Könii nur anderthalb Stunden
misst und mehr den Charakter eines Flussthales darbietet, das von den
ausgedehnten östlichen Tafelbergen entspringt. Wir nächtigten am
25. Juni noch in der ersteren, durchschritten vor Anbruch des fol-
genden Tages die letztere und stiegen aus ihr durch die Tenija es-
Srhira, d. h. den kleinen Weg, zur Hochebene Alaöta Kju auf.
Diese steigt in der Breite eines Tagemarsches gegen Süden allmäh-
lich zum Tümmogebirge an, ist selbst sanft gewellt und trägt östlich
vom Wege und nahe demselben in ihrem nördlichen Theile die
niedrige Felshügelgruppe Lebrek, während im westlichen Theile ein
ausgedehnterer und höher entwickelter Bergcomplex in grösserer Ent-
fernung gesehen wird. Dieser, an dem in früheren Zeiten die Bornü-
strasse vorüberfuhrte, wird Dsch. cl-Ain, d. h. Quellenberg, genannt.
Alaöta Kju erhebt sich mehr als 700 Meter über das Meeres-
niveau und trägt auf dem harten Kies- oder Sandsteinboden unregel-
mässigen Steinbelag, hat also den echten Charakter einer Hammäda.
Als wir nach fast zwölfstündigem Tagemarsche nächtigten, hatten wir
fast ihr Ende erreicht, so dass wir schon vor Anbruch des folgenden
Tages (27. Juni) durch die sogenannten Thore — Bibän — , den Weg
einfassende Bergkegel, die Vorregion des Tümmogebirges betraten.
Wir wanden uns während sechs Stunden zwischen stumpfen Kegeln,
abgestutzten Pyramiden und Tafelbergen durch ihre Thäler und Wasser-
betten und erreichten auf der Höhe des Vormittags die Brunnen des
Gebirges, welche sich im südlichen Theile desselben befinden, auf
dem Nordabhange seiner massigsten Entwicklung, des eigentlichen
Tümmo, der in Form eines langgestreckten Paralleltrapezes, schroff,
als ein gigantischer Zeuge aus der erodirten Hochebene aufspringt.
Wenn die Gegend der Vorberge und der Zusammenhang der-
selben mit dem eigentlichen Tümmo auf seiner Nordseite die charak-
teristische Zeugenform in Etwas stört, so ist diese auf der Südseite
in voller Reinheit enthalten. Von dort gesehen steigt die lange
Südwand schroff aus der Ebene auf, der Parallelismus der oberen
P'läche mit der Basis ist vollkommen, die westliche und östliche
Grenzlinie gleichmässig abfallend. Leider hatte uns Tags zuvor die
Undurchsichtigkeit der Atmosphäre verhindert, von Norden her aus
grösserer Entfernung den mächtigen Tafelberg zu erblicken; und am
Tage, an dem wir ihn erreichten, wurde er uns durch die näheren
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232 II- HUCH, 1. KAPITEL. DER SÜDLICHSTE THEIL VON FEZZAN.
Vorberge verdeckt. In nächster Nähe zeigt er keine so vollständige
Compactheit, als sich aus einiger Entfernung vermuthen lässt: er ist
voller einschneidender Thäler, zerrissen, wild, schwierig zu passiren
und verdient vollkommen seinen arabischen Namen el-Wär, d. h. das
Schwierige. Die zahlreichen Flussthäler und Wasserbettchen, welche
aus seinen Theilen hervorgehen, senken sich nach Südwesten. Der
Tümmo ist ebenfalls von Nordost nach Südwest gerichtet und hat
eine ansehnliche Längenausdehnung. Nach Osten erblickt man in
der Entfernung mehrerer Stunden, beziehungsweise eines halben Tage-
marsches, zwei kleinere, ähnlich geformte Gruppen Namens Tümmo
Doba, d. h. die Töchter des Tümmo.
Die Grundlage des Tümmo ist Kalkstein; auf ihm erheben sich
Sandsteinfelsen in der Form riesiger Blöcke und von meist dunkler
Färbung, und auf ihnen findet sich nicht selten eine mehrere
Fuss dicke Schicht Lehmerde mit cingelagerten Steinchcn. Seine
Höhenentwicklung übersteigt die der Hochebene Alaöta Kju nur
unbedeutend, während die Ebene zu seinen Füssen, die Thäler
zwischen seinen F'elsgruppen unter dem Niveau jener liegen, und
dies ist in vollständiger Uebereinstimmung mit der Bildung dieser
Tafelberge auf dem Wege allmählicher Erodirung des umgebenden
Terrains. Das Wasser der fünf unter mächtigen Sandsteinfelsen
gelegenen Brunnenlöcher quillt ganz allmählich in einer Tiefe von
einigen Metern aus thoniger Schicht unter jenen hervor und ist
von herrlichem Geschmacke und köstlicher Frische. Dies ist der
Platz, an dem die von Süden kommenden Karawanen Tage lang
zu rasten pflegen; die steilen Sandsteinwande rings herum tragen
zahlreiche Namen, Inschriften und Stammeszeichen, und auf den
sandigsten Stellen liegt der Kameelunrath von zahllosen Karawanen
aufgespeichert, ein unerschöpfliches Brennmaterial, auf das die Reisen-
den dort zur Bereitung ihrer Speisen ausschliesslich angewiesen sind.
Ich konnte mich jetzt des Anblicks meiner Umgebung und der
Ruhe wieder erfreuen, ohne durch meine schmerzenden Augen ge-
hindert zu sein — auch das rechte war in der Heilung begriffen — ,
und sah mit frischer Hoffnung und neuem Interesse den unbekannten
Regionen entgegen, welche wir von hier ab betreten sollten.
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Zweites Kapitel.
UNBEKANNTE GEGENDEN.
Weg nach Afafi. — Kolokomi’s Unkenntnis» der Gegend. — Schwieriger Nachtmarsch.
— Wassermangel. — Flussthal Galiemma. — Gefahr des Verschmachtens. — Kettung
aus Gefahr. — ßegriissungs-Ceremonien der TedA. — Arbeit am Brunnen. — Neue
Ankömmlinge. — Ernte der Coloquinthenkeme. — Gebirgsgruppe AfÄfi. — Fluss-
thal Lolenmio. — Fortsetzung der Reise. — Sandsteinfelsen der Ebene. — Noch
einmal Wassermangel. — Birsa geht nach Ar&bu. — Widerstandsfähigkeit der Tubu
gegen Hunger, Durst und Anstrengung. — Zeitige Rettung. — Isoa. — Gegend
Afo. — Ueberschreitung des Enneri Udttf. — Die Berge Tibesti’s. — Der Tarso mit
dem Tusidde. — Die Flussthäler Kjauno. — Neue Baume. — Ausläufer des Tarso.
— Emi Mini. — Gegend von TAo. — Zunehmendes Thierleben. — Die Flussthäler
von TAo, DommAdo und DausAdo. — Galma, der Sohn Selemma’s. — Seine Tante
KintÄfo. — Spärliche Bewohnerschaft TAo’s.
Nachdem ich nothdürftig die Reisenotizen über die verflossenen
Tage vervollständigt hatte, brachen %vir gegen Abend (27. Juni) auf,
um den Südabhang des Gebirges zu gewinnen. Unter Windungen
erreichten wir schnell die höchste Höhe, folgten dann absteigend
dem Verlaufe des Gebirgsstockes nach Südwesten, da der südliche
Abfall zu schroff war, und konnten uns dann südlich wenden. Hier
schied sich unser Weg von der in südsüdwestlicher Richtung sich
fortsetzenden Bornüstrasse; vor uns nach Südosten lagen die von mir
angestrebten, noch nie von europäischem Fusse betretenen Land-
schaften. Freilich waren dieselben von diebischen, verräthcrischen,
gewaltthätigen Menschen bewohnt, doch der überwältigende Reiz,
der im Unbekannten liegt, und der Rückblick auf die glänzenden
und glücklichen Beispiele meiner Vorgänger in solchen Untcrneh-
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234
II. HUCH, Z. KAPITEL. UNBEKANNTE GEGENDEN.
mungcn Hessen mich mit Hoffnung und Zuversicht in die nächste
Zukunft schauen. Nach einem dreistündigen, mühsamen Marsche, der
durch die cinbrcchcnde Dunkelheit und durch den Mangel an Gewohn-
heit der arabischen Kameele im Bergsteigen erheblich erschwert ward,
schlugen wir auf der Südseite des Tiimmo unser Nachtlager auf.
Zwischen dem überwundenen Gebirgsstockc und den ersten be-
wohnten Flussthälern Tibesti's lag nach der Auskunft unseres Führers
Kolokömi die Fclsengegend von Afäfi mit zahlreichen Flussthälern
und ausgezeichnetem Kameelfutter, und auf diese und ihren Wasser-
gehalt hatte er für unsern Marsch gerechnet. Die Einwohner Tibesti s
führen ihre Kameele wohl dorthin auf die Weide; Kolokömi war
früher dort gewesen, war auch einmal in seiner Jugend von da nach
dem Tiimmo gereist; doch ein üblicher, bereister Weg führt nicht
durch die Gegend. Den nächsten Brunnen sollten wir nach der
Berechnung unseres Führers am Ende des zweiten Marschtages
erreichen.
Vor Sonnenaufgang am 28. Juni auf brechend, zogen wir über
hügeliges und sandiges Terrain, das allmählich dürrer, steiniger und
ebener wurde, und rasteten schon nach dreistündigem Marsche in
Südostrichtung, weil der starke Sandwind unsern Führer leicht in
der Wegrichtung beirren konnte, und eine mit Häd bewachsene Sand-
insel unseren Kameelen wenigstens einige Nahrung versprach. Es war
jungfräuliches, fast nie von Menschen betretenes Terrain, auf dem
keine Wegspuren, keine von Menschen aus Steinen aufgethiirmten Merk-
zeichen A'aläm (Sing. ’Alem) — , keine auffallend geformten Berge
und Felsgruppen die Schritte des Wanderers leiteten. Gegen Abend
bedeckte schwarzbrauner Sandstein häufig die Gegend, und oft waren
weite Strecken regelmässig belegt mit grossen Platten eines grauen,
schieferigen Gesteins. Nach Sonnenuntergang herrschte wieder weicher,
kalkiger, viel gehügelter Boden vor, und als wir nach fünfstündigem
Marsche auf eine Stelle nothdürftigen Kamcelfutters stiessen, nächtig-
ten wir, obgleich Kolokömi nach dem Aufhören des Windes und der
Klärung der Atmosphäre noch vergeblich nach unserem Ziele in der
Ferne ausgeschaut hatte. Noch am Abend ertheilte er uns die War-
nung, nicht zu verschwenderisch mit dem Wasser umzugehen, da der
Weg noch weit sei. Der Rath kam etwas spät; denn auf die sichere
Ortskenntniss unseres Führers und nur zwei wasserlose Tage zählend,
hatten wir mehr als die Hälfte unserer sechs Wasserschläuche geleert.
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MÜHEVOLLE MARSCHE.
235
Am 29. Juni nahmen wir vor Sonnenaufgang unseren Marsch
wieder auf und zogen über wüste, steinige Kbencn, durch sandige
Erosionsthäler mit ihren tafelförmigen, niedrigen Erhebungen und
über endlose Strecken, welche mit den erwähnten, grauschwarzen
Steinplatten bedeckt waren, denen unser Fuss oder der aufstampfende
Wanderstab oder Lanzenschaft einen metallischen Klang entlockte,
und aus deren Spalten eine traurige Vegetation, vertrocknet und ver-
kümmert, hervorlugte. Nach einem siebenstündigen, schnellen Marsche
ruhten wir einige Stunden, doch Kolokömi rief bald wieder zum Auf-
bruch und trieb mit einer Hast Thiere und Menschen vorwärts, die
gegen Abend, als seine Augen endlich im fernen Südosten den
lange vergebens gesuchten Hergkegel gefunden hatten, nur noch
zunahm. Als er auch bei vollständig hereingebrochener Nacht noch
keine Ruhe gestattete, wurde ich mit banger Ahnung erfüllt. Kolo-
kömi hatte augenscheinlich mindestens eine falsche Abschätzung
der Entfernung seinen Dispositionen zu Grunde gelegt, war aber
vielleicht nicht einmal der Richtung sicher. Dazu kam die Furcht,
dass die von ihm früher gekannten Brunnen Afäfi's nicht mehr
existiren oder verschüttet sein möchten.
Wir befanden uns in der Mitte des Sommers, wo zweitägige
Wasserentziehung fast sicheren Tod bedeutet, und die Verdunstung
verschlang grosse Quantitäten unseres fast erschöpften Vorrathes trotz
des ausgezeichneten Zustandes unserer Schläuche. Für das Ende
des zweiten Tages hatte uns Kolokömi einen Brunnen in Aussicht
gestellt; unser Wasserrest musste im Laufe des folgenden Tages
selbst bei der sorgfältigsten und sparsamsten Eintheilung endigen,
und die untergehende Sonne zeigte uns unser Ziel in weiter Entfer-
nung, deren ganze Grösse ich freilich nicht zu beurtheilen vermochte.
Im Beginne der eigentlichen Nacht stellte sich unserem weiteren
Marsche eine Bergmasse entgegen, die wir in der Dunkelheit unter
schweren und rastlosen Anstrengungen vergebens zu überwinden ver-
suchten. Kolokömi Hess uns keine Ruhe. Hatten wir in einer an-
steigenden Schlucht nach langer Arbeit unübersteiglichc Hindernisse
gefunden , so kehrten wir um und versuchten es in einer anderen,
um schliesslich entmuthigt eine dritte Angriffsstelle mit noch gerin-
gerem Erfolge zu wählen. Seit der mitgenommene Sebat Tedscherri s
zu Ende war, hatten die Kameele keine ordentliche Nahrung ein-
genommen; die Hochebene Alaöta Kju ist solcher gänzlich baar,
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236 II. HUCH, 2. KAPITEL. UNBEKANNTE GEGENDEN.
und der seit dem Tütnmo. gefundene Häd war so verdorrt, dass die
Thiere ihn nicht fressen wollten. Dazu hatte ich während meiner
Augenentzündung beständig reiten müssen und war auch während
des letzten Nachtmarsches in den Felsen nicht fähig gewesen, zu
Fuss zu bleiben; dazu waren die Thiere selbst des Bergsteigens gänz-
lich ungewohnt.
Nach vielstündigcn, vergeblichen Mühen standen wir gegen 3 Uhr
Morgens einstweilen von der Fortsetzung unseres Beginnens ab und be-
schlossen, bis Anbruch des Tages neue Kräfte zu sammeln. Der letzte
Versuch um diese Zeit, einen Pass zu entdecken, schlug ebenfalls fehl,
und erst jetzt kamen wir auf den vernünftigen Gedanken, den Ge-
birgsstock zu umgehen, wie wir es schon theilweise unwillkührlich
gethan hatten. Gegen 8 Uhr Morgens (30. Juni) war diese Operation
zwar vollendet, doch die Berge, welche den ersehnten Brunnen bergen
sollten, schienen bei der Morgenbeleuchtung im Vergleich zu dem
Eindrücke, welchen wir Tags zuvor unter dem Einflüsse der Nach-
mittagssonnc empfangen hatten, in noch weitere Ferne gerückt zu sein.
Die Dunkelheit der Nacht hatte uns unglücklicherweise nach Osten
von unserer ursprünglichen Richtung abgelenkt und so die qualvolle
Ermüdung der verflossenen Nacht zur F'olge gehabt; die Berge von
Afäfi lagen jetzt in südsüdöstlicher Richtung.
Noch besassen wir einen halben Schlauch Wasser, und zehn
Personen sollten davon ihren Antheil empfangen; das konnte mitten
im Sommer nicht weit reichen. Eine ansehnliche Sudan -Qirba mag
immerhin gegen 30 Eiter Wasser enthalten und lässt unter gewöhn-
lichen Verhältnissen nicht viel Verdunstung zu, wenn sic neu ist.
Doch die Sonne des Hochsommers trocknet Alles aus und recht-
fertigt im Verein mit der ungewöhnlichen Anstrengung einen reich-
lichen Wasserverbrauch. Gerhard Rohlfs führte bei einer sommer-
lichen Wüstenreise an einem Tage seinem Körper zehn Liter Wasser
zu; und wir hatten für sechs Mann — Kojokftmi und Bü Zeid be-
sassen für ihre Personen noch kleine Mengen — im Ganzen höchstens
zehn Liter. Dazu waren unsere Kameelc, wenigstens die meinigen,
sehr abgemattet; die der Tubuvarietät angehörenden meiner Begleiter,
welche weniger beladen gewesen und an Felsklimmen gewöhnt waren,
hatten die Schwierigkeiten des Terrains besser überwunden.
Nachdem wir die mühevolle Felsgruppe verlassen hatten, wagten
wir schon nach einstündigem Marsche nicht mehr, den Kameelen
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ZUNEHMENBE ERMATTUNG.
237
den Weitermarsch unter dem Einflüsse der Sonne zuzumuthen, son-
dern verbrachten den grössten Theil des Tages, dessen hochgradige
Hitze durch den äusserst schwachen Ostwind nicht gemildert wurde,
in einer Bodensenkung, in der ein kümmerlicher Hddbestand einige
grüne Pflänzchen entdecken liess. Doch Kameele fressen bei grosser
Tageshitze ungern, und lieben zu diesem Zwecke die frühen Mor-
gen- und Nachtstunden; sind sie aber, wenn auch nur momentan,
übermüdet, so bedürfen sie zunächst der Ruhe, oder ihr Appetit
muss durch frische Kräuter oder etwas Wassergenuss angeregt
werden.
Wir warteten die Verminderung der Hitze im unzulänglichen
Schatten des Zeltes ab und zehrten in dieser Zeit unseren Wasser-
vorrath auf, ohne unsere durstigen Organismen dadurch befriedigt zu
haben. Dann strebten wir wieder voran, über Stein und Sand, durch
Schluchten und über Felsen unserem fernen Ziele zu, das sich in
der hügeligen und felsigen Gegend den Blicken entzog, und wurden
nur zu oft durch Terrainschwierigkeiten genöthigt zurückzugehen,
die Richtung zu wechseln und Hindernisse zu umgehen. Von Zeit
zu Zeit erklomm Kolokömi einen Felsen, um nach dem wasserver-
heissenden Berge auszuspähen, und dann verriethen seine Züge eine
Unsicherheit, welche ich nicht mehr allein einer falschen Berechnung
der Entfernung zuzuschreiben wagte, sondern in welcher ich deutlich
einen Mangel oder Verlust der Oricntirung erblickte.
Stumm wanderten wir einher, Nase und Mund durch Turbanstoff
verhüllt, um die Austrocknung der Schleimhäute und dadurch den
Durst zu verringern; jeder unserer Blicke hing mit angstvoller Span-
nung an den Zügen des Führers, den direct zu fragen uns die be-
ginnende Muthlosigkeit verhinderte. Wieder suchte er die Höhen,
wieder hingen wir sprachlos voll Furcht und Erwartung an seinen
Mienen, und immer entmuthigender ward die deutliche Antwort
seiner unsicheren Blicke, die er höchstens noch verständlicher machte
durch das oft gehörte: md zal, noch nicht! Sonnenuntergang kam;
die Zeit der grössten Durchsichtigkeit der Atmosphäre war vorüber,
und: md zal, noch immer nicht!
Immer stiller und stiller wurde die Gesellschaft, in der Jeder das
düstere Gespenst ernstlicher Wassersnoth vor seinen inneren Augen auf-
tauchen sah. Mit der Energie der Furcht vor dem am meisten gefürch-
teten Schicksal der Wüstenreisenden folgte Jeder dem Führer; doch als
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2ns
II. BUCH, 2. KAPITEL. UNBEKANNTE HEGENDEN.
eine vollständige Finsterniss hercingebrochen war, weigerte ich mich
nach der traurigen Erfahrung der verflossenen Nacht und ihrer nutz-
losen Kraftvergeudung, weiter zu marschircn, sondern drang darauf, den
Aufgang des Mondes abzuwarten. Dies trug mir einige Stunden Rast
in der erfrischenden Kühle der Nacht ein; doch für einen wirklich
erquickenden Schlaf war mein Gemüth zu aufgeregt und mein Körper
zu ermüdet. Kurz , nach Mitternacht nahmen wir den entsetzlichen
Kampf wieder auf; doch jetzt gaben Alle, Menschen und Thiere,
deutliche Spuren überwältigender Ermattung kund. Der Eine blieb
zurück' und konnte nur durch gewaltsame Aufrüttlung zur Fortsetzung
des Marsches gezwungen werden; ein Anderer kratzte feuchte Erde
aus dem Boden, als wenn sie Aussicht auf lebendiges Wasser eröffnete;
ein Dritter bat flehentlich um einen kleinen Trunk Wassers, da be-
kannt geworden war, dass Giuseppe einen kleinen Vorrath für die
äusserste Noth aufbewahrt hatte, und 'Ali und Sa'ad flehten ver-
gebens beritten gemacht zu werden. So lange nicht der beginnende
Tag unsere räumlichen Fortschritte klar gemacht hatte, so lange die
Hoffnung nicht wuchs, konnten die Kameele nicht noch mehr be-
lastet, durfte der letzte Tropfen Wasser nicht gewissermaassen nutzlos
verschleudert werden.
Der Morgen kam, und die Hoffnung Kolokömi’s schien mit der
gehaltenen Umschau nicht zu wachsen. Sein Vetter Wolla und Bü
Ze’id's Diener Galma wurden vermisst und waren wahrscheinlich im
Dunkel der Nacht unbemerkt zurückgeblieben. In ernster Berathung
waren die wüstenkundigen Männer Kolokömi , Bü Zeid , Birsa und
der alte Qatrüner darüber einig, dass weder Mensch noch Thiere
in der bisherigen Weise den gesuchten Brunnen zu erreichen ver-
möchten. Ich musste mich also entschliessen, das Gepäck zurück-
zulassen und die Leute sämmtlich beritten zu machen, um wenigstens
das Ziel, wenn der Weg zu ihm gefunden sein würde, erreichen zu
können. Der gleichmiithige Bui Mohammed suchte vorsorglich eine
hochgelegene Stelle für unsere Habe, da man nie wissen könne,
ob nicht ein plötzlicher Regen das Thal mit einem rauschenden
Wasserstrome anfüllen werde, und die Thiere wurden entlastet. Dass
die Sachen ohne Bewachung oder Versteck auf freiem Felde gelassen
wurden, hatte in dieser so selten von Menschen besuchten, öden
Wildniss durchaus kein Bedenken. •
Giuseppe ging an die Verthcilung des Wasserrestes. Jeder erhielt
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F.NTlF. DES WASSF.RVORRATIIES. 239
ein volles Glas von sechs bis acht Unzen des köstlichen Nass, das
die Frische der Nacht und die Verdunstung von der Oberfläche der
Qirba fast eisig gekühlt hatte, und gierig sogen wir, mit schmerz-
lichem Bedauern, dass es nicht mehr sei, den letzten Tropfen ein.
Der letzte war Kolokömi. Er schob seinen Gesichtsschleier von
Nase und Mund nach unten über das Kinn zurück, ergriff das
Glas, nahm einen Schluck, kühlte die Schleimhaut seines Mundes
mit demselben, spritzte cs in langem Strahle durch eine Zahnlücke
von sich, als ob es nicht heiliges Wasser, sondern der gewöhnliche
Inhalt eines Tubumundes, grünlicher Tabaksaft, wäre, und reichte
mir den Rest mit dem Bemerken , dass er noch keinen Durst habe,
aber wohl begreife, dass wir als Leute des Wassers sogar diesen erst
beginnenden Mangel nicht ertragen könnten. Es ist nämlich eine allge-
mein verbreitete Ansicht in jenen Gegenden, dass die Christen auf
sumpfigen Inseln mitten im Meere, eng zusammen gedrängt, ein halb
amphibisches Leben führen. Der Mann imponirte mir, wie er, aus-
getrocknet gleich den öden Gefilden seiner Heimath, hart und schroff,
wie die Felsen seines Landes, Nichts von seiner Energie eingebüsst
hatte. Auch Bü Zeid, Birsa und der alte Qatrüncr hatten Etwas
von dieser Wüstennatur in sich, während wir beiden Christen, mit
Sa'ad und Ali eine Kategorie bildend, von jenen mit einem Mitleid,
das nicht ganz frei von Verachtung war, betrachtet wurden.
Ohne Aufenthalt ging es w’ieder vorwärts. An der Spitze war
Kolokömi, der seinen Landsmann Birsa hinter sich auf seine noch
rüstige Näqa (weibliches Kameel) genommen hatte; ihm der nächste
war Bü Zeid auf seinem schlanken Thiere, das ebenfalls nicht durch
Belastung erschöpft war und mit zartem Gliederbau die Energie und
leichte Beweglichkeit seiner Rasse vereinigte; dann folgte ich, und
hinter mir kam Giuseppe Valpreda, Jeder allein auf einem Kamcclc;
Ali Bü Bekr, mit der arabischen Wachthündin Feida vor sich, war
der nächstfolgende, und Bui Mohammed mit Sa’ad auf der Croupe
schloss den Zug, dessen Glieder keineswegs nahe bei einander
blieben.
Von den beiden Hunden, welche uns begleiteten, musste Feida
schon seit manchen Tagen zu Kameel transportirt werden. Schon
ehe sie Qatrün erreichte, hatte der kiesige Sand und seine Tempe-
ratur die harte Haut der Fusssohlen durchgescheuert und entzündet,
und bald waren diese in offene Wunden verwandelt. Dudschäli da-
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240 II. BUCH, 2. KAPITEL. UNBEKANNTE GEGENDEN.
gegen, trotzdem seine Füsse ebenfalls in einem traurigen Zustande
waren, konnte nicht bewogen werden, auf dem Kameelrücken zu blei-
ben, obgleich ihm die qualvolle Hitze und die grenzenlose Ermü-
dung unaufhörlich ein jämmerliches Wimmern und Klagen auspresste.
Kolokömi und Bü Zeid waren Dank der Lcichtfussigkeit ihrer
Tubukameele bald unseren Blicken entschwunden, während wir unsere
Thicre nur durch unmenschliche Züchtigung bewegen konnten, ihren
Spuren zu folgen. Die uns in nächster Nähe umgebenden Felsen ver-
hinderten den freien Umblick und verdeckten uns das lockende,
rettende Ziel. Da, etwa eine Stunde nrch Sonnenaufgang, er öffnete
sich vor uns plötzlich ein weites Flussbett, dessen Anblick unsem
Muth wieder anfachte und uns mit neuer Energie belebte. Am Ur-
sprunge desselben, zu den Füssen der hohen, finsteren Felsen, die wir
aus der Ferne erblickt hatten, sollte der heissersehnte Brunnen liegen.
Die Hoffnung wuchs, als in dem reinen Sande des Bettes zahlreiche
Fussspuren von Kameelen, Eseln, Antilopen zu beweisen schienen, dass
noch in jüngster Zeit Wasser in der Nähe war. Zum ersten Male
sah ich hier den kräftigen Eindruck des Straussenfusses im Sande,
der stets für ein sicheres Zeichen von Wasser in nicht zu grosser
Ferne gilt. Allerdings wollte der alte Qatrüner, dessen Natur sich
nicht leicht zu sanguinischer Hoffnung fortreissen liess, dieser Erschei-
nung nicht den hohen Werth beilegen, den ihr meine Phantasie zu-
schrieb. Auf meine Verwunderung darüber erklärte er mir, dass bei
der grossen Ausdehnung des gebirgigen Gebietes und bei dem eng
zwischen hohen Felsen eingebetteten Sande solche Spuren sich lange
unbedeckt und unverwischt in scheinbarer Frische erhalten können,
und dass also kein sicherer Schluss aus ihnen zu ziehen ist. So
viel schien mir wenigstens klar, dass, wenn überhaupt Wasser am
Ursprünge des Flussthaies vorhanden war, wir dasselbe erreichen
mussten; dem Gedanken, dass der Brunnen leer sein könne, wagte
ich nicht Raum zu geben.
Unser Weg war uns jetzt vorgezeichnet, und mit Aufbietung
aller unserer Kräfte trieben wir mit unseren eisernen Ladestöcken
und mit Knütteln die armen, erschöpften Thiere vorwärts und folgten
den Windungen des Flusses. Bald erhob sich der grösste Feind
des vom Durste Bedrohten oder Gequälten, die Sonne,- zu bedenk-
licher Höhe. Glühend sendete sie ihre Strahlen auf die dunkel-
farbigen Felsen der Ufer und auf den hellen Sand zwischen denselben,
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QUALEN DES DURSTES.
241
und Strahlung und Rückstrahlung versetzte uns bald in ein Meer
von Feuer und Gluth. In ihm erstarb die momentan aufgeflackerte
Thatkraft, drohte der kaum angefachte Hoffnungsfunke schnell wieder
zu erlöschen. Furchtbarer Durst stellte sich ein; die Mund-, Rachen-,
Nasen- und Kehlkopf- Schleimhaut wurde ihrer letzten Feuchtigkeit
beraubt; um Schläfe und Stirn schien sich ein eiserner Ring enger
und enger zu schliessen. Kein erfrischender Windstoss erreichte uns
im engen Thale; die Augen brannten schmerzhaft; die Ermattung
wurde grenzenlos. Ausserdem trugen die Kameele der Hoffnung
auf Rettung, welche in der Ferne winkte, keinerlei Rechnung, sondern
begannen in beunruhigender Weise mit den Sajälakazien zu liebäugeln,
welche hier und da im Flusssande durch ihr spärliches aber kräftiges
Grün das Auge erquickten und durch ihren, wenn auch noch so
kümmerlichen, Schatten zur Rast einluden. Zweimal legte mein
ermattetes Thier trotz meiner Schläge seine müden Glieder unter
einen Baum, und zweimal gelang cs mir, durch Verdoppelung der
Züchtigung das arme Geschöpf zu qualvollem Weiterschwanken zu
bewegen. Doch als dasselbe sich in der Mitte des Vormittags zum
dritten Male in das Geäst einer Akazie, deren lange, kräftige Stacheln
mir die Haut zerrissen, gedrängt und niedcrgelegt hatte, entfaltete es
den ganzen Eigensinn seiner Art und war durch Nichts zu bewegen,
den sauer errungenen Schatten aufzugeben.
Ich war schon geschwächt genug, um eine geheime Befriedigung
über den Entschluss meines Trägers zu empfinden und ohne Rück-
sicht auf die drohend nahe Zukunft mich am nächsten Genüsse des
Schattens zu erlaben. Als die Kameele meiner Gefährten nach und
nach eintrafen, folgten sie ohne Zaudern dem Beispiele ihres Vor-
gängers und krochen mit ihrer menschlichen Bürde unter den Baum.
Bald waren wir alle vereint und beschlossen, bis gegen Abend im
Schatten zu verweilen und dann zu versuchen, mit dem Reste unserer
Kräfte den Brunnen zu erreichen, wenn bis dahin Kolokömi und der
Muräbid kein Wasser gesendet haben sollten. Letzteres hoffte ich
natürlich von ganzem Herzen und suchte meinen Gefährten diese
Hoffnung so sicher und wahrscheinlich als möglich darzustellen.
Leider gelang es mir nicht, auf diese Weise die Lebensgeister
Alfs und Sa’ad's aufzumuntern. Der Erstere verfiel schnell in einen
Zustand halber Bewusstlosigkeit, der mir eine so ernstliche Besorgniss
cinflösste, als der erwachende Egoismus der eigenen Lebensgefahr
Nachügal. I. IG
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242 II. BUCH, 2. KAPITEL. UNBEKANNTE GEGENDEN.
zuliess. Der Letztere sprach mit entstellten Zügen nur von seinem
nahen Tode, mir für den Fall meiner Rettung seine Frau und
Kinder auf die Seele bindend, erging sich dann in bitteren Vor-
würfen gegen mich, sie trotz der Warnung aller vernünftigen Leute
in dies grässliche Land geführt zu haben, und bereitete sich endlich
durch laute, heisse Gebete zum Eintritt in's Paradies vor. Mohammed
klammerte sich ohne Ostentation an seine einfache, fatalistische
Lebensanschauung und verwies dem thörichten Sa'ad ernstlich seine
Invectiven gegen mich, indem er ihm klar machte, dass Alles vom
allmächtigen Gott so bestimmt sei, und dass ich doch unmöglich
mehr thun könne, als mit ihnen zu sterben, wenn es so verhängt sei.
Giuseppe Valpreda endlich, ein energischer, heftiger Charakter, brütete
stumm vor sich hin, erhob sich dann plötzlich, steckte den Revolver
in den Gürtel und erklärte mir mit heiserer Stimme, er sei nicht ge-
willt, so thatlos den Untergang zu erwarten, sondern werde dem
Laufe des Flussbettes folgen und entweder Wasser finden, oder mit
dem Urheber des Unheils, Kolokömi, mittelst des Revolvers abzu-
rechnen wissen. Trotz meiner und Bui' Mohammeds Vorstellungen
folgte er seinem eigensinnigen Kopfe. Sowohl Giuseppe als ich boten
schon frühzeitig die Symptome zunehmender Heiserkeit und eines
höchst lästigen Harnzwanges dar, von denen selbst bei Sa'ad und
Ali, welche doch erschöpfter zu sein schienen als wir, nichts wahr-
zunehmen war.
Zweckmässiger würde es gewesen sein, den Baum zu verlassen,
und abseits vom Flusse irgendwo einen vollkommeneren und kühleren
Felsschatten zu suchen; doch dann hätten unsere weitergeeilten Ge-
nossen, wenn sie mit dem rettenden Nass eingetroffen wären, uns erst
suchen müssen, und wir wollten in einem solchen Falle keinen Augen-
blick verlieren. Mit diesem Grunde fand sich unsere Energielosigkeit
leicht in das passive Harren. Der Schatten des Baumes war in der
That sehr unzureichend, und, wo es möglich war, suchte Jeder sich
eng an eines der Kameele zu schmiegen, um im Schatten seines
mächtigen Körpers zu liegen. Doch die Sonne stieg höher, der
Schatten der Thiere und der ohnehin sehr kleinen Baumblätter wurde
kürzer und kürzer, und die stechenden Sonnenstrahlen zwangen uns
oft, Platz oder Körperlage zu ändern. Die Minuten schlichen mit
aufreibender Langsamkeit dahin; Furcht und Hoffnung hielten ab-
wechselnd den Rest unserer Lebensgeister wach; doch allmählich
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HOFFNUNG UND VERZWEIFLUNG.
24;i
wurden wir stiller und stiller. Kein Geräusch störte die Grabesstille
der umgebenden Natur; keine Bewegung milderte das starre, todte
Aussehen der düsteren Felsen; kein Windeshauch liess die Zweige
und Blätter der wenigen Bäume, dieser kümmerlichen Repräsen-
tanten des Lebens, auch nur erzittern.
Als der Nachmittag herankam, die Sonne sich allmählich zu
senken begann, und kein Wasser sich zeigte, fing meine Hoffnung
an zu etblassen; wahrscheinlich hatten unsere voraufgeeilten Begleiter
kein Wasser in dem betreffenden Brunnen gefunden und suchten
dasselbe in weiterer Ferne. Kein Schlaf wollte mich der drohenden
Gegenwart für Augenblicke entrücken. Bald lehnte sich meine ganze
Hofihungskraft in momentaner Energie gegen ein so frühes Ende
meiner innerafrikanischen Laufbahn auf, ehe ich noch den geringsten
meiner Pläne ausgeführt zu haben die Genugthimng hatte; bald ge-
dachte ich in schmerzlicher Rührung der zahlreichen Freunde, die
mich so ungern zu der gefahrvollen Reise hatten scheiden sehen;
bald suchte und fand ich einen vorübergehenden Trost in 'dem fata-
listischen Gefühle der Ergebung in das Unvermeidliche und in dem
Bewusstsein, nach bestem Wissen und Willen alle Dispositionen für
die verhängnissvolle Reise getroffen zu haben.
Allmählich wurden diese Gedanken zu unbestimmten Empfin-
dungen, verwischten sich in Träumereien, in denen ich meine Um-
gebung sah, ohne in ihr zu leben; in denen Bilder aus meiner Ver-
gangenheit mit den P-rlebnissen der Gegenwart verschmolzen, und
ich mir nicht mehr klar bewusst war, ob ich in der fernen Heimath,
ob am F’usse eines Felsens in der Sahara weilte. Zuweilen ward
ich noch aufgerüttelt aus- meinem Traumleben, wenn stechende
Sonnenstrahlen mein Gesicht trafen oder Sa’ad in neu erwachender
Glaubensgluth seine Gebete inniger murmelte. Doch bald schwand
Alles, Gegenwart und Vergangenheit, die drohende Todesgefahr und
die nie ganz ersterbende Hoffnung, und ein Zustand umfing mich, von
dem ich nicht weiss, ob er ein unvollkommener Schlummer oder die
beginnende Bewusstlosigkeit eines nahen Unterganges war. Ich weiss
nicht, wie lange dieser, ich kann nicht sagen qualvolle, Zustand dauerte,
in dem meine Sinnesorgane Eindrücke von aussen aufnahnien, ohne
dass diese zu richtigem Bewusstsein gelangten.
Da, war es ein Traum, war es ein Spiel meiner krankhaft erregten
Sinne? Eilte dort nicht mit schnellen, seltsamen Sprüngen eine mäch-
!<;*
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5>44
lt. buch, 2. Kapitel, unbekannte Gegenden.
tige Ziege gerade auf unsere Akazie los, und trug sie nicht gar einen
Menschen auf ihrem Rücken? Ich hätte nachher darauf schwören
mögen, Hörner und Hart gesehen zu haben. Freilich war es ein
Mensch, ein heiss ersehnter Mensch, doch die Ziege verwandelte
sich in ein Kameel, auf dem uns Birsa in zwei Schläuchen Wasser
zutrug, dessen Anblick uns bei unserer Schwäche und Reizbarkeit
Thränen der Rührung auspresste. Im Nu war Ali Bü Bekr wieder
zum Leben erwacht, Sa'ad versparte den Rest seiner Gebete auf eine
passendere Gelegenheit, und ich war im Augenblicke voll und ganz
zur Gegenwart zurückgekehrt. Der nicht aus dem Gleichgewicht zu
bringende Bui Mohammed allein liess sich zu keiner unwürdigen Leb-
haftigkeit der Gefühlsäusserung hinreissen, sondern kramte aus unserem
Proviantsäckchen ein Dutzend Zwiebäcke, brockte sic in unser Trink-
gefass und meinte, cs sei zuträglicher, nach längerem Durste vor der
Stillung desselben etwas feste Nahrung zu sich zu nehmen. Erst
dann sogen wir uns voll des köstlichsten aller Getränke. Unter
andern Verhältnissen wäre dasselbe freilich schwerlich von Vielen
angerührt worden, so schmutzig und voll fremder Bestandtheile war
es. Uns schien es ein Göttertrank, und unsere Lippen bebten keines-
wegs vor den verwesten Materien in ihm zurück.
Nach dem ersten ausgiebigen Trünke hatte die Schleimhaut ihre
normale Feuchtigkeit wieder erlangt, der heisere Choleraton der
natürlichen Stimme Platz gemacht, und der lästige Harnzwang ver-
schwand wie durch Zaubcrschlag. Mohammed schob zur Feier des
Momentes eine ausgiebigere Prise Tabak in seinen Mund, biss ein
entsprechendes Stück Natron mit seinem einsamen Eckzahne ab, und
Alles war Glück und Freude und Hoffnung. Auch die beiden Hunde
wurden nicht vergessen und zu neuem Leben gekräftigt, und den
fehlenden Giuseppe hatte Birsa unter einen Felsen hingesunken ge-
funden, hatte ihm Kopf und Schläfe gewaschen und seinen ganzen
Tarbüsch mit Wasser gefüllt. Als auch nicht ein Tropfen des kost-
baren Inhaltes mehr in den Schläuchen war, kam der vorher ver-
gebens als Tröster herbei gesehnte Schlaf, der gesundeste, tiefste,
erquickendste, den ich je im Leben schlief, so tief, dass ich beim
Erwachen lange Zeit nöthig hatte, um mich in Zeit, Ort und Um-
ständen zurecht zu finden.
Ich erwachte über der Ankunft Kolokömi's und Bü Zeid's, welche
zwar einen weiteren, knappen Wasservorrath brachten, jedoch be-
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RETTUNG.
245
richteten, dass der Brunnen nicht im Stande sei, genug Wasser für
uns und unsere Kameele zu liefern. Ersterer sprach von einem
anderen Brunnen in der Nähe, den er wisse und aufsuchen wolle, wäh-
rend die Kameele das vorhandene Wasser trinken und das im Stiche
gelassene Gepäck herbeiholen würden. Es war Donnerstag Abend,
und es mussten also fünf Tage verfliessen, bevor die Thiere nach harter
Arbeit und fast gänzlicher Nahrungslosigkeit getränkt werden konnten.
> Selbst im Hochsommer würde zwar diese Dauer der Wasserent-
ziehung keine aussergewöhnliche gewesen sein, obgleich das Kameel
der Nordküste an häufigere Tränkung gewöhnt ist, wenn nicht der
gleichzeitige Mangel an Nahrung und die übergrosse Anstrengung
bei der herrschenden Temperatur die Entbehrung complicirt hätte.
Am nächsten Morgen (2. Juli) gaben wir dem stärksten meiner
Kameele vorläufig einen halben Schlauch Wasser und sandten es
mit den beiden Thieren Kolokömis und Bü Zei'd’s, welche Tags
zuvor am Brunnen getränkt worden waren, zur Herbeiholung des
Gepäckes, während Ali und Sa'ad die übrigen drei zum Brunnen
führten, um ihnen das in der Nacht in demselben angesammelte
Wasser zu verabreichen und auch uns so viel als möglich zu bringen.
Nach der Rückkehr Aller wollten wir dann nach dem von Kolokömi
erwähnten, westlich von uns gelegenen Brunnen ziehen, an dem unser
Führer die beiden Vermissten zu finden hoffte, da er wusste, dass
Wolla denselben kannte.
Der Qatruner, Bü Zeid und Birsa, welche zur Aufsuchung des
Gepäcks abgegangen waren, kehrten schon nach einer halben Stunde
zurück, da sie Wolla und Galma bewusstlos auf ihrem Wege gefunden
hatten. Wir wuschen dieselben ab, flössten ihnen ganz allmählich
etwas Wasser ein, und nach einigen Stunden fielen auch sie in einen
gesunden Schlaf, aus dem sie in bestem Wohlsein erwachten. Sie
waren in der That, wie Kolokömi vermuthet hatte, zu dem andern
Brunnen gelangt, hatten aber kein Wasser in demselben gefunden.
Während sie noch schliefen, kamen plötzlich 'AH und Sa’ad mit
entsetzten Mienen wieder angelaufen, um die Mittheilung zu machen,
dass der Brunnen von einer Bande Tubu besetzt sei, bei deren An-
blick sie die Flucht ergriffen hätten. Genauere Nachfragen stellten
bald heraus, dass Sa'ad in der Nähe des Brunnens ein Kameel und
Waffen, doch keinen Menschen erblickt, eilig seinen Gefährten von
einer grossen feindlichen Bande in Kenntniss gesetzt hatte, und dass
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24ti
II. BUCH, 2. KAPITEL. UNBEKANNTE GECENDEN.
Beide, Kameclc und Qireb im Stiche lassend, in wilder Flucht davon
geeilt waren. So unzulänglich und unsicher auch diese Angaben waren,
versetzten sic doch unsern Führer Kolokömi in die lebhafteste Unruhe.
Entsprechend dem Rufe der Treulosigkeit und Verrätherei, den die
Tubu bei allen Nachbarvölkern haben, fürchtet sich Jeder von ihnen
sogar, einen Landsmann in der Wüste zu begegnen. Wir zogen uns in
ein schattiges Felsenversteck zurück, von dem Kolokömi fortwährend
vorsichtig auslugte, und überredeten indess die beiden feigen Diener, •
Zwei Tubu, sich begrusseud.
umzukehren und wenigstens die drei im Stiche gelassenen Kameele
und ebenso kostbaren Wasserschläuche in Sicherheit zu bringen.
Ehe dieselben zurückgekehrt waren, zeigte sich die harmlose
Ursache ihrer grenzenlosen Furcht in der Gestalt eines einzelnen
Mannes, der mit einem beladenen Kameele friedlich vom Brunnen
hergezogen kam. Da er allein war, machte Kolokömi beruhigt die
zur Begegnung nöthige Toilette, d. h. trug Sorge, dass von seinem
Gesichte nur die Augen sichtbar blieben, und alles Uebrige sorgfältig
in die verhüllende Turbantour gewickelt war, ergriff Lanze und Wurf-
eisen und trat dem Fremdling entgegen, der, sein Kameel an langer
Halfter führend, jetzt ebenfalls seinen Litham über die Nase in die
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BEGRÜSSUNGSCEREMONIE DER TUBU. 247
Höhe zupfte. In der Entfernung von etwa sechs Schritten von ein-
ander hockten sie nieder, in der einen Hand die auf den Boden ge-
stemmte Lanze, in der andern das Wurfeisen, und vollzogen den
wichtigen Act der wortreichen Begriissung. Kolokötni begann mit
der Frage nach dem Befinden des Fremden, welche er abwechselnd
durch „Lahainkennäho" oder „Lahadintschcda” oder „Lahaniheni"
oder „Killahäni " ausdrückte, und dieser antwortete durch „Laha
oder „Killaha”. Sobald diese Fragen und Antworten etwa ein
Dutzend Male wiederholt worden waren, intonirte Koloknmi ein lautes,
kräftiges „Ihilla", auf das der Fremdling dasselbe Wort erwiderte,
und es folgte nun eine wechselseitige Wiederholung dieses Grusses,
welche uns durch ihre Länge in Verzweiflung setzte. Anfangs in
kräftigster Mannesstimme erschallend stieg das „Ihilla" in allmählicher
Tonleiter bis zu dumpfem, unverständlichem Murmeln abwärts, und
das Ganze wurde mit einem so würdevollen Ernste ausgeführt, dass
der Uneingeweihte viel eher irgend eine wichtige Ceremonie als eine
einfache Begrüssung vermuthet hätte. Waren sie an dem tiefsten
Laute ihres Kehlkopfes angekommen, und schien ihre Stimme im
leisesten Murmeln zu ersterben, so begann wieder Einer der Beiden
ein lautes, hochtöniges „Laha" und das „Ihilla" machte von Neuem
die ganze Tonleiter durch. Dabei schienen sie durchaus kein gegen-
seitiges Interesse an ihren Personen zu nehmen, sondern sahen sich
selten an und schienen vielmehr geflissentlich entweder den Blick
in die weite Ferne schweifen zu lassen, oder vor sich in den Boden
zu bohren.
Nach einiger Zeit wurde das sonderbare Wechselspiel durch
zahlreiche Variationen der Frage: „wie geht es Dir?" und durch
Antworten „gut!" oder „mit Frieden!" unterbrochen und erst gegen
das Ende des ganzen Begrüssungsactes mischten sich andere Fragen
nach Ausgangspunkt und Ziel der beiderseitigen Reisen, nach den
Ereignissen des Landes, nach Lage und Zustand der nächsten Brunnen
unter die stereotypen Fragen und Antworten. Noch kehrte man zwar
stets wieder zum „Ihilla" zurück, doch kürzer und kürzer wurden die
Reihen desselben, bis allmählich die gewöhnliche Unterhaltung die
Oberhand gewann und endlich die Begrüssungsformcln ganz auf-
hörten. Da Kolokömi den Mann nicht kannte, so gab er ihm weder
vor noch nach der Begrüssungsscenc die Hand, während unter Be-
kannten die arabische Sitte der Handreichung ihre Geltung hat.
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248 II. BUCH, 2. KAPITEL. UNBEKANNTE GEGENDEN.
Erkundigungen bei meinen Tububegleitern und Bui Mohammed
lehrten mich noch manche Einzelheiten der Höflichkeitsregeln in
Tibcsti kennen. Bewohnt man in den nördlichen Tubuländern den-
selben Ort, sieht sich also voraussichtlich öfters, so reicht man sich
stets die Hand und bietet sich die Tageszeit, wie z. B. „Lahanizzeda”
(ist deine Sonne, d. h. Tag, gut?) oder „Dogdsalaha' (war deine Nacht
eine glückliche?) oder „Entoguddüni" (wie hast du die Tageshitze zu-
gebracht?), und nur das „Killahäni” (bist du wohl?) scheint unter
allen Umständen und zu allen Zeiten Gültigkeit zu haben. Bei der
Trennung sagt man gewöhnlich Nichts, wie die Araber, oder ruft
denen, die man verlässt, wohl zu: ,, Allah nkjufuk!" — Höchst erwünscht
bei jeder Begrüssung und Begegnung mit Fremden ist jedenfalls das
sorgfältige Einhüllen des Gesichtes in den Litham. Wenn schon die
Begrüssung, welche sich Araber zu Theil werden lassen, dem fremden
Beobachter ungebührlich lang erscheint, so scheint sie bei den Tubu
gar kein Ende zu nehmen.
Der Reisende war ein kleiner, dunkelbroncefarbiger Mann, dessen
harmloser Anblick sicherlich nicht einen so furchtbaren Eindruck
auf meine Diener hätte machen können, als es seine Waffen vermocht
hatten. Er war übrigens ganz allein, im Begriff nach Kawär zu
reisen und verbrachte den Tag mit uns.
Sobald unsere Boten das Gepäck herbeigebracht hatten, machte
sich der alte Qatrüner nach dem Brunnen auf, um 'Ali und Sa'ad
mit ihren bei der feigen Flucht im Stiche gelassenen Kameelen auf-
zusuchen und diese zu tränken. Wir selbst beabsichtigten, da Wolla
in dem seinem Vetter bekannten benachbarten Brunnen gar kein
Wasser gefunden hatte, uns mit dem gefundenen zu begnügen, in
seiner Nähe unser Lager aufzuschlagen und durch nachhelfende Erd-
arbeiten seinen Inhalt nach Kräften zu vermehren.
Dies führten wir am nächsten Morgen (3. Juli) in aller Frühe aus.
Wir folgten den Windungen des sandigen Flussthales, {las trotz der
von allen Seiten andrängenden Felsen eine Breite von etwa 100 Schritt
hatte und fast bis zum Ursprünge so blieb, für drei Stunden in durch-
schnittlicher Ostrichtung und lagerten in der Nähe unseres Zieles.
Das Flussbett führt den Namen Galiemma, entspringt von jenen so
angstvoll angestrebten dunklen Felsenmassen und verliert sich nach
einem westlichen Verlaufe von etwa 30 Km in einer natronhaltigcn
Ebene. Mit dieser ist man aus den Afdfi- Bergen herausgetreten;
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COI.OQUINTHEN*- KERNE.
249
weiterhin nach Westen erstreckt sich bis zur Bornüstrasse jenes wüste
steinige, hier und da erodirte Terrain, welches wir vom Tümmo ab
durchzogen hatten. Unser Brunnen befand sich in einer halbkreis-
förmigen, riesigen Grotte von Sandsteinfelsen in erdegemischtem
Sande, der in einer Schicht von 2 bis 3 M. dem Felsgrunde auflag.
Der ausgegrabene Schacht war eng, und da er weder ausgemauert,
noch nach der I.andessitte mit Baumzweigen ausgekleidet war, fiel
natürlich bald Sand und Erde nach, und das Wasser sickerte nur
mühsam hindurch. Nach dreistündiger Arbeit stiessen wir auf den
felsigen Grund und in ihm auf eine Spalte, aus der augenblicklich
der Lebensquell etwas reichlicher floss.
Während wir noch eifrig arbeiteten, aber unsere Thiere schon
nothdürftig abgetränkt hatten, erschienen am Nachmittage noch drei
Tubu mit fünf Kameelen und profitirten alsbald von den Früchten
unserer Arbeit. Sie betheiligten sich übrigens eifrig bei der letzteren,
so dass wir an diesem Tage dem wasserarmen Brunnen immerhin
mehrere hundert Liter entrangen. Die neuen Ankömmlinge waren zu-
fällig Verwandte Kolokömi's und hatten zur Zeit ihren Aufenthalt in der
Gegend von Afäfi, hauptsächlich, um Coloquinthcn-Kerne zu ernten.
Die Bittergurke wird im Arabischen Handal, in der Tubu-Sprache
Aber genannt, und ihre Kerne, welche eigentlich im Arabischen Auläd
el-Handal heissen, führen sowohl bei Arabern jener Gegend als bei Tubu
den Namen Tabarka, in dem vielleicht das Wort Aber enthalten ist.
Der Process, durch den die Kerne geniessbar gemacht werden, ist
ein sehr complicirter. Man erntet sic im Sommer, trocknet sie ge-
hörig, thut sie in starke Säcke und befreit sic durch Treten von
einem Theile ihrer Schalen und sondert sie durch Worfeln von diesen.
Alsdann mischt man sic mit der Asche von Kameelmist, bearbeitet
das Gemisch zwischen glatten Steinen, wie man sie zum Mahlen des
Getreides benutzt, beraubt sic dadurch eines Theils ihrer Bitterkeit
und drastischen Eigenschaft und entfernt gleichzeitig den letzten
Rest der Schalen. Nachdem man sie wieder geworfelt hat, kocht
man sie mit den Laubspitzen des Etcl-Busches, wässert sie kalt ein
und wiederholt diese Procedur, bis jede Spur von Bitterkeit ver-
schwunden ist. Endlich trocknet man sic an der Sonne und hat ein
angenehmes und in Pulverform sehr geeignetes Nahrungsmittel ge-
wonnen, zu dem man gerne Datteln in demselben Zustand fügt und
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II. BUCH, 2. KAPITE1* UNBEKANNTE GEGENDEN.
250
das in der Oekonomie der Bewohner Tibesti’s nicht ohne Wichtigkeit
ist und für sehr nahrhaft gilt.
Die Verwandten Kolokftmi's waren kräftige, mittelgrosse, ziemlich
magere Männer von dunklerer Hautfarbe als die meisten der bisher
gesehenen Tubu, obgleich die Intensität derselben von der Schwärze
meiner farbigen Diener sehr übertroffen wurde. Sie waren ebenfalls
sehr abgerissen und mit Amuletcn und Talismanen so behängt, dass
ich an Einem von ihnen 16 Ledersäckchen verschiedener Form
und Grösse an Turban, Hals und Armen zählte. Sie führten ausser
ihren Kamcelen noch drei Windhunde mit sich, jammervolle Gerippe,
welche, obgleich an Grösse und schlankem Wuchs weit gegen die
schönen Vertreter dieser Rasse in Marokko und Tunisien zurück-
stehend, doch Gazellen und Antilopen erjagen sollen. Ohne diese
nützliche Eigenschaft würden sich gewiss die praktischen Tubu nicht
dazu verstehen, ihnen ihr spärliches Futter zu gönnen. Der traurige
Zustand der Ernährung dieser verhungerten Geschöpfe wurde mir
in unerfreulicher Weise noch persönlich dadurch klar gemacht, dass
sie, kaum angekommen, erfrischt und etwas ausgeruht, sofort meine
arabischen ledernen Schuhe als gute Jagdbeute ansahen und die
dicken Sohlen derselben aus Büffelfell ihren heruntergekommenen
Organismen einverleibten, während ich barfuss der Ruhe pflegte.
Während noch Alle am Brunnen arbeiteten, oder auf dem Sande
seiner Umgebung der Ruhe oblagen, streifte ich auf den umliegenden
Felsen und in den tiefen Schluchten herum und staunte über die
Wildheit beider. Die dunkle Färbung der aufeinander gethürmten,
massigen Blöcke, die Kahlheit und Nacktheit des Ganzen, in Mitten
einer Einsamkeit, welche durch keine rauschenden Bäume, kein
plätscherndes Wasser, keine Stimmen der Vögel unterbrochen oder
gemildert wurde, erfüllten mich mit einem Gefühle ehrfürchtigen
Grauens, wie es etwa Kinder Abends allein in einer Kirche oder auf
einem Friedhofe empfinden. An den senkrechten Wänden der
Schluchten trat in der Tiefe häufig rother, weisser, grauer, violetter,
brauner oder gelber Kalkstein zu Tage unter der kolossalen Hülle
des dunkelfarbigen Sandsteins. Hier waren abgerundete Hügel mit
mächtigen Blöcken bedeckt, dort lagen die Riesenwürfel über- ein-
ander geschichtet und bildeten entweder grössere, horizontale Stein-
flächen oder, wenn rings die nächste Umgebung zerstört und zerfallen
war, wahre Kolosse von Säulen und Pfeilern,
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DIE KELSEN UND Kl.USSTHAL.ER AKAKl’s. 251
Die Erhebung des Flussthaies über dem Meeresspiegel beträgt
etwa 600 M., während ich für die durchschnittliche Höhe der um-
gebenden Felsen 70 M. mehr fand. Von der Höhe eines solchen
sah man die scheinbar regellos angeordnete Gebirgslandschaft sich
hauptsächlich nach Südosten fortsetzen, während nach Westen hin
die Felsen sich bald in der weiten Ebene verloren.
Da die Brunnenarbeit durch den fortwährend nachfallenden Sand
sofort wieder zum Theil vernichtet wurde, und das Wasser so sicht-
lich abnahm, dass es zweifelhaft erschien, ob wir unseren Reise-
vorrath aus ihm würden schöpfen können, gingen die drei zuletzt
Angekommenen mit Sa'ad und 'Ali lange vor Tagesanbruch in den
benachbarten Enneri Lolemmo, um an dort bekannten Stellen nach
Wasser zu forschen. Da sie um Mittag mit günstigem Berichte
heimkehrten, verlegten wir unser Lager in die Nähe des von ihnen
aufgefundenen Brunnens. Wir verliessen unser Flussthal durch einen
nördlichen Pass und gelangten aus einem folgenden, flachen Fcls-
kessel in ostnordöstlicher Richtung durch eine enge Schlucht in die
weite, steinige Ebene des E. Lolemmo, welche wir in südöstlicher
Richtung bis zu den Felsengruppen durchzogen, aus denen sich das
Flussbett entwickelt. In diese einzudringen konnten wir unserer,
solchen Terrains ungewohnten, arabischen Kameele wegen in der
Dunkelheit nicht mehr versuchen; \tir schlugen also unser Lager in
der Ebene auf und schickten die Tubukamecle zur Wassereinnahme.
Das Flussthal hat einen westsüdwestlichen Verlauf und erfreut
sich einer zwar recht spärlichen, doch immerhin etwas reicheren Vege-
tation von Gräsern und Kräutern, als der Galiemma. Vom Lolemmo
aus kannten die Verwandten Kolokömi's einen Brunnen in der Ent-
fernung von zwei Tagemärschen in fast südlicher Richtung, und dieser
sollte durch eine ebensolche Entfernung von der wasserreichen Fels-
gruppe Mini, welche auf der Strasse von Abo nach Täo liegt, ge-
trennt sein. Ich meinerseits hätte gewünscht, in südöstlicher Richtung
nach der, auf der gewöhnlichen Strasse von Fezzän nach Tibesti
gelegenen sicheren Wasserstation Owi, die in geringer Entfernung
von uns lag, zu gehen, denn die Discussionen über den Brunnen vor
uns flössten mir kein besonderes Vertrauen ein; doch die Furcht
Kolokömi's und Bü Zeid's vor den Leuten von Abo war unbesiegbar.
Nach reichlicher Wassereinnahme strebten wir am Nachmittage
des 5. Juli unter Führung eines jungen Mannes aus der anderen Ge-
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252 II. BUCH, 2. KAPITEL. UNBEKANNTE GEGENDEN.
Seilschaft in südlicher Richtung dem in Aussicht gestellten Brunnen
zu. Der Weg führte uns zunächst durch das Thal des Flusses,
welches eine spärliche Vegetation von AquI — Lakör ted. — , Häd
— Dschüri ted. — und andern Futterkräutern entfaltete, während
sein eigentliches Bett in gewöhnlicher Weise mit Sajälakazien — Tefi
ted. — geziert war. Bald verschwand diese relative Fruchtbarkeit
und der öde Charakter der steinigen Wüste waltete wieder vor. Die
eigentliche Gebirgsgegend von Afäfi hatten wir verlassen. Die Ebene
vor uns zeigte keine ausgedehnten Bergketten mehr, sondern in un-
bestimmten Zwischenräumen einzelne Felsen und Gruppen, die durch
ihre wunderlichen Formen meine Aufmerksamkeit besonders fessel-
ten. Dunkel, schroff, steil, aller mildernden Umgebung entbehrend,
bildeten sie einen scharfen Contrast mit dem gelben, hellen Sand-
oder Kiesboden, aus dem sie sich erhoben. Eine der ansehnlicheren,
Namens Schcrkedä, deren wild zerrissene Formen sich bei der durch-
sichtigen Abendluft in scharfen Umrissen vom klaren Himmel ab-
hoben, erblickten wir nach einigen Marschstunden in dircctem Osten
und nahezu einen halben Tagemarsch weit.
Als nach vier Stunden die volle Dunkelheit hereingebrochen
war, drängte ich, in lebhafter Erinnerung an die zwecklosen An-
strengungen der früheren Tage und aus Rücksicht auf die Kamcele,
welche die verflossene Woche keineswegs vergessen hatten, zur
Lagerung trotz des Widerstrebens Kolokömi’s und Bü Zeid's, welche
mir nicht ohne Zweifel über die Existenz und die Lage des zu
suchenden Brunnens zu sein schienen. Doch um drei Uhr Morgens
waren wir wieder auf dem Marsche, erreichten nach einigen Stunden
das Nordende einer langgestreckten Felskette, des Emi (Berg) Kurna
(Sand), an dessen westlichem Fusse unser Weg für eine Stunde hinlief,
hatten bald darauf in gradem Osten, etwa drei Stunden entfernt, den
Emi Gencmtüa, der zahllose scharfe und kurze Zacken gen Himmel
richtet, und marschirten dann bald in südlicher, bald in südöstlicher Rich-
tung, nach beiden Seiten ähnliche, wenn auch weniger bedeutende Fels-
gruppen erblickend, bis wir nach mehr als fünfstündigem Marsche die
Mittagsrast in einem Felsschatten der Gegend Merüja hielten. Von einer
niedrigen Kuppe konnte man nach allen Richtungen die einzelnen
Felsbildungen, welche die Ebene um höchstens 200 F'uss überragen,
überblicken. Ihre Formen wurden immer wunderlicher. Kuppeln
und Dome, byzantinische Kirchen und antike Amphitheater, Moscheen
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EILMÄRSCHE DURCH WÜSTE FELSENGEGEND. 253
und alte Kastelle, moderne Bauten aller Art schienen mit einander
abzuwechseln, und daneben glaubte man hier einen langgestreckten
Kameelhals aus der Erde emporragen zu sehen, dort das Steinbild
einer Rieseneule oder eines menschlichen Kopfes als Zierde einer
einsamen Säule zu erblicken. Eine lebhafte Einbildungskraft, beson-
ders bei der zauberischen Abendbeleuchtung, konnte sich beim An-
blick dieser gigantischen Bauten der Natur in den wundersamsten
Träumen ergehen und die seltsamsten Bilder schaffen.
Dazwischen deckt Fels- oder Sand- oder Kalkboden die Ebene,
und von den ansehnlicheren Felsgruppen senken sich Wasserbetten
nach Westen oder Südwesten, abhängig in Ausdehnung und Vege-
tation von der Bedeutung jener. Die Namen sind stets für Berg
Emi , Flussthal Enneri und die ganze Gegend gemein-
same.
Der Nachmittag brachte uns noch fünf Stunden weiter in süd-
südöstlicher Richtung durch eine ähnliche Gegend, vermochte uns
aber nicht die Ueberzeugung zu verschaffen, dass der Tubujüngling
viel Ortskenntniss besitze. Als uns vollständige Dunkelheit umfing,
leistete ich wieder aus Rücksicht für die Kameele hartnäckigen
Widerstand gegen den Weitermarsch, während Kolokömi und Bü
Zefd, offenbar von den ernstesten Befurchtungen gequält, ohne Auf-
enthalt voraus strebten. Schon gestand der Führer, dass wir morgen
noch kein Wasser erreichen würden, und beschränkte unseren Ver-
brauch. Es kam zu harten Reden, doch vergeblich versuchte ich aufs
Neue, meine Gefährten auf den eigentlichen Weg von Fezzan nach
Tibesti, der keine zwei Tagemärsche östlich von uns verlief, hinüber-
zuleiten.
Lange vor Tagesanbruch (7. Juni) wieder auf den Beinen, erreich-
ten wir nach wenigen Stunden die scharfgeformte Gruppe Kirkennime
und hatten im weiteren Verlaufe östlich von unserem Wege die
Felsenkette Kjukoi, welche, von Nord nach Süd verlaufend, mit
unserer südsüdöstlichen Wegrichtung convergirte, und die wir nach
siebenstündiger Anstrengung erreichten, um in ihrem Schatten die
Qäila zu verbringen. Das Wasser wurde schon gläserweise vertheilt
und der Durst erschien wieder als Schreckgespenst der nächsten
Zukunft. Glücklicherweise war der Tag verhältnissmässig kühl , der
Himmel bis gegen Mittag bedeckt, und der Nachmittag trieb reich-
liche Regenwolken aus Süden herauf.
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2M II. BUCH, 1. KAPITEL. UNBEKANNTE GEGENDEN.
Die Furcht trieb uns früh am Nachmittage weiter durch eine,
Anßfo genannte, weite, sich nach Westen senkende Thalebene, mit
dem Bette eines Wasserlaufs, der vom Kjukoi entspringt. Eine
kräftigere Vegetation schien jüngst gefallenen Regen anzudeuten,
für den auch zahlreiche Spuren des Waddn, der Leucoryx -Antilope
und des Strausses sprachen. Wieder passirten wir eine Felsengegend,
auf die eine hochgewellte Kies- und Sandebene und steinige, harte
Wüste folgte, und als die Nacht hereingebrochen war, erneuerte ich
meinen Vorschlag, bis zum Aufgang des Mondes zu rasten. Doch
diesmal weigerten sich Kolokömi und Bü Zeid mit grösster Ent-
schiedenheit, obgleich weder wir noch die Kameele seit zwei Tagen
zureichende Ruhe und Nahrung gehabt hatten. Bei dem gänzlichen
Mangel an Wasser musste ich nachgeben, fügte mit schwerem Herzen
meine Körperlast zu der Ladung eines Kameels und machte auch
Giuseppe und den bejahrten Mohammed beritten. Bald jedoch
erklärte unser jugendlicher F'ührer, dass er die von uns passirten
F'elsen nicht mehr kenne, und zu meiner traurigen Genugthuung
mussten wir nach fünfzehnstündiger, sorgenvoller Anstrengung vom
Weitermarsche abstehen.
Die Vervollständigung der Geständnisse des Führers waren wohl
geeignet, nach der traurigen Erfahrung der verflossenen Woche die
ernstesten Besorgnisse wachzurufen und unsere Nachtruhe zu trüben.
Er hatte den Brunnen nie selbst gesehen; unser Wasservorrath war
erschöpft; die ursprünglich angegebene Entfernung hatten wir über-
schritten, und weder der Wegweiser noch meine übrigen Gefährten
kannten die Gegend. Kaum hatte die Natur ihr Recht geltend ge-
macht und mich in einen unruhigen Schlaf versetzt, als ich durch
lebhafte Berathungen erweckt wurde. Bei diesen war Birsa der ver-
ständigste und entschiedenste. Er machte mit Recht geltend, dass,
selbst wenn am folgenden Morgen der angestrebte Brunnen entdeckt
sein würde, es keineswegs sicher sei, dass derselbe Wasser enthalte, da
bekanntlich die Wasserbehälter der Gegend keine wirklichen Brunnen
mit Bodenwasser seien, sondern nur Regenwasser- Reservoirs in den
Spalten und Höhlungen der F'elsen. Es sei unverständig, einer so
ungewissen Aussicht Zeit und Kraft zu opfern, während man mit
Sicherheit Wasser aus den östlich von uns gelegenen nördlichen
Thälern Tibesti’s beschaffen könne. Er schlage also vor, ihn an Ort
und Stelle zu erwarten; er werde mit dem Kameele Kolokomi's nach
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NEUER WASSERMANGEL.
255
Osten gehen und verspreche, am folgenden Nachmittage um die Zeit
des Asser (etwa 4 Uhr Nachmittags), sofern ihn Gott am Leben
erhalte, unserer Noth ein Ende zu machen. So zog er in der That
kurz nach Mitternacht auf der leistungsfähigen Stute Kolokömi’s in
die Dunkelheit hinaus, begleitet von Hü Zeid's Diener, der sich
auf das Kameel des unkundigen Führers schwang, während wir
Uebrigen, in Etwas beruhigt, uns dem wohlverdienten Schlafe hin-
gaben.
Glücklicherweise hatten sich während des Nachmittags aus Nord-
osten reichliche Regenwolken angesammelt, und auch am nächsten
Morgen, als uns die Sorge frühzeitig den Schlaf verscheuchte, war
der Himmel bedeckt, der Ostwind kühlend, die Atmosphäre nicht
so trocken als gewöhnlich, also auch der Durst geringer. Die Nächte
waren besonders kühl geworden, seit wir die Gegend von Afäfi
erreicht hatten; denn während bis dahin der tägliche Wind mit der
Sonne gestiegen und gefallen war, machte sich jetzt mit grosser
Regelmässigkeit ein starker Nachtwind geltend, der etwa um 10 Uhr
Abends begann und bis einige Stunden nach Mitternacht anhiclt.
Im Schatten und in vollständiger Ruhe konnten wir also ohne alle
Besorgniss die Rückkehr Birsa's abwarten. Doch war sie sicher?
Musste man nicht bei dem Charakter der Tubu Verrath seinerseits
befurchten? Und gab nicht überhaupt der ganze unheilvolle Beginn
der Reise mit Fussverbrennung, Augenentzündung und Gefahr des
Verschniachtens zu den übelsten Ahnungen und ernstesten Be-
trachtungen reichen Anlass? Gerade vor einer Woche hatten wir
uns in derselben gefahrvollen Lage befunden, Dank der Unzuver-
lässigkeit unserer Führer und eigener Sorglosigkeit, und selbst der
schweigsame und stets resignirte Bui Mohammed meinte, es sei eine
Schande für Männer von Verstand, zweimal in einer Woche, Wasser-
plätzen so nahe, Durst leiden zu müssen.
Trüben Sinnes schlichen wir, als die Sonne sich erhob, in den
Schatten der Felsen, Jeder allein seinen melancholischen Gedanken
nachhängend. Auf den Rand der starren Felswand, welche mir
Schatten gewährte, setzte sich ein Aasgeier, der durch die Beharr-
lichkeit, mit der er auf mich herniederblickte, andcuten zu wollen
schien, dass er mich für ein ebenso erwünschtes als sicheres Opfer
seiner Gelüste halte. Der heimtückische Ausdruck, welcher diesen
Thieren eigen ist, schien mir in meiner Gemüthsstimmung eine
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256 M- BUCH, 2. KAPITEL. UNBEKANNTE GEGENDEN.
passende Illustration des Landes und seiner Bewohner und ein pro-
phetisches Bild des meiner wartenden Schicksals. Doch auch dies-
mal, und zwar bald, sollte sich dasselbe zum Bessern wenden.
Gleich nach Sonnenaufgang hatte unser Führer den Lagerplatz
zu Fuss verlassen, um sich in der Gegend zu orientiren, und kehrte
nach kurzer Zeit mit der Behauptung zurück, dass er den richtigen
Weg gefunden habe. Er bestieg das Kameel Bü Zeids, nahm zwei
Wasserschläuche, und als er um Mittag noch nicht zurück war,
konnten wir uns der Hoffnung hingeben, dass er den Brunnen ge-
funden habe. In der That erschien er bald darauf mit wohlgefüliten
Schläuchen vortrefflichen Wassers, und alle Noth und alle trüben
Gedanken hatten wieder ein Ende. Er kam zurück in Begleitung
eines jungen Mannes, der in der Nähe des rettenden Brunnens augen-
blicklich der vortrefflichen Kameelweide wegen hauste und in Klei-
dung und Benehmen eine gewisse Distinction zur Schau trug. In
der That war er ein bekannter, relativ wohlhabender Mann, der
häufig Handelsreisen nach Fezzän, Kawar und Bornü gemacht hatte.
Er war hellfarbiger als seine bisher von uns gesehenen Landsleute,
hatte ziemlich regelmässige Züge, trug eine blauschwarze Südäntobe,
Beinkleid und Litham von derselben Farbe und einen rothen Tarbüsch.
Sein Name war Isoa, und ich erinnere mich seiner mit grossem Ver-
gnügen, da er keinerlei bettelnde Ansprüche erhob, durch eine
gewisse Kenntniss der Nachbarländer mir Gelegenheit zur Unter-
haltung bot und mir während dreier Tage den Genuss frischer
Kameelmilch verschaffte. Er wartete mit uns auf die Rückkehr
Birsa’s, um uns dann zum Brunnen zu führen, den wir durch eine
allzu östliche Richtung verfehlt hatten.
Birsa und Galma erschienen pünktlich dem Versprechen gemäss
um 4 Uhr Nachmittags mit vier gefüllten Schläuchen, deren Inhalt
sie in dem bewohnten Flussthale Arfibu geschöpft hatten. Das-
selbe liegt einen halben Tagemarsch südlich von Abo oder Uro, das
von unserem Standorte anderthalb lange Tagemärsche in nordöstlicher
Richtung entfernt war. Das Flussthal Aräbu vereinigt sich mit dem
von Abo oder mündet in dasselbe, hat einen mehr oder weniger
westlichen Verlauf und war von Birsa in östlicher Richtung an der
Felsgruppe Schische vorüber, die im Bereiche unseres Auges lag,
erreicht worden. Ich musste wiederum die physische Leistungs-
fähigkeit dieser Leute bewundern. Birsa und Wolla schienen echte
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BIRSA HOLT WASSER AUS ARABU. 257
Typen ihres Stammes, wie ich denselben in Fezzan stets hatte schil-
dern hören. Ohne Schlaf, ohne Nahrung, fast ohne Wasser konnten
sie Tage lang ausharren, ohne von ihrer Energie einzubüssen. Wenn
ich sie in ihrer Rastlosigkeit beobachtete und die Frische und Leich-
tigkeit sah, mit der sie sich körperlichen Anstrengungen unterzogen,
während wir der Ermattung fast erlagen, so konnte ich den Erzäh-
lungen des alten Qatrüner's wohl Glauben schenken, denen zu Folge
die Tubu nach tagclanger Nahrungslosigkeit die gebleichten Kameel-
knochen der Wüste pulvern und mit Wasser oder dem einer Ader
ihrer Thiere entnommenen Blute in einen geniessbaren Teig verwan-
deln, oder den Lederring, welcher ihr langes Messer am Hand-
gelenke befestigt, oder ihre Sandalen durch Klopfen, Zerschneiden
und Kochen essbar machen. Ich konnte nach meiner kurzen Erfah-
rung es für möglich halten, dass ein Tubu -Mann vier Tagemärsche
ohne Wasser zu ertragen vermag, wenn er im Besitze eines Kameels
ist, wohlverschleiert bei Nacht reist und bei Tage regungslos und
schweigsam im Felsschatten liegt, ohne durch Einnahme von Nahrung
oder überflüssige Bewegungen den Durst zu vermehren. Erst nach
dieser Zeit sollen sich seine Sinne trüben, und er zum letzten Mittel
greifen, sich am Sattel seines Kameels zu befestigen, jeder eigenen
Initiative zu entsagen und sich rückhaltslos dem Ortssinn des Thieres
anzuvertrauen.
Auch abgesehen von der physischen Leistung in unserem Inter-
esse konnte Birsa Anspruch auf meine volle Dankbarkeit erheben. Erst
viel später brachte ich in Erfahrung, dass ihn die Bewohner Aräbu’s,
welche mit den Leuten von Abo derselben Stammesabtheilung ange-
hören, bei dieser Gelegenheit auf alle Weise zu überreden versucht
hatten, uns ohne Wasser zu lassen, da Kolokömi, Bü Zeid und die
übrigen Landsleute sich schliesslich schon zu helfen wissen würden,
und cs aller Welt nur dienen könne, wenn ich mit dem christlichen
Diener zu Grunde ginge. Sie hatten durch ihre Genossen von Abo, die
nach unserer Abreise von Tedscherri vergeblich mehrere Tage im
Hinterhalte gelegen hatten, schon davon gehört, dass ein Christ auf
irgend einem Wege von Fezzan nach Tibesti unterwegs sei. Birsa
hatte den Verrath zurückgewiesen, der freilich auch ohne seine treue
Haltung keine verliängnissvollen Folgen für uns gehabt hatte.
Noch am selben Abend (8. Juli) führte uns Isoa seinem Lager-
plätze am Brunnen zu, den wir in einigen Stunden westsüdwestlicher
Nathtigal. I- 17
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II. BUCH, 2. KAPITEL. UNBEKANNTE GEGENDEN.
2f>8
Richtung erreichten. Nordwestlich verlief die niedrige Bergkette Afo,
die, von Ostnordost nach Westsüdwest gerichtet, dem nach Süd-
westen sich senkenden Flussbette gleichen Namens Ursprung giebt.
Sowohl dieses, das wir eine Stunde nach dem Aufbruche passirten,
als die kleinen zu ihm stossenden Rinnsale waren die Träger eines
Baumwuchses, der in so wüster Gegend üppig erschien, wenn er auch
nur in Sajälakazien bestand. Dann betraten wir eine hoch gewellte
Gegend, die vor uns durch einige Hügel begrenzt war, und fanden
jenseits derselben die reiche Weide, welche unseren Führer Isoa dort-
hin gelockt hatte und auch unseren Thieren wohlthun sollte. Hier,
wo die Vipern — el - Efä arab., Auso ted. — , deren wir in der That
z.wei gehörnte tödteten, besonders zahlreich sein sollten, lagerten wir
am Fusse eines niedrigen Felsens, der den Namen Gour führt. Eine
Viertelstunde weiter lag der gleichnamige Brunnen, dessen Wasser in
der Tiefe eines Meters unter der umgebenden Bodenfläche am Fusse
einiger Felsblöcke hervorquoll. Wir gönnten natürlich unsern Ka-
meelen und. uns selbst einen Tag der Ruhe und reichlicher Nahrung.
Unser Führer oder Irrleitcr während der letzten Tage kehrte
von Afo zu seinen Coloquinthen-Arbeiten in Afäfl zurück, und auch
Wolla, der in Abo wohnte, wollte uns jetzt verlassen. Sie waren
die beiden schwärzesten Tubu, welche ich bis dahin gesehen hatte,
und die bescheidensten, wie ich zu ihrer Ehre sagen muss. Wolla
besonders, der doch mit uns von Murzuq gekommen war, benutzte
diesen Umstand keineswegs, um Erpressungen zu versuchen, sondern
begnügte sich mit zehn Drä Cham, einigen Packeten Nadeln und
etwas Rohöl für seine Frau, während der Erstgenannte Musselinstofl*
— Schdsch — zu einem Turban empfing.
Wir vcrliessen Afo am io. Juli Nachmittags in südöstlicher
Richtung, eine Strecke weit begleitet von Isoa, dem ich zehn Drä
Cham geschenkt hatte, liessen nördlich in grösserer Entfernung eine
Felsgruppe mit dem häufig vorkommenden Namen Emi Kurna und
passirten ein kleines Rinnsal, das dort von Osten her zum Agimmi
verläuft. Letzterer ist ein weiter westlich von Nord nach Süd ge-
richtetes Nebenflussthal des E. UdüT, der seinerseits nur die west-
liche Fortsetzung des E. Abo darstellt. Nach dreistündigem Marsche
fiel plötzlich der Boden zum Thale des Udüi ab, auf dessen nörd-
lichem Ufer unter uns die wilde, kühn geformte Felsgruppe Emi
Abakkenär den Blick fesselte. Wir stiegen zu ihr hinab, durch-
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Felsgruppe Göur zu Afo in Tibesti. (S. 258.)
blE AFO- GEGEND UND l»AS FI.USSTHAL UDl'i. 25t*
schritten den südöstlich von ihr verlaufenden Uduf, dessen flaches,
ein Kilometer breites Bett, sich nach Südwesten senkt und dicht mit
Futterkräutern bedeckt ist, und lagerten auf seinem Ufer.
E. Udui, resp. Abo oder Uro, erfreut sich in der Gegend unserer
l’assage keinerlei Baum wuchses, wie solcher seinen Oberlauf, in welchem
die Dümpalme gedeiht, desto häufiger, zieren soll. Er ist eines der
bedeutendsten Flussthäler und Populations- Centren Tibesti’s, dessen
eigentliches Territorium wir somit betreten hatten. Nahe unserem
Lagerplätze vereinigte sich, von Ostsüdosten kommend, der ansehn-
liche E. Aru mit ihm, der in gleicher Weise reich an Vegetation
zu sein schien.
Als wir am nächsten Morgen vor Sonnenaufgang unseren Weg
längs des Südufers des Aru in ostsüdöstlicher Richtung fortsetzten,
hatten wir den nördlichen Theil des Gebirges von Tibesti vor uns.
Derselbe erschien als Kette, deren nördlichster für uns sichtbarer
Punkt ostnordöstlich von uns lag und dem Ursprung des Flusses
Aräbu entsprechen sollte. Von diesem aus konnten wir die Berge
nach Südosten mit den Augen verfolgen bis zu einer Stelle des Hori-
zontes, auf die unsere Wegrichtung zuführte, und an der die höchste
Erhebung Tibesti’s, Emi Tusidde, liegen sollte. Dieser, der sich auf
dem Hauptknotenpunkte des Gebirges, dem Tarso, erhebt, verlor sich
für uns in dem Schleier der gewöhnlichen Morgenbeleuchtung.
Wir marschirten nur drei Stunden in der angegebenen Ostsüd-
ostrichtung auf dem Südufer des Aru und rasteten dann vor unserer
Trennung von ihm, um unsere Thiere noch einige Stunden in seinem
üppigen Krautwuchs schwelgen zu lassen. Dann wurde unsere
Richtung eine südöstliche; der Weg führte über kiesiges, vegetations-
loses Terrain auf eine Reihe kuppelförmiger Felsaufsprünge zu,
Namens Kenemtuen, deren nordöstlichsten wir nach drei Stunden
erreichten, und von hier aus in derselben Zeit zum massigen Emi
Buddai, an dessen Südostfusse wir nächtigten. Bevor wir denselben
erreichten, hatte ich bei der klaren Abendbeleuchtung die freudige
Ucbcrraschung, meine Erwartungen von Tarso und Tusidde bei
Weitem übertroffen zu sehen.
Man ist bei den Bewohnern jener Länder so an Uebertreibungcn
gewöhnt, dass die von irgend einem Gegenstände, einer Ortschaft,
einem E'lussc, einem Berge gehegten Erwartungen des Reisenden
gewöhnlich getauscht werden. Der l'elsen hatte ich seit dem Tümino
17*
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260
II. BUCH, 2. KAPITEL. UNBEKANNTE GEGENDEN'.
sehr viele gesehen, doch sicherlich erhob sich keiner von ihnen höher
als 150 M. über die Ebene; und die oft wiederholte Aussage der Ein-
geborenen von Tibesti, wonach ihre Berge so hoch seien, dass dem
nach der Spitze Schauenden der Tarbüsch nach hinten vom Kopfe
falle, war zwar vollkommen richtig, doch weniger in Folge der Höhe,
als vielmehr wegen der Steilheit der Felsen. Gefasst auf eine ähnliche
Enttäuschung suchte ich, lange nachdem die Umrisse des mächtigen
Berges für meine Begleiter sichtbar geworden waren, am Horizonte
vergeblich nach ihm, indem ich sein Auftreten innerhalb der bläu-
lichen F'ärbung erwartete, die schon ihm selbst angehörte. Ueber-
rascht erkannte ich meinen Irrthum. Vor mir lag wirklich ein massiger
Berg, der, wohl einige tausend Meter hoch, einen grossen Theil des
östlichen Horizontes einnahm. Von dem Emi Buddai aus gesehen war
er ein riesiger Kegel, der aber nach der Erläuterung meiner Gefährten
in zwei Theile zerfiel : die mächtige Basis, den weithin ausgedehnten
Tarso, und den auf ihm thronenden Kegel Tusidde. Dieser letztere,
der höchste Punkt des eigentlichen Tibesti, lag anderthalb Tage-
reisen von uns entfernt, und an ihm vorüber führt der Weg über
den Rücken des Tarso nach dem hauptsächlichsten Bevölkerungs-Cen-
trum des östlichen Landestheiles, Bardai.
Auch am 12. Juli behielten wir die Südostrichtung bei, kamen
an einem Hügel vorüber, aus dem Eisenerde gewonnen wird, und
der deswegen Emi Asebüta (von Asebu oder Asu, das Eisen) heisst,
durchschritten den E. Lobbono, der von Ausläufern des Tarso kommend
sich nach Südwesten senkt, befanden uns nach einigen Marschstunden
am westlichen Fusse des Aterkelluli-Felsens und zogen durch eine wüste,
steinige Ebene, welche von den drei Flussbetten Namens Kjauno durch-
schnitten wird. Diese haben dort, wo unser Weg sie schnitt, eine süd-
liche Richtung, wenden sich aber dann nach Westen gegen eine Gruppe
von schroffen Felsen Namens Mezdn, welche mehrere Stunden südsüd-
westlich vom Aterkelluli-Felsen liegen. In der Nähe der ersteren ver-
einigen sie sich und nehmen von Norden her den E. Lobbono, ein
vom Aterkelluli - Felsen entspringendes Rinnsal und verschiedene
andere auf, welche wir auf unserem Nachmittagsmarsche noch zu
passiren hatten.
Der Baumwuchs ist in den Kjaunobetten reichlicher als in den
vorhergenannten, und es tritt zu den früheren Akazien ein mittelhoher,
knorriger Baum, dessen dichtes Astgewirr, im Missverhältniss zu dem
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261
DER TARSO MIT AUSLÄUFERN UNI» AUFI.ÜSSEN.
spärlichen Laube und den kleinen Blättchen stehend, oft hinreicht, um
den dichtesten Schatten zu bilden. Derselbe hat stumpfe Stacheln
anstatt der spitzen und widerstandsfähigen der Sajälakazie und des
Qarad, wird von den Arabern Scrrah und von den Tedä Arkenno
oder Arkcn genannt und ist eine Maerua. Auch die Calotropis
procera — Oschar arab., Täso ted. — tritt hier in grösserer Menge
auf, die Dümpalme wird häufiger gesehen, und unter den Gräsern
Osclwtr arab. (CAlotrupu procera}.
waltet das hohe, verästelte Knotengras Panicum turgidum Bu
Rukba arab., Gumeschi ted. — vor.
Wir rasteten während der heissesten Tagesstunden in dem zweiten
Kjaunobette, brachen frühzeitig am Nachmittag wieder auf, berührten
das westliche Ende des Nanagamma, eines niedrigen Eelsausläufers
der Centralkette, der wir uns mehr und mehr genähert hatten, und
stiessen nach einigen Stunden auf den ausgetretenen Pfad, der von Abo
nach den südlicheren Wohnsitzen Tibesti's führt. Wir folgten dem
hier südlichen Verlaufe desselben, bis wir nach Passage des Fluss-
bettchens Tollobu, das dem Systeme des Kjauno angehört, den Emi
Mini erreichten. Dieser Gcbirgsstock hat seine Hauptrichtung von
Ost nach West, schlicsst sich an die Ccntralkette und birgt in
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262
II. BUCH, 2. KAPITEL. UNBEKANNTE CEC.ENDEN.
seinem Innern einen wirklichen Brunnen Namens Gaesko oder An-
gasko. Wir wanden uns von seiner westlichen Peripherie durch das
Innere, fanden zwar den Brunnen verschüttet, doch Wasser genug
in den Rissen und Höhlungen seiner Felsen, um die Thiere tränken
zu können, und stiesscn jenseits desselben auf den aus ihm ent-
springenden E. Mini. Dieser hat ein scharfgeschnittenes, steiniges
Bett und gehört ebenfalls den Kjaunofiüssen an. Auf seinen Ufern
fanden wirSpuren menschlicher Thätigkeit aus der jüngsten Zeit in Ge-
stalt kleiner, aus übereinander gelegten Steinen errichteter Huttchen,
welche den Leuten zur Aufbewahrung ihrer Schaf- und Ziegenlämmer
dienen. Bald darauf lagerten wir in einem Flussbette, das, da es
nicht bewohnt war und keiner besonders hervortretenden Felsgruppe
seinen Ursprung verdankt, keinen bestimmten Namen zu haben
schien. Dasselbe wendet sich auch zum Kjauno, an der westlich von
uns gelegenen Gebirgsgruppe Bono'i vorüber und aus dieser ein Rinnsal
aufnehmend. Seit wir den am Rande des Hauptgebirges sich nach
Süden ziehenden, betretenen Weg erreicht, uns also dem südwest-
lichen Fusse des Tarso am meisten genähert hatten, lag der bisherige
Felsboden der Ebene nicht mehr zu Tage, sondern diese war bedeckt
mit einem ausserordentlich leichten, mit grösseren und kleineren
Poren versehenen Gestein, das meist weiss- oder gelbgrau, zuweilen
auch gelb, roth oder braun war und in breiten und oft hohen Wellen
dem Felsboden auflag. Dasselbe sollte nach den Aussagen meiner
Begleiter den ganzen Tarso einhüllen.
Am 13. Juli mussten wir Täo, eines der Hauptthäler Tibesti's, den
ursprünglichen Sitz vieler edler Familien des Landes, erreichen.
Wir setzten unsern Weg in südlicher, dem Hauptgebirge, dessen
Ausläufer wir wiederholt berührten, fast paralleler Richtung fort.
Die an diesem Tage überschrittenen Abflussrinnen des Gebirges
vereinigen sich mit den beiden speciell Täo angehörenden zu einem
Flussbette, das mit dem weiter südlich verlaufenden E. Zuär den
E. Durso bildet, welcher sich bald darauf nach Westen in der Ebene
verliert. Zunächst passirten wir das Wasserbettchen Kedän, Hessen
eine von Nordost nach Südwest gerichtete Reihe von sieben Felsen
Namens Sosobschi östlich am Wege, während wir die nach Westen
sich senkenden, zu ihnen gehörenden Rinnsale gleichen Namens über-
schritten, und hielten uns zwischen dem Central- Gebirge und einer
diesem parallelen Kette steiler Felsen Namens Angrän, bis nach
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ANKUNFT IN TÄO.
263
einigen Stunden die regelmässige Anordnung des ersteren unter-
brochen schien. Der südliche Abfall des Tarso erreicht hier die Ebene,
und der Gebirgsstock schien sich nicht als zusammenhängende Kette
nach Süden fortzusetzen, sondern sich mehr nach Südosten zu wenden.
Mit der Annäherung an das Gebirgs- Centrum waren in den
passirten Schluchten und Thälern die Spuren thicrischen Lebens
zahlreicher geworden. Grosse Paviane, der Wadän, die Hyäne, ver-
schiedene Antilopen, der Fenck, der Strauss waren offenbar zahlreich
vertretene Bewohner der Gegend.
Während wir noch am frühen Morgen die Ebene der Flussbetten
Täo, von denen das nördliche, E. Dommädo, die an diesem Tage
überschrittenen Wasserbetten aufnimmt, betraten, hatten wir im Süd-
westen die schönen Umrisse des Emi Sercndibc. Der Dommädo ist ver-
hältnismässig reich bcholzt mit Akazien, dem Arkenno, dem Üschar und
einem anderen starkästigen Stachelbaume Namens Tärik und sollte in
seinem östlichsten Theile eine lebendige Quelle und einige Dattelbäumc
haben. Zwischen ihm und dem Dausädo, dem zweiten Flussbette Täo's,
das eine Anzahl südlich von ihm entspringender Rinnsale sammelt, liegt
etwa eine Stunde felsigen und thonigen Terrains. Sobald wir den
Dommädo überschritten hatten, brachten die frischen Fussspuren eines
einzelnen Menschen sichtliche Zeichen von Unruhe bei meinen Be-
gleitern hervor, ein Umstand, der mir für Täo keine ausgedehnte
Bekanntschaft mit den Eingeborenen in Aussicht stellte, von deren
Existenz uns in der That trotz der Nähe der Ortschaft noch keine
Spur zu Gesicht gekommen war.
Alsbald zeigte sich der wahrscheinliche Urheber der Kusspuren
und näherte sich uns, hoch zu Kameel, langsam und vorsichtig. Sorg-
fältig zog er den Litliam über die Nase, und es folgte die übliche,
endlose Begrüssungs-Ceremonie, welche meine Begleiter dieses Mal
stehend durchmachten, da der Fremdling beritten war. Dieser stellte
sich sogleich als ein naher Verwandter Bü Ze'id’s heraus, hiess
Galma, war der Sohn Selemma's und hatte den grössten Theil seiner
Jugend in F'ezzän zugebracht, von wo er meinem alten Mohammed
wohl bekannt war. Da er in Folge dessen mit der arabischen
Sprache vertraut war, so konnte die Unterhaltung grösstentheils in
dieser geführt werden und ich mich an derselben betheiligen. Galma
war, wie er behauptete, im Begriff gewesen, nach Fezzän abzureisen,
entschloss sich aber alsbald, einstweilen diesen Plan aufzugeben,
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264 II. BUCH, 2. KAPITEL. UNBEKANNTE GEGENDEN.
um dem so ungewöhnlichen und hochstehenden Fremdling, welcher
mit seinem Vetter ins Land gekommen sei, als Beschützer und
Begleiter zu dienen. Ich beurthcilte diese scheinbar wohlwollende
Absicht mit Recht als eine Speculation auf meine Habe und suchte
die Begleitung abzulehnen. Doch Bü Zeid wollte sich diese Gelegen-
heit, seinem Verwandten gefällig zu sein, nicht entgehen lassen und
rühmte den Einfluss und die Ortskcnntniss desselben in Tibesti und
Borkü so sehr, dass ich im Hinblick auf meine geringen Erfahrungen
und meine Unkenntniss der Landessprache mich bestimmen liess, ihn
wenigstens nicht ganz zurückzuweisen. Meine Willfährigkeit wurde
bald hart bestraft und bereitete mir manche unangenehme Stunde.
Galma war über Mittelgrösse, schlank und mager, wie die meisten
seiner Landsleute, von massig dunkler, in s Gelbliche spielender Haut-
farbe und hatte eine platte, herabhängende Nase, einen grossen Mund
mit dicken Lippen, ein empor strebendes Kinn und einen lauernden
Blick, der seiner Physiognomie einen höchst widerwärtigen Ausdruck
verlieh. Er war begleitet von einer Tante Namens Kintäfo, einer Frau
von circa fünfzig Jahren und intelligentem Aussehen, welche nach der
Weise ihrer Landsleute, trotz ihrer edlen Herkunft und ihres verhält-
nissmässigen Wohlstandes, den Bui Mohammed bezeugen konnte, ein
ärmliches Aeussere zur Schau trug. Sie besass zwar ein wirkliches
Hemde aus blau gefärbtem Cham, doch dasselbe war äusserst zerfetzt
und schmutzig, und ihr Schultershawl aus demselben Stoffe war in
keinem besseren Zustande. Sie selbst war von gclbgraucr Haut-
farbung, wie Galma, mittlerer Grösse, cbenniässigem Wüchse, fein
geformten Gliedmaassen, stolzer, freier Haltung und hatte einen
weiten, männlichen Schritt. Ausser den wunderbar zierlich geformten
Händen und Füssen hatte sie nichts Feines und Weibliches an sich.
Wie sie den Gang eines Mannes hatte, so kaute sie auch Tabak mit
der Virtuosität eines solchen und spritzte den grünlichen Speichel
mit einer Kraft und Sicherheit durch die Zahnlücken, wie es einem
alten Matrosen Ehre gemacht haben würde. Ausser ihr war noch
eine andere Tubu-Frau anwesend, welche sich nur unwesentlich von
ihr unterschied, und Beide waren mit Galma und ihren Sclaven vor-
läufig die einzigen Bewohner des weit und breit bekannten Haupt-
ortes in Tibesti.
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Drittes Kapitel.
TÄO UND ZUÄR.
Verschiedene Arten der Behausungen. — Ursache der augenblicklichen Entvölkerung Täo’s.
— EmährungsverhäUnisse der TedÄ. — Bardat zur Erntezeit. — Ankunft von
Qatruner Kauften ten. — Reise nach dem E. Zudr. — Unliebsame Nachrichten von
dort. — Ebene von Zudr- Kai. — BcgrÜssung der dortigen Edelleutc. — Ver-
handlungen über den Durchgangs/oll. — Der edle Dirküi und der Sprecher Dcrde-
kore. — Reise den E. Zudr aufwärts. — Vegetation und Thierleben. — Wasser-
verhältnisse. — Ankunft und Aufnahme bei den Zudr- Edlen. — Neue Gefahr und
eiliger Rückzug. — E. Zug und das Wasserreservoir Kauerdd. — Häusliche Stellung
der Tubu- Krauen. — Rückkehr nach Tdo. — Unverschämtes Betragen Galma’s. —
Absendung Bu Zctd’s nach Bardai. — Abreise der Qatrüner nach ßorkft. — Ent-
führung Bui Mohammed s und Befreiung desselben. — Traurige Zeit. — Schmarotzer
und Räuber. — Ankunft Arlmi's. — Hunger und Sorge. — Bü Zeid kommt nicht
zurück. — Traurige Nachrichten aus Bardai. — Bote mit Einladung dorthin. — Vor-
bereitungen zur Abreise,
Die verlassenen Hütten, in deren Nähe wir zu Täo unser Lager
aufgcschlagcn hatten, waren jene Mattenhütten, welche ich in Hachi
und Tedscherri kennen gelernt hatte. Starke, i'/a bis 2 M. hohe, mög-
lichst grade Aeste der Sajalakazie werden im Boden befestigt und so
angeordnet, dass der eingeschlossene Raum ein Rechteck von etwa
31/;} M. Länge und 2 M. Tiefe darstellt. Parallel den Langseiten
läuft in der Mitte des Raumes eine andere Reihe von Stäben, welche
bestimmt ist, die Mitte des Mattendaches zu tragen. Dieses letztere
fallt mit geringer Neigung nach den Langseiten zu ab, da die Mittcl-
reihe der Stäbe die seitlichen um ein Geringes an Höhe übertrifft.
Die oberen Enden der Stangen sind untereinander durch Querstäbe
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266 II. BUCH, ,V KAPITEL. TAO UND ZUAR.
vereinigt, die mit Stricken aus Lif oder aus Blattfasern der Düm-
palme an jenen befestigt werden, und das Ganze ist dicht mit Matten
bedeckt und behängt. Nur an dem Ende der einen Langseite des
Rechtecks lässt man eine Ocffnung, welche als Thiit^ und Fenster
dient. Eine derartige Behausung macht den Eindruck einer etwas
grossen Hundehütte, und die, wenigstens dicht und sorgfältig von
den Frauen geflochtenen, Matten bilden bei aller Einfachheit noch
den kunstvollsten Theil der Contruction.
Ausser diesen Hütten fand ich in den Felsen und Schluchten
herumkletternd noch zahlreiche, isolirte und versteckte Behausungen
anderer Art, welche jedoch ebenfalls grosscntheils verlassen waren.
Die primitivsten derselben bestanden einfach in den natürlichen
Höhlen der Felsen, und es sind wohl diese, welche den Bewohnern
der Gegend schon im Alterthume den Beinamen der Höhlenbewohner
verschafft haben. Dank der Unzahl von Felsblöcken, ihrer Massig-
keit und der Mannichfaltigkeit ihrer Anordnung sind diese Höhlen-
wohnungen nicht selten ausgezeichnet geschützt gegen Sonne und
Regen, äusserst bequem, erfordern nicht die geringste Nachhülfe
durch die Kunst und sind so versteckt, wie es der heimliche und miss-
trauische Charakter der Bewohner und ihre Furcht vor Ueberfallen
wünschenswerth machen. An Einfachheit diesen zunächst stehen die-
jenigen Wohnungen, welche aus den grossen, überall sich findenden,
unregelmässig geformten Steinen construirt sind. Man legt diese in
kreisförmiger Anordnung über einander, ohne sic jedoch durch Lehm
oder Thonerde zu einer wirklichen Wand zu verbinden, und lässt
eine kleine Thüröffnung. Die kreisförmige Seitenwandung erreicht
eine Höhe von i'/j bis 2 M. und erhält meistens ein Dach aus Aesten
der Sajälakazie oder aus Palmenblättern, das dann gewöhnlich in
der Mitte der Hütte durch einen soliden und geraden Baumast ge-
stützt wird. Bietet ein geeigneter, überhängender Felsen die Gelegen-
heit, so lehnt man eine halbkreisförmige Steincinfriedigung dieser Art
an ihn, und hat nicht nöthig, dieselbe mit einem Dache zu versehen.
Diese Steinhütten liegen vereinzelt und oft in grosser Entfernung von
einander auf den Abhängen und in den Schluchten, und wenn diese Zer-
streutheit einerseits die natürliche Folge von der Vertheilung der Regen-
wasserbehälter in den Felsen sein mag, so hat sie andrerseits gewiss
ihren Grund in dem Bestreben der Tubu, sich möglichst von Anderen
abzuschliessen , und das ist wieder eine natürliche Folge der Heim-
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WOHNUNGEN UND F.KNAHRUNGSVERHALTNISSF. DER TEDA. 2fi7
lichkeit ihres Wesens, der Treulosigkeit ihres Charakters und ihrer
Furcht vor Feinden.
Die Ursache für die augenblickliche Entvölkerung Täo's lag in
der Jahreszeit und den schwierigen Ernährungsverhältnissen des
Landes. Die südwestlichen Abhänge des centralen Gebirges, also
die südwestliche Hälfte der ganzen Landschaft Tibesti, bringt nicht
einmal zur dürftigsten Ernährung ihrer spärlichen Einwohner genug
hervor. Die armselige Vegetation der Felsschluchten und Fluss-
thaler ist es, welche ihnen mittelbar oder unmittelbar zur Existenz
verhelfen, muss. Ohne sie würde das Land unbewohnbar sein, denn
jede Anlage von Gärten zur Cultur von Getreide, Datteln oder Ge-
müse wird ihnen durch die gänzliche Abwesenheit von Bodenwasser
unmöglich gemacht. Wenn im Sommer und Herbst nach den Regen-
fallen, die in keinem Jahre gänzlich fehlen, die Futterkräuter sprossen
und grünen, und sich die Bäume mit frischem Laube schmücken, so
finden Kameele und Ziegen die Mittel zu einer reichlichen Milch*
secretion, und so lange diese anhält, bildet die Milch eins der haupt-
sächlichsten Nahrungsmittel der Tubu Reschäde. Zu gleicher Zeit
reifen die Saamenkörner des schon genannten Knotengrases (Pankum
turgiduin) und werden als Getreidekörner behandelt und verwerthet.
Wenn weder Kameele noch Ziegen Milch geben, und das Mehl
des genannten Grassaamens verzehrt ist, so beginnt eine lange,
trostlose Zeit, während welcher die Dümfrucht in ihre Rechte tritt
und einen unverdienten Platz unter den menschlichen Nahrungsmitteln
erhält. Selbst die so entsagungsfähigen Tubu gestehen, dass der
ausschliessliche Genuss der Dümfrucht nur sehr kurze Zeit das Leben
zu fristen im Stande sei.
ln dieser trostlosen Periode befand sich das Land gerade bei
unserer Ankunft. Wenn man in stiller Sommernacht das melan-
cholisch regelmässige Klopfen der harten Frucht hörte, deren Rinden-
substanz mit einem unverhältnissmässigen Aufwande von Zeit und
Kraft durch einen Stein erweicht oder pulverisirt werden muss, so
wusste man, dass der Hunger in den Eingeweiden des emsigen
Klopfers wühlte, und dass nur ein kümmerlicher Erfolg seine Geduld
belohnte. Ausser den Grassaamen der Wildniss sucht sich zwar Jeder
noch etwas Getreide aus den Theilen des Landes, in denen Boden-
wasser den Gartenbau ermöglicht, oder aus Fezzan zu verschaffen, denn
auch in Tibesti wird Getreidenahrung als die wünschenswert beste
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268
M. BUCH, 3. KAPITET.. rAo UND ZUÄK.
Grundlage der Ernährung betrachtet; doch im Sommer ist der spär-
liche Vorrath längst erschöpft.
Zum Genüsse des Fleisches ihrer Hausthiere entschliessen sich
die Tubu trotzdem nur bei aussergewöhnlichen Gelegenheiten und
zwingenden Festlichkeiten. Für gewöhnlich liegt Fleischnahrung so
sehr ausserhalb ihrer Gewohnheiten, dass sie selbst bei lebhaftem
Hunger nicht daran denken, eine ihrer zahlreichen Ziegen zu schlach-
ten. Ist ein Kameel durch Krankheit oder Erschöpfung seinem Ende
nahe, so tödten sie cs vorschriftsmässig, trocknen das in Scheiben und
Streifen geschnittene F'leisch an der Sonne und leben eine Zeit lang
von demselben. Da dies begreiflicherweise gewöhnlich altersgraue,
abgetriebene oder durch Krankheit erschöpfte Thiere sind, so zeich-
net sich ihr Fleisch nicht gerade durch Zartheit und Saftigkeit aus,
und der Tubu-Mann bewaffnet sich daher zu der ungewohnten Kost mit
einem Steine, mit dem er Fleisch, Sehnen und Knochen so lange
auf harter Grundlage bearbeitet, bis sie kaubar oder verschluckbar
geworden sind. Das gedörrte Kamcelfleisch — der angedeutete
Proccss vollzieht sich bei der hohen Temperatur und der Trocken-
heit der Atmosphäre mit grosser Schnelligkeit — wird meistens unge-
kocht verzehrt und gefiel mir in diesem Zustande gar nicht übel.
Um eine Ziege zu schlachten, muss schon eine Hochzeit, eine Be-
schneidung oder ein ähnliches, wichtiges Familienfest vorliegcn. Das
frische Fleisch wird als grosser Leckerbissen betrachtet und selbst
bei zarter Beschaffenheit mit Hülfe der Steine verzehrt, um desto
sicherer die schwerverdaulichen Bestandteile, wie Bindegewebe,
Sehnen, Bänder und Knochen, mit zur Verwertung zu bringen.
Einen grösseren Vorrath haben sie oft von Datteln eingelegt,
welche in einigen Thälern, vorzüglich im Osten des Landes, spärlich
gedeihen; doch im Sommer ist derselbe ebenfalls aufgezehrt, und
Alles erwartet dann, in der geschilderten, unzulänglichen Weise die
Existenz fristend, den Spätsommer und Herbst. Zu dieser Zeit werden
Datteln und Getreide geerntet, sowohl in einigen Theilen Tibesti’s als
in den Nachbarländern, und Alle ziehen aus, um sich gegen Kameele,
Schaafc, Ziegen oder Felle den nötigsten Vorrath einzutauschen.
Die Einen wenden sich in die bevorzugten Thäler des eigenen Landes,
Andere nach Fezzän, noch Andere nach Kawär, das von Landsleuten
bewohnt ist, oder nach dem benachbarten Borkü. Kawär und Borkü
sind weniger geeignet, zum Zwecke friedlicher Verproviantirung von
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PERIODISCHE ENTVÖLKERUNG DER WESTLICHEN THAl.KR. 2t>9
den Tibesti-Leuten besucht zu werden: das Erstere, weil es zu oft
von den räuberischen Auläd Solimän und ihren Bundesgenossen aus
Käncm heimgesucht und gebrandschatzt wird, das Letztere, weil es
gänzlich in den Händen der genannten Araber ist, und seine Nomaden-
stämme den Tubu Reschäde keineswegs freundlich gesinnt sind.
Selbst Fezzän war für diese damals kein Land des Friedens, weniger
freilich durch ihre Schuld, als in Folge der ungerechten Ueberfalle
der tripolitanischcn Araber. Man war also vorzugsweise auf das
eigene Land, und zwar hauptsächlich auf den nordöstlichen Thcil
desselben, angewiesen. Bardai war nach der Aussage meiner Be-
gleiter das einzige Thal mit ausgedehnter Dattelpalmenzucht und
Gartenkultur, und hatte regelmässige Ortschaften mit einer verhältniss-
mässig zahlreichen Einwohnerschaft, welche zu keiner Jahreszeit den
häuslichen Heerd verliess.
Obgleich die gerade reifenden Datteln noch nicht zur Ernte
bereit sein konnten, so waren doch schon viele Leute aus den süd-
westlichen Thälern nach Bardai gewrandert, selbst wenn sie dort
nicht selbst Dattelbäume besassen. Auch in Tibesti nämlich hat
die F'ezzäner Sitte, welche, so lange die Datteln nicht schnittreif
sind, Jedem das Recht giebt, reife Früchte zum Genüsse an Ort
und Stelle zu pflücken oder aufzulesen, Kraft des Gesetzes. Nach
Hause tragen darf er freilich dieselben nicht. Andere bereiteten
ihre Uebersiedelung nach Bardai vor, und wie Galma berichtete,
beabsichtigten der Dardai Tafertemi und die meisten der angesehenen
Mainas des E. Zuär ebenfalls in allernächster Zeit ihre Herbst-
quartiere daselbst aufzuschlagen. Wollte ich also diese Herren noch
in Zuär treffen, so war Eile nöthig, und auf das Anerbieten Galma’s
schickte ich sofort seinen Sclaven zur genaueren Berichterstattung
voraus. Obgleich wir anfangs die Absicht gehabt hatten, die Rück-
kehr desselben in Täo abzuwarten, so entschloss ich mich doch, ihm
noch selbigen Tages zu folgen, da ich für den Fall, dass Niemand
mehr dort weilen sollte, fürchtete, später an dem Besuche dieses her-
vorragenden Thaies behindert zu werden. Diese Besorgniss erwies
sich später als durchaus gerechtfertigt, denn von Bardai aus richte-
ten sich alle meine Gedanken nur auf den Heimweg, und würde ich
Zuar nie haben besuchen können. Da aber am Vormittage (14. Juli)
zwei Qatrüner Muräbidija — der Eine von ihnen war mein alter Be-
kannter Ali aus Baclu ankamen, welche, kurz vor Täo lagernd,
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I!. BUCH, _J. KAPITEL. TAO UND ZUAR.
ihr Kameel verloren und das Gepäck desselben zurtickgelassen hatten,
so mussten wir ihnen ein Thier zur Herbeischaflfung des letzteren
leihen und konnten erst am späten Nachmittag aufbrechen.
Nachdem wir einen südwestlichen Ausläufer der centralen Ge-
birgsmasse, Namens Kuzungru umgangen hatten, überschritten wir
den gleichnamigen Abfluss desselben,, der zum E. Dausädo geht,
und hatten hier die schön geformte Felsenkette Serendibc westnord-
westlich in der Entfernung einiger Stunden vor uns. Wir begegneten
um diese Zeit drei Einwohnern des E. Zuär, welche die Nachricht
brachten, dass nur noch vier gewichtige Edelleute dort seien, Tafer-
temi aber das Thal bereits verlassen habe. Wir Hessen uns jedoch
durch diesen Umstand nicht von der Fortsetzung unseres Weges ab-
halten, überschritten bald darauf den E. Sabön, passirten eine Boden-
abflachung mit Vegetation Namens Sarakung und lagerten im E. Ka-
zanei, der, wie der vorhergenannte, von Ostsüdost nach Westnord-
west zum Dausado geht.
Schon hier begann der mir von Anfang an widerwärtige und
verdächtige Galma mich mit den unverschämtesten Betteleien zu
quälen, welche er hauptsächlich darauf begründete, dass er der Chef
des illüstren Geschlechtes der Gunda sei. In der That theilten sich
in früheren Zeiten die Gunda und die Tomäghera in die Häuptling-
schaft, und wenn die letzteren jetzt allein Anspruch auf die Herrschaft
haben — auch Tafertömi gehörte dieser Familie an , so theilen sich
doch die Repräsentanten Beider der Sitte gemäss in die ausserge-
wöhnlichen Einkünfte, die Geschenke von Reisenden und die Ab-
gaben von Karawanen. Obgleich ich mich Galma gegenüber natür-
lich dahinter zu verschanzen suchte, dass er ohne Zweifel, wenn es
zur Vertheilung der Geschenke kommen würde, seinem Anrechte
entsprechend bedacht werden müsse, so unterlag ich natürlich, wie
gewöhnlich, in der Unterhandlung und musste dieselbe mit dem
Versprechen schliessen, dem Quälgeiste unbeschadet seiner Rechts-
ansprüche eine schwarze Südäntobc zu verabfolgen.
Vor uns entsendete die centrale Gebirgsmasse nach Südwesten
den mächtigen Ausläufer Merda Sodoä, dessen Ueberwindung zum
Zwecke der Wegabkürzung uns und besonders unseren Karneolen
grosse Mühe machte. Erst nach zwei Stunden hatten wir uns müh-
sam durch die Schwierigkeiten des Passes auf seine höchste Erhebung
hinaufgearbeitet, und hinlänglich Gelegenheit gehabt, zu bedauern, dass
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WEG NACH ZUAr-KAI.
271
wir nicht unseren Thieren zu Liebe die zeitraubende Umgehung des
Gebirgszuges in der Ebene vorgezogen hatten. Wenn auch die
Kameele der bergigen Länder beweisen, wie weit diese Thiere es
ini Bergsteigen bringen können, so waren doch die unsrigen, der
Nordküste entsprossen, solchen Schwierigkeiten durchaus nicht ge-
wachsen.
Als wir im Begriffe standen, auf der jenseitigen Seite hinabzu-
steigen, begegneten wir unserem Boten, der, von Zuär kommend,
die erfolgte Abreise Tafertemi's bestätigte und von einer nicht sehr
einladenden Sprache der dort gebliebenen Edlen berichtete. Nach
längerer Ueberlegung, ob es gerathen sei, trotz der unfreundlichen
Stimmung der letzteren unseren Weg fortzusetzen, beschlossen wir,
einen zweiten, und zwar intelligenteren Boten zur Lfnterhandlung
mit jenen abzusenden und seine Rückkehr in der Nähe abzuwarten.
Birsa unterzog sich dieser Mission, %vährend wir gegen Südwesten
eine Strecke hinabstiegen, um im Bette des E. Fisifisi den Erfolg
abzuwarten. Hinabsteigend hatten wir nach Westen hin einen offenen
Blick über die Ebene, durch welche sich die vereinigten Flüsse von
Täo in südwestlicher Richtung gegen den Emi Durso hin wenden,
in dessen Nähe der E. Zuär von Osten her zu ihnen stösst.
Am frühen Nachmittage traf Birsa mit einer günstigeren Antwort
der Herren von Zuär ein, welche uns sogar aus dem Innern des
Thaies bis nach Zuar-Kai (Zuär-Mündung), d. h. dem Orte, an welchem
das Flussthal aus den Felsen in die Ebene hinaustritt, entgegen
kommen wollten. Alsbald brachen wir auf, folgten jedoch dem Merda
Sodod nicht ganz bis zu seinem südwestlichen Ende, sondern fanden
vorher den leicht zu überwindenden Pass AberdPgä, dessen südlicher
Richtung wir folgten. Bevor wir in die jenseitige Ebene hinabstiegen,
welche im Westen und Südwesten offen und übrigens von Bergen ein-
geschlossen war, gewannen wir einen ausgedehnten Blick über die-
selbe. Zahlreiche Flussbetten, die sich als griine Vegetationslinien
aus der Umgebung hervorhoben, durchschnitten sie. In der Mitte
verlief der E. Zuär selbst nach Westen, und östlich von uns ver-
einigten sich von Norden her einige Wasserläufe mit ihm, die wir
noch durchschneiden sollten. Auf der Südseite des Flussthales-
mündete südsüdwestlich von uns sein ansehnlichstes Nebenthal, E.
Suroe, auch Segre und Ziri genannt, nicht weit davon nach Osten
das unbedeutendere Thal T omädema, und gerade südlich von unserem
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n. buch, 3. Kapitel, täo und zuAr.
Standpunkte K. Sugo, dessen Ursprungsberge im fernen Siidosten
erblickt wurden. Dann folgte E. Sogursa, dem der ebenfalls im
Siidosten gelegene gleichnamige Berg Ursprung giebt, und in
der Mitte der weiten Ebene erblickten wir zu beiden Seiten des
E. Zuär selbst die Eelsen Kedroä. Die südlichen Nebenthäler ver-
laufen alle mehr oder weniger von Südost nach Nordwest. In die
Ebene hinabsteigend, überschritten wir in südöstlicher Richtung die
unbedeutenden Flussbetten Iberdasnossen, Kazanei und Kodoä, welche
sämmtlich von Nordost nach Südwest gerichtet sind, und lagerten
nach vierstündigem Nachmittagsmarschc zu Zuär-Kai.
Kaum hatten wir unser Nachtlager aufgeschlagen, als die Edlen
Zuär’s mit ihrem Gefolge, im Ganzen höchstens zwanzig Personen,
erschienen, um mich zu begrüssen. Alle hockten in einem weiten
Bogen vor meinem Zelte nieder, die Lanze, die Wurfspeere und das
Wurfeisen aufrecht in der Hand haltend, das lange, breite Vorder-
arm-Messer durch einen Lederring am Handgelenk befestigt, und
begannen ihre Killahämi's, Ihillas und anderen Begrüssungsformeln,
in welche ich bei der Erwartung der bevorstehenden unliebsamen
Auseinandersetzungen und unvermeidlichen Schwierigkeiten nur mit
massiger Freudigkeit und sicherlich noch geringerer Sachkenntnis
einstimmen konnte. Von mir begaben sie sich zu meinen Leuten,
und stellten diesen mit einer Festigkeit, welche keine Ablehnung
zuliess, das Ansinnen, ihnen den lang entbehrten Genuss eines warmen
Abendessens zu Theil werden zu lassen. Ich stimmte dieser be-
scheidenen Bitte mit grosser Bereitwilligkeit zu, da ich in dem
Augenblicke naiv genug war, zu glauben, dass mein Mohamines den
einzigen Gegenstand ihrer Begehrlichkeit bildete und ihre Gemüther
zur Milde stimmen möchte.
Mit finsteren Blicken sahen ’ Al» und Saad den kostbaren Stoff
in den hungrigen Mäulern der zerlumpten Fkllen verschwinden. In
der That konnte ein derartiger Angriff auf unsere Vorräthe im Wieder-
holungsfälle sehr verderblich werden, denn wer bewies mir, dass die
Aussagen, welche Bardai reichlich mit Datteln und Getreide aus-
statteten, nicht ebenso trügerisches Blendwerk waren, wie das reich-
liche Kameelfutter, das wir südöstlich vom Tümmogebirge hatten
finden sollen? Und wenn ich überhaupt verhindert werden würde,
Bardai zu erreichen? Hier auf dieser Seite der Berge gab es augen-
scheinlich Nichts; wenigstens ging die Gutmüthigkeit eines echten
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DIE EDELLEUTE ZUÄr’s.
273
Herrn des Landes gewiss nicht so weit, mir auch nur gegen Geld
für die aufgezehrten Mengen Ersatz von Mehl zu verschaffen. Doch
was half es: Jedenfalls hoffte ich, mir meine Gäste verpflichtet zu
haben und so von ihrer Seite auf keinen Widerstand gegen meinen
Plan zu stossen, sofort gegen Borkü hin zum E. Marmar, E. Krema
und vielleicht E. Domar aufzubrechen.
Inzwischen hatte ich Müsse, mir diese sonderbaren Edelleute,
die mehr einer Bande verhungerter und zerlumpter Banditen ähnelten,
als einer Versammlung der Vornehmsten ihres Stammes, genauer
anzusehen. Da war zuerst der Aelteste unter ihnen, zugleich aus
dem edelsten Geschlechte, der Maina Dirköl, mit weissgrauem Voll-
barte, von massig dunkler, schmutzig gelber Färbung der Haut und
regelmässigen Zügen , einer gewissen Würde und Gutmüthigkeit des
Ausdrucks nicht entbehrend. Neben ihm sass der Maina Derdekore,
ein Mann in bester Mannesblüthc, der sich ebenfalls des unter seinen
Stammcsgenossen seltenen Schmuckes eines respectablen Bartwuchses
erfreute, ein wenig dunkler war als Dirküi, etwas prognathe Gesichts-
bildung und dicke Lippen hatte, und der sich mit seinem unauf-
hörlichen Redeflüsse sehr bald der Wortführung bemächtigte. Wäh-
rend die Genannten von mässiger Mittelgrösse waren, zeichnete sich
Gordoi' oder Gorddmi, auch Konki, d. h. der Kleine, genannt, ein
Neffe Arämi's von väterlicher Seite, durch kleine Statur und zarten
Gliederbau aus. Er hatte ein kleines verschmitztes und verkniffenes
Gesicht und ähnelte dem Vorhergehenden in der Hautfärbung. Der
Letzte war Kcidömi, ein ruhiger, ernster, schweigsamer Mann von
schwarzer Hautfarbe, langem, regelmässigem Gesichte, welcher die
Uebrigen durch seine stolze Gestalt überragte. Alle Uebrigen der
Versammlung waren Verwandte, Klienten und Untergebene, welche
zur Erhöhung des öffentlichen Ansehens und in der dunklen Hoffnung
irgend eines Gewinnes die Maina s begleiteten. Wenn schon Niemand
von der Versammlung wohlgenährt und gutgekleidet genannt zu
werden verdiente, so war das Gefolge in einem so traurigen Zustande
der Fett- und Fleischlosigkeit und der Kleidung so bar, dass es
sich in allen Culturländern dem öffentlichen Mitleide in eindringlicher
Weise empfohlen haben würde. Sie verhielten sich übrigens in
physischer Beziehung ungefähr, wie ihre Gönner.
Am nächsten Morgen erschienen sie schon vor Tagesanbruch
wieder, um die genussreichen Bestrebungen, ihren Ernährungszustand
N*cbligai. I
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II. BUCH, 3. KAPITEL. TAo UND ZUAR.
auf meine Kosten zu verbessern, von Neuem zu bethätigen. Moham-
med el-Qatrüni, der die Mundvorräthc verwaltete und die Eigenschaft
hatte, für seine Person wenig zu bedürfen oder wenigstens sehr ent-
sagungsfähig zu sein und Andern gern und viel mitzutheilen, griff
bedenklich tief in unsere Vorrathssäcke ein und offerirte den aus-
gehungerten Organismen ein Frühstück, das ebenso reichlich war,
als die bereits geopferte Abendmahlzeit. First als sie den Ver-
dauungsprocess begonnen hatten und vielleicht zur Förderung des-
selben gaben sie sich der angenehmen Aufregung anderer Recla-
mationen hin und erkundigten sich in höchst natürlicher und selbst-
verständlicher Weise, wie es mit ihrem „Rechte", dem „Rechte ihres
Thaies", d. h. dem ihnen zu entrichtenden Durchgangszolle, stände.
Jetzt begann ein Wortkampf, der von Sonnenaufgang bis zur Zeit
der ’Ascha (anderthalb Stunden nach Sonnenuntergang) dauerte und
natürlich mit meiner Niederlage endigte.
Die feindliche Partei verliess das friedliche Terrain gemeinsamer
culinarischer Bestrebungen und zog sich in ein Gebüsch von Siwak-
Sträuchern (Salvadora persica), die im Zuär-Thale zuerst und zwar
in grosser Menge auftraten, zurück. Dieser Rückzug ist charakte-
ristisch für die Tubu- Sitten und entspricht ganz dem Princip der
Isolirung und Heimlichkeit, nach dem Jeder auf der Reise einem
Landsmanne auszuweichen sucht und in der Heimath seine Hütte
so fern als möglich von der des Nachbarn errichtet.
Meine Advokaten waren Galma, Birsa und Bü Zei'd. Die gänz-
liche Unzulänglichkeit des Edlen Kolokömi erhellte hier zum ersten
Male auf das Klarste. Man schob ihn, ohne ein Wort zu verlieren,
einfach bei Seite, und von Stunde an ward er im Rathe des Volkes
oder seiner Standesgenossen nicht mehr gehört. Anerbietungen meiner-
seits von kleinen vorläufigen Geschenken wurden gemacht und zurück-
gewiesen, andere discutirt, angenommen, ausgeführt und rückgängig
gemacht. Das Schlimmste war, dass sich durch irgend eine Indiscretion
das Gerücht von den grossen Summen verbreitet hatte, 'welche
meinen officiellen Begleitern Kolokömi und Bü Ze'id ausgezahlt und
versprochen worden waren. Wenn ein Mann ohne alles Ansehen, wie
der Erstere war, 80 Thaler erhielt, wie viel durfte dann ein Maina
von edelstem Blute und persönlichem Ansehen beanspruchen?
Dies gab den Anlass zur Discutirung der Motive meines Kommens
überhaupt. Bisher war kein Christ in das Land gedrungen, und man
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VERHANnM'NGEN I BER DAS DURCHZUGSRECHT. 275
wünschte keinen in demselben zu sehen. Wer so viel Geld opfere so
folgerten die Leute — , müsse nothwendigerwei.se gewinnsüchtige Plane
verfolgen, denn nur um ihre kahlen Herge und ihre Flussthaler zu
sehen, könne keiner dieser Europäer, die so reich und klug und
machtvoll sein sollten, thöricht genug sein, sich allein in ihr unsicheres
Land, zu ihrem gewaltthätigen Stamme zu wagen. In der weiteren
Forschung nach meinem eigentlichen Zwecke mussten sie freilich ge-
stehen, dass es unbegreiflich sei, was man in ihrem hungerleidigen
Lande suchen könne. Doch diesen Mangel an Verständniss schoben
sie ihrer geringen Kenntniss der Welt und ihrer niedrigen Culturstufe zu,
fest überzeugt, dass die klugen Christen wohl wüssten, welche Schätze
selbst das ferne Tibesti berge. In Bezug auf diese ungeahnten
Reichthümcr ihres Landes nun waren die Meisten der Ansicht, dass
ich der am östlichen Abhange des Tarso befindlichen heissen Quelle,
die mit genereller Tedä - Bezeichnung Jerike genannt wird, der
grössten Merkwürdigkeit ihres Landes, nachstrebte, wahrscheinlich,
weil in derselben Gold oder Silber verborgen sei. Die Verbreitung
der Thatsache, dass ich wiederholt bei den Eingeborenen über diese
Quelle Erkundigungen eingezogen hatte, unterstützte ihre Vermuthung.
Genug, sie waren einig, dass ich mit der Absicht in ihr Land ge-
kommen sei, mich von dem Vorhandensein eines derartigen Schatzes
zu überzeugen und dann mit Hülfe meiner Landsleute sie selbst aus
ihrer Heimath zu vertreiben. Vergebens bot Mohammed aus Qatrün,
ihr halber Landsmann, seine ganze Beredsamkeit auf, um ihnen die
Harmlosigkeit meiner Pläne, die sonderbare und etwas thörichte Vor-
liebe der übrigens so klugen Europäer für zweckloses Umherreisen
zu erklären. Vergebens schwatzte Galma den ganzen Tag; von der
Gefährlichkeit meines Beginnens für sie selbst waren und blieben sie
Alle fest überzeugt. Um so grösser und schwärzer erschien ihnen
aber die Treulosigkeit Kolokömis und Bü Zeid’s, die für schnödes
Geld ihr Vaterland und die Interessen ihrer Stammesgenossen ver-
rathen und verkauft hätten.
Der Sprecher der mir feindlichen Partei war Derdekore. Selten
habe ich eine solche Gewandtheit in der Discussion, eine solche
Redefertigkeit beobachtet, als bei diesem Vertheidiger seiner und
seiner Genossen Interessen. Bui Mohammed konnte nicht immer
schnell genug den Wortlaut der Rede desselben ins Arabische über-
tragen, und in dem Eifer der Debatte entging mir Manches; doch seine
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II. BUCH, 3. KAPITEL. tAO UND ZuAR.
überzeugende Darstellung, seine List, gegnerische Gründe zu über-
gehen oder als nebensächlich zu behandeln, seine Fähigkeit, den
Inhalt einer Gegenrede zu verdrehen, erfüllten mich mit Bewunderung.
Wenn ein Gegner einen Gesichtspunkt besonders betonte, so griff
er mit Lebendigkeit einen andern, der mit jenem gar Nichts zu
thun hatte, auf, spielte die ganze Discussion auf ein anderes Ge-
biet, verwirrte die Köpfe seiner Zuhörer und nahm ihre Zustimmung
im Sturm.
Wenn ich behauptete, die von mir mitgebrachten Geschenke nur
in die Hände des Dardai niederlegen zu können, da dieser am besten
wissen müsse, welche die berechtigten Ansprüche der einzelnen Edel-
leute seien, so antworteten mir die Herren, Tafertemi sei in Bardai, wo-
hin sie nicht gehen würden, und sie selbst kennten am besten ihre eige-
nen Rechte. Der Mangel an Respect, mit dem sie bei dieser Gelegen-
heit ihr Staatsoberhaupt behandelten, erfüllte mich nicht gerade mit
besonderem Vertrauen auf den Schutz, den ich von demselben zu
erwarten hatte. Wenn ich vorschlug, man möge die Briefe, welche
mir der Hadsch Dschäber, dessen berechtigten Einfluss Jeder anzu-
erkennen schien, an den Dardai und die Versammlung der Mainas
mitgegeben habe, einsehen, so erklärten sic, fremde Briefe zu lesen
sei gegen ihre Gewohnheit, und wenn ich, am Ende meiner Geduld,
sie aufforderte, aus meinem Gepäck zu nehmen, was ihnen gut und
recht dünke, da sie die Gewalt hätten, so antworteten sie mit sittlicher
Entrüstung, sie seien keine Räuber.
Vergebens lud ich Derdekore ein, sich durch den Augenschein
von der Menge der von mir zu vertheilenden Gegenstände zu über-
zeugen; er lehnte es als eine Indiscrction ab. Vergebens drohte
ich, aus einem Lande, bei dessen Betreten man mich schon ver-
gewaltigen wolle, sofort abreisen und nach Fezzan zurückkehren zu
wollen. Meine Berechtigung zu diesem Schritte wurde zwar keines-
wegs angefochten, doch in listig zurückhaltender Weise geltend ge-
macht, dass die Ausführung eines solchen Planes ihnen nur zum
Vortheil gereichen würde, da sie mir dann ausserhalb ihrer Wohn-
sitze, nicht gebunden durch die Pflichten der Gastfreundschaft, in
freier Ausübung ihrer Wüstensitten gegenüberstehen würden.
Allerdings hätten wir augenblicklich die Macht gehabt, Alles
rund abzuschlagen und abzurcisen; doch wohin? Auf dem Wege
nach Bardai würden sie gewiss mit Helfershelfern in den centralen
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ERMÜDENDE BESEITIGUNG DER SCHWIERIGKEITEN. H77
Bergen einen Uebcrfall auszuführen nicht unterlassen haben, und wäre
dann einmal Blut zwischen uns geflossen, hätten wir keinesfalls im
Lande bleiben können. Nach der Bornüstrasse und Fezzän zurück-
zukehren war wegen des traurigen Zustandes unserer Kameele kaum
möglich und wegen der soeben von ihnen selbst angedeuteten Perspec-
tive nicht gerathen. Der Mildeste und Traitabelstc schien Gordoi zu
sein, der sich Nachmittags bereit erklärte, mich auch ohne sofortige Aus-
zahlung seines „Rechtes” nach Bardai zu begleiten, um dasselbe dort
in Empfang zu nehmen. Mein natürlicher Advokat Galma war selbst-
verständlich dieser Erklärung ebenfalls beigetreten, doch die Majorität
der übrigen drei blieb unveränderlich bei ihrer Meinung. Nachmit-
tags waren wir schon fast einig über die Auslieferung eines rothen
Tuchburnus, einer schwarzblauen Südäntobe, einer Maqta Cham und
eines Turban, und gegen Abend schienen sie einer Vermehrung
dieser Gegenstände um zwei Turbane weichen zu wollen; doch der
eifrige Derdekore wusste stets wieder eine feindselige Stimmung zu
erzeugen. Endlich um die Zeit der ’Aschä nahmen sie die aufge-
führten Gegenstände und dazu zwei Stücke Cham an, mit der illu-
sorischen Bestimmung einer theilweisen Rückgabe, im Falle mir die
Erlaubniss zum Herumreisen Im Lande verweigert werden sollte,
und damit hatte die ganze Discussion ihr Ende erreicht.
Der unermüdliche Sprecher Derdekore nahm zwar seinen An-
theil an der Erpressung in Cham in Empfang, vertheilte ihn aber so-
fort unter seine Clienten und Untergebenen. Ehrgeiz war das Motiv
dieser Uneigennützigkeit; man sagte, er sei eifersüchtig auf das An-
sehen des mächtigen Animi und suche eine ebenso hervorragende
Stellung unter seinen Landsleuten zu erringen.
Währenddem hatten die Erpresser durchaus nicht vergessen, ihre
Aufmerksamkeit meinem Mohammes zuzuwenden, und es war ihnen
gelungen, während dieser anderthalb Tage eine Lücke in meinen
Vorräthcn zu erzeugen, wie unsere alleinigen Anstrengungen sie nicht
in einer Woche hervorzubringen im Stande gewesen wären. Als sie
sich zur Abreise rüsteten, versicherten sie mich übrigens ihrer Freund-
schaft und ihrer Hülfe für den Fall, dass ich ihre Wohnsitze im
Innern des E. Zuär besuchen würde.
Diese günstige Stimmung meiner mühsam und theuer erworbenen
neuen F'reunde beschloss ich alsbald auszunutzen. Unter Bü Zeid's
Verantwortung und Giuseppe s Uebcrwachung sollten — so bestimmte
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II. HUCH, 3. KAPITEL. TÄO UND ZUÄR.
ich — am folgenden Morgen (17. Juni) Leute, Kameele und Gepäck
nach Täo zurückkehren, während ich selbst mit Hui Mohammed, Sa'ad,
Birsa und einem Kameele dem Zuar-Thale gegen seinen Ursprung hin
folgen würde. Bevor ich diese Absicht jedoch auszufuhren beginnen
konnte, unterlag ich in einem neuen Kampfe gegen Gordoi und Galma.
Der Erstere, welcher sich gestern so milde und zugänglich gezeigt
hatte, kam plötzlich zurück und verlangte, da sein Vorschlag, die
ganze Erledigung der Angelegenheit bis zur Ankunft in Barda'i zu
verschieben, nicht durchgedrungen sei, und ich seinen Collegen ihr
„Recht ausgezahlt habe, ebenfalls den ihm zukommenden Anthcil.
Da auch Bü Zeid, der dadurch schon dem Interesse seines Vetters
Galma vorarbeitete, darauf drang, jenen abzufmden, so lieferte ich
ihm mit schwerem Herzen einen Burnus, einen Tarbüsch und einen
Turban-Shawl aus, wogegen er sich freiwillig erbot, mich zu grösserer
Sicherheit nach Barda'i zu begleiten. Damit war ich dem unver-
schämten Galma natürlich ebenfalls verfallen, obgleich dieser als
aussergewöhnliches Geschenk schon eine indigogefärbte Südäntobe
erhalten hatte. Selbst die Auslieferung ihres Haqq, d. h. Rechtes,
ging nicht ohne Schwierigkeiten von Statten. Burnus, Tarbüsch und
Turban wurden mit der Kritik eines raffinirten Kaufmannes unter-
sucht, für jede kleine Stelle Mottenfrass ein Schadenersatz verlangt,
die Färbung des Tarbüsch oder seine Seidenquaste mangelhaft be-
funden und der Turbanshawl wegen unzureichender Länge beanstandet.
Die Unterhandlungen über die kleinsten Gegenstände nahmen Stunden
in Anspruch.
Endlich konnten wir zu unserer Excursion aufbrechcn und schon
nach einer Viertelstunde betraten wir den eigentlichen Kai (Mund)
des E. Zuär. Ueber 100 Fuss hohe, senkrecht aufstrebende Felsen
engten hier sein Bett bis auf fast 50 Schritte ein, ihm nur einen
schmalen Vegetationssaum von Siwäk und Oschar als Zierde lassend.
Während wir im Sand und Kies des Bettes nach Ostsüdost zogen,
begegneten wir einigen aus dem Zuär-Thale über Tao und den Tarso
nach Barda'i auswandernden Familien, das heisst Frauen mit ihren
Kindern.
Man kann zwar aus dem obersten Laufe des E. Zuär auf einem
kürzeren Wege über die Felsenberge nach Bardai gelangen, doch
diese Passage ist sehr schwierig, und man zieht meistens vor, das
Flussbett nach Westen zu verfolgen, die Felsen zu umgehen und erst
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EXCURSION IN DAS ZCAR- THAL.
279
jenseits Tao über den mächtigen, doch bequem gewölbten Tarso
nach Osten zu reisen.
Die Kinder waren allerliebste Erscheinungen; die kleinsten ritten
zu zweien auf Eseln, welche den spärlichen Hausrath trugen, und
die vier- oder fünfjährigen marschirten schon rüstig und trieben die
Lastthiere an. Alle waren nackt, selbst ein zehn- oder zwölfjähriges
Mädchen, welches doch sonst schon eitel genug war, um das Haar
in den üblichen kleinen Flechten der Erwachsenen zu tragen. Die
Frauen waren mager, dunkelhäutig, nur mit dem langhaarigen, glänzend
schwarzen Fell der oben beschriebenen Schaafe bekleidet, welches,
wenn es allenfalls genügen konnte, ihre Blossen zu bedecken, doch
nicht hinreichte, die skelettartige Magerkeit und die faltige, glanzlose
Haut der alternden Schönen zu verbergen.
Die Einengung des Flussbettes setzt sich auf eine Wegstunde
nach Ostsüdost fort; dann verbreitert sich dasselbe plötzlich zu einem
weiten Kessel, der durch die Einmündung verschiedener Nebenthäler
entsteht, und dessen Mitte von einer ausgedehnten Felsgruppe, Emi
Besär, die sich etwa 300 Fuss hoch erhebt, eingenommen wird. Von
Nordwesten mündet hier E. Tarde, von Südwesten E. Abogr, von
Nordosten E. Mescher ein. Wir verbrachten die Stunden der grössten
Tageshitze am Fusse des Emi Besär in einer prächtig kühlen, gewiss
niemals von einem Sonncnstrahle erreichten Grotte, und ich wollte
mir den Genuss nicht versagen, von der Höhe des Berges einen
Ueberblick über die wilde Felsenlandschaft zu gewinnen. Doch es
gelang mir nicht, eine klare Anschauung von der Anordnung der
Ketten und Gruppen zu erhalten, denn diese verhielten sich einerseits
allzu verschieden in Richtung und Zusammenhang, und andrerseits war
der Berg nicht hoch genug für meinen Zweck. Bergketten und Höhen-
zuge verliefen in jeder Richtung, isolirtc Felsen und combinirte Gruppen
erblickte man überall, und vergebens suchte das Auge die geschlossene
Kette, die wir nördlich von Täo im Osten erblickt hatten.
Auch weiterhin kommt der Zuär aus Ostsüdost, und zwar als ein
stolzes, an vielen Stellen ein Kilometer breites Thal. Eingefasst von
wilden, massigen und dunkelfarbigen Felsen, geschmückt mit reicher
Vegetation, die durch ihr heiteres Grün einen prächtigen Contrast
mit den finsteren Uferhöhen bildet, und in dort seltener Weise mit
Thieren belebt, macht es einen ebenso imponirenden als mannich-
faltigen Eindruck und erfrischt Herz und Sinn nach der langen Wan-
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II. BUCH, 3. KAPITEL. TÄO UND ZUÄR.
derung durch Gegenden, in welchen nur die zerstörenden Gewalten
der Natur gewirkt zu haben scheinen, aber nicht ihre schaffende,
lebenspendende Kraft zum Ausdrucke kommt. Welch’ ein grossartiges
Bild entstand hier, wenn die Einbildungskraft noch die Wassermassen
hinzufügte, welche fast alljährlich, zwar nur vorübergehend, aber um
so mächtiger, durch das Thal brausen und Bäumen und Sträuchern,
Menschen und Thieren Verderben drohen.
Das frische, kräftige Grün der Sajälakazic, das helle, saftige des
Siwäk, das gelbliche des Tundub, das dunkle des Serrah ( Maema ).
das fahle des Oschar bedeckten in mannichfachcn Schattirungen den
Grund des Thaies. Während früher nur Aasgeier und Steppenraben
als Repräsentanten der Vogelwelt, und auch noch selten genug, ge-
sehen worden waren, trug jetzt jede Baumkrone, besonders die der
Akazien, mindestens einige Dutzend jener an dünnen Fäden aufgehäng-
ten Vogelnester, welche ihre niedlichen Bewohner mit der Oeffnung
nach unten und einer seitlichen Ausbuchtung als Wohnung so kunst-
voll zu weben verstehen. Zwischen den Bäumen und Sträuchern
hüpften Gazellen hierhin und dorthin, zuweilen zeigte sich eine Säbcl-
antilope (A. Leucoryx) — Baqar el-Wahschi oder Bii Raqaba arab.*)
•) Baqar el-Wahscht heisst nur wildes Rind, genereller Ausdruck für rinderähnliche
Antilopen bei den Arabern, und der Name Ilu Raqaba, der , .Inhaber des Halses" oder
, , merkwürdig durch seinen Hals" bedeutet, verdankt seine Entstehung der braunen Hals-
und Brustfarbung dieser Antilope.
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PFLANZEN- UNI» THIERLEBEN IM E. ZUAR.
281
und Turin Sode ted. — mit ihrer braunen Hals- und Brustfärbung
und ihren langen, säbelförmig gekrümmten, nach hinten geneigten
Hörnern. Auf den Felsen und Bäumen kletterte dazu ein grosser
Pavian (Cynoccphalus Babuin ?) herum, durch seine dunkle, grünlich
graue Färbung von dem Gestein und von den Baumstämmen kaum
zu unterscheiden. Mit Vorliebe und rastloser Gewandtheit tummelt
er sich besonders in den Sajälakazien, deren Knospen er liebt, ohne
sich vor den zahllosen Stacheln derselben, welche oft eine Länge
von mehreren Zoll erreichen, und spitz, scharf, unnachgiebig sind,
zu scheuen. Die Tubu verfolgen ihn nie, theils weil er sich einer
ansehnlichen Körperkraft erfreut und bei seiner Gewandtheit schwer
einzufangen ist, während sie der Feuerwaffen entbehren, theils, weil
seine Menschenähnlichkeit sie abhält, ihn zu tödten oder gefangen
zu Hause zu halten.
Das für Mensch und Thier unentbehrliche Wasser sammelt sich
in diesem Theile Tibesti's bei den seltenen Regenfallen in natürlichen
Felsencisternen, erhält sich, wenn dieselben geschützt vor der Sonne
sind, in ausgezeichneter Frische und reicht, bei hinlänglicher Ge-
räumigkeit der Behälter, für Jahre hin. Ueber ihnen kreisende Vögel
verrathen Fremden ihre Lage. Das Bodenwasscr fehlt so sehr, dass
auch die Dümpalmc selten ist, und ihre trotz ihres geringen Wcrthes
als Nahrungsmittel unentbehrlichen Früchte von begünstigteren Punkten
hcrbeigeholt werden müssen. Als Ersatz für dieselben müssen die
Beeren des Siwäk dienen, welche allerdings noch weniger als jene
zur Ernährung des Menschen geeignet sind, da sie einen scharfen,
den Darmcanal reizenden Stoff enthalten.
Nachmittags zogen wir in der anmuthigen Umgebung weiter,
an der Mündung des E. Mescher vorüber, der gegenüber im Kessel
eine niedrige Hügelgruppe aus Kalk und Thonschiefer mit Sand-
steinblöcken, Namens Kusüe, liegt, bis ein erfrischender Regen aus
Nordosten uns in den Schutz eines Serrah trieb, dessen dicht ver-
schlungenes Geäst vortrefflichen Schutz gewährte. Nach einstündigem
Weitermarsche passirten wir die Mündung des von Norden kommen-
den E. Tigri, bald darauf die des E. Zug, der von Süden kommt,
und eine weitere Stunde brachte uns zu der Stelle, wo von Norden
her der E. Sudrum einmündet. In dem E. Zug war der Wohnsitz des
widerwärtigen Gordo'i, der uns demzufolge verliess, um sein Haus zu
bestellen und dann bei unserer Rückkehr zu weiterer Begleitung nach
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282
II. BUCH, 3- KAPITEL. TÄO UND ZUAR.
Bardai bereit zu sein. Darauf verengte sich das Thal wieder, um
sich nach einer kleinen Stunde von Neuem zur früheren Breite aus-
zudehnen. Hier lag die Cisterne, deren beständiger Wasserinhalt
den Aufenthalt Tafertömi's und der meisten Zuär-Edlcn für gewöhn-
lich vermittelte, und in ihrer Nähe verbrachten wir die Nacht. Wir
hatten während des ganzen Tages keine 20 Km. zurückgelcgt, doch
die Anmuth des Thaies und das herrliche Gefühl, für kurze Zeit der
Bevormundung Bü Zeid’s und Kolokömi s überhoben zu sein, machten
mir den Weg zu einem höchst genussreichen Spaziergang.
Am nächsten Morgen (18. Juni) besichtigten wir noch einige
grosse Regenwasserbehälter, ohne welche die Gegend unbewohnbar
sein würde, und trafen an einem derselben einen Bewohner von
Kawär, der aus Borkü kam und uns von den räuberischen Bulgedä
(Nomadenstämme Borkü's), denen er nur mit genauer Noth entwischt
war, und ihren Plänen auf Tibesti erzählte. Er behauptete, die ge-
nannten Räuber seien bereits auf dem Wege, um die südwestlichen
Thäler E. Marmar, Zuär und vielleicht Täo auszuplündern, und er
reise deshalb Tag und Nacht, soweit es die Kräfte seines Kameeles
erlaubten. Schon in Täo hatten wir von diesen beabsichtigten Raub-
zügen der Bulgedä gehört, doch ich hatte den Gerüchten keinen
Glauben geschenkt, da ich meine Umgebung, welche gegen eine Reise
nach Borkü durchaus eingenommen war, im Verdacht hatte, dieselben
zu erfinden.
Die eindringlichen Warnungen des Kawär -Mannes noch discu-
tirend stiessen wir auf ein herrenloses Kaineel , das nach der ein-
gehenden Prüfung seiner eingebrannten Zeichen von Seiten Birsas
und des Qatrüncr’s als südlichen Ursprungs erkannt wurde und den
Verdacht hätte erregen können, etwaigen im Hinterhalte liegenden
Bulgedä anzugehören, wenn nicht das sehr abgenutzte Ende seiner
am Boden schleifenden Halfter dafür gesprochen hatte, dass es schon
eine Reihe von Tagen herrenlos herumlaufc. Wir bemächtigten uns
einstweilen des Thieres und kamen alsbald zu einer Stelle des weiten
Thaies, an der dieses aus zwei schmalen Armen, dem aus Ostsüdost
kommenden E. Zuär und dem aus Ostnordost kommenden E. Kögu
entstand. Der spitze Winkel, in dem beide aufeinanderstiessen, war
von einer ansehnlichen Felsgruppe eingenommen. Wir folgten für
einige Minuten dem E. Kögu aufwärts, fanden hier den Besitzer des
eingefangenen Kameeis mit der Aufsuchung des Thieres beschäftigt,
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BESUCH BEI DEN EDELLEUTEN.
283
und stiegen aus dem Flussbette gegen den E. Zuär hin auf das
zwischen beiden gelegene felsige Terrain. An einer Stelle, wo die
Felsen vereinzelter waren, lagen die wenigen Hütten meiner Erpresser
vom vorhergehenden Tag, und wenn auch rings herum in den Schluch-
ten und zwischen den Felsen sicherlich noch manche vereinzelte
Wohnstätten lagen, so war doch keine Spur von einer wirklichen
Ortschaft zu entdecken.
Die Wohnungen gehörten der Kategorie der beschriebenen
Mattenhütten an, und einer derselben entkroch die würdige Gestalt
Dirkin s, des Seniors meiner neuesten Tubufreunde, der, sichtlich
unangenehm berührt durch meinen Besuch, sich nur unwillig der
Pflicht der Begrüssung entledigte. Nachdem er in längerer Rede
sein altes, edles Geschlecht gefeiert hatte, schloss er dieselbe mit
einer Betonung der Armuth des Landes im Allgemeinen und der
seinigen im Besonderen, welche ihn zu seiner grossen Schande ver-
hindere, mir durch eine Dijäfa, d. h. Bewirthung, seine Gastfreund-
schaft zu beweisen. Ueberhaupt, meinte er ärgerlich, hätte ich wohl
hinlänglich von ihrem Lande gesehen, um ihre ganze Armuth würdigen
zu können; er könne nicht begreifen, weshalb ich noch weiter in dem-
selben herumirre. Bald darauf kamen der unermüdliche Sprecher
Derdekore und der schweigsame Keidömi, und jener griff die Sache
energischer an. Er entwickelte in langer Rede, wie sie tagtäglich
einen Ueberfall von Seiten der Bulgedä erwarteten und nicht im
Stande seien, für meine Sicherheit einzustchen; wie cs eine Schande
für sie sein werde, wenn mir Böses auf ihrem Territorium widerführe,
und sie doch nicht einmal für meine Sicherheit vor ihren eigenen
Landsleuten bürgen könnten, so lange ich ohne officielle Erlaubniss
vom Landesoberhaupte und dem Rathe der Mainas herumreise. Er
schloss damit, dass von meiner Excursion nach Südosten in das
E. Marmar u. s. w. durchaus nicht die Rede sein könne. Auch als
ich mich über den Weg den E. Zuär aufwärts bis zu seinem Ursprünge
informirte, stiess ich auf dieselben Einwendungen, welche unmittelbar
darauf eine unwiderstehliche Unterstützung erfahren sollten.
Während wir nämlich verhandelten, erschien ein Reiter zu Kameel,
gekleidet in das übliche schwarzblaue Gewand und den ähnlichen
Litham, setzte sich zu uns, ohne mich eines Grusses zu würdigen,
und ritt, was noch sonderbarer war, ohne das geringste Geschenk
erbeten zu haben, sehr bald wieder von dannen, nicht ohne zuvor
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284
II. 1IUCH, 3. KAPITEL. TÄO UND ZU AR.
eine Art Drohung ausgestossen zu haben, dass man mich im Noth-
falle mit Gewalt zu verhindern wissen werde, Jerikc und Bardai zu
besuchen. Da -aus seinem Gespräche der Zweck seines Besuches
nicht erhellte, so begleitete ihn Derdekore eine kurze Strecke, um
mehr zu erfahren, und kam mit der bedrohlichen Auskunft zurück,
dass der Mann ausschliesslich gekommen sei, um sich von meinem
und meiner Leute Aufenthalt zu überzeugen und jetzt eilig zurück-
kehre, um einige Mannschaft zu sammeln und uns in Zuär-Kai auf-
zuheben. Ihre Pflicht, fügte Derdekore hinzu, sei es, mich zu warnen,
damit mir kein Unheil in ihrem Thale zustosse. In wie weit die
Mittheilung auf Wahrheit beruhte, konnte ich damals nicht wissen,
doch waren Birsa und Bui Mohammed so fest von ihrer Zuverlässig-
keit überzeugt, dass ich mich ihrem und dem Widerstande der Edel-
leute fügen musste und umzukehren beschloss.
Während wir uns zum Rückzuge rüsteten, trug das edle Blut
des alten DirkiTf den Sieg über seine Armuth und seine Sparsamkeit
davon; er kam mit einer Ziege als Gastgeschenk, nicht ohne aus-
drücklich zu erwähnen, dass seine Verhältnisse ihm nicht gestatteten,
mir das üblichere Mahl aus Getreidemehl anzubieten. Mit heroischer
Selbstüberwindung riss er sich von dem Thiere los, das er seinem
eigenen Magen schwerlich geopfert haben würde, und suchte sich
zu betäuben und zu trösten, indem er seine Generosität und seinen
Edelsinn vor uns verherrlichte. Man liess uns nicht Zeit, das Thier
an Ort und Stelle zu schlachten, sondern drängte zur Umkehr. Nach-
dem ich noch die wortreiche und dringende Ermahnung, welche
Birsa mit auf den Weg nehmen musste, um keinen Preis bei etwaigem
Uebcrfalle die Hand gegen seine Landsleute zu erheben, sondern
sich neutral zu verhalten, angehört hatte, trat ich betrübt, dem
schönen Thale nicht weiter haben folgen zu können, den Rückweg
nach Zuär-Kai und Tao an.
Als wir die Einmündungsstelle des E. Zug erreicht hatten, bogen
wir in denselben ein, theils um Gordo'f abzuholen, theils um dadurch
vielleicht den nächtlicherweile nach Zuär-Kai zu unserem Ucberfalle
eilenden Räubern zu entgehen. E. Zug, der in diesem Thcile seines
Verlaufes von Südsüdwest nach Nordnordost gerichtet ist, hat eine
viel geringere Breite als E. Zuär, doch sein Bett ist dicht bedeckt
mit den Gräsern der Gegend und seine Bäume stehen dichter, als
in den bisher erwähnten Thälern. Wir lagerten bald nahe der
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ENNERI ZVC.
285
einsamen Hütte Gordofs, schlachteten den Ziegenbock und gaben
uns in stiller Gemüthlichkeit am schönen Abende dem Fleisch-
genuss hin.
Da unser Gastfreund, der uns nicht so bald zurückerwartet hatte,
noch nicht zur Abreise bereit war, so setzten wir am folgenden
Morgen (19. Juni) unscrn Weg allein fort. Wir folgten dem Fluss-
bette gegen seinen Ursprung hin und besichtigten zunächst die
in den Felsen des östlichen Ufers gelegene berühmte Cisterne
Kauerdä oder Kjauerdä, welche in der That grossartig in ihrer
Bildung und durch ihren Wasserreichthum ist. Mitten in einer
hochgewölbten Felsgrotte, die auch nicht dem geringsten Sonnen-
strahl den Zutritt gestattet, liegt das mächtige, regelmässige Stcin-
bassin mit spiegelklarem Wasser. Dasselbe steht in Verbindung mit
einem darunter liegenden, viel umfangreicheren, das nach der Aus-
sage meiner Begleiter im Lande für unergründlich gilt. Jedenfalls
ist die Menge des Wassers eine sehr beträchtliche, und Niemand soll
selbst in trockenen Jahren auch nur den Inhalt des oberen Bassins
verschwinden gesehen haben.
Schon nach kurzer Zeit verliessen wir das Flussbett, um uns
westlich und nordwestlich wieder der Richtung von Zuär-Kai zuzu-
wenden und gewannen bald von der felsgehügelten Gegend aus wieder
einen Blick auf die weite Ebene, durch welche der Zuär sich gegen
den Enii Durso hinschlängelt. Unter beständigem Uebcrschreiten
unbedeutender Wasserbetten, von denen die erwähnenswerthen , F'.
Abogr und E. Sögursa, sich aus den Bergen in nordwestlicher
Richtung zum Zuär wenden, stiegen wir in die Ebene hinab, hielten
uns jedoch hart am Felsengebietc, indem wir in nordwestlicher
und westnordwestlicher Richtung auf den E. Zuär zumarschirten, und
lagerten in der Mitte des Vormittags in dem Rinnsal Kebüru oder
Kjebüru da, wo dasselbe zu Zuär-Kai in das Hauptflussbett mündet.
Kaum 100 Schritte davon stand die Hütte Birsa’s, dem zu Liebe wir
denn auch den Rest des Tages dort verbrachten, da derselbe seine
Frau seit seiner Rückkehr aus Fezzän kaum gesehen und, bevor diese
der allgemeinen Auswanderung nach Bardai folgte, noch mancherlei
häusliche Angelegenheiten mit ihr zu besprechen hatte.-
Vielleicht hatte er nur das Bedürfniss, seine Ehehälfte nach
monatelanger Abwesenheit einmal einige Stunden hindurch zu sehen;
denn die häuslichen Anordnungen würde dieselbe schon ohne seinen
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2#6 II. BUCH, 3. KAPITEL. TÄO UND ZUAR.
Rath und Beistand zweckmässig getroffen haben. Es ist in der That
bewunderungswürdig, mit welcher Selbständigkeit die Frauen der
Tubu Reschäde dem Hauswesen vorstehen und in der Abwesenheit
ihrer Männer die gemeinsamen Geschäfte besorgen. Der Mann bleibt
Monate und selbst Jahre lang aus, und Haus und Kinder, Ziegen
und Kamcele bleiben ganz der Frau überlassen, welche, ohne jemals
fremden Beistandes zu bedürfen, Alles überwacht, die Kinder ab-
wartet, die Hausthiere besorgt, Kauf und Verkauf abschliesst, den
Wohnsitz wechselt und Reisen im Innern des Landes macht. Ja,
man hegt im Allgemeinen in Tibesti die Ansicht, dass die Frau
besser zur Besorgung dieser Geschäfte geeignet sei, als der Mann.
Die Frauen haben dort in der That nicht allein den determinirten
Gang eines Mannes und seine Fertigkeit im Tabakkauen; Gewohn-
heit und Erziehung haben ihnen auch den geschäftlichen Sinn, den
Verstand, die Entschlossenheit gegeben, die sonst nur dem starken
Geschlechte eigen zu sein pflegen. Dabei leidet freilich die be-
scheidene Zurückhaltung, welche uns als eine Hauptzierde des Weibes
erscheint, erhebliche Einbusse. Dass sie trotz dieser männlichen und
selbständigen Bethätigungen sich eines so ausgezeichneten Rufes be-
züglich ihrer ehelichen Treue erfreuen, könnte auffallend erscheinen;
doch liegt vielleicht gerade in der Freiheit ihrer Bewegungen bei
der gleichzeitigen verantwortlichen Stellung an der Spitze des Hauses
der Grund für diese Thatsache.
Die Räuber aus dem oberen Theile des E. Zuär waren wirklich
vergeblich auf unserem früheren Lagerplatze gewesen, während wir
im E. Zug unsern Ziegenbraten gegessen, in Frieden geschlafen
und unsere Gefährten längst Tao wieder erreicht hatten.
Der 20. Juni vereinigte uns wieder mit den Letzteren. Wir
folgten unserem früheren Wege über den Abcrdegä-l’ass und rasteten
an dem Ausgange des letzteren nach kaum vierstündigem Marsche
während der Tageshitze. Vier weitere Stunden brachten uns dann
gegen Abend zu unserem früheren Lagerplatze in Tao, wo wir be-
sonders von den Qatrüner Muräbidija herzlich empfangen wurden.
Wenn diese schon früher von meinem Plane, in ihrer Begleitung
nach Borkü zu gelangen, Nichts hatten hören wollen, so waren sie
jetzt, seit sie Zeugen des Widerwillens der Einwohner gegen einen
Fremden geworden waren, noch viel unzugänglicher. Sie standen
übrigens im Begriff, ihre Borkü -Reise anzutreten und beabsichtigten
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RÜCKKEHR NACH ZUÄR-KAI l-'ND TÄO.
287
sogar, vielleicht nach Wadäi zu gehen, um auf den Wunsch der
Regierung und Kaufleute Tripolitanien's die Wiedereröffnung des
Karawanenweges zwischen Fezzän und Wadäi anzubahnen. Doch die
augenblickliche Unsicherheit des Weges durch die Bulgedä hatte
ihren ganzen Plan ins Schwanken gebracht.
Nachdem sie länger als eine Woche mit Ueberlegungen ver-
bracht hatten, entschlossen sie sich endlich für die Abreise und zwar
unter dem Schutze Galma’s, der durch seine aus Borkü stammende
Mutter und ihren Anhang und durch seine zahlreichen dortigen Be-
kanntschaften eine hinlängliche Sicherheit zu garantiren schien.
Auf diese Weise konnte ich wenigstens hoffen, von diesem
Quälgeiste, der mir seit unserer Rückkehr von Zuär endlose Wider-
wärtigkeiten bereitet hatte, befreit zu werden. Sobald wir ange-
kommen waren, begann er die unverschämtesten Ansprüche zu
erheben, sowohl an mich, als sogar an Bui Mohammed, den er im
Verdacht hatte, für seine Begleitung nach Tibesti von mir eine ähn-
liche Summe erhalten zu haben, als sein Vetter Bü Zeid und Kolo-
kömi, und von dem er nun unablässig durch Bitten und Drohungen
Geld oder Geldeswerth zu erpressen versuchte. Bü Zeid vermochte
Nichts über seinen Vetter oder versuchte wenigstens nicht energisch,
seinen Einfluss geltend zu machen, obgleich er doch allein die Ursache
war, dass sich der Schurke uns angeschlossen hatte.
Ausser diesen, gewissermaassen häuslichen Unannehmlichkeiten
machten andere Gründe meine ganze Lage zu einer höchst unerquick-
lichen und bedrohlichen. Seit meine Ankunft im Lande bekannt
geworden war, verlauteten feindselige Kundgebungen gegen den
Eindringling aus den benachbarten Thälcrn. Die Thatsachc, dass ich
an Kolokömi und Bü Zeid bedeutende Summen gezahlt hatte, um
ihre Begleitung zu gewinnen, sprach gegen die Harmlosigkeit meiner
Absichten, und die Furcht vor der Klugheit, Habsucht und Macht
der Christen liess die Patrioten eifersüchtig darüber wachen, dass ihr
grösster Schatz, die wunderbare heisse Quelle, deren Ansehen be-
trächtlich zunahm, und das ihr benachbarte Thal Bardäi nicht
entweiht werde.
Ich wäre am liebsten, besonders bei der bevorstehenden Abreise
der Muräbidija, die mich noch schutzloser machte, ohne Weiteres
nach Bardai gegangen, in der Hoffnung, dass meine Briefe vom
Gouverneur Fczzän’s und vom Hadsch Dschäber aus Qatrün hinreichen
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II. BUCH, 3. KAPITEI- TAO UND ZUAR.
288
würden, mir Schutz und Sicherheit zu gewähren, und in der Uebcr-
zeugung, dass die einzige Verantwortlichkeit und damit das einzige
Interesse für meine Person immerhin beim Dardäi lag, mochte der
selbe auch noch so machtlos sein. Aber die Herren von Qatrün
widerriethen diesen Schritt auf das Emstlichste. Die Bewohner
Bardai’ s seien durch ihre Abgeschlossenheit von der Aussenwclt viel
roher, gewaltthätiger und Fremden feindlicher gesinnt, als die eigent-
lichen Tubu Reschäde; es sei unumgänglich, vorher ihre Dispositionen
zu kennen. Ihr Rath aber sei überhaupt, so schnell als möglich nach
Fezzan zurückzukehren und ganz auf den Besuch ßardäi’s zu ver-
zichten.
Hierin mochten sie Recht haben; doch trotz aller finsteren Ahnun-
gen konnte und durfte ich meinen Plan noch nicht verloren geben. Aut
der einen Seite lockte mich die Uebersteigung des Gebirgsstockes
Tarso und der Besuch Bardafs und Jerike’s, auf der andern drohte
uns, selbst bei sofortiger Rückkehr nach Fezzan, durch den Mangel
an Mundvorräthen unterwegs der empfindlichste Hunger. Auch ineine
Leute, welchen ich die Sachlage vorstellte, entschieden sich bei
ihrem lebhaften Widerwillen gegen das Hungern für den Zug nach
Bardai. Wir konnten damals noch nicht ahnen, dass wir bald froh
gewesen sein würden, unter ungleich ungünstigeren Nahrungsverhält-
nissen den Rückweg antreten zu können.
Es wurde also im Rathe beschlossen, Bü Ze'id mit Briefen und
Geschenken vorauszuschicken, um die Stimmung des Häuptlings, der
dortigen Fidlen und der Bewohner Bardafs zu erforschen und einige
Vorräthe von Datteln und Getreide einzukaufen Bardai liegt drei
gute Tagemärsche von Tdo entfernt; ein Tag wurde auf die Ver-
handlungen mit den verschiedenen Factoren gerechnet; Bü Zeid ver-
sprach also am siebenten Tage wieder bei uns einzutreffen. Bis zu
dieser Zeit konnten auch unsere Mundvorräthe ausreichen. Um Ruhe
vor Gahna und seines Gleichen zu haben, übergab ich fast Alles,
was ich an Geld und Geldeswerth besass, an Bü Zeid; auch unsere
Kameele wurden bis zur Rückkehr des letzteren gegen Weidegeld
seiner Tante Kintäfo anvertraut. Um diese noch mehr in unser
Interesse zu ziehen, miethete ich erstens das Kaineel von ihr, auf
dem mein Bote nach Bardai gehen sollte, und stellte ihr zweitens
in Aussicht, für den Fall, dass ich jenem mit den übrigen Leuten
folgen würde, die nöthigen Lastthiere ebenfalls von ihr zu beziehen,
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GALMä’s C.KWALTTHAT GEGEN MOHAMMED. S8S)
da die uneinigen in keinem Falle dazu verwendet werden konnten.
Der gleissnerische Gordof, der indessen wieder zu uns gestosscn war,
liess es sich nicht nehmen . den Muräbid nach Barda'f zu begleiten,
um daraus natürlich später die weitgehendsten Ansprüche auf Be-
lohnung herleiten zu können.
Zwei Tage darauf drohte die Abreise meiner letzten Freunde,
der beiden Qatrüner, mich ganz rath- und beistandslos zu machen.
Schon hatten dieselben an dem betreffenden Tage Abschied von
mir genommen und mir ahnungs- und sorgenvoll die letzten Rath-
schläge ertheilt, als plötzlich Galma hinter einem Felsblocke hervor-
kam, schweigend auf meines Mohammed Lagerstätte zueilte und
demselben sein Gewehr zu entreissen suchte. Während Beide an
demselben hin- und herzerrten, mischte ich mich ein, erklärte die
Waffe für mein Eigenthum, riss sie an mich und trug sic in
mein Zelt, während der Räuber erklärte, ohne dieselbe nicht von
hinnen weichen, oder den alten Mohammed, der eigentlich ein Sclave
seines Vaters und folglich sein Kigenthum sei, ermorden zu wollen.
Da ich auf diese Drohung kein Gewicht legte, zog ich mich schweigend
in das Zelt zurück und glaubte die ganze Angelegenheit beendigt.
Plötzlich stürzte nach längerer Zeit Sa'ad herein, der die Kamecle,
welche noch nicht auf ihre neuen Weideplätze getrieben worden waren,
gehütet hatte, und erzählte in verworrener Weise, dass er den Sohn
Selemma’s hoch zu Kameel unterwegs gesehen habe, wie er unseren
Mohammed gebunden neben sich hinschleppe. Ich gerieth in heftigen
Zorn, der durch das Benehmen meiner Tedä- Begleiter, welche mir
die Berechtigung von Galma's gewaltthätigem Vorgehen beweisen
wollten, nur noch heller aufloderte. Bewaffnet stürzte ich mit Giuseppe
auf den Weg nach Zuär-Kai, um der Spur des Räubers zu folgen.
Nach einigen Stunden trafen wir die kleine Karawane an einer
Stelle, an der Galma die vorausgezogenen Muräbidija eingeholt hatte,
und meine übrigen Diener, die sich schon vor mir auf die Verfolgung be-
geben hatten, dazu gestosscn waren. Alle waren in lebhaftester Discus-
sion begriffen, der ich ein plötzliches Ende machte durch die ernste
Drohung, den Schurken sofort niederzuschiessen, wenn er nicht den Ver-
gewaltigten frei gäbe. Beim Anblick unseres reichen Waffenapparates
schleuderte mir Galma mit einigen racheverkündenden Drohungen
den würdigen Diener zu. Dieser nahm unentwegt Platz und schob
zur Beruhigung die übliche Prise Tabak in den Mund, ohne seiner
Nnchtignl. I. lü
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II. BUCH, 3. KAPITEL. TÄO UND ZUÄR.
gewöhnlichen Schweigsamkeit zu entsagen. Die beiden Muräbidija,
welche ihn seit ihrer Kindheit kannten und seine freie Geburt wohl
hatten bezeugen können, fühlten ihre Abhängigkeit von dem Räuber auf
ihrer kaum begonnenen Reise so stark, dass sie nicht wagten, dem-
selben offen und vollständig Unrecht zu geben, sondern einen ver-
mittelnden, ihn bcsclnvichtigenden Ausw'eg suchten. Sie suchten
mir begreiflich zu machen, dass mein Vortheil erheische, einem Schur-
ken gegenüber, der wohl im Stande sei, meine ohnehin unerquickliche
Lage zu einer äusserst gefahrdrohenden zu machen, ein Opfer zu
bringen. In der That sprach dieser sofort seine Absicht aus, die Reise
nach Borkü aufzugeben, und fügte drohend hinzu, dass ich augenblick-
lich freilich als der Stärkere triumphire, dass er aber in wenigen Tagen
mir zu beweisen hoffe, auf wessen Seite die Macht und die Rache
sei. Den Qatrfinern zu Liebe und um den gefährlichen Schurken
ausser Landes zu wissen, stimmte ich endlich zu, ihm zwei Maria-
Theresia-Thaler mit auf den Weg zu geben, und wrar noch froh über
den Ausgang, da mir das Ereigniss gezeigt hatte, wie wenig ich
mich auf Kolokömi und llirsa in kritischen Momenten verlassen
konnte, und wie rettungslos ich der Rache eines Eingeborenen in
jener rechtlosen Welt preisgegeben sein würde. Schon bei meiner
Rückkehr hatte ich einen erneuten Beweis von der Unzuverlässigkeit
meiner eben genannten Tubu- Begleiter, welche unsere Abwesenheit
benützt hatten, um meinen ohnehin schon sehr beschränkten Kattun-
vorrath auf dem ihnen nicht ungeläufigen Wege des Diebstahls zu
schmälern.
Es folgten nun trübe Tage der Sorge, der Langeweile und des
Hungers. Mein Zelt wrar zwischen zwei Felsen aufgeschlagcn, w’elche
einen Winkel bildeten, der nicht völlig geschlossen war, so dass gerade
ein Mensch durch die Lücke passiren konnte. Während wir so im
Rücken ziemlich gedeckt waren, sammelten sich allmählich vor uns ver-
dächtige Besucher, welche den offenen Bogen des Fclscnwinkels all-
mählich verschlossen und mich moralisch belagerten. Wer edlen Ur-
sprungs war und nicht allzufern von uns hauste, kam herbei unter dem
euphemistischen Vorgeben, mich zu begrüssen, in Wahrheit aber, um
seinen Antheil am Raube zu haben. Wie die Aasgeier umkreisten sie
mich, beanspruchten von mir ernährt zu werden, drohten und bettelten
abwechselnd, kurz, machten meine Existenz zu einer unleidlichen.
Zuerst kam ein älterer Bruder Kolokömi's und ein lahmer
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SCHMAROTZ KR UND SPKCULAN TEN.
291
Vetter desselben, Namens Tangesi, um ihr Haqq in Empfang zu nehmen.
Der Erstere schien noch ein ziemlich bescheidener alter Mann zu sein,
doch Tangesi glaubte es seinem edlen Blute schuldig zu sein, grosse
Ansprüche zu erheben. Sodann erschien ein Bewohner der Gegend
von Jerike, der mit Andern ein gewisses Besitzrecht auf die Quelle
geltend machte und von den kranken Besuchern derselben eine Ab-
gabe zu erheben berechtigt war. Früher hatte dort Jeder unentgelt-
lich baden und trinken können, jetzt bezahlte jeder Besucher für die
Kurzcit eine Füta, jenen mehrfach erwähnten blauen, rothgestreiften
Kattunshawl der F'rauen. Nach seiner Schilderung ist die sprudelnde
Quelle voller detonirender Gasblasen, ihre nächste Umgebung in
Dampf gehüllt und ihre Temperatur eine so hohe, dass man nicht in ihrer
unmittelbaren Nähe zu verweilen vermag. Abfliessend und erkaltend
bildet sie kleine Bassins, zu deren Bildung der Mensch mitgeholfen
hat, und das Wasser dieser wird getrunken und zum Baden benutzt.
Man trinkt eine massige Quantität, und die heilsamen F'olgen machen
sich geltend ohne merkliche Einwirkung auf den Darmkanal. , Die
Heilkraft erstreckt sich auf alle Krankheiten der Haut, der Muskeln,
der Knochen und sehnigen Gebilde und wahrscheinlich auch auf
die Syphilis, obgleich das negative Resultat meiner Erkundigungen
es wahrscheinlich macht, dass diese Krankheit in Tibesti kaum vor-
kommt. Bleibt der Gebrauch der Quelle beim ersten Male ohne
jeden merklichen Fanfluss, so ist überhaupt kein Erfolg zu hoffen;
verspürt jedoch der Kranke nur die geringste günstige Einwirkung, so
wiederholt er die Kur. So interessant diese Mittheilungen des „Herrn
der Quelle” — sahab el-’ain arab. — für mich auch waren, so war es
mir doch keineswegs erwünscht, dass derselbe unter dem Vorgeben,
mich nach Jerike fuhren zu wollen, nach Herzenslust an der Vertilgung
meiner letzten Nahrungsmittel Theil nahm. Den Preis für den „Ver-
rath" des geheimnissvollstcn Schatzes in Tibesti, fünf Stücke Cham,
konnte ich doch nicht bezahlen, und ich muss gestehen, dass mein
Interesse für die Quelle in demselben Vcrhältniss abnahm, als ich
meinen theuren Mohammes in seinem Munde verschwinden sah. Noch
viele Andere kamen ; Manche gingen* an einer Beute verzweifelnd, bald
wieder von dannen; doch Viele blieben, und so schlichen die wenigen
Tage bis zum Zeitpunkte, wo ich meine Boten zurückerwarten konnte,
mit ertödtender Langsamkeit dahin.
P'estgebannt an Täo, ohne Kameele, mit gänzlich geschwundenen
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II. BUCH, 3. KAPITEL. TAO UND ZUÄR.
m
Mundvorräthen, inmitten starrer, nackter Felsen, von Schmarotzern
belagert und von Dieben bedroht, lag ich meist trübe gestimmt da
und beschäftigte mich automatisch mit Wetterbeobachtungen. Nach-
mittags suchte ich meiner nächsten Umgebung, die mir einen unüber-
windlichen Widerwillen einzuflössen begann, durch kurze Ausflüge in
das Felsengebirge zu entgehen, das leider auch nicht gerade geeignet
war, mich durch seinen Anblick zu erheitern. Die Nacktheit der
Felsen, ihre schwarze Farbe und schroffen Formen, die wilde Ein-
samkeit des Ganzen waren nur geeignet, das Gefühl der Verlassen-
heit und Hülflosigkeit zu erhöhen, und liessen mich finsterer wieder-
kehren, als ich gegangen war. Selbst eine Affenfamilie, der ich fast
täglich auf ihrem Wege zum Brunnen begegnete, konnte jene trüben
Eindrücke nicht verscheuchen. Ihre dunkle Färbung und ihr wildes
Aussehen harmonirten viel zu sehr mit den Felsen, als dass der
erheiternde Eindruck, den ihre grotesken Bewegungen unter anderen
Verhältnissen auf mich gemacht haben würden, hätte zur Geltung
kommen können. Sie erschienen mir vielmehr als kleine, boshafte
Felsteufel, die sich mit ihrem heiseren Gebell, dessen Echo von allen
Seiten unheimlich zurückschallte, an meiner verzweifelten I-age zu
weiden schienen. Einige wenige Male trabte ein Strauss in der Ferne
vorüber, sich mit seinen Flügeln durch die Luft rudernd, doch sicher
vor unserer geringen Jagdgeschicklichkeit. Die Eingeborenen be-
haupteten, dass ihre verkümmerten, halbverhungerten, windspielartigen
Hunde im Stande seien, das kostbare Thier im Laufe zu erjagfcn.
Anderes Wild zeigte sich nicht in unserer Umgebung, und so wurde
die Einförmigkeit der Scencrie selten gestört.
Am 25. Juli Abends war ein für mich sehr wichtiger, bereits mehrfach
erwähnter Mann auf dem Schauplätze meiner Bedrängnisse erschienen.
Dies war Arämi, Birsa’s und Gordoi s Onkel, der angesehenste Maina
des Landes. Von ihm konnte ich Ruhe vor den übrigen diebischen
Schmarotzern, und, wenn es mir gelang, seinen Schutz zu erkaufen,
sichere Rückkehr nach Fezzan erhoffen. Derselbe war spät Abends
angekommen und machte mir am nächsten Morgen seinen Besuch.
Er war ein schlankgewachsene? Mann schöner Mittelgrösse, an-
scheinend Ende der Vierziger, mit einem intelligenten Gesichtsaus-
drucke und etwas civilisirterem Wesen, als diejenigen seiner Lands-
leute, deren Bekanntschaft zu machen ich das zweifelhafte Vergnügen
gehabt hatte. Er war offenbar sehr eitel und ehrsüchtig und sprach
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ANKUNFT AR AMI ’s.
293
mit Vorliebe von seinem Ansehen und seiner Macht in Tibesti, von
der Armuth und Altersschwäche Tafcrtemi’s, und wie cs nur ihm
möglich sein würde, mir sicheren Schutz angedeihen zu lassen. Sein
Aeusseres trug gleichwohl ebenfalls nur wenig Spuren von Wohl-
stand und Macht. Seine weisse Tobe aus Bornü war von derselben
zweifelhaften Färbung, welche in Tibesti vorherrschte, und seine
Taqija®) (Mütze) war zwar roth gewesen, hatte jedoch im Laufe der
Jahre eine unbestimmte Färbung angenommen. Die grosse Zahl
der üblichen kleinen Leder- Täschchen und -Kapseln mit religiösen
Zauberformeln gegen Krankheit, Verwundung und böse Geister be-
zeichnete ihn als einen gläubigen Mann, und auch diese Eigenschaft
diente seiner Koketterie. Er versäumte nicht, zu wiederholten Malen
in die Unterhaltung einfliessen zu lassen, dass die Beziehungen der
Einwohner Tibesti's zu Sidi Senüsi oder seinem Nachfolger durch
ihn unterhalten würden. Auch die Tibesti - Leute schwören auf die
Worte der Emissäre dieser zelotischcn Genossenschaft und holen
sich in schwierigen Angelegenheiten des Landes Rath bei dem Chef
der religiösen Niederlassung — Zäwia — zu Wau in Fezzan.
Ehe sich Animi nach seiner Ankunft entschloss, mir seinen Be-
such zu machen, erschien Birsa in offieiöser Weise, um sich über
Vernachlässigung seines hohen Verwandten meinerseits zu beklagen,
da ich ihm nicht einmal einen Teppich oder eine Decke als Bett
angeboten, und als Gastmahl ein sehr unzureichendes Gericht Reis
übersendet habe. Animi sei ausschliesslich nach Tao gekommen,
um mich zu sehen und zu beschützen, nachdem Derdekore ihm einen
expressen Boten in seinen eigentlichen Wohnsitz Gabön gesendet
habe, um ihn zu dieser Reise zu bewegen. Bei dieser Gelegenheit
musste ich dem Boten Derdekores, der zur Bezahlung gleich mit-
gekommen war, noch fünfzehn Drä Cham (dort fast zwei Maria-
Theresia -Thaler an Werth) geben. Die ausserdem erhaltenen Vor-
würfe wegen meines Mangels an Gastfreundschaft klangen bei dem
nagenden Hunger, der uns quälte, wie Hohn, und waren nur die
Einleitung zu den unermüdlichsten Erpressungen des Häuptlings.
Sein kundiges Auge hatte unter den Gegenständen, welche meinem
persönlichen Gebrauche dienten, bald das erspäht, dessen er sich
bemächtigen wollte, da er wohl wusste, dass die von mir über-
*) tJas Wort Taqtja bedeutet eigentlich nur das unter dem Tarbüsch getragene Mutt-
chen, wird aber in vielen Gegenden auch für den lcUteren selbst gebraucht.
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294 II. BUCH, 3. KAPITEL. TÄO UND ZUÄR.
brachten Geschenke für Tibesti und Borkü tlieils in Zuar von seinen
Collegcn erbeutet worden waren, theils sich im Gewahrsam Bü Zeid’s
befanden. In der Art und Weise, zu seinem Ziele zu gelangen,
folgte er ganz der widerwärtigen Methode seiner habgierigen Lands-
leute in solchen Fällen. Wenn dieselben mit bewaffneter Hand die
Sprache von Strassenräubern führten und deren gewaltsames Benehmen
offen zur Schau trügen, so wüsste man, wie man sich ihnen gegen-
über zu verhalten hätte. Doch so jagen sie versteckter Weise und
unermüdlich Tage, Wochen, ja Monate lang einem Gegenstände
nach, der ihnen gefallt, bitten zuerst in einfacher Form, quälen dann
höchst belästigend, flechten später unbestimmte Drohungen und ent-
inuthigende Zukunftsbilder in ihre Bitten ein, geben denselben durch
den Umständen angepasste, allgemeine Wahrheiten, die nicht gerade
erheiternder Natur sind, Nachdruck, wie z. B. „der Kopf ist kostbarer
als Geld und Gut” oder „viel Besitz tödtet seinen Herrn", und gehen
erst im äussersten Nothfalle auf die mehr speciellen Drohungen unter
Hinweis auf ihren reichen Waffenapparat über. Einer solchen uner-
müdlichen Zähigkeit, einer so rastlosen Consequenz, wie sic die Tubu
entfalten, hält man nicht Stand, man müsste denn eine hinlängliche
Waffengewalt entfalten können, um ihnen zu imponiren, und weder
in Bezug auf Karneole noch auf Nahrung von ihnen abhängen.
In Bezug auf die übrigen Schmarotzer, die vorläufig nur solche
waren, aber wohl nur eine günstige Gelegenheit abwarteten, um
gewaltthätiger aufzutreten, war mir Arämi auch nicht von dem ge-
hofften Nutzen; im Gegentheilc, seit seiner Ankunft wuchs die Bande
unheimlicher Gesellen, die sich um unsern Lagerplatz sammelten.
Immerhin hatte seine Anwesenheit das Gute, diese Schurken von
offenen Gewaltthätigkeitcn abzuhalten. Wir waren trotzdem Tag
und Nacht auf unserer Hut. Ich liess meine Leute ihre Gewehre
sich an den Körper binden, um ihre Entwendung zu verhindern und
sic stets im Handbereiche zu haben, und legte selbst weder am Tage
noch in der Nacht den Revolver ab. Trotzdem gelang es leider
dem sogenannten „Herrn der Quelle", uns eine gute, doppelläufige
Jagdflinte zu entwenden. Nachdem der Mohammes-Vorrath sein Finde
erreicht, und ich wiederholt erklärt hatte, dass ich vorläufig Jerikc
nicht besuchen könne, beschloss, derselbe, zumeist wohl aus dem
ersteren der beiden Gründe — mich zu verlassen und nahm in der
angedcuteten, erkenntlichen Weise Abschied. Der leichtsinnige Ali
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ERPRESSUNG UND DIEBSTAHL. 205
Bü Bekr hatte am Abend, um es sich bequem zu machen, das ihm
anvertraute Gewehr neben sich an die Felswand gelehnt, und der
„sahab el-’äin" kam nach der Abendmahlzeit, um mit ihm und
Mohammed zu plaudern. Als Niemand sich dessen versah, sprang
der leichtfussige Schurke auf, ergriff das Gewehr mit der einen, seine
Waffen mit der andern Hand, und entwich durch die Felslückc im
Rücken meines Zeltes. Da diese Scene unmittelbar neben diesem
statt hatte, stürzte ich alsbald hervor, begriff den Streich, eilte durch
die Fclslücke dem Diebe nach und empfing zwar keinen von den
Schüssen, die derselbe blindlings hinter sich abfeuerte, war aber
ebenso wenig im Stande, seiner habhaft zu werden.
Das scharfe Auge der Tubu, das an die Nacht, in der sie mit
der ihrem ganzen heimlichen Wesen entsprechenden Vorliebe selbst
ehrliche Geschäfte abmachen, gewöhnt ist, ihre Terrainkenntniss, ihre
unglaubliche Leichtfussigkeit und Schnelligkeit, die schon im Alter-
thume berühmt war, ihre harten Fussohlen, die ihnen erlauben, barfuss
über Felsen und Steine zu laufen und zu springen: Alles dies macht
es für jeden Andern unmöglich, sie zwischen ihren Felsen, noch
dazu in der Dunkelheit einzuholen. Ueber ihre Schnellfüssigkcit
erzählt man die wunderbarsten Geschichten unter den Fczzänern und
Arabern. Ich habe ihrer Viele im Scherze laufen sehen, und konnte
aus diesen harmlosen Uebungen einen Schluss ziehen auf die Functions-
fahigkeit ihrer unteren Extremitäten und ihrer Lungen, wenn es sich
darum handeln würde, ihnen Leben und Sicherheit zu verdanken.
Birsa und ein Begleiter Arämi's machten sich an die Verfolgung des
Diebes; doch ich hätte sie am liebsten daran verhindert, denn ich
war ebenso sehr uberzeugt, dass sie die gestohlene Flinte nicht
wiederbringen, als davon, dass sie die nutzlose Verfolgung später
als ein mir gebrachtes Opfer hoch anrechnen würden.
Der siebente Tag seit der Abreise Bü Zetd's verstrich, ohne
dass dieser sich zeigte oder ein Lebenszeichen sendete. Auch Kintäfo,
welche die Kainecie an demselben Tage für den Fall der Rückkehr
nach Fezzän zu bringen versprochen hatte, liess Nichts von sich
sehen. Ob nicht die letzteren etwa von dem perfiden Galma, der
vielleicht heimlich umgekehrt war, zur Befriedigung seiner Rache
und Habgier gestohlen worden waren: Mohammes und Zwieback
waren zu Ende; der Reis reichte nur noch für wenige Tage; ernste
Besorgniss bemächtigte sich meiner. Wären meine Tubu-Schmarotzer
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II. HUCll, 3. KAIMTEI.. TAO UND ZUÄR.
2%
nicht gewesen, so hätte ich wahrscheinlich, als einige Tage darauf
wenigstens die Frau mit den Kameelcn erschien, eines derselben
geschlachtet und versucht, mit seinem getrockneten Fleische auf
dem Wege über Abo, den der alte Qatrüner kannte, Fezzän zu
erreichen. Doch in Gegenwart all' dieser hungrigen, feindlichen Ge-
stalten wäre es ein unnützes Opfer gewesen, das nur ihnen zu Gute
gekommen wäre und uns doch nicht auf den Heimweg gebracht
haben würde. Vergebens suchte ich ein Glied der erwähnten Affcn-
familie zu erlegen, obgleich mir dies grosse Ueberwindung kostete;
doch meine Jagdtalente waren nie bedeutend gewesen, und der Chef
jener war ein sehr vorsichtiger Familienvater. Das Fleisch derselben
würden wir wenigstens ganz für uns gehabt haben, denn ich glaube
nicht, dass irgend einer der Landeseingeborenen gewagt haben würde,
ein so menschenähnliches Geschöpf zur Nahrung zu verwenden. Am
zehnten Tage nach der Abreise Hü Zetd’s waren meine Essvorräthe gänz-
lich erschöpft. Es gelang mir an diesem Tage von einer nahe wohnenden
F’reundin der Kintäfo für einen Maria-Theresia-Thaler getrocknetes Ka-
meelfleisch zu kaufen, das, gleichmässig an Alle vertheilt, uns noch einige
Tage ernähren konnte. Dazu brachte mir Kintäfo, die bisweilen doch
noch sanftereren Gefühlen zugänglich zu sein schien, Milch und einen
kleinen Vorrath von Tabarka (essbar gemachte Coloquinthenkernc).
kindlich am zwölften Tage erschien zwar nicht Bü Zeit!, doch
ein Brief von ihm, der die lakonische Nachricht enthielt, dass die
Datteln noch nicht reif und die Getreideernte von Insecten zerstört
sei. Die Bewohner Bardai’s, berichtete er, seien bei der Nachricht
von meinem beabsichtigten Besuche ihres Thaies aufrührerisch ge-
worden und hätten sie (Bü Zeid und Gordoi) zu tüdten gedroht, so
dass sie sich in den Felsen der Nachbarschaft einige Tage zu ver-
bergen gezwungen gewesen wären. Darauf habe der Häuptling
Tafertemi nach langer Discussion mit den Bewohnern erklärt, dass,
wenn man nicht wolle, dass der an ihn adressirte Fremdling nach
Bardai komme, er selbst über die Berge zu ihm gehen werde. Dem-
zufolge werde Tafertemi mit meinen Boten und einigen andern Be-
gleitern am zweiten Tage nach Ankunft des Briefes in Täo zu meinem
Besuche erscheinen.
Das waren traurige Aussichten, und ich sehnte mich recht nach
der Möglichkeit, sofort nach Fezzän zurückkehren zu können. Auch
im engeren Käthe mit meinen Dienern wog die Ansicht vor, Bardai
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NACHRICHTEN VON HÜ /EU). 2l>7
aufzugeben. Animi beförderte diesen Entschluss, indem er mir be-
greiflich machte, dass die Ankunft Tafertemi's sich ebenso lange
hinausziehen werde, als wir auf Bü Zeid gewartet hätten, und dass
es bei meiner gänzlichen Entblössung von Lebensmitteln unmöglich
sei, dieselben in Tao abzuwarten. Als ich ihm unsere Neigung mit-
theilte, sofort nach Fezzän abzureisen, zollte er diesem Plane scheinbar
Beifall, machte aber meinen Leuten begreiflich, dass es unmöglich
sei, ohne alle Getreidenahrung, nur mit Kameelfleisch , den weiten
Weg zurückzulegen, und schlug vor, ihn nach Zuär und Gabön zu
begleiten, wo er seine Heerde und einige Vorräthe habe; dann werde
er uns mit den nöthigsten Provisionen auf den Weg nach Fezzän
bringen. Während ich mit Bui Mohammed über diesen Vorschlag
zu Käthe ging, der uns durchaus nicht anmuthete, lockte uns Kintäfo
hinter einen Felsen und sagte kurz und entschieden: „Gehe nicht
mit Arämi! heute folgst Du ihm nach Gabön, morgen lockt man
Dich nach Domar zu den Dirkomdwija, übermorgen bist Du in Borkü
und wer wird dann später wissen, was aus Dir geworden ist? Bin
ich nicht selbst eine Tubu-Frau und weiss genugsam, wie wortbrüchig
und treulos unsere Leute sind?''
In dankbarer Erinnerung an die Spende von Milch und Tabarka,
mit der sie mich noch kürzlich beglückt hatte, lieh ich ihren Worten
Beachtung und beschloss, in keinem Falle Täo für andere Zielpunkte
als Fezzän oder Bardai zu verlassen. Thatsache war, dass Arämi
mich gern von allen übrigen isolirt und endlich gänzlich ausgeplündert
nach Fezzän zurückgeschickt hätte; dafür waren ihm aber jetzt zu viel
theilberechtigte Leute gegenwärtig, und meine Verhältnisse, ela die
Kameele, wenn auch sehr heruntergekommen, doch vorhanden waren,
noch zu günstig. Als ich ihm erklärte, Täo nicht verlassen zu wollen,
und er meine Begegnung mit Tafcrtemi und seinen Begleitern fiir
unvermeidlich zu halten anfing, begann er seine Ansprüche immer
bestimmter zu formuliren. Zunächst reclamirte er einen tripolitanischen
Teppich und eine jener grossen wollenen Decken aus Tunis, welche
Batanija genannt werden; er that es kühl zurückhaltend, doch fest,
und machte seine Protection von diesen unfreiwilligen Geschenken
abhängig.
Ich musste in diesen Tagen nur zu oft an die Beschreibung des
Scheich Mohammed Ibn Omar et-Tünisi denken, der vor mehr als
einem halben Jahrhundert auch in Tibcsti, auf dem Wege von Wadäi
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II. BUCH, 3. KAPITEL. TAO UNI) ZUÄR.
298
nach Murzuq, die Bekanntschaft der Tedä gemacht hatte. Danach
war diese lange Zeit spurlos über ihren Häuptern dahingeflossen,
ohne auch nur eine Idee an ihnen zu ändern. Hunger, Habgier, ver-
schrobenes Rechtsgefühl damals, wie jetzt. So verwirrt waren die Be-
griffe von Recht, dass der lahme Tangesi kommen und sich beklagen
konnte, dass ich ihn bei der Vertheilung des getrockneten Kamcel-
fleisches habe zu kurz kommen lassen; ein Mensch, den ich gar nicht
kannte, der mir nicht einmal guten Tag sagte, wenn ich ihm zufällig be-
gegnete, der auch nicht den kleinsten Gegendienst zu leisten geneigt war!
Womit sollte ich erst den Häuptling und seine Genossen bei ihrem dem-
nächstigcn Besuche bewirthen und ihren Ansprüchen gerecht werden,
ich, in dessen eigenen Eingcweiden der Hunger wühlte?
Doch Tafertümi kam nicht. An dem Tage, an dem wir
nach Bü Zeid's Angabe seine Ankunft erwarten mussten, und sich
unsere Augen schon müde geschaut hatten, sahen wir endlich
gegen Abend einen einzelnen Mann mit einem Kameele den nord-
östlichen Bergesabhang herabklettern und erkannten in ihm bald
den kleinen Gordoi. Er führte uns eine kleine Kamcelladung halb-
reifer Datteln zu, das einzige Nahrungsmittel, das 'aus der „Korn-
kammer” Tibesti’s, Bardai, hatte erzielt werden können, und berichtete
über die Ereignisse daselbst. Als der erste Aufruhr über das Ge-
rücht meines Kommens sich gelegt, und die Bevölkerung sich nach
genauer Durchsuchung der Umgegend überzeugt hatte, dass ich
noch nicht in ihrer Nähe sei, hatten die Leute mit ruhigerem Blute
Kcnntniss von den Briefen der Fezzäncr Regierung und des Hadsch
Dschäbcr genommen und erklärt, dass, wenn Tafertümi einmal darauf
bestände, mich zu sehen, sie in Rücksicht auf sein hohes Alter (er
sollte ungefähr 90 Jahre zählen) meinem Besuche in Bardai kein
Hinderniss in den Weg legen wollten.
Wiederum begann die Uebcrlegung einer sofortigen Rückkehr
nach Fezzän. Arämi beförderte diesen Plan durch seine nichts
weniger als verlockenden Schilderungen Tafertemi s, seiner Habsucht,
welche allein die Ursache der Einladung sei, seiner Machtlosigkeit,
die mich nicht zu schützen wissen werde, seiner Armuth, die mich
dem Hungertode aussetze. Doch wenn ich dann die Rückkehr nach
Fezzän ins Auge fasste, so bestand er stets auf einer vorherigen
Reise nach seinem gewöhnlichen Wohnsitze, auf welche ich wieder
picht cingehen wollte. Hingegen versicherte er andrererscits, dass,
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NACH FEZZAN ODER NACH UARDAi? 290
wenn ich mich wirklich entschlossen sollte, nach Bardai zu gehen,
auch dort keine ernstlichen Gefahren für mich zu fürchten seien, wenn
ich mich seinem Schutze anvertrauen wolle. Kr werde mich nöthigen-
falls in seinem eigenen Hause zu schützen wissen, und mit Gottes
Hülfe -■ in sch' Allah — auf den Rückweg nach Fezzan bringen.
Alles in Allem halte er meinen Besuch in Bardai für ziemlicher
gegenüber dem Sultan, an den ich doch geschickt sei, für ent-
sprechender meinen Wünschen, da ich doch gekommen sei, so viel
als möglich vom Lande zu sehen, und für weniger schmachvoll für
sie Alle, die sie gleich nach meiner Ankunft im Lande den grössten
Theil meines Eigenthums erhalten hätten.
Nach reiflicher Ueberlegung sah ich keinen andern Ausweg vor
mir, als der Einladung zu folgen, obgleich mir dieselbe bei dem
zweideutigen Benehmen Bü Zeid’s Verrath zu bergen schien. Arämi
war der Einzige, von dem ich einen sichtlichen Einfluss aufseine Um-
gebung gesehen hatte, und, seitdem seine ersten Ansprüche befriedigt
worden waren, sprach derselbe so verständig und zuverlässig, dass
ich mich trotz meines Misstrauens in der allgemeinen Haltlosigkeit
instinctiv an ihn klammerte. Dazu war der Einzige, der ein wirk-
liches Interesse an meiner ungefährdeten Rückkehr nach Fezzan
haben musste, mein verantwortlicher Begleiter Bü Zeid in Bardai.
Endlich, und nicht am wenigsten, trieb uns der Hunger.
Wenn ich auch kaum hoffen konnte, mit Müsse die Theile
des Landes zu durchforschen, deren Besuch mir bevorstand, und
wenn ich auch aus Erfahrung die Habsucht und die Eifersucht der
Einwohner auf die Jungfräulichkeit ihres Landes hinlänglich kannte,
um danach die Schwierigkeiten, die meiner harrten, zu ermessen, so
reizte mich doch die Uebcrsteigung des Tarso und der Aufenthalt
zu Bardai, das jetzt den grössten Theil der Tubu Reschäde in seinem
Thale vereinigen sollte. Meine Kamecle, die kaum angefangen hatten
sich zu erholen, konnte ich unmöglich über die schwierigen Berge
führen, zumal die Gegend von Bardai der Futterkräuter fast ganz
entbehrt. Ich musste sie wieder der Pflege Kintäfo's übergeben und
beschloss sogar, mit den Thieren die mir für die Reise nicht unbe-
dingt nöthigen Gegenstände meines Gepäckes unter ihrer Obhut
zurückzulassen. Diese Abreise musste schnell ins Werk gesetzt
werden, denn die Befriedigung des ersten Hungers hatte schon
eine ansehnliche Verminderung des Dattelvorrathes zur Folge gehabt;
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3(JU II. BUCH, 3- KAPITEL. TAO UNI) ZUAK. *
bis Bardai hatten wir vier Marschtage, und der hungrigen Magen
waren viele.
Mit dem letzten Stück Kamcelflcisch und dem Beschluss der
Abreise zerstreuten sich die Schmarotzer, welchen die viertägige
Reise nach Bardai bei unzulänglichem Genüsse halbreifer Datteln
nicht verlockend erschien; nur der alte Bruder Kolokömi's und der
hinkende hochedle Tangesi hielten Stand. Jenen nahm ich unter
dem Versprechen einer Südäntobe mit nach Bardai; doch die Aus-
einandersetzung mit diesem nahm fast einen ganzen Tag in Anspruch.
Sein Blut, setzte er auseinander, stehe hinter dem keines Maina zurück,
mit Ausnahme vielleicht desjenigen des alten Dirküi von Zuär; wenn
ich nicht mehr genug besässe, um ihn dementsprechend zu beschenken,
so müsse er auf eine Herausgabe aller erpressten und freiwilligen
Geschenke und ihre gleichmässigc Vcrtheilung dringen. Nach Bardai
deswegen zu gehen, weigerte er sich, und ich musste mich nach
endlosen Discussionen endlich entschliessen, ihm durch eine Maqta
Cham aus Bü Zeids Vorrath, einen Musselin -Turban, den ich. noch
besass und das Versprechen eines Tarbüsch den habsüchtigen Mund
zu stopfen und die böse Zunge zu lähmen.
Am Abend des 4. August schien der Abreise kein Hinderniss
entgegen zu stehen ; es erübrigte nur noch die Miethc der Lastthiere.
Mein früheres Versprechen, das Kameel zu dieser Reise von der
Kintäfo zu miethen, konnte nicht gehalten werden, da Gordo'f das
seinige verwendet wissen wollte. Dieser Blutegel verlangte nun im
Bewusstsein der Concurrenzlosigkeit den ungeheuren Preis von 8 Maria-
Thercsia-Thalern für den viertägigen Weg, während das Kameel der
Kintäfo, das Bü Zeid nach Bardai gebracht hatte, für den Hin- und
Rückweg nur 5 Thaler, d. h. einen Thaler mehr, als die Sitte recht-
fertigte, gekostet hatte. Die scheinbare Vermittelung Arfimi's minderte
den verlangten Preis auf 6 Thaler herab. Dafür bot mir Arämi,
dessen eigenes Gepäck fast Null war, sein Kameel zur Mitbenutzung
an, und endlich musste Kolokömi mit seiner Stute aushclfen. Arami
war aus leicht begreiflichen Gründen bestrebt, mich so viele Sachen
mitnehmen zu lassen, als nur irgend möglich war; und war es am
Ende sicherer, dieselben der Kintäfo anzuvertrauen, als sie, wenn auch
in feindlicher Umgebung, stets unter den eigenen Augen zu haben?
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Viertes Kapitel.
REISE NACH BARDAI.
Ersteigung des Tarso. — Charakter des Gebirgsstocks. — Kraterbildung auf der Hohe.
— Nächtigung auf der Wasserscheide. — Bergkegid und -Kelten auf der breiten
Wölbung des Tarso. — Abstieg nach Nordosten. — Hunger und mühevolle Märsche.
— Tiefeinschneidende Flussthäler. — Nächtigung im Enneri Ud6no. — Fels-Sculp-
turen. — Erreichung der Ebene. — Enneri Gönöa. — Datteln und ungünstige Nach-
richten aus Bardai. — Weitere Erpressungen von Seiten Arätni's. — Abendliche
Ankunft in Bardaf. — Dringende Lebensgefahr und Rettung durch Ar&mi. — Die
Leute von Bardai und die eigentlichen Tuhu Keschäde. — Im Schutze Arami’s. * —
Verhallen des Dardai. — Tägljche Berathungen über mein Schicksal. — Allmählicher
Abfall meiner Freunde. — Thatsächliche Gefangenschaft. — Steinigung. — Endlicher
Besuch des Häuptlings. — Glänzende Rede ArÄmi's. — Resultatloser Ausgang der
Zusammenkunft mit Tafertemi. — Fremde Besucher. — Nagender Hunger. —
Herzloses Benehmen der Frauen und Kinder. — Rohe Angriffe der heran« achsenden
Jugend. — Verzweifelte Stimmung.
Am 5. August konnten wir aufbrechen. Unsere Karawane be-
stand ausser mir und meinen Leuten aus Arämi mit einem Diener
oder Clienten, Kolokomi und seinem älteren Bruder, Gordoi und
Birsa, dem Begleiter oder Diener Bü Zei'd's und dem Boten, den
mir der letztere von Bardai mit einem Briefe gesandt hatte.
In trockener Jahreszeit muss man sich mit Wasservorrath für den
ganzen Weg versehen; jetzt mussten die stattgehabten, wenn auch
unbedeutenden Regen zahlreiche Wasserbecken in den Felsen gefüllt
haben. Einen massigen Vorrath nahmen wir im E. Dommädo ein,
den wir nach einem Marsche von einer guten Stunde in nördlicher
Richtung erreichten, nachdem wir anfangs den E. Dausado iiber-
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302
II. BUCH, 4. KAPITF.T,. REISE NACH BARDAY.
schritten hatten. In dem ersteren beschlossen wir den Aufenthalt, den
die Wassereinnahme erforderte, gleich auf die Mittagsrast auszudehnen,
und setzten erst am Nachmittag unseren Weg fort. Dieser wendet sich,
stetig ansteigend, allmählich nordnordöstlich, nordöstlich und endlich
ostnordöstlich. Auch hier liegt der Gegend eine Schicht jenes leichten,
porösen Gesteins von gelblicher, grauer oder röthlicher Färbung auf,
das mir aufgefallen war, als wir von Norden kommend uns dem Tarso
am meisten genähert hatten. Durchbrochen und bedeckt ist das-
selbe von Sandsteinfelsen, Granit- und Basaltblöckcn, zwischen deren
Ketten und Gruppen durch wir im Laufe des Nachmittags die zahl-
reichen, unbedeutenden Ursprungsflussbetten des Dommado überschrit-
ten, welche, tief in den Boden geschnitten, alle eine mehr oder weniger
südwestliche Richtung haben. Mit dem Anstieg werden die felsigen
Durchbrüche und Ausläufer seltener; breite, flache Bergrücken treten an
ihre Stelle, in der Oberfläche von einer starken Schicht jenes leichten
Gesteins gebildet, dessen sanfte, fast weiche Oberfläche den Fuss
von dem harten Felsboden und seinen scharfkantigen Steinen aus-
ruhen lässt. Das Ganze ist nackt und kahl und wie verbrannt; nur
die Wasscrbettchen bringen unansehnliche Sajalakazien und spärlichen
Graswuchs hervor. Nach fünfstündigem Nachmittagsmarsche nächtig-
ten wir am Rande eines der Ursprünge des Dommado, des E. Ass,
der dort von Ost nach West verläuft und sich durch seine Grösse vor
den übrigen auszeichnet.
Als unsere Wegrichtung um Sonnenuntergang eine mehr ost-
nordöstliche geworden war, erblickten wir in südöstlicher Richtung
den scharfkantigen Emi Homo, der sich in der ungefähren Entfernung
eines halben Tagemarsches auf dem breitgewölbten Bergrücken, den
wir zu übersteigen im Begriffe waren, erhob. Der König der Berge
Tibesti's, der Emi Tusidde, erschien bei den ungünstigen atmo-
sphärischen Verhältnissen um dieselbe Zeit als eine undeutlich con-
tourirte Masse. Am nächsten Morgen, als wir uns zur Fortsetzung
der Reise anschickten, lag er jedoch um so klarer vor uns, die nord-
nordöstliche bis nordöstliche Gegend des Horizontes einnehmend;
fast in gerade östlicher Richtung hatten wir den spitzen, konischen
Emi Boto, der, von Täo aus gesehen, neben dem Tusidde die Berge
und Felsen auf den Abhängen und zu den Füssen des Tarso über-
ragt. Auf den Zwischenraum zwischen jenen beiden Kegeln richteten
wir mit Sonnenaufgang unseren Marsch, überschritten die Flussbetten
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ERSTEIGUNG 1>ES TARSO.
303
E. Darda'i Galma und E. Wonner Drusso, die in südsüdwestlicher
Richtung verlaufen und noch zum System der Flüsse von Tao ge-
hören , und machten im Bette des letzteren eine kurze Rast , da
meinen Gefährten der Dattelvorrath nicht schnell genug endigen zu
wollen schien.
Wie Tags zuvor bildete das leichte, poröse Gestein die äussere
Schicht des Berges, und diese war hier und da von sandsteinge-
krönten Granitfelsen durchbrochen. Bei den tiefen senkrechten Ein-
schnitten der Wasserbetten konnte man sehen, in welcher Mächtig-
keit jene Hülle einer noch viel ansehnlicheren Schicht verschieden
gefärbten Kalksteins auflag. Je höher wir aufstiegen , desto mehr
schien die Masse des Tusidde zusammenzuschrumpfen. Während er,
von seinem westlichen Fusse gesehen, aus der Ebene zu seiner ge-
waltigen Höhe als ein Ganzes aufzusteigen scheint, unterscheidet man
auf der Höhe der mächtigen Gesammterhcbung, mehr zwischen dieser
und ihm selbst, den aufgesetzten Kegel, wobei er natürlich an Gross-
artigkeit der Erscheinung verliert. Um Mittag, nach sechsstündigem
Marsche hatten wir ihn etwa vier Stunden weit in gerader Linie
nördlich und den Boto, von dessen spitzem Kegel sich eine kurze,
scharfgeschnittene Felskette nach Südwesten erstreckt, etwas näher
im Südosten.
Mit der zunehmenden Höhe wurde die Wölbung des mächtigen Berg-
rückens, auf dem wir marschirten, immer flacher und glcichmässiger,
und die auf ihm sich erhebenden F'clsgruppen und -Ketten wurden
seltener und schärfer geformt. Von Mittag ab nahm die Steigung
wieder beträchtlicher zu; zwei weitere Stunden brachten uns zum
E. Inti, einem unbedeutenden Rinnsale, das ebenfalls noch nach Süd-
westen abfliesst; eine Stunde danach berührte unser Weg den Emi
Jezeddunga von geringer Erhebung, und kurze Zeit darauf standen
wir am südöstlichen Rande der mir oft erwähnten Natrongrube, die
sich zu Füssen des Tusidde ausdehnt. Der Anblick war grossartiger,
als ich geahnt hatte. Staunend und bewundernd stand ich am Rande
eines riesigen Kraters, der uns vom Tusidde-Kegel trennte. Derselbe
stellt einen unten abgerundeten Trichter dar, dessen fast kreisrunder,
scharfer Rand wohl 3 bis 4 Stunden im Umkreise haben mag,
und der mehr als 50 M. tief ist. Die Wandungen des Trichters
fallen in ihrem oberen Theile steil ab, und ihre dunkle Farbe con-
trastirt scharf mit schmalen, gewundenen Fäden von weissen Salzen,
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304 II. HUCH, 4. KAPITEL. REISE NACH ISARDA1.
welche den einstigen Krater im Lande als „Natrongrube'' bezeichnen
lassen, und welche sich wie Rinnsale gegen die Mitte des Grundes
hin schlängeln. Dort erhebt sich an der abhängigsten Stelle ein
kohlschwarzer Hügel von regelmässiger Kegelform, der an der Spitze
eine kleine, kraterförmige Einsenkung mit weissem Inhalt trägt und
dessen Basis von derselben weissen Masse umgeben ist. Jenseits
dieser mächtigen Grube erhebt sich der Tusidde, etwa 1000 Kuss über
die Umgebung des Kraters.
Ich war hier wieder in der Lage, meine Erwartungen über-
troffen zu sehen. Wie gern hätte ich hier einige Ruhetage ge-
habt, wäre den Tusidde hinauf- und den Krater hinabgestiegen,
hätte von der höchsten Höhe, soweit meine Augen und mein Fern-
glas reichten, das ganze weite Panorama Tibesti’s umfasst und mich
in der Tiefe an den Wirkungen der zerstörenden und schaffen-
den Naturkräfte geweidet! Unwillkührlich setzte ich mich auf den
Rand des Abgrundes und versank in träumerische Bewunderung,
bis mich meine schmerzenden Eüsse zur traurigen Wirklichkeit
zurückriefen. Neun Stunden hatte ich schon an diesem Tage zu
Fuss auf dem häufig recht schwierigen und steinigen Terrain zurück-
gelegt, und noch war das Tagewerk nicht vollbracht. Doch der
Hunger ist eine mächtige Triebfeder. Traurig schlich ich den am
östlichen Horizonte verschwindenden Gefährten nach, deren Gesell-
schaft mir ohnehin schon die Freude an der wunderbaren Welt, die
mich umgab, verleidete, und einer nächsten Zukunft entgegen, die
mich mit qualvoller Sorge erfüllte. Der Weg führte für eine halbe
Stunde am Rande des Kraters in ostnordöstlicher Richtung auf den
unregelmässig geformten und mit einer scharfen Spitze versehenen
Emi Toäde zu, den wir südlich am Wege Hessen, und erreichte nach
einer weiteren Stunde die höchste Höhe des Passes, jenseits welcher
wir bald darauf in einem Rinnsale, das sich schon nach Osten senkte,
unser Nachtlager aufschlugen.
Wir befänden uns hier gegen 250x3 M. über dem Meeresspiegel,
wie der hypsometrische Apparat ergab (mein Aneroid - Barometer
hatte leider Tags zuvor seine Funktionen eingestellt), eine Höhe, die
sich uns durch die nächtliche Temperaturerniedrigung recht fühlbar
machte. Wir waren im Monat August, hatten in der Ebene zur
Zeit des Sonnenaufgangs mindestens eine Temperatur von 25" C.
und beanspruchten ein Tagesmaximum von ungefähr 40" C. , wir
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AUF DER HÖHE DES TARSO. 305
fanden also die Nacht auf der Höhe des Tarso bitter kalt, obgleich
das Thermometer Morgens vor Sonnenaufgang immer noch io° C.
zeigte. Freilich waren auch Dank den landesüblichen Bestrebungen
Arami's unsere Bettbestandtheile erheblich zusammengeschrumpft,
und mit einem verdoppelten, stillen Ingrimm gedachte ich mit
Giuseppe, der davon am meisten betroffen wurde, unserer wärmenden
Decken aus den besseren Tagen der schönen Tuchfabrik von Teburba
in Tunis, die jetzt in die Hände des habgierigen Tubu-Kdlen gewan-
dert waren. Und dieser bediente sich ihrer nicht einmal, sondern
hielt sie sorgfältig verpackt (wohl schon, um sie den Augen seiner
Landsleute zu entziehen) und hüllte sich nach der Sitte des Landes
in das mehrerwähnte grosse Schaffell, das jeder anständige Eingc-
borene dort auf Reisen als Teppich und als Ueberrock mit sich führt.
Meine grosse Krmüdung in Folge des beschwerlichen Marsches
und die dadurch erzeugte geringere Widerstandsfähigkeit schien
meinem Protector die erwünschte Gelegenheit zu bieten, neue An-
griffe auf mein Eigenthum zu machen. Es war seine Aufgabe, schon
vor unserer Ankunft in Bardai so viel aus mir herauszupressen als
möglich, und in der Erfüllung derselben war sein hauptsächlichstes
Werkzeug Birsa. An diesem Tage entrangen sic mir 30 Drä' Cham
aus Bü Zei'd’s Vorrath, trotzdem auf mein Drängen Birsa eine gründ-
liche Untersuchung meiner Habe vorgenommen hatte, besonders
der beiden Kisten, welche die gierigen Leute für geradezu uner-
schöpflich zu halten schienen. Doch meine Absicht, durch diese
Octilarinspection dem lästigen und unermüdlichen Drängen und Pressen
meiner „Beschützer" ein Ende zu machen, wurde noch lange nicht
erreicht.
Merkwürdiger Weise war in diesen Tagen auf der Höhe, im
Gegensätze zu meiner Beobachtung in der Ebene der Wüste, die
Atmosphäre gegen Abend viel weniger durchsichtig, als Morgens
früh. Als wir nach der kalten Nacht am 7. August gegen Sonnen-
aufgang um uns blickten, sahen wir südöstlich von uns in der Ent-
fernung von etwa drei Stunden eine kleine Felsenkette von zackigen,
scharfkantigen Formen, die von Nord nach Süd zu verlaufen schien,
Emi Su genannt wurde und von der wir am vorhergehenden Abende
Nichts bemerkt hatten. Ebenso verhielt es sich mit der ähnlich
gestalteten Kette Emi Tomortu, die in einer gleichen Entfernung
mehr östlich von uns lag, und mit dem Emi Timi, der als mächtiger
Nachiigal. I. WO
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II. BUCH, 4. KAPITEL. REISE NACH BARDAT.
.106
Kegd, gerade nördlich und etwas weiter von uns entfernt, lag und
nächst dem Tusidde der höchste Berg Tibesti's zu sein schien. Bald
nach unserem Aufbruche verloren wir durch den Abstieg den Tusidde
aus den Augen, und der Timi beherrschte die Gegend; beide haben
eine regelmässigere Kegelform als die übrigen und weniger zerrissene
Seitenflächen.
Anfangs war der Abstieg allmählich. Noch nahe der höchsten
Höhe stiessen wir auf eine weite Einsenkung mit zahlreichen abge-
rundeten Kalk- und Thonhügeln voll staubigen Zerfalls der Tarso-
lnillc und mit zahllosen Bruchstücken versteinerten Holzes. Aus ihr
stiegen wir in das Bett des E. Nemai Jasko, d. h. des Flussthaies
der schwarzen Stadt, das sich von Südwest nach Nordost senkt
und in den E. Ifötui , ein Nebenflussthal des E. Bardai, mündet.
Wir folgten seinem breiten Bette voller Felsblöcke für eine kurze
Strecke, Hessen den Emi Soso, eine in Form und Richtung dem Emi
Su analoge Felskctte, südöstlich am Wege und marschirten zwischen
dem Emi Timi im Norden und dem zuletzt auftretenden Emi Dochänu
im Ostnordosten, in mehr oder weniger nordöstlicher Richtung bergab.
Die letztgenannte Berggruppe, in der sich ein einzelner, abgerissener,
scharfkantiger Kegel auszeichnet, hatten wir nach etwa zwei Stunden,
von unserem Aufbruche an gerechnet, südöstlich eine halbe Stunde
von unserem Wege.
Während wir über die flachen Thonhügel und die wieder vor-
waltende Tarsohülle abstiegen, tauchte in weiterer Ferne am östlichen
Horizonte eine ansehnliche Gebirgskette von mannichfach zerrissener
Form auf. Wir marschirten in nordöstlicher Richtung auf ihr nörd-
liches Ende zu und erreichten dasselbe nach fünfstündigem Marsche
vom Berge Dochänu ab. Nördlich von ihr verlief eine andere, unbe-
deutendere Kette von Nordost nach Südwest, und zwischen beiden
war in weiter Ferne der nördliche und nordöstliche Horizont von
einem anscheinend mächtigen Gebirgszuge eingenommen. Gegen die
erste der Ketten hin wurde das Terrain schwieriger, die weiche
Sedimentschicht mit ihrem versteinerten Holze fehlte oft, und der
Weg führte in rapidem Abfall zwischen ansehnlichen Felsen und über
steile Einschnitte in die Tiefe, ln den letzteren, welche einst von
den abfliessenden Wässern in die starren Felsen gegraben worden
waren, sah man unter der deckenden Hülle rosenrothen Kalkstein
in mächtiger Schicht.
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ABSTIEG IN DEN E. UDf.NO.
307
Alle Wasserläufe dieser Gegend sind Nebenflüsse des li. Udeno
(d. h. Gazellenfluss), in den wir anderthalb Stunden, nachdem der
steilere Abstieg begonnen hatte, aus einem seiner kleinen nach Nord-
uordost zu ihm verlaufenden Nebenbetten gelangten, ln mühsamen
Windungen hat er sich quer durch die Felsen seinen Weg gebahnt
und senkt sich nach Nordosten. Die senkrechten Felswände, welche
ihn einzwängen, sind 30 — 50 M. hoch und gigantische Sandsteinblöcke,
welche einst jene gekrönt haben und durch urweltliche Kraft in die
Tiefe geschleudert sind, sperren häufig das Bett. Auf den glatten
Wänden derselben fand ich hier und da Zeichnungen der Art, wie
sie H. Barth und Henri Duveyrier im Gebiete der nordöstlichen
Tuärik gefunden haben, und aus denen diese Forscher interessante
Schlüsse oder doch Vcrmuthungcn über das frühere Culturlebcn
dieser Länder ziehen. Auch im vorliegenden Falle sind die Gegen-
stände der künstlerischen Darstellung fast ausschliesslich Rinder, und
stets sind dieselben mit nach vorn gebogenen Hörnern abgebildet.
Die Linien sind mit fester Hand in den Stein gegraben; doch hat
der Sicherheit der Ausführung nicht immer eine naturgetreue, künst-
lerische Auffassung zur Seite gestanden.
Wenn die Urheber der Zeichnungen die Thiere nur auf ihren
Reisen in die Südänländer kennen gelernt haben, so ist die Wieder-
gabe anerkennenswerth genug, doch viele sind in der That von
äusserst kindlicher Darstellung. Wie bei den Barth'schen Zeich-
nungen sind auch hier die Beine der Thiere am mangelhaftesten
•JO*
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II. BUCH, 4. KAPITEL. REISE MACH BARDAT.
ausgcfuhrt. Dieselben erscheinen vollkommen ungegliedert und ent-
behren der Füsse gänzlich. Einige der Rinder tragen den im
Sudan üblichen Packsattel, alle aber einen Strick um die Hörner
gewunden, an dem zum Theil von unsichtbarer Hand gezogen wird,
wie man aus der widerstrebenden Stellung der Thiere, welche die
steifen Beine gegen den Boden zu stemmen scheinen, leicht erkennt.
Dieser Strick dürfte dafür sprechen, dass die Zeichnungen zu einer
Zeit ausgeführt wurden, als das Rind diesen Wüstenlandschaften
eigen war; denn hätte der Künstler nur nach einer Reise in die
Südänländer seine Erinnerungen wiedergegeben , so würde er den
Halfterstrick der Thiere durch ihre Nasenscheidewand gezogen haben,
wie es dort Sitte ist. Dass den Rindern der Sculpturen der Bucke!
fehlt, welcher die des Sudan kennzeichnet, unterstützt jene Annahme;
denn der Künstler würde sicherlich nicht eine so in die Augen fallende
Eigenschaft vergessen, sondern dieselbe
wahrscheinlich sogar in grotesker L'eber-
treibung dargestellt haben. N
Neben den Rindern findet sich noch ein
vereinzeltes Kamcel dargestellt, doch ist
dies Thier noch weniger gelungen, ob-
gleich doch die Modelle dem Zeichner
täglich vor Augen gewesen sein müssen,
wenn nicht die Entstehung der ganzen
Darstellung in eine Zeit fallend gedacht
wird , wo das Kameel noch nicht in jene
Gegenden eingefuhrt war, und in diesem
Falle würde seine Wiedergabe überhaupt
nicht möglich gewesen sein. Ich bin aber vielmehr geneigt anzu-
nehmen, dass, wenn diese Sculpturen überhaupt sehr alten Datums
sind, das Bild des Kameels jedenfalls in neuerer Zeit in schlechter
Nachahmung der Rinderzeichnungen von einem modernen Tubu-
knaben hinzugefligt wurde. - Auf dem einen der Blöcke neben den
Rindern findet sich auch ein phantastisches, thierisches Geschöpf, das
ich vergeblich mit einem Repräsentanten unserer Thierwelt zu identi-
ficiren suchte; doch dasselbe ist gleichzeitig so stümperhaft ge-
zeichnet und so unsicher gravirt, dass ich kein allegorisches Bild,
keine mythologische Darstellung in ihm suchen möchte. Interessant
ist die einzige menschliche Figur, welche dazwischen allein auf
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FELSSCUI.PTUREN.
309
einem Sandsteinblocke gefunden wurde. Sie stellt einen Krieger
dar, fast in Lebensgrösse und ganz von vorn gesehen, die noch jetzt
gebräuchliche Tubu- Lanze aufrecht in der linken Hand und in der
andern den Schild haltend, der merkwürdiger Weise durch ein Kreuz
in vier Felder getheilt ist und sich dadurch und durch die Grösse
des an dem vollen Oval seiner Form fehlenden oberen Abschnittes
von den gewöhnlichen Tubu-Schilden unterscheidet.
Meine Begleiter vermochten keinerlei Auskunft über die Zeit
der Entstehung und die etwaige Bedeutung dieser Sculptpren zu
geben. Man sollte vermuthen, dass die jetzigen Bewohner des Landes
diese Reliquien einer vergessenen Zeitperiode in phantastischer Weise
auffassen, ihnen gern eine tiefere Bedeutung beilegen würden; doch
ihr nüchterner Tubusinn sucht nach natürlicher Erklärung, und meine
Begleiter wenigstens hielten die Zeichnungen für Producte eines
müssigen Ziegenhirten aus ihrem eigenen Stamme, wenn auch aus
früheren Zeiten.
Gern hätte ich sorgfältig die Zeichnungen aller Felsblöcke ge-
sammelt, doch meine Kräfte waren, als wir im E. Udeno lagerten,
nach der fast zehnstündigen Fusswanderung über schwieriges Terrain
und fast ohne Nahrung, allzu erschöpft; und in meiner Abhängigkeit
von Arftmi und den Uebrigen, welche, je mehr wir uns Bardai
näherten, einen desto weniger respectvollen Tön anschlugen, konnte
ich am nächsten Morgen meine Gesellschaft nicht überreden, mir die
nöthige Frist zu gewähren. Die wenigen Copicn, welche ich machen
konnte, sind im weiteren Verlaufe dieser gefahrvollen Reise verloren
gegangen; nur unter den während des Marsches gemachten Notizen,
welche aus der Schreckenszeit in Tibesti zu retten mir gelang, be-
finden sich die dürftigen hier wiedergegebenen Zeichnungen.
An der Stelle des Gazellenflusses, wo wir nächtigten, sollten
böse Geister Moschi — hausen, und da diese dort zu Lande einen
besonderen Widerwillen gegen Pulvcrgeruch haben, so Hessen sich
meine Begleiter nicht nehmen, so lange Flintenschüsse abzufeuern,
bis sie die Luft gründlich gereinigt glaubten. Sie setzten diese
Procedur so lange fort, und die Schüsse widerhalltcn so mächtig
von alben Seiten, dass mein durch Uebermüdung, Hunger und ge-
rechtfertigte Besorgniss vor der nächsten Zukunft krankhaft gereiztes
Gehirn mich hierin ein Signal für die Helfershelfer meiner ver-
ratherischen Genossen wittern Hess. Eingezwängt zwischen den hohen
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II. HUCH, 4. KAPITEL. REISE NACH RARDAl.
310
Ufcrfelsen, in dem dadurch frühzeitig in Nacht gehüllten Thale,
arbeitete meine Phantasie um so beängstigter. Trotz der Müdigkeit
verscheuchten mir die hässlichen Bilder derselben nur zu oft den
Schlaf; aufgeschreckt sprang ich empor; die gespenstischen Schatten
der Felsen mit ihren sonderbaren Contouren, welche das Mondlicht
auf den hellen Grund des Flussbettes warf, verwirrten mein Auge;
schrill schallte das Kläffen des Klippschliefers (Hyrax) rings von
den Felsen und liess mich angestrengt auf die Annäherung von
Menschen und Hunden horchen. Es war eine böse Nacht, die
prophetische Vorläuferin eines böseren Tages.
An diesem, dem 8. August, mussten wir Bardai erreichen; und
es war hohe Zeit, denn unsere Datteln waren auf der Höhe des Tarso
bereits zu Ende gegangen. Von dort hatte Arümi seinen Begleiter
vorausgeschickt, um Tafertemi und Bü Zeid heimlich von unserer
bevorstehenden Ankunft in Kenntniss zu setzen, und um die Ueber-
sendung von Datteln bis zu einem bestimmten Punkte unseres Weges
zu vermitteln. Hungrig brachen wir auf, folgten für kurze Zeit dem
Laufe des E. Udeno, der sich dann nach Norden wendet, und stiegen
über seine Uferwände, welche hier viel weniger hoch und steil
sind, in nordöstlicher Richtung auf ein steiniges Hügelland. Von
hier hat man einen weiten Blick nach Norden, wo die Tags zuvor
erblickten Gebirgsketten den fernen Horizont einnehmen ; rechts neben
uns, fast parallel mit unserem Wege, lief eine Felsenkette massiger
Erhebung, Kebriköta genannt. Nach zweistündigem Marsche über-
schritten wir ein flaches, unbedeutendes Rinnsal, das sich in nörd-
licher Richtung dem Udeno zuwendet, und stiegen bald darauf ab-
wärts gegen ein Flussthal hin , dessen ebene Umgebung mit dicht
gedrängten, niedrigen, spitzen, kantigen Hügeln aus blättrigem Thon
und Thonschiefer bedeckt ist. Das Flussthal, E. Arabdei, soll im
Ganzen von Südwest nach Nordost verlaufen, hat aber in der Gegend
unseres Weges einen mehr nördlichen Verlauf, als dieser, so dass
wir es nach einer weiteren Stunde in schräger Richtung durchschnitten
hatten. Es ist von mässiger Ausdehnung, sein östliches etwa 30 Fuss
hohes Ufer besteht ganz aus blättrigem und Iamellösein Thonstein.
Kaum eine halbe Stunde weiter östlich verläuft, parallel dem E. Arabdei.
zwischen senkrechten Felswänden der E. Gonöa, in dessen Bette wir
nach kaum vierstündigem Marsche rasteten, nicht sowohl um auszu-
ruhen und die Tageshitzc zu verbringen, als vielmehr um Nahrung
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NEUE PKOÜE DER HAHUIF.K ARAMl’s. 311
und Nachrichten von Hü Ze'id und Tafertömi zu erwarten. Beide
Flüsse sollen direct in den E. Bardai münden.
Im E. Gonöa wurde unser Auge durch eine lebendige Quelle
erfrischt, die in der Mitte seines Bettes unter mächtigen Felsblöcken
hervorquillt, und in ihrer nächsten Umgebung eine Vegetation hervor-
gerufen hat, die unserem entwöhnten Auge als ein Bild der Ueppig-
keit erschien. In ihrer Nähe lagerten wir, ich wenigstens mit schwerem
Herzen und bangem Vorgefühle, das durch Arämi's und Birsa's Be-
tragen nur noch vermehrt wurde.
Arümi, unterstützt von seinem gehorsamen Neffen, hatte während
des verflossenen Tages ein missachtendes, fast drohendes Benehmen
an den Tag gelegt und den unglücklichen Mohammed als meinen
Vermittler unaufhörlich mit Bitten und Drohungen geplagt, um
ihn zum Verrathe der Schätze zu bringen, die ich nach seiner
Ucbcrzeugung nothwendig noch verbergen musste. Jetzt war viel-
leicht der letzte Tag gekommen, an dem er allein von mir Nutzen
ziehen konnte, denn schon am folgenden war ich dem Könige
und den übrigen Edelleuten preisgegeben; er suchte ihn also zu
benutzen. Im guten Vertrauen auf meine Armuth brachte ich es
dahin, dass Beide noch einmal eine gründliche Untersuchung meiner
Gepäckstücke Vornahmen, und aus dieser musste ihnen wenigstens
die Ucbcrzeugung erwachsen, dass keine Stoffe (Burnusse, Toben und
Cham), auf die sich die Habgier der Tubu vorzüglich erstreckt, mehr
vorhanden waren. Den Verdacht verborgenen Geldes konnte
ich ihnen freilich nicht nehmen. Bei dieser Gelegenheit entdeckte
Arämi's scharfes Auge noch einen weissen, tunisischen Burnus, den
ich zu eigenem Gebrauche bcsass und vorsichtiger Weise in meine
letzte wollene Decke gewickelt hatte, da man mir diese als einen
unumgänglich nothwendigen Gegenstand zu belassen geneigt schien.
Arämi ruhte natürlich nicht eher, als bis der erstere in seiner Gewalt
war. Meine anfängliche Weigerung, mich von ihm zu trennen, be-
antwortete er einfach durch eine Andeutung des Vorschlages, mich
meinen Einzug in Bardai allein machen zu lassen, eine Aussicht,
welche jede Einwendung meinerseits im Keime erstickte. Im Besitze
des Burnus versicherte mir der Quälgeist dagegen seine ganze Dicnst-
willigkeit und wiederholte sein Versprechen, mich nicht allein wäh-
rend meines Aufenthaltes in Bardai zu beschützen und zu ernähren,
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312
II. BUCH, 4. KAPITEU. REISE NACH BARDAY.
sondern auch mit Gottes Hülfe ungcschädigt an meinem Leibe mit
meinen Leuten bis auf den Weg nach Fezzan zu bringen.
Die Nähe bewohnter Gegenden verrieth sich im E. Gonöa durch
die häufige Erscheinung von Leuten und Eseln, welche unterwegs
ihren Durst an dpr Quelle stillten. Jene waren ausschliesslich Frauen
und Kinder, fast alle in das nationale Schaffell gekleidet; die Frauen
häufig noch mit einem viereckigen Stücke blauen Kattuns über Kopf
und Schultern, die Kinder baarhäuptig und ganz nackt. Das Schaf-
fell wird von der rechten Seite her um den Körper gelegt und seine
Zipfel und Enden auf der linken Schulter und über der linken Hüfte
geknüpft, so dass die eine Brust und das eine Bein unbedeckt bleiben.
Es war immerhin merkwürdig, dass ein so wenig sich anschmiegen-
des Kleidungsstück mit so geringer Kunsthülfe der weiblichen Scham-
haftigkeit ausreichend zu dienen vermochte. Doch ich hatte augen-
blicklich wenig Sinn für genauere Analysirung von Tracht und Zügen
der weiblichen Bevölkerung Barda'fs; ich war in der Erwartung der
Aufnahme, die uns am Abend zu Theil werden würde, in einem leicht
begreiflichen Zustande höchster Aufregung.
Bald nach der erwähnten gewaltsamen Verminderung meiner
Garderobe erschien ein Jüngling mit einem dattelbeladenen Esel in
unserer Mitte und erwies sich als Mohammed, Sohn Akremi Temidömi's,
des mütterlichen Onkels unseres Murabid Bü Zeid. Er mochte etwa
|<S Jahre alt sein, war unter Mittelgrösse, trug einen neuen, rothen
Tarbüsch, den ich stark im Verdachte hatte, aus meinem Vorrathe
zu stammen, hatte eine massig bronzefarbige Haut, intelligente Augen,
eine nicht grade plattgedrückte Stumpfnase, ein wohlgebildetes Kinn
und ein rundlich ovales, etwas prognathes Antlitz.
Wir fielen mit Heisshunger über die Datteln her und nahmen
Anfangs die Nachricht, dass Tafertömi seit einigen Tagen im nahe-
gelegenen Dorfe SuT sei, doch im Laufe des Tages zurückerwartet
werde, mit ziemlicher Gleichgültigkeit auf. Doch als der erste
Hunger gestillt war, wurden wir stutzig bei dieser etwas verdächtigen
Kombination, und konnten uns über ihren bedenklichen Charakter
nicht täuschen, als der junge Mann weiterhin mittheilte, dass sein Vetter
Bü Zeid ebenfalls in einer benachbarten Ortschaft sei. So sehr der
Bote den Eindruck seiner Nachrichten abzuschwächen suchte, indem
er ein besonderes Gewicht darauf legte, dass Beide, Sultan und
Muräbid, sicherlich Abends an Ort und Stelle sein würden, so war
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VOM E. GONÖA NACH BARDAT.
313
unser Argwohn doch geweckt, und wir beschlossen, jedenfalls unseren
Rastplatz zu einer vorgerückten Stunde zu verlassen, so dass wir
erst nach Einbruch der Dunkelheit in der Haupt-Ortschaft Bardai’s
ankommen mussten.
Unser Weg erhielt eine ostnordöstlichc Richtung und führte
durch eine unregelmässig und hoch gebügelte Gegend, in der die
Kalk- und Thonschieferhügel vorwalteten. Nach einer halben Stunde
berührten wir das Bett des K. Iraira, das dort von West nach Ost
lief, und passirten kurze Zeit darauf das Bett des E. Fudrüsi, der
von Nordwest nach Südost in jenen mündet. Jenseits desselben trat
wieder festeres Gestein auf, wog bald vor, ward mächtiger und höher,
und als wir nach einer weiteren Stunde den E. Iraira selbst durch-
schritten hatten, erreichten die Felsen hier und da eine Höhe von
ICO M. Jenseits des Iraira standen dieselben so dicht, dass kein
Weg hindurchführte; wir mussten in seinen Nebenfluss Oröa einbiegen,
der mehr oder weniger von Süd nach Nord zu ihm verläuft, und
dieser selbst war fast unpassirbar. Eng eingezwängt zwischen steile
Kelsen, war das Bett vollständig ausgefüllt von Steinen und Fcls-
blöcken, deren Ueberwindung besonders den Kameelen, welche doch
diesem Lande angehörten und an derartiges Terrain gewöhnt waren,
eine entsetzliche Anstrengung kostete. Wir folgten seinem Laufe
für fast eine Stunde in Südsüdost-Richtung, verliessen ihn an einer
Stelle, wo die Uferfclsen eine ansehnliche Lücke darboten, und
gingen allmählich in eine östliche Richtung über, welche uns in einer
guten halben Stunde an den Eingang des Thaies von Barda't brachte,
da, wo von Süden her ein flaches Flussthal in ihn mündet. Hier
hielten wir an, während der Sohn Temidömi’s voraus ging, um
Tafertemi und Bü Zeid von unserer Ankunft in Kenntniss zu setzen,
und warteten unter einigen Sajälakazien die Antwort und den voll-
ständigen Hereinbruch der Dunkelheit ab.
Leider kehrte nach kurzer Zeit der Jüngling allein zurück, mit
der wenig tröstlichen Antwort, dass Beide von ihrem Ausfluge noch
nicht zurückgekehrt seien, dass aber die Gattin des ersteren mich
einlade, in ihrer Wohnung abzusteigen. Schweigend vernahmen wir
die unerfreuliche Botschaft. Meine Tubugefahrten verrichteten in
der Erwartung einer höheren Eingebung ihr Abendgebet, und nach
Vollendung der feierlichen Handlung setzten wir uns zögernd wieder
in Bewegung.
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I. BUCH, 4. KAP1TEI.. KEISK NACH BAKDAT.
:H4
Wir hatten das breite Thal in nordöstlicher Richtung schräg zu
durchschneiden und unglücklicherweise den ganzen von eigentlichen
Bardai-Lcuten bewohnten Theil zu durchziehen, da Arämi mit den
Tubu Reschäde der westlichen Thäler auf der anderen Seite wohnte.
Wir betraten das Thal und begannen schon uns zwischen den
graziösen Gruppen von Dattelbäumen und Dümpalmen durchzuwinden,
die hier und da menschliche Wohnungen in ihrem Schatten bargen,
als plötzlich ein dumpfes Brausen, ein verdächtiges Geräusch an unser
Ohr drang, das von zahlreichen schreienden und tobenden mensch-
lichen Stimmen herzurühren schien.
Athemlos hielten wir an und lauschten rathlos. Wenn ich an-
fangs noch nicht glauben wollte, dass dies die Einwohner Bardai's
seien, welche sich beim Gerüchte unserer Ankunft zusammengerottet
hatten und uns blutig zu begrüssen kamen, so dauerten meine
Zweifel doch nicht lange. Das Getöse kam näher und näher; die
Männer brüllten — wahrscheinlich waren sie unter dem Einflüsse des
Laqbi, wie fast jeder redliche Einwohner von Bardai am Abend ,
klirrten und rasselten mit den Waffen; die Weiber kreischten und
liessen das übliche Zungenschlaggeräusch hören; die Kinder schrieen.
Schon unterschied man die einzelnen Stimmen, hörte ihre Verwün-
schungen gegen die Christen und ihre blutdürstigen Vorsätze. Mit
einer Art verzweifelter, resignirter Tronic verdolmetschte mir Bui Mo-
hammed die unerbaulichen Bedeutungen ihres Geschreies. In seiner
Kenntniss von Land und Leuten zweifelte er keinen Augenblick
daran, dass unser letztes Stündlein gekommen sei, doch kein Wort
eines eigentlichen Vorwurfs gegen mich kam über seine Lippen;
nur die Bitterkeit, die Ironie, die im Tone seiner Worte lag,
schien mir zu 'sagen; ,,da sind sie, meine früheren Aussagen zu be-
wahrheiten; Du hast es gewollt, da Du die Rathschläge der Ver-
nünftigen zurückwiesest!’' Kampfbereit hielt der Alte sein Gewehr
in der Hand, und auch in diesem Augenblicke konnte ich nicht um-
hin, die Tiefe der feindlichen Gefühle zu constatiren, welche der
sonst in seinen Urtheilcn über Menschen so milde Mann gegen Alles,
was Tubu hiess, nährte. Giuseppe betrug sich wie ein Mann; Saäd
erging sich, wie bei der Verdurstungsscene, in wortreichen Vorwürfen
gegen mich, während 'Ali Bü Bekr kaum die Kraft hatte, die Worte
auszustossen ; „Verflucht sei das Geld, um dessentwillen ich hierher-
kam !” Entsetzt, doch ergeben in die eiserne Nothwendigkeit, richtete
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HKI>KOH1.ICHfcK KMI’t'AKC IN KXKDAI. 315
ich meine Augen auf die dunkle, sich heranwälzende Masse, deren
einzelne Schatten man schon unterscheiden konnte.
Eine zaudernde Unschlüssigkeit hatte sich meiner anderen Be-
gleiter und Beschützer bemächtigt. Sie hatten sich von uns zurück-
gezogen und bildeten in einiger Entfernung eine überlegende und
rathschlagende Gruppe. Alles hing von der Haltung Arämi's ab, in
dessen Innern widerstreitende Gefühle kämpften. Die edleren
Regungen, Wortfestigkeit, Pflichten der Gastfreundschaft und Mitleid,
wenn sie überhaupt in ihm lebten, wurden uns kaum gerettet haben;
doch es gab glücklicherweise noch andere Gründe , die zu unseren
Gunsten in die Wagschale fielen. Der kindliche Patriotismus der
Menge, die einen Verrath an den ihnen selbst unbekannten Schätzen
ihres Landes fürchtete, ihre unbestimmte, übertriebene Furcht vor
den Christen und ihrer Macht, ihr instinctiver Hass gegen alles
Fremde, hatten keine Macht über ihn; aber sein Stolz, die relative
Abhängigkeit des Händchens von F'ezzän und die politischen Ver-
hältnisse innerhalb ihres Gemeinwesens sprachen für uns. Er war
der mächtigste Mann unter den eigentlichen Tubu Reschäde, welche
die vom Gebirgsstocke nach Südwesten abfallenden Thäler bewohnen,
und sich für die Herren des ganzen Landes halten. Diese umfassen
die edelsten Geschlechter Tibcsti's, sind Hirten und vorzugsweise
Nomaden, Herren des Raumes, und halten sich, wie überall, wo
Nomaden und sesshafte Ackerbauer dasselbe Land bewohnen, für
die bevorzugten, über die letzteren zu herrschen bestimmten Leute.
Ihre Reisen führen sie nach F'ezzän, Kawär, Borkü, Bornü, wäh-
rend die Leute von Bardai ihr Thal nie verlassen, ein arbeitsames
.Ackerbauleben führen und in ihrem Blute nicht frei sind von den,
freilich geringen Sclavenelementen des Landes. Ein U eberfall der
Araber, Tuärik und Bulgedä triftt nur die westlichen Thäler der
Nomaden oder Halbnomaden, welche dadurch zu den natürlichen
Vertheidigern des ganzen Landes gestempelt werden und sich in
Folge dessen für die besseren Krieger halten; bis nach Bardai, das
nach Westen und Süden durch mächtige Gebirge, nach Norden und
Osten durch die endlose Wüste geschützt ist, dringt keine Ghazia.
Und jetzt sollten diese armseligen Ackerbauer es wagen können,
einen Fremdling, den er, Animi, der hervorragendste unter den Edel-
lcuten, aus dem königlichen Geschlechtc der Tomäghera, reicher
und persönlich angesehener als sein Vetter, der Dardai, in seinen
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316
II. BUCH, 4. KAPITEL. REISE NACH BARDAl.
Schutz genommen hatte, zu massacriren? Es war eine lockende Ge-
legenheit, sein Ansehen im eigenen Lande zu erproben und mir und
durch mich Fczzän und der Fremde seine Macht zu beweisen.
Dazu kam, dass die Tububevölkcrung Fezzän’s ganz ausschliess-
lich diesen nomadischen oder halbnomadischen Bestandteilen der
Nation angehört, und dass diesen also daran gelegen sein musste,
ihre Brüder und Vettern nicht durch meine Ermordung den Re-
pressalien der Regierung von Fczzan auszusetzen. Wie ich meine
Hoffnungen hauptsächlich auf diese meine natürlichen Geiseln grün-
dete, so begriff wenigstens Arämi, wenn die Uebrigen vielleicht nicht
daran dachten, die ganze Gefahr, welcher man dieselben aussetzen
würde, indem man mir ernstlich, Böses zufügte. Andererseits konnte
ihm aus meiner Ermordung keinerlei Vortheil erwachsen, während
er, so lange ich am Leben war, mein natürlicher Rathgeber und Be-
schützer blieb, und demnach hoffen konnte, so viel aus mir heraus-
zupressen, als ich irgend zu geben im Stande war.
Alle diese Gründe arbeiteten ohne Zweifel im Geiste des
Mannes zu unseren Gunsten, während ihm auf der anderen Seite die
Klugheit rieth, den Bogen nicht allzu straff zu spannen und seine
Popularität nicht durch einen allzu rücksichtslosen Kampf gegen den
Willen seiner eigensinnigen Landsleute, die, eben so stolz als er
selbst, irgend eine Autorität nur schwer anerkennen, aufs Spiel zu
setzen, zumal man ihn sicherlich beschuldigen würde, für mich cin-
getreten zu sein, um meine vermeintlichen Schätze nicht mit den
Anderen theilen zu müssen. Die Zeit drängte; da Arämi und seine
Genossen sich noch immer überlegend seitwärts hielten, während die
wüthende Menge immer näher herantobte, begab ich mich zu ihnen
und sagte kurz, sie möchten sich beeilen. Ich könne mir nicht
denken, dass es so schwer sei, sich zu entscheiden, ob man treu und
wacker, oder verräthcrisch und feige handeln wolle. Wenn sie das
letztere zu thun beabsichtigten, so möchten sie ihren Entschluss nur
kundgeben, wir seien bereit, unser Leben theuer zu verkaufen, und
sic sollten nicht glauben, dass Muselmanen allein wie Männer zu
sterben wüssten.
Da erhob sich Arämi; sein Entschluss war gefasst und damit der
der Uebrigen. „Mit Gottes Hülfe wird Dir kein Unheil widerfahren",
sagte er, „denn ich habe Dir meinen Schutz zugesagt". Stolz ging
er der andringenden Menge entgegen, die offenbar erwartet hatte,
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RETTUNG DURCH ARÄMI UND SEINE GENOSSEN. 317
uns von unseren Begleitern verlassen zu finden. Es war die höchste
Zeit; schon schleuderten die Wüthigsten oder Betrunkensten ihre
Wurfspeere, doch ungeschickt und zögernd, da wir nicht allein waren,
wenn wir auch abgesondert standen. Zum Theil schlug Animi die
Waffen in der Hand der Angreifer nieder, und Niemand wurde ver-
letzt. Kolokömi, Gordoi, Birsa folgten seinem entschlossenen Beispiel,
und nun ging es an ein lebhaftes l’arlamentiren.
In diesem günstigen Augenblicke kamen die ferner wohnenden
Anhänger und Freunde Arämi's, sämmtlich Bewohner der westlichen
Thäler, zu denen das Gerücht unserer Ankunft etwas später ge-
drungen war. Sie waren grösstentheils im Zustande vorgeschrittener
alkoholischer Begeisterung und vermehrten die Partei meiner Freunde
in sehr nutzbringender und erfreulicher Weise. Während die Meisten
mit Arami zurückblieben, um die ihnen so angenehme Gelegenheit
zu Zank und Streit auszubeuten, führten Andere uns und unsere
Kamecle unbemerkt von der Menge, die von den wortreichen Unter-
handlungen ausschliesslich in Anspruch genommen war, in die Ge-
gend der Ortschaft, welche von ihnen bewohnt wurde, zum Hause
Arämi’s. Meine neuen Freunde und Beschützer suchten mich durch
möglichst wüstes Geschrei und wildes Schwingen ihrer Waffen zu
ermuthigen, bedrohten Jeden mit dem Tode, der mir ein Haar
krummen würde und enthüllten mit einer F reimiithigkeit, welche der
Alkohol erzeugte, das traurige Niveau ihrer Civilisation. Während
Einige sich der Mordthaten rühmten, welche sie schon begangen
hatten, gingen Andere so weit, zu behaupten, dass derjenige, welcher
noch keinen Menschen getödtet habe, überhaupt kein Mann sei.
Eine wüste Bande und ein unerquicklicher Schutz!
So weit die Dunkelheit und unser Weg, der möglichst um die
Wohnstätten herumführtc, zu sehen gestattete, lagen die Wohnungen
zerstreut, jede in reizender Umgebung von Dattelbäumen und ver-
einzelten Dümpalmcn, und waren aus Palmenblättern hergestellt. Un-
belästigt begaben wir uns zwischen Gärten, Hütten und Baumgruppen
hindurch nach der Wohnung Arämi’s, welche auf der nordöstlichen
Seite des Thaies lag.
Als wir das eigentliche Dorf hinter uns gelassen hatten, stiessen
wir auf unseren Muräbid Bü Zeid, der, seine Flinte im Arm, auf
meine ironische Verwunderung, ihn schon von seinem Ausfluge zurück
zu sehen, der ihn zu so günstiger Stunde von Bardai entfernt habe,
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II. tll'CH, 4. KAPITEL. REISE NACH BARDAI.
SIS
ziemlich verlegen versicherte, so eben aus einem Nachbardorfe, wo-
hin ihn die dringendsten Geschäfte gerufen hatten, zurückgekommen
zu sein. Es war augenscheinlich, dass er, in nur zu genauer Kennt-
niss der Stimmung der Einwohner, seine Anwesenheit verläugnet
hatte. Noch durfte ich meinen Gefühlen über sein perfides Benehmen
keinen Ausdruck verleihen, denn ich war bei der sehr zweifelhaften
nächsten Zukunft seiner Unterstützung noch allzu sehr bedürftig.
Ebenso wurde es mir schnell klar, dass Tafertemi sich in seiner Woh-
nung verborgen gehalten hatte, um nicht meine Ermordung durch
seine autoritätliehe Gegenwart gewissermassen zu sanctioniren.
Arämi hatte uns indessen wieder eingeholt und wies uns unseren
Lagerplatz vor der Thür seiner Wohnung an, während seine Schwester
FätTma, eine Wittwe oder geschiedene Frau, die ihrem Bruder in Bardai
die Wirthschaft führte — die Frau desselben wirthschaftete in Gabon ,
die Dijäfa (Gastmahl) bereitete. Diese bestand zwar in dem dort sel-
tenen, also kostbaren ’ Atsch, doch war derselbe über die Massen
trocken, und da keine Sauce zu ihm gereicht wurde, gänzlich ge-
schmacklos. Bei unserem grenzenlosen Hunger verhinderte uns aber
weder seine schlechte Qualität, noch unsere bedrohliche Lage , ihm
die grösste Ehre zu erweisen, und ihn bis auf das letzte Krümchen
zu verzehren. Arämi und Birsa hielten Wache bei uns — Kolokömi
und Gordoi hatten sich zu ihren respectiven Frauen zurückgezogen — ,
und so verbrachten wir die erste Nacht in Bardai', voll Dankbarkeit,
aus der unmittelbarsten Lebensgefahr errettet zu sein, doch nicht
ohne Furcht vor dem folgenden Tage.
Wüste Träume quälten mich im Schlafe, sobald der ersten
Müdigkeit Genüge geschehen war, und mehr als einmal schreckte ich
jäh empor, wenn eine schwierige Situation, ein blutdürstiger Feind
mir Vernichtung zu drohen schien. Die friedliche Stille der Nacht,
die mich umgab, schien dann alle Schreckbilder Lügen zu strafen,
bis ein Blick auf die fremdartige Umgebung mir die Erinnerung an
den fast verhängnissvollcn Abend zurückbrachte und mir sagte, dass
noch manches Schwere meiner warte. Mit Tagesanbruch schlugen
wir das Zelt auf, um uns beide Christen einigermassen den Blicken
der aufgeregten Menge zu entziehen, und warteten der Dinge, die
da kommen sollten. Mit Sonnenaufgang erschienen die F'reunde
Arämi's und diejenigen Tubu Reschäde, die für mich Partei zu
nehmen gesonnen waren, und wenn sie auch, ernüchtert, nicht mehr
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ERSTER TAG IN BARDAI.
319
so tnasslose, blutdürstige Freundschaftsversicherungen ihrem Munde
entströmen Hessen, als am vorhergehenden Abende, so waren sie
doch immer noch lebhaft genug in ihren Bethcuerungen. Ach,
sie kannten das Yracuum in den beiden voluminösen Kisten, deren
ungewohnter Anblick ihnen reiche Schätze zu verheissen schien,
noch nicht!
Die Angesehensten der Versammlung waren augenscheinlich
Arätni und der Onkel Bü Zei'd's mütterlicherseits, Akremi Temidömi,
derselbe, dessen Sohn uns bis zum E. Gonöa Tags zuvor Datteln
entgegengebracht hatte. Er war ein Mann in mittleren Jahren, unter
Mittelgrösse, wie sein Sohn Mohammed, von massiger Bronzefarbe,
fast bartlos, mit kleinem Gesichte, ziemlich regelmässigen Zügen,
klugen Augen, donnernder Stimme und selbstbewusster Haltung.
Die Uebrigen waren, so weit der unentbehrliche Litham mir zu sehen
erlaubte, von verschiedenen Hautfarbenüancen, vom seltenen Schwarz
bis zu massiger Bronzefarbung und meist mit leidlich regelmässigen
Zügen ausgestattet. Es waren wohlgebildete, doch magere Gestalten,
in der Mehrzahl von bescheidener Mittelgrösse, an denen die schön-
geformten und zierlichen Hände und Küsse die Bewunderung des
Beobachters erregten.
Lanze, Speere und Wurfeisen aufrecht in der Hand haltend und
auf den Boden stemmend, hockten sie vor meinem Zelte, lebhaft
schwatzend und von Zeit zu Zeit mit hörbarem Zischen den grünen
mit Tabakssaft vermischten Speichel vor sich auf den Boden schleu-
dernd, um eine Vorberathung über ihre Haltung dem Stabsober-
haupt und den Leuten — Näs — von Bardai gegenüber, sowie über
das Schicksal der Christen abzuhalten. Alle sprachen willkürlich
durcheinander mit einem Redeflüsse, der eitel Geschwätz war und
der Gestaltung meiner Zukunft wenig dienen konnte. Einige Wenige
näherten sich mir, und zwar solche, die Fezzan bewohnt hatten, mehr
oder weniger arabisch sprachen und also einen gewissen Anspruch
auf Bildung erhoben. Unter diesen befand sich einer der beiden
Fuqähä (Flur, von Fakih, der Gelehrte), deren sich Tibesti erfreute,
und welche beide in Bardai w'ohnten, ein junger Mann von dunkler
Hautfärbung und regelmässigen, zarten, fast weiblichen Zügen.
Yron den Leuten BardaTs, also von der mir feindlichen Partei,
war Niemand erschienen. Diejenigen, welche Verbindungen mit
ihnen unterhielten, brachten aber die Nachricht, dass sie entsprechend
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II. BICH, 4. KAPITEL. REISE NACH BARDAI.
320
ihrem feindseligen Gebaliren des vorhergehenden Abends ihr Recht
aufrecht hielten, keinen gemeinschädlichen Fremden in ihrem Thale
zu dulden. Sie behaupteten, dass sie keineswegs Tafertemi zuge-
stimmt hätten, mich zum Besuche Bardafs einzuladen, und verlangten,
dass ich, wenn ich hinlängliches Eigenthum bei mir führte, ausgc-
plündcrt und meinem Schicksale überlassen, wenn ich aber Nichts
mehr für sie hätte, zu meiner Bestrafung, zur Abschreckung für
Fremde und zu ihrer eigenen, religiösen Erbauung umgebracht
werden solle.
Der aristokratische Ursprung der Wortführer meiner Partei
brachte den natürlichen Antagonismus zwischen den eigentlichen
Tubu Reschäde und den Leuten von Bardai mit ihrer friedlichen
und unrühmlichen Erdarbeit und ihrer vulgären Herkunft zum ver-
schärften Ausdrucke, und sie Hessen den letzteren die höhnische
Aufforderung zugehen, doch mit den Waffen in der Hand zu kommen
und mich mit Gewalt zu nehmen. So wenig Ernst es ihnen nun
auch mit diesen Worten sein mochte, denn ich glaube nicht, dass
sie jemals um ein so unlauteres Object, als ein Christ in ihren Augen
war, einen Speerwurf mit ihren Brüdern ausgetauscht haben würden,
so entsprach doch Niemand dieser Aufforderung, sondern man be-
gnügte sich, durch Bearbeitung des Häuptlings auf minder gewalt-
samem Wege zum Ziele zu gelangen.
Dieser hing, wie ich bald begriff, besonders augenblicklich im
Beginne der Dattelernte, sehr vom guten Willen der Leute von
Bardai ab. Er war arm und erwartete vom Wohlwollen jener, nicht
nur während seines Aufenthaltes in ihrem Thale ernährt zu werden,
sondern noch eine Winterprovision zu empfangen. Seine Armuth
bei der hohen Würde, die er bekleidete, liess ihn versuchen, die
seltene Gelegenheit ausserordentlichen Gewinnes mit grösster Rück-
sichtslosigkeit und raffinirter Habsucht auszubeuten. Nur diese Ab-
sicht hatte ihn bestimmt, mich trotz des Widerspruches der Herren
des Thaies, die kein Interesse hatten mich bei sich zu sehen, da sie
wohl wussten, dass ihrem Plebejerthume Nichts von der Beute meiner
Habe zufallen würde, lügnerischer Weise einzuladen; jene hatten in
der That nie ihre Zustimmung gegeben. Um aber mein Kommen
zu sichern, ja gewissermassen zu erzwingen, hatte er Bü Zei'd halb
gewaltsam zurückgehalten und seinen Freund Gordoi geschickt. Jener
hatte sich in diese vcrrätherische Rolle gefügt, und so kam cs, dass
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VERHALTEN TAFERTKMl’s.
321
im entscheidenden Momente meiner Ankunft beide, Dardai und
Muräbid, sich der Einmischung in die Ereignisse enthielten. Tafer-
tömi war ein alter Mann, und die Regierung von Fczzan würde ihn
sicherlich nicht meiner Ermordung wegen in seinen heimathlichcn
Bergen beunruhigt haben. Doch für Bö Zeit! würde mein gewalt-
sames Ende ein bedenkliches Ereigniss gewesen sein, und hätte sich
dasselbe gar in seiner Gegenwart vollzogen, so hätte er sich nicht
wieder vor seinem speciellen Chef, dem Hadsch Dschäber, und dein
Hadsch Brähim Ben Alüa sehen lassen dürfen.
Das erste Erforderniss war, über Haltung und Meinung Tafertemi's
klar zu werden. Er sei, berichtete man, in der Nacht zurückgekehrt
ich glaube, er war stets in seiner Behausung gewesen und
erwarte die Gesellschaft der Mainas, um über den nie dagewesenen
Fall eines Christenbesuches und die zu nehmenden Maassregeln Rath
zu pflegen. Als sich die ganze Gesellschaft zu ihm verfügt hatte,
klagte er über heftiges Unwohlsein und bat sie, am Abende wieder
zu kommen, konnte sich aber nicht versagen, den Gefühlen der
Kränkung, die er durch Aränti in seiner fürstlichen Würde erfahren
habe, indem derselbe mich ihm entzogen und selbst mit Beschlag
belegt habe, einen bitteren Ausdruck zu verleihen. Die Erklärung
Arämi's, dass er mich unmöglich in seines königlichen Vetters Ab-
wesenheit der Wuth einer mehr oder weniger trunkenen Volksmenge
habe aussetzen können, befriedigte ihn keineswegs, sondern kränkte
ihn noch mehr, indem sie anzudeuten schien, dass sein Ansehen nicht
hinreiche, Gästen durch ihre Aufnahme in seine Wohnung und durch
die Gegenwart seiner Frau hinlängliche Sicherheit zu gewähren. Beide
schieden in Unfrieden, und auch am Abend konnten die Verhand-
lungen nicht wieder aufgenommen werden, da das Unwohlsein des
hochbetagten Dardai sich noch verschlimmert hatte.
Als Arämi nach Hause kam und mir über die vergeblichen Be-
mühungen, seinen hohen Verwandten zu versöhnen, berichtete, stellte
er mir anheim, ob ich weiter in seinem Schutze verbleiben, oder zu
jenem übersiedeln wolle. Der letztere Gedanke liess mich schaudern;
weder das, was ich über die Häuptlingswürde in Tibesti und die
damit verbundene geringe Macht im Allgemeinen, noch das, was ich
über die Persönlichkeit Tafertemi's im Besonderen erfahren hatte,
liess mir den Gedanken auch nur erträglich erscheinen.
Seine Armuth gab ihn ganz in die Hände der Leute von Rardai
Nachii^al, I. '21
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II. BUCH, 4. KAPITEL. REISE NACH BARDA'f.
;>QO
und liess ihn eifrig nach jeder Gelegenheit zur Bereicherung streben.
Seine geistige Befähigung hatte ihn nie zu einem gesuchten Rath-
geber und zu einem geschätzten Schiedsrichter gemacht; durch
kriegerischen Sinn hatte er sich ebenfalls nie ausgezeichnet, und,
obgleich er jetzt häufig den kindischen Eigensinn des Alters
zeigte, so war er doch im Grunde von bedauerlicher Schwäche des
Charakters.
Gegen mich nahm er einstweilen Partei, nicht sowohl wegen der
Verletzung seiner Häuptlingswürde durch Arämi, die er nur zum Vor-
wände nahm, sondern weil er seine materiellen Interessen geschädigt
glaubte. Er war überzeugt, dass ich, abgesehen von den Abgaben,
welche die Edelleute des E. Zuär von mir erzwungen hatten, jenseits
der Berge von Arämi, Gordoi, Kolokfimi, Bü Zei'd und Anderen gründ-
lich ausgeplündert sei. Die mir feindliche Partei nährte diesen Arg-
wohn aufs Eifrigste, während Arämi und die Uebrigen ebenso
entschieden leugneten, ausser den officiellen Geschenken und den in
Fezzän stipulirten Honoraren das Geringste erhalten zu haben. Mir
selbst hatte mein Hauptbeschützer zu verstehen gegeben, dass die
geringste Indiscretion meinerseits über diesen Punkt ein Aufhören
seines Schutzes zur Folge haben werde Noch hatte übrigens Tafer-
tfimi die Hoffnung nicht aufgegeben, Schätze aus mir herauszupressen,
und wenn er eine feindselige Stellung mir gegenüber einnahm, so stimmte
nicht etwa mit den Leuten von Bardai für meinen gewaltsamen Tod,
sondern er weigerte sich nur, sein Gewicht für mich in die Wag-
schale zu legen, um mich auf diese Weise zur Herausgabe dessen,
was ich nach seiner Ansicht besitzen musste, zu zwingen. Als er
am zweiten Tage nach unserer Ankunft etwas wohler geworden war,
erklärte er einfach, dass er sich meiner Person, nachdem Arämi und
Genossen mich ausgeplündert hätten, und nachdem ich seinem Schutze
und seiner Leitung, denen ich durch die Briefe der Fezzäner Regie-
rung und des Hadsch Dschäber anvertraut sei, entsagt habe, nicht
mehr annehmen könne; wir könnten allein sehen, wie wir mit den
Leuten von Bardai fertig würden. Meine von Arämi angebotene
Auslieferung wies er, da ich bereits ausgebeutet sei, zurück; dieselbe
würde ihm auch zu meiner Ernährung Opfer auferlegt haben, die
über seine Kräfte gingen; für mich aber wäre sie einem langsamen
Hungertode gleichgekommen. Genug, es konnte keine Einigung mit
ihm erzielt werden, und wenn er sich auch scheinbar mit Arämi per-
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ÖFFENTLICHE BERATHUNGEN ÜBER MEIN SCHICKSAL. 323
sönlich aussöhnte, so behielt er doch seinen Groll gegen ihn wie
gegen mich.
In der Erwartung einer Einigung hielten die eigentlichen Tubu
Reschäde tägliche Berathungen vor meinem Zelte, oder vielmehr vor
dem Hause Arämi's. Das ganze ungewöhnliche Ereigniss gab ihnen
die Gelegenheit zu einer gewissen Aufregung und Geschäftigkeit
und war ihnen gewiss eine angenehme Unterbrechung ihres ein-
förmigen, arbeitlosen und pflichtenarmen Daseins. Man versammelte
sich mit Sonnenaufgang, und erst, wenn die Sonnenstrahlen ihnen
unerträglich auf die Köpfe brannten, wurde die Morgenberathung ge-
schlossen. Nach dem Asser (etwa 4 Uhr Nachmittags) begann der
zweite Medschelis (Rathsversammlung), und oft kehrten die dem
Wortkampfe ergebenen Mitglieder erst am späten Abend heim.
Wenn es auch nicht angenehm war, die verhängnissvollcn Even-
tualitäten, von denen ich bedroht war, entwickeln und discutiren zu
hören — Bui Mohammed war mein getreuer Dolmetscher und wurde
nicht selten in die Discussion hineingezogen und also mein Ver-
theidiger — , so gehörten doch anfangs die Theilnehmer an diesen
Berathungen sämmtlich der mir günstig gestimmten Partei an. Ent-
weder hatte ich ihnen gegeben, oder sie hofften durch ihre freund-
lichen Gesinnungen oder durch ihre nahen Beziehungen zu Arämi
oder Bü Zeid noch Etwas zu erhalten; denn die Ueberzeugung, dass
ich wirklich so wenig besässe, als ich behauptete, wollte keinen Ein-
gang bei ihnen finden. Anfangs handelte es sich weniger um meine
Person und die Bestimmung über dieselbe, als um die Regulirung
ihres Verhältnisses zum Sultan und zu den Leuten von BardaY. Als
sich die Gemüther einigermassen beruhigt hatten, wurden auch wohl
die edleren Vertreter der letzteren mit zur Berathung gezogen; doch
eine Einigung konnte nicht erzielt werden, da die Grundbedingung
für dieselbe meinerseits, Geld oder Geldeswerth, fehlte.
Die Verhandlungen hatten durchaus keinen gemüthlichen Cha-
rakter. Mit ernster Miene und Stimme begrüssten sie sich beim
Beginne, welche Ceremonie hier unter Leuten, die sich alle Tage
sahen, eine viel kürzere war, als ich sic auf der Reise zu be-
schreiben Gelegenheit hatte. Man reichte sich einfach die Hand,
fragte nach dem Befinden durch „Killahäni", bot sich die Tages
zeit mit „Dogßsoläha" (Frage, die man während der ersten Hälfte
des Tages an den Begegnenden richtet) oder mit „Entoguddeni"
•_'l*
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324
!. BUCH, 4. KAPITEL. RF.ISE NACH BAROAl.
(Gruss, der dem Nachmittage zukommt) und erhielt unveränderlich
auf diese Fragen die Antwort „Killaha" oder „Laha" ohne dass die
endlose Tonleiter von „Ihilla” den Act verlängerte. Dann hockte
Alles ordnungslos nieder, Niemand leitete die Debatte, und Jeder
suchte seiner Ansicht mit einem merkwürdigen Aufwande von Schlau-
heit und einer bewunderungswürdigen Redegewandtheit Ausdruck
und Geltung zu verschaffen. Oft entstand ein wirres Durcheinander,
aus dem nur Eingeweihte die Einzelheiten auffassen konnten, und
das sich natürlich nicht verdolmetschen Hess, bis dann ein durch
aristokratische Geburt und persönliches Ansehen Berechtigter die
Discussion für kurze Zeit beherrschte. Sorgfältig entfernte er dann
den Tabaksbrei, den er in der einen Backentaschc oder unter der
Zunge hielt, indem er ihn auf seinem sauberen Wurfeisen oder auf
einem platten Steine zu weiterer Benutzung auf bewahrte, und ent-
wickelte nach der Eingangsformel „Mäzin” (d. h. hört!) einen Rede-
fluss, der ihn zum geborenen Advokaten stempelte. Dabei blieben
Züge und Haltung unbewegt; kein wechselnder Ausdruck, keine
Gesten entsprachen dem wechselvollen Inhalte der Rede und suchten
ihm Nachdruck zu geben. Das Auge, diesen „Spiegel der Seele',
bohrte er dabei entweder vor sich in den Sand, in dem er mit den
Fingern die verschlungenstcn Zeichnungen zu machen ausschliesslich
beschäftigt schien, oder auf die Steinchen vor ihm, die er zu kunst-
vollen Figuren ordnete, oder er liess den Blick ziellos in die F'erne
schweifen, ohne äusserlich auch nur eine Spur zu verrathen von dem,
was in ihm vorging.
Oft trat die meine Person betreffende Angelegenheit in den
Hintergrund gegenüber Vorkommnissen innerhalb ihres eigenen Ge-
meinwesens, die ein zwingenderes Interesse hatten. Auch aus diesen
schöpften sie reiche Gelegenheit, ihre sophistische Casuistik und
ihren dialektischen Scharfsinn zu üben und zu zeigen. Sobald cs
sich um ihre nächsten Interessen handelte, ergingen sie sich in ihren
Discussioncn nicht allein in Spitzfindigkeiten und Nebenfragen, um
die Hauptsache in den Hintergrund zu drängen, sondern basirten
ihre Argumentation auf bewusste Trugschlüsse, auf ein eigensinnig
und gewaltsam verdrehtes Rechtsbewusstsein. Jeder hielt mit äusserster
Zähigkeit an seinen Scheingründen und eigenwillig verdrehten Auf-
fassungen fest; Niemand schien eine andere Norm für seine Meinung
zu haben als den Egoismus, oder eine andere Richtschnur für seine
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REDKOEWANDTHEIT UNI) SOI'HISTIK. UEk TU HU. 325
Handlungsweise als die Habsucht; Niemand schien Billigkeit zu
kennen, sondern höchstens starres Recht, das seine Selbstsucht ihm
verschroben darstellte; Gutmüthigkeit schien nicht zu existiren, nur
Eigensinn und Rachsucht. Diesen Gefühlen ordneten sie augen-
scheinlich jedes Raisonnement unter; ihnen zu Liebe fälschten sie
vor sich selbst die eigene Ueberzeugung, verschlossen sich hartnäckig
jeder fremden Ansicht In Fragen, welche ihre eigenen Angelegen-
heiten nicht direct berührten, waren sie verständig und urtheilsfähig;
sobald diese aber in Betracht kamen, war es mit ihrem guten Willen
und ihrem klaren Urtheil vorbei.
Wenn es schon trostlos war, sie in der Discussion über ihre
eigenen Angelegenheiten zu beobachten, so war es geradezu zum
Verzweifeln, selbst darin verwickelt zu sein und von dem Ergebnisse
derselben abzuhängen. Ist der Umgang mit Arabern ihrer Doppel-
züngigkeit, ihres Mangels an Aufrichtigkeit wegen oft unerfreulich, so
war der Verkehr mit den Tubu Reschade geradezu unheimlich; bei
jenen bricht wenigstens immer ein gewisses Anstandsgefuhl, oft eine
hohe Generosität durch, bei diesen fand ich stets das Gegentheil.
Im Beginne der Versammlung hocken Alle zusammen, wenn
auch ohne Ordnung, so doch nahe bei einander. Bald jedoch, sobald
hin und wieder, für und gegen Etwas gesprochen worden ist, lockt
Jemand, der eines gewissen Ansehens geniesst, einen oder den andern
unbedeutenderen Gegner bei Seite und sucht ihn zu seiner Ansicht
hinüber zu ziehen und seine Hauptgegner zu isoliren. Ein Anderer
thut dasselbe, und bald sieht man die ganze Versammlung in Gruppen
aufgelöst, von denen nach und nach diese und jene wieder zum
Centrum zurückkehren. Die einfachsten Gegenstände behandeln sic
in dieser Weise; sic schleichen zu Zweien oder Dreien bei Seite und
flüstern stundenlang, so dass der Uneingeweihte glauben muss, es
handle sich um etwas Grosses, Geheimnissvolles, das man sich aus-
zusprechen scheue. Wie oft ward ich in neue Bestürzung versetzt,
wenn ich den alten Qatrüner wieder und wieder von Freund und
Feind zu diesen intimen Beratluingen bei Seite geschleppt sah,
und wie oft handelte cs sich dann glücklicherweise nur um ein Paar
Nähnadeln, um ein Stück Schäsch zum Turban oder ähnliche unbe-
deutende Gegenstände! So dehnten sic auch mit Vorliebe ihre Ver-
handlungen auf die Nacht aus, die ihrem heimlichen Wesen besonders
zusagt. Wenn mich die bittere Sorge und die Kühle der Nacht
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II. BUCH, 4. KAPI1KJ,. KKISK NACH BAKUAl.
326
schlaflos zum Zelte hinaustrieb, sah ich noch bis tief in die Nacht
hinein ihre leichten Gestalten hin und her huschen, um in irgend
einer Angelegenheit Bundesgenossen zu suchen, Coalitionen zu bilden,
Vergleiche zu Stande zu bringen.
Wenn die Freunde und Verwandten meiner Begleiter scheinbar
uneigennützig meine Partei ergriffen hatten, so traten allmählich die
Speculationen, welche sie auf ihrer Haltung basirt hatten, mehr zu
Tage. Dieser und jener kam, um grosse und kleine Ansprüche
geltend zu machen, der Angesehene durch Arämi oder Gordoi, der Ple-
bejer durch Bui Mohammed, der scheinbar Berechtigte durch Bü Zeid.
Durch die werthlosercn Gegenstände, die mir noch zu Gebote standen,
suchte ich den Ansprüchen einigermassen gerecht zu werden, doch
das beruhigte nur für Augenblicke und veranlasste im Gcgentheil
neue Anforderungen. Lange konnten sie sich nicht mehr darüber
täuschen, dass der Stand meines Vermögens in der That meinen
Aussagen vollständig entspreche, und ihre Enttäuschung musste ihren
Abfall von meiner Person nach sich ziehen.
Es war in der That merkwürdig, diese zerlumpten, mit äusserster
Armuth und beständigem Hunger kämpfenden Tubu die unver-
schämtesten Ansprüche in scheinbarem oder wirklichem Glauben
an ihr Recht erheben zu sehen. Ich hatte dem DardaY einen rothen
Tuchburnus, eine sudanische Indigotobe, zwei tunisische Tarbüsch's
mit Turban und eine Füta zum Geschenke gemacht, und er benahm
sich, als ob er Nichts empfangen hätte. Sämmtliche Grossen des
Landes hatten rothe Tuchburnussc und verschiedene Kleinigkeiten
erhalten, und während sie aus eigenen Mitteln kaum im Stande
waren, sich ein einfaches Baumwollenhemd zu schaffen, aber jeden
Burnus gegen ein Kameel austauschcn konnten, sprachen und han-
delten sic grade, als wenn sie die unscheinbarsten Dinge empfangen
hätten, und Manche gaben nicht undeutlich zu verstehen, dass ihre
aristokratische Würde eigentlich durch meine bescheidenen Geschenke
geschädigt worden sei und also einer materiellen Reparatur bedürfe.
Die Wohlwollendsten von denen, die empfangen hatten, bewunderten
meinen naiven Muth und meine Unverständigkeit, mit so geringen
Mitteln unter ihnen zu erscheinen. Jeder glaubte sich dem Anderen
gleich oder überlegen, Viele aus besserem Blute, als das Staatsober-
haupt. Es war erstaunlich, wie viele Verwandte und Abkömmlinge
der privilegirten Aristokraten im Verhältnisse zu dein spärlich ver-
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AI.I.MAHMCHKK \UFAl.l. MEINER ERKUNDE.
327
tretenen gemeinen Volke existirten. So glaubte Jeder die Ansprüche
des.Grössten erheben zu dürfen, und die Grössten wiederum glaubten
mehr verlangen zu müssen, als alle Andern.
Schon wurde Mancher bei dem geringen Erfolge seiner Spe-
culation mir gegenüber schwierig; das Murren. wurde auch in den
Reihen meiner Partei laut und lauter. Dass ich ein unberechtigter
Eindringling in ihr Land sei, hatten auch die Wohlwollendsten nicht
geleugnet; mit der Zeit ward ich allmählich als öffentlicher Feind an-
gesehen. Diese allgemeine Stimmung richtete sich zunächst gegen
Kolokömi, ohne den ich das Land nicht betreten haben würde.
Sein Helfershelfer Bü Zei'd stand Tibesti ferner und hatte nicht die
gleichen Verpflichtungen; doch dass jener, ein durch Geburt und
Persönlichkeit unbedeutender Maina, es gewagt hatte, mich ins Land
zu fuhren, und zwar in einem Zustande, welcher der allgemeinen
Habsucht so wenig Nahrung bot, nachdem er selbst das Fett abge-
schöpft hatte, das konnten ihm w'eder Fürst noch Volk verzeihen.
Die öffentliche Stimmung wurde so drohend, dass er flüchtig wurde.
Wenn auch sein geringes Ansehen ihn zu keinem sehr nützlichen
Beistände seinen Landsleuten gegenüber für mich machte, so war er
mir doch als Wegweiser und Besitzer der schönen Kameclstute, die
er von meinem Gelde gekauft hatte, äusserst wichtig und zu meiner
Abreise geradezu unentbehrlich. Seine Flucht war daher ein harter
Schlag für mich, der wenigstens hätte versüsst werden können, wenn
er seinen alten Bruder mitgenommen hätte, dessen Forderung der
versprochenen Indigotobe ich nicht gerecht w'erden konnte, da Bü
Zei'd die letzte in „meinem Interesse" verausgabt hatte, ehe ich
Bardai erreichte.
Dabei schien sich das Unwohlsein des greisen Staatsoberhaupts
zu verschlimmern, und man fürchtete eine Zeitlang sogar für sein
Leben, das allerdings die gewöhnliche menschliche Grenze längst
überschritten hatte. Die Krankheit verhinderte ihn zwar anfangs
nicht, Tag und Nacht darüber nachzugrubeln, wie er mir die ver-
heimlichten Schätze entreissen könne; doch als weder der ihm per-
sönlich nahestehende GordoY Etwas aus mir herauszupressen vermocht
hatte, noch eine heimliche Sendung Bü Zeid's um ein Geschenk von
sieben Maria-Theresia-Thalern erfolgreich gewesen war, hing er mehr
und mehr seinem körperlichen Leiden nach und schien ganz aufzu-
hören, sich um meine Angelegenheit zu bekümmern. Ich hörte
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328 II. BUCH, 4. KAPITEL. KE1SE NACH ISAKUAÜ.
zwar nie auf, Arämi und meine nächsten Freunde aufzustacheln und
die Erlaubniss und Sicherung meiner Abreise zu fordern, doch
ohne Erfolg; ich musste schon wenigstens den Ausgang der Krank-
heit ihres Oberhauptes, ohne das sie, trotz seines geringen Ansehens,
nicht handeln wollten, abwarten.
Ein verlängerter Aufenthalt würde mir leicht und eine Quelle der
werthvollsten Studien und Erfahrungen geworden sein, wenn es mir ver-
gönnt gewesen wäre, herumzuschweifen und mit den Bewohnern zu ver-
kehren, und — wenn ich nicht ausser der Langeweile noch so viel Hitze
und Hunger hätte ausstehen müssen. Ich war an das Zelt gebannt, das
bei einer durchschnittlichen höchsten Tagestemperatur von 40° C. zur
wahren Hölle wurde, da es, wie schon erwähnt, aus einer einfachen Lage
Leinwand bestand und die Macht der Sonnenstrahlen nicht genug abzu-
schwächen vermochte, und unsere Nahrung beschränkte sich ausschliess-
lich auf Datteln, die uns Aränii Morgens und Abends in spärlicher An-
zahl verabreichte. Von Zeit zu Zeit machte ich einige schwache Ver-
suche, das Wohlwollen der alternden Schwester Arämi’s zu erwerben
und, als ich bemerkte, dass sie für die gewöhnlichen Liebenswürdig-
keiten nicht zugänglich war, sei es, dass ihr gesetztes Alter über-
haupt oder die Verachtung des Christen speciell sie unempfindlich
machte, an ihr Mitleid zu appelliren, um einer unbedeutenden Quan-
tität der lang entbehrten Mehlspeise theilhaftig zu werden: doch
Fätlma's Herz war das einer Tubu - Schönen , und selbst als ich die
verständnissvollere Saite des persönlichen Interesses in ihrem Busen
anschlug und ihr das letzte Halsband echter, wenn auch kleiner Ko-
rallen, das mir blieb, überantwortete, erhielt ich nur barsch die
kummervolle Antwort: „Unser Land ist kein Land des Atsch".
Da lag vor mir das malerische Thal mit seinen anmuthigen
Gruppen von Dattel- und Düm-Palmen, die sauberen Hütten der Be-
wohner nur halb verbergend, mit seinen Gärten, seinem erfrischenden
Grün und seinem köstlichen Schatten; da vollzog sich in meiner un-
mittelbaren Nahe das Leben seiner Bewohner in Familie und Gemein-
wesen, in Sitten und Ideenkreisen, die ich so gerne beobachtet und
betreten hätte; und ich, auf den nackten Felsboden gebannt, der
sengenden Sonne, dem Hunger und dunkler Besorgniss anheim ge-
geben, konnte mich nur in stiller Resignation üben.
Zwei Mal wagte ich, mich auf Momente dieser ertödtenden und
entmuthigenden Gefangenschaft zu entziehen; doch beide Versuche
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HITZE, HUNGER, STEINIGUNG. 35f9
lehrten mich in sehr eindringlicher Weise, dass die Aussenwelt noch
grössere Unannehmlichkeiten fiir mich berge als das traurige Zelt.
Das eine Mal wollte ich die Zeit der grössten Tageshitze, in welcher
sich die Tubu ruhiger in ihren Wohnungen hielten, als selbst zur
Nachtzeit, benutzen, um einmal zur Siesta des verlockenden Schattens
zu geniessen, den mir eine nur wenige hundert Schritte entfernte,
reizende Palmengruppe winkte. Auch frisches Wasser sollte dieser
Platz bergen, und so schlich ich, mit einer Trinkschale versehen, zu
dem seltenen Genüsse. Mit Wollust streckte ich mich in den reinlichen
Sand und hielt den ersten wirklich erquickenden Mittagsschlummer;
leider wurde ich in sehr unerfreulicher Weise aus demselben aufge-
schreckt. Ein junges Mädchen von 12 bis 14 Jahren hatte mich er-
späht, schnell gleichaltrige und jüngere Genossen und Genossinnen
zusammengelockt und begann mit diesen einen so energischen An-
griff mit Steinwürfen auf mich, dass ich an schleunigen Rückzug
denken musste. Ein kurzer Versuch, der Anführerin begreiflich zu
machen, dass ich ihr gegenüber von Nichts weniger als feindseligen
Gefühlen beherrscht sei, erweckte durchaus keine zarteren Regungen
in ihrem jugendlichen Herzen, sondern wurde mit einem Wurfe be-
lohnt, dessen Folgen ich für manche Tage spürte. Die Kinder
schleuderten mit einer solchen Kraft und Geschicklichkeit so ansehn-
liche Geschosse, dass ich bei grösserer Entfernung meines Zufluchts-
ortes ernstliche Besorgnisse hätte hegen müssen. So kam ich mit
zahlreichen Contusioncn davon, deren Schmerzen mich während der
nächsten Zeit in jedem Augenblicke daran erinnerten, wie machtlos
und abhängig ich war.
Das andere Mal wollte ich, als ich fast alle männlichen Ein-
wohner bei einem gemeinsamen Feste und die übrigen durch die
Mittagszeit in ihren Hütten zurückgehalten glauben konnte, einen
Brunnen ganz in der Nähe unseres Lagerplatzes in Bezug auf seine
Tiefe untersuchen. Kaum hatte ich ihn erreicht, so war auch hier
die hoffnungsvolle Jugend wieder da und griff mich unter dem lauten
Kriegsgesehrei: „auf den Heiden 1 auf den Heiden!'’ mit den oben
erwähnten Waffen und gleicher Energie an. Zu der Gefahr der
Steinigung kam hier noch ein laqbitrunkener Mann mit seinem Wurf-
eisen, der, angefeuert durch die Kampfcswuth der Kinder und den
genossenen Alkohol und ermuthigt durch meinen Rückzug, den ich
so würdevoll als möglich auszuführen bestrebt war, von seiner Waffe
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330
II. HUCH, 3. KAPITF.I,. REISE NACH BARIM1.
Gebrauch machen zu müssen glaubte. Glücklicherweise hatte ihm
der Palmenwein Auge und Hand unsicher gemacht, so dass ich mit
einem „Flachen" davon kam und ungeschädigt meinen Zufluchtsort,
oder vielmehr mein Gefängniss, erreichte.
Der Sultan blieb länger als eine Woche krank. In den Stunden
leidlichen Befindens beschäftigte er sich natürlich, wie alle Welt, mit
meiner Angelegenheit, doch leider nur, insoweit er noch möglicher-
weise Vortheil aus ihr ziehen konnte. Da ich seinen öffentlichen
und geheimen Emissären stets der Wahrheit gemäss alle Schätze ab-
leugnete, so ging mit der Hoffnung, Etwas von mir erpressen zu
können, auch der letzte gute Wille verloren, mich auf den sicheren
Rückweg zu bringen. Arämi seinerseits wurde es allmählich müde,
fünf Personen zu ernähren, denn wenn wir auch nur Datteln erhielten,
und er verhältnissmässig gut situirt war und wohl wusste, warum er
mir gab, so war es eben doch für einen Bewohner Tibesti's ein un-
geheures Opfer, dies wochenlang fortzuführen. Dazu sassen seine
Frau und Kinder zu Gabön ohne hinlängliche Vorräthe, und ein
Regen hatte plötzlich das Flussbett seines Thaies ih einen reissenden
Strom verwandelt und ihm acht Esel fortgeschwemmt. Er hielt
trotzdem Stand und blieb seinem Versprechen, uns zu schützen und
zu ernähren, treu, arbeitete aber um so eifriger daran, mich los zu
werden und zwar in friedlicher Weise und unter Mitwirkung Tafertemi’s.
Denn wie angesehen er auch war und wie selbstgefällig er auch auf
seine Macht pochte, so war doch deutlich ersichtlich, dass er nur im
äussersten Nothfallc und höchst ungern sich entschliessen würde,
ohne Zustimmung seines fürstlichen Cousin zu meinen Gunsten zu
handeln. Wiederholentlich nannte er ihn ein greises Kind, unfähig,
gehörig zu denken und zu handeln, und brach die Verhandlungen
mit ihm ab; und immer wieder knüpfte er an und suchte zu bereden,
bat und drängte: so gross blieb auch bei den zügellosen Tubu
noch das Prestige des Namens Dardai trotz der damit verbundenen
Machtlosigkeit. Oft glaubte er am Ziele zu sein und den greisen-
haften Eigensinn gebrochen zu haben, doch stets rissen die Leute
von Bardai und diejenigen der Tubu Reschäde, die leer ausgegangen
waren, am Morgen wieder nieder, was er Tags zuvor mühsam auf-
gebaut hatte.
Endlich fast 14 Tage nach unserer Ankunft in Bardai kam
Arämi sehr befriedigt von einer Discussion mit Tafertämi zurück und
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ZUSAMMENKUNFT MIT DEM IMRDAl. 331
meldete, dass er glaube, die friedliche Lösung sei nahe; der Dardai
habe versprochen, den ersten Schritt der Annäherung zu thun und
mich am nächsten Morgen zu besuchen. Noch zweifelte ich an
dieser lang ersehnten Wendung, als gegen Abend das erste Zeichen
friedlicher Kenntnissnahme von meiner Person Seitens des alten
Häuptlings eintraf: ein mächtiger Dattelzweig, der die Gastmahlzeit,
welche seine Vermögensverhältnisse ihm nicht gestatteten, in der con-
venablen Form des üblichen Mehlbreis zu liefern, darstellen sollte. Am
nächsten Morgen erhob ich mich früher als gewöhnlich von meinem
kummervollen Lager, um bei den matinalen Gewohnheiten der Tubu
rechtzeitig bei der Hand zu sein; die rathsberechtigten Tubu Reschäde
und Bardaier versammelten sich vollzähliger als gewöhnlich, und
gegen Sonnenaufgang sah man das greise Staatsoberhaupt, begleitet
von seinem einzigen Beamten, dem sogenannten Dolmetscher, heran
kommen. Man musste gestehen, dass die äussere Erscheinung Tafer-
tömi's durchaus nichts Königliches an sich hatte. Ein kleiner, vom
Alter gekrümmter Greis, mager, mit hastigen Bewegungen, das mit
einem bescheidenen Barte gezierte, kleine, verkniffene, faltige, massig
dunkle Antlitz scheu bald hierhin, bald dorthin wendend, war er in
eine blaue Tobe aus Bornü gekleidet, die durch Schmutz und defecte
Stellen ein ansehnliches Alter verrieth, trug einen abgeblassten, faden-
scheinigen Tarbüsch mit einem schmierigen, ursprünglich weissen
Turban, dessen Litham-Tour lose auf die Brust herabhing, und unter-
stützte seine in Sandalen gekleideten Küsse durch einen dicken Stab,
der ihn selbst an Länge übertraf, und den er in der Mitte gefasst
hielt. Sein Dolmetscher war ein zerlumptes, dunkelfarbiges, noch
weniger Vertrauen erweckendes Individuum. Ich ging ihm mit Bui
Mohammed, meinem wirklichen Dolmetscher, zur Bcgrüssung ent-
gegen, sprach meine Freude aus, ihn endlich von Angesicht zu An-
gesicht zu sehen, wonach ich mich so lange gesehnt habe, und meine
Hoffnung, dass sich nun Alles für mich zum Besseren wenden werde.
Seine Krankheit, von der ich hoffe, dass er vollständig genesen sei
Gott möge seine Tage verlängern! , habe die Schuld getragen,
dass ich in seinem Lande mehr gelitten habe, als sich mit den
Pflichten der Gastfreundschaft vertrage. Ich sei von einer der seinigen
befreundeten Regierung geschickt an ihn, einen mächtigen, weisen
und gerechten König, der durch ein Menschenalter die Geschicke
seines Landes gelenkt habe und darum weit und breit bekannt sei,
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332 II. IIUCII» 4. KAPII EJ- KEISK NACH BARI» Al.
und habe doch seit meiner Ankunft nur Gefahr, Kränkung aller Art
und Hunger erlitten. Ich hoffe, dass er, der die Macht habe, mich
jetzt friedlich auf den Weg nach Fczzän bringen werde, denn meinem
ursprünglichen Zwecke, die mächtigen Berge seines Landes und alle
Flussthälcr zu sehen, habe ich entsagt, seit mir klar geworden sei,
dass die Einwohner meinen Besuch nicht mit günstigen Augen an-
sähen. Als Bui Mohammed, der dem alten Häuptling persönlich be-
kannt war, ihm meine wohlgesetzte Rede vortrug, machte diese
augenscheinlich nicht den geringsten Eindruck auf das verstockte
Gcmuth des zielbewussten alten Herrn. Ohne auf ihren Inhalt ein-
zugehen, sagte er einfach durch den Mund seines Dolmetschers, der
seine Worte nicht etwa zu meinem besseren Verständniss ins
Arabische übersetzte, sondern nur der Tubusprache mächtig war
sein Amt bestand nur zur Erhöhung der Würde des Dardai, der auf
diese Weise nicht direct mit jedem Unwürdigen zu verhandeln
hatte — : „Bevor wir weiter sprechen, beantworte mir eine Frage;
wer hat bei Deiner Ankunft in Tibesti Dein Besitzthum so verringert,
dass Du so zu sagen mit Nichts hierher nach Bardai gekommen
bist? Ich muss dies wissen, denn ich bin für Sicherheit und Gerechtig-
keit in meinem Lande verantwortlich . Auf meine Antwort, dass ich
nur seinen ersten Edelleuten im E. Zuär, die mir vom Hadsch Dschaber
selbst als berechtigt genannt seien, ihr „Haqq el-Wädi" (Recht des
Flussthals) gegeben habe, bemerkte er, dass dies durchaus unwahr-
scheinlich sei, denn ich sei mit vier beladenen Kameelen in s Land
gekommen Ich setzte ihm auseinander, dass eines derselben den Mund-
vorrath, der allerdings von den hungrigen Einwohnern seines Landes
auf Nichts reducirt sei, getragen habe, eines die Geschenke und die
Geldwerthe, ein anderes meine persönliche Habe und meine Person,
und das letzte die Wasserschläuche, das Zelt und dergleichen; aber
diese Auskunft befriedigte ihn keineswegs Er beharrte dabei, dass
vier Kameelc eine ungeheure Kraft repräsentirten, dass es wahr-
scheinlich sei, sie seien wohlbepackt gewesen, und dass das, was ich
in officiellcr Weise gegeben, keineswegs das gänzliche Verschwinden
der Ladungen erkläre. Ich möge nur furchtlos und offen gestehen,
wer der oder die Räuber gewesen seien, denn er sei die Macht und
die Gerechtigkeit. Ich hütete mich wohl, die Geschenke, die ich
Arämi und den Seinen gegeben hatte, zu. erwähnen, und blieb bei
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ENTTÄUSCHUNG TAKER TEMl’s.
333
meiner Aussage. Als er seinerseits ebenfalls bei seiner Meinung
blieb und immer wieder darauf zurückkam, dass vier Kamecle viel
mehr getragen haben müssten, als ich zu verrechnen im Stande sei,
so wurde ich ärgerlich und sagte ihm kurz: ,,ich begreife nicht, was Du
willst; habe ich Dir nicht einen rothen Tuchburnus, eine Indigo-Tobc
v on Afono (bei Arabern und Negern üblicher Name für Haussa), einen
tunisischen Tarbüsch mit Turban für Dich und Deinen Sohn, eine
herrliche Füta für Deine Frau geschenkt?! Waren das nicht eines
Königs würdige Gaben, und hast Du nicht viel mehr erhalten, als
alle übrigen Edelleute Deines Landes? Warum traust Du meinen
Worten nicht? Die Kameele habe ich nicht mit nach Barda’t bringen
können, weil sie zu schwach waren, die ungewohnten Berge zu über-
steigen, und weil ich hier kein F'utter für sie gefunden haben würde.
Glaubst Du, dass ihre Ladungen ebenfalls drüben geblieben sind,
so lass mich von Jemand auf den Weg nach Fezzan geleiten, der
sich davon überzeugen kann, ob ich Etwas mit von hinnen nehme.
Oder vermuthest Du, dass ich hier noch Schätze verberge? Dort ist
mein Zelt, das ich nicht einmal verlassen kann, ohne in unwürdiger
Weise von Kindern insultirt zu werden, und in ihm Alles, was ich
besitze; überzeuge Dich selbst von seinem Inhalte!”
Die letzten Worte waren das Einzige meiner Rede, das ihn an-
muthete. Der praktische Mann der Thatsachen erhob sich, ohne ein
Wort zu sagen, begab sich, gefolgt vom Dolmetscher und dem alten
Qatrüner, in mein Zelt und nahm eine Ocularinspection seines In-
haltes vor. Leer gähnten ihm die beiden verräterischen Kisten ent-
gegen, denn ihren Inhalt an einigen Büchern und meteorologischen
Instrumenten rechnete er verachtungsvoll für Nichts, da sie keine
unmittelbare Verwertung zuliessen, und sonst fand er ausser der
Matratze, die ich damals noch mein nannte, einer einzigen Rett-
decke, und den Schiesswaffen, die ihm nicht dienen konnten, Nichts,
gar Nichts, das sein Wohlwollen für mich hätte wieder erwecken
können.
Erwartungsvoll hingen Aller Augen an der Zeltöffnung. Raid
trat der enttäuschte Greis hervor, nahm aber sonderbarer Weise keine
Notiz von irgend Jemand, durchschritt stumm die Versammlung und
begann sich zu entfernen. Da erhob sich Arämi und hielt hoch auf-
gerichtet, die Lanze auf den Boden gestemmt, eine glanzende Rede.
„Wohin gehst Du, König?" sagte er etwa; „bist Du nicht heute hier-
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II. BUCH, 4. KAPITEL. REISE NACH BARDAT.
334
her gekommen, damit wir endlich über das Schicksal dieses Mannes
entscheiden, der durch Dein Zögern hier zurückgehalten wird?
Warum lassen wir ihn nicht nach Fezzän ziehen, von wo er gekommen
ist? Was wollen wir mit ihm machen? Ihn etwa tödten? So viel
ich weiss, haben wir nicht die Gewohnheit, Menschenblut zu trinken,
Wasserschläuche aus Menschenhaut zu machen oder Menschenfleisch
zu essen! Und sonst hat dieser Fremdling keine Besitzthiimcr, die
uns reizen könnten; warum halten wir ihn also zurück? Unsere
Brüder und Vettern wohnen in Fezzän; dorthin rufen uns unsere
Handelsbeziehungen; wenn wir diesen Christen, der mächtiger ist,
als die ganze Regierung zu Murzuq, umbringen, so können wir nicht
mehr unsere dortigen Märkte beziehen, und für den Tod dieses Einen
fallen zwanzig der Unseren als Opfer. Ist es nicht verständiger, ihn
ungeschädigt an seiner Person ziehen zu lassen? Sein Hab' und Gut
hat er vcrtheilt und Jerike nicht gesehen; seine Kameele sind un-
brauchbar; seine Essvorräthe haben wir aufgezehrt; den Weg kennt
er nicht. Ohne Nahrung, ohne Wasser, ohne Wegkenntniss wird er
in der Wüste zu Grunde gehen; aber Gott wird ihn getödtet haben,
nicht wir. Seit seiner Ankunft in Bardai habe ich ihn und seine
Leute ernährt; ich kann und will das nicht länger thun, sondern ver-
lange, dass der König und die Versammlung der Edlen ihn ent-
lassen”.
Es war eine schöne Rede, obwohl ich nicht gerade sagen kann,
dass die Bilder, welche sie als die wahrscheinlichen und natürlichen
Ziele meiner Feinde entrollte, oder die Perspectiven, die der Redner
als den meinen Freunden erwünschten Ausgang hinzustellen schien, mir
besonders zugelächelt hätten. Doch ich erwartete immerhin einen
grossen Eindruck auf den König. Leider war der nüchterne Sinn
desselben durchaus gefeit gegen derartige drastische Angriffe auf
sein Gefühlsleben. Für ging auf keine der oratorischen Fragen ein, die
scharf, bestimmt und gedrängt an Verstand und Gefühl der Anwesen-
den appellirten, sondern, schon ausserhalb des Kreises der Versamm-
lung, drehte er sich nur noch einmal um und sprach mit vernichten-
der Einfachheit: „ich habe das leere Holz gesehen und gehe nach
Hause!" Mit jener missachtenden Bezeichnung, welche die ganze
Grösse seiner Enttäuschung entfaltete, belegte er meine armen
Kisten. Auch Akremi Temidömi erhob seine im grellen Contraste
zu seiner kurzen Person stehende Donnerstimme zu meinen Gunsten,
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REDE ARAMl’S. — RESULTAT LOSER AUSGANG. 335
während die Gegner zwar zahlreich waren, aber sich nicht zu einer
wirklichen Rede, zur öffentlichen Vertheidigung einer an mir zu ver-
übenden Gewaltthat aufschwingen konnten, sondern sich begnügten,
die Rede meiner Beschützer häufig durch aufreizende Worte zu unter-
brechen. „Was hat der Heide hier zu thun?!"; „warum so viel
Wesens um einen Christen machen?"; „warum ist er mit so wenig
Besitzthum hierher gekommen, dass nur Einzelne Vortheil von ihm
gehabt haben?”; „bin ich nicht von ebenso edler Geburt als die
Besten des Landes?"; „er ist als Spion in unser Land gekommen,
das noch nie von einem Türken oder Christen betreten wurde, um
seine Schätze zu erspähen, und wenn wir ihn nicht umbringen, so
wird er uns verrathen und verkaufen, und unser Land werden Fremd-
linge nehmen!": das waren die kurzen Ausrufe und Bemerkungen,
die man von Diesem oder Jenem hörte. Doch, wenn sie in kleineren
Versammlungen diese Gesichtspunkte ungescheut ausführlich ent-
wickelt hatten, hier wagten sie meine Vernichtung zwar als einen
patriotischen Act an zu deuten, aber ihre Gewandtheit im Rechts-
verdrehen reichte nicht hin, eine solche That öffentlich zu rechtfer-
tigen und mit den Pflichten der Gastfreundschaft in Einklang zu
bringen. Jeder hatte den innigen Wunsch,, mich durch irgend einen
Zufall, durch Meuchelmord, im Streite, oder sonst wie verschwinden
zu sehen, doch kaum den Muth, Arämi und andern angesehenen
Edelleuten gegenüber meine Ermordung als eine gerechte Handlung
zu vertheidigen.
Dem entsprechend liess sich auch Taferteini nicht darauf ein,
denen, die für mich gesprochen hatten, in sachlicher Erwägung zu
erwidern, sondern setzte einfach seinen Weg nach Hause fort, nach-
dem er sich noch einmal umgewendet und in verachtender Kürze
gesagt hatte: „der Mann hat das leere Holz gebracht; ich habe
hier Nichts mehr zu thun!" Sprach's und ward nicht mehr gesehen.
So verlief die ganze Zusammenkunft, auf die Arämi und ich so
grosse Hoffnungen gegründet hatten, resultatlos. Mein Herz wurde
damit recht bedrückt und hoffnungslos. Noch glaubte ich zwar nicht,
dass man wagen werde, die in Fezzan wohnhaften Tubu Reschäde
durch meinen gewaltsamen Tod in die grösste Lebensgefahr zu
bringen; und wenn Giuseppe bisweilen nach stürmischer Rathsver-
sammlung sich nach dem Resultate derselben erkundigte und seinen
Zeigefinger mit bezeichnender Geberde um seine Kehle führend
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3’JG
». BUCH, 4. KAPITEL. REISE NACH BARDA'f.
fragte: „Nun, ist es schon so weit?”, so konnte ich immer noch
lächelnd erwidern , dass nach meiner Ansicht uns die Geiseln in
Fezzan sicher stellten. Doch ich fürchtete, das Interesse der Vor-
nehmen zu verlieren, dem Hunger und Elend Preis gegeben zu
werden und endlich in die Hände des rohen Volks zu fallen, das sich
leicht in der Leidenschaft des Augenblicks zu einer blutigen That
hinreissen lassen konnte. Jedenfalls war cs eine Thatsache, dass wir
bei unserem gänzlichen Mangel an Nahrungsmitteln und bei unserer
Unkenntniss des Weges nur mit Hülfe angesehener Männer das Thal
würden verlassen können, und das Interesse dieser begann zu er-
kalten.
Das Gerücht meiner misslungenen Zusammenkunft mit dem
Dardai setzte den Strom der Besucher wieder in Fluss, der in den
letzten Tagen schwächer geworden war. Die Freunde der ersten
Zeit begannen aus dem Stadium der Zurückhaltung in das der Feind-
seligkeit überzugehen, seit sie eingesehen hatten, dass meine beharr-
liche Abläugnung aller Schätze auf Wahrheit beruhte. Einer der-
selben, in dem ich trotz seiner rauhen Sprache und seines barschen
Wesens etwas ungewöhnlich Offenes und Ehrliches zu sehen geglaubt
hatte, murrte besonders laut. Dieser war mir vom ersten Tage an
durch den Umstand aufgefallen, dass er allein von Allen die nationale
Beschäftigung des Tabakkauens zuweilen durch Hauchen unterbrach.
Zu diesem Zwecke ergriff er ein längliches, grosses Verdauungs-
produkt des Kameels, brachte auf dem einen Ende desselben eine
Höhlung zur Aufnahme des Tabaks an und dieser diametral gegenüber
ein Loch in der krustenartigen Oberfläche, und schmauchte nun mit
innigem Behagen Tabak und Kameelunrath zusammen. Ob ihm die
letzte Cigarre, die mir geblieben war, und die ich ihm in der Heiter-
keit über die Fintdeckung des Kameelmistrauchens verehrte, besser
schmeckte als der letztere, war nicht mit Sicherheit zu entscheiden.
Kranke kamen zwar auch von Zeit zu Zeit, und je ängstlicher
ich das wenige Besitzthum, das noch vorhanden war, für Arämi und
seine Leute, an die sich meine ganze Hoffnung klammerte, hütete,
desto mehr war ich bceifert, mir durch Spendung meines Medica-
mentenvorraths nach allen Seiten hin F'reunde zu erwerben; doch
leider bedurfte man im Allgemeinen der therapeutischen Eingriffe
wenig. Das Klima des Landes ist äusserst gesund ; die Excesse des-
selben werden gemildert durch das Gebirge; die Lage ist eine ziem-
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WIDERWÄRTIGE BESUCHER. 337
lieh hohe, die Luft trocken, die Lebensweise, wenn wir von dem Miss-
brauch des Laqbi absehen, eine massige und regelmässige. Von den
Heilmitteln erfreuten sich die Blasenpflaster noch des grössten Zu-
spruchs. Sie entsprachen am meisten den landesüblichen äusseren
Eingriffen, die sich fast ganz auf das Glüheisen beschränken, und mit
wahrer Befriedigung fügten die Leute zu den zahllosen, oft kolos-
salen Narben des letzteren noch die breiten, wenn auch oberfläch-
lichen, der spanischen Fliege. Nächst den Blasenpflastern waren die
Brechmittel am meisten gesucht, und bei den verschiedenen Augen-
affectionen konnte ich Manchem Linderung und Heilung bringen.
Neugierde endlich und die Wichtigkeit des Ereignisses, einen
christlichen Eindringling im Lande zu wissen, führte nach und nach
auch die Einwohner der benachbarten Ortschaften und Thäler her-
bei. Auch Derdekore, der grosse Sprecher von Zuar, obgleich er
ursprünglich nicht hatte nach Bardai gehen wollen, erschien, um in
der Angelegenheit seine gewichtige Stimme in die Wagschale zu
legen. Glücklicherweise nahm er in seinem Unheil einen höheren
Standpunkt ein und stimmte aus der politischen Rücksicht, mit Fczzän
in leidlichem Einvernehmen zu bleiben, für meine Entlassung. Doch
die meisten Besucher verharrten bei den engherzigsten Anschauungen.
An einem Tage kam ein Maina, aus dem Thale Marmar, der
natürlich in seiner F'erne keinen Antheil an meinen Geschenken
erhalten hatte, um mir, nach einem vergeblichen Versuche, einen
Werthgegenstand zu erpressen, ruhig auseinanderzusetzen, dass er
dies als eine persönliche Beleidigung ansähe und sich, sobald ich
aus den Händen Arämi’s entlassen sein würde, entsprechend zu rächen
wissen werde. An einem andern Tage erschien ein Mann königlichen
Blutes aus Joö, constatirte meine Armuth und zeigte mir hohnlächelnd
an, dass er sich nach Täo begeben werde, um sich seinen Antheil
an meiner Habe in Kameelen zu sichern. Die Leute von Abo, die
wir auf der Hinreise sorgfältig vermieden hatten, schickten eine
Deputation und drohten, sich dafür, dass ich nicht den gewöhnlichen
Weg von F'ezzän durch ihr Gebiet gewählt und sie demnach um
ihren Durchgangszoll geschädigt habe, auf meiner Heimreise, wenn
ich diese überhaupt antreten würde, blutig bezahlt zu machen. Ja,
ein Fremdling aus Borkü erschien eines Tages, besichtigte mich und
meinen piemontesischcn Diener und suchte mit Arämi wegen unseres
Ankaufs in Unterhandlung zu treten. Er sei nicht iibel geneigt, uns
Nach'igal. I Äi
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338 11. BUCH, 4. KAPITEL. REISE NACH BARDAl.
als Merkwürdigkeit zu acquiriren, könne freilich, da wir doch als
Arbcitssclaven eigentlich werthlos seien, keinen hohen Preis bieten,
wolle aber ein gutes, starkes Kameel opfern.
Sobald ein neuer Besucher kam, gerieth ich in stille Wuth;
ich wusste im Voraus, dass ich nur Unangenehmes hören würde.
In der ganzen Zeit meines gezwungenen Aufenthaltes in Bardai' sah
ich nur ein einziges Individuum, das aus reinem Mitgefühl mit meiner
unerquicklichen Lage, ohne Speculation auf einen persönlichen Vor-
theil, für mich einzutreten suchte. Er war aus einer der Ortschaften
des Bardai -Thaies und führte sich eines Tages mit einigen Wasser-
melonen bei mir ein, indem er in rührender Einfachheit auseinander
setzte, dass er in seinem Dorfe von dem Christen gehört habe, der,
nachdem er gezwungener Weise sein Besitzthum fortgegeben habe,
Hunger leiden müsse, gewaltsam zurückgehalten werde und dazu noch
seine Feinde von ihren Krankheiten heile, und da habe er gedacht,
es müsse demselben doch Vergnügen machen, einige Früchte aus
seinem Garten zu haben. Da er ein ziemlich angesehener Mann war,
begab er sich sodann zu Tafertömi und sprach dort, wie ich erfuhr,
energisch für meine Freilassung. Ich war zwar unmittelbar gerührt
über das ungewöhnliche Zeichen von Mitgefühl, konnte aber meine
Zweifel an der Aufrichtigkeit desselben nicht unterdrücken und
wartete von einem Tage zum andern auf die Entwicklung des ego-
istischen Motivs, das dem anscheinenden Edelmuthe zum Grunde
läge; doch obwohl er mir einen zweiten, durch dieselbe erquickende
Gabe vcrannehmlichten Besuch abstattete, äusserte er keinen Wunsch,
kein Verlangen, und seine isolirte, wohlthuende Erscheinung ist mir
durchaus rein und unverdunkelt in dankbarer Erinnerung geblieben.
Auch die Frauen und Kinder kamen mit der Zeit nicht selten,
um ihre Neugierde zu befriedigen. Ich empfing anfangs ihre Besuche
gern, da ich trotz der jugendlichen Schönen, die mich hatte steinigen
wollen, und seitdem meine enragirte Feindin geblieben war, im Allge-
meinen bei ihnen sanftere Gefühle und grössere Harmlosigkeit vor-
aussetzte, und da ich von jeher ein grosser Kinderfreund gewesen
war. Die Frauen waren von derselben hochgradigen Magerkeit, wie
die Männer, und hatten meist regelmässige, doch oft allzu scharf
geschnittene Züge. Die Entwicklung und die Form ihrer Nasen, die
im Allgemeinen ansehnlicher zu sein schienen, als bei den Männern,
und sich bisweilen zu aquiliner Form aufschwangen, trennte sie
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UNDANKBARKEIT DER FRAUEN UND KINDER.
339
von dem gewöhnlichen Negertypus. Ihre Magerkeit, ihre scharfen
Züge, ihr männliches Wesen nahmen ihnen den Reiz der Weiblich-
keit, und Hessen mir ihre Gesichter, wenn dieselben auch noch so
regelmässig waren, niemals ansprechend und gefällig erscheinen.
Vielleicht war es auch nur der fatale, nicht wegzuwischende Tubu-
Ausdruck, welcher mich hinderte, sie hübsch zu finden.
Leider gelang es mir aber ebenso wenig, im schönen Geschlechte
und in den unschuldigen Kindern freundschaftliche Gefühle zu wecken,
als bei den Männern. Hatten einige Kinder ihre anfängliche Furcht
hinlänglich besiegt, uni bis in meine unmittelbare Nähe zu kommen,
und hatte ich sie dann gehätschelt und mit ihnen gespielt, wie man
mit Kindern zu thun pflegt, ihnen etwas Zucker geschenkt, so lange
noch eine Spur davon vorhanden war, oder einige Nähnadeln, für
welche sie eine grosse Vorliebe zeigten, so versuchte ich wohl, sie
einige Schritte weit zu begleiten. Doch kaum hatte ich dann, vorsichtig
in Folge der früheren Erfahrungen, den Rücken gewendet, um die
freudlose Stätte, an die ich geschmiedet war, wieder aufzusuchen, so
warfen diese kleinen Schurken, offenbar schon Verräther vom Mutter-
leibe her, die Maske der Unschuld ab, und ihre Steinwürfe kränkten
dann mein Gemütli in seinem Glauben an die Menschheit mehr, als
sie meinem Körper wehe thaten.
Eines Tages kam eine Schwester oder doch nahe Verwandte
Tafertemi's, um mich wegen eines chronischen Lungenkatarrhs zu
consultiren. Ich belud sie förmlich mit Mitteln aus meinem kleinen
therapeutischen Vorrathe, schon ihrer hohen Verwandtschaft wegen.
Sollte man cs glauben, dass die dankbare Dame unmittelbar nach ihrer
Entfernung, noch unter meinen Augen, eine Bande von fünfzehn bis
zwanzig Knaben zu einem Angriffe auf mein Zelt organisirtc und
in der Nähe Platz nahm, um sich an diesem Schauspiele zu weiden?
Den jugendlichen Tubu, von denen die meisten in den Flegeljahrcn
waren, sagte dieses Spiel natürlich ausserordentlich zu. Wir durften
uns nicht vertheidigen, um durch einen Kampf gegen Kinder nicht
unsere Würde zu schädigen; Animi w’ar über Land gegangen, und
selbst seine Schwester FätTma augenblicklich abwesend. Das Zelt
konnte den Geschossen so grosser Jungen unmöglich Widerstand leisten,
und ich weiss in der That nicht, was daraus geworden sein würde, wenn
nicht Bü Zei'd und der ältere Bruder Kolokömi's zufällig gekommen
wären und die jugendliche Bande in die Flucht geschlagen hätten.
25ä*
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IT. BUCH, 4. KAPITEL. REISE NACH IIARDAl.
So schlichen die Tage in ertödtender Langsamkeit, unter Sorge
und Aerger dahin. Wenn die Sonne des Morgens am klaren Himmel
aufstieg über der lieblichen Scenerie des Thaies, begann die Tages-
qual. Dann kamen halbe Freunde und ganze Feinde, um mich durch
die Hirnlosigkeit ihrer Raisonnemcnts zu ärgern, durch schlechte Nach-
richten zu entmuthigen oder durch grausame Reden zu kränken. Die
Hitze im Zelte wurde immer unerträglicher — wir näherten uns dem
Finde des Monats August — , und der Hunger immer quälender. Die
Tagesmahlzeit, welche nicht nur zur Befriedigung des letzteren diente,
sondern unter den obwaltenden Verhältnissen den Reiz einer zeit-
ausfüllenden, genussreichen Beschäftigung gewann, obgleich sie nur
aus oft recht schlechten Datteln bestand, blieb bald nach dem Be-
suche des Dardai meistens aus, da das Opfer meinem Beschützer
allmählich zu gross' erschien. Animi ging seinen Geschäften nach
und erschien oft erst Abends lange nach Sonnenuntergang mit dem
ersehnten Körbchen, und der Hunger verscheuchte sonach häufig den
Mittagsschlummer, der mir sonst zuweilen den endlosen Tag gekürzt
und mich durch kurze Träume aus der trüben Umgebung in glück-
lichere Verhältnisse versetzt hatte. Das schmutzige Wasser, das uns
zu schöpfen erlaubt war, wenn Niemand sich in der Nähe befand,
war vielleicht zu Ende gegangen; doch noch war die Umgebung zu
belebt, als dass meine Diener, welche als Christensclaven kaum weniger
rohen Schmähungen und körperlichen Gewaltthätigkeiten ausgesetzt
waren, als ich selbst, den Vorrath zu erneuern gewagt hätten, und
zu Hitze, Hunger, Kummer und Langeweile kam wohl noch der
Durst. Endlich neigte sich die Sonne, und alle unsere Hoffnung
concentrirte sich auf die Nacht. Dann musste Animi heimkommen,
sicherlich brachte er Datteln, vielleicht auch Nachrichten; wollte Gott,
dass es günstige wären! Dann konnte ich mein Gcfängniss verlassen
und in der Abendkühle, wie ein wildes Thier im Käfig, in der
nächsten Umgebung des Zeltes hin und her gehen, um meinem
Körper einige Bewegung zu verschaffen, und endlich brachte der
Schlummer der Nacht Ruhe und F'rieden für kurze Stunden. Dies
war der traurige Kreislauf unseres Lebens fast einen Monat hindurch.
Ach, wie lang erschien mir derselbe!
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Fünftes Kapitel.
FLUCHT AUS BAR D AI UND RÜCKKEHR NACH
FEZZÄN.
Verhalten Bü ZeitTs. — Rastlose Thätigkeit Ar&mi's. — Plan zur Flucht. — Ankunft
der Tuba-Bewohner Feuln's. — Nachricht von der Ermordung Fräulein Tinne’s. —
Nächtliche Flucht. — Erschöpfender Rückzug über den Tarso. — Zusammentreffen
mit KolokJSmi, — Ankunft im Enneri Auso. — Schicksal meiner Kamecle. — Zustand
der Sclaven in Tibesti. — Letzte Erpressungen der Tubu. — Treulosigkeit Kolokömi’s.
— Endliche Abreise. — Verlust der Hündin Feida. ■ — Trennung von KolokSmi in
AfAfi. — Unbrauchbarkeit der Kameele. — Zurücklassen des Gcj>äcks. — Gänzliche
Erschöpfung. — Wasser- und Proviantmangel. — Marschordnung. — Ankunft am
Tümmo- Brunnen. — Heendigung des Mundvorraths. — Sclaven-Skelettc. — Ankunft
am Mesch ru- Brunnen. — Empfang in Tedscherri. — Verderbliche Befriedigung des
Hungers. — Freude des H Ad sch DschAber. — Araber der grossen Syrte in Süd-
Fezzän. — Gcwaltthätigkeiten derselben in Qatriin. — Ankunft in Murzuq. — Be-
stätigung von Fräulein Tinne's Untergang. — Veränderungen in* der Regierung
FezzAns. — Abrechnung mit Bö Zeid. — Krankheit in Folge der Reise.
Ich hatte gehofft, dass die Zeit die Gefühle der Leute von Bardai
sänftigen werde; doch ihre Feindschaft blieb dieselbe, und nur ihre
Furcht vor mir schwand allmählich und damit ihre Zurückhaltung. Diese
Leute verlassen, wie schon erwähnt, mit seltenen Ausnahmen ihr
heimathliches Thal nicht, und sehr Viele von ihnen hatten niemals
ein weisses Gesicht gesehen, denn die Ghazien der Araber beschrän-
ken sich auf die westlichen Thäler. Nimmt man dazu die ungeheuer-
lichen Vorstellungen, die sie von den Christen als von einer kaum
menschlichen Art von Heiden haben, so begreift man, dass sie
während der ersten Tage nach meiner Ankunft irgend eine furchtbare,
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342 II. BUCH, 5. KAP. FLUCHT AUS HAKIM! UND RÜCKKEHR NACH FKZZ.tN.
öffentliche Calamität, etwa ein vernichtendes Naturereignis oder eine
verheerende Pest oder ein allgemeines Viehsterben erwarteten. Als
von allen Befürchtungen sich keine verwirklichte, Sonne und Mond,
Berg und Thal, Thiere und Pflanzen, unbeirrt durch den fremden
Eindringling, in gewohnter Weise fortexistirten, und auch keine ausser-
gewöhnliche Sterblichkeit eintrat, verlor sich die Furcht, und nur
die Feindschaft blieb. Besonders die herangewachsene männliche
Jugend war unerbittlich. Die Männer warteten wenigstens ruhig, bis uns
Animi aus seinen schützenden Händen entlassen haben würde; doch die
Knaben undjünglinge, besonders wenn sie durch ihr heimisches Getränk,
ihre einzige nationale Unmässigkeit, entflammt waren, drohten oft ernste
Verwickelungen herbeizuführen. Sie begnügten sich nicht damit, in s
Zelt zu speien, oder mit ihrem eklen Tabaksaftc nach mir zu zielen,
und mir so detaillirt und anschaulich als möglich zu schildern, wie man
bei meiner Entlassung aus Arämi’s Schutze mir die Lanzen im Leibe
herumdrehen, die Eingeweide herausreissen und den Aasgeiern und
Hyänen vorwerfen werde, sondern wurden auch bisweilen handgreiflich,
schleuderten ihre Speere gegen das Zelt oder in dasselbe und schienen
nur die Gelegenheit einer ernsten Reaction meinerseits herbeizusehnen,
um daraus ein scheinbares Recht zu meiner Vernichtung herleiten zu
können. Arämi's Schwester musste dann gewöhnlich aufgesucht
werden und genügte auch, obgleich eine Frau, vollständig, um die
übermüthige Jugend in ihre Schranken zurückzuweisen.
Derjenige, auf dessen schützenden Einfluss ich am zuversicht-
lichsten gebaut hatte, der Muräbid Bü Zeid , licss uns mehr und
mehr im Stiche. Schon von Anfang an war er bei seinem Onkel
Temidömi wohnen geblieben, um nicht unseren Hunger theilen zu
müssen, doch hatte er sich gewiss wochenlang redliche Mühe gegeben,
eine friedliche Lösung der Dinge herbeizuführen. In der Tliat konnte
er cs nicht wagen, ohne eine feste Gestaltung meines Schicksals
nach Fezzän zurückzukehren, an das ihn die engsten Bande der
Familie und Interessen knüpften. Entweder musste er mich lebendig
zurückbringen, oder ich musste einem Tode erlegen sein, den er nach-
weislich nicht zu verhindern im Stande gewesen war. Sein Einfluss
als Muräbid war sowohl vom Hadsch Dschäber als ihm selbst über-
schätzt worden, und er war dem allgemeinen Widerwillen gegen
mich um so weniger gewachsen gewesen, als ihn das Tubublut in
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BÜ ZKin’s ZWEIFELHAFTES BENEHMEN. 343
seinen Adern zusammen mit dem von mir erhaltenen Miethpreis zu
einer Art I.andesverräther stempelte.
Als seine Bemühungen zu unserem Besten fruchtlos blieben,
suchte er anfangs Trost im sorgenbrechenden Laqbi. Seine Besuche
wurden selten und seltener, und wenn er kam, machte der hohe Grad
von Reizbarkeit, den der Alkoholgenuss bei ihm zur Folge hatte,
seine Gesellschaft widerwärtig. Er verlor allmählich die bescheidene
Rücksichtnahme, welche ihm meine Stellung in Fezzän auferlegt
hatte, wurde hoffärtig und begann in mir die hassenswerthe Ursache
seiner Unannehmlichkeiten zu sehen. Ich bin überzeugt, es wäre ihm
damals am liebsten gewesen, wenn ich durch irgend ein Ereigniss,
an dem er Nichts hätte ändern können, aus dem Wege geschafft
worden wäre. Als die Verhandlungen sich in die I.änge zogen und
einzuschlafen schienen, ohne dass Arami sichtliche Anstalten zu
energischen Massnahmen getroffen hatte, versuchte Bü Zcid auf
andere Weise zum Ziele zu gelangen. Er wurde streitsüchtig und
suchte mich zu ernstlicher Beleidigung zu provociren, um einen
Bruch zwischen uns herbei zu führen, an dem ich scheinbar die
Schuld trüge, und so eine gewisse Berechtigung zur Abreise ohne
mich zu haben. Meine Geduld und meine Ruhe diesem unwürdigen
Benehmen gegenüber waren exemplarisch und Hessen seine Pläne zu
Schanden werden; doch der innere Grimm verzehrte mich viel mehr
ihm gegenüber, als gegen die Tubu, die einfach nicht wussten, was
sie thaten, und ich bedaure gestehen zu müssen, dass meine Seele
damals voll schwarzer Rachegedanken war.
Arämi selbst war sehr in Anspruch genommen. Mächtiger und
angesehener als Tafertemi selbst, wurde er von allen Seiten aufgesucht
als Schiedsrichter, Vermittler und Rathgeber. Seine Rastlosigkeit
war ein lebendiges Beispiel der Energie und Elasticität, welche diesen
armen, darbenden Leuten innewohnt. Morgens in aller Frühe ging
er zu seinen Datteln, die gerade reif wurden, schnitt einen Theil,
trug ihn auf seinen Schultern nach Hause, ordnete die Arbeiten des
Tages für seine Schwester und einen Sclaven, und arbeitete an seiner
Hütte. Dann ging er zu den allgemeinen Rathsversammlungen, die
stets reichen Anlass zu Streitfragen und Discussionen brachten, be-
arbeitete das Staatsoberhaupt und die angesehenen Leute zu Gunsten
meiner Entlassung und kam gegen i oder 2 Uhr Nachmittags nach
Hause, wo seiner irgend welche Leute und Schwierigkeiten harrten,
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344 II. BUCH, 5- KAP. FLUCHT AUS ISARDAl' UND RÜCKKEHR NACH FEZZAlS.
die in der kühlen Mittagsruhe abgefertigt wurden. Nachmittags ar-
beitete er wieder in seiner Dattelpflanzung, bereitete die tägliche
Mahlzeit seines Kameeles, das mit gepulverten Dattelkernen erhalten
werden musste, und trug dieselbe auf den unzureichenden Weideplatz
in einiger Entfernung vom Dorfe. Dann begab er sich wieder zum
Häuptling und den Edlen, sei es wegen meiner Person oder zur Er-
ledigung anderer Angelegenheiten, oder sass bei uns und besserte
sich sein Hemd oder Beinkleid aus — das Geschäft des Nähens ist
ausschliesslich in den Händen der Männer — , oder lief rastlos zur
Besorgung anderer Geschäfte hin und her und kehrte nicht selten
erst um 10 oder 1 1 Uhr Abends heim. Kaum glaubte man ihn ein-
geschlafen, so huschte er schon wieder über die Bühne, ging nicht
selten bei Nacht in ein anderes Dorf, wenn dort irgend eine schwie-
rige Frage zu entscheiden oder ein Streit zu schlichten war, und der
folgende Morgen sah ihn dann wieder in Bardai seiner gewöhnlichen
Tagesarbeit hingegeben. Dabei vernachlässigte er keines der vor-
geschricbcnen Gebete, trank keinen Tropfen Laqbi, und ich kann
mich nicht entsinnen, jemals gesehen zu haben, dass er Tabak kaute.
Er bildete eben eine Ausnahme. Die Andern waren auch rastlos,
doch arbeiteten sie nicht. Stets auf den Beinen , gingen sie von
Einem zum Andern, ihrer Vorliebe für Geschwätz und Discussionen
huldigend. Ausser den Mittagsstunden, in denen sic nicht sichtbar
waren und wahrscheinlich der Ruhe pflegten, begriff ich nicht, wann
diese Leute schliefen, während ihnen doch wahrlich dazu die Zeit
nicht mangelte. Bis lange nach Mitternacht war ein stetes Kommen
und Gehen in unserer Umgebung, was mich oft zu ohnmächtiger
Wuth reizte, da mir die Aufstörung meiner wachsamen Hunde noch
den letzten Trost friedlicher Nachtruhe raubte.
Als Arämi eines Tages durch einen heftigen Katarrh gezwungen
war, das Haus zu hüten, begab ich mich mit Bui Mohammed zu
ihm, um eine ernstliche Besprechung über mein endliches Schicksal
mit ihm zu halten. Seine Wohnung war nach Art der Palmblatthütten
seiner Landsleute in Eezzän, doch in grösserem Massstabc, hergestcllt,
hatte am Eingänge ein grosses, offenes Schattendach als Empfangshalle,
wie cs sich für einen solchen Mann der Oeffentlichkeit ziemte, und
im Innern des Hofes — die übrigen Gemächer mit ihrem Inhalte
bekam ich nicht zu sehen — das früher beschriebene backofenähnliche
Winterhäuschen aus mit Lehm verschmierten Steinen in ansehnlicher
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FI.UCHTPI.AN.
.•{45
Grösse. In diesem lag er, um sich möglichst von der Luft abzu-
schlicssen, und wir verhandelten durch die kleine Eingangsöffnung,
die mehr zum Durchschlüpfen eines Hundes als zum Hineinkriechen
eines Menschen geeignet schien. Ich gab ihm einen Rückblick auf
seine treuen, doch bisher erfolglosen Anstrengungen, mich aus meiner
unangenehmen Lage zu befreien, erinnerte ihn an sein Versprechen,
mich mit Gottes Hülfe auf den Weg nach Fezzän zu bringen, schil-
derte ihm die Unmöglichkeit, lange mit einmaliger Dattelnahrung
als Tagesration zu existiren, obgleich ich gern anerkennen wolle,
dass er grosse Opfer zu unserer Ernährung gebracht habe, und zeigte
ihm, wie auch die wenigen Freunde, die ich ausser ihm habe, mehr
und mehr erkalteten, und die Gefahr für mich nahe liege, als bcsitz-
und folglich interesselos gänzlich zu verkommen und von irgend
einem Uebelthäter erschlagen zu werden. Ich schloss mit dem Vor-
schläge, mir für die wenigen von mir reservirten Thaler etwas Ge-
treide- und Dattelvorrath zu kaufen und uns zur Flucht zu verhelfen,
indem er uns mit seinem und Gordoi's Kameelc bis auf die andere
Seite der Rerge geleite und dort unserem Schicksale überlasse.
Für diesen Dienst wolle ich ihm gern das geben, was er aus
meiner Habe wünschen werde, und sicherlich nicht verfehlen, der
Regierung von Fezzän seinen Einfluss und sein Ansehen bei den
Tedä im Gegensätze zu der Machtlosigkeit und Schwäche Tafertemi's
in lebhaften Farben zu schildern. Ich könne nur Heil für Tibesti in
seiner Person erblicken, die offenbar zum Herrscher über die Tubu
Reschäde bestimmt sei, wenn auch die Häuptlingswürdc nach Tafcr-
temi’s Tode eigentlich dem Maina Tokfimi im E. Joo gebühre. Da
durch seine hohe Einsicht fn politische Dinge ein gutes Verhältniss
mit Fezzän angebahnt, und der Karawanenverkehr dieses Landes
mit Wadäi, der doch Tibesti einen ansehnlichen Durchgangszoll ver-
spreche, wiederhergestellt werden könne, so werde die Murzuqer
Regierung sich gewiss bereit finden lassen, ihm zur Erlangung einer
massgebenden Stellung in Tibesti behülflich zu sein, und dazu könne
ich nicht unerheblich mitwirken. Durch meine verzögerte Rückkehr
aber müsse das ohnehin schon ungünstige Verhältniss zu Fezzän
noch mehr gestört werden. Wenn die übrigen Edelleute zu kurz-
sichtig seien, um es zu begreifen, so wisse er doch recht gut,
dass schon jetzt mein Ausbleiben Leben und Sicherheit ihrer Lands-
leute im District von Qatrün gefährde, und dass mein gewaltsamer
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346 H. BUCH, 5. KAP. FLUCHT AUS U AK DAT UND RÜCKKEHR NACH FEZZAN.
Tod nocli viel grössere Gefahren für ganz Tibcsti mit sich bringen
würde, ohne die allergeringsten Vortheile zu bieten. In der That
habe meine Zurückhaltung in Barda’t für Niemand auch nur die ge-
ringste Annehmlichkeit, wohl aber für ihn selbst den Nachtheil der
täglichen Verminderung seines Dattelvorraths.
Obgleich Animi sowohl die Richtigkeit der letzteren Bemer-
kungen anerkannte, als auch durch die verlockende politische Per-
spective, welche ich ihm eröffnet hatte, und durch die schmeichel-
hafte Anerkennung der Bedeutung seiner Person sehr angenehm be-
rührt wurde, so verzweifelte er doch noch nicht genug an seinem
schliesslichen Einflüsse auf den Häuptling und fürchtete eine Vernach-
lässigung und Verletzung desselben noch zu sehr, um gleich auf
meinen Plan einzugehen. Dieser sei das äusserste Mittel, meinte er,
und er hoffe noch immer, mich am hellen Tage, vor den Augen
aller Welt aus dem Thale zu entlassen.
Leider brach der Grund, auf den ich den Rest meines Sicher-
heitsgefuhles baute, wenige Tage darauf zusammen. BuY Mohammed
weckte mich eines Tages mit der ersten Morgendämmerung, um mir
in der ihm so eigenen, ruhigen Weise auswärtige Besucher anzukün-
digen. Auf meine Frage, wer die Leute seien, antwortete er, dass
es Tubu Reschädc aus Fezzan seien, und genaueres Nachfragen
ergab, dass die ganze dortige Tubu-Colonic in ihr Vaterland zu-
ruckgekehrt war. Der Raub, den arabische Horden an den Tubu
bei Bidän ausgeübt hatten, wie oben erzählt ist, war von Repressalien
gefolgt worden. Leute aus der Tubu-Oasc Dschebädo, nordwestlich
von Kawär, hatten nicht allein eine ansehnliche Heerde Fczzaner
Kaineele, ebenfalls in der Nähe von Bidän, aufgehoben, sondern auch,
was sie von Menschen in diesem Dorfe gefunden hatten, in die Ge-
fangenschaft geschleppt. Dafür fürchteten die in Fezzan ansässigen
Tubu Reschäde verantwortlich gemacht zu werden, und, leicht be-
weglich und besitzlos, wie sie sind, hatten sie sich auf ihre Kameele
gesetzt und waren den sicheren Bergen ihrer Heimath zugeeilt. Da
waren sie Alle; Keiner von ihnen schien zurückgeblieben zu sein;
die Geiseln, die mir einzig und allein noch eine gewisse Bürgschaft
für meine Rettung zu bieten schienen, konnten nicht mehr für mein
Leben und meine Sicherheit verantwortlich gemacht werden. Ich
war auf's Aeusserste bestürzt; meine ruhige Zuversicht war dahin,
und die nächste Zukunft malte sich mir in den schwärzesten Farben.
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HEIMKEHR DER TUBll FEZZAn’S. 347
Die Berichte dieser Leute über die Rachegelüste der Fezzäner und
die Beschlüsse der Regierung, mit äusserstcr Strenge gegen jeden Tubu-
Mann vor/.ugehen, dessen sie sich bemächtigen würde, waren nicht
grade geeignet, die Dispositionen meiner Richter zu mildern. Anstatt
Geiseln in Fezzän zu haben, drohte ich selbst eine Art Geisel zu
werden. Denn schliesslich hatten die Leute von Dschebädo nur Re-
pressalien geübt für die Räubereien der gewaltthätigen Araber, waren
also nach den in der dortigen gesetzlosen Welt üblichen Begriffen
zu ihrem feindlichen Vorgehen berechtigt gewesen.
Um meine Lage noch gefährlicher zu machen, brachten die
Flüchtlinge die Nachricht von dem entsetzlichen Untergange meiner
Gefährtin Alexandrine Tinne durch den schamlosen Verrath der
Tuärik. Da wir gleichzeitig nach Murzuq gekommen waren und
in stetem Verkehr gestanden hatten, so hielt man die Dame, deren
selbstständige Reise ohnedem unbegreiflich erschienen wäre, für meine
Frau, und meine Feinde suchten die Nachricht von ihrem schreck-
lichen Ende zu meinem Verderben auszubeuten. Sie verhöhnten
meine Beschützer unter ihren Landsleuten, weil sie nicht den Muth
hätten, in der Sicherheit ihrer Berge eine That zu begehen, welche
die Tuärik wenige Tagereisen von Murzuq, auf der Grenze des
Fezzäner Gebietes, furchtlos ausgefuhrt hätten, und stachelten das
nationale Gefühl der Schwankenden durch beleidigende Parallelen
zwischen ihrer feigen Furcht und dem männlichen Vorgehen ihrer
berberischen Erbfeinde zu einer für mich äusserst bedrohlichen Höhe.
Die Tuärik wüssten die Gefahr, welche ihrem Lande von den christ-
lichen Eindringlingen drohe, wohl zu beurtheilen und ihr besser vor-
zubeugen; sogar die Frau hätten sie unschädlich gemacht, und sie
selbst, die Tubu, sollten sich durch die Furcht vor den Türken ab-
halten lassen, sich des viel gefährlicheren Mannes zu entledigen?
Sollte man sagen können, dass die Tubu Reschädc weniger ent-
schlossen und muthig seien, als die Tuärik, und sollten sich ihre
eigenen Kinder ihrer schämen?
So wenig ich an die Schrcckcnsthat der Tuärik damals glaubte,
so wenig konnte ich die verhängnisvolle Einwirkung der Nachricht
auf meine Angelegenheit verkennen. Während der an den folgenden
Tagen abgehaltenen Versammlungen musste ich leider sehen, dass
die Schwankenden unter dem Einflüsse eines missverstandenen Pa-
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348 II. BÜCH, 5. KAP. FLUCHT AUS HAR D Ai UND RÜCKKEHR NACH FF.ZZ.AN.
triotismus zu meinen Feinden übergingen, und dass die Gegner mit
erneuter Energie meine Vernichtung forderten.
Allnächtlich berieth ich mit Animi und suchte ihn um jeden
Preis zur Annahme meines Fluchtvorschlages zu bewegen. Doch
selbst das Versprechen, ihm meine Kanieelc auf der andern Seite
des Tarso, also das Kostbarste, was ein Flüchtling in der Wüste
haben kann, als Lohn für seine Beihülfe zu geben, vermochte nicht
seine Eitelkeit zu beugen, welche sich schämte, im Rathe seiner
Landsleute nicht einen vollen Sieg errungen zu haben und mich
nicht trotz des Widerspruches der Meisten und trotz der Haltung
Tafertömi’s offen aus dem Thale BardaT hinausführen zu können.
Glücklicherweise überzeugte ihn ein Ercigniss, dessen Zeuge er
war, von der Nothwendigkeit meiner heimlichen, nächtlichen Entfer-
nung. Ein harmloser Bewohner des südlichen Tibesti passirte auf
der Durchreise Bardai mit einem wohlbeladenen Kameele. Der Mann
war verschleiert, wie die Meisten auf der Reise, von Niemandem er-
kannt worden, und im Nu hatte sich das Gerücht verbreitet, einer
meiner Leute versuche das Thal zu verlassen und unser Gepäck in
Sicherheit zu bringen. Frauen, Kinder und Sclaven rotteten sich '
alsbald zusammen, beschimpften und bedrohten ihn und gingen dann
zu der bei ihnen, wie es schien, nicht ungewöhnlichen Gewaltthätigkeit
der Steinigung über, als Arämi und einige angesehene Männer vorüber-
kamen, die Sache auf klärten und dem Beleidigten und Gemisshan-
dclten Genugthuung verschafften. Seit dieser Stunde gab Arämi die
Hoffnung auf, mich in friedlicher Weise offen abreisen zu sehen, und
versprach seine Beihülfe zu nächtlicher Entweichung. Gordoi und
Birsa wurden eingeweiht, und der Bruder Kolokömi's, der den Zu-
fluchtsort des letzteren im Thale des E. Ifötui kannte, begab sich zu
demselben, um ihn auf einen gewissen Punkt unseres Weges zu be-
stellen, Arämi's und Gordo'fs Kameele wurden in die Wohnung des
Ersteren geschafft, scheinbar zum Zwecke medicinischcr Behandlung,
damit die Nachbarn sich in der Nacht des Aufbruches nicht wundern
würden, wenn die Thiere im Augenblicke der Belastung die gewöhn-
lichen, blökenden Töne von sich gäben. Indessen kaufte Bü Zeid
von seinem Onkel Temidömi für einen Thalcr Weizen, für dieselbe
Summe Datteln und einen Esel, der in den Felsen des Landes sehr
nützlich zu werden versprach und vielleicht später für einige Zeit ein
Kameel ersetzen konnte. Ich wühlte die wenigen im Zelte ver-
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AUSFÜHRUNG DER FLUCHT.
34!)
grabenen Thaler aus dem Boden und wurde durch den Hoffnungs-
strahl mit neuer Kraft und frischem Muthe erfüllt.
In der Nacht vom 2. auf den 3. September sollte die Stunde
der Befreiung schlagen. Ich war in einem schwer zu schildernden Zu-
stande der Aufregung. Nach Mitternacht kamen Gordof, Birsa und Bü
Zeid, und wir begannen die beiden Kameele zu beladen; jedes Blöken
derselben ging mir durch Mark und Bein. Doch wie gewöhnlich das
Packen beim Beginne der Reise langsam von Statten geht, so war
es nahezu 2 Uhr Morgens geworden, als wir hatten auf brechen
können. Da erklärte Animi plötzlich, es sei für diese Nacht zu spät,
und wir müssten die folgende abwarten. In meiner Hast, dem Schau-
plätze meiner Leiden den Rücken zu kehren, war ich im höchsten
Grade bestürzt über den Aufschub und in meiner Aufregung geneigt,
an Verrath zu glauben. Bei der Nähe der Erlösung schien mir jedes
Hinausschieben unserer Flucht einen Zusammensturz aller meiner
Hoffnungen zu bedeuten. Ich war verzweifelt und schimpfte und
tobte in höchst unvernünftiger Weise, deren ich mich nach ruhiger
Ueberlegung aufrichtig schämte. Wie viel kann man in der Herr-
schaft über sich selbst von vielen uncivilisirten Völkern lernen, denen
man sich so sehr überlegen glaubt? Wie hoch über mir standen in
dieser Beziehung der alte Qatrüner, Arämi und seine Verwandten
und selbst der Muräbid Bü Ze'id!
Auch der folgende Tag verging, wie die übrigen, und zeichnete
sich nur dadurch aus, dass FätTma, welche Wind von unseren Ab.-
sichten bekommen haben mochte, in höchst ungenirtcr Weise meine
Habe einer Durchsicht unterwarf und sich die unverschämtesten Ent-
fremdungen aus derselben erlaubte. Wieder kamen um Mitternacht
unsere Begleiter, und eine Stunde später konnten wir auf brechen.
Meine Habe war schon so erheblich zusammengeschmolzen, dass mit
Ausnahme der Zeltstange, der Matten und ähnlicher Kleinigkeiten
Alles mitgenommen werden konnte. Wir umgingen die Ortschaft,
wie in der schrecklichen Nacht unserer Ankunft, und erreichten nach
einigen Stunden das steinreiche, enge E. Oröa, das wir bei der
ersten Passage schon am Tage fast unpassirbar gefunden hatten, und
dessen Ueberwindung bei Nacht fast unmöglich erschien. Wir
rasteten deshalb an seinem Eingänge bis zum Anbruche des Tages,
vermieden die Passage des E. Gonöa an der Stelle der Quelle und
erreichten den E. Udeno schon am frühen Nachmittage. Arämi liess
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350 H. BUCH, 5. KAP. FLUCHT AUS BARDAI UND RÜCKKEHR NACH FEZZÄN.
sich unterwegs angelegen sein, mich und die Kameele allmählich
des überflüssigen Gepäckes zu seinem und seiner Begleiter Besten zu
entledigen, deponirte in einer Felsspalte meine schöne Matratze und
überwies seinem Neffen Birsa, als dieser in der Nähe des E. Gonöa
Abschied von uns nahm und nach Bardai zurückkehrte, die schlanke
messingene Wasserkanne und einen eisernen Kochtopf, den er augen-
scheinlich für Kupfer gehalten hatte, um dieselben in seiner Woh-
nung abzuliefern. Auch der Sohn Temidömi’s hatte uns seines
Vetters Bü Zeid wegen begleitet und ruhte nicht eher, als bis er
sich der schönen, vollen Seiden -Quaste meines Tarbüsch versichert
hatte. Noch konnte ich mich nicht zum Gefühle voller Sicherheit
aufschwingen, obgleich es allerdings nicht wahrscheinlich war, dass
Jemand uns zu verfolgen wagen würde, da man alsbald gehört haben
musste, dass Arämi mit seinen Verwandten uns geleitete. Dieser
selbst schlug meine in dieser Beziehung geäusserten Befürchtungen
mit der stolzen Bemerkung nieder: „Sei ruhig, ich hiess früher
Uordömil" Er wollte damit ermuthigend andeuten, dass er im Noth-
falle sich nicht scheuen würde, einen Verfolger niederzuschlagcn;
denn die Vertauschung seines früheren Namens gegen die Benennung
„Arämi” stammte von der Ermordung eines persönlichen Feindes im
offenen Streite. Alle Tubu pflegen nach einer solchen That einen
neuen Namen anzunehmen.
Der zweite Marschtag, der uns vom E. Udeno bis fast zur
höchsten Höhe des Passes führte, brachte uns eine entsetzliche, fast
über das Mass meiner Kräfte hinausgehende Anstrengung. Länger
als einen Monat hatte ich eine strenge Hungerkur durchgemacht,
und, fast an dieselbe Stelle gebannt, höchstens nach eingebrochener
Nacht meinen engen Käfig, den Lagerplatz, durchmessen, um nicht
ganz den Gebrauch meiner Glieder zu verlernen. Jetzt musste ich
zehn Stunden ununterbrochen, oft recht steil, aufsteigen und erhielt
das erquickende Wasser karg zugemessen, denn ich hatte kaum noch
das Recht, mehr zu verlangen, als Diejenigen, deren Kameele den
Vorrath trugen, die meine Führer und Retter waren und von denen
ich gänzlich abhing. Wir nächtigten nahe unserem früheren Lager-
plätze und der Wasserscheide unter bitterer Kälte, welche sich bei
der spärlichen Nahrung und dem Mangel an hinlänglicher Bedeckung
recht fühlbar machte; am folgenden Morgen (6. September) gegen
Sonnenaufgang hatten wir nur eine Temperatur von 6° C. Nachdem
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ÜBER STEIGUNG DES TARSO. 351
wir zunächst Wasser gesucht und in einem zerrissenen, schwer zu-
gänglichen Felshügel, über dem einige Vögel schwebten, gefunden
hatten, tränkten wir die Kameele und den Esel, nahmen selbst einen
kleinen Vorrath ein und stärkten uns durch ein bescheidenes Dattel-
frühstück. Die höhersteigende Sonne durchwärmte unsere steif-
gefrorenen Gliedmassen, zu deren Aufthauung das eisige Felsen-
wasser auch nicht grade beigetragen hatte, und auf der Höhe
des Vormittags konnten wir einigermassen erquickt unseren Weg
fortsetzen.
Gegen Mittag erreichten wir den Krater und folgten seinem süd-
lichen Rande bis dahin, wo der Weg in südwestlicher Richtung nach
Täo führt. Hinter einem Felsen trat hier plötzlich Kolokömi hervor, der
mit seinem Bruder und einer Kameelstute auf uns gewartet hatte. Nach-
dem derselbe in seinem frommen aber abergläubischen Gemüthe uns ver-
anlasst hatte, einige Datteln mit ihm zu essen und einige derselben
auf einen bestimmten Stein als Opfergabe — Sadiiqa arab. — nieder-
zulegen, um eine glückliche Beendigung der schwierigen Aufgabe,
welche unser noch wartete, zu erflehen oder zu verdienen, folgten
wir dem Rande der riesigen Grube erst in westlicher, dann in nord-
westlicher Richtung, bis wir nach einigen Stunden in der letzteren
den Umkreis der Krateröfthung verliessen. Bis dahin hatte der Weg
gegen den Tusidde bergauf geführt; nun begannen wir nicht ohne
Schwierigkeiten, besonders für die Kameele, rapide in der Richtung
des Aterkelluli-Felsens hinabzusteigen. Der Bruder Kolokömi’s war
hier unser Führer; doch ging es ohne Weg und Steg über Fels-
blöcke und Söhluchtcn, über die Ursprünge der zahlreichen Wasser-
betten,’ welche in der Ebene die Kjauno-Flussthäler bilden, und die
steil abfallenden Bergrücken, welche wie mächtige Strebepfeiler den
Fuss des Tusidde nach dieser Seite umgeben, bergab. Hier fehlte
die fast weiche Hülle des Tarso fast gänzlich; meine Füsse schmerzten
von den harten, unregelmässigen und scharfkantigen Felsen und ich
war froh, als wir nach Sonnenuntergang im weichen Sande eines
Wasserbettchens auf halber Höhe lagerten.
Der folgende Tag war noch ermüdender und liess mich bisweilen
an der Zulänglichkeit meiner Kräfte für den noch übrigen Theil
unserer schwierigen Aufgabe zweifeln. Nach spärlichem Frühstücke
ging cs weiter bergab, und ein zwölfstündiger Marsch genügte noch
nicht, uns zu den isolirt aus der Ebene aufspringenden Felsen zu
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3f>2 II- BUCH, 5. KAP. FLUCHT AUS BARDAt UND RÜCKKEHR NACH FEZZÄN.
bringen, an denen wir bei unserer Ankunft in Tibesti, auf dem Wege
nach Täo, vorübergezogen waren. Die Basis des Tusidde fallt hier
steiler ab als gegen Täo hin, seine Wasserabflüsse schneiden tiefer
ein, und die sic trennenden Bergrücken wurden oft fast unüberwind-
lich durch die mächtigen Blöcke, welche sie dicht bedeckten. In
der ersten Hälfte des Marsches ging es noch meist steil bergab;
dann wurde die Neigung geringer, und die scharfgeformten Felsen
rundeten sich zu Hügeln ab; Kalk und Lehm gewährten den brennen-
den Füssen zuweilen eine kurze Erholung von den schwierigen Fels-
blöcken; die scharfen Einschnitte der temporären Bäche wurden zu
Flussbetten, und die jähen Schluchten zu Thälcrn mit sanfter ge-
neigten Wänden. Selbst die Büffelfell-Sohlen unserer Schuhe hatten
diesen Felsen keinen Widerstand zu leisten vermocht, und sowohl
meine als Giuseppes Füsse waren voller Blasen und Wunden. Nur
die Fusssohlen unserer Tubu- Begleiter waren intact geblieben; ihre
Sandalen hingen zusammengebunden an den Spitzen ihrer Lanzen,
um das Felsklettern nicht zu erschweren, und leichtflüssig schlüpf-
ten sie ohne Anschein von Ermüdung über die Blöcke und durch
die Schluchten. Während eines Tagemarsches tranken sic nur zwei
Mal und dann eine grössere Quantität; der Hunger und die Anstren-
gung der Fussw'anderung über das schwierige Terrain hatten keine
Macht über sie.
Als gegen die Ebene hin die Ursprungsbetten der Kjaunoflüssc
breiter und weniger abfallend wurden, traten auch wieder Akazien,
Oscharbüsche, Wüstenfenchel (Deverra: ■), Gräser und die so ver
breitete Sennapflanze auf, und in ihrer Nähe stiessen wir hier und
da in den Schluchten und versteckt in den Felsen auf Steinllütten,
deren Bewohner der Hunger augenblicklich anderswohin getrieben
hatte.
Der nächste Tag (8. September) sollte uns ganz aus den Bergen
hinaus an den Ort führen, wo wir uns von Animi und Gordoi trennen
und allein den unsicheren Weg nach Fezzän antreten sollten. Ein
kurzer Marsch brachte uns über die letzten Hügel hinweg in die
Ebene, die nur durch die westlichen, felsigen Ausläufer des über-
stiegenen Gebirgsstockes unterbrochen war, und nach wenigen Stun-
den erreichten wir denjenigen der letzteren, welcher dem E. Auso,
einem Nebenflüsse des E. Aru, Ursprung giebt. Dort sollten wir
unsere Kameele abwarten, da wir nicht wagen durften, dieselben
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RAST IM F.. AUSO.
353
aus dem E. Aräbu, der noch zum Territorium der Leute von Abo
gehört, selbst abzuholen.
Es war die höchste Zeit, dass wir ankamen, und ein Glück, dass
uns hier eine Ruhe von einigen Tagen aufgezwungen wurde, denn
die Kräfte Giuseppes waren erschöpft, seine Plattfüsse in einem be-
dauerlichen Zustande. Schon am Morgen, sobald die Berge hinter
uns lagen, hatte er sich weiter zu gehen geweigert und würde
resignirt am Wege liegen geblieben sein, wenn nicht Arämi, da
unser Ziel nahe war, sich seiner erbarmt und ihn auf sein Kameel
gehoben hätte.
Ein weites, natürliches Wasserreservoir versah uns mit dem
herrlichsten Getränk; die Felsen lieferten uns die geeigneten Mahl-
steine, mit denen Sa'ad und ’AIi Bü Bekr alsbald einen Theil unseres
spärlichen Weizenvorrathes in Mehl *vcrwandelten; der Sand war
weich und der Schatten köstlich. Es wäre ein himmlischer Genuss
gewesen, hier zu ruhen, zu essen und zu trinken, wenn unsere Rettung
schon eine vollständige gewesen wäre. Den Genuss, ja das Glück,
welches in der theuer erkauften Befriedigung der materiellen Bedürf-
nisse liegt, die man lange entbehrte, kann nur derjenige ermessen,
der in ähnlichen Lagen war. Auch die drohendsten Gefahren der
nächsten Stunden vermögen nicht den Genuss des ersten reichlichen
Trunkes, der ersten ausgiebigen Mahlzeit nach langem Dursten und
Hungern, der ersten vollständigen Ruhe nach bis zum Erliegen
erschöpfenden Anstrengungen, des ersten Gefühles der Sicherheit
nach bewusster, mit unmittelbarer Vernichtung drohender Gefahr zu be-
einträchtigen. Das dauert freilich nicht lange, und sobald der Körper
annähernd sein Gleichgewicht wiedergewonnen hat, beginnt auch die
bleiche Sorge wieder jeden Genuss zu verbittern.
Kaum hatten wir gegessen, getrunken und geschlafen, so be-
gannen auch Arämi und Gordoi schon, mir das mühsam erkämpfte
Dasein zu vergällen und die Gefühle der Dankbarkeit, die ich ihnen
trotz ihrer speculativen Habsucht zollte, zu ersticken. Gordoi rückte
zuerst mit seinen Ansprüchen hervor, verlangte den Miethpreis für sein
Kameel, dessen Bezahlung wir auf Fczzan zu verschieben iiberein-
gekommen waren, und beanspruchte einen Salam, d. h. eben so wohl
Begrüssungs- oder Unterw ürfigkeitsgeschenk, als auch Belohnung. Die
messingene Waschschüssel, welche ich ihm anbot, genügte ihm nicht,
da Arämi die dazu gehörige Wasserkanne schon im Besitz hatte, und
Nuhtigut. I.
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354 H. BUCH, 5. KAP. FLUCHT AUS BARDA? UND RÜCKKF.HR NACH FEZZAN.
cs entstand ein Streit, der mir eine traurige Aussicht auf die nächsten
Tage eröffnete. Während dieser sollte Bü Zei'd nach Aräbu gehen
und von der alten Kintäfo die Kameele und das ihr anvertraute Ge-
päck zurückfordern.
Als derselbe ,mit Kolokömi's Bruder abgereist war, wurde das
Zusammenleben mit den beiden habsüchtigen Tubu immer unerfreu-
licher. Es gelang mir, am ersten Tage nach Bii Zeid's Abreise die
unvermeidlichen Discussioncn mit denselben hinauszuschieben, doch
am zweiten, an dem der Muräbid und die Kameele erwartet wurden,
kam es zu den heftigsten Auseinandersetzungen. Arämi machte
unserem natürlichen, leider unzulänglichen Beistände Kolokömi be-
greiflich, dass mein sämmtliches Hab und Gut billiger Weise ihm
gehöre, nachdem er mich und meine Leute fast einen Monat lang
ernährt und mir thatsächlich das Leben gerettet habe. Wenn ich
in Frieden, ungeschädigt an meinem Leibe, von hinnen ginge, so
sei das Alles, was ich füglich erwarten könne. Er werde also, so-
bald Kameele und Sachen gekommen seien, mein Eigenthum anncc-
tiren und seinem Neffen Gordoi den ihm gebührenden Antheil zu-
kommen lassen. Ich wurde gar nicht dabei gefragt oder höchstens,
wenn ich Einspruch that, höhnend aufgefordert, doch abzureisen,
ohne sie befriedigt zu haben, wenn ich es wagte. Ihr Benehmen
war so gefühllos und hämisch, dass ich bisweilen dem Entschlüsse
nahe war, mit Gewalt ihre Ansprüche zurückzuweisen und mich
endlich einmal des lang verhaltenen Giftes, der reichlich aufgc-
speichcrten Galle gegen die Tubu zu entledigen. Giuseppe war
entschieden dieser Ansicht und schlug vor, unsere anspruchsvollen
Befreier bis zu unserer Abreise gefangen zu halten und dann wo-
möglich gefesselt zurück zu lassen. Mit unseren Waffen würde cs
ein Leichtes gewesen sein, unsere Quälgeister zu besiegen und
unserem berechtigten Grimm einen gewaltthätigen Ausdruck zu geben.
Doch schliesslich waren dieselben trotz alledem unsere Lebensretter,
und der eigene Vortheil, wenn ich unsere Rückreise nach Fezzän,
für die uns die Führerschaft Kolokömi’s unentbehrlich war, in Be-
tracht zog, und die Rücksicht auf künftige Forschungsreisende riethen
zu friedlicher Lösung. Ich gestehe, dass das Rachegefuhl für Augen-
blicke so stark und verlockend in mir war, dass es eine gewisse
Anstrengung kostete, ihm nicht nachzugeben und den aufgeregten
Sinn zur Vernunft und Moral Zurückzufuhren.
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DIE SCHWIERIGE FRAGE DER TRANSPORTMITTEI.
355
Am ii. September Morgens früh kehrten endlich Hü Zeid und
Kolokömi s Bruder zurück, begleitet von einer Schwester Kintäfo's und
einem jungen Manne, und führten fünf Kameele mit sich, deren Anblick
mich mit den kühnsten Hoffnungen erfüllten. Es stellte sich freilich als-
bald heraus, dass nur eines derselben mein Eigenthum war. Von meinen
übrigen Thiercn waren nach Kintäfo’s Behauptung zwei gestorben,
und das dritte mit dem zurückgelassenen Thcile meines Gepäckes
gestohlen worden. Zum Beweise des Todes der ersteren wurden
mir zwei mit getrocknetem Fleische gefüllte Ledersäcke überreicht.
Ueber die Wahrheit oder Unwahrheit dieser Aussagen zu rechten,
war gänzlich zwecklos; Kintäfo war ausser unserem Bereiche, und
es handelte sich für uns darum, so schnell als möglich den Weg
nach Fezzän zu betreten, um unseren spärlichen Vorrath von Weizen
und Datteln nicht vor Beginn der Reise aufzuzehren.
Meinem Versprechen gemäss iiberliess ich Arämi das letzte meiner
Kameele, das übrigens bei seiner sichtlichen Schwäche Fezzän schwer-
lich erreicht haben würde, und ging an die Unterhandlung über die
miethweise Ueberlassung der von Bü Zeid zu diesem Zwecke herbei
geführten fremden Thicre. Zwei derselben gehörten der begleitenden
Frau, eines dem erwähnten Jünglinge, und das dritte war das bei
seiner Abreise nach Bardai zurückgclassene Eigenthum Bu Zei'd’s.
Es würde wahrscheinlich gelungen sein, die erstgenannten beiden zu
miethen, wenn nicht die Besitzerin meinen Diener Sa'ad zu Gesicht
bekommen hätte. Dieser aber gefiel ihr so gut, dass sie das Anerbieten
machte, uns die nöthigen Transportmittel zu liefern, wenn ich ihr den
hübschen Sclaven geben wolle. Schon öfters war Sa'ad, so hässlich,
unliebenswürdig und unzuverlässig er auch war, ein Gegenstand leb-
hafter Begehrlichkeit von Seiten der Hausfrauen Bardäfs gewesen, und
manche Stunde banger Sorge um seine Zukunft war daraus für ihn
erwachsen, denn die Sclaven der Tubu Reschäde waren wirklich in
einem herzzerreissenden Zustande der Verkommenheit. Lebte man
in Tibesti im Allgemeinen schon sehr knapp, so unterwarf man die
Sclaven geradezu einer continuirlichen Hungerkur, welche den aus
den fruchtbaren, productenreichen Ländern des Sudan Kommenden
um so empfindlicher sein musste. Den Luxus von Kleidern erlaubte
man ihnen ebenfalls selten; ein Stückchen Baumwollenstoff oder
Leder, mit der Bestimmung des paradiesischen Feigenblattes und
kaum viel grösser, musste ihnen genügen und führte die gegen die
23*
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35ß II. BUCH, KAP. FI.UCHT AUS BARDA? UND RÜCKKEHR NACH FF.ZZÄN.
Kälte so empfindlichen Negerorganismen im Verein mit dem Hunger
oft einem schleunigen Tode entgegen. Manche Herren führten mir
ihre Sclaven als krank zu, die in der That nur auf dem Wege des
langsamen Verhungerns in Folge unzureichender und ungeeigneter
Nahrung zu sein schienen.
Ein denkender Sclave muss in Tibesti zur Verzweiflung getrieben
werden. Hat er in andern Ländern einen bösen Herrn, so hält ihn
die Hoffnung aufrecht, in die Hände eines wohlwollenderen über-
zugehen oder im Nothfalle davonzulaufen. Aus Tibesti giebt es
keine Kettung: dort endet seine Hoffnung und sein Leben. Entlaufen
ist sicherer und baldiger Tod in der pfadloscn Wüste; lileiben eine
endlose Reihe von Leiden, ein oft nur langsames Sterben. Es sind
Fälle bekannt, wo von Bornü kommende Sclaven, wenn sic in Kawär
von Tubu Reschade gegen Kamcele eingetauscht wurden, sich das
Leben nahmen, obgleich sich dieselben doch sonst mit einer uns un-
verständlichen Ergebung und Leichtigkeit in jede Gestaltung ihres
Schicksals fügen. So allgemein ist die F'urcht vor der Sclaverei
bei den Tubu; und wer sie in der Nähe beobachtet hat, versteht die
Todeswahl der bemitleidenswcrthen Opfer.
Die Unmöglichkeit meinerseits, ihren Wunsch zu erfüllen und Sa'ad
zu opfern, liess die F'rau in ihrem Aerger überhaupt das Project, ihre
Kameele zu vermiethen, aufgeben, und mit der höhnischen Bemerkung,
ihretwegen könnten wir flir immer auf den P'elsen sitzen bleiben, ritt
sie davon. Der Jüngling, welcher, kürzlich von Borkü gekommen, auf
dem Wege zu Verwandten in Fezzän war, hatte schon mehr Veran-
lassung, sein Kameel zur Disposition zu stellen, und cs gelang mir auch,
nach endlosem Hin- und Herreden, dasselbe zu miethen, freilich für
den exorbitanten Preis von 27 Maria-Theresia-Thalem , während der
gewöhnliche Preis eines Miethkamccls zwischen Fezztin und Tibesti
6 bis loThaler beträgt. Mit diesem Thiere, dem allerdings schwachen
Kameele Bu Zeids, und der Stute Kolokömi’s konnten wir uns füg-
lich begnügen.
Vor der Abreise ging es an eine Discussion und Regulirung der
mannichfachen Ansprüche, die von Allen noch zuletzt erhoben wurden,
und die Arümi schon so drohend angedeutet hatte. Dieser selbst
begnügte sich endlich mit dem Kameel und dem kupfernen Koch-
kessel; sein Neffe Gordoi ergriff die letzte ßatanija und empfing
einen Handschein über den Mietli preis seines Kameels von Bardäi
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TRENNUNG VON MEINEN ANSPRUCHSVOLLEN RETTERN. 357
nach dem E. Auso; der Bruder Kolokömi's, der nun schon wochenlang
mit uns herumgezogen war ohne den geringsten Erfolg seiner specu-
lativen Anhänglichkeit, erhielt die letzten drei Thaler, zwölf Dra Cham,
den Tarbüsch Bui Mohammed s, und gab sich nicht eher zufrieden, als
bis er noch einen Schuldschein über sieben Maria-Thercsia-Thaler in
Händen hatte. Die Schuldscheine wurden von ihren Besitzern dem
Muräbid Bü Zeid anvertraut, der gleichzeitig Bürge für ihre Bezahlung
wurde. Zum Schlüsse hieben meine Quälgeister noch einmal wacker
auf unsere ohnehin schon unzureichenden Vorräthe ein und versäumten
nicht, das gedörrte Fleisch meiner gestorbenen Kameele mit uns zu
thcilen, um für den Rückweg in ihre Heimath (Gordoi begab sich
nach Zuar und Animi nach Gabön) einigen Mundvorrath zu haben.
Endlich war Alles zur Abreise bereit, und, ohne an die schwierige
Aufgabe, die uns bevorstand, zu denken, lechzte ich nur nach dem
Augenblicke der Trennung von meinen Tubu-Gefährten, deren An-
blick allein mich schon in einem Zustande nervöser Irritation erhielt.
Dahin flogen die zahlreichen Steinproben, welche ich gesammelt
hatte, und die mir desto werthvoller sein mussten, je unzulänglicher
meine eigenen Kenntnisse in dieser Richtung waren, und die Bücher,
welche als unnütze Last erkannt wurden. Jeder der Anwesenden
wühlte in den Kisten und nahm, was ihm gut dünkte, bis das Ge-
wicht derselben dem Herrn des gemietheten Karneols leicht genug
erschien. Endlich, als auch die Wasserschläuche gefüllt waren, gingen
wir an die Bcpackung der Kameele, Da erblickte ich zu meinem
Erstaunen und Entsetzen Kolokömi, wie er sich mit seinem schnell
und heimlich beladenen Kameele ohne Abschied zu entfernen begann.
Keine Rufe hielten ihn zurück, und als ich den alten Mohammed dem
Treulosen nachsenden wollte, kam plötzlich dessen lang verhaltener
Groll gegen mich, seine’ halben Landsleute und unsere Reise zum
vollen Ausbruch. „Siehst Du", rief er, „wie der Letzte, dem verräthe-
rischen Charakter seines Stammes entsprechend, uns verlässt!? Geh'
doch jetzt auf dem Wege, den Du so sorgfältig aufgeschrieben hast,
nach Fezzan, wenn Du es vermagst! Habe ich Dir nicht vorher ge-
sagt, wie es kommen würde?! Oh, diese Christen, die nur einen
eigensinnigen Kopf und viel Wissen, aber keinen Verstand haben!
Bei Gott, wie Du die Hauptschuld hast, so hast Du auch den Haupt-
nachtheil. Du kannst jetzt wählen, ob Du getödtet werden — er
machte die ominöse circuläre Bewegung mit dem Zeigefinger um den
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358 II. BUCH, 5. KAP. FLUCHT AUS BAKDAt UNI) KÜCKKKHR NACH FEZZAN.
I lals oder verhungern willst. Wir Andern mit unserer schwarzen
Haut kommen wenigstens mit dem Leben davon, denn man wird
uns höchstens zu Sclavcn machen; nur fiir Dich giebt cs kein
Entrinnen!”
Ohne mich auf seine Perorationen einzulassen, eilte ich Kolokömi
nach, um ihn zu seiner Pflicht zurückzuführen, denn ohne ihn war unsere
Abreise fast unmöglich. Freilich kannte Hui Mohammed den Weg
über Abo, aber abgesehen von der Gefahr, die uns dort drohte,
besonders wenn wir ohne Tubu- Begleiter sein würden, genügten
unsere Transportmittel nicht für die sieben wasserlosen Tage dieser
Strecke. Ohne einen Führer bis zur Bornüstrasse, die dem alten
Mohammed ebenfalls bekannt war, mussten wir auf der Schwelle der
Rettung zu Grunde gühen.
Kolokömi trieb hastig sein Kameel vorwärts und antwortete
kurz, er sähe nicht ein, wesshalb er noch bei mir bleiben solle, nach-
dem ich alle meine Habe an Andere vertheilt habe, und er immer
leer ausgegangen sei. Er habe das Verdienst und die Mühe gehabt
und dafür den Hass seiner Landsleute geerntet, diese aber hätten
mein Besitzthum getheilt. Jetzt, wo ich absolut Nichts mehr mein
nenne, sei kein Grund vorhanden, mich noch zu begleiten, denn bei
mir sei kein Nutzen, kein Gewinn. Der Hinweis auf unseren Contract
war wirkungslos; erfolgreicher war jedoch das Versprechen eines
Geschenkes nach Erreichung unseres Zieles und besonders die
schliessliche Drohung, ihn im Nothfalie zur Erfüllung seiner Pflicht
mit Waffengewalt zwingen zu wollen. Im Grunde war Kolokömi
nicht ohne Gutmüthigkeit und hatte es wohl hauptsächlich auf
eine Erpressung abgesehen. Freilich war er bei dem obwraltenden
feindseligen Verhältnisse zwischen Fezzanern und Tubu nicht zu be-
wegen, seinen Contract bis zu Ende zu erfüllen und uns bis Fezzän
zu geleiten, doch gelang es mir gegen das schriftliche Versprechen
eines neuen Anzuges, seine Begleitung bis dahin zu gewinnen, wo
wir, das Tümmo-Gebirge vor Augen, des Weges sicher sein konnten.
Arämi, GordoY und Kolokömis Bruder waren, Jeder in der Rich-
tung seiner Heiniath, verschwunden. Ich war wie von einem Alp befreit
und begann nach der Wiedergewinnung unseres Führers mit frischem
Muthe die Heimwanderung, die bei unserem geringen Mundvorrathe
nur einem in der Entbehrung hart geschulten Wüstenbewohner mög-
lich erscheinen konnte. Wir wanden uns in westlicher Richtung aus
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OIE BEUNRUHIGENDE ABNAHME MEINER KRÄFTE.
359
den Ursprungsfdsen des E. Auso in die Ebene, hielten uns dann
nordwestlich, überschritten den E. Ogöso, wie jener ein Nebenfluss-
bett des E. Aru, und lagerten, bevor wir diesen erreicht hatten.
Nachdem wir am 12. September am Ursprünge des E. Aru
Wasser eingenommen hatten, setzten wir in fast derselben Richtung
unseren Weg fort, liessen das genannte Flussbett nach einigen
Stunden hinter uns und lagerten bald darauf während der heissen
Tagesstunden auf einsamer Hammäda, um nicht etwa von den Be-
wohnern des Arabu und des Udüi gesehen zu werden. Gegen Abend
brachen wir wieder auf, trieben unsere Kameele zu aussergewöhn-
lieber Geschwindigkeit an und überschritten in dem Dunkel der
Nacht und unter dem tiefsten Schweigen nach drei Stunden das erst-
genannte der beiden Flussbetten und nach zwei weiteren den Udüi.
Jenseits des letzteren, nachdem unsere Richtung eine ganz nordnord-
westliche geworden war, stiegen wir stark auf zu der hochgelegenen
Felsengegend, welche nördlich vom Abo oder Udüi sich ausdehnt, und
lagerten um Mitternacht nach elfstündigem Tagemarsche bei den
ersten Gruppen derselben.
Die allgemeine Schwäche in Folge einer lange fortgesetzten
Hungerkur, die Aufregung der letzten Tage, der elfstündige Marsch
im Geschwindschritt, die wunden Füsse, welche von den scharfen, in
die zerrissenen Schuhe dringenden Steinchen des groben Kieses em-
pfindlich schmerzten, die Furcht, dass meine Kräfte den uns erwar-
tenden Anstrengungen nicht gewachsen sein möchten: Alles dies
hatte mich in einen fieberhaften Zustand versetzt, der mich mit
neuer Sorge erfüllte und mir die so nothwendige Erquickung ruhigen
Schlafes schmälerte. Obgleich wir bei unserem kargen Wasservor-
rathe, der bis Afäfi ausreichen sollte, übereingekommen waren, dass
Allen gleichmässig ihre Ration zugemessen werden solle, und die
Kühle der Nacht nur einen sehr mässigen Trunk zu rechtfertigen
schien, musste ich schon dort eine Bevorzugung in Anspruch nehmen:
so verzehrt von innerer Fiebergluth war ich, so aufgeregt und über-
müdet.
Der folgende Tag war nicht besser;, das Gefühl von Schwäche
und Fieber verliess mich nicht; die ausgetrockneten Schleimhäute
von Augen, Nase und Mund schmerzten, wie die blutigen Füsse: ich
war im wahrhaften Sinne des Wortes todtmüde und verzweifelte
mehr und mehr an dem Gelingen meines Unternehmens. Ich heftete
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36U II. BUCH, 5. KAP. FLUCHT AUS I1ARDAI UND RÜCKKEHR NACH FKZZÄN.
meine Schritte an die Kolokömi's, liess mir in kindischer Weise mög-
lichst oft wiederholen, dass Afäfi nicht weit sei, dass wir bald unsere
Mittags- oder Nacht-Rast machen würden und dergleichen mehr, und
suchte einen kärglichen Trost und einen kleinen Zuwachs meiner
Energie aus seinen Antworten zu schöpfen. Wir marschirten wieder
fast zehn Stunden in nordnordwestlicher Richtung über den gleich-
massigen Kiesgrund und zwischen den isolirt aufspringenden und
scharfgeformten Felsgruppen, die hier nach Osten hin seltener werden,
und hatten noch einen schweren Tag vor uns, ehe wir den E. Lolemmo,
über dessen Wassergehalt Kolokömi überdies einige Zweifel nährte,
erreichen konnten.
Dieser folgende Tag (14. September) entmuthigte mich noch
mehr, und wenn wir nicht eine fünfstündige Tagesrast in einer
wunderbar kühlen Felsgruppe gehalten hätten, so würde ich wohl
den fast vierzehnstündigen Marsch nicht bis zu Ende ertragen haben.
Die genussreiche Mittagsruhe kostete uns leider den Besitz der
pflichttreuen Feida. Beim Aufbruche Nachmittags war sie in den
Felsen versteckt zurückgeblieben, und als All Bü Bekr, der Einzige,
welchem sie äussere Zeichen der Anhänglichkeit zollte, zurückgekehrt
war, um sie zu holen, hatte sie resignirt jede fernere Kraftanstrengung
verweigert. Ali vermochte nicht, sie zu tragen, und wir waren in-
dessen weiter marschirt. Später hatte Niemand Muth und Kraft,
einen neuen Versuch zu machen, und so musste das arme Thier im
Stiche gelassen w’erden. Der Anblick der Berge von Afäfi hielt
meine Energie während des Nachmittags mühsam aufrecht. Dieselben
schienen so nahe, und in ihnen hoffte ich Ruhe und Schlaf und
hoffentlich den unbeschränkten Genuss köstlichen Felsenwassers zu
finden. Schon um Sonnenuntergang erreichten wir sie, doch fast
noch vier Stunden lang wurden unsere Geduld und Kraft durch
endlose Windungen bei schwierigem Boden und dunkler Nacht auf
die härteste Probe gestellt. Endlich war der Lolemmo erreicht und
in ihm fanden u'ir glücklicherweise einige wohlgefüllte Wasser-
reservoirs.
Das Flussthal war durch die Begünstigung kürzlicher Regengüsse
mit einer Fülle frischer grüner Kräuter geziert, die ihm zwischen den
100 Fuss hohen einschliessenden Felsen einen Charakter ungewöhn-
licher Ueppigkeit verliehen. Eine Kameelstute war hier sorglos der
Weide überlassen und verschaffte uns den bei unseren kümmerlichen
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HAST IN AFAFI.
361
Verhältnissen doppelt kostbaren Genuss frischer Milch. In diesen
einsamen Gegenden können die Besitzer es unbedenklich wagen, ihre
Thiere ohne Aufsicht dem frischen Kräutergenusse zu uberlassen,
denn Fremde führt ihr Weg dort nicht vorüber, und die engeren
Landsleute können aus Furcht vcfr der fast unvermeidlichen Ent-
deckung einen Kamceldiebstahl nicht wagen. Die Thiere selbst
aber bedürfen keiner Abwartung, da sie bei dem Genüsse frischer
Kräuter und ohne alle Anstrengung wochenlang nicht getränkt zu
werden brauchen. Auch Kolokömi wollte seine Stute dort vor dem
Zorne seiner Landsleute sicher stellen und entzog uns dadurch für
die nächsten Tage einen grossen Theil unserer Transportkraft Trotz
aller Einsprache wollte er sich nicht entschliessen, von diesem Plane
abzugehen; doch stimmte er endlich wenigstens zu, uns persönlich
aus den Afäfi- Bergen hinaus auf den sicheren Weg nach dem
Tümmo zu bringen. Bü Ze'id in seiner Tubu-Natur suchte natürlich
aus diesem Umstande Gewinn zu ziehen, und ich musste ihm dafür,
dass er das letzte Kochgeschirr, die Essschüssel und den Beutel
mit Getreide auf sein Kamccl lud, die Summe von fünf Thalern in
Fezzän auszuzahlen versprechen.
Ich benutzte den Ruhetag des 15. September so gut als mög-
lich zur Wiedergewinnung eines Theils meiner Kräfte, nahm in einem
zu diesem . Zwecke vortrefflich geeigneten Regenwasserbehälter ein
erquickendes Bad seit der Flucht aus Bardai hatte ich keine
Gelegenheit zu einer europäischen Gewohnheiten entsprechenden
Körperabwaschung gehabt — , ass, so viel ich hatte, schlief, so
viel ich. konnte, und setzte fühlbar gestärkt am 16. September die
kummervolle Reise fort.
Die Ursprünge des Galiemma umgingen wir in nördlichem
Bogen und fanden in der Nähe derselben eine reich gefüllte
Cisternc, aus der wir uns für den ganzen Weg nach dem Tümmo,
der immerhin drei Tagereisen entfernt sein konnte, versehen mussten.
Wir nahmen sechs Wasserschläuche, von denen zwei von Menschen
getragen werden mussten, brachen im Anfänge des Nachmittags auf
und lagerten schon vor Sonnenuntergang nahe dem Punkte, wo wir
am Tage der ersten Wassersnoth den letzten Tropfen Wasser ver-
theilt und das Gepäck im Stiche gelassen hatten. Hier verliess uns
Kolokömi , gab uns unsere Wegrichtung an und kehrte zu seiner
Stute nach dem E. Lolemmo zuruck, um sich später für einige Zeit
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362 H. BUCH, 5. KAP. FLUCHT AUS HARDAl UND RÜCKKEHR NACH FEZZAN.
vor seinen übelwollenden Landsleuten nach Kawär zurückzuziehen.
Wir folgten in westlicher Richtung dem Laufe des E. Galiemma und
behielten diesen, nachdem wir aus den Afäfibergen herausgetreten
waren, stets südlich neben uns, bis er sich in einer mit dünner Kruste
von Natronsalzen bedeckten weiten Ebene verlor. Am Ende derselben
lagerten wir gegen Mittag wahrend der heissesten Tagesstunden im
Schatten der Felsblöcke eines Hügels, setzten Nachmittags in west-
nordwestlicher Richtung den Weg fort, passirten ein unbedeutendes,
dicht mit Etelbüschen bedecktes Flussbett, und hatten dann nördlich
von uns eine scharf gegen uns abfallende Hammäda, deren Rand
wir gegen Sonnenuntergang erstiegen. Auf dieser, welche mit grossen
schiefrigen Platten bedeckt war, marschirten wir in nordnordwestlicher
Richtung bis tief in die Nacht hinein und legten uns nach mehr als
dreizehn Marschstunden zu kurzer Ruhe nieder.
Da wir das Tümmogebirge noch nicht gesehen hatten, mussten
wir äusserst sparsam mit dem Wasser umgehen, und zu der ver-
zweifelten Uebermüdung kam die Qual des Durstes, mit der sich bei
uns Europäern wieder eine starke Heiserkeit geltend machte. Nach
fieberhaft verbrachter Nacht erstieg ich um Sonnenaufgang des
18. September einen benachbarten Hügel, um nach dem Tümmo
auszuschauen. Da lag er in der That im Nordnordwesten vor uns,
doch in entmuthigender Ferne. Schwach zeichnete sich die charak-
teristische Form des riesigen Zeugen durch den nebelhaften Dunst,
der bei steigender Sonne stets über der Wüste lagert, und mehrere
qualvolle Tagemärsche schienen uns bis zu ihm bevorzustehen. Be-
trübt schlich ich mit Giuseppe durch die unregelmässig geformte
Gegend, welche dort weit und breit die Bildung von Erosionsthälern
mit ihren niedrigen Tafelbergen zeigt. Die Sonne brannte furchtbar;
der Sand, mit dem die Zwischenräume der Hügel ausgefullt waren,
hemmte unseren Schritt; der Tümmo erschien mir unerreichbar, schon
nach wenigen Stunden fühlte ich mich so vollständig am Ende meiner
Kräfte, dass ich den Augenblick nahe wähnte, wo ich erliegen würde.
Da erblickten wir, schon früh am Vormittage, eine Verzögerung
in der Bewegung unsrer Gefährten, die mit den Kameclen in einiger
Entfernung von uns des Weges zogen. Das war nicht der vorüber-
gehende Aufenthalt, welcher durch Verschiebung der Gepäckstücke
eines Kameeles entsteht; es fand eine sichtliche und beträchtliche
Verlangsamung ihrer Vorwärtsbewegung statt. Aengstlich näherten
Digitized t
geurauchsunkAhigkeit der kameele.
363
wir uns, und unsere Besorgniss, dass sich etwas Ernstliches mit einem
der Kameele ereignet habe, bestätigte sich nur allzusehr. Das Thier
des Tubu-Jünglings war „battäl", d. h. funktionsunfähig, geworden. Wie
schmerzlich diese Entdeckung auch sein musste, so überwog doch so
sehr das Gefühl meiner physischen Unfähigkeit, dass ich eine heim-
liche Genugthuung empfand, schon so frühzeitig am Tage zu einer
längeren Rast gezwungen zu sein.
■ { Bei der zunehmenden Tageshitze war keine Aussicht, das Kameel
vorwärts zu bringen. Wenn dasselbe überhaupt noch Dienste leisten
konnte, so war dies nur in der Abend- und Nachtkühle zu erwarten.
Wir kletterten auf einen der Hügel, der mit Schatten spendenden
Sandsteinblöcken bedeckt war, und beschlossen, die Kisten, welche
das Thier trug, dort zu verbergen, und so viel als möglich zu essen
und zu trinken, um das Gewicht des Gepäckrestes auf das Aeusserste
zu vermindern. Die Rast war eine lange, kam mir jedoch wenig zu
Gute. Mein Herz klopfte, meine Schläfe pochten, meine Haut
brannte, und die Zunge klebte mir am Gaumen. Alle Hessen sich
das getrocknete Kameelfleisch, das man auch, wie erwähnt, ungekocht
geniessen kann, schmecken, doch es war mir unmöglich, dasselbe in
seiner Trockenheit und mit seinem scharfen, salzigen Geschmacke
hinunter zu bringen. Ich versuchte, wenigstens Datteln zu essen,
aber die Süssigkeit derselben widerstand mir. Ich hoffte zu schlafen,
aber die fieberhafte Aufregung der Uebermüdung machte es unmög-
lich. Verzweifelt lag ich da, den Oberkörper entkleidet und auf die
feuchten, eben geleerten Wasserschläuche gelagert, um die brennende
Haut zu kühlen, und suchte vergeblich mit dem in Folge der Ver-
dunstung durch die Schlauchwandungen eisig gekühlten und reichlich
gespendeten Wasser den inneren Brand zu löschen. Die Sonne stieg
höher und höher; der Mittag kam; die Schatten begannen sich zu
verlängern; ich sah mit Entsetzen den Augenblick des Wiederauf-
bruches näher und näher rücken, doch kein Gefühl von Kräftigung
und Hoffnung befähigte mich zur Fortsetzung des Marsches.
Um vier Uhr Nachmittags brachen wir wieder auf. Die Kisten
waren auf dem Hügel zurückgelassen worden; das schwache Kameel
wurde ohne Gepäck mit getrieben, und dasjenige Bü Zei'd’s trug die
beiden noch vorhandenen Wasserschläuche mit ihrem erheblich ver-
minderten Inhalt. Wir hatten den Muräbid überreden wollen, sein
persönliches Gepäck ebenfalls dem Versteck anzuvertrauen, um sein
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364 II. BUCH, 5. KAP. FLUCHT AUS BARDAf UND RÜCKKEHR NACH FEZZAN.
schwaches Thier zu schonen und uns die Dienste desselben für den
Wassertransport zu sichern; doch seine Habsucht konnte sich nicht
cntschliessen, kleine geschäftliche Erwerbungen, die er in Tibesti ge-
macht hatte, im Stiche zu lassen. Im Gegentheil fügte er noch zu
seiner Ladung mein Zelt, das er auf diese Weise zu erwerben hoffte.
Der beliebte Spruch, den ich so oft in Tibesti in Form einer
Drohung hatte hören müssen, wenn man Etwas von meinem Eigen-
thume zu erpressen suchte: „en-nefs cheir min el-mäl", d. h. das
Leben ist kostbarer als das Gut, existirte nicht für ihn, und Bui
Mohammed meinte sogar höhnisch, Bü Zeid kehre den Spruch um
und sage „el-mäl cheir min en-nefs", d. h. das Gut ist kostbarer als
das Leben.
Schon unmittelbar nach dem Aufbruche schleppte ich mich mit
Aufbietung aller meiner Kräfte durch den sandigen Detritus des
weiten Thaies; meine Knie zitterten, die sonst auch bei Anstren-
gungen in Folge der durstigen Wüstenluft so trockene Haut bedeckte
sich mit Schweiss. Mechanisch schwankte ich vorwärts mit dem un-
klaren Bestreben, bis zum Momente einer kurzen Nachtruhe auszu-
halten, doch mit geringer Hoffnung auf Erfolg, und für einen solchen
Fall waren wir übereingekommen, da bei der drohenden Lebens-
gefahr Alle gleich seien, dass derjenige, welcher nicht vorwärts
könne, erbarmungslos zurückgelassen werden müsse.
Um Sonnenuntergang stiegen wir aus dem Zeugenthale auf den
Rand der umgebenden Hammäda und erblickten plötzlich unter der
günstigeren Abendbeleuchtung den Tümmo in scheinbar viel grösserer
Nähe vor uns, als wir vermuthet hatten. Noch am Morgen schien
er Tagereisen entfernt zu sein; jetzt traten uns seine charak-
teristischen Umrisse, die Einzelheiten seiner scharfen Formen so
deutlich entgegen, dass wir glauben mussten, ihn in längstens einem
Tagemarsche erreichen zu können. Meine Hoffnung belebte sich
aufs Neue, doch das Gefühl der Hinfälligkeit drohte trotzdem un-
überwindlich zu werden. Da stiessen wir mitten in der durchaus
vegetationslosen Umgebung auf eine kleine mit Had bedeckte Boden-
senkung. Die scheinbare Nähe des Tümmo und das Streben, ihre
Kameele zu erhalten, bewogen Bü Zeid und den Tubu -Jüngling,
darauf zu dringen, den ermatteten und ausgehungerten Thieren diese
Stärkung zu bieten. Wir Hessen uns nieder, die Kameele frassen,
und unter dem Einflüsse der wieder erwachten Hoffnung kam mir
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NEUE KRAFT UND HOFFNUNG.
365
der Schlaf, ein Schlaf, so intensiv und erquickend , wie ich ihn nur
an jenem verhängnisvollen Abende der Errettung aus erster Wassers-
noth geschlafen hatte.
Nach drei Stunden bot der kleine Weidegrund keine der stach-
ligen Futterpflanzen mehr, und ich erwachte mit neuer Kraft. Ich
zweifelte nicht mehr, dass ich den Tümmo erreichen würde, und be-
gann rüstig den Nachtmarsch. Eine merkwürdige Fähigkeit voraus-
zumarschiren und dann aus einem Schlummer von fünf oder zehn
Minuten Stärkung zu schöpfen, bis die langsam marschirenden Ka-
rneole mich eingeholt hatten, war über mich gekommen. Gegen
Morgen machten wir eine mehrstündige Pause und zogen um Sonnen-
aufgang weiter. Lange ohne Unterbrechung zu marschiren waren
wir nicht mehr im Stande. Nach dreistündiger Morgenwanderung
erwarteten wir wieder im Schatten eines Zeugen die Nachmittags-
kühle, tranken den Rest unseres Wassers, näherten uns um weitere
vier Stunden unserem nächsten Ziele, rasteten bis Mitternacht und
befanden uns gegen Morgen auf der Südseite des Tümmo, seine steil
aufstrebende Südwand nahe vor uns. In der Sicherheit, demnächst
am frischen Wasser seiner Brunnen rasten zu können, überliessen wir
uns einem kurzen Morgenschlummer, während Sa’ad und Ali mit
dem kleinen Schlauche eines Ziegenlammfelles vorauseilten.
Leider hatte uns unsere Wegrichtung nicht an das südwestliche
Ende des Tümmo, von dem der Weg in das Innere des Gebirgs-
stockes führt, gebracht, so dass uns noch ein für unsern Kräftezu-
stand äusserst mühsamer Kampf mit den Vorbergen erwartete. Die
Kameele weigerten sich beide von vornherein, denselben aufzunehmen
und mussten entlastet zurückgclassen werden; auch Giuseppe war
durch Nichts zu bewegen, sich der Anstrengung zu unterziehen, und
ich musste ihn sich selbst überlassen, bis wir nach eigener Stärkung ihn
gegen Abend würden aufsuchen können. Wir nahmen den Kochtopf,
die Datteln, den kleinen Beutel mit Mehl, den unbedeutenden Vorrath
von getrocknetem Kameclfleisch und einige leere Wasserschläuche
mit uns upd hegten die Hoffnung, die Kameele in der Abendkühle
bis zu den Brunnen schaffen zu können. Noch mehr als drei Stunden
dauerte die Qual der Bergwanderung, bergauf und bergab, durch
Sand und über Felsen, über Steingerölle und Felsblöcke. Gegen
Mittag kamen uns Ali und Sa’ad mit dem Zommat (kleiner Wasser-
schlauch aus dem Felle eines Ziegcnlammcs) entgegen, und gierig
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366 II. BUCH, 5. KAR. FLUCHT AUS RAROaT UND RÜCKKF.HR NACH FEZZAN.
sog der ausgetrocknete Körper das belebende Nass ein, das er
anfangs nicht einmal die Kraft hatte, durch Verschliessung der
natürlichen Wege bei sich zu behalten.
Um Mittag lagerten wir in der schattigen Umgebung der Brunnen
und konnten nach einem Dattclimbiss uns dem kräftigenden Schlafe
überlassen, ohne durch das Schreckgespenst des unmittelbar bevor-
stehenden Wiederbeginnens der Qual im süssen Genüsse gestört zu
werden. Denn dort beschlossen wir zu bleiben, bis der letzte Rest
unserer Vorräthe aufgezehrt sein würde, um aus diesen bei vollstän-
diger Ruhe und uneingeschränktem Wassergenussc den grösstmög-
lichsten Nutzen für unseren Kräftezustand zu ziehen. Gegen Abend
wurde ein dünner Mehlbrei in festlicher Weise genossen, und der
Vorrath genügte, den gleichen Genuss für zwei weitere Male sicher
zu stellen. Dazu wurden die aufbewahrten Sehnen und Knochen
meiner einstigen Kamcelc vcrtheilt, und Jeder beschäftigte sich eifrig
mit der Verwerthung der in Tibcsti gewonnenen Erfahrungen bezüg-
lich der Nutzbarmachung selbst der ungeniessbarsten Dinge. Die
Knochen wurden allmählich gepulvert, die Sehnen mürbe geklopft
und Morgens zu der Mahlzeit sorgsam abgezählter Datteln und
Abends zu dem Näpfchen Mehlbrei genossen. Dazwischen ward ge-
trunken, geschlafen und unbeweglicher Ruhe gehuldigt. Jeder un-
nöthige Schritt, jedes überflüssige Wort schien uns eine unverantwort-
liche Kraftvergeudung zu sein.
Während wir uns gegen Abend mit dem Schicksal Giuseppes
beschäftigten, und 'Ali, der sich gegen eine Geldbelohnung freiwillig
zur Aufsuchung des Zurückgebliebenen erboten hatte, grade im Be-
griffe stand, die Brunnen zu verlassen, stieg eine wunderliche Gestalt
von dem Rande der südlichen Tümmowand gegen den Brunnen her-
nieder, und es war bald nicht schwer, in ihr den Gesuchten zu er-
kennen. Er hatte von der Südseite des Gebirges einen schmalen
Pfad gefunden, der ihn mit Vermeidung des Passumweges in kurzer
Zeit auf unsern Abhang geführt hatte, und war in einer Stimmung,
die sich ebenso wenig als sein äusserer Aufzug in der Folge auf-
klärte. Mürrisch und bitter erwiderte er unsere Begrüssung, wie
wenn wir ihn aus Bosheit im Stiche gelassen hätten, und sein
Aeusscres übertraf an Sonderbarkeit noch seine Gemüthsvcrfassung.
Als das erste Kameel seine Functionen einstellte, hatte er aus den
zurückzulassenden Sachen ein Paar ihm gehöriger hoher Wasserstiefel
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RUHETAGE IM TÜMMO.
367
angelegt, und diese bildeten jetzt mit einem Schurz, den er aus
einem Flanellhemd hergestellt hatte, indem er die Aermel desselben
um die Taille gürtete, seine einzige Bekleidung. Am nächsten Tage
wurde das von ihm zurückgelassene Gewehr aufgefunden, doch blieb
dunkel, was aus seinen übrigen Kleidungsstücken geworden war.
Am folgenden Tage wurden die Kameele mit ihrer spärlichen
Ladung zum Brunnen herübergeschafft und getränkt, und ihnen
Kräuter in den Bergschluchten gesammelt. Auch der zweite Tag
war noch der Ruhe bestimmt, und erst am dritten sollte die letzte
und nicht leichteste Etappe in Angriff genommen werden. Vom
Tiimmo bis zum Meschru- Brunnen rechnet man zwei und einen
halben Tagemarsch, und von diesem nach Tcdscherri anderthalb.
Doch das Bewusstsein der Nähe des rettenden Zieles, und die aus
der mehrtägigen Ruhe geschöpfte Kraft erfüllten uns mit Hoffnung
und Vertrauen, trotzdem wir unsere Essvorräthe aufgezehrt hatten
und die Kameele in ihrer Leistungsfähigkeit durchaus zweifelhaft
blieben. Um von diesen für den Wassertransport, die Haupt-
schwicrigkcit, den grösstmöglichsten Nutzen zu ziehen, Hessen wir
alles und jedes Gepäck, das nicht von uns selbst getragen werden
konnte, auch das Bü Zei'd's, in den Felsen des Tiimmo zurück.
Jeder wickelte seine Müna oder Awln (d. h. den Essvorrath), die
aus etwa fünfzig Datteln bestand, in einen Zipfel der zerfetzten
Kleidung und trug seine Feuerwaffe. Die beiden Wasserschläuche
wurden dem Kameele Bü Zeid’s aufgelegt, und das Thier des Tubu-
Jünglings sollte nicht einmal einen Sattel tragen. Ali und Sa'ad
nahmen Jeder noch eine kleine Quantität Wasser auf den Rücken,
und so brachen wir am Abend des 23. September vom Tümmo-
Brunnen auf. Aber kaum hatten wir nach drei Stunden den Aus-
gang der Berge erreicht, als dem Kamcel Bü Zeid's von Neuem die
Kräfte versagten. Sein Herr konnte sich noch immer nicht ent-
schlossen, es ganz zurückzulassen, und wir rasteten ihm zu Liebe
wieder bis zum Morgen. Als es auch zu dieser Zeit jede Fort-
bewegung hartnäckig verweigerte, musste es endgültig aufgegeben
werden, und wenige Stunden darauf hatte das andere Kamcel, das
wir versuchten an seine Stelle treten zu lassen, dasselbe Schicksal.
So waren wir auch für den Transport des Wassers ganz auf uns
selbst angewiesen, und es war nicht leicht, den Bedarf von sieben
Menschen auf der Reise für zwei und einen halben Tag in somrner-
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368 H. BUCH, 5. KAP. FLUCHT AUS BARDAT UND RÜCKKEHR NACH FEZZÄN.
%
lieber Wüstenluft auf den Schultern zu tragen, besonders flir Leute
unseres Kraftzustandes.
Wir tranken also noch einmal so reichlich als möglich, gossen
mit innigem Bedauern einen Theil der köstlichen Flüssigkeit auf die
durstige Erde, belasteten Sa'ad und Ali mit dem Reste und machten
eine sorgfältige Zeiteintheilung. Es wurde beschlossen, täglich vom
Beginne der Abendkühle bis nach Sonnenaufgang mit den Unter-
brechungen, welche unsere körperliche Schwäche unvermeidlich
machte, zu marschircn und die Tageszeit im Schatten von Fels-
blöcken so schweigsam und unbeweglich als möglich zu verbringen.
Die Quantität von etwa anderthalb Liter Wasser für Jeden vertheil-
ten wir auf den Anfang und das Ende unseres Tages- resp. Nacht-
marsches. So erreichten wir gegen Morgen der zweiten Nacht die
Berge Lebrek auf der Hochebene Alaöta Kju und verbrachten den
Tag des 25. September in der köstlichen Kühle einer zur Lagöba
Könö gehörigen Felsgruppe, die östlich am Wege lag.
Wie die nächste Umgebung des Meschru-Brunnens durch mensch-
liche Gebeine gekennzeichnet ist, so fanden wir auf der ganzen
Strecke vom Tümmo bis zu jenem in den Höhlungen der Felsen
noch manche skelettirte Opfer des Sclaven handeis. Wo wir rasteten,
hatten auch diese Unglücklichen, einst von ihren Herren krank oder
hoffnungslos erschöpft zurückgelassen, Schutz gegen die Sonne ge-
sucht und ihr entsetzliches Ende erwartet. Der Eindruck ihrer Reste
auf uns war um so lebhafter, als wir nicht mehr einzig und allein
in der Bethätigung des Selbsterhaltungstriebes aufgingen, der gleich-
gültig gegen die Leiden Anderer macht. Unsere Hoffnung auf
Rettung wurde mehr und mehr zur sicheren Ueberzeugung, und wir
konnten dankerfüllt und mitleidsvoll derjenigen gedenken, deren
Schicksal uns so lange in unmittelbarer Nähe gedroht hatte, und
welche, weniger glücklich als wir, so nahe dem rettenden Ziele
ihrem grauenvollen Verhängniss erlegen waren. Mit welcher Ver-
zweiflung, öde und unbegrenzt, wie die des Lebens und Horizontes
baare Umgebung, mussten die Armen in den Schutz dieser Felsen
gekrochen sein, um, allein mit ihrer kummervollen Erinnerung an
Heimath, Familie und verlorenes Glück das Erlöschen ihrer Lebens-
kräfte zu erwarten!
Die nächste Nacht führte uns durch die Lagöba Könö und Buia
auf die kiesige Hochebene, welche sich nach Norden gegen Fezzän
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DIE LETZTE ETAPPE.
309
hin senkt. Nachdem wir den Tag nahe dem Rande derselben verbracht
hatten, stiegen wir am Morgen des 27. September von den Meschrit-
llugeln zum ersehnten Brunnen hinab. Die Unterbrechungen unseres
Marsches wurden immer häufiger; fast nach jeder Stunde legten wir
uns nieder, um einige Kräfte zur folgenden zu sammeln. Zu längerer
Nachtruhe war die stattfindende Temperatur-Erniedrigung zu bedeu.
tend, obgleich wir im Monat September waren. Unsere Kleidung be-
stand in dürftigen Fetzen, und da wir keine Decken besassen, so ver-
scheuchte die empfindliche Kälte bei aller Ermüdung den Schlaf.
Trotzdem der Kampf noch leidensvoll genug war, so malte meine
Phantasie mir in der sicheren Zuversicht des Sieges doch schon den
Aufenthalt in Fezzan mit seinen culinarischen Genüssen, seiner Sicher-
heit. seiner ungestörten Nachtruhe und Siesta in den hoffnungsreich-
sten Farben. Schon lebte ich im Glücke der Nachrichten, welche*
ich reichlich aus der Hcimath erwarten durfte, und konnte schon zu-
weilen herzlich lachen über den grotesken Anblick, den unsere kleine
Reisegesellschaft gewährte; Al? und Sa'ad in adamitischer Einfachheit
gekleidet, mit den Wasserschläuchen auf dem Rücken; der ernste Bui
Mohammed, mein ganzes Gepäck auf dem Nacken und, seinem Alter
wie seiner Stellung entsprechend, sich eines langen, wenn auch lücken-
haften Hemdes erfreuend; Giuseppe mit seinen wunden Plattfiissen sich
mühsam einherschleppend und den Mangel des nothwendigsten Klei-
dungsstückes in unvollkommener Weise durch seine Wasserstiefel
ersetzend, die erfolglos bestimmt schienen, sich dem kurzen Flanell-
hemdchen zu nähern ; ich selbst endlich barfuss, die Beine mit baum-
wollenen Fetzen umwickelt, welche man mit kühnstem Euphemismus
nicht mehr als Beinkleider bezeichnen konnte, doch den Oberkörper
in einen, freilich arg mitgenommenen Pariser Sommerüberrock gehüllt
und keuchend unter der Last zweier Gewehre; Bü Zeid in seiner Hab-
sucht fast unter dem Gewichte eines Gepäcksackes erliegend, den er
dem Tümmoverstccke nicht hatte anvertrauen wollen; und Alle so gut
als möglich Mund und Nase verhüllend, um den Durst zu verringern.
Wie die arme wachsame Fcida in eigener Wahl den Kampf um
die Hcimath aufgegeben und ein trauriges Ende gefunden hatte, so
drohte ihrem armen Gefährten Dudschali, nachdem er mit anerkennens-
werther Zähigkeit unter Hunger und Anstrengung bis zur Grenze
seiner Hcimath gelangt war, noch zu guter Letzt Verderben, und
zwar von unserer Seite. Ich glaubte meinen hungernden Gefährten
Nachtigal. L 24
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370 H. BUCH, 5. KAP. FLUCHT AUS BARDAT UND RÜCKKEHR NACH FEZZÄN.
anheimstellen zu müssen, ob sie nicht trotz der bemitleidenswerthen
Magerkeit des ausgehungerten Geschöpfes am Meschru-Brunnen eine
Mahlzeit, die einzige zwischen Tümmo und Tedscherri, aus seinem
fleischlosen Körper bereiten wollten , und überliess die Frage der
Mehrheit zur Entscheidung. Sa’ad und Ali wären mit Giuseppe
wohl geneigt gewesen, die bejahende Majorität zu bilden, doch
schämten sich die Ersteren vor Bü Zei'd und Bui Mohammed, welche
der Ansicht waren, dass es bei der kurzen noch zurückzulegenden
Strecke bis Tedscherri eine unverantwortliche Schande sein würde,
sich mit dem Genüsse eines unreinen Thieres zu versündigen, und
muselmanisches Vorurtheil rettete den gefährdeten Hund zu meiner
aufrichtigen Genugthuung.
Da in der unmittelbaren Nähe des Meschru-Brunnens keinerlei
Schatten zu finden ist, so setzten wir unseren Weg fort, sobald die
Strahlen der emporsteigenden Sonne uns das Verharren an derselben
Stelle unmöglich machten, rasteten um Mittag zwischen den Sandstein-
blöcken eines Zeugen, marschirten sogar Nachmittags und fühlten uns
durch die sichere Aussicht auf nahe Rettung so gekräftigt, dass wir auch
während der folgenden Nacht nur kurze Zeit ruhten. Am 28. September
Morgens passirten wir die cl-Häd genannte Bodenabflachung und er-
blickten auf der Höhe des Vormittags von einem Hügel die dunkle Linie
der Rhäba Tedscherri’s. Wir nahmen noch einen Trunk des Meschru-
Wassers und eilten mit einer letzten Kraftanstrengung die Datteln
zu erreichen, welche uns vom nagendsten Hunger befreien sollten.
Die Dattelpflanzung Tedscherris ist gegen Süden und in gerin-
gerem Masse auch gegen Norden von einem unterbrochenen Dünen-
gürtel umgeben, dessen Ueberwindung unserer Kraftlosigkeit noch
erhebliche Schwierigkeiten darbot. Um Mittag war auch dies letzte
Hindemiss beseitigt, und wir stürzten auf den ersten Dattelbaum zu.
der uns aufstiess und reife Früchte trug. Wir mussten nach so langer
Hungerkur vorsichtig in der Nahrungseinnahme sein, waren es aber
trotz der Reserve, die wir uns in dieser Beziehung auferlegten, bei
Weitem nicht genug, wie uns die Folge lehrte. Wir verharrten in
der schattenreichen Pflanzung bei einem ihrer oberflächlichen Brunnen
bis gegen Abend und erreichten dann in einigen Stunden das Städt-
chen, das voller Araber aus dem nördlichen Tripolitanicn war, wie
stets zur Zeit der begonnenen Dattelernte.
Unsere Ankunft brachte eii^e grosse Aufregung in dem kleinen
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ANKUNFT IN TEDSCHERRt.
371
Orte hervor, denn Jeder, der die Tubu Reschäde kannte, hatte seit
lange die Hoffnung aufgegeben, uns je wiederzusehen. Alle empfingen
uns mit freudigem Erstaunen und mit ungeheuchelter Bewunderung
unserer physischen Leistung. Den wenigen Tubu, welche sich noch
dort befanden, konnte dieselbe allerdings als keine aussergewöhnliche
erscheinen, aber die doch ebenfalls an Massigkeit und Anstrengung
gewöhnten nomadisirenden Araber beglückwünschten uns aufrichtig
zu derselben. Der Scheich el-Beled schickte alsbald einen Expressen
an den Hadsch Dschäber nach Qatrün, denn die Regierung in Murzuq,
welche besorgt zu werden und an unseren Untergang zu glauben be-
gonnen hatte, bürdete die Verantwortung für mein Schicksal dem
Chef der Muräbidija auf. Dieser hatte in seiner Noth und Besorgniss
schon einen Boten mit Kamcel nach Tibesti geschickt, dessen frische
%
Spuren wir in der That bisweilen auf dem Wege gesehen hatten.
Schüsseln, deren Zahl und Inhalt mit den bescheidenen Gewohn-
heiten Tedscherri's in Widerspruch standen, überschwemmten unseren
Lagerplatz. Hühner, Datteln, Gerstenbrei, welcher letztere grade in
Tcdscherri die unangenehmsten Folgen für die nicht daran gewöhnten
Verdauungsorgane nach sich zu ziehen im Rufe steht, bildeten unge-
wohnte culinarische Schätze für uns, deren Genuss wir uns rücksichts-
loser hingaben, als bei unseren geschwächten Verdauungsorganen rätli-
lich war. Bittere Tropfen wurden leider in den Kelch meines Glückes
geträufelt, denn die Nachricht von dem schrecklichen Untergange
meiner hochsinnigen Freundin durch den Verrath ihrer Begleiter wurde
hier zweifellos, wenn ich auch die Einzelheiten des tragischen Ereig-
nisses noch nicht erfuhr.
Unsere Mittheilungen über die feindseligen Pläne der Tubu
Reschäde gegen Fezzan verbreiteten eine allgemeine Besorgniss und
besonders die fremden Araber beschlossen, sich schon andern Tages
zu ihren zahlreicheren Stammesgenossen in Qatrün zurückzuziehen.
Auch wir brachen schon am Abende des folgenden Tages von
dem gastlichen Städtchen wieder auf, nachdem ich Morgens zum
abwechselnden Reiten für die allzu Ermüdeten und zum Tragen des
Handgepäcks einen Esel für dreizehn Real Fezzaner Währung auf
Credit gekauft hatte.
Die Freude des Hadsch Dchäber bei dem Empfange der Nach-
richt von unserer Ankunft war unbeschreiblich gewesen. Der Bote,
welcher ihm dieselbe überbracht hatte, begegnete uns auf seiner
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372 II. RUCH, 5. KAP. FLUCHT AUS BARDAl UND RÜCKKEHR NACH FEZZÄN.
Rückkehr nach Tedscherri und erzählte, dass der alte Herr, sonst
in dem Hange zum Geiz den Muräbidija ein so würdiges Vorbild, in
seiner Aufregung ihm drei blanke Maria-Theresia-Thaler geschenkt
habe. Sein ganzes Leben bot kein Beispiel einer ähnlichen Frei-
gebigkeit. Bei unserer Ankunft in Qqtrün wurden wir von ihm und
seinem brüderlichen Schatten Hamdün mit Broden, Hühnern und
Datteln wahrhaft überschüttet, und wenn meine Verdauungsorgane
schon den gastfreundlichen Angriffen der Leute Tcdscherri’s nur unzu-
reichenden Widerstand zu leisten vermocht hatten, so wurden sie in
Qatrün vollständig besiegt und nicht grade zum Besten des Wiederge-
winnes meiner Kräfte functionsunfähig gemacht. Nicht wenig trug dazu
ein fetter Ziegenbock bei, den ich zur Feier der Rettung gekauft hatte.
Auch in Qatrün hatte die Dattelernte begonnen, und, wie alljähr-
lich, waren Schaaren von Arabern aus dem nordöstlichen Tripoli-
tanien herbeigekommen, um ihren Wintervorrath einzukaufen. Die-
selben führen ausser ihren mit Getreide, Butter und Fett beladenen
Lastkamcelen gewöhnlich ihren ganzen Besitz an Mutterkanieelen mit
sich, theils weil die Milch derselben ihnen den Reisemundvorrath er-
setzt, theils weil dieselben mit ihren Kälbern beim Verkaufsehr hohe
Preise erzielen. Der grösste Theil dieser regelmässigen Gaste gehörte
verschiedenen Abtheilungen des weitverzweigten Stammes der Urfilla
und derjenigen Abtheilung der Auläd Solimdn an, welche nicht bei
den Kämpfen Abd el-Dschlil's gegen die Türken betheiligt gewesen
ist und deshalb ungestört unter ihrem Häuptlinge Seif en-Nasr in
Barqa hausen darf. Durch die gastfreundlichen Gaben der Muräbidija
angelockt, belagerten sie mein Zelt vom frühen Morgen bis zum
späten Abend und machten die Ruhe, deren ich so sehr bedurfte,
illusorisch.
Rohe Nomaden, die selten oder nie das gesittete Leben der
Städte kennen lernen, und in socialen Gebräuchen vielfach weit hinter
den Negern, die sie verachten, zurückstehen, waren sie für mich sehr un-
bequeme, anspruchsvolle und rücksichtslose, für die Einwohner Qatrün s
aber selbst gefährliche Besucher. Seit langen Jahren sind sic in Fezzän
gefürchtet, denn wenn sic sich nicht immer Uebergriffe gegen die Be-
wohner selbst zu Schulden kommen lassen, so benutzen sie doch jede
Gelegenheit, Tubu und Tuärik zu überfallen und auszuplündern, kehren
dann eiligst in ihre sichere Hcimath zurück und setzen das Land rück-
sichtslos den Racheacten jener aus. Furcht vor der Obrigkeit stört
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FREMDENVERKEHR IN SUD-FEZZÄN WAHREND DER DATTELERNTE.
373
sie wenig, denn von Tripolis sind sic schwer erreichbar, und in
Fezzän sind die Rcgicrungsorgane durchaus machtlos. Im schlimmsten
Falle rüsten die Ucbclthätcr einen Raubzug nach dem fernen Süden aus
und ziehen raubend und mordend durch die Grenzbezirke der östlichen
Tuäriklander, plündern Kawär, die südwestlichen Thaler Tibesti’s
und vereinigen sich für einige Jahre mit ihren im Sudan gefürchteten
Vettern, den Auläd Solimän Abd clDschhTs, in Borkü und Känem.
Auch jetzt schrieb man ihnen ähnliche Absichten zu, und ihr
unverschämtes, ja feindseliges Benehmen gegen die Qatrüner recht-
fertigte diese Vermuthung. Es waren ihrer mehr als fünfhundert,
und Jeder beanspruchte für seine Lieferung an Butter, Fett und der-
gleichen sofort mit Datteln versorgt zu werden, obwohl diese doch
erst allmählich geschnitten werden konnten. Der Hadsch Dschäber,
unterstützt durch sein Alter, politisches Ansehen und seinen lang-
jährigen Verkehr mit den unbequemen Gästen, verfuhr mit grosser
Energie und Gerechtigkeit, doch trotzdem kam cs zu gewaltthätigen
Sccncn mit der zügellosen Bande, und verschiedene angesehene
Muräbidija wurden mit den beleidigendsten Schimpfwörtern belegt
und sogar mit Stöcken und Flintenkolben gemisshandelt. Die Auläd
Solimän vorzüglich zeichneten sich durch ihre Rohheit aus, verlangten
allen Andern in der Abfertigung vorzugehen und drohten andern-
falls die Stadt zu plündern. In einer Nacht machte sich der Hädsch
Mahmud heimlich auf und ritt nach Murzuq, um womöglich mili-
tairischen Beistand zu holen. Das Gerücht von diesem Schritte ver-
schlimmerte die Sache, und da folgenden Tages dieser Muräbid
nicht gesehen und als in Folge der erlittenen Misshandlungen erkrankt
ausgegeben wurde, entblödeten sich die Räuber nicht, den greisen
Hädsch Dschäber zu prügeln, bis an die Zähne bewaffnet in der
Stadt zu bivouakiren und die geängstigten Einwohner durch bestän-
diges Schiessen zu schrecken. Dadurch wurden die rohen Leute
zwar von mir abgelenkt, doch ich beeilte mich, die weitere Ent-
wicklung dieser Zwistigkeiten nicht abzuwarten, lieh von dem ge-
kränkten alten Chef der Stadt ein Kameel mit Wasserschläuchen
und etwas Mundvorrath und zog unbemerkt am 5. Octobcr früh
Morgens gen Murzuq.
Wir erreichten am Mittag des folgenden Tages Mestüta, setzten
noch Nachmittags unseren Marsch fort und hatten die Freude, gegen
Abend auf einen Boten des vortrefflichen Hädsch Brähim Ben Alüa zu
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374 II. BUCH, 5- KAP. FLUCHT AUS BARDAf UND RÜCKKEHR NACH FEZZAN.
stosscn, der mir mit einem prächtig aufgezäumten Kameel, Vorrathen
an Reis, Makkaroni, Kaffee, Zucker, Eiern und feinem Backwerk und
einem liebenswürdigen Briefe seines Herrn entgegenkam. Selbst tür-
kischen Tabak mitCigarrettenpapier hatte mein ausgezeichneter Freund
nicht vergessen, und wo er ein Dutzend wirklicher Cigarren aufge-
f rieben hatte, ist mir niemals enthüllt worden. Wir lagerten natür-
lich sofort in dem einladenden Sande, tranken den lang entbehrten
Kaffee, Hessen uns das kunstvolle Backwerk schmecken, und noch
nie glaubte ich Cigarren von solchem Aroma geraucht zu haben.
Alles dies diente leider meinen Verdauungsorganen sehr wenig. Ein
heftiger Magendarmkatarrh war die Folge, und ich war von Herzen
froh, als ich, am 8. October in meiner Häuslichkeit zu Murzuq ange-
kommen, durch Ruhe und zweckmässige Nahrung meine baldige
Genesung erhoffen zu können glaubte.
Ehe ich mich freilich der Pflege meiner Gesundheit widmen
konnte, musste ich mich erst durch die Gratulationsbesuche der
Honoratioren von Murzuq hindurcharbeiten, die mit desto grösserer
Bewunderung unsere Reise nach Tibesti betrachteten, je verweich-
lichter und fauler sie selbst waren. Alle waren beeifert, mir meine
Rettung als eine besondere Gnade Gottes zu preisen und als ein
sicheres Zeichen des Gelingens meiner künftigen Reisepläne. „Omrek
tawil! -(Dein Leben wird lang seinl)”^ meinten sie; „denn wen Gott
aus solchen Gefahren errettet, dem hat er ein langes Leben bestimmt,
und nachdem Du aus den Händen der Tubu Reschade wiederkehrtest,
kannst Du mit ruhiger Zuversicht überall hingehen 1"
Die Stadt war noch erfüllt von dem entsetzlichen Ende Fräulein
Tinne's, deren Leute alsbald kamen, um sich unter meinen Schutz
zu stellen. Ich Hess ihnen diesen um so lieber zu Theil werden, als
ich nur durch meinen täglichen Verkehr mit ihnen Allen in die Lage
kommen konnte, die Grcuelthat und ihren Verlauf, ihre Urheber
und die Motive derselben richtig zu beurtheilen. Die Regierung
selbst war ziemlich im Unklaren über die Thäter, denn der unfähige
Pascha hatte sich wenig angelegen sein lassen, dieselben zu entdecken
und zu ergreifen; vielmehr wollte man wissen, dass er eine unver-
kennbare Freude darüber empfunden habe, dass das traurige Schick-
sal seiner Schutzbefohlenen ihn von einer Geldschuld befreite, die
er bei derselben contrahirt hatte. Nicht einmal um die Beerdigung
der armen Dame hatte er sich bekümmern wollen, und es war der
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ANKUNFT IN MURZUQ.
375
Häclsch Brähim gewesen, der einen besonderen Boten zu dem Zwecke
an den Ort der Tliat geschickt hatte. Der als Beamter und Mensch
gleich wenig achtbare l’äschä war glücklicherweise für ihn selbst und
die ihm anvertraute Provinz in Folge seiner Krankheiten und Trunk-
sucht mit Tode abgegangen, und an seiner Statt hatte provisorisch
der Kätib cl-Mäl, Hamed Bei, die Zügel der Regierung ergriffen.
Wenn dieser nicht so unfähig war, als sein zur Freude der Einwohner
heimgegangener Vorgänger, so übertraf er denselben kaum in der
Sorge für Volkswohl und Gerechtigkeit. Das ganze Land bedauerte
aufrichtig, dass die Central-Regierung in Tripolis bis zur Ernennung
des neuen Mütäsarrif nicht den Hadsch Brähim Ben Alüa mit der
Verwaltung der Provinz betraut hatte.
Unser Bericht über das gcwaltthätige Betragen der fremden
Araber in Qatrün bestätigte die Aussagen des Hadsch Mahmud, und
einige Tage nach unserer Ankunft liefen noch bedrohlichere Nach-
richten ein, denen zu Folge die ungemüthlichen Gäste die Stadt ge-
plündert und sogar Menschen gefangen fortgeführt hatten. Hamed
Bei benutzte diese Gerüchte zur Entfaltung eines kriegerischen Schau-
spieles, an dessen Spitze er seine eigene unmilitairische Person stellte.
Die Garnison trat in einer Stärke von etwa 150 Mann mit Trommel-
schlag unter die Waffen ; die invaliden, gespannlosen Kanonen wurden
aus der Qasba auf den Platz vor ihr geschleppt, die vorhandenen
acht Pferde der Stadt und der Garnison gesattelt und bestiegen, und
alle waffenfähigen Männer der Stadt ergriffen ihre Flinten, Pistolen,
Schwerter und waren bestrebt, durch Paukenschall, Pulvergeknall und
kriegerische Ausrufe zu ersetzen, was ihnen an wirklichem Muthe
abging. Gleichzeitig wurden Boten zu den Arabern Schijäti's, den
Mcqäriha, alten Feinden der Auläd Solimän und der diesen verbün-
deten Stämme, um Zuzug mit Reitermacht geschickt. Die gefürch-
teten Araber, von denen das Gerücht ging, dass sic auf dem W'ege
in ihre heimathlichen Sitze sogar die Hauptstadt Fezzän s zu plündern
beabsichtigten, waren glücklicherweise nicht Zeugen dieser kriege-
rischen Schaustellung, denn der Anblick derselben würde sie sicherlich
zu den grössten Ausschreitungen verlockt haben, wenn sie überhaupt
derlei Absichten genährt hatten. Zum Glück waren sowohl ihre Unge-
setzlichkeiten in Qatrün übertrieben worden, als ihre Absichten auf
Murzuq eine müssige Erfindung, wie mein Rcisegenosse Bü Zeid bald
darauf bei seinem Besuche in der Hauptstadt bestätigte.
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376 lt. BUCH, 5. KAP. FLUCHT AUS BARDAl UND RÜCKKEHR NACH FEZZÄN.
Bü Zeid kam, thcils um mit mir betreffs der Tibesti-Rcisc abzu-
rechnen, theils um einen jungen Tubu-Vcrwandten zu befreien, der
als Geisel für die aus Bidän nach Dschebädo entführten Fezzäner
gefangen gehalten wurde. Es war nämlich der Regierung, entgegen
der mir in Tibesti gewordenen Nachricht, doch gelungen, sich einer
Anzahl von Tubu zu bemächtigen, deren einen jetzt Bü Zeid, gegen
eine kleine Fczzäncrin aus Dschebädo auszuwechseln suchte. Bei
der Unsicherheit der Wege südlich von Fezzan benützte ich diese
Gelegenheit, meinem Reisegefährten zur Erfüllung seines Zweckes
unter der Bedingung behülflich zu sein, dass sein befreiter Vetter
meinen Mohammed und 'Ali Bü Bckr bei der Aufsuchung unseres unter-
wegs versteckten Gepäckes unterstützen würde. Nachdem ich noch mit
Bü Zeid vor dem Qädi und dem Hadsch Brähim sämmtliche Rech-
nungen regulirt hatte, wobei ich meinem Reisegefährten manchen
harten Tadel für sein oft an Treulosigkeit streifendes, stets aber
habsüchtiges Benehmen nicht ersparen konnte, und nachdem auf
Veranlassung der beiden Würdenträger sämmtliche mehr oder weniger
erpressten Schuldverschreibungen, welche von der Kameelrniethe,
versprochenen Geschenken und dergleichen herrührten, auf die Hälfte
oder zwei Drittel herabgesetzt und bezahlt worden waren, kaufte ich
ein kräftiges Kamecl, und Bü Zeid, sein freigegebener Schützling
und meine Leute reisten zusammen ab.
Nach der Abwicklung dieser Geschäfte musste ich um so ernst-
licher an die l’flege meiner Gesundheit denken, als ich erwarten
durfte, dass sich bald eine Gelegenheit, in Gesellschaft nach Bornü
zu reisen, finden würde. An den acuten Magenkatarrh, mit dem
ich Murzuq wieder betreten hatte, schloss sich eine chronische Dys-
senterie, und in Folge meiner Schwäche und Blutarmuth stellte sich
eine Schwellung der Füssc ein, welche mich Monate lang hinderte,
Schuhe zu tragen und weitere Gänge zu machen. Bis weit in den
Winter hinein kämpfte ich ohne merklichen Erfolg gegen Krankheit
und Schwäche, und als ich wirklich nennenswerthe Fortschritte zu
machen begonnen hatte, stellte sich das Sumpffieber wieder ein und
drohte mit seinen mindestens allwöchentlich wiederkehrenden Anfallen
den mühsam erzielten Fortschritt wieder zu vernichten.
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Sechstes Kapitel. •
TOPOGRAPHIE UND NATÜRLICHE BESCHAFFENHEIT
TIBESTI’S.
Historische Notizen. — Unsere gänzliche Unkenntnis* des Landes. — Eikundigungen
der Reisenden. — Unvollkommenheit, meiner Untersuchungen. — Unsicherheit der
ge ographi sehen Lage. — Controllinien der Reiseroute. — Bedeutung des Namen-.
Tu. — Zusammenhang mit dein Gebirge dcrTuarik. — Allgemeine Anordnung des Tn*
Gebirges. — Richtung. — Knotenpunkte. — Breitendurehmesser. — I lohcncntwick-
lung. — Die von mir gewonnenen I lohenzahlen. — Frühere Zweifel an dem Vor-
kommen hoher Berge. — Vulkanische Bildungen (Krater — Therme). Kmi Tarsu.
der nördliche Knotenpunkt. — Die Südwestseile des Gebirges. — Strasse von Süd-
Fczzan nach Nord-Tibesti. — PTussthalbild ungen. — Kimeri Abo. — E. Kjauuo. —
K. Tao. — K. Zu:\r. — Anknüpfungen einzelner Punkte an die Bornöstrasse. —
Strassen zwischen Zudr und Boikii. — E. Marmor. — E. Kreina mit seinen Zuflüssen
Jöö, Maro, Ogui und Arr. — F. Domnr. — Südgrenzc von Tu. — Kmi Kussi, der
südöstliche Gebirgsk nuten. — Entfernungen des Kmi Kussi von Borkii, Wanjanga
und Banlai. — Nordostseile des Gebirges. — E. Bartlai und sein Zusammenhang
mit dem Kmi Kussi. — Weg von Banlai nach Wanjanga. — Der südöstlichste Theil
der Landschaft mit Gurö und Uri. ■ — Grenzen und Gesammtausdchnung des Landes.
— Bodcnbcschaflenhcit und Klima. — Meteorologische Beobachtungen. — Flora und
Fauna. — Ilülfstjuellcn der Bewohner.
Das Land der nördlichen Abtheilung der Tubufainilie, welches
von den Arabern Tibcsti, von den Eingeborenen Tu genannt wird,
ist, trotzdem es dem bekannten Kczzän und der wahrscheinlich schon
seit einigen Jahrtausenden frequentirten Karavanenstrasse, welche
von dort nach Bornü führt, so nahe liegt, bisher fast ganz unbekannt
geblieben. Zwar erwähnt Hcrodot ein Land der troglodytischen
Aethiopier, .südlich von den Sitzen der Garamanten, welche er in
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378 II. BUCH, 6. KAP. TOPOGRAPHIE U. NATÜRL. BESCHAFFENHEIT TIBESTl’s.
seiner von Osten nach Westen gehenden Aufzählung der entfernter
von der Küste wohnenden libyschen Stämme an die Rewohner von
Audschila reiht, und es kann kaum zweifelhaft sein, dass mit ihm
das heutige Tibesti gemeint sei. Doch wir erkennen dies nur aus
der Schilderung der Rewohner, denn der „Vater der Geschichts-
schreibung” fügt keine Rcschreibung des Landes hinzu.
Nachdem Lucius Cornelius Ralbus das Land der Garamanten
erobert und zur römischen Provinz gemacht hatte, gelang es zwar
später den Heerführern Septimius Flaccus und Julius Maternus, wie
uns Marinus von Tyrus berichtet, über dasselbe hinaus nach Süden
in das Land Agisymba vorzudringen, doch man hat keinen Anhalt,
in diesem Tibesti zu sehen, sondern vermuthet wohl mit Recht in ihm
das heutige Asben oder Ahir, die Landschaft der südöstlichen Tuärik.
Ptolemäus erwähnt ferner, dass die Herrschaft der Garamanten sich
über die östliche Wüste bis zum Sudan ausgedehnt habe, doch ohne
die Stämme dieses ungeheuren Gebietes und ihre Wohnsitze aufzu-
führen. Vielleicht galt dies nur für die damals bekannteste Gegend
dieses Theils der Wüste, für den Weg zwischen Fezzän und Rornü;
jedenfalls hat man sich unter dieser Herrschaft der Garamanten kein
einheitliches Reich vorzustellen, das die ganze östliche Hälfte der
Sahara umfasste. Selbst später, als nach der Eroberung der Nord-
küste durch die Araber eine Verschiebung der Küstenbewohner in
die Oasen der Wüste stattfand, und als noch später das Reich Käncm
durch Einwanderer entstand, welche von Norden kamen und un-
zweifelhaft das Tubu -Gebiet durchzogen haben mussten, blieb die
Hauptlandschaft des letzteren unerwähnt. Eben so wenig finden wir
in der Rcschreibung des grossen Reichs der Zoghäwa oder Zaghä,
das sich nach Westen bis zur Rornüstrasse, nach Nordwesten bis
Fezzän und nach Osten bis an die Nilländer erstreckte, bei den
arabischen Schriftstellern Idrisi und Ibn Sa’id das Land der Tedä
ausdrücklich verzeichnet.
Erst später, als Fezzän seine vorübergehende Abhängigkeit vom
Rornü-Rciche gelöst und sich mehr an das eigentliche Tripolitanien
gelehnt hatte, und als es durch seinen Handel mit Bornü, den Haussa-
staaten und Timbuktu einerseits und Egypten, Tripolitanien und
Tunisien andererseits zu einer gewissen Macht gelangt war, hörte
man häufiger von Tibesti als der durch ihre felsige Reschaffenheit und
den verräterischen Charakter der Bewohner schwer zugänglichen
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r.lSHKRIGE UNKENNTNISS DES LANDES.
370
Hcimath der nördlichen Tubu sprechen. Als dann der Islam die
Wadäistamme zu einem Staatswesen vereinigt hatte (gegen die Mitte
des 17. Jahrhunderts), entwickelte sich allmählich ein Handelsverkehr
dieses jungen Reiches einerseits mit Egypten, und andererseits
mit Fezzan, und der Weg zum letzteren führte durch das Land
Tibcsti. Doch der brutale Charakter dieser abgeschlossenen Felsen-
bewohner und ihr freibeuterisches Wesen verhinderte eine genauere
Bekanntschaft der durchreisenden Kaufleute mit ihnen und ihrem
Lande. Die Fezzaner und Tripolitancr bcgniigten sich, am südwest
liehen Fusse des Gebirges von Tu nach Zahlung ihres Durchgangs-
zolles so schnell als möglich weiter zu ziehen, und waren froh, wenn
sie die berüchtigten Einwohner hinter sich gelassen hatten.
Gegen Ende des vorigen Jahrhunderts machten allerdings die
Herrscher von Fezzan einige Versuche, die Bewohner Tibesti's in ein
tributäres Verhältnis* zu zwingen, um ihren Gewalttätigkeiten und
Räubereien auf den Wegen von Murzuq nach Wadai und nach
Bornü — denn auch der letztere fällt noch in das Gebiet der
nördlichen Tubu — ein Ende zu machen. Aber wenn dies auch
voriibergehend in gewissem Grade gelang, so sicherte jenen doch
die Unzugänglichkeit ihrer Felsensitzc, von denen sic den Namen
Tubu Reschäde, d. h. Feiscn-Tubu, empfangen hatten, auf die Dauer
ihre Unabhängigkeit.
Als endlich zu Anfang dieses Jahrhunderts durch den intelligenten
VVadäikönig Abd el-Kenm, genannt Sabün, der directe Handelsweg
von seinem Lande zur Mittelmeerküste eröffnet wurde, konnte man
hoffen, dass das Dunkel, welches über tler ganzen östlichen Hälfte
der grossen Wüste lagerte, gelichtet und damit auch Tibcsti be-
kannter werden würde. Auch diese Erwartung erfüllte sich nicht;
ja, während der neue Weg, welcher von Wadai in nördlicher Rich-
tung nach Benghäzi führt, selbst ausserhalb der Ostgrenze Tu's ver-
läuft, und also direct Nichts zur Aufhellung dieses Landes thun
kann, machte sogar seine Eröffnung dem Karavanenwcge von Fezzan
eine erhebliche Concurrenz. Der Verkehr auf diesem letzteren erstarb
allmählich, und der erstere selbst erlitt, nachdem sein Handel etwa ein
halbes Jahrhundert hindurch diesen centralsten und ödesten Theil
der östlichen Wüste belebt hatte, eine anhaltende Unterbrechung,
welche bis in die neueste Zeit gedauert hat. So blieb Tu für uns
in sein tausendjähriges Dunkel gehüllt.
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380 II. BUCH, 6. KAP. TOPOGRAPHIE U. NATURL. BESCHAFFENHEIT TIBESTl’S.
Wahrend der Aufrechterhaltung und regelmässigen Frequentirung
der genannten Handelsstraßen gelang cs den Europäern nicht, ihre
Entdeckungsbestrebungen, die für den westlichen Theil Nord-Afrikas
zum Theil von glänzendem Erfolge gekrönt gewesen waren, auch in der
östlichen Wüste zu bethätigen. Zunächst waren diese Strassen und der
Verkehr auf ihnen den umwohnenden Stämmen selbst noch nicht so be-
kannt und geläufig geworden, dass Fremde sich mit einigem Vertrauen
ihrer hätten bedienen können, und dann schien ihr Endpunkt Wadäi
christlichen Besuchern sicheres Verderben zu drohen. So war
man bisher einzig und allein auf die Nachrichten der Fczzäner und
Tripolitaner angewiesen, welche Tibesti, sei es zu Handelszwecken,
sei es in kriegerischer Absicht durchzogen oder berührt hatten, und
ihre Angaben wurden wiederholt von europäischen Reisenden in an-
erkennenswerth sorgfältiger Weise gesammelt und kritisch verwerthet.
Lucas, der im Aufträge der British African Association zu Ende des
vorigen Jahrhunderts in Afrika war und seine Nachrichten auf der
Nordküste einzog, und Hornemann, der einige Jahre später von
Audschi'la nach Fezzän reiste, haben die ersten, sehr allgemeinen
Daten gesammelt. Später folgten die Erkundigungen der Reisenden,
welche, von Tripolis auszichcnd, nach dem Sudan strebten: Lyon und
Ritchie (1818—1820), die nicht über Fezzän hinauskamen, und bald
darauf (1822 1824) Denham, Clappcrton und Oudney, welche nach
Bornu gingen.
Die Anwesenheit Lyon’s in Fezzän fiel in eine für Fürkundigungen
günstige Zeit, da dieselbe reich war an Verkehr des Landes mit Tibesti,
wenn auch dieser freilich* nur kriegerischer Natur war. Damals unter-
nahmen der Statthalter von Fezzän, el-Muqni, und der Araber-Scheich
Abd el-Dschli! die grossartigen Raubzüge nach Tibesti, Borkü, Wan-
janga, dem Bahar el-Ghazäl und Känem, von denen in dem Abriss der
Geschichte von Fezzän die Rede gewesen ist, und Lyon verstand es vor-
trefich, diese Gelegenheit zu benutzen. Auch die von Richardson, Barth,
Overweg und Vogel (1850 1855) eingezogenen Erkundigungen waren
von höchster Wichtigkeit für unsere bescheidene Kenntniss des Landes
Tu und seiner Bewohner. F'ast zu derselben Zeit stellte der fran-
zösische Consul F’resnel seine Nachrichten, die er hauptsächlich in
Benghäzi und Dschälo cingezogen hatte, zusammen und erkundete
sorgfältig die zuverlässigsten Angaben über die Strassen, welche von
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ERKUNDIGUNGEN DER REISENDEN.
381
Fezzan über Tibesti und von Dschälo über Kufüra und Wanjanga
nach Wadä'i fuhren.
Wie unzulänglich die topographische Ausbeute war, trotz der
Erkundigungen von Leuten, welche, wie Fresnel und Barth, die
Kunst auszufragen im allerhöchsten Grade besassen und wohl Kritik
zu üben wussten, geht aus der bekannten kartographischen Arbeit
von Petermann und Hassenstein*) hervor, welche die bis zu den Jahren
1861 bis 1863 gesammelten Materialien zur Anschauung bringt, und, ob-
gleich mit höchstem Verständniss übernommen und ausgeführt, doch nur
ein sehr unvollkommenes Bild jener Gegend zu liefern vermag. Man
wusste eben nur, dass Tibesti ein Land voller Felsen und Berge sei,
behauptete, dass diese zum Theil eine in den Wüstengegenden un-
gewöhnliche Höhe erreichten, rühmte den Wasserreichthum der Land-
schaft, erzählte von Sclnvefelausbcute und einer heissen Quelle daselbst
und nannte die Namen einzelner Abtheilungen der Tedä. Hoch über
Verlauf und Beschaffenheit der Berge, über Zahl, Bedeutung und
V'erlauf der Thäler, über die Wohnsitze der einzelnen Stamm-
abtheilungen und über die Ausdehnung des ganzen Landes, seine Be-
völkerungszahl und seine Erzeugnisse war man gänzlich im Dunkeln.
Bei den phantastischen Neigungen arabischer Berichterstatter be-
zweifelte man die Nachrichten über die Höhe der Berge und ihren
vulkanischen Ursprung, für den die Therme sprechen konnte, und
hoffte sehnlichst, dass es einem Europäer gelingen möchte, durch den
Augenschein das Wahre vom Falschen zu sondern. Zwar hatte ein ge-
bildeter Muhammedaner, der gelehrte Scheich Mohammed Ibn Omar
et-Tünisi, seine Reise von Wadai nach Fezzan (1812), welche Tibesti
durchschnitten hatte, beschrieben**), aber über den Weg selbst und die
Topographie von Tibesti gaben seine nach einer langen Reihe von
Jahren niedergeschriebenen Aufzeichnungen so gut wie gar keine
Aufschlüsse. Die aus seiner Schilderung gewonnene Kenntniss von
Tibesti beschränkt sich auf seine übrigens sehr zutreffenden Worte:
„Das Gebiet der Tubu Reschädc ist ein versengtes Land, starrt von
steilen und nackten Felsen und bietet nur eine traurige und kärgliche
Vegetation”.
Endlich beabsichtigte mein unglücklicher Vorgänger M. von Beur-
*) fcrgunzungshaml II. der Peteroiann’schen Milt Heilungen 1S62/63.
**) Voyage au ( »uaday j>ar le Cheik Mohammed Ihn ’Omar et -Tounsi traduit de
l arabe par le Dr. Perron. Paris 1851.
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382 ii iircH, 6. kap. topograi*hik u. natürl. Beschaffenheit TinEsn's.
mann im Jahre 1862 sein Ziel Wadat, das er auf dem directen Wege
von Dschälo aus vergeblich angestrebt hatte, von F'ezzän aus durch
die Tubuländer zu erreichen. Dies gelang ihm indessen ebensowenig,
als einige Jahre später (1866) Gerhard Rohlfs, welcher aber wenig-
stens in Kawär so reichhaltige und sorgfältige Erkundigungen einzog,
tlass er eine Karte von Tibesti entwerfen konnte, die im Allgemeinen
eine richtige Idee von der Physiognomie des Landes giebt. Mir
endlich war es Vorbehalten, als erster Europäer das Land zu betreten,
und wenn mein Aufenthalt daselbst nicht die wünschenswerthen
wissenschaftlichen Resultate ergeben hat, so erklärt sich dies aus den
unglücklichen Verhältnissen, unter denen ich die Reise machte, und
allerdings auch aus meinem Mangel einer besonderen, auf derartige
Zwecke gerichteten wissenschaftlichen Vorbereitung. Ich sah nur
einen kleinen Theil des ausgedehnten Gebietes, und meine Beobach-
tungen und Aufzeichnungen wurden beständig ebensosehr beeinträch-
tigt durch Hunger und Durst, Krankheit und Anstrengung, als durch
Bosheit und Hass der Bewohner. Die Aufnahme der Reiseroute,
welche ohnehin schon ungenau genug ausfallen musste, weil sie nur
auf Compassnotirungen und nicht auf astronomischen Beobachtungen
beruht, musste durch Erkundigungen ergänzt werden, welche durch
den Mangel an gutem Willen der Berichterstatter noch erheblich
litten. Die Höhenmessungen mussten mit Instrumenten vorgenommen
werden, welche mir aus Europa nachgesendet und nicht gehörig con-
trolirt und verglichen worden waren, und bleiben mithin nur annähernd
verwerthbar. Die bescheidenen Sammlungen von Gesteinproben und
Pflanzen, welche einigermassen meine rudimentären Kenntnisse in der
Geologie und Botanik hätten ersetzen können, und selbst Aufzeich-
nungen verschiedener Art gingen, wie oben bemerkt, bei der flucht-
artigen Rückreise aus dem unwirklichen Lande verloren.
Die Unsicherheit der Wegaufnahme wird dadurch erheblich er-
höht, dass der Endpunkt derselben an keinen geographisch festliegen-
den Punkt geknüpft werden kann. Von Norden her mindert zwar der
von Fezzän nach dem Norden Tu’s (Finnen Abo) führende, bei den
Eingeborenen bekannte und häufig bereiste Weg die Ungenauigkeit
einigermassen; von Westen her knüpfen verschiedene Strassen die
von mir im Westen Tibesti’s besuchten Punkte an den als geographisch
festliegend anzunchmenden Weg von Fezzän nach Bornü. Doch von
Osten gab es in weiterer Ferne nur die Karavanenstrassc von
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UNSICHERHEIT DER GEOGRAPHISCHEN I.AGE TU’S.
383
Dschälo nach Wadai, welche selbst kartographisch nur wenig fest-
gelegt ist, und nach Süden bot kein bekannter Punkt einen nur
einigermassen festen Halt. Aus diesem Grunde beabsichtigte ich
später, von Bornü, dessen Hauptstadt als astronomisch bestimmt er-
achtet werden kann, nach Nordosten in die Wüste zu dringen, um
von dort den südöstlichsten Punkt meiner Tibesti-Route womöglich zu
erreichen und dieser einen neuen Halt zu geben. Wenn mir auch
die Erreichung des angestrebten Punktes nicht gelang, und ich noch
etwa zwölf Tagereisen von demselben in südöstlicher Richtung entfernt
blieb, so erblickte ich doch dort, im Lande Borkü, nach Norden zu die
Gebirgskette, welche sich in südöstlicher Richtung fast ununterbrochen
vom Tümmo-Gebirge bis nach Wanjanga erstreckt, und näherte mich
dieser letzteren Landschaft und damit dem Karavanenwege, welcher
Wadai' mit der Nordküste verbindet, bis auf weniger als fünf Tage-
märsche. Durch diese von allen Seiten zusammenwirkenden Control-
linien werden die bei der kartographischen Niederlegung Tibesti's
unvermeidlichen Fehler in engere Grenzen gebannt, wenn ich auch
nicht bezweifle, dass später wissenschaftliche Expeditionen manche
Verschiebungen der Hauptpunkte und viele Umgestaltungen der
Einzelheiten zur Folge haben werden.
Das Felsenland Tu, dessen Name nach der Aussage seiner Be-
wohner „Fels" bedeuten soll, obwohl man jetzt in der Landessprache,
der mödi Tedä, stets andere Ausdrücke für Berg und Fels anwendet,
muss im Zusammenhänge mit dem Gebirgsstocke der Tuarik Haggär,
welcher im östlichen Theile der westlichen Wüste eine mächtige Er-
hebung bildet, gedacht werden. Während das vulkanische Centrum
desselben nach Duveyrier*) eine Höhe von 2000 M. erreicht, und
die sich nach Nordosten und Osten daran schliessenden Hochlande
der Tuärik Asgar, das nördliche Tassili und die Gebirgslandschaft
Anhef, noch eine Meereshöhe von 1500 bis 1800 M. haben, gehen
die letzteren in terrassenförmiger Abstufung in die Hochebene über,
welche sich nach Südosten gegen Tibesti hin ausdehnt. Diese zeigt
da, wo sie von der aus Fczzän nach Bornü führenden Strasse durch-
schnitten wird, noch eine Erhebung von 6co — -700 M. und trägt auf
der gleichmassig abfallenden Strecke, die in einer Ausdehnung von
etwa 500 Km. zwischen der Gegend von Ghät und dem Tümmo-
*) Henri Duveyricr, les Touareg du Nord. I’arLs 1864.
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384 11. BUCH, 6. KAP. TOPOGRAPHIE U. NATÜRL. BESCHAFFENHEIT TIBESTl's.
Gebirge liegt, Felsenketten, welche, wenn auch stellenweise unter-
brochen, doch das letztere mit den Gebirgen der nördlichen Tuarik
in einen gewissen Zusammenhang setzen.
Das Tünimo- Gebirge aber ist nur durch wenige Tagereisen in
Südostrichtung von der Felsenlandschaft Afäfi getrennt, welche ihrer-
seits den nordwestlichsten, ebenfalls noch etwas lückenhaften Theil
der Gebirgslandschaft Tu bildet. Von hier aus (ungefähr 22° N. 11.)
erstreckt sich das Gebirge in der Richtung von Nordwest nach Süd-
ost innerhalb des zwischen dem 15“ und 17° Ö. L. gelegenen Raumes
bis zum 20 u N. B., nimmt dann mehr und mehr eine ostsüdöstliche
Richtung an und verläuft zwischen dem 20° und 180 N. B. bis etwa
zum 21° O. L., wo es in Wanjanga, der Landschaft der Wanja,
endigt oder wenigstens eine ansehnliche Unterbrechung erleidet.
Die Karavanenstrasse von Fezzan nach Wadaf fuhrt am west-
lichen und südwestlichen Fusse dieses Gebirges bis Borkü, und ist
vielfach von Arabern bereist worden, welche über den Verlauf des-
selben Auskunft zu geben vermögen. Ich selbst zog von Norden
kommend auf der Südwestseite des Gebirges hart an seinem Fusse,
seine Ausläufer zuweilen überschreitend, bis über den 20 0 N. B.
(E. Zuär) hinaus und erblickte spater, von Süden gekommen und
einige Längengrade weiter östlich, vom nördlichsten Theilc Borku's
{ungefähr iS“ N. II.) aus seine Fortsetzung. Zwischen den End-
punkten dieser beiden Reisen, Borkü und dem nordwestlichen
Tibcsti, stellen bekannte Strassen die Verbindung her, vermitteln uns
eine Kenntniss der auf ihnen überschrittenen Flussbetten, welche sich
nach Südwesten senken, und lassen uns durch Richtung und Bedeu-
tung der letzteren einen weiteren Schluss auf den Verlauf des
höchsten Theilcs der ganzen Erhebung machen.
Während sich diese demnach in einer Längenausdehnung von
mehr als 700 Km. in der Gesammtrichtung von Westnordwest nach
Ostsüdost erstreckt, ist seine Breitenausdehnung weniger leicht zu
bestimmen. Nichts berichtet uns mit einiger Sicherheit über die Aus-
dehnung der Felsregion nach Nordosten. Keine Karavanenstrassen
fuhren durch die dortige Gegend; selbst die räuberischen Araber,
welche vom östlichen Theile Fezzan’s oder von Borkü aus oft weite
Plünderzüge unternehmen und allein dort hingelangen könnten,
werden durch die Spärlichkeit und Armuth der Bevölkerung und
durch die Unzugänglichkeit ihrer Wohnsitze abgeschreckt. Sogar
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KNOTENPUNKTE OES GEBIRGES.
385
die Bewohner der Südwestabhänge selbst überschreiten nur an ver-
einzelten Punkten das Gebirge. Jedenfalls stellt dieses keine einfache
Kette dar, sondern eine mannichfach complicirte Felsenlandschaft,
welche einzelne Knotenpunkte zu haben scheint.
Die höchste Erhebung in ihrem nordwestlichen Theile stellt der
massige, von mir passirte Tarso dar. Seine Ueberschreitung in der
zum Verlaufe des Gebirges ungefähr perpendiculären Richtung kostet
zwei bis drei Tagemärsche, welche in der Ebene einer Strecke von
etwa ioo Km. gleichkommen würden. Von dieser Zahl ist bei der
sehr allmählichen Steigung des Berges, der ' wahrscheinlich eine
Meereshöhe von nahezu 2500 M. hat, und bei der ebenen Beschaffen-
heit seiner breiten Wölbung nur ein geringer Abzug zu machen, um
die horizontale Entfernung zwischen den beiden Endpunkten zu er-
halten. Vom östlichen Abhänge erblickt man den nordöstlichen und
östlichen Horizont noch von ansehnlichen Bergketten eingenommen,
und von Bardai gelangt man in östlicher Richtung durch ein fort-
gesetztes Felsengebiet zum Thale Aözo in zwei Tagereisen, so dass
dieses mindestens 60 Km. vom Fusse des Tarso entfernt liegen
dürfte.
Einen ähnlichen Knotenpunkt scheint der südöstliche Theil des
Gebirges im Emi (Berg) Kussi zu haben, den ich, wie erwähnt, vom
Norden Borkü’s aus in nördlicher Richtung in der Entfernung von
drei bis vier Tagereisen als ansehnlichen Kegel erblickte. Beide
Knotenpunkte sind durch eine Bodenerhebung verbunden, von der
sich zwischen zahlreichen Felsen-Ketten und -Gruppen mannich-
fachster Anordnung Flussbetten nach Südwesten senken, welche zum
Theil einen Verlauf von der Länge mehrerer Tagemärsche innerhalb
des Felsengebietes haben, bevor sie in die Ebene hinaustreten. So
sollen sich die Flussthäler Zuär , Joö, Maro, Domar verhalten1, und
man darf also im mittleren Tibesti den südwestlichen Abfall des Ge-
birges, von der Wasserscheide bis zur Ebene, auf mindestens 60 Km.
veranschlagen. Ueber den Abfall der Erhebung nach der entgegen-
gesetzten Seite können wir, mit Ausnahme des Theilcs, den mein Weg
nach Bardai durchschnitt, nur Vermuthungen aussprechen. Danach
scheint derselbe steiler zu sein, als auf der Südwestscite, die Ebene
jedoch zu ihren Füssen höher zu liegen, als auf der letzteren. Einen,
freilich sehr unsicheren, Anhalt zur Abschätzung des Breitendurch-
messers der Erhebung haben wir auf der nordöstlichen Seite noch in
Kachtigal. I. .j'.
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380 H. BUCH, 6. KAP. TOPOGRAPHIE U. NATÜRL. BESCHAFFENHEIT TlBF.STl’S.
einigen Reiserouten, welche am Fusse derselben von Bardai nach
VVanjanga führen, aber weder zahlreich noch zuverlässig genug sind,
um mit hinlänglichem Vertrauen verwcrthet werden zu können.
Was die Höhenentwicklung der Berge von Tibesti betrifft, so
können die von mir durch Aneroid-Notirungen und Kochpunkt-
bestimmungen gewonnenen Zahlen nur einen sehr geringen Werth
beanspruchen, und ich würde dieselben nicht zu veröffentlichen
wagen, wenn überhaupt andere Höhenmessungen existirten. Ich be-
sass ein, in englische Zolle getheiltes Taschen- Aneroi'd und ein Koch-
thermometer, welche mir, ohne mit verlässlichen Quecksilber-Baro-
metern verglichen zu sein, nachgesendet worden waren. Es würde
kaum möglich sein, die Angaben derselben überhaupt zu verwerthen,
wenn nicht einerseits zahlreiche Beobachtungen früherer Reisender
aus Fezzän und dem Tümmo-Gebirge zur Vergleichung vorlägen,
und ich andererseits nicht Gelegenheit gehabt hätte, das Verhalten
beider Instrumente in langen Beobachtungsreihen zu Murzuq und auf
der späteren Reise nach Bornü mit einem vortrefflichen grösseren
Aneroid zu vergleichen. Aus diesen Vergleichen leitete ich die
Correctur der Angaben meiner Instrumente ab, und so erklärt es
sich, dass die in Folgendem gegebenen Höhenschätzungen erheblich
von denjenigen Zahlen abweichen, welche unmittelbar nach meiner
Tibesti-Rcise aus einigen vereinzelten, in meinen Briefen enthaltenen
Aneroidständen hergeleitet und veröffentlicht*) worden sind. Ent-
sprechend der Unsicherheit meines Materials gebe ich im Folgenden
nur runde Zahlen.
Von dem Hochlande der Tuarik Asgar ( 1 5c» — 1800 M. nach
Duveyrier) dacht sich , wie erwähnt, eine Hochebene nach Südosten
ab, welche dort, wo die Bornü-Strasse sie schneidet, in der Hammäda
von Alaöta Kju und in der Masse des Tümmo eine Meereshöhe von
rund 650 M. hat. Die Ebene südlich vom Tümmo-Gebirge, das
eigentlich in einem Erosionsthalc liegt, hat eine ungefähre Erhebung
von 500- 550 M. und steigt nach Südosten bis in die Nähe der Felsen-
gegend Afäfi zu etwa 600 M. an, während die einzelnen Berge der
letzteren sich bis zu ca. 700 M. erheben. Von Afäfi aus in die am
westlichen Fusse des Tu -Gebirges sich hinziehende Ebene hinab-
steigend, befinden wir uns in der Ebene des nördlichsten bewohnten
*) Petermann. Geogr. Miltheil. Band XVI, pag. 2S7.
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HÖHENSCHÄTZUNGKN.
387
Flussthaies (E. Abo oder Udüi) und seiner Nebenflüsse etwa 550 M.
über dem Meeresspiegel,’ sind aber vom Fusse der centralen Erhebung,
welche man im Osten als Kette erblickt, noch etwa einen Tagemarsch
entfernt. Sich der letzteren nähernd hat man mit Tao eine ungefähre
Meereshöhe von 700 M. erreicht und steigt, von hier aus in südlicher
Richtung nach Zuär-Kai reisend, im westlichen Thcile der Merda Sodoä
genannten Gebirgsgruppc bis über 750 M. auf. Südlich von der letz-
teren liegt die Ebene des E. Zuär bis Zuär-Kai wieder 550 M. über
dem Meeresspiegel und von hier steigt das Flussthal nach Osten inner-
halb eines guten halben Tagemarsches um etwa 100 M an.
Bei der Ueberschreitung des Tarso von Tao (700 M.) aus stiegen
wir während des ersten halben Tagemarsches zum E. Ass mit etwa
1000 M. Meereshöhe auf und erreichten nach einem weiteren Tage-
marsche die Höhe des Berges mit etwa 2400 M., während sich auf
seinem breiten Rücken Ketten, Gruppen und Kegel, unter denen
der Tusidde, auf der Höhe der Wölbung thronend, der bedeutendste
ist, anscheinend noch wenigstens 100 M. über ihre Basis erheben. Von
der Wasserscheide nach der entgegengesetzten Richtung absteigend,
fand ich auf dem Nordostabhang den E. Udeno noch etwa 1 100 M.
hoch und das eine halbe Tagereise weiter in der Ebene gelegene
Thal Bardai dürfte nach den in der angeführten Weise corrigirten
Angaben meines Kochthermometers in seinem mittleren Theile noch
eine Meereshöhe von ungefähr 900 M. haben. Da dasselbe nach der
Aussage der Eingeborenen einen Verlauf von Ostsüdost nach West-
nordwest oder doch von Südost nach Nordwest haben soll, so müssen
im südöstlichen Theile von Tu noch ansehnliche Erhebungen liegen.
In der That liegt dort der erwähnte Emi Kussi, und von ihm soll
sich ein ansehnlicher Höhenzug, der Emi Gümmer, nach Norden er-
strecken und dem Flussthale Ursprung geben. Derselbe müsste bei
der angenommenen Meereshöhe des Hauptortes Bardai mindestens
1000 M. hoch sein und sich weit genug nach Norden erstrecken,
um die angeführte Richtung des Enncri zu ermöglichen, und würde
dadurch wieder für den ansehnlichen Brcitendurchmesser dieses
Theiles der ganzen Erhebung sprechen.
Der Emi Kussi soll nach der Aussage derjenigen Eingeborenen,
welche sowohl ihn als den Tarso kannten, ebenso hoch sein als der
Tusidde. Fast alljährlich soll auf ihm die Eisbildung zur Beobachtung
kommen und die Kameele seiner Bewohner, der Ama (Leute) Kussöa,
s!f>*
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388 ii. nucH, 6. kap. Topographie u. natürl. Beschaffenheit tibesti’s.
sollen auffallend behaart sein, wie die Katneele der Nordküste und
der Küstengebirge. Die Aussagen meines Berichterstatters, eines
verständigen Borkü-Mannes, dürften in Bezug auf die letzteren
Thatsachen um so eher Glauben verdienen, als er keinerlei sonstige
Kenntniss von der Eisbildung hatte und Nichts von einem ursäch-
lichen Zusammenhänge zwischen Klima und Art der Kameel-Behaarung
ahnte.
Wie der Bericht von dem häufigen Vorkommen des Eises auf
dem Kussi für eine ansehnliche Höhe dieses Berges spricht, so ver-
leihen auch die von mir auf dem Tarso beobachteten Thermometer-
stände den unsicheren Angaben des Kochthermometers eine allge-
meine Glaubwürdigkeit. Als wir im Anfänge des Monats August
auf der Passhöhe nächtigten, hatten wir eine Morgentemperatur von
etwa io° C., während wir vorher zu Täo in einer Beobachtungsreihe
von vierzehn Tagen kaum eine solche unter 25" gehabt hatten,
und als wir ungefähr einen Monat später denselben Weg wieder
machten, zeigte das zuverlässige Thermometer Morgens vor Sonnen-
aufgang nur 6°.
Die in die Ebene reichenden Ausläufer des Gebirges und die
vereinzelt in jener aufspringenden Gruppen haben eine unbedeutende
relative Erhebung und überragen nur um höchstens 200 M. die
Ebene. Wenn man dem Dr. Vogel den von der Bornü-Strasse sicht-
baren Berg Fadscha als den höchsten Berg im Tubu-Lande bezeichnete
und ihm versicherte, dass die Felsen dieses Landes an Höhe das
Tüinmo- Gebirge nirgends überstiegen, so konnte der Reisende mit
Recht daran zweifeln, dass es in Tu wirklich so hohe Berge gäbe,
als man von anderer Seite behauptete. Noch weniger konnten einst
Denham und seine Gefährten die Ueberzeugung von dem Vorkommen
solcher gewinnen, wenn man ihnen die östlich und südöstlich von
Tedscherri liegenden Berggruppen Wigh es-Srhir und Wigh el-Kebir
als Erhebungen bezeichnete, welche denen Tibesti's in Höhe und
Aussehen ähnlich seien. Die Berichte dieser Reisenden hatten zur
Folge, dass man in Europa geneigt war, die zuweilen auftauchenden
Angaben über das Vorkommen von für die Sahärä-Verhaltnisse unge-
wöhnlich hohen Bergen in Tibesti als phantastische Uebertreibungen
der Eingeborenen zu betrachten.
Wie man sich hierin täuschte, so liess man sich auch mit Un-
recht verleiten, das Vorkommen vulkanischer Gebilde in Tibesti zu.
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THERMEN.
38U
bezweifeln. Seit man durch Vogel wusste, dass die Schwarzen Berge
bei Söqna zum grössten Theile dem durch Eisen schwarz gefärbten
Sandstein ihre Farbe verdanken, und als sich weder für den Dsch.
Harüdsch el-Assuad, noch für den Dsch. es-Södä der Basaltcharakter
und die Kratcrbildungen bewahrheiteten, von denen noch Horncmann
und die Denham'sche Expedition berichtet hatten, so glaubte man
auch die früher allgemein verbreitete Ueberzeugung vom Vorhanden-
sein vulkanischer Bildungen für Tibesti erschüttern zu müssen. Die
schwarze Farbe der Berge und F’elsen konnte allerdings auf dieselbe
Weise erklärt werden, als sic für den Dsch. es-Södä begründet war;
doch die heisse Quelle in Tibesti, welche aus einem rings mit
Schwefel bedeckten Boden hervorkommen sollte, und eine grosse
Rolle in den Erzählungen aller Tubu Reschäde über ihr Land spielt,
war schwerer wegzuläugnen. Gleichwohl erhielt Vogel „authentische
Nachricht", dass die vorzüglich seit Lyon s Erkundigungen bekannte
„kochende Quelle" Tibesti’s ein einfacher Brunnen mit gewöhnlicher
Temperatur sei, in dem viele Luftblasen aufstiegen, und seitdem war
man geneigt, dem Tedä- Lande nur einen harmlosen „Säuerling' zu-
zuerkennen.
Die Thermennatur der berühmten Quelle, welche schon durch
den generellen Namen Jerike, der dem arabischen Hammäm (warmes
Bad, warme Quelle) entspricht, angedeutet wird, kann nicht zweifel-
haft sein. Ihr Wasser scheint sogar so heiss zu sein, dass man sich
dem Sprudel bei seiner Dampfentwicklung nicht ganz nähern kann;
doch variirten die Angaben der Eingeborenen über den Hitzegrad
einigermassen. Jedenfalls war man einig über die mit dem Her-
vorsprudcln verknüpften Gasblasen und über die Thatsache, dass
das Wasser erkalten müsse, ehe es zum Gebrauche der Menschen
dienen könne. Auch die therapeutische Anwendung desselben gegen
alle Krankheiten der Haut, der Muskeln, Knochen und sehnigen Ge-
bilde spricht für die Thermennatur der Quelle. Es war eine schwere
Entsagung für mich, in Bardai, tagtäglich den ihre Lage andeutenden
Berg vor Augen, auf ihren Besuch verzichten zu müssen. Doch
wenn ich selbst die dazu nothwendige Freiheit der Bewegung gehabt
hätte, würde das Wagniss des Besuches mit wirklicher Lebensgefahr
für mich verknüpft gewesen sein; für so kostbar und begehrenswert!!
halten die Einwohner diesen Schatz, diesen ihren einzigen Reich-
thum, wie sie in richtiger Würdigung ihrer armseligen Heimath
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31M I II. BUCH, 6. KAP. TOPOGRAPHIE U. NATÜRL. BESCHAFFENHEIT TIBESTl’S.
sagen. Dass sie aber der Quelle einen so hohen Werth beilegen,
während sie selbst doch bei ihren ausgezeichneten gesundheitlichen
Verhältnissen nur einen sehr geringen Nutzen aus ihr ziehen, beweist
ebenfalls den aussergewöhnlichen Charakter derselben und spricht
für die Glaubwürdigkeit der von den meisten Reisenden über sie ein-
gezogenen Erkundigungen. Nur was die massenhafte Ablagerung
von Schwefel in der Umgebung der Quelle betrifft, so ging mir die-
selbe nicht ebenso klar aus den Berichten der Eingeborenen, die
sich überhaupt mit grosser Zurückhaltung über alles ihre Heimath
Betreffende mir gegenüber aussprachen, hervor, als die hohe Tem-
peratur.
Die Quelle befindet sich am östlichen Eusse des Tarso, und
wenn ihre hohe Temperatur für die Nähe vulkanischer Gebilde spricht,
so erinnert uns auf der Höhe des Berges eine enorme Kraterbildung
noch weiter an deren vulkanischen Ursprung. Die ganze Masse der
breiten Wölbung ist zwar in eine ansehnliche Schicht sedimentären,
zahllose Versteinerungen, besonders von Holz, enthaltenden, mit
kleinen blasigen Höhlungen durchsetzten und durch sein ungewöhn-
lich geringes Gewicht sich auszeichnenden, fettig anzufühlenden Steines
gehüllt, doch ist diese Decke an vielen Stellen von unregelmässigen
Kegeln, Ketten und Gruppen vulkanischer Bildung durchbrochen. Da,
wo auf den seitlichen Abhängen die Gewalt des Wassers tiefe Ein-
schnitte in die Bergmasse gemacht hat, sieht man unter der dicken,
meist gelblichen Hülle mit ihren Versteinerungen eine viel mächtigere
Schicht dichten, bunten, am häufigsten röthlichen Kalksteins. Fast
am Fusse des Berges angelangt sehen wir die etwa 50 M. hohen
Felsenwände des E. Udeno in ihrem unteren Theile aus ähnlichem
Kalkstein, in der Höhe aber aus dunklem Sandstein bestehen, der
oft in Riesenblöcken in die Tiefe geschleudert, das Flussbett unwegsam
macht. Auf der höchsten Höhe des Tarso aber, seinem nordwest-
lichsten Theile, erhebt sich, wie erwähnt, der Tusidde, ein regel-
mässig geformter Kegel mit schwarzen Flanken, und zu seinen Füssen
dehnt sich die, schon im Reiseberichte ausführlich beschriebene,
mächtige Grube aus, die, wenn sie auch keine regelmässige Trichter-
form hat, sondern im unteren Theile muldenförmig abgerundet ist,
doch in ihrer ganzen Bildung mit dem grossen Eruptionskegel
(Tusidde) zur Seite und dem kleinen kohlschwarzen Fumarolenkegel
an der abhängigsten Stelle, kaum einen Zweifel an ihrem Krater
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KKATERBll.DUNG.
391
Charakter und dem vulkanischen Ursprünge der ganzen Erhebung
aufkommen lässt.
Es ist merkwürdig und nicht unwichtig, dass mein hauptsäch-
lichster Borkü- Berichterstatter, als er mir vom Emi Kussi erzählte,
den er selbst besucht hatte, von einer ähnlich tiefen und ausge-
dehnten „Natrongrubt” auf der Höhe des Berges, welche auch sehr
viel Schwefel enthalte, und von zwei warmen Quellen an seinem
Kusse erzählte, ohne dass ich ihm vom Tarsokrater und der Jerfke
Tibesti's gesprochen hatte.
Die in der Umgebung der centralen Erhebung aus der Ebene
aufspringenden Felsgruppen und Ketten, deren phantastische Formen
ich schon im allgemeinen Reiseberichte zu schildern versucht habe,
und welche vorzüglich charakteristisch zwischen der Afäfi-Gegend
und dem E. Udüi auftreten, gehören der Sandsteinformation an.
Wenn so der Ursprung der centralen Erhebung Tibesti’s der-
selbe zu sein scheint, welcher einst in der westlichen Wüste das
Haggär -Gebirge emporhob, und die Entstehung beider, die durch
eine Hochebene mit einander in Verbindung stehen, in dieselbe
geologische Epoche fallen dürfte, so ist doch die äussere Gestaltung
des Landes Tu eine andere, als diejenige der zwischen Fezzän und
Tuät gelegenen Gegend der nördlichen Tuärik. Hier lehnen sich,
nach Duveyrier, an das selbst plateauartige Haggär-Centrum terrassen-
artig ausgedehnte l’lateau -Bildungen mit vereinzelten Gipfeln und
niedrigen Höhenzügen; dort scheinen wir im Ganzen und Grossen eine
zusammenhängende, breite Kette mässiger Erhebung mit mehreren
Knotenpunkten von massiger Entwicklung und ansehnlicher Höhe
zu haben.
Das Land Tibesti oder Tu beschränkt sich auf dieses Gebirge
mit den aus ihm in die Ebene hinabreichenden, zahlreichen Wasser-
betten, das Gebiet der Bewohner aber dehnt sich über die Grenzen
dieser ihrer eigentlichen Heimath nach verschiedenen Richtungen hin
aus. Die Tubu besassen früher im Nordosten von Tu die grosse Oase
Kufära (zwischen dem 2T.° und 22. 0 (). L. und dem 25." und 27. 0 N. B.)
und bilden die hauptsächliche Bevölkerung der südlichen Ortschaften
Fczzän's; sie haben seit lange ausschliesslich die Oase Kawär inne,
sind in einzelnen Stammabtheilungen bis Känem und Bornü gedrungen
und bewohnen die westlichsten Thäler der den Bidejät oder Baele
gehörigen Landschaft Ennedi. Doch hier, wie in Wadäi", Bornü und
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31*2 H. BUCH, 6. KAP. TOPOGRAPHIE U. NATÜRL. BESCHAFFENHEIT TIBESTl's.
Fczzän sind sic untergeordnete Einwanderer und stehen unter der
betreffenden Landesregierung. Nur Kawär, wenn auch ein selbstän-
diges, abgesondertes Gemeinwesen bildend, gilt immer noch als eine
Colonie Tibesti's, wie denn die Herrschaft der Teda iiber die Brunnen
und Oasen der Bornü- Strasse vom Tümmo-Gebirgc bis südlich von
Kawär unbestritten ist. Sogar über diese hinaus besassen dieselben
die Oasen Dschebädo und Lösch i , westlich von Kawär, und bilden
noch jetzt den ansehnlichsten Theil ihrer Bewohnerschaft. Aus
Kufiira sind sie verdrängt worden und in ostsüdöstlicher Richtung
gehört ihnen Wanjanga (etwa auf dem 21.“ (). L.) nicht mehr. Nach
diesen Angaben erstreckt sich das Gebiet, in welchem die Tedä
ausschliesslich herrschen, vom i8.° bis zum 23." N. B. und vom
12.0 bis 20.“ 30' O. L. und hat also einen Flächeninhalt von rund
500.000 Km., dessen Kern Tibesti bei der vorliegenden Besprechung
allein in Betracht kommt. Bei Gelegenheit der Bornü -Reise werde
ich Veranlassung haben, Kawär besonders zu besprechen, die übrigen
zerstreuten Bruchtheile der Tedä werden ihre Erwähnung finden bei
den Landschaften, welche sic bewohnen
Das nörd liehst bewohnte Thal des Landes, E. Abo oder Uro,
in seinem westlichen Theile, wo es an verschiedenen Stellen von mir
passirt ward, Udüi genannt, steht in directer Wegverbindung von
neun Tagereisen mit Fezzän. Diese Strasse ist die kürzeste und
allgemein üblichste, doch eine Nefäza*) von sechs oder gewöhnlich
sieben wasserlosen Tagemärschen, die wegen ihrer Wasserlosigkeit
um so länger sein müssen, macht sie zu einer äusserst schwierigen.
Die Erkundigungen von Fresnel, Lyon, Overweg, Rohlfs und mir
selbst stimmen in Bezug auf die Stationen dieser Strasse, welche
von Medrüsa oder Qasrauwa, südlich von Qatrün, ausgeht, ziemlich
befriedigend überein, obgleich die Namen der Rastplätze, je nachdem
die Erkundigungen von Arabern oder Tedä eingezogen wurden, in
sehr verschiedener Form auftreten. Der erste Tag führt den Reisenden
an dem Dsch. Ekema vorüber, der westlich oder südwestlich vom
Wege liegen bleibt, bis zu der von den Arabern Wigh es-Srhir ge-
nannten Berggruppe, welche bei den Tedä Debasse Döba heisst.
Dieselbe steht durch niedrige F'elsbildungcn in Verbindung mit dem
*) Dies Wort kommt von dem Zeitwort nefed, durchdringen, durchziehen, und wird
von einer Reihe anstrengender Eilmärsche gebraucht, in denen man hülfsquelleuarme,
wüste Gegenden zu durchreisen gezwungen ist.
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WEG VON 1 EZZAN NACH 1 I BESTI.
393
östlich vom Wege verlaufenden Gebirgszuge cl-Wigh oder Debasse,
dessen an der Strasse liegender Endpunkt nach einem starken halben
Tagemarsche erreicht wird. Die Nefäza beginnt von Debasse Döba,
da im eigentlichen Debasse oft kein Wrasser gefunden wird, und man
dann gewöhnlich am zweiten Tage nicht am letzteren, sondern am
Kmi Mädema (d. h. rother Berg) lagert. Von hier aus erreicht man
am dritten Tage den Kurni Ebere Deä (d. h. Sand der Tauben?) oder
die nahegelegenen Tügä Mädöä (d. h. rothe Felsen), deren Localität
mit der von Fresnel Kuwayrah genannten übereinkommt und bei
Rohlfs als Tea Gamado erscheint; am vierten den Lebo genannten
Platz, der bei Fresnel als Meläky figurirt; am fünften eine Oertlich-
keit, welche den sonderbaren Namen More Deä (d. h. die freige-
borenen Mütter?), wohl in Folge einer Sage oder irgend eines Ereig-
nisses, fuhrt, welche wir bei Fresnel unter der etwas corrunipirten
Bezeichnung Muray diah wiederfinden, und die Rohlfs Merui Gcdei
schreibt; am sechsten die arabisch Bibän (d. h. Pforten) genannte
Bergpassage, welche nach Rohlfs bei den Tedä Kurinjo heisst; am
siebenten die Station Kaisöno; am achten die Brunnenstation Berai
(Brai, Brail, Beri, Bre bei andern Berichterstattern) im Flussthale
gleichen Namens, und am neunten den 1 lauptort des ansehnlichen
Thaies Abo oder Uro.
Nachdem man vom Debasse an einige Tage lang über eine kahle,
durchaus sterile und allen Lebens baare Hammäda, die östliche Fort-
setzung von Alaöta Kju, gereist ist, beginnen am fünften Marsch-
tage zu beiden Seiten des Weges Hügelketten und Felsgruppen auf
zuspringen , in denen man bei günstigen meteorologischen Verhält-
nissen sogar W'asser findet. Jedenfalls thut man gut, Kameelfutter
(Dis oder Sebat) für eine Reihe von Tagen mitzunehmen, denn erst
in den Bibän oder zu Kaisöno tritt der erste Krautwuchs (Häd)
wieder auf. Zwischen Kaisöno und Börai, näher dem ersteren Orte,
passirt man das Flussthal Ardemme, dessen Nebenfluss Owi, mit
Wassergehalt in seinen natürlichen Cisternen, westlich am Wege
bleibt oder auch als Reisestation benutzt wird. Die Wasserstation
Owi knüpft den von mir zurückgelegten Weg an diese, allgemein
bekannte Strasse, denn vom Ursprünge des Flussthales Galiemma
in der Landschaft Afäfi hatten wir dieselbe in der Entfernung eines
ansehnlichen Tagemarsches in südöstlicher Richtung.
Wie die verschiedenen Reisenden in Zahl und Entfernung der
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3! (4 II. Ill'CH, 6. KAP. TOPOGRAPHIE U. NA TURE. BESCH AFFF.NHK1T TIllESTl’S.
aufgezeichneten Stationen dieser Strasse, im Allgemeinen gut überein-
stimmen, so geben sie aucli dem Wege ungefähr dieselbe Richtung;
doch diese setzt den Forscher einigermassen in Verlegenheit , weil
sic eine viel östlichere sein soll, als mit anderen Verhältnissen
vereinbar erscheint. Wenn man nach den Angaben der Tubu und
Fezzancr, ohne Berücksichtigung der Beziehungen zur Bomü-Strasse,
diesen Weg construiren wollte, so würde sein Kndpunkt Abo erheb-
lich östlicher fallen, als es wahrscheinlich ist. Doch hier tritt nicht
allein der von mir selbst zurückgelegte Weg vom Tümmo über Afäfi
nach dem Udui', anderthalb Tagemärsche südwestlich von dem
l’opulationscentrum Abo, entscheidend oder corrigircnd ein, sondern
verhindern auch die vom Bir el-Ahmar und der Oase Jat auf der
Bornü-Strasse nach Abo führenden und in ihren Entfernungen einiger-
massen bekannten Strassen eine allzuweitc Verlegung des letzteren
Ortes nach Osten. Der Weg von Bir el-Ahmar verläuft am Berge
Fadscha vorüber für drei lange Tage nach Südosten bis Söbözen,
wo er mit der, von der Oase Jat aus Westsüdwesten kommenden
Strasse zusammen trifft, und in mehr oder weniger östlicher Rich-
tung über den Lagerplatz Kezen am zweiten Tage LTdüi' und am
dritten Abo erreicht.
Während in Fezzän die bewohnbaren Stellen Bodenabflachungen
(Oasen) sind, in denen die Wassernähe die Bodenarbeit ermöglicht
und den kostbaren Dattelbaum gedeihen lässt, enthalten in Tibesti
die auf beiden Seiten des Gebirges abfallenden Flussthäler die
Fopulationscentren oder die zerstreute Bevölkerung. Denn wenn
dieselben auch auf der Südwestseite des Bodenwassers vielfach ent-
behren, so bringen doch die in keinem Jahre ganz fehlenden Regen
Futterkräuter genug für die Heerden hervor. Da das Wasser für
Mensch und Thier vorzugsweise in den natürlichen Felsencisternen
gefunden wird, an denen das Gebirge reich ist, so finden wir ge-
wöhnlich die Bevölkerung der Flussthäler dort angesiedelt, wo die-
selben aus den Felsen (mit ihrem Wasser) in die Ebene (mit ihrem
Kräuterwuchs) hinaustreten. Aber auch in der Mitte der Felsregion
scheinen Thäler und Flussbetten genug vorhanden zu sein, um einer
spärlichen Bevölkerung eine bescheidene Existenz zu gewähren.
Die im nordwestlichsten Theile des eigentlichen Tu befindlichen
Flussthäler haben keine ständigen Bewohner. Auf dem erläuterten
Medrusa- Wege, südlich von Kaisöno, stösst man zuerst auf den
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DIE THALEK DER LANDSCHAFT. 395
E. Ardemme, der sich aus den E. Ovvi, Gaesker und Zedumbcle
zusammensetzt, und dann, ehe man Abo erreicht, auf den E. Berat.
Alle haben eine unbedeutende Iämgenentwicklung, eine westliche bis
südwestliche Richtung und sind nur vorübergehend bewohnt. Vom
Tümmogebirge nach dem Udfii reisend, giebt die Felsengegend von
Afäfi, wie wir in der Beschreibung der Reise gesehen haben, ansehn-
lichen Flussbetten Ursprung, den EE. Galiemma, Lolemmo, Moammo
und Barka, welche spärlich mit Sajälakazien bestanden, doch oft reich
an Futterkräutern, sich nach der ungefähren Länge eines Tage-
inarsches, in mehr oder weniger westlicher Richtung in einer flachen
Sebcha-Ebene verlieren. Auch diese werden, wie die südlich von
Afäfi in der Ebene von den zahlreichen, isolirt aufspringenden
F'elsengruppen erzeugten, unbedeutenden Flussthäler Kurna, Anefo,
Afo und andere, nur zeitweise als Weideplätze für Kamecle auf-
gesucht.
Doch südlich von diesen erfordert das K. Abo oder Uro, als
das nördlichste derjenigen Thäler, welche eine ständige Bevölkerung
enthalten und von der nicht mehr unterbrochenen Gebirgskette ent-
springen, eine grössere Beachtung. Es senkt sich nach Südwesten,
wird in seinem südwestlichen Theile Udüi genannt und hat eine
Gesammtlänge von zwei bis drei Tagereisen, ln seiner nordöstlichen
Hälfte bringt es einige Dattelbäume hervor, viele Dumpalmen, Sajäl-
akazien, Qaradbäume (Acacia nilotica) und andere Akazien, Futter-
kräuter (Scbat, Bü Rukba, Häd) in Menge, während der Udüi ge-
nannte Theil nur reich an Gräsern und Kräutern ist und des Baum-
wuchses gänzlich entbehrt.
Das Thal ist reich an Nebenflussbetten, von denen ich auf der
Nordseite vom Ursprung beginnend, folgende in Erfahrung brachte:
E. Aba, Madäkai, Tömo, Täkai , Käbo, Odöröa, Elli, Suri, Idfdäki,
Agimmi. Auf der Südostseite münden in ihn, derselben Richtung
in der Aufzählung folgend, E. Kunäheir, zwei EE. Aräbu, E. Aru
mit den Nebenflüssen Semetö, Ankjuru, Ogöso, Auso (diese von Nord
nach Süd gezählt), E. Sügügu. Die ansehnlichsten der letzteren,
E. Aru und die beiden Aräbu hatte ich Gelegenheit, zum Theil
mehrfach zu passiren.
Von Abo legt man den Weg nach Täo hart am Fusse des Ge-
birges in drei Tagereisen mit südlicher Richtung zurück. Nach-
dem man die südöstlichen Zuflüsse des E. Abo überschritten hat,
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396 II. m/UI, 6. KAI'. lOPOORAPHIE U. NATÜRL. UESCHAKFENHEIT TlllESTl’S.
zieht man östlich vom Aterkelluli- Felsen vorüber, schneidet die
drei Kjaunoflussthälcr, passirt die Felsengruppe Mini, welche der
Tarso nach Westen in die Ebene vorschiebt, und die aus ihr zu jenen
laufenden Wasserbetten, und endlich die Ursprungsfiüsse Dommädo
und Dausädo des K. Täo, bevor man am dritten Tage das Populations-
Centrum Täo erreicht.
E. Kjauno setzt sich zusammen aus drei Flussbetten gleichen
Namens, welche vom westlichen Abhange des Tarso, resp. Tusidde,
entspringen und in ihren Anfängen von mir bei Gelegenheit der
Rückkehr von Bardai, in ihrem weiteren Verlaufe aber auf der Hin-
reise nach Täo überschritten wurden. Sic verlaufen im Felsengebiete
nach Westsüd westen, dann südwestlich und wenden sich bei der
steilen Felsengruppc Mezän nach Westen, um sich hier nach einer
Gesammtlänge eines starken Tagemarsches in der Ebene zu ver-
lieren.
Von Norden her empfangen die Kjaunoflüsse den von Ausläufern
des Gebirges kommenden E. Lobbono und das vom Aterkelluli-
Felsen entspringende Rinnsal gleichen Namens, und auf ihrer Süd-
ostseite münden in sie von Osten her die Flussbettchen Tollöbu,
Mini und Bönöi. Die Vegetation der Kjaunobetten setzt sich aus
einigen Akazien, dem Serrah (Alaerua), der uns hier ebenso wie der
Oschar (Ca/otropis procera), zuerst in vereinzelten Exemplaren auf-
stiess, und aus den schon erwähnten Kräutern und Gräsern zusammen.
Südlich von den eigentlichen Kjaunoflüssen stösst der Weg vom
E. Udut nach Tao in südöstlicher Richtung auf den westlichen Fuss
des Tarso mit seinen Ausläufern, Emi Nanagamma und Mini, und
vereinigt sich daselbst mit dem von Abo kommenden, südlich ver-
laufenden Wege.
E. Täo setzt sich aus den beiden EE. Dommädo und Dausädo
und ihren Nebenflüssen zusammen und bildet ein System mit dem
E. Zuär. Die beiden genannten Täoflüsse entspringen von dem süd-
westlichen Abhange des Tarso, wo ich auf dem Wege von Täo
nach Bardai die Anfänge des Dommädo überschritt (E. Ass u. s. w.J,
verlaufen in südwestlicher Richtung bis zum Emi Durso, an dem sic,
bereits vereinigt, sich mit dem von Osten kommenden E. Zuär ver-
binden.
Vom Gebirgsausläufer Mini kommend, überschreitet man nach
wenigen Stunden das erste Nebenflussthal des Dommädo, E. Kedän,
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DIF. THÄI.ER DER LANDSCHAFT.
397
zieht an der Westseite der sieben Felsgruppen Sosobschi hin, die
aus diesen hervorgehenden Regenbetten gleichen Namens passirend,
lässt gleichfalls die dem centralen Gebirge parallele Felsenkette
Angrän östlich, ihren gleichnamigen Abfluss schneidend, und sieht
im Westen die kurz.e Bergkette Serendlbe ihr Wasserbett nach Süd-
osten zum Dommädo senden. E. Dausädo empfängt seine Zuflüsse
von Osten her, wie den K. Sabön, vereinigt sich darauf mit dem
E. Dommädo zum E. Täo, welcher noch einige Abflüsse des Emi
Merda Sodoä aufnimmt, wie die in der Wegebeschreibung aufgeführten
E. Ellin und E. Fisifisi. Zu den angeführten Akazien, dem Serrah,
dem Oschar, den Gräsern und Kräutern der aufgezähltcn Flussbetten
kommt in den Täoflüssen der uns hier zum ersten Male begegnende
Tundub (Capparis Sotiada).
Südlich vom E. Dausädo, zwischen ihm und dem E. Sabön, be-
findet sich die Oertlichkeit, welche man als das Populationscentrum
Täo bezeichnet. Sowohl diese Ortschaft als der Fuss des Tarso
sind durch einige den Tedä bekannte Routen mit der Bornü-Strasse,
den Oasen Jat und Kawär verbunden. Von Jat aus gelangt man in
mehr weniger östlicher Richtung nach sieben ansehnlichen Tage-
märschen zum E. Kjauno und am achten zum Tarso, und die nörd-
lichste Ortschaft von Kawär, An i, ist durch zehn mässige Tage-
märsche in ostnordöstlicher Richtung mit Täo verbunden. So werden
auch für diesen Theil Tibesti's die Verschiebungsfehler nach Osten
in engere Grenzen gebannt.
Beim Emi Durso, ungefähr auf dem 20. 0 N. B. und dem 16.0 Ö. L.,
vereinigt sich mit dem E. Täo der von Osten kommende E. Zuär.
Die Thäler beider sind nahe ihrer Vereinigung durch den oben
erwähnten Emi Merda Sodoä von einander getrennt. Man kann diesen
Ausläufer entweder in grader südlicher Richtung auf schwierigem Pfade
überschreiten, oder den leichteren Abcrdegä-Pass nahe seinem Ende
benutzen, oder in westlichem Bogen die ganze Schwierigkeit umgehen.
In jedem Falle kann man den Punkt des E. Zuär, an welchem
derselbe die Felsen hinter sich lässt, seine Einmündungsstelle in die
Ebene (Zuär-Kai) von Täo aus in einem kleinen Tagemarsche erreichen.
Beide Punkte liegen ungefähr gleich weit von der Vereinigungsstelle
der beiden P'lüsse am Emi Durso; doch während die Täo-Flüsse nur
ungefähr die Verlaufslänge eines ansehnlichen Tagemarsches haben,
scheint der E. Zuär die doppelte Länge allein innerhalb des Gebirges
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398 n. BUCH, 6. KAP. TOPOGRAPHIE U. NATÜRI.. BESCHAFFENHEIT TIBF.STl’s.
zu besitzen. Ausserhalb des Felsengebietes nimmt derselbe, von seiner
Vereinigungsstelle mit dem Täo beginnend, an Nebenflüssen auf von
Norden her die EK. Iberdasnossen, Kazanei, Ködöa, welche ich vom
Aberdegä-Passe in südöstlicher Richtung gegen Zuär-Kai hin nieder-
steigend, sammtlich überschritt, und von Süden her die EK. Zegre,
Tomädema, Sügo und Sogursa, welche ich alle als in mehr oder
weniger nordwestlicher Richtung durch die Ebene strömend, von der
Höhe des Aberdegä-I’asses erblickte. Von Zuär-Kai dem Klussbette
aufwärts folgend, wurden mir an Nebenflussbetten bekannt die von
Norden, resp. Nordosten kommenden EE. Tarde, Mescher, Tigri,
Sudrum, Kögu und die auf der Südseite mündenden EE. Abogr
und Zug.
Das Bevölkerungscentrum des Zuär-Thales liegt eine halbe Tage-
reise östlich von Zuär-Kai.
Im mittleren Tibesti ist E. Zuär eines der bedeutendsten Thälcr.
Obgleich oft eng zwischen Felsen eingekeilt, erreicht er doch
auch nicht selten die Breite eines Kilometers und trägt neben den
gewöhnlichen Futterkräutern und Gräsern einen dichten Baumbestand
von Siwäk, Serrah, Sajäl-, Qarad- und anderen Akazien, Oschar und
Tundub.
E. Zuär war das letzte der von mir besuchten Thäler der Süd-
westabhänge Tibesti's, und Zuär-Kai ist eine Station auf dem so lange
vereinsamten und in neuester Zeit wieder aufgenommenen Karavanen-
wege von Fezzän nach Wadäf. Bekannte Strassen verbinden diesen
Punkt mit der unbewohnten Hattija Jäjo und mit der bekanntesten
Oase Borkü's, Jin, welche beide von mir auf meiner späteren Reise
vom Tsadsce nach Borkü besucht wurden.
Der Weg von Zuär-Kai führt in südsüdöstlicher bis südöstlicher
Richtung in acht ansehnlichen Tagemärschen nach der bekannten, zu
der ausgedehnten Weidelandschaft Bodöle, südwestlich von Borkü,
gehörigen Hattija Jäjo el-Kebir. Der erste lange Tagemarsch fuhrt
den Reisenden durch die Ebene des Zuär über den westlichsten und
bedeutendsten Nebenfluss desselben von Süden her, E. Zegre (für den
ich in verschiedenen Gegenden auch den Namen Zuroe, Segre, Ziri
hörte) in südsüdöstlicher Richtung über steinige Wüste nach dem
Flussthale Marmar. Von hier gelangt man durch eine vollständig
wüste Ebene in derselben Richtung über den E. Krema, der, aus den
EE. Joo, Ogfl'i, Märo und Arr (oder Ao?) entstanden, sich als breites
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WF.GR ZWISCHEN TIBESTI UND l!OKKls. 390
Thal zu baldigem Versiegen nach Süden senkt, und zwar in vier
Tagemärschen nach Subka, einem flachen Thale in sandiger Gegend.
Bis Marmar erblickt man die Tibesti-Felsen am östlichen Hori-
zonte; von dort ab verschwinden sie mehr und mehr, und nur ver-
einzelte, unbedeutende Felsgruppen springen aus der wüsten Ebene
auf. K. Krema, der am Ende des zweiten Tagemarsches (von Marmar
ab) erreicht wird, enthält einige Regenwasserbecken in den ver-
einzelten Felsen und wenig üppige Weide, während das Thal Subka
schon durch sein sandiges Terrain und Diimwuchs die grössere Nähe
des Bodenwassers andeutet. Von Subka führt eine Tagereise in un-
gefährer Südostrichtung nach Erkeb, einer Wasserstation in sandiger
Gegend, welche, ausser den bis dahin gesehenen Gräsern, das bei
den Hausthieren so beliebte Nissi ( Aristida plumosa) hervorbringt.
Einige Stunden südöstlich von Erkeb liegt Turki, und etwas weiter
von hier in derselben Richtung die Hattija Guri. Die wüste Gegend
senkt sich mehr und mehr nach Bödele zu; sandiges Terrain waltet
vor in den Bodenabflachungen, welche um die kurzen Brunnen einen
reichen Bestand von Futterkräutern (Häd, Nissi, Sebat, Bü-Rubka)
haben, und in denen die Sajäl-Akazien und Dümpalmen nicht selten
sind. Von Guri führen zwrei und ein halber Tagemarsch in sudsüd-
östlicher Richtung zu dem Ziele Jäjo el-Kebir, einer ausgedehnten
Hattija mit kurzem Brunnen und reicher Kameehveide.
Häufiger als diese Strasse, welche nur von den Arabern gewählt
wird, um die bewohnten l’lätze des südlichen Tibesti und Borkü’s zu
umgehen, wird von den Eingeborenen diejenige bereist, welche von
Marmar in ungefähr südöstlicher Richtung nach der Borkü-Oase Jin
fuhrt und neun ansehnliche Tagemärsche erfordert. Man reist am
ersten T age hart auf der Grenze des Felsengebietes in südöstlicher
Richtung bis zum Flussthaie Joo, weicht am zweiten etwas von dieser
nach Süden zu ab und erreicht den E. Maro, nachdem derselbe zuvor
den E. Ogüi aufgenommen hat. Wenn man die Bewohner des letz-
teren besuchen will, so behält man die Südostrichtung des Tages
zuvor bei und wendet sich dann am dritten Tage in eben derselben
zum E. Auf, während man anderenfalls von der Station des E. Maro
an diesem Tage in einer ähnlichen Richtung zum E. Hoü (auch Foü
genannt) gelangt, ln jedem Falle überschreitet man zwischen Maro
und Hoü den E. Arr. Am vierten Tage wird E. Domar in ostsüd-
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400 II. BUCH, 6. KAP. TOPOC1R APHIE U. NATl'RI.. BESCHAFFENHEIT TinF.RTl’s.
östlicher Richtung erreicht, sei es, dass man vom E. Hoü, sei es, dass
man von E. Aui aufgebrochen ist.
Der Weg von Joö nach Ogüi ist noch reich an Felsbildungen,
welche man in der Richtung auf den Maro zu vermeidet. Zwischen
der Station dieses letzteren und E. Aui sowohl als E. Hoü treten
die Felsen nach Osten zurück, und der Weg verläuft auf dem ge-
wellten Terrain einer steinigen Wüste, während der Reisetag, welcher
nach Domar führt, wieder durch zahlreiche, niedrige Felsbildungen
erschwert ist.
Von der Station Domar kann man in fünf Tagen auf zwei ver-
schiedenen Wegen nach Jin reisen. Der südwestlichere von beiden
führt am ersten Tage aus dem E. Domar durch felsenlose Gegend
zum E. Galleridc, welcher nur das Ende jenes darstellt, das nach
anfänglich südwestlichem Verlaufe sich hier bogenförmig nach Süden
wendet und verliert, und erfordert einen langen Marsch in südsüd-
östlicher Richtung. Die übrigen vier Tagemärsche haben ostsüdöst-
liche oder südöstliche Richtung und führen in regelmässigen Zwischen-
räumen nach den Stationen Segissega, Alhaulendi, Kussaleschi und
Jin. Der erste dieser l äge zeigt felsiges Terrain, die übrigen steinig-
sandige Wüste mit jenen ärmlich ausgestatteten Rastplatzen, welche
zum Thcil kärgliche Regenwasser- Ansammlungen im Hoden haben
und neben den zuvor genannten Futterkräutern und Gräsern ziemlich
häufig den Tundub hervorbringen.
Häufiger als dieser Weg’ wird der nordöstlichere benutzt, welcher
von Domar in zwei und einem halben Tagemarsche in ostsüdöst-
licher Richtung zur Hattija Tore oder Tirre und von hier in ebenso
weitem Marsche mit südöstlicher Richtung nach Jin führt. So-
wohl aus der ersten, als aus der zweiten Hälfte dieser Strecke macht
man je nach Bediirfniss zwei lange oder drei kurze Tagemärsche.
Von Domar gelangt man in massigem Marsche nach der Station
Tukki, welche in einem Weideplätze am Ende eines aus Osten kom-
menden Flussthalcs besteht, das den E. Domar nicht zu erreichen
vermag. Von dieser liegt eben so weit E. Oschim, ein kleines Fluss-
thal mit einigem Baum- und Pflanzenwuchs, und zwischen diesem
und der vegetationsreichen Hattija Tere liegt nur die Entfernung
eines halben Tagcmarsches, Von hier wendet sich, wie gesagt, der
Weg südöstlich und erreicht nach starken anderthalb Tagemärschen
durch felsige Gegend die Hattija Assne, welche ihrerseits noch einen
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PIK SÜDWESTLICHEN FLUSSBETTEN. 401
guten Tagemarsch nach Jin erfordert. Auf allen genannten Stationen
finden sich Regenwasserbehälter, welche fast stets einigen Inhalt haben.
Das Territorium von Tibesti schliesst auf dem Wege nach Jäjo
noch die Station Guri ein und reicht auf der Strasse nach Jin bis an
die Hattija Assoe, so dass man den westlichen Theil seiner Süd-
grenze etwas südlich vom i8.° N. B. zu legen berechtigt ist.
Die auf dem Wege nach Jin passirten Flussthäler sammeln, wie
die KE. Abo, Kjauno, Tao und Zuär, die Regenwässer derTu-Bergc
und führen dieselben nach Südwesten oder da, wo das Gebirge eine
mehr ostsüdöstliche Richtung hat, nach Südsüdwesten ab, um sich
in der Ebene sehr bald zu verlieren.
Das auf den E. Zuär folgende Flussthal, E. Marmar, scheint eine
Länge von anderthalb Tagemärschen zu haben, ist von Nordost nach
Südwest gerichtet und nur spärlich bewohnt. Es verdankt seinen
Ruf einer Quelle in seinem Bette mit herrlichem Wasser, doch von
einem fischreichen, aus ihr entstehenden Bache, von dem manche Be-
richterstatter erzählt haben, konnte ich Nichts in Erfahrung bringen.
Zu den gewöhnlichen Futterkräutern und Akazien sollen hier einige
Exemplare des Hedschlidsch oder Seifenbaumes (Balanites aegyptiaca)
kommen.
Einen halben Tagemarsch in Südostrichtung trifft man auf den
E. Sörom, ein unbedeutendes, dem vorigen paralleles Flussthal mit
kärglicher Weide und spärlichem Akazienbestand, das nur vorüber-
gehend bewohnt ist.
E. Joö kommt aus ansehnlicher Entfernung in Nordosten, wendet
sich später südlich und vereinigt sich mit den folgenden zum
FT Krema. Dort, wo er passirt wird, erzeugt er nur eine massige
Menge von Futterkräutern und Akazien, erfreut sich jedoch des
gegen vier Klafter tiefen Brunnens Scherta in seinem Bette. Sein
oberer Lauf entsteht durch die EE. Tägähän (oder Forschi) und
Gobön, die sich beide durch reichliches Bodenwasser auszeichnen
und also eine relativ zahlreiche und sesshafte Bevölkerung, welche
Bodcncultur treibt, ernähren. In den Tägähan mündet von Nord-
osten her FT Jidu, von dem aus man in einem langen Tagemarsche
über schwer passirbare Felsen nach Bardai gelangen soll. Tügähän
liegt nach meinen Berichterstattern etwa anderthalb Tagemärsche in
mehr oder weniger südwestlicher Richtung von Jidu und bleibt in
ungefähr südöstlicher fast eben so weit vom Ursprünge des FT Zuär
Nachtigal. 1. 21)
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402 n. buch, 6. kap. topooraphif. u. natüri.. Beschaffenheit tiresti's.
entfernt; von diesem aus aber soll man in zwei Tagemärschen nord-
nordöstlicher Richtung durch ähnliche schwer passirbarc Felsen-
gegend ebenfalls Bardai erreichen können.
Wenn die Einzelheiten dieser Angaben zuverlässig sind, so
hat der Joo, der allerdings allgemein für ein sehr ansehnliches
Flussthal gilt, eine grössere Längenentwicklung, als irgend eines
der übrigen Flussthäler Tibesti's. Doch gestehe ich, dass ich cs
wohl für möglich halte, dass sowohl E. Tägähän, als E. Gobön
selbständige, im Innern des Felsengebietes in kurzem Verlaufe sich
erschöpfende Flussbetten darstellen, welche nur durch die Phantasie
der Eingeborenen, die stets zur Construction von Flussnetzen geneigt
sind, mit dem E. Jod in Verbindung gebracht wurden, weil sie
ebenfalls südöstlich vom Tarso, zwischen Bardai einerseits und den
Flüssen Zuär, Marmar, Jo6 andererseits ihre Lage haben.
E. Ogui, der viele tiefe Brunnen in seinem Bette hat, bietet mit
dem E. Maro ebenfalls die für Bodencultur und sesshafte Bevölke-
rung nothwendigen Bedingungen, die auf der ganzen Südwestseite
Tibesti's so selten sind. Er entsteht durch den Zusammenfluss der
von Nordosten aus geringer Entfernung kommenden EE. Doischke,
Audera, Mozzo und Kadiska und verbindet sich bald mit dem
E. Märo. Er zeichnet sich durch seinen Dümpalmenbcstand aus und
ernährt eine verhältnissmässig zahlreiche Einwohnerschaft.
E. Maro entsteht durch den Zusammenfluss von EE. Geli, Böge
und Möjake, verläuft in westsüdwestlicher, beziehungsweise südwest-
licher Richtung, verbindet sich mit dem E. OgiTi, nimmt den E. Arr
auf und bildet mit diesen und dem von Norden kommenden E. Joö
den mächtigen, breiten E. Krema. Der Märo soll an Ausdehnung
dem E. Zuär nahe kommen und ist ebenso reich an Brunnen, Vege-
tation (auch viel Siwäkwuchs findet sich in seinem Bette) und Ein-
wohnern, als der freilich kleinere Ogui. E. Arr hat nur Regen-
wasserbehälter, und E. Krema, der sich übrigens bald in der Ebene
verliert, bietet den Reisenden oft nicht einmal diese, sondern nur eine
kärgliche Kameelweide.
Der darauf folgende E. Auf, der auf dem Wege nach dem E. IIoü
umgangen werden kann, kommt aus Ostnordost, und wird in
seinem oberen Laufe E. Gomor oder in der abgekürzten Form E. Göor
genannt. Er entsteht aus den Ursprungsflüssen Uge, Göor und Goau
und gewinnt nirgends eine grosse Bedeutung.
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DIF. SÜDWESTLICHEN FLUSSBETTEN. 4ttt
E. Hoü ist noch unbedeutender, kommt aus derselben Richtung
und wird nahe seinem Ende passirt. Beide haben Regenwasscr-
ansammlungcn, und ausser den der Gegend cigenthümlichen Kräutern
gedeiht von Bäumen in ihnen nur die Akazie.
Viel bedeutender ist der E. Domar (oder nach der Redeweise
der südlichen Tubu abgekürzt Döar), dessen Hauptursprünge E. Miski
und E. Modrunga sind. Jener ist der bedeutendere und entspringt
von den Westabhängen des Emi Kussi, der mehr als drei Tagemärsche
Ostnordost von der Station Domar liegt; dieser hat seinen Ursprung
in den Felsenmassen, welche sich vom Emi Kussi nach Nordwesten
gegen die Ausläufer des Tarso hin fortsetzen. E. Miski scheint, von
seinem Ursprung an gerechnet, die unbedeutenden Nebenthäler Gäto,
Sou, Tuggöma und Zoar Mägerim mit dem kleinen Tiddenga aufzu-
nehmen, doch erhellt die Verbindung derselben mit dem Hauptfluss-
thale nicht ganz sicher aus den Erkundigungen. Sobald darauf
E. Modrunga sich mit dem letzteren vereinigt hat, geht dasselbe als
E. Domar für eine kurze Zeit nach Südwesten, nimmt darauf eine
südliche Richtung an, und verliert sich bald unter dem Namen
E. Galleride in der Ebene. Während der südlichste Theil des
Flusses keine Brunnen hat, befindet sich an der Stelle der gewöhn-
lichen Passage der Brunnen Odigge, nahe dabei nach Nordosten der
Brunnen Kuddu und etwas weiter in dieser Richtung der Tottus ge-
nannte. E. Döar und Galleride sind reich an Futterkräutern und
Tundub und sogar durch einen mässigen Bestand von Dattelpalmen
ausgezeichnet.
Der Emi Kussi, welcher dem Mauptthcilc des E. Domar Ursprung
giebt und eine der Hauptanschwellungen des Tibcsti-Gebirges bildet,
liegt, wie gesagt, drei bis vier Tagemärsche von der Borkii-Oase Tiggi
in einer von der nördlichen etwas nach Westen abweichenden Richtung.
Nördlich von Tiggi stösst man nach einem halben Tagemarsche auf die
kleine Oase Ani, von der aus man am ersten Tage die Felsengruppe Säon-
tschöwo erreicht, um nach zwei weiteren Tagen guten Marsches am
Fusse des Emi (oder abgekürzt Ei) Kussi anzukommen. Von Assöe
aus erreicht man in nordnordwestlicher Richtung in zwei und einem
halben Tagemarsche den E. Miski. nachdem man am ersten Tage
unbedeutende Felscnkctten überschritten, am zweiten in der dichten
Felsengegend Kikßtö genächtigt und am dritten Tage in der Morgen-
frühe den E. Tukki passirt hat. Vom E. Miski, der reich ist an
20*
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■404 II. BUCH, 6. KAP. TOPOGRAPHIE U. NATÜRI.. BESCHAFFENHEIT TIBESTl’s.
Kräutern und Siwäkbcstand , gelangt man in einem kurzen, halben
Tagemarsche zum E. Tuggöma, dem ebenfalls der Emi Kussi Ur-
sprung giebt, und erblickt diesen in der ungefähren Entfernung eines
Tagemarsches in Ostnordostrichtung. Vom E. Tuggoma, der im
Ganzen südwestlich verläuft, gelangt man über eine Felsenkette,
welche den Namen Emi Tiddenga zu führen scheint, in einem guten
halben Tagemarsche zum E. Zoär Magerim, der ebenso unbedeutend
ist, einen ähnlichen Verlauf hat und von nordwestlichen Ausläufern
des Emi Kussi entspringt. Es ist übrigens sehr wohl möglich, dass
beide, sowie der E. Tiddenga, ein Nebenflussbettchen des E. Zoär
Magerim, nicht in directem Zusammenhänge mit dem E. Domar
stehen; wenigstens waren manche meiner Berichterstatter dieser
Ansicht.
Vom Emi Kussi ab setzt sich das Gebirge, sich allmählich ver-
schmälernd, nach Ostsüdosten fort bis zum 2i.° O. L., den es süd-
lich von Wanjanga berührt. Die Entfernung von jenem Berge bis
zu den Ortschaften der Wanja scheint ungefähr sechs Tagereisen
zu betragen, und zwischen beiden Endpunkten liegt die Felsen-
ortschaft Guro fast in der Mitte. Alle drei Punkte werden durch
die Erkundigungen über die Entfernungen und Richtungen, unter
denen sie zu einander liegen, und die sie mit Borkü verbinden,
einigermassen in ihrer geographischen Lage fixirt. Jin dürfte unge-
fähr fünf Tagereisen vom E. Kussi im Norden und etwa sechs
von Wanjanga im Ostnordosten entfernt sein und hat Gurö im
Nordosten in der Entfernung von vier und einem halben Tage-
marsche.
Der E. Domar ist das letzte bedeutende Flussthal, welches das
Gebirge nach Südwesten entsendet, denn der Weg, welcher aus Jarda,
der nordöstlichsten Oase Borkus, in ostnordöstlicher Richtung am
F'usse der Kette in vier Tagereisen nach Wanjanga fuhrt, trifft auf
keine ähnlichen Wasserbetten mehr. Der südöstlichste Theil des
Gebirges scheint also seine Hauptabflüsse auf der andern Seite,
d. h. der nordöstlichen, zu haben.
Von der Physiognomie der Nordostseite Tibesti’s uns eine be-
friedigende Vorstellung zu machen, genügen die uns zu Gebote
stehenden Daten nicht. Zwar überschritt ich den nordwestlichen
Theil des Gebirges, Emi Tarso, und erreichte dort das Flussthal
BardaV, doch an einen Punkt festgebannt und ohne Berichterstatter,
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DIE NOKDOSTSEITE TU’S.
405
konnte ich meinen Aufenthalt daselbst zu einer genügenden Orien-
tirung nicht ausbeuten.
Von dort, grade nach Norden, getrennt durch eine unbewohnte
Wüste von etwa vier Breitegraden, liegt der östlichste Theil des Kczzän-
Districtes Scherqija, die Oasengruppc Wau. Der Weg dorthin ist
den Tu -Leuten bekannt, denn in einer derselben wohnt ihre geist-
liche Autorität, ein Senüsi-Missionar, zu dem nicht selten aus reli-
giösem Bedürfniss und zur Einholung weltlichen Käthes gepilgert
wird. Doch immerhin ist die Strasse nicht so bekannt, wie die zur
Befriedigung materieller Bedürfnisse und zur Erzielung kaufmän-
nischen Gewinnes oder kriegerischer Beute regelmässig bereisten
Wege zu sein pflegen. Nach Nordosten, etwa fünfzehn Tagereisen
weit, liegt die den Tedä in früheren Zeiten gehörige Oasengruppe
Kufära, die bei ihnen noch den Landesnamen Teser fuhrt, und Ein-
zelnen mag der Weg dorthin noch bekannt sein. Doch ein wirk-
licher Verkehr mit ihr besteht nicht mehr, seit ihr bescheidener
Reichthum an Datteln von Norden her ausgebeutet wird, und dass
sic die Hauptstation eines directen Handclswcgcs aus den Tubu-Län
dern nach Egypten gewesen sei, ist nur noch sagenhaft bekannt.
Noch im Jahre 1811, als die erste Karavane den directen Weg von
Wadäi nach Benghäzi bereiste, fand man Kufära schwach von Tubu
Keschäde bewohnt; doch dann entvölkerten die Invasionen der
Araberstamme Barqa’s ihre Oasen vollständig, und erst in neuerer
Zeit hat ein religiöses Institut — Zäwia — der Senüsija daselbst den
Krystallisationspunkt für neue Ansiedler gebildet.
Als im Jahre 1813 eine andere Wadäi-Karavane den vollständig
wüsten Weg zwischen Wanjanga und Kufära ln westlichem Bogen
umgehen wollte, wurden, wie berichtet wird, fast täglich Thäler
mit Viehweiden und Niederlassungen der Tubu Keschäde mit ihren
Heerden von Kleinvieh getroffen: Der letzte Punkt, der von der
Karawane in nordwestlicher Richtung erreicht wurde, war der Wadi
Koür, der sich auf etwa fünf Tagereisen der südwestlichen Peripherie
Kufära’s nähert, und also etwa durch die doppelte Entfernung von
Bardai getrennt sein würde. Ich muss gestehen, dass ich die Be-
schreibungen der phantasievollen Araber von der Fruchtbarkeit jenes
Wadi und des zu ihm eingeschlagenen. Weges nur mit grosser Vor-
sicht aufnehmen kann. Im Gegensätze zu der allen Lebens baren
Wüste, welche zwischen Wanjanga und Kufära sich ausdehnt, in-
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406 II. BUCH, 6. KAP. TOPOGRAPHIE U. NATÜRL. BESCHAFFENHEIT TIBESTl’S.
mitten von Hunger, Durst und Entbehrungen aller Art, mochten
ihnen die kümmerlichen Weiden den Eindruck der Ueppigkeit
machen, und die spärlichen Bewohner und Heerden zahlreich er-
scheinen. Grosse Tedä-Dörfer und fliessende Gewässer, von denen
die Ueberlebendcn dieses schreckensreichen Karawanenzuges erzähl-
ten, waren gewiss nur Ausgeburten ihrer krankhaft gereizten Phan-
tasie. Wenn schon das eigentliche Tibesti nur eine Bevölkerung
von einer Spärlichkeit fast ohne Gleichen hat, so bin ich überzeugt,
dass der E. Koür, wenn er existirt, nur eine höchst bescheidene
Oase mit spärlicher Vegetation ist, welche vorübergehend von
Tibesti-Leuten besucht wird, und dass schon drei oder vier Tage-
reisen von Bardai oder irgend einem andern Punkte am nordöst-
lichen Kusse des Gebirges nach Nordosten zu jener trostlose Cha-
rakter der Wüste herrscht, der überhaupt die östliche Hälfte der
Sahara kennzeichnet.
Bardai, das Hauptcentrum der Bevölkerung des gleichnamigen
Thaies und des ganzen nordöstlichen Tibesti, soll nach den spär-
lichen Angaben meiner dortigen Umgebung etwa in der Mitte seines
Enneri liegen, und dieser bei einer Länge von etwa vier Tagereisen
eine Richtung von Ostsüdost nach Westnordwest oder von Südost
nach Nordwest haben. Leider kann dieser östlichste Punkt meiner
Tibesti -Reise an keinen in seiner geographischen Lage gesicherten
Punkt geknüpft werden, und die Wege, welche von dort nach andern
zugänglichen Punkten Tibesti’s oder nach Wanjanga führen, verlaufen
innerhalb des I'elscngebietes und sind dadurch der Beurtheilung
weniger zugänglich. Nach der Aufnahme meiner Reiseroute, welche
bei den traurigen, alle meine Kräfte in Anspruch nehmenden Verhält-
nissen, in denen ich den Weg zurücklegte, nicht den wünschens-
werthen Grad von Genauigkeit haben kann, und nach den möglichst
gesichteten Angaben eingeborener Berichterstatter, mit Berücksich-
tigung der von mir später gewonnenen Einsicht in die Topographie
des südöstlichen Theils von Tibesti, bin ich geneigt, Bardai ungefähr
auf 20° 40' N. B. und 17“ 20' Ö. L., und das Ende des ganzen Thaies
ungefähr dahin zu legen, wo der 17. 0 Ö. L. von der 2istcn Parallele
geschnitten wird. Danach würde der Ursprung desselben ungefähr
auf den 20.“ N. B. zwischen dem 18. 0 und 19. u Ö. L. zu suchen
sein, in einer Gegend, die etwa 1000 M. Meereshöhe haben muss,
da die Erhebung von Bardai, einige Tagereisen das Klussthal ab-
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ENNER! BARDAf.
4»j7
wärts, noch etwa 830 M. betragt. Ob jene eine isolirte Erhebung
ist, wie mir in Bardai, wo man sie Kmi Dusso nannte, wahrscheinlich
gemacht wurde, oder ob eine fortlaufende ansehnliche Bodenerhebung
vom Emi Kussi, der nach den vorliegenden Angaben etwa vier
Tagereisen weiter südöstlich liegen muss, bis dorthin reicht, muss
ich dahin gestellt sein lassen. Meine erfahrenen Berichterstatter von
Borkü behaupteten, dass vom Emi Kussi aus sich eine Kette,
Namens Emi Gümmer, nach Norden erstrecke, und dem Bardai
Ursprung gäbe. Dieselbe müsste jedenfalls in mehr nordwestlicher
Richtung verlaufen, wie es auch der Richtung des ganzen Gebirges
mehr entspricht, und an ihrem Endpunkte nahezu die Hälfte der
Erhebung des Kussi selbst haben. Die Berichterstatter waren zum
Thcil allerdings geneigt, diesem in Bezug auf Höhe den Vorrang vor
dem Tarso zuzusprechen. Auf der andern Seite dürfte auch der
Tarso sich nach Südosten fortsetzen, und dadurch würde in nord-
östlicher Richtung von Döar ein ansehnlicher Breitendurchmesser der
Gebirgsgegend entstehen.
E. Bardai scheint eine grosse Menge von Nebenflussthälern
auf seiner Südwestseitc vom Tarso her aufzunehmen. Der bei
unserem Herabsteigen von diesem passirte E. Udeno verläuft dort,
wo ich ihn sah, von Sud nach Nord und soll sich weiterhin
zum Ifötui wenden, der seinerseits, von den Abhängen des Tarso
entspringend, sich in nordöstlicher Richtung zum E. Bardai senken
soll. In die Ebene hinabsteigend, überschritten wir weiterhin die
EE. Arabdei, Gönöa, Iraira, welche sich theils in nordnordöstlicher,
theils in nordöstlicher Richtung zum Bardai senken. Nordwest-
lich vom E. Ifötui, so wurde berichtet, entspringt der E. Ege
ebenfalls vom Tarso, und mündet nach nordöstlichem Verlaufe in
den Bardai, und südöstlich von uns sollte E. Simri in ungefähr nörd-
licher Richtung zum Hauptbette stossen. — - Die auf der Nordostseite
in den E. Bardai mündenden Nebenflussbetten sollen geringer an
Zahl sein, jedoch die Feindseligkeit der Bewohner versagte mir alle
specielleren Nachrichten über diese Gegend.
Ausser dem Hauptpopulations- Centrum gleichen Namens scheint
es im Thale mindestens noch sechs bewohnte Ortschaften zu geben,
von denen drei, nämlich Züi, Düdue und Serdegai, südöstlich, drei,
Ermesbe, Sugra und Muska, nordwestlich von der Hauptortschaft
liegen sollen.
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40S II. BUCH, 6. KAP. TOPOGRAPHIE U. NATÜRI-. BESCHAFFENHEIT TIBESTl’s.
Im ganzen E. Bardai und in vielen seiner Nebenflüsse findet
sich reichlich süsses Wasser in sehr geringer Tiefe, und ich sah nicht
allein eine Quelle im E. Gönöa, sondern Brunnen im Hauptflussthale,
welche kaum 0,5 M. tief sind.
Von der Hauptortschaft erblickt man in ungefähr südlicher Rich-
tung, in der Entfernung eines guten Tagemarsches, einen Berg, an dessen
Eussc die Therme liegt, und welcher mir als Emi Tasserterri bezeichnet
wurde. Von demselben Punkte aus gelangt man, nach den Angaben
meiner Berichterstatter, in fünf Tagemärschen mit südöstlicher Rich-
tung zum Berge Kussi. Man reist während zweier Tage durch felsige
Gegend ohne beträchtliche Erhebung, mit Nächtigung nach dem
ersten Tage zu Loa und nach dem zweiten zu Tarsiji — beide
Stationen sind Weideplätze — , übersteigt am dritten die südöstliche
Verlängerung des Tarso und nächtigt im E. Modrunga, der von
jenem nach Süden zum E. Miski abflicsst. Am vierten Tage erreicht
man das Thal Soü, am fünften den Emi Kussi, an dessen Fussc
eines der Ursprungsflüsschen des E. Miski, der E. Gäto, passirt wird,
und nächtigt in der Nahe desselben. Erst am sechsten Tage erreicht
man um Mittag die Höhe des Emi Kussi.
Weiter nach Nordosten, nahe der Grenze des Felsengebietes,
verläuft ein Weg, den man von Bardai nach Wanjanga einschlägt,
und dessen Beschreibung ich dem Muräbid Ali von Qatrun verdanke.
Wenn dieser Berichterstatter auch durchaus vertrauenswürdig war,
so nimmt doch der Umstand, dass er in der Richtung unsicher war
und den Weg nur einmal, wie ich glaube, gemacht hatte, seinen
Angaben einen Theil ihres Werthes. Er wendete sich von Bardai
nach Osten zum E. Aözo, den er nach zwei Tagereisen erreichte,
nächtigte darauf zweimal in der Wüste und erreichte am dritten
Tage von Aözo ab das Flussthal Jibi, das vom Emi Kussi oder
seinem Ausläufer entspringt. Der folgende Tag führte ihn nach dem
hoch gelegenen Jibi Däso, d. h. Kopf des Jibi, oftenbar einem sich in.
der Gegend des Ursprunges des Flussthals aus der Umgebung hervor-
hebenden Berge. Von diesem aus stieg er in die Ebene hinab, näch-
tigte an einem Weideplätze Namens Közßn, erreichte von hier in einem
Tagemarsche die Oertlichkeit Kurzebo in felsiger Gegend, und am
darauf folgenden Tage frühzeitig den letzten Teda-Ort vor Wanjanga,
das Felscndorf Gurö, das seinerseits zwei bis drei Tagereisen in west-
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GEGEND ZWISCHEN ÜARDA'f UND WANJANGA.
nordwestlicher Richtung von Wanjanga Jöa bleibt. Der ganze Weg
von Aözo bis Wanjanga Jöa umfasst zehn starke Tagemärschc.
Wenn schon der Verlauf des E. Bardai nacli den vorstehenden
Daten vieles Zweifelhafte behält, so ist dies in viel höherem Grade
der Fall mit den Flussthalern Aözo und Jibi, über deren Richtung
und etwaigen Zusammenhang mit dem Bardai -Thalc ich nur sehr
unsichere und wenig unter sich übereinstimmende Nachrichten von
den Tedä erhalten konnte. Beide haben übrigens, wie auch das
Thal Gurö, Dattelpflanzungen und ernähren eine verhaltnissmässig
zahlreiche Bewohnerschaft mit ansehnlichen Hcerden.
Vom Emi Kussi gelangt man endlich in vier sehr langen Tage-
märschen ostnordöstlicher Richtung zu einer andern Niederlassung
der Tubu Rcschädc, nach Uri. Von der heissen Quelle (Jerike) am
östlichen Busse des Berges erreicht man am ersten Tage E. Urcschille,
der sich nach Norden senkt und keine ständigen Bewohner hat,
am zweiten den Brunnen Jiga Drusso (d. h. Tiefbrunnen), der zwölf
Klafter tief in einem Flussthale liegt, das sich ebenfalls nach
Norden senkt, am dritten E. Auunga, der dieselbe Richtung, eine
spärliche Vegetation und kein Wasser hat, und am vierten E. Uri,
ein fruchtbares Thal, das nach Nordnordosten gerichtet ist, und in
dem eine verhaltnissmässig wohlhabende und zahlreiche Bewohner-
schaft Ackerbau treibt. Der directe südöstlich verlaufende Weg
von Uri nach Wanjanga entbehrt des Wassers gänzlich, so dass
man vorzieht, über Gurö, das einige Tagereisen südsüdwestlich
liegt, dorthin zu reisen.
Dies sind die Materialien, welche ich der kartographischen Dar-
stellung des Landes zum Grunde legte, und welche besonders seine
Südgrenze feststellen. Wie wir oben gesehen haben, fallt der west-
liche Theil derselben etwas südlich vom i8.° N. B. Weiter östlich,
zwischen dem 19. w und 20.0 0. L., finden wir umgekehrt die Borkü-
I, eute (Oase Tiggi) über diese Parallele nach Norden hinausgehen.
Scheidet man aus dem Gesammtgcbiete der Tedä das eigentliche
Tibesti aus, so fällt dasselbe zwischen den 22. 0 und 18. 0 N, B. einer-
seits und den 15.“ und 20. 0 30' Ö. L. andrerseits und hat einen
Flächeninhalt von annähernd 260,000 □ Km.
Das Gebiet der Tubu Rcschädc entspricht in der That der
erwähnten traurigen Beschreibung, welche der Scheich el-Tünisi von
ihm entwarf, vollständig. Ungefähr gleich weit von der Nordküste
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410 II. BUCH, 6. KAP. TOPOGRAPHIE U. NATÜRL. BESCHAFFENHEIT TIBESll’s.
und vom Sudan, vom rothen Meere und dem atlantischen Ocean
gelegen, unterliegt es meteorischen Bedingungen , welche im Verein
mit der traurigen Bodenbeschaffenheit das Land fast unbewohnbar
machen.
Schon a priori konnte man sagen, dass ein so continentales,
mitten in einer ungeheuren Wüste südlich vom Wendekreise gelegenes
Land, sehr hohe Tagestemperaturen, verhältnissmässig niedrige Nacht-
temperaturen und eine sehr trockene Luft, also sehr spärlichen Regcn-
fall haben müsse. Ich habe sowohl zu Tao, als auch zu ßardai,
während der Monate Juli und August regelmässige meteorologische
Beobachtungen angestellt, welche freilich nur kurze Reihen aus-
machen und der ungünstigen lokalen Verhältnisse wegen nicht den
wünschenswerthen wissenschaftlichen Werth beanspruchen können.
Die Instrumente mussten entweder im Schatten der Felsen oder im
allseitlich zum Luftdurchtritte aufgeschlagenen Zelte aufgestellt werden.
Dieses, aus einer einfacher Lage Segeltuch bestehend, vermochte den
directen Einfluss der Sonnenstrahlen nicht genugsam abzuwehren,
und die Felsen gaben selbst dort, wo sie während des ganzen Tages
nicht von den Sonnenstrahlen getroffen wurden, durch die Rück-
strahlung der benachbarten felsigen LTmgebung und durch die eigene
Durchglühung ungünstige Beobachtungs- Bedingungen. Dies ist der
Grund für die Höhe der von mir in Tibesti beobachteten Tem-
peraturen.
Zu Tao betrug die höchste Temperatur vom 20. Juli bis zum
5. August, welche nach 2 Uhr Nachmittags beobachtet wurde, im
Durchschnitte in runder Zahl 40°, während die niedrigste, welche
um die Zeit des Sonnenaufgangs statthatte, durchschnittlich 27 0 zeigte.
Obgleich der Unterschied zwischen beiden schon 130 beträgt, so geht
doch die durch die Flntfernung des Meeres und die rege Ausstrahlung
des Wüstenbodens erwartete nächtliche Temperatur-Erniedrigung aus
diesen Zahlen nicht so klar hervor, als ich unter andern Verhält-
nissen in der Wüste beobachtet habe. Als wir später, Ende Sep-
tember, auf der fluchtartigen Rückreise nach Fezzän den Weg
zwischen dem Tümmo und Tedscherri zurücklegtcn, raubten uns
die niedrigen Nachttemperaturen noch das geringe Mass von Schlaf,
welches uns die spärlich zugemessene Zeit verhiess.
Der höchste beobachtete Unterschied zwischen dem feuchten
und trockenen Thermometer des August'schcn Psychrometers betrug
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METEOROLOGISCHE BEOBACHTUNGEN.
411
22° und als niedrigster wurden 5,4° registrirt. Die höchsten Unter-
schiede wurden durchschnittlich um 4 Uhr Nachmittags constatirt.
und die niedrigsten entweder Morgens kurz nach Sonnenaufgang
oder ausnahmsweise bei eintretendem Regen beobachtet. Das Hygro-
meter Saussure fiel bis zu 20, stieg aber auch bei regnigem Wetter
bis zu 78 seiner Kintheilung. Von Niederschlägen kam Thau nicht
zur Beobachtung, doch fehlte der Regen von der zweiten Hälfte des
Juli ab nicht.
Während uns Anfangs der Aufenthalt zwischen den durchgluhten
Felsen trotz des Schattens, den sie spendeten, fast unerträglich ge-
wesen war, trieb später der in den oberen Luftregionen ununter-
brochen herrschende, östliche Wind fast täglich dichte Regenwolken
über die Berge, wenn auch der lokale Wind oft aus westlicher Rich-
tung blies. Die Wolkcnansammlung hatte unmittelbar nach der
Tagesmitte statt; ihre Anhäufung geschah unter plötzlichen Wind-
stössen, die mich stets für meine Thermometer, deren ich auch
mehrere einbüsste, fürchten Hessen. Die Berg- und Felsenmassen
schienen dem westlichen Zuge der Wolken einige Schwierigkeiten
zu bereiten; in den meisten Fällen erfuhren sie in einer gewissen
Höhe eine Ablenkung nach Nord oder Süd. Wenn sie sich ganz
oder theil weise über uns entluden, so waren die Regen doch nie
reichlich genug, uns von unserem übel gewählten Lagerplatze zu
vertreiben. Dieselben haben in Tibesti nicht nöthig, mit tropischer
Fülle aufzutreten, um die Flussbetten zu füllen, denn es geht bei dem
Mangel an absorptionsfahigem Boden im Gebirge kein Tropfen verloren.
Die Felsen füllen ihre natürlichen Reservoirs und leiten den Rest
in die Flussbetten. War ich doch eines Morgens lebhaft erstaunt,
nach einem nächtlichen Regen, der uns nur wenig beunruhigt hatte,
das Rauschen der Fluthen zu vernehmen, welche E. Dausädo vor-
überwälzte. Freilich ist eine solche Erscheinung nicht von langer
Dauer, kommt aber in den verschiedenen Thälern gar nicht selten
zur Beobachtung und wird durch die Plötzlichkeit ihres Auftretens
oft gefährlich. Fast alljährlich geht eine Anzahl von Eseln, Schafen
und Ziegen bei allzuplötzlicher Füllung eines Flussbettes zu Grunde
und selbst Kamcele erliegen nicht selten diesem allzu reichen Segen
des Himmels.
Wenn auch die Niederschläge in verschiedenen Jahren ungleich
in Zahl und Wassermenge auftreten, so sind doch die absolut
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412 II. BÜCH, 6. KAP. TOPOGRAPHIE U. NATÜRL. BESCHAFFENHEIT TIBESTl’s.
regenlosen Jahre sehr selten. Die häufigste und massenhafteste
Wolkenbildung scheint im Monat August einzutreten , und diese
Coincidenz mit dem Höhepunkte der sommerlichen Sudan-Regen lässt
wohl annehmen, dass diese auch die Quelle für die Regenwolken
Tibesti’s sind.
Ocstlich vom Gebirge, zu Bardai, hatten wir während des Monats
August eine niedrigste Temperatur von 21 0 bis 230 gegen 6 Uhr
Morgens, und Mittags zwischen 12 und 2 Uhr stieg fast alltäglich
das Thermometer auf 40". Das Hygrometer bewegte sich zwischen
50 bis 70 seiner Scala, doch Regen fiel wider mein Erwarten nur
zwei oder drei Mal in Gestalt weniger Tropfen. Dies erschien mir
um so auffallender, als ich die täglich in Tao von Osten und Sud-
osten heranziehenden Regenwolkenmassen mit der grade im Sudan
herrschenden Regenzeit in Verbindung zu setzen geneigt war.
Der vorherrschende Wind war während der ganzen Zeit meiner
Tibesti-Reisc der Passat, der, wie erwähnt, selbst wenn lokale Be-
dingungen einen anderen Wind in den unteren Regionen erzeugten,
im Zuge der Wolken erkennbar war, wenn solche vorhanden waren.
Sein täglicher Entwicklungsgang war in den verschiedenen Gegenden
verschieden. Während vom südlichen Fezzän ab bis zu den Bergen
von Afäfi der Wind in grosser Regelmässigkeit mit der Sonne stieg
und fiel, folgte von Afäfi bis Udfii ein starker Nachtwind, der allmäh-
lich aus dem schwachen Tagwinde zu seiner Höhe anschwoll. So
lange wir uns dann am westlichen Russe der Central-Kette aufhielten,
zu Tao und Zuär, folgte die Stärke des Windes wieder der Sonne,
und östlich vom Gebirge, zu Bardai', zeichneten sich die Morgen
durch Windstille aus, während die grösste Stärke in die Zeit des
Sonnenunterganges und zuweilen in den ersten Theil der Nacht fiel.
Aussergewöhnliche Stände des Aneroids, das leider, wie erwähnt,
bei meinem Ucbergange über den Tarso seine Dienste versagte,
kamen mir nicht zur Beobachtung. Es erhielt sich bei der Regel-
mässigkeit der Winde mit unbedeutenden Schwankungen auf der
durch die Erhebung über dem Meeresspiegel bedingten Höhe. Ich
registrirte am Tage stets nur ein Maximum, welches mit wenigen
Ausnahmen vor 8 Uhr Morgens eintrat, und ein Minimum zwischen
2 und 3 Uhr Nachmittags. Das zweite Maximum schien nach 10 Uhr
Abends einzutreten, und über das zweite Minimum gestattete mir
meine Erschöpfung nicht, Beobachtungen anzustellen.
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ZUR FLORA TU’S.
413
Ohne die Regenfälle, welche in Folge der beträchtlichen und
ausgedehnten Bodenerhebungen häufiger sind, als in den niedrigeren
Kbenen der Sahara, würde in der That ein grosser Theil des jetzt
bewohnten Tibesti gänzlich öde sein. Die EH. Abo , Kjauno, Täo,
Zuär, Marmar, Arr, Auf, Hoü und ein grosser Theil des E. Joö und
Domar würden nicht bewohnt werden können, und nur die EH. OguT
und Maro, Gobön und Tägahan (oder Forschi) auf der Südwcst-
seite, und die EE. Bardai, Aözo, Jibi, Gurö, Uri, in denen Boden-
wasser die Gartencultur und Dattelzucht gestattet, auf der Nordost-
seite würden eine spärliche ständige Bevölkerung ernähren können.
Doch der in Folge des Regens ansehnliche Reichthum an Futter-
kräutern und Gräsern erleichtert die Viehzucht und ein beschränktes
Nomadenthum auch in den übrigen Thälcrn.
Von den Gräsern sind vorzüglich verbreitet in den Flussthälern
und andern sandigen Niederungen: das verästelte Knotengras Bu
Rukba ( Panicutn turgidum ) , das bei den Tedä Gümeschi heisst;
der Sebat (Aristida pungens) Mejoku ted. , der Nissi (Aristida
plumosa) Mali ted. , und ein Hüscheigras (Imperata cylindrica),
das bei den Arabern Dis heisst, und dessen Tedä- Namen ich nicht
in Erfahrung bringen konnte. In den nördlichsten Bezirken giebt
cs Rischu (Calligonum comosum), und in den südlichsten soll das
im Sudan und den ihm benachbarten Steppen so häufige Akresch-
Gras (Vilfa spie ata?) Abu Säbe arab. unter dem Namen Ontul, und
endlich Kreb arab. (Eragrostis) unter der Bezeichnung Deger Vor-
kommen. Von den beliebtesten Kameelfutterkräutern finden sich
Aqül (Alhagi manniferutn oder Maurorum) — Lakör ted. — und
Häd ( Cornulaca monaeantha ) — Dzüri oder Dschüri ted. - in
grosser Menge.
Ueberall in den Thälern und Schluchten gedeiht die Senna
(Cassia obirvata) — Haschischa arab. und Tuggomodi ted. — , welche
früher sogar ein Ausfuhrprodukt Tibesti's bildete. In den sandigen
Niederungen der Ebene wuchert die Coloipiinthe — Handal arab. und
Aber ted. — . Auf dem Kussi-Berge wird die Artemisia herba-alba
— Sch iah arab. und Odiisir ted. — - gefunden.
Von grösseren Sträuchcrn macht sich überall in den wüsten Ge-
genden der Etel (Tamarix) unter dem Namen Döso und die Sueda
(Suaeda), Seger genannt, bemerkbar, und hier und da findet sich der
March (Leptadenia pyrotechnica) — Kizzen ted. — . In den Fluss-
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414 II. BUCH, 6. KAP. TOPOGRAPHIE U. NATI'RL. BESCHAFFENHEIT TIBESTl’S.
thälern gedeiht der Siwäk (Salvadora persica) — • Ojü ted. — , der
Oschar (Calotropis proccra) — Säno ted. — und der Tundub ( Capparis
Sodada) — Kussomo ted. — . Von den ansehnlicheren Räumen habe
ich zu der oft erwähnten Sajälakazie — Tefi ted. — und dem Qarad
(Acacia nilotica ) — Gobor ted. — noch zwei andere Akazien, Edden
und Here, hinzuzufügen und den vereinzelt vorkommenden und eben-
falls bereits erwähnten Serrah ( Mnerita) — Arken ted. — aufzu-
führen. Here hat von den dortigen Akazien die meisten Blüthen
und das beste Gummi, und wird, wie der Edderi, nach Art des
Qarad zum Gerben benutzt. Die Dümpalme (Hyphacne thebaica)
— Sobu ted. — und der Hedschlidsch oder Seifenbaum (Balanites
aegyptiaca) — Alo ted. — haben unter diesem Meridian hier ihre
Nord grenze.
Wenn manche von diesen Gewächsen, welche die Natur den
Teda spendet, schon einen erheblichen Beitrag zu ihrer Ernährung
liefern, wie die Coloquinthe, der Siwäk, die Dümpalme, so erzeugt die
menschliche Arbeit in den Thälern, welche die Gartencultur erlauben,
auch etwas Getreide, das den generellen Namen Bede führt. Weizen,
den ich nur mit dem arabischen Namen Qanuih bezeichnen hörte,
Duchn (Penicillaria), der Qasab oder Annere genannt wird, und
Durra (Sorghum vulgare ), welche Huntülu oder mit ebenfalls fremd-
ländischem Namen Ngäfoli heisst und als wcissc — Huntfilu tschu
und als rothe — H. mädo — vorkommt, werden in spärlicher
Menge in den Gartenfeldern — Wöno ted. — gebaut. Bohnen
Gälo — , Gurken — Kokküs — , Melonen — Bambus — , Wasser-
melonen — Olü — , Kürbisse — Sägädu — , Flaschenkürbisse — WuT — ,
Erdmandeln — Ngangäla — , Baumwolle — Kulkutton — , Karäsu
( Hibiscus cannabinus), Bämia und Melöchia — Kobbelu — sind zwar
bekannt, doch ihre fast alle aus der Kanürisprachc übernommenen
Namen sprechen für ihre Seltenheit und ihren südänischen Ursprung.
Nur die Namen für Wassermelone und für den Flaschenkürbis ge-
hören der Tedä-Sprache ausschliesslich an.
Die grosse Rolle, welche die Dattelpalme — Tinni ted. — in
der Oeconomie der Einwohner Tibesti's spielt, obgleich sie keines-
wegs auch nur annähernd in solcher Menge und Güte, wie in Fezzän,
vorkommt, habe ich bereits mehrfach zu erwähnen Gelegenheit
gehabt.
Andere Fruchtbäume, wie wir sie vereinzelt in Fezzäner Gärten
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ZUR FAUNA Tü’s.
415
kennen gelernt haben, z. B. der Granatapfelbaum, der Feigenbaum
u. s. w., und die Weinrebe werden von den Tedä nicht kultivirt.
Werfen wir einen Blick auf die Thierwelt Tibesti’s, so finden wir
zunächst an Hausthieren — Rezzi pl. Rezze — das Kamcel — Güni
pl. Gönä oder Ai pl. Aä — , das Schaf — Irömo pl. Iroä — , den
Ksel — Armi pl. Armä — , den Hund — Kidi pl. Kide — , die Katze
— Ngäm — und das Huhn - Köki oder Kokoia.
Den Reichthum der Tedä an Kameelcn fand ich bei weitem
nicht so gross, als ich nach der Schilderung der Leute Fezzän's er-
wartet hatte. Wenn die auf diese Thiere angewiesenen arabischen
Nomaden ihre Kamcclheerdcn nach Hunderten zählen, können die
Tedä nur nach Zehnern rechnen. Die Kinwohner Abo s und Domar s
Südliche« und nördliche» Kaniccl.
scheinen deren noch am meisten zu besitzen, obwohl man sich sehr
hüten muss, auf Grund der Berichte von Hingeborenen in dieser Be-
ziehung Angaben zu machen. Jedenfalls besitzt Bardai, ein sonst
verhältnissmässig so reich ausgestattetes Thal, die geringste Anzahl
dieser Thiere, und alle übrigen Thaler sind in nur mässigem Grade
mit ihnen versehen. Wenn ihre Zahl demnach in Tibcsti keine be-
sonders grosse ist, so befriedigen sie hingegen desto mehr durch ihre
Qualität. Die Tubu züchten mit den Leuten von Ennedi die besten
Kameclc von allen Stämmen im östlichen Theilc der grossen Wüste,
und zwar gehören die ihrigen derjenigen Varietät an, welche der mitt-
leren und südlichen Sahara überhaupt eigen ist, und welche sich auf
den ersten Blick von dem nördlichen Kameele, das man das arabische
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41G II. «ICH, 6. KAP. TOPOC.RAPHIF. r. NA TI RI.. BESCHAFFENHEIT TIBESTl’S.
nennen könnte, unterscheidet. Dieses, mit verhältnissmässig kurzen,
stämmigen Gliedmassen, plumperem Körper, dickerem und niedriger
getragenem Kopfe und Halse und zottigem Haar, scheint von Natur
mehr zum Lasttragen bestimmt; jenes der Tuärik, Tedä und Bae le-
ist hochbeiniger, schlanker, kurz- und glatthaariger, trägt seinen
schlankeren Hals und kleineren Kopf mit einer gewissen Leichtigkeit
und weist durch seinen ganzen Bau entschieden mehr auf die Schnel-
ligkeit der Locomotion hin, als auf das Tragen schwerer Lasten.
Es ist bewunderungswürdig, mit welcher Sicherheit und Leichtigkeit
diese Thiere in ihren heimathlichen Bergen herumklettern, und nicht
Schaf der Tedi,
übertrieben, wenn der Scheich et-Tünisi sagt, dass die Tubu sic wie
Pferde zu dressiren verstehen. Freilich hatte ich später Gelegenheit,
einzusehen, dass dieselben doch in der Züchtung von Reitkamcclen
erheblich hinter den Tuärik und einzelnen Stämmen der arabischen
Wüste zurückstehen. Die Tubu-Kameele werden nicht durch einen
Zugel gelenkt, der ihren schlaffen Nasenflügel einerseits durchbohrt,
wie dies bei vielen Stämmen Sitte ist, sondern durch eine Halfter mit
eiserner Klammer, welche der Nase aufliegt. Wenn es unmöglich
ist, ihnen mit nordischen Kameelen zu folgen, besonders auf Fels-
boden und in den Bergen, so sind diese dagegen meist stärker und
in der Ebene bei gleicher Nahrung ausdauernder.
Ausser den Kameelen besitzen die Tedä zur Arbeit noch gute,
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ZUR FAUNA Tü’s.
417
starke Es?l , welche bei der nicht übergrossen Anzahl der ersteren
sehr nothwendig, für die Leute einzelner Gegenden, wie z. B. des
E. Bard.'ii, gradezu unentbehrlich sind.
Ihre Hauptludfsquelle besteht in grossen Hecrden von Ziegen,
die, zwischen den Felsen herumkletternd, stets Nahrung genug für
ihre bescheidenen Ansprüche finden. Sie sind klein, kräftig, glatt-
und kurzhaarig und meist dunkelfarbig. — Seltener und viel ge-
schätzter sind die Schafe, die sich sehr wesentlich von denen an-
derer Länder unterscheiden. Das Fettschwanzschaf der Küsten-
länder ist in Tibesti unbekannt; alle daselbst vorkommenden haben
jenen langgestreckten Hals, die hohen Beine, den langen dünnen
Schwanz, der fast auf die Erde reicht, und das prächtige, lange,
schwarze, glänzende Haar anstatt der Wolle, die ich schon wieder-
holt erwähnt habe. Ein Fell dieser Thierc genügt allenfalls zu einem
Wintermantel oder Teppich für einen erwachsenen Menschen und
ist unter dem Namen Derei oder Delei bekannt. Leider sind diese
edlen Tliicre keineswegs häufig, und nur die östlichen Thälcr, BardaY,
Aözo, Jibi, Gurö, Uri und die Abhänge des Enii Kussi scheinen
einen gewissen Ueberfluss an ihnen zu haben.
Die Hunde Tus gehören der in Fezzän vorkommenden Art
unvollkommener Windhunde an, und ihre mangelhafte Rasse und
schlechte Ernährung scheinen ihrer Bestimmung, Gazellen, Antilopen
und Straussc zu jagen, wenig zu entsprechen. Sie sind spärlich vor-
handen, doch immer noch häufiger als die Katze, deren der Bornü-
Sprache entlehnte Name Ngäm schon allein flir ihre Seltenheit zeugt.
Das Huhn findet sich ebenfalls nur ganz vereinzelt und führt
einen mit der entsprechenden Bornü-Bezeichnung identischen Namen
— Köki oder Kokoia.
Das Pferd — Aski ted. — soll früher in Tibesti öfters vor-
gekommen sein, ist jetzt vielleicht in einzelnen Exemplaren im E.
Domar vorhanden, war aber sicherlich zu keiner Zeit ein häufiges
Hausthier der Tubu. Wahrscheinlich ist, dass das Rind — Für
einstmals diesen Landschaften eigentümlich war, wie auch durch
die von mir gefundenen Steinzeichnungen des E. Udeno wahrschein-
lich gemacht wird. Jetzt giebt es wohl kaum ein Stück Rindvieh
im Lande, wenn nicht etwa die südöstlichen Thäler es zufällig einmal
aus Borkü, Wanjanga oder Enncdi cinführen.
Von wilden Thieren — Käküi fehlen die reissenden bis auf
Nachtigal. I. »7
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418 lt. BUCH, 6. KAP. TOPOGRAPHIE U. NATÜRI.. BESCHAFFENHEIT TIBESTl’s.
die Hyäne gänzlich. Diese kommt in drei Arten vor: die gefleckte
Molöhur , die gestreifte - Turdi — und eine grössere dunkel-
und einfarbige Zigir — , welche keine lebenden Thiere angreift,
sondern nur vom Aas lebt Der Schakal — Turko, pl. Turkä — ist
in den östlichen Thälern so zahlreich vertreten, wie nur irgendwo, und
nicht selten stösst man auf die Spuren des kleinert Fenek oder Wüsten-
fuchses, welcher den mit dem entsprechenden Ausdruck in der Bornü-
Sprache — Kölegg — gleichen Namen — Külükü oder KflekT — führt.
Die felsigen Ufer der Flussthäler bevölkert der beschriebene
Pavian ( Cynocephalus Babuin) - Dunku — , unbehelligt von den Ein-
wohnern, denen es als eine grosse Schande gilt, diesem „verzauberten
Menschen” Leid zuzufügen oder ihn im Hause zu halten.
Jagdbar sind einige Antilopen, das Mähnenschaf oder Wadän (Ovis
tragelaphus ), der kleine Wüstenhase - Tschomar oder Tjomar — und
dergl. Von den ersteren ist ausser der Gazelle Udeno — die eben-
falls bereits erwähnte Antilopa leucoryx Bü Raqaba oder Baqar el-
Wahschi arab. und Turui Zöde ted. vertreten. Man benutzt ihr
mächtiges Fell im Lande zur Fabrikation von Schilden und verarbeitet
die in ihrem Dickendurchmesser besonders entwickelte Nackenhaut in
benachbarten Gegenden, in denen Schuhe getragen werden, wie in
Fezzän, zu Sohlen. Häufiger als das Thier der Ebene ist der Wadän
mit seinen mächtigen Hörnern und seiner zottigen Halsmähne,
welcher die Bezeichnung Mischi führt. Mit ihm bewohnt die Felsen
in grösster Zahl der Klippschliefer (Hyrax), dort von den Arabern
nicht Keko, wie im nubischen und sudanischen Egypten, oder Wabr,
wie in den nördlicheren cgvptischen Provinzen, sondern Tcis el-Had-
schar, vgn den Teda aber Adegobo genannt, und erfüllt die Einsamkeit
der Nächte mit seinem schrillen Gekläff. Das äusserlich wenigstens
durchaus schwanzlose Thierchen wird selten getödtet, obgleich sein
Fleisch nicht unbeliebt ist, da es bei seiner Wachsamkeit und Ge-
wandtheit in den schwer zugänglichen Felsen nicht leicht zu erlegen
ist. Obwohl es an den glattwandigstcn , steilsten Felsen mit Leich-
tigkeit cmporklcttert und dadurch leicht entrinnt, so versäumt es des-
wegen doch keineswegs, seine grossen gemeinsamen Niederlassungen
durch sorgfältig organisirten Wachdienst zu sichern. Seine aromatisch
riechenden Excremente haben bei den Tubu einen grossen Ruf in
gewissen geschlechtlichen Krankheiten, gegen die man sie gröblich
zerstossen in Wasser einnimmt.
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ZUR FAUNA TU *S.
4t!)
Die grosse Varaneidechse — Degontöno — , welche bei den
Arabern als Urol bekannt ist, und kleine Wüsten- und Mauereidechsen
sind häufig. Das Chamäleon — Kazunku — kommt zuweilen zur
Beobachtung, und Schlangen — Drenu , von denen es giftige und
harmlose giebt, sowie Scorpionc — Etti fehlen nicht. Von den
giftigen Schlangen sind hauptsächlich zwei Vipern — Auso gefürch-
tet, von denen ich »eine, die Hornviper, mehrfach gesehen habe.
Von Vögeln — Kebri — erwähne ich neben dem sparsam
vorkommenden Huhn das Perlhuhn — Koki Kadschi — , das in
einigen bevorzugten Thälern Tibesti's gesehen wird, und die Tauben,
welche unter dem generellen Namen Aiberi oder Eberi die Turtel-
taube — Kutkurro , die zahme Haustaube, eine kleine, zierliche
graue Taube mit zwei schwarzen Ringen um den Hals und eine
grössere, wilde Taube umfassen. Am häufigsten von allen Vögeln
sind in Tibesti der Aasgeier — - Zinki — , und der Wüstenrabc -
Wowei — , denen das Land ebenfalls nur spärliche Existenzbedin-
gungen zu bieten vermag.
Der Strauss Kjedo oder Tschedo — , welcher früher in der
ganzen Wüste verbreitet gewesen zu sein scheint, wird in Tibesti
offenbar ebenfalls schon selten. Ich erblickte zwar zuweilen seine
mächtigen , charakteristischen Spuren im Sande der Thäler, doch
nur einige wenige Male sah ich ihn selbst. In der relativ üppigen
Vegetation der Elussbetten hängt der Webervögel seine Nester auf, und
einige kleine Singvögel beleben die einsame, schweigende Gegend.
Für die Entwicklung der Insekten sind Boden und Klima noch
ungünstiger, als für die der höher organisirten Thiere. Zwar existirt
die Fliege — Sideno — , die Biene — Sideno Edschimfi (d. h. die Honig-
fliege) — , die Mücke — Inteki — , die Heuschrecke — Gomsfcu — , die
Bremse — Du — , die Kameelzecke — Mataso — , die Talha-Wanzc
— Karmi Tefi — , die Kleiderlaus — Mäsko — , die Ameise — Ed-
schingßri — und selbst die Termite Tschono — , doch vervielfältigen
sich diese Thierchen nicht derartig, dass sie lästig würden. Die vielen
Unterarten der Ameisen des Sudan existiren in Tu noch nicht, und
ein Name umfasst sie alle; die Termite erreicht in Tibesti ihre Nord-
grenze. Der Floh fehlt auch hier, wie in Fezzän, und die Spinnen
sind spärlich vertreten.
27»
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Siebentes Kapitel.
DIE TEDÄ.
Die Tubu-Familie. — Tedä und Däza. — Der Name Tubu. — Tu, Tedälu und Tedl. —
Historisches Dunkel. — Eigenartigkeit und politische Unabhängigkeit der Tedä. —
Physische Eigentümlichkeiten. — Hautfärbung. — Die im Sfldän Übliche Farben-
scala. — Gesichtsbildung. — Andere physische Eigentümlichkeiten. — Klimatische
Verhältnisse und allgemeiner Gesundheitsstand. — Vorkommende Krankheiten. —
Medicinische und chirurgische Heilmittel. — Geistige lind moralische Eigenschaften.
— Sociale Ordnung. — Politische Verfassung. — Fürst, Edelleute und gemeines
Volk. — Geringe Bedeutung des Dardai. — Stellung der Schmiede. — Der Isläm
bei den Tedl — Todtenliestattung. — Ehe. — Gercchtigkcitspflege und Familien-
beziehungen. — Namensänderung der Männer. Kleidung, Haartracht und Schmuck-
gegenstände der Frauen. — Tätowirung. — Die Sitte des Li täm -Tragens. — Tech-
nische Fertigkeiten. — Handel und Verkehr. — Wertmesser. — Die einzelnen
Stämme der Tedä. — Die nordwestlichen und südöstlichen Tedä. — Bevölkerungsziffer.
Die Hartnäckigkeit, mit der sich die östliche Sahara bisher den
Forschungen der Reisenden entzogen hat, das Dunkel, in welches
Abstammung und Geschichte ihrer Bewohner, welche zum grossen
Theile nächste Verwandte der Leute von Tu sind, bis jetzt gehüllt
blieben, der kulturgeschichtliche Zusammenhang derselben mit den
Bornü-Leuten oder Kanüri, den Heinrich Barths Einblick in die
Sprachen beider und die Geschichte Bornü's beweisen, geben dem
Studium von Land und Leuten dieser Gegenden ein besonderes Inter-
esse. Die Beleuchtung der ethnographischen Stellung der ganzen
Völkerfamilie, zu der die Tedä gehören, kann freilich erst vorge-
nommen werden nach vorhergegangener Kenntnis« auch der übrigen
Abtheilungen, und ich muss mich vorläufig darauf beschränken, die
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DIK TCBU-FAMILIE.
421
Einwohner von Tibesti allein zum Gegenstände der Betrachtung zu
machen. Erst wenn dem Leser im Verläufe der Reiscbeschrcibung
die Einwohner von Kawär, die derselben Familie angchörendcn
Stämme in Bornü und Känem, die Leute von Borkü und dem Bahär
el Ghazäl vorgeführt sein werden, ist eine Erörterung der ihnen zu-
kommenden Stellung in der Gruppirung der Völker am Platze.
Ich habe bereits erwähnt, dass die Leute von Tu sich Tedä
nennen und früher eine grössere Verbreitung in der Wüste hatten,
als in der Gegenwart. Jetzt haben sich diejenigen, welche früher
Kufara bewohnten, nach dem Osten Tibesti’s zurückgezogen, und
ihre Colonisten in Fezzan sind spärlicher geworden. Dafür finden
sich aber viele dem Lande Tu angehörige Stammabtheilungen süd-
lich von der grossen Wüste in Bornü und Känem, und die Auswan-
derung dorthin scheint sich allmählich und für Viele erst in jüngster
Zeit vollzogen zu haben. Auf der Bornü - Strasse hingegen sind
Kawär und einige diesem Ländchen nahcgelegenc kleinere Oasen
seit manchen Jahrhunderten von Tedä bewohnt.
Die Bewohner des Nachbarländchcns Borkü werden von ihnen
unterschieden und führen den Namen Amä Borkü, d. h. Leute von
Borkü; ebenso diejenigen des Bahär el-Ghazäl, welche sich grossen-
thcils Däzä nennen. Trotz der Verschiedenheit der Namen jedoch
kennen Alle sehr wohl ihre Zusammengehörigkeit, die ausserdem
durch eine gemeinsame, wenn auch in zwei Dialecte getrennte
Sprache bewiesen wird. Entsprechend diesen beiden Dialcctcn kann
man füglich die ganze Familie, für welche die Abtheilungen derselben
selbst keine Collectivbezeichnung haben, in Tedä (Bewohner von Tu
und Kawär) und in Däzä (Bewohner von Borkü, dem Bahär el-Ghazäl
und Känem) eintheilen. Die Araber nennen jene Tubu und diese
Qor'än, umfassen aber, je nachdem dieselben im nördlichen Theilc
der Wüste oder im Südän wohnen, auch wohl Beide mit jeder dieser
Bezeichnungen, obgleich wenigstens der Name Tubu logisch nur
den Bewohnern Tibesti’s zukommt. Trotzdem werde ich mich im
Verlaufe meines Reiseberichtes ebenfalls dieses Ausdruckes be-
dienen, wenn von sämmtlichen Abtheilungen der Nation die Rede
ist, da man einen zusammenfassenden Namen nicht gut entbehren
kann, und der in Rede stehende dort, von wo uns die erste Kunde
über diese Völkerschaft wurde, also in Tripolitanien und Fczzän, im
allgemeinen Sinne gebraucht wird.
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422
II. BUCH, 7. KAPITEL. IMF. TEDA.
Dieser Name muss folgerichtig „Tubu" geschrieben werden, wie
auch der Imam Ahmed, ein Bornii- Historiker des 16. Jahrhunderts,
und der tunisischc Reisende Mohammed Ibn 'Omar zu Anfänge
dieses Jahrhunderts gethan haben, denn das Wort zeigt eine kanü-
rische Pluralbildung, deren Kern Tu, der einheimische Name für
Tibesti, ist. Die Endung ,,bu" ist in der Bomü- Sprache — Manna
Kanüri gleichbedeutend mit „Leute ", und ihre Einzahl heisst „ma ",
wie z. B. Kanem-ma den Mann von Künem und Känem-bu die Leute
von Känem bedeutet. Das Wort Tu-ma für den einzelnen Bewohner
von Tu existirt freilich auch in Bomü nicht; doch immerhin muss
die Schreibweise „Tubu” anstatt „Tibu" als die allein etymologisch
richtige bezeichnet werden. Bis jetzt hat fast jeder Reisende mit
seinem Gehör das Wort als „Tibu” aufgefasst; so schrieben die eng-
lischen Reisenden Lyon, Denham etc., so die deutschen, wie Horne-
mann, Vogel, von Beurmann und Rohlfs, und so ich selbst, so lange
ich nur der Auffassung meines Gehörs folgte. Uebrigens kommen
beide Worte bei einer kurzen Aussprache der ersten Silben einander
ganz nahe. Will man „Tebu” mit einem stummen „e” aussprechen,
wie Fresnel es thut, so fällt der Laut des Wortes mit dem jener
beiden ebenfalls fast zusammen. Nur dass Barth eine Zeitlang
„Tebu mit einem gedehnten „e" gesprochen wissen wollte, war ein
entschiedener Irrthum, von dem er übrigens später, wie seine central-
afrikanischen Vocabularien beweisen, ebenso zurückkam, als von dem
Plural „Tcda” anstatt „Tedä" oder, wie man zur Erleichterung einer
richtigen Aussprache vielleicht noch besser schreiben sollte, Teddä.
Die Einzahl von Tedä sollte nach der mödi Tedä, der Sprache
des Landes, „Tede” lauten, und es ist sehr merkwürdig, dass die
Einwohner diese Form niemals ohne Hinzufügung des Wortes Tu
bilden, so dass ein einzelner Einwohner von Tibesti nur „Tedetu”
heisst. Dieser Ausdruck, der wörtlich einen der Tedä des Landes
Tu bedeutet, ist der einzige Beweis dafür, dass das Wort Tedä
ursprünglich noch andere Abtheilungen dieser Familie mit umfasste,
während dies jetzt, wie erwähnt, entschieden nicht der Fall ist. Anstatt
Tede-tu hört man bisweilen auch Tede-emi, ein Beweis, dass ursprüng-
lich das Wort tu, welches jetzt aus der gewöhnlichen Sprache ver-
schwunden zu sein scheint, dieselbe Bedeutung mit emi hatte,
welches die gewöhnliche Bezeichnung für Berg oder Fels ist. Beide
Ausdrücke sind der beste Beweis für die Berechtigung der Araber,
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BEDEUTUNG DER NAMEN TU UND TEP.A. 423
die Einwohner Tibesti's „Tubu Rcschäde", d. h. Felscn-Tubu (von
Reschäd, Stein oder Kcls) zu nennen.
Die Geschichte erwähnt, wie schon oben gesagt, das Land und
seine Bewohner niemals ausdrücklich. Während der Kern des
Reiches der Garamanten die römische Provinz l’hazania bildete,
kannte man die südlichen Nachbarstämme derselben nur unter der
allgemeinen Bezeichnung der Acthiopicr. Unter ihnen werden von
Herodot als den Garamanten nahewohnend troglodytische Stämme
aufgeführt, deren Schilderung durchaus auf die heutigen Bewohner
Tu’s passt, welche noch jetzt vielfach die natürlichen Höhlungen
ihrer Felsen bewohnen, weit und breit wegen ihrer Gewandtheit
und Schnellfussigkcit berühmt sind, und deren Sprache ausserhalb
der Grenzen ihrer Wohnsitze wenig bekannt ist.
Wahrend Herodot die Garamanten, indem er sie mit den Am-
moniern und den Bewohnern von Audsclula aufzählt, an die Libyer
reiht, trennt er jene Troglodylen schon dadurch von dieser Gruppe,
dass er sie als Aethiopicr bezeichnet. Wären dieselben mit den
Garamanten eines Stammes gewesen, so würden diese schwerlich
ihre schnellfussigen Vettern als eine so untergeordnete Völkerschaft
betrathtet haben, dass sie dieselben gewohnheitsgemäss nach
libyscher Sitte mit Viergespannen jagten, wie Herodot berichtet,
und dieser Geschichtsforscher hätte nicht von ihrer Sprache sagen
können, dass sie von keiner der umwohnenden Völkerschaften ver-
standen wurde. Selbst wenn die scharfsinnige Vennuthung Barth s
richtig wäre , dass „Phazania", der alte Name für Fezzän eigentlich
„©adania" gelautet habe und „Land der Tedä” bedeute, so würde
ich deshalb noch nicht geneigt sein, beide Völkerschaften zu iden-
tificiren, sondern nur der Vermuthung Raum geben, dass die ursprüng-
lichen Sitze der Garamanten etwas nördlicher lagen.
Als das Reich der Garamanten sich unter römischem Einflüsse
ausdehnte, geschah dies naturgemäss längs bekannter Strassen nach
Süden. Schon frühzeitig vermittelten sie den Verkehr zwischen
Nordküste und Sudan, und ohne Zweifel auf den noch jetzt üblichen
Strassen nach Bornü und den Haussa Staaten , und durch sie gelang
es den Römern, nach Süden in die Landschaften der Aethiopier vor-
zudringen. Doch auf diesen Zügen, welche sich nicht auf die öst-
lichen Landschaften der Wüste und nicht bis jenseits der Sahfträ
ausgedehnt, sondern im Lande Air (Ahir) geendigt zu haben scheinen,
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424 II. BUCH, 7. KAPITEL. DIE TEDA.
wurde Nichts von dem so charakteristischen l'elsenlande Tibesti be-
kannt. Auch später, als die Macht der Garamanten sich über einen
grossen Theil der östlichen Wüste bis zum Sudan erstreckt haben
soll, werden dieselben sich wohl darauf beschrankt haben, sich die
nächste Strasse dorthin, welche über Kawär führt, zu sichern, und
höchstens die übrigen Wüstenstämme in ein lockeres Abhängigkeits-
verhältniss zu bringen. So erklärt es sich auch, dass weder Ptoleinäus,
noch die arabischen Schriftsteller, welche aus späterer Zeit von einem
ebenso ausgedehnten Reiche der Zoghäwa oder Zaghä berichten, die
Tcdä besonders erwähnen, sei es in namentlicher Aufführung, sei es
durch eine charakteristische Schilderung.
Von der ganzen Blüthe des Garamantenreiches, das wahrschein-
lich erst gänzlich zerfiel, als die Eroberung der afrikanischen Nord-
küste durch den Islam höher civilisirte Stämme nach Süden vorschob
und die Völkerverhältnisse der Wüste allmählich änderte, wissen wir
so gut als Nichts. Auch sein Zerfall scheint sich ohne grosse Um-
wälzungen vollzogen zu haben: Beweis dafür, dass seine Macht nie
eine bedeutende, sein innerer Zusammenhang stets ein lockerer war.
Wenn man später im Lauf der Jahrhunderte Tcdä erwähnt hat, so
ist dies in der Geschichte Bornu s und in der Neuzeit bei den Ereig-
nissen in Fezzän geschehen und hat dies diejenigen Abtheilungen der
Nation betroffen, welche in Känem, Kawär oder Fezzan wohnten,
niemals den Stamm, welcher ein Gemeinwesen im Lande Tu bildete.
Es war dies natürlich, denn der letztere unterhielt nur spärliche Be-
ziehungen zu den Nachbarstämmen und war kaum jemals irgend
einem anderen Volke gänzlich unterworfen, ebenso wenig den Gara-
manten und Zoghäwa, als später dem seine Macht nach Norden aus-
dehnenden Bornü-Reiche und endlich dem selbständigen oder tripoli-
tanischcn Fczzän.
Die schwierige Natur ihrer Heimath hielt sie einestheils vom
Verkehr mit der Ausscnwelt ab, und sicherte ihnen andcrcntheils
ihre Unabhängigkeit. Die Armuth des Landes konnte kein gcwalt-
thätiges Nachbarvolk reizen; Hunger und Durst drohte jedem Fremd-
ling in ihm; die Einwohner hielten ihren einzigen, für die Wüsten-
stämme begehrenswerthen Schatz, die Kamcele, in möglichst schwer
zugänglichen Thälern verborgen und versteckten sich selbst mit
ihrem Kleinvieh auf und zwischen den Felsen. Da war kein ge-
schlossenes Dorf zu überfallen und keine Aussicht auf Menschen- und
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ABGESCHLOSSENHKIT LND EIGENARTIGKEIT DER TEDÄ.
425
Vichbeute, wohl aber drohte in den engen Thälern und Schluchten
dem Eindringling Tod und Verderben aus den sicheren Verstecken
der Einwohner. Nur da, wo die vom Gebirge sich senkenden Fluss-
thäler die Ebene erreichen und gesuchte Weideplätze bilden, in
deren Nähe vereinzelte Felsgruppen Wasscrvorrath bergen und
nöthigenfalls einen Versteck abgeben, wurden wohl zuweilen Kameel-
heerden und Frauen, Kinder und Sclavcn geraubt; aber, wie gesagt,
eine dauernde, thatsächliche Abhängigkeit von einem andern Lande
hat wohl Tibesti trotz der kleinen Zahl und der Ohnmacht seiner
Bewohner niemals empfunden.
Dies musste ihre Eigenartigkeit sichern. Dazu kam, dass sie
an keiner grossen Handelsstrasse wohnten, wie ihre Brüder von
Kawär denn der Verkehr Tripolitanien’s mit Wadai datirt erst
aus der neuesten Zeit , dass sie keine l’roducte ihres Landes zu
verwerthen hatten und sich also nur schwer Sclavinnen aus dem
Sudan verschaffen konnten. Aus sich heraus vermochten sie bei den
geringen Hülfsquellen des Landes und der unglaublichen Spärlichkeit
der Bewohner keine socialen Fortschritte zu machen; eine fremde
Civilisation aber trat nicht an sie heran. So blieben sie zum grossen
Theile, wie sie im Alterthume waren, während die verwandten
Stämme fremden Einflüssen mehr unterlagen.
Während das benachbarte Fezzän dem Beobachter eine bunte,
ini Einzelnen schwer zu entwirrende Mischbevölkerung darbictet,
tritt uns in Tibesti eine durchaus homogene Fänwohncrschaft ent-
gegen. Daselbst kann wohl ein einzelner Mann aus Borkü oder
Kawär wohnen — und auch das ist von grosser Seltenheit — , doch
in ganz Tu ist kein Araber oder Tank} oder freier Bornü-Mann an-
gesiedelt; Jeder ist ein Tedetu, Alle sind Tedä. Wenn sie auch der
individuellen Unterschiede nicht entbehren, so geben ihnen doch die
wesentlichen, selten fehlenden, physischen und psychischen Eigen-
schaften, die ich im Verlaufe des Reiseberichtes geschildert habe,
und die ich zur Abrundung des Bildes noch einmal kurz zusammen-
fasse, ein charakteristisches Gepräge.
Wenn auch einzelne grosse Leute unter den Tedä nicht fehlen,
so sind doch die kleinen häufiger; ihr Durchschnitt ist von be-
scheidener Mittelgrösse. Ihr Körper ist ausserordentlich wohlpropor-
tionirt und zierlich; ihre Hände und Füssc meist noch zarter und
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426
II. BUCH, 7. KAPITEL. DIE TEDA.
kleiner; als die mittelgros.se Gestalt zum harmonischen Gesammtbilde
erfordern würde. Ihre grosse Magerkeit fallt daher nicht unangenehm
auf, sondern bringt njjr den Eindruck elastischer Leichtigkeit und
Beweglichkeit hervor. In der That scheint durch den gänzlichen
Fettmangel die Entwicklung ihrer Waden- und Oberarm-Muskeln so
kümmerlich, dass der Fremdling staunt, wenn er trotz dieser an-
scheinenden Schwäche ihre Kraft und Ausdauer in körperlichen
Uebungen zu beobachten Gelegenheit hat. Ihre Magerkeit ist die
Folge des Klimas und der Lebensweise, welcher sie gezwungen
huldigen. Die trockene Wüsten- und stärkende Bergluft mit ihrer
lebhaften Verdunstung und ihrem beschleunigten Stoffwechsel, die
Rastlosigkeit, mit der die Tedä im steten Kampfe um das
Dasein, in unübertroffener Beweglichkeit die wüsten Strecken ihrer
heimathlichen Lande durchziehen, und endlich die mangelhafte Er-
nährung, der sie trotz ihrer Anstrengungen doch nur theilhaftig
werden, erklären jene hinlänglich. Ich habe oben zu schildern ver-
sucht, wie der Hunger während eines grossen Theils des Jahres ihr
Begleiter ist; wie dann die zur Ernährung herbeigezogenen Fruchte
der Dumpalme oder der Salvadora pcrsica ihre Existenz nur mühsam
fristen, und wie spärlich ihnen in der günstigsten Jahreszeit der die
Fettbildung begünstigende Genuss stärkemehlhaltiger Nahrungsmittel
zugemessen ist.
Ich habe erzählt, dass ihre körperliche Gewandtheit im Laufen und
Springen noch jetzt ebenso sprichwörtlich ist, wie sic es im Alterthum
war; dass ihre Widerstandsfähigkeit gegen Ermüdung, Hunger und
Durst unübertroffen bleibt. Bei einem Mundvorrathe, welcher einem
Europäer zum Durchmachen einer Hungerkur nicht spärlicher zuge-
messen werden würde, marschirt der Tedetu noch zehn bis zwölf
Stunden neben seinem schnellschreitenden Kameele mit einer schweben-
den Leichtigkeit einher, die ihm allen Anschein der Schwäche und
Ermüdung nimmt. Es ist merkwürdig, wie die Leute bei einer solcher»
gewohnheitsmässigen und gezwungenen Enthaltsamkeit sich bei einer
günstigen Gelegenheit zu schmarotzen einer Unmässigkeit ohne LJn-
bequemlichkeit für ihren Körper hingeben können. Hierin scheinen
sie ihren Wüstennachbarn, den Tuärik, denen sie durch ähnliche
klimatische Bedingungen, in körperlicher Ausdauer und Entbehrungs-
fähigkeit überhaupt nahe stehen, sehr zu gleichen. Doch muss man
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PHYSISCHE EICENTHÜMLICHKE1TEN.
427
sagen, dass, abgesehen von den seltenen Gelegenheiten zu solchen
Excessen, ihre Gesetze des Anstandes das unmässige Essen strenger
verurtheilen, als die Sitten der benachbarten Völker cs thun. Auch
die Araber sind massig, doch scheuen sie bei günstiger, d. h. kosten-
freier, Gelegenheit nicht, sich der grössten Unmässigkeit hinzugeben,
und die Neger suchen sogar vielfach Etwas in einer gewissen Gc-
frässigkeit.
Die Verschiedenheiten, welche die Teda in der Hautfarbung
darbieten, sind ziemlich bedeutend, obgleich darüber kein Zweifel
sein kann, dass sie durchschnittlich um ein Erhebliches heller sind,
als die Bewohner des Sudan. Die Araber, welche im Sudan leben
oder doch von der Nordküste dorthin reisen, bedienen sich einer Scala
der Hautfarbe - Nuancen , welche mit der Zeit in jenen Ländern eine
gewisse allgemeine Gültigkeit erworben hat. Es ist so schwer, die
verschiedenen Abstufungen in der Hautfärbung treffend zu bezeichnen
und bei den allmählichen Ucbergängen von einer zur andern aus-
einander zu halten, und der Eindruck von Earbenerscheinungen auf
den Beobachter ist ein individuell so verschiedener, dass es schwer
ist, gewisse Nüancen in einer für Alle sicher verständlichen Weise
zu bezeichnen. Welche zahllosen Farbentöne und Abstufungen fallen
nicht unter die Bezeichnungen „chocoladenbraun ", ,,cafc-au-lait-farbig",
„kupferfarbig'" und „broncefarbig ", welche wir in den Beschreibungen
der Reisenden und anderer Beobachter finden! Dazu kommt, dass
bei denselben Individuen die verschiedenen Körpcrtheile verschieden
gefärbt erscheinen, dass die Hautfarbe der Hände von der des Ge-
sichtes, und diese von der des Rumpfes häufig abweicht, wobei die
Vielen unerwartete Thatsache zu constatiren ist, dass in den meisten
Fällen die dem Lichte und der Luft ausgesetzten Körpertheile einen
helleren Ton haben, als die vorwaltend bedeckten.
Die Araber und Sudaner bedienen sich in Mitten dieser grossen
Farben -Mannichfaltigkeit, welche von der Färbung der nördlichen
Araber bis zu dem tiefen Schwarz, das bei einigen Negerstämmen vor-
waltet, alle Abstufungen umfasst, ihrer Scala mit grosser Sicherheit,
wobei sie ausschliesslich die Gesichtsfärbung in Betracht ziehen. Da
ich mich im Laufe dieses Reiseberichtes öfters auf diese Scala beziehen
werde, so gebe ich dieselbe hier und hoffe, dass man sie verständ-
licher finden wird, als jene von dem verdienten Cailliaud bei der
Besprechung der Sennär- Bewohner gegebene, welche eine so harte
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42«
II. BUCH, 7. KAPITEL. DIE TEllA.
Kritik von Seiten Rob. Hartmann’s*) erfahren und allerdings manches
Unverständliche hat.
Man unterscheidet also an Hautfarbungen in einem grossen Theile
der östlichen Sahara und im Sudan:
1. Abjad (d. h. vveiss), Farbe der Europäer und mancher Städte-
bewohner der Nordküste.
2. Ahmar (d. h. roth), vorvvaltende Farbe der Araber und Berber.
3. Asfar (d. h. gelb), einer hellen Broncefarbe entsprechend, bei
manchen Araber- und Berber-Stämmen vorwaltend.
4. Asmar (d. h. braun), dunkle Kupferfarbe, vielen Wüstenbewoh-
nern und sudanischen Arabern gemischten Blutes eigen.
5. Achdar (d. h. grün), sehr dunkle Broncefarbe , bei manchen
Wüstenbewohnern, vielen Negern und manchen sudanischen
Arabern unreiner Abkunft vorkommend.
6. Azreq (d. h. grau), vorwaltcnde Farbe der Nigritier.
7. Assuad (d. h. schwarz), individuell häufig, als Stammesfarbe
selten bei den Nigritiern.
Zu dieser auf den ersten Blick zum Theil sonderbaren Nomen-
clatur ist zu bemerken, was in noch höherem Masse von der
Cailliaud'schen gilt und dieselbe einigermassen erklärt, dass die
Farbenbezeichnungen in der arabischen Umgangssprache und in
den sudanischen Idiomen für verschiedene Gegenden einen ver-
schiedenen Werth haben. So unterliegen besonders die Bezeich-
nungen Achdar und Azreq einer mannichfachen Bedeutung im
Arabischen. Jenes umfasst vielfach neben dem Grün das Blau, und
in Tunis bezeichnet man die Farbe der Rappen, die nicht grade
tief schwarz sind , mit diesem Worte. Azreq bedeutet eigentlich
„blaue Augen habend", also blau; doch während man in Tunis in
der That dieses Eigenschaftswort auf den wolkenlosen Himmel an-
wendet, wird es in vielen Gegenden für alle Abstufungen des Grau
bis zum Schwarz gebraucht. Die Benutzung dieser Eintheilung wird
bei den nicht-arabischen Südän-Bewohncrn, welche sich der arabischen
Sprache häufig bedienen, noch dadurch complicirt, dass in den ihnen
eigcnthümlichen Idiomen eine fast noch grössere Verwirrung in den
Farbenbezeichnungen herrscht. Die meisten nicht-arabischen Stämme
und Völker der östlichen Wüste und des Sudan haben z. B. für das
*) Die Nigritier, anthropologisch -ethnologische Monographie von Dr. Robert llart-
ntann. Berlin 1876.
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HAUTFÄRBUNC.
429
Grün der Vegetation und für das Blau des Himmels, obgleich ihre
Augen die Verschiedenheit beider Farben sehr wohl aufzufassen ver-
mögen, nur eine Bezeichnung, und die meisten Individuen der in
Rede stehenden Gegenden sind beim Anblick von Quitten- oder
Safran-Gelb in Verlegenheit, ob sie dieselben als Grün oder als Roth
bezeichnen sollen.
Trotz dieser Schwierigkeiten und Unsicherheiten sah ich doch
selten Jemand in Zweifel darüber, welcher Kategorie ein Individuum
zuzuweisen sei, und allmählich fand ich die Einthcilung, deren Rubrik-
grenzen natürlich keine festen sein können, in der Ermanglung einer
allgemein angenommenen Farben-Tafel, welche einen sicheren Anhalt
bietet und eine directe Vergleichung ermöglicht, recht praktisch.
Der Beobachter bemerkt bei wiederholten Versuchen, sich dieser Scala
zu bedienen, bald, dass die zwischen Ahmar und Azreq liegenden
Farbenstufen zwei verschiedenen Reihen angehüren, von denen die
eine nach unserer Auffassung einen mehr röthlichen, die andere
einen mehr gelblichen Ton hat. Asfar und Asmar können unter
Umständen dieselbe Intensität haben, doch jenes fällt in die gelbliche,
dieses in die röthliche Reihe. Auch Asmar und Achdar können die-
selbe Dunkelheit zeigen; doch das Achdar gehört der gelblichen
Reihe an. Die Farbe Azreq wird eigentlich als das Endglied der
röthlichen Reihe betrachtet.
Bei den Tedä finden sich die beiden ersten Kategorien dieser
Scala (Weiss und Roth) durchaus nicht, und die letzte (Schwarz) ist sehr
selten. Grau kommt ebenfalls nur in der Minderheit vor, doch Grün
und Gelb sind häufig, und zwischen beiden bewegt sich in lebhafter
Intensitäts- Verschiedenheit die Ilautfarbung der Leute Tu's, welche
demnach in die gelbliche Reihe fallen würde. So lange europäische
Reisende die Repräsentanten der Tedä vorzugsweise in Kawar beob-
achteten, war man geneigt, eine Hautfarbe als vorwaltend anzunehmen,
welche derjenigen der Bewohner von Bornü an Dunkelheit gleichkam,
wenif sie dieselbe nicht übertraf. In dem letztem Lande nämlich
hat sich in der herrschenden Familie des Kanüri- Stammes, die selbst
zu einem ansehnlichen Stamme hcrangewachsen ist, viel Blut der
von Norden gekommenen Einwanderer, welche einst Reich und
Dynastie gründeten, erhalten, und die Fremden bcurthciltcn nach
der Farbe dieser diejenige der Allgemeinheit. In Kawär dagegen
haben Jahrhunderte hindurch Bornü-Colonien, die zum grössten Theile
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II. BUCH, 7. KAPITEL. DIE TEDÄ.
aus Sclaven -Elementen gebildet waren, geblüht und sich allmählich
mit den Tedä gemischt. Die Leichtigkeit für die Kawär-Leute, aus
ihrer auf der grossen Bornu- Strasse gelegenen Oase in den Sudan
zu gelangen, oder doch Sclaven und Sclavinnen von den passirenden
Karawanen einzutauschen, hatte dieser Mischung noch besonderen
Vorschub geleistet, und jetzt sind dieselben gewiss nicht mehr geeignet,
eine richtige Idee von der den echten Tedä zukommenden oder bei
ihnen vorwaltenden Hautfarbe zu geben.
Ich muss gestehen , dass ich früher, ehe ich eine ausgedehntere
Bekanntschaft mit den Nigritiern gemacht hatte, ein viel höheres
Gewicht auf diese hellere Hautfarbe legte, als ich ihr jetzt bei-
messen kann. Dieselbe frappirtc mich damals, wo ich aus den
Sudan - Ländern fast nur die aus den südlichen Heiden -Ländern
stammenden und nach Norden ausgeführten Sclaven kannte, ganz
besonders. Als ich aber später in Bornu, Känem und Wadäi sah, wie
gross der Unterschied in der Hautfarbe bei den als Neger zusammen-
gefassten Innerafrikanern ist, sowohl zwischen den einzelnen Stäm-
men als auch zwischen den Individuen desselben Stammes, als ich
sah, wie zahlreiche und allmähliche Abstufungen und Artverschieden-
heiten in dieser Hinsicht Vorkommen, und constatirte, dass die süd-
lichen Tubu im Allgemeinen dunkler gefärbt sind als die nörd-
lichen, verlor für mich dieser Unterschied an Werth in der Argu-
mentation.
Aehnlich verhält es sich mit der Kopf- und Gesichtsbildung,
obgleich die individuellen Unterschiede hierin bei den Tedä innerhalb
engerer Grenzen bleiben, und ihr Durchschnitt sie entschiedener von
den meisten Nigritiern trennt, als die hellere Hautfarbe. Ohne über
die Schädelbildung der Tubu-Stamme im Verhältniss zu derjenigen
der Nigritier urtheilen zu können, da nur sorgfältige Messungen
in dieser Beziehung wirklichen Werth beanspruchen können, und
diese zu machen mir nicht vergönnt war, so ist es vorzüglich der
Grad von Prognathismus, die Stellung der Jochbeine, die Bildung
von Nase und Mund, welche, als leichter in die Augen fallend, vor-
züglich in Betracht kommen. Zwar begegnet man auch bei den
Tedä Beispielen vorspringender Backenknochen, wulstiger Lippen,
plattgedrückter Nasen, und auf der andern Seite bleiben zahllose
Individuen von Negerstämmen und selbst ganze Stämme, an deren
Negercharakter Niemand gczweifclt hat, sehr fern von dem Bilde,
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OESICHTSBILDUNO.
431
das man in Europa noch immer zu sehr als Negertypus festhält; doch
im Ganzen und Grossen stehen die Tedä unzweifelhaft höher, als die
südlich von der grossen Wüste lebenden Völkerschaften. Man darf
hier wieder ebensowenig ihre in Kawär oder Bomü lebenden Ver-
treter zur Gewinnung eines Urtheils vorzugsweise in Betracht ziehen,
als man von den Nigritiern nur diejenigen zur Vergleichung nehmen
darf, welche als Sclaven nach Norden gelangten. Auch die in den
Steppen von Känem und nördlich von Wadäi lebenden Glieder der
Tubu- Familie darf man nicht allein bei der Schlussfolgerung zum
Grunde legen, sondern muss vor Allem die in ihrer Eigenartigkeit reiner
erhaltenen Tedä betrachten. Bei diesen waltet in der Körperbildung
eben so sehr die schlanke, zierliche Form vor, als bei den ihnen
nahewohnenden Nigritiern das Massige, Plumpe die Herrschaft hat.
Die Nasen sind meist grade, wenn auch nicht eben lang; doch wenn
ich Stumpfnasen genug sah, so fehlten auch die Nasen mit leicht
aquiliner Krümmung nicht ganz. Der Mund ist im Durchschnitt
massig, sowohl in Grösse, als in Lippenbildung, das ganze Antlitz
von ovaler Form; kurz, die Züge würden* in ihrer vorwaltenden
Regelmässigkeit und Zierlichkeit, wenn auch begreiflicher Weise nicht
Alle hübsche Leute sind, gefällig und einnehmend genannt werden
können, wenn der Ausdruck etwas Freundliches und Offenes an sich
hätte, und nicht ein finsterer, argwöhnischer, falscher Blick den
ersten günstigen Eindruck sofort wieder verwischte. Sowohl in der
Hautfärbung, als in der Regelmässigkeit der Gesichtsbildung dürften
die Tedä sich den Tuärik nähern, wenn auch die letzteren in beiden
Beziehungen den Vorzug haben mögen.
Dass die Frauen derselben Vortheile eines schlanken Wuchses,
zierlicher Hände und Füssc, ovaler Gesichtsbildung und regelmässiger
Züge gemessen, habe ich ebenfalls früher beschrieben, und dass
diese Eigenschaften durch die jenen eigenthümliche stolze, freie und
elegante Haltung in jugendlichem Alter sehr zur Geltung kommen,
ist begreiflich. Im frühen jungfräulichen Alter sind die Tedä-
Mädchen reizende Erscheinungen, doch bald entfernt die Magerkeit,
welche sie ebenfalls mit den Männern gemein haben, ihre Formen
allzusehr von plastischer Rundung. Mangel an Fettbildung lässt
frühzeitig den, kurze Zeit hindurch schön geformten Busen als eine
leere Hautfalte erscheinen, die aber, da jener nie voluminös war,
wenigstens nicht tief hcrabhängt. Diese Magerkeit im Verein mit
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II. BUCH, 7. KAPITF.I.. DIE TEDA.
einem wohlgeformten Hecken giebt ihnen freilich in unseren Augen
auch einen Vorzug vor den Frauen vieler Sudan -Stamme, deren
mächtiges, fettreiches Gesäss bei der häufig starken Neigung des
Beckens nach unserem Geschmacke widerwärtig vorspringt, wenn
dasselbe auch freilich für die Inhaberinnen selbst ein Gegenstand des
Stolzes und der Koketterie ist. Doch im Uebrigen ist der Fett-
mangel der Tibesti- Schönen sicherlich ein Hauptgrund, warum ich
sie weniger hübsch fand, als die Männer. Bei aller Zierlichkeit be-
kommen dadurch ihre Gliedmassen etwas Dürres und Sehniges, bei
aller Eleganz ihre Bewegungen etwas Eckiges und Männliches, bei
aller Formenschönheit der einzelnen Gesichtstheile ihre Züge etwas
Scharfes und Hartes, wie es mit unseren Begriffen von weiblicher
Schönheit und Anmuth unvereinbar ist. Teda-Frauen und -Mädchen,
die in einem geeigneteren Klima durch ein zweckmässiges Fett-
polster ihren zierlichen Gliedern die wünschcnswerthc Rundung, ihren
wohlgeformten Zügen eine gewisse Weichheit hinzugefügt hatten,
wie man sie in Bornü oder Känem findet, haben mir später viel
besser gefallen. Ich will freilich nicht läugnen, dass ich möglicher-
weise bei den unglücklichen Verhältnissen , unter denen ich mich in
Tibesti aufhielt, bei der schlechten Behandlung, deren ich mich so-
gar von Seiten des zarten Geschlechts zu erfreuen hatte, gegen
meinen Willen ungerecht gegen die physischen Vorzüge desselben
geworden bin.
Das Haar der Teda ist etwas weniger kurz und verfilzt, als das
der meisten Neger; doch es ist glanzlos und noch weit entfernt von
der Länge und Schlichtheit desjenigen, welches die nach Peschei
sogenannten mittelländischen Völker charakterisirt. Auch ihr Bart-
wuchs ist noch spärlich; demselben wird übrigens, soweit die Natur
ihn gespendet hat, ungehindertes Wachsthum gestattet.
Bei dem gesunden Klima, der abgeschlossenen Lage des Landes,
und ihrer massigen Lebensweise, unterliegen die Organismen der
Teda nur geringfügigen Störungen; es giebt wenig Krankheiten und
Kranke. Zunächst verleihen diejenigen Eigenschaften des Landes,
welche den Bewohnern übrigens so harte Entbehrungen auferlegen,
nämlich die felsige oder sandige Beschaffenheit des Bodens und die
Seltenheit des Regens und Bodenwassers, eine fast vollständige Ga-
rantie gegen das Malariagift, das in heissen Ländern sonst das haupt-
sächlichste, ursächliche Moment der Erkrankungen darstellt. Auch
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GESUNDHEITLICHE VERHÄLTNISSE.
433
die Seltenheit oder relative Abwesenheit der typhusähnlichen Fieber,
des Guineawurms, des Bandwurms, lepröser Zustände, der acuten
Leberkrankheiten , der Dysenterie dürften diesen günstigen Verhält-
nissen grösstentheils ihren Ursprung verdanken. In heissen Ländern
gilt die für Reisende beherzigenswerthe Thatsache, dass Sand- oder
Felsboden und hohe Lage auch salubre Lebensbedingungen mit
sich bringen, und dass geringe Erhebung über den Meeresspiegel
und Wasserreichthum des Bodens viele Krankheiten erzeugen und
besonders den Fremden verderblich sind. Wenn auch die Wüste im
Allgemeinen durch ihre Regenarmuth den höchsten Anforderungen
in dieser Richtung entspricht, so haben wir doch bei Gelegenheit der
Besprechung von Murzuq gesehen, welchen Grad von Insalubrität
stehendes Wasser selbst in der Wüste zu erzeugen vermag.
Meine Erfahrungen über die in Tibesti herrschenden und vor-
kommenden Krankheiten waren in Folge der ungünstigen Umstände,
welche meinen Aufenthalt daselbst zu einem relativ unfruchtbaren
machten, sehr spärlicher Natur, und eigene Beobachtungen mussten
meistens durch Erkundigungen ersetzt werden, welche, abgesehen
von dem Umstande, dass sie mir ebenfalls sehr erschwert wurden,
überhaupt immer unzureichend bleiben müssen.
Entsprechend den meteorischen und Bodenverhältnissen scheinen
chronische Rheumatismen der Muskeln und Gelenke die häufigst vor-
kommende Kategorie der Erkrankungen zu bilden; dann folgen die
katarrhalischen Entzündungen der Bindehaut des Auges und leichtere
Hornhaut- Affectionen , ferner Hautkrankheiten und endlich Krank-
heiten der Respirationsorgane. — Von den chronischen Hautkrank-
heiten beobachtete ich Schuppenausschläge (Psoriasis etc.) und
Bläschen- und Pustelausschläge (Ekzem etc.); von den Affectionen
der Luftwege chronische Katarrhe, Erweiterung der Lungenbläschen
(Emphysem) und chronische Verdichtungen, unter denen auch solche
der oberen Lungenpartieen , welche den Verdacht auf Tuberkulose
rechtfertigten, nicht ganz fehlten. Doch waren beide Klassen, so-
wohl die Krankheiten der Haut, als auch die der Athmungsorgane,
und besonders die letzteren, spärlich vertreten.
Die gezwungen massige Lebensweise und die Seltenheit schäd-
licher Nahrungs- und Genussmittel machen im Ganzen die Krank-
heiten der Verdauungsorganc selten. Bei herrlichem Trinkwasser,
Datteln, Milch und wenig Getreidenahrung leiden die Verdauungs-
Nachu^.il. I. 28
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434
II. BUCH, 7. KAPITF.t.. DIE TEDÄ.
organe nicht leicht. Sehr häufig consultirte man mich zwar wegen
des Mcrär (d. h. Galle), das eine Collectivbezeichnung für Verdauungs-
Storungen aller möglichen Art darstellt, doch geschah dies mehr
meinen Brechmitteln zu Liebe, als in Folge eines wirklichen Bedürf-
nisses, denn ich konnte selten auch nur einen Magenkatarrh con-
statiren. Nur eine schädliche Folge vorwaltender Dattelnahrung,
die Zahncaries, deren Häufigkeit in Fezzän schon erwähnt worden
ist, richtet auch in Tibesti unter den Backzähnen selbst junger
Leute arge Verwüstungen an. Dazu nimmt der Missbrauch des
Tabakkauens den erhaltenen Schneidezähnen, auch der Frauen, jene
blendende Weisse, welche Denham und Clapperton bei den Schönen
Kawär's im Gegensätze zu ihrer dunkeln Hautfärbung so sehr be-
wunderten.
Wichtiger für die Teda als Volk ist die relative Abwesenheit
der Syphilis, die auf so viele uncivilisirte oder halbcivilisirte Nationen,
welche von ihr heimgesucht werden, einen fast vernichtenden Einfluss
übt. Ich sah nicht allein keinen Fall dieser Krankheit iii Tibesti.
sondern man kannte dieselbe nach meiner Beschreibung nicht ein-
mal, und der Muräbid Bü Zeid und Mohammed el-Qatrüni, welche
vertraut mit ihrer Bedeutung und ihren Symptomen waren, versicherten
mir, dass es den Fezzänern wohl bekannt sei, dass Tu sich durchaus
frei von ihr gehalten habe. Die Abgeschlossenheit des Landes, die
geringe Zahl der Sclavinnen, welche die Teda besitzen, ihre natürliche
Enthaltsamkeit, die Ehrbarkeit der Frauen, die langen Reisen, welche
sie, selbst wenn sie im Sudan oder Fezzän inficirt waren, noch
machen müssen, um ihre Heimath wieder zu gewinnen: Alles dies
mag ihr Land bisher in seltenem Grade vor diesem Uebel bewahrt
haben.
Auch andere Dyskrasicn oder im Blute verlaufende, in der Ge-
sammtconstitution zum Ausdruck kommende Krankheiten scheinen
sehr selten zu sein; von Scrophulose und Rhachitismus war Nichts
zu entdecken.
Vor der Einschleppung von Epidemieen, wie solche in den Neger-
ländern oft die Bevölkerungen decimiren, schützt sic die abgeschlossene
Lage ihres Landes. Die Cholera-Epidemie, welche in den fünfziger
Jahren von Tripolis trotz der dazwischen liegenden wüsten Strecken nach
Fezzän gelangte und trotz der dünn gesäeten Bevölkerung zahlreiche
Opfer forderte, vermochte den Wüstengürtel, welcher ihren letzten
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KRANKHEITEN UND HEILMITTEL. 435
Schauplatz von Tibesti trennt, nicht zu überschreiten. Und selbst
die Pockcn-Epidemieen, welche so häufig im Sudan wüthen, und von
dort durch Sclavenkaravanen nach Norden gebracht werden, scheinen
selten bis nach Tu zu gelangen und dort bei dem Mangel an ge-
schlossenen Ortschaften jedenfalls schnell zu erlöschen.
Ohne Zweifel kommen die verschiedensten entzündlichen Krank-
heiten, acute Gelenkrheumatismen und daraus resultirende Herzkrank-
heiten, Brustfell- und Lungenentzündungen, Unterleibs- und Gehirn-
entzündungen, Blasen- und Nierenkrankheiten vor, doch sind sie
selten , und grade vor den verhängnisvollsten chronischen Krank-
heiten, welche das Leben des Menschen in heissen Ländern bedrohter
erscheinen lassen, als in den übrigen Zonen, sind die Tedä durch
die trockene Wüstenluft, den sterilen Charakter ihrer Landschaft, die
eigene Noth und ihre geringe Zahl geschützt.
Die therapeutischen Eingriffe sind fast noch einfacher, als die
nosologischen Verhältnisse. Wo die Leute Schmerzen haben, sei es
äusserlieh oder innerlich, appliciren sie das Glüheisen, oft mit bar-
barischer Energie. Selbst Hautausschläge beschränkter Ausdehnung
umkreisen sic zuerst mit dem beliebten Instrumente, und zerstören
sie dann auf dieselbe Weise. Flüssige Butter verwenden sic als eine
Art Universal -Mittel in innerem und äusserem Gebrauche, soweit
_ ihnen dieselbe bei ihrer Seltenheit und ihrem hohen Preise zugäng-
lich ist.
Von innerlichen Mitteln wenden sie mit grosser Vorliebe kohlen-
saures Natron an; seltener und nur in ernstlichen, hartnäckigen Fällen
die Coloquinthe und die Senna, obgleich sie beide im Ueberflusse
besitzen. Die Anwendung des Kohöl bei Augenentzündungen, und
der Hinnä in äusserem Gebrauche, nach dem Muster der Araber,
habe ich schon erwähnt; auch der Qarad findet wegen seines Gerbsäure-
gehaltes bei Diarrhöen Verwendung. Ueber den hohen Ruf der heissen
Quelle, deren sich das Land erfreut, gegen eine ganze Reihe chro-
nischer Krankheiten, habe ich meine Ermittelungen oben schon mit-
getheilt. Von vielen bei ihnen üblichen Heilmitteln habe ich ohne
Zweifel keine Kenntniss erhalten; doch ist die Vermuthung gerecht-
fertigt, dass ihre Therapeutik im Ganzen der in Fezzän üblichen
nahe steht.
Am meisten ausgebildet in der Heilmittellehre der Tedä ist
offenbar die Chirurgie, wie denn auch die in ihr Gebiet fallenden
28*
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II. BUCH, 7. KAPITEL. DIE TEDA.
Erkrankungen relativ häufig in Tibesti sind, zumal die in Folge der
häufigen Zänkereien vorkommenden Verletzungen. Haut- und Muskel-
wunden vereinigen sie durch Knopfnaht, oder häufiger durch die um-
schlungene Naht, bei der die Karlsbader Insektennadeln durch die
langen, spitzen und widerstandsfähigen Stacheln der Sajäl- Akazie
ersetzt werden. Bedeutendere Blutungen werden durch das Glüheisen
oder siedende Butter gestillt. — Bei Schädelfracturen untersuchen
sie die Hirnhäute, soweit die Wunde es erlaubt; sind dieselben un-
verletzt, so reseciren sie die aus ihrer Ebene gewichenen Knochen-
partieen; im andern Falle stellen sie tödtliche Prognose und enthalten
sich jeden gewaltsamen Eingriffs,
Die häufiger vorkommenden Verrenkungen wissen sie einzurichten
und einen leichten und wirksamen Schienenverband bei Knochen-
brüchen herzustellen; allzu spitze und aus der Lage gewichene Bruch-
enden reseciren sie dabei.
Schon in Tibesti endlich wird eine Operation als prophylaktisches
Mittel gegen mancherlei Krankheiten geübt, welche ich in allen von
mir besuchten mohammedanischen Negerländern allgemein gebräuch-
lich fand, die Amputation des Zäpfchens im kindlichen Alter.
Die Hauptbehandlung jedoch, welche wenigstens in inneren
Krankheiten grösseren Vertrauens bei den Tedä geniesst, als alle
genannten Medicamente und Eingriffe, besteht in dem Gebrauche
heiliger Sprüche, welche entweder in den beschriebenen Leder-
täschchen als Amulette getragen oder auf die Haut der Kranken
geschrieben oder endlich auf die Holztafeln der Elementarschüler
geschrieben, mit Wasser abgewaschen und in dem letzteren getrunken
werden.
Was das Geistesleben der Tedä betrifft, so sind sie ein aus-
gezeichnet veranlagtes Volk. Innerhalb des bescheidenen Gesichts-
kreises, in den die kümmerliche Natur ihres Landes und ihrer Verhält-
nisse sie bannt, haben sie ihre natürlichen Anlagen in einem hohen Grade
ausgebildet. Freilich, je bescheidener der Wirkungskreis des Menschen
ist, desto vollendeter wird dieser in demselben wirken, wenn seine
Existenz von ihm abhängt, und wenn gleichzeitig kein anderes Ziel
im Bereiche seiner Kenntniss oder seines Ehrgeizes ist. Die Noth ist
den Tedä eine energische Erzieherin und Bildnerin gewesen und hat
nicht blos ihre Sinnesorgane geschärft und ihren Charakter gestählt,
sondern auch ihr Urtheil gebildet und ihre Erfindungsgabe entwickelt.
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GEISTIGE EIGENSCHAFTEN.
437
Die unwirthlichc Heimath, von weiten Strecken der ödesten Wüste
umgeben, hat ihren topographischen Sinn zu einer für uns unbegreif-
lichen Vollendung entwickelt, so dass sie selbst die Wüstenaraber
weit hinter sich lassen. Immer unterwegs, um sich Existenzmittel
zu sichern, sei es in legaler, sei es in gewaltthätigcr Weise, müssen
sie ihr erstes Augenmerk darauf richten, die immensen räumlichen
Schwierigkeiten zu besiegen, welche ihnen von allen Seiten entgegen-
starren. Haben sic diese überwunden, so folgt die Erfüllung des eigent-
lichen Zweckes, und in dieser Richtung sind sie die überlegendsten,
listigsten und geschicktesten Kaufleute und Diebe geworden, welche die
dortige Welt kennt. Sie sind auch in dieser Richtung den Arabern und
nicht minder den mir bekannt gewordenen Negern überlegen. Sie
können in Tibesti natürlich kaum jemals dazu kommen, grosse Kauf-
leute im Sinne derer von Tripolis und Murzuq zu werden; ihre
Heimath und ihre beschränkten Mittel hindern sie daran. Doch
diejenigen, welche sich in Bornü angesiedelt haben, überragen bald
an Ausdehnung der Geschäfte und an Gewinn Eingeborene und Araber.
In der Heimath sind sie beständig beschäftigt, sich unter einander
den Rang abzulaufen und darüber nachzusinnen, wie sie über die
Durchschnittsstufe der dortigen Existenz, welche die der peinlichsten
Sorge und Noth ist, hinaus gelangen können. Ich habe bereits
erzählt, welchen Grad der Argumentationsschärfe, welchen Aufwand
von Schlauheit in ihren Angelegenheiten persönlichen Interesses,
welche Urtheilsfeinheit in den Discussionen ihrer öffentlichen An-
gelegenheiten sie entwickeln, und geschildert, wie die Frauen in dieser
Beziehung den Männern kaum nachstehen.
Leider haben dieselben Gründe, welche zur Entwicklung der
Intelligenz der Tedä beigetragen haben, auf ihr Gefühlsleben den
allertraurigsten Einfluss gehabt. Die Noth, welche sie erfinderisch in
den Mitteln zur Existenzgewinnung macht, lässt sie auch gewissenlos
in der Wahl derselben sein. Dass Leute, welche beständig am Noth-
wendigsten Mangel leiden, beständig von dem Wunsche verfolgt w erden,
einmal das Ueberflitssige zu gewinnen, ist wohl natürlich. Egoismus
und Gewinnsucht werden sie mit allen uncivilisirten Völkern, deren
Sitze stiefmütterlich von der Natur behandelt sind, theilen, doch
bestehen in dieser Hinsicht bedeutende Gradunterschiede. Sie lassen
sich in der That keine Gelegenheit entgehen, ihrem Vortheil zu
dienen; ihr ganzes Dichten und Trachten ist auf ihn gerichtet. Diesem
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438
II. BUCH, 7. KAPITEL. DIE TEDÄ.
Ziele gegenüber tritt das Gefühl gänzlich in den Hintergrund, so
dass schliesslich jeder Appell an ihr Herz, selbst wenn es sich nicht
gerade um das Aufgeben eines Vortheils, eines Besitzes handelt, für
sie unverständlich und ohne Widerhall bleibt.
Das Wettringen Aller nach dem kümmerlichen Besitz macht
den Einzelnen rücksichtslos, argwöhnisch und betrügerisch. Jeder
sucht den Andern zu schädigen, wenn er ihm im Wege steht, und
Alle stehen sich im Wege in jener Welt der Noth; man ist nicht
allein bestrebt, den Nächsten in relativ legitimer Weise zu über-
vortheilen, sondern sucht sein Mitringen nach dem Preise unmöglich
zu machen, oder ihn irgendwie des letzteren zu berauben. Zu diesem
Zwecke lügt, stiehlt und mordet der Tedetu, wenn es sein muss.
Darum sehen wir ihn die Gemeinschaft der Menschen fliehen und
versteckt in den Felsen seine einsame Hütte aufschlagen, sehen ihn
auf seinen Wüstenpfaden durch die Spuren eines Stammesgenossen
mit Besorgniss erfüllt werden und mit Vorliebe die heimliche Nacht
zur Ausführung seiner Pläne benutzen.
So lebt Jeder für sich, und jeder Gedanke an die Stammes-
genossen, jedes Gefühl für Volksleben, jedes Streben für Gemeinwohl
liegt ihm fern. Gemeinsame Gefahr von aussen her, oder gemeinsame
Raubzüge vereinigen die Leute, niemals gemeinschaftliche Arbeit
und harmloses Volksleben. Letzteres existirt kaum; der Ernst des
Lebens hat alle Harmlosigkeit von ihnen genommen. Wohl haben
sie auch bei ihren Festlichkeiten und bei den Zusammenkünften der
Jugend die Trommel, das Tambourin und die Pfeife Fezzan's, doch
die fröhlichen Gesichter fehlen, in denen bei solchen Gelegen-
heiten ihre Vettern von Kawär und noch mehr die Fezzäner und
Bornü-Leutc in harmloser Lust strahlen. Ihre Volksversammlungen
sind vielmehr Uebungsarenen sophistischer Argumentation und
schlauster Rechtsverdrehung und endigen wohl gar im blutigen
Streit.
Sie haben einen gewissen Hang zur Eitelkeit, zu äusserer Schau-
stellung, den frühere Reisende vielfach hervorgehrtben haben, und der
mir besonders lebendig entgegentrat in meinem Begleiter Kolokömi, als
er in Qatrim mit dem von mir entliehenen Tuchburnus bei 40° bis
50° C. einherstolzirte; doch gewinnt derselbe nie die Oberhand über
ihren praktischen Sinn. Meine Bücher und Instrumente, selbst Uhren
waren sicher vor ihrer Begehrlichkeit, ebenso wenig strebten sie
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MORA]. ISCHE EIGENSCHAFTEN. 439
nach meinen Schiessgewehren, sondern stets nach Gegenständen,
welche unmittelbare Verwerthung zuliesscn. Wenn mir der Herr
der Jerike eine Doppelflinte stahl, so geschah das mit dem bestimmten
Zwecke, seinen Bruder, welcher bei den Auläd Solimän in Känem
gefangen gehalten wurde, gegen dieselbe auszutauschen. Die rothen
Tuchburnusse, auf deren Besitz sie sehr stolz sind, verhandelten sie
trotzdem gegen Kamecle oder Schafe, und Spiegel und Essenzen
fanden nicht den Zuspruch, den ich von ihrer oft betonten Eitelkeit
erwartete.
Wenn so ein im Ganzen sehr unvortheilhaftes Bild vom Charakter
der Tedä zu Stande kommt, so muss man nicht ausser Acht lassen,
dass ich dieselben nur von ihrer hässlichsten Seite kennen zu lernen
Gelegenheit hatte, und dass diese persönlichen Erfahrungen, wenn
ich auch bestrebt war, ein möglichst objectiver Beobachter zu bleiben,
doch unwillkürlich zu einer allzu pessimistischen Auffassung Ver-
anlassung gegeben haben werden. Zur Milderung des Urtheils darf
man nicht vergessen, dass ein in Folge der isolirten Lage und der
beschrankten Lebensverhältnisse engherziger Patriotismus mich als
Landesfeind betrachtete, dass gleichwohl auch Beispiele von rein
menschlichem Wohlwollen gegen mich vorkamen, und dass endlich
zu ihrem ungefügen und treulosen Charakter auch Umstände bei-
tragen, an denen die Nachbarstämme die Schuld tragen. Ks muss
uns stets die Thatsache gegenwärtig bleiben, dass die unglücklichen
Einwohner Tibesti's seit jeher, sobald sie sich aus ihren Bergen her-
vorwagten, um ausserhalb derselben eine Verbesserung und Be-
reicherung ihres mühevollen und entbehrungsreichen Daseins zu
suchen, den Verfolgungen ihrer civilisirteren und mächtigeren Nach-
barn ausgesetzt waren. Friedlichen Verkehr unterhielten sie wenig
mit der Aussenwelt, und so wurden sie stets von den umwohnenden
Stämmen als Feinde betrachtet. Die hüifsquelienarmen Fürsten und
Gouverneurs von Fezzän berührten früher häufig die westliche Seite
der Berge Tu's, um Kameele, Frauen und Kinder auf den dortigen
Weideplätzen zu rauben, die Araber der grossen Syrte brandschatzen
das arme Land noch immer so viel als möglich auf ihren häufigen
Plünderzügen nach Borkü und Känem, und die kriegerischen Tuärik
verfolgen die Tedä seit Jahrhunderten, wo und wie sie können. Trieb
sie früher Hunger und Noth nach Fezzän, so waren sie rücksichtslos
den Uebervortheilungen und Erpressungen der Autoritäten und der
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II. BUCH, 7. KAPITEL. DIE TEDÄ.
sie verachtenden Araber Preis gegeben. Noch jetzt, wo sich allmählich
durch Blutvermischung ein rechtliches Verhältniss zu den Bewohnern
des Districtes von Qatrün herausgebildet hat, scheuen sic es sehr,
sich in der Hauptstadt Murzuq zu zeigen. Von allen Seiten verfolgt,
lernten sie natürlich ihre Nachbarn in gleicher Weise hassen und
jede Gelegenheit zur Rache benutzen, und wurden treulos, lügnerisch,
diebisch und verrätherisch. Damit hängt auch ihre bekannte Hart-
herzigkeit und selbst Grausamkeit gegen ihre Sclaven zusammen, von
der schon die Rede gewesen ist.
Der beste Beweis, dass die Tedä bei friedlicheren und harm-
loseren Beziehungen zu den Nachbarn und inmitten einer gesetz-
licheren Umgebung ihren Charakter wesentlich niodificircn würden,
liegt in der Thatsache, dass diejenigen von ihnen, welche das süd-
liche Fezzän bewohnen, sich nicht allein mit Leichtigkeit den dortigen
geregelten Zuständen fügen und sich gewöhnen, ehrlicher und wort-
fester zu sein, sondern dass sie sich nach längerem Aufenthalte
daselbst sogar schwer entschliessen, in ihre Hcimath zurückzukehren,
und endlich nur mit Furcht an die Gewaltthätigkeit und Treulosig-
keit ihrer Landsleute denken.
In Tu kann sich allerdings kein Sinn für öffentliche Ordnung
und Gesetzlichkeit entwickeln. Je mehr Jeder auf eigene Kraft und
Schlauheit angewiesen ist, desto mehr entwickelt sich sein Selbst-
gefühl, desto stolzer hält er an seiner mühsam eroberten socialen
Position fest. So hat sich ein hocharistokratischer Sinn entwickelt,
der ihrem politischen Verbände nur einen lockeren Zusammenhang
gestattet und die Macht der Häuptlinge auf das bescheidenste Mass
beschränkt. Tradition und Usus halten mühsam die einigenden Bande
aufrecht.
Die Tedä theilen sich in Edle — Maina — und Volk; an der
Spitze des Gemeinwesens stehen Fürsten — Dardai (pl. Dardeä) — ,
die für den Norden des Landes abwechselnd aus den Häuptlings-
familien derjenigen vier Zweige des Stammes der Tomäghera,
welche im Lande wohnen, hervorgehen. Eine wie geringe Macht-
entfaltung diese Würde mit sich bringt, hatte ich hinlängliche Ge-
legenheit, an dem geringen Einflüsse zu sehen, dessen ihr der-
zeitiger Inhaber Tafcrtemi genoss. Zwar haben einzelne Häupt-
linge, wie noch der Vorgänger des jetzigen, Namens Taherke, sich
grosser Autorität erfreut, doch war diese stets mehr in den persön-
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SOCIALE UND POLITISCHE ORDNUNG.
Ml
liehen Eigenschaften des Staatsoberhauptes als in seiner officiellen
Stellung begründet. Diese ist an sich weder sehr einflussreich noch
einträglich.
Der Dardai präsidirt der Versammlung der Edlen, welche alle
Fragen von öffentlichem Interesse ventilirt und entscheidet. Er wird
bei allen Vorkommnissen zu Rathe gezogen und hat das Recht, für
kriegerische Unternehmungen (Ghäzien) den mit ausgedehnter Gewalt
bekleideten Anführer zu ernennen. Bei der Frage, ob dieser oder
jener Kriegsz,ug unternommen werden soll oder nicht, ist seine Stimme
zwar von grossem Gewicht, doch nicht entscheidend, wie denn der-
gleichen Expeditionen auch gegen seinen Willen und seine Ansicht
zu Stande kommen. Noch weniger kann er irgend eine andere das
Gemeinwohl betreffende Frage • selbständig entscheiden. Seine Zu-
stimmung sucht man zwar zu Allem, handelt jedoch vorkommenden
F'alls auch ohne dieselbe nach freiem Ermessen. Er kann hingegen
in keinem Falle der Zustimmung der Versammlung der Edlen ent-
behren. Selbst die Rechtspflege ist kein seiner Stellung vorbehaltenes
Attribut.
Die materiellen Vortheile, welche dem Dardai aus seiner hervor-
ragenden Stellung erwachsen, sind, wie gesagt, sehr unbedeutend.
Bei seinem Regierungsantritt empfangt er als Nationalausstattung ein
Zelt, einen Teppich und einen tunisischen Tarbüsch mit dem wichtig-
sten Insigne eines Fürsten, dem Turban — in Tu und im Sudan mit
auffallender arabischer Benennung gewöhnlich Qodmüla genannt — ,
doch hat er weder auf eine Civilliste noch auf die Verwaltung von
Staatskassen — die Einwohner sind so glücklich, keine Steuern zu
z.ahlen — und Nationalgütern zu rechnen. Erwirbt er sich Nichts
durch eigene Thätigkeit, so kann er trotz seines hohen Amtes in
kläglicher Armuth verharren, wie wir es an Tafertemi gesehen haben.
In welche Abhängigkeit das Staatsoberhaupt durch eine solche
Armuth geräth, hatte ich hinlängliche Gelegenheit zu meinem Nach-
theile zu erfahren.
Als besondere Emolumente kommen dem Dardai nach alter
Sitte nur beträchtliche Antheile an den Abgaben der das Land
passirenden Karawanen und an der Kriegsbeute zu. Doch die
einzigen Karawanen der dortigen Gegend — diejenigen, welche
zwischen Fezzan und Wadäi reisen — haben seit lange eine Unter
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II. BUCH, 7. KAPITEL. DIE TEDA.
brcchung erfahren*), einzelne reisende Kaufleute, mit Ausnahme etwa
der Qatrüner, wagen sich nicht durch das wasser- und futterarme
Land der perfiden Tedä, und nennenswerthe Kriegsbeute wird selten
heimgebracht.
In früheren Zeiten stand an der Spitze der Tu-Leute eine grössere
Anzahl erblicher, qodnuila-berechtigter Häuptlinge, von denen jeder
einigermassen zahlreiche und al.te Stamm den seinigen hatte. Doch
im Norden des Landes hatten die beiden Stamme der Tomäghera
und Gunda ein derartiges Uebergewicht, dass es nur zwei gleich-
berechtigte, aus ihnen hervorgehende Häuptlinge gab. Dies dauerte
bis gegen die Mitte unseres Jahrhunderts. Neben dein Vorgänger
Tafertömi’s, dem erwähnten Darda'i Taherke, welcher dem ersteren
der beiden Stämme angehörte, fungirte noch der Chef der Gunda, ’AIi
Ben Sidi. Die Gunda nahmen darauf durch Auswanderung erheblich
an Zahl ab — wir werden den Resten ihrer Hauptabtheilung mit ihrem
Chef Kussüo Köremi, welcher der berechtigte Nachfolger Ali Ben
Sidi’s sein würde, im Verlaufe meiner Reisen begegnen — , so dass
man sich in Tu dahin einigte, den Tomäghera allein das Anrecht
auf die Qodmüla (gleichsam Krone) zu überlassen, während die Gunda
nur dadurch ausgezeichnet blieben, dass der jeweilige Chef ihrer im
Lande gebliebenen Abtheilung bei der Beutevertheilung und den
Durchgangszöllen den gleichen Antheil mit dem Darda'i bezieht.
Die Theile des Landes, in denen jetzt der Tomäghera -Häuptling
Geltung hat, sind die nördlichen Thäler, EE. Abo, Kjauno, Täo,
Zuär, Marmar und Jöö auf der Westseite, und die EE. Bardai und
Aözo im Nordosten des Landes. Die südlichen und südöstlichen
EE. Ogüi, Märo, Arr, Auf, Foü, Domar, Jibi, Gurö, Uri und die
Ortschaften des Emi Kussi unterliegen dem herrschenden Einflüsse
des Häuptlings der zahlreichen Anna (Arinda, Arna), welcher zur
Zeit meiner Anwesenheit im Lande Kodda hiess.
Das gemeine Volk hat keine Rechte, aber auch keine Pflichten.
Abgaben sind ihm unbekannt; doch ist trotzdem sein Loos bei der
Armuth des Landes kein beneidenswerthes. Wo nicht, wie im Eluss-
thal Bardai und einigen andern, Arbeit und Landbau in etwas blüht,
*) Tripolitanische Kaufleute haben diesen Weg seit dem Jahre 1873 wieder an-
genommen.
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SOCIALE UNO POLITISCHE ORDNUNG.
443
ist dasselbe fast ganz der Gnade der Edlen anheim gegeben, und
diese sind ebenso zahlreich als arm und habgierig. Da der Geburts-
adel allein Berechtigung verleiht, so werden die zahlreichen Stamm-
bruchtheile der Tedä, welche man irf Känem , Bornii und Ennedi
trifft, vorwaltend den Ueberschuss des rechtlosen, gemeinen Volkes
darstellen, welcher, zu zahlreich für die Hülfsquellen der Heimath,
sein Brod in der Kerne suchte. Nur so erklärt es sich, dass im
westlichen Theile des Landes, wo fast kein Landbau gedeihen kann,
jeder dritte Mensch ein Maina ist, freilich ein Edelmann in Lumpen
und von Hunger verzehrt, aber deswegen nicht minder stolz auf seine
edle Abkunft, nicht minder hochmuthig und anspruchsvoll. Um so
verständlicher wird dadurch die Ueberhebung, mit welcher die Halb-
nomaden der westlichen Thäler auf die Landarbeiter Bardafs herab-
sehen. In dieses Thal mit seinen Hülfsquellen für diejenigen, welche
arbeiten wollten, zog sich vorzugsweise das niedere Volk, und es ist
jetzt nicht allein die Arbeit, welche die Leute von Bardai schändet
mein vornehmer Beschützer Arümi schämte sich körperlicher
Arbeit keineswegs — , sondern ihre unedle Geburt.
Diese sociale Schichtung und politische Ordnung schliesst sich
den Zuständen an, die wir bei verschiedenen Gliedern der grossen
Berberfamilie finden, und sondert die Tedä entschieden von den
reinen Negervölkern, bei denen die absolute Herrschaft der Fürsten
ohne hemmendes aristokratisches Element die vorherrschende Staats-
form ist.
Aus dem Volke scheidet sich ein Element ab, dessen traurige
Ausnahme-Stellung bei vielen Stämmen Inner-Afrika s gefunden wird,
und das bei vielen Völkern eine gesonderte sociale Stellung einnimmt:
das der Schmiede. Wenn der Volksglaube in vielen civilisirten
Ländern an diese Profession noch jetzt sonderbare und geheimniss-
volle Eigenschaften (die sich nicht selten auch auf die Frau über-
tragen) knüpft, nachdem die Civilisation doch derselben längst zu voller
bürgerlicher Gleichberechtigung verholten hat, so unterscheidet sich
die Stellung des Schmiedes in Tu doch durch die Eigentümlichkeit,
dass man nicht sowohl ihm die Kcnntniss von Zaubertränken und
bösen Künsten zuschreibt (obgleich er darin ebenfalls erfahren ist),
als vielmehr ihn grenzenlos verachtet. Der Schmied — Haddäd arab.,
und Aze (pl. Azä) ted. — steht gewissermassen ausserhalb der bürger-
lichen Gesellschaft. Jemanden einen Schmied heissen ist eine Be-
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II. ULCH, 7. KAPITEL. DIE TEDA.
leidigung, welche nur mit Blut abgewaschen werden kann. Niemand
giebt seine Tochter einem Schmied zur Frau; Niemand lässt seinen
Sohn das Handwerk eines solchen erlernen; Niemand unterhält freund-
schaftliche Beziehungen zu diesem Paria. Das Handwerk vererbt
sich vom Vater auf den Sohn; die Verheirathungen der Kinder der
Schmiede geschehen nur innerhalb ihrer Familien, und so bleibt die
Kaste für sich, rein und unvermischt. Uebrigens spricht Manches
dafür, dass diese Verachtung noch mit einem andern Gefühle ge-
mischt ist. Es wird z. B. Niemand sich erlauben, einen Schmied zu
beleidigen, so tief auch die Verachtung ist, welche demselben anklebt;
gar die Waffen gegen ihn aufzuheben, gilt für eine schwer tilgbare
Schande. Die Sitte, in dem Schmied ein fremdartiges, recht- und
schutzloses Wesen zu sehen, ist sicherlich vorislamitischen Ursprungs,
obgleich die mohammedanischen Neger zahlreiche Legenden haben,
welche beweisen sollen, dass einst ein Schmied durch P'revel am
Glauben und Vcrrath am Propheten seinen ganzen Stand mit ewiger
Schande bedeckt habe; denn wir finden eine ähnliche sociale Aus-
nahmestellung der Schmiede sowohl bei heidnischen Völkern Afrika s,
als überhaupt in wenig civilisirten Ländern, und zwar auch in solchen,
in denen der Islam nie eine Rolle spielte, verbreitet, sei es, dass man
sie als weise Männer verehrt, sei es, dass man sic als böse Zauberer
fürchtet.
Dasjenige äussere Moment, das die ursprüngliche Natur der
Tedä am durchgreifendsten hätte umgestalten können, die moham-
medanische Religion, scheint erst in neuerer Zeit bei ihnen Eingang
gefunden zu haben. Das ist wenigstens die allgemeine Annahme
der umwohnenden Völkerschaften, obgleich keine Thatsachen, die
für eine bestimmte Epoche der Einführung des Islätn sprechen könnten,
bekannt sind. Die Tedä selbst, wie sie überhaupt ohne jeden Blick
in die Vergangenheit, ohne allen bewussten Zusammenhang mit den
Jahrhunderten ihrer Vorväter ausschliesslich der Gegenwart leben,
haben keinerlei Tradition über diese Frage. Man irrt sich sehr in
der Annahme, dass Mohammed’s Lehre keine tiefen Wurzeln bei
ihnen geschlagen habe, und dass sie deshalb vielleicht toleranter und
weniger abgeschlossen gegen Fremde sein möchten. Sie haben im
Gegentheil diejenige fanatische Hingabe an ihre Religion, welche
die ungelehrten Massen oft kennzeichnet. Ich habe die Erfahrung
gemacht, und gewiss Viele mit mir, dass, je gelehrter ein Moslim
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DER IST, AM IN TU.
44ö
ist, d. h. je besser er den Qorän und die Ueberliefcrungen des Pro-
pheten kennt, je kenntnissreicher er in der islamitischen Jurisprudenz,
und je bewanderter er in der arabischen Sprache und Literatur ist,
desto leichter der Umgang mit ihm wird. Nicht, dass er vorurteils-
frei und tolerant würde; aber es ist leichter, mit seinem Fanatismus
zu rechten und ein neutrales Gebiet zu finden.
Wenn die Araber mit Bezug auf die Tubu wohl sagen: „was
wissen diese Munde vom Glauben an Gott und seinen Propheten!? ,
so thun sie dies nur, um das Unrecht, mit dem sie dieselben ver-
folgen, zu beschönigen. Wahrlich, diese Leute wissen ungefähr grade
so viel davon, als sie selbst, nur mit dem Unterschiede vielleicht, dass
dieselben sich ihrer Unkenntniss mehr bewusst sind und das, was
ihnen ein Geheimniss blieb, mit um so grösserer Innigkeit verehren.
Freilich giebt es Viele unter ihnen, deren Kenntniss der vorge-
schriebenen Gebete mit „Allah akbar" anfangt und auch schon endigt,
doch dafür halten sic die Stunden des Gebetes pünktlich ein und
denken bei dem einfachen Allah akbar grade so viel oder so wenig,
als Manche, die in feierlich klingendem Tonfall nach allen Regeln der
Kunst zu beten verstehen und sich durch diese Kenntniss über Andere
erhaben glauben. Sie halten den Fastenmonat — Rhamadän — ein,
geniessen nur das Fleisch von Thieren, welche nach den Vorschriften
der Religion geschlachtet sind, und üben die Beschncidung — dieser
Act pflegt hinausgeschoben zu werden, bis die Knaben etwa 12 Jahre
alt sind — ; was können die übrigen Bekenner des -Islam, die sich
fast überall ausschliesslich an die Erfüllung der Formen halten, mehr
von den armen Felsenbewohnern verlangen? Genug, ich habe sie
als sehr eifrige Mohammedaner kennen gelernt — viel zu eifrig für
meine Wohlfahrt! — , denen die Geheimnisse ihrer Religion freilich
verschlossen waren, die aber grade deshalb um so stolzer waren, ihr
anzugehören. Der einzige Verstoss, den sich die Tedä gegen die
Vorschriften der Religion mit vollem Bewusstsein zu Schulden kom-
men lassen, ist der Genuss des berauschenden Laqbi, den freilich
selbst fromme und gelehrte Männer höher civilisirter Länder im
ungegohrenen Zustande für erlaubt halten.
Dass der religiöse Eifer der Tedä nicht erkalte, dafür sorgt die
religiöse Genossenschaft der Senüsija, deren ich bei der Besprechung
Fezzän's ausführlich gedacht habe, und die sich das Seelenheil der
Bewohner der östlichen Wüste vorzüglich angelegen sein lassen, um
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II. BUCH, 7. KAP1TEI-. DIE TEDÄ.
hier dem sinkenden Glauben frische Kräfte zuzuführen. Merkwürdiger
Weise haben diese fanatischen Sektirer kein religiöses Institut — Zäwia
in Tibcsti selbst errichtet, obgleich Bardai ein sehr geeignetes
Centrum zu diesem Zwecke sein würde, und obgleich die neubevölkerte
Oase Kufära und das kleine Wanjanga mit ihrer viel unbedeutenderen
Bevölkerung sich einer solchen erfreuen. Der Sitz des nächsten
Glaubenswächters dieser Genossenschaft ist die kleine Oase Wau am
äussersten östlichen Ende des Fezzänischcn Bezirkes Scherqija, und
von dort aus werden die Tedä geistig regiert. Eine solche Schürung
ihres Glaubens von aussen her ist vorläufig noch nothwendig, da aus
ihrer eigenen Mitte bis jetzt keine gelehrten und frommen Kirchen-
lichter, keine Säulen und Pfeiler des Islam hervorgegangen sind.
Mühsam erziehen sie in Fezzan einige bescheidene Gelehrte
Fakih pl. Fuqähä arab. — , welche in jenen Gegenden vorwaltcnd
Mo’allim arab. genannt werden, und deren Kenntnisse grade hin-
reichen, um die heranwachsende Jugend ihrer Umgebung in den
nothwendigsten Gebeten und deren Recitirung zu unterweisen, und
dem seltenen Ereignisse eines Briefes gewachsen zu sein, der doch
gelesen und beantwortet werden muss. Bis zu einem der theolo-
gischen Jurisprudenz kundigen Fakih oder Mo’allim aus ihrem eigenen
Stamme, der als Qädi hätte fungiren können, hatten es die Tibesti-
I. cute zur Zeit meiner Anwesenheit noch nicht gebracht.
Von den religiösen Anschauungen ihrer Vorfahren, die noch
keinen Theil an den Segnungen des Islam hatten, konnte ich Nichts
in Erfahrung bringen, sei es, dass keine Erinnerung an dieselben
mehr im Lande erhalten war, sei es, dass sie als eifrige Moham-
medaner sich der heidnischen Zeit schämten, grade wie dieses Ge-
fühl bei den mohammedanischen Negern im Sudan uns die inter-
essantesten Aufschlüsse über die früheren Kulturperioden der dortigen
Stämme vorenthält. Wahrscheinlich sind die Feste, die zur Erflehung
von befruchtendem Regen und kriegerischem Siege, zur Abwendung
von Krankheit und Gefahr gefeiert werden, und bei denen man Ziegen
opfert, sowie die Sitte der Reisenden, an bestimmten Plätzen einige
Naturprodukte als Opfergabe — Sadiiqa arab. — niederzulegen.
Ueberbieibsel aus heidnischer Zeit.
Den Glauben an den übernatürlichen Einfluss von Qoransprüchen,
die von besonders kundiger und frommer Hand geschrieben sind,
und die Sitte, dieselben in wahrer Unmasse, wie ich früher beschrieben
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TODTENBESTATTUNG. -- EHE. 447
habe, in kleinen, sauber gearbeiteten Lederfutteralen, an Mütze und
Turban, Oberarm und Hals zu tragen selbst Hals oder Heine der
Kameele glaubt man durch sie gegen Krankheit oder bösen Blick zu
feien - , haben die Tedä mit den Negern gemein, wenigstens über
treffen sie die Araber und Fezzäner bedeutend in dieser Beziehung.
Zur Beerdigung ihrer Todten sollen sic die Grube tiefer graben,
als bei Arabern und Fezzancrn Sitte ist. Wenn sie das auf den
Leichnam geworfene Erdreich von Zeit zu Zeit durch Steine solider
machen, so habe ich zur Erklärung dieser Thatsache keinen beson-
deren Aberglauben vom Wiederauferstehen der Todten und der-
gleichen, wie Vogel berichtete, in Erfahrung bringen können. Sie
begraben übrigens begreiflicherweise nach mohammedanischer Sitte,
doch sollen sie im Grunde der Gruft keine seitliche Nische zur Auf-
nahme des Leichnams anbringen, wie die Fezzäner thun.
Von der Erlaubniss der Polygamie, welche ihnen der Islam giebt,
machen sie einen sehr massigen Gebrauch. Sie haben wohl nie zwei
Frauen an demselben Orte, und selbst die Verstossung der Frau ist,
scheint es, ein selteneres Ereigniss, als in anderen islamitischen Län-
dern. I löchstens fugen sie zu der heimischen Ehegefahrtin noch
eine Reserve-Frau in Fezzan oder Kawär, je nachdem sie durch ihre
Verbindungen mehr hierhin oder mehr dorthin geführt werden, oder
halten in sehr seltenen Fällen, wenn sie aus dem Westen des Landes
stammen, noch eine Frau für die Dattelsaison von Barda'i. Die kleine
Anzahl von Frauen im Lande, ihr hartes Leben der Anstrengung
und Entsagung, das der Entwicklung der Sinnlichkeit nicht eben
günstig ist; der entschiedene Charakter der Frau: Alles begünstigt
in Tibesti die Monogamie. Ohne diese würde die Frau nicht die
massgebende Stellung in Haus und Familie einnehmen können, deren
sic sich thatsächlich erfreut, und eine Aenderung dieses Verhältnisses
würde sicherlich sehr zum Nachtheile der oft und lange abwesenden
Gatten ausschlagen.
Den Heirathen gehen äusserst bindende Verlöbnisse voraus, die
kaum jemals gebrochen werden , so lang auch oft der Zeitraum ist,
der die Versprochenen von der wirklichen Knüpfung des Bandes trennt.
Dies geht so weit, dass, wenn der Verlobte stirbt, gemeiniglich sein
Bruder oder nächster Verwandter, wenn derselbe unverheirathet ist,
an seine Stelle tritt. Es ist freilich nicht sowohl die Heilighaltung
des Versprechens, welche hierbei in erster Linie zwingend wirkt,
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II. BUCH, 7. KAPITEL. DIE TEDÄ.
als vielmehr das materielle Interesse, welches überhaupt die Familien-
verbindungen zumeist knüpft. Oft dauern die Verlöbnisse so lange,
um dem Bräutigam die Zeit zu geben, sich das nöthige Vermögen zu
erwerben. Je nach seinen eigenen Verhältnissen und seiner socialen
Stellung beansprucht nämlich der Vater der Braut von dem künftigen
Schwiegersöhne Kameele, Esel, Schafe, Ziegen, gewissermassen als
Kaufpreis, von dem er allerdings bei der Hochzeit einen Theil als
Aussteuer zurückgiebt.
Am Tage der Vcrheirathung, welche übrigens fast nach arabischer
Sitte gefeiert wird (Herumführen der Braut auf einem geschmückten
Kameele, in Begleitung von Frauen und Mädchen, welche singen und
das übliche Zalrhüta ertönen lassen), freilich ohne die beliebte Pulver-
verschwcndung, führt der Mann seine junge Gattin in sein Haus, be-
hält sie sieben Tage und liefert sie danach den Eltern zurück, indem
er selbst seine Kameele auf die Weide treibt oder auf kaufmännische
Reisen nach Borkü, Kawär, Fezzän geht und nicht selten Jahre lang
ausbleibt. Während dieser Zeit bleibt die junge Frau im elterlichen
Hause; kommt jedoch später wieder eine längere Abwesenheit des
Gatten vor, so steht sie dem gemeinschaftlichen Hause vor.
Die Ehen sind im Allgemeinen nicht kinderreich, w>as theilweise
wohl in den klimatischen und allgemeinen Lebensverhältnissen, theils
gewiss in der häufigen und langen Abwesenheit der Ehemänner be-
gründet ist. Während der letzteren befleissigen sich die Frauen, wie
ich schon zu rühmen Gelegenheit hatte, eines sie von den Fezzäne-
rinnen und Bornü-Frauen sehr unterscheidenden, musterhaften Lebens-
wandels. Ueberhaupt geniessen sie, besonders in Fezzän, des Rufes,
weit und breit die besten .Hausfrauen zu sein, zeichnen sich, wie er-
wähnt, durch ihre selbständige, energische Leitung des Haushaltes,
durch Ordnungsliebe, Sauberkeit und Geschäftstüchtigkeit aus, so
dass sie um dieser Tugenden willen mit Vorliebe von den praktischen
Qatrünern, die als strebsame Kaufleute viel auf Reisen sind, zu Ehe-
frauen gewählt werden.
Nach geheiligter Landessitte, welche Kraft des Gesetzes hat,
fällt der Mörder der Blutrache anheim und kann in keinem Falle
sofort sein Verbrechen durch Geldbusse — Dia — sühnen. Er wird
nach der That landesflüchtig und kehrt nicht u'ieder zurück, wenn
nicht endlich, wie dies nach langen Jahren des Exils oft geschieht,
die Familie des Ermordeten ihm gegen ein hohes Sühnegeld wieder
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ÖFFENTLICHE UN1> FAMILIEN • BEZIEHUNGEN. 449
den Aufenthalt in der Hcimath gestattet. Schwere Beleidigungen
in Wort und That führen bei der Zornmüthigkeit und dem Stolze
der Tedä gewöhnlich zu blutigem Kampf. — Diebstähle, Verläum-
d ungen, leichtere Beleidigungen werden durch grössere und geringere
Geldbusse gesühnt, je nach der Schwere des Falles und dem Ver-
mögen des Schuldigen. Ehebruch und Mädchenverführung, die
übrigens sehr selten zu sein scheinen, überliefern den Thäter der
Rache des beleidigten Gatten oder Vaters.
Wie wir gesehen haben, genügt jeder ältere, angesehene Edel-
mann, die streitigen Fälle zu entscheiden, und ist die Einmischung
des Dardai durchaus nicht nöthig. — In schwierigen Fällen und
die klarsten und einfachsten werden oft zu solchen bei der Recht-
haberei der Tedä — appellirt man an mehrere Schiedsrichter, oder
die ganze Versammlung der Edlen nimmt die Angelegenheit in die
Hand, und nach endlosen Discussionen und Verhandlungen gelingt
es denn auch gewöhnlich, den Handel beizulegen Wenn ihre Weis-
heit zu Ende ist, so wenden sie sich an den Senüsi- Missionär in
Wau, der dann als Qädi fungirt und dessen Urtheil als endgültig
angenommen wird.
Wie ihre Zornmüthigkeit und Zanksucht und die allzu häufigen
blutigen Folgen derselben die Sitte erzeugt haben, im heimathlichen
Dorfe ohne Waffen herumzugehen, so darf man auch das ccremoniöse
Benehmen, welches die Tedä bei ihrer Begegnung ausserhalb der
Ortschaften, in einsamer Wüste, gegen einander an den Tag
legen, nicht einer wirklichen Höflichkeit zuschreiben. Es liegt dem-
selben vielmehr gegenseitiges Misstrauen, das Bewusstsein eigener
Treulosigkeit, der allgemeinen Rechtlosigkeit zum Grunde. Aus arg-
wöhnischer Vorsicht halten sie sich vollständig bewaffnet und in
rathsamer Entfernung von einander während der Begrüssung und
verlängern die Ceremonie möglichst, damit Jeder über Motive und
Zwecke des Andern klar zu werden die Zeit habe. Wie wenig da-
bei eine Verfeinerung der Sitten im Spiele ist, geht daraus hervor,
dass oft Fragen persönlichen Interesses die endlosen Höflichkeits-
formeln unterbrechen und von Zeit zu Zeit einen wüthenden Streit
erregen, der wenig im Einklänge mit der ganzen Ceremonie steht.
Abgesehen von dieser lauernden Zurückhaltung haben sie das
selbstbewusste Benehmen freier Männer gegen einander, welche, auf
eigene Kraft und Klugheit angewiesen, im beständigen harten Kampfe
Nadiiigal. I.
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450
II. BÜCH, 7. KAPITEt.. DIE TEDÄ.
mit Natur und Menschen liegen, und selbst der besitzlose Client oder
Schützling — Melo ted. — lässt sich durch seine abhängige Stellung
niemals ein so unterwürfiges Benehmen seinem Protector gegenüber
aufzwingen, als in den Südänländern häufig die Regel ist.
Vielfach eigenthiimlich ist die Handhabung der Familienbezic-
hungen bei den Tedä, die manche Analogie in den Negeriändern
hat. Wie bei allen patriarchalisch geordneten Völkern finden wir
das Ansehen des Alters, den Respect der Kinder vor dem Vater
und des jüngeren Bruders vor dem älteren, in hohem Grade bei
ihnen ausgebildet. Wir werden sehen, dass sie sich hierin wesentlich
zu unterscheiden scheinen von ihren östlichen Wüstennachbarn, den
Baele oder Bidejät.
Wenn der Tedetu auch nicht in dem Grade ein Gegenstand
schamhafter Zurückhaltung für die Frauen seiner Familie wird, wie
der Tärlki, der sich nie unverschleiert vor denselben sehen lässt, so
nimmt er doch ihnen gegenüber ebenfalls eine eigentümliche Stel-
lung ein. So frei und selbständig das Benehmen der Frau in der
Oeflfentlichkeit sein darf, wenn ihr auch nicht so weite Grenzen ge-
steckt sind, als der TärTki-Frau, so reservirt und verschämt ist das-
selbe ihrem Eheherrn gegenüber. Sie wird niemals in seiner Gegen-
wart oder gar mit ihm gemeinschaftlich ihre Nahrung zu sich nehmen,
nur abgewendeten Gesichtes mit ihm sprechen und anderen Leuten
gegenüber ungern seinen Namen aussprechen. Der Name des ver-
heirateten Mannes geht überhaupt allmählich verloren und wird durch
eine Umschreibung ersetzt; denn auch die Anverwandten seiner Frau
scheinen das Gefühl zu haben, zu ihm in eine höchst delicate und
schwierige Stellung getreten zu sein. Für die Schwiegereltern und
die Geschwister der Frau wird er ein Individuum, dessen man nur
im Notfälle unter seinem eigentlichen Namen Erwähnung thut,
und das man meidet, so weit es möglich ist. Sitzt er in einer Ge-
sellschaft von Männern, und sein Schwiegervater kommt herbei, so
steht er eiligst auf und entfernt sich; kommt sein Schwager und er-
blickt ihn, so bleibt er zwar sitzen, doch jener geht vorüber. Anderer-
seits setzt er sich nicht nieder in einer Versammlung, in der sich
sein Schwager befindet, sondern zupft sich seinen Litäm über das
Gesicht und schreitet vorüber. Hat er Kinder und muss man seines
Namens Erwähnung thun, so umschreibt man denselben durch „Vater
des und des Sohnes", oder „Vater der und der Tochter".
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BEWAFFNUNG.
451
Ich rufe bei dieser Aenderung des Namens, welche den ursprüng-
lichen allmählich vollständig verdrängt, die Sitte in das Gedächtniss
des Lesers zurück, welche ich bei der Besprechung der Vertauschung
von Arämi's ursprünglichem Namen Uordömi gegen den ersteren er-
wähnte, und nach welcher Jeder, der einen Mord begangen hat,
einen neuen Namen annimmt. Ich habe diesen Gebrauch bei den
Negerstämmen meiner Bekanntschaft nicht gefunden.
Was die Kleidung und Bewaffnung der Männer, Tracht und
Schmuck der Frauen Tu’s betrifft, so bedürfen die hier und da im
Berichte zerstreuten Bemerkungen über dieselben einer übersicht-
lichen Zusammenfassung. Da während meines gezwungenen Aufent-
haltes in Bardai Leute aus allen Thälern des Landes zusammen-
Lan/cn- und Wurfapecr - Spitzen der Teda.
strömten, so hatte ich nicht selten Gelegenheit, den vollständigen
Waffenschmuck eines Tedetu zu studiren.
Die Lanze Edi bui (d. h. die grosse Lanze) — ist sieben bis
neun Fuss lang, und ihr Eisen variirt in der Länge von anderthalb bis
zwei F’uss, von denen ungefähr zwei Drittel auf den schneidenden Theil
kommen. Die Leute sind so industriearm , dass diese Lanzen mit
wenigen Ausnahmen aus dem Auslande, Borkü, Wadai, Bornü oder
Baghirmi, kommen. Man erkennt ihren Ursprung an der verschiedenen
Form und Arbeit; doch tritt dies bei dem Wurfspeere noch deutlicher
hervor. Dieser — Edi tenei (d. h. die kleine, dünne Lanze — hat
eine Gesammtlänge von etwa sechs Fuss, von denen bis zu andert-
halb Fuss auf den metallenen Theil kommen. Der schneidende
20*
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452
II. BUCH, 7. KAPITEL. DIE TEdA.
Theil des letzteren, welcher einen halben bis einen Fuss misst, ist
nicht allein verletzend, sondern auch der Stiel des Eisens ist meist
mit Zähnen oder Widerhaken versehen, und zwar sollen viele kurze
Zähne der Bornü-Fabrikation cigenthümlich sein, während die Landes-
manufactur gern weniger aber längere anzubringen scheint, und die
Baghirmi- Schmiede mit Vorliebe den nicht schneidenden Theil mit
einem in zwei Spitzen endigenden, schlangenförmigen Eisen um-
winden sollen.
Das Wurfeisen sodann — Midschri — , von den Arabern der
Nachbarländer Schangermangor*) genannt, sind von mannichfachster
Form, ungefähr drei Spannen lang (von denen etwa die Hälfte auf
den Stiel kommt), haben Fortsätze verschiedener Form und Richtung,
durchschnittlich eine Spanne lang, und sind im unteren Theile des
Körpers doppelschncidig, während die Fortsätze gewöhnlich Rucken
und Schneide haben. Sie bestehen aus einem Stück Eisen und der
Endtheil des Stieles wird zur besseren Handhabung mit Lederstreif-
chen oder Bindfaden umwickelt. Die Leute von Ennedi wurden mir
als besonders geschickt in der Verfertigung dieser Lieblingswaffe
jener Gegenden gerühmt.
Der Handdolch — Lo'i — ferner, welcher die Länge unserer
Hirschfänger hat, wird durch einen dreifingerbreiten Lederring am
linken Handgelenk befestigt, so zwar, dass bei herabhängendem
Arme die Spitze nach oben sieht und der Kreuzgriff der Innenfläche
der Hand anliegt. Seine Form ist stets dieselbe, da er ausschlicss-
*) Der Ursprung dieses Wortes ist mir unbekannt; jedenfalls hat dasselbe Nichts
mit der arabischen Sprache zu thun. Auch beschränkt sich sein tiebrauch auf die l.eute
des südlichen Tripolitanien ; bei den süddnischen Arabern heisst das Wurfeisen Kurbädsch.
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BEWAFFNUNG.
453
lieh aus den heimathlichen Werkstätten Bardai's hervorgeht ; höch-
stens wechselt seine Länge unbedeutend. Im Innern seines Scheiden-
eingangs findet sich gewöhnlich noch ein kleiner Behälter zu einem
Messerchen, dessen Stiel die Form einer Pincette hat. Dieses Instru-
ment, hauptsächlich dazu bestimmt, in den Fuss getretene Dornen
und Stacheln zu entfernen, ist den Tedä trotz ihrer lederharten Haut
von grosser Wichtigkeit. — Das Schwert Akäsu , welches breit,
zweischneidig, von ansehnlicher Länge, grade und mit Kreuzgriff ver-
sehen ist, kommt zu ihnen aus dem Lande der Tuärik, stammt aus
Europa, und zwar vorzugsweise aus Deutschland (Solingen) und ist
keineswegs im Besitze Aller. - Als Schutzwaffe endlich dient der
Schild, der fast elliptisch (mit oberem breiten Ende) ist und von der
Erde etwa bis zur Höhe der Augen reicht. Er ist, wie früher erwähnt
worden ist, aus dem Felle der Leucoryx-Antilope gemacht und setzt
nicht einmal den Wurfspeeren einen sicheren Widerstand entgegen.
Man sucht diese daher schräg mit ihm aufzufangen und so abgleiten
zu lassen.
Dass sich die Tedä ihrer Waffen gut zu bedienen w issen, haben
alle Reisende, welche sic zu beobachten Gelegenheit hatten, berichtet.
In der That schleudern sie ihre Wurfspeere mit grosser Kraft und
Sicherheit auf eine Entfernung von etwa fünfzig Meter. Sie erheben
die Hand mit dem Speere ein wenig über die Schulterhöhe und geben
demselben, bevor sie ihn schleudern, eine stark vibrirende und zugleich
rotirende Bewegung, welche durch das harte, schwere und elastische
Holz der Sajäl- Akazie, aus dem der Schaft meistens besteht, wesent
lieh erleichtert wird. Das Wurfeisen wird horizontal geschleudert
und muss, wenn geschickt geworfen, schwere Verwundungen der
unteren Extremitäten hervorbringen können. Die Leute halten ausser-
ordentlich auf den Glanz und die Schneidefähigkeit ihrer Waffen, und
meine Tedä-Begleiter beeiferten sich, möglichst häufig das weichere
Eisen ihrer Hieb- und Stichwaffen an unseren härteren Stahlklingen
zu schärfen und meinen Vorrath an Butter, so lange ich deren be-
sass, zum Nachtheil meines Magens und zum Vortheil ihrer Waffen
zu verringern. Im Uebrigen verachten sie unsere Messer ihrer Klein-
heit wegen und bedienen sich in der That ihrer 1 5 — 25 Zoll langen,
breitklingigen Dolche mit grosser Geschicklichkeit zu den minu-
tiösesten Schnitten.
An den Gebrauch der Waffen w’erden die Leute von frühester
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II. HUCH, 7. KAPITEL. DIE IE6A.
454
Kindheit an gewöhnt. Schon zarten Knaben giebt man eine Lanze
mittlerer Länge, gleichzeitig Lanze und Wurfspeer, aus scharf zuge-
spitztem Holze, mit der sie sich üben und die sie nicht aus der Hand
lassen. Anstatt des Wurfeisens giebt man ihnen in diesem Alter ein
plattgeschnittenes, in der Fläche gekrümmtes und an einem Rande
geschärftes Holz, das durch seine Form an den Schangermangor er-
innert. Wenn diese Waffe kaum ernstlich zu verletzen vermag, so
ist dagegen das scharf gespitzte Fnde der kleinen Akazienholz Lanze
eher dazu im Stande. Im vorgerückteren Knabenalter vertraut man
ihnen einen wirklichen Wurfspeer, doch kleinen Massstabes, an und
fügt später das Wurfeisen und die Lanze hinzu, bis sie mit dem
Eintritt in das Jünglingsalter in den Besitz des vollen Waffenapparates
treten. Die Männer sind in Folge dessen so sehr daran gewöhnt,
wenigstens Speer und Wurfeisen in der Hand zu haben, dass sie in
ihren heimathlichcn Dörfern, wo sie nicht bewaffnet herumgehen
dürfen, zur Gewohnheit ihrer Knabenjahre, dem hölzernen Speer und
dein platten, krummen Holze, zurückkehren. Dass die Sitte ihnen
verbietet, innerhalb ihrer Wohnorte mit metallenen Waffen zu er-
scheinen, hat besonders für Bardaf und die übrigen ständigen Ort-
schaften die triftigsten Gründe. Ueberall rechtfertigt der Hang der
Einwohner zu Streit und Zank diese Sitte; doch in Bardaf und anderen
Ortschaften des östlichen Tibesti kommt zu ihrem streitsüchtigen Cha-
rakter noch die Leidenschaft für den Laqbi, welche die Gelegenheiten
zum Streite vervielfältigt und die Neigung zu blutiger Ausgleichung
vermehrt.
Trotzdem hören ernste Streitigkeiten und blutige Zänkereien in
Bardaf nicht auf. Keine Woche verging während meiner Anwesen-
heit daselbst, ohne dass nicht ein Todtschlag oder leichte und
schwere Verwundungen in Folge der allgemeinen Streitsucht statt-
hatten. Schon in Zuär und Täo war es mir aufgefallen, dass mit
Ausnahme einiger Weniger die männlichen Tedä sämmtlich durch
mehr oder weniger in die Augen fallende F'olgen von Waffengewalt
gekennzeichnet waren. Ich spreche nicht nur von den Narben der
Kopfschwarte und denjenigen, die sich auf Haut und Muskeln anderer
Körpcrtheile beschränken, denn ich sah Niemanden, der ihrer nicht
reichlich gehabt hätte, sondern von wirklichen Verstümmelungen,
unter denen Verluste einzelner Finger und Zehen und Gelenksteifig-
keiten im Fussgelenkc, in der Hüfte, in Schulter, Ellbogen und
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STREITSUCHT DER MÄNNER UND FRAUEN.
455
Handgelenk am häufigsten vorzukommen schienen. Dieselben waren
nur in der Minderzahl Errungenschaften von dem zweifelhaft ehren-
vollen Felde der Ghazien und Beutezüge, sondern meistens traurige
Folgen ihrer heimischen Zanksucht und Zornmüthigkeit. Diese letz-
teren scheinen übrigens nicht nur ein Privilegium der Männer zu sein,
sondern auch den Verkehr der Tedä -Frauen unter einander zu er-
schweren. Dieselben tragen vielfach einen etwa handlangen Dolch auf
der Hüfte unter der Kleidung, doch wenn Richardson diese Sitte ihren
häufigen Liebesintriguen und den damit verbundenen Gefahren zu-
schreiben zu müssen glaubte, so kann ich diese Erklärung nach dem,
was ich über die im Vergleiche mit den Nachbarländern musterhafte
Ehrbarkeit der Tibesti- Frauen vorausgeschickt habe, nicht als zu-
treffend annehmen. Der genannte und andere Reisende haben ihre
Beobachtungen über die Tedä ausschliesslich in Fezzän und Kawär
angestellt, und auf der grossen Verkehrsstrasse nach Bornü mit
ihrem Strome von Arabern und Negern herrscht freilich nicht die
strenge, in Tu übliche Sitte. Hier ist es vielmehr der fast männliche
Sinn und die nationalen Charakterfehler, welche die Frauen dazu
bringen, ihre Streitigkeiten nicht selten durch Faustkampf, oder mit
Knitteln, oder im Nothfalle mit der scharfen Waffe zu entscheiden.
Zu Bardai sah ich dieselben selten anders ausgehen, als mit einem
ansehnlichen Knittel bewaffnet, der an einem ledergefiochtenen
Riemen, welcher vorn mit der Hand gehalten wurde, über der
Schulter nach hinten hing. Die Bedeutung dieser Gegenstände inter-
essirte mich lebhaft, bis ich eines Tages Zeuge ihrer Benutzung
wurde. Zwei zornige Weiber, denen der Wortstreit nicht genügte,
trennten plötzlich im Laufe desselben den Riemen vom Knittel,
schürzten mit demselben als Gürtel ihr Gewand hoch und eng auf,
und bedienten sich nun, unbehindert im Gebrauche ihrer Gliedmassen,
der Fäuste und Knittel mit der Leidenschaft der Frauen und der
Kraft der Männer. Bevor es übrigens in diesem Falle zur Anwen-
dung der ultima ratio des Hüftendolches kam, trennte man die
Kämpfenden.
Zu der Beschreibung der bei den Tedä üblichen Kleidung, welche
bei der Besprechung der Fezzäner Tubu-Colonic gemacht wurde, ist
wenig hinzuzufügen. Die Männer gehen häufiger barhäuptig und er-
freuen sich nicht so oft eines Beinkleids, als ihre Brüder in Fezzän;
das ist fast der einzige Unterschied. Wenn sie sich im Allgemeinen
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II. BUCH, 7. KAPITEL. DIE TEDA.
4Ö6
in Kleidung und Bewaffnung den Südän-Bewohnern anschliessen,' so
nähert sie ihre Neigung, den Kopf bedeckt und das Gesicht ver-
schleiert zu tragen, ihren Wüstennachbarn, den Tuärik. Besonders
die letztere Sitte ist nicht ohne ethnologische Bedeutung, da sie die
Teda unter die sogenannten Mulattemün (die Gesichtsverschleierten,
Litäm-Trager) einreiht, als welche Ibn Chaldun sieben Berberstänime
der Wüste aufführt.
Auch die Frauen Tu's können sich begreiflicherweise nicht
immer das blaue baumwollene Hemd der Fezzänerinnen, das bis
zum Knie reicht, oder das Füta genannte Umschlagtuch verschaffen,
und nehmen also häufig ihre Zuflucht zu Ziegen- und Schaffellen.
Uebrigens tragen sie dieselben schmalen Fussspangen aus Kupfer,
seltener aus Silber, welche sich so wesentlich von denen der
Araberinnen unterscheiden, dieselben zahlreichen Armbänder aus
Horn und seltener aus Elfenbein, dieselben Halsschnüre aus Achat-
stückchen, Glasperlen, Kauri -Muscheln oder kleinen rundgeschnittc-
nen Plättchen aus Strausseneischale, dieselben dünnen P'lechtchen
der Haartracht mit den starken Mittelflechten — Snunger - und
dem Schmucke aus Silberringen oder Korallen, dieselben Zicrrathe
in Nasenflügel und Ohren, wie es bei den Teda -Frauen in Fezzän
beschrieben wurde. Es versteht sich von selbst, dass sie, wie die
Sudanerinnen, denen sie in der Kleidung am nächsten stehen, ihr
Haar einfetten und mit wohlriechenden Pulvern aus Zimmet — Qirfa
arab. — , Nelken — Qäromful arab. — , Benzoe — Dschäwi arab. — ,
Mahäleb (Prunus Mahaleb) — etc. bestreuen, und mit Vorliebe auch
zu den übrigen Toilettemitteln der Araberinnen, dem Köhöl, der
Hinnä und dem Zeit es-Schiäh (Essenz von Artemisia herba-alba) ihre
Zuflucht nehmen.
Schnittnarben haben die Frauen nicht im Gesicht, während bei
den Männern im Gegentheil zu dem, was andere Reisende berichtet
haben, ohne Ausnahme drei oder vier derselben von ein bis zwei
Zoll Länge jederseits von der Schläfe auf die Jochbogen herabsteigen.
Die Industrie der Teda beschränkt sich neben der Aufrichtung der
Wöhnungen, welche in ihren verschiedenen Arten mehrfach von mir
beschrieben und ihrer Sauberkeit wegen lobend erwähnt worden sind,
auf die Verfertigung ihrer nothwendigsten Haus- und Reise-Utensilien,
welche sie mit praktischem Geschick, doch ohne besonderen Kunst-
sinn herstcllen. Sic wissen ihre Ziegenhäute, die sie vermittelst der
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TRACHT. — BESCHÄFTIGUNGEN. 457
Früchte des Qarad — Gobor oder Goor ted. gerben, zu Wasser-
schläuchen und zur Kleidung zu verarbeiten und bereiten aus Knochen
und Dattelkernen Theer, mit dem sie die Wasserschläuche wider-
standsfähig machen und die Hautkrankheiten der Kameelc behandeln.
Sie flechten Matten aus Dümpalmengestrüpp — und zwar ist das eine
Arbeit der Frauen — und drehen ihre Stricke aus den Fasern der
Dümpalmenblätter oder aus dem auch in der Trockenheit wider-
standsfähigen Lif (Fasergewebe, das die Blattursprünge der Dattel-
palme umgiebt). Ausserdem verfertigen sie ihre Schilde, Lanzcn-
und Speerschäfte und ihre metallenen Waffen, soweit ihr Eisen reicht,
das nur in unzureichender Menge im Lande gewonnen wird.
Kamcclsattel der Tedä.
Anstatt der in ganz Tripolitanien üblichen Häwia wird in Tibesti
ein anderer Kameelsattel, der den arabischen Namen Basür fuhrt, be-
nutzt. Derselbe wird durch zwei Gabeln aus Akazienholz hergcstellt,
die klammerförmig vor und hinter dem Höcker des Thieres zu liegen
kommen und deren Schenkel unter einander auf beiden Seiten durch
kreuzweise daran befestigte Stäbe verbunden werden. Das gante
Gestell, dessen einzelne Theile durch Ledcrstreifchen anstatt der
weniger haltbaren Stricke an einander befestigt sind, ruht auf dickem
Polster von Strohgeflecht oder Palmenbast, wie die beigefügte Zeich-
nung, auf der die letzteren nur einseitig angebracht sind, klar zu
machen sucht.
Zu den Beschäftigungen, welche für die Tedd im Osten des Landes
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II. BUCH, 7. KAPITEL* DIE TEDA.
aus der Zucht der Dattelbaumc und aus der nöthigsten Getreide- und
Gemüse-Cultur, die nach Fezzäner Muster betrieben werden, im Westen
aus der Besorgung ihrer Heerden und überall aus der Ernte der Colo-
quinthenkernc her\'orgehen, kommt, was bei ihrem beständigen Mangel
an Nahrungsmitteln merkwürdigerscheinen könnte, diejagd kaum hinzu.
Ihre Thäler sind verhältnissmässig reich an Gazellen und Antilopen, und
auch Strauss und Wadän, Hase und Fenek kommen vor; man sollte also
meinen, dass die Tedä, bei ihrem Ueberflusse an Zeit, sich besonders
diesem ritterlichen Zeitvertreibe hingeben würden. Sie fangen auch
wohl hier und da die Jagdthiere in Fallgruben oder Schlingen, oder
jagen sie mit ihren verkümmerten Windhunden, doch ohne sich der
Jagd als nationalem Vergnügen oder gewinnbringender Beschäftigung
hinzugeben.
Ihr energischer, rastloser und zäher Sinn hat nur ein Auskunfts-
mittel gefunden, die Zeit mit einigem Nutzen zu verbringen, und das
ist das Reisen. Sie sind entweder selbst Kaufleute — doch dann
nur in bescheidenem Massstabe , oder mit ihren Kameelen unter-
wegs, um diese von Fezzän nach Kawär, von hier nach Bornü und
zurück zu vermiethen. Kleinere kaufmännische Reisen unternehmen
sie ausserdem nach Borkü, Wanjanga, Ennedi, Känem und Wadäi.
Ihre Hauptreiseziele bleiben aber Fezzän, Kawär und Borkü; die-
jenigen Tedä, welche man in Bornü, Wadäi oder Käncm u. s. w. findet,
sind gewöhnlich nicht in Tibesti angcsiedclt, sondern stammen aus
Kawär oder gehören weit verschlagenen Bruchtheilen der Tibesti-
Stämme an.
Sind sic zu Hause, so schwatzen sie, streiten in Wort und That
und berathen Plünderzüge gegen Fezzän, die Tuärik oder andere
Tubu-Stämmc, die sie in der Weise nächtlicher Ueberfälle und Diebe-
reien ausführen. Bei dieser wirklich nationalen Beschäftigung werden
sic von ihrer nüchternen, zähen Natur, ihrer körperlichen Gewandt-
heit und ihren leistungsfähigen Kameelen wesentlich unterstützt.
Der Verkehr mit Fezzän ist den Tedä fast unentbehrlich.
Kawär ist ihnen ein allzu unsicheres Land, zu sehr ausgesetzt den
Ghazien der Auläd Solimän und Däza von Känem und zu abhängig
von den Tuärik Kelowi, um sicher auf seinen Markt und seine Ein-
wohner zählen zu können. Ackerbauproducte liefert Kawär über-
dies gar nicht; die Datteln sind von sehr mittelmässigcr Qualität, und
der Markt in Kleiderstoffen ist unsicher und mässig versorgt. Fezzän
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HANDEL UND VERKEHR.
4ö'.t
im Gegenthcil, mit seiner ausgedehnten Zucht des Dattelbaumes
und der ausgezeichneten Qualität der Früchte desselben, mit seiner
regelmässigen Einfuhr von europäischen Waaren von Tripolis her
und von Stoffen aus Bornü und den Haussa-I.ändern, und mit seinem
sicheren Absatz der unbedeutenden Landesproducte Tibesti’s, ist
ihnen absolut nothwendig geworden. Dies wissen die Tubu Keschädc
sehr gut, und wenn sie in den beständig sich wiederholenden Miss-
helligkeiten zwischen Tibesti und Fezzän meistens allmählich nach-
geben, so geschieht dies wohl weniger aus Furcht vor der kraftlosen
Regierung zu Murzuq, als aus dem Bewusstsein, dass sie materiell
zu sehr von ihrem begünstigteren Nachbarlandc abhängen, um eine
lange anhaltende Unterbrechung des Verkehrs mit ihm ertragen zu
können.
Zur Ausfuhr dorthin bietet das Land sehr wenig. Von dem
Schwefel, der aus Tibesti früher auf die Märkte von Kairo und Murzuq
gelangt sein soll, habe ich nie etwas gesehen; und selbst die Senna, an
der das Land so reich ist, und die früher thatsächlich in grösserer Menge
ausgeführt wurde, findet keinen Absatz in Murzuq mehr, seit sie in
sehr grosser Menge aus den nördlichen Tuärikgebietcn mit geringeren
Transportkosten an die Küste gelangt. So sind denn die grossen
schwarzen Schafe, welche in dem an Hausthieren so armen Fezzän einen
hohen Preis haben, aber schwer zu transportiren sind, die Kameelc, an
denen die Tu -Leute selbst nicht reich sind, und etwa das Fell einer
erlegten Leucoryx-Antilope die einzigen Verkaufsartikel, welche hin
und wieder von ihnen , wenn sie irgend ein zwingendes Bedürfniss
befriedigen wollen, zu Markte gebracht werden. Sie kaufen dafür
Getreide, Datteln und Baumwollenstoffe, und zwar von diesen meist
das Cham genannte, mangelhafte, europäische Fabrikat.
Dieses letztere bildete in Tibesti zur Zeit meines Besuches das
gangbarste Verkehrs- und Tauschmittel; doch machte sich neben
ihm der Maria- Theresia -Thaler — Abu Te'ir — geltend und war
grade damals sehr gesucht. Der Abwesenheit von kleiner Münze
hilft man durch Zerschneidung der Thaler ab, welche ich bis zur
Viertheilung beobachtete. Für diese beiden Marktwcrthe kaufte und
verkaufte man Datteln, Getreide, Ziegen, Kameele, Toben und Sclaven.
Das Stück — Maqta — Cham, welches anderthalb bis zwei Fuss
breit und ungefähr vierundvierzig Drä' (etwa 20 M.) lang ist, kostete
damals zu Murzuq drei Thaler — Redl — , während in Tibesti ein
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46t)
II. BUCH, 7. KAPITEL. DIE TEDA.
solcher Thaler nur acht Dra dieses Stoffes gab, so dass dem ent-
sprechend das ganze Stück mindestens fünf und einen halben Maria-
Theresia-Thalcr gekostet haben würde.
Hin gutes Kamcel, dessen Werth identisch war mit dem eines
Sedäsi-Sdaven , d. h. eines sechs Spannen hohen Knaben, den man
jeder Zeit in Kawär dafür eintauschen konnte, kostete damals 25 bis
35 Redl Bü Teir, war also fast ebenso theuer als in Fezzdn. Fast
ebenso wenig konnte sich die Ausfuhr der prächtigen Schafe lohnen,
welche drei Thaler an Ort und Stelle kosteten. Die Ziegen hatten
nur den dritten Theil dieses Werthes. Bei Straf- oder Entschädigungs-
Zahlungen gelten seit lange in Tu als mittlere, fest stehende Sätze:
für ein Kameel acht, für ein Schaf zwei und für eine Ziege ein Redl
Bü Teir.
Ein Keil*) Weizen kostete damals einen Thaler, war aber fast
nicht aufzutreiben, ebenso wenig als der sonst dort häufigere Duchn
oder Qasab — Annere ted. — . Die vier Kijdl Datteln, welche ich
für unsere Flucht aus Bardai kaufen liess, berechnete man mir auch
mit einem Bü Teir; doch glaube ich, dass ihr eigentlicher Preis nur
etwa die Hälfte betrug.
Von den Kleinigkeiten, die ich zu unbedeutenderen Geschenken
mit mir führte, wie Scheeren, Nähnadeln, Gewürze, kleine Handspiegel,
erwiesen sich merkwürdigerweise die in Murzuq und selbst auf den
meisten Marktplätzen des Süddn so werthlosen Näh- oder Stopf-
nadeln als ausserordentlich gesucht. Von mir erpresste man die-
selben freilich, ohne Etwas dagegen zu geben, doch meine Leute
erzählten mir, dass man in Bardai eine gute Nähnadel oft mit einer
Sd Datteln bezahlt.
Fassen wir das entworfene Bild der Teda zusammen, ihre phy-
sischen, intellectuellen und moralischen Eigenschaften, ihre Sitten und
Anschauungen, ihre Lebensweise und Beschäftigungen, so müssen
wir gestehen, dass sie in gleicher Weise Vieles gemein haben mit den
Berbern der Wüste und mit den Süddnbewohnern. ln wie weit die
Achnlichkeit mit den Einen oder den Andern auf ursprünglicher
nationaler Verwandtschaft oder auf dem nivellirenden Einflüsse gleicher
klimatischer und Lebensbedingungen beruhen, und in wie weit die
Verschiedenheit von den Nigritiern aus der Unähnlichkeit ihrer beider-
*) Vcrgl. ü'1' >» Ftutn Üblichen Masse py. 95.
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MARKTPREISE. — STAMMVKRHAI.I NISSE.
4(31
seitigen Wohnsitze entspringen mag. wird besser ein Gegenstand der
Erörterung sein, sobald wir auch die übrigen Abtheilungen dieser
Nation kennen gelernt haben werden. Aus diesem Grunde gehe ich
auch vorläufig nicht ein auf einen Gegenstand, der für die ethno-
graphische Bcurtheilung eines Volkes oder Stammes von der grössten
Wichtigkeit ist, die Betrachtung der Tedä- Sprache Modi Tedä.
Erst wenn wir ihren Schwesterdialect der südlichen Tubu-Abthei-
lungen, die Midi Däza, kennen gelernt haben werden, kann die Frage
von der Entwicklung der Sprache, ihrer Verwandtschaft mit derjenigen
der Kanüri und der Zusammenhang zwischen den Bewohnern der
östlichen Wüste und den Bornü-Leuten besprochen werden.
Es erübrigt die Zerlegung der Tedä in einzelne Stämme und die
Vertheilung derselben über die bewohnten Theile Tibesti's.
Als das Ausgangsthal der Tomäghera wird E. Marmar ange-
sehen. Dieselben theilen sich in diejenigenTibesti’s und dieKawär's; aus
den letzteren geht gleichfalls der Dardai dieser grossen Oase hervor.
Die Tomäghera Tibesti's zerfallen in die Mohammedöga, denen noch
jetzt Marmar gehört, die Arämidöga, welche im E. Jöo wohnen, und
die Erdindöga und Laindöga, welche E. Zuär inne haben. Zu den
Tomäghera scheinen noch die in dem Thale Gobon wohnenden
Göbödä zu gehören.
Die Gunda Tibesti’s, welche aus Täo stammen, und jetzt dort
und in Bardai wohnen, zerfallen in Gäwia, Nemadöga und Isöadöga.
Doch der grössere Theil der Gunda ist zerstreut, und wir finden
Individuen dieses Stammes über alle Ortschaften Kawär’s verbreitet
und ihren ansehnlichsten Bruchtheil im Nordwesten Känem’s.
Die Leute von Abo finden wir mit ihren Abtheilungen, Abeä,
Kresa und Terintüra, über den E. Abo und seine Zuflussthäler
vertheilt.
Im E. Bardai' wohnen, ausser spärlichen Bruchtheilcn der Gunda,
die Fuktja, Adeböga und ICdriwa. Im Gebiete des E. Aözo die
Aözöa, welche früher, so lange sie im Kufära ansässig waren, jeden-
falls einen andern Namen führten, und die Taramma.
Der kleine Stamm Mäda, der früher den E. Sörom inne hatte,
lebt zerstreut mit den Arinda in Borkü und Känem.
Die gleichfalls von Hause aus unbedeutenden Stämme der Ate-
mäta, Täwia, Dschöarda, Moggede, deren ursprüngliche Wohn-
sitze man in den F3. Kjauno mit seinen Zufhissthälern verlegt, scheinen
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462
II. BUCH, 7. KAPITEL. DIE TEOA.
ganz aus Tu verschwunden zu sein und bilden einen ansehnlichen
Thcil der Bewohner Kawär’s.
Die aufgeführten Stamme bilden die Bevölkerung des nordwest-
lichen Tibesti und unterliegen der Führung des Tomäghera-Dardai.
Im E. Ogtii und seinen Nebenflussthälern wohnen die Arinda
(oder Anna) Ogüä und die Dirsöne und in einem seiner Neben-
thäler, E. Mozzo, die Oderöä.
Im E. Maro mit seinen Ursprüngen und Zuflüssen sitzen die
Arinda Tagerema und. die Scheda. Ueber die Thäler des Domar
vertheilen sich die Arinda Dirköma und die Tuzzöä, die mit
Borkü-Leuten gemischt zu sein scheinen.
Die Bewohner des Emi Kussi werden unter dem Namen Kussödä
(oder Kussöä) zusammengefasst und setzen sich zusammen aus
Jerinta, Bridtma, Ogerdemma und Kedemma.
E. Jibi gehört den Magädena und ebenso sind die Guröa,
welche Gurö bewohnen, nichts anderes als Magädena.
Ueber die Tedä des östlichsten Thaies von Tibesti, Uri, bin ich
nicht ganz klar geworden. Seine jetzigen Einwohner scheinen
Magädena zu sein, doch stammen aus ihm z. B. die Bescha, welche
jetzt einen Bestandtheil der Jinöa (Bewohner von J in) in Borkü aus-
machen.
Die aufgeführten Stämme bilden die Bevölkerung des südöstlichen
Tibesti und stehen unter dem Häuptlinge der Arinda. Die in dieses
Gebiet fallenden Elussthäler Arr, Auf und Höu sind nur zeitweise
von den ihnen zunächst hausenden Arinda-Abtheilungen bewohnt.
Wie Bewohner des nordwestlichen Tu die Oase Kawär bevölkert
haben, so bilden die des südöstlichen Theiles die Bewohner der
westlichen Thäler Ennedi’s, wo wir im E. Kaule und im E. Murdo
Abtheilungen der Arinda finden.
Ueber einen von dem mehrfach erwähnten Scheich Mohammed
et-TünTsi aufgeführten Stamm Tibesti's, mit dem derselbe eine uner-
freuliche Bekanntschaft machte, und der in der französischen Ueber-
setzung Tourkmän genannt wird, ist man bisher gänzlich im Un-
klaren gewesen. Der Scheich reiste von Wadäf, ohne Borkü zu
berühren, bis zur Hattija Jäjo, welche in seiner Reisebeschreibung
unter dem auch jetzt noch von den Arabern zuweilen gebrauchten
Namen Bir cd-Düm aufgefuhrt wird, wendete sich dann mehr nach
Norden und stiess im südlichen Theilc Tu's, also im Gebiete der
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ST A M M AB I H K I ! U NT, EN.
463
Arinda, auf den genannten Stamm. Der Name desselben ist augen-
scheinlich nichts Anderes, als eine corrumpirte Form von Dirköma,
wie die Hauptabtheilung der Arinda (vom Stammvater Dirko) in der
Tedä Sprache heisst, oder von Dirkomawija, wie die dortigen Araber
den Plural von Dirkomäwi (Dirköma = Individuum) bilden, obgleich
Dirköma an und für sich schon eine Mehrheit bezeichnet. Wenn
wir bedenken, dass der Reisende seine Erinnerungen erst nach Jahren
niederschrieb, und dass ihm, dem schriftkundigen Araber, der Stamm-
name Turkmän geläufig war, so können wir uns über die Verwechs-
lung nicht wundern, zumal beide Worte für das Ohr sehr viel mehr
Aehnlichkeit haben, als für das Auge. Dass dort selbstverständlich
kein turkman'scher Stamm wohnen kann, hätte zwar der Scheich
wissen sollen, doch selbst gelehrte Araber sind in ethnologischer
Beziehung zu den wunderlichsten Annahmen geneigt.
Die Kopfzahl der aufgefuhrten Stämme auch nur annähernd an-
zugeben ist sehr schwer, bei dem Mangel an geschlossenen Ort-
schaften. In Bardai würde ich eine günstige Gelegenheit zu genauerer
Abschätzung gefunden haben, da eine grosse Anzahl der westlichen
Bewohner sich zur Dattelernte dorthin begeben hatte, wenn ich mich
frei hätte bewegen können. Die ungefähre Zahl von 5000 Seelen, welche
Gerhard Rohlfs in der oberflächlichen Schätzung, die ihm zu machen
möglich war, angiebt, bleibt entschieden hinter der Wahrheit zurück.
Denn wenn auch der wüste und armselige Charakter des Landes nur
die dünnste Bevölkerung gestattet, so ist doch der Flächeninhalt
des ganzen Gebietes ein ungeheurer, und die Zahl der bewohnten
Thäler keine unbedeutende. Die Reihenfolge der nennenswerthen
Thäler und ihrer Districtc in der Bevölkerungszahl dürfte in ab-
steigender Linie etwa folgende sein: E. Bardai, Zuär, E. Domar,
E. Abo, E. Maro, E. Ogüi, E. Jöö, E. Jibi.'E. Täo, E. Marmar,
E. Gurö, E. Uri, E. Aözo. Wenn ich die folgende Abschätzung
der Tibesti-Stämme zu machen wage, so bin ich mir ihrer Unsicher-
heit vollständig bewusst.
Indem ich flir die Tomäghera eine Zahl von 2000, für die Leute
von Bardai von 1500, für die von Abo von 1200, für die Bruchtheile
der Gunda im E. Tao, und die der Stämme im E. Kjauno und auf
dem Tarso von 1000, und für die Leute des Aözo von 300 Seelen
annehme, erreiche ich für den nordwestlichen politischen Verband
unter dem Vortritt der Tomäghera eine Gesammtzahl von ca. 6000 Be-
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41 >4 11. BUCH, 7. KAPITEL. DIE TEDA.
wohnern. Für den politisch verbundenen südöstlichen Thcil Tibesti's
erhalte ich bei dieser Schätzung eine Gesammtzahl von ca. 5000 Be-
wohnern, von denen ich 2500 auf die Arinda der EE. Domar, Maro
und Ogui, 1000 auf die Magädena des E. Jibi und des Emi Kussi,
1000 auf die kleineren Abtheilungen des E. Guro, E. Uri und der
unbedeutenderen Thäler nördlich von Borkü und 500 auf die meinen
Erkundigungen weniger zugängliche Gegend nördlich vom Emi Kussi
rechne, und spreche danach die Vermuthung aus, dass die Gesammt-
zahl der Tedä Tu’s 12,000 Seelen nicht übersteige.
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DRITTES BUCH.
REISE NACH BORNÜ.
Erstes Kapitel.
MURZUQ IM WINTER 1869/70.
Beliebte über Alexandrine Tinne’s Ermordung. — Ihre Reisegesellschaft (europäische
Diener, Neger aus den Nil-Ländern, algerische Frauen, befreite Sclavcn). — Diener
aus Tönis und Murzuq. — Ichnuclien's Rückkehr nach Ghöt. — Hädsch Ahmed Bü
Slah. — Der Tärikt Hadsch esch-Scheich und seine Gesellschaft. — Araber und ihre
Miethkameele. — Abreise Fräulein Tinne’s von Murzuq. — Der verhängnisvolle
l. August. — Ausbruch der Verschwörung. — Ermordung der beiden Holländer. —
Verwundung und langsamer Tod der Reisenden. — Rohheiten und Theilung des
Raubes. — Thätcr und Urheber des Verbrechens. — Verhalten der Behörden in
Murzuq und Tripolis. — Schleppender Process. — Sendung der Hinterlassenschaft
und der Zeugen nach Tripolis. — Unerfreuliche Zustände in Fezzan. — Ungcmüth-
lichcs Weihnachtsfest 1869. — Endliche Hoffnung auf Abreise. — Gesandtschaft 'All
RizA PäschÄ's. nach bomü. — Ränke «los WÄlt gegen meine Reise. — Ankunft
Hallm Paschd’s als Mütasarrif. — Ankunft Mohammed Bu Aischa's, des Gesandten
an den König von Bornu. — Marokkanische Pilger und Akrobaten. — Vorbereitun-
gen zur Abreise.
Nach unserer am 8. October 1869 erfolgten Rückkehr aus Tibesti
lag mir ausser der Pflege meiner Gesundheit die Ordnung der Ange-
legenheiten meiner ermordeten Reisegefährtin ob. Die Dienerschaft
derselben betrachtete mich als ihren natürlichen Anwalt, der hollän-
dische General -Consul zu Tripolis wendete sich betreffs der Hinter-
lassenschaft der unglücklichen Dame durch mich an die Fezzäner
Lokalbehördcn , und diese selbst schienen es selbstverständlich zu
finden, dass ich in allen Angelegenheiten, welche auf das schmerz-
liche Ereigniss Bezug hatten, zu Rathe gezogen wurde.
Zunächst Hess ich mir angelegen sein, eine möglichst genaue
BCenntniss von dem ganzen Vorgänge zu gewinnen, denn man schien
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468
III. BICH, I. KAPIIEL. MCRZUQ IM WINTER 1869/70.
mir in Tripolis weder hinlänglich über dasselbe unterrichtet zu sein,
noch überhaupt das ernste Bestreben zu haben, jedes darüber
schwebende Dunkel zu lichten. Bei der erst kurzen Zeit, welche seit
der Katastrophe verflossen war, hielt es nicht schwer, die Erinne-
rungen der Augenzeugen, unverfälscht durch den Mangel an Gedächt-
niss derselben und ihren Hang zu phantastischer Ausschmückung, zu
sammeln und zu einem klaren Bilde zusammen zu stellen. Ich licss
mir zu diesem Zwecke von jedem Einzelnen der Leute den Hergang
der Dinge erzählen, und war nach wenigen Tagen, als ich Jung und
Alt. Männer und Weiber, Araber und Neger, und zwar Jeden isolirt,
ausgefragt hatte, wohl in der Lage, mir ein Urtheil zu bilden und
mehr von der Sache zu wissen, als der in Tripolis zu verhandelnde
Process später je ans Tageslicht zu bringen versprach.
Von der Dienerschaft Fräulein Tinne’s, welche eine sehr bunt
zusammengewürfelte gewesen war, hatten die beiden früher genannten
europäischen Diener das Schicksal ihrer Herrin getheilt. Ihre drei
Lieblingsneger Abdallah, Denqi und Freah, welche seit Jahren ihre
nächste Umgebung bildeten, waren unverständige junge Leute, von
denen der Erstgenannte zu jener Zeit abwesend war, um in Tripolis
Kamecle zur Reise nach Bornü zu kaufen. Der weibliche Thcil ihres
Hausstandes war ohne Ausnahme zugegen gewesen: die Egypterin
Habiba, Abdallahs verstossenc Frau; zwei Algerierinnen Beja und
Rbza, von denen die erstere die damalige Frau Abdaliah's war; eine
alte Negerfrau, welche seit langen Jahren als ihre Kqmmerfrau fun-
girte; endlich das kleine Njamnjam- Mädchen Jasmina, welches von
den Mördern mit nach Ghat geschleppt worden war.
Zu diesen ihren Begleitern, welche theils schon seit Jahren in ihren
Diensten standen, theils in Algerien gemiethet worden waren, hatte sie
in Tunis einen gewissen Mohammed el-Kebir, in Fezzan den Sohn des
früheren Rathsschreibers — Kätib el Medschelis — Ahmädi Effendi,
Namens Abd er-Rahmän, und ebendaselbst den beurlaubten Sbäihi
(irregulärer Reiter) Ramadan in ihre Dienste genommen, und der
Tross von freigeiassenen oder durch sic befreiten Sclaven, welcher
unter ihrem Schutze nach dem Sudan zu gelangen hoffte, hatte sie
auch auf ihrer Excursion mit Ichnuchen zu begleiten gewünscht, um
seinen kostenfreien Unterhalt nicht zu verlieren.
Nachdem die Dame gleichzeitig mit mir aus Murzuq aufgebrochen
war, hatte sie sich ohne Verzug in den Wadi Gharbi begeben und
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Al.EXANDRINE TINNE UND IIIR GEFOLGE. 409
den berühmten Tuärik-Häuptling bereits dort vorgefunden. Derselbe
war ohne Weiteres geneigt gewesen, die Reisende mit sich nach Ghät
und in seine Weidebezirke zu führen, hatte aber leider die Geschäfte,
welche ihn auf das Territorium von Fczzän geführt hatten, früher
beendigt, als jene erwartet hatte. Als er ihr eines Tages den bevor-
stehenden Aufbruch nach Ghät ankündigte, musste sie gestehen, dass
sie von der Plötzlichkeit desselben überrascht sei und darauf ge-
rechnet habe, den wesentlichen Theil ihrer Reiseausrüstung nach
einer Berathung über dieselbe mit ihm zuvor in Murzuq machen zu
können. Da Ichnuchen nicht so lange warten zu können behauptete,
so übergab er seine Schutzbefohlene dem Muräbid Hadsch Ahmed
Bü Släh, der im Wadi Gharbi seinen Wohnsitz hatte, doch aus dem
Tuärik- Lande stammte, mit dem Aufträge, sie nach Murzuq und
darauf nach Ghät zu geleiten. Mit der Versicherung, dass sie in den
Händen jenes frommen Mannes grade so sicher sein werde, als in
seinen eigenen, reiste der alte Häuptling ab.
Während nun Fräulein Tinne, in die fezzänische Hauptstadt zurück-
gekehrt, mit ihrem Geleitsmann die Vorbereitungen zur Abreise betrieb,
erhielt sie den Besuch von acht Tuärik aus dem Gefolge Ichnuchen's,
die ebenfalls zur Besorgung persönlicher Angelegenheiten zurückge-
blieben zu sein behaupteten. Dieselben waren keineswegs aufdringlich,
machten ihr, als einer distinguirten Fremden, die demnächst ihr Land
besuchen werde, einen Anstandsbesuch und stellten sich für den Fall
ihrer gleichzeitigen Reise in jeder Hinsicht zu ihrer Verfügung.
Unter diesen befand sich der Hadsch esch -Scheich, ein Schwester-
sohn Ichnuchen’s, und ein Onkel des in Murzuq gemietheten Abd
er-Rahmän, dessen Mutter eine Täriki-Frau gewesen war.
Fräulein Tinne war hoch erfreut über die Aussicht einer solchen
Reisegesellschaft, welche alle Bedingungen der Sicherheit in sich zu
schliessen schien, schenkte den Leuten Ehrengewänder und verab-
redete mit ihnen eine, wenn auch nicht gemeinschaftliche, so doch
gleichzeitige Reise nach Ghät. Die Zeit derselben kam heran, und
da die Reisende zu den wenigen Kameelen, die ihr noch von Tripolis
übrig geblieben waren, von den Arabern des Wädi Schijäti sieben-
undzwanzig weitere gemiethet hatte, deren jedes von einem Treiber
begleitet zu sein pflegt, so war ihre Gesellschaft unerfreulich gross
geworden.
Die acht Tuärik verliessen in der That gleichzeitig mit ihr die
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III. BUCH, I. KAPITEI.. MURZUQ IM WINTER l86g/70.
Stadt, nächtigten täglich in der Nähe ihres Lagers, brachen mit ihr
zu derselben Stunde auf und blieben auf dem Marsche in Sicht.
Man machte, wie es bei grossem Gefolge und im Anfänge einer
Reise gewöhnlich der Fall zu sein pflegt, kleine Märsche und erreichte
das Aberdschüdsch-Thal, wohin man nüthigenfalls in zwei Tagereisen
von Murzuq aus gelangen kann, erst in der dreifachen Zeit. In
dieser Richtung hören die bewohnten Ortschaften bald auf. Tesäwa
im Wadi Otba ist das letzte Dorf und liegt etwa einen Tagemarsch
östlich vom Aberdschüdsch ■ Thale; nördlich von diesem verläuft in
ungefähr derselben Entfernung der Wadi cl-Gharbi.
Es war am i. August, als man von Aberdscluidsch aufzubrechen
beabsichtigte. In der Morgenfrühe hatte man begonnen, das Lager ab-
zubrechen; ein Theil der Kamcele war bereits beladen; doch noch stan-
den die Zelte der Frauen. Die leicht beweglichen, gepäcklosen Tuärik
standen, auf ihre Lanzen gestützt und ihrer Sitte gemäss mit verschleier-
ten Antlitzen, in der Nähe und warteten des allgemeinen Aufbruchs.
Da begannen, wohl Verabredetermassen, zwei der mit ihren Kameelen
gemietheten Araber einen Streit über das ihren Thieren aufzulegende
Gepäck. Sie entwickelten dabei jene Lebhaftigkeit, welche den nicht
mit den Sitten ungebildeter Araber Vertrauten als ein Ausfluss hoch-
gradigster Leidenschaft erscheint und der harmlosesten Angelegenheit
einen gefahrdrohenden Anschein giebt. Die beiden holländischen
Diener waren reisefertig; ihre Reitkameele waren bepackt, ihre Feuer-
waffen hingen an den Sätteln, und sie selbst bethätigten sich hier und da
helfend und ordnend. Kees Oostmans war in der Nähe der streiten-
den Araber, mischte sich in ihren Wortwechsel und suchte vermit-
telnd, schlichtend, zur Ruhe verweisend einzugreifen. Dieser Um-
stand musste den Verschwörern als Veranlassung zur Ausführung
ihrer schändlichen Pläne dienen. Die Streitenden wendeten sich
gegen den holländischen Diener und verbaten sich seine Einmischung;
Scheltworte flogen hin und her, die Leidenschaftlichkeit wuchs sicht-
lich, und Thätlichkeiten schienen nahe. Da plötzlich sprang der
Täriki Hadsch esch-Scheich mit erhobener Lanze unter die Streiten-
den und durchbohrte den jungen Holländer mit den Worten:
„Warum mischest Du Dich in den Streit von Muselmanen r" Der-
selbe stürzte todt zu Boden, und damit war die Scene der Verwirrung,
welche den Zweck des verabredeten oder doch künstlich in Scene
gesetzten Vorganges bildete, herbeigeführt. Kees' Gefährte, Ary
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ERMORDUNG DER RASENDEN UND IHRER EUROPÄISCHEN BEGLEITER. 471
Jacobse, stürzte beim Anblick seines ermordeten Kameraden auf sein
Kameel zu, um sein Gewehr zu ergreifen, doch ehe er dasselbe er-
reichte, streckte ihn ein Schwerthieb des Mörders über den Hinter-
kopf zu Boden, und ein Lanzenstich vollendete die That. Alles war
das Werk weniger Augenblicke gewesen, und im Nu war das ganze
Lager der Schauplatz der grössten Bestürzung und Kopflosigkeit.
Die Frauen stürzten heulend und händeringend aus ihren Zelten; die
befreiten Sclaven glaubten ihr letztes Stündlein gekommen; Schuldige
und Unschuldige schrieen und tobten und drängten durcheinander.
Der wüste Tumult rief natürlich Fräulein Tinnc aus ihrem Zelte her-
bei, doch ihre befehlende Stimme verhallte ohnmächtig, und bald
befand sich die arme Dame, auf deren Leben es abgesehen war, im
dichten Getümmel, umgeben von verräterischen Arabern, von feigen
oder mitschuldigen Dienern und gewaltthätigen Tuärik.
Ein Araber war es, der zuerst die Hand aufhob gegen das wehr-
lose Weib, jener Otmän aus dem Stamme der Bü Sef, der noch heute
auf tripolitanischem Gebiete ein freies, wenn auch seit jenem Ver-
brechen gesetzloses und räuberisches, Leben führt. Sein Hieb mit
scharfer Waffe über Hals und Schulter streckte sie noch nicht zu
Boden; erst nach einem zweiten über den Vorderarm, den ein Sclave
des Hadsch esch-Schei'ch geführt haben soll, und nach dem starken
Blutverluste sank die zarte Dame zusammen. Ihr Bewusstsein schwand
glücklicherweise bald, doch erst als die Sonne die Mitte ihrer Bahn
überschritten hatte, hauchte die Arme das Leben aus.
Im Bewusstsein der Schmach, mit der sie ihre Unthat bedeckte
auch in jener Welt der Rechtlosigkeit, des Raubes und Mordes,
in der ein Menschenleben von sehr geringem Gewicht ist, gilt es für
eine Schande, ein Weib zu tödten , suchten die Mörder sich vor
sich selbst und der Welt zu entschuldigen, indem sie ihre verräthe-
rische That als den Ausfluss ihres religiösen Gefühls, ihres Hasses
gegen die Christen darstellten. Dadurch erschien dieselbe in den
Augen der Begleiter ihres Opfers, deren Bildungsgrad nicht hinreichte,
um die Vorschriften des Islam über die Behandlung Andersgläubiger
zu kennen , wenn nicht gerechtfertigt , so doch in milderem Lichte.
Das gesammte Negerpersonal und die Frauen wurden von den Ver-
schworenen in die noch aufrecht stehenden Zelte verwiesen mit der
tröstenden und ermuthigenden Versicherung, dass man ihnen kein Haar
krümmen werde, denn es sei nur auf die Christen abgesehen gewesen.
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472
III. HUCH, I. KAPITKt.. MURZUQ IM WINTER 1869/70.
Darauf machten sich die Thäter an die Befriedigung ihrer Hab-
sucht, welche ohne Zweifel das alleinige Motiv zur That gebildet
hatte. Wenn schon für den ärmlichst ausgerüsteten europäischen
Reisenden eine gewisse Gefahr in seiner Habe liegt, die trotz aller ihrer
Bescheidenheit dem armen Wüstenbewohner reich und begehrenswert!!
erscheint, so musste dies in ganz anderer Weise der Fall sein bei
unserer holländischen Reisenden, welcher der Ruf eines märchenhaften
Reichthums vorausging. Schon ehe sie Fezzän erreicht hatte, er-
zählte man in den Hofkreisen Küka’s von der seltenen Erscheinung
einer einzelnen Reisenden und von ihren Schätzen, und das Gerücht
von der „Königstochter" — Bcnt el-Re — , wie sie die Küsten-
bewohner getauft hatten, verbreitete sich alsbald nach allen Rich-
tungen bei den Stämmen der Wüste. Dem Anblicke ihrer zahllosen
Kisten und Gepäckstücke, den Gerüchten über ihren unbeschreib-
lichen Reichthum hatten die gewaltthätigen Tuärik nicht widerstehen
können, zumal ihre hcimathlichen Wohnsitze ihnen volle Straflosig-
keit sicherten. Dass die Tuärik die Anstifter waren, erleichterte
wieder den Arabern die Theilnahme am Complotte, denn es musste
diesen später immer leicht sein, dieThat denErsteren allein aufzubürden.
Furcht vor der Regierung in Fezzän konnte Niemand abhalten, denn
diese hatte eben so wenig die Mittel, Einfluss auf ihre ruhelosen und
räuberischen Nachbarn zu gewinnen, als ihre eigenen Unterthanen
zur Gesetzlichkeit zu zwingen und die Uebelthatcr zu bestrafen.
Fezzän regierte sich eben durch die Gutmüthigkeit der Bewohner,
nicht durch die Kraft der Regierung.
Es ist nicht unwahrscheinlich, dass der tunisische Diener Moham-
med cl-Kebir und der in Murzuq gemiethete Abd er-Rahmän, dessen
mütterlicher Onkel von manchen meiner Referenten anstatt des
Hadsch esch-Schei'ch als erster Mörder bezeichnet wurde, mit in der
Verschwörung waren. Besonders der Erstere wurde von Allen,
welche bei dem Schreckensereignisse gegenwärtig gewesen waren,
als Mitwisser, wenn nicht als Anstifter angesehen. Als Abdallah
sich vor der Abreise seiner Herrin nach Tripolis begeben hatte,
rückte Mohammed el-Kebir in die Stelle des vertrauten Dieners,
wurde mit der Sorge für das gesammtc Gepäck betraut und schien
sich um so besser für diesen Posten zu eignen, als er mit der Feder
umzugehen, die notlnvendige arabische Correspondenz zu besorgen
und die Listen und Rechnungen zu fuhren verstand. Schon unter-
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DIE MOTIVE DER THAT.
473
wcgs hatte er, sobald man das Lager aufgeschlagen hatte, einen ge-
wissen Verkehr mit den Tuärik unterhalten, und nach der blutigen
That war er es, der die Kisten und Kasten eröffnete und den
Räubern das baare Geld aushändigte, dessen geringer Betrag eine
allgemeine Enttäuschung zur Folge hatte.
Die Vertheilung des übrigen Inhalts der Kisten und Säcke wurde
auf dem Wege der Versteigerung der einzelnen Gegenstände an den
Meistbietenden vorgenommen, wobei das zuvor vertheilte Geld, Ka-
meele, Waffen und dergleichen als Kaufmittc! dienten. Sogar wäh-
rend dieser Zeit war das Schlachtopfer nicht vor den Rohheiten ihrer
Henker sicher. Noch aus ihren Wunden blutend und leise stöhnend
wurde sie ihrer Kleider beraubt, und zwar wurde allgemein Abd
er-Rahmän als Anstifter dieser neuen Schändlichkeit bezeichnet, so
dass also die vorherige Mitwissenschaft desselben ebenfalls sehr wahr-
scheinlich ist.
Der Markt nahm bald ein Ende, und Vieles von dem Gepäcke,
das den Wüstenbewohnern unnütz oder nicht kostbar genug erschien,
war unverkauft geblieben und lag zerstreut am Boden. Die Diener
hatten von den Räubern ein Kameel und einige Wasserschläuche zur
Rückkehr nach Fezzän erhalten, und mehr erfreut, dass ihnen selbst
kein Unheil widerfahren war, als traurig über den Verlust einer
Herrin, deren Wohlthaten sie stets mit Undank gelohnt hatten,
zögerten sic nicht, den sicheren Mauern Murzuq's zuzueilen.
Gegen zwei Uhr Nachmittags hatte Alcxandrinc Tinnc ihr
heldenmüthiges, glückarmes Leben, das sie aus der glänzenden Welt
ihrer Jugend in die Wüsten Afrikas geführt hatte, ausgehaucht.
Einst an Königshöfen bewundert in der Entfaltung ihres Geistes
und ihrer Schönheit, hatte sie die Wunden eines unbefriedigten
Herzens durch überweibliche Anspannung physischer und geistiger
Kräfte zu heilen oder zu vergessen gesucht und ihr Wohlwollen
an diejenigen verschwendet, welche sie jetzt verrathen hatten.
Die Mörder und Räuber kehrten auf den verschiedenen Wegen
in ihre Heimath zurück; die lieblose Schaar der Diener verliess
eiligst den Schreckensort, fast ohne einen Blick auf ihre Wohlthäterin
zurück zu werfen, welche, jüngst Besitzerin von Millionen, jetzt
ihrer Kleider beraubt und mit klaffenden Wunden, kaum den letzten
Athemzug gethan hatte. Bald lagerte wieder die heilige Stille der
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474 III. BUCH, I. KAPITEL. MURZUQ IM WINTER 1869/70.
Wüste über dem Schauplatze des blutigen Verbrechens, und nur die
Aasgeier bewachten ihre sichere Beute.
So war die unglückliche Dame, die trotz ihres zarten Körpers
den mannichfachen Gefahren ihrer früheren Reisen, dem verderb-
lichen klimatischen Einflüsse der gefürchteten Gegend der westlichen
Nil-Zuflüsse siegreich getrotzt hatte, dem Verrathe von Leuten erlegen,
zu deren Besuche ich ihr selbst gerathen hatte, und denen man in
der That ein solches Verbrechen nicht hätte Zutrauen sollen. Die
Tuärik sind wohl gewaltthätig und fanatisch, geniessen jedoch des
Rufes der Wortfestigkeit und eines gewissen mannhaften Edelmuthes.
Ichnuchen hatte ein Leben von fast drei Menschenaltcrn hinter sich,
und man kann sich nur schwer zu der Annahme entschliessen, dass
er um weltlichen Besitzes willen seine für jene Welt achtbare
Existenz mit einem Verbrechen zu beschliessen sich nicht gescheut
haben sollte. Henri Duveyricr, der beste Kenner der Tuärik und
ein ruhiger, vorurtheilsfreier Beobachter, schrieb mir nach meiner
Rückkehr aus Tibesti über das traurige Ereigniss, dass er nun und
nimmer daran glauben könne, dass Tuärik die Thäter seien, sondern
ohne vollgültige Beweise des Gegentheils überzeugt sein müsse, dass
die Schuld den Arabern zufalle.
Trotzdem ist die Urheberschaft des ganzen Verraths aufSeiten der
Tuärik wahrscheinlich, ihre Mitschuld sicher. Möglich ist cs, dass die
acht Tuärik wirklich persönliche Angelegenheiten in Murzuq zu er-
ledigen hatten, und dass sic nicht schon zur leichteren Ausführung des
schändlichen Planes zurückblicben; möglich ist cs, dass erst unterwegs
der tunisischc Diener ihre Habgier rege machte, oder dass ein perfider
Araber den ganzen Plan schmiedete und sie zur Mitwirkung ver-
mochte, aber nicht wahrscheinlich. Die Tuärik kommen nur sehr
vereinzelt nach Murzuq und haben wenig Beziehungen daselbst; ihr
Erscheinen in der Zahl von acht verräth ganz besondere Zwecke.
Nimmt man den ganzen Verlauf der Reise, die blutige Initiative des
angesehensten Täriki und die unthätige Zuschauerrolle, welche der
mit der Verantwortlichkeit für die Sicherheit der Ermordeten betraute
Hadsch Ahmed Bü Släh spielte, so muss man es für höchst wahr-
scheinlich halten, dass die Tuärik die Anstifter des Complottes
waren, zu dessen Ausführung sie natürlich die Araber als Bundes-
genossen haben mussten. Die Schuld weder jener noch dieser kann
geläugnct werden; man kann höchstens zweifelhaft sein, wer von
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IMF. URHEBER IIES VERBRECHENS.
475
beiden Thcilen der intellectuclle Urheber war. Um hierüber klar
zu werden und um die Schuldigen zur Rechenschaft zu ziehen, dazu
geschah von den Regierungen zu Murzuq und Tripolis ebensowenig,
als zur Feststellung der Rolle, welche die verdächtigen Diener gespielt
hatten.
Als das Gefolge Fräulein Tinne’s mit der Trauernachricht in
Murzuq eintraf, war das erste Gefühl des Gouverneurs, wie gesagt,
das der Freude, nun der Rückzahlung einer bei der Verstorbenen
contrahirten Schuld uberhoben zu sein. Man steckte zwar den
tunisischcn Diener, den Sohn Ahmädi Kffendi's und den Sbäihi Ra-
madan in s Gefängniss, doch den Erstercn entliess man nach wenigen
Tagen, für den Zweiten wurde sein Vater Bürge — Dämin — , und
als ich in Murzuq eintraf, hielt man nur den Letzten und zugleich
Unschuldigsten dieser drei gefangen. Von den arabischen Kameel-
treibern hatten sich nur diejenigen ergreifen hissen, welche keine
thätigen Mitschuldigen waren: die Uebrigen, unter denen der als
Hauptmörder bekannte Bü Sefi Otmän, lebten sicher im Wadi Schi-
jäti. Freilich muss man zur Entschuldigung der Behörden von Fezzän
hinzufügen, dass sie kaum in der Lage sind, irgend Jemand in den
Bezirken der Nomadenstämme zu ergreifen, wenn diese denselben
nicht ausliefern wollen, denn die Fusssoldaten der Garnison sind
schwer durch die Wüste zu schicken, und Pferde und Kameele hat
die Regierung nicht zur Verfügung. Die Zeiten sind vorbei, als der
Araberhäuptling Abd el-Dschlil noch dort regierte, und als wenigstens
späterhin die Türken einmal den vernünftigen Gedanken hatten, einen
arabischen Gouverneur, Hassan Pascha, einzusetzen; Beide hielten
darauf, dass eine gewisse Anzahl von Pferden und Reitkameelen stets
zur Verfügung der Regierung waren.
Man begnügte sich, das Ereigniss nach Tripolis zu berichten, die
Effecten der Verstorbenen in Aufbewahrung zu nehmen, nach dem
Wadi Schijäti um Auslieferung des Bü Sefi zu schreiben und von
Ichnuchen zu verlangen, er solle das gefangene Njamnjam- Mädchen
Jasmina, die geraubten Sachen und die Mörder nach Murzuq senden.
Der Hadsch Ahmed Bü Släh war begreiflicherweise aus Furcht, zur
Verantwortung gezogen zu werden, mit seinen Verwandten, den Tuärik,
nach Ghät gezogen und kehrte vorläufig nicht an seinen Wohnsitz
zurück.
In Tripolis war Ali Riza Pascha, der Ichnuchen als seinen Freund
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III. BUCH, I. KAPITEL. MURZUQ IM WINTER 1869/70.
476
bezeichnet und von seinem Einfluss auf denselben und die Tuärik
Asgar gesprochen hatte, beeifert, die ganze Schuld auf die Araber
zu wälzen, deren habhaft zu werden er gleichwohl keine Anstalten
machte. Er befahl, alle Diener und sonstigen Begleiter Fräulein Tinne's
nach Tripolis zu schaffen, und dort sollte der Process geführt werden.
Darüber verstrich eine geraume Zeit. Zwei Monate waren bereits
seit der Mordthat verflossen, als ich aus Tibesti zurückkehrte, und erst
im Anfänge des November begann man von der Absendung der
Leute zu sprechen, w elche um die Mitte des Monats beabsichtigt wurde.
Doch diese waren durchaus nicht beeifert, nach Tripolis zu gehen.
Einerseits befanden sie sich mit den drei Ghirsch täglich, welche von
der Regierung als zu ihrem Unterhalte erforderlich festgesetzt w'orden
waren, recht wohl, andrerseits hatten sie Furcht vor einem Ueberfalle
von Seiten der Araber Schijätfs, welche gedroht haben sollten, Jeden
aufzuheben, der zur Ablegung eines Zeugnisses iibcr den Christen-
mord nach Tripolis gehen werde. Abdallah konnte in Murzuq
ungestraft und ohne grossen Kostenaufwand seinem Hange zur Lieder-
lichkeit fröhnen; Freäh und Denqi steckten sich hinter die Frauen,
welche sic durch beunruhigende Schilderungen der Gefahren, die
ihrer unterwegs von Seiten der drohenden Araber warteten, dazu
brachten, abwechselnd Krankheitszustände zu simuliren, um die Ab-
reise hinauszuschieben. Endlich gegen Ende des Monats musste die
Absendung der Meisten auf dringende Reclamation des holländischen
Consuls in Tripolis erfolgen. Vor Schluss des Jahres, also mehr
als vier Monate nach dem Ereigniss, konnten sie nicht daselbst ein-
treffen, und im günstigen Falle konnte also die Fahndung auf die
Schuldigen beginnen, nachdem ein halbes Jahr seit ihrem Verbrechen
verstrichen wTar. Alles schien sich mit Vorliebe um die Sicherstellung
der noch vorhandenen Habe der Verstorbenen zu bekümmern; aber
Niemand zeigte ein ernstes Bestreben, die Schuldigen zu suchen und
das Verbrechen bestraft zu sehen.
Je mehr Zeit in dieser Hinsicht thatlos verstrich, desto unzuver-
lässiger mussten die Aussagen der Zeugen werden, von denen die
meisten sich nicht eben einer hohen geistigen Begabung erfreuten,
und die zum Theil aus Frauen und halberwachsenen Jünglingen be-
standen, und desto weniger Eifer musste die Bevölkerung, in deren
Mitte ein Theil der Mörder lebte, zeigen, dieselben der Gerechtigkeit
zu überliefern. Wie wrenig man in Tripolis die Verhältnisse in Fezzän
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MASSNAHMEN DER BEHÖRDEN.
477
kannte und sich zu energischen Mnssregcin entschloss, geht daraus
hervor, dass noch nach einem halben Jahre der holländische General*
Consul brieflich bei mir anfragte, wie es doch komme, dass der Haupt-
mörder noch immer nicht aus h'czzän in Tripolis angekommen sei.
Um endlich einen gewissen Eifer zu zeigen, nahm man im Anfänge
des December auf dem Markte Murzuq’s einen Täriki vom Stamme
der Tinelkuni, der zum grossen Theil im Wadi Gharbi seine Wohn-
sitze hat, gefangen. Derselbe sollte nach den Aussagen der damals
noch in Murzuq vorhandenen Zeugen der Mordthat noch auf den
todten Ary Jacobse geschossen haben, wurde aber bald aus Mangel
an wirklichen Beweisen freigelassen.
Dabei lauteten die Gerüchte über die Absichten der Mcqäriha und
Auläd Bü Sef immer drohender. Dieselben sollten geschworen haben,
nur die eigentlichen Diener der ermordeten Reisenden nach Tripolis
reisen zu lassen, ihre gefangenen Stammesgenossen und die übrigen
Zeugen aber unterwegs abzufangen und sich der Hinterlassenschaft
zu bemächtigen. Erst im Anfänge des folgenden Jahres, sechs Monate
nach dem aufzuklärenden Ereignisse, kam der Basch -Agha der
Sbäihiju von Tripolis mit einer kleinen Reitermacht, um die Ueber-
führung der Zeugen und der Hinterlassenschaft zu leiten, und wurde
später, als er diesen Auftrag ausgeführt hatte, in den Wadi Schijäti
geschickt, um die widerspenstigen Mcqäriha zur Ordnung zu bringen
und sich der Mörder zu bemächtigen. Von jenen ausgezeichnet auf-
genommen, bevvirthet und beschenkt, kehrte derselbe Ende Februar
zurück und berichtete vortheilhaft über die Dispositionen des über-
müthigen Stammes; aber die Mörder — hatte er nicht gefunden.
Um dieselbe Zeit wurde von der Regierung die energische Auf-
forderung an Ichnuchen wiederholt, die kleine Jasmina und den
Muräbid Hadsch Ahmed Bü Slah nach Fczzän zu schicken. Der
Letztere hütete sich vorläufig wohl, an seinen Wohnsitz zurückzu-
kehren; Ichnuchen aber kümmerte sich wenig um die diplomatische
Note, und einen Tuärik- Häuptling, Hadsch Dschabör, der seit lange
mit jenem in Fehde lag, sich auf tripoiitanisches Gebiet zurück-
gezogen und hier der Regierung angeboten hatte, den Hauptschul-
digen Hadsch esch- Scheich gefangen einzubringen, liess Ali Riza
I’äschä ins Gefängniss werfen. So verstrich die Zeit, und als ich im
Spätfrühjahr zur Abreise nach Bornü bereit war, schleppte sich der
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III. BUCH, I. KAPITEL. MUKZUQ IM WINTER 1869/70.
Process nur noch mühsam dahin und drohte immer unklarer zu werden
und endlich resultatlos zu verlaufen.
Ich war froh, als endlich die speciellsten Diener der Verstorbenen
Abdallah, Freäh, Denqi, Bc-ja, Habiba, Roza und die alte, treue
Negerin Murzuq verliessen. Abdallah war, wie gesagt, ein zügellos
liederlicher Mensch, über dessen schamloses Leben ich mit seiner
Herrin früher manche ernste Unterredung gehabt hatte. Die beiden
jüngeren Genossen folgten seinem Beispiele, und als sie den letzten
moralischen Halt durch den Tod ihrer Herrin verloren hatten, wurde
die Unordnung unerträglich. Von dem zahlreichen Gefolge war allein
die alte Negerfrau ihrer Herrin von Herzen ergeben; alle Andern
waren nur durch Interesse an ihre Wohlthäterin gebunden ge-
wesen, und hatten keinerlei wirkliche Anhänglichkeit gefühlt. — Die
Gesellschaft war sehr schwer in Ordnung zu halten; täglich kamen
Streitigkeiten, die nicht selten in Thätlichkeiten ausarteten, vor, und
der interimistische Gouverneur Hamcd Bei wich in seinen An-
schauungen und Entscheidungen stets durchaus von dem ab, was
ich für recht hielt.
Als endlich der letzte Mann und das letzte Stück Gepäck Fräulein
Tinne's expedirt war, begann ich lebhaft meine Abreise nach Bornü
herbeizusehnen. Gesundheit und Kräfte waren einigemiassen wieder-
hergestellt, und die vorläufige schriftliche Niederlegung meiner Er-
innerungen und Erfahrungen aus der Tibesti-Reise, die um so noth-
wendiger bald hatte geschehen müssen, als meine Aufzeichnungen
an Ort und Stelle, wie erwähnt, theils ungenügend gewesen, theils
bei der fluchtartigen Rückkehr verloren gegangen waren, hatte ich
beendigt. Sodann wurde ich ärztlich mehr in Anspruch genommen,
als mir die Rücksicht auf die Zukunft und den abnehmenden Medi-
camenten-Vorrath wünschenswerth erscheinen Hessen; endlich drohte
das auch während des Winters nie ganz erloschene Fieber bei der
zunehmenden Temperatur der bevorstehenden Monate mit erneuter
Kraft an meiner Gesundheit zu rütteln.
Dabei wurden die öffentlichen Zustände in Murzuq immer uner-
freulicher. Die ganze Stadt litt unter der kleinlichen Habsucht und
den Ungerechtigkeiten Ilamed Bei’s. Besonders der Qädi und die
Familie Ben Alüa, von denen man Abhülfe erwartete, führten einen
allmählich sich verbitternden Kampf mit der Unfähigkeit und dem
bösen Willen des augenblicklichen Machthabers, und dieses Vcr-
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UNERFREULICHE ZUSTANDE IN MUKZUQ.
479
hältniss übte einen drückenden Einfluss auf die gesellschaftlichen Zu- .
stände der Hauptstadt aus. Hamed Hei war nicht der Mann, den
Tcdä und Tuärik Respect einzuflössen und die nicht minder ge-
fürchteten Nomaden der Provinz und der grossen Syrte im Zaume
zu halten, so dass ein unbehagliches Gefühl öffentlicher Unsicherheit
auf den Bewohnern lastete. Die Araber des VVädi Schijäti ver-
spotteten die Regierung, und die der Scherqija und der grossen
Syrte hoben Pilgerkarawanen auf; die Teda der Oase Dschebädo
hatten zwar die früher in Bidän fortgeschleppten Leute zurück-
geliefert, aber bald darauf zwischen Murzuq und Qatrün eine Kawar-
Karawane geplündert; ein Gerücht endlich erhielt sich lange, dass
Ichnuchen sich mit dem Auläd Solimän verbündet habe, um Fezzän
ganz in Besitz zu nehmen.
Die Strenge der Jahreszeit war auch nicht eben erfreulich. Die
Thatsache, dass die dortige Winterkälte einen von mir früher unge-
ahnten Grad der Intensität erreicht, machte sich mir bisweilen recht
unangenehm fühlbar. Zwei der scheibenlosen Fensteröffnungen meines
Wohnzimmers verschloss ich durch vorgespanntes Baumwollcnzeug
und würde gern dasselbe mit dem dritten gethan haben, wenn ich
dadurch nicht das Licht gänzlich ausgeschlossen hätte. Ein Kohlen-
becken hatte ich mir zwar von den Ben Alüa geliehen, allein die
Tuärik des Wadi Gharbi brachten bisweilen wochenlang keine Kohlen
auf den Markt, und mit 50 oder 6° C. im Zimmer, wie nicht selten
des Morgens, ist Lesen und Schreiben, worauf ich doch angewiesen
war, eben keine angenehme Beschäftigung.
Mit dem Winter trat auch die, allerdings sehr seltene, Gefahr des
Regnens ein. Die Salzerde schmilzt vorkommenden Falls leicht, und es
ist ein unbehagliches Gefühl, nicht zu wissen, ob man dem Erdbau noch
einige Stunden Vertrauen schenken darf, oder ob es vorzuziehen ist,
sich in den Regen hinauszubegeben. Ich verdankte dem italienischen
Consul zu Tripolis einige Flaschen schottischen Whiskeys, die ich
mir sorgfältig versagt hatte, um mit meinem Diener Giuseppe am
Weihnachtsabend und in der Sylvester-Nacht die festliche Stimmung
zu erzeugen, welche im fernen Norden bei diesen Gelegenheiten vor-
herrscht. Der Weihnachtsabend kam heran; mit ihm aber auch der
Regen. Die Cigarre war angezündet; das Glas Grogk stand vor mir.
Ob der Regen wohl auf hören, das Haus Zusammenhalten würde?
Unruhig hörte ich hier und da schwere Tropfen auf Erdboden und
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4X0 III. BUCH, I. KAPITEL. MURZUQ IM WINTER 1R69/7O.
Bett fallen. Das Tempo derselben wurde schneller, und besorgt rollte
ich meine Lagerstatt zusammen. Da bröckelten Stückchen Erde vom
kunstlosen Plafond auf meine Papiere und Bücher, bald lagen in
einer Ecke des Zimmers die Palmenholzbalken skelcttirt da, und der
Regen drang ungehindert ein. Durfte ich schliesslich einen stürzenden
Balken als Beweis abwarten, dass das Haus hinweg schmelzen und zer-
bröckeln würde, wie ganz Temenhint einem plötzlichen Regen erlegen
war? Resignirt packte ich meine Habe in Kisten und Koffer, wie zur Ab-
reise ; der Grogk war kalt geworden, und die Erinnerung an die Heimath
und fernen Lieben konnte gegen die Anforderungen der Gegenwart
nicht aufkommen. Noch machte ich einen Versuch, meinen Zweck
zu erreichen, indem ich in Giuseppes Zimmer übersiedelte, das im
Erdgeschosse lag und mehr Sicherheit versprach. Ich versuchte cs
mit einem frischen Glase des wärmenden Getränkes, raffte alle Ge-
müthlichkeit zusammen, deren meine deutsche Natur fähig war, setzte
mich auf eine Kiste und versuchte von Neuem zu rauchen und zu
träumen. Da regnete es plötzlich in mein Glas. Das Fenster in
Giuseppc’s Zimmer bestand in einer Lücke des platten Daches, und
seine Scheiben waren durch eine Nummer der Londoner Times er-
setzt, welche grade den Substanzverlust deckte. So zähe und wider-
standsfähig sich dieses Blatt auch stets in anderer Beziehung erwiesen
haben mag, der Regen bohrte sich bald seine Lücken. Kaum hatte
ich mich mit meiner Kiste und meinem Glase in eine andere Gegend
des Zimmers geflüchtet, als mir ein Stück Erde in den Grogk polterte;
und so ging es fort in rastlosem Kampfe zwischen meiner deutschen
Gemüthlichkeit und der in der Wüste unerfreulichen Naturerscheinung,
bis die erstere unterlag. Um drei Uhr Morgens hörte der Regen auf,
und erst gegen vier Uhr schlich ich wehmüthig meinem Lager auf
der Strohmatte zu.
Solche Kleinigkeiten konnten natürlich nur Eindruck machen in
Mitten des müssigen Stilllebens von Murzuq. Es war hohe Zeit, dass
ich endlich Gelegenheit fand, weiter zu reisen und meine durch
Krankheit und Eintönigkeit gedrückten Lebensgeister wieder aufzu-
rütteln. Leider gab es noch immer keine Aussicht auf eine baldige
Handelskarawane. Wohl kam gegen die Mitte des December von
Bornü her eine Gesellschaft Medschäbra, deren Menschenwaare bei
dem verschärften Verbote des Sclavenhandels zum ersten Male heim-
lich bei Nacht in die Stadt gebracht wurde, nachdem freilich Hamed
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UNGEMÜTHLICHE WEIHNACHT. — REISEAUSSICHT. 481
Bei nicht versäumt hatte, die übliche Summe von zwei Mahäbub fin-
den Kopf — Räs — zu erheben — man sagte sogar, er habe bei
den schwierigen Verhältnissen die doppelte Summe gefordert und
erhalten — , doch für die umgekehrte Richtung gab es keine Reise-
lustigen.
Endlich im Anfänge des neuen Jahres lief die Nachricht ein,
dass 'Ali Riza Pascha die Absicht habe, ebenfalls eine Gesandtschaft
an den König von Bornü zu schicken. Dieselbe sollte, sagte man,
diesem Negerfürsten Geschenke überreichen und durch seine Ver-
mittlung eine Sammlung wilder Thiere zur Uebersendung nach Con-
stantinopel zurückbringen. Der Grossherr Abd el-Aziz hatte ein
grosses Interesse für Löwen, Tiger und ähnliche Bestien gewonnen,
und der Gouverneur einer Provinz hat es sehr nothwendig, durch
kleine Aufmerksamkeiten allerhöchsten Ortes von Zeit zu Zeit seine
Person in freundliche Erinnerung zu bringen. Daneben konnten
einige Eunuchen mitgebracht werden , deren Bedarf in den Palästen
der Grossen Stambul’s noch immer gross ist, und welche das er-
wünschteste Geschenk bilden für die mächtigen Vermittler zwischen
dem fern von der Hauptstadt lebenden Würdenträger und dem Be-
herrscher der Gläubigen.
Die Reisegesellschaft einer solchen Gesandtschaft konnte mir
keineswegs angenehm sein. Es war vorauszusehen, dass der türkische
Muschir seinen Sendboten mit allem Glanze eines wirklichen Ge-
sandten des Grossherrn ausstatten, und dass derselbe mich sowohl
durch äusseres Auftreten als durch seinen muselmanischen Charakter
überall und bei jeder Gelegenheit in den Schatten stellen würde. In
den sudanischen Ländern werden Boten, wie der auszusendende Beamte
des Wall und meine eigene Person, als wirkliche Gesandte, unmittelbare
Vertreter ihrer Herrscher angesehen, und das bescheidene Auftreten,
zu dem ich von vornherein verurtheijt war, musste meinem persön-
lichen Ansehen und dem Rufe meiner heimischen Regierung um so
mehr schaden, je weiter es hinter dem des ottomanischcn Sendboten
zurückstand, und je unmittelbarer es mit demselben verglichen werden
konnte. Doch wie dem auch sein mochte: wenn keine Karawane
von Kaufleuten bis zur Verwirklichung der tripolitanischen Gesandt-
schaft zu Stande gekommen war, musste ich froh sein, auf diese
Weise überhaupt nach Bornü zu gelangen.
Eine Zeit lang schien es sogar, als ob mir auch diese Möglich-
Kachiigal. t. hl
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482
III. BUCH, I. KAPITEL. MURZUQ IM WINTER 1 869/70.
keit entzogen werden sollte. Das Gerücht der Gesandtschaft be-
wahrheitete sich zwar, und es wurde zu ihrer Uebernahme einer der
Regierungssecretaire in Tripolis, der Hadsch Mohammed Hü Äi'scha,
ein Bruder jenes früheren Mudir, der mir in Semnu Gastfreundschaft
hatte angedeihen lassen, bestimmt; doch der Muschir selbst suchte
meine Mitreise unmöglich zu machen. Meine Freunde schrieben mir
aus Tripolis, dass Ali Riza seinen künftigen Sendboten angewiesen
habe, Alles aufzubieten, um meine Mitreise zu verhindern. Darauf
liess ich die Regierung durch Herrn Luigi Rossi formell ersuchen,
mich ihrem Abgesandten speciell zu empfehlen, und erkannte aus
der Weigerung, dies zu thun, die Richtigkeit der mir zugegangenen
Nachricht. Der General-Gouverneur theilte dem östreichischen Consul
officiell mit, dass er vergebens versucht habe, dem genannten Hü
Ai’scha die gemeinschaftliche Reise mit mir anzuempfehlen; dass
dieser und seine Gefährten seit der Hrmordung Fräulein Tinne’s sich
scheuten, mit einem Christen die unsichere Wüste zu durchziehen,
und dass er nicht in der Lage sei, einen Druck auf dieselben aus-
zuüben, da sie zu kaufmännischen Zwecken nach Bornü gingen und
nur aus Gefälligkeit seine Briefe und Geschenke mit sich nähmen.
Abgesehen von einem gewissen Uebelwollen, das er mir von Anfang
an gezeigt hatte, sei es, dass er seinen Hass gegen Herrn Rossi auch
auf mich übertrug, sei es aus irgend einem anderen Grunde, fürchtete
er wahrscheinlich, dass ich Zeuge des Handels werden könnte, den sein
Gesandter mit Eunuchen und anderen Sclaven für eigene und seines
Herrn Rechnung treiben würde, und dass die Königlichen Geschenke,
deren Ueberbringer ich war, seine bescheidene Sendung am Hofe
von Küka in Schatten stellen würden. Als ihm später durch diplo-
matische Vermittlung, welche ich angerufen hatte, von Constantinopel
der Befehl zuging, in jeder Weise meine Reisepläne zu fördern,
machte er dorthin ebenfalls die obigen Einwendungen geltend,
schilderte den unsicheren Zustand der Karawanenstrasse, indem er
sich auf die Ermordung Fräulein Tinne's berief, und schlug scheinbar
in meinem Interesse vor, die deutschen Geschenke durch einen Ein-
geborenen Fezzän’s nach Bornü überführen zu lassen. Es entstand
aus diesen Ränken des Wäli eine höchst unerfreuliche Correspondenz,
die mich Monate lang in Aufregung und Aerger erhielt. Nur der
Hadsch Brähim Ben Alüa lachte über meine Besorgnisse und erklärte
es gradezu für unmöglich, mich durch lntriguen des Muschir von der
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INTR1GUEN DES WÄLt. — DER NEUE MÜTÄSARRIF. 483
Mitreise auszuschliessen. Bü ’A'ischa selbst, meinte er, werde sicher-
lich nicht einmal den Versuch machen, mich abzuhalten, und selbst
in diesem Falle sei ein Erfolg desselben um so weniger denkbar,
als sich auch verschiedene Kaufleute aus Fezzan und speciell aus
Murzuq zur Mitreise vorbereiteten.
Der kurze Winter war längst zu Ende gegangen, und man er-
wartete allwöchentlich die Ankunft Mohammed Ku Äischa’s, der noch
im Aufträge der Central-Regierung eine neue Steuerveranlagung in Fez-
zän machen sollte. Inzwischen endigte im Februar die interimistische
Regierung Hained Bei’s mit dem Eintreffen des neu ernannten Gouver-
neurs Halim Pascha. Dieser hatte schon einmal die Geschicke der
Provinz gelenkt und ein gutes Andenken bei der Bevölkerung hinter-
lassen. Im Beginn des Monats kam als sein Vorläufer der neue
Commandeur der Murzuqer Garnison, ein hübscher, soldatischer Mann
von etwa vierzig Jahren, der sich lange genug in Tripolis aufgehalten
hatte, um fertig arabisch zu sprechen, mit intelligenten Augen, fein,
doch scharf geschnittener Nase und energischem, doch nicht eben
wohlwollendem und vertrauenerweckendem Gesichtsausdruck. Er
kehrte als neuer Besen gut, und versetzte sowohl die Üfficiere als
die Soldaten in die höchste Verwunderung durch tägliche Exercitien
und militairische l ebungen, deren sie -durchaus ungewohnt waren.
Der alte, abgelöste, opiumvcrtilgende K61-Aghäsi sah sich die Sache
sehr gleichmiithig an, und die Neuerung schlief denn auch sehr
bald wieder ein. Man muss schon ein durchaus aussergewöhnlicher
Charakter sein, um gegen die allgemeine Lethargie, welche Murzuq
umfängt, mit Erfolg ankämpfen zu können.
Elastischer erschien Halim Pascha selbst, ein kleiner, lebendiger,
fröhlicher, auf der Grenze des Greisenalters stehender Mann, dessen
Gesicht einen wohlwollenden Ausdruck hatte, und dessen Auftreten,
wenn nicht grade Intelligenz, so doch eine gewisse praktische Klugheit
verrieth. Er war voll guter Absichten und Pläne, welche zu beweisen
schienen, dass die Erfahrungen seines früheren Aufenthaltes in Fezzan
nicht ganz spurlos an ihm vorübergegangen waren. Man konnte freilich
bald erkennen, dass ihm zu einer wirklichen Umwandlung der Ver-
waltung Fezzan’s Ernst und Tiefe abgingen. Gleiclnvohl war das
harmlose Volk mit ihm zufrieden; ihm genügte bei seinen traurigen
Erfahrungen, dass er nicht bösartig war. Gleich anfangs trat er
auch den Tedd und Tudrik gegenüber mit einer gewissen Festigkeit
3t *
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III. HUCH, I. KAPITEL. MURZUQ IM WINTER 1S69/7O.
4*4
auf und zeigte ihnen durch besondere Boten an, dass er jeden Räuber
unerbittlich hinrichten lassen werde; andrerseits drohte er, ebenso
streng die Uebergrifife der übernnithigen Araber Fezzän's und der
Syrtengegend zu bestrafen. Doch in dieser Beziehung blieb Alles
beim Alten; die Drohungen waren wohl weder von ihm selbst so
ernstlich gemeint, noch glaubte Jemand an die Möglichkeit ihrer
Ausführung. In der inneren Verwaltung hielt er augenscheinlich an
dem in der Türkei üblichen Günstlingswesen fest, denn er ernannte
alsbald einen gewissen Abd el-Bei, einen früheren Memfi (Deportirtcn),
der durch Opiummissbrauch gänzlich demoralisirt war, zum Mudir
des Wadi Gharbi, machte einen Sohn des erwarteten Bü Äi'scha
zum Mudir des Wadi Scherqi und versprach auch, meinen Gast-
freund aus Semnu wieder einzusetzen. Mit Halim war sein jüngster
Sohn gekommen, ein lebendiger, kräftiger Jüngling von etwa acht-
zehn Jahren, der als Sohn einer Ildschija*) so werden die
weissen Sclavinnen in türkischen Landen genannt — aus Circassien
mit seinem weissen Teint, blonden Haar und blauen Augen seltsam
mit dem Aussehen seiner Umgebung contrastirte. Es war fast ein
Verbrechen, einen jungen Menschen an einen solchen Platz zu führen,
und ich zweifle nicht daran, dass derselbe in der unerträglichen Ein-
förmigkeit des dortigen Lebens, in Mitten des geistigen Schlafs oder
Todes, in den Alles versunken war, seine Unterhaltung in den rohsten
sinnlichen Genüssen gesucht haben und in wenigen Jahren, wenn ihn
das Schicksal nicht auf einen andern Schauplatz geführt hat, voll-
endeter Lasterhaftigkeit anheimgefallen sein wird. Eine solche Bc-
amtenschule wird aber in den ferner gelegenen Provinzen des tür-
kischen Reiches für ausreichend gehalten, und wenn der Sohn Halim
Paschas wahrscheinlich bald darauf zum Mudir eines Fezzäner Be-
zirkes ernannt wurde, so kann man sich denken, wie es mit Ordnung
und Recht in demselben bestellt sein musste.
In den letzten Tagen des Februar traf Mohammed Bü ’Ai'scha
ein, ein kräftiger, hochgewachsener, lebhafter Mann von funfundfünfzig •
bis sechzig Jahren, welcher der Gutmüthigkeit zwar nicht zu ent-
behren schien, aus dessen Augen aber vor Allem List und Klugheit
leuchtete. Er gehörte dem mehrfach erwähnten Stamme der Auläd
*) Das Wort 1 Wisch bedeutet eigentlich ,, Barbar”, Barbarus religinneui Muhanitncrfi*
non profitens (Freitag, Lexicnn nrabico * latinum). .* - i
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i>f.r gesandte bü ’AYscha. 485
Solimän an und war voller Erinnerung an die glanzende Periode der-
selben unter ihrem Häuptling Abd el-Dschlil, als dessen Sccretair
Kätib — er einst fungirt hatte. So lange jener in Fezzän geherrscht
und in Frieden mit der türkischen Regierung in Tripolis gelebt hatte,
war er als sein Agent bei der letzteren accreditirt gewesen. Später war
er ein thätiger Zeuge der heroischen Kämpfe des Araberhäuptlings
gegen die Türken gewesen, und als sein Herr in der entscheidenden
und verlorenen Schlacht den Tod gefunden hatte, war er selbst ver-
wundet und gefangen nach Tripolis geführt worden, wo er es, mit der
Zeit wieder zu Gnaden angenommen, zu der Stellung eines Regierungs-
schreibers gebracht hatte. Er liebte die Erinnerungen an jene inter-
essante Zeit und freute sich darauf, seine Stammesgenossen, welche
seit einem Menschenalter in Känem ihr Wesen trieben, und von
denen er noch Viele persönlich kannte, wiederzusehen.
Von einem Versuche seinerseits, die gemeinschaftliche Reise mit
mir zu umgehen, war nicht die Rede; er schien meine Gesellschaft
bis Bornü vielmehr als selbstverständlich anzusehen. Ich verdankte
dies einestheils seiner Bekanntschaft mit dem Consul Rossi, mit
welchem er in Geschäftsverbindung stand, anderntheils dem sich um
diese Zeit verbreitenden Gerüchte von der demnächstigen Abberufung
Ali Rizä's. Welche bescheidene Stellung ich freilich an seiner Seite
unterwegs und in Bornü einnehmen würde, ging mir aus dem officiellen
Empfange hervor, den ihm Haltm Pascha zu Theil werden liess.
Dieser empfing ihn zu Pferde ausserhalb der Stadt, in grosser Uniform
an der Spitze der ganzen Garnison, und begleitet von allen höheren
Beamten, den Mitgliedern des Medschelis und den Honoratioren der
Stadt. Sein Einzug war ebenso festlich, als der des Gouverneurs
gewesen war, und ich fühlte mich in der That einigermassen bedrückt,
w'enn ich seine glänzende Uniform mit meiner bescheidenen arabischen
Kleidung verglich, und wenn ich seine stolzen Pferde betrachtete,
während ich bisher stets auf einfache Lastkamcele zum Reiten be-
schränkt gewesen war.
Während des ganzen Monat März war Bü Äischa mit der neuen
Steuereinschätzung der Fezzäner beschäftigt, die natürlich darauf be-
rechnet war, noch etwas mehr als früher aus den gutmüthigen Leuten
heraus zu pressen, und die also allgemeines Missvergnügen erzeugte.
Obgleich die Nachricht von Tripolis einlief, er solle diese Thätigkeit
einstellen, da von der Stambuler Regierung ein Special -Commissar,
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480 III. BUCH, I. KAPITKI.. MUKZUQ IM WINTER 1 869/70.
ein sogenannter Mufettisch, für ganz Tripolitanien ernannt sei, so
verheimlichte er doch diesen Befehl, um aus der Ausführung des
Auftrages noch einige kleine materielle Vortheile zu ziehen.
Ich vollendete indessen meine Reisevorbereitungen, entschloss
mich zum Ankauf eines Pferdes, das nach der Versicherung Aller
unumgänglich nothwendig sei, um einigermassen anständig in Bornü
aufzutreten, und erwartete mit Sehnsucht den Moment der Abreise.
Bu Äischa besass ungefähr zwanzig Kameele, obwohl die Geschenke,
deren Ueberbringer er war, ausser zwei Pferden nur aus einem Säbel
und einem Qorän bestanden, und hatte ein so grosses Gefolge, dass
ich voraussah. ich würde mich mit meinen neun Kameelen und fünf
Leuten unterwegs allen seinen Anordnungen zu fügen haben. Seine
Gesellschaft bestand aus Verwandten, Clienten und Sclaven, von
denen die Ersteren die lange und mühsame Reise ohne eine be-
stimmte Zusicherung von Gewinn in der unbestimmten Hoffnung
unternahmen, dass von den Reichthümern, mit denen die Freigebig-
keit des Scheich Omar unzweifelhaft ihren Gönner überschütten würde,
auch für sie Etwas ablallen werde. Böse Zungen in Murzuq be-
haupteten, dass die vielen Kisten und Kasten, welche der Gesandte
mit sich führte, keine VVaaren, wie er glauben machen wollte, ent-
hielten, sondern leer und nur bestimmt seien, den Herrscher von
Bornü und seine Würdenträger zu blenden und auf Kosten derselben
gefüllt zurück gebracht zu werden.
Dieser Entfaltung von Macht und Glanz gegenüber freute ich
mich, als ausser den Kaufleuten, welche die Reise mitzumachen be-
absichtigten, aber weder durch Zahl noch durch Ansehen ein Gegen-
gewicht gegen Bü Äischa zu bilden verhiessen, eine grosse Gesell-
schaft marokkanischer Gaukler unsere Karawane zu vergrössern ver-
sprach. Im Süden Marokkos, von Agadir bis zur Säqia el-Hamrä,
blüht dieses, sonst in der Welt des Islam nicht besser als bei uns an-
gesehene Gewerbe ausserordentlich , ist den Bewohnern ganzer Ort-
schaften eigenthümlich und erbt in den Familien fort. Ueber alle Länder
des Islam verbreiten sich diese Akrobaten in oft ansehnlichen Banden,
und nicht selten hat man sogar Gelegenheit, sie in den Städten
Europas ihre Turnkünste und Kraftstücke producircn zu sehen. Wie
Marokko überhaupt das Land mystischer Secten, fanatischer Religions-
gesellschaften und geheimnissvollcr Heiliger ist, so umgeben sich auch
diese Leute mit einem mystisch • religiösen Nimbus und vereinigen
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MAROKKANISCHE oaukier und pii.cer. 487
gewöhnlich ihre Kunstreisen mit der Pilgerfahrt nach Mekka. Trotz
der grossen Entfernung und obgleich die mit der Ausübung eines
solchen Gewerbes verbundene Reise Jahre bis zur Rückkehr erfordert,
ist Marokko ebenso reich an Pilgern Hadsch pl. Hadsch idsch — ,
als an Abkömmlingen des Propheten — Scherif pl. Schurafd, Scherdfa
oder Aschrdf — und Manche jener Gaukler reisen, so zu sagen,
zwischen ihrer Heimath und dem heiligen Lande beständig hin und
her. Meist stehen solche Pilger Gesellschaften in Verbindung mit
religiösen Instituten Zäwia — , welche in grosser Anzahl bestehen
und, wie unsere Klöster, theils zum Aufenthalte für fromme Nichts-
thuer, theils als religiöse Unterrichts-Anstalten, theils als Stätten
der Gastfreundschaft und der Wohlthätigkeit dienen. Von diesen
werden sie zu der langen Reise ausgestattet, bringen aber dafür
oft relativ beträchtliche Summen in die Kassen ihrer Institute
zurück.
Die Marokkaner, um welche es sich im vorliegenden Falle han-
delt, und welche in der zweiten Hälfte des März in Murzuq anlangten,
stammten aus dem Lande Süs, wo Sidi Husein, einer jener heiligen
Männer der islamitischen Welt, die an Ansehen mit Fürsten wett-
eifern, von seiner weit und breit berühmten Zäwia zu Tasruäl aus
seinen Einfluss auf die Stämme des Wädi Süs, des unteren Wädi
ed-Drd' und der Sdqia ausübte. Wie fast alljährlich hatten sich dort
Männer, Jünglinge und Knaben aus der Gegend zur Pilgerfahrt ge-
sammelt und der Hadsch Sdlih, der bereits zwölf Mal Mekka besucht
hatte, war wieder zum Chef — Moqaddem oder Scheich — der Ge-
sellschaft ernannt worden. Diese war, etwa fünfzig Köpfe stark, in
nordöstlicher Richtung durch Marokko gezogen, hatte die hauptsäch-
lichsten Städte Algerien s berührt, in Tunis ihre Künste gezeigt und
war endlich nach Tripolis gekommen, wo man dem Hadsch Sdlih
gerathen hatte, zum Besten seiner Zawia den Umweg durch die
Sudan-Länder nicht zu scheuen und die Höfe der sclavenreichen und
freigebigen Negerfürsten zu besuchen. Ohne eine klare Idee von
der Grösse des Umweges und den Schwierigkeiten und Zeitverlusten
zu haben, welche eine solche Reise mit sich, bringen musste, folgte
der kühne, abenteuerliche Sinn der Pilgergesellschaft diesem Rathe.
Anstatt, wie gewöhnlich, längs der Nordküstc über Siwa nach Egypten
zu wandern, schlug derselbe von Tripolis aus den Weg nach Fezzan
ein und kam schon ziemlich enttäuscht über die Fruchtlosigkeit des
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488 III. BUCH, I. KAPITKI.. MURZUQ IM WINTER l86q/70.
Wüstenweges in Murzuq an. Da schon in Algerien und Tunis Viele
in Folge von Zwistigkeiten ihre Gefährten verlassen und Andere sich
geweigert hatten, den weiten Weg durch die Negerländer zu machen,
so war die Gesellschaft bei ihrer Ankunft in Murzuq bereits auf fünfund-
zwanzig Individuen zusammengcschmolzen , von denen ungefähr die
Hälfte noch in dem kindlichen Alter von neun bis fünfzehn Jahren stand.
Es waren interessante Erscheinungen, in der Mehrzahl unverfälschte
Berber, von denen Manche nur wenige Worte der arabischen Sprache
verstanden. Mit Ausnahme des Hadsch Sälih, der ein Fünfziger war,
und eines andern älteren Mannes, waren die Erwachsenen junge,
kräftige und elastische Leute, die Kinder sehr frisch und lebendig.
Die armen Kleinen hatten nicht allein den ganzen Weg zu Fuss zu-
rückgelegt, sondern gewiss in den Nächten von Kälte und an den
Tagen von Durst arg gelitten, denn sie besassen nur zwei Kameele,
welche das gesammte Gepäck und den ganzen Wasservorrath tragen
mussten. Der Hadsch Sälih schien kein Freund von Weichlichkeit
und Bequemlichkeit zu sein. Einige waren vortreffliche Springer,
Andere führten ungewöhnliche Kraftleistungen aus, und der Hadsch
Sälih balancirte eine etwa 20 Fuss lange, mächtige Stange in den
Händen oder im Gürtel, während drei oder vier Knaben an derselben
turnten. Manche verstanden keinerlei Gauklerstücke, füllten aber die
I’ausen zwischen den Productionen der Gymnasten durch musikalische
Unterhaltung auf Trommel und Pfeife aus. Noch Andere endlich,
welche bei den öffentlichen Vorstellungen in keiner Weise mitwirken
konnten, mussten die Hausarbeit thun, Wasser holen, kochen, nähen
und andere Dienstleistungen verrichten.
Dass von den armen Einwohnern Murzuq’s keine erheblichen
Einnahmen zu erwarten waren, begreift sich. Hädsch Sälih musste
sich damit begnügen, in und vor den Häusern der Honoratioren Vor-
stellungen zu geben, und derer, welche in der Lage und geneigt
waren, anständig zu bezahlen, waren nicht Viele. Der Päschä, Hadsch
Mohammed Ben Alüa, sein Sohn Hädsch Brähim , der Qädl, Bü
Ai'scha, der Hädsch el-Ämri, der Kätib el-Mäl und meine Person
waren die Einzigen, welche ihr Scherflein zur Kunstreise und Pilger-
fahrt beitrugen. Um mir einen Anhang zu verschaffen, der mich
unter Umständen unabhängig von Bü Aischa und seinem Gefolge
machen konnte, suchte ich mir diese Leute, von denen die Erwach-
senen ausserordentlich geschickt mit ihren vortrefflichen marokka-
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MEINE REISEBEGLEITUNG.
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nischen Steinschlossgewehren umzugehen wussten, geneigt zu machen,
schenkte ihnen, als sie vor meinem Hause ebenfalls eine Vorstellung
gaben, zehn Maria - Theresia -Thaler und schoss ihnen die nöthige
Summe zum Ankäufe eines dritten Kameels, dessen sie unumgäng-
lich bedurften, unter der Bedingung vor, dass sic mit mir und nach
meinem Wunsche reisen würden. Der Ruf der Mannhaftigkeit, dessen
sich die Berber überall erfreuen, die zahlreichen Beispiele von Muth,
welche ich während der tunisischen Revolution an den Zuäwa aus
den algerischen Bergen zu bewundern Gelegenheit gehabt hatte, und
die strenge Zucht, welche Hadsch Sälih in seiner Gesellschaft hielt,
schienen mir eine ausgezeichnete Begleitmannschaft zu versprechen.
Dieselbe konnte mir um so nützlicher werden, als ich sehr schlecht
mit Dienstpersonal versehen war. Den oft beim Diebstahl ertappten
Ali aus Mandära hatte ich seit längerer Zeit als unverbesserlich aus
meinem Dienste entlassen, und ihn nur, da er andernfalls sicherlich
in die Sclaverei zurückverfallen würde, erlaubt, unter meinem Schutze
in seine Heimath zurückzukehren. Dass ich diesen als Diener
verlor, konnte ich nicht sehr bedauern, da er weder mit Kameelcn
umzugehen verstand, noch irgend welche Erfahrung im Wüstenreisen
hatte; doch dass ich auch den Fezzäner ’Ali, der ein höchst brauch-
barer Mann in dieser Hinsicht war, entlassen musste, war ein grosser
Verlust für mich. Das müssige Leben während des ganzen Winters
1869/70 hatte ihn in landesüblicher Weise liederlich und in Folge
dessen auch unredlich gemacht. Alles Geld, dessen er mit Recht
oder Unrecht habhaft werden konnte, trug er zu seiner Schönen in s
Nachbarhaus, und als er ihren Anforderungen nicht mehr Genüge
leisten konnte, machte er mein Pferd, das er alle Morgen spazieren
zu reiten den Auftrag hatte, zur Quelle des Gewinnes. Während ich
mir alle erdenkliche Mühe gab, das kaum gekaufte Thier für die be-
vorstehende Wüstenreise zu stärken und zu kräftigen, benutzte er
dasselbe, um zu einem bei der dortigen Pferdearmuth erklärlichen,
verhältnissmässig hohen Preise heimlich alle Stuten der Umgegend
decken zu lassen. Leichtsinnig und starrköpfig, wie er war, schlug er
alle guten Lehren und Rathschläge in den Wind, und es gab endlich
keinen Ausweg mehr, als ihn zu entlassen. So blieben mir von
meiner ursprünglichen Dienerschaft nur Büi Mohammed, Sa'ad und
Giuseppe, von denen die beiden Letzteren nie W'üstenrcisen gemacht
hatten, und ich musste daran denken, ihre Zahl wieder zu vervoll-
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III. BUCH, I. KAPITEI.. MCKZUQ IM WINTER 1869/70.
ständigen. Ich micthetc mir also für den bevorstehenden Weg nach
Bornü einen Fezzäner, Namens Ben Zekta, der grade aus der Mur-
zuqer Garnison geschieden war, um bei einem reichgewordenen
Bruder, der als Kaufmann in Ktika lebte, eine wenn auch nicht mühe-
losere, so doch ergiebigere Existenz zu suchen. Ausserdem überwies
mir der Hadsch Brähim seinen Haussasclaven Barka, den er mit zwei
Kamecllasten Waaren nach Bornü schickte, zur Hülfslcistung.
Meine Kameele hatte ich auf neun gebracht, gute Haussa-Wasser-
schläuche — Qirba — und fezzanische Gepäcksäcke — Ghurära — ge-
kauft, und Reis, Mohammes, Datteln und Buqsmät als Mundvorrath
— Müna oder Awm — angeschafft: Bui Mohammed hatte die
Kameelsattel , Stricke und dergleichen erneuert und sah ebenfalls
sehnsüchtig dem Tage der Abreise entgegen, welche sich so lange
hinausgeschoben hatte, dass ich bisweilen zu zweifeln begann, ob sie
sich jemals realisiren werde.
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Zweites Kapitel.
REISE NACH KAWÄR.
Abschied von meinen Freunden. — Nachtlager zu IMdsch Hadschll. -- Zczatt und
cl-Quleib. — Sebcha von Trügen und Müfcn. — Weg von Mdfen nach Mcstüta. —
Bü 'Aischa's Erzählungen aus der Vergangenheit Fczzdn’s. — Der alte Zein cl-’Abidin.
Marsch nach Bir Dckklr und Qatrun. — Tod des Hddsch Dschübcr. — Arabische
Pferdekenner. — - Drohender Kaubzug der Tedd Tu'*. — Zwistigkeiten unter den
Marokkanern. — Phantastische Abendvorstellung derselben. — Ankunft unserer Reise-
gefährten aus Murzuq. — Marsch nach Tedschcrri und Kmpfang daselbst. — Dattcl-
uiid Strohproviant. — Strecke bis zuin Tüinmo. — Kbcne , Berg und Brunnen MÄ-
döma. — Station MafSras. — Vegetation der Gegend. — Die Oase Jat. — Die Düm-
palmc und ihre Frucht. — Die Oase Jeggeba. — Die Strasse nach Bornu im All-
gemeinen. — Barbarische Strenge des Hddsch Sdlih. — Ankunft in der Nähe KawÄr's.
Als Tag des Aufbruchs war der 18. April bestimmt worden.
Hü Äischa, Hadsch Abd er-Rahmän, Schwiegersohn des älteren Ben
Alüa, Hadsch Hamida, Schwager des Scheich Omar von Bornu, und
Hadsch Bü Hädi, ein Murzuqer Kaufmann, welche die vornehmsten
Glieder unserer Karawane waren, beabsichtigten noch einige Tage
in der Stadt zu verweilen, expedirten aber wenigstens ihre Leute
und ihr Gepäck zur festgesetzten Zeit. Ich selbst war viel zu erfreut,
dass die Reise endlich beginnen sollte, als dass ich mich auch nur
einen Tag hätte zurückhalten lassen. Wir versammelten uns in den
vor dem Ostthore der Stadt gelegenen Gärten, und die vornehmsten
Einwohner Hessen es sich nicht nehmen, uns dort Lebewohl zu sagen
und unsere Reise durch das übliche Fätiha einzusegnen. Hin Jahr
war grade verflossen, seit ich, von Norden kommend, durch dasselbe
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III. BUCH, 2. KAPITEL. REISE NACH KAWAR.
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Thor eingezogen war, und wenn ich auch fast die Hälfte dieser Zeit
auf der denkwürdigen Excursion nach Tibesti abwesend gewesen war,
so hatte ich doch lange genug in der Stadt selbst gelebt, um unter
den Einwohnern manche liebenswürdige Bekannte und selbst warme
Freunde erworben zu haben. Man war mir im Ganzen mit viel Wohl-
wollen begegnet; niemals hatte ich von religiösem Fanatismus ge-
litten, und nur der eitle und falsche Hamed Bei war nicht mein
Freund geworden. Nach Kräften hatte ich mich bemüht, durch Aus-
übung der ärztlichen Kunst meine Dankbarkeit für diese Aufnahme
zu beweisen, und so waren Bande geknüpft worden, deren Lösung
mich mit aufrichtigem Bedauern erfüllte. Besonders schwer wurde
mir der Abschied von den Gliedern der Familie Ben Alüa, nament-
lich von dem greisen Hadsch Mohammed und dem verständigen
Hadsch Brähim. Nicht ohne eine tiefe Rührung vermochte ich ihnen
Lebewohl zu sagen, wenn ich auch damals natürlich nicht ahnen
konnte, dass Beide bald darauf fast gleichzeitig aus dem Leben
scheiden sollten. Auch von dem braven Qädi, der so vorurtheilsfrei
war, wie man selten einen islamitischen Glaubenswächter finden
dürfte, dem harmlosen Scherif Baserki, den beiden Ben Otmän und
dem Hadsch el-'Amri trennte ich mich mit aufrichtigem Bedauern.
Nach dem Fatiha, das der brave Qädi vorsprach, umarmte ich
noch einmal meine Freunde, und gegen drei Uhr Nachmittags zogen
wir über den Sand der nächsten Umgebung der Stadt mit seinem
spärlichen Dattelpalmenbcstande und über den kalkigen Boden der
Hammäda von Murzuq gen Südosten. Wir hielten uns östlicher, als
auf dem Zuge nach Tibesti und schlugen um Sonnenuntergang in
der Nähe des Dörfchens Hadsch Hadschil unser Nachtlager auf.
Ich fühlte mich wie von einer unendlichen Last, einem drückenden
Alp befreit, seit das einförmige Murzuq hinter mir lag, uHd war in
der gehobenen Stimmung, welche ein neues Ziel dem Reisenden stets
verleiht. Wenn ich daran dachte, wie ich vor einem halben Jahre
zerlumpt, halbverhungert und mit einem auf Credit gekauften Esel als
einzigem Besitzthum, auf dieser Strasse in umgekehrterRichtung einher-
gezogen war, und jetzt, hoch zu Rosse, meine Augen auf neun vortreff-
liche Kameele und eine Leibgarde von 25 Maghrebinern (Marokkanern)
richtete, so konnte ich wohl mit freudiger Hoffnung in die Zukunft
blicken und mit Zuversicht an die Erfüllung meiner nächsten Auf-
gabe gehen.
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ABSCHIFI) VON Ml'RZl'Q.
4‘J3
Bis Hadsch Hadschil hatte uns Bui Mohammeds Gattin das Ge-
leit gegeben. Der Abschied trug keine sichtlichen Spuren grosser
beiderseitiger Rührung an sich, denn jener würde cs unter seiner
Würde gehalten haben, ähnliche Gefühle zum Durchbruch kommen
zu lassen, und diese war nicht nur an jahrelange Abwesenheiten ihres
Eheherrn gewöhnt, sondern besass jetzt auch in ihrem erwachsenen
Sohne einen ausreichenden Schutz und eine hülfreiche Hand in der
Besorgung von Haus und Garten.
Mit lebhaftem Bedauern gedachte ich der pflichttreuen Feida,
welche früher Nachts unseren Lagerplatz mit ihrem Gebell erfüllt
hatte, und ihres Gefährten Dudschäli, dessen Verlust ich ebenfalls zu
beklagen hatte. Nachdem dieser den Fährlichkeiten der Tibesti-
Reise glücklich entgangen war, fiel er bald darauf den culinarischen
Gelüsten einiger vorurtheilsfreier Bewohner von Murzuq zum Opfer;
er war gestohlen und geschlachtet worden. Als Ersatz hatte ich
eine Windhündin aus dem W. Schijäti, Namens Ghazäla, angeschafft,
welche uns in den jagdreichen Steppen der südlichen Sahärä Gazellen
und Antilopen erjagen sollte.
Am folgenden Morgen (19. April) erreichten wir in derselben
Ostsüdostrichtung und über den kalkig- staubigen Boden der Um-
gebung Murzuq’s bald das armselige Dörfchen Zezau, das aus einigen
Dutzend Erdhäuschen besteht, die den gewöhnlichen Zustand des Ver-
falls zeigten, und berühmt wegen seiner Tabakscultur ist. Vor uns
in weitem Bogen schienen die Dattelpflanzungen desselben im Osten,
des Dorfes el-Quleib im Südosten und Bidän's im Süden zusammen
zu stossen. Während grade nach Osten sich ein ausgetretener Weg
zur Quelle Ain - von Traghcn abzweigte, marschirten wir auf
el- Qu leib zu, von dem wir durch eine mehre Stunden breite, mit
Etel tragenden Neulingen besetzte Ebene getrennt waren. Nach
sechsstündigem Tagemarsche lagerten wir in der unmittelbaren Nähe
einer vortrefflichen Aqül- Weide bei dem Dörfchen. Dieses bestand
aus vereinzelten Palmenzweighütten und lag auf einem Hügel, zu
dessen Füssen sich einige schlecht gepflegte Gärten ausdehnten, in
denen Weizen und Gerste gebaut und zum grössten Thcil schon ge-
schnitten worden war. Die jetzigen Einwohner waren Leute von
Bidän, %velche vor den Ueberfallen der Tubu Reschäde dorthin ge-
flohen waren; von den früheren wusste man nur zu sagen, dass sie
unter dem Drucke der schlechten Zeiten allmählich verschwunden,
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III. BUCH, 2. K.APITE1.. REISE NACH KAWÄR.
gestorben oder ausgewandert waren. Die Marokkaner waren meinen
Leuten eifrig beim Ab- und Aufladen behülflich gewesen, und mach-
ten auf dem Wege in ihrer Ordnung und Manneszucht einen vor-
trefflichen Eindruck. Ihr Scheich Hess die Jüngeren alle in einer
Reihe marschiren, und Müdigkeit durften selbst die kleinsten nicht
zeigen. Noch am Nachmittag mussten sie den spärlichen Bewohnern
el-Quleib’s eine Probe ihrer Kunst ablegen, welche ihnen einen kleinen
Dattelvorrath einbrachte.
Das Ziel des folgenden Tages war Mäfen, wo Bü Äi'scha zu uns
zu stossen versprochen hatte. Die Gegend bildet durch ihren Aqül
Wuchs und ihren Bestand von Rischü und Domrän beliebte Weide-
plätze, welche zur Zeit des frischen Krautwuchses von Tuärik- Ab-
theilungen aufgesucht werden, auf deren Mattenhütten wir hier und
da stiessen. Im Nordosten lag die Dattelwaldung von Träghen, und
vor uns, ungefähr in der Mitte zwischen el-Quleib und Mäfen, das
elende Dörfchen Ben Dlif. Auf dieses folgte in unserer ostsüdöst-
lichen Wegrichtung eine langgestreckte Niederung, welche in ihrem
Beginne auf sandigem Boden einen ungepflegten Dattelhain trug und
im Norden von einem Sebcha begrenzt war, der sie von den Pflan-
zungen Traghcn’s trennte und in seinem trockenen Theile Dis-Wuchs
zeigte. Je mehr wir uns Mäfen, das wir fünf Stunden nach unserem Auf-
brüche erreichten, näherten, desto besser gehalten war der Dattelhain.
Das Dorf war grösser, als die an den vorhergehenden Tagen
gesehenen, und zeigte, wenn auch halbverfallen, wie die meisten
Dörfer Fezzän’s, doch in den Häusern manche Spuren früherer Wohl-
habenheit und in den Gärten viele Beweise reger Thatigkeit. Ausser
dem Getreide, das kurzhalmig, doch vollährig, zum grössten Theile
noch nicht geschnitten war, und neben den gewöhnlichen anderen
Gartenfrüchten zogen die Einwohner viele Stauden rothen Pfeffers
und Leinsamenpflanzen — el-Atela — . Das Wasser der drei Meter
tiefen Brunnen zeichnet sich durch seinen süssen Geschmack aus,
während dasselbe weiter westlich häufig brakisch ist. Das relativ gute
Aussehen der Ortschaft und ihrer Gärten datirt noch aus der nahe-
liegenden Zeit, in der manche reiche Medschäbra ihren Wohnsitz da-
selbst hatten. Seit die Handelsbestrebungen derselben sich wieder mehr
Wadäi zugewendet haben, und der Weg nach Bornü mehr und mehr
verödet, ist Mäfen wüeder zuriiekgegangen, und selbst der Mudir des
Bezirkes, ebenfalls ein Medschebri, hatte seinen Wohnsitz in dem
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DÖRFER DFK HOFRA.
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nicht fernen Tuila genommen. Auch der Scheich von Bornü besass
ein Landgut daselbst mit ansehnlichem Dattelbestande, dessen Ver-
walter schon mit dem Bornütitel Kaschelia beehrt wurde.
Als wir bei den Gärten des Dorfes lagerten, fehlten Giuseppe
und Ben Zekta und waren selbst nach einigen Stunden noch nicht
zu uns gestossen. Hadsch Sälih liess es sich nicht nehmen, einige
seiner Leute mit einem kleinen Wasservorrathe zu ihrer Aufsuchung
auszusenden, doch ehe diese zurückkehrten, fanden sich die Ver-
missten wieder ein. Der arme Ben Zekta war in Folge getrübter
Hornhäute halb blind, hatte den Weg nach Träghen eingeschlagen
und auch Giuseppe irre geführt. Eben daher kam Bü Aischa gegen
Abend mit der Nachricht, dass unsere übrigen Reisegefährten erst
folgenden Tages aufzubrechen und in Qatrün zu uns zu stossen beab-
sichtigten.
Bevor wir am nächsten Morgen (21. April) von Mäfen aufbrachen,
machte der Mudir, Hadsch Mohammed es-Süfi aus Tuila, seine Auf-
wartung und bildete durch seine freundliche und intelligente Phy-
siognomie und sein lebhaftes Wesen einen angenehmen Gegensatz
zu den meist etwas schläfrigen Einwohnern Fezzän's. Er ritt eine
kleine, braune Bornüstute, welche durch ihre zierlichen und elastischen
Gliedmassen und ihre eleganten Formen meine volle Bewunderung
erregte und meine früheren Vorstellungen von den Bornüpferden erheb-
lich modificirte. Der Hadsch Bü Hädi nämlich besass ebenfalls ein sehr
brauchbares, starkes, aber plumpes und ponyartiges Pferd aus Bornü,
und ich hatte dasselbe stets für einen Repräsentanten der dortigen
Rasse gehalten. Der Mudir war begleitet von dem Ortsältesten, und
in Folge dieses Besuches brachen wir erst um acht Uhr Morgens
auf, obgleich uns ein langer Tagemarsch bis Mcstüta bevorstand.
Mäfen liegt am Südrande der Hofra und ist von Qatrün durch
dieselbe Sandwüste getrennt, welche wir auf der Tibesti -Reise von
Bidän ab passirt hatten. Doch wird der Weg über Mäfen nach
Qatrün, obwohl ein Umweg, vielfach von den Reisenden gewählt,
weil die Sandregion hier sowohl schmäler als weniger gehügelt ist,
während weiter westlich die hohen Hügel aus Flugsand den be-
ladenen Kameelen erhebliche Schwierigkeiten bereiten. Sobald wir
die niedrigen Dünen, welche die Hofra und Scherqija nach Süden
begrenzen, überwunden hatten, zogen wir in nahezu südlicher Rich-
tung über eine weite Serir, welche nur hier und da durch lang
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III. BUCH, 2. KAPITEI« REISE NACH KAWÄR.
gestreckte Sandhügel, die Ausläufer der westlicheren Dünen, unter-
brochen war. Nach etwa acht Stunden tauchte in der Ferne vor
uns die dunkle Vegetationslinie der Hattija Mestüta auf; um Sonnen-
untergang zeigten sich die ersten Domrän- Hügel, und nach einigen
weiteren Stunden erreichten wir das verfallene Schloss und den
Brunnen der verlassenen Oase. Die Dauer des Marsches und die
hereingebrochene Dunkelheit brachten Unordnung und Zerfahrenheit
in die Karawane, wie solche überhaupt im Beginne einer Reise häufig
eintreten. Zuletzt dehnte sich unser Zug auf eine IJinge von fast
zwei Stunden aus, und der Nachtrab schimpfte auf meinen braven
Mohammed, welcher den Führer machte, und den man beschuldigte,
den Weg verloren zu haben. Ich war wieder voller Bewunderung
für die Knaben der Marokkaner, welche den fast zwölfstündigen
Marsch mit grösster Leichtigkeit und Munterkeit zurücklegten, sogar
unterwegs noch Zeit und Lust zu Scherz und Spiel fanden und end-
lich mir, wie gewöhnlich, noch beim Abladen der Kameele und dem
Aufschlagen des Zeltes behülflich waren.
Bü Äischa vertrieb mir die lange Zeit des Marsches in recht
interessanter Weise durch seine Erzählungen aus der Geschichte
Fezzan's, deren Documente leider unter der Herrschaft der Aulid
Solimän verloren gegangen zu sein scheinen. Er war ein belesener,
schriftgewandter und kluger Mann, der Vieles über die Vergangen-
heit seines Vaterlandes gehört und selbst reiche Gelegenheit gehabt
hatte, Beobachtungen zu sammeln. Es war erklärlich, dass er die
Vergangenheit auf Kosten der Gegenwart über Gebühr lobte, doch
thatsächlich lässt sich der allmähliche Rückschritt von Tripolis und
Fezzan nicht leugnen. Mochten seine Zahlen übertrieben sein, wenn
er erzählte, dass Jüsef Pascha im Anfänge dieses Jahrhunderts noch
mit 40,000 Mann zu kriegerischen Unternehmungen ausziehen konnte;
dass die Städte und Dörfer in der Nähe der Mittelmeerküste auf den
zehnten Theil ihres Contingents an Reitern und Kriegern gegen
früher reducirt seien: für Fezzan, das er als Regierungssccretair Abd
el-DschhTs genau gekannt haben musste, und dessen Einwohner er
jetzt zur Steuer eingeschätzt hatte, konnte er die bedcnk'iche Be-
völkerungsabnahme mit Zahlen beweisen. Die Reste der arabischen
Kastelle übrigens, welche im südlichen Fezzan dem Reisenden auf-
stossen, wie die Schlösser - Qasr pl. Qusür Mestüta, Dekkir.
Serendibe, Kimba, UIed Ammi, Kidde etc. legen das lebendigste
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MESTÜTA. — NEUE REISEBEGLEITER.
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Zeugniss grösseren Wohlstandes, zahlreicherer Bevölkerung und
höherer Thatkraft in früheren Zeiten ab. So weit auch dieselben
gegen die Kriegsbauten der Araber und Berber anderer Gegenden
zurückstehen, so wenig werden sie in Festigkeit und künstlerischer
Ausführung von den fezzänischen Bauten der Jetztzeit erreicht.
Noch in der Nacht stiess ein einäugiger Medschcbri aus Tuila
zu uns, der sich der Bornükarawane anschliessen wollte, und über-
redete Bü Ä'fscha, der natürlich als Karawanenältester — Scheich
el-Qäffla — betrachtet wurde, einen Ruhetag in Mestüta zu machen,
wo vielleicht schon unsere Reisegefährten von Murzuq zu uns stossen
würden. Mit ihm kam ein alter Bekannter von mir aus Murzuq,
Zein el-’Abidin, der mir eine Zeit lang als, freilich wenig zuverläs-
siger, Lehrer der Kanüri- Sprache gedient hatte, und ein sehr harm-
loser und braver Mann war. Er zählte etwa siebzig Jahre und be-
fand sich mit seiner alten Ehegattin und einer kleinen Enkelin im
Zustande äusserster Armuth und Verlassenheit. Seine drei Söhne
waren einer nach dem andern nach Bornii gewandert, um sich aus
den armseligen Verhältnissen der Hcimath herauszuarbeiten, und so
entschloss sich der alte Mann, im Vertrauen auf die Freigebigkeit des
Scheich Omar, dem er persönlich wohl bekannt war, dort ebenfalls
einige Existenzmittel zu suchen. Er machte die Reise zum dritten
Male, und der Entschluss zu derselben war ihm bei seinem Alter
und bei seiner grossen Zärtlichkeit für die kleine Enkelin jede
Erinnerung an die Trennung von ihr presste ihm Thräncn aus —
recht schwer geworden. Er war bei seinen Landsleuten sehr beliebt
und zeichnete sich durch zwei Eigenthümlichkeiten aus, welche weit
und breit bekannt waren und uns häufig Gelegenheit zu Scherzen
gaben. Erstens führte er einen Stab bei sich, der ihn seit vierund-
zwanzig Jahren nicht verlassen und auch die früheren Reisen nach
Bornü mitgemacht hatte, und zweitens trug er stets einen Dattelkern
im Munde, der ihm seit siebzehn Jahren Tabak und Güronüsse gewisser-
massen ersetzte, Genüsse, welche er sich aus eigenen Mitteln nicht
verschaffen konnte. Beide Gegenstände waren ihm alte, liebe Freunde
geworden, die zu verlieren er für ein grosses Unglück gehalten haben
würde.
Der Marsch des folgenden Tages (23. April) durch die zwischen
Mestüta und Qatrün liegende Wüste war durch seine Länge nicht
minder anstrengend als derjenige von Mäfen ab, da er der wasser-
Nachtignl. I ^
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49H III. BUCH, 2. KA PITEI.. REISE NACH KAWAR.
und futterbedurftigen Pferde wegen nicht gut auf zwei Tage vertheilt
werden konnte. Gegen Mittag arbeiteten wir uns durch die als
Ghard el-Kebir bekannte Dünenkette, erblickten gegen Abend im
Osten die Vegetationslinie der Thalniederung, die sich als Wadi
Ekema von Tedscherri nach Medschdül erstreckt, erreichten aber
trotz unseres vierzehnstündigen Marsches unser eigentliches Ziel
Qatrün nicht, sondern mussten in der Nähe des nördlich davon ge-
legenen Bir ed-Dekkir lagern, den selbst zu finden uns die vorge-
schrittene dunkle Nacht verhinderte. Ein heftiger Sandwind, der
glücklicherweise aus Nordosten, also theilweise aus unserem Rücken
kam, machte den weiten Marsch zu einem äusserst mühsamen, der
in der Trennung der einzelnen Karawanen-Gruppen und im Verfehlen
des Zieles einen entsprechenden Abschluss fand. Glücklicherweise
waren die Marokkaner und Barka (Ben Alüa’s Sklave) bei mir ge-
blieben, und wir gaben uns bei der abseitigen Ermüdung ohne grosses
Bedauern über den Wassermangel, der uns am Abkochen hinderte,
der Nachtruhe hin.
Nachdem wir am frühen Morgen des folgenden Tages, in Rück-
sicht auf die grosse Nähe Qatrün’s und unsere weidereiche Umgebung,
die Kameele zu einem Morgenimbiss hinausgeschickt hatten, während
einige Leute zu dem einigermassen versandeten Brunnen gegangen
waren, um sein spärliches Wasser zu sammeln, fand uns Bii Äi'scha,
der zum Aufbruch bereit war. Da wir auf Thiere und Wasser warten
mussten, Hessen wir ihn voraus ziehen, nahmen ein kleines Frühstück
von Zommeta ein und folgten erst nach einigen Stunden. Wir folgten
dem flachen Ekema-Thale, das wir bei dem Bir ed-Dekkir betreten
hatten, und dessen Terrain hier abwechselnd aus steiniger Wüste,
Sand- und trockenem Sebcha-Boden besteht, erreichten Qatrün nach
etwa fünfstündigem Marsche und lagerten auf der Nordwestseite der
Stadt, wo Bü Äi'scha bereits sein Lager aufgeschlagen hatte. Da
wir voraussichtlich hier einige Tage in der Erwartung unserer Reise-
gefährten zu verbringen hatten, so hatte Bü Äi'scha nicht allein seine
beiden grossen einfachen, kegelförmigen Zelte aufgeschlagen, neben
denen das meinige, das ausser meinem Gepäcke kaum zwei Personen
zu beherbergen im Stande w'ar, sich schon äusserst armselig aus-
nahm, sondern prunkte mit dem prächtigen Pascha -Zelte, mit dem
ihn der tripolitanische General-Gouverneur ausgestattet hatte. Schon
hier fühlte ich klar, dass es für mich unmöglich seüi w'ürde, in
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QATRON UND DER ENKEt. HADSCH DSCHABKR’s. 499
äusserem Auftreten mit meinem Gefährten zu concurriren. Bü Äischa
hatte ausserdem die natürliche Vorliebe der Araber für Prachtentfaltung
und wusste mit der ihm eigenthümlichen Lebensklugheit und seiner
genauen Kenntniss von Land und Leuten seine Stellung als Regie-
rungsbeamter und Gesandter den geizigen Muräbidija von Qatrün
gegenüber gehörig geltend zu machen, um sie zu einer ungewöhn-
lichen Bethätigung der Gastfreundschaft zu zwingen.
Augenblicklich stand an der Spitze der Qatrüner und des ganzen
Bezirkes Sälih, ein Enkel Hadsch Dschäber’s. Der Letztere war kurz
nach meiner Rückkehr aus Tibesti, wie man sagte, in Folge der Auf-
regung, in welche ihn die rohen Uebergriffe, Drohungen und Thät-
lichkeiten der Nomaden Barqa's, deren Zeuge ich noch zum Theil ge-
wesen war, versetzt hatten, plötzlich gestorben. Sein Sohn, der eigent-
liche Erbe seines Ansehens und seiner Stellung — auch Regierungs-
stellen werden in jenen Gegenden oft erblich — , befand sich seit län-
gerer Zeit in Bornü, und sein Bruder, der freundliche Hadsch Hamdün,
das Echo seines bewunderten Bruders, war im Aufträge der Fezzäner
Regierung nach Tibesti gegangen, um den unaufhörlichen Räubereien
der Tubu Reschäde endlich ein Ziel zu setzen. So ruhten auf dem
jungen Sälih, der aber schon jetzt, wie sein Grossvater, kurzweg ,,der
Muräbid” genannt wurde, die Pflichten der Repräsentation und Gast-
freundschaft, deren er sich auch mit der Sicherheit entledigte, welche
die fest normirten Sitten des patriarchalischen Lebens selbst dem
Jüngsten und Unerfahrensten geben. Er war ein hochgewachsener,
junger Mann mit regelmässigen, nicht unedlen Zügen, erinnerte aber
durch seine Hautfarbung wenig an seinen Grossvater und den marok-
kanischen Ursprung seiner Vorfahren, denn er war dunkler, als die
meisten Tedä.
Ich war froh, dass wir einige Tage in Qatrün bleiben mussten,
denn mein kürzlich gekauftes Pferd begann mir schon im Beginne
der Reise durch verschiedene Krankheitserscheinungen ernstliche
Sorge zu machen. Der erfahrene Bü Äischa wurde consultirt und
belehrte mich , dass sein Zustand eine Folge allzu reichlicher Ge-
treidenahrung sei, die auf der Reise stets vermindert werden müsse.
Dem Thiere wurde in Folge dessen Wasser und Gerste entzogen,
eine nasse Decke während der Nachtkälte auf den Rücken gelegt
und ein Aderlass in Aussicht gestellt. Dies gab meinem Reise-
gefährten Gelegenheit, die wunderlichsten Ansichten über die Natur
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III. BUCH, 2. KAP1TET.. REISE NACH KAW.tR.
600
der Pferde und über die Erkennung ihrer Eigenschaften und Krank-
heiten zu entwickeln, und mir von Neuem den Beweis zu liefern,
dass die Araber ihre ausgezeichnete Beobachtungsgabe wegen ihrer
Vorliebe für das Uebernatürliche nie zu voller Geltung kommen
lassen. Ohne Zweifel sind sie vortrefflliche Pferdekenner, doch ab-
gesehen von den berechtigten Urtheilen, welche sie aus dem ganzen
Bau der Thiere ableiten, ziehen sie aus den zufälligsten Eigenschaften,
wie besonders aus der Richtung und Anordnung des Haarwuchses
am Halse, auf der Stirn und in den Weichen, die gewagtesten
Schlüsse über Temperament, Ausdauer und Geschwindigkeit der
Thiere, fällen danach auf den ersten Blick llrtheile über ihre Lebens-
dauer und glauben fest, aus den gleichgültigsten äusseren Merkmalen
einen mystischen Einfluss auf das Wohl und Wehe ihrer Eigen-
thümer erkennen zu können. So sind die Araber in Allem. Neben
einer Fülle von verständigen, sinnigen Beobachtungen halten sie an
den widersinnigsten Anschauungen fest, welche um so mehr An-
hänger gewinnen, je unvereinbarer sie mit dem gesunden Menschen-
verstände erscheinen. Selbst Bü Äischa, ein sonst sehr verständiger
Mann, suchte mir in vollster Ucberzeugung aus seiner Erfahrung die
Beweise für die Berechtigung dieser abergläubischen Ansichten zu
liefern.
Am zweiten Tage unserer Anwesenheit in Qatrün brachte mein
Tibesti- Gefährte Bü Zcid von einer Reise nach Murzuq die Nach-
richt mit, dass ein expresser Bote aus Ghät der Fezzäner Regierung
gemeldet habe, die Tubu Reschade ständen im Begriffe, 170 Reit-
kameele — Mahäri pl. Mahäri*) — gegen Fezzän auszurüsten. Halim
Pascha und Hadsch Brähim hatten in Folge dessen den Mudir der
Scherqija beauftragt, mit fünfzig Reitern den ersten Theil unseres
Weges zu sichern. Sowohl diese Reiterescorte als auch unsere
Murzuqer Reisegefährten stiessen folgenden Tages zu uns und be-
reiteten mir noch eine besondere Freude durch die Ueberbringung
zahlreicher Briefe und Nachrichten aus der Heimath.
Während ich bisher die Ordnung, Mannszucht und Einigkeit
unter den Marokkanern bewundert hatte, zeigten sich schon in
Qatrün Spuren von Spaltungen in ihrem Kreise, die im Laufe der
*) Dieser weit verbreitete Name für Reit- oder Rennkamcele leitet seinen Ursprung
von dein Districte MahÄra in llmlramaut ab.
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ARABISCHE PEF.RDEKENNKR. — ZERWÜRFNISSE BEI liF.N MGHARBA. 5ül
Reise sehr tief gehen und auch mich vielfach berühren sollten. Zwei
junge Männer der Gesellschaft kamen zu mir mit der Erklärung,
dass sie ihre Gefährten zu verlassen beabsichtigten, um nach Tripolis
zurückzukehren und auf der Nordküste den Weg nach Mekka fort-
zusetzen, und mit der Bitte, von ihrem Scheich die Auslieferung
einer ihnen gehörigen Fahne zu erwirken. Wahrend ich mich ver-
geblich über die Gründe ihres Entschlusses in s Klare zu setzen
suchte, erschien der Hadsch Sälih selbst in unserer Mitte. Die beiden
Jünglinge erhoben sich, küssten ihrem Anführer die Hand und wurden
von ihm gleichfalls umarmt und auf die Stirn geküsst. Beide Theile
versicherten, keinerlei Grund zu gegenseitiger Unzufriedenheit zu
haben; die jungen Leute wollten nie ein böses Wort von ihrem Chef
gehört haben, und dieser schwor, sie zu lieben, wie seine Söhne.
Gleichwohl hielten jene mit der den Berbern eigentümlichen Hart-
näckigkeit an ihrer Absicht der Trennung fest. Hadsch Sälih hielt
die eindringlichste Rede, halb arabisch und halb berberisch, mit
einer Beredtsamkeit, welche mir gänzliches Schweigen auferlegte, bat
sie flehentlich, zu ihm zurückzukehren, küsste sic wiederholt auf's
Haupt und fesselte sich die Hände auf den Rücken. Ehrfurchtsvoll
lösten jene die Bande, erhoben keinerlei Klage gegen ihn und waren
ebensowenig zur Darlegung ihrer Gründe, als zur Aenderung ihres
Entschlusses zu bewegen. Selbst Bui Mohammed suchte sie mit
einer Redefertigkeit, die ich ihm gar nicht jeugetraut hätte, zur Ver-
söhnlichkeit zu bewegen, führte rührende Beispiele an, wie die
heterogensten Elemente in einer Karawane durch ihren gemein-
schaftlichen Zweck und die Nachgiebigkeit der Einzelnen zusammen-
gehalten würden, und lenkte ihren Blick auf die Kameele, die in grösster
Einigkeit zusammenreisten, und von denen nie eines allein gehen würde.
Alles war vergebens.
Trotz dieses Zerwürfnisses gaben uns die Marokkaner am Abende
desselben Tages eine höchst pittoreske Vorstellung zum Besten.
Fünfzehn von ihnen, dem Alter und der Grösse nach geordnet, in
schneeweissen Kleidern, von denen die rothen Gürtel und Bandeliere
mit den glänzend geputzten, metallenen Dolchscheiden sich bei dem
aufleuchtenden Feuer der ringsum unterhaltenen Holzbrände phan-
tastisch abhoben, vollführten einen eigenthümlichen Tanz zum Klange
zweier Tamburins und einer Flöte und begleiteten denselben mit
melancholischen Gesangsweisen und rhythmischem Händeklatschen.
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502 111. BUCH, 2. KAPITEI.. REISE NACH KAW.AR.
Ein Vortänzer gab die Tanzbewegungen an, die, erst langsam und
feierlich, im weiteren Verlaufe von Minute zu Minute rapider und
leidenschaftlicher wurden. Zwei fast gleichaltrige Knaben im Alter
von dreizehn bis fünfzehn Jahren, durchaus gleich gekleidet, mit
Talismanen und Amuleten behängt, den Kopf mit weiss- und roth-
seidenen Tüchern umwunden, mädchenhaften Aussehens mit ihren
langen, weissen Gewändern und den frischen Farben ihrer erregten
Gesichter, lösten sich dann aus der Reihe der Tanzenden im Zustande
höchster Erregung. Ein leises Zittern durchschauerte anfangs ihren
zarten Körper, schien dann tiefer und tiefer ihr ganzes Wesen zu
durchdringen, und zuletzt schwebten sie mit fast unsichtbaren Be-
wegungen der Füsse auf dem Boden des Tanzplatzes hin und her,
bis sie geisterhaft im Dunkel der Nacht verschwanden und nicht
wieder zum Vorschein kamen. Der eigenthümliche Contrast zwischen
den Physiognomieen der Betheiligten, den ernsten und rauhen Zügen
der meisten Männer neben den zarten Milch- und Blut-Gesichtern
der Knaben in ihren hellen Kleidern, dem finster und gcheimnissvoll
blickenden, broncefarbigen Moqaddcm neben seinem Neffen und
Vertrauten, einem blonden Jünglinge von fast deutschen Zügen,
erschien durch die wechselnde Beleuchtung der lodernden Feuer
noch phantastischer. Bald schien die ganze märchenhafte Gruppe
in tiefes Dunkel versinken zu wollen, bald wurde sie grell beleuchtet
von dem aufflackernden Feuer der trockenen Palmblattrippen. Der
eigenartige Gesang in fremder Zunge und mit fremdem Tonfall, die
nicht zur arabischen Musik zu passen schienen; die nächtlichen
Schatten der umgebenden Palmen; die buntgekleideten Knaben mit
ihren fremdartigen Gesichtern unter den in stummes Staunen ver-
sunkenen dunkelfarbigen Zuschauern aus Qatriin: Alles machte einen
märchenhaften, zauberischen PLindruck, der mich bis tief in die Nacht
hinein den Schlaf vergessen Hess.
Wir hatten am 29. April Qatriin verlassen wollen, wurden aber
durch einen Wechselfieber- Anfall des Hadsch Abd er-Rahmän an
unserm Vorhaben gehindert. Ich benutzte diesen Aufschub, um mir
noch ein zweites Zelt zum Schutze meines Gepäckes anzuschaffen,,
kaufte entsprechend meiner Armuth ein altes und schlechtes für
zwanzig Thaler und musste, charakteristisch genug für meine peku-
niäre Ausrüstung, schon im Beginne der Reise eine so kleine Summe
mit einer Anweisung auf Tripolis bezahlen. Bü Äi’scha aber nahm
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TANZVORSTELLUNG UF.R MGHAKHA. — FORTSETZUNG UFR REISE. Ö03
die Gelegenheit wahr, eine viel wichtigere Acquisition zu machen; er
suchte und fand im I,aufe des Tages eine passende Frau und ver-
heirathete sich gegen Abend mit der den Landessitten entsprechen-
den Leichtigkeit, unter Assistenz zweier Muräbidija als Zeugen und
unter dem heiligenden Beten des Fättha.
Im Beginne einer langen Wüstenreise findet eine grössere Kara-
wane stets grosse Schwierigkeiten, sich von den letzten Stationen
bewohnter Gegenden loszureissen. Dem Einen fehlt noch ein Last-
thier, dem Andern ein Theil seines Mundvorrathes, und ein Dritter
hat noch ein unaufschiebbares Geschäft vor der Abreise abzuwickeln.
So gelangten wir auch am 30. April nur bis Bach}, wo Bü Ai'scha,
der noch manches Lastthier nöthig hatte, Kameele zu miethen be-
absichtigte, wie man wenigstens für die gänzlich vegetationslose
Strecke bis zu der Bir el-Ahmar genannten Station zu thun pflegt.
Man verfahrt hierbei so, dass man entweder die Thiere selbst miethet,
ohne ihre Belastung festzusetzen, und bezahlt dann auf die genannte
Strecke von sechs bis sieben Tagemärschen vierundzwanzig bis acht-
undzwanzig Mark für jedes Kameel, oder dass man über den Trans-
port von Gepäck contrahirt, zum ungefähren Preise von sechs bis
zehn Mark für den Centner. Unsere Haupthoflhung setzten wir in
dieser Beziehung auf Tedscherri und hofften vor Allem, dort die
nothwendigen Vorräthe an Datteln für Thiere und Menschen zu finden.
Der Weg dorthin führte uns am ersten Tage durch die mir von
früher bekannte sandige Gegend in achtstündigem Marsche nach
Qasrauwa, wo, wie gewöhnlich, Niemand hauste. Wie dieser Ort
allmählich verlassen worden war und nur noch zur Zeit der Dattel-
ernte von den Besitzern seiner Pflanzung besucht wurde, so schien
auch Medrüsa, das wir hart westlich am Wege liegen gelassen hatten,
seiner Auflösung entgegen zu gehen. Die beständigen Einfalle der
Tubu hatten seine Bewohnerschaft auf eine sehr bescheidene Zahl
reducirt, und der Verkehr der ganzen Gegend war so zurückgegangen,
dass die am Wege liegenden Brunnen früherer Zeit, Sufra Tuddusma
und Toäl, nie wieder wasserhaltig werden zu sollen schienen, und
der von Qasrauwa wenigstens eine erhebliche Arbeit zu seiner Ent-
sandung erforderte.
Noch trennten uns sieben Marschstunden von Tedscherri, welche
wir am 2. Mai zurücklegten. Wir hielten uns auf dem westlichen
Rande der Thalniederung, zogen an dem „Schloss der wüsten Ebene
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504
III. BUCH, 2. KAPITEL. REISE NACH KAWÄR.
Qasr Tuge Fraoma vorüber und erreichten den nördlichen
Dattelhain der Stadt. An seinem südlichen Rande, der durch eine
breite Strecke trockenen Sebcha-Bodens von der Stadt getrennt ist.
mussten sich die Glieder unserer Karawane sammeln, denn Bü Aischa
hielt auf einen feierlichen Einzug. Voran zog, hoch zu Kameel, der
Paukenschläger Bü Aischa führte als Scheich el-Qäfila dies unent-
behrliche Emblem des Anführers einer grösseren Karawane mit
sich sein Instrument eifrig mit einem am Ende geknoteten Tau
bearbeitend , lind gefolgt von den Herren der Karawane. Der Zug
war umschwärmt von unsern Leuten, welche begierig den Augen-
blick der beliebten Pulververschwendung erwarteten.
Auch die spärliche Bevölkerung der Stadt, die bald vor uns
auftauchte, hatte sich augenscheinlich Mühe gegeben, uns so festlich
als möglich einzuholen. Zwei Trommeln, deren zersprungenen Fellen
leider nur unvollkommene Töne entlockt werden konnten, leiteten den
Zug ein, der grösstenthcils aus Frauen und Mädchen bestand. Ihre
Art, uns zu begrüssen, gehörte schon südlicheren Gegenden an. Fast
Alle trugen Palmenblättcr, Laubbüschel oder andere Gegenstände
in der Hand, die sie, sich selbst in anmuthigen, halb tanzenden
Bewegungen hin und her wiegend, graziös schwangen, während sic
ihre Begrüssungen in den verschiedensten Gesangesweisen vortrugen
und dieselben von Zeit zu Zeit durch die unvermeidliche Zalrhüta
unterbrachen. Unter den Begrüssungen hörte man zwar noch das
dort gebräuchliche arabische „Asalamatkum" (Gottes Segen über
Fluch!), doch vorwaltend den Gruss der Kanüri „Laie", der nur durch
die arabische Pluralbildung zu „Lälekum" (Willkommen Fluch!) zu-
gestutzt wurde. Der begleitenden Männer waren Wenige. Voran
schritt Sälih, der Muräbid von Qatrün, dann folgte mein alter Be-
kannter Abd el-Qädir, der einäugige Scheich el-Beled, und als Vor-
tänzer fungirte ein kleiner, verwachsener Mann, wobei ich beiläufig
erwähnen möchte, dass derartige Diiformitäten in der Wüste sehr
selten Vorkommen.
So zogen wir unter dem Flintengeknall unserer Leute, den
dumpfen Tönen der Pauke und dem F' reudentriller der Frauen auf
die Südseite der Stadt, wo wir unser Lager aulschlugen. Bis Ted-
scherri war Bü Aischa bei seinen Besuchen Fezzän's seit langen
Jahren nicht gekommen, und er vermochte seiner schmerzlichen Ver-
wunderung über den gänzlichen Verfall der Stadt, den ich früher
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EMPFANG IN TEDSCHER RI.
505
schon ausführlich geschildert habe, nicht genug Ausdruck zu geben.
Die Stadt erschien in der That noch öder und verlassener, als bei
meinem ersten Besuche, da sich die Teda, wie aus den übrigen Ort-
schaften Fezzän’s, bei der gegen sie herrschenden feindseligen Stirn
mimg grossentheils in ihre Heimath Tu zurückgezogen hatten. Unter
den Zurückgebliebenen war der taubstumme Schwiegersohn des
Bürgermeisters, der stets betrunkene Gedde, dessen Bekanntschaft
ich schon früher gemacht hatte, und der sich nach wie vor ausschliess-
lich mit Laqbi-Trinken beschäftigte.
Von Tedscherri aus stand uns die erwähnte vegetationslose Strecke
bis zum Bir el-Ahmar bevor. Für diese musste ein Keisevorrath von
Datteln und Kameelfutter (trockenes Stroh) mitgenommen werden,
während der Gersteproviant für die Pferde sogar bis Kawär reichen
musste. Ich bedurfte für jeden Tag 4 Kijal Datteln, also 28 Kel bis
zum Bir el-Ahmar, und 12 Kel Gerste, die Tagesration zu 3 — 4 Sä
gerechnet. Die geringe Gartencultur in Tedscherri machte die Be-
schaffung dieser Vorräthe sehr schwierig, und wenn wir dieselben
nicht glücklicherweise schon in den vorhergehenden Ortschaften be-
gonnen hätten, würden wir kaum in der Lage gewesen sein, ohne
einen erheblichen Zeitverlust reisefertig zu werden. Selbst das, was
die Einwohner besassen, war nur schwer und allmählich aus ihnen
herauszulocken, so dass wir volle fünf Tage verweilen mussten, um
unsern Zweck zu erreichen. Sogar das trockene Gras war in der
nächsten Nähe der Ortschaft so spärlich vorhanden, dass die Ein-
wohner es an den ihnen bekannten Stellen schnitten und an uns ver-
kauften. Um einen kleinen Dattelvorrath vom Bir el-Ahmar bis Kawär
mitfuhren zu können, miethete auch ich von dem taubstummen Gedde
noch ein Kameel und belastete es mit drei Centnern. Die Marokkaner
Mgharba — suchten ihren Dattelproviant durch öffentliche Kunst-
leistungen zu erwerben, doch die Einnahme war eine so ungenügende,
dass ich mich veranlasst sah, ihren Vorrath zu vervollständigen. Der
Hädsch Sälih zeigte sich sehr dankbar, war meinen Leuten behiilflich,
wo er immer konnte, und erfreute mich von Zeit zu Zeit durch ein
in heisser Asche gebackenes Gerstenbrod oder durch ein marok-
kanisches Fleischgericht, wenn etwa das Fleisch einer Ziege zur Ver-
theilung gekommen war.
Einige Tage vor unserer Abreise trafen unsere letzten Reise-
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506 III. BUCH, J. KAPITEI.. REISE NACH KAWAR.
gefährten ein, die Kaufleute' Hadsch Zelläwi und Bossarnii, Beide
von Tedä-Ursprung, doch wohnhaft in Qatrün.
Am 7. Mai waren wir endlich mit den letzten Rcisezurustungcn
fertig geworden und am Morgen des folgenden Tages im Begriff,
unser Lager aufzuheben, als im letzten Augenblicke Gedde mit der
gewöhnlichen Unzuverlässigkeit seiner Landsleute sich weigerte, mir
das von ihm gemiethete Kameel zu stellen. Auch seinem Schwieger-
vater Abd el-Qädir, den ich durch ein Geschenk von zehn Dra
Turbanmusselin Schäsch erfreut hatte, gelang es nicht, ihn
zur Erfüllung seiner Pflicht anzuhalten. Erst seine Schwiegermutter
vermochte einen zwingenden Einfluss auf ihn auszuüben, und lieferte
mir wieder einen glänzenden Beweis von dem energischen Charakter
der Tedä-Frauen und dem grossen Einflüsse, den sie in der Familie
ausüben.
Schon nach dreistündigem Marsche lud uns der südwestlichste
Theil des YV. Ekema mit seinem reichlichen Bestände von Domrän
und Rischü zur Rast während der Mittagshitze ein, und am späten
Abende lagerten wir nach weiterem sechsstündigen Marsche in der
el-Häd genannten Bodenabflachung. Schon seit mehreren Tagen
herrschte eine unerträgliche Hitze unter dem Einflüsse von Ost-, Süd-
und Südwest-Winden, welche die Rast auf der Höhe des Tages unter
dem nicht gefütterten Zelte , in dem das Thermometer über 45 0 C.
zeigte, fast noch qualvoller machte, als den Marsch. Auch die
marokkanischen Knaben begannen unter dieser Sonne zu leiden, und
als wir am folgenden Tage (9. Mai) durch das Dendal Ghaladima
genannte Thal zogen, brach einer derselben zusammen. Hier hatte
ich das erste Beispiel der Rohheit und Hartherzigkeit des Hadsch
Sälih, der kein Mitleid mit dem zarten Alter der Kinder hatte,
sie beständig der Simulation beschuldigte und sie wirklichen Wasser-
mangel leiden Hess. Mit schlcchtverhehltem Aerger sah er mich
den Knaben auf mein Pferd nehmen, bis wir die Kameele erreicht
und ihn auf einem derselben befestigt hatten.
Wie ich vor fast Jahresfrist diesen Weg mit einer heftigen Augen-
entzündung zurücklegcn musste, so war diesmal Giuseppe Valpreda
demselben Schicksal verfallen. Schon in Tedscherri hatte das Leiden
begonnen, aber da er seit Qatrün wieder in seine unzufriedene, ge- _
hässige Stimmung verfallen war, so hatte er jede ärztliche Hülfe-
leistung meinerseits unwirsch zurückgewiesen, und ich sah mich nun
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WEITERREISE ZUM TUMMO.
507
gezwungen, ihn zu Pferde zu transportiren und selbst zu Kuss zu
gehen, da die Kameele ihre Extraladung noch nicht genug vermin-
dert hatten, um ihnen uberdiess die Last eines Menschen aufbürden
zu können.
Am Abend des letztgenannten Tages erreichten wir den Meschru-
Brunnen, den wir leider arg verschüttet fanden. Unsere Leute
machten sich sofort an die Arbeit der Ausräumung und förderten im
ersten Theile der Nacht wenigstens so viel Wasser zu Tage, als hin-
reichte, um den Kameelen das nöthige Verlangen nach Futter zu
geben. Der Zufluss des Wassers machte sich aber so langsam, dass
wir noch während des ganzen folgenden Tages am Brunnen zurück-
gehalten wurden, um Thiere und Menschen befriedigen und den
nöthigen Vorrath einnehmen zu können. Selbst am darauf folgenden
it. Mai brachen wir erst am Nachmittage auf, um die Pferde noch
für diesen Tag aus dem Brunnen tränken und so den Inhalt unserer
VVasserschläuche schonen zu können. Nachdem wir uns dann durch
die Hügel gewunden hatten, welche das flache Thal des Brunnens
fast allseitig einschliessen, zogen wir über die steinige und wüste
Ebene, welche der Lagöba Bui'a vorhergeht, und lagerten um Mitter-
nacht am Eingänge der letzteren. Es folgte der Abstieg in dieselbe,
wie früher, durch die Tenija el-Kebira, ebenso die Passage der
beiden Lagöbas und endlich der Aufstieg durch die Tenija es-Srhira
zur wüsten Hochebene Aläöta Kju, Eingangs deren wir die Nacht
verbrachten. Als auch diese am folgenden Morgen überwunden war,
betraten wir schon zeitig am Vormittage das flache Thal, aus dem
sich das Tümmo-Gebirge oder Dsch. elAVär erhebt. Sobald wir die
Vorberge desselben — el-Bibän — passirt hatten, hielten wir uns
westlicher als bei unserem vorjährigen Besuche, wo wir in unmittel-
barer Nähe der Wasserspenden zu lagern gewünscht hatten. Wir
vermieden auf diese Weise die dicht gedrängten Berge und schwie-
rigen F'elspartiecn und zogen durch Thäler und Flussbetten, welche
den sich nach Südwesten senkenden Wadi el-Wär bilden, mussten
aber auch fern von den Brunnen lagern. Von diesen enthielten
sammtlichc acht Wasser in reichlicher Menge, während wir im Jahre
zuvor, einen Monat später in der Jahreszeit, nicht mehr als zwei
wasserhaltig gefunden hatten.
Sobald wir in südwestlicher Richtung das Gebirge östlich ge-
lassen hatten, wendete sich der Weg mehr nach Süden und führte
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III. HUCH, 2. KAP1TEI-. REISE NACH KAWAr.
508
zwei Stunden nacli unserem Aufbruche über eine unbedeutende
I lügelreihe in die weite „rothe Ebene ' — Mädöma — . Dieselbe hat
den Charakter einer Serir und wird im Westen durch einen niedrigen
Höhenzug begrenzt, der, für unsere arabischen Begleiter namenlos,
von den Tedä Ulisnöswon, d. h. etwa „Grab des todten Heiligen’
genannt wird. Im weiteren Verlaufe der Ebene wird die rothe Fär-
bung des felsenharten Bodens ausgesprochener und das Terrain
gleichförmiger. Etwa 15 M. hohe Hügel von derselben Farbe be-
setzen hier und da die Ebene, und nur in weiterer Entfernung östlich
und westlich vom Wege zeigen sich ansehnlichere Erhebungen,
deren Abschätzung jedoch in Entfernung und Höhe durch den
Staubschleier, in den ein heftiger Nordwind die ganze Gegend hüllte,
nur eine sehr unvollkommene sein konnte. Die mit diesem Winde
verbundene kühlere Temperatur erlaubte uns, den ganzen Tag hin-
durch zu marschiren, und nachdem wir gegen Abend in der stets
eingehaltenen Südsüdwest-Richtung durch die Lücke einer quer vor
uns liegenden Felsenreihe von braunrothem Sandstein, welche den
allgemeinen Namen Quwei'rat führte, gezogen waren, lagerten wir
nach elfstündigem Tagemarsche.
Der Charakter der Ebene blieb auch während der ersten Hälfte
des folgenden Tagemarsches (15. Mai) derselbe, doch senkte sich
die röthliche Serir nach Süden zu, wo, etwas nach Westen hin, der
Emi Mädema (der rothe Berg) das ungefähre Tagesziel andeutete.
Nach einigen Stunden zogen wir in der beibehaltenen Südsüdwest-
Richtung zwischen zwei braunrothen Felsgruppen hindurch , welche
sich etwa 50 M. über die Ebene erheben, und erblickten dann vor
uns die Baumlinie des E. Lakakenno oder Lakadundo, in dem wir
nach einigen weiteren Stunden zur Verbringung der Tageshitze
lagerten, nach der langen F'arbenmonotonie , welche das Auge seit
Fezzän ermüdete, erfrischt durch das spärliche Grün der Sajälakazien,
mit denen das Flussthal ausschliesslich bestanden ist.
E. Lakakenno entspringt hauptsächlich vom Emi Tji Grünto
Mädema, den wir am westlichen Horizonte erblickten. Noch weiter
westlich vom Wege soll sich der Gebirgszug Emi Bläka in nahezu
südwestlicher Richtung etwa vom 22. °N. B. bis in die Nahe der Oase
Dschebddo erstrecken. Nach der Beschreibung Bui Mohammeds,
dem kein Winkel des Tubu-Gebietes unbekannt war, muss der Emi
Bläka keine isolirte Kette, sondern eine Felscnlandschaft , etwa vom
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EBENE UND BERG MADKMA.
509
Charakter derjenigen von Afafi sein. Seine Thäler sollen des Baum-
wuchses entbehren, aber wegen eines reichen Bestandes von Futter-
kräutern, besonders von Hdd, beliebte Kameelweiden sein. Nach-
dem der Lakakenno noch verschiedene Nebenflussthäler vom Kmi
Mädöma und anderen Bodenerhebungen aufgenommen hat, wendet
er sich südöstlich über die Bornü - Strasse hinaus bis in die Nähe
des Emi Fadscha, der mit dem gleichnamigen Brunnen ungefähr
eine Tagereise östlich vom Wege bleibt.
Ein Marsch von einigen Stunden, nach deren Ablauf wir den etwa
drei Stunden entfernten Emi Mädßma im graden Westen hatten,
führte uns Nachmittags zu zwei bis zum Rande versandeten Brunnen,
deren Umgebung mit einer Vegetation von solcher Frische und ver-
hältnissmässiger Ueppigkeit geziert war, wie man sie im nördlichen
Fezzän nur am Ende des Winters und im weiteren Süden der Wüste
nur nach Regenfällen findet. Hier fanden wir auch zum ersten Male
auf unserem Wege den Siwäk - Strauch (Salvadora persica). Um
unsere Kameele in dem Krautwuchs schwelgen zu lassen, beschlossen
wir zu lagern, obwohl die auf dieser Strasse von den Karawanen
gewöhnlich benutzte Wasserstation der Mädöma-Gegend werter süd-
westlich liegt, und trotzdem die Entsandung der Brunnen eine müh-
same und zeitraubende Arbeit in Aussicht stellte. Nachdem diese
sofort in Angriff genommen war, stiessen wir in einer Tiefe von
2l/-j M. auf das erste Wasser, das reichlich genug hervorsickerte, um
bis zum nächsten Morgen die Deckung unseres Bedarfs zu ver-
sprechen. Freilich musste fast während der ganzen Nacht gearbeitet
werden, da die Kameele nach dem austrocknenden Winde und der
hohen Temperatur des Tages — der Nordwind der vorhergehenden
Tage war zum Nordost geworden und im E. Lakakenno hatten wir
eine Temperatur von 45 0 C. gehabt — vor der Tränkung sogar
ihrem Lieblingskraute, dem Häd, nicht zusprechen wollten. Die
Wandungen der Brunnenschächte zeigten in der Oberfläche eine zwei
bis drei Fuss hohe Sandschicht und eine auf diese folgende Thon-
lagc, die an Mächtigkeit etwa das Doppelte betrug. Unterhalb der
dann folgenden lockeren, wasserspendenden Schicht lag harter Fels-
boden. Der Wohlgeschmack des hier gewonnenen Wassers und die
weiderciche Umgebung Hessen diese Station jetzt häufiger als Lager-
platz wählen anstatt des südwestlicheren Bir Ahmar esch- Scherqi,
seit ein Tedetu die Brunnen gegraben und lange, seinen Kameelen
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510 III. BUCH, 2. KAIMTEI.. REISE NACH KAWAR.
zu Liebe, oder weil er Grund hatte, seine Landsleute zu fliehen, an
ihnen gehaust hatte. 'Ihr einziger Nachtheil war der, dass die Ent-
fernung bis zur nächstfolgenden Station der Strasse, Namens Mafäras,
einen allzulangen Tagemarsch erforderte.
Da die Kameele erst gegen Morgen abgetränkt werden und von
der üppigen Weide zu profitiren beginnen konnten, so Hessen wir sie
während des ganzen folgenden Tages in derselben, und setzten erst
am 17. Mai unseren Weg fort. Wir reisten im Ganzen sehr langsam,
rasteten schon nach zwei Stunden an dem erwähnten Bir Ahmar esch-
Scherqi, der Wasser in der geringen Tiefe von 1 1/4 M. unter der Boden-
oberfläche enthielt, und erreichten Abends nicht nur begreiflicher-
weise nicht den Mafäras -Brunnen, sondern nicht einmal die auf der
Hälfte des Weges gelegene Buddema-Niederung. Nach sechsstündigem
Nachmittagsmarsche in derselben nahezu südwestlichen Richtung, an-
fangs über steiniges Terrain, das sich in unbedeutenden Abstufungen
terrassenförmig nach Süden senkte, lagerten wir zur Nachtruhe. Die
Abstufungen waren durch graue, schiefrige Kalksteinerhebungen ge-
bildet, welche in Gestalt von Bodenwellen von Nordost nach Süd-
west strichen. Der felsige Charakter ging mit der Senkung des
Terrains allmählich verloren, und am Abend war ein weicher Sand-
und Kiesgrund vorwaltend. In der Dunkelheit Hessen wir die lang-
gestreckte Erhebung Sufra Tintal, welche in der Entfernung die Form
eines regelmässigen Trapezes zu haben schien, und auf deren west-
liche Extremität unsere Marschrichtung zuführte, östlich am Wege.
Schon eine Stunde nach Mitternacht setzten wir den Marsch fort,
überschritten nach drei Stunden die Buddema-Niederung, einen
schmalen Strich einigermassen fruchtbaren Bodens, dessen spärlicher
Krautwuchs jedoch die Begierden unserer Kameele wenig reizte, und
gaben uns nach drei weiteren Stunden der Tagesrast hin. Das
Terrain blieb sanft gewellt, — auf den Wellenhöhen waltet der
Steinbelag und in den Wellentiefen der Sandboden mit kümmer-
licher Vegetation vor — , doch mit Ausnahme des am Tage zuvor
gesehenen Sufra Tintal hatte das Auge nach keiner Richtung hin
nennenswerthe Bodenerhebungen erblickt. Bei günstigen atmosphä-
rischen Bedingungen hätte man zweifelsohne, etwa von Buddema
aus, den Emi Fadscha sehen müssen, dem Vogel eine Höhe von
300 M. über der Ebene giebt, doch der seit mehreren Tagen herr-
schende Wüstenwind verschleierte die Luft. Selbst am Nachmittage
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SENKUNG DES TERRAINS NACH SÜDEN.
511
des 18. brachten uns sechs Stunden noch nicht bis Mafäras, sondern
erst am folgenden Tage lagerten wir nach eben so langem Marsche
am südlichen Brunnen dieser Niederung, nachdem wir schon zwei
Stunden früher den nördlichen, welcher seit Jahren verschüttet war,
westlich gelassen hatten. Während Tages zuvor der Boden der
Gegend wieder steiniger und felsiger geworden war, zeigte er sich
in der Nähe der Mafäras-Niederung weich, nicht nur etwa, weil auf
seiner Oberfläche mehr sandiger Detritus lag, sondern weil er unter
diesem einen thonigen Charakter angenommen hatte. Der aufgewühlte
Staub war nicht mehr bräunlich, sondern bläulich grau.
Wenn ich an die qualvollen Märsche während meiner Tibesti-
Keise dachte, so war ich herzlich zufrieden mit der etwas bequemen
Fortbewegungsmethode, welcher wir uns hingaben, und an der ich
oder vielmehr meine Leute zum Theil die Schuld trugen. Ich konnte
machen, was ich wollte, meine Leute waren stets im Rückstände,
brachen als die Letzten vom Lagerplätze auf und kamen zu spät
auf demselben an, oder die Uebrigen mussten bei hereingebrochener
Nacht ihnen zu Liebe lagern. Büi Mohammed war eben etwas lang-
sam und bedächtig, und seine Gehülfen verstanden nicht viel mehr
von Kameelen und ihrer Belastung, als ich selbst.
Der nördliche Brunnen liegt hart am Rande der eigentlichen
Mafäras-Niederung, in die man über eine Bodenwelle hinabsteigt.
Der südliche Brunnen war leider wieder so versandet, dass er alle
vorhandenen Kräfte bis zum Abend in Anspruch nahm. Es sind
diese häufigen Verschüttungen der Wasserspenden, welche einerseits
den Fortschritt einer Karawane sehr verzögern und zur Anstrengung
der Märsche noch die nicht minder ermüdende Arbeit auf dem
Lagerplatze fügen, andererseits die Wüstenreisen weniger Individuen
schwierig und selbst gefährlich machen. Nachdem übrigens der Sand
und unter diesem etwas Morast hinweggeräumt worden waren, lieferte
der Brunnen in einer Tiefe von 2l/a M. ein zwar in unerfreulicher
Weise mit erdigen Bestandtheilen gemischtes, aber wohlschmeckendes
Wasser.
Die Mafäras-Niederung bringt zwar in der Umgebung des süd-
lichen Brunnens eine reichliche Vegetation von Nissi (Aristida plu-
mosa) und Bu Rukba (Panicum turgidum) und selbst einige Sajäl-
Akazien und Dattelpalmengestrupp hervor, doch von jenen Gräsern
ist zwar das erstere ein geschätztes Pferdefutter, aber keins von beiden
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512 HI. BUCH, 2. KAPITF.l.. REISE NACH KAWÄR.
geniesst als Kaineelnahrung eines besonderen Rufes. Wir setzten
daher ani 20. Mai frühzeitig unseren Weg fort auf die östliche Grenze
einer vor uns liegenden niedrigen Berggruppe von der abgestutzten
Pyramidenform der meisten Wüstenerhebungen zu und rasteten wäh-
rend der Tagesmitte nach einem Marsche von etwas mehr als sechs
Stunden in einem flussbettähnlichen Thale, das sich von der erwähnten
Berggruppe, welche den Namen Tji Grünto führt, nach Osten senkt
und reichlich sowohl Nissi, als Häd enthielt. Der Tji Grünto hat
seine Hauptausdehnung von Nord nach Süd, erhebt sich nur wenige
hundert Fuss über die Ebene und besteht im Kern aus Kalkstein
und in der Höhe aus Sandstein. Die übrige Gegend ist niedrig- und
breitgewcllt, so dass weite, flache Thäler entstehen, die hier und da
am fernen Horizonte von niedrigen Tafelbergen begrenzt sind. Im
Grunde derselben findet sich dieselbe Vegetation von Nissi, Bü Rukba
und Häd, und auch am Nachmittage des 20. Mai lagerten wir nach
dreistündigem Marsche, während dessen wir den südlichen Theil des
Tji Grünto westlich neben uns hatten, zum Vortheile unserer Kameele
inmitten ihres letztgenannten Lieblingsfutters.
Der 21. Mai legte uns eine ansehnliche Leistung auf, indem wir
die grössere Oase Jat erreichen mussten. Erhebungen von der cha-
rakteristischen Wüstenform, welche sich an den Tji Grünto schliessen,
charakterisiren die Gegend; dazwischen ist weicher, sandiger Boden.
Berge und Ebene sind unregelmässig mit meist dunkelfarbigen Steinen
bedeckt; die ganze Physiognomie gleicht derjenigen der peripherischen
Theile Tibesti's. Allmählich treten die Erhebungen zurück, während
der Horizont von ihnen begrenzt bleibt, die Gegend wird freier und
nach neunstündigem Marsche stiegen wir gegen die Oase Jat hinab,
deren dunkle Baumlinie wir erst in ihrer nächsten Nähe erblickten,
da, wie alltäglich, ein heftiger Ostwind die Atmosphäre verschleierte.
Bei der Möglichkeit, in der Oase einige Bewohner Tibesti's, denen
dieselbe gehört, anzutreflen, konnte sich Bü Aischa das Vergnügen
nicht versagen, unserem Einzuge einen militairischen Charakter zu
geben, und in geordnetem Zuge unserer Leute betraten wir unter
Paukenschall und Flintengeknall anderthalb Stunden darauf ihren
westlichen Theil. Wir fanden in der Oase keine Tcdä, welche sonst ein
historisch begründetes Recht haben, von den Reisenden einen Durch-
gangszoll zu erheben, und lagerten an ihren zahlreichen Brunnen-
löchern, welche Wasser in der Tiefe von nur einem Meter haben.
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ÖIE OASE JAT.
öl 3
Die Oase wird in der Tcdii- Sprache Jat und in ihrem östlichen
Theile Dastomde genannt, während sic bei den Arabern Sahija,
d. h. die heitere, heisst, und nicht etwa Srhira, d. h. die kleine, wie
man fälschlich auf einigen Karten angegeben findet. Der letztere
Name könnte auch höchstens bei dem Vergleiche mit Kawär passen,
denn von Fczzan bis dorthin kann es keine Hattija oder Oase mit
Dümpatme ( Hyphaenc tktbmica J.
Jat an Grösse und Pflanzenreich thum aufnehmen. Sic erstreckt sich
von West nach Ost in einer Iainge von gegen zwanzig Kilometer, misst
in der Breite durchschnittlich drei Kilometer und bietet eine reiche
Vegetation von Dumpalmen, Sajäl- Akazien, Dattelpalmengestrüpp
und den oft angeführten Gräsern und Kräutern. Hier ist auf dem
Bornü-Wege die Nordgrenze der Dümpalme, welche ich zum ersten
Machligal. 1. 33
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III. BUCH, 2. KAPITEL. REISE NACH KAWAR.
514
Male in grösserer Menge beisammen zu sehen Gelegenheit hatte, da
mir in Tibesti nur vereinzelte Exemplare aufgestossen waren.
Diese Palme ( Hyphaenc thebaica ) erreicht nur eine massige Höhe
und zeichnet sich durch die Zweitheilung des Stammes und der
Aeste aus. Die Früchte haben, wie ich bei Gelegenheit meines
Aufenthaltes in Tibesti beschrieben habe, die Grösse mittelgrosser
Aepfel, sind in unreifem Zustande von grünlichem Graubraun, im
reifen von einem fahlen Braun und haben eine essbare Rindensub-
stanz und einen grossen Kern. Jene umschliesst den letzteren in einer
etwa ein Centimetcr dicken Lage und ist selbst in ihrem reifen
Zustande so hart, dass sie nur durch mühsames Klopfen mit Steinen
mürbe und geniessbar gemacht werden kann. Sie hat einen ausge-
sprochenen Pfefferkuchengeschmack und einen ausserordentlich ge-
ringen Nährwerth, wie ich bei der Schilderung der Nahrungsverhält-
nisse der Tubu Rcschäde bereits erwähnt habe. Der dunkelgraue,
im Innern weissliche und opalisirende Kern, in dessen Mitte sich eine
kleine Höhlung befindet, ist so hart, dass man ihn am Nil, wo er
schon häufiger zur Verwendung kommt, vegetabilisches Elfenbein
nennt. Giuseppe , der zu mechanischen Arbeiten grosses Geschick
hatte, schnitzte aus ihm während unserer Gefangenschaft in Tibesti
zierliche kleine Pfeifenköpfchen und Cigarrenspitzchcn, und ich habe
seitdem in Europa bei Leuten, welche Kerne der Dümfrucht aus
Egypten mitgebracht hatten, die zierlichsten Drechslerarbeiten, Schach-
figuren und dergleichen, aus ihnen verfertigt gesehen.
Auch das Thierleben begann sich zu regen, und unsere Wind-
hunde — Bü Ai'scha führte deren mehrere mit sich — fanden die
erste Gelegenheit sich nützlich zu erweisen, indem sie mehrere
Gazellen und einen P'enek (Wüstenfuchs) , dessen Fleisch gar nicht
übel war, einfingen.
Da die folgende Station Jeggeba zwei ansehnliche Tagemärsche
von Jat entfernt ist, so brachen wir, um womöglich die Pferde nur
einmal aus den Wasserschläuchen tränken zu müssen, am 22. Mai
erst in der zweiten Tageshälfte auf. FYüher wählte man auf dieser
Strecke gewöhnlich einen längeren, westlicheren Weg, welcher den
Vortheil hatte, in seiner Mitte die Oase Siggcdim zu berühren, die
mit ihrem Reichthum an Dattelpalmen früher eine ständige Be-
wohnerschaft von Dschebädo-Leuten hatte, deren verfallene Flrd-
behausungen noch vorhanden sind. Seitdem die Oase vereinsamt
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DIE DÜMPALME. — OASF. JEGGEBA. 515
ist, und der Reisende also keine Gelegenheit mehr findet, sich da-
selbst mit Reisevorräthen zu versehen, vermeidet man natürlich den
Umweg und folgt der Südsüdwestrichtung der früheren Strecke. In
dieser steigt man allmählich über eine nackte, steinige Wüste, die
sich aber durch ihren unebenen Charakter von den nördlicheren Serir
und Hammäda unterscheidet, bis zum Berge Gere Tedetuma In der
Mitte zwischen Jat und Jcggeba auf und von diesem ebenso allmählich
wieder zu der letzteren Oase und weiter nach Kawar ab.
Wir reisten am Nachmittage des 22. Mai vier Stunden lang, und
sieben Marschstunden am folgenden Vormittage brachten uns bis zu
dem genannten Berge, welcher die gewöhnliche Pyramidenform hat
und, obgleich er nur etwa um 60 M. seine Umgebung überragt, wegen
der Wölbung seiner Basis weithin gesehen wird. Nachdem wir an
seinem östlichen Kusse während der Tageshitze gerastet hatten, ge-
riethen wir nach einem dreistündigen Nachmittagsmarschc, während
dessen wir uns wahrscheinlich zu weit westlich gehalten hatten, denn
unsere Richtung war eine südwestliche und zeitweise selbst eine west-
südwestliche gewesen, bei hereinbrechender Dunkelheit in ein solches
Gewirr von Hügeln und Kelsgruppen, von Thälern und Schluchten,
dass die Kameeltreiber über die Wegrichtung unsicher wurden, wäh-
rend die Pferdeinhaber sich von dem reichen Nissiwuchs der Gegend
nach allen Richtungen verlocken Hessen. Schliesslich war die ganze
Karawane zerstreut und aufgelöst, und wir waren froh, als sich
nach einigen Stunden am südlichen Rande der Felsgegend wieder
Alle zum Nachtlager zusammengefunden hatten.
Für den 24. Mai blieben uns noch etwa sieben Marschstunden
bis Jeggeba, welche aber unser Führer durch eine südlichere Richtung
um eine verkürzte, wälirehd die wegekundigen Mitglieder der Kara-
wane auf einer südsüdwestlichen bis südwestlichen bestanden. Das
Terrain ähnelt dem der vorhergehenden Tage, doch sind die flachen
Erhebungen der Gegend alle auf die östliche Seite des Weges ge-
rückt, während nach Südwesten und Westen sich dem Auge eine
allmählich ansteigende Ebene zeigt. Die Oase Jeggeba ist viel
kleiner, als die von Jat, etwa fünf Kilometer lang und zwei Kilo-
meter breit, ist gerichtet wie diese, zeichnet sich ebenfalls durch viel
Dümwuchs und Futtergräser aus, und ihre Brunnen enthalten schon
in der geringen Tiefe von */s bis 1 M. ein sehr wohlschmeckendes
Wasser.
33*
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516
III. BUCH, 2. KAPITEL. REISE NACH KAWÄR.
Wir hätten am nächsten Tage (25. Mai) sehr gut Kawär er-
reichen können, doch dann würden wir die Oase zu später Abend-
stunde, unangemeldet und ohne festliches Gepränge betreten haben,
was Bü Äi'scha wenig zusagte.
Zwischen der Oase Jeggeba und Kawär dehnt sich eine ge-
wölbte Hammäda aus, wie zwischen der ersteren und Jat. Wir
stiegen auf derselben für sieben Stunden bis zu einem Punkte auf,
an dem zahlreiche Sandsteinfelsen östlich hart am Wege aufspringen,
deren ansehnlichster den Namen Kiljanarang fuhrt. Von hier senkt
sich die wüste Ebene nach Süden, im Osten von unregelmässigen
Berggruppen und Hügeln begrenzt und nach Westen ganz allmählich
ansteigend. Die östlichen Berge gehen in den Gebirgszug über,
welcher Kawär in seiner ganzen Länge nach Osten zu begrenzt, und
senden nördlich von der Oase verschiedene Hügelreihcn nach Westen.
Als wir nach weiteren zwei Stunden die erste derselben nahe ihrem
westlichen Ende überschritten hatten, beschlossen wir zu nächtigen,
da uns nur noch eine geringe Entfernung von der Oase trennte.
Die Hälfte des Weges von Murzuq nach Küka, der Hauptstadt
Bornü's, war mit Kawär ohne Unfall zurückgelegt. Menschen und
Thierc erfreuten sich des besten Wohlseins, und wir konnten in dem
vor uns liegenden Tubu-Ländchen einer angenehmen Zeit der Er-
holung und der Kräftigung für die schwierigere zweite Hälfte des
Weges entgegensehen.
Die Strasse von Tripolis nach Bornü mit ihren häufigen Wasser-
stationen und Weideplätzen, den Oasen Fezzän’s und dem Ländchen
Kawär, ist die bequemste der Strassen, welche vom Mittelmeere
nach dem Sudan fuhren. Auf dem Täriq el-Arb'ain (d. h. Weg der
vierzig Tage), welcher von Sujüt oder Asjut am Nil durch die Wüste
nach Där För führt, kommen mehrfach sechs wasserlosc Tage hinter
einander vor, und giebt cs fast gar kein Kameelfutter; die Strasse,
welche ßenghäzi über Dschälo, Kutära und Wanjanga mit Wadäi
verbindet, soll bis zu zehn wasserlosen Tagen in einer Folge haben
und ist in fast zwei Dritteln gänzlich vegetationslos; diejenigen, welche
von Ghadämes und von Marokko nach Timbuktu fuhren, scheinen
dieselben Schwierigkeiten darzubicten; der Weg endlich, auf dem sich
die Ghadämestja über Ghät nach den Haussa-Staaten begeben, erreicht
ebenfalls in Bezug auf Bequemlichkeit die Bornü-Strasse nicht.
Wir waren ausserdem langsam, d. h. mit häufiger Unterbrechung
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ANNÄHERUNG AN KAWÄR.
517
durch Rasttage, gereist, so dass wir der Erholung nicht sehr be-
dürftig waren. Nur die marokkanischen Knaben hatten mehr leisten
müssen, als ihnen bei ihrem zarten Alter hätte zugemuthet werden
sollen und als selbst in den Verhältnissen lag. Ihr Moqaddem
unterwarf sie einem so sparsamen Verbrauche von Trinkwasser, wie
selbst kein Erwachsener der übrigen Karawane sich zumuthete, und
schmälerte ihnen die Ruhe auf den Lagerplätzen, indem er sie am
meisten zu den Brunnenarbeiten und anderen Leistungen heranzog.
In Folge seiner Strenge und Härte trat eine tiefe Missstimmung in
seiner Gesellschaft mehr und mehr zu Tage; die Ordnung, Manneszucht
und scheinbare Einigkeit beruhten bei den Kindern nur auf Furcht und
bei den Erwachsenen auf ihrem ungewöhnlich ausgebildcten Gefühle
der Zusammengehörigkeit. Der Knabe, welcher im Dcndal Ghaladima
bewusstlos zusammengebrochen und noch immer krank war, ritt zwar
jetzt auf einem ihrer Kameele, bekam aber dafür desto mehr Schläge
und um so weniger Wasser, denn wenn der Hadsch Sälih auf Vor-
stellungen unsererseits über die Wasserentziehung im Allgemeinen
erwiderte, dass die Knaben sich an Entbehrungen gewöhnen müssten,
so behauptete er im Besonderen, dass derjenige, welcher der Be-
quemlichkeit des Reitens fröhne, überhaupt nicht berechtigt sei,
Durst zu haben. Als auf dem Wege von Jeggcba nach Kawar das
Kamee), auf dem der Knabe ritt, aus irgend einem Grunde einmal
niedcrkniccn musste, und dieser aus Unachtsamkeit vornüber auf den
Boden stürzte, so dass das Blut ihm aus der Nase strömte, hielt
sein Chef diese Strafe durchaus nicht für genügend, sondern be-
arbeitete ihn in rohster Weise mit Fusstritten. Solche Scenen
mehrten sich und gefährdeten unser kameradschaftliches Verhältniss
ernstlich.
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Drittes Kapitel.
KAWÄR ODER ENNERI TUGE.
Hu ’Aischa's Verdienste um die Kaw&r-Leute. — Feierlicher Empfang zu Anai, dem nörd-
lichsten Dorfe. — Zufluchtsfelsen der Ortschaft. — Dorf Anikumma und Wieder-
sehen mit Arami. — Getreidepreise. — Gastfreundschaft. — Aschenumina und
das sogenannte MögÖdöm- Gebirge. — Eidschi. — Anmuthige Frauen — Markt-
verhältnisse. — Salzseen um Dirki. — Die Hauptstadt von KawÄr. — Empfang
durch König Dunnoma. — Kameelreiter. — Meine zahnärztliche Thätigkeit. —
Durchgangszoll der einzelnen Karawanenglieder. — Unverschämte Forderung des
Dardai. — Schiminedru, Sitz des Senüst- Missionars. — Hochmüthiges Benehmen
desselben. — Veränderte Windrichtung und Wolkenbildung. — Emi Mädema und
die Aqülweide zu Agerr. — Der Salzdistrict von Bilmä. — Stadt Garu und Kalala.
— SaUcxport. — Art und Weise der Gewinnung des Salzes. — Aerztliche
Thätigkeit. — Vorbereitung zur Weiterreise. — Zusammen fassende Betrachtung des
Weges nach Kawär und der Oase seihst. — Höhenverhältnisse. — Enneri TSgA —
Dattelcultur und Salzhandel. — Zahl der Ortschaften und ihre Bewohner. — Stämme
und Familien Kawär's. — Verbindung der Oase mit Ahtr und Ghät.
Nachdem wir am 26. Mai in nahezu südlicher Richtung noch
zwei Ausläufer der östlichen Felsenkette nahe ihrem westlichen Ende
überschritten hatten, erreichten wir, zwei Stunden nach unserem Auf-
bruche, das breite Thal von Kawär, das in der Gestalt eines sich
nach Süden verlierenden Palmenwaldes vor uns lag. Während wir
die Sammlung der Karawane erwarteten, legte Bü Äischa seine Fest-
kleidung an, schmückte sich mit einem goldgestickten Gewehr-
gehänge von Sammet und einem ähnlichen Gürtel mit Pulver- und
Kugeltasche, hing einen Säbel mit kostbarem Griff um, der an einem
dicken, aus rother Seide geflochtenen Bandelier hing, und hüllte
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BC ’A'I'SCHa’s VERDIENSTE UM KAWAK. 51‘J
Iiaupt und Schultern in einen Hatk aus dem Dscherid, so dass ich
mir ganz zerlumpt neben ihm vorkam , und mein Ansehen bei der
Karawane und den Kawär-Leuten grosse Gefahr lief.
Bü Äischa konnte auf einen besonders feierlichen Empfang von
Seiten der Einwohner rechnen. Dieselben waren sowohl durch das
Band der Dankbarkeit, als auch durch das der Speculation, welches
letztere bei den Tubu gewöhnlich das wirksamere ist, an ihn geknüpft.
Die räuberischen Araberstamme der Umgebung der grossen Syrte,
welche Mangel und abenteuernder Sinn nicht selten zu den in Känem
hausenden Auläd Solimän treibt, hatten wiederholt mit diesen Kawär
uberfallen und Frauen und Kinder der Einwohner als gute Beute in
ihre Heimath geschleppt. Da die Regierung von Tripolis darauf
bedacht sein muss, ihren Kaufleuten den Weg nach Bornü frei zu
halten, so hatte sie, als die Klagen der unglücklichen Kawar-Leutc"
uberlaut wurden, vor einigen Jahren ernstliche Schritte gethan, um
die Räuber zur Auslieferung ihrer Gefangenen, welche überdies als
Mohammedaner nach islamitischem Recht nicht hätten zu Sclaven
gemacht werden dürfen, zu bewegen. Bü Ai'scha war damit betraut
worden, dies Ziel auf gütlichem Wege zu erreichen, und es war ihm
gelungen, die meisten der Geraubten ihrer Heimath und Familie
zuruckzugeben. Ausser diesem Gefühle der Dankbarkeit, das die
Kawär Leute ihrem Befreier und Wohlthäter entgegenbrachten, trugen
die weiteren Hoffnungen, welche man an den Besuch desselben in
Bornü knüpfte, zu seinem besonders ehrenvollen Fhnpfange bei. Wenn
irgend Jemand, so schien er der Mann zu sein, einen günstigen Ein-
fluss auf seine Stammesgenossen, die Auläd Solimän, die erbarmungs-
losen Erbfeinde der Oase, auszuüben und den schutzlosen Einwohnern
einen dauernden F’rieden zu sichern.
Sobald die Karawane sich gesammelt hatte, Hessen wir unsere
Pauke erschallen , die Reiter hielten sich zusammen , und die Fuss-
gänger umschwärmten sie, ihre Gewehre schwingend und nach Herzens-
lust Pulver verknallend. Die Antwrort von Anai, der nördlichsten
Ortschaft Kawärs, deren F'elsen wir vor uns erblickten, Hess nicht
lange auf sich werten; einige Schüsse fielen und die Töne einer
Trommel wurden hörbar. Langsam und mit Würde vorrückend,
stiessen wir bald auf die spärlichen Einwohner des Dorfes, welche von
zwei Reitern zu Kameel in schwarzer Südän-Tobe und mit schwarzem
Kopf- und Gesichtsshawl angeführt wurden. Sobald wir diesen sichtbar
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520 III. BUCH, 3. KAPITEL. KAWÄR ODER EXNERI TUG£.
geworden waren, setzten sie ihre Thicrc in eine Art Galopp und
erhöhten durch die unermüdliche Bearbeitung der Kameelflanken mit
ihren Beinen den grotesken Anblick, den dies Thier bei dem ihm
ungewohnten Laufen ohnehin schon gewährt. Ihre Gefährten rasselten
dazu mit den Specren und schlugen die Wurfeisen aneinander.
Die Meisten waren dunkelfarbig, zeigten aber vorwaltend die
scharf geschnittenen Tubuphysiognomien. Der weibliche Theil der
Bevölkerung war entschieden der anmuthigere. Die nervigen, männ-
lichen Bewegungen der Frauen Tu’s kamen hier in gemilderter Form
zum Ausdruck; das Negerblut, welches die Bewohner von Kavvär
durchdringt, fügte zur ursprünglichen Sehnigkeit und Geschmeidigkeit
eine gewisse Weichheit und Anmuth. Unter der üblichen Zalrhtita*)
bewegten sich die F'rauen und Mädchen Anai’s, anmuthig den Ober-
körper auf den Hüften wiegend und hierhin und dorthin neigend,
kokett die Zipfel ihrer Füta um Kopf und Schultern drapirend oder einen
primitiven Fächer von Straussfcdcrn oder das Blatt einer Dattelpalme
graziös schwingend, von einer Gruppe der Karawane zur andern,
bald unterwürfig auf den Boden knieend und den Staub desselben
auf Haupt und Schultern streuend, bald dem Ilauptgcgenstandc ihrer
Begrüssung, Bü Äischa, in leidenschaftlicher Begeisterung ihre Hul-
digung darbringend, bald in kecker und herausfordernder Weise
unsere jungen, waffentragenden Männer zu weiterer I’ulververschwen-
dung anreizend. Im Gegensätze zu dem Eindrücke, den ich in
Tibesti empfangen hatte, schienen mir die F rauen Kawar’s mehr
hellfarbige Individuen zu zählen, als die Männer, und jedenfalls hatte
die Mischung ihres Stammes mit Bornü-Elementen sie anmuthiger
gemacht, als ihre Schwestern in Tu mir erschienen waren.
Unter den unaufhörlichen Aeusserungen einer festlichen Stimmung
langsam vorrückend, erreichten wir nach einer kleinen Stunde das
Dorf Anai, das mitten im Thale, am I'usse einer kurzen Reihe von
Sandsteinfelsen liegt. Wir hatten ursprünglich nicht die Absicht-
gehabt, uns daselbst aufzuhalten, doch die Bewohner duldeten nicht,
dass wir ihre Gastfreundschaft, deren wesentlichster Theil, das Mahl,
bereits hergerichtet war, verschmähten. Der Genuss desselben — cs
bestand aus dein gewöhnlichen steifen Duchn-Brei mit Melüchia-
Sauce — wurde mir verannehmlicht durch die Zukost von kleinen,
*■) Siehe Seile 101.
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Anai in Kawär.
EMPFANG ZU ANAI.
521
grauen Feldtauben, an denen Kawär sehr reich ist, und von denen
meine Leute viele erlegten. Die meisten Hütten waren nach Art
derjenigen der Tcdä in Fezzän aus Palmblättern geflochten, doch
in ihren Wandungen häufig durch dichte, aus Haifa- oder Dümpalmen-
gestrüpp geflochtene Matten verstärkt; andere waren aus unbehauenen
und unverbundenen Steinen nach der Tibcsti-Sitte', doch in vier-
eckiger Form, aufgeführt; im Ganzen mochte der Ort 100 Haus-
stände zählen.
Der ansehnlichste der Sandsteinfclscn, etwa 30 M. hoch und
mit senkrechten Wänden, diente als Zufluchtsort bei Ucberfällen.
Auf die Höhe dieser Felsenfestung gelangte man mittelst einer
plumpen , doch soliden Leiter, die aus zwei mässig dicken Palmen-
stämmen hergestellt war, an welche die Sprossen aus dem Holze
der Sajäl -Akazie durch breite Fellstreifen fest und sicher befestigt
waren. Oben befanden sich aus Steinen erbaute, bedachte Räume
für die Flüchtlinge und ihre Vorräthe, deren Zugänge durch wohl-
verschlossene Thüren und durch eine vor diesen aufgeführte Erd-
mauer von fast Meter- Höhe geschützt waren. Die Masse des
Felsens zeigt auf allen Seiten Höhlungen und Gänge verschiedener
Tiefe, die zur Aufnahme und Sicherung des Kleinviehs in Zeiten
der Gefahr dienen. Unmittelbar am Fusse des Felsens auf der Seite
des Dorfes befindet sich ein Brunnen, in den man von der Zinne des
Felsens einen Eimer herablassen kann. Freilich enthält diese Cisterne
nur selten zureichendes Wasser, und in diesem Falle ist die sonst
schwer einnehmbare Festung natürlich nur für wenige Tage haltbar.
Vom zweiten Dorfe Kawär's, welches den Namen Anikumma
— Corruption von Ei Tschuima oder Kjui'ma (d. h. weisser Felsen) —
führt, trennte uns nur die Entfernung einer kleinen Stunde, die am
nächsten Morgen (27. Mai) zurückgelegt wurde. Dasselbe lag nahe
dem Ostrandc der Oase, ebenfalls am Fusse eines isolirten Zufluchts-
felsens und bestand aus 60 bis 70 Hütten. Auch an ihm zogen wir
nicht vorüber, denn Bü Äischa schien entschlossen, den Aufenthalt
in der Oase so gut als möglich auszubcuten, die Huldigungen und
die Gastmähler aller Dörfer entgegenzunehmen und überall nach der
Gelegenheit möglichst wohlfeilen Kameelerwerbs, dessen er noch
benöthigt war, zu spähen. Die festliche Einholung hatte denselben
Charakter, wie zu Anai, wurde jedoch noch feierlicher durch die
Mitwirkung dreier Pauken und einer Trommel, auf deren Besitz die
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522 III. BUCH, 3. KAPITEL. KAWÄR ODER EN NEU! TÖCE.
Einwohner stolz waren. Die Scene verlängerte sich glücklicherweise
nicht allzusehr, da bald ein starker Ostwind das ganze Thal mit
glühender Hitze und drückendem Staube umfing und selbst die wahr-
lich daran gewöhnten Eingeborenen in ihre Häuser trieb.
Schon zu Anai hatte ich erfahren, dass einige meiner Tibesti-
Bekannten in der Nähe seien, und je weniger der Groll gegen
die Gesammtheit der Tedä Tu's aus meinem Herzen gewichen
war, mit desto grösserer Genugthuung erfüllte es mich, jenen
hier im vollen Gefühle der Sicherheit und Unabhängigkeit entgegen
treten zu können. In der That erschienen schon an diesem Tage
gegen Abend der Sohn Temidömi’s und mein Retter Arämi , theils,
um uns zu begrüssen, theils und hauptsächlich, um Bü Ai'scha um
seine Vermittlung bei den Auläd Solimän Käncm’s zur Auslieferung
gefangener und geraubter Landsleute anzugehen, und um Briefe von
ihm zu erbitten, mit denen sie nach Murzuq zu gehen beabsichtigten,
um Frieden mit den gekränkten Fezzanern zu schliessen. Sobald
Arämi diese Angelegenheiten mit unserem Scheich el-Qäfila geordnet
hatte und das Abenddunkel hereingebrochen war, kam er im Ver-
trauen auf die Dienste, welche er mir in seiner Hcimath geleistet
hatte, um in einer gegen früher allerdings gemilderten *• Form einige
Geschenke von mir zu erpressen. Doch der Hass meiner Leute
gegen ganz Tibesti und gegen alle Tubu war noch so tief und leb-
haft, dass sie ihn, dem wir bei aller seiner Habsucht doch immerhin
unsere Rettung verdankten, mit ausgesuchter Grobheit behandelten.
Ich versuchte zwar, sie zur Ruhe und Vernunft zu bringen und
versöhnliche Gespräche mit meinem Gaste anzuknüpfen, doch, da
ich nicht in der Lage war, ihm Geschenke zu machen, so verliess
er mich im Zorn und mit der Drohung, dass man, wenn es mich
noch einmal gelüsten sollte, nach Tibesti zu kommen, summarischer
mit mir verfahren werde. Ich gestehe, dass ich damals wirklich sehr
wenig Neigung hatte, die Wahrhaftigkeit seiner Bemerkung auf die
Probe zu stellen.
Es gelang Bü Äischa hier noch nicht, die gewünschten Kamcele
zu erwerben, denn wenn man auch deren einige vortreffliche aus
Tibesti, Borkü und Känem zu Markt brachte, so kam es doch bei
der Schwierigkeit, mit den listigen, habgierigen und eigensinnigen
Tubu zu feilschen, zu keinem Abschluss. Aber wir kauften Ge-
treide, das merkwürdiger Weise wohlfeiler war, als in Fezzän.
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ALTE UEKANNTE. — GETRBIDEPREISE.
523
Man bezahlte sechs Kijäl Durra in Kawär mit acht, zu Murzuq
mit zehn Mark, und dabei war das Kel Kawär' s noch erheblich
umfangreicher als das Fezzän’s. Diese massigen Preise setzten
mich um so mehr in Erstaunen, als die Kawär-Leute fast gar kein
Getreide bauen, sondern dasselbe zumeist von ihren westlichen
Nachbarn, den Tuärik, gegen Salz eintauschen. Von diesen be-
ziehen sie die Durra, während der Duchn aus Fezzän und Bornü
eingeführt wird. Die Gerste kommt aus Fezzän und war aller-
dings auch dem entsprechend theurer als dort. Wir kauften
das Getreide entweder in grösserer Menge, und in diesem Falle
gewöhnlich von den Männern und um baares Geld ( Maria-Theresia-
Thaler), oder tauschten es in kleinen Quantitäten von den
Frauen gegen Schmuckgegenstände (Glas- und Porzellanperlen,
Korallen und dergl.) oder andere Toilettenerfordernisse (Köhöl,
Benzoe und dergl.) ein. — Auch Luzerne, in Fezzan Qadab, in
Kawär Safsafa genannt, brachten die Frauen und Mädchen als
Pferdefutter gegen Tabak zum Verkaufe, und die Datteln der Oase,
freilich in der Qualität sehr gegen die Fezzan’s zurückstehend, aber
doch als Extranahrung der Kameele sehr wünschenswerth, waren
überall für Gelcl oder Tabak zu haben.
Nachdem wir Abends noch Gelegenheit gehabt hatten, uns der
üppigen Gastfreundschaft der Dorfbewohner, die sich in der über-
sendeten Dijäfa sogar auf Weizenbrot, Reispudding mit Meluchia-
Sauce und getrocknetes Kameelfleisch verstiegen, zu erfreuen und
die graziösen und sittsamen Tänze der Frauen und Mädchen bei Ge-
sang und Trommelschlag zu bewundern, verlegten wir am nächsten
Morgen (28. Mai) unser Quartier nach Aschenumma. Wenige Mi-
nuten brachten uns von Anikumma in Südostrichtung an den öst-
lichen Rand der Oase, auf dem wir nach Süden marschirten. Der
Höhenzug, welcher Kawär nach Osten begrenzt, ist hier höher und
weniger unterbrochen, als in seinem nördlichsten Theile, fällt ziem-
lich scharf gegen das Thal hin ab, und schiebt von Zeit zu Zeit Fels-
vorsprünge, die sich zuweilen ganz von ihm ablösen, in dasselbe vor.
Ich bezweifle, dass die ganze niedrige, um einige hundert Fuss die
Ebene nirgends überragende Erhebung den Namen des Mögödöm-
Gebirges führt, wie sie Gerhard Rohlfs nennt, und dass sie überhaupt
einen Gesammtnamen hat. Mögödöm ist der Name einer früher an
ihrem Fusse gelegenen und jetzt nicht mehr existirenden Ortschaft.
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524 Hl. BUCH, 3- KAPITEL. KAWAR ODER ENNERI TÜGfc.
Nachdem unser Weg drei jener nach Westen gerichteten und
vom Grenzgebirge abgelösten felsigen Ausläufer westlich gelassen
hatte, erreichten wir nach vier Stunden Aschenumma, in dessen
Nähe uns der gewohnte festliche Empfang zu Theil wurde. Das
Dorf liegt auf einem kleinen, nackten, nach Westen geneigten Plateau
am Fusse der östlichen Kette, in der ein besonders steiler Felsen
wieder als allgemeine Zufluchtsstätte dient. Derselbe war, wie die
früher gesehenen, zu diesem Zwecke mit Leiter und Vorrathskammern
versehen, und auch die übrigen in der Nähe liegenden P'elsen ent-
hielten in ihren Höhlungen und zwischen ihren Sandsteinblöcken
zahlreiche Wohnungen. Im Ganzen zählte das Dorf etwa 100 Haus-
stände, von denen die grössere Zahl viereckige Steinhäuser und die
übrigen Palmblatthütten waren. Ihrer viele standen leer, da die
Eigenthümer theils auf ihren häufigen Handelsreisen abwesend, theils
aus Furcht vor den Auläd Solimän, welche grade in den letzten
Jahren arg gegen die Oase gewüthet hatten, ausgewandert waren.
Der anhaltend östliche Wüstenwind machte mir bei dem dürftigen
Schatten meines Zeltes den Aufenthalt zu Aschenumma äusserst
peinvoll. Der Wind schien einem glühenden Ofen zu entströmen;
das Quecksilber des Thermometers erreichte im gelüfteten Zelte fast
50° C.; wie gelähmt lag ich in stummer Resignation und fast para-
diesischem Costüme da, wahrend die arme Windhündin verzweiflungs-
voll Löcher in den Boden kratzte, ohne Kühlung zu finden.
Der 29. Mai brachte uns nach kaum zwei Stunden zu der fol-
genden Ortschaft Eidschi, die in ähnlicher Weise wie Aschenumma
auf einem kleinen Plateau am Fusse der östlichen Felsenkettc liegt,
etwa ebenso gross, als diese, und seit den letzten Uebcrfällen
der Auläd Solimän ebenso schwach bewohnt ist. Vom Dorfe aus
hat man die Aussicht auf das zehn Minuten weiter südlich und
ähnlich gelegene TTgöruämi von nur 20 — 30 Hausständen und einen
lieblichen Blick nach Südwesten auf einen von üppiger Vegetation
umgebenen See und einen ausgedehnten Palmenhain im Hinter-
gründe.
Als die Alles lähmende Tageshitze nachgelassen hatte, ent-
wickelte sich ein ziemlich lebhafter Markt um unseren Lagerplatz,
der eine günstige Gelegenheit bot, die denselben vermittelnden
Frauen und Mädchen zu beobachten. Die Letzteren waren in erster
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ELDSCHt UND SEIN MARKT.
525
JugendbUithe höchst anmuthige Erscheinungen, welche, das gefällige
Antlitz und das Haupt mit der einfachen Jungfrauenflechte stets un-
bedeckt, die Reize der gerundeten Schultern und des zierlichen
Busens selten verhüllt, unbefangen aus ihren glänzenden Augen
blickend, die Bewunderung der Beschauer herausforderten, ohne
jemals frech oder unanständig zu erscheinen. Dabei bestand die
Kleidung des schönen Geschlechtes nie, wie so oft in Tibesti, aus
einem Schaffell, sondern unter der Füta trugen sie nicht selten ein
Hemd von blaugefarbtem Cham oder selbst ein luxuriöseres Gewand
aus den manufacturreichen Haussaländern. Das in zahllose Flechten
geordnete Haar war sorgfältig eingefettet, wie es die Schönen
Tibesti's bei ihrem Mangel an Butter nicht oft haben können, und
trug mit den üblichen Mittelflechten die Zierrathe von silbernen
Ringen und Halbringen, von Korallen und Glasperlen, welche ich
früher ausführlich beschrieben habe , und deren Beschaffung der
häufige Karawanenverkehr den Kawär-Leuten erleichtert. Sie brachten
Ziegen, Klee, Datteln, Getreide und Salz zutn Verkauf, und ich erwarb
zwei Wassermelonen, deren Köstlichkeit bewies, dass diese in der
Wüste doppelt erfrischende Frucht mit Erfolg in Kawär cultivirt
wird. Man verlangte für die Waaren baarcs Geld, die oben ge-
nannten Schmuckgegenstände und wohlriechende Substanzen oder
Tabak aus P’ezzän. Gewöhnliche Stahl- und Eisenwaaren aus F2uropa,
wie Nadeln, Scheeren, Messer, können nur selten verwerthet werden.
Steiermärkische Rasirmesser z. B., welche in grosser Menge nach
Inner-Afrika ausgeführt werden, kosteten damals nur I Ghirsch oder
17 Pfennig, hatten also einen Preis, den man trotz ihrer mangelhaften
Qualität und dürftigen äusseren Ausstattung nicht einmal am Orte
ihrer P'abrication für möglich halten sollte. Von den Ziegen wurde
keine verkauft, denn Jeder hoffte, dass am folgenden Tage die Gast-
mahlzeit zu Dirki, welche vom Herrscher des Händchens zu erwarten
stand, auch ein Stück Schlachtvieh cinschliessen würde. Wäre Maina
Adern aus der Königsfamilie Kawär’s, der einst mit Gerhard Rohlfs
von Murzuq nach Kawär gereist war, und dessen Bekanntschaft ich
später in Bornü machte, in seinem heimathlichen Dorfe Tfgömämi ge-
wesen, so würden wir schon in Fidschi einer reichlichen Dijäfa theil-
haftig geworden sein. Doch derselbe war durch kaufmännische Ge-
schäfte in Bornü mit der Zeit ein reicher Mann geworden und schien
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526 I». BUCH, 3. KAPITEL. KAWAr ODER EN'NERI TÜGt.
sich zu scheuen, den Wohnsitz wieder in seiner, räuberischen Ueber-
fällen schutzlos ausgesetzten Heimath zu nehmen.
Um nach Dirki, der Residenz des Ka war -Herrschers Dunnoma,
welche im westlichen Theile der Oase liegt, zu gelangen, marschirten
wir am 30. Mai in Südwestrichtung auf den von Eidschi erblickten
See zu, hielten uns einige Zeit auf seinem südöstlichen Ufer und
durchschritten dann einen dichten, schlecht gepflegten Palmenhain
und endlich einen lichten Wald, in dem die Sajäl- Akazie und der
Sanat (Acacia nilotica) vorwalten. Der See ist ein Salzsee, nahezu
zwei Kilometer lang und an seinen Ufern mit Schilfdickicht bedeckt.
Er liefert ausser Salz, das neben dem vortrefflichen Produkte der
unerschöpflichen Salzgruben von Bilmä bei seiner schlechten Qualität
nicht in Betracht kommt, jene früher besprochene Larve des Bahär
ed-Düd in Fezzän, doch in geringer Menge und Güte. In der auf
den See folgenden Waldung macht sich die Nähe des Wassers gel-
tend durch das frische Grün und die verhältnissmässig kräftige Ent-
wicklung der Bäume. Bevor wir nach zwei kleinen Stunden die
Hauptstadt erreichten, stiessen wir auf die Einwohner, welche, ange-
führt von ihrem jugendlichen Darda'i, uns einen der Bedeutung des
Ortes entsprechend glänzenden Empfang bereitete.
Der junge Fürst und seine höchsten Würdenträger waren zu
Pferde — im Ganzen erblickten wir vier Reiter — , führten Spiele
nach der Sitte der Araber auf und liessen dazu die kleine Anzahl
ihrer Feuerwaffen knallen. Andere sassen auf Rennkameelen — - Mahäri
pl. Mahäri — und zeichneten sich in nicht geringem Grade durch
ihre Reiterkünste aus. Besonders ein Mann, der, aufrecht in dem
hoch auf dem Höcker befindlichen concaven Reitsattel stehend, das
Thier zu rasendem Laufe antrieb, ohne durch die unglcichmässigen
und stossenden Bewegungen desselben das Gleichgewicht zu verlieren,
rief durch seine vollendete Leistung unsere ungetheilte Bewunderung
hervor. Fürst Dunnoma war ein junger Mann von zwanzig und
einigen Jahren, von dunkler Hautfärbung, kleiner und kräftiger
Statur, regelmässiger und fast einnehmender Physiognomie, trug die
beliebte Haussa-Tobe, ritt ein graues Bornü-Pferd und begrüsste uns
in einfacher, fast biederer Weise. F'ünfzig bis sechzig Personen
beiderlei Geschlechts waren in seinem Gefolge, Alle durch die Klei-
dung einen gewissen Wohlstand und in ihren Manieren eine Urbanität
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EMPFANG VOM KÖNIG DUNNOMA ZU DIRKI. 527
verrathcnd, welche die natürliche Folge ihrer häufigen Berührungen
mit Fremden war.
Die Begriissung von Seiten der Frauen war enthusiastischer und
leidenschaftlicher, als in den zuvor berührten Ortschaften, und ihre
Huldigungen, welche sie zwischen Bü Äischa und ihrem Häuptlinge
theiltcn, schienen kein Ende zu nehmen. Jetzt sah man sie in un-
nachahmlicher Leichtigkeit über den Boden hinschweben oder in
anmuthigem Wiegen und Biegen des Körpers ihre Grazie entfalten,
Alle zusammen und doch Jede für sich, während Alle ihren Fürsten
oder ihren Wohlthäter in rccitativem Gesänge verherrlichten oder
Chor bildeten zu den zwanglosen Reimen, welche Eine unter ihnen
improvisirte. Dann wieder erblickte man die ganze Gesellschaft auf
den Knieen, unterwürfig Sand und Staub auf Haupt und Schultern
streuend, oder Alle stürzten, wie auf Verabredung, ohne von der
Anmuth ihrer Bewegungen einzubüssen, auf unsere jungen Männer
zu, dieselben mit Palmenzweigen, Straussenfedcrn oder Schilf be-
fachernd, um sie zu immer neuem Abfeuern ihrer Flinten zu bewegen.
Sie waren begleitet von zwei Künstlern, deren Einer eine grosse
Trommel — Tobel arab. — bearbeitete, während der Andere, ohne
sich Im Geringsten um den Rhythmus, den der Erstere einhiclt, zu
kümmern, unermüdlich einem Antilopenhorn Töne entlockte, die
nicht grade zu den melodischen gehörten. Allen rieselte der Schweiss
von der Stirn in Folge der Anstrengung und einer Hitze, die fast
noch unerträglicher war als an den vorhergegangenen Tagen und
das Quecksilber des Thermometers im dichten Baumschatten über
45° hinauf trieb.
Unter Anfuhrung der uns einholenden Menge zogen wir an
einem zweiten, kleinen und fast trockenen, Salzsee vorüber, der ein
reineres Produkt liefert als der zuvor berührte und auf der Ostseite
der Stadt liegt, und schlugen auf der Südseite dieser in einem
lichten Palmenhain unser Lager auf. Bald darauf schickte der Häupt-
ling als Gastgeschenk einen jungen Stier, den zu schlachten sich die
Marokkaner, denen die Handhabung des Messers unter allen Ver-
hältnissen ein Lieblingsvergnügen ist, nicht nehmen Hessen. Mit
Arami, der noch einmal seinen Besuch machte, noch etwas verstimmt
über die Grobheit meiner Leute, kam Kolokömi, mein einstiger
Führer aus Tibesti, dessen Mangel an Wegkcnntniss mir so qualvolle
Stunden und Tage bereitet hatte. Gegen Mittag hatte die grenzen-
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528 Ul. BUCH, 3. KAPITEL. KAWÄR ODER ENNERI TÜc£.
lose Hitze die neugierigen Bewohner der Stadt in ihre kühlen Be-
hausungen getrieben und uns unter die schattigen Bäume zerstreut.
Als sich dieselbe etwas gemildert hatte, unternahm ich eine Be-
sichtigung der Stadt, welche die älteste und bedeutendste Kawärs
ist. Sie wird von den Tcdä auch Dirko genannt und verräth durch
Anlage und Bauart ihren Bornü -Ursprung. Dieser fällt vielleicht
schon in den Anfang des elften Jahrhunderts unserer Zeitrechnung,
zu welcher Zeit der König Arki eine Colonie von Sclaven und Bomü-
Leuten dort ansicdelte. Die Häuser sind sämmtlich aus salzhaltiger
Erde aufgeführt, ganz wie in den Städten Bornus in Strassen ge-
ordnet, und Reste der einstigen Erdmauer umgeben die Stadt. In
der Ausdehnung übertrifft diese Qatrün, doch war sie in Folge der
häufigen üeberfälle während der letzten Jahre ebenso entvölkert,
wie die übrigen Ortschaften der Oase. Auch auf der Südwestseite
der Stadt befindet sich ein See, dessen Ueberschuss an schlechtem
Salz zu Hügeln in seinem Innern aufgethürmt ist.
Wie Murzuq mit den Salzsümpfen in seiner nächsten Umgebung,
so ist auch Dirki von der Malaria, der auch die Eingeborenen nicht
ganz entgehen, heimgesucht. In meiner Eigenschaft als Europäer
und Arzt musste ich einen Theil des Tages mit Consultationen
verbringen und fand ausser dem Sumpffieber und seinen Folge-
zuständen Fälle von rheumatischen Afifectioncn, von Krankheiten der
äusseren Augcngebilde, von grauem Staar und von Lungenkatarrh.
Mehr aber als alle diese nahmen die cariösen Zähne der Leute
meine Thätigkcit in Anspruch, ln Aschenumma hatte ein junges
Mädchen gesehen, wie ich einen meiner Diener von einem kranken
Zahn befreite, und seitdem war meine Ruhe dahin. Der Ruf meiner
Geschicklichkeit auf diesem Gebiete der niederen Chirurgie folgte
mir nach Eidschi und Dirki, und zwanzig bis dreissig ausgerissene
Zähne im Laufe eines Tages waren meine geringsten Trophäen. Alt
und Jung unterzog sich mit seltenem Muthe, ohne die geringste
Schmerzäusserung der widerwärtigen Operation, und cs gab Indi-
viduen, welche drei oder vier Zähne in einer Sitzung opferten, ohne
vollkommen befriedigt zu sein. Ein junges Mädchen, dem ich auf
ihr dringendes Verlangen bereits fünf Zahnruinen entfernt hatte, bat
mich, doch ja ordentlich nachzusehen, ob nicht noch etwa eine
Wurzel zurückgeblieben sei.
Am folgenden Morgen hielten wir eine Berathung über die dem
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DIE HAUPTSTADT KAWAü’s. - DURCH« AN0SZOI.L. f)2B
Häuptling zu machenden Geschenke, doch konnte keine Einig-
keit erzielt werden, da die Stellungen der einzelnen Karawanen-
Mitglieder zu dieser Frage sehr verschiedene waren. Der Hadsch
Hamida hatte als Glied des Königshauses von Bornü keinerlei
pfiiehtmässiges Geschenk zu entrichten ; der Hadsch Bü Hädi war
als Muräbid aus dem Stamme der Auläd Wdfi ebenfalls frei von
jedem Salam (Begrüssungs- oder Unterwürfigkeits-Geschenk), und
Hadsch Zelläwi und Bossarmi hatten wieder als Stammesgenossen
Nichts zu bezahlen. Der Hadsch Äbd cr-Rahmän aus AudschTla und
der Hadsch Mohammed el-Medschebri aus Dschälo endlich riefen das
alte Recht ihrer Landsleute an, bei der Passage Kawär’s keinen
Durchgangszoll zu entrichten oder doch nur ein kleines Geschenk,
7. B. von einigen Pfunden Zucker, zu machen, ein Recht, das ver-
tragsmässig den Teda Kawär’s die freie und ungehinderte Passage
der genannten Oasen auf ihren Pilgerfahrten garantirt. Obgleich
nun einige der Genannten nicht streng an ihrem Recht festhaltcn,
sondern in Rücksicht auf die glänzende Aufnahme ein Opfer bringen
zu wollen erklärten, so waren zu einer Abgabe verpflichtet eigentlich
nur Bü Äischa und meine Person, und wir Beide hatten wiederum
nicht den Charakter gewöhnlicher kaufmännischer Reisender. Ich
übersandte dem Darda'f durch Bui Mohammed einen Tuchburnus,
einen tunisischcn Tarbüsch, zwölf Ellen Musselin zum Turban, einen
Rosenkranz aus Sandelholz und drei Fläschchen Rosenessenz, welche
Gegenstände im Ganzen einen etwas höheren Werth repräsentirten,
als das Geschenk Bö Aischa’s. Doch während Mai Dunnoma — man
hörte in Kawär schon häufig den in Bornü üblichen Königstitel
anstatt der Tedä- Bezeichnung Dardai — die Gaben aller Uebrigen
mit Dank annahm, weigerte er sich, die meinigen als zureichend
gelten zu lassen, indem er darauf fusste, dass Gerhard Rohlfs seinem
Vorgänger 70 Maria -Theresia- Thaler bezahlt, und dass ich selbst
seinen Vetter und Collegen in Tu viel reicher bedacht habe, während
doch Kawär, als die Karawanenstrasse nach Bornü beherrschend,
sehr viel wichtiger sei, als das Mutterland. Als Bü Äischa und
unsere übrigen Gefährten meine Geschenke sehr anständig fanden,
und ich, im Vertrauen auf die Stärke unserer Karawane, mich
weigerte, mehr aus mir erpressen zu lassen, so fügte sich der Häupt-
ling mit der ebenso freundlichen als naiven Versicherung, dass er
mich ganz anders ausgebeutet haben würde, wenn ich allein ge-
Naditigat. I. 34
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530 m. buch, 3. kapitei.. kawär oder enneri tug£.
kommen wäre, und dass er auf meiner Rückreise dies nachholen zu
können hoffe. Ich konnte ihm nur Erwidern, dass ich von der Wahr-
haftigkeit seiner Worte vollständig überzeugt sei, dass ich aber mit
Gottes Hülfe — in sch' Allah — ihn nicht wiederzusehen hoffe.
Gleichwohl fügte ich für seinen Onkel, den Hadsch Billäh, noch
einen Tarbüsch und einen abgetheilten egyptischen Turbanshawl —
Subetti — hinzu, in Rücksicht darauf, dass dieser eigentlich bei der
Jugend und Unerfahrenheit seines Neffen die Zügel der Regierung in
Händen hatte.
Wenn zu Dirki der weltliche Herrscher von Kawär residirte, so
befand sich das geistliche Oberhaupt in Schimmedru. Hier hatten
die Senüsija eine Zäwia errichtet, und dem Chef derselben wurde cs
um so leichter, grossen Einfluss zu gewinnen und zu bewahren, als
die Oase leicht übersehbar ist, die Einwohner durch den Karawanen-
verkehr eine gewisse Umgänglichkeit und ein höheres Verständniss
gewonnen haben, und als dieselben von ihm wenigstens einigen
Schutz gegen ihre arabischen Erbfeinde in Känem erwarten konnten.
In der That waren schon bei dem jüngsten Ueberfalle der letzteren
Schimmedru und die Bewohner der benachbarten Ortschaften, welche
sich dorthin geflüchtet hatten, sehr viel weniger gebrandschatzt
worden als die übrigen. Wir erreichten Schimmedru am 1. Juni in
einer starken Stunde in Südsüdostrichtung und wurden zunächst wieder
fast ausschliesslich vom weiblichen Theile der Einwohnerschaft empfan-
gen. Die Begrüssungen zeichneten sich durch geregelte Tanzauffüh-
rungen aus, bei denen zwei junge Frauen in der Mitte eines Kreises
ihre graziösen Evolutionen machten, während die Umstehenden durch
rhythmisches Händeklatschen und Fussstampfen den Tact angaben.
Als w’ir in die Nähe der Zawia gekommen waren, hielten wir
inne, um dem Glaubenswächter unseren Rcspcct zu bezeugen, mussten
jedoch geraume Zeit werten, bis es dem geistlichen Herren gefällig
war, herauszutreten. Endlich erschien er an der Spitze der männ-
lichen Bewohner Schimmedru’s, denen er durch sein zögerndes Ent-
gegenkommen einem so hochstehenden Manne gegenüber, als Bü
Äischa war, gewiss sehr imponirte, und hatte die Herablassung, uns
bis auf eine Entfernung von etwa hundert Schritten von seiner Woh-
nung .eptgegenzukommen. Wir selbst stiegen demüthig vom Pferde
und bewegten uns in möglichst w'ürdiger Haltung auf den heiligen
Mann zu. Einer nach dem Andern aus der Karawane trat auf ihn
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SCH1MMF.DRU UND DKR SENÜSt- SCHF.VcH. 531
zu und küsste ihn unterwürfig auf die Brust, während er selbst, wie
in fromme Meditationen versunken, seinen Rosenkranz nachlässig
durch die Finger der einen Hand gleiten liess und mit der andern
scheinbar eine umarmende Bewegung machte. Diese letztere wurde
aber trotz der zur Schau getragenen Gleichgültigkeit sehr sorgfältig
nach Stand und Ansehen der Begrüssenden abgestuft und niiancirt.
Der Hochmuth und die Anmassung dieser Senüsija- Scheichs,
welche die wahre Frömmigkeit gepachtet zu haben scheinen, über-
steigen alle Begriffe und werden nur noch übertroffen von der Klug-
heit und List, mit denen sie ihr Ansehen zu erhöhen und Einfluss
zu gewinnen wissen. Was sollten die bescheidenen Einwohner Kawär's
von der Grösse dieses frommen Mannes denken, wenn sie sahen, dass
ein Mann, wie Bü Äfscha, welcher der Regierung in Tripolis so nahe
stand und in ihren Augen ein directer Abgesandter des Beherrschers
aller Gläubigen war, schon in einer Entfernung von fünfzig Schritten
vom Pferde stieg, um ihm den Saum des Gewandes zu küssen?
Ich selbst kam natürlich bei der ganzen Scene am schlechtesten
fort, denn als die Reihe der Begrüssung an mich kam und ich auf
ihn zuging, um ihm die Hand zu reichen, zog er die seinige zurück
und begnügte sich, einige Worte des Willkommens zu murmeln, wie
man sie selbst einem Ungläubigen zu Theil werden lassen kann.
Glücklicherweise nahmen nur Wenige die Zurückweisung meiner Höf-
lichkeit wahr.
Schimmedru liegt hart am Fusse des östlichen Gebirgszuges und
zählt 120 bis 130 Häuser, welche meistens in viereckiger Form aus
unregelmässigen, durch Erde mit einander verbundenen Steinen erbaut
sind und im Innern aus drei bis fünf Abtheilungen bestehen, von
denen gewöhnlich nur eine bedacht ist. Sie liegen ziemlich zerstreut
auf den Abhängen und am Fusse des auch hier existirenden Zufluchts-
felsens, und zwar vorwiegend auf der Nordwestscite desselben. Der
Felsen, dessen relative Höhe etwa 80 M. beträgt, ist nur von der
Südostseite her zugänglich und trägt auf seiner Höhe einen Aufsatz
mit senkrechten Wänden, der nur mit einer Leiter erstiegen werden
kann. Dieser bildet die letzte Zufluchtsstätte in der Stunde äusserster
Gefahr, ist aber nicht ausgedehnt genug, um so viele Proviantkammern
und Wohnungen enthalten zu können, als wir z. B. in Anai gesehen
hatten. Der Ort hat verschiedene Brunnen im Thalgrunde, die
Wasser in der Tiefe von */» bis l M. haben ; in der höher gelegenen
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532 III. BUCH, 3. KAPITF.I,. KAWÄR ODER ENNERT TÜot.
Zawia war jedoch ein besonderer Brunnen durch Thon- und Fels-
boden bis zu einer Tiefe von 1 1 M. gegraben.
Da Bü Äfecha eine gewisse Freundschaft mit dem Scheich der
Zawia zu zeigen für passend erachtete, und da das religiöse Institut,
das natürlich ganz von den Bewohnern Kawär’s unterhalten werden
muss, sich durch seine Gastmahlzciten auszeichnetc, verweilten wir
mehrere Tage in Schimmedru. Während meine Reisegefährten dort
schwelgten und die Frommen spielten, ging ich, der begreiflicher-
weise Nichts von dem fanatischen Missionär und seinen Schüsseln zu
sehen bekam, meiner gewöhnlichen Beschäftigung in den Musse-
stunden, der ärztlichen Thätigkeit, nach.
Ich fügte mich übrigens bei der Hitze, welche unseren ganzen
Aufenthalt in Kawär begleitet hatte und nicht abnehmen zu wollen
schien, gern in den Aufenthalt, zumal unsere Kamecle von Schim-
medru aus täglich auf eine ausgezeichnete, weiter südlich gelegene
Aqül-Wcide getrieben wurden, die ihnen so wohl gefiel, dass
sie Abends bei der Heimkehr selbst ihre Lieblingsnahrung, die
Datteln, verschmähten. Der Aqül hat den Vorzug vor anderen Futter-
kräutern, dass er während der Tageshitzc besonders gern von den Ka-
meelen gefressen wird. Zu dieser Zeit nämlich sollen die Stacheln des
Krautes, welche in der ersten Morgenfrühe allzu starr zu sein und
die ersten Verdauungswege zu sehr zu reizen scheinen, erschlaffen.
Kawär zeichnet sich durch seinen Reichthum an Aqül aus und bildet
durch diesen Vorzug, unmittelbar vor der schwierigen und vegetations-
losen Dünenregion, welche südlich von der Oase in ansehnlicher Breite
folgt, eine schätzenswerthe Reisestation.
Nachdem am 2. Juni der bisherige Ost- und Südostwind einer
unsicheren, bald südlichen, bald südwestlichen Richtung gewichen
war, trat am Abende des folgenden Tages ein starker Wind aus
Südosten ein, welcher einen mildernden Einfluss auf die Temperatur
ausiibte. Derselbe dauerte während der ganzen Nacht an, schwächte
sich im Laufe des 4. Juni ab und erhob sich am späten Abende
dieses Tages wieder zu solcher Stärke, dass wir uns sogar gezwungen
sahen, die Zelte niedcrzulegen. Dabei kam es zu ausgedehnter Bil-
dung von Schicht- und Haufcnwolken, das Hygrometer Saussure be-
gann zu steigen, und am 5. Morgens um Sonnenaufgang fielen sogar
einige Regentropfen. Die Wolken zogen nach Nordnordwesten und
lösten sich mit der zunehmenden Tagestemperatur wieder auf, um sich
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AQÜL-WEIDE ZU AGKRk.
b33
aber im Laufe des folgenden Tages wieder zu bilden und am Abende
desselben ebenfalls einige Tropfen fallen zu lassen. An diesem Tage
war ganz deutlich in den unteren Luftregionen ein schwacher Südwest-
wind zu erkennen, während der dominirende Luftstrom aus Südsud-
osten kam, wie der Zug der Wolken bewies.
Wir waren am 4. Juni mit Südrichtung in fünf Viertelstunden
nach der kleinen Ortschaft Emi MddPma weitergezogen, welche
auf zwei kleinen dicht bei einander liegenden Felsvorsprüngen
erbaut ist, etwa 80 Wohnstätten zählt, aber relativ bewohnter ist, als
die angeführten Dörfer. Von ihr hatten wir am folgenden Tage in
derselben Richtung nach einem Stündchen den ansehnlichen Felsen
Ingissomi, der von dem östlichen Gebirgszuge in das Thal vorspringt,
mit dem verlassenen Dorfe Göbödotü passirt, waren dann in südwest-
licher Richtung gegen den westlichen Theil der Oase zu marschirt
und lagerten nach einer weiteren Stunde in der bewohnerlosen Lo-
kalität Agerr mitten auf der erwähnten Aqül-Weide. Um dieser
willen sowohl, als auch wegen des ausgezeichnet süssen Wassers,
das sich in verschiedenen */2 — 1 M. tiefen Brunnen in grosser Reich-
lichkeit fand, konnten sich die meisten Mitglieder der Karawane
nicht entschliessen, schon am 6. Juni nach den südlichsten Ortschaften
Kawdr's, welche unter dem Namen Bilmä zusammen gefasst werden,
aufzubrechen, und nur der Hadsch Hamida, ärgerlich über unser
schneckenhaftes Vorrücken, reiste dorthin voraus.
Mit lebhafter Neugier trat ich am 7. Juni den Weg nach Bilmä
an, dem Bezirk jener unerschöpflichen Salzgruben, welche einen
grossen Theil der grossen Wüste, fast ganz Bornü und die Haussa-
staaten mit ihrem kostbaren Inhalte versorgen. Diese veranlassten einst
die alten Känemkönige zur Besetzung Kawdr's, lassen jetzt die Tudrik
eifersüchtig über ihren Einfluss auf die Oase wachen und sollten
eigentlich die türkische Regierung bewegen, in Kawdr einen mili-
tärischen Posten zu errichten, dadurch die Strasse nach Bornü zu
beherrschen und sicher zu machen und die Ausfuhr des wichtigsten
Wüstenproduktes in die salzarmen Länder des Sudan zu regeln.
Dicht bei unserem Lagerplätze zu Agerr, der nicht weit entfernt von
der westlichen Grenze des Thaies lag, erstreckte sich eine Boden-
erhebung von Nord nach Süd, welche wir im westlichen Bogen
im Laufe einer Stunde umgingen. Wir fielen darauf in die Süd-
richtung der verflossenen Marschtagc zurück, erreichten nach drei
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534 III. BUCH, 3. KAPITEL. KAWiR ODER ENNF.RI TUGfc.
weiteren Stunden die Hauptortschaft für die Salzgewinnung, Kaläla,
und lagerten kurz darauf auf der Südseite von Garü, der eigentlichen
Bilmä- Stadt.
Schon fast eine Stunde, bevor wir die erstgenannte der beiden
Ortschaften erreicht hatten, kamen uns etwa zwanzig Männer ent-
gegen, unter denen drei aufStuten ritten, welche eine grosse Aufregung
unter unseren Pferden hervorbrachten. Wie die Pferde für einen ge-
wissen Wohlstand sprachen, so auch ihre Kleider, unter denen die
indigogefärbten Toben der Häussa-Staaten vorwalteten. Der physische
Charakter dieser Leute schien ein vorwaltend sudanischer zu sein;
man sah kaum noch Tubu-Gesichter unter ihnen. Auch bei den
Frauen, die bald darauf zu ungefähr fünfzig, und ebenfalls vcrhält-
nissmässig reich gekleidet, erschienen, walteten die Sudan -Gesichter
vor, und man hörte die Kanüri-Sprachc mehr als die der Tedä. Als
wir an Kaläla vorüberzogen, beschütteten uns die zu Hause geblie-
benen Frauen zur Begrüssung mit Salz, welches, da Bilmä ihm seine
ganze zeitweilige Prosperität verdankt, auch als Sinnbild der gast-
freundlichen Gesinnung ihrer Bewohner gilt.
Garü ist mit Dirki die einzige Stadt der Oase, d. h. sie ist mit
Mauern verseilen, die freilich kaum noch diesen Namen verdienen,
und hat eine Ausdehnung, welche die Annahme einer Bewohnerschaft
von etwa 2000 Seelen rechtfertigen würde. Doch in der Nähe be-
trachtet, besteht die eine Hälfte der Ortschaft in Ruinen, während
die andere grossentheils unbewohnt ist. Wenn die ergiebige Industrie
der Salzgewinnung eine für die Wüste ungewöhnliche Prosperität
der Bilmä-Ortschaften erwarten lässt, so darf man die unglücklichen
politischen Verhältnisse, unter denen dieselben leiden, und ihre schutz-
lose Lage nicht vergessen. Bilmä ist stets das erste Ziel aller räube-
rischen Ueberfälle. Dort sucht man salzholcnde Tuärik ihrer Kameele
zu berauben, und dort finden die Räuber, wenn auch die Hoffnung
auf fremde Kameele getäuscht wird, noch den meisten ßesitz bei den
Einwohnern. Bei allen Ueberfällen der Auläd Solimän hat Bilmä
stets am meisten gelitten, und nach dem letzten war die Noth eine
so grosse gewesen, dass man behauptete, sechzig Personen seien dem
Hungertode erlegen. Die nächste Umgebung der Stadt ist nicht
reich an Dattelpalmen, bietet jedoch durch den üppigen Kraut- und
Gräserwuchs und durch die Gärten der Einwohner einen im Hinblick
auf die wüste Umgebung sehr lieblichen Anblick. Zahlreiche süsse
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DER D1STRICT BILMA UND SEINE ORTSCHAFTEN. 535
Quellen, welche zum Theil die Pflanzungen der Leute bewässern,
zum Theil jedoch ungenützt verrinnen, vermitteln diese Vegetation.
Zum ersten Male in der Oase stiess uns hier der mir von Tibesti
her bekannte, und vereinzelt auch in Fezzän vorkommende Oschar
(Calotropis procera) auf, dessen eigentliche Heimath der Sudan ist.
Da Mai Dunnoma mit seinem Onkel und Rathgeber, dem Hadsch
Billäh, nach Garü gekommen war, um der Karawane oder vielmehr
Bü Äischa Lebewohl zu sagen, so hatten wir nicht allein Nachmit-
tags ein glänzendes Schauspiel unserer marokkanischen Gymnasten,
dem immerhin 200 Zuschauer beiderlei Geschlechtes beiwohnten, son-
dern Abends auch eine bis in die Nacht hinein sich verlängernde
Tanzvorstellung der Frauen von Bilmä.
Kaläla, dem ich am folgenden Tage einen Besuch machte, war
etwas kleiner, als Garü, machte aber einen weniger verfallenen Ein-
druck, und damit stimmte auch der Ruf seines Wohlstandes überein.
Gleichwohl war es noch mehr verlassen von den Einwohnern, welche
sich grösstentheils nach Bornü zurückgezogen haben sollten. An
beiden Orten, Garü und Kaläla, findet begreiflicherweise ein grosser
Fremdenverkehr statt, denn abgesehen von den in den letzten Jahren
allerdings seltenen Karawanen, welche den Verkehr zwischen Tripo-
litanien und Bornü vermitteln, kommen und gehen Tuärik und Tubu
während des ganzen Jahres. Von diesen lagern die ersteren gewohn-
heitsgemäss zu Kaläla, während die letzteren ihr Quartier zu Garü
aufschlagen. Wenn auch grössere Karawanen, wie sie die Tuärik
ausrüsten, um das Salz in die Haussa- Staaten zu führen, nur etwa
drei Mal im Jahre zu Stande kommen — und jede mag von Ahir
ab etwa 3000 Kameele umfassen — , so ist doch die Zahl der klei-
neren Tuärik- und Tubu-Gesellschaften, welche das Salz in ihre hei-
mathlichen Sitze und nach Känem, Bornü und Haussa exportiren,
eine ungeheure. Man muss den Besitz der Stämme an Kameelen in
Betracht ziehen und bedenken, dass die zeitweise Salznahrung einen
sehr wichtigen Faktor für das Gedeihen dieser Thicre bildet, um
sich eine richtige Idee von der Menge des Jahr aus, Jahr ein ver-
brauchten Salzes zu machen. Dann erscheint uns die Behauptung
der Eingeborenen, dass im Laufe des Jahres etwa 70,000 Kameel-
ladungen Salz aus Bilmä geholt werden, weniger unglaublich.
Bornü, Baghirmi, die Haussa-Staaten, Adamäwa. und die südlich
von ihnen gelegenen Heidenländer sind relativ dicht bevölkert und
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III. HUCII, 3. KAPITEL. KAWÄR ODER ENNERI TÜGfc.
536
entbehren des Salzes fast ganz. In allen wird zwar ein Salz unter-
geordneter Qualität aus der Asche verschiedener Bäume und Sträuchcr,
des Durra-Rohrs und selbst des Rindcrkothes gewonnen und in einigen
begünstigten Orten aus der Erde gelaugt, doch ist die Mühe gross,
die Menge gering und wird das unvergleichlich viel bessere Salz der
Wüste natürlich vorgezogen. Das werthvollste Tauschmittel, wenn
man von den genannten mohammedanischen Negerstaaten nach
Süden reist, ist das Salz. Die Sahara hat noch viele Gegenden, in
denen Salz gewonnen wird, sowohl in ihrenj westlichen Theile (Tuärik-
Gebiet), als in ihrer östlichen Hälfte (Borkü, Ennedi und Zoghäwa-
Gebiet). Von denselben aus werden einerseits Timbuktu und ein Theil
der Nigcrländer, andererseits Wadai, Dar For und die diesen an-
grenzenden Heidenländer mit dem vielbegehrten Gewürz versorgt;
doch die grösste Menge und das reinste Produkt liefern die Bilmä-
Gruben. Die Tuärik und zwar die Stämme der Kelovvi und Kelgeris
vermitteln, wie gesagt, die Ausfuhr nach Westen und Südwesten,
nach Tu holen es die Tedä, und nach Känem und Bornü bringen
es die Däza. Da die Tuärik am streitbarsten sind und die grösste
Menge Salz ausführen, so haben sie eine gewisse Suprematie über
Kawär errungen und gestatten den Einwohnern kaum die allernoth-
wendigste Kultur von Getreide, um durch die Einführung dieses noth-
wendigsten Nahrungsmittels den Salzmarkt zu beherrschen.
Das Salz wird in flachen Bodenvertiefungen gewonnen, die je
nach der Jahreszeit mehr oder weniger Wasser enthalten. Dieses,
das in ganz Kawär nahe der Bodenoberfläche gefunden wird, steht
hier in Tümpeln, löst die oberflächliche Schicht von Steinsalz und
enthält je nach seiner Menge und dem Grade seiner Verdunstung
das Salz in mehr oder weniger cor.centrirter Lösung. Auf der Ober-
fläche scheiden sich mit der Verdunstung Salzkrystallc aus und bilden
mit dem Staube und Sande, welche der selten rastende Wind her-
beiführt, eine Decke, welche, entsprechend dem grösseren oder ge-
ringeren Salzgehalte, von weisslicher oder grauer Farbe ist und stellen-
weise ein so homogenes Aussehen hat und sich so wenig für das
Auge von der Erdfarbe der Umgebung unterscheidet, dass man meinen
sollte, auf ihr gehen zu können. Ein sondirender Stab durchbohrt die-
selbe ohne Widerstand, lässt alsbald klares Salzwasser auf die Ober-
fläche dringen und stösst dann in geringer Tiefe auf die breiige Masse
des wieder ausgeschiedenen Salzes, in welche er unter zunehmendem
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SALZGEWINNUNG.
537
Widerstande, doch ohne Schwierigkeit, etwa einen Fuss tief ein-
dringt.
Die hauptsächlichste Ausbeute wird zur Zeit der höchsten Sommer"
hitze, also der regsten Wasserverdunstung, erzielt. Dann wird die
deckende Schicht zweimal in der Woche durchstossen, die erdhaltigste
Masse bei Seite geworfen, und dadurch das freiliegende Wasser
regerer Verdunstung ausgesetzt. Die Arbeit geschieht durch Stäbe
und die abgehärteten Füsse der Leute, welche, fast bis zum Knie im
Salzbrei , so viel als möglich auch die Grundschicht zu zerstampfen
und mit dem Wasser in Berührung zu bringen suchen. Wenn die
Verdampfung des Wassers und damit die Ausscheidung des Salzes
hinlänglich vor sich gegangen ist, so fördert man das letztere zu
Tage und formt es, wenn es mittlerer Qualität ist, nach Art der
Zuckerhüte oder in rundliche, platte Brote. In diesem Falle hat es je
nach dem Grade seiner Reinheit eine graue, grünlich graue oder weiss-
liche Farbe und wird bei seinem billigen Preise trotz seines bitteren
Geschmackes noch vielfach als Speisesalz benutzt, dient aber vorzugs-
weise als Thiernahrung. Von den zuckerhutförmigen Stücken, welche
in ihrer Grösse verschieden sind, machen etwa zehn eine Kameel-
ladung aus, und eine solche bezahlen die Tuärik mit 16 — 20 Sa Durra,
die bei den höchsten Getreidepreisen nicht mehr als einen Maria-
Theresia-Thaler werth sind. Auf den Hauptmarktplätzen südlich von
der Wüste, zu Kanö oder Sokoto erzielen dieselben dann wohl das
Dreissigfache des Ankaufswerthes, so dass sich , wenn man wirklich
ein Drittel davon auf die durch Kameele und Proviant verursachten
Unkosten rechnet, ein beträchtlicher Gewinn ergiebt.
Das reinste, ausschliesslich zu Speisen verwandte Salz ist von
schöner, weisser Farbe, wird in cylinderförmigen Gelassen aus der
Grube genommen und in Krystallen oder als ein mehr oder weniger
feines Pulver verschickt. Wenn die Stellen, an denen sich dasselbe
findet, noch besonders geschützt liegen vor verunreinigenden Ein-
flüssen, so bildet sich bei der regsten Sommerverdunstung auf der
Oberfläche des Wassers eine dünne abhebbare Kruste reinsten Salzes,
ganz nach Art einer Eisdecke.
Zur Zeit unserer Anwesenheit arbeiteten die Bilmä-Leute noch
nicht regelmässig in den Gruben. Diese sind io — 20 M. lang, 6 — 10 M.
breit, von ovaler P'orm und zerfallen in ihrem Innern wieder durch
kleine Dämme in verschiedene, unregelmässig gestaltete Unterabthei-
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538 III. BUCH, 3. KAPITEL. KAWAR OPER ENNERI TUG ft.
lungcn. Sie sind umgeben von Hügeln, die sich allmählich aus der
ausgelaugten und fortgeworfenen Erde aufgethürmt haben und zu
weilen eine Höhe von 8 bis io M. erreichen.
Da die Gastmahlzeiten ausserordentlich reichliche und für die
bescheidenen Verhältnisse Kawar’s glänzende waren, so fanden viele
Glieder unserer Karawane gern einen Vorwand in dem üppigen
Aqühvuchs der Gegend, um mehrere Tage in Garn zu bleiben, ob-
gleich wir mit der Zeit wahrlich Erholung von den gehabten An-
strengungen und Stärkung zu der noch bevorstehenden Reise in
reichem Maasse gehabt hatten. Ich bezahlte den Tribut meiner Dank-
barkeit für den gastfreundlichen Empfang, wie gewöhnlich, durch
ärztliche Thätigkcit, sah Hautkrankheiten, Rheumatismen, Entzün-
dungen der äusseren Augengebilde , Fälle von grauem Staar, sogar
einmal Lungenkatarrh mit asthmatischen Anfällen, eine Rippenfell-Ent-
zündung, einen Greis, der durch Altersbrand verschiedene Finger-
gliedcr beider Hände eingebüsst hatte, und extrahirte die übliche
Menge cariöser Zähne.
Die Abreise war endlich auf den 10. Juni festgesetzt worden.
Einen Führer — Chabir — für den Weg bis Bornü hatten wir be-
reits zu Schimmedru um den Preis von 68 Mark gemiethet; die Ka
meele waren in ausgezeichnetem Ernährungszustände; unsere Vor-
räthe hatten wir vervollständigt, und die Meisten waren begierig,
endlich weiter zu kommen. Mai Dunnoma und Hadsch Billäh blieben
bis zu unserer Abreise, verharrten anfangs in einer wenig freundlichen
Reserve mir gegenüber, besuchten mich aber später doch und schieden
schliesslich, besonders, als ich ihnen noch einige Kleinigkeiten, wie
Rosenkränze und etwas Rosenessenz, geschenkt hatte, in bester Freund-
schaft von mir.
Ehe wir zum südlichen Theile der grossen Wüste übergehen,
dürfte es wünschenswcrth sein, die auf der Tibesti-Reise nicht berührte
Strecke vom Tümmo- Gebirge bis Kawär zusammenfassend zu über-
blicken und eine übersichtliche Betrachtung der grossen Tedä-Oase
und ihrer Bevölkerung vorzunehmen.
Der höchst gelegene Thcil der Wüste auf der bereisten Strasse
ist derjenige, in dem sich das Tümmo-Gebirge in einem ausgedehnten
Erosionsthale erhebt, und erstreckt sich ungefähr vom 230 io' bis
22° 30' N. B. Die Hochebene von Alaöta Kju und die Masse des
genannten Gebirges haben, wie früher erwähnt, eine ungefähre Mceres-
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DIE WÜSTE ZWISCHEN FEZZÄN UND KAWÄR.
539
höhe von 635 M. ; einzelne Kegel überragen dieselben um 100 bis 150M.
Von da ab nach Süden dacht sich, wie sich aus den unterwegs ge-
machten Beobachtungen meines empfindlichen Aneroids ergiebt, die
Mädema-Ebene sehr allmählich zum Bir el-Ahmar ab, welcher 580 M.
hoch liegt. Die südlich vom 22. 0 N. B. sich ausdehnende Ebene,
welche mit der Mafäras-Niederung ihren Abschluss findet, hat eine Er-
hebung von 515 M., während die letztere selbst zu 490 M. Höhe an-
genommen werden kann. Auf sie folgt eine 430 M. hohe Ebene, die
sich nach der Oase Ja t hin abdacht, und diese liegt noch 415 M. über
dem Meeresspiegel. Zwischen Jat und Kawär erleidet die allmähliche
und regelmässige Senkung des Terrains eine Unterbrechung, indem
die Gegend nördlich von der Hattija Jcggcba sich noch einmal für
eine kurze Strecke bis nahezu 500 M. emporwölbt. Jeggcba selbst
hat etwa die Erhebung von Jat, und dann folgt Kawär, welches
in seinem nördlichen Theile von Anai bis Aschenunima 390 M., in
seinem südlichsten, Bilmä, 330 M. Meereshöhe hat. Die Senkung bej
ginnt von Aschenumma und erstreckt sich über Dirki (380 M.),
Schimmedru (375 M.) und Agerr (350 M.) nach Bilmä. Nach den
wiederholt in dieser Beziehung gemachten Bemerkungen dürfte es
fast überflüssig erscheinen, hinzuzufügen, dass diese Zahlen nur einen
relativen Werth haben.
Mit der Abdachung der Wüste modificirt sich auch ihr Charakter.
Während zwischen Fezzän und dem Tümmo jene gleichmässig ebenen,
durchaus sterilen, steinig-kiesigen Hochebenen herrschen, welche ihren
vollsten Ausdruck in der Hammäda Alaöta Kju finden, so prägt sich
südlich von dem genannten Gebirge dieser Charakter nur noch in
der Mädema-Ebene aus. Südlich von dieser nehmen selbst die
kiesigen Ebenen, welche die Niederungen, in denen $J'e Brunnen-
stationen sich finden, von einander trennen, allmählich einen anderen
Charakter an, werden gewellt, mit nicht ganz unfruchtbaren, sandigen
oder thonigen Abflachungen durchsetzt und erfreuen sich in den
letzteren einer, wenn auch spärlichen, so doch allmählich reicher
werdenden Vegetation. Im Bir Ahmar finden wir das Wasser noch
in einer Tiefe von 2*/* M. ; in Kawär dagegen stösst man im Grunde
des Thaies, wie wir gesehen haben, überall auf solches, bevor man
noch ein Meter tief in den Boden gedrungen ist. Der Gesteincharakter
der Gegend ist noch der in den nördlichen Theilcn der Wüste con-
statirte. Tafelförmige Erhebungen mit pyramidal abfallenden Seiten-
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540 III. BUCH, 3- KAPITEL, KAW.AR ODER ENNERI TLGfe.
Wandungen besetzen in der geringen Höhe von 50 bis 100 M.
hier und da die Ebene; flache, kaum flussbettähnliche Thäler
senken sich von ihnen nach Osten oder Südosten — denn die ganze
Region dacht sich von Westen nach Osten, oder von Nordwesten
nach Südosten ab — , und bringen die Gräser und Kräuter hervor,
die wir auch in Fezzan finden, und von denen nur Panictun turgidum
und Aristida plumosa häufiger geworden sind. An den Grad der
Vegetation ist natürlich die Entwicklung des Thierlebens gebunden,
das sich weder qualitativ noch quantitativ von dem nördlich vom
Tümmo zur Beobachtung gekommenen unterscheidet.
Mehr Interesse verdient die Oase Kawär, welche, in der Mitte
zwischen Fezzan und Bornü gelegen, die Reise auf dieser Strasse so
sehr erleichtert und durch ihren Reichthum an Salz schon frühzeitig
die Aufmerksamkeit der dieses Gewürzes so sehr bedürftigen
Bornü -Leute auf sich zog. Dieselbe erstreckt sich in der Länge
von etwa 80 Km. und in der Breite von zwei bis drei Stunden
(8 bis 10 Km.) als ein etwas gewundenes Thal von Nord nach
Süd. Seine Ostgrenze wird von einem niedrigen, schroff gegen
das Thal abfallenden Gebirgszuge gebildet, der den Charakter der
Wüstenberge überhaupt hat, schon nördlich von der Oase zwischen
ihr und der Hattija Jeggeba seinen Anfang nimmt und nach Süden
zu mit der Senkung des Thaies selbst an Höhe etwas zunimmt,
doch auch dort die relative Höhe von 100 M. kaum übersteigt.
Nach Westen gerichtete Ausläufer dieses Gebirges schränken von
Zeit zu Zeit das Thal ein. Nach Westen zu ist der Höhenunter-
schied zwischen dem Thale und der angrenzenden Wüste sehr unbe-
deutend und verschwindet oft ganz.
Kawär gehört den Tedä und ist von Alters her von ihnen be-
völkert, wenn auch schon vor manchen Jahrhunderten, wie erwähnt,
die Bornü-Leute ihre Colonien dorthin vorschoben. Die Tedä nennen
die Oase Enneri Tuge, d. h. eigentlich „Felsenthal” (Tuge be-
deutet Fels, Stein), doch in weiterer Bedeutung „Thal festgebauter
Ortschaften", wie aus dem Namen Tugübä hervorgeht, den die
Tedä den Leuten von Bornü zuweilen geben, und der „Städte-
bewohner" heissen soll. In der That kann nur diese abgeleitete Be-
deutung von Tilge zur Erklärung des Namens angezogen werden,
denn die ursprüngliche „Felsen” würden die Leute von Tibesti, dem
Lande der Felsen par excellcnce, kaum auf Kawär angewendet haben,
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OASE KAWÄR.
541
wie sie noch weniger den Bewohnern von Bornü, einem Lande, das
der Felsen durchaus entbehrt, den von jenem Worte abgeleiteten
Namen „Tugüba" gegeben haben würden.
Wenn auch jetzt die Bevölkerung der Oase aus den eigentlichen
Herren derselben, den Tedä, als vorwaltcndcm Bestandteil, und aus
Bornü - Leuten , als Einwanderern, so gemischt ist, dass beide nicht
mehr auseinander gehalten werden können, so zeigt sich doch in der
Anlage der Ortschaften noch die ursprüngliche Verschiedenheit Beider.
Während die Tubu Reschäde, der Natur ihrer Heimath und ihrem
aus derselben hervorgehenden Bedürfnisse entsprechend, ihre Dörfer
an die ihnen durch die Natur gebotenen Felsenfesten lehnten, sich
also am Fusse des östlichen Gebirgszuges und seiner Ausläufer an-
siedelten, gründeten die Bornü -Leute, der Felsen durchaus un-
gewohnt, ihre Wohnsitze in dem Grunde des Thaies, und begnüg-
ten sich, der heimatlichen Sitte folgend, nicht mit zerstreuten
Wohnungen und kleinen Dörfern, sondern legten Städte mit Erd-
häusern und Strassen an und umschlossen dieselben zu ihrer Ver-
teidigung mit Mauern. So war die älteste Stadt Kawar's, Gisscbi,
im nördlichen Theile des Thaies, nahe seinem Westrande, wo man
ihre Trümmer noch findet, gebaut, und denselben Charakter hat
Dirki und die Bilmästadt Garü.
Jetzt enthält Kawär elf Ortschaften, wenn ich ein Dorf mit-
rechne, das ich nicht selbst sah, d.as aber Gerhard Rohlfs, welcher
einen längeren Aufenthalt in der Oase nahm, besucht hat. Wenn ich
versuche, die Einwohnerzahl des Ländchens abzuschätzen, so unter-
scheide ich zwischen der Bevölkerung, welche die Grösse der Ort-
schaften vermuthen lässt, und derjenigen, welche zur Zeit meines
Besuches wirklich vorhanden zu sein schien. Die Zahlen schwanken
augenscheinlich nach den politischen Verhältnissen sehr. Unmittelbar
nach einem räuberischen Ueberfalle entvölkert sich die Oase, aber
Heimathstrieb, Abschwächung der Erinnerung an die erlebten Gräuel
und sich wieder belebende Hoffnung führen die Leute allmählich
wieder zurück. Dazu kommt, dass manche Tibesti -Leute bei der
Armuth ihrer Heimath an Datteln und anderen Existenzmitteln, sich
eine Wohnstätte in Kawär gründen, die sie gewöhnlich erst zur Zeit
der Dattelreife, welche auch mit dem reichsten Salzcrtrage zusammen-
fällt, aufsuchen. Endlich sind viele Einwohner auf kaufmännischen
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542 III. BUCH, 3. KAPITEL. KAWÄR ODER ENNERI TVJüfc.
Reisen abwesend, so lange nicht die Dattelernte und die Salzarbeit
begonnen haben.
Mit Berücksichtigung dieser Verhältnisse und Schwankungen
komme ich zu folgenden Gesammtresultaten sowohl für die Bevöl-
kerung, welche Kawär unter den günstigsten Verhältnissen haben
mag, als auch für diejenige, welche die Oase zur
Zeit
meines
dortigen
Aufenthaltes zu haben schien:
Anai mit
ungefähr 100 Wohnstätten kann berge!
n 400 Kinw. und
hatte
ca.
180 Einw.
Anikumma
mit 60—70 ,, ,, »,
250
1 1
II
11
100 „
Aschenumma
.. 80—90 „ „ ,,
350 ..
yi
II
ti
150 i.
Eldscht
mit ca. 100 „ ,, M
400 ,,
»1
11
1 •
t5° -
TTgömdmi
M II 3° II 1» II
120 ,,
„
,,
„
5° ..
Babus
schätzte Gerhard Rohlfs zu
100 „
Dirki
mit ca. 250 Häusern kann bergen
1200 Einw. und
hatte
ca.
500 Einw.
Schimmedru
mit 120— 130 1 f ,, ,,
500 „
»1
,,
11
300 „
Emi Mddema
„ 60—70 ,, „
250 „
1»
,,
,,
15° .•
Garu mit ca. 300 ,, ,, ,,
1500 ,,
„
„
1 •
500 „
Kaläla
>f 11 200 ,, ,, 0,
1000 ,,
„
ti
11
200 „
Diese natürlich nur approximativen Zahlen würden für die Zeiten
der Dattelemte und der Salzfabrication, vorausgesetzt, dass längere
Jahre des Friedens vorhergingen, eine Totalbevölkerung von rund
6000 und für die Zeit meines Besuches von rund 2300 Seelen ergeben.
Dabei bin ich nicht sicher, ob das von Rohlfs angeführte Babus, das
ich durch den Umweg über Dirki nicht berührte, noch bewohnt ist;
jedenfalls waren die von dem genannten Forscher angeführten Ort-
schaften Muschel und Agerr gänzlich verödet.
Die ursprünglich in Dirki, Gissebi und Bilmä angesiedelten Bornü-
Leute waren zum grösseren Theile Sclaven und gehörten zum kleineren
dem Kanüri- Stamme der Turä an. Die jetzige Tedä- Bevölkerung
vertheilt sich auf die uns grossentheils aus Tu bekannten Stämme der
Tomäghera, welche hauptsächlich in Dirki und Aschenumma wohnen,
der Gunda, die ursprünglich in Eidschi sassen und jetzt verringert in
Zahl zerstreut leben, der Anna oder Arinda zu Schimmedru, der Ate-
mäta zu Aschenumma, der Dschöarda zu Tigömämi, der Dirkäwa zu
Dirki, der Täwia zu Anikumma und der Jelmäna aus Gissebi. Die letzt-
genannten gelten für die ältesten Kawär-Bewohner, existiren nur noch
in einzelnen Individuen und werden auch in Tibesti nicht mehr ge-
funden. Die Herrschaft liegt nominell, wie in Tu, in den Händen
eines ohnmächtigen Dardai (oder Mai); doch die Zustände sind in
Folge des kleineren Territoriums und des Fremdenverkehrs etwas
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BEWOHNER KAWÄR’s.
543
geregeltere, als im Mutterlande. Der Häuptling geht ebenfalls aus
dem Stamme derTomäghera hervor und zwar, da diese hier in zwei
Familien geschieden sind, abwechselnd aus den Kilimädä und den
Kifgdä.
Ausser Salz und Datteln untergeordneter Qualität hat Kawär
jetzt keine nennenswerthen Bodenproducte, obwohl sein leicht bearbeit-
barer, nicht unfruchtbarer Boden und der Wasserreichthum desselben
Alles zur Ernährung der Einwohner Nöthige in hinreichendem Maasse
liefern würde. Doch der Getreidebau ist durch die Tuärik, wie
schon erwähnt, gehindert, und das Ländchen durch seine Bilmä-
Gruben und seine günstige Lage zwischen Bornü, Fezzan, Ahir und
Ghät mehr auf den Handel angewiesen, als auf Ackerbau. So sind
die Fiinwohner denn auch beständig unterwegs nach den beiden End-
punkten der Strasse, in deren Mitte sie wohnen, vermitteln einen
Handel von Sudan -Producten, die ihnen die Bornü-Karawanen zu-
führen, nach Ghät und unterhalten einen regen Verkehr mit Agädes.
Alles, was die Kawär-Leute an europäischen Waaren bedürfen,
kommt ihnen von Fezzan zu: Kattune, baares Geld, Schmuckgegen-
stände, Essenzen, Kurzwaaren etc. Das, was ihnen der Sudan liefert,
gelangt zu ihnen ehtweder aus Bornü, wie Gewänder dieses Landes,
Sclaven, Butter, zuweilen Rindvieh und Duchn, oder durch die Tuärik
aus den Haussa- I^ändern, wie Gewänder dortiger Manufactur, unter
denen die indigogefärbte Tobe obenan steht, Lederfabrikate, eben-
falls Sclaven, Wasserschläuche, Ess- und Trinkgefässe, Südän-Pfeffer
und dergleichen mehr. Aus der Wüste beziehen sie von den Tuärik
den grössten Theil des ihnen nöthigen Getreides (Durra) und hin
und wieder ein Kamecl; von ihren Stammesgenossen aus Tu kaum
etwas Anderes, als ein Stück Kleinvieh, ein Kameel, gelegentlich
eine Partie Strausscnfedern. Sie nähren sich von Getreide und
Datteln, genicssen sehr selten Fleisch und cultiviren ausser Kürbissen,
Wassermelonen und Bämia keinerlei Gemüse. Die letztere liefert
ihnen zu dem üblichen Mehlbrei die gewöhnliche Sauce, welche sie
der Abwechselung wegen bisweilen noch mit jungen Luzernepflanzen
verkochen. Die wenigen Schafe, die man zu Gesicht bekommt, sind
bei weitem nicht so schön, als die oft erwähnten, welche Tibesti
hervorbringt, und auch die Ziegen sind ziemlich kümmerliche Ge-
schöpfe. Wie in Tu, so giebt es auch in Kawär fast gar keine
Hühner; auch Hunde und Katzen vermisst man; Rinder sind höchst
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544 III. BUCH, 3. KAPITEI.. KAW.tR ODER KNNF.RI TUOfc.
vereinzelt, und Pferde, welche mit seltenen Ausnahmen aus Bornu
stammen, nur im Besitze der Vornehmsten.
Kawär ist die am westlichsten gelagene grössere TubuOasc.
Weiter westlich liegen noch Dschebädo und Agram, so dass man
sagen kann, die Grenze zwischen Tcda und Tuärik fallt auf den 12.0
O. L. Zwischen den beiden oben genannten Oasen und Ahir liegt
eine fast wasser- und vegetationslose Hammäda in einer Breite von
300 bis 400 Km. Doch gehören Agram und Dschebädo nicht aus-
schliesslich der Tubu-Nation an; die erstere Oase ist vielmehr eine mit
Tubu-Elementen gemischte Bomu-Colonie, und die letztere hat eine
Bevölkerung, in der die Tcdä vorwalten, aber auch die Bewohner von
Siggedim, welches gleichzeitig mit Dirki von Bornu her colonisirt
wurde, vertreten sind.
Wenn die Eingeborenen von Dirki nach Agädes und Ahir reisen,
so erreichen sie in den bei ihnen üblichen starken Marschen nach
drei Tagen den Brunnen Aschegür, reisen dann über die breite
Hammäda durch sechs sehr lange Tagemärsche, von denen fünf
wasserlose sind, und erreichen nach zwei weiteren ihr Ziel. Von
Bilmä aus führt der Weg über die Hattijen Tosso und kurz darauf
Agaru und die in derselben Breite folgende Hammäda nach Agädes.
Gehen sie in nordnordwestlicher Richtung nach Ghät, so berühren
sie Dschebädo, das sic nach vier Tagen über Jeggeba, das verlassene
Siggedim und den Brunnen Oleki erreichen, haben dann wieder fünf
Tage eines wasserlosen Hammäda-Wegcs, nach deren Ablauf sie
den Brunnen Inäzan berühren. Auf diesen folgt nach zwei Tagen
der Brunnen Häla und nach wiederum dreien Ghät.
Zwischen den beiden Städten Dirki und Agädes liegt eine Ent-
fernung von rund 700 Km. und zwischen der ersteren und Ghät
eine solche von nahezu 800 Km. Dass die Kawär-Leute ihr Mutter-
land Tu bequemer und schneller erreichen, ist bei Gelegenheit der
Besprechung des letzteren schon erwähnt.
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Viertes Kapitel.
VON KAWÄR NACH BORNU.
Schwierige DUneuregion. — Oase Zau Kurra. — Zunehmendes I'hier- und Pflanzenlchen. —
Wüstennächte. — Oase Dibbfila. — Weiterer l'ebergang <ler Wüste zur Steppe. — Oase
AgSdem. — Antilopenlicerden und Jagd mit Windhunden. — Ddza KTdiilA. — Steppe
Tintumma. — Däza-Karawane. — Beginnender Baumwuchs. — Brunnen Relgäschlfari.
— l'ebergang von Steppe zu Wald. — Ucppiges Thier- und Pflanzenlcben. —
Brunnen KüfA. — Uneinigkeit bei den Marokkanern. — Brunnen Azi. — Ankunft
an> Ts Alle. — Ngiguii, die erste Bomß- Ortschaft. — Ueberwältigender Eindruck
des tropischen Lebens. — Hippopotamen. — Bewohner von Ngigmi. — Gouver-
neur Kazelma Hassen. — Neue Bekanntschaften. — Heftiges Gewitter. — Salz-
dörfer. — Barüa. — Westlicher Zufluss des TsAde. — Stadt Joö. — Besucher aus
Küka. — Mohammed et-Titlwl. — Begrüssungsgaben des Scheich 'Omar. — Ankunft
in nächster Nähe Kflka's. — Zahlreiche Besucher.
Am io. Juni setzten wir entsprechend unserer Absicht die Reise
fort, Bü Ätscha zufrieden mit dem ehrenvollen Empfange, der ihm
geworden war und noch befriedigter von den Rcisevorräthen, mit
denen ihn die dankbaren Bewohner überhäuft hatten, wir Uebrigen
froh, endlich vorwärts zu kommen.
Schon eine halbe Stunde südlich von Garü endigte die Vege-
tation und ein Brunnen schloss die Oase ab. Im graden Osten von
uns lag das scharf abgeschnittene Ende des Kawär begrenzenden
Gebirgszuges und etwa vier Stunden weiter eine abgesonderte Fels-
gruppe Namens Braun. Noch einmal zeigte sich kurz darauf in einer
Bodenabflachung spärlicher Gtaswuchs, und dann begann die Dünen-
region, welche den schwierigsten Theil der ganzen Reise ausmacht
und während einer Reihe von Tagen Geduld und Kraft der Rcisen-
Nachtigal. I. Uff
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III. BUCH, 4. KAPITEL. VON KAWAR NACH BORNÜ.
546
den und noch mehr der Kameele auf eine ernste Probe stellt. Die-
selbe setzt sich zusammen aus mehr oder weniger parallelen, von Ost
nach West streichenden Ketten von Flugsandhügeln , die, obwohl
meist nur etwa 1 5 M. hoch, wegen ihrer steilen Abhänge schwer zu
überwinden sind.
Vor uns in Südsüdostrichtung bildete die Berggruppe Muskatnü
von der in der Wüste vorwaltenden Form und von geringer Aus-
dehnung das Ziel der Morgenwanderung. Wir wendeten uns ihrem
westlichen Fussc zu und lagerten nach der Uebersteigung von drei
Dünenketten, drei Stunden nach unserem Aufbruch, in dem sich
von der Felsgruppe nach Südwesten senkenden gleichnamigen Thale.
In diesem finden sich zahlreiche Brunnen von geringer Tiefe (*/* 1 M.).
deren scharfsalziger Inhalt übel berufen ist und in der That bei
Einigen unter uns Darm- und Blasenreizung zur Folge hatte.
Während des Nachmittags wiederholten sich die Dünenketten,
welche wir in südöstlicher Richtung erklommen, um jenseits in süd-
westlicher hinabzusteigen, und wurden besonders um die Zeit des
Sonnenuntergangs recht schwierig. Bei der Uebcrwindung derselben
machte sich die jugendliche Mannschaft der Marokkaner sehr nütz-
lich. Während sich die Kameele dem jedesmaligen Anstieg näherten,
stürzten die Knaben voraus und stellten in grosser Geschwindigkeit
breite, schräg auf die Höhe führende Wege von geringer Neigung
für die unbehülflichen Thiere her.
Im Osten war während der Zeit der Blick stets begrenzt durch
vereinzelte Felsen, welche eine geringere Höhe haben, als die Kawars;
eine compaktere Gruppe, Namens Kudöböfussi, erblickten wir kurz
nach Sonnenuntergang in der Entfernung einiger Stunden im graden
Osten. Nach Westen verlieren sich die Dünenketten in einer weiten,
anscheinend rasch ansteigenden Sandebene, welche nur einmal, nach
fünfstündigem Marsche, durch den einsamen Felsen Kau Tilo, dessen
Name der Bornü-Sprache angehört und „alleinstehender Felsen" be-
deutet, unterbrochen war. Dieser, an und für sich von unbedeutender
Höhe, ist durch seine dunkle Wüstenfarbung in Mitten der ebenen und
hellfarbigen Umgebung auf eine weite Entfernung sichtbar und dient in
den regel- und pfadloscn Sandmassen als Wegweiser. Als wir ihn im
graden Westen hatten, betraten wir die Ebene Tingcrtingcr, die, ent-
blösst von der die Umgebung bedeckenden Sandschicht, sich durch
viele Versteinerungen und dadurch auszeichnet, dass sie durch zahl-
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OASEN MUSKATNC UNO DIE HEIDEN ZAU.
547
reiche Zerklüftungslinien in grössere Vierecke und innerhalb dieser in
kleinere Fünfecke gctheilt ist. Südlich von ihr mühten wir uns noch
mit einem halben Dutzend Dünenketten ab und lagerten am späten
Abend im Sande.
Am folgenden Tage (i I. Juni) wechselten vegetationslose, steinige
Ebenen mit schwierigen Dünenketten ab, deren Passage mir um so
peinvoller wurde, als das beständige Waten im Sande meine unteren
Extremitäten mit einem hochrothcn Hautausschlag in den wunder-
lichst geformten Flecken bedeckt hatte, der wie Feuer brannte.
Unser Weg verlief, wie gestern, in Südsüdostrichtung, und führte an
der westlich bleibenden Oase Zau Ganna ( Bornü-Namc), d. h. Klein-
Zau, deren Siwäk-Büschc wir sehr gut zu erkennen vermochten, vor-
über auf eine ansehnliche Gebirgsmasse zu, welche mit der zu ihr
gehörigen weiten Hattija den Namen Gross-Zau — Zau Kurra führt.
Wir hatten uns dem westlichen Theile der Berggruppe so weit ge-
nähert, dass wir ihre von Nordwest nach Südost gerichtete Längs-
ausdehnung zu erkennen vermochten. Ihr nördlicher, westlicher und
südlicher Theil ist von der Hattija umgeben, und die Breitenentwick-
lung dieser so ansehnlich, dass wir vom Nordrande bis zu der Gegend
der Brunnen noch zwei Stunden aufwenden mussten. Mit Bedauern
zogen wir an den mit zahllosen Nestern des Webervogels behängten
Akazien, an den die Luft mit ihrem scharfen Dufte erfüllenden Siwäk-
Büschen, welche den Grund des Thaies mit frischem Grün zierten,
an den zu ansehnlichen Bäumen entwickelten Etel -Büschen und an
den 'auf der Stufe der Wischqa's stehen gebliebenen Dattelpalmen
vorüber, um unser Lager in der schattenlosen Nähe der Brunnen auf-
zuschlagen. Dieser gab es acht, von denen zwei voll ausgezeichneten
Wassers waren, das sich bis auf zwei Fuss der Bodenoberfläche\
näherte und, umgeben von meterhohem Grase, beschattet und be-
schützt von dichtem Dattelgestrüpp, sich in köstlicher Frische und
Klarheit erhielt.
Allmählich schien sich der Uebergang in andere Zonen vorzu-
bereiten. Die zunehmende Vegetation von Siwäk - Büschen verlieh
den Oasen einen bis dahin ungewohnten Charakter von Frische und
Ueppigkeit; das lebhafte Treiben der Vögel in den Bäumen, die
zahlreichen Spuren von Gazellen und grösseren Antilopen, zeugten
von einem Thierleben, wie es die Wüste nördlich von Kawar
nicht kennt ; Alles Hess die Nähe fruchtbarerer 1 limmelsstriche ahnen.
35*
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III. BUCH, 4. KAPITEL. VON KAWÄR NACH BORNÖ.
548
Wir feierten zu Zau Kurra das Geburtstagsfest des Propheten —
Miläd — durch einen Rasttag, an dem ein starker Südwind, der Alles
mit dicker Sandlage überzog und die Zelte zerriss, uns zu absoluter
Ruhe verurtheiltc und keine lebhafte Aeusserung einer festlichen
Stimmung zuliess.
Obgleich auch der folgende Tag (13. Juni) unter der Herrschaft dieses
Windes stand, brachen wir kurz nach Mittag «auf und bestanden noch
einen siebenstündigen rastlosen und harten Kampf mit den in un-
unterbrochener Folge sich uns entgegenstellenden Dünenketten. Das
war die Wüste, wie sie typisch in der Vorstellung der meisten Euro-
päer lebt, aber glücklicherweise nur in einzelnen Gegenden erscheint
und dann freilich bei Mensch und Thier die Anspannung aller Kräfte
in Anspruch nimmt. Mühsam erklimmt man die Kette, um von der
Höhe derselben aus eine unabsehbare Reihe von Hindernissen gleicher
Art zu überblicken. Prüfend sucht man den leichtesten Uebergang in
der Hoffnung, dass der Sand, wie es hier und da der Fall ist, tragfähig
sein möge. Doch tief sinkt das Kameel ein, und wenn es sich mühsam
auf die Höhe der Kante gearbeitet hat, ist vielleicht der jenseitige
Abfall so jäh, dass das ungeschickte Thier der Schwere seines
Körpers und seiner Last keinen Widerstand zu leisten vermag und
entweder selbst stürzt oder doch die Ladung in den Sand wirft. Oft
genug muss das Thier entlastet werden, um die Schwierigkeit überwän-
den zu können, und der Mensch hat zu aller Mühe und Hitze noch die
Gepäckstücke der Ladung einzeln an den Fuss der Düne zu schleppen.
In beständigem Zickzack und endloser Eintönigkeit geht es Düne
auf und Düne ab. Unwillkürlich erhofft man von der Höhe jeder
einzelnen die Aussicht auf eine günstigere Bodenconfiguration ; er-
schöpft kommt man oben an und richtet das ermüdete Auge prüfend
in die Ferne, um — denselben Anblick zu haben und die Hoffnung
auf den Ausblick von der nächsten Dünenhöhe zu verschieben.
Immer wieder hofft man, und immer wieder folgt die Enttäuschung.
Ist der Tag klar, so wagt man kaum um sich zu blicken, um das
geblendete Auge vor der rückstrahlenden, glänzenden Fläche zu be-
wahren; weht der Wind, so ist man in eine Sandatmosphäre gehüllt,
dichter als ein englischer oder holländischer Nebel, und vermag das
brennende verklebte Auge kaum zu öffnen. Das Interesse an der
eigenartigen Umgebung, der überwältigende Eindruck dieses Sand-
meeres, der an Grossartigkeit dem des Meeres nicht nachsteht, den-
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SAND WÜSTE.
549
selben an majestätischer Ruhe aber ubertrifft, schwächt sich allmählich
ab und geht im Kampfe mit der Natur unter.
Erst hier lernt man die Bedeutung des Kameels richtig würdigen;
erst hier wird uns dasselbe zum wahren Schiffe der Wüste, wie es bald
auf der Höhe der Sandwogen erscheint, bald in der Tiefe verschwindet,
und wie es allein den Menschen befähigt, die Sahärä zu durch-
reisen. Sprachlos, wie bei allen übergrossen physischen Anstren-
gungen, ringt man mechanisch weiter, vergeblich sinnend über die
geheimnissvolle Gewalt, welche den Menschen treibt, um den spär-
lichsten Lohn sich im ewigen Kampfe mit den hindernden Gewalten
der Natur abzumühen, und fast unbewusst der Weiterentw'icklung des
ganzen Menschengeschlechtes zu dienen.
Kein Pfad führt begreiflicherweise durch diesen Düncngürtel,
und selbst dem scharfen Auge der Wüstenbewohner bieten die ihre
Umrisse beständig wechselnden Sandhügel keine Anhaltspunkte, die
als Merkzeichen des Weges dienen könnten. Nur die seltenen Felsen,
welche seit Jahrtausenden den Angriffen des Sandes getrotzt haben
und starr und finster ihre schwarzen Häupter über die wogende und
wechselnde Umgebung emporheben, bilden in diesem Sandmeerc
die leitenden und rettenden Leuchtthurine.
Die Dünen wurden höher und schwieriger am Nachmittage des
13. und am Vormittage des 14. Juni, und die von unserer Sudrichtung
abweichenden Zickzackbewegungen dadurch immer ausgiebiger und
zeitraubender. Wenn wir Anfangs von dieser Südrichtung nach
Osten abgewichen waren, so wurde dies bald durch eine Abweichung
nach Westen ausgeglichen. Nachdem wir uns am Morgen des letzt-
genannten Tages drei Stupden lang abgemüht hatten, erblickten wir
zwei bis drei Stunden östlich vom Wege eine Felsgruppe, deren
Namen unser Chabir, obgleich er zum vierzehnten Male nach Bornü
reiste, nicht kannte, und vor uns im Süden eine andere Namens
Etjukoi, auf deren westliche Grenze wir zu marschirten. Noch che wir
dieselbe erreichten, rasteten wir nach weiteren zwei Stunden im Inter-
esse unserer Thiere, welche Abends zuvor keine Nahrung erhalten
hatten, zwischen zwei Dünenreihen, wo etwas Nissi und Sebat wuchs.
Am Nachmittage Hessen wir, zwei Stunden nach unserem Aufbruch, die
Etjukoi-Gruppe, welche ihre finsteren Felsen kaum höher als 40 M.
aus dem Sande emporstreckt, östlich hart am Wege, setzten unseren
Kampf mit den Dünen, die an Höhe und starren Formen abzunehmen
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550 Hl. BUCH, 4. KAPITEL. VON KAWAR NACH BORNÜ.
begannen, fort und lagerten nach siebenstündigem Marsche in äusserster
Erschöpfung zur Nachtruhe.
Der Abend entschädigt reichlich für die Qual des Tages. Der
Sandwind schweigt; der unverhüllte Himmel erscheint klar und tief-
dunkel und besäet sich mit Gestirnen, deren Glanz wir in ähnlichem
Grade bei uns nur in seltenen Wintemächten zu bewundern Gelegen-
heit haben. Eine tiefe Ruhe lagert sich über den Schauplatz der
mühseligen Tagesarbeit, des tosenden Windes und des wirbelnden
Flugsandes. In wunderbarer Schärfe und Klarheit zeichnen sich die
Conturen der mannigfach gestalteten Sandberge auf dem klaren
Grunde der Atmosphäre; phantastisch überragt dazwischen ein
dunkler Felsen die hellen Hügel; eine lichte Färbung am fernen
Horizonte verkündet den Aufgang des Mondes, der bald als silberne,
glänzende Kugel durch den Aethcr schwebt, so leicht und heiter,
dass man jeden Augenblick meint, er müsse eine schnellere, hüpfende
Bewegung annehmen. Scharfe Lichter und Schatten bringen dann
eine geheimnissvolle Mannichfaltigkeit in die vielgestaltigen Dünen,
viel reicher und schöner, als das Licht des Tages es vermochte.
Das ist auch die beste Zeit zum Reisen, und wenn die Nacht
nicht des nordischen Menschen Freund ist, so ist sie durch Mondcn-
schein oder klaren Sternenhimmel, durch Kühle und Windstille der
beste des Wüstenreisenden.
Als wir einige Stunden nach Mitternacht am 15. Juni wieder
aufbrachen, lag im Mondlicht, klarer und schärfer als auf der
Tageshöhe möglich gewesen wäre, ein einzelner Felsen als Weg-
weiser vor uns, den wir nach zwei Stunden Südsüdwestrichtung
erreichten, und der sich in der Nähe als das höchste Anfangsglied
einer Reihe von ähnlich gestalteten, isolirten Felsen herausstcllte.
Die einzelnen Glieder dieser Kette, welche von Ost nach West ver-
läuft, sind durch ansehnliche Zwischenräume von einander getrennt
und haben alle eine abgerundete, kuppelförmige Gestalt, welche wenig-
stens dem höchsten, der allein in grösserer Entfernung sichtbar ist, den
Namen Ngai Zigir, d. h. Krug (Wasserkrug oder Kochtopf) der Hyäne,
gegeben hat. Er gleicht in seiner Form einem umgestürzten Topfe,
und der Zusatz der der Tedä-Sprache angehörigen Hyänen-Bezeich-
nung „Zigfr" deutet das häufige Vorkommen dieses TJjieres dort an.
Wir marschirten östlich an ihm vorüber und erblickten mit dem
beginnenden Morgen vor uns die ansehnlichen Berge von Dibböia,
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WÜSTENNACHTF.. — OASE DIBBp.I.A.
551
von denen wir durch eine hochgewölbte Ebene getrennt waren.
Wir durchschnitten diese in Südrichtung, liessen in ihrem südlichen
Theile,- nahe den Bergen, unsere Thierc sich im Vorübergehen an
der üppigen Weide laben, ohne jedoch zu rasten, und überschritten
nach sechsstündigem Marsche den sich im Ganzen von Westnordwest
nach Ostsüdost erstreckenden Gebirgszug in Südwestrichtung. Der
Pass trennt das Gebirge in zwei Thcile, von denen der nordwestliche,
dessen Berge sich nach Nordwest und nach West erstrecken, unter
dem Namen Jeriram zusammengefasst wird, wahrend dem südöstlichen
der Name Dibbela zukommt. Jenseits der Hauptkette befanden wir uns
vor einer zweiten, unbedeutenderen, welche sich von der Dibbela-Massc
nach Westen abzweigt, und von der ersteren durch eine mächtige
Sandansammlung getrennt ist. Allmählich wieder in die südliche
Richtung zurückfallcnd, überschritten wir die letztere Kette nahe ihrem
westlichen Ende, überwanden die auch südlich von ihr angesammelten
Sandmassen und stiegen in die Oase hinab, an deren südöstlichem
Rande wir in Mitten schattiger Dümpalmen lagerten.
Die ganze Oase ist etwa dreiviertel Stunde lang und halb so
breit; eine Dünenkette thcilt sie in eine kleinere nördliche Hälfte,
welche reichlich mit Sajäl-Akazien bewachsen ist, und eine grössere
südliche, welche dieser Bäume entbehrt. Die letztere ist reich an
Wasserlöchern, von denen die östlicheren, der Bergkette näher ge-
legenen, trübes und etwas brakisches Wasser haben, während der Inhalt
der westlichen durchaus klar und süss ist. Die aus Bornü kommenden
Reisenden sollen unfehlbar durch den Wassergenuss Dibbeia's einen
Darmkatarrh davontragen, während der aus Fczzari kommende
Reisende in dieser Beziehung für unempfindlich gilt. Die Araber
suchen mit ihrer Leichtigkeit, für alle Beobachtungen eine Erklärung
zu finden , den Grund für die geringere Empfindlichkeit der von
Norden kommenden Leute in der vorhergegangenen Dattclnahrung.
Die Brunnen sind von Dattelpalmengcstrüpp umgeben , haben eine
Tiefe von t */« bis 2*/a M. und zeigen unter der dünnen, oberfläch
liehen Schicht von Sand und Kies, eine fusshohe Lage von Thon-
erde und unter dieser feinen Sand. Die Felsen haben Höhe und
Form der gewöhnlichen Wüstenberge und bestehen noch immer
aus dunkelfarbigem Sandstein auf kalkiger Grundlage.
Am 16. Juni Nachmittags verliesscn wir Dibbela, überstiegen die
Sandhügel, welche die Oase im Süden begrenzen, liessen nach einer
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552 III. BUCH, 4. KAPITEL. VON KAWAR NACH BORNÜ.
Stunde westlich am Wege eine von Nordwest nach Südost streichende
kurze Fclskcttc, welche mit einer zweiten, ihr parallelen und eine
kleine Stunde weiter südlich verlaufenden, unter dem Namen Tschigrin
zusammengefasst wird, kamen nach einigen weiteren Stunden am
vereinzelten Tefraskafelsen vorüber und lagerten nach sechsstündigem
Marsche in beständig cingehaltcncr ungefährer Südrichtung.
Die steinige Wüste in ihrer typischen Form war schon seit
Kawär nicht mehr gesehen; jetzt lag auch die beschwerliche Dünen-
region, welche sich in der ungefähren Breite von 120 Km. südlich von
Kawär bis Dibbßla ausdehnt, hinter uns. Eine hoch und breit ge-
wellte Gegend mit sandigem Boden trat an ihre Stelle und begann,
besonders in den Wellentiefen, sich mit Vegetation zu bedecken.
Schon zwischen Zau Kurra und Dibbfila beweisen die nicht selten im
Sande sprossenden Gräser und Kräuter, dass derselbe nicht ganz der
fruchtbaren Bestandtheilc entbehrt. Anfangs nur in den Tiefen der
Tcrrainwellen, zeigt sich der Pflanzenwuchs auch allmählich auf der
Höhe derselben, und südlich von Dibbela beginnt ein fortlaufender
Vegetationsschmuck. Noch sind die Pflanzen und Thicre die frühe-
ren, doch weiter nördlich auf die Oasen und Flussthäler beschränkt,
beleben sie hier die ganze Gegend. Besonders das Thierlcben ent
faltet sich schnell in überraschender Weise.
Die schon seit Kawär beobachteten atmosphärischen Verände-
rungen traten südlich von Dibbela immer entschiedener hervor. Die
Winde wurden schwankender, und wenn auch auf der Höhe des Tages
der östliche Luftstrom, gewöhnlich jetzt als Südost, die Oberhand
gewann, so machte ihm doch in der Tagesfrühe oft eine westliche
Richtung den Rang streitig, oder cs kam für längere Zeit nur zu
einem unsicheren Südwinde. Der früher so wolkenlose Himmel zeigte
in der zweiten Tageshälfte nicht selten Haufenwolken, das Hygrometer
Saussure stieg dauernd, und die in der mittleren Wüste selbst bei
grossen Anstrengungen trocken bleibende Haut begann sich mit
Schweiss zu bedecken.
Gegen die Oase Agädem hin, welche etwa 80 Km. südlich von
Dibbela liegt, wird dieser Charakter immer ausgesprochener, und
nachdem wir am Morgen des 17. Juni sechs Marschstunden in unge-
fährer Südrichtung zurückgelegt hatten r erschien am Nachmittage
die ganze Gegend, deren hohe Wellen fast Berg und Thal darstellen,
krautreich und thierbelebt. Wohin das Auge sich wendete, erblickte
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Antilopen bei Agädem. (S. 553 )
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ZUNEHMENDE VEGETATION. — ANTILOPENJAGD. 553
cs friedlich grasende Antilopen, die dort so selten der Verfolgung
von Seiten des Menschen ausgesetzt sind, dass sie sich auch bei
grösserer Annäherung in ihrer Beschäftigung nicht stören Hessen.
Unsere Windhunde wurden entfesselt, und bald waren drei der harm-
losen Thiere, ein Weibchen, ein Männchen und ein Kalb, erlegt.
Der schriftkundige Bit ’Aischa hielt darauf, dass die Hunde vorher
an der I.eine gehalten wurden, denn, andernfalls würde die Beute,
selbst wenn sie kunstgerecht vor dem Verenden unter dem üblichen
,,im Namen des allbarmherzigen Gottes” abgethan wäre, ,, Haram”,
d. h. Sünde, gewesen sein.
Wie die meisten grösseren Antilopen wurde auch diese Art von
meinen Begleitern in genereller Weise Baqar cl-Wahschi, d. h. Wildes
Rind, genannt; es war eine Mendes-Antilopc (Addax). Dieselbe ist in
der Jugend schwach gazellenfarbig, im ausgewachsenen Zustande von
weisslicher Farbe, und zeichnet sich durch prächtige, korkzicherartig
gedrehte und und elegant gewundene, fast einen Meter lange, geringte,
oben glatte, leicht divergirendc und sehr spitze Hörner aus, deren
Wurzeln nach der Stirn zu von einem grossen, isabellfarbigen Flecke
umgeben sind. Nach der Behauptung der Leute genügt diesen
Thieren die Feuchtigkeit der frischen Krautnahrung so vollständig,
dass sie wirkliches Wasser fast nie bedürfen. Sie erfreuen sich ge-
wöhnlich eines so vortrefflichen Ernährungszustandes, dass sie schwer
beweglich und aus diesem Grunde leicht zu jagen sind. Ihr Fell ist
dick und widerstandsfähig und darum zu Schuhsohlen beliebt, wenn
man nicht die Haut des südlicheren Büffels oder die Nackenhaut
der im weiteren Osten vorwaltenden Leucoryx -Antilope zur Ver-
fügung hat.
Die Zahl dieser Thiere war fast unglaublich; man erblickte sie
einzeln, in kleinen Trupps, in Heerden von Hunderten nach allen Rich-
tungen. Man nennt sie im Däza-Dialecte der Tubu-Sprache Turue
Tschongi, und gewisse Abtheilungen der östlich von der Bornü-
Strasse, zwischen Borkü und Känem, noniadisirenden Däza kommen
nicht selten nach Agädcm, um Jagd auf sie zu machen, ihr Fleisch
zu trocknen und in ihrer Heimath und an Karawanen als Vorrath
zu verkaufen. Die zahlreichen Hunde, entartete oder unvollkommene
Windhunde, welche sie behufs dieser Jagd halten, haben ihnen bei
den übrigen Tubu den Beinamen der Kfdidä, d. h. Leute der Hunde
(von Kfdi, der Hund), verschafft.
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III. BUCH, 4. KAPITEL. VON KAWAR NACH BORNC.
Die erlegten Individuen waren jung, doch das Weibchen kam in
der Grösse einem ansehnlichen Esel gleich und konnte nur mit Mühe
von mehreren Menschen am Boden hingeschleppt werden. Der in
Aussicht stehenden üppigen Abendmahlzeit zu Liebe lagerten wir
frühzeitig, hatten aber trotzdem eine sehr gestörte Nacht, denn das
Zerlegen, Vcrtheilen, Kochen, Rösten und Verschniauscn der Jagd-
beute, besonders aber die sich daraus ergebende fröhliche Stimmung
liess die Leute erst um Mitternacht zur Ruhe kommen.
Schon nach einigen Stunden brachen wir am 18. Juni wieder
auf, rückten wegen der im Iläd schwelgenden Kameele nur langsam
voran und erblickten nach dreistündigem Marsche in der südlichen
Richtung unseres Weges die nahen Berge von Agädetn, welche wir
bei der durch den gehabten Erfolg geweckten Jagdlust der Leute
erst nach fast vier Stunden erreichten. Der Weg führt auf den
nordwestlichsten Theil der Bergkette zu, schneidet das äusserste
Ende derselben ab und steigt in die Oase hinab, welche, wie die
Bergkette, einen Verlauf von Nordnordwest nach Südsüdost hat, und
in deren nördlichem Theile wir lagerten.
Die Berge von Agädem haben das gewöhnliche Aussehen der
Wüstenerhebungen und erreichen nirgends eine grössere Höhe als
120 M. über der Ebene. Ihre Seitenflächen sind mit Sand bedeckt,
und wo dieser fehlt, sieht man auf den senkrechten Einschnitten
unten eine mächtige Schicht verschieden gefärbter Kalkstcinlagen
ungleicher Höhe, dann eine niedrige Schicht von Kies und Lehm,
und in der Höhe den dunkel gefärbten Eisensandstein. Die Ebene
ist bedeckt von einer hohen Thonschicht, wie die Brunnen zeigen,
von denen die nördlichen in der Tiefe von l bis 2 '/« M. wechseln.
An einzelnen Stellen finden sich vegetationslose Niederungen von in
der Oberfläche dunkler Färbung, bei deren Betreten der Fuss bis
zur Wade in einen weissen, kalkigen Staub sinkt, der bei jedem
Schritte wie Mehl umherstäubt. Die Oase, welche sich längs des
westlichen Fusses der Bergkette hinzieht, ist ungefähr drei Kilometer
breit und acht bis zehn Kilometer lang. Sic entbehrt mit Ausnahme
einiger Sajäl-Akazien und Dümpalmen wirklicher Bäume ganz, ist
aber desto reicher an Siwäk-Büschen und durch ihren üppigen Häd-
wuchs lind ihren reichen Bestand an Sebat, Bü Rukba, Nissi, Aqiil
eine der gesuchtesten KameeKveiden. Zu den Gräsern kommt hier
der Akrcsch (Vilfa spicatar), sonst von den Arabern wohl Abu Säbc
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OASE AGA DEM.
555
genannt, mit spitzen, widerstandsfähigen Blättern und langen, ver-
ästelten Blüthenstengeln. Die Früchte des Siwäk dieser Oase unter-
scheiden sich von denen der Oase Zau durch ihre Grösse und ihren
scharfen Geschmack. Viele unserer Lcuse litten in Folge des zu
reichlichen Genusses dieser Beeren an lebhaften Darmreizungen. Zu
den Hyänen und Schakalen der nächstvorhergchendcn Stationen
kommen hier Raben und Aasgeier, und besonders das niedere Thier-
lcben geflügelter Insekten, wie der Motten, Mücken und Ameisen
nimmt sehr an Mannichfaltigkeit zu.
Sowohl Dibbela, als Agädem und BelgäschTfari sind sehr unsichere
Stationen für die Reisenden. Bevor man die Oasen betritt, schickt man
Kundschafter aus, sich zu überzeugen, dass keine Tubu- oderTuärik-
Bande im Hinterhalte liegt, und wenn man nicht über eine hinläng-
liche Anzahl Feuerwaffen gebietet, pflegt man seinen Aufenthalt
nicht länger auszudehnen, als Tränkung, Fütterung der Thiere, Wasscr-
cinnahme und Rast der Menschen durchaus erfordern. In Agädem
fürchtet man hauptsächlich Däza und Araber Kancm's, während
BelgäschTfari mit Vorliebe von Tuärik -Räubern heimgesucht wird.
Früher soll die Gegend von Agädem bis Bornü beständig von Däza-
Abthcilungcn bewohnt und durchzogen gewesen sein; doch die Nähe
ihrer Erbfeinde, der kriegerischen Tuarik, hat sic aus diesen isolirten
und vorgeschobenen Posten zurückgedrängt. Nur zuweilen wird noch
an dem einem oder anderen Orte von ihnen, wenn sic in hinläng-
licher Anzahl vorhanden sind, um ihr Recht geltend zu machen, ein
Brunnenzoll erhoben, der dann, wie in der Oase Jat, einen Thaler
für jedes Kamccl betragen soll.
Die Erkrankung einiger Kamcele Bü Äischa’s, welche, da natür-
lich das „Blut" die Schuld trug, unser Chabir durch Aderlässe am
Halse bekämpfte (am Auge weiss jeder Araber und Tubu unbe-
deutende Venen zu öffnen, doch nur Wenige verstehen sich auf diese
Operation an den grösseren Halsvcnen), rechtfertigte einen Rasttag,
und auch am 20. Juni brachte uns der Morgenmarsch nur bis zum
südlichen Brunnen. Der Weg dorthin durchschnitt die Oase fast
ihrer grössten Länge nach, indem er nur sehr unbedeutend von ihrer
Längsachse nach Westen abwich, und führte an dem ersten Tumtum-
Baum vorüber, in dem ich einen alten Bekannten aus Tibesti, den
Kussomo (Capparis Sodada) begrüsste. Das Wort Tumtum rührt
von den Bornü-Leuten her und ist eine Corrumpirung des Namens
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III. BUCH, 4. KAPITEL. VON KAWAR NACH BORNÜ.
Tundub, der bei manchen sudanischen Arabern üblich ist. Der süd-
liche Brunnen war, wie wir die meisten nördlichen gefunden hatten,
verschüttet, gab jedoch nach kurzer Arbeit in einer Tiefe von vier
Metern reichlich Wasser.
Während des fünfstündigen Nachmittagsmarsches wurde die
kräuterreichc Ebene zur wirklichen Steppe, und am Morgen des
21. Juni wurde der Marsch durch die sich bis zur folgenden Station Bel
Tundub (Cafifiaris Soda da).
gäscluferi in einer Breite von ungefähr 100 Km. ausdehnenden Steppe
Tintumma fortgesetzt. Die gänzliche Abwesenheit aller auf grössere
Entfernung sichtbaren Erhebungen, der Mangel eines ausgetretenen
Pfades, ihr vollständig gleichmässigcr Charakter, machen das Reisen
in ihr nur unter sicherer Führung möglich. Das den Boden’ be-
deckende Grün erleidet keine Unterbrechung mehr und ist dicht
und frisch geworden. Wir verbrachten die Tageshitze unter einem
einsamen Tundub und nächtigten nach vierstündigem Nachmittags-
marsche in Südsüdwestrichtung in der ungefähren Mitte der Tin-
tumma.
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STEPPE TINTUMMA.
557
Am 22. Juni begegneten wir Vormittags einer kleinen Karawane,
deren Erscheinen am Horizonte keine geringe Aufregung unter uns
hervorbrachte. Sobald der erste Reiter am Horizonte aufgetaucht
war, trafen wir alle Vorbereitungen, um einem etwaigen Angriffe zu
begegnen, entfalteten und ordneten unsere ganze Macht, und ritten
erst dann vorsichtig auf jenen zu. Derselbe war jedoch ein harm-
loser Däza-Mann aus Bornü, der mit etwa zehn Kameelen auf dem
Wege nach Kawär war, um dort Butter, in der Sonne gedörrtes
Fleisch — Qadid — und Duchn zu verkaufen, und zugleich für seinen
Herrn, den oben erwähnten Maina Adern, Erkundigungen über unsere
erwartete Ankunft einzuziehen. Er war dunkelbroncefarbig, ritt ein
Bornü-Pferd auf schmalem Holzsattel, mit niedriger Rückenlehne,
nach vorngebogenem Knauf und mit Steigbügeln von fast europäischer
Form , in die nur vier Zehen gesetzt werden — die grosse bleibt
ausserhalb — und war voll Furcht vor den Auläd Solimän. Wir
hielten mit diesen Leuten gemeinschaftliche Mittagsrast, und ich
kaufte bei dieser Gelegenheit etwas gedörrtes Antilopenfleisch und
einen Krug flüssiger Butter, welche nach der Sitte der Bornü-Leutc
mit Kuhurin versetzt worden war — diese Behandlung soll sie auf-
bewahrungsfähiger machen — und dadurch einen mir durchaus un-
gewohnten und widerwärtigen Geschmack erhalten hatte.
In der zweiten Hälfte der Tintumma mehren sich die vereinzelten
Tundub- Bäume und Akazien, vereinigen sich zu Gruppen, und all-
mählich wird der Weg zum ausgetretenen Pfade. Die Nacht auf den
23. Juni mussten wir noch in der Steppe verbringen, theils weil wir nach
sechsstündigem Abendmarsche noch immer zu weit von dem Brunnen
entfernt waren, der sie im Süden abscldiesst, theils weil ein Mann
aus Kawär, der unter Bü Aischa’s Schutz nach Bornü zu gelangen
hoffte, krank auf dem Wege liegen geblieben war und mit ihm das
bejahrteste Mitglied der marokkanischen Gesellschaft fehlte. Als
wir am nächsten Morgen nach vierstündiger Wanderung den Brunnen
BelgäschTfari erreicht hatten, Hess uns die Arbeit, welche die Ent-
sandung desselben erforderte, und die Beschäftigung, welche die
Lagerung mit sich bringt, zunächst nicht an die Zurückgebliebenen
denken. Spät am Nachmittage, als sich einige der Unsrigen an-
schickten sie aufzusuchen, trafen dieselben endlich in so bemitlcidens-
werthem Zustande ein, dass wir am darauf folgenden Morgen den
Weg noch nicht fortsetzen konnten.
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558
III. BUCH, 4. KAPITEL. VON KAWAR NACH BORNÜ.
Belgäsclufari und seine Umgebung schliesst die Uebergangszone
ab. Die Umgebung der Brunnen zeichnet sich nicht mehr als Oase
oder Ilattija vor der übrigen Gegend aus, die steinigen Gebilde sind
verschwunden, und die Brunnen 5,65 M. tief geworden. Es gab der
letzteren drei, von denen der eine fast bis zur Mündung versandet
war, der andere wenigstens kein Wasser enthielt, der dritte jedoch
einen, wenn auch spärlichen und trüben, doch wohlschmeckenden
und im Nothfalle zureichenden Inhalt hatte.
Noch glich die Gegend, welche wir am Nachmittage des 24. Juni
sieben Stunden hindurch in der gewohnten Richtung durchzogen,
dem südlichen Theile der Steppe; doch wir stiessen hier auf den
ersten Seifenbaum — Hedschlidsch arab. (Balanites aegyptiaca) — ,
dessen längliche, von den Kanüri Bito genannte Früchte wohl bei
den Arabern „Datteln der Sclaven” — Tamr el-Abid — heissen,
und bemerkten nach Sonnenuntergang die ersten schwachen Regen-
spuren. Tagtäglich wehte jetzt am Vormittage ein schwacher Süd-
west bei klarem, meist wolkenlosem Himmel, und während dann am
Nachmittage der Wind aus der östlichen Himmelshälfte allmählich
die Herrschaft errang, bildeten sich im Süden und Südosten Haufen-
und Schicht-Wolken, welche sich nicht selten zu massigen Gewitter-
wolken verdichteten.
Wenn der Uebergang von der vollständigen Wüste zur kraut-
reichen, doch baumlosen Steppe sich ganz allmählich vollzogen hatte,
so änderte sich nun, wo w'ir die Nordgrenze der regelmässigen
Sommerregen überschritten, der landschaftliche Charakter plötzlicher
und wesentlicher. Bis dahin hatten dieselben Gräser und Kräuter,
welche auch in der mittleren Wüste an begünstigten Stellen wuchsen,
die Gegend beherrscht und nur an Menge zugenommen. Der Siwäk
allein hatte das Bild der südlichen Oasen wirklich verändert, doch
ein vereinzelter Tundub oder ein Hedschlidsch von kümmerlicher
Entwicklung vermochte den Eindruck der Steppe kaum mannichfal-
tiger zu gestalten. Als aber am 25. Juni, nachdem wir bald
nach Mitternacht aufgebrochen waren, das erste Morgenlicht unsere
Umgebung beleuchtete, fühlten wir uns in eine andere Welt versetzt.
Nach der Tintumma würde uns ein erneutes Auftreten der Wüste
nicht überrascht haben; jetzt fühlten wir, dass diese vollständig über-
wunden hinter uns lag, dass wir eine andere Zone mit reicherer
Natur und glücklicheren Lebensbedingungen betreten hatten.
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BRUNNEN BELgXsChYfaRI. - BEGINNENDE WALDREGION. f)59
Die spärlichen Raumgruppen der Steppe haben hier einem fort-
laufenden, lichten Walde Platz gemacht, in dem zwar die stachligen
Akazien noch vorwalten und der wüstenhafte March (Lepta Jenia pyro-
technica), auch Rctemm*) genannt, Kizzen ted. und Kalembu kan.
wieder auftritt, doch neben diesen und den zuvor erwähnten, welche
allerdings nicht recht zum Bilde der Ueppigkeit passen wollen,
treten auch bisher nicht gesehene, stolzere, schatten- und laub-
reichere Bäume auf. Der frucht- und stachelreiche Kurna-Baum
drängt hier seinen nächsten Verwandten, den Nabaq ( Zizyphus
Spina Christi), ganz in den Hintergrund; der Serrah (Macrua rigida)
Arken ted. und Ingisseri kan. — entfaltet hier seine Aeste und
Belaubung zu ganz anderer Fülle, als ich in dem dürren Tibesti
beobachtet hatte; der gummireiche Omm el-Barka (Acacia — r) —
Käbi oder Käfi kan. — und die oft ansehnliche Haräza (Acacia
albida) — Karage kan. — werden häufig; und alle stellen die be-
scheidenen Entwicklungsformen der früheren Wüstenbäume in den
Schatten, wie die fahle Färbung des Hedschlidsch , der dürftige
March und der fast blattlose Tundub vor dem frischen Grün der
dichtbelaubten Siwäk- Büsche zurücktreten. Dazu sind die Bäume,
besonders die Akazien, mit Schmarotzerpflanzen, wie Loranthns glo-
hifer, bedeckt und von Schlinggewächsen, wie Momordica Balsamina,
umrankt, welche aus luftiger Höhe ihre Wurzeln dem Boden zu-
senden.
Zu den Füssen dieser laubreichen Bäume entwickelt sich zur
Regenzeit — bei unserer Ankunft waren, wie gesagt, die ersten
Regen gefallen — ein grüner Bodenteppich, in dem die südlichen
Gräser und Kräuter noch mehr die Oberhand gewinnen über die-
jenigen, welche sich aus der Wüste eingeschlichen haben, als es bei
den Räumen der Fall ist. Die eigentlichen Kameelfuttcrkräuter, wie
Aqül und Häd, sind verschwunden; noch gedeihen Scbat, Bü Rukba
und Nissi, und mehr als sie der stachlige Akresch, der so recht
eigentlich der Steppe angehört; doch andere Gräser walten bald vor.
Leider dienen diese oft nicht zu besonderer Annehmlichkeit des
Reisenden, wenn sie auch sein nach Wechsel und Männichfaltigkeit
verlangendes Auge befriedigen. Am Boden liegen verrätherische
*) Der Name Retcmm bezeichnet ursprünglich <lie in Noidafrika verbreitete Ginster-
art Retarna Rottum, wird aber häufig auf die im Aussehen ähnliche Asclepiadec Leptadenin
pyrotechnita übertragen, welche in den Nil-Ländern allgemein March genannt wird.
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III. BÜCH, 4. KAPITEL. VON KAWÄR NACH BORNÜ.
5(30
Samenkapseln: der dreikantige, scharfspitzige Kaje der Bornü-Leute
(Tributes) und die platte, klettenartige, stachlige Neurada (?) —
Dreze oder Kra el-Arneb (d. h. Hasenfuss) arab. und Schi Turgona
(d. h. gleichfalls wörtlich Hasenfuss) kan. — , die sich der Reisende
in den Fuss tritt, während er mit den Kleidern die Früchte
der gefürchteten Gräser Pcnnisctum dichotomum und Cenchrus echi-
natus — Askanit arab. und Ngibbi kan. — abstreift, deren zahllose
Stacheln ihm bald Kleider und Haut erfüllen. Andere dienen dem
Menschen ohne diese Schattenseiten zur Nahrung oder zu häuslicher
Industrie. Das Gras Fagam (Dactyloctenium aegyptium) hat nicht nur
als Pferde- und Kameelfutter einen guten Ruf, sondern muss auch im
Nothfalle, wie übrigens ebenfalls Askanit, Akresch und noch viel
mehr die .samenreichen, getreidevertretenden Kreb-Arten (Eragrostis)
— Kascha kan. — den Menschen ernähren. Das bei den Bomü-
Leuten Kobro genannte Gras, das mit seinen starken, dicken Halmen
und seinem starren, rüthlichen Wurzelbarte zur Ausfiitterung der
Brunnen benutzt wird; das hohe. Sukko- Gras, dessen starke Halme
das Flechtwerk der Umschliessungszäune der Häuser Bornus bilden;
das Kadschidschi (Andropogon [Gymnantelia] Inniger?), dessen Halme
zum Stopfen der Kameelsättel verwendet werden, und dessen aro-
matische Wurzeln ein beliebtes Räuchermittel abgeben; das Hyänen-
kraut (Aerva javanica) — Kadschim Bultube kan. — , mit dem man
Polster und Kissen ausstopft, treten auf und viele andere, die dem
geübten Auge eines Botanikers nicht entgangen sein würden.
Welch' malerische Gruppen, welcher Reichthum der Färbung,
welche Mannichfaltigkcit der Formen! Mit inniger Lust weilt das
Auge des Wüstenwanderers auf diesen Schöpfungen der Natur, deren
Genuss ihm durch den Gegensatz zu der todten Welt, die hinter
ihm liegt, in s Unendliche vervielfältigt wird.
Derjenige freilich, welcher südlichere Gegenden bewohnt hat,
vermisst hier noch tropische Fülle; selbst für den Nordländer ver-
schwindet der Charakter der Ucppigkeit in der trockenen Jahreszeit,
welche die Regenzeit an Zeitdauer um das Dreifache übertrifft, und
die Gegend erscheint ihm dann als verbrannte, wenn auch baumreiche
Steppe. Die Akazien, untermischt mit Seifen- und Kurna- Baumen,
herrschen hier so absolut vor, dass man wohl von einem Akazien-
walde sprechen kann. Nur da, wo wasserreiche Flussthäler, stehende
Gewässer oder perennirende Flüsse den nöthigen Wasserreichthum
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Waldung nördlich vom Tsddc. (S. 561.)
PFLANZEN- UND THIERLEBEN. 56t
liefern, vervielfältigt sich der Baumwuchs und bleibt der Charakter
der Frische während des ganzen Jahres.
Wir betraten diese Gegend unter den günstigsten Verhältnissen.
Die beginnende Regenzeit und die Nähe des Tsäd-Sees schmückten
die Gegend mit ihren schönsten Reizen. Nicht fern von Belgilschtfari
stiessen wir auf die ersten Spuren des wasser- und schattenbedürf-
tigen Löwen, der hier schon reiche Gelegenheit findet, seine Antilopen-
jagden abzuhalten, und auf die mächtigen Fussabdrücke der schlanken,
scheuen Giraffe, welche hier den weiten, menschenleeren und doch
vegetationsreichen Spielraum findet, den sie liebt. Auf den Abhängen
der reizvollen Bodenwellen graste furchtlos die graziöse Mohor-An-
tilope (A. Mohor ) — Kirdschige kan. — , von den Arabern auch
wohl Ariel genannt, weiss mit breit über den Rücken sich erstrecken-
dem braunem Halskragen; neben ihr nicht selten der Strauss, der
eine besondere Vorliebe für ihre Gesellschaft hegen soll und von
hier aus den endlosen Raum der Steppe durcheilt. Dabei erschallte
der Wald ringsum von den langentbehrten Stimmen der Vögel,
deren Nester die Bäume bedeckten , und die sich der beginnenden
Regenzeit, des dortigen Frühlings, erfreuten. Alles war Leben
und Gedeihen, Anmuth und Fülle.
In Mitten dieser herrlichen Natur fühlten wir uns selbst neu-
belebt, von fröhlicher Hoffnung erfüllt und marschirten am 25. Juni
ohne das Gefühl der Ermüdung Morgens sieben und Nachmittags
acht Stunden bis in die Nacht hinein durch eine fortlaufende Reihe
anmuthiger, kesselförmiger, flacher Thäler, an deren Reizen wir
uns nicht satt sehen konnten. Wenn bis dahin unsere Wegrich-
tung von der südlichen nach Westen abgewichen war, so neigte sic
jetzt nach Osten. Am 26. Juni erreichten wir nach siebenstündiger
Wanderung die Brunnen von Kufe. Diese liegen im Schatten mäch-
tiger Haräza’s (Acacia albida) — Karäge kan. — , deren Wipfel zahl-
reiche Reihernester trugen, und schienen seit Jahren versandet. Da
ihre Umgebung als Lieblingsaufenthalt der Löwen berüchtigt ist, so
nächtigten wir fern von ihnen.
Das pflanzliche und thierische Leben ward reicher und reicher.
Massen von geringelten, meist braunen, doch auch schwarz und weiss
gestreiften Würmern mit zahlreichen Füssen, gegen vier Zoll lang und
von der Dicke eines kleinen Kinderfingers, bedeckten den Boden und
legten Zeugniss ab von kürzlich gefallenem Regen. Diese Tausendfüsse
Nachtigal. I. 36
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562 m. BUCH, 4. KAPITEL. VON KAWÄR NACH BORNÜ.
heissen Dengeli in der Kanüri- Sprache, und die Leute von Tripolis
und Fezzän neckten unsere schwarzen Gefährten damit, dass die-
selben eine Lieblingsnahrung der Südän-Bewohner seien. Ausserdem
war der grüne Boden mit zahllosen kleinen, zierlichen Spinnen
von prächtiger Purpurfarbe mit sammtähnlicher Körperoberfläche
geziert, welche, da sie stets nach den ersten Regenfallen, wie durch
Zauberschlag, in unzähliger Menge auftreten, Kuli Ningflibe (d. h.
Wurm des Regens) oder nach der Farbe Fanna Kimme in der
Kanüri-Sprache genannt werden. Da man für ihre schöne Farbe und
eigenthümlich weiche Körperoberfläche nur ein Analogon findet in
dem rothen Sammet, der bisweilen von der Nordküste nach Bornü
gelangt, so behauptet der Volksmund, dass dieser in den Christen-
ländern durch Tausende und Abertausende solcher Spinnchen erzeugt
werde.
Weder diese schöne Umgebung, noch die Nähe unseres Zieles
nach der langen Wanderung, noch das Gefühl gemeinsam über-
standener Mühen vermochten die Eintracht bei den Marokkanern
wiederherzustellen, welche fast seit dem Beginne der Reise im
Schwinden begriffen war. Schon' in Kawar hatte einer ihrer ge-
schicktesten „Künstler" sich der strengen Herrschaft des Moqaddem
zu entziehen gewagt und sich seitdem bald diesem, bald jenem
Reisenden angeschlossen. Später hatte ein Anderer, Hadsch Brek,
versucht, sich des Hadsch Salih wegen von seinen Gefährten zu
trennen, und er war nur durch Bü Äischa und mich mühsam über-
redet worden, wenigstens bis Küka auszuharren. In Kufe kam ein
dritter ihrer jungen Leute, Namens Hammu, auf meinen Lager-
platz und erklärte in seinem gebrochenen Arabisch, dass er ent-
schlossen sei, nicht zum Hadsch Salih, der ihn, einen erwachsenen
Mann, geschlagen habe, zurückzukehren, und dass er hoffe, ich werde
ihn nicht aus meiner Gesellschaft verweisen. Bü Äischa, ich selbst
und meine Leute versuchten alle unsere Ueberredungskunst, um ihn
zu wenigstens zeitweiser Rückkehr zu den Seinigen zu bewegen, doch
mit dem den reinen Berbern eigenthümlichen Starrsinn verschwor
er sich durch die heiligsten Eide gegen diese Zumuthung, selbst
w'cnn Niemand von uns ihn aufnehmen wolle und er in der Wildniss
bei den Löwen bleiben müsse. Um das allgemeine Einvernehmen
nicht zu stören und doch den sehr natürlichen Wunsch Hammu's zu
erfüllen, erbat ich vom Hadsch Salih als eine Gunst, den Flüchtling
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NÄHE DES TSÄDE.
563
bei der geringen Anzahl meiner Leute während der ersten arbeit- ,
reichen Zeit in Bornü behalten zu dürfen, und erhielt die widerwillige
Zustimmung desselben. Ein Vierter endlich, ein junger, wirklicher
Scherif von feinen Zügen und vornehmen Manieren, den der Moqaddem
selbst mit einem gewissen Respcct behandelte, Hadsch Husetn, theiltc
mir am folgenden Tage ebenfalls mit, dass er sich mit seinem Chef
wegen der Behandlung der Kinder übenvorfen habe, nur noch bis
zur Abreise seiner Genossen aus Bornü die Gemeinschaft mit ihm
ertragen und nach dieser Zeit bei mir anfragen werde, ob ich ihn
in meine Dienste nehmen wolle.
Fünf Marschstunden in der Morgenfrühe des 27. Juni brachten
uns in südlicher Richtung an den Brunnen Azi, der in einem wunder-
schönen Thale schon in der Nähe des Tsade gelegen ist. Mit der Nähe
des Wassers wurde der Wald dichter, und die Spuren des thierischen
Lebens noch häufiger. Die dichtverzweigten Bäume bildeten schattige
Säulengänge oder dichtverschlungene Bosquets, mit wuchernden
Schlingpflanzen behängt und vortreffliche, vor den Sonnenstrahlen
und dem Auge des Menschen geschützte Schlupfwinkel der wilden
Thiere bergend. Von allen Seiten widerhallte der Wald in der
Frische des schönen Morgens von nie gehörten Vogelstimmen, deren
Inhaber wir theilweise zu Gesicht bekamen. Da war ein wiedehopf-
ähnlicher Vogel mit schönem gelbrothem Federbusch auf dem Scheitel,
Üdiüdi Zannama in der Bornü-Sprache genannt, dessen erste Namens-
hälfte ungefähr seine Stimme wiedergeben soll. Er baut sein Nest
mit Vorliebe in den Höhlungen der Termiten -Hügel — Ngotkum
kan. und bewohnt in Ermangelung dieser, wie im vorliegenden
Falle, kleine Baumhöhlungen, In eben solchen hatte ein anderes
Vögelchen Namens Zogum, dessen wir ebenfalls habhaft wurden, und
das noch lauter sein „tschütschü, tschütschü" ertönen liess, seine Woh-
nung aufgeschlagcn. Dasselbe hat einen weissen Körper, kurze, dunkel-
farbige Flügel, einen schwarzen Scheitel und einen ebenfalls schwarzen,
schwach gebogenen Schnabel von unverhältnissmässiger Länge.
Aehnlich in Gestaltung, doch mit bunten Flügeln und einem rothen
Schnabel von derselben unverhältnissinässigen Lange ist der Kokodschi
kan., dessen Ruf „kodsch, kodsch" nicht minder laut durch die Ein-
samkeit schallte. — Die in Form und Farbe so charakteristischen
Excremente des Elcphanten, seine vielfachen, tief in den Boden ge-
drückten Fussspuren und seine ausgiebigen Verwüstungen in den
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564 III. BUCH, 4. KAPITEL. VON KAWÄR NACH BORNÜ.
Zweigen der Bäume verriethen, dass die Umgegend des Brunnens
ein Lieblingsaufenthalt des mächtigen Dickhäuters ist. Noch war
uns dieser ebensowenig zu Gesicht gekommen, als die Giraffe,
welche, nach der Häufigkeit ihrer unverkennbaren, breiten Fuss-
eindrücke zu urtheilen, nicht seltener dort vorkommt, als jener.
Wir beeilten uns, unsere Thiere in dem nur 3,68 M. tiefen, in
dichtem, hartem Thon gegrabenen Brunnen zu tränken und unseren
Weg fortzusetzen, da die nordwestlichen Ufer des Tsäde durch die
südöstlichen Tuärik beständig unsicher gemacht werden. So war es
zur Zeit des Barth'schen Besuches von Bornü, so war es noch jetzt,
und obgleich ich sehr begierig war, die ersten Bewohner des Landes
zu sehen, so sehnte ich mich durchaus nicht danach, in die Hände
von Freibeutern zu fallen. Wir reisten an diesem Tage noch füm
Stunden in südsüdwestlicher Richtung mit immer gleichem Genuss
an der schönen Umgebung, nächtigten und traten am 28. Juni mit
besonderer Feierlichkeit den Marsch an, da dieser Tag uns zur
nördlichsten Bornü -Ortschaft bringen sollte. Wir hielten uns sechs
Stunden lang südwestlich; Düm- und Dattelpalmen traten auf,
fette Weidegründe unterbrachen den Baumwuchs, und der Wald
wiederhallte von fremdartigen Vogelstimmen, doch nach Spuren
von menschlichem Leben und Wirken sahen wir uns noch vergeb-
lich um.
Wieder näherten wir uns dem See in südlicher Richtung;,der
Wald ward lichter, und nach zwei Stunden waren wir in nächster
Nähe unseres Zieles angekommen. Erwartungsvoll suchten unsere
Blicke die Waldung zu durchdringen und den berühmten See oder das
erste Negerdorf zu entdecken. Da zeigten sich wenigstens die ersten
Zeichen naher Ansiedlungen in weidenden Hausthieren, prächtigen
Rindern, welche uns ihre Anwesenheit durch gemüthliches Brüllen,
wie ich es schon seit Jahren nicht gehört hatte, verriethen, noch
ehe sie uns selbst zu Gesicht kamen. In grosser Heerde belebten
sie die lichte Waldumgebung des nahen Ngigmi. Neugierig starrten
uns die Wiederkäuer an, welche mich trotz ihres fremdartigen Riesen-
gehörns heimathlich anmutheten, und im Geiste schwelgten wir in
dem lange entbehrten und lebhaft ersehnten Genüsse ihrer Milch
und ihres Fleisches.
Bald traten wir auf die sandige Hügelreihe hinaus, welche dem
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Tside bei Ngigmi. (S. 565.)
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ANBLICK DER LAGUNE UND DES ERSTEN NEGERDORFES. 56J)
Sec gegen den Wald hin Schranken setzt. Kaum ein halbes
Stündchen grasreicher Ebene trennte uns von der augenblicklichen
Grenze des Tsäde, und am Rande des Wassers dehnten sich die
langen Reihen der zuckerhutformigen Strohhiittcn Ngigmi's aus. Flach
und schmucklos, mit einförmigem Ufer und schilfigem Rande lag
der vielgenannte Sec vor uns. Vor Jahren hatte ich in langweiligen
Schulstunden oft träumerisch seine Conturen betrachtet, welche damals
mit dem fabelhaften Mondgebirge allein das weite, weisse Inner-Afrika
auf den geographischen Karten zierten. Jetzt hatte ich dies Ziel meiner
kindlichen Träume und meines späteren Strcbcns erreicht; doch die
Wirklichkeit vermochte meine Erwartungen nur in geringem Masse zu
befriedigen. Ich wenigstens hatte diese nicht hoch gespannt, doch das
lebhafte Erstaunen, dem diejenigen meiner Gefährten, welche zum
ersten Male Bornü besuchten, Ausdruck gaben, als sie anstatt der
erwarteten ausgedehnten Wassermassen diese unbestimmten Ufer mit
dem sich weit ins Innere der Lagune erstreckenden Schilfgewirr und
in der Ferne die das Wasser durchsetzenden flachen Landstreifen
erblickten, bewies die Grösse ihrer Enttäuschung.
Wenn in der That der Anblick etwas unendlich Flaches und
Einförmiges hatte und in seiner Horizontlosigkcit cinigcrmassen der
glücklich überwundenen Wüste glich, welche noch lebhaft in unserer
Erinnerung war, so entschädigte dafür das fremdartige Leben, das
sich auf dem Ufer vor uns entfaltete. Die grosse Wiesenflächc,
welche die offene Ortschaft umgab, war bedeckt mit Rindern, Eseln,
Schafen, Ziegen; die Einwohner bewegten sich geschäftig hin und her;
zahllose Wasservögel , fremdartige Störche, Reiher, Enten, Pelikane
und dunkelfarbige Gänse gingen unbekümmert um Mensch und Thier
ihrer Nahrung nach, und nahe dem Dorfe stand am Rande des
Wassers ein friedlicher Elephant, der seinen Durst löschte und sich
mit Wasser den mächtigen Körper berieselte.
In den Anblick dieses Bildes versunken, verharrten wir eine
geraume Zeit auf der Sandhöhe, ohne dass, zur grossen Enttäuschung
meines ehrsüchtigen Reisegefährten Bü Äischa, Jemand gekommen
wäre, uns festlich zu begrüssen und cinzuholen. Nachdem wir ver-
geblich erwartet hatten, dass unser Anblick die etwa vorbereiteten
Festlichkeiten zur Bcthätigung bringen würde, mussten wir uns endlich
entschliessen, in die Ebene hinabzusteigen und unser Lager aufzu-
schlagcn. Erst als dies geschehen war, erschien der Chef des nörd-
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566 IH. BUCH, 4. KAPITEI.. VON KAWAR NACH BORN0.
lichsten Bornü-Districts, der vorn Namen Kazel des letzteren den
Titel Kazelma führt und aus seiner Residenz Barüa vor einiger
Zeit auf Befehl seines Herrn nach Ngigrni übergesiedelt war, um
unsere Ankunft daselbst zu erwarten. Der Kazelma Hassen, ein
bejahrter, einäugiger, dunkelfarbiger Mann, machte zuerst dem Ab
gesandten des Oberherrn von Stambul und dann mir seine Auf-
wartung, bcgrüsste uns im Namen des Scheich 'Omar, schilderte,
wie dieser seit lange erwartungsvoll unserer harre, fragte nach den
Neuigkeiten aus Fezzdn und Tripolis, sprach über die politischen
Ereignisse der Sudan-Länder, die zu erwartende Ernte und die Ge-
treidepreise, und zog sich dann zurück, um die übliche Gastmahlzeit
vorzubereiten.
Ich nahm diese Mussezeit wahr, um neugierig der nächstgelegencn
Stelle des Sees zuzueilen, von der zwar der harmlose Elephant ver-
schwunden war, wo sich aber zwanzig bis dreissig andere Dickhäuter,
die in der Landessprache Ngurütu genannten Flusspferde, fröhlich im
Wasser tummelten. Neugierig und unbekannt mit der Mordlust und
Zerstörungskraft civilisirter Menschen kamen sie furchtlos in die un-
mittelbare Nähe des Ufers, und ich hütete mich wohl, ihre heiteren
Spiele zu stören. Metallische" Geräusche gefielen ihnen augenschein-
lich sehr, und selbst wenn alle sich zurückgezogen zu haben schienen,
konnte man sicher sein, sie durch die Behandlung eines kupfernen
Kessels als Trommel von allen Seiten zu musikalischem Genüsse
herbeischwimmen zu sehen. Giuseppe hatte leider nicht dasselbe
harmlose Vergnügen an ihren Spielen, sondern sendete einem der-
selben eine Kugel in den mächtigen, aufgesperrten Rachen. Zum
Tode getroffen zog sich das arme Thier in das ferne Schilf des
Wassers zurück, und die heitere Gesellschaft verschwand. Erst nach
eingebrochener Nacht kamen die sonderbaren Ungeheuer ans Land,
und ich wurde nicht müde, soweit es die Dunkelheit gestattete, diese
Reste einer früheren Schöpfungsperiode mit ihren langen, niedrigen,
mächtigen Körpern und plumpen Köpfen zu beobachten, wie sie
gleich vorweltlichen Schweinen auf der Wiese herumgrunzend ihrer
Nahrung nachgingen und, aufgestört, mit einer bei ihren schwerfälligen
Körpern und ihren kurzen Beinen fast unglaublichen Geschwindigkeit
dem Wasser zueilten.
Die Bewohner Ngigmi's, welche dem Kanembu -Stamme der
Tomäghera angehören, zögerten ihrerseits ebenfalls nicht, ihre Neu-
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DER DISTR ICTSCHEF l’ND DIE I.F.UTE VON NGIGMI.
567
gierde zu befriedigen. Besonders die Frauen kamen und gingen mit
grosser Regsamkeit und hatten bald einen lebhaften Markt in unserem
Lager geschaffen. Sic boten Hühner — K6ki — , Zwiebeln — Basall, wie
im Arabischen — , getrocknete Fische Büni — , Milch, sowohl frische
— Kiam killi — , als säuerliche — Kiam — und eingedickte — Kin-
dermo — , Erdnüsse (Arachis hypogaea) — Koltschi — , schlechte
Wassermelonen — Fali — , Tabak — Taba oder Tafa — , flüssige
Butter — Kindägo — , Baumwollensamen — Tamäli — , Stidänpfcffer, —
Nschetta — , Duchn — Argum moro — , Indigo — Nil — und der-
gleichen feil, zu Preisen, welche nach unseren Begriffen zwar beispiellos
billig, doch nach dortigen Verhältnissen ziemlich theuer waren. In Er-
wartung der Mahlzeiten und Gastgeschenke an Rindern und Schafen
von Seiten des Kazelma begnügten sich die Glieder der Karawane
damit, ihrem Fleischbedürfnissc durch den Ankauf von Hühnern
Rechnung zu tragen, von denen das Stück ein halbes Dutzend Glas-
perlen oder drei bis vier Nürnberger Stopfnadeln kostete.
Die Männer waren von dunkler Hautfarbe verschiedener Inten-
sität, die meist etwas ins Röthliche spielte, schlank und wohl ge-
wachsen, und erinnerten mich durch ihre oft recht wohlgcbildeten
Gesichter vielfach an die Tubu-Physiognomien, wie auch ihr Stamm-
name Tomäghcra eine gewisse Verwandtschaft zwischen Känembu
und Tubu ahnen liess. Sie waren meist barhäuptig, trugen aber
auch nicht selten ein im Verhältniss zur arabischen Taqija hohes
Käppchen — Dschöka kan. — aus meist blaugefärbtem Baumwollen-
stoff, und kleideten sich in das gewöhnliche aus dreifingerbreiten
Streifen — Gabaga — zusammengenähte Bornü Gewand — Tob arab.
und Kulgu kan. — , für das sie ebenfalls die dunkelblaue Indigo-
färbung vorzuziehen schienen. Die Frauen waren, so weit sie den
Känembu angehörten, schlank, doch von runderen Formen und
weicheren Gesichtszügen, als die Vertreterinnen des schönen Ge-
schlechts in Tibesti, und ihre Hautfarbe hatte ebenfalls einen röth-
lichen Schimmer. Sie hatten die beiden oft erwähnten Shawls um
Schultern und Hüften geschlagen, und trugen das Haar auf der Höhe
des Kopfes in dünne, kurze Flechten geordnet, während die Schläfen
und der grössere Theil des Hinterhauptes sauber rasirt waren.
Der Kazelma, welcher früher die höhere Stellung eines Chefs
von Ngornu, der zweitgrössten Stadt des Reiches, mit dem Titel
eines Fugoma inne gehabt hatte, war von Sclavenursprung und seine
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568 m. BUCH, 4. KAPITEL, von kawAr nach BORNß.
schon ursprünglich wenig edlen Züge waren durch den Verlust eines
Auges nicht grade verschönt worden. Seine Begleitung bestand aus
sechs berittenen Dienern, unter denen ein junger Schöa (eingeborener
Araber) durch wahrhaft monströse Fettleibigkeit auffiel, und achtzehn
flintenbewaffneten, doch nicht uniformirten Soldaten, welche mich
alsbald in bescheidener Weise um etwas Pulver, einige Flintensteine
und ähnliche Kleinigkeiten baten.
Wie im Traume betrachtete ich Alles; ich konnte mich in dieser
fremdartigen Welt nach meinem anderthalbjährigen Aufenthalt in der
Wüste nicht sogleich zurecht finden.
Schon in erster Morgenfrühe des folgenden Tages (29. Juni)
erschienen die Ortsvorsteher Ngigmi’s, recht höfliche und bescheidene
Leute und unverfälschte Känembu, um ihre Aufwartung zu machen.
Bald darauf entledigte sich der Kazelma, seiner Bewirthungspflicht,
und zwar gegen mich durch Uebersendung einer Schlachtkuh,
einiger Kijal Duchn und einer auf einige Tage zureichenden Menge
Grünfutters für das Pferd. Er hatte dazu möglichst viele Boten ge-
wählt, um seinen Leuten einen Verdienst zuzuwenden, denn Jeder der
selben hatte Anspruch auf ein kleines Geschenk. Die Höherstehenden
erhielten je einen Rosenkranz, die Geringeren je ein Päckchen Nadeln
oder dergleichen, und auch ihrem Herrn schickte ich bei dieser Ge-
legenheit ein ihm zustehendes Bcgrüssungsgcschenk — Salam — , das
aus einem tunisischcn Tarbüsch, einem Turbanshawl, einem Fläschchen
Rosenessenz und einem Rosenkränze bestand.
Dann machte ich einen Besuch im Dorfe, dessen Einwohner
grade beschäftigt waren, ihre Hütten abzubrcchen und in weitere
Entfernung vom See nach Norden zu verlegen, bevor allzuhäufige
Regcnfällc sic darin zu stören drohten. Da der Tsäde in der zweiten
Hälfte der Regenzeit erheblich anschwillt und später über die flachen
Ufer hinaustritt, so sind die Bewohner oft genöthigt, sich bis auf die
erwähnte Dünenreihe in sichere Höhe zurückzuziehen. Das Dorf
bestand aus etwa 300 Hütten, welche einer Einwohnerzahl von gegen
2000 Seelen entsprechen dürften; augenblicklich waren jedoch viele
derselben nicht bewohnt. Die Hütten sind in der ungefähren Gestalt
eines Zuckerhutes aus grobem Geflecht des Sukko- Grases, das auf
einem kunstlosen Gerüst dünner Baumästc derselben Form ruht,
erbaut und haben eine kleine Eingangsöflfnung von I bis i‘/s M. Höhe.
Je nach der Bedeutung des Haushaltes sind in der Nähe der Haupt-
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BESUCH IM DORFE NGIGMI.
569
hütte noch eine oder mehrere kleinere für Frauen, Kinder und
Sclaven und besondere Räumlichkeiten für das Vieh errichtet, und
das Ganze wird von 2 bis 2 */» M. hohen Zäunen aus dem erwähnten
Sukkogeflecht, das den Namen Siggedi führt, umfriedigt.
Ngigmi hat sonderbarer Weise drei Ortsvorstcher, deren obersten,
welcher den mir unerklärt gebliebenen Titel Sorna führt, ich auf dem
öffentlichen Platze des Dorfes fand. Er sass daselbst unter dem
üblichen Schattendache, das aus Stangen und darüber gedecktem
Siggedi hergcstcllt wird und als Versammlungsort der Männer dient,
auf einer hoch aufgeschütteten Lage reinlichen Sandes und lud mich
freundlich ein, ihm in seine Wohnung zu folgen. In dieser wurde
ich mit ausgezeichneter, frischer Milch bewirthet und machte die
Bekanntschaft seiner Frau, welche meinen ärztlichen Rath in Anspruch
nahm. Der gastfreundliche Empfang machte mir einen sehr wohl-
thuenden Eindruck, der Abends durch eine zweite Sendung frischer
Milch nicht unwesentlich erhöht wurde. Mein neuer Freund empfahl
sich übrigens zum Begleiter bei einer etwaigen Excursion in das
Innere des Tsäde, da er eine ausgedehnte Kenntniss seiner Inseln
und mannichfache freundschaftliche Beziehungen zu den Budduma,
den Bewohnern derselben, habe.
Schon Tags zuvor hatten sich nach morgendlichem Südwestwinde
gegen Abend im Osten und Südosten dichte Regenwolken ange-
.sammelt, welche mehrmals ihre Entleerung gedroht, sich aber schliess-
lich doch wieder zerstreut hatten. Am 29. Juni wiederholte sich
derselbe schwache Südwestwind während der ersten Tageshälfte und
dieselbe drohende Anhäufung von Gewitterwolken im Osten atn
Nachmittage; doch diesmal zerstreuten sich dieselben nicht wieder,
sondern plötzlich erhob sich ein heftiger Sturm, der trotz der Auf-
bietung aller unserer Kräfte mein Zelt zu Boden warf und von
einem Regen tropischer Kraft und Fülle gefolgt war, der uns in
einen überaus kläglichen Zustand versetzte.
Obgleich die Nacht, welche dem Unwetter folgte, im allerhöchsten
Grade unerquicklich gewesen war, und der Regen unser Gepäck gründ-
lich durchnässt hatte, so war doch der Wunsch, so bald als möglich Küka
zu erreichen, allzu lebhaft in uns, als dass wir nicht am folgenden Tage
(30. Juni) die Reise hätten fortsetzen sollen. Dies war um so wünschens-
werter, als wir Tags zuvor durch einen Eilboten den Scheich Omar
schriftlich von unserer Ankunft in Kenntniss gesetzt hatten. Wir folgten
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570 III. BUCH, 4. KAPITEL. VON KAWAR NACH BORN0.
dem Rande des Sees, vier Stunden in südwestlicher, zwei in südlicher
und zwei in südsüdöstlicher Richtung, und nächtigten bei dem Dorfe
Kindschälia (d. h. Sclavenort, von Kindschi, Sclave), das nur periodisch
von den Sclaven der Leute Ngigmi’s zum Behufc der Salzbcreitung
aus der Asche des Siwäkholzes bewohnt wird. Anfangs führte der
Weg dicht an dem mit Schilf und Riedgras eingefassten See hin,
dem sich die Waldung dort mehr nähert, als bei Ngigmi. Zuweilen
ward der sandige Boden humusreicher und dann sumpfig, oder grosse
Lachen Wassers, mit unzähligen Enten, Gänsen, Reihern und kleineren
Wasservögeln bevölkert, zwangen uns zeitweise den Wald zu be-
treten. Allmählich verbreiterte sich der schmale Rand zwischen See
und Wald wieder zu einer Ebene mit üppiger Weide. Von Zeit zu Zeit
stiessen wir auf ein Dutzend oder weniger zur Zeit unbewohnte Hütten,
welche ebenfalls der Salzfabrikation dienten, und auf der Mitte unseres
Marsches erreichten wir die durch einen kleinen Bestand von Dattel-
palmen sich auszeichnende Oertlichkcit der früheren Stadt Wüdi
oder Üdi, welche vorübergehend die Residenz der Bornü- Könige
gewesen ist. Dann wurde der Wald dichter,' der Weg verliess den
See und war durch den Baumreichthum nicht selten schwierig für
die Kameclc, gefahrdrohend für ihre Ladung und unangenehm für
uns, da die langen Stacheln der vorwaltenden Akazien uns die
Kleider arg beschädigten. Während der zweiten Hälfte unseres
Marsches berührten wir zwei Dörfchen, deren Bewohner gerade be-
schäftigt waren, auf niedrigen Lehmherden in gebrannten Thon-
gefässen aus der Siwäk- Asche durch Siedung und Auslaugung ein
unreines und spärliches Salz zu gewinnen.
Mit uns reiste natürlich der Kazelma, dessen Residenz Barüa
wir berühren mussten, und dessen Begleitungsmannschaft uns als
Escorte diente. Der ganze Weg von Ngigmi am Rande des Sees
bis Küka wird von den Budduma unsicher gemacht, welche einzelne
Reisende und selbst kleine Karawanen nicht selten überfallen, berauben,
niedermachen oder als gute Kriegsbeute auf ihre Inseln schleppen.
Hinter dem Schilf des Seeufers liegen sie im Hinterhalte, führen
ihren Handstreich aus und sind im Augenblick nach der That wieder
in ihren Barken und in sicherer Entfernung. Wenn sie auch mit
den Leuten einiger Känembu-Dörfer längs des Secufers in friedlichem
Handelsverkehr stehen, so werden sie doch von den übrigen Bornü-
Bewohncrn ausserordentlich gehasst, und unsere Soldaten konnten
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WEITERREISE NACH BARCa.
571
es sich nicht versagen, als sich Vormittags, wenn auch ausser Schuss
weite, eine Budduma-Barke zeigte, ihre Steinschlossflinten abzufeuern,
in so weit sie im Besitz von Pulver waren.
Der Kazelma hatte um seinen rothen Tarbüsch einen breiten,
rothwollcnen Shawl gewunden, der sehr schön von seiner schwarzen
Hautfarbe abstach , und ritt ein kräftiges, wenn auch kleines Pferd
des Landes mit einem so schnellen Passgange, dass ich nur in gutem
Trott gleichen Schritt mit ihm zu halten vermochte. Der Adjutant
dieses Würdenträgers, der fcttsüchtigc Schöa-Jüngling, war barhäuptig
und trug einen ebensolchen rothen Wollshawl zur Zierde um Schultern
und Taille, war ebenfalls beritten und führte als Waffen die Lanze
und ein langes Schwert. Auch ein Wasserträger mit gefülltem
Schlauch und Trinkschale war zu Pferde, doch die beiden Sclaven,
welche das Schwert und den weitmündigen Karabiner des Herrn
neben ihren Lanzen trugen, suchten uns Reitern im Dauerlauf zu
folgen.
Der i. Juli führte uns in fünfstündigem Marsche und südsüdöst-
licher Richtung durch den allmählich lichter werdenden Wald, in
dem ausser Akazien und Seifenbäumen der Siwäk-Busch noch immer
eine Hauptrolle spielt, und zum Theil auf dem niedrigen Dünenzuge,
der hier und da wieder hervortritt, nach Barüa. Die Residenz des
Kazelma ist am Kusse der Dünen, zum Theil auf mächtigen Schutt-
haufen, von deren Höhe man selbst da, wo sie die Ortschaft über-
ragen, den See nicht erblicken kann, erbaut. Sic gewann durch
die umgebende Erdmauer den Charakter einer Stadt und war von
der ungefähren Grösse Ngigmi's. Die Wohnungen waren natürlich
durch die umschliessende Mauer auf einen engeren Raum zusammen-
gedrangt, bestanden jedoch, mit Ausnahme von zwei oder drei dem
Herrscher gehörenden Erdbehausungen, nur aus Strohhütten — Kiizi
arab. und Ngim kan. — .
Gegen Abend stattete ich dem Kazelma einen Besuch in seiner
Wohnung ab, erfreute mich an dem lebhaften Treiben auf den kleinen
Platzen und in den regellosen Strassen der Stadt und empfing wieder
die besten Eindrücke von der Bevölkerung durch die wohlwollenden,
naive Verwunderung bekundenden Begrüssungen der Erwachsenen
und das zutrauliche Benehmen der kleinen, nackten Kinder. Die
Einwohner sind ebenfalls zum grösseren Theile Känembu und haben,
wie die von Ngigmi, eine grosse Furcht vor den Ueberfällen der
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572 lll. BUCH, 4. KAPITEL. VON KAWAR NACH BORNC.
Tuärik, denen sie sogar eine Art von Tribut, der hauptsächlich aus
Fischen besteht, bezahlen, um einigcrmassen Frieden und Sicher-
heit zu haben. Meine hohe Idee von der Macht des Bomü- Herr-
schers wurde einigcrmassen herabgedriickt, als ich einsah, dass diese
in der That nicht hinreicht, um die nördlich von dem westlichen
Zuflusse des Tsäde , dem Flusse von Joo — Komodiigu Joöbe —
wohnenden Unterthanen gegen die Uebergriflfc der räuberischen
Wiistenbewohner zu schützen.
Den Fluss von J06 erreichten wir am folgenden Tage (2. Juli)
nach zehnstündigem Marsche, dessen erste Hälfte wir in südlicher,
und dessen zweite wir in südsüdöstlicher Richtung zurücklegten. Der
Weg führte uns anfangs durch Felder von Duchn, und dann über
eine spärlich mit Akazien, Siwdk und anderen Büschen bestandene
Ebene, welche ein reiches Antilopcnlcben entfaltete. Hier sprangen
Gazellen auf, dort zeigte sich eine etwas grössere von den Schoa
Haimerän und von den Kanüri Komosseno genannte Antilopenart, und
zum ersten Male erblickte ich eine ansehnliche Heerde Kuhantilopen
(Antilopa bubalis) — Tete! arab. und Kargum kan. — . Auf der
Hälfte des Marsches Hessen wir die grössere Ortschaft Alädem öst-
lich, während wir ihre Baunnvollcnpflanzungen und ihre der Getreide-
kultur bestimmten Felder, die durch das Verbrennen der trockenen
Straucher und Gräser zur Aussaat vorbereitet waren, durchschnitten.
Je mehr wir uns dem Komodiigu Joöbe näherten, desto häufiger
wurden die Dümpalmen, welche, anfangs nur krüppelhaft, bald zu
ansehnlichen Bäumen mit üppiger Entfaltung ihrer Fächerblätter
wurden, und endlich mit den Akazien, Kurna- und Hcdschlidsch-
Bäumen in der Baumvegetation vorwalteten. Im Schatten dieses
dichter und dichter werdenden Waldes huschten zahllose Perlhühner
hierhin und dorthin, kleine Hasen und scheue Gazellen wurden auf-
gestört, oder ein Wildschwein floh grunzend einem Hinterwasser des
Flusses zu, während wir uns oft mühsam durch das Gebüsch des
Unterholzes winden mussten. In diesem setzte eine kanürisch Kurna
Bultubc (d. h. Hyänen-Kurna) und arabisch Nabaq el-Fil (d. h. Ele-
phanten-Nabak) genannte Zizyphus-Art mit ihren kurzen, gekrümmten,
scharfen und widerstandsfähigen Stacheln unseren Kleidern besonders
hart zu. Am Flusse zeigte sich mir der majestätische, vollkronige
Tamarindenbaum — Temsuko kan. — zum ersten Male in seiner
Schönheit und bildete mit den Dümpalmen die Hauptzierde der Ufer.
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DER FLUSS VON JOÖ.
573
Wir erreichten den Fluss einige Kilometer zu weit nach Osten von
unserem Ziele, folgten ihm stromaufwärts, bis wir uns der Stadt Joo
gegenüber befanden, traten dann aus dem Walde hinaus und hatten
ein landschaftliches Bild von überraschender Schönheit vor uns. Noch
hatte allerdings der Fluss keinen fortlaufenden Wasserstrom, sondern
nur vereinzelte Tümpel in seinem Bette, doch die herrliche Ein-
fassung seiner Ufer, das saftige Grün, mit dem sich jenseits die
Ebene bedeckt hatte, die langbeinigen Wasservögel, welche ehrwür-
dig im Flussbette oder auf der Wiese herumstolzirten, in einiger Ent-
fernung auf dem südlichen Ufer die Ortschaft mit ihren Hütten und
Häusern im Schatten mächtiger Bäume, und daneben die mit Wasser-
krügen auf den Schultern oder Köpfen kommenden und gehenden
Frauen, gewährten ein reizvolles Bild natürlicher Anmuth und mensch-
lichen Friedens. Später, am Ende der Regenzeit und nach ihr,
rauscht hier ein ansehnlicher Strom dem Tsade zu, welcher der
Passage von Karawanen erhebliche Schwierigkeiten entgegen zu
setzen im Stande ist und die landschaftliche Schönheit natürlich noch
erhöht.
Barth verwirft mit Unrecht den Namen Komodügu Joöbe, den
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III. HUCH, 4. KAPITEL. VON KAWAR NACH BORNÜ.
r>74
er durch K. Waube ersetzt wissen will. Er scheint fälschlich ge-
glaubt zu haben , dass das Wort Waube der wirkliche Eigenname
des Flusses sei, während dasselbe in der That nur der Genitiv des
Ortsnamens Wau ist, grade wie Joobe von Jod gebildet ist. Diese
letztere Stadt ist aber der hauptsächlichste Ort der ganzen Gegend,
bei dem die meisten nordischen Karawanen den Fluss überschreiten,
und hat also viel mehr Berechtigung, dem Flusse den Namen zu
geben, als Wau, das eine weiter östlich gelegene Ortschaft geringerer
Bedeutung ist. Der Fluss hat bei Jod eine fast grade östliche Rich-
tung, während er weiter stromaufwärts aus Südwesten kommt und
sich weiter stromabwärts wieder nach Nordosten wendet, um bei
Bosso in den Tsade zu münden.
Nachdem wir den Fluss an einer trockenen Stelle seines Bettes
überschritten hätten, lagerten wir ein Vicrtclstündchen südöstlich von
der Stadt, wo sich alsbald Hunderte von dunkelfarbigen, nackt-
halsigcn Geiern um unseren Lagerplatz sammelten, und ohne Scheu
vor den Menschen ihren Antheil an etwa zu schlachtenden Thieren
erwarteten. Bald erschienen wieder die Frauen des Ortes mit ihren
Handelsartikeln, machten aber in Rücksicht auf die zu erwartende
Gastmahlzcit keine besseren Geschäfte, als ihren Schwestern von
Ngigmi und Barua zu Theil geworden waren. Die Gastmahlzeit ent-
sprach freilich der allgemeinen Erwartung nicht, denn der Ortsvorstand,
welcher den Titel Schitlma fuhrt, war grade abwesend. Die Würde
eines Schitlma ist nicht etwa, wie der Titel Kazelma oder Fügoma, an
einen bestimmten Verwaltungspostcn gebunden, sondern kommt vielen
Verwaltungs- und Hofbeamten von Kanüri- oder Känembu-Ursprung
zu. Das Wort ist wahrscheinlich aus tsidi, d. h. Land, Bezirk, und
ma, dem die Person bezeichnenden Suffix, entstanden, und würde
demnach Bezirkschef bedeuten, wie der Chef einer einzelnen Ort-
schaft — Billa — , also der Bürgermeister oder Ortsschulze, Billama
genannt wird.
Am nächsten Morgen früh wurde das Reitpferd Bü A'ischa’s, das ich
seiner Ausdauer und seiner gleichmässigen, gestreckten Gangart wegen
oft bewundert hatte, todt gefunden, ohne dass eine andere Ursache
des Todes hätte gefunden werden können, als übermässiger Getreide-
genuss am vorhergehenden Tage. Während wir noch beschäftigt
waren, den unangenehmen Zufall zu discutiren, kam ein kleiner Trupp
arabischer Reiter, um uns theils im Namen des Scheich 'Omar, thcils
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LAGER ZU JOÖ. — BESUCHE AUS KÖKA.
575
aus persönlicher Höflichkeit zu begrüssen. Der officielle Bote des
Scheich war Mohammed et-Titiwi, der Bruder des Kämmerers oder
Schatzmeisters — Amin es-Sandüq — von Murzuq, der seit einer
langen Reihe von Jahren in Bornü seinen Wohnsitz aufgcschlagen
hatte. Er stand in hoher Gunst beim Scheich und war der aner-
kannte Vertreter aller nordischen Fremden, welche nur durch ihn mit
dem Könige verkehren konnten. Sowohl durch die Berichte euro-
päischer Reisender, als durch Vieles, was ich in Murzuq über ihn ge-
hört hatte, war er mir eine bekannte Persönlichkeit geworden. Schon
Barth hatte ihn vor zwanzig Jahren in Bornü getroffen, und Gerhard
Rohlfs hatte während seines Besuches daselbst in nicht sehr freundschaft-
lichen Beziehungen zu ihm gestanden. In Fezzän hatte ich manche
üble Nachrede über ihn gehört, und besonders mein ehrenwerther
Freund, der Hadsch Brähim Ben Alüa, hatte sich stets ungünstig
über ihn ausgesprochen. Ueberhaupt war er in Tripolis und Fezzän
schlecht angeschrieben, denn man schob ihm die Schuld zu, dass bei
den häufigen Todesfällen unter den nordischen Kaufleuten in den
ungesunden Gegenden des Tsäde selten Etwas von ihrer Hinterlassen-
schaft an ihre Familien daheim gelange. Wie wenig günstig ich ihn
auch später in seiner öffentlichen Thätigkeit beurtheilen lernte, so
kann ich doch nur mit Dankbarkeit an die zahlreichen Gefällig-
keiten und wichtigen Dienste zurückdenken, welche er mir erwies,
und an die wohlthuende, gastfreundliche Aufnahme, die ich stets in
seinem Hause fand. Er war von schmutzig gelber Hautfarbe , ein
kurzer, sehr dicker und schwerfälliger Herr von fünfzig und einigen
Jahren, der mit der Reinlichkeit auf etwas gespanntem Fusse stand
und, wohl in Folge meiner Voreingenommenheit gegen ihn, zunächst
keinen günstigen Eindruck auf mich machte.
Mit ihm waren als nennenswerthe Persönlichkeiten : der Scherif
el-Haschäschi aus Tripolis, der mehr in Bornü zu Hause war, als in
seiner Heimath; der Scherif Hasan aus Fezzän, der seit mehr als
zwanzig Jahren von dem W’ohlwollen des Scheich Omar am Hofe
von Küka lebte; endlich Mustafa Tufairi, ein wohlhabender Kauf-
mann, der für eigene Rechnung und die des Scheich el-Beled von
Tripolis (des berüchtigten Ali el-Kerkeni) vor einigen Jahren mit
einem für dortige Verhältnisse ungewöhnlich reichen Waarenkapital
nach Bornü gekommen war und jetzt im Begriff stand, nach Norden
zurückzukehren. Die Aufmerksamkeit dieser Herren galt begreif-
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576 Hl. BUCH, 4. KAPITEL. VON KAWAR NACH BORNÜ.
licherweise nur meinem Reisegefährten, dessen Bedeutung als Abge-
sandter des Sultans zu Constantinopel durch den Titiwi beim Scheich
in ein helles Licht gestellt wurde, obgleich seine Sendung aus-
schliesslich das Werk des Generalgouvcrneurs von Tripolitanien war.
Der ihm zugeschriebene Charakter versprach eine aussergewöhnliche
Generosität des freigebigen Bornu- Herrschers, von der natürlich der
officiellc Vermittler seinen Antheil erwartete. Dass dem entsprechend
die Bedeutung meiner Sendung und meiner Person von diesen Herren
möglichst in den Hintergrund gedrängt werden sollte, hatte ich stets
gefürchtet und erfuhr ich- alsbald zu meinem Missbehagen.
In dem Briefe, den ich von Ngigmi aus an den Scheich Omar
gerichtet hatte, um ihm meine Ankunft und den Zweck meiner Reise
anzuzeigen, hatte ich die Bitte ausgesprochen, mir das „Christen-
haus”, in dem schon Barth und Overweg und später auch Rohlfs ge-
wohnt hatten, zum Aufenthalte herrichten zu lassen, um frei von den
Einflüssen und Verpflichtungen zu bleiben, denen man durch die
Gastfreundschaft eines der Würdenträger nothwendig unterliegt. Ich
war also sehr unangenehm berührt, auf meine Nachfrage vom Titiwi
zu hören, dass jenes Haus in sehr baufälligem Zustande und nicht
geeignet sei, mich aufzunehmen, noch mehr aber, aus seinen aus-
weichenden Reden über die mir bestimmte Wohnung die Ueber-
zeugung schöpfen zu müssen, dass man bei der allgemeinen Auf-
regung über die bevorstehende Ankunft eines Gesandten des Emir
el-Mümenin (des Oberhauptes der Gläubigen) nicht daran gedacht
hatte, eine solche herrichten zu lassen.
Mit den Grüssen des Scheich überbrachte sein Bote ein Bewill-
kommnungsgeschenk in Gestalt eines Körbchens frischer Güro-Nüsse,
welche als ein Zeichen besonderen Wohlwollens gelten, und eines mit
den landesüblichen Süssigkeiten Näkia und Dendokalia gefüllten Leder-
säckchcns. Die letzteren werden aus Reis- und Getreidemehl, mit
Butter, Honig und Gewürzen bereitet und gewöhnlich zu grösseren
und kleineren Kugeln geformt, die sich durch die aufbewahrungs-
fähige Butter, das Gewürz und die äussere Kruste, welche sich bildet
und den Luftzutritt behindert, lange halten. Das uns übersendete Ge-
bäck schien von sehr respcctablem Alter zu sein, denn es war allmählich
ganz ausgetrocknet und von kleinen, holzwurmähnlichen Insekten nach
allen Richtungen zerfressen. Ucbrigens lag der Hauptwerth des Ge-
schenkes in den Güro-Nüsscn, die allen denjenigen, welche früher schon
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SAI.AM DES SCHBlCH. — AtlKKISE VON JOÖ. 577
in Bornü gewesen waren, einen hohen Genuss bereiteten, und nur
von mir, der ich ihnen noch keinen Geschmack abgewonnen hatte,
mit grösster Freigebigkeit vertheilt wurden. Mein Antheil am Salam
war besonders verpackt, während der Rest an Bü ’Aischa, als dem
Scheich el-Qäffla, zur Vertheilung übergeben wurde.
Da der Herrscher des Landes sehr ungeduldig zu sein schien,
uns in seiner Hauptstadt zu sehen, so hatten wir die Absicht gehabt,
noch am Nachmittage desselben Tages aufzubrechen. Durch eine
eigenthümlichc Erkrankung einiger Kamcele unseres Gefährten, des
Hadsch Abd er-Rahmän, wurde diese Absicht jedoch vereitelt. Auf
den Ufern des Flusses von Joö nämlich wächst ein Strauch, den ich
leider nicht zu Gesicht bekam, und dessen Blätter Vergiftungssymptome,
Muskelzittern, Convulsioncn , Bewusstlosigkeit bei den Thieren her-
vorbringen. Die Sinnesschärfe der Kamcele genügt nicht, diese Pflanze
zu vermeiden, und nicht selten sollen in Folge des Genusses derselben
Todesfälle unter ihnen zu Joö Vorkommen. Nachdem die erkrankten
Thiere mit Tamarinden in saurer Milch behandelt worden waren,
erholten sie sich im Verlaufe des Abends vollständig, und nachdem
wir unseren Gästen durch das allseitige Opfer unseres ganzen Mo-
hammes-Vorraths ein anständiges Gastmahl, das sie an die Heimath
erinnerte, und bei dem das Fleisch nicht fehlte — wir hatten aus Joö
zwei Schlachtkühe und vier Schafböcke als Gastgeschenk erhalten — ,
vorgesetzt hatten, konnten wir kurz nach Mitternacht aufbrechen.
Unser Weg führte in Südrichtung, zuweilen mit östlicher Ab-
weichung, durch lichte Waldung, die hier und da von Ackerfeldern
und unbedeutenden Dörfchen unterbrochen war. Mehrmals stiessen
wir gegen Morgen auf Thierhürden — Bert — mit Dorn-Einfrie-
digungen und ansehnlichen Rinderheerden, und der Titiwi versäumte
nicht, jedes Mal von den Hirten einen Morgentrunk frischer Milch für
uns zu requiriren.
Unterwegs hatte ich Gelegenheit, die vortrefflichen und hübschen
Pferde zu bewundern, welche unsere Gäste ritten, und die allerdings
wohl, entsprechend der socialen Stellung der Reiter, zu den besten
des Landes gehören mochten. Sie waren, besonders der schöne
Rappe des Haschäschi, mit phantastischen Zierrathen aus seidc-
gesticktem Tuche und Leder, bunten Troddeln aus Wolle und Seide,
Messingplatten, Gehängen und Amuletten an Kopf und Hals über-
laden und an einen schnellen Passgang gewöhnt, der es mir sehr
Na*.tidj(al. I 37
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578 III. BUCH, 4. KAPITEL. VON KAWÄR NACH BORnC.
schwer machte, gleichen Schritt mit ihnen zu halten. Nach sieben
Stunden hielten wir die Mittagsrast im Districte Kalilua, wohin der
epikuräischc Titiwi trotz der Entfernung von fast 50 Km. von Küka
aus ein üppiges Mahl beordert hatte, und trennten uns dann von
unseren Gästen. Diese eilten voraus zur Hauptstadt, um unseren
Empfang vorzubercitcn , während wir langsamer folgen und am
nächsten Tage zu Dauergo, eine gute Stunde nördlich von Küka,
wo der Sitte zufolge die von Norden kommenden Karawanen den
Tag vor dem Betreten der Hauptstadt verbleiben, lagern sollten.
Nachmittags betraten wir den Distrkt Ngurütua, reisten in südsüd-
östlicher Richtung durch sich mehr und mehr lichtende Gegend mit
Weidegründen, Hessen nach vier Stunden das Dörfchen Ngaläro west-
lich, berührten bald darauf den Brunnen Alero und nächtigten
nach fast sechsstündigem Marsche nahe der Grenze des Districtes.
Einige Stunden brachten uns am nächsten Morgen (5. Juli) nach
Dauergo, einem elenden, auf einem Hügel gelegenen Dörfchen, wo
wir bereits einige Leute aus Küka in der Erwartung unserer Ankunft
vorfanden.
Der Titiwi hatte die Aufmerksamkeit gehabt, mir leihweise ein
anständiges Zelt, zu schicken, um mir die Schande des meinigen,
das klein, alt und zerrissen war, zu ersparen, und ich legte, ent-
sprechend den allgemeinen Vorbereitungen, meine beste Kleidung
an, welche die eines tripolitanischen oder fezzanischen Städte-
bewohners war. So erschien ich, der Christ, sonderbarer Weise in
einer Tracht von Muselmanen, während Bü ’Aischa, der an diesem
feierlichen Tage als Sendbote des Grosssultans die europäische Uni-
form eines türkischen Civilbeamten trug, seiner Kleidung nach für
einen Christen hätte genommen werden können. Mein Reisegefährte
war natürlich der Mittelpunkt der allgemeinen Aufmerksamkeit.
Einige Araber, Qatrüner und andere Fczzäncr, unter denen die
Söhne unseres alten, weichherzigen Zein el-Äbidin, kamen am frühsten
zu seiner Begrüssung; erst Nachmittags erschien die ganze Gesell-
schaft der wohlhabenden Tedä- Kaufleute und Qatrüner, die sich
augenblicklich in Küka aufhielten, vierzig bis fünfzig an der Zahl,
mit dem Maina Adern an der Spitze, welche, wie erwähnt, die grössten
Hoffnungen auf Bü Äischa's Vermittlungen bei den Auläd Solimän
zur Sicherung des Friedens für Kawär bauten.
Ich erhielt zwar die Besuche dieser Herren in zweiter Linie eben-
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I.AGER ZU DAUERGO.
579
falls, trat aber doch im Ganzen sehr in den Hintergrund. Ansehen
und politische Macht in den mohammedanischen Mittelmeerländern
verleiht den Europäern im Innern Nord- Afrika’s, soweit die Verbin-
dung mit der Küste reicht, noch ein gewisses Ansehen, welches der
innerlichen Verachtung, mit der dieselben als Christen betrachtet
werden, einigermassen das Gleichgewicht hält. Neben dem Vertreter
des allmächtigen Stambul konnte dasselbe mir nicht zu Gute kommen,
und selbst die Seltenheit der Erscheinung eines Europäers, welche
meinen Vorgängern das Interesse von Herrscher und Volk gesichert
hatte, vermochte nicht, die allgemeine Aufmerksamkeit in erwünschter
Weise auf mich zu lenken.
Nur ein Besuch war ausschliesslich für mich bestimmt. Im Laufe
des Vormittags stieg ein höchst drolliges Individuum , einem Nuss-
knacker in der kurzen, gedrungenen Gestalt und dem grossen Munde
nicht unähnlich, vor meinem Zelte vom Pferde, gefolgt von einem
Sclaven, der durch seinen scharlachrothen, europäischen Tuchleib-
rock in Verbindung mit der weiten blauen Südän-Hose und der
Hemdlosigkeit einen noch lächerlicheren Eindruck machte. Der
Erstere nannte sich Dunkas und führte sich mit erstaunlichem Wort-
schwall als „Christensclav” bei mir ein, der einst dem bekannten
Abd el-Wähid (Dr. Eduard Vogel) angehört habe. Er sei mit diesem
als Knabe nach Jakoba und Adamäwa gereist und, als derselbe später
seinen Weg nach Wadaf genommen habe, im Hause des schon aus
Barth s Reisen bekannten Lamino zurückgelassen worden. Dunkas
nahm zwar den Mund sehr voll, schien aber übrigens ein höchst gut-
müthiger, junger Mensch zu sein, der seinem unglücklichen christ-
lichen Herrn das wärmste Andenken bewahrte. Er kam mit freund-
lichen Grüssen und einem ansehnlichen Vorrathc von Hühnern und
Eiern von Seiten des ebengenannten Lamino, der ihm nach dem
Tode seines Herrn ein treuer Beschützer geblieben war.
Abends erschien ein langer Zug von Sclaven aus dem Haushalte des
Scheich, welche die übliche Mahlzeit herbeitrugen, wohl fünfzig oder
sechzig Schüsseln, von denen zehn vor meinem Zelte niedergesetzt
wurden, während Bü Ä'ischa die übrigen vertheilte. Die Speisen
bestanden in dem gewöhnlichen Duchn-Brei, Weizenbrot, säuerlichen
Fladen aus Duchn-Mehl, und jedes dieser Gerichte war mit einer
andern Kräutersauce versehen und mit Rind- oder Hammelfleisch
garnirt. Ausserdem gab cs gebratene Hühner und kleine, in Honig
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580 III. BUCH, 4. KAPITEL. VON KAWÄR NACH BORNÜ.
schwimmende l’fannenkuchen aus Weizen, die mit einer Verschwen-
dung von Butter bereitet waren, welche das Entzücken unserer Leute
hervorrief. Die Schüsseln selbst waren aus schwarzgebeiztem Holze
geschnitzt, zum Theil von gewaltigem Umfange, von fast halb-
kugeliger Form und hatten nur zum kleineren Thcile drei kurze
Küsse. Wie hungrige Raubthiere erwarteten die Träger den Moment,
in dem unser Hunger gestillt sein würde — und wir vermochten
nicht den dritten Theil des üppigen Mahles zu vertilgen — , um sich
auf die Reste zu stürzen, welche ihnen bei dieser ersten Ucberbrin-
gung der Gastmahlzeit des Herrschers nach der Sitte als ihr Recht,
anstatt des sonst üblichen Trinkgeldes, zukommen.
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Fünftes Kapitel.
EMPFANG IN KÜKA.
Festliche Einholung durch den Kronprinzen. — Gefolge desselben. — Kusssoldaten. —
Kathsherrn. — l’anzerreiter. — .Musikbande. — Kronprinz Aba Hü Bekr. — Ebene
von Küka. — Acussere Erscheinung der Stadt. — Stadtmauer. — Das Innere der
Oststadt. — Beleidigende Zurücksetzung. — Wohnungsschwicrigkeit. — Der Haus-
wirth Ahmed Ben Brähtm. — Bcgrüssungs- Audienz. — Das Innere des Königs-
palastes. — Scheich 'Omar. — Audienz zur l’ebcrreichung der Geschenke. —
Religiöse Bedenken gegen einige derselben. — Hohe Befriedigung des Scheich. —
Besuche bei einigen Würdenträgern. — Der Digma Ibrähtm und seine Ungnade. —
I-amlno. — Seine Umgebung. — Seine Vergangenheit. — Sein culinarisches Ver-
ständnis. — Seine Stellung und Bedeutung. — Mo’allim Mohammed und seine
Gelehrsamkeit. — Weitere Bekanntschaft mit Ahmed Ben Brähtm und Mohammed
ct-Titiwl. — Gastgeschenke des Scheich. — Trinkgelder. — Besuch beim Kron-
prinzen. — Feindschaften der Würdenträger unter einander.
Der 6. Juni war für uns ein Tag voller Aufregung, denn an ihm
sollte unser festlicher Einzug in die Hauptstadt stattfinden. Mit
Sonnenaufgang setzten wir uns in Bewegung. Von den Dienern
hatte ich Barqa, den Sclaven Ben Alüa’s, Sa'ad und Al! so gut als
möglich gekleidet und behielt sic in meiner unmittelbaren Nahe als
Gewehrträger und Pferdehalter. Bald sticssen wir auf die ange-
sehensten Araber und Fremden der Stadt, unter denen der eigent-
liche Chef der nordischen Araber, die zum Unterschiede von den
Schöa oder sudanischen Arabern „Wassili" genannt werden, der alte
Bü Aläq, mir aus den Barth'schen Mittheilungen schon vortheilhaft
bekannt war. Er war ein Uled Solimäni von altem Schrot und Korn
und hatte das wilde Räuberleben der jetzigen Generation seiner
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582 Ul. BUCH, 5. KAPITEI.. EMPFANG IN KÜKA.
Stammesgenossen schon lange mit der friedlichen Existenz in der
Hauptstadt Küka vertauscht, wo er Scheich el-Ärb und Kökena
oder Mitglied des grossen Rathes war. Wie er sich mit dem gott-
losen Treiben seines Stammes nicht hatte befreunden können, so
hatte er sich aber leider auch nicht in das Leben der hauptstädtischen
und höfischen Intriguen zu finden gewusst und war in Einfluss und
Vermögen von schlauen Strebern, wie dem Titiwi und Anderen, weit
überholt worden. Auch von den Tedä und Qatrünern fehlte Niemand,
und unter diesen fiel mir vorzüglich der reiche Hadsch cl-Hddi auf,
der ein kostbares, ausgezeichnet geschultes Rennkamcel ritt, dessen
Sattel mit grossen Leopardendecken behängt war. Alle entfalteten
den ganzen Rcichthum in Kleidung und Pferdeschmuck, über den
sie gebieten konnten, und ich konnte die Menge zierlicher Bomü-
Pferdc nicht genug bewundern, welche feurig und gewandt auf der
Ebene getummelt wurden. Es waren prächtige Thierc darunter, mit
denen die beiden Pferde, welche Bü Äischa als Geschenke für den
Scheich aus Tripolis brachte, wenn dieselben auch einen höheren
Wuchs hatten, in eleganten, harmonischen Formen nicht wetteifern
konnten.
Der Titiwi brachte die Nachricht, dass der Scheich seinen ältesten
Sohn und muthmasslichcn Thronfolger, Aba Bü Bckr — Aba hat
ebensowohl die Bedeutung „Vater" als „Herr" — mit glänzender
Suite . zu unserer festlichen Einholung beordert habe. Wir warteten
also an Ort und Stelle seine Ankunft ab, stiegen von den Pferden,
machten Bekanntschaften, tauschten Nachrichten aus dem Norden
gegen die aus der sudanischen Welt ein, und setzten uns erst wieder
in Bewegung, als ein Reiter meldete, dass der Kronprinz herannahe.
Je weiter wir mit würdevoller Langsamkeit vorrückten, desto belebter
wurde die Ebene, die sich fast baumlos, mit der einförmigen Vege-
tation der Calotropis procera bedeckt, zwischen Dauergo und Küka
ausdehnt. Bald kamen wir in Sicht der dichten Menge der Ein-
geborenen, deren Mittelpunkt der Prinz auf einem Sandhügel ein-
nahm, und vermochten allmählich die Einzelheiten des bunten, farben-
reichen und lebensvollen Bildes erkennen.
Auf dem freigehaltenen Raume vor dem Prinzen hielt sich flinten-
bewaffnetes Fussvolk, das durch die denkbar sonderbarste Unifor-
mirung den Charakter einer regelmässigen Truppe gewinnen sollte,
und doch nur in der groteskesten Weise von der landesüblich ge-
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FESTLICHE EINHOLUNG.
583
kleideten Menge abstach. Die Leute steckten in engen Jacken und
Beinkleidern europäischen Schnittes und verschiedenster Farbe, welche
entweder fertig von der Nordküste gekommen waren oder die Leistung
eines nach Bornti verschlagenen nordischen Schneiders zweifelhafter
Kunstfertigkeit bildeten. Vielleicht hatten ursprünglich die einzelnen
Farben verschiedene Abtheilungen der bewaffneten Macht kennzeich-
nen sollen; jetzt waren aus dem Vorrathe die einzelnen Kleidungs-
stücke den Individuen, je nach Bedürfniss zngetheilt worden, und so
trug der Eine eine rothe Jacke und gelbe Beinkleider, ein Anderer
eine gelbe Jacke und grüne Beinkleider, während ein Dritter halb blau
und halb roth gekleidet war, und einem Vierten vielleicht nur eine
farbige Jacke zu dem weissen Beinkleid von landesüblichem Schnitt
zu Theil geworden war. Dazu waren die meisten Uniformstücke zu
klein ausgefallen, so dass das Beinkleid entweder nicht die Jacke
erreichte oder schon weit oberhalb der Fussknöchel endigte, oder
dass die Kürze der Aermcl den weit über sie hinausragenden Armen
den Anschein affenartiger Länge verlieh. Die Leute waren übrigens
bestrebt, durch reichlichen Pulvervcrbrauch ihrem Stande Ehre zu
machen und die Feierlichkeit des Augenblicks zu erhöhen, und wurden
darin höchstens von unseren Leuten übertroffen.
In der nächsten Umgebung des Prinzen hielten sich reichgekleidete
Würdenträger in verschiedenfarbigen, goldgestickten Tuchburnussen
und ebensolchen seide- oder goldgestickten, weiten Beinkleidern, im
rothen Tarbüsch mit oder ohne Turban, mit verhülltem oder offenem
Gesichte, auf edlen Pferden mit arabischen Sätteln und Bügeln.
Diese waren entweder sogenannte Kökenäwa (Mehrzahl von Kökena),
d. h. Mitglieder des grossen Rathes — Nokena — , zumeist freie
Känembu, Kanüri und Schöa, oder sogenannte Kaschellawa (Mehrzahl
von Kaschella), d. h. Kriegshauptleute, die fast alle aus Sclaven des
Staatsoberhauptes hervorgehen. Unter dem linken Oberschenkel der
Reiter war gewöhnlich ein langes, grades Schwert am Seitentheile
des Sattels befestigt, und auf der anderen Seite hing ein zierlicher,
weitmündiger Karabiner am hohen Knaufe desselben.
Auf diese Herren folgten Panzerreiter, theils solche, welche ein
maschiges Metallhemd und einen metallenen Helm mit vorspringenden
Visirstangen, zuweilen auch Armschienen trugen, theils und vornehm-
lich solche, welche in weniger kriegerisch aussehende, unbehülfliche
Wattenpanzer — Libbes — gekleidet waren. Diese letzteren bestehen
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III. BUCH, 5. KAPITEL. EMPFANG IN KÜKA.
in so umfangreichen, wattirten und gesteppten Röcken, dass der
Körper vollständig in ihnen verschwindet, und sind so dick und fest
durchnäht, dass der Inhaber jeder freien Bewegung beraubt ist.
Punzcrrcitcr in BornO.
Dazu gehört eine ähnliche Kopfbedeckung, und womöglich werden
auch die Pferde in gleicher Weise ausgerüstet. Schwere Watte-
umhüllungen umgeben den Hals und den Körper der Thicrc bis auf
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KRONPRINZ BÖ BF.KR UND SEIN GEFOLGE.
585
die Füsse, und ihr Gesicht wird durch eine drei bis vier Zoll breite,
leicht gepolsterte Messingplatte geschützt, welche einen stumpfen
Winkel bildet, um der Haut des Thieres nicht aufzuliegen. Um diese
Rüstung und den schweren Reiter zu tragen, müssen die stärksten
Pferde ausgesucht werden, denn für einen solchen Krieger beruht
in kritischen Lagen das Heil in der Kraft und Schnelligkeit seines
Pferdes; er selbst wird ohne dasselbe durch seine Unbehülflichkeit
durchaus unfähig zum Angriff wie zur Vertheidigung. Im Kampfe
muss Womöglich Jeder in dieser Weise Gepanzerte einen Fussgänger
zur Seite haben, der beim Falle oder Tode des Pferdes den Reiter
so schnell als möglich von seiner hinderlichen Hülle zu befreien
sucht. In diesen Panzerreitern, welche als Waffen die Lanze und
meist ein kurzes, breites Schwert führen, beruht die Hauptreitermacht
des Landes, und jeder Würdenträger sucht aus seinen berittenen
Sclaven so Viele als möglich mit Wattenpanzern zu versehen.
Um den glänzenden Kern der Escortc tummelten sich zwanglos
leichte Reiter in der einfachen Tobe des Landes, meist barhäuptig,
nur mit einer Lanze bewaffnet und auf weniger gutgehaltenen Pferden
mit einheimischen Sätteln und Bügeln, ferner Sclaven zu Fuss, mit
Speer und Wurfeisen gerüstet, und heidnische Bogenschützen aus
den südwestlichen Grenzländern des Reiches, die oft nur um die
Hüftengegend bekleidet waren.
Als wir uns dem Prinzen auf etwa zwanzig Schritte genähert
hatten, wurden wir angewiesen vom Pferde zu steigen, um den Ver-
treter des Herrschers zu begrüssen. Während wir auf ihn zugingen,
vollführte eine Musikbande mit dumpfdröhnenden Paukenschlägen,
regellosem Trommelwirbel, schrillen Pfeifen, schnarrenden Antilopen-
hömern, in tiefem Bass ertönenden , langen Posaunen aus Holz oder
Metall und kreischenden Dudelsäcken ein sinnverwirrendes und ohren-
zerreissendes Getöse. Aba Bü Bckr hielt sich ernst und würdig auf
der Höhe des sandigen Hügels, war in einen goldgestickten Burnus
von feinem dunkelblauen Tuch gekleidet, trug einen Tarbüsch ohne
Turban, und ritt, auf silbergesticktem Sattelüberzuge von blauem
Sammet, ein herrliches, prachtvoll gezäumtes, schwarzes Pferd mit
vergoldeten Steigbügeln. Kr war von fast schwarzer Hautfarbe,
wenig edlen Zügen, spärlichem Bart um Kinn und Wangen, hatte
eine ansehnliche Gestalt und schien in der zweiten Hälfte der Dreissigcr
zu stehen. Nachdem er uns freundlich in arabischer Sprache und
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III. BUCH, 5. KAPITEL. EMPFANG IN KÜKA.
mit Händedruck willkommen im Lande seines Vaters geheissen, sich
nach der zurückgelegten Reise und nach unserer Gesundheit kurz
erkundigt hatte, stiegen wir wieder zu Pferde und der Zug setzte
sich in Bewegung, unter dem Getöse der Musik, dem Geheul der
Menge und unaufhörlichem Pulvergeknall. Voran ritt der Prinz und
die Würdenträger in der bunten Farbenpracht ihrer Kleider und
Pferderüstung; dann folgten die Mitglieder unserer Karawane, und
von allen Seiten umschwärmten die Reiter den Zug. Bald löste sich
einer der Fusssoldaten aus seiner grotesk gekleideten Truppe, sprang
vor den Prinzen hin und schoss unter wunderlichen Körperver-
drehungen sein Gewehr ab; bald sprengte einer der Reiter quer vor
dem Zuge hin, und feuerte in gestrecktem Galopp in die Luft, oder
die Erwachsenen der marokkanischen Gesellschaft legten vor dem
Prinzen eine Probe ihrer Geschicklichkeit im Schnellfeuern ab.
Soweit das Auge reichte, wimmelte die Ebene von Neugierigen;
Niemand schien in der Hauptstadt zurückgeblieben zu sein. Diese
suchte mein Auge, über die einförmige Ebene schweifend, anfangs
vergeblich. Nichts hob sich über den sandigen Thonboden, aus der
fahlen Farbe des Oschar und den verkrüppelten Akazien empor.
Endlich tauchten am südlichen Horizonte Bäume auf, eine lang-
gestreckte Vegetationslinie, welche allmählich den Anschein eines
ausgedehnten Haines gewann. Allmählich wurden die einzelnen
Baumkronen sichtbar, und dann entdeckte man zu den Füssen der-
selben eine Erdmauer, welche in der Färbung natürlich kaum von
der Staubfarbe des Bodens und seiner Vegetation abwich. In langer,
gleichförmiger Linie schien sich dieselbe von Ost nach West zu er-
strecken und zeigte erst bei grösserer Annäherung eine allmählich
breiter werdende Lücke, auf die wir uns zu bewegten. Der west-
liche Theil der Mauer war die Nordseite der Umschliessungsmauer
der Weststadt, der östliche gehörte in derselben Weise der Oststadt
an, denn Küka besteht aus zwei Städten und müsste also eigentlich
Kükawa heissen.
Als das frühere Küka zu Ende der vierziger Jahre durch den
König Mohammed Scherif von Waddi zerstört worden war, hat es
Scheich Omar in Gestalt zweier Städte wieder aufgebaut, von denen
er mit seinen Beamten und Sclaven vorwaltend die östliche bewohnt,
während die westliche vorzugsweise dem Volke und den Fremden
zum Aufenthalte dient. Man muss gestehen, dass der Gründer der
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EINZUG IN DIE HAUPTSTADT.
587
Hauptstadt, der Vater Scheich Omars, der in der Südän-Wclt so
berühmte Scheich Mohammed el-Amin el-Känemi, der im An-
denken des Volkes als der „grosse Scheich” lebt, keinen hohen
Grad von Schönheitssinn in der Wahl des Ortes bekundet hat. Ohne
die reichen Baumzierden und das rege, gefiederte Leben in ihnen
würde auch in nächster Nähe der über alle Beschreibung todte und
monotone Eindruck, den Küka aus der Entfernung macht, nicht
schwinden.
Wir betraten den weiten Zwischenraum, der die Schwesterstädte
trennt und in seinem nördlichen Theile wenig bebaut ist, während
der südliche ein fast ebenso dichtes Häusergewirr enthält, als die
Städte selbst, und hielten bald darauf unseren Einzug in die östliche
oder Königsstadt durch das westliche Thor ihrer Umschliessungsmaucr,
während die Kamcelc mit den nöthigen Dienern in die uns bestimmten
Quartiere der Weststadt geschickt wurden. Das kunstlose Thor war
breit genug, um zwei bis drei Reitern gleichzeitig den Durchtritt zu
gestatten, konnte durch zwei mächtige, roh gezimmerte Thorflügcl
mittelst eines davor gelegten Querbalkens verschlossen werden und
gewann durch vielfachen Eisenbcschlag eine gewisse Festigkeit. Die
etwa zwanzig Fuss hohe, crcnelirte Mauer hatte im unteren Theile
eine ansehnliche Dicke, da die Innenseite mit breiten Abstufungen
für das etwaige Hinaufsteigen der Vertheidiger versehen war. Sic
bestand aus kiesgemischter Thonerde und trug schon zahlreiche Spuren
des zerstörenden Einflusses der kaum begonnenen Regenzeit, denn
der obere, dünnere Theil war hier und da bereits zusammengestürzt
oder hinweggewaschen. Doch dafür gedieh die terrassenförmige
Innenseite in anderer Beziehung; sie hatte sich in eine abschüssige
Wiese umzuwandeln begonnen, welche von den Ziegen der benach-
barten Einwohner abgeweidet wurde.
Von dem Thore führte ein grader Weg, der in seiner Breite
mehr einem Platze als einer Strasse ähnlich sah, nach Osten grade
auf den Palast des Scheich zu. Trotz des weiten Raumes war das
Gedränge der schaulustigen Menge so dicht, dass wir nur mit grossem
Zeitaufwande bis zur Königswohnung gelangen konnten und unsere
pulververpuffende Gesellschaft kaum Platz für ihre Thätigkeit fand.
Ein tiefer, staubiger Sand hüllte uns in dichte Wolken und Hess die
breite Strasse mit den staubgrauen, niedrigen Häusern zu beiden
Seiten nicht sehr heiter erscheinen. Nur rechts am Wege, wo mir
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588 III. BUCH, 5- KAPITEL. EMPFANG IN KOKA.
das Haus Aba Bü Bekr’s gezeigt wurde, und auf der anderen Seite,
wo der dritte Sohn des Herrschers, Aba Haschemi, wohnte, gewahrten
feigenähnliche Bäume einen dichten Schatten. Vor der Wohnung
des Scheich, etwas zur Seite nach Norden gerückt, schaute ein
niedriges Minaret über die Umschliessungsmaucr eines Häuser- und
Hütten-Complcxes und kennzeichnete diesen als Moschee.
Vor der Königswohnung, die sich durch ihre Ausdehnung, ein
oberes Stockwerk und einige tburmähnlichc Aufsätze vor den übrigen
Häusern auszeichnet, stellten wir uns auf, und Flintcnknallen und
musikalisches Getöse erreichten hier ihren höchsten Grad. Scheich
Omar, der hinter schiessschartenähnlichen Fensteröffnungen des
oberen Stockes fremde Ankömmlinge und Festaufzüge zu betrachten
pflegt, blieb uns unsichtbar. Den Glanzpunkt der Vorstellung bil-
deten die Marokkaner, deren eine Hälfte ihren Pfeifen, Tamburins
und kleinen Trommeln Töne entlockten, welche schon eher den
Namen der Musik verdienten, während die andere die äusserste An-
strengung in der schnellen Handhabung ihrer langen, sauber ge-
putzten und kunstvoll gearbeiteten heimathlichcn Steinschlossflintcn
machte.
Nach einiger Zeit betrat Aba Bü Bekr das Innere des väter-
lichen Palastes, bald folgte ihm der Titiwi, und endlich wurde auch
Bü Aischa gerufen, der nach kurzer Zeit, mit einem scharlachrothen,
goldgestickten Tuchburnus behängt, wieder heraustrat. Wenn ich
auch eine gewisse Zurücksetzung neben meinem Reisegefährten er-
wartet hatte, so fühlte ich es doch als eine Schädigung des euro-
päischen Ansehens, dass ich nicht ebenfalls sofort zur Begrüssungs-
audienz geladen wurde. Die Vernachlässigung ärgerte mich um so
mehr, als ich geneigt war, die Ursache derselben nicht dem wohl-
wollenden Fürsten, sondern Bü Aischa und dem Titiwi zur Last zu
legen. Ich konnte nicht umhin , dem Letzteren meinen Unwillen in
scharfen Worten auszudrücken, und musste aus seinen verlegenen
Entschuldigungen und gezwungenen Erklärungen die Ueberzcugung
gewinnen, dass man dem braven Scheich meinen Brief aus Ngigmi
vorenthalten hatte. Der gutmüthige Bü Aläq, Mustafa Tufai'ri und
Andere thaten ihr Möglichstes, mich zu beruhigen, doch ich zog
mich grollend in die mir bestimmte Wohnung der Weststadt zurück,
begleitet vom Titiwi, der sich in Entschuldigungen und Bitten um
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WOHNUNGSSCHWIERIGKEIT.
589
Verzeihung erschöpfte, ohne dass ich in der Laune war, darauf zu
antworten.
Meine Wohnung lag in dem grossen Hause Ahmed Ben Brähim’s,
eines der ersten Würdenträger des Landes und vielleicht des einfluss-
reichsten Höflings, und bestand vorläufig aus einigen Höfen und nur
einem einzigen Erdhäuschen, das vielleicht grade zur Unterbringung
des Gepäckes hinreichte. An ein Unterkommen für meine Person
und meine Diener war nicht gedacht worden. Wenn ich mich schon
geärgert hatte, dass ich grade bei dem Manne wohnen sollte, den
ich durch meine Bitte um Ueberlassung des Christenhauses haupt-
sächlich hatte vermeiden wollen, so wurde mein Unwille durch den
Mangel aller Vorbereitungen noch erheblich gesteigert. Ich befahl
kurz, mein Pferd wieder vorzuführen, und erklärte dem Titiwi,
dass ich direct zu seinem Herrn zurückzukehren und über diese
schamlose Vernachlässigung und Beleidigung Klage zu führen beab-
sichtige. Dies half. Noch war das Pferd nicht gesattelt, so war
auch schon eine Axt zur Hand, mit der in wenigen Minuten eine
Thür durch eine Mauer gebrochen und damit eine für dortige Ver-
hältnisse anständige Wohnung gewonnen wurde. Die improvisirte
Thür führte auf einen schön geformten, quadratischen Hof mit
einem mächtigen Hedschlidsch vor einem grösseren Gebäude, das
ein geräumiges Zimmer und daneben eine Vorrathskammer enthielt
und sich ganz zu meiner persönlichen Wohnung eignete. Auf dem-
selben Hofe befanden sich noch zwei bedachte Räumlichkeiten, in denen
meine Dienerschaft wohnen und die Küche eingerichtet werden konnte.
Ich war froh, dass ich nicht gezwungen wurde, auf der Tages-
höhe — Mittag war bereits herangekommen — noch stundenlang
einer Wohnung nachzujagen, erklärte mich für befriedigt und suchte
mich von den Aufregungen und Anstrengungen der vergangenen
Tage und von dem Aerger des Morgens durch einen Mittagsschlaf
zu erholen. Der Titiwi kehrte indessen eiligst zum Scheich zurück,
setzte denselben von meiner Stimmung in Kenntniss, und kaum hatte
ich meine Rast beendigt und etwas Toilette gemacht, als auch schon
ein Bote aus dem Palaste kam, mich zur Audienz zu laden.
Mein Hausherr und Gastfreund Ahmed Ben Brahim holte mich
zu derselben ab und machte mir damit gleichzeitig seinen Bewill-
kommnungs-Besuch. Er war ebenso dick als der Titiwi, aber grösser
und jedenfalls von noch viel weniger vertrauenerweckender Phy-
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590 in. BUCH, 5. KAPITEL. EMPFANG IN KCKA.
siognomie, als dieser. Seine Haut war von tiefer Broncefarbe, also
für einen Araber — er gehörte dem Schöa-Stamme der Aulad Hamed
an — sehr dunkel. Seine Züge waren nicht die des Sudan-Bewohners,
konnten aber auch nicht für charakteristisch arabische gelten. Der
mächtig entwickelte Unterkiefer und der sinnliche Mund verriethen
einen brutalen Epicuräismus, dessen Erfolg aus der monströsen Ent-
wicklung seines Bauches erhellte. Die heruntergebogene Spitze seiner
sonst wohlgebildeten Nase gab ihm im Verein mit dem vorspringen-
den Kinn und den lauernden Augen den Ausdruck der Berechnung
und Unaufrichtigkeit. Dabei stand ihm der Hochmuth auf dem Ge-
sichte geschrieben und lag in jeder Bewegung seines schwerfälligen
Körpers. Selbst die süsslichc, höfliche Sprache der ersten Begegnung
vermochte nicht den Mangel an der Gutmüthigkeit zu verdecken,
welche augenscheinlich sogar dem berechnenden TitJwi innewohnte.
Sein prächtiges Pferd, für die Rasse des I^andes von seltener
Stärke, wie sie für einen solchen Reiter allerdings sehr nothwendig
war, wartete vor der Thüre meines Hauses. Ein Sclave hielt das-
selbe, während ein zweiter auf der rechten Seite des Pferdes sich
mit der ganzen Schwere seines Körpers an den Sattel hing, um das
Gegengewicht gegen seinen aufsteigenden Herrn zu bilden, und vier
andere den letzteren emporzuheben bestrebt waren. Sobald dieser
im Sattel war, glitt das Thier in dem schnellen Passgange dort ge-
schulter Pferde dahin, während seine Sclaven zu Fuss im Trotte
folgten. Der Höchststehende derselben hielt sich am nächsten bei
seinem Herrn, die rechte Hand hinter dem Sattel auf dem Rücken
des Thieres haltend; ein Zweiter trug das Schwert, ein Dritter den
Karabiner des Herrn, ein Anderer die übliche Reitpeitsche aus
Hippopotamushaut, ein Fünfter die Halfter und die beiden Uebrigen
trabten ohne sichtlichen Zweck hinterdrein.
Während ich andere Personen, welche bei Hofe zu thun hatten,
ihrem Range entsprechend in grösserer oder geringerer Entfernung
von des Königs Wohnung absitzen sah, gestattete uns die hohe Stel-
lung meines Wirthes und meine eigene Bedeutung, hart an der Ein-
gangsthür derselben vom Pferde zu steigen. Wir betraten den
Palast durch eine, von einer Reihe viereckiger Erdsäulen getragene
Vorhalle, in der sich die Hüter der äusseren Thüre befanden und ein
halbes Dutzend kleiner Bronce -Kanonen aufgestellt war, deren be-
schädigte Laffeten von roher Landcsmanufactur gerechte Zweifel an
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BESUCH IM KÖNIGSPALAST.
591
ihrer Transportfahigkeit erweckten. Von der Anforderung der
Etikette, in dieser Vorhalle die Fussbeklcidung abzulegen, wich
ich insoweit ab, als ich mich nur der Ueberschuhe entledigte,
unter denen ich kleine, sohlenlose Schuhe aus feinem gelbem
Leder trug, wie sie die nordischen Araber der Küstenstädte zu
tragen pflegen, um nicht barfuss oder auf Strümpfen im Hause
herumgehen zu müssen. Mein Begleiter übergab hier Burnus, Tar-
büsch und Turban ebenfalls einem Diener, da die Sitte auch diese
Kleidungsstücke den Unterthanen in Gegenwart des Herrschers ver-
bietet. Wir überschritten einen länglichen Hof und gelangten durch
ein Durchgangs- und Warte-Zimmer in einen unbedachten Raum, in
welchem aus Siggedi und einer dicken Lage ungeflochtenen Sukko-
Strohs eine gegen Sonne und Regen in gleicher Weise schützende
Halle für W'artende errichtet war.
Von hier aus wurde unsere Ankunft dem Könige gemeldet,
und bald darauf betraten wir durch einen anderen Vorhof, in dem
sich einige Eunuchen und Sclaven aufhielten, das eigentliche Raths-
und Audienz -Gebäude. Dieses enthielt einen Raum, der nicht von
aussergewöhnlicher Grösse war und durch eine doppelte Reihe
mächtiger, viereckiger, sich nach oben etwas verjüngender Säulen,
auf denen einheimische Kunst einige lineare Verzierungen angebracht
hatte, noch kleiner erschien. Ohne Thür und Zwischenwand ge-
langten wir in einen Ausbau dieses Saales, von dem man einen Theil
des letzteren übersehen konnte , und der zu meinem Empfange be-
stimmt war. Sein Fussboden war mit Teppichen belegt und seine
grauen Thonwände mit bunten Stoffen der verschiedensten Muster
ausgeschlagen. Eine hübsche, eiserne Bettstelle europäischer Fabri-
kation und ein roh gezimmerter hölzerner Lehnstuhl bildeten mit
einer Bank, welche durch eine Matratze, .Teppiche und Kissen zu
einem Divan hergerichtet war, das Mobiliar des kleinen Raumes.
Auf der Bank sass mit untergeschlagenen Beinen der Scheich
Omar Ibn el-Hädsch Mohammed el-Anun el-Känemi. Er trug einen
einfachen Tuchburnus über weisspn Bornü- Gewändern und einen
kunstvoll geschlungenen, weissen Turban von ansehnlicher Grösse,
der jedoch bei Weitem nicht die kolossalen Dimensionen hatte, welche
nach Denhams Beschreibung früher am Bornü -Hofe für vornehme
Herren von der Sitte gefordert wurden. Vor ihm auf dem Divan
lag sein Königsschwert, neben ihm auf einem Kissen ein mit Silber
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592
III. BUCH, 5. KAPITEL. EMPFANG IN KÜKA.
ausgelegter Karabiner, und am Boden vor ihm standen gelbe, nach
tunisischer oder tripolitanischer Sitte gearbeitete Bantoffeln. Seine
Fiisse waren mit weissen Strümpfen bekleidet, und eine Tour des
Turbans hatte er nach der Sitte seiner Vorfahren als Litätn über
Mund und Nase geführt. Seine ganze Erscheinung war die eines
wohlhabenden Fezzaner’s, erinnerte durch die Einfachheit der Klei-
dungsstücke in Farbe und Verzierung an seinen religiösen Charakter
und zeichnete sich durch die höchste Sauberkeit aus. Er schien ein
Mann mittlerer Grösse, von runden Formen zu sein, war von durchaus
schwarzer Hautfarbe, vollem Gesichte und, als er die verhüllende
Turbantour entfernte, von überaus freundlichem Ausdruck seines
intelligenten Gesichtes. Dabei zeigten die einzelnen Theile desselben
Nichts von den Missverhältnissen, mit denen man sich die Neger vor-
zustellen liebt, und Nase, Mund und Backenknochen waren, wenn
nicht edel und hübsch, so doch ziemlich regelmässig geformt und
angeordnet. Sein hist faltenloses Antlitz gab ihm den Anschein
eines starken Fünfzigers; doch sein spärlicher, weisser Bart und sein
fast zahnloser Mund mit den schrumpfenden Kiefern und der undeut-
lichen Sprache Hessen ihn älter erscheinen. Er stotterte in seiner
freundlichen Weise vielmals: „Willkommen — Marhabä — !’’ und
„Lob sei Gott — Hamd Lilläh — 1”, erkundigte sich nach der zurück-
gelegten Reise, nach den Verhältnissen in Fezzän, Tripolis und Con-
stantinopel, fragte nach meinem Lande und Könige und erzählte von
Heinrich Barth’s und Gerhard Rohlfs' Besuchen in Bornü und seiner
Freundschaft für dieselben.
Um meine Stellung zu klären und mein Ansehen zu wahren,
benützte ich diese Gelegenheit, ihm zu schildern, mit welcher Freude
ich dem Aufträge meines Herrn und Königs nachgekommen sei, zu
ihm, dem mächtigsten Sudan -Fürsten zu reisen, der meinen Lands-
leuten stets eine wahrhaft königliche Freundschaft und die edel-
müthigste Unterstützung gewährt habe, und wie ich leider durch den
mir zu Tlieil gewordenen Empfang arg enttäuscht worden sei. Ich
könne die am Vormittage erfahrene Vernachlässigung nicht auf meine
Person beziehen, welche keinerlei Ansprüche erhebe, sondern müsse
dieselbe in Anbetracht des Zweckes meiner Sendung als einen Mangel
an Aufmerksamkeit gegen meinen König, den mächtigen Herrn von
Norddeutschland, empfinden.
Der verlegene alte Herr erwiderte, dass durch ein Missverständnis^
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EMPFANG BEIM SCHEfCH ’OMAR. 593
mein Briel von Ngigmi erst vor einigen Stunden in seine Hände
gelangt sei, er also Zweck und Charakter meiner Reise nicht ge-
kannt habe, dass er aber trotzdem für den begangenen Fehler um
Verzeihung bitte und wohl versichern könne, dass ihm Nichts ferner
liege, als Gäste und besonders Sendboten meines Landes beleidigen
zu wollen, dessen Söhne und Vertreter er seit Jahren kennen und
schätzen gelernt habe. Er bat mich, nach dieser Versicherung das
Missverständniss ruhen zu lassen, und endigte die unliebsame Aus-
einandersetzung durch einen Wink an den Eunuchen Abd el-Kerim,
der mir einen seidegefütterten Burnus von feinem schwarzen Tuch
um die Schultern hing. Der Titiwi, der während der Audienz ge-
kommen war, suchte das Werk der Beruhigung zu vollenden, indem
er mich darauf aufmerksam machte, dass ich, anstatt mich beleidigt
zu fühlen, im Gegentheile alle Veranlassung habe stolz darauf zu
sein, dass ein so mächtiger Fürst, wie der Scheich Omar, mich um
Verzeihung gebeten habe. Ich zeigte mich nicht nur mit dieser
Erklärung zufrieden, sondern war froh, dass das gute Einvernehmen
wiederhergestellt war. Nachdem wir noch einige höfliche Redens-
arten ausgetauscht hatten, zog ich mich zurück, äusserst befriedigt
von der gewinnenden Freundlichkeit, der einfachen Würde und dem
verständnissvollen Wesen des Mannes, von dessen Wohlwollen meine
künftigen Reiseunternehmungen zum grossen Theile abhängen mussten.
Schon am Tage darauf sollte die feierliche Ueberreichung der
Geschenke König Wilhelm s stattfinden. Ich hätte gern die officielle
Uebergabe derselben noch um einen Tag hinausgeschoben, um die
einzelnen Gegenstände, welche ich seit meiner Abreise von Tripolis
ihrer sorgfältigen Verpackung wegen nicht mehr untersucht hatte,
einer genauen Prüfung zu unterziehen. Doch die Neugierde des
Scheich duldete keinen Aufschub; ich fand nur grade Zeit genug,
die Kisten zu öffnen und mich durch einen oberflächlichen Blick
von dem intacten Zustande ihres Inhalts zu überzeugen. Nur die
Zündnadelgewehre nahm ich heraus, um sie einzuölen und um
Giuseppe Valpreda, der bei der Uebergabe ihren Gebrauch erläutern
sollte, in ihrer Handhabung zu üben. Das unförmliche Gehäuse,
welches den Glanzpunkt der ganzen Sendung, den Thronsessel, barg,
wagte ich überhaupt nicht zu öffnen, um seinen Transport in den
Königspalast nicht zu erschweren, und war also der Befürchtung
nicht überhoben, dass die Motten, welche in Fczzan während meiner
Nachtigai. f. äS
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594 III. BUCH, 5. KAPITEL. EMPFANG IN KÜKA.
Reise nach Tibesti eine vollständige Vernichtung meiner wollenen
Kleidungsstücke angerichtet hatten, dieses wichtige Geschenk ge-
schädigt haben möchten. In Verlegenheit setzte mich der Zustand
des Harmoniums, das wir in Tripolis den von Berlin gekommenen Ge-
schenken hinzugefügt hatten, und das in Folge dessen weniger gut
verpackt gewesen war. Dasselbe hatte durch den langen Transport
und die trockene Wüstenluft so gelitten, dass man ihm nur ganz
vereinzelte, heisere Töne zu entlocken vermochte. Wenn ich auch
nicht zu befürchten hatte, dass die künstlerischen Anforderungen
Scheich Omars sehr hochgehende sein würden, so zweifelte ich doch
sehr, ob Giuseppes Geschicklichkeit hinreichen würde, das Instru-
ment für die königlichen Ohren auch nur leidlich functionsfahig
wieder herzustellen. Ein weiteres Bedenken bezog sich auf die
lebensgrossen Bildnisse Sr. Majestät des Königs, Ihrer Majestät der
Königin und Sr. Königl. Hoheit des Kronprinzen, welche mit den
Anschauungen des Islam einigermassen in Widerspruch standen, und
besonders auf eine Stutzuhr, deren Hauptzierde, eine wenig bekleidete
allegorische Figur, unzweifelhaft in den Augen strenggläubiger Mo-
hammedaner für eine sündhafte Darstellung gelten musste.
Am Nachmittage beluden wir einige Karneele mit den ober-
flächlich wieder verschlossenen Kisten und begaben uns zur Ueber-
reichungs-Audicnz. Wie der Scheich an diesem Tage dem officiellen
Litäm entsagt hatte, so waren auch die Bodenteppiche und stoffenen
Wanddecorationen, die eiserne Bettstelle und der hölzerne Lehnstuhl
verschwunden. Ich stellte Giuseppe, der sich schon verletzt gefühlt
hatte, dass er nicht mit zur ersten Audienz genommen war, dem
Könige als einen sehr geschickten, in allen Handwerken wohl-
erfahrenen Mann vor, der ihm sicherlich bei seiner Vorliebe für die
Erzeugnisse europäischer Kunstfertigkeit in der Folge von höchstem
Werthe sein werde, und befahl demselben, die Kisten zu öffnen.
Mit einer gewissen Aufregung folgte ich der Auspackung des Thron-
sessels und hatte die grosse Freude, ihn in seiner ganzen ursprüng-
lichen Pracht und Herrlichkeit seinem jahrelangen Gefängnisse ent-
steigen zu sehen. Seine vortreffliche Polsterung in Sitz und Lehne,
der schöne Ueberzug aus rothem Sammet, die reiche Vergoldung
der kunstvoll geschwungenen Füsse und Armlehnen gewannen die
vollste Bewunderung des Fürsten. Demnächst wurden die königlichen
Bildnisse herausgenommen, und ich konnte mit grosser Genugthuung
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l'eberreichung der Geschenke König Wilhelm s an Scheich 'Omar von Bornil. (S. 594.)
ÜBERREICHUNG »ER GESCHENKE KÖNIG WILHELM’s. 595
wahrnehmen, dass, trotzdem meine Besorgniss nicht ungerechtfertigt
gewesen war, in dem feinfühlenden Fürsten Stolz und Rührung über
die religiösen Bedenken die Oberhand gewannen. Als ich ihm aus-
einander setzte, wie mein König und Herr, unserer hcimathlichen
Sitte folgend, auf diese Weise die in Folge der grossen Entfernung
unmögliche persönliche Bekanntschaft habe ersetzen wollen, half er
mir in liebenswürdigster Weise über meine Sorge vor allzu strenger
Auffassung hinweg, indem er sagte: ich selbst wisse wohl, dass der
Islam nur diejenige Nachbildung menschlicher Formen verurtheile,
welche einen Schatten zu werfen im Stande, also als Statuen oder
Reliefbildungen dargcstellt seien, dass aber das auf flachem Papier
oder ebener Leinwand erzeugte Gemälde nicht in den Bereich der
Sünde gehöre. Damit war freilich der allegorischen Figur der Stutz-
uhr das Urtheil gesprochen.
Nächst dem Thron erregten die Zündnadelgewehre die grösste
Freude und Bewunderung des hohen Herrn. Unzählige Male mussten
wir ihm die Handgriffe zur Oeffnung und Schliessung der Kammer, die
Zündnadel selbst und die Patronen zeigen und erklären. Obgleich der
Königspalast eine verhältnissmässig reiche Sammlung der verschie-
densten Gewehrsysteme enthielt, so gab es doch noch kein preussisches
Zündnadelgewehr in derselben. — Das Harmonium hatte, wie schon
erwähnt, seine Funktionen gänzlich eingestellt, weniger zu meinem
Bedauern, der ich ihm bei meiner geringen musikalischen Begabung
doch keine Harmonien hätte entlocken können, als zu dem des
braven Scheich, der natürlich voraussetzte, dass Jeder die in seinem
Vaterlande gebräuchlichen musikalischen Instrumente zu spielen ver
stehe. Ich vertröstete ihn auf die Kunstfertigkeit Giuseppes und
nahm cs wieder mit in meine Wohnung.
Von den wollenen, seidenen und sammetnen Stoffen, den Shawls,
Mützen und Burnussen, den Uhren, Fernrohren und anderen Dingen,
welche der Bornü- Herrscher auch sonst durch die nordischen Kauf-
leute häufig genug empfängt, nahm derselbe nur noch ein stark
versilbertes Theeservicc, eine goldene Taschenuhr mit Kette und
ein Fernrohr in speciellen Augenschein, sprach mir seinen Dank aus
für die grosse Menge Rosenessenz, die ihm, wenn auch nicht zu per-
sönlichem Gebrauche, so doch für die Frauen und Töchter seines
ausgedehnten Haushaltes von wirklichem Werthc sein musste, und
erfreute sich dann ausschliesslich des kunstvoll geschriebenen könig-
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III. BUCH, 5. KAPITEL. EMPFANG IN KOKA.
596
liehen Begleitschreibens, das ich ihm mit der beigefügten arabischen
Uebersetzung in zierlicher Kapsel überreichte. Wohl ein halbes
Dutzend Male musste ich dasselbe in deutscher Sprache vorlesen,
wobei ich durch kraftvolle Betonung und declamatorischen Vortrag
zu ersetzen suchte, was dem Hörer an Verständniss abging, und als
ich den Inhalt dann übersetzte, soweit meine Kenntniss des Arabischen
es gestattete, während er die schriftliche Uebertragung mitlas, war
der liebenswürdige Negerfürst sichtlich bewegt. Die dankbare Er-
wähnung der materiellen Unterstützungen, welche er Moritz von Beur-
mann und Gerhard Rohlfs hatte angedeihen lassen, erfüllte ihn mit
Rührung und Beschämung und bestärkte ihn in seiner wohlwollenden
Beurtheilung des Charakters der Europäer. Es war ihm in gleicher
Weise erstaunlich, sowohl dass diese Herren voll Dankbarkeit seine
Grossmuth und Biederkeit in Schrift und Wort in ihrer Heimath ge-
rühmt hatten, als dass ein mächtiger europäischer König in so an-
erkennender Weise seine ihm so natürlich erscheinenden Handlungen
als Edelmuth pries.
Als ich endlich noch erwähnt hatte, dass zwar ein Gegenstand,
den ihm auf seinen besonderen Wunsch Mustafa Bei (G. Rohlfs) in
Aussicht gestellt habe, nämlich ein Wagen, unter den Geschenken
fehle, dass aber auf die Sendung desselben nur verzichtet worden
sei, weil mein König nicht gewusst habe, ob Jemand die Expedition
begleiten werde, der fähig wäre, die Bestandtheile eines solchen zu-
sammen zu fugen, und dass diese Versäumniss bei der nächsten Gelegen-
heit hoffentlich gut gemacht werden könne: da war seine Befriedigung
und seine Freude eine vollkommene. Er wisse sehr wohl, erwiderte
er, dass nur ein solcher Grund Ursache der Unterlassung gewesen sein
könne, denn es sei weltbekannt, wie fest wir Christen an dem ge-
gebenen Versprechen hielten. In der That ist der Ruf der Europäer
in dieser Beziehung nicht allein im weiteren Innern, sondern sogar
auf der Küste und selbst bei Fanatikern und Christenhassern ein so
ausgezeichneter, dass Jeder, der Jahre lang auf der Nordküste ge-
wohnt hat und also weiss, dass vielfach nicht grade die Elite der
europäischen Bevölkerung jene Länder zum Schauplatze ihrer Thätig-
keit wählt, sich des höchsten Staunens nicht erwehren kann. Auch
in Bornii erzählte man sich mit Verwunderung, dass wir merkwürdiger
Weise niemals die Unwahrheit sagten und sclavisch an unseren Ver-
sprechungen festhielten.
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ZUFRIEDENHEIT DES SCHEICH. — BESUCH BEIM DIGMA. 597
Sobald ich die Königswohnung — Beit esch- Scheich arab. und
Fäto Maibe kan. verlassen hatte, durchdrang das Gerücht vom
Reichthume der Christengeschenke die Stadt, und dies hob zwar
einerseits mein Ansehen, weckte aber andererseits Hoffnungen bei
den Würdenträgern, welche zu befriedigen ich durchaus nicht in der
Lage war. Ich erkannte erst später, dass es gerathen gewesen wäre,
die für den Herrscher bestimmten Geschenke zum Besten seiner
obersten Rathgeber etwas zu vermindern, da diese nicht allein gewohnt
sind, bei den Geschenken benachbarter oder befreundeter Könige mit
berücksichtigt zu werden, sondern speciell in Bornü bei der Gut-
müthigkeit und Schwäche ihres Herrn die wichtigste Rolle spielen.
Nach der Erledigung meines officiellcn Zweckes machte ich
meine Besuche bei denjenigen Würdenträgern, für die ich Empfehlungs-
briefe hatte, und welche mir als die bedeutendsten Männer des Staates
bezeichnet worden waren. Vor Allem hatte Gerhard Rohlfs meine
Aufmerksamkeit auf jenen l’ulo oder Fclläti Ibrahim gelenkt, welcher
schon zur Zeit Barths, also vor zwanzig Jahren, das Amt eines so-
genannten Digma oder Dugma inne hatte, und zu den Zeiten beider
Reisenden in hoher Gunst beim Herrscher und in grossem öffent-
lichen Ansehen stand. Wenn ich gewusst hätte, wie sehr sein Stern
erbleicht war, so hätte ich ihm, trotz der Dankbarkeit, welche wir
ihm für sein grades und wohlwollendes Benehmen unseren Lands-
leuten gegenüber schuldig sind, aus politischer Rücksicht nicht die
Aufmerksamkeit erweisen dürfen, welche ich ihm zu Theil werden
liess. Denn er war in der That einer der Letzten in der Hof-
hierarchie geworden, und cs musste natürlich den Ucbrigen, welche
ihn in der Gunst des Scheich überflügelt hatten und wahrscheinlich
die Schuld an seinem Sturze trugen, auffallen, dass ich ihm vor Allen
zuerst meinen Besuch machte. Er führte noch immer den Titel des
Digma, wenigstens im Munde des Volkes, wohnte in der Oststadt
und war ein freundlicher, sehr mangelhaft arabisch sprechender Herr
von gelbgrauer Hautfarbe, mit grauem Barte und jenem regelmässigen
Gesichte, klugen Ausdruck und lebhaften Blick, welche die merk-
würdige Nation der Felläta oder Fulbe auszeichnen. Er machte den
Eindruck eines braven Mannes, erinnerte sich mit grossem Vergnügen
seiner Freunde Abd cl-Kcrlm und Mustafa Bei, und hatte sich aus
der langen Zeit seiner öffentlichen Macht eine Würde bewahrt, welche
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598 III. BUCH, 5. KAPITEL. EMPFANG IN KÜKA.
im Verein mit seinem semitischen Aussehen wenig zu seinem Sclaven
stände passen wollte.
Von ihm begab ich mich zum berühmten Lamino (el-Amin), der
nach dem Urtheile Aller bei weitem der mächtigste unter allen
Würdenträgern und selbst mehr ein Beschützer als ein Anhänger des
Kronprinzen Aba Bü Bekr war. Während der kurzen Zeit, welche
ich in der Hauptstadt verweilt hatte, war mir so viel Gutes und
Merkwürdiges über diesen Mann berichtet worden, dass ich höchst
neugierig war, seine Bekanntschaft zu machen, besonders wenn ich
die Verschiedenheit der Urtheile in Betracht zog, welche Barth und
Rohlfs über ihn gefällt haben.
Schon vor seiner weitläufigen Behausung, die an einem ge-
räumigen Platze in der Oststadt lag, konnte ich aus der Menge reich-
geschirrter Pferde, die vor der Thür auf ihre Herren warteten, aus
den vielen den Zugang bewachenden Sclaven, aus der Zahl der be-
scheideneren Beamten und Clienten, und aus der grossen Schaar
von Bettlern, welche die Thür belagerten, auf seine Macht und Be-
deutung schliessen. Der Platz vor dem Hause war nicht grade sauber
gehalten, sondern wurde durch grosse Abfallgruben verunziert,
deren kothige Umgebung zu meiner Ueberraschung von verschiedenen
halbgezähmten Schweinen durchwühlt wurde, ln der Eingangshalle
zog zuerst ein grosses Ichneumon Durban arab. und Schäschi
kan. — , welches dort nach Art eines Hundes angekettet war und
meine Küsse beschnupperte, meine Aufmerksamkeit auf sich; weiter
glotzte mich eine junge, ungefesselte Hyäne mit ihren heimtückischen
Augen an, und rings herum lagerten Sclaven und in Ketten ge-
fesselte Uebelthäter. Im darauf folgenden ersten Hofe lag an einer
Kette jener prächtige afrikanische Steppenluchs (F. Caracal), welcher
gelbgrau oder isabellenfarbig mit weisser Karbe des Unterleibes,
wegen seiner langen, auf der Spitze der aufrechten dunklen Ohren
emporstehenden Haarpinsel von den Bornü-Leuten Sumoli (von Sumo,
das Ohr) und von den Schöa Abu Risch (d. h, eigentlich Vater oder
Inhaber der Kedern) genannt wird.
Hier waren Sclaven beschäftigt, einige dreissig Kameele, welche
von den Landgütern des Herrn Getreide zur Stadt gebracht hatten,
zu entlasten, und dort lagen einige riesige Büffelköpfe, Jagdtrophäen
von den Ufern des Tsäde. Eine Durchgangshalle, die von Bitt-
stellern, Sclaven und besonders eingeborenen Arabern wimmelte —
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HAUS UND UMGEBUNG LAMlNO’s. 599
denn Lamino warVerwaltungschef der meisten Schoa-Stämme — , führte
in einen andern Ilof, auf den die Thür des Audienzzimmers ging.
Hier sassen Araberchefs und die besser gekleideten, höher stehenden
Sclaven, welche mir als Kriegshauptleute des Hausherrn bezeichnet
wurden, in Gruppen am Boden. Der Lamino unterhielt eine regel-
mässige Reitermacht von etwa 1000 Mann, unter denen wenigstens
300 Panzerreiter waren, und eine Leibgarde von 40 bis 50 Reitern,
welche stets in seiner unmittelbaren Nähe waren und seine Wohnung
nur mit ihm verliessen, wenn er etwa den Scheich nach auswärts be-
gleitete oder sich nach Magommeri, der Hauptstadt seiner Verwaltungs-
bezirke und seiner Residenz ausserhalb Küka's, begab.
Durch seinen Obereunuchen Mesa’ud — der mächtige Mann ge-
stattete sich den für Bornü-Unterthanen ungewöhnlichen Luxus von
Verschnittenen — , welcher sich einer bei diesen Unglücklichen so
häufigen grossen Fettleibigkeit erfreute, wurde ich angemeldet und
eingefuhrt. Nachdem wir uns durch die wartende Menge gedrängt
hatten, betraten wir das weite, offene Audienzzimmer, in dem der
Hausherr vom Morgen bis zum Abend seine Untergebenen, Besucher
und Bittsteller empfing. Er allein von den Kökenäwa hatte die Be-
rechtigung, nicht zur täglichen Rathsversammlung im Palaste des
Scheich zu erscheinen, sondern begab sich, wenn er Etwas mit dem
letzteren zu berathen hatte, in stiller Nachmittagsstunde zu ihm,
wurde dann durch keinen der Höflinge gestört und war sicher, alle
etwa am Morgen gefassten Beschlüsse, falls sie ihm nicht genehm
waren, wieder umzustossen.
Dort sass der einflussreiche Mann, kahlköpfig, dickleibig und
etwas schmutzig, von seinen Vertrauten umgeben, auf einem Antilopen-
felle, liess mir ebenfalls ein solches hinbreiten und empfing mich mit
dem freundlichsten Lächeln. Er hatte eine röthlich-graue Hautfarbe,
trug seinen mächtigen Kopf auf einem wahren Büffelnackcn, erfreute
sich eines in jener Gegend ungewöhnlich vollen, weissen Bartes und
hatte Gliedmassen, welche an die Dickhäuter seines Vaterlandes er-
innerten. Diese physischen Eigentümlichkeiten traten um so mehr
hervor, als er in der Nachmittagskühle mit entblösstem Oberkörper,
dessen Muskulatur und Fettbedeckung mit der breiten, weissbehaarten
Brust einen bemerkenswerten Anblick boten, dasass, wie er es liebte,
wenn er hauptsächlich Vertraute empfing.
Grosse Körbe mit Ketten standen in seiner nächsten Umgebung,
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600 III. BUCH, 5. KAPITEL. EMPFANG IN KÜKA.
da er eine Art Polizeiminister war, wie schon zur Zeit Barths, der
ihn in der Thätigkeit eines solchen sehr hart beurtheilt. Diesem
Reisenden zufolge war Lamino der gewalttätigste, grausamste, herz-
loseste Schurke, der nicht aus überlegter, gerechter Strenge, sondern
einfach aus innerem Gefallen an Grausamkeiten aller Art eine Herr-
schaft des Schreckens über seine Untergebenen und über Alle, die
in seinen Machtbereich kamen, ausübte. Freilich war er in seiner
Jugend ein gewaltthätiger, gesetzloser Mann gewesen, denn es war
männiglich bekannt, dass er sich nach Art mittelalterlicher Ritter
mit Strassenrnub beschäftigt hatte, ehe der intelligente Hadsch Beschir,
der zu Barth s Zeit allmächtig beim Scheich 'Omar war, seine Fähig-
keiten erkannte und ihn in die Dienste des Königs zog. Jetzt aber
war in der Hauptstadt Alles Bewunderung für diesen so reichen, so
mächtigen, so freigebigen und so gutmiithigen Mann; er war sicher die
populärste Persönlichkeit in Pornü. Wenn er gegen die Criminalver-
brecher der Hauptstadt, über welche er mit unbeschränkter Machtvoll-
kommenheit abzuurtheilen hatte — nur die Verhängung der Todesstrafe
zu Kiika war alleiniges Vorrecht des Scheich — , eine oft grausame
Strenge entfaltete, so muss man bedenken, dass die Schwäche des
Staatsoberhauptes und der ungerechte, bestechliche Sinn der Prinzen
und Würdenträger die Zahl der Uebelthäter zu einer bedenklich grossen
machten, und dass in Folge dessen grosse Strenge, vorausgesetzt,
dass sie mit Gerechtigkeit gepaart war, zur Aufrechterhaltung der
öffentlichen Ordnung und Sicherheit ein tief gefühltes Bedürfniss war.
Wenn er oft allzu schnell mit dem Urtheil bei der Hand war, so darf
man nicht vergessen, dass ihn die Erfahrungen der eigenen Vergangen-
heit und seine grosse Kenntniss der Personen und Zustände mehr als
irgend einen Andern befähigten, ohne strenge Beweise, nach moralischer
Ueberzeugung zu urtheilen, und dass endlich seine Art zu entscheiden
dem Charakter des halbcivilisirten Landes und der oberflächlichen
Einwohner durchaus entsprach. So wie er war, war er gefürchtet
von den Uebclthätem, gehasst von den Hof-Intriguanten, geachtet
von den Leuten, welche nicht in die Oeffentlichkeit traten, geschätzt
vom Könige, verehrt von den Schoa, vergöttert von seinen Sclaven
und gesegnet von den Armen.
Seine Lieblingsbeschäftigung war offenbar nicht das Aburtheilen
der Verbrecher, sondern die sorgfältige Ueberwachung seiner Küche.
Unaufhörlich wurden ihm Speisen zur Besichtigung und Prüfung zu-
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LAMlNO.
601
getragen und blieben entweder zu seinem eigenen Gebrauche oder
kamen in Stadt und Haushalt zur Vertheilung. Seine culinarische
Thätigkcit nahm einen guten Theil des Tages in Anspruch. Er
kostete jedes Gericht, das gebracht wurde, und hatte die verschie-
densten Zuthaten in seinem Handbereich, mit denen .er eigenhändig
den Lieblingsschüsseln die letzte Würze gab. Er erging sich gern
in belehrender Beschreibung aus den einzelnen Gebieten seiner Koch-
kunst, erläuterte mit Sachkenntniss die Ingredienzien der mannich-
faltigen Mehlbreisaucen und ihre Mischungsverhältnisse und rühmte
sich, die geschicktesten Sclavinnen in dieser Beziehung aus allen
Landern zwischen Nil und Niger zu besitzen. Mächtige Körbe, mit
Hühnereiern gefüllt, standen im Hintergründe des Zimmers und rings
herum eine Sammlung von Eiern der verschiedenartigsten Wasser-
vögel von den Ufern des Tsäde. Hier waren Krüge voll Butter,
welche augenblicklich im Gebrauche waren, dort Schüsseln mit Milch
in allen Stadien und Arten, süss, gesäuert, eingedickt; Honig und
Zucker befanden sich stets in seiner Nähe; Büffelfleisch, gebratene
Hühner und Süssigkeiten wurden von Zeit zu Zeit aufgetragen, und
er verfehlte bei der Anpreisung der Gerichte nicht, als Wirth mit
gutem Beispiele voranzugehen. Als ich mich bald weigern musste,
meinen Magen mehr mit diesen ungewöhnlichen Gerichten zu be-
lasten — der Nordländer kann in dieser Hinsicht nicht vorsichtig
genug sein — , bereitete er mir sofort mit kundiger Hand ein stark
gewürztes Getränk aus Reismehl, Honig und Milch, welches seinem
Geschmacke alle Ehre machte. Wenn dieser Epikuräer auch nie-
mals ein alkoholisches Getränk angerührt haben würde, so theilte
er wenigstens nicht die hippokratische Vorliebe für gewöhnliches
Wasser.
Inmitten dieser heterogenen Thätigkeit vergass er keineswegs
seine Geschäfte, sondern, indem er eifrig seine Speisen umrührte und
würzte, ertheilte er gleichzeitig Audienzen, fertigte Bittsteller ab,
hörte Verklagte an, nahm Berichte entgegen und gab Verhaltungs-
befehle. Dazwischen erzählte er mir mit grosser Lebhaftigkeit von
der Zeit, in der Barth das Land besuchte, gedachte in treuer An-
hänglichkeit seines Herrn und Freundes, des Hadsch Beschir, und
bewahrte besonders Gerhard Rohlfs die freundlichste Erinnerung.
Er versprach mir seinen vollen Schutz, ging gleich auf meinen Plan,
die Inseln des Tsade zu besuchen, ein und fand ihn mit Hülfe eines
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602
III. BUCH, 5- KAPITEL. EMPFANG IN KCKA.
der Budduma-Häuptlinge, des Kaschella Kimme, recht wohl ausführbar.
Nur bedauerte er, dass ich zu einer Zeit ins Land gekommen sei,
in welcher das allgemeine Viehsterben eine erhebliche Beeinträch-
tigung des öffentlichen Wohlstandes zur Folge gehabt habe. Welche
Verheerungen die Lungenseuche, die vor einigen Jahren aus Westen
gekommen war, unter dem Rindvieh angerichtet hatte, bewies er
mir durch seine eigenen Verluste; von 32,000 Stück, auf welche
er vorher seinen Bestand geschätzt hatte, behauptete er kaum noch
den fünfzigsten Theil zu besitzen. Seit Kurzem sei aber auch unter
den l’ferden eine verheerende Krankheit ausgebrochen, welche ihm
kurz vor meiner Ankunft binnen drei Tagen vier der für seine Person
ausgewählten Reitpferde in der Stadt und eine grosse Anzahl auf
dem Lande fortgerafft habe.
Ich empfing einen sehr bedeutenden Eindruck von diesem Manne,
der nach dem Urtheile Aller, die ich über ihn hatte sprechen hören,
in so weit den Herrscher selbst an Macht ubertraf, als er der Einzige
war, der denselben aus seinen häufigen Verlegenheiten und seinen in
gutmüthiger Schwäche eingegangenen Verbindlichkeiten retten konnte,
und gegen dessen Rath und Meinung jener Nichts zu tliun wagte.
Fehlte dem Scheich Etwas, so war Laniino der Mann, es zu
schaffen; setzte jenen eine verwickelte politische Schwierigkeit be-
treffs seiner Vasallen oder Nachbarkönige in Verlegenheit: dieser
nahm sie auf seine Schultern und wusste sie stets mit Klugheit und
Entschiedenheit zu entwirren. Lamino war eine der wenigen Per-
sonen in Küka, denen die arabischen Kaufleute ohne besondere Vor-
sichtsmassregeln ihre Waaren verkauften, denn er zahlte baar in
Silber oder Sclaven, was er bedurfte, während sich sonst die höch-
sten Beamten nicht schämten, Handel und Wandel durch ihre Wort-
brüchigkeit langsam zu vernichten. Von den niedrigen Ränken,
welche das Hofleben in Küka charakterisirten , und von denen ich
während der kurzen Zeit, seitdem ich die Grenzen des Landes über-
schritten hatte, beständig hörte, hielt er sich offenbar fern, und wenn
alle Andern sich gegenseitig verläumdeten und herabsetzten, so
urtheiitc er zwar über Manche ebenfalls sehr hart, aber Niemand
wagte seine Reputation zu verunglimpfen.
Höchst befriedigt von meiner Bekanntschaft mit diesem Manne,
der mir für meine künftigen Reiseunternehmungen wichtiger erscheinen
musste, als der Scheich selbst, suchte ich denjenigen auf, an den
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MO’ALLIM MOHAMMED.
603
mich der Hadsch Brähim Ben Alüa besonders empfohlen hatte, den
Staats- und Geheimsecretair des Königs, Moallim Mohammed Ben
Jüsef el-Komämi, der gewöhnlich kurz Moallim Mohammed genannt
wurde und mir ebenfalls aus Barths Erzählungen bekannt war. Dieser
Herr war hauptsächlich Ausleger des religiösen Gesetzes — Sehern —
und oberster Richter, welchem Amte er nach dem Urtheile Aller
mit Rechtschaffenheit und Gewissenhaftigkeit Vorstand. Er genoss
weit und breit des Rufes hoher Gelehrsamkeit und besass eine
Bibliothek, deren Reichhaltigkeit von Chartüm bis Timbuktu ihres
Gleichen nicht hatte. Seine Unterweisungen in der theologischen
Jurisprudenz und der Grammatik führte Lernbegierige aller Sudan-
Lander nach Küka, von denen freilich nur Wenige in ihren Studien
vorgeschritten genug waren, um seinen Vorlesungen folgen zu können.
Man schrieb ihm einen weitgehenden Ehrgeiz zu, der ihn bei den
übrigen Hof- und Staatsbeamten wenig beliebt machte.
Der Mo’allim Mohammed stammte aus dem in seiner Reinheit
zweifelhaften Känembu -Stamme der KadschTti, war gleichfalls nicht
so dunkelfarbig, als Scheich Omar, und seine Erscheinung entsprach
ganz der Vorstellung, welche ich mir nach den Erzählungen Be-
kannter von ihm gemacht hatte. Er war eine hagere Persönlichkeit
mit ernstem, gefurchtem, wenig ansprechendem Gesichte und hatte
ein zurückhaltendes, pedantisches Wesen. Er war sauber und einfach
gekleidet, wie es einem Manne der Religion zusteht, trug einen
rothen Tarbüsch und sprach von der Türkei, den europäischen
Lindern, ihrer Macht, Industrie und Bildung, mit einer für seine
Verhältnisse grossen Sachkenntnis, mit welcher er seiner Umgebung
gegenüber bescheiden zu prahlen schien. Da er bei diesem ersten
Besuche nicht sehr mitthcilsam erschien, so entfernte ich .mich bald,
um meinem Hauswirthe die formelle Aufwartung zu machen.
Ahmed Ben Brähim el-Wadäwi, dessen physische Erscheinung
zu beschreiben ich schon Gelegenheit hatte, stand in so hoher Gunst
beim Scheich, dass sein Einfluss demjenigen Lamino’s und des Kron-
prinzen bisweilen mit Erfolg Concurrenz zu machen vermochte. Seine
ursprüngliche Bedeutung entsprang den grossen Diensten, welche
sein Vater, der aus Wadäi gekommen war und deshalb Brähim el-
Wadäwi hiess, dem Scheich Mohammed el-Amin bei seinen .staats-
umwälzenden Unternehmungen geleistet hatte. Derselbe war der
treueste und taplerstc Freund des „grossen Scheich" gewesen und
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604 III. BUCH, 5. KAPITEL. EMPFANG IN KÜKA.
hatte im ganzen Lande das beste Andenken als Bü Hawa (d. h. Vater
Eva's) zurückgelassen. Aber so kriegerisch, sittencinfach und treu
der Vater gewesen war, so verweichlicht, eigennützig und unzuver-
lässig war der Sohn, der sich durch die oberste Frau des Scheich
— dieselbe führt den Titel Gumso — in das Vertrauen und die
Gunst des Herrschers geschlichen hatte und seine Stellung durch
listige Schmeichelei und ränkevolle Verläumdung zu behaupten
wusste.
Ich fand den gefürchteten, aber wenig geachteten Mann im Hofe
seines Hauses die Abendkühle geniessen. Er lag auf Teppichen und
Kissen, den fetten Körper mit feinen Gewändern beladen, und war
von Sclavinnen umgeben, deren einige seine unförmlichen Beine
kneteten, während andere ihm mit Fächern Kühlung zuwehten und
alle durch lascive Gespräche seinem Gcschmacke huldigten. Die
Unterhaltung wurde durch meine Erscheinung noch besonders pikant,
da meine Ehelosigkeit der heiteren Gesellschaft manchen Stoff zu
Neckereien und schwer zu beantwortenden Fragen bot. Da bald
darauf Schüssel auf Schüssel neben sein Lager gesetzt wurde, ent-
sprach ich seinem sichtlichen Wunsche, die Abendmahlzeit allein zu
geniessen — denn er machte keine Miene, mich, wie es der Anstand
auch in Bornü erfordert, zur Theilnahmc an derselben aufzufordern — ,
und beschloss meine officiellen Visiten mit einem Besuche bei dem
Titiwi, der ebenfalls die Weststadt bewohnte.
Vor dem Hause des „Consuls der Araber ', wie ihn Schmeichler
wohl nannten, verbreiterte sich die Strasse zu einem kleinen Platze,
auf dem durch eine niedrige Lehmmauer ein reinlicher Betplatz —
Musallä — abgctheilt war. Mehr als zwanzig Personen verrichteten
grade mit Bü Äischa, der als Vorbeter — Imam — fungirte, ihr
Abendgebet, und nach Vollendung desselben machten sich Alle an
die Abendmahlzeit, welche in einer mindestens für dreissig Personen
hinreichenden Schüsselzahl bereits aufgetragen war. Ich glaubte
anfangs, dass es sich um ein besonderes Festmahl — 'Azüma arab.
— handle, wurde jedoch bald belehrt, dass der kluge Titiwi tag-
täglich offene Tafel hielt. Wenn derselbe den Kaufleuten von Tri-
polis, Fezzan und Dschalo in ihren kaufmännischen Geschäften wenig
Hilfe und Beistand gewährte, und die öffentliche Stimme ihn sogar
beschuldigte, mit den gewissenlosen Einwohnern an ihrem Ruine zu
arbeiten und sie mit berechnender Schlauheit auszusaugen, so suchte
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AHMED BEN BRAHlM. — MOHAMMED ET-TITtWt. fiÖf>
er wenigstens einen Theil der öffentlichen Meinung durch eine unge-
wöhnlich generöse Gastfreundschaft wieder zu erobern, und seine
Landsleute Hessen diese Gelegenheit, gut und billig zu schmausen, ,
nicht ungenützt vorübergehen. Fast die Hälfte der Anwesenden be-
stand aus verarmten Arabern, denen die Rückkehr in ihre Heimath
durch Mittellosigkeit abgeschnitten war — der böse Leumund be-
zeichnete sie als Opfer des Gastgebers , und welche gestandener-
massen nur der Mahlzeit wegen kamen. Da der Titiwi selbst ein
grosser Freund culinarischer Genüsse war, so fehlten leckere Weizen-
gerichte und frisches Rind- und Hammelfleisch nicht, doch wusste
er die Schüsseln so zu vertheilen, dass die Hungrigen mehr auf die
Masse der gewöhnlicheren Gerichte mit Rindfleisch angewiesen waren,
und für die Honoratioren die feineren und leichteren Speisen mit
Limmbraten und dergleichen reservirt blieben. Auch ich nahm
natürlich an dem allgemeinen Mahle Theil, ass nach Tische anstatt
des Kaffee noch eine halbe Güro-Nuss, wie sie der Hausherr an die
Distinguirteren seiner Gäste vertheilte, und kehrte spät nach Hause mit
dem Bewusstsein zurück, ein gutes Stück vom Kükaer Leben gesehen
zu haben.
In meiner Wohnung war indessen von Jedem der Herren, denen
ich meine Aufwartung gemacht hatte, das übliche Gastgeschenk
eines Schaf bockes eingelaufen, so dass ich bald einen meiner Höfe
mit diesen Thieren beleben konnte. Ueberhaupt hatte ich nicht
nöthig, an unsere Küche zu denken, die während der ersten drei
oder vier Tage ausschliesslich aus dem Palaste des Königs versehen
wurde, sondern speicherte vielmehr Vorräthe auf, welche meinen
ganzen Haushalt für einige Zeit sicherten. Am ersten Abende hatte
ein Eunuche des Herrschers eine Abendmahlzeit von etwa zehn
Schüsseln überreicht; ein zweiter war der Ueberbringer von einem
Centner Reis — Schinkafa kan. — , einem und einem halben Centncr
Weizen, zwei Centnern Duchn — Argum möro kan. — , einem grossen
Henkelkrug mit etwa fünfzehn Pfund Butter — Kindago kan. — und
zwei irdenen Krügen mit Honig — Kemägen kan. — gewesen; ein
dritter, nicht verschnittener Sclave endlich hatte zwei ungewöhnlich
schöne und fette Schafböckc gebracht.
Allerdings lasteten erhebliche Unkosten auf diesem Genüsse der
Freigebigkeit des Scheich, denn Bornü ist das gelobte Land der
Trinkgeld -Speculanten. Diese Sitte oder Unsitte ist zu einer so
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606 III. BUCH, 5- KAPITEL. EMPFANG IN KOKA.
zwingenden geworden, dass die Herren Eunuchen und sonstigen
Sciaven förmliche Taxen für Fremde und Eingeborene haben, denen
, man sich nicht entziehen kann. Ich konnte mich in dieser Beziehung
völlig auf die Erfahrung und Sachkenntnis des alten Qatrüners ver-
lassen und musste trotz der Sparsamkeit desselben dem ersten
Eunuchen vier, dem zweiten drei und dem dritten Sciaven zwei
Maria-Theresia-Thaler geben. Und dies Trinkgeld gehörte nur den-
jenigen, welche den Transport der Gegenstände überwachten; die
eigentlichen Träger hatten keinen Theil daran, waren für sich selbst
glücklicherweise viel bescheidener und begnügten sich mit kleinen
Geschenken von Handspiegeln, bunten, baumwollenen Tüchern der
schlechtesten Qualität und den unglaublich billigen steiermärkischen
Rasirmessern, welche die Sudan-Länder überfluthen.
Am Abende nach der Ueberreichung der königlichen Geschenke
erhielt ich ausser der Dijäfa noch zwei Gewänder aus der Königs-
wohnung, welche, wie jene, durch einen Eunuchen gebracht wurden,
aber nur ein Trinkgeld -Opfer von zwei Abu Teir erforderten. Das
eine der Gewänder gehörte dem Schnitte nach der Gattung Gomädschi
an und dem Muster nach der Perlhuhn-Art — Kädschi — . Ein Go-
mädschi stellt ein wirkliches Hemd dar, d. h. ist seitlich geschlossen,
hat sehr weite und sehr lange Aermel und einen runden Ausschnitt,
der grade zum Hindurchstecken des Kopfes hinreicht, ist wenig durch
Stickerei geziert und hat keine oder zwei längsgeschlitzte Taschen
vorn in halber Höhe und zu beiden Seiten der Mittellinie des Ge-
wandes. Das Perlhuhn-Muster wird dadurch erzeugt, dass die er-
wähnten Streifen — Gabag — aus abwechselnd weissen und dunkel-
blauen Fäden gewebt werden, so dass das Ganze klein karrirt oder
gesprenkelt, ähnlich der Zeichnung des Perlhuhns, erscheint. Das
zweite Gewand war dem Schnitte nach ein Tob arab. — Kulgu kan. —
und dem Muster und Stoffe nach Säki harir. Ein Kulgu unterscheidet
sich von dem Gomädschi durch einen grösseren, länglich viereckigen
Kopfausschnitt, der bis auf die Mitte der Brust herab reicht, durch
eine riesige, quergeschlitzte Tasche mit kunstreich gestickter Vorder-
wand, welche die linke Brusthälfte einnimmt, und dadurch, dass sie
seitlich offen ist, indem Vorder- und Hinterstück nur unten durch
einen schmalen Saum verbunden sind und keine wirklichen Aermel
existiren. Die Gabaga säki harir ist ebenso gemustert, wie die des
Kädschi -Gewandes, aber um einen fingerbreiten aus einheimischer
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GASTFREUNDSCHAFT DES SCHEICH.
607
rothcr Seide gewebten Streifen breiter. Beide Kleidungsstücke
kommen vornehmlich aus Nife am Niger, sind sowohl in den Haussa-
Staaten, als in Bornü, Baghirmi und Wadäi sehr geschätzt und haben
auf dem Markte von Küka je nach Güte, Stickerei und Nachfrage
einen Werth von 12 bis 25 Abu Te'ir (ungefähr 50 bis 100 Mark).
Die Gastfreundschaft des Scheich beschränkte sich jedoch nicht
auf diese Gaben, sondern auch der dritte Tag brachte mir noch
ähnliche Beweise seines Wohlwollens. Morgens vermehrte ein junger
Stier die Menge meines Schlachtviehs, am Abend kam wiederum
die gewöhnliche, reichliche Dijäfa und Nachts zwischen ein und zwei
Uhr wurde ich noch einmal geweckt, um ein hübsches, scheckiges
Pferd in Empfang zu nehmen. Meine Verwunderung über die son-
derbare Wahl der Stunde war nicht gering und verschwand erst, als
ich erfuhr, dass man bessere Pferde, die durch Verkauf oder Schenkung
in anderen Besitz übergehen, gern zur Nachtzeit transportirt, um sie
vor dem „bösen Blick" der Menschen zu sichern. Die Trinkgelder
dieses Tages durften der Sitte entsprechend noch weiter ermässigt
werden, mit Ausnahme der an das Pferd geknüpften, die zwölf Abu
Teir für einen der höchststehenden Eunuchen, den Schatzmeister
Mala — Abel el-Kerim, der in eigener Person kam, und jwei für den
Stallknecht, der das Thier geführt hatte, betrugen. Eine Sendung
endlich von zwanzig Turkedi, d. h. dunkel- indigogefärbten Frauen-
Umschlagtüchern aus Kanö, welche ebenso gut wie die Maria-
Theresia -Thalcr auf dem Markte Cours haben, zur Bestreitung der
ersten Haushaltungskostcn beendigte die Reihe der Gastfreundschafts-
beweise, welche der gütige Scheich mir für die erste Einrichtung zu
Thcil werden liess.
Meine Geschenke an die erwähnten Würdenträger fielen be-
scheidener aus, als bei der Wichtigkeit derselben und meinem Cha-
rakter als Gesandter eines mächtigen, europäischen Fürsten erwünscht
war. Ich bestimmte für den Titiwi, den Kronprinzen, den früheren
Digma, Lamino und Ahmed Ben Brahim je einen Tuchburnus, einen
tunisischen Tarbüsch, einen Rosenkranz oder ein Armband von echten
Korallen, vier bis sechs Flacons Rosenessenz, etwas aromatisches
Holz — Aud el-Aukmäri arab. — und für den Aba Bü Bekr und
I-amino noch je ein Stück Sammet zu einem Sattelüberzuge. Der
Moallim Mohammed erhielt dieselben Gegenstände, doch da mir
kein Burnus mehr zu Gebote stand, eine silberne Taschenuhr, weil
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III. BUCH, 5. KAPITEL. EMPFANG IN KÜKA.
ich voraussetzte, dass er ein Freund solcher für ihn gewissermassen
wissenschaftlicher Instrumente sein müsse. Die meisten dieser Be-
grüssungsgeschenke — Salain arab. und Koffolo kan. — überschickte
ich durch den Qatrüner Mohammed, nur die für Lamino und den
Kronprinzen bestimmten überreichte ich selbst.
Die Wohnung des Letzteren,- vor der die Menge von Reitern
und Bittstellern lautes Zeugniss von der politischen Bedeutung des
Inwohners ablegte, zeichnete sich dadurch aus, dass sein Empfangs-
raum mehr nordischen Comfort entfaltete, als die Häuser der übrigen
Vornehmen. Das grosse Zimmer war ganz mit Matten und Teppichen
belegt, und im Hintergründe sass Aba Bü Bekr selbst auf einer
teppichbelegten Matratze, umgeben und gestützt von Kissen mit
seidenen Ueberzügen und in jeder Grösse, wie die Städte-Araber es
zu lieben pflegen. Er war grösser und hagerer als sein Vater, fest
ebenso dunkelfarbig, von unedler Gesichtsbildung, grossem Munde
mit noch grösseren Zähnen und ohne den gewinnenden Ausdruck,
der das Antlitz Scheich Omar s verschönte. Doch sah er energischer
aus, als dieser und unterstützte diesen Eindruck durch eine tiefe,
raühe Stimme. Er trug verschiedenfarbige Gewänder aus Bornü und
den Haussa- Staaten, einen dunklen Tuchburnus nachlässig um die
Schultern geschlagen und den Kopf mit einem Turban geziert, wäh-
rend sonst die freien Bornü -Männer mit Vorliebe barhäuptig einher-
gehen. Seine Umgebung war eine durchaus andere, als die des
Scheich; denn ein Prinz, besonders ein Thronfolger, hat in jenen
Ländern seinen eigenen Hofstaat, mit denselben Aemtern und Würden,
wie am Hofe des Vaters, wenn dieselben auch vorläufig bis zum
Tode des letzteren ohne wirkliche Bedeutung sind. Der Empfang
war ein recht freundlicher; der Prinz sprach das Arabische, wenn
auch nicht mit der Kcnntniss seines Vaters, so doch geläufig genug
zur Unterhaltung, stellte die üblichen Fragen über die Türkei und
die europäischen Christenländer und nahm mein Koffolo, das ich ihm
mit der Bitte überreichte, dasselbe als das Geschenk, nicht meines
Königs, sondern einer bescheidenen Privatperson zu betrachten,
gnädig entgegen.
Wenn auch die beschenkten Herren nicht ganz ihren Erwartungen
entsprechend bedacht waren, so suchten sie doch ihre Beziehungen
zu mir enger und fester zu gestalten, der Eine in der Hoffnung auf
eine ergiebigere Zukunft, der Andere in dem Wunsche, mich dem
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ABA BÜ BEXR. — GERINGES EINVERNEHMEN DER WÜRDENTRÄGER. f)00
Einflüsse der Uebrigen zu entziehen. Es war charakteristisch für das
dortige rankevolle Hofleben, dass fast Alle mich alsbald vertraulich
vor ihren Collegen zu warnen und von ihrem eigenen Werthe zu über-
zeugen suchten. Der erwähnte Dunkas brachte mit der Frcundschafts-
versichcrung Lamino’s den Rath desselben, mich vor meinem Haus-
«irthe in Acht zu nehmen und wo möglich nicht einmal von den aus
seiner Küche mir etwa zukommenden Speisen Etwas zu geniessen.
Auch der frühere Digma Hess mir seine Hoffnung ausdrücken, dass
ich mich, wie es ihrer Zeit meine Vorgänger gethan hätten, in allen
meinen Angelegenheiten an ihn wenden werde, denn der Mo'allim
Mohammed sei ein versteckter Intriguant, der Titiwi ein Schurke und
Ahmed Ben Brähim eine Canaille, und man könne ihnen gegenüber
nicht vorsichtig genug sein. Sodann sprach der Mo'allim Mohammed
die Erwartung aus, dass ich ihn in allen Dingen zu Rathe ziehen werde,
beschränkte sich aber als ein gelehrter und politisch gebildeter Mann
in seiner Warnung auf die allgemeine Bemerkung, dass man in Küka
nicht vorsichtig genug in der Wahl seiner Rathgeber sein könne
und besonders den Herren vom Hofe keineswegs trauen dürfe. End-
lich beanspruchte Ahmed Ben Brähim, da der Scheich mich ganz
in seine Hände gegeben habe, das Recht, meine sämintlichen An-
gelegenheiten zu besorgen, und benützte die Gelegenheit, den früheren
Üigma einen „Hundesohn" zu schimpfen und die Uebrigen mit andern,
allerdings vorsichtigeren, Ehrentiteln zu belegen. Nur der Titiwi, als
ein fremder Eindringling in eine einflussreiche Hofstellung und in
arabischer Zurückhaltung, hüllte sich in vorsichtiges Schweigen,
zumal er mich offenbar an meinen Hausherrn vertragsmäßig zur
Ausbeutung überlassen hatte, während ihm zu eigener Nutznicssung
Bü Äischa gesichert war.
Nachdem ich in dieser Weise meine Stellung bei Hofe und in
der „Gesellschaft' begründet hatte, konnte ich daran denken, mich
mit der übrigen Umgebung, der Stadt und ihrem mannichfaltigcn
Leben genauer bekannt zu machen, und ritt zu diesem Endzwecke
— kein einigermassen auf äussere Würde haltender Mann macht
auch nur den kleinsten Weg zu Fuss — täglich aus.
Naclili|;al. L
ä't
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Sechstes Kapitel.
DIE HAUPTSTADT VON BORNU.
Nächste Umgebung der Stadt. — Die Weststadt. — Der Nachmittagsmarkt. — Die
Hauptstrasse oder Dcndal. — Die Oststadt. — Die Erdbauten. — Ihre Bedachung. —
Ihre innere Einrichtung. — Standort der Pferde. — Sorgfältige Abwartung derselben. —
Die Stroh- und Rohr-Hütten. — Verschiedene Arten derselben. — Ihre innere Ein-
richtung. — Strassenleluin. — Der vornehme Kanüri. — Frauen auf der Strasse.
— Verschiedene I landwerker. — Arme und Blinde. — Die fahrenden Schüler. —
Bevolkerungsmenge. — Mein Haus. — Kintheilung desselben. — Dienerschaft. —
Mangel an weiblicher Dienerschaft. — Giuseppe’ s Islamisiruog. — Schwierigkeit, den-
selben abzulohnen. — Hauseinrichtung. — Wildes Gcthicr. — Fremde in Kuka. — •
Reiselust der Araber und Halbaraber. — Mo’allim Adern aus Wad Ai. — Scher! f
Ahmed el -Moden!. — 'All Maltja, der Kokena.
Die nächste Umgebung der Stadt zeigt nur auf der Nordseite
die öde Einförmigkeit, welche ich zu beschreiben Gelegenheit hatte,
und selbst dort hat die Weststadt zu beiden Seiten des Weges,
welcher vom Thorc nach Norden führt, Ackerdörfer und Häuser-
gruppen, welche sich noch mehr, als die Stadt selbst, der Zierde von
vogelbelebtcn Bäumen erfreuen. Auf der West-, Nord- und Südseite,
besonders auf der letzteren, sind die Ackerdörfer und zerstreuten
1 läusergruppen sehr häufig und beleben in freundlicher Weise die
von Natur so reizlose Umgebung. Ein Garten des Scheich auf der
Nordscitc, Namens Gauangc, beweist durch die Ueppigkcit seiner
Vegetation, was selbst der sandige Boden der Ebene von Kiika bei
einiger Sorgfalt und Thätigkeit des Menschen zu leisten im Stande
ist. Der Boden der ganzen Gegend zeigt in der Oberfläche eine
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NÄCHSTE UMGEBUNG DF.R STADT. — WESTSTADT. 611
Sandschicht; auf sie folgt eine Thonlagc, unter welcher lockerer
Sandboden mit Kalk gemischt liegt, und unter diesem findet man in
einer Tiefe von 12 — 16 M. Wasser, das in manchen Gegenden der
Stadt süss, in anderen leicht brakischer Natur ist.
Am Fusse der Umschi iessungsmaucr stösst man häufig auf
mächtige Gruben, aus denen der Lehm zum Häuserbau gewonnen
wird. Ebenfalls in der nächsten Umgebung der Stadt finden sich
hier und da ausgedehnte Begräbnissplätze , welche ein lebhaftes
Zeugniss dafür ablcgcn, dass man in Bornü wenig der Todtcn
gedenkt. Die Gruben sind so oberflächlich, dass oft die Malten,
iä die man die Leichname einzuwickeln wenigstens im Volke die Ge-
wohnheit hat, mit einem Zipfel aus der Erde hervorsehen. Die
Grabhügel sind niedrig, oft kaum merklich über der Bodenober-
flache erhaben und tragen als Zierden höchstens einen Stecken mit
einigen Tuch- oder Kattun-Fetzen oder einige Topfscherben. Ohne
schützende Einfriedigung ist Alles den nächtlichen Verwüstungen der
Hyänen Preis gegeben, gegen welche die Dornenzweige, welche man
wohl auf die einzelnen Grabstätten legt, nicht genügen.
Von den beiden Städten, welche Küka zusammensetzen, ist die
westliche — Billa fütebe die grössere und bildet ein fast quadra-
tisches Viereck, dessen Seiten ziemlich genau nach den Himmels-
richtungen orientirt sind. Die Ausdehnung von West nach Ost be-
tragt etwas mehr als zwei Kilometer, während die von Nord nach
Süd dieses Maass nicht ganz erreicht. Die sie umschlicsscndc Mauer
ist durch je ein Thor in der Mitte der vier Seiten durchbrochen,
und die Hauptverkehrsader verbindet in fast grader Linie, doch in
sehr verschiedener Breite, das West- mit dem Ostthor, theilt also
die Stadt in eine nördliche und eine südliche Hälfte. Von dieser
Hauptstrasse, die man auch wohl als Dendal bezeichnet, führt
eine fast grade, sich allmählich verbreiternde Strasse zum nörd-
lichen, und eine lange, schmale Gasse zum südlichen Thore. Nahe
dem Westthore ist der Dendal platzähnlich breit und dient zur Ab-
haltung eines täglichen Marktes Durria , der seine Hauptfrequenz
in den Nachmittagsstunden hat. Solcher Märkte existiren noch
mehrere, doch dieser ist der bedeutendste und übertrifft an Lebhaf-
tigkeit fast den Wochenmarkt der Stadt Tripolis. Die alltäglichen
Bedürfnisse kann man stets auf ihm befriedigen, Getreide, Honig,
Milch, Matten, Trinkgefässc, Korbflechtereien, hölzerne Schüsseln,
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III. BUCH, 6. KAPITEL. DIE HAUPTSTADT VON BORNO.
gewöhnliche Lederarbeiten, Kleidungsstücke, Hühner, Tauben, Ziegen,
Schafe, ja nicht selten auch Last- und Reitthiere kaufen ; doch findet
man grössere Auswahl und billigere Preise auf dem grossen Wochen-
markte — Kassuku — , der ausserhalb der Stadt vor dem Westthore
an jedem Montage abgehalten wird und der Hauptstadt ein hervor-
ragendes Interesse verleiht.
Die Erdhäuser zu beiden Seiten des Dendal sind niedrig und
unansehnlich, haben aber oft eine enorme Flächenausdehnung. Folgt
man dem Dendal nach Osten, so gelangt man am Ende seines
ersten Drittels auf eine platzähnliche Erweiterung desselben, deren
nordöstlicher Theil von der Wohnung des Scheich in der Weststadt
und einer daran stossenden Moschee eingenommen wird, und in deren
südwestlicher Ecke das Haus Ahmed Ben Brähims liegt. Durch
Moschee und Palast wird der Dendal eng eingeschnürt, gewinnt dann
östlich von jenen eine mittlere Breite und bewahrt dieselbe bis zum
östlichen Thore. Neben dem Dendal existiren nur wenige regel-
mässig gebildete, grade Strassen. Die zahlreichen Verkehrswege sind
vielmehr gewundene Pfade, welche wie durch die Anlage der Häuser
zufällig entstanden erscheinen und dem Ganzen einen Charakter der
Regellosigkeit geben, der nicht ohne Reiz für den Fremdling ist.
Verlasst man die Weststadt durch das östliche Thor, so betritt inan
den zwischen den Schwesterstädten gelegenen, mehr als ein Kilo-
meter breiten Raum und nähert sich auf einem sandigen, mehrere hun-
dert Schritt breiten Wege, der zu beiden Seiten noch planloser an-
gelegte Stadttheile und Häusergruppen zeigt, als zuvor der Fall war,
der Oststadt.
Diese — Billa gedibe — hat eine regelmässige, derjenigen der
Weststadt ähnliche Gestalt, ist jedoch etwas länger und schmäler,
als diese, und hat zwei Westthore, zwei Ostthore und zwei Südthore.
Der Dendal ist hier von enormer Breitenausdehnung, viel breiter,
als in der Weststadt, durchschneidet aber nicht die ganze Stadt,
sondern hört am Ende des zweiten Drittels ihrer Langenausdehnung
mit dem eigentlichen Königspalastc und der vor diesem liegenden
Moschee auf.
In der Oststadt, welche von fast allen in unmittelbarer Be-
ziehung zum Hofe stehenden Personen bewohnt wird, wenn dieselben
nicht fremden Ursprungs sind, walten im Ganzen die Erdhäuser noch
mehr vor, als in der Weststadt, in der, wrie erwähnt, die Masse des
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PLAN VON KßKA.
613
i. Haus Dr. Nachtigall.
l Haus Ali Malija’s. 3. Haus
Mohammed Titiwt’s. 4. Haus
Mohammed Bü Äischas.
> Palast des Scheich in
1« Weststadt mit Moschee.
6. Haus des Schertf Ahmed
d-Medeni. 7. Das frühere
Chnstcnhaus. 8. Haus Mo'-
“Him Mohammed’s. 9. Haus
Umtno’s. 10. Haus Aba
Bä Kekr’s. 1 1 . I laus Aba
fbscbeml’s. 12. Haus Aba
BrihWs. 13. Haus Al>a
Majtafa’s. 14. Moschee der
(,5t3tadt. 15. Palast des
'dicich in der Oststadt.
*6. Gartenhaus des Scheich.
Garten if. Scheich
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014
m. huch, 6. kapitel. niK. Hauptstadt von bornü.
Volkes und die Fremden leben. Doch auch in dieser erblickt rnan
an den Hauptverkehrswegen vornehmlich nackte, graue, fensterlose
Thonmauern, und dieser Anblick würde ein höchst monotoner sein,
wenn nicht hier und da eine Ausbuchtung oder Erweiterung der
Strasse durch einen schattenreichen feigenähnlichen Baum mit seinem
dunkeln Grün, eine schlanke Kurna, einen riesenhaften Aftenbrod-
baum oder einen ästereichen 1 fedschlidsch geziert wäre. Der sand-
gemischte Thonboden der Ebene von Küka hat nur eine geringe .
Widerstandsfähigkeit gegen den Regen, so dass die aus ihr aufge-
führten Häuser in der entsprechenden Jahreszeit ein Aufenthalt be-
ständiger Furcht und unaufhörlicher Ausbesserung sind. Jeder Regen-
guss — und es kommen deren recht starke vor — wäscht einen
Theil der platten Bedachung und der Wände hinweg, und besonders
jene muss sehr sorgfältig hergestellt und überwacht werden. Die
innere Anordnung dieser Häuser ähnelt zwar der in Fczzän üblichen,
ist jedoch einerseits weniger complicirt, andererseits grossartiger
durch die Ausdehnung der cingcschlossencn Räume. Während dort
verschiedene Zimmer und Gänge und nicht selten ein oberes Stock-
werk ein complicirtes Ganzes bilden und die Hofräume klein sind,
walten die letzteren in den Erdbehausungen Bornü’ s auf Kosten der
Wohnräumc vor. Gewöhnlich ist die ganze innerhalb der Um-
schliessungsmauer gelegene Stätte in verschiedene Höfe gcthcilt, in
denen Strohhütten und einige wenige würfelförmige Erdhäuscr stehen,
die gewöhnlich nur ein Zimmer, höchstens mit einem daranstossenden
Kämmerchen enthalten, so dass oft drei Viertheile des ganzen
Etablissements auf 1 lofräumc und unbedachte Abtheilungen kommen.
ln den aus Erde gebauten Wohnhäusern — Söro kan. (viel-
leicht von dem ursprünglich persischen Worte ScraT, der Palast)
— liegen den Seitenwänden, die meist von ansehnlicher Dicke
sind, einige roh behauene Längsbalken auf, welche kürzeren und
schwächeren Querhölzern zur Stütze dienen. Die letzteren sind
so zahlreich, dass sie nur Zwischenräume von etwa zwei Fuss
zwischen sich lassen, und diese sind durch entsprechend lange,
cylindrische , dicht neben einander gelagerte Stücke eines leichten
Holzes — gewöhnlich des Oschar — von mchrzölligem Durch-
messer ausgefüllt. Auf dies Holzgerüst des Daches wird die mit
Wasser ungerührte Thonerde, gemischt mit Kies, Häcksel und Mist,
in dicker Schicht aufgetragen. Sind die Zimmer einigermassen
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HAUSER AUS THONERDE.
615
gross, so stützt wohl in ihrer Mitte eine mächtige, viereckige Säule
das schwere Dach.
Da die Querstangen und Zwischenhölzchen fast stets in ihrer
Gestaltung von der graden Linie abweichen, sich also selten in ihrer
ganzen Lange berühren, so ist es begreiflich, dass, wenn nicht eine
dicke Erdschicht auf ihnen ruht, und diese nicht stets in ihrer Ober-
fläche glatt und leicht gewölbt gehalten wird, der Regen bald seinen
Weg in die Zimmer findet. Sind, wie in den Wohnungen der
Reicheren, die Zwischenhölzchen durch Matten aus Dümpalmen-
gestrüpp ersetzt, welche durch Berührung mit Wasser besonders
dicht werden, so ist das ganze Dach sowohl leichter, als auch besser
geeignet, den Regen abzuhalten. In der trockenen Jahreszeit spaltet
und klüftet sich die Erde des Daches unter dem Einflüsse der Sonne
nach allen Richtungen, so dass im Beginne der Regenzeit eine gründ
liehe Untersuchung und Ausbesserung vorgenommen werden muss.
Trotzdem werden die Wohnräume oft genug überschwemmt, und der
Vorsichtige packt bei einem heftigen Regen seine Habe in nordische
Kisten oder landeseigenthümliche Ledersacke.
Wenn die Erdhäuser den Vorzug vor den Stroh- oder Rohrhütten
haben, geräumiger und in der heissen Jahreszeit kühler zu sein, so
zeichnen sie sich andererseits unvortheilhaft vor den letzteren durch
eine ungemüthliche Nacktheit aus. Das zierlich aufgestapelte Ilaus-
gerath bleibt den Strohhütten der Frauen Vorbehalten, und selbst
das übrige Besitzthum des Hausherrn befindet sich meist im Ge-
wahrsam der letzteren oder in kleinen Nebenkammern. Nur wenn
derselbe durch seinen Verkehr mit nordischen Kaufleuten in den Be-
sitz von verschlicssbaren Kisten — Sandüq arab. — gekommen ist,
in denen er seine besseren Kleidungsstücke, Schmucksachen, ein
arabisches Buch oder baares Geld verwahren kann, so setzt er die-
selben'wohl in sein Emgfangszimmer und bringt sie in Sicherheit vor
Termiten und anderen Ameisen auf rohgearbeiteten Mulden —
Kuzzera — , die von vier plumpen, divergirenden Füssen getragen
werden.
Das einzige Möbel, das selten in einem Wohnzimmer fehlt, ist
eine breite Bank mit seitlichen Wänden anstatt der Füsse, welche aus
den Brettern des leichten Phogu-l Iolzes (Ambadschr), das auf den Ufern
und Inseln des Tsäde wächst, verfertigt wird und, mit Matten und Tep-
pichen bedeckt, als Lagerstätte dient. Sonst erblickt man nur nackte
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616 IH. BUCH, 6. KAPITEI.. DTE HAUPTSTADT VON BORNÜ.
Wände, und im besten Falle bedecken gröbere oder feinere Matten
den Fussboden. Die letzteren sind besonders bei den nordischen Frem-
den beliebt, während selbst bei den vornehmeren Eingeborenen der
Fussboden, wenn auch sauber und geglättet, so doch nackt zu sein
pflegt. Nur der Hausherr sitzt auf einer Matte, einem Antilopenfell
oder einem nordischen Teppich, diese Unterlage höchstens solchen Be-
suchern überlassend, welche ihm unzweifelhaft an Rang überlegen
sind. Ausser diesen wenigen häuslichen Utensilien findet man zuweilen
noch eine mit Füssen versehene Stange von zwei bis drei Meter
Länge — Aragäja — , von welcher oben einige Arme ausgehen,
die geeignet sind, eine Schüssel aufzunchmen, um ihren Inhalt
(irgend ein Lieblingsgericht, das man aufzubewahren wünscht) vor
den zahlreichen Ratten sicher zu stellen. Gegen die besonders nach
der Regenzeit in wahrhaft unglaublicher Weise Ueberhand nehmenden
Ameisen genügt diese Vorsichtsmassrcgcl nicht, und man nimmt seine
Zuflucht zu Stricken, welche, an den Querhölzern der Bedachung
befestigt und frei herabhängend, unten geflochtene Ringe zur Auf-
nahme von Schüsseln und Schalen haben; doch auch dieses Mittel
erweist sich nur in beschränktem Masse zureichend.
In den Wohnungen der Grossen des Landes, welche oft ein
Areal bedecken, wie es bei uns ein Haus mit Blumen- und Gemüse-
garten innc hat das Ganze heisst Fato, entsprechend dem arabischen
llausch — , dienen die äusseren Höfe zum Aufenthalte für die männ-
lichen Sclaven, während sich in den inneren die Hütten der F rauen
und Sclavinncn befinden. In einem der Aussenhöfc bildet der sorg-
fältig gegen den „bösen Blick" abgeschlossene Pferdehof — Muli —
unter der Aufsicht eines Sclaven, des sogenannten Mülima, eine Ab-
theilung, welche durch ihre grosse Sauberkeit und musterhafte Ord-
nung bemerkenswerth ist.
Die Pferde — Fir pl. firwa — Bornü's sind nach Leo Africanus
von der Nordküstc eingeführt und zwar wahrscheinlich vor nahezu
800 Jahren. Sic sind in der Mehrzahl von der Höhe der arabischen
Pferde, übertreffen dieselbe kaum jemals, bleiben aber nicht selten
unter derselben. Sie zeichnen sich durch feine Gliedmassen und
grosse Lebhaftigkeit aus, werden aber an schönen Formen von den
arabischen übertroffen. Die Rasse hat sich ausgezeichnet acclimatisirt,
denn die Nachbarländer Baghirmi und Wadai erhalten ihren Pferde-
bestand nur aus dem Ueberflusse Bornü’s aufrecht. Auch hier sind es
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ZUCHT UNO PFI.EOE OER PFF.ROF.. 017
vorzüglich die arabischen Stamme , welche sich um die Zucht ver-
dient machen, und in zweiter Linie merkwürdiger Weise die Tubu,
in deren heimathlichen Sitzen doch das l’ferd kaum vorkommt.
In dem Muli stehen die Thierc, das Gelenk eines Vorderfusses
durch einen meterlangen, starken Strick an einem seitlich eingc-
rammten Pfahle — Dateram — befestigt, auf einer dicken Lage Sandes
anstatt unserer Streu. Wenn sie besonders feurig und unbändig sind,
so fesselt man das Qelenk des andern Vorderfusses durch einen älm-
lichen Strick an den entsprechenden Hintcrfuss. Der Sand wird
täglich frisch aufgeschüttet, gilt als unerlässlich für das Gedeihen der
Thiere und wird so sauber gehalten, dass ein Sclav unmittelbar nacli
jeder Verunreinigung desselben durch das Pferd den betroffenen
Thcil entfernt und durch frischen Sand ersetzt. Das trockene Gras —
Kädschim — wird den Thieren beständig in kleinen Quantitäten
dargeboten; Grünfutter erhalten sic nur im Anfänge der Regenzeit
als erfrischend und blutreinigend. Das Futterkorn — Duchn und
hier und da Durra — wird Morgens und Abends verabfolgt, gewöhn-
lich in Futtersäckchen — Mucheläja arab. und N göre ge kan. — doch
auch in Vorgesetzten Gefässcn, und in vielen Häusern der Reicheren
fand ich es üblich, dasselbe während des ganzen Tages den Thieren
zu freier, unbeschränkter Verfügung zu stellen. Für die edlern Pferde
errichtet man wohl ein schützendes Schatten- und Regendach.
Wenn auch die beschriebenen Erdbehausungen durch das nackte,
graue, schmucklose Acussere grade keinen freundlichen Eindruck
machen, so haben doch die Bornü-Leute im Ganzen viel Sinn für ge-
muthliche Häuslichkeit und zierliche Anordnung, und dieser findet be-
sonders in den Stroh- oder Rohrwohnungen — Ngim pl. ngirnwa —
seinen Ausdruck. Diese bestehen aus einer i •/* bis 2 */a M. hohen
Umfriedigung aus dem oft erwähnten groben Mattenwerke Siggedi
und je nach den Vermögensverhältnissen des Besitzers aus einer,
zwei oder mehreren Hütten in dem sauber gehaltenen, oft sorgfältig
geebneten und geglätteten Hofraume.
Die Hütten sind verschieden in Form und Grösse. Die Form
der gewöhnlichsten und einfachsten Art hält sich zwischen der
Zuckerhut- und Glockenform, und wird in der Weise hergestellt, dass
man ein entsprechend gestaltetes Skelett aus Baumzweigen mit Stroh-
oder Rohrgeflecht umkleidet. Die besseren und geräumigeren Hütten
hingegen haben einen grade aufstrebenden, etwa 1 */* M. hohen, kreis-
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III. BUCH, 6. KAPITEL. DIE HAUPTSTADT VON BORNÜ.
G18
runden Unterbau, der entweder aus einer Erdmaucr besteht oder von
einer aussen mit Siggcdi oder Rohr umgebenen Reihe starker Pfahle
gebildet wird und das glockenförmige Dach trägt. Je grösser die
1 bitte und je schwerer das Dach, desto erwünschter ist die Her-
stellung des Unterbaues aus Erde. Bei den sorgfältigeren und
solideren Constructionen besteht das Dach nicht aus dem einfachen
Siggedi-Flcchtwerk, sondern aus dicken Lagen eng zusammengefügter
Strohbündel, und schützt dann sehr viel besser gegen den Regen
als die Erdhäuser. Der Schutz dagegen, den die 1 lütten, deren ganze
Bekleidung in einfachem Siggedi besteht, verleihen können, ist be-
greiflicherweise ein sehr unzureichender. Die Grösse dieser Hütten
unterliegt grossen Schwankungen; der mittlere Durchmesser mag
3 bis 4 M. betragen, doch die Hütten der Vornehmen erreichen
nicht selten einen solchen von 6 M. und mehr.
Aussen tragen die meisten auf der lang ausgezogenen Spitze
als Zierde ein bis vier Strausscneicr, welche nach Barth’s Er-
kundigungen den Inwohnerinnen Fruchtbarkeit sichern sollen. Um
Körper und Dach der Hütte schlingt eine der zahlreichen Kürbis-
arten jener Gegend ihre grossen Blätter, oder ein anderes Ranken-
gewächs spinnt sie allmählich in sein freundliches Grün. Die i bis
i ’/jj M. hohen Thüröffnungen werden von einer dicken, dach-
förmig zugesclmittenen Strohlage zum Schutze gegen den Regen
überragt und mit Vorhängcthüren geschlossen, welche nach Art
unserer Holzjalousicn aus lose vereinigten Rohrhalmen bestehen, deren
Zwischenräume den Insassen den Blick nach Aussen gestatten, aber
jeden indiscreten Einblick in den dunkleren Innenraum von aussen
her unmöglich machen.
Im Innern der besseren Frauenhütten läuft rings an der Wand
herum eine Erdbank von etwa einem halben Meter Höhe und ungefähr
derselben Breite, welche theils zum Sitzen, theils zur Aufstellung der
häuslichen Utensilien dient. Je nach den Mitteln der Eigenthümer sind
die letzteren in verschiedenem Grade mannichfaltig und schön, doch fast
durchgehends sauber gehalten. Da sind Trinkgefasse, sorgfältig aus
Kiirbisschalcn gearbeitet, innen lackirt, aussen mit gefälligen linearen
Verzierungen in gelber, rother, schwarzer Farbe versehen, von der
Grösse solcher, deren Inhalt zur Tränkung eines Pferdes hinreicht,
bis zu den kleinsten Näpfchen, wie sie als Schöpflöffel verwendet
werden. Eine Schale steckt in der andern, so dass sie eine sich
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STROHREItAUSUNGEN.
019
nach oben verjüngende Säule bilden, deren Sockel ein Körbchen
darstellt, in dem die unterste Schale ihren Halt findet. • Von diesen
Untersatz-Körbchcn hat man ebenfalls in guten Haushaltungen zahl-
lose in verschiedenster Grösse und Güte.
Neben den Kürbisschalen als Gcfässen zur Aufnahme von Flüssig-
keiten findet sich eine ähnliche Säule von Essschüsseln, die, aus
hartem Holz geschnitzt, schwarz gebeizt und ähnlich in der Form,
aber verschieden in der Grösse, ebenfalls mit Untersatz -Körbchen
versehen sind oder auf drei oder vier kurzen Füssen ruhen.
Dazwischen prangen Korbdeckcl aus buntgefärbtem Stroh oder
aus Streifchcn der Dümblätter in den verschiedenartigsten und ge-
schmackvollsten Mustern, dicht und solide geflochten, doch in dieser
Beziehung weit hinter denen aus Dar För zurückstehend, ihre
schwach convexe Aussenfläche ist nicht selten mit Kauri -Muscheln
oder europäischen Glasperlen eigenartig verziert.
Auch europäische Gefässc von Kupfer und Messing, Kochtöpfe,
Waschschüsseln und Kannen , blank gescheuert und gefällig auf-
gestellt, fehlen in den Haushaltungen der Wohlhabenden nicht.
Sogar Porzellan, das merkwürdiger Weise, obgleich sehr unter-
geordnetes europäisches Fabrikat, den arabischen Namen des chine-
sischen — Sini — fuhrt, findet nicht selten unzerbrochen seinen Weg
nach Bornü und bleibt in den Händen der Bewohner zuweilen intact,
so lange cs als Wohnungszierde dient.
Vor der Thür, im Schatten und Luftzuge, stehen die umfang-
reichen Wasserkrüge aus gebranntem Thon ; daneben ist der Feuer-
platz, und ein auf schlankem Stangengerüst errichtetes leichtes Schattcn-
dach, unter dem der Aufenthalt demjenigen im hochtcmperirtcn Innern
der Hütte bei weitem vorzuziehen ist. In der Ecke des Hofes be-
findet sich häufig zu ebener Erde ein niedriges rcchtwinkeliges Tauben-
häuschen aus Lehm, zuweilen in mehreren Etagen, mit Reihen von
runden Eingangsöffnungen für die Thierchen. Das anmuthige Bild
wird vervollständigt durch einen oder mehr schattige Bäume, die fast
keinem Hofraum fehlen und die Stadt aus der Ferne als lichten Wald
erscheinen lassen. Leider bevölkern sich diese schönsten Zierden
der Wohnungen oft so bedenklich mit dunkelfarbigen Störchen,
Reihern, Weber- und kleinen Singvögeln, deren heiteres Leben
zu stören die Pietät verbietet, dass der Mensch sich des Baum-
schattens nicht erfreuen kann, ohne empfindlich durch die rege Ver-
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III. HUCH, 6. KAPITEL. DIE HAUPTSTADT VON RORNÜ.
620
dauung der beweglichen Thierchen zu leiden. Nur die feigenartigen
Baume werden fast immer von ihnen verschmäht, während der
Iledschlidsch sich ihrer besonderen Gunst erfreut und oft zwanzig,
fünfzig, selbst hundert und mehr Nester trägt. Man sicht Räume in
Küka derartig mit Nestern überladen, dass sie buchstäblich langsam
ersticken und absterben.
Das öffentliche Leben der Stadt conccntrirt sich hauptsächlich
auf den Dcndal, an dessen westlichem Endpunkte der Marktplatz den
thätigen Thcil der Bevölkerung lockt, während im Osten der Königs-
palast den Zielpunkt aller Ehrgeizigen und spcculircnden Nichts-
thuer bildet. Spazierritte durch diese Hauptverkehrsader waren stets
für mich von neuem, fesselndem Interesse, und enthüllten ein Leben
von solcher Mannichfaltigkeit und selbst Grossartigkeit, wie es ein
Europäer mit der Vorstellung von einer Negerstadt kaum zu ver-
binden vermag. Selbst die Folgen der begonnenen Regenzeit, die
seeartigen Wasseransammlungen und ihre kothige Umgebung, ver-
mochten das rege Treiben nur wenig zu stören. Männer und Frauen,
Freie und Sclaven, Einheimische und Fremde, Geschäftige und Müssige
durchwateten die Wassertümpel des westlichen Dendal, nackte Kinder
beiderlei Geschlechts tummelten sich vergnügt in denselben herum,
und eingeborene und fremde Reiter, oft auf bemerkenswert!! hübschen,
mit Zierrathen und Amulcten behängten Pferden, durcheilten die
breite Strasse und überschütteten die harmlosen Fussgänger mit dem
durchwühltcn, nichts weniger als klaren Wasser. Dabei hatte man
zuweilen von der Höhe des Sattels einen interessanten Blick über
die Strohzäune hinweg in das häusliche Treiben der Leute, auf die
müssigen oder nähenden Männer unter dem Schattendache, die
kochenden oder getrcidcmahlenden Frauen, die spielenden, nackten
Kinder, die freundlich herüber wiehernden Pferde.
Gegen das Ostende der westlichen Stadt steigt der Boden etwas
an und bleibt vom stehenden Wasser verschont, so dass man hier
mit mehr Müsse die Umgebung zu mustern vermag. Freie Männer,
stets mit unbedecktem und glatt geschorenem Haupte, wenn sic
nicht fremden Ursprungs sind, ziehen dort durch die alfectirte Würde,
die eitle Ostentation, mit der sic einherwandeln, die Aufmerksamkeit
des Fremden auf sich. Die Städtebewohner, der wohlsituirtc Kanüri
und Känenima (Sing, von Künembu) und der einflussreiche Sclav
eines angesehenen Hauses, behängen sich gern mit Kleidungsstücken,
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(S. 620.)
STR ASSEN LEHEN.
621
deren Anzahl im schreienden Widerspruche zu der gewöhnlich
herrschenden Temperatur steht. Zwei, drei oder vier Gewänder, deren
jedes, der soliden Manufactur entsprechend, ein ansehnliches Gewicht
hat, sind den Bewohnern der Hauptstadt keine Last, sondern ein
Stolz, ein Vergnügen. Erblickt man zufällig, was allerdings selten
genug der Fall ist, einen Reichen zu Fuss, so begreift man, dass die
Last seiner Kleider ihn zu dem würdevollen Gange zwingt, der ihm
Gewohnheit geworden ist. Weite Beinkleider, womöglich von gold
und seidebenähtem Tuch, in denen sich drei europäische Extremi-
tätenpaare verlieren würden, fallen bis auf die Füssc herab und
nöthigen ihm die breitspurige Gangart auf, welche seiner Eitelkeit
so zusagt. Ueber die weiten Gewänder aus Bornü oder Haussa hängt
er einen oder zwei Tuchburnusse aus Tripolis, sorgfältig darauf achtend,
dass die Goldstickerei und der buntfarbige Seidenbesatz im Innern
derselben dem Auge der Vorübergehenden nicht verloren gehe. Auf
diese Weise werden die Vornehmen zu kolossalen Maschinen, die
mühsam von ihren Dienern auf die l’fcrdc gehoben werden. Mit
der Körperfülle, welche ihnen Klima und Lebensweise selten ver-
sagen, fühlen sie sich ganz und gar als bcncidenswerthc Persönlich-
keiten, wenn sie auf schnellem Passgänger, dessen Hals und Kopf
in bunten Troddeln und Halsbändern aus Wolle und Tuch, in Lcder-
kapseln mit heiligen Sprüchen und in dem erwähnten Stirnschmuck
aus Messing in getriebener Arbeit prangen, gefolgt von trabenden
Sclavcn, zum Königspalast eilen.
Das sind die Günstlinge der Neuzeit. Daneben wandelt wohl
hier und da ein Greis, in ein grobes, weisses Gewand gekleidet, den
Kopf sauber rasirt, mit bescheidener Würde einher, durch einen
langen, schweren Stab mit olivenförmiger Endanschwellung — Mbäre
als ein Edelmann gekennzeichnet, dessen Vorfahren zu den
Grossen des Reiches unter der früheren Dynastie zählten. Diese
Repräsentanten der edlen Kanüri-Familien werden vom Scheich Omar,
der jetzt zu fest in der Liebe des Volkes wurzelt, als dass er die
Erinnerungen an die früheren Zeiten noch fürchten sollte, gewisser-
massen ernannt und mit dem Mbäre belehnt, ohne dass freilich diese
Würde irgend welche Emolumente mit sich bringt. Ihre aristokratische
Herkunft wird ihnen gewissermassen von dem Herrscher bezeugt durch
die Verleihung des historischen Stabes, der früher von den Aeltcsten
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622 III. BUCH, 6. KAPITEL. DIE HAUPTSTADT VON BORN'C.
des Volkes edler Herkunft geführt wurde und denselben das Amt
von Uebcrwachern der öffentlichen guten Sitte verlieh.
Ein scharfer Unterschied trennt diese echten Vertreter ihres
Landes von jenem tripolitanischen Kaufmann, der stolz auf dem
höheren, nordischen Pferde, in rothem Tarbüsch und arabischer
Tracht seine Umgebung überragt, oder von jenem Wüstenbewohner,
der sich durch seinen Kopfshaw] und durch den Nase und Mund
verhüllenden Litäm kenntlich macht.
Die nicht arbeitenden Frauen und Mädchen schlendern mit Vor-
liebe auf den Strassen herum", um ihre Reize zu zeigen. Um die
Hüften ist der übliche Shawl so geschlungen, dass er zwischen den
Füssen durch in Form einer langen Schleppe den Boden fegt, wenn
dieser einigermassen trocken ist. Ein kurzes Hemdchen, weiss
oder blau, mit bunter Seide von oben bis unten in eigentümlichen
Mustern gestickt, umhüllt die Schultern und reicht bis auf die Mitte
des Oberschenkels. Oft fehlt dasselbe und dann wird ein Shawl
nachlässig so um den Oberkörper geschlungen , dass wo möglich
eine Schulter und eine Brust frei bleibt. Auf dem Hinterkopfe ziert
ein halbmondförmiger Silberschmuck — Tümmcr — das sorgfältig
in zahllose kurze Flcchtchen geordnete Haar, und ein Stückchen
Edelkoralle prangt im rechten Nasenflügel. So stolzirt die Schöne,
hüftenwiegend, schultcrdrehend einher, schleudert herausfordernde
Blicke nach allen Seiten und zeigt bei lautem Lachen und Schwatzen
die durch Gorgo (Pulver, in dem der Tabak und die Guro-Nuss vor-
waltcn) braungefärbten Zähne.
Neben den herumschlcndernden Koketten und schwerfälligen
Müssiggängern fehlen auch die Vertreter der Arbeiter nicht, denn
das leichter bewegliche niedere Bornü-Volk schafft im Ganzen viel.
Die tiefen durch ein Dorngehcgc eingefriedigten Brunnen sind be-
lagert von Frauen und Mädchen, die, schwatzend und Neuigkeiten
austauschend, ihre grossen Thonkrüge füllen und auf den Köpfen
nach Hause tragen. Es ist erstaunlich, mit welcher Kraft und Ge-
schicklichkeit selbst zehn oder zwölfjährige Mädchen die Last der
oft 20 Liter haltenden Gcfasse balancircn. — Arbeitende ScJaven,
welche das Gewand bei Seite gelegt haben und nur ein Schurzfell
tragen, sind unter einem Baumeister in F>dc — Katima — (von Kati,
die Erde) oder Kati tandoma (etwa Meister in Erde) — oder auch
unter einem sachverständigen Aufseher beschäftigt , die eingestürzte
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STRASSENLEBEN.
623
Mauer der Wohnung ihres Herrn wieder aufzurichten; oder ein be-
scheidener situirter Mann baut mit Hülfe eines sachverständigen Nach-
barn seine einfache Strohhütte oder lässt durch einen professionellen
Ngimma oder Ngim tandöma eine solche grösser und sorgfältiger
herstellen. In der Vorhalle eines Hauses hat ein Eiementarlehrer
seine Schule — Mägärendi — eingerichtet und plärrt seinen Schülern
gedankenlos die Verse des heiligen Buches vor, oder ein l’rivat-
gelehrtcr, .halblaut aus vergilbten Blättern lesend und mechanisch
die Perlen des Rosenkranzes durch die Finger gleiten lassend, för-
dert still sein Wissen und sein Seelenheil oder durchwandclt, ohne
seine Thätigkeit zu unterbrechen, pharisäisch prahlend die Strassen.
Hier erschallt aus der Werkstatt eines Färbers — Alinma
das Walken und Klopfen der gefärbten Gewänder; dort hämmert ein
Schmied — Kägilma — die nothwendigsten eisernen Geräthschaften,
Waffen und landwirtschaftliche Instrumente, oder verwandelt harte
Thalcr — Gurs — in Fingerringe, Arm- und Fussspangen und andern
Silberschmuck der Frauen.
Vor der Thür spinnt eine Hausfrau die gereinigte Baumwolle
mit der Hand zu Fäden, welche der Weber — Sagäma — zu langen,
schmalen Streifen verarbeitet, während der Schneider Kindütöma
oder Libräma (Mann der Nadel) — dieselben zu Toben vereinigt.
Diese Zweige der häuslichen Industrie sind zwar männiglich bekannt
und werden vielfach in den Familien von Sclavcn und Freien geübt,
doch der Luxus der Residenzstadt verlangt künstlerische Ausfüh-
rung, und die mannichfachen Anforderungen der zahlreichen Ein-
wohnerschaft haben zur Arbeitsteilung gezwungen; so haben sich
allmählich professionelle Vertreter dieser Handwerke hcrausgebildet.
Ebenso verhält es sich mit der Mattenflechterei, die bei dem starken
Consum nicht mehr der häuslichen Industrie allein Vorbehalten
bleiben konnte, und man sieht den Büschima (von Büschi, die Matte)
in der Süqei'fa (Vorhalle) seines Hauses, umgeben von Blattstreifen
des Dümgestrüpps und von roth, gelb und schwarz gefärbten Blatt-
und Baststreifchen, seiner Kunst obliegen.
An einer trockenen Stelle der Strasse hat eine Geschäftsfrau
aus vier Stangen und einer darüber gelegten Matte eine Bude im-
provisirt und bietet frische und geröstete Erdnüsse, einige Datteln
und Güro- Nüsse und kleine Kuchen aus Duchn mit Honig feil. In
ebenso primitiven Werkstätten stellt der Lederarbeiter seine Erzeug-
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624
III. BUCH, 6. KAPITEL. DIE HAUPTSTADT VON BORNÜ.
nisse aus, und durch die offene Thür eines Hofraumes gewinnt man
einen oberflächlichen Blick auf die Thätigkeit eines Schreiners, der
ein seinen unvollkommenen Instrumenten entsprechendes beschränktes
Feld der Thätigkeit hat, eines Sattlers, d. h. Verfertigers der höl-
zernen Sattclgestelle, oder eines Töpfers, der neben einer Thon-
grube, welcher er sein Material entnimmt, seinen Wohnsitz aufge-
schlagen hat.
Während diese Handwerker still an Ort und Stelle schaffen,
durchzieht der Barbier — Wanzamma durch schrilles Pfeifen die
Kunden anlockend, die Stadt, wird hier in ein Haus zur Ausübung
seiner Kunst gerufen, oder hockt dort auf der Strasse nieder und
bearbeitet die Köpfe vor ihm knieender Männer und Frauen mit den
beliebten steiermärkischen Rasirmesscrn, oder schröpft hülfsbcdiirftige
Personen kunstgerecht am Hinterkopf, indem er die Einschnitte mit
dem Messer macht und konische Schröpfköpfe aus Horn, die an der
Spitze durchbohrt sind, ansaugt und dann mit Wachs vcrschliesst.
Laut gehen die Milchfrauen ihrem Geschäfte nach und rufen,
Gefässe mit frischer und saurer Milch auf den Köpfen und in den
Händen, — wie überall, möglichst unverständlich — , ihre Waare aus:
Kiain (Milch)! Kiam killi (frische Milch)! Fula (frische Butter)!
Dazwischen durchreiten Pferdemakler die Hauptstrasse und
suchen bald durch Caprioien das Feuer der Thiere, bald durch
schnellen Passgang ihre Brauchbarkeit zu beweisen. Kleine Kara-
wanen von Packpferden, Eseln und Ochsen bringen getrocknete
Fische vom Tsad-See, Güro-Nusse, Gewänder und Leder von Kano,
gefärbte Bornii- Toben aus der Provinz Kölöko oder fuhren Bilma-
Salz, Natron oder Manufacturgegenstände der Hauptstadt in die
Provinzen.
Vor den Häusern der Grossen halten Kaineel- oder Ochsenkara-
wanen, welche von den Landgütern den Hausbedarf an Getreide in
die Stadt bringen, oder Stämme und Ortschaften senden durch Ab-
gesandte ihrem Oberhaupte bei Hofe die pflichtmässigen Steuern
an Getreide, Butter und Vieh, oder Deputationen der Grenzstämme
und Provinzen, in oft fremdartiger und kriegerischer Tracht, suchen
bittstellend oder klagend durch ihre Vertreter das Ohr des Herrschers
zu erreichen.
Wer jedoch der Arbeit nicht nothwendig zur Existenz bedarf
— und die dortigen Bedürfnisse sind mit geringen Kosten zu be-
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STRASSENI.ERF.N.
625
schaffen — , huldigt dem Müssiggange, und wo ein schattiger Raum
oder ein Schattendach mit trockenem Plätzchen sich findet, da sitzen
vom Morgen bis zum Abend schwatzende Männer. Gegen Abend,
wenn die Sonne unterzugehen im Begriffe ist, ertheilcn die Vor-
nehmen mit Vorliebe öffentliche Audienzen auf der Strasse, in Mitten
ihrer Clienten, Dienstmannen und Sclaven, mit denen sic wohl ge-
meinschaftlich das Maghreb- (Sonnenuntergang-) Gebet verrichten.
Dann, zur Zeit der Abendmahlzeit — 'Ascha arab. und Lesä kan. — ,
zieht sich Jeder in seine Behausung zurück ; erst später vereinigt sich
die Jugend in den Strassen und auf den Plätzen zu Musik und Tanz,
und selten schweigt der einförmige Gesang der l'raucn und Mädchen
und ihr rythmisches Händeklatschen vor Mitternacht.
Das bunte und im Ganzen so heitere Bild des täglichen Strasscn-
lebens entbehrt aber auch der Schatten nicht, und der dunkelste ist
sicherlich die unglaubliche Anzahl der Blinden, welche halb nackt
und halb verhungert am Wege sitzen und von der Mildthätigkcit der
Vorübergehenden in kreischenden Tönen ihren kümmerlichen Lebens-
unterhalt erflehen, oder in langen Reihen von zehn und mehr Per-
sonen, Einer hinter dem Andern, sich unter der Führung des Kun-
digsten unter ihnen durch die belebtesten Strassen tasten und durch
klagendes Geheul die Herzen ihrer Mitbürger zu rühren suchen.
Weniger traurige, doch höchst charakteristische und eigenthüm-
liche Erscheinungen sind in den Strassen Küka’s die Bettelstudenten
oder fahrenden Schüler, welche aus allen benachbarten Ländern und
Nationen die Hauptstadt Bornü’s mit ihren berühmten Religionslehrcm
und ihrer gutmüthigen Bewohnerschaft aufsuchen, um Gelehrsamkeit
und das tägliche Brod zu erwerben. Ihre Ansprüche sind keines-
wegs hochfliegend. Ist es ihnen gelungen, die Durchlcsung des
Qorän einmal zu beenden, so ziehen sie als Mo’allemln oder Fuqähä
befriedigt ihrer Heimath zu, mit einem Anspruch auf die Achtung
ihrer Landsleute und vielleicht so viel Kenntnissen, dass sic mühsam
einen gewöhnlichen Brief zu entziffern oder zu schreiben verstehen,
einen Vorrath von heilkräftigen Formeln und schützenden Talismanen
erworben haben, oder den ersten Elementarunterricht ertheilen
können. Sie zeichnen sich Alle durch gleiche Tracht und gleiche
Attribute aus. Ihre Kleidung besteht in einem Ziegen-, Leoparden-
oder Hyänenfell, das, auf der einen Schulter und Hüfte geknüpft,
mühsam ihre Blosse deckt. In der einen Hand tragen sie einen
Nachtigal. I. 40
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626 I». BUCH, 6. KAPITEL. DIE HAUPTSTADT VON BORNO.
langen Stab und eine Kiirbisschale, in der sie die milden Gaben, zu
denen sie berechtigt sind, sammeln, in der andern oder auf der
linken Seite an einer Schnur hängend, ihre hölzerne Schrcibtafel —
Loah arab. — mit einem Tintenfass aus Thon oder einem kleinen
Flaschenkürbis, in dem die plumpe Rohrfeder steckt. Alle sind
gänzlich besitzlos. Einige werden in den Vorhallen der Reicheren
beherbergt, genährt und mit den Söhnen des Hauses unterrichtet,
Andere müssen betteln oder durch kleine Dienstleistungen am Tage
ihren Lebensunterhalt erwerben. Dann bleibt ihnen nur die Nacht
zu ihren Studien, und am späten Abend, einige Stunden nach Sonnen-
untergang, wenn das kärgliche Abendessen verzehrt ist, sowie am
frühen Morgen vor dem ersten Gebet erglänzen auf den Plätzen und
breiten Strassen ihre Feuer, zu denen Jeder von ihnen Holz zu
liefern verpflichtet ist, und tönt unter der Leitung eines Lehrers ihr
frommes Geplärre laut durch die Nacht. Bei so unzureichenden
Studien ist es natürlich, dass Viele ein vorgerücktes Alter erreichen,
bevor sie ihr Ziel gewinnen, und dass man die verschiedensten Lebens-
alter unter ihnen vertreten findet. Manche der kleinen Knaben,
welche der zärtlichen Sorge einer Mutter noch nicht entbehren sollten,
während sic in früher Reife als fahrende Schüler die dortige Welt
durchziehen, sterben als Greise, noch immer Bettelstudenten, wahre
bemooste Häupter.
Auch vor dem Ostthore der westlichen Stadt wird ein täglicher
Markt abgehalten, und das ganze Terrain des Zwischenraumes zwischen
beiden Städten und die Oststadt selbst haben den Vorzug, etwas höher
zu liegen und weniger stehendes Wasser in der Regenzeit anzu-
sammeln.
Das Leben auf dem Dendal der Oststadt ist weniger mannich-
faltig, als das der Weststadt, deren Bevölkerung mehr auf Arbeit
angewiesen ist. Dafür ist es glänzender durch die Menge der Hof-
beamten, schöner Pferde und reichgekleideter Reiter, .welche der
Königswohnung zustreben oder bei den zahlreichen Prinzen, Brüdern
und Söhnen des Scheich, ihren ehrgeizigen oder gewinnsüchtigen
Zielen nachgehen.
Fern vom Dendal in den Nebenstrassen schwächt sich der Ver-
kehr erheblich ab. Die Pfade sind winklig und schmal, die Woh-
nungen bescheidener, und man stösst nicht selten auf Häuser in
Ruinen, unbebaute Plätze, grosse Sand- und Lehmgruben, Abfalls-
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NEBF.NSTR ASSEN. — BKVÖLKERUNGSZIFFER. 627
häufen, stinkende Pfützen und tiefe Rcgcnteiche. Diese letzteren
sind zum Theil von beträchtlichem Umfange, und in demjenigen, an
welchem mich mein Weg zur Wohnung des TitiwJ häufig vorüber-
führte, schien sich sogar ein kleines Krokodil recht wohl zu befinden.
Während und nach der Regenzeit 1870 war dasselbe nicht bemerkt
worden; es zeigte sich zuerst nach der Regenzeit 1871 und kam auch
im Herbst (872 wieder zum Vorschein, obgleich der Teich während
der trockenen Jahreszeit einige Monate hindurch gänzlich wasserlos
gewesen war. Die während der Regenzeit wassergcfüllten und dann
allmählich austrocknenden Gruben werden zu ausgedehnten Brut-
stätten der Malaria, und die Anhäufung von Unrath und ver-
wesenden Stoffen kann begreiflicherweise der allgemeinen Gesund-
heit nicht zuträglich sein. Dieselbe würde sicherlich noch viel
verderblicher wirken, wenn nicht auf den Bäumen und Mauern zahl-
lose Aasgeier sässen und durch schleunige Wegräumung gefallenen
Viehs und dergleichen sich eine prompte Sanitätspolizei auszuüben
angelegen sein Hessen.
Im Ganzen mag Küka eine Bevölkerungszahl von 50—60,000 Seelen
erreichen, eine Ziffer, die noch gering genug erscheint, wenn man
bedenkt, dass die I-ängc der Stadt, vom äussersten West- bis zum
aussersten Ost -Ende, mehr als eine halbe deutsche Meile, und dass
ihre Breite fast eine Viertelmeile ausmacht. Zwei Dritttheile der
Bewohner mögen auf die Weststadt kommen, in der die kleineren
Wohnungen dichter gedrängt stehen, während die ausgedehnten Be-
hausungen der Grossen in der Königsstadt, trotz des Reichthums an
Sclaven , den sie bergen , doch einen unverhältnissmässig grossen
Raum einnehmen. In der Oststadt bildet die königliche Familie, der
Scheich mit seinen kinderreichen Brüdern und Söhnen, einen ansehn-
lichen Bruchtheil der Einwohnerschaft. Während der greise Herrscher
noch Kinder im zartesten Alter hatte, erfreute sich der Kronprinz einer
Nachkommenschaft von siebenzig und einigen Kindern, und einer seiner
jüngeren Brüder hatte diese Zahl bereits übertroflen.
Meine Wohnung lag, wie erwähnt, am grossen Dendal der West-
stadt, in unmittelbarer Nähe des Platzes, den das Haus des Scheich
und die daranstossende Moschee nach Osten begrenzt, einige hundert
Schritte westlich von ihnen. Sobald ich mich einige Tage hindurch
in der Stadt und unter den Leuten, die mich zunächst interessiren
mussten, orientirt hatte, machte ich mich an die möglichst behagliche
40*
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628 m. buch, 6. kapitel. die Hauptstadt von bornC.
Einrichtung meiner Häuslichkeit, da ich voraussichtlich eine Reihe
von Monaten in ihr zu verbringen hatte. Das Haus war geräumig
genug und gefiel mir bald in dem Thcile, den ich spcciell zu meinem
Aufenthalte gewählt hatte, ausserordentlich. Mit wirklichem Ver-
gnügen betrat ich nach jeder Abwesenheit den schön geformten
• H
*
Grundriss Von Dr. G. Nach t i gal' s Wohnhaus in Köka.
I Suqeifa oder Eingangshalle.
II Bui Mohammcd's Häuschen.
III Mein Wohnhaus mit Vorrathskämmerchen
IV Giuseppe'* Haus.
V Diener/immcr.
VI Küche für die Dienerschaft,
a, h, c. d unbedeckte Gange.
I Pferdestand.
a Höfchen vor Bui Mohammed’* Häuschen.
3 Hofraum.
4 Innerer Hofraum mit HedscMidsch Baum (H).
5 Als Küche dienender, unbedachter Kaum.
6 Huhnarhof mit Kuma Baum (K).
Hof (4) — Belbel — mit dem grossen Hedschlfdsch (H), der die
Vorderseite meines Wohnhauses (III) beschattete. An dieselbe lehnte
sich noch ein breites Schattendach, unter dem sich häufig meine
Leute aufhielten und die Wasserkrüge standen. Das Kämmerchen
neben meinem Wohnzimmer diente als Vorrathskammer, und nicht
weit davon an der südlichen Wand des Hofes bewohnte Giuseppe
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MEINE WOHNUNG UND DIENERSCHAFT.
629
mit seinem Gehülfcn, dem Marokkaner Hammu, ein in zwei Zimmer
getheiltes Häuschen (IV) und kochte in dem daneben befindlichen
unbedachten Raume (5). Bui Mohammed residirte in einem verschliess-
baren Erdhäuschen (II) nahe der Eingangshalle (I) — Siiqeifa arab.
— und hatte dort alles Reisegepäck und die Getreidevorräthe für
Leute und Pferde in seiner Obhut. Die letzteren hatten ihren Stand
in einem der grossen Höfe (l), und die Diener, vorläufig nur Sa'ad
und Ali aus Mandara, bewohnten ein Zimmer (V) im Nebengebäude,
das von einem hübschen Kurna-Baume (K) beschattet war, während
in dem daneben befindlichen Gemache (VI) die Küche für die Leute
besorgt wurde.
Ali aus Mandara, den ich schon in Fczzän wegen wiederholten
Diebstahls entlassen und nur aus Barmherzigkeit mit nach Bornü
genommen hatte, gewann den milde urthcilenden Mohammed für
sich und blieb, da dieser gewissermassen für ihn gut sagte, einst-
weilen im Hause; Sa’ad wurde mit der ersten nach Tripolis be-
stimmten Karawane zurückgeschickt, und an seiner Statt nahm ich
aus Höflichkeit für Lamino den „Christensclavcn" Dunkas in Dienst,
von dessen Ortskenntnis ich mir manchen Vortheil versprach, ob-
gleich übrigens sein grosssprecherisches Wesen kein grosses Ver-
trauen cinflösste. Nach unserer Ankunft in Küka meldeten sich aus
der Reihe der mehr und mehr sich auflösenden Truppe der Marokkaner
diejenigen, welche ich unterwegs auf die Zukunft vertröstet hatte,
Hadsch Brek und Hadsch Husein; doch auch jetzt wies ich sic
zurück, so lange ihre Gefährten noch in der Stadt sein würden.
Der gutmüthige, halbblinde Ben Zckta endlich, der den traurigen
Garnisondienst von Murzuq aufgegeben hatte, um von dem Glücke,
das sein Bruder als Kaufmann in Küka gemacht hatte, Nutzen
zu ziehen, musste gänzlich enttäuscht mit der ersten Karawane
in seine Heimath zurückkehren. Sein Bruder war kurz zuvor ge-
storben und seine Hinterlassenschaft mit Beschlag belegt worden,
da er noch Kinder in Fezzän hatte. Der Scheich pflegte in solchen
Fällen zwei arabische Verwalter der Masse zu ernennen, deren einer
gewöhnlich der Titiwi war, und map konnte stets sicher sein, dass
im besten Falle nur ein höchst unbedeutender Bruchthcil des Nach-
lasses bis zu den Erbberechtigten gelangte.
Die Hauptunannchmlichkeiten eines Reisenden erwachsen ihm
aus seiner Dienerschaft, zumal wenn er in einem Lande, in dem ällc
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630 in. buch, 6. Kapitel, die Hauptstadt von bornü.
Arbeit gewohnheitsgemäss von Sclaven verrichtet wird, von freien,
salarirtcn Dienern umgeben sein will. Wenn diese sich auch im Norden
unter den Arabern ihrer untergeordneten und dienenden Stellung nicht
geschämt haben, so versteht sich doch ihr Selbstgefühl nur schwer dazu,
unter und mit Sclaven zu arbeiten. Sie stehen in der Leistung weit
hinter den Letzteren zurück und wollen gleichwohl besser behandelt
sein. Ihre Ansprüche wachsen noch erheblich beim ruhigen Aufenthalte
in einer Stadt, wo ihre Thätigkcit wenig in Anspruch genommen wird
und sich die Gelegenheiten, das Leben zu gemessen, auf Schritt und
Tritt darbieten. Ich hatte deswegen meine Augen auf die Marokkaner
geworfen, welche, so unangenehm auch ihr halsstarriger Sinn und ihre
brutale Heftigkeit sind, wenigstens eine energische Thätigkeit lieben und
sich wenig um das Urtheil der Menschen kümmern. Vorläufig aber
genügte mir Hammu, der sich als ein gutmüthiger und treuer, wenn
auch fauler, eigensinniger und ungeschickter Mensch zeigte, zumal
ich von Ali noch nicht befreit war.
Eine Hauptschwierigkeit für die Aufrechterhaltung meines Haus-
standes lag in dem Mangel weiblicher Bedienung. Die Neger hielten
es für unvereinbar mit ihrer Wurde, ihre Nahrung selbst zu bereiten,
da in Bornü diese Arbeit den Frauen zufallt. Da ich den Ankauf
von Sclavinnen vermeiden zu müssen glaubte, so sah ich mich ge-
zwungen, zu diesem Endzwecke eine Frau zu miethen. Doch bei
der Weitläufigkeit des Hauses und meinen anderweitigen Beschäf-
tigungen sah ich mich ausser Stande, dieselbe zu controlircn, und Bui
Mohammed, dem die Aufsicht über diesen Thcil der Haushaltung
zufiel, sah aus Gutinüthigkeit und im Bewusstsein eigener Unvoll-
kommenheit durch die Finger. Sobald Sa'ad nach Norden abgereist
war, bildete sich ein intimes Verhältnis zwischen Ali und der Köchin
heraus, und bald sah man Beide in neuen Gewändern herumstolziren,
für deren Pracht meine Freigebigkeit keine Erklärung bot. Mein
Argwohn erwachte, doch der alte Qatrüner war nicht aus seinem
Gleichmuth zu bringen, und erst wohlwollende Nachbarn lieferten
mir den Beweis, dass Ali mein Getreide auf dem Markte verkaufte,
während die Pferde abmagerten, und dass täglich erst die ganze Fa-
milie der Kochfrau, ihre Eltern und Geschwister, gespeist wurden,
bevor meine Leute ihre Mahlzeiten erhielten. Bui Mohammed aber,
so ehrlich und treu er sich sonst zeigte, war trotz seiner Würde und
seines vorgerückten Alters den Freuden der Liebe nicht abhold, hielt
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häusliche übelstände. 631
sich eine Geliebte, deren Familie zu bedenken er sich ebenfalls für ver-
pflichtet hielt, und drückte so bei den Veruntreuungen Äli's ein Auge zu.
Dunkas aber, der mir durch seine Kenntniss des Landes nützlich
werden sollte, stellte sich bald als gänzlich unbrauchbar heraus;
seine Leistungen standen im umgekehrten Vcrhältniss zu seinem
grosssprecherischen Wesen. Er hatte sich unter dem grossmüthigen
Schutze und der Freigebigkeit Lamino's der Arbeit gänzlich ent-
wöhnt und war zu einem Luxusdiener geworden, wie cs deren in
einem sclavcnrcichen Lande, wie Hornü, unzählige giebt. Ich hatte
ihn an meine Person attachiren wollen, aber er beanspruchte, die
Nacht in seinem Hause, das auf der Südseite der Oststadt ausserhalb
der Mauern lag, zu verbringen und kam Morgens zu sehr vorgerückter
Stunde oder, wenn es regnete, überhaupt nicht, bis der Himmel
wieder klar geworden war. Mit naiver Unverschämtheit miethete er
sich schliesslich einen Diener, Namens Solimän, für ein Viertel seines
Lohnes als Stellvertreter und lebte als Freiherr.
Im Innern des Hauses, wo Giuseppe herrschte, fehlten die Un-
annehmlichkeiten ebenfalls nicht. Seit der Abreise aus Fczzän zeigte
derselbe wieder sein früheres unzufriedenes und mürrisches Wesen,
hatte mir unterwegs manche unangenehme Stunde bereitet und ver-
bitterte mir in Küka den häuslichen Aufenthalt. Er hatte die Hoff-
nung genährt, von mir als gleichberechtigter Genosse beim Herrscher
und seinen Würdenträgern eingefuhrt zu werden, war durch die Reise
nach Tibesti arg enttäuscht worden und hatte trotz meiner War-
nungen unerfüllbare Erwartungen von der Reise gehegt. Er war kein
übelwollender Mann, sondern von Hause aus gutnnithig und wohl-
meinend; doch sein Streben nach Gewinn und seine Unzufriedenheit
mit einer einfach dienenden Stellung hatten ihm den Kopf ver-
dreht. Schon auf der Reise hatte er einen Plan geschmiedet, den
er bald nach unserer Ankunft in Küka zur Ausführung brachte.
Er begab sich eines Tages ohne mein Vorwissen zum Scheich, setzte
demselben auseinander, dass er schon in Fczzän ohne mein Wissen
Mohammedaner geworden sei und jetzt unmöglich länger in Abhän-
gigkeit von einem Christen leben könne, und erbat von seiner Gnade
Wohnung und Existenzmittel, da er die Absicht habe, in Hornü zu
bleiben. Der König wies ihn an Lamino, der dann eines Tages
seinen Eunuchen Mesa'üd mit der Anfrage zu mir schickte, ob ich
etwas dagegen habe, wenn mein bisheriger Diener Giuseppe aus
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632 HI. BUCH, 6. KAPITEL. DIE HAUPTSTADT VON BORNÜ.
meinem Dienste scheide und in sein Haus übersiedle. Ich konnte
nur erwidern, dass Giuseppe ein freier Mann sei und handeln müsse,
wie Gewissen, Neigung und Vortheil ihm geböten. Noch an dem-
selben Tage verliess der Mann, auf dessen Anhänglichkeit meine
tunisischcn Freunde und ich selbst so sehr gebaut hatten, ohne Lebe-
wohl mein Haus, und erfüllte die Stadt mit bewundernden Gerüchten
über seine Islamisirung. Seitdem war ich gehässigen Verläum-
dungen und Angriffen von seiner Seite ausgesetzt, welche mir bei
seiner durch den Religionswechsel unter den Leuten befestigten
Glaubwürdigkeit nicht allein unangenehm sein mussten, sondern selbst
ernstliche Nachtheile im Gefolge haben konnten. Denn einen Unter-
schied in Bildung und Erziehung zwischen uns zu entdecken waren
die Leute begreiflicher Weise nicht im Stande; ja, Viele mochten
den Apostaten bei seiner Fertigkeit in mechanischen Arbeiten, nach-
dem er von Gott mit der richtigen religiösen Erkenntniss begnadigt
worden war, nicht nur für den klügeren, sondern auch für den
besseren Menschen ansehen.
In einem fanatischeren Lande, zum Beispiele in Wadäf, würde
dieser Abfall meines Dieners verderblichere Folgen gehabt haben;
in Bornü blieb ich trotzdem der Vornehmere und bot der Speculation
eine mehr versprechende Aussicht als Giuseppe, der selbst sein Glück
von Land und Leuten erwartete. Das religiöse Gefühl trat bei der
leichtsinnigen Menge dieser Berechnung gegenüber in den Hinter-
grund , und der Scheich selbst war nicht allein durch natürliche
Toleranz ausgezeichnet, sondern zu verständig, um nicht die wahren
Motive des scheinbaren Religionswechsels zu erkennen. Besonders
der Umstand, dass Giuseppe behauptete, in Fezzan zum Islam über-
getreten zu sein, während ich doch Nichts von den Folgen einer
etwaigen Beschneidung wusste und keine derartige Nachricht mit
unserer Karawane nach Bornü gekommen war, Hess Manchen an der
Thatsächlichkcit des Uebertrittes zweifeln. Noch nach Jahren war
es bekannt, dass der kirchlich strenge Scheich diejenigen Speisen
nicht anrührte, welche Giuseppe, nun Mohammed el-Muselmäni, der
ein grosser Kochkünstler war, ihm von Zeit zu Zeit bereitete.
Der übelste Umstand für mich war jedoch nicht der, dass mein
einziger europäischer Begleiter zum Islam übergetreten schien, ob-
gleich dies das Ansehn einer christlichen Gesandtschaft nicht grade
heben konnte, sondern die Unmöglichkeit, seinen pecuniärcn An-
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GIUSEPPE'S P EMG IONS WECHSEL. 633
Sprüchen gerecht zu werden. Ich hatte mich nämlich nur unter der
Bedingung entschlossen, ihn mit mir zu nehmen, dass sein Gehalt
erst nach gemeinschaftlicher Rückkehr zahlbar würde; der höhere
Monatslohn, im Vergleich zu dem der übrigen Diener, wurde für
mich bei den geringen Mitteln, mit denen ich die Reise begann, auf-
gewogen durch den Vortheil, ihn nachträglich bezahlen zu können.
Im Augenblicke seines böswilligen Rückzuges gestattete mir aber die
Kärglichkeit meiner Mittel nicht, mich der Schuld an ihn zu entledigen,
denn dieselbe war für die Jahre 1869 und 1870, bei einem Monats-
gehalte von 12 Abu Tei'r (ungefähr 48 Mark), zu einer, für mich un-
erschwinglichen Summe herangewachsen. Ich musste mich damit
begnügen, ihm an baarem Gelde und Werthstücken zu opfern, so
viel mir irgend möglich war, gab ihm ein gutes doppelläufiges Jagd-
gewehr und einen Burnus, um seine in Tibesti erlittenen Verluste zu
decken, und stipulirte von Neuem vor Zeugen bei einem öffentlichen
Schreiber, dass der Rest erst nach unserer beiderseitigen Rückkehr
in die Mittelmeerländer zahlbar sei.
Glücklicherweise hatte Hammu, der anfängliche Gehülfe
Giuseppe s, in der Kochkunst Fortschritte genug gemacht, um seinen
Lehrer ersetzen zu können, und ich hatte, als ich nach mehrfachem
Wechsel der Köchin endlich eine ehrbare Nachbarin in vorgerücktem
Alter für die Dienerküche gewonnen hatte, eine wohlthucnde Zeit
des Friedens und der Ordnung im Hause. Freilich zeigte sich der
Ersatzmann Dunkas’, der tiefschwarze Känembu- Mischling Solimän,
als er aus dem tiefen Elend, in dem jener ihn gefunden hatte, her-
ausgezogen und einige Zeit ordentlich genährt und gekleidet worden
war, so grenzenlos der Frauenliebe ergeben, dass, obwohl er übrigens
ein ehrlicher, kluger und brauchbarer Mann war, seine Liederlichkeit
selbst in der leichtlebigen Hauptstadt Bornu s zu mannichfachen
Klagen der Nachbarn und meiner eigenen Leute Veranlassung gab.
Doch da er unter der Botmässigkeit Bu'i Mohammeds stand, so
kannte ich seine Fehler nicht im ganzen Umfange und überliess die
Verantwortung dem erfahrenen Qatrüner.
Das von mir bewohnte Gebäude hatte ich zunächst mit einem
Fenster versehen, d. h. ich hatte mit der Hacke eine l*/j Fuss hohe
und breite Oeffnung in die auf den Hof gehende Wand geschlagen
und im Zimmer im unmittelbaren Bereiche dieser Lichtquelle mittelst
meiner drei Kisten, wie in Fczzän, einen Schreibtisch improvisirt,
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634 III. BUCH, 6. KAPITEL. DIE HAUPTSTADT VON BORNÜ.
hinter dem ein umgestürzter Holzmörser als Sessel fungirte. Den
Erdboden hatte ich mit groben Matten — Büschiwa ngimbe (d. h.
Hausmatten) — belegt, auf einer I’högubank mein Lager aus Tep
pichen bereitet und Thur und Fenster mit Rohrjalousicn, wie ich sie
als Vorhängethiiren erwähnt habe, verhängt. Unter dem breiten
Schattendach vor dem llause befanden sich die meteorologischen
Instrumente, so lange wenigstens keine gefahrdrohenden Thicrc den
Hof bevölkerten.
Letzteres dauerte jedoch nicht lange, denn cs hatte sich bald in
der Stadt das Gerücht verbreitet, dass ich ein grosser Freund von
allerlei Gcthicr sei, und Viele suchten diesen Umstand zu benutzen,
mich auf eine leichte Art zu verpflichten. Schon in den ersten
Tagen hatte der Scheich ein stolzes Strausscnpaar, das allerdings
seiner besten Federn beraubt war, gesendet, Enten vom Tsäde, sehr
verschieden in Grösse und Färbung, und Gänse ebendaher mit dunk-
lem, grünlich schillerndem Gefieder und einem halbzölligcn Knochen-
sporn am Ellbogen-Flügclgelenk (Plcctroptcrus gambctisis), der einst
dem braven Baserki Scherif zu Murzuq Veranlassung gegeben hatte,
mich in kindischer Ucbertreibung vor der Gefährlichkeit dieser Thicrc
zu warnen. Andere Bekannte waren dem Beispiele des Scheich gefolgt,
und bald wimmelte der Hof, den ich zu diesem Zwecke reservirt hatte,
von interessantem Geflügel. Da war das gewöhnliche Perlhuhn —
Kädschi — und eine sich durch die weisse Farbe des Bauches von
jenem unterscheidende Varietät, die mir als Kädschi jerabc bezeichnet
wurde. Unter den eben erwähnten Gänsen — Ngndäkäbu — zeich-
nete sich eine Art (Sarcidwrrtis africana) durch einen zollhohen,
fleischlappigen Kamm aus, der von der Wurzel des Schnabels bis über
die Mitte und zuweilen bis an das Ende desselben reichte. Die Enten
waren zum Thcii gross, schnccweiss, mit purpurrothen Seitcntheilen
des Kopfes, von der Gestalt unserer türkischen Enten (Anas moschata)
und wurden dann Kauangc genannt, zum Theil kleiner und schlanker
als unsere gewöhnlichen Hausenten, doch diesen ähnlich gezeichnet und
hiessen dann Sugulgüli. Diese letzteren zeigten mangelhaft entwickelte
Schwimmhäute der Weibchen, während die ersteren sämmtlich durch
bogenförmig nach innen gekrümmte Zehen gekennzeichnet waren, eine
Eigentümlichkeit, welche sic mit den sich durch einen fleischigen
Kamm auf dem Schnabel auszeichnenden Gänsen gemein hatten. Zum
ersten Male sah ich hier den Hornvogel Buccros abyssinicus —
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MENAGERIE IM HAUSE. 635
Kägim — , der, von der Grösse einer Gans, mit den ausgebreiteten
schwarzen Flügeln bis zu zwei Metern misst, nackt und blauroth an den
Wangen und dem oberen Theilc des Maises ist (das Männchen tragt
daselbst noch die Zierde von rothen, fleischigen Lappen) und sich durch
einen schwarzen 8 Zoll langen, schwach gekrümmten Schnabel aus-
zeichnet, welcher auf seiner Wurzel einen \l/3 Zoll hohen, hornigen,
hohlen und nach vorn geöffneten, ebenso gefärbten Aufsatz trägt.
Der Titiwi schickte mir ein Pärchen der Zwerg -Schafe aus der
Musgo- Gegend , die durch ihren stämmigen, fetten Körper auf den
kurzen Beinchen, ihr dickes, schwarzes, ungelocktes Haar und ihre
stark gewundenen Ilörner mir den grossen Unterschied zeigten, der
zwischen der Rasse der südlich von den grossen Sudan-Staaten sich
ausdehnenden Heidcnländcr und den mächtigen Schafen der Känembu
besteht. Der Kronprinz fügte die sehr wenig passende Gesellschaft
einer jungen gefleckten Hyäne — Bultu Kare — , eines jungen
Schakals - Delä — und eines kleinen falkenähnlichen Raubvogels zu
der harmlosen Colonie, während Ahmed Ben Bräln'm eine kleine Zebra-
manguste (Herpcstes fasciatus) - Tscliiroma — , der Möa’llim Moham-
med eine Zibethkatze (Vivcrra civetta) — Ngäm zibbeda und andere
Bekannte Gazellen — Ingeli und Landschildkröten — Kudu über-
sandten. Wenn jemand sonst Nichts zu schenken hatte, so schickte er
einen Affen, und mein hoher, mit zahlreichen Nestern der Weber-
vögel auf das Zierlichste behängter Hedschlidsch-Baum war bald ein
Schauplatz der tollsten Sprünge und Spiele von röthlichen und grauen
Meerkatzen (Cercopit/ucus grisco-viridis) Dägel böla und killi
Kurz, meine Wohnung verwandelte sich in eine vollständige
Menagerie, und ich musste bald darauf bedacht sein, eine Ver-
grösserung derselben zu verhindern. Nur mit Mühe konnte ich den
Scheich davon abbringen, mir Löwen, Leoparden, Luchse und andere
grössere Raubthiere, deren Fleischrationen in bedauerlichem Missver-
haltniss zu meinen Mitteln gestanden haben würden, zu meiner Unter-
haltung ins Haus zu schicken. Er hatte deren eine ganze Samm-
lung, welche nahe dem Wcstthore in einigen Strohhütten unter-
gebracht war und unter der Oberaufsicht Ahmed Ben Brähim’s von
einigen Sclaven verpflegt wurde. Die Thiere lagen an Ketten, die
um Pfahle geschlungen waren, und es war erstaunlich, mit welcher
Furchtlosigkeit die Leute dicht neben den durch Nichts abgesperrten
Huttenkäfigen wohnten. Vielleicht grade dadurch wurden die Thiere
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636 UI. BUCH, 6. KAPITEL. DIE HAUPTSTADT VON BORNÜ.
ungefährlicher und dem Menschen unterwürfiger; wenigstens wurden
, sie mehrmals auf Befehl des Scheich ohne Schwierigkeit von ihren
Wärtern über die Strasse bis zu meiner Wohnung geschleppt, um
von mir bewundert zu werden.
Um meine Thicrsammlung zu vereinfachen, gab ich das Straussen-
paar in Pension bei Lamino, der eine ausgedehnte Zucht dieser Thiere
in Magommeri betrieb, und überwies die Hyäne meinem Hausherrn,
der eine sonderbare Vorliebe für das Fleisch von Raubthicrcn hegte,
obwohl dasselbe sonst in Missachtung bei den Mohammedanern steht.
Der kleine Raubvogel verschwand ; der Schakal starb; und die Gazellen,
Enten und Perlhühner decimirte ich allmählich zum Besten meiner
Küche. Unter den Enten waren viele von ausgezeichnetem Wohl-
geschmack; auch junge Perlhühner waren nicht übel; doch die Ganse
hatten stets einen widerwärtigen, thranigen Geschmack und entsetz-
lich zähes Fleisch.
Als dauernde Gesellschaft behielt ich die kleine gestreifte Man-
guste, die Zibethkatze und die Affen. Die erstere mit der rastlosen
Thätigkeit, mit welcher sie Alles durchwühlte, zerkratzte und zer-
nagte, ihrer wirklich beunruhigenden Lebendigkeit, der Furchtlosig
keit und naiven Frechheit, mit der sie Mensch und Thier angriff oder
mit ihnen spielte, der im höchsten Grade komischen Art und Weise,
mit der sic ihre Lieblingsnahrung, die Eier, sich auf die Hinterfüsse
setzend, zwischen den Vorderpfoten emporhob und mit möglichst
kräftigem Wurfe gegen den Boden zu zertrümmern suchte, verdanke
ich manchen Augenblick der Unterhaltung. Die Zibethkatze, wenn
auch nicht in gleichem Grade gemüthlich und bei Tage einem zu-
rückgezogeneren Leben huldigend, wurde ebenfalls recht zutraulich,
und die kleinen Affen bildeten für mich eine unerschöpfliche Quelle der
Heiterkeit. Nach der Tagesarbeit breitete ich mir eine Matte auf
dem schattigen Hofe aus und wurde nicht müde, ihren gewagten
Sprüngen im Baume zuzusehen, ihre lächerlichen Einfalle, die durch
den zur Schau getragenen Ernst um so komischer wirken, zu beob-
achten und mich ihrer leidenschaftlichen Anhänglichkeit zu freuen.
Freilich bereiteten sie mir auch manchen Aerger durch die frechen
Diebereien, welche sie in der Nachbarschaft verübten, und durch die
boshaften Streiche, die sie mir im eigenen Hause spielten.
Meine Tage verliefen auf das Angenehmste mit dem Studium
der Kanüri-Sprache, meteorologischen Beobachtungen, Erkundigungen
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FREMDE IN KÜKA.
0 37
der verschiedensten Art über Land und Leute und einer fast über-
wältigenden ärztlichen Thätigkeit. Dabei machte ich zahlreiche nütz-
liche Bekanntschaften mit Fremden und Eingeborenen, aus denen
auch manche engere Freundschaft erwuchs.
Küka ist immer voll Fremder, seien es Kaufleute, Pilger oder
Abenteurer. Der Ruf der Frömmigkeit und Freigebigkeit, dessen
Scheich 'Omar weit und breit geniesst, lockt zahlreiche wirkliche
und vermeintliche Scheräfa aus Mekka, Medina und Marokko an;
fromme Leute aus Egypten und Tunis, aus Timbuktu und vom
Senegal, die aus ihrer Frömmigkeit eine Speculation machen und
Jahrzehnte hindurch bei den Fürsten der islamitischen Welt hcrum-
reisen, um ein bequemes und lucratives Leben zu führen, machen
eine lange Station zu Küka. Sämmtliche Pilger des Westens: die
Schinqitija, welche westlich von Timbuktu hausen, die Fulbe aus
den Fellata-Staaten am Senegal, Niger und Binue, und die frommen
Haussa-Lcute sprechen, wenn es irgend ihre sociale Stellung erlaubt,
am Hofe von Küka vor und bleiben nicht selten Monate, ja selbst
Jahre hindurch. Wenn sie hinlängliche Ausdauer haben, so schlägt
ihre Speculation selten fehl. Wochenlang sieht man einen armen
Faqih in Schmutz und äusserster Dürftigkeit täglich zum Königspalast
pilgern, bis er Einen der Grossen gewonnen hat, der ihn beim frei-
gebigen Herrscher einfuhrt. Bald darauf begegnet man ihn in neuer
Rornü- oder Haussa-Kleidung, oder ein Burnus schmückt seine Schul-
tern, und nach einigen Monaten erblickt man ihn vielleicht schon
hoch zu Ross, von einigen Sclaven begleitet und ohne eine Spur der
Demuth, die ihn kürzlich noch zu kennzeichnen schien.
Weniger leicht gelingt es den Kaufleuten, welche durch Un-
glücksfälle oder leichtsinnigen Verkauf ihrer Waaren auf Credit ver-
armt sind, sich durch die Gunst des Königs wieder emporzuarbeiten.
Ihrer sind Viele, und die Meisten derselben fristen ein kümmerliches
Dasein in Küka, machen mühselige und unfruchtbare Handelsreisen
nach Kanö, Adamäwa, Logon, Baghirmi oder Känem, um den noth-
wendigen Lebensunterhalt zu erwerben, und cntschliessen sich erst nach
langen Jahren in die Heimath zurückzukehren, wenn schliesslich ihr
Schamgefühl im fortgesetzten Elend erstickt ist. Viele haben auch
wenig zu verlieren, sondern verlassen mit einem kleinen Waarenvor-
rath, den ein Esel bequem fortschaffen kann, Heimath und Familie, um
ihr Glück in der Fremde zu suchen. Jahre hindurch ziehen sie von
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638 ui. nucii, 6. Kapitel, die Hauptstadt von bornC.
Land zu Land, nicht in der Absicht, auf Kosten Anderer zu leben,
sondern kaufend und verkaufend, gewinnend und verlierend, und
harren geduldig der Zeit, zu welcher ihre kaufmännischen Erfolge
ihnen gestatten werden, ohne Schande heimzukehren. Der Reise-
drang der Araber und Halbarabcr ist grenzenlos und wird nicht un-
wesentlich unterstützt durch die Leichtigkeit, mit der sic überall sich
eine Familie auf beliebige Zeitdauer gründen können, ohne gegen Moral
und Sitte zu verstossen. Weit und breit trifft man in Inner-Afrika diese
freiwillig Exilirtcn, hört sie sehnsüchtig von ihren Kindern und ihrem
Vaterlande, die sic vielleicht seit zehn oder fünfzehn Jahren nicht
sahen, erzählen und erjiält auf Befragen, warum sie nicht heimgekehrt
seien, die resignirte Antwort: „Gott hat mir den Weg noch nicht
eröffnet, denn ich kann doch nicht mit leeren Händen vor meinen
Kindern erscheinen." Man darf dabei nicht vergessen, dass Frau
und Kinder gewöhnlich durch Dattelbesitz und Gartenkultur, wenn
es sich um Wüste und Nilthal handelt, oder anderswo durch ein Land-
gütchen und Viehbesitz vor dem äussersten Mangel geschützt sind.
Eines Tages, bald nach meiner Ankunft in Küka, besuchte mich
ein Araber aus Fczzan, der soeben von einer Handelsreise zurück-
gekehrt war, um mir einen Brief zu überbringen, den ihm Heinrich
Barth einst in Küka zur Besorgung an Eduard Vogel, der sich da-
mals in Adamawa aufhalten sollte, anvertraut hatte. Er habe, sagte
er, den Letzteren damals in Adamawa nicht mehr angetroffen, seit-
dem nie wieder einen Christen gesehen, sei auch nicht in seine Hei-
math zurückgekehrt und halte sich also für verpflichtet, mir den Brief
zu überliefern. Seit fast zwei Jahrzehnten reiste dieser Mann rastlos
hin und her und hatte bei aller Thätigkeit, ohne unverständig und
anspruchsvoll zu sein, nicht vermocht, so viel zu erübrigen, dass ihm
sein Ehrgefühl die Rückkehr in die Hcimath gestattet hätte. Sein
trauriges, allerdings nicht ungewöhnliches Schicksal und die Treue,
mit der er eine lange Reihe von Jahren jenen Brief aufbewahrt hatte,
erhöhten das tiefe Bedauern, das ich empfand, als der Arme bald
darauf in wenigen Tagen einer acuten Halskrankheit (wahrscheinlich
Diphtheritis) erlag.
Unter meinen zahlreichen Bekanntschaften muss ich vorzüglich
zwei Leute erwähnen, von denen der Eine mein nächster Nachbar,
der Mo'allim Adern vom Wadäf-Stamme der Abu Senün oder Kodoi,
der Andere ein Scherif Ahmed von Medina, bekannt als Scherif el-
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mo’allim adf.m. — scherIf el-mEdEnI.
639
Medgni, war. Jener, einer der strenggläubigsten und fanatischsten
Mohammedaner, die ich je gesehen habe, überwand erst ganz all-
mählich seinen Widerwillen gegen mich als einen Christen, wurde
aber dann mein werthvollster Berichterstatter über Wadai, wohin zu
gelangen ich damals nicht hoffen konnte. Er war ein vcrhältniss-
mässig gut unterrichteter Mann, der nicht blos den Qorän lesen und
recitiren konnte, wie die Gelehrten jener Länder, sondern die arabische
Grammatik kannte, folglich von unschätzbarem Werthe für mein
Studium der Wadai- Sprache war. Während er Anfangs in seiner
religiösen Engherzigkeit sogar meine Diener von mir abwendig zu
machen suchte, indem er ihnen unaufhörlich von der Schande
und Sünde sprach, welche für den Muselman darin liege, einem
Christen zu dienen, wurde er später, als er die erste Scheu vor der
Berührung mit einem solchen überwunden hatte und sah, dass ich
freundschaftliche Beziehungen zum Mo’allim Mohammed, dieser von
ihm bewunderten Leuchte des Glaubens und der Wissenschaft, unter-
hielt, mein täglicher Besucher. Wenn ich manche unfruchtbare Stunde
der religiösen Discussion mit ihm durchmachen musste, so verdanke
ich ihm dafür auch viele werthvolle geographische und linguistische
Notizen über sein Vaterland.
Der Andere, der lebenserfahrene Scherif el-Medeni, der oft über
das unermüdliche Bestreben Mo'allim Adem's, mich zu bekehren,
lachte, war mir in anderer Beziehung von fast noch höherem
Werthe. Er kannte die Länder der Nordkiiste Afrika's, von Marokko
bis Egypten , hatte Syrien und Palästina besucht, die Christen in
Malta kennen gelernt und erzählte gerne von der wohlwollenden
Behandlung, welche ihm als Scherif der heiligen Stadt Medina von
Seiten der französischen Behörden in Algerien zu Theil geworden
war. Seit einer ansehnlichen Reihe von Jahren lebte dieser Mann
in Küka, anfangs durch die Freigebigkeit des Scheich in relativ
glanzenden Verhältnissen und dann, als er sich nicht entschlossen
konnte, zur rechten Zeit das Land zu verlassen, auf seine eigenen
Kräfte angewiesen. Er hatte sich, wie die meisten Ausländer, eine
Familie gegründet und musste jetzt die grössten Anstrengungen
machen, um sich anständig durchzubringen. Schon seit Jahren
hatte er vergeblich danach gestrebt, in sein Vaterland oder nach
der Nordküste Afrika’s zurückzukehren. Einige Male war es ihm
wirklich gelungen, soviel Sclaven, Straussenfedern und Elfenbein
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III. BUCH, 6. KAPITEL. DIE HAUPTSTADT VON BORNC.
040
zusammenzubringen, dass er glaubte abreisen zu können; doch stets
hatten ihn aussergewöhnliche Unglücksfälle im letzten Augenblicke
zurückgehaltcn. Das eine Mal hatte ihn eigene Krankheit — er litt
erheblich vom dortigen Klima — niedergeworfen, ein anderes Mal
hatte eine Epidemie seine Sclavenschaar gelichtet, ein drittes Mal
waren ihm seine Lastthierc gestorben, und fatalistisch tröstete er
sich damit, dass „Gott ihm den Heimweg noch nicht bestimmt habe".
Er war ein intimer Freund von Gerhard Rohlfs gewesen und über-
trug seine Anhänglichkeit an diesen auch auf mich. So lange ich
mein Hauptquartier in Küka hatte, blieb er mein zuverlässigster
und erfahrenster Rathgeber, stellte mir die Liste meiner Aus-
rüstungs-Gegenstände zusammen, so oft ich von Bornü aus Reisen
unternahm, denn er kannte alle Sudan - Länder und ihre Waaren - Be-
dürfnisse, und kaufte mir meine Reiscbedurfnisse billiger, als es mir
jemals auf anderem Wege gelang. Während meiner späteren Ab-
wesenheiten von Küka betraute ich ihn stets unter Mitwissen des
Scheich und zum grossen Missvergnügen Ahmed Ben Brdhtm’s mit
der Vertretung meiner Interessen.
Solche Leute, die trotz der Noth, unter der sie selbst leiden,
sich nicht verleiten lassen, von der strengen Redlichkeit abzuweichen,
obgleich sie in einer Umgebung leben, in der eine entgegengesetzte
Handlungsweise, besonders einem Ungläubigen gegenüber, ganz natür-
lich gefunden werden würde, müssten besser belohnt werden, als es
deutschen Reisenden leider möglich zu sein pflegt. — Zu jener Zeit
war der Scherif el -Medöni grade aus den Niger - Ländern mit etwa
20, ooo Güro- Nüssen, in deren schwieriger Behandlung er besonders
erfahren war, zurückgekehrt.
Von meinen Nachbarn unterhielt ich noch einen freundschaft-
lichen Verkehr mit dem mir gegenüberwohnenden Rathsherrn
Kökena - Ali Malija, dessen Familie aus Tibesti stammte, der aber
selbst sein eigentliches Vaterland nie gesehen hatte. Er war einer
der officiellen Vertreter der Tubu (Teda und Däza) in der Nokena,
beim Scheich wohl gelitten, doch, da er jeder Schlauheit und jeden
Talentes zur Intrigue baar war, ohne wirklichen Einfluss, ein freund-
licher, wohlwollender, wenig fanatischer Mann, der keine Aehnlichkeit
mit seinen Stammesgenossen, wie sic in meiner Erinnerung lebten,
hatte. Mit seiner einzigen Frau, einer nahen Verwandten des Scheich,
welche ich im Jahre darauf am Mutterkrebs zu Grunde gehen sah,
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’AI.t MALtjA. 041
und mit seinen Kindern stand er in liebevollstem Verkehr, so dass
ich durch das ausgezeichnete Familienverhältniss oft an die Heimath
erinnert wurde.
An vorübergehenden Bekanntschaften und Besuchern fehlte es
übrigens nie. Eingeborene Nachbarn der unteren Stände, die eine
Güro-Nuss zu erobern hofften, verarmte Tripolitaner oder Kaufleute
aus den Nil-Ländern, die den Kaffee lange entbehrt hatten, durch-
reisende Pilger und Abenteurer, die eine Reiseunterstützung erbaten,
Neugierige aus den Nachbarländern, die noch keinen Christen ge-
sehen hatten, Prinzen oder junge Leute aus vornehmen Häusern, die
auf ein Geschenk speculirten, freigelassene Sclaven, welche Tunis,
Tripolis oder Constantinopcl kannten, Hülfe suchende Kranke und
Reisegefährten aus Fczzan, welche ein Stündchen verplaudern oder
ein Darlehn aufnehmen wollten, raubten mehr von meiner kostbaren
Zeit, als mir lieb war.
Nachtigal. I.
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Siebentes Kapitel.
KLEIDUNG UND ERNÄHRUNG DER BORNÜ-LEUTE.
Annahme der Bornü-Tracht. — Vorzüge und Nachtheile derselben. — Vorliebe der Kanüri
für Kleiderpracht. — Webe- und Färbe- Kunst. — Verzierung der Kleidungsstücke.
— Toben und Hemden. — Gewänder aus ßomfl, Haussa und Ntfe und ihre Preise.
— Beinkleider, Kopftracht und Fussbekleidung. — Kleidung der Frauen. — Hüften-
shawl, Schultertuch und gestickte Hemdchen. — Haartrachten. — Schmuckgegen-
stände. — Ernährung der Bornti- Leute. — Duchn und Durra. — Durra- Arten. —
Mehlfabrikation. — Das vorwaltende Gericht. — Weizen- und Gerste -Gerichte. —
Reis- und Mais* Verwendung. — Surrogate des Getreides. — Bereitung des 'Atsch
und anderer Gerichte. — Die Saucen und ihre Bereitung. — Ihre vegetabilischen
und animalischen Bestandteile. — Genuss frischen Fleisches der Ilausthiere. —
Wildfleisch. — Har Am und Makroh. — Genuss frischer Fische. — Die Fische des
TsAde. — Die Heuschrecken als Nahrungsmittel. — Verschiedene Arten derselben.
— Frösche. — BaumfrÜchtc. — Gartenfrüchte. — Bohnen. — Erdnüsse. — Tages-
zeit der Mahlzeiten. — Anstandsregeln beim Essen. — Getränke. — Milch. —
Honig. — Kaffee. — Die Güro-Nuss. — Ihr Vorkommen und Preis. — Empfind-
lichkeit und Krankheiten derselben. — Merissa. — Tabak.
In meinem Verkehr mit der Aussenwelt suchte ich mich ganz
den herrschenden Sitten und Gebräuchen anzuschmiegen und ver-
zichtete zunächst auf die europäische Kleidung, indem ich die
Landestracht adoptirtc. Abgesehen davon, dass ich auf diese
Weise meiner Person den Charakter des Fremdartigen und da-
durch Misstrauen Erregenden in Etwas nahm, so wurde ich dadurch
auch in den Stand gesetzt, stets anständig, ja vornehm gekleidet zu
sein, während mein geringer Vorrath an europäischen Kleidern mich
bei dem Verluste von Knöpfen, bei unvermeidlichen Flecken und
Löchern dem Rufe der Armuth, Unsauberkeit und Nachlässigkeit
ausgesetzt haben wurde. Dazu bieten die faltige Tobe und das aus-
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DIE kornO-traciit.
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giebige Beinkleid des Sudan nicht allein kleidsamere und nach
dortigen Begriffen anständigere Kleidungsstücke, als unsere knappen
Rockchen und besonders unsere die Formen des Körpers allzusehr
hervorhebenden Beinkleider, sondern sind auch durch Schnitt und
Stoff der Gesundheit entschieden zuträglicher, indem sie die Haut-
ausdünstung erleichtern. Ich verzichtete sehr bald auf wollene Unter-
jacken und Flanellhcmdcn, welche mir ein unerträgliches Hautjucken
und Hitzegefühl erzeugten, bediente mich im Hause ausschliesslich
eines massig weiten, weissen Shirting-Hemdes und ebensolchen Bein-
kleides und fügte zu ihnen auf der Strasse eins der mir vom
Scheich geschenkten Gewänder oder bei besonderen Gelegenheiten
deren zwei. Wenn ich mir nicht, der Landessitte entsprechend, mein
Kopfhaar rasirte, da mich die üblichen Rasirmesscr mit einigem
Misstrauen erfüllten, so liess ich es doch mit der Schcere so kurz
als möglich schneiden, trug in der Wohnung ein kleines Baum-
wollenkäppchen oder ging barhäuptig und bediente mich ausserhalb
eines Tarbüsch zum Schutze gegen die Sonne und um meinen nor-
dischen Ursprung anzudeuten. Da ich nur einen sehr kleinen Vor-
rath von Strümpfen besass, so bediente ich mich derselben nur,
wenn ich einen Besuch bei Hofe oder bei einem sehr vornehmen
Manne machte, und trug sonst im Hause oder ausserhalb nur die
bequemen Schuhe, welche in Bornü in grosser Menge aus dem feinen,
gelbgefärbten Ziegenleder der Haussa- Staaten verfertigt werden.
Ich gewöhnte mich sehr leicht an diese Tracht, wusste bald die
weit über die Fingerspitzen hinausreichenden Seitentheile oder Aermel
der weiten Gewänder mit Leichtigkeit über die Schulter zurück-
zuschlagen, um die Arme frei zu machen, und fand den Luftdurch-
tritt, welchen die von oben bis unten seitlich offenen Toben gestatten,
höchst erfrischend. Auf Reisen sind diese Kleidungsstücke allerdings
wenig praktisch und eignen sich überhaupt nur für denjenigen, der,
wie die Vornehmen des Landes, keine Arbeit zu verrichten, sondern
nur daran zu denken hat, wie er es sich am bequemsten machen
oder den Leuten am meisten imponiren kann. Sie behindern durch
ihre Weite und Länge das schnelle Gehen und Laufen, das Besteigen
der Pferde und Kameele und den Gebrauch der Waffen und bieten
den Stacheln der vorwaltenden Akazien und Zizyphus- Arten zu viele
Angriffspunkte. Auf Reisen und bei körperlicher Arbeit schürzen
die Einwohner das Gewand bis auf die Oberschenkel auf, befestigen
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C44 III. BUCH, 7. KAP. KLEIDUNO UNI) F.RNÄIIRUNO DF.R BORNÜ-LEUTE.
es durch einen Gürtel um die Taille und binden die bis auf die
Schultern aufgerollten Aermel im Nacken zusammen.
Dass die Bornii- Leute die Kleiderpracht sehr lieben und sich
gern mit Toben, von denen sie eine über die andere ziehen, in der
beschwerlichsten und selbst unförmlichsten Weise behängen, habe
ich bereits erwähnt. Dies gilt natürlich vor Allen von den Städtern
und unter diesen von den Kanüri. Von den in den Dörfern leben-
den Leuten huldigen die Araber, die Tubu und Kojäm einer grösseren
Einfachheit, als die Kanüri, Mäkäri und Kanembu, und von diesen
sind wieder die Letztgenannten die wenigst anspruchsvollen. Die Allen
gemeinsame Kleidung besteht aus Tobe, Beinkleid und Lederschuhen;
selbst die meisten der nordischen Araber, deren Beinkleid dem der
Bornü-Leute in der Weite schon nahe kommt, adoptiren die Tobe
und fügen höchstens in der Erinnerung an die Heimath noch einen
Shawl um Schultern und Kopf hinzu. Vielen jedoch erlaubt ihre
Armuth nur einzelne Stücke eines solchen Anzuges, und in den Dör-
fern sicht man die meisten Leute ohne Schuhe und Viele nur mit
einem Schurzfell um die Hüften bekleidet.
Die Toben — Kulgu, pl. kulgua — kommen entweder aus den
industriereichen Haussa- und Nigerländern in fertigem Zustande, oder
werden im Lande selbst verfertigt. Im letzteren Falle werden sie
aus 4 bis 5 Cm. breiten Baumwollenstreifen — Gabag — , welche
ebenfalls im Lande fabrizirt' werden, zusammengenäht. Während
weiter im Westen die Streifen zu manchen Zwecken bis zur Hand-
breite und darüber hinaus gewebt werden können, wissen die Bornü-
Leute ihre Webeproducte nur in der angegebenen Breite herzustellen.
Die feinsten Webereien werden fast ausschliesslich in Privathäusern
gemacht, weil die Herstellung derselben zu viel Zeit und Mühe erfor-
dert und für den Verkauf nicht lohnend genug sein würde. Der dazu
dienende Apparat ist ein sehr einfacher. Die Kettenfaden werden, je
nach der Breite der zu webenden Streifen , iiber zwei bewegliche
Rahmen gespannt, von denen der eine die grade, der andere die un-
grade Zahl der Fäden enthält. Um dieselben straff zu ziehen, sind
sie an ihren Enden durch Holz- oder Steingewicht befestigt. Durch
Verschieben der Rahmen wird das Durchziehen des Einschlags-
fadens ermöglicht und schliesslich das Gewebe, gewöhnlich mittelst
eines Kammes, gedichtet. In der Uinge sind die so entstehenden
Streifen nicht beschränkt, indem man an die Enden der Fäden andere
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GEWÄNDER DER LANDESMANUEACTUR.
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knüpft, so dass man die in den reichen Häusern verfertigte feine
Weberei in einem scheibenförmig aufgeroliten Streifen von mehr als
ICO Dra Länge findet, aus dem dann das Gewand zugeschnitten wird.
Den fertigen Gewändern giebt man die nöthige Appretur durch fort-
gesetztes Klopfen mit dazu bestimmten Schlägeln.
Die Bornü-Toben sind entweder weiss oder indigogefärbt, und
zwar ist die erstgenannte Art die häufigere, die letztere die beliebtere.
Die Färbekunst ist in Bornü bei weitem nicht so verbreitet und aus-
gebildet, als in den Haussa-Ländern, doch geniesst die Provinz Kötüko
in dieser Beziehung eines vortrefflichen Rufes. Da natürlich die ge-
färbten Gewänder theurer werden, so sind diejenigen geringster Qua-
lität, welche einen Werth von nur */a bis i Maria- Theresia -Thaler
{2 bis 4 Mark) haben, die Kosten des Färbens nicht werth. Man
färbt hellblau oder blauschwarz und liebt diese Farben, besonders
die dunklere, um ihrer selbst willen, und nicht etwa nur deshalb,
weil sic die Gewänder kostspieliger oder praktischer machen.
Die in Bornü gefertigten Gewänder, besonders die besseren, sind
langer und umfangreicher als die aus Westen cingefuhrten und
werden ebenso geschickt verziert und gestickt als die letzteren. Die
Verzierungen sind sehr eigenartig und erstrecken sich auf die früher
erwähnte grosse Brusttasche, deren vordere Wand in rnannichfachcr
Weise mit durchbrochener Arbeit verziert ist, und auf den dem linken
Schulterblatt entsprechenden Theil, der gewöhnlich eine kreisförmige
Stickerei mit verschiedenen Feldern trägt. Die Farbe der Verzie-
rungen ist gewöhnlich weiss, ihr Material besteht in roher Seide oder
feiner Baumwolle.
Mannichfaltiger in Qualität und Musterung des Gewebes, als die
in Bornü selbst gefertigten Gewänder, sind diejenigen, welche aus
den westlich von Bornü gelegenen Landschaften eingeführt werden.
Von diesen wiederum sind die beliebtesten: für die Vornehmeren das
in bester Qualität aus Nifc und in geringerer aus Kanö kommende
Perlhuhn -Gewand — Kulgu kädschi kan. oder Tob säki arab. — ,
welches ich bereits früher beschrieben habe, und für die Mittel-
klasse die oft in diesem Berichte erwähnte, schwarzblau gefärbte und
durch vollständiges Imprägniren mit Indigo und nachhaltiges Walken
hart, spiegelglatt und glänzend gewordene Körörobschi -Tobe, deren
Fabrikation ihren Hauptsitz in Kanö hat; auch das gleichfalls be-
schriebene Gewand Säki harir ist recht beliebt. Die Stickereien der
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646 111. BUCH, 7. KAP. KLEIDUNG UND ERNÄHRUNG DER BORNÜ-I.EUTE.
Haussa- Gewänder sind bei einer weissen Farbe dieser und bei den
Kädschi-Tobcn meistens ebenfalls weiss, bei den mit rothen Seiden-
streifen versehenen vorwaltend grün, und bei den Körörobschi-Gc-
wändern stets sehr einfach und ebenfalls schwarzblau.
Dem Schnitt nach zerfallen die Männergewänder in Kulgu, Go-
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VERSCHIEDENHEIT NACH SCHNITT UND STOFF. »VI 7
mädschi und Tugöbuski, von denen die erste Art der arabischen
Tobe entspricht, die zweite unserem Hemde am nächsten kommt,
wahrend der Tugöbuski durch die grössere Weite der Aerme! zwischen
Beiden steht. Das letztere Gewand figurirt übrigens selten in der
Nomenclatur und wird gewöhnlich ebenfalls Gomädschi genannt.
Die Bornü-Leute haben eine endlose Reihe von Bezeichnungen
für die gebräuchlichen Gewänder, je nach Stoff, Schnitt, Karbe und
Verzierung derselben. Unter den Hemden Gomädschi ist das
armseligste Kleidungsstück Gomädschi tälagäbe (d. h. wörtlich „Hemd
des Armen”), von grobem Stoff engen und kurzen Acrmeln und ohne
Verzierung; dasselbe hat einen ungefähren Preis von nur ’/s Maria-The-
resia-Thaler (2 Mark). Von demselben geringen Stoffe und spärlichen
Umfange, doch mit einiger Verzierung ist G. leiawa zum Preise von
etwa I Thalcr. Eine Stufe höher steht G. scliäja, und beliebt bei
der Mittelklasse ist G. täschiläfia, das schon einen Preis von 3 bis 4
Thalern haben kann. Stutzer und Vornehme lieben das sogenannte
Elephantenhemd (so genannt wegen seiner grossen Weite und Länge
und seiner mächtigen Aermel), das gewöhnlich aus Perlhuhn -Gabag
besteht, also aus den Haussa-Ländern stammt, reich verziert ist und
wohl 12 bis 15 Thalcr kostet.
Von den Toben ist Kulgu döra die ärmlichste (sie hat einen
Preis von nur etwa '/* Thaler); etwas höher steht K. ädabe (von
äda, das allgemein Uebliche) oder K. gedibe (d. h. des Ostens),
welche 1 bis 2 Thaler kosten, und von denen die letztere von
den solider arbeitenden Mäkäri fabricirt wird, oder auch die aus
Chäm gemachte Tobe — K. maqtabe — , von denen zwei auf ein
Stück — Maqta — gehen. Die besseren Toben im Stoff und aus-
giebigeren im Umfang liebt man gefärbt, wie K. amagdi, deren Preis
4 bis 5 Thaler beträgt, oder K. näschi, von ähnlicher Qualität, doch
in der Provinz Kötöko gefärbt und darum theurer, oder auch K. kerde
— Kerde werden in Bornü vielfach die Baghirmi- Leute genannt — ,
die man mit dunkelblauen Streifen versieht und die vorzugsweise von
alten, ehrwürdigen Leuten getragen wird. K. säme wird aus euro-
päischem Seidenstoffe in Bornü gearbeitet und erreicht bei guter
Qualität und lebhafter Nachfrage wohl einen Preis von 50 Thalern.
Die genannten Gewänder gehören mit Ausnahme des Elephantcn-
hemdes der Bornü-Manufactur an. Von denen, welche in den Haussa-
Ländern gefertigt werden, und deren Arten sehr viel zahlreicher
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(548 III. BUCH, 7. KAP. KLEIDUNG UND ERNÄHRUNG DER PORNO-LEUTE.
sind, als die Bornü-Gewänder, haben wir die nennenswerthestcn und
die am meisten auf dem Markte von Küka vertretenen : K. Körörobschi
(3 bis 6 Thaler), die Perlhuhn-Töbe, die bis zu 20 Thalern und selbst
mehr kosten kann , und dieselbe mit Seidenstreifen — K. kädschi
harJhva — , die gewöhnlich aus weniger guten Kädschi-Gabag besteht
und darum billiger ist, bereits kennen gelernt. Die bescheidenste
Haussa-Tobe ist K. köre (die kurze, kleine), welche weiss oder ge-
färbt sein kann und für ca. 3 Thaler gekauft wird. Dann folgt K.
gäli, nicht selten farbig gestickt und in Küka etwa 5 Thaler werth.
Sehr weiss gebleicht, von sehr feinem Gewebe und reich verziert ist
K. bunuffi aus Nife, die in Bornü mit ungefähr 20 Thalern bezahlt
wird. Das feinste Gewebe hat K. zongua-t-ere (Hausse-Name), und
ihr reicher Zierrath von Seidenbesatz und Stickerei lässt sie nicht
selten einen Preis von 40 Maria-Theresia-Thalern erreichen.
Der aus Europa oder Amerika cingeführte, ungebleichte, grobe
und locker gewebte Baumwollcnstoffi, der als Cham von Norden und
als MCrikäni von Westen kommt und stets auf dem Markte Cours
hat, wird nur vom Mittelstände und den Aermeren zur Kleidung
verarbeitet, da er in jeder Hinsicht hinter dem einheimischen Fabrikate
zurücksteht. Die Vornehmen tragen hingegen oft Hemd und Bein-
kleid aus dem feineren, weissgebleichten Baumwollenstofte der Cultur-
lander, der unter dem Namen Dibelän (verstümmelt aus der auf der
Nordküste gebräuchlichen Bezeichnung Madopolan) vom Niger oder
Nil nach Bornü gelangt oder aus Tripolis kommt und in diesem Falle
Mahmüdi heisst und von geringerer Qualität ist. Die Beinkleider —
Jangc — sind in einer so ungeheuerlichen Weite beliebt, dass man
nicht selten zu einem einzigen zwanzig Meter des etwa ein halbes
Meter breiten Stoffes verwendet findet.
Wenn die Kanüri, Käncmbu und Mftkäri meistcntheils barhäuptig
gehen, so haben doch die Känembu eine nationale Kopfbedeckung,
welche nach Art der arabischen Taqija, doch höher, aus blaugefärbten
Gabag gefertigt und Dschöka genannt wird.
Der bequemen, aus gelb- oder rothgefärbtem Ziegenleder ge-
machten Schuhe, von denen die gelben nicht selten recht gefällig mit
rother Seide gestickt sind, und zu deren Sohlen man mit Vorliebe Büffel-
haut verwendet, habe ich bereits Erwähnung gethan, muss aber noch
hinzufugen, dass die Aermeren barfuss gehen oder sich bei weiteren
Gängen der Sandalen bedienen. Die geschmackvollsten der letzteren,
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EINGEFUHRTE STOFFE. — MEINET. EIDER. — KOI’F- U. FUSS-JIKKI.EIliUNG.
besonders für die Frauen, kommen aus den Haussa -Ländern und
haben in seltenen Fällen die Zierde einer Rosette aus schwarzen
Straussfedern auf dem über den Fussrücken verlaufenden breiten
Lederstreifen. Auch darf eine Bornü durchaus eigentümliche Art
von leichter, sohlenloscr Fussbeklcidung für Reiter, die entweder ein
Schuh oder ein bis über die Wade reichender Stiefel ist, nicht ver-
gessen werden. Der vordere Theil derselben zeigt nach Art eines
Fausthandschuhs zwei Abtheilungen, von denen die eine nur die
grosse Zehe aufnimmt, und die andere für die übrigen bestimmt ist;
zwischen beiden hält der Reiter einen Schenkel des Steigbügels.
Samhilcsi Au»
Die Kleidung der Frauen setzt sich aus dem schon erwähnten
Huftenshawl, dem Umschlagctuch für die obere Körperhälfte und
zuweilen dem kurzen, gestickten Ilemdchen zusammen. Die beiden
ersten stammen fast ausschliesslich aus den Haussa -Ländern, denn
sic bestehen fast immer aus Turkedi, so dass der Huftenshawl sogar
nur diese Benennung führt. Die Turkedi kommen aber in solcher
Menge und zu so geringen Preisen auf die Märkte Bornü's, dass man
dieselben aus einheimischen Gabag nicht nachahmen kann, da man
sie auswärts färben lassen müsste. Das Gewebe der Turkedi ist
durchaus das der Körörobschi - Tobe ; sic ist ebenso mit Indigo
impragnirt und durch anhaltendes Walken zu einem ebenso steifen
und glänzenden Stoffe geworden als diese. Sic wechselt einiger-
massen in Grösse, reicht aber in ihrer Länge von etwa 3 M. bei
einer Breite von 1 bis 1 '/j M. zu den genannten Tüchern kaum hin,
so dass man oft ihrer mehrere zusammennäht. Man bedient sich
jedoch nicht allein der Turkedi zu den Shawls, sondern lässt oft,
vorzüglich bei den Schultertüchcrn — Zeni — , die schwarzblauen
Gabag derselben mit Kädschi- Streifen oder mit Gabag säki harir
abwechscln.
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650 III. BUCH, 7. KAP. KLEIDUNG UND ERNÄHRUNG DER BORNÜ-LEUTE.
Eine TurkSdi von der angegebenen Grösse kann je nach der
Güte des Gewebes und der Färbung ’/s bis 3 Thaler kosten; wenn
die schwarzblauen Streifen der Turkedi mit Kädschi-Gabag ab-
wechseln, so erhält der Hüftenshawl den Namen Gambaräja und
sein Preis liegt zwischen 1 und 4 Thalcrn. Zu den Umschlagtüchern
aus gewöhnlicher Turkedi kommen noch: Zeni mailamömi mit
Seidenstreifen; Z. amanga mit breiten, abwechselnd blauen und
weissen Gabag; Z. geddu mit handbreiten Gabag (soll aus Illöri
stammen); Z. schikangeri aus eben solchen Streifen, die jedoch
Gestickte» Hcmdchcn der Bornii- Frauen.
abwechselnd hellblau und dunkelblau sind; Z. fczzäka, in dem die
breiten Streifen noch schmale Kädschi-Gabag mit Scidenstreifen
zwischen sich haben. Alle wechseln in der Lange von 2 bis 3 M.
und im Preise von 1 bis 4 Thalern.
Die gestickten Hemdchen werden meist aus Cham, der hell- oder
dunkelblau gefärbt ist, zuweilen aus Dibelän, seltener aus Kädschi-
Gabag und am seltensten aus Seide gemacht. Die das Gewand
zierende Stickerei mit rother, gelber, hellblauer, grüner, dunkel-
blauer P'lockseide zeigt höchst eigenartige und geschmackvolle Muster
und beleidigt das Auge weder durch die Ucberladung, noch durch
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Kl, EIDUNG, HAARTRACHT UND SCHMUCK DER FRAUEN. 651
die oft in grellen Contrastcn zusammengestellten Farben. Diese
zierlichen Gewänder können je nach dem Stoff, nach der Qualität
der Seide , nach dem Reichthum und Muster der Stickerei einen
Werth von 2 bis 25 Maria-Theresia-Thalcrn haben.
Die Kanüri-Frauen tragen das Haar an Schläfen und Hinterhaupt
in kleinen, kurzen, dicht neben einander liegenden und am Ende
pinselartig aufgelösten Flechten ; das des Scheitels ist durch einen
Querscheitel in eine vordere und hintere Abtheilung geschieden,
deren jede wieder in ähnliche Flechten mit noch längeren, künstlich
zerzausten Enden geordnet ist. Stirn und Schläfen sind stets ziemlich
hoch ausrasirt. Im Vergleich zu den Araberinnen und Fezzancrinnen
treiben sie einen nur massigen Missbrauch mit Hutter und Essenzen
für ihre Coiffure. Die jetzt übliche Haartracht scheint erst seit
einigen Mcnschcnaltern Mode geworden zu sein. Früher sollen
die Bornu- Damen alle der Mode gefolgt sein, welche sich bei den
Frauen der Ngomätibu (Abtheilung der Bornu -Bewohner) erhalten
hat, und derzufolgc das Haar von allen Seiten auf eine von der
Stirn zum Hinterkopf verlaufende, nach Art eines Helmkammes ge-
formte Unterlage hinauf gekämmt ist. Wir werden bei der Be-
schreibung der Reise durch das Gebiet der Ngomätibu diese kleid-
same Haartracht noch weiter kennen lernen.
Die Känembu-Frauen rasiren nicht allein den der Stirn nächst ge-
legenen Thcil des Kopfhaares, sondern auch die seitlichen und hinteren
Partiecn desselben und ordnen die übrigen Haare in eine vordere
und hintere Abtheilung, deren zierliche Flcchtchcn am Ende nicht
aufgelöst sind, wie die der Kanüri-Frauen. Eine eigentümliche an
anderer Stelle zu beschreibende Haartracht haben die Frauen der
Mäkäri in der Provinz Kötöko, welche der später zu besprechenden
Mäsa- Familie angehören. Die Schöa- Frauen tragen längere, dünne
Flechtchen, welche, das Gesicht freilasscnd, seitlich und hinten herab-
fallen; doch die im Südosten Bornus wohnenden Araberinnen haben
ausserdem eine vom Scheitel nach hinten laufende, starke Flechte,
welche sich im Nacken fragezeichenförmig nach oben krümmt.
Von Schmuckgegenständen zieren, ausser dem angeführten halb-
mondförmigen, silbernen Haarschmuck , noch breite, dünngewalztc,
eng anschliessende, silberne Spangen am Vorderarm — Musköram — ,
über dem Ellnbogengelenk — Bibiram — und über den Fussknöcheln
— Rckä — und das unvermeidliche Stück Edelkoralle — Mordschän
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652 HI. BUCH, 7. KAP. KLEIDUNG UND ERNÄHRUNG DER BORNC-LKUTE.
arab. und kan. — im rechten Nasenflügel die eitlen Bornü -Damen.
Als Halsschmuck werden Gehänge von Perlen — Charaz arab. und
Kullulu kan. — , von selteneren Glas- und Porzellan-Perlen, von Korallen-,
Bernstein- und Achat- Stückchen für die Vornehmeren, von gewöhn-
lichen Glas- und Thonperlen und unächten KoraHen — Mordschän
tälägäbe (d. h. Koralle des Armen) kan. — für die Aermeren ver-
wendet. Die Araber-Frauen lieben für ihre Halsketten den Bernstein
in möglichst grossen Stücken — man sieht ihn bis zur Taubenei-
grösse — und tragen nicht selten in dem linken Nasenflügel grosse,
fast geschlossene Silberringe, auf welche Korallen- und Bernstein-
perlen gereiht sind.
Wenn ich mich sehr bald in der Bornü-Kleidung zu Hause fühlte,
so machte ich nicht so schnelle Fortschritte in der Gewöhnung
meiner Verdauungsorganc an die dort übliche Nahrung. Ich nahm
täglich zwei Mahlzeiten, wie die Eingeborenen, zu mir, um Mittag
und um die Zeit der Aschä (i’/2 Stunde nach Sonnenuntergang),
doch behielt ich noch lange in der Wahl und Zubereitung der Speisen
europäische Gewohnheiten. Mittags pflegte ich ein Gericht von
wildem Reis, oder ein Weizengericht mit oder ohne Fleisch und ein
Paar gebratene Tauben oder ein ebenso zubereitetes Huhn, und
Abends eine Fleischsuppe mit Bohnen oder Tomaten und gekochtem
Hammelfleisch zu essen. Meine Küche wurde dadurch mit der Zeit
etwas einförmig, und ich war froh, hin und wieder beim Titiwi oder
Bü A'ischa oder Ahmed Ben Brähim speisen zu können , und dann
und wann einen aus Lamino’s Kochkunst hervorgegangenen Lecker-
bissen zu erhalten.
Im Volke hat unter den Speisen der in Tunis Asida, in Tripolis
Bazina und im sudanischen Arabisch Aisch genannte, steife Mehlbrei,
der hier vorzugsweise aus Duchn oder Durra bereitet wird, die Herr-
schaft. Obwohl Bornü durch einen grossen Reichthum an Schlacht-
vieh ausgezeichnet ist, so wird doch die Getreidenahrung als die
Grundbedingung der Ernährung und das Fleisch nur als eine, wenn
auch sehr erwünschte, Beigabe betrachtet Es kommt Niemandem
bei, die erstere für ersetzbar durch die letztere zu halten, und ich
würde beispielsweise meine Diener durch eine vermehrte Fleischration
nie zur Verzichtleistung auf den gewohnten Aisch zu überreden ver-
mocht haben. Dieser figurirt Morgens und Abends und im Mittel-
stände einzig und allein auf der Speisekarte und gestattet nur geringe
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' GETREIDENAHRUNG. — DUCHN UND DURRA. 653
Abwechselungen in der Wahl der dazu verwendbaren Getreidearten
und in der Zubereitung. Im Allgemeinen gilt der aus Duchn (Peni-
cillaria) bereitete Aisch für den nahrhafteren, doch geniessen einige
Sorghum- Arten ebenfalls eines guten Rufes.
Die Ptnicillaria — Argum möro — scheint, wenigstens im
nördlichen und mittleren Bornü nicht in verschiedenen Arten vorzu-
kommen. Das Sorghum — Ngäberi, Ngäföli, Ngäböli — ist sehr
viel arten- und varietätenreicher. Man unterscheidet an wilden
Arten desselben: Ngäföli burgu, das mit hohen Malmen, grossen,
dunkelfarbigen und so bitteren Körnern, dass selbst die Vögel dieselben
verschmähen sollen, in der unmittelbaren Nähe des Tsade wächst, und
Xg. kdgara, das mit sehr hohen Halmen und kleinen Körnern vor-
züglich in der Gegend von Ngornu Vorkommen soll und nur bei
Xothstand gegessen wird. In dem sandigen Terrain der Gegend von
Küka wird mit dem meisten Nutzen Nutzen Ng. gollu, mit kleinen,
länglichen Körnern cultivirt, und in den fruchtbaren, wasserreichen
Uferbezirken des Tsade dieser Gegend des Reiches ist Ng. mere mit
mittelgrossen, röthlichen Körnern am verbreitesten. Seltener als diese
ist Ng. singer, das als der König unter den Arten seiner Nahrhaftig-
keit, seiner Ergiebigkeit, der Mächtigkeit seiner Aehren und der
Höhe seiner Halme wegen bezeichnet wird und ebenfalls in dem
wasserreichen Humusboden der Tsade- Nähe gedeiht. Ng. dzerma
oder tsarma mit grossen, gelben und harten Körnern und sehr hohen,
starken und holzigen Halmen soll hauptsächlich im Marghi-Lande
Vorkommen, und Ng. keriram mit grossen, graufarbigen Körnern und
kurzen, höchstens meterhohen Halmen, wird aus dem Districte Ngo-
mäti zur Hauptstadt gebracht. Im Südwesten des Landes gedeiht
noch eine Art mit sehr grossen Körnern, die nur geröstet genossen
werden , und kurzen Halmen unter dem Namen Ng. njellogo oder
keläkeläno. Sehr bekannt ist Ng. mütschi, das vorzüglich im Süd-
osten des Landes wächst, sich durch kleine, röthliche Körner, die
selten zur Nahrung verwendet werden, und hauptsächtlich durch seine
rothen Earbestoff enthaltenden Halme auszeichnet. Der Duchn ge-
deiht besser in leichtem, sandigen Boden, und ist daher verbreiteter
im Norden und mittleren Theile des Reiches, während die Durra den
feuchten und fetten Boden mehr liebt. Man säet beide gleichzeitig
im Anfänge der Regenzeit und erntet nach ungefähr zwei Monaten,
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GT)4 III. BUCH, 7. KAP. KLEIDUNG UND ERNÄHRUNG DER BORNÜ-LEUTE.
so zwar, dass der Duchn etwa eine Woche früher reif ist, als die
Durra.
Noch schneller reift Sorghum saccharatum — Sa bä du — , dessen
zuckerhaltige Halme allein benutzt werden. Ich erwähne bei dieser
Gelegenheit das Sorghum cernuum — Massakiia — , das im Beginn der
zweiten Hälfte der Regenzeit auf schwerem Boden, am schlammigen
Rande von Wassertümpeln, ausgesäet wird. Sobald die Regenzeit
endet und der Boden etwas trocken geworden ist, nimmt man die
jungen l’flanzen aus der Erde und verpflanzt sie einzeln über die
zuvor mit Wasser bedeckte Fläche, giesst sie an und lässt sie dann
mit Hülfe des Bodenwassers und des Herbstthaues wachsen und reifen.
Die Ernte findet 2 '/g Monat nach der Aussaat statt.
In den besseren Häusern wird eine grosse Sorgialt auf die Mehl-
fabrikation verwendet, welche im Allgemeinen in Bornü gegen die
der Nachbarländer zurücksteht. Die Armuth des Landes an harten
Steinen, wie sic anderswo zum Mahlen gebräuchlich sind, zwingt die
Einwohner, sich mit dem Zerstampfen der Körner in Holzmörsern
zu begnügen, und trotz der Zeit und Kraft, welche die Frauen auf
diese Arbeit verwenden, lässt der Grad der Feinheit des hergestellten
Mehlcs viel zu wünschen übrig. Verschiedene, oft höchst zeit-
raubende Proccduren sind im Gebrauch, um das Mehl feiner, reiner
und weisser zu machen, doch reichen in der Mittelklasse dazu die
Arbeitskräfte nicht aus. In ihr und bei den Aermeren erzielt man
höchstens dadurch eine kleine Abwechselung, dass man die grob-
gestossenen, von dem Abfall befreiten Körner einige Tage im Wasser
der Gährung überlässt, trocknet und in Mehl verwandelt, das dann
einen säuerlichen Geschmack angenommen hat. Sonst ist der Brei
an und für sich durchaus geschmacklos, da er weder Gewürz noch
irgend eine andere Zuthat erhält; der Geschmack wird ihm durch
die Sauce und ihre Zuthaten gegeben. Ausser dem A'isch, der in
der Kanüri-Sprache Bcri heisst, aber ebenso oft nur mit dem gene-
rellen Namen Kumbu, d. h. Nahrung, belegt wird, bereitet man noch
aus den genannten Negercerealien, nachdem man die Körner hat
auswachsen lassen und den Mehlteig mit einem Ferment versehen
hat, dünne, säuerliche Pfannenkuchen, welche Senäsin heissen.
Selbst die Vornehmeren, denen die selteneren und theureren
europäischen Getreidearten Weizen und Gerste zugänglich sind —
beide werden nach vollendeter Regenzeit im Monat October gesäet,
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VERSCHIEDENE GETREIDEARTEN UND IHRE VERWENDUNG,
GÖ5
bedürfen regelmässiger, künstlicher Bewässerung und kommen zwei
volle Monate nach der Aussaat zur Reife — , entsagen deshalb dem
gewöhnlichen Aisch durchaus nicht, sondern begnügen sich, aus
jenen hin und wieder zur Abwechselung nordische Gerichte, wie
Kuskiisu, Mohammes und andere herzustellen, oder mit Honig und
Butter verschiedene Kuchen aus ihnen zu backen, wie Fingäso, Mo-
tobbek, Tirmitirmi und Käk, von denen der letztere, wie sein Name,
der arabischen Küche entlehnt ist. Zur Aisch- Bereitung verwendet
man den Weizen, ganz abgesehen von seiner Seltenheit, übrigens
nur ausnahmsweise; geschieht es, so fuhrt der Brei den Kanüri-
Namen Gudda. Häufiger macht man aus demselben aber die oben
unter dem Namen Senäsin erwähnten, gesäuerten Pfannenkuchen.
Der nur wild vorkommende Reis ( Oryza punctata ) — Firgämi
oder Schinkäfa — , welcher allerdings in der Güte weit hinter dem
cultivirten zurücksteht, wird im Ganzen nicht sehr geschätzt und
entweder als einfacher Brei gegessen oder häufiger zur Bereitung
einiger gewürzreicher und süsser Speisen verwendet. Wir haben
von den letzteren bereits die Näkia, in der Reismehl mit Honig und
etwas Butter zu einer homogenen Paste eingekocht ist, kennen ge-
lernt. Aehnlich verhält sich die beliebte Adschina zarka (d. h. der
graue Teig) von derselben Consistenz, und berühmt ist die Inzai oder
Tigra Wadäf’s, welche aus Rcismehl besteht, das zu mässig steifem
Brei eingekocht, mit Pfeffer und anderen Gewürzen versetzt und mit
Honig gut durchgearbeitet wird.
Selbst der in allen wasserreichen Gegenden Bornü's mit fettem,
humusreichem Boden vielfach gebaute Mais (Zea Mays) — Massarmi
— wird nie zu Aisch verwendet, sondern man begnügt sich, die
Kolben kurze Zeit der Einwirkung kochenden Wassers auszusetzen
oder sie oberflächlich zu rösten und die Körner als solche zu ge-
messen. Der Mais wird vor Beginn der Regenzeit ausgesäet, liebt
einen wasserreichen, fetten Boden und erfordert etwas mehr als zwei
Monate bis zur Reife.
Bei Misswachs und bei Hungersnoth in Folge von Kriegen und
dergleichen anormalen Zuständen nimmt das Volk seine Zuflucht zu
den Samen der zahlreichen Körner tragenden Gräser, welche das
Land bietet. Der aus ihnen bereitete Aisch ist zum Theil sehr
wohlschmeckend, wenn auch vielleicht weniger nahrhaft; doch er-
fordert das Einsammeln derselben eine zeitraubende Arbeit. Man
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65G III. BUCH, 7. KAP. KLEIDUNG UND ERNÄHRUNG DER BORNÜ-LEl'TE.
verwendet in dieser Weise vor Allem die zahlreichen Kreb -Arten
(Eragrostis sp.) — Kascha — , die Elcusitie fiagellifera, den Askanit
(Cenchrus echinatus) — Ngibbi — , den Akresch oder Abu Säbe
(Vilfa spicata.-), das oft erwähnte Knotengras Bü Rukba arab. (Pani-
cum turgidum), das Dactyloctenium acgyptium — Fagam — und das
Andropogon — Kädschtdschi — . Die Kreb- Arten, unter denen in
Bornu Kascha ngörögo oder magaia bekannt und beliebt ist, geben
eine so reiche, nahrhafte, leicht verdauliche und wohlschmeckende
Ausbeute, dass man sie auch ohne Nothstand verwendet. Die Zeit
der Reife dieser Gramineen fallt ungefähr mit der Duchn- und Ngäberi-
Ernte zusammen.
Der ’Aisch aus dem Mehl dieser Samenkörner wird ganz wie
aus dem der cultivirten Cerealien bereitet. Unter beständigem Um-
rühren mit einem starken Stabe schüttet man das Mehl ganz allmäh-
lich in einen thönernen Topf mit kochendem Wasser, und setzt diese
Manipulation des Umrührens über dem Feuer fort, bis der Inhalt zu
einem dicken Brei eingekocht ist. Wenn die Zähigkeit des letzteren
das Umrühren nicht mehr gestattet, so thut man denselben in eine
Schüssel und stülpt diese über einer anderen um, so dass der ’Aisch
als halbkugelige Masse in der letzteren liegt. Die Furche zwischen
Brei und Schüssclwand wird mit der Sauce, welche nach dem dazu
verwendeten Grünzeug in der Kanüri- Sprache den Namen Kälu
(eigentlich Blatt) führt und im Arabischen Idäm (eigentlich Zugemüse)
oder Weke heisst, ausgefullt und diese muss dem ganzen Gerichte
den Geschmack geben.
Duchn- und Durra-Körner dienen ausser zur Bereitung von Aisch
und Senäsin noch zur Herstellung anderer Gerichte. Durchknetet
man das Mehl derselben einfach mit etwas heissem Wasser, so ent-
steht die Tigra, welche mit Milch oder Honig genossen wird. Setzt
man Mehl von keimendem Getreide diesem Brei zu, lässt denselben
eine Zeit lang stehen, durchknetet ihn noch einmal mit Wasser und
trocknet ihn dann, in einzelne Häufchen getheilt, an der Sonne, so
erhält man die Tigra ngamdu, d. h. die trockene Tigra, welche, mit
süsser Milch genossen, sehr beliebt ist. Werden die Getreidekörner
nur grob zerstossen und zerrieben und dann zu einem wenig homo-
genen Brei verkocht, so heisst das Gericht Ngädschi. Von Kindern
und Aermeren sehr geschätzte Süssigkeiten sind Üliüli (geröstete
und zerstossene Duchn -Körner und Erdnüsse mit Butter zu kleinen
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ZUBEREITUNG HER GEWÖHNLICHEN MEHLSPEISEN. — SAUCEN. 0Ö7
Kuchen geformt) und Tabiska (Teig aus Duchn-Mehl, in Butter
gebacken). Kinder, Reisende, welche der Hülfe von Frauen ent-
behren, und Kranke essen anstatt des wohlzubereiteten Aisch wohl
eine dicke Mehlsuppe oder einen weichen Mehlbrei, welche den
Namen Bülliim führen. Man bereitet dieselben aus Duchn, Durra,
Weizen oder Gerste, setzt ihnen nach Bcdürfniss, Geschmack und
Vermögen, Gewürze und Butter oder Honig zu, liebt aber vorzugs-
weise, ihnen durch Abkochung mit Düm, Blto, Tamarinden den
diesen Früchten eigentümlichen Geschmack zu geben. Ein solcher
ßüilüm wird allgemein während des Fastenmonats unmittelbar nach
Sonnenuntergang zur Stillung des ersten Hungers genossen, grade
wie um die angegebene Zeit Städtebewohner höher civilisirter
mohammedanischer Länder Kaffee oder Limonade mit feinen
Backwaaren nehmen, während die eigentliche Mahlzeit bereitet
wird.
Die Saucen zu den Mehlspeisen bestehen gewöhnlich in einer
Abkochung von Baum- und Strauch-Blättern, Früchten oder Kräutern
mit frischem oder getrocknetem Fleisch. Von den ersteren werden
die des Affenbrodbaumes — Küka — , des Hedschlidsch — Bito — ,
des Rankengewächses Digdcgi kan. (Momordica Balsamina) , des
Maniok (Manihot utilissima) — Karäsu — und anderer verwendet.
Von den Baumfrüchten benutzt man vorzugsweise die der Dümpalme,
des Hedschlidsch, des Affenbrodbaumes und der Kurna, und von den
cultivirten Gemüsen sind zu demselben Zwecke beliebt: Bämia arab.
(Hibiscus csculentus) — Kobbclu — , die Melüchia arab. (Corchorus
olitorins) — Ngamzeno — , Tomaten, Bohnen — Lubia arab. und
Ngälo kan. — (z. B. Dolichos Lubia. D. Lablab, Vigna sinensis).
Erdnüsse (Arachis hypogaca — Koltschi — und Voandseia snbterranea
— Ngangala — ) und Sesam — Semsem arab. und Marraschi kan. — .
Die in den verschiedenen Gegenden des Landes zur Bereitung der
Saucen verwendeten wilden Kräuter sind zahllos.
Das mit den Saucen verkochte gedörrte Fleisch — Qadid arab.
ist stets Kuhfleisch, und man zerstampft es zuvor zur Erleichte-
rung des Kochproccsses in den Holzmörsern so gut als möglich zu
Pulver. Die Stiere werden hauptsächlich zum Lasttragen auferzogen,
sind darum theurer und werden höchstens in jugendlichem Alter von
den besser Situirten auch zum Genüsse frischen Fleisches geschlachtet.
Die Kühe dagegen, wenn sie nicht grade Milchkühe sind, eignen
Nachtigal. 1. 42
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G58 III. BUCH, 7. KAP. KLEIDUNG UND ERNÄHRUNG DER BORNÜ-LEUTE.
sich durch ihren geringen Preis am besten zur Herstellung des Qadid
und zur Ernährung der unteren Klassen.
In der Nähe des Tsäde und seiner fischreichen Zuflüsse ist zu
den Saucen die Verwendung der an Ort und Stelle fast werthlosen
getrockneten Fische sehr beliebt. An dem widerwärtigen Geschmack
und Geruch derselben, der den meisten Europäern unerträglich er-
scheint, nehmen die Sudaner nicht nur keinen Anstoss, sondern finden
sogar ein besonderes Gefallen an ihm. Die ärmeren Städter, die
anspruchslosen Bewohner abgelegener Dörfer und die Viehzucht trei-
benden Känembu und Schöa, welche sich zum Opfer eines Stückes
Schlachtvieh schwer entschliessen, begnügen sich anstatt der sonst
üblichen Sauce mit etwas verwässerter, saurer Milch.
Zu der Abkochung von Fleisch oder Fisch mit Vegetabilien
fügt man etwas Mehl und setzt dann die Gewürze hinzu: Salz, ent-
weder reines Speisesalz aus Bilmä, oder das unreine Product vege-
tabilischer Asche (im Norden Bornü’s meist des Siwak), Sudan-Pfeffer
(Capsicum conicutn) - Schetta arab. und Nschetta oder Njetta kan. — ,
der überall in grosser Menge cultivirt wird, Kumba- (auch Kimba-)
Pfeffer (Xylopia acthiopica) , der in Bornü kaum wächst, aber in
grossen Mengen aus den Haussa - Ländern auf den Markt gebracht
wird, und gern eine kleine Quantität von Natron, das in grosser
Menge von den Inseln des Tsäde gebracht wird.
Sind Äisch und Sauce zusammen aufgetragen, so übergicsst man,
wenn die Mittel es erlauben, das Gericht mit der üblichen flüssigen
Butter und schätzt dasselbe um so höher, je grösser die Quantität
der letzteren ist.
In den vornehmeren Häusern wird fast täglich noch ausserdem
frisches Fleisch zubereitet, sei es, dass man es mit der Sauce kocht,
sei cs, dass man cs in Butter gebraten oder einfach am F'euer ge-
röstet genicsst. Es giebt viele Häuser in Küka, in denen Tag für
Tag ein oder mehrere Stück Vieh geschlachtet werden. Allerdings
werden diese selten oder nie auf dem Markte gekauft, sondern theils
als Abgaben, theils als Geschenke von Bittstellern und Schützlingen
dem Hausherrn gebracht, theils besitzt dieser auf seinen Landgütern
und in seinen Dörfern grosse Heerden. Zum Genüsse frischen
Fleisches zieht man das der Schafe, Ziegen und Kamecle dem des
Rindes vor, das in der That in jenen Gegenden weder wohlschmeckend
noch leicht verdaulich ist. So ausgezeichneter Verdauungsorgane
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FI.EISCHNAHRITNG.
659
ich mich auch erfreute, so war ich doch sicher, nach jedem Genüsse
von frischem Rindfleisch Störungen derselben zu erleiden. Die Schaf-
zucht, besonders bei einigen Kanembu-Stämmen, liefert ausserordent-
lich grosse und fette Thiere zu sehr massigen Preisen. Auch das
Kameelfleisch ist sehr beliebt und gut vertraglich, kommt aber be-
greiflicherweise weniger zur Verwendung, da die Thiere selten und
theuer sind. Es hat allerdings, wie ich schon bei früherer Gelegen-
heit erwähnte, einen etwas eigentümlichen Geschmack , an den ich
mich jedoch leicht gewöhnte. Auch Hühner werden in Bornü
häufiger verwendet, doch überlässt man gern ihren Genuss, wie auch
den ihrer Eier, Frauen und Kindern. Beliebter sind die Tauben —
Kataböra — , welche merkwürdiger Weise nur im zartesten Alter, noch
unvollkommen befiedert, in geröstetem oder gebratenem Zustande
genossen werden.
Wildfleisch — Da kärdgäbe (von Kardga, die Wildniss) — kommt
im Verhältnis zu der Häufigkeit der Antilopen, Büffel — Ngaran — ,
Wasservögel (Gänse und Enten) und Perlhühner sehr selten zur Verwen-
dung, theils wohl, weil das Jägerhandwerk in allen jenen Gegenden
keiner besonderen. Achtung geniesst, theils aber auch, weil die
Hausthierc so zahlreich und wohlfeil sind. Nur Liebhaber, wie
Lamino, verschafften sich das Fletsch junger Büffel und jugendlicher
Giraffen — Kindscher — , und ich muss gestehen, dass dasselbe
ausserordentlich wohlschmeckend ist. Nur bisweilen kommen Hasen
— Turgona — , die in einer grösseren und einer kleineren Art Vor-
kommen, oder Feldhühner, von denen man Kujuk und Ferfer (oder
Ferfer känäm, weil cs mit Vorliebe Termiten — Kftnäm — frisst)
unterscheidet, deren Namen onomatopoetisch von ihrer Stimme ge-
nommen sind, oder Feld- und Waldtauben auf den Markt. Von den
reissenden Thieren, deren Fleisch Ahmed Ben Brahim zu gemessen
die Vorurtheilslosigkeit hatte, behagte mir der Löwenbraten eben-
falls, weniger dagegen Leoparden- und Hyänenfleisch. Im Allge-
meinen verdammt der Mohammedaner ihren Genuss, wenn nicht als
„haräni”, d. h. wirklich sündhaft, so doch als „makroh", d. h. unziem-
lich. In diese Categoric gehört auch das Fleisch der grossen Feld-
ratte — Züloa — und der Springrattc — Züloa schigal kurugu (d. h.
eigentlich Ratte mit langem Unterschenkel) — , welches beim Land-
volk sehr beliebt ist, das des Hippopotamus — Ngurütu — , des
Krokodils — Karäm — , welches aber von den Anwohnern des
4j>*
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fifjO III. BUCH, 7. KAP. KI. EIDUNG UND ERNÄHRUNG DER BORnO-UEUTE.
Schäri nie verschmäht wird und in der That sehr wohlschmeckend
ist, der Waran -Eidechse — Margöban — , und vor Allen des Wild-
schweins — Gadü — . Ueber dies letztere Thier sind die Ansichten
der dortigen Gelehrten nicht einig, denn wenn cs auch die Meisten
mit dem Schwein der Bibel und der Europäer identificiren, so giebt
es doch auch Manche, welche dicss bestreiten und für sein Fleisch
den Character des haräm leugnen und dasselbe nur als makröh
gelten lassen wollen.
Es fiel mir sehr auf, dass die Kaniiri und selbst die in den Städten
wohnenden Kancmbu wenig auf den Genuss frischer Fische hielten,
während doch die Inselbewohner des Tsäde hauptsächlich von den-
selben leben sollen, die Anwohner des Schäri, wie ich später zu be-
obachten Gelegenheit hatte, ebenfalls grosses Gefallen an ihnen
finden, und der Name Buni durch seinen entschiedenen Zusammen-
hang mit buskin (d. h. ich esse) anzudeuten scheint, dass der Fisch
früher als Haupt- oder Lieblingsnahrung des ganzen Volkes angesehen
wurde. Die Känembu der nahe gelegenen Uferdörfer des Sees
brachten nur selten frische Fische auf den Markt von Küka,
und es gelang mir bei Weitem nicht immer, am Montage solche zu
erhalten, obgleich ich Bekannte in beiden Städten beauftragte, schon
vom frühesten Morgen an auf dieselben zu fahnden. Diejenigen,
welche ich zu essen Gelegenheit hatte, waren von ausgezeichnetem
Geschmack und ansehnlichen Dimensionen.
Ich habe von den Fischen des Tsäde wenig Kenntniss erlangt;
doch die zahlreichen Kanüri -Namen sprechen für das Vorkommen
vieler Arten. Wenn ich jene zum Theil anführc, so geschieht es,
um künftigen Reisenden einen Anhalt zur Erkundigung und Iden-
tificirung der letzteren zu geben. Man nannte mir zunächst den
Büni mogu, den elektrischen Fisch, dessen charakteristische Eigen-
schaft natürlich die Leute frappiren musste. Buni käga wurde als
grosser Raubfisch beschrieben, B. tola als ein rundmäuliger, unge-
wöhnlich langer Fisch, und andere heissen: B. karöa, B. käwui,
B. komodu, B. sclfinomillife, B. sunozäwerwe, B. gangerän, B. kondol,
B. jögoli, B. schegu, B. kemäga. Der llo oder Jilo ist ein Säuge-
thier des Tsäde und Schäri, vielleicht identisch mit dem Manatus
V'ogelii.
Zu der animalischen Nahrung liefert die Natur leider allzu oft
einen erheblichen Beitrag durch Schaaren von Heuschrecken, welche
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FISCHE. — HEUSCHRECKEN. 661
in zahlreichen Arten existiren und sich fast alle zu culinarischer Ver-
werthung eignen. Man entfernt Flügel und Beine derselben und
röstet sie mit etwas Butter oder kocht sie in der beschriebenen
Sauce. Die Heuschrecken bilden ein ausserordentlich beliebtes
und, da man sagt, dass Lilla Fätfma, die Tochter des Propheten,
sie gern gegessen habe, auch sehr angesehenes Nahrungsmittel, und
ich muss zugeben, dass sie in geröstetem Zustande mir sehr wohl
schmeckten.
Von den Heuschrecken — Käfi — unterscheiden die Einge-
borenen zahlreiche Arten, welche sämmtlich gegessen werden, wenn
sie auch nicht in gleicher Weise beliebt sind. Die verheerende fahl-
braune Wanderheuschrecke Käfi difu, die sich von Baumblättern er-
nährt, und die etwas hellfarbigere K. kamanwa, welche das Getreide
verwüstet, sind beide von mittlerer Grösse {3 — 4 Ctm. lang), erscheinen
in Masse am Ende der Regenzeit und gelten für die wohlschmeckendsten.
K. ngalangädschiram (grün) und K. lüluderman (grün und weiss getüpfelt
und daher mit dem Zunamen troktrok, punktirt) sind von der Grösse der
vorigen, leben vereinzelt und treten zur Erntezeit auf. Grösser sind die
ebenfalls vereinzelt lebenden K. kerrei küka, K. legära demba, K. killi
süguma und K. sugundo, von denen die beiden letzteren sich von
Getreide ernähren. K. ngolondo mairambe (d. h. der Finger der Prin-
zessin) ist mindestens 5 Ctm. lang, grasgrün mit weissen Querstreifen
am Halse, lebt vereinzelt und findet sich zur Regenzeit mit Vorliebe
auf dem Oschar, zeichnet sich durch einen bitteren Geschmack aus
und wird deshalb selten gegessen. Etwa fingerlang ist K. dschenna
zeirobe, welche vereinzelt lebt und Getreide frisst. Die grösste
von Allen ist K. dschongolo kögio, grasgrün, vereinzelt vor-
kommend, mit scharfgedorntem Kamm des Halsschildes und dem
Getreide ungefährlich. Kleiner sind K. tombu kaschäschima und
K. dunno kemäun, von denen die letztgenannte sich durch unver-
hältnissmässig starke Beine auszeichnct, und am kleinsten und dunkel-
farbigsten ist K. kintäge tschetsche, welche zirpende Laute von sich
giebt und daher ihren Beinamen führt. Ich erwähne bei dieser Ge-
legenheit das Vorkommen der Grille Ngiki oder Ngitti, deren man
zwei Arten unterscheidet.
Ungebildete Leute, fern von den Städten, Sclavcn und Kinder
essen natürlich, ohne sich um religiöse Bedenken zu kümmern, Alles,
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C62 III. BUCH, 7. KAP. KLEIDUNG UND ERNÄHRUNG DER BORNÜ-LEUTE.
was da „kreucht und fleucht", wie Raupen, geflügelte Termiten —
Känäm zfizu — , Frösche und dergleichen.
Von den Fröschen — Köko — wird am liebsten gegessen eine
grosse, gelbliche Art, deren Name Bertetege ungefähr ihre Stimme
wiedergiebt. Auch eine kleinere, grünliche, hellquakende Art Namens
Ardschädscha dient als Nahrungsmittel, während ein graufarbiger, mit
hellem Stirnflecke und mit einer dumpfen Stimme begabter, vorzugs-
weise Köko genannter Frosch verschmäht wird. Streng denkende
Muselmanen betrachten diese Thiere als makröh.
Die meisten der oben genannten Baum- und Bodenfrüchtc werden
auch begreiflicherweise für sich genossen und bilden zum Theil nicht
unwichtige Nahrungsmittel. Die meisten derselben reifen während
oder nach der Regenzeit. Von den Baumfrüchten, welche sämmtlich
ohne Zuthun des Menschen heranreifen, spielen die wichtigste Rolle
in der Oekonomie der Bornü -Leute die des Hedschlidsch und die
des Kurna- Baumes. Die Frucht des Hedschlidsch heisst Bito —
Tamr el Abid arab. — ; sie ist von länglich runder Form, etwas
kürzer und dicker als eine mittlere Dattel und hat eine gelblich-
graue Schale von geringer Widerstandsfähigkeit, welche durch eine
dünne Schicht gelbbrauner, schleimiger, fadenziehender Masse von
bittersüssem Geschmacke mit dem grossen Kern verbunden ist. Die
das Fleisch der Frucht darstellende Masse wird zwar besonders von
Kindern gern vom Kern abgesogen, sonst aber höchstens als Zusatz
zu Saucen oder zum Büllüm benutzt. Der Werth der Frucht liegt
im Kern, dessen bitterer, fester Inhalt ausgelöst, durch Einwässern
seines Bitterstoffes beraubt, an der Sonne getrocknet und geröstet
oder ungerüstet gegessen wird. In dieser Form heisst derselbe Nage.
Die Frucht des Kurna -Baumes ist viel kleiner, unter Kirschen-
grösse, rund, in reifem Zustande bräunlich, ohne ablösbare Schale
und hat über dem harten Kern ein trockenes, zähes, säuerlich-süsses
Fleisch, aus dem man sogar eine brodartige, beim Volke recht
beliebte, leicht nach Pfefferkuchen schmeckende Masse herstellt. Bei
der grossen Menge der Kurna- Bäume in den Ortschaften und ihrer
Nähe sind diese für die Ernährung der Armen nicht ohne Bedeutung.
Die Früchte der übrigen im nördlichen Bornü vorkommenden
Bäume können als Nahrungsmittel nicht in Betracht kommen. Datteln
finden sich nur sehr vereinzelt, w'erden aus Kanem und Kawär ein-
geführt und haben also Preise, welche sie zu Leckerbissen stempeln.
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BAUM- l!Ntl GARTF.NFRÜCHTE.
663
Der Inhalt der Frucht von Adansonia digitata — Küka (die Frucht
heisst Küka bul) — wird zwar mit seinem säuerlichen erfrischenden,
Geschmacke ebenfalls Saucen, Suppen und Getränken zugesetzt, kann
aber ebenso wenig als die Frucht der Dümpalme — Kirzim — oder
die des Tamarindenbaumes — Erdebc arab. und Tcmsüku kan. — ,
die man in ähnlicher Weise verwerthet, als eigentliches Nahrungsmittel
betrachtet werden. Nicht mehr dienen als solche die Früchte des
Dschochän /Diospyrus tncspiliformis) — Birgirn — , die des wilden
Feigenbaumes — Termo — , der dem letztgenannten ähnlichen
Dschedscha kan., und der Sycomore (Ficus Sycomorus) — Ngäborc — ,
welche ausserdem ziemlich geschmacklos sind. Aehnlich verhält sich
der Hommed — Kemaua — , Frucht von Spondias Birrra. die von der
Grösse unserer Eierpflaumen, im reifen Zustande gelb, saftig und
von säuerlichem Geschmack, doch in jener Gegend nicht häufig ist.
Die ausgezeichnete Gunda, die Frucht von Carica Papaya kommt
ebenfalls allzu vereinzelt vor, um in Betracht gezogen werden zu
können, und die Deleb-Palme (Borassus flabelliformis) — Kemi-
ludu — , der Butterbaum (Butyrospermum) — Toso — , die Parkia
biglobosa — Rtinno — und andere Bäume, die eine grössere Bedeutung
haben würden, finden sich erst im südlichen Bornü.
Von den cultivirten Gartenfrüchten spielen die wichtigste Rolle
die Bohnen, die Erdnüsse und der Sesam. Von den Bohnen, welche
im Anfänge der Regenzeit gesetzt werden und ungefähr zwei Monate
bis zur Reife gebrauchen, giebt es im nördlichen Bornü sehr viele
Arten, unter denen die Ngalo ngornuma, d. h. die hauptsächlich in
der Nähe von Ngornu gebaute Bohne, die bekannteste und beliebteste
ist. Sic kommt in verschiedenen Farben vor und reift vor allen
übrigen Arten. Man unterscheidet ausserdem noch nach Färbung,
Grösse und Gegend des Vorkommens: Ngälo kälem, Ng. käfi oder
dschongulo, Ng. bugdibügu, Ng. dschigar (klein, sehr hart und grau),
Ng. kädel, Ng. debbaie und andere. Die Erdnüsse (Arachis hypo-
gaea und Voandzcia subterranea), welche frisch, geröstet, in Saucen
und die letztere sogar im Nothfalle zu Ai'sch verarbeitet, gegessen
werden, sind fast noch wichtiger. Die Arachis, aus der man
ausserdem für den Haushalt vortreffliches Ocl gewinnt, ist besonders
beliebt und scheint mit Ausnahme einer grösseren Varietät, welche
den Namen Koltschi koana führt, überall dieselbe zu sein; sie ist
unterirdisch und hat eine gegitterte Hülse mit zwei, zuweilen drei
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(j(U III. BÜCH, 7- KAP. KLEIDUNG UND ERNÄHRUNG DF.R BORNC-LEUTE.
Kernen. Von der grösseren Voandzcia — Ngangala — unterscheidet
man eine Reihe verschieden gefärbter Sorten: Ng. bidi (bräunlich),
Ng. tsillim (schwärzlich), Ng. dsche (schwarz und weisslich gefleckt),
Ng. köro (gelb), Ng. funta (weiss) , Ng. kägoram (bunt). — Der
Sesam Marraschi — ist nicht allein beliebt als Nahrungsmittel,
sondern liefert ebenfalls ein vortreffliches Oel. — Auch Habb el-Aziz
( Cy perus csculentus) — Nüfu — kommt zur Verwendung, wenn cs
auch nur eine unbedeutende Rolle spielen kann. — Von den Cucur-
bitaceen kommen in Betracht der Kürbis (Cucurbita Pepo) — Sä-
gädu — , die Gurke — Ngurli oder auch Bambus — , die Melone
— Bambus — und die Wassermelone — Fäli — , welche bei dem
Mangel an saftigen Baumfrüchten beliebte Erfrischungsmittel sind.
Die essbaren Wurzelknollen können noch nicht recht zur Geltung
kommen, da sie im nördlichen Bornü allzu selten sind. Bekannt
sind die süsse Batate (ßatatas edulis) unter ihrem Haussa- Namen
Dankäli, die Colocasia — Qulqäs arab. und Bürma kan. — , die Dios-
corea, doch nicht im allgemeinen Gebrauch.
Die Zeit der Abendmahlzeit — Aschä arab. und Lcsa kan.
wird in allen Häusern mit einer gewissen Regelmässigkeit innc ge-
halten; doch für das Frühstück — F'tur arab. — hält man keine
bestimmte Stunde ein und gcnicsst dasselbe ebensowohl bald nach
Sonnenaufgang, als gegen Mittag. Die fertigen Schüsseln werden in
den Thcil des Hauses gebracht, in dem sich der I lausherr aufzuhalten
pflegt und seine Besuche empfängt. Frauen und Kinder essen allein;
nur wenn die letzteren herangewachsen und keine Gäste oder doch
nur eng befreundete Personen zugegen sind, erweist ihnen der Vater
bisweilen die hohe Gunstbezeugung, sie zur Mahlzeit heranzuziehen.
Die Frau jedoch zieht sich sorgfältig aus der Gegenwart des speisen-
den Mannes zurück, wie sie es auch vermeidet, selbst essend von
diesem gesehen zu werden. Sind Besucher bei dein Hausherrn, so
nehmen dieselben ohne besondere Einladung an dem Mahle Theil,
suchen sich aber vorher zurückzuziehen, wenn jener ein wenig
begüterter Mann ist. Die Schüssel wird, wenn sic keine Füsse hat,
in ein Untersatzkörbchen gesetzt, oder man kratzt zu ihrer Aufnahme
eine kleine Grube in den Erdboden, falls derselbe nicht gehärtet ist,
oder in zu diesem Zwecke aufgeschütteten Sand.
Selbst bei wenig gebildeten Leuten herrscht beim Essen viel
Anstand und Sitte. Alle waschen sich zuvor oberflächlich die Hände
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DIF. TÄGLICHEN MAHLZEITEN. ANSTANnSREGEl.V HEIM ESSEN. Gt)5
und hocken mit einem „Bisrn Illähi", d. h. im Namen Gottes, um die
Schussel herum, so dass bisweilen sechs bis acht Menschen dieselbe
umgeben und einen so weiten Kreis bilden müssen, dass Jeder nur
ganz aus der Ferne mit den Fingerspitzen den ’Ai'sch erreichen kann.
So wenig auch vorhanden sein mag, würde es für ein Zeichen grosser
Rohheit gelten, wenn man durch eine gewisse Schnelligkeit des
Essens seine Comnicnsalcn überflügeln zu wollen auch nur den
Verdacht erweckte. Man nimmt eine kleine Quantität des Breies
mit den zugespitzten Fingern der rechten Hand die linke ist sehr
schlecht angesehen — , taucht sie in die Sauce und durchknetet sie
mit derselben in massigem Grade, formt den Bissen — Luqnia arab.
in der Hohlhand und führt ihn mit grosser Geschicklichkeit, ohne
den geringsten Verlust auch nur eines Tropfens Sauce, zum Munde.
Wenn ich oft nicht im Stande war, mit meinen zarteren Fingern zu-
zugreifen, da sich das Innere des Breies lange sehr heiss erhält, so
waren meine Nachbarn an der Schüssel stets so höflich und freundlich,
für mich Bissen zu formen und vor mich zu legen. Ist die Schüssel
geleert, so leckt man sich die Finger ab, thut durch möglichst lautes
Aufstosscn und durch ein „el-Hamd Lilläh", d. h. Gottlob, seine
vollständige Befriedigung kund und wascht sich zum Schlüsse wieder
die Hände.
Von den Getränken zur Stillung des Durstes kommt in Bornü
fast nur Wasser in Betracht. Man thut in dasselbe gern grob-
gestossene Duchn- oder Durra -Körner Ngädschi — und erhält
dadurch ein sehr erfrischendes und angenehmes Getränk. Bei dem
grossen Reichthume des Landes an Rindvieh muss cs sonderbar
erscheinen, dass die süsse Milch — Ilalib arab. und Kiam killi kan.
eine verhältnissmässig so geringe Verwendung findet. Die Rinder-
bcsitzer entnehmen ihr die Butter, mischen sie mit Wasser und lassen
sie in dazu bestimmten Gährungsgefässen sauer werden, um sie an
das ärmere Volk zu verkaufen. Dieser Zustand scheint so sehr als
der normale der Milch betrachtet zu werden, dass man unter dem
generellen Namen Kiam nur die verwässerte, saure Leben arab.
versteht und zur Bezeichnung der süssen, die man selten zu Gesicht
bekommt, das Beiwort killi, d. h. grün oder frisch, fugt. Eine beliebte,
aber ebenfalls selten gesehene Form der Milch ist die eingedickte,
welche Kindermo — Räi'b arab. — genannt wird. Bei der geringen
Mannichfaltigkcit, welche ich meiner Küche zu geben vermochte,
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f>66 III. BUCH, 7. KAP. KLEIDUNG UND ERNÄHRUNG DER BORNÜ-LEUTE.
suchte ich mich während meines Aufenthaltes in Küka an den täg-
lichen Genuss frischer Milch zu gewöhnen, was mir auch, obgleich
dieselbe im Rufe steht, den Fremden nicht zuträglich zu sein, allerdings
nach einem längeren Widerstande meiner Verdauungsorgane, zur
Zufriedenheit gelang.
Luxusgetränkc bereitet man in den besseren Häusern noch gern
aus Reiswasser, Milch, Honig, Rumba-Pfeffer, Schetta und anderen
gewürzigen und aromatischen Substanzen, und besonders Lamino
mischte dieselben mit besonderer Vorliebe und Kunstfertigkeit.
Der Honig erfreut sich eines grossen Ansehens bei den leckcr-
mäuligen Bornü -Leuten, ohne dass sich jedoch die Bienenzucht bei
ihnen entwickelt hätte. Sehr selten sieht man übrigens frischen
Scheibenhonig, da die Leute, welche ihn im Walde sammeln, ihn
sogleich zur Aufbewahrung in Krüge tliun und dann nach Bedürfniss
auf den Markt bringen. Der meiste gelangt erst auf Umwegen zum
Verkauf; denn die Districtc, welche sich durch Reichthum an Honig
auszeichnen, haben gewöhnlich eine so hohe Abgabe davon in natura
zu liefern, dass wenig für den directen Verkauf übrig bleibt. Erst
aus den Händen der Würdenträger, in denen gewohnheitsgemäss die
Hälfte des Eingelieferten verbleibt, geht er in die der kleinen Kauf-
leute über. Man unterscheidet Baumhonig, den die gesellige Biene
Kuli kemägenbe hervorbringt, und Erdhonig, das Product von
Däzo, einer mit weissen Haaren bedeckten Erdbiene. Letztere de-
ponirt den Honig in ansehnliche, faust- bis kindskopfgrossc Erd-
höhlungen, in welche von einer ziemlich weiten Zugangsöffnung ver-
schiedene Wege münden. '
Die europäischen Luxusgetränke Kaffee und Thce sind in Bornü
kaum in Gebrauch und fast ganz durch die Güro-Nuss verdrängt worden.
Zwar bringen die tripolitanischen Kaufleute und Mekka-Pilger geringe
Quantitäten Kaffee als Geschenk für die gebildeten Vornehmen, wie
z. B. den Moällim Mohammed, und für etwaige Landsleute mit,
doch auf dem Markte findet man ihn selten in grösserer Menge.
Niemand vermisst ihn übrigens, denn selbst die Fremden finden an
dem Hauptgenussmittel der Bornü -Leute, der Güro-Nuss, grösseres
Gefallen.
Diese ist der Samenkern einer Sterculia (meist St. acuminata),
von der durchschnittlichen (»rosse einer ansehnlichen Rosskastanie
und von ähnlichem Aussehen. Doch ist sic nicht, wie diese, in eine
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GETRÄNKE. — DIE GÖRO-NUSS.
667
ablösbare Schale gehüllt, sondern stellt eine homogene, harte Masse
dar, welche aussen braun und innen gelblich weiss bis rosenroth ist.
Sie kommt im Westen des nördlichen tropischen Afrika vom Senegal
bis zu den Niger- und Binuc-Ländem vor, und findet sich im ganzen
äquatorialen Theilc. Doch haben ihre Varietäten eine sehr verschiedene
Gute. Die in den Haussa -Ländern und in Bornü allein geschätzten
kommen aus den Nigerländern. Die kaufmännische Ausfuhr der
besten Art, welche in Nife gedeiht und unter dem Namen Labödschi
bekannt ist, soll nach den Gesetzen des Landes bei harter Strafe
verboten sein, indem nur der König das Recht hat, sic zu verschenken.
Die Kerne der besseren Sorten bestehen aus zwei Hälften, welche
so fest aneinander gelagert sind, dass cs oft schwer hält, sie ohne
instrumentale Hülfe zu trennen, und sollen auf den Berührungsflächen
derselben, wie im Innern, möglichst rosenroth gefärbt sein, und einen
leicht bitteren, aber keinen faden, schleimigen Geschmack haben.
Dieser letztere ist z. B. denjenigen eigen, welche aus Adamäwa,
südlich vom Binue, stamrtien, innen gelbljchweiss gefärbt sind und
häufig eine natürliche Theilung in drei Tingle erlauben. Die schlech-
teren Sorten scheinen auch durch einen geringeren Gehalt jenes
animirenden und appetiterregenden Principes ausgezeichnet zu sein,
das bei den Arabern der Güro-Nuss die Bezeichnung Qahua es-
Südän, d. h. Kaffee des Sudan, verschafft hat, und das iu der That
nicht allein eine kaffec- und theeähnlichc Wirkung erzeugt, sondern
auch nach I.iebig chemisch dem Gaffeln und Thein nahe steht.
Ich gewöhnte mich bald so Sehr an dieses Reizmittel, von dem
ich niemals eine schädliche Einwirkung auf die Verdauungsorganc
oder das Nervensystem beobachtete, dass ich dasselbe vorkommenden
Falles mehr als Kaffee, Thec oder Tabak vermisste. Freilich wird
sein Genuss selbst im billigen Bornü etwas theurer als Kaffee, da
die Sitte erfordert, dass man Besuchern eine Güro-Nuss, oder min-
destens die Hälfte einer solchen anbietet, grade wie man in arabischen
Landern den Gästen alsbald eine Tasse Kaffec vorsetzt. Im Wcrthc
geht aber manche Tasse Kaffee auf eine Güro-Nuss. Von dieser
kauft man gewöhnlich ein Hundert, das je nach ihrer Grösse, Güte
und der Nachfrage 2 bis io Maria-Theresia -Thalcr (8 bis 50 Mark)
kostet. Die grossen Nüsse, die nicht selten 4 5 Ctm. im Durchmesser
haben, sind sehr viel besser als die kleinen, und haben einen ungleich
höheren Werth. Da die Güro-Nuss in ungeheurer Menge geerntet
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668 UI. BUCH, 7. KAP. KLEIDUNG UND ERNÄHRUNG DER BORNÜ-I.EUTE.
wird, so würde auch ihr Preis niedriger sein, trotzdem die Einfuhr
aus ihrer Heimath nach Bornü eine Reise von mehreren Monaten
erfordert, wenn nicht ihr Transport und ihre Behandlung so schwierig
und unsicher wären. Nicht Jeder kann über den Niger hinaus
nach Gondscha reisen, um Güro-Nüssc zu holen; denn das Unter-
nehmen erfordert ebenso grosse Sorgfalt als Sachkenntniss. Diese
empfindliche Frucht verlangt ein gewisses Maass von Feuchtigkeit
und kühler Temperatur, verträgt aber allzuviel Wasser ebenso w'enig
als trockene Hitze. Der Kaufmann verpackt sic in grossen Körben
aus Düm- Matten, welche zuvor mit einer dicken Lage grosser,
Fetta genannter und befeuchteter Blätter gepolstert werden, be-
deckt die Oberfläche der Nüsse mit einer ebensolchen Lage und
umwickelt das Ganze nach allen Richtungen mit Stricken, die so
fest als möglich geschnürt werden müssen. Je grösser die Menge
der zusammengepackten Früchte, desto geringer ist die Gefahr
des Verderbens. Bei einer Anzahl von Tausenden in demselben
Behälter genügt es zur Regenzeit, die Körbe nach einem halben
Monat zu öffnen, die Nüsse auszubreiten, sie eine kurze Zeit der
frischen Luft auszusetzen, und sie und ihre Umhüllung mit Wasser
zu besprengen. Handelt es sich jedoch nur um einige Hunderte,
und befindet man sich wohl gar noch in der trockenen Jahreszeit,
so muss man diese Proccduren mehrmals in der Woche wiederholen.
Zur Zeit der trockenen Sommerhitze sind sic grosser Gefahr aus-
gesetzt, und man muss sie bei der Eröffnung der Körbe sorgfältig
untersuchen, um etwa erkrankte zweckmässig zu behandeln oder aus-
zuscheiden, damit sie nicht andere inficircn. Sind sie nur etwas
welk geworden, so genügt cs oft, sie eine kurze Zeit in Wasser zu
legen, um sic wieder hart und fest werden zu lassen; zeigen sich
jedoch auf ihrer Oberfläche pockenartige Flecke, so muss man diese
sorgfältig ausschneiden, um sie selbst und die benachbarten Nüsse
zu retten. Zuweilen zeigen sich gelbbraune Flecke und verrathen
die Hille genannte Krankheit (so genannt von el-Hinnä, die eing
ähnliche Färbung erzeugt), welche das Innere fahl-weiss und voll-
ständig geschmacklos macht und den gänzlichen Verlust der Frucht
zur Folge hat. Werden die Früchte zu feucht gehalten, so zeigen
sich dunkle Flecke auf der Oberfläche, das Innere wird hart, todt und
saftlos, und man sagt, die Nuss sei von Dasemsera ergriffen. Eine
andere Krankheit Namens Tulo erzeugt schwarze Flecke, welche
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IHR GOrO-NUSS.
669
langsam um sich greifen und das Gewebe der Nuss in schwarz-
braunen Staub verwandeln. Zuweilen endlich werden die Nüsse von
zwei Würmern zerstört, welche unter dem Namen Zanköra zusammen-
gefasst werden, und von denen der eine weiss und länglich, der
andere kürzer und grau ist.
Die richtige Behandlung der Güro-Nuss ist eine so schwierige,
dass das Volk, nach Gründen für die häufigen Misserfolge suchend,
seine Zuflucht zu übernatürlichen Einwirkungen nimmt. In Bornü
ist es z. B. allgemein bekannt, dass Leute, welche die unheilvolle
Gabe des bösen Blickes besitzen, oder liederlich und lügenhaft sind,
sie nicht mit Erfolg behandeln können. Die Schwierigkeit, diese
empfindlichen Früchte auf dem Transporte durch die heisse und
trockene Luft der Wüste gesund zu erhalten, erklärt es auch, dass
dieselben, obwohl sie in der ganzen mohammedanischen Welt be-
kannt sind und auch im nördlichsten Afrika eines hohen Rufes ge-
messen, doch fast niemals in frischem Zustande dorthin gelangen.
Man schätzt sie dort sogar noch im trockenen Zustande, in welchem
sie eine glanzlose, runzliche Oberfläche, und ein steinhartes, hraun-
rothes Innere haben und im Sudan nur vom ärmsten Volke unter
dem Namen Kauda genossen werden.
Für die Haussa- und Bornü -Leute ist die Güro-Nuss ein unent-
behrlicheres Genussmittel geworden, als für andere Völker Kaffee
und Thee, und wenn Misswachs oder kriegerische Verhältnisse ihre
Zufuhr zu den Märkten verringert, so wird dies als allgemeine Cala-
mität empfunden. Man bringt die grössten Opfer, um dieses Lieb-
lings-Genusses theilhaftig zu werden, wenn man denselben längere
Zeit entbehrt hat, und der Kanüri z. B. zögert nicht, zu diesem
Zwecke sein Pferd oder seine Bettsclavin, für ihn sonst die höchsten
Guter auf Erden, zu verkaufen. Das Geschenk von Güro-Nüssen ist
stets ein Zeichen besonderer Freundschaft, und ihrer wenige ge-
nügen, tim die Gunst leichtfertiger Mädchen zu erkaufen.
Wenn der Kaffee gegen die Güro-Nuss schon ganz in den Hinter-
grund tritt, so ist der Thee höchstens wenigen Fremden aus eigener
Krfahrung bekannt, von Bornü-Leuten aber, mit Ausnahme des Scheich
Omar und seiner Umgebung, wohl kaum jemals genossen worden.
Selbst das im ganzen Südän so verbreitete alkoholische Getränk, die
Merissa, hat kaum Zugang in Bornü gefunden, trotzdem man glauben
sollte, dass die genusssüchtigen, leichtfertigen Einwohner an einem
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G70 HI. BUCH, 7. KAP. KLEIDUNG UND ERNÄHRUNG DER BORNO-LEUTE.
leichten Rausche Gefallen finden würden. Freilich mag der seit
vielen Jahrhunderten dort blühende Islam den Leuten das Bewusst-
sein der Ucberlegenheit über diejenigen ihrer Nachbarn (Baghirmi
und Wadäi), welche am längsten im Hcidenthume befangen waren
und trotz der Annahme der neuen Religion dem Merissa- Genüsse
nicht entsagt haben, und damit das erhöhte Pflichtgefühl gegeben
haben, würdige Vertreter ihrer Religion zu sein. Auch im Genüsse
des Tabaks sind die Bornü- Leute sehr massig, und zeichnen sich
hierin vor fast allen umwohnenden Stämmen aus, welche den Tabak
entweder kauen, oder schnupfen oder rauchen, oder auch mehreren
dieser Gebrauchsmethoden huldigen. Es giebt freilich genug Per-
sonen, welche den fast überall im Sudan cultivirtcn, kleinblättrigen
Tabak kauen, doch die bei weitem grössere Zahl übt diesen Ge-
brauch nicht, Wenige sind an das Schnupfen gewöhnt und das
Rauchen kennt bei den Eingeborenen fast Niemand.
Von anderen Betäubungs- und Reizmitteln, deren Genuss manchen
mohammedanischen Ländern eigen ist, wie vom Opium und dem
Haschisch (indischer Hanf) kann hier nicht die Rede sein; sie sind
beide den Eingeborenen kaum dem Namen nach bekannt.
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Achtes Kapitel.
HANDELS- UND MARKT-VERHÄLTNISSE IN KÜKA.
LVr grosse Montagsmarkt. — Der Marktplatz und seine Eintheilung. Verkauf von
' Holz und Gras. — Siggedi- und Matten- Verkauf. — Pferde- und Rinder-Markt. —
Gemüse und Geflügel. — Kürliisschalen und Holz-Schüsseln. — Producte der Korb-
flechterei. — Fcll-IIändler und I.eder-Erzeugnisse. — Trödelbuden. — Kleidermarkt.
— Fabrikate der Schreiner und Schmiede. — Die Kojäm und ihre Verkaufsgegen-
stände. — Schlächter und Garküchen. — Kameelmarkt. — Die Käncmhu und ihre
Erzeugnisse. — Die Kuri- oder Bare -Rinder. — Die Manga. — Der Sclavenmarkt.
— Die Preise der verschiedenen Sclaven-Gattungen. — Die Bett -Sela vinnen. — Die
Eunuchen. — Die Schöa und ihre Verkaufsgegenstände. — Die Schöa- Kinder. —
Buntes Bild der Marktmenge. — Anstrengungen eines Markttages. — Feste Werth -
maasse. — Einführung der österreichischen Thaler. — Die Kauri -Muschel als
Scheidemünze. — Preisliste der Marktgcgenständc. — Importirle Waaren und ihre
Preise. — Die verschiedenen Klassen der Kaufleute in Bomü. — Exportwaren. —
Handel mit Sclaven, Straussfedcm un<I Elfenliein. — Schwierigkeiten für die fremden
Kauflcute. — Leichtsinn und Unzuverlässigkeit der Bornil-Lcutc. — Unzulänglichkeit
des rechtlichen Weges. — Kingiam oder Sendbote des Königs. — Schlechte Verwal-
tung der Hinterlassenschaften Fremder.
Um allmählich einen Ucberblick über die wichtigsten natürlichen
und industriellen Erzeugnisse des Landes zu gewinnen, liess ich mir
im Beginne meines Aufenthaltes in Küka angelegen sein, so oft als
möglich den grossen Montagsmarkt zu besuchen, der vor dem West-
thore der Stadt abgehalten wird und eines der grossartigsten Schau-
spiele darstellt, welches diese Negerhauptstadt zu bieten vermag.
Schon vor Sonnenaufgang ,sieht man die Bewohner der östlich von
Küka, am Rande des Tsäde gelegenen Känembu-Dörfer den Dendal
passiren, um ihre Produkte auf den Marktplatz zu schaffen. Die
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672 HI. BUCH, 8. KAP. HANDELS- UND MARKT-VERHÄLTNISSE IN KÜKA.
verschiedenen Handwerker, Detail -Verkäufer und -Verkäuferinnen
von Lebensmitteln, Trödler und Kurzwaarcnhändler, Besitzer von ver-
käuflichem Vieh, Klciderhändler u. s. vv. ziehen hinaus, um ihre
Plätze einzunehmen, und schon lange vor Tagesanbruch sind die
ferner wohnenden Schöa und Kanembu, welche die für das tägliche
Leben unentbehrlichsten Vorräthe herbeifiihrcn, angekommen. Alle
Verkaufsobjecte haben auf der dazu bestimmten Ebene ihren her-
kömmlichen Platz.
Wenn man die Stadt durch das Westthor verlässt, so erreicht
man nach wenigen Minuten den weiten Marktplatz. Hier stösst man
zunächst auf Verkäufer, welche kein anderes Anlage-Capital zum Be-
trieb ihres Handels nöthig haben, als einen bescheidenen Aufwand
von Arbeitskraft. Mittellose Leute und halbfreic Sclaven, welche
nach eigenem Gutdünken ihrem Erwerbe nachgehen und ihrem
Herrn nur eine bestimmte Abgabe zahlen, haben trockenes Gras für
die Hausthierc geschnitten, Brennholz gesammelt, Stangen für die
Umzäunung und Schattendächer, Holz, für die Bedachung der Erd- *
häuser, Zweige fiir das Gerüste der Strohhütten im Walde ge-
schnitten und aus Sukko-Stroh Siggedi zur Herstellung der Zäune
und zur Umkleidung der Hütten geflochten. Um diese Artikel in
solchen Mengen aufstapeln zu können, müssen sic einen grossen Theil
der verflossenen Woche gearbeitet haben, denn die Umgebung der
Stadt bietet weder Wald, noch grasreiche Flur, und was in einiger
Nähe vorhanden war, ist längst den Ansprüchen der zahlreichen Be-
wohnerschaft Küka’s zum Opfer gefallen.
Hier haben auch die Verfertiger der Matten aus Ngille (Düm-
palmengestrüpp) ihre Verkaufsstelle. Die letzteren sind verschieden
in Grösse und Güte, je nachdem sie zur Belegung gewöhnlicher
Zimmer, als Unterlagen für die Betenden oder zum Gebrauche der
vornehmen Herren dienen sollen, und erfreuen sich eines lebhaften
Zuspruchs. Doch wenn der Ankauf von Malten sich nach dem
Stande der Kasse des Käufers richten kann, so kann man nicht
ebenso willkürlich in Bezug auf das Brennholz und das Pferdefutter
verfahren. Beide sind denn auch trotz der ansehnlichen Mengen, in
denen sic feil geboten werden, oft so schnell vergriffen, dass man
nicht frühzeitig genug auf den Markt schicken kann.
In der Mittellinie des Marktes sich nach Westen bewegend, ge-
langt man alsbald zu den Verkaufsstellen für Pferde, Rinder und
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HOLZ- UND STROH-VERKAUF. — PFERDE- UND RINDVIEH-MARKT. 673
Esel. Von den ersteren — Fir*) — werden die besseren Reitpferde
unter der Hand oder täglich durch Makler in der Stadt verkauft;
auf öffentlichem Markte findet man meistens nur untergeordnete
Thiere, kleine stämmige Geschöpfe, welche den östlich und westlich
von Bornü gelegenen Ländern eigenthümlich sind und theils als
Reitpferde, theils als Packthiere für Reisen nach Adamäwa, Massenja,
Kanö, Zinder u. s. w. gekauft werden.
Entsprechend der grossen Rolle, welche die Pferde im Leben
der Bornü-Lcute spielen, haben dieselben nach ihren Eigenschaften
zahlreiche, unterscheidende Benennungen. Das Fir ngilla oder kischi,
d. h. das gute oder schöne Pferd, steht dem Klepper — Kaddära —
entgegen. Nach der Gangart unterscheidet man; F. doa, das
schnelle Pferd oder den Schnellläufer, F. kelisa, den Schnellschreitcr,
und F. kamandära, den Passgänger. Das Bornü-Pferd läuft fast nur
im Galopp; der Trab ist bei Arabern und Eingeborenen einerseits
durchaus nicht beliebt und wird andererseits in der Schnelligkeit
ubertroffen durch den Passgang, in dem die wohlgeschulten Thiere
fast so viel leisten, als die Maulthiere in Tunis. Die Unter-
scheidungen nach Farben sind natürlich sehr viel zahlreicher. Man
spricht von einem Braunen — F. dägel (hergenommen von der
F'arbe einer rothbraunen, Dägel genannten Meerkatze) oder mord-
schän (eigentlich korallenroth) — , von einem Fuchs — F. scheqera
(ursprünglich arabisches Wort) — , einem Isabellenfarbigen — F.
elges — , einem Eisengraucn — F. kera — , einem Hellgrauen -
F. bidi, d. h. eigentlich staubgrau (von Bidi, der Staub) — , einem
Braunen mit Blässe und weissen Füssen — F'. böla — , und einem
F. dschurü oder Schecken. Der Schimmel — F. killi (eigentlich
das frische oder grüne Pferd) — begreift in seine Categorie das wirk-
lich weisse Pferd — F. killi bul — , den Rothschimmel — F. killi
kenära — , den Grauschimmel — F. killi tsillimbe — und das getigerte
Pferd — P\ killi kägara — .
Die Rinder — Fe — umfassen das Schlachtrind — Fe debate-
ram — , die Milchkuh — Fe kenära oder Fe mitdäräbe — , den Zucht-
stier — Bulann oder Galann — und den Laststier — Keniemo — .
Sind die Stiere verschnitten, so nennt man sie im jugendlichen Alter
*) Die beigefügten Wörter der Kanüri- oder arabischen Sprache sind ohne Rück-
sicht auf das gleichbedeutende deutsche Wort im Singular gegeben.
Nachiigal. I. 43
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G74 in. buch, 8. kap. Handels* und markt-veriiältnisse in kOka.
Ngordi, während man sich sonst begnügt, ihnen das Wort jesek,
d. h. verschnitten, beizufügen. Junge Rinder sind zum Schlachten
am beliebtesten, während die Kälber — das männliche heisst Dälo,
das weibliche Kirna — zu diesem Zwecke nicht benutzt werden.
Schlachtkühe und Ochsen, welche die besten Lastthiere für Reisen
in jenen Gegenden abgeben, sind an jedem Markttage in grosser
Zahl ausgestellt. Von den beiden Rinderrassen, welche in Bornü
gleichmässig vertreten sind, wird weiter unten die Rede sein.
Jenseits des Viehmarktes haben Frauen ihren Stand, welche
Getreide, Kurna- und Kussolo-Früchte, Erdnüsse, Sesam, Güro-Nüsse,
Zwiebeln, Kürbisse, Melonen und Wassermelonen, Datteln aus
Kawär und Kanem, Bilmä-Salz und Pfeffer, zuweilen Tomaten, ge-
trocknete und zerstossene Baumblättcr und Kräuter, Bohnen, Bamia
und den essbaren Theil der Dümfrucht zu den vegetabilischen Saucen
feilbieten.
Nicht weit davon finden wir Hühner — Köki — , von denen
man ausser dem grossen, gelblich gefiederten K. kumilga noch K.
toksa, das von mittlerer Grösse, dünn befiedert und beschwingt ist
und nackte Beine hat, K. öäda mit ausserordentlich kurzen bis zu
den Füssen befiederten Beinen und K. ngödögo, von dem die Sage
geht, dass seine Eier stets zwei Dotter enthalten und zwei Junge
geben, unterscheidet. Der Hahn heisst Göbögum, das Küchlein
Fijogma und das Ei Ngubbel kökibe.
Es folgen die Verkäuferinnen von Trinkschalen und Gcfässen
aus verschiedenen Arten der Lagcnaria vulgaris (Flaschenkürbis),
die in unglaublicher Menge in Stadt und Umgegend gezogen wird,
denn der Consum an Hausgeräthen dieser
Art ist ein ungeheurer. Von der vollendeten
Glättung der Innenfläche der Schalen und
ihrer Lackirung, der gefälligen, bunten Linear-
verzierung auf der zwischen gelb und braun
sich haltenden Aussenflächc und ihren
i rinkschaie - Qar’a arab. Grössenunterschieden ist schon bei der
unu Kumitio kan. —
'Beschreibung des Hausgeräthes in den
Hütten der Frauen die Rede gewesen. Die ausschliesslich zu Schalen
verwendete Art heisst in der Kanüri-Spraclie Kummo — Qar'a arab. —
und die sich durch die grössten F'rüchte auszeichnende Varietät
Demba. Ausserdem unterscheidet man vom Flaschenkürbis —
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HAUSGERÄTH.
675
Kapeto — nach der Form der aus ihm hervorgehenden Gefässe noch:
K. dschibi (gewöhnliche Flaschcnform), K. dungögi (dieselbe mit ge-
bogenem Halse), K. zeni (mit langgesticltcm kleinem Körper), dessen
Hälften die dort allein üblichen Löffel geben, K. zungeru, welcher
ein längliches, halsloses Gelass liefert, das man mit Stcinchen oder
harten Erdnüssen füllt und als musikalisches Instrument zur Begleitung
des Tanzes benützt, K. zontu, der sehr lang gestreckt ist und, oben
und unten abgeschnitten, ebenfalls musikalischen Zwecken dient, und
K birtetik, eine Varietät mit rauher Oberfläche.
Neben diesen, in der Hauptstadt gefertigten und viel begehrten
Gefässen haben Leute aus dem waldreichen Süden die oft kunstvoll
Verschiedene Korbdeckei — Tabaq arab. und Fillc kan. — .
aus hartem Holz geschnitzten, schwarz gebeizten Essschüsseln jeder
Grösse aufgtstapelt, und nicht weit davon hält sich der Töpfer —
Ngerna — mit Hunderten von Thonkrügen jeder Grösse und Form,
denn der Bedarf an Kochtöpfen, Wassergcfasscn und Honigkrügen
ist ein um so grösserer, als dieselben ausserordentlich wohlfeil sind
und leicht zerbrechen.
Nicht minder zahlreich vertreten sind die zu den Kürbisschalen
und Essschüsseln gehörigen, gröberen und feineren Korbflechtereien
in Gestalt von bunten Deckeln — Tabaq arab. und Fille kan. — und
Untersatzkörbchen und die kunstlosen, mächtigen Körbe aus Düm-
43*
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f)76 III. BUCH, 8. KAP. HANDELS- UND MARKTVERHÄLTNISSE IN KÜKA.
blattgeflecht zur Aufbewahrung des Getreides, des Muschelgeldes und
anderer Vorräthe. Von der gefälligen Zeichnung» der bunten Muster
der Korbdeckel mögen die beigefügten Abbildungen Zeugniss ab-
legen. Die Mannichfaltigkeit derselben ist eine so grosse, dass von
den nahezu hundert Korbdeckeln! welche ich durch die Güte des
Gefülltes rundes Haussa Kissen — Bir kan.
Scheich in den verschiedensten Grossen erhielt, auch kein einziger
in seiner Musterung vollkommen dem andern glich.
Die Lederarbeiter Ndschirima (von Ndschlri, das gegerbte und
gefärbte Ziegenfell) nehmen weiter gegen die Mitte des Marktes hin
länglicher Kissenüberzug aus Haussa.
einen grossen Kaum in Anspruch, denn sie zerfallen in mehrere Catc-
gorien, und arbeiten unter kleinen Schattendächern. Einige derselben,
die eigentlich Ndschirima genannten, verkaufen die Felle als solche,
sowohl die schlechteren und meist rothgefärbten der liornü-Manufactur,
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i.edf.rwaarf.n.
677
als die ausgezeichnet gegerbten und roth oder gelb gefärbten der
Haussa-Leute , ferner die bunt gemusterten runden oder länglichen
Kissenüberzüge — Bir — - . abtheilungsreiche Sattcltaschen für Schrift-
stücke und Bücher — Dschebira arab. — , viereckige, cylinderförmige
und dreieckige Amulet-Behälter — Hadschäb arab. — und die Bischer
Depcsehcntasche — Dschebtra aral». — 'aus Haussa.
— Bischt arab. — genannten Uebcrzügc der Sattelgestelle. Andere
sindPfcrdcgeschirrmacher — Mundclma - und verkaufen Gebissriemen,
Steigbügel riemen , Brustriemen — Ngandschilala — , Halsschmuck
der Pferde — Dömbüs — und Schwanzriemen
- Damtsche. Daneben halten sich die Schuh-
macher — Sunoma — , welche rothe und gelbe
Schuhe verfertigen, dieselben mit Sohlen aus
der widerstandsfähigen Haut des Büffels ver-
sehen und zierlich mit Seide sticken. Noch
Andere, die fast ausschliesslich mit Kameelhaut
arbeiten, führen den Namen Tonduma und ver-
kaufen die aus ungegerbter, oft nicht einmal
vollständig enthaarter Kameelhaut verfertigten,
schöngeformten , langhalsigcn und doppcltge-
Lederbüchse — - Tondu kan.
henkelten Lederbüchsen — Tondu - , die zur Aufbewahrung von
Butter bestimmt sind, und graufarbige, quadratische Säcke — Kewa
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678 in. buch, 8. kap. Handels- und markt-verhältnisse in kCka.
— aus mangelhaft gegerbtem Kameelieder und in verschiedener Grösse,
je nachdem in ihnen die Lasten — Katkun — der Kameele, der Stiere
oder Esel fortgeschafft werden sollen.
Dazwischen sitzen arme Frauen, deren einziger Verkaufsartikel
einfaches Trinkwasser, oder das beschriebene Ngädschi- Getränk ist,
mit dem sic für wenige Muscheln die ermatteten Käufer während
der Tageshitze erquicken, oder welche auf einem Stückchen Matte
einige geröstete Erdnüsse und Kurnafrüchte, Üliüli und Tebiska für
Kinder bereit halten, denen ihre Eltern oder Herren einiges Muschel-
geld zu eigener vergnüglicher Verwendung mit auf den Markt ge-
geben haben.
Mit den Seilern, welche Stricke — Dsche — aus den Blattfasern
des Dümgestrüpps, aus dem faserigen Gewebe, das die Blattursprünge
der Dattelpalme umgiebt — Lif arab. — , aus Fasern des Bohnen-
strohs, aus Oscharbast, Lederstreifen und anderem Material drehen
und feilbicten, haben wir in der Mittellinie das Centrum des Marktes
erreicht, das von Industrie -Erzeugnissen höherer Ordnung einge-
nommen wird. Hier finden sich die Baumwollenwaaren der Landes-
manufactur, sowie der Haussa -Industrie und Europas zusammen;
Hunderte von gewöhnlichen Bornii- Toben, Turkcdi's und Stücken
Cham liegen dort aufgehäuft; Makler, beladen mit nordischen Bur-
nussen, kostbaren Toben aus Kanö und Nife, feinen weissen Bornü-
Gcwändern aus Dibclan oder Mahmüdi und vereinzelten Stücken
Sammet und Seide drängen sich durch die Menge und rufen mit
Stentorstimme den letzten Preis des grade zu verkaufenden Stückes
aus. Ebendaselbst haben Trödler ihre Buden errichtet, wahre ethno-
graphische Museen, zu denen die heterogensten Erzeugnisse aus aller
Herren Ländern oft auf gewiss merkwürdigen Umwegen ihren Weg
gefunden haben. Europäischer Musselin zu Turbanen, rothe Mützen
aus Tunis, grobes, rothes Tuch aus Europa zu Wattenpanzern —
Libbcs — , ein abgeschabter, Silber- oder goldgestickter tripolitanischer
Sattelüberzug aus Sammet, ein Paar mit Straussfedern geschmückter
Sandalen und eine Depeschentasche aus Kanö, ein Kaftan aus Stam-
bul, ein Panzerhemde — Sulge — aus Kleinasien, ein Ueberrock —
Abaja — aus dem Hedschaz, der übliche Kopfschmuck der Bornü-
l’ferde aus Messing — Feriram — : Alles kann hier gekauft werden,
und oft zu staunenswerth geringen Preisen, weil die meisten Gegen-
stände schon manchem Herrn gedient haben.
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KLEIDERSTOFFE UND TRÖDELBUBEN. 679
Hier findet man Umschlagtücher der Männer, die nach ihren
Verschiedenheiten in Stoff und Ursprung auf arabisch Dschcridi,
Bäräkan, Ihräm, Melöfa und anders heissen; Frauenshawls aus Bornü
oder den Haussa-Ländern, wie sie schon beschrieben sind, oder aus
Egypten, wie sie als Füta oder Füta harir (in letzterem Falle mit
rothen Seidenstreifen durchwebt) die ganze Gestalt einwickeln; flockige
rothe Seide, welche über Tripolis eingeflihrt wird; abgetheilte egyp-
tische Turbane — Subetti — und seidegestickte Frauenhcmdchen —
Gomädschi — . Neben einem Gürtel aus Marokko, einem Schwert
aus Solingen, einem Dutzend Datteln aus dem Belcd el-Dschcrid oder
aus Donqola am Nil, einem Fläschchen mit Rosenessenz oder mit
Zeit esch-Schiäh (Essenz aus Artemisia herba-alba), neben den Ricch-
hölzem Sandei — Zandal — und Aukmdri — Aud el-Aukmäri — ,
neben Benzoe, Kohol, Zibbcd und el-Hinnä erblickt man hier europäische
Flaschen, Trinkgläser, Tassen und Porzcllanteller, dort eine Thee-
kanne, eine zerbrochene Uhr, einen kupfernen Kessel, Schnüre aus
Thon- und Glasperlen — Charaz arab. und Kullulu kan. — , echte
und nachgemachte Korallen — Mordschan horr und M. keddäb arab. — ,
Bernstein, Achatschnüre, Ringe mit Blutjaspis, Rosenkränze — Sebha
arab. und TadschTbi kan. — aus Knochen, Elfenbein, Olivenholz,
Porzcllanperlcn und Sandelholz, Nägel und Hufeisen, ein Paar arabischer
Steigbügel, ein Stückchen wohlriechender europäischer Seife, grobes
Papier — KatkiSdu — , Messer, Scheercn und Handspiegel —
Kudrum — und zahllose Näh- und Stopfnadeln — Libra (vom
arab. Ibra) — .
Hier ist die Menge am dichtesten, denn hier halten sich die-
jenigen Käufer, welche für Reisen in die Provinzen und Nachbarländer
ihren Reisebedarf an den dort gangbarsten der aufgefuhrten Waaren
einkaufen. Diesen lebhaftesten Theil des Marktes durchstreifen auch
die Barbiere — Wanzamma — mit ihrem lauten Pfeifen, und hier
befindet sich die leichte Hütte des Marktinspectors, der vorkommende
Streitigkeiten schlichtet und die Marktpolizei handhabt.
Wenn man in der Mittellinie über das Centrum hinaus nach
Westen hin vordringt, so stösst man auf die zusammengehörigen
Handwerke der Holz- und Eisenarbeitcr, von denen jene — Nedschär
arab. und Taframa kan. — die Künste der Schreiner, Drechsler und
Zimmerleute ausüben, und diese — Haddäd arab. und Kägilma kan.
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680 in. BUCH, 8. KAP. HANDELS- UND MARKT-VERHÄLTNISSE IN KÜKA.
— sowohl die Arbeiten des Grobschmiedes als die der Gold- und
Silberarbeiter ausführen.
Die Ersteren haben ein beschränktes Gebiet, denn so weit die
Holzarbeit bei eisernen Geräthschaften verwandt wird, gehört sie in
das Gebiet des Schmiedes, und das hauptsächliche, oft einzige Stück
der Zimmer-Einrichtung, die als Lagerstatt dienende Phögubank, wird
von den Ufer- und Insel-Bewohnern des Tsade, in deren Gebiet dies
Holz sich findet, verfertigt. Doch machen sie rohe Thüren — Tafra
— und die trichterförmig aus hartem Holze geschnitzten und mit
ihren Fortsätzen in Boden und Mauer gefügten Angeln, in denen
sich die ersteren mit ihren Zapfen drehen. Ausserdem gehören die
beschriebenen Apparate Aragäja und Kuzzera, welche die Speisen
vor Ratten und Ameisen und die Kleidungsstücke und anderes zer-
störbares Besitzthum vor den gefrässigen Termiten sicher stellen
sollen, und der unentbehrliche Holzmörser — Kurru — ihrem
Ressort an.
Von den Schreinern unterschieden, obgleich ebenfalls Holz-
arbeiter, sind die Sattel-Fabrikanten — Sirdima — , welche aus dem
harten Holze des Dschochän arab. (Diospyrus mespiliformis) , des
Birgim, des Hommed (Spondias Birrea) — Kemaua — oder der
Murraja arab. (Treculiaf) — Kagim — die landesüblichen Sattel-
gestelle machen. Die Bornü- Sättel- unterscheiden sich durch eine
niedrigere, nach vorn concave, und leicht nach hinten geneigte
Rückenlehne, durch einen nach vorn gebogenen, mit der Hand um-
fassbaren Knauf und im Ganzen durch Leichtigkeit und Zierlichkeit
von den arabischen Sätteln.
Der Schmied hat an Ort und Stelle seinen kleinen Ambos
neben dem improvisirten Kohlenheerde aufgestcllt und verfertigt,
während der Lehrling einen primitiven Blasebalg aus Ziegen-
oder Schaffell, dessen hintere Ocffnungen sich beim Drucke durch
Klappen schliessen, mit beiden Händen bearbeitet, Ackerbau-
Gcräthschaften , Beile — Begu — , Nasenringe für Kameelc und
Lastthiere — Türdsche oder Dzär — , Steigbügel — Rökäb arab.
und Döal kan. — und rohe Pferdegebisse — Ledschäm arab. und
Lidzam kan. — , eiserne Ketten — Sensela arab. und Zinzer
kan. — , Lanzenspitzen und Messer — Dschenä — , welche in der
Scheide einen kleinen Behälter für die bei den häufigen Stachel-
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HOLZ- UND EISEN WA AREN. — FLEISCH- UND KAMEELMARKT. 681
bäumen, Kletten und stachlichen Gräsern so nützliche Pincette —
Tomgu — haben.
Die Eisen der Hacken zum Auflockern der Erde, der Beile
mit längs- und quergestellter Schneide umfassen gewöhnlich nicht
die Stiele, sondern endigen in spitzen Fortsätzen, welche in die am
Ende keulenförmig anschwellenden Stiele aus Hedschlidsch-Holz ge-
trieben werden. In langen Reihen stehen vor der Werkstatt der
Schmiede Lanzen — Kasakka — und Wurfspeere — Balem — ,
seltener die nicht in Bornü gebräuchlichen Wurfeisen — Gölio — ,
und harren der Käufer.
In dieser Gegend des Marktplatzes halten sich auch die Kojäm,
welche einige Tagereisen westlich von Küka wohnen, vereinzelte
Pferde, Rinder, Schafe und Ziegen zu Markte bringen und auf den
ihnen eigenthümlichcn Kamcelen, die sie in seltener Anhänglichkeit
an dieses Thier — ihre Vorfahren stammen aus den Tubu- Ländern
— trotz der ungünstigen klimatischen Bedingungen zu züchten ge-
wusst haben, Holzkohlen, etwas Getreide und Butter herbeiführen.
Weiter folgen die Schlächter — Sunöri — , welche nicht allein
an Ort und Stelle Kühe, Schafe, Ziegen und seltener Kameele ab-
thun und an die minder Begüterten, welche nicht alle Tage frisches
Fleisch essen können, und deren kleiner Hausstand das Opfer eines
ganzen Hammels nicht rechtfertigt, im Detail verkaufen, sondern
auch Feuerheerde mit eisernen Rosten errichtet haben, um dem
N’ahrungsbcdürfnissc der Auswärtigen, die vom ersten Morgengrauen
bis zur sinkenden Nacht auf dem Markte aushaltcn müssen, Genüge
zu leisten.
Hier schliesst die Verkaufsstelle der Kameele den Markt nach
Westen hin ab. Das gedrungene, behaarte, nordische Kameel, das
die Waaren tripolitanischer Kaufleute durch die Wüste herbei trug,
erwartet hier die Vollendung seines traurigen Schicksals. Bleibt es
in Bornü, so geht es mit grösster Wahrscheinlichkeit in der unge-
wohnten, nächsten Regenzeit zu Grunde ; hat es noch Kräfte genug,
um das Auge eines nordischen Kaufmannes auf sich zu ziehen, so
erreicht cs vielleicht Fezzän, um in der kaum wiedergefundenen Hei-
math sein mühevolles Dasein zu bcschlicssen. Trotz seiner Ermattung
in Folge der eben zurückgelegten Wüstenreise wird es oft von den
Reisenden, welche nach Norden zu gehen beabsichtigen, den.
zuw'eilen aus Käncm zum Verkäme kommenden, stolzen Karneolen
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682 HI- BUCH, 8. KAP. HANDELS- UND MARKT-VERHÄLTNISSE IN KÜKA.
der südlichen Wüste vorgezogen, da diese sehr viel theurer sind
und im Norden ebenso sicher zu Grunde gehen. Jedenfalls verdient
es den Vorzug vor demjenigen der Kojäm, dessen Leistungsfähigkeit
im umgekehrten Verhältnisse zu seinem mächtigen Knochenbau steht.
Das war die Mittellinie des Marktes. Fast die ganze Nordseite
wird von Kanembu eingenommen, welche auf den ihnen eigentüm-
lichen Küri -Rindern aus den nahe am Rande des Tsade gelegenen
Dörfern Maduäri, Kaua, Binder und Beri, aus den Ortschaften des
untersten Laufes des Flusses von Joo, aus Barüa und Ngigmi und
Kuri-Rind in BorniV
aus dem Districtc Dütschi westlich von Küka am Komodügu Joöbe
die Erzeugnisse ihrer Arbeit zu Markte bringen.
Die Küri- oder auch Bare- Rinder zeichnen sich durch riesige
Hörner aus, welche oberhalb ihrer fast in einander übergehenden
Ursprünge zuweilen 0,50 M. und mehr im Umfange messen und sich
leier- oder kreisbogenformig nach oben krümmen. Sic haben nicht
immer den fleischigen Höcker zwischen den Schultern entwickelt und
unterscheiden sich ausserdem von den übrigen Rindern des Landes
durch einen gestreckteren Bau und einen längeren Kopf, der beim
Gehen in Folge des Hörnergewichts niedersinkt und hin- und her-
schwankt.
Das Küri-Rind ähnelt dem aus Ost-Afrika bekannten Zanka-Rinde,
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VERKAUFSGEGENSTÄNDE DER KÄNEMBU.
«83
ist jedoch von mächtigerer Gestalt. Ausser diesen Thieren selbst
und auf ihnen bringen die Kanembu getrocknete Fische des Tsäde,
gereinigte und ungereinigte Baumwolle, Indigo, gesäuerte Milch mit
darin schwimmender frischer Butter, seltener frische Milch und flüssige
Butter, Matten und buntgefärbte Streifen der Dümpalmenblättcr zu
den feineren Korbflechtereien, Natron von den Ufern und Inseln des
Tsäde, Peitschen aus Hippopotamushaut, Gerätschaften aus I’högu
und mächtige, ramsnasige, lang- und kurzhaarige Schafe von be-
merkenswerter Fettleibigkeit zum Verkauf.
Westlich von ihnen halten sich die Manga, ein merkwürdiger
Bomü- Stamm, der im Westen des Reichs auf dem Nordufer des
Bora ft - Schaf-
I'lusses von Joö wohnt, mit den Erzeugnissen ihrer Industrie: Korb-
und Mattenflechtereien geringer Güte und unreinem Salz, das sie
aus dem Erdboden und vegetabilischer Asche gewinnen.
Auf der Südseite des Marktes haben im östlichen Theile des-
selben die Sclavenmakler grosse Buden aufgeschlagen, in deren Schutz
gegen Sonne und Regen ihre Waare in langen Reihen, in Ketten und
ungefesselt, ausgestellt ist. Sclaven beiderlei Geschlechts — Kindschi
heisst der Sclav ohne Rücksicht auf Geschlecht, Kalia ist der männ-
liche Sclav, Kir die Sclavin — , jeden Alters und Preises, aus den
verschiedensten südlich von den Sudan-Staaten gelegenen Heiden-
ländern erwarten dort ihr Schicksal. Neben kleinen Kindern, die
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6£4 III. HUCH, 8. KAP. HANDELS- UND MAR KT- VFRHÄI.TNISSE IN KÜKA.
der zärtlichen Sorge einer liebenden Mutter entrissen wurden, bevor
sie das Bild derselben in ihre Erinnerung aufnehmen konnten, sitzen
lebensmüde Greise; zwischen hässlichen Weibern, denen die fahle
Haut um die fleischlosen Knochen schlottert, und die in Arbeit und
Elend stumpf geworden sind, blicken frische junge Mädchen mit den
vollen, prallen Formen der ersten Jugcndblüthe, in kokettem Kopf-
putz, sauber gewaschen und in Butter erglänzend, hoffnungsvoll in
die Zukunft.
Die gangbarste Klasse der Menschenwaarc ist der sogenannte
Sedäsi, d. h. der vom Fussknöchel bis zur Spitze des Ohrs sechs
Spannen messende männliche Sclav, dessen Maass einem ungefähren
Alter von zwölf bis fünfzehn Jahren entspricht, und dessen Preis den
Stand der ganzen Waare kennzeichnet. Wenn sich ein fremder
Kaufmann über die Sclaven-Preise eines Landes unterrichten will, so
frägt er: „wie viel kostet der Sedäsi?" und leitet sich selbst aus der
Antwort die Preise der übrigen Altersklassen ab. Auch die den
Sedäsi nächststehende Klasse des Chomäsi oder der Chomäsija,
d. h. der fünf Spannen hohen männlichen und weiblichen Sclaven,
welche in einem Alter von zehn bis dreizehn Jahren stehen, ist sehr
gesucht, da sie schon eine gewisse Widerstandsfähigkeit gegen ver-
ändertes Klima und fremde Lebensweise hat und doch physisch und
moralisch noch ausserordentlich accommodationsfähig ist. Die fünfzehn-
bis zwanzigjährigen Sebä'i’s (d. h. die sieben Spannen Messenden), die
sich den ungewohnten klimatischen Bedingungen noch besser anzu-
passen vermögen, sind ebenfalls noch gut verkäuflich, doch ist ihre
Erziehung schwieriger, als die der noch im Kindesalter Stehenden,
und sie lassen sich , wenn sie nicht etwa seit langen Jahren an die
Sclaverei gewöhnt sind, schon leichter zum Fmtlaufcn verleiten. Aus
diesem Grunde liebt man die ausgewachsenen Männer — Gurzem —
wenig, besonders wenn dieselben nicht erprobt sind und nicht etwa nur
aus besonderen Verhältnissen zum Verkaufe kommen. Am wenigsten
geschätzt sind ältere Männer, vor denen die älteren F'rauen — Scliö-
malija — wenigstens den Vorzug haben, besser zu häuslichen Ar-
beiten verwendet werden zu können. Im Preise übertreffen die
jungen reifen Mädchen, welche zu Concubinen geeignet sind, begreif-
licher Weise den Sedäsi um ein Bedeutendes; aber sie bilden einen
weniger gangbaren, ziemlich unsicheren Marktartikel, da ihr Werth
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SC.LAVENVERKAUF.
G85
je nach dem Grade ihrer Schönheit und dem Geschmackc des um
sie Feilschenden sehr schwankt.
Diese jungen Mädchen oder Frauen — Surrija pl. Serräri {wahr-
scheinlich von Sirr, das Geheimniss) arab. - ziehen gewöhnlich das
beste Loos unter den Sclaven. Sie füllen vollständig den Platz einer
Hausfrau aus und sind viel mehr als diese bestrebt, durch Fleiss und
Liebenswürdigkeit das Wohlwollen ihrer Herren zu erwerben und zu
bewahren, um nicht aus einer Hand in die andere zu gehen. Wenn
sie auch in Fällen, wo sie einen allzu grossen Einfluss auf den Letz-
teren gewinnen, leicht hochmüthig, anspruchsvoll und putzsüchtig
werden, so machen sie doch im Ganzen viel geringere Unterhaltungs-
und damit Haushaltungs-Kosten, als die legitimen Frauen. Sie sind
ein wahrer Segen für unbemittelte Männer und Leute, die zu grossen
Reisen und langen Abwesenheiten gezwungen sind, denn legitime
Frauen sind selten geneigt, Heimath und Sippe zu verlassen, und
können nach dem religiösen Gesetz nicht einmal dazu gezwungen
werden. Wird die Sclavin mit Kindern gesegnet, so ist sie überdies
fast ebenso sicher in ihrer Stellung, als eine legitime Frau, denn nur
die allerzwingendsten Verhältnisse können einen nur einigermassen
rechtlich denkenden Muselman dazu bringen, sich von der Mutter
seiner Kinder durch Verkauf zu trennen.
Einen exceptionellen Werth haben die Eunuchen Adim
welche jedoch kaum jemals auf den öffentlichen Markt kommen.
Ks ist eine so grosse Nachfrage nach ihnen von Seiten der fremden
Kaufleute, welche sie für die Grossen der mohammedanischen Welt
Europas, Asiens und Afrika's suchen, während doch der Vorrath an
ihnen nur gering sein kann, dass sie sehr schnell unter der Hand
verkauft werden. Die meisten Eunuchen, welche in Bornü zum Ver-
kauf kommen, stammen aus Baghirmi, doch auch mancher mächtige
Mann des Landes selbst hat sich nicht geschämt, ihre Zahl zu ver-
mehren, um des unmittelbaren Gewinnes willen, oder um sie als
kostbares Geschenk für den Scheich in Bereitschaft zu halten. Auch
Lamino scheint gewissenlos genug gewesen zu sein, zuweilen
Hunderte von Knaben aufzusammeln und der selbst vom Islam
verdammten Verstümmelung zu unterwerfen. Die operirenden Bar-
biere pflegen unter dem Vorgeben, die Knaben beschneiden zu
wollen, mit schnellem Grifte die gesammten .äusseren Geschlechts-
theile derselben mit der linken Hand zu umfassen und mit der
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G8G in. buch, 8. kap. Handels- und markt-verhältnisse in küka.
rechten mittelst eines scharfen Messers zu amputiren. Siedende
Butter wird bereit gehalten und den Unglücklichen zur Stillung
der Blutung auf die frische Wunde gegossen. Sehr Viele gehen be-
greiflicher Weise an der schrecklichen Operation zu Grunde.
Auch taubstumme Sclavinnen, wenn sie gleich nicht ebenso kost-
bar sind als die Eunuchen, werden von den Grossen der höher
civilisirten Lander des Islam als Dienerinnen ihrer Frauen sehr ge-
sucht und theuer bezahlt, und Zwerge — Wada — , womöglich zu
Hofnarren erzogen, bilden noch immer ein beliebtes Spielzeug für
mohammedanische Fürsten. Beide sah ich in Küka zur Ausfuhr
nach Norden verkaufen.
Buckelrind der Schoa in ftomü.
Westlich von den Sclavcnbudcn schliessen die Schöa die Süd-
seite des Marktes ab. Die Nomaden-Natur ihrer Vorfahren verleug-
nend, bringen sic hauptsächlich die Producte sesshaften Ackerbaues
zu Markte und haben das Kamcel ihrer Vorfahren durch mächtige,
kurzhornige Stiere ersetzt, die sich durch einen kurzen, dicken Kopf,
eine breite Brust, einen starken Hals, längs dessen eine breite
Hautfalte tief hcrabhängt, und einen fleischigen Höcker zwischen
den Schultern auszcichnen. Sic sind im Ganzen massiger, stärker
als die Küri-Rinder, und können in ähnlicher Weise, wie diese mit
den Zanka-Rindern, mit den Zebu (Buckelrindern) Ost -Afrikas ver-
glichen werden; doch ist der Grössenunterschied hier noch bedeuten-
der, als zwischen jenen. Gar nicht selten zeigen diese Buckelrinder
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MARKTERZEUGNISSE DER SCHÖA. - 687
Bornus die sonderbare Eigenthümlichkeit eines oder des anderen
beweglichen Hornes, das oft schon bei beschleunigter Gangart des
Thieres sichtlich hin- und herschwankt. Leider wurde mir keine Ge-
legenheit geboten, diese unzweifelhafte und gar nicht seltene That-
sache durch genauere Untersuchung eines derartigen Falles nach dem
Tode des Thieres etwas mehr aufzuklären.
Schon in der Nacht, die dem Markte vorhergeht, kommen die
Schöa aus ihren südwestlich und südlich von Küka gelegenen, oft
mehrere Tagereisen entfernten Sitzen, und die aufgehende Sonne
sieht bereits in langen Reihen, Sack an Sack, Duchn, Durra, Weizen,
Gerste und Reis aufgcstellt. Weizen und Gerste sind spärlich ver-
treten und werden mehr von Nicht-Arabern in der Nähe der Hauptstadt
cultivirt, doch von den Negerccrealien, besonders von Duchn, kommt
eine solche Menge allwöchentlich zu Markte, dass sich fast die Hälfte
aller Hausstände Küka’s bis zum Markttag der nächsten Woche damit
versorgen kann. Nur die Würdenträger, Chefs von Districten und
Stämmen, und die Besitzer von grösseren Landgütern in der Nähe
der Hauptstadt, werden natürlich von ausserhalb mit Vorräthen ver-
sehen. Weizen und Gerste kostete damals noch einmal so viel als
Duchn und Durra, und selbst der Reis war theurer als diese, obgleich
er keinerlei Aussaat und Cultur, sondern nur die Arbeit des Ein-
sammelns der Samenkörner nöthig macht. Hinter den Getreide-
sacken, zwischen ihnen und den in Reihen gefesselten Laststieren,
sitzen die Eigenthümer mit ihren Frauen und Töchtern in Mitten
ihrer Vorräthe von flüssiger Butter und Honig, die sie ebenfalls feil-
bieten. Sie zeigen die verschiedensten Farbenabstufungen der Haut,
vom Roth der Araber Arabiens und der Nordküste Afrika’s bis zum
Grau — Azfek — (nach der früher gegebenen Farbenscala) und
darüber hinaus bis zum Schwarz — Assuad — , wie es auch bei den
Kanüri und Kanembu nicht häufig ist. Etwas mehr als die Farbe
der Haut und die Tracht ihrer Vorfahren haben sie ihre semitischen
Züge bewahrt, und wenn alle diese Kennzeichen ihrer Herkunft unter
jahrhundertelanger Einwirkung einer Mischung mit fremdem Blut
geschwunden sind, so ist ihnen doch die Sprache der arabischen
Halbinsel fast in alter Reinheit geblieben.
Vom Morgen bis zum Abend wogt hier eine Menge von oft mehr
als 10,000 Menschen hin und her, ist auf der Tageshöhe am dichtesten
und verliert sich bei untergehender Sonne. Trotz des ungeheuren
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688 III. BUCH, 8. KAP. HANDELS- UND MARKT- VERHÄLTNISSE IN KÜKA.
Gedränges und des unzulänglichen Abschlusses der einzelnen Ver-
kaufsplätze von einander durch Buden oder freien Raum , wickelt
sich der vielseitige Verkehr in einer bewundernswerthen Ordnung
und Friedfertigkeit ab. Der polizeiliche Oberaufseher des Marktes
hat wenig mit der Schlichtung von Streitigkeiten und der Handhabung
der öffentlichen Ordnung zu thun; Rohheiten, Diebstähle, Gewalt-
thätigkeiten gehören zu den Seltenheiten. Und doch sind von Seiten
Küka’s fast ausschliesslich die niederen Klassen, Diener und Sclaven,
und ausserdem das wenig von den verfeinerten Sitten der Hauptstadt
berührte Landvolk in dem Gewimmel vertreten. Das Bornü-Volk
im Ganzen, so verschieden auch einzelne Bestandthcile sein mögen,
zeichnet sich eben nicht sowohl durch gesetzlichen Sinn, als durch
Harmlosigkeit, rücksichtsvolle Höflichkeit und milde Sitten aus.
Für mich war bei dem ersten Besuche des grossen Marktes nicht
sowohl die Menge und Verschiedenartigkeit der Waaren und ihre
Preise vom höchsten Interesse, als vielmehr das bunte Gemisch von
Vertretern der verschiedensten Länder und Stämme, unter denen ich
mich vergebens zurecht zu finden suchte. Es war allerdings nicht
schwer, die hochgewachsenen, knapp gekleideten Käncmbu der Um-
gegend, die Schöa mit ihrem arabischen Gepräge zu erkennen, und
die Frauen jener und dieser durch Gestalt und Haartracht von den
übrigen zu unterscheiden. Doch die übrigen BormVMänner und
-Frauen, ja die Kanüri selbst schienen zahlreiche heterogene Elemente
einzuschliessen und machten in Gestalt, Hautfarbe und Gesichtszügen
keineswegs einen einheitlichen Eindruck. Die plumpen Mäkäri, die
hässlichen Manga schienen nicht durch nationale Bande an jene ge-
knüpft zu sein — so verschieden war der Eindruck, den sie machten — ■,
und cs hielt besonders schwer, das einigende Band zwischen den
Frauen der verschiedenen Stämme oder Stammabtheilungen zu finden.
Noch viel verwirrender war die Mannichfaltigkeit in den Typen
der Fremden und Sclaven. Hier hatten einige nahewohnende Ver-
treter der räuberischen Budduma den Marktbesuch gewagt und boten
das Natron ihrer Inseln, Peitschen aus Hippopotamushaut und leichte,
wie Matten zusammengerollte Fähren aus Phögu-Holz feil. Dort hielt
sich eine Gruppe von Felläta, wie die Araber und Neger sie nennen,
oder Ful-be, wie sie in ihrer eigenen Sprache heissen, trotz ihres
vielfach ganz semitischen Gepräges so verschieden von den Arabern,
mit den von ihnen unzertrennlichen Rindern. Diese sind bei einer
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M \NNICHF ALTICIKF.IT HER MAKKTHF.SrCHF.R.
ßW
ausgesprochenen Verschiedenheit von denen der Küri doch auch
nicht identisch mit denen der Scliöa , wie z. B. das häufige Fehlen
des Fleischhöckers beweist. Man nennt dieselben in Bornu wohl
nach einer Felläta-Abthcilung Oböre-Rinder. Hier zog eine Musgo-
Frau mit den rüssclfürmig vorgezerrten Lippen, in denen fast thalcr-
grosse Knochenplattcn beim Sprechen klappernd auf einander schlugen,
und dem Pfeifenstummel im Mundwinkel, dort ein schurzfellbekleideter
Fäli-Sclav mit seinen spitzgefeilten Zähnen und überall wunderbare
Tatowirungen, künstliche Haarfrisuren und sonderbare Trachtver-
schiedenheiten die Blicke des Beschauers auf sich. Vornehme und
Geringe, Reiter und Fussgänger, Fremde und Einheimische, Freie und
Sclaven drängten und schoben sich in unentwirrbarem Gewimmel
durcheinander.
Während mein Begleiter Dunkas auf den ersten Blick anzugeben
wusste, welchem Stamme ein Individuum angchörtc, wenn er auch
die Unterschiede nicht zu präcisiren vermochte, starrte ich verwirrt
von dem bunten Bilde, betäubt von dem dumpfen Geräusche der
Menschenmenge, überwältigt von der Vielseitigkeit der Eindrücke,
in rathloser Neugier um mich. Dabei war ich selbst nicht minder
ein Gegenstand des öffentlichen Interesses, besonders für die Fremden
und das Landvolk, und ich war bald bei meinen Wanderungen durch
den Marktplatz von einer ansehnlichen Menge Neugieriger begleitet.
Als ich darüber unwillig zu werden begann, besänftigten mich die ver-
ständigen Bemerkungen eines Mannes aus der Umgebung sehr schnell.
Derselbe sprach mir seine Verwunderung darüber aus, dass ich nicht
zu wissen scheine, ein wie selten in ihrer Welt gesehenes Exemplar
der Familie Mensch ich sei, und meinte, dass ich es natürlich finden
müsse, wenn man mich mit derselben Aufmerksamkeit, welche ich
ihnen selbst zuwende, zu betrachten und zu studiren suche.
Für meine Diener war der Montag stets ein Tag erheblicher
Anstrengung. Bei der grossen räumlichen Ausdehnung des Marktes,
bei der lebhaften Nachfrage nach einzelnen Gegenständen, wie vor
Allem nach Brennholz, Getreide und Pferdefutter, mussten sie früh
bei der Hand sein, durften sich nie zurückdrängen lassen und sahen
sich genöthigt, das Gekaufte in der Stadt in Sicherheit zu bringen
und dann zurückzukehren. Erhielt man aber die nöthigen Vorräthc
nicht auf dem Montagsmarkte, so konnte man in grosse Verlegenheit
gcrathen; Brennholz war in der nahen Umgegend nicht zu finden,
Nacltligal. I. 44
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690 III. BUCH, 8. KAP. HANDELS* UNI) MARKT-VERHALTNISSE IN KÖKA.
ebensowenig Pferdefuttcr, und das Getreide war wenigstens auf der
Durria sehr viel theurer.
Im Vergleich zu andern Ländern ist der Marktverkchr in Bornü
ausserordentlich erleichtert durch die vollständige Handels- und Ge-
werbefreiheit und durch die Einführung eines officicllen Marktwerthes.
Jene wird in Etwas durch eine Einrichtung modificirt, welche gleich-
zeitig sehr zur Herstellung einer gewissen Ordnung beiträgt: dadurch
nämlich, dass alle grösseren Objecte durch einen angestcllten und ver-
eidigten Auctionator — Libäjama (d. h. Verkäufer) verkauft werden,
und dass für andere Waaren Makler Dilälma — die Vermittler
machen. So haben Auctionatoren die Verkaufsstellen der Kamecle,
Pferde und Sclaven unter ihrer Leitung, und so bringen Makler
Ordnung in Kauf und Verkauf der Baumwollenwaaren, welche sonst,
bei dem grossen Zudrange zu ihrer Verkaufsstelle, für Viele un-
erreichbar sein würden. Noch wichtiger für die Erleichterung des
Marktverkehrs zu Küka ist die allgemeine Gültigkeit des öster-
reichischen Maria-Thcrcsia-Thalcrs und des Muschelgeldcs als Scheide-
münze. Man erkennt dies dankbar an, wenn man in anderen Sudan-
Ländern erfahren hat, wie ausserordentlich mühsam und zeitraubend cs
ist, in den Besitz bestimmter Verkaufsobjecte zu gelangen, weil die-
selben verschiedene Marktwerthe erfordern und man ihrer oft erst
auf dem Wege wiederholten Umtausches theilhaftig wird.
Als vor mehr als dreissig Jahren der Hadsch Beschlr, damals
der einflussreichste Würdenträger und Rathgcbcr Scheich Omars,
eine Pilgerfahrt nach Mekka unternommen hatte, lernte er in Egypten
und Dschedda den grossen Unterschied zwischen der Cultur der
Mittelmeerländer und derjenigen seiner Heimath, die hohe Bedeutung
des Handels für die Hebung eines Volkes und Landes, und die Er-
leichterung des Verkehrs durch den Gebrauch fester, allgemein
gültiger Wcrthmaasse kennen. Es war auf seinen Vorschlag, dass
nach seiner Rückkehr der Scheich die allgemeine Gültigkeit der be-
reits vielfach im Lande circulirenden Thaler — Gurs — , sowohl
der Maria-Theresia-Thaler — Abu Teir arab. — als der spanischen
Colonnaten-Thaler Abu Mcdfa — , decretirte, von denen die ersteren
noch jetzt mit der Jahreszahl 1780 und dem Brustbildc Maria-Thercsia’s
zur Ausfuhr nach Afrika geprägt werden.
Damals bestand in Bornü, wie in den meisten Nachbarländern,
das gangbarste Kaufmittel in Baumwollcnstreifen von fünf bis sechs
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WF.RTHMESSF.R IN HORNÜ.
691
Centimeter llreite und drei bis vier Meter Länge — Gabag - , welche
ihrerseits das früher vorwaltend gebrauchte Werthmaass, nämlich be-
stimmte Gewichtsmengen Kupfer, kurzweg Rotl genannt, verdrängt
hatten. Die bei der Werthgrösse des Gurs unentbehrliche Scheide-
münze stellte Hadsch Beschir durch die Kauri-Muschel (Cypraea
Motieta) — Oad'a arab, und Kungöna kan. — her. In der Erinnerung
an die Zeit der früheren Kupferwahrung nannte man die Bruchtheile
des Thalers, welche 32 Muscheln umfassen, Rotl (d. h. Pfunde) und
fixirte von Zeit zu Zeit durch königliches Decret die Zahl der in
einem Thaler enthaltenen Rotl. Zur Zeit meiner Ankunft zerfiel der
Thaler in 120 bis 130 Rotl, umfasste also etwa 4000 Kauri-Muscheln.
Es war nicht zu fürchten, dass Mangel an Muscheln entstehen oder
dass sie in allzugrosser Menge zufliessen würden, denn auch die
industriellen und verkehrsreichen Haussa-Länder bedienen sich dieses
Geldes, und Bornü ist zu weit von den Meeresküsten entfernt, um
eine massenhafte Einfuhr vortheilhaft erscheinen zu lassen. Natürlich
schwankt je nach der Menge der im Lande circulirenden Thaler
ihr Werth, und während der letzten Zeit meiner Anwesenheit in Bornü
gab ein Thaler 180 Rotl Kungöna. Steigt oder fallt der Thaler
allzusehr, so setzt die Regierung, soweit es in ihrer Macht steht,
einen Zwangscours fest; doch mehr als einmal erlebte ich, dass die
Wechsler, welche überall in der Stadt und auf den Märkten gegen
einen äusserst geringen Gewinn die Thaler umsetzen, bei einer plötz-
lichen Reducirung ihrer Muschelwerthe ihre Standorte verliessen, oder
dass Thaler und Waaren zurückgehalten wurden.
Es ist zwar mühsam und zeitraubend, beim Wechseln des Thalers
sein Aequivalent in Muscheln abzuzählen, doch haben die Eingebore-
nen es hierin zu einer grossen Fertigkeit gebracht, indem sie stets
vier als Einheit nehmen und also bei der Zahl acht ein Rotl gezählt
haben, wobei sie behufs späterer Controle eine Muschel bei Seite legen,
Um einzelne Muscheln stimmt die Rechnung nie, ja selbst ein Rot!
stellt sich oft als zu viel oder zu wenig heraus; wenn cs sich jedoch
nicht um mehr handelt, wird kein Gewicht darauf gelegt. Für
diese Mühe und unvermeidliche Ungenauigkeit hat man aber den
Vortheil, in Küka und Umgegend alle Verkaufsgegenstände für den
Thaler und seine Muschel-FYactioncn erhalten zu können und in der
Kauri -Muschel eine ausserordentlich kleine Scheidemünze zu haben,
während man die Märkte der Naehbarländer mit Baumwollenstreifen,
44*
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092 III. BUCH, 8. KAP. HANDELS- t’ND MARKT-VERHÄLTNISSE IN KÜKA.
Glasperlen, Papier, Ricclihölzern und andern Gegenständen geringen
Werthes besuchen muss, ohne immer sicher zu sein, ob und durch
welche Ucbergangsstufen man die gewünschten Waaren cintauschen
kann. Die Haumwollenstreifcn, welche neben den Muscheln gangbar
blieben und fern von der Hauptstadt bis heute vorwaltendc Geltung
haben, schwanken erheblich in ihrer Qualität und demzufolge in
ihrem Werthe. Dieselben hatten zur Zeit meiner Anwesenheit in
Küka einen Durchschnittswerth von vier Rotl, also etwa zwölf
Pfennigen, so dass man sich genöthigt sah, sie im kleinsten Einzel-
handel, da sic nicht mehr verkleinert werden können, durch einzelne
Bogen Papier, einige Glasperlen und dergleichen zu ersetzen. Mit
der Theilung des Thalers in 4000 Muscheln erhält man hingegen
ein kleinstes Werthmaass von etwa 7.. Pfennig, wodurch es den
Armen möglich wird, die kleinste Menge eines zertheilbaren Gegen-
standes zu kaufen.
Die natürlichen und industriellen Erzeugnisse, welche zu Küka
in den Handel gelangen, sind von einer nach unseren Begriffen un-
glaublichen Wohlfeilheit, und es dürfte nicht überflüssig erscheinen,
eine möglichst ausführliche Liste der damaligen Preise zu geben:
Sclaven — Kindschi — kosteten : Mar.-TW-Thir.
4— 5
6 — 10
12 — 14
10 — 15
15 — 18
16 — 22
20 — 25
16 — 20
40-100
50 — 80
2- 4
3 — 5
4-8
/» 3
Roll
3- 5
ein alter Mann — Kjäri —
eine alte Frau — Kömorsu —
ein kräftiger Mann
eine Frau mittleren Alters — Schomalija —
ein junger bärtiger Mann — Gurzem —
ein Jüngling — Sub’äi —
ein Sedäsi und eine Chomäsija
ein Chomäsi
eine Surrija
ein Eunuch — Adim — im Knabenalter
Unter den Hausthicrcn — Käzu — kosteten:
Von Rindern — Fe — :
die Schlachtkuh — Fe debäteram —
die Milchkuh — Fe kenara oder mädärabe — . . . .
Zuchtstier — Bullann — und Lastochsc — Keniemo — .
Kälber — Dalo und Kirna — je nach dem Alter . . .
Einzelne Pfunde Rindfleisch waren verkäuflich zu . .
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PREISE I)EK SU.AVEN UND HAUSTHIEKE. 6Ü.‘J
Von Karneolen — Kalgimmo — gaben: Mu.-Tiwr.-Thit.
die von der Reise gekommenen nordischen bis zu . . 15
die der Kojäm 6 15
die der Tuärik, Känem- und WadaV-Leute 15- -40
Von Pferden — Fir bezahlte man:
ein Zwergpferd aus den südlichen Heidenländern oder
einen schlechten Bornüklepper (Packpferd) mit . . . 4 — 10
ein gutes, starkes Reitpferd von gewöhnlicher Bornü-
Zucht mit 15 — 25
ein gutes, schönes Reitpferd, von Schöa oder Tubu ge-
züchtet, mit 20 — 40
ausgezeichnete Pferde der Bornü-Zucht oder schöne Thicre
aus den Ländern der Nordküste hatten oft einen Preis
von mehr als 100
Füllen — Kusta — variirten natürlich sehr im Preise, je
nach Alter und Herkunft.
Esel — Köro — kamen nur als gewöhnliche Lastesel der
Landeszucht — K. därawi arab. (von Dar, Haus, Land)
auf den Markt und kosteten etwa 2 — 5
Von Schafen und Ziegen hatten:
der Widder — Ngeläro — und das Schaf — Dimi — einen
Preis von . - '/* — 1 V»
der Bock — Dal — und die Ziege — Käni — einen
solchen von — 1
während das einzelne Pfund Hammelfleisch bezahlt wurde Kou
m't 5-7
Hühner - Köki — und Hähne — Göbögum kosteten
je nach ihrer Grösse und Güte 1 — 5
Küchlein - Fijogma waren entsprechend billiger,
und von Hühnereiern — Ngubbel kökibe — erhielt man
4 Stück für 1
Für junge Tauben Kataböra - verlangte man pro
Stück 2 3'/*
Von wilden Thiercn — Bundi oder Da (Fleisch) kärägäbe — ,
soweit sic der Ernährung des Menschen dienen können, kamen zu-
weilen allerdings Antilopen, Hasen und dergl. auf den Markt, doch
immerhin so selten, dass von wirklichen Marktpreisen nicht die Rede
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f)U4 III. HUCH, 8. K.\r. HANDELS- UNI» MARKT-VERHÄLTNISSE IN KÜKA.
sein konnte. Die häufigeren Perlhühner, Feldhühner, Feld- und
Waldtauben waren bei der geringen Nachfrage im Vergleich zu der-
jenigen nach Haushühncm und Haustauben wohlfeiler als diese.
Straussc — Kirgeko — waren nicht selten verkäuflich, hatten jedoch
ganz willkürliche Preise; ihre Eier — Ngubbcl kirgekobe — wurden
mit 8 -io Rotl das Stück bezahlt.
Ausser den Getreidearten, deren Preise bereits oben erwähnt
sind, hatten noch von Garten- und Feldfrüchten cinigermasscn be-
stimmte Preise:
die Bohnen — Ngälo — , von denen der Centner etwa i Thlr. kostete;
die Zwiebeln — Basall — , von denen man für i Rotl etwa i Kilogr.
erhielt;
Melonen — Bambus — und Wassermelonen — Fäli oder Pali — , von
denen je nach Grösse und Güte das Stück i — 7 Rotl kostete;
Sägädu (Cucurbita Pepo) und Gurken — Ngurli — , die noch erheb-
lich billiger waren;
Tomaten, von denen man ihrer grösseren Seltenheit wegen allerdings
einige wenige Stück mit mehreren Rotl bezahlen musste.
Die zu den 'Atsch- Saucen verwendeten Blätter, Kräuter und
Früchte waren so unglaublich wohlfeil, dass man fiir einige Rotl ge-
nug erhielt, um einen ganzen Hausstand für eine Woche zu dem an-
gedeuteten Zwecke zu versehen.
Die Fische — Büni — wurden nicht in solcher Menge, wenig-
stens nicht im frischen Zustande, auf den Markt gebracht, als die
Nähe des Tsädc vermuthen lässt. Uebrigens bezahlte man einen
grossen, frischen Fisch, der zu einem Mahle für vier bis sechs
Menschen hinreichte, mit 10 — 15 Rotl.
Süsse Milch — Kiam killi — kam öffentlich selten zum Verkauf,
sondern musste meistens aus den Häusern bezogen werden; sie kostete
dann pro Liter etwa 5 — 8 Rotl. Die auf Marktplätzen feilgebotene und
auf den Strassen ausgerufene saure Milch — Kiain — hatte kaum
den vierten Theil dieses Werthes.
Von der aufbewahrungsfähigen Butter — Kindägo — erhielt
man 10 — 12 Pfund für 1 Mar. -Ther. -Thlr. ; die frische Butter — Zibda
arab. und Fula kan. wurde nicht nach dem Gewichte verkauft.
Vom Honig Kcmägen kosteten 7 9 Pfund 1 Mar.-Ther.-
Thlr.
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PR KI SK VON GARTENUAU-, VIEHZUCHT- UNI) INDISTRIF.-ERZEUÜNISSK.N. (illf)
Von Thicrfcllcn und ihren Verarbeitungen fand man auf dem
Markte häufig:
Mar. Ther.-Thlr.
Löuenfclle
Leopardenfelle . . . .
Antilopenfelle
Rinderfelle
•Schaf- und Ziegenfclle in ungegerbtem Zustande
Schaf- und Ziegenfelle, in Kanö gegerbt und gefärbt,
Schaf- und Ziegenfelle, in Bornü gegerbt und gefärbt,
Wasserschläuche Satki — aus Kanö
„ aus Bornü
Schuhe Sunö aus gewöhnlichem Bornü-Schaf-
leder
Schuhe aus Haussa-Leder
Reitschuhe, vorn in zwei Abtheilungen gespalten,
aus Bornü
Sandalen Näl der Landesmanufactur ....
Sandalen aus Kanö
Kissenüberzüge Bir , von runder oder länglicher
Form in den verschiedensten Mustern, aus Kanö .
Zwei Gepäcksäcke aus mangelhaft gegerbtem Kameel-
ieder Kewa - , welche stets paarweise ver-
kauft werden
ZU
1
•>
zu
V,
1
zu
7«
7*
Rot!
zu
1 5
30
zu
5
•5
zu
20-
40
zu
10-
20
Mar.-Ther.-TI
zu
7«-
1
zu
7*
74
R
Oll
zu
20
30
zu
40
60
zu
5-
IO
zu
3
s
zu
15
30
zu
50 -
100
zu etwa ioo
Die Preise der in Küka üblichen Kleidungsstücke sind schon
bei der Aufzählung ihrer Arten aufgeführt; von andern Bedürfnissen
des täglichen Lebens, welche dort zu Lande unentbehrlich sind,
gelten die nachstehend verzeichneten Angaben.
Brennholz wurde in grösseren Bündeln verkauft, deren eins ro1|
z. B. genügte, um die Küche meines ganzen Haushaltes
von etwa sechs Personen für eine ganze Woche zu ver-
sorgen, und zwar zum Preise von 20 30
Stangen zur Errichtung von Schattendächern und zur Stütze
von Einfriedigungen kosteten im Dutzend ungefähr
ebenfalls 20 30
Siggcdi- Stücke (Sukko- Geflecht), gegen 3 M. lang und
2 2'/* M. breit, wurden bezahlt mit 8 — 12
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(H)G III. IIUCH, 8. KAP. HANDELS- UND MARKT-VERHÄLTNISSE IN KÜKA.
Gewöhnliche Bornü-Matten — Büsch i ngitnbe aus Düm- r0u
gestrüpp (Ngille) variirten im Preise je nach der Grösse von 4 7
Bessere Bornü-Matten in bunten Mustern kosteten ... 30 50
Feine Matten aus Kanö und Nife kamen im Preise bis auf . 100
Grobgeflochtene Körbe — Qufla arab. hatten, wenn
sie sehr umfangreich waren, wie z. B. die zur Aufbewahrung
des Getreides dienenden und Dschigä genannten, einen
Preis von 10 12
und wenn sie kleiner waren — Dzimbära - von . . 1 — 4
Die öfters erwähnten Vorhängethüren Farfar kosteten,
wenn sie in Logon oder Kötöko verfertigt waren ... 20 50
wenn sie aber der eigentlichen Bornü-Manufactur angc-
hörten ..' 5 — 8
Geflochtene Deckel, vorzüglich der Schüsseln Tabaq arab.
und Fille kan. , waren, wenn kunst- und schmucklos her-
gestellt, zu haben für 2 — 5
während die sorgfältig gearbeiteten und zierlich ge-
musterten etwa den doppelten Preis hatten.
Die Kürbisschalen Qar’a arab. und Kummo kan. , wie
sie beschrieben worden sind, lackirt und bemalt,
schwankten im Preise von 3 — 10
während die aus Holz geschnitzten und schwarzgebeizten
Essschüsseln Qadäh arab. -- verkauft wurden zu . . 6 — 20
Die Wasserkrüge Nge ~T und Kochtöpfe — Qidr arab. ,
aus Thon gebrannt, waren um wenige Rotl zu haben, und
die mühselige Arbeit, ein Stück Baumstamm harten Holzes
zu einem Mörser Kurru — behufs der Mehlbereitung
auszuhöhlen, fand nur den bescheidenen Lohn von etwa 20
Eine Quantität Stroh oder Gras Kadschim oder Kad-
schim killi — , wie sie etwa die Tagesration eines Pferdes
ausmacht, kostete ca. 8
Die Beläge für die Wohlfeilheit der südänischcn Arbeit könnten
natürlich noch erheblich vervielfältigt werden, doch ich beschränke
mich darauf, nur noch kurz die Preise der ausser den bereits be-
sprochenen Sclaven allein in Betracht kommenden Ausfuhrproducte,
des Elfenbeins und der Straussenfedern , zu erwähnen. Jenes hatte
damals pro Ccntncr einen Werth von 50 Mar.-Ther.-Thlr., und diese
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PREISE VON HAUSGEKATI1SCH AKTEN.
IMPORT- WAAREN.
61»7
wurden gewöhnlich nicht nach dem Gewicht verkauft, sondern in
ganzer Straussenhaut, welche zu jener Zeit ungefähr 20 Mar.-Thcr.-
Thlr. kostete.
Betrachten wir die aus Europa oder den Ländern der Nord-
küste in Bornu eingeführten Waaren übersichtlich, so sind in erster
Linie die geprägten Münzen (vorwaltend die österreichischen Maria-
Theresia-Thaler, seltener der spanische Colonnaten-Thalcr) und der
oft erwähnte Cham zu nennen. Sodann folgen, was Menge der Ein-
fuhr und Verwerthbarkeit anbetrifft, Schmuckgcgenständc der Frauen,
Glas-, Thon- und Porzellanperlen, Korallen, Bernstein, Achat u. s. w.
Von diesen kommen die erstgenannten Perlen hauptsächlich bei den
uncivilisirteren Negerfrauen zur Verwendung, während Bernsteinpcrlen
(von der Grösse einer Nuss bis zu der eines Hühnereies) ein beliebter
Schmuck der Schoa- Frauen sind, der Achat vorzugsweise von den
Felläta verlangt wird und die kleinen Cy linder der Edelkoralle, wie
wir gesehen haben, ein fast unentbehrlicher Zierrath der meisten
Bornu- Damen sind. Nach diesen Erfordernissen der Frauentoilette
müssen die massenhaft eingeführten Rosenkränze Sebah arab.
und TadschTbi kan. aus Sandelholz, Olivenhojz, Korallen, Elfen-
bein, Knochen, Porzcllanperlen u. s. w. erwähnt werden, welche, ur-
sprünglich Werkzeuge des mohammedanischen Ritus, allmählich
Schmuckgegenstände der Männer geworden sind. Auch wohl-
riechende Essenzen (allerdings sehr selten wirkliche Rosen- oder
Jasminessenz, sondern solche geringeren Werthes, wie z. B. das oft
erwähnte Zeit esch-Schiäh, Sandal-Essenz, Riechhölzer und das wahr-
scheinlich aus der Acacia Farncsiana bereitete Zeit el-Fitna), Benzoe,
Ambra, Campher, Nelken oder Nägelchen, Mahälcb, Simbil (Vale-
riana ccltica) und dergleichen machen einen nicht unerheblichen
Theil der eingeführten Waaren aus, denn Männer und Frauen machen
mit gleicher Vorliebe von ihnen Gebrauch.
Von Kleiderstoffen kommen aus Europa, ausser dem Cham, in
geringer Menge bessere Baumwollenstoffe, meist ungefärbt und un-
gemustert, als Mahmüdi und Dibelän für die Vornehmeren; Tuch,
das entweder in guter Qualität schon verarbeitet als Burnus, Kaftan
oder Beinkleid, oder in geringer Güte zu den gesteppten Watten-
panzern der Reiter und Pferde Libbes — eingefiihrt wird. Auch
Seide und Sammet zu Luxuskleidern, Pferdeschmuck und Sattelübcr-
zügen, Teppiche aus Tripolitanien und Constantinopel, Wollendeckcn
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f>!)8 III. BUCH, 8. KAP. HANDELS- UND MAB KT- VERHÄLTNISSE IN KC'KA.
aus Tunisien, Shawls von den gewöhnlichen rothen Wollenshawls
bis zu den feinen Kaschmirs der Könige kann man zur Noth in Kiika
finden. Häufiger sind die oft besprochenen Tarbüsch's, die allerdings
nur selten ihren Ursprung in Tunis haben, und Musselinstoffe zu
Turbanen gehen in ansehnlicher Menge in die Sudan-Länder. Auch
das Papier bildet zu Kiika einen nicht unwichtigen Handelsartikel.
lCs ist von sehr grober Qualität, doch für die arabische Schrift mit
Rohrfedern recht geeignet, und verräth durch sein Wasserzeichen
dreier Halbmonde mit der Legende „tre lune” seine italienische Her-
kunft.
Von Eisen- und Stahlwaaren werden die gewöhnlichen landes-
üblichen Waffen von den Eingeborenen verfertigt, wozu sich die
nöthige Eisenerde in vielen Landstrichen findet. Aus den Küstenländern,
beziehungsweise aus Europa , kommen arabische Steinschlossfiintcn
und schlechte Pcrcussionsgcwehrc , gerade Schwerter, welche meist
aus Deutschland (Solingen) stammen, seltener krumme Säbel und
häufig maschige Panzerhemden, die ihren Ursprung im südöstlichen
Europa haben. Von anderen Stahlwaaren überfluthen elende Näh-
und Stopfnadeln, Schceren, Messer u. s. w. aus Deutschland und
Italien den Markt, während dieselben Gegenstände in geringer Menge,
aber guter Qualität aus England eingefuhrt werden. Kleine englische
Nähnadeln, die von ihrem runden Oehr „Fischaugen” — Ä'in cl-Haut
genannt werden, sind besonders geschätzt, während man die grösseren
deutschen und italienischen, die allerdings beim ersten Gebrauche ge-
wöhnlich zerbrechen, oft kaum verwerthen kann. Ein äusserst beliebter
Artikel bei geringster Güte, aber auch billigstem Preise, sind die mehr-
fach erwähnten steiermärkischen und oberösterreichischen Rasirmesser.
Die von mir gesehenen trugen die wunderlichen Fabrik-Marken „Vin-
cenz Ofterberger, bürgerlicher Scheermesserschmicd zu Steyr, schlägt
das Zeichen W , und „Leopold Werndt, bürgerlicher Scheermesscr-
schmied zu Steyr, schlägt das Zeichen drei 3”.
Im Einzelverkaufc hatten die hauptsächlichsten der aufgeführten
Import-Waaren zur Zeit meines Aufenthaltes folgende Preise:
Das Stück — Maqta — Cham von ca. 20 M. Länge und M4r.-Thcr. Tbit.
etwa '/ii M. Breite 3
Das Stück Mahmüdi von 30 bis 35 M. Länge und ca.
'/2 M. Breite 5 -6
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PREISE DER VON NORDEN HER EINGEFÜHKTEN WAAREN.
699
Die Maqta Musselin — Schäsch arab. — zu Turbanen
von 14 M. Länge
Egyptische, abgetheiltc Turbanshawls Subetti arab. —
Leidlicher europäischer Sammet Qätifa arab. — durch-
schnittlich pro M. .
Kleine Stücke Seide von 8'/g M. Länge
Stücke Halbseide von 5 — 6 M. Länge
Gute Seide pro Pfund
Ein Burnus von gutem Tuch
Ein Burnus von geringerer Qualität
Ein Burnus Keffi (d. h. von der Art der zu el-KcflT in
Tunis gewebten)
Ein Burnus Dscheridi (d. h. aus dem Beled cl-Dscherid
in Tunis)
Ein Tarbüsch
Mahälcb
Benzoe — Dschäwi arab. -
Sandelholz — Zandal —
Valeriana celtica — Simbil arab.
Antimonpulver - - Kohol arab. —
Nelken oder Nägelchen - Qaromful arab. --....
Zimmct — Qirfa arab. -
Von Wohlgerüchcn — ’Atßr arab. — :
4 Gramm Rosenessenz
30 Gramm Sandelessenz
60 Gramm Artemisiaessenz
Zucker, meist in kleinen Hüten von etwa 2 Pfund Gewicht
eingeführt, pro Pfund
Schreibpapier pro Rizma (500 Bogen)
der einzelne Bogen
Von Glas-, Thon- und Porzellan-Perlen — Charaz arab.
und Kullülu kan. — kosteten die besseren, wie z. B. die
„Sterne" — Nidschem arab. — genannten, und die un-
ächten Korallen Mordschän keddäb — pro Tausend
andere weniger gesuchte wurden bezahlt mit . .
Italienische und deutsche Stopfnadeln galten pro Tausend
je nach grösserer oder geringerer Zufuhr und Nachfrage
Mar -Thcr.-Thlr-
V.— *
5
8
8
1 s —20
10—15
15 — 18
15—18
*— 3
durchschnittlich
pro Pfund
Mar.-Ther.-Thlr.
I
Vs
'/3
I
7. -Vs
ca. 6
Roll
1 Vs — 2
Mar.-Ther.-Thlr
5-8
2 — 8
1 — 6
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7(JU III. BUCH, 8. KAP. MANUELS- UNI) M AK KT- VERHÄLTNISSE IN KÜKA.
Die kleinen englischen Nähnadeln — Ai'n el-llaut — hatten mehr
als den zehnfachen Werth der vorher genannten.
Roll
Die gewöhnlichen Rasirmesser kosteten 8 - 16
Die unglaublich schlechten Scheeren hatten ungefähr
denselben Preis und
Kleine, runde Handspiegel, je nach der Grösse, einen
solchen von io — 30
Die von Norden kommenden Kaufleute — Säfirma (d. h. der
weite Handelsreisen ausfuhrende Kaufmann) , geben ihre Waaren
an die einheimischen Händler und zwar je nach der Bedeutung dieser
in verschiedener Menge ab. Den grössten Vorrath kauft der an
Ort und Stelle bleibende Kaufmann, gewissermassen Grosshändler
Masobbeb — , und ihm zunächst im Consum steht der Togurtschi, wie
in Bomu derjenige Händler genannt wird, welcher mit einigen Pack-
pferden, Ochsen oder Eseln in die Nachbarländer und die entfernteren
Provinzen reist. Bescheidener kauft der Hausircr Katkulma kan.
(von Katkun, die Last) — , der sein Waarenpäckchen auf dem Kopfe trägt
und die kleinen Marktplätze und Ortschaften besucht. Der kleinste
Dctailhändler ist der Fatkema, der von den Arabern Farräsch (d. h.
eigentlich der den Teppich oder die Matte Ausbreitende) genannt
wird und seinen bunten Kram in den kleinsten Mengen auf einer Matte
vor sich auslegt. Dieser letztere kann gewöhnlich nur den Tagesbedarf
fiir sein Geschäft einkaufen und bezahlt auch diesen oft erst aus der
gelösten Summe. Sehr gangbare Gegenstände behält der fremde
Kaufmann häufig selbst, wenn er nicht über grosse Vorräthc und Mittel
gebietet, bestreitet aus ihnen seine täglichen Lebensbedürfnisse oder
veräussert sie sogar in seiner Behausung im Einzelverkaufe allmählich
gegen Muscheln, um gegen diese Thalcr einzuwechseln und endlich
die von ihm gewünschten Ausfuhr-Artikel zu kaufen.
Diese beschränken sich fast ganz auf Sclaven, Straussfedern und
Elfenbein; alle anderen Landesproducte, wie Tamarinden, Felle,
Arachis- Oel etc. können bei den grossen Transportkosten nicht zur
Geltung kommen. Von den crstcrcn bildeten bis vor wenigen Jahren
die Sclaven die vorwaltende Waare, und wenn auch ihre Ausfuhr
in Folge der Hindernisse, welche ihrem Verkaufe auf der Nordküste
entgegen gesetzt worden sind, erheblich abgenommen hat, so wird
doch noch viel Zeit vergehen, ehe die Erwartungen der Menschen-
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KLASSEN DER KAL FLEUTE.
HANDEL MIT SCLAVKN.
701
freunde in dieser Hinsicht ganz befriedigt sein werden. Den Gewalt-
habern auf der Nordküste, wie dem Vice -Könige von Egypten und
dem General-Gouverneur von Tripolitanien, selbst wenn sie den besten
Willen haben, fällt es allzuschwer, die Gouverneure der entfernteren
Provinzen zu beaufsichtigen. So lange diese als Mohammedaner von
der Rechtmässigkeit des Menschenhandels überzeugt sind und ein
materielles Interesse an seinem Gedeihen haben, werden sic bei den
Einwohnern die Uebertretung des Verbotes begünstigen. Ich hatte
in Fezzän gesehen, dass der Gouverneur der Provinz durch einen
erheblichen Eingangszoll , der zwei Maria-Theresia-Thaler pro KopG
- Ris — betrug, eine Einnahme hatte, welche sein eigentliches
Gehalt überstieg, und konnte mich also in Küka nicht wundern,
dass die erste der nach Norden gehenden Karawanen, mit der meine
Begleiter Sa’ad und Ken Zekta Bornü verliessen, noch 1400 Sclaven
mit sich führte. Von diesen wird wahrscheinlich ungefähr ein Drittel
nach Ghät und ein zweites nach Egypten geführt worden sein,
"ährend das letzte den Bedarf Tripolitanien’s gedeckt haben wird.
Der auf den Sclaven ruhende Nutzen ist ansehnlich genug, um
unternehmende Kaufleute selbst die Gefahr der Confiscation nicht
scheuen zu lassen, und beträgt das Drei- oder Vierfache des An-
kaufspreises. Dabei bedarf diese Waare keiner oder doch nur unbe-
deutender Transportmittel, welche bei den Wüstenreisen hauptsächlich
in Betracht kommen, sondern stellt vielmehr selbst ein solches für
leichtere Gegenstände dar. Die für sie erforderlichen Mundvorräthe
haben in Bornü so geringe Preise, dass sic gegen die Transportkosten
nicht in Betracht kommen.
Die Zufuhr von Sclaven zu den Bornü- Märkten stammt theils
aus den Raubzügen, welche die Regierung in die umliegenden Heiden-
■andschaften der Musgo, Gamergu und Marghi im Süden, der Bedde,
Kerrikerri und Babir im Westen und Südwesten des Reiches unter-
nimmt, theils aus den Abgaben der Vasallenfiirsten auf der Peripherie
iles Landes, welche ebenfalls zu diesem Zwecke einen beständigen
Krieg gegen ihre heidnischen Nachbarn fuhren, theils aus den Han-
delsergebnissen mit den Nachbarländern Haussa, Adamäwa und vor-
züglich Baghirmi.
Die Straussfedern bilden den demnächst einträglichsten Ausfuhr-
artikel, da sie den grossen Vorzug geringen Gewichts und folg-
lich geringer Transportkosten haben. Freilich sind sie, als der Mode
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702 III. BÜCH, 8. KAP. HANDELS* UNI) MARKT-VERHÄLTNISSE IN KÜKA.
unterworfen, einem grossen Schwanken der Preise auf der Nordküste
und in Europa ausgesetzt, so dass der Kaufmann bei der langen Zeit
seines Ausbleibens leicht Gefahr läuft, zu'theucr cinzukaufen. In
Bornü sind die Straussfedern überdies nicht häufig genug, um ein
einigermassen schnelles Resultat zu versprechen. Allerdings vermag
ein einziges Kameel ein ganzes Vermögen in auserlesenen, weissen
Straussfedern auf seinem Rücken zu tragen, doch welch ein ungeheurer
Zeitraum ist erforderlich, um eine solche Menge zu sammeln! Auf
den Markt von Küka gelangen dieselben aus den Steppen von Kanem
bis Zinder, welche das Land nach Norden begrenzen, und aus
den weniger dicht bevölkerten Grenzdistricten des Landes im Westen
und Südwesten. Man pflegt sie, wie erwähnt, mit den ganzen Häuten
zu verkaufen, aus denen man zuvor die werthvollen Schwung-, und
Schwanzfedern entfernt hat, und welche dann im besten Falle ein
Pfund weisser und drei Pfund schwarzer Federn geringer Qualität
enthalten. Ich werde Gelegenheit haben, bei der Beschreibung
Wadäi’s, wo dieser Handel in viel grösserer Blüthe steht, naher auf
denselben einzugehen.
Die Preise der Elephantenzähne in den Küstenstädten Afrikas
und in Europa schwanken zwar weniger, als die der Straussfedern,
doch mindert die Schwierigkeit des Transportes wieder den Gewinn.
Wenn auch der in Küka um' 50 Maria-Theresia-Thaler (200 Mark)
gekaufte Centner Elfenbein auf der Nordküste den dreifachen Werth
haben mag, so erfordern doch ungefähr vier Centner desselben den An-
kauf eines Kameels, und dieselben bilden unförmliche Gepäckstücke,
welche das Thier ausserordentlich leicht schädigen. Wie in allen Sudan-
Ländern, so nimmt die Zufuhr dieses Artikels auch in Bornü erheb-
lich ab, doch haben Känem in der Nähe des Tsäde, einige Ufer und
Inseln des letzteren und einige Grenzdistricte im Süden und Südwesten
des Landes noch den Vorzug, eine grössere Anzahl der kostbaren
Thiere zu bergen. Von dorther und aus den Nachbarländern Adamäwa
und Baghirmi wird denn auch der Markt in Küka versorgt.
Mit Ausnahme der Sclaven kommen diese werthvollen Ausfuhr
artikel (ur gewöhnlich nicht auf den öffentlichen Markt, sondern
werden von den fremden Kaufleuten durch die Vermittlung der
öffentlichen Verkäufer — Libäjama — oder Makler — Dilälma
meistens in den Häusern gekauft. Trotzdem dieser Modus grössere
Mengen ergiebt, als der Ankauf aus erster Hand, vergeht doch oft eine
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HANDEL MIT STRAL’SSFEDKRN ETC. — RÜCKGÄNC.ICKEIT DES HANDELS. 703
geraume Zeit, bevor die Kaufleute ihre bescheidenen Capitalien umge-
setzt haben, und wenn man zu diesem Opfer noch die Unkosten rechnet,
welche sich aus dem zweimaligen Ankäufe eines Kameels für je vier
Centner der eingeführten und ausgeführten Waaren ergeben - denn
die Thierc sind nach Vollendung der Wüstenreise fast werthlos ,
und bedenkt, dass Anstrengungen, Gefahren und Verluste aller Art
unzertrennlich von diesen Handelsreisen sind, so begreift sich, dass
der Kaufmann bei der Rückkehr auf die Nordküste trotz der 200 und
selbst 300 Procent, welche er an manchen der zurückgebrachten
Waaren verdient, oft kein glänzendes Geschäft macht.
In neuerer Zeit hat der Handel Bornus mit den Ländern nörd-
lich von der Wüste erheblich abgenommen, wie wir bei der Schilde-
rung der rückgängigen Verhältnisse Fezzän's gesehen haben. Derselbe
scheint freilich seit lange zu gerechtfertigten Klagen der nordischen
Kaufleute Veranlassung genug gegeben zu haben schon Dcnham
schilderte vor einem halben Jahrhundert die Handelsvcrhältnisse in
Romü als sehr wenig glänzende , doch während der letzten Jahr-
zehnte sind die Reiseunternehmungen dorthin immer weniger lohnend
geworden. Wenn schon in früheren Zeiten die fremden Kaufleute
in ihren Geschäften mit den Berauna (Bewohner von Bornü) viel
von dem Leichtsinne und der Unzuverlässigkeit der letzteren zu leiden
gehabt haben, so überschritten diese Untugenden zur Zeit meiner
Anwesenheit wirklich alle Grenzen. Gegen sofortige Bezahlung fand
man fast keinen Käufer mehr. Ein empfindlicher Mangel an baarem
Golde erschwerte die Situation; denn der Leichtsinn der Bornü-Leute
und ihr Hang zum schönen Gcschlechte verwandelt einen erheblichen
Theil der Maria-Theresia Thaler in Schmucksachen, Kopfzierrathen,
Arm- und Fussspangen. Manche kauften Waaren auf Credit zu
enormen Preisen, um sie unmittelbar nachher zu Spottpreisen, doch
gegen Baarzahlung, zu verschleudern, nur um sich das von ihren
Frauen und Concubinen verlangte Silber zu verschaffen. Ausser den
erwähnten vermögenden und ehrlichen Männern (Lamino, Moallim
Mohammed und Aba Mustafa, Bruder des Scheich), gab cs Niemand
aus den besseren Klassen, dem man nicht mit grösster ßesorgniss
verkaufte.
Am besten lohnte sich noch der Verkauf der Schmucksachen,
Essenzen und Stahlwaaren an die kleinen Trödler — Farräschin
arab. — , welche täglich einen kleinen Waarenvorrath entnahmen
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704 HI. RUCH, 8. KAP. HANDELS- UND MARKT- VERHÄLTNISSE IN KÜKA.
und diesen am Abende aus dem von der Durria heimgebrachten
Erlös bezahlten. Im Uebrigen waren Alle, selbst sehr angesehene
Männer, von einer schamlosen Unzuverlässigkeit. Bei Ankunft einer
Karawane kauften sie mit dem grössten Leichtsinn, oder auch mit
böswilliger Berechnung zu den übertriebenen Preisen, durch die es
ihnen gelungen war, die Habsucht der Verkäufer, besonders der Neu-
linge unter denselben, zu reizen, setzten aber dann allen Ansprüchen
auf Bezahlung den hartnäckigsten Widerstand entgegen. Die Ein-
treibung der schuldigen Summen gehörte zu den mühevollsten und
erfolglosesten Bestrebungen der nordischen Kaufleutc, und erforderte
einen ganz anderen Aufwand von Kraft und Geduld, als die ganze
beschwerliche Wüstenreise.
Es giebt in der That kaum ein wirksames Mittel, die Säumigen
zur Bezahlung zu zwingen. Zunächst schleppt man den wortbrüchigen
Käufer vor die Scheria, das religiöse Gericht. Derselbe erkennt auch
vor dem Mo’allim Mohammed oder einem andern Qädi zwanglos die
Schuld an, beschwört jedoch nach dem Opfer eines alten, fast unver-
käuflichen und zu hohem Preise gerechneten Sclaven oder einer
unbrauchbaren Kaddära, dass er durchaus Nichts besitze, was nicht
zur Lebensnahrung und Nothdurft unbedingt erforderlich sei, und
danach ruht die Angelegenheit für lange Zeit. Dabei handelt es
sich zumeist um hochstehende Leute, die man zu schonen genöthigt
ist, um nicht alle Hof- und Regierungsbeamten gegen sich zu haben,
die Gunst des Herrschers zu verscherzen und sich alle übrigen Ge-
schäfte zu verschliesscn. Mit einem erstaunlichen Aufwande von List
und Ausdauer wissen die vornehmen Schuldner den verzweifelten
Gläubiger Jahre lang zu narren. Heute machen sie ihm ausgiebige
Versprechungen, morgen lassen sie sich vor ihm verläugnen und am
dritten Tage zeigen sie ihm zur Wiedererweckung seiner Hoffnung
die Werthobjecte, welche sie zu verkaufen gedenken, um ihn zu be-
friedigen. An den darauf folgenden Tagen verlassen sie vielleicht
das Haus schon mit dem ersten Morgengrauen, um erst mit sinkender
Nacht heimzukehren, und gewinnen so eine Erholungspause in den
unerquicklichen Erörterungen, und dann heisst es zur Abwechslung
wieder, dass es ihnen noch nicht gelungen sei, jene Werthobjecte
zu veräussern. Ein anderes Mal behaupten sie frech, ein Diener sei
mit dem Gelde grade nach dem Hause des Gläubigers unterwegs,
oder geben vor den Augen und Ohren des letzteren den Auftrag,
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UNZUVERLÄSSIGKEIT DER BORNÜ-I.EUTE IM HANDELS- VERKEHR. 705
diese Sclavin und jenes Pferd um jeden Preis zu verkaufen, oder
bedauern mit schmerzlicher Ergebung in den Willen des Königs,
dass Sklna (d. h. unser Herr) Alles, was sie zur Bezahlung der Schuld
hatten verwenden wollen, zu Regicrungsbedürfnissen eingezogen habe.
Sie sind gradezu unerschöpflich in der Erfindung von glaubwürdigen
Ausflüchten und der Entfaltung von trügerischen Hoffnungen, die in
der allernächsten Zukunft Geld oder Geldeswerth versprechen, und
wenn nach langer Zeit ihr reiches Repertoire erschöpft ist, so be-
ginnen sie den wundervollen Wechsel von Versprechungen, Bitten
und Lügen von Neuem.
Monate und selbst Jahre lang ist die einzige Beschäftigung des
nordischen Kaufmannes in Küka, mit Sonnenaufgang zu Pferde zu
steigen, die Runde bei seinen Schuldnern zu machen und erschöpft
von Hitze und Aerger nach Sonnenuntergang heimzukehren. Schliess-
lich dankt er seinem Schöpfer, wenn ihm von dem erhofften, fabel-
haften Gewinne von 400 Procent auch nur der zehnte Theil übrig
bleibt, und in sehr vielen Fällen gelingt ihm auch dies nicht ein-
mal. Viele müssen zufrieden sein, wenn sic nur ihr Anlagekapital
retten, und Manche sterben hin über den Versuchen, zu ihrem Rechte
zu gelangen. Die Verständigeren beginnen frühzeitig, um ihren
Lebensunterhalt zu erwerben, einen kleinen Handel mit den ent-
legeneren Provinzen und den Nachbarländern und geben, wenn dieser
gedeiht, allmählich die Versuche auf, ihren Schuldnern Etwas zu
entreissen. Viele aber leben, nachdem das Ihrige aufgezehrt ist, ver-
kümmert und verarmt im fremden Lande, mehr durch die Hülfe-
leistung glücklicherer Landsleute, als von eigenem Verdienst, und
müssen zuweilen an die Gnade derjenigen appelliren, die ihren Ruin
verschuldeten und sich trotz ihrer schamlosen Handlungsweise selbst
stets des gleichen Ansehens erfreuen. So sah ich in den wenigen
Jahren meiner Anwesenheit in Bornü meinen Reisegefährten Hadsch
Abd er-Rahmän, den Schwiegersohn des angesehenen Ben Alüa in
Murzuq, in der Gefahr gänzlich zu verkommen. Mit dem Eigen-
sinne eines Berbers — er stammte aus Audschfla — hielt er an
seinen Forderungen fest, sah sich nicht nach neuen Hülfsquellen um,
nahm keinen Rath an und hatte die traurige Aussicht, am Bettel-
stäbe zu enden.
Bisweilen lässt sich ein temperamentvoller Kaufmann verleiten,
wenn seine Geduld erschöpft ist, den renitenten Schuldner beim
N.ichtigal. I, 4;>
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706 III. BUCH, 8. KAP. HANDELS- UND MARKT-VERHÄLTNISSF. IN KÜKA.
Scheich zu verklagen, fährt aber dabei kaum besser. Zwar empfängt
er von dem gerecht denkenden Herrscher alsbald einen sogenannten
Kingiam oder Königlichen Boten, der den Schuldner zur Bezahlung
anzuhaltcn hat und ihn eventuell durch Exccution zur Erfüllung seiner
Verbindlichkeiten zwingen soll. Doch dieser Gerichtsbote, der einen
bestimmten Bruchtheil der eingetriebenen Schuld zu empfangen hat,
sucht auf anderem Wege mehr Vortheil aus der Angelegenheit zu
ziehen, als auf dem ihrer einfachen rechtlichen Abwicklung möglich
ist. Entweder lässt er sich von vornherein bestechen, und dann be-
ginnt eine lange Reihe von Ausflüchten, Lügen, Versprechungen und
Schwüren, mannichfaltiger und sinnreicher als die früheren, oder er
bringt den verzweifelten Gläubiger dazu, diejenigen Werthstücke, welche
er scheinbar dem Schuldner entrissen hat, zu fabelhaften Preisen an-
zunehmen, oder endlich, er bringt einen Vergleich zu Stande, den
der erschöpfte Kläger endlich eingeht, der aber die Schuld oft um
mehr als die Hälfte verringert, und zieht von beiden Seiten den
besten Nutzen. Welche Lösung auch der räuberische Kingiam be-
schliessen mag, es ist räthlich, sich ihr zu unterwerfen, und nicht
etwa die Sache noch einmal vor den Herrscher zu bringen, denn
Scheich 'Omar ist zwar ein freundlicher und wohlwollender Greis, aber
seit einer langen Reihe von Jahren gewöhnt, nur angenehme Dinge
von seiner Umgebung zu hören, und wünscht nicht, aus seiner Illusion,
dass Land und Leute reich, glücklich und zufrieden seien, gerissen
zu werden.
Wird ein Fremder, wie es häufig vorkommt, von klimatischen
Krankheiten fortgerafft, so wird an eine Bezahlung seiner ausstehenden
Forderungen selten gedacht, wohl aber an eine Sicherstellung der
Hinterlassenschaft, scheinbar für seine ferne Familie, in Wahrheit
aber zum Besten von Intriguanten. Zur Verwaltung der Masse er-
nennt der Scheich einen, zwei oder drei Commissarien, welche sich
so lange damit beschäftigen, Ausstände einzufordem, Schulden zu
bezahlen und Besitzthum des Verstorbenen in Geld zu verwandeln,
dass schliesslich Niemand sich mehr ein einigermassen klares Bild
von der Sachlage machen kann. Dann stellt sich gewöhnlich heraus,
dass Nichts mehr übrig ist; Alles ist „Haua fi haua”, d. h. Luft in
Luft, wie die Araber sagen, geworden. Selten gelangt, wenn ein
Tripolitaner, der mit ansehnlichem Kapital seine Heimath verlassen
hat, in den ungesunden Niederungen des Tsade- Ufers am Fieber ge-
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MANGEL AN GESETZLICHER ORDNUNG.
707
storben ist, auch nur ein Pfennig an Frau und Kinder, und es war
dieser Umstand, welcher dem Titiwi, der gewöhnlich einer der Ver-
walter der Erbschaftsmassen nordischer Kaufleute war, seinen un-
günstigen Ruf in der Heinrath verschafft hatte.
Schon seit lange riethen die Behörden in Tripolis und Murzuq
den Kaufleuten davon ab, ihr Geld nach Bornü zu tragen, und suchten
vielmehr die Verlegung ihrer Handelsinteressen in andere Länder
anzubahnen. Die Bornü-Karawancn wurden seltener, und die Haussa-
Lander und Wadäf wurden häufigere Ziele der Tripolitaner; doch
Manche trieb alte Gewohnheit, der natürliche Reichthum des Landes
und Scheu vor den fremdartigen Verhältnissen anderer Gegenden
immer wieder nach Bornü. Ilalim Pascha suchte noch Tags vor
meiner Abreise von Murzuq eine längere Unterredung mit mir und
bat mich, doch den Scheich Omar, der auf das Verständniss und
die Wahrhaftigkeit der Christen grossen Werth lege, von diesen
wahren Gründen der Verminderung des Handels zwischen Tripolis
und Bornü eingehend zy unterrichten. Ich entledigte mich bei einer
sich darbietenden günstigen Gelegenheit dieser Verpflichtung, aber
der gute Scheich schreckte wieder instinctiv vor diesem Misston in
der Harmonie seiner ganzen Existenz zurück ; seine grenzenlose
Schwäche gewann über seine Einsicht und seinen rechtlichen Sinn
die Oberhand und überlieferte ihn ganz dem Einflüsse seiner gewissen-
losen Umgebung, die, keiner hohen Idee zugänglich, ohne Patriotismus
und ohne Sinn für Ehre und Recht, nur in niedrigster Weise der
Eitelkeit, Habsucht und Lasterhaftigkeit fröhnt.
4f>*
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Neuntes Kapitel.
HOF, REGIERUNG UND KRIEGSMACHT DES
SCHEICH.
Die Rathsversammlung oder Nokena. — Die Rathsherren "oder Kokenäwa. — Sohne und
Brüder des Scheich. — Ihr Verhältnis zum Herrscher. — Der Kronprinz Aha
Bu Bekr. — Die Vertreter der Bevölkerungs- Gruppen Bomu's in der Nokena. —
Geringe Bedeutung der Nokena. — Hofamter in Bomfi und ihre Umgestaltung im
I-aufe der Zeit. — Kaigamma. — Jerima. — Tschiroma. — Dscherma. — Ghala-
dima. — Schittma Belumma. — Ilirima. — Jurama. — Digma. — Dschegebäda.
— Ardschinöma. — Ffigoma. — Zentama. — Kazelma. — Kagustema. — Bagartma.
— Mainla , Makinta und Sintelma. — Fergima. — Möltma. — Die Eunuchen
(Juröma, Mistrema und Mala). — Einflussreiche Frauen am Hofe zu Kuka (Magtra und
Gumso). — Die Kriegshauptleute oder Kaschellawa und ihre Bezirke. — Ganzenreiter,
flintenbewaffnete Krieger und Bogenschützen. — Die Strcitkräfte der einzelnen Haupt-
leute und Würdenträger. — Verfall der Bomö- Macht im Innern und nach Aussen.
— Rebellische Haltung des Vasallen Fürsten Tanemon von Zinder. — Energielosig-
keit des Scheich.
Während der ersten Monate meines Aufenthaltes zu Küka nahm
ich häufig Veranlassung, den Scheich in der Mitte seiner Höflinge
zu beobachten, und begab mich zu diesem Zwecke zur Zeit der
Rathsversammlung — Nokena — , welche täglich während des Vor-
mittags abgehalten wird, in den Palast. Dieselbe setzt sich zusammen
aus Gliedern der königlichen Familie, d. h. den Brüdern und Söhnen
des Scheich, und aus den Rathsherren — Kökena, pl. Kokenäwa — ,
welche theils freigeborene Vertreter der verschiedenen Bevölkerungs-
Elemente, theils Kriegshauptleute — Kaschelia, pl. Kaschellawa —
mit Sclavenursprung sind.
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RATHSVERSAMMLUNG DES KÖNIGS ODER NÖKENA. 701)
Alle erscheinen Morgens im Königspalast, legen am Eingänge
Schuhe, Kopfbedeckung und Burnus ab, und hocken dann überall
in den Vorhallen und Höfen an den Wänden und auf dem Boden
herum, schwatzend und scherzend, klatschend und Ränke schmiedend,
bis ein musikalisches Getöse von Trommeln, Pfeifen, Posaunen und
Hörnern sie electrisirt und in den Empfangs- und Sitzungssaal treibt.
Bei diesem Zeichen verlässt der Herrscher seine Privatgemächer und
betritt den Ausbau des Empfangsaales, welcher bei meiner officiellen
Audienz beschrieben worden ist, begleitet von einigen seiner Brüder
und Söhne und fettleibigen Eunuchen, welche sämmtlich kurz ab-
gebrochene Rufe zu seinem Ruhme, wie z. B. „die Weisheit! der
Löwe! der Siegreiche!", ausstossen. Während er sich auf dem Divan
niederlässt, beeilt sich Jeder der Anwesenden niederzuhocken — es
ist dort zu Lande ebenso unziemlich, vor einem hochstehenden Manne
aufrecht zu bleiben, als in unseren Ländern, sich ohne Aufforderung
eines solchen zu setzen — und den Staub des Bodens auf sein Haupt
zu streuen oder wenigstens die Pantomime dieser Unterwürfigkeits-
Bezeugung zu machen, denn bei dem sorgfältig geglätteten Boden
würde es schwer halten, die nöthige Menge Erde zusammen zu
kratzen. Ein Strom von Begrüssungen wie: „Allah ngubbßro degä!”
„Allah kabundscho!' oder von Seiten der arabischen Herren „Allah
itül ’omrek!", welche alle etwa dieselbe Bedeutung haben: „Gott ver-
längere Dein Dasein!", entquillt den unterwürfigen Höflingen, die mit
untergeschlagenen Beinen, das Gesicht vornüber zur Erde geneigt,
daliegen. Der Scheich murmelt einige „’Afija! Afija!" (Heil! Frieden!)
oder „Marhabä!" (Willkommen 1), was von der versammelten Menge
wieder dankbar durch zahlreiche „Usse! Usse!" (d. h. Dank! Dank!)
begrüsst wird.
Jeder hat seinen bestimmten Platz, je nach seiner Würde näher
oder ferner vom Herrscher. Neben dem Divan desselben, an der-
selben Wand, doch im Innern des Hauptsaales, lassen sich seine
Söhne und Brüder nieder. Von jenen hatten damals Sitz und Stimme
in der Nökena folgende fünf, dem Alter nach geordnet: Aba Bü
Bekr, Aba Brähim, Aba Haschim (gewöhnlich mit Kanüri- Endung
Haschßmi genannt), Aba Tajib, Aba Abdallah Menuffi. Ausser ihnen
waren von den Söhnen noch erwachsen Aba Känembu, der Schwieger-
sohn Ali Malija's, und Aba Mustapha, welcher sich noch im Palaste
des Vaters, wenn auch mit selbstständigem Haushalte, aufhielt;
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710 III. BUCH, g. KA1\ HOF, REGIERUNG U. KRIEGSMACHT DES SCHE'fCH.
die übrigen, Aba Musta Mäkäri, Aba Äbdullatif, Aba Senüsi, Aba
Abd el-Aziz und Aba Ahmed, lebten als Kinder noch in der Familie
des Vaters. Von den Brüdern des Scheich waren noch folgende am
Leben, ebenfalls dem Alter nach geordnet: Aba Menuffi, Aba Bcschir,
Aba Rüfäi, Aba Mustafa, Aba Anas, Aba Chalil, Aba Hadschi (oder
zusammengezogen Abädschi).
Wie in allen Sudan-Ländern (und noch manchen anderen), so ge-
nossen auch in Bornü die Brüder des Herrschers nur eines sehr be-
schränkten Ansehens, sowohl beim Volke als bei dem königlichen
Bruder. So wohlwollend auch der Scheich war, so hatte er doch wohl
durch die trüben Erfahrungen mit seinem im Alter auf ihn folgenden
Bruder Abd er-Rahmän, der sich während Barth s Reise nach Timbuktu,
im Anfänge der fünfziger Jahre, gegen ihn empört und die Regierung
an sich gerissen hatte, das volle Vertrauen zu seinen Brüdern verloren.
In diesem Bruderkriege hatte der Scheich einen der wenigen Be-
weise von Energie, zu denen er sich in seinem Leben aufgerafft
hat, geliefert, sich, allerdings nach längerem Zögern, zu einem kurzen,
entscheidenden Kampfe entschlossen und den besiegten Empörer im
Interesse der öffentlichen Wohlfahrt hinrichten lassen.
Abd er-Rahmän war ein, wenn auch etwas roher, so doch nach
dem Urthcile Aller sehr willenskräftiger Mann gewesen, in vieler
Hinsicht das Gegentheil von seinem gebildeten, menschenfreundlichen,
schwachen Bruder, und schien die Eigenschaft der Energie auf seinen
ältesten Sohn übertragen zu haben. Da es für mich nach Massgabe
der Verhältnisse nicht ziemlich gewesen sein würde, die Bekannt-
schaft mit dem letzteren zu suchen, so habe ich ihn nie gesehen; er
galt jedoch im Volke als ein sehr verständiger und hoffnungsvoller
junger Mann, auf den Manche der Missvergnügten ihre Augen für
die fernere Zukunft richteten. Die halberwachsenen, jüngeren Söhne
Abd er-Rahmäns hingegen standen bei den Leuten der Stadt in
bösem Rufe ihrer rohen und gewaltthätigen Streiche wegen. Sie be-
lästigten mich anfangs häufig mit ihrem Besuche, doch sah ich mich
später, als ich entdeckte, dass sie jeden freundlichen Empfang mit
der äusserst geschickten Entfremdung irgend eines Gegenstandes be-
lohnten, in der Nothwendigkeit, ihnen das Haus zu verbieten.
Genug, die meisten Brüder des Scheich spielten eine sehr unter-
geordnete Rolle am Hofe und in der Hauptstadt. Nur Aba Rüfäi
und Aba Mustafa, vorzüglich der Letztere, gewöhnlich kurz Aba Musta
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MITGLIEDER DES RATHES ODER KÖKENAWA. 711
genannt, erfreuten sich des öffentlichen Ansehens und der Achtung
des Bruders. Die Uebrigen erschienen selten oder nie in der Nokcna,
bekümmerten sich durchaus nicht um öffentliche Angelegenheiten
und erreichten in ihrem Wohlstände, und also in ihrem Ansehen
beim Volke, niemals die höheren Beamten. Ich lernte zwar Einige
derselben kennen, doch meist in ärztlicher Eigenschaft, nur mit Aba
Musta, einem klugen, rechtlichen und wohlhabenden Manne, unter-
hielt ich freundschaftliche Beziehungen.
Von den Söhnen kamen in Betracht die drei ältesten, Aba Bü
Bekr, Aba Brähim und Aba Haschcmi, welche, reich dotirt mit der
Verwaltung oder, was dasselbe sagen will, Ausbeutung von Stämmen,
Districten und Ortschaften, wichtige Persönlichkeiten waren und vom
Vater häufig mit der Führung von kriegerischen Unternehmungen
betraut wurden. Die Uebrigen hatten, wenn sich auch der sechste,
Aba Känembu, ebenfalls der Gunst des Vaters zu erfreuen schien,
keinerlei Bedeutung im Lande und keinerlei Einfluss bei jenem. Der
älteste, Bü Bekr, so wenig er auch seinem Vater glich, war offen-
bar der Lieblingssohn und wurde vielleicht mehr als irgend ein
anderer Würdenträger (natürlich mit Ausnahme Lamino's) in wich-
tigen Angelegenheiten zu Rathe gezogen. Je mehr der Scheich in
Jahren vorrückte, desto mehr richtete sich begreiflicher Weise die
öffentliche Aufmerksamkeit auf den muthmasslichen Thronfolger.
Derselbe war früher bei den höchsten Staatsbeamten nicht beliebt
gewesen, doch seit Larnino sich für ihn erklärt hatte, schien seine
Stellung sich zu befestigen und seine Zukunft sich sicherer zu ge-
stalten. Die Gunst seines Vaters und besonders seine Feindschaft
gegen den lange Zeit so mächtigen Digma hatten ihm auch Ahmed
Ben Brähim als Bundesgenossen zugeführt, und als jener gemeinsame
Feind gestürzt war, hielt sich eigentlich nur der Mo'allim Mohammed
noch in einer gewissen Reserve dem Kronprinzen gegenüber. Da-
neben suchte Aba Bü Bekr die Partei der alten Berauna (Bornü-Leute),
die von früherem Glanze und einstigerHerrlichkeit des Landes träumten,
für sich zu gewinnen, zeigte bei jeder Gelegenheit kriegerische Gelüste
und kitzelte durch eine hochfahrende Sprache gegen die Nachbar-
fursten die chauvinistischen Gelüste der eitlen Bornü-Jugend.
Ich lernte Manche der Prinzen kennen, besuchte jedoch regel-
massig nur den Kronprinzen und Aba Brähim, dessen niedliches
Töchtcrchcn ich von einer chronischen Augenkrankheit befreit hatte.
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712 111. BUCH, 9 KAP. HOF, REGIERUNG U. KRIEGSMACHT DES SCHETCH.
Keiner von Allen hatte die ausgezeichneten Eigenschaften des väter-
lichen Geistes und Herzens, wohl aber zeigte der Erstgenannte eine
gewisse Thatkraft, welche bei der bedauerlichen Schwäche des Vaters
ihm einen gewissen Anhang sicherte.
Zur Seite und vor sich hatte der Scheich än der Nokena die
Reihe der eigentlichen Kokenäwa, das heisst derjenigen Würden-
träger, welche, wie die Prinzen, nicht blos Sitz, sondern auch Stimme
in der Nokena hatten: die freigeborenen — Kambe — Vertreter der
Hauptbevölkerungselemente Bornus, der Kanüri, Känembu, Tubu
und Araber.
Die Kanüri waren repräsentirt durch den Schitima Mohammedu
Uled Abräm und den Juräma Beddui; die Känembu durch Schitima
Ali, Schitima Abba, Maina Mohammedu und Maina Känem; die Tubu
durch Ali Malija, Aba Kiäri und Aqid Bekr Tibesti; endlich die
Araber durch Bü Bekr es-Südäni, Sälih Tirab, Ahmed Ben Brähim,
Scheich el-’Abbäs und Bü Aläq, den officiellen Scheich el-’Arb, d. h.
Vertreter der nordischen Araber. Wie wir schon gesehen haben, er-
scheinen zwei wichtige Rathgeber des Scheich, Lamino und der
Staatssecretair Mo'allim Mohammed nicht in der Nokena; doch wäh-
rend von Beiden der Erstere mächtiger war, als die ganze Versamm-
lung, so konnte der Letztere nur in sehr vorsichtiger Weise seinen Ein-
fluss geltend machen, da er, wie erwähnt, eines schrankenlosen Ehr-
geizes verdächtig war, und ihn seine Feinde sogar beschuldigten, im
Einverständnisse mit Wadäi flir seine Person auf die Herrschaft in
Bornü zu speculircn.
Es muss auffallend erscheinen, dass der herrschende Stamm der
Kanüri die geringste Anzahl von Kokenäwa stellte. Vielleicht war
derselbe ursprünglich überhaupt nicht besonders vertreten, da man
vom Könige, der ihm selbst angehörte, keine Schädigung seiner
Interessen fürchtete; vielleicht aber wurde seine Vertretung auch nicht
von derjenigen der ihm so eng verbundenen Känembu getrennt. Dass
in diesem Falle unter den vereinigten Kanüri -Känembu die letzteren
neuerdings vorwalten, Hesse sich dann leicht aus dem Umstande er-
klären, dass die neue Dynastie ihnen angehört.
Was die den Kokenäwa anhaftenden Titel betrifft, so ist der
eines Schitima*) nicht mehr an bestimmte Aemter gebunden, sondern
*) Erklärung des Wortes Schitima s. pag. 574.
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MITGLIEDER DES KÄTHES ODER KÖKENAWA.
713
hat eine allgemeine Bedeutung, wie etwa das türkische „Eflendi”, ge-
wonnen und wird verdienten Leuten verliehen. Der Titel Juräma
stammt aus der Zeit der alten Bornü- Dynastie, und ist jetzt ohne
alle thatsächliche Bedeutung Maina ferner heisst im Allgemeinen
I’rinz oder Edelmann, und das einem der Tubu-Vertreter anhaftende
Aqid kann nur ein zufällig entstandener Beiname sein, da in den
Tubu-lAndern dieser in Wadäi übliche Titel nicht vorkommt.
Mohammed ct-Titiwi wurde gewissermassen als nicht heimath-
berechtigt in Bornü angesehen und hatte daher nominell nicht Sitz
und Stimme in der Nökena. Gleichwohl erschien er allmorgendlich
in derselben und übertraf den dort berechtigten Bü Aläq, dessen
Thätigkeit er thatsächlich fast ganz an sich gerissen hatte, an Macht
und Einfluss beträchtlich.
Die ganze Nökena ist nur der Schatten einer früheren aristo-
kratischen Reichsverfassung und hat gegenwärtig keinerlei thatsächliche
Bedeutung mehr. Die Institution stammt noch aus der Zeit, in welcher
die herrschenden Familien sich ihres nordischen Ursprungs bewusst
waren, und die Könige neben sich die mächtigsten Edelleute als be-
rechtigte Rathgeber duldeten, wie die Sitten der Wüstenbewohner,
seien diese Araber, Berber oder Tubu, es mit sich bringen. Jetzt galt
nur der Wille des Herrschers und der Einfluss der Günstlinge.
Freilich hatten die freien Kökenäwa das Bewusstsein ihrer freien Her-
kunft den Sclaven des Scheich gegenüber, doch dieser trug der edlen
Geburt keine Rechnung, und der Freie beugte sich vor dem Sclaven,
wenn derselbe höher in der Gunst des Herren stand. Von den
freien Rathsherren wurden persönlich vom Scheich geschätzt und um
ihrer selbst oder ihrer Väter willen geliebt: Schitima Mohammedu
Uled Abräm, Schitima Ali, Bü Bekr es-Südäni, Sälih Tirab und
Ahmed Ben Brähim. Die Ersteren waren alte, würdige Leute, eng
mit den Traditionen des Landes und der angesehensten Familien
verwachsen. Bü Bekr es-Südäni, der noch während meiner Anwesen-
heit in Küka starb, hatte Anspruch auf die Achtung des Herrschers
als der Sohn eines der rüstigen Waffengefahrten des „grossen
Scheich", mit denen dieser die Umgestaltung der verrotteten Ver-
hältnisse des Landes unternommen hatte. Sälih Tirab ferner war
der Sohn des vielgenannten königlichen Freundes und Rathgebers
Hädsch Beschir, und Ahmed Ben Brähim endlich befand sich, wie
wir gesehen haben, einerseits ebenfalls in der Lage, auf die Ver-
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714 II!. HUCH, g. KAP. HOF, REGIERUNG U. KRIEGSMACHT DES SCHEICH.
dienste seines Vaters pochen zu dürfen, und hatte andererseits ver-
standen, sich theils durch die Gumso, theils durch eigene Ränke in
der Gunst seines Herrn festzusetzen.
Wenn schon diese Landesvertrctung, welche die junge Dynastie
des „Käncmi" aus der früheren Zeit mit in die neue Acra hinüber ge-
nommen hatte, sich nur noch des Grades von Macht erfreute, den
der persönliche Einfluss der Einzelnen beim Fürsten mit sich brachte,
so galt dies noch bei weitem mehr von den Inhabern der Hofamter,
an die vor Zeiten sich legitime Berechtigungen knüpften. Es hatte
den neuen Herrschern offenbar am Herzen gelegen, die alte Ordnung
der Dinge, welche allzusehr an die frühere Dynastie, die länger als
ein halbes Jahrtausend Bornü regiert hatte, erinnerte, durch eine neue
zu ersetzen, und zwar allmählich, da dieselbe allzu fest eingewurzelt
war, um plötzlich umgestürzt werden zu können, und so blieben zwar
die meisten Hof- und Verwaltungs-Aemter bestehen, doch ihre Rang-
ordnung und Bedeutung erlitten oft erhebliche Veränderungen. In alten
Zeiten war z. B. der Digma weit entfernt von der Machtfülle ge-
wesen, mit der zur Zeit der deutschen Reisenden Barth und Rohlfs
der Felläta-Sclav Ibrahim bekleidet war. Ich wiederum sah diesen
selben Digma gänzlich seiner Macht entkleidet, mitten unter Sclaven,
die früher den Sand der Strasse vor ihm auf ihr Haupt gestreut
hatten, aussen an der Thüre des grossen Empfangssaales sitzen, in
dessen Innerem er früher einen der ersten Plätze innc gehabt hatte.
Noch immer hiess er Digma, noch immer hatte er einige ursprüng-
lich charakteristische Functionen des Amtes inne, doch seine Macht
war dahin. Dass er die hervorragende Bedeutung, in der ihn
Gerhard Rohlfs einst sah, und welche dieser dem Amte zuschrieb,
nur seinen persönlichen Eigenschaften verdankte, dürfte noch daraus
erhellen, dass sein Nachfolger, der Hadsch Bezzem, obgleich sehr
wohlgelitten beim Scheich, keineswegs zu derselben Machtstellung
gelangt war.
Man muss bedenken, dass die meisten Hofchargen, welche bei
der automatischen Macht des Fürsten ausschliesslich der persönlichen
Bedienung desselben entsprangen (wie in civilisirten Staaten die
Aemter eines Oberhofmundschenkes, Oberstkämmerers und Anderer
einen ähnlichen Ursprung haben), fast immer in den Händen von
Sclaven waren, zu denen die Herrscher stets ein ungleich grösseres
Vertrauen hatten, als zu ihren eigenen Verwandten und freien
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REICHS- UNI) HOF-BEAMTE.
715
Stammesgenossen, und auf deren Ergebenheit allerdings mehr zu
rechnen war. Aus diesen Gründen wurde auch von Alters her die
Vcrtheidigung des Landes vorzugsweise Sclaven anvertraut, so dass
wir die kriegerischen Posten hauptsächlich in deren Händen sehen.
Andererseits hatten die Bornü-Fürsten gewöhnlich eine sehr zahl-
reiche Verwandtschaft von Brüdern, Söhnen und Kindern der Sohne und
Töchter, fiir welche gesorgt werden musste. Von diesen wurden die
ersteren naturgemäss mit einem gewissen Argwohn betrachtet und
am schlechtesten bedacht. Auch unter den Söhnen befanden sich
gewöhnlich einige, deren Macht in gewisse Schranken zu bannen die
Vorsicht gebot, und das gleiche Verhalten wurde nicht selten gegen
die Abkömmlinge der Königssöhne Maidögu — beobachtet, welche,
da die Erbfolge in der männlichen Abstammungslinie statthatte, even-
tuell herrschaftsberechtigt waren und also eines gefährlichen Ehrgeizes
verdächtig werden konnten. Dem entsprechend finden wir die wichtig-
sten Hofamter in Bornü in den Händen der Sclaven und die Posten
fern vom Regierungssitze in denjenigen der Prinzen, und zwar vor-
waltend der Söhne von Prinzessinnen — Täta mairambe — , welche
kaum jemals gefährlich werden konnten. Da Verwaltungsämter nur
als Dotirungen anzusehen waren — denn die Inhaber derselben be-
kamen nicht etwa Gehälter, sondern waren auf die Erträge der Ver-
waltung ihrer Stämme, Districte oder Städte angewiesen — , so konnte
es nicht ausbleiben, dass die an der Quelle aller Gunstbezeugungen
befindlichen Sclaven, die ebensowenig Gehaltseinkommen hatten,
auch in dieser Beziehung häufig am besten bedacht wurden.
Um die Beamtenhierarchie, welche mit der Verwaltung des
ganzen Landes auf das Innigste zusammenhängt, verstehen zu können,
müssen wir die Reihenfolge der Würden und Acmter durchgehen,
welche seit alten Zeiten in Bornü gebräuchlich waren, und welche,
wenn auch die gegenwärtige Dynastie dieselben mannichfach zu ver-
ändern bestrebt gewesen ist, fast alle bis auf den heutigen Tag be-
stehen.
Der mächtigste Beamte des alten Bornü -Reiches war der Kai-
gamma oder Kegamma, der höchste Kriegsanführer des Landes,
welcher stets Sclavenursprungs war. Da die kriegerischen Bestre-
bungen naturgemäss nach Süden gegen die Heidenländer gerichtet
waren — nach Norden grenzt das Land an die SahSrä — , so lag
seine Hauptthätigkeit dort, und wir finden in früherer Zeit die seiner
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716 III. BUCH, 9- KAP. HOF, REGIERUNG U. KRIEGSMACHT DES SCHEl'CH.
Verwaltung unterstellten Districte in den Landschaften, welche sich
auf der Südgrenze in fortlaufender Linie von der Grenze des Soköto-
Reiches bis nach Logon erstrecken und die Districte Daia mit der
Hauptstadt Gudschöba und zahlreichen benachbarten Ortschaften,
Mabani und Bulgoa umfassen. Jetzt ist der Titel des Kaigamma
mehr und mehr in Vergessenheit gerathen, und nur die mit der Ver-
gangenheit vertrauten Berauna bedienen sich desselben, indem sie
ihn auf den Kaschelia Bilal anwenden. Die Stellung dieses Würden-
trägers entsprach zwar zur Zeit meiner Anwesenheit in Bornü am
meisten derjenigen des früheren Kaigamma, doch seine Verwaltungs-
districte lagen im Osten und Südosten des Landes.
Auf den Kaigamma folgte in der Macht der Jerima, der als
Freigeborener — Horr arab. und Kämbe kan. — und Sohn einer Prin-
zessin — Tata mairambe — jenen vielleicht an Ansehen bei den
Kanüri überragte. Dem Jerima war, so lange Bornü eine gewisse
Oberherrschaft über die Nachbarländer ausübte, der ganze Nord-
westen und fernste Westen, Munio, Zinder, Ahir, Mariädi, Göber,
Soköto, Nife, Zegzeg, Katsöna, Zäria, Kanö, Bautschi, Koröröfa unter-
stellt, während er speciell Chef der Baniwa, einer Fraction der Mä-
gömi, d. i. der die Königsgeschlechtcr umfassenden Abtheilung der
Kanüri, war. Seine hauptsächlichste Pflicht war, ein wachsames Auge
auf die südöstlichen Tuärik zu haben und das Land gegen ihre Ein-
fälle zu schützen. Der Jerima ist fast gänzlich verschollen; noch
existirt Jemand mit diesem Titel, doch, weit entfernt von der soeben
entwickelten Machtfülle seiner Vorgänger, ist er einer der unbe-
deutendsten Beamten, von dessen Existenz Viele keine Ahnung
haben. Der äusserste Nordwesten pflegt gegenwärtig der Verwal-
tung des Digma anvertraut zu werden.
Als der Dritte in der alten Bornü -Hierarchie dürfte der Thron-
folger, Sohn oder Bruder des Königs, welcher den jetzt selten ge-
brauchten Titel Tschiröma führte, zu betrachten sein. Natur-
gemäss schwankte die Bedeutung desselben, je nach dem Grade der
Zuneigung, deren er sich bei seinem herrschenden Vater oder Bruder
erfreute, und je nach der Frist, die voraussichtlich noch bis zu seinem
Regierungsantritte verstreichen konnte, so dass er sich schwer in die
Rangordnung einreihen lässt. Der Tschiröma befehligte früher die
Stämme der Dschatko und Mobber auf dem Nordufer des Komo-
dugu Joöbe, einige Tage nordwestlich von Küka, und hatte im Süd-
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REICHS- UND HOF-BEAMTE.
717
osten des Reiches die alten Söü- (oder So ) Bezirke Ngäla, Ndiflfu,
Kala Kebira, Sangaia, I^ögömanc, Käza und den Sclioa- Stamm der
Beni Scheqq zu verwalten.
Der jetzige Tschiröma Aba Bü Bckr überragt die früheren an Be-
deutung und hat gänzlich veränderte Quellen seiner Macht in der Ver-
waltung einiger Kojäm-Bezirke auf dem Südufer des Jod-Flusses und
einiger Mobber- und Kanüri -Bezirke, aus denen ihm die nöthigen
Einkünfte zufliessen. Im ferneren Westen hat er ferner die Oberauf-
sicht über die Provinz Gummel und über die heidnischen Grenzland-
schaften der Bedde und Kerrikerri, welche seine kriegerische Bedeu-
tung hervorheben.
Ein wichtiger und hochstehender Beamter war früher derjenige
Sclave des Königs, der den Titel Dschcrma führt. Derselbe hatte
den Marstall unter seiner Aufsicht und hielt sich stets in der un-
mittelbaren Nähe des Herrschers, da er mit der Ueberwachung der
persönlichen Sicherheit desselben betraut war. Er war Oberhaupt
des Kanüri- Stammes der Türa und hatte seine Verwaltungsbezirke
am Komodiigu Joobe in der Nähe der einstigen Hauptstadt und Re-
sidenz (generell ,,Birni”) Qasr Eggomo. Die Würde des Dschcrma
existirt noch heute, doch nur mit einem Schein früherer Bedeutung
bekleidet.
Der in allen Staaten West-Südäns wiederkehrende Würdenträger
Ghalad ima hatte und hat in Bornü in der Beamten-Hierarchie eine
Ausnahmestellung. Er war schon frühzeitig mehr ein Vasallenfürst,
als ein Beamter urtd befehligte im Westen des eigentlichen Bornü,
südöstlich von Zinder, im Gebiet von Bundi, in Katagum und in der
Landschaft Bedde und residirte, wie heutigen Tags, zu Nguru in
Bundi. Er erscheint nicht häufig am Hofe des Lehnsherrn, muss
jedoch von Zeit zu Zeit seine Aufwartung machen und verweilt dann
einige Monate in der Hauptstadt. Würde und Stellung des Ghala
dima scheinen qualitativ im Laufe der Zeiten unverändert geblieben
und nur im Verhältnis zur Machtverringerung Bornus im Territorial-
besitz etwas eingeschränkt zu sein.
Der nächst zu nennende Beamte mit dem Titel eines Schitima
Belumma war der General-Steuer-Einnehmer, Gouverneur des Marghi-
Gebietes mit dem Centrum Mullggi. Er war stets ein freigeborener
Mann und eine höchst wichtige und angesehene Persönlichkeit. Nicht
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718 ni. BUCH, 9- KAP. HOF, REGIERUNG U. KRIEGSMACHT DES SCHEICH.
einmal der Schatten dieser Würde ist unter der jetzigen Dynastie
beibehalten worden.
Fast ebenso verhalten sich der Hirima oder Irima, der wohl
zu unterscheiden ist von dem Jerima, und dem die Sugurti mit ihren
Ortschaften längs des Westufers des Tsade, die Tomäghera und
Bruchtheile der Ngumma und Dibbiri damals gehorchten, und
der Jurama oder Uräma, welcher den Bezirk Baqära auf dem
Nordufer des Flusses von Joö, Dütschi gegenüber gelegen und von
Mobber bewohnt, verwaltete, und wie der Hirima, gewöhnlich den
Kaigamma auf seinen Kriegszügen begleitete. Aemter und Würden
Beider sind bis auf den, einem Mitgliede des grossen Rathes anhaf-
tenden, ganz bedeutungslosen Titel Juräma gänzlich aus der Beamten-
hierarchie Bornus verschwunden.
Die Pflichten des früheren Digma oder Dugma bestanden
darin, dass er die Correspondenz des Herrschers besorgte, indem
alle von demselben ausgehenden oder an ihn einlaufenden Briefe
durch seine Hand gingen, dass er den Verkehr der Fremden mit
seinem Herrn vermittelte, für die Verpflegung der königlichen Gäste
Sorge trug und endlich die zum grossen Opferfeste aus dem ganzen
Lande eingelieferten Schafböcke in Empfang nahm und an die
prinzlichen Familien, die Hofbeamten und die Fremden vertheilte.
Unter der Känem- Dynastie hat sich diese Würde nicht allein mit
derselben Amtsthätigkeit verbunden erhalten, sondern ist sogar zeit-
weise, wie wir an dem Digma Ibrahim gesehen haben, durch die
Günstlingsstellung ihrer Inhaber zu einer Bedeutung erhoben worden,
welche ihr ursprünglich nicht beiwohnte. Wie der Letztgenannte
noch die Opferböcke zu vertheilcn hatte, aber keiner thatsäch-
lichen Bedeutung genoss, so vermittelte zwar der Hadsch Bezzem
den schriftlichen und mündlichen Verkehr der Aussenwelt mit dem
Scheich, hatte aber bei Weitem nicht die ausgedehnten Districte
unter seiner Oberaufsicht, welche einst seinem Vorgänger gehorcht
hatten. Der Verwaltungsbezirk des Digma der früheren Zeit lag
rings um die damalige Residenz (Qasr Eggomo), während dem
jetzigen die Landschaft Demägherim mit Zinder und den benach-
barten Gebieten und der Befehl über den Stamm Kerde übertragen
- zu werden pflegt. Diese sind auch dem Pulo Ibrahim noch ver-
blieben, während Hadsch Bezzem hauptsächlich auf den Bezirk
Ngullemi , südlich vom Joo-Flusse und nicht fern von der früheren
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REICHS- UND HOF-BEAMTE.
719
Hauptstadt des Landes, und das in alten Zeiten dem Tschiröma ge-
hörige Gebiet Teil, nördlich vom Komodügu, angewiesen ist. All-
mählich dürften allerdings auch die übrigen Attribute des nominellen
Digma auf ihn übergehen.
Der Digma war von Alters her Sclav, wie auch der ihm in
Amtstätigkeit und Würde nahe stehende Dschegebäda oder
ZlgJbäda, der als königlicher Bote oder Commissarius innerhalb
der Hauptstadt verwendet wurde. Diese Würde besteht noch in
früherer Bedeutung, und ihr Träger hat im Westen des Reiches, südlich
vom Gebiete des Digma seinen grossen Verwaltungsdistrict, die Land-
schaft der Manga, Borsäri, Donäri etc. umfassend, während er im Osten
noch aus den Ortschaften Wulegi, Soerum, Dgbiia und einigen anderen
Einkommen bezieht und die Oberaufsicht über die Kojäm hat.
Der folgende Würdenträger Ardschinöma, der Sitte ent-
sprechend Tata mairambe, scheint eine vorwaltend kriegerische
Stellung im Gefolge des Kaigamma inne gehabt zu haben. Sein
Bistrict lag südlich von Küka, nicht fern vom Tsäde, und umfasste
Jcdi, Missene, Kulli, Minter, Sabbela und einige kleinere Ortschaften.
Die Würde besteht noch jetzt, aber ohne überwiegend kriegerische
Bedeutung, und ohne dass ein besonderes Ansehen mit ihr verknüpft
wäre; ihr Inhaber trägt jetzt die Fahne vor dem Scheich bei seinen
Auszügen her.
Auch Persönlichkeit und Amt des Fügoma haben sich nicht
unwesentlich geändert. Früher war dieser Würdenträger zwar auch
Sclav; doch wenn derselbe früher Gouverneur der Hauptstadt ge-
wesen war, wo er auch während der Abwesenheit des Herrschers
zurückblieb und dann sogar Recht über Leben und Tod sprach, so
ist ihm jetzt nur noch die zweite Stadt des Landes an Grösse, Ngornu,
unterstellt. Dort residirt er fast beständig, und dorther bezieht er seine
Einkünfte fast ausschliesslich, wie seine Vorgänger früherer Zeiten
aus dem Birni. Stets ist sein Verwaltungsgebiet ausserhalb der ihm
anvertrauten Stadt ein sehr beschränktes gewesen.
Der Zentama, der dem Fügoma im Range folgte, war wieder
Sohn einer Prinzessin und seine öffentliche Thätigkeit eine kriegerische
unter dem Befehle des Kaigamma. Seine Verwaltungsbezirke Bamma,
Kudingeri, NgabSla lagen einige Tagereisen südwestlich von Küka.
Obwohl eine genauere Nachfrage die Existenz auch dieses Titels
noch jetzt beweist, so hört man ihn doch kaum jemals nennen, und
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720 HI. BUCH, 9. KAP. HOF, REGIERUNG U. KRIEGSMACHT DES SCHEICH.
jedenfalls hat sein Inhaber nicht den geringsten Einfluss, weder am
Hofe noch im Lande.
Der Kazelma oder Kadzelma oder Kadschelma, dessen Be-
kanntschaft wir bei unserem Betreten des Bornü-Gebietes machten, war
ursprünglich ein Freigeborener und zwar ein Prinzensohn — Maidögu — .
Derselbe hielt sich früher meist im Birni auf und ging alljährlich
nach der Regenzeit auf etwa vier Monate in seinen Bezirk Kazel (auch
Kadzel oder Kadschel genannt), den er gegen die räuberischen Einfalle
der Tuärik zu bewachen hatte. Die Hauptortschaften seiner jetzigen
Verwaltung, Ngigmi und Barüa, gehörten ihm damals nicht, doch die
ganze Reihe der zahlreichen auf dem Nordufer des Komodügu, von
der Mündung bis J06 gelegenen Ortschaften Bosso, Billaganna, Jäwa,
Alädem, Itügüa, Wau u. s. w. lieferten ihm seine Subsistenzmittel.
Das Amt stand früher in höherem Ansehen, überragte sogar vielleicht
das des Fügoma, war aber, wie wir gesehen haben, zur Zeit meines
Besuches in den Händen eines Sclaven, der vom Amte eines Fügoma
gewissermassen nach Kazel verbannt worden war.
Der Kagustema, Tata mairambe, stand einst an der Spitze
des Stammes der Kubüri, welcher jetzt dem Kaschelia Abdullähi
MarghTmi unterstellt ist, befehligte in Ngornu und verwaltete den
Bezirk von Kiskäwa längs des Tsade- Randes bis zum eigentlichen
Känem, dessen Hauptortschaften Mao, Mondo, Jagubberi, Ndschimi
den Dälätöa und Tündscher anvertraut waren. Sein Amt war früher,
als Känem noch eine Bornü- Provinz und der Schauplatz häufiger
Kriege war, ein wichtiges und hat auch heutigen Tages noch ein
gewisses Ansehen bewahrt.
Fast verschwunden ist der Titel des Bagarima, der von seinem
Verwaltungsdistricte Bagari, sechs Tagereisen westsüdwestlich von
Küka, auf der Ostgrenze der Landschaft der heidnischen Ngizzem
gelegen, das Territorium der letzteren zu beaufsichtigen hatte.
Ebensowenig scheint von dem im Range dem Bagarima nahe-
stehenden Med ela der früheren Zeiten übrig geblieben zu sein.
Dieser hatte das interessante Amt, einmal im Jahre eine Rundreise
durch das ganze Reich zu unternehmen und über die Verwaltung,
den Ackerbau, die Industrie, den Wohlstand und den Grad der Ge-
setzlichkeit der Einwohner Bericht zu erstatten. Er war ein frei-
geborener Mann und wurde vom Herrscher für die Dauer der Reise
mit den ausgedehntesten Vollmachten ausgerüstet.
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REICHS- UND HOF-BEAMTE.
721
Die in der Rangordnung folgenden drei Beamten haben in Mitten
der mannichfachen Umwälzungen der Beamten-Hierarchie ihre alten
Würden behauptet. Dieselben sind Sclaven und fuhren die Titel:
Mainta, welcher der Verwalter der königlichen Vorräthc an
landesüblichem Getreide (Duchn und Durra) ist;
Makinta, der die Vorräthe des Königs an Holz und Kohlen,
an getrockneten Fischen und Gemüsen in Verwahrung hat und für
Grünzeug, Zwiebeln, Melonen, Tomaten in der Küche des Palastes
sorgt; und
Sintelma, welcher Butter, Honig, Reis und Weizen des könig-
lichen Haushaltes unter seiner Aufsicht hat, und dem die Sorge
für frisches und gedörrtes Fleisch obliegt.
Alle waren und sind mit verschiedenen, zwischen Küka und der
alten Hauptstadt des Reiches dem Komodügu joöbe mehr oder
weniger nahegelegenen Ortschaften belehnt, aus denen sic ihre
Einkünfte beziehen.
Ungefahr in dem Range dieser wird noch ein freigeborener
Beamter früherer Zeiten aufgeführt, der Fcrgima, welcher die Ober-
aufsicht über Dirki, d. h. Kawär, hatte, wo der unreine Kanüri- Stamm
der Türa zum Theile angesiedelt war, und der dem Kaigamma auf
Kriegszügen folgte. Jetzt ist Amt und Titel desselben nur noch
alten Kanüri-Leuten dem Namen nach bekannt.
Mit der Erwähnung des Mülima, dessen Titel sein Amt der
Oberaufsicht über den Milli, den Standort der Pferde, verräth, und
der stets von Sclavenursprung war, ist die Reihe derjenigen Hof-
beamten beendigt, welche eine gewisse Bedeutung im Lande hatten.®)
*) Die Zahl der untergeordneten Verwaltungsämter ist eine ausserordentlich grosse,
und man stösst im Gespräche mit den Einwohnern immer wieder auf neue Titel, die
meistens kleinen Bezirken oder einzelnen Ortschaften ihre Entstehung verdanken. So
i. B. folgende:
Argolingamma,
Tschüramn.
Sugundreina,
Gutina,
Luntftna,
Sulama,
Dabema,
Karctoma,
Kirgirma,
Ulgamina,
Kaladelima,
Ngedamma,
Zahcma,
Kedelemma,
Gadschigamma,
Sambutna,
Dibbclema,
Gallefemma,
Schamema,
Maliina,
Nigruma,
Kcrama,
Oredschemma,
Dauama,
Fugodalamn,
Tegoma ,
Madschiburruma,
Kinddgoma,
Atschdma,
Baggoma.
Maphumma,
Nachtigal. I.
Kaldmn,
4*>
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722 III. BUCH, Q. KAP. HOP, REGIERUNG U. KRIEGSMACHT DES SCHEl'CH.
Doch wichtiger und höher im Ansehen, als die Meisten der
Vorgenannten, waren und sind die Beamten des innersten Hauses
des Herrschers, die Eunuchen. Der höchste im Range unter diesen
ist der Juröma, der in der Residenz sich nicht um die Frauen,
Sclavinnen und Kinder kümmert, sondern nur auf etwaigen Kriegs-
zügen oder Reisen des Herrschers die mitgeflihrten Frauen beauf-
sichtigt. Er zog einst den Zehnten vom Getreide im Westen des
Reiches ein, hat noch jetzt die Oberaufsicht über das Gebiet des
Ghaladima und des Herrn von Maschena oder Mätjena und wurde
oft mit vertraulichen Aufträgen gewissemiassen als Repräsentant
seines Herrn nach Aussen geschickt.
Der zweite dem Range nach, aber in gewöhnlichen Zeiten wich-
tigste Eunuch ist der Mistrema, der eigentliche Befehlshaber der
Frauenabtheilung und Gouverneur sämmtlicher unerwachsenen Prinzen
und Prinzessinnen.
Der dritte kaum minder wichtige Eunuch ist der Mala, dem
die Aufsicht über den Königs-Palast selbst und alles Leblose in dem-
selben obliegt. Er vcrschliesst jenen allabendlich und eröffnet ihn
mit dem ersten Grauen des Morgens; er ist der Bewahrer des könig-
lichen Hausschatzes und übergiebt aus diesem auf Befehl seines
Herrn fremden Gästen die bestimmten Geschenke.
Ein vierter Eunuch mit dem Titel Schitima steht den Uebrigen
sehr im Range nach und ist eigentlich nur ein Gehülfe oder Adjutant
des Juroma.
Früher gab es noch einen Verschnittenen mit dem Titel Üdima*),
der die nördlichsten Ortschaften des Landes am Tsäde von Ngigmi
bis Barüa zu verwalten hatte, die von Norden kommenden Karawanen
und Nachrichten empfing und solche in umgekehrter Richtung
expedirte.
Von allen Beamten des Hofes haben die Eunuchen am voll-
ständigsten den Glanz ihrer Stellung der früheren Jahrhunderte be-
wahrt. Während der Kaigamma als solcher, der Jcrima, Hirima,
Uräma, Dscherma, Schitima Belumma, Zentama, Ardschinoma, Baga-
rima, Kagustema, Ferglma theils nicht mehr existiren, theils nur
noch einen Schein früherer Bedeutung haben, und nur der Tschiroma,
*) Cdi oder Wüdi war, wie erwähnt, eine Ortschaft südlich von Ngigmi, in der
einst vorübergehend die früheren Domü-Könige residirt haben.
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EUNUCHEN UND HOCHSTEHENDE FRAUEN.
723
Digma, ZlgTbäda, Fiigoma, Kazelma, Mainta, Makinta und Sintelma
noch das Amt ihrer Vorgänger einigcrmassen in der früheren Gestalt
inne haben, ist die Stellung der Eunuchen ganz so geblieben, wie sic
vor Zeiten war, und sind ihre Einkünfte am wenigsten geschmälert
worden.
In allen mohammedanischen Negerstaaten spielen einzelne
Frauen der Königsfamilie eine bedeutende Rolle. Diese fällt in
den meisten Fällen der Königin- Mutter, oft aber auch der obersten
Frau des Herrschers und zuweilen wohl einer Schwester desselben zu.
In Bornü trat eine solche bevorzugte Dame zwar nicht eben so sehr
in den Vordergrund, als in den östlichen Sudan-Staaten, in denen sie,
wie w ir in Baghirmi, Wadaf und Dar For sehen werden, nicht selten
eine hervorragende politische Rolle gespielt haben, doch immerhin
ist auch dort die Magira oder Königin-Mutter durch eine reiche
Belehnung mit Bezirken und Ortschaften ausgezeichnet.
Die oberste Frau des Herrschers führt den Titel Gumso und
wird zwar begreiflicherweise oft einen grossen Einfluss auf ihren Ge-
mahl auszuüben in der Lage sein, aber ihre Macht ist mehr an ihre
Persönlichkeit, als an ihre officiclle Stellung geknüpft. Die Gumso
Scheich 'Omar s stand in gutem Ansehen beim Volke und erfreute
sich bei der gutmüthigen Schwäche des letzteren ebenfalls eines
grossen Einflusses. Leider machte sie denselben nicht immer zum
Besten des Landes geltend und trug z. B., wie man sagte, an der
Machtstellung Ahmed Ben Brahim’s, der ihr Liebhaber gewesen sein
soll, die Schuld.
Von den Schwestern des Scheich nimmt keine in Bornü eine
officielle Stellung ein, und die Töchter des braven Fürsten führten
einen ebenso leichtfertigen Lebenswandel, wie ich ihn später bei den
jungen Prinzessinnen der östlichen Nachbarstaaten Bornus zu beob-
achten Gelegenheit hatte.
Wichtiger als die Meisten dieser Hofbeamten und freien Raths-
herren sind für den Bornü- Herrscher diejenigen Sclaven, welchen
die kriegerische Macht des Landes anvertraut ist, die Kriegshaupt-
leute — Kaschella pl. Kaschellawa — , von denen die bedeu-
tendsten ebenfalls Sitz in der Nokena haben. Wenn auch bei grösseren
Kriegen die einzelnen Stämme der Bevölkerung durch ihre Zuzüge
die eigentliche Landesvertheidigung bilden, so haben doch jene eine
stets bereite Macht unter ihrem Befehle, welche den Kern der Armee
4tj*
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724 III. BUCH, 9. KAP. HOF, REGIERUNG U. KRIEGSMACHT DES SCHEICH.
darstellt und zu kleineren Einfällen in die benachbarten Heidenländer
genügt.
Der hervorragendste derselben war damals der oft erwähnte Ka-
schella Biläl, ein hochbetagter Greis, welcher für den schneidigsten und
tapfersten Krieger des Landes galt und seit einem halben Jahrhundert
des höchsten Ansehens genoss. Er war Chef des Känembu-Stammes
der Sugurti und Herr in einem grossen Theile des südöstlichen
Bornü, denn ihm gehorchten die Ortschaften auf dem Westufer des
Tsäde von der Mündung des Komodügu Joobe bis zum Südwest-
winkel des See’s, und er hätte die Oberaufsicht in den Mäkari-Herr-
schaften längs des Schäri: Maffate, Ngulfei', Kusseri und Logon. Ihm
nahe an Bedeutung stand der Kaschelia Abdullähi Marghimi, welcher
Chef der Känembu Kubüri war und im Südwesten des Reiches von
Gudscheba aus die Grenzen bewachte. Er theiltc sich gewisser-
massen mit dem Vorigen in die Macht des früheren Kaigamma,
obgleich die Würde desselben auf den Kaschella Biläl übergegangen
war. Beide hatten Sitz in der Nökena und hielten sich bei den Aus-
zügen des Herrschers, der Eine rechts, der Andere links von ihm.
Nenncnswerth waren ausser ihnen: Kaschella Koftera Dschema',
mit dem Centrum seiner Macht am südwestlichen Umfange des
Tsäde; Kaschella Manzo, der im Westen des Landes von Borsäri
aus commandirte; Kaschella Cheralläh, der seinen Sitz einige Tage-
reisen nordwestlich von Küka am Komodügu Joöbe hatte; Kaschella
Dschäto, der im Westen des Landes die Grenzen gegen die Heiden
von Kerrikerri bewachte; K. Zäid, der im Districtc der Manga mit
seiner Residenz zu Donäri oder Katäbcri den militärischen Oberbefehl
hatte und nach Südwesten die halbunterworfenen Bedde in Schach
hielt; K. Omar Daura, der ebenfalls auf den äussersten Westgrenzen
sass; K. Bira, der die Nachbarländer im Südosten des Reiches auf
dem rechten Ufer des Schäri beaufsichtigte; K. Ismail (gewöhnlich
Sm’atn genannt), Ali Dendal's Sohn, und K. Bäschä, Säles Sohn,
deren Väter beide zu Barths Zeit in Amt und Würden waren; K.
Midwe, K. Alf Fökärä und K. Mohammed Gumzerima. Alle waren
Reiteranfiihrer und ihre Leute waren mit Speeren bewaffnet und zum
Theil mit Schwertern und mit Metall- oder Wattenpanzern versehen.
Andere Kaschellawa befehligten flintenbewaffnete Leute, die
theils beritten, theils Fusssoldaten waren. Unter ihnen war der be-
deutendste der Kaschella Nbürsa, der ebenfalls Sitz in der Nokena
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KRIEGSHAUPTLEUTE ODER KASCHELLAWA.
725
hatte, und dessen Hauptbezirke im Westen, gegen die Bedde und
Ngizzem, lagen. Neben ihm fungirten die Kaschellavva Wandelämi,
Alangaua Bedde, Mala, Lebo, Magadschi, Dscherma, Abdulcma
Salami, Kjäri, Ali Larre, Gogömo, Billama.
Die heidnischen Bogenschützen wurden von den Kaschellawa
Bekr und ’Abdu befehligt, von denen jener der Sohn des früheren
Führers Kaschella Nbanna war, welcher ebenfalls Sitz in der Nokcna
gehabt hatte.
Eine kleine Abtheilung heidnischer Soldaten, die mit den hohen
Schildern ihrer Heimath und Lanzen bewaffnet waren, wurde vom
Kaschella Mbumm geführt.
Endlich hielt sich zur beständigen Verfügung des Scheich eine
Leibgarde von vierzig Panzerreitern, welche keinen Oberbefehlshaber
hatten, sondern unter Adjutanten oder Lieutenants — Grema standen.
Ausser dieser berittenen Leibgarde und der halbuniformirten
Fusstruppe, welche ich bei unserer Ankunft in Küka belacht hatte,
bekümmerte sich der Scheich durchaus nicht um den Unterhalt seiner
Soldaten. Die Kriegshauptleute warben ihre Leute, wo sie dieselben
fanden, und hatten je nach ihrem kriegerischen Sinne und ihrer Frei-
giebigkeit grösseren oder geringeren Zuzug. Ihre Lanzenreiter ohne
und mit Panzer vertheilten sich ungefähr folgendermassen:
I.
Kaschella Bilal hatte zu
seiner Verfügung etwa
200
Reiter
und
25
Panzerreiter,
2.
K. Abdullähi Marghfmi
IOO
ff
M
20
ff
3-
K. Koftera Dschema'
150
pp
fl
SO
ff
4-
K. Manzo
200
pp
fl
40
ff
5-
K. Zäid
80
. »
M
20
ff
6.
K, Cheralläh
80
ff
ff
15
ff
7-
K. Dschäto
80
pt
pp
20
ff
8.
K. ’Omar Daura ....
80
pp
PP
10
ff
9
K. Sm’ain
15
pp
PP
4
ff
to.
K. Bäschä
2
pp
PP
I
ff
ii.
K. Midwe
s
tt
ff
2
ff
12.
K. Bira
IOO
pp
ff
15
ff
'3
K. Ali Fökärä
60
tt
ff
10
ff
'4-
K. Mohammed Gumzerima
50
pp
tt
—
ff
Summa
1202
Reiter
und
232
Panzerrciter.
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72(j III. BUCH, g. KAP. HOF, REGIERUNG U. KRIEGSMACHT DES SCHEICH.
Manche hatten früher über eine grössere Reitermacht verfügt.
So hatten Kaschella Sm'ain und Bäschä von ihren Vätern 'Ali Dendal
und Säle, angesehenen Anführern früherer Jahrzehnte, einen bei
weitem grösseren Anhang ererbt, waren aber wegen ihres Mangels
an kriegerischem Sinn und Freigiebigkeit allmählich von denselben
verlassen worden. Andere verfügten noch vor wenigen Jahren über
eine zahlreichere Schaar, doch z. B. die Leute Dschäto's und Omar
Daura’s waren während der letzten Jahre arg von den Heiden von
Kerrikcrri decimirt worden. Kaschella Zäid hatte gegen die Bedde
und Cheralläh gegen die Tuärik viele Leute eingebüsst.
Zählt man zu diesen Reitern noch 40 Panzerreitcr, welche die
erwähnte Leibgarde des Scheich bilden, so erhält man für die da-
malige Zeit eine zu unmittelbarer Verfügung des Scheich stehende,
mit Lanzen bewaffnete Reitermacht von rund 1500 theils gewöhnlichen,
theils gepanzerten Reitern. Zu diesen kam die flintenbewaffnete
Mannschaft, theils Reiter, theils Fusssoldaten, welche sich auf die
obengenannten Anführer ungefähr folgendermassen vertheilte:
I.
Kaschella Nbürsa
verfügte
über
ca.
200
Gewehre
11
Wandelämi . . .
II
II
11
70
II
3.
11
Alangaua . . . .
II
11
80
II
4-
ff
Abdulema Salami .
II
11
100
II
5-
tf
Kjäri
II
11
SO
II
6.
ft
Mala
II
n
60
II
7-
tf
Magädschi . . .
II
n
40
II
8.
rt
Lebo
II
11
30
II
9-
tt
Bedde
II
11
20
II
IO.
11
Dscherma . . . .
• 1
n
30
II
11.
tt
Ali Larre . . .
II
11
I
12.
ti
Gögörni . . . .
fl
n
5°
II
13-
11
Billama . . . .
II
11
1
Bedenkt man, dass der Scheich Omar im Besitze eines ansehn-
lichen Vorrathes von arabischen Steinschlossflinten ist, und dass deren
von Zeit zu Zeit zur Vertheilung und Einübung kommen, so darf
man die zu unmittelbarer Verfügung stehende Anzahl von Feuer-
waffen auf etwa 1000 schätzen.
Die Bogenschützen unter Kaschella Bckr und 'Abdu beliefen
sich auf ungefähr 200, und die lanzenbewaffneten Schildträger des
Kaschella Mbumm auf nur etwa fünfzig.
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STREITKRÄFTE DER KRIF.GSHAUPTl.EUTE UND R AMTS HERREN.
727
Neben der sich aus dem Vorstehenden ergebenden Gcsammtzahl
von nahezu 3000 Mann sind zu fast ebenso unmittelbarer Verfügung
des Herrschers diejenigen Bewaffneten, welche sich jeder Prinz, jeder
Höfling und Beamte, auch wenn seine Wurde nicht grade einen
kriegerischen Charakter hat, hält, wenn er irgend einen Anspruch
auf Bedeutung und Ansehen bei Fürst und Volk erhebt. Diese
vertheiltcn sich nach sorgfältigen Erkundigungen 2ur Zeit meines
Aufenthaltes in Küka etwa folgendermassen:
1 . Lamino hatte unter 1 5 Haupt-
leuten 700 gewöhnl. u. 3c» gepanz. Reiter.
2. Aba Bü Bekr besass unter
mehreren Hauptleuten . .
500
ft
11
IOO
ff
3
Aba Haschemi
200
ff
11
40
ff
ff
4-
„ Brähim
150
11
11
3°
ff
ft
5-
„ Abdallah Menufli . . .
100
t»
19
15
ff
ff
6.
„ Tajib
70
11
11
IO
ff
19
7-
„ Känembu
5o
11
11
IO
»»
II
8.
,, Musta Ganna ....
80
11
II
1 5
ff
ff
9-
„ Mustafa, Bruder des
Scheich
200
it
11
50
ff
ff
IO.
Aba Rüfäi
80
11
11
>5
ff
11.
„ Menuffi
70
tt
11
—
11
ff
12.
„ Anas
40
11
11
10
11
»t
'3-
Mo’allim Mohammed ....
100
11
II
—
ff
11
14.
Schitima Mohammedu . . .
80
11
11
IO
ff
>f
«5
„ Ali
60
19
—
ff
ft
16.
Bü Bekr es-Südäni ....
50
11
ff
iS
,,
ff
17-
Sälih Tirab
50
11
ff
—
ff
ft
18.
Scheich Abbas
40
11
—
ff
ff
19.
Ahmed Ben Brähim ....
30
ii
II
—
ff
ff
20.
J uroma Abdu
60
» 1
II
IO
ll
ff
21.
Der Mistrema
80
19
11
20
11
ff
22.
Mala Abd el-Kerim ....
150
11
ff
40
ll
tt
23-
Fügoma Mullewi zu Ngornu .
80
11
ff
15
ff
tt
24.
Digma Ibrahim
80
II
ff
20
„
tt
25-
Hadsch Bezzem
100
11
ff
15
ff
tt
Summa 32c» gewöhnl. u. 740 gepanz. Reiter.
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728 III. BUCH, 9. KAP. HOF, REGIERUNG U. KRIEGSMACHT OES SCHF.YCH.
Transport 3200 gcwöhnl. u. 740 gepanz. Reiter.
26. ZigYbäda od. Zcbäda Dschäwa,
der frühere Inhaber dieser
Würde
27. Ziglbäda Ascham oder Siam .
28. Mainta
29. Kazelma Hassen
3375 gewöhnl. u. 760 gepanz. Reiter.
Die aus Allem sich ergebende Gesammtzahl von etwa 7000 stets
bereiten Kriegern war wohl früher übertroffen worden, würde aber
zur Aufrechterhaltung der Ordnung im Lande, zur Sicherung der
Grenzen und zur Unternehmung von kleinen Expeditionen in die
benachbarten Heidenländer genügt haben, wenn kriegerischer Sinn
im Volke und Kraft und fester Wille beim Herrscher und seinen
Rathgebern lebendig gewesen wären. Aber in dieser Beziehung schien
das Land in rapidem Verfall begriffen zu sein. Der Vater des
Scheich Omar und Begründer der Dynastie schien vor einem halben
Jahrhundert dem schon damals demoralisirten Volke neue Lebens-
kraft einzuflössen, war ihm in Thatkraft und Sittenreinheit mit gutem
Beispiele vorangegangen, hatte es im Nothfalle durch Herrscher-
strenge zur Tugend und Gesetzlichkeit gezwungen und wusste es
durch eigenen Enthusiasmus zu entflammen. Sein friedlicher, frommer,
liebenswürdiger und schwacher Sohn war leider nicht geeignet, das
Regenerationswerk fortzusetzen. Mit der Schwäche desselben verfiel
seine Umgebung bald wieder in Genusssucht und weibische Schwäche,
und er selbst gerieth, trotz seines hervorragenden Verstandes, mit
zunehmenden Jahren mehr und mehr in die Hände seiner feigen und
selbstsüchtigen Rathgeber. Was mit der sich im Allgemeinen nicht
grade durch ein Ucbermaass kriegerischen Sinnes kennzeichnenden
Bevölkerung doch geleistet werden konnte, hatte der Scheich
Mohammed el-Amin gezeigt. Einer intelligenten, sittenstrengen,
thatkräftigen Regierung würde es bei dem natürlichen Reichthume
des Landes und der Lenk- und Regsamkeit der Hauptbestandteile
der Bevölkerung, der Kanüri und Kanembu, noch für geraume Zeit
leicht sein, Bornü die erste Rolle unter den Sudan-Reichen zu sichern.
Doch wie wir gesehen haben, dass der lucrativc, regelmässige Han-
delsverkehr mit den Mittelmeer-Ländern in Folge der unzuverlässigen
30 II II 5 »» I»
So „ „15
50 II II II II
15 II II II II
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VERFALL OER POLITISCHEN MACHT HOBNÜ’s. 729
Rechtsverhältnisse von Jahr zu Jahr abnahm und ganz aufzuhören
drohte, so wurde Vertrauen, Ordnung, Wohlstand und Patriotismus
im Lande durch leichtfertige und unredliche Verwaltung und Mangel
an Schutz an höchster Stelle allmählich untergraben. Districte, Be-
zirke und Ortschaften wurden von Söhnen, Enkeln und Günstlingen
schonungslos ausgesogen, und der Weg zum Scheich war weit und
schwierig. Gelang es aber einem Kläger, bis zu ihm vorzudringen, so
gewann dieser, trotz seines gerechten Sinnes, selten die Energie,
rücksichtslos gegen den Schädiger der öffentlichen Wohlfahrt vor-
zugehen, während andererseits der Erstere bei tausend Gelegenheiten
der Rache des mächtigeren Verklagten ausgesetzt war.
Mit der Energielosigkeit und Genusssucht bei Hofe, dem sinken-
den Wohlstände und dem Gefühle der Schwäche der Bevölkerung
im Innern schwand auch der geringe Grad kriegerischen Sinnes, der
dem Volke von Natur innewohnte, und eine bald sichtbar werdende
Folge dieser allgemeinen Demoralisation war das sinkende Ansehen
des Landes nach Aussen. Freilich waren die westlichen Grenz-
nachbarn, die Haussa- Stämme, trotz der hohen Entwicklung ihres
Handels und ihrer Industrie politisch so grenzenlos schwach, dass
von ihnen nicht nur Nichts zu fürchten war, sondern dass dieselben
sogar in Bornü noch stets das Schreckgespenst vergangener Jahr-
hunderte fürchteten. Doch der Respect, mit dem das junge Wadä't-
Reich den westlichen Nachbar, der durch religiöse und politische
Entwicklung länger als ein halbes Jahrtausend den halbhcidnischen
Gegenden des Sudan zum Muster gedient hatte, zu betrachten
gewohnt gewesen war, schwand sichtlich. Ein thatkräftiges, wenn
auch rohes Volk wurde dort von einem eminenten Herrscher zu
Cultur, Wohlstand und kriegerischer Macht erzogen, und die Zeit
dürfte nicht fern sein, dass in ihm ein gefährlicher Nebenbuhler für
Bornü ersteht.
Die Zeichen der verfallenden Macht Börnü's kamen jedoch zu-
nächst in grösserer Nähe zum Ausdruck. Es waren die halbunter-
worfenen, tributzahlenden Heidenstämme aus den Westgrenzen des
Reiches und ehrgeizige Fürsten regelmässiger Vasallenstaaten, welche
zuerst zum Bewusstsein der zunehmenden Schwäche des Lehnsherrn
gelangten und sich dieselbe nutzbar zu machen versuchten. Der
früher so sichere Weg nach Kano wurde seit einiger Zeit unauf-
hörlich und in frechster Weise von den südlich davon wohnenden
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730 III. BUCH, g. KAP. HOF, REGIERUNG U. KRIEGSMACHT DES SCHEICH.
Bedde beunruhigt; die südlichen Nachbarn dieser, die Kcrrikerri,
hatten die letzten zur Erhebung des Tributs in ihr Land geschickten
Colonnen aufgerieben, und die ihnen wieder benachbarten Bäbir
konnten ebenfalls nicht mehr durch Waffengewalt zur regelmässigen
Tributzahlung gezwungen werden. Der angesehenste Häuptling der
Bedde, cl-Hädschi, der Sohn Babüdschi’s, hatte im September 1870
die Frechheit, einen Boten Aba Bü Bekr’s, dem die Oberaufsicht
über die Landschaft zustand, ohne Antwort und ohne Pferd heini-
zusenden, und liebäugelte mit den Haussa -Regierungen und den be-
nachbarten Kcrrikerri, während die Letztgenannten in demselben
Monate eine unter den oben aufgeführten Hauptleuten Omar Daura,
Kjäri und Mala gegen sie ausgesandtc Heeresmacht vernichteten,
so dass nur ein Diener des Erstgenannten entkam.
Noch bedrohlicher war das gewaltthätige Betragen des Vasallen-
fiirsten Tanemon von Zinder, der im Nordwesten des Reiches ein
unabhängiges Reich aufrichten zu wollen schien. Er hatte damit
begonnen, einen der treusten und beliebtesten Vasallen des Scheich,
den Herren von Munio, den sogenannten Munioma, zu erschlagen
und das Gebiet desselben dem seinigen einzuverleiben. Tanemon,
ursprünglich Ferrara genannt, war ein ehrgeiziger, energischer,
grenzenlos frecher und gewaltthätiger Mann. Aus der Stellung eines
Billama (d. h. Bürgermeister) in der Munio-Ortschaft Dagüsa hatte er
sich zu seiner fürstlichen Stellung aufgeschwungen, und dies hatte ihm
der Munioma nie verzeihen können. Fern von der Hauptstadt, auf
der Grenze zwischen Bornü, den Haussa -Staaten und den wüsten
Landschaften der Tuarik in Sicherheit sitzend, hatte er sich seit
Jahren an eine übermüthige Selbständigkeit gewöhnt, unterhielt eine
zahlreiche Reitermacht, hatte sich durch nordische Kaufleute eine
ungewöhnlich grosse Anzahl von Feuerwaffen verschafft, besass
sogar Kanonen und schien, indem er versuchte, die benachbarten
Vasallengebiete des Ghaladima und des Herrn von Mäschßna unter
seinen Einfluss zu bringen, die ganze Landschaft Demägherim zu
einem selbständigen Staate vereinigen zu wollen. Der Ghaladima,
der erst kürzlich nach dem Tode seines Vaters neu belehnt worden
war, setzte zwar diesen Absorbirungsgelüsten einen kräftigen Wider-
stand entgegen und stand deshalb in hoher Achtung bei seinem
Lehnsherrn, doch zum Unglück starb auch der Herr von Mäschena,
und sein Nachfolger entbehrte vorläufig noch der nöthigen Erfah-
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REBELLISCHES BENEHMEN DES FÜRSTEN VON ZINDER. 731
rung und sicheren Stellung, um in gleicher Weise gegen Tanemon
aufzutreten.
Es war nicht unwahrscheinlich, dass der Herr von Zinder zu
seinem frechen Vorgehen von der Regierung in Soköto aufgestachelt
worden war, aus Rache für die Unbill, welche der Fürst von Gummel,
dessen Gebiet südlich von Zinder an die Haussa-Staaten grenzt, auf
Anstiften des stets kriegerisch gesinnten Aba Bü Bekr den nächst-
gelegenen Gebieten des Nachbarreiches beständig zufügte. Als der
entrüstete Scheich Omar ein energisches Schreiben an den über-
müthigen Tanemon richtete, erwiderte derselbe keck, er sei ein
treuer Vasall, doch sein Streit mit dem Muniöma ginge den Lehns-
herren nichts an, und er würde, selbst wenn die Sache ungeschehen
gemacht werden könnte, dieselbe That noch einmal begehen. Auf
die Antwort des Scheich, welche gegen Verzeihung die Auslieferung
seiner sämmtlichen Kanonen und Flinten beanspruchte, erfolgte
keinerlei Rückäusserung. Wohl aber erzählte man sich zu dieser
Zeit in Küka ein Wort Tancmon's, demzufolge er nur, wenn der
Scheich in Person gegen ihn zu Felde ziehen sollte, sich zu seinen
Freunden, den südlichen Tuärik, in die sichere Wüste zurückziehen
werde. Sollte aber etwa Aba Bü Bekr gegen ihn ausgeschickt werden,
so werde er demselben ohne die geringste Besorgniss Widerstand leisten
und ihn hoffentlich erschlagen, denn selbst für eine solche That sei
es am Hofe von Küka nicht schwer, sich Straflosigkeit zu sichern;
er habe nur etwa nöthig, dem Erschlagenen die Haut abzuziehen
und dieselbe mit Geld auszustopfen. Der Uebelthäter wusste wohl,
dass man sich in Küka zu einem kräftigen Handeln keinesfalls vor
dem Ramadan aufraflen würde, und da der Anfang desselben in das
Ende des November fiel, so hatte er Zeit genug, durch seine Freunde
unter den erbärmlichen Höflingen, vor Allen durch Ahmed Ben
Brähim den energielosen Scheich von jedem kriegerischen Entschlüsse
abzubringen. Lange Zeit war zwar beständig die Rede von einem
grossartigen Zuge nach Westen, den Scheich 'Omar selbst anfuhren
werde. Es wurden sogar für denselben Vorbereitungen getroffen,
Bekanntmachungen erlassen und die Stämme zu rechtzeitiger Zu-
sendung ihrer Contingente ermahnt, aber die Erfahrenen glaubten
nicht an die Ausführung dieser Pläne.
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Zehntes Kapitel.
DAS ENDE DES JAHRES 1870.
Regenreichthum des Jahres. — Die Zeit der Malaria. — Mörderische Epidemie in Kuka.
— Rindviehseuche und Pferdesterblichkeil . — Meine täglichen Beschäftigungen. —
Studium der Kanüri- Sprache. — Aerztliche Thätigkcit und ihr geringer Erfolg. —
Furcht der Eingeborenen vergiftet zu werden. — Ein Hochzeitsfest und sein Verlauf.
— Anhaltende Schwellung des Ts&de und ihre Folgen. — Schicksale der Marok-
kaner. — RamadAn oder Fastenmonat. — Gastfreundschaft des Scheich während des
RamadAn. — ’ld el-Fatra oder Fest des kleinen Bairam. — Auszug des Scheich zum
Festgebet. — Glänzender Aufzug. — Musikalische Instrumente. — Paradepfcrdc. —
Kanonen -Mohammed und Wagen -'Abdallah. — Gratulations-Cour. — Friedliche
Aussichten. — Reiseplan.
Wahrend ich allmählich einen Einblick in die zuvor geschilderten
Verhältnisse gewann, wartete ich ruhig ab, ob der Scheich Omar
den geplanten Kriegszug zur Ausführung bringen würde, um ihn in
diesem Falle zu begleiten, oder ob die Verhältnisse mir gestatten
würden, einen Besuch bei den Budduma und Küri auf den Inseln
des Tsäde zu machen.
Die Regenzeit — Ningßli — des Jahres 1870, in deren Beginn wir
das Bornü-Gebiet betreten hatten, war indessen mit allen ihren Un-
annehmlichkeiten zu Ende gegangen. Den ersten Regenfall hatten
wir am 29. Juni zu Ngigmi gehabt, nachdem wir freilich schon unter-
wegs Spuren unbedeutender Niederschläge gefunden hatten; der letzte
hatte am 24. September stattgefunden. Nach der Behauptung der
Einwohner von Küka war der Niederschlag dieses Jahres ein ausser-
gewöhnlich reichlicher gewesen, und diejenigen, welche sich der Be-
suche von Barth und Rohlfs erinnerten, die in ebenso regenreiche
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ABLAUF DER REGENZEIT.
VERHEERENDE KRANKHEITEN.
733
Jahre gefallen waren, neigten schon dazu, die Erscheinung von Christen
in Bornü mit der Wasserfälle in einen mysteriösen Zusammenhang
zu bringen.
Lange Wochen hindurch blieben die tiefer gelegenen Gegenden
der Stadt und Umgegend in Seen verwandelt, und als die stehenden
Gewässer abzunehmen begannen, machten sich die traurigen Folgen
des sonst so segensreichen Elementes auf die Menschen geltend.
Bald gab es in allen Häusern der Stadt Kranke, und von der Mitte
des September an machte sich eine bedenkliche Sterblichkeit geltend,
welche bald die Proportionen einer mörderischen Epidemie annahm.
Anfangs herrschten die Wechsclfieber unter ihren verschiedenen
Formen und ergriffen vor Allen die Nordländer. Wenige wurden
verschont; Manche unterlagen; Viele entgingen nur mit genauer
Noth dem Verderben und trugen die Spuren der zerstörenden Kraft
der Sumpffieber noch lange auf ihren fahlen, blutleeren Gesichtern.
Auch die vermeintliche Immunität der Neger gegen diese Krankheit
erwies sich als eine sehr unvollkommene; zu Dutzenden lagen in
vielen Häusern die Sclaven am Fieber danieder, und ihre Herren
litten nicht weniger als sie.
Die Erkrankungen an reinen, unverkennbaren Wechselfiebern
äusserten sich allerdings bei den Eingeborenen unter leichterer Form,
als bei den nordischen Fremden; aber im weiteren Verlaufe des
Herbstes richtete grade unter den P'rsteren eine Krankheit arge
Verwüstungen an, welche ich dem Sumpffieber in ihren Ursachen
zu nähern geneigt bin. Dieselbe zeigte zwar weder einen inter-
mittirenden Charakter, noch war sie von Wechsclfieber eingeleitet,
endigte jedoch im P'alle der Genesung häufig mit einem solchen.
Plötzliches Auftreten, hochgradiges Fieber, blutige Entleerungen aus
Nase und Darmkanal, schnelle Entscheidung waren die Symptome.
Fehlten die massenhaften, meist blutigen Ausscheidungen, so erfolgte
der Tod gewöhnlich am vierten oder fünften Tage.
Freilich ist meine Beurtheilung dieser Krankheit eine durchaus
unsichere, weil nur auf Erkundigungen beruhende, denn die Erkran-
kungsfälle kamen sehr selten, in ihrem ganzen Verlaufe nie, zu meiner
Beobachtung. Bei heftiger, acuter Erkrankung denkt der dortige
Mensch begreiflicher Weise nicht daran, die ungewöhnliche Hülfe eines
fremden Arztes in Anspruch zu nehmen, und für mich, den Fremden
und Christen, war es nicht gerathen, mich im Interesse der Wisscn-
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734 HL. BUCH, IO. KAPITEL. DAS ENDE DES JAHRES 1870.
schaft zur Beobachtung zu drängen. Ich that dies um so weniger,
als mein Vorrath von Chinin bei Weitem nicht hinreichte, um eine
nur einigermassen bemerkenswerthc , allgemeine Hülfe leisten zu
können. Ich musste bestrebt sein, die Verminderung dieses kost-
baren Medicamentes, des grössten Schatzes für den in tropischen
Gegenden Reisenden, so viel als möglich zu vermeiden. Und doch
hatte ich nach Ablauf der Fiebersaison nicht mehr als etwa I1/* Unzen
Chinin gerettet, mit denen ich einer voraussichtlich langen und fieber-
reichen Zeit entgegen gehen sollte; aber cs ist schwer, wenn man
gesund ist und das Mittel zur Heilung zu besitzen glaubt, dem
Leidenden die Hülfe zu versagen.
Aus dem Hause meines Hausherrn wurden während weniger
Wochen sechs Personen zu Grabe getragen, und fast tagtäglich und
allnächtlich vernahm man das Geheul der Klageweiber in der
nächsten Umgebung. Die Schriftgelchrten — Fuqähä arab. — hatten
viel Arbeit und machten gute Geschäfte. Vom Morgen bis zum Abend
waren sie beschäftigt, Qorän-Sprüche und heilbringende Formeln zu
schreiben, und wenn sich die Bornü-Leutc schon für gewöhnlich mit
Dutzenden von Ledertäschchen schützenden Inhalts behängen, so
vermehrten sie während dieser Zeit die Zahl derselben ins Unge-
heuerliche. Ganze Tage wurden dazu verwendet, durch das Lesen
des Qorän den Krankheitsgenius zu beschwören , und Hunderte von
Gläubigen sah man Abends auf der Strasse zusammensitzen, um sich
durch tausendfaches Umkreisen mit dem heiligen Buche feien zu
lassen. Die Sterblichkeit wurde eine so entmuthigende, dass sich
schon eine gewisse Demoralisation geltend machte. Man vermied
die gegenseitigen Besuche, man vernachlässigte die Pflege der Kranken
und man scharrte die verstorbenen Sclaven in der oberflächlichsten
Weise in der nächsten Nähe der Stadt ein.
Auch die Nachrichten aus den Provinzen waren nicht erfreulich.
In den wasserreichen Niederungen am südwestlichen Umfange des
Tsäde und überall da, wo stagnirendes Wasser den Boden. in einen
Sumpf verwandelt hatte, der nur sehr allmählich austrocknete, waren
Krankheit und Tod von unerhörter Häufigkeit.
Gleichzeitig verheerte die Lungenseuche den Rindviehbestand
des Landes, und einer anderen Krankheit fielen ungewöhnlich viel
Pferde zum Opfer. Dass die Epidemie, welche seit einigen Jahren die
grossen Heerden der Haussa- Länder, Bornus, Baghirmi's und theil-
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TÄGLICHE STUDIEN.
735
weise Wadäi’s decimirte, in einer Lungenseuche bestand, hatte icli
nicht selten Gelegenheit zu constatiren. Man schlachtete die Thiere
gern im Beginne der Krankheit, und ich versäumte nicht, hin und
wieder die Autopsie vorzunehmen, welche eine gallertige Entzündung
des Lungengewebes und eine eben solche Ausschwitzung in der
Brustfellhöhle ergab. Das Fleisch der erkrankten Thiere wurde
übrigens, nachdem man die sichtlich ergriffenen Theilc fortgeworfen
hatte, ohne Bedenken gegessen. Das Wesen der Krankheit, welche
die Pferde hinraffte, wurde mir nicht genauer bekannt; nach den
Behauptungen der Leute soll in Bornü in aussergewöhnlich wasser-
reichen Jahren eine vermehrte Sterblichkeit der Pferde als Regel be-
trachtet werden.
Mir schwand diese Zait rasch dahin. Wenn ich nicht am Fieber
litt, was freilich oft genug der Fall war, arbeitete ich während der
ersten Tageshälfte für mich , registrirte meteorologische Beobach-
tungen, erlernte die Kanüri Sprache, zog Erkundigungen über Land
und Leute ein und studirte mit dem Faqih Adern mein späteres
Reiseziel Wadai, und am Nachmittage öffnete ich den Kranken Thür
und Thor.
Das Studium der Kanüri Sprache wurde mir durch die verdienst-
vollen Arbeiten des Missionärs Kölle, welche mir wenigstens theilweise
in Fezzän zugekommen waren, sehr erleichtert. Es bleibt ein glän-
zender Beweis unermüdlicher Geduld und hohen Verständnisses, dass
derselbe fern von Bornü, in Sierra Leone, mit Hülfe eines einzigen
Individuums, einen so tiefen Blick in die Sprache gethan hat, dass
ich in vielen Fällen, in denen Heinrich Barth die Richtigkeit der
Behauptungen seines Vorgängers anzweifeln zu müssen glaubte, das
Recht auf Seiten des Letzteren fand.
Meine Untersuchungen über die topographische und administra-
tive Anordnung Bornü's, über seine Vasallenstaaten und heidnischen
Nachbarn, über die Bestandtheile der Bevölkerung des Landes waren
nur von geringem Erfolge gekrönt. Es gelang mir nur selten und
vorübergehend, geeignete Personen zur Unterstützung bei dieser Arbeit
zu finden, denn Einige, welche in der Geschichte und geographischen
Kenntniss ihres Landes wohlbewandert waren, Hessen sich aus Hoch-
muth und fanatischem Misstrauen nicht zur Berichterstattung herbei,
Andere, deren Auskunft ich durch materiellen Lohn erkaufte, er-
wiesen sich als nicht hinlänglich zuverlässig, und übrigens hatte das
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786 III. BUCH, IO. KAPITEL. DAS ENDE DES JAHRES 1870.
lange, staatliche Bestehen Bornü’s, seine ereignissreiche Geschichte
theils die fernere Vergangenheit so gänzlich verdunkelt, theils so
viele Verschmelzungen, Verschiebungen und Umwälzungen mit sich
gebracht, dass es trotz der verdienstvollen Vorarbeiten Barths über
die Geschichte Bornü’s ausserordentlich schwer hielt, einen klaren
Einblick in die staatliche und ethnologische Zusammensetzung von
Land und Volk zu gewinnen.
Die Resultate meiner ärztlichen Beobachtungen werde ich später-
hin mit den meteorologischen Aufzeichnungen zusammenstellen. Das
Zuströmen der Kranken war so beträchtlich, dass ich mich bald
genöthigt sah, dasselbe einzuschränken, denn da ich an einem Tage
oft mehr als fünfzig Kranke untersuchte und mit Medicamenten ver-
sah, so drohte mein Vorrath an den letzteren ein schnelles Ende zu
nehmen. Da nur die Vornehmsten auch bei acuten Leiden meine
Hülfe in Anspruch zu nehmen wagen konnten, so lernte ich
hauptsächlich die herrschenden, chronischen Krankheiten kennen.
Meine therapeutischen Erfolge waren gering, wenigstens bei den
inneren Krankheiten. Den Leuten so häufig, als ich gewünscht hätte,
Achtung vor unserem ärztlichen Wissen und Können durch den über-
raschenden und sicheren Erfolg von Chinin einzuflössen, verbot mir,
wie gesagt, die Beschränktheit meines Vorraths. Die vielfach vor-
kommenden Krankheiten der Verdauungsorgane boten mir bei der
•Unmöglichkeit, gleichzeitig ein rationelles diätetisches Verhalten
durchzuführen, ebenfalls wenig Gelegenheit, überzeugende Erfolge
zu erzielen. Wenn chronische, innere Krankheiten schon überhaupt
einen ungünstigen Boden für die des Erfolges bedürftige Heilkunst
bilden, so wurde es mir in Küka noch ganz besonders schwer,
meinen Arzneimitteln Geltung zu verschaffen. Die Kranken konnten
sich nicht entschlossen, der landesüblichen Heilmethode zu entsagen,
machten neben meinen Verordnungen unfehlbar Gebrauch von ihren
Kräutern und Qorän-Sprüchen, und ein etwa erzielter Erfolg kam dem
Ruhme der letzteren zu Gute.
Sehr Viele ferner nahmen zwar die erbetenen Medicamente willig
an und bewahrten sie sorgfältig auf, konnten sich aber nicht ent-
schlossen, dieselben auch anzuwenden. Wenn Misstrauen und Arg-
wohn gegen den Fremden und Christen zwar nicht im Augenblick der
Consultation hervortraten, so machten sie doch nachträglOh fast
immer ihren Einfluss geltend. Selbst sonst verständige Eingeborene
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AERZTI.ICHE THÄTIGKEIT.
737
konnten sich nicht von dem Gedanken losmachen, dass jeder Christ
von dem starrsten Fanatismus erfüllt sein müsse und gern seine über-
legene Kenntniss von Medicamenten und Giften benützen werde, um
seinen Hass gegen den Islam durch eine Vernichtung der Bekenner
desselben zum Ausdruck zu bringen. Wenn ich dagegen geltend
machte, dass es augenscheinlich im Interesse des einzelnen Reisenden,
der gänzlich vom Wohlwollen der Eingeborenen abhänge, liegen
müsse, diesen möglichst viele Wohlthaten zu erweisen, so wurde
diese für Alle auf den ersten Blick durchaus gerechtfertigte Folge-
rung wieder hinfällig durch die allgemein verbreitete Ueberzeugung
von der übernatürlichen Herrschaft der Christen über die Natur-
krafte. „Wer will Dich verantwortlich machen”, hielt man mir wohl
entgegen, „für eine Wirküng Deines Giftes nach zwei, vier, sechs oder
acht Jahren" — die letztgenannte Frist ist nämlich durch die allge-
meine Annahme als äusserste Zeitdauer festgesetzt, während welcher
das Gift latent verharren kann , „wenn Du seit langer Zeit in Deine
Heimath zurückgekehrt bist?”
Als ich bei der schnellen Abnahme meines Arzneischatzes dem
Scheich in öffentlicher Rathssitzung eines Tages einen kleinen Vor-
rath der üblichsten und einfachsten Medicamente mit schriftlicher
Gebrauchsanweisung überreichte, entstand unter den versammelten
Kökenäwa ein Murren, das sich zu lauten Warnungen steigerte.
Zwar erhob der anwesende Prinz Aba Bü Bekr seine Stimme und
sagte missbilligend zu der Versammlung: „Wisst Ihr denn nicht,
dass die Christen ihre Feindschaft gegen den Islam nie durch Ver-
rath bethätigen, sondern dass dies höchstens die Juden thun?’’, doch
ich bezweifle sehr, dass seine Worte überzeugend wirkten, und dass
der Scheich, trotz der eigenen guten Meinung von den Christen, je-
mals Gebrauch von meinem Geschenke gemacht hat.
Während der ganzen Zeit unterhielt ich einen regen Verkehr
mit meinen Bekannten unter den Fremden und Eingeborenen,
assistirte nach der Tagesarbeit der offenen Tafel des Titiwi oder
rauchte plaudernd ein Pfeifchen Tabak vor der Thür des Scherif
cl-Medöni. Mein Nachbar Ali Malija verheirathete damals eine seiner
Töchter an Aba Käncmbu, den sechsten Sohn des Scheich Omar,
und ich nahm die Gelegenheit wahr, Zeuge des grössten Theils der
Feierlichkeiten zu sein, welche eine Bornü- Hochzeit in den höheren
Kreisen begleiten.
Niu.-iuiK.il. i. 47
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738
III. BUCH, IO. KAPITEL. DAS ENDE DES JAHRES 1870.
Ein Hochzeitsfest — Nika erfordert für seinen ganzen Ver-
lauf ungefähr eine Woche Zeit. Wirbt Jemand um ein Mädchen
bei dem Vater derselben, so vergewissert sich dieser, wenn der in
Aussicht stehende Schwiegersohn ihm befreundet oder ein ange-
sehener Mann ist, vor der Ertheilung seiner Zustimmung durch eine
alte Frau unter seinen Verwandten oder intimen Freunden des jung-
fräulichen Zustandes seiner Tochter. Wird bei dieser Gelegenheit
eine unliebsame Entdeckung gemacht, so verweigert der Vater das
Jawort und sucht sich einen armen und abhängigen Heirathscandi-
daten, der nur allzu froh ist, ein Mädchen aus guter Familie mit
reicher Mitgift zu bekommen. Solche Fälle kommen oft genug vor,
da die Mädchen in Küka einer grenzenlosen Freiheit geniessen,
Abends zum Tanz gehen, wohin und so lange sie wollen und sogar
die Nacht ausserhalb des elterlichen Hauses verbringen , ohne dass
der Vater dies erfährt. Je grösser die Freiheit der jungen Leute und
je häufiger die unausbleiblichen Folgen derselben sind, desto weniger
Aufhebens wird im Allgemeinen von der Sache gemacht, und
mancher enttäuschte junge Ehemann mag über die Entdeckung
der leichtfertigen Vergangenheit seiner Frau ein sehr begreifliches
Schweigen bewahren. Doch unter feinen, gebildeten Leuten erfor-
dert das Zartgefühl jene vorläufige Feststellung.
Ist der Vater in der Lage gewesen, seine Zustimmung zu er-
theilen — das Mädchen wird, wie in fast allen mohammedanischen
Ländern, um seine Wünsche nicht gefragt — , und steht die Hoch-
zeit nahe bevor, so übersendet der Bräutigam dem künftigen
Schwiegervater den sogenannten „Preis des Mädchens Haqq el-
Bneija arab. — ”, der sich natürlich ganz nach den Vermögensver-
hältnissen Beider richtet und in Geld, Sclaven, Pferden u. dergl.
besteht. Sobald der Tag der Hochzeit bestimmt ist, schickt der
Bräutigam Reis, Honig und Butter in das schwiegerelterlichc Haus zur
massenhaften Bereitung des Festgebäckes in der Form der (schon er-
wähnten) Näkia. Der Vater der Braut prüft die Menge dieser Zu-
tliaten und vermehrt dieselbe durch ein Opfer von io, 20 oder selbst
50 Maria-Theresia-Thalern oder landesüblichen Toben, je nach seinem
Vermögen und seinen Ansprüchen. Die Frauen des bräutlichen
Hauses bereiten den Kuchen zum festgesetzten Tage und überreichen
ihn dem Bräutigam zur Vcrtheilung an die beiderseitigen Verwandten
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HOCHZF.ITSSF.ST ODKR NlKA.
7;«)
und Freunde in Schüsseln, deren Zahl in den mittleren und höheren
Klassen von 20 — 100 schwanken mag.
Am folgenden zweiten Tage der Feierlichkeiten pflegt der Vater
der Braut, wenn er in guten Verhältnissen ist, seinen Schwiegersohn
mit einem l’ferde, einem Sclaven, einigen Gewändern und womöglich
einem Burnus, einem Tarbüsch, einem Tuchbcinkleid und einem
Teppich auszustatten und als Ausgabegeld für die erste Zeit des
jungen Haushalts etwa ein halbes Tausend Gabag oder eine ähnliche
Summe in Kauri-Muscheln zu hinterlegen. Mit einbrechender Nacht
erscheinen dann Abgesandte des Bräutigams mit einem Pferde und
einem Burnus, um die Braut abzuholen. Diese sitzt in festlichem
Gewände und bräutlichem Schmucke auf einer Matte, erhebt und
setzt sich sieben Mal, wird von den anwesenden Verwandten und
Bekannten umkreist, und unter Berührung ihres Hauptes mit dem
Qorän giebt ihr ein feierliches Fätiha die hochzeitliche Weihe.
Erst dann wird sie unter scheinbarem Widerstreben ihrerseits in den
Burnus gehüllt, auf das Pferd gehoben und von F rauen und Mädchen
unter Gesang in das Haus des demnächstigen Gatten geleitet. Hier
verbringt sie die Nacht unter Musik und Tanz in Mitten ihrer weib-
lichen Begleitung, die sich an einem Gerichte aus Duchn-Mehl, Ge-
würzen und Honig — Bellolö - gütlich thut.
Am dritten Tage folgt der eigentliche Hochzeitsschmaus, ln
der ersten Morgenfrühe fuhrt die ganze Sippschaft der Braut grosse
Vorräthe von Mehl auf Kameelen und Eseln herbei, der Bräutigam
schlachtet einige Rinder, und liefert Butter, Honig, Salz und Holz
zur Bereitung des Mahles. Die Gefährtinnen der Braut, denen diese
Arbeit obliegt, fragen zunächst den Bräutigam nach der Zahl der
herzustellenden Schüsseln, die bei wohlsituirten Leuten nicht selten
mehr als 100 beträgt. Gewöhnlich greift der Bräutigam die Zahl
höher, als die von ihm gelieferten Zuthaten erlauben; die Frauen
wenden sich dann um Zuschuss an den Brautvater und pressen aus
demselben so viel als möglich heraus, um schliesslich die Zahl der
gewünschten Schüsseln zum Besten der Vorrathskammern des jungen
Ehepaares zu verringern. Während des ganzen Tages wird gekocht,
gebacken und geschmaust, und freigebig vertheilt man von den
Schüsseln an Nachbarn, Bekannte und Arme. Vom wohlsituirten
Bräutigam aber wird an diesem Tage erwartet, dass er an die Braut-
jungfern reichlich Güro- Nüsse vertheile und der jungen Frau einige
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740 III. BUCH, IO. KAPITEL. DAS ENDE DES JAHRES 1870.
feinere Hausgewänder, Schulter- und Hüften- Umschlagtücher und
seidegestickte Hemdchen überreiche.
Auch die auf diesen Haupttag der Nika folgende Nacht ver-
bringt das j'unge Mädchen noch in Mitten ihrer Brautjungfern. Erst
am vierten Tage entledigt sich der junge Hausherr allmählich der
überflüssigen Frauenzimmer, sowohl derer, welche als Kochkünst-
lerinnen fungirten, als auch derjenigen, welche die Braut wuschen,
frisirten und schmückten oder auch nur als Ehrenwächterinnen dienten,
indem er sie beschenkt und von den letztgenannten nur zwei Ma-
tronen zurückbehält, denen die Pflicht obliegt, ihre Schutzbefohlene
für die nun folgende Brautnacht einzukleiden. Sie legen ihr ein
sauberes, weisses Gewand an und überlassen dann das Paar sich
selbst, das Brautgemach bewachend. Noch während der Nacht ent-
reissen dieselben der jungen Frau ihr Gewand und tragen es in
erster Morgenfrühe triumphirend zum Brautvater, der sich dann oft
noch vom selbstbewussten Schwiegersohn ein Extrageschenk erpressen
lässt, zuweilen aber auch den darauf abzielenden Besuch desselben
ablehnt.
Am fünften Tage endlich wird der Hausrath, mit dem die Braut
aus dem elterlichen Hause ausgestattet wird, in das neu begründete
Haus übergefuhrt. In feierlichem Aufzuge und unter Vortritt einer
Musikbande erscheinen geputzte Frauen und Mädchen mit Schüsseln,
Schalen, Deckeln, Körbchen und Krügen auf den Köpfen, und auch
an diesem Tage wird nach Herzenslust geschmaust, musicirt und ge-
tanzt. Nach Verlauf von zwei weiteren Tagen, welche ebenfalls
noch einen festlichen Charakter tragen, verlassen auch die beiden
Matronen das Haus, und die jungen Eheleute bleiben allein.
Nach dem Ende der Regenzeit, während desOctober und November,
als rings im Lande die stehenden Lachen austrock'neten, nahm mit
der andauernden Schwellung des Tsäde der Wasserreichthum in der
nächsten Umgebung des Sees noch zu. Die Einwohner von Ngigmi
hatten sich längst auf die schützenden Dünen zurückgezogen, die
östlich von Küka auf dem Ufer der Lagune wohnenden Käncmbu,
welche seit sechszehn Jahren keine Veranlassung gehabt hatten, für
ihre Dörfer zu furchten, schoben diese nach Westen zurück; Ngomu
wurde zur Hälfte verlassen, und der höher gelegene Theil der Stadt
verwandelte sich in eine Insel. Noch weiter südlich befuhren die
Leute, wie von Reisenden erzählt ward, die Gegend weit und breit
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NACH DER REGENZEIT. — SCHICKSALE DER MAROKKANER. 74 1
*
mit Nachen; längst versiegte Brunnen in der Umgegend von Küka
füllten sich wieder, und später begann man sogar für die Hauptstadt
zu fürchten.
Im Laufe des November verringerte sich die allgemeine Sterb-
lichkeit; die mörderische Krankheit hatte ihr Ende erreicht. Als ich
einst einen Spazierritt um die Stadt machte, legten mir die zahl-
losen frischen Gräber der nahen Friedhöfe, die man mit Dornen
und mit Scheuchen gegen Hyänen und Hunde bedeckt hatte, Zeug-
niss von der Zahl der Opfer ab, welche die Regenzeit gefordert
hatte. Doch die Wechselfieber dauerten unvermindert fort. Manche
meiner Bekannten und Reisegefährten waren indessen aus dem Leben
geschieden. Mehr als einmal fürchtete ich für das Leben des Scherif
cl-Medeni, der kräftige Bü Äischa und manche seiner Leute waren
zu Schatten geschwunden, und mehrere der letzteren waren gestorben.
Der Titiwi hatte eines Tages mehr als zwanzig schwarze Fieberkranke
im Hause, und aus meiner Begleitung befand sich nicht allein der
Marokkaner Hammu im elendesten Zustande, sondern selbst BuY Mo-
hammed, der sich bis dahin so unempfänglich für das Sumpfficbcr
gezeigt hatte, hütete sein Lager. Giuseppe und ich selbst blieben
natürlich nicht verschont, sondern wurden zeitweise recht hart mit-
genommen, doch wenn wir rings um uns überall Tod und Krankheit
sahen, konnten wir mit innigem Dankgcfuhl und vertrauensvoll in
die Zukunft blicken.
Für die Marokkaner hatte die verflossene Zeit schmerzliche Ver-
luste und herbe Erfahrungen gebracht. Ihrer fünf oder sechs waren
dem Fieber der Jahreszeit erlegen; ihre Hoffnungen auf die Frei-
giebigkeit des Scheich, der die Akrobatenkünste nicht eben liebte,
waren nicht erfüllt worden; die Rohheit und Strenge des Moqaddem
hatte die Gesellschaft um die Hälfte verringert. Nach der Ankunft
in Bornü war der Ilädsch Brek dem Beispiele Hammu's gefolgt, und,
da ich mich anfangs weigerte, ihn aufzunehmen, einige Monate hin-
durch im Lande herumgereist. Schliesslich kehrte er zu mir zurück
und war durch Nichts zu bewegen, mein Haus zu verlassen Drei
Andere, Hadsch Mbärek, Azizi und ein Knabe waren nach Westen
entflohen, um über Soköto und Timbuktu ihre Heimath wieder zu
gewinnen. Ein alter Mann endlich und ein Knabe hielten sich bei
den mitleidigen Einwohnern der Stadt verborgen. Verbittert kam
Hadsch Sälih, als das Land hinlänglich abgetrocknet war, um die
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742 III. HUCH, IO. KAPITEL. DAS ENDE DES JAHRES 1870.
Fortsetzung der Reise nicht zu erschweren, eines Tages, um Ab-
schied v'on mir zu nehmen. Vor der Thür meines Hauses, das er
sich aus Hass gegen seine früheren Gefährten zu betreten weigerte,
suchte er mich durch eine drastische Schilderung alles dessen, was
er in Bornü gelitten habe, zur Mitreise zu bewegen. Der härteste
Verlust stand ihm am Tage der Abreise selbst bevor. Hadsch
Hussein, ein wirklicher Scherif und Kind der Zäwia, aus welcher die
ganze Expedition hervorgegangen war, hatte, wie oben erwähnt;
schon beim Betreten Bornus Streit mit seinem gcwaltthätigen Chef
gehabt. Jetzt hatte er sich zwar an den Vorbereitungen zur Abreise
betheiligt, zog mit seinen Gefährten bis zum Thore der Stadt, erklärte
aber hier plötzlich seinen Entschluss, sic zu verlassen, und als ich
am Abend dieses Tages von einem Spaziergänge zurückkehrte, fand
ich ihn ebenfalls in meinem Hause vor. Obgleich ich ihn von allen
seinen Genossen am meisten schätzte, hatte ich doch aus Rücksicht
auf den Hadsch Sälih seine Dienste bis dahin stets zurückgewiesen ;
aber ein echter Marokkaner lässt nicht von einem einmal gefassten
Entschluss. Mit Verwünschungen gegen Bornü hatte Hadsch Sälih
mein Haus verlassen, mit Flüchen gegen mich und diejenigen der
Seinen, welche dem Christen folgten, war er zum Stadtthore hinaus-
gezogen. Das Schicksal verfolgte und strafte ihn noch weiter. In
Känem, F'ittri und Wadäi verlor er noch mehrere seiner Begleiter
durch Tod und Flucht; und in Dar Für, wo ich einige Jahre später
einen der Knaben am Hofe des Königs Brähim fand, erfuhr ich, dass
er mit nur drei oder vier Personen, dem kümmerlichen Reste seiner
einst so stolzen Pilgerkarawanc, Mekka erreicht habe.
So war der Ramadan herangekommen, und die Vorbereitungen
zu demselben brachten einige Abwechslung in das etwas einförmig
werdende Leben der Hauptstadt. Wer auf dem Wege nach Küka
war, suchte vor Beginn der Fasten sein Ziel zu erreichen. Karawanen
beeilten sich, ihren Einzug zu halten; ein Abgesandter des Be-
herrschers der Haussa- Länder, der sich den stolzen Titel „Emir el-
Musclmin” beilegt, traf rechtzeitig ein, um sich über das räuberische
Benehmen des Herrn von Gummel, eines Vasallen Scheich ’Omar's
zu beklagen; ein Bevollmächtigter des Königs von Adamäwa, der
Mo'allim Zamq, konnte noch vorher die Verhandlungen zur Beilegung
von Grenzstreitigkeiten beginnen; Pilger auf dem Wege nach Mekka
oder in die Heimath unterbrachen ihre Reise, um sich durch die
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kamadAn und ’Id el-fatra.
743
wahrend des Ramadan verdoppelte Gastfreundschaft des freigebigen
Scheich das Fasten zu erleichtern. Die Bewohner der Hauptstadt
suchten nothwendige Geschäfte abzusch Hessen und schwebende Ver-
handlungen zu Ende zu bringen. Man machte die Runde bei seinen
Freunden und Gönnern und verabschiedete sich von ihnen, denn
während der Fasten hält man sich gern ruhig zu Hause.
Die Gastfreundschaft des Bornü- Herrschers wird während des
Ramadan auf eine harte Probe gestellt, denn nicht allein versieht er
vor Beginn desselben seine Gäste mit Vorräthen von Weizen, Reis,
Butter, Honig und Schlachtvieh, sondern einer alten Sitte folgend
sendet er jedem Fremdling in der Stadt, der ihm seine Aufwartung
gemacht hat oder der bei Hofe vorgestellt ist, die tägliche Abend-
mahlzeit. Eine Liste aller dazu Berechtigten wird vorher zusammen-
gestellt, und allabendlich steigt ein Beamter zu Pferde und durch-
zieht an der Spitze von mehr als hundert Sclaven, welche die
Schüsseln auf den Köpfen tragen, die Strassen der Stadt, um nach
Würde und socialer Bedeutung der Fremden und nach dem Grade
der Gunst, dessen sie sich beim Herrscher erfreuen, die Vertheilung
vorzunehmen. Wie reichlich Alles bemessen wird, mag daraus erhellen,
dass ich ausser einem Weizengericht, einer Reisspeise, dem gewöhn-
lichen Aiisch, einem Weizengebäck mit Honig und ihren Fleisch-
beilagen oft noch ein halbes gebratenes Lamm oder ein Dutzend
gebratener Hühner oder dergleichen erhielt.
Am 25. November hatte die Elrscheinung der neuen Mondsichel
den Monat Schaabän beendigt und sich die Fastenstille über die
sonst so lebhafte Hauptstadt gelagert. Am 22. December in vor-
geschrittener Nacht verkündete eine lange Reihe äusserst schnell sich
folgender Böllerschüsse, dass der Scheich die Augenzeugen des
wieder erschienenen Neumondes vernommen und glaubwürdig be-
funden habe, und dass also das fröhliche kleine Bairamfest — Id
el-Fatra arab. — den Entbehrungen der Fastenzeit, welche den
culinarischcn Genüssen eifrig zugethanen Bornil - Leuten sehr hart
erscheinen, ein Ziel setze. In den Ländern des Islam wird das ’ld
el-Fatra von allen mohammedanischen Festtagen am meisten gefeiert.
Man legt Festkleider an, enthält sich der Arbeit und macht Gratu-
lationsbesuche. Man kocht, backt und isst nach Kräften neben der
Erfüllung der religiösen Pflicht, welche in den höher civilisirten
Ländern des Islam die Obrigkeit und das V’olk zu feierlichen Gebeten
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744 III. IIUCH, IO. KAPITEL. DAS ENDE DES JAHRES 1870.
in den Moscheen zusammenruft. In Ländern, deren Culturgrad nur
wenige und kleine Gotteshäuser geschaffen hat, pflegen festliche Auf-
züge auf herkömmliche Plätze ausserhalb der Ortschaften stattzu-
finden, bei denen der grösstmöglichste Glanz entfaltet wird. Dieser
Sitte folgte man auch in Küka, und am 23. Deccmber um 9 Uhr
Morgens verkündete ein Kanonenschuss der Hauptstadt, dass Scheich
Omar sich anschicke, seinen Palast zu verlassen, um ausserhalb der
Stadt das Festgebet zu verrichten.
Der zu dieser feierlichen Handlung bestimmte Platz befindet sich
einige Kilometer von der Stadt auf der sich nördlich von dieser
ausdehnenden Oschar- Ebene. Auch ich hatte meine besten Kleider
angelegt, ritt hinaus und wählte meinen Standort auf einem sandigen
Hügel neben dem königlichen Prachtzelte, das man daselbst für den
Herrscher aufgeschlagen und mit einer etwa acht Fuss hohen Ein-
friedigung von buntem Kattun umspannt hatte. Der Scheich befand
sich mit seinen Familiengliedern, Rathsherrn und Kriegsanführern
bereits im Innern des Zeltes; in der nächsten Umgebung des letz-
teren hielt sich die berittene Leibgarde im Fest- und Waffenschmuck
und das mit Feuergewehren bewaffnete Fussvolk; die weite Ebene
war mit Schaulustigen bedeckt.
Der Rückzug in die Stadt gestaltet sich bei dieser Gelegenheit
zu einem geordneten Festzuge, zu dem die Würdenträger ihre Dienst-
mannen aus der Provinz in die Hauptstadt zu rufen pflegen, und in
welchem die meisten Stämme des Reichs vertreten sind. Dass in
diesem Jahre der Zuzug von aussen in Folge der grossen Sterblich-
keit von Menschen und Hausthieren nicht in dem gewohnten Maasse
geschehen sei, hatte ich bereits gehört; doch immerhin war die zur
Feier versammelte Menge eine sehr beträchtliche.
Sobald das Gebet beendet war, schwangen sich die Reiter in
den Sattel, die Fussgänger ordneten sich nach Waffengattung und
Nationalität, und als der Scheich sein stolzes Pferd bestiegen hatte,
entfaltete sich der glänzende Zug. An der Spitze desselben hielten
sich Trupps leicht berittener Araber, und in zweiter Linie die
schweren Reiter der in der Hauptstadt anwesenden Würdenträger.
Dann folgte, getragen auf hoher Stange, ein Emblem, dessen Be-
deutung mir Niemand unter meinen Bekannten enträthseln konnte.
Es bestand in einer hohen, fast kegelförmigen Mütze, aus abwechselnd
gelben und rothen Feldern zusammengenäht, und wurde jederseits
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FRSTZUG AM ’ll) EI.-KATRA.
745
von einem Reiter in europäischer Kürassier -Uniform, d. h. in wirk-
lichem metallenem Helm und Kürass und auf wattegepanzertem
Pferde, geleitet. Hinter ihm, umgeben von den flintenbewaffneten
Fusssoldaten in ihrer buntscheckigen Tracht, trug man das mit
musikalischem Geklingel, Rosshaarschweifen und dem mohammeda-
nischen Halbmond gezierte Gestell, welches der Janitscharenmusik
angehört und dem Scheich einst von einem Miitäsarrif Fezzän’s
geschenkt worden war. Unmittelbar vor dem dann folgenden
Herrscher hielten sich vier Fahnenträger mit grünen und rothen
Fahnen.
Die Erscheinung des Scheich im weissen Turban und Litäm,
von weissem Burnus umhüllt, auf hohem, schneeweissem Pferde,
harmonirte in ihrer einfachen Würde mit dem religiösen Charakter
der F'eier. Nur durch den grossen, gelbseidenen königlichen Sonnen-
schirm, der an langer Stange von einem neben dem Pferde einher-
schreitenden hochgewachsenen und kräftigen Sclavcn über seinem
Haupte gehalten wurde, durch den reich mit Gold gestickten rothen
Sammetsattel und eine von diesem über das Hintertheil des Pferdes
weithin nachschleppende, buntseidene Decke kam neben der hohe-
priesterlichen Würde der königliche Glanz zum Ausdruck. Auf jeder
Seite des Herrschers hielten sich sechs Reiter in weissen, rothen und
gelben Burnussen, auf ungewöhnlich starken, in neue, buntgefclderte
Wattenpanzer gehüllten Pferden, die Befehlshaber der königlichen
Leibgarde. Ihre Leute, schwere Reiter, umgaben diesen Theil des
Zuges, dessen Mittelpunkt der Scheich einnahm, und trugen Alle
ausser dem unförmlichen Libbes eine hohe, ebenso dickwattirte Kriegs-
mütze — Goto — mit einem Blechaufsatze — Kogo gotobe — , wie
er mit seiner gewöhnlichen Zierde eines Straussfederbusches in einer
früheren Abbildung*) dargestellt worden ist. Hinter dem Scheich
vollführte die Musikbande, welche aus Trommel- und Paukenschlägern,
Posaunen- und Hornbläsern, Pfeifern und Blechschlägern zusammen-
gesetzt war, ihr betäubendes Getöse. Die Pauke — Ganga — witd
zu Pferde mitgeführt und mit geknotetem Tauende geschlagen; die
kleineren, meist mehr oder weniger cylinderförmigcn Trommeln, von
denen die grössere, Duno genannte, etwa i M. in der Länge misst,
*/, M. im Durchmesser hat und nur an einem Ende verschlossen ist.
*) Siche pag. 584.
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746 III. BUCH, IO. KAPITEL. DAS ENDE DES JAHRES 1870.
während die kleinere Namens Bäla auf beiden Seiten mit Fell über-
spannt ist, hängen an einem um den Hals geschlungenen Tragbande
und werden mit den Händen bearbeitet. Ein ähnliches, an beiden
Enden mit Fell überspanntes Instrument — Gunda — , von geringem
Dickendurchmesser doch ansehnlicher Länge, ist in der Mitte stark
eingeschnürt und am ganzen Körper mit Metallstückchen behängt,
welche beim Trommeln, was mit den Fingern geschieht, laut klingeln
und rasseln. Den etwa i'/j M. langen Posaunen — Fumfum — aus
Holz oder Blech, den ausgehöhlten Antilopenhörnern - Mangum —
und kürzeren Pfeifen — Schillaschilla — , welche aus Holz, Messing
oder Horn gearbeitet werden, ein metallenes Mundstück haben und
auf der Oberfläche mit zahlreichen Kauri -Muscheln verziert sind,
werden ganz entsetzliche Töne entlockt.
Neben der imponirenden Erscheinung des Scheich selbst bildeten
die Paradepferde desselben den Glanzpunkt des Zuges. Dieselben
wurden in der Zahl von acht, von denen zwei durchaus weiss, zwei
Grauschimmel, zwei eisengrau und zwei gescheckt waren, nachgeführt
und trugen kostbare gold- und silbergestickte Sammetsättel in rother,
grüner, dunkelblauer und brauner Farbe, vergoldete oder versilberte
arabische Steigbügel und buntfarbige, seidene Decken, welche am
Sattel befestigt, über das Hintcrtheil des Thieres hin nachschleppten.
Die Pferde gehörten theils nordischer Rasse, thcils der Landeszucht
an und waren ohne Ausnahme von ausgezeichneter Schönheit und
vortrefflich gehalten.
Der nun folgende Theil des Zuges schwächte die empfangenen
Eindrücke von Pracht und Grossartigkeit erheblich ab. Zunächst
wurde eine kleine dürftige Kanone auf niedriger, im Lande ge-
arbeiteter Laffetc mit plumpen Holzscheiben anstatt der Räder von
zwei kleinen, melancholisch einherschleichenden Maulthieren — diese
Thiere scheinen im Sudan durchaus nicht zu gedeihen — mühsam
über den unebenen Boden gezerrt. Das armselige, wenig kriegerisch
aussehende Geschütz wurde von vier Kanonieren geleitet und in der
Fortbewegung unterstützt, während der Befehlshaber der bescheidenen
Gruppe, ein Fezzäner, dem sein Amt eines Artillerie-Chefs im Lande
den Namen Mohammed Medfa, d. h. Kanonen-Mohammcd, verschafft
hatte, beritten war. Dann folgte nicht minder mühsam ein anderes
Probestück fremdländischer Cultur, ein halbvcrdecktes Wägelchen,
das die Richardson-Barth'sche Expedition vor zwanzig Jahren nach
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GRATULATIONS-COUR. — REISEAUSSICHTEN.
747
Bornü gebracht hatte und das den locomotorischcn Bestrebungen
eines dritten Maulthiers anvertraut war. Das letztere wurde unter
der Oberleitung des berittenen Wagen - Commandantcn, der seinem
Amte den Namen Abdallah Karussa, d. h. Wagen- Abdallah, ver-
dankte, am Zügel geführt. Das Verdeck des Wagens hatte sein
Lederdach mit der Zeit eingebüsst und war anstatt dessen mit roth-
geblümtem Wollstoff überzogen. Abdallah Karussa war mit der
Richardson'schen Expedition nach' Bornü gekommen, wegen seiner
Geschicklichkeit zur Zusammensetzung des in zerlegtem Zustande
durch die Wüste transportirten Vehikels verwendet und dann
vom Scheich mit der Oberaufsicht über dasselbe betraut worden.
Er war eigentlich Schneider seines Zeichens und verdankte seiner
Kunstfertigkeit in diesem Handwerk hauptsächlich seinen Unterhalt,
ebenso wie Mohammed Medfa nicht von seinem Amte in der
Artillerie leben konnte, sondern kaufmännische Geschäfte trieb.
Wenn Alles wieder in die Stadt zurückgekehrt ist, schickt man
sich an, Gratulationsbesuche zu machen und zu empfangen, und über
diese verstreichen die beiden ersten Tage des Festes. Obgleich ich
als Christ von denselben hätte verschont bleiben sollen, so lockten
doch meine Güro-Niisse die Besucher allzu sehr an, als dass ich nicht
zahlreiche Glückwünsche hätte empfangen sollen. Erst am dritten
Tage hielt der Scheich officiellc Gratulationscour ab, zu welcher der
grossen Menschenmenge wegen der gewöhnliche Raths- und Audienz-
Saal nicht benutzt werden konnte. Der Herrscher wählte zu diesem
Zwecke ein Zimmer, das auf den ersten grossen Hof des Palastes
ging, und empfing die Gratulanten in diesem, nachdem er ein mäch-
tiges Zelt hatte darüber spannen lassen. Von der äusseren Halle
des Palastes bis zum Zimmer des Scheich bildeten flintenbewaffnete
Soldaten ein Spalier, durch das die Besucher passiren mussten, und
vor jenem standen zwei Kürassiere. Ich hatte die Ehre, in die
nächste königliche Umgebung, wo die angesehensten Kokenäwa ver-
sammelt waren, zugclassen zu werden, und beobachtete von dort
aus die endlose Reihe der gratulirenden Scherff’s, Pilger, fremden
Kaufleute und Corporationcn einheimischer Stämme und Gewerke.
Neben dem Divan des Scheich hielten sich jederseits vier flinten-
bewaffnete Gardisten, die, barhäuptig, in rothe Tuchkaftan’s gekleidet,
nahezu sechs Fuss gross und mit ansehnlicher Körperfülle begabt,
recht imponirende Erscheinungen waren. Nachdem zahllose Fätiha's
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748 III. BUCH, IO. KAPITEL. DAS ENDE DES JAHRES 1870.
gebetet worden waren — ohne das Eingangsgebet des Qorän thut
es kein Scherif, Pilger oder Gelehrter — , hob der Scheich um Mittag
die Cour auf und zog sich in seine Gemächer zurück.
Mit dem Ende des Fastenmonats näherten wir uns dem Schluss
des Jahres 1870, und dieser Abschnitt brachte mir die schnelle Ver-
gänglichkeit der Zeit wieder zum Bewusstsein. Ich war ausserdem
des beständigen Stilllebens müde und fühlte das Bedürfniss, zu neuen
Unternehmungen auszuziehen. Gleichzeitig kam der geplante Kriegs-
zug des Scheich in den Westen des Reiches in Wegfall, denn un-
mittelbar nach dem Ramadan schickte Fürst Tanemon von Zinder
einen Gesandten mit freilich sehr magerem Tribut, aber mit desto
unterwürfigerer Botschaft an seinen Lehnsherrn und mit ansehnlichen
Geschenken an seine Freunde unter den Höflingen. Damit verschwand
das Schreckgespenst eines Kriegszuges, das die Geinüther der feigen
und verweichlichten Kökenäwa geängstigt hatte, und Alles war
Freude und Heiterkeit am Hofe von Küka.
Ich war also auf die Ausführung meines Besuches der Tsäde-
Inscln hingewiesen, da der Scheich noch immer von einer Reise nach
Wadäi Nichts hören wollte und mit überzeugendem Ernste auf das
traurige Schicksal meiner Landsleute Vogel und v. Beurmann hinwies,
welche auf seine Warnungen nicht hätten hören wollen. Schon seit
längerer Zeit hatte ich aus einer verständigen Känembu-Frau, welche
lange- Zeit auf den Budduma-Inseln verheirathet gewesen war, mehr
Nachrichten über den Tsäde- Archipel und seine Bewohner hcraus-
gelockt, als sie selbst wohl für möglich gehalten hatte; jetzt schickte
Lamino an den Kascheila Kimme, einen' der wenigen Budduma-
Häuptlingc, die sich der Bornü -Regierung ergeben gezeigt hatten,
den Befehl, so bald als möglich zur Hauptstadt zu kommen. Mit
ihm sollte ich den See nach Süden bis zu seinem südöstlichen
Theilc umkreisen, mich über die Sitze der Asäla-Araber nach Karka,
den Inseln der Küri, begeben, und von dort mit Hülfe des herrschen-
den Ostwindes über die Inseln der Budduma und das offene Wasser
des Sees nach Küka zurückkehren.
Durch w’elche Ereignisse auch dieser Reiseplan zerfiel, und wie
ich noch einmal für eine lange Zeit in die Sahara zurückgeführt
wurde, werde ich im folgenden Thcile meines Reiseberichtes erzählen,
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ANHANG.
Erläuterungen zu den Tabellen.
Die in diesem Anhang gegebenen Tabellen i — 19 enthalten die während
der Jahre 1869 und 1870 auf den Reisen von Tripolis nach Murzuq (Tab. 1 und 2),
von Murzuq nach Tibesti (Tab. 7—9) und von Murzuq nach Bornfi (Tab. 17
bis 19) und zu Murzuq selbst (Tab. 3 — 6 und 10 — 17) angestellten und auf-
gezeichneten Beobachtungen über Temperatur, Feuchtigkeit und Luftdruck,
sowie über Richtung und Stärke des Windes, Ansicht des Himmels (d. h. der
oberen Schichten der Atmosphäre) und Art der Bewölkung, und endlich über
den Zustand der Luft (d. h. der unteren Schichten der Atmosphäre), Regen
und andere atmosphärische Erscheinungen.
Die Temperatur-Ablesungen wurden bei längerem Aufenthalte an demsel-
ben Orte an einem Thermometer nach R., auf der Reise an einem solchen nach
C. gemacht; in den Tabellen sind die ersteren auf °C. reducirt wiedergegeben.
Die Angaben des Luftdruckes wurden zuerst an einem Anero'id mit Ein-
theilung in engl. Zoll (vergl. S. 141), später an einem solchen mit Millimeter-
Eintheilung abgelesen; die ersteren sind in den Tabellen 1 — 9 auf Millimeter
reducirt wiedergegeben.
Aus den zahlreichen Beobachtungszeiten im Laufe jedes Tages über
Temperatur und Luftdruck, welche besonders auf den Reisen oft wechselten,
wurden für die Tabellen diejenigen Stunden oder Zeiten ausgewählt, welche
den Gang der Temperatur und des Luftdruckes am besten darzustellen
schienen ; dieselben sind am Kopfe jeder Tabelle angegeben. Zur genaueren
lllustrirung des täglichen Ganges der Temperatur und des Luftdruckes zu
Murzuq sind für je einen Sommer- und Winter-Monat (Mai und December 1869)
in den Tabellen 5, 6 und 13 aus dem Beobachtungsjoumal die sämmtlichen
Ablesungen aufgeführt.
Die auf S. 137 und 144 gegebenen Monatsmittel der Temperatur und des
Luftdruckes für Murzuq sind theils aus einer grösseren Zahl von Beobachtungen,
theils aus anderen Beobachtungsstunden, als in den Tabellen gegeben sind, abge-
leitet worden; in den letzteren ist von allen Mittelwerthen Abstand genommen.
Richtung und Stärke des Windes sind nach den im Tagebuche Morgens,
Mittags und Abends verzeichneten Schatzungen, und Ansicht des Himmels, Art
der Bewölkung, Zustand der unteren Luftschichten u. s. w. nach den im Ver-
laufe des Tages gemachten Wahrnehmungen in den Tabellen wiedergegeben.
Bei allen Tabellen, welche sich auf die während der Reisen gemachten
Beobachtungen beziehen, ist in der letzten Spalte für den betreffenden Tag
der Beobachtungsort angegeben.
Am Fusse einiger Tabellen sind noch Ablesungen des Koch-Thermometers
mit der gleichzeitig beobachteten Luft-Temperatur verzeichnet, und allgemeine
Beobachtungen, welche keine besondere Spalte erhalten konnten, angemerkt.
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Tab. i. 1869 Februar. — Reise von Tripolis nach Murzuq.
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Tab. 13. 1869 December. — Murzuq.
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1870 Juni. — Reise von Murzuq nach Bornü.
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Tab. 13. 1869 December. — Murzuq.
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Tali. 15. 1870 Februar. — Murzuq.
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Tut». 1 6. 1870 Mar/, Murzuq.
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