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Full text of "Mitteilungen der Schlesischen Gesellschaft für Volkskunde"

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ITTEILÜNGEN 

DER 

SCHLESISCHEN  GESELLSCHAFT 
FÜR  VOLKSKUNDE 

lierausgegeben 

von 

THEODOR  SIEBS. 


Band  X..  - , / 

.liihrgantr  liKW.  — lieft  XIX  nnd  XX  der  ganzen  Heihe. 


BRESLAU 

Selbstverlag  der  Gesellschaft 

(für  den  Buchhandel  zu  beziehen  durch  Max  tVuywod’s  Verlag,  Breslau  VllI) 

190H. 


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Alle  Reclite  Vorbehalten. 


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Inhalt. 


AiirsUtzc  und  Mitteilungen. 


Drechsler,  Oyrnpasialdirektor  Dr.  iibil.  P.,  Die  Seele  nach  ilcm 

Tode  in  der  Anschaunng  des  Volkes XlX  S.  1 

Fraeukel,  Üiiiv.-Prof.  Dr.  phil.  S.,  Ans  orientalischen  Quellen  . . XIX  S.  25 
Klapper,  Oberlehrer  Dr.  phil,  J.,  Das  Märchen  von  dem  Mädchen 

ohne  Hände  als  Predigtexempel XlX  S.  29 

Olbrich,  Oberlehrer  Dr.  phil.  K.,  Zehn  Schntzbriefe  unserer  Soldaten  XlX  S,  45 
Hellwig,  Ür.  iur.  Alb.,  Die  Freimaurer  iin  Volksglauben  . . . XIX  S.  71 
Drechsler,  Oyiiiuasialdirektor  Dr.  phil.  1’.,  Schlesiens  Vogelwelt  in 

der  Sprache  und  im  Glauben  der  Heimat XlX  S.  81 

Hellniich,  Kgl.  Landmesser  M.,  Zur  Volksetymologie XlX  S.  95 

Schulte,  Oeh.  Reg.-Rat  Professor  Dr.  phil.  W. , Leben  und  Sitten 

in  Schlesien  niu  die  Mitte  des  16.  Jabrlmiiderts XIX  S 97 

K lap per , Oberlehrer  Dr.  phil.  J.,  Sagen  und  Märchen  des  Mittelalters  XX  S.  1 
ünwerth,  Dr.  phil.  \V.  von.  Das  starke  Verbum  in  der  schlesischen 

Mnndart XX  8.  30 

Goessgen  t,  Oberlehrer  Dr.  phil.  W.,  Der  Wortschatz  der  Mund- 
art von  Diibraucke  . ^ , , , , , , . . , ^ , . XX  S.  4S 

Drechsler,  Gymnasialdirektor  Dr.  phil.  P.,  Sprachliche  Erstarrungen 

iiu  Schlesischen , , , ^ , ^ ^ XX  8.  71 

Trebliii,  Dr.  phil.  M.,  Zur  Kunde  von  den  schlesischen  Ortsnamen  XX  S.  78 

— Die  Wüstung  Jocksdorf XX  S.  8ti 

Pradel,  Oberlehrer  Dr.  F.,  Schlesische  Volkslieder XX  S.  89 

Drechsler,  Gymnasialdirektor  Dr.  phil.  P.,  Volkslieder  ....  XX  S.  104 
Dittrich,  Oberlehrer  Professor  P.,  Einiges  über  Uaudwerksbräuche  XX  S.  114 
Siebs,  ITniv.-Prof.  Dr.  phil.  Th.,  Rllhezalil XX  S.  127 


Bosprechnngen. 

Heidrich,  R.,  Christnachtsfeicr  und  Cliristnachtsgcsiinge  in  der 

eY.angeliselieii  Kirche  (F.  Pradel) XlX  S.  132 

Führer  durch  die  Saniinlung  für  deutsche  Volkskunde  in 

Berlin  (F.  Pradeli XIX  S.  133 

Beiträge  zur  Heimatku nde  der  Pfalz , II.  Pfälzer  Frühlings- 

feiern  (F.  Pradel) XIX  3.  ISS 


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IV 


Hellwig,  Dr.  Albert.  Verbrechen  und  Aberglanbe  fSs.)  ■ , . ■ XIX  S.  134 
Schlesiens  volkstümliche  Überliefernngeii  1— III  . ■ . XX  S.  132 
Reichert,  Dr.  Hermann,  Die  deiitschen  Familiennamen  f-e-)  . ■ XX  S.  1<)2 

Jftsehke,  Dr.  Erich,  Lateinisch-romanisches  Fremdwitrterbacli  Jer 

schlesischen  Mundart  (-p-) ■■  . , XX  S.  1.34 

V.  Unwerth,  Dr,  Wolf,  Die  schlesische  Mundart  (s.) XX  3.  1H5 

Bob  n,  Prof.  Dr.  Emil,  Die  Nationalhymnen  der  europäischen  Villker(ts.)  XX  S,  136 
Schräder,  Otto,  Spraclivergleichniig  und  Drgeschichte  I,  II,  1„  2. 

(Siebs) XX  S.  137 

Martin,  Alfred.  Deutsches  Badewesen  in  Yergangenen  Tagen  (s.)  XX  S.  139 
John,  Alois,  Sitten,  Brauch  und  Volksglauben  iin  deutschen  West- 

bsbinen  (s.) XX  S.  14(1 

Der  gemitt  lieh  e Scliläsingcr.  Heransgegeben  von  Pani  Keller  (s.)  XX  S.  140 

RBsaler,  Robert.  Wie  der  Schnoahel  gewaxen  (s.) XX  S 140 

Heinzei , Max,  A frisches  Riclicl  (s.'i ' XX  S.  Hl 

Oberdieck,  .Marie,  Tust  de  mitte?  (t.) XX  S.  141 

Sabel,  Robert,  Suniitich-Noehroitts  (t.) XX  141 


<»<‘scliaftlt(‘li(‘  Mittolliiiiiteii. 

Sitzungsberichte XIX  S.  134  XX  S.  141 

Eingänge XIX  ,S.  l.H(> 

Nachrichten  und  Anzeigen XIX  S.  1.H6  X.K  S.  142 

Register  zu  Heft  XI  bis  XX,  von  stud  phil,  Sclke X-K  S.  143 


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Die  Seele  mieli  dem  Tode  in  der  Anschauung 
des  Volkes. 

Von  I>r.  I’aul  Drechsler  in  Zabrze. 


„Es  ist  dein  Menschen  gesetzt,  einmal  zu  sterben“.  — Wer 
wollte  .sagen,  wann  und  wo  dem  Menschen  die  Erscheinung  des 
Sterbens  zum  erstenniale  vor  .\ugen  getreten  ist!  Aber  sie  wieder- 
holte sich  immer  und  immer  wieder  und  wurde  stete,  lückenlose 
Erfahrung,  ergreifend  und  geheimnisvoll  heute  wie  am  ersten  Tage. 
Die.ses  Kind,  das  sich  vor  kurzi-m  mit  rosigen  Wangen  und 
blitzenden  Augen  im  Reigen  auf  dem  Anger  drehte,  dieser  Mann, 
der  in  der  Fülle  des  Lebens  dastuiid  mit  festen,  markigen  Knochen 
— sie  liegen  auf  dem  Sterbebette.  Ihrer  Brust  entringt  sich  der 
letzte  Laut,  der  letzte  Hauch,  der  Klirper  reckt  und  .streckt  sich 
noch  einmal,  und  mit  der  fliehenden  Warme  erblasst  die  Wange, 
das  Siegeszeichen  des  Todes. 

Doch  die  Seele  kann  sich  von  dem  Körper,  den  sie  solange 
belebt  und  bewegt  hat,  nicht  völlig  gelöst  haben,  sie  weilt  in  ihm, 
wie  im  Schlafe,  in  stiller  Ruhe,  gleichwie  iin  kalten  Baume  zur 
Winterszeit  das  stille  Leben  in  das  innerste  Mark,  in  die  tiefste 
Wurzel  geflüchtet  ist,  um  dem  Kii.sse  der  Lenzessonne  zu  erwachen, 
oder  sie  führt,  zunächst  in  der  Nähe  des  Körpers  und  des  Grabes, 
ein  selbständiges  Da.sein,  um  weiter  zu  wirken  in  unvergänglicher 
Kraft.  So  ist  (philosophisch  gesprochen)  die  Grundverschiedenheit 
von  Stoft'  und  Kraft  die  Grundlage  des  ünsterblichkeit.sglaubens. 

.\us  die.sem  uralten  Glauben,  da.ss  auch  nach  dem  Tode  die 
Seele  fortlebc,  erklärt  sich  bei  allen  Völkern  eine  Fülle  von  .\n- 
.schauungen,  Sitten  und  Gebräuchen,  die  sich  aus  gleichen  mensch- 
lichen Voran.ssetzungen  in  gleicher  Gemeinsamkeit  gebildet  und 
teils  in  ursprünglicher  Fa.ssnng,  teils  mehr  oder  weniger  verdunkidt 
bis  zur  Gegenwart  erhalten  haben.  Ich  be.schränke  mich  hier 

Mittelläufen  <1.  ÄCbUs.  Oes.  r Vkde.  Halt  XIX.  t 


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darauf,  mit  besonderer  Berücksiclitiprung  Sehlesiens,  eine  f'bersieht 
des  Wesentlichsten  zu  peben*),  denn  wenn  je  auf  einem  (lebiete 
der  Volkskunde  ist  hier  Beschränkung  und  Mass  geboten. 

Zunächst  sind  nach  dem  (ilauben  des  Volkes  Leben  und  Seele 
von  dem  Kori)er  nicht  geschieden,  der  Tote  ist  nicht  oline  Leben, 
sondern  nur  oline  Bewegung.  Er  beobachtet  bis  zum  Begräbnis- 
tage die  Trauer  der  t'berlebenden  (laidwigsdorf  bei  Görlitz).  Noch 
heute  denkt  man  sich,  dass  ein  Verstorbener  ganz  gut  hören  und 
verstehen  könne,  was  man  zu  ihm  sage,  und  dass  er  nur  nicht 
imstande  sei,  seine  Gedanken  und  Gefühle  zu  äussern.  Oft  erzählt 
man,  die  tote  Mutter  habe  mit  geweint,  als  der  liebe  Sohn  aus 
der  Ferne  herbeieilte  und  über  die  Leiche  gebeugt  hei.sse  Tränen 
vergoss  (Breslau  1906).  Wird  die  Leiche  angckleidet,  dann  ruft 
man  den  Toten  dreimal  beim  Vor-  und  Zunamen:  N.  N'.,  wir  wollen 
dich  anziehen!  — Sofort  werden  die  starren  Glieder  beweglich 
und  lassen  sich  bequem  bekleiden  (Leobschütz,  Neustadt,  Kreuzburg). 
Auch  kann  man  dann  der  Leiche  den  Trauring  ohne  Schwierigkeit 
vom  Finger  ziehen  (Breslau)  und  die  Sterbehandschuhe  anlegen 
(Leipe  bei  Jauer).  Ruft  man  nach  dem  Anziehen:  N.  N.,  nun 
kannst  du  wieder  ruhig  schlafen!  wird  der  Tote  wieder  steif  und 
starr  (Gramschütz  bei  Glogaii). 

Wie  man  dem  Sterbenden  die  Gabe  zuschreibt,  in  die  Zukunft 
zu  schauen,  so  richtet  man  auch  Fragen  und  Bitten  an  den  Toten 
und  deutet  scheinbare  oder  zufällige  iiassive  Bewegungen  des 
Körpers  als  Antworten  und  Erhörungen  (hieraus  hat  sich  mannig- 
faltiger Totenzauber  entwickelt);  be.sonders  bittet  man  die  Leiche, 
Krankheiten  allerart  mitzunehmen,  z.  B.  Hühnerwurzeln,  Cberbeine, 
Zahnschmerzen. 

Neben  diese  Vorstellung,  dass  die  Seele  in  gleichsam  nur 
gehemmter  Beweglichkeit  auch  nach  dem  Tode  im  Körper 
fortlebe,  tritt  die  andere,  auf  die  Traumerscheiiiungen  nicht  un- 
we.sentlich  eingewirkt  haben,  da.ss  mit  Eintritt  des  Todes  sich 


')  In  iler  reichen  Literatur  ist  in  letzter  Zeit  hinznpekiimmen:  \V.  Wuniit, 
Völkerpsychologie  2.  Band:  Mythus  und  licligion.  2.  Teil,  Leipzig  lOOt!; 
0.  Schräder,  Sprachvergleichung  und  rrge.schichte.  11,  Teil,  2.  .'\bschniU:  I>ic 
I’rzcit.  .lena  l‘J07  Einschlägigen  Stofi'  hoten  vor  allem  Wuttke,  Der 
deutsche  Volksahergliiube  der  Oegenwart,  3.  ,\ufl.,  Berlin  lilflO;  B.  Iirechslcr, 
•Sitte,  Brauch  und  Volksglanhen  in  Schlesien,  I.  Leipzig  l!K):t.  II.  liKKi,  und 
E.  11.  Meyer,  Mythologie  der  Gennanen  Strassbnrg  1903. 


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die  Seele  vom  Körper  löse  und  selbstäiidip:  fortlebe.  Das 
Sinnfälligste  beim  Sterben  ist  das  schwere  und  langsame  Atmen: 
in  ihm  scheint  das  Leben  hin-  und  herzutluten,  mit  ihm  das  Leben 
zu  schwinden.  Mit  dem  letzten  Atem,  dem  letzten  Hauche 
entweicht  die  Seele,  selbst  ein  Haucli  (vgl.  sanskrit.  atmän 
Haucli,  Lehen,  Seele  = alid.  ätum  Atem,  Seele),  ein  Wind  (vgl. 
lat.  aniiniis  Seele,  griech.  Wind),  ein  I.,üftchen,  eine 

Wolke:  der  Mensch  haucht  sein  Leben  aus,  er  hat  aus- 
geatmet, oder,  wie  es  Freidank  derber  ausdrückt:  ,I)ie  Seele 
fährt  von  mir  wie  ein  Blaas  (Hauch)  und  lässt  midi  liegen  wie 
ein  Aas“.  Der  Körper  liegt  kalt  und  steif  da,  die  Seele  aber  lebt 
in  einer  anderen  Welt  unvergänglich  weiter.  Da.ss  sie  auch  in 
Tier-,  vornehmlich  Mausge.stalt,  aus  dem  Munde  des  Sterbenden 
schlüpft,  wird  z.  B.  aus  Franken  uinl  Schlesien  (Bre.slaui  berichtet. 
Die  Anschauung,  dass  die  Seele  nach  dem  Tode  ein  Si'heinleben 
als  Scliatten  führe,  ist  (hierin  stimme  ich  Wernicke  in  Grimms 
Wörterbucli  bei)  aus  dem  klassischen  Altertum  in  un.sere  Literatur 
aufgenommen  und  nie  volkstümlich  geworden;  vgl.  l’radel,  Mittcil. 
1!)04  S.  1 ff. 

Um  die  Seele  am  Entweichen  zu  liindern,  vielleicht,  um  sie 
im  Körper  festzuhalten  und  mit  ihm  zu  begraben,  schlie.sst  man 
der  Leiche  Mund  und  Augen,  ein  Brauch,  der  auch  zu  der  nor- 
dischen und  griechischen  Toteiibesorgung  gehört.  Heute  will  man 
dadurch  vermeiden,  dass  das  starre  Auge  des  Toten,  „der  böse 
Blick“,  einen  aus  der  Familie  nachliole,  oder  man  will  den  Ver- 
storbenen als  Schlafenden  erscheinen  la.s.sen.  Anderseits  stellt 
man  sich  vor,  dass  mit  der  entweichenden  Seele  auch  die  .seelischen 
Kräfte  des  Sterbenden  entweichen,  und  dass  ein  anderer  die.se 
Kräfte  auffangen  und  sicli  aneignen  könne.  Darum  ist  es  ein 
lebendiger  Brauch,  dass  ein  Kind  über  den  Mund  des  Sterbenden 
gehalten  (in  abgeschwächter  Form:  an  das  Herz  der  .sterbenden 
Mutter  gelegt)  wird  oder  ein  Verwandter  sich  über  ihn  beugt 
(Leobschütz,  Brc.slau,  Goldberg).  So  will  aucli  die  Schwe.ster  der 
durch  Selbstmord  endenden  Dido,  wenn  noch  ein  letzter  Atem  der 
Sterbenden  nmherirren  sollte,  diesen  mit  ihrem  Munde  auffangen. 
Vergil,  Aencis  IV,  684  ff.;  vgl.  Cie.  Verr.  45. 

Am  gebräuchlichsten  aber  ist  es,  sobald  der  Sterbende  den 
letzten  Atemzug  getan  hat.  sofort  alle  'l'üren  und  Fenster  zu 
öffnen,  damit  die  Seele  ungehindert  ins  Luftreich  entwciclie  und 

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sich  nirgend  verhalte.  Als  man  dies  nicht  beachtet  hatte,  fand 
man  am  andern  Morgen  eine  Rauchwolke  im  Zimmer  (Dyhernfurth, 
Kreis  Wohlau).  ln  Ostpreussen  können  manche  den  Ge.storbenen 
noch  vierzig  Tage  nach  dem  Tode  als  eine  nebelartige  Gestalt  er- 
kennen. Man  stürzt  alle  Stülile  und  Gefiisse  um,  rückt  alles  von  der 
Stelle,  verhängt  Bilder  und  Spiegel,  lässt  die  Stubenuhr  und  die 
Hofplumpe  stillestehen,  damit  nichts  die  Seele  festhalte  oder  störe. 
Um  ja  nichts  zu  versäumen,  was  das  Entweichen  der  Seele  be- 
günstigt, wird  ausserdem  allem  und  jedem  im  Hause,  den  Mit- 
bewohnern, dem  Vieh,  den  Haustieren,  dem  Vogel  im  Käfig,  den 
Bienen,  ja,  dem  Getreide,  den  Sämereien  und  Blumen,  dem  Brunnen- 
wasser, kurz,  der  ganzen  Wirtscliaft,  mit  der  der  Verstorbene  in 
trauter  Häuslichkeit  und  Berührung  gelebt  bat,  sein  Tod  an- 
gesagt; vgl.  Drechsler,  Sitte,  Brauch  I,  291. 

Dass  dies  alles  ge.schieht,  wird  eingeschärft.  Werden  bei 
einem  Todesfälle  die  Stühle  nicht  uingedreht,  so  bekommt,  wer 
sich  darauf  setzt,  Kreuzschmerzen  (Gleiwitz).  Wird  die  Uhr  nicht 
ungehalten,  so  bleibt  sic  von  selbst  stehen  und  geht  nie  wieder. 
Unterlässt  man  das  Ansagen,  vereitlet  das  Vieh,  die  Bienen  wandern 
oder  steiben  aus,  der  Vogel  im  Bauer  „geht  eiiU,  das  Getreide 
verdirbt,  das  Brunnenwasser  versiegt  usw. 

Falls  dem  Verstorbenen  nicht  alles  nach  (Jebülir  zuteil  wird 
(de  mortuis  nil  nisi  bene),  fürchtet  man  sein  Wiederkommen, 
und  diese  Furcht  spricht  aus  allen  Gebräuchen  der  Totenbe- 
handlung. 

Dazu  gehört  die  Ausstellung  der  Leiche  (griech. 
und  die  Leichenwache.  Der  Tote  wird  gewaschen  und  mit  dem 
Leichenheinde  bekleidet.  Dabei  achtet  man  darauf,  dass  das  Hemd 
auf  dem  Kücken  zugenäht  ist,  sonst  mü.sste  sich  ja,  wie  mir  eine 
Frau  in  Obersclilesien  (Beuthen)  sagte,  „der  Vater  im  Himmel 
schämen  und  nur  immer  mit  dem  Kücken  an  der  Wand  stehen“. 
Dann  wird  er,  mit  den  Füs.sen  zur  Türe  gewendet,  zur  Besichtigung 
für  Verwandte  und  Freunde  aufgebahrt,  die  es  auch  nicht  unter- 
la.ssen,  in  stillem  Gebete  von  der  Leiche  Abschied  zu  nehmen  und 
ihr  ewige  Kühe  zu  wün.schen. 

Ein  Rest  der  alten  Leichenwache  ist  noch  heute  der  Brauch, 
dass  bei  dem  Toten  'l’ag  und  Nacht  gedungene  alte  Männer  oder 
Frauen  wachen.  Totengebete  murmeln  und  religiöse  Lieder  Hüstern 
(Schlesien,  Tirol,  Skandinavien). 


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Früher  wurde  auch  eine  feierliche  Totenklage,  in  der  die 
Verdienste  des  Vei’storbcuen  geiiriesen  werden,  anpestiniint,  so 
schon  hei  den  Indern,  den  (Jriechen,  den  Römern,  so  bei  81aven 
und  Germanen.  Von  Hektor  singt  Homer  (Ilias  XXIV,  71‘Jff.): 
Als  sic  den  Leichnam  nun  in  die  prangende  Wohnung  geführct, 

Legten  sie  ihn  anf  ein  schönes  Ocstclf  und  ordneten  Sänger, 

.\nznhehcn  die  Klag',  und  gerührt  mit  jammernden  Tönen 
Sangen  sie  Tranergesang  . . , 

Wenn  sich  bei  den  Germanen  für  diese  Totenlieder,  die  super 
mortuos,  d.  h.  vor  der  Leiche,  gesungen  wurden,  der  Au.sdruck 
sesu,  SKso  findet  (R.  Kögel  bei  Paul,  Grundriss  II*  1,  42),  .so  liegt 
auch  darin  etwas  Vorbeugendes,  Abwehrendes.  Die  Bezeichnung 
sesu  i.st  verwandt  mit  lat.  sesmo,  sermo  und  tritt  zu  ahd.  .süsön, 
süsfn,  sü-sen  (Diefenbach  nov.  gloss.  337*'  süssen)  und  bezeichnet 
etwa  , leises  Singen“,  ,.Flüstern“:  man  will  , flüsternd“,  was  der 
Luftnatur  der  Seele  rück.sichtsvoll  entspricht,  den  Toten  an  der 
Rückkehr  hindern.  Es  ist  eine  Beschwörung,  ein  Zauberlied ‘), 
ähnlich  den  im  Indiculus  .superstitionum  et  paganiarum  (aus  der 
Zeit  Karl  des  Gro.ssen)  verbotenen  dädsisas,  womit  gleichfalls 
.Totenzauberlieder“  bei  der  Leicheuwache  und  bei  der  Leichen- 
stätte bezeichnet  werden.  Zu  diesen  Liedern  wurde  auch  getanzt, 
um  die  bö.sen  Geister  abzuwehren  (vgl.  ahd.  sespilön).  Aus  einem 
.schlesi.schen  Berichte  .schimmert  eine  Erinnerung  daran  durch:  ln 
diesem  Jahre.  (140(i)  wurde  in  Schle.sien  ein  Totentanz  aufgeführet, 
der  mit  lautem  Jubel  und  Jauchzen  begann.  Plötzlich  fiel  ein 
.lüngling  oder  ein  Mädchen  zu  Boden  und  stellte  sich  tot,  worauf 
die  Musik  verstummte  und  von  alten  Lippen  dumi)fer  Totenge.sang 
erscholl.  (O.  Schwebel,  Tod  und  ewiges  Leben  im  deutschen 
Volksglauben.  Minden  1887  S.  199).  Da  diese  Tänze  ausarteten, 
wurden  sie  von  der  Kirche,  seit  dem  10.  Jahrhundert  wiederholt 
verboten.  In  Tirol  und  im  Schwarzwald  beten  die  Wächter  bei 
der  Leiche  („super  mortuos“)  meistens,  aber  sie  spielen  und  trinken 
auch  dazwischen  und  erzählen  sich  lustige  Geschichten. 

Bei  der  Leiche  brennt  auch  fortwährend  ein  Licht,  und  unter 
oder  an  das  Leichenbett  stellt  man  eine  Schü.ssel  Wasser  (alt- 

')  Hierin  finiict  der  Anfang  des  besonders  in  .Schlesien  heimischen  Wiegen- 
liedes; Sanse,  ninne,  sause  und  suse  ninne  seine  Erklärung:  man  beschwört 
flüsternd  iheute:  einschläfernd)  alles  Böse,  besonders  den  Tod,  der  ninne,  d.  i. 
der  Wiege,  und  dem  Kinde  fernzubleiben. 


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jieiiK'in).  Dies  sind  "loiclifalls  alte  Scliutzmittel,  deren  Bedeutung 
durch  die  Erkliirun}>:en  späterer  Zeit  verdunkelt  wird.  Sn  heisst 
es  ini  Vogtlande,  ein  Licht  muss  brennen,  damit  die  Seele  nicht 
im  Finstern  zu  wandeln  braucht  (Wuttke  § 729).  Doch  das  Feuer 
hat  eine  reinigende  Kraft;  die  Fackel  oder  Kerze  gehört  seit  jeher, 
z.  B.  im  griechischen  und  römischen  Hitus,  zu  den  Reinigungs- 
zeremonien. (I)iels,  Sibyllin.  Blätter  S.  47  ff.)  Das  ideht  soll  die 
Seele  aus  dem  Hause  scheuchen,  wie  der  schle.sische  Bauer  die 
bö.scn  Geister  durch  Ausräuchern  aus  Hau.s  und  Hof  verjagt.  Aus 
demselben  Grunde  gibt  man  in  Schle.sien,  in  Franken  und  in  Siid- 
dentschland  dem  Sterbenden  eine  brennende  Kerze,  die  .sogenannte 
Sterbekerze,  in  die  Hand  oder  steckt  um  ihn  sechs  bis  acht 
brennende  Lichter  herum  (Ostpreussen,  Lausitz,  Oberpfalz,  Vogt- 
land). Wuttke  § 723.  Zu  diesem  Gedankengange  stimmt  auch  der 
altertümliche  Segensspruch,  der  bei  der  Weihe  der  Kerzen  an 
.Mariae  Lichtmess  von  der  Kirche  gesprochen  wird.  Sie  sollen  die 
Kraft  erhalten,  den  bösen  Gei.st  zu  vertreiben  „aus  allen  Wohnungen 
der  Verehrer  Gottes,  aus  Kirchen,  aus  Häusern,  aus  den  Winkeln, 
aus  den  Betten,  aus  den  Speisezimmern,  aus  allen  Orten,  wo  immer 
Knechte  Gottes  wohnen  und  ruhen,  schlafen  und  wachen,  gehen 
und  stehen'^.  U.sener,  Religionsgeschichtliche  Untersuchungen  1 
S.  311.  Dieselbe  schützende  Kraft  besitzt  das  Wasser.  Drechsler, 
Sitte,  Brauch  II  S.  148;  be.sonders  das  Weihwasser,  das  ln  keiner 
katholischen  Familie  fehlt.  „A  Scliälche  (kleine  Schale,  Glasnäpf- 
chen) mit  Weihwas.ser  über  am  Bett  is  gutt  vor  alles;  do  kimmt 
nischt  Schieches  (d.  i.  was  scheucht,  .schaecht,  spukt)  ei  de  Stuw 
(Stube)“.  Max  Waldau,  Nach  der  Natur  *11,  276  (aus  der  Gegend 
von  Kätscher).  Wird  der  Sarg  aus  dem  Hause  getragen,  giesst 
mau  hinter  ihm  kreiizwei.se  Wa.sser  vor  die  Türe,  um  sich  gegen 
die  Wiederkehr  des  Toten  zu  sichern  und  wäscht  sich  in  derselben 
Absicht  nach  der  Rückkunft  vom  Kirchhofe  sorgfältig  die  Hände. 

Es  i.st  erwiesen,  dass  bei  den  indogermani.schen  Völkern  das 
Begraben  der  unverbrannten  Leiche  der  ältere  Bestattungsbrauch 
war,  der  eine  Zeit  lang  durch  das  Verbrennen  abgelöst  wurde,  dann 
aber  unter  dem  Eintlusse  des  Christentums  wieder  allgemeine 
Geltung  erlangte.  Ebenso  fest  steht,  da.ss  die  Indogermanen  ihrem 
Toten  für  .seinen  Gebrauch  bestimmte  Beigaben  in  das  Grab  mit- 
gaben oder  später  auf  dem  Sclieiterhaufeii  mitverbrannteu,  damit 
sie  dem  Toten  in  das  .lenseits  folgten.  Dass  man  es  dem  Ver- 


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7 


storbenen  dort  an  nichts  fclileii  lasse,  damit  er  nur  .die  ewige 
Rulie“  finde,  ist  der  rberlel)enden  ängstliclie  Sorge;  freilich  ist 
die  Hauptursache  aber  auch  hierbei  die  Angst,  sicli  selbst  durch 
die  Mitgabe  alles  dessen,  was  jene  Ruhe  verschaffen  kann,  gegen 
den  Wiedergänger  zu  schützen.  Darum  legt  man  ihm  in  den 
Sarg,  was  ihm  im  Leben  besonders  lieb  war,  und  was  er  im 
künftigen  Leben  nicht  missen  soll:  Gebetbuch,  Kamm,  Schmuck- 
sachen, Brot,  dem  Alten  seine  Dose,  der  Frau  Putzgerät,  Nähnadel 
mit  Zwirn  und  Fingerhut,  dem  Kinde  den  Saugiifropfen  und  die 
Puppe,  der  Braut  das  Hochzeitskleid  und  den  bräutlichen  Schmuck, 
mit  der  ausge.sprochenen  Erklärung,  damit  die  Toten  zufrieden 
seien,  Beschäftigung  hätten  und  nicht  umgingen.  Stirbt  eine 
Wöchnerin  vor  dem  Kirchgänge,  so  wird  sie  in  Nieder-  und 
Mittel.schlesien  schwarzgekleidet,  also  im  Kirchgangstaat,  in  den 
Sarg  gelegt,  während  sonst  alle  Sterbekleider  weiss  sind;  andern- 
falls „meldet  sie  sich“.  Auch  muss  sie  unter  allen  Umständen 
(Lauban,  Schweidnitz,  Schönau,  Parchwitz,  .lauer)  das  Traugesang- 
buch, Flicken  und  Nähzeug  mit  in  den  Sarg  bekommen,  weil  sie, 
wie  es  in  Liebau,  J..andeshut,  Grünberg  hei.sst,  für  das  Kind  arbeiten 
muss;  unterlie.sse  man  diese  Beigaben,  würde  sie  wiederkommen 
und  ihr  Kind  gar  holen.  Geht  einer  Wöchnerin  das  Kind  im 
Tode  voran,  so  gab  man  ihr  in  Ludwigsdorf  bei  Görlitz  auch 
ein  Töpfchen  oder  einen  kleinen  Tiegel,  einen  Löffel  und  Quirl 
mit,  denn  sie  mu.ss  für  ihr  Kind  kochen;  auch  eine  Windel,  Näh- 
nadel, Zwirn,  Kinderhcmdchen,  Schere,  denn  sie  mu.ss  ihr  Kind 
warten  und  dafür  nähen.  Diese  Beigaben  finden  wir  bei  allen 
Völkern.  „Noch  heute“,  erzählt  Sejn  von  den  Weissrusseii  (Sbornik 
der  Kais.  Akad.  der  Wiss.  in  St.  Petersburg  LI  Nr.  3 p.  .')34). 
„senken  sie  nacli  dem  Totenamt  den  Verstorbenen  in  das  Grab 
zusammen  mit  Gegenständen,  die  von  ihm  besonders  geschätzt  und 
ihm  bei  Lebzeiten  be.sonders  lieb  waren.  Wenn  er  z.  B.  .seinem 
Gewerbe  nach  ein  Schuhflechter  war,  so  legen  sie  ihm  unweigerlich 
einen  angefangenen  Bastschuh  hin,  wenn  er  ein  Zimmermann  war 
oder  sonst  ein  Handwerker,  dann  geben  sie  ihm  eine  Axt,  einen 
Meis.sel,  einen  Hobel,  eine  Feile.  Abgesehen  von  diesen  (besonderen) 
Dingen  geben  sie  jedem  Toten  ins  Grab  mit:  Brot,  Salz,  Eier  für 
einen  Eierkuchen,  Nüsse,  Bier  und  Schnaps  in  einer  Flasche, 
ebenso  wie  eine  kurze  Tabakpfeife  mit  Tabak  und  Feuerzeug  oder 
eine  Tabakdose  mit  Schuupftabak“.  Vgl.  Schräder  a.  a.  0.  S.  426. 


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Tacitiis  crziililt  (Germania  c.  27):  „Die  Leiclien  lieriilniiter 
jränner  werden  auf  bestimmten  Holzarten  samt  ihren  Waffen  und 
ihrem  Rosse  verbrannt''.  Auch  die  Westfroten  senkten  iliren  Konifr 
Alarich  „mit  der  Rüstung  auf  dem  Pferde“  in  das  aufgewühlte 
Flussbett  des  Husento.  Eine  Erinnerung  an  diese  Beigaben  von 
Waffen  und  Ross  batte  sieb  aueli  in  unserer  Heimat  erhalten. 
Hier  folgte  das  Klage])ferd,  verhüllt  mit  Trauergewändern,  dem 
Sarge  des  Herrn.  Darauf  nimmt  die  öLser  Kirchenkonstitution 
von  1664  Bezug  und  verbietet;  Was  die  Begräbnis.se  derer  vom 
Adel  betrifft,  soll  vor  das  verka])pte  Pferd,  wenn  es  naebge führt 
wird,  10  Tlr.  Schlesisch  gegeben  werden. 

Wie  bei  den  Römern  die  Vorschrift  bestand,  dass  der  Erbe, 
sobald  die  Leiche  aus  dem  Hau.se  herau.sgetragen  i.st,  das  Haus 
mit  einem  Besen  fegen  muss  (Fe.stus  Ep.  S.  77,  18),  so  ist  es  auch 
in  Deutschland  Brauch,  hinter  einer  ans  der  Stube  getragenen 
Leiche  au.szukehren,  damit  der  Tote,  nicht  wiederkebre,  Wuttke 
§ 737,  Drechsler  I §331.  Man  fürchtete  sogar,  dass  die  Seele, 
wenn  die  Leiche  zum  Kirchhofe  gefahren  wird  — das  ge.schah 
früher  auf  den  in  Schlesien  häutigen  besonderen  Totenwegen  — 
und  der  Kutscher  nicht  wieder  über  die  Dorfgi'cnze  gelangt,  ehe 
der  Sarg  versenkt  wird,  dass  die  Seele  auf  dem  Wagen  mitzurück- 
fährt  (Zobtencr  Halt).  Um  sich  ganz  zu  sichern,  nimmt  man  nach 
der  Beerdigung  den  Leichenwagen  auseinander  oder  stellt  ilin  mit 
den  Rädern  nach  oben  auf  die  Rungen  (Gros.s-W artenberg,  Milit.sch, 
Trachenberg).  Einen  solchen  auseinandergeteilten  Leiclicnwagen 
erwähnt  schon  Burchard  von  Wonns  ums  .Tahr  1000. 

Ein  Rest  der  Totenopfer,  durch  die  man  die  Verstorlienen 
ferner  zu  beruhigen  suchte,  ist  das  Leichenmahl,  der  Leichen- 
schmaus, das  Trauer-  oder  Totene.ssen,  das  niederdeutsche  Tröstel- 
bicr  oder  Rüeateu.  Findet  dieses  Opfer  auch  meistens  nach  der 
Beerdigung  statt,  so  wissen  wir  aus  Schlesien,  da.ss  es  auch  im 
Trauerhause  vor  dem  Hinaustragen  der  Leiche  nicht  ungebräuchlich 
war.  Es  war  frülier  Sitte,  z.  B.  in  der  (irafschaft,  da.ss  im 
Trauerhause  vor  dem  Sarge  ein  Trunk  und  Imbiss  gereicht  wurden. 
Im  Mai  1830  erliess  das  katholische  Kirchenkollegium  zu  Neisse 
das  Verbot:  „Wir  haben  oft  zu  bemerken  Gelegenheit  gebäht,  dass 
in  dem  Tranerhause,  bevor  die  Leiche  zur  Beerdigung  gehoben 
wird,  den  Leichenträgern  Branntwein  zum  Trinken  vorgesetzt 
wird  usw.“. 


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(Ipjrcn  Kmle  der  luiif'ziger  Jalire  kam  es  im  polniselien  Ober- 
sclilesieii  CRiida)  noch  vor,  dass  sich  die  Leidtragenden  auf  den 
eben  anfgescliütteten  Grabhügel  niedersetzten,  Brot  und  Käse  assen, 
aus  einer  Flasche  einen  Umtrunk  liielten  und  dabei  religiöse  lüeder 
sangen.  Gewöhnlich  kehrt  man  jetzt  auf  dem  Rückwege  vom 
Kirchhofe  im  nächsten  Kretscham  ein,  uni  den  Toten  zu  ver- 
trinken, „das  Fell  oder  die  Haut  zu  versaufen“,  ein  Brauch,  der 
von  Schleswig-Holsteins  Spitze  bis  zn  den  Gipfeln  der  Alpen  unter 
verschiedenen  Bezeichnungen  bekannt  ist.  Ich  habe  es  selbst  er- 
lebt, dass  man  dem  Toten  einen  Elirenstuhl  oben  an  der  Schmal- 
seite des  Tisches  frei  Hess,  in  einer  Rede  seiner  Vorzüge  gedachte 
und  ziim  Schluss  auf  sein  Wohl  trank.  Der  Leichenschmaus  un- 
verheirateter Pereonen  heisst  auch  himmlische  Hochzeit,  im 
deutschen  Oberschlesien  bloss  „Hochzeit“  oder  „Trauerliochzeit“. 
Das  Trauerhaus  wird  mit  Kränzen  und  Maien  festlich  ge.schmückt, 
denn  dieser  Tag  gilt  als  Hochzeitstag  des  Verstorbenen;  deshalb 
wird  denn  auch  das  .sogenannte  Traueressen  oft  wie  ein  voll- 
ständiges Hochzeitsmahl  zugerichtet  und  dazu  ausser  den  Ver- 
wandten, Trägern  und  Leidjungfern  ein  grosser  Teil  der  Leichen- 
begleitung zu  Gaste  geladen  (Piltsch,  Mocker,  Leobschütz,  Ratibor, 
Zobtener  Halt,  Kreis  .lauer).  Xach  einer  solchen  Hochzeit  wird 
nicht  selten  wie  in  alter  Zeit  zu  Ehren  des  Toten  getanzt  (poln. 
Oberechlesien,  Cosel,  Rudelsdorf  bei  Heidersdorf,  Grafschaft).  In 
der  mittel.schlesischen  Gebirgsgegend  wird  ein  Leidessen  mit 
Kaffee  und  Kuchen  vorgesetzt  *). 

Es  sind  noch  zwei  Mitgaben  für  die  Toten  zu  besprechen,  die 
vorher  absichtlich  unerwähnt  blieben:  Brot  und  Geld. 

Auf  das  Hausbrot  haben  die  Verstorbenen  Anspruch,  ein  Zug, 
der  schon  im  alten  Griechenland  begegnet.  Darum  legt  man  ihnen 
Brot  in  den  Sarg  und  lä.sst  ihnen  die  Brotkrüinel,  die  man  sorgsam 
zusammenfegt,  zukommen,  indem  man  sie  in  das  Feuer  wirft  (all- 
gemein). Auch  in  tiriechenland  gehörten  vom  Tische  gefallene 
Brosamen  den  Verstorbenen,  den  Heroen.  Die.ser  Glaube  erklärt 
folgenden  in  Schlesien  und  in  England  geübten  Brauch;  Ist  ein 

')  Thukyrtides  II.  erzählt,  dass  man  im  Winter  431/430  die  im  l’elo- 
ponnesisohen  Krieije  zuerst  (iefallenen  iiffentlich  bestattet  liahe  und  nach  der 
Leiehenrede  des  l’erikles  nach  Hanse  gegangen  sei;  bei  Demosthenes  pro  eorona 
wird  noch  ein  von  den  Vätern  und  Brüdern  der  Begrabenen  veranstaltetes 
Leichenniahl  erwähnt. 


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im  Wasser  Veviinpliicktcr  so  tief  pestinken,  dass  man  ihn  nicht 
findet,  so  wird  ein  Stück  Brot  aufs  Wasser  pelefTt  (in  Gnrek  bei 
Kybnik  wird  — zum  Schutze  der  Lebenden  — in  das  Brot  ein 
brennendes  Licht  gesteckt);  der  Tote  nähert  sich  dem  Brote,  auf 
das  er  Anspruch  hat,  und  wird  unter  ilini  gefunden. 

Wie  die  Gewährung  des  Brotes  den  Toten  zufrieden  .stellen 
soll,  so  ist  anderseits  die  Mitgabc  eines  oder  dreier  Geldstücke, 
meist  Pfennige,  nicht,  wie  ich  früher  auf  Grund  schlesischer 
Redensarten  annahm,  das  Fährgeld  in  die  Unterwelt  gleich  dem 
griechischen  larAoi  , sondern  eine  Geldabfindung  für  den  Toten. 
Stirbt  in  Ros.sberg  bei  Beuthen  OS.  ein  kleines  Kind,  so  gibt  man 
ihm  in  den  Sarg  das  Taufkleid  und  legt  ihm  Brot  auf  eine,  drei 
Pfennige,  die  ihm  von  den  Paten  eingebunden  worden  sind,  auf 
die  andere  Seite.  So  hat  man  dem  Kinde  alles,  was  es  sich, 
herangewachsen,  im  Leben  hätte  erwerben  können,  Lebensunterhalt 
und  Besitz,  mitgegeben  und  hofft  dadurch  jeder  Wiederkehr  der 
Seele  vorzubeugen. 

Wo  und  wie  lebt  die  Seele,  nachdem  sie  sich  im  Tode  vom 
Körper  lo.sgelö.st  hat?  Bis  zur  Beerdigung  im  Körper  oder  gleich 
nach  dem  Eintritt  des  Todes  in  dem  ihrer  Windnatur  verwandten 
Elemente,  in  der  Luft.  Dies  ist  wohl  seit  alters  die  allgemeine 
volkstümliche  Vorstellung. 

Das  (’hristentum  brachte  dem  Volke  als  Seelenorte  den 
Himmel,  den  sich  der  gewöhnliche  Mann  nur  ganz  allgemein  als 
einen  Ort  ewiger  Seligkeit  hoch  oben  im  Luftreich  vorstellt,  wo 
man«  den  harten  Kanijif  um  das  tägliche  Brot  nicht  kennt,  eine 
Vorstellung,  in  die  sich  die  Erfüllung  aller  Hoffnungen,  die  rest- 
lose Gew'ährung  hochgesteigerter  irdischer  Genü-sse  einmischt  — 
man  denke  an  das  Gedicht  „Der  .schlesische  Bauernhimmel“,  das 
uns  in  derber  Weise  lehrt,  wonach  das  Volk  sich  sehnt  — und 
die  Hölle,  von  der  man  sich  als  einem  Orte  ewiger  Qual  tief  im 
dunkeln  Erdenschosse  gleichfalls  keinen  bestimmten  Begriff  macht. 
Zwischen  Himmel  und  Hölle  liegt  unbestimmt  und  nebelhaft  das 
christliche  Fegefeuer  und  das  grenzenlose  Totenreich,  das 
Land  „der  armen  Seelen“,  von  w'O  sie.  Je  nachdem  sie  gelebt 
haben  und  behandelt  worden  sind,  als  teils  freundliche,  teils  feind- 
liche Wesen  in  luftigen,  nebelhaften  Umrissen  oder  in  Menschen-  und 
Tiergestalt  wiederkehren  und  in  mannigfaclie  Beziehungen  und  Be- 
rührungen zu  den  Menschen  treten,  auf  ihr  Wohl  und  Wehe  einwirken. 


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Für  gpwölmlicli  werden  sie  anf  dem  Kirehhofe  in  der  Xälie 
der  Gräber  weilend  gedacht.  Hier  besuclit  inan  sie  nacli  alter 
Sitte  am  Vorabende  von  Allerseelen  (2.  November)  und  schmückt 
ihre  Gräber  mit  Kränzen  und  Lichtern.  Am  Morgen  des  Aller- 
seelentages findet  auf  manchen  Kirchhöfen  ein  Umgang  (Prozession) 
statt,  während  der  die  Lichter  wiederum  brennen, 

Iii(>  lächtiT,  von  Erinnerung  ontzUndet, 

Wies  frommer  Brauch  am  Allerseelentage, 
rnd  dass  der  Toten  keiner  Wiederkehr’, 

Wenn  man's  versäumt,  raunt  alte  Volkesmiir ') 

Da  flattern  die  Seelen  der  Kinder  als  Vögel  um  die  Leichen- 
steine.  Aus  diesen  Vogelseelen  entwickeln  sich  die  getlügelten 
Genien  und  in  der  christlichen  Kunst  die  Engelgestallen. 

In  der  Allerseelennacht  vemimmeln  sich  die  Seelen  der  ver- 
storbenen Gemeindemitglieder  in  der  Kirche  und  wohnen  einer 
Messe  bei,  die  der  letztverstorbene  Pfarrer  liest.  Man  kann  sie 
um  die  Mitternachtstunde  singen  hören;  besonders  begnadete, 
fromme  Menschen  können  sie  auch  sehen  (Oberschlesien).  Wenn 
es  weiter  heisst,  dass  sie  auch  zu  Opfer  gehen  und  dabei  das  ihnen 
in  den  Sarg  mitgegebene  Geld  auflegen,  beweist  dies  nur  die 
Mitgabe  von  Geld  und  ist  eine  .spätere  Deutung.  Darauf  wandeln 
die  Toten  in  wallenden  wei.ssen  Gewändern  auf  den  Feldern  und 
zu  den  menschlichen  Wohnungen  (Cosel).  So  besuchten  in  Rom 
die  Seelen  der  Verstorbenen  im  Mai,  an  den  Lemurien,  die 
Wohnungen  der  Nachkommen.  Im  Dunkel  der  Nacht  ging  dann 
der  Hausherr  durch  die  Wohnung  und  streute  ihnen  neunmal 
schwarze  Bohnen  hin,  um  sie  durch  diese  Gabe  zum  Verlassen  des 
Hauses  zu  bewegen.  (Vgl.  Wis.sowa,  Religion  und  Kultus  der 
Römer  S.  181>).  Ähnliches  geschah  in  Athen  im  Frühling,  am 
dritten  Tage  des  dem  Dionysos  geweihten  Anthesterienfestes  (vgl. 
Samter,  Familienfeste  S.  114).  Nach  dem  Glauben  der  Tiroler 
werden  vom  Mittagsläuten  am  Allerheiligentage  bis  zum  Festläuten 
des  folgenden  Tages  die  armen  Seelen  aus  dem  Fegefeuer  frei- 
gelassen: man  lässt  für  sie  besondere  Kuchen  auf  dem  Tische  die 
Nacht  über  stehen  und  heizt  die  Stube,  damit  sie  sich  wärmen 
können.  Man  zündet  auch  auf  dem  Herde  ein  „Seelenlichtlein“ 
an,  mit  de.sscn  geschmolzenem  Fette  sic  ihre  Brandwunden  be- 

’)  Urechslvr,  Ilfimatlust  niul  .lugt-mlglUck,  Kattowitz  1003,  S.  90. 


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stri-iclieii,  wie  in  BitlimiMi  mit  der  Butter,  mit  dei'  man  am  Aller- 
seelentapre  die  brennende  Herdlampe  füllt.  Wuttke  i;  752. 

Doch  auch  zu  anderer  Zeit  ziehen  die  Seelen  umher,  be.sonders 
in  den  zwölf  Xächten  vor  Weihnachten  oder  in  den  Nächten 
von  Weihnachten  bis  Dreiköniprsta^.  In  dieser  Zeit  werden  Haus, 
Kehl  und  (iarten  mit  Zaidierschutz  umgeben.  Man  zog  Zauber 
wirkend  .symbolisch  einen  Kreis  um  das  Grundstück  — „die.  g<ddne 
Schnur  geht  um  das  Haus*  (in  den  Sommerliedern  am  Sommer- 
oder Totensonntag),  — wie  man  um  das  Itrennende  Haus  laufend 
das  Feuer  be.schwört.  Man  brennt  um  Militsch-Tracheid)erg  die 
ganze  Nacht  hindurch  Kien,  man  .schie.sst  über  hhdd  und  Flur,  in 
Strauch  und  Baum  und  umwindet  die  Obstbäume  mit  Stroh,  damit 
ihnen  die  Geister  nichts  anhaben  und  sic  im  nächsten  .Jahre  reiche 
Frucht  tragen. 

In  der  Christnacht  lä.sst  man  in  Ratibor,  .Mocker,  Schweidnitz 
nach  der  Mahlzeit  den  Tisch  gedeckt,  damit  die  armen  Seelen 
davon  essen  können;  denn,  wie  es  in  <"»sterreichi.sch-Schlesien  heisst, 
um  Mitternacht  ist  es  ihnen  ge.stattet,  zu  e.ssen. 

So  zeigt  sich  schon  hier  die  Unterscheidung  guter  Geister, 
deren  Gunst  man  sich  sichern  will,  und  böser,  die  man  ab- 
wehren  will. 

Daneben  ist  die  Vorstellung  lebendig,  dass  sich  auch  zu  an- 
deren Zeiten,  Ja,  beständig  die  Seelen  im  Hause  oder  in  seiner 
Nähe  in  benachbarten  Räumen,  .sei  cs  Baum,  Hügel,  Wa.sser,  auf- 
halten. Geht  die  Stubentüre  von  selbst  auf,  so  kommt  eine  arme 
Seele  auf  Besuch.  Mit  Vorliebe  sitzen  die  Seelen  im  Kehrbesen 
und  zwi.schen  Tür  und  Angel.  Damm  darf  man  nicht  mit  dem 
Besen,  aber  auch  nicht  auf  ihn  .schlagen,  und  die  Türe  nicht  zu- 
werfen, .sonst  leiden  die  Seelen.  Drechsler,  Sitte,  Brauch  1,  310. 
Ein  Bettlerlied  in  Hessen  lautet;  Ei  orm  Seelchc  sass  henger  de 
Dehr  on  guckte  ganz  trurig  hervör.  Wuttke  § 750.  Nach  ost- 
preu.ssischem  Glauben  halten  sich  die  Seelen  gern  vor  der  Haustür 
auf;  deshalb  darf  man  kein  Wa.s.ser  hastig  hinau.sgiessen,  sonst 
begies.st  man  sie,  oder  sie  sind,  wie  es  in  Oberfranken  hci.s.st, 
unter  der  Hau.sschwelle;  wenn  man  ein  neues  Haus  betritt,  s(dl 
man  nicht  auf  die  Schwelle  treten,  weil  dies  den  armen  Seelen, 
die  darunter  sind,  wehtut.  Findet  hierin  der  schlesi.sche  Brauch, 
dass  man  die  Junge  Frau  über  die  Schwelle  ins  Haus  hebt 
iNaumburg,  Kreis  Saganj,  seine  Erklärung?  .Uuch  tritt  die  Wöch- 


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iierin  um  Sprottau  mir  sclieuvoll  über  die  Scliwelle  und  hält  dabei 
den  Atem  au. 

Mit  diesen  Hausfreistern  stellt  der  Jleu.scb  iu  innifreni  Verkehr. 
Am  Audreasabeiid  betet  man  zu  ihnen,  dass  die  künftifje  Ehehälfte 
iiii  Traume  erscheinen  möfre;  mau  bittet  sie,  einen  zur  trewiinschten 
Stunde  zu  wecken  u.  a.  m.  Ja,  sie  helfen  sog:ar  dem  Holzdiebe 
auf  seine  Bitte  unertappt  stehlen. 

Dass  die  Seelen,  Geister,  Wichter,  Unterirdi.schen  im  Hause 
dauernd  weilen  und  darin  herrschen,  ist  uralter  Glaube.  So  ritt 
schon  der  Altisländer  Oddr  um  ein  verlassenes  Haus  pregeu  die  Sonne 
von  rechts  nach  links,  zur  persönlichen  Sicherheit  mit  einem  ludernden 
Holzbraiide,  und  sprach:  *Hier  nehme  ich  mir  Land,  denn  ich  sehe 
hier  keine  bewohnte  Kaustätte.  Hört  das.  ihr  Wichter,  die  ihr  in 
der  Nähe  .seid!'*  E.  H.  iWeyer,  German.  Mythol.  S.  213.  Ihr  Sitz 
ist  der  Herd,  der  Mittelpunkt  der  Häuslichkeit,  und  sie  sind  g'e- 
radezu  die  Schützer  der  Herdgemeinschaft,  deren  Gunst  mau  an- 
fleht und  sich  bei  allem  sichert.  Das  sind,  wie  Schräder,  Die 
Urzeit  S.  428,  ausführt,  die  indischen  pitaras  „die  Vllter“,  die 
griechischen  Jeoi  .rai  QOKu  „die  Seelen  der  Väter  oder  VorfahreiU 
oder  die  i i mräroyf c „die  [.'rgrossväter*^  oder  die  oben  erwähnte 
denen  die  Brosamen  zukommen,  die  lat.  di  parentes  oder  die 
Divi  inanes, die  (erschlossenen)  got.  .\useis,  dierussi.schenroditeli 
„Eltern“,  die  weLssrussischen  dzjady  „Grossväter“.  Der  bekannteste 
Hausgeist  ist  der  gemeingermanische  Kobold,  an  den  in  Schlesien 
die  aus  Holuudermark  gebildeten  Stehaufmänneben  erinnern,  er  ist 
„der  im  Hause  waltende“,  der  dyai>og  {iaifmv  des  griechischen, 
der  lar  familiaris  des  altrömischcn  Volksglaubens.  Wie  letzterer 
mit  der  Familie  das  Haus  wechselt  und  ihm  beim  Eintritt  iu  die 
neue  Wohnung  ein  Opfer  dargebracht  wird,  ut  nobis  haec  habitatio 
Holm  faustii  felix  fortunatai|iU'  evcimt 

t’luutus  Trinummus  v.  40  f., 

so  begrü.sst  mau  ihn  iu  Schlesien  beim  Beziehen  eines  neuen 
Heims  durch  Hineiiilacheu  in  das  Ofeuloch  (Breslau)  und  opfert 
ihm  auf  dem  oberen  Rande  des  Ofens  Geld  (gewöhnlich  drei 
Pfennige)  (Kat.scher),  auch  Brot.  Werden  Salz  und  Besen  dabei 
erwähnt,  so  sind  das  alte  Schutzmittel.  Dem  Schutze  der  penates 
„der  (Geister)  drinnen“  emiitiehlt  sich  die  Braut,  indem  sie  heute, 
ganz  wie  im  alten  Indien,  iu  Norddeutschland,  Ostpreus.sen,  West- 
falen, in  der  Eifel  dreimal  um  das  Herdfeuer  oder  den  Kes.sel- 


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liakcn  schreitet  ( Wuttke  S öfiß),  in  Schlesien,  wo  der  Ofen  oft  an 
der  Wand  steht,  uni  den  Tisch. 

Ein  traulicher  seeli.scher  Hausgeist  ist  in  Schlesien  das  Klape- 
weibel,  de.ssen  wehklaprende  Stimme  in  der  Stille  der  Nacht  auf 
dem  dunklen  Boden  frehört  wird,  wo  es  seinen  Aufenthalt  hat. 
In  der  Grafschaft  lUsst  das  Klafremütterlein  vor  den  Fenstern 
oder  in  einem  Winkel  des  Hauses  ein  gewisses  Weinen  und 
Wimmern  — es  ist  der  wehkla<rende  Wind  — hören,  wenn  jemand 
krank  i.st  und  sterben  wird.  Drechsler,  Sitte,  Brauch  11,  163. 

Wie  wir  am  Allerseeleiitage  die  Seelen  der  Kinder  als  Vopel 
um  die  Totensteiue  flattern  sahen,  so  stecken  auch  in  den  Motten, 
Schmetterlingen,  Käfern  und  .sonstigem  Getier,  das  da  im  Haiuse 
und  aus.serhalti  , kreucht  und  fleugt*,  Seelen.  Es  sei  nur  der  Holz- 
wunn  oder  die  Totenuhr  erwähnt,  ein  Käfer  (Blajis  mortisaga), 
dessen  Ticken  einen  nahen  Todesfall  auzeigt.  ln  Schlesien  i.st 
besonders  die  Hausotter  ein  Tier,  unter  dem  sich  nach  lebendigem 
Glauben  eine  Seele  birgt.  Hieraus  hat  sich,  schon  bei  den  alten 
Griechen  und  Kölnern,  ein  häuslicher  Schlangeiikultns  entwickelt ‘j. 
Jedes  Haus  birgt  ein  Otternpaar,  das  man  hegt  und  i)flegt.  Die 
Tiere  haben  im  Keller  oder  unter  der  Hau.ssch welle  (Oberschlesien) 
ihren  Sitz;  hier  wühlen  sie,  sich  in  den  Grund  des  Hauses  und 
sind  gewöhnlich  unsichtbar.  Zuweilen  gibt  die  Hausotter  einen 
eigentümlichen  pech-  und  wachholderartigeii  Geruch  von  sich, 
worauf  dann  gemeiniglich  Hegenwetter  folgt,  oder  sie  kündigt  eine 
den  Hausbewohnern  drohende  Gefahr,  eine  Feuersbrunst  oder  einen 
Todesfall,  durch  ein  dem  Bcdircn  der  Totenuhr  ähidiches  Geräusch 
an.  Wech.seln  die  Hausbewohner  die  Wohnung,  so  ziehen  die 
Hau.sottern  mit,  wie  der  Hausgei.st.  In  der  „Tunkelstunde“  kommt 
der  Otterkönig,  der  Ahne,  oder  die  Otterkönigin,  die  Ahnfrau,  die 
.Muhme,  bisweilen  aus  dem  Grunde  oder  der  Malier  des  Hauses 
hervor  und  geniesst  Milch  und  Brot,  das  die  Kinder  gern  mit 
ihnen  teilen.  Seelentiere  sind  auch  das  Wiesel,  das  der  Schle.sier 
schmeichelnd  ,GevatterIe“  nennt,  wie  es  in  Spanien  comadreja 
(commatercula)  Gevatterin,  bei  den  Slaven  nevestuka:  nevesta 
Braut,  junge  Frau,  im  Altpreiissischen  niosuco  Mühuichen,  im  Li- 
tauischen mo.sza  IManne.sschwester  hei.sst,  die  Eidechse,  die  Schön- 
juiigfer,  das  Schiiijimferle,  ein  Name,  der  in  Oberbayern  für  das 

')  Vgl.  Olbrkh  in  Mitteil.  V.  40  ff. 


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Hauswiesel  pilt,  der  Hansfroscli  und  unter  anderen  besonders 
auch  die  Maus,  wovon  viele  bekannte  Sapen  geben.  In  nianclicn 
(iegenden  (so  um  8triegau,  Brieg,  Kreuzburg)  vertritt  das  Heimelien 
(die  Hausgiille)  die  Hausotter.  Man  darf  das  Heimchen  nicht 
stören,  sonst  verlasst  der  lar  familiaris  das  Haus,  und  das  Glück 
zieht  mit  fort.  Schön  sagt  E.  H.  Meyer  a.  a.  O.  S.  77:  ,Der 
Wohnung  der  Menschen  zugetan,  leise  aus  der  Erde  kriechend  oder 
horchend  und  wieder  still  und  plötzlich  darin  verschwindend,  erschienen 
(diese  Tiere)  w'ie  geheimnisvoll  in  ihrem  alten  Heim  fortlebende 
Seelen  der  Verstorbenen,  deren  Leiber  früher  in  de.ssen  unmittel- 
barer Nähe  oder  sogar  in  de.s.sen  Innerem  bestattet  wurden.  Wir 
blicken  in  den  dunkelsten  Winkel  indogermanischer  Hausreligion 
mit  all  ihrer  Heimlichkeit  und  Unheimlichkeit,  wie  sie  durch  zahl- 
lose neuere,  aber  auch  viele  ältere  nicht  nur  germanische,  .sondern 
auch  andere  indogermanische  Zeugnis.se  enthüllt  wdrd‘‘.  Neben 
diesen  in  der  Nähe  des  Men.schen  weilenden  Tieren,  unter  denen 
sich  die  Ahnengeister  bergen  und  mit  dem  Wohl  und  Wehe  der 
Nachlebenden  innig  verknüpft  sind,  gibt  ea  Seelen  oder  Geister, 
die  in  den  Elementen,  in  Wind  und  Wasser,  Wald  und  Feld,  auf 
und  in  der  Erde,  kurz  überall,  wo  ein  Men.sch  je  seinen  Geist 
au-sgehaucht  hat,  ihrWe.sen  treiben,  zu  leben  und  zu  wehen  .scheinen. 
Iias  Seelenwesen  wohnt  im  Baume, 

In  Berg  und  Fluss,  in  Wald  und  Hang, 

Schwebt  mUckcngleieh  im  luftigen  Raume 
l'nd  teilt  der  Vöglein  sflssen  Sang'). 

Dass  aus  diesen  Seelenorten  auch  die  Seelen  Neugeborener 
herkommen,  ist  ein  naheliegender  Schluss. 

Wie  die  Seelen  guter  Men.schen  in  Gestatt  zarter,  lichtflockiger 
(Lämmell Wölkchen  auf-  und  ab.schweben,  so  fährt  die  Seele  eines 
Bösen  wie  ein  Sturm,  ein  Wirbel  (man  denke  an  Goethe,  der  auf 
.seiner  Schweizerreise  von  1780  in  dem  Wolken.schleier  des  Staub- 
bachfalles selige  Geister  erblickte  und  ihrem  Ge.sange  tauschte) 
nach  engli.schem  Glauben  ,as  a furious  whirlwind“  (Hans  Sachs 
sagt  „als  ein  scharpfer  wind“)  dahin.  Darum  besteht  im  Volks- 
bewusstsein der  engste  Zusammenhang  zwischen  der  gewaltsam 
ausgepres.sten  Seele  eines  Gehängten  und  dem  Winde.  „Es  ist  so 
windig,  es  muss  sich  einer  gehängt  haben*  heisst  es  allgemein, 
und  man  setzt  wolil  hinzu:  Die  Bäume  läuten  aus  (weil  dem 

')  I'rechsler,  Heimutlust  S.  132. 


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Si-lbstmörder  Glockengcläute  versafrt  ist).  Dies  ist  der  Kern  des 
schon  von  Geiler  von  Kei.sersi)erf'  um  1500  bezeuprten  Glaubens 
an  das  wütende  Heer  oder  die  wilde  Jagd,  die  Gesell.scliaft 
aller  eines  gewaltsamen  oder  plötzlichen  Todes  Ge.storbencr,  an 
deren  Spitze  ein  Führer  (Wodan  oder  auch  Bertha  oder  Holda) 
tritt.  Wenn  es  draussen  heult  und  stürmt,  besonders  in  den  zwölf 
Nächten,  da  zieht  die  Geisterschar  (Wuotans  Heer  = wülende.s 
Heer)  mit  Rüdengebell  und  l’eitsclionknall,  Jagdruf  und  unheimlichem 
Getöse  auf  bestimmten  Stra.ssen  durch  die  Lüfte. 

Die  alte  volkstümliche  Meinung,  dass  die  Seelenwindgeister, 
denen  sicli  unter  kirchlichem  Einfluss  aucli  die  vor  der  Taufe  ge- 
storbenen Kinder  und  Irrlicliter  beigesellen,  in  einem  Berge  weilen, 
von  wo  sie  hervorbrechen  und  wohin  sie  znrückkehren,  bewahren 
auch  schlesische  Sagen.  So  weilt  das  Seelenheer  mit  seinem  Führer 
im  Geiersberge  (an  der  Südseite  des  Zobten),  im  Hausberge  bei 
Hirschberg,  in  Oberschlesien  bei  Siemianowitz  an  der  ru.ssischen 
Grenze,  im  Walde  bei  dem  deutschen  Dorfe  Schön wald,  Kreis 
Gleiwitz.  ln  Oberschlesien  ist  an  die  Stelle  Wodans  die  heilige 
Hedwig,  die  Schutzpatronin  Schlesiens,  getreten:  sie  hat  die  Seelen 
der  auf  der  Walstatt  bei  Liegnitz  Gefallenen  um  sich  vereinigt, 
ln  entscheidender  Stunde  wird  sie  mit  ihren  Schläfern  erwachen 
und  des  Landes  Feinde  besiegen.  Im  Jahre  1848  hat  man  Zeichen 
bemerkt,  die  auf  das  Erwachen  deuteten:  man  hat  Männerstimmen 
und  Wattengeklirr  gehört  und  wunderbare  Gestalten  gesehen. 
Gewöhnlich  hört  man  bloss  manchmal  Schnarchen  und  tiefe  Atem- 
züge. 

Da.ss  dieser  Glaube  an  die  Wind.seclen  indogennani.sches  Erb- 
teil i.st,  beweist  die  indische  Vorstellung  von  den  Bhütas,  den  Seelen 
von  Bösewiclitern,  die  im  Gefolge  des  Sturmgottes  Rudra  durch  die 
Luft  fahren.  Im  altgricchi.schen  Seelenglauben,  der  uns  in  Homei-s 
Gedichten  entgegentritt,  sind  die  Harpyien,  , dahin  rattende’*  Wind- 
gei.ster,  die  dicht  vor  ihrer  Hochzeit  gestorbenen  Töchter  des 
Paiidareos. 

Eine  andere  Form,  unter  der  sich  die  Hauchseele  birgt,  ist 
das  Licht  oder  Feuer.  Wenn  eine  Sternschnupiie  vom  Himmel 
fällt,  .sagt  man,  eine  arme  Seele  wird  erlö.st:  man  bringt  den 
plötzlichen  Licht.schein  in  Beziehung  zu  der  Seele,  ln  Ge.slalt 
lichter  Flämmehen  erscheinen  auf  Sümpfen,  feuchten  Wiesen,  Feld- 
rainen und  an  Landstrasseii  die  Irrwische,  die  Irrlichter,  oft 


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unter  Fülirunp:  iles  grossen  Leuchters,  und  die  Feuermiinner. 
Ks  sind  die  Seelen  noch  ungetaufter  Kinder  oder  solcher  Menschen, 
die  noch  eine  Schuld  gegen  die  Mitmenschen  wegen  unehrlichen 
Land-  oder  Gelderwerbs  ahzubüssen  haben,  die  Grenzstein verrücker, 
unehrliche  Landmesser  und  Richter  oder  Geizhälse,  die  Geld,  um 
es  den  rechtmässigen  Besitzern  zu  entziehen,  irgendwo  im  Gelände 
vergraben  haben.  Sie  sausen  im  Gefolge  des  wilden  Jägers  dahin 
oder  führen  einsame  Wanderer  irre,  hocken  ihnen  auf  und  bringen 
sogar  den,  der  über  ihr  Erscheinen  spottet,  in  Lebensgefahr. 
Meist  aber  schütteln  sic  .sich,  dass  die  Funken  umhersprühen,  und 
verschwinden. 

Die  Seelen  anderer  Toten  erscheinen  in  mannigfacher  Tier- 
ge.stalt  und  schrecken  die  Menschen.  Hat  in  einem  Teiche  jemand 
durcli  Mord  oder  Selbstmord  sein  Leben  verloren,  so  zeigt  sich 
zu  bestimmter  Zeit  ein  wei.sscs  Kalb,  das  Wasserkalb.  Es  läuft 
hinkend  und  ängstlich  schreiend  (es  „sclireit  etwas  wie  ein  Wa.sser- 
kalb“  geläufige  Redensart)  um  den  Teich  herum  und  verschwindet 
wieder  im  Wasser. 

Zur  Strafe  für  noch  abzubüssende  Sünden  gehen  die  Toten 
um,  spuken,  scheuchen,  schaechen;  man  sagt:  es  schaecht,  spukt, 
geht  um.  Ein  solches  Umgehding  erscheint  in  unheimlicher,  feucr- 
augiger  Gestalt.  Die  christliche  Phantasie  belastet  sie  oft  noch 
mit  Ketten,  den  Zeichen  der  Verdammnis.  Von  den  Tieren,  deren 
Gestalt  die  argen  Sünder  anuehmen,  begegnen  im  Glauben  und  in 
der  Sagenwelt  Schlesiens  .schwarze  Hunde,  schwarze  Hennen,  feu- 
rige Schweine,  feuerschnaubende  Pferde,  Stiere,  dreibeinige  Hasen, 
Kröten  und  vieles  andere.  Gute  Seelen  zeichnet  die  weis.se  Gestalt 
aus.  So  bringt  die  weisse  Henne  Glück.  Im  polnischen  Ober- 
schlesien glaubt  man  allgemein,  da.ss  bei  armen,  braven  Leuten 
sich  eines  Tages  eine  wei.sse  Henne,  statt  ihrer  wohl  auch  ein 
kleiner  weisser  Vogel  (von  seinem  pfeifenden  Tone  genannt 
Gwisdek)  eintinde,  in  der  Stube  herumpicke  und  dann  unter  dem 
Ofensaume,  wo  der  Sitz  des  Hau.sgeistes  ist,  ein  goldenes  Ei  lege. 
Vielleicht  finden  hierin  Günthei’s  Worte  ihre  Erklärung: 

Ich  nennte  mich  s<hon  selbst  der  weissen  Henne  Sohn 

l'nd  lebte  so  vergnügt  als  weiland  Salmnon.  (1732)  S.  62. 

Viele  brechen  ihren  eigenen  Grabesfrieden  durch  irgendeine 
Schuld,  nach  deren  Abbüssung  sie  erst  Ruhe  finden.  Dem  Pastor 
von  Gross-Parcliwitz,  Kreis  Hoyei’swerda.  erzälilte  eine  Frau,  ihr 

MitteUunnen  ü.  scnlei«.  Oes.  t.  Vkde.  UeO  XIX.  ^ 


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vor  zwei  .Tiilircn  grestnrbener  Mann  sei  ilir  im  weissen  Oewande 
erscliiencn,  alier  als  sie  iliin  zngerufen  habe : Mattlics,  liisf  du  da! 
wieder  verseil  wunden.  Auch  die  Mieter  des  Hauses  wollen  einifje 
Tajre  darauf  die  Erselieinung:  vor  ihren  Fenstern  haben  vorbei- 
huschen sehen  und  wunderten  sich,  dass  er  keine  Ruhe  finden 
konnte,  da  er  nicht  gerade  besonders  Böses  getan  habe. 

Vielleicht  gehören  zu  den  iiersönlieh  gefassten  Seelenwesen 
des  Volksglaubens  ursprünglich  auch  die  in  allen  Waldgegenden 
unter  verschiedener  Bezeichnung  vorkoinnienden  zarten  Gebilde, 
die  in  Schlesien  als  Buschmännlein  und  -weiblein  bekannt 
sind,  die  Seelen  guter,  aber  plötzlich  und  unbussfertig  gestorbener 
Baumräller,  Beeren-  und  Pilzensammler  und  -Sammlerinnen.  Diese 
Seelen  schweben,  wenn  sie  heimziehen,  als  lichte  Wölkchen  ülier 
dem  Walde;  ihre  Erlösung  scheint  davon  abznhängen,  da.ss  die 
Baumfäller  ihr  Werk  mit  dem  frommen  Spniche  ,.Jn  (iottes  Namen“ 
beginnen.  Mit  diesen  Wesen  bevölkert  die  germanische  Phantasie 
gern  das  einsame,  beängstigende  Dämmerweben  des  Waldes,  und 
man  oj)fert  ihnen  Brot,  nm  sich  ihrer  Gunst  zu  versichern. 

Aus  der  uralten  Auftäs.sung,  dass  sich  die  Seele  im  Tode  vom 
Leibe  löse,  dann  ruhelos  umherirre  und  wiederkehre,  eine  Strafe, 
zu  der  hauptsächlich  böse  Menschen  verurteilt  sind,  bildete  sich 
schon  in  der  Urzeit  die  Vorstellung  von  mehr  oder  minder  un- 
heimlichen Wesen,  die  weniger  in  den  Bereich  des  Gesichts-,  als 
des  Tastsinns  gehören:  cs  sind  die  l/uäl-  und  Driickgeister,  die 
allen  Indogennanen  itnliel)sam  l)ckannt  sind,  Seelen  Verstorbener, 
die  als  Maren,  Alber  (Plural  zu  Alp)  und  Truden  sich  bald  als 
Tiere  bald  in  inen.schlicher  (Jestalt  auf  den  Körper  des  Schlafenden 
setzen  und  ihn  (luälen.  Spricht  der  Norddeutsche:  „Mich  reitet  die 
Mahre“,  so  heisst  es  in  Schlesien:  „^[ich  drückt  der  Alp“  und  in 
Österreich  und  Bayern:  „Es  hat  mi  die  Trud  druckt“.  Dieser 
Vorstellung  leiht  auch  in  gesteigerter  Weise  Deutschlands  grösste 
Dichterin,  Annette  von  Droste-llülshotf,  Ausdruck,  wenn  sie  sagt, 
d;uss  sich  die  Wolkenschichte  auf  die  Heide  legte  „wie  ein 
dunkler  Mar“. 

Ein  Spross  des  Ali)traums  ist  die  nächtliche  Spukgestalt  des 
Vampirs ')•  Es  ist  dies  mich  der  Volkssage  der  Geist  eines  Toten, 
der  nachts  dem  Grabe  entsteigt  und  den  Schläfer  umklammert,  um 

’)  Val.  Klii|(|)i-r  in  Mittcil.  XVII  S.  110  f 


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iliin  (las  Blut  auszusaufreii  und  dadtirdi  sein  eigenes  Leben  zu 
verlängern.  So  trieb  es  die  widerwillig  zum  Christentum  bekehrte 
-Braut  von  Korinth“  aus  dem  Grabe,  den  ihr  genommenen  heid- 
nischen Bräutigam  zu  umarmen, 

,Xoch  zu  suchen  das  vermisste  Out. 

Xnch  den  schon  verlornen  Mann  zu  liehen 
l’nd  zu  saugen  seine.s  Herzens  Hluf. 

Das  Wort  Vampir  ist  dem  Serbischen  entnommen,  und  der 
damit  bezcichiiete  „Xachzehrer“  gehört  dem  Volk.sglauben  der 
Slaven,  Rumänen,  Albanesen  und  Griechen  an.  Ein  .slavi.scher 
Fremdling  ist  auch  die  im  polnischen  Oberschlesien,  z.  B.  Beuthen, 
unter  dem  Namen  Seiga  (Scheiga)  bekannte  und  dem  Vampir 
verwandte  Si)iikgestalt.  Kinder,  die  auf  dem  Rücken  ein  grosses 
Mal  haben,  das  wie  eine  Schere  aussieht,  werden  Seigas.  Ein 
Jahr  nach  ihrem  Tode  kommt  unfehlbar  ein  grosses  Sterben  über 
das  Volk.  Will  man  das  verhüten,  mu.ss  man  der  Leiche  den  Kopf 
abschlagen  und  ihr  in  den  Scho.ss  legen  oder  einen  Pfahl  durch 
das  Herz  treiben.  Sonst  bleibt  sie  lebendig  und  geht  verderben- 
bringend um.  Neben  dem  Vampirglauben  ist  in  pidnischen  Gegenden 
Schlesiens  (Beuthen.  Zabrze,  Namslaii)  heute  noch  der  Glaube  ver- 
breitet, dass  solche  Menschen,  die  mit  einer  doppelten  Reihe  von 
Zähnen  oder  überhaupt  mit  Zähnen  geboren  werden,  Strzygi  ge- 
nannt, zwei  Seelen  haben.  Stirbt  ein  solcher  Men.sch,  so  bleibt 
eine  Seele  in  .seiner  Leiche;  diese  kommt  um  Mitternacht  aus  dem 
Grabe  heraus,  besteigt  den  Kirchturm,  und  soweit  ihr  Blick 
reicht,  sterben  die  Menschen,  die  indem  Alter  .stehen,  das  die 
Leiche  erreicht  hatte.  Um  diesem  Sterben  vorzubeugen,  soll  man 
der  Leiche  vor  deren  Beerdigung  zwischen  die  Zähne  einen  Kie.sel- 
■stein  geben  (damit  sic  daran  zehrt!)  und  sie  mit  dem  Rücken  nach 
oben  in  den  Sarg  legen  (ist  noch  1899  in  Nam.slau  ge.schehen), 
oder  man  muss  ihr  mit  einem  Siwten  das  Haupt  abtrennen  und 
zwischen  die  Beine  legen.  Leichenpfählung  und  Kopfabschneiden 
werden  als  Abwehrmittel  schon  in  alten  Berichten  erwähnt  und 
.sollen  noch  in  neuerer  Zeit  toten  Kindbetterinnen  und  ungetauften 
Kindern  gegenüber  angewendet  worden  sein  *)• 

Der  Vampirglaube  lebt  auch  in  einer  Beuthener  Sage  fort*); 
Zur  Zeit  als  man  noch  keinen  anderen  Kirchhof  als  den  bei  der 

')  E.  H.  Meyer  a.  a.  n.  101  f. 

♦)  F.  firunicr.  Chronik  der  .Stadt  neiitlien  in  Ohersrhlesien,  ISfiM  S.  31!tf. 

2* 


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Pfarrkirclip  liattc  (etwa  ums  Ende  des  Ifi.  Jalnliundert.s),  soll  sich 
beim  Scheine  des  Vollmondes  eine  (iestalt  ans  einem  Grabe,  unfern 
des  Kirchhofeingangs,  um  Mitternacht  gezeigt  haben.  Diese  Gestalt 
habe  ein  Leichentuch  von  sich  aufs  Grab  geworfen,  sei  in  den 
(Jlockenturra  gegangen  und  habe  gelautet,  sei  eine  Stunde  darauf 
wiedergekommen,  habe  das  Tuch  umgelegt  und  sicli  dann  wieder 
ins  Grab  versenkt.  Nachdem  die  Nachbarn  aus  ihren  Fenstern 
dies  Tun  mehrere  Monate  beobaclitet  hatten,  wagte  es  ein  uner- 
schrockener Mann,  hinzugehen  und  das  I.(eichentuch  wegzunehmen. 
Darauf  sei  das  Gespenst  vom  Kirchendache  herabge.si)rungeii  und 
liabe  das  Tuch  zurück  verlangt.  Dieser  soll  das  Leichentuch  hin- 
geworfen haben  und  schnell  fortgelaufen  sein.  Von  da  an  habe 
man  das  Gespenst  nicht  wieder  gesehen.  — Dazu  .stellt  sich  eine 
Vjunpirsage,  die  aus  dem  Dorfe  Gro.ss- Neundorf,  '/>  Meile  von 
Nei.sse  entfernt,  A.  Kästner  (184ö)  nach  mündliclien  Erzählungen 
mitteilt:  Jede  Nacht  starb  einer  im  Dorfe;  der  Vampir  ging  von 
Haus  zu  Haus  und  holte  sich  sein  Ojjfer.  Er  kam  um  Mitternacht 
vom  Kirchhofe  und  ver.schwand  dort  wieder.  Da  stiegen  vier 
Wächter  auf  den  Kirchturm,  um  den  Kirchhof  nacli  allen  Seiten 
hin  zu  beobachten.  In  der  .Mitteniacht  erblickten  sie  die  Sclireck- 
gestalt.  Mit  geisterhaftem  Tone  rief  sie  ihnen  zu:  ,Komm‘  ich 
bis  ein  Uhr  hinauf,  .so  seid  il)r  verloren!''  Und  sie  mühte  sich 
fort  und  fort,  an  den  Mauern  des  'rurmes  emporzuklettern,  und 
.schon  war  sie  fast  oben,  da  .schlug  es  eins,  und  sie  stürzte  herab 
und  war  verschwunden.  Am  andern  .Morgen  grub  man  au  der 
Stelle,  wohin  das  Ge.spenst  gefallen  war,  die  Erde  auf  und  fand 
einen  schlafenden  .Menschen.  Sogleich  wurde  der  Sr'hläfer  gevier- 
teilt und  wieder  begraben:  das  Sterben  hörte  auf.  A.  Kästner, 
Einiges  über  Sagen,  namentlich  Schlesiens.  Nei.sse  184.5  S.  21. 
Ähnliche  .Sagen  waren  im  benachbarten  Böhmen  verbreitet.  Da- 
von erzählte  August  Goethe,  der  im  Jahre  1807  in  Böhmen  weilte, 
seinem  Vater,  und  Goethe  schuf,  imlem  er  mit  der  Sage  von  dem 
das  (irab  verla.ssenden  .Spukgeiste  die  .sonst  bekannte  .Sage  von 
den  um  Mitternacht  tanzenden  Toten  verband,  im  Jahre  1813  die 
bekannte  Ballade  „Der  Totentanz“. 

Tüte  kommen  auch  wieder,  wenn  sie  fal.sch  ge.schworen  haben, 
wenn  ihre  letzten  Wünsche  nicht  erfüllt  werden,  wenn  sie  mit 
einem  unenthüllten  Geheimnis  ge.storben  sind,  oder  wenn  etwas 
zurückgeblieben  ist.  woran  ihr  Herz  gehangen  hat  (Lauban,  Gold- 


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berg).  AikIi  (Ut  firani  der  Zurückgpbliebi'iien  lässt  sie  keine  Ruhe 
finden,  bis  sie  sie  nacligeholt  haben,  wie  in  Bürgers  Leonore. 
Rührend  ist  die  Mutterliebe,  die  der  Seele  auch  im  Grabe  keine 
Ruhe  lässt.  Die  Wöchnerin  kommt  (neun  oder  zehn  Tage  lang) 
jede  Nacht  ihr  Kind  ])flegen  und  beugt  sich  über  sein  Lager 
(Liebcnthal,  Landeshut,  Runzlau,  Ratibor,  Leobschütz).  Auch 
bettet  man,  wenn  eine  Wöchnerin  mitsamt  dem  Kinde  stirbt,  in 
der  Gegend  um  Jauer,  Striegau  und  Tiiebenthal,  sechs  Wochen 
lang  das  Wochenbette  sowie  des  Kindes  Bette  oder  Wiege  fri.sch 
auf.  Die  rührenden  Erzählungen  von  dem  Kinde,  das  in  seinem 
Sarge  nicht  ein.schlafen  kann,  weil  sein  Hemdchcn  von  den  Tränen 
der  Mutter  nass  ist,  und  von  dem  Tränenkrüglein  sind  neueren 
Ursprungs. 

Selbstmörder  finden  keine  Ruhe  und  kommen  wieder.  Auf 
dem  Friedhofe  muss,  wie  es  in  Goldberg  lieisst,  der  zuletzt  be- 
gi-abene  Selbstmörder  Wache  halten,  bis  der  nächste  kommt.  Da- 
mit nicht  die  Überlebenden  gepeinigt  werden,  wurde  früher  auch 
jeder  Selbstmörder  im  Sarge  aufs  Angesicht  gelegt.  Auch  wurden 
die  Selbstmörder  auf  dem  Fiebig  (V’ichweg,  Viehtrift),  wo  zuweilen 
der  Galgen  stand,  oder  auf  den  Grenz  wegen,  wo  die  Felder  von 
zwei  fiemeinden  zu.sammenstüs.sen,  in  tiefe  Löcher  venscharrt. 
Hier  findet  in  dunkeier  Nacht  das  Stelldichein  der  unheimlichen 
Geister  statt;  schwarze  Hunde  heulen,  unsichtbare  Hähne  krähen, 
Kühe  brüllen,  Schweine  grunzen.  Wehe  dem  Wanderer,  der  hier 
des  Weges  muss:  es  „huckt“  ihm  auf,  es  huscht  hin  und  her,  be- 
sonders nach  dem  Orte  der  Entleibung  hin,  wie  es  den  Mörder 
nach  dem  Schauplatz  seiner  Untat  zieht. 

Bevor  man  einen  Gehängten  ab.schneidet,  gibt  man  ihm  eine 
Ohrfeige;  sonst  würde  die  Seele  einen  beunruhigen  (allgemein). 

Zahlreich  sind  die  Wiedergänger,  die  Seelen  oder  Geister 
eines  plötzlichen  Todes  Gestorbener  oder  Verunglückter:  sie  mü.ssen 
solange  umgehen,  als  sie  noch  hätten  leben  können.  Schon  die 
blo.sse  Nähe  des  Mörders  bewirkt,  da.ss  die  Seele  in  die  Leiche 
zurückkehrt  und  das  starre  Blut  des  daliegenden  Erschlagenen 
tiiessen  macht.  Als  Hagen  an  SiegfrieiLs  Bahre  trat,  „tlo.ssen  die 
Wunden  sehr“.  Dieser  Glaube  an  das  Bahrgericht  war  schon  in 
Indien  lebendig,  tritt  in  den  französischen  Artusromanen  des  12. 
Jahrhunderts  in  die  Gedankenwelt  Mitteleuropas  und  findet  sich 
auch  in  Schlesien,  ln  einem  Kouzeptbuche  des  Ursuliuerklosters 


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22 


zu  Liolieiitlial  vom  (>.  Mai  1602  bis  20.  Jimi  1606  biukt  sich  ilie 
Eintragung:  Bei  einer  Schlägerei  wurde  Matthes  Scholz  der  Sohn 
in  den  Leib  gestochen  und  blieb  tot.  Alle  be.stätigen  nachher, 
das.s  dies  geschehen  ist,  aber  keiner  will  wissen,  wer  der  Mörder 
sei,  ja,  sogar  als  in  gehegtem  Dinge  allesamt  die  Leiche 
aurühren,  ist  kein  Zeichen,  wie  man  vermeint,  gemerkt 
worden. 

Unruhig  und  gefürchtet  sind  auch  die  (leister  der  Uirseligen, 
der  Verworfenen,  die  Gespenster  (vom  ahd.  gi.span.st  „Verlockung, 
Trugbild“).  Sie  hausen,  oft  bis  znm  Jüngsten  Tage,  in  Wald  und 
Wiese,  auf  Grenzen  oder  Bainen,  in  Hohlwegen,  auf  Burgen  und 
in  Sandgruben,  auf  Kirchhöfen,  unter  Brücken,  in  der  Imft,  im 
Wasser  und  tief  in  den  Höhlen  der  Erde;  ja,  .selbst  aus  der  Kirche 
in  Wohlan  zeigen  die  Geister  mit  den  Fingern  auf  die  Stra.s.se. 
Man  kann  ohne  Übertreibung  sagen:  fast  jeder  Ort  hat  sein  Ge- 
spenst, das  zu  bestimmter  Zeit  umgeht  und  bis  zu  seiner  Erlösung 
Schrecken  verbreitet.  Da.ss  dic.se  Spukgeister  oft  kopflos  erscheinen, 
erklärt  sich  daher,  da.ss  es  ursprünglich  die  Seelen  Geköpfter  oder 
Hingerichteter  waren. 

Die  umgehenden  Seelen  oder  Geister  sucht  man  auch  durch  die 
geforderte  Erfüllung  einer  unlösbaren  Aufgabe  an  einen  bestimmten 
Ort  zu  bannen.  Solche  Aufgaben  sind  in  Schlesien:  die  Tannen- 
nadeln eines  Waldes  (in  Oldenimrg:  die  Sandkörner  der  Heide) 
zu  zählen,  den  Bober  mit  Topf  ohne  Boilen  au-szuschöpfen  (man 
denkt  an  die  Danaiden),  bei  einem  eisernen  Pfahle  zu  verweilen, 
bis  er  verfault  ist,  alle  Wasser  zu  durchwaten  u.  a.  Auch  kann 
man  den  Geist  in  einen  Busch  oder  einen  Sumpf  oder  in  eine 
Hummel  und  diese  in  den  Wald  bannen.  Dieses  Verbannen  be- 
sorgen der  Scharfrichter,  katholi.sche  Prie.ster  und  Jlönche,  vor 
allem  die  Kapuziner  und  die  Jesuiten,  auch  in  evangelischen  Ge- 
genden, oder  sonst  ein  kluger  .Mann. 

.Selbst  ja  cntscliwebt  unrnliig  dem  Irrwischmore  der  kopflos 

Waukendc  Wicht  aiit  Oekreisch.  den  ein  Mönch  liinb.innte  vom  Kichtplatz. 

Vo.ss.  Das  Ständchen  v.  iJ3. 

Hat  jemand  Geld  vergraben,  so  findet  er  im  Grabe  keine 
Ruhe,  bis  der  Schatz  gehoben  ist.  Er  erscheint  in  der  .Mitternacht.s- 
stnnde  und  winkt;  folgt  ihm  einer  furchtlos  und  .schweigend,  ohne 
sich  umzusehen,  und  findet  den  Schatz,  so  i.st  der  Geist  erlöst. 


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23 


Davon  wissen  ilie  aucli  in  Schlesien  liäuliffen  Sdiatzsageii  viel  zu 
erzählen  *). 

Tote  erscheinen  ferner  zur  (^ual  anderer.  Die  von  ihrem 
Gatten  misshandelte  Ehefrau  erscheint  dem  Manne  allnächtlich 
und  quält  ihn.  Unifrekehrt  kommt  in  Pommern  die  heisspeliebte 
Frau  allnächtlich  aus  ihrem  Grabe  ans  Bett  ihres  Gatten,  um  ihm 
freundlich  zuzusprechen,  bis  er  eines  Morgens  auf  ihrem  Grabe 
gefunden  wird,  lang  au.sgestreckt,  als  ob  er  die  schwindende  Frau 
hätte  küssen  und  mit  seinen  .\rmen  umfangen  wollen.  Vgl.  Jahn, 
Volkss  aus  Pommern  S.  VI 11. 

Sollen  denn  die  armen  Seelen  niemals  Ruhe  finden?  sollen  sie 
nie  erlöst  werden?  Ihre  Erlösung  geschieht  durch  Erfüllung  ihrer 
letzten  Bitten  und  Gelübde,  durch  an  ihrer  Stelle  geleistete  Sühne, 
durch  fromme  Werke,  Almosen,  Erbauung  von  Kapellen,  Kreuzen, 
Bildstöcken,  „Martern“,  Fürbitte  oder  auch  liebende  Teilnahme. 
Dankt  man  z.  B.  einem  Feuermanne,  der  einen  begleitet  hat,  mit 
tleii  Worten:  „Bezahl  dir’s  Gott  viel  tausendmal!“  so  bringt  man 
ihn  der  Flrlösung  näher,  andernfalls  Jammert  er:  „Nun  muss  ich 
noch  hundert  Jahre  hier  umgehn“.  Trägt  einer  den  Grenz.stein, 
den  er  verrückt  hat.  auf  der  Schulter  vorbei  und  fragt:  „Wo  soll 
ich  ihn  hintragen?“  und  antwortet  man : „Trag  ihn  hin,  wo  du  ihn 
weggenommen  hast!“,  so  ist  er  erlöst  (allgemein).  Wenn  zwei 
Personen  gleichzeitig  du.sselbe  sprechen,  .so  haben  sie  eine  arme 
Seele  erlöst.  Die  erlöste  Seele  fliegt  bisweilen  als  weisse  Taube 
davon,  ln  denjenigen  Teilen  Schlesiens,  wo  die  Toten-  oder 
Leichenbretter  bekannt  sind,  glaubt  man,  dass  die  Seele  dann 
in  die  ewige  Seligkeit  eingehe,  wenn  das  Leichenbrett  durch- 
getreten ist. 

Nach  weitverbreitetem  Glauben  muss  derjenige,  der  eine  Seele 
erlöst,  selbst  sterben  (Wuttke  768):  nur  die  aufopfernde  Liebe 
sühnt. 

Vom  Burgberge  im  Stein.seifersdorfer  Tale  geht  ein  Höhenzug 
der  hohen  Eule  zu  und  führt  zu  einem  Grenzsteine.  Hier  ist  das 
sogenannte  „Stölzelloch“,  ein  verrufenes,  unheimliches  Gebiet.  Für 
alle  Schätze  der  Welt  möchte  es  niemand  zur  Nachtzeit  betreten. 
Hier,  unter  dem  Steine,  auch  die  „drei  Aspen“  genannt,  liegen 
viele  böse  Geister  verbannt,  die  um  Mitternacht  ihr  schauerliches, 

*)  \'gl.  KUhimu  in  Mitteil  XVllI  S,  6MD. 


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24 


\Vi“.scn  tri-ibcn,  Geister  mit  klaffenden  Wunden  oder  den  Koj)f 
unter  dem  Arme,  nach  RuIie  üchzend,  durchjagen  zu  Ross  und  zu 
Fuss,  umgeben  von  feuersprühendem  Getier,  das  (jebiet.  Ein 
junges,  reiches  Weib,  das  über  die  Grenzen  dreier  Ort.schaften 
hinaus  wohnen  und  mehr  Schandtaten  in  .seinem  kurzen  Leben  be- 
gehen wird,  als  alle  unter  den  „drei  Aspen“  Verbannten  zusammen 
begangen  haben,  wird  ihnen  die  ersehnte  Erlösung  bringen. 

Auch  die  Voretellung  tindet  sich,  dass  die  im  (jrabe  mit  dem 
Körper  verbundene  Seele  mit  dem  Zerfall  der  Leiche  vergeht  oder 
doch  wenig.stens  nach  drei  Men.schenaltern,  oder  dass  die  in  der 
Erinnerung  der  rberlebenden  fortlebende  Seele  sich  mit  dem 
.schwindenden  Gedenken  an  den  Toten  mehr  und  mehr  veiüüchtige 
und  in  das  All  aufgehe. 

Aus  dem  Gesagten  ersehen  wir:  Der  Menschheit  ist  seit  ihrer 
frühesten  Kindheitsstufe  der  ünsterblichkeitsglaube,  der  (ilaube  an 
das  Fortleben  der  Seele  nach  dem  Tode,  und  das  Abhängigkeit.s- 
gefühl  von  etwas  höherem  eigen,  denn  was  soll  das  heissen:  diese 
und  jene  Seelen  haben  noch  zu  büs.sen,  bis  sie  Ruhe  finden,  wenn 
hier  nicht  etwas  Höheres,  eine  sittliche  Weltordnung  vorechwebt! 

So  bestehen  zwischen  dem  Leben  und  dem  Tode  ungezählte 
Wech.selbeziehungen : 

Menschenhast  und  Totenra.st  .scheidet  keine  Schranke. 

Über  allem  aber  schwebt  siegreich  die  ('berzeugung:  Derjenige 
findet  im  Grabe  Ruhe,  d.  h.  je  nach  der  vei-schiedenen  (ilauben.s- 
fassung  im  Jenseits  die  ewige  Seligkeit,  der  in  seinem  Leben  die 
Mahnung  befolgt  hat: 

„Edel  sei  der  Mensch,  hilfreich  und  gut!“ 

Anderseits  gilt  die  Auflassung,  wie  sie  die  Chorführerin  in 
(joethes  Helena  ausspricht: 

„Wer  keinen  Namen  sich  erwarb  noch  Edles  will. 

Gehört  den  Elementen  an“.  — 


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25 


Aus  orientalischen  Quellen. 

Von  l'r.  Fracnkcl. 


I.  ZiK'kpii  als  Vorbodentniis 

Die  Kunst,  aus  den  Zuckungen  einzelner  Glieder  die  Zukunft 
vorlierzusapen,  ist  vom  Altertunie  an  bis  in  die  neuere  Zeit  na- 
mentlich ini  Orient  systeinatiscli  ^eptle^rt  worden.  Daher  finden 
sich  perade  in  den  alten  Kirchenverordnunpen  des  Ostens  Warnnnpen 
vor  solchem  heidnischen  Zaid)erwesen.  So  wird  iti  einem  alten 
Canon  (Reliquiae  jur.  ecclesiast.  anticiuissim.  ed.  de  Laparde  p.  12) 
ein  .raZooTr  genannt  und  in  einer  Glosse  erklärt  als  e.ii/i'ou’ 

Ta;,-  ^ia(f  i)i>ovy  xitr;ait^  ti'n  /tthöt  („der  die  verschiedenen  Glieder- 
bewegunpen  deutet“).  (Kbenda  S.  131,8  wird  den  Klerikern  ver- 
boten, ein  Huch  über  die  Zuckungen  oder  die  Male  des  Körpers 
ZU  lesen.)  Auch  der  syrische  Julianosroman  (S.  48)  kennt  diese 
Wahrsagung. 

Der  Glaidie  au  die  vorbedeutende  Kraft  der  Zuckungen  lässt 
sich  auch  aus  einer  Stelle  eines  älteren  arabi.schen  Dichters  er- 
schliessen,  der,  weil  ihm  das  Auge  zuckt.  Hoffnung  hegt,  dass  seine 
(jeliebte  ihn  erhören  wird.  (Omar  li.  Abu  Rabiah  ed.  Schwarz 
2,  30,  132,  13*).)  Mit  anderer  orientali.scher  Weisheit  i.st  die 
Zuckungsauslegnnp  auch  in  die  si)ätgriechische  Literatur  gewan- 
dert , wie  der  Tractat : l/f/.«//;fod(V  <«poj'pa/(/(«rto)>  .-repi  :ia/.!«~>r 
fianixij  llnilfitäim  ilaoüea  (Franz  Scriptores  physiognomo- 
niae  veteres  Altenburg  1780  ]t.  4ö  1—508)  zeigt.  — Eine  aus- 
führliche arabische  .Abhandlung  über  die.ses  Thema,  verfasst  von  dem 
bekannten  Polyhi.stor  al  (iähiz  (+  809)  ist  kürzlich  von  Inostranzelf 
im  XVHII.  Rande  der  kaiscrl.  russischen  Archäolog.  Gesellschaft 
zugleich  mit  einer  Cbersetznng  und  ausführlichem  Kommentar  ver- 
öffentlicht worden.  Da  diese  ru.ssische  ('bersetzung  aber  vielleicht 
nicht  allen  Freunden  der  Volkskunde  zugänglich  ist,  so  folge  hier 

[')  Nachschrift  bei  der  KoiTektnr;  .\uf  die  kürzlich  erschienene  ausführ- 
liche Abhandlung  von  l>iels  über  diesen  (iegenstand,  die  dem  Verf.  nuch  nicht 
zugänglich  war,  kann  hier  nur  verwiesen  werden.] 

•)  ,Mcin  rechtes  .Auge  zuckte  glUckverheissend;  das  ist  das  .Auge,  dessen 
Zucken  man  vertrauen  darf“. 


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26 


eine  doiitsclic  ('iHTtrufrimg:  di’S  HanidstUckes,  das  von  den  Zuckungen 
und  ilirer  Deutung  liandelt,  nach  dem  arahisclien  Oi-iginal. 

Al  Gähiz  gibt  da  zunächst  Nachricliten  ülier  die  Berufung 
indischer  Wahrsager  durch  persische  Könige  aus  dem  Sasaniden- 
(leschlechte.  „Diese  Inder“,  heisst  es  (S.  ö),  „sagen,  dass  alles 
auf  der  Erde,  Steine,  Pflanzen,  Tiere,  unter  dem  Einflüsse  der  oberen 
Burgen ')  und  der  leuchtenden  Sterne  stehe  und  alle  Veränderungen 
von  ihrer  Vereinigung  oder  Trennung,  ihrer  Verschiedenheit  oder 
I'berein.stimmung  abhäiigen.  . . . Sie  urteilten  nun  nach  allem,  was 
sie  .sahen  und  hörten,  nahmen  es  als  Omen  an  und  deuteten  es 
auf  jedem  Gebiete,  wie  z.  B.  das  Hören  eines  Wortes,  den  Laut 
eines  Vogels,  die  Bewegung  einer  Pflanze,  das  Fallen  eines  Steines, 
das  Entgegenkommen  eines  Tieres,  und  ebeii.so  urteilten  sie  nach 
Zeichen  an  Gliedern  von  Menschen  und  Tieren  und  auf  Grund 
ihrer  Kenntnis  der  Bedeutung  der  Zuckungen  der  ,\dern  oder 
Glieder  und  auf  Grund  der  Betrachtung  der  Schulterknochen 

(S.  21.)  „Man  sagt:  Wenn  der  Vorderkopf  oder  der  Schädel 
eines  Menschen  zuckt,  so  deutet  das  auf  Kranklieit  oder  Verrei.sen. 
Manche  von  den  Kundigen  aber  sagen,  es  ist  ein  Anzeichen  von 
hohem  Sinn  und  deutet  auf  Erreichen  einer  ange.sehenen  Stellung. 

. . . Wenn  die  rechte  Seite  des  Kopfes  zuckt,  .so  deutet  das  auf 
nahe  bevorstehendes  Gute;  wenn  die  linke,  auf  einen  Verlust. 

. . . Wenn  Ko])f-  oder  Schläfenadern  .schlagen,  .so  deutet  das 
auf  Krankheit,  die  durch  das  Blut  und  die  Wärme  entsteht.  . . . 
Wenn  die  Stirn  zuckt  oder  viele  ilirer  Adern  schlagen,  so 
deutet  das  auf  Trauer  und  Betrülmis  oder  auf  Triefäugkeit,  die 
aus  dem  Blute  entsteht.  . . . Wenn  die  rechte  Seite  des  Gesichts 
zuckt,  .so  deutet  das  auf  Gutes;  wenn  die  linke,  auf  Böses.  . . . 
Wenn  die  Mitte  des  Gesichts  zuckt,  so  deutet  das  auf  Trauer  und 


')  I),  i.  die  Bilder  des  Tierkreises. 

’)  Kino  Arbeit  von  Amlree  über  diese  .Art  der  Wahrsnuung  ist  dem  Verf. 
nicht  /.ugänglich.  Vielleicht  sind  die  folgenden  beiden  Nachweise  dort  noch 
nicht  verwertet,  (iregor.  Barhebraei  Scholia  in  beviticum  (ed.  Kerber.  Breslauer 
Pissertat  t8!l5>  p 2ö.  Zn  „Zeicbendenter“  bev.  I!),  HO;  „D.as  sind  beute,  die 
ans  den  (Jliedern  der  Menschen  und  den  Schultcrknochen  der  Schafe  wahr- 
sagen“. — t^iiatreinere  bei  Vnllers  bex  l’crs.  lat.  I !I4  eine  Wahrsagung,  ,(|ui 
consiste  ü placer  dans  Ic  fen  unc  nmoplate  de  mouton.  dont  on  a eu  soin  de 
raeler  toutc  la  chair  et  ft  observer  soigneiisement  les  differentes  fissures.  que  lii 
chalcnr  produit  dans  la  contexturc  de  l'os. 


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27 


Betrübnis.  . . . Wenn  das  Aiipenlid  zuckt,  so  deutet  das  auf 
(iutes.  . . . Wenn  die  Nasenspitze  zuckt,  so  deutet  das  auf  Ver- 
lust. . . . Wenn  das  rechte  Olir  zuckt,  so  deutet  das  auf  Gutes 
und  Gewinn;  wenn  das  linke,  auf  Betrübnis  und  Verlust.  . . . 
Wenn  der  Hals  zuckt,  so  deutet  das  auf  Anstrengung  und  Mühe. 
. . . Wenn  die  Schnltern  zucken,  so  deutet  das  auf  Herrschaft 
und  Macht.  . . . Wenn  die  Mitte  des  Bartes  zuckt  und  das  Kinn 
zittert,  so  deutet  das  auf  Gutes.  . . . Und  wenn  der  rechte 
Gaumen  unterhalb  des  Bartes  ztiekt,  .so  deutet  das  auf  Gutes;  wenn 
d<‘i-  linke,  auf  Bü.scs.  . . . Wenn  die  Extremitäten  zucken,  .so 
deutet  das  auf  Furcht,  Schrecken  und  Scldatflieit.  . . . Wenn  der 
rechte  Oberanu  zuckt,  so  deutet  das  auf  Gutes;  wenn  der  linke, 
auf  Schlimmes  und  Verlust.  . . . Wenn  der  Leib  zuckt,  so  deutet 
das  auf  viele  Freude.  . . . Das  Zucken  der  Gluteen  und  Ober- 
schenkel deutet  auf  Freude,  das  der  Untenschenkel  auf  Ermüdung 
des  Herzens  und  Kummer“. 

[Im  Vorstehenden  sind  nur  diejenigen  Sätze  wiedergegeben,  die 
sich  auf  das  vorbedeutende  Gliederzucken  beziehen.  Damit 
in  engstem  Zu.sammenhange  aber  stehen  die  aus  dem  Zucken  oder 
dem  Schlagen  der  .Adern  abgeleiteten  Deutungen  auf  die  körperliche 
oder  geistige  Natur  des  .Menschen.  So  hei.s.st  es  z.  B.  nach  der 
Deutung  der  .Augenlidzuckung:  „Und  wenn  bei  einem  Menschen 
die  .Adern  des  Gesichtes  und  die  .Augenlider  sich  bewegen,  olme 
zu  zucken,  so  hat  er  eine  bösartige  Natur,  ist  ein  Verläumder  und 
ein  Sykophant“.  Nach  der  Deutung  der  Bauchzuckung:  , Et  si 
haec  palpitatio  perdurat  in  (luodam  et  (piasi  consuetudo  ei  est,  hic 
est  libidinosus  et  coitus  anians.  Et  si  in  muliere  est,  haec  aniat 
libidinem  et  masculam  imedem  ]tarere  solet“.] 

II.  Wirkung  In  die  Ferne. 

Als  Gegenstück  zu  dem  Zeibschr.  des  Vereins  für  Volk.skunde 
S.  400  mitgeteilten  Vertluchung.szauber  kann  der  folgende  von 
dein  Geographen  al  Mokadda.si  (ed.  de  Goeje  S.  140)  überlieferte 
Heilzanber  gelten. 

„ln  der  eine  Poststarion  von  Mossul  entfernten  .Stadt  BäaSikä 
wächst  eine  Pflanze.  Wenn  die  jemand  ausrei.sst,  der  an  Skroplieln 
oder  Hämorrhoiden  leidet,  so  wird  er  von  diesen  ('beln  befreit.  .Atier 
auch  wenn  ein  daran  Leidender  einen  Mann  mit  einer  Nadel  und 
einer  Drachme  zu  bestimmten  Personen  in  jener  Stadt  .schickt,  in 


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28 


deren  Pamilie  slcli  diese  Zanberkniide vererbt,  und  einer  von 
diesen  sie  zn  jener  Pflanze  hintriifrt  und  er  sie  ini  Namen  des 
Leidenden  berausreisst,  so  wird  dieser  gelieilt  und  wenn  er  aucli 
in  Säs  (in  Transoxanien!)*)  wohnte.  Die  Drachme  wird  dann  sein 
Eifjentum“. 

Der  Glaube  an  die  Heilnnp  von  Krankheiten  durch  Ausreissen 
von  Wurzeln  ist  ja  auch  jetzt  noch  in  weiten  Volkskreisen  ver- 
breitet. Einer  Erklärung  scheint  aber  die  Nadel  zu  bedürfen. 
Man  erwartet  nach  sonstigen  Analogien  nämlich,  dass  die  ausge- 
ri.ssene  Wurzel  mit  der  Nadel  durchstochen  wird.  Entweder  hat  also 
Mokaddasi’s  Herichterstatter  diesem  den  Vorgang  nicht  ganz  genau 
niitgeteilt,  oder  es  ist  vielleicht  im  Texte  etwas  ausgefallen.  Dass 
die  aus  der  Perne  gesandte  Nadel  dazu  dient,  den  Zusammenhang 
zwi.schen  der  Pflanze  und  dem  Kranken  herzustellen,  ist  deutlich. 

111.  Verlobuiisrsbraiieli. 

Derselbe  Mokaddasi  erzählt  (S.  3(i9):  ,.Oft  habe  ich  den  V'er- 
lobiingen  in  Hajär  beigewohnt.  Die  Leute  versammeln  sich  bei 
dieser  Gelegenheit  am  ,'M)end;  jeder  hat  eine  Plasche  Ko.senwas.ser 
in  der  Hand,  und  an  den  Türen  der  Hrautleute  lirennen  Lichter. 
Dann  beginnt  ein  würdiger  Mann  eine  elegante  Rede,  in  der  er 
(für  den  Hräutigam)  bei  einem  anderen,  der  die  Seite  der  Braut 
vertritt,  um  die  Braut  wirbt.  Dieser  erwidert  ihm,  wenn  er  ge- 
endigt hat,  und  erklärt  in  der  Antwort  seine  Einwilligung.  Darauf 
knüpfen  sie  das  Eheband  (d.  h.  schreiben  sie  den  Ehekontrakt),  und 
dann  werfen  alle  ihre  Plaschen  an  die  Wand“. 

Das  Zerbrechen  der  Pla.schen  ist  hier  gewiss  als  Abwehrzanber 
zu  deuten.  Ahidich  auch  das  Zerbrechen  eines  Kruges  vor  einer 
am  Hoctizeitshause  sich  versammelnden  ^lenge  (l.ane,  Sitten  und 
Gebräuche  der  heutigen  Egt'pter  II.  70),  das  nach  der  von  Laue 
gegebenen  Krkliirung  allerdings  hanpt.sächlich  dazu  dienen  soll,  den 
schönen  auf  die  Strasse  gehängten  Leuchter  vor  dem  bö.sen  Blick 
zu  bewahren.  — Bei  dieser  Gelegeidieit  sei  auch  auf  einen  von 
Hontsma  im  ,Peestbundel  aan  Prof.  M.  J.  de  Goeje“  Leiden  1891 
S.  ö'ß  bekanntgemachten  persischen  Hochzeitsbrauch  verwie.sen. 
Auf  den  vergoldeten  Deckel  eines  rosenfarbigen  To])fes  wird  eine 

')  oder  ,das  Anrecht  darauf“. 

’)  D.  h.  in  einer  sehr  grossen  Kntferming.  Vgl.  die  iUmlirhe  .Angabe  ZfVk. 
441,  8. 


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29 


der  Braut  (rlpicliemlc  (Jestalt  frcinalt.  Wenn  nun  die  Leute  komnien, 
um  die  geseliniüekte  Braut  zu  sehen,  so  zeig;t  man  iimen  dieses 
Bild  mit  den  Worten;  Selit  da  die  Braut,  „damit  der  von  dem 
l)ösen  Auge  zu  lurclitende  Schade  dies  Bild  trett'e  und  an  der  Biaut 
vorbeigehe.  Dann  wirft  man  den  To])f  vom  Dache  mit  dem 
Au.srufe:  so  möge  das  böse  Auge  brechen". 


Das  Märclieii  von  dem  Mädelieii  oline  Ilaiide 
als  Predigtexempel. 

Von  Hr.  J.  Klapper. 


Nur  ein  geringer  Teil  der  Sagen-  und  Miirehenstoffe  des 
-M  ittelaltci’s  hat  seine  Verbreitung  und  ('berliefernng  durch  die 
.Jahrhunderte  einem  rein  literarischen  Interesse  zu  verdanken,  sei 
es,  dass  diese  Stoffe  in  der  Landessprache  oder  in  lateini.scher 
Sj)iache  eine  poetische  Bearbeitung,  meist  in  gebundener  Form, 
erfuhren,  oder  sei  es,  dass  sie  in  Sammelwerken,  zum  Teil  von 
einer  Riihmenerzählung  umgelren,  von  Land  zu  Land  und  von 
(feschleeht  zu  Geschlecht  weitergegeben  wurden.  Zu  den  Stoffen, 
die  derartig  überliefert  worden  sind,  gehört  fast  alles,  was  uns 
von  nationalen  Heldensagen  bekannt  ist;  dazu  gehören  schlie.sslich 
auch  ein  paar  .Märchen,  die  in  der  Sammlung  der  Grimmschen 
Kinder-  und  Hausmärclien  Aufnahme  gefunden  haben.  Von  ihnen 
stammen  zwei  aus  lateini.schen  Versdichtungen  des  15.  .Tahrhunderts, 
„das  Kselein“ ')  und  „die  Rübe“.  Doch  sind  das  bei  der  Fülle 


')  ,I>as  Esclcin“,  in  den  (irimmschon  Miirchcn  Xr.  144,  ist  uns  einer 
Strassburger  IIs.  des  ausgehenden  1.5.  .Tahrliunderts  entnommen.  Bei  der  Ver- 
wandtschaft des  Stoffes  mit  dem  Amor-  und  l’syche-Miirrhen  ist  cs  von  Interesse, 
dass  sich  dieselbe  Versdichtung  auch  in  der  Hs.  IV  120  der  Breslauer  Kgl. 
lind  l'niv -Bibi,  auf  Bl.  18r_28v  findet.  I»ic  Hs.  ist  I47ö  von  einem  .Schlesier, 
dein  Brieger  Kleischerssohn  (ieorg  Scheyffir  in  Krakau  geschrieben  und  enthält 
ausser  dem  Asellus  auch  die  Kabeln  des  Avianus.  Auch  in  Krakau  selbst  be- 
findet sich  eine  Asellushandschrift  Eine  engverwandte  Erzählung  hat  K.  .M. 
Luzel  n.ach  der  VolksUherlieferung  .aufgezeichnet  in  den  Contes  populaircs 
de  Basse-Bretagne,  Baris  1887  S,  2U4:  L'hoimne-poulain ; auch  Le  Loup 
gris  (8.  ;)()6),  L'Homme-Marinite  iS. '(41)  und  E Homme-t’rapamI  (S  .'käOj  gehören 
in  diesen  Stoff  kreis. 


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30 


der  im  Volke  ülierlieferten  Erziililuiifrssfofte  nur  fraiiz  verscliwindeml 
wenipe  Fälle,  in  denen  sieh  die  Filialtiinp  derartiper  Stoffe  ans 
dem  literarischen  Interesse  erklären  lässt,  das  pewisse  Volkskreise 
daran  bekundeten.  Die  Hiniiherrettnnp  eines  weit  zahlreicheren 
Teiles  der  Sapen  und  Märchen  bis  in  unsere  Zeit  aber  verdanken 
wir  einer  echt  mittelalterlichen  Einrichtnnp,  auf  deren  Hedentunp 
von  unserer  Sapen-  und  Märchenforschnnp  noch  nicht  penüpend 
hinpewiesen  worden  ist,  nämlich  dem  Exem])elwesen.  Znm  Exempel 
eipnete  sich  jede  Erzählunp,  moehte  si<!  ans  der  Heilipenlepende, 
aus  dem  Kreise  der  christlichen  Bekehrnnpspeschichten  oder  aus 
den  Volksüberlieferuupen  stammen,  sofern  sie  die  Moplichkeit  einer 
moralischen  Deutnnp  bot.  Solche  Erzählnnpen  wurden  im  Laufe 
des  Mittelalters  immer  mehr  ein  unnmpänplicher  Bestandteil  aller 
der  Predipten,  die  sich  nicht  auf  eine  J’araphra.se  der  Sonn-  und 
Festtapsepisteln  und  Plvanpelien  beschränkten  oder  etwa  nur  für 
den  Klosterklerus  bestimmt  waren,  sondern  sich  an  das  Volk 
wandten;  sie  illustrierten  die  moralischen  Wahrheiten  und  erfüllten 
diesen  Zweck  dem  naiven  Zuhörer  pepenüber  ebenso  put  und  besser 
als  die  Erzählunp  pe.schichtlicher  Beispiele.  Das  Volksmärchen 
und  ein  Teil  der  Sapen  eipneten  sich  mit  ihrer  starken  Betonunp 
der  sittlichen  Weltordnunp  und  des  Verpeltunp.spedankens  aus- 
pezeichnet  zu  solchen  Prediptexempeln,  und  so  wurden  von  den 
Mönchen  mit  Vorliebe  solche  Stoffe  direkt  aus  dem  Munde  des 
\hdkes  aufpezeichnet  und  wanderten  mit  dem  Prediper  oder  seinem 
Werk,  oft  auch  zu  panzeii  hlxempelbücheru  vereiuipt  von  Land  zu 
Land  und  üherdatterten,  durch  ihr  lateinisches  (iewand  dem  um- 
bildenden Einflüsse  mündlicher  Volksüberlieferunp  entzopen,  viele 
Jahrhunderte.  So  wurde  mancher  Stoff,  der  zunächst  auf  ein  ein- 
zelnes Volk  beschränkt  war,  internationales  Uut,  und  wenn  der 
Mann  aus  dem  Volke  immer  wieder  im  .Aiuschluss  an  die  Moral- 
lehren das  eindrueksvolle  Exempel  vernahm,  so  fand  es  Einpanp 
in  den  Vorstelluupskrcis  der  einzelnen  Familien  und  wurde  so  in 
Wahrheit  zum  Hausmärcheu.  Mit  dem  Beginn  der  Neuzeit  w'erden 
die  Exempel,  soweit  .sie  Sapen-  und  Märchenstoffe  enthalten,  immer 
seltener  in  den  Predipten  veiwvendet;  auf  prote.stantischem  (.Jebiete 
werden  sie  bei  der  hier  eipenen  starken  Betonunp  der  Bibel  durch 
Stoffe  aus  der  Heiligen  Schrift  verdrängt,  und  auf  katholi.schem 
Boden  schadet  ihnen  in  gleicher  Weise  das  Erw-achen  des  historischen 
Sinnes  und  Jenes  (Jefühl,  da.ss  solche  Protänstotfe  die  relipiö.sen 


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31 


f'biinfrpn  eiitsvUrdistPii,  das  ja  aiudi  ein  Anlass  für  dio  Verwoisunp 
des  Scliausidels  aus  der  Kirclip  geworden  ist.  .Mit  der  Entfernung 
.solcher  E.\eni|iel  aus  der  Predigt  vollzog  sicli  naturgemäss  eine 
Entwertung  der  Sagen  und  Marclien  überhaupt;  sie  entschwanden 
dem  Oe.sichtskrei.se  der  breiteren  Volksschichten  immer  mehr  und 
fanden  .schliesslich  nur  noch  Pflege  da,  wo  die  Bedingungen  für 
die  naive  Aufnahme  nicht  verloren  gegangen  waren,  bei  Frauen 
und  Kindern.  Pas  Hausmärchen  wurde  zum  Kindermärchen. 

Für  die  volkskundliche  Sagen-  und  Märchenfoi’schung  bieten 
heute  die  bekannteren  Exempelwerke  wie  des  Thomas  von  Brabant 
Werk  de  proprietate  apum,  die  Dialoge  des  C'aesarius  von  Heister- 
bach, die  Oesta  Romanorum  und  die  Marienmirakel,  die  .sämtlich 
in  die.ser  Richtung  bereits  untersucht  worden  sind,  nur  noch  ver- 
hältnismässig geringe  Ausbeute.  Dagegen  enthalten  die  vielen 
handschriftlichen  Exempel.sammlungen  unserer  Bibliotheken  und 
vor  allem  die  Predigthaiulschriften  mit  den  zahlreich  darein  ein- 
ge.streuten  Exempeln  noch  ein  reiches  Material,  das  seiner  Ver- 
wertung im  volkskundlichen  Sinne  noch  harrt.  Ich  möchte  an 
dieser  Stelle  nur  noch  auf  einen  Punkt  hinweisen,  der  für  die 
Erhaltung  unserer  Volk.smärchen  und  Sagen  von  entscheidender 
Bedeutung  geworden  ist.  Es  fällt  bei  der  Durchsicht  aller  Exempel- 
sammlungen und  Einzelexempel  auf,  da.ss  Stoffe  des  kla.ssischen 
Altertums  darin  mit  ganz  verschwindenden  Ausnahmen  fehlen. 
Das  i.st  aus  den  Bedenken  heraus  zu  erklären,  die  die  Kirche 
gegen  die  Verwendung  .solcher  heidnischen  Stoffe  in  der  Predigt 
naturgemä.s.s  zu  einer  Zeit  haben  musste,  wo  erst  die  romanischen 
Völker  für  das  Christentum  gewonnen  wurden;  und  wenn  man 
sich  erinnert,  wie  ein  Lucian  derartige  (iötterfabeln  schon  in 
nachklassischer  Zeit  dem  Oespötte  i)reisgegeben  hatte,  oder  wie 
Laktanz  gegen  die  Fabeln  der  Heiden  käm])fte,  wird  man  die  ab- 
lehnende Haltung  der  christlichen  Kirche  gegen  alle  antiken 
Exeinpelstüffe  begreifen.  Es  haben  ausdrückliche  Verbote  gegen 
ihre  Verwendung  in  der  Predigt  bestanden,  und  die  Warnung  vor 
ihnen  ist  das  ganze  Mittelalter  hindurch  wiederholt  worden'). 


’)  .‘>0  in  der  Hs.  I 172  der  Kgl.  und  fniv.-Hiljl.  xn  lireslan  des  15.  .His. 
.-ms  dem  Kloster  der  .Augustiner  »'Iiorherren  zu  Siigan.  Bl,95v;  Nutiindum  quod 
fabiilnc  non  debent  allegari  in  anibone  seilicet  Ktucidarii.  .Aesopi.  .Aviani,  l'lau- 
diaiii,  Theoduli  et  alinruiii  iion  approbatoruiu  a sanrta  Kcclesia.  ((uainvis  mystice 


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32 


Eine  solche  Besdiränkuiifr  des  Stoft'es  musste  Platz  schaffen  für 
die  Aufnahme  von  Erzählungen  anderer  Völker,  ja  geradezu  die 
Prediger  zur  Nachforschung  nach  geeigneten  volksmässigen  Stoffen 
anregen,  so  dass  es  gar  nicht  verwunderlich  ist,  wenn,  wie  es  in 
der  Disciplina  clericalis  des  Spaniers  Petrus  Alphonsi  geschieht, 
sogar  reiche  orientalische  Stoffe  zusammengetragen  werden. 

Welche  Veränderungen  ein  solcher  Märchenstoff  erfuhr,  um 
dem  moralischen  Endzweck  der  l'redigt  besser  dienen  zu  können, 
und  wie  ein  derartiges  Exempel  sich  auch  manchmal  zu  einer 
ganzen  Predigt  erweitern  konnte,  dafür  gibt  die  folgende,  mittel- 
alterliche Fassung  des  Märchens  von  dem  Mädchen  ohne 
Hände  ein  schönes  Bci.spicl.  Das  Stück  ist  der  Handschrift  I Q 
350  der  Kgl.  und  Universitätsbibliothek  zu  Breslau  entnommen; 
die  Handschrift  ist  um  1490  in  dem  Kloster  der  Augustiner  (’hor- 
herren  zu  Sagau  ge.schrieben  und  enthält  Stoffe  zu  Predigten  vor 
dem  Volke.  Ich  gebe  den  lateinischen  Text  in  einer  möglichst 
wörtlichen  I'bersetzung.  Die  moderne  Fassung  des  Märchens  lindet 
sich  in  den  (frimmschen  Kinder-  und  Hausinärchen  unter  Nr.  31. 

Kxeui  |»lniii. 

[Bl.  3']  Es  war  einmal  ein  gar  mächtiger,  edlerund  reicher 
König;  der  hatte  eine  sehr  schöne,  ehrbare  und  vornehme  (iemahlin. 
Und  die  Königin  gebar  eine  liebliche  und  überaus  anmutige  Tochter. 
Nach  wenigen  Jahren  starb  die  Mutter  des  Mädchens,  die  Königin. 
Darauf  heiratete  sich  der  König  eine  andere,  die  war  auch  schön. 
■Als  die  aber  Königin  war,  blickte  sie  voll  Neid  auf  des  Königs 
Tochter,  denn  die  war  noch  viel  schöner.  Das  wusste  das  Mädchen 
ganz  gut,  doch  sie  kümmerte  sich  nicht  darum,  .sondern  sie  wandte 
sich  Christus  zu  und  diente  ihm  und  der  Jungfrau  Maria  treu. 

Da  begab  es  sich,  dass  der  König  in  ferne  (Jegenden  rei.ste 
und  in  seinem  Lande  uinherzog.  ln  seiner  Abwe.senheit  rief  die 
Königin  einen  Jäger  zu  sich  und  s])rach  zu  ihm:  ,Ich  möchte  dir 
ein  (leheimnis  anvertrauen,  wenn  du  es  treu  bewahren  wolltest. 
Tust  du  das  aber  nicht,  dann  klage  ich  dich  nach  der  Rückkehr 
des  Königs  an,  da.ss  du  mir  zuwidergeliaudelt  hast,  und  .so  wirst 
du  eines  bösen  Todes  .sterben“.  Der  Jäger  antwortete:  „Herrin, 
ich  bin  bereit,  alle  deine  Befehle  entgegenzunehmen“.  Die  Königin 

(■.\pomtnlur  et  per  ea.s  pupiiliis  e.xeitatnr.  l'mle  quälam  episoopns  iniminc  Uesi- 
ileriiis  a beato  Orejfoiio  fiiit  repreliensus.  quia  talia  faciebat. 


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,S8 


al)CT  sprach:  .Sieli,  ich  liin  meiner  Tochter  nicht  piinstig:  gesinnt, 
weil  sie  so  schön  ist.  Denn  wenn  Fürsten  und  Kitter  und  gro.sse 
Herren  zu  uns  kommen,  dann  drängt  sich  alles  um  sie,  und  man 
loht  und  preist  ihre  Unterhaltung  und  Anmut,  | Hl.  4'1  ihren  Lieb- 
reiz und  ihre  Schönheit,  und  dass  misst'ällt  mir  so,  da.ss  ich  es 
nicht  mehr  länger  ertragen  kann.  Deshalb  wenle  ich  noch  vor 
der  Rückkunft  des  Königs  meinem  Hofgesinde  den  Hefehl  geben, 
zur  Jagd  auszuziehen,  und  auch  sie  .soll  mit  dir  hinausziehen. 
Und  wenn  dn  im  dichten  Waldgestrüp])  mit  ihr  allein  sein  wirst, 
dann  sollst  du  sie  erstechen  und  ihr  die  Hände  ab.schneiden  und 
in  das  leinene  Obergewand,  das  ich  ihr  anlegen  werde,  einhnllen 
und  mir  das  Kleid  mit  den  Händen  als  Wahrzeichen  ihres  Todes 
überbringen“. 

Der  Jäger  aber  gelobte  ihr  das  aus  Furcht  vor  dem  Tode. 
Und  als  er  mit  dem  Mädchen  an  eine  für  den  .Mord  geeignete 
Stelle  im  Walde  gekommen  war,  sprach  er  zu  ihr:  sAch,  du 
.schöne,  edle,  königliche  Jungfrau,  nun  muss  ich  dich  nach  dem 
Befehle  deiner  Mutter  töten,  und  das  tut  mir  in  meinem  Herzen 
über  die  .Massen  leid.  Aber  ich  habe  es  deiner  .Mutter  versprochen, 
und  wenn  ich  es  nicht  tue,  mu.ss  ich  selber  sterben“.  Als  das 
.schone  Mädchen  das  hörte  und  erfuhr,  dass  ihre  Mutter  diesen 
Befehl  gegeben  hatte,  sprach  sie  zum  .läger:  „.\ch,  lieber  Bruder, 
ich  bitte  dich,  hab  doch  Mitleid  mit  mir!  Töte  mich  nicht;  .sage 
nur,  du  hättest  mich  getötet.  Schneide  mir  jetzt  die  Hände  ab, 
hülle  sie.  in  mein  Kleid  ein  und  bringe  sie  zu  meiner  .Mutter“. 
Jener  aber  empfand  Mitleid  mit  ihr.  Und  er  schnitt  ihr  die  Hände 
ab,  nahm  das  Kleid  des  Mädchens,  hüllte  die  Hände  hinein  und 
Hess  die  Jungfrau  ohne  Speise  und  Trank  allein  in  der  Einsamkeit 
und  kehrte  traurig  zurück.  Vorher  aber  schwur  das  Mädchen  dem 
Jäger,  da.ss  sie  nie  wieder  an  den  Hof  ihres  Vaters  zurückkommen 
wolle. 

Und  so  irrte  sie  ein  paar  Tage  in  der  Einsamkeit  umher  und 
ging  bald  nach  der,  bald  nach  jener  Kiclitnng.  Und  als  sie  so 
jammernd  und  unter  Weinen  und  Klagen  in  ihrer  Traurigkeit  da- 
herging, kam  ein  vornehmer  .füngling,  der  von  seinem  Vater,  einem 
Burgvügt,  auf  die  .lagd  geschickt  worden  war.  Er  grüsste  sie, 
und  voll  Verwunderung  über  ihre  Schördieit  fragte  er,  warum  sie 
in  ilieser  Einsamkeit  .so  ganz  allein  umlierirre.  Das  Mädclnm  aber 

.Mitteiltiiif’ei)  il.  fffhlpf.  Oe*,  f.  Vkflc.  Uet'r  \IX.  .t 


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34 


antwortete;  ,Sieli,  mir  liat  einer  in  diesem  Walde  die  Hände  ab- 
{rcsrlmitten,  und  icli  Untrlückliclie  irre  so  lienim  und  weiss  niclit, 
wohin  ich  mich  wenden  soll".  Ihre  Abkunft  und  den  Namen 
jenes  Jägers  aber  wollte  sie  nicht  verraten,  damit  er  nicht  dem 
Zorn  und  der  Ungnade  des  Königs,  ihres  Vaters,  verfiele,  wenn 
er  davon  Kenntnis  erhielte,  weil  die  Königin  ilim  [1!1.  4']  reiche 
Schätze  und  viele  Auszeichnungen  am  königlichen  Hofe  versprochen 
hatte;  und  dieses  Versprechen  hatte  sie  aucli  erfüllt.  Der  Jüngling 
aber  empfand  Mitleid  mit  ihr  und  sjirach;  „Wie  hei.s.st  du?“  Und 
sie  antwortete;  „Salvatica  i.st  mein  Name,  und  ich  bin  eine  (’liristin 
und  diene  nieineni  Herrn  Jesus  Christus  und  seiner  Mutter,  der 
Jungfrau  Maria“.  Als  das  der  Jüngling  hörte,  nahm  er  sie  mit 
sieh  auf  die  Hurg  seines  Vaters.  Dort  aber  gewann  sie  sich  die 
Zuneigung  aller,  und  wer  kam  und  ging,  und  sie  blickte  ihn  an, 
der  musste  ihr  gut  sein. 

Nach  drei  Jaliren  sprach  der  alte  Schlossvogt  zu  seiner  Frau; 
.Un.ser  Stdin  ist  Jetzt  alt  genug;  wir  mü.s.sen  uns  um  ein  vornehmes 
Mädchen  umtun,  das  er  zum  Weibe  nehmen  kann;  so  werden  wir 
auch  mit  anderen  Merisclien  in  Freundschaft  leben“.  Die  Mutter 
gab  ilim  reclit,  und  als  sie  sichs  liin  und  her  überlegt  liatten, 
sprach  der  Vater;  Sieh,  wir  haben  da  einen  guten  Naclibarn,  der 
hat  eine  hül)sclie  Tocliter.  Die  wollen  wir  iinserm  Sohne  zur  Frau 
geben“.  Und  sie  teilten  ihm  ihren  Willen  mit.  Der  Sohn  aber 
cntgegnete;  „Wenn  ich  ein  Mädchen  zur  Frau  nelnnen  soll,  dann 
will  ich  keine  ainlere  hal)en  als  Salvatica“.  Als  das  der  Vater 
hörte,  sprach  er  zum  Sohne;  „Ich  glaube,  du  bist  toll!  Willst  du 
Jenes  verstümmelte  .Mädchen  heiraten,  von  dem  du  nicht  einmal 
wei.sst,  wer  und  woher  es  ist?  Dass  die  alberne  Rede!“  Der 
Sohn  aber  siu-aeh  wieder;  „Wenn  ich  eine  heiraten  mu.ss,  dann 
will  ich  keine  andere  als  Salvatica“.  .Als  seine  Kltern  das  hörten, 
galien  sie  ihm  Salvatica  zur  Frau.  Ihid  er  nahm  sie  zum  Weil)e, 
und  er  behandelte  sie  mit  .Achtung  und  Fhrfurcht,  und  sie  führten 
ein  Leben  voll  Einmütigkeit  und  Eintracht  und  liebten  einander 
von  Herzen. 

Es  traf  sich  aber,  dass  der  König  Jenes  Landes,  der  Vater 
Salvaticas,  Feinde  hatte,  die  gegen  ihn  ins  Feld  zogen.  Als  er 
auf  seine  Königsburg  zurückgekehrt  war  und  nach  seiner  Tochter 
gefragt  hatte,  da  hatte  ihm  die  Königin  gi'.sagt,  das  Mädchen  .sei 
zum  Zeitvertreib  mit  den  Jägern  auf  die  .lagd  ausgezogen,  und 


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35 


dort  Vfrloreiijri'jraiipen,  und  sie  sei  wold  von  wilden  Tieren  auf- 
(jefressen  worden. 

Xnn  schickte  der  König  an  den  Bnrgvogt  ein  Schreiben,  er 
s(dle  unverzüglich  an  den  königlichen  Hof  kunnnen,  um  mit  ihm 
gegen  die  Feinde  zn  zi(dien.  Der  Burg\ogt  aber  sprach  zn  seinem 
Sohne:  „Idebster  Solin,  der  König  befiehlt  midi  an  seinen  Hof, 
damit  ich  mit  ihm  in  den  Krieg  ziehe.  Du  siehst,  ich  hin  ein 
bejahrter  Mann.  [Bl.  5'|  den  das  Alter  entkräftet  hat.  und  der  das 
nicht  mehr  tun  kann.  Tritt  du  an  meine  Stelle!“  Der  Sohn  ant- 
wortete: „Vater,  ich  bin  bereit,  das  für  dich  zn  tun  und  dem 
königlichen  Befelile  nachznkommen.  l’m  eins  aber  bitte  icli  dich, 
Vater,  aus  ganzem  Herzen:  pflegt  mir  mein  inniggeliebtes  Weib 
in  meiner  Abwe.senheit  in  aller  Aclitung  und  Fhrfnrcht;  das  er- 
warte icli  von  euch.  Tut  ihr  das  nicht,  und  ich  nehme  es  bei 
meiner  Kückknnft  wahr,  dann  will  ich  dich  und  meine  Mutter 
verla.ssen  und  euch  fürderliin  nicht  melir  als  meine  Kltern,  .sondern 
als  meine  Feinde  ansehen“.  Als  seine  Eltern  das  hörten,  versprachen 
sie,  alles  genau  so  zn  halten,  wie  er  es  wün.schte.  Fml  er  empfahl 
auch  Jedem  einzelnen  aus  seinem  Gesinde  seine  Gattin.  Und  da 
Salvatica  .schwanger  war,  trug  er  seinen  Eltern  auf,  dass  sie  ilim 
bald  nach  ihrer  Niederkunft  durcli  einen  Boten  schriftlich  mitteilen 
sollten,  was  sic  geboren  hätte,  mul  dass  sie  bis  zu  seiner  Kückkelir 
das,  was  sie  geboren  habe,  treu  behüten  und  bew'ahrcn  sollten. 

Und  als  die  Zeit  kam,  gebar  Salvatica  zwei  überaus  .schöne 
Knäblein.  Die  haltern  rüsteten  alsbald  einen  Boten  aus  und  teilten 
ihrem  Sohne  das  Ereignis  mit.  Als  der  Bote  aber  an  den  könig- 
lichen Hof  kam,  du  erblickte  ihn  die  Königin,  rief  ihn  zn  sich 
und  horchte  ilni  über  den  Grund  seiner  Ankunft  aus.  Und  sie 
hielt  ihn  bei  sich  zurück  und  Hess  ihm  Speise  in  Hülle  und  Fülle 
auftragen,  vornehmlich  aber  scliweren  Wein.  Und  als  er  in  der 
Nacht  schlief,  da  nahm  ihm  die  Königin  den  Brief  weg,  und  da 
sie  sich  die  Sache  überlegte  und  vermutete,  dass  es  sich  um  ihre 
Tochter  handeln  könnte,  schrieb  sie  einen  anderen  Brief  des  In- 
halts, da-ss  Salvatica  zw-ei  Hunde  geboren  hätte.  Als  der  Solin 
des  Bnrgvogts  den  Brief  gele.sen  hatte,  sprach  er  zum  Boten:  „Ich 
befehle  dir,  dass  du  .sofort  nach  deiner  Bückkehr  meinen  Eltern 
.sagst:  was  mein  Weib  auch  geboren  hat,  sollen  sie  auf  jeden 
Fall  bis  zu  meiner  Rückkunft  bewahren“.  Und  er  gab  ilim  einen 
Brief  dieses  Inlialts  mit.  Der  Bote  aller  war  .so  unvorsichtig  und 


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36 


ginp  auf  seinem  Rückwege  wieder  zur  Königin,  denn  sie  liatte  cs 
ihm  so  uufgetragen.  Und  sie  liess  ihn  in  Hülle  und  Fülle  bewirten 
und  ihm  überreichlich  starken  Wein  vorsetzen.  In  der  Nacht  aber, 
als  er  schlief,  nahm  ihm  die  Königin  den  Brief  weg  und  las  ihn 
[Bl.  5']  und  sclirieb  einen  andern,  da  sie  aus  dem  ganzen  Tat- 
bestände schloss,  dass  Salvatica  ihre  Tochter  wäre.  Und  sie 
schrieb:  sobald  der  Bote  heimkomme,  solle  man  Salvatica  mit 
ihren  Kindern  verstossen,  da  man  nicht  wisse,  wer  sie  sei  und 
welcher  Abkunft,  und  woher  sie  gekommen  wäre.  Und  die  Eltern 
richteten  sich  nach  dem  Wortlaute  des  Briefes  und  riefen  einen 
Jäger  und  trugen  ihm  auf,  er  solle  das  junge  Weib  mit  ihren 
Kindern  in  die  Verbannung  in  eine  Einöde  führen.  Er  tat  das, 
und  das  verstos.sene  Weib  irrte  mit  den  an  ihren  Hals  gebundenen 
Kindern  in  grösster  Not  ohne  Speise  und  Trank  Jammernd  und 
unter  Tränen  und  Klagen  in  der  Waldeswildnis  umher.  Ihid  sie 
rief  den  Herrn  Jesus  Christus  und  seine  ^lütter,  die  Jungfrau 
Maria,  an  und  hetete  auf  göttliche  Eingebung:  „()  gütiger  Gott, 
siehe,  ich,  dein  unglückliches  Geschöpf  möchte  nie  gegen  deinen 
Willen  handeln  und  nie  in  meinem  Leben  einem  Menschen  etwas 
Böses  zufügen,  und  ich  gehe  mit  meinen  Kindern  so  elendiglich 
zugrunde“.  Und  als  sie  weiterging,  erblickte  sie  ein  kleines  Haus, 
und  es  war  die  /eile  eines  heiligen  Mannes,  der  darin  wohnte, 
l.’ud  sie  ging  an  die  Zelle  heran  und  begann  mit  ihren  Kindern 
gar  bitter  und  untröstlich  zu  weinen  und  bat  um  der  Liebe  Jesu 
und  Marias  willen  um  Einlass,  auf  dass  sie  nicht  eine  Beute  der 
wilden  Tiere  würde.  Da  hörte  jener  gute  Vater  das  Klagegeschrei, 
aber  er  wagte  nicht,  seine  Zelle  zu  öH'uen,  denn  er  fürchtete,  es 
möchte  ein  Gaukelspiel  des  Teufels  und  eine  Vei'suchung  sein. 
Nachher  aber  ergriff  ihn  das  Mitleid,  und  er  liess  sie  ein,  und  als 
er  sich  alles  recht  überlegt  hatte,  baute  er  für  sie  und  ihre  Kinder 
ein  eigenes  Häu.schen,  und  er  teilte  mit  ihr  das  Brot  und  das 
Wa.sser,  von  dem  er  sell)st  lebte. 

Endlich  kam  der  Gatte  Salvalicas,  des  Burgvogts  Sohn,  von 
dem  Kriegszuge  des  Königs  heim.  Als  seine  Litern  das  hörten, 
kamen  sie  ihm  voll  Eifer  und  Liebe  entgegen.  Und  er  dachte  bei 
sich:  Wo  bleibt  deine  Gattin,  dass  sie  nicht  kommt,  um  mich  zu 
begrüssen  V Und  er  fragte  nach  ihr  und  s])rach : „Wo  ist  denn 
Salvatica,  mein  teures  W’eib,  mit  ihren  Kindern?“  Und  die  Eltern 
antworteten:  „Weisst  du  nicht,  wo  sie  ist.  da  du  doch  geschrieben 


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37 


hast,  dass  sie  mit  ihren  Kindern  bald  nacli  des  Boten  Rüekkelir 
in  die  Verbannung:  geschickt  werden  sollteV  Und  so  ist  auch  ge- 
schehen“. Als  er  das  hörte,  wurde  er  von  einer  gewaltigen  Be- 
stürzung [Bl.  6'']  ergritfen,  und  sein  Herz  wendete  sich  ihm  im 
I/cibe  herum,  und  er  sprach  zu  seinen  Eltern:  „Habe  ich  euch 
nicht  vor  meinem  Weggange  gesagt,  ihr  solltet  sie  mit  ihren 
Kindern  in  aller  Achtung  und  Ehrfurcht  ])flegcn,  wenn  euch  an 
meiner  Liebe  etwas  gelegen  ist?  Und  so  habe  ich  euch  auch  ge- 
schrieben. Wie  konntet  ihr  .so  handeln  und  alles  in  das  Gegenteil 
verkehren?“  Aber  seine  Eltern  zeigten  ihm  den  Brief,  den  sie 
erhalten  hatten.  Jener  aber  entgegnete:  „Das  ist  nicht  meine 
Schrift,  .sondern  die  eines  anderen,  und  der  Brief  ist  böswillig 
gefiUscht.  Wenn  ihr  mir  nicht  Salvatica  mit  meinen  Kindern  zur 
Stelle  schafft,  bin  ich  nicht  weiter  euer  Sohn,  und  ihr  seid  nicht 
mehr  meine  Eltern“.  Da  riefen  sie  den  Jäger  und  versprachen 
ihm  viele  und  reiche  Geschenke,  wenn  er  Salvatica  mit  ihren 
Kindern  wieder  zurückbringen  konnte;  wenn  er  sie  aber  nicht 
brächte,  .sollte  er  sein  Leben  verlieren;  denn  nur  er  wüsste  den 
Ort  genau,  wo  er  sie  allein  gelassen  hätte.  Der  gute  Jäger  aber 
zog  hinaus,  um  seine  Herrin  zu  suchen.  Doch  als  er  sie  drei 
Tage  lang  nicht  finden  konnte,  ergriff  ihn  eine  gro.sse  Angst.  Und 
er  ging  weiter  und  sah  das  Häuschen  jenes  heiligen  Mannes,  des 
Eremiten,  bei  dem  Salvatica  lebte.  Und  er  beschwor  unter  lautem 
Jammern  und  Klagen  den  Vater  Eremiten,  ihm  zu  sagen,  ob  er 
in  dieser  Einöde  ein  Weib  mit  zwei  kleinen  Kindern  hätte  umher- 
irren sehen.  Der  Einsiedler  antwortete:  Nein.  Da  weinte  der 
Jäger  in  seiner  grossen  Herzensangst  bitterlich  und  sagte:  „Weh, 
mir  Armen,  wenn  ich  sie  nicht  finde  und  nach  Hause  bringe,  dann 
verliere  ich  mein  Leben“.  Und  wieder  bat  er  den  Einsiedler  in- 
ständig unter  vielen  Tränen  und  erzählte  ihm,  da.ss  .sein  Herr,  der 
Sohn  des  Burgvogts  und  Gemahl  Salvaticas,  von  dem  Kriegszuge 
des  Königs  heimgekehrt  sei.  Da  hatte  der  Vater  Einsiedler  Mit- 
leid mit  dem  Manne  und  ging  zu  Salvatica  und  sprach:  „Siehe, 
der  Mann,  der  dich  in  die  Verbannung  führte,  ist  als  Bote  deines 
Gemahls  gekommen.  Dein  Gemahl  ist  aus  dem  Kriege  heimgekehrt 
und  will  dich  wiederhaben  oder  seine  Eltern  verla.ssen.  Was  ge- 
denkst du  zu  tun?“  Sie  antwortete:  „Ach,  ich  fürchte,  es  möchte 
mir  noch  etwas  Schlimmeres  zusto.ssen.  Nur  ungern  möchte  ich 
zurückkeliren  und  lieber  sterben,  wenn  es  Gottes  Wille  wäre“. 


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38 


Als  der  fromme  Vater  Kinsiedler  das  vernalim,  wusste,  er  iiiclit, 
was  er  tim  sollte  und  spraeli  zu  dem  Weibe:  „Hitte  Gott  und 
seine  Mutter,  die  Jungfrau  Maria,  dass  sie  dir  und  mir  zeigen  und 
offenbaren,  [Bl.  6']  wie  du  bandeln  sollst“.  Und  als  sie  getrennt 
beteten  und  das  Weib  im  Gebet  und  in  der  Anrufung  der  immer- 
währenden Jungfrau  Maria  vor  ihrem  Altäre  verharrte,  da 
schlummerte  sie  ein.  Und  es  enschien  ihr  eine  überaus  herrliche 
Jungfrau,  und  die  Jungfrau  war  Maria,  und  sie  gab  dem  Weibe 
ihre  Hände  zurück.  Und  als  sie  erwachte,  da  hatte  sie  die  Hände, 
die  ihr  ahgehauen  worden  waren,  wieder.  Und  sie  lobte  Gott  und 
Maria  und  sagte  ihnen  Preis  und  Dank;  dann  ging  sie  zu  dem 
Vater  Eremiten  und  zeigte  ihm  ihre  Hände.  Und  unter  .seiner 
Zustimmung  und  auf  seinen  Rat  kehrte  sie  mit  ihren  Kindern  und 
dem  Jäger  zu  ihrem  Gatten  zurück.  .\ls  dieser  sie  erblickte,  da 
freute  er  sich  unendlich  und  dankte  Gott  und  der  seligen  Jungfrau 
Maria.  Und  er  behandelte  sein  Weib  mit  aller  Verehrung  und 
Achtung. 

Die  Kunde  hiervon  und  von  dem  Wunder  verbreitete  sich 
über  das  ganze  Land  und  kam  auch  dem  Könige  zu  flhreii.  Und 
um  sich  von  der  Wahrheit  zu  überzeugen,  schrieb  er  an  den 
Burgvügt,  er  solle  unverzüglich,  nachdem  er  den  Brief  ge.sehen 
und  gele.sen,  mit  seinem  Sohne  und  de.s.sen  Gattin  und  Kindern  zu 
ihm  kommen.  Und  als  sie  der  König  erblickte,  siirach  er  zu  sich 
in  seinem  Herzen:  Das  Weib  dieses  jungen  Ritters  ist  sicherlich 
meine  Tochter,  die  ich  verloren  habe,  und  deren  man  mich  .so 
böswillig  beraubt  hat.  Und  er  überlegte  siehs  immer  wieder  von 
neuem  und  erkannte  untrüglich,  dass  dieses  Weib  .seine  verlorene 
Tochter  war,  und  er  erforschte  genau,  wie  sich  alles  zugetnigen 
hatte.  Und  seine  Freude  war  überaus  gross,  und  er  lobte  (»ott 
und  die  .lungfran  Maria  aus  tiefstem  Herzen. 

Dann  Hess  er  ein  grosses  Gastmahl  vorbereiten  und  lud  viele 
Fürsten,  Ritter  und  gro.sse  Herren  zu  sich  ein.  auf  dass  sie  seine 
znrückgekehrte  Tochter  .sehen  möchten.  Den  Tod  aber,  den  die 
Mutter  ihrer  Tochter  zugedacht  hatte,  verhängte  er  über  die  böse 
Königin  selbst.  Vor  allen  anwe.senden  Herren  wurde  sie  gesteinigt. 

Und  der  König  und  seine  Tochter,  der  Burgvogt  mit  .seiner 
Frau  und  ihr  Sidin  mit  .seiner  Gemahlin  und  den  Kindern  führten 
nun  ein  glückliches  und  sehr  glückliches  Lehen  und  dienten  uiuserem 
Herrn  .fesus  Christus  und  der  Jungfrau  Maria  in  grosser  Demut 


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39 


lange,  lange  Zeit,  ntiil  sie  sind  sicher  in  den  Himmel  gekommen. 
Das  erfiehe  Maria  uns  allen  von  unserem  Hotte,  der  durch  alle 
Zeit  lebt  und  regiert,  Amen. 

Hei  der  Bedeutung  des  Stott'es  wird  es  nicht  ühertlüssig  sein, 
auf  seine  (Quelle  /uriiekzugehen,  um  so  mehr  als  uns  auch  diese 
nur  durch  ein  Kxemjiehverk  erhalten  worden  ist.  Das  Märchen 
von  dem  Mädchen  ohne  Hände  beruht  auf  einer  bisher  uid)ekanuten 
alt  französischen  Sage,  deren  historische,  (irundlagen  bis  in  den 
Ausgang  des  siebenten  Jahrhunderts  zurück  führen.  Die  Sage  fand 
Aufnahme  in  ein  Exempelwerk,  das  etwa  um  1300  von  einem 
französischen  Dominikaner,  der  sich  Johannes  (icbii  Juuii 
nennnt,  verfasst  wurde  und  den  Titel:  Scala  caeli  führt').  Der 
Vergleich  des  Märchens  mit  dei-  Sage  zeigt  uns  so  recht,  wii' 
t'bergänge  aus  Sagen-  und  Komanstofl'en  in  die  .Märchenliteratur 
sich  vollzogen,  indem  man  geläufige  und  beliebte  Märchenmotive 
mit  den  Sagen  verband  und  zugleich  die  vorhaudenen  lokalen  und 
zeitlichen  Beziehungen,  die  der  Sagenstotf  enthielt,  beseitigte.  Ich 
gebe  den  Text  der  (irundlage  unseres  Märchens  nach  einer  Hand- 
schrift der  Bre.slauer  Kgl.  und  Uuiv.-Bibl.  d ()  4Ö4)  vom  Jahre  1402. 

Die  Toehtt'r  des  (>rafeii  von  Poitou. 

[Bl.  37'’]  Mau  liest  iii  einer  (jeschiclite  der  Könige  von 
Frankreich,  dass  einst  ein  (Jraf  von  l’oitou  lebte,  der  von  seiner 
vornehmen  und  guten  ( iemahlin  einen  Sohn  und  eine  Tochter  hatte. 
Als  nun  der  Vater  nach  dem  Tode  seiner  (iemahlin  eines  Tages 
die  Schönheit  seiner  Tochter  betrachtete,  fa.sste,  er  den  Knt.schluss, 
sie  zu  verführen.  Doch  als  er  sie  mit  Schmeicheleien  und  Drohungen 
bi'drängte,  wies  sie,  unerschütterlich  in  ihrer  Keuschheit  und 
Reinheit,  nicht  wie  ein  Weib,  sondern  standhaft  wie  ein  Mann, 
das  böse  Ansinnen  ihres  Vaters  zurück.  Dieser  alicr  bestand  hart- 
näckig auf  seinem  verbrecherischen  Verlangen.  Fnd  da  der  Bruder 
des  Mädchens  zu  seiner  Ausbildung  in  den  Wi.ssenschaften  nach 
Bologna  gegangen  war  und  sic  niemanden  hatte,  dem  sie  sich 
rückhaltslos  anvertrauen  konnte,  ruft  sie  ihre  Amme  und  teilt  ihr 
das  traui-ige  (.leheimuis  mit.  Diese  ist  entsetzt  über  den  frevel- 

')  Der  Verfasser,  dessen  Werk  ich  noch  bei  einer  anderen  (ielegcnheit 
charakterisieren  werde,  beniitr.t  Cäsarius  von  Heisterbach  und  auch  bereits 
Jacubns  u Voragiue,  kennt  aber  die  Uesta  Kumanurum  noch  nicht. 


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halten  Ausielilas'  des  Vaters  imd  rät  dem  Mädchen,  da  sie  seine 
Standhal'tifrkcit  sieht,  zur  Flucht  vor  dieser  Geleprenheit  zur  vSünde. 
Und  sie  nalmicn  ilire  Kleinode  und  ihr  Geld  mit  und  Hohen  in 
der  Nacht  und  kamen  endlich  zum  heilifren  Agidins,  wo  der  Sohn 
des  Königs  von  Arles  von  dem  Grafen  des  hl.  Ägidins  erzogen 
wurde.  Da  der  Amme  und  dem  Mädchen  bereits  das  Geld  aus- 
gegangen war,  gingen  sie  zur  Gräfin  und  baten  sie  um  Lebens- 
unterhalt. Und  da  die  (träfen  1 131.  3B''|  die  Schönheit  des  .Mädchens 
sah  und  die  Unschuld,  die  aus  ihrem  Gesicht  leuchtete,  nahm  sic 
sie  als  Tochter  an  und  behielt  auch  die  Amme  zu  ihrer  (3esellschal't 
iu  ihrem  Hau.se.  Und  während  das  Mädchen  Gott  und  die  heilige 
Jungfrau  inständig  um  Bewahrung  ihrer  Unschuld  anfiehte,  gewann 
sie  der  Sohn  des  Königs  von  .\rles  in  aller  Ehrbarkeit  lieb.  Als 
nun  von  der  Königin  von  Arles  die  Hochzeit  ihres  Sohnes  mit  der 
Tochter  des  Königs  von  Frankreich  betrieben  wurde,  antwortete 
ihr  der  Jüngling,  der  auf  einem  eigenen  Schlosse  lebte,  dass  er 
nie  eine  andere  zur  Gemahlin  nehmen  würde  als  das  Fräulein 
Margaretha  vom  (irafenschlo.sse  des  hl.  Agidins.  Da  kamen  alle 
seine  Freunde  zusammen  und  baten  ihn  inständig  unter  vielen 
Tränen,  davon  abzustehen;  aber  er  lie.ss  sich  nicht  dazu  bewegen, 
und  endlich  werden  das  Fräulein  und  der  Königs.sohu  ehelich 
verbunden. 

Von  da  an  verfolgt  die  Königin  von  Arles  die  Gemahlin  ihres 
Sohnes  mit  tötlichem  Hass.  Die.se  aber  trug  ein  Kind  unter  ihrem 
Herzen,  und  als  die  Zeit  der  Niederkunft  nahte,  musste  der  junge 
König  von  Arles  in  einen  Kamjjf  ziehen.  Und  da  er  dem  Grafen 
des  hl.  Agidins,  der  .seine  Gattin  früher  an  Kindes  Statt  angenommen 
hatte,  sein  ganzes  Vertrauen  schenkte,  vertraute  er  ihm  seine  Ge- 
mahlin an.  indem  er  ihn  bat,  ihm  bald  nach  der  Geburt  des  Kindes 
Nacbrichten  zugehen  zu  lassen.  Der  König  reist  ab,  seine  (icmahlin 
geldert  einen  Sohn,  und  der  Graf  schickt  einen  Boten  mit  dieser 
Nachricht  an  den  König  ab.  Den  Boten  aber  führt  seine  Haltsucht 
zur  Königin,  und  dort  wird  er  schändlich  lietrogen.  Denn  in 
einem  gefälschten  Briefe  schreibt  die  Königin  an  Stelle  der  Nach- 
richt des  (trafen,  seine  Gemahlin  habe  einen  Sohn  mit  einem 
Hundekojtfe  geboren.  Der  junge  König  liest  den  Brief,  wird  aber 
trotz  dieser  traurigen  Nacbricht  durch  die  Liebe  zu  seiner  (ienmhlin 
bestimmt,  znrückzuschreiben,  dass  man  die  Mutter  mit  dem  Knaben 
gut  ptlegen  und  hüten  solle.  Der  Bote  kehrt  zurück,  snclit  die 


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Mutter  des  Kunips  auf,  wird  zum  zweiten  Mule  von  ihr  betrunken 
peiiiarlit,  und  sie  entwendet  ihm  den  Brief  und  legt  in  die  Büelise 
einen  anderen  folpenden  Inlialtes;  , Könip  N.  prüsst  den  Grafen 
X.  Da  wir  sichere  Kunde  haben  von  der  Herkunft  unserer  Ge- 
mahlin aus  niederem,  unbedeutendem  Stande,  gehen  wir  dir  den 
Befelil  unter  Androhunp  unserer  ünpnade,  die  Mutter  mit  dem 
Kinde  zu  töten,  [Bl.  38']  damit  icli  nacli  meiner  Heimkelir  eine 
edle  und  schöne  Braut  heimführen  kann“.  Der  Graf  wird  von 
Trauer  und  Schmerz  erpritten,  als  er  den  Brief  liest.  Kr  teilt 
seiner  Herrin,  die  noch  im  Kindbett  liegt,  den  Inhalt  des  Briefes 
mit  und  hcfielilt  ihr,  aufzustehen  und  sicli  den  Händen  der  Mörder 
auszuliefern.  Da  erhebt  sie  sich,  sinkt  auf  ihre  Knie  und  ruft; 
.0  Gott,  du  Schützer  der  Reinheit  und  Wahrhaftigkeit,  bewahre 
mich  vor  jeder  Sünde  und  vor  die.sem  Schmerz!“  Noch  in  derselben 
Naclit  wird  sie  von  den  Henkern  mit  ihrem  Sohne  zur  Hinrichtmip 
in  einen  Hein  peschlepi)!.  Doch  als  sie  den  Knaben  am  .^rm  erpritfen 
und  bereits  das  Schwert  gezogen  hatten,  um  ihn  umziihriiipen,  da 
fanden  sic  Gefallen  an  ihm,  und  von  Mitleid  überwältigt,  sprachen  sie 
zueinander:  .Wenn  wir  die  Mutter  töten  und  den  Knaben  sclionen, 
wird  er  vor  Hunger  umkommen,  da  wir  ihn  von  keiner  anderen 
Frau  aufziehen  las.sen  können“.  Und  sie  sprachen  zur  Mutter: 
„Wenn  du  in  fremde  Länder  wandern  willst,  wo  du  unbekannt 
bist,  dann  wollen  wir  dir  um  des  Knaben  willen  dein  Leben 
schenken“.  Und  sie  dankte  ihnen  und  segnete  sie.  und  von  Tür 
zu  Tür  bettelnd  zog  sie  mit  Pilgern  durch  die  Länder  und  kam 
schliesslich  nach  Bologna,  wo  ihr  Bruder,  der  zu  seiner  wi.ssen- 
schaftlichen  Ausbildung  hingegangen  war,  als  Bischof  cinge.setzt 
worden  war.  Dort  ndite  sie  sich  aus  und  empfing  vom  Bischöfe, 
der  täglich  für  die  Pilger  sorgte,  Almo.sen.  Dabei  erblickte  sie 
ein  frommer  Mann  und  wurde  auf  ihre  Schönheit  und  die  edle 
Gestalt  ihres  Sohnes  auBnerk.sam.  Dieser  bat  den  Bischof,  da.ss 
er  sie  im  Hau.se  einer  frommen  Frau  unter  sein  Gefolge  aufnähme, 
damit  sie  nicht  anderen  Ärgernis  gäbe,  wenn  sie  so  durch  die 
Welt  pilgerte.  Der  Bi.schof  erfüllt  seine  Bitte  und  sorgt  gern  für 
ihren  l.^nterhalt. 

Kndlich  kommt  der  junge  König  ans  dem  Kampfe  heim  und 
fragt  den  Grafen  des  hl.  Agidius  nach  .seiner  Gemahlin  und  fordert 
sie  zurück.  Die.ser  weist  in  gro.sser  Bestürzung  den  Brief  vor,  in 
dem  die  Ermordung  von  Mutter  und  Kind  befohlen  wird,  und  er- 


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kliirt,  (lass  der  Befehl  aiisfreführt  worden  sei.  [Bl.  d'.t']  .Man  ruft 
den  Boten,  fragt  ihn  nach  seinem  Wege  und  entdeckt,  dass  die 
Königin  Mutter  von  Arles  die  Briefe  gefälscht  hat.  Die  Henker 
werden  herbeigerufen,  und  der  König  fragt  sie  mit  tränenerstickter 
Stimme  nach  der  Grabstätte  seiner  Frau  und  seim*s  Kindes,  niii 
ihnen  dort  in  den  Tod  zu  folgen.  Als  er  aber  in  den  Hain  geführt 
worden  ist  und  die  Walirheit  nicht  länger  verborgen  bleiben  kann, 
bekennen  die  Henker,  dass  sie  die  Mutter  aus  Mitleid  mit  dem 
Kinde,  ohne  ihr  ein  Leid  zu  tun,  hätten  von  dannen  ziehen  la.ssen. 
Diese  Worte  richten  den  König  wieder  auf,  und  er  schwöit,  nicht 
eher  wieder  in  sein  Königreich  zuriiekzukehren,  als  bis  er  sichere 
Kunde  von  .seiner  Gemahlin  hätte.  Er  geht  allein  von  dannen, 
versclienkt  seine  königliche  Kleidung  an  .\nne,  legt  ein  Bettler- 
gewand an,  und  indem  er  von  'für  zu  Tür  um  Almosen  bittet, 
forscht  er  nach  der  Mutter  und  dem  Kinde,  indem  er  die  Gc'stalt 
und  die  be.sonderen  Kennzeichen  seiner  Gattin  angibt.  Und  als 
er  die  Gewissheit  erlangt  hat,  da.ss  sie  mit  anderen  Armen  ihres 
Weges  gezogen  ist,  folgt  er  ihren  Simren  und  wird  so  auch  nach 
Bologna  geführt.  Als  er  dort  eines  Tages  aus  der  Hand  des 
Bi.schofs  ein  Almosen  entgegennimmt  und  man  an  ihm  weder  Kot 
noch  Gebrechlichkeit,  sondern  nur  die  Demut  eines  Almoseuemp- 
fängers  wahrnimmt,  lässt  ihn  der  Bi.schof  zu  sich  rufen  und  fragt 
ihn  nach  dem  Grunde  .seiner  Herkunft,  l.'nd  er  erzählt  der  Reihe 
nach  alles,  wie  es  sich  zugetragen  hat,  und  der  Bischof  erkennt, 
dass  jenes  Weib,  das  von  seinen  Almosen  lebte  und  nnlerhalten 
wurde,  die  (jemahlin  die.ses  Mannes  sei.  Er  lä.sst  die  fromme 
Frau  mit  dem  Jungen  Weibe  kommen  und  fragt  diese  nach  ihrer 
Abkunft  und  ihrem  früheren  Stande.  Da  erkennt  er,  dass  sie 
seine  leibliche  .Schwester  und  die  Gemahlin  des  Königs  von  Arles 
ist.  Am  folgenden  Tage  lä.sst  er  ein  .Mahl  bereiten,  ihnen  beiden 
königliche  Gewänder  anlegen,  seine  ge.samte  Umgebung  zu.sammen- 
rufen  und  führt  die  Mutter  mit  ihrem  Kinde  in  die  .Arme  ihres 
Gatten.  Und  der  König  schliesst  sie  in  seiner  Freude  in  seine 
Anne  und  küsst  sie  und  lä.sst  sie  nicht  mehr  von  sich.  Da  ruft 
der  Bischof:  -Mein  lieber  Freund,  la.ss  .sie  mir  d(Kh  auch  für 
einen  .Augenblick;  es  ist  ja  meine  Schwester,  und  ich  bin  ihr 
leiblicher  Bruder,  der  Sohn  des  Grafen  von  Poitou.  .Als  das  der 
König  hörte,  war  die  Freude  aller  ungemein  gro.ss.  Und  der 
Bischof  gab  seiner  Schwester  die  Grafschaft  Poitou  als  Mitgift, 


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die  er  selbst  ererbt  hatte,  und  mit  grossem  Gefolge  und  in  Freuden 
sandte  er  sie  in  ilir  Königreich  zurück. 

Ich  Imbe  diese,  einer  verschollenen  Historia  regum  Franciac 
entlehnte  Sage  hier  deswegen  ausfiihrlicli  wiedergegeben,  weil  wir 
in  ihr  nicht  nur  die  letzte  Grumllage  unseres  Märchens  zu  erblicken 
haben,  sondern  auch  deswegen,  weil  sie  zugleich  die  bisher  ver- 
geblich gesuchte  (Quelle  für  eine  ganze  Reihe  mittelalterlicher 
Dichtungen  ist.  mögen  sie  nun  direkt  aus  dieser  lateinischen  (Quelle 
hervorgega Ilgen  .sein,  oder  durch  Zwi.schenglieder  darauf  zuriiek- 
gehen.  Der  unbekannte  Dichter  des  mittelhochdeutschen  Romans 
von  Mai  und  Beaflor  nennt  als  .seine  (Quelle  selb.st  eine  Frosachronik 
oder  ein  E.\em])elbuch  *).  und  auch  die  aus  dem  12.  Jh.  stammende 
Vita  OHäe  primi  wird  die  Gründungssage  des  Klosters  8.  .\lbans 
aus  dieser  verschollenen  Chronik  der  französischen  Könige  entlehnt 
haben®).  Indirekt  beruhen  auf  ihr  der  Bericht  in  der  anglonor- 
manni.schen  Chronik  des  Nicholas  Trivet*),  aus  dem  Gower  und 
Chaucer  ihren  Stoff  entlehnten,  das  mittelenglische  Gedicht  Fniare  *), 
dius  als  (Quelle  bretonische  Lais  bezeichnet,  und  des  Fhili]i|i  von 
Beaumaiiüir  Roman  ,.Manekine‘ ^),  in  dem  bereits  die  Heldin  sich 
die  linke  Hand  abhaut,  um  den  Werbungen  ihres  Vaters  zu  ent- 
gehen. Die  Literatur  über  die  zahlreichen  Variationen  un.seres 
Märchens,  die  zum  Teil  noch  heute  im  Volksniunde  lebendig  sind, 
verzeichnet  Hermann  Suchier  in  seinem  .Aufsatze:  Über  die  Sage 
von  Ofta*).  Doch  wird  der  Versuch,  die  Sage  als  altgermanisches 
Gut  in  Anspruch  zu  nehmen,  auf  Grund  der  uns  vorliegenden 
ältesten  Fassung,  die  in  französisches  Geliiet  führt,  abzulehnen 
sein’).  Denn  da.'js  wir  es  in  un.serem  Te.xte  mit  einer  alten 
Chronikenfa.ssung  zu  tun  haben,  das  beweisen  schon  die  klaren 
geograidiischen  Bezeichnungen  und  die  histori.sch  einwandsfreie 
Verbindung  des  hl.  Agidius  mit  der  Stadt  Arles,  Züge,  die  gegen- 

*)  .^usg  vnii  F.  Pfeiffer,  1H48  S 3 v.  12— Ifi. 

•)  Mathaci  Paris  Historia  maior,  ed.  Wats  London  1640. 

•)  .\usg  in  der  Chancer  Society,  second  serics  VTl,  S.  1. 

*)  .\usg.  von  liitson,  .\ncient  English  mctrical  romancecs  2,  2t(4.  (1K02;. 

*)  Bordier,  Philippe  de  Itemi  sire  de  Beaumanoir,  1873  lUeser  lioman 
entstand  um  1270,  wahrend  der  deutsche  von  Mai  und  Beatlor  bereits  1257  ge- 
schrieben worden  sein  «’ird. 

•)  Pani-Braunes  BeitrSge  Bd.  4.  514  (1877). 

’)  Ebenda  S 516. 


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über  den  ])liantastisclien  Orts-  iiiid  I’ersoiieimamen  der  anderen 
Fassuti{j:en  sofort  die  Originalität  unseres  Textes  erkennen  lassen. 

Unil  nun  keinen  wir  zu  unserem  Mürclienexeinpel  zurück. 
Krst  ein  Vergleich  mit  den  mittelalterlichen  literarischen  Fassungen 
der  zugrunde  liegenden  Hage  einerseits  und  mit  den  heutigen 
Variationen  des  Märchens  anderseits  zeigt  den  bedeutenden,  ästhe- 
tischen Wert  unserer  eingangs  erzählten  Fxcmpelfassung.  Nur 
hier  ist  die  ge.samte  Handlung  einheitlich  motiviert.  Unter  Weg- 
lassung des  anstössigen  Sageneinganges  von  dem  sündigen  Ver- 
langen des  Vaters  ist  die  erste  Prüfung  der  Heldin,  Jedenfalls  erst 
aitf  dcuhschem  Hoden,  durch  die  Eitiführung  des  Motivs  von  dem 
Hasse  der  bösen  Stiefmutter  begründet;  ihrer  Eifersucht  fällt 
Salvatica  zum  Opfer  wie  Sneewitchen,  mit  der  sie  auch  in  ihrem 
ferneren  Geschicke  manche.  Ähnlichkeit  anfweist;  und  attch  das 
Vertauschen  der  Briefe,  durch  das  die  zweite  Prüfung  der  Heldin 
veranla.s.st  wird,  ist  der  bösen  Stiefmutter  Werk.  Am  Schlu.ss 
tritt  noch  einmal  die  Ähnlichkeit  mit  dem  Sneewitchenmärchen 
stärker  hervor,  da  in  beiden  die  böse  Königin  mit  dem  Tode  be- 
straft wird.  Auch  die  Sage  von  Genofeva  wird  nicht  ganz  unab- 
hängig von  un.serem  Märchen  sein.  Der  Wald  und  der  Jäger 
spielen  in  unserer  Fa.ssiing  dieselbe  Rolle,  wie  in  der  Sneewitchen- 
und  der  Genofevasage,  und  die  ganze  erete  Waldszene  hat  ihr  fast 
wörtliches  (iegenstück  in  dem  Grimmschen  Märchen  Nr.  ‘J7  von 
dem  Was.ser  des  Lebens,  wo  auch  der  Jäger  beauftragt  ist,  den 
Prinzen  zu  töten.  Diese  für  un.sere  Fassung  charakteristischen 
Züge  geben  ihr  ein  echt  deutsches  Gepräge  und  machen  sie  in  viel 
höherem  Grade  als  die  in  den  Grimmschen  Märchen  enthaltene 
Fa.ssung  des  Märchens  von  dem  Mädchen  ohne  Hände  zu  einem 
Wertstück  deutscher  Volk.spoesie. 

Zum  Schluss  noch  einige  Worte  über  das  mit  der  alten  Sage 
später  verbundene  Marienmirakel  von  der  wunderbaren  Wieder- 
erlangung der  abgehauenen  Hände.  In  dem  Abschlagen  der  Hände 
.sieht  Hermann  Suchier  in  seinem  obenerwähnten  Aufsatze  ‘)  einen 
aus  germani.schem  Rechtsbrauch  entlehnten  Zug;  ich  halte  das 
Motiv  vielmehr  als  eine  Entlehnung  aus  griechi.schem  Romangnt. 
Es  findet  sich  auch  in  Seneca,  controversiae  I 7,  wo  ein  Vater 
den  Seeräubern  doppeltes  Lösegeld  für  die  Freigabe  seines  Sohnes 

')  PBH.  IV  6tio. 


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4^ 

verspriclit,  wenn  sie  diesem,  der  seinen  Bruder  getötet  hat,  zuvor 
die  Hände  abhauen.  Als  Vorlage  für  unsere  .Märehenfassung  hat 
aber  meines  Erarhtens  eine  Legende  von  dem  hl.  .Johannes 
Dama.scenus  gedient,  die  mit  einem  wundertätigen  Marietd>ilde  nach 
dem  Abendlande  kam. 

Um  sich  seines  Gegners  zu  entledigen,  lässt  der  Kaiser  von 
Byzanz  in  die  Hände  des  Fürsten  von  Damaskus  einen  angeblich 
von  Johannes  geschriebenen  und  mit  gefälschtem  Siegel  ver- 
•sehenen  Brief  spielen,  in  dem  sich  der  Heilige  erbietet,  an 
Byzanz  die  Stadt  Damaskus  zu  verraten.  Auf  Befehl  des  Fürsten 
wird  dem  Heiligen  vom  Scharfrichter  die  rechte  Hand  abgeschlagen. 
Vor  einem  Marienbilde  bittet  dieser  um  den  Beistand  Marias,  da 
er  nun  nicht  weiter  zu  ihrer  Ehre  schreiben  könne.  „Nach  diesen 
vnnd  dergleichen  Worten  vbertällt  ihn  der  Schlaft';  die  Mutter 
(iottes,  welche  alles  gehört,  vnd  sehr  wol  verstanden,  würdiget 
sich  ihren  Diener  vnd  lieben  Sohn  zu  besuchen,  vnd  seinem  Be- 
gehren zuwillfahren,  nimbt  die  Hand  von  dem  Altar,  haltet  vnd 
truckt  .sie  mit  vbernatürlicher  Krallt  also  an  den  stum])fcn  Arm, 
da.ss  sie  alsbald  angewachsen“.  Der  Heilige  erwacht,  sieht,  dass 
.sein  Ti’aum  in  Erfüllung  gegangen  ist,  „vnd  sagte  Gott  vnd  seiner 
lieben  Werthen  Mutter  vmb  solche  Gutthat  gebührenden  Dank“. 
Das  wundertätige  Bild  kam  nach  Venedig*). 

Zehn  Schutzbriefe  unserer  Soldaten. 

Von  Dr.  Karl  Olbrich. 

Im  .Tahrgange  1897  unserer  „Mitteilungen“  (IV  81  ff.)  erstattete 
ich  bereits  einen  kurzen  Bericht  über  „Waffeusegen“,  der  eine 
geschichtliche  Einleitung,  die  den  Brauch  möglichst  weit  zurück 
verfolgte,  und  einen  nacli  Gruppen  geordneten  Überblick  über  den 
Inhalt  sämtlicher  mir  bekannter  „Schutzbriefe“  gab.  Die  in 
meinem  Besitz  befindlichen  Briefe  blieben  damals  noch  ungedruckt. 

')  Entnommen  dem  Marianisdicn  Atlas  des  Gnilcimus  Gumppeiiberg,  Ingol- 
stadt l(w)7  Bd.  I S.  4.S  flf.  — In  einer  Perg -Hs.  I 21  Bl.  Ulv  der  Kgl.  und 
rni%'.-Bibl.  7,11  Breslau  ans  dem  14.  .Ih.  wird  in  einer  Weihnachtspredigt  er- 
zählt, dass  ein  ohne  Arme  geborenes  Miide.hen,  .Xnast.asia,  die  in  einer  unter- 
irdisehen  .Schmiede  den  Bla.sebalg  tritt,  in  der  Gehnrtsnarht  Christi  das  Licht 
wahrninimt.  zu  Maria  eilt,  das  Kind  berührt  und  dadurch  ihre  .Arme  erhält. 


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46 


Ich  hole  dies  jetzt  nacli,  lepe  aber,  um  die  fortwährenden  Wieder- 
holungen zu  vermeiden,  ini  all^enieinen  einen  Originalbrief  zu- 
grunde und  füge  die  bedeutenderen  Abweichungen  der  anderen  Texte 
als  Fussnoten  hinzu.  Ich  berücksichtige  dabei  nur  die  iin  Ori- 
ginal vorliegenden  Briefe;  von  den  in  Abschriften  cingesandten 
und  im  Jahrgange  1870,71  der  „Gartenlaube“  veröftentlichten 
Briefen,  die  ich  l)ei  meiner  ersten  Arbeit  noch  heranzog,  nehme 
ich  diesmal  Abstand,  da  ich  ihre  ('bercinstimmung  mit  den  Ur- 
texten nicht  kontrollieren  kann.  Die  hier  benutzten  Originale  sind 
vergilbte,  z.  T.  eingerissene  und  befleckte  Papiere  von  (juart-  bis 
Folioformat,  alle  einmal  längs  und  zwei-  bis  dreimal  quer  ge- 
brochen. So  konnten  sie  be(piem  im  Brustbeutel  oder  auch  im  Ge- 
sang- oder  Soldbuch  mitgeführt  werden. ' Sie  sind  sämtlich  während 
eines  oder  mehrerer  Feldzüge  getragen  worden,  worüber  die 
Briefe  der  Einsender  Auskunft  geben ; unter  einigen  steht  der 
Name  des  Schreibers  oder  der  Schreiberin;  der  eine  war  ursiu  iing- 
lich  mit  drei  Siegellacktropfen  geschlossen , dazwischen  stand  die 
Nummer  der  Komiiagnie  und  des  Regimentes. 

Eine  andere  Überlegung,  zu  der  mich  eine  vergleichende 
Durchmusterung  der  zehn  Originale  führte,  ist  die  Veranlivssung, 
dass  ich  den  Inhalt  der  Briefe  in  zwei  Grupiien  behandele’.  Acht 
Briefe  nämlich  sind  nicht  einheitlich,  sondern  unverkennbar  aus 
mehreren,  ursprünglich  selbständigen  Bestandteilen  zusammeu- 
gefügt.  Der  erste  ist  eine  Bannformel  („So  wie  Christus  am  t')l- 
berge  .still  stand,  so  .sollen  . . . (>.},  der  zweite  ist  das  Graf-Philipp- 
amiilet  (Gr.),  der  dritte  der  Himmelsbrief  (Hi.).  .Als  vierter  tritt 
in  zwei  Briefen  die  Legende  von  Kai.ser  Karl  hinzu  (K  ).  Die 
mir  vorliegenden  Exemplare  zeigen  nun  folgende  Zusammen- 
setzung; 

1.  ö.  -f  Hi. 

(dazwi.schen  steht  die  Geschichte  von  der  Gewinnung  des  Briefes). 

Hierher  gehören: 

Original  I aus  Schleswig-Holstein, 

„ II  aus  Zeulenroda, 

„ III  aus  Peiskehammer, 

„ VI  aus  Schlesien, 

„ VII  aus  Schlesien  (mit  .seinem  ersten  Teile),  doch  ist  hier 
noch  Gr.  angefügt,  (also  0.  -|-  Hi.  + Gr.)'). 

’)  Dieselbe  Zusammeuselziing  zeigt  z.  li.  der  lirief  bei  Barlsob  (.S.tgeii  ans 


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47 


■2.  Gr.  4-  + Hi. 

(zwischen  i).  mul  Hi.  die  (ieschiclite  von  der  Auftitidunp:  des  Briefes). 
Hierher  {rehiiren: 

Uripinal  IV  au.s  Mccklenburff  ivor  0.  neue  t'berschriff:  ^Haus- 
und  Schufzhrief'); 

Orifrinal  V au.s  Kas.sel  (V  Komp.  R<rt.  80),  eilijr  {re.schriehen  und 
lückeiiliaft '). 

'3.  Hi.  + Gr.  + K. 

(Hi.  ohne  einleitende  Auffindunfrsge.schichte). 

Hierher  gehören: 

Original  X au.s  Pommern  (('henschrift  „Himmelsbrief“); 

Original  VII  aus  Schlesien  (mit  seinem  2.  Teile),  doch  ist  Gr.  nur 
abgekürzt  erhalten*); 

4.  nur  Gr.  oder  Hi. 

nur  Gr.  Original  VIII  (eingesandt  aus  Zeulenroda  mit  II),  eine 
.Menge  Segen  formein  und  Beschwörungen  sind  damit  ver- 
bunden *); 

nur  Hi.  Original  IX  ans  Mecklenburg  mit  einer  völlig  eigenartigen 
Einleitung  und  .\uftindungsgeschichte*). 

('berblickt  man  1—3,  so  entsteht  folgendes  Bild:  Das  Hau])t- 
stück  der  zusKinmenge.setzten  Briefe  bilden  ö.  und  Hi.,  d.  h.  der 
einleitende  Teil  ist  der  Bannspruch,  daran  schlie.sst  sich  stets  die 
Geschichte  von  der  Auftindiing  des  Briefes,  und  darauf  folgt  der 

.Mo<kleiibiirj{  II)  Nr,  HWl  ans  Knatuik;  ein  liricf  ans  Neusladt-FriciUaiiil  (Archiv 
für  Religionswissenschaft  V I.Ö.H)  Nr.  2 — zu  VII:  Bartsch  a.  a 0.  Nr.  11)29  mul 
Ulrich  .lahn  (Baltische  .Studien  H6,  210),  Brief  2 au.s  Kemitz,  Kr.  Randow. 

')  Hierher  gehört  z.  B auch  der  Brief  hei  U.  Jahn  a.  a.  0.  S.  4.ü  (ebenfalls 
vor  Ö neue  Überschrift:  „Hans-  und  Schntzbrief''),  und  bei  Bartsch  a.  a.  0. 
Nr  ir>;10  ans  Proseken  bei  Wismar  (auch  hier  vor  O.  neue  llbcrschrift:  „ein 
.Sclmtzhrief“,  das  fehlende  „Haus“  ist  durch  Versehen  in  die  voranfgehende 
Kormel  hineingezogeii  „das  ist  bcs.ser  als  tiold  im  Hans“  (sonst  „das  ist  Iresser 
als  (iolil“);  aus  „und“  ist  daun  „ein“  geworden. 

’)  Dazu  stimmt  z.  B.  der  Brief  bei  ü.  Jahn  a.  a.  O.  S.  40  uiul  .1er  Brief  in 
iler  Zcilschr.  f.  Kthiiologie,  31.  Verhaudl.  8.  4(i!)  ans  Pommern. 

*)  -Ähnlich  ist  iler  Brief  bei  Meier  (Sagen  aus  Schwaben)  S.  52H  und  im 
Archiv  für  Religionswissenschaft  a.  a 0.  Nr.  3. 

•)  Zn  vergleichen  ist  der  Brief  im  .Archiv  nsw.  a.  a.  O.  Nr.  1 (für  das 
(iradoria  meines  Briefes  steht  hier  „Gregorin“)  aus  Böhmen;  und  Losch  „Deutsche 
.Segen.  Heil-  und  Bannsprüchc“  Nr.  340,  (Württcmbergi.schc  Jahrbücher  II  3 [1891) 
S.  2;t4}. 


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48 


Hiiniiiflsl)riet'  (4  X).  Davor  oder  daliiiiter  (2  X,  1 X)  tritt  in 
einipen  Briefen  der  Graf-Pliilippbrief;  doch  sind  die  Bestandteile 
alifjesetzt,  zum  Teil  auch  durch  neue  ('berschrift  gekenn- 
zeichnet. Der  merkwürdigste  Brief  ist  VH;  hier  sind  eng 
auf  4‘/s  Seiten  Folio  hintereinander  geschrieben:  D.  -f  Hi. 

(mit  Einleitung)  und  ür.  + Hi.  (ohne  Einleitung,  anfangs 
wairtlich  mit  X übereinstimmend)  -f-  (ir.  (abgekürzt)  + K.  Dar- 
nach könnte,  man  annehmen,  dass  der  Schreiber  vemhiedene  Vor- 
lagen (etwa  unser  1 und  3)  hatte  und  sie  nach  dem  Grund.satze: 
„Doppelt  hält  bessei"*  nacheinander  in  einem  Schutzbriefe  zu- 
sammensclirieb.  Der  erste  Gr.  ist  vielleicht  durch  ein  Versehen 
dazwischengeraten;  der  Schreiber  hat  die  Wiederholung  aber 
jedenfalls  gemerkt  und  deshalb  Gr.  beim  zweiten  Male  auf  die 
Namen  beschränkt  (s.  u.  S.  50  A.  1).  So  könnte  dieser  Brief  VII 
als  Schulbeisiüel  dafür  dienen,  wie  unsere  kompilierten  Schutz- 
briefe überhaupt  entstanden  sein  mögen. 

Wenn  also  in  unseren  Originalbriefen  der  Text  auch  alseine 
Einheit  aufgefas.st  wird  und  eine  gemeinsame  ('berschrift  und  ein 
gemeinsamer  Ab.schlnss  in  einigen  scheinbar  vorhanden  ist,  so  sind 
sie  doch,  wie  obige  ('bersicht  zeigt,  ein  Gemisch  von  verschieden- 
artigen Bestandteilen,  die  weder  logisch  recht  verknüpft  noch  im 
Tone  einheitlich  sind.  Das  einzig  Gemeinsame,  das  sie  zusammen- 
hält, ist  der  gleiche  Zweck:  Schutz  des  Trägers  vor  Gefahren  im 
Kriege. 

Ich  führe  also  den  Inhalt  der  acht  Briefe  in  zwei  Abteilungen 
vor:  1.  Der  Graf- Philippbrief  langeschlo.ssen  die  Legende  von 
Kaiser  Karl),  2.  Der  Himmelsbrief  (angeschlossen  der  einleitende 
Bannsegen).  Brief  VUl  und  IX  werden  dann  in  vollem  Wort- 
laut mit  allen  Fehlern  und  Lücken  der  Originale  wiedei'gegeben. 
Ein  Aidiang  enthält  die  für  Geschichte  und  Verwendung  der 
Briefe  wertvollen  Begleitschreiben. 

Der  Ornf-Phllipp-brlef. 

Nach  Nr.  7 (1.  Teil). 

Ein  Brief  an  jedermann. 

(Vornelimlich  aber  für  einen  Schleswig-Holsteiner  und  für  die, 
welclie  für  sie  fechten.)  B.  G.  H. 

Ein  Giaf  hatte  einen  Diener,  w'elcher  sich  für  .seinen  Vater 
das  Haupt  wollte  abschlagen  las.seii.  Als  nun  solches  ge.scliehen 


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49 


sollte,  da  versaf^te  des  Scharfrichters  Schwert,  und  er  konnte  ihm 
das  Haupt  nicht  absclilafren ').  Als  der  Ural'  dies  sah,  frafjte  er 
den  Diener,  wie  es  ziipin<re,  dass  das  Schwert  ihm  keinen  Schaden 
znfn^e,  worauf  der  Diener  ihm  diesen  Brief  mit  den  Buch- 
staben L.  J.  F.  K.  ü.  B.  R.  K.  zeiprte.  Als  der  Graf  diesen 
sah.  befahl  er,  da.ss  ein  jeder  die.sen  Brief  bei  sich  tragen  .sollte. 

Wenn  jemand  die  Xase  blutet  oder  er  sonst  blutigen  Schaden 
hat  und  das  Blut  nicht  stillen  kann,  .so  nelime  er  die.sen  Brief 
und  lege  ihn  darauf,  so  wird  er  das  Blut  gleich  .stillen. 

Wer  dieses  nicht  glaulten  will,  der  schreibe  die  Buchstaben 
auf  einen  Degen  oder  Gewehr  und  steche  (stelle)  ihn  al.sdann 
an  einen  bestimmten  Platz  (Ort),  so  wird  er  nicht  verwunden 
können  *). 

Und  wer  diesen  Brief  bei  sich  trägt,  der  kann  nicht  l>e- 

’)  Ein  Graf  sollte  einem  Diener,  den  wollte  er  für  B.  G.  11.  Vater  das 
llnii|it  aljsclilageii  la.sscn.  Wie  nun  .solches  gcsclielien,  so  hat  ihm  der  Scharfrichter 
keinen  Sclmdcii  zufügen  kUnnen.  Als  der  Graf  dies  . . . (.5  und  4).  Graf  Philipp 
von  Flandern,  iler  einen  Ritter  hatte  und  diesem  eines  Verhrccliens  wegen  den 
Kopf  abhaiien  lassen  wollte,  vermochte  es  durch  seinen  Scharfrichter  nicht; 
denn  er  konnte  ihn  weder  verwunden  noch  erhauen.  Die-s  erregte  gros.se  Ver- 
wunderung bei  dem  Grafen  und  allen  .Anwesenden  Der  Graf  liess  ihn  hierauf 
vorfuhren  nnd  brachte  ihn  zum  üesländuis,  mit  welchen  Dingen  dies  zugingu, 
worauf  er  ihm  das  Leben  achenklo,  und  der  Ritter  ihm  sogleich  diesen  Brief 
mit  folgenden  Buchstaben  vorzeigte  diese 

Diener  wunderten  sich  sehr.  Wenn  jemand  die  Nase  . . . (10).  Graf  Philipp  von 
Flandern  der  batte  einen  Diener,  der  das  Leben  verschuldet  hatte , dass  er  ihn 
wollt  richten  lassen,  und  da  sein  .Schwert  nicht  schneiden  wollte,  da  wunderte 
sich  der  Graf  sehr  und  sagte  zu  ihm:  .Zeige  mir  deine  Sache,  so  will  ich  dir 
ilas  Lehen  schenken*.  Da  zeigte  der  Diener  ihm  den  Brief,  den  er  an  seiner 
rechten  Seile  hatte.  Das  gefiel  dem  Grafen  und  allen  seinen  Knechten  wohl 
nnd  liess  den  Brief  alle  seine  Diener  abschreiben.  Indem  wenn  du  vor  Gericht 
gehst,  so  nimm  diesen  Brief  an  deine  rechte  .Seite.  Hast  du  einen  Feind,  der 
mit  dir  streiten  will,  so  nimm  diesen  Brief  zu  dir  an  ileine  rechte  Seite,  so  kann 
dir  nichts  versehreu  oder  überwinden.  Auch  welche  Frau  in  Kindesnöten  liegt 
und  nicht  gebiiren  kann,  so  hänge  ihr  denselben  um  den  Hals,  so  gebärt  sie 
ohne  Schaden.  So  jemand  die  Nase  blutet,  dem  gib  den  Brief  in  die  rechte 
Hand,  so  stillt  sich  gleich  das  Blut*.  Dann  Iregiunen  andere  Beschwörungen 
(H)  8.  n.  S.  65. 

•)  der  schreibe  vorstehende  Buchstaben  auf  ein  Mes.ser  und  steche 
ein  Tier  damit,  cs  wird  gewiss  nicht  bluten“  (10).  Darauf  folgen  die  Namen: 
,Ben  t Vcsius  t Baltus  f Nomen  f Sebusch  t Muhamett  + .lesus  f Maria  t 
Joseph  + “. 

Mlttcllantreu  d.  BOliles.  lies.  r.  VkUc  Hell  Xi\  4 


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60 


zaubert  werden,  und  seine  Feinde  können  iiini  keinen  Schaden 
zufügen  *). 

Wer  diesen  Brief  bei  sieb  trägt,  das  ist  besser,  denn  (iold. 

Vergleicht  man  den  Text  der  Erziililting  in  den  einzelnen 
Briefen  miteinander,  so  sielit  man  alsbald,  dass  8 ihn  am  voll- 
kommensten bietet;  liier  sind  alle  wesentlichen  Züge  klar  ent- 
wickelt: der  Scharfrichter  kann  den  Verbrecher  nicht  ent- 
haupten. .Man  vers])riclit  ihm  das  Leben,  wenn  er  das  (Jebeimnis 
verrat.  Er  zeigt  .sein  .fest “machendes  Amulet.  Durch  Abschreiben 
wird  es  zu  allgemeinem  Nutzen  weiter  verbreitet.  Zur  Ver- 
gleicliung  und  Ergänzung  füge  ich  den  Text  aus  zwei  Segen  vom 
Anfänge  des  .sechzehnten  .lahrhunderts  bei: 

„graf  philipp  von  Üandern  wolt  ainen  men.schen  sin  haupt 
abschlacben,  da  plaib  der  man  von  des  swerts  siege  und  ward  nit 
wundt.  des  verwundert  den  grafen,  wie  dem  waer,  das  in  das 
swert  nit  versebnid;  und  sy  gelobten  im  das  leben,  da  ließ  er  den 
brief  wissen  i E i i t g t c f den  brief  ließ  der  graf  .schreiben 
ifftgtstlfotitlfot  custodiat  täninlum  tuum  Kuentz 
t ft  t n f 1 t t h t t t i t u t welcher  men.sch  für  geriebt 
get,  der  nein  den  brief  mit  im“  usw.*). 

„gi’att'  llainrich  von  Flandren  der  wolt  ainem  menschen  das 
hanpt  ab.schlahen,  da  kündt  in  das  schwert  nit  ge.scbneiden  von  des 
priffs  wegen,  des  wündert  sich  iler  graft'  mul  all  lentt.  dy  das 
sahen,  da  gelobt  er  im  das  leben  zu  halten,  das  er  im  saget,  wy 
das  znging,  das  in  das  schwert  nit  schnidt.  da  zaigt  er  im  diseii 
jiritt'.  T.  G.  F.  T.  X.  disen  pritf  ließ  er  den  leuten  außsebreiben, 
wan  er  ist  al.so  gut,  iiesunder  für  schneiden,  für  pe.schlelien  und 

')  Nr  4 fügt  ein:  D."is  sind  die  heiligen  5 Wunden  Chri.sti  K.  II.  T.  G.  K. 
So  his  .sicher,  dass  kein  snltdi  l’rteil  dir  geschehen  kann.  Wer  diesen  Brief  bei 
sii'h  (ragt,  dein  kann  kein  Blitz  oder  Donner,  kein  Feuer  oder  Wasser  schaden 
(=  5),  und  wenn  eine  Krau  gebärt  und  die  Geburt  nicht  von  ihr  will , so  gebe 
inan  ihr  diesen  Brief  in  die  Hand,  so  wird  sie  bald  gebären,  und  das  Kind  wird 
sehr  glücklich  werden.  — Nr.  7 setzt,  ii.achdcin  am  .Schluss  des  ersten  Teiles  Gr. 
bereits  stand,  mitten  im  zweiten  Teile  noch  einmal  an:  „Graf  Philipp  von 
Flandern.  Bin  t Zebus  f Berline  t Mel  t Vernen  f Flucht  f Moemed  t Vichiis 
Maria  t Joseph“,  schliesst  aber  sofort  die  Legende  von  Kaiser  Karl  an  (s.  o.  S.  48). 

•)  Veroftentlicht  von  Dr.  Alwin  .Schultz  ans  einer  l’apierhandschrift  ilcr 
Münchener  Bihlimhek  f’od.  gerin.  821  (iirspr.  im  Kloster  Tegern.see)  im  .Anzeiger 
für  die  Kunde  der  ileilLschen  Vorzeit.  N.  F.  XVI.  18(i!l,  8.  4(1, <47. 


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für  all  poß  wurm  und  pfft  und  für  fiMiknus.  f F.  G.  luiütn  aiiien 
veint,  der  mit  dir  streiten  oder  veelitcn  oder  kempfen  wil,  so 
soltn  disen  pritV  pey  dir  halten,  pax  teeuin  sit  cnm  famulo  tno  . . . 
usw.“  ‘).  Gemeinsam  mit  unseren  Texten  haben  diese  älteren 
auch  die  Vorscliriften  für  die  Verwendniifj  des  Hriefes  bei  Na.sen- 
blnten,  hei  einer  {refährliehen  Geburt  und  die  Probe  an  einem 
Tiere:  „wer  des  nit  *relanl)en  wil,  der  sclireili  dise  wort  auf  ein 
swert  und  stech  es  in  ein  swein,  das  emplnet  nif'  — „wer  des 
nit  glauben  wil,  der  schreib  dise  wortt  auf  ain  boclismesser  und 
stech  damit  ain  schwein,  so  iilnet  es  nif‘.  Kine  ähnliche  Probe 
keimt  auch  der  Kolumbansegeii  (Text  bei  Holte  a.  a.  O.  436):  „sy 
pnnden  ancli  den  segen  an  einen  ochsen,  den  mochten  sie  nit  er- 
totteii".  Später  tritt  mit  der  Einführung  des  Schie.ssgewehres  an 
ihre  Stelle  die  Sch iess  jirnbe  auf  Katze  oder  Hund  (vgl  M.  IV,  86 
und  u.  S.  57). 

Für  unsere  Hetrachtnng  ist  es  vor  allem  wichtig,  dass,  wie 
die  Hriefe  z.  T.  .selbst  hervorlielien , das  in  ihnen  wirk.same  die 
-Worte,  Huchstaben'“  sind.  Dessen  ist  sich  der  Hesitzer  dieses 
Hriefes  widil  auch  heute  noch  bewusst.  Lehrer  .Micliaei  aus 
Straslmrg  i.  M.,  dem  ich  zwei  Exemplare  verdanke,  .schreibt  mir 
wenigstens,  da.ss  man  in  dem  (Jrafenbriefe  den  lateinischen 
Huchstalien  eine  ganz  besondere  Kraft  zu.schreibt,  „obwohl 
niemand  weiss,  was  sie  bedeuten,  und  sie  aucli  in  den  vorliegen- 
den E.xemiilaren  erheltlich  ab  weichen'“.  Diese  geheimnisvollen 
Zeichen  standen  ja  auch,  wie  die  Erzählung  selbst  liericlitet,  ur- 
siu’iinglich  allein  in  dem  Hriefe,  und  darnach  geliört  dieser  Teil 
unserer  Schntzbriefe  in  das  (iebiet  der  magischen  Zaulierzettel. 
von  deren  Gebraucli,  wie  ich  bereits  früher  ausführte,  altfranzü- 
si.sche  und  mittelliochdeut.sche  Dichtungen,  die  HeLclitspiegel,  ganz 
liesonders  aber  Scliriften  des  sechzelniten  und  siebenzehnten  .lahr- 
hunderts  zu  bericliten  wis.seu  (Mitt.  a.  a.  ().).  ln  unseren  Schutz- 
briefeu  finden  sich  allein  an  dieser  Stelle  Jene  Huchstaben  und 
Xamen.  ^fan  braucht  liier  niclit  unbedingt  an  orientaliscli-kabba- 
listischc  Einflü.s.se  zu  denken;  auch  dem  ('hri.stentum  Stand  der 
Buchstabenzauber  damals  nicht  fern,  und  das  germanische  Heiden- 


*)  Aus  einem  Miiuchener  Codex  veröffentlicht  von  Holte  (Zeitschrift  dt« 
Verein«  für  Volkskiinilu,  Berlin  XIV,  1S04,  S.  4H7.I. 


1« 


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52 


tum  kannte  schon  schützende  Zanherrnnen 'i.  In  Anlehnnnp  an 
die  l)ekiinntc  Form  der  altheidnisclien  ZaubersprUche  ist  dann  jene 
Erzählung  als  „episclier  Eingang*  dem  eigentlichen  „Briefe“ 
voraufgeschickt  worden,  um  durcli  die  „bindende  Kraft“  des  erst- 
maligen Gebrauches  gewissermassen  seine  spätere  Wirksamkeit  zu 
sichern^).  Die  Schlussworte  in  dem  einen  Segen  des  XVI.  Jahr- 
hunderts „custüdiat  fainulnm  tuum  Kuentz“  (wenige  Zeilen  später 
nach  Angabe  der  Verwendung  noch  einmal  aufgenommen  mit  „hoc. 
sit  auxilium  dei  famulum  (o)  tunm  (o)  Kuentz“)  zeigen  deutlich 
den  Versuch,  den  bindenden  Parallelismus  herzustellen.  „So  wie 
der  Brief  damals  schützte,  so  soll  er  jetzt  mich  den  Kuntz 
schützen“.  Was  nun  die  voraufge.schickte  Erzählung  selbst  be- 
trifft, so  hat  Bolte  sich  der  Mühe  unterzogen,  sämtliche  Schutz- 
briefe, in  denen  Graf  Philipp  von  Flandern  auftritt,  zusaminen- 
zustellen  (a,  a.  ().  S.  437  Anm.);  freilich  ist  es  unmöglich,  heraus- 
zubekommen, welcher  von  den  ge.schichtlich  bekannten  Trägern 
dieses  Namens  etwa  gemeint  .sein  könnte.  Bedeutsamer  erscheint 
es  mir,  dass  die  Wirkung  des  Briefes  zum  ersten  Male  an  einem 
Verbrecher  erkannt  wird.  Auch  der  bereits  früher  erwähnte 
Kolumbansegen  (a.  a.  O.  S.  43(i)  berichtet:  „do  versuochten  sie  es 
an  einen  ubersagten  (überwiesenen  Verbrecher),  den  mochten  sie 
mit  keinerlei  marter  leidt  getan  an  dem  leben“.  Man  sieht,  hier 
handelt  es  .sich  nicht  um  eine  zufällige  Entdeckung,  sondern  um 
eine  absichtliche  Probe  auf  die  Wirkung  an  einem  Menschen,  der 
sein  Leben  .sowieso  schon  verwiikt  hatte.  Die  Verbindungen 
zwi.schen  dem  Gi'afenbrief  und  dem  Kolumbansegen  sind  aber 
wahrscbeinlicli  noch  viel  enger.  Man  vergleiche  nur  den  Text  bei 
Lo.sch  (a.  a.  O.  Nr.  30t))*): 

')  K.  .U.  B (Kaap.ir,  Meli-liinr,  Balt.lia.sftr)  siiiil  z.  )t. , vermnllich  niii  ilcr 
Iireizahl  willen,  mirliwei.sliili  schon  fiUh  im  ZauberseRPn  eebraiiclit  worden ; noch 
heute  hält  wohl  die  crosse  Masse  die  drei  Zeichen  Uber  der  Tür  Hlr  einen 
Schützenden  Zauber.  Belege  filr  den  gcrinanischeii  Hraneh  s.  hei  K.  Meyer: 
,l*er  Aberglaube  det  Jlittelalters“  S.  2.i7  f. ; fiir  Ka.s|ur  iisw.  bei  Losch  a.  a.  0. 
■Nr.  III,  l.'rt,  :19.H  n.  a. 

*)  Wie  fest  dieser  Brauch  wurzelt,  zeigen  noch  heute  die  Reklamezettel, 
worin  die  Fl.aachehen  des  .Ternsalcmerhalsains  und  ähnliche  von  Hausierern  ver- 
triebene .MIhcilniittel  geliOllt  sind.  Indern  sie  mit  dem  Volksgeschmack  rechnen, 
erzälilen  sic  meistens  anfangs  eine  alte  lieschichto  von  der  Entdeckung  oiler 
ersten  Verwendung  des  Arkamims. 

.aus  dem  , wahren,  geistlichen  Schild,  so  vor  iUK)  .Jahren  von  dem  heiligen 


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53 


„ln  dem  Lande  Ybeiien  war  ein  Küniy,  der  hatte  einen 
S(din  mit  Namen  Collonmnus,  führte  ein  heiliges  Leben  ...  es  be- 
gab sich  aber,  dass  der  König,  sein  Vater,  in  fremde  Lande  in 
einen  Streit  ziehen  mus.ste,  bat  er  seinen  Sohn  Collomanum,  dass 
er  ihm  seinen  Segen  gebe,  damit  er  beliütet  würde  vor  allen 
seinen  Feinden  und  vor  alle  dem,  was  ihm  schaden  möchte.  Also  bat 
der  heiligs  Collomanns  Gott  den  Allmächtigen,  dass  er  ihm  offen- 
baren mochte,  wie  er  seinen  Vater  segnen  sollte,  dass  er  behütet 
würde.  Gott  erhörte  .sein  Gebet  und  sandte  Collomano  einen 
Hrief  vom  Himmel;  denselben  solle  er  seinem  Vater  geben,  da- 
mit er  werde  behütet  vor  usw.  Weil  aber  diesem  Briefe  anfäng- 
lich wenig  Glauben  beigemessen  wurde,  da.ss  er  ,so  gros.se  Ki'aft 
habe,  wurde  dem  König  geraten,  er  solle  den  Brief  an  einem 
verurteilten  Menschen  probieren  lassen,  welches  auch  der  König 
zu  tun  befahl.  Dem  Verurteilten  wurde  solches  angedeutet  und 
ermahnt,  das  Gebet  mit  .\ndacht  zu  verrichten,  welches  alles  ge- 
schähe. Als  ihm  nun  der  Züchtiger  das  Haujit  abschlagen 
wollte,  koiuit  er  ihn  nicht  verwu nden  oder  verschneiden“. 
Der  l'beltäter  besteht  dann  „mit  dem  Briefe“  auch  die  Probe  im 
Feuer  und  im  Wasser,  gegen  Gift,  Büchsen  uml  Pfeile  und  scharfe 
Watten.  „Als  nun  dieses  der  König  samt  vielen  anderen  mit  Ver- 
wimderung  gesehen,  Hess  der  König  den  Brief  mit  seinem 
Namen  abschreiben  und  ein  jeglicher  besonders  mit  seinem 
Namen,  .sie  behielten  den  Brief  in  gros.sen  Ehren  und  zogen  dahin 
in  den  Streit  und  überwanden  alle  ihre  Feinde.  Daher  soll  sich 
jeder  Christ  betteissen,  dass  er  diesen  Brief  bei  sich  trage  und 
das  Gebet  mit  .Andacht  verrichte,  so  wird  er  von  aller  Gefahr  er- 
ledigt werden,  ln  welchem  Hau.se  dieser  Brief  sorgfältig  auf- 
bewahrt wird,  schlügt  kein  wildes  Feuer  ein,  auch  wird  dem.selben 
kein  grosses  Unglück  widerfahren“.  Darauf  folgt  ev.  Joh.  I,  1 bis 
14,  Segen  Nr.  357  und  358  aus  dem  Bomanushüchlein,  die  sieben 
W^orte  Christi  am  Kreuz,  und  ein  halb  deut.sches  halb  lateinisches 
Gebet,  das  in  manchen  Bestandteilen  an  die  beiden  obenerwähnten 
Segen  aus  dem  Beginne  des  XV’I.  ,Iahrhunderts  erinnert.  Die.ser 
Brief  ist  in  einer  Sammlung  enthalten,  die  sich  den  Anschein  gibt. 


Pabst  IjCO  X.  bestätigt  worden,  wider  alle  gefährliche  biise  Menschen  sowohl,  als  aller 
Hexerei  und  Teiifelswerk  cnfgcgengeselzt.  cnni  licenlia  Mrp.  Ceus.  ibid.  An. 
1747  im  Press.  Erie,  bei  Jakob  Keim“  (ein  Auszug  aus  dem  RoioauusbUcbleiuJ. 


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54 


iiiti-  von  (k-r  Kinin*  Sanktioniertes  zu  entlialten ')  (vgl.  oben  die 
Vexierübersclirift!);  so  ist  denn  aueli  die  Krzäldnng  auf  den 
Legendenton  abgestiniint,  und  der  „Itrief''  enthält  einen  „Segeir, 
ein  „Gebet“.  Trotzdem  wäre  es  sieher  l'alseli,  etwa  anzunehinen, 
dass  der  Grafenbrief  älter  ist  und  die  Grundlage  für  die  Kolum- 
banlegendc  gab.  Denn  diese  ist  gewiss  das  Ursprüngliche;  der 
rätselhafte  Anfang  mehrerer  Grafenbriefe  „dem  w(dlte  er  für 
seinen  Vater  das  Haupt  absehlagen  lassen“  (vgl.  S.  4it)  scheint 
ja  sogar  noch  einen  rudimentären  Bestandteil  der  früheren  Legende 
zu  enthalten*). 

Wenn  aber  die  Probe  an  einem,  der  hingerichtet  werden  soll, 
den  Mittelimnkt  der  Erzählung  bildet,  so  .scheint  damit  auch  eine 
Verbindung  zu  den  berühmten  „Passaner  zeddeln“  gefunden  zu  sein, 
die  vom  Henker  verkauft  wurden.  Es  waren  (nach  Zedlers  Uni- 
versallexikon 1740  s.  V.)  „papierne  Zettel  in  Talersgrösse,  mit 
wunderlichen  (’harakteren  und  unbekannten  ^\’orten  bezeichnet“, 
die  sowohl  Menschen  als  Tiere  fest  machten,  „dass  sie  nicht 
können  beschädigt  werden“.  Sie  wurden  während  des  dreissig- 
jährigen  Krieges  von  den  Siddaten  massenhaft  gekauft  und  als 
Amulet  getragen  und  bewirkten,  dass  „diese  gottlosen  Teufels- 
diener weder  von  Kapier  noch  Degen  wund  gemacht  werden  und 
die  Musqiietenkugcln  in  die  Ermel  empfahen  und  mit  den  Händen 
auffangen  könnten“  (aus  Anhoiii  l>ei  .Meyer  a.  a.  ().  S.  277).  Auch 
hier  treten  wieder  jene  „Uharaktere  und  Worte“  auf,  denen  an- 
fangs möglicherweise  ein  Sinn  zugrunde  lag,  die  aber  jetzt  in  den 
korrumpierten  Texten  jeder  Erklärung  s])otten '’). 

Da  „Feste“  nicht  bluten  können,  mag  der  Brief  alsbald  auch 

')  „Uer  geistliche  Scliihl“  wurde  Übrigens,  wie  in  einem  Artikel  „Vom 
Aberglauben“  in  der  „Killnischen  Volkszeitung“  (8.  Januar  1907)  berichtet 
wurde,  noch  von  den  Chinakriegern  hei  einem  Messlmdcnbesitzer  erstanden! 

•)  Der  hier  gemeinte  Kolumban  (in  Stadlers  „Heiligenlexikon“  Nr.  7)  war 
Bischof  in  Irland  (s.  o.  Yberien-Ilibcrnia).  üb  in  irgendeiner  Weise  damit  zu- 
sammenhäugt , dass  einzelne  Scliutzhrief'e  sich  als  „Brief  ans  Britannien“  be- 
zeichnen. lasse  ich  dahingestellt. 

*)  Nr.  4 nennt  einmal  ftlnf  Buehstabon  „das  sind  die  fünf  Wunden  Christi“; 
diese  .spielen  auch  sonst  in  Waffen  und  Diehssegen  eine  grosse  Rolle  (Losch  a. 
n.  0.  Nr.  22,  2(>,  107,  llfi,  159,  214  und  Anzeiger  für  Kunde  der  deutseheu 
Vorzeit  a.  a.  O.  ,S.  47;;  eine  iilinlh  iic  Bedeutung  haben  die  sieben  Worte  Christi 
am  Kreuze.  Die  Namen  werden  einmal  { Anzeiger  nsw.  a.  a.  0.)  ilie  „IXXVlj 
.Namen  Christi*  genannt;  doch  bleibt  alles  verworren  und  unklar. 


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65 


ein  Mittfl  gej?pii  starkes  Bluten  geworden  sein,  und  schliesslieli 
verwendete  man  ihn,  wie  die  meisten  anderen  Segen,  als  allgemeinen 
Sehutz  in  jeder  Not  und  Gefahr.  Bezeichnend  i.st  ülirigens,  dass 
er  unter  den  „Kunden“  der  Kandstrasse  stark  \;prhreitet  war  und 
wohl  noch  ist.  Meier  (a.  a.  O.  526)  berichtet,  dass  „rei.sendc 
Handwerkshnrschen  den  Brief  bei  sich  tragen“,  bei  Jahn  .steht 
über  einem  Briefe  „ge.sandt  ans  Holstein  durch  einen  Gesellen“; 
ans  dem  Gedankenkrei.se  der  wandernden  Handwerksburschen 
stammt  wohl  aucli  die  wiederholt  erwähnte  Verwendung  des 
Briefes  (Meier  a.  a,  ().,  Berliner  Zeitschr.  f.  V.  a.  a.  O.  438),  um 
„des  Herren  oder  der  Frau  Gunst  zu  verschaffen“;  und  wenn  in 
den  Briefen  nicht  selten  an  erster  Stelle  ihre  Verwendung  „vor 
Rat“,  „vor  Gericht“  betont  wird,  so  ist  damit  nicht  nur  eine  enge 
Verbindung  mit  der  voraufgehenden  Erzählung  geschaffen,  sondern 
es  mag  auch  den  „Kunden“  ganz  erwünscht  gewesen  sein,  gegen 
die  man,  da  sie  zur  Landplage  geworden  waren,  seit  dem  sech- 
zehnten Jahrhundert  eneigi.sch  vorging. 

Nun  setzt  in  den  zwei  in  Gruppe  8 vereinten  Briefen  un- 
mittelbar hinter  den  magi.schen  Worten  des  Araulets,  die  mit 
„Maria-Jü.sepdi“  cliristlich  ansklingen,  eine  Legende  von  Kaiser 
Karl  ein.  Sie  lautet  in  beiden  Exemplaren  fast  wörtlich  über- 
einstimmend: 

„Die.ses  kräftige  und  für  alle  (Menschen)  heilsame  Gebet 
wurde  im  Jahre  1805  auf  dem  Grabe  unseres  Herrn  Jesu  (unseres 
Heilandes)  gefunden.  Als  Kaiser  Karl  zu  Felde  zog  (ging),  erhielt 
er  es  von  Parti  in  Frankreich  (vom  Papst  aus  Frankreich)  nach- 
ge.schickt,  der  es  (dass  er  e.s)  sogleieh  auf  seinem  Schilde  mit 
goldenen  Buchstaben  anfdrücken  lie.ss.  Wer  dieses  Gebet  täglich 
betet  oder  täglich  beten  (le.sen)  hört  und  damit  das  Vaterunser 
und  Jesu  Leiden  verbindet,  wird  keines  nnnatürliclien  (natürlichen!) 
'J’odes  sterben,  auch  nicht  durch  Gift  nmkommen.  Eine  Frau  in 
Kinde.snöten  wird  leicht  entl)unden  werden,  und  wenn  der  .Mann 
das  neugeborene  Kind  der  Mutter  zur  (an  die)  rechten  Seite  legt, 
auch  (so)  wird  es  vom  Unglück  befreit  sein.  ,\ucli  wird,  wer 
dieses  Gebet  bei  sich  trägt,  von  keiner  Krankheit  angefochten 
werden  (dieser  Satz  fehlt  in  X).  Wer  die.ses  Gebet  von  Haus  zu 
Hanse  trägt,  wird  ge.segnet  werden,  der  es  aber  verspottet,  wird 
ewig  verflucht  werden.  ,4nch  wird  das  Hans,  worin  es  sich  be- 


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56 


limlet,  nicht  vom  rnfjcwitter  getrottVu  werden;  und  zuletzt,  wer 
dieses  Gebet  betet  oder  beten  hört,  der  wird  drei  Tafte  vor  seinem 
Ende  ein  Zeichen  vom  Himmel  sehen“. 

Ähnlich  beftinnt  die  flinleitung  des  Kolumbansegens  (Losch 
a.  a.  O.  S.  240).  ,Das  ist  eine  Abschrift,  so  der  Pabst  Leo  dem 
Karolo,  seinem  Bruder,  gesendet;  auch  hat  diesen  Brief  der 
würdige  Abt  Coloniannus  seinem  Vater,  dem  Könige  von  Yberien, 
gesendet.  Und  wer  diesen  Brief  bei  sich  trägt,  er  wird  behütet 
usw.  . . .“  — Dass  dieser  Ge.schichte  jede  innere  Verbindung  mit 
dem  Graf-Philippbriefe  fehlt,  ist  unbestreitbar.  Es  ist  eine  jener 
Erzählungen,  die  ähnlich,  wie  gewisse  Strophen  der  Volkslieder, 
wandernd  bald  da  bald  dort  ,.anfliegeir‘.  In  anderen  Texten  der 
Schutzbriefe  (z.  B.  Gartenlaube  1871  S.  87)  leitet  sie  den  Himmels- 
brief ein,  der  dann,  ohne  die  Geschichte  der  Auffindung  iwie  in 
Gruppe  3),  eimsetzt  mit  „wenn  ihr  euch  hütet  vor  usw.“.  Dann 
taucht  sic  wieder  als  Vorwort  zu  einem  „Gebete  zum  heiligen 
Kreuze“  auf.  Dies  erschien  z.  B.  vor  einigen  Jahren  bei  W.  Witke 
in  Leobschütz  im  Druck  und  wurde  trotz  energischer  .Abmahnung 
der  Geistlichkeit  massenhaft  gekauft.  Im  Texte  lautete  hier 

einiges  anders;  „ . . . im  Jahre  1505  gefunden  . . . erhielt  er  es 
vom  Papst  zum  (Jeschenk  und  schickte  es  nach  St.  .Michel  in 
Frankreich , wo  es  auf  einem  Schilde  mit  goldenen  Buchstaben 
wunderschön  ausgedruckt  zu  lesen  ist“.  Der  Name  des  Papstes 
pa.sst  sowohl  zu  Karl  V.  als  Karl  dem  Grossen;  für  jenen  spricht 
die  Jahreszahl  1505,  für  diesen  die  enge  Beziehung  zu  dem 
Papste;  doch  bleibt  auch  hier  alles  unklar  und  kann  höchstens 
durch  eine  gelegentliche  Entdeckung  vielleicht  erklärt  werden. 

I>or  Hiniiiiolsbrief. 

Nach  Nr,  0. 

Hatis-  und  Schutz.segen. 

Im  Namen  (Jottes  des  Vaters,  des  Sohnes  und  des  heiligen  (leistes! 

So  wie  (.Miristus  am  ölberge  Stillstand,  soll  vor  dem- 
selben, der  diesen  Brief  geschrieben  bei  sich  trägt,  alles 
(jeschütz  still  stehen*). 

')  So  wie  Chi'istii«  im  Ülgarten  still  staiui,  .so  sollen  alle  OeschiUze  still 
stehen  (2,  1,  8), 

wer  das  ({eschriebene  ini  wahren  V'ertraneii  auf  mich,  euren  Erlöser,  der 
für  euch  als  ein  Scbuldoi'fcr  geblutet  hat.  bei  sieh  tragt,  den  wird  nicht  treffen 
des  Feindes  Ueschoss  (2). 


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57 


Deiiisclben  wird  nichts  schaden  des  Feindes  Geschütz  noch 
Waffen;  diesen  wird  Gott  beschützen,  er  darf  sich  nicht  fürchten 
vor  Dieben  und  Mördern.  Es  soll  ihm  nicht  schaden  Geschütz, 
Degen,  Pistole.  Alle  Gewehre  müssen  still  stehen,  sichtbare 
nnd  unsichtbare,  sowie  man  auf  mich  anschliigt  (loa  hält) ').  durch 
den  Befehl  des  heiligen  Gei.stes*). 

(Jott  mit  mir! 

Wer  die.sen  Segen*)  gegen  die  Feinde  bei  sich  trägt,  wird*) 
beschützt  bleiben.  Wer  diesen  Brief  nicht  glaidien  will*»,  hänge 
ilin  einem  Hunde  an  und  schies.se  nach  ilnn,  wird  er  dann  er- 
faliren.  ob  es  Wahrheit  sei,  so  diesen  Brief  bei  sicli  trägt,  wird 
nicht  gefangen  noch  von  des  Feindes  Waffen  verletzt.  .\men. 

Wie  wahr  es  ist,  dass  Christus  gi'storben  nnd  gen  Himmel 
gefahren  ist,  wie  wahr  es  ist,  da.ss  er  auf  Erden  gewandelt  ist*), 
kann  ich  nicht  gestochen,  geschossen  noch  an  meinem  Leibe  ver- 
letzt werden,  weder  an  Fleisch  noch  Bein’).  Ich  beschwöre 
alle  Gewehre  und  Waft'en  dieser  Welt  beim  lebendigen  Gott") 
des  Vaters,  des  Sohnes  und  des  heiligen  Geistes. 

Ich  bitt  im  Namen  .Jesu  Christi  Blut. 

Dass  keine  Kugel  mich  treffen  tut. 

Sie  .sei  von  Gold,  Silber  oder  Blei, 

(iott  im  Himmel,  half  mich  von  allem  frei ! 

Im  Namen  Gottes  des  Vatei-s,  des  Sohnes  und  des  heiligen 
Gei.stes ! 

Dieser  Brief  ist  durch  den  Engel  Michael®)  gesandt, 

')  wenn  sie  auf  den  Wehren  und  gerichtet  sind  (2). 

’)  durch  den  Tod  Jesu  Christi,  es  luilsseu  st.  st.  a.  (i.  durch  den  Befehl  des 
Erzengels  Michael  (7,  1), 

durch  den  Befehl  des  Engels  Michael  (4  und  3). 

*)  Brief  nnd  Segen  bei  dem  Feinde  bei  (.3). 

•)  vor  der  feindlichen  Kugel  (7,  t). 

")  nicht  glaubt,  der  wäre  besser,  dass  ein  Mllhlsteiu  an  den  Hals  gehängt 
und  er  ersäuft  wird  im  tiefen  Meere  (2)' 

•)  so  wahr  er  gestossen  und  gestochen  ward  (3). 

’)  werden,  Fleisch  und  Bein  soll  mir  unbeschädigt  bleiben  (4l. 
im  Namen  des  (4  n.  a.j. 

•)  Himmelsbrief,  wird  genannt  (iradoria,  welcher  mit  gilldenen  Buch- 
staben geschrieben  und  zn  sehen  ist  in  der  Michaeliskirche  zu  .31.  liermain, 
allwo  der  Brief  über  der  Taufe  schwebt;  wer  ihn  angreifen  will,  vor  dem  weichet 
er.  Wer  ihn  al>er  abschreiben  will , zu  dem  neigt  er  sich  und  tut  sich  selbst 
auf  (9;  wörtlich  gleich  (iillhoff  .Bilder  aus  dem  Üorfleheu“  2}. 


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5R 


anno  MIA  in  Holstein  gcl'ninlen  wimlcn,  es  (or)  war  mit  froldencn 
Hnrhstaln'ii  ilaranf  gescliriplK'ii  Hodrscna ! Er  scliwobtp  iil>pr  dci‘ 
Taufe').  Wer  ilm  greifen  wollte,  vor  dein  wich  er  zurück,  bis 
anno  17!t2  jemand  mit  dem  Einfalle  .'iich  niiherte,  ihn  abzu- 
.schreiben  und  der  Welt  mitzuteilen,  zu  die.sem  niiherte  ersieh*). 
Ferner*)  stand  darauf:  Wer  am  Sonntage  arbeitet,  ist  von 
mir  veidainmt  *).  Ihr  sollt  nicht  sein  wie  die  unvernünftigen  Tiere, 
ihr  sollt  an  diesem  Tage  keine  Arbeit  verrichten,  .sondein  viel- 
mehr tleissig  in  die  Kirche  gehen*).  Ich  gebiete,  sechs  Tage  in 
der  Woche  zu  arbeiten®);  jederinann,  er  sei  jung  oder  alt,  soll 
seine  Sünden  abbitten,  dass  sie  ibiii  vergeben  werden.  Schwüret 
nicht  hastig  bei  meinem  Namen!  Begehret  nicht  Gold  nocli 
Silber'),  Scheut  euch  vor  bösen  Men.schen,  vor  böser  Lust  und 
Begierde*).  Seid  nicht  falsch!  Ehret  Vater  und  Mutter!  Redet 


*)  zur  Wand  über  der  Taufe  (3),  zu  wamleln  über  der  l’aufe  (1),  zu  Mtigo- 
dina  Uber  der  Taufe  (2);  iii  (toldsteiii  — sebwebte  über  der  Taufe  Magdalt-ue» 
|7.  1)  gesebrieben  und  schwebte  Uber  der  Taufe  (ö,  4). 

’)  neigte  er  sich  berab  (nieder)  (4,  3,  1). 

•)  fUrwabr  e,s  steht  darin  geschrieben  . . . (3). 

*)  und  ich  werde  eucli  slrafeu.  Ich  werde  einen  König  aufsetzen  wider 
den  andern,  eine  Stadt  wider  die  andere;  alsdann  werde  ich  meine  Hand  von 
euch  wegzieben.  Wegen  eurer  Ungerechtigkeit  werde  ich  zweischuei<iige  .Schwerter 
ergreifen,  euch  zu  vertilgcu,  ich  werde  mit  Donuer  und  Blitz  auf  die  Erde 
hcrabfahreu,  damit  ihr  erkennt  meinen  Zorn  und  meine  göttliche  üerechtigkeit, 
weil  ihr  des  Sonntags  arbeitet.  Aus  v.dterlicher  Liebe  habe  ich  mich  ver- 
söhnet, sonst  wäret  ihr  längst  wegen  eurer  Ungerechtigkeit  verdammt  worden. 
Ich  befehle  sowohl  jung  als  alt,  dass  ihr  fleissig  in  die  Kirche  gehet  und  eure 
Sünden  bekennet.  Bei  der  Taufe  müsst  ihr  vor  der  Taufe  und  nach  der  Taufe 
nicht  von  eurem  Nächsten  beleidigt  werden  (?).  Hütet  euch  vor  Unterdrückung 
der  Armen,  somlein  helft  den  Dürftigen.  Wer  dieses  nicht  glaubet  . . . (7b). 

‘)  und  von  eurem  Reichtum  sollt  ihr  den  Armen  mitteilen  (geben)  (1,  3); 
denn  cs  ist  anvertrautes  Gut  (2)  — und  mit  Andacht  beten,  eure  Haare 
nicht  kräuseln,  nicht  Hoffahrt  in  der  Welt  treiben  und  von  eurem  Reichtum 
den  Armen  mitteilen  (3). 

*)  und  den  siebenten  Tag  sollt  ihr  Gottesdienste  hören.  Tut  ihr  es  nicht, 
so  will  ich  euch  strafen  mit  Pestilenz,  Krieg  und  teuren  (traurigen)  Zeiten 
(I,  2,  4';  ich  gebiete  euch,  dass  ihr  des  .Sonnabends  nicht  zu  spat  arbeitet, 
des  Sonntags  früh  mit  jedermann,  jung  und  alt,  andächtig  in  der  Kirche  für 
eure  Sünden  betet,  damit  sie  euch  vergeben  werden  (1,  2,  3). 

’)  schwöret  nicht  (boshaft  ?)  bei  meinem  Namen  um  Gold  oder  Silber  (1). 
*)  denn  so  bald  (so  wahr)  ich  euch  geschaffen  habe,  so  bald  (so  wahr) 
kann  ich  euch  wieder  zernichten  (3,  1).  Einer  soll  den  andern  nicht  töten  mit 


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50 


nicht  ralschcs  Zcufrnis  wider  euren  Xäelisten'  Diinn  gebe  icli  Ge- 
sumlheit  und  Frieden. 

Wer  aber  diesen  Brief  nicht  glanl)t  und  nicht  darnach  tut, 
ist  von  mir  verdammt,  er  wird  weder  Glück  noch  Segen  hal>en. 
Ich  sage,  dass  .lesus  diesen  Brief  geschrieben  Iiat;  wer 
widei-spriclit , der  ist  verlassen  und  soll  keine  Hülfe  haben.  Wer 
diesen  Brief  hat  und  nicht  offenbart,  der  ist  von  der  christlichen 
Kirche  verflucht  und  von  meiner  Andacht  verlassen.  Ks  soll 
diesen  Brief  immer  einer  den  anderen  abschreiben  lassen.  Wenn 
sie  soviel  Sünden  getan  als  Sand  am  Meere,  fiaiib  am  Batime  und 
Sterne  am  Himmel  sind,  so  scdlen  sie  alle  vergeben  werden. 
Glaubet  gewiss,  dass  ich  der  Herr  bin,  und  wer  nicht  glaubt,  der 
•soll  .sterben  und  seine  Kinder  mit  ihm  einen  ladin  empfangen'). 
Wenn  ihr  euch  nicht  bekehret,  so  werdet  ihr*}  jiimmerlich  zer- 
.scliossen  und  werdet  auch  am  jüngsten  Tage  Strafe  erleiden")'). 

Im  Namen  Je.su  ('hri.sti  Amen! 

Der  „Himmelsbrief'“  ist  als  selbständige  kleine  Schrift 
bereits  seit  geraumer  Zeit  anerkannt.  1901  hielt  I)r.  Karal»ecek 
in  der  Sitzung  der  philosophisch-historischen  Klasse  der  Kaiser- 
lichen .Akademie  der  Wissenschaften  zu  Wien  vom  0.  November 
einen  Vortrag  darüber  und  wies  darauf  hin,  dass  der  Privatdozent 
der  orientalischen  Philologie  Dr,  M.  Bittiier  den  Brief  in  armenischen 
Texten  aus  dem  Ende  des  ersten  nachchri.stlichen  Jahrhunderts  ent- 
deckt hatte.  Er  ist  nach  .seinen  .Angaben  auf  mohammedanischem 
Boden  unter  kopti.schen  Chri.sten  entstanden,  hat  im  Orient,  wie  die 
verschiedenen  sprachigen  Kedaktionen  bewei.sen,  in  hohem  Ansehen 
gestanden  und  S(dl  heute  noch  zu  den  Kirchenbüchern  der  neii- 
.syrischen  Chri.sten  zählen.  Leider  war  es  mir  bi.slier  unmöglich,  diese 

seiner  Zunge,  imil  soDt  nicht  falsch  gegen  euren  Nächsten  hinter  dem  Kücken 
sein  Freuet  euch  eurer  Güter  und  eures  Reichtums  nicht.  Ehret  . . . (9). 

')  eines  jämmerlichen  fhösen)  Todes  sterben  (1). 

*)  gleich  bestraft  oder  ich  werde  euch  am  jüngsten  (terichte  strafen,  so 
ihr  keine  .Antwort  geben  könnt,  ein  jeglicher  Uber  seine  Sünden  (4  ähul.  1 n.  9). 

•)  wer  diesen  Brief  im  Hause  bat,  der  wild  eine  liebliche  Frucht  zur 
Well  bringen  . . . (4j,  zu  Hanse  hat  oder  bei  ihm  trägt,  dem  wird  kein  Donner- 
wetter (Donner  oder  Blitz)  schaden,  und  er  soll  vor  Feuer  und  Wasser  behütet 
werden.  Welche  Frau  den  Brief  bei  sich  trägt  und  sich  darnach  richtet, 
die  wird  eine  liebliche  Frucht  . . . ^9,  ähnlich  1,  2). 

•)  Haltet  meine  (iebote,  welche  ich  euch  durch  meinen  Engel  Michael 
gc.sandt  habe.  Durch  .lesum  t'hristiim.  .Amen.  (4,  9,  1,  2.) 


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60 


Texte  zu  eiliiilteii;  docli  kann  ieli  iini  so  elier  (laraiif  verzieliten, 
weil  Bittner  bereits  sieli  damit  bescliäfti«:t,  die  wundersamen 
Wanderiing’en  des  Briefes  zu  verfolg'en.  Eine  alte  lateinisclie 
Version  des  Hiininelsbriefes  hat  I)r.  J.  Klapper  mir  aus  seiner 
reichen  .Sammlung  zur  Verfüfrung  gestellt.  (Univ.  bibl.  codex 
mannser.  1.  Q.  143  (J''),  Vorsatzblatt;  vor  147d;  das  Papier  war 
in  der  Mitte  liings  und  vierfach  quer  gebrochen  (s.  o.  S.  46).  Hier 
lautet  die  Einleitung:  epistula  ardua  ad  praccepta  Christi,  haec 
est  epistula  domini  nostri  Jesu  Christi,  quae  de  caelis  super  altare 
sancti  Petri  descendens  in  Jerusalem  incripta  marmoreis  tabulis, 
et  linnen  de  ea  nt  fulgor  erat.  Angelus  autem  domini  eam  tenebat 
in  manibus  et  omnis  poinilus,  cum  videbat  eam,  prae  timore  ceci- 
dit  in  facies  siias  et  clamavit  dicens  Kyrie  eleison,  epistola  autem 
domini  sic  dicebat:  . . . und  nun  beginnt  die  Ermahnung,  ut  diem 
sanctum  domiiiicum  custodiatis!  Im  wesentlichen  stimmt  der  Text 
mit  unseren  überein;  manche  unklaren  Stellen  in  die.sen  erhalten 
bei  der  Vergleichung  alsbald  einen  richtigen  Sinn,  z.  B.  „ich  geliiete 
euch,  dass  ihr  des  Sonnabends  nicht  zu  spät  arbeitet“  (oben  S.  58  Anni.  6) 
heisst  hier  „custodieritis  diem  sanctum  dominicum  ab  hora  nona 
sabbati  u.sque  in  diem  lunae  (später  noch  einmal  ab  hora  nona 
•sabbati  usque  in  diem  Imme  lucente  caelo  clara  luce)  und  die 
rätselhafte  Stelle  „bei  der  Taufe  müsst  ihr  vor  der  Taufe  und  nach 
der  Taufe  nicht  von  euerm  Nächsten  beleidigt  werden“  (oben  S.  58 
Anm.  4)  ist  wahr.scheinlich  eine  entsetzliche  Entstellung  von  „si 
(|uis  habuerit  aliquam  iracundiam  cum  aliquo  homine  et  accesserit 
coriuis  Christi  accipiendum,  anatema  sit!  Eine  genauere  Ver- 
gleichung mu.'-s  einer  .späteren  Arbeit  Vorbehalten  bleiben '). 

Für  unsere  Zwecke  genügt  es,  folgendes  hervorzuheben:  Was 
wir  hier  vor  uns  haben,  ist  ursprünglich  sicher  kein  Watfensegen 
gewesen;  man  könnte  es  etwa  eine  „christliche  Haustafel“  nennen, 

')  Eine  hier  nicht  vurhamiene,  rÄtsellmfte  Stolle  unserer  Briefe  (iinlet  sich 
ilentliclior  in  I>r.  Klappers  Anl'zcichuuu^eii  aus  einem  Uebetbuclie  vuii  1404 
(eod.  nmimacrip.  I.  D.  7,  79 r Vüiblatt)  ...  in  Jerusalem  in  der  Kapelle  der 
Junefrau  Maria,  de  Christus  darinuc  gegeiselt  wart.  Bonifaeius  der  sechte 
[’ahst  durch  willen  des  Königes  von  Frankenreicli  hat  daran  gegeben  XIII  tausend 
iare  nblas,  dy  es  sprechent,  wen  man  gotles  leichnam  erhebet  oder  wen  man 
wandelt  off  dem  altar  . . . Daraus  ergibt  sich,  dass  für  die  wunderlichen 
Lesarten  (oben  S.  »B  .4nm  1)  unsere  Konjektur  (M  n.  a.  0.)  .wiihrend  der  Wand- 
lung auf  dem  Altar“  richtig  war. 


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61 


dazu  bpstimmt,  als  „Haiisspgen“  iiii  Hause  auffyeliiinnft  und  fleissip 
gelesen  zu  werden.  Lelirer  Mieliael  selirieb  mir.  da.ss  dieser  Brief 
in  Mecklenburgs  Dürfern  fast  in  Jedem  Hau.se  bängt;  Johannes 
Gillbotf  (Bilder  aus  dem  Dortleben  Nr.  2)  berichtet  gelegentlich, 
da.ss  ein  „Himmelsbrief'“  sieh  „bei  kleinen  Leuten  in  Dörfern  und 
Städten  im  Rahmen  an  der  Wand  oder  zusaniinengelegt  in  der 
Lade  unter  dem  Ge.sangbuche  findet“.  Für  eine  weite  Verbreitung 
ist  ja  in  dem  Briefe  selbst  gesorgt  durch  die  energischen,  mit 
Drohungen  verbundenen  Befehle,  ihn  „abschreiben  zu  la.ssen  — zu 
olfenbareu  — immer  weiter  zu  geben  — von  Haus  zu  Haus  zu 
tragen“.  So  ist  er  denn  auch  im  Druck  erschienen  und  zwar  bei 
— Gustav  Kühn  in  Neurupi)inB! 

Ursprünglich  sind  Ja  alle  diese  Dinge  als  religiöse  Ermahnung 
und  göttlicher  Segen  gedacht.  Auch  unsere  Briefe  heben  trotz 
mancher  Wunderlichkeiten  hervor,  dass  der  verheissene  Segen  nur 
dann  eintritt,  wenn  man  „daran  glaubt  — sich  bekehrt  — diese 
Gebote  hält  — sieh  darnach  richtet“.  In  der  Volksanschauung 
aber  wird  diese  Bedeutung,  wie  meistens,  .schnell  veräus.serlicht; 
ihm  genügt  es,  da.ss  man  „den  Brief  im  Hause  hat“,  um  vor 
„Donnerwetter,  Feuer  und  Wasser“  behütet  zu  werden;  es  genügt, 
da.ss  man  „ihn  bei  sich  trägt“,  um  vor  allem  Schaden  gefeit  zu 
sein*).  Der  „Himmelsbrief“  wird  so  zum  „Haus-  und  Schutzbrief“, 
und  in  letzter  Eigeu.schaft  sichert  er  denn  auch  seinen  Besitzer 
„gegen  alle  tödlichen  Gewehre  und  Kugeln  im  Kriege“.  Um 
diese  Verwendung  zu  betonen,  sind  dann  wohl  Jene  Stellen 
einge.schoben  worden,  die  sich  ausdrücklich  auf  Kriegsgefahren 
beziehen;  und  hier  war  nun  auch  der  Punkt  gegelien,  an  den  andere 

')  Im  Mai  1867,  als  «las  fieriiclit  ging,  Mannschaften  sollten  znni  Franzosen- 
krieg eingezogen  werilen,  kanflen  die  jungen  linrsrhen  den  als  Manuskript 
ge«liui  kten  Brief  bei  G.  Kühn.  (K.  Bartsch  n.  a.  0.  II  341.)  Er  war  mit  einem 
llolzsrliiiilte  versehen,  der  .lesiis  mit  der  .striihlenkrone,  auf  Wolken  schwebeml 
nnil  nneh  oben  weisend,  darstellte.  Gillhofl'  beschreibt  ihn  folgenderiimssen : 
„oben  ein  Ureieek,  darin  ein  Auge;  «Inrllber  ein  Engel  mit  knallrotem  Kleidit 
lind  blauer  Schärpe,  in  der  Linken  trug  er  einen  grtlnen  Palmenzweig,  in  «1er 
rechten  eine  gelbe  Posanne“.  Beiile  berichten,  dass  der  billige  Druck  mit  einem 
halben  Taler  bezahlt  wurde! 

•)  So  liugen  die  Jinlen  Zettel  mit  Stellen  des  mosaischen  Gesetzes,  die 
t'hristen  die  Anfangsworte  des  .lohannesevangelinms  als  Aiimlet  hei  sich  (M«;yer 
a,  a.  O S.  2Ö8,  Mitt.  IV  891.  Bei  den  Miihamedaiiern  tuen  Koranspritcho  die- 
selben Dienste 


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WattViiscfren,  wie  (Ut  Graf-Pliilipp-hrief  und  der  Tlaimspnieh,  sicli 
ankrystallisieren  konnten. 

Der  Bunns]irueli. 

Aneil  dieser  einleitende  Teil  ist  offenbar  nielit  einlieitlieli: 
unsere  Texte  machen  durch  das  bekräftijreride  jAmeu'*  einen  deut- 
lichen Absatz  hinter  der  Schlussiirobe;  und  in  der  Tat  wird  darauf 
auch  ein  anderer  Ton  angeschlajten : es  foljjrt  eine  Jener  ziemlich 
farblosen  Besch wörun(j:en,  welche,  wie  viele  andere,  die  wirkende 
Kraft  durch  die  , Wahrheit“  einer  Bibelstelle  oder  eines  (ilaubens- 
artikels  begründen  wollen  unil  schliesslich  in  frereimten  Versen 
aiiskliiifren.  Ks  ist  eben  die  bekannte  Erscheinunp:  aus  der  zweiten, 
christlichen  Epoche  der  Senensschöpfun}r'),  dass  verschie- 
denes in  einem  Sefjen  vereint  wird  und  Anrufiiufren  Gottes,  Christi 
oder  Mariä  sowie  allerlei  anfrehänp:te  Gebete  die  alten  Formeln 
allmählich  um.schlingen  und  fast  ver.schwinden  la.ssen.  .Aber  die 
Einleitungsformel  unseres  Briefes  ist  trotz  allem  noch  leidlich 
erhalten,  sie  gehört  offenbar  unter  jene  Formeln,  von  denen  tlriuim 
(11,  1042)  sagt,  dass  sie  .sicher  .nicht  in  der  christlichen  Zeit 
ent.s]irangen,  wohl  aber  unter  dem  Volke,  das  nur  heilige  Xamen 
einschaltete,  törtdauern  konnten“.  Soll  man  es  wagen,  die  heidni- 
.schen  Worte,  die  uns  den  Sinn  un.serer  Formel  erschlie.s.sen  könnten, 
zu  raten?  .ledentälls  lockt  es.  mit  aller  V'orsicht  einen  Versuch 
zu  machen.  Irgendwelche  Verbindung  mit  dem  weitverbreiteten 
..lordansegen“  (Eberniann  a.  O.  S.  24  ff.)  muss  zunächst  bei  aller 
scheinbaren  .Vhnlichkeit  abgewiesen  werden;  denn  dort  handelt  es 
sich  um  das  Stillstehen  des  rinnenden  Blutes,  wozu  der  bindende 
Parallelismus  des  stillstehenden  Wa.s.sers  bei  Christi  Taufe  im 
Jordan  genau  stimmt.  Ein  solche  sorgfältige  ('bereinstimmung 
fehlt  in  unserem  Spruch;  wollten  wir  sie  kon.struiercn,  so  niü.sste 
er  lauten:  Ghristus  im  ülgarten  alle  Wallen  still- 

.standen,  so  .sollen  vor  mir  alle  Waffen  Stillstehen“.  Ist  dies 
vielleicht  wirklich  die  alte  Form  des  Sju-uches  gewesen,  die  nur 
durch  .schlechte  ('berlieferung  verloren  ging?  Ich  vermag  sic  nicht 
naclizuwei.sen;  doch  tinde  ich  unter  den  vielen  Sprüchen  eines 
„rechten  und  wahrhaften  Tobia.s.segens-,  der  in  meinem  Besitze 
i.st  und  viele  .Anklänge  an  die  .Anpreisungen  unserer  Wartensegen 

’)  Oskar  Eberinanii,  „Blut-  mul  Wiiml.scj'en  in  ihrer  Eiitwickeliiii^“ 
- Palnesfra.  XXV),  Zeitselir.  d.  V.  f.  V'.  Berlin  V',  4 f. 


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6^ 

enfliiilt,  folgenden  Ab.satz  (reclits  iiiiteii  neben  dein  Stamm  des 
diircli  die  ,Zeielien*  geliildeten  Kreuzes"!: 

, Jesus  ('hristus  ging  in  den  Saal,  da  fingen  seine  Feinde  an 
zn  schweigen  und  ihr  (iewehr  und  Waffen  stille  stehen'), 
als  das  Wasser  in  den  Fluss  Jordan  gestanden  ist,  als  Johannes 
der  Jüngere  Jesnm  Christum,  den  wahren  und  lebendigen  Solin 
(iottes  getauft  hat.  Aineir. 

Der  Tobiassegen  ist,  wie  schon  sein  Name  besagt,  ein  echter 
Keisesegen;  um  gegen  alle  (iefahren,  die  den  Wanderer  bedrohen 
können,  zu  schützen,  sind  in  ilim  Tlruchstücke  aus  allen  möglichen 
Segen  vereint  und  oline  rechten  Zusammenhang  nebeneinander 
gestellt.  Di'shalb  liegt  die  Vermntnng  vielleicht  nicht  allzu  fern, 
dass  auch  au  obiger  Stelle  zwei  Segen  koniiiiliert  sind:  ein  Waffen- 
uml  ein  Blutsegen;  der  gleiche  Ausdruck  .stille  stehen“  mag  dazu 
verleitet  haben.  Ist  dies  richtig,  so  hatten  wir  im  ersten  Teile 
wirklich  ein  Stillstehen  der  Watten  vor  Christus  und  damit  die 
Möglichkeit,  dass  ein  derartiger  S]>rucli  wirklicti  bestanden  hat. 
Sollte  etwa  Christus  hier  für  Balder  stehen,  den  nach  dem  Mythus 
keine  Watte  verwunden  konnte,  weil  alle  (iewächse  durch  seine 
Mutter  liesproclieti  waren?  Die  enge  Verinndung  des  germanischen 
tlottes  mit  Cliristus  ist  ja  laugst  tiekannt,  und  Bugge,  der  die 
Fntstehung  der  Pialdermytlien  umgekelirt  ans  Zügen  von  ('hristus, 
I>onginus  und  Lncifer  zu  erklären  versucht*),  vermag  sie  doch 
nicht  in  ihrem  vollen  Fmfange  daraus  lierzuleiten;  obiger  Zug 
z.  B.  fehlt  ganz.  — Doch  das  ist,  wie  gesagt,  mehr  Dichtung  als 
Wahrheit,  Vermutung,  nicht  Behauptung,  nt  in  licentia  vetustatis, 
wie  Tacitus  sagt! 


')  Vermntlich  .\nlelinmig  an  .toh.mn,  Ev.  XVIII,  ß:  ,ila  wichen  sic  zurück 
lind  fielen  zu  Boden*  in  legendcnliafler  Weiterbildung.  — Sonst  ziehen  Waffen- 
•spgen  gern  eine  andere  Hihelstelle  zur  liekriiftigiing  heran  .Christus  tran.siens 
jicr  inedios  illos  ibat  in  pace*  (z,  li.  bei  Losch  a.  a.  0,  S.  2,V2  Nr.  .SS:!;  S.  247 
Nr. 

’)  Studien  über  die.  Entstehung  der  nordischen  Götter-  lind  neldensageii. 
Iicnt.sch  von  O.  llreiiner,  München  1889.  — t.'lier  die  .\rt,  wie  germanische  Mythen 
und  r.liristliehc  rs'genden  sich  beeiiilliisst  haben,  herrscht  jedenfalls  noch  keine 
rechte  Klarheit. 


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Oiupi)(>  4.  Klier  IX. 

Der  Briet  zu  Britanien,  zu  liescliützen  alle  föillielien  Gewehre. 
Kugel  ini  Kriege,  für  Feuer  und  W'a.'^ser. 

Auf  der  Brust  zu  tragen. 

Der  Segen. 

Im  Namen  de.s  Vater.s,  des  Sohnes  und  des  heiligen  Geistes. 

leh,  Gott,  schenke  die.sen  Brief  an  den  Lehrern  der  Piiicste 
mit  der  heiligsten  Versicherung,  dciKselben  genau  ans  Herz  zu 
legen.  Er  hat  solche  Kraft,  dass  er  .schützet  wider  seinen  Feinden. 
Derselbe  bedarf  20  Tage  Abla.s.s,  so  kann  ihm  nichts  widerfahren, 
weder  Feuer,  noch  Wa.sser,  noch  Zauberei,  Wenn  eine  schwangere 
Frau  nicht  gebären  kann,  so  soll  sie  die.sen  Brief  zu  sich  nehmen, 
denselben  durchleseii  und  nach  dem  .siuechen;  Der  christlichen 
Dreieinigkeit,  das  Vaterunser  und  dreimal  ave  Maria  beten,  so 
wird  sie  gebären.  Wer  die.sen  Brief  bei  sich  trägt,  der  wird 
siegen  gegen  seine  Feinde.  Er  bezeichnet  sich  mit  dem  heilgen 
t Kreuze  unseres  Herrn  Jesu  Christi.  Das  f Christi  erhalte  und 
bewahre  mich  durch  Jesum  Christum  und  durch  .seine  vielen  au.s- 
gestandenen  Leiden,  Marter  und  I’cin,  und  durcli  dein  rosenfarbiges 
Blut,  welches  du  vergossen  ha.st  zur  Erlösung  der  Seelen.  Be- 
wahre uns  wider  der  giftigen  Luft  und  gegen  die  unsichtbaren 
Feinde,  damit  sie  nicht  schaden  können,  durch  Jesum  Christum 
unseren  Herrn.  Amen.  Amen,  .4men. 

In  Jesu  Namen  ist  dieser  Brief  geschrieben  und  mit 
dem  Bilde  des  heiligen  Kreuzes  durch  den  Engel  Michael 
an  den  Papst  gesandt;  derselbe  hat  diesen  Brief  dem  Papste 
laut  vorgelesen,  so  da.ss  alle  umherstehenden  Engel  und  Kardinäle 
es  gehört  haben: 

Jeder,  der  das  Gute  übt,  s<dl  im  Himmel  mit  goldenen  Buch- 
.staben  verzeichnet  werden.  Ich,  .lesus  Christus,  welcher  in 
sich  mit  der  Dreieinigkeit  Gottes  vereint  ist,  befehle  euch  denn, 
dass  ihr  die  Feiertage  heiliget  und  feiert  und  nicht  einen 
irdischen  Gewinn  sucht;  denn  ich  habe  geboten,  dass  ihr  nur 
6 Tage  in  der  Woche  arbeiten  sollt  und  den  siebenten  Tag  für 
mich  zu  behalten.  Ich,  Jesus  Christus,  der  ich  von  der  Jung- 
frau .Maria  geboren  bin,  tue  euch  kund,  da.ss  ich  diesen  Brief 
aus  meiner  mir  gegebenen  göttlichen  Kraft  geschrieben  habe, 
damit  ihr  euch  hütet  vor  der  Sünde  und  an  den  Festtagen  in 


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Oottpsfurclit  betet  — sonst  werde  ich  eueli  strafen  mit  Feuer, 
Pest  und  Hunger.  Ich  werde  einen  Krieg:  über  den  anderen,  ein 
Heer  iU>er  das  andere  schicken,  das  Kind  wird  sicli  fregen  den 
Vater,  der  Bruder  wider  der  Schwester  empören,  wenn  ilir  die 
(Jebote  des  höchsten  Scliöpfers  der  Welt  nicht  beachtet. 

Wer  diesen  Brief  bei  sich  trägt,  der  wird  keinen  schreck- 
lichen Tod  erleiden,  er  wird  selig  in  G<»ttes  Hände  sterben.  Kr 
wird  auch  keinen  weltlichen  Schaden  erleiden;  kein  Mörder,  noch 
Dieb,  noch  feindliche  üescliütze,  noch  Degen,  noch  Pistole,  noch 
Picke,  noch  Muskete,  werden  ihm  etwas  antun  können. 

In  Jesu  Namen  .stehen  stille  alle  sicht-  und  unsichtbaren  Ge- 
schosse, damit  sie  mich  nicht  tieften!  (Jott  mit  mir  über  alle 
die.se  Verderber! 

Wer  die.se  Worte  nicht  glauben  will,  der  schreibe  sie  auf 
einen  Zettel  und  binde  sie  einem  Hunde  um  den  Hals,  schiesse 
nach  ihm,  .so  wirst  du  es  .sehen  und  erfahren,  da.ss  es  wahr  ist. 
wer  diesen  Brief  bei  sich  trägt,  der  wird  nicht  gefangen,  noch 
ge.scho.ssen,  noch  verletzt  werden.  ,\men. 

In  Jesu  Namen!  So  wahr  als  ('hristus  gestorben  ist,  so  wahr 
als  die  Maria  Gottes  Mutter  ist,  so  wahr  kann  ich  nicht  gehauen, 
noch  gestochen,  noch  verletzt  werden.  Ich  beschwöre  alle 
Waffen  auf  der  Welt  durch  den  lebendigen  Gott  im  Namen  des 
Vaters,  des  Sohnes  und  des  heiligen  Geistes,  heilige  Dreifaltigkeit, 
heiliger  Michael,  heiliger  Emanuel,  lieiliger  Rael,  heiliger  Patri- 
archen, Propheten,  Märtyrer,  Evangelisten!  Amen. 

So  wahr  als  Christus  zum  Himmel  gefahren  ist,  so  wahr  kann 
mich  heute  kein  tödliches  Blei  treffen.  Gott  der  Vater  sei  zwi.schen 
mir  und  alle  Ge.schosse! 

Im  Namen  der  Dreifaltigkeit.  Amen. 

Brief  VIII. 

Schutz-  und  Hausbrief. 

(Jraf  Philipp  v'on  Flandern  — — — ab.schreiben.  (Text 
s.  oben  S.  49  Anm.  1.) 

Indem,  wenn  du  ins  Gericht  gehen  willst,  so  nimm  diesen 

Brief  an  deine  rechte  Seite  — stillt  sich  gleich  das  Blut. 

(Text  a.  0.) 

Dieser  Brief  hängt  sich  an  .lesns  Christus,  welcher  walirer 
(jütt  und  Mensch  i.st. 

Mittel lUDt'cn  d.  eehleii.  Oes.  f.  Vkiie.  lieft  XIX.  ^ 


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Beliüt  midi  NN  vor  allerley  Waffen  und  (lesrlnitz,  Schwerter 
und  Degen  und  Helmgarten,  wa«  haut  oder  sclineidet,  alles,  was 
nach  der  Geburt  Jesus  (,’hriti  geschmiedet  worden,  es  sei  Eisen 
oder  Stahl  oder  Messing,  Holz,  Erzes  oder  Bley. 

Jesus  Christus,  der  wahrer  Gott  und  Mensch  und  Gottes  ist, 
behüte  mich  NN  vor  allerley  Bley,  Waft'en  und  Geschütz. 

Behalte  deine  Prowe,  wie  Maria  ihre  Jungfrauenschaft  vor 
und  nach  der  Geburt  Jesus  Christus. 

Jesus  Christus,  verwandele  alle  Geschütz  und  (je.schoss,  wie 
du  dich  verwandelt  hast  in  alle  deine  Menschheit. 

Jesus  Christus,  mach  alle  Gewehre  und  Geschütze  matt  und 
stumpf,  um  deiner  Mutter  willen,  ja,  mache  mich,  Jesus  Christus, 
vor  allen  Waft'en  sicher  und  frey  um  der  Blut.stro]ifen  willen, 
welche  du  am  Olberge  geschwitzet  hast. 

Jesus  Christus,  behüte  mich  vor  Ehebruch,  Hurerei  und  Tot- 
schlag, vor  Feuer-  und  Wa,ssersnot,  vor  Stehlen  und  Hauben,  vor 
allerley  Sünden. 

Jesus  Christus,  stehe  mir  bei  bis  an  mein  Ende  und  la.ss  mich 
nicht  .sterben  ohne  deinen  heiligen  Gei.st.  Amen. 

Die  heilige  Dreieinigkeit  sei  mit  mir  und  behüte  mich  NN; 
dei'  ewige  Gott,  Jesus  Chri.stus,  bleibe  bei  mir  zu  Wasser  und  zu 
Lande,  in  Holzen  und  in  Feldern,  in  Städten  und  in  Dörfern,  wo 
ich  NN  beim  Herrn  Chri.stus  bin,  behüte  mich  vor  allen  Feinden, 
sichtbaren  und  unsichtbaren,  heimlichen  und  ötfentlichen,  da.ss  mich 
die  ewige  Gottheit  durch  das  bittere  Leiden  und  Sterben  Jesus 
Christus  und  sein  heiliges  rosenfarbenes  Blut,  das  er  am  Stamm 
vergossen  hat. 

Jesus  Christus  ist  in  der  Fülle  gekreuziget  und  gestorben, 
am  dritten  Tage  auferstanden  und  gen  Himmel  gefahren  und  sitzet 
zur  Hechten  des  allmächtigen  Vaters,  dieses  sind  wahrhaftige 
Worte,  also  wahrhaftig  müssen  auch  sein  alle  diese  Worte, 
die  in  diesem  Briefe  stehen: 

Da.ss  ich  NN  von  keinem  Menschen  oder  Mörder  gefangen 
oder  gebunden  werde,  da.ss  mich  NN  kein  Ge.schütz,  Wehr  und 
Waffen,  sie.  mögen  den  Namen  haben,  was  sie  wollen,  verletzen 
oder  treffen. 

Es  müssen  die  Hahne  .stehen  und  die  Kugeln  mich  nicht  im 
geringsten  beschädigen,  sondern  von  mir  abweichen,  so  wahr  als 


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niciii  Jesus  die  reelite  Hand  an  des  Kreuzes  Bandgesehoss  lielialten. 
Kein  (Jesclioss,  Stoss,  Hieb  schaden  nicht  mir. 

Sowie  Jesus  seinem  Vater  gehorsam  war,  also  müssen  auch 
alle  Geschoss,  Wehr  und  Waffen  dir  gehorsam  sein  und  mir  keinen 
Schaden  zufügen.  Im  Namen  des  Vaters,  des  Sohnes  und  des 
heiligen  Geistes.  Amen. 

Jesus  ging  über  das  Meer  und  sähe  in  das  heilige  Land,  es 
müssen  zerbrechen  Strick  und  Band,  und  gebrochen  Wehr  und 
Waffen,  es  müssen  verblindcn  die  Augen,  die  falsch  sind. 

Herr  Jesus  Christus,  behüte  mich  NN,  dass  mich  kein  Türke 
oder  Franzose  überfalle,  kein  Wa.sser  oder  ?>uer  überfalle,  kein 
Waffen  oder  (Jescho.ss,  es  sey  Stahl  oder  Fi.sen  oder  Metall  oder 
Bley,  das  nicht  so  wohl  ge.segnet  sei,  als  der  Wein  im  Kelche, 
den  Jesus  seinen  Jügcrn  gab,  das  wahre  Himmelsblut  — das  walte 
(ioff  der  Vater,  der  Sohn  und  der  heilige  Geist.  Amen. 

Der  Segen,  den  der  Erzengel  Michael  tat,  da  er  Jlaria  den 
Gruss  brachte,  der  gehe  über  mich  NN. 

Der  Segen,  den  Gott  tat  über  Maria  und  Joseph,  als  sie  nach 
Ägyi)ten  zogen,  der  gehe  über  mich  NN. 

Das  ? Kreuz  mein  ? meine  rechte  Hand  gehe  durch  fremdes 
I,Kand,  diuss  mich  kein  Wolf  zcrreis.se,  dass  mich  kein  Hund  bei.sse. 
Behüte  mich  NN,  mein  Fleisch  und  Blut  vor  bösen  Stunden  und 
falschen  Zungen.  Das  walte  Gott  der  Vater,  der  Sohn  und  der 
heilige  Geist.  Amen. 


Anhang  I. 

Die  Begleitschreiben  (.soweit  vorhanden). 

Nr.  II.  Ich  erlaube  mir  Ihnen  einen  Schutzbrief  zu  übersenden. 
Die  Abschrift  ist  von  einer  Kopie  genommen,  die  vor  crc.  40  Jahren 
mein  Vater  sich  genommen  hat. 

Zeulenroda  1894.  Briefträger  W. 

Nr.  1.  Diesen  Brief  lm.be  ich  am  .11.  .8.  88  abgeschrieben  von 
einem  Brief,  den  der  Grossvater  von  meiner  Frau  im  Jahre  1848 
in  Schleswig- Holstein ‘)  als  Soldat  von  einem  ulten  Manne 
erhalten  hat. 

Schwarzenfels  1894.  Gerichtsdiener  F. 

’)  Dazn  vergleiche  man  die  Überschrift  des  zweiten  von  den  in  Original  7 
znsammenge.schriebeneii  Briefen : ,Ein  Brief  an  jedermann.  Voniebndich  aber 

5* 


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Nr.  V.  t'bersende  Ihnen  das  Original  eines  Schntzbriefes;  der- 
selbe wurde  mir  in  186(3  von  einem  alten  Gardisten  übergeben. 
Ich  habe  denselben  auch  während  zwei  Feldzügen  in  meiner  Brief- 
tasche getragen,  denn  wenn  man  jung  ist,  glaubt  man  theilweise 
an  solchen  Hokuspokus  und  stirbt  nicht  gern. 

Cassel  1894.  Kricgcrvereinsmitglied  G.  S. 

Hierzu  vergleiche  man  die  Nachschrift  zu  Original  7: 

„Bitte  um  V'^erzeihung  wegen  der  schlechten  Schrift,  den  es 
ist  in  der  Eile  geschriben  worden  1866.  etwas  hat  Otilie  ge- 
schriben.  Lieber  Hermann,  Du  musst  dran  glauben*)  und  ihn 
imer  bei  dir  tragen.  Viele  Grüsse  usw.“. 

Der  Jetzige  Kriminulschutzmann  P.  (Berlin)  schreibt:  (Nr.  IX.) 

„Einsender  dieses  Schutzl)riefes  ist  ein  Mecklenburger,  welcher 
im  Jahre  1870/71  den  Feldzug  im  11.  Mecklenburgischen  Dragoner- 
Regiment  Nr.  18  mitgemacht  hat.  Bei  der  .Mobilmacliung  wurde 
er  mir  von  meinen  Grosseltern,  bei  denen  ich  erzogen  worden  bin, 
mit  dem  Bemerken  übersandt,  ich  möchte  denselben  l>ei  mir  tragen 
und  es  würde  mir  keine  Gefalir  begegnen  . . . Ich  mu.ss  nun, 
um  ehrlich  zu  sein,  gestehen,  dass  ich  damals  — heute  denke  ich 
allerdings  andere  darüber  — fest  glaubte,  der  Brief  würde  seine 
Wirkung  nicht  verfelden.  Der  Gedanke  war  geradezu  ein 
glücklicher,  ich  muss  Ihnen  eingestehen,  da.ss  ich,  ohne  mich 
zu  überlieben,  mit  einer  Dreistigkeit  und  Unverfrorenheit  gegen 
den  Feind  geritten  Idn,  oline  jemals  an  Gefahr  zu  denken“®). 

Am  Ende  des  von  ihm  eingesendeten  Briefes  steht  folgende 
.schöne  Nach.schrift:  „und  nun,  mein  lieber  Solin,  ziehe  mit  diesem 

für  einen  Schleswig-Holsteiner  und  für  die,  welche  für  sie  fechten“.  Die- 
selbe Überschrift  in  Jahn  a.  a.  0.  2.  Brief  und  Archiv  für  Religionswissenschaft 
a.  a.  0.  Nr.  3. 

*)  Zu  dem  „glauben*  vcrgleicbe  niaii  das  Molto  über  dem  Oartcnlnube  1871 
S.  20  nbgedrnckten  „Brief,  aus  Holstein  gesandt“: 

„Der  Ulaube  muss  dabei  sein. 

Der  Brief  ihut’s  nicht  allein“. 

(Dieselbe  Überschrift  bei  Jalm  a.  a.  0.  S.  4.ö.) 

’)  Der  eine  Einsender  eines  .Schutzbriefes  in  der  flartenlaube  1871  S.  20 
jibilosopliiert  darüber,  ob  der  Offizier  solchen  Aberglauben  nusrotten  solle,  und 
meint  schliesslich,  im  Kriege  sei  der  Soldat  eine  Maschine,  die  mit  allen  ihr  zu 
Ocbnle  stellenden  Kräften  arbeiten  muss,  gleichviel,  woher  sie  dieselben  nimmt. 
„Der  .Schwache,  der  iles  Aberglaubens  benötbigt  ist,  mag  ihn  zunSchst  bebnlten, 
wenn  er  nur  bierdnreh  zu  einem  höchsten  Kraftaufwande  befühigt  wird“. 


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Briefe  {regeii  die  Franzosen  und  liaue  und  steclie  sie  nieder,  soviel 
dein  kräftiger  Arni  es  vermag.  Denke  an  deine  Grosseltern,  sie 
Iiaben  anno  12  mir  meine  besten  Pferde  mitgenommen  und  wollten 
deiner  Grossmutter  einmal  Gewalt  antun.  Auch  schicke  ich  dir 
einen  Zehnthalerschein,  damit  du  keine  Xoth  leiden  sollst.  Sei 
tapfer  gegen  den  Feind,  aber  im  (Quartier  tue  niemandem  etwas 
zu  leide.  Denke  an  die  Worte  von  Matthias  Klaudins,  wo  er 
sagt:  „Mein  Sohn,  tue  keinem  Mädchen  etwas  Böses  an,  und  denke 
daran,  dass  deine  Mutter  auch  einst  ein  Mädchen  war“.  Mache 

unserem  Hofe  keine  Schande  und  führe  dich  gut! Schreibe 

bald,  wenn  du  ülier  die  Grenze  kommst  usw.  Dein  Grossvater  J.  P.“ 
Dass  der  Brief  bis  in  die  letzten  Jahre  benutzt  wurde,  geht 
aus  folgender  Zeitungsnotiz  hervor  (Staatsbürgerzeitung,  14.  August 
lüOO);  „Ein  eigenartiges  Immediatgesuch  ist  vor  einiger  Zeit  beim 
Kaiserlichen  Civilkabiuett  eingegangen.  Ein  biederer  Handwerker 
aus  Stangenhain  in  Schlesien  übersandte  nämlich  dem  Kaiser 
einen  Original-„Schutzbrief“  für  die  nach  riiina  gehenden  deutschen 
Trappen  mit  dem  dringenden  Anheimgeben,  den  Brief  mittels 
Drackes  vervielfältigen  und  jedem  Soldaten  ein  Exemplar  zustellen 
zu  lassen.  Nach  der  Angabe  des  Bittstellers  sei  dieser  Brief  im 
Jahre  1729  in  Schleswig-Holstein  vom  Himmel  gefallen  und  .schütze 
seinen  jeweiligen  Inhaber  nicht  nur  vor  jeder  feindlichen  Kugel, 
.sondern  auch  vor  Krankheit  und  sonstigem  Ungemach!  Der 
„Schutzbrief“  wurde  jetzt  dem  Bittsteller  im  In.stanzenwege  zurück- 
gegeben, ohne  dass  natürlich  von  dem  höchst  sonderbaren  Aner- 
bieten irgendwelcher  Gebrauch  gemacht  worden  wäre“. 

Anhang  II. 

Noch  einige  alte  Waffensegen. 

(Gefunden  von  dem  Lehrer  in  den  Schulakten  einer  Gemeinde  des 
Krei.ses  Strassburg  i.  E.  und  durch  Krei.s.schulinspektor  P.  Stiefel- 
hagen durch  die  „Parole“  mir  übermittelt.  Vier  vergilbte  Oktav- 
blätter alten  rauhen  Papiers) '). 

„Gott  und  alle  heilige  Paigel,  behüte  mich  führ  Kügel  und  Dejgen, 
weis  sie  ab  geschwint 
als  der  Wind 

’)  In  der  .Scbreibweise  dee  Originals ; die  Lesezeichen  habe  ich  hinzngefügt, 
ebenso  die  Verse  abgeaetzt. 


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als  riiristiis  aus  Maria  freboliren  ist  iin  t t t 

bi’y  Gottes  Kraft  und  Macht  beschütze 
und  beschwüre  ich  alle  ■reschütze, 
dass  sie  von  mir  weichen  als  der  Stein,  der  von  unsenn  lieben 
Jesuin  ^'ab  ist  gewichen. 

t t t 

Gott  der  Vater  ist  mein  Gutt, 

Gott  der  Sohn  ist  mein  Blud, 

Gott  der  Heilige  Geist, 

Der  mir  Kugel  und  Stal  abweisst.  fff  amen. 
Sein  heiliges  Blut  bedecke  mich  und  behüte  mich  der  Mann, 
der  den  Dott  an  dem  stamm 
des  heiliges  Kreutzes  nahm, 
welcher  höher  ist,  denn  derselbe  mann, 
greif  mich  NX  an! 

Alle,  die  mir  Heut  zuwitter  sein,  müssen  in  Gottes  Nahmen 
stille  stehn,  bis  die  reine  Mutter  Gottes  Kinen  anderen  Sohn 
gebäret. 

So  sey  dieser  segen  zuge, schlossen, 

also  ward  Christus  sein  blut  vergo.ssen, 

dieser  segen  sey  geschlossen, 

also  sein  rosenfarbnes  blut  vergo.ssen; 

dieser  .segen  sey  gebunten 

mit  .seinen  heiligen  fünf  wunden 

und  werde  walir 

durch  die  lieilige  Dreifaltigkeit  und  deren  Engelscliahr. 
in  Jesu  Namen. 

Amen. 

Ein  Ki-aud  nennt  sich  wegeuwart  oter  ELsen  Kraut,  es  ist 
zwey  schuh  hoch  mit  l)lauem  blunien;  grab  es  auss 

und  setz  es  bey  dein  Hauss, 
auf  Balmsondach, 
vordem  der  Dag  unbrach, 

stech  auss,  nehm  olin  ge.sprochen  die  Wurtzel,  mit  silber  abgeschab, 
henk  dir  an,  wenn  du  willst,  .schi.ss  darauf,  es  wirt  durch  gehn. 
Ich  NN  geh  mit  meinem  gesegneten  Leib  in  den  Streit,  den  Gott 
.selbst  gestritten  liatt,  da  er  die  Hölle  überwant 
und  den  Däufel  darinnen  baut, 
da  ge.schah  ini  weder  — — — — (Flecken!) 


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oter  Hau 

Also  soll  mir  NN'  gescliplin, 

bis  ich  don  Wirbrl  meinos  Haubt  werte  sehn,  f t t 

Herr  Jesu  Christ,  hinter  deinem  Hurken  verberge  ich  mich, 
in  deinen  heilige  fünf  wunten  schlihss  ich  mich,  dein  heilige  drey 
Blutsdr(d)cn  beschütze  mich,  dein  rosenfarbn  blut  beschütze  mein 
fleisch  und  blut,  da.ss  alle  Kugel,  stahl  und  Eisen  von  meinen 
leib  muss  weichen  im  nahmen 

t t t 

amen“. 

Die  Froiimiurer  im  Volksglauben. 

Kriminalistische  Beiträge  zur  Volkskunde. 

Von  Dr.  Albert  Ifellwig  in  Berlin-Waidmanualust. 

Die  Freimaurer  haben  bekanntlich  durch  ihre  geheimnisvollen 
Zeremonien  von  jeher  die  Phantasie  des  Volkes  besonders  be- 
schäftigt und  zahlreiche  Beiträge  über  diesen  interessanten  Teil 
des  Volk.sglaubens  haben  gerade  die  „Mitteilungen“  gebracht*).  Der 
bekannte  Volksforscher  Wehrhan  beabsichtigt  in  nächster  Zeit 
eine  ausführliche  zusammen  fassende  Abhandlung  über  die  Frei- 
maurer im  Volksglauben  zu  veröftentlichen*);  deshalb  will  ich  die 
von  mir  persönlich  gesammelten  Anschauungen  des  Volkes  Wehrhan 
zur  Verfügung  stellen.  Dagegen  möchte  ich  einige  Notizen,  die 
sich  aus  tjerichtsverhandlungen  über  diesen  Volk.sglauben  ergeben, 
liier  besonders  darstellen. 

Es  handelt  sich  um  drei  Fälle.  Der  eine  ist  seinerzeit  in 
einer  medizinischen  Zeitschrift  auf  Grund  der  Akten  und  ein- 
gehender p.sychiatrischer  Beobachtung  dargestellt  worden.  Die 
beiden  andern  Fälle  kann  ich  nur  auf  Grund  von  Zeitungsberichten 
wiedergeben;  doch  kann  ich  nach  den  Erfahrungen,  die  ich  bis- 
her bei  meinen  Studien  über  kriminellen  Aberglauben  mit  der 
Verwertung  derartiger  Zeitungsnotizen  gemacht  habe,  annehmen, 
dass  die  dort  berichteten  Tatsachen  in  allen  wesentlichen  Punkten 
zutrefl'end  geschildert  sind“). 

')  K.  Olbrich  in  den  Mitt.  Heft  XI  S.  61  tf.  und  Heft  XV  S.  68  ff.,  sowie 
Knoop  in  Heft  XIV  S.  58f. 

•)  In  der  „Zeitschr.  des  Vereins  für  rheinische  n.  westfälische  Volkskunde“. 

*)  Vgl.  meine  demnächst  im  „Archiv  für  Kriminalanthropologie  und  Kri- 


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I. 

Anfang  November  1907  halte  sich  in  Halle  a.  d.  S.  ein  8chuhinaclier  Mietze 
wegen  eines  eigenartigen  Betrages  unter  Ausnutzung  des  Aberglaubens  zu  ver- 
antworten. Ein  dort  wohnendes  OTjüliriges  Fräulein  wurde  nachts  öfter  durch 
schreckliche  Träninc  heiingcsucht.  In  ihrer  Nut  wandte  sie  sich  an  Mietzes 
Frau,  die  sich  mit  Karteuschlagen  beschäftigte.  Die  Kartenlegerin  riet  ihr,  die 
Spukgestalten  durch  Räuchern  zu  vertreiben.  Das  half  aber  nichts.  Da  sprachen 
Nachbarinnen  die  Vermutung  aus,  die  nächtlichen  Beängstigungen  rhhrteu  viel- 
leicht von  den  Freimanrern  her;  wenn  sie  selbst  Mitglied  einer  Loge  werden 
könne,  so  wäre  es  mit  den  Quälereien  in  dic.sem  Falle  vorbei.  Schuhmacher 
Mietze  behauptete  nun.  er  sei  mit  einflussreichen  Logenbrüdern  bekannt  und  er- 
bot sich,  der  Dame  die  Mitglied.sohaft  zu  verschaffen.  Zn  die.scm  Zwecke  müsse 
er  aber  zu  verschiedeneu  Logen  anderer  Städte  reisen,  was  aber  viel  Geld 
kostet.  Das  Fräulein  erklärte  sich  nun  mit  Freuden  bereit  ihm  alle  Unkosten 
zu  ersetzen  nnd  gab  nach  und  nach  fast  4000  Mark  hin.  Mietze  legte  ihr 
Rechnung  vor  Uber  angebliche  Reisen  nach  Stuttgart , Düsseldorf,  Hamburg, 
Magdeburg,  Königshütte,  Frankfurt,  Venedig,  Mailand  und  Rom.  Von  jeder 
Reise  brachte  er  ihr  Ordensbänder  und  Diplome  mit  grossen  Siegeln  über  ihre 
angebliche  Aufnahme  in  verschiedenen  Logen.  Zweimal  reiste  er  sogar  in  Ge- 
sellschaft der  alten  Dame  nach  Hamburg  und  DUssehlorf  und  führte  sie  vor 
grosse  Gebäude,  die  er  als  Logen  bezeichnete.  Itas  nächtliche  Angstgefühl  wich 
aber  trotzdem  nicht.  Mietze  hätte  der  Dame  jedenfalls  noch  ihr  ganzes  22000 
Mark  betragendes  Vermögen  abgeschwindelt,  wenn  nicht  ein  Bekannter  die  Ge- 
täuschte Uber  den  Wert  der  Ordensbänder  und  Diplome  aufgeklärt  hätte.  Trotz 
seiner  bisherigen  Unbescholtenheit  wurde  der  Schwindler  zu  einem  Jahr  sechs 
Monaten  Gefängnis  und  fünfjährigem  Ehrverlust  verurteilt*). 

Aus  tlie.sfin  Sachvcilialt  sdieiiit  .sielt  mir  t'olfrender  Volk.sglaube 
für  Halle  zu  erfieben.  Die  Dame  litt  aiisclieiiieml  an  dem  nervösen 
Kranklieitszustand,  den  man  im  Volke  .sonst  gewühnlicli  als  Alj)- 
drücken,  Mabrreiten  nnd  iibnlich  zu  bezeichnen  pHegt').  Er  äus.sert 
sich  in  einem  beklommenen  (Jefühl  und  schreckhaften  Träumen. 
Gewöhnlich  glaubt  man,  dass  das  Alpdrücken  von  Hexen  verursacht 
werde,  manchmal  auch  von  anderen  bösen  dämonischen  Fabelwe.sen. 
üb  irgend  wo  anders  auch  die  Freimaurer  in  dem  Rufe  stehen, 
derartiges  .Mpdrücken  zu  verursachen,  i.st  mir  im  .Augenblick  niclit  ge- 
nau erinnerlich,  doch  glaube  ich,  dies  schon  einmal  gelesen  zu  haben. 

minalistik“  zur  V'cröffeutlichung  kommende  .\bh.vndlung  über  „Zeituiigsnotizon 
als  Quelle  für  folkloristische  und  kriminalistische  Untersuchuugcu“ , sowie  auch 
E.  Wullfen,  Psychologie  des  Verbrechers  (Gross-Lichtcrfelde  1908)  Bd.  1,  Vor- 
wort S.  XX  f. 

')  Im  „Pitaval  der  Gegenwart“  werde  ich  den  Fall  demnächst  ausführlich 
aktenraässig  darstclien. 

’)  Vgl.  V.  Hovorka  und  Kronfeld,  „Vergleichende  Volksmedizin“  Bd.  I 
(Stuttgart  1908)  ,S.  11  ff. 


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73 


In  Halle*  bestellt  ein  ilerartifrer  Glaube  sicherlich,  denn  die  Xacli- 
barn,  welche  die  geäntrstifrte  alte  Dame  nach  der  verf'eblicben 
Hiinclierkur  nni  ihren  Rat  fragte,  sprachen  übei-einstiminend  diese 
Vernmtnnc  aus.  Da.ss  die  Freimaurer  Alpdrücken  verursachen 
können,  hans:t  wohl  damit  zusammen,  dass  man  sie  ally;emein  als 
mit  dem  Teufel  im  Runde  stehend  ansieht,  und  daher  ihnen  wie 
den  Hexen  auch  alles  Schlechte  zntraiit.  Da  man  plaubte,  die 
Freimaurer  würden  auHiören,  ihr  Opfer  des  Xachts  zu  (piälen,  so- 
bald dieses  Mitglied  der  Freimaurerlogen  geworden  sei,  scheint 
der  Volksglaube  weiter  dahin  zu  gehen,  da.ss  die  Fieimaurer  reiche 
Leute  mit  .Alpdrücken  quälen,  um  sie  dadurch  zu  veranlassen,  in 
die  Freimaurerloge  einzutreten. 

Xebenbei  sei  bemerkt,  da.ss  es  mit  Freude  zu  begrü.sseii  ist, 
dass  das  Gericht  den  raffinierten  Betrüger  trotz  .seiner  bisherigen 
rnbc.scholtenheit  zu  einer  so  exemplari.schen  Strafe  verurteilte  und 
nicht,  wie  es  bei  uns  — im  Gegensatz  zu  Österreich  — leider 
meistens  noch  geschieht,  den  Aberglauben  des  Ojifers  dem  Täter 
zugute  hielt  und  ilin  nur  zu  einer  gelinden  Strafe  verurteilte'). 

11. 

In  einem  zweiten  Betiugsfalle,  der  im  Februar  Ht07  das 
Dresdener  Landgericht  beschäftigte,  spielte  der  Freimaurerglaube 
nur  eine  untergeordnete  Holle. 

Ein  Lalioratoriumsarbeitcr  namens  Ure.'ilcr  hatte  einem  Kollegen  die 
Meinung  beiznbriugen  gon-uast , er  atiinde  mit  dem  Teufel  im  Bunde,  verfüge 
über  das  6.  und  7.  Buch  Mosea  und  könne  ihm  zu  einem  aogenaunten  Teufels- 
taler  verhelfen,  welcher  die  gute  Eigenacheft  habe,  immer  wieder  zu  aeinem 
Bcaitzer  znrückzukebren.  Durch  dieae  und  äbniiclie  Betrügereien  w-uaatc  Dresler 
dem  Betörten  für  aeine  Verhiiltniaao  recht  bedeutende  Qcldbelrfige  zu  entlocken. 
Er  ging  sogar  ao  weit,  Briefe  von  ,Kaiaer  Lucifuge“  zu  überbriugen  und  um 
milteruiicbtliche  Stunde  an  dem  Kaditzer  Kirchhof  aeinem  Opfer  ala  ,Kaiacr 
Lucifuge*  zu  eracheinen.  Vor  Gericht  acliilderte  der  Betrogene  dieaea  Znaammen- 
treffen  mit  Teufel  folgendemiaaaeu ; ,Um  Mitternacht  machte  ich  mich  auf  den 
Weg  ohne  Furcht,  denn  ich  trug  ja  die  geweihten  Kerzen  bei  mir.  In  einem 
Briefe  hatte  ich  meine  Bitte  um  (teduld  nicdergeachrieben.  Plötzlich  aah  ich 
hinter  der  niederen  Kirchhofamauer  eine  hagere,  achwarz-weiaae  Geatalt  auf 
einem  Grabe  atchen,  die  mir  mit  tiefer  Stimme  zurief:  ,Du  biat  jetzt  der 
,Kareiat  dea  Kaiaera  Lucifuge“,  d.  b.  der  dem  Teufel  mit  Leib  und  Seele  Ver- 
achriebene*  und  .Mitglied  der  freiwilligen  Freimaurerloge“.  In  dem  Hügel,  wo- 
rauf ich  Btehe,  liegt  ein  Schatz  von  3 Millionen  vergraben,  der  gehört  dir! 
.^ber  schweige!“  Dann  warf  ich  meinen  Brief  dem  Geiste  vor  die  Füase  und 

‘)  Vgl.  mein  Buch  über  „Verbrechen  und  Aberglaube“  (Leipzig,  B.  G. 
Teubner,  1U08,  ,Aua  Natur-  und  Geiateawelt“  Bd.  2i2)  S.  45,  84,  85  ff.,  105,  106. 


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einiil'alil  mich“.  Diese  Teiifelsersehcinmig  teilte  er  auch  seiner  Frau  mit,  die 
nun  gleichfalls  auf  goldene  Berge  hoffte.  Als  er  sgiitcr  einen  Brief  mit  der 
Aufschrift  ,Aii  das  Mitglieil  der  freiwilligen  Freimaurerloge*  erhielt,  äus.serte 
er;  „Ich  wusste,  dass  in  der  Freimaurerloge  nur  reiche  Leute  sind,  und  ich  war 
doch  als  Angehöriger  des  Teufels  ein  reicher  Hann!“  Inzwischen  hatte  sich  die 
Xaubergeschichte  doch  lierumgesprochen,  doeh  hüllte  sich  der  Abcrgliiubischc 
trotz  aller  Anzapfungen  in  geheimnisvolles  Schweigen  und  äusserte  nur:  ,Gehl 
nur  in  die  Freimaurerloge,  da  könnt  Ihr  alles  erfahren*.  Erst  als  ein  anderer 
Arbeiter  behauptete,  gleichfalls  Uber  einen  Geist  zu  verfUgen,  der  ihm  alles  ver- 
raten habe,  rUckte  er  mit  einigen  Einzelheiten  heraus  und  machte  es  so  möglich, 
den  Betrüger  zu  fassen.  Zur  Zeit  der  Hauptverhandinng  soll  er  nach  dem 
Zeitungsbericht  von  seinem  Aberglanben  gründlich  kuriert  gewesen  sein.  Das 
Landgericht  verurteilte  Dresler  zn  6 Monaten  Gefängnis  und  3 Jahren  Ehr- 
verlust, indem  es  bedauerlicherweise  als  strafmildernd  in  Betracht  zog,  ,doss 
der  Betrug  durch  die  unbegreifliche  Leichtgläubigkeit  des  Opfers  wesentlich  er- 
leichtert worden  ist“  '). 

Hier  tritt  besonder.s  klar  zutage  die  Anscliaiiung,  das.t  die 
Freimaurer  mit  dem  Teufel  in  Verbindung  sind,  denn  dureli  den 
Teufel  wird  dem  Betrogenen  verkündet,  dass  er  nunmelir  Mitglied 
der  freiwilligen  Freimaurerloge  .sei.  Die  Freimaurer  hält  man  im 
Volk  dtirchgehends  für  reiche  Leute  und  dass  er  trotz  seiner  Ar- 
mut in  die  l..oge  anfgenommen  wurde,  erklärte  er  sich  damit,  da.ss 
er  ja  mit  dem  Teufel  im  Bunde  stehe  und  deshalb  über  grosse 
Schätze  verfüge.  Oh  er  tatsächlich,  wie  berichtet  wird,  von  seinem 
Aberglauhen  gründlich  kuriert  ist  oder  nicht,  vielmehr  nur  den 
Glauben  an  Dre.sler  verloren  hat,  mag  dahingestellt  bleiben;  sehr 
wahrscheinlich  ist  es  aber  nicht,  da  er  durch  sein  ganzes  Gebaren 
gezeigt  hat,  da.ss  abergläubische  Vorstellungen  in  ihm  mit  grösster 
Intcnsivität  wiiksam  sind. 

111. 

Der  dritte  Fall  wird  eingehend  von  Dr.  R.  Henneberg, 
Assistenten  an  der  psychiatrischen  Klinik  der  Königlichen  Charitö 
in  Berlin,  berichtet*). 

Am  8.  Juli  1901  wurde  durch  Gerichtsbeschlusä  das  Ehepaar  R.  behufs 
Beobachtung  und  Begntaebtung  der  Irreiiabteilung  der  Königlichen  Charitö 
überwiesen.  R.  und  »eine  Ehefrau  waren  angcklagt  wogen  Betruges  und  gegen- 
seitiger und  gemeiusebaftlicber  Kuppelei,  der  Ehemann  des  weiteren  wegen 
Nötigung,  Sittlichkeitsverbrecheu  uud  Majostätsbeleidigung. 

Aus  den  ausführlichen  Angaben  der  augeklagten  Ehefrau  seien  folgende  für 
uns  wesentlichen  Punkte  wiedergegeben.  Ihr  auf  sexuellem  Gebiete  sehr  an- 

')  „Dre.sdner  Nacbriehten“,  24.  Februar  1907. 

*)  In  den  ,Charit6-Annalen“  Bd.  26. 


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spnichsvuller  Ehcmami  Labe  seit  etwa  1886  mit  der  ihr  bcfreuudeteii  Frau  K. 
iatiiiicu  Uuigaiig  gepflegt.  Ihr  Mann  habe  ilir  gesagt,  dies  tue  er  hauptsiiclilicb, 
um  der  Frau  K.,  wclclie  leidend  war,  zu  helfen.  Bald  nach  seinem  Geburtstage 
Mitte  Februar  1896  habe  ihr  Mann  zum  erstenmal  von  seiner  Zngeliflrigkcit  zn 
den  Freimaurern  gesprochen.  Als  sie  eines  Tages  nach  Hause  gekommen  sei, 
habe  er  gesagt,  er  habe  ihr  etwas  Wichtiges  mitzuteilen:  Drei  Herren  seien  bei 
ihm  gewesen  und  hätten  ihm  mitgeteilt,  dass  er,  nachdem  er  nunmehr  das 
40.  Lebensjahr  erreicht  habe,  berechtigt  sei,  in  den  Freimaurerbnnd  einzutreton, 
da  sein  Vater  gleichfalls  Freimaurer  gewesen  sei.  In  der  Folge  würde  er  ein 
Examen  zu  bestehen  haben,  nnd  weitere  Anweisungen  würde  er  noch  erhalten. 
Bei  diesem  Gespräch  war  auch  Frau  K.  zugegen.  Am  nächsten  Tage  sei  er 
angeblich  nach  der  Freimaurerloge  in  der  Dorotheenstrasse  gegangen,  habe  die 
Frau  K.,  die  wiederum  auf  Besuch  bei  ihr  geweseu  sei,  umfasst  und  mit 
Emphase  ausgerufen  , vielleicht  bin  ich  doch  noch  einmal  in  der  Lage,  uns  eine 
hes.sere  Zukunft  zu  sichern“.  Dann  habe  er  ausgeführt,  dass  für  ihn  .tOOOO  M. 
sichcrgestellt  seien,  die  er  im  Fall  des  Bestehens  des  Examens  erhalten  würde. 
Auch  sei  er  berechtigt,  sich  eine  Mitfrau  auszuwählen,  welche  danu  10000  M. 
erhalten  würde.  Als  solche  habe  er  sogleich  die  Frau  K.  namhaft  gemacht. 
Als  angeblich  bei  den  Freimaurern  als  Symbol  der  schwesterlichen  Zusammen- 
gebürigkeit  gebräuchlichen  Bitus  habe  sie  sodann  die  Genitalien  der  Frau  K. 
berühren  müssen.  Ihr  Mann  habe  auch  gesagt,  nunmehr  müsse  er  mit  der  Frau 
K.  intimen  Umgang  haben , während  er  bisher  nur  die  Ansicht  vertreten  habe, 
dass  der  Koitus  gegen  viele  Krankheitszustände  ein  Heilmittel  sei  und  deshalb 
mit  der  Frau  K.  gelegentlich  verkehrt  habe.  Nach  einigen  Wochen  wurde  auch 
die  Tochter  der  Frau  K.  unter  ähnlichen  Zeremonien  der  Schwesterlichkeit  auf- 
genommen und  R.  deflorierte  sie  darauf  in  Gegenwart  der  Mutter  und  seiner 
Frau.  Nach  einem  Vierteljahr  wurde  auch  der  Sohn  der  Frau  K.  ohne  besondere 
Zeremonien  eingezogen  und  musste  mit  Frau  K.  den  Koitus  ausführen,  da  dies 
die  Satzungen  der  Freimaurer  erforderlich  machten.  Später  traten  noch  bei  ein 
Herr  nnd  eine  Frau  Kr.,  eine  Frau  R.,  die  Schwägerin  des  R. , ohne  Wissen 
ihres  Mannes  sowie  als  , Ehrenfrau“  mit  besonderen  Vorrechten  Frau  Sch.,  die 
Schwägerin  der  Frau  K. , und  ihre  Tochter  Frau  B.,  beide  ohne  Wissen  ihrer 
Ehemänner. 

Von  Zeit  zu  Zeit  fanden  Familienabemle  mit  deu  notwendigen  Zeremonien 
statt,  die  besonders  feierlich  waren,  wenu  R.,  wie  es  alle  halbe  Jahre  der  Fall 
gewesen  sei,  zur  grossen  Redonte,  d.  b.  zu  einer  Generalversammlung  der  Frei- 
maurer gehen  musste.  Vorher  seien  auf  den  gedeckteu  Tisch  Leuchter  gestellt  und 
zwischen  diese  ein  Gesangbuch  gelegt  worden,  sodann  habe  ihr  Mann  mit  einer  der 
Mitfranen  in  Gegenwart  der  anderen  deu  Koitus  vollzogen,  sich  daun  fein  gemacht 
und  sei  zur  grossen  Redonte  gegangen,  wobei  ihm  auf  seine  Anordnung  als  Ab- 
schied , Behüt  Dich  (iott“  zugerufen  sei.  Bei  seiner  Zurückkunft  habe  ibr  Mann 
viel  von  der  Freimaurerversamralung  erzählt.  Nach  dieser  Feier,  etwa  eine 
Woche  später,  habe  eine  andere  stattfinden  müssen  zur  Feier,  dass  er  wohl- 
behalten wieder  nach  Hause  gekommen  sei,  denn  es  sei  nicht  selten  vor- 
gekommen,  dass  einzelne  infolge  der  Anordnung  der  Freimaurer  sich  hätten 
erschiesseu  müssen. 

Im  August  1899  starb  Frau  K.  und  bald  darauf  traten  die  Familie  Kr.  so- 


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wie  Frau  Sch.  uud  ihre  Tuchler  ans.  Trulzileiu  hierdurch  die  V'ercinigung  su 
gut  wie  aufgelöst  gewesen  sei,  habe  ilir  Manu  doch  alle  auf  die  Freimaurerei 
bezügliche  Vorstellungen  festgehalten  und  noch  im  Februar  1901  beabsichtigt, 
eine  neue  Familie  eiuzuziehen.  Zirka  vier  Wochen  vor  ihrer  Verhaftung  sei 
eines  Tages  Fräulein  K.  in  ihrer  Wohnung  erschienen  und  habe  ihrem  Manne 
auf  den  Kopf  zugesagt,  dass  er  niemals  Freimaurer  gewesen  sei , worauf  dieser 
feierlich  sagte:  ,Auna,  darauf  kann  ich  dir  hier  jetzt  nicht  anworteu*.  Da  zu- 
fällig eine  andere  Frau  zugegen  gewesen  sei,  habe  sie  diese  Äusserung  dahin 
verstanden,  dass  er  in  Gegenwart  nicht  eingeweihter  Personen  nicht  sprechen 
dürfe.  Am  Tag  darauf  sei  er  angeblich  zur  Loge  gegangen,  um  dort  Bericht 
zu  erstatten;  nach  seiner  Rückkehr  habe  er  geaussert,  dort  sei  bereits  alles  be- 
kannt, und  man  sei  darüber  in  grossem  Aufruhr.  Schon  vorher  hatte  er  mehr- 
fach geänssert,  seine  Angelegenheit  werde  niemals  in  die  Uffentlichkeit  und  vor 
Gericht  kommen,  sondern  von  hochgestellten  Personen  unterdrückt  werden,  da- 
mit der  sexuelle  Freimanrerritus  im  Volke  nicht  bekannt  würde  und  den  Sozial- 
demokraten nicht  zur  Agitation  dienen  könne. 

Bezüglich  der  Teilnahme  des  Kaisers  und  der  Kaiserin  an  der  Freimaurerei, 
besonders  auch  an  den  Redouten,  habe  er  oft  eingehend  Bericht  erstattet.  Die 
Anklage  wegen  Sittlichkeitsrerbrechen  batte  er  sich  dadurch  zngezogen,  dass 
er  mit  dem  zwölfjährigen  Mädchen  Kr.  den  Cunniliugus  vollfUhrte. 

Die  in  den  Untersuchungsakten  beändlicben  Zeugenaussagen  stimmen  bis 
auf  geringfügige  Punkte  mit  der  oben  gegebenen  Darstellung  der  Frau  R.  über- 
ein, so  dass  wir  nur  einige  folkloristisch  interessante  Punkte  herausgreifen  wollen. 

Die  neuaufgenommenen  Mitglieder  mussten  einen  Schwur  leisten:  .Nie- 
mandem zu  verraten,  dass  sic  Logenmitglicdcr  seien,  niemals  zu  erzählen,  was 
in  den  Sitzungen  passiere , den  R.  als  Beschützer  anznerkennen , ihm  stets  zu 
helfen  und  ihn  stets  zu  unterstützen,  aber  ihm  niemals  nachzugehon,  was  er 
treibe“.  Durch  Hinweis  auf  diesen  Eid  wusste  er  die  Mitfrauen  zu  dem  Koitus 
zu  veranlassen,  wenn  sie  sich  einmal  sträubten. 

Frau  R.  verweigerte  bei  ihrer  polizeilichen  Vernehmung  die  Aussage,  weil 
sie  als  Freimaurcrin  zu  absolutem  Stillschweigen  verpflichtet  sei.  Bei  ihren 
späteren  gerichtlichen  Vernehmungen  gab  sie  au,  sie  habe  ihrem  Manne  in  jeder 
Beziehung  Glauben  geschenkt  uud  infolgedessen  alle  seine  Anordnungen  befolgt. 

R.  gab  im  allgemeinen  zu,  was  die  Zeugen  von  ihm  aussagten.  Er  habe 
nie  in  Beziehungen  zur  Freimaurerloge  gestanden.  Wie  er  dazu  gekommen  sei, 
die  unwahren  Erzählungen  über  den  Freimaurer  zu  machen,  sei  ihm  selbst  un- 
erklärlich; er  glaube,  dass  es  infolge  geistiger  Erkrankung  geschehen  sei. 

Der  Sachverständige  Dr.  M.  gab  am  14.  Juni  1901  sein  Gutachten  dahin  ab, 
dass  R.  Verfolgungswahnsinn  zu  simulieren  scheine.  Frau  R.  mache  einen  sehr 
beschränkten  Eindruck,  so  dass  es  sehr  wahrscheinlich  sei,  dass  sie  den  .Angaben 
ihres  Ehemannes  geglaubt  habe.  Der  Sachverständige  stellte  sodann  den  An- 
trag auf  Beobachtung  in  einer  Irrenanstalt,  dem,  wie  oben  bemerkt,  auch  ent- 
sprochen wurde. 

Bei  der  Frau  R.  fiel  als  abnorm  lediglich  auf  die  Kritiklosigkeit,  mit 
der  sie  den  Angaben  ihres  Mannes  gegenüberstand.  Bei  ihrer  Aufnahme  in 
die  Charitö  war  sie  noch  durchaus  davon  überzeugt,  dass  alle  .Angaben  ihres 
Ehemannes  über  Freimaurerei  wahr  seien:  Ihr  Mann  habe  ö Jahre  lang  dieselbe 


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Behanptuiig  anfrccbterlmlten  mul  mit  der  gröiutcii  Bestimmtheit  immer  wieder- 
bult,  zahlreiche  Eiuzelbeiten  mit  grusser  Anschaulichkeit  beschrieben  und  die 
ganze  Angelegenheit  sehr  ernst  und  feierlich  betrieben ; auch  sei  ein  (Irnnd,  aus 
dem  ihr  Mann  alles  erlogen  haben  kUnnte,  nicht  anfzufinden.  Erst  allmählich 
gelang  es,  den  Glauben  der  Fran  R.  ein  wenig  zu  erscbilttem. 

R.  sagte  in  der  Charit^,  er  sei  auch  jetzt  noch  überzeugt,  dass  er  Freimaurer 
sei,  sein  Vater  sei  bereits  Freimaurer  gewesen.  Er  schliesse  das  daraus,  dass  sein 
Vater  sich  erschossen  habe  und  von  anderen  Leuten  zum  Trunk  verführt  worden 
sei;  auch  hake  seine  Mutter  öfter  gesagt,  sie  habe  etwas  auf  dem  Herzpu,  sei 
jeiloch  nie  dazu  gekommen,  es  ihm  mitznteilen.  Bass  er  selber  Freimaurer  sei, 
schliesse  er  daraus,  dass  ihm  alles  schief  gegangen  sei,  was  er  auch  angefangeu 
habe.  Dies  sei  dadurch  zu  erklären,  dass  jeder  Freimaurer  eine  Gegenpartei 
habe,  die  ihn  zu  schädigen  snehe,  während  eine  andere  Partei  ihn  schütze  und 
unterstütze.  Vor  etwa  20  Jahren  habe  er  einmal  in  einer  Kneipe  ein  Gespräch 
über  Freimaurerei  angehört  nnd  erinnere  sich  noch,  dass  die  betreffenden  Leute 
gesagt  hätten,  die  Freimaurer  unterstützten  sich  gegenseitig,  und  unter  Um- 
ständen würden  grosse  Summen  an  ihre  Familien  ausgezahlt.  Wie  er  auf  die 
Idee  gekommen  sei,  selbst  Freimaurer  zu  werden,  könne  er  nicht  sagen;  „Ich 
weiss  nicht,  wie  das  gekommen  ist;  ich  glaubte,  dass  ich  Freimaurer  sei,  und 
bin  noch  jetzt  der  Überzengung*.  Alle  seine  .\nordnungen  bez.  der  Einziehung 
von  Personen  habe  er  getroffen,  da  er  fest  überzengt  gewesen  sei,  dass  dies  so 
geschehen  müsse  und  bei  den  Freimaurern  so  Sitte  sei.  Aus  sexueller  Begehrlich- 
keit habe  er  es  nicht  getan,  sondern  geglaubt,  nur  seiner  Pflicht  gemäss  zu 
handeln.  Wie  er  dazu  gekommen  sei,  sich  an  dem  jungen  Mädchen  Kr.  zu  ver- 
greifen, wisse  er  selber  nicht  recht;  er  gebe  zu,  sich  dabei  vergangen  zu  haben, 
mit  der  Freimaurerei  an  nnd  für  sich  habe  diese  Affäre  nichts  zu  tun  ge- 
habt. Bezüglich  seiner  falschen  Angaben  räumte  er  ohne  weiteres  ein,  dass  er 
nunmehr  einsehe,  dass  sie  vorwiegend  den  realen  Verhältnissen  nicht  entsprächen, 
dagegen  Hess  er  sich  nicht  ausreden,  Freimaurer  zu  sein. 

Auf  Gruud  dieses  Sachverhalts  und  weiterer  uns  hier  nicht  interessierender 
TatHachen  kam  Dr.  Henneberg  in  einem  ausführlichen  Gutachten  zu  dem  Schluss, 
dass  der  Ehemann  R.  an  dem  bekannten  Krankheitsbilde  der  Pseudologia 
pliantastica  leide  nnd  zur  Zeit  der  Vornahme  der  ihm  zur  Last  gelegten  krimi- 
nellen Handlungen  nicht  zurechnungsfähig  gewesen  sei , dass  Fran  R. 
dagegen  zurzeit  nicht  geisteskrank  sei,  und  sich  keine  Momente  er- 
geben hätten,  die  zu  dem  Schluss  berechtigten,  dass  sie  zur  Zeit  der 
ihr  zur  Last  gelegten  Handlungen  geisteskrank  war.  „Dass  in  dem  Umstand, 
dass  sie  ihrem  Ehemann  Olanben  schenkte , nicht  ein  einen  krankhaften  Grad 
von  Urteilslosigkeit  erweisendes  Moment  erblickt  werden  kann , bedarf , wenn 
man  die  Art  und  Weise,  wie  er  seine  Angaben  hervorbrachtc , den  geringen 
Bildungsgrad  der  Eiplorandin  und  den  Umstand,  dass  im  Volke  vielfach  absurde 
Vorstellungen  über  das  Wesen  der  Freimaurerei  vorherrschen , berücksichtigt, 
keiner  weiteren  Ausführung.  Aber  auch  in  dem  jetzigen  Verhalten  der 
Explorandin,  in  der  Hartnäckigkeit,  mit  der  sie  bei  der  Überzengung,  dass  ihr 
Mann  Freimaurer  sei,  verharrt,  kann  nicht  der  Ausdruck  eines  geisteskranken 
Zustandes  erblickt  werden.  Die  Angeklagte  hat  5 Jahre  hindundi  unter  der 
.Suggestion  ihres  Mannes  gestanden,  die  V'orstellung.  da.ss  dieser  ein  betrügerisches 


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spiel  treibe,  oder  infolge  eines  krankhaften  (ieisteszustandes  die  in  Frage  koin- 
uieiideu  Angaben  machte,  lag  ibr  völlig  fern;  und  nach  der  Eutdeeknng  und  Ver- 
haftung des  R.  war  die  fOr  sic  nabeliegende  Vorstellung,  dass  man  lediglich,  nm 
die  Freimaurer  nicht  vor  der  Öffentlichkeit  zn  diskreditieren,  alles  als  Lug  und  Trug 
bezeichnete,  geeignet,  den  Glauben  an  ihren  ifanu  bei  ibr  bestehen  zn  lassen. 
Derselbe  ist  somit  in  einfacher  Weise  normal -psychologisch  bedingt  und  kann 
nicht  als  Ausdruck  einer  Geistesstörung  oder  geistiger  Schwäche  angesehen 
werden.  Wir  geben  unser  Gutachten  daher  in  dem  Sinne  ab.  dass  Frau  R.  zurzeit 
nicht  geisteskrank  sei,  und  dass  sich  keine  Momente  ergeben  habeu,  die  zu  dem  Schluss 
berechtigen,  dass  sie  zur  Zeit  der  inkriminierten  Handlungen  geisteskrank  war“. 

Dieser  Fall  zeigt  wieder  von  neuem,  dass  auch  die  alier- 
gliiubischen  Ideen  Geisteskranker  für  die  Volkskunde  und  die  von 
ihr  befruchteten  Wissenschaften  durchaus  nicht  irrelevant  ist, 
vielmehr  mci.stens  sehr  wohl  beachtlich  sind,  da  sie  zwar  einem 
kranken  Gehirn  entsprungen  sind,  aber  ihrem  Inhalte  nach  in  der 
Kegel  den  Volksglauben  getreu  wiedergeben,  manchmal  freilich 
mit  einigen  individuellen  Variationen,  wie  sie  sich  aber  auch  bei 
den  abergläubischen  Vorstellungen  Geistesgesunder  nachweisen 
las.sen  *).  Aus  diesem  Fall  ergeben  sich  eine  ganze  Reihe  bekannter 
volkskundliclier  Motive. 

Da  ist  zunächst  die  Anschauung,  dass  der  Kandidat  vor  seiner 
Aufnahme  in  den  Freimaurerbund  ein  Examen  ablegen  müsse,  wie 
dies  übrigens  auch  schon  bei  den  Geheimbünden  der  Naturvölker 
der  Fall  ist.  ('her  die  nähere  Gestaltung  dieser  Prüfung  erfahren 
wir  leider  nichts.  Mit  dieser  Aufnahmeprüfung  im  Zusammenhang 
.stellt  der  eigenartige  Venschwiegenheitseid,  den  die  neuaufgenom- 
nienen  Mitglieder  dem  II.  leisten  mussten,  der  auch  dem  Volks- 
glauben entsjiricht  und  in  den  Pliden  bei  Aufnahme  in  einen 
Verbrecherbund*)  seine  Parallele  hat.  Weiter  hat  R.  dem  Volks- 
glauben entnommen,  dass  die  Freimaurer  reich  werden  und  hohe 
Konnexionen  erhalten,  ebenso  die  Idee  von  einer  Generalver.samnilung 
der  Freimaurer  und  von  dem  Selbstmord  von  Freimaurern  auf 
Beschluss  der  Genossen.  Auch,  was  über  die  „Gegenpartei“  ge- 
sagt wird,  die  jeder  F'reimaurer  angeblich  hat,  lässt  sich  wohl 
aus  den  Anschauungen  des  Volkes  erklären.  Der  Freimaurer  gilt 

*)  Vgl.  darüber  ausfUbrIieber  meinen  im  nächsten  Heft  der  „Zcitschr.  für 
die  gesamte  Strafrechtswis-senschaft“  erscheinenden  Aufsatz  über  „Blntmord  vind 
Aberglaube.  Tatsachen  und  Hypothesen“. 

’)  Vgl.  C'ascella,  ,11  brigantaggio“  (Aversa  1907)  S.  171,  17Üf.,  sowie 
meine  denmäobst  in  der  „Ztstebr.  f.  Religionspsychologie“  erscheinende  nu.sfülirlicbe 
Abhandlung  über  „Religiöse  Verbrecher“. 


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bekanntlich  als  mit  dem  Teufel  im  Bunde  stehend,  als  dem  Teufel 
verfallen,  dem  er  .sich  ver.schriehen  hat,  der  ihn  aber  dafür  bis  zu 
seinem  Tode  in  allen  Anfreleprenheiten  unterstützt.  Ich  denke  mir 
nun,  da.ss  unter  der  (Jegeniiartei  die  frommen  christlichen  Leute 
zu  verstehen  sind,  die  dem  Teufel  entfregenarbeiten  und  ihm  sein 
Opfer  zu  entreissen  .suchen,  mindestens  aber  die  Vergünstigungen, 
deren  sich  die  gottlosen  Freimaurer  erfreuen,  zunichte  zu  machen 
suchen.  Sollte  R.  dagegen  an  das  Bestehen  zweier  einander  feind- 
licher Parteien  innerhalb  des  Freimaurerbundes  selber  geglaubt 
haben,  so  wäre  eine  derartige  Anschauung  kaum  verständlich,  fände 
auch  meines  Wissens  in  dem  Volk.sglauben  keinerlei  Stütze. 

Ausser  diesen  mehr  oder  minder  dem  Volksglauben  entsprechen- 
den Anschauungen  über  die  Freimaurer  linden  sich  bei  R.  auch 
einige  wenige,  die,  soweit  mir  bekannt,  durch  den  Volk.sglauben 
ihre  Erklärung  nicht  finden,  wenngleich  sie  keineswegs  absurd 
sind.  Zunächst  kommt  in  Betracht,  dass  R.  glaubte,  erst  mit 
Vollendung  des  40.  Leben.sjahres  in  den  hTeimaurerbund  aufge- 
nommen werden  zu  können.  Dass  ein  bestimmtes  Alter  zur  V^or- 
bedingung  für  den  Eintritt  in  eine  (ieheimgesellschaft  gemacht 
wird,  kommt  sicherlich  gar  nicht  so  selten  vor,  und  möglicherweise 
hat  R.  die.sen  Zug  einfach  auf  die  Freimaurer  übertragen.  Mög- 
licherwei.se  aber  ist  er  auf  die.sen  Oedanken  auch  nur  de.shalb 
gekommen,  um  sich  selber  zu  erklären,  dass  er  erst  jetzt  etw  as  von 
seiner  Zugehörigkeit  zu  den  Freimaurern  erfahre.  Wichtiger  ist 
der  sexuelle  Ritus,  den  R,  als  angeblichen  freimaurerischen  bei  den 
Versammlungen  einführte,  und  der  gleichfalls,  soweit  mir  wenigstens 
bekannt,  im  Volk.sglauben  keine  Stütze  findet.  Für  absurd  kann 
man  aber  auch  diese  Oedankenverbindung  nicht  erachten,  da  be- 
kanntlich das  sexuelle  Moment  eine  grosse  Rolle  spielt  bei  Oeheini- 
bünden,  besonders  solchen  religiös-mystischer  Färbung.  Auf  diese 
eigenartige  Rolle  des  sexuellen  Faktors  hat  besonders  Stoll  Itin- 
gewie.sen  ').  Man  denke  beispielsw  ei.se  an  die  sexuellen  Verirrungen, 
deren  sich  die  Hexen  nach  allgemeinem  Volk.sglauben  bei  ihren 
Hexensabbaten  schuldig  machten,  an  die  Oreuel,  deren  man  mit  Recht 
oder  Unrecht  die  Tempelherren  be.schuldigte,  an  die  berüchtigten 
Königsberger  „Mucker“,  an  den  „Messias*  Rosenfeld  usw^  Der 

’)  Otto  Stoll,  Suggestion  und  Hypnotysmns  in  der  Viilkcrpsycliologie, 
2.  Auf!.,  Leipzig  1904.  Vgl.  avicli  Bernhard  Stern,  „(icschichtc  der  iiffentliclien 
Sittlichkeit  in  Russland'  Bd.  I (Berlin  1!M)7)  S.  193  ff.,  hesondera  22ö  fl'. 


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Gedanke  sexueller  Betätifning  zur  hiilieren  Ehre  der  Gottheit 
kommt  uns  auch  nur  von  unserem  modernen  Emptiuden  aus  so 
sonderhar  vor;  dass  er  primitiven  Entsvickluufrsstufen  und  anderen 
Kulturkreisen  frar  nieht  so  fern  liejit,  er^tiht  sich  aus  dem  gar 
nicht  so  seltenen  Vorkommen  der  religiösen  Prostitution*).  Oh  K. 
diesen  Ritus  mehr  oder  minder  hewu.sst  derartigen  f'berlieferungen 
entlehnt  hat,  mag  dahingestellt  hleihen.  Es  steht  auch  nichts  im 
Wege  anzunehmen,  dass  die  Ausge.staltung  der  sexuellen  Zeremonien 
geistiges  Produkt  des  R.  ist,  wie  derartige  \eu.schöpfungen  dem 
Vülkerpsychologen  ja  nichts  Ungewöhnliches  sind.  Jedenfalls  zwingt 
nichts  zu  der  nach  den  Bekundungen  der  Ehefrau  unwahrschein- 
lichen Annahme,  da.ss  R.  die  eroti.schen  Zeremonien  sich  erdacht 
habe,  um  seine  .sexuelle  Begehrlichkeit  zu  hefriedigen.  Wunder- 
nehmen kann  es  auf  den  er.sten  Blick,  wie  cs  möglich  war,  dass 
eine  Reihe  sonst  anständiger  Frauen  und  Mädchen  sich  so  ver- 
blenden Hessen,  da.ss  sie  jedes  Schamgefühl  bei  Seite  .setzten  und 
vor  den  anderen  Mitgliedern  in  grösster  Ungeniertheit  mit  R.  die 
schlimmsten  Schmutzereien  Vornahmen.  In  Wirklichkeit  ist  aber  auch 
dieses  keine  absonderliche  Tat.sache,  vielmehr  eine  der  gewöhn- 
lichsten Erscheinungen  bei  Ki>idemien  irgendeiner  Art:  Der 

eigentliche  Erreger  der  Epidemie  ist  vielfach,  ja  mei.stens  ein 
mindestens  gei.stig  minderwertiges,  oft  genug  direkt  geisteskrankes 
Individunm,  die  gro.sse  Mehrzahl  der  von  seiner  Wahnidee  Ange- 
steckten i.st  aber  in  der  Regel  durchaus  geistig  gesund  und  steht 
nur,  solange  die  Suggestion  wirk.sam  ist,  wie  unter  dem  Banne 
des  Propheten  “). 

Sollte  durch  die.se  kleine  Abliandlung  ein  Beitrag  zu  dem 
V'olksglauben  bezüglich  der  Freimaurer  erl)racht  und  gleichzeitig 
dargetan  sein,  in  welcher  Weise  Zeitungsberichte  über  Gerichts- 
verhandlungen sowie  p.sychiatrische  (iutachten  für  die  junge 
Wissenschaft  der  Volkskunde  dienst!)ar  gemacht  werden  können, 
.so  wäre  der  Zweck  vorstehender  Zeilen  erfüllt. 

•)  Vgl.  Floss  - Bartela,  ,Das  Weib  in  der  Natur-  und  Völkerkunde“, 
3.  Aofl.  (Leipzig  1891)  — eine  neuere  siebt  mir  augenblicklich  nicht  zur  Ver- 
fflgung  — Bd.  I S.  34G  ff.,  sowie  Friedrich  S.  Kraiiss,  „Beischlafausübuiig  als 
KuUhaudluug*  iu  den  von  ihm  herauagegebeueti  , Aiitropopliyteia“,  Bd.  111 
(Leipzig  190«)  8.  20,33. 

’)  Vgl.  Hellpach,  „Die  geistigen  Epidemien*  (Frankfurt  a.  M.  1907),  be- 
sonders S.  48  ff.,  54  ff.,  95  ff. 


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81 


Sclilcsieiis  Vogelwelt  in  der  Sprache  und  iin 
Glauben  der  Heimat'). 

Von  Dr.  Paul  Drechsler. 

Ackerniünnchen  n.,  Männrhen,  das  ackert,  in  einem  Teile 
Niedersclilesiens  (Sprottuu)  Bezeichnung  der  Bachstelze,  die  auch 
in  Frankreich  hin  und  wieder  semeur,  Säeniann,  heisst;  ähnlich 
in  Schweden.  Die  Volkssage  verglich  wohl  die  rührige  Bewegung 
des  Schwanzes  hei  diesem  Vogel  dem  Ackern.  DWb.  1,  174.  ln 
Niederhessen  sLngen  die  Kinder  im  Vorfrühling  bei  der  Ankunft 
der  Bachstelzen: 

Ackerniäiinchcn,  A ckermännclien , 

, Acker  mir  mein  Hcetehen.  Välimir,  Idiot.  7. 

Ammer  s.  Goldammer. 

Amsel  f.  (Turdiis  merula  L.),  Amssel  (mit  geschärftem  s), 
in  Oberschlesien  Oinstel,  Amstel,  wie  in  Niederüsterreich  und 
Tirol,  früher  auch  Merle.  Gryphius,  Horrib.  (Palm)  1107.  Sie 
gilt  als  Gespenstertier.  In  der  Gegend  am  Eulengebirge  .sagt  man 
für  gespenstische  Töne:  es  pfeift  wie  eine  Anusel.  Drechsler, 
Sitte,  Brauch  n.  Volksgl.  II,  228.  Holtei  nennt  die  Amsel  dän 
Dieb;  S.  82.  — Sie  pfeift:  Zistusi!  und  dieser  Lockruf  be- 
zeichnet in  Österreich-Schlesien  geradezu  den  Vogel: 

Ich  halt  am6I  a scblnc  Zistusi, 

Du  hältst  ’s  gän  (gern)  äii  krigst  's  nt.  Peter,  Volkstüml.  I.  Hfi. 

Bachstelze  f.  (Motacilla  alba  L.),  Bachstilzke,  auch 
Klosterfräulein,  gibt  Vorzeichen.  Drech.sler  a.  a.  0.  11,  229; 
vgl.  Ackermännchen. 

Baumläufer  m.  (Certhia  familiaris  L.),  BaumlAfr,  um  Ncu- 
.stadt  und  Neisse  Baumrutscher,  daneben  Kletterspechtel,  wie 
in  der  Lausitz. 

Dohle  f.  (Corvus  monedula  Ij.),  Töle,  wird  gern  gezähmt 
im  Hause  gehalten  und  .Jakob  gerufen.  Man  ruft  gern:  Jakob,  wo 
bistu’:'  und  gibt  sich  selbst  die  Antwort:  Hinderin  Oven  und  flick 
Schuh.  Die  Dohle  heisst  auch  Matschke,  eine  Lieblingsbezeich- 

')  Man  vergleiche  das  jedem  .Vaturfreunde  zu  empfehlende  Hnch  von  Paul 
Kollihay.  Die  Vögel  der  Preussisclien  Provinz  .Schlesien,  llrealau  liKki. 

Mitteilungen  d.  netilea.  Gen.  f.  Vkile.  lieft  XIX.  ti 


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82 


niinpr  für  den  Kanarienvogel,  ans  Mäfz-Matliias.  Sie  ist  das  Sinnbild 
dummer  Geschwätzigkeit;  daher  die  Schelte  tnmme  Töle  oder 
Patschk(au)er  Tole;  vgl.  Drech.sler  a.  a.  O.  II,  31.  Dasz  letz- 
teres auch  ein  Gebäck  bezeichnet,  erwähnen  Jüttner  (Pfarrer  in 
Schönau,  Kreis  Leobschütz),  der  bei  der  Aufzählung  von  „Mitte- 
brenge“  .sagt: 

Och  Potsohker  Tohln  gihn,  nur  mflss  ma’s  nich  su  nenn'n, 
sust  kennt  ma  sich  dos  Maul  gor  arig  sihr  verbrcnn'n. 

Humorist.  Pillen  (1807)  2,  0.5. 
und  Holtei  S.  183  ff.  — Sie  ist  auch  wegen  ihrer  Dieberei  sprich- 
wörtlich wie  die  Elster. 

Weil  der  Trunkene  gern  .schwätzt  (vgl.  des  Leobschützers 
Scherffer  Grobianer  S.  73:  wirstu  vor  andern  trunken  und  redest 
dies  und  das  nach  närrischen  Gedunken),  so  steht  Tohle  für  Rausch 

in  der  Redensart  sich  eine  Tohle  kaufen,  eine  Tohle  haben; 

« 

kflf  der  ni  iirnt  wieder  su’ne  Tohle 

wie  uf  der  F'ärschkewitzer  Hu.\t.  Heinzei,  Vägerle  2. 

Dohlengekrächze  wird  nicht  gern  gehört;  in  auffallender  Nähe 
kündigt  es  einen  Todesfall  an.  — In  Schlesien  werden  junge 
Dohlen  gege.s.sen,  wie  dies  an  dem  Hofe  zu  Ca.s.sel  in  der  zweiten 
Hälfte  des  16.  Jh.  geschah.  DWb.  II,  1219. 

Drossel  f.  (Tnrdus  musicus  L.),  Drussel,  Weindrossel, 
Drostei,  Drnstel  (Leobschütz,  Neustadt,  Nei.sse),  Droxel  (Graf- 
schaft); als  alter  Name  wird  Zi])pe  erwähnt.  In  Österreich- 
Schlesien  und  der  preu.ssischen  Nachbarschaft  (Kätscher)  lautet  ihr 
Gesang; 

Wenn  b'r  wän  (werden),  wenn  br'  wAn  I ncie  Schuh  atizihn  — zihn  — zihn, 
of  .lägerudorf  gin,  gin,  gin.  i Schuh  oazihii. 

do  wAn  m'r,  do  wAn  m’r 

Alte  Drossel;  altes  Weib  (Waldenburg);  ahd.  dro.scela.  — 
Der  Krainmets Vogel  (Wachholderdros.sel , Tnrdus  pilai'is  L.) 
hei.sst  im  dent.schen  Oberschlesien  Eichelheher  oder  Nusshacker 
(Corvus  glandarius  L.),  in  Neustadt  Zimmerdrossel,  Zimmer- 
drostel,  um  Nei.sse  Dreck-  oder  Schnurrdrossel,  bei  Trachen- 
berg  Rranddrossel. 

Elster  f.  (Pica  caudata),  früher  Agläster,  Aläster  (bei 
dem  Leob.schützer  Scherffer  Ged.  691),  mhd.  agelastra,  jetzt  all- 
gemein Schalastcr,  Scholäster  und  Schölaster  (Waltersdorf 
bei  Siirottan).  Zu  den  „ frninnien  Wünschen'*  des  Schlesiers  ge- 


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liörf:  wie  Scliolastcrn  (TPsclipit.  HoUei  S.  486.  Sie  ist  diehiscli 
und  selir  (reschwätzip:;  daher  von  einer  ziinfrenferfifren  Person: 
die  liat  von  der  Scholaster  gefressen  (Sprottaii,  Freystadt); 
vgl.  Paperlapä])!  Du  liust  seliunt  wieder  vo  enner  äla  Schaloster- 
zuiige  gefrassa!  Lichter,  Muttersprache  S.  153.  Man  darf  Besuch 
erwarten,  wenn  die  Sclialastern  schäkern  (scliiikern).  Das  Auf- 
flicgen von  zwei  Kistern  bedeutet  Glück,  von  einer  Unglück 
(Hirschberg);  ihr  Schrei  bringt  Leid  (Görlitz),  Verdru.ss  (Grafsch.). 
Will  inan  das  Eintreten  der  Vorbedeutung  verhindern,  muss  man 
den  Vogel  mit  dem  Besen  vertreiben.  Weil  sie  einst  in  der 
Beiithener  Gegend  den  hl.  Hyacinth  bei  einer  Predigt  störte,  wurde 
sie  aus  jener  Gegend  (Oberschlesien)  verbannt;  vgl.  Sperling. 

Ente,  Ante  f.  (Anas  boschas  L.);  ihr  Ijockruf  Watschel 
(Liebauer  Tal),  watsch,  wätsch,  täsch,  täsch,  härle  (Trebnitz), 
arrle,  arrle  (Liegnitz,  01s);  i»olu.  kusch,  kusch. 

Eule  f.  Fiile,  Püscheile,  Nachteile,  heisst  ohne  Unter- 
■scliied  jedes  Mitglied  der  Strigidae.  Sie  findet  im  Volksglauben 
grosse  Beachtung:  Wenn  sich  eine  Nachteule  bei  Tage  um  die 
Häuser  .sehen  lä.sst,  so  liricht  in  kurzem  Eener  aus.  Sie  ist  auch 
Todesbote  und  hei.sst  im  Krei.se  Brieg  geradezu  Tuleule,  um 
Rybnik  und  Ratibor  Toten  vogel.  Hline  über  dem  Tor  angenagelte 
Eule  .schützt  die  Wirtschaft  vor  Hexen  und  Hexenwerk.  — Dass 
dich  die  wilde  Eule!  ist  eine  alte  Verwün.schung  (erwähnt  schon 
1648).  — Spassen  Sie  nicht  mit  der  Eule,  die  ist  auch  ein 
Vogel:  malen  Sie  den  Teufel  nicht  an  die  Wand;  eb  (ehe)  sich 
die  Eule  berauft:  im  Morgengrauen  (im  .schles.  Gebirge'.  Ein 
Frauenzimmer,  das  um  den  Kopf  nicht  in  Ordnung  ist,  sieht  aus 
wie  eine  Eule,  ist  aufgedonnert  wie  eine  Püscheile;  jd. 
zur  Eule  machen,  ihn  aufziehen,  verspotten. 

Finke  (Fringilla  coelebs  L.),  schlesisch  weiblich  gebraucht; 
Diminutiv:  das  Finkei.  Man  unterscheidet  die  Bezeichnungen: 
die  Buchfinke,  Gartenfinke,  die  Bergfinke  (Fringilla  monti- 
fringilla  L.),  die  TiCinfinke  (Neustadt),  die  Winterfinke,  oder 
nach  dem  eigentümlichen  Gesänge  Finkenquäker,  -quieker. 
Das  Männchen  heisst  der  Finkchahu  oder  der  Finkahar; 

A 13  vergnügt  As  wie  eim  Pöscli 

I'ense  Koarlemoan  A Finkchoahn. 

fleinzel,  last,  I’.riuliT  S.  l.Sri;  seng  on  spreng  hisch  (hübsch)  mit  wie  a 
Finkahar.  Schünig  S.  2ü. 

ti* 


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Finke  dient  zur  Bildmis  von  Schelten;  Mistfinke,  schmut- 
ziger Kerl,  und  bezeichnet  auch  den  penis,  erhalten  in  Bullfinke; 
Ochsenziemer.  In  Lübeck  hiess  die  Busse  gefallener  Mädchen 
Finkengeld. 

Ein  kleines  Trinkglas  nennt  der  Schlesier  a Finkenäppel. 

Der  trillernde  Finkcnschlag  heis.st  Reitschü  oder  Reiter: 
das  Ohr  hört  keine  Finke  nicht  den  sogenannten  Reiter  schlagen. 
Stoppe,  Parnass  S.  413,  nach  dem  Laute  rrrrreit-zu,  auch  Reiter- 
zug: Singt  enern  Reuterzug,  ihr  gödelliaften  Finken.  Schertfer 
Quere.  Piast.  Weinhold  Wb.  77a  stellt  Reiter  zu  mhd.  leiden: 
drelien,  wenden,  wonacli  Reiter:  Reider  - der  Dreher,  Triller; 
ahd.  gareidi  vibratus.  Auch  hört  man  den  Vogel  singen: 

.'■'(•hasch  schusch  schuscli,  du  k-unnst  ni  amftl  a Wfrtla  kusclit.abi-i-irn. 

I’ctcr,  Volkst.  I,  Gß. 

Allgemein  hei.sst  es: 

Wenn  die  Finken  rrrreitschnh  singen  oder  rfltschen,  wird 
es  regnen.  Nach  dem  Volksglauben  findet  man  im  Neste  der 
Finke  bisweilen  ein  Steinchen  von  grauer  Farbe,  einen  Finken- 
stein, mit  dem  sich  der  Träger  unsichtbar  machen  kann;  Drechsler 
a.  a.  0.  11,  228,  2ti8;  deutet  auf  die  schwere  Auffindbarkeit  eines 
Finkennestes.  Vgl.  auch  (>im])el. 

Fischreiher  m.  (Ardea  cinerea  L.),  im  Munde  alter  Leute 
Feschräger  (Neustadt);  Lockruf:  Kräik  oder  kra! 

Fliegenstecher  m.,  im  deut.schen  Oberschlesieu  Bezeichnung 
des  Fliegenschnäppers  (.Muscicapa  grisola  L.). 

(Jauderhahn  ni.  Truthahn  (Grafsch.,  Leobschütz,  Neisse). 
Er  kollert:  gauder,  gauder,  gauder,  davon  sein  Name.  — 
gaudern  .schw.  vb.  von  seiner  Stimme  (Grafsch.);  übertragen: 
werd  se  wie  a Uauderhohn 

Foierrnt  on  kräht  on  gaudert.  Schönig  S.  48. 

Redensart:  .schimpfnig  wie  a Gauderhahu.  Heiuzel,  Ock  ni 
ti-übet.  118. 

Gans  f.  Gäns  (An.ser),  schlesischer  Festtagsbraten,  be.sonders 
zu  Martini  (11.  Nov.),  das  .Männchen  Ganser,  Gautsch,  Gansch, 
Gälisch,  Ganschich,  mhd.  ganeze:  er  darf  vor  junge  Gän.s'  ihm 
•selbst  mit  Fleisz  ausklauben  die  ältsten  Gäntsche  zwei.  Schertfer 
(lf>r)2);  einen  gänt.sch  und  drei  gänse.  Grbar  von  Kreidel  177)0. 
Sie  werden  gestojift  und  genudelt  (mit  Schlischken ).  Ein 
Ratloser  stiht  dö  als  wie  de  Gans,  weiins  donnert;  wie  de 


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Gans,  wenns  kracht  und  I)liUt.  Holtei  8.  78;  allein  es  war  gerade, 
als  wenn  sic  eine  Gans  anpfit'fe  (sie  kehrten  sich  nicht  dran). 
Stoppe,  Parna.ss  531;  hinga  (hinten)  schneidt  ma  die  Gänse 
uf  (Hirschberger  Kreis)  ruft  man  Leuten  zu,  die  etwas  „ärschlich“ 
(verkehrt)  angreifen.  Von  kleinen  Ortschaften  heisst  es:  ’s  a 
Städtcl,  wu  de  Gänse  ufin  Ringe  grossen,  wu  s’  es  Fläster 
(Pflaster)  weggefras.sa  hoan.  — Gans,  dumme!  ist  eine  geläufige 
Schelte,  wie  Gänsekoi)f!  Von  Gänsegeschnärre  (Ganseklein) 
bekommt  man  Kopfschmerzen.  — Früher  wurden  am  Schlüsse  der 
Ernte  auch  Gänse  geopfert;  ein  Erinnerungsrest  ist  in  Mittel- 
und Niederschlesien  am  Erntedankfest  das  Ganschreiten, 
Drechsler  a.  a.  O.  II,  727.  Auch  ist  die  Gans  ein  propheti.scher 
Vogel;  man  befragt  sie  am  .Andrea.sabend,  weissagt  aus  ihrem 
Brustbein  (dem  „Schlitten“)  harten  oder  milden  Winter,  je  nach- 
dem es  weiss  oder  blau  (rot)  ist.  Es  bricht  Feuer  aus,  wenn  die 
Gän.se  hoch  und  weit  hinfliegen.  In  Gänsegestalt  erscheint  der 
Wassermann  (Ober.schlesien)  und  der  Alp. 

Man  achtet  besonders  auf  die  wilde  Gans  (die  Gi'augans); 
ihr  schreibt  man  ein  hohes  Alter,  ja,  Unsterblichkeit  zu:  der 
stirbt  nicht,  der  fliegt  mit  den  wilden  Gän.sen;  uralter  Glaube. 
Vielleicht  hängt  damit  auch  die  Vorstellung  von  einem  Gänse- 
himmel  zusammen:  Du  komm.st  in  den  Gänsehimmel!  — 

Rrieger  Gänse  nennt  der  Schlesier  die  grossen,  gelblich 
umrandeten  Schollen  des  Treibeises  auf  der  Oder. 

Gänsel  i.st  auch  eine  kleine  Pilzart,  Frisch  1,  317.  — Gänse- 
kraut n.  Beifusz  (.Astemisia  vulgaris),  weil  man  die  mit  heis.sem 
Wa.sser  abgebrühten  Blumcnstengel  in  die  zum  Braten  bestimmten 
Gänse  .steckt.  — Gänsewein  scherzhaft  für  Wasser;  trink  du 
Gän.selwein!  a Gla.sl  Gansewein.  JUttner  2,  65. 

Wie  am  Martinstag  die  Gans  den  Festbraten  liefert  (gäbs 
denn  Martine  ohne  Gänsebrätn!  Jüttner  2,  38)  nach  dem 
alten  Si)ruche:  .Munera  .sancti  Martini  sunt  aiiser  et  amphora  vini 
und  auch  der  Lehrer  früher  seine  Martin.sgans  als  Geschenk  er- 
hielt, so  wurde  in  Kat.scher  den  Webern,  .sobald  sie  anfingen  „bei 
Lichte“  zu  arbeiten,  die  Lichtgans  vorgesetzt.  — Man  lockt 
Gänse  mit  wulla,  wulla  (daher  Wullgäusel),  bull,  bull  (um 
Namslau). 

Gimi>el  m.  (Pyrrhula),  Rot-  und  Blaugimpel,  auch  Loh-, 
Luhfinke  (Liebauer  Tal,  Neustadt,  Lausitz).  Er  flötet  von  Zeit 


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zu  Zeit  fast  klafteiul  „lUit“!  Giiiijiel  ist  der  Spottname  für  Gym- 
nasiast. 

Girlitz  s.  Zeisig. 

Goldammer  m.  (Emberiza  citrinella  L.)  Guldämmer,  Gäl- 
ammer,  am  Zobten  Gnldalmer,  bei  Breslau  Ammerl ing, 
Emmerling  wie  in  ö.sterreich  (Amer  oder  Dinkel,  eine  Getreidc- 
art,  frisst  der  Vogel  gern),  in  Nicdersehlesien  .Amritze,  um  Neu- 
stadt und  Neisse  Goldammei,  Golditsclie  und  Golitsclike. 
Im  Herbst  ruft  er: 

I'auor,  Pauor.  säh  frlli,  sah  frih. 

Sä  a Keriila  tir  mich  mit. 

Im  Frühjahr  ruft  er: 

Paucr,  Paucr,  ich  scheiss  (Pr  uf  a Mist. 

Nach  der  Volksmeinung  zielten  die  (gelben)  Goldammern  die 
Gelbsudit  an:  für  die  gelbe  Sucht  sind  die  Goldammern  gut. 
Lobenstein,  Himmel-Schlüssel  611. 

Grauammer  m.  (Emberiza  calandra  L.)  heisst  um  Neisse 
Gritschker. 

Grasemücke  f.  (Sylvia  simple.x  Lath.)  heis.st  um  Neustadt 
im  Munde  alter  Leute  auch  Neinsteuimerla,  jetzt  meist  Fliegen- 
stecher,  Pliegeuschnäpper;  die  M önchgrasem ticke  (Sylvia 
atricapilla)  allgemein  Sch  warzplättel , Schwarzplattei 
(Grätsch.),  auch  Mönch,  .Münch  (Breslau).  Sie  singt: 

Briderle,  Briderle,  schKdst?  (Kätscher.) 

Bei  Gryphius,  Horribil.  (Palm)  268  bezeichnet  Grasemückc 
ein  leichtfertiges  Miidchen;  vgl.  Schnepfe. 

Habicht  m.  (A.stur  italumbarius  L.)  hei.sst  bald  Aar,  bald 
Stösser,  Stiesser,  bald  Hühnergeier  und  ist  gefürchtet.  Um 
ihn  zu  verscheuchen,  rufen  die  Kinder  (Kätscher): 

Utnlageir,  frisz  de  Kleia, 

Frisz  dich  soat,  mach  a lioad 

Im  de  ganze  Hovestoat  (Hofblätle).  Vgl.  Kuckuck. 

Hänfling  (Acanthis)  m.  hei.sst  allgemein  Hänflich,  Hämf- 
lich,  Hamflich.  Man  uutei-scheidet  Riit-,  Grün-  und  Grau- 
hampflich. 

Himmelsziege,  volk.stümliche  Bezeichnung  für  die  Bekassine 
(Gallinago). 

Kiebitz  m.  (Vanellu.s)  gilt  wegen  seine.s  Lockrufes  ,.Kiwit“, 
der  als  gib  mit  = komm  mit  gedeutet  wird,  im  Zobtener  Halt 
als  Totenvogel, 


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Krähe  f.  (Corvus  cornix  L.),  Kiölie,  KnVe,  Krä-e,  wie  schon 
mild,  krä,  kräe,  krähe,  krö,  aucli  Scliwarzkrälie,  die  haufenweise 
auftrcten : 

Wif  de  Schworzkrohn  über’s  Hasla 

Ficl'n  sc  ilb’r  a Kasper  liär.  Köasler,  Krieg  ii.  Frieden  9H; 
es  käme  auf  allen  Strassen  antrezofren  wie  Schwarzkrahen. 
Schweinichen  2,  102. 

Der  Krähe  rufen  die  Kinder  zu; 

Hopp  du  Krüc,  hopp  du  Krfie! 

Meine  Miitt'r  la  Cievatterfröc.  Feter  I,  fiH, 

Sie  selbst  krächzt  heiser  päk,  gäk  oder  krä,  krä  oder: 

A Fard,  a Fdrd!  — I fs  feit,  is  fett?  — 

\Vu  leits,  wu  leits?  — I'ass  's  (jiiarrt,  dass 's  quarrt  — oder: 

Aim  (iroab’ii,  aim  (iroab'u.  — I Holzdiirr.  holzdurr. 

Scherzfrage:  Wo  hat  die  Krähe  's  Euter'?  — In  der  Schinder- 
grnbe  (Ohlau). 

Die  Krähe  ist  wahr.sagend.  Krächzt  (gäckt)  die  Sterbe- 
krähe, so  stirbt  ein  Verwandter.  Die  Krähen  sind,  wie  alle 

.schwarzen  Tiere,  teuflische  Tiere.  Die  Scliwarzkrälie  begleitet 
den  bei  Striegelinülile  am  Füllengraben  simkendcn  Deist  und 
kommt  in  Begleitung  des  Urian  (Satan)  ma.ssenhaft  ins  Zimmer 
derjenigen  geflattert,  die  gewis.se  Stellen  im  6.  und  7.  Buche  .Mosis 
lesen  (Breslau).  — Pulverisierte  Krnhenaugen  sind  zu  vielem 
gut.  Formt  man  aus  die.sem  Pulver  und  weichem  Brot  Kügelchen 
und  wirft  sie  ins  Wasser,  so  las.sen  sich  die  Fische,  die  davon 

fressen,  mit  den  Händen  längen.  Auch  Vogel  kann  man  mit 

diesen  Kügelchen  leicht  fangen  (altes  Rezept). 

K rohäugel  (Kröhegel)  heisst  auch  die  nux  vomica;  jemanden 
mit  Krohegeln  vergeben  (Breslau). 

Krähhäken:  hakige  .schlechte  Schrift: 

l'nd  wer  Krohlmkcu  tntt  krchlcn  dernacben 

Ff  a Schiewer.  Iloltei  H37. 

Von  dem  Geschrei  gäk,  gäk!  hat  die  Krähe  auch  den  Namen 
die  Gäke.  Dohle  und  Gäke  sind  hierzulande  (wie  das  Wort 
„Drehlade“)  Inbegriffe  weiblicher  Dummheit  und  Schwatzhaftig- 
keit, und  neben  die  Patschker  Tohlen  treten  die  Neisser 

Gaken. 

Krengel  m.  zu  krengeln,  quälen:  Quäler,  Würger,  Name  des 
Dorndrehers  oder  Neuntöters  (Jmnius),  mit  den  Zusammen- 


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setzungin:  Gurtenkrengel,  Wagenkrengel,  Woinkringel, 

Woingrengel  (Liegnitz,  .Tauer),  Wartliekringcl  (Glatz),  Quark- 
krengel (Bre.slau,  deutsches  Oberschlesien). 

Kreuzschnabel  in.  (Loxia  curvirostra  L.),  poln.  krziwonos 
Kruminnase,  Krünitz,  Krünis,  Krinis  (Liebenthal,  (irafschaft, 
Gebirge),  Grinis  (Oppeln).  Er  wird  gern  in  der  Stube  gehalten, 
denn  er  zieht  Krankheiten,  namentlich  Gicht,  an  und  scliützt  das  Haus 
vor  Gewitter.  Wenn  ein  Kind  die  Fräse  (Friesei)  hat.  so  lass  es 
trinken  aus  dem  Geschiri’,  woraus  ein  Kriemsvogel  trinkt  (Herischdorf, 
Kr.  Hir.scliberg).  Woher  der  krumme  .Schnabel  des  Vogels  riilirt, 
weiss  das  Volk  sinnig  zu  erklären,  Drechsler,  Sitte,  Brauch  1, 

Ihr  weithin  vernehmbarer  Lockruf  ist;  Gepp,  gep]»,  gipp,  gipp! 

Kuckuck  m.  (Cuculus  canorus  L.),  Gukuck,  nach  .seinem 
Ruf,  dem  Gucken  vb.: 

On  «lle  hört.a  fiuckncks  Stemme  .\  guckt  amfll  on  wetter  nemme. 

Oft  Schrein;  mer  nifft  a och  .tnifll.  i Dos  tntt  a,  weil  och  starba  siM.  (Ncissc.) 

Bekanntlich  soll  die  Anzahl  der  im  Frühlinge  zuerst  gehörten 
Kuckucksrufe  die  Anzahl  der  .Jahre  bedeuten,  die  man  noch  er- 
leben wird.  Man  ver.situmt  auch  nicht  bei  den  ersten  Rufen  des 
Kuckucks  im  Frühlinge  sein  (Teld  zu  rühren  oder  auf  die  Ta.sche 
zu  klopfen.  Zwischen  dem  Zobten  und  der  Oder  nimmt  der  wilde 
Jäger  die  Gestalt  des  Kuckucks  an;  man  erechrickt  bei  seinem 
Erscheinen.  Der  Kuckuck  verwandelt  sich  nach  einem  Jahr  oder, 
wenn  er  über  den  .Stoppel  fliegt,  in  den  „Stiessci”*  (Habicht)  oder 
r Krimmer“  (Sperber)  (Eulau  l»ei  Siirottau),  in  den  Stösser  oder 
Aar  (Waltersdorf),  in  den  Sperber  (Grafschaft),  ein  Volk.sglaulie, 
von  dem  .schon  Plinins  berichtet.  — Statt:  hol  dich  der  Teufel! 
sagt  man:  hol  dich  der  Kuckuck'  ,.Man  nennt  einen  jeden  Ab- 
schaum von  Ehr  und  Wohltat  verge.ssenen  Menschen  einen  un- 
dankbaren Kuckuck.  .Ta,  wenn  die  leichtsinnigen  Flucher  noch 
den  bösen  Feind  nicht  nennen  wollen,  so  heis.sen  sie  ihn  den 
Kuckuck.  Der  Kuckuck  hat  es  geholt!  usw.“.  Bunzlauer  Mtschr. 
1775,  357.  Die  .Schelte:  der  undankbare  (Tuckguck  erwähnt 
auch  der  Hirschberger  Stoppe,  Farn.  520. 

Ijaschke  m.  (Loxia),  Kernbeisser,  Leske  (Breslau),  Ijaskc 
(Neustadt.  Leob.schütz): 

lieh  der  baschke  kflmmt  gekrnchtn, 

Denn  de  lioschken  (sein  Weilichcn)  Icit  ei  Wuchen.  Uoltci  483. 


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Lerche  (Alauda),  Lirclie  f.  Hiniinel.slirclie : 

l»ie  Mrche  niiis  flnis  Lichtmesse  singen. 

Tact  irsch  Küppel  underm  Sten  zerspringen.  lloltei  lt)H. 

Mit  Mariae  Lichtmess  (2.  Februar)  gellt  die  Lerche  unterm 
Steine  hervor  in  die  Lüfte:  de  Lärche  sizt  nienich  unterm  Steine. 
.Tüttncr  2,  58.  Sie  singt  (in  (■|sterreich-Schlesien): 

•Maine  Mntt’r  hAt  slwe.  siwa  Tächter. 

S'  liaon  alle  siwa,  siwa  grOsse  Nansalärlier. 

Sir  wait.  brait.  tif,  tif,  tlf!  Peter  I.  fifi. 

Heidelerche  f.  (Alauda  sylvaticn):  Haubenlerche.  Von  dem 
netten  Vogel  übertragen  anfein  .sauberes,  schlankes  Mädchen:  Se  is 
SU  nette  und  gcschlank  wie  a Hedelarchla  (Reichenbach).  Wenn  je- 
mand .schön  singt,  .so  sagt  man:  er  singt  wie  eine  Heidelerche 
(Rreslau,  Leobschütz,  Kreuzburg). 

Magd,  faule,  Faulemäd,  äle  .Maod  (I^iebauer  Tal); 
Wachtelkönig  (Rallus  crex),  auch  Grasemagd,  Wiesenschnarre, 
Wiesenquarrc,  -knarre;  Gäkrich  (Neustadt),  Deiit.srh- Böhmen 
Gäke,  in  Österreich -Schlesien  vielcrorten  Hoaberkoahn;  Ruf: 
Knächt,  Knächt. 

Meise  f.  Ma-se,  Mese  (Panis  L.)  in  zahlreichen  Zu.sammen- 
.setzungen:  Kohlmeise  (Parns  maior  L.):  Spiegelmeise,  Sichel- 
schniied  (Oberschlesien),  auch  Schlosser  (Neustadt  OS.),  in  der 
Lausitz  Schlo.s.ser  und  Feilschmied;  Blaumeise  (Parus  caeruleus 
L.);  Blöma-se,  Blömöse  lOberschles.,  Osterr.-schles.),  Pimjiel- 
mf‘se  (Rreslau);  graue  Meise  (Neis.se)  (Parus  palustris  commu- 
ni.s);  Koppmöse  (Oberschlesien)  (Parus  cristatus  mitratus),  in  der 
].giusitz  Schopfinei.se  und  Meisenkönig;  Schwanz-  oder  Zäl- 
ineise  (Aegithalns  caudatus);  Schleiermei.se  (Neisse),  Pfannen- 
stösser  (Ziegenhals),  Pfannenstiel  (Neustadt),  hier  und  da 
Mnllermeise  (Neustadt),  (wie  in  der  Lausitz)  Teufelsbolzen, 
Berg-  und  Schneemeise,  im  Riesengebirge  sicherer  Vorbote  von 
vielem  Schnee.  — Ein  „um  den  Kojif  unordentliches“  .Mädchen 
sieht  aus  wie  eine  gerupfte  Meise. 

Nachtschatten  m.  (Neustadt)  (Capri mulgus  europacus  L.), 
Ziegenmelker,  um  Schweidnitz  und  in  der  Grafschaft  Mulken- 
dieb;  man  vgl.  Nacht.schwalbe  in  Westböhmen,  Himmelszieg  im 
Erzgebirge. 

Nusshacker  s.  Eichelheher. 


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Pfau  111.,  ein  Wftteiiuoiilii't , wird  liier  erwiiliiit  wegen  der 
Bezeichnungen  Pfuulialiii,  Pföfalioaii,  Pföfalienne.  Pfauenfedern 
in  der  Stube  bringen  Unglück  (Breslau,  Brieg,  Bentlieii  OS.). 

Pirol  in.  (Oriolu.s)  hat  den  Volksnaiiien  Biereule,  Bieröle 
nacli  seinem  Kufe:  wenn  die  Biereule  schreit,  kommt  sclilechtes 
Wetter.  Im  Frankensteiner  Schloss  hält  sich  eine  ge.spcnsti.sche 
Biereule  auf  und  ist  in  Beziehung  gebracht  zu  dem  benachbarten 
Bierbüschel.  Der  Vogel  heisst  auch  Goldamsel  (wie  in  West- 
biihmen),  Golddrossel  (wie  in  Tirol)  oder  nach  seinem  Lieblings- 
futter Kirschenvogel,  Kirschenspecht. 

Puh  11  m.  (Bubo),  Uhu:  der  Schrei  des  Puliu  ist  für  einen 
der  Kranken  des  Ortes  der  Todesruf  (Bunzlau).  Andere  Namens- 
formen sind  Ballhau  im  nördlichen  Niederschlesien,  Piiihui, 
Poihoi:  do  kimmt  der  Voater,  der  Herzig-Bräuer,  geloatscht  und 
schnedt  a Gesichte  wie  a Poihoi,  weiiirn  de  Vägel  üfziehn. 
Heiiizel,  A lu.st.  Bruder  93. 

Habe,  Roabe,  Nachtrabe  ra.  (Corviis  corax  L.),  im  Nams- 
laiiischen  (Keichtal)  Bettelmann,  ist  ein  Uiiglücksvogel ; sein 
Krächzen  weissagt  Unheil.  Um  es  abziiwenden,  spuckt  man  drei- 
mal auf  die  Krde.  Nach  altem  Glauben  badet  er  seine  Jungen 
am  Karfreitagsmorgen  in  ilie.ssendeni  Wasser,  damit  sie  schwarz 
werden;  Drechsler,  Sitte,  Brauch  TI,  230.  — Er  stiehlt  wie  a 
Nachtroabe,  altes  Sprichwort.  Bei  den  Schlesiern  des  17.  Jh. 
(Günther,  Stojipe)  bezeichnet  Rabe,  gelber  Rabe  einen  ungari.schen 
Dukaten  mit  dem  Bilde  eines  Raben. 

Rebhuhn  n.  (Perdrix)  (dessen  Namen  in  betreff  des  ersten 
Teils  noch  immer  nicht  sicher  feststeht)  liefeit  nach  dem  Volks- 
glauben ein  Mittel  zu  geistiger  Kraft.  Wenn  man  monatlich  ein- 
mal die  Schläfe  mit  Kebhühiiergalle  einreibt,  so  macht  das  ein 
gutes  Gedächtnis.  Ein  Volk  Rebhühner  ist  dem  Schlesier  eine 
Kitte,  Kiitte  (richtig  für  Kette),  ahd.  cutti  Herde,  ebenso  bair.- 
scliweiz.,  nd.  nl.  Kudde,  altfries.  kedde. 

Kotgalster  ni.  rothalsige  Taube  (Reichenbach). 

Rotkehlchen  n.  (Lusciola  riibeciila  L.),  Rütkätla,  auch 
bloss  Kätla,  Kätel  n.,  Käte  f.  wird  sehr  geschont  und  gehegt. 
Wer  (in  Böhmen  und  Obei’schlesien)  ein  Rotkehlchen  tütet,  dem 
zittern  zeitlebens  die  Hände.  Es  ist  sehr  zutraulich  und  neu- 
gierig: Wunderhoft  (neugierig)  bist  de  halt  üben  wies  Kätla,  dos 
röte.  Jüttner  1,  4;  die  neuschierige  Rutkate,  de  Werten.  Heinzei, 


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Jalirli.  49.  Hat  einer  vor  Frost  eine  rote  Nase,  rnft  man  ilini  zu: 
(in  hast  dir  ja  a Riitkatcl  (a  Katel)  jtefaiigen!  Bei  Fiscliart  Kot- 
l)rüstlein  in  derselben  Bedeutung:,  DWl).  Vlll,  1302.  — Hot- 
kätelbanin:  Evonimus,  Vogrelbeerbauiu,  Spillbam.  Weinliold, 

Wb.  41b.  Gleich  beliebt  ist  das 

Klitsch wänzel  (Ruticilla),  Rutsch wänzla,  Kutschwiiift- 
lich  (Neustadt),  Wüstlich,  Wistlich  (um  Neisse  und  in  der 
Grafschaft),  Schwarzw istlich  (iin  Rieseng-ebirgre  und  in  der 
Lausitz).  Rutwislich  (im  Vorgebirgsland),  vgl.  Siebs,  Mitt.  XIV, 
107.  Es  singt:  Bauer,  säst  Jloab’r,  Bauer,  säst  Hoab’r? 

Beide  Vögel  bringen,  wenn  sie  geschont  werden,  dem  Hau.se 
Glück  und  schützen  es  vor  Blitz  und  Feuer. 

Rüttelweib,  Rötelweil),  Rüttelweihe,  Falco  L.,  Wannenwäher 
Schwenckfeld;  vgl.  Dreclisler,  Sitte  II,  102. 

Schaetscher,  Schoetscher,  Tschaetscher  m.  allgemeiner 
Xanio  des  Birkenzeisigs  (Acanthis  tlammea): 

Schaetscher  mid  semm  riiten  Stirndel.  Holtei'483;  öch  der 
Vogel  verzählt  nf  seine  Weise  und  idappert,  eb's  nu  a Schätscherle, 
Ls,  a Finkei,  a Zeiskel,  a Gini])el.  El)d.  38;  schätscliein  vl). 
von  der  Stimme  des  Vogels,  doch  auch  übertragen:  uti‘  der  Gas.se 
schätschern  inse  Spatzen.  Griilin  Waldersee.  Schätscher  ge- 
braucht der  Schlesier  auch  für  Geld  (kleine  Münze):  liost  noch  a 
])oar  Schät.scher?  — a pör  Schätscherle  höt  se  o.  ( Iderwald,  Anne 
schläsche  Baperstunde  S.  75;  vgl.  Zeisig. 

Schalaster  s.  Elster. 

Schneekönig  s.  Zaunkönig. 

Schnepfe  f.  Schneppe  1.  der  bekannte  Zugvogel  (Scolopax), 
2.  feile  Dirne;  ihr  Herumstreichen:  der  Schnepfenstrich:  sie  gellt 
auf  den  Strich. 

Schwalbe,  Schwalme  f.  (Hirundo),  Blutt.schwälme,  Dreck- 
schw&lme  (Neustadt),  in  der  Grafschaft,  weil  der  Jungfrau  .Maria 
geweiht,  auch  Mirttergottesvogel  genannt:  ma  sitt  Men.schhöt 
wie  Schwalmen  im  Hürbste  ziehn.  Holtei  243.  Das  Haus  ist 
geschützt,  wenn  auf  seinem  Dache  Störche,  an  seinen  Mauern 
Schwalben  und  in  seinem  (Jebälk  Rotschwänzchen  nisten.  Wenn 
man  die  erste  Schwalbe  erblickt,  muss  man  das  Geld  in  der 
Tasche  umrühreu,  dann  geht  es  das  ganze  .fahr  nicht  aus;  auch 
muss  man,  um  Schönheit  zu  erlangen,  sich  beim  Erblicken  der 
ersten  Schwalbe  aus  der  Mistiifütze  wa.schen,  um  vor  Kreuz- 


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.scliiiierzeii  bewalii  t zu  lileibun,  sidi  auf  den  Rücken  legen.  Soniiner- 
spro.ssen  vertreibt  man  mit  Seluvalbenblut.  Wasser,  das  man  von 
jungen  N'estschwalben  brennt,  hilft  gegen  die  schwere  hinfallende 
Krankheit  (Sprottau).  Man  findet  auch  im  Magen  junger 
Schwalben,  ehe  sie  die  Erde  berühren,  Schwalbensteine;  die 
sind  dem  (iesichte  gut.  Wenn  einem  etwas  ins  Auge  kommt,  so 
tue  einen  solchen  Stein  in  den  Augenwinkel:  er  bringts  heraus. 
Doch  findet  man  unter  hundert  Schwalben  kaum  eine,  die  ihn  hat. 
Drechsler  a.  a.  0.  11,  2!I7.  — Fliegt  eine  Schwalbe  ins  Zimmer 
einer  Schwangeren,  so  hat  sie  Zwillinge  zu  erwarten  (Ober-  und 
Mittelschlesien).  — Weisse  Schwalbe  bezeichnet  einen  seltenen 
Besuch  (GrUnberg). 

Sperling,  Sperlich  m.  (Passer  domesticus  L.),  Spärlich, 
Spatz,  Spatzker,  Spoatzger,  mhd.  spaz,  spatze,  Ko.seform  von 
spare,  Sperber.  Das  Volk  unterscheidet  den  Haussperlich,  den 
Boamsperlich  (Neustadt),  den  Hirsesperliug  (Trachenbei-g) 
und  Rohrsperlich:  er  schimpft  wie  ein  Hohi-sperling.  Der 

Sperling  ruft  (tschil])t): 

Tschulink,  Tschulink.  Stiht  beim  Wnetz  (Weizen). 

.Seif,  Seif,  Seif  | Dar  Schelm,  Schelm,  Schelm. 

ln  Heidelberg  bei  Landeck  soll  es  keine  Sperlinge  geben: 
sie  wurden  einst,  weil  sie  dort  alles  Getreide  aufgefre.s.sen  hatten, 
von  einem  Breslauer  Bischöfe  verbannt;  vgl.  ElsUr. 

Weisser  Sperling  bezeichnet  allgemein  einen  seltenen  Be- 
such; vgl.  Schwalbe. 

Star,  Stoar  m.  (Sturnus  vulgaris  L.)  hat  den  Kosenamen 
Stoarmatz:  a Stoarmatz  hielt  uf  seiner  Meste  (Starmeste, 
Kästchen,  das  zum  nisten  für  die  Stare  an  den  Bäumen  angebracht 
wird)  anne  derbauliche  Prädigt  von  der  Liebe,  üderwald,  Pauer- 
bis.sen  23.  Er  ruft:  Spitzbub,  Spitzbub,  schau,  schau! 

Stieglitz  m.  (1‘Yingilla  carduelis  L.),  Stieglitzke,  Stilzke 
(Liebauer  Tal),  cech.  stehlec,  stelik.  Er  zieht  die  Schwindsucht  an. 

Storch,  Sturch  m.;  Klapperstorch,  ('her  seine  Bedeutung 
in  der  Volksmedizin  und  seine  Dankbarkeit  vgl.  Drech.sler  a.  a.  0. 
II,  226. 

Stüsser  m.  Stiesser  s.  Habicht. 

Taube,  Tauwe  f.  (Columba),  nach  der  Färbung  und  Ge.stalt 
Schimmel,  Rutschimmel,  Blöschimmel,  Steiger,  Kröpper, 
Rotgalster  (s.  oben)  u.  dgl.  bezeichnet,  ln  der  Grafschaft  besteht 


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das  Taubenpaar  aus  Toibr  und  Toibn,  sonst  Täuberich  und 
Tise  (aus  dein  Lockruf  tise,  tise  gebildet).  Der  Täulierich  spricht: 
Heb  a Ruck,  heb  a Ruck  (Rock)!  — Die  Taube  zeucht  an  sidi 
der  giftigen  Fieber  Flecken.  T.ohenstein,  Hinimel-Sclilüssel  69. 
Das  Blut  einer  .schwarzen  Taube,  dem  kranken  Kinde  auf  die 
Zunge  gestrichen,  befreit  von  Krämpfen  (Liegnitzer  Gegend). 
Taubenmist  befördert  den  Bartwuchs. 

Die  Tauben  haben  keine  Galle,  sie  gehören  den  .Menschen  alle: 
Rechtfertigungsversuch  der  Taubendiebe.  Der  Taubenfreund  heisst 
Taubennarr,  Taubenjökel  (Ohlau,  Breslau,  Kreuzburg).  — Wie 
von  Tauben  gele.sen,  z.  B.  von  .schönem  Weizen.  A höt  ’s  Maul 
uffe  stihn  wie  an  Taubenschlag;  ’s  ging  aus  und  ei  wie  ei  em 
Taubasöller  (Nim])tsch).  Mancher  ,schoiszt  bem  Derzehla  inonch- 
mol  onder  de  Tauwa“;  schneidet  auf  (Grafschaft).  — Tauben- 
fiissel,  ein  Kraut,  Geranium  colurabinum.  — In  einigen  Gegenden 
heisst  die  Taube  auch  Plauze,  Feldplauze. 

Turteltaube  (Turtur),  Türkei t au w'  (Kätscher)  f.;  sie  gurrt: 
Was  ich  tu,  is  alls  gutt;  vgl.  Peter,  Viilkst.  I,  0!) 

Die  Tauben  rokutzen,  ragutzen,  regutzen,  französ.  rou- 
couler,  onomatopoetische  Bildung: 

Wenn  bald  hie  und  da  ein  Tutzt  (flutzend) 

So  einander  anrnkutzt,  Czepko,  Coridon; 

wenn  sie  um  das  Dach  rokutzen.  Sat.  Ged.  I 34;  wenn  Tauben 
sich  ragutzend  paaren.  Stojipe,  Parnass  333. 

Wachtel  f (t’oturnix):  ’s  Wachtelweibel  heckt.  Holtei  48f). 
Schlagen  die  Wachteln  .schon  im  Frühjahr,  so  folgt  eine  schlechte 
Ernte  und  grosse  Teuerung.  Der  Wachtelruf  im  Getreidefelde  gibt 
an,  wieviel  Taler  das  Getreide  gelten  wird,  allgemein  auch,  wie 
lange  ein  Mädchen  noch  ledig  sein  wird.  — Wenn  es  im  Sommer 
viel  Wachteln  gibt,  so  bekommen  wir  viel  Gewitter.  Wachtel- 
schlag: Bakbrwak,  backwerwack,  pickberwick  (Franken- 
stein, Kreuzburg),  bittwerwitt  (Reichenbach),  putberlew’utt, 
putberdew’utt  (Kätscher);  vgl.  die  Bezeichnung  der  Wachtel  in 
der  Lausitzer  Kindersprache  Pitziierlik.  Schlagt  doch,  ihr  ver- 
.schlagcncn  (!)  Wachteln! 

ln  Kätscher  heisst  es:  Puit  gurre  wuit.  krau’r  a Bauch! 

Mengt  euer  bnehrnhae  voritzt  in  unsre  Lieder.  .Stoppe,  l’nrimss87;  33;t. 

Sn  bcwusclibert  als  wie  de  Wachtel, 

Wenn  se  dass  se  frühe  aus  em  Wfze  rickt 

I'nd  sirh's  Wätter  betracht  und  pickberwickt.  llnltei  50. 


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W i(‘(leliü|tf,  Wicdcliopi»  (Uimpa  ppops  L.),  in.,  Wiede- 
lioppe,  Wiedehnppi*  t.,  auch  Hupper  in.  (Leobscliütz,  Neissc); 
•spiiclisvörtlicli:  stinken  wie  a Wiedelnip]). 

Würger  ni.,  s.  Krcngel. 

Zaunkönig  (Troglodytesi  in.,  Sclineekönig  (Liebenthal,  Neii- 
stadti,  Schneepitzgcr  (Kat.sclier);  sich  freuen  wie  ein  Schneekönig: 
sehr  beliebte  Redensart.  Er  lockt:  tscliirp,  t.schirp  und  hiess 
früher  auch  Quack  er: 

SiiiRt  eiiern  Reuterzug  ihr  güdelhaften  Kinken, 

Ihr  l^uarker  euer  Tschirp,  ihr  Meysen  euer  Pinken  Scherffer,  (Juerc,  Pinst. 
Der  gefirre  Vogel  heisst  an  der  iiiederösterreichischen  Grenze 
Aussi-eini. 

Zeisig  in.  (Pringilla  spinus  L.).  Die  Grundform  Zeis  jxdn. 
czyz  bietet  Günther  (1732 1 78:  Ich  war  kein  .solcher  Zeiss;  ('ze])kn 
hs.  Zeisgen.  Lebendige  Weiterbildungen  Zeislein  n.:  wie  Kinder 
sich  am  Rand'  ein  Zeislein  la.ssen  mühen.  Scherffer,  Hugo  251 ; 
Zeiske  (Holtei  48(i,  Leob.schütz,  Neustadt,  Liebaul,  Zeisker 
(Kat.sclier),  Zeiskel,  Holtei  38;  nd.  Ziseke.  — Czeisgeiigeba wer 
(1452):  das  offene  GefUngnis  am  Breslauer  Rathause.  Zeitschr. 
f.  Gesell.  Schles.  X,  245;  1543  Juni  21  wird  verfügt:  welcher  sich 
darwider  setzet,  sol  mit  dem  Zeisgengebauer  gestraft  werden, 
4 Tage  und  4 Nacht,  l'aber  Orig.  Vratisl.  hs.  Ein  lockerer 
Zeisig:  leichtsinniger  Mensch.  — Bergzeiske:  Name  eines 
Schwammes.  — Zeisgenkraut,  Stachys  recta.  Schwenkfeld.  — 
Dem  Ge.sange  des  Zeisigs  werden  die  Worte  untergelegt:  Ziegeffe.sch 
is  zäh.  Holtei  482;  vgl.  Schaetscher. 

Meerzeisig,  Nieselzeisig  ist  ein  Beinamen  des  Girlitz 
(Fringilla  serinus  L.j,  in  Westböhmen  Meerzeisl. 

Ziegenmelker  s.  Nachtschatten. 

Zum  Schlus.se  hebe  ich  aus  Holteis  Liederspiel  „Die  Wiener 
in  Berlin“  einige  Strophen  aus  dem  Schlus.sgesange  heraus,  die  als 
„taelsches  Zeug“  in  seinen  Gedichten  S.  482  ff.  zu  tiiiden  sind  und 
uns  einen  gros.seii  Teil  der  .schlesischen  Vogelfauna  vorfuhren. 

Ei  dam  Walde  wftchst  der  Reiske'),  Ulil  der  Scheuer  kräht  de  Krohe, 
ühf  eni  liöine  sitzt  der  Zeiske,  ühf  äm  Hacrd  hreniit's  lichterlohe, 

.Schwitschert;  Ziegeflesch  is  zäh’,  Und  so  kochen  frischen  Lehm, 

Und  der  Kuck  schreit  immer:  Mäh.  Denn  der  Man  klimmt  hintc  hem. 

’)  Reiske  f.,  Reisker  m.  essbarer  I’ilz.  Man  kennt  den  Blut-  oder 
Kotreisker  i.Vgaricus  delieiosust  den  (i  rfinreisker  und  die  Kergreiske 


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■Tu,  a klimmt  wnl  vo  der  Res«, 

Und  im  Kasten')  sitzt  de  M^se, 

Und  im  Sprenkel*)  (sist  de)  henkt 
’s  Katel,  eh’b’s’)  der  Sperlich  denkt. 

Öcb  der  Laschke  kUrnmt  gekriicheu, 
Denn  de  Lascbken*)  leit  ei  Würben, 
Und  der  Master  Wiedehup 
Dräbt  sich  justement  an’n  Znpp. 

Schaetscher  mit  sem  ruten  Stirndel 
FInckt  an’n  Appel,  flnckt  a Birndel, 
Und  a mfft  de  Faulemad, 

Die  is  jnst  im  grissten  Staat*). 


Redt  franziisch  ock,  denn  se  tarscb, 
Und  a Kamb  hot  se  vum  Barsch*) 

Was  der  Hänflich  ock  mag  wullcn, 
HStt’  a nich  irscht  frogen  sulleu, 
Eh'h’  a*)  tntt  nach  Hofe  gihn, 

Bale  rnt  und  grau  und  grien. 

NS,  der  Mtlnch’),  das  is  a Racker, 
Setzt  sich  uf  a frischen  Acker, 

Der  is  grade  irscht  ragölt, 

Wii  aer  i'm  de  Schub  versohlt. 

De  Scholäster  kUmmt  zum  Saufen 
Runder  nf  a MiMwnrfshaufeu  nsw. 


Hot  a Mieder  vo  der  Lircbe, 

Rute  Bene  wie  de  Störche, 

Man  vgl.  auch  die  Vogelliochzeit  bei  Hoffmann  n.  Richter, 
Schics.  V'olk.'ilicder  S.  72  ff. 


Zur  Volksetj^niologie. 

Von  M.  Ilellmich  in  (iloguu. 

In  meinem  Aufsatz  über  „Allerlei  ('berflüssiges“  im  Heft  XVIII 
dieser  Zeitschrift  habe  ich  am  Schluss  die  in  letzter  Stunde  er- 
haltene Nachricht  über  das  Vorkümmen  der  Durfreime  in  Kladau, 
Kreis  ülogan,  erwähnt  und  dabei  den  von  meinem  Gewährsmann 
gebrauchten  Namen  dafur„pul§r  kwirl“  angeführt.  Meine  Annahme, 
dass  damit  ein  Hinweis  auf  die  Gegend  der  Entstehung  dieses 
Brauches  gegeben  sei,  hat  sich  als  irrig  erwiesen.  Herr  .Tustizrat 
Reiche  in  Glogan  macht  mich  tVenndlichst  darauf  aufmerksam, 
dass  ihm  ein  solcher  Ausdruck  in  seiner  Anwaltspraxis  häutig  vor- 
komme und  als  Verballhornung  von  „Pasquill'‘  — über  paäkwill, 
puskwill,  pulskwill  — anzusehen  sei.  So  nennt  die  Landbevölkerung 
Niederschlesiens  anonyme  Zettel  mit  gegen  Einzelne  gerichtetem, 
beleidigenden  Inhalt,  die  an  dem  Hau.se,  dein  Hoftor  oder  an 
Bäumen  auf  der  Dorfstrasse  befestigt  werden. 

')  Scblagkasten  zum  Fange  der  Meisen. 

*)  Eine  besonders  zum  Fange  des  Rotkehlchens  (Katel)  aufgestclite  Kalle. 

’)  ehe  es,  ehe  er. 

*)  de  Laschken,  gebildet  wie  die  Müllern. 

*)  Staat  m.  kostbare  Kleidung,  .Sehmuek,  vgl.  Brautstaat,  Sonntagstaat. 

’j  Weiterhildnng  zu  Här.  Haer,  Er,  niäunliches  Kanineheii;  vgl,  oben  Kink. 

’j  Vgl.  lirasemucke. 


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96 


Andere  volksetymologisdie  Uindeutungen  sind  durchsichtiger. 
Die  vor  50  Jahren  gebräuchliche  Bezeichnung  „Sclinellalierc“  klingt 
ja  fast  wie  Hohn  auf  die  damit  belegte,  gewiss  auch  nacli 
damaligen  Begriffen  recht  langsam  fahrenden  h'ahrpostverbindungen, 
lässt  aber  doch  ziemlich  deutlich  das  Ursprungswort  „journaliäre“ 
erkennen.  Und  wenn  mich  ein  Bauer  nach  den  „Bodenteuren“ 
fragt,  folgert  er  ganz  logisch  den  unver.standenen  Namen  „Boniteur“ 
aus  der  Tätigkeit  .solcher  Herren,  die  die  Güte  des  „Bodens“  ab- 
schätzen. Ebenso  liegt  ein  bewusster  Sinn  in  der  Bezeichnnng  der 
Zerealien  oder  Halmfrüchte  als  „Zehrarien“,  denn  zum  Verzehren 
sind  die  Erzeugnisse  bestimmt.  Auch  das  Wort  „insulieren“  triH't 
zwar  nicht  die  direkte  Ableitung  von  „isolieren“,  aber  doch  recht 
gut  den  Sinn. 

Bei  solcher  Umformung  wird  nun  freilich  nicht  immer  eine 
Anlehnung  an  ein  deut.sches  Wort  gesucht.  Auch  Fremdwörter, 
wenn  sie  nur  dem  Volke  geläufig  sind,  können  als  Ersatz  dienen. 
Freilich  geht  für  uns  dann  der  „Witz“  verloren,  da  der  Sinn 
solcher  fremdsprachlichen  Ersatzwörter  nicht  klar  zum  Bewusst.se.in 
kommt.  So  wirken  z.  B.  „Bataillonspunkt“  .statt  „Polygonpunkt“ 
und  „Bukettstab“  statt  „Pikett.stab“  nur  als  Entgleisungen,  wie 
sie  auch  den  Halbgebildeten  leicht  ])assieren. 

Neben  diesen  beiden  Arten  der  Umdeutung,  bei  denen  deutsche 
oder  fremdsprachliche  Worte  zur  Verwendung  kommen,  besteht 
dann  noch  eine  dritte  Form,  die  rein  dem  Klange  nach  unmögliche 
Formen  bildet.  Ich  besitze  die  Abschrift  einer  Eingabe,  in  der 
der  Vertäs.ser  sich  mit  dem  Worte  „hypothekarisch“  hofl'nungslo.s 
herumschlägt  und  es  mit  „hopatikali.sch“,  „hyputakrisch“  und  „hopa- 
takarisch“,  immer  vergeblich,  versucht.  Eben.so  hat  jener  „gebildete“ 
Gemeindevorsteher,  der  da  schrieb,  „da.ss  der  Kreodor  den  Verkauf 
des  Grund.stücks  nicht  zulassen  würde“  hilflos  vor  dem  fremden 
und  doch  so  gerne  angewandten  Kreditor  gestanden  und  vergeblich 
eine  Aidehnung  an  „Theodor“  gesucht,  um  dann  schliesslich  an 
einer  anderen  Stelle  mutig  zum  Verfahren  II  zurückzukehren  mit 
dem  Ersatzwort  „Kreatur“. 

Und  dieses  Be.streben  des  Volkes,  nnverständliche  Worte  sich 
fa.sslich  zurechtzulegen,  macht  nicht  einmal  vor  der  Mntters])raclie 
halt.  Zuneigung  zur  angcredeten  Behörde  hat  den  Bauer  gewiss 
nicht  bewogen,  die  hoHentlich  mit  dem  Cbrigen  verschwindende, 
greuliche  AintsHoskel  „ wohllüblich“  umzuwandeln  in  „wohllieblich“. 


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97 


Loben  und  Sitten  in  Schlesien  um  die  Mitte  des 
16.  Jahrhunderts. 

Xiicli  (len  Aui'zeiclinmifren  des  Breslauci’  Rittmeistei’s  Achilles 
Scipio  Sehellensclimidt  (Nolaiuisl. 

Von  l>r.  Wilhelm  Schnlte. 

I. 

Achilles  Scipio  Schclleiischmidt  (latinisiert  auch  No- 
lanus  freiiaimt)  entstaniiiite  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  einer 
IJreslaner  Haiidwerkerfaniilie,  von  der  auch  der  Zuname  herrührte. 
Die  Zeche  iler  Rot4rie.s.ser , Beckenschliiffer  und  Schellen.schniiede 
war  ziemlich  jungen  Datums.  Im  .Tahre  1377  berief  der  Rreslauer 
Rat  vier  Becken.schlägernieister  aus  Gandersheim,  um  zum  Prommen 
der  Stadt  in  Bre.slau  ihres  Bandwerks  zu  walten*).  1440  ent- 
stand die  Zeche  der  Rotgiesser  und  Beckenschläger*).  Im  .fahre 
1409  zählte  die  Zeche  der  Rotgiesser  und  Schellenschmiede  sieben 
Meister*). 

.lorge  Schellenschmidt,  der  Urossvater  des  Achilles,  wird 
schon  1471  am  2.  und  .30.  .Septemlier  in  den  Breslauer  Sigmiturbüchern 
erwähnt*).  Am  18.  September  1472  Hess  er  der  Barbara  Bunczelinne 
2 Mark  Jährlichen  Zinses  auf  sein  Haus  und  Erbe  auf  der  Alt- 
büs.serstra.sse  eintragen,  die  nach  deren  Tode  an  seine  Frau  Hed- 
wig fallen  sollten.  Am  gleichen  Tuge  verreichten  sich  die  Ehe- 
leute Jorge  und  Hedwig  Schellenschmidt  gegenseitig  die  Hälfte 
ihres  fahrenden  und  unfahrenden  Gutes*).  Um  1473  besass  er  ein 
Haus  auf  der  äussersten  Schweidnitzer  Ga.s.se.  Am  i>.  April  1473 
lie.ss  er  darauf  für  Katharina  l\lelczerinne  einen  Zins  von  */a  Mark 
eintragen''’).  Zehn  Jahre  später  war  er  auf  der  .■Xlbrechtstra.s.se 

')  C.  Dipl.  Sil.  VIII  S.  75. 

’)  Klo.ie,  Von  Breslau,  Dokumentierte  Gescliiehte  und  liesclireibung,  II 
S.  415. 

’)  Klose,  Darstellung  der  inneren  Verhältnisse  der  .Stadt  Breslau,  .SS.  rer. 
.Sil.  III  S.  268. 

*)  Breslauer  .Signatnrbncli  von  1471  ini  Stadtarchiv. 

*)  Breslauer  Stadtarchiv  G.  I 17  f.,  4IOf. 

*)  Breslauer  Stadtarchiv  Q.  I 17  f.  4ii:ih, 

Hittellangen  <1.  schles.  Oes.  f.  Vkrtc.  lieft  .\l,\.  7 


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98 


angesessen.  Im  Jahre  1489  übernahm  er  mit  seinem  Sohne  Bern- 
hardin auf  dieses  Haus  einen  jährlichen  Zins  von  2 Mark  auf’). 

Jorges  Nachkommen  nahmen  bald  angesehene  Stellungen  in 
ihrer  Vaterstadt  ein.  Sein  Sohn  Bernhardin  wurde  1484  als  Bern- 
hardinus  Georgii  de  Wratislavia  in  die  Matrikel  der  Krakauer 
Universität  eingetragen*).  Nachmals  wurde  Bernhardin  Schellen- 
schmidt  Breslauer  Stadtschreiber.  Als  solcher  ersclieint  er  urkund- 
lich in  den  Jahren  1496  bis  1520  Juli  31  *).  Er  war  mit  Martha 
Domnig,  die  wohl  der  alten  Breslauer  Ratsfamilie  der  Domnig^) 
angehorte,  verheiratet  “).  Dem  Stadtschreiber  und  seiner  Fi'au 
widmete  der  Humanist  Sigismund  Buchwald  (Fagilucus)  in  seinen 
Extemporalitates  Gedichte®).  Auch  dem  Joliannes  Nolanus  und 
seiner  mit  diesem  verheirateten  Schwester  Katliarina  Buchwald 
.schrieb  der  humanistische  Dichter  ein  Hochzeitsgedicht  ’).  Die 
engen  Beziehungen  Bernliardin  Schellen.schmidts  zu  den  Humanisten 
seiner  Zeit  erklären  es  zur  Genüge,  dass  er  .seine  Söhne  Valerius 
Scipio  und  Achilles  Scipio  nannte.  Üb  der  beiden  gemeinsame 
Name  Scipio  etwa  die  Latinisierung  eines  Familiennamens  „Stock“ 
war,  lässt  sich  nicht  meltr  nachweisen. 

Der  älteste  Sohn,  Valerius  Scipio,  .studierte  wie  sein  Vater  an 
der  Universität  Krakau;  er  wurde  am  27.  November  1512  immatri- 
kuliert"), dann  wurde  er  wie  sein  Vater  Breslauer  Stadt.schreiber. 
Er  erecheint  als  solcher  zuerst  am  31.  Januar  1522  bei  Gelegen- 
heit der  Grenzregulierung  zwischen  dem  Bre.slauer  und  dem  öl.s- 


')  Breslauer  Stadtarchiv  O.  I 19  f.  129  b. 

*)  Bauch,  Schlesien  und  die  Universilät  Krakau  im  XV.  und  XVI.  Jahr- 
hundert, Zeitschr.  f.  Gesch.  Schle.siens  XLI  S.  136 

•)  1496  Zeitschr.  f.  Gesch.  Schlesiens  X S.  161.  — 1500  Breslauer  Stadt- 
archiv Ropp.  2e;  1506  z.  15i;  1507  Novenib.  24  Par.  IV  1343;  1509  Juli  26  .SS. 
rer.  Sil.  111  S.  .30;  1510  Ropp.  2h;  151K  Zeitschr.  f.  Gesch.  Schlesiens  X S.  161; 
1520  Juli  31  SS.  III  S.  297. 

‘)  C.  I).  .Sil.  XI  S.  95  f. 

‘)  Breslauer  Stadtarchiv  2116. 

•)  Bauch,  Beiträge  zur  Literaturgeschichte  des  schlesischen  Hum.auiBmns, 
Zeitschr.  f.  Gesch.  Schlesiens  XXX  S.  1.55.  — Ad  Bernadinnm  Nolaunin  urbis  Vrat. 
a Secretis  socerum  snnm.  — De  Nolaui  Marthula  et  Corvini  .\unula.  — Ad 
ciindem  in  landein  Marthnle  sue.  ‘ 

’)  Kpithalainiuin  t'atharinc  sororis  et  Joannis  Nolaui  soceri. 

")  Bauch  a.  a.  O XLI  S.  160 f. 


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99 


nischen  Fürstentum  *).  ('ber  seine  vielseiti{?e  Tätigkeit  in  den 
Jaliren  1523  bis  1532  werden  wir  durch  die  Akten  des  Breslauer 
Domkapitels  unterrichtet^.  Im  Jahre  1531  wurde  Valerius  als 
(Jesandter  der  schlesischen  Fürsten  und  Stände  in  Sachen  der 
.Niederlage“  an  König  Ferdinand  zum  Speierer  Reichstage  ge- 
schickt*). Jedenfalls  hatte  die  Stadt  Breslau  allen  Anla.ss,  seine 
amtliche  Tätigkeit  hoch  zu  bewerten. 

Ob  der  zweite  Sohn,  Achilles  Scipio,  ebenfalls  eine  Universi- 
tät besucht  hat,  liess  sich  nicht  feststellen.  Für  seine  humanistische 
Bildung  zeugen  jedoch  die  gelehrten  Zitate  in  seinen  Schriften. 
Zuerst  wird  er  zusammen  mit  seinem  Bruder  Valerius  envähnt. 
Am  1.  September  1530  bestätigte  nämlich  König  Ferdinand  I.  zu 
Augsburg  dem  Stadtschreiber  Valerius  Scipio  und  seinem  Bruder 
Achilles  die  Gerechtsame  ihres  auf  der  Albrechtstras.se  an  der 
Ecke  der  Veitsgasse*)  gelegenen  Hau.se.s,  wie  es  ihre  Vorfahren 
bese.ssen*).  Am  20.  Oktober  1534  war  Achilles  Schellen.schmidt 
Zeuge,  als  der  letzte  Prior  von  St.  Dorothea  das  Kloster  an  den 
Breslauer  Kat  abtrat®). 

Die  nächsten  Jahre  waren  für  die  weitere  Laufbahn  des 
Achilles  Schellenschmidt  entscheidend. 

In  Oberungarn  stritt  der  Hauptmann  König  Ferdinands  I., 
Leonhard  von  Fels,  mit  Johann  Zapolya  um  den  Besitz  des 
Landes.  Im  Dezember  1536  hatten  die  Truppenführer  Za])oly.as 
trotz  des  bis  Ostern  1537  verlängerten  Waffenstillstandes  Ka.schau 
hinterlistig  überfallen’).  König  Ferdinands  Truppen  unter  Leon- 
hard von  Fels  waren  viel  zu  gering,  um  erfolgreichen  Widerstand 
leisten  zu  können.  So  drang  im  Jahre  1537  die  Macht  Zapolyas 
in  Oberungarn  immer  weiter  vor.  Im  Mai  1537  hatte  sich  Peter 
Pereny  vor  die  Stadt  Eperies  werfen  können.  Leonhard  von  Fels 

■)  Klose,  Darstelinng  der  inneren  Verbältnisse  der  Stadt  Breslan,  SS.  rer. 
Sil.  III  S.  306. 

’)  Kästner,  Beiträge  z.  Geseb.  d.  Bistums  Breslan  von  1300  bis  1635 
S.  17,  25,  47  und  66. 

*)  Seine  Instruktion  im  Breslauer  Stadtarchiv  AA.  VIII  5 b. 

*)  Markgraf,  Die  Strassen  Breslaus  nach  ihrer  Gesebiebte  und  ihren 
Namen  S.  241;  die  Veitsgasse  beisst  jetzt  Ziegengasse. 

')  Breslauer  Stadtarchiv  Z.  80. 

*)  Pols,  ZeitbUeber  der  Schlesier  III  S.  79  f. 

')  Kugelwieser,  Die  Kämpfe  Österreichs  mit  den  Osmanen  vom  Jahre 
1526  bis  1537,  Wien  1899,  S.  112. 


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100 


hielt  die  Stadt  mit  4000  Mann  besetzt  und  behauptete  auch  das 
feste  Schloss  Saros.  Nun  wurde  er  riiifrs  von  der  ('bermacht  ein- 
Keschlossen.  Ende  Juni  sandte  F'erdinand  den  Hieronymus  Lasky, 
der  ihm  2000  Mann  zugfeführt  hatte,  mit  noch  6000  Böhmen  unter 
dem  Befehl  des  böhmischen  Grafen  Albrecht  Schlick  zur  Ver- 
stärkung nach  Eperies.  Die  Entsetzung  von  Eperies  gelang  auch  *). 

Lust  und  Liebe  zum  Kriegshandwerk  hatte  auch  den  Stadt- 
schreibersohn, Achilles,  unter  die  Fahnen  des  Königl.  Hauptmanns 
gezogen.  Er  selbst  berichtet  über  die  Episode  vor  Eperies  in 
dem  Kapitel  „Von  der  Wagenburg“  folgendes; 

,Wo  die  Feiade  n&be  wären  und  die  SchnrniUtzel  angingen,  und  der  An- 
griff zu  befahren  wäre  und  eine  Zeitlang  inüsate  man  allda  verharren,  ao  soll 
die  Wagenburg  an  sicheren  Orten  aufgeschlagen  werden,  besonders  da  kein 
Mangel  au  Proviant,  Futter,  Holz  uud  an  Wasser  ist.  als  geschehen  ist  1.Ö37 
vor  Eperies  iu  der  Zips  von  dem  Herrn  Leonhart  von  Fels  als  oberster  könig- 
licher Feldbanptmaun,  der  niitsammt  seinen  zugethanen  Kriegsrätben  auf  einem 
buhen  Berge  eine  Wagenburg  geschlagen  zwischen  Eperies  der  Stadt  und  dem 
Schloss  Sebobar  (’.),  aus  welcher  Stadt  die  Zeit,  so  wir  allda  gelegen,  nämlich 
G Wochen  und  3 Tage  mit  Proviant  wir  versehen  sind  gewesen.  — Wo  die 
Wagenburg  mit  den  Wägen  nicht  reicht,  als  Landsknechte  nicht  viel  Wagen  mit 
sich  fuhren , so  mag  ein  guter  spitziger  Zaun  gemacht  werden  hinter  dem 
Graben , wie  denn  vor  Eperies  geschehen  in  dem  Loch  .Friss  mich  nicht“ , da 
uns  der  Feind  belagert  hat  mit  2000O  Manu  und  unser  über  4000  nicht  ge- 
wesen, 6 Wochen  und  3 Tage  allda  verharren  mils-en  und  alle  Tage  mit  dem 
Feinde  scharmUtzelt,  da  uns  der  Herr  Lasko  und  der  Herr  Warkusch , welchen 
Gott  gnädig  sei,  errettet  hat  anno  1537;  allda  ist  unser  Okrister  gewesen  Herr 
Leonhart  Freiherr  zu  Fels  Rö:  Kö:  Ma:  Rath,  Kämmerer,  Oberster  Hufmarschall, 
Landeshauptmann  au  der  Enns,  Burggraf  zu  Tirol,  oberster  Feldhauptmanu  iu 
Ungarn  * *). 

Wie  lanpe  Acbilles  Sclielleii.sclimidt  Kriefrsdien.ste  getan  bat. 
lie.ss  .sich  nicht  ermitteln.  Jedenfalls  hatte  er  für  da.s  Kriegshand- 
werk eine  lebhafte  Neigung;  auch  .seine  militäri.schen  Kenntnisse 
und  Erfahrungen  waren,  wie  seine  späteren  Schriften  bezeugen, 
nicht  unbedeutend. 

Acht  Jahre  .später  finden  wir  den  Achilles  Schellenschmidt 

')  Joh.  Voigt,  Iler  Freiherr  Hans  Katzianer  im  Türkenkrieg,  Historisches 
Jahrhnch  von  Fr.  v.  Raumer  1844  .8.  145  f. 

’)  Freiherr  Leonhard  von  Fels  ist  ein  Vetter  des  Stammherni  der  einst  in 
Oherschlesien  stark  begüterten  Reichsgrafen  Kolonna.  Vgl.  Nowak,  Die 
Rcichsgrafen  Kolonna,  Freiherrn  von  Fels,  auf  Gro.ss-Strelilitz,  Tost  und  Tworog, 
Gross-Strelilitz  1302,  .S,  7.  — Von  Ilieronjmns  Lasky  und  Warkusch  handelt  ein 
Schreiben  d.  d.  Prag,  5.  .Inli  1.537  im  Breslauer  .Staatsarchiv  Rep.  13  III  11  p. 


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101 


wieder  in  Breslau.  Er  ist  nunmehr  verlieiratet.  Zu  seinem 
Unterhalt  lässt  er  sich  in  ein  industrielles  Unternehmen  ein.  Am 
Ml.  Dezember  1545  kaufte  er  nämlich  mit  seiner  Ehefrau  Anna 
von  den  Vormündern  der  Maria  Stemper  die  Papiermühle  vor  dem 
Odertore  samt  einem  , Häuslein  am  Rinp  neben  Haus  Francke  des 
(Joldschmidts  Erbe  gelefren^  um  2000  Gulden;  860  Gulden  sollten 
darauf  stehen  bleiben,  zu  5 "/o  verzinst  und  jährlich  mit  100  Gulden 
abpezahlt  werden  ‘). 

Mit  seiner  Eliefrau  Anna  scheint  Acliilles  Schellenschmidt 
nicht  gerade  glücklich  gelebt  zu  haben.  Denn  am  12.  und 
10.  Juni  1546  hat  er  vor  den  Breslauer  Schütten  „bei  seinen  gutten 
trewen  und  ehren  anglobt,  das  er  gen  seym  weyb  mit  Worten  und 
wercken  fridlich  leben  soll  und  sie  nicht  beleidigen“,  und  in  dem 
zweiten  Termine  „hott  dergleichen  sein  eheweib  zugesagt,  Jren 
man  vor  gut  zu  haldten“  *).  Auch  mit  der  Papiermühle  scheint 
er  keine  guten  Ge.schäfte  gemacht  zu  haben.  Denn  im  Jahre  1548 
übersandte  er  eine  Supi)likation  an  König  Ferdinand  I.,  in  der  er 
um  eine  Fürbitte  bei  dem  Breslauer  Rat  wegen  eines  Aufschubes 
zur  Zahlung  seiner  Schulden  bat;  er  Imbe  seine  Papiermühle  an 
Meister  Hansen  verkaufen  wollen;  dieser  aber  sei  erkrankt,  so 
da.ss  der  Kaufvertrag  noch  nicht  habe  zustande  kommen  können. 
König  Ferdinand  sandte  das  Schreiben  befürwortend  am  0.  März 
1548  von  Prag  an  den  Breslauer  Rat®). 

Wenige  Monate  darauf  erhielt  er  von  dem  Breslauer  Rate  ein 
seinen  militärischen  Neigungen  entsprechendes  Amt.  Am  24.  Juli 
1548  bestellte  nämlich  der  Breslauer  Rat  den  Acliilles  Schelleu- 
schmidt  „in  soliderer  ansehung  seines  lieben  Vatters,  seynes  langen 
vordienens  vnd  .seines  woluorhaltens“  zu  seinem  Rittmeister,  so 
da.ss  „Er  vnns  vor  sein  Person  vnd  mit  czweien  erlichen  gesellen 
als  mit  dreyen  Pferden  dienen  soll“.  Dafür  soll  .seine  Besoldung 
auf  jedes  Pferd  die  Woche  zwei  und  dreissig  Schilling  Heller  sein 
und  falls  er  irgend  woliin  abgeschickt  würde,  soll  er  mit  der  Zehrung 
freigehalten  werden.  Auch  wird  ihm  für  den  Fall  der  Erledigung 
das  Hofrichtereiamt  versprochen ; jedoch  soll  alsdann  die  Besoldung 

')  Breslauer  Stadtarchiv  Lib.  .Siguat.  von  1544.  — Vielleicht  ist  das  die 
erste  Papiermühle,  welche  in  Breslau  eingerichtet  wurde  und  vou  der  Bartholo- 
mäns  Stein  berichtet,  SS.  XVII  S.  57  und  Anm.  181. 

*)  Stadtarchiv,  Lib.  sign.  1546  f.  31a  und  32h. 

'}  Ebenda  EEE,  727  a und  727  b. 


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102 


nur  auf  zwei  Pferde  beschränkt  sein:  „Queinc  es  vnd  langt  es 
aber,  da  got  vor  sey,  zu  kriegsleufften  vnd  wir  seyncr  czu  ein 
rittmeyster  bedortfend,  darzu  er  vor  anderen  seiner  gescliicklich- 
keyt  nacli  wurd  gebraucht  werden,  wollen  wir  vns  gegen  Jnie  als- 
dan  nach  Kriegsordnung  vnd  gebrauch,  wie  andere  sind  in  Schle- 
sien, Jm  an  vnd  abzug,  auch  mit  schaden  gelt  . . . geborlich  vnd 
gon.stig  czu  uerlialten  wis.sen“.  „Zu  deine  wollen  wir  Jine  auch 
vor  seine  person  und  zweyn  Diener  des  Ja  res . . . ein  cleydt  geben 
la.ssen,  Jne  auch  mit  ayner  bequemen  Herbergk  vorsehen“ '). 

Über  das  Breslauer  Amt  eines  Rittmeisters  sind  wir  nicht  ge- 
nügend unterrichtet.  Mit  der  bewaffneten  Bürgerschaft,  die  in 
vier  Quartiere  geteilt  war  und  von  Hauptleuten  befehligt  wurde, 
hatte  dies  Amt  nichts  zu  tun.  Die  Stadt  Breslau  hielt  aber  auch 
Söldner,  Reiter  wie  Fus.svolk.  Für  das  Fussvolk  war  1512  Georg 
Achtzehnnicht  zum  Hauptmann  oder  Rottenmeister  gewählt  worden. 
Seine  Bestallung  hat  grosse  Ähnlichkeit  mit  der  für  Schellen- 
schmidt *). 

Die  Reiter  taten  Botendienst  für  den  Rat®);  daher  heissen 
noch  heute  die  städti.schen  Boten  Ausreuter.  Sie  wurden  auch 
deswegen  gehalten,  weil  die  Landstrassen  selir  oft  von  Beute- 
lustigen unsicher  gemacht  wurden.  Unter  diesen  Reitern  befanden 
sich  auch  Adelige  und  König  Ferdinand  lie.ss  den  Befelil  ergehen, 
dass  sie,  obgleich  sie  als  Söldner  dienten,  darum  nicht  minder  ge- 
achtet werden  sollten*).  Solchen  Adeligen  erteilten  die  Rat- 
mannen auch  .schriftliche  Zeugnisse,  wie  dies  z.  B.  am  10.  Oktober 
1500  mit  „dem  Erbar  wolltüchtigen  Jwan  Bößemann  von  Lohde“ 
geschah,  der  ihnen  mit  zwei  Pferden  mehrere  Jahre  als  Söldner 
gedient  hatte®). 

Nacli  allem  .scheint  Achilles  Srhellcnschmidt  die  Führung  der 


')  Breslauer  Stadtarchiv,  Liber  magnns  f.  208  v. 

»)  SS.  III  S.  187. 

*)  Dieaer  Ratsboteu  wird  schon  früh  in  den  Stadtreebnungeu  Ervvilhnung 
getan.  1301  nuncius  civitatis;  1303  enraores ; 1308  ciirsores,  expluratorcs  uuucii; 
1327  nnd  1331  famuli  eqnitaiites ; 1347  soldariis  in  precinm  et  in  dainpnis 
efjiiorum ; 1377  mincii  eqnestres  et  pedestres.  C.  D.  Sil.  III  S.  6,  12,  15,  27,  53, 
56,  73,  110,  133,  Vgl.  die  Ausgabe  von  1468  in  SS.  III  S.  278:  Gabehard  von 
Mcicben  mit  drei  Pferden  62  M.  4 Gr. 

*)  Neugebauer,  Der  Zwinger  und  die  Zwinger-Brüderschaft  S.  7. 

»)  SS.  III  S.  286. 


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103 


von  der  Stadt  Breslau  geworbenen  berittenen  Söldner  gehabt  zu 
haben. 

Das  Amt  eines  Breslauer  Hotrichters,  das  ihm  bei  seiner  Be- 
stallung als  Rittmeister  in  Aussicht  gestellt  war,  dürfte  ihm  erst 
ini  Jahre  1554  zugcfallen  sein;  denn  am  19.  Dezember  1553  be- 
kleidete dieses  Amt  noch  Rochius  Seidlitz*),  während  Achilles 
Scipio  Schcllenschmidt  erst  am  5.  Januar  1555  in  einer  Urkunde 
als  Hofrichter  erscheint  *).  Er  wird  als  solcher  auch  noch  am 
26.  Februar  1556  in  einem  Verzeichnis  der  Mannen  des  Hofgerichtes 
aufgeführt  *). 

Bald  darauf  wurde  Achilles  Schellenschmidt  zum  Nachfolger 
des  Heinrich  Falckenberg  von  Kanitz  als  ünterhauptmann  oder 
Amtmann  des  Konigl.  Burglehens  Namslau  ausersehen.  In  dem 
Liber  magnus  findet  sich  über  seinen  Verzicht  auf  die  Breslauer 
Ämter  folgende  Eintragung:  „Diese  beredte  Bestallung  (vom 

24.  Juli  1548)  ist  heute  dato  allenthalben  auffgehoben  und  mit 
allerseits  gut  Willen  gantz  und  gar  vorziehen,  dorauff  sich  Achilles 
aller  forder  Anspruch  geeussert  vud  vorziehen;  alles  sonder  gc- 
ferde.  Actum  den  21.  Mai  anno  56“*). 

Als  Amtmann  des  Burglehns  Namslau  wurde  Achilles  Nutz- 
niesser  des  in  der  Altstadt  Namslau  belegenen  grossen  Vorwerks. 
Die  für  die  wirtschaftlichen  Verhältni.s.se  der  damaligen  Zeit  lehr- 
reiche Verhandlung  über  die  t'bergabe  des  Vorwerks  hat  sich  er- 
halten. Sie  lautet: 

,Dos  InTeDtariiim  Zar  Alclcnstadt  pro  D.  Achillo  Scipioue  dicto  Nolanu 
praefecto  arcis  in  Nambslavia. 

Anno  domini  1556  den  sieben  vnd  zwauczigsten  tagk  des  niouadts  Aprilis 
ist  dem  ebrnesten  Acbilli  Scipioni  Scbellenschmidt  genauntb,  Ampthmann  aufT 
dem  königlichen  Burgklehcu  zu  Nanipslaw,  durch  vns  Steffan  Hewgel  viid  Til- 
man  Hertwigen  der  liechten  Poktor,  als  abgesawlte  der  Erbaren  Haiiptmanschaft 
zu  BreBIaw,  Tbernnthword  worden  auff  dem  Forwerge  zur  aldenstadt,  Erstlichen 
anu  gelde  vibe als  scheps  vnd  seboffen  buudert  fUnff  vnd  zwauczigk,  mer  melke 


')  Breslauer  Stadtarchiv  LL.  223. 

>)  a.  a.  0.  LL.  224. 

*)  Breslauer  Staatsarchiv  Rep.  16  Nr.  lOit. 

*)  Breslauer  Staatsarchiv,  Eintragung  vom  31.  Januar  1554  in  Rep.  16 
Nr.  64  f.  16  V. 

•)  Breslauer  Stadtarchiv,  Liber  magnus  f.  208  v. 

•)  unfruchtbares  Vieh.  Grimm  IV  1,  2 S.  3059. 


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104 


schufTe  hiiudcrt  vier  vutl  ilrcißigk,  mehr  geleivhte ')  leimiier  sieben  vnil  seehszigk, 
«larnocli  zwo  able  Kühe,  mer  drei  Kühe  zu  vier  Jnreii  nid  vngeiierlich  , nier  ein 
vihe  ozeii , mer  drei  dreijharige  oxlein  vnd  ein  drcijorige  Kalben,  mer  zwei 
kclber  czw  czweien  Jharen  alle  beide  oxiein,  mer  sieben  heurige  Kelber, 
dornuther  ein  oxicin.  Jtem  eine  febnuutter*)  mit  dreitzen  ferkelin,  dorunter 
fünf  im  Wolfmonad'j  worden  vnd  die  anderen  acht  von  Weinachteu  her  ald. 
Jtem  fUnff  fehlen*),  dorunter  eine  gar  sehr  aide.  Jtem  zwecn  walachen,  der 
eine  sechs  Jhar,  der  andere  sieben  Jhor  ald,  mer  ein  Hengstlein  Jn  vier  Jharen, 
mer  drei  walachen,  zweite  stein  aide  vnd  der  dritte  über  acht  Jhor  alt,  mehr 
eine  treehtige  Feldin*),  Jtem  zwei  liewrige  fölchen.  Jtem  eine  Mandel  gensc, 
mer  ein  Mandel  HUner.  Jtem  ein  alter  pochwagen  gar  geringe  vnd  zor- 
schlotten.  Soviell  aber  die  Wintlierczcit  anlangend,  ist  dem  Heinrich  falcken- 
kerg*),  altem  Amptmaun  von  dem  Hansen  Kolischen  nenn  Malter  vnd  nenn 
Scheffel  Korn,  mer  zwei  malder  vnd  neun  scheffel  weitzen  in  seinem  abzuge  voll 
besehet  vbcranudtwortlied  vnd  zugcsteld  worden  noch  laut  des  Jnventarii.  Es 
hat  aber  Heinrich  falckenberg  dem  Jetzigen  Kewem  amptlimami  Achilli  Scipioni, 
8chellenschmidt  genanudt.  nach  laut  der  zeugen  aussage,  dorauff  sich  falckenberg 
selbst  referiert  vndt  gezogen,  nicht  mehr  als  achtzehn  scheffel  vnd  ein  vierttel 
vnd  sonst  im  Hanffacker  ctzlich  wenigk  scheffel  weitzen,  welcher  aller  erwachsen, 
vorbrand  vnd  im  stro,  dorumb  das  es  nass  eingefürd  worden,  vonnohderter  Weitzen 
gewesen,  besehet,  dergleichen  auch  vormoge  der  czengen  aussage  vber  ezwey  bis  Jn 
drey  malder  Korn  vber  winther  nicht  besehet  verlassen.  Wir  haben  auch  zur  vber- 
maße  die  Ersnmeu  tieorge  Ruthe  vnd  Lukas  Maller,  beide  des  Käthes  zu  Kanips- 
law,  neben  den  Scholzen  zu  aldeiistadt  vnnd  Schniarcliwilz  solche  Winther  Soht 
an  Korn  vnd  weitzen  besichtigen  lassen,  zum  Theill  auch  selber  besichtigt, 
welche,  wie  es  darumb  eiugestald  vnd  geschaffen,  Jr  bekenntnis  vnd  Relation 
dorUber  gethon,  wie  in  der  vorzeichnis  der  handel  zu  Nampslaw  nach  der 
czengen  anssagen  eingeschrieben  zu  befinden.  Derhalben  wird  sich  ein  Erbar 
Radth  von  wegen  solchen  biisen  vnd  geringen  winther  Soth,  ouch  von  wegen 
der  mangel  des  filies  von  anders  Jnn  abzuge  gegen  Ihme  dem  Achille,  domit  er 
nicht  schaden  leiden  noch  tragen  darff,  wol  wissen  zu  vorhalden.  Zn  mehrcr 
vrkund  vnd  Sicherheit  haben  wir  Steffanus  Hcngell  vnd  Tilmau  Hertwigk  doctor 
kegeuwertigk  Juventarium  mit  unserem  angepornen  petschaften  be.sigclt  vnd  mit 
eigener  Hantl  undersebrieben.  Gesehen  vnnd  geben  zue  Nampslaw  den  acht  vnd 
czwanzigsteii  April  nach  Christi  vnsers  herru  vnd  sehligmachers  geburrtt  im 
XV  0 vnd  LVI  Jhare. 

(S.)  (-S.) 

Steffan  Heugell  mp  Tilman  Hertwig  m.  p.*). 


')  geleicht  = castratus  oder  ementulatus,  wie  in  hs.  Brcsl.  vocab.  des 
16,  Jh.  bei  Hoffraauu  v.  Fallersleben 

•)  farchmutter,  Grimm  III  S.  1331. 

•)  Der  Dezember  nach  Adelung  Wörterbuch  IV  Sp  1605. 

*)  Stute,  cqua,  Grimm  III  S.  1485. 

*)  Heinrich  Falkenberg  war  der  Vorgänger  Schellenschmidts. 

•j  Breslauer  Stadtarchiv  G.  G.  40“. 


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105 


Acliilles  Silii'llensi'liniiilt  liut  den  Pitslen  eines  Anitinannes  zu 
Nauislau  nur  Ijis  zum  .lalire  1500  bekleidet').  Sein  Naelifoljier 
wurde  Andreas  Spijfel  von  Dobrau,  des.sen  Bestallnn};:  am  22.  April 
1560  erfoljrte*). 

In  diese  Zeit  naeli  Niederlefrung  des  Po.stens  eines  .Amtmanns 
von  Burg  Namslau  fällt  wohl  eine  undatierte  .sni)plieatio  Aeliillis 
Sei])ionis  Nolani,  worin  er  unter  Berufung  auf  seine  und  .seines 
Vatei-s  treue,  Dienste  um  die  Au.szalilung  von  400  Taler  zu  seiner 
„.Abfertigung'*  zu  wiederlioltem  Male  bittet,  während  der  Bres- 
lauer Hat  nur  eine  Summe  von  350  Taler  geben  will  ’). 

Was  Aehilles  Sehellen.sehmidt  bis  zum  Jahre  1571,  wo  er  von 
der  Stadt  Breslau  wiederum  als  ihr  Uittmei.ster  angestellt  wird, 
für  eine  Holle  gespielt  hat,  liess  sich  vorläutig  tiicht  feststellen. 
Aus  .seiner  Bestallung  vom  30.  Januar  1571  wird  ersichtlich,  dass 
er  ausserhalb  Schlesiens  Dienste  getan  hat.  Dort  hei.sst  es  näm- 
lich: „lind  folgendt  an  andere  ansehnliche  orth  vnd  stellen,  aldo 
was  merei-s  czn  nersuchen  vnd  czu  erkundigen  mit  vn.serm  vor 
wissen  vnd  erlenbnis  sich  begeben  vnd  vorreiset,  Jczo  aller  wider- 
rumb  sich  czue  vns  vnd  in  dies  .sein  Vaterlandt  eingestellet  vnd 
vns  seine  treue  vnd  willig  dinst  geburlicher  weise  zu  anbitten  vnd 
antragen  las.sen.  Als  haben  wir  gedachten  Achillem  Scipionem 
in  erwegung  seines  kegen  vielen  Erlauchten  vnd  an.sehenlichen 
Personen,  auch  vnns  vnd  vnseren  Vorfahren  woilverhaltnus  ander- 
werts  czu  vnserem  Hittmeister  auf  vnd  angenommen“*). 

Es  hat  hiernach  den  Anschein,  als  wenn  .Achilles  Schellen- 
schmidt, ofteubar  eine  unruhige  Natur,  mit  den  amtlichen  Stellen, 
die  er  in  Breslau  und  Namslau  bekleidete,  nicht  zufrieden  gewesen 
sei  und  Höheres  erstrelit  habe.  Schon  seine  Schriftstellerei,  der 


’)  Eiutragaugeu  von  ibm  als  Unterhanptmann  von  Naiualau  finden  sich  im 
Kgl.  .Staat.sarchiv  Rep.  l(i  Nr.  64  vom  8.  Januar  16.j7  f.  17,  vom  1.  April  und 
6.  Juni  1559  f.  24  und  26.  Am  8.  August  1559  bekennen  Kaspar  lligkman  und 
seine  Ehefrau  Hedwig,  dem  Edleu  und  Ehrenfesten  .Whilles  Scipio  Schclleu- 
sehniidt  genannt,  Hauptmann  auf  dem  Biirglehu  Namslau,  Vierzig  Thaler  Schulden 
zahlen  zu  wollen.  Breslauer  Staatsarchiv,  Stadt  und  Vorstädte  Liegnitz,  Kon- 
traktenbneh  Nr.  10  f.  39  a. 

*)  Breslauer  Stadtarchiv  Liber  magniis  f.  260  v.  Vgl.  das  Schreiben  dc.s 
Hannfi  Bockwicz  an  den  Breslauer  Laudeshauptmann  o.  1>.  ebenda. 

•)  Breslauer  Stadtarchiv  JJ.  3*’. 

*)  Ebenda,  Lih.  magn.  f.  292  v. 


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106 


ein  organisatorischer  Zug  nicht  abziistreiten  ist,  lässt  dies  er- 
kennen. 

Schon  1553  widmete  er,  als  der  Stadt  Bre.slau  Rittmeister 
sein  , Kriegshuch“  dem  „Durch  leuehtigisten  Hochgehornen  Fürsten 
vnd  Herrn  Herren  Ferdinando  Ertzherczogeii  zue  Ostereich,  Her- 
zogen yn  Kernten,  Steyer,  Grauen  czu  Tyroll,  Obersten  Stadthalter 
der  Krön  Rehem:  Meinem  gnedigisten  Fürsten  und  Herrn“')  und 
ein  anderes  Exemplar  dem  Kanzler  der  Krone  Böhmen,  Reichs- 
grafeu  Heinrich  zu  Meissen,  Graten  zu  Hauenstein,  Plauen  und 
Gera*).  1557  sandte  er  eine  Umarbeitung  bzw.  Erweiterung  dieser 
Schrift  unter  dem  Titel  „Türkensteuer“*)  wiederum  dem  Könige 
Ferdinand  I.*).  Dieselbe  Schrift  gelangte  1558  auch  an  die  Stadt 
Danzig*).  1560  überreichte  er  der  Stadt  Danzig  eine  preussische 
Chronik  ®).  Mit  dieser  Chronik  ist  vorerst  der  Faden  .seiner  wechsel- 
reichen Lebensgeschichte  für  uns  abgerissen. 

Es  wäre  gewiss  nicht  uninteres.sant,  wenn  die  Schick.sale  des  merk- 
würdigen Mannes  in  der  Zeit  von  1560  bis  1570  aufgedeckt  werden 
könnten.  Wir  mü.s.sen  uns  jedoch  mit  der  Tatsache  begnügen,  dass  es 
ihn  in  seinem  .\lter  wieder  in  die  Heimat  und  in  seine  Vaterstadt 
zog,  wo  er  seit  Januar  1571  wieder  seine  alte  Stellung  als  Ritt- 
meister antrat. 

*)  Handschrift  10892  der  k.  k.  Hofbibliothek  za  Wien. 

*)  Handschrift  der  herzogl.  Bibliothek  zu  Wolfenhilttel,  August,  mnn.  39,  14. 

*)  In  der  Widmung  heisst  es:  „wieder  denn  grausaiiieu  wuttriebt  denn 
Turckeuo  mith  hulfflichenn  Badt  zue  Stewerr  gemeiner  Christenheit“. 

*)  Handschrift  10704  der  Wiener  Hofhibliotbek. 

*)  Vgl.  Jähns,  Geschichte  der  Kriegswissenschaften  vornehmlich  in  Deutsch- 
land S.  532. 

•)  Die  Chronica  Scipionis  wird  zu  einem  Teile  in  der  Stadtbihliothek.  zum 
anderen  im  Stadtarchiv  zu  Danzig  aufbewahrt.  Vgl.  Dr.  0.  Günther,  Katalog 
der  Handschriften  der  Danziger  Stadtbibliothek,  Teil  2,  1903,  S 213.  Der  Dnu- 
y.iger  Stadtsekretär  Kaspar  Schütz  schreibt  in  dem  Syllabus  autorum  seiner 
historia  rerum  Prussicanim  1.599  also:  „Über  diese  hat  auch  zu  vnserer  Zeit 
ein  Eisenfresser  Achillis  Scipio  Stratioticus  Halapanta  (ob  balophanta?)  eine 
Chrnnik  deB  deutschen  Ordens  zusammengeraspelt  vnud  dem  Erbarn  Batbe  zu 
Danlzig  auno  1560  verehret,  darinnen  er  so  parteisch  gemeiniglich  in  allen 
Hei'.ilcln  anff  deB  Ordens  seitcu  vnnd  in  den  fUniembsten  Laudes-Sachen  so 
kindisch  vnd  vnwissend  sich  erzeiget  vnd  insgemein  mehr  schendet  und  sebmehet, 
denn  Historien  schreibt,  das  solch  Convolut  nicht  werth  noch  tüchtig  ist  unter 
die  CTironiken  zu  zählen*.  Weitere  Angaben  über  diese  Chronik  s.  Gehrke,  der 
Geschieh  "Schreiber  Bartholomäus  Wartzmann,  in  Zeitschr.  des  Westprenssischen 
Geschichtsvereins  1899  XL  S.  129  f.. 


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107 


In  seiner  Bestallung  wird  ihm  nunmehr  folgendes  in  Aus- 
sicht gestellt: 

,Zac  einer  ergetzang  aber  dieser  seiner  inUhe,  sorgen  rnd  dinstes  wollen 
wir  Jne  mit  einer  freien  Herbrige  vnd  wonnng  nach  gelegenheit  vorsehen  vnd 
Jme  ans  unser  Rentbkammer  wöchentlich  cznr  besoldnng  zwene  Taler  vnd  jer- 
lich  ein  stos  Hoicz  vnd  acht  schock  Reisicht  czn  geben  verordnen  vnd  darneben 
mit  fnnf  Elen  Tuch,  allcrniaBen  solches  anderen  beschicht , jerlicheu  czn  einem 
kleidt  bedenken  vnd  voisorgeu;  Jm  fahl  wir  Jnen  aber  an  Königliche,  Fürst- 
liche oder  andere  ansehnliche  Höfe,  orth  vnd  stellen  verschicken  würden,  wollen 
wir  Jnen  alsdan  neben  geburlichen  Zernng  anch  mit  einem  Ehrenkleidt,  jedoch 
nach  vnseren  Erkenntnns  vnnd  wolgefallen,  czn  versehen  wissen,  also  das  er  do- 
mit  wol  ezufrieden  sein  vnd  sich  alles  gonstigen  czn  beruiucnn  haben  soll" '). 

Wann  Achilles  Scipio  Schellenschmidt  sein  bewegtes  Leben 
beschlossen  hat,  liess  sich  nicht  ermitteln. 


II. 

Den  militärischen  Abschnitten  der  „Instruktion“  hat  Schellen- 
schmidt einen  politisch-moralischen  Traktat  angehängt,  der  den 
Titel  führt:  Zu  Vorbesserung  einer  jeden  fromen  Obrickeit 
gut  Ordnung  vnd  pollicei  seinen  vndertonen  zu  geben,  sich 
in  gutter  Rüstung  zu  halten“*). 

über  den  kriegswi.ssenschaftlichen  Teil  seiner  beiden  Schriften, 
der  „Instruktion“  und  der  „Türkensteuer“,  hat  Max  Jähns  in 
seiner  „Geschichte  der  Kriegswissenschaften“  eine  ('bersicht  ge- 
geben’). Für  uns  hat  der  Anhang  zu  der  „Instruktion“,  den  man 
eine  Landesordnung  Schlesiens  nennen  könnte,  wegen  der  leben- 
digen und  freimütigen  Schilderung  der  Sittenzustände  beim  Adel, 
beim  Bauernstände  und  in  den  Städten  einen  besonderen  Wert. 

Eine  volle  Bestätigung  und  eine  lehrreiche  Ergänzung  finden 
Schellenschmidts  Schilderungen  in  den  bekannten  Denkwürdigkeiten 
von  Hans  von  Schw’einichen^),  wenn  auch  diese  Tagebuchblätter 
einer  etwas  Jüngeren  Zeit  angehören. 

Zum  vollen  Verständnis  der  Schilderungen  Schellenschmidts 
wird  es  dienen,  wenn  der  Ausgangspunkt  seiner  Darstellung,  die 
damalige  Art  der  Landesdefension  Sclilesiens,  in  grossen  Zügen 
besprochen  wird. 

')  Breslauer  Stadtarchiv  Liber  magnus  f.  292  v. 

’)  In  die  „Türkensteuer“  hat  dieser  Traktat  keine  Aufnahme  gefunden. 

*)  S.  529  ff.,  743  und  753. 

*)  Heransgegebeo  von  U.  Oesterley,  Breslau  1878. 


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108 


(iejri'iiiilH'r  der  wachsenden  Tiirkenfrctalir  hatten  sich  die 
schlesischen  Fürsten  und  Stände  der  Bewillifrnnfj  einer  Latulcs- 
stener  nicht  inelir  entziehen  können.  Im  Jalire  1527  wurde  die 
erste  allgemeine  Lande.ssteuer  im  Betrage  von  100000  nngarischen 
(Jnlden  beschlossen.  Die  Anfbringung  der  Steuer  wurde  dnrcli 
eine  Selbst-Schatzung  ermöglicht').  Für  Achilles  Schellensclnnidt 
ist  diese  .Scliatznng“  die  natürliche  Vüraussetzung  aller  mili- 
täri.sclien  Einrichtungen. 

Der  Fürstentag  im  Oktober  des  Jahres  1529  brachte  Schlesien 
auch  eine  Landesdefensionsordnung.  Ihr  Zweck  war,  „wie 
jeder  Stand  dem  andern  sich  hilfreich  beweisen  .solle,  im  Falle  er 
angegrift’en  werde“.  Die  Fügten  und  Stände  teilten  das  ganze 
Land  in  vier  Kreise.  Jedem  die.ser  Kreise  wurde  ein  Hauptmann 
vorgesetzt.  Der  oberste  königliche  Hauptmann  soll  ein  Verzeich- 
nis aller  be.ses.senen  Wirte  erhalten,  um  aus  dieser  Itlusterrolle 
be.stimmen  zu  können,  wie  viel  von  jedem  Orte  der  5.,  10.  oder 
20.  .Mann  betrage,  und  so  die  Grösse  des  .\ufgebots  zu  bemessen. 

In  der  Lande.sdefension  war  die  Gestellung  der  reisigen 
Pferde,  die  Bewaffnung  und  Ausrüstung  der  Fu.ssknechte,  die  Zu- 
teilung des  Geschützes,  die  Zahl  der  Heerwagen  und  der  wöchent- 
liche Sohl  bestimmt.  „Recht  bezeichnend  dafür,  dass  das  Land 
jetzt  erst  sich  als  eines  zu.sammengehörigen  Ganzen  recht  bewusst 
wird,  ist  die  Bestimmung,  da.ss  ein  Landespanier  mit  dem  Lande.s- 
wapjien  angefertigt  und  einer  tauglichen  Person  übergeben  werden 
solle“*). 

Der  Ausbau  der  noch  .sehr  mangelhaften  Lande.sdefension 
wurde  auf  tlen  nachfolgenden  Für.stentagen  fortgeführt.  1543 
wurde  eine  neue  Konsignation  aller  angesessenen  Hauswirte  ver- 
langt und  eine  Generalmiisterung  im  ganzen  Lande  auf  einen  Tag 
angc.sctzt  *).  .4uch  eine  B<*waft'nung  des  Landvolkes  war  in  die 
Wege  geleitet.  .4ber  der  Eifer  Hess  bei  den  schlesischen  Ständen 
bald  nach;  denn  1551  wird  daraufangetragen  und  1552  beschlossen, 

')  Vgl.  Bach  fahl,  l)ie  Organisation  der  Gcsauitstaat.svernaltiing  Schlesiens 
vor  dem  dreissigjahrigen  Kriege  S.  302.  Eine  ..Schatzung“  des  Bistums  Bres- 
lau ist  abgedrnckt  in  Darstellungen  und  Quellen  zur  schlesischen  tfeschichtc  III 
S.  2(1.3  ff. 

’)  Palm,  Schlesiens  Laiide.sdefension  im  XV.,  XVI.  und  XVII.  Jahrhundert, 
in  Ahhandl.  d.  .Schles  Uesch.  f.  vaterl.  Kultur,  |)hilos,-hist.  .Abteilung  1808  S.  81  f. 

*)  a,  a.  0.  8.  84  f. 


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die  Biiohscn  im  TiUnde  wieder  tieiseite  zu  tun  und  zu  verseldiessen. 
Wörtlich  heisst  es: 

.Sintemal  eich  dann  Jn  dieser  schwinden  vnd  tewren  zeitt,  ancb  vor- 
kertteu  vud  büsen  weit,  viel  vnd  mannicbfaltige  vbel,  laster  mit  Stelen,  ranbcn. 
brennen,  heimlicb  apmordeu  der  Lentte,  vorinercken  lassen,  das  sich  audi  eczliche 
plackerei  dergfleichen  nnzimlichen  imittwillen  zu  begehen  vnd  zn  treiben, 
rottiren  vnd  Zusammen  slahen,  das  zu  besorgen,  wo  diesem  Jn  zeitten  nitt  zn 
uorkomen,  es  mehr  dasselb  vberhand  nehme,  niemands  vfT  der  strasseu  sicher 
wandeln  können,  vnd  demselben  leczlich  vbel  zu  steuern  sein:  damitt  aber  die 
fromen  vor  den  boseun  gesctintzt  vnd  gebandthapt  werden. 

So  solle  alle  vud  Jde  buchsen,  sie  sein  klein  oder  groll,  dem  panersmau 
(ausgenohmen , was  von  kauff-  und  Wandersleuten,  Handwergsgesellen  ist)  vor- 
potten  sein.  Es  soll  auch  ein  Jder  FUrst,  Stand  oder  aber  BUrgersman,  von 
seyiicn  Vnderthaiien  dieselben  zn  sich  nehmen,  bei  Jme,  oder  da  er  nitt  Jn  dem- 
jenigen Dorffe  sesshafTtig  were,  dem  Scholtczen  oder  in  die  kirche  behaltiiisweise 
einlegeu,  Aida  wann  es  die  nottnrtfi  erfordert,  er  dieselben  linden  müge,  vnd 
wann  man  der  ymmer  bednrlTend  ist,  die  wiederniub  an  die  orlt,  daraus  sie  ge- 
nomen,  antwortte“ '). 

Achilles  Schelleusclimidt  hatte  iu  dem  Türkeukriege  die 
Wichtigkeit  des  militärischen  Drills  und  die  Bedeutung  des  Fuss- 
vidkes,  aber  auch  des  («eschützwesens  keiiiien  gelernt.  Im  Gegen- 
sätze zu  den  sclilesischeii  Ständen  drängt  er  darum  auf  die  Ein- 
ühiing  der  Bauern  iu  der  Haudhahuug  der  Feuerwaffen.  Seine 
Vorschläge  laufen  auf  eine  feste  Organisation  dieser  Schiess- 
übungen auf  dem  Lande  hinaus.  Hauern  wie  Knechte  sollen  durch 
Geldbeiträge  diese  ('buiigen  ermöglichen.  Der  angesessene  Adel 
soll  die  Leitung  in  die  Hand  nehmen  und  durch  Aussetzung  eines 
„Kleinods-  die  Lust  und  Kielte  an  den  ('bungen  wecken. 

Wenn  auch  infolge  der  stets  drolienden  Türkengefahr  die 
militärische  Seite  bei  Schellenschmidt  im  Vordergründe  stellt,  so 
erweitert  sich  bei  ihm  docli  die  Lande.sdefension  zur  Lande.s- 
ordnung. 

Mit  der  Regierung  König  Ferdinands  I.  begann  in  Schle.sien 
der  abstrakte  Staatsgedanke  sich  langsam  zu  verwirklichen.  Dem 
Königtum  war  eine  neue  Kriegsvertässung  zu  verdanken;  es  rief 
Reformen  der  Rechtsjttlege  ins  Leben  und  eröft'nete  dem  Staate 
neue  finanzielle  Hilfsquellen.  Hter  den  widerstrebenden  Sonder- 
interessen stehend  wandte  es  den  wirtschaftlichen  Verhältnis.sen 
sein  Augenmerk  zu,  unparteii.sch  nur  auf  das  Wohl  des  Ganzen 
bedacht.  Dazu  kam  noch,  da.ss  die  königliche  Verwaltung  der 

*)  Acta  publica,  Hs.  A.  45,  2a  f.  127  v. 


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110 


ständischen  in  technischer  Hinsicht  weit  überlegen  war.  Das 
Königtum  hatte  die  Stünde  an  Verständnis  für  die  Bedürfnisse  des 
fortschreitenden  Staatslebens,  nicht  minder  an  organisatorischer 
Kraft  und  Fähigkeit  übertroffen.  Es  war  auf  dem  besten  Wege, 
den  Anteil  der  Stände  an  der  zentralen  Staatsgewalt  auf  das  Ge- 
biet ihrer  Privilegien  zu  bescliränken ‘). 

Achilles  Schellenschraidt , dem  in  seiner  Doppelstellung  als 
Breslauer  Rittmeister  und  als  Hofrichter  im  Breslauer  Mannen- 
gericht  sich  der  Unterschied  zwischen  der  Wirksamkeit  des  auf- 
strebenden Königtums  und  der  Sonderinteressen  der  Fürsten  und 
Stände  aufdrängen  mochte,  betont  zwar  nirgends  direkt  die  könig- 
liche Gewalt  und  ihre  Regierung,  wohl  aber  die  Pflicht  der  Unter- 
tanen, der  Obrigkeit  sich  gehoi-sam  zu  erweisen.  Zugleich  ver- 
langt er  von  der  Obrigkeit,  „sich  zum  höchsten  zu  befleissen,  wie 
ihren  Unterthanen  auf  das  treulichste  vorzustehen  sei,  und  dass 
sie  diese  nicht  mit  unbilliger  Bedrängnis  beschweren  sollen,  damit 
die  Unterthanen  in  der  Zeit  der  Not  der  Obrigkeit  zu  Hülfe 
kommen  mögen"“.  Auf  die.ser  Grundlage  will  er  die  „Landes- 
ordnung“ aufgebaut  wLs.sen.  Darum  bespricht  er  ausführlich  die 
Stellung  des  Adels,  des  Bauernstandes  und  der  Städte  zu  den 
üft'entlichen  Aufgaben,  geisselt  ihre  Schwächen  und  Gebrechen  und 
erhofft  von  der  Besserung  der  Sitten  eine  Hebung  des  Wohl- 
standes, und  die  Befreiung  und  Stärkung  der  Kräfte  des  Landes 
zur  Abwehr  der  Türketigefahr  und  zur  Erhaltung  des  Friedens. 

Es  ist  dabei  für  den  Kriegsmann  natürlich,  dass  er  die  mili- 
tärischen Verhältnisse  überall  in  den  Vordergrund  treten  lä.sst. 

So  ist  seine  Schrift  zu  einer  lebendigen  und  anschaulichen 
Schilderung  des  Lebens  bei  dem  Adel,  den  Bauern  und  Städtern 
geworden.  Einen  besonderen  Reiz  erhält  .seine  Darstellung  durch 
.seine  volkstümliche  Sprache  - er  selbst  bezeichnet  sie  als  seine 
„einfeldige  angeborene  .schlesische  Sprach“  — , durch  die  Ein- 
flechtung volkstümlicher  Redensarten  und  Sprüche,  und  entsprechend 
dem  Charakter  .seiner  Zeit  und  seiner  eigenen  Ausbildung  durch 
Heranziehung  gelehrter  und  bibli.scher  Zitate. 


’)Racbfahl,  Die  Orj'anisation  der  Desaiiitstaatarerwaltuug  .Schlesiens 
S.  40-2. 


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111 


III. 

Die  Absclirift  des  iiacli folgenden  Traktates  Scliellenschmidts 
ans  der  Handschrift  n.  H604  der  Hof-  und  Staatsbibliothek  in 
München  ist  mir  von  einem  mir  sehr  nahestehenden  Obersten  a.  D. 
ziigegangen.  Der  Traktat  steht  in  der  Münchener  Handschrift 
auf  den  Blättern  364  bis  411.  Der  Liberalität  der  k.  k.  Hof- 
bibliothek in  Wien  habe  ich  es  zu  verdanken,  dass  ich  hier  auf 
der  Stadtbibliothek  in  Breslau  die  Foliohandschrift  n.  10892  ver- 
gleichen konnte.  Hier  steht  der  Traktat  auf  den  Blättern  321  bis 
379.  Der  prächtige  Einband  der  Handschrift  trägt  den  Titel 
„Krigsbuch  MDL  HD. 

Die  Einleitung  in  das  Kriegsbuch  lautet: 

Mit  gUttlicher  HUlff  vnd  Zulassung  bin  ich  der  tröstlichen  Zuvorsiebt,  mich 
diese  nochfolgenilen  Mühe  vnd  Arbcilt  nitt  gancz  vorgebenlicli  vndernomen  vnd 
vnderfangen  zu  haben  vnd  den  ehrliebenden  newen  unvorsuebten  Kriegsleutten 
— wie  man  spricht  dulce  bellum  inexpertis  — mit  meinem  cinfeldigen  Under- 
richt  der  Krigs  Rüstung  zu  Hülfe  kommen.  Im  Fall  nitt  viel  nutz- 
liclies  daraus  gesebuphd  wird,  magk  auch  kein  .Schad  daraus  erwachsen 
vnd  erfolgen  vnd  ob  die  Undanckbarkrit  bey  manchem  unvorstendigeu 
vnd  nngeibten  erscheinen  moechtt,  will  ich  mir  dennoch  nitt  graussen  noch 
forebteu  vnd  meinen  Hued  vor  die  Augen  zu  ziehen  bedocht  sein,  siiuder  den 
boebvorsteudigen  und  krigserfabreueu  Krigslenten  mich  dis  fals  zu  erkennen 
nitt  ausschliesso  vnd  volgend  mein  Intcnd  vnd  trewes  Oemidt,  Inhalt  dieses 
Büchleins  gnnstig  zu  vomemeu,  welchs  meinem  Nächsten  mitzutheilen  ich  aus 
chrystlicher  Liebe  und  Treue  vornrsaclit,  schuldig  erkenne.  Ob  auch  hoer, 
scharff,  weidgesuebt  kanczeleysch  Deutsch  nitt  befliessen , sundern  bei  meiner 
einfeldigen  angeborene  schlesische  Sprach  vorbleibeu  wollen,  auf  dies  mol  vor 
gut  passiven  lassen  vnd  mich  hieiuit  zum  dienstlichsten  in  Demutt  entpholen  zu 
haben  gerueben. 

V.  Die  Landesord Illing. 

Zu  norbesserung  einer  jeden  fromeu  obrickeit  gut  Ordnung 
vnd  pollicei  seinen  vndertoneu  zu  geben,  Sich  jn  guter  Rüstung  zu 
halten  wie  folgett*): 

Qott  der  almechtige  gebeuth,  das  man  vor  die  Obrigkeit  bitten  sol,  das 
sie  durch  Uott  beschützt  vnd  erhalten  werd,  den  eO  sonderlich  ein  groß  gnad 
vnd  gäbe  Oottes  yst,  das  gemeiner  friedt  erhalten,  guett  Ordnung  vnd  policzey 
in  allen  Stenden,  dorinne  man  die  göttlichen  Weisheit  vnd  guette  sihett  und 
spuret.  Gott  wiell  derbalben  guett  Ordnung  vnd  Regimeudt  in  aller  weit  haben, 
diili  jn  diesem  leben  Gott  der  allmechtige  vnd  sein  allmecbtigkeit  erkennen 
lernen,  furchten,  jni  daucken,  loben  vnd  preissen. 

*)  Die  Rechtschreibung  ist  vereinfacht,  zumal  sie  in  den  beiden  Handschriften 
nicht  Ubereinstimmt. 


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112 


Dieweil  von  Gott  dem  aimcclitigen  die  Obrickeit  geschaffen  vnd  gesaczt 
viid  zmi  einem  vorgeher  vnd  Kogierer  geordiiclt,  jnno  auch  das  weltliche 
scliwerdt,  an  landt  vnd  lenthen  vortrawet,  welcher  auch  noch  muglickaitt  den 
gehorsam  zn  leisten  schneldigk. 

Darnmb  sohl  eine  jede  obrigkait  sich  znm  höchsten  benleissen  vnd  acht 
haben,  wie  iren  vuderthonen  auf  das  treulichsten  vorcznstehen,  bcscbirmett  vnd 
beschuczt  werden  miiegcn;  Sie  auch  mit  vnbillicher  gedrangnes,  welchis  die 
arme  vnderthonn  belangende,  nitt  beschweren,  jn  der  nioß  vnd  czill,  die  mittel 
vnd  wege  gesucht,  domit  die  vnderthonn  jn  der  czeit  der  nott  der  ohrigkait  zur 
hniff  kommen  muegeu. 

Wer  land  vnd  lent  mit  vnrecht  drang, 
ob  dem  das  Schwert  yra  fadem  hang, 
g.ar  selten  ein  seligs  end  erlangt 
vnd  besthehet  gros  gefar,  wie  gros  er  [irangt. 

Ein  obrigkeitt  sali  jn  der  czeit  des  frideß  den  vnfried  bedencken,  sein 
vnderton,  waß  wirdeii,  Standes  die  sein,  von  landt  vnd  Stetten  vor  sich  zu- 
beschaiden  gnedigst  gerucheu,  dobey  Vorbringen  vudt  anczeigen,  wie  das  der  Erb- 
feindt  dehrr  Christenheit  der  Tilrck  mit  gewalt  au  allen  orten  ohn  vortiiittliiug 
vnd  vrsach  die  Christenheit  mit  hereskraft  zn  bekriegen,  welchs  dann  mit 
geringen  schaden  der  christenhait  nicht  geschehen  mocht.  Sonder  Landt  vnd 
lenth  doruber  vorheret  vnd  vorczeret  vnd  zn  drummeru  gehen,  withwen  vnd 
weissen,  geschendt,  vnd  geschmecht,  wie  man  bey  vnsern  Nachbarn  sehen  vnd 
erfahren  *). 

Derhalbcn  sohl  einjeder  vnterthon  was  wirdens,  Standes  oder  wessens  die 
sein,  bey  jren  Eiden  vnd  iiflichtcn  nussagen,  seinen  getreusten  Rath  mitteilen 
noch  seinen  vorstandt,  Do  vns  Gott  der  alniechtige  gnediglich  doiior  behüten 
wolt,  das  der  Erbfeindt,  die  landt  zn  vberfallen  bedocht,  jn  was  gestalt  vml 
meinung,  dem  gemelten  Türcken  mit  der  gegenwehr  zu  begegnen,  dieweil  es 
dann  einen  jeden  in  Sonderheit  auch  angehet  vnd  betreffendt. 

Es  soll  auch  ein  obrigkeitb  nach  ausgesagtem  Radtschlag  vnd  wolmeinnng, 
des  armen  Rath  nicht  vorachteu,  suuder  eines  jeden  Ratschlag  mit  höchsten  vlcis 
beherzigen  vnd  das  best,  so  einer  obrigkeit  dorans  klauben  vnd  nehmen  vnd  mit 
reifem  Rath  bescblissen.  Ecziieh  auf  das  trenliehste  dcmselbigeu  nachgehen 
vnd  die  zeit  nicht  vorgeblichen  vorflißen  lassen,  domit  einer  obrigkeit  getreues 
geinUth  vnd  wolfart  der  vnterthon  von  jn  selbst  gespürt  vnd  erkandt  vnd  ein 
landis  Ordnungk  in  allem  thun,  wie  geburlich  angcstellt  mocht  werden. 

Als  dem  adel  sich  je  Ritterlichen  Sachen  zu  vben  vnd  gebrauchen  gebürt. 
Es  sey  zn  Roß  oder  zu  fuß,  wie  es  sich  noch  ehren  geziemen  wioll.  Sali  ein 
Obrigkeit  mit  vleis  darob  sein  vnd  giitt  achtnng  haben , das  die  von  hem  oder 
ndclsgemeß,  welche  mit  viel  Kindern  von  Gott  dem  almecbtigen  gencdiglieh 
hegnadet  vnd  begabet,  das  sie  dieselbigen  zum  theil  als  junge  gesellen  jn  fremde 
lamlt  etwas  ehrlichs  z>i  vorsuchen  vnd  lernen  nbgefertiget,  diejenigen  zuvor, 
welche  vater  vnd  mutter  als  iren  Eltern  nit  gehorsam  geleisten  wollen , vnd 
alczeit  doheim  den  Eltern  anf  den  hals  liegen,  Kreezmer  vnd  Knohlochs 

')  Vor  allem  in  Oliernngarn,  wo  Achilles  ,Si  hellensrhniidt  seihst  .am  Kampfe 
teilgenoniinen  hatte;  vgl.  oljen  S.  9!b 


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113 


jiuigckcni ')  ans  jhneii  wenlcii  vnd  auf  einen  Edelmaiisliof  vnd  auf  den  andern 
reiten,  die  Zeit  ircr  jiigciit  vnwider  ruflich  vorgeldidi  vorzeren  vnd  clie  die  ge- 
iDClteii  achtzehen  jar  alt  werden  •),  sich  in  hejrat  cinlusseu , als  wehr  weibes 
mutter  gestorben •),  vnd  inelir  vorzeren  wollen,  als  der  liebe  (Jott  beschert. 

Wo  der  Obrigkeit  des  ehrlichen  vorachlagc.s  viid  bejdiel  von  den  jenigen 
an  alle  echte  entsuhuldigung  vorseczlicli  beschwerden , So  sollen  genieltlie  mit 
ernst  von  der  Obrigkeit  dazn  gehalten  werden,  Bey  vorlirnng  der  lehn  vnd 
harter  straf  vnd  zum  vberflus  ahzeigen  seiner  Obrigkeit  vnd  seinem  vaterlandt 
jni  selbst  zue  ehren  vnd  festen  auszichen  wolt.  welches  dann  bey  der  Obrigkeit 
vnd  dem  gauczen  Vaterlandt,  darzn  seinem  gaulzcn  ehrlichen  geschlecht  vnd  jm 
selbst  zn  allen  guten  erscheinen  magk. 

V'iid  (iott  der  alinechtige  einem  solchen  Khrlichen  gesellen  widernmh  heime 
hiilft,  so  soll  ehr  auch  einen  aufrichtigen  palipart*)  haben  vnd  mittebringen, 
daUelbige  augenscheinlich  beweissen,  Ah  auch  erkaniiilt  mag  werden,  Ob  der  ehr- 
lich gesell  mit  frommen  oder  schaden  seine  zeit  vurzert  hot,  wie  sieh  dann 
einem  erliebendcn  woll  geziemen  vnd  geburen  wiell. 

Alsdann  wann  sich  der  ehrlich  gesell  hett  etwas  vorsiiclit  vnd  sich  in  ehr- 
lichen .Sachen  brauchen  lassen,  in  zunorsicht  seiner  obrigkeit  vnd  dem  ganczen 
vaterlandt  zu  nncz  vnd  fruinmeii,  als  dann  soll  derjenige  vor  andere  herfubr  ge- 
zogen werden,  Ehrlich  nach  seinem  standt  nach  erkenutnus  der  Obrigkeit  zu 
einem  hcyspil  der  noch  kommenden,  das  mau  Junge  bey  dem  altbeii  aufziehe. 

Nach  meinem  einfeltigeu  gedanckcu  ist  auf  die  einheimischen  mehr  glanhens 
vnd  treuen  zn  setzen  vnd  frommen  ans  jline  zn  schephen,  welche  eines  ehrliches 
herkummeus  vnd  eines  gnthcii  nahuiens,  dan  die  aus  fremden  landen  zu  vns 
kommen  vnd  jn  ein  landt  in  das  andere  laufen  vnd  nichts  zn  vorlichren  haben; 
doch  will  ich  den  aufrichtigen  vnd  Erliehendeu  uicbtes  zne  schade  geredt  mihr 
Vorbehalten  haben. 

Wiewol  in  etlichen  landen,  als  bey  den  vnvorsuchten  vnd  vuerfnrnen 
hreuchlich , wann  ein  fremder  landtfehrcr  in  ein  landt  kompt,  dem  anderswo 
l.andt  vnd  leuth  lanb  vnd  gras  vorbothen*),  so  höret  man  jne  also  vlcissig  zu, 


')  Kreezmer  = solche,  die  im  Kretscham,  im  Wirtshaus  liegen,  t'her  die 
Knoblochsjuuker  vgl,  Schickfuss,  Schles.  (Jironik  4,  H9:  .Doch  werden  allhicr 
die  Krippenreiiter,  Stänker  und  Knoblochsgäste  gar  nicht  verstanden“;  vgl.  S.  122 
Anm.  I. 

•)  Über  den  Beginn  der  Mündigkeit  vgl.  Klose’s  Breslau  SS.  III  S.  222; 
.Die  Zeit  der  Minderjährigkeit  war  in  diesem  Zeitraum  durch  kein  obrigkeit- 
liches Gesetz  besliiiinit,  sondern  bing  ganz  von  dem  Willen  <ler  Eltern  ah“. 
Hans  von  Scbweinicbcu  sagt  in  seinen  Denkwürdigkeiten:  .vier  Jahre  vorm 
Bart  scheereu  und  vier  Jahre  hcrnacli  ist  am  besten  ein  Weib  nehmen“.  Aiisg. 
von  Oesterley  S.  48. 

•)  Das  soll  wohl  heissen:  als  stürbe  das  weibliche  Geschleclit  ans. 

*)  Passport, 

•)  Bei  dam  is  Löh  und  Groas  vertnrben.  (Schlc.sisch.j  W ander,  Deutsches 
.Sprichwlirterlexikon,  Sp.  1807. 

Mitteilungen  il.  scliles.  lies.  f.  Vkde.  Heft  XIX.  8 


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114 


al«  hett  inan  uilie  Iriitc  «csehen,  wenn  ehr  nnbr  ein  wenig  das  inaiil  vorkeron 
kann  So  ist  das  anselicn  scliun  vorhanden. 

Aus  was  vrsach  entspringekt  ein  snieb  vnerkenntlich  vnd  vnvursucht  jr- 
tlminb,  welches  bey  den  vorsteudigen  vnd  genblheu  wenig  kraft  hat 

Denn  wie  Christus  saget,  kein  prophet  ist  in  seinem  valerlaudt  angenehm'). 
Christus  gieiig  in  einer  armen  ge.stalt,  ehr  hatte  nit  das  ansehen  wie  die  groB- 
nicchtigcn  Heren  vnd  potentaten  als  pilatns,  Cayphas,  Herodia,  vnd  die  cidisten 
der  Juden  hatten;  doch  künden  sie  vor  jme  nicht  besteen  vnd  aufs  wenigste 
autwort  geben,  wie  vus  die  heylige  Schrift  anzeiget. 

Also  gehet  es  auch  mit  armen  gesellen,  der  woll  zu  Zeiten  einer  obrigkeit 
vnd  gemeinem  nucz  mit  diustlichem  Kath  erscheinen  inocht,  aber  ehr  hat  nit 
das  ansehen.  Non  est  aeceptus  in  patria'j.  Daraus  wirt  erkennet,  das  die 
obrigkeit  jre  Regenten,  die  sie  zum  theil  vnter  ihnen  haben  , seihest  nichts  vor- 
steben noch  lernen  wollen,  auch  fremde  landt  in  irer  jugendt  zu  beschauen  vnd 
zu  uorsuchen  jn  ein  vorgessen  stelet  vnd  ire  kinder  auf  das  wenigste  zu  be- 
fnrdrcn  bedacht  vnd  demnach  Regcnthcn  mit  dem  Zunahmen  vnd  mit  hohen 
tittell  gescholdeu  wollen  werden,  vnd  milsseu  sich  offt  Schemen,  das  ir  vortraule 
mitwohner  mehrcr  vorstandt  jn  jbmig  erfaten  als  die  regenten  seihest;  dann  cs 
giindt  keiner  mehr  dem  andren  die  ehr,  wa.s  will  daraus  weiden. 

Disfals  sohl  ein  Obrigkeit  ein  gnedigst  einsehen  zu  haben  schnldigk  sein, 
domit  ein  vnterscheidt  vnd  mittel  gehalten  vnd  die  proplieten  recht  erkennen, 
das  sie  angenehme  sein  .sollen  So  gemeltc  ihrem  beruf  vnd  geinuth  ein  gennge 
thuen.  -\rs  probatiir  arte. 

Es  mus  oft  ein  ehrliebender  mann  Jn  ander  weg  sein  Resserung  suchen  von 
noth  wegen  viid  oft  wieder  sein  eigen  vaterlandl  haiidelu  viid  timen,  wiewol  cs 
beschwerlich,  es  geschieht  nicht  ohn  vrsach*).  Pauper  ubiqiie  jacet').  Not 
siiebt  weck*).  Armiith  lernt  geiiaw  fischen. 

Kerner  ist  der  Obrigkeit  von  nothen  mit  ern.st  dohin  zue  gcdenckeii,  das 
die  von  adel  oder  diejenigen,  so  guter  auf  dein  landt  haben,  das  sieb  ein  jeder 
noch  seinem  vorinngen  rilstigck  halten’),  welche  ireii  hern  oder  Obrigkeit  die 
leben  zu  bestellen  schuldig  vnd  in  guter  bereidt.schaft  sizeii  sollen. 

Mehr  sollen  die  .Scbolzen  vnd  frei|iaiiieu  sieb  jn  guter  rilstuiig  vnd  jn 


')  \ hot  immer  sc  Maul  fiirne  für.  Daniel  (lonioicke,  .*<prii'bwörter  17;U, 
Wander  a.  a.  0.  III  511,  23il. 

’)  Math.  XIII  57. 

•)  Projiheta  non  est  aeceptus  in  patria  sna.  \'gl.  Dr,  Andreas  Sutor, 
Chaos.  .Augsburg  1710  ü.  720. 

*)  In  dieser  Neigung,  fremde  Dienste  zu  nehmen,  zeigt  sieb  der  Einlluss 
des  danialigen  Siildnerwescns. 

*)  Ovid.  fasti  I 217. 

")  Wiener  lldschr.  ,wcg‘.  Die  beiden  deutschen  Redensarten  lies.seii  sieh 
in  dieser  Form  nicht  nachweiscii. 

’)  Nach  der  Defeiisionsordniing  sollte  von  jedem  Dandgiite,  welches  sieh 
auf  :iü00  (iiilden  „erstreckte“,  ein  gerüstetes  Pferd  gestellt  werden,  Palm 
a.  a.  0.  82. 


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115 


t)ereitschafi  wie  vor  jaien  brcnclilicli  iiiit  ireu  jrutlieu  walachen,  die 

sic  selbst  woll  ezielien  timgen,  in  irer  arbcit  braiubeii,  mit  Icicbtcn  futter 
Hiishalteii,  darzn  ir  sinlS  vnd  schildt,  iiauzerbeiiid,  paekanetlein  *),  sclnverdt,  ein 
guten  fanst  kolben  ein  fiihrbUxlein  sebadt  ancb  niebt  durbei,  dili  alles  jn  vor- 
ratli  zu  ballten  in  der  zeit  der  nutli  dem  vaterlandt  zu  gut  vnd  auch  vor  sieb 
selbst  zn  beschützen. 

Mehr  soll  ein  Obrigkeit  ein  vlcissig  anfsehen  haben,  das  ihre  vnterthon, 
welche  zn  solchen  .Sachen  tüchtig  sein,  aus  langen  rohren  zu  schissen  genbet 
werden,  dann  man  findt  noch  viele  junge  jiinackenn  •)  in  dorfern , die  sich  in 
sulchen  ehrlichen  handeln  woll  brauchen  l,vsscu  vnd  vor  feinden  zn  stehen. 

Vnd  soll  ein  jtzlieh  dorf  noch  gelegenheit  mclir  oder  weniger,  dnrnoch 
das  dorf  groll  ist,  mit  ettlich  btlchscn,  welch  ziinlicli  lang  rohr  haben,  in  vor- 
rutli  haben. 

Dieselbigen  bilchsen  vnd  lange  rohr  sollen  von  den  panerslenthen  des 
ilorfes  gezeuget  werden  vnd  ein  stener  doraiif  geleget,  dieweil  es  dan  dem  lande 
vnd  iline  selbst  zu  gut  mit  der  zeit  gereichen  mag  vnd  an  allen  schaden  die 
l’.ucbseii  in  irer  gewnrsain  vnd  vor  eigen  haben. 

Die  von  adel  sollen  auch  irc  vnterlhon  in  steter  vbnngk  halten  etwan 
auf  ein  sontng  oder  feicr  tag  vnd  wan  es  sonst  der  berschaft  gelegen,  niil  dem 
scliicssen  vnterweissen , wie  man  die  bUcliscn  laden  soll  vnd  kegen  dem  feindt 
brauchen,  vnd  stelz  in  solcher  vbnug  vorharren  fcsliglich  doranf  berfien  vnd 
bleiben;  auch  sollen  die  biiebssen  wideruinb  den  scheppeu  zugestalt  werden, 
dormit  nitt  enicherley  iniitwill  doraus  entwuchs  wie  zuuor  mclir  geschehen*). 

Ks  sollen  auch  auf  aiigesagte  tagezeil,  da  sich  diejenigen  vormeinen 
zn  vben.  Ein  kleinot  “)  aufgeworfen  werden  noch  jnhalt  des  vorinngcns,  aldo 
sollen  die  pancrslenthe  gertner  mit  sampt  den  ledigen  gesellen  samptlich  vnd 
vngesnndcrt  schyessen ; wann  sie  zuuor  ein  wenig  jn  vbung  kommen , so 
werden  sie  dester  williger  vnd  vieiUiger  vnd  dorfen  der  vnibung  keiner  gefniir 
bestehen. 

Es  ist  besser  sich  in  steter  vbung  zn  halten.  Es  sey  zn  Roll  oder  Full  vnd 
mit  bilchsen  schießen,  wider  das  man  stelz  in  Krelzmerhaus  seü,  tag  vnd  nacht, 
vnil  vorsnffe  alle  vornunft  vml  sein  harte  arbeit,  dadurch  Gott  geschendt  ge- 
lestert  vnd  geonehret  wirdt. 

Der  pauren  sohn  vnd  der  freien  kneebt,  welche  der  berschaft  vml  pauirs 
leiitlien  dienen,  als  nemlich  große  kneebt,  mittel  kneebt,  wie  dieselbigen  mit 
sonderlichen  nahmen  mngeu  genenilt  werden,  ilie  sollen  auch  mit  eiugezogen 


')  packanetlein,  eiserne  Haube. 

•)  Faustkolben  = Streitkolben. 

*)  jnnak,  polnisch,  junger  rüstiger  Kerl.  Linde  II  S.  278. 

*)  Vgl.  den  Beschluss  der  scblcsisclicn  Stünde  über  die  Ablieferung  der 
Waffen  vom  .1.  I.Ö.Ö2  oben  8.  108. 

*)  Kleinot  hier  in  dem  Sinne  von  Preis.  „Ehren-  vnd  Danek-Klciiiotteu“ 
im  „Anssebreiben  ziini  grossen  Fc.stscbics.scn  in  Neis.se“.  Kästner,  Gesebiehte 
der  Xeisser  Sehülzengililc  1850  S.  21!. 


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116 


sein.  Die  persoiien  so  tUditi);  zum  .scliicssen  »ol  jeder  noch  erkentnus  iler  obrig- 
keit  vuil  der  herschaft  ein  klein  sieuer  zu  kraut  vuil  liitt ')  besteuert  werden. 

Sali  ein  jeder  pauersinann  von  der  hübe  <>  dt,  von  einer  halben  3 dt  , Kin 
gertner  soll  einlegen  3 dt  Ein  groskneeht  2 dt  Ein  inittelkneeht  1 dt.  Dieß 
alles  sohl  alle  suntag  vor  dem  Schulzen  vinl  zweite  sehepiieu  aus  bcuehl  der  her- 
schaft  eingelegt  werden  vnd  in  ein  ladtt  vorsi  hlyssen;  darumb  soll  man  puluer 
vnd  bley  kaufen. 

Vnd  so  was  ju  vorradt  bleibet,  in  der  zeit  der  nott,  als  in  teuer  zelten  den 
nottnrfligcn  vnd  armen,  auch  den  armen  jtzt  gemellen  Knechten  mit  kranckheit 
gestraft,  inocbt  vorgereicbt  werden  vnd  zu  biilf  kommen  *).  So  wirt  der  pauers- 
man  dester  williger  mit  sampt  den  knecbten  vnd  ist  mauicberley  nutz  vnd 
frommen  mit  diesem  gelt  zuerlangeu  vnd  werden  die  diii.stbotteii  der  hersobaft 
vleissiger  zn  dienen  vorvrsacht  vnd  nit  noch  ander  ber.scbafl't  trachten,  dieweil 
sie  ir  gelt  ein  zeit  langk  in  gemeinen  kästen  *j  geleget  haben. 

Wo  nne  ein  obrigkeit  dieUe  gemelte  lands  Ordnung  jm  landt  zu  steter 
vbnng  auferleget,  ernstlich  dcmselbigcu  naebzugeben  bescbliesse,  kann  ein  obrig- 
keit als  die  bochvorstendigen  gnedig.st  eraclitcii,  was  imez  vnd  fronien  daraus 
entspriUe  vml  erschi’jit  mag  werden. 

Erstlich  wirt  ein  obrigkeit  wissen,  wie  mcchtig  vnd  gcwaldig  ehr  an  landt 
vnd  leuthen,  ferner  wie  viel  tausendt  man  vormag  in  fehlt  zn  bringen  zu  roß 
vnd  fnU*),  ob  jm  ein  feindt  ins  landt  ticll  vnd  .schaden  voriueint  zn  thnen,  domit 
sich  ein  obrigkeit  mit  sampt  seinen  lieben  getreuen  vntertbon  vor  gewalt  scblltzen 
vnd  zu  der  kegenwebr  setzen. 

Wenn  aneb  ein  feindt  solch.s  jn  erfarnoss  kweiiie,  das  .solch  geübt  voick  zu 
roß  und  fuß  mit  solchen  geschiitz  genbet  im  lande  wehren,  Es  würd  sich  der 
feindt  nit  so  palt  wider  seinen  nachtbarn  legen.  Es  kann  oft  ein  schwert  das 
ander  jnue  balten  •). 

Es  soll  ein  obrigkeit  alle  jar  aufs  wenigste  vier  mol  mustern  lassen  vnd 
coinißarien  im  landt  dorzu  ordnen,  domit  dem  mandat  geborsamplich  nochgelebet 
werde  sub  pena. 

Do  Gott  gncdiglich  dorfor  sein  wolt  vnd  der  erbfeindt  im  landt  viinor- 
windtlic.hcn  schaden  zuzufiiegeii  gesonnen,  wie  dann  oft  gesclichcn,  so  ist  besser, 
das  feuer  bej  dem  naebtbar  gewert  dann  dobeime. 


')  Pulver  und  Blei. 

’)  Es  ist  ein  interessanter  sozialpolitischer  Vorschlag,  die  für  die  .Schicss- 
übungen  gesammelten  (ieldcr  gegelienen  Palles  auch  zur  nnterstlllzung  erkrankter 
Knechte  zn  verwenden. 

•)  Vgl.  Grimm  V 26.Ö;  — .‘Umoscnkasicn , Goticskasteii.  — Oben  wird 
„Lade“  gebraucht. 

*)  Eine  genaue  Konsignation  der  zum  Kriegsdienst  verpflichteten  M.ami- 
schaflen  wurde  von  den  schlesischen  .Stünden  erst  viel  später,  nämlich  1578  he- 
schlossiui.  Die  (icsamtsnmmc  in  den  vier  Quartieren  Schlesiens  ergab  13939*».  — 
Palm  a.  a.  0.  S.  87. 

“)  Ein  Scliwert  (heilielt  das  andere  in  der  Scheyde.  Wander  a.  a.  0. 
IV  4(17,  32. 


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117 


Als  dann  ans  vunoriuciilliclicr  vrsncli  eine  obrigkeit  sein  vnterthon  fordern 

vnd  brauchen,  also  das  ehr  sie  ein  ander  mol  auch  brauchen  kann.  In  medio 

cousistit  virtns  *). 

K»  soll  sich  ein  viitcrlhon,  es  sey  was  wirdena  oder  staudts  er  sey,  nit 
wcgerii,  sunder  sich  an  alle  «tisrede  vnd  vorzngk  seiner  obrigkeit  gejiot  gehor- 
sam vnd  folgig  sein,  hey  verlast  der  lelieiin  vnd  der  guter,  bey  leibstrof  vnd 
kegcklich  sich  vor  den  feinden  sehen  zn  lo.ssen,  als  die  vorsneht  vnd  geUbet;  denn 
die  feinde  seint  iiit  alle  in  re  militari  geUbet  vnd  erfuren.  Sollen  auch  die  vom 
heru.standt  oder  adels  genoß  mit  sampt  jren  vndertbonen  in  der  zeit  des 

friedens  jr  körn  viid  speißheuser  in  stetten  gebaut  haben’),  domitt  sie  in  der 

zeit  der  nott  mit  weib  vnd  kindren  vnd  jren  vnterthon  dorein  fliehen  vnd  jren 
sehucr  dorinne  suchen  vnd  so  langck  dorinne  vorharren,  biß  dem  feindt  ein 
wider.stondt  gesclicge  vnd  bics  auf  weitern  beai  haidi  •). 

Die  vom  adcl  mit  sampt  jren  vnterthunn  sein  pflichtig,  sofehrn  sie  den 
scliucz  vinl  foderung  in  Stetten  vormcinen  zu  suchen,  wie  auch  billieh,  das  si 
auch  den  .Stetten  mit  dienstlicher  liUlf  in  allen  tliueun,  so  zn  beschilzung  ge- 
hört, Kr  sey  an  manren,  grehen,  geschucz,  kraut  vnd  loth,  mit  aller  Munition, 
wie  sich  das  erheischt,  das  inne  dem  gcinolten  die  vom  adel  zu  gut  erbauet 
wirl,  zu  erhalten  weib  vnd  kindt  vnd  jr  armen  vnterthon  als  woll  den  mitt- 
Imrgern  jn  Stedtten.  Es  sollen  auch  jr  speisheusser  mit  aller  iiottdilrftigem 
prolandt  auf  etlich  jar  profantirt  sein.  Jn  solchen  hohen  obliegen  ju  der  zeit 
de.s  frides  soll  ein  obrigkeit  ein  gnediges  oinseheii  haben  zu  errettuug  vnd  zu 
erhaltuug  seiner  landl  vnd  leuthen  ju  gutem  fried  vnd  eynigkeit  seiner  vntcr- 
tbouen.  Concordia  parvae  res  erescunt,  discordia  niaxiiuac  dilabuntur*). 

Wicwoll  die  von  adel  vnd  die  von  stedten  seiden  jn  einem  stalle  stehen’) 
Es  will  alle  niuhl  einer  besser  als  der  amler  sein.  Es  mag  auch  woll  seinen  be- 
sebeidt  haben  noch  iler  weit  pracht,  welchs  ilann  bey  tiott  nichts  ist.  lienu  bey 
tiott  ist  kein  vnterscheidt  der  personell.  Derhalbon  gebürt  der  obrigkeit  jn 
solchen  vnn  anderen  feilen  ein  gnediges  einsehen  zu  haben,  doiiiit  gut  rcgiuient 
vnd  pollicey  eines  jdren  landts  gehalten  wert,  seinen  standt  noch;  dieweil  die 
vnterthon  einen  Oott  vnd  einen  iicrn  haben. 

Die  von  Stedten  sein  zinilich  mit  stiller  grober  stolzen  holVart  vorsehen, 
welche  von  grossen  vnchristlicheu  wncher  ire  uariing  znm  teil  des  uegsten 
vngedeyen  jr  enthaltung  suchen  vnd  erlangen,  welchs  dann  wider  Gott  vnd  sie 


*)  Vgl.  Horaz  op.  18,  9. 

’)  Es  sollen  also  in  den  StKdlen  nicht  nur  l’roviautmagazine  für  die 
städtische  Bevölkerung  eingerichtet  werden,  sondern  auch  für  den  laudgesesaeiieu 
Adel  und  seine  üntcrttiaiien.  Es  werden  hier  Korn-  und  Speisehäuser  unter- 
schieden; die  Speisehänscr  dienen  wohl  der  Aufbewahrung  aller  Lebensmittel, 
mit  Ausnahme  des  Getreides. 

*)  Im  Jahre  l.'idl  war  verordnet,  dass  sich  jeder  Hauswirt  auf  ein  Jahr 
verproviantieren  nnd  kein  Bauer  beim  Hcranrücken  des  Feindes  in  die  Wälder, 
sondern  in  die  Wcichbildstadt  fliehen  solle.  Palm  a.  a.  0.  S.  85. 

*)  Sallust  h.  Jngnrih  10. 

*)  Wander  a.  a.  ü.  IV  769,  38,  39. 


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118 


selbst  ist,  Atich  zu  zeiluii  rurmeiiicu  aiuler  zu  iiurfiilireii  vud  au  sich  selbst  uicbt 
gedenken  viul  Ictzlich  zum  thor  liienaualaufcn,  ileii  iiraclit  vinl  boffart  jii  berck- 
«ergk  *)  suchen  vnd  dorin  jr  kurtzwcil  vurtreiben. 

Wo  sich  aber  gemelte  die  von  landt  vud  stedten  eines  Inndisordumig  die 
ein  Obrigkeit  vnd  die  im  lande  selbst  ei kennen  vnd  vor  guet  ansehen,  beschweren 
wülthen,  welches  auf  beiden  theilcn  zu  nutz  vud  fromen  gerechnet.  Ito  mag 
ein  Obrigkeit  dielie  vnd  andere  nach  ge.schribene  vnd  vnmesige  haudlung  den 
von  landt  vnd  von  stedten  erzelen  loBen. 

Muegen  die  von  landt  vnd  Stedtten  vnd  dorfern  jren  pracht , hoffart  vnd 
luutwil  treiben,  einaniler  schinden  vnd  schaben,  ein  unordentlich  wessen  fhitrcn, 
welchs  wider  Gott  vnd  sie  selhs.  das  jr  vunützlich  vorschwelgern  vud  vorzercu, 
wie  bernoch  volget,  augenscheinlich  vnd  am  tage  ist. 

Do  mugen  sie  auch  einer  Obrigkeit  mit  Schätzung  'j  vnd  ander  obligender 
notturft  zu  hülf  kommen,  zu  erhaltung  vnd  beschirmuug  landt  vnd  leutb  vnd 
sich  selbs,  vnd  ist  besser  den  halben  teil  vnsers  vormugeiis  der  fronten  obrigkeit 
gegeben,  die  vns  von  Gott  dem  almechtigcn  gesetzt,  denn  diüem  grauBamen  feindt 
der  Christenheit  jii  sein  hendt  fallen,  jn  ewige  Din.stbarkeit  kommen,  wie  wir 
sein  vnchristlich  furnehmen  bey  vnsern  naclitbarii  teglicli  jn  erfarung  kommen 
vnd  selten,  welches  ich  deti  frommen  Christen  will  heimgcstalt  Itabcii  vud  sich 
doraii  zu  siiiegclii  mugen. 

Mau  weiß  auch  jtziger  laitff  noch,  was  sich  jn  vorBißner  zeit  jn 
hititgerit  klein  groß  Bosseit’),  Österreich,  Steyermarckt,  Keriitlicn  znegetragen  hot, 
das  der  tunk  vberal  sein  gedeclitnus  hinter  jm  vorlosscu  ml  seutiiUeritam 
memoriant. 

Derhalliett  sollen  wir  sich  nicht  wiiler  vttser  obrigkeit  vorzctzlich  nit  setzen, 
Sünder  gutwillig  al  zeit  als  die  gehorsamen  ßnden  laßen,  wie  frommen  vntcr- 
thoiien  woll  anstchet  vinl  gebühren  will.  Veritas  odiitm  parit. 

Nach  dem  der  almeclitige  Gott  deit  ttieuschen  aus  erden  gesehaffeit  vud  wir 
widerumb  zue  erden  werden,  nldo  wollen  wir  weiter  sehen,  was  (iott  vor  ein 
wergek  aus  der  erdeu  geschaffen  Itot  vnd  aus  seinem  gcschepf  worden. 

I.  Der  Adel. 

Item  wann  Gott  der  allmechtige  einen  vom  adel  mit  sampt  seiner  liehen 
hausfraweu  vud  wirttin  viel  mit  kindreit  hegahet  vnil  beguailet,  als  iicmlich  mit 
schouen  jiingfraueu,  die  iiuh  in  jr  vulkomllcli  alter  kommen,  nach  Christlicher 
ordumig  teglicli  in  dun  Kliliclicu  stanilt  zu  treten  willens,  so  werden  gemelt 
juugfrauc  von  den  jungen  gesellen  augefoehten  vnd  hegereuth  einer  dos  andren 
tüchtcr  zu  einen  Ehweib. 


')  Damals  nahm  der  Bergbau  in  Schlesien  einen  nenen  Anfschwntig.  Der 
Bruder  des  Achilles,  Valerius  Scipio  .''chellcnschmidt , war  Gewerke  in 

Taruowitz  und  Waldenburg  in  .'Schlesien  mid  zu  Altstadt  in  Mähren.  C.  D.  Sil.  XXI 
n.  433  und  434.  Vielleicht  hatte  sein  Bimler  üble  Erfahrungen  gemacht. 

Ober  die  ,Scltatzting“  vgl.  oben  S.  108. 

*)  Bossen  = Bosnien. 


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119 


Als  ilanii  Wirt  zumir,  clic  iiiaii  sie  bewert  in  ilen  stainlt  iler  diristlichen 
Ehe.  vnib  die  jiiiiyfraw  gefreiet,  groß  viiraesslicli  einreiten,  c»  kouipt  nicht  einer 
allein,  sunder  cs  bitt  einer  den  andren  im  zn  dienst  auf  angesatzte  zeit  vnd 
stelle  dubin  zn  gefallen  reiten:  Iter  kouipt  beut,  der  kumpt  ander  morgen,  ein 
jeder  will  der  peste  bey  der  jungfraw  sein  vnd  Kommen  hauffweis  gezogen, 
das  der  arme  haiiswirt  vor  leidt  vorzagen  inoebt,  tliar  doch  von  ehrent  wegen 
nichts  uitt  sprechen,  snnder  sie  freuiidtlich  einen  jeden  jn  Sonderheit  nach  seinem 
standt  entpfuen  vnd  wilkommen  heissen. 

Also  muss  sich  der  arme  bauswinit  von  wegen  seiner  lieben  tochter  vor 
vnkosteu  vnd  sich  erzeigen,  als  ehr  sic  gerne  sehe  vnd  jne  alle  noch  mugligkeit 
ehr  erbitten;  das  geschieht  nit  obu  vrsacbe  (dan  zue  viel  ist  zne  viel)  denn 
jeder  frommer  Ehrliebcuder  wolt  gern  sein  lieb  tochter  aufs  pest  befurdern  als 
jm  mnglieh,  wie  dann  einem  treuen  hausvater  znstebet. 

Also  liegen  die  geuieldten  zum  teil  die  Kretziner  vnd  Knoblocbs  jungekern ') 
dem  guten  man  auf  dem  haiße  etlich  tage,  das  geschieht  zu  tag  zn  tage  das 
gantze  jar,  ehe  lenger  dann  weniger,  vnd  heben  snich  freßen  vnd  saufen  an, 
vnd  ein  vnordentlieb  wesen  fnreu  zn  einer  nacht  biß  zn  der  ander  vnd  wann 
einer  den  andren  zue  todt  mocht  saufen,  welchs  dann  oft  gcschiecht,  das  mehr 
menschen  vom  vbrigen  freßen  vnd  saufen  sterben  als  vom  schwerdf). 

Denn  solch  vnmeßig  furnehmen  soll  fortmehr  ein  ehre  sein.  Es  gedcnckt 
auch  der  jungekern  keiner  nitt,  da.s  der  wirt  des  hauUes  domit  boschwerdt  wirdt; 
daii  es  ist  gut  lachen  den  wen  ca  nit  angehet  ; wie  gedeuckt  aber  der  gute  man, 
der  es  mit  schwerer  arbeit  erworben  vnd  die  Gottysgabe  also  vorgeblich  vnd 
vnnnzlich  gebraucht,  kann  ewer  niemantz  loß  werden. 

Wenn  man  sich  einer  lieyradt  Vorsicht,  so  wirt  auf  beiden  parthen  ein  tagk 
ernennt  vnd  beschloßen  der  beredung,  aldo  werden  auf  beiden  theilen  groß 
freundtschaft  gefnrt;  nach  landes  brauch  lest  der  guthe  geselle  die  jungfraw 
werben  vnd  ires  vatern  vnd  muttern  mit  sampt  irer  zuegetbone  freundtschaft*) 
gemilt  vnd  wolmeinung  erkundigen,  was  ferner  iler  frome  Edelman  mit  seiner 
liel)en  toebter  vor  ein  heyr.adt  gut  will  niitgebeu,  wirt  also  noch  landis  brauch 
die  ehstiftung  *)  auf  beydeu  theilen  beschlossen,  schriftlich  vorfaßt  vnd  vor- 
siegelt. 

Aldo  wirt  die  jungfraw  mit  bcwilligung  Vater  vnd  mutter  vnd  irer  zu- 
gethüuer  frenntschaft  znegesagt  vnd  wirt  auf  beyden  theilen  der  ziigethaniie 
freundtschaft  glick  vnd  heil  gewUuscht,  vnd  ist  jdermau  frolich  vnd  guter  ding, 
aber  der  arme  hausvater  beschwert  mit  der  vnkost.  Do  gehet  aber  mal  ein 
vnordentlieb  freßen  vnd  saufen  an  vnd  welcher  an  besten  gesaufen  kann,  der 
tregt  den  dauck  daruuii  vnd  wau  diß  seine  eudtschaft  gewindl,  als  daun  wirt 
der  vorlubnustagk  auf  beyden  theilen  ernennt  vnd  ausgesatzt. 


')  Vgl.  oben  S.  11,3  u.  Anm.  1. 

•)  Franck,  Sprichwörter  1541  II  lß2a. 

*)  Freundschaft,  in  dem  Sinne  von  Verwandt.schaft. 

•)  auch  Ehepakten  genannt.  Über  Ehestiftung  vgl.  Kloses  Breslau  SS.  III 
S.  223. 


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120 


Auf  welchen  tay  vml  bc.stiiiiiite  zeit  iler  vorlnbnuß  wici  ein  jeder  pari  der 
frenndtüchaft  gesehen  sein  von  nianns  pershonen  vnd  weibes  bildt  vnd  selbe.st 
ein  jeder  in  Sonderheit  von  grösten  hiU  auf  den  kleiistcn  mit  gülden  ketten, 
ringen,  kleinoden,  silbenn  gürteln,  von  perlein,  gnidenstuck,  sanict  vnd  seiden, 
welches  dann  alles  zerhauen  vnd  zuflamnict  *)  mus  sein,  vnd  ein  itzlichs  will  vor 
den  andren  gepreist  sein. 

Wirt  widernnib  ein  groll  pnuckettiren  mit  einem  vnordentlich  weßen,  mit 
vbrigen  freßen  vnd  saufen  vorgenohmen,  vnd  will  zu  letzt  der  wirt  auch  ge- 
sehen sein;  der  lest  alles  in  huf,  was  do  lauft  vnd  kreucht,  welchs  mit  harter 
miiho  erzogen  wirdt,  todtgesehlagen;  die  armen  wilden  thyrlein  in  weiden  noch 
in  engen  löchern  sein  nitt  sicher,  die  vogcll  jn  lüften,  der  fisch  in  wasser,  der 
wirt  nicht  vergessen.  Es  ist  auch  nicht  genug  ein  tisch  drey  mit  der  frenndt- 
schaft  zu  besetzen  vnd  ein  gericht  oder  vier  zue  geben,  sonder  etlich  viel  tisch 
mit  essen  besetzt  vnd  vorgetragen.  Aldo  maß  jedermann  ein  gnigeii  geschenn. 
Wann  der  verliebnc.stag  noch  aldem  brauch  vnd  gewonheit  Vorkommen,  als  dann 
wirt  der  hochzeitliche  tagk  zu  lob  viid  ehren  dem  Ehestandt  ausgesatzt. 

Wirt  aber  aufs  neue  getiacht,  wie  man  sich  mit  aller  iiottdiirft  vml  zue- 
gehorung  halten  soll  vnd  sieh  auf  beiden  tbcilcn  ein  jdes  mit  aller  praebt  riid 
hoft'art  geschickt  riid  ein  geuugeii  gescheen. 

Erstlich  soll  der  preudigam  auf  den  hochzeitlichen  tagk  mit  sampt  seiner 
zuegethaniic  frenntschaft  mit  ansclicher  pracht  einreiten,  vnd  wirdt  uiedenniib 
von  dem  andren  theil  eiitkegcii  zu  reiten  voroidiiet,  vnd  der  Breuttigaiu  mit 
einer  sonderlichen  reuerenz  vnd  ehr  entpfaiigen  vnd  angenohmen  mit  sampt 
seiner  zugethone  freundtschaft  als  ein  gast.  Aldo  will  jedermann  mit  sampt 
seiner  zngethonne  freundtschaft  gesehen  viid  gepreist  sein  vnd  wohl  staftirt. 

Mit  iren  guldenu  ketten,  kleiiiode,  kicidnng,  die  aller  zusehnilten  viid  zu- 
fetzt’) mußen  .«ein,  mit  schonen  hengsten,  stellene  sattel*),  sehoue  zeug  auf 
den  geulen,  gehoffte')  knecht,  wie  sich  das  gehurt  vnd  erheischen  will  hey  solcher 
hochzeitlicher  freudt. 

Die  fraueii  von  adel  mit  iren  toehtern  vnd  frawzinimer  mit  einem 
schonen  wagen  mit  sehoiKm  hengsten  einer  färb  lustig  gezirt  wollen  auch  vor- 
seben  vnd  gesehen  sein. 

Darczn  will  jde  fraw  vnd  jniigfraw  iren  sonderlichen  beireiter  vml  dieucr 
haben,  welcher  ine  auf  den  dinst  mus  wartben  auf  den  wagen  vnd  von  dem 
wagen,  zu  der  treuung  vml  von  der  treuung,  von  tisch  zu  tisch,  zum  tanz 
vom  tanz  furea  muß  vnd  ein  vleisiges  auf  achtung  luibeu  nach  iulialt  der  bc- 
stellungck’). 

')  zerbouweii  mlid.  — zersclilitzcii.  — Flamme  f.  und  m.  auch  in  der  Be- 
deutung von  paunieiilus,  Lappeu.  Dies  ,Flumiiie‘  scheint  ferner  einen  Besatz. 
Lappen,  Streifen  an  der  Hose  aiisgcdrlickt  zu  haben.  Grimm  III  17U. 

’)  In  der  Breslauer  Kleidcrordunng  vom  11.  August  1548  (Breslauer  Stadt- 
hihliothek)  heisst  cs:  , Dergleichen  da.ss  die  zurschnitten  vnd  durchzogen  Ermel 
ileii  weyberii  und  Jungkfrawen  gentzlieh  sollen  Vorboten  sein“.  Vgl.  vorige  .\nm. 

')  mbd.  stehclin;  gemeint  sind  wohl  die  Zierraten  am  Sattel. 

*)  höfisch  erzogen;  gchovete  Knappen  Lexer.  I 13<>4. 

*1  Vgl.  die  Breslauer  Jloehzeitordnuiig  vom  Iß.  November  InUO:  .Fort  mer 


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121 


Es  lest  sich  eine  fruw  mler  juii^rfraw  an  einen  diencr  oder  hutjiinnfer  nit 
geni^en , »onilcrn  sie  mnßen  cinon  aber  ilrey  inclir  aber  weniger  haben.  Es 
mnßen  sieh  genielte  oft  ein  tag  ein  mal  oder  drey  vorkleiden ')  viid  \va.s  eine 
Von  der  andren  sieht  Es  sey  an  kleidung  ring,  gülden  ketten,  das  inns  die  ander 
auch  haben  das  ihe  die  praelit  mit  praeht  iiitt  xnrgche. 

Do  Wirt  alle  hoffart  mit  hoch.sten  vieis  nit  gespart  vnd  lierfiir  gesneht  von 
mannes  vnd  weibcs  personell;  ein  jeder  will  dem  andren  gefallen  vnd  der 
schönste  sein, 

Eß  inus  auch  nit  gebrechen  an  perlein,  giilden  stuck,  8amet,  seiden,  gülden 
ketten,  ringen,  kleinodcin,  wie  das  alles  mit  sonderlichen  nahmen,  was  zu  der 
leidigen  boH'arlii  vnd  pracht  gehorcudt,  genent  mag  werden. 

Aufs  neu  vnd  widerumb  wirt  ein  solch  vnchristlicli  weßeu  mit  freßen  vmi 
saufeu  furgcnohnien,  ein  tag  aber  drey  vier  mehr  dann  weniger,  do  muß  summa 
smnmarum  nichtes  gebrechen  wider  ahn  weiu  noch  ahn  bihr;  ein  Jder  mus  ein 
genügen  haben  von  grosten  biß  auf  den  wenigstein;  jderman  will  der  hochzeit- 
lichen f'reiid  genießen. 

Vnd  wann  dann  die  hochzeitliche  freude  vurbraeht  vnd  sein  endtschaft 
hat,  als  dann  wirt  der  tag  der  heimfurung  beuendt,  aldo  mnßen  widerumb  alle 
freuudt  auf  beiden  tlieileu  der  lirant  vnd  l’reudigam  zu  Ehren  erseheineu  vnd  zu 
Zeiten  die  heimfubmng  großer  als  die  hochzeit  vnd  wehrt  auch  ezliche 
tage  *). 

Do  mus  der  braut  mit  jrer  freuudtsehaft  widerumb  entgegen  geritten 
werden  vnd  hebt  sich  die  hoffart  mit  ircin  vorigen  pracht  widerumb  aufs  neue, 
wie  ziiuor  genugsam  erzelt,  vnd  wirt  ein  solch  jubiliren  mit  einem  vnordent- 
liclien  weßen  vnd  vornehmen  angefangen:  do  will  der  Dreudigam  mit  sampt 
seiner  freuudtsehaft  auch  gesehen  sein  vnd  mnßen  die  frauen,  jungfraweu  mit 
jren  dieneryii  vnd  schone  gerustc  wagen  mit  aller  hoffertiger  uottorft  vor- 
sehen sein. 

Vnd  wann  die  heimfureu  sein  entschaft  hat  vnd  ein  Jeder  seinen  abschcidi 
nimpt,  als  dann  giebt  ein  nachlbar  dem  andren  das  geleit  auheime,  aldo  iims 
jeder  jung  ge.se11  seiner  frauen  vnd  jungfrauen  widerumb  das  geleit  anheimgebcu 
vnd  heleitlien  vnd  seines  dienstes  ein  genügen  thuen;  du  sein  sic  wiederumb 
frulich  vnd  guter  ding  vnd  saufen  wul  also  sehr  als  zouor,  dauuu  wirt  gemel- 
then  ilienern  ein  krentzlein*),  dormit  auf  vnd  dohin. 


wenn  die  Braut  mit  den  gebetenen  Jungfrauen  zu  der  Kirchen  oder  zum  Tanz 
gehen  wil;  sol  und  mag  sie  zwene  Brautiliner  haben,  die  sie  filren;  sonder  die 
Jungfrauen  sollen  zwei  und  zwei  miteinander  gehen,  und  keinen  Diner  noch 
Eurer  haben;  es  wäre  denn,  dass  eine  Jungfrau  zum  clielichcu  Stande  verlobt 
wäre;  die  mag  wol  den  zu  einen  Diner  haben  und  sich  zu  der  Kirchen  und 
Tanze  fuhren  lassen*.  — Kloses  Breslau  SS.  III  S.  204.  Vgl.  auch  Drechsler, 
Sitte,  Brauch  und  Volksglaube  in  Schlesien  I S.  2(’>5. 

’)  umkleiden.  Adelung  IV  1070. 

’)  Über  die  Nachhoebzeit  vgl.  Drechsler  a.  a.  0.  I S.  281. 

*)  In  der  Breslauer  Hochzeitsordnung  heisst  cs:  „Von  den  Ilochzeitsbittcrn. 
Es  sollen  forthin  nicht  mehr,  denn  acht  Gesellen  zu  der  Wirtschaft  bitten.  Den 


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122 


fiTiier  wir(  iiiilin  bolradit  vml  l)er;itsi:hlB^«t  auf»  ne«',  \vd  man  sich  in 
kurzer  zeit  wideruiiib  hin  nciulcn  soll  auf  welch  hochzeit,  knubloch  '),  kiniltenfen, 
liamket.  kirchwej,  wie  man»  nnhn  haben  will,  aMo  wcrileii  die  jung  gesellen 
wideriiiiib  vür»iirecheii,  doniil  die  weltliche  pracht  nicht  znrgehe. 

ferner  beschert  üc/tt  vber  ein  jar  einen  Erben,  du  imiß  das  arme  kint  et- 
liche zeit  vngetaufi  bleiben  liegen  vud  zn  Zeiten  als  ein  haide  stirbt»,  duzn 


sull  der  Bräutigam  noch  auch  die  Braut  keine  teurere  Kränze  geben  uder 
schenken,  denn  einen  Kranz  um  einen  tiroschen“.  Klose,  Breslau  Sf<,  111  H.  205. 

Weinhold,  Beiträge  zu  einem  schlesischen  Wörterbuch  sagt  S.  45; 
,KnublaUcbsesseu,  eine  Festlichkeit  des  lli.  Jahrhunderts,  zu  der  sich  gute 
Freuniie  einluden.  Uri  mm,  Wörterbuch  V 1450  2d;  von  einem  ächiuans  ge- 
braucht. Eine  genauere  Kenntnis  dieser  merk»  Unligen  Sitte  erhalten  wir  aus 
Schweinichens  Denkwürdigkeiten  und  einer  Breslauer  Verordnung. 

Am  20.  Jniii  1556  feilt  der  Breslauer  Rat  einen  Landesbeschlnss  mit,  wo- 
nach allermenuiglich  grosser  Pankett  mit  Knoblöchessen,  Kyrehmes.sens,  Tauffens 
übermä».»iger  ücvatterschaft  endhallen  .soll.  Klose  Ms.  .Sn,  f 492.  Schweiuichen 
berichtet  1575.  Dies  JFG.  erfuhren,  stellet  derwegen  an,  dass  ich  von  der  Frau 
Kiltlitzin  zn  einem  Knubloch  in  ihr  Haus  erbeten.  Weil  denn  die  Jungfranen 
schön  lind  frenndlichen,  stellt  ich  mich  ein.  Wie  wir  nun  ge.sscn  und  am  aller- 
lustigsten  waren,  kommet  der  Herzog  als  ein  ander  guter  Geselle  ins  Uelach. 
(Oesterley  a.  a.  0,  S.  57.)  1578.  Es  Hess  mich  die  Frau  zu  Hermsdorf  zu  einem 

Knoblauch  erbitten  . . , .Allda  waren  zu  4 Tischen  gute  Deute,  und  beweiste  mir 
die  alte  Frau  allda  gross  Ehre,  ward  als  ein  fürstlicher  Hofmeister  gehalten, 
sonderlich  aber,  weil  ich  mich  um  .Tiingfran  Margarethen,  ihre  Tochter,  was  thierete. 
(,S.  171.)  1578.  Wann  ich  denn  au  dem  Schramm  einen  guten  Freund  hatte,  bracht 
ich  bei  ,TF(i.  zuwege,  dali  sic  Hochzeit  droben  machen  wollten,  davor  solle  <ler 
Weigel  JFG.  200  Tiilr.  geben,  dass  es  aber  nnvermerkt  znginge,  siiielteii  JFG. 
mit  Schrammen  um  ein  Kuobloch,  den  JFG.  verspielen  sollten,  wie  es  deim  auch 
beschall.  Darauf  liefahlen  JFG.  mir  bald  im  Beisein  der  Jungfrau,  ich  sollte  in 
14  Tagen  den  Kuobloch  anstellen  und  also  Notdurft  dazu  verfassen.  Jorge 
8chrammen  war  auf  .8  Tisch  mitznbringen  verlanbet  und  ich  sollt  anstatt  JFG. 
auch  3 Tisch  von  Adei  bitten,  wie  denn  Peter  v,  Schellendorf  mit  dem  Weib, 
die  Fr.au  von  llcrmsdorf  mit  den  Töchtern,  mein  Bruder  »amt  meinen  Schwestern 
gebeten  wurden;  wie  der  Tag  kommt,  war  alles  wohl  angesicllt,  hatten  Trom- 
meter,  Kesseltrommel  und  Musiker  genug  da  droben.  Jorge  .Schramm  kommt 
mit  seiner  Braut  und  Bräutigam  gezogen.  uS.  175f.)  1591.  Dem  nach  JF'G.  mit 
mir  um  einen  Kuobloch  zu  machen  spielten , welchen  ich  denn  gewann,  als  er- 
mahnte JFG.  ich,  mir  den  selben  zn  machen,  ...  da  ich  mich  denn  auch  auf 
gemeldten  Tag  neben  12  guten  Leuten  bei  JFG.  einstellte.  Allda  sind  JFtJ.  und 
allesamt  lustig  gewesen  mit  Tanzen  und  Haltung  Musica  und  hat  daneben  gute 
Räusche  gegeben.  (S.  374.)  HHll.  Den  23.  (September)  hat  mir  Herr  Kreiselwitz 
einen  Knoblauch  gemacht  und  etliche  gute  Leute  dazu  geladen,  dabei  sind  wir 
lustig  gewesen  und  habe  abends  durch  die  Stadtpfeifer  der  Jungfrau  (der  Braut) 
ein  Uoferecht  machen  lassen,  welche  Musica  wohl  bestanden  hat.  (S.  535.) 


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123 


inuCeii  ein  zwciizii;  jjefaUiTU  tjebelhen  wonlen  vinl  müssen  iiit  j'eriiiges  stän- 
de» sein  '). 

Da  gehet  wiedcrmnh  die  zeitliche  hoiTart  au  iu  allem  thun  wie  aut  der 
huchzeitlichcn  freudt,  wie  ulen  gemelt  mit  fressen  vud  »auffeu  tag  viid  nacht, 
das  der  ineusch  toll  vnd  töricht  vml  von  aller  vurnnntt  moclit  kummen. 

Was  geschieht  weiter,  cs  ist  schien  ein  dort,  wie  man  spricht,  es  ist  ein 
jar  ein  mol  Kirchwey  dorinnc,  do  werden  die  frenndt  nachbarn  gefaitern  geladen 
eins  vmh  das  ander,  aldo  nins  widernmb  aufgehen  ein  unnntze  vnkust  mit  einen 
vuordentlicben  wesen. 

-\lsdann  kompt  die  ucrrische  fasuacht’)  auch  licrhcy,  die  will  iren  sonder- 
lichen fortgaugk  haben,  aldo  mns  alle  weit  reich  vnd  arm  ult  vud  jung  toll  vnd 
thoriebt  sein  vnd  sich  ein  jeder  mit  seinem  cygcu  narren  yben , aldo  mns 
widermnb  volaufl"  »ein  vnd  alles  vnmitzes  vorgenohmeu  werden  vud  seinen  hals 
vnd  bauch  füllen  als  solt  ehr  morgen  sterben.  Ede,  bibe,  lüde,  post  mortem 
imlla  voliiptas. 

Lelzlicb  bitt  man  den  almechtigen  tiott,  das  den  gemelthen  vber  ein  jahr 
wideruiub  frisch  vnd  gcsunlh  d.t»  leben  vorleihen  wolt.  oder  wenn  sie  ir  jüngste 
tochtcr  ansgehen,  vorbesseru  wollen,  snich  vbrigk  vornehmen  zu  iiorbiiiigcn  vnd 
gnedig  bestctligcn  wolt,  als  hett  Gott  ein  sunilerlichen  gefallen  doran. 

Es»  wehr  von  obgemeltbcn  crzelten  sacheu  Etwas  mehr  zu  beschreiben 
wie  ein  jeder  hoch  vorsteudiger  gun.stigk  erachten  magli,  sonder  es  bleib  in 
seinen  wyrden. 

Vnd  wann  dass  dieser  oftgeraelther  vnmeßiger  vnkosten,  der  opft  im  jar 
vnd  viel  mol  geschieht,  was  auf  gülden  Ketten,  Kleinott,  gülden  ring,  silbern 
gurlcl,  von  perlein,  gülden  stuck,  Sammet,  Tamascbken*i  vud  seiden,  was  die 
vnmessige  hoffart  belanget,  dorlzii  wein,  bichr,  pfeffer.  Safran,  jnber,  ncgiein, 
zimetrinden,  rziieker,  mandeln  vnd  allcriey  wurtz,  fleisch,  fiseh,  wilprad,  brot, 
sallz,  sehmaltz,  wie  sich  bey  solcher  hochzeitlicher  freudt  gebueren  vnd  erheischen 
wiell,  liaber,  hewe,  stro,  summa  Summaruin,  wan  cs  soll  ordinaliter  gerechnet 
werden,  von  grosteu  bis  aufs  kleinste,  kann  ein  jeder  boebvorstendiger  eraehteu 
vnd  ermessen,  was  solch  vbrig  vornehmen,  nie  gelimcit,  breugen  vnd  nützlich  sein 
niagk 

Wass  geschieht  letzlicli  die  weide,  teich,  scliewTen , die  vihestcilc,  welche 
billieh  voll  sollen  sein , die  werden  ansgerenmet  vnd  gelehrt  vnd  die  geringert 
vnd  nicht  gebessert. 

Woe  dann  dass  gnet  vnd  dorf  nicht  raiclien  wiel,  so  gibt  sich  der  Edelman 
in  schult  vnd  macht  sich  zInUbar  vud  mus  sein  guet  vui schreiben,  wirt  von 
seinen  negsteii  iiucbbar  oder  ander,  der  demjenigen  soleb  gelt  leibet,  mit  wiicher 
vud  vorehrnug*)  gescbnndeu  vnd  gesebabet , vnd  will  ihine  das  guet  nicht  so 
niel  brengeu,  was  mibr  auf  den  sebandtbaftigeu  wiiclier  gehet. 


‘)  i'ber  ilie  grosse  Zahl  der  Paten  vgl.  .Schweiniehens  Denkwürdigkeiten 
S.  281  und  den  .8pottvcrs  von  Logau  hei  Drechsler  I S.  1!K). 

*)  Über  die  Kastuachtslnstbarkeilen  vgl.  Kloses  Bre.slaii  SS.  111  22')  f. 

•)  Tamaschkeü,  Damast;  vgl,  Klose  a.  a.  0.  S.  200. 

*)  Verehrung  = Geschenk. 


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124 


Der  nriiic  iiaiierßmuu  muß  ileiin  suieh  seinen  Sawreii  seliwcia  iimße  rinl 
arbeil  vnci  die  luirr  ilorUii  leiben'),  der  imis  auch  des  ciitli(;eMeii,  «las  ehr  nibe 
{{enussen  bat,  das  letzlieb  der  berr  mit  aaiii]it  den  pawren  ziie  drnnimern  gehet. 

Alß  dann  muß  der  arme  Eilelmatiu  anß  gebdrciigter  null  sein  gillcr  vur- 
setzen  vml  vorkeuleii  vnd  werden  jm  zu  Zeiten  mit  den  geriebten  bezwungen, 
wie  es  sich  daun  scbickcu  sull,  kumiuet  der  geuieltc  in  groß  kommer  vnil  nett 
)iiit  sampt  seinem  weib  vnd  kindern.  Donec  eris  fclix,  inultos  numerabis  nmicus 
— tempura  si  fueruut  nubila,  solus  eris’). 

Stirbt  dann  der  frome  Edelman,  wie  wir  daun  alle  zum  toile  geboren,  so 
bleiben  viel  wessen*)  vml  vnerzogene  kinder,  denselbigcn  werden  von  der  obrigkeit 
voriminden  gesalzt,  wo  noch  etwas  vorhanden,  wo  aber  uiehtes  uielit  ist,  do  will 
sieh  uieniandtz  der  armen  erbarmen. 

Wo  aber  etwas  vorbaiideu,  da  dringet  man  sich  selb.st  dorzu  vnd  will 
jeilcrnmnn  der  negst  beim  breit  sein.  Es  wirt  auch  oft  den  armen  wcßeii  vnd 
kindern  vorgestandeu;  es  toebt  weil  beßer. 

2.  Die  Bauern. 

ferner  wie!  ich  beschreiben  in  kurlz  der  pauern  vuurdnung  vnd 

wesen. 

Der  paucr.smanu  ist  ein  all',  was  der  pauerßniann  von  dem  edelman  siebt, 
das  wolt  ehr  jm  gern  noch  tluin,  so  fern  sich  das  vornmgen  erstrecken  wollt*). 

Der  jiauersmann  hat  sein  ordunng,  so  jm  (iott  Kindtein  be.sebcrt  vml  in  ire 
volkomliclic  alter  koinnien,  als  juiigfraucn,  wirt  ein  armer  manu,  welcher  kaum 
sein  brot  zu  essen  mit  vnkosten  vbcrlcgct;  der  soll  auch  gedenckeii,  wie  ehr 
sein  armen  kinder  aufs  best  vnd  faderlichst  nach  seinem  vormiigen  Vorsorge,  wie 
dann  einen  froinmen  hausvatcr  zustehet  vml  gelmrcn  will. 

Wo  «lern  [lanren  ein  guter  gesell  vorstist,  der  seine  liehe  tochtcr  in  den 
standt  der  christlichen  Ehe  begerl,  so  ums  der  arme  vber  sein  vormngen  «lohin 
ge«lencken  auf  angesatzte  tagzeit,  «Io  etwan  die  zusag  auf  beiden  theilen  ge- 
sebehen  sohll,  sich  mit  essen  vnd  triuckeu  vorseheu  wie  cs  danu  gebureu  will, 
vnd  wann  danu  sie  die  handinng  beschloßen,  als  dann  gebet  das  vnurdcntli«:h 
weCcu  an  mit  vbrigeu  freßen  vn«l  saufen  will  keiner  von  den  an«lrcn  niebt  weichen, 
sie  haben  einander  danu  vor  toll  vnd  töricht  gesoffen. 

Alsdann  kompt  der  hochzeitliche  tagk,  aldo  koinpt  wider  der  ganze  helle 
häuf  zucsammen  mit  irer  beider  freundtschaft,  welches  ohne  beschwernns  nit 


')  Wamler  a.  a.  0.  II  224, 152. 

•)  üvid,  Tristia  I 9,  5 u.  6. 

*)  Wai.se. 

*)  Das  Streben  der  Bauern , über  ihren  Stand  hinauszug«!heu , trat  seh«m 
frühzeitig  hervor;  vgl.  E.  Michael,  Oeschichte  des  dtut.scben  Volkes  seit  «lein 
13,  Jahrhundert  bis  zum  Ansgang  des  Mittelalters  IS97  1 S.  72  ff.  und  die  Stellen 
aus  den  Fastnachtsspielen  bei  Schultz,  Deutsches  Leben  im  XIV.  und  XV.Jahr- 
hundert  1H92  S.  171:  .Nun  aber  sich  die  paurheit  Den  rittern  gleich  hat  geklait 
Mit  gewallt  um!  mit  gepBrden,  Nun  mag  es  iiumer  guot  werden“. 


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125 


ffeeudet  uiäk  «erdeii,  das  oft  ein  imuersman  doimaeli  er  eiti  vorraugeu  zehen 
zwenzig  lisch  mit  freimdlschaft  besetzt  mit  dem  ersten  nidersetzen  mehr  als 
weniger,  aldo  will  der  hana  vater  auch  gesehen  sein  vnd  will  ein  jeder  der  beste 
sein  mit  kleidnng  geziert,  es  mntieu  haben  die  färb  zur  bauen  vnd  zurschnitten 
nach  adellicben  Sitten '). 

Ra  mns  auch  ire  berschaft  vnd  sonst  von  sledten  vnd  dnrfern  ilobin  ge- 
laden werden,  aldo  wirt  widermnb  ein  solrb  vnmeßig  vnd  vnordentlicli  weUen 
vorgenobmen,  welches  ich  nllznveil  geineltb,  do  siebs  woll  anders  ziemen  vml 
geboren  wolt  vnd  der  wirt  zum  banse  will  auch  nicht  der  nicht  erste 
bleiben. 

Uer  iiauersnian  will  auch  sein  sonderlich  kirchweih  haben  des  jares,  vnd 
will  sein  fremidt  nachlbarn  schweger  dorzu  gerufen  vnd  geladen  haben  vnd 
mit  genieltben  in  ein  neu  kondsebaft  kommen  vnd  sich  vber  sein  vormngen 
vorvnkoaten. 

ferner  iitlegct  der  panersmann  auf  etlichen  dorfern  ein  Kegelschieben  ans- 
znrnfen  vnd  in  den  obligenden  stedtlein  vnd  dorfern  dasaelbigc  vorknndigen 
loden;  aldo  pllegct  man  nmb  etliche  ochsen  vnd  schepse  vnd  dorglcic.lien , vnd 
wird  vmb  gelt  gewedt’),  in  der  rnstelbank’)  gespilt  vnd  geschoben  das  man  jhe 
vrsacb  tindt  das  gottlod  weden  anzufaben. 


')  Vgl.  oben  S.  120  n.  1. 

*)  Die  stSdti.schen  Sebfitzenfeste  worden  bekanntlich  in  den  Nachbaratiidten 
nngesagt  und  ansgerufen;  ebenso  schob  man  in  den  Städten  bei  besonderen 
Festlichkeiten  um  einen  Ochsen  Kegel  (Klose  a.  a.  O.  S.  231).  Die  lianern  ahmten 
also  auch  hierin  die  Städter  nach. 

*)  Die  Ansdrilcke  rasseln  und  spielen  werden  synonym  gebraucht:  si  tnond 
och  spilan  und  rasslen.  Leser  II  8nö;  huren  und  buben,  raszien  und  spielen, 
schlemmen  und  dämmen.  Simplizissimus  1,  Ö9.  In  dem  .Spielteufel'  (anno  l:>r>2) 
E.  111  heisst  es;  „Solcher  wncher  wirt  gleicher  weiß  getrieben  auff  der  Hastel- 
ba nck,  da  man  etwa  vmb  Zinnen  gefeß  oder  anders  mit  blinden  wiirffeln 
s]iielet,  und  alles  noch  eins  so  thewr  auffsetzt  als  jene  gestehet,  wenn  sies 
sonsten  so  thewr  bieten  oder  verkantfen  solteu,  würde  man  sie  für  Jaden  achten, 
oder  mit  steinen  werffen,  Aber  weils  dem  spiel  zu  ehren,  nnd  dem  Vogel  schieden 
zu  nutz  vnd  fördernng  geschieht,  ists  alles  recht,  nnd  muß  ein  Dieb  dem  andern 
Stälen“.  Vgl.  Grimm,  Wörterbnob  V'IIl  144. 

Ans  schlesischen  yuellen  wird  hier  folgendes  mitgeteilt: 

1532.  „Auch  ward  neben  anderer  Kurzwelle  eine  Kastelbank  angerichtet, 
darauf  ihre  viele  viel  Geld  verworfen  nnd  verspielet.  Weil  aber  D.  Hessns 
solches  in  der  Predigt  gerUget  nnd  gestraft,  ist  sie  abgeschafft  worden“.  N.  Pol, 
Jahrbücher  III  S.  71.  — lötiO.  „Die  Hasteibank,  Ilahnwerfen,  Kegelkanlo 
nahm  nnd  gab,  wie  es  Gelücke  mithraebte“,  a.  a.  O.  IV  8.  17.  — 1577.  „Auf 
der  einen  Rastelbnnk  warf  man  die  Würfel  durch  einen  Trichter,  auf  der 
anderen  blos  aus  der  Iland  um  Zinn“;  a.  a.  0.  IV  8.91.  — „Beyncben  seindt 
vier  große  lange  Kegel-Pläcze  zngericht  worden,  anf  welchen  man  theilß  vmb 
Ochsen,  theils  vmb  Zinen  Gefeß  ge.scboben,  auch  zwo  Rnstelbencke  mit  blinden 


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126 


Bciill ')  ilcr  |inner8uiaiiii  jung  vnil  alt  in  Kreczmehr  und  feirct  den  sonlag 
vud  sonst  vorordnctlieii  heilig  tag  vnd  inunlag  ’)  dnntu  welcher  sontagsbruder, 
ilas  w'ehret  tag  vnd  nacht  vnd  mailicher  die  gancze  wocb  solches  vnnielSige 
vornehmen,  welches  inan  leglich  von  armen  vud  reichen  sicht  vnd  s|mrct  fort 
mehr  auch  bey  der  weit  eine  ehr  sein  soll,  welches  daii  ein  vorterbnns  der  seien 
Icibes  vnd  lebeiis  ist. 

Sanctus  I’anlna  spricht  zn  den  Ephc.sern  am  fnnften  Kapitel*)  aanfft  euch 
nicht  vol  Weines,  daraus  ein  vnordenilich  wclieii  folget.  Alhie  beschreibet  vns 
der  liehe  Sanct  Paulus,  wie  wihr  in  aller  mesigkeit  vnser  leben  fiircn  .sollen 
vnd  was  ferner  aus  vnserm  vbrigen  vornclmien  entspringt  vnd  vns  guustlichen 
voriiiaiict  vud  warnet. 

Mit  aller  vberzalten  vnchristlicher  hoffart  vud  voruehmen  die  von  adcl 
vud  pauersnian  werden  mit  (iott  lesteruiig  als  mit  spilen  vnd  saiifen,  .schelten 
vnd  Huchen  vnd  fressen,  mit  ehren  zu  vorinelden,  das  sie  es  oft  niuUen  wider- 
geben, darzn  mit  schlagen  morden  vnd  mit  allem  vnchristlichen  vornehmen  zu 
endt  bracht. 

Nhne  kann  eine  jede  fromme  obrigkeit  als  die  hochverstendigen  gnedigst 
erachten,  was  ans  solchem  vnordenilichen  weßeii  vnd  leben,  welches  hey  der 
weit  vber  liandt  hat,  genohmen,  aiiii  allen  bedacht  zn  nortcrhnng  leih  vnd  Sei 
vnd  leben  initsampt  irer  narung.  weiches  alles  wider  (iolt  vnd  wider  sein  heiliges 
wort  ohnn  alle  mittel  vorgenohinen  wirt  vnd  nilt  •wumler  wehr,  das  in  solchen 


Wnrfl'eln,  item  zum  Narren  zu  scheiben  mit  messern,  Kugeln  vndt  zur  lialhen 
Kaule“.  Kästner  a a.  O.  .S.  4)1. 

Mit  Wilrffeln  man  spielte  darum 
Uraiilf  auch  dali  abging  eine  Siim, 

Die  Kastelbaiick  must  sich  auch  leiden 
Zum  Pawren  worffen  die  gcscheidn. 

Welcher  auffsperren  that  sein  Maul 
Wer  hienein  werffeii  that  sein  Kanl. 

tieorg  Keutter,  Bericht  des  Fürstlichen  rechten  Frey.schUssctts  in  Neilie  1(!12. 

1.570  Juli  tl.  Ein  Erhar  Kat  . . wollen  aus  wichtigen  und  beweglichen 
urs.ac.hen  alle  Mum-  und  Spilplelze  und  Kastelbenkc,  es  sei  mit  Wilrffeln  oder 
Kartten,  iles  sich  etliche  Mnliiggengcr  vor  der  Stadt  auf  dem  .Sihwcidnitzschen 
•Anger,  im  Werder  vor  St.  Niklas,  .“tt.  Mauritz,  liinder  dem  Thum  vnd  an  andern 
Ortten  und  Stellen  zu  gebrauchen  pflegen,  ernstlich  verboten  und  abgc.schafl't 
haben.  Ms.  Klose  35,  f.  601. 

')  beidt  von  beiten,  warten.  Leier  I 161. 

’)  Von  den  Handwerkern  wurde  der  .gute  Montag“  gern  gefeiert;  vgl. 
liher  definitionum,  Stellmacher- Ordnung:  .Demnach  ans  dem  gneten  Montag 
nichts  anders  denn  Vollsauffen,  Ootslcsterung,  Zank  und  dergleichen  Vnrat  er- 
folgett,  deshalb  . . . abgetan  und  aufgehoben“  und  1.542;  .Es  sollen  auch 
Mawrer  und  Zimmcriente  hey  schwerer  vnd  harter  Straff  keinen  gntten  Montag 
halten“.  Die  Banern  machten  es  hierin  den  Städtern  nach. 

•)  Ephes.  V 18:  Et  nolite  inehriari  vino,  in  ipio  esl  liiiuria. 


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_ 

viionientlkheu  wcßeii  (iuU  <lcr  almvcliti);c  vii»  wiJernertiijcu  iiieiiüi;Iieii  in  oiucm 
angenblifli  straft  vnil  vorterbcii  ließ. 

Gott  lier  allemccliti){e  wie  elir  vna  mit  somlerlidicn  ijiiinicn  viiser  imniiig 
giieiliglicb  begabet,  wie  wir  teglich  vor  viiscrii  augeii  sehen,  welches  wir  vmb 
Gott  iiitt  vordieiict,  als  iiemlich  mit  schone»  kimlrcn,  das  liebe  getreide  anft 
dem  fehle,  die  thir  jn  weiden,  die  flstdi  jn  teicben,  das  vihe  in  furbrigen'),  wie 
das  mit  sonderlichen  nahmen  mag  genent  werden,  begnadet,  wie  dasjenige,  die 
gaben  Gottes,  also  schcndlicb  viid  boßlich  mit  vndmickbarkeit  vnd  mißbraneben 
durch  den  hals  geiagt  wirdt. 

Eß  klagen  die  vom  lande,  sie  sein  arm  vnd  eines  geringen  vormugens,  die 
uuliriing  viid  baushaltung  will  inen  znrgehen,  sie  mocbleu  irc  iiaruug  anstellen 
vnd  also  viiordentlicli  vornebmen,  das  Gott  vorvrsacbt  wurde,  das  die  hanshaltung 
aller  zu  poden  mast  gehen  vnd  er  sein  Göttliche  liandt  ganiz  vnd  gar  von  vna 
ahzi'ge,  wie  wir  es  woll  vorsclmlden  vnd  vordieiien  mngen. 

Es  kann  der  liebe  Gott  vns  nhimmer  nach  unser  willen  thuen,  ist  das 
lieben  getreide  ein  vbertliis,  vor  welches  wir  danckbar  sein  sallen,  so  willen  sich 
die  men.schen  hencken,  dos  die  gaben  Gottes  niclit  gciden  vml  in  thenrem  kauf 
sey;  ist  dann  das  liebe  getreide  zu  wenigk  vnd  ein  tbeuer  zeit  ciiifelt,  so  will 
der  menscli  vorzagen  vnd  vorzwcifcln;  thet  wir,  was  wir  soltbcn.  so  tbct  Gott, 
was  wir  wolthen. 

Was  aber  den  Christlichen  Ebe.staudt  belanget,  welcher  von  Gott  dem  al- 
iiiecbtigen  aufgeaatzt  vnd  ein  Christlich  Göttlich  wergk  ist  vnd  von  Jederman 
zne  loben  vnd  prei.sen,  were  auch  wol  billicb,  das  ein  Göttlich  Oliristlicb  ord- 
imiigck  vnd  regementb  geordnet  wurde,  dorinne  Gott  der  almecbtige  geloliet  vnd 
gepreißet,  darzii  ein  gnediges  gefallen  trnge,  Vnil  nicht  also  mit  solchen  vn- 
chrisllichen  vornehmen  wie  mannicbfeldig  genieltli  vnd  erzalt,  welches  wider 
Gott  vnd  sein  wort  vnd  wider  vns  selbst  ist.  Darzu  auch  Gott  gltlck  vnd  heil 
auf  allen  theilen  jn  all  vnserm  thun  vnd  vornehmen  seinen  Goltlicbeu  segen 
gclien  wolde.  Amen. 

Man  hat  vernohmcii  des  adels  vnd  irer  vntertbon  vbriges  vornehmen  anc.h 
ir  schwelgen  vnd  tbemmen’)  vnd  irc  vbrige  hoffart,  welch  nnhn  in  schwaiigk 
kommen  vnd  mit  grosser  vnkost  dicselbigc  zu  ende  wird  gebraclit. 

Sohlen  sich  die  vom  lande  oder  der  pauersmami  seiner  obrigkeit  vnd  jm 
seihest  zn  erhallung  landt  vnd  Icnth  ybrer  weiher,  kinder  vnd  arme  vntcrihann 
jii  ein  .solchen  oft  gemelthen  vnkosten  einloßen,  der  frommen  obrigkeit,  die  vns 
von  Gott  gegeben,  welche  tag  vnd  nacht  sorg  vor  vus  tragen,  wir  gedcchteii 
wilir  iiinsten  vorarmen  sterben  vnd  vorterbeu. 

3.  Oer  stad  Ordnung  vnd  pollicei. 

Die  von  Stedten  haben  maniclierley  mißbrauch  jn  Iren  bürgerlichen  pracht 
vnd  vornehmen,  dorinne  sicli  gut  ordnung  vnd  regementb  gebiircn  wolt,  dmion 
veil  zu  schreiben,  aber  die  weil  alle  dingck  am  tag,  will  ich  jedem  liocbvorsteii- 


')  forbridi  = V'orwerk;  vgl.  Lexer  III  4S4. 

’)  themmen  — diimmen,  schwelgen.  Grimm  II  7(jy. 


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128 


lügen  liciin  gestalt  linbeii,  wie  inan  a]niclit:  iles  broU  ich  esse,  des  liedlein  ich 
sing’),  doch  foder  ein  wenig  in  treuen  den  von  Stedten  zuspreeben. 

Erstlich  ist  ein  sonderlich  anipt  vnd  eigenschatt  aller  regirer,  das  sie 
tragen  einer  gautzen  gemein  einer  Stadt  die  wirde  herliclikeit  vnd  gesatzd  hrench 
vnd  auch  orduuiig  anstellen  zii^heschutzcn  handthabeu  vnd  zn  bedeucken,  das 
alle  dasjenige  so  den  gemeinen  nutz  belangende  auf  jr  treuen  vnd  glanhcn  ge- 
stalt vnd  jn  allen  gescheften  vnd  fuhrhahen  standthaftig  sein. 

Dann  gleicßer  weis  als  den  Vormunden  mit  den  befolen  gniern  irer  vor- 
trantc  nillndlein’)  vnd  jne  nit  selbst  zu  nncz  zu  bandeln  gebnrth,  also  soll  ein 
gemein  regement  zue  gemeinen  vnd  nit  zu  des  regirers  nutz  gescheen. 

Ein  regirer  soll  auch  niemandt  durch  falsch  angeben  weder  jn  neidt  noch 
jn  has  vorsagen  loßen  vnd  der  gerechtigkeit  vnd  erbarkeil  vngeachtet  Ob  ehr 
etlich  mobl  schwerlich  domit  erzürnet  wurdt,  so  gentzlich  vnd  festiglicb  an- 
hangeu,  das  ehr  eh  des  todes  sterben,  dann  vorlassener  obgesagter  gemein 
nulziger  ding  beghere.  Diejenige  die  gemeine  luitz  gepurt  zu  regieren,  dem 
gemeinen  nntz  vorgesatzt,  die  sollen  zwey  gepot  halten:  vor  Eines  das  sie 
die  liurgcr  vnd  mitwoner  schützen  und  handthaben,  auch  alle  muhe  vnd  vleis 
zue  gemeinen  nntz  orduen,  jn  solchen  gemeinen  nutzigcii  Sachen  ires  eigen  untzs 
vorgessen. 

zum  andern  Das  sie  dem  ganzen  gemeinen  nutz  vnd  nit  eines  thcils  bc- 
srhinnen  vnd  welch  also  eines  theils  den  bürgern  radten  vnd  den  andren  theil 
vorsenmen,  doraus  dann  oft  ein  heimlicher  groll,  der  sich  zn  norterhlichen 
sachefi  zn  zwitracht  vnd  anfrnhr  einer  Stadt  vnd  ganzen  gemein  erhahreii*) 
miieht. 

Darumb  jtzt  gemeltbe  laster  in  treflicher  vnd  starckmuttiger  regirer  der 
herschung  wirdig  fliehen  vnd  hassen  Soll  sich  selbs  dem  gemeinen  nutz  ganz 
ergeben,  nicht  groß  reichtumb  oder  gewalt  znvberkommen  trachten.  Sander  den 
ganczen  gemeinen  nutz  also  beschirmen,  das  ehr  einen  jeden  den  reichen  als  den 
armen  mit  rath  vnd  hilif  nit  vurlaße. 

zuniel  großer  ergeitz  zimet  keinen  großinuttigen,  dann  das  man  inn  straf 
vnd  zichtigung  denn  zorn , gewalt,  gunst  vnd  eigen  nucz  gar  nicht  erscheinen 
loßen. 

Vhermeßige  beginlt  der  ehren  Ist  ein  elendt  dingk,  zuiiorgleicheu  die  sich 
zweien  vnd  zancken,  welch  billicb  dem  gemeinen  nutz  handthaben  vnd  regiren 
Süllen,  die  tbun  gleicherweiß,  als  so  die  schiffleuth  sich  zancken,  welche  billicb 
das  .schiff  regiren  sollen.  Das  wir  auch  alzcit  die,  di  vns  mit  jren  rath  ja  der 
bescliirmiing  des  gemeinen  nuczes  entkegeu  sein,  nicht  vor  abgonner  vnd  vor 
feindt  halten  sollen. 

Es  sein  auch  die  nicht  zu  hören,  die  jn  der  gestalt  der  großmiittigkeit  zu 
uiel  beschwerlich  wider  die  gemelthen  feinde  zürnen  vinl  ist  einem  rcillicheu 
mann  niebtes  loblicbers  dann  Sanftmütigkeit  vinl  vornieidung  der  zorns  vnd  soll 


')  Düs  Hrnd  ich  asse,  das  Lied  ich  singe,  (iomolcke. 
’)  Mündel. 

*j  erbahren  - er-bern  mhd. 


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129 


suoderlich  tiey  dem  geiiiciiic,  die  ju  gleiclicu  leben  viid  viider  einer  jnrisdiction, 
zngleicli  die  saiiSnmtigkcit  vur  die  bobe  den  Kemiitlies  geibet  werden. 

Das  wir  auch  jn  widerwertigkeit,  so  vns  begegnet,  nitli  zürnen  noch  in 
vnnntze  feindtseligkeit  jii  vugcdult  fallen  sollen,  doch  ist  die  sanlTinutigkeit  zu 
loben,  das  dennoch  dobey  gestrenge  uottorftige  gerechtigkeit,  ohne  die  kein 
regeincnt  bestehen  mag,  jn  gemeinen  nutz  nith  mangel. 

Aber  jn  aller  penung')  vnd  straf  soll  kein  vngercchtigkeit  vnd  nichtes  zu 
des  straffer  vorlheil,  sonder  zu  dem  gemeine  nutz  geschehen.  Es  ist  auch  zu- 
norhutcu,  das  die  straf  nicht  grosser  dan  die  vorschuldung  sey  vud  gleich  vber- 
trettung  furgenohmeu  und  gestraft  werden. 

Der  Zorn  wirt  allermeist  jn  der  straf  rorbotcu,  den  welcher  zorniglicben 
straft,  mag  das  recht  mittel  zu  uil  Tiid  zu  wenig  nitt  halten,  dan  der  zürn  soll 
jn  allen  Sachen  vormiden  werden  vnd  ist  zu  wünschen,  das  sich  die  regirer  der 
löblichen  satzuug  dem  rechten  genieU  halten,  nicht  durch  zorn,  sonder  aus 
hilligkeit  zu  der  straf  vnd  peynigung  bewegt  werden,  consilio  melius  viucas, 
quam  iracundia"). 

Ein  groUmutiger  soll  sich  gluckes  nicht  zu  uil  vber  heben  vud  viifals  nicht 
zu  uil  entsetzen;  wir  solcn  jn  glückseligen  Sachen,  die  vns  noch  vnseru  willen 
zu  fliUen,  mit  gruUen  vlcis  die  hoffart,  den  stolz  mit  vorachtnng  fliehen,  dan 
also  weil  ju  widerwertigen  als  in  vnglucklichen  dingen  jst  ein  vnmesigkeit  ein 
leichtfertigkeit,  ein  gleich  gemuth  vnd  angesicht  zu  behaldcn  ist  fast  löblich. 

Erstlich  soll  man  jn  allen  woltbaten  vnd  diusten  nith  wider  hilligkeit  mit 
vnbilligkeit  handeln,  dan  gerechtigkeit  ist  ein  grundtfest  ewiges  lobes,  obn  ilie 
auch  nichts  loblichs  geschehen  mag.  foelix  civitas  quae  tempore  pacis  timet  bclla. 

Ein  Stadt  soll  bedenckeu  jn  der  zeit  des  friiles  den  vnfriedt,  ob  sich  zuer 
zeit  zutruge,  da  Gott  der  ahnechtige  giiodiglich  douor  sey,  ein  feindt  jns  laudt 
qnem,  wie  demselbigen  mit  widerstandt  begegnet  mocht  werden,  aber  ein  stadt 
mit  einer  langweriger  belegerung  betzwungen  vnd  belegert  wie  mau  sich  in 
denselbigen  Vorhalten  sol. 

Es  soll  auch  ein  Stadt,  so  fern  sich  jr  vormugen  erstrecken  will,  mit  grebeii 
vnd  Manren,  rundel,  Streichwehren*),  wie  sich  das  erheischt,  erbaut  sein,  wie  man 
in  diflem  buch  einer  Stadt  belegerung  fluden  wirt. 

Darzn  mit  gutbeu  geschutz  vud  aller  mnnition  vnd  zuegehorung  an  profiandt 
in  bereitschaft  sitzen  dorzu  sein  die  von  adel  mit  sampt  iren  vuterthon  schuldig 
zue  helfen,  sofern  die  gemeltheu  von  adel  in  der  zeit  des  vnfriedts  den  schütz 
ju  Stetten  zu  suchen  bedacht  sein. 

ferner  sollen  die  von  Stetten  jr  kom  vud  speisheuBer  haben,  welche  mit 
kom  mel  Speckseiten  saicz  dürre  tisch  vnd  andere  zuegehorung  profantirt  auf 
etlich  jare  vursehen  sein. 


')  penung  von  poena. 

’)  Mit  dem  Druckfehler  nuitas  statt  vincas  bei  Cullmann,  Sententiao  pueriles. 
Bndissin  156i>,  Biv. 

*)  Streichwehr:  ,Die  Pa.stcien  sollen  gute  Streichnehren  Imhen“.  Jiihus, 

S.  5.S1. 

Mitteilungen  d.  sclilee.  Oee  f.  Vkde  Heft  XIX.  9 


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130 


Auch  soll  ein  jede  hnndtwergszeche  ihr  eigen  körn  vud  si)eishang  haben, 
welch  auch  wie  gemelt  vorsehen  eollen  sein,  dumiit  sich  jeder  zech  selbst  retten 
mbchtt. 

Es  soll  auch  ein  jeder  wirt  sein  haus  aulTs  weuigstc  wo  nicht  mehr  auf 
ein  ihar  speis  haben  vnd  sol  mit  seiner  rustung,  harnisch,  ein  gut  lang  buchsen, 
ein  langen  spies  vorseben  sein,  darzu  mit  schaufeln,  grabscheid,  rodthanen ‘), 
mulden  ’)  von  wegen  der  blinden  greben  •)  zn  erbauen  in  der  iioth , darzu  gut 
liedern*)  eimer,  liettem*),  sprutzen  vnd  feuerhacken,  die  bciiser  mit  cstrich*)  vor- 
sehon  vnd  vorsorget. 

Auch  soll  sich  gemeine  Stadt  mit  iren  purgern  vnd  mitwohnern  jn  steter 
vbung  halten  als  neiinlich  mit  buchsen  sebiessen,  es  sey  aus  falckanetleiu’)  oder 
sonst  mit  langen  rohren,  vnd  leute  dorzu  fodren,  die  die  burgerschaft  vud  die 
jugeut  vuter  weiden  vnd  jn  gelegner  zeit  dorzu  gehalten  werden  vnd  ist  beüer, 
man  vbe  sich  in  tugent  vndt  erbarkeit,  den  das  wir  die  zeit  vnsers  lebens,  die 
vns  (lott  gegeben  bat,  das  jenige  so  vns  Gott  gnediglich  vorlihen,  vnnntz  vor- 
saiifeu  vorscliwelgcn  vnd  vorgeblich  hiubringen,  ilarinno  Gott  gelestert  vnd  ge- 
schendt  wird. 

Es  soll  auch  ein  jeder  zech*)  sich  selbst  probiren  vnd  in  vbung  halten,  also 
neynilich  die  eisten  sollen  den  jüngsten  gut  c.vcmpcl  geben  vnd  vnterweiüung 
thiien  mit  freuntligkeit  anlelhen  vnd  anfhnren.  So  auch  jndert*)  ein  lediger  gesell 
didfals  dorzu  lust  beti,  ime  dadelbige  iiitt  wegern,  sondern  dorinnc  hulflieh  vnd 
dinstlich  erscheinen. 

Zuforderst  sollen  die  von  Stetten  dy  mitburger  auch  ir  kinder  zue  der 
kriegsvbnung  halten  einen  allen  kriegs  mann,  der  ctwa.s  vorsuebt,  diesclbigen 
Ihre  kinder  treulich  befelcii  vnd  abfertigen  etwas  in  frennle  laudt  zu  uorsueben 
vml  zue  lernen  irem  valerlandt  vml  der  fremitscbaft  zu  gut  vnd  ehren  vnd  nit 
also  auf  der  seuhandt  doheim  liegen  ’")  wie  man  Icglich  bey  der  jugent  sicht 
vnd  spuret,  denn  aus  Vorachtung  vnd  vorscnmligkeit  alle  sebnodigkeit  vnd  laster 
entspringen. 

Ich  mein  aber  diejenigen,  die  vater  vnd  mutter  nicht  volgen  wollen  vnd 
ir  veterlich  vud  mütterlich  erbfalil ")  also  boUlich  vnd  vnnuzlich  vorzeren  vnd 


>)  Rodehaue,  C.  D.  Sil.  IV  S.  232. 

’)  mulden.  Grimm  VI  2G52. 

•)  blinder  Grat>en,  Schanze.  Grimm  II  120,  6. 

•)  ledern,  inhd.  liderin. 

*)  eine  bauslittcr.  C.  I).  Sil.  IV  S.  232;  vgl.  auch  Grimm  VI  735,  Stelle 
aus  Holtei,  Sc;hles.  Gedichte  (1858)  148. 

*)  ,mit  estricb  vorseben“  meint  hier  wohl  ,pavimentiert“,  vgl.  geeslrichet 
— Stratus,  Schmeller,  Kayr.  Wörter!).  I Kit). 

’)  falckaneliein,  mlat.  faleoneta. 

")  Zech  = Ilanilwerksinnung. 

•)  jndert  irgendwie;  vgl.  Lexer,  Miltelhochd.  Wörterbuch  I (1415)  unter 

iener. 

'“)  auf  der  Seuhandt  liegen,  wie  unser  .auf  ilcr  Bärenhaut  liegen“. 

'*)  erbfahl  =«  Erbfall,  Erbschaft. 


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131 


vorschweiiilen,  welches  ilie  froimiien  elderu  ju  armiit  mit  grußeni  koiiimer  viid 
sorgen  erlanget,  dorzii  von  den  jenigcn  betriiht  vud  bekümmert  werden  vnd  ehe 
die  zeit  kompt  die  früiiimeu  Eltern  vnter  die  erde  breiigen,  vnd  che  sie  achtzeheu 
jabr  ait  werden,  weiber  begeren  zu  haben '). 

Es  kennen  vnd  mugen  nit  alle  doctures  aus  ibne  werden  oder  geschickte 
Kanfleutc,  welche  dann  die  frunimcn  eitern  gerne  sehen  vnd  vor  gut  betten, 
Sünder  wollen  sie  nit  lehrnen  ita  so  lernen  sie  hotosta*),  was  mugen  diß  die 
froinnicu  Eltern,  die  aus  vetterlicher  vnd  mütterlicher  liebe  jren  kindren  alles 
gut  gönnen  vnd  jre  wolfart  gerne  sehen,  was  hilft  es  daun,  das  die  Eltern  veil 
guthes  vnd  gelt  loßen  vnd  die  Kinder  boßlicli  anwerden  (!)  vnd  vorzeten.  Der- 
balbcu  sein  die  frommen  eitern  auch  entschuldiget,  dieweil  sie  jr  ampt,  so  jbuc 
von  Uolt  befoleu,  ausgericht. 

Die  weil  diß  als  die  krieges  vbung  auch  ein  ehrlich  vornehmeu  ist  vnd 
von  anfnngk  der  weit  Krieg  geweßon,  welcher  Kaisser  konige  fnrsten  vnd  heruu 
gebrauchen  mußen  vnd  an  sic  iiitt  sein  mugen  und  so  die  nothturft  dies  erfordern 
wiell,  seihest  doran  müssen  zu  errettung  landt  vud  Icut  jn  beschitzung  witwen 
vnd  weßen, 

Vnd  wann  gleich  einer  oder  mehr  nicht  wider  heim  kompt,  welches  dann 
(iottis  Wille,  so  scy  Gott  vnerzornet,  so  fheret  der  jeuige  in  Gottes  nahmen  zu 
dem  alden  häufen,  so  sein  sie  doch  gestorben  als  fromc  ehrlich  leuth. 

Es  mns  doch  einer  doheim  der  gefahr  hestchen,  das  juue  ein  aide  wandt 
derschlagc  oder  sonst  mit  langckweriger  kranckheit  beladen  wirt,  vnd  muß 
dennoch  sterben;  will  Gott  den  menschen  behüten,  so  ist  ehr  vbcrall  bewart 
vud  vorsorgt. 

Ein  junger  wird  leicht  laster  frei, 
der  frouien  leuteu  wonet  bey 
vnd  mugen  sich  leichtlich  erhalten, 
das  sie  durch  zucht  jn  tugent  alten. 

Heatissima  civitas  que  a sapieutibus  regitur*). 

')  vgl.  oben  S.  113  Anm.  2. 

’)  Die  Wiener  Hschft.  hat  hottesta.  Es  ist  wohl  dasselbe  wie  „hotte  stoh“. 
Logau  n.  526  bei  Weinhold  S.  37. 

')  bealissiina  civitas  que  a sapieutibus  regitur.  Sentcnliac  pueriles  . . . 
collectae  per  Leonh.  Oulmannum,  Bndissinae  1566,  Blatt  B>;  vgl.  Boetius  de 
consol.  philos.  Ic.  8. 


U* 


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132 


Literatur. 


Heidrich,  R.  t'hristiiachtsfcirr  mul  ('hristna(-litsf'vsnn)'u  in  der  nvaiiKclischen 
Kirche.  (>iittiii|;en  11KI7,  Vuiiileiihneck  und  Kuprecht.  VI  1!)4  S.  (ir.  K. 

Ein  SeitenstUck  zu  den  Weihnaehtsspielen  sind  die  in  der  Cliristnaclitfeier 
gesunp;enen  alten  Ijicdcr,  mit  denen  sich  mancherlei  liriiuche  verbinden.  Aber 
während  die  Weihnachtsspielc  fast  ganz  aus  dem  Leben  des  Vidkes  verschwunden 
sind,  erfreuen  sich  die  volkstümlichen  Christnachtlicder  noch  eifriger  Pflege. 
I*er  W'rf.  zählt  167.  zuin  allergrci.ssten  Teile  prenssische,  Gemeinden  auf,  in  denen 
sic  sich  noch  erhalten  haben,  Schlesien  ist  mit  nicht  weniger  als  54  Urten  ver- 
treten. Diese  Lieder  und  Wechselgesänge  mit  ihren  vielen  Hesonderheiten 
werden  uns  im  letzten  .Abschnitte  des  Werkes  initgeteilt.  in  den  ersten  Ab- 
schnitten spricht  der  Verf.  von  dem  Verbote  der  Christnachtsfeier,  das  wegen 
der  dabei  oft  vorkommenden  rngehörigkeiten  erfolgte.  .Schliesslich  wurde  aber 
die  Feier  auf  Bitten  der  Gemeinden,  mitunter  auch  der  (ieistlichen,  wieder  er- 
laubt, alte  Missbräuche  wurden  beseitigt.  Es  wird  dann  geschildert,  wie  sich 
die  Feier  gestaltete:  wir  hören  von  dem  /Cuge  der  oft  als  Engel  verkleideten 
Mädchen  und  Knalwn  in  die  Kirche;  von  deren  festlicher  Erleuchtung,  u,  a.  durch 
die  sog.  Kronen,  Schlangen  und  Scheren;  besonders  Genaues  von  dem  Wechsel- 
gesangc  zwischen  Engel.  Hirten  und  Gemeinde,  dem  tjuempas.  so  genannt  nach 
der  ersten  Liedzeile:  yuem  pastores  landavere.  Als  man  vom  Gebrauche  der 
lateinischen  Sprache  zu  dem  der  deutschen  überging,  erfuhr  dieser  AVechselgesang 
eine  starke  Veränderung;  merkwürdig,  dass  in  Schlesien  das  Lied  t^uem  pastores 
landavere  noch  heute  nur  lateinisch  gesungen  wird,  freilich  nur  an  zwei  Urten, 
in  Klein -Gaftrnn  (Kreis  (ilogau)  und  Pless.  Wessen  .lugend  solch  alte  schöne 
Christnachtsfeier  begleicht  hat,  wird  mit  dem  Verf.  des  Wunsches  sein,  ,dass 
die  alte  Sitte  der  Christnachtsfeier  und  des  Christnachtsgesanges  zunächst  er- 
halten bleibt,  wo  möglich  sich  weiter  ansbreitet*.  Mögen  diese  so  wie  die  warm- 
hi'rzigen  Worte  auf  S.  55  bei  unsern  Geistlichen  und  Kantoren  ein  geneigtes 
Uhr  finden.  — Dass  der  Verf.  in  seinen  Mitteilungen  und  Sammlungen  keine 
Vollständigkeit  erreicht  hat,  spricht  er  .selbst  ans;  er  hofl't.  dass  sein  Buch  zu 
weiterer  Forschung  anregen  wird.  — Vielleicht  werden  auch  die  kirchlichen 
Feiern  der  anderen  hohen  christlichen  Feste  einmal  auf  ihren  Gehalt  an  Altem 
und  Volkstümlichem  hin  geprüft. 

Eine  Merkwürdigkeit  möchte  ich  bei  dieser  Gelegenheit  erwähnen,  ln  der 
evangelischen  .Silvesterandiuht  in  Goldberg  in  .Schlesien  singt  der  Chor  den  drei- 
stimmigen Kanon:  „Die  Hand,  die  uns  durch  dieses  Dunkel  führt.  Lässt  uns  dem 
Elend  nicht  zum  Haube,  l'nd  wenn  die  Hoffming  auch  den  Ankergrund  verliert, 
.'<u  lasst  uns  fest  an  diesem  (ilauhen  halten:  Ein  einz'ger  Augenblick  kann  alles 
iimgestalten*.  Bekanntlieh  sind  das  Worte  der  .Amanda  an  HUon  in  Wielands 
Uberon  (A'll  75;  Zeile  7 heisst  es  dort  natürlich:  lass).  -Nach  der  freundlichen 
Mitteilung  des  Herrn  Kantors  P.  .''chnlze  rührt  die  Vertonung  der  A'er.se  von 
einem  gewissen  Bernhard  her;  ein  Legat  verpflichtet  den  Kantor,  in  der  t^chluss- 


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ancincht  diesi'S  Lit-d  singen  zn  lassen.  V»r  mehreren  .lalireii  wüllle  ein  (ieist- 
lieher  das  Ided  verbieten,  ufl'enbar  wegen  seines  weltlichen  Zusammenhanges;  ist 
doch  auch  bei  Wieland  mit  der  durch  das  |)nnkel  führenden  Hand  nicht  die 
Hand  (iottes  gemeint.  Hoch  leistete  die  Gemeinde,  die  an  dem  Liede  sehr  hängt, 
erfolgreichen  Widerstand  So  ist  dem  Volke,  freilich  nur  einem  sehr  kleinen 
Bruchteile,  eine  Stelle  ans  Wielands  Oberon  wenn  auch  nicht  ,volkslänfig“,  so 
doch  bekannt  und  vertrant  geworden,  noch  dazu  durch  Vermittlung  der  Kirche; 
gewiss  eine  Besonderheit . deren  eine  gleiche  ich  nicht  kenne.  Wie  beliebt  die 
Verse  in  (ioldberg  sind,  geht  daraus  hervor,  dass  ich  sic  in  meiner  Kindheit  bei 
einer  alten  Frau  in  Uoldbuehstaben  auf  dunkelblauem  lirunde,  eine  schöne, 
saubere  Buehbinderarbeit.  unter  (ilas  und  Balimen  gesehen  habe.  F,  l’radel, 

Führer  durch  die  Sammlung  für  deutsche  Volkskunde.  Klosterstrasse  Hti.  König- 
liche Museen  zu  Berlin  Heruusgegeben  von  der  (ieneralvcrw'allung, 
Berlin  1!K)8  [»ruck  und  V'erlag  von  Georg  Keimer.  IV  71  S.  Kl.  8. 

Hiese  Sammlung  ist  im  .lahrc  1888  von  Freunden  der  Volkskunde  in  Berlin 
begonnen  worden;  durch  Stiftung  grö.sserer  Sammlungen  wuchs  sie  schnell  an, 
am  1.  .April  l‘.K)4  wurde  sie  in  .Staatsbesitz  übernommen.  Nach  rmhau  ihrer 
Bäume  und  neuer  Ordnung  ihres  Besitzes  ist  die  , Sammlung  für  deutsche  Volks- 
kunde“ anfangs  dieses  .Tahres  wieder  eröffnet  worden.  Sic  bei  Gelegenheit  zu 
besuchen  wird  kein  Freund  deutschen  Volkstums  unterlassen.  Der  eben  er- 
schienene Führer  erzählt  von  dem  Keichtume  der  Sammlung,  die  uns  ein  an- 
schauliches Bild  von  der  Eigenart  der  deutschen  Stämme  hesonders  in  ihrer 
Wohnung  und  Kleidung,  ihrem  Haus-  und  Wirtschaftsgerät  gelien  will,  doch 
fehlt  es  auch  nicht  an  Gegenständen,  die  sich  auf  Volksglauben  und  -brauch 
beziehen.  — Man  vergleiche  auch  den  Bericht  in  der  Zeitschrift  des  Vereins  für 
Volkskunde  -Will  241  ff.  F,  l’radel. 

Beiträge  zur  Heimatkunde  der  Pfalz.  11  Pfälzer  FrUhlingsfeicrn  von  Becker. 
KaUerslautern  1908,  in  Kommission  von  Hermann  Kuysers  Verlag.  49  8.  Gr.  8. 

.Auch  in  diesem  .lahre  haben  wieder  in  Schlesien  am  liätarcsonnlage 
Knaben  und  Mädchen  den  Frühling  herbeigesnngen . Gaben  heischend  für  so 
löbliches  Tun.  dem  endlich  wohl  griesgrämige  Behörden  nicht  mehr  stäirend  nml 
wihrend  in  den  Weg  treten,  vielfach  eines  Besseren  belehrt  durch  Vereine  oder 
einzelne  Männer,  die  unserem  A'olke  liebgewordenen  Brauch  schützen  wollen. 
Hass  auch  sonst  noch  in  deutschen  Banden  nach  alter  SitU‘  Frühling  und 
.Sommer  begrflsst  werden,  erfahren  wir  aus  Beckers  .Abhandlung,  aber  sie  spricht 
nicht  so  sehr  von  <lcn  weit  verbreiteten  Lätarebräuchen,  sondern  geht  vielmehr 
auf  die  weniger  bekannten  des  Fastnachtsrades  und  AVinterverbrennens,  des 
Stabans.  des  Kampfes  zwischen  8ommer  und  Winter,  des  .Mailehens  und  Ptingst- 
quacks  in  der  Pfalz  ein.  Auch  dieser  Aufsatz  lehrt  uns.  wie  reich  an  schönen, 
sinnvollen  Bräuchen  unser  Volk  einst  war,  wie  es  daran  auch  jetzt  noch  nicht 
so  ganz  arm  ist.  A'ereinc  für  Volks-  und  Altertumskunde  werden  erst  dann 
rechte  Bedeutung  gewinnen,  wenn  sie  ihre  Aufgabe  nicht  bloss  in  gelehrter 
Beschäftigung  mit  diesen  Sitten  sehen , sondern  auch  darin , sic  zu  erhalten. 
Gerne  hören  wir  von  Becker,  wie  dies  in  der  Pfalz  mit  gutem  Erfolge  versucht 
worden  ist.  F.  Pradel. 


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Hellwig,  r>r  Alhrrt  ViTbrcrhcii  und  A licr gliiuhc  Ski/.wn  nus  der  vidksknnd- 
liclifii  Kriminalistik.  1-10  8.  Aus  Natur  und  (ieistcswidt.  212.  Händchen. 
Leipzig  l'.tOH.  H.  (i.  Teuhner.  M.  1. 

Der  Verfasser,  der  sieh  durch  mancherlei  Arbeiten  über  kriminellen  .Aber- 
glauben bekannt  gemacht  und  auch  Beiträge  für  unsere  „Mitteilungen'  geliefert 
hat,  bietet  hier  nicht  nur  der  volkskundlichen  Wissenschaft,  sondern  auch  der 
strafrechtlichen  I’raxis  wertvidle  Belehrung.  I>er  Hexen-  und  Vampirglaiibeu, 
sympathetische  Kuren,  Wahrsagen,  Zigennerglauben  und  inanclie  andere 
.Äusserungen  des  Aberglaubens  haben  so  häutig  in  der  Kriminalistik  eine  Holle 
gespielt  und  sind  noch  heute  so  bedeutsam,  dass  die  Volkskunde  hier  reichliches 
Material  findet.  Auch  der  Kreimaurer-.Aberglaiiben  Hesse  sich  hier  anreihen; 
lief  Verfasser  unterrichtet  uns  darüber  im  vorliegenden  Hefte  der  .Mitteilungen“. 

Nur  mit  kurzem  Worte  kann  hier  noch  auf  das  soeben  erschienene  lesens- 
werte Büchlein  hingewtesen  werden  Wollten  doch  unsere  Leser  ans  ihm  lernen, 
wie  wertvoll  für  die  Wissenschaft  und  wie  anregend  für  jeden  liebildeten  es 
ist,  wenn  .Angehörige  bestimmter  Berufe  (.Inristen.  .Arzte,  (ieistliche.  Lehrer, 
•Apotheker,  Landwirte  seien  hier  des  Beispieles  halber  genannti  systematisch 
sammeln  wollten,  was  ihnen  als  eigenartig  in  .'^itte  und  Brauch  des  V'olkes  so 
reichlich  im  Berufsleben  begegnet.  S,s. 


Mitteilungen. 


Die  letzte  .Sitzung  des  .lahres  1!K)7  fand  am  Freitag,  den  13.  Dezember 
im  .Auditorium  maximum  der  l'niversität  statt.  .Sarhdem  der  A'orsitzende  einige 
geschäftliche  Mitteilungen  über  die  Veröffentlichungen  der  (iesellschaft  gemarht 
hafte,  hielt  Herr  rniversitälsprofessor  Dr.  med  Klaatsch  einen  A'orfrag  .Zur 
A'olkskunde  der  Ureinwohner  Australiens“.  Die  australische  Hasse  hat 
in  physiologischer  und  ethnologischer  Beziehung  einen  ausserordentlich  alten 
Standpunkt  bewahrt;  über  ihre  Lebensweise,  Sitten  und  (iebräuche  gab  der 
A'ortragende  höchst  interessante  Aufklärung,  die  ihm  auf  langen  Studienreisen 
in  Australien  geworden  ist.  Kr  berichtete  von  dem  Familienleben  nnd  den  In- 
stitutionen der  Khe  und  des  Mutterrechtes;  Uber  die  Krwerbs<iuellen , den 
Köri>crschmuck  (als  solcher  dienen  Menschenhaare , Muscheln,  Farben),  die 
Kunstübung;  ein  besonderer  Teil  des  Vortrages  war  dem  Aberglauben  ge- 
widmet. Hier  ist  es  vor  allem  die  grosse  Macht,  die  den  alten  Männern  ein- 
geräumt wird:  man  traut  ihnen  heilende  Kraft,  Zauberkunst  und  die  Fähigkeit 
zu,  böse  Geister  zu  bannen,  ja  sic  haben  Gewalt  über  Gewitter,  Hegen  und 
Sturm.  Sehr  verbreitet  ist  die  Furcht  vor  Tötung  und  Schädigung  durch 
AVirknng  in  die  Ferne,  wie  ja  auch  hei  europäischen  Völkern  der  (ilaube  an 
symbolische  Schädigung  auf  Distanz  herrscht.  Nach  Besprechung  der  .Sitten  nnd 
Gebräuche  beim  Tode  (Trocknen  und  Rauchern  der  Leichname  ist  üblich,  auch 
KannihaBsmus  ist  nicht  selten)  gab  der  Redner  eine  .''childernng  der  h.auptsäch- 
lichsten  ('haraktereigcnschaftcn.  — .An  der  angeregten  Debatte  beteiligten  sich 


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der  VorsitZfiide  sowie  Professor  Dr.  Skutscli  und  Kommandierender  (ieneral 
von  WojTSch, 

Die  erste  Sitzung  des  Juhres  ÜRW  fand  am  Freitag,  den  17.  Januar  iin 
Auditorium  nmximum  der  l’niversität  statt.  Der  Vorsitzende  gab  zunächst  eine 
('hcrsidit  über  die  Arbeiten  und  die  Kntw'iekclung  der  Uesellscliaft  während  des 
Jahres  1!K)H.  — Hofkunsthandler  Hruno  liiehter  legte  als  .Sehatzineister  den 
Kassenberielit  ab.  Die  liesamteinnahinen  des  Jahres  111117  beliefen  sieh  auf 
3J53.(!2  -Mark,  die  .Ausgaben  auf  H2tl7,51  Mark,  so  dass  sieb  ein  Pbersrhuas  von 
5l!.U  Mark  ergibt  Der  K.assenbestand,  der  am  1.  Januar  1907  S4, 72  Mark  be- 
trug. ist  somit  am  1.  Januar  1908  auf  140,8:1  .Mark  angewachsen.  Der  Verein 
besass  an  Kft'ekten  am  1.  Januar  19t)8  4500  Mark,  die  in  der  städtiseben  Hank 
niedergelegt  sind.  Auf  .Antrag  der  Uechnungsprüfer  Professor  Dr.  K.  Appel  und 
Professor  Dr.  0 lloffmaiin  ward  dem  Schatzmeister  Entlastung  erteilt  und  der 
Dank  der  (iesellschalt  für  seine  Mühewaltung  ausgesprochen.  Der  bisherige 
Vorstand  wurde  auf  Vorschlag  wiedergewählt  und  besteht  somit  aus  den  Herren 
Professor  Dr  .Siebs  (V'orsitzender),  Uch.  Hegierungsrat  Professor  Dr.  Nehring 
(Stellvertreter),  Stadtbibliothekar  l>r.  11  ippe  (.Schriftführer).  Museumsdirektor  Pri- 
vatdozent Dr.  H.  Seger  (.Stellvertreter).  Hofkunstbändler  Hruno  Richter  f.Schatz- 
nieister),  A'erlagsbucbhändler Ma.\  W oy  w od (Stellvertreter),  Professor  Dr.  K ö r her , 
Kgl.  (iymnasialdircktor  Professor  Dr.  Feit,  l'niversitätsprofessor  Dr.  Skutsch, 
Oberlehrer  Dr  (Hbr ich.  — Hierauf  hielt  Pniversitätsprofessor  Dr.  von  Wcnck- 
stern  einen  Vortrag  über  den  , Volkscharakter  der  Japaner“.  Er  wies 
zunächst  darauf  hin,  dass  von  jeher,  seit  Marco  Polos  Zeiten  bis  .auf  den 
heutigen  Tag,  die  .Ansichten  Uber  den  Charakter  der  Japaner  sehr  schwankten 
und  sich  widersprächen:  man  denke  an  Pierre  Loti  gegenüber  Lafeadio  llearn; 
Erwin  Balz,  der  lange  als  Professor  der  Medizin  in  Tokio  gewirkt  hat.  erachte 
cs  für  ein  unlösbares  Problem;  und  so  wolle  der  V'ortragende , zumal  er  nur 
anilertbalb  .lahre  in  Japan  gelebt  habe,  auf  den  Arbeiten  anderer  als  einer 
Grundlage  hauen.  Sodann  ging  er  auf  besondere  Charaktereigenschaften  d(>r 
Japaner  ein,  auf  ihre  grosse  Zurückhaltung,  ihre  besondere  Auffassung  von  Ehre 
und  von  Elternliebe,  ihre  .Ansichten  über  .Aufgaben  und  pädagogisi  he  Bedeutung 
des  Dramas  und  ihre  Forderungen  an  die  Erzählungsliteratur  und  charakterisierte 
dann  die  japanische  Sprache,  ihre  Schwierigkeiten  und  das,  was  uns  besonder.s 
fremd  an  ihr  erscheint.  Mit  mannigfachen  Ausblicken  auf  die  japanische  (ie- 
schiebte  verband  der  Vortragende  eine  .Schilderung  ihrer  Kultur,  ihrer  Welt- 
anschauung und  Religion,  in  der  der  Ahnenkult  und  der  (Hauben  an  die  Wieder- 
geburt eine  so  grosse  Rolle  spielen.  Weiterhin  ging  der  Redner  auf  die  staat- 
liche Organisation  ein,  besonders  auf  das  Kriegswesen  und  die  Beteiligung  der 
Bevölkerung  am  öffentlichen  Leben.  Dann  ward  die  Stellung  der  Frau  ge- 
schildert, wie  sie  sich  in  der  Einrichtung  der  Ehe  (die  als  eigentlichen  Zweck 
nur  die  Erzielung  männlicher  Xachkominenschaft  hat  und  sehr  leicht  geschieden 
werden  kann),  in  der  Volkssitte  und  in  der  Literatur,  vor  allem  in  der  lyrischen 
I üchtung  spiegelt.  Redner  gab  manche  charakteristischen  Proben  der  Liebcspocsic 
und  suchte  sodann  den  Charakter  der  Japaner  durch  eine  treffende  Auswahl  von 
Sprichwörtern  zu  zeichnen.  Durch  eine  Reihe  trefflicher  Lichtbilder  wurden 
die  .Ausführungen  des  Redners  ergänzt. 


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IMe  zwcilc  Sitzung  ili-s  Jahres  faml  am  7.  Februar  im  iriirsaal  I (kr 
l'iiivcrsilät  statt.  Oberlelirer  Dr.  J.  Klapper  hielt  einen  Vortrag  Uber  .Sagen 
nnil  Märchen  des  Mittelalters  aus  sohlcsischcn  Handschriften“,  mit 
dem  er  auf  einen  äusserst  wichtigen  und  viel  zuwenig  beachteten  Faktor  der 
literarischen  l'berliefcrung  im  Mittelalter  hinwies;  das  l’redigtexempel , in  dem 
die  Kirche  Sagen  und  Märchen  und  alle  möglichen  liattungen  von  Krzählungs- 
Bloffen  vorführte  und  weiterbildete  und  als  sogenannte  moralische  Geschichten 
bewahrte.  Kedner  ging  zunächst  auf  die  bekannten  Sammlungen  der  Gesta 
liomanorum.  auf  des  t'aesarius  von  lleisterbach  dialogus  von  den  Wundern  und 
die  Marienmirakcl  ein  und  kam  dann  zu  seinen  eigenen  Handschriftenstudien, 
die  ihm  eine  Fülle  wertvrdlen  Stoffes  geliefert  haben.  .Als  interessantes  Hei- 
spiid  ward  die  Hearbeitung  des  Märchens  vom  Mädchen  ohne  Hände  gegeben 
(die  im  vorliegenden  Heft  S.  21Hf.  mitgeteilt  ist),  dann  Krzählungen  von  Dä- 
monen und  Schatzsagen  mul  von  mancherlei  anderen  Motiven,  die  in  der  ger- 
m.anischen,  romanischen  und  sonstigen  Literatur  eine  wichtige  Holle  gespielt 
haben,  ln  dem  Vortrage  wie  auch  in  der  sich  anschliessenden  interessanten 
Debatte  ward  erwiesen  und  anerkannt,  welch  eine  grosse  Fülle  höchst  wichtigen 
volkskundlichen  Materials  die  mittelalterlichen  Handschriften,  besonders  die 
l’redigthaiidschriften,  Ijergen,  und  dankbar  der  mühevollen,  aber  lohnenden  .\rbeit 
gedacht,  die  der  Vortragende  auf  diesem  Gebiete  leistet. 

l»ie  letzte  Sitzung  des  Winters  fand  am  Freitag,  den  28.  Februar  im 
Hörsaal  1 der  Fniversität  statt.  Gymnasialdirektor  l’rofessor  Dr.  Drechsler 
aus  Zabrze  sprach  Ober  .Die  .Seele  nach  dem  Tode  in  der  Anschauung 
des  Volkes“.  Der  Vortrag  ist  zu  Beginn  des  vorliegenden  Heftes  gedruckt. 

-Am  12.  Januar  feierte  der  .Schlesische  Altertnmsverein  sein  fünfzigjähriges 
Bestehen  durch  einen  .Aktus  im  Museum;  der  Vorsitzende,  Museunisdirektor 
Dr.  Seger,  hielt  die  Festrede.  Für  unsere  Gesellschaft,  die  sich  durch  lang- 
jährige gemeinsame  l'flege  der  Interessen  mit  diesem  Verein  verbunden  fühlt, 
sprach  der  A'orsitzende  (ilückwünsche  ans. 


•Am  3.  Gktobos-  lindet  zu  Berlin  die  Versammlung  des  Verbandes  der 
deutschen  Vereine  für  Volkskunde  aus  Deutschland.  Österreich  und  der  Schweiz 
statt.  Näheres  darüber  wird  im  Korrespondenzblatte  mitgeteilt. 

Mit  bestem  Danke  verzeichnen  wir  Eingänge  zu  unseren  Sammlungen 
von  dem  Herrn  Kentiier  Oskar  Scholz  in  Herzogswaldau.  — Für  jede  weitere 
Mitteilung  von  volkstümlichem  Werte,  von  Liedern,  S.agen,  Sprüchen,  .Sitten, 
Bräuchen,  Flurnamen,  Redewendungen,  Worten  iisw’.  sind  »dr  auch  fernerhin 
aufrichtig  dankbar. 

Als  neue  Mitglieder  traten  unserer  Gesellschaft  bei  die  Kothschild’sche 
öffentliche  Bibliothek  zu  Frankfurt  a.  Main  und  die  Herren  Dr.  phil. 
Jaoschke  in  Oels,  Dr.  inr.  .A.  Hellwig  in  Berlin- Waidmannslust.  Pfarrer 
Hohn  in  Frömsdorf,  Kr.  MUnsterberg. 


Schluss  der  Redaktion:  12.  Juli  liHIH. 
Bu.'lidruckerei  Maretzke  a Martin.  Trebnitz  1.  Schien. 


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Sagen  und  Märchen  des  Mittelalters. 

Von  Dr.  J.  Kln|iper. 


I.  Scala  cacli. 

In  dem  Aufsätze  über  das  Miirclien  von  dem  Mädcben  olme 
Hände  (.Mitt.  XIX  29)  erwähnte  ich  bereits  als  bedeutsame  Quelle 
für  mittelalterliche  Sag:en  und  Jlärchen  ein  Exemi>elwerk,  das  den 
Titel  Scala  caeli  führt.  Der  Verfasser  dieses  Werkes  ist  .lo- 
hannes  Gobii  Junior — die  von  mir  in  jenem  Aufsätze  benutzte 
Handschrift  1.  Q.  454  der  Kgl.  und  Universitätsbibliothek  zu  Bres- 
lau nennt  ihn  Johannes  Gebii  Junii.  Die  Fülle  des  für  die  Volks- 
kunde wertvollen  Stoffe.s,  der  darin  angeliäuft  ist,  wird  eine  etwas 
eingellendere  Beschäftigung  mit  dem  Werke  und  seinem  Verfasser 
reclitfertigen.  Dabei  soll  für  die  Entleimungen  aus  dem  Werke 
der  Text  der  Breslauer  Handschrift  zugrunde  gelegt  werden,  da 
diese  bedeutend  vollständiger  ist  als  die  später  noch  zu  erwähnen- 
den Inkunabeln,  auf  deren  oft  sinnlosen  Text  man  sich  bisher  in 
den  wenigen  Fällen  bezog,  wo  die  Scala  caeli  überhaupt  in  der 
Forschung  Beachtung  gefunden  hat. 

Die  Hauptquelle  für  unsere  Kenntnis  der  äusseren  Eeben-sver- 
hältnisse  des  Verfassers  ist  die  Vorrede  der  Exempelsammlung 
selbst.  Hier  bezeichnet  er  sich  als  Bruder  des  Bredigerordens 
(Dominikaner);  sein  Werk  widmet  er  einem  Hugo  de  Coluberiis 
(Hs.:  Columberiis) , der  als  Praepositus  der  Kirche  von  Aix  be- 
zeichnet wird.  Diese  Aquensis  ecclesia  ist  natürlich  die  südpro- 
venzalische  Stadt  Aix,  das  alte  Aquae  Sextiae.  In  Jener  Stadt,  zu 
der  der  Verfasser  also  zur  Zeit  der  Abfassung  seiner  Sammlung 
in  Beziehung  stand,  ist  auch  um  das  Jahr  1296  ein  Probst  de 
Coluberiis  nachweisbar.  Jedoch  mit  dem  Vornamen  Guillelinus. 
Wenn  der  Probst  Hugo,  dem  die  Widmung  gilt,  nicht  identisch  ist 
mit  dem  nachgewiesenen  Guillelinus,  was  mir  als  sehr  wahrschein- 
lich erscheint,  da  die  Abfassung  des  Werkes,  wie  wir  sehen  werden, 

Mitteiluii^en  <1.  scltles.  Oes.  f.  Vkdtv  llelt  .\\.  t 


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noch  um  das  Jalii'  i;-500  anziisctzcn  ist.  .so  Imt  er  weiiiprstens  der- 
selben Familie  angehört ‘).  Der  Verl'asser  nennt  sich  nun  .Jo- 
lianues  Junior,  so  da.ss  er  sich  seihst  auch  in  Beziehuiifr  .setzt 
zu  einem  älteren  Johannes  Gobii,  und  diese  Beziehung  ermöglicht 
uns  eine  genauere  Datierung,  Unter  den  französisclien  Dominikanern 
ist  dieser  ältere  Johannes  Gohii  eine  nicht  unbedeutende  Per- 
son. Als  sein  Geburtsort  lässt  sich  Alestum,  das  heutige  .\lais 
im  südfranzüsischen  Departement  Gard  nacliweisen;  1273  i.st  er 
als  Subrektor  im  Kloster  Sisteron  bezeugt;  1302  ist  er  Prior  in 
Avignon,  von  wo  er  in  demselben  Jahre  in  gleicher  Eigenschaft 
nach  Montpellier  geht;  1304  i.st  er  Abtim  Kloster  Saint- .Maximin; 
von  1312  bis  1314  verwaltete  er  das  Amt  eines  Provinzials;  als 
.sein  Todesjahr  nimmt  man  das  Jahr  1328  an  ’*).  Dieser  ältere 
.Johannes  Gobii,  de.ssen  Lebensweg  wir  .so  ziemlich  genau  kennen, 
wird  der  Onkel  unseres  Verfassers  gewesen  sein,  und  so  werden 
wir  nicht  felilgehen,  wenn  wir  als  Heimatsstadt  des  jüngeren  Jo- 
hannes Gobii  gleichfalls  .\lais  aiisetzen.  Nun  i.st  uns  in  elf  Hand- 
•schriften  und  drei  Drucken  der  lateini.sche  Text,  und  in  zwei 
weiteren  Handscliriften  die  französi.sclie  Übersetzung  einer  Dis- 
putation zwisclien  einem  Prior  von  .Aluis  und  einem  wiederkehrenden 
Toten  Guido  de  Torno  (Guy  de  Tours)  erhalten,  und  der  Prior 
wird  in  mehreren  jener  Hand.schriften  Johannes  Gobii  genannt. 
Die.ser  dialogische  Traktat  führt  den  Titel:  Disputatio  inter  quem- 
dam  priorem  ordinis  Praedicatorum  et  spirituni  Guidonis,  und  als 
Jahr,  in  dem  die  Begebenheit  .stattgefunden  haben  .soll,  wird  in 
der  weit  überwiegenden  Mehrzahl  der  Ilarid.scliriften  1323  oder 
1324  angegeben^).  Prior  von  .Alais  i.st  aber  der  ältere  Johannes 
Gobii  nie  gewesen.  Wenn  wir  also  nicht  um  die.selbe  Zeit  in  der- 
selben Gegend  drei  Dominikaner  gleichen  Namens  annelimen 
wollen,  so  müssen  wir  in  dem  Prior  der  Di.sputation  den  Verfasser 
der  Scala  caeli  erblicken,  der  somit  im  Jahre  1323  im  reifen 
.Mannesalter  steht.  Die  Scala  caeli  ergibt  sich  dann  als  ein 

')  Quetif  et  Echaril,  Scriptoreä  Ordinis  Praedicatorum,  Paris  1719—21, 
I 633.  Hier  wird  Hugo  de  ColHbcriis  aber  ganz  willkUrlicb  und  irrtümlich  erst 
in  die  Zeit  von  1320  bis  1363  gesetzt. 

')  Scriptores  Ord.  Praed.  1 633.  — .\Ibanis,  Hisloire  du  couvent  de 

S.-Maximin,  p.  60.  — Hoiiais,  [,es  freres  l’rechcurs  en  («ascogne,  p.  438. 

’)  Haiirean,  B.  Notiees  et  Extraits  de  i|uelqucs  manuscrits  latins  de  la 
Bililiotiieqiie  nationale,  Paris,  11  .328  ff. 


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3 


.Tufrpiidwfrk  dieses  Dominikaners,  denn  die  älteste  Handschrift,  die 
wir  kennen,  die  der  Pariser  Nationalbihliothek,  .stammt  aus  dem 
Jahre  1301 ').  Diese  Datierung-  wird  durch  den  Inhalt  des  Werkes 
durchaus  bestätigt;  wir  haben  es  wirklich  mit  einem  ohne  viel 
kritischen  Sinn  aus  zahlreiclien  Quellen  zu.sammengeschriebenen 
Exemiielwerke  zu  tun,  und  zu  dem  Alter  des  Verfas.sers  pa.sst  es 
dann  auch,  wenn  er  .sicli  in  der  Widmung  als  einfachen  Frater 
seines  Ordens  bezeichnet.  Das  ist  alles,  was  wir  über  sein  Leben 
erschlies.sen  können.  .\ls  junger  Bruder  .schreibt  er  um  1300  die 
Scala  caeli,  um  1323  ist  er  Prior  zu  Alais;  wenn  sein  Tode.sJahr 
in  den  Script.  Ord.  Praed.  II  633  um  1350  angesetzt  wird,  so  ist 
das  reine  Vermutung. 

Was  will  die  Scala  caeli,  und  woher  hat  sie  ihren  Namen? 
Der  Text  der  Inkunabeln  ist  gerade  in  der  Vorrede  recht  ver- 
stümmelt und  gibt  auf  diese  Fragen  keine  sinnvolle  Auskunft; 
deshalb  soll  hier  der  Gedankengang  der  Widmung  folgen;  er  ge- 
währt uns  auch  eine  Vorstellung  von  den  (lesichtspunkten,  aus 
denen  überhaupt  Kxemiielstoffe  ge.sammelt  wurden:  Nur  unter  der 
Hülle  des  01eichni.s.ses  und  des  Bildes  vermögen  wir,  so  führt  der 
Verfa.s,ser  aus,  den  Strahl  der  göttliclien  Wahrheit  zu  ertragen;  so 
sprach  auch  Christus  in  Parabeln  und  («leichnissen,  um  die  im 
Schatten  des  Todes  sitzenden  zum  Himmel  zu  führen.  Zu  dem 
gleichen  Zweck  entstand  zu  Ehren  .Marias,  des  hl.  Dominikus  und 
der  hl.  .Maria  Magdalena  die.se  , Himmelsleiter“,  damit  wir  mit 
Verachtung  anderen  nur  die  Neugier  befriedigenden  zeitlichen 
Wissens  emporsteigen  zur  Betrachtung  ewiger  Wahrheiten.  Der 
Balken  dieser  Leiter  aber  gibt  es  zwei,  nämlich  die  beiden  Teile 
die.ses  Werkes;  der  erste  Balken  ist  die  Erkenntnis  des  Himm- 
lischen und  die  Liebe,  die  wir  dann  dafür  emptinden.  Der  zweite 
Balken  ist  die  Frkenntnis  des  Irdischen  und  die  Reue  über  unsere 
früheren  Werke.  Der  erste  Balken  entfernt  aus  uns  die  Laster 
und  fördert  die  Tugenden.  Der  zweite  zeigt  uns  die  l)erühmten 
Handlungen,  die  seit  Beginn  der  Welt  im  Laufe  der  Jahre  und 
der  sieben  Zeitalter  vollführt  worden  sind.  Die  Sprossen  der 
Leiter  a!)er  sind  die  verschiedenen  nach  dem  Alphabet  geordneten 
Stoffe.  Damit  aber  der  Leser  diese  nicht  gering  ein.schätze,  lä.sst 
der  Verfasser  nun  die  Werke  folgen,  aus  denen  er  seine  Blüten- 


')  Hanr£an  II  :I24. 


1* 


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4 


lese  veranstaltete.  Einiges  aber  hat  er  aurh,  wie  er  ausdrücklich 
bemerkt,  aus  Predigten  aut'genommeii,  was  nicht  in  gescliriebcnen 
Quellen  zu  finden  war.  Zum  Schluss  bittet  er  seinen  Gönner  um 
gütige  Aufnahme  und  Nachsicht.  Das  Werk  ist  so  angelegt,  dass 
unter  einzelnen  Stichworten  (Tugenden,  Laster,  allgemeine  Ge- 
sichtspunkte für  Prediger,  also  z.  B.  Castitas,  Corpus  Christi,  Filii 
et  filiae  erga  parentes  debent  .se  habere  hoc  modo  . . .)  die  ent- 
sprechenden Ge.schichten  als  Exempel  angeführt  werden. 

Als  Quellen  führt  Johannes  Gobii  selbst  die  folgenden  Werke 
an:  die  beliebte.  Sammlung  Vitas  patrum,  die  er  dem  hl.  Hiero- 
nymus zu.schrcibt;  die  Dialoge  Gregors  des  Grossen;  die 
Flores  sanctorum  des  Jacob  von  Voragine  (f  1298),  womit 
er  dessen  Legenda  aurea  meint;  die  Historiae  scolasticae,  also  das 
Werk  des  Petrus  Comestor(f  1198);  das  Speculum  exemplorum 
des  Jacobus  de  Vitriaco  (f  1241);  die  Glossae  super  Bibliam 
des  Hieronymus;  die  Summa  fratis  Vincentii,  d.  h.  das 
Speculum  maius  des  Vincenz  von  Beauvais  (f  1264);  einen 
Liber  magnus  de  donis  spiritus,  also  das  bisher  nur  teil- 
weise herausgegebene  Werk  des  Dominikaners  Etienne  de  Bour- 
bon (t  1261);  das  Mariale  magnum,  den  jl^iber  de  vita  et 
perfectione  fratrum  Praedicatorum  und  das  Alphabetum 
narrationum  des  Arnuldus.  Auch  die.se  Quellenangabe,  die 
kein  nach  1300  verfa.sstes  Werk  enthält,  bestätigt  die  Annahme, 
dass  die  Scala  caeli  um  die  Wende  des  Jahrhunderts  entstanden 
ist.  Zu  diesen  in  der  Vorrede  genannten  Quellen  stellen  sich 
dann  noch  die  bei  einzelnen  Exempeln  angeführten,  so  CUsarius 
von  Heisterbach,  ferner  eine  Historia  regum  Franciae  und 
eine  Historia  Romanorum,  die  natürlich  nicht  mit  den  Gesta 
Knmanorum  identisch  ist;  auch  aus  der  Disciplina  clericalis 
des  Petrus  .Alphonsi  finden  sich  Stoffe  darin.  Und  diesen  viel- 
.seitigen  Quellen  entspricht  auch  der  Inhalt.  Mit  echt  mittelalter- 
licher Freude  am  Wnuderbaren  werden  Bekehrungsgeschichten, 
Heiligen-  und  Teufelsgeschichten,  Sagen  und  Märchen  vorgetragen. 

Hs  ist  das  Verdienst  Goedekes,  die  Scala  caeli  zuerst  für 
die  mittelalterliche  Literaturgeschichte  herangezogen  zu  haben,  ln 
Benfeys  Zeitschrift  Orient  und  Okzident  111  (1864)  397  gab  er 
einige  Hinweise  auf  das  Werk  und  seinen  Verfa.sser  und  druckte  nach 
der  ersten  Ausgal)e  (1476)  ilen  darin  enthaltenen  .4u.szug  aus  der 
Geschichte  der  sieben  weisen  Meister  ab.  Nach  ihm  hat  Osterley 


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in  der  Ausgabe  von  Paulis  Schimpf  und  Ernst  (Stuttgart  1866) 
bei  den  Nachweisungen  der  darin  verwendeten  Motive  wiederholt 
auch  auf  die  Scala  caeli  Bezug  genommen,  — er  nennt  den  Ver- 
fasser der  Angabe  der  Dnicke  entsprechend  Johannes  Junior  — 
und  in  der  Ausgabe  der  Gesta  Romanorum  (1872)  weist  er  von 
neuem  darauf  hin.  Im  30.  Bande  von  Fr.  Pfeiffers  Germania  teilte 
dann  im  Jahre  1885  J.  J.  Grane  nach  der  Ulmer  Ausgabe  von 
1480  den  lateinischen  Text  der  beiden  Märchen  vom  Wasser  dos 
Lebens  und  von  den  drei  Brüdern  mit  (S.  203),  der  in  den  folgen- 
den Proben  übersetzt  ist,  doch  nennt  er  den  Verfasser  Johannes 
Gobius.  Und  zuletzt  hat  A.  Mussafia  die  darin  enthaltenen 
Marlenlegenden  eingehend  untersucht  und  verglichen  unter  Be- 
nutzung des  Druckes  von  1480').  Der  Text  der  Drucke  ist  oft 
bis  zur  Unverständlichkeit  verderbt,  worauf  auch  Mussafia  hinge- 
wiesen hat,  der  die  Schuld  zum  Teil  den  Druckern  zuschreibt. 
Bei  der  Ausnutzung  des  Werkes  für  die  volkskundliche  Sagen- 
und  Märchenforschung  wird  man  daher  immer  auf  die  Hand- 
schriften zurückgehen  müssen.  Mussafia  hat  bereits  bemerkt,  dass 
solche  Handschriften  zu  den  Seltenheiten  gehören;  er  kennt  nur 
eine  einzige.  Ich  stelle  im  folgenden  die  mir  bekannten  Hand- 
schriften und  die  vorhandenen  Drucke  zusammen.  Die  Drucke 
haben  nur  den  Wert  einer  einzigen  selbständigen  Hand.schrift,  da 
die  beiden  späteren  auf  den  ersten  Druck  zurückgehen  und,  wie 
eine  Vergleichung  ergeben  hat,  sogar  alle  Fehler  die.ses  ersten 
Druckes  teilen. 

1.  Hs.  der  Pariser  Bibi.  nat.  Nr.  3606  v.  J.  1301. 

2.  Hs.  der  Wiener  Hofbibi.  Nr.  13538. 

3.  Hs.  Breslau,  Königl.  u.  Univ.-Bibl.  I.  Q.  454  v.  J.  1452. 

4.  Hs.  im  Monast.  Dunense  Gistercieiisium , Belgien,  angeführt 
bei  Sanderus,  Anton,  Bibliotheca  Belgica  (1641)  I 101. 

5.  Hs.  Glarmontii  in  Arvernia  (Dominikanerkloster)  in  fol.  membr., 
erwähnt  von  Script.  Ord.  Praed.  I 633. 

6.  Hs.  Parisiis  in  Sorbon.  chart.  fol.  Sed  in  hoc  deest  nuncu- 
patoria  et  nomen  auctoris;  erwähnt  ebenfalls  in  den  Script. 
Ord.  Praed.  I 633.  Da  die  Bibi,  der  Sorbonne  in  die  der 
Nationalbibl.  übergegangen  ist,  müsste  sich  diese  Hs.  jetzt  dort 
befinden. 


•)  S.  B.  (1.  Kais.  Aknil.  tl.  \V.  phil.-hist.  Kl.  Bd.  119  (Wien  1889)  IX  39 
in  (len  ,ätudien  zu  den  mittelalterlichen  Marienlegendeu  III*. 


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fi 

7.  Excerpte  aus  einer  yeala  caeli-Hs,,  die  seltistäiidigen  Wert 
liabeti,  da  sie  um  1400  bereits  anpefertist  wurden,  enthält 
die  Hs.  I.  202  der  Kpl.  u.  Univ.-Bibl.  zu  Breslau  von 
Bl.  328'"  an  unter  dein  Titel:  Exenipla  ex  libro  (jui  dicitur 
Scala  caeli. 

8.  Erster  Druck:  Lübeck  1476  mit  der  Lipatur  ri  für  ni  in 
Junior,  so  da.ss  dort  .lohannes  Jurior  zu  lesen  ist.  Folio. 
Drucker:  Brandis.  Exemplar  auf  der  Kpl.  u.  Univ.-Bibl.  zu 
Bre.slau. 

9.  Abdruck  davon,  jedocli  ohne  den  Fehler  Jurior  für  Junior. 
Ulm  1480.  Drucker:  Johannes  Zainer.  Exemplar  auf  der 
Kpl.  u.  Univ.-Bibl.  zu  Breslau. 

10.  Abdruck  des  ersten  Drucks.  Stras.sburp  1483  v.  Jacobus 
Eber.  Exemplar  auf  der  Göttinger  Bibi. 

Mit  dem  Stoffe,  von  dem  ich  in  den  Mitt.  XIX  20  ff.  zwei 
neupefundene  Versionen  des  Mittelalters  übersetzte,  dem  Märchen 
von  dem  Mädchen  ohne  Hände,  liat  sich  einpehend  Herrn. 
Such i er  in  seiner  Auspabe  der  (Euvres  poetiques  de  Beanmanoir 
(Societe  des  anciens  textes  fran^ais)  Paris  1884  Bd.  I S.  XXIIl 
bis  LXXXI  beschäftipt.  ln  die.ser  auspezeichneten  Untersucliunp 
unterscheidet  er  zwei  Grundtyiien,  den  Senatortyp  und  den  Ere- 
mitentyp. Diesem  steht  die  von  mir  mitpeteilte  erste  Fassunp 
nahe;  sie  zeipt  enpe  Verwandtschaft  zu  einem  italienischen 
Miracolo  (Suchier  S.  L Nr.  17),  doch  bringt  sie  auch  diesem  pepen- 
über  sclbständipe  Züge,  die  sie  als  eine  urspriinplicliere  Fassunp 
erweisen;  so  zieht  der  Hcrzogs.sohn  iin  Miracolo  zum  Turnier, 
nicht  in  den  Krieg,  die  Vertauschung  der  Briefe  findet  im  Mira- 
kolo nur  bei  der  Kückkelir  des  Boten  statt,  der  Herzog  findet  die 
Verstossene  im  Miracolo  selbst  wieder,  und  die  Stiefmutter  wird 
nicht,  wie  in  unserer  Fassung  gesteinigt,  sondern  verbrannt.  Die 
von  mir  aus  der  Scala  caeli  mitpeteilte  Fassunp  findet  in  Suchiers 
reichlialtiper  Sammlung  von  Versionen  des  Senatortypus  zwar  ver- 
wandte Darstellungen,  trennt  sich  aber  von  allen  durch  eine  Fülle 
wichtiger  Einzelheiten  und  weist  die  Heimat  der  Sage  in  Frank- 
reich, nicht  in  England  nach.  Der  Xaine  der  (irafentochter  Margaretha 
deckt  sich  hier  auffallenderweise  mit  der  von  Suchier  S.  LXll  an- 
pemerkten  litauischen  Sage  von  der  hl.  Margaretha.  Sie  wird  in 
unserer  Fassung  nicht  auf  dem  Meere  ausgesotzt;  dieser  Zug  ist 
sicher  erst  aus  einer  anderen  Sageugru))pe  in  die  unsere  hinein- 


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getragen.  Was  weiter  für  die  ITr.sprüngliclikeit  unserer  Fa.s.sung 
spricht,  ist  der  Aufenthalt  in  Bologna,  nicht  in  Rom,  die  Her- 
kunft der  Heldin  aus  Orafengeschlecht , nicht  aus  königlichem 
Hause.  Die  meiste  Ähnlichkeit  weist  unsere  lateinische  Fa.ssung 
noch  mit  dem  französischen  Romane  des  .lehan  Alart  von  derComtesse 
d’Anjou  auf,  der  1316ge.schrieben,  also  nicht  viel  Jünger  als  die  Scala 
caeli  i.st  (Suchier  a.  a.  O.  S.  XXXVII).  Zu  seinen  Sagenversionen 
hat  Suchier  noch  Xachtriige  versprochen  (Romania  30,  519).  Zu- 
letzt haben  sich  mit  dem  Stoff  beschäftigt,  ohne  Neues  beizubringen, 
die  beiden  Greifswalder  Dissertationen  von  Henry  Bussmann: 
(traramat.  Stud.  über  den  Roman  de  la  belle  Heiaine  (1907)  und 
von  Krnst  Hüdepohl:  Weitere  Studien  zur  Chanson  de  Lion  de 
Bourges  (1900),  ferner  Kdith  Rickert  in  der  Neuau.sgabe  des 
Romans  Einare  (Early  Engl.  Text  Society,  Extra  Series  XCIX, 
London  1908). 

1. 

Mit  dem  Märchen  vom  Mädchen  ohne  Hände  im  (irund- 
gedanken  verwandt,  aber  in  der  Durchführung  ganz  davon  ab- 
weichend i.st  die  ebenfalls  der  Scala  caeli  entnommene  im  folgenden 
mitgefeilte  Sage  von  der  Tochter  des  Kaisers  von  Konstan- 
tinopel. Wir  haben  es  auch  hier  mit  einer  im  Mittelalter  ver- 
breiteten Sagenversion  zu  tun,  doch  ist  uns  keine  andere  mittel- 
alterliche Fassung  bisher  bekannt.  Auch  für  die.se  Sage  i.st  ein 
spätgriechischer  Roman.stoff  als  tjuelle  auzunehmen.  Das  ergibt 
sich  aus  einem  albanischen  inodernen  Märchen,  das  ich  nach  der 
mittelalterlichen  Sage  kurz  aiiführen  werde,  und  das  uns  Zeugnis 
gibt  von  der  Verbreitung  und  der  Heimat  des  Stoffes. 

Die  Tochter  dee  Kaisers  von  Konstantinopel. 

[KI.  39  V],  Man  liest  in  ilen  Gescbicliten  der  Bönicr,  dass  ein  KOnig  in 
Sizilien  war,  der  die  Tochter  des  Kaisers  von  KonsUntinoiiel  zur  Gattin  hatte. 
Da  diese  in  grosser  Zucht  lebte,  beneidete  sie  der  Teufel  um  ihre  Keuschheit 
und  erweckte  Eifersucht  in  ihrem  Gemahl,  indem  er  ihm  böse  Träume  von  ihr 
eingab.  Uhu  schien  es  im  Traume,  dass  ein  Jude  mit  ihr  sündhaften  Umgang 
pflog.  .\ls  er  auf  Eingebung  des  Teufels  wiederholt  dieses  geträumt  hat,  ruft 
er  Traumdeuter  und  Ratgeber  zusammen  und  fragt,  w.as  er  tun  solle,  und  da 
seine  Ratgeber  Gesellen  des  Teufels  waren  und  die  Keuschheit  hassten,  rieten 
sie  ihm,  er  solle  seine  Gemahlin  mit  dem  Juden,  auf  deu  der  Verdacht  fiel,  ohne 
Steuer  und  Segel,  ohne  Speise  und  irgendwelche  Hilfe  auf  den  Fluten  des  Meeres 
aussetzen,  damit  sie  vou  den  Walfischen  gefresseu  würde  und  ihren  Eltern  ihr 
Untergang  verborgen  bliebe.  Der  Rat  wird  ausgefUhrt  und  die  Herrin  ohne 


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jede  Hilfe  mit  dem  Juden  nnf  einem  Schiffe  »iisgcsetzt.  Aber  sic  verzweifelt 
nicht  an  üott.  der  die  Konschhcit  liebt,  sondern  wühlt  ihn  zu  ihrem  Schutzhemi, 
die  gebenedeite  Jungfrau  zu  ihrer  Ernährerin  und  die  heilige  Katharina  zu  ihrer 
Fürsprecherin.  Das  Meer  geht  hoch,  die  Wellen  schlagen  empor,  aber  unter 
Gottes  Führung  und  dem  Schutz  der  heiligen  Jungfrau  lauden  sie  ohne  den  ge- 
ringsten Schaden  in  Venedig.  Doch  die  Bosheit  des  Juden  ist  das  Werkzeug 
des  Teufels ; er  vergisst  die  wunderbare  Kettung,  bindet  am  Ufer  die  Frau  und 
stellt  sie  wie  eine  Sklavin  zum  Verkauf  aus.  Ein  Kaufmann  aus  Toulouse  wird 
auf  ihre  Sebünheit  und  ihr  edles  Benehmen  aufmerksam  und  kauft  sie  für  fünf- 
zehn Florin ; darauf  führt  er  die  heilige  Frau , die  iu  ihrem  Schmerze  heftig 
weint,  nach  seiner  Herberge.  Der  Schlaf  flieht  ihre  Augen,  sie  weint  unaufhör- 
lich und  nimmt  keine  Speise  zu  sich ; demütig  empfiehlt  sie  sich  dem  Beschützer 
der  Unschuld  und  erfleht  Hilfe  von  der  Jungfrau  Katharina.  Und  als  sie  so  in 
ihrem  Schmerze  dahinicbt , erkundigt . sich  der  Kaufmann  nach  dem  Grunde. 
Und  da  er  erfährt,  dass  sie  von  vornehmer  Abkunft  ist,  ohne  jedoch  ihr  Ge- 
schlecht zu  ergründen,  verspricht  er  ihr,  in  der  Absicht,  ihren  Schmerz  zu 
mildern,  die  Erfüllung  einer  Bitte.  Da  spricht  sie:  „Drei  Dinge  erbitte  ich  von 
deiner  Liebe;  erstens,  dass  du  nicht  versuchst,  meine  Reinheit  zu  verletzen, 
dann,  dass  du  mich  nicht  in  Fraueukleidern  gehen  lässt,  sondern  in  Maunes- 
kleidung,  um  nicht  Anlass  zu  einem  Ärgernis  zu  geben,  drittens,  dass  du  mich 
nicht  bei  meinem  Namen  Katharina  rufst,  sondern  nur  als  deinen  (iefährten  be- 
zeichnest*. Das  gelobte  er  ihr  gern  unter  einem  Eide.  Sie  legt  nun  Mäuuer- 
kleiduug  au,  und  er  nennt  sie  nur  seinen  Gefährten.  Sie  besteigen  ein  mit 
Waren  beladenes  Schiff  und  fahren  nach  dem  Hafen  Marseille.  Dort  rüstete 
sich  gerade  der  Bischof  von  Lyon  zu  einer  Seefahrt.  Dem  Kaufmann  aber  geht 
das  Geld  zu  Ende,  und  so  fragt  er  seinen  Gefährten  um  Rat,  und  dieser  zieht 
den  Ehering  hervor  und  bietet  ihn  dem  Kaufmann  zur  Veräusserung  au;  dieser 
hat  von  seinem  Werte  keine  .Ahnung.  Doch  erfährt  er  bald,  dass  die  ganze 
Stadt  Marseille  ihn  nicht  genügend  bezahlen  könnte.  Viele  kommen  herbei ; 
sie  machen  grosse  Anleihen,  um  deu  Ring  zu  gewinnen.  Der  Kaufmann  aber 
kehrt  zu  seinem  Gefährten,  das  heisst  zu  der  Herrin  zurück,  die  im  Hafen  zur 
Bewachung  der  Waren  geblieben  war,  um  sie  um  ihren  Rat  zu  fragen.  Doch 
nirgends  kann  er  sie  finden ; und  als  er  sich  nach  ihr  erkundigt,  sagen  ihm  die 
umstehenden  Leute:  „Der  Erzbischof  von  Lyon  hat,  um  deu  günstigen  Wind 
auszuuützeu,  mit  alt  seinen  Leuten  sein  Schiff  bestiegen,  und  wir  alle  und  auch 
dein  Gefährte  waren  ihm  beim  Einschiffen  des  Proviants  behilflich,  da  wir  es 
gut  mit  ihm  meinen,  ünterdcs.sen  aber  schwellte  der  Wind  die  Segel,  während 
dein  Gefährte  noch  atif  dem  Jleere  war,  und  so  ist  er,  ohne  dass  er  es  wusste, 
mit  dem  Gesinde  des  Erzbischofs  von  Lyon  abgefahren“.  Bei  die.ser  Nachricht 
zerriss  der  Kaufmann  vor  Schmerz  seine  Kleider;  er  stürzt  zu  Boden,  lässt 
seine  Waren  im  Stich,  eilt  auf  das  Gebirge,  um  wenigstens  noch  die  Spuren  des 
Weges  seines  Gefährten  zu  entdecken.  Und  da  das  Schiff  noch  nicht  weit  weg 
war,  erkannte  er  ihn  noch,  aber  vor  Weinen  kann  er  nicht  rufen,  und  so  hehl 
er  die  Hand  empor  und  zeigt  ihm  den  Ring.  Da  kommt  plötzlich  ein  Rabe, 
entreisst  ihm  den  Ring  und  fliegt  mit  ihm  fort.  Von  dem  doppelten  Verlust 
betroffen,  bricht  der  Kaufmauu  zusammen.  Seinen  Gefährten  aber  leitete  die 
Gnade  Gottes  so,  dass  er  in  das  Hausgesinde  des  Erzbischofs  aufgenommen  und 


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von  ihm  wie  ein  Sohn  gclmllen  wnnle,  und  durch  göttliche  Fügung  blieb  cs 
verborgen,  dass  es  ein  Weib  war,  sondern  alle  hielten  sie  für  einen  Hagen. 
Der  Kaufinann  kommt  nach  Marseille  zurück,  verkauft  alle  seine  Waren  und 
besteigt  ein  Schiff,  um  dem  so  innig  geliebten  (iefährten  zu  folgen.  Aber  seine 
Keise  war  traurig;  denn  wShrend  er  nachfuhr,  war  der  Erzbischof  mit  seinem 
(.iefährten  auf  einen  anderen  Weg  wieder  heinigekehrt  Bei  seiner  Ankunft  er- 
fährt er  die  Abreise  des  Bischofs.  Xuii  verzweifelt  er  an  der  .iuflindung  seines 
Gefährten.  Sein  Vermögen  ist  verbraucht;  Krankheit  und  Leiden  verfolgen  ihn. 
Und  da  gerade  ein  Schiff  zur  Abfahrt  bereit  ist,  besteigt  er  es  und  bleibt  fünf 
Jahre  lang  auf  dem  Meere. 

Der  Erzbischof  aber  kam  nach  Konstantinopel  und  wurde  dort  vom  Kaiser, 
also  Vom  Vater  der  Frau,  die  ihm  so  gewandt  als  Page  Dienste  tat,  eingcladen. 
Der  Kaiser  bittet  sich  vom  Erzbischof  diesen  Pagen  aus.  Dem  ist  das  recht 
gegen  seinen  Willen,  und  lange  widersetzt  er  sich  dem  Wunsche  des  Herrschers. 
Doch  schliesslich  lässt  man  dem  Pagen  selbst  die  Entscheidung,  und  dieser 
wählt  des  Kaisers  Dienst.  Der  Erzbischof  kehrt  heim.  Der  Page  aber  gewinnt 
die  Gunst  des  Kaisers  in  dem  Masse,  dass  er  von  ihm  als  Nachfolger  erwählt 
und  bestimmt  wird.  Doch  der  Page  will  davon  nichts  wissen  und  bittet  einzig 
um  ein  Schloss,  auf  dem  er  leben  könnte.  Da  beruft  der  Kaiser  die  Fürsten 
und  die  Geistlichkeit  zu  einer  Beratung  zusammen;  er  offenbart  ihnen  seinen 
Plan,  und  alle  sind  mit  Freuden  einverstanden,  da  ihnen  die  hohen  Fähigkeiten 
des  Pagen  bekannt  sind.  Dieser  nimmt  nun  von  allen  den  Treueid  entgegen 
und  entdeckt  dem  Vater  und  den  Anwesenden,  nachdem  er  sich  ihrer  Ver- 
schwiegenheit versichert  hat,  dass  er  des  Kaisers  Tochter  sei.  Er  verbietet 
ihnen  bei  Todesstrafe  das  Geheimnis  zu  verraten,  dass  er  ein  Weib  sei,  solange 
er  ihnen  nicht  dazu  die  Erlaubnis  gebe. 

Nach  einiger  Zeit  stirbt  der  Kaiser,  und  wie  ein  Manu  wird  seine  Tochter 
auf  den  Kaiserthron  erhoben,  ,Sie  spendet  reiche  .\lmosen  [Bl  41  r]  und  lässt 
zu  Ehren  der  heiligen  Jungfrau  und  der  heiligen  Katharina  und  für  das  Seelen- 
heil des  treuen  Gefährten,  den  sie  tut  glaubt,  ein  Hospital  von  seltener  Grösse 
erbauen.  Jeden  Abend  aber  kam  ein  Herold  und  rief : .Dieses  Hospital  er- 
richtete der  Kaiser  zu  Ehren  der  heiligen  Jungfrau  und  der  heiligen  Katharina 
und  für  das  Seelenheil  seines  guten  Gefährten“.  Endlich  kommt  jener  gute 
Kaufmann  von  Toulouse,  der  all  sein  Vermögen  geopfert  hatte,  nur  um  seinen 
Gefährten  wiederzufinden,  übers  Meer  zurück,  und  Almosen  bettelnd  gelangt  er 
nach  Konstantinopel,  wo  er  viele  Tage  und  Nächte  in  jenem  Hospitale  bleibt. 
Eines  Tages  wird  er  auf  die  Worte  des  Heroldes  aufmerksam,  sein  Mut  belebt 
sich  von  neuem,  und  sein  ganzes  Trachten  ist  darauf  gerichtet,  das  Antlitz 
des  Kaisers  zn  sehen.  Zwar  gelang  ihm  das  nicht  sofort,  doch  endlich  glückte 
es  ihm,  und  aus  dem  Antlitz  und  ans  der  Art,  wie  der  Kaiser  in  die  Dienste 
des  verstorbenen  Herrschers  getreten  war,  erkannte  er,  dass  es  jene  Frau  war, 
die  er  einst  gekauft  hatte.  Und  er  ging  an  die  Ritter  und  Diener  heran  und 
versprach  ihnen  für  den  Fall,  dass  sie  ihm  eine  Audienz  beim  Kaiser  vermitteln 
wollten,  einen  Ring,  dessen  Wert  so  gross  wäre,  dass  ihn  niemand  hoch  genug 
einschätzen  könnte.  Diese  aber  verachteten  ihn  wegen  seiner  schlechten  Kleidung 
und  wiesen  ihn  aus  dem  Hanse.  .4bcr  er  stellt  es  doch  so  geschickt  an,  dass 
er  eine  Unterredung  mit  dem  Kaiser  erreicht.  Dieser  kommt  alsbald  in  dank- 


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barer  Eriuiieriing  au  die  Ciiite  seines  Uefiilirten  auf  iliu  zu  uml  uuiarmt  ihn, 
iinil  beide  vergiesseii  TrSiien.  Er  erliält  königlicbe  (iewSnder,  wird  gespeist 
und  gepflegt  und  gebadet.  Unterdessen  werden  die  Fürsten  und  Grafen  zu- 
saimuenberiifeu  zu  einem  grossen  Feste,  das  angesagt  und  vorbereitet  wird. 
Und  als  alle  beisammen  sind,  wird  der  Kaufmanu  in  Gegenwart  des  ganzen 
Volkes  zum  Bitter  geschlagen  und  darauf  zum  Kiinige  erbeben.  Dann  aber  er- 
zählt der  Kaiser  unter  Zustimmung  der  Fürsten,  die  bereits  wussten,  da.ss  sie 
nicht  ein  Mann,  sondern  des  verstorbenen  Kaisers  Tochter  war,  kurz  entschlosseu 
die  Geschichte  ihres  Unglücks  und  der  Treue  ihres  Gefährten.  Und  uni  ihn 
auszuzeichnen  und  als  Entgelt  für  seine  Mübsalc  bietet  sie  ihm  die  Herrschaft 
an  und  nimmt  ihn  zum  Gemahl.  Und  so  war  sie  Kaiserin,  der  Tolosaner  aber 
wurde  Kaiser. 

Die  einzige  mir  bekannte  Parallele  zu  dieser  mit  dei- 
Cresccntiasiige  verwandten  KrzUhlung  ist  das  albane.siselie 
Märchen  von  dem  „Mädchen  im  Kasten“,  das  G.  .Meyer  in 
seinen  Albanesischen  Märchen  (Sehnorrs  Archiv  für  Literatnr- 
ge.schichte  12,  127)  mitgeteilt  hat.  Darin  heiratet  die  Tochter  des 
Königs  von  Agyi»ten  heimlich  einen  bürgerlichen  Jüngling  mit 
Namen  Konstantin.  Von  einem  Juden,  den  sie  nicht  erhört,  bei 
ihrem  Gatten  verleumdet,  wird  sie  von  diesem  in  einen  Flu.ss  ge- 
worfen, aber  von  Fischern  gerettet  und  einem  Türken  für  fünf- 
zehntausend Piaster  verkanft.  Sie  entflieht  ihm  und  kommt  als 
Mann  verkleidet  in  dem  Augenblicke  nach  Ägypten,  wo  ihr  Vater, 
der  König,  gestorben  ist,  und  wird  unerkannt  zum  König  gewählt. 
•An  allen  Quellen  lä.sst  sie  nun  ihr  Bild  aufliängen,  und  jeder,  der 
bei  de.ssen  Anblick  seufzt,  wird  in  den  I’alast  gebracht;  der  Jude, 
die  Fischer,  der  Türke  und  endlich  auch  Konstantin.  Sie  gibt 
sich  zu  erkennen,  verzeiht  dem  Juden,  belohnt  die  Fischer,  ent- 
•schädigt  den  Türken  und  erhebt  Konstantin  zum  Könige. 

Zu  einzelnen  Motiven  die.ses  Märchens  hat  Reinhold  Köhler 
Nachweisungen  gegeben,  die  jetzt  am  zugänglichsten  sind  in  Joh. 
Boltes  Ausgabe  der  „Kleineren  Schriften“  Köhlers  Bd.  1 391 — 3'J3. 

2, 

Als  weitere  l’rohen  sidlen  nun  nach  der  Brc.slauer  Hamlschrift 
die  beiden  Märchen  vom  „Wasser  des  ].,ebens“  und  von  den  -Drei 
Brüdern“  übersetzt  werden.  Ihr  lateinischer  Text  ist  bereits  von 
J.  J.  C'rane  ans  dem  Flmer  Drucke  vom  Jahre  1480  in  der  Ger- 
mania 30,  203  (188'))  mitgeteilt  worden.  Doch  ist  auch  in  die.sen 
beiden  Stücken  der  Text  der  Drucke  fehlerhaft;  au.sserdem  hat 
('rane  die  beide  .Märchen  auszeichnendc  eigenartige  Moralisation 


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11 


wofTRelassun.  Das  Märdicn  vom  ^Wasser  dos  Lobons'  woiclit  so- 
wohl von  der  Grimmsohon  Fassung;  (Kinder-  und  Hansniärehen 
Nr.  97  und  Bd.  III  177)  wie  auch  von  allen  anderen  bekannten 
Passungen,  wie  sic  August  Wünsche  in  M.  Kochs  Zs.  f.  vgl. 
Literaturgeschichte  13,  1G6— 180  hehandelt  hat,  wesentlich  ab. 
Die  Literatur  zu  diesem  Märchen  findet  sich  bei  K.  Köhler, 
Kleinere  Schriften  l 502. 

Das  Wasser  des  Lebens. 

[Bl.  !23v]  Ein  König  lag  einst  an  einer  nnlieilöareu  Krankheit  danieilcr. 
Er  hatte  von  den  Ärzten  erfahren,  dass  er  nur  geheilt  werden  könne,  wenn  er 
Wasser  aus  dein  Quell  des  Lebens  bekäme,  das  ein  Heihuittel  gegen  jedes 
Siechtum  w8re.  Daher  rief  er  seine  drei  Söhne  vor  sich  und  bat  sie  in.stäiidig, 
sie  möchten  die  Länder  durcheilen  und  die  Wässer  versuchen,  und  dem,  der  ihm 
das  Wasser  der  Jugend  brachte,  versprach  er  sein  Reich.  Da  versahen  sich  die 
Sühne  mit  Geld,  und  sie  verteilten  die  ganze  Erde  so  unter  sich,  dass  der 
ältc.ste  an  den  Ufern,  der  mittlere  Uber  die  Ebenen,  der  jUngste  aber  Uber  die 
Berge  gehen  sollte.  Schliesslich  kam  der  jüngste,  nachdem  er  die  ilichtesten 
Wälder  durchwandert  hatte,  zu  einem  Greise,  der  ihn  darüber  belehrte,  wo  der 
Quell  der  Jngeml  war.  Doch  wies  er  ihn  auch  auf  die  ver.schiedeuen  Gefahren 
hin,  die  er  zu  bestehen  hätte.  Und  wenn  er  diese  nicht  bestände,  dann  wäre 
cs  besser  für  ihn,  zurückziikehrcu  als  dorthin  zu  gehen.  Die  erste  Gefahr  aber 
war  die  Begegnung  mit  einer  Schlange,  die  er  töten  mmsste.  Die  zweite  Gefahr 
war  die  Schönheit  von  Jungfrauen,  die  er  nicht  anblicken  durfte;  die  dritte  war 
die  Begegnung  mit  Rittern  und  Baronen,  die  ihm  Wafl'eu  aller  Art  aubielen 
würden,  die  er  aber  nicht  anuchmeu  durfte;  die  vierte  endlich  war  die  Eröffnung 
des  Palastes,  in  dem  die  Jungfrau  mit  dem  Schlüssel  zum  Jungbrunnen  sass; 
denn  am  Tore  waren  Glocken,  die  sogleich  läuteten,  wenn  mau  daran  rührte, 
und  so  Ritter  herbeiriefen,  die  den  Eindringling  töteten.  Gegen  diese  Gefahr 
aber  gab  der  Eremit  dem  Jünglinge  einen  Schwamm  mit,  den  er  in  die  Glucken 
stopfen  sollte,  damit  sie  keinen  Ton  von  sich  gäben.  Nun  ging  der  Jüngling 
dorthin,  und  als  ihn  die  Schlange  anfiel,  tötete  er  sic  unerschrocken  mit  seiner 
Lanze.  Darauf  kommt  er  auf  eine  Wiese,  auf  der  ihm  wunderschöne  Krauen 
entgcgeneilen ; doch  er  verhüllt  sein  Gesicht  und  geht,  ohne  ein  Wort  zu 
sprechen,  von  dannen.  Als  er  zu  einem  prächtigen  Schlosse  kommt,  treten  ihm 
Kitter  und  Barone  entgegen  und  bieten  ihm  Waffen  jeglicher  .\rt  als  Geschenk 
an  und  herrliche  Pferde;  aber  er  verschmäht  das  alles  und  kommt  zu  dem 
Palaste,  verstopft  die  Glocken  mit  dem  Schwamm  und  tritt  ein.  Da  erblickte 
er  eine  überaus  schöne  Frau,  die  er  demütig  bat,  sie  möchte  ihm  von  dem 
Jungbrunnen  geben.  Da  sprach  sie:  ,JIir  ist  von  meinem  Vater  gesagt  worden, 
ich  solle  jenes  Kitters  Weib  werden,  der  alle  ihm  entgegentretenden  Hindernisse 
siegreich  bewältigen  und  unverletzt  zu  mir  kommen  würde.  Und  da  du  dieser 
bist,  wirst  du  nicht  allein  vom  Jungbrunnen  haben,  sondern  ich  selbst  werde 
deine  Gemahlin  werden“.  Und  er  kehrte  mit  dem  Wasser  zu  seinem  Vater  auf 
einem  anderen  Wege  zurück,  erhielt  das  Reich  uml  nahm  die  Jungfrau  zu 
seiner  Gemahlin. 


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12 


Has  ist  geistlich  gesprochen:  Diese  drei  Söhne  des  Menschengeschlechts  — 
das  ist  nSmlich  der  kranke  Vater  — sind  die  drei  Klassen  von  Menschen.  Die 
eine  Klasse  sucht  (JenUsse,  und  diese  geht  an  den  Ufern;  die  andere  sucht 
ReichtUmer,  und  diese  geht  durch  die  Ebenen,  die  dritte  aber  gebt  durch  Hnss- 
Ubungen,  und  diese  gebt  über  die  Berge.  Ihr  begegnen  vier  Hindernisse:  die 
Rachsucht,  das  ist  die  Schlange,  die  Fleischeslust,  das  sind  die  Weiber,  die  Sucht 
nach  irdischem  Besitz  und  die  Furcht  vor  der  Armut,  das  sind  die  Ritter,  und 
die  Sucht  nach  Ehre,  das  sind  die  Glocken.  Das  erste  Hindernis  besiegt  der 
Mensch  mit  der  Lanze  des  reinen  Mitleids  mit  den  tichmerzen  Christi,  das  zweite 
durch  die  Flucht  vor  der  Oelegenheit,  das  dritte  durch  die  Hoffnung  auf  Ver- 
geltung und  das  vierte  durch  den  bittereu  Schwamm  der  Selbsterniedrigung. 
So  geht  er  endlich  ein  in  den  Palast  der  Gnade  und  findet  dort  die  Liebe,  die 
Gottes  Tochter  ist,  und  erlangt  nicht  allein  das  Wasser  der  Vergebung  der 
Sünden,  sondern  auch  die  Liebe  Gottes  selbst. 

3. 

ln  dfr  Form  .stellt  sich  neben  (lie.sei>  Märchen  vom  Wa.sser 
des  Lebens  hinsichtlich  der  daran  geknüpften  für  die  Verwendung 
in  der  Predigt  bestimmten  Moralisation  das  hier  ange.schlossene, 
ebenfalls  der  Scala  caeli  entnommene  Märchen  von  den  tlrei 
Brüdern,  des.sen  moderne  Fassung  in  den  Grimmschen  Märchen 
unter  Nr.  124  stellt;  ältere  verwandte  Fassungen  sind  ebenda 
Hd.  111  221  zusammengestellt.  Der  in  der  Scala  caeli  voran- 
ge.stellte  Teil  von  dem  Testamente  des  Weibes,  das  .seinen  drei 
Söhnen  einen  Birnbaum  hinterlässt,  tindet  in  den  Ge.sta  Romanorum 
zwei  Parallelen.  Hier  vererbt  Ezechias  ((Isterley  Nr.  196  = Dick 
c.  146)  seinem  ältesten  Soline  alles  das  an  dem  Baume,  was  unter 
der  Erde  ist,  dem  zweiten  alles,  was  oben  i.st,  dem  jüngsten  aber 
alles,  was  trocken  und  feucht  daran  ist.  Und  in  einer  anderen 
Erzählung  hinterlä.sst  Valerius  (Osterley  Nr.  262  = Dick  c.  64) 
den  drei  Söhnen  einen  einzigen  Baum,  der  alles  heilen  kann,  nur 
nicht  den  .\us.satz.  An  die  .sonderbare  Teilung  erinnert  ja  auch 
die  Teilung  der  Erde,  die  die  drei  Königssöhne  in  dem  Märchen 
vom  Wa.s.ser  des  Lebens  vornelimen.  Wir  sehen,  da.ss  das  Motk- 
des  Baumerbes,  das  abweichend  von  den  heutigen  Fassungen  des 
Märchens  von  den  drei  Brüdern  in  unserer  mittelalterlichen  Version 
organi.sch  mit  der  Gescliicklkhkeitsiirobe  verbunden  ist,  nicht  un- 
bedingt zu  dem  ursprünglichen  Bestände  gehört  zu  liaben  braucht. 

Oie  drei  Brüder. 

[Bl.  123V ] Man  liest,  das.s  einst  ein  Weib  lebte,  das  drei  Söhne  batte, 
zwei  uneheliche  und  einen  von  ihrem  Gatten.  Da  ihre  Mitgift  nur  in  einem 
ßirnhaniiie  bc.itand,  und  sie  nicht  wollte,  dass  ihr  Gatte  die  unehelichen  Söhne 


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13 


vün  dem  ihrer  Ehe  entsprossenen  unterscheiden  könne,  teilte  sic  den  Rirnhanm 
in  ihrem  Testamente  so,  dass  sie  dem  ditesten  Sohne  das  Grade  und  Knimme 
an  dem  Räume,  dem  mittleren  das  (irilne  und  Trockene  daran,  dem  jüngsten 
aber  alles  das  hinterliess,  was  in  und  Uber  der  Erde  von  dem  Raume  war.  Als 
die  Mutter  gestorben  war,  wollte  jeder  den  ganzen  Raum  haben,  und  so  gingen 
sie  vor  den  Richter.  Der  aber  sprach:  Der  Raum  solle  dem  gehören,  der  sich 
der  grössten  Rehendigkeit  rühmen  könnte.  Da  behauptete  der  Alteste  von  sich: 
,Wenn  ein  Hase  vorUbergelaufen  kommt,  und  ich  jage  ihm  nach,  dann  zieh  ich 
ihm  das  Fell  ab,  ohne  dass  sein  Lauf  oder  der  meine  irgendwie  dabei  gehemmt 
wird*.  Der  zweite  sprach:  .Ein  Pferd  mag  noch  so  schnell  daherrennen,  ich 
nehme  ihm  die  Hufei.sen  ab  und  bring  den  Reiter  herunter,  ohne  dass  sein  Lauf 
verzögert  wird*.  Der  dritte  aber  sagte:  ,Ich  steige  auf  die  höchsten  Gerge, 
in  deren  Mitte  alle  Winde  wehen , und  öffene  ein  Federkissen.  Mag  dann  der 
Wind  noch  so  stark  weben,  und  mögen  die  Federn  noch  so  fein  und  das  Kissen 
ganz  offen  sein,  ich  bin  doch  so  behende,  dass  ich  alle  Federn  darin  zurUckhalte 
nnd  auch  nicht  eine  einzige  berauskommt*. 

Diese  Mutter  ist  das  Leben,  der  Rirnbaum  der  Mensch,  die  drei  Söhne  die 
Welt.  Der  erste  Sohn  ist  der  Wille  ohne  Vernunft,  der  jeder  Tugend  bar  ist; 
der  zweite  Sohn  ist  der  Tod,  das  Pferd  der  Leib,  der  Reiter  die  Seele;  die  vier 
Hufeisen  sind  Schönheit,  Reichtum,  Tapferkeit  und  vornehme  Abkunft;  der  dritte 
Sohn  ist  der  Teufel.  Die  zwei  Rerge  sind  die  beiden  Testamente,  der  Wind 
die  Gaben  des  Heiligen  Geistes.  Das  Kissen  voll  Federn  ist  das  Gewissen  voll 
Sünden.  Und  dem  Teufel  wird  der  Rirnbaum  gegeben,  ilas  heisst,  der  Mensch 
im  Gerichte  Gattes. 

II.  Handschrift  I.  F.  11.5  der  K^l.  ii.  Uiiiv.-Bibl.  zu  Breslau. 

Zu  den  älteren  Handschriften,  die  aus  dem  Breslauer  Domini- 
kanerkloster an  die  Kffl.  und  Universitätsbil)liothek  gekommen 
sind,  gehört  Cod.  ms.  I.  F.  115,  eine  Papierhandschrift,  die  in 
ihrem  zweiten  Teile  eine  sjtäter  dazugehundene  Exemjtelsammlung 
enthält.  Diese  Sammlung  ist,  wie  die  Schrift  und  die  cingestreuten 
deutschen  Glos.sen  beweisen,  um  die  Mitte  des  14.  Jhs.,  und  zwar 
in  Ostmitteldeutschland,  vielleicht  in  Schlesien  seihst  geschrieben. 
Für  die  Sagen-  und  Märchenforschung  ist  sie  nicht  allein  wegen 
ihres  verhältnismässig  hohen  Altei-s  von  Bedeutung;  sie  enthält 
nämlich  gerade  die  beliebtesten  Stoffe  des  Mittelalters  in  einer 
solchen  Zahl,  dass  man  sie  mit  den  Oesta  Bomanorum  vergleichen 
kann.  Und  da  sie  ein  gleiches  Alter  aufweist  wie  die  ältesten 
Gesta-Handschriften  und  mit  ihnen  eine  ganze  Reihe  von  Stoffen 
geinein.sam  hat,  ist  sie  von  hoher  Wichtigkeit  für  die  Beurteilung 
der  uns  durch  die  Gesta  überlieferten  Fassungen,  l.hisere  Hand- 
schrift .steht  ihnen  durchaus  .selbständig  gegenüber;  die  Morali- 
sationen  fehlen  ganz  in  ihr.  Die  folgenden  Proben  werden  den 


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14 


lli'wois  iTlirinfrcii,  dass  die  Fassungen  unserer  Handschrift  ältere 
(Jestaltungen  des  Stoffes  darstellen  als  die  entsprechenden  der 
(Jesta  Koinanornm.  Angahen  iiher  benutzte  (Quellen  finden  sich 
nur  gelegentlich;  und  auch  da  ist  es  dem  Verfasser  nur  darum 
zu  tun  gewesen,  seine  Erzählung  durch  ein  typisches,  durchaus 
formelhaftes:  Legitur  in  , . einznleiten.  Oh  die  (Quellenangabe 
auch  zutreflend  ist,  das  blieb  ihm  gleich.  Wenn  wir  mit  solchen 
unzutreffenden  (Quellenangaben  nicht  den  Brauch  vieler  mittel- 
alterlicher Dichter  vergleichen  wollen,  für  die  Dichtung  irgend- 
eine, oft  frei  erfundene  Grundlage  anzugeben,  so  l)leibt  nur  die 
andere  Annahme,  die  auch  durch  die  freie  Textge.staltung  einzelner 
Stücke  gestützt  wird,  dass  der  Verfasser  des  öfteren  aus  dem 
Gedächtnis  seine  Erzählungen  iiiedergeschrieben  hat  und  die 
falsche  (Quellenangabe  dann  auf  einem  Irrtum  l)eruht.  Von  be- 
kannten Werken  erwähnt  er  gelegentlich  die  Historia  ecclesi- 
astica,  die  Vitas  iiatrum,  Gregors  Dialoge,  weiter  aber  auch 
die  Epistula  Alexandri,  eine  Cronica  Itoinaiiorum,  einen 
Liber  de  illustribus,  jedenfalls  ein  Werk  über  berühmte  Mit- 
glieder seines  Ordens,  eine  Cronica  Anglorum,  womit  Bedas 
Kirchengeschichte  gemeint  ist,  und  eine  Historia  oder  (Vonica 
tripartita,  unter  der  man  im  .Mittelalter  nur  das  Werk  des 
Cassiodor  verstehen  kann.  Aus  dem  reichen  Inhalt,  von  dem 
ich  hier  nur  einige  ausführliche  Stücke  geben  kann,  sollen 
wenigstens  einige  Stoffe  andeutungsweise  behandelt  werden. 
Bl.  1(52'^*';  Ein  Graf  ermordet  einen  anderen,  um  dessen  Weib 
heiraten  zu  können;  während  zwei  Xachtwaehen  am  Grabe  des 
Ennordeten  wird  er  durch  eine  um  Hache  schreiende  Stimme  aus 
dem  Grabe  und  eine  Antwort  vom  Himmel  auf  seinen  Untergang 
nach  dreissig  Jahren  hingewiesen;  nach  dieser  Zeit  vernichtet 
vom  Himmel  fallendes  Feuer  ihn  und  die  Gräfin.  Die  Erzählung 
wcichf  in  der  Ausführung  stark  ab  von  der  verwandten  der  (Jesta 
Romanornm  (österley  Nr.  277).  — Bl.  163'''':  Amor  niundi  zeigt 
einem  Kleriker  den  wurmzerfres.senen  Kücken;  Gesta  Romanorum 
(Österley)  Nr.  202;  Parallelen  ebendort  in  den  Nachweisungen  zu 
dieser  Nummer;  — Bl.  104'®:  Bischof  von  Mainz  vor  dem  An- 
gesichte Gottes;  Vision.  — Bl.  173'®:  Ritter  büsst  durch 

Schweigen;  ähnlich  im  Promptuarius  Discipuli  des  Job.  Herolt 
unter  P.  ex.  11(5.  — Bl.  ITO*^®:  Ein  Bi.schof  von  Köln  rettet  die 
acht  Kinder,  die  eine  Bürgersfrau  ertränken  las.seii  will,  weil  sie 


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15 


sich  ilirer  prosseii  Zahl  sohäint,  iiiid  führt  sie  dem  Vater  nacli 
zehn  Jahren  wieder  zn;  ähnlicli  iin  l’roniptnariiis  Discipnli  de 
^I.  ex.  10.  — Bl.  102'":  Engel  und  Eremit;  kürzer  als  in  den 
(iesta  Homanorum  (("»sterley  Xr.  80  = Dick  c.  220)  und  mit  Ab- 
weichungen und  Umstellung  der  Ereignisse;  vgl.  dazu  A.  E.  iSchön- 
bach  in  den  Wiener  Sitzungsberichten,  ]diil.-hist.  Klasse  14J  (1001) 
Xr.  12.  — Bl.  104'“:  Teufelsbescliwörnng  in  Meydeburg  civitate 
Saxonia-,  um  Geld  zu  bekommen.  — Bl.  100^'':  Greis  verkauft 
Weisheiten;  iihnlich  Gesta  Homanorum  (Gstcrley.  Xr.  103  = Dick 
c.  162);  Parallelen  dazu  in  üsterleys  Xuchweisungen.  — Bl.  100'": 
Die  Ge.schichte  des  frommen  Fridolin,  abweichend  von  den  Gesta 
Homanorum  (Osterley  Xr.  283).  — Bl.  108'":  Sage  von  Amicus 
und  Amelius.  — Bl.  200'“:  Behandlung  des  Siegers  bei  den 
Hörnern,  wie  in  den  Gesta  Homanorum  (Osterley  Xr.  30  = Dick 
c.  65).  — .Mitten  unter  diesen  Erzählungen  steht  auch  eine 
Sammlung  von  Jlarienmirakeln,  die  ebenfalls  wichtige  Stucke 
enthält.  Es  sollen  nun  nach  diesen  kurzen  Hinweisen  als  Proben 
für  die  Gestaltung  der  Texte  einige  (‘bersetzungen  folgen.  Die 
Handschrift  enthält  das  Märchen  von  dem  Könige  im  Bade. 
Ein  Vergleich  mit  dem  Jovinianus  der  Gesta  Homanorum 
(Osterley  Xr.  59  - Dick  c.  148)  lässt  unsere  Fa.ssung  deutlich  als 
die  ältere  und  ursprünglichere  erscheinen,  l'ber  die  Verbreitung 
des  Stoffes  handeln  Osterleys  Xachweisungen  in  der  .\usgabe  der 
Gesta  Homanorum  und  die  Aufsätze  Heinhold  Köhlers  (mit  Joh. 
Boltes  wertvollen  Ergänzungen)  in  den  Kleineren  Schriften  Bd.  II 
207  ff.,  250,  584  f.  Der  so  weit  verbreitete  Stoff'  ist  auch,  aller- 
dings aus  einer  ganz  anderen  als  der  hier  mitgeteilten  Quelle  in 
Schlesien  von  Mühlstrom  dramatisiert  und  unter  dem  Titel: 
Superbia  humiliata  im  Jahre  1770  in  Le(d)schütz  als  Schul- 
koniödie  aufgeführt  worden;  das  Manuskript  befindet  sich  mit  der 
Signatur  IV.  F.  68i.  auf  der  Kgl.  ii.  Univ.-Bibl.  zu  Bre.slau. 

1. 

Oer  König  im  Bade. 

(Bl.  170v*>]  Man  liest,  das.s  einst  in  Hibernia  ein  König  lebte,  der  jenen 
Vers  iin  Lobgesange  der  heiligen  .Inngfrau  tilgte:  , Die  Maclitigen  hat  er  von 
ihren  Sitzen  gestürzt“,  indem  er  sich  stolzen  Oeistes  dagegen  auflelmte  nnd 
sprach,  er  sei  so  geschützt,  so  von  Bcleatignngen  und  Bittern  umgeben  und 
verteidigt,  dass  ihn  (lott  niclit  von  seinem  Throne  stürzen  könne.  Und  mit 
solcher  gotteslilsterlicber  und  hochfahremler  Gesinnung  verband  sich  bei  ihm 


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16 


noch  Unlanterkeit  des  Herzens,  und  vor  seinem  Richtcrstnhl  fand  das  Recht 
keinen  Schutz.  Als  dieser  hoffartige  Kdni^;  nun  einmal  im  Bade  sass,  trat  ein 
JUnglinit  heran,  erhob  seine  Hand  gegen  des  Königs  Angesicht  and  wandelte 
es  so,  dass  er  fortan  iiiclit  mehr  wie  der  König  anssah,  sondern  ein  anderer 
Mensch  zu  sein  schien.  Und  als  der  JUngiing  daronging,  hielt  ihn  das  Gefolge 
fUr  den  König  und  leistete  ihm  Dienst.  Der  wirkliche  König  aber  blieb  noch 
lÄnger  im  Bade,  aber  niemand  Imdiente  ihn.  Da  erhob  er  sich  und  verlangte 
seine  Kleider.  Der  Badediener  jedoch  sprach  zu  ihm,  wenn  er  Kleider  habe,  so 
solle  er  sie  selbst  nehmen.  [171  r»J  Da  er  aber  weder  seine  Kleider  noch  das 
Gefolge  erblickte,  begann  er  Uber  die  verächtliche  Behandlung,  die  er  erfuhr, 
unwillig  zu  werden  und  sticss  Drohungen  aus.  Nun  hielten  ihn  alle,  die  im 
Bade  waren,  für  einen  Menschen,  der  den  Verstand  verloren  hat,  und  sie  be- 
warfen ihn  mit  Schmutz  und  gaben  ihm  Ohrfeigen  und  jagten  ihn  ans  dem 
Badehause  hinaus.  Da  lief  er  nun  nackt  durch  die  Strassen,  und  hinter  ihm 
liefen  die  Kinder  in  Scharen.  Schliesslich  reicht  ihm  ein  Bürger,  der  ihn  für 
närrisch  hält,  ein  armseliges  Gewand.  Unwillig  nimmt  er  es  an  und  begibt 
sich  zum  Königspalaste.  Dort  fragt  er  den  Torwächter,  warum  ihn  die  Diener- 
schaft so  unwürdig  behandele.  Der  aber  fragt  ihn,  wer  er  eigentlich  sei,  und 
als  er  entrüstet  antwortet,  er  sei  der  König,  glaubt  auch  der  Torwächter,  dass 
er  ein  Narr  ist,  und  lässt  ihn  ein  vor  das  Hofgesinde,  und  alle  halten  ihn  für 
einen  närrischen  Gesellen  und  treiben  ihren  Spott  mit  ihm.  Und  so  verbrachte 
er  in  seinem  elenden  Zustande  sieben  Jahre.  Kudlich  ging  er  in  sich  und  sprach 
zu  sich:  ,Der  Herr  ist  ein  gerechter  Richter.  Er  stürzt  die  Mächtigen  von 
ihrem  Sitze.  Wegen  meiner  Hoffart  hat  mich  der  Herr  gederaUtigt*.  Und  in 
seinem  grossen  Schmerze  vermochte  er  den  Spott  der  Menschen  nicht  mehr  zu 
ertragen,  und  er  ging  in  einen  Wald,  um  dort  den  Hungertod  zu  sterben. 
Jener  Jüngling  aber,  den  alle  für  den  König  hielten,  ritt  einst  auf  die  Jagd; 
und  bei  dieser  Gelegenheit  kam  er  anch  in  den  Wald,  und  dort  traf  er  den 
König.  Und  er  fragte  ihn,  wer  er  wäre,  und  was  er  so  allein  in  dem  Walde 
wolle.  Und  jener  sprach:  „Herr,  ich  bin  der  unglückliche  König,  der  durch 
Gottes  Hand  vom  Throne  gestürzt  worden  ist.  Du  aber  bist  erhöht  worden“. 
Da  erwiderte  ihm  der  Jüngling:  „Weisst  du  nicht,  dass  der,  welcher  sich  selbst 
erhöbt,  erniedrigt  wird?  Du  aber  hast  die  dir  von  Gott  verliehene  Macht  dazn 
gcmisshraiicht,  dich  in  Hoffart  gegen  ihn  zu  erheben.  Deshalb  hat  dir  Gott 
diese  Strafe  bestimmt.  Aber  da  du  jetzt  Schmerz  empfindest  über  dein  Unrecht, 
[171  rb]  so  nimm  hier  das  Pferd  und  meine  Kleider,  und  du  sollst  deine  Herr- 
schaft wiedererlangeu,  weil  du  dich  demütigst.  Wisse,  ich  bin  der  Engel,  der 
dir  zmii  Schutz  gegeben  worden  ist.  Und  ich  bin  gesandt,  dir  zu  zeigen,  dass 
jeder,  der  sich  selbst  erhöht,  erniedrigt  wird,  wer  sich  aber  erniedrigt,  der  wird 
erhöht  werden“. 

2. 

Ein  Gegenstück  zu  tlem  .Joviniaiiusinärdien  ist  die  oft  iin 
•Mittelalter  beliandelte  Legende  von  dem  Königssoline  im 
Paradiese.  Die  Literatur  zu  dieser  Legende  findet  sich  in 
Reinli.  Köhlers  Kl.  Sehr.  II  224  ft.  Unsere  lland.sclirift  enthält 


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17 


eine  in  manrhen  Züfjen  von  den  bisher  bekannt  p;ewordenen  ab- 
weichende und  im  Scliluss  ganz  alleinstellende  Fassung  dieser  Er- 
zählung, die  in  ihrer  Fonn  zu  den  vollendetsten  Stücken  der 
Handsclirift  gehört  und  den  Märchencharakter  glücklich  wahrt. 
Hinsichtlich  ihres  Alters  ist  die  Legende  die  Zweitälteste  erhaltene 
Version. 

Der  KSnigseohn  Im  Paradiese. 

[Bl.  201'a]  Ein  christlicher  König  gab  seinem  einzigen  Sohne  eine  Ge- 
mahlin nml  wollte  die  Hochzeit  feierlich  begehen.  Noch  vor  der  Hochzeit  ging 
der  .TUiigling  vor  die  Burg,  um  sich  die  Zeit  zu  verkürzen.  Er  hätte  es  von 
Herzen  gern  gesehen,  wenn  ein  paar  Anne  an  dem  Feste  teilnehnien  würden. 
Ha  erblickt  er  von  ferne  einen  armen,  aber  ehrwürdigen  Greis,  der  sich  der 
Burg  naht.  Er  eilt  ihm  entgegen,  grü.sst  ihn  in  Ehrfurcht  und  fragt  ihn, 
wanini  er  komme  Und  der  Greis  erwidert,  er  wolle  sich  Almosen  erbitten. 
Da  nimmt  ihn  der  Jüngling  voll  Freude  mit  auf  die  Burg.  Dort  setzt  er  ihn 
sich  gegenüber  an  die  Hochzeitstafel.  Seine  .\ugen  können  sich  nicht  von  seinem 
.\nblicke  trennen.  Er  findet  an  der  so  ausnehmend  würdigen  Erscheinung  des 
Greises  ein  so  herzliches  Wohlgefallen,  dass  er  das  Mahl  und  die  Musik  vergisst 
und  den  Anblick  ilie.ses  Grcisenantlitzes,  das  ihm  immer  herrlicher  erscheint, 
allen  irdischen  Freuden  vorzieht.  Nach  dem  Mahle  dankte  der  Greis  und 
wollte  fortgehen.  Der  Jüngling  aber  forderte  ihn  auf,  dazubleibcn,  und 
hatte  nur  den  einen  Wunsch,  beständig  in  seiner  Umgebung  leben  zu  dürfen. 
Der  Greis  aber  leimt  die  Aufforderung  ab  und  spricht:  „Hier  bleiben  kann  ich 
nicht.  .Aber  wenn  du  mich  Wiedersehen  willst , werde  ich  morgen  um  diese 
.Stunde  ein  Eselein  schicken;  auf  dem  kannst  du  zu  mir  kommen.  [201  rb]  Dar- 
auf ging  der  Greis  zur  grossen  Betrübnis  des  Jünglings  hinweg.  Der  aber  denkt 
nicht  mehr  an  seine  Hochzeit,  und  ungeduldig  erwartet  er  den  nächsten  Tag. 
Und  gegen  die  erste  Stunde  kommt  wirklich  ein  Eselein,  ganz  allein  ohne  Reiter 
heran.  Er  besteigt  es,  und  in  kurzer  Zeit  ist  er  in  einer  Gegend,  wo  sanfte 
Lüfte  wehen,  die  prächtige  Haine  mit  schönen  Blumen  und  Bäumen  schmücken, 
und  in  der  entzückender  Vogelsang  erschallt.  Und  dort  gelangt  er  vor  eine 
Burg,  die  ganz  aus  Gold  und  Edelsteinen  erbaut  ist,  und  darin  sieht  er  eine 
grosse  Zahl  überaus  schöner  Menschen.  Er  reitet  hineiu  und  begegnet  einem 
(ireise,  der  ihn  nach  dem  Grunde  seines  Kommens  fragt,  worauf  er  dem  ehr- 
würdigen Greise  erwidert,  er  sei  von  einem  Annen,  der  als  Gast  an  seinem 
Hochzeitsmahle  teilgenommen  habe,  eingeladen  worden.  Bei  dieser  Antwort 
lächelt  jener  und  spricht:  „Dieser  Arme  ist  der  Schöpfer  aller  Welt  und  unser 
Gott‘.  Darauf  nimmt  er  ihn  an  der  Hand  und  führt  ihn  in  die  Burg 
seines  Herren.  Und  als  der  Jüngling  den  Herrn  anblickt,  da  erkennt  er 
ihn  alshald,  und  Seligkeit  erfüllt  sein  Herz.  Ganz  in  den  Anblick  seines  Ant- 
litzes versunken,  das  ihm  von  Augenblick  zu  Augenblick  immer  herrlicher  er- 
scheint, vergisst  er  das  prächtige  Mahl,  das  vor  ihm  auf  der  Tafel  steht,  uud 
nach  der  Mahlzeit  hat  er  nur  den  einen  Wunsch,  noch  bleiben  zu  dürfen.  Der 
Herr  aber  entgegnet  ihm:  „Das  darf  jetzt  noch  nicht  sein.  Kehre  nun  wieder 
heim,  und  dann  wirst  du  bald  zu  mir  znrückkominen.  ntn  für  immer  bei  mir  zu 

HittvUangeif  U.  schles.  Ups  I Vkile.  liofl  XX.  ^ 


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bleiben*.  Voll  Trauer  mid  Scbmerz  reitet  er  auf  dem  E^eleiu  nach  Hause;  noch 
vor  Mittag  ist  er,  wie  es  ihm  scheint,  wieder  daheim.  Poch  er  findet  die  Burg 
seines  Vaters  von  Grund  auf  zerstört,  und  an  ihrer  Stelle  erhebt  sich  jetzt  ein 
Kloster,  Er  tritt  dort  ein,  aber  niemand  kennt  ihn.  Als  er  eudlich  nach  seinem 
Vater  fragt,  da  ruft  der  Abt  die  Brüder  herbei,  und  man  durchblfittert  die 
Klusterurkuuden  und  findet,  dass  der  Jüngling  dreihundert  Jahre  fortgewesen 
ist.  Dann  geleitet  man  ihn  an  die  Grabstätten  seiner  Eltern.  Und  auf  seine 
Bitten  öffnen  die  Mönche  das  Grab  seiner  Braut.  Und  mau  findet  sie  uuverwest, 
und  ihr  Gesicht  ist  rot,  wie  wenn  sie  lebte;  sie  breitet  ihre  .Arme  aus,  und  der 
Jüngling  steigt  hinein  in  die  Gruft,  und  sie  umfängt  ihn  mit  ihren  Armen,  und 
er  verscheidet  unter  den  Augen  der  Brüder,  um  einzngeheu  iu  das  Reich  iles 
Sohnes  der  glorreichen  Jungfrau. 

3. 

Die  in  Frankrcicli  ujid  England  im  späteren  Mittelalter  wiederliolt 
behandelte  Sage  von  der  Königin,  die  ihren  Seneschall  tötete, 
scheint  bisher  aiif  deutschem  Boden  noch  niclit  nachgewiesen  zu 
sein.  .Auch  in  R.  Köhlers  Kl.  .Sehr.,  wo  Bd.  II  3*J3  und  397  die 
fremden  Fas.sungen  bes])rochen  werden,  fehlen  Angaben  über  la- 
teiui.sche  Versionen  und  solche  aus  deut.schen  (Quellen.  Unser  Beleg 
wäre  .somit  der  einzige  Text,  der  die  Verbreitung  des  Stotfes  auch 
auf  deut.schem  Gebiete  beweist;  zugleich  i.st  er  die  älteste  Fa.ssung 
überhau])!,  die  bisher  gefunden  worden  i.st. 

Die  KSnigin,  die  den  Merechall  tötete. 

(Bl.  195'«]  Einst  lebte  ein  junger  König,  der  Vater  und  Mutter  verloren 
batte.  Dieser  hielt  Umschau  nach  einer  für  ihn  t).as.senden  Gemahlin,  wobei  er 
nicht  auf  Reichtum  und  Besitz,  sondern  mehr  auf  Tugend  und  Zucht  Wert  legte. 
Und  es  traf  sich,  da.ss  zur  selben  Zeit  ein  edles,  reiches  und  ausnehmend  schönes 
Mädchen,  das  ebenfalls  seine  Eltern  verloren  hatte,  heiraten  widite  und  das 
ihren  Beratern  mitteilte.  Ihre  Weisheit  und  .Schönheit  gewannen  ihr  die  Liebe 
jenes  Königs,  und  er  sandte  Boten  und  warb  um  sie,  und  .sie  nahm  die  Werbung 
an,  und  der  Hochzeitstag  wird  vereinbart.  Der  König  entsendet  seinen  Mar.scliall, 
um  die  Braut  mit  gebührendem  Prunk  einzuholcu.  .Aber  dieser  Marschall  wird 
durch  ihre  Sebönbeit  zu  bösem  Begehren  verleitet,  und  in  treuloser  Weise  ent- 
ehrt er  sic  heimlich  des  Nachts  freventlich  und  gewaltsam  In  niasslosem  .Schmerz 
ermordert  sie  ihn  in  einer  Nacht  im  Schlafe  und  ruft  dann  eine  ihr  treu  ergebene 
Magd,  der  sie  ihre  unglückliche  Lage  anvertraut.  Diese  holt  einen  Küchen- 
burschen, der  im  Hause  der  jungen  Königstochter  anfgewachsen  war,  und  bittet 
ihn,  den  Leichnam  fortziiscbaffcn  nud  über  die  Tat  Stillschweigen  zu  bewahren. 
Was  branchts  vieler  Worte!  Der  Elende  will  das  nur  dann  tun,  wenn  ihm  die 
Magd  verspricht,  ihm  zu  Willen  zu  sein.  .An  dem  .Schlosse  oder  Palaste  aber, 
wo  sich  das  ereignete  [lO.ü'b],  strömte  ein  reissendes  Wasser  vorbei,  zu  dem 
vom  .Shlosse  aus  eine  steile  Böschung  hinal>lührte.  Der  Bursche  steigt  zum 
Fenster  empor,  durch  das  er  den  Toten  hinahwerfen  will.  In  diesem  .Augen- 
blicke stösst  ihn  die  Magd  mit  dem  Leichnam  hinab.  Dar.auf  entlliehen  sie,  uml 


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die  Sache  bleibt  verborgen.  Die  Hochzeit  findet  statt.  Nach  mehreren  Jahren 
will  die  Königin  endlich  beichten.  Sie  batte  ans  ihrer  Heimat  einen  Kaplan 
mit  an  den  Hof  gebracht,  den  der  König  ans  Liebe  zu  seiner  Gemahlin  zum 
Bischof  erhoben  batte.  Auf  ihn  vertraut  die  Königin  und  bekennt  ihm  ihre 
Tat.  Doch  nachdem  sie  ihr  Bekenntnis  abgelegt  hat,  spricht  der  unselige  Bischof : 
„Jetzt  wird  mir  zuteil,  was  ich  alle  Tage  meines  Lebens  gewünscht  habe.  Wenn 
du  mir  nicht  zu  Willen  bist,  werde  ich  dich  vor  dem  Könige  und  dem  ganzen 
Lande  in  Schande  bringen  und  verderben“.  Sie  weist  ihn  zurück  und  er  offen- 
bart ihre  Tat.  Der  König  und  das  ganze  Volk  glauben  ihm  und  sind  von  ihrer 
Schuld  überzeugt.  Der  König,  der  sie  trotzdem  lieb  behält,  ist  tief  unglücklich. 
Aber  gegen  den  Willen  seines  Volkes  kann  er  nicht  handeln,  und  so  wird  sie 
vor  ein  Gericht  gestellt,  der  königlichen  Würde  verlustig  erklärt  und  mit  ihren 
Kindern  iu  die  Heimat  zurttckgeschickt.  Auf  ihrer  Wanderung  kommt  sie  zu 
einer  Kapelle.  Sie  tritt  ein  und  hört  die  Messe , die  ein  heiliger  Mann  las. 
Seine  Andacht  flösst  ihr  Zutrauen  zu  ihm  ein,  und  sie  offenbart  ihm  ihre  Lage. 
Da  weinte  er  sehr,  und  als  Busse  für  alle  ihre  Sünden  trug  er  ihr  auf,  sofort 
wieder  znrückzukehrcu  und  sich  einem  Zweikampfe  zu  unterziehen.  [196  ra]  Und 
zwar  sollte  sie  vor  dem  ganzen  Volke  nur  mit  einem  einzigen  Gewände  bekleidet, 
ohne  jeden  Schulz  in  der  Weise  mit  dem  bewaffneten  Bischöfe  kämpfen,  dass 
sie  die  Kiseuspitze  ihrer  Lanze  gegen  ihre  entblösste  Brust  und  den  Holzschaft 
gegen  den  Panzer  des  Bischofs  kehrte.  Das  befahl  ihr  der  heilige  Mann,  damit 
sie  für  ihre  Sünden  hinreichende  Busse  leistete  für  den  Fall,  dass  sie  iu  diesem 
Kampfe  den  Tod  fände.  Und  sie  kehrte  unverzüglich  zurück  und  verpflichtete 
sich  vor  dem  Könige  und  dem  ganzen  Volke  zu  diesem  Kampfe.  Erstaunen 
ergreift  alle,  und  ilurch  Richterspruch  wird  der  Zweikampf  angeordnet.  Sie  be- 
ginnen ihn;  aber  mit  Gottes  Hilfe  siegt  die  Gerechtigkeit;  dem  verbrecherischen 
Bischöfe  wird  vor  aller  Augen  von  der  Lanze  die  Brust  durchbohrt.  Und  alles 
Volk  preist  Jesnm,  Marias  Sohn,  den  Helfer  iu  der  Not. 

4. 

ln  Verwandtscliaft  mit  die.ser  Sage  steht  die  Hildegardsage, 
in.soferii  auch  sie  die  Verfolgung  und  den  endgültigen  Sieg  einer 
uiLschuldigen  edlen  Frau  behandelt.  Von  dieser  Hildegard.sage, 
die  in  den  Kreis  der  Karl.ssagcn  eingetreten  ist  und  als  solche 
auch  in  die  Deutschen  Sagen  der  Brüder  (irimni  Auliuihnie 
gefunden  hat  (Bd.  II  102  Nr.  437),  enthält  unsere  Hand.sclirift  eben- 
falls eine  Version,  die  von  der  Erzählung  der  üesta  Koraanoruni 
(O.sterley  Nr.  249  = Dick  c.  löO)  wesentlich  abweicht  und  als 
Quelle  eine  Cronica  tripartita  nennt.  Zeitlich  wäre  eine  Ent- 
lehnung unserer  Fassung  aus  des  Vinzenz  von  Beauvais  Spe- 
culum  historiale  noch  möglich,  wenn  auch  recht  unwahrscheinlich. 
Dort  wird  unsere  Sage  recht  ausfülirlich  im  Buch  VII  c.  90—92 
erzählt,  und  auch  die  Bezeichnung  der  t)uelle  als  Cronica  tripartita 
wäre  im  Hinblick  auf  die  Gesanitenzyklopädie,  das  Speculum  ma- 


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ius  noch  (lenkbar,  besonders  da  eine  nahe  Verwandtschaft  mit  dem 
Texte  des  Speculum  liistoriale  wirklich  vorliegt.  Aber  wenn  wir 
nicht  reclit  eigenartitre  Besonderheiten  unseres  Textes  erst  auf 
Rechnuup:  des  Verfassers  unserer  Exempelsammlung  setzen  wollen, 
müssen  wir  uns  nacli  einer  anderen  (Quelle  uinsehen,  aus  der  sow(dil 
die  Fassung  des  Vinzenz  von  Beauvais  wie  unsere  bedeutend  kürzere 
Version  hervorgegangen  sind.  Die  Stellen,  durch  die  sich  der 
Text  des  Vinzenz  von  Beauvais  von  dem  unserer  Handschrift 
unterscheidet,  sind  folgende.  Dort  ist  der  Ort  der  Handlung  Rom; 
der  Kaiser  besucht  die  (iriibcr  der  Heiligen,  übergibt  Land 
und  ßruder  der  Obhut  der  Königin;  diese  hält  ihren  Schwager 
in  einem  Turme  gefangen;  der  rückkehrende  Kaisen-  lässt  sein 
Weib  durch  zwei  Diener  in  einen  tiefen  Wald  bringen;  ein 
vornehmer,  aus  Rom  heiinkehrender  Rittei-  befreit  sie.  Später 
bei  ihrer  zweiten  Verstossung  wird  sie  von  fremden  Schiffern, 
nicht  solchen,  die  der  Ritter  nach  einem  Arzt  für  seinen  kranken 
Bruder  ausgesandt  hat,  befreit.  Der  Schluss  weicht  ganz  ab;  die 
vom  Himmel  erschallenden  Worte  und  der  Tod  der  Königin  fehlen 
bei  Vinzenz.  Dieser  gibt  gar  keine  (Quelle  für  seine  Erzählung 
an.  An  anderen  Stellen  aber  bezielit  auch  er  sich  auf  eine  tri- 
partita  historia,  so  z.  B.  im  Speculum  morale  lib.  111  dist.  VI; 
lib.  111  dist.  XXVllI;  lib.  111  dist.  XXXIl  (Au.sg.  Duaci  1624 
p.  139‘J;  1503;  1551).  Hier  handelt  es  sich  um  das  im  Mittelalter 
so  häutig  benutzte  Werk  d(>s  Cassiodor,  das  Opus  tripartitum 
(Migne,  Patres  latini  LXIX,  LXX).  l'nd  so  werden  wir  annehmen 
müs.sen,  dass  auch  unsere  Handschrift  sich,  allerdings  irrtümlich, 
auf  dieses  Werk  bezieht.  Vielleicht  enthielt  auch  .schon  die  Vor- 
lage di(‘se  fehlerhafte  Ouellenangalie.  Der  Text  gehört,  abweichend 
von  der  Crescentia.sage  der  Kaiserchronik  (.Massmann,  Vers 
11367 — 12828,  zn  den  Fa.ssungen,  wo  nicht  Petrus,  sondern  Maria 
der  ausgesetzten  Königin  erscheint.  Die  Literatur  zu  dem  Stofl'e 
findet  sich  in  t.lsterleys  Xachweisungen  zu  Xr.  249  der  Gesta  Ro- 
manorum, in  Massmanns  Ausgabe  der  Kai.serchronik  Bd.  111  899  tf. 
Zn  vergleichen  sind  auch  R.  Köhlers  Kl.  Sehr.  11  275. 

Die  Königin  von  England. 

[III.  169  fa]  Mau  liesst  in  der  Olironika  tripartitn,  das.a  einst  ein  König 
in  England  lebte,  der  eine  schöne  und  tugendsnme  Gemahlin  batte,  auf  deren 
(I69r'']  Bitten  er  sich  vornahin,  ein  entbaltsamcs  Leben  zn  führen.  Seine  Frömmig- 
keit besiimmte  ihn  zn  einer  Fahrt  ins  Heilige  Land.  Daher  übergab  er  die 


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Uegierniig  des  Landes  und  den  Hofhalt  seinem  Hnider.  Diesen  Bruder  aber 
verführte  die  Schönheit  der  Königin  bald  zu  sündhaftem  Begehren.  Doch  diese 
suchte  ihn  immer  wieder  hinzulialten,  endlich  aber  Hess  sie  eines  Tages  ein  Haus 
mit  den  nötigen  Lebensmitteln  versorgen  und  schloss  ihn  darin  ein.  Als  jedoch 
der  König  beimkehrte,  da  forderte  sie  den  Eingeschlossenen  auf,  .seinem  Bruder 
freudig  enigegeuzueilcn.  Der  aber  verleumdet  beim  ersten  Zusammentreffen  mit 
dem  Könige  ilie  Königin  in  der  schftndlichsten  Weise,  indem  er  ihr  den  Vorwurf 
macht,  sie  habe  mit  vielen  anderen  die  Treue  gegen  ihren  Gemahl  verletzt. 
Der  König  glaubt  seinem  Bruder  und  beliehlt  zwei  Kämmerlingen,  sie  des  Nachts 
auf  die  nächste  Insel  zu  schaffen  und  dort  zu  töten.  Diese  wollen  sein  Gebot 
ausführen,  aber  auf  dem  Wege  treffen  sie  mit  einem  Grafen  zusammen,  der  den 
König  auf  seiner  Pilgerreise  begleitet  hatte.  Als  dieser  sieht,  wie  man  jene 
schöne  Frau  zum  Tode  führt,  fühlt  er  Mitleid  mit  ihr,  entreisst  sie  ihren  Händen 
und  nimmt  sie  mit  nach  Hause.  Und  gewonnen  durch  ihr  tugendhaftes  Ver- 
halten, gibt  er  ihr  seinen  Sohn  zur  Pflege.  Der  Bruder  des  Grafen  aber,  der 
ihre  Schönheit  sieht,  verfolgt  sie  mit  unlauteren  Anträgen.  Sie  aber  weist  sein 
Ansinnen  zurück.  Da  tötet  er,  um  sie  bei  seinem  Bruder  iii  Schande  zu  stürzen, 
dessen  Sohn.  Als  die  Frau  das  Kind  erwürgt  findet,  bricht  sie  in  ihrem  Schrecken 
in  laute  Klagen  ans.  Das  Hansge.sinde  [169va|  eilt  herbei  und  erblickt  das  ge- 
tötete Kind.  Aufs  höchste  über  die  Frau  empört,  verlangt  das  Gesinde  und 
auch  der  Bruder  des  Grafen,  dass  sie  mit  dem  Feuerlode  be.straft  werde.  Der 
Graf  aber  fürchtet,  dadurch  Gott  zu  beleidigen,  und  ohne  sie  vor  ein  Gericht 
zu  stellen,  befiehlt  er,  sie  über  das  Meer  in  ein  anderes  Land  zu  bringen.  Da 
die  Schiffer  nichts  Unerlaubtes  von  ihr  erlangen  können,  setzen  sie  sie  mitten 
im  Meere  auf  einem  Steine  ans.  Sie  aber  betete  zu  Gott:  ,0  Herr,  ich  weiss, 
dass  du  die  nicht  verlässt,  die  auf  dich  vertrauen“.  Und  so  sass  sie  in  Ergebung 
dort,  bis  sie  einscblief.  Da  schien  es  ihr,  als  ob  eine  herrliche  Jungfrau  heran- 
käme, die  zu  ihr  sprach:  „Bald  wirst  du  aus  dieser  Not  befreit  werden.  Grab 
die  Kräuter,  die  du  unter  deinem  Haupte  findest;  mit  ihnen  wirst  du  jeden 
Aussätzigen  heilen  können“.  W'ie  sie  aber  so  da  sass,  da  hörte  sie  ein  Schiff 
vorbeifahren.  Darin  waren  Leute  jenes  Grafen,  in  dessen  Hause  sie  Aufnahme 
gefunden  hatte.  Und  als  sie  die  Frau  auf  dem  Felsen  sahen,  nahmen  sie  sie  in 
das  Schiff  und  erzählten  ihr,  dass  sie  einen  Arzt  suchten,  der  dem  Bruder  ihres 
Herren  helfen  könne,  der  au.ssätzig  geworden  sei.  Und  sie  erbot  sich,  ihn  zu 
heilen.  Als  sie  dorthin  kam,  forderte  sie  den  Aussätzigen  auf,  zunächst  seine 
Sünden  zu  bekennen,  besonders  den  Mord,  den  er  an  dem  Sohne  seines  Bruders 
begangen  habe.  Das  tat  er  auch.  Da  nahm  die  Frau  das  Kraut,  das  ihr  die 
heilige  Jungfrau  gezeigt  hatte,  und  heilte  ihn.  Der  Graf  aber  war  über  den 
Verlust  jener  verleumdeten  Herrin  von  Herzen  betrübt.  Da  gibt  sie  sich  ihm 
zu  erkennen.  [lG9vb]  Der  Ruf  ihrer  Heilkraft  kommt  auch  dem  Könige  von 
England  zu  Ohren.  Und  er  schickt  nach  ihr  mit  der  Bitte,  sic  möchte  seinen 
Bruder  von  dem  Anssatze  reinigen.  Sie  kommt  und  spricht  zu  dem  Kranken: 
.Nur  dann  kann  ein  Kranker  geheilt  werden,  wenn  er  öffentlich  alle  seine  Sünden 
bekannt  hat“.  Und  so  bekennt  er  unter  Klagen,  dass  er  die  tugendhafte  Königin 
grundlos  verleumdet  habe.  Darauf  heilt  ihn  die  Frau.  Und  da  sie  sieht,  dass 
der  König  Uber  den  Tod  seiner  Gemahlin  grossen  Schmerz  empfindet,  spricht 
sie  zu  ihm:  „Ich  bin  die,  über  deren  Tod  du  so  trauerst.  Wisse,  dass  mich 


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der  Herr  uuversebrt  aus  allen  Ciefahreu  errettet  hat“.  Und  sie  entsagte  der 
irdischen  Herrschaft,  Hess  ein  Jungfraneukloster  erbauen  und  zog  sich  dorthin 
zurück.  Als  sie  dort  Gott  einige  Zeit  gedient  hatte,  hörte  sie  eine  Stimme, 
welche  rief:  ,Ibr  seid  es,  die  standhaft  bei  mir  in  meinen  Prüfungen  aasharrtet. 
Kummet,  ihr  Gesegneten*.  Und  nach  drei  Tagen  verschied  sie  im  Herrn. 

5. 

Auch  von  Gregorius,  dem  grossen  Büsser,  bringt  unsere 
Handschrift  eine  kurze  Passung,  die  insofern  wertvoll  ist,  als  sie 
nicht  aus  Hartinanns  Dichtung  hervorgegangen  ist.  sondern  den 
franzüsi-schen  Bearbeitungen  und  der  Erzählung  der  Ge.sta  Roma- 
norum (Osterley  Nr.  81  = Dick  c.  170)  näher  steht,  aber  auch 
diesen  gegenüber  eine  Reihe  abweichender  Züge  enthält.  Die 
Iiierher  gehörige  Literatur  verzeichnet  Osterley  in  den  Nach- 
weisungen zu  Nr.  81  der  Gesta  Romantirum;  H.  Paul  in  der  Aus- 
gabe von  Hartmanns  Gregorius,  Halle  1882  (Altdeutsche  Textbibi. 
Nr.  2 S.  VI— Vlll);  R.  Köhler,  Kl.  Sehr.  Bd.  II  173  ff.,  l<J7ff.,  200. 

Gregorius  auf  dem  Stein. 

[Bl.  183  vb]  Ein  König  hatte  einen  Sohn  und  eine  Tochter,  die  sich  sehr 
lieb  hatten.  Als  sie  noch  klein  waren,  wollten  sie  nie  ohne  einander  schlafen 
gehen.  Etwa  im  siebenten  Jahre  oder  etwas  später  wollten  sic  nur  miteinander 
spielen,  da  das  ihren  Neigungen  entsprach.  [184  ra]  Der  Vater  und  die  Mutter 
starben,  und  endlich  waren  sie  so  alt,  dass  der  Jüngling  selbst  die  Regierung 
Übernehmen  konnte.  Da  begann  er  mit  seiner  Schwester  sündhaften  Verkehr. 
Und  als  sie  fühlte,  dass  sie  ein  Kind  bekommen  sollte,  wandte  sie  sich  um  Kat 
an  ihre  Dienerin.  Diese  bot  ihr  ihre  Hilfe  an.  Und  nach  der  Niederkunft 
machten  sie  einen  Kahn  zurecht,  legten  das  Kind  hinein  und  gaben  ihm  viel 
Silber  und  Gold  und  kostbare  Gewänder  mit.  Ausserdem  legten  sie  zwei  Tafeln 
hinein,  die  die  Worte  enthielten:  Mein  Vater  ist  mein  Onkel,  meine  Mutter 
meine  Tante.  Dieses  aber  taten  sie,  damit  man  die  vornehme  Abkunft  des 
Kindes  erkennen  könnte,  wenn  der  Kahn  aus  Land  triebe  und  gefunden  würde; 
denn  das  Gold  und  die  Kleider  bewiesen  .seine  vornehme  Herkunft.  Der  Kahn 
wurde  von  Fischern  gefunden.  Ein  Abt,  in  dessen  Hafen  der  Kabn  trieb,  sah 
es,  kam  heran,  und  als  er  den  Knaben  mit  den  kostbaren  Gewändern  erblickt 
und  die  Tafeln  gelesen  batte,  bandelte  er  dem  Inhalte  der  Tafeln  entsprechend. 
Auf  ihnen  stand  nämlich,  mau  solle  dem  Kinde  eine  königliche  Erziehung  zuteil 
werden  lassen  und  ihn  einem  vornehmen  Berufe  zuführeii.  Der  Abt  taufte  das 
Kind  und  gab  ihm  den  Namen  Gregorius.  Dann  gab  er  es  einer  Bäuerin  in 
Pflege.  Später  besuchte  der  Knabe  die  Schule  und  machte  gute  Fortschritte. 
Eines  Tages  aber  geriet  er  mit  den  Bauernjungen  in  Streit,  und  zwar  baupt- 
säclilicli  mit  dem  Sohne  jenes  Bauern,  dessen  Weib  ihn  aufgezogen  hatte.  Gre- 
gorius aber  war  der  Meinung,  dass  dieser  Bauernknabe  sein  Bruder  sei;  der 
aber  warf  ihm  schliesslich  vor,  dass  er  ein  uneheliches  Kind  iväre.  Dieser  Vor- 
wurf stimmte  ihn  nnendlich  traurig,  und  er  behielt  ihn  im  Gedächtnis,  so  dass 


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23 


ihn  Jer  Abt  lauge  nicht  heriiliigeii  konnte.  [184  Endlich  gelang  es  ihm 
doch.  Als  aber  (Iregorins  gritsscr  geworden  war,  sprach  er  zum  Abte:  ,Herr 
wenn  ich  Griffel  und  Tafel  ergreife,  dann  kommt  mir«  immer  vor,  als  ob  mir 
eine  Lanze  in  der  Hand  besser  ansteben  möchte*.  Was  braiiclit's  vieler  Worte! 
Gregor  drang  in  den  Abt,  das-s  er  ihm  den  wahren  Sachverhalt  offenbare;  denn 
er  merkte  wohl,  dass  der  ßauernknahe,  der  ihn  beschimpft  hatte,  ihm  an  Körper 
und  Gehst  sehr  unähnlich  und  hierin  dem  alten  Bauer  viel  ähnlicher  war.  So 
offenbarte  ihm  schliesslich  der  Abt  seine  Herkunft  und  den  Inhalt  der  aufbe- 
wahrten Tafeln  und  führte  ihn  dem  Ritterstande  zu.  Und  er  legte  ein  so  edles 

Wesen  an  den  Tag,  dass  er  sich  bei  allen  beliebt  machte.  Es  geschah  aber, 

■lass  der  Vater  des  Uregorius,  der  König,  starb  und  die  Mutter  auf  das  ärgste 

von  einem  Vornehmeu  bedrängt  und  in  einer  Stadt  belagert  wurde.  Als  Ore- 
guriiis  von  der  Bedrängnis  jener  Königin  Kunde  erhielt,  sammelte  er,  um  sich 
ini  Kampfe  zu  üben,  Ritter  um  sich  und  ritt,  nachdem  er  genauere  Nachrichten 
Uber  diese  Verhältnisse  erhalten  hatte,  in  jene  Stadt,  wo  die  Königin  belagert 
wurde,  nm  sie  zu  vei leidigen.  Auf  ihren  Wunsch  kämpft  er  mit  jenem  Vor- 
nehmen, durchbohrt  ihn  mit  der  Lanze  und  beendet  so  den  Krieg.  Da  be- 
stürmen alle  Vornehmen  des  Landes  die  Königin  mit  Bitten,  sie  solle  diesen 
uubegUterten  Ritter  zu  ihrem  Gemahl  wählen.  Und  endlich  nahm  sic  auf  den 
Rat  ihrer  Ritter  Gregorius  zum  Gemahl,  obgleich  sie  selbst  gegen  die  Heirat 
Abneigung  empfand.  Dass  aber  der,  den  sie  so  lieb  hatte,  ihr  eigener  Sohn 
war,  das  ahnte  sie  nicht.  Jedesmal,  wenn  der  Ritter  seine  Tafel  betrachtete, 
daun  begann  er  zu  weinen  und  verbarg  sie  wieder.  Das  bemerkte  eine  Magd, 
doch  ziiuäcbst  schwieg  sie  davon.  Einmal  aber,  als  sie  bei  ihrer  Herrin  sass, 
erzählte  sie  auch  von  den  Tränen  ihres  Herren  und  seinen  Tafeln  und  holt  diese 
herbei.  [184  va|  Die  Königin  liest  sie  durch  und  gerät  in  Verzweiflung;  sie 
zerreisst  ihre  Kleider  und  reisst  sich  die  Haare  aus.  Der  König,  der  auf  der 
Jagd  ist,  wird  zurUckgeholt ; auf  Befehl  der  Königin  lässt  er  die  ganze  Um- 
gebung aus  dem  Zimmer  hinaiisgehen.  Nun  forscht  er  die  Königin  aus,  und  sie 
gesteht  ihm,  dass  sie  seine  Mutter  sei,  und  erzählt  ihm  alles.  Wie  der  König 
hört,  dass  er  ihr  Sohn  sei,  stürzen  ihm  die  Tränen  ans  den  Augen,  und  er  zer- 
reisst seine  Kleider.  Und  er  entsagt  allem  Besitz,  und  ohne  Mittel  entweicht  er 
heimlich  durch  das  Fenster  und  flieht  mit  dem  Vorsatz,  die  ganze  Zeit  seines 
Lebens  zu  hflsseu.  Das  Gefolge  kommt  inzwischen  zu  der  Königin  ins  Zimmer 
zurück  und  tröstet  sie.  Von  da  an  lebt  sie  als  Witwe  in  beständiger  Busse. 
Der  König  Gregorius  aber  kam  ans  Meer,  wo  ihn  ein  Fischer  unter  Schmäh- 
worten fragte,  was  er  da  wolle.  Und  er  erwiderte,  er  sei  entschlossen,  in 
strengster  Busse  sein  Leben  zu  verbringen.  Da  zeigt  ihm  der  Fischer  einen 
Felsen  im  Meere.  Gregorius  fragt  ihn,  ob  er  ihn  daran  anfesseln  wolle.  Dieser 
tut  es,  und  nachdem  er  die  Fnssfesseln  geschlossen  hat,  wirft  er  den  Schlüssel 
ins  tiefe  Meer  mit  den  Worten:  ,Wenn  dieser  Schlüs.sel  gefunden  wird,  dann 
sollst  du  deiner  Busse  ledig  sein*.  Zu  derselben  Zeit  stirbt  der  Papst,  und  als 
man  vor  der  Wahl  des  nenen  Papstes  den  Heiligen  Geist  angerufen  hat  — das 
war  damals  Sitte  wie  noch  heut  — , da  offenbart  den  Kardinälcn  eine  Stimme: 
.Gregorius,  der  Sünder,  soll  Papst  sein*.  Alsbald  sucht  man  überall  nach  ihm, 
und  so  kommen  die  Ausgesaudten  auch  zu  jenem  Fischer.  Und  als  sie  diesem 
auseinandersetzeu,  was  und  wen  sic  suchen,  antwortet  er  ihnen : .Ich  habe  einen 


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24 

Mann  au  jener  Klijiiie  aiigefesselt,  <ler  dort  Hiisse  tun  wollte;  vielleicht  ist  das 
der  Gesuchte“.  Voll  Freude  wollten  die  Gesandten  ihn  sehen.  Itoch  der  Fischer 
sprach : .Esset  zunächst  ein  Stück  Brot  bei  mir*.  Und  er  Hess  Fische  und 
Wein  bringen.  Ais  er  aber  einen  Fisch  ausnahni,  das  heisst,  die  Eingeweide 
entfernte,  fand  er  den  Schlüssel  zu  den  Fussfesseln,  den  er  ins  Meer  geworfen 
hatte.  Da  ruft  er : „Nun  ist  seine  Busse  vollendet“.  Er  zeigt  dem  Qregorius 
den  Schlüssel  und  löst  seine  Fesseln.  Auf  die  Anrede  der  Gesandten  aber  er- 
widert üregorius:  .Mein  Gott,  dein  Wille  geschehe“.  Nun  wird  er  nach  Born 
geleitet  und  wird  dort  Papst.  Und  er  war  so  barmherzig  gegen  die  Sünder, 
dass  der  Ruf  seiner  wunderbaren  Barmherzigkeit  durch  die  ganze  Welt  drang. 
Und  so  hört  auch  die  Königin,  seine  Mutter,  davon,  und  sie  sucht  ihn  auf.  Er 
hört  ihre  Beicht,  ohne  zu  wissen,  dass  er  ihr  Gatte  und  .Sohn  ist.  Als  nun  der 
Papst  aus  dem  Bekenntnis  der  Königin  dies  erfuhr,  da  erkannteu  sie  sich  wieder. 
Und  er  wies  seiner  Mutter  nicht  weit  von  sich  einen  ,\ufentbalt  an  und  be- 
suchte sic  oft,  um  sie  zu  trösten.  Und  so  haben  sie  beide  um  ihrer  Busse  willen 
Gnade  gefunden. 

6. 

Mit  (kr  in  den  Ge.sta  Ronianortiin  (Gsterley  Xr.  70  = Dick 
c.  193)  eiitlialtenen  Erzäliliing  von  der  König.stucliter,  deren  Hand 
dem  bestimmt  ist,  der  drei  Fragen  beantworten  kann,  deckt  sich 
im  Eingänge  beinahe  wörtlich  das  im  folgenden  mitgeteilte  Stück. 
Doch  sind  die  Fragen  selb.st  ganz  anderer  .Art,  mul  die  eigen- 
artige Lösung  sowie  die  kühne  .Morali.sation,  die  abweichend  von 
dem  sonstigen  Brauche  in  die  Erziihlnng  cinbezogen  worden  i.st, 
anstatt  sie  zu  beschliessen,  geben  dem  Stück  eine  Sonder.stellnng 
unter  den  verwandten  Erzählungen  mit  Rätselfragen.  Auch  der 
aszetische  Schluss  fällt  ganz  aus  dem  Rahmen  der  Märchen- 
schlüsse heraus. 

Die  drei  Fragen. 

[Bl.  163  vbj  Jian  liest  in  der  Cronica  tripartitii,  dass  einst  ein  König  in 
Ybernia  lebte,  der  seine  Tochter  nur  dem  geben  wollte,  der  ihm  drei  Dinge 
sagen  könnte,  über  die  er  um  jeden  Preis  Auskunft  haben  wollte,  nämlich : was 
das  Schrecklichste,  was  das  Nützlichste,  und  was  das  Stärkste  auf  der  Welt  sei. 
Niemand  aber  fand  sich,  der  ihm  diese  drei  Fragen  beantworten  konnte.  Da 
machte  sich  ein  Ritter  auf,  um  nach  ihrer  Lösung  zu  forschen,  und  er  durch- 
wanderte viele  Länder.  Zuletzt  kam  er  zu  einem  Felde,  auf  dem  ciu  grosser 
Baum  stand,  und  auf  ihm  sassen  Vögel  jeglicher  Art.  Während  aber  der  Ritter 
noch  die  Schönheit  des  Baumes  bewunderte,  siehe,  da  kam  unversehens  [164  r»J 
ein  furchtbares  Gewitter,  und  der  Blitz  schlug  in  den  Baum  und  zersplitterte 
ihn  in  winzige  Teile,  und  die  Vögel  waren  verscheucht.  Und  als  er  weiterging, 
kam  er  zu  einem  sehr  fruchtbaren  Felde,  auf  dem  er  abgemagerte  Hirsche  er- 
blickte, und  dann  kam  er  zu  einem  öilen,  unfruchtbaren  Felde,  und  darauf  sah 
er  wohlgenährte  Hirsche.  Und  er  ging  weiter  und  sah  einen  Fluss;  aus  dem 
wollte  er  trinken.  Und  er  kostete  davon  und  fand  ihn  süss  wie  Honigseim. 


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Durch  seine  Süssigkeit  gestärkt  un<1  froh  gestimmt,  sprach  er  zu  sich : .Ich  n ill 
gellen  und  nach  ilem  Ursprünge  dieses  Flusses  forschen*.  Und  er  fand,  dass  er 
aus  dem  Maule  eines  Uuiides  hervorstrümte.  Und  wie  er  am  Ufer  des  Flusses 
weiterwanderte.  sah  er,  wie  sein  Wasser  zu  dem  einen  Ohre  eines  Wolfes  hinein 
und  zum  anderen  wieder  heransstrümte.  Und  voll  V'erwiinderuug  ilher  all  das 
Oesehone  sprach  er  zu  sich:  .Ich  will  doch  uachforschen,  wohin  das  Wasser 
fliesst“.  Und  er  fand,  dass  das  ganze  Wasser  iu  den  Mund  eines  Lammes  floss, 
und  daraus  kam  anch  nicht  ein  Tropfen  mehr  hervor,  sondern  alles  blich  darin. 
Und  als  er  diese  Wunder  gesehen  hatte,  kam  er  zu  einem  heiligen  Finsiedler. 
Den  fragte  er  nach  der  Bedeutung  alles  des.sen,  was  er  erblickt  batte.  Und 
der  Einsiedler  erklärte  cs  ihm.  .Der  grosse,  schöne  Baum,  der  Vögel  aller  Art 
birgt,  ist  der  König.  Solange  ihn  seine  Macht  umstrahlt,  hangen  ihm  viele 
Freunde  an.  .\bcr  wenn  unversehens  der  Tod  kommt  und  ihn  in  all  seiner 
irdischen  Macht  vernichtet,  [164  rbj  dann  fliehen  die  Freunde,  das  sind  die  Vögel 
des  Baumes,  von  dannen  und  lassen  ihn  im  Stiche.  Und  als  Opfer  seiner  Frevel 
tritt  er  in  seinen  Sünden  nackt  und  blo.ss  vor  das  Oeiicht:  und  das  ist  das 
Sclirecklicbstc,  was  es  auf  Erden  geben  kann.  Das  fruchtbare  Feld,  das  du 
sahst,  mit  den  mageren  Hirschen,  das  ist  die  Welt  mit  denen,  die  ihr  dienen. 
Denn  mögen  diese  auch  noch  so  reiches  Weideland  haben,  ihnen  fehlt  doch  die 
Hut  des  Heiligen  Geistes  und  des  guten  und  höchsten  Hirten,  da  sie  nicht  ihm 
und  seiner  Ehre  dienen.  Die  wohlgenährten  Hirsche  aber  auf  unfruchtbarem 
Felde  sind  jene,  die  die  Welt  verachtet,  die  zwar  arm  sind  au  irdischen  Gütern 
und  der  Ehren  und  ReichtUmer  entbehren,  die  aber  reich  sind  an  geistlichen 
Schätzen  in  ihrem  Streben  nach  Gott : und  das  ist  das  Stärkste,  was  es  auf  der 
W’elt  gibt.  Der  Fluss  endlich,  aus  dem  du  Stärkung  und  Erfrischung  schöpftest, 
ist  Gottes  Wort.  Das  kommt  hervor  ans  dem  Munde  des  Predigers,  denn  ihn 
bezeichnet  der  Hund,  da  des  Hundes  Zunge  alle  Übel  heilt.  Und  es  gebt  zu 
einem  Ohre  des  Wolfes  hinein  und  zum  anderen  hinaus;  das  sind  die  hart- 
herzigen Menschen,  die  das  Wort  Gottes  hören  und  verachten.  Aber  es  geht 
ein  in  den  Mund  des  Lammes,  das  heisst,  in  das  Herz  des  milden  Menschen, 
der  ihm  sein  Herz  nicht  verschlicsst : und  dieses  Wort  Gottes  ist  das  Beste  auf 
der  Welt“.  Als  der  Bitter  diese  Deutung  vernommen  hatte,  dankte  er  Gott. 
Und  er  berichtete  das  Vernommene  dem  Könige.  Dann  aber  kehrte  er  zu  dem 
Einsiedler  zurück,  indem  er  auf  die  Königstochter  verzichtete  und  im  Dienste 
Gottes  aller  Herrlichkeit  der  Welt  entsagte  und  ein  Leben  in  Armut  führte. 
Nach  kurzer  Zeit  aber  entschlief  er  in  Frieden. 

7. 

Eine  MitteLstellung  zwischen  den  weitverlireiteten  niittelalter- 
liclien  Erziililunffen  von  den  guten,  dankliaren  Toten  und  der 
anderen  Sagengruppe  von  den  Toten,  die  sich  rächen,  nimmt  das 
folgende  E.xempel  ein.  Es  i.st  zugleich  die  älteste  (Quelle  der 
Don-.Iuansage,  die  sich  bisher  erst  seit  dem  Jahre  1015,  dem 
Aufführung.sjahre  des  Jesuitendramas  J.,eontius  in  der  Literatur 
iiaclnvei.sen  Hess.  Joh.  Bolte  hat  aber  bereits  in  seinem  Auf- 


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26 


salze  über  den  Ursprung;  der  Don-Juansase  in  M.  Koclis  Z.  1‘.  vsl. 
liiteraturgescli.  X.  F.  13.  374  (1809)  die  Erwartung  ausgesproclien, 
da.ss  noch  einmal  die  Sage  iin  deutschen  Jlittelalter  nacligewie.sen 
werden  würde.  Der  folgende  Text  be.stätigt  Boltes  Erwartung.  Die 
Literatur  zu  dem  Stofle  findet  sicli  in  K.  Kölilers  Kl.  Sehr,  l 64; 
267  und  II  239,  wo  J.  Holte  reiclie  Nachweise  gibt. 

Oer  tote  Gast. 

[Bl.  2U4rS]  Eiust  lebte  ein  dem  Trünke  ergebener  Mann  in  der  Ndlie 
einer  Stadt,  dnreh  die  er  jeden  Abend  trunken  lieinikebrte.  Al»  er  einmal  nadiLs 
nach  Hause  geben  musste,  unlim  er  seinen  Weg  Uber  den  Kirchbof.  Dort  fand 
er  einen  Tuteusuhädel ; und  gutmUtig  sprach  er  za  ihm:  .Du  armer  Schkdcl, 
was  liegst  du  hier?  Komm  doch  mit  mir  heim;  ich  werde  dir  dort  zu  essen 
geben“.  Da  antwortete  ihm  der  .Schädel:  .Geh  voran,  ich  werde  dir  folgen*. 
•Als  er  die  Worte  vernahm,  geriet  er  in  die  höchste  Bestürzung,  und  die  Augst 
machte  ibn  wieder  nüchtern.  [204'»]  Za  Hause  angekommen,  setzt  er  sich  am 
ganzen  Leibe  zitternd  ans  Herdfeuer.  Er  lässt  die  Haustür  schliessen,  und  als 
er  sieb  zum  Essen  setzt,  bcliehlt  er  dem  Gesinde,  wenn  ihnen  das  Leben  lieb  sei, 
niemanden,  möge  kommen,  wer  wolle,  eiuzulassen.  Plötzlich  ist  jemand  vor  der 
Tilr,  klopft  heftig  und  fragt  nach  dem  Hausherrn;  er  sei  von  ihm  eiugeladen 
worden.  Alle  sind  still  in  ihrem  Schrecken,  und  nur  einer  antwortet,  der  Herr 
sei  nicht  zu  Hause.  Der  Fremde  aber  erwidert:  .Sagt  nur  eurem  Herrn,  denn 
ich  weis»,  dass  er  hier  ist.  er  möge  aufmaeben,  sonst  komme  ich  gewaltsam 
hinein,  wie  ich  gerade  kann*.  Da  empfiehlt  sich  der  Hausherr  der  Barmherzig- 
keit Gottes  und  lässt  die  Tür  öffnen.  Und  alle  sehen  die  euUetzliche  Gestalt 
eines  Toten  hereinkommen , an  dessen  Knochen  und  Schädel  nur  noch  Seimen 
und  Ilant  haften,  während  man  vom  Fleische  nichts  mehr  sah.  Bei  seinem  An- 
blick ergreift  alle  ein  gewaltiger  Schrecken.  Der  Tote  wäscht  sich  zunächst  die 
Hände,  daun  setzt  er  sich  unaufgefordert  zwischen  den  Hausherrn  nnd  die 
Hausfrau  au  den  Tisch,  und  ohne  einen  Bi.ssen  zu  essen  oder  etwas  zu  trinken 
und  ohne  ein  Wort  zu  sprechen,  quält  er  olle  durch  seinen  grausigen  .Anblick. 
Nach  dem  Mahle  erhebt  er  sieb  und  nimmt  vom  Hausherrn  .Abschied  mit  den 
Worten:  ,Du  hast  mich  zwar  zu  (taste  gebeten,  aber  eine  zuvorkommende  Be- 
handlung hast  du  mir  nicht  zuteil  werden  lassen.  Und  wenn  du  nicht  meiner 
in  der  Trunkenheit  mit  deinen  törichten  Worten  gespottet  hättest,  wäre  ich  nie 
in  meiner  schrecklichen  Gestalt  [204vb]  bei  dir  eingekehrt.  Für  jetzt  lebe  wohl! 
Doch  in  acht  Tagen  wirst  du  um  dieselbe  .Stunde  au  jenen  Urt  kommen,  wo  du 
mich  eingeladcn  hast,  zu  dem  Mahle,  das  ich  dir  bereiten  werde;  und  du  musst 
kommen,  magst  du  wollen  oder  nicht“.  Mit  diesen  Worten  verschwand  er.  Der 
Hausherr  aber  und  seine  ganze  Verwandtschaft  suchten  in  ihrem  Schrecken  bei 
erfahrenen  Leuten  Kat,  wie  er  der  (lefahr  entgehen  könnte.  .Aber  er  erhielt 
nur  den  einen  Kat,  seine  Angelegenheiten  zti  ordnen,  in  wahrer  Keue  zu  beichten 
und  das  Sakrament  zu  nehmen,  und  so  geschützt  zur  festgesetzten  Stniide 
Gottes  Gericht  zu  erwarten.  Das  tat  er  auch.  Und  zur  angegebenen  Zeit  ging 
er  mit  allen  Verwandten  an  jenen  Ort,  Plötzlich  erfasste  ihn  ein  gewaltiger 
Wind  und  entführte  ihn  aufs  sanfteste,  ohne  seinem  Leilte  einen  .Schailen  zu 


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tun,  bis  er  eiu  wnuderscbönes,  aber  ganz  ödes  Schluss  erblickte.  Er  ging  durt 
hinein  und  fand  einen  Tisch,  der  mit  einladenden  Speisen  jeder  Art  besetzt  war. 
Nun  erschien  der  Tote  in  demselben  Zustande  wie  vurher,  grüsste  ihn  freundlich 
und  hiess  ihn  an  jenem  Tische  Platz  nehmen , wahrend  er  sich  selbst  in  einer 
versteckten,  elend  beleuchteten  Ecke  an  einem  schmutzigen  Tische  mit  un- 
sauberem Tischtuche  niederliess,  auf  dem  ganz  schwarzes  Brot  stand.  Traurig 
nnd  wehmiltig  blickte  er  seinen  Gast  an  der  geschmückten  Tafel  an,  der  vor 
Verwunderung  nnd  Furcht  nichts  zu  geniessen  wagte.  Schliesslich  stand  der 
Tote  auf  und  sprach  zu  seinem  Gaste:  , Warum  fragst  du  mich  nichts?*  Jener 
antwortete:  „Ich  wag  es  nicht  vor  Traurigkeit,  [20öra]  denn  ich  bin  ganz  in 
Ungewissheit  Uber  mein  Schicksal.  Und  doch  möchte  ich  wissen,  was  dn  weisst, 
und  was  mir  bestimmt  ist“.  Da  erwiderte  der  Tote:  „Fürchte  dich  nicht,  du 
wirst  nicht  uiukommen.  Das  alles  geschah  nur  durch  göttliche  Fügung  zn 
deiner  Besserung.  Wenn  du  mich  Toten  nicht  so  leichtfertig  eingeladen  hättest, 
wäre  es  dir  nicht  zugestossen.  Über  meinen  Zustand  aber  wisse:  „Ich  war  einst 
Richter  der  Stadt,  in  der  du  wohnst.  Um  Gott  kümmerte  ich  mich  nicht  und 
lebte  als  Schlemmer.  Aber  da  ich  ein  gerechter  Richter  war , bat  Gott  doch 
Barmherzigkeit  mit  mir  gehabt.  Dies  aber  ist  meine  Busse  für  meine  weltliche 
Gesinnung.  Ich  weile  in  einem  verlassenen  Schlosse,  und  für  meine  Schlemmerei 
habe  ich  vor  mir  einen  armseligen,  schmutzigen  Tisch.  Doch  dir  soll  kein 
Schaden  geschehen;  kehre  jetzt  wieder  heim  und  büsse  deine  Sünden  durch 
Werke  der  Frömmigkeit*.  In  diesem  .Augenblicke  erfasste  ihn  der  Wind  wieder 
und  trug  ihn  an  den  Ort  zurück,  von  dem  er  ihn  entführt  batte.  Dort  standen 
noch  seine  Augebörigeu  und  trauerten  um  ihn.  .Als  sie  ihn  zurUckkommen  sahen, 
ergriffen  sie  alle  die  Flucht,  denn  er  war  wunderbar  verändert.  Die  Nägel  an 
Händen  nnd  Füssen  waren  ihm  wie  Adlerkrallen  gewachsen,  und  die  ausge- 
standene Angst  hatte  sein  Gesicht  schwarz  und  schrecklich  abstussend  gemacht, 
SU  dass  ihn  die  Seinen  nicht  mehr  erkannten.  Und  obgleich  er  nur  eine  kurze 
Stunde  fortgewesen  war,  kam  ihm  die  Zeit  doch  wie  tausend  Jahre  vur.  Er 
rnft  seine  Verwandten  schliesslich  zurück  nnd  erzählt  ihnen,  was  er  erlebt  hat. 
-Als  sie  das  hören,  [205  rb]  loben  sic  alle  Gott.  Er  selbst  aber  wurde  ein  tugend- 
hafter Mensch  und  erlangte  die  Gnade,  sein  Leben  fromm  zu  beschliesseu. 

8. 

Zu  der  in  den  Grimmschen  Sagen  Bd.  II  143  Nr.  450  aus  des 
Pomarius  Sächsischer  Chronik  v.  J.  1588  angeführten  ersten 
Gründungssage  von  Hildeslieim,  die  dort  bereits  mit  der 
römischen  Legende  von  Maria  Maggiore  (Maria  Schnee)  verbunden 
ist.  cntliält  unsere  Handschrift  die  Originalfassung.  Der  Kaiser, 
de.ssen  Name  nicht  genannt  wird,  ist  Ludwig  der  Fromme. 

Oie  Gründung  von  Hlldetheini. 

[Bl.  I92va]  Pliii  Kaiser  jagte  in  einem  Walde.  Sein  Kaplan  bängte  die 
Reliquien  Unserer  Lieben  Frau,  die  der  Kaiser  innig  verehrte,  an  einen  Baum. 
Aber  er  vergass  sie  und  liess  sie  dort.  Als  er  wieder  zurückkehrt,  kann  sie 


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iiieiimnil  iiielir  vuiii  ISumiic  Iu!siii»elit;u.  Das  meldet  man  dem  Kaiser.  Er  schloss 
daraus,  da.s.s  dort  Dnsere  Liehe  Krau  eine  Stätte  h.thcn  wolle.  Und  er  erbaute 
daselbst  eine  Kinhe,  die  der  Sitz  des  Dischofs  von  Hildesheim  wurde. 

‘.t. 

Der  .^laminon'  iiiaclit  nicht  «jlücklich;  mit  ticin  Kciclitum 
kehren  8orgen  ein,  tlie  ein  Aniier  nie  kennen  lernt.  Diese  ini 
Mitteliilter  immer  wieder  vorpetniffene  Wahrheit  hat  in  der 
Literatur  iliren  vollendeten  Aimdriick  gefunden  in  La  Fontaines 
Fabel  „TiC  savetier  et  le  financier“  (Fahles  VIII  2),  und  auf 
ihr  beruht  Hagedorns  fredicht,  der  „muntere  Seifensieder“, 
das  ja  kaum  in  einem  dcut.schen  Lesebuche  fehlt.  'Aber  längst 
vorher  war  dieselbe  Erzählung  in  Deutschland  zu  Hause.  .lo- 
hann  Herolt  hat  sie  im  Promptuarium  Exemplorum  (Ausg. 
A.  Koberger,  Nürnberg  1502  unter  dem  Buchstaben  T.  ex.  VIII) 
in  der  Fassung,  dass  die  Nachbarn  dem  sangesfrohen  Armen  einen 
Sack  (jeld  vors  Haus  werfen,  den  er  an  sich  nimmt;  die  Sorge 
ums  Geld  lässt  alsbald  seinen  Gesang  verstummen,  und  die  alte 
Fröhlichkeit  kehrt  erst  zurück,  als  ihm  die  Nachbarn  das  Gehl 
wieder  abgenommen  haben.  Dieser  Stotl'  scheint  doch  in  .seiner 
ältesten  nachweisbaren  Form  französisch  zu  sein.  Wenigstens 
weist  ihn  der  Text  unserer  Breslauer  Handschrift,  der  wohl  der 
älteste  bi.sher  mudigewiesene  ist,  nach  dem  Jlons  Pessulani,  nach 
Montpellier. 

Oer  lustige  Spielmann  und  der  Reiche. 

[Bl.  20;tvb]  Bei  Montpellier  lebte  einst  ein  ganz  armer  Manu,  mit  Namen 
Rubin.  Der  wohnte  unter  der  Treppe  eines  ateiureiehen  Geiziialses.  Der  Anne 
hatte  eine  Fiedel  (figellam  fedjl),  die  er  nach  der  Tagesarbeit  auf  der  Strasse 
spielte.  Das  brachte  ihm  manchmal  vier  oder  gar  fünf  Groschen  Spiellohii  ein. 
Und  dieser  Verdienst  machte  ihm  grosse  Freude.  Dagegen  hatte  sein  Herr  nie 
einen  frohen  Tag.  Der  dachte  Tag  und  Nacht  bekümmert  Uber  sein  Geld  nach. 
Da  sagte  einst  sein  Weib  zu  ihm:  ,Du,  dieser  Rnbin  hat  nichts,  und  doch  ist 
er  immer  lustig.  [204  ra]  Und  du  hast  alles  im  Überfluss  und  bist  doch  immer 
bekümmert“.  Und  ihr  Manu  sprach:  .Weib,  dem  will  ich  seinen  Frohsinn  schon 
vertreiben“.  Die  Frau  aber  wandte  ein;  .Das  wird  dir  nicht  gelingen,  wenn 
du  ihm  nicht  etwa  ein  Leid  autust“.  Er  aber  versicherte  ihr:  .Ich  werde  ihm 
nichts  Böses  zufügen“.  Und  der  Hausherr  warf  heimlich  einen  Säckel  voll 
Groschen  durchs  Fenster  in  die  Kammer  des  Rubin.  .\m  Morgen  fand  Rubin 
das  Geld,  und  nun  dachte  er  den  ganzi-n  Tag  darüber  nach,  was  er  wohl  mit 
dem  Gehle  anfangen  solle.  Und  dahin  waren  Gesang  und  Frohsinn  auf  lange 
Zeit.  Nach  mehreren  Tagen  sprach  der  Geizhals  zu  seiner  Frau : .Warum  singt 
denn  der  Rubin  nicht  melirV“  Und  sie  erwiderte:  .Bei  Gott,  das  ist  mir  uu- 


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begreiflich.  Er  hat  jetzt  schon  lange  nicht  mehr  gesungen*.  Der  Mann  aber 
spricht:  .Ich  werde  ihm  seinen  Gesang  wiedergebeii*.  Und  er  ging  zum  Rubin 
hinunter  und  verlangte  sein  Gold  zurück.  Der  .\rine,  der  sich  uicht  zu  weigern 
wagte,  gab  es  ihm  wieder.  Dann  aber  griff  Rubin  nach  seiner  Fiedel  und 
spielte  auf  ihr  lustig  wie  früher.  Und  der  Geizhals  sprach  wieder  zu  seiner 
Frau:  ,Hör  doch,  Weib,  der  Rubin  singt  wieder“.  ,.Ia,  ich  bürs“,  erwiderte 
sie;  „mein  Gott,  wie  geht  das  denn  zu?*  Und  nun  erzählte  ihr  der  Geizhals, 
wie  er  es  angefangen  hatte. 

10. 

An  (len  Sdilus.s  dieser  Proben  stelle  ich  einen  Schwankstofl', 
der  mir  sonst  in  der  mittelalterlichen  Erzahlnngsliteratur  nicht 
liejietrnet  ist.  Er  zeigt,  wie  auch  recht  drastische  Geschichten  als 
Predigtexemiiel  Verwendung  fanden.  Zur  Sache  selbst  ist  zu  be- 
merken, dass  in  den  mittelalterlichen  Predigten  häufig  und  mit 
grassem  Nachdruck  gegen  das  Schminken  angekämpft  wird. 

Schmink  dich  nicht,  mein  liebes  Weib! 

[Bl.  202''t>]  Einst  lebte  ein  Weib,  das  immer  gegen  den  Willen  ihres 
Mannes  ihr  Gesicht  schminkte.  .Vis  sie  das  wieder  einmal  an  einem  Festtage 
getan  hatte  und  ganz  anders  aussah,  fragte  sie  ihr  Mann,  wo  denn  sein  Weib 
Pontia  sei.  Sic  entgegnet  ihm:  „Bekreuzige  dich  und  empfiehl  dich  Gott.  Ich 
bin  doch  dein  Weib  Pontia!“  Er  aber  erwidert:  „Du  bist  es  nicht.  Mein  Weib 
ist  dunkelbraun,  du  aber  bist  blendend  wei.ss,  mein  Weib  hat  ein  fahles  Gesicht, 
und  du  bist  rot*.  Da  spricht  sie:  „Bei  Gott,  ich  bin  dein  Weib  Pontia“,  Darauf 
erwidert  er:  „Wenn  du  es  bist,  dann  werde  ich  mal  versuchen,  ob  ich  die  Farbe, 
die  ich  auf  deinem  Gesicht  sehe,  wegbekommeu  kann*.  Und  er  machte  sich 
einen  Strohwisch  und  packte  sie  bei  den  Haaren,  — denn  Hörner  hatte  sie  nicht 
— und  begann  ihre  Wangen  zu  rcibeu,  bis  das  Blut  kam.  Unterdessen  rief  sie 
unaufhörlich:  „Ich  bin  dein  Weib  Pontia“.  Und  als  er  sie  genügend  gescheuert 
batte,  sprach  er:  „Nun  seh  ichs  endlich,  du  bist  Pontia,  mein  geliebtes  Weib“. 

Diese  Proben  werden  genügen,  um  die  Bedeutung  unserer 
Iliindsclirift  für  die  V'olkskttnde  darzutun.  Der  wertvolle  Inhalt 
wird  eine  wenigstens  teilweise  Herausgabe  die.ser  Exetnpelsamm- 
lung  rechtfertigen. 


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Das  starke  Verbum  in  der  Schlesischen  Mundart. 

Von  l'r.  phil.  \V.  von  Uiiwerth  in  Vpsalii. 

Die  beste  t'bersicht  über  das  Vokalsystem  eines  germaniseben 
Dialektes  gibt  man  im  allgemeinen  durch  eine  Vorfiibrung  der 
Ablautsreihen,  wie  sie  sich  im  Dialekt  darstellen,  und  diese  Ab- 
laut.sreihen  wiederum  lassen  sich  am  besten  veranschaulichen  durch 
das  Flexionssystem  des  starken  Verbums.  Aber  niemals  bietet 
die.ses  ausnahmslos  nur  die  laiitgesetzliche  Fortentwicklung  des 
Flexionssystems  älterer  Sprachperioden.  Stets  finden  sich  einzelne 
Formen  und  Forinengrui)pen,  deren  Ijautverhältnisse  eine  besondere 
Erklärung  erheischen.  Und  die.se  Plrklärung  finden  wir  in  dem 
Wirken  der  sprachlichen  Analogiebildung. 

Unter  dem  Ausdruck  Analogiebildung  fa.s.st  man  im  populären 
Sinne  meist  zwei  Arten  von  sprachlichen  Vorgängen  zusammen. 
Den  ersten  kann  man  als  einfache  Fürmenausgleichung  bezeichnen. 
Er  besteht  darin,  dass  eine  Lautverschiedenheit  zwischen  mehreren 
Formen  desselben  Paradigmas  aii.sgeglichen  wird,  indem  die  Laut- 
verhältnisse der  einen  Form  auch  von  den  übrigen  angenommen 
werden.  So  entwickelt  sich  z.  H.  durch  Fonnenausgleich  aus  der 
im  Mhd.  geltenden  Flexion  bant  — blinden  die  in  unsrer  Schrift- 
sprache herrschende;  band  — banden.  Oder  das  mhd.  Paradigma 
füllen  — fulte  erhält  seine  heutige  Flexion;  füllen  — füllte. 

Ein  anderer  Vorgang  i.st  die  Analogiebildung  im  engeren 
Sinne  des  Wortes.  Sie  hat  ihren  Grund  in  der  Tatsache,  da.ss 
un.ser  Sprechen,  das  Anwenden  der  verschiedenen  Worte  und 
Wortforineii,  keineswegs  nur  ein  Reproduzieren  von  erlerntem  Ge- 
dächtnis.stoft'  ist  (vgl.  hierzu  Paul,  Prinzipien  der  Sprachgeschichte'* 
S.  SS  ^8  ft'.).  .Manche  Flexionsformen  eines  Wortes,  die  der 
Sprechende  im  Zusaimnenhang  .seiner  Rede  verwerten  muss,  hat 
er  vorher  noch  nie  gebraucht,  vielleicht  auch  nie  gehört  oder 
kann  sich  wenigstens  nicht  erinnern,  sie  gehört  zu  haben.  Soll 
er  nun  eine  derartige  Form  bilden,  so  schliesst  er  sich  dabei  an 
die  Rildungsweise  einer  andern  entsprechenden  Formengruppe  an, 
die  gerade  in  seinem  Bewusstsein  vorhanden  ist.  So  will  z.  B. 
ein  Kind  erzählen,  da.ss  es  geniest  hat.  Das  Partizip  von  nie.sen 
hat  es  noch  nie  gehört.  .Aber  es  weiss,  dass  man  z.  B.  sagt  „er 


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schiesst,  er  giesst“,  aluT  „er  hat  geschossen,  er  hat  gegossen“ . Also 
bildet  es  nun  zu  „er  niest“  g-äuz  entsprediend  das  Präteritum  „er 
hat  geflossen“,  eine  Form,  die  übrigens  auch  z.  B.  der  schwäbischen 
Mundart  geläufig  ist.  Bildungen  wie  „Grosscater  hat  gerochen“ 
(anstatt  „geraucht“ ) oder  „Hansel  hat  das  gekrogen“  (anstatt  „ge- 
kriegt“), sind  ja  in  der  Kindersprache  ganz  gewöhnlich.  Und  in 
der  natürlichen,  nicht  durch  grammatische  Schulung  erworbenen 
Sprache  des  Volkes  treten  zu  allen  Zeiten  solche  analogische  Neu- 
schöpfungen auf. 

Aus  der  Erklärung  ihrer  Entstehungsweise  folgt  aber  not- 
w'endig  die  Tatsache,  da.ss  es  kein  zwingendes  Gesetz  für  das 
Eintreten  solcher  Bildungen  gibt.  Denn  bereits  bestehende,  ältere 
Formen  können  ja  im  Gedächtnis  des  Sprechenden  vorhaudeii  sein, 
können  aber  auch  fehlen.  Und  eine  verwandte  Formengruppe,  nach 
der  man  sich  bei  der  Bildung  richten  kann,  bietet  sich  bald  un- 
mittelbar dem  Bewusstsein,  bald  findet  sie  sich  nicht  im  Ge- 
dächtnis. So  erklärt  es  sich  sehr  einfach,  da.ss  wir  im  Nhd.  zwar 
zu  fragen  analog  der  Gruiipe  tragen  — trug  ein  frag  (anstatt  des 
regelmässigen  fragte)  bilden,  aber  niemals  zu  wagen,  bei  dem  — rein 
lautlich  betrachtet  — dieselben  Bedingungen  vorliegen,  ein  wag. 
Eine  weitere  notw  endige  Folge  ist  die,  dass  keineswegs  eine  kon- 
sequente Durchführung  der  analogischen  Bildung  durch  das  ge- 
samte Flexion.ssystcm  eines  Wortes  stattfindet.  Denn  es  brauchen 
ja  keine.swegs  sämtliche  Flexionsformcn  w eder  des  beeinflussenden 
noch  des  beeinflussten  Wortes  gleichzeitig  im  Bew'usstsein  vor- 
handen zu  sein.  So  ist  zwar  ein  Präteritum  frag  gebildet  worden, 
aber  nicht  ein  Partizip  gef  ragen,  was  bei  konsequenter  Durch- 
führung der  Analogie  mit  tragen  doch  zu  erwarten  wilre. 

Um  im  einzelnen  Falle  den  Hergang  bei  einer  analogischen 
Neuschöpfung  zu  veranschaulichen,  bringt  man  ihn  am  besten  in  Form 
einer  Proportion  zur  Darstellung  (vgl.  Paul  a.  a.  0.  S.  1)7 
So  drückt  man  die  Tatsache,  dass  die  Form  frag  zn  fragen  in  An- 
lehnung an  die  Pormengriipi)e  trug  — tragen  gebildet  worden  ist, 
aus  durch  die  Projicjrtion  tragen  : trug  = fragen  : x,  (x  = frug). 
Können  mehr  als  nur  zwei  Formen  des  Flexionssystems  die  Ana- 
logiebildung veranlasst  haben,  so  drücken  wir  es  aus  durch  mehr- 
gliedrige Proportionen  z.  B.  tragen : trägst ; trug  — fragen  : fragst  : frag. 

Dass  in  den  Volk.sdialekten,  die  nur  durch  den  prakti.schen 
Gebrauch  erlernt  und  durch  keine  schulmeisterliche  Xoim  geregelt 


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werden,  die  aiialogiselie  Xeuscliöpfung  üppige  Blüten  treibt,  ist 
nach  dem  bisher  Ausgeführten  selbstvci-stiindlicli.  Will  man  aber 
ihr  Wirken  im  einzelnen  Falle  begreifen  und  in  der  genannten 
Wei.se  veransehaulichen,  so  ist  eine  genaue  Kenntnis  der  Lautver- 
hältnisse des  Dialektes  die  notwendige  Vorbedingung.  Denn  viele 
analogische  Verhältnisbildungen,  die  vom  Standjiunkt  der  Schrift- 
sprache aus  nicht  erklärbar  sind,  werden  durch  die  Lautentwick- 
lung der  Mundart  ermöglicht.  So  kann  man  z.  B.  im  Schlesischen, 
da  mhd.  ü und  i lautgesetzlich  zu.sammenfallen,  zu  wischen  ein 
neues  Präteritum  bilden  in  Anlehnung  an  tiln  — fulte  füllen  (mhd. 
füllen  — fulte),  also  tiln  : fulte  — wisy  : wüste.  Oder  da  der  Plural 
zu  Busch  mundartlich  denselben  Vokal  zeigt  wie  der  Plural  zu 
Fisch,  so  kann  man  zu  dem  letzteren  Worte  einen  neuen  Singular 
bilden  entsprechend  dem  des  ersteren;  es  ergibt  sich  also  in  der 
Proportion  ])ise  : püS  = fise  : füs  die  im  nördlichen  Gebirgsdialekt 
vorhandene  Form  füs  (in  der  Kräutermuudart  fös). 

Um  die  Flexionslehre  eines  Dialektes  oder  einen  besonderen 
Ab.schnitt  aus  derselben  klar  vorführen  zu  können,  i.st  also  ein- 
mal erforderlich,  dass  man  mit  den  Lautverhältnissen  des  Dialektes 
vertraut  ist.  Hierfür  kann  ich  im  einzelnen  Falle  auf  die  Dar- 
stellungen meiner  sclilesischen  Lautlehre  verweisen  (von  U n werth, 
Die  Schlesische  Mundart,  Wort  und  Brauch  111,  im  folgeiuleii 
zitiert  als  S.  M.).  Das  Wirken  der  Analogiebildungen  im  einzelnen 
darzulegen,  wird  nunmehr  die  wichtigste  Aufgabe  sein.  Meine 
Darstellung  folgt  der  üblichen  Anordnung  nach  Ablautsreihen. 
Was  die  Bezeichnung  der  einzelnen  Mundarten  angeht,  so  ver- 
weise ich  auf  S.  M.  S.  6 u.  77;  für  die  Schreibung  auf  S.  M.  S.  IX. 

I.  Erste  Ablautsreihe. 

Mhd.  stige  — steic  — stigen  — ge,stigen. 

Gebirgsschlesisch  blaiva  bleiben  blaip  blaipst  blaipt  — blip 
blipst  — bliba  — gebliba,  snaida  schneiden  snait  snetst  snet  — 
snit  — snita  — geSnita;  lausitzisch-sclilesisch  sinaisn  schiucissen 
smest  Smest  — smis  — smisn  — gesmisij;  glätzisch  baisa  heimsen 
best  — bis  — bisa  — gebesa;  glogauisch  besn  beissen  best,  sren 
schreien  srüt  — ksrain  gcschriett;  grünbergisch  retn  reUen  retst  ret 
— ret  — - geretn. 

1.  In  den  Formen  bleiben  und  geblieben  ist  in  Glätzischen  und 
in  gebirg.s.schlesi.schen  Gebieten  das  inlautende  v geschwunden 


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(S.  M.  § 72);  blain  peblin;  durch  Porraausgleichunff  erscheint  nun 
auch  die  2.  pers.  sing,  als  blaist. 

2.  ln  der  2.  3.  pei-s.  sing,  praes.  tritt  Vokalkürzung  vor  mehr- 
facher Konsonanz  ein : best  beisst,  pfeft  p/ei/t,  kecht  keucht  (mhd. 
kleben),  ret  reitet,  snetst  änet  schneidet  (S.  M.  § 103  II).  Formen 
ohne.  Kürzung  zeigen  Wörter  mit  inlautendem  g b,  z.  B.  gebirgs- 
schlesisch  blaipst,  grünbergisch  trepst  treibst,  lausitzisch  staikst. 
Hier  ist  nach  stimmhaftem  b und  g der  Endungsvokal  vielleicht 
später  synkopiert  als  nach  Stimmlosen  und  nach  d,  das  mit  den 
s und  t der  Endung  gemeinsame  Artikulationsstelle  hatte.  Der 
Imperativ  zeigt  langen  Vokal  vgl.  gebirgsschlesisch  blaip  Snait, 
grünbergisch  trep. 

3.  Im  Präteritum  ist  der  mhd.  Vokalwechsel  in  steic  — stigen 
meist  zugunsten  des  Pluralvokales  aufgegeben,  vgl.  gebirgsschle- 
sisch blip  bliba.  grünbergisch  ret  rötn.  Die  Angaben  über  ein  im 
sing,  au  tretendes  ei  e stammen  zumeist  aus  den  Gegenden,  die 
mhd.  i zu  ai  £*  entwickelt  haben  (S.  -M.  S 12).  Altes  ei  kenne  ich 
nur  in  der  nordböhmischen  Mundart  (S.  M.  § 133),  wo  .smäes 
schmiss,  snäet  schnitt,  pfäef  pßß',  blae  blich,  sräe  schrieb  (mit  Weg- 
fall des  Labials  analog  zum  praes.  blain  blaist)  neben  pliir.  Ämisn 
usw.  auftritt.  Der  gedehnte  Vokal  des  sing,  wird  bisweilen  in 
den  plur.  eingeführt,  vgl.  gUlt.zl.sch  plifa  pfiffen,  in  snita  schnitten 
(wie  im  Partizip  gesnita  gesnetn)  ist  hingegen  die  Dehnung  ge- 
setzlich (S.  M.  § 95  Anm.). 

4.  Altes  Partizip  ohne  Prätix  erscheint  im  glätzischen  blin 
geblieben.  Im  Nord  westgebiet  der  Diidithongierungsmundarten  fand 
ich  blebni  in  der  Wendung  wüv  blelmi  ätön  war  stehen  geblieben. 
Die.se  Form,  die  den  Vokalismus  des  praes.  zeigt,  erklärt  sich 
wohl  so,  dass  die  Verbindung  stehen  bleiben  von  Wendungen  wie 
sagen  lassen,  kommen  sehen,  sagen  hören  beeinflusst  worden  ist,  in 
denen  der  Infinitiv  anstelle  des  Partizips  verwendet  wird  (.selbst- 
verständlich aiKsgehend  von  Wörtern  wie  sehen,  lassen,  in  denen 
Infinitiv  und  altes  präfixloses  Partizip  gleich  lauten). 

II.  Zweite  Ablautsreihe. 

Mhd.  biegen  biuge  — bouc  — bugen  — gebogen,  bieten  biute 
— böt  — buten  — geboten. 

Gebirgs.schlesi.sch  gisngies.sen  gist  — gfis  — gegu.sa;  lausitzi.sch- 
.schlesi.sch  bigp  biegtm  — buk  — bfign  — gebögiK  glätzi.sch  gi.sa 

Hilteilun^eD  d.  schll>.s.  Oe»,  f.  Vkdr.  lieft  ■* 


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giessen  gris  g:i.st  — grfis  g^üst  — "fisa  — gri*g:psa;  glngaiiiscli  flign) 
fliegen  — flank  — flaugp  — gpflöfiü;  grünbergiscli  sibip  schieben 
Sftp  — äübi|i  — gPsaiibiji. 

1.  Altes  ü-])raes.  zeigen  faufn  (laus.  3.  pers.  feft).  grün- 
bergiscli  föwm  saufen  und  faugn  (Krituterinumlart)  saugen.  Den 
Präsenstypus  von  inbd.  biuge  blute  zeigt  vielleiebt  laiisitziscb  loigu 
lügen.  Sonst  setzt  die  1.  pers.  sing,  .sowie  der  plur.  .stets  inlid.  ie 
voraus,  das  gemäss  S.  M.  § 104  behandelt  wird  : frifn  frieren, 
belija  belügen,  siva  (glätz.)  schieben  — gi.sa  gicsseti.  kriijia  kriechen, 
iiobitij  (glog.)  anbielen. 

2.  In  der  2.  3.  pers.  sing,  praes.  ist  der  inhd.  Vokalismus 
(biute.s)  vielfach  erhalten,  am  konsecpientesten  im  Glätzischen  vgl. 
soi])st  soipt  schiebt,  floitjit  fliegt;  Ipikst  loiidit  lügt,  sloist  schUesst, 
goist  giesst;  im  (Jebirg.s.schlesi.schen  sind  derartige  Formen  (oi) 
.seltner,  auch  im  Lausitzi.seh-Sehlesischen  (vgl.  jedoch  für  die  .säch- 
sische Lausitz  .Michel,  .Mundart  von  Seifhennersdorf  S Ö2,  Beitr. 
z.  Gesell,  d.  d.  Sprache  n.  Lit.  XV  1 fl.)  und  in  den  Diphthongierungs- 
mundarten;  Formen  mit  Kürzung  des  in  sind  gebirg.sschlesi.sch  feft 
säuft  und  in  der  Kräutenuundart  krocdit  krieeJU.  Daneben  er- 
scheinen überall  Formen  mit  mhd.  ie.  Diese  inü.ssen  ihren  Vokal 
.schon  sehr  früh  durch  Formenausgleich  erhalten  haben;  denn  sie. 
zeigen  die  lautgesetzliche  Kürzung  von  ie  vor  Stimmlosen  (S.  M. 
S 104);  bit  bietet,  slist  schliesst,  ritdit  riecht,  lausitzi.sch  likst  lügst, 
smikst  schwiegst;  frühen  Schwund  von  inlautendem  g zeigt  lau- 
sitzisch  flit  fliegt.  Die  2.  pers.  sing,  des  Imperativs  zeigt  Jetzt 
meist  mhd.  ie;  tsi  eieh,  gis  giess  (vgl.  aber  Michel,  Mundart  von 
Seifhennersdorf  Jj  i)2). 

3.  Im  Präteritum  ist  Pormenausgleich  eingetreteu.  Da  ge- 
dehntes mhd.  u und  langes  mhd.  o im  Schlesi.schen  zusammen- 
gefallen  sind  (S.  .M.  S.  4),  .so  kann  der  Vokal  in  gebirg.s.schlesisch 
tsikji  tsiiga  cog  oder  glogaui.sch  .sau|)  saubin  schob  sowidil  altem 
u als  altem  o entsprechen.  Spuren  von  mhd.  ou  (mhd.  bouc)  sind 
nicht  nachzuweisen.  Die  vokali.sche  Länge  des  sing,  wird  in  den 
Plural  übertragen  in  glätzisch  n'ujia  rochen,  fftfa  soffen,  gns&  gossen. 

ln  der  Kräuterniuiidart,  wo  mhd.  u und  ö durch  ö vertreten 
sind  (S.  M.  S 127),  und  in  einigen  Gebieten  der  Diphthongierungs- 
mundarten er.scheint  im  Präteritum  ein  ü,  vgl.  süii  .schob,  füf  soff', 
bfit  bot,  tsögi»  sogen.  Ebenso  zeigt  sich  ü iin  glätzischen  Dialekt 
der  Xachbarschaft  von  Habelschwerdt  (vgl.  Paut.sch,  Grammatik 


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der  Mundart  von  Kieslinprswalde  § 47),  wo  man  ebenfalls  ö zu 
erwarten  hätte  (S.  M.  g 19  Anm.  1,  § 29  Anni.  1).  Diese  Erscliei- 
nuiifr  lässt  sich  so  erklären,  dass  die  Verben  der  2.  Reihe  in  Ana- 
logie zu  denen  der  reduplizierenden  Klasse  Präterita  mit  dem 
Vokal  mhd.  uo  gebildet  haben  (vgl.  unten  VH).  Partizipien  wie 
gesöva  geschoben,  geböta  geboten  zeigen  denselben  \'okal  wie  geslöfa 
geschlafen,  geblöfa  geblasen,  und  so  ergil)t  sieh  die  Proportion  ge- 
Idöfa  : blhs  = geböta  : büt  usw.  Andrerseits  ermöglicht  auch  die 
Gleichheit  von  gelufa  gelaufen  mit  gefula  gesoffen  eine  Bildung 
gelufa  : lüf  (unten  VII,  4)  = gefufa  : füf.  Und  endlich  ist  es 
denkbar,  dass  die  ('bereinstimmung  der  gekürzten  3.  pers.  sing, 
fett  mit  z.  B.  west  wäscht  eine  Proportionsbildung  weSt  ; wiis  = 
fett  : füf  ermöglicht  hat.  Der  Konjunktiv  des  Präteritums  zeigt 
regelrechte  Vertretung  von  mhd.  ü,  vgl.  gebirgsschlesisch  tsKdist 
sögest,  tsija  zögen,  öbite  anböte. 

4.  Im  Partizip  ist  durch  Angleichung  an  das  Präteritum  ü ein- 
getreten in  z.  B.  glätzisch  gesüva  geschoben-,  dagegen  bieten  laut- 
gesetzliche Vertretung  von  mhd.  o:  geliirgs-schlesisch  fj-lürn  cerforen, 
glätzisch  gefröjTi  (S.  M.  i;  15).  Die  Formen  mit  stammauslauten- 
dem  g zeigen  bald  Krhaltung,  bald  Schwund  des  g (S.  M.  § 10(5) 
vgl.  gebirg.ssclilesisch  götsüen  gezogen;  lausitzi.sch-schlesi.sch  getsoin 
gezogen,  geböga  gebogen  (Strickerhäuser  getlön  geflogen);  glätziscli 
gelöga  gelogen,  getsen  gezogen;  glogauisch  bcdoeii  belogen;  griin- 
bergisch  getsauefi  getsaugn  gezogen. 

III.  Dritte  Ablautsreihe. 

A.  Mhd.  brinne  — bran  — brunnen  — gebrunnen. 

Gebirg.s.schlesisch  finda  finden  — tont  — fonda  — gefunda; 

lausitzisch  - .schlesisch  ävim  schwimmen  — svum  — svum  — ge- 
svum;  glätzisch  binda  — bönt  — bonda  — gebunda;  Diphthon- 
gierungsmundarten bin  binden  — buuk  — buu  — gebun. 

Im  Präteritum  ist  der  mhd.  V^okalwechsel  von  baut  — bunden 
überall  ausgeglichen;  im  Gebirgs.schlesischen  und  Glätzischen  .so- 
wie in  Teilen  des  östlichen  lausitzisch-.schlesischen  Gebietes  (Grott- 
kau)  zuguiusten  der  Singularform  (zum  Übergang  des  lautgesetzlichen 
a in  o vgl.  S.  M.  S 1 Anm.  1,  zur  Dehnung  in  bönt  usw.  i?  102  IV), 
in  den  übrigen  Gebieten  meist  zugunsten  des  Pluralvokals. 

B.  Mhd.  gelten  giltc  — galt  — gulten  — gegolten. 

Gel)irg.sschlesisch  malka  melken  milkst  — mulk  — mulka, 

a* 


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36 


Konj.  milke  — gemnlka,  Starva  sterbeti  St'rpst  — Storp  — Storva 
— gröSfrva;  lausitziscli-schlesisch  halfn  helfen  — hüll'  — liulfu  — 
fröhult'n;  glätzisch  nialka  — molk  — mulka  — gemulka;  glogauisdi 
hilfip  helfen  — hüf  — liiif^  — ghüfn. 

1.  Die  1.  pers.  sing,  pracs.  zeigt  regelmässig  den  Vokal  des 
pliir.  und  des  Infinitivs.  Ausgleich  zugunsten  der  2.  3.  pers.  sing, 
zeigen;  hilfu  (glogauisch  und  im  nordhöhmischen  Dialekt),  gildu 
geltai  (nordböhmisch),  gildu  (glogauisch),  gilt)  (Kräutermundart), 
ln  gelda  (gebirgsschlesisch)  ist  das  e lautgcsetzlieh  (S.  11.  ^ 

2.  Im  Präteritum  findet  Ausgleich  bald  zugunsten  des  Singular- 
vokals (gebii'gsschlesisch  störva,  lausitzisch  l'rdoq),  glätzisch  gol 
galt  S.  11.  § 67  Anm.  2),  bald  zugun.steii  des  Pluralvokals  statt 
(mulk  hilf  u.  a.l  Selten  ist  der  IVech.sel  (molk  mulka)  bewahrt. 

3.  ln  dem  Verbum  wä''n  werden  ist  das  inlautende  d ge- 
schwunden (S.  II.  § 67).  Im  Partizip  erscheint  gebirgsschle.sisch 
gewurn,  glogauisch  kwurn  neben  präti.vlosem  wurn.  Eine  eigen- 
tümliche Konjunktivbildung  erscheint  in  lausitzisch  were  (Diph- 
thongierungsmundarten wier),  vgl.  lausitzisch:  icli  ijlöpt  s n ui  dos 
r ni  kum  were  ich  glanhtc  es  ihm  nicht,  dass  er  nicht  kommen  würde; 
fr*  wer  sun  kum  wen  fe  s ok  hirn  wäre  sie  tvürde  schon  kommen, 
wenn  sie  es  nur  hören  würde.  Zur  Erklärung  ist  die  Tat.sache 
heranzuziehen,  da.ss  der  Konjunktiv  praes.  in  der  Mundart  gänz- 
lich au.sser  Gebrauch  ist,  während  der  Konjunktiv  praet.  noch 
Verwendung  findet  (obwohl  auch  dieser  mit  Väirliebe  durch  Um- 
■schreibung  ausgedrückt  wird,  vgl.  r <}öt  ols  wen  r fitji  Priditn 
metjite  er  tat,  als  oh  er  sich  fürchtelc,  . . . ols  wen  de  weitst  f'urt 
gin  . . . als  wenn  du  fort  gingest).  Da  nun  dem  Konjunktiv  jiräet. 
von  haus  aus  eine  temporale  Bedeutung  nicht  anhaftet,  so  kann 
man  ihn  jetzt  als  direkt  zum  praes  gehörig  empfinden,  und  es  ist 
infolgedessen  möglich,  analog  .solchen  Pormgriqiiien  wie  näm 
nehme  — neme  nähme,  stäl  stehle  — Stele  stähle,  gä  gehe  — ge 
gäbe  auch  zu  wä''  werde  einen  Konjunktiv  wäre  -=  würde,  zu  bilden. 

4.  Mhd.  berelhen  befehlen  i.st  infolge  des  Schwundes  von  h 
mit  stähl  stehlen  zusanimengefallen,  vgl.  Reihe  IV,  5. 

IV.  Vierte  Ablautsreihe. 

.Mhd.  nemen  nime  — nam  — nämen  — genomen. 

Gebirgsschlesi.sch  nama  nehmen  nimst  — nöm  — nöma  — ge- 
numa ; lausitziscli-schlesisch  stähl  stehlni  stal  stilst  — stol  — 


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stojii  — gestüln;  sflätzisdi  drasa  dnsclien  — gedrosa;  glogauiscli 
kum  kommen  kiinst  — küoin  — gökuin. 

1.  Im  praes.  zeigt  die  1.  i>ers.  sing,  stets  den  Vokal  des  plnr. 
und  des  Infinitivs,  ln  bret^ia  brechen  ist  das  e lautgesetzlich 
(S.  M.  g 0,  1),  nordböliniiscli  erscheint  bracjin. 

2.  Im  Präteritum  ist  allgemein  Ausgleich  zugunsten  des  Sin- 
gularvokals eingetreten.  Im  Partizip  erscheint  lautgesetzlich  o 
vor  tji:  gebrocjia  (S.  M.  J;  14). 

3.  Das  Verhum  kommen  zeigt  im  praes.  u (z.  B.  gebirgs- 
schlesisch  kuina),  das  sowohl  auf  mhd.  o als  u zurückgehen  kann. 
Das  i der  2.  3.  pers.  sing,  (kirnst  kirnt)  .setzt  mhd.  ü voraus.  Im 
praet.  crecheint  meist  körn  (küom),  doch  haben  lange  Fonnen  wie 
kvom  kvoma  (mhd.  quam  «luAmcii)  bestanden.  Im  Partizip  erscheint 
präfi.xlose  Bildung  in  kunia  (gebii'g.sschlesisch  und  nordböhmisch). 

4.  An  die  4.  Reihe  hat  sich  angeschlo.ssen  gebirgsschlesisch 
äpäln  (SeidorD  spalten.  Da  es  im  Infinitiv  und  der  1.  pers.  sing, 
mit  stäln  übereinstimmte,  .so  bildete  man  stäl  ; stäjn  : stöl  — 
späl  : Spä)n  : spol.  Aus  .Anlehnung  an  stäln  werden  sich  auch 
die  zu  häln  hallen  gel)ildeten  Formen  hilst  hilt  hiütst  hält  erklären, 
.stäl  : stäln  : stilst  = häl  : häln  : hilst. 

5.  ln  niederlausitzischem  Gebiet  wird  zu  stäln  stehlen  und 
befäln  befehlen  ein  Präteritum  stül  belnl  gebildet.  Dies  erkürt 
sich  durch  Anlehnung  an  die  Flexion  der  reduplizierenden  Verben 
(Vgl.  unten  VII,  3);  da  im  Schlesi.schen  geblöfu  geblasen,  geAlöfn 
geschlafen  demselben  Vokal  zeigen  wie  gestöhi  befoln,  so  ist  da- 
durch die  Proportion  ermöglicht  geblöfp  geslöfg  : blüs  Sli'if  = 
geStölu  beföln  : .stül  befül. 

V.  Fünfte  Ablautsreihe. 

Mhd.  geben  gibe  — gap  — gäben  — gegeben. 

Gebirgsschlesisch  und  glätzisch : träta  treten  tritst  — tröt  — 
tröta  — geträta ; lausitzisch-schlesisch  frasn  fressen  — frös  — 
frösg  — gefräst! ; glogauiscli  gän  geben  gä  gipst  — güop  Konj. 
giep  — gfiobip  — gegän. 

1.  Die  1.  pers.  sing,  praes.  stimmt  .stets  im  Vokalismus  mit 
dem  plur.  und  dem  Infinitiv  überein.  In  der  2.  3,  jiers.  sing,  ist 
die  Dehnung  unterlilieben  oder  jüngere  Kürzung  eingelreten  vor 
mehrfacher  Konsonanz:  gip.st  gibst,  likst  lieg.st.  Schwund  von  in- 
lautendem b (v)  zeigt  gän  geben,  gegän  (S.M.  5;  72).  Intervokalisch 


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ist  li  gescliwimden  in  fän  göfän  sehen,  auslauteml  dagegen  als 
Reibelaut  erhalten  in  fich  sieh.  Ausgleich  in  verschiedener  Richtung 
ergab  einerseits  fist  fit,  andrerseits  filmst  (lausitzisch  fikst). 

2.  Im  Präteritum  ist  fast  immer  Ausgleich  zugunsten  des 
Singularvokals  eingetreten  (trdt  gilop).  Nur  lausitzisch  fök  so/i, 
fögp  sahen  weist  auf  mhd.  ä zurück.  Zur  Erklärung  des  g (ge- 
birgsschlesisch  foga)  in  der  letzteren  Form  und  in  gesöga  geschahen 
vgl.  S.  M.  ij  80  Anm.  1. 

3.  Das  Verbum  liegen  lautet  lija  (gebirgsschlesisch  u.  glätzisch), 
ligD  (lausitzisch),  lf‘gp(grünbergisch).  Zu  der  mhd.  3.pers.sing.  lit  ge- 
hören: glätzisch  laist  liegst  lait,  glogauisch  löt  und  die  Ausgleich.s- 
form  grünbergisch  lekt  (mit  dem  Vokal  von  lit).  Das  Partizip 
zeigt  die  regelmässige  Kontraktion  der  Lautgruppe  ege  (S..M.  S 110); 
gcbirg.sschlesiseh  gelän,  lausitzisch-schlesisch  gelain.  glätzisch  gelen, 
glogauisch  geläeü. 

VI.  Sechste  Ablautsreihe. 

Mhd.  graben  — gruop  — gnioben  — gegraben. 

Gebirgsschlesisch  groba  graben  gröp  gröpst  gröpt  — grüp  — 
grfiva  Konj.  grip  — gegröba;  lausitzisch-schlesisch  wosn  tcaschcn 
west  — wiis  — wftsu  — gewosp;  glätzi.sch  liöva  heben  höpst  — 
hup  — hüva  — gehöva;  glogauisch  fürn  fahren  (auch  fürdll) 
fift  — für  — fTifn  — gefürn. 

1.  Das  Verbum  tragen  zeigt  die  regelmässigen  Kontraktionen 
der  Lautgru]i])en  age  (S.  M.  §§  108,100)  und  ege  (S  111):  gebirgs- 
schlesisch tröan  trest  getröan,  lausitzisch-schlesisch  troin,  glätzisch 
tren,  Diphthongierungsmundarten  trüeü  tricst  getrüeü.  Das  A"er- 
bum  schlagen  bewahrt  im  Geliirg.sschlesischen  und  Glätzischen  die 
alte  Präsensform  mit  mhd.  ä:  slö  schlage,  im  übrigen  stimmt  es 
vollkommen  mit  tragen  überein. 

2.  Stehen  setzt  mhd.  .stün  voraus:  Ftanimundarten  stiu  sti.st 
.stit,  Diphthongierungsmundurten  staiu  (glogauisch)  und  sten  (grün- 
bergi.sch).  Im  Präteritum  erscheint  stun  (=  mhd.  stiiont)  im 
Glätzischen  (Pantsch  a.  a.  0.  i?  01)  und  stunt  in  lausitzischen  Ge- 
bieten (vgl.  für  die  sächsische  Lausitz  Michel,  Mundart  von 
Seifliennersdorf  §37).  Dagegen  gilt  stont  im  Gebirgsschlesischen 
und  stönt  .ston  Jtönda  in  glätzischen  Gebieten.  Die  letztgenannten 
Formen  sind  in  Analogie  zur  3.  Ablautsreihe  (vgl.  oben  111  A) 
geschaffen;  bunda  : hont  (vor  Ausgleich  des  Vokalwechsels)  = 
stunda  : stont.  Das  Partizip  lautet  regelmässig  gestanda. 


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3.  Das  Verluini  hthen  flektiert  im  Präsens  iiiiii  rriiteritiim 
repelmüssijr,  vg;l.  z.  H.  glätziscli  li^va  li^pst  liiii)  liüva,  Diplitlion- 
piernnpsiiuiiKlarten  liiehip  liüp  liübin.  Iin  Partizip  ersdieint  da- 
pepen  peliöva,  eine  alte,  auch  in  die  idid.  Schrittsprache  pedrnnpene 
Aiialopieforni.  Die  Form  gehoben  erscheint  znei-st  bei  schlesischen 
und  sächsisch-thürinpischen  Vertässern  (vpl.  Grimm,  Wörterbucli  3 
S.  841).  Sie  kann  daher  niclit  als  eine  Anahtpiebilduiip  zu  Verben 
wie  scheren  — geschoren  erklärt  werden.  Denn  die  in*  Prape 
kommenden  Dialekte  zeipen,  soweit  mir  bekannt,  keinen  Zusaramen- 
l'all  von  mhd.  e (schereti)  und  e {heben).  Vom  Standpunkt  des 
Schlesi.schen  aus  kann  gehoben  als  eine  Neubildunp  nach  dem 
Muster  reduplizierender  Verben  erklärt  werden,  vpl.  Mest  : blüs 
: peblöfa  — hepst  : hiij)  : pehöva.  Der  Fberpanp  von  mhd.  ä > ii 
oder  zum  mindesten  der  Zusammenfall  von  mhd.  o und  ä in  einen 
Laut  (S.  M.  8.  4)  war  zur  Zeit  des  Gryphius  jedenfalls  schon  voll- 
zopen.  l'nd  so  ist  es  wohl  möglich,  dass  die  Form  gehoben  aus 
dem  schlesischen  Volksdialekt  in  die  Schriftsprache  pedrunpen  ist. 

VII.  Die  reduplizierenden  Verben. 

Mhd.  lieijen  — hiej  — hiejen  — geheijen. 

Gebirps-schlesisch  hfesa  — his  — hisa  — geln'sa. 

Der  im  Mhd.  repelmässipe  Vokal  ie  im  Präteritum  timlet  sich 
bei  allen  Verben  dieser  Klasse.  Daneben  aber  er.scheint  vielfach 
ein  ü u,  das.  da  es  in  sämtlichen  schlesischen  Mundarten  gleich 
lautet,  nur  als  lulul.  uo,  germ.  0 erklärt  werden  kann  (vgl.  S.  M. 
§ 42).  Nun  gibt  es  ja  im  Gotischen  neben  den  einfach  redupli- 
zierenden Verben  eine  (truppe  reduplizierend-ablautender  Verben, 
K.  B.  Ktan  — lailöt,  tekan  — taitök ; mit  Schwund  der  Rcdu]di- 
kation  i.stein  Präteritum  dieser  Gruppe  erhalten  im  .Altschwedischen: 
löt  löto.  Und  es  konnte  ja  verlockend  erscheinen,  eine  Form  wie 
schlesisch  lös  (Weinhold,  ('l)cr  deutsche  Dialektforschung  8.  59) 
pleicjifalls  als  eine  derartige  uralte  Bildung  atizusehen.  Alte  o- 
Präterita,  auf  Grund  indopermanischer  Aldautsverhältnisse,  setzt 
K.  Ljungstedt  (.Anmärkuingar  tili  det  starka  preteritum  i per- 
manska  spräk,  U]ipsala  1887)  auch  für  die  IV.  u.  V.  Ablautsreihe 
sowie  für  Verben  der  reduplizierenden  Gru])pe  an  (vgl.  auch 
V.  Bahder,  Anzeiger  für  indopermani.sche  8prach-  und  Altertums- 
kuude  II  8.  (50  und  Behaphel  in  Pauls  Grundriss  1*  8.  736l.  Die 
Möglichkeit,  dass  man  auch  mit  derartigen  Bildungen  rechnen 


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müsse,  ist  iiiclit  zu  leugnen.  Hier  aber  will  ich  mich  begnügen, 
die  Wege  aufzuzeigen,  auf  denen  man  auch  in  erst  nach- mittel- 
hochdeutscher Zeit  auf  schlesischem  Boden  zur  Bildung  der  ü- 
Prüterita  gelangt  sein  kann. 

1)  An  die  kurzvokalischen  Verben  der  VI.  Ablautsreilie  schlies.st 
sich  fallen  an  und  bildet  so  sein  Präteritum  mit  A,  vgl.  woäa 
wasdien  : weSt  : gewoSa  : wAä  = fola  ; feist  : gefola  : fül.  Ge- 
birgsschlesisch  ei-scheint  fole  fil,  lausitzisch-.schlesi.sch  (östlich) 
fül,  glätzi.sch  fil  und  eine  Weiterbildung  von  fül  zum  schwachen 
Präteritum  fulde  (vgl.  unten  2)  unter  braten),  glogauisch  fil,  grün- 
bergisch  gefAl.  (Ganz  entsprechenden  Übergang  von  fallen  in  die 
VI.  Reihe  zeigen  neufriesische  Mundarten,  vgl.  neuwestfriesisch 
fül  fAol  und  wangeroügisch  ful  fuln,  Siebs  in  Pauls  Grundriss  I * 
S.  1219  und  1922). 

2.  An  Stin  stehen  schlie.sst  sich  gelten  an.  vgl.  stin  : geStanda 
; Stunt  = gin  ; gegana  : gunk.  Die  meist  gebrauchte  Präterital- 
form  ist  jetzt  gink  gina,  vgl.  aber  W'einhold,  (‘ber  deutsche  Dia- 
lektforschung S.  123.  Das  Partizip  erscheint  gebirg.s.schlesisch 
und  nordböhmisch  als  gana. 

Weiter  schlie.ssen  sich  an  fattgen  und  hängen,  vgl.  gestanda 
; Stunt  = gana  : gunk  = gefana  : funk  = gehana  : hunk.  Weit 
gebräuchliclier  aber  als  die  u-Pormen  sind  fink  uml  hink;  tun 
gilt  in  niederlausitzi.schem  Gebiet  (über  u-PrUterita  im  Nieder- 
deutschen und  Friesischen  vgl.  Grundriss  1 S.  737  u.  1219  Anm.). 

3.  schlafen  und  blasen  .stimmen  in  der  2.  3.  pers.  sing,  pracs. 
mit  den  langvokalischen  Verben  der  VI.  Reilie  überein,  und  dies 
führt  zu  der  Proportionenbildung  grepst  grept  (Diphth.  griep.st, 
laus.  grei>st)  : grAp  = Slefst  (slief'st,  .slefst)  : sluf  = blAst  (bliest, 
West)  : blAs.  Im  Gebirgsschlesischen  gilt;  .^löfa  .slufa  (mit  Kürzung 
vor  Konsonant  -f  n,  S.  JI.  ^ 103  III),  slif  .slifa  geslöfa;  im  Lau- 
sitzisch-Schlesischen  slöfn  slif,  aber  im  östlichen  Gebiet  auch  älAf; 
im  Glogaui.schen  slöfn,  im  Grünbergischen  slaufii  sluf.  Für  blasen 
gilt  gebirgsschlesisch  blöfa  blis,  glätzisch  blis  und  blAs,  grün- 
bergisch  blaufn. 

An  diese  Verben  hat  sich  auch  bröta  braten  angeschlossen, 
ist  aber  dann  teilwei.se  in  die  schwache  Konjugation  übergetreten: 
das  neugebildete  ü-Pihteritum  hie.ss  lautgesetzlich  (S.  M.  § 104) 
brfit  — bruta.  Und  nun  wurde  der  Plural  entsiirechend  etwa 
huta  zu  Inite  hütete  aufgefasst  und  dazu  ein  Singular  brüte  ge- 


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bildet.  Die  scliwaclie  Flexion  ist  auch  in  das  Präsens  gedrungen: 
2.  3.  pcrs.  brutst  brut;  dagegen  bleibt  das  alte  Partizip  gebröta. 
Im  Präteritum  mögen  eine  Zeit  lang  starke  und  schwache  Form 
(brät  und  brüte)  nebeneinander  bestanden  haben,  und  dies  kann 
die  Veranlassung  dazu  gegeben  haben,  dass  auch  andere  starke 
Verben  mit  ä-Präteritum  schwache  Flexion  annahmen,  vgl.  fulde 
zu  fola  (oben  unter  1),  rute  zu  röta  raten. 

4.  Um  das  ä- Präteritum  bei  dem  Verbum  laufen  zu  erklären, 
müssen  wir  ausgehen  von  der  alten  Partizipialform  geloffen  (Paul. 
Wild.  Grammatik  !;  164  Anm.  3;  Pauls  Grundriss  I S.  737).  Diese 
lautet  schlesisch  gelufa  gölutn  und  fällt  so  mit  der  gekürzten 
Form  des  Partizips  von  slötä  zusammen;  daher  bildet  man  ge- 
slufa  : slQf  = gelufa  : Ifif.  Gebirgs.schlesisch  gilt  laulä  lefst, 
lif  lifa,  gelufa;  lausitzisch-schlesLsch  lofp  h'fst,  lif;  glätzisch  läfa 
lefst,  lif  lifa,  gelufa;  glogauisch  lofij,  gelöfp ; grünbergi.sch  laufn, 
läf,  gelauwm. 

An  laufen  schlie.sst  sich  haueti  an,  vgl  lefst  (glätz.  lefst)  : läf 
= hepst  (glätz.  hepst)  : häp.  Gebirgsschle.sisch  erscheint  haun 
hepst  häpt,  hüp  häba,  gehaun;  lausitzisch-, schlesisch  haun  haust, 
haute  (wohl  analog  saun  , saute);  glätzisch  häu  (und  haun  vgl.  S. M. 
§ 39)  hepst,  hip  hiva;  glogauisch  hön;  grünbergisch  haun,  hüp. 

Die  von  Weinhold  (a  a.O.  S.124)  angeführte  Form  küf  zu  kaufen 
lie.sse  sich  im  .\nschluss  an  laufen  und  hauen  ohne  weiteres  verstehen. 

5.  Hier  führe  ich  auch  das  Verbum  lassen  an.  obwohl  mir 
Präteritalformeu  mit  ü u (Weinhold  a.  a.  0.  S.  59)  in  der  lebenden 
Wundart  nicht  begegnet  sind.  Es  ist  wichtig,  gerade  hier  die 
Wöglichkeiten  einer  Entwicklung  etwaiger  ü-Formen  erst  auf 
.schlesi.schein  Boden  darzutun,  da  man  eben  bei  diesem  Verbum 
am  ersten  an  die  Erhaltung  einer  alten  germanischen  ö-Form 
(gotisch  lailöt,  schwedisch  löt)  denken  konnte. 

In  der  P'lexion  wechseln  kontrahierte  und  unkontrahierte 
Formen:  gebirgsschlesisch  er.scheint:  1.  pers.  sing,  lös  lus  lö, 

2.  3.  pers.  lest,  1.  3.  pers.  i)lur.  lön,  2.  jdur.  lust  lut,  Imperativ 
2.  sing,  lös  lus  lö,  jmaet.  lis  lisa  Konj.  lise,  part.  gelön  lön; 
lausitzisch-.schlesisch : praes.  lus  lest  lusn,  praet.  lis,  part.  gfdusn; 
glätzisch:  praes.  lus  list  lit  lön,  praet.  lis  lisa,  part.  gelön;  die 
Diphthongieruugsmundarten  stimmen  im  allgemeinen  zum  Lau- 
•sitzischen.  Der  Ursprung  ilieser  mannigfachen  Formen  i.st  fol- 
gender: mild.  1.  pers.  län  wird  zu  lö,  mhd.  läze  zu  lös,  mhd. 


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42 


2.  pers.  liest  zu  lest,  inlul.  ü.  pers.  laut  zu  gliitz.  lit  (S. il.  25 
Anm.  1),  mild.  2.  ])lur.  läzet  > lust,  lät  zu  lut,  3.  jilur.  laut  zu 
lön,  und  mm  tritt  nuch  verseil iedeneii  Kielituugen  hin  Formen- 
ausgleicli  ein.  Die  Möglichkeiten,  auf  analogischem  Wege  zu 
einsm  n-Prilterituin  zu  gelangen,  sind  nun  folgende:  lö  attrahiert 
slö  schlage.  Vgl.  slö  : slucji  = Io  : Ins;  lös  attrahiert  Alöf  hlös, 
vgl.  Slöf  : sliif  = lös  : liis;  part.  gelusa  attrahiert  geslufa  gfdufa, 
vgl.  geslufa  : sliif  = gfdu.sa  : liis;  lest  attrahiert  west  feist  nsw., 
vgl.  feist  : fiil  = lest  : lüs. 

6.  slossen  erscheint  in  folgenden  Formen : gehirgsschlesisch 
stiisa,  praes.  stiis  stist  stist,  praet.  stis  und  stüs  stüsa,  jiart.  ge- 
stiisa;  lausitzisch-schlesisch  Ätusii,  Stis,  gestiisu;  gliitzisch  Stii.sa 
(stist),  stüs  stüsa.  gestüsa;  gloganisch  stausn.  stüs,  k.stausp;  grün- 
bergisch  stöfn,  gestösn. 

Man  darf  wohl  neben  dem  langvokalischen  Partizip  gestüsa 
ein  solches  mit  gekürztem  Vokal  an.setzen  (S. M.  g 103  lil);  dann 
gilt  die  Proportion  geSlufa  gelufa  : slüf  lüf  --  gestüsa  : stüs.  An- 
dererseits kann  auch  Beeinflu.ssung  von  seiten  der  II.  Ablautsreihe 
vorliegen,  die  ja  ihrer.seits  ü-Priiterita  nach  dem  Muster  redupli- 
zierender Verben  besitzt  (oben  II,  3).  Dann  gilt  das  Verhältnis 
gist  giesst  slist  : güs  Slüs  = stist  : stüs. 

Zum  Schluss  muss  ich  noch  bemerken,  da.ss  meine  Behandlung 
des  starken  Verbums  im  Schlesi.schen  selbstverständlich  nicht  den 
Anspruch  auf  absolute  Vollständigkeit  erhebt.  Es  mag  noch 
mancher  interessante  Fund  zu  machen  sein  an  Orten,  wo  ich  nicht 
ge.sainmelt  habe.  Tm  ganzen  aber  glaube  ich  in  den  Hauptzügen 
die  historische  Entwicklung  und  auch  wichtige  Beobachtungen 
über  die  geographische  Verbreitung  im  einzelnen  gegeben  zu  haben. 
Manche  .scheinbare  Lücken  in  der  Darstellung  finden  in  den  tat- 
sächlichen Verhältni.s.sen  ihre  Erklärung.  Jeder,  der  sich  einmal 
für  mundartliche  Forschung  auf  schlesischem  (iebiete  interessiert 
hat,  wird  wissen,  wie  scliwierig  es  z.  B.  ist,  die  Formen  der 
starken  Präterita  überhaupt  zu  erfahren.  Denn  die.se  werden  Ja, 
aussei'  in  ganz  bestimmten  syntaktischen  Oefügen,  fast  immer 
umschrieben.  Und  .so  können  sie  aus  dem  Sprach.schatz  mancher 
Individuen  und  Sprachgeno.ssensohaften  leicht  überhaupt  schwinden; 
oder  es  treten  au  ihre  Stelle  .schriftsprachliche  Formen. 


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43 


Der  Wortschatz  der  Mundart  von  Dnhrancke. 

Von  I>r,  Waldemar  lioessgen  t- 

Im  Jalire  1902  ist  als  zweites  , Beiheft“  zu  den  ^Mitteilungren“ 
eine  wertvolle  Arbeit  von  I)r.  Waldemar  Goessgen  erschienen: 
„Die  Mundart  von  Dnhrancke“  (Kreis  Spremberpf).  Nur  der  erste, 
prammatisclie  Teil  ist  dort  gegeben;  den  Druck  des  zweiten  Teils, 
der  den  Wortschatz  umfasst,  sollte  der  Verfasser  nicht  erleben. 
Im  Jahre  1906  ist  der  verdiente  junge  Geleinte  nach  schwerer 
Krankheit  gestorben.  Ich  gebe  die  Arbeit  hier  wieder,  nachdem 
ich  verschiedenes  Bekannte  und  Entbehrliche  gestrichen  und  Weniges 
hinzugesetzt  habe;  sie  will  nicht  den  gesamten  Wortschatz,  sondern 
hauptsächlich  die  für  die  Mundart  charaktcristi.schen  Worte  .sammeln 
und  legt  ausserdem  Gewicht  auf  Mitteilung  von  Sitte  und  Braucli.  Ss. 

Den  Gegenstand  der  Untersuchung  bildet  die  Mundart  der 
Bauern,  nicht  die  der  Industriebevölkerung,  sofern  sie  erst  kürzere 
Zeit  ansä.ssig  ist.  Es  kommt  darauf  an,  die  alte  Bauernmundart 
möglichst  rein  zu  erkennen,  um  später  die  h>gebuisse  für  die  Be- 
siedelung-sgeschichte  der  Lausitz  nutzbar  machen  zu  können.  Vor 
etwa  100  Jahren  war  die  Bevölkerung  noch  ziemlich  wendisch, 
doch  durchsetzt  mit  deutsclien  Elementen.  Die  Germanisierung 
ging  namentlich  in  der  zweiten  Hälfte  des  vorigen  Jahrhunderts 
schnell  vor  sich.  Gegenwärtig  sind  Dubraucke,  Tschernitz,  Wolfs- 
hain, Friedrichshain  durchaus  deutsche  Dörfer.  Die  Wenden 
lernten  in  Kirche  und  Schule  die  deutsche  Schriftsprache,  ausser- 
dem aber  waren  sie  den  Einflü.ssen  der  Mundart  oder  der  Mund- 
arten der  Deutschen  ausge.setzt,  die,  früher  oder  später  eingewandert, 
ihre  Nachbarn  wurden.  Woher  sind  jene  Einwanderer  gekommen  V 
Zur  derein.stigen  Lösung  die.ser  wichtigen  Frage  mag  dieser 
zweite  Teil  der  Darstellung  der  Mundart  von  Dubraucke,  der  den 
Wortschatz  behandelt  und  auch  in  anderer  Hinsicht  den  gramma- 
tischen Teil  ergänzt,  hoffentlich  einmal  beitragen. 

Die  Schreibung  i.st  phonetisch  und  entspricht  der  in  den  „Mit- 
teilungen“ vorgeschlagenen  fast  völlig  (vgl.  Siebs,  Th.,  Wie  .sollen 
wir  die  schlesischen  Mundarten  schreiben?  .Mitt.  d.  schles.  Ge.sellsch. 
f.  Volkskunde  XVI 1 .ö4ff.).  Die  Werte  der  einzelnen  Zeichen  sind 
folgende ; 


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44 


a = kurzes,  bülineiuleutsclies  a,  wie  in  alt. 
ä = laiifjes  a,  wie  in  bühnend.  Viüer. 
e = kurzes  offenes  e,  wie  in  Belt,  hält. 
e = langes  offenes  ä,  ähnlich  wie  in  Träne, 
k = langes  geschlossenes  e,  wie  in  See,  weh. 
e = kurzes  geschlossenes  e (koninit  nur  ini  Diphthong  a<*  vor  = 
bühnend,  ei  in  Wein,  Mai). 
a = gemurmeltes  (schwaches)  e,  wie  in  Gabe,  lobe. 
i = kurzes  offenes  i,  wie  in  Kind,  tvissen. 
i = langes  geschlossenes  i,  wie  in  ihm  lieb. 

0 = kurzes  offenes  o.  wie  in  doch,  Bock. 
ö = langes  geschlossenes  o,  wie  in  Kohl,  ohne 
0 = kurzes  geschlossenes  o (kommt  nur  im  Diphthong  ao  vor  = 
bühnend,  au  in  Haus). 
u = kurzes  offenes  u,  wie  in  Hund,  Kurt. 
ü - langes  geschlossenes  u,  wie  in  Huhn. 
ae  = Diphthong,  wie  in  bühnend.  Wein,  Mai. 
ao  — Diphthong,  wie  in  bühnend.  Haus,  auch. 
r gewöhnlich  Zäpfchen-r;  Zungen-r  (alveolar)  ist  seltener, 
r silbebildendes,  stark  reduziertes  r mit  a- Färbung,  z.  R.  Icrf 
(Lehrer)  klingt  fast  wie  lera 
1.  m,  n entsprechen  den  bülmendeutschen  Lauten, 
n ist  velarer  Nasal,  wie  in  bühnend,  lau  = lang,  dank»  = danke. 
1,  m,  n,  n werden  auch  sill)ebildend  gebraucht,  z.  H.  efl  Esel; 

nur  im  Notfälle  wird  das  durch  {■  1 n n usw.  bezeichnet, 
f ist  stimmloser,  w stimmhafter  labiodentaler  Reibelaut,  wie  in 
bühnend,  falle,  Wall. 

V ist  stimmhafter,,  bilabialer  Reibelaut,  z.  B.  kvark  = Quark. 
s ist  stimmlos,  wie  in  bühnend,  es.sen. 
f ist  stimmhaft  wie  in  bühnend,  fage,  E/el. 
s ist  stimmlos,  wie  bühnend,  scli  iti  schön, 
fj  ist  stiminliaft,  wie  bülinend.  g in  Courage,  j in  Journal. 

(dl  ist  stimmlos,  wie  in  bühnend,  ich,  tji  wie  in  ach. 
j ist  stimmhaft,  wie  in  bühnend,  ja,  jung. 
h i.st  Hauchlaut,  wie  in  bülinend.  hall. 

Die  Werte  sind  in  der  Regel  nach  den  .^nfang.slanten  geordnet;  nur  bei 
unbetonten  Vorsilben  nach  dem  Stammanlaut. 

Worte,  die  in  der  Mundart  nngebrituchlich  sind,  werden  in  f]  ein- 
geschlosseu. 


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45 


Es  sind  auch  einige  rein  wendisclie  Worte  aiigeflllirt , weil  sie  mitten  in 
der  deutschen  Itede  wie  deutsche  Worte  verwendet  werden. 

Worte  mit  vokalischem  Anlaut  kommen  auch  mit  vorgeschlagcnem  h vor, 
andererseits  unterbleibt  in  den  mit  h anlautenden  der  Hauchlaut  oft. 


a. 

iin-ga-ficjit.i.  n.  Uezcieliiiung  einer  Krankheit  = nihd,  un- 
jresülite,  st.  n.  z.  B.  \vi  liat'ta  in  da  kirtjia  wör,  dö  hö-it^  das 
sinfr.ifiehta  frakriejit:  do  \v6r  inj-  lö  Slim!  — angofitjita  is,  wen  en 
das  esp  nich  sniekn  tnt.  Man  brinjjt  im  Volke  die  Krankheit  mit 
.ansehen“  zusammen;  mirs  fon  di  gasen  bedeutet:  die  Gegenwart 
dieser  Person,  dieser  Frau,  hat  in  mir  das  „angafitdita“  hervor- 
gerut'en. 

äos-forn.  st.  V.  Au.s.sehläge,  Ge.schwüre,  namentlich  im  Ge- 
sicht. beküinmen;  äo.sgaförn  fafn. 

äos-hfsij.  st.  V.  Jem.  Schimpfnamen  geben.  DWb.  — . 
äos-wirkp.  sw.  v.  Den  Brotteig  zu  Broten  formen, 
äos-äita.  f.  Die  Ausschütte.  Beim  Grassiclieln  binden  sich 
die  Frauen  häutig  das  Grastncli  um  und  tun  das  gesichelte  Gras 
hinein;  wird  ihnen  die  Last  unbequem,  so  .schütten  sie  den  Inhalt 
aus;  das  ist  jed(‘srnal  eine  fl.Ausschütte“.  DWb.  l 962  kennt  ^Aus- 
.sehütte*  nur  als  „Tisehabfälle'*. 

äp-rafp.  sw.  v.  abraffen,  das  zum  Beladen  eines  Wagens 
mit  der  Gabel  heraufgereichte  Heu  oder  Stroh  abnehmen. 

april-oksa.  m.  P'iner,  den  man  „in  den  April  geschickt 
haf*.  Man  führt  einen  Men.schen  an  und  klärt  ihn  dann  auf,  mit 
den  Worten:  haeto  i.sd)’  ersta  april  (erst  april),  sikt  mj'’n  oksn, 
wü  man  in  (=-  hin)  wil!  Ebenso  .schickt  man  in  den  Mai:  häffis 
d)'  er.sta  mae,  sikt  nij-  n oksn  nins  hae  (Heu)! 
äp-r(in.  ,sw.  v.  ausruhen,  rasten.  DWb. 

(h)arfl.  f.  Armvoll;  weiblich  nacli  Analogie  von  hampft|.  f. 
DWb.  1 563. 

h. 

bäba.  f.  Napfkuchen;  wend.  u.  poln.  baba, 
biik - stel(t)so.  f.  Bach.stelze.  wen  die  bäk.^tel(t)sa  kumt, 
breut  fo  na  huka  gras  ufn  svan(t)sa  (d.  h.  wenn  .sicli  die  Bach- 
stelzen zeigen,  kann  man  anfangen  Gras  zu  sicheln). 

bi'ikütäka.  f.  pl.  bakubskg.  Backob.st.  Der  Stamm  von  backen 
mit  dem  wend.  Deminutiv  -uska;  vgl.  wend.  mama  : mamnäka. 


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46 


bertsaoka.  f.  Blasinstrument,  aus  der  Rinde  junper  Weiilen- 
zweige  gefertigt.  Die  vom  Holze  abgezogene  Rinde,  etwa  4 cm 
lang,  wird  an  dem  einen  Ende  von  der  Epidermis  befreit,  beim 
Ilineinbla.sen  liiast  sich  ein  schnarrender  Ton  hören.  Da.sselbe  wie 
b’aite  in  Leipzig.  Wb.  S.  111.  — Vgl.  Haupt-Schmaler  II  225 
(barcawa  aus  Weidenrinde  oder  dem  Stengel  von  Kürbisbliitterh). 
Pfuhl:  barcawa  u.  börcawa  = Rrummpfeife.  Vgl.  S.  67. 

birb].  m.  Kot  gewisser  Tiere,  z.  B.  söf-,  ferdo-.  DWb.  — . 
birda.  f.  Bürde  = ein  Grastuch  voll  Gras,  Heidekraut, 
Heu  oder  dgl.;  eine  birda  ist  grös,ser  als  eine  huka. 
blubern.  sw.  v.  brodeln,  gurgeln  (vom  Wasser), 
bok,  buk,  in  mae  buk,  mui  buk  (=  mein  Gott).  Scherz- 
hafter Ausruf,  in  spottendem  Sinne  bewusst  wendisch  gebraucht, 
vgl.  wend.  boh  = Gott,  ln  .Muskau  kommt  häutiger  vor:  wes  dr 
buksa!  weiss  Gott!  (Beteuerung), 
boml.  f.  Troddel. 

braska.  Waldgegend  zwischen  Dubraucke  und  Jerischke. 
breml,  briml.  m.  männliches  Schaf  (auch  - Stier?),  vgl. 
ahd.  breman,  mhd.  auch  brimmen  (.st.  v.)  neben  dem  sw.  v.  brummen, 
also  = Brummer.  — Vgl.  Zeitschr.  f.  d.  Phil.  XX  8.  242  bremmel 
= Zuchtoch.se;  brummer.  DWb.  II  426;  vgl.  Leipz.  Wb.  S.  64 
brömmeln  = murren,  keifen;  Iterativ  zu  brummen.  = Halle;  S.  84 
brummochse  = Zuchtstier. 

bretu.  sw.  v.  fertig  bringen;  z.  B.  das  bret  icdi  niCdi.  — 
der  bekf  der  bret  er§t  ken  örntlicjias  bröt  nic^i.  — Bei  breiten 
(DWb.  II  356)  .steht  diese  Bedeutung  nicht.  = Leij)z.  Wb.  S.  63. 
breten,  ermöglichen,  zustandebringen  = Laus.  Schles.  Erzg. 

brin.  sw.  v.  brühen.  1.  = sich  hei.ss  anfühlen,  intrans. 
2.  trans.  — DWb.  11  424  f. 

brinkjn.  sw.  v.  leicht  in  brink}  zerfallen;  auch  die.ses  Zer- 
fallen veranla.ssen,  briukl  fallen  la.ssen  (brinkla  doiji  nicji  fö!)  Vgl. 
DWb.  II  431  (lu'unke,  brünkcl,  brünkeln). 

bubak.  m.  ge.spensti.sches,  böses  Wesen;  wie  der  .schwarze 
Mann“  Schreckmittel  für  Kinder;  böhm.  bubak. 

d. 

dölan.  m.  Waldgegend  bei  Zschorno ; baumfreie  gras- 
bewachsene Stelle. 

dräosamän.  m.  Brautdiener,  zugleich  der  Festordner. 


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47 


(IriioSko.  f.  Urautjnngf'cr.  dransaman  und  draosko  liildeii 
das  Paar  liiiiter  dem  Brautpaar;  — wend.  dru^ka  = Genossin, 
Gespielin;  gew.  Züchtjungfer,  Brautjungfer:  Pfulil  S.  167. 

dreliiik.  m.  kleiner  Kreisel,  Kinderspielzeug;  kleine,  runde 
Scheibe  oder  Knopf  mit  durchgestecktem  Hölzchen. 

dremln.  sw.  v.  vollpacken,  einen  Raum  unter  .Anwendung 
von  Kraft  vollständig  oder  iilier- füllen;  z.  B.  dr  hanfu  (Seitenraum 
der  Scheune)  is  gans  ful  godremlt  mit  ätrö.  l)\Vb.  II  1400: 
dremeln  (schlagen,  stossen,  schieben).  — Weinhold,  schles.  Wb.  16: 
gedremelt  „gedrückt  voll“. 

drimafii.  sw.  v.  (auch  dremaen  wurde  gehört).  Sich  im 
Halbschlummer  befinden,  nicken;  z.  B.  iGi  kundo  nicji  äcnslofn,  itji 
hö  blüs  fö  gadrimaet;  wend.  dremac  — schlummern. 

drogonSo  wifa.  [ba<!  da]  Flurname,  Ilrogon  Familienname? 
düban  (in  dulian).  Flurn.;  wend.  duban-Eichen  = (Feld, 
Wald  od.  dgl.j;  dub  (Eiche)  steckt  auch  im  Namen  nubraucke 
(dubrauka  ^ EiehenwiUdehen). 

dumpaen.  sw.  v.  dumpf  aufschlagen.  mit  dem  Kopfe  gegen 
die  Decke  oder  an  einen  Balken  stos.seu;  wenn  Kinder  im  Scherz 
die  Stirnen  gegeneinander  .stossen;  das  Stos.sen  des  Kalbes  gegen 
das  Euter.  Vgl.  dumiieln  (werfen,  sto.ssen)  DWb.  II  lf)22  und  wend. 
dump  (.Schlag),  dnmjiac  (puffen)  Pfuhl  171. 

dundai',  m.  Donner.  Auch  in  Ausrufen  und  Flüchen,  deren 
zweiter  Bestandteil  bisweilen  eupliemi.stisch  unverständlich  ist; 
dundj'-högl.  dundr-litcjm  (oft  als  Ausruf  der  Bewunderung),  dundj- 
fäbl,  dundj-fägl,  dundp-faksij , dundj’-wetr,  dundr-wetstok  für 
„Donnerwetter!“  vgl.  Leipz.  Wb.  S.  105,  dundr-kil.  Auch  .scheltend 
dfi  dundp-medl  du  du! 

düna.  adj.  (nur  prädikativ)  betrunken;  ders  ha?fa  widp 
möl  düna. 

e. 

elda.  f.  Alter.  — DWb,  I 267:  Alte. 
tMiiliuk.  m.  Heimchen.  — DWb  IV  2 869:  Heimei,  n.  Demin. 
zu  Heime  (m.  und  f.),  vgl.  auch  lieimilin,  heimlin.  — Die  Form 
hemliuk  habe  ich  nicht  gehört. 

esarn.  sw.  v.  in  fi(4i  üpesarn,  j--esarn  = hastig  arbeiten 
oder  laufen,  .so  dass  man  erhitzt  und  atemlos  wird.  DWb.  I 
Beipz.  Wb.  S.  73. 

öcJil-kapS.  m.  Eichelhäher.  Vgl.  schles.  kapsch  ^ Rock- 


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48 


tasclie  (cai)saj,  einkupschen  einsacken,  cinstecken;  Weinliold, 
Dialforscli.  80;  etwa  weil  der  Vogel  Eicheln  , einsackt“,  frisst? 
— Oder  ist  kap§  von  kaps  kubisz,  kabis  (schles.  k^bscli  = Kopf), 
Kohlkopf,  im  Schles.  zu  Kopf  überhaupt  erweitert,  abzuleiten? 
Vgl.  DWb.  V 9. 

f. 

fapo.  f.  Windma.schine  zum  Reinigen  des  Getreides  von  der 
Spreu.  Dazu  das  Verbum:  facn.  sw.  v.  Vgl.  fegen,  sbst.  die 
fege,  DWb.  III  1412:  Fege  (=  purgatlo)  auch  Sieb  zur  Reinigung 
des  Getreides,  Kornfege.  — fegen  = „kehren“  kommt  nicht  vor, 
ausser  in  dem  (schriftsprachlichen?')  sörstufegf  oder  sörskufegr 
(Schornsteinfeger). 

f|--fämt.  adj.  Umbildung  aus  infam. 

faro.  f.  Pfarre,  nur  in  der  Reden.sart  uf  da  fara  gen  = in 
den  Kontimiandenunterricht  gehen. 

ferfa.  f.  junge  Kuh. 

ferts|n,  rum-fertsln.  sw.  v.  massig  hin-  und  hergelien. 
Leipz.  Wb.  S.  112;  DWb.  — . 

finfl.  m.  Füllsel,  wurst-finfl.  — DWb.  I\'  1,  1 S.  520: 
Füllsel,  n. 

fir-kanticji.  adj.  vierkantig,  d.  h.  derb,  gedrungen,  vom 
Kör])erbau.  nd.  kantig  = munter,  stark,  dreist;  vgl.  DWb.  V 176. 

fitSln.  sw.  V.  unnütze  Bewegungen  bei  der  Arbeit  machen, 
ohne  Erfolg  geschäftig  sein;  oft  auch:  mit  einem  Mes.ser  unnütz 
herumfuchteln.  — DWb.  111  1693;  Weinhold,  schles.  Wb.  21, 
Leipz.  Wb.  S.  113. 

flign,  flin.  st.  v.  1.  fliegen,  2.  fallen;  fallen  selbst  wird 
wenig  gebraucht;  z.  B.  das  haos  is  äpngoflögy.  — dp  Juno  flit  in 
gröbm. 

fögJ-fjküfu.  Vögel  verkaufen;  ein  Knabenspiel. 

Der  VogclverkÄiifer  ist  der  fara  (Pfarrer),  der  Käufer  der  nara  (Narr).  Es  eiit- 
apinnt  sich  dann  folgendes  (ie.sprHch:  giin  tak-p-fara  (Guten  Tag,  Herr  Pfarrer)  — 
tak  j’-iiara  (Guten  Tag,  Herr  Narr)  — lidm  fa  kena  fögl  tsn  ffköfn?  — ala 
dinda  (=  die  in  der  . .)  weit  rum-flinl  Die  Vilgel  sind  die  Übrigen  mitspieleu- 
den  Knaben.  Der  nara  nennt  nun  Namen  von  Vögeln;  wird  ein  Vogelnaine  ge- 
nannt, den  ein  Knabe  erhalten  hat,  so  „fliegt  der  aus“,  und  der  nara  muss  ihn 
fangen  nsw.  Die  „Vögel“  erhalten  oft  abenteuerliche  Namen,  damit  der  Käufer 
sie  nicht  sogleich  errät ; einige  sind  im  Wortschätze  angeführt. 

fölcjin.  II.  Fohlen;  auch  die  braunen  P’rüchte  der  Ro.ss- 
kastaiiie. 


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49 


fräf n(t)Saft.  f.  audi  ini  Sinne  von  Verwandtscliaft ; z.R. 
wir  ffen  bae  uiifa  fraf;ntsaft  tsu  kcnnust.  Vjrl.  Leipz.  Wb.  S.  116. 

ful,  in  fp  Inl  nein.  st.  v.  Jemand  dnreliprüpeln;  vom  Au.s- 
klopfen  der  Kleider  hergenominen : diese  klopft  man  aus,  wenn  sie 
staubifr,  voll  sind. 

[füs,  fisa]  nur  als  Mass  gebriiuelilieb,  sonst  immer  bfn,  bf^na. 
Vfpl.  aber  bär-fisiidi,  barjis  „barfiiss“. 

g. 

[gelt]  Fragepartikel,  in  Dnbr.  ganz  ungebräiiclilich.  Nach 
DWb.  IV  1,  2 3058  soll  es  in  der  Lausitz  noch  gelten;  jenseits 
der  schlesischen  Grenze  schon  in  Muskau  ist  das  der  Falt. 

gelt  spiln  in  Redensarten  wie:  dö  tüts  gelt  spiln,  d.  h.  es 
sclieiut,  als  ob  dort  ein  Schatz  (Geld)  vergraben  ist;  (ungefähr  = 
dO  Sechts  „da  spukt  es“). 

[gerna.  adv.)  ln  der  Redeutung  „absichtlich“,  wie  in  Schle- 
sien, kommt  es  nicht  vor;  dafür:  mit  gfidn  wiln;  z.  15.  der  hatn 
mit  güdn  wiln  gastösQ. 

glentsarn  (glensarn).  sw.  v.  unruhig  glänzen,  funkeln, 
graopjn.  sw.  v.  hageln  (von  kleineren  Hagelstücken;  sonst 
slösp).  Auch  die  umgelautete  Form  graepln  kommt  vereinzelt 
vor.  — Im  15.  Jh.  ist  die  Zusammensetzung  isgrüpe  (Hagelkorn) 
bezeugt  (Kluge:  Etym.  Wb.),  Weinhold,  schles.  Wb.  29“. 

grill  Jn.  sw.v.  wimmeln;  namentlich  von  vielen  kleineren  Tieren, 
z.  B.  das  gribjt  alas  fon  Omefi;;  vgl.  Weinhold,  Dialforsch.  36: 
krebeln,  kribeln;  DWb.  V 2202. 
grif.  m.  Federhalter. 

griwa.  f.  Stückchen  gebratener  Speck.  Auch  halbverheilte 
wunde  Stellen  an  den  Lippen  bezeichnet  inan  mit  griwn;  wer  sie 
hat,  von  dem  sagt,  man;  er  hat  giiwp  genascht;  — Leipz.  Wb. 
unter  Gäke  S.  118  126. 

groba-laeta.  pl.  Leichenzug;  alle  einem  Begräbnis  bei- 
wohnenden. 

grömäda.  f.  Gemcinderat;  Gemeindeversammlung  (beim 
Schulzen);  wend.  hroinada  = V^er.sammlung  der  Ortsleute;  vgl.  kökula. 
grös-fotp  spiln.  Gro.ssvater  spielen  (Kinder.spiel). 

Kine  Rute  winl  in  den  Rasen  ge.stcckt,  d.  i.  der  Grossvatcr;  in  gleicher 
Entfernung  davon  werden  soviele  aus  )5weigen  gesohnitlene  Pflocke  in  die  Erde 
gesteckt,  als  Mitspieler  vorhanden  sind.  Die  Mitspieler  werfen  nun  nach  der 
Reihe  ein  Messer  in  den  Rasen;  der  Pflock  dessen,  der  geworfen  hat,  darf  so- 
Mtiteituueeo  il.  scbics.  Oes.  f.  Vkde.  HcO  \\.  t 


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weit  vorrücken,  als  die  Klinge  in  die  Erde  gedrungen  ist.  Wer  den  Grossvater 
zuerst  erreicht  hat,  ist  der  erste  Gewinner;  wer  ihn  zuletzt  erreicht,  hat  ver- 
loren. — Vgl.  Spiele  der  Wenden,  das  Pfeilchenwerfen  in  Haupt-Schmaler, 
Volksl.  d.  W.  II  S.  224. 

gu§a.  f.  Mund  (sclieltend). 

h. 

häer.  adv.  heuer;  davon  haeritJiJ.  adj.  z.  B.  dp  hacrit^i-se 
hobf  ^(Hafer). 

haeta,  meist  a^ta.  Sdiineichel-  und  Rufname  für  die  Katze. 
Wend.  hajta  (Katze),  Kinderspraehe  (Pfuhl). 

[halt]  md.  und  ohd.  liiiufig,  kommt  in  Dubr.  nieht  vor, 
wohl  aber  in  Muskau. 

(haosn,  hina.  adv.]  nicht  vorhanden;  dafür  draosp,  drina. 
häpa.  f.  ein  schlechtes  Messer;  auch  ein  Messer  mit  kurzer 
Klinge.  DWb.  IV  2 471:  Hape.  f.  ahd.  happa,  habba,  mhd.  hepe. 

häparn.  sw.  v.  das  hapert  — es  geht  schlecht,  es  fehlt  an 
etwas:  dö  häparts  an  gelda.  (Nur  unpersöiilicli.)  — DWb.  IV  2 
471:  hapern.  Weinhold,  schles.  Wb.  33*. 

harka.  f.  Harke;  vgl.  Leiiiz.  Wb.  S.  130;  in  Mu.skau  hört 
man  auch  schon  reqjin  dafür.  DWb.  IV  2 478. 

[as  hat  = cs  gibt]  kommt  in  Dubr.  nicht  vor,  wohl  aber 
in  Muskau. 

he!  Interjektion.  1.  mit  he  fordert  man  nach  einer  Frage 
zur  Antwort  auf;  z.  B.  was  wil.stn  liir?  he!  2.  mit  he  zeigt  mau 

Jemand  etwas;  z.  B.  ficji  aniol!  he!  DWb.  IV  2 714. 

hekln.  sw.  v.  liiikeln.  Name,  eines  Kinderspieles. 

Eine  Rute,  deren  Zweige  — nicht  ganz  bis  au  den  .Stengel  — abgeschnitten 
sind,  wird  in  die  Erde  gc.steckt;  um  diesen  senkrecht  stehenden  heklbhm  setzen 
sich  die  Mitspielendeii  herum,  von  denen  jeder  ein  aus  eiuem  Zweige  geschnittenes 
Häkchen  besitzt,  das  an  den  untersten  Zweig  des  Häkelbaumes  gehängt  wird, 
.leder  Spieler  wirft  nun  der  Reihe  nach  ein  Messer  in  die  Hübe;  zeigt  dieses 
heim  Niederfallcn  die  mit  der  Kerbe  oder  dem  Fabrikzeichen  versehene  Seite, 
so  darf  das  Häkchen  iles  lietrelfenden  einen  Zweig  hilher  gehängt  werden.  So 

steigen  alle  Häkchen  den  Baum  hinauf  uiiil  wieder  herab.  Der,  dessen  Häkchen 

zuletzt  unten  wieder  nnkoinint,  hat  verloren.  DWb.  I\'  2 180  kennt  dies  nicht. 

lieldj-,  heltj-.  m.  ein  zum  Pfarracker  geliöriger  Brunnen. 
Vgl.  DWb.  IV  2 301  (Behältnis  für  Fi.sche). 

hin.),  f.  Henne.  Vgl.  Leipz.  Wb.  8.  134:  liinne,  biene. 
DWb.  hat  eine  sttiche  Form  niclit. 

liiparlink.  kleine  Heuschrecke  = Hüpfer. 


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liorda,  fläom-horda.  f.  Vorriclituiip  zum  Trocknen  und  Ab- 
backen von  01)St  (eine  Heihe  selimaler  Leisten  in  peringeni  Ab- 
stande voneinander,  durch  einen  Ralnnen  znsainniengebalten).  Nach 
Kluge  (Etj’ni.  Wb.):  Flecbtwcrk  zu  Wänden,  niUd.  borde  (nid.),  cf. 
got.  iiaiirds. 

buiuko,  buinka.  Lockruf  für  Schweine;  vgl.  hun§. 

bumpaoa.  f.  eine  Vorrichtung,  die  kleinen  Kindern  ausser- 
halb des  Hauses,  namentlich  auf  dem  Felde,  die  Wiege  ersetzt. 
Drei  Stäbe  werden  aneinander  gelehnt;  an  dem  Kreuzungspunkte 
wird  ein  Zijifeltuch,  in  dem  das  Kind  gebettet  ist,  aufgehängt,  ln 
wendi.schen  Bauernstuben  sieht  man  die  bumpaoa  auch  oft  genug 
an  einem  Deckbalken  befestigt,  und  das  Kind  wird  darin  in 
Schlaf  geschaukelt;  cf.  wend.  humpac  = schaukeln  (Pfuhl  S.  1071), 
dumpawa  = Schaukel  (ebd.  105). 

hunä,  hunäj,  hunäko.  Lockrufe  für  Schweine.  Im  Wen- 
dischen jagt  oder  treibt  man  die  Schweine  mit  huC,  hut-  (s.  Haupt- 
Schmaler  11  S.  215);  Einfügung  von  n ist  in  der  Ma.  öfters  zu 
beobachten.  hun.s(  (deutsch)  und  hunsko  (wendisch)  sind  Deminu- 
tivbildungen. 

hupaz.  m.  1.  Heuschrecke,  von  hüpfen.  2.  Wiedehopf,  von 
seinem  Rufe:  hup,  hup!  — wend.  hupak  heisst  Wiedehopf,  hupac 
V.  schreien  wie  der  Wiedehopf.  Die  Heuschrecke  dagegen  hei.sst 
sköck  (skok  d.  S])rung).  Also  ist  hupaz  = Heuschrecke  eine 
wendisch-deutsche  Neubildung,  unter  Anlehnung  an  hoi)!,  hui)pcn; 
vgl.  schles.  Huppepferd  (Weinhold,  Dialforsch.)  112 — 4. 

hüää!  Ruf  mit  dem  mau  die  Hühner  verjagt. 

J. 

jaodp.  m.  Eiter,  der  aus  einer  Wunde  abgesondert  wird. 
Dazu  jaodi’n.  sw.  v.  eitern.  DWb.  — . 

k. 

kämüskaen.  sw.  v.  Steinchen  .spielen.  Fangspiel  mit  fünf 
Steinen.  — Wend.  kamjeü  der  Stein,  dazu  Demin.  kamjusk 
(Steinchen),  daran  tritt  die  deutsclie  Endung  -i'ii,  die  zu  -aen  wird. 
Von  Wenden  gebildet,  von  Deutschen  selten  mehr  gebraucht,  da- 
für meistens  ätemijip  äpilu. 

kaola.  f.  Bezeichnung  eines  rundlichen  Körpers,  etwa 
Knollen;  z.  B.  snf-kaoln  an  panlöfj  hon  (d.  li.  Schnee  ist  am 
Pantoffel  fe.stgefroreu  und  bildet  ,kaoln“.  — das  fert  hat  ana 

4» 


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örntlicjia  kaolj  an  beno.  In  diesem  Falle  bedeutet  k.  soviel  wie 
Geschwür,  Beule;  dazu  Vfrl.  DWb.  V 349  unter  3.,  auch  N.  Lausitz. 
Magazin  30  S.  242.  — di  kiiuln  löu  da.s  jdr  gilt;  das  faen  üb}- 
kaoln!  = gro.s.se  Stücke  (vp;!.  DWb.  a.  a.  0.  Id.).  — Dieselben 
Bedeutungen  hat  das  wend.  kula.  — Das  Wort  ist  nid. 

kaopa.  f.  rundliclie  Erhebung,  uauientlicli  des  Erdbodens. 
Davon  Demin.  kaepcjin.  ii.  kleine  Erhebungen  auf  der  Haut, 
kleine  Ge.schwüre  u.  dgl.  DWIi.  V 360.  3.:  Ostind.;  in  Posen  be- 
zeichnet man  so  kleine  Erdhügel,  besonders  auf  Wiesen,  aus  der 
Xiederlausitz  ist  es  belegt  als  mit  Gras  oder  Binsen  bewachsene 
Maulwurfshaufen.  So  auch  in  Duhr,  (gras- kaopa);  vgl.  wendisch 
kupa  = Hügel. 

kaopln.  sw.  v.  vgl.  Leijiz.  Wb.  S.  145,  DWb.  V 361;  kleine 
(besonders:  heimliche)  Tauschge, schäfte  niaclien,  md.,  uaraeutlich  in 
Sachsen,  Nordböhmen,  Sclilesieu,  Niederlausitz,  Posen;  überall  in 
der  Kindersprache. 

käorefl,  mei.st  pl.,  nentr.  (?).  nocli  nicht  an.sgewachsene 
junge  Frösche.  — Ich  denke,  es  ist  eine  Entstellung  von  kaularsdi 
(DWb.  V 347);  mit  1 für  r ans  dem  Deminut.  kaolerfj;  — wend. 
Kaularsdi:  kuliric,  kulowac. 

kapä,  vgl.  edil-ka])s.  in. 

kastln,  sw.  v.  etwas  Festes,  besonders  Holz,  in  bc.stimniter 
Ordnung  aufschichten  (uf-ka.stln).  Weinhold,  Dialforsch.  111. 

kestln.  sw.  v.  meist  als  ])art.  praet.  gakestlt  (—  kestlidi 
adj.),  d.  h.  karriert,  in  verschiedenen  Hichtnngen  gestreift,  so  dass 
V’ierccke  (kestl)  entstehen. 

ketl.  n.  und  wohl  auch  f.  Kleine  Kette  oder  kleiner  Schlie.ss- 
haken  zum  Ver.sdilie.ssen  von  8tall-,  Gartentüren  etc.  — Nach 
DWb.  V 63Ö  und  Leipz.  Wb.  S.  146  Fein,  tsii-ketln.  sw.  v. 
durch  ketl  und  Vorstecker  .schliessen. 

kikarn.  sw.  v.  verstohlen,  unterdrückt  lachen.  (Weinhold, 
.schles.  Wb.  gickern);  vgl.  ahd.  kichazzen.  — DWb.  V 660;  Leipz. 
Wb.  S.  146. 

kikn.  [)1.  O.stergeschenk,  bestehend  aus  bemalten  Eiern,  PfeÜ'cr- 
kuchen  und  Semmeln  von  lie.sonderer  Form  des  Seelenzo]»fes  (kik-feml), 
das  die  Paten  den  Kindern  bis  zum  10.  oder  12.  .lahre  geben,  (di 
kindr  gön  kikn  liOln;  nf  (oder  nocji)  kikn  gen.)  DWb.  V 2500: 
küchen  n.  - Küchlein  (Sp.  2Ö14),  nd.  Form  küken,  doch  aueb  im 
lld.  zeigen  sich  Formen  mit  k (cf.  Sp.  2.516);  die  Bedeutung  ist  im 


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DWb,  iinruer  Hülmolieii.  In  unserfr  Ma.  wird  also  die  Bezeiclinung 
auf  die  Eier  ül)ertras:en.  Oder  ist  vielinelir  an  einen  Zusammen- 
liang  mit  kucke  f.  (V  2518)  zu  denken,  das  in  der  Bedeutung  von 
Eierschale  vorkoiumt? 

kitsa.  f.  nur  in  ätör-kits.)  = Staarkasten,  und  wets-kitsa 
= Behältnis  der  Schnitter  für  den  Wetzstein;  so  auch  ini  DWb. 
unter  Xr.  4,  und  Weinhold.  Verbreitunp  und  Herkunft  der  DeuLschen 
in  Schlesien  S.  218  (bzw.  62).  — Md.  (tränk. -thüring.).  Vgl.  DWb. 
V 700;  kieze  = Korb  und  älinliche  Gefässe.  — ln  dem  Artikel 
.Zur  schlesischen  Art  und  Mundart“  (Prov.  Blätter.  X.  P.  7 (1868) 
Seite  408)  Lst  angeführt  kotze,  auch  kütze  (Rückenfragkorb),  und 
es  wird  dabei  auf  poln.  kosz  verwiesen. 

klapota.  f.  Wa.ssertrage  (nur  noch  alten  Leuten  bekannt). 
Klßn-Dübrapka.  Klein-Dubraucke;  das  ist  der  Teil  des 
Dorfes,  in  dem  die  Tagelöhner  vom  herr.schaftlichen  Gute  wohnen, 
die  Leute  ohne  eigenen  Grundbesitz,  die  man  auch  „di  kleii  lafto“ 
nennt  im  Gegensatz  zu  den  Bauern  mit  eignem  Grund  und  Boden. 
grös-Diibraoka  hört  man  mir  manchmal,  wenn  der  Gegensatz  zu 
klen.  D.  ausdrücklicli  hervorgehoben  werden  soll.  — Vielleicht 
meint  hier  Gro.ss-  das  neue  deutsche,  Klein-  das  alte  slawi.sche  Dorf. 
kK'na  östarn.  Der  erste  Sonntag  nach  dem  Osterfeste. 
kK'nutska  (auch  kleiiutskj-).  sehr  klein;  hauptsächlich  in  der 
Kindersprache,  bisw'eilen  auch  bei  Erwachsenen;  z.  B.  6 je!  fö  an 
klenutskr  ep)!  — di  knuln  lön  haep  nicdi  fera,  das  is  alas  fön 
klenutska  t.saek!  kleines  Zeug). 

klimppfupa.  f.  Mehl.suppe,  die  eine  Menge  Mehlklümpclien 
enthält.  DWb.  V'  1202  f.  führt  an  klumper  f.  = Klümpchen;  v^l. 
unter  2.  nd.  klumiiermelk;  auch  im  Md.  kommt  klumper  vor. 

kluka.  f.  Mutterhenne.  DWb.  V 1258t'.;  klukg  das 

Rufen  der  Henne. 

klunkp.  m.  .schlechtes,  zeris-senes  Kleidungsstück.  Vgl. 
DWb.  V 1297:  unter  b;  Leipz.  Wb.  S.  140. 

knaks!  Sclialliiachahmung  beim  Zerbrechen  eines  festen 
Gegenstandes.  Auch  sub.st.:  dö  göps  uf  6mol  an  knaks!  Davon 
koaksp.  sw.  v.,  vgl.  frequentativ  knastarn. 

knaoplu.  sw.  v.  abklauben  (Fleisch  von  den  Knochen); 
ziemlich  selten.  — DWb.  V 1371;  md. 

knaotäp.  sw.  v.  (tsj’-knäqt.^p)  = zerknittern,  z.  B.  Papier 
oder  steife  Wäsche. 


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kuipjrn.  sw.  v.  einen  Knoten  lösen,  lif-,  fj-kuiporn;  z.  B. 
dp  t'ödfl  is  g-anj  fp-kniport,  d.  li.  unauflöslich  verwickelt.  DWb.  V 
1523:  knüppeln  Nr.  3.,  Leipz.  Wb.  S.  80. 

knula.  f.  (pl.  kuuln)  nur  in  der  Bedeutung  von  Kartoffel  (dieses 
ist  ungebräuchlich).  DWb.  V 1464  ff.  kuiiln- ferigp,  Ferien 
zur  Zeit  der  Kartoffelernte,  Michaelisferien. 

knfitäij.  sw.  V.  (verhalten)  weinen;  vgl.  DWb.  V 1529  f.  4c. 
kökln.  sw.  V.  mit  Feuer  spielen.  — Die  md.  und  nrh.  Form 
von  gaukeln.  DWb.  V 1566.  Weinhold,  Dialforsch.  S.  95:  gökeln, 
vgl.  Leipz.  Wb.  S.  124. 

kö-kö  . . . kö-ddts!  Schallnachahinung.  Da.s  Rufen  der 
Henne;  vgl,  wcnd.  kokodak! 

kökoäcjhfl.  n.  auch  kökotj  n.  (meist  im  pl.)  Pfifferlinge.  — 
Vgl.  wend.  kokos  (Henne);  wegen  der  Ähnlichkeit  mancher  Pfiffer- 
linge mit  dem  Kamm  der  Henne  oder  des  Hahnes? 

kökot.  m.  Festlichkeit  nach  der  Kartoffel-  oder  Kornernte, 
wobei  die  Arbeiter  vom  Bauern  oder  Gutsherrn  bewirtet  werden. 

Vgl.  wend.  koket  = Habn;  es  war  früher  ein  wendischer  Brauch,  dass 
zum  Beschluss  der  Ernte  der  Wirt  unter  der  letzten  Schwade  einen  Hahn  ver- 
steckte, der  dem  gehörte,  der  heim  Ziisammenraffen  auf  ihn  traf;  jedoch  musste 
der  den  flüchtigen  Hahn  sich  erst  haschen  (Haupt-Schmaler:  Volkslieder  II  üe- 
hr&uchc  der  Wenden  S.  221). 

kökula.  f.  Das  Gemcindeholz,  die  Gemeindekeule. 

War  früher  im  Dorfe  jemand  gestorhen,  so  wurde  dies  den  Bewohnern  der 
Beihe  nach  dadurch  mitgeteilt,  dass  vom  Schulzen  aus  au  den  nächsten  Bauer 
ein  Brett  von  dreieckiger  Form,  die  Koknla , Uhergehen  wurde ; er  hatte  diese 
zugleich  mit  der  Botschaft  weiterznschicken,  his  sie  wieder  heim  Schulzen  an- 
langte (vgl.  Haupt-Schmaler  II  S.  251).  Der  Gebrauch  ist  seit  etwa  40  Jahren 
abgekoiumen.  — In  ähnlicher  Weise  geschieht  die  Berufung  zur  Gromada:  es 
wird  ein  Zettel,  der  die  Aufforderung  mit  der  .\ngahe  der  Zeit  enthält,  auf  ein 
Brettchen , an  dem  ein  kurzer  Stil  ist  (so  dass  das  Ganze  eine  sebippenartige 
Gestalt  hat),  befestigt  und  so  von  Haus  zu  Haus  getragen.  Seit  etwa  25  Jahren 
herrscht  diese  Art  der  Berufung  nicht  mehr,  das  Wort  ist  nur  noch  alten  Leuten 
bekannt.  (Vgl.  auch  Andree:  Wanderstndien  S.  67  ff.) 

kolats.  m.  Bezeichnung  einer  ziemlich  grossen  ruiullichen 
Masse  (mit  dem  Begriffe  des  Plumpen,  Schweren)  auch  ein  starkes, 
gut  entwickeltes  Kind  wird  im  Spass  kolats  genannt.  Ferner 
heisst  so  das  letzte  Brot,  da.s  aus  den  Teigüberresten  im  Back- 
fass geformt  wird;  — wend,  kolac  (rundes  Brot). 

k61i.  m.  eine  Futterpflanze:  Knürich.  ufi)  köli  gC*u  = Kolli 
pflücken  gehen;  wend.  kolij. 


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55 


koräta.  f.  Rrotriiule.  alul.  krusta.  iJWb.  V 247!)  f. 
köSik.  Fluni.;  hängt  vielleicht  mit  wend.  kuäi  abgestutzt, 
kusk  Stumpf,  zusammen;  Benennung  nach  abgestutzten  Räumen? 

kräeda-wiics!  Ausruf  des  Er.staunens.  Wend.  Kreide  = 
kryda,  als  halb  unwilliger  Ausruf  kommt  vor  kryda  wida!  = 
Kreide  Weide!  — Vielleicht  handelt  es  sich  im  obigen  Ausruf 
auch  um  eine  euphemistische  Umdeutmig  des  Namens  Christi  = 
Christus  weiss  es,  als  Beteuerung? 

kräts-bera.  f.  Brombeere.  DWb.  V 2071. 
k re  1 a.  f.  ein  in  einen  harten  Gegenstand  eingekratzter  Riss. 
— Leipz.  Wb.  S.  Iö4.  — Weinhold,  Dialforscli,  111.  — DWb.  V 
1081  f.:  krall,  krall,  m.  kralle  unter  11);  dazu  kreln.  sw.  v. 
Risse  machen,  kratzen 

kreplrn.  sw.  v.  sterben,  von  Tieren.  DWb.  V 2160. 
kribaftsa.  f.  horizontales  Brett,  auf  dem  man  beim  Spinnen 
sitzt,  und  an  dem  der  Stab  befestigt  ist,  um  den  der  Flachs  ge- 
wunden wird. 

krim.  sw.  v.  1.  intrans.  das  krimt,  d.  h.  man  empfindet  ein 
Kitzeln.  2.  trans.  dj-  bunt  krimt  (1^,  der  Hund  kratzt  sich. 

kn'marä- laeta!  Ausruf  des  Staunens,  der  Verwunderung. 
Vielleicht  euphemistische  Umbildung  von  „Christenleute“! 

kripl.  ra.  verkrüppelter  Baum,  selten  auch  von  einem 
.schlecht  aussehenden  Menschen  gebraucht.  Vgl.  DWb.  V 2473. 
Dazu  kriplith.  adj.  verkrüpiielt,  krüppelhaft.  Auch  vorzug.s- 
weise  mit  Bezug  auf  Pfianzen  gebraucht.  DWb.  V 2303:  krieplicht. 

krür|.  Der  Stab,  an  dem  der  Rocken  festgebundeu  ist.  Pfuhl 
8.  204:  krümele  = Wockenstock,  Oberwockenstock. 

kukuk.  m.  Sprichwort  (T.schernitz) : dp  kükuk  kirnt,  wenj’ 
kan  höb|-  fresn;  d.  h.  wenn  der  Kuckuck  sich  zeigt,  muss  der 
Hafer  schon  eine  gewisse  Höhe  erreicht  haben. 

kiilaoka.  f.  (Kuidersprache);  rundlicher  Gegenstand  zum 
Spielen,  Kugel.  — Dentin,  zu  kula  (wend.)  = Kugel,  verwandt  mit 
kularn.  sw.  v.  kollern,  rollen. 

külr-riba.  f.  Kohlrübe,  cf.  wend.  kulrjepu:  Haupt-Schmaler 
11  213,  nach  Pfuhl  S.  298:  Kohlrübe  = kulawa  = kulawa  repa 
= kulirepa.  Umbildungen  a.  d.  Ital.  s.  DWb.  V 1506  unter  Kohlrabi. 

küret),  n.  meist  im  pl.  Pfifferling;  auch  kureSk^.  pl.  kommt 
vor;  vgl.  Haupt-Schmaler  11  213;  wend.  kurjatka,  kurjatko  in  der- 
selben Bedeutung,  von  kura  (Heime),  für  kokos  (vgl.  kokosqji^). 


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56 


kvatsa.  f.  Ohrfeige  (scliallnadialimenil). 
kvetäka.  f.  Zwetsclie;  (vgl.  auch  DWb.  VII  2360:  (luetsche. 
quctschke).  Nur  für  gro.sse,  runde  Pflaumen  gehrauclit. 

kvirlo.  f.  der  Quirl;  ahd.  dwiril  > inhd.  twlrel,  beides 
inasc.  — DWb.  VII  2376  f.:  Quirl,  m. 

1. 

läeii-ele;  in  da  1.  gen,  in  die  StanipfmUhle  gehn,  um  dort 
Leinöl  schlagen  zu  lassen.  Auftallig  ist  die  Pemininbildung.  Sonst 
liei.sst  die  Stampfmühle  stampa.  Die  Reden.sart  ,iu  da  läenfda  gen“  ist 
wohl  kontaminiert  aus  in  da  stampa  (mila)  gen  und  nocji  läftiöla  gf-n. 

ledp-kupsl  machn  nennt  man  das  Wiegen  der  Knaben  auf 
dünner  Eisdecke,  indem  sie  sich  die  Hände  reichen  und  so  auf 
dem  Eise  gemeinsam  in  kleinen  Schritten  vorwärts-  und  dann 
wieder  zurückhüpfen,  bis  das  Wasser  durch  das  müi’be  gewordene 
Eis  dringt,  kupsa)  i.st  (nach  v.  Unwerth)  im  Schics.  = Kopfseil, 
d.  h.  das  Tragband  beim  Ziehen  der  Karrt“.  So  auch  bezeichnet 
man  das  Fahren  mit  einem  Schlittschuh  als  „heksj  snafdjri“,  nach 
der  Ähnlichkeit  der  Bewegungen. 

ledunk.  f.  baumlose  Stelle  im  Walde,  die  mit  Heidekraut 
bewachsen  ist.  DWb.  — . Von  dem.selben  Stamme  kommt  in  Dubr. 
noch  vor  adj.  leditji  = 1.  unverheiratet  und  2.  frei  von  Gepäck,  leer. 

leloa  (lelüa).  f.  Die  gelbe  Seerose,  auch  die  weisse  Teich- 
rose. — Wend.  die  Lilie  = lilija,  auch  leluja  (Haui>t-Schmaler  II  305). 
lern.  sw.  v.  1.  lernen,  2.  = lehren. 

lum,  än-lum.  sw.  v.  ein  Kinderspiel  (nur  von  Knaben  ge.sjiielt). 
Stücke  von  alten  Messerklingen  werden  an  eine  Wand  geworfen,  und  aus  ihrer 
Lage  nach  dem  Niederfallen  ergibt  sich,  wer  gewonnen  hat.  Die  Sjüelprcisc 
sind  Knöpfe,  namentlich  blanke  Messingknöpfc.  — Kin  solches  Kliugeustück  heisst; 
Inma.  f.  DWb.  VI.  1289;  vgl.  mild,  lämel  (lat.  lamina),  Weiubold,  scbles. 
Wb.  55:  luminel,  lummer  f.  = schlechtes  Messer. 

lunipak.  m.  Lumpenhändler;  als  Schimpfwort  seltener  ge- 
braucht, während  wend.  liimpak  = Lump,  Lunipenkerl  zumeist 
als  solches,  freilich  auch  als  .Lumpenhändler“  vorkommt  (Gablcnz). 
Vgl.  DWb.  — . 

liiSkii.  Name  einer  Feldgegend  bei  Dubr.;  vgl.  wend.  lu^k 
(kleine  Waldpfütze,  Moor-  oder  Grasteich  im  Kiefernwalde).  Jenes 
Feld  liegt  in  der  Nähe  eines  solchen  Waldteiches,  des  risonk. 

lüfo.  f.  Pfütze.  — Wend.  hiÄa.  DWb.  VI  1314.  — Wein- 
hold. schles.  Wb.  .05. 


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57 


III. 

maii(t).  iulv.  in  Aiirt'onUnuigssätzcn  aiip'wciulet ; z.  B.  kuni 
man  = komm  doch  (nur)!  — fok  mant  erst  nist!  DWb.  VI  1524. 

— Mlul.  niwaii.  Vgl.  0.  Weise,  Syntax  der  Altenburger  Mundart 
§ 33  munt  -nur*,  ndd.  man. 

mapnas  lebms!  Ausruf  der  Verwunderung  — Herr  meines 
Lebens  I 

mae-oksa.  m.  s.  april-oksa. 
mac-Stana.  f.  Maistange. 

In  der  I’lingatnacht  wird  im  Dorfe  eine  hohe  Stange  aufgerieditet,  die  oben 
mit  Kränzen  un<l  bunten  Tilchcni  geschniUrkt  ist.  Wer  am  l'fiugsttage  von  den 
jungen  liurscheii  bi»  zur  Spitze  emporklettcrt.  erhält  irgend  eine  Belohnung. 

maotska.  adj.  adv.  weicli  (namentlich  von  Obstl.  überreif; 
z.  B.  maotsika  birn.  — di  e])J  fapn  gans  maotska  gashm  (ange- 
schlagen); (vgl.  im  DWb.  VI  1781  f.:  matike  Brei).  Vielleicht 
hängt  es  mit  dem  von  Weinhold,  schles.  Wb.  130  angeführten  sw.  v. 
mauken  , dumpf,  stockig  werden  und  riechen“  zusammen;  vgl. 
Mauschke,  Mauke  usw.  Leipz.  M b.  S.  168. 
mart,  auch  mort.  m.  Marder, 
mekarn.  sw.  v.  bezeichnet  das  Schreien  der  Ziege; 
vgl.  den  Ruf  mek,  inek!  l>ieser  kommt  in  einem  Spottvers  auf  die  .Schneider  vor: 
äuacdf,  inek-inek!  > di  »i»)  ful  wantan: 

di  höfp  ful  drek,  | dr  .»uaedp  mit»  tanUn! 

DWb.  VI  1837:  meckern. 

inest 3.  f.  nur  in  sul(t)s-mcsta  = hölzerner  Salzbehälter. 

— DWb.  VI  2134:  md;  M'einhold,  .schles.  MBi.  62. 

mika.  f.  (mika  äpiln);  ziigespitzer,  kleiner  Pfahl  in  Kinder- 
.spielen.  Weinhold  (Verbreitung  u.  Heck.  d.  I).  i.  Schl.  S.  208  (52)) 
führt  es  unter  den  \Vorten  an,  die  niederdeutsche  Einwirkungen 
nachweisen  sollen.  — DWb.  VI  2170. 

mina.  f.  Schmeichel-  und  Rufname  der  Katze, 
mits,  mitsa.  f.  Name  der  Katze;  vgl.  wend.  mica  und 
kec  (Haupt-Schmaler  II  215).  das  letztere  kommt  ganz  vereinzelt 
vor  als  kets  oder  kits.  — DW’b.  VI  2183:  vornehmlich  md.  Vgl. 
lliez,  Miez,  Leipz.  M'b.  S.  133,  170. 

muka.  f.  mei.st  pl.  mukn.  Tatiine;  eigensinniges,  absonder- 
liches Wesen.  Dazu  das  sw.  v.  lif-mukn  murrend  Widerspruch 
erheben,  und  das  adj.  miiks  (=  mukis)  = schmollend,  verdrie.s.slich. 

— DWb.  VI  2605,  260»  u.  2615.  Leipz.  MH».  S.  172. 


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58 


mült-wiirf.  in.  neben  inaol- wiirf.  — I)\Vb.  VI  1811. 
Leijiz.  Wb.  S.  173  vMutliwolf). 

initina.  f.  neben  tantj  bisweilen  inGebrancli.  — DWb.VI  2644. 

iniitä,  inütSo.  Scliineiclielname  der  Knli.  di  inütso  = die 
Kuli  (Kindcrspraclie). 

II. 

nÜQäiriijh.  adj.  neugierig.  — DWb.  VII  667,  vgl.  Leipz. 
Wb.  S.  175.  Das  Geiiitiv-s  erscheint  in  vielen  Mundarten,  vgl. 
ndl.  nieuws  gierig. 

näkats.  m.  ein  nackter  Men.sch  (.scherzhaft ).  Deut.sch- 
wendische  Zusammensetzung,  vgl.  stinkats  S.  66. 

ncko§  kommt  in  dem  .Vusruf  der  Bewunderung  jeko§  ne 
nekos!  vor.  j(>ko§  hängt  mit  Jesus  zusammen,  nf*  = bewundern- 
des „nein!“.  Zur  Bildung  des  nt^koä  mag  mit  beigetragen  haben 
das  wend.  ncjko,  schön  (Kindersprache),  woran  noch  das  Ver- 
kleinerungssuftix  angehängt  wurde.  Jetzt  ziemlich  selten,  beson- 
dere von  Kindern  und  Leuten  gebraucht,  die  au.sser  deutsch  auch 
noch  wendisch  sprechen. 

niks.  m.  Ni.x.  Nach  der  Vorstellung  der  Bauern  ein  fabel- 
haftes Wesen,  das  im  Wasser,  in  Brunnen  und  Teichen,  wohnt 
und  den  Men.schen  feindlich  gesinnt  ist.  „gf>  nicji  an  born  ran, 
dp  niks  der  tsit  dp  raen“,  warnt  die  .Mutter  ihr  Kind. 

nisl.  m.  Mund,  Nase,  auch  das  ganze  Gesicht  wird  oft  .so 
bezeichnet.  In  grober  scheltender  Kede  verwendet.  Auch  im 
Schles.  üblich.  Vgl.  Leipz.  Wb.  S.  176. 

nönda.  adj.  adv.  nah.  comp,  nendp,  superl.  dp  nensto,  an 
nenstp  (am  nächsten);  vgl.  ahd.  nähunt,  mhd.  nähent. 

notjins.  adv.  hernach. 

nufln.  sw.  V.  undeutlich  sprechen;  vgl.  niischeln  Leipz. 
Wb.  8.  177  (auch  wend.);  nüflak  m.  ein  nä.selnd  redender  Mensch; 
vgl.  DWb.  VII  1009. 

0. 

üstp-wasp.  n.  Wasser,  das  man  in  der  Osternacht,  ohne 
ein  Wort  zu  sprechen,  schöpft,  und  dem  besondere  Heilkraft  zu- 
ge.schrieben  wird. 

!>• 

pakäfa.  f.  (auch  pokäfo);  eine  Menge  unordentlich  zu- 
sammenliegender Sachen  ohne  Wert;  frz.  bagage. 


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69 


paky,  fiqli.  sw.  v.  sich  iiackcn  = riiipren.  — DWb.  \'II 
1400  tt',  unter  4);  derb  anfas.sen ; die  Bcdeutnnp:  „rinpen“  ist  niclit 
aiifregeben;  auch:  ficji  l'urt-i)akn  „sicli  weg.schercn“. 
päpruSk.  m ? Farnkraut;  wend.  paprös,  papru.s. 
pekcjnj.  n.  Pfefferkuchen,  der  in  buntes,  mit  Bildern  und 
Sprüchlein  geziertes  Pai)ier  eingeschlos.sen  ist.  Beliebtes  Jahr- 
inarktsgeschenk  für  Kinder.  — DWb.  Vll  1400  führt  diese  spe- 
zielle Bedeutung  nicht  an. 

petarn.  sw.  v.  mit  den  Fingernägeln  etwas  abkratzen; 
z.  B.  do  petra  docji  nith  fngäl  an  griiida;  do  kans  fraelich  nich 
heia  wery.  — Vgl.  DWb.  — . 

petsgj-.  mei.st  plur.;  genus?  Kürbiskerne.  Aus  anderen 
Gegenden  mir  nicht  bekannt. 

])iats-liis.  m.  Teich  bei  Wolf.shain.  — Vgl.  pijanca  (Pfuhl 
4.ä2l  = Blutegel  (in  jenem  Teiche  sollen  Blutegel  sein) ; luia, 
tu2k  (Lache). 

pila!  Lockruf  für  Gänse;  als  subst.  fern.  gen.  in  der  Kinder- 
sprache üblich.  — DWb.  — . Pfuhl  4.63:  pila,  iiila!  Lockruf 
für  die  Enten. 

pimpjn.  sw.  v.  weinen,  vgl.  Leipz.  Wb.  S.  89. 
pinka-j)äuka.  In  Dnbr.  nur  als  Jenes  bekannte  Kinderspiel 
bezeugt  (vgl.  DWb.  VII  1800:  „pinkepank,  in  welcher  hand?“); 
vgl.  Leipz.  Wb.  S.  182.  ln  Leipzig  .soll  die  Frage  lauten:  pink- 
der-bank,  wo  steht  der  Schrank,  oben  oder  unten?  — In  Dubr. 
tritt  der  Leiter  des  Spieles  vor  seine  Gespielen,  hält  die  ge- 
schlossenen Hände  abwech.selnd  über-  und  untereinander,  während 
er  .sjjricht:  pinka-panka,  wü  st^t  dj-  srank,  öbip  ödr  untn? 

pinky.  sw.  v.  sich  die  .Augen  zuhalteu,  sicli  weg  (in  eine 
Ecke)  wenden  (der  beim  Versteckcnspielcn  suchen  muss,  muss  also 
so  lange  „pinkii“,  bis  alle  versteckt  sind).  — DWb.  VTI  1860 
fehlt  diese  Bedeutung. 

pirtsl.  n.  Stückchen,  Endchen.  — DWb.  VII  2278  jiürzel 
ni.  und  II  554  bürzel,  Schwanz,  namentlich  der  kurze  Schwanz 
der  Hirsche  und  des  Schwarzwildes. 

piSparn.  sw.  v.  lei.se  reden,  flüstern.  — DWb.  VII  1868. 
Weinhold,  schles.  Wb.  70;  Leipz.  Wb.  S.  89. 

pitf.  m.  Peter.  Bezeichnung  des  Katers.  Das  Eintreten 
des  i ist  auch  schlesisch. 

pitsy.  sw.  V.  an  den  Brüsten  (bzw.  am  Euter)  saugen  (von 


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60 


Kimlcrn  und  juiifji-n  HaiistieiTn).  Vffl.  pitsn  jd.  fein.  Brüste.  — 
Vgl.  weiid.  pic  trinken  und  das  iin  Deutschen  bisweilen  gebrauchte 
pitsn  trinken.  — Vgl.  DWb.  VII  1872;  pitschen,  kneipen,  zechen; 
Leipz.  Wl).  Biez  S.  89. 

plandorn.  sw.  v.  Wasser  in  kleinen  Mengen  vergiessen; 
ff-  verspritzen.  — Vgl.  DWb.  — . 

|)län-lük.  in.  Wald-  und  Wiesengegend  bei  Dubr.  (zmn 
Teil  sumpfig);  vgl.  wcnd.  hika  Wiese;  plan  (auch  plon)  vielleicht 
= wend.  ])lono  otl'nes  Feld,  plony  eben,  unfruchtbar  (die  letzten 
beiden  Bedeutungen  würden  passen  i. 

I»laii(t)§!-n.  sw.  v.  heftige  Bewegungen  ini  Was.ser  aus- 
führen, das  Wa.sser  in  heftige  Bewegung  versetzen;  so  auch 
DWb.  VII  189.');  vgl.  Leipz.  Wb.  S.  183. 

plats.  in.  Kuchen  aus  Brotteig.  — DWb.  VH  1916.  Wein- 
hold, schles.  Wb.  71.  Leipz.  Wb.  S.  188. 

pletsicji.  adj.  jdattgedrückt;  z.  B.  an  plet.sig|-  stf*n,  ein 
[ilattgeforinter  Stein.  — DWb.  Vll  1903.  Weinhold,  schles.  Wl).  71. 
plino.  f.  umgepHügtes  Stück  Land;  plin  v.  ]itlügen. 
plints,  plins,  in.  beliebtes  (iebiiek  (hewn-pliiits.i,  llefenpl., 
kniiln-plint.so,  Kartotfelpl.1.  Slav.  Wort.  Leipz.  Wb.  S.  183. 

plono.  f.  starke  Leinwanddecke  zuin  I'berspannen  der 
Wagen;  inhd.  plahe,  blähe,  sw.  f.  Lexer  I 294.  — DWb.  VH 
1887.  W'einhold.  schles.  Wb.  70.  — plön-wögu.  in.  ein  mit 
einer  Plane  bedeckter  Wagen,  vgl.  Leipz.  Wb.  S.  183. 

plunSkn,  meist  plur.,  sonst  plunske.  f.  saure  .\pfel  von 
einem  unveredelten  Baume.  Ist  wohl  nicht  mit  Plttnsche  (DWb. 
VH  1949,  vgl.  Weinhold,  schles.  Wb.  8.  72)  zusammenzustellen, 
sondern  abzuleiten  von  wend.  plonych,  tleniin.  phutuSk,  Holzapfel- 
(baum);  auch  in  uiuscrer  Ma.  bezeichnet  man  bisweilen  BUiiine 
mit  .sauren  Äpfeln  durch  plun§kn. 

pörclin.  n.  an  pörcjiu  = einige,  wenige, 
jirel.  m.  etwa  = Trab,  Galojip;  gewöhnlich  in  Verbindung 
mit  matjin : an  prel  macjin  = ein  Stück  schnell  laufen. 

püdjn.  sw.  V.  schwimmen,  ohne  mit  den  Armen  die  be- 
kannten Schwimnibewegungen  nach  den  Seiten  auszuführen.  Wohl 
kaum  von  , Pudel*  alizuleitcn;  vgl.  ndd.  puddeln,  i)addeln. 

puio.  f.  Wiege,  puin.  .sw.  v.  wiegen.  — DWb.  II  229: 
Boie  f.  --  Boje  und  auch  — Wiege,  vgl.  mhd.  boie,  beie;  inlat. 
boia  (Diieange  I 713).  Weinhold  (Verbreitung  u.  Herkunft  der 


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61 


Deutsrhen  in  Srlil.  S.  215  (5!)))  führt  es  (Boiei  unter  ilen  Worten 
an,  die  den  frank i.selien  und  tliüringisclien  Be.stnnd  iin  Beides,  be- 
wei.sen  sollen.  Leipz.  Wb.  S.  91. 

l)üra?n,  fitdi.  sw.  v.  sich  beeilen,  sich  aufniachen;  z.  B. 
na  flink  nn!  wertp  aecji  nich  baldo  pura^-n?  — DWb.  VII  2277 
piirren,  II  545  burren.  Weinludd,  schles.  Wb.  73. 

[pnS.  in.]  in  dem  allgemeinen  Sinne  von  Wald  (wie  im 
Schles.)  kommt  es  nicht  vor,  dafür  heda.  Doch  ein  BirkenwiUdchen 
bei  I)ubr„  das  jetzt  nicht  mehr  existiert,  hie.ss  birkn-pus;  Ids- 
weilen  ist  pus  = dicht  verwach.senes  (Jehölz. 


r. 

rankarn.  sw.  v.  (rum-,  acn-rankarn)  sich  schnell  und  mut- 
willig hin  und  her  bewegen,  so  dass  dadurch  Schaden  verursacht 
wird.  — DWb.  VIll  107;  Leipz.  Wb.  S.  190. 

rats!  Schallnachahmung  des  ZeiTeissen.s.  — DWb.  VIII  189 
und  1080;  ratsch  und  ritz,  ratz. 

[rikn.  m.]  nicht  üblich,  dafür  immer  puk].  m.,  Leiiiz.Wb.S.95. 
rimpl.  m.  ein  Stück  Kot.  Vgl.  rümpfen? 

[rink.  m.j  in  der  Bedeutung  von  Marktplatz  (mariht)  un- 
gebräuchlich. 

ri])ln,  (fich).  sw.  v.  (sich)  rühren.  Vgl.  Weinhold,  schles. 
Wb.  S.  76  (neben  rappeln,  dieses  wird  in  unserer  Ma.  nicht  in 
solchem  Sinne  gebraucht;  wohl  aber  raplicji  = aufgebracht);  di 
slofn  wol  nocji?  na  nfi  fanfe  an  ficji  zu  rip|n.  Vgl.  DWb. 
Vlll  1032. 

n'sänk.  m.  Waldteich  bei  Dunraucke;  s.  luÄkn. 
rits!  Schallnachahmung  des  ZerrcLssens ; vgl.  DWb.  VIII 
1050:  ritsch. 

rofu.  m.  Rasen,  röfpbank.  f.  Kasenbank.  DWb. VIII  130f. 
rotsak.  m.  Schimjifwort. 

röts-])e))l.  m.  Schimpfwort;  auch  pep]  allein  kommt  vor; 
man  bezeichnet  so  einen  kleinen,  unbedeutenden  Menschen.  Wohl 
einer,  der  sich  noch  wie  ein  Kind  in  der  Na.se  „popelt“. 

rumiiln.  sw.  v.  dumpf  tönen,  poltern.  Vgl.  DWb.  VIII  1489. 
runa.  f.  (wögn-runa)  das  gekrümmte  Holz,  das,  vom  Achsen- 
ende aufsteigend,  dem  Stabe  als  Stütze  dient,  an  dem  die  Wagen- 
bretter lehnen.  — DWb.  VIll  1520. 

rustorn.  sw.  v.  rosten.  DWb.  \HII  1284:  rostern. 


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62 


r. 

fdgrotka.  Fluru.  (Pl'arrackpr);  vfrl.  weiid.  zahroda,  um- 
zäuiite  Stelle,  Garten,  Feldg:arteii. 

fi'ik-lmpiji.  sw.  V.  Sacklaufen,  Spiel  der  jungen  Burschen, 
faola.  f.  Säule;  tsi'ipm-faola,  Zaunsäule,  faola  smacsn,  ein 
Knabenspiel. 

fiioj‘-lun(t)äa,  fanr-lun(t)§ka.  f.  Bezeichnung  des  Sauer- 
ampfers, oder  auch  hloss  seiner  sauren  Blätter.  Der  2.  Bestand- 
teil von  Sauerani])fer  tritt  ja  vielfach  entstellt  auf,  vgl.  DWb. 
VIII  1869.  Vgl.  Sauerluni])e?  etwa  zusammenhängend  mit  Ifitsn? 
Die  Kinder  pflegen  den  sauren  Saft  aus  den  Blättern  zu  „lütsp’“. 
Die  Einfügung  des  Na.sals  n würde  nicht  dagegen  sprechen,  da 
sich  ähnliche  Fälle  in  der  Ma.  finden.  Leipz.  Wb.  S.  196. 

fdga-tücji.  n.  Leinwandläi)pchen,  durch  das  die  Milch 
nach  dem  Melken  filtriert  wird. 

fdlaefp,  felefn.  P'lurn.,  vgl.  zclezo,  be.sser  Äelezo,  Eisen. 
In  unserer  Gegend  kommt  Raseueisenstein  vor;  also  etwa  ein 
Feld,  das  reich  daran  ist  oder  war?  Neben  felaefn  kommt  auch 
KKfp  vor. 

felo.  f.  die  Schwimmblase  der  Fische.  V^gl.  unter  Seele 
im  DWb.  IX  2922.  Leipz.  Wb.  S.  211. 

firop-lekj-.  in.  Name  eines  Vogels  (beim  Spiele,  s.  fögj- 
fjkOfn). 

f. 

fifinka.  Flurname. 

s. 

sf-si-sis!  Lockruf  für  den  Hund  (.selten);  wend.  ce,  ce! 
(Hauiit-Schmaler  11  S.  215). 


sa!  Sa!  Ruf,  um  die  Hühner  wegzujagen;  vgl.  wend.  sö. 
sa^'.sn.  st.  V.  dazu  safsjn.  sw.  v.  DWb.  VllI  2464  u 2468; 
ferner : 

savsp.  m.  Schimpfwort  (unfähiger,  kraftloser  Mensch). 
DWb.  VI II  2468.  türm  - sa<*.sj-  ist  ein  Name  des  Sperlings,  Jedoch 
nur  beim  fögl-frköfu  (s.  d.). 

salüstp.  f.  Elster.  DWb.  Vlll  2058.  Weinhold,  schles. 
Wb.  80.  — salüstp  sisu  = Schalaster  schiessen,  d.  i.  ein  von 
Knaben  ausgeführtes  Kunststück. 


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ft3 


Ein  Junge  legt  sich  auf  ileii  Rücken  und  streckt  die  Hände  über  den 
Kupf;  auf  die  Hände  setzt  ein  anderer  seine  Küsse;  dann  halt  der  erste  die 
Beine  gebeugt  nach  oben,  der  andere  lehnt  sich  mit  dem  Oberkbrper  darüber, 
worauf  der  Liegende  seinen  Freund  mit  der  vereinten  Kraft  seiner  Arme  nnd 
seiner  Beine  nach  vorn  schnellt. 

salkacn.  sw.  v.  scliellern.  Das  Verbum  wurde  nur  einmal 
in  Dubr.  gehört.  Ein  Spaten,  den  ein  Knabe  hielt,  wurde  von 
einem  andern  kräftig  geschlagen;  da  rieb  sich  jener  die  Hand 
und  sagte:  das  hat  abp  gosälkaet!  DWb.  IX  2500:  schellern; 
Schalken,  zerhauen,  sich  Schalken,  zerspringen:  IX  2076. 

siipa?n.  sw.  V.  gehen,  indem  man  viele  und  kleine  Schritte 
macht,  äap,  sap,  Schallnachahmung  des  äapafn.  Vgl.  Weiidiold, 
Dialforsch.  99.  DWb.  — . wend.  sapac  schleifend  gehen,  latschen. 
Das  Gehen  des  Schafes  ist  auch  als  sapa?n  zu  bezeichnen;  be- 
steht etwa  gar  eine  Beziehung  zu  dessen  Namen?  vgl.  wend.  sepa, 
Schmeichelwort  für  Schaf.  — Zu  sapa?n  gehört  das  Schimpfwort 
sapapa.  f.  weibliche  Person  mit  schleppendem  Gange. 

äet)!}!.  pl.;  genus?  Abfälle  beim  Flachsbrechen.  Zu  vgl.  ahd. 
scoub,  Stroh;  nd.  schöf,  pl.  schöve. 

äeka.  f.  gescheckte  Kuh,  geschecktes  Pferd.  — DWB.  VIII 
2382.  Weinhold,  Dialforsch.  110.  Vgl.  wend.  saka  in  derselben 
Bedeutung. 

sei 3.  f.  Ohrfeige. 

äenka.  f.  das  Wirt.shaus.  Weder  das  schles.  Kretscham 
noch  das  nd.  Krug  i.st  in  Dubr.  gebräuchlich.  — DWB.  VIII 
2542  f.  3) ; dazu  : 

senkr.  ni.  Gastwirt.  DWB.  VIII  2555. 
s6pa?n.  sw.  v.  den  Flachs  klopfen,  damit  er  weicher  wird. 
DWB.  — . Vgl.  sebiii. 

serik-täeqji.  m.  Teich  bei  Dubr.;  vgl.  DWb.  VIII  2594; 
wohl  zusammenzustellen  mit  scherung  (schering)  „das  Scheren“ 
(mild,  scherunge,  innd.  scheringe,  nnd.  .scherung  und  .schering, 
auch  in  der  Bedeutung  von  Weide),  zumal  in  der  Nähe  des  Teiches 
ein  Schäferei  i.st. 

ga-äö(;Jie.  n.  kraot-ga.V-iyia,  Pupjie,  die  auf  dem  Felde  auf- 
gestellt wird,  um  das  Wild  zu  vertreiben.  — DWb.  IV  1.2.  38.56. 
Leipz.  Wb.  S.  121. 

sibakp.  Flurname. 

sindf-ficjitu.  pl.  f.  eine  öde,  mit  Brombeergesträuch  be- 
wachsene Gegend  bei  Dubr. 


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64 


Sint-liidj-,  n.  Hrhiinpfwort ; p;ilt  aber  nicht  als  besonders 
prob.  ,i(Ji  los  nitdi  mit  mir  Sint-lndr  Spiln‘-,  damit  weisen  Mädchen 
Scherze  und  Zudrinjrlichkeiten  von  juiifien  Hnrschen  zurück.  — 
DWb.  IX  202.  Vffl.  Leipz.  Wb.  S.  200. 

sip!  sipl  LockrnI'  für  Schafe.  Im  DWb.  ebenso;  IX  20(> 
schip.  Wend.  sip,  sip!  Hanpt-Sclimaler  II  215. 

sirliuk.  m.  Schierling  (Pflanze),  sirlink  spiln,  ein  Spiel, 
das  die  Schulknaben  gern  in  der  Freiviertelstunde  in  der  Schule 
vornehmen. 

Das  Spiel  stellt  eine  kleine  (ierichtsverbamllmi^  dar.  Die  Rollen  werden 
auf  Zettel  geschrieben,  die  faltet  man  zusammen  und  verteilt  sie.  Die  l’crsouen 
sind:  der  Amtmann,  der  Hauer,  der  Dieb  und  der  Schirliiig.  Jeder  öffnet  den 
Zettel,  den  er  erhalten  hat,  zeigt  ihn  aber  den  andern  nicht.  Der  Bauer  erhebt 
alsdann  eine  Anklage:  ,hr  aiiipiiian,  di  liomr  haeta  naedit  na  feta  kn  gastöln!'* 
Amtmann:  ,nutr  maena  gainaena‘?  (der  .Amtinauii  spricht  so  hochdeutsch  als 
niiigliclo.  Bauer:  .jawül!“  Amtmann:  ,wer  i»  dr  dip?“  Der  Bauer  muss  raten. 
Trifft  er  den  Dieb,  so  fragt  der  Schirling : .was  solr  krigp?“  Darauf  setzt  der 
Amtmann  das  Strafmass  fest,  das  gewöhnlich  aus  Püffen  besteht,  die  mit  ver- 
schiedenen Schikanen  verabfolgt  werden  (fimwa  mit  tsnkr,  draea  mit  feff,  spis- 
riitn  usw  ).  Die  Strafe  hat  der  Schirliiig  zu  vollziehen.  Trifft  der  Kläger  beim 
Raten  nicht  den  Dieb,  so  bekommt  er  seihst  die  Strafe.  Der  Schirliiig  also  ist 
ein  Polizist,  ein  Büttel  oder  dgl. 

Wabrscheiulicli  ist  sirliuk  (für  *scherling?)  eine  Deminutivbildung  zu 
älterem  sclierje  .Scherge“  (wofern  man  ca  nicht  mit  schürgen  .atosseii,  pullen“ 
in  Verbindung  bringen  und  ans  ♦schttrgliiig  erklären  will).  Ss. 

sirii.  .sw.  V.  qiiiileu.  unruhig  sein  (von  Kindern  nnd  Kranken); 
z.  L5.  das  killt  das  blat,‘pt  hacta  in  f>n  sirn  (d.  h.  es  ist  immerfort 
unruhig).  — Wahrscheinlich  — .scheren  DWli.  VIII  2575,  in  der 
Bedeutung  einen  plagen,  quälen.  .Als  Nebenform  ist  schieren  an- 
geführt IX  27.  Dazu  das  adj.  sirii^i  unruhig,  quälend.  DWb. 
IX  28  (in  etwas  abweichender  Bedeutung). 

äirp  (surp).  m.  Scherbe,  jil.  sirbp;  sirbp-haofn  = Scherben- 
haufen. .Ahd.  scirbi,  scirpi ; ein  entsprechendes  AVort  für  das 
mhd.  scliwache  .sclierbe  (meist  niasc.)  fehlt  in  der  Ma.  DWI). 
VI 11  2561;  schirb. 

sisöka.  f.  Teich  bei  Wolfshain. 

siÄka.  f.  meist  im  pl.  .siskn;  auch  suskn  hört  man.  Die 
Samenbehälter  der  Kiefer,  Kiefernzapfen.  — Wend.  siska,  Zapfen 
von  Xadelliäumen. 

skridla.  Flurname. 

slindj'ii.  sw.  v.  auf  einer  Rutschbahn  auf  dem  Eise  dahin- 


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gleiten,  DWb.  IX  723.  — glinrtraoa.  f.  die  Gleifbalin  DWb. 
IX  723  sdilinder  t'.  unter  schlindeni. 

slisn.  st.  V.  (slos,  gaälosn)  in  der  Verbindung  ledfii  Slls^, 
die  Pederliaare  von  dem  Kiele  rupfen.  Weinliold,  scbles.  Wb.  84 
hat  sclilci.ssen.  An  „schliessen“  angeglichen,  wie  im  Hessischen, 
vgl.  DWb.  IX  617, 

smila.  f.  geschwollener  Streifen,  Schwiele,  infolge  eines 
Hiebes  mit  einer  Rute  oder  Peitsche;  vgl.  DWb.  IX  1077,6  u.  2616,4. 

smira.  f.  Schmiere,  z,  B.  wbgn-smlra;  alles,  was  man  aufs 
Brot  schmieren  kann,  wie  Butter,  Fett  usw. 

smurgjn.  sw.  v.  schlecht  schreiben,  schmutzig  machen;  z,  B. 
dü  hasdr  ja  gans  basmurglt. 

Snipsl.  n.  papir-snii)sj,  kleines,  leichtes,  von  einem  gifisseren 
(ianzen  abgc.sohnittenes  Stückchen;  vgl.  DWb.  IX  1342;  dazu: 
sni])s|n.  sw.v.  kleine  Stucke  ab.schneiden,  so  da.ss  sie  abspringen. 
Vgl.  Leipz.  Wb.  S.  205. 

suito-bank.  f.  Bank,  auf  der  Bretter  oder  Stangen  fe.st- 
geklemmt  werden,  um  sie  zureclitzusebneiden,  abzuputzen  mit  dem 
snita-mesr.  n. 

sosa.  f.  Schiebbrett  mit  langem  Stiel,  zum  Einschieben  der 
Brote  in  den  Ofen.  DWb.  IX  1599  und  als  iieutr.  1598.  Wein- 
hold, scliles.  Wb.  87. 

sjiaracn.  sw.  v.  in  etwas  wühlen,  mit  einem  Stocke,  einer 
< Jabel  oder  dgl.  iti  etwas  herumstochern. 

spericji.  adj.  stachlich,  verwachsen,  di  tsakn  (trockne 
Zweige)  faen  fö  §peri(^,  di  hakn  fitji  nidi  gut. 
spila.  f.  Spindel,  länglicher  Gegen.stand. 
spilridi.  adj.  dünn,  zerbrechlich,  vgl.  Leipz.  Wb.  S.  214. 
spinta.  f.  di  medjs  gen  tsu  spinta,  d.  h.  die  Dorfmiidchen 
versammeln  sich  an  Winterabenden  in  einer  Bauernstube,  um  zu 
.si)inuen.  Mit  dieser  Sitte  wird  auch  das  Wort  .selten. 

sprao.  f.  Spreu,  mhd.,  ahd.  spriu.  Es  ist  nicht  notig,  mit 
Michel  (PBrB.  XV  S.  41)  diese  Form  auf  amd.  *sprawi  zurück- 
zuführen, denn  für  iu  tritt  im  Md.  öfters  ü ein,  namentlich  vor 
w;  so  kommt  auch  sprü  neben  spriu  vor,  woraus  sich  sprao  ent- 
wickeln musste. 

spretn.  sw.  v.  au.sbreiten,  nur  in  der  Verbindung  mist 
spretn  = den  in  Haufen  angefahrenen  .Mist  auf  dem  Acker  aus- 
breiten. 

HiUeltQnt;eii  li.  »chles.  f.  Vkdo.  Heft  XX. 


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66 


(gpre^fl.)  fast  ganz  ungebräuchlich,  dafür  fögp,  redg.  — 
z.  B.  der  föt  (fokt),  das  kanp  ni<3i  aos-haldp.  Auffällig  ist  die 
häufige  Verwendung  von  sprc(^hg  für  fögn  von  Muskau  ab;  in 
Muskau  also:  der  fokt  oder  Spricht,  das  konp  ni(^  aoshaldn;  im 
Schlesischen  überwiegt  sprechn. 

SrökoS.  m.  ein  Vogel;  ich  konnte  nicht  feststellen,  welcher. 
Der  Name  klingt  an  an  wend.  skrokaß,  sröka  (Elster). 

Stäok-a?fp.  n.  Werkzeug  zum  Zerstampfen  von  Rüben, 
Kartoffeln  u.  dgl.  fürs  Vieh;  ein  Stab,  der  an  dem  einen  Ende 
mit  einem  S- förmig  gebogenen,  scharfen  Eisen  versehen  ist.  Dazu 
Staokp.  sw.  V.  mit  dem  Stiiok-acfn  stampfen;  fiqji  an  b&n  f|- 
staokp,  sich  ein  Bein  verstauchen.  — Vgl.  nd.  .stäken  (bei  Hand- 
werkern und  in  der  Wirtschaft  etwas  Schmales  und  Spitziges  auf 
etwas  stossen.  Hejme,  Wb.  III  763). 

stapa^n,  ätipa^n,  stiiij-n.  sw.  v.  mit  einem  spitzen  Ge- 
genstände in  etwas  herumsteclien;  z.  B.  na  du  stapaest  ja  fö  in 
hirfo  rüm,  dir  smeks  wol  haeto  nicji? 

stäbj-n  und  ätebjn.  sw.  v.  in  kleinen  Tropfen  regnen.  — 
Weinhüld,  Dialforsch.  97 ; vgl.  Leipz.  Wl).  S.  216. 

stek(jlin  trön.  Stückchen  tragen  (Kindersprache). 

Wer  beim  Baden  mit  dem  Ankleiden  znletzt  fertig  ist,  muss  stekt^g  trön, 
d.  h.  etwa  bis  an  die  Kniee  ins  Wasser  geben,  mit  dem  Munde  ein  im  Wasser 
schwimmendes  Stückchen  Holz  erfassen  und  diircb  eine  geeignete  Bewegung 
hinter  sich  werfen,  und  zwar  dreimal. 

ätf n-kvet§p,  m.  Kernbeis.ser,  Vogelnamc,  besonders  beim 
fögl-ffkofp  üblich  (s.  d.). 

Ster.  m.  SchaflKick,  Widder;  vgl.  Weinhold,  schles.  Wb.  94. 
Ahd.  stero,  sw.  m. 

st6-uf.  m.  (sub.stant.  Imper).  Stehaufmännchen  (Spielzeug), 
vgl.  Leipz.  Wb.  S.  216. 

äti^kats.  m.  stinkender  Men.sch,  .seltener  .stinkendes  Tier; 
bisweilen  vom  KiLse  ge.sagt;  vgl.  näkats  S.  r>8. 

ätirln.  sw.  v.  mit  einer  Stange  (oder  einem  anderen  langen 
Gegenstände)  wiederholt  in  etwas  hineinstechen ; z.  B.  wespiji 
stirln;  in  do  ep!  stirln.  Weinhold,  schles.  Wl>.  94;  Leii>z. Wb. 
S.  217. 

ätlrtsj.  m.  Baumstumpf,  verwachsener  oder  .schlecht  aus- 
gebildeter  Baum  oder  Strauch.  Vgl.  Leipz.  Wl).  S.  220. 
stirtsl-bok.  m.  (.sis^)  = Purzelbaum  (.schiessen). 


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67 


ätirtsn,  sturtsp.  sw.  v.  Acker,  namentlich  Stoppelfeld, 
umpfHipen. 

Stök-haos.  n.  Zuchthaus. 

ätokfii.  sw.  V.  .stottern;  im  Reden  innehalten,  stocken  (fre- 
quentativ  zu  stocken). 

strampln,  .sw.  v.  heftig  mit  den  Beinen  stossen  (namentlich 
von  kleinen  Kindern);  Leipz.  Wb.  S.  219. 

struu(t)sa.  f.  robustes  Mädchen;  vgl.  Leipz.  Wb.  S.  219. 

sum.  sw.  V.  an  etwas  saugen  (nur  in  dieser  Bedeutung). 
Vgl.  schumel,  plur.  schumein,  die  weiblichen  Brüste,  Schmeller 
II  420.  Dazu 

sum).  m.  Saugpfropfen  für  Säuglinge;  vgl.  wend.  ßumjel 
in  derselben  Bedeutung,  Pfuhl,  Wb.  89. 

sunkaen.  sw.  v.  schaukeln.  DWb.  IX  2004:  schunkel  und 
schunkeln.  Dazu  subst. 

sunkaoa.  f.  die  Schaukel;  vgl.  inhd.  schoc  st. m.  und  schocke 
st.  f.  (Seltener  kommt  vor  di  Sunkae).  Vgl.  Leipz.  Wb.  S.  207. 

svan(t)s-gelt.  n.  Trinkgeld,  das  der  Viehkäufer  dem  Dien.st- 
mädchen  des  Verkäufers  gibt.  — DWb.  IX  2271. 

ävigats.  m.  das  ans  Ende  des  Peit.schenriemens  gel)undene 
Stück  Bindfaden,  Schmicke,  Schnieke. 

Svikaqka.  f.  vgl.  S.  46. 

kommt  nur  in  einer  Art  Beschwörungsformel  vor,  die  die  Knaben  sprechen, 
wenn  sie  im  FrQbjabr  von  jmigeii  Weideuzweigen  die  Rinde  ablösen,  um  Pfeifen 
daraus  zu  machen.  Damit  sich  die  Rinde  leichter  löst,  legen  sie  das  betreffende 
Stück  aufs  Knie,  klopfen  es  vorsichtig  mit  dem  Messergriffe,  während  sie  sprechen: 
börtsäpkä,  srikäokä,  dö  fresp  dir  di  rübip ; 

wen  dü  ni(^  rundp  gest,  ^ dü  fre.sp  dir  di  milpnikp, 
dö  smaes  i^  dir  in  gröbqi,  di  tffn  df  fnrno  unt  hintp  tsvikp. 

In  V.  1 und  2 wird  jede  Silbe  betont  (j.  ^ ^ j.),  und  bei  jeder  erfolgt  ein 
Messerschlag;  ein  ganz  andrer  Rhythmus  setzt  mit  v.  3 ein:  regelmässiger 
Wechsel  zwischen  Hebung  und  Senkung,  bei  jeder  Hebung  in  der  Regel  ein 
Hesserschlag  ^ » j.  * j.  * usw,).  Das  Wort  erinnert  an  das  v.  schwicken, 
unter  schwick  im  DWb.  angeführt  (IX  2611)  und  an  das  wend.  äwikad,  swiko- 
wad  = peitschen,  schlagen.  Aus  den  Weidenruten  werden  die  bekannten  Pfeifen 
gemacht,  die  man  im  Wend.  mit  äwikafa  bezeichnet,  was  dem  angeführten 
Worte  entspricht.  [Es  sei  auf  die  mögliche  Verwandtschaft  dieses  slaw.  Wortes 
mit  dem  deutschen  ,Scbwegel“  hingewieseu.  — Aus  Oberschlesien  sind  mir  ähn- 
liche Verse  in  polnischer  Sprache  bekannt  geworden.  Ss.] 

sviue.  f.  runder  oder  ovaler  Korb,  namentlich  zum  Port- 
scliaffen  von  Streu.  DWb.  IX  2685  d. 

ü» 


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68 


ävfräoa.  f. 

Kinderspielzeug;  es  ist  eine  runde,  kleine  Scheibe  aus  Blech  oder  Leder,  deren 
Rand  gezähnt  ist;  durch  zwei  Löcher  in  der  Mitte  wird  ein  Bindfaden  gezogen, 
und  durch  geeignete  Bewegungen  wird  die  Scheibe  iu  schnelle  Rotation  versetzt, 
so  dass  sich  ein  schwirrender  Ton  hören  lässt. 

svörta.  f.  1)  feste  Haut  (^pek-svürto) ; 2)  ein  Brett,  von 
dem  die  eine  Seite  mit  Rinde  bedeckt  ist,  also  das  erste  und  das 
letzte  der  aus  einem  Stamme  geschnittenen  Bretter.  l)\Vb.  IX  2295  ti. 

t. 

t6!  Ausruf  = siehst  du?  vgl.  terä! 
teba.  f.  Hündin;  vgl.  ndd.  tewe,  title  usw. 
teuka.  pl.  fern,  die  kleinen,  runden,  frühreifen  Pflaumen. 
terS!  Ausruf,  drückt  Stolz  und  Selbstbewu.sstsein  aus;  z.  B. 
denkt  ir,  it^i  kuina  niiji  ribr  ibrn  tani  (Damm)?  ters,  dö  Idn  itjt 
sunt!  Etwa  entstanden  aus  fetarä  (seht  ihr’s?)?  Das  ist  freilich 
wegen  des  Akzentes  nicht  wahrscheinlich. 

tetsn.  m.  der  Zehnte,  Abgabe  an  den  Pfarrer  und  den  Lehrer, 
wie  sie  früher  in  einem  gewi.s.sen  Mass  Getreide  entrichtet  wurde. 

timpacn.  sw.  v.  durch  Abschlägen  an  eine  Glocke  oder 
einen  andern  metallnen  Gegenstand  helle  Tüne  liervoiTufen. 

tis,  demin.  tifl.  Lockruf  für  Tauben;  tifl.  n.  auch  als  subst. 

— Weinhold  führt  das  aus  dem  Lockruf  gebildete  subst.  tise, 
ti.s.se  fein.  Tiiubchen  auch  für  die  Oberlausitz  an. 

titS.  m.  oder  n.?  und  demin.  titJko.  n.  Bezeichnung  für 
ein  kleines  Tier;  kleine  Vögel,  Käfer;  auch  der  Floh  wird  mit- 
unter so  benannt  (Kindersprache). 

trajisu.  sw.  v.  stark,  unbeludfen  auftreten.  Dazu  ti’aiisn. 
jd.  masc.  Fuss.stai)fen. 

trega.  adj.  trocken.  Weinhold,  schles.  Wb.  100;  freuge. 
Lei)iz.  Wb.  S.  103.  Dazu 

tr(“gn.  sw.  V.  trocknen;  trans.  und  intrans. 
trekn.  sw.  v.  ziehen  (eine  schwere  Last,  einen  Wagen).  Xd. 
Vgl.  Weinliold,  schles.  Wb. 

trempln.  sw.  v.  treten,  trampeln.  — .\uch  das  Begatten 
der  V'ögel  wird  so  bezeichnet:  dr  hon  treiu])|t  ila  liina. 
tresa.  f.  Regen.schauer. 

tsack.  n.  Zeug:  ufu  t.safga  faen  = sich  wolil  betiiidcn,  ge- 
sund .sein,  z.  B.  in  wintp  wörp  krank,  äbr  nü  isp  widr  ufu  tsaega. 

— Ferner  tindet  es  in  einem  Wort.sjiiele  Verwendung.  Wenn 


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jpiiiiind  etwas  sehen  will  und  sagt  tsä^gaindl  (zeige  einmal!),  so 
weigert  sich  der  andere,  es  zu  zeigen,  indem  er  sagt:  das  is  nicjji 
foii  tsüfgo!  = das  wird  nicht  gezeigt;  eigentlich:  das  ist  nicht 
von  „Zeug'*  (Stotf,  Tuch). 

tsamparn.  sw.  v.  in  Verkleidung  lierumziehen. 

Am  Fa8tnaclitsmort;en  ziehen  verkleidete  junge  Burschen  von  Haus  zu  Haus 
und  führen  allerhand  Fastnachtssclierzc  aus ; dieses  in  Verkleidung  Herumzieheu 
ist  tsaniporn  gen.  — Im  Schlesischen  kommen  Ähnliche  Worte  vor,  vgl.  Wein- 
hold, l>ialforsch.  tOO:  zempern  dienen,  zempem  gehen  auf  Frondienst  gehen; 
(ebd.  S.  i)9;  rvhampern  und  fchappern,  hüpfend  und  tänzelnd  gehen).  Da  es 
sich  gerade  um  einen  Fastnacht.sbrauch  handelt,  wird  man  durch  zaroparn  oder 
tchampern  (Weinhold)  leicht  au  den  Schembart-Lauf  erinnert;  es  scheint  mir 
aber  doch  gewagt  zu  sein,  einen  Zusammenhang  anznnehineu,  solange  ver- 
mittelnde Glieder  fehlen.  Ist  etwa  auch  das  von  Weinhold  angenihrtc  Verbum 
fchappern  heranziizichen,  das  in  unsrer  Ma.  in  der  Form  sapaen  existiert?  Dass 
sich  für  den  Fastnachtsbrauch  die  Form  tsamparn  festgesetzt  hat,  braucht  nicht 
zu  überraschen,  da  in  unsrer  Ma.  s,  ts  und  ts  nicht  allzn  scharf  getrennt  sind; 
vgl.  die  Formen  tsulp,  t.sulp,  sulp  oder  tsisp,  sisg  (wie  im  Schlesischen);  der 
Name  des  Dorfes  Tschernitz:  tsernits,  sernits,  tserns.  — Vgl.  zumber  in 
Oberschles. 

tsci'(^i)ka,  tserenka.  f.  Art  kleiner,  sü.sser  Hirnen, 
tsig^-bort.  m.  Ziegenbart  = essbarer,  korallenartig  ver- 
zweigter Pitz. 

tsul)),  tsulp,  sulp.  m.  Saugpfropfen  für  kleine  Kinder; 
vgl.  Heyne  im  Wb.  III  1453  (das  hier  erwähnte  zullen  „saugen“ 
habe  ich  in  der  Ma.  nicht  gefunden). 

türin-sacsjr.  m.  Name  für  den  Sperling  (beim  fögl-ffköfij, 
s.  d.),  vgl.  Dachscheisser,  Leipz.  Wb.  S.  98. 


u. 

iif-§cpa.  f.  das  fürs  Vieh  in  Was.ser  eingeweichte  und  zu- 
samniengerührte  Futter.  DWb.  I 730  liat  nur  das  v.  aufschöpfen, 
IX  1533  f. : schöpfe  = Schöpfgefäss. 
iim-(t)setdia.  adv.  abwechselnd. 

üm-wenda.  f.  di  svera  üm-wenda.  Beim  Steinchenspielen 
(kamuäkafn)  eine  besondere  Art,  die  Steinchen  aufzufangen, 
firäa.  f.  Getreiderest  auf  dem  Stoppelfelde.  Dazu 
lirs?.  sw.  v.  durcheinander  werfen,  verwirren,  ftrsp  sind 
also  znsamraengeliarkte  Getreidereste,  bei  denen  die  einzelnen 
Halme  wirr  durcheinander  geraten  sind,  im  Gegensatz  zu  den 
Garben. 


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70 


w. 

waefj'.  m.  Uhrzeiger. 

waef?.  st.  V.  bisweilen  = zeigen;  wäefamöl!  zeige  einmal! 
— i^  wer  df  glae  waefij!  (drohend). 

wäka.  f.  eine  Art  schwarzer  Käfer,  die  sich  namentlich 
auf  Kornböden  u.  dgl.  aufhalten. 

[walt.  m.]  dafür  heda. 

walk.  m.  ein  Spiel.  Dazu:  walkaen.  sw.  v. 

In  den  Osterfeiertagen  vergnilgt  sich  die  Dorfjugend  am  walkaen,  einem 
Spiel  mit  bantbemalten  Eiern.  In  eine  in  die  Erde  gemachte  Qrnbe  (walk) 
lassen  die  Mitspielenden  der  Reihe  nach  ihre  Ostereier  von  dem  oberen  Ende 
her  hincinlanfen.  Es  kommt  namentlich  darauf  an,  ein  Ei  zn  treffen, ‘das  man 
in  die  Mitte  der  Bahn  gelegt  hat.  Es  wird  regelmässig  nm  Stecknadeln'gespielt. 
Dieses  Spiel  kommt  in  unserem  Kirchspiele  auch  allmählich  ab.  — Vgl.  Uber  die 
Sitte:  Uaupt-Scbmaler  II  227.  — VVend.  walkad  (wälzen,  kollern),  snbst.  walka. 

watäa!  Lockruf  für  Enten  (Tschernitz). 
watäa.  f.  Ohrfeige  (selten). 

wat§ln,  wätäln.  sw.  v.  schwerfällig  und  zugleich  gemäch- 
lich gehn. 

w6k-kum.  st.  V.  wegkommen,  d.  h.  sterben  (von  Haustieren). 
fr-w6nta.  f.  Schlag  ins  Gesicht  mit  der  äusseren  Handfläche, 
werla.  f.  die  Werre,  Maulwurfsgrille.  Vgl.  Leipz.  Wb.  S.  236. 
werlink.  m.  eine  aus  Buttermilch  und  Mehl  zusammen- 
gerührte Suppe. 

wös-dräe.  Ausruf  = wahrhaftig! 

winj-,  wino,  wins.  pron.  interr.  welcher,  welche,  welches 
(s.  Teil  I S.  33). 

winä.  adj.  wendisch;  di  winsij  = die  Wenden, 
wita!  Lockruf  für  Enten,  ln  der  Kindcr.spracbe  auch  sub- 
stantiviert : wita  f. 

witn.  sw.v.  Unkraut  ausreissen,  jäten;  vgl.  ags.  weöd  Unkraut, 
ga-wöna.  adj.  gewohnt;  z.  B.  di  fapn  bifta  faen  unfe  är- 
baet  niOi  gawöna. 

wü,  seltener  w6?  wo?  und  wohin?  wfi  ges  du?  = wohin 
gehst  du? 

wurfp.  sw.  v.  worfeln,  die  Getreidekörner  durch  Werfen 
mit  einer  Schaufel  von  der  Spreu  sondern. 


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71 


Sprachliche  Erstarrungen  im  Schlesischen. 

Von  Dr,  Paul  Drechsler. 


Paul  bespricht  in  seinen  Prinzipien  der  Sprachgeschichte 
3.  Aufl.  S.  214  f.  Flexionsformen,  die  dadurch,  dass  sie  auf  Fälle 
übertragen  werden,  denen  sie  eigentlich  nicht  zukommen,  ihrer 
ursprünglichen  Selbständigkeit  verlustig  gegangen  und  völlig  er- 
starrt sind.  So  traten  im  Griechischen  die  singularischen  Imperative 
äyt,  (feQs,  f-iTii  fiot,  u.  a.  zu  einem  Plural  und 

wurden  allmählich  partikelhaft.  Ein  ähnliches  Geschick  haben  im 
Lateinischen  die  Imperative  puta,  cave  (Plautus:  cave  dirum- 
patis),  im  Französischen  voici,  voilä,  im  Neuhochdeutschen 
lalt!  sieh!  u.  a.  Man  vergleiche  in  unserer  Umgangssprache : 
'arte  mal,  ihr  könnt  gleich  einen  Brief  mit  nehmen!  — guck(e), 
u seid  ihr  ja!  S.  unten  lat.  em,  en  und  glätzer  schan. 

Partikelhaft  gebraucht  werden  im  Griechischen  auch  olfiai. 
Ob),  im  Lateinischen  nicht  selten  opinor.  Im  Spätgrie- 

ch?chcn  sind  Mife'/.e  und  oiiff/.ov  völlig  erstarrt;  sie  werden  ohne 
Rüksicht  auf  Person  oder  Numerus  wie  Konjunktionen  gebraucht. 
Dei  nämlichen  Vorgang  zeigt  unser  nur.  Es  ist  aus  newiere 
cntianden  und  heisst  ursprünglich  es  wäre  denn. 

\uch  das  Schlesische  zeigt  uns  sprachliche  Erscheinungen, 
dereiGrundbedeutung  allmählich  verblasst  ist.  Im  deutschen  Ober- 
schle.en  ist  die  Partikel  malöicht  (mit  dem  Ton  auf  der  zweiten 
Silbe ;vor  unbestimmten  Fürwörtern  und  Adverbien  sehr  beliebt: 
da  knnte  malefcht  wer  kommen!,  er  ist  malei'cht  wo, 
gebenSie  uns  maleicht  was!  Dieses  maleicht  i.  S.  von  be- 
liebigirgend  geht  auf  magleicht  zurück  und  heisst  ursprünglich 
mag  licht  sc.  sein.  So  .sagt  der  Leobschützer  Scherffer  in 
seinem  Irobianer  (1640)  S.  166:  Sie  greifft  magleicht 
wohin.  - 

FUr-rosscr  Herren  Mund  geliört  das  allerbeste, 

Mag^ictiU-  wo  sich  von  ein  grober  Bauer  mäste.  Logau  1,  3,  17 

würde  hee  lauten;  maleichte  wovon  (eigentlich:  von  was)  sich 
e.  gr.  Baic  mäste.  Im  Kreise  Ohlau  (Rodeland)  hörte  ich  die 
Form  makihte  (mit  dem  Ton  auf  dem  mittleren  (kurzen  offenen)  e). 
In  den  Schs.  Provinzialblättern  1871  S.  438  bespricht  ein  Lehrer 


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72 


aus  dem  Kreise  Breslau  die  Mundarten  der  Dörfer  an  der  Oder 
ol)erliall)  Breslaus  bis  Ohlau  und  bemerkt:  „Sehr  häutig  hört  man 
die  Wörter  masg  lachte  (mag  leicht)  anwenden,  z.  B.  Du  lässt 
dich  masg  lächte  was  überräden  oder:  masg  lächtc  war  (wer) 
könnte  mich  zum  Norr'n  hoab’n“.  — Ähnlich  ahd.  macsen.  Grimm, 
Gramm.  III,  242. 

Man  vergleiche  damit  die  erstarrte  Bedeutung  wer  weiss 
was:  der  bildet  sich  wer  weiss  was  ein;  dem  wirstu  wer 
weiss  was  zahlen  müsssen;  der  hat  wer  weiss  was  gedacht! 

Aus  dem  eingeschobenen  glaub  ich  (vgl.  oben  ohiai,  opinor) 
wurde  über  die  Mittelformen  glebcb,  glech,  gleich,  gleich,  die 
Einschiebpartikel  glei,  gle,  die  hauptsächich  in  tragenden  und 
zweifelnden  Sätzen  gebraucht  wird  und  bedeutet:  es  soll,  es 
heisst.  Die  Glatzer  Vierteljahrsschrift  IV.  Jahrgang  (1885)  S.  252 
sagt  sehr  treft'end,  wenn  auch  mit  Verkennung  des  sprachgeschicht- 
lichen Entwickelungsganges:  Die  Partikel  gle‘),  obd.  gloii,  glaei 
wird  gebraucht,  wenn  man  sich  für  eine  Äusserung,  die  man  tu* 
auf  das  Höremsagen  beruft,  und  bedeutet  soviel  als:  man  glaub 
wie  man  glaubt,  wie  geglaubt,  ge.sagt  wird.  Z.  B.  Du  wor.sct 
gle  krank  = du  wärest,  glaubte,  .sagte  man,  krank.  — Ich  \vr 
gle  fattziehn  = ich  werde,  so  wird  geglaubt,  behauptet,  fortzielm. 

Unmittelbar  dahinter  fährt  die  Glatzer  Vierteljahrsschrift  frt: 

„Die  Partikel  „dech“  bedeutet  doch*)  — und,  wenn  .dir 
betont,  — dennoch  *).  Z.  B.  Ech  ho’s  ”ni  dech  gesoiit  (ob<)  = 
ich  hab's  ihm  doch  gesagt  und  gleichwohl  usw.  Ich  thät  ech 
zufreen  (dech  betont)  = ich  würde  dennoch  anfragen.  obgleich  sw“. 

Dass  diese  beide  sogenannten  Partikeln  ursprünglich  Vrbal- 
formen  waren,  hat  der  Verfa.sser  der  sonst  wertvollen  Beitrfe  zu 
dem  Sprachschätze  der  Grafschaft,  die  er  in  den  achtziger  ähren 
des  vorigen  Jahrhunderts  schrieb,  nicht  erkannt.  Es  ist  iP  ent- 
gangen, da.ss  in  den  Schlesi.schen  Provinzialblättcrn.  Jahrgat  1870, 
S.  603  f.  .schon  ans  der  Mundart  in  und  um  Frankfistein 
verzeichnet  ist:  „Deich,  gleich,  haldich,  drei  Ein.schicsel  mit 
ähnlichem  Sinne,  welche  Beschränkung  des  Urtils  au.s- 
driieken*),  entstanden  aus:  denke  ich,  glaube  (glöbe)  ich,  llte  ich“. 
Hier  ist  das  glätzische  dech  richtig  als  selbständige  Vbalform 
erkannt. 

Zugleich  haben  wir  auch  die  Form  haldich  epHint;  sie 

')  Von  mir  gesperrt. 


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73 


lebt  heute  iiii  Schlesiüelien  „quitsehvergiiiigf-  lieber  als  das  halt 
im  ]\lunde  von  jung  und  alt  weiter,  „als  Fiill])artikel  mit  der 
Bedeutung;  ich  halte  dafür,  nun  eben,  freilich;  in  der  Schweiz, 
Schwaben,  Rayern,  Deutschland,  Österreich,  in  der  Oberlausitz  und 
Schlesien  gäng  und  gäbe“.  Weinhold,  Beiträge  1855,  S.  32a;  Grimm, 
DWb.  IV  A 273. 

Da  für  die  glätzer  Partikel  doch  bereits  Belege  beigebnicht 
sind,  holen  wir  die  für  glei  und  halt  nach.  Weinhold,  Beitr. 
S.  27b,  bietet:  „Es  hat  gleich  geregnet?  Es  sind  gleich  viel 
^len-sclieii  da  gewesen“.  Neben  diese  nicht  sehr  schlagende  Beweise 
für  die  Erstarrung  des  glaub  ich  zu  glei  oder  gle  halte  mau 
das  gemeinschlesische  glei. 

Der  sille  hot  glei  das  gemacht? 

IJie  Bitte  jess  begangen?  Hgltei  8.  91. 

Is  ni  wOhr,  a hflt  glei  ei  der  Luttrie  gcwiinn'?  (Knischcr,  bcobschütz) ; 
gle  (im  flirsclibergischcn):  Das  Ene  sool  glc  boan  an  Schmiede, 

Das  Ander  treibt  de  Selerei. 

Brendel,  Kobolde  (1852)  8.  18. 
— a Junge,  Paul  gle*  hicsz  a.  Brendel  a.  a.  O.  38. 

* Verf.  merkt  an:  glaube  ich. 
lech  war’  dam  Bräutjum  ähnlich  glc*, 

Su  soat  sc  un  nuucli  vieles  meli. 

* Ulinlicli,  glaub  ich. 

Pitzlich  Seffc.  woasde  mci  Nubber  ihs,  thoat  mer’sch  vom  Sloadtförschtcr 
zu  wissen,  doasz  a ’ne  übrige  Ziege  gle  hätte. 

Philo  vom  Walde,  Aus  der  llecmtc  S.  17. 

Der  ähnliche  Vorgang  ist  auch  in  der  Lausitz  und  in  Ober- 
suchsen  bekannt. 

Man  vergleiche  dazu  das  thüringische  mech  = mein  ich,  mhd. 
waniu,  waen,  meino. 

Über  halt  lässt  sich  die  Glutzer  Vierteljahrsschrift  IV.  Jahr- 
gang (1884/85)  S.  251  etwas  weitschweifig  folgendermassen  aus: 

Die  Partikel')  halt,  vom  Grafschafter  sehr  oft  und  gern 
gebraucht,  kommt  wohl  her  von  dem  Zeitworte  dafürhalten 
und  drückt  aus,  dass  man  etwas  entweder  a)  für  zweifelhaft 
gut,  richtig,  angemessen,  nützlich  hält,  oder  b)  etwas  für  wahr- 
scheinlich, oder  c)  für  gewiss,  oder  d)  für  selbstverständ- 
lich hält,  oder  e)  es  dient  „halt“  zur  Bezeichnung  eines  adver- 
bialen oder  adjektivischen  Superlativs. 

Von  den  vielen  dafür  beigebrachten  Beispielen  hebe  ich  nur 

')  Von  mir  gesperrt. 


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eins  hervor,  weil  an  ihm  die  mannigfache  Bedeutung  von  halt 
erläutert  wird. 

a)  Ich  schrei  halt:  ich  schreie,  ubschon  ich  es  für  zweifelhaft 
gut,  nützlich  u.  dgl.  halte,  wenn  ich  es  tue. 

b)  Ich  war  halt  Schrein:  es  ist  wahrscheinlich  dass  ich 
Schrein  werde,  z.  B.  wenn  der  Arzt  schneiden  wird. 

c)  Ich  schrei  halt:  cs  ist  für  gewiss  zu  halten,  dass  ich 
schreie,  wenn  ich  anfange.,  laut  zu  sprechen. 

d)  Ich  ho  halt  ge.schrian  (geschrian  betont):  cs  ist  selbstver- 
ständlich, dass  ich  schrie,  als  mich  der  Dieb  anpackte. 

e)  Ich  ho  halt  ge.schrian  (ho  betont):  ich  habe  sehr  geschrien, 
als  man  mich  anfiel; 

„halt“  bezeichnet  also  einen  adverbialen  Superlativ.  — In  dem 
Satze:  Die  Braut  wor  halt  schin  — i.st  „halt“  die  Bezeichnung 
eines  adjektivischen  Superlativs. 

Unser  baldig  (hälig),  halt  gibt  dem  Gedanken  eine  trau- 
liche subjektive  Färbung:  ich  bin  der  baldig  goar  zu  gutt.  Heinzei, 
Richel  S.  14;  — es  is  baldig  biesc,  dass  ma  sich  trennen  muss; 

— es  kimmt  halich  uff  an  Versuch  oa.  Stoppe,  Parnass  S.  513; 

— se  (die  Vögel)  han  haldich  ooch  ihre  Spreche.  Holtei  S.  38.  — 
Werr  sein  halt  wieder  d’e  Bolbirta  (die  Betrogenen).  Jüttner  2,  21. 

.Se  war  su  schiene,  se  war  su  gutt, 

Haid  Friedrichs  und  der  Luisel  Blutt.  Haltei  S.  46. 

In  nächster  Nähe  zu  dem  ahd.  halt,  magis,  potius,  tritt  die 
schlesische  Verbalpartikel,  wenn  sie  sich  zu  Konjunktionen  ge- 
sellt: Na,  wennde  halt  menst,  da  tus  ock ! — 

Wenn  halt  in  keenem  Magazien 

Su  grusse  (Särge)  nirgends  fertich  sühn,  Holtei  S.  20. 

Ham  freilich  woar  ganz  andcrsch  zu  Mute. 

Halt  weil  in  doas  Bissei  Kurasche  verliesz. 

Rüssler,  Aus  Krieg  und  Frieden  S.  10, 

Da  erkennt  man  so  recht,  in  welchem  Sinne  von  einer  Er- 
starrung gesprochen  werden  kann;  die  Flexionstätigkeit  ist  er- 
loschen, um  so  reicher  aber  entwickelt  sich  „halt“  das  innere 
Leben  die.ser  merkwürdigen  Sprachgebilde  ‘).  Vgl.  DWb.  4 A 

')  Wenn  in  froher  Zecher  Kreise  Goethes  herrliches  Lied  „Hier  sind  wir 
versammelt  zu  löblichem  Tun“  erklingt,  dann  singt  der  Schlesier  in  der  letzten 
Strophe:  Was  sollen  wir  sagen  zum  heutigen  Tag! 

Ich  dächte  halt:  Krgo  bihainus! 

statt  des  kalt  vcrncineuden  nur  das  den  fnisilzenden  gemütlich  zunickende  und 
inniges  Verständnis  für  die  SituaUon  zeigende  halt.  — 


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75 


S.  272  f. , Schmeller  2,  184  ff.;  mhd.  Beispiele  bei  Bcnecke- 
Müller  1,  619. 

Noch  weniger  starr  ist  trotz  ihres  hohen  Alters  die  Inter- 
jektion gelt,  ursprünglich  gelte,  d.  h.  conj.  präes.  von  gelten  in 
3.  Person,  für  es  gelte!  oder  auch  gelte  es?  Sie  verstärkt  eine 
im  Tone  innigster  Überzeugung  und  freudigster  Zuversicht  aus- 
gesprochene Behauptung,  etwa  in  der  Bedeutung  „nicht  wahr?“ 
Gern  wird  gelt,  das  auch  als  gell,  gelle,  in  der  2.  Person  Plur. 
als  geldet,  geltet,  in  der  3.  als  gelden  sä,  gällense  auftritt, 
durch  ja  oder  die  schlesische  Lieblingspartikel  ock  (etwa:  nur, 
bloss,  doch)  noch  gesteigert. 

Sie  sein  wull  ni  tu  hic  — gelt?  Heinzei,  A lustiger  Bruder  S.  79. 

Gelt,  du  werscht  mßr  halfa;  gelt,  a hots  gesöiit?  (Grafschaft). 
— Nu,  gelt  ja,  Se  sein  uf  der  Litter  uf  da  Boom  gekräbst! 
Heinzei  a.  a.  O.  S.  31.  — Geldock,  Bieber- Gotlob,  aezelst  de 
nich  oh?  Holtei  S.  381. 

Die  Häusel  sein  nette  — 

Nu  gellock  — gelt?  gelt?  Hcinzel,  Maigliickcl  S.  70. 

(jellocke,  Du  bist  mer  gutt?  Vägerle  S.  68 
Du  kennst  ja  Volkes  Sproache,  schlicht  und  bieder  — 

Und  — gell  ock  — nee!  — sc  klingt  der  ni  zuwider.  Maigl.  8.  114, 

Auch  im  Schlesischen  ist  das  Wortspiel  gelt:  Geld,  das  man 
solchen  ironisch  in  den  Mund  legt,  die  bei  der  Heirat  aufs  Geld 
sehen,  ganz  geläufig;  Gelt  (!)  Mädel,  ich  bin  dir  gutt.  — 
DWb.  4,  1,  3057. 

Wie  im  Lateinischen  der  Imperativ  zu  emere  (nehmen,  kaufen), 
eme;  nimm,  da!,  allmählich  zur  Interjektion  em,  en  erstarrt,  so 
im  Schlesischen  der  Imperativ  zu  schauen:  schau(e).  Er  tiütt 
uns  in  der  Grafschaft  Glatz  als  schan,  schon  (schau  -1-  eupho- 
nisches n,  auch  schanne),  ganz  formelhaft  entgegen  und  bezeichnet 
etwa  wohlan:  schan,  wie  wör  dös?  schan,  lasst  mich  er- 
zählen! Gern  tritt  zur  Verstärkung  ock,  ocke  hinzu:  schan- 
ock,  los  mich  amöl,  wohlan,  la.ss  mich  einmal  versuchen!  Vgl. 
Glatzer  Vierteljahrsschrift  3,  158;  Pinncnich  2,  354*. 

Auf  enges  Sjirachgebiet  ist  wohl  die  ohne  Rücksicht  auf  Per- 
son und  Zeitstufe  gebrauchte  Partikel  merscheint  (Ton  a«f  der 
zweiten  Silbe)  für  (wie)  mir  scheint,  anscheinend,  bescliränkt. 
Im  Kreise  Leobschütz  ist  sie  gäng  und  gäbe:  Sei  Vöter  wör  mer- 
•scheint  dozumol  tiimme  om  Leben;  ihr  wullt  mich  merscheint  zum 


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76 


Norrii  liön;  (in  wirsclit  dich  mcrsclicint  iilaiiiirii;  a wird  inerschciiit 
itz  virzcn  Jahre,  l’liilo  vom  Walde,  Leutenot  8.  31.  Selten  steht 
die  erstarrte  Verhindunp  am  Anfänge  des  Satzes,  z.  B.  .Mereeheint 
mi  oder  (aber),  se  sein  heit  erre  gangen.  Aus  der  Heemte  S.  4. 

Es  linden  sich  in  Schlesien  auch  einige  nominale  Er- 
starrungen. Wie  in  der  Altenberger  Mundart  (Weise  S.  löß) 
tritt  hier  das  adverbiell  erstarrte  wunder  bisweilen  noch  in  seiner 
ursjiriinglichen  (Jeltnng  als  Objekt  des  Verbs  auf:  er  hat  Wunder 
gedacht,  wie  fleissig  er  ist.  Gewöhnlich  aber  sinkt  es  zum 
Adverb  herab:  und  stellten  sihch  gor  Wunder  wie  vergniegt. 
Holtei  S.  10;  sie  denken  wunderwas  (meist  übles!);  icli  döchf 
wunderwer  a war! 

Wie  im  Nenhochdentschen  seiner  Zeit  erstarrt  ist.  z.  R. 
bietet  Paul  a.  a.  O.  S.  215  aus  Hackländer  die  Jugend  ist 
unternehmend,  wir  sind  es  seiner  Zeit  auch  gewesen,  so 
bc'zieht  sich  im  Schlesischen  sei(ne)  Lebtage,  sei  Laebtig(e) 
Holtei  S.  34,  auch  auf  jede  Person,  das  Femininum  und  den  Plural: 
hö  ich  doch  sei  Lebtage  (d.  h.  die  Zeit  meines  Lebens)  .so  'wös 
ni  gesän!  (Kätscher.)  Ich  will  seilatige  mich  nemme  (niemelir) 
a SU  froin.  Schönig  S.  6,  un  iech  hoa  gehört  salatig.  Brendel, 
Klänge  meiner  Heimat,  S.  28;  verstärkt  olle  salätiche  (Graf- 
schaft): so  lange  wie  ich  lebe,  .stets,  von  jeher,  immer,  wie  die 
Glatzer  Vierteljahr.s.schrift  3,  157  erklärt.  Im  Gloganischen  hört 
man  uf  sellätje. 

Mit  Beziehung  auf  den  Plural:  da.ss  wer  .sei  lahtige  kene  Nnth 
leda  dörfl'ta.  Stoppe,  Parnass  S.  508;  siste  kumma  wer  sei  lahtige 
ne  medenander  zu  Striete,  ebd.  510  f. 

Das  Reflexivum  sich,  das  ursprünglich  nur  der  3.  Person  zu- 
kam, wird  in  der  Mundart  durchweg  auch  in  Beziehung  auf  die 
1.  Penson  für  das  ,uns“  des  Akkusativs  und  Dativs  gebraucht. 
Die.ser  Vorgang  ist  alt.  Schon  in  dem  .schlesischen  O.sterspiele  des 
14.  Jalirhunderts  (Hotfmann,  Fundgruben  II  304,  22)  findet  sich: 
wir  w'oln  sich  wem;  vgl.  auch  für  das  OI)erdeut.sche  Sciimeller  ij  730. 

her  (wir)  wärmen  siheh.  Holtei  S.  19. 

, Xa,  underdässen 

WulPn  bir  sihch  (Dat.  uns)  deine  tängde  mässen.  S.  22. 
her  nehmen  sich  (Pat.)  gor  a Pukal.  S.  3.S. 
do  mach  her  sihch  (Pat.)  giidc  Freunde.  S.  39. 

Und  dernachern  freun  her  sihch  Beede.  S.  50  n.  ö. 


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77 

Zum  Adjektiv  geworden  ist  der  Imperativ  gerat  in  Ver- 
bindung mit  dem  Adverb  wohl,  gewöhnlicli  in  der  Redensart  aufs 
g(e)rade  Wohl,  worin  das  Adverb  zum  Sulistantiv  erstarrt  ist: 
wir  gingen  aufs  grade  Wolil  weiter,  d.  b.  auf  gut  Glück. 
DWb.  IV,  3577. 

Eine  lelirreiche  Wandlung  durchlief  die  Partikel  entgegen. 
Sie  lautet  als  Adverb  ahd.  ingegini,  mhd.  engegen  und  besteht 
aus  der  Präpos.  in  und  dem  Acc.  eines  Nomens  gleich  dem 
lateinischen  obviam.  Dem  entspricht  im  Schlesi.schen  die  Wendung 
in  die  kene  (kine)  (eidekene,  eitkäne)  gehen,  kommen,  so  in 
Leob.schütz,  Hirschberg,  im  Gebirge: 

Sc  kumina.  ihs  der  Tag  verbei. 

Mer  Obeiids  eidekeene. 

Tscbampel,  (jedirhtc  in  Schics.  Gebirgsmundart  ISfiG  S.  242. 

Ganz  erstarrt  und  zur  blossen  Partikel  geworden  sind  auch 
einige  i)rä])ositionale  Verbindungen.  Beliebt  ist  am  Ende, 
amende  (gesprochen  ä-mende)  i.  S.  v.  vielleicht,  schliesslich, 
wohl,  wohl  gar:  der  wird  amende  noch  verrückt;  du 
wirst  aniende  nicht  fertig  werden!;  der  kommt  amende 
gar  nicht. 

Weil  ha  su  sinnt,  wie  sich  amendc 
Doas  IHiig  am  besten  machen  künnde. 

Kössler,  Aus  Krieg  und  Frieden  S.  KiO. 

Bei  Leibe,  beileibe,  balleibe,  beilei,  verstärkt  die  Ver- 
neinung: Ja  nicht,  z.  B,  es  darfs  beileibe  kenner  merken;  tus 
balleibe  nich!  Auch  alleinstehender  Ausdruck  des  Widei’spruchs, 
der  Verwahrung:  bewahre!  — Denkt  Ja  nich  ärnde,  doss  ich 
mich  Euch  oan  a Hols  schmeissen  wild;  balleibe,  doas  hoat  de 
■Magdalene  nich  nutt wendig.  Rössler,  Närr’sche  Kerle  S.  39;  i bei- 
leibe, se  wil  nich;  — ich  will  a hibsche  Leiten  ärnt  ni  zu  nahnde 
träten,  ne,  beileibe!  Giälin  Waldersee,  Gedichte  S.  5. 

Hierzu  gehören  auch  Wendungen  wie:  er  sagte,  .schrieb  ihnen 
einen  Tölpelmerks,  Denkzettel,  vgl.  Holtei  S.  338,  Heinzei,  A 
lustiger  Bruder  S.  25;  er  lief  hol’s  der  Teufel;  er  soff  auf  Teufel 
raus;  er  hat  die  schnelle  mach  hurtig,  Bezeichnung  starken 
Durchfalls  (Breslau,  Kreuzburg)  u.  a.  m. 


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Zur  Kunde  von  den  schlesischen  Ortsnamen. 

Vnn  Dr.  phil.  Martin  Trcblin. 


I.  Volkstümliche  OrtiinmeiiserklärniiReii. 

Der  Volksmund  beschäftigt  sich  viel  und  gern  mit  der  Deutung 
und  der  Erklärung  von  Ortsnamen.  Dahei  verfährt  er  in  höchst 
naiver  Weise,  indem  er  ohne  geschichtliches  Verständnis  die 
heutigen  Fonnen  der  Ortsnamen  für  eine  möglichst  einfache  und 
naheliegende  Erklärung  zugrunde  legt. 

Uns  allen  ist  aus  der  Schule  durch  die  Uhlandsche  Ballade 
vom  (jrafen  Fiherhard  dem  Kauschebart  die  landläulige  Erklärung 
des  Ortsnamens  Achalm  bekannt: 

.Ach  allm  . . «töhnt  einst  ein  Ritter;  ihn  traf  des  Mörders  Stoss; 
.Allmächt’ger  wollt’  er  rnfeu ; man  hicss  davon  das  Schloss“. 

Auch  in  Schlesien  gibt  es  zahlreiche  Belege  für  solch  volks- 
tümliche Deutung  der  Ortsnamen ').  Wir  wollen  hier  nur  einige 
Beispiele  anführen. 

Den  Namen  des  Dorfes  LangeiiOls,  Kreis  Lauban  (im  Volks- 
munde stets  „Langeneiße“  genannt),  erklärt  eine  handschriftliche 
„Nachricht  von  dem  Dorfe  Langenoels,  so  viel  wie  möglich  zu 
erfahren  gewesen.  Angefertigt  im  Jahre  1826“*)  auf  folgende 
Wei.se : 

„Der  Name  des  Dorfes  gieht  zu  vermuthen,  dass  der  Anfang  des  Dorfes 
oder  der  erste  Anhau  von  einer  Weibsperson  geschehen  seyn  könne,  die  Elisabeth 
geheissen  hat ; denn  die  alten  Deutschen  kürzten  den  Namen  Elisabeth  ab  mit 
der  Benennung  Oeiße;  so  mag  auch  dieses  Weibsen  von  der  Statur  lang  ge- 
wesen seyn,  wovon  der  Name  dem  Dorfe  gegeben  worden,  nemlicb  LangenoeIße 
oder  der  langen  Oeiße  |:  Elisabeth  angehöriges  Antheil  und  Wobnsizz.  Es  ist 
freilich  zwar  nur  Muthmassung,  aber  wir  wollen  es  also  dafür  halten  und  auf 
diese  Art  deu  Anfang  nicht  bezweifeln“. 

Diese  Ort.suameiiserklärung  lebt  noch  heute  allgemein  im 
Volksmunde  älterer  Leute  von  Langenöls;  sic  beruht  aber  auf 

')  Siehe  auch  die  Ortsnamen  von  Zuckmantel  (Zeitschrift  des  Vereins 
für  Geschichte  Schlesiens  Bd.  27  S.  406  f.l,  von  Lichtewerden  (Zeitschrift  fttr 
Geschichte  und  Kulturgeschichte  Österr.-Schlesiens  III.  Jahrg.  1907/08  S.  158), 
und  von  Ziegenhals  (J.  Lowag,  Illustrierter  Führer  durch  das  Sudeteugebirge 
II.  Aufl.  1908  S.  297/. 

’)  Handschrift  im  evaugel.  Pfarrarchive  zu  Langenöls ; der  Verfasser  ist 
Christoph  Buschmann,  Gerichtsachreiber,  t 18.32  im  Alter  von  67  Jahren. 


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79 


völlig:  freier  Erfindung:.  Eine  „lange  Else“  erscheint  weder  unter 
den  Gründern  noch  unter  den  späteren  Besitzern  von  Langenüls. 

Der  Ort  tritt  zum  ersten  Male  im  grossen  Einnahmeregistcr 
des  Breslauer  Bistums  vom  Jahre  1305  auf.  Hier  heisst  es: 

„Ttem  in  Olsna  centum  mansi  positi  pro  L et  est  villa  do- 
mini  Pussonis  et  solvunt  hoc  anno  III  [2‘/>]  marcam  et  deberent 
solvere  tres  marcas“. 

1385  erscheint  dann  die  Siedlung  als  das  „Dorf  zur  langen 
ülse“‘).  Der  Ortsname  Olsna  ist  von  polnisch  olsza  = Erle  ab- 
zuleiten. Ks  ist  aber  sehr  wahrscheinlich,  dass  Langenöls  trotz 
seines  ursprünglich  slawischen  Namens  als  rein  deutsche  Gründung 
anzusehen  ist.  Dafür  spricht  vor  allem  die  riesige  Flur  mit  der 
fränkischen  Flureinteilung.  Wie  auch  anderwärts  im  schlesischen 
Gebirge*)  haben  eben  die  ersten  deutschen  Siedler  das  neu- 
begründete  Dorf  nach  dem  Bache  slawischen  Xamens  benannt,  an 
dem  sie  sich  niederliessen.  Langenüls  liegt  am  ölsebache,  der 
noch  heute  seinen  Namen  mit  vollem  Recht  trägt : noch  jetzt  be- 
gleiten zahlreiche  Erlen  seinen  Lauf.  Die  Zusatzbenemiung 
„Langen“-01s  wird  ohne,  weiteres  aus  der  Längsausdehnung  des 
Dorfes  (es  ist  fast  eine  deutsche  Meile  lang!)  klar. 

Nur  nebenbei  sei  bemerkt,  da.ss  nach  meiner  Ansicht  die 
Gründung  von  Langenöls  wahrscheinlich  schon  in  den  Beginn  des 
13.  Jahrhunderts,  in  die  Anfang.szeit  der  deutschen  Einwanderung 
in  Schlesien,  fällt.  Der  Ort  liegt  im  Bober-Queisgebiete,  im  Ein- 
fallstore der  deutschen  Besiedlung  von  Schlesien,  und  seine  Ge- 
markung umfasste  nach  dem  oben  genannten  Einnahmeregister 
schon  im  Jahre  1305  100  (grosse)  Hufen.  Nur  im  Beginn  der 
deutschen  Kolonisation  standen  den  Einwanderern  noch  so  aus- 
gedehnte Ländereien  zur  Verfügung;  spätere  Ortsgründungen  weisen 
kleinere  Gemarkungen  auf.  Die  später  eintreffenden  Siedler 
mussten  sich  eben  mit  dem  Lande  begnügen,  das  ihnen  die  ersten 
Einwanderer  noch  übrig  gelassen  hatten. 

In  Pusclikau,  Kreis  Schweidnitz,  leitet  der  gemeine  Mann 
den  Ortsnamen  von  Pusch  (Busch)  und  Aue  ab.  Aber  der  Ort 
tritt  bereits  in  slawischer  Zeit  auf  und  heisst  1149  Pastuchow, 
1193  Postuchow;  1250  wird  er  dann  Poschuchow,  1313  Pusch- 

')  Kgl.  Staatsarchiv  in  Breslau,  Schweidn.-Jaueracbe  LanilbUcher  I>  fol.  27. 

’)  Siehe  Darstellungen  u.  (Quellen  zur  echle».  (>e«ch.  VI  1908  S.  23,  24,  43. 


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80 


kowe  prenannf.  Pastudiow  ist  abziileitcn  von  polnisch  pa.stnch 
= Hüte,  Hirtenjiiiip:('. 

Recht  kindlich  muten  uns  die  Erklärungen  des  Volkes  bei 
den  Ortsnamen  Kiilisehiiial/,  Kreis  Urottkau,  und  Seiferdiiii. 
Kreis  Schweidnitz,  an.  Der  wunderliche  Name  des  Dorfes  Küh- 
schmalz  lud  den  Volk.smund  geradezu  zu  einer  Deutung  ein. 

Altere  Leute  wUsen  Uber  den  Ort  zu  berichten,  das  Dorf  KUlischmalz  habe 
bereits  vor  dem  SOjähri^cn  Kriege  unter  anderem  Namen  bestanden.  In  diesem 
Kriege  sei  es  vollständig  verwüstet  worden.  Nur  ein«  einzige  Familie  mit  ihrer 
Kuh  sei  verschont  geblieben;  sie  habe  .sich  während  der  ärgsten  Hungersnot 
vom  Fett,  vermutlich  auch  vom  Fleisch,  der  Kuh  ernährt.  Zum  Andenken  daran 
habe  die  wiedererbaiUe  Siedlung  nach  Beendigung  des  .Schwedenkrieges“  den 
Namen  „KUhschmalz“  angenommen. 

Vor  der  Vernichtung  soll  das  Dorf  an  andrer  Stelle,  nordwestlich  von  der 
heutigen  Ortschaft,  gelegen  haben.  An  dem  Wege  von  KUhschmalz  nach  Rogau 
befindet  sich  linker  Hand  im  Walde  ein  HUgcl,  den  der  V’olksinund  .Grabswäl“ 
nennt.  Der  .Grabswäl“  ist  eine  3 in  hohe,  ijuadratische  .Vuhilhe,  deren  Seiten- 
längcn  12  bis  13  in  betragen.  Sie  wird  ringsum  von  einem  sumpfigen  Graben 
umzogen.  Nur  im  Norden  fuhrt  ein  schmaler  Zugang  zum  Grabswäl.  Dicht 
bei  der  Zugangs.stelle  liegen  eine  Menge  grösserer  Feldsteine,  die  ilen  Eindruck 
erwecken,  als  könnten  sie  von  einer  zerfallenen  Mauer  berritliren,  da  sonst  in 
weiter  Umgebung  keine  grösseren  Steine  zu  finden  sind.  Das  Volk  erzählt,  auf 
dem  Hilgel  habe  früher  eine  Burg  gestanden,  uuil  ein  im  Süden  ansto,ssender 
baumloser,  versumpfter  Platz  von  etwa  15  m Breite  und  30  m Länge  sei  der 
Turnierplatz  gewesen  *).  Um  tien  Grabswäl  sollen  ehedem  die  Häuser  iles  Dorfes 
gestanden  haben.  Auch  berichtete  man  mir  von  einem  Schatz,  der  im  Grabswäl 
verborgen  liege. 

Hei  diesein  Bericht  gclieii  Dichtung  und  Wttlirlieit  wohl  neben- 
einander hin.  (ieschichtlich  erscheint  mir  die  Ortsverlegung  nach 
der  Zerstörung  des  Dorfes  iin  Hüjithrigen  Kriege.  Soldie  Ver- 
legungen von  8iedlung(*n  nacli  ihrem  Wüstwerden  oder  aus  anderen 
Gründen  sind  reclit  häufig  in  Hclilesien  vorgekommen*).  Oft 
spielen  abergläubische  Vorstellungen  dabei  eine  wichtige  Rolle. 
Die  Ortsverlegungen  zeigen  aufs  allerdentlich.ste,  da.ss  man  nicht 

‘)  Über  den  .Grabswäl“  gab  mir  Herr  Hauptlebrcr  Rieger  freundlichst 
Auskunft. 

Siehe  die  Orte  Rast  e 1 wi  tz  — Sibyl  lenort  (Zeitschrift  des  Vereins  für 
Geschichte  .Schlesiens  Bd.  40  S.  309);  Lndewigsdorf  — Ullersdorf,  Kreis 
Landesbut  (ebd.  S.  320-  322);  Rungenpusch  — Rnngendorf,  Kreis  Schweid- 
nitz (cbd.  Bd.  41  S.  377  f.);  .A  It- R eichenbach  — Stadt  Reichenbach  (Dar- 
stellungen und  Quellen  z.  schles.  Geschichte  VI  S.  102);  Gross-  und  Klein- 
Friedrichstabor  (Partsch,  .Schle.stcn  Bd.  II  S.  443) ; Jocksdorf — Breitenau 
in  Österr.-Schlcsien  (vgl.  S.  Sfi  f.  in  diesem  Heft) 


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81 


bpreclitifrt  ist,  in  den  lientigeii  Dorffirundrissen  stets  ein  uraltes 
oder  erst  in  neuester  Zeit  wesentlich  unifrestaltetes  Bild  zu  sehen, 
sondern  dass  auch  schon  früher  durchf^reifende  Veränderungen  der 
Siedlungsanlage  vorgenoinmen  wurden. 

Vielleicht  stand  auf  dem  „Grahswäl“  das  Schloss  oder  das 
Vorweik  der  Wüstung  Kühschmalz.  Nach  der  Aussage  orts- 
kundiger Leute  hat  man  heim  Roden  vom  Baumstöcken  und  Baum- 
wurzeln auf  dem  (»rabswal  vor  etwa  20  .Jatireu  Mauerreste  ent- 
deckt. Die  heutige  Siedlung  Kühschmalz  mag  bald  nach  dem 
HOjährigen  Kriege  neu  erbaut  worden  sein.  Die  Kirche  und  das 
Schulhaus  des  heutigen  Dorfes  wurden  im  .lalire  1662  errichtet. 

Uralt  i.st  der  Name  Kühschmalz;  er  kommt  viele  Jahrhunderte 
vor  dem  „Schwedenkriege“  vor.  128!)  er.scheint  urkundlicli  ein 
Schulz  Hertwig  von  Knsmalz;  im  Einnahmeregister  des  Breslauer 
Bistums  vom  .Jahre  1305  wird  der  Ort  „(öbola  sive  Cusclimalz“  ge- 
nannt, 1344  werden  im  Einnalimeverzeichnis  des  Bistums  „inferius 
Kliwschmaltz  cum  duol)Us  molendinis“  und  „superius  Kbw.schmaltz  “ 
aufgeführt.  Wahrend  der  Ortsname  (’otiola  wahrsclieinlich  von 
kobita  = Ross,  Mähre  abzuleiten  i.st,  ist  die  Herkunft  des  Namens 
Uiismalz  Wühl  bisher  nicht  erklärt  worden.  Damroth  bleilit  uns 
in  seinem  verdienstlichen  Buche  über  „Die  älteren  Ortsnamen 
Schlesiens“  eine  Erklärung  des  Namens  schuldig.  Meines  Er- 
achtens haben  wir  in  der  Form  Knsmalz  einen  verstümmelten 
slawischen  Ortsnamen  zu  .sehen,  der  ursiuünglich  „kusmolica“  lautete. 

Ku.smolica  i.st  abzuleiten  von  der  l’räposition  ku  = zu,  neben, 
bei  und  smolice,  smolica  = Ort,  wo  man  Pech  gewinnt  (von 
smola  = Pecli). 

Zu  dieser  Erklärung  würde  auch  die  Lage  von  Kühschmalz 
stimmen : es  ist  wahrscheinlich  eine  Pechsiederei  mitten  im  Walde 
gewesen.  Noch  heute  kommen  im  Westen  der  Dorfflur  ansehn- 
liche Waldungen  vor,  im  Süden  der  Gemarkung  treten  ebenfalls 
kleinere  Waldreste  auf,  und  die  Einteilung  der  Flur  nach  Wald- 
hufen, die  das  Messtischblatt  heute  noch  ahnen  lä.sst,  zeigt  die 
Herr.schaft  des  Waldes  in  vergangenen  Tagen  an. 

Vermutlich  scliloss  sich  an  die  alte  slawische  Waldsiedlung 
ein  deutsches  Dorf  an,  das  den  alten  slawischen  Namen  des 
Nachbarortes  beibehielt.  An  den  ursprünglich  slawischen  Dorfteil 
mahnt  noch  „Die  polnische  Seite“,  wie  der  nordwestliche  Anteil 
von  Kühschmalz  heis.st. 

Mitteilungen  4.  schlv«.  (.les  t Vkiie.  ileit  XX.  ^ 


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82 


Ktwa  5 km  südlicli  von  Külischmiilz  liegt  der  kleine  Ort 
ScliMedlleli,  der  nacli  dem  Volksmundc  seinen  Namen  den  Seliwedeii 
verdankt;  aber  auch  diese  Plrkliirung  des  Ortsnamens  gehört  wohl 
ins  Gebiet  der  Volksetymologie. 

Wie  bei  dem  Ortsnamen  Küh.schmalz  hat  der  Volksmund  auch 
bei  dem  ehemaligen  Sandstif'tsdorfe  Seiferduu  zur  Erklärung  des 
Dorfnamens  eine  kleine  sfigenhafte  Erzählung  erfunden,  die  zu- 
gleich eine  Marienlegende  vorstellt. 

Als  in  grauer  Vorzeit  Siedler  in  der  Seiferdauer  Gegend  iimlierwanderten, 
seien  sie  an  ein  altes  Marienbild  gekommen.  Da  sei  ihnen  die  Jungfrau  Maria 
erschienen  und  habe  ihnen  zugerufen : ,Nu  sei  wer  dau !“  Die  Erscheinung  der 
heiligen  Jungfrau  habe  als  gUnsliges  Vorzeichen  gegolten,  die  Siedler  hüUeu 
sich  hei  dem  Heiligeiihilde  niedergelassen  und  hiltten  das  entstehende  Dorf  nach 
dem  Ausruf  der  Maria  ,3ei-fer-dau*  genannnt. 

Im  V'olk.smiinde  heisst  der  Ort  „SciberdO*,  und  es  ist  noch  allgemein  üblich, 
auf  den  Ortsnamen  zu  reimen:  „Sei  her  dö,  dö  hIein  her  dö“.  Die  Seiferdaner 
katholische  Kirche  trSgt  aussen  an  der  Altarwand  ein  Marienbild,  bei  dem  man 
oftmals  Beter  sehen  kann.  Alle  Marientage  des  Jahres  werden  in  der  Kirche 
gefeiert.  Im  Juli  findet  alljährlich  ein  Skapulierfcst  statt.  Au  diesem  soge- 
nannten „Seiherdäer  Fest“  niiiiml  die  katholische  Bevölkerung  der  Umgegend 
teil,  und  die  Kälahörner  (Kaltcnhrunner),  Stiifshaner  (Stephanshaiuer),  GSgler 
(Goglauer)  iisw.  sind  zugegen  Die  katholische  Kirche  von  Seiferdau  ist  heute 
Filialkirche  von  Kaltenbrunn. 

Noch  eine  andere  Sage  über  die  Ortsgründung  bringt  der  Volksmund ; 
Zwischen  Seiferdau  und  Klein-Bielau  liegt  ein  Hügel,  den  der  gemeine  Mann 
,Kirchherg‘  nennt.  Am  Fasse  ilieser  Anhöhe  soll  ursprünglich  die  Gründung 
des  Ortes  geplant  gewesen  .sein,  den  Hügel  seihst  aber  sollte  die  Kirche  zieren. 
Nun  sei  aber,  so  wird  erzählt,  auf  geheimnisvolle  Weise  das  bereits  herbei- 
geschaffte Baumaterial  für  die  Kiiclie  nach  dem  heutigen  Kirchplatz  getragen 
worden,  mau  habe  auf  ihm  die  Kirche  errichtet,  und  um  die  Kirche  sei  das  Dorf 
entstanden. 

(iescliichtlicli  ersclieint  die  Siedlung:  zum  ersten  Mule  in  sla- 
wischer Zeit  unter  den  Schenkungen  der  herzoglichen  Söline 
Boleslaiis  des  Langen  und  Mesiko,  die  zu  Lebzeiten  ihres  Vaters, 
des  Herzogs  Wladi.slaw  II.  (f  Hd<),  mehrere  Ortscliaften  mit 
ihren  Hörigen  in  der  Umgebung  des  Zobten  dem  Breslauer  Sand- 
stift verliehen.  Der  Ort  wird  hier  Syuridou  genannt,  und  sein 
Name  hält  vielleicht  die  Erinnerung  an  den  slawi.schen  Begründer 
der  Siedlung  fest.  Die  mit  dem  Suftix  -ow  gebildeten  slawischen  Orts- 
namen sind  in  der  Regel  als  Gründungen  einer  Einzeliterson  anzusehen. 

Ini  Tale  von  üörbersilorf,  Kreis  Waldenburg,  soll  ursprüng- 
lich nach  Au.ssage  alter  Leute  nur  ein  Gerbermeister  gewohnt 
haben;  der  heutige  Name  soll  noch  an  das  Gewerbe  des  ersten 


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Siedlers  erimiern.  Der  Ortsiiiiine  von  Dörbersdorf  hat  aber  nichts 
mit  einem  Gerber  zu  scliaft'en.  Bei  seiner  ersten  urkundlichen 

Mi 

Erwähnunp:  im  Jahre  1350  heisst  das  Dorf  ^Girbrechtisdorf“. 

Hier  ist  der  Name  des  deutschen  Unternehmers  (locator)  zur 
Namensfrebutig  der  Siedlung  verwandt  worden. 

Die  Entstehung  und  die  Benennung  des  Marktfleckens  Golden- 
traiini,  Kreis  I.aubaii,  erklärt  der  Volksmnnd  in  folgender  Weise; 

Im  Jalire  16öfi  sull  Cbrislopb  vou  Xostiz  auf  Tzscliocha  eines  Nachts  ge- 
träumt haben,  eiu  GoMklünilichen  auf  seinem  Finger  wüchse  immer  grösser. 
Darauf  habe  er  ücn  alten  Bergbau  am  Queis  wieder  aufgenommen  und  ,Neu- 
städtel“  begründet,  das  im  Jahre  lt!77  die  Rechte  einer  freien  Bergstedt  erhielt 
und  später  tioldentranm  genannt  wurde.  Vermutlich  wurde  die  Siedlung  so  bc- 
nannl,  um  schon  durch  ihren  Namen  glückverheissend  zu  erscheinen  und  Berg- 
leute auzulocken.  Leider  verwirklichten  sich  die  Hoffnungen  des  Grundherren 
nicht,  der  Bergbau  wurde  bald  wieder  aufgegeben  Noch  heute  zeigt  man  den 
Ffingaug  in  den  alten  verlassenen  Stollen, 

Erweisen  sich  in  diesen  Fällen  die  volkstümlichen  Ortsnamens- 
deutungen als  trügerisch,  so  zeigen  sie  mitunter  auch  eine  grosse 
Treue  iii  der  ge.si-hichtlichen  ('berlieferung. 

ln  der  Ortschaft  Eiben  im  Altvatergebirge  erzählen  heute 
noch  einheimische  Leute  von  den  früheren  grossen  Eibenbeständen 
in  der  Umgebung  der  Siedlung,  während  sich  kaum  einer  der 
Dörfler  noch  eiu  rechtes  Bild  von  einer  Eibe  machen  kann.  Für 
das  Vorkommen  der  Plibe  im  Altvatergebirge  s)>recheii  auch  P’liir- 
namen,  wie  der  „Pubenstein“,  der  an  einem  Berggipfel  nordwest- 
lich  vom  Dorfe  Eiben  haftet,  und  einige  urkundliche  Belege'). 

P'reudeiiburK.  Kreis  Waldenbtirg,  kennt  der  gemeine  Mann 
fast  nur  unter  dem  Namen  ,de  GlAsehitte“,  und  im  Volke  besteht 
noch  die  Erinnerung  an  die  alte,  im  Jahre  16(51  begründete  (ilas- 
hütte,  die  zur  Ortsgründung  von  P’reudenburg  auf  der  P’lur  und 
den  Trümmern  der  Wüstung  Olbersdorf  oder  Ullersdorf  die  Ver- 
anlassung gab.  Schon  längst  ist  die  Glashütte  vom  Erdboden 
verschwunden. 

II.  i'hrlstopli  BiiseliiiiHiiiis  volkstHinlielie  P'luriiaiiienerklilniiigeii 
aus  Laiüreiilils,  Kez.  Liegnitz. 

Der  Gerichtsschreiber  Christoph  Buschmann  in  Langeuöls, 
t 1832,  hat  einige  intere.ssante  Aufzeichnungen  über  die  Geschichte 

')  Zeiljichrift  des  Vereins  für  Geschichte  Schlesiens  Bd.  41  8.211.  F.  W. 

Pani  Lehmami.  Länder-  und  Völkerkunde,  Bd.  I Knropn,  Xeud.'unni  I8!IH  S.  :i2.ö. 

«• 


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84 


lind  zur  Volkskunde  seines  Dorfes  liinterlas-sen.  Unter  andern 
bringt  er  auch  in  einer  Handschrift  vom  Jahre  1826 ')  eine  An- 
zahl Flurnamen  von  Langenöls  und  gibt  dazu  des  öfteren  die  orts- 
üblichen Deutungen.  Wir  wählen  einige  Flurbenennungen  von 
allgemeinerem  Interesse  aus;  die  genaue  Lage  der  Grundstücke 
lässt  sich  noch  heute  durch  Nachfrage  beim  Volke  feststcllen. 

Der  Mordgrund.  .Befindet  sich,  wo  der  Weg  nach  Oreiffenberg  führt; 
ob  vor  Jahrhunderten  allda  ein  Mord  vorgefalleii  oder  ob  der  unangenebineii 
Lage  wegen  dieser  Name  entstanden,  bleibt  unbekannt“.  [Die  erste  urkundliche 
Erwähnung  des  .Mordgruudes“  geschieht  im  Jahre  1447*).]  — Die  Hölle. 
.Hinterm  Murdgruiid  gegen  Friedersdorf,  auch  auf  dem  Bauerguthe  No.  274“.  — 
Das  J uiigferngrUiidel.  .Die  Alten  haben  den  Namen  daher;  Es  sollen 
2 Jungfern  Uber  diesen  Sumpf  gehen  wollen,  und  Brodt  bei  sich  gehabt,  auf 
den  Sumpf  gelegt,  um  hinUberkommen  zu  können,  und  so  wären  sie  versunken. 
So  sagen  die  Alten“.  [Augenscheinlich  fasst  das  Volk  das  Versinken  der  Jungfern 
als  Strafe  dafür  auf,  dass  die  Mädchen  das  Brot  in  den  Sumpf  geworfen  und 
darauf  getreten  hätten.]  — Der  Teufelsarsch.  [Der  Name  haftet  an  einem 
mächligeii  Gneisblock,  der  auf  dem  linken  Ufer  des  .Stöckcibaclics“,  in  der  Nähe 
der  Kolonie  Klein-Stöekigt,  unweit  eines  verlassenen  Steinbruches,  bald  hinter 
dem  Eintritt  des  Baches  ins  Gebiet  des  Schlos.sgutwaldes  liegt.  Der  Felsen 
trägt  in  mittlerer  Höhe  einen  Spalt,  der  nach  Aussage  des  Volksmundes  nach 
Schwefel  riecht,  weil  er  häufig  vom  Blitz  gctrofl'en  werden  soll.]  — Die  alten 
Hosen.  [Der  gemeine  Mann  erzählt  heute  dieselbe  kleine  Geschichte  von  der 
Entstehung  des  Flurnamens  .Die  alten  Hosen“  wie  von  der  nachfolgenden  Flur- 
bezeichnung .Die  alte  Guhpe“.  Und  eine  ähnliche  Erzählung  kennt  das  Volk 
bei  der  von  Buschmann  nicht  genannten  l’fengwiese,  die  in  der  Nähe  des 
Gasthauses  zur  .ühuhötte*  liegt.  Sie  soll  von  ihrem  einstigen  Besitzer  für 
wenige  Pfennige  verkauft  worden  sein.]  — Die  alte  Guhpe.  .Soll  der  Tra- 
dition zu  Folge  von  dem  Wiedemuthbauerguthe  No.  97,  jetzt  dem  Bauer  Kunge 
gehörig,  für  eine  ulte  Guhpe  Jakke  nach  Giesshühel  gegeben  worden  seyn. 
Es  ist  ein  stukkehen  Land  von  Drei  Viertel  Brcsslauer  Maas  ...  es  befindet 
sich  dieses  Akkerstükk  an  der  Oiesshübler  Gränze“ — Der  Magistergrund. 
„Das  Haus  No.  124  soll  der  Magister  bewohnt  bähen“.  — Der  Ziegcnwinkel. 
— Der  Kel lerfurth.  — Der  Quarksteig. — Die  Scheibe. — DerStein- 
berg  oder  Schanzberg.  — .Der  Galgenberg  vor  dem  Stein-  oder  Schanz- 
berge, worüber  der  Harteweg  von  der  Ziegelgas.se  geleitet  ist,  ist  nur  eine 
kleine  Anhöhe  [nördlich  vom  heutigen  Bahnhöfe];  die  lieuenming  ist  der  Tra- 
dition zu  Folge  diese:  Bis  in  das  17 te  Jahrhundert  langte  au  verschiedenen 
Orlen  die  Waldung  bis  an  das  Dorf,  und  so  hat  es  zu  derselben  Zeit  den  Wölfen 
Aufenthalt  vergönnt  In  Hungersuoth  wären  diese  ins  Dorf  gekommen;  wie  es 


')  Die  Handschrift  wird  im  evang.  Pfarrarchive  von  Laugenöls  aufbewahrt. 
’J  Kgl.  Staatsarchiv  in  Breslau,  Orig.-Urk  Jauer  Nr.  40. 

•)  Wahrscheinlich  rühren  die  Flurnamen  .Die  alten  Ho.sen“  und  .Die  alte 
Guhpe“  von  den  Formen  der  d.amit  bezeichneten  .Ackerslücke  her. 


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bekannt  ist,  <lnss  sie  »ich  Sclinnrcuweise  zusaninien  rutlen,  in  heftiger  Huugers- 
iioth  auch  Menschen  angreifen,  — Um  min  das  Biiidringen  dieser  Ranbthiere  zn 
liemmeii,  ist  ein  Ualgen  anf  diese  Anliöhe  gebaut  worden;  etliche  Wölfe  haben 
vorher  inilsscii  ertappt  werden,  um  den  Ualgen  damit  zieren  zu  können.  Damit 
glaubten  die  Vorfahren,  das  Eindringen  der  Wölfe  ins  Dorf  zu  verhindern;  hie- 
niit  ist  also  die  Henennnng:  .Ualgenberg“  entstanden  und  wird  bis  heute  noch 
also  genannt  Die  Alten  sagten  auch,  dass  der  Steinbergbusch  hereingegangen 
sei  bis  an  das  Dorf,  wird  auch  wohl  so  gewesen  seyn,  weil  vor  60  Jahren  hin 
und  wieder  noch  wilde  Hekkeii  und  Uesträuche  zu  sehen  waren“.  — Der  Keller- 
berg. ,Iin  Hussitteukriege  haben  die  Vorfahren  an  schikklichen  Orten  Höhlen 
angebaul,  um  ihre  llabseligkciten  vor  den  Hussiieu  verbergen  zu  künneu.  Diese 
Höhlen  oder  (Jruben  waren  in  einen  Hügel  oder  Berg  angebracht,  so  wie  ein 
Keller,  wodurch  alsdann  die  Benennung  entstanden;  vor  50  bis  60  Jahren  sähe 
man  noch  Spuren  davon ; so  auch  ein  Behiiltnias  ist  im  Steinberge  gewesen, 
weil  es  auch  damals  noch  zu  sehen  war;  die  Benennung  Schau zberg  kommt 
daher,  weil  im  Siebenjährigen  Kriege  auf  dessen  fordern  Seite  Schanzen  ange- 
legt und  gefertigt  worden;  so  wie  es  heute  noch  zn  sehen  iat*.  — Unter  der 
Flnrbezeichming  Der  Mühlberg  erzählt  Buschmann  folgende  Geschichte.  .\ls 
auf  Anordonng  der  Kirchcngntsherrschaft  der  Schäfer  Hennig  einen  Teil  seines 
Grundstücks  an  Heinrich  Uachmann  abtreten  musste,  habe  er  aus  Rache  dem 
Lachmann  einen  hässlichen  Possen  gespielt.  Der  Ijachmann  habe  auf  dem  ab- 
getretenen Lande  ein  Haus  aufgebaut.  Schon  sei  ,die  Stube  mit  Kalken  ver- 
sehen gewesen“,  da  habe  der  Schäfer  Hennig  .einen  schwarzen  Hund  au  den 
Balken  neben  den  Ofen  gehenkt;  dies  wurde  manchmal  belacht,  der  p.  Lacli- 
mann  halte  sich  aber  doch  nicht  lassen  abschrckken,  sondern  das  Haus  eingebaut 
und  bezogen.  Es  soll  des  Schäfers  Hennigs  Meinung  gewesen  seyn,  dass  der 
p.  Lachmaun  das  Hau»  verlassen  werde“.  — Die  drei  Kiefern.  .Bei  der 
evangelischen  Kirche  befanden  sich  ehedem  drei  Kiefern,  wovon  gegenwärtig 
noch  eine  vorhaudeu  ist;  wie  diese  Kiefern  dorthin  gekommen  sind,  sagten  die 
Alten  also:  Es  wäre  einst  einer  gehangen  worden  auf  den  Vichweg  de»  Slelzer- 
schen  Banerguths.  Deshalb  wären  diese  drei  Kiefern  dahin  gesezzt  worden;  ob 
cs  gegründet  sei  oder  nur  Sage,  raus»  anheim  gestellt  bleiben.  Wenn  es  zur 
Zeit  des  gehenkten,  der  Löfler  oiler  Löffdl  geheissen  haben  soll,  so  wären  es 
jezzt  der  Sage  nach  116  Jahr“.  — Die  drei  Birken.  .Auf  der  Wiedeniuth 
vor  dem  Eichberge  auf  das  Dorf  zu  war  es  ehedem  sumpfig,  schräge  hinunter 
war  eine  kleine  Schluchze  vermutlich  vom  Wasserlauf  eutslaudeu  und  mit 
Strauebbolz  bewachsen,  die  aber  zernichtet  worden,  und  so  hat  man  diesen  Flekk 
urbar  gemacht;  oben  gegen  die  Uränze  des  Kretschams  haben  diese  drei 
Birken  gestanden  und  wird  bis  heute  noch  die  Benennung  beibehalten,  jedoch 
aber  meist  vergessen,  weil  der  Krctschmar  au  der  Uränze  daselbst  einen  Brunnen 
angelegt,  das  Wasser  in  sein  Gehöfte  zu  leiten,  du  bedient  mau  sich  nun  viel- 
mehr, wenn  mau  die  Gegend  der  drei  Birken  nennen  will : Beim  Bornhäusel“. 


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Die  Wüstling  Jocksdoil 

Von  Dr.  pliil,  Martin  Troblin. 


Iiii  Volksmunde  der  Dörfer  Rreitenau,  Markersdorf  und 
Sclireiberseifen  lebt  nocli  eine  scbwacbe  Erinnerunfr  an  eine  vom 
Erdboden  verscbwimdene  Ortscbaft,  die  am  linken  Opitaufer 
zwisdien  Breitenau,  Friedersdorf  und  Kunau- Fabrik  gelegen 
haben  soll. 

Nur  wenige  alte,  eingese.ssene  Leute  wissen  noeb  etwas  von 
dem  abgegaiigenen  Orte  zu  vermelden,  vielen  aber  ist  wenigstens 
noeb  der  Name  des  ebemaligen  Dorfes  bekannt.  .Jökelsdorf  oder 
Jögsdorf  soll  die  Siedlung  gebcissen  baben,  als  Joeksdorf  er- 
scbeint  ibr  Name  auf  der  „Mappe“  (Flurkarte)  von  Markersdorf. 

Man  eiTeicbt  den  Talgrund  der  Wüstung  am  sebiiellsten  von 
der  Ei.senbabnbaltestelle  Kunau-Fabrik,  indem  man  oppaaufwärts 
die  Bezirksstrasse  verfolgt.  Bei  der  Kunauer  Oppabrücke  mündet 
von  Norden  ber  auf  dem  linken  Oppanfer  ein  Fahrweg  ein,  der 
zur  Wüstung  Jockelsdorf  führt.  Durdi  das  schmale  „Oppawaldl“ 
gelangt  man  in  einen  etwa  2 Kilometer  langen  Orund,  der  im 
mittleren  Teile  waldbedeekt  ist  und  sich  von  Süden  nach  Norden 
erstreckt.  Sein  südlicher  waldfreier  Teil  führt  den  Namen 
„Pfarrgrund“.  Dieser  ist  ein  liebliches  schmales  Wiescntal, 
d:us,  trogförmig,  nicht  tief  in  das  Hügelland  der  Umgebung  ein- 
ge.senkt  erscheint.  Ein  Rinnsal  flie.sst  durch  das  Tal,  das  un.ser 
Fahrweg  durchschneidet.  Die  Dorfzeile  der  Wüstung  soll  den 
Pfarrgrund  durchzogen  haben,  während  nördlicher  im  Walde  und 
im  oberen  waldfreicn  Grunde  die  Häuser  nur  vereinzelt  vorkamen. 
Des  öftern  sollen  Leute  beim  Graben  im  Pfarrgrund  auf  Grund- 
mauerrcste  gcstos.sen  sein.  Deutlich  heben  sich  noch  an  einigen 
Stellen  des  Tales  viereckige  Stücke  in  erhöhter  Lage  ab,  die 
augenscheinlich  als  alte  Fundamente  von  Häusern  anzusehen  sind. 
Im  südlichen  Teile  des  Pfarrgrundes  wird  eine  längliche  Erhöhung 
als  Platz  der  untergegangenen  Kirche  gezeigt.  Deutet  schon  der 
„Pfarrgrund“  auf  das  frühere  Vorkommen  einer  Kirche  hin,  .so 
wird  ihr  ehemaliges  Vorhandensein  noch  wnhi’scheinlicher  durch 
die  Tatsache,  da.ss  dem  jeweiligen  Pfarrer  von  Breitenau  die 
Nutzniessnng  des  I.andes  im  südlichen  Pfarrgrunde  zusteht.  — Im 


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Noulusteii  des  Ptuir^fruiides  liat  aiifteblich  ein  Schloss  am  Abhang 
eines  Hügels,  des  „Steinrück’“,  gelegen.  Mein  Gewährsinann,  ein 
rüstiger  SOjühriger  Weber  ans  Markersdorf,  will  noch  als  Kind  in 
den  zerfallenen  Kellerräumen  uinhergeklettert  sein. 

Iin  nördlichen  wahlfreien  Talstücke  des  Jocksdorfer  Grundes, 
nicht  weit  von  den  höchstgelegenen  Häusern  von  Breitenaii,  w'aren 
noch  in  den  50er  Jahren  des  vergangenen  Jahrhunderts  Mauerreste 
einer  alten  Wassermühle  zu  sehen.  Heute  wäre  freilich  das 
unscheinbare  Wässerlein  des  Tales  nicht  imstande,  ein  Mühlrad  zu 
treiben. 

Die  alte  Siedlung  Jocksdorf  ist  schwerlich  sehr  gross  gewesen. 
Das  Tal  des  Dorfes  bot  nur  für  eine  be.schränkte  Zahl  Häuser 
Raum. 

Die  alte  F’lur  ist  in  ihrer  Ausdehnung  kaum  mehr  genau 
festzustellen.  Der  grösste  Teil  der  wüsten  Ländereien  kam  an 
Breitenau,  ein  kleiner  Teil  an  Markersdorf.  Das  heutige  Dorf 
Breitenaii  steht  in  seinem  oberen  Teile  vielleicht  auf  altem  Jökels- 
dorfer  Gebiet.  Tm  Osten  mögen  die  Priedersdorfer  und  Erbers- 
dorfer  Gemarkungen  die  Jocksdorfer  Flur  begrenzt  haben,  während 
im  Westen  die  Oppa  die  Grenzscheide  bildete. 

Noch  heute  bezeichnet  der  Volksmund  die  Äcker  zu  beiden 
Seiten  des  Pfarrgrundes  als  Jokelsdorfer  Äcker.  Aber  die  alte 
Flur  war,  wie  gesagt,  au.sgedehuter.  Der  Wald  im  Norden  des 
Pfarrgrundes  war  früher  vielleicht  Ackerland.  Nach  der  P^lurkarte 
von  Markei’sdorf  gehörte  von  Markersdorf  die  „Huttiing“  zu 
Jockelsdorf.  Dieser  Teil  von  Markersdorf  liegt  zwischen  dem 
letzten  Hau.se  von  Markersdorf,  der  Oppa  und  dem  „Winkel“, 
einer  Stelle,  wo  die  Oppa  1 Kilometer  südwestlich  von  Markers- 
dorf der  Bezirk-sstrasse  sehr  nahe  kommt. 

Unweit  des  Winkels  in  südöstlicher  Richtung  stand  noch  vor 
etwa  30  Jahren  eine  alte  Brettschneidemühle,  deren  Lage  und 
deren  Mühlgraben  noch  zu  erkennen  sind.  Sie  gehörte  wie  die 
ansfossenden,  bis  zur  Kunauer  0]>pabrücke  sich  erstreckenden 
„Kriegswiesen“  zu  Jockclsdorf.  Ob  weitere  Gebäude  auf  den 
Kriegswiesen  gestanden  haben,  ist  nicht  zu  ermitteln. 

Die  Bewohner  des  abgegangenen  Ortes  trieben  Ackerbau  oder 
ernährten  sich  durch  Goldwäschen.  Zu  beiden  Seiten  der  Oppa, 
besonders  auf  dem  linken  Oppaufer  im  „Oppawaldl“,  gewahrt  man 
zahlreiche  Hügel,  die  im  Volksnumde  „Huttichen“  genannt  werden. 


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Sie  sind  die  alten  Halden  der  früheren  Guldwäscherei.  Teilweise 
wurden  sic  beim  Eiscnbalinbau  und  bei  Anlage  der  Bezirksstrassc 
verwertet. 

In  Breitenau  waren  geschichtliche  Nachricliten  über  Jockels- 
dorf niclit  zu  finden.  Das  Bfarrarchiv  ist  zu  Beginn  des  18.  Jalir- 
hunderts  samt  Kirche  und  Pfarrhaus  durch  Feuer  vernichtet  worden, 
und  die  neuangelegten  pfarrbücher  und  das  Pfarrgedenkbuch 
wissen  nichts  von  der  Wü.stung.  Alte  Leute  behaupten,  Jökelsdorf 
sei  bereits  am  Ende  des  16.  Jalirhunderts  vorhanden  gewesen. 
Es  sei  in  den  Kämpfen  des  „Schwedenkrieges-*  zur  Wüstung  ge- 
worden. Im  letzten  Teile  des  30jährigen  Krieges  sollen 
Torstensonsche  und  Königmark  sehe  Trujipen  nacheinander  die. 
Gegend  um  Breitenau  geplündert  und  Jökelsdorf  niedergelirannt 
haben.  Die.  rechtzeitig  geflohenen  Bewohner  sollen  sich  in  den 
umliegenden  Wäldern  verborgen  und  später  an  andrer  geeigneterer 
Stelle,  in  der  hochgelegenen  Talmulde  der  „breiten  .\uen‘*  („Brei- 
tenau“) ein  neues  Dorf  angelegt  haben.  Auch  sclireckte  wohl 
eine  abergläubische  Vorstellung  die  Siedler  ab,  den  alten  ver- 
wüsteten Ort  wieder  neu  aufznbauen.  Der  Flurname  „in  den 
Ki-iegswiesen“  mahnt  vielleicht  an  den  Schwedenkrieg. 

Zum  Schluss  möge  nocli  kurz  eine  alte  Sage  angeführt  werden, 
die  an  dem  verwüsteten  Schlos.se  von  Jockelsdorf  haftet;  Unter 
dem  Schlo.sse  von  JockeLsdorf  ruht  ein  gro.sser  Schatz.  Wer  die 
rechte  Stunde  wei.ss,  kann  ihn  heben,  aber  er  muss  beherzt  .sein 
und,  ohne  zu  .sprechen,  zum  Schatze  hinabsteigen.  Als  rechte 
Stunde  gilt  die  Zeit  des  Hochamtes  am  (’harfreitage.  Einst  soll 
ein  Matin  zu  dieser  Zeit  zum  Schlossberge  gekommen  .sein  und 
einen  unterirdischen  Gang  offen  gefunden  haben.  Als  er  den  Gang 
verfolgte,  kam  er  zu  einer  Kammer,  die  reich  mit  Kostbarkeiten 
angefüllt  war.  Grade  im  Begriff  den  Schatz  zu  heben,  erscheint 
ihm  ein  mächtiger  Heiter  auf  einem  Hirsch  sitzend  und  ruft  ihm 
mit  dröhnender  Stimme  zu;  „Lass  ab,  lass  ab,  alles  ist  mein!“  — 
„’N  Quark  ist  Dein!“  ruft  ihm  der  Schatzsucher  zu.  Aber  da 
ertönt  ein  Donnerschlag,  und  der  Spuk  und  der  Schatz  sind  ver- 
schwunden. 


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Sclilcsisrhe  Volkslieder. 

Von  [)r.  phil.  F.  Fradel  in  ülogaii. 

Die  Saiiimlunp  schlesischer  Volkslieder,  von  der  ich  in  Heft XIV 
der  Mitteilungen  unserer  Gesellscliaft  erzählte  (S.  04  ft’.),  hat  sich 
iin  Laufe  der  Zeit  vergrössert.  Alle  diese  Lieder  sollen  denmiichst 
den  Beständen  der  (lesellschaft  zugehen,  mit  Anmerkungen  und 
Verweisen  versehen,  wie  sie  die  Lesung  volkskundlicher  Werke, 
besonders  solcher  Uber  das  Volkslied,  gelegentlich  mit  sich  brachte; 
vielleicht  sind  sie  einer  gewiss  allerseits  ersehnten  Ausgabe  der 
schlesischen  Volkslieder  von  einigem  Nutzen. 

Hier  seien  noch  einige  bemerkenswerte  Proben  gegeben,  bei 
denen  besonders  auf  die  neuesten  bedeutenden  Bücher  über  das 
Volkslied  hingewiesen  wird:  auf  Böckels  Psychologie  der  Volks- 
dichtung (Leipzig  100(5),  auf  sein  Handbuch  des  deutschen  Volks- 
liedes (Marburg  1908)  und  auf  .lohn  Meiers  Kunstlieder  im  Volks- 
munde (Halle  100(5)*).  Weist  uns  Bockel  vor  allem  in  feinfühlender 
Wei.se  auf  die  Schönheiten  der  Volksdichtung  hin,  so  geht  Meier  den 
Veränderungen  iiacli,  welche  Lieder  bei  ihrer  Verbreitung  im 
Volke  durchmachen  und  zeigt  uns  die  p.sychologi.schen  Gründe  für 
diese  Wandlungen.  Gerade  diese  Veränderungen  sind  mit  ein 
Zeichen  des  Volk.sliedes,  am  , Herrenverhältnisse  des  Volkes  zum 
Stoffe'*  sehen  wir,  da.ss  ein  Lied  „Volksli(‘d“  geworden  ist.  Genau 
genommen  sinil  alle  Volk.slieder  erst  Individual-  oder  Kunstlieder 
gpwe.sen.  Gewöhnlich  ist  ihre  ursprüngliche  Form  nicht  mehr  er- 
lialten.  sie  kann  auch  nicht  erschlo.ssen  werden,  da  wir  nicht  alle 
Zwi.sclienstufen  in  der  (Überlieferung  haben;  nur  da,  wo  Kunst- 
lieder, die  in  Druck  oder  Schrift  fe.stgelegt  sind,  zu  Volksliedern 
geworden  sind,  haben  wir  das  Urbild,  den  .Archetypus,  hier 
können  wir  die  .Abwandlungen  scharf  von  der  nr.sprünglichen 
Form  sondern.  Fortan  wird  jede  Geschichte  des  Volksliedes  sich 
auch  mit  den  .Kunstliedern  im  Vr)lk.sinuude“  be.schäftigen  müs.sen; 
an  ihnen  vollziehen  sich  in  uns  erkennbarer  Weise  die  Vorgänge, 
die  uns  an  den  bi.sher  gewöhnlich  A'^olkslieder  genannten  Dich- 
tungen meist  undeutlich  bleiben. 

J.  Meier  geht  selbst  an  einem  lehrreichen  Beispiele  den 

')  Vgl.  die  Besprechung  in  deu  Milt  XV  IGü,  wo  u.  a.  bestritten  wird,  dass  sieh  aus 
mündlicher  ("herliefernng  niemals  die  ursprüngliche  Fassung  könne  gewinnen  lassen. 


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Sihicksak-n  iiacli,  die  ein  Kunstlied  auf  seinem  Laufe  durcli  das 
Volk  crfäliit,  er  wählt  dazu  Heinrich  Wilhelm  von  Stamfords  Lied: 
Ein  Mädchen  holder  Mienen,  Schön  Aennclien  sass  im  Grünen 
(S.  XIX — XXXIIf  Ein  anderes  Beispiel  dieser  Betrachtungsart 
bietet  R.  Petsch,  der  sich  mit  dem  Ijiede  des  Freiherrn  von  Zedlitz: 
Mariechen  sass  am  Hocken,  Im  Grase  schlummert  ihr  Kind,  be- 
schäftigt (Zeitschr.  d.  Ver.  f.  Vkde.  10,66  ff.,  s.  auch  .L  Meier  LXXXV 
und  34,  210).  Von  den  zehn  Versen  des  Urbildes  sind  im  Volke 
zwei  verschwunden,  aus  psychologisch  verständlichen  Gründen, 
nämlich  5 und  6;  das  ist  auch  in  der  mir  aus  Eisdorf  vorliegen- 
den Fa.ssung  der  Fall.  Diese  .scheint  in  dem  Ver.se 

Drum  sinken  (!)  wir  uns  morgen  | Vorbei  sind  Kummer  und  Sorgen, 
Hinab  in  den  tiefen  Sec,  I Wir  sehen  uns  nimmer  meli 

mit  der  letzten  Zeile  etwas  Besonderes  zu  l)ieten,  eine  jener  fest- 
gefügten Formeln,  wie  sie  sich  im  Volksliede  unter  dem  Einflüsse 
des  Keimes  häufig,  oft  ohne  Rücksicht  auf  den  Sinn,  ein.stellen. 
An  ilireni  Platze  ist  diese  Zeile  z.  B.  in  dem  von  Uhland 
(Schriften  zur  Geschichte  der  Dichtung  nnd  Sage.  3.  Band  S.  408, 
s.  a.  S.  452i  mitgeteilten  Liede. 

Aus  Eisdorf  besitze  ich  auch  eine  Fa.ssung  eines  von  M.  Adler 
(Zeit-schr.  d.  Ver.  f.  Vkde.  11,  459  ff.)  mitgeteilten  und  erklärten 
Liedes*),  dessen  Verfa.ssorin  eine  Frau  Schlegel,  Bäuerin  einst  in 
Amstedt.  sein  .soll;  sie  lautet: 

Bin  Mädclieii  jung  von  achtzebn  Jahren.  Ganz  der  Verzweiflung  nah  gekommen 
Verfuhrt  durch  Männerschmeiehclei,  | Ging  sic  des  iVbends  auf  die  Bahn, 

Sie  hatte  cs  zu  früh  erfahren  j Sie  wollt  ihr  Haupt  auf  .Schienen  legen, 

l'nd  fühlte,  dass  sie  Mutter  sei.  Bis  das.s  der  Zug  von  Hamburg  kam. 

Den  ganzen  Tag  rang  sic  die  Hände:  Die  Schaffner  hatten  cs  gesehen. 

Mein  grosser  Gott,  verlass  mich  nicht.  Sie  bremsten  mit  Gewaltheit  an, 

Denn  ihre  Schuld,  die  tat  sie  kränken.  Jedoch  der  Zug  kam  nicht  zum  Stehen, 

Sie  suchte  Kuh  und  fand  sie  nicht.  ; Ihr  Haupt  voll  Blut  roll  (!)’)  in  den  Sand. 

Sie  fiel  der  Mutter  vor  die  Küsse  So  leb  denn  wohl,  du  holde,  schöne, 

l'nd  bat  von  ihr  Verzeihung  an,  Du  sichst  dein  Klternhaus  nicht  mehr. 

Jedoch  die  Mutter  stiess  mit  Küssen  Du  hast  die  Rosen  blühen  sehen, 

Ihr  einzges  Kind  zur  Tür  hinaus.  ! Du  sichst  sie  nun  und  nimmer  mehr. 

Bei  Adler  beginnt  das  Lied  in  etwa.s  moralisierendem  Tone: 

Hört.  Jungfraun,  welch  ein  Schreckens-  Von  einem  falschen  Liebesbunde, 

Die  sich  zutrug  in  unsrer  Stadt,  [künde.  Den  falsche  Dieb  gestiftet  hat 

')  Über  die  Melodie  s.  J.  Meier  a.  a.  ().  ( XXVII.  — S.  auch  R.  Petsch, 
Hess.  Bl.  f V.  11  199 

Wie  nuoll  zu  quillt,  zu  es  rillt  gebildet;  rillen  = fliessen,  rinnen.  Ss. 


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(nuc)i:  Nehmt  es  zu  Herzen  tief  zu  Grande. 

Was  falsche  Lieh  gestiftet  hat). 

Auch  die  letzte  Strophe  sclilüpt  einen  ähnlichen  Ton  an; 

Ach  Gott,  vergib  ihr  ihre  Sünden,  Ihr  war  da.s  Glück  nicht  mehr  Iioschieden, 

Dieweil  sic  die  Verzweiflung  trieb.  I Ihr  wollten  Kosen  nicht  mehr  blUhn. 

Auch  sonst  weichen  beide  Formen  des  Liedes  sehr  von- 
einander ab.  Und  das  ist  ganz  begreiflich.  Die  ursprünglichere 
Form  enthält  mehrere  Eigennamen,  so  im  5.  Verse: 

Von  Snlza  ging  sic  bis  nach  Kosen  Sie  tat  ihr  Haupt  auf  Schienen  legen, 
l'nd  bei  Schulpforta  auf  die  Bahn,  I Weil  eben  der  Zug  von  Naumburg  kam. 

ln  der  Gegend  des  Tatortes,  der  Entstellung  und  ersten  Ver- 
breitung des  Liedes  — Adler  gibt  das  Gebiet  zwi.schen  .\nerstedt, 
Snlza,  Küsen,  Naumburg,  Weissenteis,  Freibnrg  a.  d.  ü.  an  — 
waren  diese  Namen  ganz  bekannt;  je  weiter  sich  das  Lied  davon 
entfernte,  um  so  unverständlicher  erschienen  sie,  darum  ver- 
schwanden sie.  In  der  Eisdorfer  Fassung  scliimmert  nur  eben 
noch  einer  hindurch.  Vielleicht  darf  man  in  diesem  Hamburg  für 
Naumburg  und  in  der  Zeile:  Sie  lu'emsten  mit  Gewaltheit  an  (bei 
Adler:  Sic  bremsten  mit  gewaltger  Hand)  das  Wirken  mündlicher 
Cberliefernng  erkennen '). 

Weil  in  seiner  ersten  Zeile  dem  Volke  unverständlich,  ver- 
schwand auch  der  ganze,  siebente  Vers,  so  sehr  er  auch  sonst  mit 
seiner  Rühr.seligkeit  ergreifen  mochte ; 

Die  Schüler  von  Schulpforta  haben.  Aus  Mitleid  sie  so  schon  begraben, 
Weil  niemand  sie  gekennet  hat.  Gott  lohne  ihre  edle  Tat. 

Zum  Vergleiche  mit  dem  dritten  Verse  unserer  Fassung  sei 
endlich  noch  der  vierte  der  Adlerschcn  mitgeteilt; 

Vom  Mutterherzen  ganz.verstossen,  Sie  hatte  bei  sieh  selbst  beschlossen 
Ging  sie  eins  Tages  mittags  aus.  Nicht  wiederzukehren  ins  Vatcr(Kltern)- 

haus. 

Man  könnte  vermuten,  dass  dieses  Lied  durch  Bänkelsänger 
verbreitet  worden  sei,  wie  ja  das  Singen  von  Schauergeschichten, 
die  zugleich  in  Bildern  dargestellt  sind,  sehr  beliebt  war,  s. 
J.  Meier  a.  a.  ().  Llll  f.,  und  wohl  auch  heute  noch  nicht  ganz 
verschwunden  ist. 

Auch  für  das  läed,  da.ss  bei  Hotfmann-Kichter  unter  Nr.  39 
steht,  ist  eine  solche  Verb reitungs weise  denkbar.  Mir  liegen  da- 

')  Beispiele  für  solche  durch  Verhören  cnUtaiideiien  Kntstellungen  s.  bei 
,1.  Meier  a.  a.  O.  BXXXII  ff. 


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von  zwei  Fa.ssuiigeii  vor,  die  eine  uns  Eekersdorf,  die  andere  aus 
Kisdorf;  beide  sind  vollständiger  als  die  bei  Holi'inann-Riclitcr  ge- 
gebene, sie  weieben  aber  auch  voneinander  nicht  nnbedentend  ab; 


Es  klopft  so  sclirpcklich  an  ilie  Tür, 
Wer  ist  denn  da,  wer  ist  denn  liier? 
Es  ist  «ewiss  ein  armer  Mann, 

Iler  sein  Quartier  nicht  finden  kann. 
Es  folgte  immer  Streich  auf  Streich. 
Die  gute  Frau  die  öffnet  gleich. 

Sie  öffnete,  o grosser  Gott, 

Der  erste  Eintritt  stach  sie  tot 
Sie  schonten  weder  Knecht  noch  Magd 
Dnd  raubten  früh  bis  an  den  Tag. 

Ein  einzig  Kind  das  nahm  die  Flucht, 
Iiu  Hundestall  es  Kettung  sucht. 

I’nd  als  am  Tag  die  Sonne  schien. 

Das  Kind  sogleich  zum  Richter  ging. 
Ach  Richter,  lieber  Richter  mein. 
Kommt  mit  mir  in  das  Dorf  hinein 


[ Bei  uns  liegt  alles  in  dem  Blut, 
(ierauhet  durch  der  Mörder  Wut. 

Bei  uns  ist  heut  ein  Blutgeschrei, 

Der  Schmied  im  Dorf  war  auch  dabei. 
Der  Richter  nahm  .Soldaten  mit 
l'nd  ritt  sogleich  ins  Dorf  zum  Schmied. 
Er  ist  nicht  da,  er  ist  verreist, 

I So  wie  im  ganzen  Hause  heisst. 

Und  auf  der  Brücke  stand  sein  Kind, 
Noch  rein,  wie  (iottes  Engel  sind. 
Mein  Kind, mein  Kind.sagmirgeschwind, 
: Wo  ist  Papa,  wo  ist  Papa? 
j Drunten  im  Keller,  sagt  das  Kind, 

Bei  ihm  so  viele  Männer  sind. 

• Dort  hört  man,  wie  das  Silber  rollt, 

I Sie  zählen  Geld,  sie  wiegen  Gold. 


Der  Eisdorfer  Text  lautet  fol{tcnderma.s.sen ; 


Was  klopft  so  grässlich  an  die  Tür? 
O horcht,  0 horcht,  wer  steht  dafür? 
Es  ist  gewiss  ein  armer  Manu, 

Der  nirgends  Obdach  finden  kann. 

Die  gute  Frau  die  eilt  sogleich. 

Da  gchts  schon  immer  .streich  auf  Streich, 
Ermordet  wurden  Frau,  Knecht,  Magd, 
l’nd  zwei  der  Kinder  folgten  nach. 

Ein  einzges  Kind  es  nahm  die  Flucht, 
Im  Hnndestall  cs  Rettung  sucht. 

Pnd  hätt  es  nicht  die  Flucht  ergriffen. 
So  war  es  mit  himveggerissen. 

Und  als  der  Tag  zu  grauen  anfing. 
Das  Kind  sogleich  zum  Richter  ging. 
■Ach  Richter,  geht  sogleich  mit  mir, 
Bei  uns  liegt  alles  im  Blute  schier. 
Der  Richter  nahm  .Soldaten  mit. 


i Ging  auch  sogleich  ins  Haus  zum  .Schmied, 
j Die  Meistrin  meint,  der  sei  verreist, 

‘ Wie  es  im  ganzen  Hause  heisst. 

Dort  unten  am  Tore  da  steht  ein  Kind. 
So  fromm  wie  alle  Kinder  sind. 

Ach  kleines  Kind,  was  machst  du  da? 
.Sag  an,  sag  an,  wo  ist  Papa? 

I lort  unten  im  Keller,  so  sprach  das  Kind, 
Wo  noch  viel  andre  Männer  sind. 

I Es  waren  da  der  Männer  drei, 

' Der  Schmied  vom  Dorfe  w'ar  auch  dabei. 
Sie  zählten  (ield,  sic  wogen  Gold. 

O hört,  0 hört,  wie  s Silber  rollt. 

' Es  ist  das  blutge  Löscgeld, 

Was  sich  dort  unten  verborgen  hält. 

Für  diese  blutge  Rachetat 

Hängt  dieser  Mörder  schon  am  Rad. 


Wollte  man  versnelien,  uns  die.sen  beiden  Fas.siingen  das  Ur- 
bild herzustellen,  so  käme  man  gewiss  in  Verlegenheit.  Die  Elis- 
dorfer  Fa.ssung  ist  offenbar  die  vollständigere  und  bes.sere,  doch 
auch  sie  ist  am  Schlüsse  verstümmelt,  und  nach  dem  sechzehnten 
Verse  klaft't  eine  Lücke,  das  Kind  müsste  auch  hier,  wie  in  der 
Eckersdorfer  Fa.ssung,  auf  den  Schmied  als  Schuldigen  hinweisen. 

Im  1().  Hefte  der  Mitteilungen  unserer  Gesellschaft  (S.  97,  1) 


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93 


bericlitet  Küliiiiiu:  ,Eiiie  alte  Frau,  die  Kiiiipen  aus  Heriuanns- 
dorf  bei  Jauer,  die  uns  Kinder  immer  mit  (Jeschichten  unterhielt, 
erzählte  einmal  von  einem  Teiche,  in  dem  ein  Graf  oder  eine 
Gräfin  mit  ihrer  Kutsche  samt  Kutscher  und  Pferden  ertrunken 
war,  und  aus  dem  dann  nachts  immer  . . . Worte  tönten“.  Solche 
Geschichten  knüpfen  sich  wohl  auch  anderwärts  an  Teiche  und 
Weiher.  In  einem  Gedichte,  von  dem  ich  wieder  zwei  Gestal- 
tungen besitze,  wird  etwas  ganz  Ähnliches  erwähnt.  Auch  hier 
wird  ein  Vergleich  zwi.schen  beiden,  der  einen  aus  E<  kersdorf  und 
der  anderen  aus  Eisdorf,  diese  zeichnete  ich  aus  einem  hand- 
schriftlichen Liederhefte  auf,  lehrreich  sein. 

CJraus  war  die  Naclit  and  mn  den  tücbcl  t'nd  rettet  dort  den  Wandersmann. 
I>er  Päcliterwohnung  heult  der  Sturm,  ' .\eh  lasst  das  Märchen,  bat  Lconore, 
Per  fromme  tireis  las  in  der  Bibel  ■ Kommt,  rettet,  cli  das  Herz  ihm  bricht. 
I'nd  sieben  schlugs  vom  Kirehenturni.  | Sein  Angstrnf  drang  zu  meinem  Ohre. 
.Schon  sieben?  t’nd  (ieorg  nicht  hier!  , I'nd  seine  Stimme  täuscht  mich  nicht. 
.Sein  dunkler  Weg  führt  hin  am  Teiche,  | So  bat  sic  kniend,  bat  unsäglich, 

Ach  welches  l'nglück  ahnet  mir.  l>och  bauend  auf  das  Sagewort 

Der  .Sohn  des  Försters  von  der  Heide  Blieb  Vater  Martin  unbeweglich. 

War  ihr  verlobter  Bräutigam  I'nd  die  Verzweiflung  riss  sie  fort. 

I'nd  glühend  schlug  ihr  Herz  vor  Freude,  Zu  Hilfe,  rief  sic  vor  den  Türen 

Wenn  der  geliebte  Jüngling  kam.  Des  Dorfs,  ein  Mensch  erstickt  im  Teich, 

Ein  Jahr  lang  trat  er  alle  Tage  Er  ächzt  und  winselt,  lasst  euch  rühren, 

Vor  .Sonnenuntergang  ins  Hans,  l’m  Gottes  Willen  bitt  ich  euch 

Doch  mit  dem  siebenten  Glockcnschlage  Doch  wie  ilnrch  einen  Bund  verschworen 

Kam  heut  die  Nacht,  und  er  blieb  aus  Versetzten  alle  Iräg  und  lau; 

Leonore  flog  ihm  bang  entgegen  Da  wäre  jeder  Schritt  verloren, 

I'nd  eilte  bald  mit  starrem  Blick  i Es  ist  das  Weh  der  Klagefrau. 

Und  atemlosen  Ilcrzensscblägen  Schnell  fühlte  sie.  wie  eine  Quelle 

Ins  väterliche  Haus  zurück.  Voll  Muts  in  ihrer  Brust  entsprang, 

Helft,  rief  sie,  helft,  im  l'ferteiche  Und  lieldenkühn  eilt  sic  zur  .stelle. 

Des  liohrschilfs  tönt  ein  Klageton.  Wo  noch  das  Wehgeschrei  erklang. 

Es  ist  Georg,  er  ruft  um  Hilfe,  Du  Geist  der  Liebe,  hab  Erbarmen, 

Kommt,  Vater,  rettet  euern  Sohn,  Und  gib  mir  Kraft  ihm  beizustelin. 

Der  Alte  schüttelte  bedächtig  .So  fand  man  Herz  an  Herz  erstarrte 

Die  grauen  Locken,  Kind,  du  weisst,  Leichen, 

Seit  hundert  Jahren  wimmert  nächtlich  I»ie  selbst  des  Todes  Macht  nicht  schied. 
Dort  einer  edlen  Gräfin  Geist.  . Flicht,  schrieb  man  drauf,  den  Aber- 

Verirrt  des  Nachts  zum  l'fuhl  der  Unken,  i glauben. 

Ist  sie  mit  Wagen  und  Gespann  j Der  sic  dem  Tod  zum  Opfer  gibt. 

In  bodenlosem  Moor  versunken  | 

Der  Ei.stlorfer  Text  hei.sst  also: 

Grau  ist  die  Nacht  und  um  den  Giebel  Der  fromme  Greis  l.as  in  der  Bibel 

Des  alten  I’ächterliauses  heult  der  .stiinu,  Und  sieben  schlugs  am  Kirchenturm. 


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Ilpr  Sohn  des  Försters  in  der  Heide 
War  Lcunures  liräuti^am 
I'nd  glühend  sehlug  ihr  Herz  vor  Freude. 
Wenn  der  geliebte  .Töngling  kam 
Ein  .lahr  lang  kam  er  alle  Tage 
Vor  .Sonnenuntergang  ins  Haus. 

Doch  mit  dem  achten  tilockenschlagc 
Kam  heut  die  Nacht,  und  er  blieb  aus. 
Lenore  eilt  ihm  bang  entgegen  '), 

Kam  aber  bald  mit  starrem  Blick 
I’nd  atemlosen  Herzcnsschliigeii 
Ins  vUlerliche  Haus  zurück 
Ach  Vater,  dort  im  rferschilfe 
Hörte  ich  einen  Klageton, 

Es  ist  Oeorg,  er  ruft  um  Hilfe, 

Komm  Vater,  rettet  euren  .Sohn. 

Der  Vater  schüttelte  bedenklich 
Die  grauen  lAicken:  Kind,  du  weisst, 


.Schon  ein.Tahrhundert  wimmert  nächtlich 
Dort  einer  edlen  (iräfin  (ieist. 

Im  tiefen  See,  im  Meer  (!j  ertrunken 
ist  sie  mit  Wagen  und  bestand  (!) 

Im  bodenlosen  Niel  (!)  ertrunken 
Hemmet  jetzt  den  Wandersmann. 

! Die  Tochter  eilt  vor  Försters  Türe: 
j Helft,  dort  ertrinkt  ein  Mann  im  Teicli. 
I Hört  das  Wimmern,  lasst  euch  rühren, 
I Ich  bitte  und  beschwöre  euch. 

^ Die  Dorfbchaft  wurde  nun  gebeten, 
j .Setzt  (!)  ans  Ucttiingswerk  heran, 

1 Schier  dreissig  Kiefernfackeln  brannten 
Fm  .Mitternacht  den  Teich  entlang 
Da  sah  man.  o Schrecken,  mit  Erbleichen 
Nicht  weit  vom  l’ferrand  umringt  (!) 

' Die  Brust  an  Brust  erstarrten  Leichen, 
Die  selbst  des  Todes  Macht  nicht  hielt  t!  i. 


Wir  haben  e.s  hier  offeitbar  mit  einem  Kiiibstliede  im  Volks- 
munde zu  tun,  der  L'rte.xt  i.st  mir  nicht  bekannt.  Der  Eckers- 
dorfer  Text  mit  seiner  breiten  Darstellung,  mit  .seinem  Schlus.se, 
der  vor  dem  Aberglauben  warnt,  steht  ihm  sicher  noch  ganz  nahe. 
Zeile  .5—7  sind  aber,  unter  dem  Einflu.sse  der  vierten  Zeile,  an 
diese  falsche  .Stelle  geraten,  vgl.  die  Anmerkung  zur  dreizehnten 
Zeile  der  Eisdorfer  Fa.s.sung.  Form  und  Inhalt  lassen  uns  an  (le- 
dichte  wie  Schlotterbecks:  In  Myrtills  zerfallener  Hütte  denken, 
das  in  seiner  Rührseligkeit,  in  seiner  Absicht  des  prodes.se  et  de- 
lectare  dem  Volke  .sehr  gelieP),  siehe  J.  Meyer  a.  a.  O.  HO,  184; 
ich  besitze  eine  Xieder.schrift  dieses  (iedichtes  aus  Henn.sdurf  im 
Isergebirge.  An  dem  Eisdorfer  Wortlaute  .sehen  wir  deutlich,  wie 
das  Volk  .sein  Herrenrecht  an  die.sem  ihm  sehr  zusagenden  (ie- 
dichte  au.sgeübt  hat;  nur  .schwer  errät  man  aus  dem  .stark  ver- 
kürzten Schlüsse  den  wirklichen  Hergang,  auch  einzelne  Wörter 
sind  kaum  zum  Wiedereikennen  entstellt. 

<Transige  Geschichten  sind  dem  Volke  allezeit  lieblich  anzu- 


’)  In  (lern  Hefte,  aus  dem  ich  diese»  Oedicht  abschrieb,  stionl  über  diesem 
und  den  folgenden  beiden  Versen  übergeschrieben:  Lenore  ruft  mit  bleichem 
Zittern:  .Schon  sieben  und  (ieorg  nicht  hier,  .Sein  dunkler.  Das  Wort  Zittern 
war  durcligestrichen. 

’)  Das  tiedicht  ist  offenb.ar  durch  .Schul-  und  Lesebücher  ins  Volk  ge- 
drungen; ich  kenne  es  aus  der  , Sammlung  erzählender  (iedichte“,  herausgegeben 
von  (iröhe  und  Kosche,  (ioldberg  1843. 


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95 


hören  {'ewesen;  das  beweist,  ausser  den  bereits  aiip;e führten 
Liedern,  aueli  die  weite  Verbreitung  der  Erzälilung  von  den  Mord- 
eltern, die  auf  einem  wirklichen  Vorfälle  beruhen  soll  ').  Wir 
finden  sie  z.  15.  in  des  Knaben  Wuiiderhorn  (II  60  llempol),  bei 
Hoft'niann-Riehter  Nr.  34  und  35,  bei  Erk-Böhme  I 172  ff.,  Böckel 
teilt  in  seinem  Handbuche  des  deutschen  Volk.sliedcs  S.  188  eine 
Form  aus  dem  Odenwalde  mit.  Unsere  Fa.ssung,  die  aus  Eckers- 
dorf herrührt,  kommt  alter  guter  Überlieferung  nahe,  man  erkennt 
das  aus  ver.schiedenen  Ausdrücken  und  Wortverbindungen,  für  sich 
steht  sie  den  erwähnten  anderen  gegenüber  dadurch,  dass  in  ihr 
der  Sühn  mit  einem  Messer  ermordet  wird,  während  er  sonst  durch 
siedendes  Fett  getötet  wird. 

Es  wari'n  einmal  zwei  Bauerssiilm,  l'nd  tat  den  Reiter  ermorden. 

Die  hatten  Lust  in  den  Krieg  zu  gehn.  .Sie  schleppt  ihn  in  den  Keller  rein, 
Wohl  um  .Soldat  zu  werden.  Verseharrt  ihn  in  den  Sand  hinein: 

l'nd  als  sie  in  den  Wald  rein  kamen,  Hier  lieg  und  bleib  verschwiegen. 

Ein  Hänschen  sie  von  ferne  sahn,  i l’nd  als  der  andre  Tag  anbrach, 

Das  H'ar  so  schön  gezieret  I Der  andre  Reiter  geritten  kam  und 

l'nd  als  sie  nun  ganz  nahe  kamen,  ’ Wo  ist  mein  Kamerad?  [sprach; 
Frau  Wirtin  in  der  Türe  stand,  ■ Dein  Kamerad  ist  nicht  mehr  hier, 

(tanz  freundlich  und  bescheiden  | Er  ist  geritten  ganz  weit  von  hier, 

(iutenTag.  guten  Tilg.  Frau  Wirtin  mein,  I Er  kehrt  auch  nicht  mehr  wieder. 

Wo  steilen  wir  unsre  Pferde  ein,  Ach  nein,  ach  nein,  das  kann  nicht  sein, 

Dass  sie  nicht  gestohlen  werden?  iJas  Pferd  steht  in  dem  Stall  allein. 

Stellt  sie  dort  an  jene  Wand  (iesattclt  und  gezüumet. 

Mit  eurer  ganz  schneeweissen  Hand,  i Habt  ihr  ihm  etwas  zu  leid  getan. 

Dort  werden  sie  euch  nicht  gestohlen.  | Das  habt  ihr  an  eurem  Sohn  getan, 
I’iid  als  es  kam  um  Mitternacht,  j Ist  das  nicht  Schimpf  und  .Schande! 
Die  Frau  zu  ihrem  Manne  sprach:  Das  machtdas  verwünschte  Geld  und  (lut. 

Wir  wollen  den  Reiter  ermorden.  | Kringt  manchen  um  sein  junges  Hlut 

Ach  nein,  ach  nein,  das  kann  nicht  sein,  I l’nd  um  sein  junges  Leben. 

Lass  du  den  Reiter  liegen,  . Die  .Mutter  in  den  Brunnen  sprang, 

Fis  bleibt  ja  nichts  verschwiegen.  | Der  Vater  sich  in  den  Kuhstall  hang. 

Die  Frau  die  nahm  des  Manns  llewalt.  Die  Tochter  vor  (Iram  unil  Arger  starb. 
Sie  nahm  das  Messer  in  die  Hand  : 

Von  .Mord  und  Blutvt‘rgie.ssen  erzählt  auch  ein  anderes  sehr 
verbreitetes  Lied : 

Der  Ulbricb  und  das  Hänselein  I Flr  nahm  sic  bei  der  rechten  Hand 

Die  liebten  beid  ein  Mädelein,  Pud  lührt  sic  in  den  grünen  Wald. 

Dem  Hänslein  war  sie  anvertraut,  | Als  sie  in  den  grünen  Wald  kam, 

Der  ribrich  nahm  die  schöne  Braut.  I Da  hingen  ihr  schon  neune  da. 

‘)  s Hoffm.ann-Richter  S.  61. 


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Acli  ribrirh,  liebfr  rihrirh  mein, 

Du  soll  ich  scliun  die  zehnte  sein. 

I»u  sollst  hier  nicht  die  zehnte  sein, 
Ich  will  dich  hängen  mitten  rein. 

Ach  ribrich,  lieber  ribrich  mein, 

Lass  mich  doch  noch  drei  Lallen  Schrein. 
Wegen  mir  sollst  du  aucli  viere  sclirein. 
Im  Wald  wird  niemand  hören. 

Den  ersten  Lallen  den  sie  tat. 

Wie  sehr  sie  ihren  Vater  hat: 

Ach  Vater,  komm  doch  b.alde, 

Henn  ich  muss  sterben  im  Walde. 

Ken  zweiten  Lallen,  den  sie  tat, 

So  sehr  sie  ihre  Mutter  bat: 

Ach  Mutter,  komm  docii  balde, 

Kenn  ich  muss  sterben  im  Walde 
Ken  dritten  Lallen,  den  sie  tat. 

So  sehr  sic  ihre  Schwester  bat: 

Ach  Schwester,  komm  doch  balde, 
Kenn  ich  muss  sterben  im  Walde. 

Ken  vierten  Lallen,  den  sic  tat, 

Wie  sehr  sie  ihren  Bruder  bat: 

Ach  Bruder,  komm  doch  balde. 

Kenn  ich  muss  sterben  im  Walde. 


• Per  Bruder  auf  der  Bierbank  sass 
j l’nd  hörte  der  Schwester  Schreien  nach, 
j Er  ging  nach  Haus  geschwind 
I’nd  reitet  in  den  grünen  Wald  hin. 
I'nd  als  er  in  den  grün  Wald  k,am, 
Der  ribrich  ihm  entgegenkam: 

I Ach  ribrich,  lieber  ribrich  mein, 

I Wo  hast  du  denn  mein  Schwcsterlein ? 

Kcin'm  Schwcsterlein  soll  kein  Leid 
j ge.schehn, 

j .*ic  wird  bei  Fürsten  und  (irafen  dien’n. 
j Wie  kann  sie  denn  bei  Fürsten  und  (irafen 
i dienen. 

Wenn  deine  Hände  so  blutig  sind? 

' Ich  hab  geschossen  ein  wildes  Schwein, 
' Kazu  zwei  türkische  Täubelein. 
j Wie  kannst  du  geschossen  haben  ein 
w’ildcs  Schwein, 
I Ka  ich  doch  hörte  meiner  Schwester 
: .Schrein? 

Er  sprang  nun  herab  vom  Pferde 
, rnd  hieb  ihn  zur  Erde. 

! Hier  liege,  du  Hund, 
l'm  dich  tt'ird  niemand  weinen. 


Im  einzelnen  Fa.ssungen  dieses  Liedes  rettet  der  Bruder  .seine 
Scliwestcr  aus  des  Mörders  Hand  (s.  darüber  Erk-Bülmie  1 l'20f.); 
mir  .scheint  der  Schluss  mit  einem  günstigen  Au.sgange  aus  jüngerer 
weichherzigerer  Zeit  lierzurüliren , Beispiele  für  solche  Verwässe- 
rungen sind  bekannt.  Zu  den  Fassungen,  in  denen  das  Mädchen 
getötet  wird,  gehört  auch  die  hier  mitgeteilte,  aus  Eckersdorf 
stammende.  In  einigen  Texten  tut  nun  das  Mädchen  drei  Schreie, 
in  anderen,  wie  in  dem  unsrigen,  vier.  Welche  Bolle  die  Drei- 
zahl von  altersher  in  Glaub(‘n  und  Brauch  des  Volkes  spielt,-  ist 
hinlänglich  bekannt  ‘);  so  werden  wir  die  Fassungen  mit  der 
Dreizahl  für  urs])iünglicher  als  die  mit  der  Vierzalil  halten.  Be- 
achtung verdient  auch,  zu  wem  das  Mädchen  ruft,  ln  der  älte.sten 
gedruckten  Fa.ssung  (s.  Böckel,  Handbuch  S.  114)  ruft  sie  zu  Jesu, 
zu  Maria,  dann  zu  ihrem  Bruder;  in  des  Knaben  Wunderhorn 
(1  307  Hempel)  zu  ihrem  Vater,  zum  lieben  üott,  zu  ihrem  Bruder; 
wt'gcn  anderer  Verbindungen  s.  die  Liederbei  Erk-Böhme  1 118  fl'. 


’)  Wegen  der  drei  Schreie  .s.  auch  Rochholz,  Schw’cizer  Sagen  aus  dem 
.\argau  I 22ff. ; Höckel,  Mitleil.  der  schlcs.  (L  f,  V.  XI  44  f. 


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97 


Man  wird  fragen  dürfen,  passen  wohl  diese,  drei  als  Nothelfer  zu- 
einander? Erscheint  da  nicht  Ungleichartiges  miteinander  ver- 
bunden? Wir  nehmen  aber  keinen  Anstoss,  wenn  das  Mädchen 
Vater,  Jlutter  und  Bruder  anruft,  dann  ist  auch  dieses  Lied  wie 
so  manches  andere  und  so  manclie  Geschichte  ein  Lob  auf  die 
Bruderliebe,  die  stärker  als  die  Liebe  der  Eltern  ist.  Von  hier 
aus  erklärt  sich  nun  auch  leicht  die  Vierzahl.  Zu  jenen  dreien 
ist  als  viertes  die  Schwester  hinzugekommen,  dadurch  soll  die 
Liebe  des  Bruders  noch  mehr  licrvorgehoben  werden;  abgesehen 
von  der  Vierzahl,  auch  der  Zug,  dass  dem  Mädchen  noch  eine 
Schwester  gegeben  wird,  .scheint  mW-  nicht  recht  alt  und  volk.s- 
tümlich  zu  sein.  Auf  welche  Wei.se  nun  an  Stelle  von 
Vater  und  Mutter  himmli.sche  Nothclfer  getreten  sind,  darüber 
kann  man  wohl  nur  Vermutungen  hegen.  Einmal  sind  ja 
nun  die  Himmli.schen  überhaui>t  die,  an  die  sich  ein  ver- 
zweifelndes Herz  zuerst  wendet;  da.ss  sie  hier  versagen,  da.ss 
die  Rettung  oder  Erhörung  durch  einen  Menschen  geschieht, 
eben  das  beweist  mir  mit,  dass  ursprünglich  nicht  göttliche  Hilfe 
angetleht  worden  ist.  Eine  Behauptung,  der  Bruder  komme  eben 
auf  Gottes  oder  Mariens  Gehei.ss,  wird  niemand  versuchen.  Viel- 
leicht hat  man  auch  beim  Anruf  der  Mutter  an  die.  Mutter  Maria 
gedacht,  ein  durchaus  nicht  unmögliches  Mis.sverständnis.  Von  da 
war  zum  Anrufe  Jesu  oder  Gottes  nicht  weit.  Vielleicht  ging 
auch  die  Änderung  daraus  hervor,  dass  man  beim  Anrufen  des 
Vaters  an  Gott  Vater  daclite.  In  unserer  Pas.suug  sclieinen  mir 
die  Worte:  Du  sollst  hier  nicht  die  zehnte  sein.  Ich  will  dich 
hängen  mitten  rein,  mit  ihrem  grimmen  Scherze  ältestes  Gut  zu 
sein.  Tun  wir  freilich  immer  recht  daran,  das  am  meisten 
Poetische  und  Wirksame  als  ältestes  und  ursprüngliches  an- 
zusehen?*). 

So  erscheint  die  Eckersdorfer  Fassung  des  Liedes  vom 
„Brautmörder“  in  ihrer  gedrängten  Knappheit  wertvoller  als  die 
unzweifelhaft  älteren  sech.szeiligen  Verse,  aus  denen  bei  Hoffmann- 
Richter  das  Lied  besteht  (Nr.  37).  Dort  gibt  die  Mutter  ohne 

')  R.  Petschens  Worte  (Z(^V■fV^  10,  71)  verdienen  gewiss  Zustimmung: 
„Wir  sehen,  dass  es  sich  im  Volksmunde  nicht  immer  um  Entstellungen  und 
Schlimmbcsserungen  handelt,  sondern  dass  das  Volk  mit  feinem  Gefühl  oft  d.as 
Richtige  trifft“.  Nur  würde  ich  nicht  sagen:  das  Richtige,  sondern  das  Gute, 
das  Poetische.  • 

Mltt«iluDg;vn  d.  ACbles.  Oes.  f.  Vkde.  lieft  XX.  7 


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98 


Scham  ihrem  Sohne  offen  den  Rat,  seine  arme  Geliebte  zu  er- 
morden; man  lese  demgegenüber  die  heimlich  andeutenden  Worte 
unseres  Liedes,  an  dem  uns  wohl  auch  der  Schluss  besser  dünkt. 


Es  war  einmal  ein  Eilelknab, 

Per  liebte  eine  arme  Mafjd, 

Er  wollte  sie  nehmen, 

Er  versprach  ihr  Lieb  und  Treu. 

Seine  Seele  sollte  ewig  brennen, 

Wenn  er  sie  Hess. 

Als  er  zu  seiner  Mutter  kam, 

Fing  er  zu  reden  an, 

Er  liebe  eine  arme  Magd  • 

Und  wolle  sic  nehmen 
Pie  Mutter  sprach: 

Ei  du  biiser  Uub. 

Per  Vater  im  (irabe  würde  sich  grämen. 
Wenn  du  sie  wolltest  nehmen, 

Pie  arme  Magd. 

Mein  Sohn,  ich  geb  dir  einen  Rat; 
Fahr  du  in  den  (irunewald, 

Pa  könnt  ihr  reden. 

Und  als  sie  in  den  Grunewald  kam, 


j Fing  er  zu  reden  an : 

^ Hier  musst  du  sterben. 

Sie  aber  bat;  Schatz,  mein  allerliebster 
Schenke  mir  mein  Leben.  [Schatz, 
Er  sprach:  Pas  darf  nicht  sein, 

Damit  die  Sehand  nicht  grösser  wiril, 
! So  musst  du  sterben. 

1 Er  fuhrt  sic  in  den  Grunewald 
Und  vergrub  sie  in  den  Sand. 

I .\uf  ihrem  Grabe  wuchsen  drei  Röslcin 
' Pie  taten  nicht  welken,  Irot, 

I ' 

' Und  als  der  Edelknab  kam 
[ Und  rührte  die  Hosen  an, 

' Taten  sic  welken. 

I)  du  arme  Magd, 

. Ich  hah  dich  geliebet  bis  zu  diesem  Tag, 
^ Meine  Mutter  war  schuld  daran, 

' Pass  ich  hab  den  Mord  getan. 


Wenn  in  dem  Liede  bei  Hoffmtinu- Richter  sich  die  weisse 
Lilie  rot  färbt  und  zu  bluten  beginnt,  als  der  Mörder  sich  ihr 
naht,  so  erblicken  wir  darin  gewi.ss  mit  Recht  eine  Erinnerung 
an  den  alten  Glauben,  die  Wunden  eines  Erschlagenen  begönnen 
zu  bluten,  wenn  sein  Mörder  zur  Bahre  trete.  Aber  auch  der 
Zug,  dass  die  Blumen  unter  der  Berührung  des  Mörders  welken, 
wie  er  uns  im  Eckersdorfer  Liede  entgegentritt,  i.st  alt.  Ähnlich 
heisst  es  im  Liede  von  dem  unschuldig  angeklagten  Raumensattel 
(Uhland,  Volk.slieder  1 127): 


Aiti  bläm  tet  er  abbrcchcn 
die  auf  der  haidon  stüiid, 
cs  sind  die  weissen  gilgen 
die  zwcihcnnächtcn  auf  gond : 


.ist  sacb  dass  ichs  hab  geton 
so  sol  dbl&m  verbrennen  schon, 
hab  ichs  aber  nit  geUin 
BO  sol  die  blum  bleiben  ston“. 


Raumensattel  stirbt  den  Feuertod;  aber  in  .seiner  au.sgestreckten 
Hand  die  Blumen  verbrennen  und  verwelken  nicht. 

Ziemlich  nüchtern  und  ohne  alte  imetische  Werte  schildert 
ein  anderes  Lied,  ebenfalls  aus  Eckersdorf,  eine  ganz  ähnliche 
Tat  wie  die  Verse  vom  ,Brautmürder“. 

Es  gingen  zwei  Liebchen  ganz  frisch  Sie  gingen  im  Walde  spazieren, 

und  froh.  I Per  .lüngling,-  der  ihr  untren  ward. 


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99 


Der  wollte  das  Mädchen  verführen, 
l'nd  als  sic  in  den  Wald  rcinkanien, 
Sprach  er  zu  seinem  l'’einsliebchcn; 
Damit  dich  nicht  soll  ein  andrer  haben. 
.So  musst  du  sterben. 

Da  zog  er  nun  sein  Messer  heraus 
l'nd  stach  Feinsliebchen  ins  Herze 
Sic  aber  rief:  O Jesn,  .Tesu  mein, 
Verschone  meine  Seele. 

Da  stach  er  sie  zum  zweitenmal, 

Sie  fiel  zu  Boden  nieder, 

Sic  aber  rief:  O .lesu,  .lesu  mein, 


Kriöse  meine  .Seele. 

l'nd  als  er  sie  zu  Boden  sah. 

Sprach  er  in  seinem  Herzen : 

O grosser  Gott,  was  fang  ich  an, 
Damit  ich  nicht  werde  als  Mörder  bc- 
Begrahen  muss  sic  werden.  fkannt, 
Dnd  er  verscharrte  sie  in  den  Sand 
l'nd  ging  nun  weiter  in  den  Wald. 

Da  k.am  er  zu  einem  Strom, 

O grosser  Gott,  ich  kann  nicht  leben. 
Hab  ich  gemordet  mein  Mägdelein, 

So  spring  ich  in  den  Strom  hinein. 


Man  vergleiche  damit  Xr.  38  bei  Hoffmann-Richter  und  Erk- 
Böhme  I 180  ft'. 

Anders  als  der  ^ Brautmörder“  liandelt  der  Knabe  im  Liede 
von  „der  Annen  und  der  Reichen“,  Hoftinann-Richter  17,  das  ich 
hier  in  einer  verkürzten  Form  (ans  Eckersdorf)  mitteile.  Wenn 
darin  der  Knabe  liinter  einer  Eiche  dem  Gespräche  der  beiden 
Mädchen  zuhört,  so  möchte  man  sclion  daraus  auf  jüngere  Zeit 
schlie.ssen.  Bei  Hoffmann-Richter,  in  des  Knaben  Wunderhorn 
(II  319),  bei  Erk-Bölime  I 247  ft’,  wird  der  alte  deutsche  Lieblings- 
baum, die  Linde,  genannt. 


Es  gingen  zwei  Mädchen  ganz  hübsch 
und  fein, 

Sic  gingen  in  Wald  spazieren. 
Tirallala,  lala 
Tirallala  und  hin  und  ha 
Sic  gingen  in  Wald  spazieren. 

Itie  eine,  die  war  frisch  und  froh, 

Die  andre  tat  nichts  als  w’cinen: 

Wir  beide,  wir  liebten  ein  Knäbelcin, 
.■\ch  war  er  doch  meiner  alleine 
Tirallala  usw. 


I Der  Knabe,  der  hinter  der  Eiche  stand. 
Der  hörte  der  itede  ein  Ende, 

' Potztausend,  potzplinder,  was  fang  ich 
non  an, 

Zu  welcher  soll  ich  mich  hinwenden? 
I Tirallala  usw, 

1 Wend  ich  mich  zu  der  Kelchen  hin. 

So  stehet  die  Arme  verlassen, 

Geld  und  Gut  vergehet  geschwind, 
Dann  hat  die  Lieh  ein  End. 

I Tirallala  usw. 


Wenn  wir  vorhin  die  Geschwisterliebe  als  die  treuste  und 
stärk.ste  im  Volksliede  gepriesen  sahen,  so  felilt  es  doch  auch 
nicht  an  Liedern,  die  des  Geliebten  Treue  noch  höher  stellen. 
Das  tut  z.  B.  ein  weitbekanntes  Lied,  auf  de.s.sen  verschiedene 
Brechungen  bei  Böckel,  Handbuch  S.  153'),  verwie.sen  wird;  ich 
teile  hier  eine  neue,  aus  Eckersdorf,  mit. 


')  .Siehe  auch  Erk-Böhme  I 271  ff.;  Hoffmann-Richter  Nr.  23.  — Böckel, 
Psychologie  der  Volksdichtung  S.  171. 


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100 


Schiffmann,  o Schiffmann,  du  (rtltigstcr 
Mann, 

Steuer  du  dein  Schiff  so  lange,  wie  du 
kannst, 

Ich  habe  einen  Vater,  der  liebet  mich 
l’nd  löset  mich  bald  aus; 

Vater,  versetze  du  dein  hohes  Haus 
Und  löse  mich  bald  ans. 

Mein  hohes  Haus  versetz  ich  nicht. 
Dein  junges  Heben  rett  ich  nicht. 
Schiff  mann,  lass  sie  sinken 
Die  schöne  Floria. 

SchiCfmann  usw. 

Ich  hab  eine  Mutter,  die  liebet  mich 
Und  löset  mich  bald  aus: 

Mutter,  versetze  du  dein  seidnes  Kleid 
Und  löse  mich  bald  aus. 

Mein  seidnes  Kleid  versetz  ich  nicht. 
Pein  junges  Leben  rett  ich  nicht. 


Schiffmann,  lass  sie  sinken 
I Die  schöne  Floria. 

Schiffniann  usw. 

Ich  hab  einen  Bruder,  der  liebet  mich 
Und  löset  mich  bald  aus. 

Bruder,  versetze  du  dein  Indies  Boss 
Und  löse  mich  bald  ans. 

Mein  hohes  Boss  versetz  ich  nicht. 
Dein  junges  Leben  rett  ich  nicht. 
Schiffmann,  lass  sic  sinken 
Die  schöne  Floria. 

Schift'raann  usw. 

Ich  habe  einen  ticliebten,  der  liebet 
Und  löset  mich  bald  aus.  [mich 
Einzig  tieliebter,  versetze  du  dein  gold- 
Und  löse  mich  bald  aus.  [nen  Bing 
Mein  goldnen  Bing  versetz  ich  ja, 
Dein  junges  Leben  rett  ich  ja. 
Scbiftniann.  lass  sie  ans  Ufer  fahren 
Die  schöne  Floria. 


Eine  Reilie  von  Fa.ssuiifren,  vitl.  l)L*.süiulfr.s  Erk -Böhme,  liis.st 
auch  hier  nur  Vater,  .Mnlter  und  Bruder  anifcrufen  werden,  ausser 
dem  (icliebten  natürlicli,  und  man  wird  aucli  hier  den  (ledanken 
aussprechen  dürfen,  ob  nicht  der  Anruf  der  Scliwester  spätere 
Zutat  sei.  Wenn  in  einer  anderen  schlesisclien  Fa.ssung  und  auch 
sonst  der  Geliebte  das  lilädchen  nicht  durch  einen  goldenen  Ring 
anslöst,  sondern  dadurch,  dass  er  sein  Schwert  verkauft,  so  ist  in 
diesem  Zuge  gewiss  Altes  mit  Treue  bewahrt;  darauf  macht  schon 
Böhme  aufmerksam,  I 272,  und  Böckel,  Handbuch  S.  22,  sagt  sehr 
hüb.sch:  „Schon  .scheint  ihr  Schicksal  besiegelt,  da  ruft  sie  ihren 
1/iebsten,  und  sie  tut  es  nicht  nm.sonst,  er,  auf  den  sie  am  wenig- 
sten geachtet  hatte,  gibt  .sclb.st  das  Heiligste  der  Germanen,  sein 
blankes  Schwert,  hin  und  löst  sie  aus  der  Sklaverei“. 

Auf  S.  I.,XXXV1II  tf.  ,seines  Buches  zeigt  .f.  Meier,  wie  Ähn- 
lichkeiten zweier  Lieder  in  Text  oder  Melodie  die  Herübernahme 


von  einzelnen  Zeilen  oder  Strophen  aus  einem  Liede  in  das  an- 
dere, ja  .sogar  die  Verschmelzung  sidcher  lAeder  herbeiführen.  So 
kann  denn  manchmal  ein  Lied  auch  aus  Versen  mehrerer  ver- 
schiedener verwandten  Inhalts  oder  ähnlicher  Stimmung  zu.sammen- 
gesetzt  sein,  s.  ,J,  .Meier  CIV.  Ein  Bei.sjjiel  für  einen  so  zusammen- 
gekoppelten Text  führe  ich  aus  Eckersdorf  hier  an.  Es  beginnt 
Dor  Himmel  ist  so  trübe,  I Der  .lUngling,  lien  ich  liebe. 

.Scheint  weder  .Mond  noch  .Stern.  i Der  ist  so  weit  entfernt 


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101 


Dieser  Vers  findet  sich  z.  I?.  — mit  einzelnen  Abweichungen 
— auch  im  Eingänge  eines  niederliessisclien  Liedes  (s.  Böckel, 
Handbuch  S.  191  i,  Die  Gleichheit  der  Melodie,  das  Denken  an 
den  geliebten  Jüngling,  der  weit  entfernt,  verschwunden  ist,  Hessen 
mit  einem  Verse  aus  Eichendorft's  Liede  vom  „zerbrochenen  Ring- 
lein“‘)  fortfahren: 

Er  bat  mir  Treu  gescliworcn.  Die  Treu  hat  er  gebrochen, 

(iah  mir  ein  King  ilabei,  Das  Kingicin  sprang  entzwei. 


Auch  die  folgenden  Verse,  besonders  der  Schluss,  hängen  so  lose 
aneinander,  dass  sie  wie  aus  anderen  Texten  übernommen  anmuten. 


Ach,  hätten  meine  Augen 
Dich.  Jtingiing,  nie  gesehn, 

So  kiinnt  ich  froh  und  heiter 
Anf  dieser  Erde  gehn. 

Du  denkst,  ich  bin  ein  Flander, 

()  nein,  das  glaube  nicht. 

Mein  Herz  schlägt  für  kein  andern 
Als  nur  allein  für  dich. 


Jetzt  hab  ich  ein  Dlätzcheii  gefunden. 
Ein  Plätzchen,  da  wächst  kein  Moos, 
Da  weint  ich  manche  Stunde. 

Die  Tränen  rollen  gen  Schoss. 

Nun  muss  ich  mein  Ende  bcschlicssen. 
Mein  Ende,  Schatz,  lebe  wohl. 

Ich  werd  es  im  Tode  bUssen, 

Du  aber  bekommst  deinen  Eohn. 


Mit  einem  Worte  sei  hier  noch  auf  die  Wendung  eingegangen; 
Du  denkst,  ich  bin  ein  Plander,  eine  Wendung,  die  öfter  begegnet, 
z.  B.  bei  Erk-Böhme  II  Nr.  973“:  Du,  du  gefällst  mir  nicht.  Du 
bist  aus  Flandern,  Sonst  hätt  ich  dich  geliebt  vor  allen  andern; 
ebd.  Nr.  701,  6,  3:  Denn  du  bist  von  Flandern,  Liebst  Einen  um 
den  Andern;  in  Erks  Nachlass  3 Nr.  18  (zitiert  bei  J.  Meier 
a.  a.  0.  CXXXIX):  Denn  die  Männer  sind  von  Flandern,  Sie  gehen 
von  einer  zu  der  andern.  Weitere  Beläge  findet  man  in  Uhlands 
Scliriften  4 S.  44.  Der  Ausdruck  bedeutet  so  viel  als  wankelmütig 
sein.  Philander  von  Sittewald  erzählt  im  3.  Gesichte  des  1.  Bandes 
(S.  142  der  Au.sgabe  von  1650):  „Wie  er  nun,  der  Alte,  vorter 
gienge,  sähe  ich  noch  in  diesem  Zimmer  etliche  Niderländische 
oder  Holländische  die  sich  nennten  auss  Flandern,  weil  sie  einen 
gaben  umb  den  andern“.  Mit  diesen  letzten  WTtrten  stimmt  eine 
Zeile  aus  einem  bei  Erk- Böhme  II  S.  294  abgedruckten  Liede: 
Die  Mägdlein  sind  von  Flandern,  überein;  dieses  Lied  ist  aus 
E.  Nie.  Ammerbachs  Orgel:  oder  Instrument  Tabulatur,  Leipzig 
1571,  entnommen.  Es  heisst  da: 

Mein  Fcinslicb  ist  von  Flandern  | Sie  gibt  ein  um  den  andern, 

Und  hat  ein  wankeln  Mut,  Das  tut  die  Dang  nit  gut. 


*)  J.  Meier  teilt  S.  l'Ilf.  drei  Lieder  mit  Ausstrahlungen  dieser  EichendorlT- 
sehen  Dichtung  mit. 


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102 


Was  hat  denn  wohl  den  Flandern  diesen  üblen  Ruf  ein- 
gebracht? Ich  vermute,  die  äusserliclie  Ähnlichkeit  mit  dem  Worte 
flatterhaft,  vielleicht  auch  der  Umstand,  dass  sich  auf  Flandern 
gar  so  leicht  „andern“  reimt.  Wie  gefährlich  solche  lautliche  Ver- 
wandtschaft einem  Worte  oft  werden  kann,  darüber  plaudert  sehr 
unterhaltend  K.  Nyrop  in  seinem  Leben  der  Wörter,  S.  195  ff.  der 
Vogt  sehen  Übersetzung. 

Alinlich  wie  im  Reime  ein  Wort  ein  anderes  nach  sich  zieht, 
so  zieht  im  Volksliede  eine  Vorstellung  eine  andere  verwandte 
nach  sich,  ihren  Ausdruck  gelegentlich  aus  anderen  Liedern  holend. 
Aus  Eisdorf  liegt  mir  das  Lied:  Ich  küsse  dich  off  in  Gedanken*) 
in  einer  Abschrift  vor.  Von  Kleinigkeiten  abge.sehen  stimmt  es 
mit  dem  bei  Hoft'mann  - Ricliter  abgedruckten  Liede  in  der  ersten 
Strophe  überein,  auch  in  der  dritten;  der  zweite  Vers  bei  lloff- 
mann  feldt  in  der  Eisdorfer  Fassung,  vom  vierten  Verse  hat  sie 
nur  die  beiden  ersten  Zeilen,  an  die  sich  unmittelbar  die  fünfte 
Strophe  anschliesst.  Die  Versicherung  der  Treue  aber,  die  da  am 
Ende  gegeben  wird,  schien  noch  einer  besonderen  Bekräftigung  zu 
bedürfen,  sie  wurde  mit  den  volkläufigen  Vorstellnngen  gegeben, 
deren  Form  freilich  mit  den  übrigen  Versen  gar  nicht  übereinstimmt: 
Wenn  das  Wasser  bergauf  rinnt  rml  Felsen  fallen  ein, 

So  lange  wie  noch  Feuer  brennt,  Sollst  du  meine  Geliebte  sein. 

Gewiss  ebensowenig  wie  das  veränderte  Ver.smass  ist  dem 
Volke  hier  die  Unstimmigkeit  des  Gedankens  zum  Bewusstsein 
gekommen.  Offenbar  haben  wir  hier  eine  sogenannte  Konta- 
mination. eine  Verschmelzung  zweier  Au-sdrücke,  deren  einer  lauten 
sollte:  Wenn  das  Wasser  bergauf  rinnt  und  Felsen  einfallen,  dann 
erst  sollst  du  nicht  mehr  meine  Geliebte  sein,  deren  anderer  heisst: 
So  lange  als  Feuer  brennt,  sollst  du  meine  Geliebte  sein. 

Wie  bei  einzelnen  Au.sdrücken  und  Sätzen  so  fragt  das  Volk 
oft  auch  bei  ganzen  Liedern  wenig  nach  Sinn  und  Gedanken,  die 
Freude  am  Gesänge,  an  der  Melodie  läs.st  solche  Fragen  häufig 
gar  nicht  aufttuichen,  daher  denn  das  Sinnlose,  Zerri.ssene  mancher 
Volkslieder,  das  man  früher  oft  als  .zum  Wesen  eines  echten  und 
gerechten  Volksliedes“  “)  gehörig  ansah.  Auch  dafür  zum  Schliisse 
ein  Beispiel,  wieder  aus  Eckersdorf : 

•)  Siehe  .T.  Meier  S.  70,  440. 

’)  I’hland.  in  seiner  Kinlcitnng  zur  .tbhanillung  über  die  deutschen  Volks- 
lieder. III  7, 


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' — -■  — 


103 


Es  ginif  «in  Jäger  üu  jagen,  ' Ich  finde  kein  Vergnügen  nicht, 

Dreiviertcl  Stund  ')  vor  Tagen  [ Es  sei  denn,  was  es  sei, 

Ein  Hirschlein  oder  ein  Keh.  i Juja,  es  sei  denn,  was  es  sei. 

Juja,  ein  Hirschlein  oder  ein  Keh.  Das  tat  den  Jäger  verdriessen, 

I'nd  als  er  kam  auf  die  Heide,  ' Er  wollte  das  Mädchen  erschiessen, 

Hegegnet  er  einem  Mädchen  im  sehnee-  Nur  nm  das  einzige  Wort  juja, 

weissen  Kleide,  Nur  um  das  einzige  Wort  juja. 

Die  war  so  wunderschön.  Er  tat  sich  noch  bedenken 

Juja,  die  war  so  wunderschiin.  Und  tat  ihr  das  Lehen  noch  schenken 

Er  tat  das  Mädchen  fragen,  | Kis  auf  ein  anderes  Mal, 

Ob  sie  nicht  wollte  mit  jagen.  j Jnja.  bis  auf  ein  anderes  Mal. 

Das  Jagen,  das  Jagen  versteh  ich  nicht,  ^ 

Sfliwerlieli  wird  man  einen  befriedigenden  Sinn  in  die.sem 
Liede  entdecken,  unklar  bleibt  auch  der  Text  in  des  Knaben 
Wunderliorn  (I  325).  Krst  wenn  man  die  vollständigen  Passungen 
kennt,  z.  B.  bei  Hoffmann-Rirhter  Nr.  176  und  177,  bei  Erk-Böhme 
III  3001'.,  wei.ss  man,  welches  Wort  den  Jäger  so  in  Harnisch 
bringt,  dass  er  das  Mädchen  erschiessen  will.  Böckel  (Handbuch 
S.  278)  sagt  sehr  richtig,  es  ist  ein  Lied  von  einem  Jäger,  der 
sein  Liebesglück  verschlief,  und  die  l'berschrift  bei  Erk- Böhme 
lautet  mit  Recht:  Der  ver.schlafcne  Jäger,  während  sie  bei  Hofl- 
mann- Richter  trotz  verständlichen  1’extes:  Der  ernsthafte  Jäger 
heisst;  wenn  des  Knaben  Wunderhorn  das  Lied  so  betitelt,  so  ist 
das  mit  der  Unklarheit  des  dort  gegebenen  Wortlautes  zu  ent- 
schuldigen; ich  glaube  übrigens,  dass  Goethe  in  seinem  Urteile 
über  dieses  Lied:  Ein  bischen  harsch,  aber  gut,  unter  dem  Ein- 
flüsse die.ser  im  letzten  Grunde  unberechtigten  (Mierschrift  ge- 
standen hat. 

Goethe  betrachtete  unsere  Volk.slieder  hauptsächlich  von 
ä.sthetischem  8tandi)nnkte  an.s,  und  so  anregend  es  ist,  den  Wand- 
lungen unserer  Volkslieder  nachzugehen,  ihre  ursprüngliche  Gestalt 
aufzusi)üren,  die  Gründe  für  ihre  Veränderungen  zu  erscliliessen, 
so  sei  darüber  nicht  vergessen,  welchen  Schatz  von  Schönem  wir 
in  ihnen  haben.  Auch  die  volkskundlichen  Vereinigungen  dürfen 
gerade  im  Volksliede,  überhaupt  in  der  Volksdichtung  nicht  bloss 
Gegenstände  für  gelehrte  Forschung  sehen,  .sie  müssen  mit  an  der 
Erhaltung  und  Pflege  des  Volksliedes  wirken.  Möge  die  zukünftige 
Sammlung  schlesischer  Volkslieder  beidem  gerecht  werden. 

•)  .\ucli  dieser  Ausdruck  gehört  zu  den  festen  Formeln  des  Volksliedes; 
die  Zahl,  hier  ohne  .Sinn,  offenbar  übernommen  von  den  drcivicrtel  Jahren,  von 
denen  das  Volkslied  so  oft  spricht. 


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104 


Volkslieder'). 

Von  Dr.  Paul  Drechsler. 

1.  lilebeflKliick. 

Einst  ging  ich  das  üässlc  hinauf,  »Ach,  Mutter,  was  wollen  Sic  hier? 

Da  traf  ich  mein  Liebchen  zu  Haus.  Ich  habe  ja  keinen  bei  mir“. 

,Ach,  Liebchen,  bist  du  allein,  ,,Hast  du  denn  auch  keinen  bei  dir. 

So  lass  mich  zum  Fenster  hinein!“  | So  öffne  mir  leise  die  Tür!““  — 

,,Ich  lass  dich  zum  Fenster  nicht  rein.  Und  als  nun  die  Türe  ging  auf, 

Es  könnte  mein  Unglück  sein““.  — — Da  sprang  er  zum  Fenster  hinaus. 

Und  als  es  um  Mitternacht  kam,  ,Adc  du,  mein  liebender  Schatz, 

Da  klopfte  die  Mutter  leis  an.  I Komm  wieder  die  künftige  Nacht!“ 

8.  Entehrt ’J. 

Es  wollt  a Mädlö  fri  ofstin  ock  fnrt,  du  Ungedeih!*) 

Und  wollte  BlimlSn  flickö  gin  Du  mest-wul  ä dr  wöhre  sein, 

Ei  Nijkwers  Oörtü.  Du  kemmst.  wenn  andre  schlöffi““. 

Sie  flickt-di!  Blimlfn  grfls  und  klein  Er  nemmt  das  fnrt  bei  seinem  Zaum 
Und  band  daraus  ein  Kränzelein  Und  band  cs  an  den  .\pfelbanm 

Und  legt  sich  druiider  schlafen.  Und  let  sich  dromlr  schlöfd.  — 

Sie  schlüf-a  Stindle  zwe-if  drei.  Er  schlief  ein  Stündlein  zweie  drei, 

Da  kemmt  der  .Schuster  ä herbei.  Da  kam  der  helle  Tag  herbei; 

Er  klopfet  on  ganz  leise,  Feinsliebchen  kam  gegangen. 

Er  klopfet  an  mit  seinem  King:  (»Wie  hast  du  denn  geschlafen?“) 

Mach  auf,mach  auf,  mein  schönstes  Kind.  »»Die  ganze  Nacht,  dass  (iott  erbarm’. 
Und  lass  mich  bei  dir  schlafen“.  Zu  allem  allem  (?)  Schusters  Arm, 

Sie  schlief  ein  Stündlein  zweie  drei,  '‘-1’  verschlöfö“.  — 

Da  kam  der  andre  auch  herbei,  ,Ei,  bättst  du  mich  ock  reigelfln. 

Er  klopfet  an  ganz  leise.  j Do  hättwer  sich  heit  trein  •)  gelön 

Er  klopfet  an  mit  seinem  Ring:  Mit  Paukö  pnd  Trompfta  — 

„Mach  auf,  mach  auf,  mein  schönstes  ' Der  Schuster  is  a Nischtegutts*), 

Kind,  A hot  ni  .Nflld  noch  Fingerhutt*), 

Und  lass  mich  bei  dir  schlafen!“  1 Ilöt  Hörnf  ond  Zaö  versoffö“. 

')  Die  Lieder  wurden  in  Kätscher  und  seiner  Umgegend  aus  dem  Munde 
des  Volkes  gesammelt.  In  der  Schreibung  der  mund.artlichen  Teile  folge  ich,  soweit 
es  notwendig  ist.  den  Vorschlägen,  die  Siebs  Mitteil.  XV'II  S.  54  ff.  gemacht  hat. 

’)  Nr.  2 zeigt  recht  anschaulich,  wie  die  Sängerin,  eine  alte  Frau,  sich 
bemüht,  .städtisch“,  d.  h.  wie  die  Leute  in  der  Stadt,  zu  sprechen,  aber  immer 
wieder  in  die  Mundart  zuiOckgleitet. 

*)  Ungedeih  m.,  ungeratener  Mensch;  vgl.  über  diese  Bildung  Mitteil. 
Heft  XVIII  S.  117. 

*)  trein  : träun  : trauen. 

*)  Nichtsgut,  beliebte  Schelte,  homo  nc<iu.am,  Mensch,  der  zu  und  in 
nichts  gut  ist.  — 

*)  War  der  .'^chuster  ursprünglich  ein  .windiger*  Schneider?  Er  hat  keine 
Nadel  noch  Fingcrhnt  und  doch  auch  Hammer  und  Zange  versoffen. 


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106 


3.  Abftchied. 


1.  Wenns  ränt')  und  schneit,  da  geht 

der  Wind, 

Muss  alles  leiden,  ja,  von  dir  scheiden. 
Mein  schönstes  Kind! 

Ja,  von  dir  scheiden,  das  ist  schwer. 
Im  Kosengarten  ’)  will  dein  ich  warten. 
Im  grftnen*)  Klee. 

Im  grönen  Klee  wart  meiner  nicht.  — 
Es  ist  kein  König,  cs  ist  kein  Kaiser, 
Er  fuhrt  kein’  Krieg.  — 

Wer  bat  sich  dieses  Lied  erdacht? 
Zwei  Banerjungen,  die  hön's  gesungen 
Zur  gutö  Nacht. 

Zur  gutß  Nacht,  zur  gutö  Stund. 

Ich  wünsch  dir  Liebe,  ich  wünsch 
dir  Segen, 

Frisch  und  (iesund. 

2.  ,Nun  ist  es  schon  die  letzte  Nacht, 
Dass  ich  zu  dir  bin  kommen. 

Der  Abschied  ist  schon  fertig  gemacht. 
Ich  hab  ihn  selbst  genommen. 

4.  Abochied 

Heut  scheint  der  Mond  so  schön. 

Ich  will  zum  Mädchen  gehn.  — 
„Mädchen,  was  machest  du? 

Schläfst  oder  wachest  du? 

„„Ich  schlafe  nicht,  ich  bin  sehr  krank. 
Ich  werde  nicht  mehr  machen  lang.  — 
Geh,  hol  mir  den  Doktor  geschwind. 
Dass  er  mir  Medizinc*)  bringt.  — 

Der  Doktor  ist  schon  da. 

Spricht  mir  das  Leben  ab.  — 

Geb,  hol  mir  den  Pater  geschwind. 


Drum  wünsch  ich  dir  jetzund 
Eine  fröhliche  Abendstund. 

Auf  dass  dirs  wohl  ergehe 
Zu  jeder  Morgenstund“, 

, „Gedenk,  gedenk,  Hcrzliebster  mein. 
Gedenk  an  jenen  Ort, 

Wo  ich  und  du  gesessen. 

Geredet  manches  Wort. 

Auf  dich  hab  ich  gar  viel  getraut. 
Auf  deine  Lieb  bab  ich  gebaut. 

Dich  kann  ich  nicht  vergessen. 

Bis  mich  der  Tod  geraubt“. 

Ein  Bäumlein  will  ich  pflanzen 
Ins  Rosengärtelein  *); 

Das  BäumIcin  soll  auch  wachsen 
Für  mich  und  dich  allein“. 

„„Das  Bäumlein  trägt  noch  keine  Ast’, 
’s  ist  nicht  der  rechte,  ders  gesetzt. 
Es  wird  vielleicht  ein  andrer  sein, 
Ders  wird  pflanzen  ein““. 

flir»  lieben. 

Dass  er  uns  zusammenbind’*). 

Wenn  wir  wem  beisammen  sein. 

Wird  es  mir  wohl  leichter  sein.  — 
Wenn  sie  mir  werden  läuten  aus’), 

Da  tragen  sie  mich  aus  Vaters  Haus-, 
Wenn  sie  mich  wem  setzen  hin. 
Schulcnkinder  singen  schön*); 

Wenn  sic  mich  wem  scharren  zu. 

Gibt  mir  Gott  die  ew'ge  Kuh 
Und  das  ew’ge  Licht  dazu“.  — 


*)  In  Kätscher  ränt  = regnet,  sonst  rent. 

’)  .Aue,  Wiese,  allgemein  Ort  der  Lust  und  Wonne;  vgl.  die  Zeit  waren 
J(hre)  F(ürstliche)  G(naden)  lustig  und  guter  Dinge  . . . vermeinten  nicht  anders, 
sie  wären  ganz  frei  im  Hosengarten.  Schweinichen  3,  73;  DWb.  VUl,  1197  f. 
•)  Ohne  Umlaut. 

*)  Hier  bezeichnet  Rosengarten  den  Begräbnisplatz,  den  Friedhof;  vgl. 
DWb.  a.  a.  0. 

*)  Vgl,  Mitteil,  Heft  XVII  S.  97. 

*)  znsammenbinden  ; kopulieren;  vgl.  Lied  Nr.  9. 

*)  Mit  diesem  Schlüsse  vergleiche  man  Lied  Nr.  5. 

*)  Schulkinder  singen  beim  Begräbnis:  Hess  also  den  Narren  mit  der 


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5.  Klaico. 


Oas  Tnrkeltäubl? ')  tut  asfl; 

Im  Winter  kriechts  ins  Hal)prstrnh, 

Im  Sommer  setr,t  sichs  auf n |?rilnen  Ast: 
l'nd  war’  ich  reich,  da  gült’  ich  was. 
So  hin  ich  arm  und  hah  kein  Geld. 

Da  bin  ich  veracht  von  der  ganzen  Welt. 
Und  wenn  ich  in  dem  Kretscham  bin, 
Da  stell'  ich  mich  in’n  Winkel  hin; 
Man  schenkt  mir  weder  liier  noch  Wein: 
So  steh’  ich  armes  Mägdelein. 

Jleinc  Mutter  kümmert  sich. 


AVo  ein  Urtlein  w'ird  sein  für  mich. 
Dort  am  grünen  Kirchhoflein. 

Dort  wird  ein  Örtlein  für  mich  sein.  — 
Wenn  sie  mir  werden  läuten  aus. 
Dann  steh'  ich  noch  in  KItern  Haus; 
l’nd  wenn  sie  mich  wem  setzen  hin. 
Wird  Vater  und  Mutter  weinen  stehn; 
l'nd  wenn  sie  mich  wem  lassen  rein. 
Dann  decket  mich  der  Leichenstein; 
Und  wenn  sic  mich  wem  scharren  zu. 
Ilann  geh'  mir  Gott  die  ew’ge  Kuh.  — 


6.  Die  cliicklirhe  Sionne’). 

Und  bin  ich  gleich  nicht  reich,  so  bin  ich  jedem  gleich. 
Ins  Kloster  will  ich  gehen,  eine  Nonne  will  ich  werden, 
Eine  Nonne  will  ich  sein.  — 


.Als  er  vors  Kloster  kam,  ganz  leise  klopft  er  an; 

Die  illtste  kam  gegangen:  .Was  ist  denn  sein  Verlangen?'*  — 
,„l>ie  jüngste  will  ich  raus**. 

,,Es  ist  die  letzte  Nonn’,  die  erst  ins  Kloster  kam*“.  — 

.Ihr’  Ilärlein  sind  verschnitten,  ihr'  Wänglcin  sind  verblichen. 
Den  Habit  trägt  sie  schon“.  — 

Sie  stand  wohl  an  der  Seit’,  hört  an  die  Eedlichkeit, 

Sie  Kess  den  Habit  fallen:  ,.Adje,  ihr  Schwestern  alle, 

.letzt  reis’  ich  mit  ihm  fort*.  — 


.Schule  begraben.  Schweinichen  2,  20.  — Nach  den  alten  Schulordnungen  musste 
die  halbe  oder  auch  die  ganze  Schule  an  einem  Begräbnis  teilnehmen,  je 
nachdem  cs  .bestellt“  war;  auch  in  Schlesien  (zu  Grimm  DWb.  IX,  lO.’I.a,  3) 
lebendiger  Brauch  Man  sagt  auch  hier  verhüllend  : mit  der  ganzen  (grossen) 
Schule  gehen,  cacatum  ire,  mit  der  halben  (kleinen),  mingere;  vgl.  schullen  (aus 
schurlcn),  mingere,  ganz  geläufig,  und: 

Und  ist  ein  Gast  aus  hoher  Not  mit  ganzer  Schule  gangen, 

Hat  aber  ganz  von  ungefähr  ein  KIceksgen  lassen  hangen. 

Breslauer  .'Schlendrian  (1731). 

')  Turteltaube.  — W echsel  von  t und  k zeigt  in  der  Mundart  auch 
Aptik  : Appetit  (Kätscher);  vgl.  noch  (nach)  Apetikc  schlcnga.  .Schönig, 
Glätzische  Gedichte  S.  (iO;  .S t an d al  : Skandal  Oderwald,  I’aperstunde  S.  4.3,  111 ; 
Mauke  : Maute.  Versteck  von  Obst  und  Geld;  Schnätc,  Schnßte  : Schnäkc, 
Schnöke,  lustige  Erzählung;  salte  : salke,  damals;  dort,  Schönig  S.  4.3 
bietet  Constankiropel  : Constantinopel,  Tschainpel  S 204:  Tibeck-Scharze, 
Tibet-Schürze  Gehört  nicht  hierher  trotz  DWb.  IX.  298  f.,  auch  Schlafittel, 
Schlawittcl  : .Sch laf Wickel . der  vor  dem  Schlafen  anfgewickelte  Zopf? 

•)  Vgl.  Hoffmann  von  Fallersleben  und  Richter,  Schics  Volkslieder, 
Leipzig  1842  S.  32.  l’eter.  Volk-stürnlicbcs  aus  Österr. -.Schlesien,  Troppau  1865 
.8.  183  fl.  Obiges  Lied  ist  demgegenüber  von  entzückender  Kürze  und  Frische. 


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7.  Liebettnorcen. 

Wenn  ich  heiraten  tu.  krieg  ich  uppelgränc  Schuh, 

Da  kauft  mir  mein  Bräutigam  Schnallchen  dazu,  — 
Ich  ging  in  die  Stadt,  ich  frag  einen  Kat. 

Oh  ich  mir  den  Ijftschel ')  heiraten  soll. 

Da  spricht  der  Kaplan:  Wenn  Ihr’n  wollt  hän. 

Da  lasst  euch  kupliern,  da  habt  Ihr  ’nen  Mann. 

I'nd  wenn  er  ock  bäl  käm,  und  dass  er  mich  nahm, 
l'nd  dass  ich  da’^  Leiten  aus  a *)  Augen  rauskäm!  — 
O HerrlC,  wie  froh!  Xu  ist  er  schon  dO.  — 

Keich  mirs  Patschhändelein*)  und  ’s  .lawort  dazu. 


H.  Kurze  Uebe. 


Mein  Schatz  reist  in  die  Fremde.  — Aha ! 
Was  wird  er  mir  mitbringen?  Aha! 
Kin  rosmarie  Kiechle*). 

Dazu  ein  seidnes  Tücble.  — Aha! 

Was  hat  er  an  seinem  Finger?  — 

Ein’  King  von  (iold  und  Silber.  — — 
Das  Kinglein  war  gebogen; 


Mein  Schatz  hat  mich  belogen. 

Das  Kinglein  war  zerbrochen; 

Mein  Schatz  hat  mir  versprochen. 

Das  Kinglein  war  von  Dimant*), 

Die  Liebe,  die  weiss  niemand.  — 

W ic  lange  währt  die  Liebe? 

Wie's  Wasser  in  dem  Siebe.  — Aha! 


9.  Die  Mterbende  Kelicbte  *). 


Es  reist  ein  Knab  ins  fremde  Land. 
Dcrweilt  wurd  ihm  sein  Schätzle  krank, 
So  krank,  so  krank  bis  in  den  Tod; 
Drei  Tag.  drei  N acht  sprach  sic  kein  Wort, 
l'nd  als  er  dies  erfahren  tut, 

Vcrliess  er  bald  sein  Hab  und  fint. 
Verliess  er  bald  sein  Hab  und  Gut 
Und  schaut  bald,  was  sein  SebätzK!  tut. 
Uud  als  er  an  die  Türe  kam. 

Kloppt  er  mit  seinen  fünf  Fingern  an. 
.Herein,  herein,  mein  stolzer  Knab'! 


Mit  mir  ist  Zeit  ins  küble  Grab*. 
..Ach  nein,  ach  nein,  das  kann  nicht  sein. 
Wir  müssen  noch  länger  beisammen 
sein“*. 

Er  nahm  sie  bald  in  seine  Arm, 

Sie  wurd  schneekalt  und  nimmer  warm. 
.Geschwiud,  geschwind  ein  Kerzenlicht! 
Mein  Schätzlü  stirbt,  dass  ’s  niemand 
sicht. 

Geschwind,  geschwind  ein  Priester  her, 
Der  mir  meinen  Schatz  mit  Gott  verseht ! •) 


')  Langer  Mensch,  bair.  Ladsebi. 

*)  den. 

*)  Patschband,  Verbindung  zweier  synonymer  Wörter,  denn  Patsche 
f.  bezeichnet  die  Hand,  z.  B.  gib  mir  die  Patsche! 

*)  Vgl.  Hoffmaun  und  Richter,  Schles.  Volkslieder  S.  32  Str.  1:  Von  Ros- 
marin ein  Kiechel. 

*)  Demant,  eine  vom  16.  .Tb  gebräuchliche  Form,  Diamant. 

*)  Von  obigem  Liede  bietet  Hoffmann  von  Fallersleben  a.  a.  0.  drei 
Lesarten  N’r.  239,  240  und  ‘241,  ein  Beweis,  wie  sehr  das  Lied  beliebt  war;  bei 
Peter  a,  a.  0.  steht  ein  vierter  Tezt  S.  197  f.  — Oft  habe  ich  dieses  Lied  in 
seiner  einfachen,  schönen  Melodie  singen  hören. 

*)  Dem  Reim  zuliebe  statt  verseh  : versehe,  die  Sterbesakramente  reiche. 


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108 


Bereitet  mir  ein  altes  Weib, 

Das  mir  mein  Scbätzle  schneeweiss  an- 
zeiht '). 

Ein  altes  Weib  ist  schon  bereit: 

In  Gold  lind  Silber  stund  sie  geklcidt. 
Bereitet  mir  sechs  Träger  her, 

lO.  Der  tote 

Es  reist  ein  Kuab  spazieren, 

Spazieren  bei  der  Nacht 

Bis  zu  der  Herzliebsteu  Fenster; 

,Ei  schlafest  oder  wachst?“ 

,,Und  wenn  ich  gleich  nicht  schliefe, 
So  lass’  ich  dich  nicht  rein. 

Ich  bin  schon  mit  einem  versprochen, 
Denscibigen  lass’  ich  nicht  sein““. 

„Und  bist  dn  mit  einem  versprochen, 
Denseibigen  lassest  du  nicht, 

Steh  nur  auf  nnd  komm  zum  Fenster, 
Vielleicht  erkennest  dn  mich“. 

Sie  Stand  und  kam  zum  Fenster 
Und  schwur  zum  hUchslen  Gott: 

„Du  riechst  mir  nach  der  Erde, 

Oder  bist  dn  selber  der  Tod?“ 

„„Wie  soll  ich  nicht  riechen  nach  Erde. 
Ich  lieg  ja  schon  lauge  darin: 


Die  mir  mein  Schätzlü  zur  Ruhe  trörn  ’). 
Gestern  hatt’  ich  noch  andre  Freud  •), 
Heut  muss  ich  tragen  das  Tranerkleid, 
Das  Tranerkleid  mit  schwarzem  Flor: 
Mein  Schätzld  steht  auf  der  Totenbör. 

Bräuticani 

I Heut’  sind  es  sechs  Wochen  und  sieben 

Jahr’, 

Dass  ich  gestorben  hin, 

Ruf  auf  deinen  Vater  und  Mutter, 

Ruf  auf  deine  alle  Hauslent’, 

Ruf  auf  deinen  Bruder  und  Schwester, 
Dein  Bräutigam  ist  bereit, 
j Und  wenn  sie  das  erste  Mai  läuten. 
Da  werde  dein  Kränzlein  geziert, 
j Mit  grünem  (!)  Seid  umwunden, 

! Mit  Rosmarin  geziert. 

Und  wenn  sie  das  zweite  Mal  läuten, 

! Dass  du  schon  fertig  bist.  — 

Und  wie  sie  das  dritte  Mal  läuten, 
Nahm  sie  ein  sel’gcs  End'. 

So  ritten  die  zwei  Verliebten 
Bis  vor  den  höchsten  Thron : 

Gott  selber  war.sen  *)  der  Priester, 

Der  sie  zusammenband  “). 


11.  WttnHche. 


1.  Wenn  ich  am  Lande  sollt  leben. 

Da  mörht  ich  ein  l’farrherr  gleich  sein. 
Und  dürfte  derHerrschaft  nichts  geben. 
Ich  könnte  ein  Herr  selber  sein; 
Vormittags  taufen  und  binden“). 
Nachmittags  ergreif  ich  die  Flinten 
Und  schiess'  mir  ’nen  Hasen  daher. 
Als  wenn  ich  der  Jäger  selbst  wär’. 


2.  Aber  eines  das  tät  mich  verdriessen, 
Und  dieses  das  geht  mir  nicht  ein: 
Wenn  ich  taufen,  kopliercn  tät  müssen 
Und  ich  müsste  ohne  Frau  sein. 
Wenn  ichsfn“)  ei’m  andern  sollt  geben 
Und  ich  müsst  ohne  Frau  leben: 
Dieses  das  geht  mir  nicht  ein; 

So  will  ich  lieber  kein  l’farrhcrr  nicht 
sein. 


')  anzieht.  *)  tragen, 

*)  Der  Schluss  ist  wie  so  oft  im  Volksliede  ganz  unvermittelt. 

*)  Man  vgl.  Hoffmann  von  Fallersleben,  Findlinge  1.  Bd.,  Leipzig  ISiVJ 
S.  90;  Peter  a a.  0.  S.  199f.;  Meinert  S.  3;  Erk,  Liederhort  Nr.  24;  Wilh. 
Wackernagel  Uber  Bürgers  Leonore  in  Altdeutschen  Blättern  von  Haupt  und 
Hoffmann  1.  Bd  S.  191. 

“)  Das  echtschlesische  sen  steht  (wie  das  französische  cn)  im  partitiven 
und  objektiven  Sinne  gern  im  Volksliede;  man  vgl.  einstweilen  Weinhold, 
Dialektf.  S.  137  f. 

•)  binden  i.  S.  v ehlicb  verbinden,  kopulieren,  vgl.  Nr,  2. 


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3.  Es  wärsPn')  halt  nie  am  besten.  | 
Als  wenn  ich  ein  Wirtshaus  bestellt’;  | 
So  setzt’  ich  niieh  zune  den  tiästen 
l'nd  batte  immer  viel  Geld.  ' 

I>a  lebt’  ich  in  Wollust  und  Freuden, 
Da  schafft’  ich  mir  doppelte  Kreiden 
l'nd  schrieb’  einmal  zwei  Strich; 

Das  wärsen  *)  ein  Handel  für  mich,  ( 


Ei  Bruder,  Viktoria  lass  krachen ! *) 
Wer  weiss,  w'as  aus  mir  noch  wird. 
Ich  tusen  ’)  noch  immer  zu  lachen. 
Ob  nicht  noch  ein  Herr  aus  mir  wird, 
fta  schaff’  ich  mir  eine  I’erocken  ’) 
l’nd  um  und  um  slolzende  Docken. 
Dazu  ein  englisches  Pferd 
l'nd  oben*)  ein  silbernes  .Schwert.  — 


IS. 

’ s wollt  a Tauer  em  Holze  förn, 
Fufz’n  .Schnitlen  wollt-a  l6n‘); 
Fufz’n  SchaitlPn  sain-n6  viel. 

Lieben  is  ka  Kenderspiel. 
ttiid  ols  der  Tauer  ahäme  köm. 
Wollt -a  wos  zu-frassf  hfm; 

.Liese,  koch  m’r  an  Hirzehrai, 
Schlfi-m'r  a holw*)  Schfik  .\jer  nai!“ 
Ond  ols  der  Tauer  sass  ond  frflss. 
Ilaschelt  ei  der  Kommer  wos 


Licsle  sört,  es  wiir  der  Went, 

Dar -sich  ai-d’r  Kommer  fent. 
l)nd  ols  der  Tauer  ai-de  Kommer  genk, 
Der  Tfoffe  vfi-d’r  Liesel  spreukt. 
,Foff,  scher  dich  ans  meinem  Haus. 
.Sust  schmaiss  ich  dich  iirschlich  raus!“ 
...Aus  deinem  Hause  geh  ich  nicht. 
Die  Liesel  kann  die  liaicht  noch  nicht““. 
,Ond  koiin-de  Liesel  df-Baicht  noch  nicht, 
Komm  bai  Tag  und  nicht  bai  Licht!“ 


liieben  l«t  kein  Kindcmplel. 

I 


13.  Ich  komme  nicht  daEii. 

L'nd  wenn  halt  der  Mensch  amöl  ös  zym  Ongleck  bestimimt, 
Ond  wenn  dos  Malör  ä noch  nemmt-ne  kü  End  — 

Schon  längst  wollt’  ich  ai-dö  Frend*)  gihn, 

Df  Mutter  söt:  Mei  Sflon  — 

Ond  wie  ich  wollt  ai-de  Frend  gIhn, 

Dü  körn- ich -nech  derzftn.  — 

Dos  Mcllermädle  vum  Landrüt,  die  hott  schun  gesert, 

Mai  Waib  mechts’  gärn  wern. 

Ihr'  Mutter  wel  öwer  an  raichö  SchwPgcrsfloii  hiVn  — 
lind  wail  ich  halt  kü  Geld  hü, 

Dü  komm- ich -nech  derzun. 

Die  Nockwern,  äne  Wetfrä*),  ihr  .Mfton  wör-a  .Schmed, 

Die  höt  a schinc  Wcrkstell  “),  vfl  Geld  iind  Kredit, 


')  S.  .S.  108  Anm.  5. 

’)  Von  Freudenschttssen. 

•)  Terocke  ; TerUcke;  man  vergleiche  in  der  Mundart  gedrückt:  ge 
druckt,  vröckt  ; v(er)rUckt. 

*)  oben  : obendrein,  noch  dazu. 

*)  laden.  *)  halb. 

’)  Fremde;  Wechsel  von  n und  m, 

•)  AVitfran  ; Witwe. 

•)  Werk  stelle  f.  Werkstätte. 


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110 


1.  Sie: 
Er; 


Sie: 

Er: 


2.  Sic: 


Er: 


Sie: 
Er: 
3.  Sic: 


Er: 

Sie; 
Er; 
4.  Sie: 


Sic  mänt.  se  meclit  mich  gärn  hörn,  ich  wär  ihr  schon  gntt, 
Omi  wail  ich  öwej-  doch  kä  Schm;^d  bin, 

Dö  komm- ich -ncch  derzün. 

Ond  wenn  dos  Malör  S-nö  bäl  pfhtrn  tatt, 

1)0  nahm- ich -a  Flinte  ond  schisse  mich  tOt, 

Ich  schisse  mich  tflt  ond  dos  glSwet-mer  w(il, 

Ond  wail  ich  öwcf  kä  Flint  hö, 

DO  kyinm- ich -noch  derztin. 


14.  Wirttthau«HKene. ') 


Sauf,  du  alter  Gassenschlingcl, 
Sauf,  bis  du  erstickst  daran! 
(irüss  dich  üott,  mein  schönster 
Engel ! 

Lass  mich  saufen,  weil  ich  kann. 
Bist  ja  wieder  sterbensvoll. 
Prost,  mein  Schatz!  Es  schmeckt 
mir  wohl. 

Zn  Hans  hast  du  zwei  kleine 
Kinder, 

Eins  ist  blind,  das  andre  krumm, 
s'  ist  lieber  mir  ein  Stall  voll 
Rinder 

Wie  zu  Haus  ein  blinder  Jnn. 
Alle  Tag  Schrein  sie  um  Brot. 
Nimm  die  Kenlnndschlagsie  tot! 
Die  Schuldleut’)  kommen  her- 
geloffen, 

Sie  laufen  mir  das  Hans  noch  um. 
Weib,  so  sag.  ich  bin  besoffen, 
Dass  ich  keinlicld  zählen  kann. 
Ist  denn  das  der  Leut'  ihr  Dank? 
Weib,  so  sag,  ich  bin  halt  krank, 
l'nd  wenn  du  einst  im  Kausch 
wirst  sterben, 
Da  stirbst  wie  eine  versoffne 
Sau!  — 


, Er:  Weib,  dann  sollst  du  alles  erben: 
j Du  bist  und  bleibst  mein  liebe 

I Frau. 

I Sie:  Was  wird  ockvicl  verbleiben  mir? 
I Er:  Meine  alten  Hosen  gehören  dir. 

5.  Sie:  Deine  alten,  zerrissenen  Hosen, 

Die  kein  Mensch  mehr  flicken 
I kann?! 

I Er:  Weib,  du  sollst  dich  glücklich 
' schätzen, 

Die  sind  von  ei'm  praven  Mann. 
Sie:  Voneincmpravenals wieder?! — 
Er:  l'nd  keinen  pravern  kriegst  nie- 
mehr. — 

6.  Sic:  l’nd  wenn  dueinstsollst  sterben. 

Wo  willst  du  denn  begraben  sein? 
Er:  Begrab  mich,  wenn  ich  sterbe, 
i Dorten  tief  in  Keller  ’rein. 

Sie:  Warum  so  tief  in  Keller  ’rein*). 
Wo  nicht  Sonn'  noch  Mond  rein- 
scheint ? 

Er:  Dass  ich  mich  kann  zur  Piepe*) 

I legen 

j Und  lass  mir  Bier  und  Brannt- 

wein ein. 

Sie;  Verleih  dir  Gott  die  cw’ge  Ruh!  — 
Er:  l'nd  ein  gut  Quart  Schnaps  der- 
I zu ! — 


')  Man  vergleiche  Hoffmann  und  Richter,  Schlesische  Volkslieder 
Leipzig  1842  S.  229:  Häusliche  Szene. 

’)  Die  Gläubiger,  wie  auch  sonst  im  Schlesischen. 

•)  Der  .Schluss  ist  verderbt. 

*)  Zapfen  am  Fasse,  im  Schlesischen  geläufig;  ,der  möcht’  am  liebsten  den 
ganzen  Tag  an  der  Piepe  liegen“  von  einem  Trinker. 


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111 


15.  Srherxrelme. 


1,  Es  gehen  zwaif  wandern,  spricht 
Pctms, 

Von  einer  Stadt  zur  andern,  spricht 
ranltis. 

Do  kommcns«'  zu  am  Wirtshaus,  spricht 
Petrus 

(ich,  hüll  a KannU^  Bier  raus!  spricht 
Paulus. 

War wirds  denn  öwep  bezöhlP ? spricht 
Petrus. 

Ich  hO-jf  nfich-en  Töler,  — — 
i)ü  wird’s  Qns  öwcf  heuern!  — — 
D6  steht  a Bämvid  BirnP,  — — 

War  wirds'  i>ns  öwer  scheiteln 'i> 

Do  haun  wer  nai  met  Knette|n! 

1)6  warn-sf  yns  öwer  krige.  — — 

Dö  warn-wer  s?  recht  beligö, 

1)6  kenimst-je  nech  an  Himmel! 

1)6  rait  ich  nei  am  Schimmel! 

D6  kemmst-jö  ai-dö  Helle! 

Dort  sain  recht  schlne  (.iesellf. 

Die  warn  dich  öwer  krotzö,  spricht 
Petrus. 

DO  hau  ich  sö  Of-df.  Protiö  '),  spricht 
Paulus. 

2,  's  setzt  a Mädle  om  MernebOtlS’) 
i)nd  nf't  ynd  nOt, 


1)6  kommt  a llänlö  emd's  kraicht'r  ais 
Ond  krOt  Qiid  kret  [örzlf 

,Mai  Uwes  Hftniö,  geh  ock  raus. 

I Mai  Örsch  6s-nf  dai  Hinerhaus!“ 

! 3.  Hans  hackt  hende^m  llirlehaisle  Holz, 
Holz  hackt  Hans  henderm  Hirtehaisle. 
,Huns,  Hans,  kuck  6f-a  Owe! 

’s  stiht  a TOpv'l*)  Buchtf*)  dOwe“*), 
Hans  dar  h6t  sich  wull  zerlacht, 
ÄrhOt-sichOver-di'’  Buchte  gemacht*). 

4.  Ich  sez-of-der  Schwell 

Ond  betracht-mer-de  Pempedell’), 

DO  k(jmm6  zwo  Offf, 

De-woll’es  begofff; 

; Df-spreche:  ,MitdIc,  wos  helst-dcrs  so 
„.Ich  muss  mers  fest  hälde,  [fest?“ 
Sonst  wär  niersch  zerspäldS**.  — 

5.  .Halt  hftn-w’r  Ppttrtäg, 

PottrtirOle! 

Ich  hO-m'r  s SchatzlS  käft, 

De  hOn-m’rs  gcstolde!“  — 

I „„Du  best-a  rechter  Norr  gewäst, 

I Doss  der's  host  lOu  stäldö; 

Hestders  6n-d?  Eärscht')  geknoppt*), 

! DO  hiist-d’s  dcrhäldO!““ 


16.  Die  Urottkaaer  Venper. 

tirultke  is-’nf  sebine  Stödt.  Strftdcrl-  Dö  hön-s6  jiukst  'nP  Vasper  gehöt, 
derillala  — , StOderiderä! 


')  Pratze,  Bratze  t.  Tatze,  geläufig  auch  von  der  Menschenhand:  se 
gibt  merseh  Protzla:  Händchen  (Neisse),  meist  jedoch  von  einer  grossen  Hund. 

*)  Mölircnbeet;  vgl,  zu  Xeisae  ei  der  Mährnegasse! 

*)  Topfvoll. 

*)  Uebäck  (Kätscher,  (irafschaft). 

*)  oben  d i.  auf  dem  Ofen. 

•)  Er  hat  sich,  statt  auf  die  Buchten  achtzugehen,  d.amit  sic  nicht  an- 
brennen, über  sic  gemacht,  d.  li  er  hat  sie  verschmaust. 

’)  Zu  Pumpe  f.,  PUmpcl  n.  1)  Dntcrrock,  2)  vulva  (wie  hier)  3)  Erauen- 
zimmer;  ’s  Mänsch,  de  dicke  Pumpe.  Bertermann  S.  203. 

•)  Ferse. 

•)  geknüpft,  vgl,  Lied  Xr,  10 1). 


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112 


üngersch.  spanisch  hön-s?  gosupa,  Strh- 
(leri-derallala 

Mit  Lichtlan  saiu-sS  rimgospruna.  Strfi- 
deriderü 

Om  Küre,  dA  sti.md  a grüsser  Schrank, 

DA  hina-de  Dfuil'Ia  kurz  und  lang. 

Ond  wcnnma  dossma  uf-a  Kletza  grlf, 

DO  jcdesmOl  a Faifla  fif. 

Und  ener  dr  hOt-ai  a Hiplz  naigchissa, 

DA  hAt  dos  Dink  juchbai  gekrissa. 

Dar  enc,  dar  wult-cne  Schachtel  zcr- 
schnaida, 

DA  wiDkt’m  der  andre,  a sulls  lAii  blaiba. 

DA  hOn-se  euch  Ach  zwe  Zuber  gehüt. 


DA  hOn-sA  euch  druffe  rimgcschlön. 
Dän  en,dän  konn  ich  schunt  nich  vergassa 
Dür  wullt'nen  messingna  Dorm  uff rassa. 
DA  st<>nd  euch  a Dink  uf  enem  Dain 
DAS  mucht’ni  Taifl  seine  Grussniuttcr 
sain, 

lind  wennma  dossma  Ihr  a Bauch  weg- 
strich, 

DA  grunzte  dos  Dink  gOr  ferchterlich. 

Dfr-Franzcmit-amSteolaköm,  Sirudert- 
A hot’-a  ianes  Scckia  drön,  — [deralla. 
Dös  hAt-a  jedem  vorgerückt  — 

Ond  moncbf  hAt  wos  naigestackt. 

Stmderi-derä. 


De  Uruttkcr  Vaspcr  ist,  wie  das  Spottlied  auf  Xcurode  und  das  ober- 
schlesische  jXationallied*  (man  vgl.  Drechsler,  Sitte,  Brauch  und  Volksglaube 
Bd.  II  S,  34  f.),  in  ganz  Schlesien  bekannt  und  w ird  gern  gesungen;  spielt  doch 
darin  ein  ,tunimer  Bauer“  eine  Bolle  zum  ,scheckiglachen!“  Dieser  Vorwurf 
ist  alt.  Bei  Wenzel  .Scherffer  findet  sich  (icdichte  (1K.Ö2)  ,S.  579  if.  ein  wahr- 
haftes Bauerngcspräch  nach  mitteimässig-sclilesischer  Baner- 
mundart,  worin  zwei  Bauern  ihrem  Nachbar  mitteilen , was  sic  in  der  Stadt 
bei  einem  Hochamt  of  dam  singe-kur  am  jemtge  (an  jenem  Tage:  neuiieh) 
u,  n.  beobachtet  haben. 

Ihr  socht  jo.  Nachher  Durtz.  wie  dort  am  Winkel  stand 
a heutfla  '),  das  jcszmol  die  Fidaln  ei  dar  Hand 
ond  gaalc  Dinger’)  hatt’,  ond  wenns  no  rächt  angienge 
ond  dass  dar  hauffa  gar  ond  of  a mol  anfienge, 
do  klangs  jo  dass’  gar  wuscht’;  ei  Karies  war  geübt 
ofs  Maul,  a schottelts  raus,  as  wie  das  Mahl  raus  giebt 
dar  Beutel  ci  dar  Mühl  — — 

Do  giengs  arst  weidlich  an  mit  singa,  fidaln,  pfeliTa. 

ond  mit  dam  Klinkerwark  ond  wondcriicham  greiffa 

de  qwar  ond  hin  und  her;  do  wakkelte  ze  hand 

das  Zinarnc  Gefiiss  •),  das  huch  huch  a der  Wand 

hüsch  angelahnet  stund,  ond  das  klang  aba  süsse, 

das  macht’  an  eintzig  Maan.  dem  zappelt  händ’  ond  füsse“), 

bis  dass  a nimmc  könnt’’). 

Scherffer  erklärt  selbst:  '), Hier  werden  die  Instrumentisten  verstanden.  — 
’)  das  ist  Posaunen,  weiche  gelb.  — •)  Durch  das  Zinerne  Gefäss  werden  die 
Orgelpfeifen,  so  ordentlich  nebeneinander  stehen,  gemeint.  — *)  Das  war  der 
Organist,  der  mit  Händ  und  Füssen  die  Orgel  spielte.  — *)  das  ist,  soiang  er 
Wind  in  die  Pfeiffen  bekäme.  Denn  nachdem  die  Balken  nicht  mehr  getreten 
werden,  könnt  er  freilich  nicht  mehr  können.  Mag  also  wohl  ein  Orgeltreter 
Lateinisch  heissen:  Sine  me  nihil  potestis  facerc:  ohn  mich  könnt  ihr  nichts  tun“. 


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113 


17.  Panln«  sl«  Eln«ledler. ') 

,0  trauriger  I’aatns,  wie  gehts  dir  denn  noch. 

Dass  dn  tost  fuhren  die  Scnfzer  aso  hoch?“ 

,,Dio  Welt  die  tnt  es  machen,  dass  mir  vergeht  das  Lachen, 
Drum  Word’  ich  mich  bald  wieder  in  grünen  Wald  rausmachen“*. 

,Was  wirst  dn  denn  machen  im  grünenden  Wald. 

Wenn  es  wird  werden  im  Winter  aso  kalt? 

Und  wenn  es  wird  schneien  ’nen  rechten  grossen  Schnee, 

Dann  wird  dirs,  armer  Paulus,  dein  HOtteiein  rerwehn*. 

,,Mein  HUttlein  verwehn  — das  steht  auf  festem  Grund. 

Gott  aber  zu  lieben  das  ist  mein  Beguud'), 

Und  werde  Gott  will  lieben,  der  folge  mir  nach. 

Der  muss  auch  verlassen  den  weltlichen  Pracht"  *). 

,0  Paulus,  erfreut  dich  die  scliOne  Sommerzeit? 

Einen  gar  strengen  Gürtel  hast  du  um  deinen  Leib.“ 


,,Icli  freue  mich  der  Sommerzeit  sehr. 

Da  grab'  ich  mir  allerlei  WUrzelein  her. 

Und  tn’  mir  sie  alle  in  der  Sonne  abdSrrn, 

Da  hab'  ich  fUr  den  Winter  noch  immer  was  zu  zehrn". 

,0  Paulus,  wo  hastsen  dein  Federbett, 

Wo  dn  dich  des  Abends  drauf  schlafen  legst?“ 

,,Anf  grnnem  Basen,  auf  hartem  Fels  und  Stein, 

Da  schlaf  ich  armer  Paulus  die  ganze  Nacht  allein". 

,0  Paulus,  jetzt  muss  ich  von  dir  nun  weitergehn. 

Muss  dich  nnn  allhier  lassen  ganz  alleine  stehn. 

So  bleib  in  Gottes  Namen,  behilf  dich  der  iiebe  Gott, 

Er  wird  dich  schon  stärken  mit  himmlischem  Brot“. 


')  Han  vgl.  Peter  a.  a.  0.  S.  355  f.  — Das  nämliche  Lied  wurde  mir  im 
Jahre  1908  ans  Neustadt  ÜS.  mitgeteilt. 

')  Be g und  : Beginnen.  Auch  bOrte  ich  singen:  Gott  aber  zu  lieben  das 
ist  eine  Knnst. 

')  Pracht  wird  auch  von  den  schlesischen  Dichtern  männlich  gebraucht, 
so  von  Opitz,  Hoffmaunswaldau,  Senftleben  (1732)  u.  a. 


MltieUmiueii  d.  schles.  Uea.  f.  Vkde.  lieft  XX. 


8 


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114 


Einiges  über  Handwerksgebräiiehe. 

Von  Professor  Paul  Dittricb. 


Die  Handsverker  betrachteten  sich  früher  als  einen  besonderen 
Stand,  der  in  verschiedene  Innungfen  oder  Zünfte  zerfiel,  und  be- 
obachteten im  Verkehr  untereinander  gewisse  Formen  und  Ge- 
bräuche (Comment)  bei  der  Aufnahme  in  die  Zunft,  beim  Eintritt 
in  die  verschiedenen  Stufen  der  Zunftgenossen  (Lehrlinge,  Ge- 
sellen, Meister),  die  streng  vorgeschrieben  waren  und  deren  genaue 
Kenntnis  von  dem  Einzelnen  gefordert  wurde.  Gewöhnlich  bil- 
deten die  ortsansä-ssigen  Meister  eines  bestimmten  Faches  eine 
be.sondere  Zunft,  so  die  Schmiede,  Tischler,  Töpfer,  Weber  (diese 
bilden  in  Neustadt  2)  usw.,  es  vereinigten  sich  aber  auch  An- 
gehörige verschiedener  Berufe  zu  einer  solchen,  so  Weber  und 
Tuchmacher;  Schmiede,  Schlos.ser  und  l^empner;  Schornsteinfeger, 
Maurer,  Zimmerleute,  Steinmetzen  und  Schieferdecker  u.  a. , oder 
es  schlos.sen  sich  die  Meister  der  Dörfer  an  ihre  entsprechende 
Zunft  in  der  Nachbarstadt  an*).  Die  Innung  (das  Mittel)  stund 
unter  einem  Obermeister  und  hielt  unter  dessen  Vorsitze  (jährlich 
vier-  oder  zweimal)  früher  Weihnachten  und  Johanni,  jetzt  April 
und  Oktober*),  Zusammenkünfte  oder  Quartale  auf  der  Herberge 
ab.  (Die  Neustädter  Weber  haben  hierfür  ein  eigenes  Haus,  die 
Weberrudel.)  Feste  wurden  mit  feierlichem  Gottesdienst  (Zunft- 
messe oder  Amt),  W(d)ei  die  Mitglieder  zu  Opfer  gingen,  in  der 
Kirche  an  einem  bestimmten  Altäre  (womöglich  des  Standes]iatrons) 
eröffnet;  in  Breslau  hatten  die  Zünfte  einzelne  Kapellen,  ja  eine 
ganze  Kirche  inne.  Zu  dem.selben  versammelten  sich  die  Meister 


')  Dio  LcubschUtzer  Sclionisteinfeger  bilden  seit  1862  zusatmnen  mit  denen 
anderer  .Städte  eine  Innung  für  den  Regierungsbezirk  Oppeln,  deren  Sitz 
Ratibor  »t. 

')  Die  Sehornsteinfeger  halten  nur  einmal  Quartal  zu  .lobanni , wobei  die 
belirliiige  von  der  Innung  frcigelialtou  werden.  Sonst  gibt  es  nur  Freibier  für 
die  Meister.  Diese  erhielten  auch  ein  Paar  KnackwUr.stel  (z.  B.  Schmiede  in 
Leobschlitz),  ein  KlimmelliOrncben  und  eine  Semmel  (Weber  in  Neustadt).  Die  12 
ältesten  Meister  bekamen  hier  zwei  Hiimchen  und  zwei  .Semmeln.  Die  Schorn- 
steinfeger eröffnen  sie  mit  einem  Trünke  Wein,  der  aus  einer  Kanne  oder  einem 
Pokal  verabreicht  winl.  Beim  Zutrinken  sagen  sie;  Mit  Onnst. 


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115 


(Naumburg  am  Queis)  bei  dem  Obermeister  und  zogen  gesclilossen,  die 
Familienangehörigen  und  Gesellen  einzeln  (Leobschütz,  Neustadt) 
in  die  Kirche,  hatten  in  derselben  wohl  auch  ihre  Innungsfahnen  *), 
die  bei  feierlichen  Gelegenheiten,  Fronleichnamsprozessionen,  Be- 
gräbnissen usw.  Verwendung  fanden,  hielten  auch  zu  gewissen 
Zeiten  z.  B.  vierzigstündigem  Gebete  ihre  Betstunden.  Sie  feierten 
wohl  auch  bestimmte  Feste:  Töpferfest  im  Sommer,  Ball  usw., 
Lichtschmirkränzel  im  Herbst. 

Auf  der  Herberge  wurden  alsdann  die  Angelegenheiten  des 
Standes  besprochen,  erfolgte  die  Aufnahme  von  Lehrlingen,  deren 
Freis])ruch,  sowie  schliesslich  die  Ernennung  zum  Meister  und  die 
Wahl  des  Vorstandes,  der  aus  Obermeister,  Schrift-  und  Kassen- 
führer bestand  und  dem  Magistrat  bzw.  der  Regierung  mitgeteilt 
werden  musste. 

Den  \T>rsitz  hatte  der  Obermeister,  der  bei  der  Aufnahme 
von  Lehrlingen  allein  das  Wort  führte.  Er  fragte  den  Aufzu- 
nehmetiden,  ob  er  Lust  zum  Handwerk  und  ob  er  sich  die  Sache 
auch  gut  vorgestellt  habe,  und  machte  ihn  sodann  mit  seinen 
Pflichten  bekannt;  der  Lehrling  mu.sste  in  erster  Linie  seinem 
Meister  gehorchen,  auch  andere  Handgriffe  in  und  ausser  dem 
Hause  übernehmen,  jeden  Mei.ster  grüssen,  auf  seines  Meisters 
Sachen  achten  und  aufmerksam  .sein  (er  sollte  alles  mit  den  Augen 
absehen),  beim  Fache  aushalten  und  sich  frei  lernen.  Die  Lehr- 
zeit dauerte  gewöhnlich  drei  Jahre,  wenn  Lehrgeld  gezahlt  wurde, 
sonst  vier  Jahre,  bei  Meisterssöhnen  konnte  sie  auch  kürzer  sein, 
wurde  auch  bei  anderen  um  ein  halbes  Jahr  gekürzt,  wenn  die 

')  Die  LeobsubUtzer  Innuogsfabnen  tragen  folgende  Bilder:  die  der  Fleischer 
den  hl.  Lnkas  und  Bartolomäus,  der  Schuhmacher  den  hl.  Krispin,  der  Schmiede 
den  hl.  Eligius  nnd  Petrus,  der  Maurer  den  hl.  Andreas,  der  Eimmerlente  die 
Arche  Noah  und  die  bl.  Familie,  der  Tischler  den  hl.  Josef,  der  Stellmacher  die 
hl.  Katharina  nnd  den  hl.  Josef,  der  Kürschner  die  Vertreibung  von  Adam  und 
Eva  aus  dem  Paradiese  und  die  KrOnnng  Mariä,  der  Weber  den  hl.  Florian  und 
Mariä  Krönung,  der  Bäcker  die  bl.  Katharina  und  den  hl.  Josef,  der  Schneider 
den  hl.  Homobouus. 

Die  Nenstädter:  die  der  Schneider  die  unbefleckte  Matter  Gottes  und  einen 
nackten  JUiigling,  der  von  einem  Bischöfe  bekleidet  wird  (ob  Martin?),  der 
Bäcker  die  bl.  Elisabeth  und  Gottesmutter  mit  dem  Jesuskinde,  die  der  Schmiede 
und  Schlosser  einen  Bischof  mit  gefesseltem  Teufel  und  eine  Schmiede  mit 
darüber  schwebender  hl.  Dreifaltigkeit,  der  Schuster  Krispin  und  Krispinian,  der 
Weber  die  Immaculata  und  einen  Bischof. 

8* 


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116 


Jjeistungfen  put  waren.  Die  Töpfer  in  Nauraburp  und  Ullersdorf 
kannten  ein  Lelirpeld  und  eine  Begünstipnnp  von  Meistci-ssölinen 
nicht,  dort  erhielt  der  vier  Jahre  Lernende  vom  Meister  die 
Kleidung  geliefert,  was  bei  dreijähriger  Lehrzeit  wegfiel.  Der 
Lehrling  musste  auch  .seine  Betten  mitbringen  (Leobschütz),  die 
nach  Ablauf  der  Lehrzeit  wohl  auch  in  den  Besitz  des  Meisters 
übergingen,  wenn  man  es  nicht  vorzog,  dafür  eine  Entschädigung 
zu  zahlen.  Kost  und  Waschung  der  Wäsche  hatte  der  Meister  zu 
besorgen.  Die  Aufnahmegebühr  betrug  3 .Mark,  bei  den  Töpfern 
6 Mark,  bei  den  Schornsteinfegern  nichts. 

Den  Gesellen  des  Meisters  gegenüber  war  der  Aufgenommene 
zur  Achtung  verpflichtet,  betrat  erst  nach  ihnen  die  Wohnstube, 
setzte  sich  nach  ihnen  zu  Tisch,  musste  sieh  aber  vor  ihnen  er- 
heben und  verschwinden,  durfte  in  ihrer  Gegenwart  nicht  rauchen 
usw.  Die  gewöhnliche  Bezeichnung  war  .Stift.  Er  durfte  bei  den 
Töpfern  keine  gewichsten  Stiefeln,  kein  Chemisett  und  keine  blaue 
Schürze  tragen. 

Hatte  er  seine  Zeit  ausgelcrnt  und  sich  ordentlich  geführt,  so 
konnte  er  zur  Ge.sellenprüfung,  die  vor  den  Prüfungsmeistern  (dem 
Obermeister  und  zwei  andern  Meistern)  st.attfand  (bei  den  Töpfern 
wurden  auch  noch  zwei  Beschaugesellen  hinzugezogen,  die  der 
Obermeister  bestimmte),  zugelassen  werden.  Er  mu.sste  zu  dem 
Zwecke  ein  Ge.sellenstück,  das  an  verschieden  Orten  vei-schieden 
war,  anfertigen:  der  Schmiedelehrling  (Leob.schütz)  einen  breiten 
Ring  schweissen  und  zwei  Hufeisen  machen,  der  Töpferlehrling 
(Naumburg,  Ullersdorf  am  Queis)  irgendeinen  Topf,  zum  mindesten 
einen  Kreuzertopf*)  hersteilen.  Bei  sehr  guten  Leistungen  wurden 
hier  auch  Prei.se  zu  b,  4,  3 Mark  gezahlt.  Der  Weberlehrling 
musste  ein  fehlerfreies  Stück  (Schock)  Leinwand  (Inlet,  (‘berzug) 
mit  „einer“  Schütze,  der  Damastweber  eine  Serviette  oder  Ti.schtuch 
weben;  der  Scliornsteinfeger  einen  besteigbaren  (weiten)  und  einen 
(nissi-schen  engen)  Schornstein,  auch  eine  Kochma.schine  fegen;  der 
Barbier  einen  kurzen  Haarschnitt  machen,  Bart  richtig  einseifcii. 

’)  Bemerkt  sei  hier,  dass  die  Tüpfer  dort  heut  noch  die  Töpfe  einteilen 
wie  folgt:  kleine  oder  halbe  Dreier-(=  3Pf)tippel,  grosse  Dreiertippel  kosten 
jetzt  30  l’f.,  Kreuzer-  und  tiroschel- (=  4 Pf ) tippel  (kleine  und  grosse)  f)0  bis 
(iO  Pf  , Acblerlöppe  40  Pf.,  kleine  und  grosse  Zweikreiizertöppe  ÖO  -IOO  Pf., 
kleine  und  gros.se  Böhin-(—  1 .Sgr.  = 12  Pf.)tSpi>€  1,20—1,50  M.,  kleine  und 
gro.sse  einhenklige  uml  ganz  grosse,  halbquartige,  dreiquartierliche  1.80  — 2 M. 


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117 


ÜbtT  den  Ausfall  der  Prüfung  wurde  ihm  ein  Zeupnis  auspestellt 
(fiel  er  durch,  so  musste  er  nachlernen),  und  es  erfolgte  die  Frei- 
sprechung durch  den  Obermeister,  der  daran  eine  Lehre  knüpfte: 
jetzt  beginne,  so  führte  er  etwa  aus,  erst  die  eigentliche  Lehr- 
zeit; er  solle  nicht  denken,  er  brauche  nun  niemand  mehr  zu  ge- 
hoirhen;  er  müsse  vielmehr  jetzt  erst  recht  aufpassen  und  dem 
Meister  mit  Achtung  und  Zuvorkommenheit  begegnen;  wenn  der 
Meister  ihn  behalten  wolle,  bleiben,  andernfalls  auf  die  Wander- 
schaft gehen,  sich  auf  derselben  ordentlich  führen,  damit  er  später 
wieder  als  ordentliches  Mitglied  der  Innung  aufgenommen  werden 
könne.  Die  Gebühren  dafür  betrugen  6 Mark,  bei  den  Schorn- 
steinfegern 15  Mark.  Alsdann  reichten  er  und  die  andern  Meister 
ihm  die  Hand  und  wünschten  ihm  Glück.  Die  jungen  Töpfer- 
gesellen  wurden  wohl  auch  im  Zuge  auf  die  Herberge  geleitet, 
erhielten  hier  eine  mit  einem  roten  Bändchen  geschmückte  Zigarre, 
mit  der  sic  dann  stolz  über  den  Ring  zogen.  Sie  mussten  sich 
auch  nach  einiger  Zeit  bei  den  anderen  Gesellen  ihrer  Werkstatt 
einkaufen,  d.  h.  etwas  zum  Besten  geben,  wenn  sie  von  ihnen 
freigesprochen  und  in  ihre  Mitte  aufgenommen  wurden. 

Die  Gesellen  hielten  unter  dem  Vorsitze  des  .Altgesellen  in 
Gegenwart  von  zwei  Meistern  als  Beisitzern  besondere  Zu.sammen- 
künfte  auf  der  Gesellenherberge,  deren  Wirt  Herbergsvater  hiess, 
ab,  und  zwar  fanden  sie  alle  vier  Wochen  vor  geöffneter  Gesellen- 
lade, einem  Kasten,  der  die  Urkunden  über  die  Gerechtigkeiten 
der  Gesellen  und  die  Gelder  enthielt,  statt,  es  wurde  Auflage  ge- 
halten, Eintrittsgeld,  Beiträge  gezahlt  und  das  Krankengeld 
(1‘/»  iSilbergroschen  = 18  Pf.)  hineingelegt.  Die  eingegangenen 
Gelder  wurden  am  Ende  des  Jahres,  soweit  sie  nicht  für  Krank- 
heit, zur  Unterstützung  bedürftiger  Gesellen  und  Bezahlung  der 
Herberg.smiete  verbraucht  waren,  verjubelt.  Auch  sonst  kam  man 
wöchentlich  oder  alle  14  Tage  an  bestimmten  Tagen  zusammen. 
Vor  der  offnen  Lade  konnte  jeder  .seine  Wünsche  Vorbringen, 
wurden  Streitigkeiten  ge.schlichtet.  Kam  nichts  vor,  dann  wurde 
die  Lade  wieder  geschlossen,  al.sdann  wurde  gesungen  und  mancher- 
lei Spiele,  besonders  Karten  gespielt.  Die  Töpfergesellen  in  Naum- 
burg kennen  jetzt  eine  .solche  Lade  nicht  mehr,  sind  auch  nicht 
mehr  so  .strenge  organisiert.  Auf  ihrer  Herberge  befindet  sich  in 
einem  Glaska-sten  eine  Drehscheibe  mit  daransitzender  Figur,  die 
einen  Töpfer  darstellt.  Auf  ihrer  Herberge  verkehren  nur  die 


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118 


cliristlich  organisierten  Gesellen,  wälirend  die  sozialdeniokratischen, 
die  roten,  in  einer  anderen  Schenke  Zusammenkommen. 

Ging  der  Geselle  auf  die  Wanderschaft,  so  gehen  ihm  Mit- 
gesellen,  auch  Mädchen,  das  Geleite  bis  zum  nächsten  Dorfe  (in 
Leobschütz  zur  Münzerei),  wo  noch  einmal  gezecht  (er  erhielt 
Freitrunk,  Freiessen  und  Nachtquartier,  d.  h.  er  wurde  aus- 
geschenkt — bei  den  Töpfern  üblich)  und  getanzt  wurde.  Es 
wurde  ihm  auch  noch  eingeschärft,  wie  er  sich  an  einem  fremden 
Orte  zu  verhalten  habe*).  Mit  dem  Ränzel  (Berliner  oder  Fell- 
eisen), in  dem  sich  sein  Arbeitsanzug,  eine  Bürste  und  einiges 
Handwerksgerät,  beim  Schmied  Hammer  und  Hufmes.ser,  beim 
Weber  eine  Schütze  befand,  auf  dem  Rücken,  den  Stab  in  der 
Hand  sollte  er  einziehen,  nachdem  er  sich  vorher  abgebürstet, 
auf  die  Herberge  gehen  und  die.se  betreten,  sobald  er  das  Fell- 
eisen abgehakt,  den  Hut  abgenommen,  drei  Schritte  vortreten  und 
sagen:  Mit  Gunst,  guten  Tag*)!  Alsdann  sollte  er  ablegen  und  sieh  er- 
kundigen, wo  das  Geschenk  zu  holen  und  wann  Um.schau  sei.  In 
Leobschütz  war  diese  täglich,  in  Neisse  und  anderwärts  nur  an 
zwei  Tagen:  Montag  und  Donnerstag,  Dienstag  und  Freitag,  Mitt- 
woch und  Sonnabend.  An  vielen  Orten  (Breslau,  Berlin)  ging  man 


')  In  Banne  Nute  5 bei  Fritz  Beater  lebrt  der  Vater  den  Sohn,  er  soll  sagen; 

Hit  tiunst,  dass  ich  eiuschreiten  müge. 

Gott  ehr'  das  Handwerk,  Meister  und  Gesell. 

’)  Recht  anschaulich  schildert  Fritz  Reuter  den  Eintritt  eines  Schmiede- 
geselleu  in  Hanne  Nllte  10.  Das  Felleisen  auf  der  linken  Schulter,  den  Hut 
auf  dem  Kopfe  tritt  der  Bursche  ein  und  fragt: 

Mit  Gunst,  ist  Schniiedeherberg  hier? 

, , ist  der  Herr  Vater  nicht  zu  Hause?  (gemeint  ist  der  Her- 

, , ist  die  Frau  Mutter  nicht  zu  Hause?  [hergsvater.) 

, , ist  der  Herr  Bruder  nicht  zu  Hause? 

, , ist  Jungfer  Schwester  nicht  zu  Hause? 

Als  er  darauf  keine  Antwort  erhSIt,  fahrt  er  fort: 

Mit  Gunst,  dann  sprcch'  ich  Tisch  und  Bänke  an, 

Dass  sie  mir  selbst  heut  Abend  neben 
Dem  Bllndel  hier  die  Herberg  mögen  geben. 

Dass  ich  mit  Gott  und  Ehren  weiterkominen  kann. 

Alsdanu  wirft  er  sein  BUudel  auf  die  Bank,  tritt  wieder  an  die  Tür  und  ruft: 
Mit  Gunst,  sind  fremde  Schmiede  hier? 

worauf  sich  ein  alter  Bursch,  der  im  Rausche  schlafend  auf  der  Bank  gelegen, 
erbebt  und  mancherlei  Fragen  an  ihn  stellt,  darunter  auch  die,  ob  er  Tausch 
sei,  ein  Zeichen,  dass  dieser  Ausdruck  allgemein  üblich  war. 


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119 


nur  in  drei  Werkstüttcn.  während  man  in  kleineren  alle  besuclite. 
Die  Töpfer  hielten  keine  Umschau,  sondern  erfuhren  auf  der  Her- 
berge, wo  Arbeit  zu  finden  sei;  sie  setzten  sich  hier  unter  ihren 
Schild  (Blumentopf  oder  Ofenkachel)  und  zeigten  damit  an,  wes 
Berufes  sie  seien,  und  warteten  auf  Gesellen,  die  in  Arbeit 
standen.  Kam  ein  solcher,  gingen  sie  auf  ihn  zu,  klopften  drei- 
mal auf  den  Tiscli  mit  den  Worten:  Hoi  Töpfer!  wodurch  sie  sich 
als  Fachgenossen  zu  erkennen  gaben.  Dieser  klopfte  dann  auch  auf 
den  Tisch,  verlangte  ein  Quartierl  (Schnaps)  und  trank  dem  Neuan- 
gekommenen zu.  Dieser  musste,  wenn  jener  ihn  aufforderte,  zu- 
erst zu  trinken , das  ablelmen  mit  den  Worten : Es  steht  in  guter 
Hand,  Vetter! 

Wollte  er  Umschau  halten,  so  mu.sste  er  zum  Obermeister 
gehen  und  ihm  seine  Papiere  abgeben,  wofür  er  von  ihm  das 
Zeichen,  bei  den  Schmieden  ein  kleines  Hufeisen  mit  King,  bei 
den  Webern  eine  Marke  von  Pappe  oder  Blech  oder  eine  Be- 
scheinigung erhielt.  Mit  diesem  am  Finger  und  so  als  Fach- 
genosse  kenntlich,  betrat  er  bedeckten  Hauptes  die  Werkstatt,  trat 
vor  den  Meister,  bei  den  Schmieden  vor  den  Amboss,  sagte  einen 
Spruch,  der  mit  ,Mit  Gunst“  begann  und  mit  „Glück  zu,  Meister 
und  Gesell“  schlo.ss  und  fragte,  ob  er  Arbeit  bekommen  könne. 
Der  erste  Gesell  und  dann  der  .Meister  hiess  ihn  willkommen, 
fragte  ihn,  was  er  für  ein  Landsmann  sei,  wo  er  zuletzt  gear- 
beitet habe,  ob  er  Meisterssolin,  d.  i.  Tausch,  und  nahm  ihm,  falls 
er  ihn  einstellte,  das  Zeichen  ab,  oder  gab  ihm  ein  kleines  Geld- 
geschenk (Viatikum),  wenn  es  nicht  geschah.  Der  Töpfer  (Naumburg, 
Ullersdorf)  musste  mit  dem  Stocke  an  die  Tür  der  Werkstatt  klopfen. 
Auf  den  Ruf:  „Herein“  betrat  er  bedeckten  Hauptes,  den  Stock 
in  der  linken  Hand  — nach  anderer  Mitteilung  hatte  er  die 
Kopfl)edeckung  auf  diesem  Stocke  — , den  obereten  Knopf  des 
Rockes  geschlo.ssen,  die  Werk.statt  und  sagte:  Glück  zu,  Meister 
und  Gesellen  wegen  des  Handwerks.  Nach  Handwerksgebrauch 
erstatte  ich  den  Gruss  von  Meister  und  Gesellen  aus  Bunzlau,  hier 
nannte  er  den  Ort,  wo  er  zuletzt  gearbeitet  hatte,  und  wartete  an 
der  Tür,  bis  einer  der  Gesellen  ihm  den  Gruss  abnahm,  d.  h.  an 
ihn  herantrat,  ihm  die  Hand  gab,  ihm  Kopfbedeckung  und  Stock 
abnahm  und  beides  in  eine  Ecke  stellte  mit  den  Worten:  Lass 
gut  sein,  Wtter!  Erspar  dir  deine  Worte.  Nach  Handwerks- 
gebrauch und  Gewohnheit  sollst  du  willkommen  sein  in  Ullersdorf. 


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Auf  die  Aufl'orderung:  „Setz  dich,  Vetter"*  nahm  er  Platz,  ward 
mit  Schnaps  bewirtet  und  erhielt  von  den  Gesellen  ein  Geld- 
geschenk. Von  den  Meistern  ward  ihm  ein  solches  nur  an  einer 
bestimmten  Stelle,  z.  B.  beim  Obermeister  oder  einem  leicht  zu 
findenden  Meister  und  im  Jahre  nur  einmal  verabreicht,  d.  h.  er 
durfte  zum  zweiten  Male  nicht  wegen  eines  solchen  kommen,  und 
zwar  erhielt  der  Weber  25  Pf.,  der  Scheibentöpfer  30  Pf.,  der 
Ofentöpfer  10  Pf.,  letzteres  deshalb,  weil  die  Naumburger  Ofen- 
töpfer  nicht  zu  der  am  Orte  befindlichen,  sondern  zur  Görlitzer 
Innung  gehörten.  Für  das  Geld  konnte  er  auch  Marken  erhalten 
und  sich  dafür  auf  der  Herberge  nach  Belieben  Speisen  verabfolgen 
lassen.  Für  das  Geldgeschenk  der  Gesellen  bedankte  er  sich  mit 
den  Worten;  „Nach  Handwerksgebrauch  bedanke  ich  mich  fürs 
Geschenk,  Vetter!  Solltest  Du  einst  zu  mir  kommen,  will  ich  dir 
ein  Gleiches  zurückerstatten“.  Hast  nicht  Ursache  zu  danken, 
war  die  Antwort.  „Wünsche  dir  glückliche  Reise,  bald  Arbeit 
und  eine  hübsche  Meistorstochter  als  Nebengesellen“.  Nun  ward 
ihm  wieder  Stock  und  Kopfbedeckung  überreicht  und  er  mit  den 
Worten:  Adje  Vetter!  grüss  mir  Meister  und  Gesellen  entlassen. 
Ward  er  aber  eingestellt,  so  ging  er  an  jeden  Gesellen  heran,  gab 
ihm  die  Hand  und  bat  allerseits  um  gute  Kameradschaft.  Kün- 
digte er,  so  tat  er  das  den  Gesellen  mit  den  Worten  kund;  In 
14  Tagen  bedank’  ich  mich  allerseits  für  gute  Kameradschaft  und 
erhielt  auch  beim  Abgänge  ein  Stück  das  Geleit,  unterliess  er  den 
Dank,  fiel  auch  dies  weg.  Trafen  sich  auf  der  Wanderschaft 
Handwerker,  so  fragten  sie  einander;  Hui,  Meister  oder  Gesell? 
Die  Schornsteinfeger  hatten  auch  einen  Erkennungspfiff  (bestehend 
aus  einer  ganzen  und  einer  ®/8-Note). 

Waren  auf  der  Herberge  Gesellen  bereits  anwesend,  so 
stellten  sie  an  einen  neu  Zugewanderten  mancherlei  Fragen,  deren 
richtige  Beantwortung  erwartet  wurde.  War  das  nicht  der  Fall, 
hatte  sie  einer,  der  z.  B.  auf  dem  Dorfe  gelernt  hatte  oder  nicht 
zu  einer  Zunft  gehörte,  nicht  gegenwärtig,  dann  wurde  er  .schwarz 
gemacht,  d.  h.  er  musste  zahlen;  wenn  er  kein  Geld  hatte,  hic.ss 
man  ihn  sein  Felleisen  aufmachen  und  von  seinen  Sachen  ver- 
kaufen, ja  man  zog  ihn  wohl  ganz  aus.  Das  verlangten  be.sonders 
alte,  arbeits.scheue  Ge.scllen,  sog.  Stromer  ‘),  die  durch  ihr  unver- 

’)  Ein  solcher  wird  in  Hanne  Siite  sogar  handgreiflich,  von  diesem  aber 
kräftig  ,zum  Frieden*  gezwungen,  so  dass  sie  sich  wieder  vertragen. 


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12t 


sdiiiintes  Auftreten  so  manchen  Neulinpr  ausbeuteten,  ihn  zum 
Weinen  brachten  und  manchen  Schabernack  mit  ihm  trieben,  so 
z.  B,  ihn  am  späten  Abend  aus  dem  Bette  lockten,  ihn  in  den 
Schnee  fülirten  und  dann  im  Hemde  stehen  Hessen.  Hatte  er  aber 
seine  Sache  }fut  gemaclit,  war  er  auf  alle  Fragen  schlagfertig  ge- 
wesen, .so  konnte  er  hei  der  nächsten  Zusammenkunft  der  Ge.sellen, 
sobald  er  Arbeit  gefunden  hatte,  aufgenommen,  inkorporiert 
werden.  War  dies  geschoben,  so  musste  er  etwas  zum  Vertrinken 
geben,  gewöhnlich  einen  Taler  (3  Mark),  ebenso  wenn  er  in  eine 
Werkstatt  aufgenommen  war,  50  Pfennige  (5  Silbergroschen)  Ein- 
standsgeld zahlen,  die  gleichfalls  vertrunken  wurden. 

Aufnahme  in  den  Gesellenverband. 

Wenn  ein  eben  frei  gewordener  Webergeselle  in  den  Kreis 
seiner  Geno.ssen  eintrat,  so  .spielte  sich  in  Leobschütz,  auch  in 
Neustadt  folgender  Vorgang  ab: 

Jnnggeselle:  Ich  sage  mit  Guust  vor  Tisch  und  Lade  zu  treten. 

Altgeselle:  Onnst  gennng! 

J.:  Ich  wünsche  den  Beisitzmeistern,  Altgesellen,  wie  auch  der  ganzen  ehrsamen 
Bmderscbaft  einen  scheinen  Gnten  Tag. 

A.:  Schön  Dank! 

J. ; Ich  möchte  bitten,  einige  Worte  vorznbringen. 

A.:  Es  ist  schon  erlaubt,  soviel  wie  nötig  ist. 

J.  : Weil  mir's  vergönnt  und  zugelasseu  ist,  tue  ich  mich  znm  >Scbönsten  be- 
danken, es  ist  keine  andere  Ursache  als  diese,  weil  ich  bei  keiner  andern 
Bruderschaft  noch  nicht  aufgelegt  und  noch  keine  Bruderschaft  gewonnen 
habe,  so  wollte  ich  bitten,  was  meine  Schuldigkeit  ist. 

A.:  Du  wirst  so  gut  sein  und  dir  nach  Handwerksgebrauch  drei  Kuapp- 
paten  bitten. 

J. : Gesellschaft,  Sie  werden  so  gut  sein  und  werden  bei  mir  Knapp-pate  sein. 
Knapp-pate:  Gesellschaft,  weil  du  mich  halt  angesproeben , dass  ich  soll  bei 
dir  Knapp-pate  sein,  so  kann  ich  dir's  nicht  abschlagen,  vielmehr  zu 
sagen,  ich  will  dich  unterrichten,  wie  mich  meine  drei  Knapp-paten 
unterrichtet  und  unterwiesen  haben.  Kommst  du  in  eine  Stadt,  wo  es 
zwei  Jahre  und  nicht  zünftig  ist,  so  erlaube  ich's  nicht  länger  als  14  Tage 
zu  arbeiten.  Kommst  du  aber  in  eine  Stadt,  wo  es  dreijährig  und  züuftig 
ist,  so  erlaube  ich  dir,  so  lange  es  dir  und  dein  Meister  gefällt,  wenn  sie 
dich  nm  meinen  ehrlichen  Tauf-  und  Zunamen  befragen.  Bernhard  Klüsel 
werd’  ich  genannt,  Leobschütz  ist  mein  Vaterland  und  wünsche  dir  viel 
(ilUck  zum  Gesellenstaud. 

Alsdann  ward  er  durch  Handschlag  in  den  (iesellenstand  aufgenommen. 
Wanderte  er  nun  in  die  Fremde  und  wollte  er  in  die  Gescllenschaft  des  neuen 
Ortes,  an  dem  er  Arbeit  fand,  eintreten , so  ging  er  auf  die  Gesclleuherberge 
nud  wandte  sich  an  deren  Altgesellen  mit  den  Worten:  Weil  ich  bei  dieser 


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Hruderschal't  nicht  aufgelegt  habe,  aonderu  auflegcu  will,  au  rauchte  ich  bitten, 
waa  meine  Schuldigkeit  ist,  aufzniegen. 

A.:  GesclUcbaft,  die  Herren  Oberältesteu  lassen  ihn  durch  mich  befragen,  wo 
hat  er  sein  ehrliches  Handwerk  gelernt? 

Neuer ; In  Leobscbfltz. 

A. ; Gelernter  oder  Meisterssohn? 

N.:  Meisterssohu. 

A.;  Wie  lange  lernt  man  da? 

N.:  3 .fahre. 

A.:  Knapp- (laten  gebeten? 

N. : Ja,  drei. 

A.:  Knappen  recht  erlegt? 

N.:  Acht  Kreuzer. 

A.:  Sie  werden  so  gut  sein  und  mir  ehrlichen  Tauf-  und  Zunamen  sagen  und 
woher  sie  sind. 

N.:  Die  Knapp-paten!  heissen:  .Antou  Lokowitz  werd'  ich  genannt,  Römerstadt 
ist  mein  Vaterland;  Franz  Rother  aus  Kätscher  in  Oberschlesien;  Josef 
Krummschraidt  ans  Leobschlltz. 

Die  Zusammenkünfte  der  Gc.sellen  fanden  mit  Erlaubnis  des 
Obermeisters  .statt.  Diese  wurde  in  folgender  Weise  eingebolt; 

Wohlachtbarer  gunsthaftiger  Herr  Oberkltester ! Wir  haben  etliche  Worte 
bei  ihm  vorzubringen;  ich  bitte  dieselben  vou  mir  auznhUren.  Es  ist  an  diesem, 
dass  wir  pflegen  alle  vier  Wochen  unseren  gewöhnlichen  Eingang  und  Zechtag 
zu  halten  und  weil  dieser  in  unserer  eignen  Macht  und  Gewalt  nicht  steht  zu 
halten,  also  bin  ich  bei  Ihnen  erschienen  und  wollte  um  denselbigen  anhalten, 
damit  nach  Handwerksbrauch  das  Böse  gestraft  und  das  Gnte  geschützt 
werde.  Solches  ist  mein  freundliches  Bitten  an  Sie. 

ALsdann  lud  er  die  Beisitzer  persöiilicb  mit  den  Worten: 
Wohlachtbarer,  gunsthaftiger  Herr  Beisitzer!  ich  habe  einige  Worte  bei 
Ihnen  vorzuhringen  und  bitte,  dieselbigeu  von  mir  anzuhören.  Es  ist  an  diesem, 
dass  wir  pflegen  alle  vier  Wochen  unsem  gewöhnlichen  Eingang  und  Zechtag 
zu  halten.  Und  dieweil  derselbe  in  unserer  eignen  Macht  und  Gewalt  nicht 
steht  zu  halten,  also  hin  ich  bei  dem  Herrn  Obermeister  gewesen  und  habe  um 
denselben  angehalten.  So  ist  nus  derselbe  vergönnt  und  zngclassen  worden  mit 
dem  Bescheid  ,in  Fried’  und  Einigkeit“  ihn  zu  halten.  Also  bitte  ich  den  Herrn 
Beisitzer  bei  uns  zu  erscheinen  und  das  Böse  helfen  zu  strafen  und  das  Gute 
zu  schützen.  Solches  ist  mein  freundliches  Bitten  an  Sie. 

Ebenso  wurde  der  zweite  Beisitzer  geladen.  Aber  auch  die 
Erlaubnis  des  Herbergsvaters  (so  liie.ss  der  Gastwirt),  eine  Zu- 
sammenkunft abzuhalten,  musste  mit  folgenden  Worten  nacbgesudit 
werden : 

Gunsthaftiger-Herr  Vater!  Ich  habe  etliche  Worte  bei  Ihnen  vorzubringen, 
bitte  dieselben  von  mir  anzuhören.  Es  ist  an  diesem,  dass  wir  pflegen  alle  vier 
Wochen  unsern  gewöhnlichen  Eingang  und  Zechtag  zu  halten.  Ich  bin  hei  dem 


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Herrn  Uberältesteu  wie  aiicli  bei  den  Herrn  Beisitzern  gewesen  und  liabc  um 
denselben  angebalten.  Also  ist  uns  derselbe  vergönnt  und  zugelassen  worden. 
So  will  ich  den  Herrn  Vater  angesprochen  haben,  wenn  er  und  wollte  erlauben, 
Hans  und  Stube  unseren  Handwerksgebrauch  und  Gewohnheit  zu  halten,  damit 
das  Böse  gestraft  und  das  Gute  geschützt  werde.  Solches  ist  mein  ganz  freund- 
liches Bitten  an  Sie. 

Waren  die  Gesellen  zii.sammengekommen  auf  Ankündigung 
des  Altgesellen,  .so  eröffnete  dieser  die  Versammlung. 

Stillt  Euch,  Bruiler!  Die  Lade  wird  geöffnet  werden;  ein  jeder  wird  sich 
vor  Schaden  hüten. 

Stillt  Euch,  ihr  Brnder!  Es  ist  an  dem,  dass  wir  pflegen  alle  vier  Wochen 
unseren  gewünlichen  Eingang  und  Zeebtag  zu  halten,  nicht  einen  schlechten, 
vielmehr  einen  Friedenstag.  Und  weil  derselbe  nicht  in  unserer  eignen  Macht 
und  Gewalt  stehet  zu  halten,  so  bin  ich  gestern  bei  dem  Herrn  überültesten, 
wie  auch  bei  den  Herrn  Beisitzern  gewesen  und  bube  um  denselben  angehalten.  So 
ist  uns  derselbe  vergönnt  und  zugelasseu  wurden  mit  diesem  Bescheid,  in  Fried' 
und  Einigkeit  zu  halten.  Also  will  ich  bieten,  wie  lange  er  dauern  soll,  als 
nämlich  von  meiner  jetzt  getanen  Rede  bis  morgen  um  Qlock  zwei.  Wer  den- 
selben wird  brechen  mit  Worten  oder  Werken,  der  soll  gestraft  werden  nach 
Laut  des  .Artikels  und  Erkenntnis  der  Herrn  Beisitzer,  Gesellen,  jung  und  alt. 
Mehr  sollt  ihr  auch  gute  Wissenschaft  haben,  was  in  diesem  unserem  Friedens- 
tage verboten  ist,  als  nämlich  Schelten  und  Fluchen,  Schlagen  und  Raufen  und 
alle  lästerlichen  Schmähgesänge,  was  wider  Gott  und  sein  heilig  Wort  ist. 
Mehr  sollt  ihr  auch  gute  Wissenschaft  haben,  wenn  eines  ein  mörderliches  Ge- 
wehr bei  sich  hätte,  es  wäre  Messer  oder  Gabel  oder  tödlich  Gewehr:  Degen, 
Rappier  oder  lange  Seitengewehr,  wie  die  Waffen  alle  ihre  Namen  haben  mögen, 
die  ich  nach  der  Länge  und  Menge  nicht  alle  zu  zählen  weiss,  wer  dieselbigen 
bei  sich  trägt,  der  wolle  sie  ablegen  und  der  Frau  Mutter  (Herbergsmulter  in 
Verwahrung  geben,  nach  verrichteter  Sache  soll  sie  ihm  wieder  zngeeiguet 
werden  und  ein  jeder  wird  sich  vor  Schaden  hüten.  Mehr  sollt  ihr  auch  gute 
Wissenschaft  haben,  wie  viel  ein  jeder  soll  anflegeu,  als  nämlich  der  Mann  drei 
Silbergroschen.  Wollt  euch  auch  fein  ordentlich  (an  der  Lade)  einliuilen,  wie 
euch  der  Beisitzmeister  verlesen  wird. 

Stillt  ein  wenig  ihr  Bruder!  Wenn  einer  oder  der  andre  im  Verlauf  der 
vier  Wochen  etwas  gesehen  oiler  gehört  oder  erfahren  hätte,  oder  der  eine  oder 
andre  etwas  vor  der  Lade  und  nach  der  Lade  verbirgt  oder  wer  etwas  zu 
klagen  hätte,  der  solle  vortreten,  sagen  und  klagen  fein  und  mit  Bescheidenheit, 
weil  unsere  Lade  noch  offen  steht  und  unsere  Herrn  Beisitzer  noch  bei  uns  sein 
wollen.  So  wollen  wir  sehen,  ob  wir  cs  verrichten  oder  vertragen  können;  so 
wollen  wir  es  an  Ort  und  Stelle  gelangen  lassen,  da  es  kann  verrichtet  und 
vertragen  werden.  Seid  ihr  aber  alle  friedlich  und  eins  gewesen,  so  ist’s  auch 
gut  und  mir  und  meinen  Mitgesellen  lieb  anzuhören  und  den  Herrn  Beisitzern 
ein  Wohlgefallen  und  der  Lade  geschieht  ein  kleiner  Schaden  (weil  kein  .Straf- 
geld hineinkommt). 

Wenn  etwa  fin  fremder  Geselle  vorhamlen  wäre,  der  nicht  Braderschaft  mit 
uns  gewonnen  hätte,  derselbe  wolle  vortreten  und  Bruderschaft  gewinnen,  es  soll 


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ihm  vorn'önut  und  zngelassen  werden,  eü  soll  ihm  mit  die  angetane  IChre  erzeigt 
und  bewiesen  werden. 

Ich  habe  mich  angcmcldet  zum  ersten,  zweiten  und  dritten  Male.  Wer 
was  weiss.  kann  vortreten. 

Hatto  ein  fremder  Geselle  sich  gemeldet,  so  wurde  ihm  der 
Willkomm  gebracht  von  dem  Altgesellen  in  folgender  Weise: 

Dieweil  es  dann  allhier  in  dieser  hoch-  und  weitberllhmten  Stadt  ein  alter, 
feiner,  hochlBblichcr  (iebrauch  ist,  dass  wir  pflegen,  einem  fremden  Gesellen 
diesen  hucbchrlicbenden  Willkommen  auf-  und  vorzutragen,  oder  einen  der  Jahr 
und  Tag  von  dieser  Stadt  verwandert  hat,  oder  eines  Meisterssohn,  der  von 
seinem  Vater  vor  einem  ganzen  ehrbaren  Mittel  (Innung)  quitt,  frcilcdig  und 
losgesprocheu  wird,  der  sein  Knappenrecht  erlegt,  seine  drei  Knapp-paten 
gebeten  bat  nach  dem,  wie  es  Brauch  ist,  diesen  obgemcideten  Personen 
pflegen  wir  auch  diesen  hochliebehrenden  Willkommen  anf-  und  vorzu- 
tragen, wie  es  denn  auch  Gottlob!  heutiges  Tages  in  unseres  Herrn  V'aters  Be- 
hausung geschieht  und  widerfährt.  So  lässt  eine  ganze  hochlöbliche  Brüderschaft 
durch  mich  anmelden.  Wenn  dieser  hochliebehrende  Willkommen  hätte  mit 
einem  besseren  Trunk,  mit  Bier  oder  Wein  geziert  oder  geschmückt  werden 
können,  so  wollte  es  eine  ganze  Bmdersrhaft  getan  haben,  wiewohl  Gott  Lob 
und  Dank!  dieser  Trunk  auch  nicht  zu  verachten  ist,  sondern  ein  angenehmer 
und  wohlschmeckender  Trank  sein  wird.  So  wollt  diesen  hochehrenden  Will- 
kommen zu  euch  nehmen  von  mir  und  das  wohlschmeckende  Bier  daraus  trinken, 
damit  das  hochlöbliche  H.andwerk,  als  nümlich  ZUchner,  Tüchner,  Trup-Dameskat, 
Parchent-  und  Leineweber  möchten  geehrt,  gemehrt  und  gefördert  werden,  das 
ist  mein  ganz  frenudliches  Bitten  an  euch 

Dieser  Fremde  (Schenkgeselle)  imlim  den  Willkommen  mit 
folgenden  Worten  entgegen: 

Dieweil  es  denn  allhier  in  dieser  hoch-  und  weitberUbmten  Stadt  ein  alter 
und  hocblöblicher  Brauch  ist , dass  ihr  pflegt  einem  fremden  Gesellen  diesen 
hochliebehrenden  Willkommen  anf-  und  vorzutragen  oder  einem  der  Jahr  und 
Tag  von  dieser  Stadt  verwandert  hat  oder  eines  Meisters  Sohn,  der  von  seinem 
Vater  vor  einem  ganzen  ehrbaren  Mittel  quitt,  frei  und  losgesprochen  ist.  der 
sein  Knappenrecht  erlegt,  seine  drei  Knapp-paten  gebeten  hat,  wie  es  hränch- 
lich  ist,  oder  aber  einen  jungen  Lehrknappen,  der  seine  drei  Jahre  ehrlich  und 
redlich  ausgestanden  und  von  seinem  Lehrmeister  vor  einem  ganzen  ehrbaren 
Mittel  quitt,  frei,  ledig  und  losgesprocheu  worden  ist,  der  sein  Knappenrecht  er- 
legt, seine  drei  Knapp-paten  gebeten  hat,  wie  es  denn  bräuchlich  ist.  Diesen 
allen  obgemeldeten  Personen  pfleget  ihr  diesen  hochehrliebenden  Willkomineu 
vorzutragen , wie  es  Gott  Lob  und  Dank  I heutigen  Tages  in  unseres  Herrn 
Vaters  Behausung  geschieht  uml  widerfährt.  So  hat  eine  ganze  hochlöbliche 
Bruderschaft  durch  euch  aumelden  lassen,  wenn  sie  diesen  hochliebehrenden 
Willkommen  hätte  mit  einem  besseren  Trank,  Bier,  Met,  Malvasier  oder  Wein 
zieren  oder  schmücken  können,  desto  lieber  wollte  es  eine  ganze  Brüderschaft 
getan  haben,  wiewohl  auch  mir  dieser  Trunk  nicht  zu  verachten  ist,  sondern  es 
soll  mir  und  meinen  Mitkonsekreten  ein  angenehmer  und  wohlschmeckender 


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Trank  sein.  So  will  ich  den  liocliehrliebenden  Willkommen  von  euch  zu  mir 
nehmen  und  nebst  meinen  Mitgeselleii  das  wublschmeckeude  Bier  daraus  trinken. 
Ferner,  so  ist  mein  ganz  freundliches  Bitten  an  euch,  ihr  wollt  diesen  hochohr- 
liebenden Willkomm  wiederum  von  mir  zu  euch  nehmen  und  zuvor  dem  ehr- 
baren Herrn  Vater,  der  tiigendsamen  Frau  Mutter,  Herrn  Bruder  und  Jungfer 
Schwester  daraus  schenken,  euer  und  meiner  dabei  znm  Besten  gedenken. 

Das  ist  mein  ganz  freundliches  Bitten  an  euch 

Bernhard  Klüsel,  Barbiergeliilfe  und  Webergeselle. 

Diese  Gebräuche  musste  jeder  kennen,  den  Wortlaut  tiu.s- 
wendig  wi.ssen  (ähnlich  dem  Corament  unserer  Studenten)  und  be- 
sonders ein  Meisterssohn  darin  finn  sein.  Knapp-paten  musste 
jeder  Freizusprechende  als  Zeugen  haben,  und  er  nahm  dazu  ge- 
wöhnlich zwei  Meister  aus  der  Innung.  .Mit  Gesellschaft  .sprach 
man  die  Versammlung  der  Meister  an.  Die  Gelder  wurden  unter 
Aufsicht  der  Beisitzer  in  die  Lade  gezahlt  und  dienten  zur 
Unterstützung  fremder  bzw.  durchreisender  Gesellen,  Herbergs- 
miete usw. 

Der  Willkomm  war  wie  die  Innungslade  das  Wichtigste  bei 
der  Innung.  Er  war  mas.siv  aus  Me.ssing  (Leobschütz)  oder  Silber 
(Neustadt) ‘),  wie  ein  grosser  Kelch,  der  1 — 2 Liter  fasste.  Er 
wurde  nur  bei  wichtigen  Veranlassungen  verwendet,  beim  Meister- 
werden, Zunftballe,  wobei  jedem  eintretenden  Meister  mit  Frau 
und  Töchtern  ein  Trunk  gereicht  und  ein  Tu.sch  geblasen  wurde. 
Dafür  schenkte  jedes  ein  „geölirtes"*  Stück  Geld,  das  mit  einem 
Bande  an  dem  Willkomm  befestigt  wurde. 

„Zwei  Jahre“  wurden  die  Handwerker  genannt,  die  nicht  zur 
Zunft  oder  Innung  gehörten.  Die  Wandcrzcit  war  gewöhnlich  drei 
Jahre.  Bei  den  Töpfern  wurde  nur  eine  einjährige  gefordert,  diese 
war  aber  Bedingung,  dass  er  die  andern  Duzen  durfte.  Hatte  er 
nun  eine  zeitlang  als  Geselle  (bei  den  Barbieren  hie.ssen  sie  Ge- 
hilfen) gewirkt  und  sich  in  seiner  Kunst  vervollkommnet,  dachte 
er  daran,  selbständig  zu  werden,  sich  niederzula.s.sen  und  einen 
eignen  Hausstand  zu  gründen,  so  mu.sste  er  sein  Meisterstück  machen. 

Auch  dies  w'ar  ortsüblich,  d.  h.  je  nach  dem  Orte  verschieden. 
In  Leobschütz  mu.sste  der  Schmied  ein  Rad  beschlagen,  wozu  er 
zwar  Mass  nehmen,  aber  dann  den  fertigen  Reifen  nicht  anpassen 

')  Den  Nenstädter  haben  die  Uesellen  öfter  gebori^t,  dann  gemeint,  er  ge- 
höre ihn,  und  ihn  dann  schliesslich  unter  der  Hand,  als  sie  ausqnartiert  waren, 
an  den  Kommerzienrat  Pinkns  fUr  1000  M.  verkauft.  Degen  diesen  mochten 
die  Meister  nicht  vorgeheu,  da  sie  von  ihm  meistens  abhängig  waren. 


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126 


durfte,  — anderwärts  musste  er  eine  ungewöhnlich  grosse  Dünger- 
gabel oder  eine  Axt  herstellen  — überdies  ein  Pferd  beschlagen 
und  dazu  die  Hufeisen  fertigen,  ohne  sie  aufzupassen  (anzu])roben) 
und  sie  kalt  aufschlagen.  Der  Töpfer  (Ullersdorf)  musste  einen 
Topf  anfertigen,  wobei  es  vor  allem  auf  Zusammensetzung  der 
Farbe,  die  Ulätte  usw.  ankain.  Er  arbeitet  nun  gewöhnlich  nicht 
mehr  an  der  Scheibe,  ihm  liegt  viclmelir  die  Sorge  für  die  Farbe, 
Zurichtung  der  Töpfe  für  den  Brand  usw.  ob.  Der  Weber  musste 
ein  Stück  • fehlerfrei  mit  drei  Schützen  (drei  ver.schiedenen  Farben) 
weben,  es  musste  feiner  sein  als  das  üesellenstück;  die  Damast- 
weber webten  ein  3‘/»  m langes,  2,4  m breites  Tuch.  Der  Barbier 
mmsste  glatt  rasieren,  so  dass  der  Bart  nicht  zu  fühlen  war,  und 
durfte  nicht  .schneiden , der  Schonisteinfeger  vor  allem  die 
Feuerungsanlage,  die  Feuersicherheit  richtig  beurteilen,  auch 
Zeichnungen  anfertigen,  f'berdies  ward  er  auch  einer  theoretischen 
Prüfung,  die  sich  auf  Feuerlöschordnung,  Polizeiverordnungen,  die 
sich  auf  Schornsteine,  bezogen,  Russbildung,  Arten  desselben  u.  a. 
beziehen,  unterworfen ; jetzt  muss  er  aucli  Wechselordnung  kennen. 

Nach  bestandner  Prüfung  erhielt  er  ein  Zeugnis  und  ward 
belehrt,  wie  er  sich  als  Meister  zu  verhalten  habe,  dass  er  be- 
sonders andern  nicht  die  Kund.schaft  stören  und  sie  nicht  .schlecht 
machen  dürfe.  Die  Uebüliren  betrugen  12  Taler  (36  .M.)  jetzt 
9 M.,  bei  den  Schornsteinfegern  30  M.  Die  Gebühren  bei  der 
Aufnahme  in  die  Innung  waren  bei  den  Schornsteinfegern  30  M., 
überdies  waren  6 Taler  (18  M.)  Bürgerstandsgeld  zu  entrichten. 
So  wurde  er  Jungmeister,  musste  die  andern  zu  den  Zusammen- 
künften laden,  sie  dabei  bedienen,  bei  Begräbnissen  von  Innungs- 
mitgliedern die  Träger,  das  Leichentuch,  die  Stäbe  usw.  besorgen, 
bei  den  Gesellen  Beisitzer  sein.  Sjiäter  konnte  er  auch  Prüfungs- 
meister,  Schrift-,  Kassenführer  und  Obermeister  werden.  Jeden- 
falls war  der  Korpsgeist  gross  und  so  lange  er  heiTschte,  die 
Innungen  in  Blüte.  Heute  haben  sie  durch  ver.schiedene  Strömungen 
im  Innern,  wie  durch  das  Fabrik  wesen  sehr  gelitten  und  es  ist 
fraglich,  ob  manche  Änderungen’),  die  getrotl'en  sind,  ihnen  helfen 

')  So  erfolgt  die  Prüfung  des  Tüpfermei.sters  heut  vor  der  Handwerks- 
kammer, die  dazu  einen  Vertreter,  gewülinlich  den  Obermeister  der  Innung  be- 
stellt, der  die  Ausführung  des  Meisterstücks  beaufsichtigt.  Oie  mündliche 
(theoretische)  Prüfung  geschieht  vor  der  Handwerkskammer.  Das  Oesuch  des 
jungen  Meisters  um  Aufnahme  in  die  Innung  muss  heut  schriftlich  erfolgen,  der 


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127 


werden.  Die  seit  1904  geltende  Gewerbeordnung  hat  manches  be- 
seitigt oder  geändert,  de.sgleichen  ist  die  Organisation  der  Gesellen 
und  Mei.ster  vielfach  eine  andre  geworden.  Möchte  beides  dem 
Handwerk  zum  Segen  gereichen,  dies  im  Wettbewerb  mit  dem 
Grossbetrieb  nicht  erliegen!  Auch  der  Gesamtheit  kann  es  nicht 
gleichgültig  sein,  die  Kleinbetriebe  verschwinden  zu  sehen. 
Möchte  sie  das  Ihrige  zu  deren  Erhaltung  beitragen! 


Rübezahl. 

Vun  0 r.  Th.  .Siobs. 

ln  der  Zeitschrift  des  Vereins  für  Volk.skunde  1908  (S.  1—24, 
151 — 160)  hat  I)r.  Richard  l>oewe  über  „Rübezahl  im  heutigen 
Volksglauben“  gehandelt  und  eine  Reihe  von  Rübezahlsagen  ver- 
ütfentlicht,  die  er  bei  einem  dreiwöchigen  Aufenthalte  im  Riesen- 
gebirge aufgezeichnet  hat.  Vor  Jahren  schon  hatte  Ulrich  Jahn 
als  Student  auf  einer  Fii.sswanderung  sieben  Sagenerzählungen 
ähnlicher  Art  gesammelt;  sie  waren  in  derselben  Zeitschrift  (XI. 
J36)  gedruckt  worden.  Und  vor  kurzem  hatte  Dr.  Loewe  (Zeit- 
schrift d.  Wweins  f.  Volkskunde  XV,  176)  von  einer  Sage  berich- 
tet, die  die  weis.sen  Streifen  auf  den  Steinen  des  Weisswa.sser- 
bettes  bei  Spindelmühle  als  „Rübezahls  Wagenspuren“  bezeichnet. 
Bei  dieser  Gelegenheit  hatte  er  sich  über  den  Wert  solcher  Mit- 
teilungen nur  wenig  zuversichtlich  geäu.ssert.  Anders  jetzt:  er 
behauptet,  reiche  Ausbeute  gemacht  zu  haben  und  teilt  utis  eine 
grössere  Anzahl  seiner  Rübezahlsagen  mit. 

Nun  ist  es  von  vornherein  höchst  unwahrscheinlich,  da.ss 
einem  Sommerfri.schler  (und  sei  er  ein  noch  so  gewandter  und 
tleissiger  Frager),  sobald  er  ins  Riesengebirge  hineinschaut,  in 
Hülle  und  Fülle  die  Sagen  Zuströmen  sollten,  wo  sie  den  besten 
Kennern,  die  im  Gebirge  lieimi.sch  sind,  verborgen  blieben. 
Und  das  scheint  Loewe  auch  zu  empfinden,  wenn  er  sagt:  „hatten 
doch  so  gute  Kenner  wie  Regell  und  Cogho  die  Behauptung 
aufgestellt,  da.ss  das  Volk  heutzutage  nichts  von  Rübezahl  wisse“; 

Vorstand  entscheidet  darüber  und  teilt  dem  Bewerber  ilas  Ergebnis  mit.  Bei 
den  Schornsteinfegern  besteht  die  Prüfungskommission  ans  einem  Kreisbau- 
beamteu,  einem  Zimmermeister  nnd  einem  Rektor, 


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so  habe  auch  er  nicht  die  Hoffnunp  pehept,  „Erhebliches  noch 
über  Rübezalil  selbst  aus  dem  Volksinunde  zu  hören“.  Darum 
muss  das  Erscheinen  neu  pesaininelter  Rübezahlsagen  den 
Forscher  stutzig  machen  und  zu  grösster  Vorsicht  mahnen. 

Und  wenn  wir  nun  im  einzelnen  die  Aufzeichnungen  durch- 
gehen, die  Loewe  beibringt,  so  haben  wir  das  Gefühl,  dass  sie 
gar  nichts  ursprüngliches  bieten,  vielmehr  nur  eine  dankenswerte 
Reihe  von  Zeugnis.sen  für  die  Tatsaclie  sind,  dass  literarisch 
überlieferte  Sagen  vom  V'olke  aufgenommen  und  weiter  gebildet 
werden  können.  Wir  haben  ja  in  den  Geschichten  von  der  Göttin 
Hertha  auf  Rügen  oder  — um  bei  Schlesien  zu  bleiben  — in 
der  Sage  vom  Kyuast  bekannte  Beispiele  dieser  häufigen  Erschei- 
nung. Schon  vor  Jahren  habe  ich  in  unseren  „Mitteilungen“ 
(X,  53  ff.,  XV,  156  ff.)  — im  Anschlüsse  an  Zachers  Arbeiten  — 
darauf  hingewiesen,  dass  sehr  viel  Unechtes  und  Gemaclites  in  den 
Rübezahlsagen  stecke  und  zunächst  der  Anteil  des  Prätorius 
untersucht  werden  müsse:  das  ist  inzwischen  geschehen  in 

einer  Arbeit  von  de  Wyl,  die  in  wenigen  Wochen  in  un.serer 
Sammlung  „Wort  und  Brauch“  erscheint.  Alle  diese  Sagen 
aber  haben  — trotz  dem  vielen  Unechten  und  Gesuchten  — eine 
so  gewaltige  literarische  Verbreitung  erfahren,  wie  wenige  andere 
Sagen;  sie  erstreckt  sich,  zum  mindesten  schon  seit  Musäus,  über 
die  ganze  Welt.  Und  da  sollte  allein  im  Riesengebirge,  wo 
sie  doch  spielen,  nichts  von  diesen  Geschichten  bekannt 
geworden  sein?  Schon  die  vielen  Fremden,  die  in  den  Bergen  wieder 
und  immer  wieder  von  Rübezahl  reden  und  nach  ihm  fragen,  die 
Städter,  die  ihn  in  Wort  und  Bild  immer  wieder  beschwören  und 
verunstalten,  hätten  das  bewirken  müssen.  Und  die  Sache  steht 
denn  auch  tatsächlich  so,  dass  man  — statt  mit  Loewe  nach 
Leuten  zu  forschen,  denen  der  Name  Rübezahl  bekannt  ist  — 
lieber  fragen  sollte:  wer  von  den  Leuten  im  Gebirge,  alten  oder 
jungen,  hat  noch  nicht  von  Rübezahl  gehört?  Und  den  meisten 
von  ihnen  sind  gerade  die  albernsten  und  offenbar  unechtesten 
Geschichten  am  besten  bekannt:  besonders  die  etymologische 

Deutung  vom  Rübenzählen,  die  Erzählung  von  Rübezahl  und  der 
Prinzessin  Emma,  die  Redensart  von  Rübezahls  Kegelbahn  u.  ä.; 
natürlich  aber  auch  andere,  die  ursprünglich  Echtes  enthalten 
mögen  und  durch  literarische  Vermittlung  seit  Prätorius  verbreitet 
worden  sind,  z.  B.  von  Rübezahl  als  Wettermacher,  Irreführcr  usw. 


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und  auch  die  massenhaften  Geschichten,  in  denen  Rübezahl  auf 
andere  Sagen  übertragen  erscheint. 

Gerade  solche  Erzählungen,  wie  Loewe  sie  bietet,  sind  ganz 
oft'enbar  nur  durch  literarische  Verbreitung  beim  Gebirgsvolke  be- 
kannt und  können  dort  zweifellos  reichlich  gehört  werden.  Wie 
aber  dürfen  Kenner  trotzdem  behaupten,  Rübezahl  lebe  nicht  im 
Volksmunde?  Selbstverständlich  nur  in  dem  Sinne,  dass  die 
Forscher  sow  ie  auch  die  Leute  im  Gebirge,  die  als  Träger  echten 
und  wertvollen  Sagenstoffes  gelten  können,  die  sichere  Empfindung 
hatten,  dass  cs  sich  hier  eben  nicht  um  altes  echtes  Gut  handle. 
Mir  ist  das  durch  eigene  Nachfrage  so  recht  klar  geworden.  Seit 
Jahren  hatte  ich  jeden  Sommer  mehrere  Monate  im  Riesengebirge 
zugebracht  und  — obschon  nicht  Schlesier  — viel  Mundartliches 
systematisch  gesammelt,  mich  in  die  Sprache  der  Leute  hineinzu- 
finden gesucht  und  auch  mancherlei  Sage,  Brauch  und  Lied  auf- 
gezeichnet.  Von  Rübezahl  habe  ich  im  Ernst  niemals  reden 
hören,  obschon  ich  oft  darnach  gefragt  habe.  Der  alte  Bradler 
auf  dem  Tannenstein  aber  (ein  etwa  achtzigjähriger  Mann,  der 
aus  der  Gegend  der  Peterbaude  stammt)  sagte  mir,  man  habe  ihn 
als  ganz  kleines  Kind  mit  Rübezahl  bange  gemacht,  und  einmal 
habe  er  ihn  auch  w'irklich  ge.sehen : er  hatte  einen  langen  grauen 
Bart  wie  Baumflechten  und  sah  schrecklich  aus,  und  er  hatte  eine 
Tabakspfeife  im  Munde,  und  man  habe  (so  ging,  glaube  ich,  die. 
Geschichte  weiter)  ein  Geldstück  hineingesteckt  — also  es  W'ar 
wohl  eine  Art  Automat,  wie  ihn  auch  Loew'e  (S.  24)  erw'ähnt. 
Gerade  an  solche  und  andere  Rübezahlfiguren,  mit  denen  die  In- 
dustrie im  Gebirge  sich  breitmachf,  würd  man  lebhaft  erinnert, 
wenn  man  bei  Loewe  (S.  4)  liest;  „Zu  Grossvaters  Grossvater  ist 
Rübezahl  gekommen  am  Lichtenabend.  Er  trat  ein,  ohne  ein 
Wort  zu  sprechen,  und  legte  nur  seine?i  Hut  nieder.  Der  Hut  w ar 
von  Rinde,  sein  Bart  ein  Graubart,  sowie  er  an  den  Fichten 
hängt“;  oder  (S.  11):  „Rübezahl  hat  einmal  rauchen  w'ollen  und 
sich  eine  Pfeife  gekauft.  Da  er  keinen  Tabak  hatte,  stojifte  er 
sich  Moos  in  die  Pfeife  . . — gerade  so  sieht  man  es  heute 

bei  den  Rübezahlfiguren.  Obschon  auch  Gerhart  Hauptmann  in  der 
„Versunkenen  Glocke“  seinen  Waldschrat  Tabak  rauchen  lässt, 
möchte  ich  doch  das  Tabakrauchen  nicht  als  notwendiges  Kriterium 
echter  Gestalten  der  deutschen  Mythologie  ansehen.  — Und  Loewe, 
der  in  seinen  Aufzeichnungen  wertvolle  Reste  alten  Volksglaubens 

Mttteiliingrti  <1.  srliic».  Oer*  r,  Vkiic.  Heft  XX  U 


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seilen  möchte,  g:lanlit  beobachtet  zu  haben,  dass  jünfrere  Leute 
schon  nicht  mehr  so  viel  von  Rübezalil  wüssten  als  die  älteren. 
Ich  nehme  dies  nicht  ohne  weiteres  an,  denn  um  sich  in  solchem 
Sinne  über  die  Verbreitung:  von  Sagen  in  einem  sehr  gro.s.sen  Ge- 
biete äusscrn  zu  können,  dürfte  eine  so  kurze  Gebirgstoiir  nicht 
ausreichen.  Sollte  Loewe  aber  Recht  haben,  so  würde  ich 
daraus  nur  entnehmen,  da.ss  der  Rübezahlschwindel  seinen  Höhe- 
punkt überschritten  hat,  teils  dank  der  Gehaltlosigkeit  der  meisten 
Rübezahlerzählungen  (wie  sie  von  mir  schon  als  Kind  empfunden 
ward),  von  denen  doch  nur  sehr  wenige  einen  alten  guten  Kern 
haben,  teils  dank  der  vielen  Missgesfaltungen  des  Rübezahl,  deren 
man  doch  endlich  überdrüssig  wird.  Auch  ist  Ja  unsere  Jugend- 
literatur an  guten  Sagen  und  Märchen  im  letzten  halben  Jahr- 
hundert bedeutend  reicher  geworden,  so  da.ss  die  Nachfrage  nach 
Rübezahl  zurückgehen  mag. 

Da  ich  nicht  Schlesier  hin,  möchte  ich  aber  die  Entscheidung 
solcher  Fragen  in  ereter  Linie  denjenigen  Schlesiern  anheiin- 
geben,  die  gründliche  Kenner  des  Volkslebens  ihrer  Heimat  sind. 
Man  hat  da  als  Sohn  seines  Stammes  für  das  Echte  ein  ganz  be- 
sonderes (Jefühl,  das  der  Fremde  sieh  bei  allem  Eifer  niemals 
aneignen  kann;  so  z.  H.  glaube  ich  es  für  meine  nordwestdeutsche 
Heimat  in  viel  höherem  Mius.se  zu  haben,  als  für  Schlesien.  Und 
darum  habe  ich  mich,  nachdem  ich  mein  Urteil  schon  gefällt 
hatte,  an  den  besten  Kenner  der  .schlesischen  Rübezahl.sagim,  Herrn 
Profes.sor  l)r.  Regell  in  Hirschberg,  mit  der  Ritte  gewandt,  mir 
.seine  .Ansicht  in  die.ser  Sache  mitzuteilen;  in  seiner  Antwort  — 
für  die  wir  ihm  herzlichen  Dank  wi.s.sen  müssen  — .schreibt  er 
unter  anderem  über  Loewes  Aufzeichnungen  folgendes; 

„ln  meinen  .Augen  beweisen  seine  .Mitteilungen  nur,  da.ss  noch 
heute  in  un.serem  (Jebirge  viele  l.eute  vielerlei  von  Rübezahl  zu 
erzählen  wi.ssen.  Das  hat  ja  aber  kein  vernünftiger  Alensch  ge- 
leugnet. Die  Kon.statierung  dieser  Tatsache  hat  mit  der  Frage 
nach  der  Bodenständigkeit  der  Rübezahlsage  nichts  zu  tun.  Wenn 
aber  und  in.soweit  sich  seine  Mitteilungen  als  .Äusserungen  des 
echten  Volksglaubens  geben,  mu.ss  ich  ihnen  — liis  auf  weiteres  — 
jede  Beweiskraft  absprechen.  Denn  als  solche  .setzen  sie  sich  in 
Widers]irnch  mit  den  Ergebiiis.sen  eigner  langjähriger  Nachfragen. 
.Mein  Hauptgewährsmann  für  den  OstHügel  des  Gebirges,  der  leider 
.schon  verstorbene  Rose,  ein  Prachte.semplar  unserer  heimi.schen 


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Bevölkeinnp:,  der  als  gphorener  Kleiiiaupaer  und  ehemaliger 
Schatzsucher  gerade  die  Aupatiiler  bis  in  die  innersten  Winkel 
kannte,  hat  mir  von  selber  nie  etwas  über  Rübezahl  mitgeteilt, 
und,  gefragt,  leugnete  er  jundweg  und  sehr  entschieden  das  Vor- 
handensein eines  solchen  Berggeistes  und  irgendwelchen  Glaubens 
an  ihn.  Dieselbe  Erfahrung  hatte  auch  mein  verstorbener  Freund 
Cügho,  der  aus  den  ursprünglichsten  Quellen  schöpfte,  immer 
wieder  gemacht.  Unsere  Gewährsmilnner  waren  durchaus 
gläubige  und  eifrige  Vertreter  des  Volksglaubens,  die  sich  für 
die  Wahrheit  ilirer  Mitteilungen  mit  Leil)  und  Seele  verbürgten, 
und  gerade  sie  verhielten  sich  der  Rübezahlsage  gegenüber  durcli- 
aus  ungläul)ig  und  ablelinend.  Ganz  besondei’s  bezeichnend  aber 
und  beweiskräftig  für  die  Frage  nach  der  Bodenständigkeit  der 
Sage  war  für  mich  die  Beobachtung,  dass  sie  eine  Gleichstellung 
ilirer  Mitteilungen  mit  den  Rübezahlsagen  geradezu  als  eine  per- 
sönliclie  Kränkung,  als  einen  Zweifel  in  ihre  eigene  Glaubwürdig- 
keit autiässten,  wie  jemand,  der  eigene  Erlebnisse  und  eigene  Er- 
fahrungen mit  leeren  Hirnge.spinsten  auf  eine  Stufe  gestellt  sieht. 

So  lange  diesen  wurzelechten  Vertretern  unseres  Volksglaubens 
nicht  als  gleichwertig  erprobte  Zeugen  gegenübergestellt  werden 
— und  das  dürfte  schwer  halten  — , habe,  ich  alle  Veranla.ssung, 
an  meiner  bisherigen  ('berzeugung  festzuhalten. 

Darnach  muss  ich  annehmen,  dass  die  von  Herrn  Dr.  Loewe 
ausgekundeten  Rübezahlsmärchen  nicht  auf  heimischem  Boden  ge- 
wachsen, sondern  von  aussen,  wahmheinlich  auf  literarischem 
Wege  angeflogen  sind.  Auf  demselben  Wege  hat  ja  die  Sage,  wie 
ich  seinerzeit  im  „Wanderer“  als  derzeitiger  Leiter  mitteilte,  so- 
gar in  der  schlesischen  Ebene  oberflächlich  Wurzel  geschlagen. 
In  diesem  Falle  kann  ja  wohl  kein  Zweifel  sein,  dass  es  sich  um 
literarischen  Flug.samen  handelt;  und  es  wäre  geradezu  wunder- 
bar, wenn  im  Riesengebirge,  das  ja  nach  der  literarischen  Sage 
als  die  eigentliche  Heimat  Rübezahls  gilt,  und  wo  demnach 
ein  viel  lebhafteres  Intere.sse  der  einheimi.schen  Bevölkerung  für 
die  Sage  vorausgesetzt  werden  muss,  nicht  in  noch  verstärktem 
Ma.s.se  stattgefunden  hätte.  Um  so  mehr  mu.ss  die  ablehnende 
Haltung,  die  die  hierfür  in  Betracht  kommenden  Zeugen  ein- 
nehmen, ins  Gewicht  fallen“. 

Xach  solchen  Urteilen  wird  man  in  den  Rübezahlsagen  Loewes 
nur  Spiegelungen  literarischer  Erzeugnisse  sehen  mü.ssen;  Loewe 

u* 


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selbst  aber,  dem  wir  für  seine  Bemühungen  den  Dank  nicht  vor- 
enthalten, wird  gut  tun,  von  der  Überschätzung  solchen  Stoffes, 
zu  der  ihn  der  Eifer  verführt  hat.  zu  .seinen  früheren  berechtigten 
Zweifeln  zurückzukehren. 


Literatur. 

Schlesiens  volkstümliche  Überlieferungen.  Samminngen  und  Studien  der  Schlesi- 
schen (tesellschaft  für  Volkskunde,  3 Bände.  Leipzig,  H.  G.  Teubner,  ISKU — 5. 

Der  erste  Band  bietet  die  Schlesischen  Weihnachtspiele,  hcraus- 
gegeben  von  Geh.  Regierungsrat  Prof.  Pr.  F.  Vogt,  unserem  Khrenniitgliede; 
die  Te.\te  und  Musik  sind  in  zuverlässiger,  trefflicher  Gestalt  niitgeteilt  und 
haben  sich  oft  bei  .Aufführungen  in  der  Weihnachtszeit  bewährt.  Per  zweite 
und  dritte  Band,  enthaltend  Sitte,  Brauch  und  Volksglauben  in  Schle- 
sien, sind  von  üymnasialdirektor  Paul  Drechsler,  dem  besten  Kenner  auf 
diesem  Gebiete,  bearbeitet  und  mit  vielen  Zeichnungen  von  Prof.  Wislicenus 
und  Ellen  Siebs  geschmückt.  Es  sind  Hausbücher  für  jeden  Schlesier,  und  sie 
können  als  Geschenkwerkc  bestens  empfohlen  werden.  Betreffs  des  Preises  und 
der  Vergünstigungen  für  unsere  Mitglieder  sei  auf  den  t'mschlag  verwiesen. 
Gleiches  gilt  für  die  von  uns  herausgegehene  Sammlung  „Wort  und  Brauch“. 
Wort  und  Brauch.  Volkskundliche  Arbeiten  namens  der  .Schlesischen  Gesellschaft 
für  Volkskunde  in  zwanglosen  Heften  herausgegeben  von  Th.  Siebs  und 
M.  Hippe. 

I.  Heft.  Pie  deutschen  Familiennamen  nach  Breslauer  Ijuellen 
des  13.  und  H.  .lahrbunderts , von  Dr.  Hermann  Reichert.  Breslau  190S, 
M.  & H.  Marcus.  X.  192  S.  M.  6,40  (für  Mitglieder  M.  4,80). 

Es  ist  eine  in  der  Methodik  und  den  Ergebnissen  ausgezeichnete  Arbeit, 
die  nicht  allein  ein  örtliches  Interesse  für  .‘Schlesien,  sondern  ein  allgemein 
kulturgeschichtliches  hat. 

Während  sich  die  deutsche  lokale  Namenforschung  bisher  auf  eine  hypo- 
thetische und  meistens  recht  geringwertige  Deutung  der  Namen  erstreckte  und 
im  besten  Kalle  durch  Zusammenstellung  von  Gruppen  die  Namenbildung  zu 
veranschaulichen  suchte,  gebt  H.  von  dem  neuen  und  einzig  richtigen  Gesichts- 
punkte aus,  dass  nur  auf  Grund  des  gesamten  grossen  urkundlichen  Namen- 
materiales eines  bestimmten  Gebietes  und  einer  bestimmten  Zeit  die  wichtige  Frage 
nach  dem  Werden,  d.  h.  nach  der  Entstehung  und  dem  Festwerden  der  Familiennamen 
der  Beantwortung  näher  gerückt  werden  kann.  .So  hat  R.  nicht  nur  das  gedruckte, 
sondern  mit  bewundernswertem  Flcisse  das  ganze  handschriftliche  Material  aus- 
genutzt, vor  .allem  die  Breslauer  Schüflrcnbüchcr  (1345—1400),  acht  Bände  mit 
etwa  4500  Seiten  und  etwa  1()00(X)  Personenenuamen,  ferner  die  Bürgerbücher 
und  Signaturbücher.  Wir  gewinnen  damit  eine  vollkommene  Einsicht  in  den 
N.amenschatz  Breslaus  während  der  zweiten  Hälfte  des  14  .Tahrhunderts;  aber 
— und  das  ist  bedeutsam  — Kcichert  betrachtet  diese  Namen  nicht  als  totes 
Spr.achmaterial.  sondern  er  berücksichtigt  ihren  Wert  für  die  Erkenntnis  der 


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Lebens-  und  Kiunilienvcrhältnisse  jener  Zeit  und  kuinmt  dadurch  zu  neuen, 
höchst  wissenswerten  Ergebnissen. 

Zunächst  werden  die  Taufnamen,  männliche  und  weibliche,  mitgeteilt, 
belegt  und  — soweit  möglich  — erklärt,  und  in  klarer,  fasslicher  Weise  werden 
die  Bildungsprinzipien  der  Voll-  und  Kurznamen  erörtert.  In  einem  kultur- 
geschichtlich anziehenden  Kapitel  wird  der  Xamensschatz  verschiedener  Zeiten 
nach  Mode  und  Beliebtheit  der  einzelnen  Namen  beurteilt. 

Der  Hauptteil  ist  sodann  den  Familiennamen  gewidmet  Es  wird  — im 
Anschlüsse  an  Socin’s  Forschungen  fUr  die  Schweiz  — mit  der  veralteten  .‘An- 
schauung gebrochen,  dass  zur  Zeit  des  .Aufblühens  der  Städte  seit  1100  der 
kleine  Bestand  von  Taufnamen  und  der  wachsende  Verkehr  viele  Verwechslungen 
veranlasst  und  neue  Untcrseheidungsmittel  der  I’ersonen  notwendig  gemacht 
habe,  und  dass  dadurch  die  Doppelnamigkeit  entstanden,  die  Familiennamen 
hervorgerufen  seien,  licichert  weist  vielmehr  nach,  wie  in  allmählicher  Ent- 
wicklung ein  alter  Usus  ans  früher  Zeit  immer  häufiger  und  schliesslich  Er- 
fordernis geworden  ist. 

Zunächst  werden  die  vielen  Familiennamen  besprochen,  die  aus  Taufnamen 
entwickelt  und  somit  im  ersten  Teile  des  Buches  erklärt  sind  In  über- 
raschender Weise  aber  werden  hier  die  Gründe  aufgezeigt,  weshalb  diese  Tauf- 
namen als  Familiennamen  gebraucht  werden:  durchaus  nicht  etwa  nur  deshalb, 
weil  der  !<ohn  nach  dem  Vater  oder  der  Mutter  benannt  wird,  sondern  auch 
Ehemänner  werden  nach  ihren  Frauen  benannt,  der  Neffe  nach  dem  Uheim,  ja 
.Schwiegervater,  Bruder  usw.  können  zur  Namengebung  führen,  besonders  wenn 
ihre  bekannte  Stellung  ausschlaggebend  ist:  z.  B.  ein  Hermannus  Zachariae  ist 
der  Schwiegersohn  des  Zacharias;  Heinrich  .Sommerfeld  hat  seinen  Namen,  weil 
er  der  .Schwager  des  (bekannten)  Hermann  Sommerfeld  war;  ein  Mann  heisst 
(um  1:120)  der  lange  Dietrich  und  ist  eine  bekannte  Breslauer  l’ersönlichkcit 
gewesen  — nach  ihm  heisst  ein  Bruder  Nickel  Langedietrich,  ja  ein  Neffe  sogar 
Lorenz  Langedietherich , weil  er  eben  zu  dem  bekannten  Manne  in  Beziehung 
stand.  So  auch  werden  die  Dienenden  nach  der  Herrschaft  benannt,  wie  cs 
heute  freilich  nicht  mehr  offiziell,  jedoch  noch  in  der  L'mgangsprache  geschieht. 

Weiterhin  werden  die  vielen  Familiennamen  behandelt,  die  nach  itrtlich- 
keiten  (nach  Bezirken,  .Strassen,  Gebäuden  der  .Stadt,  nach  dem  Herkunftsorte) 
gebildet  sind,  und  es  wird  nachgewiesen,  dass  sich  aus  der  Fülle  der  Namen 
mit  con  (de)  kein  .Schluss  auf  die  Herkunft  der  Besiedler  Schlesiens  ziehen 
lässt.  Sodann  werden  die  Namen  nach  Stand,  Amt  und  Beruf  erörtert,  und  aus 
denjenigen,  neben  denen  noch  eine  besondere  abweichende  Berufsbezeiebnung 
steht,  wird  auf  das  Festwerden  der  Familiennamen  geschlossen:  z.  B.  erscheint 
1396  ein  Nicolaus  becker  textor,  der  also  nicht  Bäcker  war,  sondern  Weber; 
auch  ans  der  Erblichkeit  solcher  Berufsnamen  in  der  Familie  kann  man  schon 
das  Festgewordensein  des  Familiennamens  beweisen. 

Ein  Abschnitt  von  ganz  besonderem  Reiz  und  kulturgeschichtlichem  Interesse 
behandelt  die  sog.  l'bernamen,  Namen  nach  Eigenschaften,  nach  Vergleich  mit 
Tieren,  nach  Essen  und  Trinken,  Kleidung,  ja  auch  nach  nach  .Aussprüchen, 
Redensarten  usw.  Neben  vielem  anderen  Neuen  ergibt  sich  hier,  dass  die 
Familiennamen  von  der  Entwicklung  der  Häusernanien  und  vor  der  Verbreitung 
von  Wappen  bei  den  Bürgern  festgeworden  sind. 


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134 


Auch  auf  die  geschidilliclic  Weitfrcntwickluiig  der  Breslauer  Namen  wird 
Bezug  genommen.  Der  Lage  der  IHnge  im  13.  und  14.  Jahrhundert  wird  die 
Zeit  gcgenUbergestellt,  als  in  Breslau  da.s  erste  Adressbuch  erschien:  1S32; 
damals  hatte  die  Stadt  90000  Einwohner.  Nur  etwa  ein  Fünftel  der  iin 
14.  Jahrhundert  naehw'eisbaren  Namen  sind  1H32  noch  vorhanden,  hingegen  heute 
sind  — was  auf  Neueinfilhrung  deutet  — engere  Beziehungen  zum  14.  Jahr- 
hundert festzustellen;  von  den  1832  noch  vorhandenen  Namen  sind  etwa  BO  ein- 
gegangeu. 

Andere  schlesische  Städte  werden  auf  diesem  Forschungsgebiet  manche 
Analogien  zu  den  Breslauer  Verhältnissen  zeigen  Aber  nicht  nur  jeden  ge- 
bildeten Schlesier  muss  die  Arbeit  Keicherts  interessieren,  sondern  sie  ist  durch 
Ergebnisse  wie  Methode  für  die  Namenforschung  Uberhauiit  wichtig.  — e— 

II.  Heft.  Lateinisch-romanisches  Fremdwörterbuch  der  Schle- 
sischen Mundart  von  Or.  Erich  Jäschke.  Breslau  1908,  M.  & H.  Marcus. 
XVI,  IBO  8.  M 5,1)0  (für  Mitglieder  M.  4,20), 

I'nter  den  grossen  .Aufgaben,  deren  Inangrilf nähme  die  Schlesische  Ge- 
sellschaft für  V'ulkskimde  seit  langem  als  eine  Ehrenpflicht  empfindet,  steht  die 
Herstellung  eines  Wörterbuches  der  schlesischen  ^lundart  obenan  (irundlegeiide 
Vorarbeiten  hierfür  sind  namentlich  von  Karl  Weinhold  bereits  vor  langen 
Jahren  veröffentlicht  worden;  mancherlei  wichtiges  Material  ist  in  den  l’ubli- 
kationen  der  Gesellschaft  niedcrgelegt.  Einen  weiteren  hervorragenden  Beitrag 
zu  dem  schlesischen  Idiotikon  der  Zukunft  liefert  jetzt  Erich  Jäschke  in  seinem 
Fremdwörterbuch  der  schlesischen  Mundart,  in  dem  er  die  lateinisch-romanischen 
Elemente  des  schlesischen  Wortschatzes  gesammelt  und  in  lexik.alischer  Ordnung 
verzeichnet  hat 

Waren  die  slavischen  Bestandteile  der  schlesischen  Mundart  schon  wieder- 
holt untersucht  worden,  so  lagen  für  die  lateinisch-romanischen  F'remdwörter 
bisher  kaum  nennenswerte  Arbeiten  vor.  Oer  Verfasser  war  also  genötigt,  das 
gesamte,  überraschend  reiche  Material  in  der  llauptsirchc  selbst  zusammen- 
zutragen.  zu  ordnen  und  zu  erklären.  Er  hat  sich  dieser  .Aufgabe  mit  grossem 
Geschick  und  mit  reichem  Firfolge  unterzogen.  Sein  Buch  darf  nach  Weinholds 
im  Jahre  185.5  liernnsgegvbenen  , Beiträge  zu  einem  schlesischen  Wörterbuch“  als 
die  bisher  wichtigste  -Arbeit  auf  dem  Gebiete  der  Schlesischen  Wortforschung 
gelten  Jäschke  verzeichnet  alle  in  den  schlesischen  Mundarten  jetzt  und  früher 
nachweisbaren  F'remdwörter,  die  aus  dem  Lateinischen  oder  einer  der  romanischen 
Sprachen  — cs  kommen  lediglich  das  Französische,  Italienische,  allenfalls  das 
Spanische  in  Betracht  — stammen.  Nur  solche  F’remdwörter,  die  in  der 
Schriftsprache  dieselbe  F'orm  und  die  gleiche  Bedeutung  wie  in  der  Mundart 
haben,  sind  ansgeschieden  worden  Oie  (juelle,  aus  der  der  Verfasser  geschöpft 
hat,  war  in  erster  Keihc  die  lebende  Slundiirt,  in  zweiter  die  gedruckte  Literatur 
an  schlesischen  Te.vten  alter  und  neuer  Zeit. 

Oie  Einrichtung  des  Wörterbuches,  die  .Anordnung  der  -Artikel  und  das 
zur  FIrklärung  der  einzelnen  F'ormen  heigebrairhte  Material  entspricht  nicht  nur 
den  Anforderungen,  die  man  vom  wissenschaftlichen  Standpunkte  an  ein  mund- 
artliches Lexikon  stellen  muss;  sic  ist  von  der  -Art,  dass  auch  der  ungelehrte 
Leser  in  dem  Nachschlagebuch  mühelos  -Aufklärung  und  Belehrung  findet,  Oer 
Verfasser  führt  zunächst  das  jedesmal  behandelte  F'remdwort  in  einer  gemein- 


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schlesischen  Form  uii.  jjibl  diuiii  in  plnmclischer  I'mschrift.  wenn  notwemii^, 
mit  (len  vorhandenen  Varianten,  das  mnndartiiehe  Laiithild  des  Wortes,  ver- 
zeichnet die  Bedeutumr,  ferner  die  Stellen,  an  denen  das  Wort  in  der  ge- 
druckten Literatur  nachweisliar  ist,  und  bietet  endlich  die  Etymologie  unter 
Hinweis  auf  diejenigen  anderen  deutschen  Mundarten,  in  denen  das  fragliche 
Wort  gleichfalls  gebraucht  wird,  ln  einigen  einleitenden  Kapiteln  hat  der  Ver- 
fasser allgemeine  Erörterungen  Uber  die  Auswahl  der  Wörter,  die  Quellen, 
die  Anordnung  des  .‘ttoffes  usw.  vorangesebickt  und  vor  allem  eine  sehr  dankens- 
werte i’bcrsicht  (Iber  die  Lautverilmlerungen  und  andere  grammatische  V'erhält- 
nisse  der  behandelten  Fremdwörter  geliefert. 

Alles  in  allem  haben  wir  in  .läselikes  buch  eine  Arbeit,  die  in  sehr  erfreu- 
licher Weise  unsere  Kenntnis  eines  wichtigen,  bisher  vcrnnchliissigten  tiebietes 
der  schlesischen  Wortkundc  bereichert,  und  die  den  Wunsch  rege  macht,  cs 
möchten  sich  Imld  die  Kräfte  und  die  Mittel  finden,  um  auch  andere  Teile  und 
schliesslich  da.s  Ganze  unseres  heimischen  Wortschatzes  in  gleich  grUinllicher 
Weise  zu  behandeln  und  darzustellen.  — p — 

III.  Heft.  I>ie  schlesische  Mundart  in  ihren  Lantverhältnissen 
grammatisch  und  geographisch  dargestclit  von  Wolf  von  Unwerth. 
Mit  zwei  Karten,  l’reisarbeit  gi^krönt  von  der  philosophischen  Fakultät  der 
Fniversität  breslau  am  27.  .lanuar  1!K)7.  Kreslau  1908.  M.  4 11.  Marcus. 
XVI  94  .■<.  M.  S.tiO  (für  Mitglieder  M,  2,70). 

Der  Verfasser  hat  in  die.ser  grundlegenden  .trbeit  zum  ersten  Male  eine 
umfassende  und  klare  Iiarstellung  aller  schlesischen  Mundarten  gegeben.  Er 
ist  von  der  richtigen  Auffassung  ausgegangen,  dass  cs  im  letzten  (»runde  eine 
sichere  .‘»cheidung  der  Mundarten  nicht  geben  könne,  sondern  man,  höchstens  die 
einzelnen  .'(prachcigentümlichkeiten  geographisch  begrenzen  kann.  Von  einer  in 
sich  geschlossenen  Mundart  lässt  sich  nur  in  ileni  Sinne  reden,  dass  wichtige 
Erscheinmigen  oder  Erscheinungsgruppen  in  einem  bestimmten  (»ebiele  gemeinsam 
auftreten  und  uns  so  einen  gesonderten  Dialekt  empfinden  lassen.  Mit  beeilt 
wird  sodann  ausgefUhrt.  dass  als  derartige  wichtigere  SpracherscheiuuDgcn  nicht 
etwa  Wortbildung  oder  Wortgebrauch  entscheidend  sind . sondern  die  Lautver- 
hältnisse.  l'nd  um  diese  für  das  .''chlesischc  festzustclien  und  karti'graphisch 
zu  bestimmen,  hat  der  Verf.  auf  (irund  der  vorhandenen  Literatur  und  eigener 
Forschung  eine  vergleichende  Lautlehre  der  schlesischen  .Sprache  ausgearbeitet 
und  für  die  bedeutsamsten  Lautunterschiede  die  Grenzen  durch  örtliche  Nach- 
frage von  Dorf  zu  Dorf  fcstgelcgt. 

.\uf  diese  Weise  sind  vor  allem  eine  Heihe  von  Lauterscheinungen  um- 
grenzt worden,  in  deren  .Auftreten  man  eine  Zugehörigkeit  zum  sog.  schlesischen 
Dialekt  empfinden  kann.  Imsonders  der  Zusammenfall  der  mittelhochdeutschen 
ö m i U (letztere  bei  Dehnung)  in  1,  von  mhd.  fl  und  o (bei  Dehnung)  in  6,  von 
mhd.  fl  und  u (bei  Dehnung)  in  ft;  tsine  Zehne,  bif?  böse,  wil?  H'iese.  mile 
Mühle;  sflf  Schuf,  bfldfln  Hoden;  grfls  gross,  pfts  Husch  Kurzer  Vokal  des 
Mittelhoehdeutschen  ferner  ist  nicht  nur  in  oti'cner  Silbe,  sondern  auch  vor 
auslautender  aller  Doppelkonsonanz  gedehnt,  die  Diphthonge  mhd.  uo,  Oe,  ic  sind 
gekürzt,  und  sLitt  des  hochdeutschen  mpf  und  (inlautenden)  pf  erscheint  mp  pp. 
z.  b.  snöh<i|  Si’hnaiel,  nfts  S'iiss,  tis  Tisch;  rufa  rufen,  slisa  schliessen,  blcher 
Bücher;  stompa  stumpfen,  kflp  Kopf,  l nd  das  schlesische  Gebiet  dieser  Er- 


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scheinungtn  sind  Preussiach-Sclilcsicn  mit  den  niiucldeutscheii  (iebiuten  von  I’osen, 
Usterreicbisch-Schlcsien  und  M&hrcn  bis  zur  i'echischcn  Sprachgrenze,  die  säch- 
sische Lausitz,  die  Kiederlausitz  ohne  die  wendischen  Teile,  die  Kreise  Krossen 
und  Schwiebus  bis  zur  niederdeutschen  Grenze,  Und  innerhalb  dieses  Sprach- 
gebietes unterscheidet  der  Verfasser  auf  Grund  weiterer  Kinzelhciten 

1.  die  Stammniundarten,  wozu  das  Glätzische,  das  Gebirgsschlesiscbe 
und  das  Luusitzisch-Scblesische  gehören  j 

2.  die  sog.  Diphthongiernngsmundarten,  nämlich  die  Sprache  des 
Glogaucr  und  des  Grönberger  Kreises.  Unter  der  Diphthongierung  ist  der 
Übergang  von  schles.  i zu  6 und  ui,  von  schles,  6 zu  ö und  an,  von  schles  ö 
zu  ö und  au  zu  verstehen,  z.  B.  snitS  Schnitte  : snötS  : snaite;  töp  Topf  : töp  : 
taup;  stöbe  Stube  : stöbe  : itaube.  Die  Grenzen  dieser  und  anderer  Erscheinungen 
sind  auf  Übersichtlichen  bunten  Karten  festgestellt  und  im  Texte  beschrieben. 
— Zwischen  den  beiden  Hauptgebieten  liegt  das  von  Partsch  als  ,Neumarkter 
Platte“  bezeichnete  mittelschlesiscbe  Gebiet,  das  die  Sümpfe 'sUdlich  der  Oder 
von  Breslau  bis  Maltsch  und  die  Überschwemmungsgebiete  der  Katzbach  und 
des  Schwarzwassers  begreift  und  auch  in  kultureller  Hinsicht  eine  Sonderstellung 
einnimmt.  Hier  sind  eben  schles.  1 ö ii  nicht  zu  den  Diphthongen  ai  au  fort- 
gesehritten,  sondern  nur  zu  t,  ö,  6,  und  die  hochdeutschen  Diphthonge  ei,  au 
(Schwein,  Haus)  sind  bewahrt,  nicht  wie  im  nördlicheren  Gebiete  zu  6,  6 ent- 
wickelt. Zu  besonderer  Klarheit  ist  der  Verf.  auch  in  der  schwierigen  Frage 
der  Entwicklung  des  mittelhochdeutschen  age  (sagen),  ege  {liegen),  oge  (gezogen), 
äge  (fragett)  sowie  der  Diminutivendungen  durchgedrungen. 

Diese  äus.serst  sorgfältige  grammatische  Arbeit  hat  zum  ersten  Male  die 
schlesischen  hlundarten  nach  grossen  Gesichtspunkten  dargestellt  nnd  ein  ge- 
waltiges Material,  das  in  mühevoller  Kleinarbeit  gewonnen  ist,  mit  einer  Kürze 
nnd  Knappheit  bewältigt,  die  sehr  wohltuend  ist  im  (iegensatze  zu  den  heute 
immer  dicker  und  breiter  werdeuden  Mundartgrammatiken , die  nur  irgend 
eiuen  örtlichen  Dialekt  eines  grösseren  deutschen  Sprachgebietes  behandeln.  — Die 
Arbeit  ist  von  der  Breslauer  Universität  mit  dem  Preise  gekrönt  worden,  (s.) 

IV.  Heft.  Die  Nationalhymnen  der  europäischen  Völker.  Von 
Dr.  phll.  Emil  Bohn,  ord.  Honorarprofessor  der  Musikwissenschaft  an  der  Uni- 
versität Breslau.  Mit  einer  Notenbeilage.  Breslau  1908.  M,  & H.  Marcus. 
75  S.  M.  2,40  (für  Mitglieder  M.  1,80). 

Eine  wertvolle  nnd  liebenswürdige  Schrift,  theoretisch  und  praktisch  in 
gleichem  Masse  bedeutsam.  Theoretisch , weil  hier  zum  ersten  Male  die  wech- 
selnden Schicksale  und  Wanderungen  aller  Nationalhymnen  der  europäischen 
Völker  aufgezeigt  sind  und  damit  vielen  unrichtigen  .Ansichten  und  unhaltbaren 
Vermutungen  begegnet  wird:  man  denke  nur  an  das  viel  umstrittene  „God 
save  the  King“;  auch  ist  es  volkskundlich  sehr  interessant,  einmal  diese  vor- 
nehmlichsten  Äusserungen  des  Patriotismus  in  Dichtung  und  Musik  hei  den 
verschiedensten  Völkern  zu  vergleichen.  Praktisch  aber  ist  das  Buch  deswegen 
von  grossem  Nutzen,  weil  man  hier  zum  Vorträge  die  sämtlichen  National- 
hymnen in  Text  und  Noten  auf  engem  Baume  beieinander  findet. 

Der  durch  seine  seit  mehr  als  25  .lahren  bestehenden  Breslauer  historischen 
Konzerte  berühmte  Universitätsprofessor  Dr.  Bohn  hatte  mit  der  Vorführung  der 
Nationalhymnen  im  letzten  Winter  einen  ganz  besonderen  Erfolg  Gewiss  wird 


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mancher  uu8wärli){e  Leiter  vun  Chören  gern  einmal  dem  Vorgänge  folgen, 
nnd  dann  findet  er  in  diesem  Buche  alles  beisammen , auch  die  nötigen 
musikalischen  Angaben.  Gelehrte  der  verschiedensten  Länder  haben  zur  Be- 
scbafi'ung  oder  Übersetzung  der  Texte  geholfen ; vielleicht  wäre  es  in  einer  — 
bald  zu  erwartenden  — zweiten  Auflage  möglich,  dass  Professor  Bohn  die  (ihm 
zur  Verfügung  stehenden)  notwendigsten  Angaben  über  richtige  Anssprache  der 
fremden  Texte  machte.  — Ausser  den  grossen  Nationen  sind  nicht  nur  die 
bekannten  kleineren  Staaten  (Dänemark,  Schweden,  Norwegen,  Niederlande, 
Belgien,  die  Schweiz),  sondern  auch  die  Völker  des  .nahen“  Orients  vertreten, 
wie  (iriechenland,  Serbien,  Montenegro,  Rumänien,  Bulgarien;  auch  sind  ver- 
schiedene der  früher  selbständigen  Staaten  (Böhmen,  Finnland,  Livland,  Polen, 
Schleswig-Holstein)  berücksichtigt.  Der  etwa  dreissig  Seiten  umfassende  Noten- 
druck sowie  die  gesamte  Ausstattung  lassen  nichts  zu  wünschen.  ts. 

Sohrader,  Otto.  Sprachvergleichung  nnd  l’rgeschichtc.  Linguistisch- historische 
Beiträge  zur  Erforschung  des  indogermanischen  Altertums.  I:  Zur  Geschichte 
uiid  Methode  der  linguistisch -historischen  Forschung.  II  1:  Die  Metalle. 
II  2:  Die  l’rzeit.  .lena,  Costenoble  1905—7. 

Das  zuerst  1883,  zum  zweiten  Male  1889  heransgegebene  Werk  erscheint 
hier  in  dritter  Auflage,  nunmehr  in  drei  Teile  zerlegt.  Dass  wir  wie  in  Schräder, 
dem  Verfasser  des  .Ueallexikons  der  indogermanischen  Altertumskunde*,  den 
namhaftesten  Vertreter  der  sogenannten  linguistischen  Paläontologie  zu  sehen 
haben,  braucht  kaum  erwähnt  zu  werden.  Und  für  diese  neue  Gestaltung  seiner 
ersten  und  grundlegenden  Arbeit  dürfen  wir  ihm  besonders  deswegen  dankbar 
sein,  weil  er  sich  hier  mit  der  Methodik  anderer,  neuerer  Forschungen  abzufinden 
Gelegenheit  genommen  hat.  Als  Ende  1905  der  erste  Teil  erschien,  lagen  frei- 
lich die  .Waldbäume*  von  Hoops  und  die  .Indogermanen*  von  Hirt  noch  nicht 
vor;  zu  diesen  Arbeiten  konnte  daher  erst  im  zweiten  Teile  Stellung  genommen 
werden.  Es  ist  hier  nicht  der  Ort,  mit  dem  Verfasser  Uber  Einzelheiten  zu 
rechten,  weder  über  solche,  die  bereits  in  früheren  Auflagen  behandelt,  noch  über 
diejenigen,  die  in  der  neuen  Fassung  durch  dankenswerte  Arbeit  binzugewonnen 
sind.  Nur  über  die  Ergebnisse  im  grossen  und  ganzen  soll  ein  kurzes  Wort 
gesagt  werden.  Und  da  müssen  wir  gerade  dieser  neuen  Auflage  unseren  Bei- 
fall anssprechen:  sie  ist  im  ganzen  glücklich  in  ihrem  negativen  Teile,  in  der 
Polemik  — und  das  will  viel  heissen;  glücklich  aber  auch  in  den  positiven  Er- 
gebnissen, der  Änderung  des  früheren  Standpunktes.  Schräder  ist  skeptischer, 
znrüclihaltcnder  geworden,  und  in  der  .Antwort  auf  die  meistumstrittene  Frage 
ist  an  Stelle  der  kühnen,  zuversichtlich  geäusserten  Hypothese  oft  ein  .non 
liquet*,  ja  ein  entsagendes  .ignorabimus*  getreten.  Manch  einer  mag  auch  dies 
.ein  negatives*  Ergebnis  nennen;  ich  heisse  es  positiv. 

•Als  ich  vor  einigen  Jahren  die  Entwicklung  der  germanistischen  Wissen- 
schaft im  letzten  Viertel  des  neunzehnten  Jahrhundert  zusammenzufassen  hatte 
(Ergebnisse  und  Fortschritte  XVII  ff.),  da  habe  ich  mich  auch  mit  der  lin- 
guistischen Paläontologie  und  der  Prähistorie  auseinanderzusetzen  versucht. 
Schräder  würde  es  wohl  gar  nicht  der  Mühe  wert  erachten,  solche  einseitigen 
methodischen  Bemerkungen  eines  Germanisten  zu  berücksichtigen.  Mir  aber  ist 
es  eine  Freude,  mich  mit  der  neuen  Auflage  des  Werkes  noch  mehr  in  Einklang 


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za  wissen  als  mit  den  früheren;  besonders  was  die  Miigliehkeil  anlangt,  die  Lage 
einer  indogermanischen  rrliciniat  za  erschliesscn. 

Im  allgemeinen  stimme  ich  Schräder  hei,  wenn  er  die  neuesten  Bestrebungen 
ablehnt,  denn  sie  scheinen  mir  von  unrichtigen  Voraussetzungen  anszugehen 
Nur  hätte  ich  gewünscht,  dass  er  das  noch  schärfer  betont  hätte  und  nicht 
Ecliliesslich,  der  heutigen  Mode  folgend,  eine  Verständigung  mit  Wissenschaften 
gesucht  hätte,  die  für  die  indogermanische  Frage,  eine  reine  Sprachfrage,  gar 
nicht  zuständig  sind  Pas  Streben,  nicht  rückständig  zu  erscheinen,  hat  ihn  zu 
Kompromissen  geführt,  die  man  ihm  nicht  dauernd  danken  wird.  Ich  wenigstens 
lehne  die  neueren  Versuche  auf  diesem  (»ebiete  rundweg  ab.  Es  sclieint  mir  eine 
völlig  haltlose  Voraussetzung,  dass  die  Buche  (germ.  hökö-,  lat.  fägus,  griech. 
'fC/j'öf  .Eiche“,  kurd.  bflz  .I'lnic')  den  Indogermanen  bekannt  gewesen  sei  und 
diese  deshalb  westlich  der  Buchengrenze  (Königsberg— Odessa)  gewohnt  haben 
müssten,  wie  Hoops  iennimmt;  das  Wort  hat  bekanntlich  in  den  verschiedenen 
indogermanischen  Sprachen  verschiedenen  Sinn,  und  die  Wnrzclbedeutung  pas.st 
für  viele  Bäume;  wer  wollte  auch  z.  B.  einen  (jetreidenamen  wie  Korn,  der  in 
den  germanischen  .Sprachen  die  verschiedensten  .\rten  bezeichnen  tind  zu  dem 
litauischen  iirnis  .Erbse*  gestellt  werden  kann,  in  ähnlichem  Sinne  verwerten? 
.Auch  sollte  ein  jeder,  der  die  Herkunft  der  Indogermanen  glaubt  ans  ihrer 
Spruche  erschliesscn  zu  können,  im  Auge  behalten,  dass  die  sogenannten  Kultur- 
wörter zum  grossen  Teil  ein  für  diese  Fragen  unbrauchbares  Material  ahgeben, 
und  dass  aus  dem  negativen  .'^prachstoffe  niemals  geschlossen  werden  darf.  Vor 
allem  aber  darf  nie  vergessen  werden,  dass  wir  mit  dem  Begriffe  „Indogermanen“ 
niemals  über  den  Begrifl'  einer  .''prachgemeinschaft  hinausgehen  dürfen  und  für 
die  Kassen-  oder  Stamniesbestimmung  also  gar  nichts  gewinnen;  ja  die  Sprach- 
gemeinschaft setzt  nur  bedingt  eine  Kultnrgemeinschaft  voraus.  Pas  Wort  ,Indo- 
gernmnen“  sollte  meines  Erachtens  von  der  .Anthropologie  und  l’rähistoric  Über- 
haupt nicht  gebraucht  werden,  damit  würden  viele  Irriümer  vennieden.  fnd 
endlich  ist  folgendes  beachtenswert;  wann  immer  nur  von  den  Indogermanen 
reden  und  sie  uns  über  ein  noch  so  grosses  (iebiet  verbreitet  denken,  müssen 
wir  den  Uiundsatz  festhalten,  dass  eine  solche  Sprachgemeinschaft  sich  nur  auf 
eng  begrenztem  (jebiete  ausgebildet  haben  kann ; wer  daran  zweifelt,  setzt  sich 
mit  aller  sprachwissenschaftlichen  Methodik  und  mit  aller  historischen  Erfahrung 
in  Widerspruch;  wenn  wir  die  Entwicklung  der  romanischen  Sprachen,  die  das 
sicherste  Beispiel  abgeben,  oder  die  der  germanischen  .Sprachen  zurückverfolgen, 
werden  wir  von  ihrer  heutigen  Ausbreitung  über  den  Erdkreis  znrückgeführt 
auf  einen  ziemlich  eng  umgrenzten  Kaum.  Canz  besonders  aber  sei  noch  auf  die 
rnmögiiehkeit  hingewiesen,  die  Ergebnisse  der  (ieologie  und  sogenannten  l’aläo- 
geographie  mit  der  Frage  nach  der  Heimat  der  Indogermanen  irgendwie  zu  ver- 
nuicken,  wie  es  Kretschmer  getan  hat;  diese  Wissenschaften  rechnen  mit  Zeit- 
räumen, an  denen  gemessen  die  sprachgeschichtlichen  Perioden,  die  sicher 
erkennbar  sind,  nur  eine  kurze  .'«pannc  bedeuten. 

Im  wesentlichen  scheint  mir  auch  .Schräder  diesen  (irundsäizen  beizu- 
pflichten, aber  er  spricht  sic  nicht  scharf  genug  aus.  .Man  schmälert  die  hohe 
Bedeutung  der  .Anthropologie,  l’rähistoric,  Geologie  gewis.«  nicht  dadurch,  dass 
mau  ihnen  nicht  die  Entscheidung  einer  Sprachfrage  zugesteht.  Nur  um  eine 
sulche  handelt  cs  sich.  Sie  lautet:  „wo  haben  einst  in  vorhistorischer  Zeit  die- 


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_13it 

jciiigcii  gcU'bt.  die  eine  gewisse  — von  uns  zu  ersdilicssende  Sprache  — redeten!''* 
l'nd  beantworten  lässt  sic  sich,  da  alle  historischen  Anhaltspunkte  fehlen,  ent- 
weder nur  aus  diesem  von  uns  zu  crschliessenden  Sprachmaterial  (das  selbst- 
verständlich durch  Etymologie  und  nach  Jieringers  Vorschlägen  auch  durch 
Saehenkundc  interpretiert  werden  soll)  oder  überhaupt  nicht.  Qui  trop  embrasse, 
mul  tftreint. 

l’nd  gerade  von  diesem  Standpunkte  aus  betrachtet  erscheint  uns  Schräders 
grosses  und  dauerndes  Verdienst  in  hellstem  Lichte:  den  reichen  Stoff  einer 
indogermanischen  l'rsprachc  ans  den  einzelnen  Sprachzweigen  erschlossen  und 
übersichtlich  dargcstellt  zu  haben.  Siebs. 

Martin,  .\Ifred.  Deutsches  Badewesen  in  vergangenen  Tagen  Mit  159  Abbildungen 
nach  alten  Holzschnitten  und  Kupferstichen.  44H.S.  Jena  HMäi,  Eugen  Dicdcrichs. 

Ein  mit  grossem  Fleisse  und  mit  grosser  .Sachkunde  gearbeitetes  Buch, 
das  ausführlich  das  kulturgeschichtlich  so  wichtige  und  interessante  Badewesen 
in  Deutschland  von  den  ältesten  Eciten  bis  auf  den  heutigen  Tag  behandelt. 
Zunächst  werden  die  Zeugnisse  für  den  Gebrauch  der  Bäder  in  ältester  Zeit 
besprochen,  und  hierbei  w'ird  auch  das  Wort  ,Stubc“  als  eine  alte  germanische 
Bezeichnung  für  Ofen  und  Badezimmer  erklärt  — für  die  eigentliche  Bedeutung 
.erwärmtes  Zimmer“  hätte  auch  das  niederdeutsche  Wort  stoven  .erwärmen, 
schmoren“  angeführt  werden  kiinnen  Hierauf  werden  — und  das  ist  vor  .allem 
ein  die  Volkskunde  interessierendes  Kapitel  — die  aus  urgermanischer  Zeit  ent- 
stammten Badebräuchc  betrachtet.  V’om  Frühlingsbade,  dem  Maibade,  dem 
Walpurgis-  und  Johunnisbade  ist  die  Uede.  vom  Osterbade,  von  beiligen  Brunnen 
und  Quellen,  von  dem  in  der  Weihnacht  geschöpften  heilwäg  und  vom  Wasser- 
nrteil.  Dieser  .Abschnitt  lässt  insofern  zu  wünschen,  als  mit  dem  Begriff  ur- 
gcrmanisch  etwas  eigenartig  verfahren  wird;  meistens  sind  unter  ihm  Zeugnisse 
aus  dem  Mittelalter  vereinigt;  und  die  bedeutsame  altgermauische  Erwähnung 
des  Bades  als  Kulthandlung,  von  der  uns  Tacitus  lieim  Xerthusdienst  erzählt, 
ist  unerwähnt  geblieben.  Sehr  lehrreich  sind  die  Kapitel  Uber  die  ehehuften 
Badestuben  und  das  Badegewerbe  sowie  über  die  Nebenberufe  der  Bader,  die 
nicht  nur  als  .'<etzer  und  Reiniger  der  Badeöfen,  sondern  hier  und  da  überhaupt 
als  .''chornsteinfeger  fungierten  — nach  heutiger  .Anschauung  freilich  die  hete- 
rogensten Berufe;  anderwärts  waren  sie  Seifenmacher,  Messerschleifer,  A’erfertiger 
der  vor  allem  beim  Baden  gebrauchten  .Strohhüte,  vor  allem  aber  H.aarscherer, 
Rasierer,  Schröpfer  und  .Aderlasser,  l'nd  wenn  die  Bader  als  ein  recht  leicht- 
fertiges A'olk  galten,  so  mag  das  auch  mit  der  durch  das  Zusaminenhadcn  von 
Männern  und  Frauen  gegebenen  rnsittlicbkeit  Zusammenhängen.  Diesem  Bade- 
wesen und  -Unwesen  sind  w'citere  kullurhistorisch  für  jeden  interessante  Ab- 
schnitte gewidmet;  ich  erwähne  besonders  das  über  Kinderbäder,  Uber  die  Bäder 
der  Juden  (gemeinsames  Buden  mit  den  Christen  war  ihnen  vielerwärts  verboten) 
und  Uber  die  Vorzüge  in  den  öffentlichen  Badestuben  Mitgetciltc.  .Aber  auch  in 
den  Kapiteln  Uber  die  Heil-  und  .Mineralbädcr  wird  — namentlich  wo  es  sich 
um  das  16.,  17.  und  18.  Jahrhundert  handelt  — manches  kulturgeschichtlich 
und  volkskundlich  Interessante  geboten,  und  die  trefflichen  Illustrationen  bilden 
einen  reichen  Schmuck  des  Buches,  da.s  wir  warm  empfehlen.  s. 


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140 


John,  Alois,  äittc,  Brauch  und  Vulksglaubc  im  deutschen  Westhöhmen. 
Beitrüge  zur  deutsch-hühmischen  Volkskunde.  VI  Band.  I’rag  1905,  Calvesche 
K.  u.  K.  Hof-  und  rniversitätshuchhandlung. 

In  unseren  Tagen,  da  der  Kampf  des  Deutschtums  gegen  die  Tschechen 
in  Böhmen  tobt,  muss  uns  ein  Beweis  treuer  Arbeit  an  den  Fortschritten  der 
deutschen  Volkskunde  besonders  erfreuen.  Er  ist  hier  von  Alois  John  geliefert, 
der  uns  einen  , Drechsler“  für  das  westböhmische  Hebiet  um  Eger  — Karlsbad 
— Tepl  — rian  — Tachau  — Mies  — Bischofsteinitz  gegeben  bat.  Es  ist 
deutsches  Land,  das  nach  Abzug  der  keltischen  Bojer  dereinst  von  Marko- 
mannen besetzt  war;  die  Spuren  der  später  eingewanderten  wendischen  Siedler 
sind  in  der  Kolonisationszeit  des  11.  und  IH.  .lalirhnnderts  geschwunden.  Die 
von  Ilauffen  geleitete  Gesellschaft  zur  Förderung  deutscher  Wissenschaft,  Kunst 
und  Literatur  in  Böhmen  bat  die  wertvolle  .Arbeit  zur  Volkskunde  dieses  nordgauischen 
Sprachgebietes  herausgegeben ; vorbildlich  sind  Drechlers  Arbeiten  Uber  Schlesien 
und  E.  H.  Meyers  Arbeiten  über  Baden  gewesen;  wie  diese  hat  .lohn  nicht  nur  die 
ilbcrlietcrungen  des  Volksmundes  berücksichtigt,  sondern  auch  ältere  Quellen, 
archivalische  und  literarische. 

Zunächst  werden  von  dem  V'erfasser  die  Adventszeit  und  das  Mitt- 
winterfest behandelt,  dann  Frühlings-,  Mittsommer-  und  Herbstfestc , also  das 
Kalenderjahr  wird  im  Volksbrauche  verfolgt;  dem  sehliessen  sich  die  Bräuche 
bei  Geburt  und  Taufe,  Hochzeit,  Tod  und  Begräbnis  und  die  landwirtschaft- 
lichen Bräuche  an.  Aber  weiterhin  [greift  die  Arbeit  stark  über  die  Grenzen 
des  Titels  hinaus,  indem  sie  höchst  dankenswerte  Sammlungen  von  Sprichwörtern 
und  Redensarten,  Flurnamen  und  Ortsneckereien  mitteilt  Aus  diesem  wert- 
vollen Buche  werden  wir  nicht  bloss  für  das  Egerland  unmittelbar  lernen; 
gerade  die  Bräuche  dieses  mitteldeutschen  Gebietes  werden  wir  mittelbar  auch 
für  schlesische  Forschung  nutzbar  machen  können,  indem  wir  .Anregung  zu 
mancher  Nachfrage  gewinnen  und  in  schlesischem  Lande  wohl  manches  Analoge 
neu  binznerhalten.  s. 

Oer  gemittiiohe  Schläeinger.  Illustrierter  Kalender  für  die  Provinz  Schlesien. 
Herausgegeben  von  Paul  Keller.  Schweidnitz  1909.  Ma.x  Heege.  M.  0.50. 

AViederum  tritt  der  wohl  bewährte  Kalender  in  ein  neues  .fahr.  Das 
hübsche  Titelbild,  die  Kynsburg,  leitet  ihn  gut  ein.  Kleine  Erzählungen  von 
dem  Herausgeber,  von  Max  Hcinzel,  Paul  Barsch  und  anderen  sind  erfreuliche 
Gaben.  Ein  Gedicht  von  Paul  Keller  .Rübezahl  und  der  Berliner“  verspottet 
die  Berliner  Turisten  in  harmloser  Weise  und  mit  Recht  auch  — ohne  es  zu 
wollen?  — , den  Rübezahlschwindel.  Für  die  Volkskunde  ist  ein  Beitrag  von 
Drechsler  von  Wert:  .Hof  und  Stall  im  schlesischen  Volksglauben“;  der  Verfasser 
gibt  hier  selbst  einen  ganz  kleinen  .Ausschnitt  aus  seinem  trefflichen,  von  unserer 
Gesellschaft  herausgegebenen  Werke  (vgl.  oben  S.  132),  und  das  ist  um  so  er- 
freulicher, als  sein  wertvolles  Buch  sonst  meistens  von  andersartigen  Skribenten 
ausgeschrieben  und  zwar  in  nicht  immer  sehr  würdiger  Weise  geplündert  wird,  — 
AVir  wünschen  dem  Kalender,  wie  immer,  viele  neue  Freunde  zu  den  alten,  s. 
RSssler,  Robert.  AA’ie  der  Schnoabel  gewaxen.  .Schlesische  Gedichte.  Schweid- 
nitz. Zweite  Auflage  1908  (?)  L Heege. 

Die  liebenswürdige  Dichtung  Robert  Rösslers  ist  uns  aus  mannigfachen 
AA'erkcn  bekannt,  und  öfters  haben  wir  schon  rühmend  seiner  gedacht.  AA'ir 
haben  auch  erwähnt,  dass  es  nicht  reine  schlesische  Dialektdicbtung  sei,  was 


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141 


er  uns  bietet;  vielmehr  ist  hier,  nach  Art  Holtci’s,  die  Eigenart  verscliiedener 
ürtlicher  Mundarten  zusaiiimengetragen.  Neben  vielem,  was  uns  als  echt  an- 
mutet, hat  in  den  üelegenheitsgcdichten  doch  auch  besonders  stark  der  hoch- 
deutsche Einfluss  gewirkt,  und  auch  die  Versmaassc  wollen  uns  nicht  immer  als 
so  gesprochen  dünken,  ,wie  der  Schnöbel  gewaxen“;  den  von  Scheffel  so  gern 
verwendeten  Dimeter  trnchaicus,  der  im  (iedichte  ,'s  Hiristkind*  erscheint, 
zählen  wir  dazu.  Aber  auch  echten  volkstümlichen  Rhythmus  und  Ausdruck 
weiss  Rßssler  zu  finden,  und  so  freuen  wir  uns  mancher  guten  Gabe.  s. 
Heinzel,  Max.  A frisches  Kichel.  Zweite  veränderte  Auflage.  Schweidnitz, 
L.  Hcege.  1908  (?) 

Allerlei  unterhaltende  Stückchen  in  gebundener  und  ungebundener  Rede, 
die  vorgetragen  gewiss  trefflich  wirken.  Das  haben  wir  noch  in  guter  Er- 
innerung ans  den  Zeiten,  wo  der  Dichter  sic  uns  selber  las.  Vor  allem  die 
hübschen  onomatopoetischen  Wirkungen,  wie  sie  z.  B.  in  ,dcr  Kräbs“  erfreuen, 
sind  unübertroffen  in  der  schlesischen  Dialektlitcratur. 

Dieser  und  den  übrigen  Ausgaben  der  schlesischen  Mundartendichter  sei 
aber  mit  der  Empfehlung  auch  die  Bitte  auf  den  Weg  gegeben,  dass  die  Ver- 
lagshandlung sie  der  Ordnung  halber  nicht  ohne  die  Angabe  des  Jahres  erscheinen 
lasse  Diesen  guten  buchhändicriscbcn  Brauch  möchten  wir  gewahrt  wissen,  s 
Oberdieck,  Marie.  Tust  de  mitte?  Erzählungen  und  (iedichte  in  schlesischer 
Mundart.  .Schweidnitz  1908  (?),  L.  Heegc 
Sabel,  Robert,  Sunntig  - N'oehmitts.  Schlesische  Humoresken,  (iedichte  und 
Skizzen  Schweidnitz  1908  (?),  L Heege. 

Erzählungen  in  l’rosa  und  einzelne  Stücke  in  Versen,  wie  wir  sic  ja  von 
beiden  Verfassern  mehrfach  kennen  gelernt  haben.  Gewiss  werden  sie  alle,  gut 
vorgetragen,  ihre  dankbaren  Zuhörer  finden,  ohne  dass  sie  den  Anspruch  er- 
heben, Dichtungen  zu  sein.  Wir  nennen  sie  hier  gerne  als  Bestrebungen,  die 
Freude  an  der  schlesischen  Mundart  wach  zu  halten;  und  manche  gute  schle- 
sische Redewendung  erfreut  uns.  Die  Schreibung  ist  die  übliche,  die  wohl  kaum 
in  diesen  Krc'scn  auf  Besserung  rechnen  darf.  t. 

Mitteilungen. 

Am  Freitag,  den  2.,  und  Sonnabend,  den  .8.  Oktober  ward  zu 
Berlin  in  der  Ressource  der  Verbandstag  der  deutschen  Vereine  für 
Volkskunde  gehalten.  Der  genauere  Bericht  über  die  Sitzungen  ist  in  der  De- 
zembernummer des  Korrespondenzblattes  gegeben,  die  wir  dem  Heft  XX  bei- 
legen. l'nsere  Gesellschaft  war  gemäss  den  Satzungen  vertreten,  und  zwar 
durch  ihren  Vorsitzenden  Professor  Dr.  Siebs.  Derselbe  hielt  in  der  allge- 
meinen Versammlung,  die  von  Professor  Dr.  Mogk  geleitet  ward,  vor  zahlreich 
erschienenen  Hörern  den  Fesivortrag  Uber  Entwicklung  und  Ziele  der 
Volkskunde.  Ein  Bericht  darüber  ist  im  Korrespondenzblatte  gegeben. 

Am  Freitag,  den  l.S,  November  hielt  im  Auditorium  maximum  der 
Universität  Herr  Geheimer  .Tustizrat  Professor  Dr.  inr.  Felix  Dahn  einen 
Vortrag  über  .germanische  Siedlungen“.  Er  erklärte,  dass  — entgegen 
oft  geäusserten  irrtümlichen  Ansichten  — die  Pfahlbauten  auszuscheiden  seien, 
da  sie  weder  als  keltisch  noch  germanisch  erwiesen  wären.  Als  älteste,  un- 
zweifelhaft germanische  Niederlassungen  wurden  jene  rechts  vom  Rhein  ge- 


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142 


Ic({cncn  hiiifiestelll.  die  deutlich  1.  das  Sondercigentum  (Hofraum  mit  Hans  und 
AckerlamI)  scheiden  von  der  2.  Allmende  oder  der  (icmeindeirit't  mit  dem  znin 
Teil  gerodeten  (icineindewald  und  dem  3.  im  weiteren  rnikreise  liegenden 
(Jrenzwalde.  Des  längeren  verweilte  der  Vortragende  bei  der  Darlegung,  in- 
wieweit diese  Wälder  dem  Verkehr  zugiingig  gewesen  seien  und  ein  tielände 
lilr  den  Kampf  geboten  hätten.  Sodann  wurden  die  germanischen  Siedlungen 
auf  römischem  Boden  besprochen,  der  von  den  (iermanen  in  der  Kegel  durch 
Vertrag  erworben  ward,  wie  z.  B.  die  Biirgnnden  im  Jahre  437  veranlasst 
wurden,  ihre  Wohnsitze  an  der  Khone  zu  nehmen.  Während  sonst  nach  der 
Auffassung  der  röinis<hen  hospitalitas  den  Barbarentruppen  der  dritte  Teil  der 
Erträge  des  Landes  zugestanden  war,  verlangten  die  (iermanen.  die  sich  in  den 
römischen  Provinzen  ansiedelten.  den  dritten  Teil  an  (irund  und  Boden.  Kedner 
ging  zum  .Schlosse  auf  d.is  Beispiel  des  (iermanen  Odovakar  ein.  der  der  Führer  der 
Leibwache  in  Kavenna  war.  — Item  Vortrage  schloss  sich  eine  längere  Fntcr- 
rednng  an,  bei  der  der  Redner  besonders  hcrvorlmb.  dass  die  Vorstellung  von 
der  Seclenzahl  der  germanischen  V'iilker,  die  gegen  die  Römer  in  Italien 
kämpften,  übertrieben  seien. 

An  dem  gleichen  Tage  fand  eine  Sitzung  des  Vorstandes  statt,  in  der 
über  die  Veröftentlichiingen  der  (iesellschaft  beraten  und  die  Herren  (ich.  lie- 
gierungsrat  Professor  Hr.  Alfred  Hillcbrandt,  Schriftsteller  Hugo  Kretsch- 
mer, Professor  l»r.  KUhnau  und  Dr.  Klapper  zu  Mitgliedern  des  Vorstandes 
gewählt  wurden 

.Am  Freitag,  den  11.  Ilezember  hielt  Herr  Privatdozent  Ur.  .Arnold 
0.  Meyer  einen  Vortrag  „über  den  italienischen  Volkscharaktcr“. 
Her  Redner  gab  die  I'rteile,  liie  er  Ober  das  italienische  V'olk  während  eines 
fünfjährigen  Aufenthaltes  im  Lande  gewonnen  hatte.  Her  an  Wissenswertem 
reiche  Vortrag  wird  in  Heft  XXI  der  , Mitteilungen“  gedruckt  werden 

Als  neue  Mitglieder  traten  unserer  (iesellschaft  bei  von  auswärts:  die 

Herren  Kgl.  Zollpraktikant  -Max  Kachel  in  Osterreichisch-Oderberg, 
Lehrer  und  Schriftsteller  Bruno  Clemenz  in  Liegnitz,  Oberlehrer  Ür.  .A.  Wrede 
in  Köln  a.  Rh.,  stud.  Fritz  OUnther  in  Sch  weidnitz,  Professor  I)r.  Lauf  fer , 
Kirektor  des  Historischen  Museums  in  Ham  bürg,  (ierichtsassessor  Dr.t'hr.  Heck- 
haiisen  in  Bedburg  (Erft),  Kgl.  Superintendent  Knobel  in  Ober-Bielan 
bei  Rothwasser,  Pfarrvikar  Arndt  in  Kauscha,  Bez.  Liegnitz,  die  (iross- 
herzoglirhc  Fniversitäts- Bibliothek  Heidelberg;  aus  Breslau:  Frau 
Margarethe  Knoll,  Frau  11.  Schiller,  Frau  Bauinspektor  .A.  Becker,  die 
Herren:  Ziichtdirektor  an  der  Landwirtschaftskammer  Bcrthold  Welzel,  l)r. 
phil  Karl  Rockel.  Hauptmann  und  .Adjutant  von  .Schiller.  Direktor  der 
Kgl,  und  rniversitäts-Bibliothek  Dr.  F.  Milkau,  Dr.  phil,  Martin  Treblin, 
Kaufmann  Bruno  Roscnthal,  stud  phil.  Kurt  Walter,  rniversitätsprofessor 
Dr.  theol. et  phil  Wobbermin,  l'niversitätsprofessor  Dr.  theol  et  phil  Feine,  der 
germanistische  Verein,  das  ger  man  ist  ische  Seminar  der  Kgl.  Fniversität. 

Die  nächste  Sitzung  findet  am  Freitag,  den  15.  Januar  l‘JÜ*J,  statt:  Herr 
Professor  Dr.  Otto  Hoffmann  wird  einen  Vortrag  halten. 

Dem  Heft  XX  ist  ein  (jesamtregister  für  Heft  XI  bis  XX  beigegeben, 
ferner  ein  Mitgliederverzeichnis. 

Schluss  der  Redaktion;  18.  Dezember  1!HJ8. 


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(jcsiimtregister  zu  Heft  XI— XX. 

Von  stud.  phil.  G.  Sclkc. 


a)  Vcrzoii-hiiis  (Ut  AiifsSttzo,  MitteiluiiKPii  niul  Ihrer  Verfasser. 


.^ndree-Kysii,  M.,  I’ber  die  Hercch-  ; 
tistiinn  des  Ausdruckes  .Votivkröte“  I 
XVII  4«.  i 

Berger,  II,  Der  llungerturiii  von 
Priebus  XV  140. 

Blasclike,  K , Wcihnaclitsbeiligorohmt  ' 
ei  der  Sehwenxer  Sclimiede  vor  30 
•lahrcn  Xll  103, 

— Urei  Spiele  XI  77. 

Uörkel,  ().,  Bas  Volkslied  der  pol- 
nischen Oberschlesier,  verglichen  mit 
der  deutschen  Volkspoesie  XI  40. 

Brie,  M.,  Der germaiiisclie. insbesondere 
der  englische  ZRuberspruch  XVI  1. 

Dittrich,  P , .Amtliches  aus  dem  IH. 
•lahrliundert  XIll  112. 

— Orts-  und  Flurnamen  der  Leob- 
schiltzer  Gegend  XV  H.ö. 

— Zum  schles.  Bauerngarten  XVII  90. 

— Einiges  über  liandwerksgebräuche 
XX  114. 

Drechsler,  P.,  Der  schlesische  Berg- 
mann unter  und  über  Tage  XIII  63.  I 

— Breslauer  Küchenzettel  aus  dem  I 
•lahre  1732  XV  144 

— Flurnamen  ans  dem  Kreise  Sprottau 

XVI  fiO, 

— Das  auslautende  e im  Schlesischen 

XVII  9.Ö. 

— Zur  Wortbildung  im  Schlesischen 

XVIII  115 

— Die  .Seele  nach  dem  Tode  in  der 

.Anschauung  des  Volkes  XIX  1.  ! 

— Schlesiens  Vogelwelt  in  der  Sprache 
und  im  Glauben  der  Heimat  XIX  81.  I 


Drechsler,  .‘'pr.'ichliche  Erstarrungen 
im  Schlesischen  .X.\  71. 

— Volkslieder  XX  104. 

Feit,  P.,  Das  deutsche  Volksrätsel 
XIV  1,  Nachtrag  XVI  37. 

— Wirtshausschilder  XVI  40. 
Fraenkel,  t>.,  Ans  orientalischen 

liuellen  XII  42,  XV  72,  XIX  25, 

— Die  .8agc  von  der  Gründung  Kra- 
kaus XVIII  1. 

— Nachtrag  zur  Sage  von  der  Grün- 
dung Krakaus  XVIII  125. 

Fuchs,  t’..I-,  Zur  Geschichte  der  schle- 
sischen Agrarverfassung  XVII  71. 
Gebhardt,  T,,  Eine  Bauernhochzeit 
in  der  Krieger  Gegend  vor  f.O  Jahren 
XVIII  119. 

I Gocssgen,  W.,  Der  Wortschatz  der 
Mundart  von  Dubraucke  X.X  43. 
Graebisch,  Fr.,  Ein  schlesisches  Ge- 
dicht über  die  Tiroler  in  Zillertal 
XV  154. 

Giisinde,  K , l'ber  Mundartengrenzen 
im  Kreise  (Os  XII  80. 

— Einiges  Uber  Hhythmus.  Wort  und 
Weise  XIII  9. 

Haas.  ,A.,  Fünf  .Sagen  aus  dem  Riesen- 
gehirge  XII  91. 

Ilellmich,  M.,  Flurn.amen,  Familien- 
namen und  Torsanlcn  in  Boyadel. 
Kreis  (.irttnberg  XVI  43. 

— Sagen  aus  den  Kreisen  Glogau, 
Falkenbcrg  und  Grünberg  XII  94. 

— Allerlei  ,('berflüssigcs“  aus  dem 
Grünberger  Kreise  XVHl  98. 


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144 


H e 1 1 m i ch,  ZnrVolksctymolo(;ie  XIX  95.  | 
Uellwig,  A..  Umfrage  Uber  krimi-  , 
nellen  Aberglanben  XV  158 

— Die  Freimaurer  im  Volksglauben. 
Kriminalistische  Heitrftgc  XIX  71. 

Heyn,  Die  Flurnamen  von  Mollwitz 
XV  92  I 

Hippe,  M.,  Zwei  Breslauer  Sagen  { 
XI  90.  ! 

— Volkstümliches  aus  einem  alten 
Breslauer  Tagebuchc  XII  79 

— Die  Gräber  der  Wöchnerinnen  XIII 
101. 

Kable,  B.,  Eine  Vorschrift  für  Tauf- 
paten XI  66.  j 

— Noch  einmal  die  Gräber  der  Wöch-  I 

nerinncn  XIV  59.  | 

— Heidenwerfen  XVII  70.  1 

— Eselsfresser  XVII  92. 

K lapper,  J.,  AltcArzneibUcher  XIII  22. 

— Zur  V'olkskunde  aus  dem  Goldberg- 

Haynauer  Kreise  XIII  106.  ^ 

— Beschwörungsformeln  bei  Gewin- 
nung der  Wünschelrute  XIV  51.  | 

— Zur  Volkskunde  Oberschlesiens  XV 
105. 

— Eselsfresser  XVI  63  i 

— Zur  RUbezahlforschung  XVI  65.  | 

— Das  Gebet  im  Zauberglauben  des 
Mittelalters  XVIII  5. 

— Das  Märchen  von  dem  Mädchen 
ohne  Hände  als  I’redigtexempel 

XIX  29. 

— Sagen  und  Märchen  des  Mittelalters  : 

XX  1.  I 

Klemens,  P.,  Zum  Gebrauche  des  ! 

Artikels  vor  Ortsnamen  XIV  105,  I 
XV  152.  I 

— Schlesische  Hirtenrufe,  -sprilche  und 
-lieder  XV  87. 

Knoop,  O.,  Aberglaube  und  Brauch 
aus  der  Provinz  Posen  XIII  43,  . 
XIV  70,  XV  74.  ! 

— Die  Freimaurer  im  Volksglauben  i 

XIV  58.  I 

Kropp,  W. , Bremen  im  Volkslied  | 
XVIM  61. 


Ktthnau,  Hexen  und  Hexenzanber 
XIII  82. 

— Zaubermittel  gegen  Krankheiten 
und  leibliche  Schäden,  besonders  das 
Versprechen  (Sympathie)  XIV  86. 

— Der  .goldene  Esel“  zu  Reichenstein 
XV  114. 

— Umgehende  Seelen  XVI  84. 

— Schlesische  Schatzsagen  als  Quelle 
schlesischen  V'olksglaubens  XVIII 68. 

Lowack,  A , Die  älteste  Probe  schle- 
sischen Volksdialekts  im  Drama 
XIII  58. 

Lustig,  G.,  Heidenwerfen  XV'  142. 

— Die  alten  Grenzzeichen  und  der 
Kricmhildenstein  am  Zobtenberg 

XVIII  108. 

Magnus,  H.,  Die  plastische  Auffassung 
der  Gebärmutter  in  der  Volksmedizin 
XV  49 

Masner,  K.,  Nene  Aufgaben  der  schle- 
sischen V'olkskunde  XIII  I. 

Meyer,  Arnold  Oskar,  Schlesische 
Gedichte  aus  der  Reformationszeit 
XI  14. 

Nehring,  W.,  Die  slovenischcn  V'olks- 
lieder  XII  44. 

— Die  russische  V'olksepik  XIV  33. 

— Die  russische  Vülksepik,  2.  Teil  XV  3. 

— Serbische  V'oikslicder,  insbesondere 
serbische  V'olkscpik  XVII  18. 

Nestler,  J.,  Eine  Breslauer  Geschichte 
vom  Feuermann  XV'II  104. 

Olbrich,  K.,  Das  Milchtrinken  der 
Schlangen  XI  67. 

— Die  Freimaurer  im  deutschen  Volks- 
glauben XII  61,  Nachträge  XV'  68. 

— Ein  Freund  und  Förderer  der  schle- 
sischen V'olkskunde  vor  100  .lahrcn 
und  seine  Zeitschrift  XIII  30. 

— Beobachtungen  Uberden  schlesischen 
Bauerngarten  XVI  66. 

— Drei  schlesische  Abarten  der  Non- 
iienmäre  XV'III  42. 

— Zehn  Schutzbriefe  unserer  Soldaten 

XIX  45. 

Philo  v.  VV'alde,  siehe  Reincit,  M. 


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14& 


Pradel,  F.,  Der  Dpccm  XI  119. 

— DerSchatten  im  Volksglauben  XIII. 

— Kopflose  Menschen  und  Tiere  in 
Mythe  und  ■''age  XII  37. 

— Schics.  Volkslieder  XIV  94,  XX  89. 

— Alte  und  neue  Heil-  und  Zauber- 
bräuche  XVH  35. 

Keinelt,  M.,  Lock-  und  Schcnchnamcn 
für  Haustiere  XIII  110. 

Scholz,  ().,  Schlesische  Tänze  XII  88. 

Schulte,  \V.,  Leben  und  Sitten  in 
Schlesien  um  die  Mitte  des  16.  Jahr- 
hunderts XIX  97. 

Seger,  H..  üie  Denkmäler  der  Vorzeit 
im  Volksglauben  XI  1. 

— Die  vorgeschichtlichen  Bewohner 
Schlesiens  XVII  1. 

Siebs,  Th.,  Zur  Kunde  der  deutschen 
Monatsnamen:  Hornung  XI  23. 

— liuf,  .Sang  und  Spruch  beim  Aus- 
und  Eintrieb  des  Viehs  XII  97. 

— Schlesische  Flurnamen  XIII  113. 

— Zn  den  schlesischen  Flurnamen 

XIV  lor 

— Kübezahl  XV  156;  XX  127. 

— Die  Sprache  der  Tiroler  in  Schle- 
sien X\T  105. 

— Wie  sollen  wir  die  schlesischen 
Mundarten  schreiben?  XVII  54. 


Siebs,  Wo  ist  die  Breslaner  Arme- 
sünderglocke? XVIII  123. 

Skutsch.  F.,  Das  .Tosephsfest  zu  Ri- 
mini  XI  32. 

Stanzel,  K.,  Volkskundliches  aus  dem 
Ulser  Kreise,  besonders  aus  Klein- 
Ellguth  XI  79. 

Stäschc,  T.,  Sagen  vom  Alp  und  der 
weissen  Frau  XIII  99. 

— Namen  polnischer  Herkunft  aus 
Klein-Ellguth  bei  Öls  XIV  77. 

— Bäuerliche  Hochzeitsgebräuebe  im 
Kirchspiel  Klein-EIIgutb,  Kr.  Öls. 
um  die  Mitte  des  vorigen  .Tahr- 
hunderts  XV  96. 

Szulczewski,  A.,  l’olnische  Märchen 
ans  der  Provinz  Posen  XIV  60. 

Treblin,  M.,  Zur  Kunde  von  den 
schlesischen  Ortsnamen  XX  78. 

— Die  Wüstung  .Tocksdorl  XX  86. 

von  I'n Werth,  Flurnamen  aus  dem 

I tiebirge  und  aus  Xiederschlesien 
; XVIII  104. 

— Das  starke  Verbum  in  der  schle- 
sischen Mundart  XX  30. 

Vogt,  W.  11.,  Die  heutigen  Isländer 
XV  18. 

' Wahner,  .1.,  Zum  , Klapperngehen“ 

I in  der  Karwoche  XI  73. 


(Der  Name  des  Referenten 

Altenburg,  (),  und  F.  Muth,  .Anhang 
zu  Lehmanns  deutschem  Lesebuch. 
Leipzig  1906,  XVI  128  f.  (F.Pradel.) 

Ancona,  .Messandro  d’,  la  poesia  po- 
polare  italiann.  Livorno  1906,  XVIII 
125  IT.  (f.  .Appel.) 

And  ree,  Richard,  Votive  und  Weih- 
gaben des  katholischen  Volkes  in  | 
Süddeutschland.  Braunschweig  1904  ' 
(Th.  Siebs),  XV  161  f. 

Arnim-Brentano,  Des  Knaben  Wun- 
derborn, Jubelausgabc.  Leipzig  1906, 
XVIII  129. 

Becker,  A.,  Pfälzer  Frühlingsfeiern.  , 
Mittellungea  il.  scbles.  Ues.  f.  Vkde  Heft  ,\\. 


Kaiserslautern  1908  (F.  Pradel),  XIX 
133. 

Beiträge  zur  Heimatkunde  der  Pfalz 
siehe  Becker,  A. 

Bilder,  bunte  — aus  dem  Schlesier- 
lande, herausgegeben  vom  Schlesischen 
Pestalozziverein.  I Bd.  S .Aiitl  II.  Bd. 
Hre,slan  1903,  XII  110  f.  (Th.  Siebs.) 
Bohn,  Prof.  Dr.  Emil,  Die  National- 
hymnen der  europäischen  Völker. 
Breslau  1908  (-e-),  XX  136f. 
Bonus,  Arthur,  Isländerbuch  I,  II. 
München  1907,  .XVIII  129  f.  (A\'. 
H.  Vogt.) 

10 


b)  Bospreehunseii  von  BOeliorii  und  Zeitsdirifton. 

ist  in  Klammern  beigefügt.) 


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146 


Brentano  siehe  Arnim. 

Brohm,  Helgoland  in  (iescbiclite  und 
Sage.  Kuxhaven  1907.  XVIII  128f. 
(Siebs.) 

(,’ock,  A.  de  - cn  .Is.  Teirlinck, 
Kinderspel  en  Kinderlust  in  Zuid- 
Xederland,  1 — S.  Deel,  Gent  1902— 03. 
(F.  Vogt),  XI  123  f. 

Dahn.  Felix,  Die  Germanen.  Leipzig 
1905  (Th.  Siebs),  XIV  109. 

Deeckc,  AV.,  \Mncta,  X .lahrcsbcricht 
der  Geograph.  Gesellschaft  zu  Greifs- 
wald. 1903  (Th.  ••^iebs),  XIV  113. 

Doepler,  E und  \V.  Kanisch,  Walhall, 
die  Göttcrwcit  der  Germanen.  Berlin 
1904  (Th.  .Siebs),  XIV  UKl  f. 

Drechsler,  I’aul,  Sitte,  Brauch  und 
Volksglaul)cn  in  Schlesien,  1 Leipzig 
1901-a3  (Th.  Siebs),  XII  108  f,;  II. 
Leipzig  1905  (M.  Hippe},  XIV  108f. 

Eberhard,  A.,  .Sitte  und  Brauch  in 
der  Landwirtschaft  Stuttgart  1907.  I 
XVIII  129.  (Siebs.)  ! 

Führer  durch  die  Sammlung  für 
deutsche  Volkskunde.  Kiiniglicfac 
Museen  zu  Berlin  Berlin  1908  (F. 
I’radel),  XIX  i;33. 

Grimm,  Brüder,  Kinder-  und  Haus- 
märchen, 32.  Aufl.,  von  Rcinhold Steig, 
.''tuttgart- Berlin  1900,  XVI  130  f. 
(Th  Siebs.) 

Haas,  A.,  Kügensche  Sagen  und  Mär- 
chen, 3.  .Aull.  Stettin  1903,  XII  110. 
iM.  Hippe.) 

Haas,  A , .Sagen  und  Erzählungen  von 
den  Inseln  I’sedum  und  Wollin. 
Stettin  1904  (Wahner),  XIV  112f. 

Heidrich,  li.,  t'hristnachtsfcier  und 
rhristnachtsgesänge  in  der  evange- 
lischen Kirche,  liottingen  1907  (F. 
I’radel),  XIX  132  f. 

II  cimatsblätter,  Schlesische  — , 
XVIII  131. 

Hcinzel,  Max,  Maiglöckel,  2.  Autl 
.Schweidnitz  1900,  XVI  131  (Th  Siebs.) 

— .\  frisches  Bichel.  2.  .Aufl  Schweidnitz  j 
1908?  (-e-).  XX  141  ‘ 


Hellwig,  .Albert,  Wrhrechen  und 
.Aberglaube.  Leipzig  1908  (Th.  Sicbsi, 

XIX  134. 

Heusier,  Andreas  und  Max  Koch. 
I’rväterhort.  Die  Heldensagen  der 
Germanen.  Berlin  1904  (Th.  Siebs). 
XIV  109. 

Hücker,  Gustav,  Die  Belagerung  von 
Breslau.  XVI  132.  (Siebs.) 
Hoppe,  Hermann,  Der  Dorftyrann, 
Banernkomoedie  Hirschberg  1907. 
XVH  109. 

.1  äschke,  Dr.  Erich,  Lateinisch-romani- 
sches Fremdwürterbuch  der  Schlesi- 
schen Mundart.  Breslau  1908.  (-p-) 

XX  134f. 

.lohn,  .Alois.  Sitte,  Brauch  und  Volks- 
glaube im  deutschen  W'esthöhmen. 
l’rag  1905.  (s.)  XX  140. 

Kapff,  Rudolf,  Festgebriliiche.  Stutt- 
gart 1905  (Th.  Siebs),  X\'  Itll. 
Keller,  I’aul,  Der  .Sohn  der  Hagar. 

.München  1907,  XVlll  130  f.  (.Siebs.) 
Knötel,  Richard,  Die  eiserne  Zeit  vor 
100  .Tahren..  Kattowitz  1900,  XVI 
I3I  f.  (Th.  Siebs.) 

— i’aul  und  Hildegard,  Oberschlcsische 
Sagen.  Kattowitz  1907,  XVI  1.32. 
(Siebs.) 

Koch,  Max,  und  Heusier,  .Andreas, 
l'rväterhort,  die  Heldensagen  der 
Germanen.  Berlin  1!K)4  (Th.  Siebs), 
XIV  109  f. 

Kretschmer,  Hugo,  Durflahen  ei  der 
Scliläsing.  Schweidnitz,  XII  112  f. 
(M.  Hippe.) 

Lichter,  August.  Mietebrenge,  Schweid- 
nitz 1907,  XVII  108  f,  (U.) 
Martin,  .Alfred,  Deutsches  Badewesen 
in  vergangenen  Tagen.  .lenallKlO.  (s.) 
XX  139. 

Meier,  .Ddoi,  Kunstlieder  ini  Volks- 
munde. Halle  1900  (Th.  Siebs),  XV 
160  f. 

— Kunstlied  und  A'olkslied',  A’ortrag. 
Halle  UM«!  (Th.  Siebs),  XV  160  f. 

Mertins,  Oskar,  Wegweiser  durch  die 


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147 


l'njcschichte  Schlesiens.  Breslau  1906 
(Th.  Siebs),  XV  l(i2. 

Mitteiiungen  Uber  volkstümliche 
Tbcrlieferungen  in  Württemberg.  I. 
Stuttgart  1904  (Th,  Siebs),  XII  109; 
II.  Stuttgart  190Ö  (Th.  Siebs),  XV 
Ifil ; III.  1907,  XVIII  129  (Siebs). 

Mittraann,  Paul,  Album  schlesischer 
Lieder  Striegau,  XII  113  f.  (K.Gu- 
sindc.) 

Mutb.  K.  und  0.  .Altenhurg,  Anhang  | 
für  die  Provinz  Schlesien  zu  Leh- 
manns deutschem  Lesebuch.  Leipzig 
UKhi,  XVI  128  f.  (F.  Pradel.) 

Oberdieck,  Marie,  Tust  de  mitte? 
Schweidnitz  1908  (-e-),  XX  141. 

Oderwald,  Herrn  , Achilles, Ziegeuner- 
liesel.  Zwei  Dorfgeschichten  in  schle- 
sischer Mundart.  Oppeln  1902,  XII 
113.  (K.  (iiisinde.) 

Ocls,  Friedrich,  Bauernblut.  Volksstück 
in  3 Akten.  1907,  XVIII  132.  (Siebs.) 

Opitz,  Kmil,  Die  .Arten  des  liustikal- 
besitzes  und  die  Landemien  und  | 
Markgroschen.  Breslau  1904  (Wutke). 
XIV  111  f. 

Pacschke,  P.,  Der  Oröditzberg  und 
seine  Bedeutung  für  Nicderschlesien. 
Breslau  190Ö.  (Siebs,)  XIV  114,  | 

Philo  vom  Walde,  Sonntagskinder. 
Grossenbain  und  Leipzig,  XII  Ulf. 
(M.  Hippe.) 

Regn al , Anselm, SchlesischeTeufeleien.  ! 
Geschichten  ans  Schiesien.  Leipzig, 
Xll  112.  (M.  Hippe.) 

Keichenbach,  Moritz  von.  Der  Roman 
eines  Bauernjungen.  Leipzig  (Rcc- 
lams  Dniv.-Bibl.  4368—69),  XI  124. 
(Wahner.) 

Reichert,  Dr.  Herrn.,  Die  deutschen 
Familiennamen.  Breslau  1908  (-e-), 
XX  132  ff. 

Reuscbel , Karl,  VülksknndlicheStroif- 
zUge.  Dresden  und  Leipzig  1903 
(H.  Jantzen),  XI  121  ff. 

ROssler,  Robert,  NUrrsche  Kerle. 
Schweidnitz  1907,  XVIII  131.  (P.)  | 


Rüssler,  Wie  der  Schnoahel  gewaxen. 
2.  .Aufl.  Schweidnitz  19ü8(-e-), XX  140f. 

Rost,  Paul,  Die  Sprachreste  der 
Dravänopolaben  im  Hannoverschen. 
Leipzig  1907,  XVIII  127 f.  (Th. Siebs.) 

Sabel,  Robert,  Liederbüchcl  für  ge- 
mittliche  Leute,  2.  Heft.  Striegan 
1903  (M.  Hippe),  XI  125. 

— Sunntig  - Xochmitts  Schweidnitz 
1908?  (-e-)  XX  13. 

Schläsinger,  dergemittliche— . 1908, 
XVIII  132;  1909,  XX  140. 

Schräder,  Otto,  Sprachvergleichung 
und  I^rgeschichte.  I,  II  1,  2,  Jena 
190.V7.  (Siebs.)  XX  137  ff. 

Schriften  der  Schweizerischen  Gesell- 
schaft für  Volkskunde  Nr.  3.  Zürich 
1903.  XII  109  f,  (M.  Hippe.) 

Seiler,  Friedrich,  Die  Kntwickelung 
der  deutschen  Kultur  im  Spiegel  des 
deutschen  Lehnworts.  I.  Teil:  Die 
Zeit  bis  zur  Einführung  des  Christen- 
tums, 2.  Aufl.  Halle  1905,  XVI  129f. 
(Th.  Siebs.) 

Sittenfeld,  Ludwig,  Schlü'sehcs  ()uell- 
bürndel,  2.  Aufl.  Breslau  (Siebs), 
XIV  113. 

Teirlinck  s.  Cock. 

Tobler,  Alfred,  Das  Volkslied  im 
Appenzellerlande.  Zürich  1903,  Xll 
109  f.  (M.  Hippe.) 

Überlieferungen,  Schlesiens  volks- 
tümliche — l — II  (Th.  Siebs),  XII 
108;  Bd.  III,  XIV  108  f.  (M.  Hippe.) 

Überlieferungen,  volkstümliche  — 
in  Württemberg  s.  Mitteilungen. 

Pnwerth,  W.  v..  Die  schlesische 
Mundart  in  ihren  Lautverbältnissen 
grammatisch  und  geographisch  dar- 
gestellt.  Breslau  1908  (-C-),  XX  135  f. 

Urväterhort  s.  Koch,  Max. 

Walhall  s.  Docpler,  C. 

Wort  und  Brauch,  I-IV,  XX  13. 

AVunderhorn,  des  Knaben  — , Alte 
deutsche  Lieder,  gesammelt  von 
Arnim-Brentano,  Jubclausgabe.  Leip- 
zig 1906.  XVIII  129. 

10* 


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148 


(•)  Wortregfstpr. 

Nicht  anfgcnommen  sind: 

1.  die  bereite  alphabetisch  geordneten  Flurnamen  von  Boyadel  in  Heft  XVI  B.  M—56. 

2.  die  neuhochdeutschen  Vogelnamen  Schlesiens  (Heft  XIX  81  ff.,  im  Saciiregister  zu  linden  !i 

3.  der  Wortschatz  der  Mundart  von  Dnbraucke  (Heft  X.X  S.  13ff  ). 


Neuhochdeutsch. 

nnlrgcn  hcrgmSnn.  XIII  fi7. 

Auge,  ein  — riskieren  XIII  115  f. 
Ausschütte  XX  45. 
liuhigiiru.  Flurname,  Etym.  XVI  54. 
Bataillonspunkt  XIX  S16 
hcrgferlig  Itergmänn.  XIII  81. 
Berglcder  bergni.XIII  ß8,vgl.Fahrlcder. 
Boyadel  Etym  XVI  4.H, 

Buche  XX  138. 

Bukettstah  XIX  !Mi. 
hürsten  XV  147. 

Iiicnstai;  XV'I  130. 

Duhraucke  XX  47. 

Eisen  XVI  1.30. 

Emmerling  XIX  8{!. 

Esel,  irh  wünsche  dir  einen  goldenen 
— , .Sprichwort  XV  115. 

Eselsfresscr  XV  12!)  ff.,  XVI  f.3  ff.. 
XVII  92  ff. 

Eule,  dass  dich  die  wilde  — XIX  83, 
spiisscn  sic  nicht  mit  der  — XIX  8.1, 
ähnliche  Wendungen  XIX  R3. 
fahren  hergm  XIII  P8,  ein—  XIII  70. 
Fahrleder  liergmänn.  XIII  08,71.81. 
Fahrung,  hergm  term  techn  XIII  08. 
Feder,  Bergleute  von  der  — XIII  68. 
Finkeilgeld  XIX  84,  — stein  XIX  84. 
Freudenburg.  Ortsname  XX  83. 

(i.abel  XVI  130. 

Gahse.  Familienname  XIV  80. 

(iasde,  Familienname  .XIV  SO. 
gleich.  Partikel  XX  72. 

Glück  auf  XIII  09  f. 

Glück  zu  XIII  09  f. 
golden  XI  57. 

Goldeiitraiim.  Ortsname  XX  83. 
Görbersdorf  XX  82  f. 

Grabswjil  XX  80. 

Grosc.biilz.  Torsaiile  XVI  50  f. 

Gruft,  Etymologie  XVI  130. 
llaargans  XI  27. 


Ilaarschnepfe  XI  27. 

Ilälterd.ämme,  Flurname  XV  94. 
Hartall,  Ortsname  XIV  106. 

Häuer  XIll  71. 

Helm  bergmäiin.  = Stiel  XIII  74. 
Hoferangen  (.Sehweine)  XI  88 
Horn,  das  XI  24. 

Horn,  der  grosse  — XI  25, 
der  kleine  — XI  25. 
Hundedachshorst.  Flurname  XVI  57. 
Hure  XI  27. 
hurrali  XII  99 

.lerzmanowski  Xl\'  81  .\nm.  2 
Kleinod  Preis  XIX  115  Aiim.  .5. 

Korn  XX  138, 

KUIischmalz.  Ortsname  XX  80. 

Kutten  bergmäiin.  XIII  60. 

Kütter  XV  118. 

Laugenöls,  Ortsname  XX  78  f, 
leckniäulig  liergmänn.  XV  123. 

Leder,  Bergleute  vom  — XIII  68. 
Lelm  XIII  66. 

Lippe,  eine  — riskieren  XIII  116. 
j Mahre,  mich  reitet  die  — XIX  18. 
Mann,  alter  — , liergmänn.  XIII  75. 
Mislfinke  XIX  84. 

Mlitzke  (Mlitschke).  Faniilieiin.  XIV  85. 
niemals,  iimschriehen  im  Volksliede 
XI  58. 

Ort.  das  — , bergmänn.  XIII  72. 

Ort,  vor  - liergmänn.  XIII  72. 
Peter  zu  Belt  leuchten  XI  2. 

Pflug  XVI  130. 

Pilz,  Ortsname  XIV  106. 

Pusc.likau,  Ortsname  XX  79  f, 
l^uasny  Blasien.  Familienname  XIV  85. 
K.ad  treten  XII  04. 
liiechkrettia  XVI  71  f. 
BzepkafHzepke),  Familienname  XIV  85. 
Sau.  eine  volle  — , bergmänn.  XV  123. 
sehäclien  XII  74. 

I Schatten  XII  6,  die  S.aehe  ist  klein. 


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149 


ihr  — ist  lang  XU  34,  er  eifert 
niid’n  — an  der  Wand  XII  34. 
Schicht  bergniänn.  t.  t.  Xlli  ßS. 
Schwcdlich,  Ortsname  XX  82, 
Sciferdaii,  Ortsname  XX  82. 

Soika,  Familienname  XIV  8.). 

Sp<'irkel  (am  Mittel-  und  Xiederrhein) 
XI  31. 

Sruda.  Familienname  XIV  85. 
Stacklnirnwiesen,  Flurname  XV  !I4. 
Stasch(c).  Stäsch(c),  Stesch,  Sto.sch, 
Familiennamen  XI\'  83  f. 

Stein  und  Bein,  es  friert  — XI  27. 
Stollen  XIII  ()6. 

Stoss.  hergmänn.  XIII  74. 

Ventilier  XV  118. 

versaufen , die  Haut  oder  das  Fell  — 
XIX  9. 

Wafersin,  Familienname  XIV  85. 
Wangerke,  F'amilieimame  XIV  85. 
Wasserkalh,  cs  schreit  etwas  wie  ein 
— XIX  17 

Woitas.  Familienname  XIV  84. 
zeideln  XIII  62. 

Zimmerung  hergmänn.  XIII  71. 
Zottelhär  XIII  62. 

Zunge  hergmänn.  XV  123  f. 

Deutsche  Mundarten; 
schlesisch. 

.Xckermännchen  XIX  81. 

.Ammerling  .\mscl  XIX  86. 

Amritzc  .4msel  XIX  86. 

.4nteich,  Flurname  XVI  61. 

Aptik  XX  11)6  Anm.  1. 

Arg,  das  XVIII  117. 
arrle,  arrle,  Lockruf  XIX  83. 
ausstankern  XII  103, 

Babe  XV'  146  .Vnni.  2,  XX  45. 
BäekerhAan,  Flurname  XIII  114. 
Battlcr  und  Sebarndarm,  Spiel  XI  78 
Bauhau  XIX  90. 

Baumlafr  XIX  81. 
beileibe  (ballcibe)  XX  77. 

Belieb,  der  XVIII  116. 

Beinwurtz  XVU  79. 

Bettelmann,  Name  für  Babe  XIX  90. 


lüenkraut  XVI  75. 

Bodentenren  XIX  96. 

Borg  XVIII  115. 

Borretsch,  Fllanzc  XVI  75. 

Bossen,  Bosnien  XIX  118  Anm.  .3. 
Brätschnaidc  XIII  114. 

Brautwinkcl  XV'  101. 
breemen  dorn  XIII  6.3. 

Buchte  XX  111. 
bull,  bull,  Lockruf  XIX  85. 
cramantz  Höflichkeit  XIII  63. 
dcch,  l’artikcl  XX  72. 

Drossel,  alte  — XIX  82, 

Eheraute  XV'I  75. 
eidekene  XX  77. 

Eitel,  das  XVIII  117  f. 

Elisakippe  XIII  114. 

Ergetz,  der  XV'III  116. 

Falsch.das  XVIII  117,  der  XVIII  118. 
Faule  Magd,  Vogelname  XIX  89,  9.5. 
Feldin.  Stute*  XIX  104  Anm.  4. 
ferr,  fern,  adj.  XVIII  118, 

Feschräger  XIX  84. 

Flamme  Lappen  XIX  120 
flaiins  XI  15. 

Flicgcnstecher  XIX  84. 

Fracke  XVI 1 98. 

Frisch,  das  XVIII  117. 

Fühl,  der  XVIII  115. 

Futte.  die  XVII  98. 

Güke  Krähe  XIX  87. 

Gälammer  XIX  86. 

Oall  Huf,  .Schrei  XVIII  115. 

Gans  XIX  84  f. 
garteel,  Pflanze  XV'I  75. 
gatsch,  gatsch  XllI  111. 

Gauderhabn  XIX  84. 
gcbindel  = Eingeweide  XV  148. 
Gebrerh,  der  XV'III  116. 

Gedeih,  der  XVIII  116. 

Gcdie,  Gcdieg  XVIII  117. 
gelt,  Partikel  XX  75. 

Geniess,  der  XVIII  117. 
gerade  W’olil,  aufs  — XX  77. 

Gesund,  das  XVIII  118. 
girr  adj.  XVIII  118. 

Glamm.  der  XVIII  115. 


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150 


glanz  adj.  XVIII  Hä. 

Uläschittc  XX  83. 

glech  (glei.  gic),  Partikel  XX  72. 

glcckebeba  glätz.  XII  1Ü5  f. 

Gleise,  die  XVII  lüL 
glimm  adj.  XVIII  11R. 
glnmsch  (glimsch)  Messer  XV  104 
Golditsche,  Golitschkc  = Amsel  XIX  86. 
(ioldwurz  XVI  22  f. 

Grabscho,  die  XV  14.ö 
GrasemUcke  XIX  86. 

Gran,  der  XVIII  11.^. 

Gritscliker,  Grauammer  XIX  86. 
Gucke,  die  XVII  9H. 

Gödabftmhoiser,  Flurname  XIII  114 
Guldalmer  XIX  86. 

Maanedorn  XIII  66. 

häkeln,  Spiel  XX  50. 

halt,  baldig,  Partikel  XX  23  f. 

Hau,  der  XVIII  ll.ö. 

Banwerangp  (Schweine)  XI  88. 
Hedatilke,  Flurname  XIII  114. 
lIcekcBäcke  XV  14,5. 

Heidelerche  XIX  89. 

Heilkrettich  XVI  22. 

Heisch,  der  XVIII  116. 

Heiss,  der  XVIII  llfi. 

Hellagraba,  Flurname  XIII  1 14. 
Herzblümchen  XVI  25. 

Herzfreude  XVI  25. 

Hexatreppc,  Flurname  XIII  114 
hiebla,  hieb,  hieb  XIII  111. 
Himmelsziege  XIX  86. 

Himpelbeere  XV  I.tO. 

Hintermarkt  XV  149. 

Hirsesperlich  XIX  92. 

HOanbark,  Flurname  XIII  114 
Hol,  das  XVin  112. 
hörai  XII  98,  XIII  HL 
höraus  XII  98. 
h6re,  höri  XII  98. 

Hornich  XI  26. 

Hundsfutte  XVII  98. 

Huppegarten,  Flurname  X\'  9L 
Hupper,  Wiedehopf  XIX  94 
Hutseh,  Scheuchnamc  XIII  111.  XX  5L 
Ilny-Sau,  Wildschwein  XV  149. 


iebsen  XX  108  .\nm.  5. 

Insulieren  XIX  96. 

.lArzctz,  .larsetz,  .Tahrsätz,  Familien- 
namen XIV  8L 
•Tilke,  Pdanze  XVI  26. 

.Inckisch,  Familienname  XIV  82. 
jnnak  junger  Kerl,  Etymologie  XIX 
115  .Anm.  3. 

Käpse,  die  — , Ortsname.  Etymologie 
XIV  28  f. 

Karsch,  Fisrhnamc  XV  148. 

Kätia,  KAtel,  Rotkehlchen  XIX  90. 
Kene,  in  die  — XX  TL 
Kief,  der  XVIII  116. 

Kitte,  Volk  Rebhühner  XIX  90. 
Klettcrspcchtcl  XIX  8L 
Klosterfräulein  (Bachstelze)  XIX  8L 
Knoblochsjunkcr  XIX  11.1. 

Kohse.  Familienname  XIV  82  f. 
Kordebenedict.  Heilp6anze  XVI  23. 
kräik,  kra,  Lockruf  XIX  8L 
kreisch  adj.  XVIII  118 
Krengel  Neuntöter  XIX  82. 

Krohäugel  XIX  82. 

Kröpper,  Taubenname  XIX  92. 

Kruch,  der  XVIII  H6. 

Krftne,  Kuhname  XII  99. 
KrUnitz.KrUnis,  Kreuzschnabel  XIX  88. 
Kuckuck,  Redewendungen  mit — XIX  88. 
Kupse  XIV  79. 

Kurwend  dich,  Pflanze  XVI  23. 

Lähdc,  Flurname  XVI  62. 

Laschke  (Leske,  Laske),  Kernheisser 
XIX  88  95. 

Lebtage,  seine  — XX  26. 

Leer,  das  XVIII  117. 

Lftschel  XX  107. 

Lichtgans  XIX  85, 

Liebe,  brennende  — , Pflanze  XVI  20. 
Liebstöckel  Etymologie  XVI  2L 
Löchmlle,  Flurname  XIII  114. 

Lohfinke  XIX  85. 

Lömile,  Flurname  XIII  114. 
machen,  eine  Krankheit  — XIII  83: 
Magd,  faule  — , Wachtelkönig  XIX  89. 
maleicht,  Partikel  XX  21  f. 

Marunken  XV  1.51. 


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151 


Master  n.  Gesellen,  Spiel  XI  78. 
Matschke  Dohle  XIX  81  f. 

Manko  (Mautc)  XX  Kki. 
merscheint,  l’artikel  XX  Tft. 

Metan,  Name  für  römische  Kamille 
XVI  75  f. 

Muhme,  tanzt  ok  mit  der  — Xll  iX). 
Mulkendieb  XIX  89. 

Muss,  der  XVIII  117. 
Muttcrgottcsvogel  XIX  91. 

Mutsla  mutz  . . . XIII  111. 

Nachtral«!  XIX  90. 

Nachtvelkc  XVI  70  f. 

N>fke  XIV  79. 

Xeinstemmerla  XIX  88. 

Nlfke.  Ortsname,  Etymologie  XIV  79. 
Nikel  XV  104. 

N'utsch(e)  XVII  99. 

Oanbinda  (das  Anbinden)  XIII  98. 
Oi'enguckc  XVII  98. 

Obnenjilke,  Pflanze  XVI  74. 

Omstel  XIX  81. 
pafTzen  XII  92. 

Pansche,  die  XVII  99. 
pempedell  XX  111. 
perszke  Harsch  XV  148. 

Piepe  XX  110. 

Pietze  XVII  99. 

PimpemUssel  XVI  71. 

Pitperlik,  Wachtel  XIX  9.H. 

Plan  XVII  100. 

Plauze  Taube  XIX  93. 
poihoi  XIX  90. 

Pöpcrle  XV  150. 

Pratze  XX  111. 

Pfischeilc  lluscheule  XIX  83. 
pnttpntt  XIII  111. 

Quäcker  Vogelname  XV  149. 

Quctschel  XV  151. 

(juier,  Flurname  XVI  60. 

Quirl,  pulsr  — , Etymologie  XIX  95. 
ragntzen.  Gurren  der  Tauben  XIX  93. 
Kastelbank.  Spielbank  XIX  125  Anm.3. 
raub  adj.  XVIII  119. 

Reich,  der  XVIII  116. 

reitschfl.  reiter  Finkenschlag  XIX  84. 

Rieebkrettia  XVI  71  f. 


rokutzen  unomatopoetisch  XIX  9.3. 
Rotgalster  XIX  96. 

Kuch,  der  XVIII  116. 

Kund,  das  XVIII  117  f. 

Rutkatcl  XIX  91. 
rfltschen  XIX  84. 

Knt.schimmel  XIX  92. 

Rntschwänzel  XIX  91. 

Kutschwinglich  XIX  91. 

Rntwisllch  XIV  107,  XIX  91. 
Saiberschau,  Flurname  XI II  114. 
.Saiewiesen,  Flurname  XV’  95. 

Balte  (salke)  XX  106. 
schaecht,  es  — XIX  17  (vgl.  XII  63, 
XIX  6),  XII  74. 

Schaetscher  Itirkenzeisig  XIX  91,  — n 
XIX  91 

Schalaster  XIX  82  f.,  .XX  62  f. 
seban  (schon)  glätz. , Partikel  XX  75. 
Scharndarm  und  Rattler,  Spiel  XI  78. 
Sehicches,  nischt,  XIX  6. 

Schinjimfcrle  XIX  14. 

Scbischliulz  XIII  94. 

Schlawittel  XX  108  Anm.  1. 

Schlosser  XVIII  89. 

Schlurf,  der  XVIII  116. 
j Schmack,  der  XV'III  116  (vgl.  XV'II  100). 
I Schmer,  der,  das  XVMI  100. 

Schnader-Nikcl  XV  104. 

I Schn&ke  (SchnAte,  Schnöte)  XX  106. 
Schneekönig  XIX  94. 

Schnellaliere  XIX  98. 
schnelle  mach  hurtig  XX  77. 

Schön,  das  XVIII  117. 

Schopfmeise  XIX  89. 

Schriem-.Allec  XV'I  60. 

Schuldleut  XX  10  Anm.  2. 
Schürgewaiula  Stosawtigelchen  XVI  86. 
Schwalmschwanz  XVI  60. 
.Schwanzmeise  XIX  89. 

Schwarzplättcl  XIX  86. 

Schwutz,  der  XVII  100. 
sich,  erstarrt  XX  76. 

Sichelscbmied  XIX  89. 

! Soll,  das  XVIII  117. 

Spalaloade  glätz.  XII  103. 

Spärlich  XIX  92. 


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152 


iSpatzker  XIX  *J2. 

Spendierfracke  XVII  98. 

Sperlich  XIX  92. 

Spicgelmeise  XIX  89. 

Sprachmeister,  Name  für  Rettig,  XV 151. 
Stank,  der  XVIII  116. 
starbnijS  das  .Sterben  XIV  107. 

Stark,  das  XVIII  117. 

Steiger,  Taubenname  XIX  92. 

Sterztag  XV  104. 

Stt'nkommer,  Flurname  XIII  114. 
Sticglitzkc.  Stilzkc  XIX  92. 

Strach  (=  Zimmer)  XIII  84. 

Süss,  das  XVIII  117. 

Tamaschken,  Damast  XIX  123  Anm.  3. 
Tanzt  ock  mit  der  Muhme  XII  90. 
täsch,  täscb,  Lockruf  XIX  83. 

Taube,  Redewendungen  mit  — XIX  93. 
Teufel,  hols  der  — , auf  — raus  XX  77. 
Teufelsbolzcn  XIX  89. 

Tief,  das  XVTII  118. 

Tisc  Taube  XIX  93,  XX  68. 
tlse,  tlsc,  Lockruf  XIX  93,  XX  68. 
tob  adj.  XVIII  119. 

Tohle,  sieb  eine  — kaufen  XIX  82. 
Tölpelmerks  XX  77. 
trotz  adj.  XVIII  119. 
tsebiep,  tsebiep,  Lockname  XIII  111, 
XX  64. 

Turkeltauw  XIX  93,  XX  106. 
ufschtiehn,  onder  siebna  — XI  77. 
L'ngedeih  XVIII  117,  XX  104. 
Verdriess,  der  XVIII  117. 

Vergelt,  der  XVIII  117. 

Verzieg,  der  XVIII  117. 

Viebig,  Flurname  XVI  60. 
vorkleiden  XIX  121. 

Waissekranz  (=  Erntefest)  XI  86. 
waisköp,  Kuhname  XII  99. 
watsch,  watsch,  Locknamc  XIII  111, 
XIX  83. 

watschel,  Lockruf  XIX  83. 
wöda.  Hirtenruf  XII  99,  XIII  111. 
welscher  Mohn  XVI  77. 
Wiesenschnarre, -quarrc.-knarre  XIX  89. 
Wimpark,  Flurname  XIII  114. 

Wislich,  Vogelname  XIX  91. 


Wisliche,  Flurname  XIII  114,  XIV  107. 
Wislichl&nc  XIII  114. 

Wistlich  XIX  91. 

Wullwull.  Lockruf  XIII  111,  XIX  85. 
wunder  adj.  XVIII  119,  erstarrt  XX  76. 
Wusst,  der  XVIII  116. 

Zahlbrätcl,  Schwanzbraten  XV  146. 
Zanikcl,  Pflanzenname  XVI  81. 

Zech  XIX  130. 

Zecdclbär  XIII  62  (vgl.  XVI  70). 
Zehrarien  XIX  96. 

Zehrkrottich,  Pflanze  XVI  81. 

Zeis  XIX  94. 

Zcisker  XIX  94,  Zeisgenbauer  (iefäng- 
nis  XIX  94. 

Zickzick,  Scheuchnamc  XIII  111. 
Zimmer  = Drossel  XV  149. 

Zippe  Drossel  XIX  82. 

Zistusi  Amsel  XIX  81. 

Zitze  XVII  100. 

Zutrinken  XV  101. 

Zwirbel  (Wirbelwind)  XIII  83. 

Germanische  Dialekte  und  deutsche 
Mundarten. 

brAme  mhd.  XIII  63. 

breman  ahd.  XX  46. 

cutti  ahd.  XIX  90. 

dädsisas  XIX  5. 

dwiril  ahd.  XX  56. 

gareidi  ahd.  XIX  84. 

üöi  isländ.  XI  31. 

goum  mhd.  XVll  98. 

gehornung  ae.  XI  29. 

halslflsinge  ae.  XIV  29. 

happa  ahd.  XX  50. 

haurds  got.  XX  51. 

hepc  mhd.  XX  50. 

hör  ostfries.  plattd.  Schmutz  XI  27. 

horbrig  Schweiz,  schmutzig  XI  27. 

hor(e)  mhd.  XI  27. 

höre  ndl.  XI  27  f. 

horemaent  ndl.  Kotmonat  XI  28. 

horh  ae.  XI  29. 

bornddl  ae.  XI  29. 

hörnuug  ae.  Ehebruch  1 

hörnungr.  an.  / 


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153 


horu,  -rwcs  iihd.  afr.  Kut  XI  27. 
hürpen  Schweiz,  beschmutzen  XI  27. 

' hurren  mhd.  XII  99. 
kedde  afries.  XIX  90. 
klumpermelk  nd.  XX  53. 
kudde  nd.  nl.  XIX  90. 
lämel  mhd.  XX  56. 

losa  hofud  an.  das  Haupt  lüscn  XIV  24. 

manger  bair.  XVI  130. 

mecli  tbttring.  XX  73. 

nähunt  abd.  XX  68. 

nicuws  ndl.  gierig  XX  58. 

plahe  mhd.  XX  80. 

rciden  mhd.  XIX  84. 

scearn  ae.  Kut,  Mist  XI  29. 

scharn  ndd.  XI  29. 

schcring(e)  mnd.  XX  87. 

scherunge  mhd.  XX  67. 

schock  mhd.  XX  67. 

schrickelmacnd  ndl.  XI  30. 

scirbi  ahd.  XX  64. 

scoub  ahd.  Stroh  XX  63. 

skarn  an.  XI  29. 

sol  engl.  ndd.  Kot  XI  32. 

soIm6nad  ae.  XI  32. 

spork  vlaem.  XI  31. 

sporkcimacnd  ndl.  XI  31. 

sprekla  an.  Flecken  XI  31. 

sprokkelmaend  ndl.  XI  31. 

sprokkcln  ndd.  XI  31. 

sprok  vlaem.  XI  31. 

sprark  engl.  XI  31. 

spurk  engl.  XI  31. 

stoven  ndd.  XX  139. 

snlly  engl.  XI  32. 

susün  ahd.  XIX  5. 

syljan  ae.  XI  32. 

tewc  ndd.  XX  68. 

twirel  mhd.  XX  56. 

ungesUhte  mhd.  XX  45. 

waniu,  waen  mhd.  XX  73. 

wei'id  ap.  Unkraut  XX  71. 

whistling  engl.  XIV  107. 

ZIdelen  mhd.  XIII  62. 

Zulle  ndl.  XI  32. 


bhhtnisch. 

I bubak  schwarze  Mann'  XX  46. 
dnor  XI  30. 

dänisch. 

Hlidemaaned  XI  30. 

französisch. 

bagage  XX  58. 
boniteur  XIX  96. 

chambres  (tombes)  des  gf'ants  XI  1. 
jnurnaliftrc  XIX  96. 
roucouler  XIX  93. 

griechisch. 

: etyyfloaxtnCuttt  ncugr.  XII  14. 
iffo)  TtnrpMOi  XIX  13. 
taxio;  XII  13. 
x^'rrot'poc  XV  3. 

XI  28. 

; öfuxtty  XI  28. 

ovotffnyoiifiXofyäyoz)  Neubildung  XVI 63. 
axmn;  des  Kotes  XI  29. 
axittfta/dv  XII  34. 

I axiufi  Schmutz  XI  29. 
atiiyog  (aii/ot)  XIV  35. 

V-e/.;  XII  3; 

Italienisch. 

6 la  scega-vecchia  XI  33.  37,  39. 

I lateinisch. 

I cornu  XI  24,  26. 

I di  parentes  XIX  13. 
eme,  em,  en  XX  75. 
lamina  XX  56. 
lutum  XI  30. 
poena  XIX  129  ,\nm.  1. 

Bcortum  XI  28  f. 
sermo  XIX  5. 
spurcalis  XI  31. 
spurcus  XI  31. 
umbra  XII  6. 

litauisch. 

ragiitis  Iliirnchen  XI  27. 

Zirnis  Erbse  XX  1.38. 

polnisch. 

baba  Napfkuchen  XIX  45. 
babiagöra  Weiberberg  XVI  54. 


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164 


liiedak  der  Anm,'  XVI  54. 

bicdzinu  ärmlirher  Bote  XVI  54. 

brzezina  Birkenholz  XVI  55. 

huzn  Holunder  XVI  54. 

czariiy  schwarz  XVI  54. 

czaw  Dohle  XVI  56. 

dabrowieckü  .lungeiehetihain  XVI  55. 

dahrowka  kleiner  Eichenwald  XVI  54. 

d^bina  Eiehwald  XVI  54. 

dulny  niedrig  XVI  54. 

drnginiw'c  andere  Feld  XV'I  55. 

drzewo  Holz  XVI  56. 

gazda  Hirt  XIV  80. 

glebina  Tiefe  des  Wassers  XVI  55. 

grzeb  Zwischcnucker  XVT  55. 

hromnice  Liehtniesse  XI  .80. 

hnsta  kerki  dichtes  GebUsch  XV  94. 

jarzecy  sommerlich  XIV  81. 

jerzice  Ebcreschenfeld  XVI  55. 

jerztnianca  Sterndolde  XIV  81. 

jodla  Tanne  XVI  43. 

kaezka  Ente  XV  95. 

k^ciskn  Winkel  XVI  55. 

kan'i  XVI  .55. 

kasch  Lockruf  XIX  83. 

klec  elende  VVohnung  XVI  55. 

kloi!  Klotz  XVI  55. 

kobila  Uoss  XX  81. 

kopa  Haufen  XVI  55. 

kopicc  Hügel  XIV  78. 

korzen  die  Wurzel  XVI  54. 

kosz  XX  53. 

koza  Ziege  XIV  83. 

kriazfzy  IlerzogsstUck  XVI  55. 

laka  Wiesen  XVI  55. 

las  (lasek)  XVI  55. 

low  Jagen  XVI  55. 

luty  Februar  XI  30. 

mlezko  Kalbsmilch  XIV'  85. 

moczyd/a  XVI  55. 

morsce  moorartige  Wiese  .XVI  .55. 

moscisko  verfallene  Brücke  XVT  55. 

muszek  V'ogclkraut.  XVT  55. 

mysz  Maus  XVT  .55. 

niwa  Feld  XIV  79. 

ogon  Schwanz  XVT  .56. 

okragfy  rund  XVI  56 


olsza  Erle  XX  79. 

osiekno  XVT  56. 

ostrow  Insel  XVT  56. 

pastuch  Hirtenjunge  XX  80. 

pod  rowem  wunka  Wiese  am  (iraben 

polkn  kleines  Feld  XVT  .56. 

popowisko  XVI  .56. 

poprzeczniczka  Querstück  XVI  56. 

przyrwa  Durchbruch  XVI  .54. 

rosocha  gabelförmiger  Ast  XVI  5ti. 

rzepa  (rzepka)  WasserrUbe  XIV  85. 

sielce  XVI  56. 

smolica  l’echort  XX  81. 

smug  VV'iesenstrich  XVI  66. 

sojka  lIolzheluT  XIV  85. 

sosnöwka  Kiefernwald  XVI  56. 

sroda  Mittwoch  XIV'  85. 

stasch.stasiu.stachu  Kosewort  XIV83f. 

stac  stehen  XV  94. 

struga  VV’iesenbaeh  XVT  .56. 

surma  Pfeife  XIV'  82. 

Utoplec.  XV  106. 
wawrzyn  Lorbeer  XIV'  85. 

Wojcicch  .Vdulbert  XIV  8.5. 

I wymöwid  ausdingen  XV'I  56. 

russisch. 

j bylina  XIV  34. 
pßsü  XIV  34 
roditeli  XIX  13. 
skazka  XIV  34. 

I starinä  XIV  34. 

slavisch  (vgl.  polnisch). 

j hJoto  .^umpf  XV'  153. 
glaboku  tief  XV  152. 

Gruden  Dezember  XI  30. 
knsmolica  zu  dem  Pechort  XX  81. 
Rabisch  XIII  66. 

8eiga  XIX  19. 

wendisch. 

baba  XX  45. 

boh  Gott  XX  46. 

drfmad  schlummern  XX  47. 

driizka  Genossin  XX  47. 

duban  Eichen  XX  47. 

dump  .Schlag,  dumpac,  XX  47. 

hromadu  Versammlung  XX  49. 


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155 


humpai5  sclmukeln  XX  öl. 

hnpak  Wiedehopf  XX  öl. 

kamjen  Stein,  kainjuük  Steinchen  XXöl. 

kokoä  Henne  XX  54. 

kokot  Hahn  XX  54. 

kofad  Brot  XX  54. 

kolij  Pflanze  XX  54 

kryda  Kreide  XX  55. 

kula  Kugel  XX  55. 

kulirid,  kulowad  XX  52. 

kulrjepu  Kohlrübe  XX  55. 

kupa  Hügel  XX  52 

knra  Henne  XX  55. 

kurjatka  Pfififerling  XX  55. 

kuäi  abgestutzt  XX  55. 

Inriny  XVI  65. 

/uh  .'!umpf  XVI  55. 
luka  Wiese  XX  60. 


lumpak  Lump  XX  .56. 

luza  Pfütze  XX  56.  59. 

fuzk  Waldpfütze  XX  56. 

inicu  Katze  XX  .57. 

nejko  schön  XX  58. 

p/ono  olTenes  Feld  XX  60. 

p/oiiych  (plomisk)  Holzapfel  XX  60. 

sapad  schleifend  gehen  XX  63. 

sepa  Schaf  XX  63. 

siSka  Zapfen  XX  64. 

skrokad  Elster  XX  66. 

äwikad  XX  67. 

swikala  XX  67. 

tok  XVI  56. 

walkad  wälzen  XX  70. 

wuiujenk  Ausgedinge  XVI  .56. 

zahroda  Garten  XX  62. 


d)  Sachroglstor. 


Aar  XIX  86. 

Aberglauben  XII  88,  XIII  36,  — und 
Brauch  aus  der  Provinz  Posen  XIII 
43  ff..  XIV  70  ff.,  XV  74  ff.,  — und 
Bräuche  ans  dem  täglichen  Leben 
XV  112 f.,  an  Festtagen  XV  113, 
Umfrage  Uber  kriminellen  — XV 
158  ff.,  krimineller  — XIX  71  ff. 
Ablantsreihen  im  Schlesischen  XX  32  ff. 
Aekermännchen  XX  81. 

Adel  XIX  112,  115,  117  ff. 

AdeI.stan  XVI  7. 

Ader,  blaue,  — über  der  Nasenwurzel 
XIV  74. 

Adjektiva,  schlesische  XVIII  118  f., 

XVII  101  f. 

Adjektivaubstantive  im  Schlesischen 

XVIII  117  f, 

Adler,  goldener,  Zechenname  XV  123  f. 
Adolf  und  Emilie,  Volkslied  XIV  101  ff. 
Adventssonntag  XV  114,  XVI  101. 
Adverbien  im  Schlesischen  XVII  102. 
Agrarverfassung,  zur  Geschichte  der 
schlesischen  — XVII  71  ff. 

Ägypten  XIV  20. 

Ägypter  XII  3,  XV  50. 


Ahacol,  M.,  XII  47. 

Akzent  XIll  9 ff. 

Alart,  .lean,  XX  7. 

Albert,  Heinrich,  XIII  17. 

Alesa  Popovid  XIV  45. 

Allerseelen  XV  85  f.,  114,  XIX  11. 

Aloe  XVI  82. 

Alp  XIII  55,  XV  105  ff  , XVI  96,  XIX 
18,  85,  —drücken  XIX  72  f.,  Hexe 
als  — XIII  84  f..  Sagen  vom  — XIII 
99  ff.,  — fuss  XIV  53. 

.Alraunwurzel  XIII  24,  XVI  5. 

Alt  (Singstimme)  XIII  16. 

Altmannsdorf  XV  152. 

Altenau  XV  126. 

Alttestamentliche  Stoffe  in  den  Byliny 
XIV  51. 

•Atnazulu  XII  3. 

Amen  darf  nicht  gesagt  werden  XIV 
71. 

am  Ende,  erstarrte  Verbindung  XX  77. 

Amselfeld,  Schlacht  auf  dem  — e im 
Heldenliedc  XV'II  26  fr. 

Amulette  XV  56,  XVII  40,  XVIII  9, 

Anbinden,  das  XIII  96. 

‘ Andersen  XII  24. 


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156 


Andrcasabeiid  und  -navlit  XIII  ^ ^ 
^ 85  f.,  XIX  13.  85. 

Andreo  XV  55. 

Angern,  Kapelle  in  — XIV  lA. 
Annaberg  XV  128. 

.^nnandale,  Nelson  XV  Ui 
AnnastUbcI  auf  dem  Jauersbcrge  XVI 
102  f. 

Anruf  XVIII  TiL 
ansagen,  den  Tod  — XIX  4. 

Apfel  ini  polnischen  Vulksliedc  XI  ^ 
—Orakel  XIII  44.  XIV  7Ü, 
ApoIIonius  von  Tyrus,  Volksbuch  vom 
— XIV  12. 

Aprilschicken  XIII  40,  XX  4a. 
Apulejus,  Pseudo — XVII  XVIII 

15  f. 

Aretaeus  XV  6Qf. 

Ariminum  XI  32. 

Aristoteles  XIV  I. 

Arme  Seelen  XV  113,  XVI  ^ 112  Anm., 
XIX  1^  ^ 16,  ^ Beten  zu  den  — 
XIV  811  fif. 

Armesünderglocke,  Breslauer  XI  Ü1  ff,, 
XVIII  123  f. 

Amhauson  (Pommern)  XI  102. 

Artikel,  Zum  Gebrauche  des  — s vor 
Ortsnamen  XIV  105  ff.,  XV  152  ff. 
Arzneibücher,  alte  — XIII  22  ff.,  XIV 
64,  vgl.  Heilbränche. 

Äsop  XIV  3(1 
Asiaugsage  XIV  22, 

Astrologischer  Aberglaube  XVI  85. 
.kttendom  XI  155  f. 

Aufgaben , neue  — der  schlesischen 
Volkskunde  XII  1 ff. 

Aufgebot  XIII  4Ü. 

Aufhuckeu  der  Seelen  XVI  25, 

.Aufsatz  XV  97. 

Anfstossen,  Mittel  gegen  — XIV  23. 
Auge  riskieren  XIII 115,  böses  — XV  22, 
Augenkrankheiteu  XVII  XIX  22. 
Augsburg  XI  101 , — er  Batbucb  XIV 
^ 35. 

Augustin,  o du  lieber  — , Tanz  XII  91. 
Ausreuter  XIX  102. 

Ausche  bei  Liegnitz  XIII  83. 


Auslauten'le  e im  Schlesischen  XVII 
115  ff. 

Ansschlag  XIV  25. 

Anssi-eini  XIX  24, 

.Austrieb  des  Viehs  XII  92  ff. 
Auszehrung,  Mittel  gegen  — XIV 
^ XVI  8L 
Axtelmeier  XIII  32. 

Babe  XX  45. 

Bach,  Rätsel  vom  XIV  25. 

Bachstelze  XIX  ^ XX  45. 
Badewesen,  deutsches  XX  13!i 
Bahrgewicht  XIX  21  f. 

Bakairi  XII  3. 

Balder  XVI  24. 

Baldrian  XVI  ~U.  XVII  9L 
Balken,  träumen  von  einem  gebrochenen 
— XIV  24. 

Ballade  XIII  20,  XIV  14. 

Balsamiendel  XVI  82. 

Bannen  von  Krankheiten  XVII  £lj 
eines  Diebes  XVII  4^  von  Schätzen 
XVIII  ^ umgehender  .Seelen  XIX  22. 
Bannspruch  XVI  8!^  XIX  52, 

Barbara,  hl.  XIII  — fest  XllI  8L 

Barcelona  XI,  38, 

Bart  bei  Frauen  XIII  85. 

Barzdorf  XVI  92  f. 

Basilius  XVII  46. 

Bass  XIII  15. 

Bauernbesitz  XIV  111 . — bissen  XII 
104,  —brauche  XIII  152  f.,  —garten 

XVII  25  ff„  XVI  65 ff.,  — häuser  XIII 
6 ff.,  — hochzeit  XVIII  112 ff.,  — leben 
im  15.  Jhd.  XIX  124  ff.,  Märchen  von 
der  klugen  — tochter  XIV  ^ — ine- 
nuette  XII  89  f. 

Beethoven  XIII  19  f. 

Befehl  als  Form  des  Zauberspruchs  XVT 
L 12ff. 

Begräbuisbrauch  siehe  Bestattungs- 
brauch. 

Behexen  XVI  4ff. , Mittel  gegen  — 

XVIII  147,  vgl.  Hexen. 

Beigaben  XIX  5 ff. 
beileibe  XX  77. 

Beinwurz  XVI  29 


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157 


Beiwortc,  typische  XI  äfif.,  XIV  43 f. 
Bellen  des  Hundes  als  Orakel  XIII  43. 
Bergamt  XIII  2Ü. 

Bergbierfest  XIII  BL 
Bergen  (Kiigen)  XI  102. 

Berggeist  XIII II  ff.,  XV  1118  ff,  XVIII 
Uff. 

Berggriisse  XIII  63. 

Bergmann,  der  schlesische  — XIII  63 ff. 
Berginännlein  XV'III  23. 
Bergiuannssprache  XIII  68—71,  XV 
117  .\nni.  ^ 123 
Berlin  XIV  2L  UM- 
Beruauerin,  Volkslied  XI  46. 

Bemickel  siehe  Gerstkorn. 

Bernstadt  XI  83.  83. 

Beruf,  künftiger  eines  Kindes  XIII  36 f. 
Bcrührniig  XIII  8»,  XVI  14. 

Berward,  Ohr.  XIII  63. 

Beschwörung  XVI  £,  XVIII  13 ff.,  — 
— guter  Geister  XVIII  23ff. , — s- 
foriiieln  zur  Gewinnung  der  Wünschel- 
rute XIV  31  ff. 

Besen  XIII  39,  lül  f.,  107,  XIX  12  f. 
Bestattungsbrnnch  XII39ff.,  XIII 101  ff., 

XV  79  ff.,  10^  XVI  87  f.,  102 f,  XVII 
3 ft'.,  13  ff,  XIX  3 ff. 

Betonica  XIII  ^ XVII  36. 

Bett  nässen  XIV  Ulf.,  — zipfel  XIV 
87,  — ^en,  in  denen  jemand  starb 

XVI  88  f. 

Bettler  als  Sänger  von  Heldenliedern 
XIV  32. 

Benthen  XIX  Ulf. 

Bcw'ohner,  die  vorgeschichtlichen  — 
Schlesiens  XVII  1 ff. 

Bibel  XII  22  f.,  XV  50,  7^  XIV  4, 
26  f.,  2a  ff.,  XVII  37,  XVIII  2,  2L 
Biereule  XIX  3U. 

Bierwetzel  in  der  Ilampelbande  XII  33 
Bildstöcke  XVII  86  f. 

Bilwis  XII  70,  24. 

Birken  XIII  8äf. , — zweigorakel  XIII 
46.  —Zeisig  XIX  3L 
Birnbanni  (Posen)  XV  7^  Ueiuivers 
vom  — in  der  Au  XIV  21  f. 
Bisknpitz  (Kr.  Schildberg)  XIII  3L 


Bismarck  XV  38. 

Blasen  auf  der  Zunge  XIV  ^ — Strauch 
XVI  IL 

Blefken,  Ditmar  XV  13. 

Bleichsucht  XIV  24. 

Bleigicssen  XV  22. 

Blick,  böser  XIII  ^ XIX  3,  scharfer 
— XIII  32. 

Blindschleiche  XI  82. 

Blitz,  Rätsel  vom  — XIV  2 Anm.  ^ 
Schutz  gegen  — XVII  32..  XI  10  f. 
Blocksberg  XV  124  f 
Blumen  spriessen  aus  Gräbern  un- 
glücklich Liebender  XI  43 f.,  Er- 
mordeter oder  Hingerichteter  XI  44, 
XX  die  — des  schlesischen 

Bauerngartens  XVI  68ff.,  XVII  90ff. 
Blut,  getrocknetes  XIII  4^  träumen 
von  — XIII  4^  Kühe  geben  — statt 
Milch  XIII  33 
Blntsegcn  siehe  Segen, 

Blutstillung  XVI  80,  XIX  49,  — durch 
Versprechen  XIV  83  f. 

Blutung,  Mittel  gegen  innere  — XVI 8L 

Bochonis  XII  23 

Böhmen  XIV  13 

Bohn,  Emil  XIII  1^  XX  136 f. 

Boleslaw  der  Tapfere  XV  ^ der  IV. 

von  Oppeln  XV  2L 
Bolkeuhain  XIV  106. 

Bornholm  XVII  16  f. 

Boyadel  XVI  43  ff.,  XVIII  98  f. 

Braun,  Isabella  XI  101. 

Brauner  Kaspar  XV  135,  1,37. 

Braut  XV  92  ff.,  142,  — diener  XX  46, 
Verse  gesprochen  vom  — diener  XV 
1(>)  f.,  — geschenke  XV  101  f.,  — jnng- 
feru  XV  98  f.,  XX  Volkslieder 
vom  — mörder  XX  36  ff, 

Braut  . . stand  XIII  43  ff.,  — Werbung 
XIII  43 

Bräutigam,  der  tote  — , Volkslied  XX 
108 

Breitenfelde  (Holstein)  XI  103,  107. 
Bremen  im  Volkslied  XVIII  61  ff. 
Breslau  XI  90fl.,  72ff,  79ff.,  XIII 30,  3^ 
^ 38,  40  ff,  84,  102  ff,  XIV  1^  87, 


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168 


XV  ^ 32 ff.,  XIX  92 ff.,  — ische  ! 
Erzähler  XIII  30ff. , altes  — er  tie- 
sangbnch  XV  98  f.,  —er  Kllehen- 
zcUel  von  17.32,  XV  lüff. , — er 
Häusernamen  XVI  ^ ^ — er  Ge- 
schichte vom  Feuermann  XVII  lüiff. 
Briefträger  XV  ^ IM. 

Brieg  XII  89,  XV  33  f.,  Bauernhochzeit 
in  der  — er  Gegend  XVIII  119  ff. 
Rrigidemonat  XI  30. 

Brot  XIII,  W).  99.  107.  XV  111.  113. 
XIX  XX  8^  immerwährendes 
XV  UO,  — kruste  XIII  90 f.,  — als 
Beigabe  XIX  3 f.,  — fruchthaum  XII 
29,  —markt  in  Breslau  XV  liäf 
Brilckenherg  XII  3iL 
Bruch,  Zaubermittel  gegen  — XVI  ^ 
23  f. 

Brüder,  Märchen  von  den  drei  — n XX 
12f.  I 

Brudzjn  XIII  i3ff.,  XIV  63,  67,  XV  2fi. 
Brunnenburg  XV  12,ö.  I 

Brust,  Zaubermittel  gegen  böse  — XIV  ^ 
33  f. 

Buchstaben,  geheimnisvolle  XIX  .öl. 
Buddhatempel  XII  33, 

Bunzlau  XII  67,  XIII  33. 

Burg,  J.  Fr.,  Gesangbuch  von  — XV  93.  i 
Burgberg  bei  Steinaeifersdorf  XIX  23. 
Bürgel  XV  138  f. 

Bürger,  G.  A.,  XIV  1^  98.  [ 

Bürkner,  Kobert  XI  114 
Buschmann,  Christoph,  XX  83  f.  ' 

Buschmäunlein  XIX  18. 

Buschvorwerk  XII  92.  | 

Butter,  behexte  XIII  92 f..  ein  Stück  ^ 
— auschneiden  XIII  4.ö. 

Butterberg  bei  Klein-Kauer  XII  94.  I 
Butterfass,  Rätsel  vom  -•  XIV  23,  | 

Byhus  XIII  25,  XVII  38.  1 

Caesarius  von  Heisterbach  XI  117  I 

l.'amenz  XVI  1^  103 
cantus  planus  XIII  12. 

Capitulare  XVI  23. 

Cartwright  XVI  3ü. 

(•assiodor  XX  2Ü. 

Cbclica  XII  46 


Celakowsky,  L.,  XII  42. 

Ceslaus,  Uoininikaner,  XIII  38. 
Chaniisso,  Peter  SchlemihI,  XII  1^  24. 
Ohancer  XIX  4^  Troylus  and  Chryseide 

XVI  12. 

Choral  XIII  12.  14. 

Christentum  XV  139,  — u.  Freimaurer 
XII  24  f.,  — u.  Zauberei  .XVI  7 ff, 

XVII  4flff.,  XVIII  5ff,  12ff.,  12ff., 
2L  23,  25f.,  22  ff,  31,  35f,  38  f., 
XIX  öfjff. 

Chri.stkind  XII  ^ 1112. 

Christnacht  XIII  36,  8^  XIV  ^ ^ 
vgl.  Weihnachten. 

Christophelgebct  XIII  32. 

ChUedreckerli  XII  93. 

Cnut  XVI  7f. 

Colomannus  XIX  ^ 56. 

Coliiberiia,  Hugo  de,  XX  1 ff. 

Corpus  Hippocraticum  XV  62  f. 
Corrodli,  A.,  XII  20. 

Cremeiitilla  XIII  ^ XVIII  20. 
Croraer,  Martin  XVI  64. 

Curilo  Pleiikovk!  XIV  45. 

Czarnikau  XV  85. 

Czerleino  Kr.  Schroda  XIII  ^ XV  74, 
22  ff,  86  f. 

Dachse  XII  92. 

Dachtraufe  XIV  72.  86 f. 

Dagobert  XII  39. 

Dainko  XII  42. 

DämouengUube  XVI  3 ff. 

Dariiistadt  XII  69. 

Deckbalken,  Rätsel  von  Ofen,  Tür  u. 

— XIV  23. 

Decem  XI  119  ff. 

Denkmäler  der  Vorzeit  im  Volksglaiibcu 
XI  1 ff. 

Dessmann,  Günther,  XVII  23  ff 
Dialekt,  Schlesischer  im  Drama  XIII 58, 
Diebsegen  XVI  .32,  Zaubermittel  zur 
Entdeckung  von  Dieben  XVII  44  f. 
Diininutiva  XI  63. 

Diphthougierungsmnudarlen  XX  136. 
Dirnen  XII  84. 

Dir.sclicinmtter  XIII  23. 

Diseantns  XIII  16, 


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159 


Djuk  StcpanoTW  XIV  45. 

Dnepr  XIV  44. 

Dobrynja  Nikitä’'  XV  42 
Dohle  XIX  81  f. 

Doktoren  als  Zauberer  XIII  98. 

Dom  ini  Volksrätsel  XIV  15. 

Domherr,  Sage  vom  Toile  eines  — n 
XIII  38. 

Donarien,  antike  — XV  51  ff. 
Don-Jnansage  XX  25  f. 

Donnerkeil  XI  10  ff. 

Doppelfurmen  XVII  97  ff. 

Dorfreime  XVIII  99  ff. 

Dornbusch  XVI  12,  — als  Sitz  Ver- 
storbener XVI  85,  89. 

Dornzweig  XIII  51. 

Draehe  XVIII  2.  75,  Tugarin  XIV  42, 
Olofagus  XVI  a3f.,  XVIII  1 ff. 
Drama,  schlesische  Muiulart  im  — XIII 
58  ff 

Dransfeld  XV  138 
Dreiblatt  XVI  8(1, 

Dronningshoi  XI  5. 

Drossel  XIX  82. 

Dro.ste-Hülshoff,  Annette  von  XIX  18. 
Drti.sen,  Besprechen  von  — XVII  42 
Dubraucke  XX  47 , Wortschatz  der 
Mundart  von  — XX  43  ff. 
DOhriiigsfeld,  Ida  von  — XVII  24. 
Dumas,  .AI.,  XVII  24. 

Dunaj  JvanoviC,  sagenhafter  russischer 
Held  XIV  44. 

Durchfall,  Bezeichnung  ftlr  XX  77. 
e,  auslantende  — im  Schlesischen  XVII 
95  ff. 

Eberesche  XVII  91. 

Ecke,  an  der  — eines  Tisches  sitzen 
XIII  45. 

Eckersdorf  XIV  95  ff.,  XX  92  fl. 
Eddalieder  XIV  8,  13,  24,  110. 

Edulia  von  (i.  O.  Flllleborn  XIII  40. 
Egge,  lautmalender  Name  für  — XI V 17, 
Ehe  XIII  43  ff,,  — standslied  XIV  99  ff. 
Ehsten  XII  .33. 

Ei,  Rätsel  vom  — XIV  15,  .32,  silberne 
und  goldene  — er  XV  128. 

Eiben,  Ortsname  XX  83. 


Eihenbaum  XII  31. 

Eichen  XV  1.52,  XVI  12  f. 
Eicheiikränze  als  Hexenschutz  XIII  86. 
Eichelhäher  XX  47  f. 

Eichhörnchen  XVI  104. 

Eid  XVI  132  f. 

Eidechse  XV  .54  f.,  XIX  14. 

Eierleseu  der  Tuchmacher  XIII  40. 
Eierzng  XI  74. 

Eigennamen  XVII  97. 

Einhorn,  Zechenname  XV  123. 
Einschlafen,  leichtes  n.  häufiges  — XIII 
100. 

Einstimmigkeit  XIII  13  ff. 

Eintrieb  des  Viehs  XII  97  f. 

Eisdorfer  Lieder  XIV'  95ff. , XX  90  ff. 
Eisenkraut  XIII  23  f.,  XVIII  19  f., 
XIX  70,  vgl.  Verhena. 

Eiserne  Geräte  verpönt  XVII  37. 
Elbing  XII  82  f. 

Elfen  XIV  11,  XV  35  f, 

Elisabetanum  XIII  .30  f. 

Elster  XIX  82  f.,  Redewendungen  mit 
— XIX  83. 

Emilie,  Adolf  und  — , Volkslied  XIV 
101  ff. 

Englischer  Zanbcrspruch  XVI  1 ff. 
Ennins  XII  26, 

Enten  XIII  111,  XIX  8f3,  Lockruf  ftlr 
— XX  70 

Epilepsie  XVI  8,  Mittel  gegen  — XIV 
71,  XV  140,  XVII  41,  XVIII  20, 
XIX  92,  XIII  25. 

Epischer  Eingang  in  Zauhersprilchen 

XVI  18  ff.,  XIX  .52  f. 

Erbsen  XVI  4,  Rätsel  von  den  — n. 

den  Tauben  XIV  28. 

Erdbeere  XIV  70. 

Erde,  heilende  Kraft  der  — XVI  20, 

XVII  41,  Beschwilrnng  der  — XVIII 
15  f 

Erhängte  XV  11.3,  XVI  88,  92,  10.3  f., 
XIX  15,  21. 

Erk-Böhme  XIV  101. 

Erke.  II.,  XV  22. 

Erlach,  Freiherr  von  — XI  94. 
Erlösung  scbatzhiltendcr  Seelen  XVI II 


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160 


79  f. , 85  ff. , 91  f. , — anner  Seelen 
XIX  23. 

Erntebraucb  XI  85  ff.,  — schlass  XX  54. 

Erntelieder  XI  85  ff. 

Eratarrnngen,  sprachliche  — im  Schle- 
sischen XX  71  ff. 

Erzähler,  der  Breslauische  — XIII  30  ff. 

Erzbergbau  XIII  G6. 

Esel,  der  goldene  — zu  Reichenstein 
XV  114  ff.,  Sagen  llHff.,  Ursprung 
des  Namens  122  ff.,  der  Name  Esels- 
fresser 129  ff. 

E8el3fresserXV129ff.,XVia3ff..XVlI92. 

Esche  XVI  13. 

Espe  XVI  13. 

Essex  XVI  12. 

Eule  XIV  76,  XIX  83,  Redensarten 
mit  — XIX  83. 

ErangelienscliUlssel  XIII  37 

Excmpel,  I’redigt—  XIX  29  ff.,  XX  1 ff. 

Faden  liegen  sehen  XIII  50. 

Fahrleder  XIII  68,  71,  81. 

Falkenberg  (Uberschlesien)  XII  71. 

Falkenbain  XIV  106. 

Fallende  Sucht  vgl.  Epilepsie. 

Familie,  serbische  XVII  20  f.,  — nnameu 
polnischer  Herkunft  XIV’  80 ff.,  deut- 
sche — nnamen  XX  132  ff.,  — nuamen 
und  Torsaulen  XV'I  67  ff. , — sagen 
XVIII  76  f. 

Färöer  XIV  5,  22. 

Fastnacht  XIX  123,  XX  69. 

Feeustweiber  XII  94  f. 

Feiertage  in  Island  XV  33  f. 

Festgebräuche  XV  161. 

Festtage  XIX  58  , 64,  vgl.  auch  die 
einzelnen  Feste. 

Feuer,  Seele  erscheint  als  — XIX  16, 
hilft  gegen  Behexung  XIII  93,  blaues 
— XIII  101,  mit  — spielen  XIV 
70  f.,  — teller  XIII  36. 

Feuermann  XV'l  87,  90,  XIX  23,  Bres- 
lauer Oeschichte  vom  — XV'II  104  ff. 

Fenerprobe  XII  42  f. 

Fibiger  X\^  132. 

FichtengrUu  im  polnischen  Volksliede 
XI  54. 


Fieber,  Schatz  gegen  — XIV  70,  Mittel 
gegen  — XIII  24  f.,  XVI  8,  13,  19, 
XVIII  20,  Mittel,  jemanden  —krank 
zu  machen  XVI  13  f. , — segen , vgl. 
Segen. 

Finger,  an  den  — n ziehen  XIII  45. 

Fingerhut,  Blume,  XV^I  70. 

Fingernägel  schneiden  XIV  75. 

Fink  XIX  83  f.,  Zusammensetzungen 
mit  — XIX,  83  f.,  — cnstein  XIX  84. 

Fisch  im  Volkslicde  XI  53,  — namen 

XV  148,  —schuppen  XIV  70,  XV  113. 

Fischart  XVI  28,  XV  135. 

Flacbsbereitung  XVTI  66. 

Flamme  bedeutet  den  Berggeist  XIII  75. 

Flanilern,  du  bist  aus  — und  ähnliche 
W'endungen  XX  101  f. 

Flasche,  Zerbrechen  von  — n XIX  28, 
Wunder — XV'l  99,  101  f.,  polnisches 
Märchen  von  der  Wunder — XIV  63  ff. 

Flechten,  Mittel  gegen  — XIV  88, 

XVI  16  f. 

Fledermaus  Xl\'  76. 

Fleisch,  ein  Stück  rohes  — XIV'  72,  86. 

Fliege  XIII  75. 

Fliegeiistecber  (—Schnäpper)  XIX  84. 

Floh  XI  89,  Mittel  gegen  Flöhe  XIII 
29,  Rätsel  vom  — XIV  17  f, 

Fluch,  Wirkung  des  — s XV'III  83. 

fluchen,  in  der  Grube  — XIII  73. 

Flurnamen,  schlesische,  XIII  113  ff.,  tu 
den  schlesischen  — XIV'  107,  — von 
Mollwitz,  Kreis  Brieg,  XV  92  ff,  — 
und  Ortsnamen  der  LeobschUtzer 
Gegend  XV'  95  f.,  — in  Boyadel, 
Kreis  Grilnberg,  XVI  43  ff.,  — aus 
dem  Kreise  Sprottau  XVI  60 ff.,  — 
aus  dem  Gebirge  und  aus  Nieder- 
schlesien XV'III  104  ff. , — von 

Langenüls  XX  84  f. 

Formeln,  typische,  XI  56. 

Forstlangwasser  XII  92. 

Forzen  XI  88. 

Frage,  rhetorische  — im  V'olksliede 
XI  65. 

Frankenstein  XIX  90,  Frauen  von  — 
XIII  39. 


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Ißl 


Franz,  Agtiea  XI  114. 

Frau , Märchen  von  der  treulosen  — 
XV  4 ff.,  weisse  — XIII  101,  XVIII 
81,  84,  93. 

Frauenwettlauf  XII  83. 

Freilustniuseum  XIII  8f. 

Freimaurer  iiu  Volksglauben  XII  61  ff., 
XIV  58  f..  XV  68  ff.,  XIX  71  ff., 
Name  XII  63,  haiieii  immerfort  63, 
für  Zauberer  gehalten  64,  üebräucbe 
hei  der  Aufnahme  unter  die  — 64  f. 
(XIV  58  f.),  sagenhafte  Tätigkeiten 
und  Vorrechte  66  ff.,  Meuschenopfer 
der  — 72  ff.,  Tod  der  — 73,  linden 
nach  dem  Tode  keine  Buhe  74,  ihr 
Christenglauben  wird  angezweifelt 
74  f.,  — im  Bunde  mit  höllischen 
(Teistern  oder  dem  Teufel  75  ff , XIV 
58  f.,  XIX  73  f. 

Fremdwörter  XVII  96  f..  101,  XIX  96. 

Freussen,  Jörn  Uhl,  XII  12. 

Freudeuburg  Kreis  Waldenburg  XX  83. 

Freytag,  Gustav,  XIV  2. 

Friedenberg  XII  85. 

Frischlin,  Nicod  , Susanna  XVI  40  ff 

Fritz,  der  alte  — XIV  28,  XV  93. 

Frosch  XV  54  ff , XVII  51,  54. 

Frostbeulen,  Schutz  gegen  — XIV  70. 

Fugger  XV  137. 

Fülleborn,  Georg  Gustav,  XI  112,  118f., 
XIII  30  ff. 

Füllort  XIII  70. 

Funkentelegraphie  in  I.sland  XV  46. 

Fürwörter  XVII  103,  XX  76. 

Gaarz  (Mecklenburg)  XI  100,  103. 

Gabitz  XII  68. 

Galgen,  alter  — in  Breslau  XV  146, 
— reparatur  XII  84  f. 

Gans  XIX  84  f.,  XIII  111,  Lockruf 
XX  59. 

Gänsefeder,  Rätsel  von  der  — XIV  17. 

Gänsehimmel  XIX  85,  —wein  XIX  85. 

Gärten,  schlesische,  XVI  66 ff..  XVH 
90  ff 

Gastlichkeit  der  Isländer  XV  .30  ff. 

Gauderhahn  XIX  84. 

Gchärmutter,  plasli.sche  Auffassung  der 
Utttcllauucn  ü.  scbics.  (tes.  f.  \ küo.  lieft 


— in  der  Volksmedizin  XV  49  ff., 
XVU  49  ff. 

Gebete,  beim  Graben  der  vcrbena  XVII 
37  f , zur  Entdeckung  von  Dieben 
XVII  45,  — für  schwnchl}ef%higte 
Kinder  XV'II  45ff. , — im  Zauber- 
glauben des  Mittelalters  XVIII  5 ff. 

Geburt  eines  Kindes  XIII  53  f.,  — szeit 
XIII  .54. 

Gedächtnis,  Mittel  zur  Stärkung  des 
— ses  XVII  47  f.,  XIX  90. 

Gedichte,  Schlesische  — aus  der  Re- 
formationszeit XI  14,  schlesisches  — 
Uber  die  Tiroler  in  Zillertal  XV  154. 

Gehänge  XV  97. 

Geheimschrift  der  Freimaurer  XII  66. 

Geiersberg  XIX  16. 

Geisbeini,  Carl  XI  115. 

Geister,  Hans—  XIX  12  ff.,  — er- 
scheiuungeu  XV  79  ff 

Geistlicher  bannt  Seelen  X\'I  89,  101 
bis  103,  XIX  22,  entdeckt  Diebe 
XVII  45. 

Geizhals  XVIII  80  f. 

Gelbsucht,  Mittel  gegen  — XIV  74, 
XVII  43,  XIX  86. 

Geld  als  Beigabe  XIX  9 f. , — drachen 
XII  71,  — wird  zur  Trauung  mit- 
genommen XIII  50. 

gelt,  Interjektion  XX  75. 

Gcineindeholz  XX  54. 

geiiius  loci  XII  25. 

Genofevasage  XIX  44. 

gerade  wohl,  aufs  — XX  77. 

Geräusche  haben  Vorbedeutung  XIV  76. 

Gerhaid,  Wilhelm,  XVII  24. 

Germanen  XIV  109,  XV'III  5 f.,  — als 
Bewohner  Schlesiens  XVII  1 ff. 

Gerstkorn,  Mittel  gegen  — XIV  72, 
87  f. 

Geschichte  Islands  XV  43  ff. 

Geschlechtsteile,  weibliche  — als  Vo- 
tivgabeu  XV  51. 

Ge.schwulst,  Zanberformel  gegen  — 
XVI  15  f.,  22,  XVHI  24. 

Geschwüre,  Mittel  gegen  — XIV  71  f. 

Geselle  XX  1 16  ff  . — nprüfmig  1 16  f . 

X.\  1 1 


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162 


Aufnaliine  in  den  — nverband  121  f.,  ' 
Zusammenkünfte  der  — n 122  f.  1 
QespensterglanbenXIII  109,-tierXIX81.  ; 
tiesta  Romanürum  XX  14  f.,  19,  22,  24. 
Ueatellnug  XV  113. 
öesnndlieit  des  Menschen,  durch  Hexen 
geschädigt  XIII  90. 

Getreidedrachen  XII  71. 

Gewitter  XIX  93,  Schatz  gegen  — 

XIX  88,  XI  12. 

Gicht  XVI  74,  76,  81  f.,  XIX  88,  — rUbe  i 

XVI  81  f.,  — Segen  vgl.  Segen. 
Giersdorf,  Mundariprobe  XVII  68. 
Gimpel  XIX  85  f. 

Girlitz  XIX  94.  ■ 

Olatz  XV  153,  —er  Jungfrau  XIII  39, 
Grafschaft  — XV  87  ff.,  XVI  64, 
XVIII  84,  Muudartenproben  aus  der 
Grafschaft  — XVII  6fif.  , 

Gleckeheba  XII  lüö  f.  ' 

gleich,  Partikel  XX  72  f. 

Glieder,  menschliche  — als  Weihge- 
.schenkc  XV  49  ff.,  72f. 

Glucken  verraten  Verbrechen  XI  103. 
Glockenguss  zu  Breslau  XI  91  ff.,  XVIII  1 
123f.  ' 

Glogauer  Mundart  XIII  34,  XVII 69  f. 
Glück  auf  XIII  69f.,  Glück  zu  XIII  69  f. 
Glück.shebcn  XII  105  f.  ! 

, kinder  XIII  54.  ! 

Glume,  Ort.snanie  XIV'  79. 
ünesen,  Kreis  XIII  48  ff.,  Stadt— XIV  ' 
70.  XV  76,  79,  84.  ■ 

Gnipolsdorf  XV  92. 

Gobii,  Johannes,  Doniinikaucr  XX  1 ff.  | 
Gnebel,  Georg  XIII  58  f. 
üocdsclie,  Hermann  XI  96,  11.5. 

Goethe  XII  2,  11,  45,  XIII  10,  76,  ' 

XX  103,  — über  Rätsel  XIV'  3.3,  der  I 
Grosskophta,  Faust  XV'  69,  llcrmanu 
und  Itorothea  XVI  71  , — und  die 
serbischen  Volkslieder  XV'll  23  ff,, 

— s Klagogesang  von  der  edlen  Frauen 
des  Asan  .Vga  XV'll  25,  — s Sprache  j 

XVII  95,  Braut  von  Korinth  XVIII  | 

59,  XIX  19,  Schweizerreise  XIX  15,  i 
Totentanz  XIX  20.  I 


Gold  machen  XV'  68  f.,  — gewinnen 
XVI  78, 

Goldammer  XIX  86. 

Goldamsel  XIX  90. 

Goldberg  XV  122  f.,  128,  XVIII  84, 
XIX  132 f , Habendocken  bei—  XVIII 
83,  zur  Volkskunde  aus  dem  — Hay- 
nnuer  Kreise  XIII  106  ff. 

Goldbergban  XV  114  ff. 

Goldcntrauiii  XX  83. 

Goldwurz  XVI  77  f. 

GomoIcke,  Daniel  XI  94,  XII  83. 
Goplosee  XV'  86  f. 

Göppert  XV'I  67  f. 

Görbersdorf  XX  82  f. 

Gürlitz  XIII  .58  f. 

Gottsched  XV’ll  95. 

Göttersagen  der  Germanen  XIV  109  f. 
Gotte.sdienst  in  Island  XV  3.3. 

. urteil  XVI  132  f. 

Grab,  offenes  — XIII  106  f. 

Graben,  der  schwarze  — XII  9tl. 

Graeber  der  VV'öchneiinnen  XIII  101  ff., 
XIV  69  f. 

Graesse  XI  115,  XII  29. 

Graetz,  Kreis  XIII  44  ff. 

Gramschütz  XII  94  f. 

Grasemückc  XIX  86. 

Graswuchs,  Ilexengewalt  über  den  — 
XIII  9.5. 

Gravelotte,  Schlacht  von  XIV  96. 
Gregorius  auf  dem  Stein  XX  22  ff., 

— Umgang  XIII  40. 

Grenze  XVI  85 ff,  89 f. 

Grenzzciclien  XIX  23,  die  alten  — am  i 
Zobtenberg  XVIII  108  ff. 

Griechen  XII  3,  XIV  1,7,  29  f.,  XV'll 
37,  XIX  9,  11,  13,  16. 

Griminelshausen  XI  105. 

Oröbiiig  XV  95  f. 

Grochberg  bei  Frankenslein  XV'III  87. 
Gröditzberg  XIV'  114, 

Gröndal,  Benedikt  XV'  19. 

Grönländer  XII  3. 

Gross-Xeundorf  bei  Neisse  XIX  20. 
üross-Tschochaer  Schloss  XVI  98. 
GrossvaterspicIcu  XX  49  f. 


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1«3 


Grottkau  XVI  97,  —er  Vesper,  Volks- 
lieil  XX  Ulf. 

Grlluberg,  allerlei  Überflüssiges  aus  dem 
-er  Kreise  XVIII  28  ff. 

Grimtowitz  XV'  79. 

Gryphius,  Audrcas  XVIII  29  ff. 

üiidmuiidsson,  Valtjr  XV  22  ff.,  47. 

Günther,  Christian  XIX  17. 

Qiirsclidorf  XVIII  95. 

Gusle,  serbisches  Musikinstrument  XVII 
20. 

Haarzotten  XIV  73. 

Habicht  XIX  8B. 

Hagedorn,  der  nnmtere  Seifensieder 
XX  28. 

Hahn,  Scherzname  für  XIV  17,  Rätsel 
vom  — XIV  20,  — eiikänipfe  XIII 
41,  — eiiblut  XIII  49. 

Ilahnkrahe  in  Breslau  XI  109  ff, 
XIII  37. 

Haihar  XII  43. 

Hain  i.  R.  XVIII  104. 

häkeln,  Kinderspiel  XX  .50. 

Hallgriinsson,  Jonas  XV  35,  45. 

Halslösuugsrätsel  XIV'  24  ff. 

halt,  Partikel  XX  73  f. 

Hälterdänime,  Flurname  XV  94. 

Hanierliiig,  Homunkulus  XII  24. 

Hammer  (Grafschaft)  XV'III  84. 

Hampelbaude  XII  93  f. 

Hände,  Märchen  vom  Mädchen  ohue  — 
XIX  29  ff.,  XX  6f 

Händel  XIII  IG. 

Handlung  in  V'erbindung  mit  Zanber- 
sprucb  XVI  2. 

Handwerksgebränche  XX  1 14  ff. 

Hänfling  XIX  86. 

Hanns,  Lied  vom  Herzog  — XIII  .36. 

Hans,  Ritter  — von  Mühlheim  XIII  38. 

Hartau  XIV'  106. 

Hartmann  von  Aue  XX  22. 

Harz,  der  — XIII  79,  —sagen  XV  125  f. 

Haschclieder  XI  50. 

Hase,  der  — im  V'olkslied  XI  48,  drei- 
beiniger  — XVI  97  f. 

Haube  XIII  45,  51  f.,  — aufsetzen  XV 
103,  XIII  52  f 


Haubenlerche  XX  89. 

Häuer  XIII  71  f 

Hauff,  Reiters  Morgengesang,  nmge- 
formt  im  schlesischen  Volksliede  XIV’ 
96  f. 

Hauptmami,  Gerhard  XX  129. 

Hausgeister  XIX  12  ff. 

Hausiuschrifteii  und  — bilder  XIII  33. 

Hauskobold  XII  77,  XIX  13. 

Hausnamen,  Breslauer  XIII  31. 

Hausotter  XIX  14. 

Haynau,  Zur  V'olkskunde  aus  dem  Gold- 
berg  —er  Kreise  XIII  106  ff. 

Hechelkrämer  XIII  39,  XV  118. 

Heidelerche  XIX  89. 

Hcidenwcrfeii  XV  142  ff,  XVII  70  ff. 

Heilbräuche  XIX  27  f.,  alte  uud  neue 
Heil-  uud  Zauberbräuche  XVII  35  ff., 
vgl. V'olksinediziu,  Krankheiten,  .Segen, 
Zauberspruch. 

Heilkräuter  XVI  71  ff,  XVII  .36  ff,  90f„ 
XIX  27. 

Heimchen  XI  7,"  XIX  15,  XX  47. 
j Heinrich  der  LiHve  XI  117  f. 

Heldenlieder,  russische  XIV'  33  ff.,  XV' 

( 3 ff. , slovenische  XII  59  f.,  .serbische 

XVII  18  ff. 

Heldensagen  der  tlermanen  XIV'  109  f 

Helguiida,  Sage  von  — XV'  6f. 

Hemde  XIV  71,  74,  XV  80,  84  f. 

Hengst,  Grubenname  XV  123. 

Henker  darf  V'erbrecherin  freibitten 
XI  46. 

Henne,  krähende  XIV'  76,  schwarze  nnd 
weisse  — XIX  17. 

Herrinberg  bei  Langenbielan  XV'III  73. 

Herrschaft,  zukünftige  — in  der  Ehe 
XIII  .50  f.,  XV  112. 

Herttwig  XIII  70. 

Hervara-Sage  XIV'  4. 

Herzgespan  XV'I  81. 

Herzkrankheiten  XVI  81. 

Herzogswahlau  XII  88  ff. 

Hexen  XII  43  f.,  66,  94  f.,  XIII  55, 
107,  XIV  73  f.,  XVI  35,  XVIII  84, 
—Spruch  XV'I  6,  Tod  einer  — XV 
78,  — und  Hexenzauber  XIII  82  ff., 
11* 


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164 


ücatalt  der  — XIII  82  f.,  die  — als  ' 102 f.,  4.  der  dritte  Hochzeitstag  103 f., 

Alp  84  f.,  —Zeiten  85  f.,  tanzende  und  5.  der  Zichtag  104  f. 
musizierende — 86  f..  Verbann uuir  der  Hochzeitsbitter  XV  105. 


— 87  f.,  — Zauber  88  If.,  Hexa- 
btichla  88  f.,  das  blaue  Steindel  89, 
die  — schädigt  die  Gesundheit  des 
Menschen  90  f ,den  Besitz  des  Menschen 
92  f.,  Brechung  des  — Zaubers  93  ff., 
Zaubergewalt  der  — über  den  Gras- 
wuchs95.  Zanberernnd  — meiste  r 
96  ff. ; Scharfrichter  96,  Zigeuner  9(!  I'., 
Kammerjäger  97,  Studierte  und  Dok- 
toren 98. 

Hexenmeister  XIII  96  ff. , 107,  XVI  7. 

HexenrUttel  XIII  110,  —schütz  XIX  83. 

Hexenstich,  Spruch  gegen  — XVI  18.21. 

Hexenverfolguugen  in  England  Wl  10  f. 

Hexenwahu  XVI  9 f. 

Hildebrant  und  Hadiibrant  XIV  öl. 

Hildegardsage  XX  19. 

Hildesheim  XV  143,  Griindungssage 
von  — XX  27  f. 

Hilferding  XIV  38.  * 

Hilgeiisec  XVIII  74  f. 

Himmelsbrief  XIX  56  ff. 

Himmelsleiter  XX  3. 

Hiramelswege  XIX  86. 

Hinrichtung  in  effigie  XII  68. 

Hintermarkt  XV  149. 

Hinlcrtreppenroiuaiie  XII  62. 

Hinzberg  XI  3. 

Hirs(di,  Lied  vom  weiasen  — im  Is- 
ländischen XV  29,  Sagen  vom  gol- 
denen XV  126  ff. 

HirtenbUblein,  Märchen  vom  XIV  31. 

Hirteurnfe.  -Spiüehe  und  -Lieder,  schle- 
sisehc  XV  87  ff. 

Ili.skia  XII  10. 

Hjörleifssou  XV  19. 

Hochzeit  Xll  1 43  ff.,  -sbriiuche  XV  96  ff., 
XVI  .37  ft.,  XVllI  119  ff,  XIX  28  f., 
XIX  ll9ff,  bäuerliche  Huchzeits- 
biäiichc  aus  K lei n-EI igu t h , Kr. 
Gels  XV’  96 fl'.;  1.  V’orberbereitungen 
96  f.,  2.  der  Trantag  a)  in  der 

Kirche  97  ff.,  b)  im  Hochzeitshause 
100  ft  , 3.  der  zweite  Hochzeitstag 


Hochzeiten  von  Tieren  (Vögeln)  XI  48ff. 
Hochzeitskleider,  träumeu  von  — n 
j XIV  76. 

Hochzeitsnacht  XVI  5. 

Höflcr  XV  53  ff.,  59,  140. 

Hohwelze,  Dorfreim  aus  — XV'III  101. 
llöleDluigh,  Hügel  XI  5. 

Hölle,  Flurname  XV  96. 
Hollnnderbaum  XVI  13,  78 1.,  .Schatten 
des  — B XII  27,  30,  Rätsel  vom  — 
XIV  8 r 

Holsteinische  Rätsel  XIV’  4 f , 20  f.,  25, 
— Sage  XII  18. 

I Holtci  XIX  94. 

Holzmonat  XI  30. 

Holzorakel  XIII  45. 

Holzwurm  XIV’  75. 

Homer,  Polyphemsagc  im  Polnischen 
i XIV  60  ff 
' Horb,  (trtsname  XI  23  f. 

I Hornung  XI  23  ff. 
i Houwald  XII  68. 

1 Hnfnage!  XIll  108. 

; Hühnchen,  schwarzes  — XVIII  75  f. 

I Hübner  XIII  111. 

Hühneraugen,  Mittel  gegen  — XIV  88. 
Hülinerwurzeln,  Mittel  gegen  — XIII 
; 108,  XIV  86  f. 

, Hummelfran,  Sage  von  der  — XV’III  89. 
Uuuil  XIII  43.  XIV  75,  Seelen  als  — e 

XVI  94  f.,  99,  103,  XVII  40,  XIX  17. 
j Hundeweih,  Pflanze  XVI  80. 

Hunde  zahm  zu  maclieii  XIII  107, 

XVII  40. 

Hünenbetten  XI  1. 

! Hilnengräber  XI  1 f. 

! Hungerturm  von  Priebus  XV  140  ff. 

: Husar,  Geschichte  von  dem  Friedrich- 
scheu  im  scliles.  Volksliede  XIV’ 95  f. 
Hussiteu  XV  119,  XX  85. 

Husten,  Mittel  gegen  — XVI  82. 
Hj'äne  XII  21. 

1 Hyazjnthus,  Dominikaner  XIII  38. 

: Idiotikon,  Schlesisches  XIII  31. 


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165 


Ilija  vun  Mnrotii  XV  71'.,  13,  Lcljesis- 
bild  nach  den  Byliuy  XIV  39  ff. 
Illyrisimis  XII  -15. 

Ilo,  Bätsel  vom  Hunde  — XIV  24  f., 
XVI  39  f. 

Inder  XIV'  8. 

Indien  XVI  24. 

Instrnmcutalbegleilung  XIII  2t. 
Itttercsaenrichtnn^  der  Inländer  XV'  34  ff. 
Innungen  XX  1 14  ff. 

Innungsfahnen  XX,  1 15. 

Irrlicht  XV  111,  XIX  IH,  -er  in 
Hrückenherg  XII  93, 

Irwing,  W'ashington  XIII  78. 

Island  XIV  12,  XV'I  6. 

Isländer,  die  heutigen  — XV'  18  ff, 
Literaturübersicht  XV'  I8ff. , der 
Volkschnrnkter  25 f.,  .Studenten  2(iff  , 
Ciastlichkeit  30ff..  Feiertage  33f.,  die 
Intere.ssenriehtung  34  ff.,  Ergebnis  47  f. 
Italienisches  Vulkslied  XVIIl  125  ff, 
Iwan  der  Schreckliche  in  den  llyliny 
XV  13. 

Jacob,  Th,  A.  Luise  von  — XVII  23. 
Jagd,  wilde  XIII  74,  XIX  16  f. 

Jäger,  der  wilde  XII  40  f. 

Jägerndorf,  Rätsel  aus  — XIV  26. 
Jakob  I.  von  England  XV'I  10. 
Jankowo  bei  Gnesen  XIV  74. 

Janowitz  XV  79. 

Jauy  (Kr.  GrUnberg)  XII  97. 

Jaraczewo  XV  81. 

Jarzetz  Faniilienuaine  XIV  81. 

Jauer  XIII  102. 

Janernig  XV  96,  XVIII  91. 

Jauersberg  XVI  101  ff. 

Jenaer  Liederhandschrift  XIII  14. 
Jerseniann,  Familienname  XIV  81. 
Jespersen,  Phonetik  XV  39. 

Jesniten  XIX  22. 

Joachimsthal  XV  123. 

Job  XVIII  10,  —Segen  XVIII  10  f. 
Jocksdorf,  Wüstung  — XX  86  ff.. 
Johannistag  und  -nacht  XII  70,  73  f., 
XIII  36,  46  ff  , 86.  XVIII  85,  XII  63, 
74,  76. 

Jordansegen  XVI  30  f. 


Jo.scphsfcst  zu  Riuiini  XI  32 ff.,  heidni- 
scher Ursprung  XI  36,  Benutzung 
einer  Puppe  fZersägen)  XI 38,  Kinder- 
fest damit  verbunden  XI  39. 

Jude,  Ewige  XII  81  f. 

Juden  XIV  7,  75,  XV  84. 

.Tnllen  XI  34,  39. 

Jung-Buuzlaii  in  Böhmen  XV  153. 
Jnngferntanz  XII  91. 

Kaiserchronik  XX  20 
Kaiser  von  Konstantinopel,  Tochter  des 
— XX  7 ff. 

Kälbchen,  Lockruf  für  — XIII  111. 
Kalinuk,  polnisches  Märchen  XIV  60  ff. 
Kaltenstein,  Burgruine  XVIII  87,  93. 
Kamille,  römische  XVI  75. 
Kammerjäger  XIII  97. 

Kapellen  XVI  85  ff.,  90  f.,  98. 

Kapitz.  Ortsname  XIV  78  f. 

Kapsch  Rocktasche  XX  47  f. 

Karfreitag  XIV  63,  XV  114,  121, 
XVIII  85  f. 

Karl,  Legende  von  Kaiser  — XIX  55. 
Kärnthen  XV  62. 

Karolius,  Kaiser — , ein  Kinderspiel  XIII 
108. 

Kartoffolsteckeu  XIII  107. 

Karwoche  XIV  70,  XI  73. 

Kastanien  XIV  72. 

Katze  XIII  49,  82  f.,  87,  109,  XV69f., 
Scherzname  für  — XV  149. 

Katzen,  Spiel  mit  — XIII  4.5. 

Kazwini  XII  42 
Kellerhals,  Pflanze  XVI  70. 

Kelten  XVI  14  ff. 

Kempen.  Kreis  — XV  79. 

Keramik  XVII  4,  7 ff,  10  f. 

Kerze,  Rätsel  von  der  — XIV  25. 
Kerzen  als  Orakel  XIII  51,  XIV  77. 
Kettcureime  und  -fragen  XIV  10  f. 
Keuchhusten,  Mittel  gegen  — XVI  2, 12. 
Kiebitz  XIX  86. 

Kiesslingswalde,  Muudartprobe  aus  — 
XVII  66. 

Kiew  XIV  45  ff,  XV  9 ff. 

Kind  XIII  63  ff.,  Geburt  XIII  .53  f., 
Taufe  53  f. 


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Iß6 


Kinderfest  XI  ^ -lieder  XII  ^ XIII 
1^  -spiel,  ein  — XIII  108,  XV  108 
(vgl.  Spiele). 

Kinderrcime  und  -spiele  XI  SS  vergl. 
Spiele. 

Kindesniörderin  XI  ^ XV  82  f. 

Kirche,  Bräuche  hei  der  Trauung  in 
der  — XV  91  ff. 

Kirchhof  XIII  ^ XV  77,  8i  f. 
Kirchweih  XIX,  123,  125. 

Kirmesbräuche  XIII  iL 

Kirsche,  Rätsel  von  der  — XIV  20. 

Kirschenvogel  XIX  20, 

Kirschenzweige  XIII  85  f. 

Kittnerberg  bei  Fischhach  XV  112  ff. 
Klabautermann  XII  20. 

Klageweibel  XIX  ü XX  93. 
Klangmalerei  XIV  12. 

Klangzeile,  einleitende  — im  Volks- 
rätscl  XIV  10, 

Klapperngehen  in  der  Karwoche  XI  23, 
Klarenkranst  XV  105 
Kleebrot  als  Heilmittel  XIV  93. 
Kleidung  bei  einer  Hochzeit  XV  99 f. 
Klein-Kllguth,  Volkskundliches  ans  — 
XI  29  ff.,  Namen  polnischer  Herkunft 
aus  — XIV'  22  ff.,  bäuerliche  Hoch- 
zeitsgebräuche aus  — XV  90  ff. 
Klein-Kauer  (Kr.  tilogau)  XII  9Af. 
Klüster  XVI  97^  verbreiteten  Heil-  ' 
pflanzen  XV'l  23, 

Kneiplieder  der  isländischen  Studenten 
XV  29. 

Kober,  Tobias  XIII  58, 

Kuchen  hilft  gegen  Behexung  XIII  93. 
Kohlenbergbau  XIII  07, 

Kolo,  serbischer  Tanz  XV'II  20, 
Kometen  XIII  32, 

Kommende  XV  152. 

Kommunion  XV'  91. 

König  im  Bade.  Märchen  XX  15  f. 
Königin,  die  den  Marschall  tötete, 
Sage  XX  18  f. 

Königsberge  bei  Mollwitz  XV'  93, 
Königskerze  XIV  21, 

Königssohn  im  Paradiese,  Legende 
XX  LZf. 


Konstantinopel,  Märchen  von  der  Toch- 
ter des  Kaisers  von  — XX  2 ff. 
Kopenhagen  XIV  1^  XV  28  f. 

Kopizen  XIV'  28, 

Köpfen  von  Leichen  XIX  19, 

Kopflose  Menschen  und  Tiere  XII 37  ff,, 
XIII  76, 101,  XVI 86, 98,  - .Schatten 

XII  1^  ^ XIV  IL 

Kopfweh,  Mittel  gegen  — XIV'  7^ 

XV  112. 

Kopisch,  .Vugust  XV  2L 
Kornbluten,  die  ersten  XIV'  70, 
Kornelbaum  XII  30. 

Korytko,  Emil  XII  47. 

Kossinna,  (iustav  XV'!!  ^ 14 
Kossovo,  Schlacht  von  — im  serbischen 
Heldenliede  XVTI  20  ff 
Kosten,  Kreis  — XIII  14  f.,  42, 
Kotschke-Lusehe.  Flurname  XV  95. 
Kräliberg  bei  Mullwitz  XV'  93. 

Krähen  XIX  87,  XVI  1Q2  ff.,  XIV  7^ 
— äugen  XIX  82. 

Krainer  XII  45. 

Krakau  XVI  ^ Sage  von  der  tirUn- 
dung  — s XVIII  1 ff.,  125. 

Kraljeviö,  Marco  XII  5L 
Krammetsvogcl  XIX  82. 

Krämpfe,  Mittel  gegen  — XV  113, 
XIX  93. 

' Krankenmessen  XIII  32. 

Krankheiten  XIV'  Zauber-  und  Heil- 
mittel gegen  — XIV  80 ff.,  XV  22f , 

XVI  2,4.8,  12  ff.,  12  ff,,  23  ff.,  72  ff., 
XIX  ^ ^ vgl.  Volksmedizin. 

Kranz  XIII — e schwimmen  lassen 

XIII  £7,  -c  werfen  XIII  40  f. 
Kräuter,  Beschwörung  aller  — XVIII 

15  ff.;  vgl.  Heilkräuter. 
Kräutermundart  XIII  Probe  XVII 
08  f. 

Krebs,  .lulius  XI  9^  115. 

Krebs  XIV'  ^ XV'  148.  Rätsel  vom 
— XIV'  Hl  — als  Darstelinngsform 
des  Uterus  XV'  52, 

Krempe  (Holstein)  XI  107. 

Krengel  XIX  82  f. 

Kreuzburg  Xll  05. 


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Kreuz  Christi  XVI  291'.,  34,  XVIII  .33.  ' 
Kreuze  als  Ort  vonGcistererseheinungen  i 
XVI  86  f,  94.  96. 

Kreuzzeichen  XIII  73.  95,  108,  XIV  72, 
87ff,.  XV  H2f„  106,  XVIII  8,  lOff.,  18. 
Kriechtiere  als  liarstellungsform  der 
Gebärmutter  XV  27  f. 

Kriegsrüstung  XIX  111  ff.,  129  ff. 
Kriemhildenstein  am  Zohtenberg  XVIII 
98  ff. 

Krimmer  XIX  88. 

Krippen  zu  Weihnachten  XIII  41 
Kroaten  XVII  21  f. 

Kröte  XV  55  ff.,  XVII  50  f.,  Hexe  als 
- XIII  83. 

KrummhUhler  ISauernstube  XIII  3,  7. 
Kuchen,  von  — träumen  XIV  70 
Küchenzettel,  Breslauer  — aus  dem 
Jahre  1732  XV  144  ff. 

Kuckuck  XIX  88,  — im  Aberglauben 

XIV  70,  — im  Volksliedc  XI  52, 
— sfresscr  XVII  95. 

Kübe  XIII  111. 

Kubflailen  als  Heilmittel  XIV  91  f., 

— namen  XV  89. 

Knhprinz  XII  97  f.,  XV  88,  91. 

Kuhpuck  XIV  6.3. 

KUhscbmalz,  Ort,  XX  80. 

Kujawien  XIII  44  ff.,  XIV  68.  63,  71  ft'., 

XV  77  ff. 

Kümmernis,  Legende  von  der  heiligen 
— XIII  .38. 

Kunschütz  XII  67. 

Kurz,  Hermann,  Xll  24. 

KutUn  XIII  66. 

Kynastsage  XIII  38. 

Kynsburg  XV  119,  124. 

Ladislav,  Lied  vom  Könige  — XIII  35. 
LaeLare  XI  .36 ff., 82 ff.,  XII 80,  XV  143, 

XIX  1.33. 

La  Ttnekultur  in  Schlesien  XVII  14  ff, 
Latsche,  die  XVII  99. 

La  Fontaine,  le  savetier  et  le  financier 

XX  28. 

Laibach  XII  45. 

Lämpchen,  ausgehendes  XVI  92. 
Landesmuseum , Schlesisches  XllI  8 f. 


167 

Landesordnung  Schlesiens  XIX  107  ff., 
111  ff 

Langenau,  Fürstlich  — , XIII  96,  XVI 
85  f. 

Langenbrüek  XIV  106. 

. (da  XX  78  f. 

Lanken  (in  Mecklenburg)  XI  99. 
Laschke  XIX  88. 

Lattichkönig  XIII  40. 

Laudemien  XIV  111. 

Lauterbach,  Etymologie,  XV  122. 
Lazar,  Lied  vom  Zar  — XVll  27  f. 
Leben  nach  dem  Tode  XVI 84  ff. ,XIX  1 ft', 
Leben,  Märchen  vom  Wasser  des  — s 
XX  llf. 

Leben  und  .Sitten  Schlesiens  XIX  97  ff. 
Legenden  XII  52  f.,  — vom  heil.  Ba- 
silius XVll  46,  — vom  Königssohn 
im  Paradiese  XX  17  f.,  — von  der 
heil.  Kümmerniss  XIII  38,  — hafte 
Lieder  XII  52  f. 

Lehnwort,  das  deutsche,  XVI  1291'., 
vgl.  Fremdwörter. 

Lehrling  XX  115f. 

Lenau  XII  17. 

Lenore,  —Stoff  XII 51,  — sage  im  schles. 

Volksliede  XIV  98. 

Leobschütz  XX  114  f.,  XV  95  f. 
Leonhard,  St.,  XV  .57  (5.3),  XVll  .V). 
Ijcpilstrctz,  alter  Name  Hermsdorfs 
XV  93. 

Lerche  XIX  89,  — im  Volksliedc  XI  52. 
Lerchenborn  (Kr.  Lüben)  Xll  69. 
Lessing  XVII  95. 

Leuchter,  Sage  vom  — XII  92. 

Lewin  XIII  92, 

Libelle,  Lied  zur  .\bwehr  der  — XVI 
14  f.,  33, 

Licht,  ausgehendes  — XVI  92,  XIII  51, 
— bei  der  Ijeiche  XIX  5 f. , Zer- 
brechen von  — ern  XV  83.  Geister— 
XIII  75,  vgl.  XIII  101,  XV  108. 
— gans  XIX  85. 

Lid,  Verschluss,  XV  145. 

Liebaii  XIII  102. 

Liebcntal  XIV  22. 

Liebesgedichte,  Schlesische,  XI  15. 


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16R 


Litbesliwlcr,  sluwcnischc  — XII  54  ff., 
schlesische  — XIV'  97  f.,  XX  104  ff„ 
107  ff. 

Liebesmittcl  und  üeyenmittel  XV'I  3,  6, 
Liebesorakel  XIII  43  f, 

Liebfrancnkirche  zu  Wurms  XII  33. 
Liebstöckel  XVI  74,  XVII  90. 

Lieder  der  Isländer  XV'  34  f.,  vgl. 
V'ulkslied. 

Lieper  llaidebaum  XII  29. 

Liliental  XII  71. 

Lincolnshire  XVI  13. 

Linde  XIII  34,  XVIII  94,  im  Volkslicde 

XI  61,  — nschatten  XII  27,  30. 
Lippen,  blaue,  XIII  100. 

Lochbeimer  Liederbuch  XIII  16  f. 

Lock-  und  Scheuchnamen  für  Haustiere 

XIII  110  ff. 

Loewc,  Kichard  XX  127  ff. 

Luguu  XII  34,  XV'  136,  Sprache  — ; 

XVII  96  f.,  XVIII  115  ff.  i 

Lühenstein  XVII  43,  96,  XVIII  116  f.  ; 
Lokatorenbesitz  XIV  111  i 

Longinussegen  XVI  27  f.,  XVIII  7 ff.  ; 
Lorbeerbaum  XVI  14.  ■ 

Loti,  l’ierre,  XII  17. 

Lotos  XII  31.  j 

Lüviamann,  ein  Spiel,  XIII  116 
Löwen  in  Schlesien  XIV'  86. 

Löwenritter  XIII  39. 

Lneian  Xll  13. 

Lübeck  XIII  38. 

Lucae  XV’  131.  [ 

Lucrez  XII  31.  ! 

Ludmilla,  Lied  von  — Prinzessin  von 
MUnsterberg  XVII  19.'  j 

Lügen,  Strafe  für  häufiges  — XIV’  70,  [ 
-lieder  XIV  8ff.  | 

Lügenmärchen  im  Volkslicde  XI  50.  | 

Lutchen  XI  7.  l 

Luther,  Tischreden  XII  24.  j 

Lyngby  (bei  Kopenhagen)  XIII  8. 

Macer,  Floridus,  XVT  9. 

Mädchen,  V'olkslieder  vom  verführten  I 
— XIV  97  {.,  XX  90  f.,  — in  einen 
lianiu  verwünscht  XI  42,  — raub 

XII  56,  — von  Kossovopole,  Lied,  ! 


XVII  29  f , — ohne  Hände.  Märchen, 
XIX  29  ff.,  XX  6 f, 

Magd,  faule  — XIX  89. 

Magnetstein  XVII  44. 

Mai  XIII  53. 

Maior  Elias  XII  79. 

Malstange  XX  57. 

Malebrancbe,  Nicole,  XIV  .53. 
maleichf,  Partikel,  XX  71. 

Mangaianer  XII  11. 

Männlein  im  VV'alde,  Märchen,  XIV'  24. 
Manzanillobanm  XII  31. 

Marcellus  XVII  41  f. 

Märchen,  Reste  kosmischer  — XIV  7 f., 
— Stoffe  im  V’olksliedc  XIV'  101,  is- 
ländische — XV  35  ff.,  Sagen  und 
Märchen  des  Mittelalters  XX 
1 ff. , Sage  von  der  Tochter  des 
Kaisers  von  Konstantiiiopel  XX  7 ff., 
— vom  VV'asser  des  Lebens  XX  11  f., 
von  den  drei  Brüdern  12  f.,  vom 
Königssohn  im  Paradiese  17  f..  Sage 
von  der  Königin  die  den  Marschall 
tötete  18  f. , von  der  Königin  von 
England  19  ff.,  üregorius  auf  dem 
.Stein  22ff. , die  drei  Fragen  24  f., 
der  tote  (last  25  ff.,  Oründung  von 
Hildesheim  27  f,,  der  lustige  Spiel- 
mann und  der  Reiche  28  f.,  schmink 
dich  nicht,  mein  liebes  VV’eib  29,  von 
der  klugen  Bauerntochter  XIV  27, 
polnische  — aus  der  Provinz  Posen 

XIV  60  ff.,  — von  der  treulosen  Frau 

XV  4 ff.,  — vom  Männlein  im  VV'alde 

XIV  24. 

Marcinkowo  XV  76 
Maria,  .lungfraii,  XII  52,  XIII  78, 
XV'II  27  f.,  — himmelfahrt  XIV'  74, 

XV  114.  XVTI  91,  XIX  89,  — enfeste 
XIV  75. 

Markgroschen  XIV'  111. 
Marlboroughslicd  XIV  94  f. 
Marschrythmus  XIII  11. 

Martern,  Steinkreuze,  XVI  86, 
Martinifest  XIII  41,  XV  145,  XIX  85, 
Masculina  XVII  96 
Maslographia  XI  8. 


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169 


Massenj'Ciuing  XIII  IT. 

Mathesias  XIII  K9. 

Maulwurf  im  Hausflur  XIV  75. 

Maus,  Kcrifgcist  als  — XIII  75,  XV 
lC8f.,  Alp  als  — XIII  100, 

Mayen,  rmuanj'  der  Kinder  mit  dem 

- XIII  80. 

Mecklenburg  XIV  28,  2(>. 

Meerzeisig  XIX  94. 

Meerzwiebel  XVI  82,  XVII  91. 
Mebrstimmigkeit  XIII  113  ff. 

Meineid,  .Anzeichen  eines  —cs  XIV  75, 
Meise  XIV  89, 

Meister  und  (icsellen,  Spiel,  XI  78. 
Melodie  XIII  12f. 

Mendelssohn  XIII  12. 

Mensch,  Biitscl  vom  - cn  XIV  22, 
XVIII  fi5.  — enknochen  als  Heilmittel 
XIV  86  f.,  93  f. 

Menuette  XII  88  ff. 

Mersehurger  Zaubinsprllcbe  XVI  23  f. 
Mespelaer  (Flandern)  XII  33. 

Messen,  (leister  fordern  — XV  83  f., 

— hören  Messen  XV  85. 

Metrum  der  serbischen  Heldenlieder 

XVII  32  ff. 

Mettenklappern  XI  74 
Metzenäcker,  Flurname  XV  95. 
Meyerbeer  XII  31 

Michael.  Engel  XIX  57  f.,  64,  — isbrief 

XVIII  36 

Micbailo  Ivanoviö  Potok  XIV  43  f, 
Michelsdorf  XVI  68. 

Milch,  behexte  XIII  92,  — trinken  der 
Schlangen  XI  67  ff. 

Militscb,  Mundartprobe  aus  dem  Kreise 
— XVII  69. 

Millstüdter  Rlutsegen  XVI  31  f. 

Milo,  Hundename  XIV  25. 

Minnesang  XllI  12,  14,  17. 

Minzen  XVI  74  f. 

Mittagshorn  XII  12 
Mittagssteine  XII  12. 

Mittelalter,  Sagen  und  Märchen  des 
— s XX  1 ff. 

Mittfasten  XI  36. 

Mlynkowo  XIII  46. 


Mohn  XVI  77,  — haupf.  Ilälscl  vom 
XIV  17,  — kotsch  XV  146,  lutschcr 

XVI  77. 

: Mollwitz,  Kreis  Krieg  XV  92  f. 
Monatsnamen,  Zur  Kunde  der  deutschen 
— XI  23  ff.  (Hornung). 

Mönch  von  Haisterhach  XIII  78,  107  f. 
Mönche  XIV  2,  XIX  22. 
i Mond,  aufgehender  XIV  55,  abnehmen- 
der XIII  107  f.,  XIV  88,  zunehmen- 
I der  XIV  86,  — schein  XIV  86,  dem 
I — entgegengehen  XIV  74. 

! Montag  XIX  126  Anm.  2. 

; Montebello,  Schlacht  von  — XIV  97. 

I Mora.  poln.  = Alp  XIII  KKlf.,  ön. 
j Mordcltern.  Erzählung  von  den  — im 
Volksliede  XX  95. 

Mörike,  E XII  19. 

Müringer,  Volkslied  vom  — XI  117. 

I morus,  geheimnisvolles  Wort  XIII  55. 
' MühLstrom  XX  15. 

MUhnitz  (bei  Tiebnitz)  XI  82.  86. 
Müller,  Lied  von  einem  — und  seiner 
Frau  XIII  37. 

Müller,  Wilhelm  XI  91  f. 

Mund,  Rätsel  vom  — XIV  22  f. 
Mundartengrenzen  im  Kreise  l leis X 1 1 86. 
j Mundart,  schlesische  XX  136  f.,  — im 
! Drama  XIII  58  ff.,  wie  sollen  wir  die 
schlesischen  — en  schreiben  X VH  54  ff., 
auslautende  e in  der  schlesischen  — 

XVII  95ff.,  das  starke  Verbum  in  der 
schlesischen  — XX  .SOff.,  Wortbildung 
in  der  schlesischen  — XVIII  Hoff., 
Krieger — probe  XVIII  119ff.,  Wort- 

' Schatz  der  — von  Dubraucke  XX 
i 43ff. , sprachliche  Erstarrungen  in 
i der  schlesischen  — XX  71  ff.,  — der 

I Tiroler  XVI  105  ff  , Probe  der  Ober- 

dörfischen  — XVII  66,  — enproben 
i aus  der  Orafschaft  (ilatz  XVH  66  f. 
j Münsterberg  XV  162  f.,  Schlosskapelle 
! XVI  90  L 
Musaeus  XIII  ,39. 

Mnscnalmanarh  XII  46. 

J Musik  XIII  10  ff. 

Musizieren  der  Hexen  XIII  86. 


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170 


Mutter  und  Kind  XIII  5S  ft’.,  Jvl  V I(X)  f. 
Nächte,  die  wüsten  — XV  79. 
Nachtfalter  XIV  76. 

Nachtigall  im  Volksliede  XI  51  f. 
Nachtjäger  XII  92. 

Nachtschatten  XIX  89. 

Nachtsegen  XVI  35. 

Nachtviolc  XVI  70  f. 

Nähnadeln  schwimmen  lassen  XIII  47. 
Name,  der  — ini  Glauben  und  Aber- 
glauben XIII  119,  XVI  14. 
Namengebung  XIII  54. 

Namen  polnischer  Herkunft  aus  Klein- 
Ellguth  bei  Oels  XIV  77. 

Napoleon  XIV  95. 

Narr  XIV  13 

Nasenbluten,  Mittel  gegen  XVII  42  f. 
Nasturtium  als  Heilmittel  XVIII  20. 
Nationalhymnen  XX  136. 

Naturbild,  ein  Eingang  poln.  Vidks- 
lieder  XI  62. 

Naturstimme  XIII  13. 

Nelienstunden,  Zeitschrift  XllI  31. 
Negative,  I’mschreibungen  der  — XI  58. 
Neger,  Hied  von  den  10  kleinen  — n 
XVI  17. 

Neidhart  XllI  12. 

Neisse,  Pfarrkirche  XVIII  85. 

Nestor,  der  sogenannte  — XV  16  f. 
Neugieriger  8päbcr,  Bestrafung  des  — 
XII  67. 

Neujahrsworte  und  -Nacht  XIV  75,  ver- 
gleiche auch  Silvester. 

Neum.arkt.  Mundartprobe  aus  dem  Kreise 
— XVII  68  f. 

Neuntöter  XIX  86  f. 

Neustadt  im  Vogtlande  XV  138. 
Neutra  XVll  97. 

Nickels  (Nicolaus)  XII  103. 

Niebusch  hei  GrUnberg  XIII  103. 
Niederländisch,  Probe  der  — en  Mund- 
art XVII  69  f. 

Nieselzcisig  XIX  94. 

Niesen  XV  86,  nicht  — zwischen  Weih- 
nachten und  Silvester  XIV  75. 

Nifke,  Ortsname  XIV  79 
Nikplausfest  XIll  41. 


j Nittritz,  Iiorfreim  aus  — XV'III  102 f. 
Nixen  XX  58,  im  Hilgensec  XVIII  74  f. 
Nonne,  Volkslied  von  der  glücklichen 
— XX  106. 

Nonnenmäre.  drei  schlesische  .Abarten 
der  — XVIII  42  ff. 

Norwegen  XA'I  1 7 f. 

j Novalis.  Fr.  v Hardenberg  — XIII  65,69. 
Nuss,  Kätscl  von  der  hohlen  — XIV  2. 
Nussbaum  XII  31  f. 

Nussschalen  XII  106. 

Obcrdiirfisch,  Probe  des  — en  Hialektes 
XVII  66. 

j obergostitz  (Österreieh)  XllI  82. 
i Oberherrschaft  in  der  Ehe  XIII  50, 
XV  112 

Oberschlesicn  XIII  63  ff.,  XV  105  ff., 
XIX  19. 

Oberschlesicr,  Volkslied  der  polnischen 
— XI  40  ff. 

Obornik,  Kreis  XIII  48. 

Ochse,  goldener  — , Name  einer  Grube 
: XV  122  f 

' ildipus  und  Hains,  8agc  von  — XV  7. 

I Odrau,  Rätsel  aus  — XIV'  26. 
j Oebl  XII  99. 

I Ofen,  Tür  und  Deckbalken,  Rätsel  von 
j — XIV  23 

j Ohrenleiden,  Zaubcrmittcl  gegen  — 

! XIV  93. 

1 öl,  nie  ausgehendes  — XIII  76. 
j Olaf,  Lied  von  — liljurös  XV'  35. 
Olafsson.  Päll  XV  29,  Eggert  — XV  45. 
Oldenburg  XII  21,  70.  72,  77. 

Olofagus,  Drache  XVI  63  f,  XVIII  1 f. 
Olonec.  Gouvernement  XIV  37  f. 

Öls  XV  153,  V'olkskundliches  aus  dem 
Kreise  — XI  79  ff. 

Opfer  XVIII  97,  dem  Berggeist  ge- 
bracht XIII  74,  76. 

Opfergang  XV'  100. 

Opferkröte  XV  55;  vgl.  Votivkröte. 
Orientalisch,  ans — entquellen  XII  42ff.. 
XV  72  ff.,  XIX  25  ff. 
j Ortsnamen,  schlesische  — XIII  114  f., 

I Gebrauch  des  Artikels  vor  — XIV 
105  ff.,  XV'  15211.,  — im  V'olksrätsel 


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171 


XIV  15  f.,  — polnisclitr  Herkunft 
im  Kreise  Öls  XIV  78  ff.,  — und 
Flurnamen  der  Hcobschützer  Hegend 

XV  95  f.,  zur  Kunde  von  den  schle- 
sischen — XX  78ff.;  vgl.  Flurnamen. 

ttsterbraueh  XIII  4fi.  113.  XX  62.70. 
ilstcrkappeln  (Hannover)  XI  100 f.,  104. 
Ostern  XIV  73.  XVIII  85  f 
OsterprUgel  XIII  40 
t »sterwasscr  XX  58. 

Otfried  v.  Weissenburg  XIV  4. 

Ottag  bei  Oblan  XVIII  75. 

Otterkiinig  XIX  14. 
l’akosch  XV  74,  80. 

Palleske.  Richard  XV  22  ff. 

Palmen  XIII  85. 

PalmenkUtzchcn  XIV  70. 

Palmsonntag  XIV  70,  XVIII  8«. 
Pantoffelranb  XllI  48 
Pantoffelwerfen  XI II  43,45. 

Päonie  XVI  7(i  f.,  XVII  38  f , 91. 
Pappclrosen  XVI  77. 

Parallelismus  XI  55,  XVIII  46 
Partikeln  XX  71  ff. 

Passauer  Zettel  XIX  54. 

Paten  XIII  55  f.,  XI  66. 

Patenwald  XIII  56. 

Patschkan  XIII  86  f.,  XV  117,  120  f., 
XIX  82,  Krauche  aus  — XIV  87  ff. 
Paulus  als  Kinsiedler,  Volkslied  XX  113. 
Pelkenberg  bei  Patschkau  X\‘  120  f. 
Pelzlaufcn  XII  83 

Perpendikel.  Rätsel  vom  — XIV  23. 
Personifikation  XI  63,  XVIII  65. 
Petersilie  als  Heilmittel  XIV  89. 

Peter  und  Paul  heilen  Rose  XIV  91. 
Petron,  Satiren  XIV  3 .4nm  3. 
Pfaffenstein,  Sage  vom  — XVIII  81. 
Pfau  XIX  90. 
pfeiffen  XIII  44,  73. 

Pfeiffer,  Franz  XIII  22  ff. 

Pfennig  XIII  107. 

Pferd  und  Wagen,  lautmalender  Name 
für  — XIV  17. 

Pferde  sehen  hell  XVI  87,  — als 
Seelentiere  XVI  98.  100  f.,  — , Knecht 
und  Pflug,  Rätsel  XIV  23,  — rennen 


im  17.  .Ihd.  XII  83.  — halftcr,  prü- 
geln mit  dem  — XIV  71,  — zähne 
XVII  40. 

Philipp,  Graf  — brief  XIX  48  ff. 

Philo  vom  Walde  siehe  Reinelt. 
Pfingstfest  XIV  73,  XX  57. 
Prtanzennaiuen  XVII  .39. 
Piechotzütz-Pnsehine  XII  96. 

Pilz,  Ortsname  XIV  106. 

Pimperneil,  Krant  XVI  34,  40,  80, 
Hundename  XV’I  39  f. 

Pirol  XIX  90. 

Pistolenschüsse  XI II  50. 

Pinten  Xll  6,  Xlll  37  .\nm 
Plato  XV,  53,  60  ff. 

Plens  XII  74. 

Plinius  X1121,30f.,  XVI  12,  XV1136ff. 
Plottnitz  XVI  103. 

Podagra,  Mittel  gegen  — XVII  40,  43. 
Poestion  XV  20  f. 

Polajewo  XIII  49. 

Polizei  XIX  127  ff. 

Polnische  Märchen  XIV  60  ff. 

Polnische  Volkslied,  das  — verglichen 
mit  dem  deutschen  XI  42  ff. 
Polyphem,  Sage  vom  — im  Polnischen 

XIV  60  ff. 

Pommern  XIV  21,  XVI  12. 

Posen,  Aberglaube  uud  Brauch  aus  der 
Provinz  — XIII  4.3 ff.,  XIV  70  ff., 

XV  74  ff  , Polnische  Märchen  aus  der 
Provinz  — XIV  60  ff. 

Postillonrufe  XIII  116. 

Potok,  sagenhafter  russ.  Held  XIV'  43  f. 
Potyk  XV  5. 

Praetorius,  .lohannes  XV'  156  f.,  XVI 65. 
Prähistorische  Henkmäler  im  Volks- 
glauben XI  1 ff. 

Predigtcxempel  XIX  29  ff.,  XX  1 ff. 
Priebus,  Hungerturra  von  — XV  140. 
Priester  im  3’ranm  XIV’  74,  — als  Be- 
schwörer XVI  8, 89,  101 — 10.3,  .Seelen 
als  — XV’I  9.3,  Sage  vom  habgierigen 
- XVIII  81. 

Prittag  Kr.  GrUnberg,  Flurnamen  von 
— XVIII  105  f. 

Pronomina  siche  Fürwörter. 


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172 


I’riiptrz  XII  34. 

I’ruzcission  XV^  82. 
rst'uduapuleius  XVII  3?  f. 
I’seudocUlisthencs  XVIII  2 f. 
l’uliii  XIX  tK). 

I’iippe  XV  79. 
l’iirimsfcst  XIII  40. 

Tusrh,  HitU-r  — auf  (iross-isrliwein 
XIII  38. 

1’nsotiine,  der  schwarze  (iraben  hei  — 
XII  Wi. 

l’iischkau  X.V  79  f. 
r.vpin  XII  50. 
rythagoräer  XIII  12. 

(jiiellhUrndel,  Schlä'sches  XIV  113. 
yuetscliel  XV  151. 

Quilitz  XII  95  f. 

Kaabe,  Wilhelm  XII  7,  2(1. 

Habe  XIV  7(1,  XIX  90. 
liackerlatein  XIV  26. 

Itaniinelsberg  bei  Goslar  XIII  79. 
Hanzovius,  Heinrich  XIII  23. 
liatibor  XI  88. 

Kätsel  XII  34  ff.,  XIV  1 ff.,  XVI  37  f. 
XVIII  65,  -fragen  XIV  28iT.,  — er- 
zählungen  und  -niärehen  XIV  30  ff., 
-lieder  XVI  37  f. 
liaueli  als  Orakel  XIII  43. 

Kauseh,  Bezeichnung  für  — XIX  92. 
Kaute  XVI  75. 

Hauteforzen  XI  88. 

Rawitsch,  Kreis  — XIII  44,  46,  51,  63. 
Realschule  in  Island  XV’  40. 

Rebhuhn  XIX  90 

Rcchtsbraiich , im  Volkslied  erhalten 
XI  45.  Schatten  im  — XII  22. 
Keclen.  Mumme  — XIV  21. 
Reformation  in  Island  XV  43. 

Refrain  XI  65. 

Regen,  lautmalender  Xanic  für  — XIV’ 
17,  Rätsel  vom  — XIV  32. 

Regen  bei  der  Triiunng  XIII  49,  — am 
Hochzeitstage  XIII  49  f. 

Regenwurm,  Rätsel  vom  — XIV  20. 
Kcichan  (Kr,  Strehlen)  XI  90. 
Reichenstein  XV  I14ff. , 1.53,  — bei 
.lauernig  XVIII  93. 


Reihwiesen  im  .VItvattT  XVIIl  83. 
Reinclt,  M XII  98  f.,  102.  XIII  40. 
Reisesegen  XVI  36.  XVIII  1.3. 
Rekonstruktion  des  I’rtextes  eines 
V’olksliedes  aus  V’arianten  XV  161. 
Reykjavik  XV'  47. 

Rezepte  XIII  26.  29. 

Rhetorik  ans  St.  (lallen  XIV  6. 

I Rheumatismus,  Mittel  gegen  — XIV  72. 

! Rhythmus  XIII  Off. 

Riese,  XII  II,  Riesen  XIV  39  ff, 
Riesengebirge , 5 Sagen  aus  dem  — 
XII  91  ff. 

Rimini  XI  32  ff. 

Ringelblume  XVI  76,  XV’II  41. 
Ringelrosenbutter  XV'l  76,  XVII  91. 
Ringtinger  XIII  44 
Ringlein-Kinst reichen  XV’II,  67. 
Rittmeisteramt  in  Breslau  XIX  lOI  f. 
Rjabinin,  Bylinysänger  XIV  37  f. 
Rorkenphilosophie,  Chemnitzer  XIII  70. 
Rogasen  XIV  69,  XV’  77. 

Roger,  Julius  XI  41. 

Rokita  und  der  Schafhirt,  polnisches 
Märchen  XIV  67  ff. 

Romanov,  russischer  Sänger  XIV  37  f. 
Römer  XIV  1,3  Anm.  3,  XVI  12  f., 
XIX  8,  11. 

Römische  Konarien  XV  51. 

Kose,  Heilmittel  für  — XIV  90  ff., 
— von  .lerieho  XVI  71. 

Rosenkranz  XIII  55,  XVIII  98, 
Rosmarin  XV’l  82,  XV’II  91,  XV’llI 
.52  f. , XX  107 , — im  polnischen 
V’olksliede  XI  53. 

Rossgestalt,  Berggeist  in  — XIII  76. 
Rostand,  Edmund  XV  71. 

Rosteh,  Ihn  XII  42. 

Rother,  Gedicht  von  König  — XV  17. 
Rotkehlchen  XIX  90  f. 

Rotschwänzchen  XIX  91, 

Rotwerden  XIV  75. 

Rübezahl  Xlll  78  ff,,  XV  1.56  ff..  XVIII 
73  f.,  XX  127  ff,  zur  — forsehung 
XVI  6.5  f.,  -sagen  XII  92,  XIII  .39. 
Riickenschmerzcn  XV'II  41. 

RUckert,  Rätsel  der  Elfen  XIV’  II. 


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173 


rückwärts  pchen  XIII  57,  XIV  87,  — I mon — XV  3 f,,  — uml  Märchen  des 


zaubern  XIII  91. 

Kuf  beim  Aus-  und  Eintricb  des  Viehs 
XII  97,  XV  87  ff. 

Ilnge,  Ludwig  XIV  17. 

liUgen  XII  65,  76. 

Ituninulsberg  (bei  Schwerin)  XI  4 

Kumpelstilzchen  XVI  14. 

Hussen  XII  .3 

Ilussische  Volksepik  XIV  3:1  ff.,  XV  3 ff,  i 

Hustikulhesitz  XIV  111. 

Rybnikov  XIV  .36  ff. 

.•'aatreiten,  Ab.schaffung  des  — s XIII 
113. 

Sachs,  Hans  XIII  18. 

S.udewitz  XI 1 87. 

Sagas,  die  isländischen  — XV'  37. 

Sagen , zwei  Hreslaner  — XI  90  ff., 
Breslauer  — XIII  :37,  — vom  Ilunger- 
turni  zu  I’ricbus  XV  141  f.,  Tinim- 
ling — XV  99  f , — von  der  .Sehön- 
wäldcrin  XVI  101  f.,  — von  der 
(iründung  Krakaus  XVII I 1 ff.,  Berg- 
geist— XVIII  71  (vgl.  Berggeist), 
Walen — XVIII  72,  Familien—  XV'llI 
76  f , Schatz — siehe  Sebatzsagen, 

— von  der  (iründung  Hildesbeims 
XX  27  f.,  vom  goldenen  Hirsch  XV 
126,  Polj'phem—  im  Polnischen  XIV 
60  ff.,  — von  der  llummelfrau  XVIII 
89,  von  der  Königin,  die  den  Mar-  1 
schall  tötete  XX  18  f.,  von  der  i 
Königin  von  England  XX  20  ff.,  ' 
russische  Helden—  XIV  :I9  ff'.,  XV 

3 ff,,  serbische  — XVII  25  ff.,  fünf 

— au.s  dem  liieseugebirge  XII  91  ff. 
(Xachtjäger,  Leuchter,  Irrlichter  in 
Brttckenberg,  -■'ehutzgräberi.BrUcken- 
berg,  der  Bierwötzel  in  der  Hanipel- 
baude),  — aus  den  Kreisen  tilogau, 
Falkeuberg  und  (irünberg  XII  94  ff. 
(Feenslweiber  im  Butterberge  bei 
Klein-Kauer,  Teufelsstein  bei  (juilitz 
Kr.  Cilogau,  schwarze  (traben  in 
Picchotzütz  - Puschitie  Kr.  Falken- 
berg, Wasserjungfrauen  im  heiligen 
Sec  bei  .lany  Kr.  (irünberg),  Salo- 


Mittelaller.s  XX  1 ff  vgl.  Märchen. 
Salamander  XV  55. 

Salbei  XVI  75,  — blätter  XVII  91. 
Salomo  XIV'  13.  Sprüche  des  — XIV  7, 
— nsage  XV  :3  f. 

Salz  XIII  107. 

Salzburg,  Mönch  von  — XIII  15,  20. 
Sanftleben,  .1.  Chr.  XV  144. 

Sang  beim  ,\us-  und  Eintrieb  des  Viehs 
XII  99  ff.,  XV  88  ff. 

Santoraischel,  Kirche  von  XV  83. 

Sarg  XII  64  f.,  XIV  58,  75,  XV  79. 
Sartori,  Paul  XI  108. 

Satzakzent  XIII  9 f. 

Sauerampfer  XX  62. 

Saumonat  XI  23. 

.Saurma.  Name  XIV  82. 

Scala  caeli,  Exempelwerk  XX  1 ff. 
Schachtkaue  XIII  70. 

Schafe  XIII  111. 

Schäfer  lUr  ehrlich  erklärt  XIII  112, 
— madchen,  schlesisches  Volkslied 
vom  — XIV  99, 

Schafhirt,  Rukita  und  der  — , polnisches 
Märchen  XIV  67. 

.Scharfrichter  XI  46,  XIII  93  f.,  96, 
XIX  49. 

Schätscher  XIX  91. 

Schatten  XII  1-36,  XV  81,  XII  21, 
Rätsel  vom  — XIV  17,  — bedeutet 
die  SeeleVcrstorbener  XII  5-9  (XIX  3). 

— bedeutet  die  Seele  lebender  Men- 
schen XII  9,  gciinger  oder  fehlender 

— gefährdet  das  Lebensprinzip  10  f., 

— als  Zeitmass  12,  — losgelöst  vom 
Prbildc  12,  .Schutzgeisiglaube  mit 
aus  Betrachtung  des  Schattens  ent- 
standen 13ff. , Koppel — 15,  kopf- 
loser — XII  16,  Fehlen  des  — 17  f., 

— bleibt  beständig  an  einer  Stelle 
19  f.,  Leiden  des  — s treffen  auch 
das  l'rbild  20  ff.,  — busse  22  f.,  — 
in  der  Literatur  26  ff.,  — von  Bäu- 
men 27  ff.,  — als  SchatzhUter  3:1, 
Redensarten,  Sprichwörter,  Rätsel 
vom  — :33  ft'.  iXIV  17i. 


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174 


üchatzgräberci  XV  1 18.  — in  BrUcken- 
bcrg  XII  93. 

.''chatzsagcn  XI  3,  7,  XII  33.  93,  XIII 
72  f.,  74  f.,  79,  XV  121,  127,  XX  88, 
schlesische  — als  Quelle  schlesischen 
Volksglaubens  XVIII  (>8  ff.  1.  Schätze 
dämonischen  Ursprungs,  sehatzbe- 
sitzendc  lUinionen  70  ff.  2.  Schätze 
menschlichen  Ursprungs.  Schatz- 
hiltende  Seelen  78  ff.  3.  Die  Erliisung 
sehatzhUtendcr  Seelen.  Das  lieben 
der  Schätze  85  ff. 

schau,  Partikel  XX  75. 

Schaustellungen  in  Breslau  XII  82  f. 

Scheffel,  V.  v.,  XIII  66.  XV  27, 

scheint,  mir  — XX  75  f. 

Schcllenschmidt,  Achilles  Seipio,  XIX 
97  ff. 

Schellkraut  XVI  79f.,  XVII  41. 

Scherzi'ätsel  XIV  28,  XVIII  65. 

Scherzreime  XX  111. 

Schicht  XIII  68. 

Schickluss  XV  129  f,,  133,  XVI  64. 

Schierlingsspiel  XX  64. 

Schildkröte  XV  57,  XVII  61. 

Schiller,  Lied  an  die  Freude  XIII  20. 
verschleierte  Bild  zu  Sais  XV'  68, 
Kitter  Toggenburg  XVIII  58,  Kätsel 
XIV  1,  2 Anm. 

Schlahbcrkinder  XIII  .54. 

Schläfenringe  XVII  3 f. 

Schlaflosigkeit,  Mittel  gegen  — XVI 
74,  XVIII  25  f. 

Schlangen  XIV  42.  XV  70,  XVIII  93  f., 
Haus—  XIX  14,  Milchtrinken  der  — 
XI  71. 

Schlepper  XIII  71. 

Schlesischer  Volksdialekt  im  Drama 
XIII  58  ff.,  — Abarten  der  Xonnen- 
märe  XVIII  4211'.,  — Agrarver- 
fassung XVII  71  ff. , — Vögel  XIX 
81  ff. 

Schleswig  XII  19. 

Schlossberg  bei  Stenschewo  XI  7. 

Schlucken,  Mittel  gegen  — XIV'  73. 

Schlüssel  zu  Schätzen  XVIII  88  f 

.Schmagostern  XIII  40. 


Schmettau,  Graf  XII  69. 
Schmetterhans  in  Breslau  XV  145. 
Schnallenstein,  Tochter  des  Grafen  von 
— XVIII  84,  86,  92. 

Schnarren  XI  73  f. 

Schnecke  XI  89. 

Schnee,  Rätsel  vom  — XIV  5,  XV'I 
37,  40,  XVIII  65. 

Schneepitzger  XIX  94. 

Schneidermittel  in  Pöpelwitz  XIII  41. 
Schönwaldcrin,  .Sage  von  der  — XVI 
101  f. 

Schoppenbüchcr  XV'I  44  f. 
Schornsteinfeger,  Rätsel  vom  — XIV 
16  f. 

Schoslawe,  Dorfreim  aus  — XVIII  102. 
Schottland  XII  17.  XIV  24  f. 
Schreiber,  Ferdinand  XV  116. 
.Schreiber,  lautmalender  Name  für  — 
XIV  17. 

•Schroda.  Kreis  XIII  46  ff..  XV  77,80f. 
.Schubert  Xlll  19. 

.Sebnhwerfen  XIII  43,  4.5. 

Schultal  XV  126  f. 

Schulwesen  in  Island  XV  39  f. 
.Schumann,  R,  XIII  12,  21  .\nm. 
Schurren  XI  73  f. 

.Schürze  Xll  77,  — enwerfen  XIII  46. 
.Schutz,  Heinrich,  XIII  17. 

Schatzbriefe  XIII  108  f.,  XVIII  31  f., 
36  f.,  39,  Zehn  — unserer  Soldaten 

XIX  45  ff. 

Schutzgeistglaubc  XII  13  ff. 
Schntzmitiel  gegen  Beschreien  und  Be- 
rufen XIII  54  f. 

.Schwalben  XV'II  41,  XIX  91  f.,  — stein 
XVII  40  f.,  XIX  92,  —kraut  XVII  41. 
Schwangerschaft  Xlll  53,  XIX  92. 
.Schwank  XIV  14,  mittelalterlicher  — 

XX  29. 

.Schwarzwurzel  XVI  79. 

Schweden  XV'  95,  119,  124,  —schanze 
XI  6,  — furt  XV  94,  —krieg  XV  86  f. 
Schwcdlich  XX  82. 

Schweidnitz  XIII  37,  116. 

Schweigen  XIV  87,  — nötig  für  .Schatz- 
heben XVIII  94  ff 


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175 


Schweine  XIII  112,  XX  51,  Seelen  nls 
— XVI  98  f.,  —fleisch  als  Heilmittel 
XIV  89,  —grunzen  als  Orakel  XIII  -16. 

Schweinsborste,  Kiitsel  von  der  — 
XIV  6 f. 

Schwenkfeld,  K,as|)ar  XVI  67  ff. 

Schwertklingengeltlbdc  XV  73. 

Schwerttanz  XIV  13  f.,  — der  Kürsch- 
ner XIII  41. 

Schwester,  Volkslied  von  der  wieder- 
gefundenen — XI  47. 

Schwindsucht  siehe  Auszehrung. 

Schwung,  Heilverfahren  bei  — XIV  90. 

Scott,  Walter,  XII  8. 

Sechseläutcn  in  Zürich  XI  37. 

See,  der  heilige  — bei  .laiiy  XII  97. 

Seele  Xll  2,  4 ff.,  37,  XV  80,  82,  107, 
XVllI  79ff.,  — nach  dem  TodeXlX 
1 (T.,  noch  im  Kürper  2,  gelüst  vom 
Körper  2f,  Entweichen  der  — 3f., 
Furcht  vor  Wiederkehr  der  — 4 ff., 
daher  Ausstellung  der  Leiche  4, 
Totenklage  3,  Licht  brennt  5 f., 
Wasserschüssel  6 , Beigaben  7 fl'., 
Leichenmahl  8 f.,  Brot  und  (leid  als 
Beigaben  9f.,  Aufenthaltsorte 
der  — , Himmel.  Hölle,  Fegefeuer  10, 
Kirchhof  11,  — als  Vogel,  rmher- 
wandeln  1 1 f. , Walten  der  — im 
Hause  12  fr.,  im  Winde  15  f.,  — als 
Licht  oder  Feuer  16,  l'mgehen  der 

— 17  ff.,  als  Buschmännlein,  Maren, 
Alher,  Vampire  18ff. , Wiederkehr 
der  — 21  f.,  Erlösung  der  armen  — 
23  f. 

Seelen,  arme  — XIV  89  f.,  XV  113, 
XVI  93,  XIX  10,  16,23,  umgehende 

- XVIII  79,  XIX  17ff..  XVI  84  11., 

1.  abgeschiedene  Menschen  ci  scheinen 
in  menschlicher  (iestalt,  man  sagt,  sie 
erscheinen  im  geistlichen  Leibe  84  ft'., 

2.  abgeschiedene  — in  Tiergestalt 
91  ff. , 3.  der  Lebenskreis  abgeschie- 
dener — : Teufel,  Bannorte,  Seelen- 
scharen  99  ff. 

Segen  XIX  64  f.,  XVI  4,  35  f.,  Augen — 
XVHl  13,  Bienen  -XVT  20  f.,  XVIll 


19,  Blut—  XIII  27,  XIV  89,  XV  23, 
XVI  :40ff.,  XVHl  6,  28  f.,  Itiebs- 
XVI  32,  XVII  44,  XVIII  24,  — 
gegen  Epilepsie  XVIII  23,  25, 

Fieber—  XIII  25  f„  XVI  13,  XVIII 
9f.,  22  f.,  (iicht-  XIII  26,  XVI  18, 
gegen  steife  Glieder  der  Pferde  XVIII 

12,  Kräuter — XVIII  16  ff  , Kugel — 
XVIII  10,  Longinus  — XVI  27  f., 
XVIII  7 ff.,  Keise—  XVT  36,  XVIII 

13,  — gegen  Seuchen  und  Geschwülste 
XVIII  24 , — gegen  Totgeburten 
XVIII  22,  Waffen—  XIII  108,  XIX 
56  ff.,  63,  69  ff..  Wund—  XIV  89, 
XVI  19,  XVIII  8,  Wünschelruten— 
XVIII  9,  vgl.  Wünschelrute,  Wurm — 
XIII  27,  XVI  17,  XVIII  lOf.,  22,25, 
Zahnschmerz—  XVIII  10,  13  f,  — 
zum  Herausziehen  von  Geschossen 
XVIII  7 f. 

Segenswünsche  XI  5ti. 

Seidorf  (Riesengeb)  XII  97,  99,  114. 

Seifensieder,  Platz  bei  Hainwald.  XIII 
109  f. 

Seiferdau  XX  82. 

Seiga  XIX  19. 

Selbstmord  XIX  15. 

Seile,  westfrics.,  XI  32. 

Semmel  in  der  Achselhöhle  getragen 
XIll  45,  — zum  Vorhersagen  be- 
nutzt Xlll  47,  —milch  XII  104. 

Serbische  Volkslieder  XVII  18  ff. 

Seume  XI  25. 

Shakespeare  XV  71  Anm. , Nixen  in 
— s Dramen  XVI  10,  — Winter- 
märchen XVII  19. 

sich,  erstarrtes  Wort,  XX  76. 

Siebenschläfer  XVI  22. 

Siebenzahl  XI  61  f. 

Silberberg  XV'  123. 

Silberloch,  Flurname.  XV'  95. 

Silvesternacht  Xll  72,  XIII  43,  45  ff., 
lOf),  XIV  70.  75,  XV  114. 

Simbsen  XII  95  f. 

Simplicissimus,  Ungarischer,  XI  92  ff. 

Simsonrätsel  XIV'  23  f.,  26, 

Sitten  Schlesiens  im  16.  .Hui.  XIX  97  ff. 


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176 


Skandieren  XIII  9, 

Skansen,  Museum  in  Stockholm,  XIII  8. 
Skropheln,  gegen  — XIX  27, 

Slawen  in  Schlesien  XVII  I ff  , Volks- 
lieder der  — XVII  18,  vgl.  .auch 
Volkslied, 

Slovcnen  XI  38. 

.Slovenischc  Volkslieder  XII  44  ff. 
Smogulek,  Kapelle  von  — XIII  44 
Sofa,  sich  aufs  — setzen  Xlll  4.’>. 
Solfcrino,  Schlacht  von  — XV  19, 
Solovej  Budiuiiroviü  XIV  4ö. 

Sommer,  Caspar,  XV  131,  XVI  (53  f 
Sommerlattc  XIV  6.3. 

Sommerlieder  XII  87. 

Sommersingen  XI  37,  4Ü, 
Sommersonnlagslicclcr  XI  79  ff. 
Sonnabend  XIII  108,  XV  113. 

Sonne,  Kätscl  von  der  — XIV  8,  nach 
— nuntergang  XIV  7(>. 

.Sonntagsfeier  in  Island  XV  33  f. 
Sonntagskinder  Xlll  54,  XVllI  9(). 
■Sopran  XIII  16. 

Spassmacher  bei  den  Bojaren  XIV  36. 
.Sperling  XIX  92,  — klopft  ans  Fenster 
XIV  76. 

Spcrlingnest  im  Totenkopf,  llätsel  vom 
— XIV  26. 

Spiegel  XIII  107,  unter  einem  — sitzen 
XIV  76  , den  — verdecken  XV  78. 
.Spiele,  drei  — XI  77  ff.,  Kinder—  XX 
48  ff.,  .56,  59,  64,  66,  68,  XVH  67. 
Spinne  Xlll  48. 

Spinngewebe  XIII  44,  .53. 

Spotivers  XI  87. 

Sprachgrenzen  ober-  und  niederländi- 
scher Mundart  XIII  119. 
Sprichwörter,  Schlesische,  XIII 34  f.,  110, 
XVII  92. 

Spruch  beim  Aus-  und  Eintrieb  des 
Viehs  XII  97  ff.,  XV  87  ft'. 

Spucke  als  Heilmittel  XIV  88, 
Stackbornwiesen.  Flurname  XV  94. 
Städtisch-IIermsdorf  XVI  68,  72. 
Stadtordnuug  XIX  127  fl'. 

Ständcriied  XV  97  f. 
Standesunterschiede  in  Island  XV  42. 


Star  XIX  92 

Starbnik.  Berggeist  XIII  72. 

Stäsche,  Familienname,  XIV  83  f. 
.Stasow  XV  10. 

Stawr  (iodinow  XIV  44. 

Stecknadeln  XIII  52. 

Steiiidel,  das  blaue  — XIII  89. 
j Steinhiibel  XII  71, 

I Steinseifersdorf  XIX  23. 
j Stenschewo  (Hosen)  XI  7. 

Stern,  fallender  — XIII  47. 

Stieglitz  XIX  92. 

Stiesser  XIX  8(i. 

Stil  der  Zaubersprtlche  XVI  Uff. 
Stückchen  tragen  XX  66. 

Stollen,  goldene  — beiKeinerz  XVIII 96. 
Stölzelloch  XIX  23  f 
Storch  Xlll  48, 

I Storchgerichte  XII  70, 

Storni.  Th.,  .Scbimmelreitcr  XII  25. 
Stoach,  Familienname.  XIV’  84. 
Strassbnrger  liätselbuch  XIV  23. 
Stratz,  K.,  XII  34. 

Strebelj,  K..  XII  48  f.,  .54,  57  ff. 
Striegau,  Breite  Berg  bei  — XVIII  86f. 
Striegelmuhl  XV  142. 

Striczelbackcn  XII  104. 

! Stroh  XIX  10,  — halm  XIV'  86,  Hexe 
als  — halm  Xlll  83  f.,  Alp  als  — halm 
XIII  100,  XV  106. 

Strohpuppe  XI  38. 

.Strohscile  XII  106. 

Strohtod  Xll  73. 

Studenten,  isländische,  XV  26  fl'. 
Studierte  als  Zauberer  XIII  98. 

Stühle  müssen  nmgcicgt  werden  XV  74. 
Stumpeliedli  XI  59. 

' Sturm  XIV’  75,  XV'  71, 
i .Substantive,  Schlesische  XVllI  115  ff. 
' Suchan,  russischer  Held  XIV  44. 
Sucht,  Mittel  gegen  fallende  — XIII  2.5; 
vgl.  Epilepsie. 

Sühnteieh  bei  Ueihwieseii  XV'III  83. 

I Symbolische  Bräuche  XVI  2 f. 

.Sympathicraittel  XIV'  72,  86ff, , XVII 
I 43  f. 

' Tachau  im  Egerland  XIV  58. 


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177 


Tagebuch,  aus  eiuuiu  Breslanei'  — XII 
72  ff. 

Tagelied  XI  Ifi. 

Tahiti  XII  21L 

Talmud,  palästinischer  XII  ü 
Talvj  XVII  23. 

Tanlabaude,  Sage  von  der  — XII  22. 
Tanz  XIII  49,  ein  serbischer  — XVII  2Ü. 
Tänze,  .Schlesische  XII  SM  ff. 

Tanzlied  XIII  17. 

Tart,'irfUrstin,  Lied  von  der  — XIII  Hä. 
Taube  XV  8^  XIII  Ul,  XIX  22  f., 
Kätsel  von  Krbsen  und  — XIV  ^ 

— ira  Volkslicde  XI  ä2. 

Taufpaten,  Vorschrift  für  — XI  Cfi  f. 
Tellerorakel  XIII  4Z 

Tenor  XIII  Ifi. 

Tctragrammaton  XIV  5^  äZ 
Teufel  XI  Uäf..  1 18,  XII 9.  II  ff.,  75 ff., 
2äf.,  XllI  38,  78,  XIV  ääf.,  92  ff., 

XV  22 f.,  XVI  4,  7,  2ff.,  XIX  IHf., 
87,  XX  7,  — sarsch  XX  84_,  — und 
Hexen  XVI  2f,  — als  Briefträger 

XVI  — im  schwarzen  Vlantel 
XVI  — als  .läger  XVI  ^ KJO, 

— als  Lirache  XVIII  7^  — als 
Schatzhüter  XVIII  82  f.,  24  ff. 

Teufclsdrache  XII  ZI  fXVTII  7^ 

, stein  XII  2ä  f. 

Thalhcim  (bei  Landeck),  Sage  vom 
Pfarrer  von  — XVIII  81 
Theater,  Breslauer  XI 11  HH. 

Thilcnius  XV  älif.,  94  f. 

Thoroddsen,  Wrvaldur  XV  19,  37,  39. 
Thraker  XVII  11 

Tier,  rterns  als  — XV  ü2ff‘.,  — als 
Schatzhüter  XVIII  UZ 
Tiergespenster  XII  41 
Tiergestalt  XIII  2ü.  XVI  24 ff. 
Tierhoclizeiten  im  Volksliedc  XI  49. 
Tiernamen  XIII  ^ XV-123ff'.,  XIX81  ff. 
Tieropfer  XV  140. 

Tierpoesie  XII  ü3- 
Till,  Pflanze  XVI  78. 

Tillcnus,  fieorgius  XV  122  ff. 
Timmlingsage  XVI  22  f. 

Tiroler,  ein  schlesisches  (iedicht  über 
HiUeilungoD  d.  scklea.  Ges.  f.  Ykde.  lieft 


die  — in  Zillertal  XV  läH  f.,  Sprache 
der  — in  Schlesien  X\T  lüä  ff.,  täg- 
liches Essen  und  Trinken  der  — 
XVI  127  f. 

Tobiassegen  XVIII  31  ff.,  XIX  22f., 
Tochter  des  Kaisers  von  Konstanti- 
nopcl,  Märchen  XX  2 ff.,  des  Grafen 
von  Poitou,  Märchen  XIX  32  ff. 

Tod  XIII  ^ — und  Begräbnis  XIV 
74ff,  XV  74ff.,  .XIX  äff.,  — aus- 
treiben  XIII  4^  Erscheinen  des  — es 
XV  77  f.,  plötzlicher  — XII  22  f., 
— verklärt  ira  Volksliede  XI  60. 
Todcsanzeichen  XIII 51,  XIV  74  ff.,  XV 
^ XV  74  ff,  112  f.,  XVII  ^ XIX 
^ 8Z  90,  — anzeige  XX  äl 
Todesgottheit  XII  4üf. 

Torsaulen  XVIII  101,  in  Boyadel  XVI 
57  ff, 

Totcnhliime  XVI  72. 

Totenbretter  XIX  23. 

Totenklage  XIX  5. 

Knochen  als  Heilmittel  XIV'  21 
Totenmünzen  XVII  1 
Totensonntag  XI  3Z 
Totenuhr  XV  ^ XIX  12. 

Totenvogel  XIX  ^ 89. 

Totterngräben  XI  8. 

Tracht  der  Schlesier  XIII  4üf. 

Trappe  XIII  48. 

Traugemundslied  XIV  HL 
Traum  XI  44,  XIV  70,  74,  29. 
Trauring,  W'iedergewinnnng  des  — s 
XIII  53. 

Traut  ag  XV  22  ff. 

Trauung  .XIII  42  ff,  106  f„  XV  29  ff, 
XVIII  12. 

Trebnitz  XI  82,  XIII  35. 

Trinkgelder  XV  192. 

Trogkatze  XII  21 
Truden  XIX  18. 

Tschampel,  U.  XII  102.  XV  21 
Tschenscherlied  XII  99,  XV  82 
Tscherning  XIII  31 
Tür  XIX  1^  Kätsel  von  der  — XIV  23. 
Türkenbund  XVI  2Z 
Turandot  XIV  1^  29  f. 
t.  12 


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178 


Tjrol  XV  52. 

TzesscI,  Christian  XIII  .'IS. 

l'ber,  August  XV  116. 

Überflüssiges  aus  dem  (irünberger 
Kreise  XVIll  !)8  ff. 

Uhr  Xm  107,  Ticken  einer  — XIV 
76,  Stehenbleiben  einer  —X I V 76  f.,  X V 
76,  plötzliches  Schlagen  einer  — XV  75. 

Ulinger,  Volkslied  vom  — XI  45. 

Umfrage  über  kriminellen  .Aberglauben 
XV  li)8ff. 

Umgeben  XII  66,  XIV  60.  XVI  84  ff., 
XIX  17 

Umreiten  des  Feuers  XI  60,  XIII  108 

Umsehen  in  der  Kirche  bei  der  Trau- 
ung XIII  50. 

Umschreibungen,  typische  XI  57  f. 

Umsehen,  das  sich  — Ijcim  .Schatzhebeu 
XVIII  06. 

Ungeboren,  liätsel  von  — XIV  25. 

Unisonogesang  der  Griechen  XIII  13. 

Unlösbare  Aufgaben  XIX  22. 

Unmögliche  Dinge,  Lieder  von  — XlVOf. 

Unterwelt,  metallische  — XV  127  ff. 

Urgeschichte  Schlesiens  XV  162. 

Urin  XII  21,  XVII  40. 

Urnenfriedhöfe  XVII  3.  6,  1311.,  17  f. 

Usedom,  Sagen  von  — XIV  112  f. 

Usinger  XV  137. 

Ustral.  poln.,  ein  Kiesel  XIV  70  f. 

Utoplec.  poln.  Name  für  Wassermann 
XV  106 

Valentin  XVII  .39,  Fest  des  hl.  — 
XIV  71. 

Vampir  XIX  18  ff, 

Vegetationsdaemonen  XIII  84,  95. 

Veilchen,  Kätsel  vom  — XIV  2,  Sprach- 
form  XVII  97. 

Venedig  XV'  118,  125. 

Venediger  XV  118,  — s.agen  XV'  124  ff., 
XVIIl  72  ff. 

Verbalsubstantive  im  .''chlesitcheii  XV I II 
115  f. 

Verhena  (Pflanze)  XllI  23  f.,  XVII 
36  f.,  44.  XVTII  19  f.,  .''pruch  an  die 
— XVI  33  f. 

Verbrecherrätsel  XIV  24  ff. 


V'erbum,  das  starke  — in  der  schlesi- 
schen Mundart  XX  30  ff. , die  redu- 
plizierenden V'erbcn  XX  39  ff.,  siehe 
auch  Zeitwort. 

Vergil  Bucoliea  XIV'  .3,  Anm.  3,  — 
Aencis  XIX  3. 

verkehrt  seinen  Namen  schreiben  XIV  92. 

Verkleinerungswörter  XI  63. 

V'erlobungsbrauch  XIX  28, 

Verneinung, Umschreibung  der  — XI. 58. 

Verräter  XII  68. 

Versprechen  XI108,  XIII  V 86  ff. 

Verspunden  XVI  79. 

Verwandlung  in  Tiere  XII  70. 

Vidalin,  A.  .1.  XV  19,  44. 

Vieh,  verlornes  — wieder  erlangen 
XVI  29  f. 

Vierinadel  XII  12. 

V’ileinasaga.  Erwähnungen  russischer 
Bylinyhelden  in  der  deutschen  — 
XV  17. 

Vincenzstift  von  Breslau  XV’  93. 

Vineta  XIV  113. 

Vinzenz  von  Bauvais  .XX  20. 

V'ügel  auf  dem  Markte  XV  149,  .®eelen 
als  — XVI  96  f.,  XIX  11,17,  —ver- 
kaufen, Spiel  XX  48. 

Vogelwelt.  .'«'chlcsiens  — in  der  Sprache 
und  im  Glauben  der  Heimat  XIX  81  ff. 

Volkschar.akter  der  Isländer  XV  25  f. 

Volksdialekt,  die  älteste  Probe  schle- 
sischen — s im  Drama  XIII  58  ff. 

Volksepik,  die  russische  — XIV  .33  ft'., 
XV  3 fl'.,  Uharakter  der  — XIV  34  f., 
Einteilung  in  Zyklen  35,  Samm- 
lungen der  Heldenlieder  35  ff.,  Le- 
bensbilder nach  den  HcldeuUedcrn 
39  ff.,  Art  der  — 46  f..  Gesarat- 
charakter  der  Helden  und  Heldinnen 
48  f.,  Darstellungsweise  49  f,,  .■'prache 
50,  Inb.alt  51;  zweiter  Teil:  XV 
3 ff  , Verwandtschaft  mit  bekannten 
ErzUhlungsstoffcn  .3  ff,,  Saloinonsagc 

3 f.,  Märchen  von  der  treulosen  Frau 
und  die  Byliny  von  Iwan  Godinoviö 

4 ff.,  Herkunft  und  Art  der  russi- 
schen Heldenlieder  9 ff,,  historische 


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179 


Zi'uciiisse  der  russiseben  Helden-  ! 
lieder  16  ff.,  serbische  — XVII  18  ff. 

Volksetymologie  XIX  95  ff.,  XX  78  ff.  i 

Volkskunde,  zur  — Obersclilcsiens  XV 
lOöff.,  eine  Zeitschrift  für  schlesische 
— XIII  32.  zur  — aus  dem  Gold-  j 
bcrg-IIaynaucr  Kreise  XllI  106  ft'.  | 

Volkskundliches  ans  Klcin-EllKUth  XI  | 
79  ff. 

Volkslied  XIII  18,20f.,  —er  XX  Kliff  , 
niedcrl.^ndisches  — XI  47,  das  — 
der  polnischen  (Iberschlesier  XI  4(1  fl'.,  ^ 
schlesisrhe  —er  XIII  35,  XIV  94  ff., 
XVIII  42  ff.,  XX  89  ff.,  serbische 

i 

—er,  insbesondere  serbische  Volks- 
epik  XVII  18  ff , die  sluvcni.schen 
-er  XII  44  fl'.,  Bremen  im  — XVIII 
61  ff. 

Volksmedizin  XIV  70 ff.,  XIII  22  ff.,  XV 
49ff.,  XVI  2f.,  8,  12ff.,  17ff.,  24,  2811'.. 
72  ff.,  XYII  35(1..  XVIII  6 ff.,  XIX 
27  f.,  86,  92  f.,  vgl.  Zaubermittcl.  die 
Namen  der  einzelnen  Krankheiten, 
■Segen. 

Volksriitsel,  das  deutsche  — XIV  1 ff., 
Nachtrag  XVI  37 ff.,  XVIII  65,  Beste 
der  Rätselpocsic  in  Märchen,  .Sagen.  ! 
.''■pnichdiehtnng  3 ft.,  Verbreitung  ein- 
zelner liatsel  5 ff.,  Einkleidung  der 

— in  Erzählungen,  Märchen,. '(chwänke 
7 ff..  Wettkämpfe  im  Rätselerfinden 
und  -lösen  12  ft'.,  Bedingungen  und 
Strafen  11,  .Abschluss  der  — 14  f., 
Eingang  der  — 15  f.,  Klangmalerei  j 
17  {.,  Mehrdeutigkeit  der  — 18  f.,  ; 
-Anordnung  einer  —Sammlung  19, 

— werden  zu  .'(pielrcimen  und  .Ab-  , 

zählversen  20  ff  , — mit  unbestimmt  i 
angegebenen  Merkmalen  23  f..  Hals- 
lösungsrätsel 24  ft'.,  — anekdoten, 

.'^cherz-  und  — fragen  28  ff.,  Rätsel- 
erzählnngen  und  Märchen  30fl'. 

Volkstracht  der  .'^chlesier  XIII  4(1  f. 

Vorbedeutung,  Geräusche  haben  — .XIV  j 
76,  Zucken  als  — XIX  25  f.  \ 

Vorgeschichtlichen,  die  — Bewohner 
.•Schlesiens  XVII  1 ff. 


Vorschrift  für  Taufpaten  XI  66. 

Vorzeit,  die  Denkmäler  der — im  Volks- 
glauben XI  1 ff. 

Votive  und  Weihgaben  XV  161  f. 

Votivgaben  XIll  117,  XV  72  f.,  Ent- 
stehung der  anatomischen  — XV' 
49  ff.,  Beschaffenheit  XV'  51  f. 

Votivkröte  XV,  55,  66  f.,  Uber  die  Be- 
rechtigung des  Ausdrucks  , — “ XV'II 
48  ff. 

Vraz,  St.  XII  47 f.,  57. 

Wacholder  XII  31,  XVI  80. 

Wachtel  XIX  93. 

VV'affensegen  siche  Segen. 

VV'agnerstein  (Grafschaft  Olatz)  XV’IIl 

86. 

Wahrsager,  indische  XIX  26  f. 

W'ahrsagerinnen  XV  Ulf. 

Waise,  Lied  einer  — XIV'  100  f. 

VV'alen,  .Abenteurer  XV'  118,  — sagen 
XV  124  ff.,  XVTII  72  f. 

Walküren  XVI  21. 

VV’alpurgisnacht  XIII 85  f.,  1 10,  XV'III  18. 

VV'althersage  XV  6. 

VV'alther  von  der  Vogelweide  XII  99, 
XIII  12. 

VV'arsow  (Mecklenburg)  XI  103. 

VV'artbiirgkrieg  XIV  13. 

Wartha  XIV  106. 

Warzen  XIV  73,  XIV  861.,  XVI 
13  f„  80. 

VV'aschbrett,  Rätsel  vom  — XIV  17. 

Wäsche,  von  — träumen  XIV  74 
VV'äsclie  in  der  Neujahrswoche  XIV'  75, 
— Neugehorner  XIII  107. 

W'asser  des  Lebens,  Märchen  vom  — 
XX  11  f. 

VV'asserjungfrauen  XII  96. 

Wasserkalb  XIX  17. 

VV'assermanu  XV  106  ff. , XVIII  74, 
XIX  85,  — Terdoglav  XII  51. 

VV' .assermann,  Sternbild  XVI  85. 

Wegerich  XVII  39. 

VV'echseltieber,  Mittel  gegen  — XVI  13, 
28  f. 

Wehtat,  fUr  die  — XIV  92  f. 

VV’eichselzopf  XIV  73. 

12* 


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180 


Weickartshain,  Bewohner  von  — XVII 
93. 

Weidsprüche  XIV  10. 

Weihgaben  XV  lei  f.,  49  ff.,  72  f. 
Weihgebnnd  XVII  91. 

Weihnachten  XIII  85  f.,  110,  XIV  63, 
XVII  91,  XVIII  85  f.,  XIX  12,  132. 
Weihnachtsabend  XV  113  f.,  — in  der 
Schwenzer  Schmiede  XII  103  ff. 
Weihnachtsbrauch  XIII  43  ff.,  XV  145. 
WeihnachtsspicI  XII  80  f. 
Weihnachtssprüchc  XI  14. 

Weihwasser  XI II 1 10,  XI V 90, 93,  X I X 6. 
Weinsberg,  Weiber  von  — XIII  39. 
Weisbach  bei  Jauernig  XIII  82. 
Weise,  Über  Rhythmus,  Wort  und  — 
XIII  9 ff. 

Weiss,  Albert  XII  61. 

Weistritzthal  XV  120. 

Wergkugeln  XIII  48. 

Wermutsstaude  XVI  74. 

Werner,  Zacharias  XIII  70. 

Wespen,  Zanberspruch  gegen  — XVI 
15,  33. 

Wetar  XII  22. 

Wettkämpfe  im  Kätselvorlcgen  und 
-lösen  XIV  12  f. 

Wettlanf  von  Frauen  XII  83. 

Wianki,  Fest  der  — XIII  47. 
Widerthou,  Kraut  XVIII  17  f. 
Wiedehopf  XIX  94. 

Wiedergänger  XIX  21  ff. 

Wiederholung  im  Volk.sliede  XI  63  ff., 
in  russ.  Heldenliedern  XIV  49  f. 
Wiederkehr  Verstorbener  XVI  102—03, 
XIX  4 f. 

Wiederthat.  Kraut  XVIII  17  f. 

Wieland  XII  24,  XIX  1.32  f. 
l\’iese,  Rätsel  von  der  — und  vom 
Bach  XIV  20. 

Wiesel  XIX  14. 

Wiggisiilir  XII  12. 

Wigstein,  Ruine  XVllI  95. 

Wilde,  Dskar  XII  68. 

Willkommen  XX  124  f. 

Windeln  nicht  in  den  Wind  hängen 
XV  112. 


Wiudseeleu  XIX  15  f. 
Winteraustreibung  XI  34,  36  f. 
Wirbelwind  XIX  16,  Hexe  als  — XIII 83. 
Wiruhäuser  in  Island  XV  30. 
Wirtshausschilder  XVI  40  ff. 
Wirtshansszene  XX  110. 

Wittenberg  XIV  15. 

Witwer  XIII  44. 

Wladimir,  Fürst  von  Kiew  XIV  35  ff., 
47  ff,  XV  9,  13.  15. 

Wochentage,  tirolische  Namen  der  — 
XVI  117. 

Wöchnerin  XIII  99,  XIX  7,  21,  Gräber 
der  — nen  XIII  101  ff.,  XIV  59  f. 
Woitz  bei  Ottmachan  XVI  86. 

Wolf,  F.  A.  Xlll  31. 

Wolken  als  Seelen  XIX  15,  18. 

Wollin,  Sagen  von  — XIV  112  f. 
Wongrowitz,  Kreis  — XIII  48,  52. 
Wort,  zauberische  Gewalt  des  —cs 
XVI  1,  Über  Ilhythnius,  — und  Weise 

XIII  9 ff. 

Wortbildung,  zur  — im  Schlesischen 
XVIII  115  ff. 

Wortschatz  der  Mumlart  von  Dnbraucke 
XX  43  ff. 

Worttakt  XIII  9. 

Wossidio,  R.  XIV  3,  5 u.  ff. 

Wuk  Stephanovvitsch  XVII  22  ff. 
Wunde,  Zanbcrmittel  gegen  offene  — 

XIV  89  f. 

Wnnderflasehe,  Polnisches  Märchen  von 
der  — XIV  63  ff. 

Wunderhom,  des  Knaben  — XIV  101. 
Wundsegen  XVI  19. 

Wunsch,  letzter  — von  Sterbenden  XV 
113. 

Wünschelrute  XVIII  89,  Beschwörungs- 
formeln bei  Gewinnung  der  — XIV 
51  ff,  — nsegen  XVIII  9. 

Wurmsegen  XIII  27,  XVI  17. 

Wursten  XVIII  124. 

Wustlich,  Gutsname  XIV  107. 
Wüstung  Jocksdorf  XX  86  ff. 

Ysop,  Rätsel  vom  Hunde  — XIV  24. 
Zahlen  im  Schlesischen  XVII  102  f. 
Zahlcnsymbolik  XI  44,  61. 


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ISl 


S^afanausfall,  träumen  von  — XIV  7ß. 

Zahukoralleii  XVI  77. 

Zaimsegen  XVI  25  f. 

Zahnschmerzen,  Mittel  gegen  — XIV' 
74,  92  XVII  40.  43. 

Zahnwnebs.  Beförderung  des  — es  XIII 
107,  XIV  29,  XVI  77. 

Zakj-nthos  XII  25. 

Zangenberg,  Sage  von  der  .lungfer  auf 
dem  — XVIII  84 

Zauber,  Hexen  — XIII  88  ff  , Hexen 
— und  Hexenglauben  XV  Ulf. 

Zauberbränche  XIX  27  ft.,  alte  und  neue 
Heil-  und  — XVII  35  ft'. 

Zauberer  XII  25,  04,  66,  XIII  96  ff., 
XV  68  ff.,  XVI  4.  7, 

Zaubermittel  XIV  8<iff,  XIII  27  ff, 
gegen  bellende  Hunde  XIII  27,  XVII 
40,  nni  zu  erfahren,  ob  ein  Weib 
Kinder  bekomme  XI II  28  f.,  — das  (!e- 
Bchlecht  eines  noch  nicht  geborenen 
Kindes  festznstellen,  zur  Erleichte- 
rung der  (tcbnrt,  gegen  Flöhe,  Schorf, 
zum  ’VV'achsen  neuer  Zähne  29,  gegen 
verschiedene  Krankheiten  XVII  30  ff., 
zur  Entdeckung  von  Hieben  XVII 
44  f.,  zur  Förderung  der  Lcrulnst 
und  zur  .‘'tärkung  des  (iedäclituissea 
XVII  45ff. , zur  Auffindung  von 
Schätzen  XVIIl  89 f.,  vgl.  XIII  43ff., 
93  ff. 

Zauberspiegel  XV'  69. 

Zanberspruch  XIII  97,  XIV  87,  8«  ff, 
der  germanische,  insbesondere  der 
englische  — XV'I  I ff.  1)  Einleitung 
If.,  2)  — und  Zauherhandluug  2 f., 
3)  — und  Häuionenglaube : Arten  di  s 
— 8 3 ft'.,  4'j  (ieschichte  des  — s In 
England  6ff. , 5)  Stil  der  — e 11  ff, 
n)  der  einfache  Befehl  12  ff,  b) 
Sprüche  mit  epischem  Eingang  18  ft., 
c)  echte  Segen  35  f 

Zaunkönig  XIX  94. 


Zcchlied  am  Martinstage  XIII  .35, 
Zehrkrettich,  Pflanze  XV'I  81. 

Zeidler,  Golfried  XIV  52  f. 

Zeis  XIX  94. 

Zeisig  XIX  94. 

Zeit  der  umgehenden  Seeleu  XVI  84 
Anm.,  — für  das  Heben  von  Schätzen 
XVIII  85  f . XX  88,  Hexen  — en 
XVIII  85  f. 

Zeitwort  XVII  103  f. 

Zenker,  Sage  vom  — aus  Schlegel 
XVIII  82  f. 

Ziegen  XIII  111. 

Ziehtag  XV  104  f. 

Zigeuner  XIII  90  f.,  107. 

Zillertal,  ein  .schlesisches  Gedicht  über 
die  Tiroler  in  — XV'  154,  Sprache 
der  — er  XVI  105  ft'. 

Zimmerleute,  Fest  der  — in  Island 
XV  34. 

Zimmerung  XIII  71. 

Zinkwitz,  Kr.  Münsterberg  XIII  85. 

— bei  Tepliwoda  XVI  92,  98, 

Zippe  XIX  82. 

Zobtenherg  XV'  142.  XVIII  !K)  Anm.  2, 
94  , 97,  108  ft.,  die  lieister  des  — s 

XIII  40. 

Zoega,  G.  T XV'  22  I, 

Zola,  Gerniinal  XIII  64. 

Zöllnig,  Gros's-  und  Klein — XII  87. 
Zucken  als  V'orbcdcntuug  XIX  2.i  f. 
Zugordnnng  heim  Klapperngehen  XI  75. 
Zuschadengelieii  des  V'iehs  XV  88  f. 
Zweibein,  Name  für  Mensch  im  Hätsel 

XIV  22 

Zweideutigkeit,  absichtliche  — im  Volks- 
rätscl  XIV  18. 

Zweige  XI  3,  XIII  78. 

Zwcrggeslalt,  Borggeist  in  — XIII  73. 
Zwiebel,  Kät.scI  von  der  — XIV'  20 
Zwiegesang  zweier  Hirten  XV'  90. 
Zwidfnächtc  XII  9,  13. 

Zyklen  der  russischen  Byliny  XIV'  35. 


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BQCbdrackerel  Haret7,ke  li  Märtin.  Trebniu  l.ScblOR. 


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Schlesische  Gesellschaft  für  Volkskunde 

■ (» ^ 

Mitglieder  -V  erzeichms. 

(Nach  ilciii  Stande  vom  1.  .lainmr  UK)!).) 


Vorstand. 

Yoi-sitzeiuler:  Universität.sprof'essor  Dr.  Tlieodor  Siebs,  Ilolicn- 
zollernstrasse  ö3,  II. 

Stellvertreter:  rniversitiitsprofessor  Gell.  Regieruntrsrat  Dr.  W. 
Nchring,  Sternstra.sse  22. 

Scliril'tfiilirer:  Stadtbibliotliekar  Dr.  Ma.x  Hippe,  BrandcnburKerstr.48. 

Stellvertreter:  Direktor  am  Sehles.  .Mii.seuiii  für  Kunstfrewerbe  und 
•Altertümer  Dr.  II.  Sejcer,  Viktoriastra.sse  117,  III. 

Seliatznieister:  Königl.  Hof-Kuiistliändler  Hrmio  Richter,  Schweid- 
nitzerstrasse  8. 

Stellvertreter:  Verlafjsbnehhiiiidler  .Max  Woyvvod,  Klosterstrasse  3. 

Profe.ssor  Dr.  Korber,  Palmstra.sse  21,  1. 

Köiil(rl.  Gyinnasialdirektor  Professor  Dr.  Feit,  Matthiasstra.sse  117. 

Universitätsprofe.s.sor  Dr.  ?>.  Skiitseh,  Sehariihorst.strasse  9,  II. 

Oberlehrer  Dr.  K.  Olbrich,  llerzof'stra.s.se  30,  1. 

üniversitätsprofessor  Geheiiiier  Rcfrierunt^srat  Dr.  A.  llilleluaiidt, 
.Monhaiiptstrasse  14,  11. 

Oberlehrer  Dr.  .1.  Klapper,  Hedwitrstra.sse  27,  11. 

Schrift.steller  Hugo  Kretschmer,  Kai.ser-Wilhelmstrasse  18(>,  11. 

Professor  Dr.  Kühnau,  Kaiser.st lasse  7Ö. 


EliiTiimitgliod. 

l'niversitätsprofessor  Geh.  Regierungsrat  Dr.  Friedrich  Vogt,  Mar- 
burg a.  Ti.,  Bismarck.stra.sse  7. 

A.  Breslauer  Mitglieder. 

Abegg,  Dr.,  Univei’sitiitsprofe.ssor,  Parkstra.sse  13. 

Appel,  Dr.,  Fniversität.sprofe.s.sor,  Monhauplstrasse  3a,  11. 

Armdd,  P.,  Dr.,  Uiiiversitätsprofes.sor,  l'ferzeile  10,  111. 

Bara.sch,  Buchhändler,  Schmiedebrücke  17/18. 

Barsch,  Paul,  Schrift.steller,  .Margarethenstra.s.se  24,  Gartenhaus  II. 
Bauch,  llernmuii,  Rektor,  Kreuzstra.sse  öl,  I. 

Becker,  .Anna.  Frau  Bauiiis)iektor.  Aiignstastrasse  71.  11 


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2 


Bellerode,  .Tustizrat,  Xeiie  Sclnveidnitzerstrasse  18. 

Bender,  I)r.,  ()berbüi{?enneister,  Rosentlialerstrasse  14. 

Beyer,  A.,  Bucblmndler,  Neue  Sclnveidnitzerstra.s.se  3. 

Blüinel,  Referendar,  Mieliaelisstras.se  80,  I. 
de  Boor,  Flau  Profe.ssor,  Vorderbleiclie  8,  1. 

Cieliorius,  l)r.,  Universität.sprofe.s.sor,  Kastanienallee  24/2ß. 

Italin,  Felix,  l)r.,  Geb.  .liistizrat,  Universitätsprofe.ssor,  Seliweidnitzer 
Stadtprralien  20,  II. 

Dedo,  Maria,  Dr.  phil.,  Frau,  Auen.strasse  5. 

Dittrieli,  Paul,  Professor,  Paul.strasse  42,  III. 

Kberbard,  Margarete,  Fräulein,  Oberlelirerin,  Mariensfras.se  8,  II. 

Eekliardt,  W.,  Stadtälte.ster,  Uferzeile  9,  I. 

von  Ehrenstein,  Direktor,  Trebnitzei-stra.s.se  28,  lipt. 

Feine,  P.,  l)r.,  Uuiversitätsprofe.ssor,  Höfehenplatz  9,  1. 

Feit,  Dr.,  Profes.sor,  Kgl.  Gyinnasialdirektor.  .Matthiasstra.sse  117. 
Fiedler,  Paul,  .Mittel.schullehrer,  Hobreehtufer  17a.  Hl. 

Fraenkel,  S.,  Dr.,  Universitüt.siirofe.ssor,  .\ugustastra.sse  81,  1. 
Friedenfhal,  .Adolf,  Kaufmann  u.  Stadtverordneter,  Salvatorplatz  8,1. 
Frommer,  P.,  Buchhändler,  Nene  Sehvveidnitzer.strasse  3. 

Gaertner,  G.,  Dr.,  Profe.ssor,  Monhauittstra.sse  10,  II. 

Geisler,  Eugen,  Dr  , Profe.s.sor,  .Monhaniitstras.se  12,  pt. 

von  Gerhardt,  Dr.  phil.,  Brandenburgerstra.s.se  r>2,  Seitenhaus  II. 

Germanistischer  Verein,  Königl.  Universität. 

Glatzer  Gebirgsverein,  Sektion  Breslau,  z.  H.  Sehulrat  E.  lleyse. 
Am  Ohlauufer  39. 

Gröhler,  H.,  Dr.,  Professor,  Oberlehrer,  Ufei'stras.se  9,  111. 

Gro.sche,  Frau  Rektor,  Sehuhbrüeke  34,  1. 

Grünhagen,  Dr.,  Profe.ssor,  Geh.  .Arehivrat,  .Augu.stastra.sse  74,  1. 
Grützner,  Oberlande.sgeriehtsrat.  Goethestra.sse  11,11. 

Gusinde,  .Jo.seph,  stud.  iur.,  Paulstras.se  37,  111. 

Gusinde,  Konrad,  Dr.  pliil.,  Oberlehrer,  Hedwigstra.sse  13,  hpt. 
Haa.se,  Georg,  Kommerzienrat,  Kgl.  ifalienisehei-  Konsul,  Ohlauer 
Stadtgraben  17/18. 

Haase,  Olga,  Frau  Fabrikdirektor,  Opitzstrasse  11,1. 

Haertel,  Enimy,  Fräulein,  Tiergartenstra.sse  Oö,  I. 

Hahn,  .Job.,  Ifektor,  Reielistrasse  24,  II. 

Heekel,  Rol)ert,  Kaufmann,  Kastanienallee  17. 

Heinze,  Joseidi,  Dr.  med.,  Breitestrasse  28,  1. 

Heisler,  Gertrud,  Fräulein,  Lehrerin,  Nendorfstra.s.se  9. 

Heller,  Wilhelm,  .Architekt.  Kron])rinzenstras.se  41,  II. 

Herz,  Walter,  Dr.,  Profe.ssor,  Privatdozent,  .Monhaiipt.strasse  24,11. 
Heymann  gi‘b.  Alolinari,  Frau  Bankier,  Holumlohestr,,  Villa  Heymann. 
Hilka,  Dr.,  Oberlehrer,  Feldstra.sse  15b,  II. 

Hillebratidt,.A.,  Dr.,Geh.Reg.-Rat,Universit.-Prof.,  AIonhauptstr.14,11. 
Hii)])e,  .M.,  Dr.,  Stadtbibliothekar,  Brandenburgerstras.se  48,  11. 
Hotl'mann,  .Adalbert,  Landgerichtsrat.  lledwigstr.  38,  Garteiih.  hpt. 
Hoflmanii.  Hermann,  Oberlehrer,  .Antonienstrasse  25. 


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3 


Iloffnianii,  M.,  lA^lirer,  K1eu2.stras.se  3W,  Gartenhaus  lipt. 

HotViiiunii,  BucliliäiKller,  Kinp:  58. 

Hoft'mann,  Oberlehrer,  Gabit2strasse  78,  II. 

HuideHeiss,  Dr.,  Uiiiversitätsiirofessor,  Ko.senthalerstrasse  45,  I. 
Hilsiii^,  Dr.  ])liil.,  Privatpelehrter,  Seydlitz.strasse  5,  111. 

Hulwa,  Dr.  idiil..  Professor,  Brüderstrasse  43,  bjit. 

Jaekel,  Hugo,  Privatgelebrtei-,  .Mauritius.strasse  5. 

Juiignitz,  Dr.,  Prof.,  Geist).  Hat,  Arcliivdirelaor,  (iöi)])ertstr.  12,  I. 
Kaiiipers,  Dr.,  Uiiiversitätsprofes.sor,  Köriierstras.se  12,  III. 

Keller,  Paul,  Schriftsteller,  Bockstra.sse  14,  II. 

Kern,  Arthur,  Dr.  phil.,  Moiihau]>tstrasse  10,  I. 

Kes.sler,  Dr.,  Profe.ssor,  Tiergartenstra.s.se  28,  III. 

Klaatsch,  Dr.,  Universitätsprofe.ssor,  Aueiustras.se  18,  1. 

Klapper,  Josef,  Dr.  i)hil.,  Oberlehrer,  Hedwigstra.sse  27,  II. 

Klug,  Marie,  Fräulein,  Schulvorsteherin.  Garvestrasse  25,  pt. 
Kne.ser,  Dr.,  Universitätsprofessor,  Tiergartenstras.se  100. 
Knobloch,  Heinrich,  Dr.,  Oberlehrer,  15randenburgerstra.s.se  35,  II. 
Knoll,  -Margarete,  Frau,  Ohlauufer  40,  1. 

Korber,  Dr.,  Profe.ssor,  Palinstra.s.sc  21,  I. 

Koessler,  Else,  Frau,  .\ugustastrasse  54. 

Kölker,  Bruno,  Kaufinann,  Kaiser-Wilhelinstrasse  0,  hi>t. 

Kopj),  Georg,  Dr,  theol.,  Kardinal  Fürstbischof,  Kininenz.  Doni.str.  15. 
Kret.sclinier,  Hugo,  Schriftsteller,  Kaiser-Wilheltnstras.se  180,  II. 
Kiihnau,  Dr.,  Profe.ssor,  Kaiserstrasse  70. 

Kühnau,  Wilhelm,  Dr.  med,,  Schweidnitzer  Stadtgraben  26,  pt. 
Küster,  E.,  Kaufmann,  Sadowastra.s.se  48,  1. 
Landwirtschaftskammer  für  Schlesien,  Matthias|)latz  0. 

Langer,  Karl,  Hechnungsrcvisor.  Herzogstra.sse  4,  II. 

Leonhard,  Dr.,  Geh.  Justizrat,  FniversitUt.sprofe.ssor,  Lindenallee  0, 1, 
Leopold,  Max,  Dr.,  Oberlehrer,  Kaiserstrasse  18. 

Lesehalle,  Städti.sclie  Xr.  2,  Matthiasstrasse  9,  1. 

Lischke,  Johanna,  Frau  Oberlehrer,  Kaiseivstrasse  82,  IIP 
Loewe,  Hans,  Hauptmann  a.  D.,  Klosterstra.sse  71,  III. 
von  -Machui,  Rentier,  Hohenzollenistrasse  73,  III. 

Mät.schke,  E.,  Dr.,  Profe.s.sor,  Oberlehrer,  Salzstra.s.se  35,  III. 
Magistrat  der  Königl.  Haupt-  und  Residenzstadt  Breslau. 

Marcus,  Max,  Verlagsbuchhändler,  Kai.ser-Wilhelmstras.se  8,  pt. 
Marx,  Paul,  Chorrektor,  Klosterstrasse  36,  II. 

Masner,  Dr.,  Professor,  I.  Direktor  des  Kunstge werbe -Museums, 
Lotliringerstras.se  7,  II. 

Mcrtin.s,  Dr.  phil.,  Profe.ssor,  Alexanderstras.se  34,  11. 

Meyer,  Arnold,  Dr.  phil.,  Privatdozent,  Piastenstras.se  27. 

Meyer,  Herbert,  Dr.,  Universitätsprofe.s.sor,  Hansastra.sse  24,  II. 
Miikau,Dr.,  Direktord.  Kgl.u.Universit.-Bibliothek,  NeueSandstr.3, 1. 
Minssen,  Frau  Oberingenieur,  Han.sastrasse  20,  I. 

Mittelbaus,  stud.  jihil.,  Albrechtstrasse  12,  II. 

Müller.  Karl.  Redakteur.  Paradies.stras.se  21.111. 


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4 


Neckel,  I)r.,  Oberlelirer,  Maxstra.sse  26,  II. 

Nees  von  Esenbeck,  Fräulein,  üarvestrasse  28,  IV. 

Xehring,W.,  Dr.,  ( ieh.  Regierung.srat.  Univer.sität.s[irot’.,  Steni.str.  22,  pt. 
Xitsche,  Dr.,  Sanitätsrat,  Augustastra.s,se  73,  III. 

Oberdicck.  H.,  Professor,  Ohlauufer  42,  II. 

'Olbrich,  C.,  Dr.,  Oberlehrer,  Herzogstra.ssc  36,  II. 

Otto,  A.,  Dr.,  üyninusiallehrer,  Tiergartenstra.sse  16,  111. 

Partsch,  Carl,  Dr.,  Geh.  .Med.-Kat,  Univ.-Prof.,  Kaiser-Wilhelmstr.  80. 
Petsehke,  R.,  (Jberlehrer,  Viktoria.stra.s-se  24,  I. 

Pfeffer,  Fräulein,  Schulvorsteherin,  Steriistra.sse  7t),  II. 

Pillet,  Alfred,  Dr.,  Prof.,  Privatdozent,  Kronprinzenstra.sse  69,  111 
Pohl,  Helene,  Fräulein,  Kroiiprinzeii.stra.sse  27,  111. 

Pontick,  Dr.,  Geh.  .Medizinalrat,  Universitätsprofe.ssor,  Nova.str.  3. 
Porsch,  Dr.,  Justizrat,  Ohlauufer  14. 

Probst,  O.  F.,  Professor,  Oberlehrer,  .Marienstrasse  8,  pt. 
Pioskauer,  O.,  Rechtsanwalt,  Uferzeile  9,  II. 

Recksiegel,  .Martha,  Fräulein.  Garvestra.ssc  7. 

Reichert,  Hermann,  Dr.  idiil.,  Kikolai.stras.se  63,  ,Seitenhaiis  II. 
von  Rentz.  Freiherr,  Redakteur,  A neust ra.s.se  14,  11. 

Richter,  Bruno,  König!.  Hofkuiisthilndler,  Schweidiiitzerstras.se  8. 
Biehter,  Kurt,  I)r.  i)hil.,  Oberlehrer,  tiutenberg.stiasse  28,  III. 
Riesengeliirgsverein,  Ort.sgrupjie  Breslau,  z.  H.  Sfadtschulinspektor 
Dr.  Hatidlo.ss.  Klosterstrasse  69. 

Rie.ss,  Eugen,  Kaufmann,  Ohlaner  Stadtgraben  26,  11. 

K’ockel,  Karl,  Dr.  phil.,  Hermannstrasse  2.ö,  111. 

Röhlicke,  .Marie,  Fräulein,  Oberlehrerin,  Königsplatz  ha,  111. 

Röse.  ()..  Chefredakteur,  Kai.ser-W'ilhelinstrasse  63,  II. 

Roesler,  Jlarie,  Frau,  .Altscheitnig,  Villa  Roesler. 

Rohrm:mn,  Paul,  Buchhändler,  Xeue  Tasehenstra.sse  4,  111. 
Bosenbanm,  Frau  Kommerzienrat,  Arndtstrasse  23. 

Ro.senthal,  Bruno,  Kaufmann,  Schmiedebrücke  ,07. 

Sabel.  Robert,  Rektor,  .Monhanptstras.se  13,  II. 

Sannig,  Rektor,  Heinrichstra.sse  20,  I. 

Sarrazin,  Dr.,  Universität.sprofe.ssor,  Kai.ser-W illielmstras.se  ö2, 111. 
Schade,  Katharina.  Fräulein.  Lehrerin,  .Margarethen. st  ra.s.se  21,  111. 
Schade,  .Marie.  Fräulein,  .Margaretlien.stra.sse  21,  III. 

Schiller,  H.,  Frau.  Kai.ser-Willielinstra.s.se  83,  II. 

von  Schiller,  Wilhelm,  Haiiptmann  u.  Adjutant.  KurfUr.steiistr.  16,  1. 

Schmidt,  Rudolf,  Professor,  Feldstra.sse  11,111. 

Schmidt.  1'heodor,  Dr..  I tirekt.  d.  Augustiisehule.  Ta.schenstr.  2(i/28,  pt. 
Schneider.  Koiirad,  Expeditions- Vorsteher.  Schuhltrücke  84,  II. 
Schönaich,  Dr.,  Professor,  Oberlehrer.  Hobrechtufer  17,  111. 
Scholz,  Frau  Direktor,  Keudorfstnisse  1 Ui. 

Schulte,  Dr.,  Professor,  Geh.  Regierittigsrat.  llerzog.stra.s.se  4,  I. 
Schitltze,  Elise,  Frätileiti,  Ring  24,  II. 

Schulz,  Aitgitst,  Lehrer,  Am  Wäldchett  1. 

Schitlz.  llerttiattti,  Rektor,  Hirschstra.sse  23.  11. 


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_ 5 

Sdralek.  !Max,  I)r.,  Domherr,  riiiversitiit.sprufe.«isor,  Domstrasse  14. 
Seger.  H.,  Dr.,  l)irektor,  Viktoria.strassp  117,11. 

Selige,  Julius,  Dr.,  Profe.ssor,  Am  Rrigittental  47,  II. 

Seminar,  (Jermauistiselie.s,  der  Kiinigl.  L'iiiversitüt. 

Seminar,  Slavisch-pliilologiselies,  der  Königl.  rniversität. 

Semrau,  F.,  Oberlehrer,  .\ugustastrasse  40,  III. 

Sickenberger,  Dr.,  rniversitiits])rofessor.  lledwigstriusse  ,S8,  IT. 
Siebs,  Theodor,  Dr.,  l^tiiversitiitsjirofe.ssor,  Hohenzollernstr.  .')3,  11. 
Sittenfeld,  Ludwig,  Schriftsteller,  Kaiser-Wilhelmstrasse  50,  II. 
Skutsch,  I)r.,  Universitiitsprofessor,  Scharnhorststrasse  9,  II. 

Speck,  Hermann,  Dr  phil.,  .Matthia.splatz  9,  III. 

Sj)rotte.  F.,  Dr.,  Professor,  Domkapitular,  Domstrasse  9. 
Staatsarchiv,  Königliches.  Tiergarteiistra.sse  13. 

Stern,  William,  Dr.,  Universitätsprofe.s.sor,  Hrandeiibui'ger.str.  54, 1. 
Stoeckel,  .Major  a.  1).,  Oarvestras.se  30,  I. 

Stricker,  Anna,  Frau,  Matthias]datz  1,  11. 

von  Strümpell,  Dr.,  Oeh.  .Aledizinalrat,  Universitätsprofe.s.sor, 
P.irkenwäldchen  0 

Toeplitz,  Fritz,  Dr.  med..  Neue  Gasse  4,  II. 

Treblin.  Martin,  Dr.  phil.,  .Margarethenstra.s.se  :I4,  Gartenhaus  pt. 
Trentiu,  Hürgenneister,  Friedrich-Wilhelmstra.sse  6,  II. 

Türk,  Gustav,  Dr.,  Oberlehrer,  Matthia.splatz  16,  lll. 

Unitas,  Katholischer  Studentenvereiu,  Bi.schofstra.sse  13. 

Unterlauff,  Ma.ximilian.  Benetiziat  u.  .Archivar,  Kleine  Domstr.  4,  I. 

Vogt,  H.,  Professor,  .Aneustrasse  14,  II. 

von  Wallenberg-Pachaly,  Gottli.,  Konsul,  Rossmarkt  10,  II. 

Walter,  Kurt,  .stud.  jthil.,  Vorwerks.stras.se  10,  III. 

Wawrzik,  Berthold.  Rektor,  .Andt'r.ssenstras.se  23,  11. 

Welzel.  Berlliüld,  Direktor,  Bismarckstra.sse  2.  II. 
von  Weiicksteru,  Dr.,  I’niversitätsiirofessor,  Kichendorttstr  41,  1. 
Wendland,  Dr.,  Universitätsprofe.s.sor,  Uharlotten.stra.sse  13,  pt. 
Wendriner,  R.,  Dr.  ])hil.,  Hohenzollernstrasse  77,  pt. 

Wendt,  II.,  Dr.,  Stadtarchivar,  Kantstrasse  5,  I. 

Wiedeniann,  Dr.  phil.,  Professor,  Gymnasialdirektor,  Arletiusstr.  3. 
Wiesenthal,  Bernhard,  Lehrer,  Seydlitzstrasse  8,  1. 

Wilda.  O.,  Dr.,  Redakteur,  Moritzstrasse  25,  III. 

Winfridia,  Kathol. -deutsche  Studentenverbindung,  Seminarga.sse  15. 
Wislicenus,  .Max.  Professor,  Tiergartenstra.sse  15/17,  111. 
Witkowitz,  Luitgard,  geb.  Kampe,  Frau  Oberlandesgericlitsrat, 
.Augustastrasse  103,  1. 

Wobbermin,  Dr.,  Universitätsprofes.sor,  rarmerstra.sse  17,  II. 

Wolf,  P.,  Dr.  med.,  prakt.  .Arzt,  Klosterstra.s.se  37,  1 
v.Woyr.sch.  komm. General  d. VI.. Armeekorps.  Schweidnitzerstr. 24/25. 
Woywod,  Verlagsbuchhändler,  Klo.sterstrasse  3.  I. 

Wutke,  Dr , .Archivrat,  Uferzeile  10,  11. 

Zobtener  Gebirgsvereiit,  Ortsgrnp|)e  Breslau,  z H Dr.  med.  Lustig, 
Klostcrstrasse  1. 


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6 


B.  Auswärtige  Mitglieder. 

Arndt,  Pfarrvikar,  Rauscha,  Bez.  Lietrnitz. 

Arndt,  Bruno,  Dr  pliil.,  Kattowitz,  Friedrichstra-ssc. 

Arnoldi'.sche  Bucliliandliinj',  Dresden,  Altmarkt. 

Asimis,  Dr.  nied.,  .Aiifrenarzt,  Düsseldorf,  .Takoliistrasse  18. 

Auras,  Paul,  Lehrer,  (Jross-Peterwitz,  Kreis  Trebnitz. 

Aydam,  Oberlehrer,  Leobschiitz. 

Baer,  Dr.,  Sauitütsrat,  Hirschberg. 

Baeumker,  Dr.,  Universitätsprof.,  Strassburg  i.  Kls.,  Weiu  kerstr.  8. 
Baldrieh,  ITofessor,  (ileisvitz. 

Bandaii,  Martlia,  Oberlehrerin,  Breinerliaven,  ^larkt  0. 

Bartel,  Oberlehrer,  Strehlen  i.  Schl. 

Bartling,  H.,  Kreisbauineister,  Strehlen  i.  Schl. 

Bart.sch,  Adolf,  Lehrer,  Kattowitz,  ilühlstrasse  37. 

Bauch,  Bruno,  Dr.,  Privatdozent,  Halle  a.  S.,  Karlstnus.se  32. 

Beck,  Emil,  Profe.ssor,  Hirschberg  i.  Schl.,  Schiitzenstras.se  10  b. 
Bedürftig,  Landmesser,  Aschersleben. 

Bergel,  Dr.  med.,  Stabsarzt,  Rastatt  i.  Raden. 

Bernheim,  E.,  Dr.,  üniversitätsprofe.ssor,  Greifswald. 

Bertzik,  Pfarrer,  Biskiipitz.  Kreis  Zabrze  O.-S. 

Bibliothek,  Gros.sherzogliche,  Weimar. 

Bibliothek,  öffentl.,  Freiherrl.  Karl  v.  Kothschild’sche,  F'rankfurt  a.  M. 
Bibliothek,  Reich.sgriitliche,  auf  Schkuss  Fürstenstein,  z.  H.  Biblk)- 
thekar  Endemann. 

Bla.schke,  E.,  Lehrer,  .Ariusdorf  bei  Löwen  i.  Schl. 

Blei.sch,  .Tosejih,  Leiter  d.  Stifts.schule,  .fuliusbnrg.  Reg. -Bez.  Breslau. 
Bückel,  Otto,  Dr.  ])hil.,  Michendorf  bei  Pot.sdam. 

Boehm,  Bankier,  Brieg. 

Böhm,  Johann,  Professor,  Budweis,  Ottokarstra.sse  8. 

Brauer,  W.,  Oberlehrer,  Schluckenau  in  Böhmen. 

Brock,  Dr.,  Profe.ssor,  Gyimiasialdirektor,  Oels. 

Buchwald,  Viktor,  Kassierer,  Brieg,  Grüner  Weg  5,  hpt. 

Bucka,  Dr.,  juakt.  .Arzt,  Strehlen  i.  Schl. 

Bürger,  Dr.,  Seminardirektor,  Zülz  O.-S. 
riirz;\.szcz,  .Johann,  Dr.,  Pfarrer,  Peiskretscham. 

Cla.sse,  Max,  Lehrer,  Goldberg  i.  Schl. 

Cleraenz.  Bruno,  Lehrer,  Liegnitz,  Piastenstrasse  26. 

Croce,  Anton,  jjechtsanwalt,  Trebnitz  i.  Schl. 

Diilinhardt.  Oskar,  Dr.,  Oberlehrer,  Leipzig,  Jakcdistra.sse  11. 
Danigel,  Hugo,  Buchdruckereibesitzer,  Prausnitz,  Bez.  Breslau. 
Denk,  Joseph,  Pfarrer,  München,  .lohaiinesphitz  6,  II. 
von  Dieliitsch,  Hans,  Rittergutsbesitzer,  Ounzendorf,  Kr.  Sprottau. 
Dobrosclike,  Gerichtsa.s.se.s.sor,  Ziegenlials. 

Dobschall,  Gertrud,  Dr.  phil.,  Friiulein,  Leipzig-Gohlis,  .Au.ssere. 

Hallischestras.se  l.öa. 

Dombek,  Redakteur,  Beiithen  O.-S. 


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7 


Duiidorff,  koiniiiissar.  Olierlciirer,  Kattowitz  O.-S. 

Dorn.  Max,  Haii])tlrhrrr,  M'anowitz,  Krci.s  Lcobscliütz. 

Dredi.slcr,  Dr.,  Direktor  des  (.Tymnasiiniis,  Zatnze  O.-S. 

Drescher,  Dr.,  Universitiit.siirol'.,  Berlin  W.  15,  Särhsiscliestr.  73,  I. 
Drzazdzyiiski,  Prole.ssor,  Leokseliiitz. 

Dybowski,  Dr.,  Könifrlieher  Kreisarzt,  AValdenbnrp:  i.  Schl. 
Ebbinfrhans,  Frau,  Profe.s.sor,  Halle  a.  S.,  Reil.stras.se  86. 

Kberlein.  Lic.  thc(d.,  D.,  Superintendent,  Strehlen. 

E<kert,  Hankvorsteher,  Heuthen  O.-S. 

Eckert,  Karl,  ladirer,  Hoyadel,  Kreis  Griinberfr. 

Eichner,  A.,  Oberlehrer,  Lauban. 

Elsner,  Lehrer,  Lndwitysdorf,  Kreis  Neurode. 

Ender,  Seminar-Oberlelirer,  Zülz  O.-S. 

Erlcr,  Buchdruckereibesitzer,  Strehlen  i.  Schl. 

Euleiifrebirf^sverein,  Ortsgruppe  Keichenbach  i.  Schl.,  z.  11.  Krei.s- 
.schulinspektor  Thaniin. 

Feilberg,  H.  F.,  Dr.  phil.,  Pastor  einer..  Askov  bei  Vejen  (Dänemark). 
Feist,  Pastor,  Festenberg  i.  Schl. 

Fink,  Dr.,  Pfarrer,  Strelilen  i.  Schl. 

Fipper,  Lehrer,  Beuthen  O.-S. 

Flassig,  0.,  Pfarrer,  Schawoine,  Kreis  Trebnitz. 

Fleischer,  Kreis.sekretär,  Oro.ss-Strehlitz  O.-S. 

Forche,  I'farrer,  Hirsehberg  i.  Schl. 

l'^riedel,  hVrdinand,  k.  k.  Finanz\vach-Oberres[)izient,  'l'roppau, 
österr.-Schl.,  Parkstras.se  84. 

Friedrich,  Pastor,  Scichau,  Kreis  .Tauer. 

Froininhold,  Dr.  inr.,  Universitätsiirofessor,  Oreifswald. 

Fiillner,  Kommerzienrat,  Fabrikbes.,  Herischdorf  bei  Warinbrnnu. 
(iabriel,  Pfarrer,  Bralin,  Kreis  üros.s-Wartenberg. 

(iaidoz,  Henri,  Professor,  Paris.  Riie"Servaiuloni  22. 

Oauglitz,  Lehrer,  Münsterberg. 

Gebliardt.  Lehrer,  (’antersdorf  bei  Löwen  i.  Schl. 

(ierstmann,  Hugo,  Leipzig,  Goethestras.se  6. 

Geyer,  Dr.,  Professor,  Brieg. 

Gierth.  G.,  Oberlehrer,  Berlin  W.  30,  Elssholzstra.sse  12. 
Giesmann,  Güterdirektor,  Dominium  T.sche.schdorf  bei  Münsterberg. 
Gilka-Bötzow,  Alfred,  Fideikommisbesitzer  und  Leutnant  d.  Res., 
Schwusen,  Kreis  Glogau. 

Glu.ser,  Lehrer,  Schömberg,  Kreis  Landeshut. 

Glamann,  Direktor  der  Idiotenanstalt.  Liegnifz. 
tJlatzer  Gebirgsverein,  Glatz,  z.  H.  Justizrat  Burczek. 

— Sektion  Landeck,  z.  H.  .Amt.sgerichtsrat  Seiht. 

— Sektion  Mittelwalde,  z.  H.  V'orsitzenden  Becker. 

— Sektion  Reinerz. 

— Sektion  Schlegel. 

Glöckner,  Karl,  Dr.  |diil.,  Oberlehrer,  Reichenbach  i.  Schl. 
Glöckner,  Stephan,  Dr.  phil.  Oberlehrer,  Biinzlau.  Jakobstrasse  3. 


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8 


fjöliring,  A.,  Kaufiiiiinn,  Bi-rlin  W.,  Stc<rlitzstiiissi-  77  78,  II. 
(Jüldiicr,  Lehrer,  Liep;nitz,  Nene  Goldberperstru.'ise  ö‘i. 

Gorges,  I)r.,  Oberlehrer,  Göthen  i.  Anliult,  Langestrn.s.se  -19. 
Gottwald,  Dr.,  Oppeln.  Karl.splatz  2. 

Graebi-sch,  Friedricli,  Kanlhianii,  Gudowa,  Kr.  Glatz,  Villa  Hedwig. 
Gregor,  Jo.seph,  Pfarrer,  Tworkan  0.-8. 

Growald,  Apotheker,  Po.seu,  Wilhelinsplatz  13. 

Gühmann,  Bruno,  Kauftnann,  Zobten  a.  Berge. 

Günther,  Fritz,  stud.,  Schweidnitz,  Genbreclit.strasse  8. 

Gusinde,  Oskar,  Landrichter,  Neisse,  Bahnhofstra.s.se  10. 
Gymnasium,  Königliche.s,  Kreuzburg  O.-S. 

Gymnasium.  Königliche.s,  Ples.s  O.-S. 

Hahn.  .Amtsgerichtsrat,  Liegnitz,  Moltkestrasse  0. 

Hahn,  Dr.,  Schulrat,  Gro.s.s-Strehlitz  O.-S. 

Hahnei,  Pfarrer,  Schömberg,  Kreis  Landeshut. 

Hampel,  Dr.  med.,  prakti.scher  Arzt,  Gogoliii. 

Hannig,  Franz,  Dr.  phil.,  Patschkau. 

Hauptmann,  Karl,  Dr.,  Schreiberhau, 

Heckhausen,  Christoph,  Dr.,  Gerichtsa.sses.sor,  Bedburg  (Rheinland). 
Hellmann,  Stadt-Syndikus.  Nei.sse. 

Hellmich,  M..  Königl.  Ijandmesser,  (ilogau.  Kleine  Oderstrasse  4. 
Hellwig,  .Albert,  Dr.  iur..  Berlin,  Beneckendurferstrassc  1. 
Henckel,  Guido,  Graf,  Fürst  von  Donuersmarck,  Durchlaucht, 
Neudeck  O.-S. 

Hepding,  Hugo,  Dr.,  Hilfsbibliothekar,  Giessen,  Goethestra.s.se. 
Herbarth,  1‘aul,  Rechnungsrevi.sor,  Nei.sse,  Brüderstra.sse  0. 

Heyn,  Pastor,  Mollwitz  bei  Brieg. 

Hickmann.  Leutnant,  Herischdorf  bei  Wannbrunn. 

Hinke,  Oskar,  Lehrer,  Lüben  i.  Schl. 

Hirsch,  Viktor,  Kandidat  des  höheren  Lehramts.  Ratibor  O.-S. 
Hit.schfeld,  Pfarrer  und  Kreisschulinspektor,  .Arnsdorf  i.  Rieseiigeb. 
Hüfbibliothek,  Gro.ssherzogliche.  Darmstadt. 

Hof-  und  Staatsbibliothek,  Älünchen. 

Hüffbauer,  G.,  Hauptlehrer,  Leubusch,  Post  Brieg. 

Holfmann,  Dr.,  Reich.sgräfl.  Badearzt,  Warmbrunn. 

Hotl'mann,  Fedor,  Hauptlehrer,  Heinrichswalde,  Kr.  Frankemstein. 
Holfmann,  Otto,  Dr.,  rniversitätsprof.,  Dtsch.-Lissa,  Kastanienallee3. 
Hohaus,  Dr.,  Stadtjifarrer,  Habelschwerdt. 

Holleck,  Dr.,  Profe.s.sor,  Gymnasialdirektor,  Leobschütz. 

Honika.  Oberlehrer,  Beiitheii  O.-.S. 

Hruby,  R.,  Lehrer,  Kirschberg  bei  Sonnenberg  i.  Schl. 

Hübner,  Kgl.  Bergwerk.sdirektor,  Paulusgrube  bei  Morgenroth  O.-S. 
Jaeschke,  Krich,  Dr.  phil..  Oels.  Magazinstrasse. 

Jacoby,  Dr.,  Fniversitiitsprofe.ssor,  Kiel,  Feldstra.sse  140. 

Jäckel,  Pfarrer,  Hermannsdorf  bei  Jauer. 

Jantzen,  Dr.  ])hil.,  Direktor  der  Königin-Luise-Schule.  Königsberg 
i.  Pr.,  Landhüfmei.sterstra.sse  23. 


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9 


Johnson,  Klinir  E.  S.,  Pastor,  East  Grmiville,  Ponna.,  Vereinigte 
Staaten  von  Nordamerika. 

Jonetz.  Krei.sscliulinsiiektor,  Hawit.scli. 

Jünschke,  Kaplan,  Landeck  i.  Schl. 

Jungnitsch.  Gyinna.siast,  Liehaii. 

Jnrczyk,  Kontrolleur,  Hosdzin  O.-S. 

Kabelitz.  M.,  Pfarrvikar,  Schnellewalde  O.-S. 

Kacliel,  Max.  Königl.  Zolljiraktikant.  Ratihor,  Tro])panerstra.sse  12. 
Kalheck,  Max,  Scliriftsteller,  Wien  IX,  Porzellanga.sse  48. 

Kern,  Pastor,  Ransclui  tOlierlansitz). 

Kirchner,  Dr.,  Professor,  Brieg. 

Kirchnei',  Keinliold,  Dr.  phil.,  Geisenheim,  Kgl.  Wein- ii-.  Ob.stkiiltur. 
Klein,  Martin.  Dr.,  Gymnasial-Oberlehrer,  Rawit-sch. 

Kleinwüchter,  Dr.,  Oberlehrer,  Zabrze  O.-S. 

Klemenz,  Dr.,  Professor,  Strehlen  i.  Schl. 

Klima.s,  Pfarrer,  Tarnaii,  Kreis  Oppeln. 

Klings,  Karl,  Lehrer,  Schöneberg-Berlin,  Apostel-Panln.sstras.se  16. 
Knap])e,  Oberlehrer,  Kattowitz. 

Knoliel,  Superintendent,  Ober-Bielau  bei  Rothwas.ser. 

Knoenagel,  Werner,  Wirtschuftsassi.st.,  Knnzendorf  a.  d.  Biele  b.Glatz. 
Knötel,  J.,  Dr.,  Profes.sor,  Kattowitz  O.-S.,  Sach.sstrasse  4. 

Knoop,  Otto,  Professor,  Roga-sen  in  Po.scn. 

Köhler,  Diakomis,  Rankau. 

Köhler,  Gustav,  Lehrer,  Striegau. 

Koflinane,  Lic.  theol.,  Superinteudent,  Koischwitz  l^ei  Liegnitz. 
Kolitsctike,  Bürgermeister,  Tarnowitz. 

Konrath,  Dr.,  L'niversitätsprofes.sor,  Greifswald. 

Kornke,  Professor,  Glatz. 

von  Koschembahr,  Else,  Erilnlein,  Tiirjiitz  bei  Prieborn  i.  Schl. 
Ko.schwitz,  Oberlehier,  Schweidnitz,  Peterstrasse  21. 

Koziol,  Edmund,  cand.  iur.,  Beuthen  O.-S.,  Parkstra.s.se. 
Kreis-Lehrer- Bibliothek  II,  Petersdorf  i.  Riesengeb.,  z.  H.  Haupt- 
lehrer und  Kantor  Glaette. 

Krögler,  Dr.,  Professor,  Salzburg,  Faberstras.se  lö. 

Krohn,  Dr.,  Direktor  des  Pädagogiums,  Kätscher  O.-S. 

Kroll.  W.,  Dr.,  Universitätsprofe.ssor,  Münster  i.  W.,  Raesfeldstr.  30. 
Kühn,  Recht.sanwalt,  Jauer. 

Kupka,  Seminarlehrer,  Rosenberg  O.-S. 

Kaschei,  Dr.,  Pabrikleiter,  Strehlen  i.  Schl. 

Landsberg,  Rechtsanwalt,  Oels. 

Larisch,  Dr.,  Arzt,  Brieg. 

Laska,  Bruno,  Pfarrer,  l’.schow,  Kreis  Rybnik  O.-S.. 

Lautier,  Dr.,  Profe.ssor,  Direktor  d.  hi.stori.schen  Mu.seutns,  Hamburg. 
Lehmann,  Dr.,  Professor,  Leobschiitz. 

Tie.sehalle,  öffentliche,  Xeis.se,  z.  H.  Rechtsanwalt  Grzimek. 
von  der  Leyen,  Friedrich,  Dr.  phil.,  Privatdozent,  München,  Kaul- 
bachstrasse  26. 


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10 


Licliter,  A.,  Ltlii’er,  (iross-Friudriclisfeldc  boi  Lfiitinannsdorf, 
Kreis  Scliweidnitz. 

Liebicli,  I)r.,  Professor,  Münehen,  Petteiikoferstrasse  80. 

Tdedl,  Ueiidudd.  Kiiiifiimiin,  Warnibruiiii. 

Jdllj^e,  Friedricli,  I)r.,  Olierlehrer,  Preinen,  Matliildenstrasse  31. 
TJ.ssel,  Laiulfjeriebtsrat.  laefrnitz. 

Lopacifiski,  Hieronymus,  (Jymnasiallehrer,  Lnbliii  (Polen),  Kra- 
kowskie  Przedniic.seie,  dom.  Ziiikievvicza. 

Lowack,  Dr,  pbil.,  (.Iberlelirer,  Beuthen  O.-S. 

Lucius.  Robert,  Oberlehrer,  Brief!:,  l.,indcnstni.sse  Ö. 

Lütke,  Pastor,  Kaiserswaldau. 

TiUX,  l)r.  tlieol.,  Universitiitsprofessor,  .Münster  i.  W. 

Macliiile,  F’riedricli,  Oberlehrer,  Pot.sdam,  Marienstra.sse  lö. 
.Maciejezyk,  Baiikbuehhalter,  Beuthen  O.-,'^. 

Milrtin,  P.,  Buchdruckerei bes. (Fa.  .Marelzke&  .Martin),  Trebnitz i. Schl. 
.Maffistrat  Bolkenhain. 

M.agistrat  (Heiwitz. 

Magistrat  Knttowitz. 

.Maftistrat  Oppeln. 

Jlagistrat  Ratibor. 

Maffistrat  Schweidnitz. 

Maliner,  Paul.  Lehrer,  Reuthen  O.-S. 

■Majoratshihliothek.  Reiehsfjrä flieh  Schallfrot.scir.sche,  Warmbrunn. 
.Malende,  Dr.,  Könifilieher  Seininardirektor,  Leob.sehütz. 

Maliske,  Pfarrer,  .Altwalde,  Kreis  Neis.se,  Po.st  Neuwalde. 

Mandel.  Pfarrer,  Löbnitz  bei  Bitterfeld. 

Mätyiis.  Ritter  von,  Karl,  Dr.,  Limanowa  ((iallzien). 

Maurach,  Polizeikommissar,  Danzifr. 

May,  Th.,  Haui)tlehrer,  Bladen.  Kreis  Leob.sehütz. 

Maydorn,  Dr.  phil.,  Direktor  der  höheren  Töchterschule,  Thoru. 
Mayn,  Oeoif!:,  Dr.,  Oherlehrer,  .Ascherslebeii,  Lindenstrasse  17  b. 
Meier,  .Albert,  Oberlehrer,  (.Jleiwitz.  Obcrwallstrasse  40. 

.Meier,  .lohn,  Dr.,  rniversitiitsprofessor,  Basel  (.Schweiz). 

Mende,  Kurt,  .Amtsrichter,  Künifrshütte  O.-S. 

Metzner,  Franz,  Pfarradministrator,  .Auras. 

Aletzner,  K.,  Lehrer,  Friedebeifr  a.  ()ueis. 

.Meyer,  Oertrud,  Fninlein,  Lehrerin,  (irünberfj. 

Alichajski,  J.,  Verbands.sekr.,  Ob.-Heiduk  b.  Schwientochlowitz  O.-S. 
Michalsky,  Dr.,  Oberlehrer,  Neisse,  .Marienstrasse  2. 

Aloch,  Oberlehrer,  Leohschütz. 

.Moecke,  Ihofessor,  Olatz. 

Mopfk,  Euf!:en,  Dr.,  Universitätsprofes.sor,  Iiei]>zif',  Fürberf>:a.s.se  Lö. 
.Moldenhawer,  Frau  Rentiere.  Warmbrunn. 

Mo.ser,  Pa.stor,  M’ohnhadi  i.  d.  Wetterau  (Südharz). 

Mo.sler,  Oherlehrer,  Strehlen  i.  Schl. 

Müller,  Deichhanptmann,  Bad  Langenau. 

Müller,  Pfarrvikar,  Wendstadt,  Post  .Schabenau. 


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II 


Müller,  Anton,  l)r.,  Professor,  Frankenstein  i.  Selil. 

Müller,  Paul,  Oberlehrer,  Myslowitz. 

Müller,  Valeska,  Hentiere,  Warinbrunn. 

Münzer,  Lehrer,  Kattowitz. 

Najiieralski,  Redakteur,  Reuthen  O.-S. 

V.  Ncefc  und  Ohischau,  Oherreprierungsrat,  Liepniitz,  Raupaehstr.  10, 11. 
Nenfwie:,  I)r.,  Professor.  Arehivar,  Warnihrunn. 

Nerlich,  Robert,  praktischer  Arzt.  Kuttlau,  Kreis  Olofrau. 
Neufiebauer,  Pfarrer,  Kültsehen  bei  Reichenbaeh  i.  Schl. 

Neuniaiin,  P.,  Bürprernieister,  Strehlen  i.  Sehl. 

Nisehkowsky,  Dr.,  Traeheuherp:  i.  Sehl. 

Kobel,  Max.  Kantor,  Landeek  i.  Schl. 

Xonnast.  Pfarrer,  Wölfelsdorf  bei  Habel.sehwerdt. 

Norden,  Dr.,  rniversität-sprof.,  (iross-Lichterlelde-West,  Karlstr.  20. 
Nowaek,  .Alfons,  Religionslehrer,  Neustadt  O.-S. 

Oehmann,  Peter,  Lehrer,  Bogutsehütz,  Kreis  Kattowitz. 

Oder,  .L,  Lehrer,  Koi)pitz,  Kreis  Grottkaii  O.-S. 

Oehlmann,  Stadtbaurat,  Liegnitz. 

Oels,  Pastor,  Würgsd(trf  i.  Sehl. 

Olhrich,  Lehrer,  Kattowitz. 

Opitz.  Kiiiil,  Dr.  |)hil.,  Clmrlottenburg,  Knobelsdorfstras.se  öl,  I. 
Pantke,  .A.,  Hauptlehrer,  Briesen  l)ei  Brieg. 

Parker,  James  & Co.,  Oxford,  27  Bnmd  Street,  England. 

Partseh,  .Joseph,  Dr.,  Geh.  Regierungsrat,  l.'niversitüts]»rofessor, 
Leipzig,  Parkstra.sse  11. 

Pa.sehke,  P.,  Dr..  Pfarrer,  Wahren  bei  Dyheriifurth. 

Passarge,  Dr.,  Profe.s.sor,  Wand.sbeek,  Löwenstra.s.se  88. 
Patsehüvsky,  llauptlehrer,  Dittersbach  bei  Liebau  i.  Sehl. 

Pauly,  (’.,  Fabrikbesitzer.  Brieg. 

Paut.seh,  Oswald,  Dr.  ithil.,  Oberlehrer,  Leobsehütz. 

Peiekert,  Kaufmann,  stellvertr.  Stadtverordnetenvorsteher,  Liegnitz. 
Peppel,  I.  Bürgermeister,  Brieg. 

Peters.  Ignaz,  Profes.sor,  Leitmeritz  in  Hfdunen. 

Petersdortt,  Dr.,  Königl.  Gymnasialdirektor,  Strehlen  i.  Sehl. 
Pfeill'er,  Lotte,  Frau  Direktor,  Gostyn  (Po.sen). 

Pfeifl'er,  Otto,  Dr.,  Steinau  a.  0. 

Philomathie  Glatz.  z.  H.  General  von  Sommerfeld. 

Philomatliie  0]»peln,  z.  H.  Oberlehrer  .fung. 

Philomathiseher  Verein,  Goldberg. 

Pietsch,  Lehrer,  Gleiwitz,  Bitterstrasse  1. 

Piet.seh,  P.,  Dr.,  Universitiitsprofc.ssor,  Berlin  W.  30,  Motzstr.  12. 
Pineus.  Dr.,  Referendar,  Grünberg  i.  Sehl. 

Pistoriiis,  StJidtbaiirat,  Brieg. 

Plätsehke,  Emma,  Fräulein.  Strehlen  i.  Sehl.,  Promenadenstrasse  7. 
Pradel,  F.,  Dr.  ]ihil.,  Oberlehrer,  Glogau.  .Mohrenstra.s.se  22a. 
Prohasel,  l*rofessor,  Königsliütte  O.-S. 

Prus.  Konstantin,  Redakteur,  Beuthen  O.-S. 


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12 


Itaiipricli,  Max,  I)r.,  K'n'is.scliiilinsiifktor,  Taniuwitz  O.-S. 
Rauschcl,  Lclinr,  Sdiopi)initz  O.-S. 

Rept‘11,  Dr.,  Professor,  Hirseliberp  i.  Sehl. 

Reiche,  Rechtsanwalt.  Sprottau. 

Retzlaw,  Bank  Vorsteher,  Benthen  O.-S. 

Reuter,  (ieheiiner  Baurat,  Strehlen  i.  Schl. 

Riha,  II.  Bürgermeister,  Itrieg  i.  Schl. 

Richter,  Pastor,  Boyadel,  Kreis  Orünlierg. 

Riesengebirgsvercin,HauptvorstandHii-schl)erg,z.H.l)r.ined. Schubert. 

— Ortsgiu])pe  Berlin. 

— Ort.sgru])pe  Bunzlau,  z.  H.  Seininarlehrer  Weitz,  Feldstr.  7. 

— Ort.sgruppe  Glogan.  z.  H.  d.  Vorsitzenden  Eichner. 

— ( )rtsgrui)i>e  Görlitz. 

— Ort.sgruppe  Greiftenberg,  z.  11,  Kaufmann  Hörder. 

— Ort.sgruppe  Herm.sdorf  (städt.),  z H.  Lehrer  Wobus,  Hartau 

(.stiidt.),  Post  .Michelsdorf. 

— Ortsgruppe  Leipzig. 

— ftrtsgruppe  Liebau,  z.  H.  Bürgermeister  Springer. 

— t trtsgrnppe  Petersdorf. 

— Ortsgrupj)e  Sagan,  z.  H.  Hermann  Kirsch. 

— Orfsgruppe  Schönau  a.  Katzb.,  z.  H.  Pastor  Franz. 

— Ortsgruppe  Stettin,  z.  H.  Professor  l’lich,  Bisinankstr.  17. 

— ( IrtsgTuppe  Striegau. 

— Ortsgruppe  Wohlau.  z.  H.  Schriftführer  Kettner. 

— Osterreiclii.scher,  .lohannisbad  (Böhmen). 

Kitter,  Dr.,  Oberlehrer,  Oels  i.  Schl. 

Kittner,  Lehrer,  Wersingawe,  Kreis  Wohlau. 

Ritzmann,  Apothekenbesitzer,  Ko.stenblut  i.  Schl. 

Rohn,  Pfarrer,  Frömsdorf,  Kreis  Münsterberg. 

Ro.se,  Joseph,  Pfarrer,  Reichenau,  Kreis  Glutz. 

Ro.steck,  Dr.  med.,  Ratibor. 

Rothe,  Kurt,  Rechtsanwalt,  Chemnitz. 

Rüther,  E.,  Oberamtmann,  Saegen.  Kreis  Strehlen  i.  Schl. 

Rust.  Hans,  .Majoratsbesitzer  und  Referendar,  Ximi>tsch. 

Sarturi,  P.,  Professor,  Dortmund,  .\rdeystra.sse  211. 

Schermann,  Luc.,  Dr.,  Universitatsprofe.ssor,  München,  Gi.selastr.  K. 
Schilling,  Franz,  Oberlehrer,  Leohschütz. 

Schlauch,  G.,  Dr.  med.,  Dohna  (Sach.sen). 

Schlesierverein,  Bromberg,  z.  H.  W.  Georgi,  Hotlinann.stra.s.se  5. 
Schmidt,  Gymnasiallehrer,  Kattowitz.  Roonstra.sse  1). 

Schneider,  .L,  Dr.,  Oberlehrer,  Neustadt  O.-S. 

Schnürer,  Gustav,  Dr.,  üniversitätsprofessor,  Freiburg  i.  d.  Schweiz. 
Schötfer,  Stadtrat,  Liegnitz. 

Schön feld,  Oberlelirer,  Strehlen  i.  Schl. 

Schönfeld,  Lehrer,  Warmbrunn. 

Scholz,  Kantor,  Griina  ((Jberlausitz). 

Scholz,  (Iskar,  Rentner,  Herzog.swaldau  bei  Jauer. 


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13 


Scliubert.  E.  M.,  Lelnvr,  Lietriiitz,  l’iastpiistrasse  20b. 
SdiullehiTr-Stiniiiar,  Kimigl.  evangelisclies,  Kiviizburg  O.-S. 
IScliulte,  Alltüll,  Staat.'^anwalt,  Görlitz. 

Schultze,  Altred,  l)r.,  Uiiiversiüitsprof.,  Freiburg  i.  B.,  Schwiram- 
badstra.sae  30. 

Schulz,  H.,  l)r.  idiil.,  Bibliothekar,  Leipzig,  Chri-stiaustrasse  3. 
Schulz,  Justizrat,  Strehlen  i.  Sehl. 

Sehwantag,  C.,  cand.  pliil.,  Sprottau. 

Sehwai-z.  Pastor,  Kreisewitz  bei  Alzenau,  Bez.  Breslau. 

Seidel,  Heinrich,  Dr.,  Gyninasialdirektor,  Gross-Strehlitz. 

Seidel,  Dr.,  Uberlehrer,  Boppard  a.  Bhein. 

Seidel,  Pfarrer,  Sehonau  a.  d.  Katzbaeh. 

Seniler,  Lelirer,  Strehlen  i.  Schl. 

Seminer,  Helene,  Frau,  Lereheiiborn  bei  Gros.s-Krichen,  Kr.  Lüben. 
Siebelt,  Rentniei.ster,  Herinsdorf  u.  K. 

Siegert,  Apothekenbesitzer,  Keichen.stein. 

Sienawski,  Professor,  Glatz. 

Skowronski,  Dr.  phil.,  Beiitlien  O.-S. 

Skuwronski.  Pfarrer,  Ellguth  bei  Ziilz. 

Skowronski,  Albert.  Buchhalter,  Posen,  Kopernikusstras.se  3. 
Sobczik,  Dr.,  Schuldirigent.  Beuthen  O.-S. 

Sökeland,  Hermann,  Fabrikant,  Berlin  NW.  21,  Stroinstra.s.se  50. 
Sollinann.  Dr.,  Pi'ofessor,  Medizinalrat,  Leipzig,  (ioethestras.se  9. 
Sprotte,  Gyinnasialdirektor,  Oppeln. 

Stadtbibliotliek,  Bremen. 

Stä.sche.  Dr.,  Profes.sor,  Tarnowitz. 

Stier,  Georg,  Pastor,  Lorenzdorf  bei  Oberrosen,  Kreis  Strehlen. 
Stimm,  Franz,  Hotelier,  Wannbrunn. 

Sturm,  L.,  Königlicher  Seminarlehrer,  .Mün.sterberg  i.  Schl. 

Süsse,  Oberlehrer,  Gleiwitz. 

Swowoda.  Fritz,  Lehrer,  Berlin. 

Sypli,  Steuerinspektor,  Strehlen  i.  Schl. 

Szatlik,  J.,  Bankdirektor,  Beuthen  O.-S. 

Thielseher,  Hemiann,  Rentier,  Blasewitz  bei  Dresden,  Johann.str.  2. 
Tippei,  Kommissionsrat.  Chefredakteur,  Schweidnitz. 

Tijipel,  Frau  Kommi.ssionsrat,  Schweidnitz. 

Triigi.sch.  Aint.sgerichts.sekretär,  Pat.sclikaii. 

Troska,  Ferd.,  Dr.  phil..  Schöneberg  bei  Berlin,  Brünhildenstr.  15. 
IJniversitiltsbibliüthek,  Königliche,  Bonn. 

Universitätsbibliothek,  Gro.ssherzogliche,  Heidelberg. 
Universitätsbibliothek,  Königliche.  ^larbiirg  i.  H. 

Universitäts-  und  Landesbibliothek,  Kaiserliche,  Stra.ssburg  i.  Eis. 
von  Unwerth,  Wolf,  Dr.  [ihil.,  Xiesky  (.).-L.,  Görlitzerstra.s.se  20. 
.Urban,  Oberlehrer,  Glatz. 

Verein  für  Volkskunde,  Berlin,  z.  H.  ^l.  Roediger,  Berlin  W.  02, 
Bayreutlier.stra,s.se  43. 

Verein  f.  d.  Geschichte  d.  Deutschen  in  Böhmen.  Prag  I,  Lilienga.s.se  7. 


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14 


Verein,  Wis.seiischaftliclier,  Strienrau. 

Vieweger,  Kafasterküiitrolleur,  Kös.sel,  Refr.-Bez.  Könijrsberfr. 

Vofrt,  \V.  H.,  Dr.  pliil.,  Oberlelirer,  Moy.s  bei  Görlitz.  Luisenstr.  24. 
\'ülknier,  Dr.,  Scliulrat,  Könisl.  Seiniiiardirektor,  Habelscliwcrdt. 
Vulkiiier,  A.,  Oberlelirer,  Zaborze  O.-S. 

Waeber,  R.,  Köniel.  Scliulrat  und  Seniinardirektor,  Brieg  i.  S<  bl. 
Wagner,  A.,  Dr.,  Küniglicber  Seniinardirektor,  Ro.'ienberg  O.-S. 
Wahner,  Joseph,  Dr.,  Oberlehrer,  Neisse. 

Waldstein,  Dr.,  Rechtsanwalt,  Oels  i.  Schl. 

Warinbrunii,  Oberbürgermeister,  Xeisse. 

Warnat.sch,  Dr.,  Professor,  Glogau. 

Watzhnv,  Oberlehrer,  Beiithen  O.-S. 

Websky,  Ernst,  Fabrikbesitzer,  Tannhau.sen  i.  Schl. 

Weidlich,  Theodor,  Lehrer,  Rothsürbeii,  Kreis  Breslau. 

Weidner,  Pfarrer,  Herzogswaldau  bei  Sagau. 

Welzel,  Uhrmacher,  Wartha. 

Weiizlick,  Erzpriester,  Krascheii  bei  Giihraii  i.  Schl. 

Wiese,  Paul,  prakti.scher  Arzt,  Gro.ss-Baiidiss. 

Wilde,  Dr.  iiied.,  Stabsarzt,  Peterswaldaii. 

Williier,  Dr.  phil.,  Stolberg  bei  Aachen,  Zweifaller  Stra.sse  öil. 
Wilpert,  Dr.,  Oberlehrer.  Opjieln. 

Winkler,  E.,  Prokurist.  Eislelien,  Lindenstra.sse  30 
Wojcicch,  Pfarrer,  Löwen  i.  Schl. 

Wolf,  Alfred,  Aiiitsgericht.srat,  Buiizlau. 

Wo.ssidlo,  R.,  Oberlehrer,  Waren  i.  .Mecklenburg. 

Wotke,  J.,  Oberlehrer,  Zabrze,  Kroiiprinzeiistras.se  7. 

Wrede,  A.,  Dr.,  Oberlehrer,  ( olii  a.  Rh.,  Hansaring  40. 

Zdralek,  Dr.,  Professor,  Leob.sdiütz. 

Ziiumennaiiii,  A.,  Dr.,  Kaiserl.  Legation.srat,  Berlin  W.,  Kurfürsteii- 
strassc  äO. 

Zivier,  E.,  Dr.,  Fürstlicher  Archivar,  Ple.ss  O.-S. 

Zobtener  Gebirgsverein,  z.  H.  C.  A.  lauiger,  Zobten  a.  Berge. 
Ziiniwinkel.  Professor,  Liegnitz,  Ritterstrasse  10. 

Zwirzina,  Pfarrer,  Lohaii,  Kreis  Cosel  O.-S. 

Zymiial,  Dr.,  Sanitätsrat,  Xeisse. 


HtiPlHlnickerei  Mareizk«  Martm  Tr#‘»'n»i5r  {.H-'hl. 


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MITTEILÜN6M 

DER 

SCHLESISCHEN  GESELLSCHAFT 
FÜR  VOLKSKUNDE 

lieraiisgesi'l'P'i 

von 

THEODOR  SIEBS 

Baod  XI 

Jahrgang  1009 


BRESLAU 

Selbstverlag  der  Gesellschaft 

(für  den  Buchhandekzu  beziehen  durch  Max  Woywod's  Verlag,  Breslau  VIII) 

19011 


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Alle  Rechte  Vorbehalten. 


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Inhalt. 

AnfsHtKe  und  Mittr^Iliin^cn. 

Seite 

Meyer,  Frivatdorent  I)r.  phil.  Arnold  0.,  Kiniges  über  den  italienischen 

Volkscharakter l 

Neckel,  l’rivatdozent  und  Oberlehrer  Dr.  phil.  O.,  Die  altisländische  Saga  38 

Kahle,  rniv.-I*rof.  I)r.  phil.  B.,  Flandern .Ö3 

Olbrich,  Oberlehrer  I)r.  phil.  K.,  t.iteratur  und  Volkskunde  . ...  54 

Pradel,  Oberlehrer  I)r.  phil.  F„  Kin  altes  Spiel  ...  ....  56 

K lapper,  Oberlehrer  Hr.  phil.  .1.,  Die  schlesischen  Ocschichten  von  den 

schädigenden  Toten 58 

Drechsler,  Gymnasialdirektor  Dr.  phil.  P.,  Märchen  und  Sagen  aus  Ober- 
schlesien   94 

— Scherz-  und  Ernsthaftes  über  besondere  Zusammensetzungen  mit 

aus-  und  be-  im  Schlesischen  99 

Olbrich,  Oberlehrer  Dr.  phil.  K.,  Was  die  Grossmutter  singt  ...  103 

— Ostergiessen  auf  Schloss  Lubowitz  1804  110 

Meissner,  l'niv.-Prof.  Dr.  phil,  Bruno,  Mondfinsternisse  im  Volksglauben 

der  antiken  und  modernen  Babylonier  . ...  113 

Klapper,  Oberlehrer  Dr.  phil.  .1.,  Eine  Weltchronik  des  ausgehenden 

Mittelalters 119 

Bowak,  Oherlehrer  Dr.  phil.  Alfr.,  Drei  Dramen  mit  Verwendung  der 

schlesischen  Mundart  aus  dem  Jahre  1618 . . 141 

Kühnan,  Oberlehrer  Prof.  Dr.  phil.  R.,  Schlesische  Flurumzügc,  besonders 

das  Saatenreiten  173 

Patschovsky,  Hanptlehrer  W.,  Volkstümliche  Zimmer-,  Garten-,  Feld- 

iind  Waldpflanzen  im  Biebaner  Tale  ....  186 

llellmieh,  Kgl  Bandmesser  M , Volkstracht  in  der  Gegend  von  Boyadel  203 
Drechsler,  tiymnasialdirektor  Dr.  phil.  P.,  Kin  alter  Vertragshrauch  . . 208 

(iebhardt,  Behrer,  Zimmermannssprnch  210 

Drechsler,  Gymnasialdircktor  Dr.  phil.  P.,  Oberschlesisches  vom  Wasser- 
mann   212 

Wntke,  .Archivrat  Dr.  K.,  Schlafen  in  der  Bedeutung  von  VerrUcktsein  215 

Bcsppofhuncpu. 

Schlesiens  volkstümliche  Überlieferungen  Band  III  Teil  1: 

Kühnau,  Richard,  Schlesische  Sagen  (Dr.  0.) 215 

de  Wyl,  Dr.  Karl,  Rübezahl-Forschungen  (-p-) 216 


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IV 


Seile 

Jilrgensen,  Iir.  Wilhelm,  Martin-slieder  (-p-) 217 

Drechsler,  lir.  Faul,  fiergbau  und  Hergmannsleben  in  Schlesien  (Siebs)  218 

Böckel,  Otto,  Psychologie  der  Volksdichtung  (Dr.  K.  ü.) 218 

Schwerin,  H.  H.  von,  Helgoland  (Siebs)  . 221 

Siebs,  Dr.  phil.  Theodor,  Helgoland  und  seine  Sprache  (Dr.  K.)  ....  221 

GeseliSft liehe  Mitteiliing;en. 

Sitzungsberichte  111,  22H 

Eingänge . 224 

Nachrichten  und  .Anzeigen  ....  112,  224 


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X 


1 


Einiges  über  den  italienischen  Volkscharakter. ') 

V’on  Dr.  Arnold  Oskar  Meyer. 

In  (lor  Bpurtcilung:  des  italienisrlien  Volkscliarakters  bestellt 
ein  überraschender  Widerspruch  zwischen  dein,  was  in  einer  Reihe 
klassischer  Werke  unserer  Literatur  über  Italien  und  die  Italiener 
niedcrgelegt  ist,  und  dem , was  man  jeden  Tag  von  den  meisten 
unserer  nach  Italien  reisenden  Landsleute  zu  hören  bekommt.  Das 
Volk,  dessen  Charakterbild  Goethe,  Gregorovius,  Viktor  Hehn  n.  a. 
mit  so  viel  Liebe  studiert  und  zu  zeichnen  versucht  haben,  scheint 
ein  völlig  anderes  Geschlecht  zu  sein,  als  das,  das  uns  aus  den 
meisten  Schilderungen  und  Urteilen  des  normalen  deutschen  Italien- 
fahrers entgegentritt.  Was  in  der  Literatur  als  ein  adlig  Ge- 
schlecht, als  Edelrasse  erscheint,  das  wird  in  den  Erzählungen 
des  Durchschnittsreisenden  zu  einem  Gaunervolk  und  Bettler- 
gesindel. Gewi.ss  urteilen  nicht  alle  Reisenden  gleich  hart,  be- 
sondei-s  werden  Hötlichkeit  und  natürliche  Liebenswürdigkeit  den 
Italienern  gern  zugestanden;  aber  darüber  kann  wohl  kein  Zweifel 
bestehen,  dass  Unredlichkeit,  Unreinlichkeit  und  zudringliche 
Bettelei  die  Hauptbestandteile  bilden,  aus  denen  sich  die  volks- 
tümliche Vor-stellung  des  Deutschen  vom  Italiener  zusammensetzt. 
Während  der  Reisende  .sein  Urteil  über  die  italienische  Knust 
bereitwillig  am  Urteil  von  Autoritäten  liildet,  und  lieber  pflicht- 
schuldige Begeisterung  zeigt  als  ein  geringschätziges  Urteil  wagt, 
traut  er  in  der  Beurteilung  des  italienischen  Volkes  ohne  Zögern 
dem  eigenen  Blick  und  scheut  sich  nicht,  seiner  Geringschätzung 
oder  Verachtung  dieses  Volkes  offen  Ausdruck  zu  geben.  Nicht 

alle  gehen  so  weit  wie  eine  Berliner  Dame,  die  ich  vor  einer 

italienischen  Tischgesellschaft  auf  italienisch  sagen  hörte:  „Italien 
wäre  ein  wunderschönes  Land,  wenn  es  einmal  24  Stunden  unter 

Was.ser  ge.setzt  werden  könnte,  damit  alle  Italiener  ersöffen!“  — 

aber  auch  denen,  die  aus  Achtung  vor  Sitte  und  Gastrecht  ihre 

')  Vortrag,  gohulten  in  der  .Sitzung  vom  11.  Dezember  1908. 

UllU'lliini'cii  <1.  scble».  U«s.  r.  Vkilr.  Iloli  XXI.  1 


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2 


Gefühle  der  Altneifrun"'  beherrsclieii , iiHept.  das  italienisclie  Volk 
doch  eine  mehr  oder  weniger  unangenehme  Zugabe  zu  den  Ge- 
nüssen der  Italienreise  zu  sein. 

Erklärt  sich  dieser  Widerspruch  daraus,  dass  in  der  Literatur 
ein  poetisclies  Idealbild  des  italieni.schen  Volkes  lebt,  während  das 
alltägliche,  volkstümliche  Urteil  die  Wirklichkeit  zeichnet?  Oder 
so,  dass  der  flüchtige  Reisende  nur  die  Schattenseiten  des 
italienischen  Volksctuirakters  zu  sehen  bekommt,  während  die 
guten  Eigenschaften  des  Volkes  sich  erst  dem  länger  Weilenden 
oder  häufig  Wiederkehrenden  otfenbaren?  — Ich  zögere  keinen 
Augenblick,  die  Alternative  im  Sinne  der  zweiten  Frage  zu  be- 
antworten. Die  überwiegende  Jlelirheit  der  Tadler  ist  unter  den 
flüchtigen  Reisenden  zu  finden;  die  überwiegende  Mehrheit  der 
Lobredner  unter  den  Fremden,  die  länger  im  Lande  gewesen  sind. 
Ich  habe  an  mir  .selber  die  Erfahrung  gemacht,  dass  ich,  der  ich 
das  weitverbreitete  Vorurteil  gegen  die  Italiener  teilte,  in  all- 
mählicher Wandlung  immer  mehr  und  mehr  von  meiner  anfäng- 
lichen Abneigung  liess,  und  bei  vielen  anderen  Fremden,  die  in 
Italien  leben,  besonders  Deut.schen  und  Engländern,  habe  ich  die 
gleiche  Beobachtung  gemacht. 

Der  zu  kurzem  Besuch  kommende  Fremde  bildet  sein  Urteil 
über  die  Italiener  an  anderem  Material  als  der,  dem  es  beschieden 
ist,  länger  im  Lande  zu  bleiben.  Venedig — Florenz — Rom — Neapel 
ist  die  gegebene  grosse  Heerstrasse  für  den  Fremdenverkehr;  die 
Fülle  des  Sehenswerten  lässt  den  meisten  keine  Zeit,  einmal  auf 
Seitenpläden  zu  wandern.  Der  Reisende  lernt  also  eine  Be- 
völkerung kennen,  für  die  der  Fremdenverkehr  alte  Tradition  i.st 
und  einen  annähernd  fe.sten  Bestandteil  ihrer  Einnahmen  bildet. 
Wir  sehen  aber  an  der  Bevölkerung  der  Schweiz,  z.  T.  auch  der 
Rheinlande  und  anderer  vielbesuchter  Gegenden,  dass  ein  starker 
Fremdenverkehr  .schädlich  auf  den  Volkseharakter  einwirkt:  es 
bilden  .sich  doppelte  Preise  heraus  und  eine  doi>pelte  Moral,  .solche 
für  Eiidieimi.sche  und  solche  für  Fremde.  Die  Bevölkerung  von 
Venedig,  Florenz  usw.  kann  daher  für  den  Beurteiler  des 
italieni.schen  Volkscharakters  nicht  als  einwandfreies  Material 
gelten.  Nun  kommt  hinzu,  dass  der  flüchtige  Rei.scnde  von  dieser 
Bevölkerung  in  der  Regel  nur  die  Bettler,  Kutscher,  Kellner  und 
Portiers  kennen  lernt,  allenfalls  noch  Eisenbahn-  und  Po.stbeamte. 
Man  braucht  von  Kut.schern  und  Kellnern  keineswegs  schlecht  zu 


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3 


(lenken  — als  Vertreter  der  Nation  wird  man  sie  schwerlich 
freiten  lassen.  Stammen  sie  nun  obendrein  aus  Städten,  durch  die 
der  stärkste  Fremdenverkehr  Hütet,  so  können  sie  nicht  einmal 
als  Vertreter  ihres  eigenen  Standes  gelten.  Der  Durchreisende 
kommt  also  in  Berührung  mit  einem  Menseheninaterial,  das  ihn  in 
keiner  Weise  zur  Verallgemeinerung  seiner  Beobachtungeir  be- 
rechtigt. Aus  der  Neigung  zu  rascher  Verallgemeinerung  aber  er- 
klären sich  nun  einmal  die  meisten  Trugschlüsse,  und  aus  dieser 
selben  t^iielle,  nicht  aus  dem  Gegensatz  von  Poesie  uiuPProsa, 
möchte  ich  auch  den  vorhin  berührten  Widerspruch  zwischen  den 
literari.schen  und  den  alltäglichen  Urteilen  über  den  italienischen 
Volkscharakter  erklären. 

Wenn  ich  nun  heute  Abend  versuchen  will,  einiges  über  den 
italienischen  Volkscharakter  zu  .sagen,  so  möchte  ich  vorau.s- 
.schicken,  was  ich  schon  bemerkte,  als  ich  die  freundliche  Anf- 
fordernng  zu  diesem  Vorträge  erhielt:  da.ss  ich  für  eine  wi.ssen- 
.schaftliche  Behandlung  des  Gegenstandes  nicht  ausgerüstet  bin, 
sondern  Ihnen  nur  von  den  rein  pei’sönlichen  Jlindrücken  si)rechen 
kann,  die  ich  im  Laufe  eines  mehrjährigen  Aufenthaltes  von  den 
Italienern  erhalten  habe.  Eine  wis.senschaftliche  Erörterung  der 
Frage  mü.sste  vor  allem  .scheiden  zwi.schen  Italienern  und  Italienern ; 
sie  mils.ste  beginnen  mit  einer  Untersuchung  der  Ra.ssenge.schichte 
des  Volkes.  Die  Nachkommen  der  lüngobardi.schen  Siedlungen  in 
Norditalien  und  weiten  Gebieten  Mittelitaliens  haben  mit  der  stark 
orientalisch  versetzten  Bevölkerung  Siziliens  und  süditali.scher 
Laud.schaften  so  wenig,  vielleicht  noch  weniger,  gemein,  als  der 
Friese  mit  dem  Elsässer.  Die  wissen.schaftliche  Forschung  würde 
also  damit  an  fangen,  den  (fesamtbegritl’  „Italienischer  Volks- 
charakter“  in  seine  Bestandteile  nach  Ra.sseu  zu  zerlegen,  und 
würde  vielleicht  damit  enden,  dem  Gesamtbegrift  seine  Da.seins- 
berechtigung  überhaupt  abzusprechen.  Sie  würde  sich  weiterhin 
zu  befa.ssen  haben  mit  dem  Problem,  das  Treit.schke  einmal  nennt 
„Jenen  rätselhaften  Gegen.satz  von  Süd  und  Nord,  der  unter  den 
mannigfachsten  Formen  überall  gilt,  in  Nordamerika  wie  in 
Deutschland  und  Italien  und  in  den  Niederlanden“  *). 

Auf  ein  derartiges  tieferes  Eindringen  in  den  Stoff  mu.ss  ich 


')  Treitsclike,  llio  Republik  der  vereinigten  Niederlande, 
u.  polit.  Aufsätze  11  (j.  Aull,  18«6j  42U. 


Historische 

1» 


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sclion  deshalb  verzichten,  weil  ich  nur  iin  Herzen  des  Landes 
wirklich  heimisch  geworden  bin,  in  der  Keimzelle  des  römischen 
Weltreichs,  wenn  ich  so  sagen  darf  — iin  Lande  der  alten 
Latiner,  Volsker,  Heriiiker,  Aequer,  Sabiner  und  Etrusker.  Von 
nahezu  fünf  Jahren  italienischen  Aufenthaltes  kommen  nur  etwas 
über  vier  Monate  auf  andere  Teile  des  italienischen  Festlandes, 
von  Sizilien  kann  ich  überhaupt  nicht  reden. 

Statt  den  Begriff  des  Volkscharakters  zu  zersetzen,  will  ich 
mit  der  Frage  beginnen:  gibt  es  etwas,  was  allen,  auch  den 
einander  fernst  stehenden,  Italienern  gemeinsam  ist,  und  was  sie 
gleichzeitig  trennt  von  den  nordi.sclien  Völkern,  sagen  wir,  von 
uns  Deutschen?  — Ganz  gewiss  gibt  es  so  etwas!  Worin  aber 
liegt  es?  — Die  populäre  Vorstellung  würde  dieses  Etwas  viel- 
leicht in  die  Schlagworte  fassen  „Deutsche  Treue  — welsche 
Tücke!“  Mich  mit  einer  solchen  Anschauung  auseinanderzusetzen, 
habe  ich  in  dieser  Versammlung  nicht  nötig.  Wohl  aber  möchte 
ich  kurz  eingehen  auf  eine  andere  Vorstellung,  die  heute  weit 
verbreitet  ist:  die  Vorstellung  von  einer  unbedingten  Überlegen- 
heit der  germanischen  Hasse  über  die  romanische.  Das  heutige 
Deutschland  ist  dem  heutigen  Italien  — um  nur  von  diesen  beiden 
Völkern  zu  sprechen  — überlegen  an  politischer  Macht,  an  mili- 
tärischer Zucht,  an  Reichtum,  an  Schulbildung  usw.,  vor  allem  an 
Wirksamkeit  und  Leistungskraft  seiner  staatlichen  Organe.  Das 
hieraus  stammende,  gewiss  berechtigte  Gefühl  der  Überlegenheit 
lässt  sich  aber  an  dem  allen  nicht  genügen,  sondern  wird  zur 
Geringscliätzung  der  gesamten  modernen  Kultur  Italiens  und 
stempelt  das  Volk  zu  einem  Volk  vergangener  Grösse  und  gegen- 
wärtiger Dekadenz.  Liegt  etwa  hierin  das,  was  den  Italienern 
gemeinsam  i.st  und  sie  von  uns  trennt?  Und  i.st  unsere  Überlegen- 
heit eine  Überlegenheit  der  Rasse? 

Wer  auf  die  Geschichte  der  germanischen  und  romanischen 
Völker  im  letzten  Jahrtau.send  zurückblickt,  wird  Mühe  haben,  das 
Dogma  von  der  f'berlegenheit  der  einen  Ra.sse  über  die  andere 
histori.sch  zu  erweisen;  er  wird  darin  nicht  mehr  erkennen,  als 
den  Ausdruck  des  Glaubens  der  Völker  an  ihren  weltgeschicht- 
lichen Beruf.  Was  uns  im  letzten  Grunde  trennt  von  den 
Italienern  und  uns  in  vielen  Punkten  überlegen  macht,  das  ist 
nicht  so  sehr  die  Verschiedenheit  der  Ras.se,  als  vielmehr  das 
verschiedene  Alter  unserer  und  ihrer  Kultur.  Ra.ssen  altern  so 


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5 


gut  wie  Individuen;  in  ihrem  Alter  liegt  der  Hauptschliissel  zum 
Charakter  der  italienischen  Rasse.  Der  Italiener  fühlt  sich  durch- 
aus, und  mit  Stolz,  als  Solin  eines  alten  Kultunolkes,  und  was 
ihm  sein  tiefstes  Gepräge  aufdrückt,  was  in  seinen  Vorzügen  wie 
in  seinen  Fehlern  gleichennassen  hervortritt,  das  scheint  mir  aus 
der  alten  Kultur  dieses  Volkes  leichter  zu  erklären,  als  aus  irgend 
etwas  anderem.  Wenn  ich  ein  einzelnes  Wort  nennen  soll,  eine 
Charaktereigenschaft,  in  der  das  Alter  des  Volkes  be.sonders  her- 
vortritt, so  könnte  ich  kein  deutsches  Wort  nennen,  sondern  nur 
ein  Wort,  das  der  Italiener  in  unzähligen  Fällen,  unter  den 
mannigfachsten  Umständen  und  in  den  verschiedensten  Abstufungen 
der  Bedeutung  braucht  — ich  meine  das  Wort  paziema. 

.Ahbia  pazienza!“  kann  heissen:  „Entschuldigen  Sic  freund- 
lichst!“  „Abbia  pazienza!“  kann  heis.sen:  „Füg  dich  ins  Unver- 
meidliche!“ „Pazienza!“  trö.stet  der  Reisende,  der  stundenlang  auf 
den  verspäteten  Zug  wartet,  und  das.selbe  Wort  „Pazienza!“  ruft 
sich  der  Men.sch  zu,  dem  der  Tod  sein  Liebstes  genommen,  dem 
das  Leben  alle  Hotfnung  zerstört  hat.  „Pazienza!“  sagte  einst 
Kardinal  Caratfa,  der  Xepot  Papst  Pauls  IV.,  als  ihm  sein  Todes- 
urteil verkündet  wurde  ‘).  Pazienza  ist  ebenso  die  Nachsicht 
gegenüber  einem  kleinen  Versehen  wie  die  Gleichgültigkeit  gegen 
Ungehöriges,  ist  ebenso  die  Geduld  im  Warten  wie  der  Gleichmut 
im  Unglück,  die  Resignation  im  tiefsten  Schmerz  und  der  Duldcr- 
inut  gegenüber  dem  Unabänderlichen.  Kurz:  pazienza  im  guten 
wie  im  schlechten  Sinne  ist  eine  Alterserscheinung  im  Leben 
eines  Volkes,  ein  passiver  Zug,  ein  Sichgehenlassen  und  Ver- 
zichten. Es  ist  kein  Zufall,  dass  die  Italiener  gerade  dieses 
Wort  so  oft  im  Munde  führen  und  ihm  so  viele  Bedeutungen  ge- 
geben haben;  in  der  pazienza  liegt  die  Schwäche  und  die  Stärke 
der  Italiener  zugleich. 

Aus  der  pazienza  stammt  die  Geringachtung  des  Wertes  der 
Zeit  — das  Wort  „time  is  money“  hätte  kein  Italiener  erfunden!  — 
stammt  die  Unjiünktlichkeit,  die  Neigung  zum  müssigen  und  zweck- 
losen Herumschlendern  und  Herumstehen,  das  für  die  öffentlichen 
Plätze  der  italienischen  Städte  so  charakteristisch  ist,  aus  der 
pazienza  das  gleichgültige  Achselzucken  gegenüber  offenbaren  und 

')  Ranke,  Oie  rüinisclicn  Päpste  in  den  letzten  vier  Jahrh.  I (10.  Aufl.) 
209:  , jenes  schmerzliche  Wort,  das  ni,an  in  Italien  in  verzweifelten  Fällen  hört“. 


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lieilbaren  Misstiimlcn  dos  öffontlirlicn  Leboiis.  aus  dor  pazieiiza 
das  fatalistische  Häiide-iii-den-Schoss-legon  nach  einem  grossen 
Un}2:lück.  Als  iin  April  1006  der  grosse  Ausbruch  des  Vesuvs  er- 
folgte und  etwa  gleichzeitig  San  Francisco  durch  jenes  furchtbare 
Erdbeben  zerstört  wurde  — wie  ganz  anders  war  die  Haltung  der 
vom  rnglück  betroffenen  Bevölkerung  in  Amerika  und  am  fJolf 
von  Neapel!  In  Amerika  fieberhafte  Tätigkeit,  Anspannung  aller 
Kräfte  und  Konzentiierung  auf  den  einen  (iedanken  der  Rettung 
und  Wiederherstellung.  Am  Vesuv  — ]iazienza!  Ein  apathisches, 
wie  gebrochenes,  widerstandsloses  Volk,  das  den  Zorn  (Jettes  hin- 
nahm und  ihn  nur  durch  Proze.ssioneti  mit  heiligen  Bildern  zu 
besänftigen  suchte,  ein  Volk,  das  alle  Rettungsarbeiten  dem  zu 
Hilfe  geschickten  Militär  ül)erliess  und  oft  geradezu  gezwungen 
werden  mu.sste,  selber  mit  Hand  anzulegen  bei  der  Bergung  seiner 
eigenen  Habseligkeiten '). 

Aus  der  pazienza  stammen  aber  auch  gute,  stammen  die, 
liebenswürdig.sten  Eigenschaften  des  italienischen  Volkscharakters. 
Geduld  und  Nachsicht  sind  wichtige,  vielleicht  die  wichtigsten 
Bestandteile  wahrer  Höflichkeit.  Höflichkeit  in  diesem  Sinne 
aber,  eine  Höflichkeit,  die  mehr  ist  als  Beherrschung  der  gesell- 
schaftlichen Formen,  als  äus.sere  Wohlerzogenheit,  ist  den  Italienern 
in  hervorragendem  Jlasse  eigen.  Sie  stehen  hinter  den  nordischen 
Völkern  vielleicht  zurück  an  gcsell.schaftlicher  Korrektheit,  sie 
legen  auch  wenig  Wert  auf  die  feinen  Unterscheidungen,  die  be- 
sonders die  angelsächsische  Höflichkeit  ausgebildet  hat  für  die 
Beziehungen  der  Männer  untereinander  und  für  den  Verkehr  des 
männlichen  mit  dem  weiblichen  Geschlecht.  Die  nie  versagende 
Gefälligkeit  aber,  die  Freundlichkeit  und  Fürsorge  für  den 
Fremden,  das  bereitwillige  Eingehen  auch  auf  ab.sondcrliche 
W'ünsche  und  Gewohnheiten,  das  Zurückstellen  eigener  Interessen 
und  Rechte  zugunsten  des  Fremden,  kurz,  die  pazienza  mit  dem 
Fremden  macht  das  Reisen  in  Italien,  trotz  der  mangelhaften 
italienischen  Eisenbahnen,  vor  allem  aber  die  Fus.swanderung  zu 
einem  stets  erneuten  Genuss,  besonders  in  Gegenden,  die  vom 
Fremdenverkehr  weniger  berührt  werden.  Wenn  ich  auf  meinen 
vielen,  meist  einsamen,  Wanderungen  in  der  Campagna,  in  den 


')  I»ie  Berichte  (liier  das  jüngste  Erdbeben  von  Messina  bestätigen  diese 
lieubachtiing  aufs  neue. 


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7 


Sabiner-  oder  Volskerberffen  mit  einem  berittenen  Eingeborenen 
ZHsammenfraf  und  eine  Strecke  des  Weges  mit  ilim  gemeinsam 
liatte,  so  unterliess  der  Eingeborene  doch  nie,  mir  gleich  nach 
den  ersten  Worten  der  Bc'grüssung  sein  Reittier,  Pferd  oder  Maul- 
esel , anznbieten  — nicht  etwa  im  Gedanken  an  ein  Trinkgeld, 
sondern  aus  jener  Höflichkeit  heraus,  die  der  Italiener  für  jeder- 
mann hat,  besonders  aber  dem  Fremden  entgegenbringt. 

Die  beste  Probe  für  die  Höflichkeit  eines  Volkes,  vor  allem 
für  die  Verbreitung  der  Höfliclikeit  in  den  niederen  Schichten  des 
Volkes,  ist  wohl  das  Benelimen  der  Menge  beim  Auseinamlergehen 
einer  nach  Zehntausenden  zählenden  Volksversammlung.  Wer  von 
der  Pberlegenheit  deutsclier  oder  englischer  Kultur  gar  so  tief 
durchdrungen  ist,  der  sollte  einmal  in  Italien  eine  grosse  Volks- 
versammlung mitmachen,  sei  cs  im  gesclilossencn  Raume,  sei  es 
unter  freiem  Himmel,  oder  er  sollte  mit  80000  andern  ^lenschen 
zusammen  in  den  Hallen  der  Peterskirche  stehen.  Wenn  dann  der 
gefürchtete  Augenblick  des  Aiiscinandergehens  kommt,  so  wird  er 
eine  ungeahnte  ('berraschung  erleben  und  sich  vielleicht  sagen, 
dass  er  den  Begriff  „Kultur"  etwas  zu  eng  gefasst  liabe.  Da  ist 
kein  Schubsen  und  Knuffen  und  Stossen,  kein  Gebrauch  der  Ell- 
bogen, kein  ungeduldiges  oder  unfreundliches  Wort  im  Gedränge, 
sondern  — pazienza.  Langsam  und  ruhig  geht  die  Menge  aus- 
einander, als  ob  es  vorher  eingeübt  worden  wäre.  Die  Leerung 
der  gefüllten  Peterskirche  nimmt  über  eine  Stunde  in  Anspruch. 
Wird  das  Gedränge  einmal  an  einer  Stelle  zu  arg,  so  ertönen 
tiicht  Schimpf-,  sondern  Scherzworte;  ich  habe  nie  gehört,  dass 
bei  solchen  Anlässen  Köri»erverletzungen  vorgekommeu,  oder  dass 
gar  — trotz  vieler  Ohnmächten  infolge  stundenlangen  Stehens  in 
sclilechter  Luft  — Meuschenleiber  zertreten  worden  wären.  Weder 
in  Deutschland,  noch  in  England  könnte  man  das  Wagnis  begehen, 
das  in  Rom  gelingt:  65 — 70000  Eintrittskarten  werden  für  grosse 
Kirchenfeiern  in  der  Peterskirche  ausgegeben,  und  eine  Stunde 
vor  Beginn  erhält  auch  das  ohne  Karten  vor  der  Kirche  wartende 
Volk  Einlass  durch  die  beiden  Portale  des  Domes. 

Und  das  ist  möglich  in  dem  Volk,  das  sich  selber  die  Tugend 
der  Disziplin  abspricht; 

, . . . alla  virtti  latina 
()  nulla  tnanca,  o sol’  la  disciplina“  '). 

b Tassu,  Gerusalemmc  liberata,  canto  1 atr.  B4. 


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s 


Es  ist  eben  nicht  Disziplin,  was  hier  ziitape  tritt,  niclit  die  Eigen- 
schaft, die  der  Italiener  bew'undert  an  der  jiünktlichen  und  zu- 
verlässigen Beanitenscliaft  Deutschlands  und  Englands,  sondern  cs 
ist  jenes  Geschenk  alter  Kultur:  pazienza.  Hier  zeigt  es  sich 
deutlich,  dass  die  sogenannte  — bald  lobend,  bald  verächtlich  so 
genannte  — Kindlichkeit  der  Italiener  nicht  verwechselt  werden 
darf  mit  der  Kindlichkeit  unzivilisierter  Völker,  etwa  der  Russen, 
die.  die  Krönung  ihres  Zaren  durch  Tausende  zertretener  Menschen- 
leiber feierten'). 

Die  Kindlichkeit  der  Italiener  ist,  wie  ihre  pazienza,  eine 
Alterserscheinung.  Wie  oft  hört  man  von  Fremden,  die  in  Italien 
leben  und  die  Italiener  kennen,  das  Wort,  das  dann  wie  der  Aus- 
druck ihres  Gesamturteils  über  das  Volk  erscheint:  „Die  Italiener 
sind  doch  rechte  Kinder!“  Ich  kann  mich  nicht  erinnern,  in  den 
Urteilen  fremder  Völker  über  die  Italiener  des  Mittelalters  oder 
des  15.  und  16.  Jahrhunderts  je  dem  Wort  von  der  Kindlichkeit 
der  Italiener  begegnet  zu  sein.  Es  ist  im  Leben  der  Völker  wie 
in  dem  einzelner  Menschen:  das  hohe  Alter  nimmt  wieder  Züge 
der  Kindheit  an.  Wer  sich  zur  Ruhe  setzt,  wer  ausscheidet  aus 
dem  Kampf  ums  Da.sein,  der  wirft  die  Sorgen  des  Lebens  hinter 
sich  und  kehrt  zurück  zu  den  einfachsten  Formen,  zu  den  harm- 
losesten Freuden  des  Lebensgenus.ses.  Dieser  kindliche  Zug  der 
Italiener  zeigt  sich  am  liebenswürdigsten  — ich  möchte  fast 
sagen:  am  beneidenswertesten  — in  der  glücklichen  Gabe,  den 
Augenblick  zu  genic.ssen , in  der  Fähigkeit  zur  Freude  bei  dem 
geringsten  .\nla.ss,  in  der  Harmlosigkeit  des  italienischen  Witzes 
und  Scherzes  — einer  Harmlosigkeit  und  Genügsamkeit,  die  einen 
Anlass  zum  herzlichen  Lachen  schon  findet,  wo  der  Nordländer 
ei-staunt  fragt:  „Ja,  wo  i.st  denn  die  Pointe  des  Witzes?“  Scherze, 
mit  denen  man  in  Deutschland  nur  Kinder  erfreuen  würde,  er- 
freuen ln  Italien  den  Erwachsenen.  Umgekehrt  hat  der  nordische 
Witz  für  den  Italiener  etwas  zu  gedachtes,  erscheint  ihm  zu 
.spitzfindig,  um  noch  als  Witz  genossen  zu  werden.  Bei  der 
Lektüre  in  fremden  Sprachen  ist  bekanntlich  kein  Gebiet  schwerer 
zu  erobern  als  das  des  Witzblattes.  Während  aber  der  Deutsche 
sich  z.  B.  in  ein  engli.sches  Witzblatt  einle.scn  kann,  und  der 
Engländer  ein  deutsches  verstehen  lernt,  bleiht  uns  das  italienische 

')  Auf  dem  l'hoJynskiftlde  bei  Moskau  (itO.  .Mai 


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9 


Witzblatt  iin  allgemeinen  nngeniessbar,  erscheint  uns  albern  und 
platt,  wie  auch  umgekehrt  das  deutsche  Witzblatt  dem  Italiener 
schwerfällig  vorkommt,  überladen  mit  (jedankeninhalt. 

Wir,  als  ein  junges  Kulturvolk,  das  weit  mehr  hinaus  in  die 
Zukunft  blickt,  als  zurück  in  die  Vergangenheit,  wir  nehmen  das 
Leben  ernst  und  .schwer;  das  alte  Kulturvolk  der  Italiener,  das 
auf  Schritt  und  Tritt  an  .seine  grosse  Vergangenheit  erinnert 
wird,  nimmt  das  Leben  leichter  und  fröhlicher,  wie  mit  dem  Be- 
wusstsein getaner  Arbeit.  Nie  hat  sich  mir  die.ser  Unterschied 
der  beiden  Lebensanschauungen,  Lebensbewertungen,  so  aufgedrängt 
wie  im  P’alle  einer  Jugendentwickelung,  in  der  beide  .\utlassungen 
des  Lebens  lauge  miteinander  kämpften.  Es  handelt  sich  um  ein 
junges  Mädchen,  des.sen  Vater  Amerikaner  angelsächsischer  Ka.s.se, 
des,sen  Mutter  Italienerin  aus  römischem  Adel  ist.  Als  ich  das 
junge  Mädchen  kennen  lernte,  war  sie  17  Jahre  alt,  hatte  einen 
unbezähmbaren  Wissensdrang  und  Lerneifer,  konnte  nicht  genug 
geistige  Nahrung  erhalten  und  blickte  mit  Verachtung  herab  auf 
das  Nichtstun  und  den  geringen  Bildungseifer  des  durchschnitt- 
lichen italienischen  Mädchens.  Sie  schien  durch  und  durch 
amerikani.sche  Energie  und  Betriebsamkeit.  Im  Lauf  der  Jahre 
ging  eine  kaum  merkliche,  aber  stetige  Veränderung  mit  ihr  vor, 
ihr  Eifer  lie.ss  langsam  nach,  ihr  Bedürfnis  nach  Behagen  und 
Ruhe  nahm  zu,  und  als  ich  mich  von  der  22jährigen  verab- 
.schiedete,  lag  sie  auf  der  Terras.se  einer  Villa  am  Meer  im  Faul- 
stuhl au.sgest reckt,  über  sich  ein  Dach  von  Grün  und  Blüten,  den 
Blick  hinaus  auf  das  tiefe  Blau  des  Meeres  gerichtet,  das  Ohr 
auf  das  gleichmä.ssige  Rauschen  der  Brandung  — von  Büchern 
oder  .sonstiger  .\rbeit  keine  Si)ur  um  sie  her,  nichts,  aber  auch 
gar  nichts  als  iluke  far  nienlc,  als  Genuss  des  schönen,  flüchtigen 
-Augenblicks.  Zum  Abschied  sagte  sie:  „Ich  hab  es  aufgegeben. 
Was  hat  das  Arbeiten  für  einen  Zweck?  Die  Welt  ist  so  .schön 
— .sehen  Sie  nur!  — und  das  Leben  so  kurz!  Wozu  es  füllen 
mit  .Arbeit  und  Mühe  — was  kommt  am  Ende  heraus?  Ich 
habe  mich  frei  gemacht  davon : das  italienische  Blut  in  mir  hat 
gesiegt“. 

Ich  brauche  wohl  nicht  hinzuzufügen,  dass  das,  was  hier  zu 
zwei  extremen  Lebensanschauungen  theoretisch  zugespitzt  er- 
.scheint,  in  der  Wirklichkeit  oft  anders  au.ssieht.  Dass  die 
Italiener  auch  arbeiten  können,  und  gesuchte  Arbeiter  sind,  be- 


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sonders  für  Strassen-  und  Eiscnbahnhaii,  das  wciss  alle  Welt, 
wciss  besonders  aucli  Dcnfscliland,  Die  Lombardei,  in  der  das 
junge,  das  germanische  Blut  die  Oberhand  gewonnen  hat,  ist 
reich  an  blühenden  Industriezentren.  Das  Leben  ist  dort  Arbeit, 
wie  nur  in  irgendeinem  Laude  nördlich  der  Alpen  — beiläufig; 
ein  Zeichen,  wie  wenig  der  Volksdiarakter  mit  dem  Klima  zu 
tun  hat;  denn  die  Lond>ardei  mit  ihren  glühenden  Sommern  und 
ihren  kalten  Wintern  ist  weniger  geschaften  zu  einem  Tainde  der 
Arbeit  als  weite  Strecken  Mittelitaliens  mit  mässigeren  Wärme- 
und  Kältegraden,  t'ber  iUailand  feine  der  hei.ssesten  Städte  ganz 
Italiens)  fällte  vor  kurzem  ein  Amerikaner  das  Urteil:  „Die  Ver- 
einigten Staaten  können  kaum  eine  Stadt  von  gleicher  Grösse 
aufwei.scn,  die  mit  Mailand  wetteifern  könnte  an  Aufschwung  und 
Betriebsamkeif* Allein  man  kann  weder  die  Lombarden,  noch 
die  au.sgewandertcn  italienischen  Arbeiter,  die  mit  der  Not  des 
Lebens  zu  kämpfen  haben,  an  führen  als  typische  Vertreter  der 
italienischen  Lebensanschauung.  .Jenes  eben  erwähnte  Mädclien, 
das  als  Kind  zweier  Ba.ssen  niclit  naiv  zur  italieni.sehen  Leben.s- 
kunst  gelangte,  .sondern  im  bewussten  Gegensatz  zur  angelsächsi- 
sclien  Bewertung  des  J.,ebens,  hat  mit  den  Worten:  „Was  kommt 
am  Ende  heraus?“  das  Motto  ausgesprochen,  das  der  Durch- 
schnitts-Italiener über  das  Kapitel  „.Arbeit“  schreiben  möchte. 

Während  bei  uns  dei'  vollkommene  Nichtstuer  allgemeiner 
Verachtung  anheimfällt,  und  audi  der  Faulenzer  wenigstens  den 
Schein  der  .Arbeit  und  eines  Lebensberufes  annimmt,  ist  in  Italien 
der  Memsch,  der  nichts  tut,  und  auch  nichts  zu  tun  vorgibt, 
weder  eine  verächtliche,  noch  eine  seltene  Erscheinung.  .Auf  die 
Frage  nach  dem  Beruf  eines  Measchen  kann  man  wohl  die  .Ant- 
wort erhalten:  „E  un  signore“.  Ich  habe  zuweilen  die  Beobach- 
tung gemacht,  dass  der  amerikanische  Geschäftsmann,  dessen 
ganze  Le!)enskraft  der  .Arbeit  geliört  hatte,  in  Italien  die  tiefsten 
Eindrücke  nicht  von  der  hohen  Kunst  oder  der  schöllen  Natur 
empfing,  auch  nicht  von  den  Denkmälern  einer  gro.ssen  A’ ergangen- 
heit,  .sondern  — vom  italienischen  Volke,  dem  Volk  mit  den 
lachenden  .Augen.  Dann  konnte  ihn  etwas  befallen  wie  Reue  über 


‘)  William  Koscoe  Tliaycr.  Italka.  Stndies  in  Italian  I.ifc  and  Letters 
(London  lilOH)  308;  The  l’iiited  States  can  scarccly  show  a city  of  equal  size 
tü  match  .Milan  for  progrcssivencss  and  „hüstle“. 


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ein  vciiorenes  Lehen,  und  mit  nll  seiner  Gesehäftsklnglieit  kapitu- 
lierte er  vor  der  Lebenskunst  der  Italiener.  Sein  Trost  war  dann: 
jlcli  liätt's  eben  doch  nicht  gekonnt!"* 

Die  Freude  am  Leben,  am  Tjcben  um  seiner  selbst  willen,  an 
der  blossen  Tatsache  des  eigenen  Daseins,  ist  die  Gabe  des 
Italieners  — eine  Gabe,  die  den  jungen,  mitten  im  Wettkam])f  der 
Welt  stellenden  Völkern  verloren  gegangen  i.st.  Eine  Menge 
kleiner,  harmloser  Freuden,  für  die  der  arbeitende  Mensch  keine 
Zeit  hat,  oder  denen  er  gar  nicht  seine  Beachtung  schenkt,  haben 
ganz  andern  Sinn  und  Wert  für  den  Italiener.  Der  Italiener 
liebt  das  Leben  mit  aller  Inbrunst  — der  Lebende  ist  glücklich, 
der  Tote  ist  ein  armer  Unglücklicher:  povem.  Welch  tiefer  Unter- 
schied in  der  Autt'a.ssung  vom  Werte  des  Lebens  liegt  darin,  dass 
wir  von  den  Toten  als  selig  sprechen,  der  Italiener  nur  als  |wcm'/ 
Der  Eindruck,  den  die.se  Erfahrung  das  erste  Mal  auf  mich 
machte,  ist  mir  unvergesslich  geblieben.  Ein  Kastellan  führte 
mich  durch  ein  Schlo.ss,  in  dem  Bilder  von  Mitgliedern  des  könig- 
lichen Hauses  hingen.  Er  zeigte  mir  das  Bild  des  regierenden 
Königs,  dann  das  seines  Vaters,  des  „povero  re  Umberto“.  Ich 
fand  nichts  an  dem  Ausdruck,  da  ich  an  den  tragischen  Tod 
König  Ilumberts  dachte.  Doch  dann  ging  es  weiter:  „Ecco  il 
povero  Vittorio  Emanuele  II“.  , Warum  nennen  Sie  ihn  ,povero‘? “ 
fragte  ich  erstaunt,  ,. Viktor  Emanuel  II.  war  doch  ein  glücklicher 
Mann!“  „Si!  .Ma  e niortol  fc  un  povero“,  erwiderte  der  Kastellan 
erstaunt,  „i  morti,  per  noi  Italiani,  sono  poveri“.  Ich  wus.ste  da- 
mals noch -nicht,  dass  die  deutschen  Worte  , meine  selige  Mutter, 
meine  verstorbene  Mutter“  auf  italienisch  lauten  „mia  povera 
niamma“. 

Es  .scheint,  als  ob  die.se  Liebe  zum  Leben  durch  nichts  ge- 
brochen, diese  Fähigkeit,  das  Leben  leicht,  und  die  Arbeit  nicht 
zu  schwer  zu  nehmen,  dem  Italiener  durch  nichts  geraubt  werden 
könnte!  .Auch  nach  der  .schwersten  körperlichen  Arbeit  bricht  die 
heitere  Da.seinsfreude  immer  wieder  durch  und  verschafft  sich  ihr 
Hecht.  Ja,  die  Art.  wie  die  .Arbeit  selbst  vemchtet  wird,  hat 
oft  einen  Zug  leichter  spielerischer  Fröhlichkeit.  Nirgends  habe 
ich  das  mehr  empfunden  als  in  Neapel,  diesem  Paradiese,  in 
dem  es  nichts*^  zu  geben  scheint,  woran  der  Lebensgenuss  nicht 
sein  Teil  haben  könnte.  Die  Verladung  von  Kohlen  in  den  Rumpf 
eines  Schiffes,  eine  Arbeit,  die  nur  von  der  „Hefe“  des  Volks  der 


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Hafenstadt  veniclitet  wird  — diese  Arbeit,  sollte  inan  glanben, 
bat  nichts  an  sich,  was  sie  veredeln  oder  den  Blick  des  Be- 
schauers anziehen  könnte.  In  Neapel  konnte  ich  das  Aiigrc  nicht 
ahwenden  von  den  KohlentrUgern , die  in  mehrstündiger  schwerer 
Arbeit  Korb  um  Korb  in  das  Schiff  trugen.  Ein  zerlumptes,  halb- 
nacktes Gesindel  — und  dennoch!  Nicht  nur,  da.ss  durch  den 
Schmutz  und  die  schwarze  Schicht  des  Kohlenstaubes  die  Schön- 
heit dieser  Kör])er  und  Glieder  durchleuchtete  — mit  welchem 
Anstand  trugen  sie,  hochaufgerichtet,  die  .schwere  Last,  leicht 
schreitend,  als  trügen  sie  Körbe  mit  Blumen!  Zum  Schluss  warfen 
sie  die  paar  Lumpen  ab,  die  sic  noch  um  die  Lenden  hatten, 
sprangen  ins  Meer  und  tollten  und  spritzten  übermütig  im  Wasser 
herum,  nach  der  harten  Arbeit  sofort  wieder  fröhlich  und  frisch. 

Diese  unverwüstliche  Lebenslust  bedarf  keines  Alkohols,  um 
geweckt  zu  werden.  In  Italien,  einem  der  reichsten  Weinländer 
der  Welt,  gibt  es  weniger  Trunkenheit  als  in  Deutschland  und 
England.  Am  meisten  ist  mir  Trunkenheit  unter  Italienern  noch 
in  Venedig  aufgefallen,  wo  mir  oft  die  Nachtnihe  gestört  wurde 
durch  johlende  Schwärme  von  Betrunkenen,  die  in  Prozession  die 
Wasserstadt  durchzogen.  In  Rom  sind  die  meisten  Betrunkenen 
Deutsche.  Im  Neapolitanerlande  dagegen,  wo  der  Wein  doch  nicht 
nur  gut  und  billig  zu  haben  ist,  sondern  auch  stark  dazu,  .spielt 
der  Alkohol  nur  eine  ganz  untergeordnete  Rolle  bei  den  Ver- 
gnügungen des  Volkes.  Wer  genug  hat,  trinkt  eben  nicht  mehr, 
und  man  kann  in  neapolitaniselien  O.sterien  Gesellschaften  finden, 
die  samt  und  sonders  vor  leeren  Gläsern  sitzen.  An  die  Stelle 
des  Weines  tritt  dann  die  Musik;  einer  nach  dem  anderen  trägt 
ein  Lied  vor,  das  von  der  Mandoline  begleitet  wird;  steigert  sich 
die  Stimmung,  so  kommt  der  Tanz  zu  seinem  Recht,  oft  auch 
dann,  wenn  keine  Tänzerinnen  zu  haben  sind.  Die  natürliche  .An- 
mut der  Tänzer  macht  auch  den  Tanz  von  Bur.schen  unter  sich 
zu  einem  Schauspiel  für  das  Ange. 

Als  das  Städtchen  (!astelgandolfo  in  den  .Albanerhergen  die 
Einweiliung  .seines  elektrischen  Lichtes  festlich  beging,  wurde  ein 
Volksfest  gefeiert  vom  hellen  Mittag  bis  zum  Einbruch  der  Nacht. 
Das  Volk  vergnügte  sich  fast  nur  mit  Musik  und  Tanz,  veran- 
staltete fe.stliche  rnizüge  mit  Gesang  und  — lie.ss,  wie  bei  uns 
die  Kinder,  kleine  Luftballons  fliegen.  Die  Ballons  stiegen  hoch 
hinauf,  wurden  dann  vom  Winde  ülier  den  lilauen  Albaner  See 


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getragen  und  senkten  sich  scliliesslich  in  langsamem  Falle  immer 
tiefer  und  tiefer  in  das  Becken  des  Kratereees,  bis  einer  nach 
dem  andern  den  Wasserspiegel  berührte  und  schwimmend  weiter 
trieb.  Mit  diesem  kindlichen  Spiel  konnte  das  ganze  Städtchen 
sich  vergnügen.  Ich  kam  am  Mittag  durch  den  Ort  und  abends 
wieder:  ich  habe  keinen  Betrunkenen  gesehen. 

Mit  dieser  Fähigkeit  zu  hannlos-lieiterem  Lebensgenu.ss  hängt 
es  zusammen,  da.ss  in  Italien  der  Mensch  dem  Menschen  leichter 
nahe  tritt  als  bei  uns  und  anderen  Völkern  ernsterer  Grundstim- 
mung. Bei  uns  wird  der  Mensch  in  erster  Reihe  nach  .seiner  ge- 
sell.schaftlichen  Stellung  eingeschätzt  und  behandelt;  die  Gesell- 
.schuft  zerfällt  in  Kasten  und  jede  Kaste  wieder  in  Gruppen.  Die 
sozialen  Gegen.sätze  sind  bei  uns  schärfer  als  in  Frankreich,  als 
in  England,  sind  vor  allem  unvergleichlich  schärfer  als  in  Italien. 
Der  Gegensatz  von  Arm  und  Reich  ist  in  Italien  gewiss  grös.ser 
und  handgreiflicher  als  bei  uns  — Italien  hätte  Sozialpolitik 
dringender  nötig  als  wir  — nur  wenige  Stunden  vor  den  Toren 
Roms,  noch  im  Angesicht  der  Kuppeln  und  Türme  der  Stadt, 
liegen  die  Hüttendörfer  der  Campagnuolen:  zeltartige  Hütten  aus 
Besenkraut,  die  kaum  anders  aussehen  als  die  Indianerwig^vams 
auf  den  .Abbildungen  unserer  Jugendschriften.  Eine  Armut  herr.scht 
dort,  die  nach  unseren  Begriffen  auch  nicht  die  bescheidensten 
Ansprüche  des  Lebens  befriedigt  und  nur  eben  für  italienische 
Bedürfnislosigkeit  erträglich  ist.  „Signore“,  .sagte  einmal  eine 
.solche  Hüttenbewohnerin  zu  mir,  „Signore“,  wenn  Ilir  heimkommt, 
kommt  Ihr  in  ein  Haus  mit  Fenstern“.  Ein  Haus  mit  Fenstern 
— für  die.se  Frau  war  es  ein  Palast;  sie  durfte  nicht  hoffen,  je 
in  einem  solchen  Hause  zu  wohnen.  Dennoch  sind  die  sozialen 
Gegemsätze  in  Italien  gelinder  als  bei  uns:  der  Xiederstehende  ist 
weniger  unterwürfig,  der  Höherstehende  weniger  anmassend.  Und 
der  Vornehme  darf  sich  eher  zum  Geringeren  herablas.sen , oder 
richtiger,  ihn  zu  sich  heraufzielien,  weil  er  sicher  ist,  da.ss  der 
Niedere  die  Distanz  wahren  und  sich  nicht  zu  plumper  Vertrau- 
lichkeit herandrängen  wird.  Auch  dies,  der  soziale  Takt,  ist  — 
wie  die  italienische  Höflichkeit  — nur  zu  verstehen  als  das  Er- 
gebnis einer  alten  Kultur. 

In  Italien  besteht  kein  Bedürfnis  für  jene  Abschlie.ssung,  die 
in  Deutschland,  wenigstens  in  Preassen,  der  Offizier  und  der 
höhere  Beamte  glaubt  wahren  zu  müssen.  In  Preu.s.sen  wäre  eine 


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Srciu?  uinnöu;licli,  dii-  icli  einmal  in  Terni  iin  Hotel  „Europa“  mit 
antfcselien  habe.  Terni  i.st  eine  l’rovinzstadt  von  25000  Einw., 
das  Hotel  „Europa“  das  erste  am  Ort.  Da  erschienen  des  Abends 
ein  Hauptmann,  fünf  Leutnants  und  zwei  Zivilisten  und  nahmen 
Platz  an  der  Wirtstafel.  Sie  bestellten  Wein,  iMaecaroni,  KiLse 
und  — holten  das  übrifje  aus  ihren  Ta.schen  hervor.  Die  Leut- 
nants waren  vorher  im  Wurstladen  giewesen  und  hatten  zwei  oder 
drei  .stattliche  Pakete  Schinken  und  Wurst  mitf^ebracht.  Die 
wurden  hier  geöffnet  und  unter  fröhlichem  Oejohlc  herumgereicht. 
Der  Kellner  stand  lächelnd  dabei.  Niemand  glaubte  seiner  Würde 
etwas  zu  vergeben. 

Die.ser  soziale  Takt  ist  es  auch , wms  den  Verkehr  mit  dem 
I.andvolk,  mit  den  armen,  hlutannen  Bew(dinern  der  Berge,  so 
überaus  reizvoll  macht.  Das  Volk  ist  weder  schüchtern  noch 
frech,  sondern  voll  Anstand  und  Sicherheit  des  Benehmens.  Wer 
nur  den  italienischen  Mittelstand  kennt,  die  am  wenigsten  an- 
ziehende Schicht  der  Bevölkerung,  und  wer  sich  gewöhnt  hat,  vom 
Verkehr  mit  den  italieni.schen  Droschkenkutschern,  Stra.ssenver- 
käufern  und  Bettlern  her,  die  Vor.stellung  von  dreister  Zudring- 
lichkeit zu  verbinden  mit  seiner  Vorstellung  vom  italienischen 
Volk.scharakter,  der  wird  ungeahnte  Cberraschungen  erleben, 
wenn  er  sich  zu  einer  Wanderung  durch  abgelegene  Gebiete  der 
italienischen  Bergwelt  entschliesst.  Die  heute  grundlose,  aus  ver- 
gangenen Zeiten  stammende  Räuberfurcht  hält  ja  noch  immer  die 
meisten  Fremden  ab,  die  wunderbaren  Schönheiten  etwa  iles  Sa- 
biner Berglandes  oder  anderer  italienischer  Gebirge  in  ein.samer, 
tagelanger  Wanderung  zu  genies.sen.  Und  doch  weiss  ich  kein 
Volk,  bei  dem  der  Fremde  sicherer  aufgehoben  wäre,  bei  dem  er 
freundlichere  Unterstützung  und  herzlichere  Gastlichkeit  fände,  als 
die  Italiener.  Wenn  ich  nach  dem  Wege  fragte  — denn  Weg- 
weiser gibt  es  dort  nicht  und,  gottlob,  auch  keine  Gebirgsvereine 
— wie  oft  hot  der  Gefragte  mir  .seine  Begleitung  an  oder 
schickte  mir  seinen  Jungen  ein  Stück  Weges  mit!  Wie  väterlich- 
liebevoll sorgte  sich  Jener  alte  Sabiner  Hirt , den  ich  hei  ein- 
hrechender  Dunkelheit  nach  einem  schwer  zu  findenden  Wege 
fragte:  „O  mein  Sohn!  was  tust  du?  tin  den  Bergen  gilt  noch 
das  Du).  Du  kannst  hier  nicht  gehen!  bald  kommt  die  Nacht, 
und  du  verlierst  den  Weg;  denn  der  Weg  ist  schwierig,  und  wie 
.soll  ich  ihn  dir  beschreiben?  ü tiglio  mio,  tiglio  mio'“ 


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Ks  ist  fin  licbi-s,  treuliorziges  und  grundpIirliclH-s  Volk,  das 
die  Berge  bewohnt,  ein  Volk,  an  dein  die  Weltgeschichte,  die  des 
alten  und  die  des  neuen  Konis,  mit  allem  (ilanz  und  allem  Ver- 
fall ihrer  äu.sseren  Kultur  spurlos  vorUbergegangen  zu  sein  scheint, 
damit  es  in  seiner  unberührten  Stille  lang.sam  reife  zur  Würde 
des  Alters  und  zum  Frohsinn  des  Kindes.  Die  Hirtenflöte  aus 
Kohr,  die  noch  heute  in  den  Bergen  tönt  — gern  von  zwei  Hirten 
im  Wechselspiele  geblasen  — ist  älter  als  die  ganze  römische 
Kultur,  und  die  Form  des  Kimers,  den  das  Mädchen  zum  Brunnen 
trägt,  erinnert  mehr  an  Sammel.stücke  prähistorischer  Museen,  als 
an  Gefäs.se.  wie  die  Slenschen  von  heute  sie  benutzen.  Kein  mo- 
dernes Kunstinstrument  hat  den  Dudelsack  verdrängt,  den  der 
Hirt  sich  aus  einem  Schaffell  selber  gemacht  hat:  durch  die  Fell- 
ötlhung  der  einen  Vorderiifote  wird  das  Mundstück  eingeführt,  an 
Stelle  des  Schafskopfes  ein  Spiel  von  Rohrflöten  angebracht,  die 
übrigen  Fellöffnungen  zugenäht  und  der  Dudelsack  ist  fertig. 

Was  den  Fremden  aber  vielleicht  noch  merkwürdiger  berührt 
als  die.ses  Stillstehen  der  äusseren  Kultur,  das  i.st  die  gänzliche 
Ahnungslosigkeit  dieser  Menschen  von  dem,  wie  es  draussen  in 
der  Welt,  d.  h.  drunten  im  Tale,  aussieht.  Obwohl  sie  vielleicht 
von  ihrem  Heimatsdorf  aus  die  Petei'skuppel  sehen  können,  kommen 
sie  doch,  wenn  überhaupt,  nur  selten  öfter  als  einmal  im  Leben 
nach  Rom.  Für  Men.schen,  die  so  nahe  bei  Rom  geboren  sind 
und  leben,  wie  Strehlen  oder  Neumarkt  bei  Breslau  liegt,  i.st  eine 
Roinreise  ein  ebenso  gros.ses,  vielleicht  ein  grö.sseres,  Ereignis  im 
Leben  wie  für  einen  Dorfschulnieister  aus  Hinterpommern.  Wen 
nicht  die  bittere  Not  zu  vorübergehender  (seltener  dauernder) 
Auswanderung  nach  Südamerika  treibt,  der  bekommt  von  der 
Welt  nicht  viel  mehr  zu  sehen,  als  der  Blick  von  dem  Heimatdorf 
reicht. 

Auf  dem  Wege  von  Palestrina  nach  Caiiranica  in  den  Sa- 
binerbergen ging  ich  eines  Tiiges  ein  Stück  Weges  zusammen  mit 
dem  Postbuben.  Der  fragte  mich:  „Bist  du  aus  Rom?“ — „Nein“, 
sagte  ich,  „ich  bin  P'reiiider“.  — „Dann  bist  du  wohl  aus  Tos- 
cana?“ — '‘l*  l>i»  Deutschland“.  — Da  schwieg  er 

eine  Weile;  dann  fragte  er:  „Gibt  es  denn  nichts  zu  arbeiten  in 
Deut.schland,  dass  du  hierher  kommst?“  — Es  klang  im  ei’sten 
Augenblick  beinah,  als  wollte  er  mir  den  Text  le.sen.  „Wie 
kannst  du  hier  in  den  Bergen  hcrumlaufen,  statt  zu  arbeiten?“ 


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Sein  fiedanke  war  aber  natürlich  nur,  dass  Arbeitsuchen  der 
einzige  Grund  sei,  aus  dem  der  Mensch  sein  Land  verlassen 
könne.  Eine  solche  Harmlosigkeit  ist  möglich  nur  eine  Stunde 
entfernt  von  einer  der  besuchtesten  Heerstrassen  des  internationalen 
Fremdenverkehr.s,  die  Europa  kennt. 

Oder  ein  iilinliches  Gespräch  in  den  Volskerbergen,  bei 
Montelanico.  Ein  Eingeborener,  der  ein  Stück  mit  mir  zusaramen- 
reitet,  fragt  mich:  „Bist  du  Korner — «Nein,  ich  bin  hYemdei”*. 
„Woher  bist  du  denn?“  — „Ich  bin  Deutscher  (Teclesco)'^.  — 
„Wenn  du  ein  Tcde.sco  bist,  aus  welchem  Lande  bist  du  denn 
da?“  — „Ich  bin  aus  Deutschland  (GermuniaV . — „Ist  das  weit 
weg?“  — „Länger  als  ein  Tag  Eisenbahn“.  Darauf  nachdenklich 
nach  einer  W'eile:  „Deutschland  gehört  doch  nicht  mehr  zu  Europa, 
nicht  wahr?“  — „0  gewiss!  Deutschland  ist  das  Land  vom 
Kaiser  Wilhelm,  wenn  du  von  dem  mal  gehört  hast“.  Da  plötz- 
lich zuckt  es  wie  Erleuchtung  über  sein  Gesicht;  „Ach  .so  (Ecco)! 
dann  ist  Deutschland  also  ein  Teil  von  England!“ 

Mit  die.ser  Ahnungslosigkeit  von  den  Dingen  der  Welt  ver- 
bindet sich  aber  ein  mächtiges,  wenn  auch  noch  so  unklares  Ge- 
fühl: Koma  — il  capitale  del  mondo!  Der  weltfernste  Berg- 
bewohner im  Sabinerlande,  der  kaum  je  hinabsteigt  in  die  Tiber- 
ebene, fühlt  doch,  da.ss  er  etwas  bedeutendes  au.s.spricht , wenn  er 
den  Ann  aus.streckt  und  dem  Fremden  wei.st:  „Ecco  Roma!  Ecco 
la  cupola  di  San  Pietro!“ 

Gew'iss  drängt  sich  uns  in  manchen  Augenblicken  der  Kon- 
trast von  Vergangenheit  und  Gegenwart  mächtig  auf.  Wenn  man 
etwa  zum  Tempel  der  Göttin  von  Gabii  i)ilgert,  jenem  einsamen 
Campagnatempel  der  Juno  Gabina,  dessen  Cella  noch  heute  ragt, 
aus  gewaltigen,  glatt  behauenen  Quadern  oline  Mörtel  aufgetürmt, 
und  doch  fest  gefügt  wie  für  die  Ewigkeit,  und  man  wandert 
dann  die  gigantische  Stadtmauer  des  alten  Gabii  entlang,  um 
nichts  zu  tinden,  als  winzige,  dürftige  Strohhütten  der  .Menschlein 
von  heute,  angeklebt  an  die  Felsenmauer  der  Vorzeit  wie  Vogel- 
nester an  den  Sims  eines  Palastes  — Hütten,  die  der  Nordsturm 
in  die  Tiefe  blasen  würde,  wenn  die  uralte  Mauer  sie  niclit 
schützte  — dann  kann  einen  w'ohl  für  Augenblicke  das  Gefühl 
von  der  Kleinheit  der  Gegenwart  und  von  der  überwältigenden 
Grösse  der  Vergangenheit  überkommen.  Allein  je  länger  man  in 
Italien  weilt,  um  so  mehr  liört  man  auf,  die  .\ntike  und  die 


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Kcnaissanrc  immer  wieder  als  Folie  zu  lulimen  lür  das  Volk 
unserer  Zeit,  und  die  Italiener  deinnaeli  als  Epiftonen  zu  beur- 
teilen; man  gewinnt,  je  länger  — je  mehr,  die  Italiener  von 
heute  mit  all  ihren  Fehlern  und  Schw-ächen  ebenso  lieb  wie  ihr 
schönes  Land  und  gibt  es  auf,  das  eine  vom  andern,  Italien  von 
den  Italienern,  zu  trennen. 

Aber  — höre  ich  da  einwenden  — die  Italiener  haben  ja 
gar  keinen  Sinn  für  ihr  schönes  Land,  überhaupt  keinen  Sinn  für 
Natur!  Meine  Antwort:  wer  im  Glashause  sitzt,  .sollte  nicht  mit 
Steinen  werfen.  Was  würden  wir  widd  sagen,  wenn  uns  der 
Xatursinn  abgesprocheii  würde?  Und  er  wird  uns  abgesproehen 
— von  den  Engländern.  Wenn  der  Engländer  sieht,  wie  wir  die 
Natur  büi-sten  und  kämmen  und  zureehtinachen , wenn  er  in 
un.seren  Gebirgen  die  sauberen , wohl  gepflegten  Pronienadenwege 
sieht,  die  Wegwei.ser,  auf  denen  genau  angegel)en  ist,  wie  weit 
es  bis  zum  uäch.sten  Wirtshause  ist,  wenn  er  endlich  gar  die 
Krone  von  allem,  die  aufziehbaren  Was.serfälle,  sieht,  daun  ge- 
.steht  er  den  Deutschen  wohl  gern  zu,  da.ss  sie  ordentliche  und 
.saubere  Menschen  sind,  die  niigends  Diszii)linlosigkeit  dulden  — 
aber  von  Natursinn,  .sagt  er  sich,  haben  sie  keinen  Schimmer*). 

Nun,  wie  ich  überzeugt  bin,  dass  wir,  trotz  unserer  Ge- 
birgsvereine,  Natursinn  haben  — mag  der  Schein  auch  gegen  uns 
sprechen  — , so  sollten  wir  auch  vorsichtig  sein  in  der  Beurteilung 
des  Natursinns  anderer  Völker.  Der  Vorwurf,  der  Italiener  habe 
keinen  Natuisiinn,  läuft  meistens  hinaus  auf  die  Forderung,  der 
Italiener  solle  sich  für  Dinge  begeistern,  die  für  den  Fremden 
eine  Schönheitsotfenbarung,  ein  unvergessliches  Erlebnis  sind,  für 
den  Italiener  etwas  Alltägliches,  Selbstverständliches.  Ein  italieni- 
scher Sonnenuntergang  im  Sommer  kann  dem  Nordländer,  der  die 
Farben  des  Südens  nicht  kennt,  überwältigende  Aiigenblicke 
bringen.  Und  wenn  er  dann  um  sich  her  Italiener  sitzen  sieht, 
die  sich  nicht  mit  dem  Sonnenuntergang  beschäftigen,  .sondern  mit 
den  Maccaronifäden , die  ihnen  lang  aus  dem  Munde  hängen,  .so 
heisst  es  sofort;  die  Leute  haben  eben  keinen  Sinn  für  Natur,  sie 
sind  es  gar  nicht  wert,  in  einem  .so  .schönen  Lande  zu  leben. 


')  Vgl.  etwa  die  humorvoll-satirische  Studie  über  das  V’erhiiltnis  des 
Deutschen  zur  Natur  in  .1.  K.  .lerome’s  Tbree  Men  on  the  Kuininel, 
chapt.  \'II. 

UiCtetlao^rt)  d schles.  Oes  f.  Vkde,  llfit  X.\I. 


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18 


Die  Italiener  sind  auch  schleclite  Touristen.  Ich  kenne 
\veni}?e  Städte  mit  reiclierer  und  seliiinerer  ümgebungr  als  Rom; 
aber  ich  habe  wenige  Römer  kennen  gelernt,  die  nur  einiger- 
massen  Bescheid  gewusst  liätten  in  der  rmgebung  ihrer  Vater- 
stadt. Soll  man  ihnen  deshalb  den  Natui’sinn  absprechen?  nur 
weil  ihre  Reiiuemlichkeit  grösser  ist  als  ihre  Wanderlust?  Ich 
meine;  wenn  auch  uns  Deutschen  die  Wanderlmit  der  rein.ste  Aus- 
druck der  Naturfreude  ist,  .so  git>t  es  doch  auch  andere  Arten  des 
Natiirgenus.ses.  l'ber  die  italieni.sche  könnte  man  wieder  das 
Motto  schreiben  Dnla:  far  nientc.  Wohl  am  au.sgiebigsten  wird 
diese  Art  des  Natuigenus.ses  gepflegt  in  Neapel,  und  dort  lernt 
man  am  ehesten,  ihr  gerecht  werden.  So  oft  ich  im  neapolitani.schen 
Lande  war  — am  vollsten  habe  ich  es  doch  erst  zuletzt  genossen, 
als  ich  mich  frei  fühlte  von  der  eingebildeten  FIlicht,  neues  zu 
•selien,  als  ich  mir  einen  .schonen  Punkt  wählen  und  mit  gutem 
Gewis.sen  faul  sein  konnte  wie  ein  Neapolitaner.  Denn  so  schön 
das  Wandern  durch  das  herrliche  Land  auch  ist  — in  Ne- 
apel kommen  auch  über  den  Wanderfrfdiesten  Augenblicke  der 
Stimmung,  die  nichts  weiter  begehrt  als  den  ruhigen  Genuss  des 
eigenen  Da.seitis  im  .Anschauen  von  Schönheit.  Wenn  man  so  weit 
gekommen  ist,  da.ss  mati  sich  sagt:  es  ist  zwar  schön,  auf  die 
Berggipfel  von  Ischia  und  (’apri  zu  steigen;  aber  am  .schönsten 
sind  die  Inseln  doch,  wenn  sie  als  !)laue  Silhouetten  still  im 
blauen  Meere  schwimmen,  und  die  Sonne  leuchtend  über  ilinen 
steht  oder  zwischen  ihnen  glühend  ins  Meer  taucht  — und  eine 
Vesuvbe.steigung  ist  zwar  etwas  Krhebendcs;  aber  am  .schönsten 
ist  der  Berg  doch,  wenn  man  nicht  zu  nahe  herangclit : dann  hat 
man  den  Standpunkt  des  italienischen  Naturgenu.sses  gewonnen. 
Ks  ist  ein  Standpunkt,  auf  dem  wir  nicht  lange  stehen  bleiben 
können  — uns  felilt  die  pazienza,  wir  sind  noch  nicht  alt  genug 
dazu  — und  das  Wort  vom  Dolce  far  niente  verliert  niclit  nur 
seinen  Wohllaut,  .sondern  auch  Sinn  und  Berechtigung,  wenn  man 
es  in  die  Sprachen  der  nordi.schen  Völker  übersetzt, 

Man  darf  auch  nicht  vergessen,  dass  der  Teil  des  .Jahres,  in 
dem  die  Mehrzahl  der  .Men.schen  die  meiste  Zeit  zum  Wandern 
hat,  die  Zeit  der  Sommerferien,  in  Italien  die  ungünstigste  Zeit 
zum  Wandern  ist.  Der  .Sommer  i.st  in  Italien  zwar  die  scliönste 
.lalire.szeit,  was  Farbenreiz  und  .Stimmung  der  Land.schaft  angeht, 
aber  geno,ssen  werden  kann  er  nur  bei  einem  möglichst  geringen 


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Mass  von  Eigcnhewefriins.  Daher  steht  die  Ferienzeit  des  Italieners 
niclit  ini  Zeichen  der  Wanderlust,  sondern  der  heschaulichen  Ruhe. 

Man  {flaube  aber  ja  nicht,  dass  bei  all  dieser  Neifrung  zu 
bescliaiilirhein  Naturgenuss  dem  Italiener  der  Sinn  fehle  für  das 
Pathos  der  grossen  Natur,  für  das  Heroische  der  italienischen 
Landschaft!  Wer  Iliiheiikult  sucht,  findet  ihn  in  Italien,  findet  ihn 
zugleich  als  Au.sserung  des  Natursinns  und  des  religiösen  Triebes. 
Da.ss  die  Klöster  sich  mit  Vorliebe  auf  Rergen  niedergela.ssen  haben, 
erklärt  sich  wohl  mehr  daraus,  da.ss  sie  Schutz  suchten  vor  feind- 
lichem t'berfalle;  aber  auch  Herge,  auf  denen  keine  Klö.ster  liegen, 
heis.sen  sehr  oft  nach  Heiligen')  oder  tragen  Namen  von  rcligiö.sein 
Klange,  wie  Spina  Santa.  Und  dasselbe  (Jefühl  für  Pathos,  der 
Sinn  für  eine  feierliche  Fonn  der  Verehrung,  aus  dem  heraus  wir 
etwa  unsere  Rismarck.säulen  auf  Hergen  errichten,  treibt  auch  den 
Italiener,  Denkmäler  religiö.ser  Symbole  auf  den  Hergen  zu  er- 
bauen. Trotz  alles  Reichtums  an  Wallfahrtsorten  und  wunder- 
tätigen Hildern  in  den  Tälern,  Italien  die  Sabinerberge  einen  Ort, 
der  einmal  jedes  Jahr  die  Bewohner  des  Gebirges  zu  einem 
gros.sen  Volksfeste  an  sich  zieht,  einen  Ort,  der  nicht  durch  eine 
Relitiuie  oder  ein  Wunderbild  zur  Kultstätte  geworden  ist,  .sondern 
nur  deshalb,  weil  er  weit  und  breit  der  höchstgelegene  Ort  ist  und 
von  der  Felsenkrone  seines  Herges,  des  Monte  Giuidagnolo,  Land 
und  Meer  überschaut  von  den  Pontini.schen  Inseln  bis  zum  Gran 
Sa.sso  dltalia.  Dort  oben,  auf  dem  höchsten  Felsen,  haben  vor 
einigen  Jahren  die  umliegenden  Städte  und  Dörfer  ein  Kolo.ssal- 
standbild  des  segnenden  Christus  errichtet,  und  Papst  Leo  gab 
ihm  die  klassi.sche  Inschrift: 

Jesu  Christo  Deo 
Re.stitiitae  per  ipsum  Salutis 
Anno  MDCCCCI 
Romani 

Latini  Sabini  Aequi 
Hernici  Vohsci. 

Wer  einmal  vor  dieser  Erlö.serstatiie  gestanden  und  das  über- 
wältigend schöne  Rundbild  überschaut  hat,  von  den  Fel.senin.seln 
des  Tyrrhenermeers  über  die  ganze  weite  römische  Camiiagna, 
über  die  Albaner-,  Volsker-  und  Sabinerberge  lös  hinüber  zur 

')  L’tizählbar  sind  die  Monii  Simt’  Angelo. 

ü» 


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Firnnikettc  der  Hocliapennin.s  — der  wird  nielit  im  Zweifel  sein, 
warum  die  Naelikommeii  der  alten  Heideiivülker  gerade  hier  dem 
Cliristengotte  linldigten. 

Al.s  ich  einmal  meiner  römi.schen  Hau.swirtin,  einer  ein- 
fachen, eher  rohu.sten  als  zarten  Frau,  die  durchaus  in  der  Prosa 
des  Lebens  stand  und  niclits  Sentimentales  au  sich  hatte,  als  ich 
ihr  von  einem  Ausflug  auf  den  Guadagnolo  erzählte,  da  wurde 
die.se  Frau,  die  .sonst  meine  einsamen  Fusstouren  als  Narrheiten 
verurteilte,  jilötzlich  in  einer  Weise  bewegt,  die  ich  sonst  bei  ihr 
nicht  gewohnt  war.  Sie  erzählte,  wie  sie  .selbst  einmal  an  einem 
.schönen  Spät.sommertage  den  Guadagnolo  erstiegen  hätte.  Als  sie 
auf  dem  Gipfel  stand  und  jenes  Panorama  .schaute,  dessen  Wirkung 
ich  nicht  beschreihen  kann,  al.s  sie  nun  weit,  weit  unten  das 
ewige  Rom  liegen  sah,  klein  wie  ein  Dorf,  und  gegenüber,  hoch 
oben,  den  ewigen  Schnee  leuchten  .sah  — da,  sagte  sie  mir,  hätte 
sie  kein  Wort  hervorgebracht,  die  Tränen  seien  ihr  herunter- 
gelaufen, und  sie  hätte  geweint  und  gescldnchzt  wie  ein  Kind, 
angesichts  dieser  gewaltigen  Schöidieit,  und  angesiclits  der  Gott- 
heit, die  .segnend  die  Rechte  breitet  über  die  Herrlichkeit  ihres 
Werkes. 

Um  in  der  Natur,  gewi.s.serraassen  der  Natur  selbst  Denk- 
mäler zu  bauen,  dazu  gehört  melir  Geschick,  mehr  Takt,  zugleich 
Kunst-  und  Natursinu,  als  zur  Errichtung  von  Denkmälern  auf 
Plätzen  und  Stra.ssen  einer  Stadt.  Das  Denkmal  mu.ss  ein  Stück 
der  Natur  werden.  Dass  man  dies  sagen  könne  von  allen  in 
Deubschland  errichteten  Denkmälern  dieser  Art  — vom  Nieder- 
wald- bis  zum  Kytfhäuserdenkmal  — das  wird  gewiss  niemand 
behaupten  wollen.  Ich  aber  kenne  kein  Denkmal,  da.s  den  Ein- 
druck der  Natur,  .statt  ihn  zn  stören,  zu  unterbrechen,  vielmehr 
steigert  und  so  selber  zum  Teil  der  Natur  wird,  wie  das  Erlö.ser- 
deiikmal  auf  dem  Guadagnolo. 

Und  noch  eins!  Will  man  dem  Volke  den  Natursinn  ab- 
sprechen,  da.s  seinesgleichen  nicht  hat  in  der  Gartenkunst,  d.  h.  in 
der  Kunst,  die  Natur  unter  dem  Ge.setze,  und  doch  nicht  unfrei, 
sich  entwickeln  zu  lassen?  Da.s  Volk,  das  die  Villen  von  Rom 
und  Florenz,  von  Frascati  und  Tivoli  geschatfeu,  das  im 
Terncssengarten  der  Villa  d'Este  das  Märchen  zur  Wirklich- 
keit gemacht  hat,  und  selbst  auf  dem  klein.sten  Raume,  wie  etwa 
in  der  Villetta  Dinegro  zu  Genua , die  .schönsten  Bilder  aus  der 


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Natur  lierau.szulockcn  wciss  — das  Volk  sollte  keinen  Natursinn 
haben  ? 

Doch  weiter!  wie  steht  es  mit  dem  Kunstsinn  der  Italiener 
von  heute?  Darüber  herrscht  kein  Streit,  dass  die  Italiener  das 
fp-össte  Künstlervolk  {rewesen  sind,  das  die  Welt  seit  den  Tagen 
der  Griechen  gesehen  hat.  Doch  der  moderne  Italiener?  Dem  heu- 
tigen Italien  fehlt  es  an  grossen  Künstlern.  Frankreich,  Deutsch- 
land, England,  die  skandinavischen  Länder  sind  reicher  an  Er- 
zeugnissen wirklich  produktiver  Kunst  als  Italien.  Allein 
sehöpfcri.sche  Kunst  und  ästheti.scher  Sinn  sind  doch  nicht  das- 
selbe. Hat  der  Italiener  von  heute  wenigstens  künstlerisches 
Enii)tinden? 

Fragen  Sie  die  in  Rom  lebenden  deutschen  Kün.stler,  so 
werden  Sie  meistens  zu  hören  bekommen,  dass  der  moderne 
Italiener  mit  der  Gabe  des  Kunstschatfens  auch  die  des  künstleri- 
.schen  Empfindens  verloren  habe.  Als  Beweis  werden  gewöhnlich 
angeführt  die  nach  unserem  Empfinden  wenig  geschmackvollen 
Wohnungseinrichtungen  der  Italiener,  ihre  Öldrucke,  bronzierten 
Gip.sstatuetten  und  dgl.  mehr.  Ich  glaube,  dass  diese  Anschauung 
zu  sehr  von  den  Aufgaben  der  hohen  Kunst  ailsgeht  und  die  be- 
scheideneren Aufgaben  übersieht,  an  denen  ästhetischer  Sinn  sich 
bewähren  kann.  Wer  sich  erinnert,  wie  die  römischen  Blumen- 
händler ihre  Standorte  schmücken,  wie  die  Gemü.sefrauen  ihre 
Ware  gefällig  gruppieren,  welch  nialeri.schen  Faltenwurf  der 
italienische  Leutnant  seinem  Toga-ähnlichen  Mantel  zu  geben 
weiss,  wie  selbst  der  bescheidenste  Eingang  zu  einer  Vigna,  einem 
Ol-  oder  Obstgarten,  einem  C’ampagnagehöft , ein  gewisses  An- 
sehen erhält  durch  zwei  mächtige  Va.sen  mit  Aloen  oder  durch 
irgendeinen  kleinen  architektonischen  Schmuck  — der  wird  diesem 
Volke  ästheti.schen  Sinn  gewi.ss  nicht  absprechen;  ja  er  wird  viel- 
leicht — trotz  der  ott'enkundigen  rberlegenheit  des  Nordens  auf 
dem  Gebiete  der  hohen  Kunst  — in  den  niederen  Schichtendes 
italienischen  V'olkes  sogar  mehr  finden  von  der  bescheideneren 
Kunst,  das  alltägliche  Lel)en  so  ganz  nebenbei,  in  ungewollter, 
wie  zufälliger  Wei.se  zu  schmücken  und  zu  verschönen.  Auch 
hier  dieselbe  Erscheinung  wie  auf  den  meisten  ülirigen  Gebieten 
des  internationalen  Wettbewerbes;  eine  Neigung  zum  Ausruhen 
nach  getaner  Arbeit,  zur  Be.scheidenheit  in  Genü.ssen  und  An- 
sprüchen. 


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Del-  Pförtner  des  Palnzzo  Giustiniani , der  den  Hof  und  die 
Eingangshalle  des  Gebäudes  zu  sprengen  hat,  tut  dies  mit  einer 
Liebe  und  einem  ästhetischen  Rehagen,  die  mir  immer  wieder 
Spass  gemacht  haben.  Er  zerlegt  das  zu  sprengende  Gebiet  in 
Abteilungen  und  giesst  nun  diese  mit  Arabesken  und  kunstvollen 
Figuren  aus.  Erst  zieht  er  einen  grossen  Kreis,  dann  etwa 
innen  längs  der  Peripherie  eine  Schlangenlinie,  an  diese  angelehnt 
einen  kleineren  konzentrischen  Kreis,  in  diesen  hinein  Voluten, 
wieder  einen  kleineren  Kreis,  Zickzacklinien,  doiipelt  verschlungene 
Schlangenlinien  nsw.,  in  der  Mitte  endlich  einen  Stern  oder  eine 
Rosette  — all  das  nicht  nach  festem  Schema,  sondern  in  stetem 
Streben  nach  Abwech.slung. 

Vor  Spoleto  liegt  eine  Kirche  S.  Pietro,  die  Fassade  mit 
Skulpturen  und  .Mosaiken  aus  dem  11.  und  12.  Jahrhundert  ge- 
schmückt: schön,  aber  im  ganzen  doch  mehr  etwas  für  Angen  des 
Kenners.  Vor  dieser  Kirche  traf  ich  mit  einem  Hanptmann  und 
seiner  Kompagnie  zusammen  und  hörte  mit  Staunen,  wie  der 
Haui)tniann  seinen  Leuten  einen  längeren  Voitrag,  mit  kunst- 
geschichtlicher  Einleitung,  über  diese  Fassade  hielt.  Er  machte 
sie  aufmerksam  auf  zeichnerische  Mängel  im  Einzelnen,  wie  auf 
die  schönen  Verhältnis.se  des  Ganzen  - auch  das  ein  Bild,  wie 
es  in  Deutschland  nicht  so  leicht  zu  tiuden  sein  wird. 

Oder  ein  Bild  anderer  Art!  Fahren  Sie  in  einer  Mondnacht 
in  Venedig  hinaus  aus  dem  Fanal  Grande  in  den  weiten,  freien 
Fanal  di  San  .Marco,  wo  Sie  die  Mai  morpracht  der  schwimmenden 
Stadt  im  bleichen  Lichte  .schimmern  sehen,  und  steuern  Sie  hinein 
in  die  lange  Reihe  schwarzer  Gondeln,  die  Bord  an  Bord  wie  die 
Parketsitze  eines  Theaters  nebeneinander  liegen  vor  einer  .schwim- 
menden Bühne  fe.stlich  illuminierter  Gondeln,  und  folgen  Sie  mit 
•Aug  und  Ohr  dem  märchenhaften  Spiel,  das  sich  vor  Ihnen  voll- 
zieht, der  Aullührung  von  Opernszenen,  dem  Tanz  in  der  schwan- 
kenden Gondel,  dem  in  die  Xaeht  hinein  sehmetternden  Gesänge 
von  Arien,  während  zwischen  den  dunkeln  Gondelleibern  die 
TJchtretlexe  über  das  schwarze  Wa.sser  hintanzen.  Fahren  Sie 
einmal  hinaus  iu  eine  solche  veneziani.sche  Nacht  und  sagen  Sie 
dann  noch,  die  Italiener  von  heute  hätten  keinen  Schönheit.ssinii ! 

Oller  ein  ähnliches,  aber  noch  anmutigeres  Bild  — ein  Bild 
voll  Sonnen.schein!  Versetzen  Sie  sich  an  Bord  eines  Ozean- 
dampfers, der  Neapel  angelanfen  hat  und  eben  das  letzte  Signal 


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zur  Weitcrfahit  gibt.  Die  Fahrgäste  stehen  dicht  gedrängt  an 
der  nriistmig,  um  nocli  einmal  vor  dem  Abscliicd  das  Bild  des 
Golfes,  die  Linien  der  Küstengebirge  und  Felseninseln  in  sich  auf- 
zunehmen. Da  plötzlich  ist  der  l)am])fer  umringt  von  einem 
Schwarm  bunter  Boote,  aus  denen  Gesang  und  Mandolinenspiel 
herauftönt.  „Santa  Lucia!  Santa  Lucia !•“  Je  nälier  die  Abfahrt, 
um  so  feuriger  Gesang  und  Spiel,  zuletzt  ein  Winken  und  Grössen 
hinauf!  — laiig.sam  bewegt  sich  der  Schiffskoloss  — ein  Hüte- 
schwenken  und  Kusshandwerfen!  — schon  tanzen  die  Boote  im 
Wellenschaum  des  Schraubenwa.ssers  auf  und  nieder,  doch  in  den 
Booten  tanzen  die  Burschen  mit  übermütiger  Geberde,  im  Arm 
die  Mandoline,  ein  Lächeln  auf  den  Uppen,  und  singen  und 
jauchzen  dem  abfahrenden  Schiffe  nach,  so  dass  die  fremden  Gäste 
nicht  mehr  nach  dem  .schimmernden  Städtekranz  des  Golfes 
schauen,  oder  nach  dem  Krater  des  Vesuvs,  sondern  nach  den 
tanzenden  Booten  mit  den  tanzenden,  singenden  Menschen  darin. 
Es  ist  wahr,  das  ganze  Schauspiel  dient  nur  dem  Zweck,  soldi 
vom  Bord  des  Schiffes  herunterzulocken  in  die  Boote  — der 
begeisterte  Abschied.sgruss  der  Neapolitaner  ist  kein  siiontaner 
Geftthlsausbruch , sondern  entspringt  der  Bereclinung,  dem  Er- 
werb.ssinn  — aber  man  nenne  mir  doch  das  Land,  wo  selbst  die 
Bettelei  sich  in  das  Gewand  der  Anmut  zu  kleiden  versteht! 

ln  einer  Kunst  — wenn  cs  eine  Kun.st  ist  — sind  die 
modernen  Italiener  die  Ersten  unserer  Zeit : sie  sind  die  grössten 
Feuerwerkskünstler  Europas.  Jedes  Jahr,  am  ersten  Juui.sonntag, 
hat  die  Bevölkerung  Roms  ihre  Gimmlola  zur  Feier  des  National- 
festes. Was  ein  Feuerwerk  ist,  weiss  man  im  Norden  nicht. 
20000  fr.  und  mehr  verputlt  allein  die  Stadt  Rom  jedes  Jahr  an 
dem  gros.scn  Tage.  Die,  Farlienpracht  und  Fonnenfülle  der  Giran- 
dola , die  goldenen  und  silbernen  Bäume  — Palmen,  Pinien  und 
Trauerweiden  auf  schwarzem  Himmel.sgnmde,  die  FeueiTegen,  das 
Schwiinmen  von  Hunderten  silberner  Fische  durch  die  Luft,  das 
langsame  Fallen  .schwerer  goldener  Troi»fen  und  .schimmernder 
Sterne  zu  Tausenden  — endlich  die  weis.sglühende  Riesenfäs.sade 
mit  den  Säulen,  Bogenhallen  und  Türmen  eines  vorgespiegelten 
Zauberschlos.ses  — all  das  ist  zwar  auch  nicht  „hohe  Kunst“, 
aber  es  ist  ein  Schauspiel,  dem  nur  künstlerische  Blasiertheit  den 
ästheti.schen  Wert  alisprechen  kann.  Es  ist  ztigleich  ein  Schauspiel, 
dem  ein  gewisser  symbolischer  Wert  zukommt  für  den  Cliarakter  des 


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italirnischeii  Volkes:  Genuss  der  flüeliHsen  Stunde,  Genuss  des 
schönen  Aufreid)Iicks ! 

Nur  in  einem  Punkte  erkennt  audi  der  nordische  Künstler 
bereitwillig  und  dankbar  die  ästhetische  Anlage  und  Pbcrlegenheit 
der  Italiener  an:  in  der  natürlichen  Anmut  ihrer  Haltung  und 
Bewegung.  Die  italienische  Kasse  hat  im  allgemeinen  ein  feineres 
Knochengerüst,  .schmalere.  Gelenke,  weniger  stark  hervortretende 
Knöchel  und  daher  geschmeidigere  Glieder  als  der  Durchschnitt 
der  nordischen  Rassen  — lauter  Kennzeichen,  die  uns  als  Merk- 
male edler  Abstammung  gelten.  Edle  Abstammung  aber  läuft  ja  im 
letzten  Ende  auf  dasselbe  hinaus  wie  alte  Kultur.  Die  Art  nun, 
wie  die  italienisclien  Modelle  nicht  vom  Künstler  gestellt  zu 
werden  brauchen,  sondern  sich  selber  stellen,  lässig-ungezwungen 
und  doch  immer  anmutig,  künstlerisch,  diese  natürliche  Gabe  des 
Volkes  ist  einer  der  Hauptgründe,  weshalb  Italien  noch  immer  d:is 
gelobte  Land  der  bildenden  Künstler  ist  und  bleiben  wird.  Der 
Landschaftsmaler  kommt  auch  anderswo  auf  seine  Rechnung;  wer 
sich  an  die  höchste  .Aufgabe  der  Skulptur  und  Malerei  begibt,  an 
die  Darstellung  des  schönen  menschlichen  Körpers,  tindet  in  Italien 
seinen  edelsten  Stoff. 

Nur  mit  wenig  Worten  .sei  erinnert  an  ein  anderes  Kenn- 
zeichen edler  Art  und  alter  Kultur:  mit  welcher  Kunst  handhabt 
auch  der  Ungelehrte  das  schöne  Werkzeug,  die  italienische 
Sprache!  Die  Italiener  sind  ein  Volk  von  geborenen  Rednern.  Das 
reiche  Erbe  einer  grossen  literari.schen  Vcrgangeidieit  hat  sich  in 
kleiner  Münze  unter  das  ganze  V(dk  verteilt:  sie  alle  sind  Erben 
Dantes  und  Ta.s.sos,  und  sind  st(dz  auf  ihr  Erbe!  Wie  oft  wird 
der  Fremde  in  einem  gleichgültigen  Gespräch  überrascht  durch 
eine  Wendung,  ein  Bild,  die  auch  das  Gewöhnliche  heben  und 
das  Alltägliche,  in  ein  Festgewand  kleiden!  Die  Sprache  zu  ver- 
stehen als  Deuterin  des  Volksemptindens  ist  eine  .Aufgabe  für  sich, 
der  ich  hier  nicht  näher  treten  kann.  Nur  auf  eins  möchte  ich 
kurz  eingehen,  auf  einen  Zng  des  italieni.schen  A’^olkscharakters, 
den  ich  aus  keiner  anderen  (Quelle  besser  erläutern  kann,  als  aus 
der  italieni.schen  Sprache.  Es  ist  die  Freude  am  .schönen  Schein  und 
am  klingenden  Wort,  die  aus  allem  heraustünt,  was  die  ,.bella 
lingua“  spricht  und  schreibt.  A’on  der  Briefadres.se  bis  znr  Fc.st- 
rede  immer  dieselbe.  Neigung  zu  Superlativen,  zu  .starken  und 
vollen  Worten.  Pathos  ist  das  Mark  der  italienischen  Rhetorik. 


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Im  Deutschen  würde  es  fast  koraiscli  klingen,  wenn  etwa  ein 
Festredner  zu  einem  eben  enthüllten  Denkmal  die  Worte  spräche, 
wie  ich  sie  einmal  hörte:  „Fmf>fange  den  Kuss  der  Sonne !“  Doch 
das  italienische  ,Ricevi  il  hacio  del  sole“  klang  durchaus  an- 
gemessen und  passte  in  den  Stil  der  ganzen  Feierlichkeit. 

Der  Superlativ  i.st  durch  den  häufigen  Gebrauch  so  entwertet 
worden,  dass  er  kaum  noch  die  höchste  Steigerung  des  Begriffes 
darstellt.  Wie  das  durch  den  Briefstil  abgeschliff'ene  JllnslrLssimo 
weniger  sagt,  als  das  einfache  lUiistre,  so  kehrt  auch  sonst  der 
Italiener  im  höchsten  Affekt  gern  zum  Positiv  zurück  und 
steigert  ihn  nur  durch  Wiederholung:  .Bello  hello!“  oder  durch 
einen  bekräftigenden  Zu.satz  wie  proprio  {vemmunte).  Dieselbe  Kr- 
scheinnng  wiederholt  sich  in  der  Wertverändernng  von  Haupt- 
wörtern : ein  oaxino  (Häuschen)  kann  etwas  sehr  viel  Vornehmeres 
sein  als  ein  ptdagzo.  Man  vergleiche  nur  einmal  die  Entwicklung 
des  Wortes  palatinm  *)  im  Englischen  mit  der  im  Italienischen. 
Das  englische  palace  hat  seinen  Vollwcrt  behalten:  es  bezeichnet  fast 
nur  die  königlichen  und  liischöllichen  Schlös.ser  und  das  Parlaments- 
gebäude. Selb.st  die  prächtigsten  Adelsschlosser  sind  „Häuser“  (So- 
merset House,  Holland  House  etc.),  und  nur  wo  eine  logische 
Gegenüber.stellung  es  nötig  macht,  s]»richt  der  Engländer  von  „pri- 
vate palaces“.  ln  Italien  haben  Könige  und  Päpste  den  Besitz 
des  Wortes  imlazzo  nicht  nur  mit  dem  Adel  und  den  Reichen  zu 
teilen,  sondern  jedes  Haus  von  einem  gewissen  Umfang,  einschliess- 
lich der  nüchternsten  Mietska.serne,  im  Süden  sogar  fa.st  jedes  aus 
Stein  gebaute  Haus,  führt  den  stolzen  Namen  „palazzo“. 

Um  kein  einseitiges  Bild  zu  geben,  muss  ich  wenigstens  an- 
deuten, dass  auch  auf  diesem  Gebiete,  wie  so  oft  in  Italien,  die 
Gegensätze  hart  auf  einander  stossen.  Dieselbe  Sprache,  die  sich 
zu  so  hohem  Fluge  erheben  kann,  weiss  auch  tiefer  im  Kote  zu 
wühlen,  als  eine  nordi.sche  Phantasie  sich  voi-stellt.  Im  Schim])fen, 
Fluchen  und  läistcrn  ist  die  deutsche  Sprache  arm,  verglichen  mit 
der  italienischen.  Bei  den  kleinsten  Anlässen  greift  der  Italiener 
gleich  zu  den  stärksten  .\u.sdrücken;  für  ihn  sind  sie  eben  ab- 
ge.schlitfen,  wie  alle  Superlative.  Ein  „Va  morire  ammazzato!“ 
ist  nicht  weiter  böse  gemeint.  Doch  für  derartige  fromme 
Wünsche  gibt  es  noch  Parallelen  in  anderen  Sprachen.  Die  Art 

')  rrsprQii)(lidi:  küniglidie  Uvsideuz,  l’falz. 


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26 


aber,  wie  der  Italiener  geschlechtliche  und  religiöse  Vürstellungen 
inissl)raucht  für  den  Zweck  der  Releidigung  und  der  Rlasplieinie, 
stellt  Wühl  alles  in  den  Schatten,  was  die  deutsche  S[>rache  in 
dieser  Hinsicht  leisten  kann.  Auf  Hcisjiiele  muss  ich  an  dieser 
Stelle  verzichten.  l)ie  deutsche  Kasernenhofblüte  ist  gemein  und 
plumi»;  der  italienische  Fluch  ist  gemein  und  raffiniert.  Kr  ist 
giftiger  als  der  deutsche.  Kine  Heschimpfung  der  Person  ver- 
bindet sich  gern  mit  Beschimpfung  der  Kltern,  der  verstorbenen 
Mutter,  der  Hausehre.  Auch  die  Heiligen  bleiben  nicht  verschont. 
Wie  grotesk  wirkt  beim  ersten  Hören  der  alltägliche  Fluch  „Porca 
Madonna!“  Vor  einigen  Jahren  machte  in  Rom  eine  Dame  von 
sich  reden,  die  eine  „chiesa  mondiale  contro  la  bestemmia“  gründen 
wollte,  um  die  üblen  Folgen  abzuwenden,  die  nach  ihrer  Meinung 
Italien  träfen  als  Strafe  der  vielen  Gotteslästerungen.  .Gott 
kami’s  nicht  länger  mit  anhören,  er  kann's  nicht'“  klagte  mir 
einmal  eine  redselige  Bäuerin,  deren  Ohr  eben  durch  ein  „Porco 
di  Dio!“  verletzt  worden  war.  Die  Gabe  reicher  Phantasie  zeigt 
hier  ihre  unschöne  Kehrseite. 

Die  nordische  Phantasie  ist  mehr  auf  das  Abstrakte,  die  des 
Südländers  mehr  auf  das  Sinnliche  gerichtet.  Des  Italieners 
Freude  am  Klartg  und  Schein,  am  Theatcrspicl  im  Lehen,  wird 
durch  den  Nordländer  oft  als  Obertläehlichkeit  beurteilt  und  ver- 
urteilt. Und  doch  tritt  auch  die.se  Kigenschaft  des  Südländers  zu- 
weilen in  einer  Form  auf,  die  auch  der  Feind  der  Pose  gelten 
lässt  oder  beifällig  aufnimmt.  Der  Italiener  hat  geringeren 
militärischen  Sinn  als  der  Deutsche,  die  Annce  bedeutet  ihm 
weniger  als  un.s,  und  doch  nimmt  in  Italien  jeder,  der  etwas  auf 
seine  Krziehung  hält,  grüs.send  den  Hut  vor  der  Fahne  ab,  wenn 
das  Militär  vorbeimarschiert  — eine  Huldigung,  die  bei  uns  für 
seltene  Gelegenheiten  aufgespart  bleibt,  die  aber  dem  Italiener 
zwanglos  entspringt  aus  seinem  Sinn  für  die  feierliche  Form. 

Es  käme  zu  viel  Licht  in  das  Gicsamtbild,  das  ich  hier  nur 
eben  skizzieren  kann,  wenn  ich  nicht  auch  kurz  auf  die  tiefen 
Schattenseiten  einginge,  die  mit  dieser  Freude  am  schönen  Schein 
zu.sammenhängen.  Es  gibt  wenige  Aufgaben  des  praktischen 
Lebens,  des  ge.schäftlichen  wie  des  iiolitischen,  in  denen  sich  die.se 
Schattenseiten  nicht  geltend  machten.  Ein  Engländer,  der  die 
Italiener  aus  langem  ge.schäftlichen  Verkehr  kannte,  sagte  mir 
einmal;  „The  Italians  are  charming  people,  but  they  don  t kimw 


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what  business  incans“.  Das  Urteil  ist  kaum  zu  hart.  Es  ist 
merk  würdig:,  wie  Völker  sich  wandeln,  wie  wenig  man  — trotz 
Schopenhauer  — von  der  Unabänderlichkeit  des  Charakters  reden 
kann.  Die  ulten  Römer:  das  genialste  Volk  auf  dem  (Jebiete  der 
Staatskunst  und  des  Kerht.slebens,  zugleich  das  militärische  Volk 
xar’  Die  Italiener  des  Mittelalters:  eins  der  grössten 

Handelsvölker  (die  Erinnerung  daran  lebt  ja  noch  heute  fort  in 
den  vielen  italienischen  Ausdrücken  der  Hank-  und  Handels- 
sprachei.  Die  Italiener  von  heute:  weder  im  politischen,  noch 
im  niilitärisehen,  noch  im  wirtschaftlichen  Leben  hervorragend  — 
beinahe  all  ihre  Tugenden  und  Fähigkeiten  sind  Tugenden  des 
privaten,  nicht  des  ötfentlichen  Lebens. 

Die  nationale  Einigung  hat  zwar  einen  neuen  Aufschwung 
für  Handel,  Gewerbe  und  Finanzen  gebracht;  aber  wenn  der  alte, 
kühne,  weitausgreifende  Unternehmungsgeist  in  die  Italiener 
zurückkehren  sollte,  so  müsste  eine  Rückbildung  des  Volks- 
charakters eintreten,  an  die  schwer  zn  glauben  ist.  Die  ])azienza 
und  der  auf  den  Genuss  des  .\ugenblicks  gerichtete  Sinn  müssten 
überwunden  werden,  an  ihre  Stelle  mü.sste  der  voraus-schauende, 
zugleich  rechnende  und  wagende  Geschäft.ssinn  treten,  der  nicht 
auf  einmaligen  Gewinn  hinauswill,  sondern  auf  Sicherung  dauern- 
der Gewinnaussichten.  Der  italienische  Geschäftsmann  von  heute 
verscherzt  dauernde  Kundschaft  nur  zu  leicht  um  eines  augen- 
blicklichen Vorteils  willen.  Jede  Hausfrau  weiss  von  dem 
Lieferanten  zu  erzählen,  der  erst  mit  guter  Ware  um  Kundschaft 
wirbt,  sobald  er  diese  aber  gewonnen  zu  haben  glaubt,  .seine 
Lieferungen  mehr  und  mehr  verschlechtert,  bis  er  — seine  Kund- 
schaft wieder  los  ist.  Die  Versuchung  des  Augenblicks  ist  wirk- 
samer als  die  mit  der  Zukunft  rechnende  Lberlegung.  Der  mo- 
derne Italiener  ist  ein  überzeugendes  Beispiel  dafür,  dass  intellek- 
tuelle Gaben  allein  noch  lange  keinen  guten  Geschäftsmann 
machen.  An  Verstand,  zum  mindesten  an  rascher  Fassungsgabe, 
ist  der  Italiener  dem  Deutschen  wie  dem  Engländer  weit  überlegen; 
als  Geschältsmann  aber  reicht  er  nicht  von  ferne  an  sie  heran. 
Er  greift  rasch  zu,  wenn  es  gilt  die  Gelegenheit  beim  Schopfe 
fa.ssen,  triumphiert  im  Augenblick,  verliert  auf  die  Dauer.  Mir 
kommt  dabei  eine  kleine  Geschichte  in  den  Sinn,  die  als  tyidsches 
Beispiel  italienischen  Geschäftssinnes  gelten  kann.  Ich  ging  an 
ilen  Blumenständen  der  Si)ani.schen  Treppe  mit  zwei  Damen  vor- 


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hei,  die  als  Fremde  ^Amerikanerinnen)  sofort  zn  erkennen  waren. 
Die  Damen  blieben  einen  Augenblick  stehen  vor  der  malerischen 
Blumen  fülle;  ich  bat  sie,  sich  ein  StrUusschen  au.sziisuchen,  sie 
taten  es  und  gingen,  sich  die  Blumen  ansteckend,  langsam  ein 
paar  Schritte  voran,  während  ich  bezahlte.  „Was  macht  es?'* 
fragte  ich.  Der  Verkäufer  erfa.sste  die  Sachlage  sofort:  ich  hatte 
in  Gegenwart  der  Damen  nicht  nach  dem  Preise  der  gewählten 
Sträusse  gefragt,  die  Blumen  waren  jetzt  niclit  mehr  mein,  son- 
dern schmückten  die  Brust  der  Amerikanerinnen  — es  war  nicht 
sehr  wahrscheinlich,  da.ss  ich  den  Handel  rückgängig  machen 
würde;  ich  war  also  in  der  Gewalt  des  Verkäufers.  Dieser 
nannte  kaltblütig  einen  Preis,  der  den  Wert  der  Blumen  nm  das 
Zehnfache  und  mehr  überstieg.  Ich  fragte  ihn,  ob  er  scherze. 
Kr  antwortete  ruliig;  „Wenn  es  Ihnen  nicht  pa.s.st,  Signore,  geben 
Sie  mir  die  Blumen  zurück !■*  Ich  bot  die  Hälfte.  „Impossibile!*“ 
Der  Fall  war  hoffnung.slos,  ich  kapitulierte  und  zahlte  mein  Löse- 
geld.  Später  habe  ich  durch  Jahre  noch  oft  an  der  Spanischen 
Treppe  Blumen  gekauft,  aber  nie  an  dem  Stande,  an  dem  ich  so 
ins  Garn  gegangen  war  — im  letzten  Ende  hat  der  pfiffige  V'er- 
käuter  doch  ein  schlechtes  Geschäft  gemacht. 

Der  kleine  und  mittlere  Geschäft.smann  rechnet  nicht  gern 
mit  festen  Prei.sen,  .sondern  verbindet  lieber  jeden  Kauf  und  Ver- 
kauf mit  einem,  wenn  aucli  noch  so  durchsichtigen.  Versuch,  zu 
spekulieren.  Da  am  Enile  doch  ein  mittlerer  Preis  herausgehandelt 
wird,  ist  Zeitverlust  in  der  Hegel  das  einzige  Ergebnis  des  Ma- 
növers. Die  Lust  am  Spekulieren  betätigt  sich  auch  au.sserlialb 
des  Gescliäftslebcns  und  nimmt  manchmal  merkwürdige  Gestalt  an. 
Ich  gab  einer  alten  Frau  zwei  .soldi  .Almosen.  „Danke,  Signore“, 
grinste  die  Alte,  „ich  will  einen  — halben  Kosenkranz  für  Euch 
beten“.  Sic  war  sicher,  dass  mir  mit  dem  halben  Rosenkranz 
nicht  gedient  sei.  „Und  wenn  ich  Euch  noch  zwei  .soldi  gebe?“ 
„0  Signore,  wie  gut  Ihr  seiil!  Wenn  Ihr  mir  noch  zwei  soldi 
gebt,  so  will  ich  einen  ganzen  Rosenkranz  für  Euer  Seelenheil 
beten!“ 

Schlimmer  als  die  Unsicherheit  der  Prei.se  i.st  die  Über- 
schwemmung des  Marktes  mit  glänzender  Schwindelware,  gar 
nicht  zu  reden  von  der  berufsmässigen  Herstellung  unechter 
Kunstwerke  und  Antiken.  Da  in  Italien  die  gefällig  au.ssehende 
Ware  unfehlbar  die  solide  gearbeitete  im  Wettbewerb  schlägt, 


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imisK  der  Freiiule,  der  lieber  dauerlial'te  als  elefruiite  Sclmlie  kaufen 
will,  sich  an  die  Niederlagen  ausländischer  Geschäfte  wenden,  an 
denen  es  in  keiner  grösseren  Fremdenstadt  Italiens  mangelt.  Wer 
sich  den  Unter.schied  zwischen  einem  ästhetischen  und  einem 
praktischen  Volke  anschaulich  klar  machen  will,  der  kaufe  und 
trage  einmal  ein  Paar  italienischer  und  ein  Paar  amerikanischer 
Schuhe  — er  wird  dann  wohl  auf  alles  weitere  vergleichende 
Quellenstudium  verzichten. 

Ks  i.st  nicht  richtig,  wenn  man  dem  italienischen  Geschäfts- 
mann Unredlichkeit  als  charakteristisches  Merkmal  aidiängt.  In 
vielen  Fällen  mag  der  Vorwurf  zutretfen;  aber  im  ganzen  liefert 
der  Händler  doch  nur,  was  seine  Kunden  haben  wollen:  schönen 
Schein.  Wo  die  Nachfrage  mehr  durch  praktische,  als  durch 
ästhetische  Gesichtspunkte  bestimmt  wird,  wo  also  die  Versuchung 
zur  Herstellung  von  Talmiwarc  wegfällt,  da  hat  auch  die 
italieni.sche  Industrie  ihre  Leistung.s-  und  Konkurrenzfähigkeit  er- 
wiesen: ich  erinnere  nur  an  die  italienische  Automobilindu.stric. 
Charakteristischer  als  gelegentliche  Unredlichkeit  ist  die  Unpünkt- 
lichkeit und  Unzuverlässigkeit  des  italienischen  Geschäftsmannes 
in  der  Erfüllung  eingegangener  Verpflichtungen,  vor  allem  aber 
jene  Neigung  zu  einer  Opportunitätspolitik,  die  nicht  über  heute 
und  morgen  hinausdenkt. 

ln  das  Kapitel  vom  schlechten  Ge.schäftsmann  gehört  auch 
die  ungenügende  Scheidung  zwi.schen  Arbeits-  und  Ruhezeit.  Hier 
wird  Arbeitszeit  verschwendet  durch  Anspannung  nur  der  halben 
Kraft;  dort  geht  Ruhezeit  verloren  durch  unnötige  Ausdehnung 
der  Arbeitsstunden.  Die  meisten  Läden  schlies.seu  zu  späterer 
Abendstunde  als  bei  uns;  für  viele  Zweige  des  Geschäftslebens 
i.st  keine  Rede  von  ausreichender  Sonntagsruhe.  Zwar  i.st  manches 
in  letzter  Zeit  bes.ser  geworden,  doch  engli.sche  und  amerikanische 
Rci.sende  sind  noch  immer  entsetzt,  wenn  sie  sehen,  wie  das  Ge- 
bot „Du  sollst  den  Feiertag  heiligen“  mi.s.sachtet  wird  im  Mittel- 
])uukt  der  katholischen  Kirche.  Schwerlich  gebührt  die.ser  die 
Schuld;  denn  die  Reglung  des  Wirtschaftslebens  ist  Aufgabe  des 
SUiates.  Doch  möchte  ich  ersvähnen,  dass  ich  einst  bei  Collepardo 
in  den  Hernikerbergen  am  Plingst.sonntag  zur  Kirchzeit  auf  Ar- 
beiter stie.ss,  die  am  Bau  einer  Kapelle  so  eifrig  beschäftigt 
waren,  als  wäre  es  mitten  in  der  Woche.  Als  ich  einen  von 
ihnen  erstaunt  ansprach:  „Aber  heute  ist  doch  Festtag,  Pfingst- 


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suniitiijj!“  da  bi-kaiii  icli  die  larlieiide  Antwort:  „Für  die  Kirelie 
darf  man  iininer  arbeiten!“ 

Nicht  einmal  im  Streiken  ist  der  Italiener  (ieschaftsmann. 
Wenn  bei  uns  Arbeiter  streiken,  so  haben  sie  irgendein  positives 
Programm:  Lohnerhöhung,  Kürzung  der  Arbeitszeit,  Besserung  der 
Arbeitsbedingungen.  In  Italien  ist  der  Streik  Gemüts.sache.  Na- 
türlich kann  auch  dort  der  Streik  Zwecken  des  Lohnkampfes 
dienen;  allein  daneben  gibt  es  den  Streik  als  reine  Demon.stration, 
als  Antwort  auf  ein  missliebiges  öffentliches  Ereignis,  ohne  den 
geringsten  praktischen  Zweck  — es  sei,  dass  man  den  (Jenu.ss 
von  einigen  Perientagen  als  solchen  gelten  lässt.  Beginn  utid 
Schluss  des  Streikes  werden  von  vornherein  genau  festgelegt  und 
durch  Anschlag  an  den  Strassenecken  bekannt  gemacht.  Was  an 
Di.sziplin  fehlt,  ersetzt  die  Freude  am  Nichtstun:  die  Streikan- 
kündigungen werden  so  pünktlich  erfüllt  wie  das  Programm  eines 
Vereinsaustluges. 

Noch  mehr  als  im  Privatleben  zeigt  sich  der  Mangel  an  ge- 
sundem Geschäftssinn  im  italienischen  Staatsleben.  Der  klein- 
lichen Auftässung  des  Geschäftslebens  entspricht  die  Bürokratie 
in  der  Staatsverwaltung,  und  dem  kurzsichtigen,  nur  auf  den 
Augenblick  gerichteten  Erwerbssinn  entspricht  im  öffentlichen 
Leben  die  Koirujition.  Der  Deutsche  glaulit  wohl  manchmal,  er 
lebe  in  einem  besonders  bürokratisch  regierten  Lande;  er  muss 
nach  Italien  gehen,  wenn  er  das  klassi.sche  Land  der  Bürokratie 
kennen  lernen  will.  Als  die  Turiner  Bibliothek  vor  einigen 
Jahren  durch  jenen  traurigen  Brand  verheert  wurde,  ging  in  Rom 
unter  glaubwürdigen  Personen  die  Erzählung  um,  der  Bibliotheks- 
direktor habe  während  der  Feuersbrunst  an  den  Kultusminister 
nach  Rom  telegraphiert  und  um  Erlaubnis  gebeten,  die  bedrohten 
Bücher  und  Handschriften  aus  dem  Bibliothek.sgebäude  zu  ent- 
fernen. Da  der  Minister  gerade  in  Frascati  weilte,  hätten  die 
mehrmals  wiederholten,  dringenden  Telegramme  ihn  nicht  recht- 
zeitig erreicht,  und  bei  Ankunft  der  erbetenen  Erlaubnis  zur 
Räumung  seien  die  unersetzlichen  Schätze  .schon  verbrannt  ge- 
wesen. Wenn  die  Geschichte  nicht  wahr  ist,  so  ist  sie  jedenfalls 
gut  erfunden;  sie  zeigt,  wms  man  in  Italien  der  Bürokratie  zu- 
traut. Persönlich  verbüigen  kann  ich  folgendes.  Ich  war  in  Rom 
auf  eine  deutsche  Zeitung  abonniert.  Als  einmal  eine  Nummer 
ausblieb,  reklamierte  ich  sie  auf  dem  Hauptpostamt  an  dem  mit 


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3J 

„Redanii“  bezeiclmetcii  Schalter.  Ich  wurde  verwiesen  an  da.s 
— Königliche  Ministerium  für  Post  und  Telegraphie,  als  der  zu- 
ständigen Zentrale  für  Ahunnements  auf  auswärtige  Zeitungen. 
Ich  machte  mir  den  Scherz,  den  Instanzenweg  zu  gehen,  stellte 
auf  dem  Ministerium  den  Tatbestand  förmlich  fest,  veranlasste  ein 
enl.sprechendes  Gesuch  und  erhielt  die  fehlende  Nummer  nacli- 
geliefert.  In  Zukunft  allerdings  verzichtete  ich  auf  diese  Staats- 
aktion. Ich  bemerke,  dass  in  Deutschland  der  Abonnent  auf  aus- 
ländi.sche  Zeitungen  nichts  zu  tun  braucht,  als  dem  Briefträger 
die  fehlende  Nummer  anzugeben. 

Schon  bei  der  Auslösung  eines  Zollstückes  bekommt  man 
einen  Begrift'  von  der  Schreib-seligkeit  der  italienischen  Bürokratie 
und  von  der  unglauhlichen  Belastung  des  Verkelirs  durch  Spesen 
und  Gebühren.  Der  Deutsche  ahnt  nicht,  wie  gut  er  es  da  hat! 
Zum  Vergleich  möchte  icli  empfehlen,  einen  Koffer  als  Zolldurch- 
fuhrstück einmal  von  Verona  nach  München,  und  dann  von 
München  nach  Verona  aufzngeben.  In  München  wird  Visitation 
mul  Zdllauslösung  Spesen-  und  gebührenfrei  ohne  alle  Schreiberei 
in  fünf  Minuten  erledigt  durch  einen  Zollbeamten  und  einen 
Gepäckträger.  In  Verona  ist  für  dasselbe  Geschäft  das  Fünffaclie 
des  Personals,  das  Zehnfache  der  Zeit  (mindesten.s)  erforderlich, 
und  — doch  über  die  Gebühren  nachher.  Nachdem  mein  Koffer 
im  Visitationsraume  gefunden  worden  war,  wurde  ich  in  amtlicher 
Begleitung  durch  drei  Büros  gefülirt,  hatte  dreimal  Erklärungen 
über  Herkunft,  Inhalt  und  Bestimmungen  des  Zollstückes  abzu- 
geben;  diese  Erklärungen  wurden  in  drei  verschiedene  Register 
eingetragen.  Au.sser  drei  Gepäckträgern,  die  den  Verhandlung.s- 
gegenstand  durch  verschiedene  Räume  zu  befördern  hatten,  setzte, 
ich  drei  Zoll-  und  drei  Ei.senbahnbeamte  in  Tätigkeit.  Die  in 
hötlicher  Wei.se  erledigte  Visitation  ergab,  dass  der  Koffer  zoll- 
frei war.  Ich  hatte  eine  Empfangsbestätigung  zn  unter.schreiben 
mit  Angabe  meiner  Herkunft,  meines  Standes  und  Wohnorts,  und 
w'ar  nur  überrascht,  da.ss  ich  nicht  auch,  wie  .son.st  in  Italien  oft 
gefordert  wird,  den  Vornamen  meines  Vaters  anzugeben  hatte. 
Dann  wurde  mir  eine  Rechnung  über  .3  fr.  6ü  c.  vorgelegt,  nach- 
dem ich  schon  1 fr.  50  c.  für  Trinkgelder  ausgegeben  hatte. 
Die  3 fr.  (55  c.  verteilten  sich  wie  folgt:  für  die  kleinen  Blei- 
siegelchen des  amtlichen  Zollverschlusses  1,20  fr.,  für  die  um  den 
Kotter  gelegte  Schnur  50  c.,  für  „Verpackung“,  d.  h.  Gebühr  für 


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ünilefrcn  der  Srlinur,  15  c.,  für  Anlegen  der  Bleisiefrel  20  c., 
Aufgeld  (aggio  — mir  uiiverstäiidlieli  geldiebeii)  1 fr.,  und 
schliesslich  noch  00  c.  ohne  Angahe  eines  Po.stens,  was  ich  leider 
erst  hinterher  bemerkte. 

Herman  (Irimni  sagt  einmal  irgendwo,  ein  schweres  Schick- 
sal werde  dadurch  erträglich,  dass  man  seine  Notwendigkeit  wissen- 
schaftlich zu  erkennen  strebe.  Eingedenk  dieses  Wortes  suchte 
auch  ich  mein  schweres  Schicksal  im  Zollhau.se  zu  Verona 
histori.sch  zu  begreifen:  ich  dachte  au  den  langwierigen  und  kost- 
spieligen Geschäftsgang  in  der  päp.stlichen  Kanzlei,  über  den 
unsere  Vorfahren  zu  l)r.  Martin  Luthers  Zeiten  sich  be.schwerten. 
ich  verglich  meine  Gebühren  für  Bleisiegel  und  Schnur  mit  jenen 
für  päi)Stliche  Bullen  (die  ja  auch  aus  Blei  waren),  für  Pergament 
und  seidene  Siegelschnur  usw.,  und  ich  fand,  da.ss  es  so  sein 
musste:  „Einst  alles  wie  heut!“  mit  dem  einzigen  Unterschied, 
dass  die  päp.stlichen  Beamten  von  damals  Sünder  waren,  während 
die  königl.  italienischen  von  heute  nur  Zöllner  .sind.  So  trug  ich 
mein  Schicksal  mit  Würde  und  sagte  nur  zum  Abschied  einem  der 
Beamten:  „ln  Verona  ist  eine  Kirche  zu  wenig“.  — „Welche 
Kirche?“  — „Die  Kirche  des  heiligen  Bürokratius  fehlt“.  Der 
Beamte  nahm  es  nicht  übel  und  sagte  zu.stimniend : „Die  fehlt 
nicht  mir  in  Verona,  .sondern  in  ganz  Italien“. 

Um  nicht  ungerecht  zu  sein,  bemerke  ich,  dass  in  Städten 
wie  Koni  und  Florenz,  die  auf  den  Verkehr  mit  Zolldiirchfuhr- 
stücken  besser  eingerichtet  sind,  der  Gcschäft.sgang  einfacher  ver- 
läuft. Der  'J'rost  ist  freilich  nur  gering;  denn  die  durch  die 
Spesenwirt.schaft  gebotene  Gelegenheit  zur  ('bervoitciliing  und 
Unterschlagung  wird  auch  in  den  Zentralen  des  Verkehrs  nach 
Kräften  au.sgeniitzt,  ja  noch  mehr:  der  Zolltarif  wird  Unkundigen 
gegenüber  wohl  auch  in  die  Höhe  geschraubt,  um  einen  Neben- 
gewinn für  die  Beamten  herati.szuschlagen.  Nach  meiner  Er- 
fahrung hatte  ich  in  Rom  bei  Ati.slösung  von  zollfreien  Fracht- 
sendungen  nie  unter  3 — 4 fr.  an  amtlichen  Spesen  und  Gebühren 
zu  zahlen*),  w'enn  ich,  aus  Interesse  an  der  Visitation,  die  Aus- 
lösung persönlich  vornahm;  dagegen  ermässigten  sich  die  amtlichen 
Gebühren  etwa  um  die  Hälfte,  wenn  ich  die  Angelegenheit  einem 
sachkundigen  Siiediteur  übertrug.  Bei  zoll])flichtigen  Sendungen 

')  I>ie  entsprfchfiiJc  Ziffer  in  lleutscliland : 5 l’f.  statistische  Hebllhr! 


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3ä 


aber  ist  die  fülfe  eines  Kundigen  kaum  zu  enti>eliien.  Ich  werde 
den  Eindruck  nicht  vergessen,  den  icli  einmal  von  italienischem 
Beamtentum  beim  Handeln  um  eine.  — Zollrechnung  empfangen 
habe.  Mir  wurde  (auf  dem  Zollamt  in  Rom)  eine  Summe  abver- 
langt, die  ich  unbedingt  für  zu  hoch  hielt  und  zu  zalilen  ver- 
weigerte. Der  Beamte,  der  mir  die  Reelinung  vorgelegt  liatte,  be- 
•sprach  sich  mit  einem  anderen,  kam  zurück,  erklärte,  mau  könne 
die  Berechnung  auch  nach  einem  anderen  Satze  machen,  und  legte 
mir  eine  neue,  auf  ein  beliebiges  Stück  Papier  ins  Unreine  ge- 
schriebene Zollberechnung  vor,  die  um  die  Hälfte  niedriger  war. 
Mir  schien  die  Ziffer  noch  immer  reichlich  hoch  und  ich  fragte, 
ob  es  nicht  einen  noch  billigeren  Satz  gebe.  Der  Beamte  zog 
sich  zum  zweitenmal  zurück  und  legte  mir  eine  dritte  Rechnung 
vor,  die  den  ursprünglichen  Zollansatz  von  12  fr.  20  c.  auf  3 fr. 
20  c.,  die  Gebühren  von  etwa  4 auf  3 fr.  ermässigte.  Ich  er- 
klärte mich  bereit,  diese  Rechnung  zu  bezahlen  und  erhielt  sie 
nun  auf  ein  amtliches  Formular  ins  Keine  geschrieben  zurück. 
(Jcrn  würde  ich  daran  glauben,  dass  es  in  jenem  Palle  wiiklich 
drei  verschiedene  Berechnungsmöglichkeiteii  gegeben  hätte;  allein 
als  der  Beamte  zum  Schlu.ss  beim  Empfang  des  Trinkgeldes  eine 
Ans])ielung  machte,  er  habe  für  seine  Bemühungen  (uiu  Herab- 
setzung des  Zolles)  doch  etwas  mehr  verdient,  da  zerstörte  er  auch 
den  letzten  Rest  von  Wahrscheinlichkeit,  der  einer  wohlwollenden 
Auslegung  noch  geblieben  war. 

Das,  was  ich  hiermit  berührt  habe,  das  Verhältnis  des 
Italieners  zum  Staat  — denn  dieser  ist  ja  am  Ende  der  Be- 
trogene — das  ist  wohl  der  tiefste  Schatten  in  dem  an  Licht  und 
Sonne  so  reichen  Bilde  des  italienischen  Volkscharakters.  Der 
Italiener  hat  wenig  Achtung  vor  dem  Gesetze  und  keine  Spur  von 
Ehrfurcht  vor  dem  Staat.  Seinem  leidenschaftlichen,  leicht  ge- 
reizten und  für  Schmeichelei  empfänglichen  Nationalgefühl  ent- 
si)richt  so  gut  wie  gar  kein  Staatsgefühl.  Der  Staat  ist  dem 
Italiener  nur  wertvoll  als  eine  (Quelle  des  Gewinns  und  der 
Spekulation.  Fis  ist  nicht  der  Fremde,  der  in  Italien  am  meisten 
ausgesügen  wird,  sondern  der  italienische  Staat.  Vorhin  suchte 
ich  Ihnen  zu  schildern,  wie  viel  glückliche  Gaben,  wie  viel  Liebens- 
würdigkeit und  heitere  Lebenskunst  dem  Italiener  aus  seiner  ge- 
dankeukssen  Daseiusfreude,  aus  dem  Geniessen  des  Augenblicks 
entstehen.  Allein  die  Götter  .schenken  auch  ihren  Lieblingen  kein 

MitteUungen  il.  scliles.  Oea.  f.  Vküe.  ileft  XXI.  ö 


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34 

vollkommenes  Out:  eben  jene  Oaben,  die  den  Heicbtum  des 
Italieners  als  Persönlielikeit  ansmaclien,  sind  die  Armut  des 
italienischen  Staates. 

Ich  brauche  kaum  au  Dinge  zu  erinnern,  die  ja  auch  dem 
deutschen  Zeitungsle.ser  wohlbekannt  und  zum  Teil  noch  frisch  in 
Erinnerung  sind,  an  die  grossen  Skandalprozesse  gegen  hochstellende 
Beamte  wegen  Vernntrennng  ötl'entlicher  (leider,  an  die  Unter- 
schlagung der  Millionen,  die  nach  dem  Erdbeben  in  Kalabrien  als 
milde  Spende  für  die  Verunglückten  ans  der  ganzen  Welt  zu- 
•sammenströmten  und  schliesslich  doch  nur  den  Mitgliedern  des  Ver- 
teilnngskomitees  die  Taschen  füllten  — italienische  Blätter  selbst 
haben  es  als  eine  nationale  Schmach  und  Schande  bezeichnet! 
Das  häufige  Versagen  von  Amtsgefühl  und  Gemeinsinn,  die  Unter- 
ordnung des  öffentlichen  unter  das  jirivate  Wohl,  kurz  der  Mangel 
an  altriiismo  collrttivo , wiial  von  weitblickenden  Italienern  selbst 
am  schmerzlichsten  beklagt.  Mir  ist  bei  Gesprächen  mit  Italienern 
über  diese  Dinge  nichts  so  sehr  anfgefallen,  wie  die  (iering- 
schätzung,  mit  der  der  Italiener  dem  Fremden  gegenüber  von 
seinem  eigenen  Staate  spricht.  Bei  allem  Stolz  auf  ihre  sonstige 
Kultur,  auf  ihre  Künstler  und  Dichter,  ihre  Gelehrten  und  Er- 
finder, und  nicht  zuletzt  auf  ihr  schönes  Land,  haben  die  Italiener 
für  ihren  Staat  selten  ein  gutes  Wort  und  sind  meistens  gern  bereit, 
auch  einer  scharfen  Kritik  ans  fremdem  Munde  freudig  znzustimmen. 
Wer  es  liebt,  Völker  mit  einander  zu  vergleichen,  dem  wird  sich 
hier  die  Antithese  England-Italien  anfdrängen.  Mit  einem  gering- 
.scliätzigen  Urteil  übei'  die  engli.sche  Kunst  wird  man  selten  in 
England  anstossen;  eben.so  selten  aber  wird  eine  Kritik  an  eng- 
lischen Staatseinrichtungen  freundliche  .\nfnahme  finden,  In 
Italien  ist  gerade  das  Gegenteil  der  Fall. 

.Als  vor  einigen  .Jahren  die  italienischen  Ei.senbahnen  vom 
Staate  ül)ernommen  wurden,  konnte  man  überall  die  Prophezeiung 
hören:  ..letzt  wird  es  schlimmer  als  vorher“.  .Allein  der  Staat 
zeigte,  dass  er  mehr  vermochte,  als  man  ihm  zntrante;  es  wurde 
tatsächlich  nicht  .schlimmer,  sondern  besser.  Erkannten  die 
Italiener  das  mm  anV  Nein.  Die  noch  gebliebenen  Mängel 
wurden  .schärfer  kritisiert  als  vorher,  und  überall  konnte  man  das 
Urtt'il  hören:  „Es  ist  jetzt  .schlimmer  als  vorher“.  Die  in  Italien 
lebenden  Fremden,  in  diesem  Falle  die  unbefangeneren  Kritiker, 


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erkannten  die  Leistiingrcn  der  Staafseisenhalinverwaltiing  dank- 
barer an  als  die  Italiener. 

Die  Frage  nach  dem  Verliältnis  des  Italieners  znm  Staate 
enthält  Stoff  für  ein  Buch  — im  engen  Hahmen  eines  Vortrage.s 
mii.ss  icii  midi  auf  diese  wenigen  Andeutungen  beschränken.  Znm 
Schlu.ss  will  ich  mit  gleicher  Kürze  nur  noch  auf  die  andere 
grosse  Frage  des  Völkerlebens  eingelien,  auf  das  Verhältnis  des 
Italieners  zur  Kirclie  und  zur  Religion.  Ks  ist  ein  Gebiet,  dessen 
Krfoi-schung  für  den  Historiker  wie  für  den  Völkerpsychologen 
stets  den  grössten  Reiz  behalten  wird ; denn  es  gibt  — wenigstens 
in  Europa  — wohl  kein  zweites  Land,  in  dem  freudigste  Lebens- 
bejahung und  tief-innerliche  Lebensverneinnng  so  hart,  anscheinend 
so  unvennittelt,  nebeneinander  stehen,  wie  in  Italien,  dem  Lande 
des  Lebensgenusses  und  dem  Lande  der  Weltentsagung. 

Die  Lebenslust  und  der  Wirklichkeitssinn  der  Italiener  kehren 
wieder  in  ihrer  weltlichen,  die.sseitsfrohen  .\uffassung  der  Kirche. 
Die  Kirche  ist  ihnen,  den  Trägern  des  Papsttums,  mehr  als  einem 
andern  katholischen  Volke,  Ecclesia  triumphans:  triumphierend  auf 
Erden!  Vergleichen  Sie  eine  deutsche  mit  einer  italieni.schen 
Kirche!  Durch  die  grossen  Dome  der  deutschen  Baukunst,  von 
Stra.ssburg  bis  Köln,  geht  ein  Zug  des  Geheimnisvollen,  der 
My.stik.  Das  Licht  ist  gedämpft,  und  andere  als  gedämpfte 
Stimmen  würden  als  Störung  der  Weihe  empfunden  werden.  Wie 
anders  in  Italien,  besonders  in  Mittel-  und  Süditalien!  Da  ist 
nichts  Mystisches  und  nichts  von  geheimnisvoller  Verschwiegenheit 
in  den  gro.ssen  Domen.  Das  Licht  flutet  in  vollen  Strömen  herein 
und  wird  empfangen  von  heller,  heiterer  Marmorpracht.  Nicht 
das  my.stLsche  Verhältnis  des  Erdenbewohners  zum  rberirdischen, 
sondern  den  Glanz  der  siegreichen  Kirche  auf  Erden  stellen  die 
Gotteshäuser  des  Volkes  dar,  das  der  katholi.schen  Kirche  ihre 
Fürsten  und  Herrscher  setzt.  Kein  antiker  Triumphbogen  oder 
Triumphsäule,  und  kein  Trinmphatorendenkmal  triumphieren  .so 
wie  der  Rie.sendom  des  •Pai>.stes,  der  nach  deutschem  Empfinden 
kaum  noch  Kirche  ist,  sondern  nur  eine  ungeheure  Festhalle,  be- 
stimmt für  den  Einzug  eines  Triumphators.  Darum  haben  auch 
die  Italiener  am  liebsten  einen  Papst,  der  die  Rolle  des  Tri- 
umphators zu  spielen  wei.ss.  Vom  religiö.sen  Standpunkt  aus  ge- 
sehen steht  ohne  Frage  der  gegenwärtige  Papst  höher  als  sein 
politischer  Vorgänger,  Leo  XIII.  Und  dennoch  — wie  oft  wird 

3* 


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die  Erinnerung  an  Papa  Leone  warligerufen,  an  den  Glanz  seines 
Auftretens,  an  den  Donner  der  Evviva-Rufe,  die  seinen  Einzug 
in  die  Peterskirche  grüssten  — wie  oft  erinnern  die  Römer  an 
den  verstorbenen  Papst,  um  ihn  auszusi)ielen  als  den  würdigeren 
Träger  der  Tiara  gegenüber  dem  nürbternen,  allem  Prunk  ab- 
holden, aber  kindlich  frommen  Pius  X.,  der  so  gar  nichts  De- 
koratives an  sich  hat  und  keinen  Hochruf  in  der  Kirche  duldet, 
als  unverträglich  mit  der  Würde  des  Gotteshauses.  Wie  oft  habe 
ich  die  geringschätzige  Charakteristik  gehört:  „E  un  buon  prete, 
ma  un  Papa  non  M“  Nach  unserm  Empfinden  könnte  von  einem 
Papste  nichts  rühmlicheres  gesagt  werden,  als  dass  er  ein  guter 
Priester  sei.  Der  Römer  aber  hat  dem  Papsttum  gegenüber  noch 
dieselbe  Empfindung  wie  in  den  Tagen  der  Refonnation,  wenn 
auch  der  Ausdruck  dieser  Empfindung  heute  weniger  krass  i.st. 
Als  Leo  X.  starb,  der  durch  und  durch  weltliche,  aber  glanzvolle 
Papst,  und  nun  der  fromme,  prunklose  Hadrian  VL,  als  der  letzte 
Deutsche,  den  Stuhl  Petri  bestieg  — da  wurde  Leos  Grab  mit 
Versen  voll  Sehnsucht  nach  der  goldenen  Zeit  des  Medicäers  be- 
deckt ; als  aber  Hadrian  starb,  bekränzten  die  Römer  die  Haustür 
des  päpstlichen  Leibarztes  und  schrieben  darauf:  „Dem  Befreier 
des  Vaterlandes  Senat  und  Volk  von  Rom“ '). 

Und  doch  steht  neben  dieser  irdischen  Auffa.ssung  der  Kirche, 
und  (was  damit  zusammenhängt i neben  rein  äasserlicher,  ge- 
.schäfbsmässiger  Erfüllung  der  gottesdienstlichen  Pflichten,  eine 
Vertiefung  des  religiösen  (Jefühlslebens,  die,  wenn  sie  uns  heute 
begegnet,  an  längstvergangene  Zeiten  erinnert.  Die  Welteut- 
sagung  steht,  wie  es  scheint,  als  notwendiges,  logisches  Korrelat 
neben  dem  Welt  gen  uss.  .Man  kann  in  italieni.schen  Kirchen 
Bilder  innigster  Andacht  sehen,  zuweilen  Zustände,  die  an  religiöse 
Verzückung  grenzen.  Geht  man  etwa  am  Charfreitag  in  den 
Petersdom  oder  an  andere  heilige  Stätten  und  wartet,  bis  die  Re- 
liquien gezeigt  werden  — in  der  Peterskirche  verehrt  frommer 
Glaube  noch  Stücke  des  Kreuzes  Christi  und  der  lieiligen  Lanze 
— so  sieht  man  ganze  Scharen,  die  kniend,  und  sogar  manche, 
die  mit  der  Stirn  auf  dem  Boden  das  Wunderbare  erwarten,  um 
dann,  in  dem  gro.s.sen  Augenblick,  mit  starrem  verzücktem  Blick 


')  Gre({orovius,  <iescli.  der  Stadt  Heim  im  .Mittelalter  VIll  (189ü) 
407,  4Z4. 


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hinanfznsrhanen  narli  den  Baikonen  der  riesigen  Kuppelpfeiler, 
von  denen  aus  die  Reliquien  gezeigt  werden.  Wenn  man  die.se 
bleichen  durchgeistigten  Gesichter  sieht,  diese  schwärmerischen 
Augen,  die  von  den  Menschen  ringsum  nichts  zu  sehen  scheinen, 
sondern  wie  trunken  nach  oben  blicken,  diese  Lippen,  die  sich 
wie  im  Fieber  unausgesetzt  bewegen  und  doch  keinen  Laut  von 
sich  geben  — dann  versteht  man,  dass  gerade  Italien  dem  Mittel- 
alter  seine  grössten  Heiligen  geschenkt  hat,  und  eine  Ahnung  vom 
Zeitalter  des  heiligen  Franz  von  A.ssisi  dämmert  in  uns  auf.  — 
Wenn  die  Vergangenheit  auch  nicht  wiederkehrt  — wer 
wollte  es  wagen,  dem  italienischen  Volke  die  Zukunft  abzu- 
sprechen? Das  Volk,  das  — abge.schen  vom  politischen  ].ieben  — 
mehr  getan  hat  für  unsere  europäische  Kultur  als  irgendein 
anderes  Volk  der  Welt,  das  auf  beinah  allen  Gebieten  mensch- 
lichen Schaffens  und  Denkens  neue  Wege  gewiesen  hat  — dieses 
Volk  ist  auch  heute  noch,  trotz  aller  Altersei’scheinungen,  kein 
dekadentes  Volk  und  gibt  uns  kein  Recht  zu  hochmütiger  Ver- 
achtung. Die  Italiener  von  heute  sind  weder  ein  Bettler-  und 
Gaunervolk,  noch  eine  dekadente  Rasse,  sondern  sind,  trotz  all 
ihrer  Fehler  und  Laster,  noch  immer  ein  Volk  von  edelster  Kultur 
und  eretaunlicher  Lebenskraft.  .\uch  die  ungeratensten  Kinder  der 
schönen  Mutter  Italia,  die  Neapolitaner,  lernt  man  mit  der  Zeit, 
wenn  nicht  lieben,  so  doch  milder  beurteilen;  sie  sind  nicht 
schlecht,  sie  sind  nur  wilde  Kinder.  Sie  stehen  nicht  jeaseits, 
sondern  diesseits  von  Gut  und  Böse;  statt  des  Apfels  der  Eva 
gab  das  Schicksal  ihnen  und  ihrem  Lande  die  goldenen  Apfel  der 
Hesperiden.  Niemand  aber  kann  sagen,  wie  weit  das  Volk,  das 
- länger  im  Mittelpunkt  der  Weltgeschichte  gestanden  hat,  als 
irgendein  anderes,  auch  in  der  Zukunft  berufen  sein  wird  zur 
Mitarbeit  an  der  Kultur  der  Menschheit. 


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Die  altisläiulische  Saga. 

Vun  Pr.  (iiistiiv  Xcckel. 


Wer  als  Xiclit-Gennanist  von  altnorclisdier  Literatur  hört, 
der  denkt  wohl  zuerst  an  die  Eddalieder.  Aber  aueh  der  Name 
Saga  dürfte  heute  einem  weiteren  Kreise  in  Deutschland  nicht 
mehr  ganz  fremd  klingen.  Die  Saga,  die  kunstmä.ssige , figuren- 
reiehe  Erzählung,  ist  das  typische  Erzeugnis  der  reichen  alt- 
i.släiidischen  Prosaliteratur.  Der  wertvollste  Teil  dieser  Lite- 
ratur, derjenige,  der  auf  volkstümlicher  heimischer  ('berlieferung 
beruht,  weist  drei  Gattungen  auf:  1.  die  Fornaldarsögur, 
lieroische  Erzählungen  aus  der  Zeit  vor  Lslands  Besiedelung;  be- 
kanntere Vertreter  dieser  Spezies  sind  die  Völsunga-  und  die 
Fridpiüfs.saga.  2.  die  Konunga  sögur,  Biographien  der  altnor- 
wegi.schen  Könige,  ihr  Gii)fel  die  Saga  von  Olaf  dem  Heiligen 
(t  1030).  3.  die  Islendinga  sögur,  Isländergeschichten.  Die.se 
letzte  Gruppe  allein  ist  es,  die  uns  hier  beschäftigen  soll;  es  handelt 
sich  um  die  „isländische  Saga“  im  engeren  Sinne.  Und  zugleich 
im  höchsten  Sinne.  Denn  die  Isläiulergeschichten  stellen  umstreitig 
den  Höhepunkt  der  altisläudischen  und  der  ganzen  altgermanischcn 
Prosaschriftstellerei  dar.  Im  Umgang  mit  den  heimischen  Stotfen 
ist  die  Gestaltungskraft  der  isländischen  Erzähler  erstarkt,  und 
sie  haben  aus  ihnen  ihre  Meisterwerke  geschatlen  — um  nur  die 
beiden  schönsten  zu  nennen:  die  Njälssaga,  die  Gi'slasaga. 

Bekanntlich  wurde  die  Insel  l.sland  ums  Jahr  900  von  Nor- 
wegen aus  besiedelt.  Die  Kolonisten  waren  norwegische  Gross- 
bauern, die,  der  Reichsgründung  des  Königs  Harald  weichend  und 
zugleich  dem  Wanderzuge  der  Wikingzeit  folgend,  ihre  alte  Frei- 
heit nach  dem  damals  entdeckten  Neulande  retteten,  ln  den  Fjord- 
tälern und  Flus-sebenen,  rings  um  das  unbewohnbare  Hochgebiet 
des  Innern,  blühte  schnell  ein  rüstiges  Leben  auf.  Die  Bevölkerung 
lebte  wie  zu  Hause  von  Viehzucht,  Ackerbau  und  Fischfang.  Wie 
zu  Hause  gab  es  dabei  Besitzstreitigkeiten  und  Fehden  in  Menge. 
Bei  den  leidenschaftlich  betriebenen  Prozes.sen  auf  dem  Thing  ging 
Macht  oft  vor  Recht,  ein  Totschlag  zog  andere  nach  sich,  Fber- 
fälle  aus  dem  Hinterhalt  und  nächtliche  Brandlegungen  waren  an 
der  Tagesordnung.  „Auge  in  Auge  .sollen  sich  die  Adler  hacken“. 


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sajftc  der  alte  Xordmaiin.  Dar  unersättliche  Afarlittrieb  der  Häupt- 
linge war  meist  verbunden  mit  reckenhafter  Streitlust,  Fiende  an 
der  Gefahr  und  tiefster  Emptanp:lichkeit  für  den  Ruhm  des  Kriegers 
und  die.  Schande  des  Feiglings.  Das  Gebot  der  Rlntrache  und  der 
emptindlichste  Ehrbegrilf  herrscliten  mit  elicrner  Gewalt.  Um 
ihnen  zu  genügen,  verschmähte  man  ancli  Trug  und  Hinterlist  nicht; 
Kampf  melirerer  gegen  einen  galt  als  nicht  anständig  und  wurde 
unter  normalen  V’^erhältnissen  von  den  meisten  vermieden;  aber 
dass  man  durch  zweideutige,  auf  Schrauben  gestellte  Erklärungen 
und  Versprechungen  dass  Gewissen  rettete,  kam  oft  genug  vor. 

Kriegerisch  war  das  altisländische  Leben  bis  ins  11.  Jahr- 
hundert hinein.  Im  Jahre  1000  nalim  das  Land  das  ('hristentum 
an;  die  „alte  Sitte“,  wie  man  es  nannte,  wurde  mit  der  „neuen 
Sitte“  vertauscht.  Das  war  zunächst  für  die  Mehrzahl  ein  rein 
äusserlicher  Vorgang,  früliestens  in  der  nächsten  und  übernächsten 
Generation  liabeii  die  ethischen  Ideale  des  Chri.stentums  eine  Stätte 
in  den  Herzen  gefunden.  Gleichzeitig  entzogen  wirtschaftliche 
Wandlungen  dem  heroischen  Herrentum  der  heidnischen  Zeit  den 
Boden.  Die  Gold-  und  Silbertruhen  der  Wikingzeit  wurden  all- 
mählich leer,  das  Wergeid  aber  blieb  hoch,  und  wenn  es  schon 
früher  vorgekommen  war,  da.ss  einer  sich  von  Haus  und  Hof  ge- 
kämpft hatte,  so  musste  man  Jetzt  dieses  Schicksal  um  so  mehr 
fürchten.  Die  Zahl  der  Herrengeschlcchter  schmolz  zusammen, 
die  Bevölkerung  nahm  vermutlich  stark  zu,  und  die  Wirtschaft 
erforderte  mehr  Hände.  So  wirkten  allerlei  Gründe  zusammen, 
um  das  Lehen  in  ruhigere  Bahnen  zu  lenken.  Die  Insel  erhielt 
einen  Bischofsitz,  dann  einen  zweiten.  Klöster  wurden  gegründet, 
und  in  den  Klöstern  fing  man  an,  mit  lateinischer  Schrift  islän- 
dische Bücher  zu  schreiben,  zuei'st  juristischen  und  theologischen 
Inhalts,  später  auch  andere  weltliche  Bücher,  Sagas  und  alte  Gedichte. 

Die  älte.sten  uns  erhaltenen  Sagahandschriften  stammen  aus 
der  Zeit  um  1300.  Der  grösste  Codex,  das  Buch  von  Müdruvellir 
im  Nordlandc,  das  über  ein  Dutzend  Sagas  enthält,  ist  in  der 
ersten  Hälfte  des  14.  Jahrhunderts  geschrieben.  Ohne  Zweifel  hat 
es  ältere  Niederschriften  gegeben.  Zur  Zeit  als  Snorri  Sturluson 
auf  Grund  älterer  Königssagas  seine  klassische  Gesamtdarstellung 
der  norw'egi.schen  Ge.schichte  lieferte,  um  1225,  hat  wahrscheinlich 
auch  ein  gi’osser  Teil  der  Islendinga  sögur  bereits  schriftlich  Vor- 
gelegen. Die  neueren  isländischen  Gelehrten  setzen  sogar  herkömm- 


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liclierwcise  ihn-  besten  Sagas  ins  12.  Jaliihmnlevt.  Diese  Datierung 
lienilit  jedocli  auf  einem  niissvci-stantlenen  Quellcnzeugnis  und 
.scliwebt  also  in  der  Luft;  die  allgemeine  Wahrscheinlichkeit  spricht 
gegen  sie. 

Die  in  den  Sagas  erzählten  Vorgänge  fallen  in  die  ersten 
Men.schenalter  nach  der  Besiedelung,  die  meisten  in  das  Jahrhundert 
zwischen  030  und  1030;  am  dichtesten  mit  Saga.szenen  und  -helden 
besetzt  ist  das  ausgehende  10.  Jahrhundert,  eine  Zeit,  die  auch 
anderswo  im  gennanischen  Norden  besonders  reiche  Kunde  hinter- 
la.ssen  hat.  Die  Aufzeichnung  aber  findet  rund  250  Jahre  später 
statt:  Ereignis.se  um  075,  Aufzeichnung  um  1225;  ja  für  einige 
Sagahandlungen  beträgt  der  Abstand  erheblich  mehr  noch  als  drei 
Jahrhunderte. 

Dieser  Ab.stand  wird  au.sgefüllt  durch  die  mündliche  Über- 
lieferung; sie  kettet  die  Schreibezeit  an  die  Sagazeit.  Die 
Sagaschreiber  selbst  berufen  sich  auf  diese  t'berlieferung:  ,so  wird 
berichtet*  — , davon  ist  nichts  überliefert*  — , diesen  Vorfall 
erzählt  man  verschieden*  — ,das  hat  der  und  der  mit  angesehen 
und  es  weiter  berichtet*,  und  dergleichen  .\u.sserungen.  Dass  die 
mündliche  Darstellung  neue.ster  (.Jeschehnis.se  wie  alter  Geschichten 
eine  beliebte  Ergötzlichkeit  war  und  im  Leben  der  alten  Nordleute 
eine  nicht  unwichtige  Bolle  spielte,  dafür  gibt  es  eine  ganze  Anzahl 
Zeugni.s.se.  Besonders  auf  dem  Allthing,  wo  Jeden  Sommer  die 
Leute  aus  allen  vier  Vierteln  des  Landes  zusammenströmten  und 
auch  mancher  weitgereiste  Mann  sich  einfand.  gab  cs  wohl  immer 
Sagas  zu  hören.  Mancher  erzählte  da  seine  eigene  Saga,  wie  er 
den  und  den  irgendwo  in  Norwegen  blutig  gestraft  hatte,  und  es 
kam  in  solchem  Falle  wohl  vor,  dass  die  Saga  ihre  tötliche  Fort- 
setzung in  der  Wirklichkeit  fand.  Aber  auch  Berichterstatter 
dritter  und  vierter  Hand  kamen  zu  Worte,  Lielihaber,  die  den  Er- 
eigni.ssen  persönlich  und  auch  zeitlich  ferner  standen,  und  in  deren 
Vortrag  deshalb  naturgemä.ss  die  freiere  künstleri.sche  Ge.staltiing 
mehr  liervortrat,  der  eigentümliche  Sagastil  sich  ausbildete. 
Die.ser  Sagastil,  die  ganze  Tonart,  wie  wir  sie.  ans  den  Texten 
kennen,  trägt  das  deutliche  (Jepräge  der  mündlichen  Erzäliluug 
mit  ihrer  ganzen  Frische  und  Unmittelbarkeit,  ihrer  packenden 
liebendigkeit  und  ruhigen  Sachlichkeit.  Kein  Zweifel,  da.ss  der 
mündliche  Vorfrag  oft  mit  Haut  und  Haar  in  die  geschriebene 
Saga  eiugegangen  ist. 


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Oft  — aber  niclit  immer!  An  manchen  Stellen  ist  die  schrift- 
stellerische .Mache  sehr  deutlich.  .Auf  jeden  Fall  kann  die  Zu- 
sammenfüpunp  so  langer  (leschichten  wie  Niälssaga,  Egils.saga, 
GrettLssaga,  La.xdtela-  und  Eyrbyggia.saga  erst  bei  der  Nieder.schrift 
erfolgt  sein.  So  werden  wir  uns  wohl  hüten,  die  schriftliche 
Saga  mit  der  mündlichen  gleichzusetzen.  Und  ebensowenig  dürfen 
wir  natürlich  letztere  ohne  weiteres  als  Geschicht.squelle  betrachten. 
Die  volkstümliche  Tradition  \Vrgisst,  verwechselt  und  erfindet  neue 
Zusammenhänge;  auch  stilisiert  sie  aus  einem  bestimmten  Form- 
gefühl  heraus.  Rls  leuchtet  ein,  da.ss  diese  und  andere  geschichts- 
feindliche Faktoren  bei  einer  zwei-  Ids  dreihundert  Jahre  fort- 
gesetzten ('berlieferung  nicht  nnwirksani  bleiben  konnten. 

In  diesen  Verhältni.ssen  liegt  eine  wissenschaftliche  Aufgabe 
beschlossen,  für  deren  Losung  bisher  fast  nichts  getan  wurde. 
Bei  den  nordischen  Gelehrten  war  weitgehendes  Vertrauen  auf  die 
Zuverlässigkeit  der  Sagas  lange  traditionell.  Der  einzige  Isländer, 
der,  soweit  mir  bekannt,  Zweifel  an  dieser  Zuverlässigkeit  ge- 
äussert  hat,  war  der  geistreiche  und  originelle  Gudbrandur  Vig- 
fu.sson;  er  fand  in  den  Islendinga  sögur  heroische  Fabelstotfe. 
Eine  energische  Reaktion  ging  von  Dänemark  aus.  Edvin  Jessen, 
der  1871  durch  seine  .Abhandlung  über  die  Eddalieder  der  modernen 
Eddaforschung  den  gesunden  Boden  bereitet  hat,  griff  das  Jahr 
darauf  in  Sybels  Historischer  Zeitschrift  (Bd.  28)  die  Glaubwürdig- 
keit namentlich  der  PIgilssaga  aufs  heftigste  an.  Soweit  dieser 
Aufsatz  ausgeführte  Untersuchungen  enthielt,  konnte  man  ihm  in  den 
Hauptininkten  schwerlich  widersprechen.  Nur  die  daran  geknüpften 
.Meinung.säussernngeii  scho.ssen  weit  über  das  Ziel  hinaus.  Je.s.sen 
war  von  Anklägerstimmnng  erfüllt,  und  man  konnte  ihm  das  von 
der  Gegenseite  mit  Recht  zum  Vorwurf  machen.  Was  man  aber 
gegen  seine  .Argumente  angeführt  hat,  das  zeugt  in  noch  höherem 
Grade  von  Voreingenommenheit  im  entgegengesetzten  Sinne,  man 
suchte  seine  Beobachtungen  durch  Hypothesen  zu  entkräften.  .Auch 
insofern  war  diese  Debatte  unfruchtbar,  als  man  nicht  — oder 
doch  nicht  konsequent  — die  umbildende  Tätigkeit  der  Tradition 
berücksichtigte.  Man  rechnete  mit  nur  zwei  Faktoren:  ge.schicht- 
liche  Wirklichkeit  und  Verfa.s.serwillkür,  und  argumentierte  gelegent- 
lich so;  was  augenscheinlich  nicht  Verfmsserwillkür  sein  kann,  mu.ss 
historisch  sein.  Dieser  Weg  führte  zu  keinem  Ziel  als  dogmatischem 
Glauben  bei  den  einen,  ruhelosem  Zweifel  oder  radikalem  Ver- 


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wcrfrn  hei  den  andern,  und  wesentliche,  typische  Eigenschaften 
der  Saga  hliehen  unverstanden.  Etwas  derartiges  mag  Richard 
Heinzei  empfunden  haben,  als  er  den  Plan  fasste  zu  seiner  , Be- 
schreibung der  isländischen  Saga'  (Wien  1880).  Dieses  Buch  ist 
weniger  eine  beschreibende  Stilistik  als  ein  Stoffrepertorium;  als 
solches  muss  es  dem  aufmerksamen  Leser  einen  starken  Eindruck 
geben  von  der  ausgleichenden  Macht  der  Tradition.  Eine  solche 
Betrachtungsweise  wird  in  neuester  Zeit  wieder  angeregt  durch 
die  volkskunillichen  Studien.  Xamentlich  die  Arbeiten  Axel  Olriks 
und  seiner  Kopenhagencr  Schüler  über  die  ,e])i.schen  Gesetze 
der  Volk.sdichtung'  ‘)  liefern  uns  wichtige  Fingerzeige  zur  Beur- 
teilung des  überlieferten  Stoffes.  Olrik  selbst  hat  in  seinem  Buche 
, Nordisches  Geistesleben'  (Heidelberg  1908,  übertragen  von  Ranisch) 
eine  gedrängte  Kritik  der  Egilssaga  geliefert,  die  nnn  nicht  mehr 
das  Hauptgewicht  legt  auf  das  Verhältnis  des  Sagalextes  zur  Ge- 
schichte,  sondern  auf  sein  Verhältnis  zur  Tradition  und  auf  die 
vcr.schiedenen  Elemente  der  letzteren.  Die  Frage  nach  dem  his- 
torischen Kern  l.st,  soweit  überhaupt,  nur  lösbar  im  Zu.sammcnhang 
mit  diesen  n)erlieferungsfragen. 

Eine  Saga  pflegt  aus  mehreren  Elementen  zu  bestehen,  die 
bei  der  Lektüre  ganz  verschieden  anmuten.  Das,  was  manchen 
alten  Hörer  vielleiclit  am  meisten  fesselte,  den  nicht  näher  betei- 
ligten modernen  Leser  at)er  kalt  lässt,  i.st  die  notizenhafte  Lokal- 
tradition. Sie  berichtet  von  den  einzelnen  Fliussen,  Bergen, 
Höfen  einer  Gegend,  wer  sie  endeckte,  benannte,  bewohnte;  die 
kleinen  und  grossen  Vorfälle,  die  sich  dort  abgespielt  haben  und 
an  die  vielleicht  noch  eine  Erinnerung  in  Ortsnamen  lebt;  den 
Besitzwechsel,  der  mit  ihnen  vorgegangen  ist;  die  Verwandtschaft 
und  Nachkommen.schaft  der  älteren  Ansiialler  u.  dgl.  mehr.  Die 
Banern  am  Borgarfjord  lauschten  andächtig,  wenn  der  Sagamann 
ihnen  von  der  Landnahme  ihres  Urahnen  erzählte:  ,.Skallagn'mr 
landete  an  einer  Stelle,  wo  eine  grosse  Landzunge  in  die  See 
hinamsging,  und  eine  ganz  .schmale  Enge  verband  sie  mit  dem 
Lande,  und  da  brachten  sie  ihre  Taidung  an  den  Strand.  Die 
Spitze  nannten  sie  Knarrarnes  (La.stschiffspitze).  Da  erkundete 

9 iMnske  Studier  liMW,  .\m  7.  .August  190K  hielt  Ulrik  vorder  4.  Sektion 
des  Interimtianaleii  Kongresses  für  historische  Wissenschaften  zu  Berlin  einen 
Vortrag  über  denselben  Gegenstand. 


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Skallagriinr  das  Land,  und  es  war  da  eine  weite  ^loorlandsrlmft 
lind  grosse  Wälder  zwisclien  Bergen  und  Strand,  günstige  Stellen 
zum  Seelmndsfang  und  gi'osse  Fiscligründe.  ...  Da  ergritt'  Skalla- 
gn'mr  Besitz  von  dem  Lande  bis  au  tlie  Berge,  alle  Moore  bis 
zur  Seehundsbucht  und  bergaufwärts  bis  zur  Borglava  und  südlich 
bis  zu  den  Hafenbergen,  das  ganze  Land  ul.so,  durch  das  die 
Flüsse  zur  See  strömen.  Im  folgenden  Frühling  führte  er  das 
Schiff  südwärts  zum  Fjord  und  hinein  in  eine  kleine  Bucht,  dicht 
bei  der  Stelle,  wo  der  Sarg  des  Kveldiilfr  (seines  auf  der  Fahrt 
verstorbenen  Vaters)  angetrieben  war,  und  baute  da  ein  Gehöft 
und  nannte  es  Borg  und  den  Fjord  Borgarfjord,  und  den  ganzen 
Bezirk  von  da  aufwärts  nannte  man  nach  dem  Fjord"*.  Solche 
bodenständige  Tradition  lebte  rund  um  die  Insel  in  jedem  Tal. 
Kundige  Männer  haben  sie  gesammelt  und  aufge.schrieben,  und 
daraus  ist  eins  der  merkwürdigsten  Bücher  entstanden,  die  Land- 
nämabök,  eine  genaue  topographische  Beschreibung  der  Besiede- 
lung I.slands.  Dies  ist  eine  gelehrte  .\rbeit,  keine  Saga,  ln  den 
Sagas  nelunen  die  Lokalnotizen  nur  einen  verhältnismä.ssig  bc- 
•scheidenen  Raum  ein.  Das  Haiiptstiick  ist  immer  die  zusammen- 
hängende, menschlich  belebte  Handlung,  die  Saga  im  engsten  Sinne. 

Diese  Handlung  ist  meist  eine  feindliche  Verwicklung: 
Fcindscliaft  entbrennt  zwisclien  zwei  Häusern,  sei  es,  da.ss  ein 
Knecht  die  Grenze  nicht  geachtet  hat  und  vom  Nachbar  ei-schlagen 
wird  oder  Verwandte  einander  ein  Erbe  vorenthalten  oder  neidische 
Nebenbuhler  einen  Anschlag  machen  auf  Gut  und  Leben  eines 
('bermächtigen  oder  eine  üble  Nachrede,  ein  Spottvers  die  ver- 
wundete Ehre  nicht  ruhen  lä.sst.  Von  dem  erregenden  Moment 
aus  geht  die  Handlung  straft,  ohne  Abschweifungen  auf  ihr  Ziel 
los,  den  bewaftiicten  Zusammenstoss  der  Hauptgegner,  ln  der 
Regel  zieht  der  eine  Kamjif  andere  nach  sich,  oder  es  lebt  doch 
bei  einer  späteren  Streitigkeit  die  Erinnerung  an  alte  Feindschaft 
wieder  auf;  der  Name  eines  Gefallenen  kann  noch  in  der  nächsten 
Generation  zuni  Feldgeschrei  werden.  ,\n  die  Seite  der  kriege- 
ri.schen  Vorgänge  treten  friedlichere,  gern  mit  einer  scherzhaften 
Pointe.  Immer  ist  der  .Menscli  das  Hauptaugenmerk  des  Er- 
zählers,  seine  Natur,  wie  sic  in  Worten  und  Taten  ans  Licht  tritt. 
So  fügt  sich  ein  Auftritt  an  den  andern,  die  erwähnten  Lokal- 
traditionen mi.schen  sich  ein,  und  die  Saga  wäre  fertig,  fehlte 
nicht  noch  das  dritte  Element,  das  wenigstens  in  sehr  vielen 


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Sagas  eine  Holle  spielt:  die  Auslarulreise  oder  der  politische 
Hintei’ßi’und. 

Oft  liebt  die  Saga  an  von  dem  Vater  oder  Grossvater  des 
Haiiptlielden  und  berichtet  von  seiner  Auswanderung  aus  Xorwegen, 
Sehr  häutig  uiaeht  auc-h  der  Held  oder  die  Helden  eine  oder 
mehrere  Reisen  nach  Norwegen  oder  England,  tritt  in  Heziehungen 
zu  den  dortigen  Fürsten,  die  ilin  hoch  zu  ehren  pflegen,  verübt 
Wikingtaten  in  der  Ostsee  und  andei’swo  und  nimmt  zuweilen  au 
grossen  Schlachten  im  Auslande  teil,  wie  der  Schlacht  bei  Olontarf 
in  Irland  (1014).  Diese  Auslandepisoden  stechen  gewöhnlich  fühl- 
bar ab  von  den  in  Island  selbst  sjiielenden  Teilen.  Es  fehlt  ihnen 
das  konkrete  Einzel  wissen,  die  farbige  Fülle  der  echten  Saga, 
von  der  sie  sich  auch  durch  eine  gewisse  schablonenhafte  Ausser- 
liclikeit  und  romantischen  Geschmack  für  ritterliche  Lebenszierden 
unvorteilhaft  unterscheiden. 

Dies  sind  die  drei  Hauptelemente,  die  wir  aus  der  Hand  der 
Saga.schriftsteller  des  13.  Jahrhunderts  empfangen.  In  betreff  ihrer 
Vorgeschichte  darf  bei  einem  Überblick  über  unsere  vierzig  Sagas 
Folgendes  gemutmasst  werden:  die  Lokaltradition  ist  im  we.sent- 
liclicn  treu  bewahrte  Geschichte;  die  heroische  Handlung  ist  in 
den  nackten  Tatsachen  ihrer  Hauptauftritte  historisch,  in  zahl- 
reichen Zutaten  dagegen,  in  der  Motivierung  und  Verknüiifung 
mehr  oder  weniger  ein  Werk  der  Tradition;  die  Auslandepi.soden 
haben  nur  teilweise  einen  minimalen  geschichtlichen  Kern,  das 
Meiste  ist  littcrarische  Erfindung  des  13.  Jahrhunderts. 

Für  die  einzelnen  Denkmäler  bedarf  das  Verhältnis  der  ge- 
naueren Untersuchung,  die  vermutlich  bedeutende  Unter-schiede  er- 
geben wird.  Solche  Untersuchungen  sind,  wie  gesagt,  bisher  kaum 
angestellt  worden.  Die  .Andeutungen  von  Olrik  über  die  Egils- 
saga  lassen  hoffen,  dass  dieser  ausgezeichnete  Forscher  uns  eines 
Tages  eine  eingehendere  Behandlung  der  genannten  Saga  be- 
•scheren  wird.  Wir  können  hier  nur  Vorstudien  machen  und 
wollen  einige  Methoden  besprechen,  die  uns  dem  Ziele  näher 
fuhren  können.  Es  handelt  sich  also  um  die  Scheidung  von  Ge- 
schichte, Tradition  und  litterarischer  Erfindung.  Wir  suchen  da.s, 
was  uns  neben  einander  auf  die  geschriebene  Ebene  projiciert 
vorliegt,  hinter  einander  zu  sehen.  Und  da  bieten  sich  uns  ver- 
•schiedene  Anhaltspunkte,  deren  Verwertung  durch  Beispiele  verdeut- 
licht werden  möge. 


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I.  Der  Sagabericht  lässt  sich  durcli  eine  andere 
Quelle  kontrollieren.  Diese  Methode  hat  dessen  hei  der  Egils- 
saga  angewandt.  Hier  liegt  der  Fall  so  günstig  wie  nirgend 
sonst.  Die  Egilssaga  bringt  nämlich  in  ihrem  ersten  Teil  Angaben 
über  die  Lebensverhältnisse  im  norwegischen  Helgeland  und  über 
die  Beziehungen  der  dort  wohnenden  Germanen  zu  den  Finnen. 
Wahrscheinlich  um  8510  kam  ein  Helgeländer  namens  tittarr  (alt- 
engl.  Ohthere)  zu  König  Alfred  von  England  und  berichtete  ihm 
von  ungefähr  denselben  Dingen.  Alfred  schaltete  die.sen  Bericht 
in  seine  Übersetzung  des  Orosius  ein,  und  so  sind  wir  in  der 
glücklichen  Lage,  die  englische  (Quelle  vor  5100  und  die  isländische 
nach  1200  vergleichen  zu  können.  Es  zeigt  sich,  dass  letztere 
recht  ungenau  unterrichtet  ist.  Be.sondei-s  begeht  sie  den  gros.sen 
Fehler,  eine  Einrichtung  der  christlichen  Zeit,  das  Recht  des 
nonvegischen  Königs  auf  gewisse  sehr  geschätzte  Abgaben  der 
Finnen,  bis  zu  Harald  Schönhaar  hinaufzudatieren.  Ottarr  läs.st 
keinen  Zweifel  darüber,  dass  dieser  Finnentribut  den  helgeländi- 
schen Häuptlingen  oder  Grossbauern,  unter  andern  ihm  selbst, 
zuHüss,  nicht  dem  Könige').  Der  Sagabericht  wäre  nur  zu  retten 
durch  die  Annahme,  dass  Ottars  Schilderung  sich  auf  die  Zeit 
vor  Haralds  Reich.sgiUndung  beziehe.  Man  hat  diese  verzweifelte 
Annahme  in  der  Tat  gemacht,  obgleich  man  sich  sagen  musste, 
dass  die  Chronologie  von  Alfreds  Regierung  und  anderweitige 
Angaben  bei  Ottarr  selber  ihr  enhschieden  widersprechen.  Vollends 
hinfällig  wird  sie  durch  eine  allgemeinere  Beobachtung.  Die  Is- 
länder übertragen  nämlich  auch  .sonst  auf  den  Begründer  des  nor- 
wegischen Einheitskönigtums  dies  und  jenes,  was  erst  Olaf  dem 
Heiligen  oder  späteren  Königen  zukommt.  — Nimmt  man  den 
Finnentribut  aus  der  Vorgeschichte  der  Egilssaga  heraus,  so  stürzt 
sie  in  .sich  zu.saminen.  Ein  winziger  historischer  Kern  ist  von 
den  Nachkommen  mit  leicht  kenntlicher  Fabelei  umgeben  worden. 


')  Iiieser  Zustand  stimmt  zu  dem  Bericht  des  Tacitus  von  den  Khren- 
geschenken  der  kleineren  Leute  an  die  Häuptlinge,  eine  Sitte,  die,  wie  die 
Liösvetningasaga  zeigt,  im  Norden  sehr  lange  bestanden  hat.  Die  Häuptlinge 
nahmen  diesen  Tribut  zuweilen  entgegen  bei  einer  grossen  Uastreise,  die  sic 
alljährlich  in  ihrem  Bezirk  unternahmen  (Liüsv.  K 6).  Dass  auch  die  Helge- 
liinder  solche  Keisen  machten,  davon  zeugen  die  späteren  Kxpeditionen  der 
königlichen  Beamten  zur  Kinzieliung  des  Finueiitributs,  die  ebenfalls  in  die 
Egilssaga  Ubergegangen  sind. 


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46 


und  unsor  ScIiriftstellcT  Imt  dann  noch  ein  Erhebliches  aus  Eigenem 
hinzugetan. 

II.  Ein  anderes  äusseres  Kriteriuin  gegen  den  histori.scbeu 
Charakter  einer  Erzälilung  liegt  vor,  wenn  sie  sicli  als  verkajipte 
Wanderf'abel  — international  oder  isländisch  — zu  erkennen 
gibt.  So  steckt  in  einer  E]>isode  der  Viga-Gli'nnssaga  die  Anekdote 
vom  sterbenden  Araber,  die  sich  in  der  Di-sciplina  clericalis  findet. 
Der  von  Cederschiöld  erbrachte  Nachweiss  der  wesentlichen 
Identität  lässt  sich  unter.<tützen  durch  die  Beobachtung,  dass  der- 
jenige, der  diese  Anekdote  in  die  Tradition  einschmuggelte  und 
sie  dabei  geistreich  umbildete,  einen  unorgani.schen  Rest  des 
Originals  hat  stehen  lassen')  und  dass  er  sich  an  andere  Ge- 
schichten von  Gliim  angelehnt  hat*).  l)ie.se  .\neignung  eines 
fremden  Stoffes  setzt  den  Wert  der  i.sländischen  Tradition  keine.s- 
wegs  herab,  gereicht  vielmehr  durch  die  Art,  wie  sie  ins  Werk 
gesetzt  wurde,  den  alten  Erzählern  zu  hoher  Ehre.  Wir  sehen, 
wie  tief  sie  sich  in  ihre  Stoffe  hineinlebten. 

Wir  kommen  zu  einigen  inneren  .Merkmalen. 

III.  Die  Tätigkeit  der  stilisierenden  Tradition  verrät  sich 
durch  ihr  Ergebnis.  Es  ist  der  Fall  denkbar,  dass  die  Stilisierung 
nur  zu  einer  Beschneidung  der  ursiirünglichen  Realität  führt,  in- 
dem z.  B.  die  Zahl  der  Handelnden  auf  drei  reduciert  oder  der 
gute  Wille,  die  guten  Eigen.schaften  des  Gegenspielers  verschwiegen 
werden.  Ein  hüb.sches  Beispiel  für  eine  .solche  gelinde  Umbildung 
ist  die  fJe.schichte  von  Fhiki,  dem  dritten  Besucher  Islands.  Er 
.segelte  über  die  Fa-reyjar,  und  als  sie  in  den  freien  Ocean  liinaus- 
kamen,  da  liessen  sie  drei  Raben  fliegen.  Der  erste  flog  rück- 
wärts über  den  Hintersteven,  der  zweite  stieg  senkrecht  in  die 
Luft  und  kam  dann  wieder  zum  Schifte  zurück,  der  dritte  strebte 
über  den  Bug  hinaus  in  der  Richtung,  in  der  sie  später  das  Land 
fanden.  Flöki  und  seine  Begleiter  kamen  zu  dreien  nach  Norwegen 

, zurück.  Da  .schalt  der  Er.ste  das  neue  Ei.sland  sehr;  der  Zweite 
erzählte  Gutes  und  Bö.ses  von  ihm;  der  Dritte  aber  sagte,  da 
trojife  Butter  von  jedem  Halme  — und  seitdem  nannten  ihn  die 

')  (ilömr  seihst  tötet  das  Kalb,  was  narb  dem  Znsammenhana  mindestens 
Initölfr  tan  müsste. 

’)  (ilömr  schiebt  einem  andern  den  von  ihm  selbst  verübten  Totschlag  zu; 
er  wird  von  seinen  Leuten  geliebt;  das  Wortspiel  erinnert  an  das  mit  dem 
Namen  Viga-Sküta. 


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T^eute  ,Tliorolf  ButttM'.  Diese  t'heilipferung:  stellt  in  der  T<,md- 
nämiibük.  Auch  in  den  Isliindergeschicliten  selbst  spielt  die 
Dreizahl  eine  nicht  ganz  geringe  Rolle.  Die  Hävardarsaga,  der 
locus  elassicus  für  diese  Eigentümlichkeit,  geniesst  aus  diesem 
(«runde  schon  geringes  Ansehen  bei  denen,  die  die  8agas  in  ei-ster 
Linie  als  Geschichtsiiuellen  würdigen.  Wenn  man  alier  in  dieser 
Stilisierung  ein  Anzeichen  besonders  später  Nieder.sclirift  sieht, 
so  ist  das  hinfällig,  denn  nicht  erst  die  Epigonen  haben  Geschmack 
gefunden  an  der  volkstümlichen  Dreizahl. 

Die  Zuverlässigkeit  der  Prozes.sschilderungen  in  der  Njüla  ist 
Gegenstand  einer  Polemik  gewesen,  die  aber  zu  keinem  klaren 
Ergebnis  geführt  hat.  Beachtet  man  die  Stilisierung  des  grossen 
Still u.s.sproze.sses,  wobei  wiederum  die  Dreiheit  deutlich  hervortritt, 
.so  wird  man  den  historischen  Kern  so  gering  ansclilagen,  da.ss  es 
.sich  wenigstens  um  der  Saga  willen  nicht  lohnt,  über  die  geschicht- 
liche Möglichkeit  oder  Richtigkeit  der  einzelnen  Motive  zu  stitüten. 

Im  ersten  Teil  der  Njäla  begegnet  ein  kunstvoll  gegliederter 
Abschnitt,  in  dem  dargestellt  wird,  wie  die  Feindschaft  der  Frauen 
Hallgerdr  und  Bergjiöra  die  Freund.schaft  ihrer  Männer,  Gunnarr 
und  NjiUl,  vergebens  auf  die  Probe  stellt.  Drei  Paare  von  Tot- 
schlägen folgen  aufeinander,  und  zwar  so,  dass  eine  sclirittweise, 
ausgerechnete  Steigerung  statttindet,  in  den  Personen  — vom 
unfreien  Knecht  bis  zu  den  Söhnen  des  Niäll  — und  in  dem 
Reichtum  der  Sceuen,  vom  Zweikampf  bis  zum  (Jefecht,  wobei 
zum  Schluss  noch  Nebenpersonen  auftreten.  Dazu  eine  absichtlich 
kontrastierende  ('harakteristik ; die  eine  Partei  überfällt  mit 
('bennaclit  einen  Einzelnen,  ungeachtet  seines  Appells  an  die 
Ritterlichkeit,  die  andere  zeigt  sich  ungleich  edelmütiger,  indem 
Skarphedinn,  der  älteste  Sohn  Niäls  und  einer  der  Lieblingshelden 
der  Saga,  dem  (Jegner  Zeit  lä.sst,  sich  zu  rüsten'). 

Besonders  beliebt  scheint  bei  den  Isländern  die  einzige  komische 
Figur  der  Njälssaga  zu  sein,  der  Bauer  Björn,  der  dem  Käri  bei 
der  Rache  für  den  verbrannten  Xjäll,  seinen  Schwiegervater,  und 
dessen  Söhne  hilft.  Dieser  Björn  ist  in  der  Tat  höchst  ergötzlich 
gezeichnet  mit  seiner  Ruhmredigkeit  und  nachfolgenden  Unlu.st, 

')  Derselbe  Skarpluslinn  mid  seine  T'.rüder  scheuen  sich  bei  anderer  (ielejjen- 
heit  nicht,  ihren  t'llegebruder  hei  der  Feldarbeit  meuehliiiKS  zu  Oberfnllen  und 
niederzumachen.  Die  verschiedenen  Stücke  der  Tradition  hatten  eben  eine  ver- 
schiedene tikonomie ! 


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48 


in  (1er  Gefalir  seinen  Mann  zu  stellen.  Aber  dass  er  darum  so  wie 
er  geht  und  steht,  aus  dem  Lehen  genommen  sein  mü.sse,  braucht 
man  nicht  anzunehmen.  Ist  doch  dieser  brave  Knappe  nur  das 
wirkungsvolle,  wohlberechnete  Gegenstück  zu  Käris  voniehmerer 
Natur,  der  redet  wie  ein  bescheidener  .lüngling  und  nachher  die 
Taten  eines  Helden  volltuhrt. 

Unter  Olriks  ,epischcn  Gesetzen*  betindet  sich  das  sogenannte 
Zwillingsgesetz:  Nebenrollen  werden  gern  auf  zwei  gemeinsam 
handelnde  Träger  verteilt.  So  gibt  die  Heldendichtung  dem  Attila- 
sohne Erp  einen  Bruder  KHill,  dem  tatenlosen  jungen  Skjoldung 
Hredric  einen  Bruder  Hredmuml,  Etzels  Bote  an  die  Burgunden 
(Knefrodr  in  der  Atlakvida)  verdoppelt  sich  in  der  Jüngeren  Sage 
(Wärbel  und  Swiimmelin  in  den  Nibelungen).  Überhaupt  treten 
gerade  verfolgte  Königssöhne  und  andererseits  Diener  und  Send- 
linge  gern  als  Paar  auf.  Nordisclie  Vertreter  der  ersten  Gruppe 
erscheinen  nicht  bloss  in  der  anerkannt  sagenhaften  rberlieferung 
(Hröarr  und  Helgi),  sondern  auch  in  den  Islendinga  sögur:  Gi'sli 
und  Porkell  in  der  Vorgeschiclite  der  Gislasaga,  die  Söhne  des 
,Herzogs‘  Guttormr,  die  Kveldiilf  und  Skallagrim  zum  Opfer 
fallen,  ,der  eine  zwölf,  der  andere  zehn  Jahre  alt,  sehr  schöne 
Knaben*,  ln  derselben  Episode  der  Egil.ssaga  geht  es  auch  zwei 
bösen  Dienern  des  Königs  ans  Leben,  Sigtryggr  und  Hallvardr. 
Diese  eiüschen  Zwillinge  werden  durcli  eine  unechte  Strophe  des 
Skallagrhnr  zwar  für  die  Tradition  gesichert,  aber  nicht  für  die 
Wirklichkeit.  Bekannt  sind  aus  dem  Mythus  die  beiden  Jugend- 
lichen Begleiter  des  Donnergottes,  BJälli  und  Röskva.  Ihnen  ent- 
sprechen in  der  Gfslasaga  der  Knabe  Geirmundr  und  da.s^^Mädchen 
Gudn'dr.  Jenes  Dienerpaar  der  Egil.ssaga  war  zugleicli  ein 
typisches  Gegnerpaar.  So  sind  die  Anstifter  des  Mordbrandes, 
aus  dem  Gisli  und  sein  Bruder  mit  genauer  Not  entkommen,  zwei 
böse  Brüder,  ,der  eine  hiess  Einarr,  der  andere  Arni*').  Stereotyp 
als  Feinde  der  Helden  und  Könige  sind  in  der  i.sländischcn  I'ber- 
lieferung  ,zwei  Jarle*:  sie  tauchen  auf  als  Vätr  und  Fasti  in  der 
versiticierten  , Aufzählung  der  Yngliuge*,  als  Hölmgeirr  und 
Hardvigr  im  Heldenroman  von  (Jrvar-Oddr;  aus  einem  walisi.schen 
,Hugi  dem  Stolzen*,  den  Magnus  Barfuss  10H8  erlegte,  macht  die 

')  Vgl.  auch  die  beiden  Uerserker  von  Haakagil  in  der  Krislnisaga  (dazu 
Anz.  f.  dt.  Alt.  :dl,  111  f.). 


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Könipssapa  ,z\vei  Jarle,  Hugi  der  Stolze  und  Hngi  der  Dicke*; 
und  so  fabelt  auch  die  Egilssaga  von  zwei  walisischen  Jarlen, 
Hringr  und  Adils,  unter  den  Feinden  des  von  Egill  und  seinem 
Hiuder  untei’stützten  Adalsteinn. 

Ähnliche  Stilisierungen  sind  in  den  Sagas  häutig;  es  wäre 
eine  dankbare  Aufgabe  sie  ziisaminenzustellen.  Aber  sic  geben 
nur  ausnahmsweise  den  Ton  au.  Im  allgemeinen  schwebt  den  Er- 
zählern otfenbar  die  Buntheit  des  wirklichen  Lebens  als  Norm 
vor.  Inwieweit  diese  Buntheit  auf  historischer  Wirklichkeit  be- 
ruht, wieweit  sie  eine  ältere,  stärker  stilisierende  Erzählwei.se 
verdrängt  liat,  das  ist  eine  der  schwierigsten  Fragen  der  Sagakritik. 

IV.  öfters  treffen  wir  in  den  Lsleudinga  sögur  die  Erscheinung 
der  verdunkelten  Tradition.  Viga-Gliimr  kommt  als  junger 
Bursche  zu  seinem  Gro.ssvater  nach  Norwegen,  erhält  aber  nur 
einen  unansehnlichen  Platz  am  Ende  der  Halle  angewiesen.  Erst 
als  er  bei  einem  Berserkerkampf  ungewöhnliche  Tapferkeit  und 
Stärke  gezeigt  hat,  räumt  ihm  der  Hausherr  den  Sitz  an  seiner 
Seite  ein  und  .schenkt  ihm  später  lieim  Abschiede  einen  schönen 
blauen  Mantel,  Spiess  und  Schwert  mit  der  Weissagung,  cs  werde 
mit  seinem  Glück  zu  Ende  sein,  .sobald  er  einmal  diese  Kostbar- 
keiten aus  den  Händen  lasse.  Die  Weis,siigung  geht  im  weiteren 
Verlauf  der  Saga  in  Erfüllung.  Diese  Geschichte  kann  .schwerlich 
an  sich  befremden;  eine  gewis.se  Unklarheit  über  den  Grund  des 
Unten-an-setzens  entdeckt  man  erst  bei  näherem  Zusehen.  Wir 
liaben  aber  hier  einen  Fall,  der  auch  sonst  in  den  Lsläuder- 
geschichten  vorkommt:  was  früher  einmal  allgemein  von  der  Sitte 
verlangt  wurde,  das  wird  als  individuelles  Ereignis  mit  zum  Teil 
neuer  Motivierung  erzählt.  Der  altgcrmani.sche  Königssohn  musste 
sich  erst  durch  eine  mannhafte  Tat  die  Waffen  verdienen,  ehe  er 
neben  dem  Vater  im  Rate  sitzen  durfte,  und  es  herrschte  der 
Brauch,  da.ss  mau  diese  Wchrhaftmachung  von  einem  fremden 
Fürsten  vollziehen  liess*).  Die.ser  wies  dann  vcrmutlicli  schon 
seineiseits  dem  Jüngling  den  Ehrensitz  an.  Das  Motiv,  das  unsere 
Geschichte  erzählenswert  machte,  war  das  unerwartete  Aufraffen 
des  trägen  Burschen,  wodurch  er  alle  Anwesenden  beschämt,  und 
der  Kampf  vor  aller  Augen  in  der  Halle.  Als  die  Sagamäuner 
den  Stoff'  in  ihren  Lebenslauf  einfügten,  bereicherten  sie  ihn  um 

*)  I’anlus  liiaconns  I 23  f. 

UitteiluDgen  <1.  uchlnü.  Urs.  I.  Vktle.  lieft  XXI.  't 


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60 


ein  zweites  Motiv,  das  zup:lcicJi  der  Anknüpi'iine  diente,  die  Weis- 
sagung. Dabei  geriet  der  eigentliclie  Sinn  des  Geschenkes  und 
der  Platzanweisung')  in  Vergessenheit.  Wahrsclieinlicli  haben  wir 
es  hier  mit  einer  heroischen  Fabel  zu  tun,  die  weit  älter  ist  als 
Islands  Besiedelung. 

V.  Ein  besonders  wichtiges  Hilfsmittel  bei  der  Analyse  sind 
die  eingelegten  Skaldenstrophen.  Sie  werden  von  den  Personen 
der  Saga  gedichtet  und  vom  Erzähler  als  Schmuck  oder  als  Beleg 
angeführt.  Es  ist  allgemein  anerkannt,  da.ss  diese  Strophen  nur 
teilweise  echt  sind.  Wir  haben  auch  hier  drei  Schichten  zu  unter- 
scheiden; 1.  Stro)>hen,  die  wirklich  von  den  Per.sonen  der  Sagazeit 
herrühren,  2.  solche,  die  im  Laufe  der  mündlichen  f'berlieferung  ihnen 
angehängt  wurden,  wobei  natürlich  recht  verschiedene  Fälle  und  ver- 
schiedene Zeiten  in  Betrachtkomnien,  3.  Fälschungen  derSagaschreiber 
und  -abschreiber.  Zuweilen  kann  die  Entscheidung  mit  so  gros.ser 
Sicherheit  getroll'en  werden,  dass  wir  ein  höchst  wertvolles  Hilfsmittel 
zur  Beurteilung  auch  der  Prosa  in  die  Hand  bekommen. 

Schon  die  handschriftliche  ('tierliefening  weist  daraufhin,  dass 
eine  Anzahl  Strophen  im  ersten  Teil  der  Njäls.saga  sehr  jung  i.st;  sie 
sind  jünger  als  der  Sagatext  selbst,  grossenteils  aus  ihm  aufgebaut. 
Auf  Derartiges  müssen  wir  auch  anderswo  gefasst  sein.  Der 
normale  Fall  aber  ist  der,  dass  die  Ver.se  älter  sind  als  die  Prosa 
und  diese  zum  Teil  auf  ihnen  beruht.  Manchmal  lässt  sich  zeigen, 
wie  eine  Strophe  an  falsche  Stelle  geraten  oder  sonstwie  miss- 
verstanden ist.  ln  der  mündlichen  Tradition  der  Isländer  irrten 
im  12.  und  13.  Jahrhundert  eine  Menge  heimatloser  Strophen  her- 
um. Teils  kannte  man  nicht  einmal  den  Verfa.sser,  und  die  Saga- 
schreiber waren  aufs  Raten  angewiesen,  wobei  sie  vor  erheblicher 
Willkür  gewiss  nicht  ziirückgeschreckt  sind.  So  hat  man  nament- 
lich berühmten  Skalden  wie  Egill  Vieles  zugeschrieben,  was 
sicher  nicht  von  ihnen  herrührt,  ln  einem  poetischen  Dialog 
zwischen  Jungfrau  und  Krieger  verschmähte  sie  seine  Gesellschaft, 
weil  er  noch  nie  den  Wolf  gesättigt,  nie  die  Raben  über  der 
Wahlstatt  habe  krächzen  hören,  er  aber  rühmte  sich,  einher- 
gefahren zu  sein  mit  blutiger  Klinge  und  gellendem  Ger  — ein 
Stroidicnpaar  ganz  aus  einem  Gus.se,  die  spielende  Konzeption 

')  .\uf  diese  Formalität  wird  sieh  ursprünglich  der  Ausdruck  setia  e-n 
s/elim  (Atlanii'il)  bezogen  haben,  vgl.  auch  silia  suU  illelg,  Hund.  II)  und  situindi 
sslu  njöta  (Sig.  sk.). 


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öl 

eines  unbekannten  DicJiters.  Da  inan  in  der  Mannesstrophe  einen 
Hinweis  auf  Kgils  Kriegstaten  zu  setien  glaubte,  erfand  man  eine 
im  übrigen  völlig  inhaltlose  (Jastmahlszene,  um  ihn  dieses  Ge- 
spräch mit  einer  halliindischen  Jarlstochter  halten  zu  lassen.  Wir 
sehen  es  der  Episode  an,  dass  sie  aus  den  spätesten  Stadien  der 
Tradition  stammt. 

Ein  ganz  ähnlicher  Fall  begegnet  weiterhin  in  der  Saga. 

Flgil  kämpft,  um  ein  weinendes  Jlädchen  zu  befreien,  siegreich 
und  edelmütig  gegen  einen  Berserker,  Liöt  den  Fahlen,  eine  Ge- 
schichte, deren  späten,  ritterlichen  Charakter  aufzuzeigen  Olrik 
Vorbehalten  blieb.  Die  Richtigkeit  seiner  Kritik  wird  bestätigt 
durch  eine  Untersuchung  der  fünf  Strophen,  die  in  die  Episode 
eingelegt  sind.  Zwei  bis  drei  von  ihnen  hat  schon  Finnur  Jön.sson 
auf  Grund  einzelner  Kriterien  für  unecht  erklärt.  Dieses  l.Trteil 
ist  jedoch  auf  alle  fünf  auszudehnen,  denn  sie  bilden  eine  ge- 
schlossene, monologisch -dramatische  Komposition,  die  als  solche 
weder  von  Egill  noch  von  irgendeinem  andern  Kämpfer  improvi- 
siert sein  kann,  so  dass  die  Stiga  bei  ihrem  Versuch,  diese  Fiktion 
durclizu führen,  sich  in  Widersprüche  und  Unwahrscheinlichkeiten 
venvickelt.  Der  vorliegende  Sagatext  ist  also  jünger  als  die 
Strophen  — auch  die  ganze  Darstellungsweise  würde  uns  übrigens 
keinen  Zweifel  lassen,  dass  wir  hier  den  persönlichen  Stil  des  Ver- 
fassers haben  — , die  Strophen  wiederum  sind  erheblich  jünger 
als  Egill.  Es  hat  aber  doch  den  Anschein,  als  beruhten  sie  selbst 
schon  auf  einer  prosaischen  Erzählung  wesentlich  desselben  Inhalts 
wie  die  vorliegende.  Der  Blick,  den  wir  hier  in  die  Vorgeschiclite 
unseres  Textes  tun  können,  ist  besonders  insofern  lehrreich,  als  er 
uns  zeigt,  einen  wie  kurzen  Stammbaum  gewisse  Teile  unserer  > 

Sagas  haben. 

Aber  die  Egilssaga  enthält  ohne  Zweifel  auch  echte  Strophen. 

Wie  Egill  einmal  Abschied  nimmt  von  seinem  norwegischen  Freunde 
Arinbjörn,  da  lässt  ihn  die  Saga  eine  Strophe  sprechen,  die  den 
Zorn  aller  Götter  auf  den  König,  der  sein  Recht  gekränkt  hat, 
herabtleht.  Diese  Strophe  steht  sichtlich  an  Unrechter  Stelle;  sie 
ist  eine  Dublette  zu  dem  Fluch,  den  Egill  später,  bei  Errichtung 
der  Neid.stange,  gegen  den  König  ausstösst  *).  Ist  sie  echt  — und 


‘)  Dies  hat  W.  H,  Vogt  geseheu  (Zur  Komposition  der  Egilsagii.  Programm 
des  Uymuasium  .\ugustum  zu  Ciürlitz  ItlOU,  S.  5G). 


4* 


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il.i-s  dürfen  wir  annchmen  — , so  ersclieint  die  l)erülimte  Szene  mit 
der  Neidstange  als  Erdichtung,  und  die  falsdie  Stelle  der  Strophe 
zeigt  die  Lückenliuftigkeit  der  Tradition  und  die  Willkür  des 
Verfassers. 

Unsere  ausgewählten  Beispiele  dürften  einen  Begi-itl  von  dein 
literarhistorischen  und  geschichtlichen  Problem  der  Saga  gegeben 
haben.  Noch  auf  andere  Punkte  wäre  bei  der  Analyse  zu  achten,  z.B. 
sachliche  Unmöglichkeiten  und  Unwahrscheinlichkeiten,  persönlicher 
Stil  und  Ge.schmack  der  Verfasser.  Ich  durfte  mich  beschränken,  weil 
eine  vollständige  Methodologie  des  Saga.studiums  zu  geben  natürlich 
nicht  meine  Absicht  sein  konnte.  Wir  haben  es  auch  nur  mit  dem  Inhalt 
der  Sagas  zu  tun  gehabt;  über  ihre  Form  und  Komposition  ist  so  gut 
wie  nichts  gesagt  worden.  Die  Stil  form  lässt  sich  besser  an 
einem  Texte  veran.schaulichen  als  in  abstracto  erörtern,  die  Kom- 
position der  Sagas  aber  hängt  so  unauflö.sslich  mit  ihrer  Entstehung 
und  der  Beschaffenheit  der  Tradition  zusammen,  da.ss  es  einst- 
weilen nicht  rätlich  scheint,  auf  dieses  Thema  näher  einzugehen. 

Der  Wert  der  Saga  in  ü.sthetischer  Hinsicht  kann  von  jedem, 
auch  an  der  Hand  einer  guten  f'bersetzung,  empfunden  werden, 
voll  gewürdigt  aber  nur  von  dem,  der  sich  in  sie  eingelebt  hat 
und  sich  von  ihr  hat  erziehen  lassen  zu  ihrem  herben  Kunstideal. 
Ihr  Wert  als  kulturgeschichtliche  (juelle  wird  durch  die 
kritischen  Zweifel  an  der  buchstäblichen  historischen  Wahrheit 
des  Erzählten  wenig  berührt.  Alles  weist  darauf  hin,  dass  die 
Isländer  in  der  Sagazeit  ein  Leben  führten  wie  cs  in  Deutschland 
etwa  in  der  merowingischen  Periode  bestand.  Das  Typische  dieses 
Lebens  hat  sich  treu  in  der  Tradition  erhalten;  störende  Einflü.s.se, 
geistlicher  und  hötischer  Art,  haben  sich  erst  zur  Zeit  der  Nieder- 
.schrift,  und  auch  da  nur  stellenweise,  geltend  gemacht.  Wir  lernen 
nun  die.ses  altertümliche  Leben  von  den  verschiedensten  Seiten 
kennen,  .seinen  Götterkultus  und  Aberglauben,  seine  Recht.san- 
schauungen,  sozialen  und  wirtschaftlichen  Verhältnisse,  sein  all- 
gemeines ethi.sches  Klima.  Wer  zu  einer  wirklich  lebendigen 
An.schauung  von  den  heidnischen  Germanen  gelangen  will,  der 
halte  sich  an  die  Lsländergeschichten! 


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Flandern. 

Von  Dr.  B.  Kahle  in  Heidelberg. 

Ini  yVnscliluss  an  die  Verse  eines  Liedes  aus  Ecker.sdorf : 

,1)11  denkst,  ich  bin  ein  h^landcr, 

O nein,  das  glaube  nicht, 

Mein  Herz  schlägt  für  kein  andern, 

Als  nur  allein  für  Dich* 

führt  F.  Pradcl  diese  Zeifschr.  20,  101  eine  Anzahl  weiterer  Ver.se 
aus  Volksliedern  an,  auch  einen  Beleg  aus  Philänder  von  Sittc- 
wald,  aus  denen  hervorgeht,  da.ss  der  Au.sdriick,  ,es  ist  jemand 
aus  PlanderiP  oder  ,er  ist  ein  Plander  soviel  bedeutet  wie  , wankel- 
mütig sein‘.  Er  wirft  die  h>age  auf,  was  denn  Flandern  diesen 
üblen  Ruf  eingebracht  habe  und  meint,  es  sei  die  äusserlichc  Ähn- 
lichkeit mit  dem  Worte  flatterhaft  gewesen,  vielleicht  auch  der 
Umstand,  dass  sich  auf  Flandern  gar  so  leicht  .andern'  reime. 
Diese  Erklärung  trifft  kaum  das  richtige,  wie  ein  Blick  in  das 
DWB.  zeigt.  Dort  findet  man,  worauf  ich  Zeit.schr.  d.  Vereins  f. 
Volksk.  18,  116  bereits  hingewieseu  habe:  Plander  , Flitter,  Lappe, 
l.umpen“;  Flanderl,  Flanderlein  ,flatterhaftes Mädchen* (Schmeller 
1,  588);  .schwäb.  Flandcrer  , Flattergeist*;  Flandern,  Flandria, 
häufig  im  Reim  auf  .andre*;  Treulosigkeit  und  Flatterhaftigkeit 
der  Weiber  unil  Junggesellen  au.szudrücken.  A.  Bender,  Ober- 
schefflenzer  Volkslieder,  führt  S.  27  die  Verse  an; 

Du  bi.st  einer  von  den  Flaiulerern 
Gehst  von  einer  zu  der  anderen; 

Deine  Liebe  ist  nicht  fest. 

Weil  d’  von  einer  zur  andern  gehst. 

Und  S.  235;  Mein  Schatz,  der  ist  von  Flanderi, 

Hat  alle  Nacht  en  auderi. 

Zu  jeder  .sagt  er:  Du  bist  mein! 

Und  jedi  führt  er  heim. 

B.  verweist  sodann  S.  282  f.  auf  M.  Lexer,  Kärntisches  Wörter- 
buch: flendern  , wehen,  flattern,  herum.schweifen,  liederlich  sein* 
(ummar  flendern)  und  Flendrer , Faullenzer.  Das  Wort  ,Flandrer* 
ist  nach  ihrer  Angabe  in  seiner  ursprünglichen  Bedeutung  — also 
ohne  Anlehnung  an  das  Lund  Flandern  — in  Oberscheincnz  noch  vor 
50  (d.  h.  jetzt  etwa  60)  .lahrcn  lebendig  gewesen.  Der , Plauderer* 
ist  als  ein  Einwohner  von  Flandern  also  erst  dann  aufgefasst 


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worden,  als  man  die  ursprüngliche  Bedentnng  des  Wortes  nicht 
mehr  verstand,  was  in  vei>ichiedenen  Gegenden  zu  verschiedenen 
Zeiten  geschehen  sein  wird.  Auf  diese  Weise  also  ist  das  Land 
Flandern  in  den  üblen  Ruf  gekommen.  Damit  erledigen  sich 
Wühl  die  Bemerkungen  Pradels. 

Ich  benutze  die  Gelegenheit  zu  einem  weiteren  Hinweis.  Auf 
S.  90  f.  behandelt  Pradel  das  in  .seiner  Originalfassung  von 
M.  Adler  in  der  Zeitschr.  d.  Vereins  f.  Volksk.  11,  4.59  ff.  veröffent- 
lichte Lied  von  dem  Mädchen,  das  sich  bei  Schulpforta  durch 
einen  Ei.senbahnzug  überfahren  liess.  Über  zwei  Varianten  dieses 
Liedes  ans  dem  badischen  Unterland  vgl.  man  meine  Ausführungen 
in  den  Blättern  d.  badischen  Vereins  f.  Volkskunde  S.  8 tf. 


Literatur  und  Volkskunde. 

Von  Dr.  K.  Ulbrich. 

a)  Roman  und  Volkskunde. 

Rin  schönes  Beispiel  dafür,  wie  ein  Dichter  sich  in  den  Volk.s- 
glauben  .seiner  Heimat  vertiefte  und  gerade  damit  seinem  einzigen 
als  Kun.stwerk  allgemein  anerkannten  Werke  dauernden  Wert  ver- 
lieh, ist  Wilhelm  Meinholds  „Bernsteinhexe“  vom  Jahre  1848, 
die  im  Inselverlag  vor  kurzem  neu  erschien.  Der  auf  Usedom 
geborene  und  später  dort  angestellte  Pastor  tämschte  mit  dem 
Chronikstil  seines  Romans  seine  Zeitgenos.scn  .so  sehr,  dass  sie  die 
mit  dichterischer  Genialität  geschriebene  Geschichte  der  Maria 
Schweidlerin  tatsächlich  für  die  getreue  Abschrift  einer  alten 
Hand.schrift  hielten,  ifeintiold  .selbst  sprach  es  als  sein  künst- 
leri.sches  Ziel  aus,  „durcli  getreuste  Sittenschilderung  seinem 
Dichten  den  Typus  der  historischen  Wahrheit  aufzudrücken“;  dies 
war  ihm  aber  nur  möglich  geworden,  weil  er  selbst  als  Baiiern- 
kind  anfwuchs  und  .später  als  Geistlicher  mit  dem  Leben  seiner 
Gemeinde  in  engster  Verbindung  stand.  Was  er  so  an  Volks- 
glauben in  Sage  und  Brauch  nach  vorfand,  setzt  er  — und  gewi.ss 
mit  vollem  Rechte  — als  verbreitete  Anschauung  des  siebzehnten 
Jahrhunderts  an,  und  .so  entstand  jenes  verblüff  end  wahre  Kultur- 
bild, da.s  den  Roman  aus  den  Erzeugnissen  seiner  Zeit  weit  heraus- 
hebt. Alle  Personen,  vom  hochgebildeten  Geistlichen  und  Ritter 
bis  zum  völlig  ungebildeten  Gesinde,  stehen,  mehr  oder  weniger, 
unter  dem  verhängnisvollen  Bann  des  Aberglaubens,  und  wer  die 


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noch  heute  lebcndipren  Anschaininfren  des  Volkes  kennt,  der  merkt 
alsbald,  dass  es  echtes  Gut  ist,  nicht  jener  Pseudovolksglaube,  mit 
dem  die  moderne  Belletristik,  einem  Zuge  der  Zeit  folgend,  gern 
sich  schmückt.  Der  Teufelsglaube  spielt  die  Hauptrolle:  bald  geht 
der  Böse  Hedermausartig  von  einer  Kreissenden  ab,  bald  kriecht 
er  als  Wurm  einer  Vettel  in  den  Rachen  und  entspringt  als  Ratte 
ihrem  Sarge  . . . ]tlötzliches  Unwetter  ist  Teufelswerk,  Katze, 
Specht  und  Frosch  sind  Teufelstiere  — die  Hexe  hat  ein  gefühl- 
loses Teufels(Mutter-)mal  zwischen  den  Brüsten,  Hexensalhe  macht 
unsichtbar  oder  verwandelt  in  Tiere  — Zauberkünste  können 
Tieren  schaden,  dass  sie  niclit  Milch  geben,  nicht  werfen  können 
oder  sterben  — unheimliche  Menschen  haben  einen  bösen  Blick, 
können  Krankheiten  anwünschen  u.  a.  — Krankheiten  licilt  man 
durch  Magiemittel  und  Zaubersprüclie  u.  v.  a.  m.  Man  sielit,  der 
Roman  verdient  cs,  in  einer  Zeitschrift  für  Volkskunde  erwähnt 
zu  werden. 

b)  Die  Katze  In  Literatur  und  Volksglauben. 

Wie  literai’geschichtliche  Betrachtungen  und  die  V'olkskundc 
in  enge  Verbindung  treten  können,  zeigt  l)r.  Franz  Leppmanns 
vor  kurzem  erschienene  Studie  , Kater  ^lurr  und  seine  Sippe“ 
(München  1908).  Die  literarLsche  Vorliebe  für  dieses  Tier  wird 
hier  von  Tieks  gestiefeltem  Kater  bis  zu  Sven  Leopolds  „Goethes 
Katze“  verfolgt.  Sie  entspringt  nach  Leppmans  Ausfüliningen 
teils  der  Lust  am  Weiterbilden  eines  gegebenen  Motives,  eines 
vorhandenen  Typus,  teils  al)er  dem  unverkennbaren  Einflus.se  von 
Volksglauben  und  Volk.ssage.  Das  Verschlossene,  Geheimnisvolle 
im  Wesen  der  Katze,  eine  gewi.s.se  wählerische  Vornehmheit,  der 
lautlose  geschmeidige  Gang,  das  merkwürdige,  phosphorescierende 
Auge,  wunderliche  eigenartige  Körper.stellungcn,  das  gespenstige 
nächtliche  Treiben  — — alles  zusammen  hat  der  Katze  jene 
eigentümliche  Stellung  verschaftt,  die  sich  in  volkstümlichen 
Redensarten  ebenso  widcrs]iiegelt,  wie  in  der  Rolle,  die  sie  im 
Glauben  aller  Völker  .spielt.  Lep]»mann  wei.st  darauf  hin,  wie  das 
gro.ssc  Interesse  der  Romantiker  für  Grenzzustände  des  Bewusst- 
seins, ihre  lebhafte  psychologische  Neugier  sie  zu  diesem  seltsamen 
Geschöpfe  hinzog,  des.sen  my.stische  Sitten  und  Gewohnheiten  be- 
reits das  Volk  .selbst  zu  allerlei  Dichtungen  angeregt  hatten. 
Namentlich  Hoffmann  war  es,  der  seine  Autfa.ssung  dem  Wesen 
des  Tieres  selbst  und  seiner  Stellung  im  Volk.sglauben  entnahm 


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und  liauptsüclilicli  deshalb  mit  seinem  Kater  Murr  entscheidend 
Schule  maclite.  Xaturfteschichtlichcs,  Sprachliches,  der  Volkskunde 
Entnommenes  und  Literargeschichtliches  treten  bei  solchen  Stiulien 
in  enpste  Verbindung;  bei  jeder  Arbeit  über  die  sog.  „Seelentiere“ 
müsste  derselbe  Gang  der  Untersuchung  eingesclilagen  werden. 

Bill  altes  Spiel. 

V'on  Hr.  V.  I’radel  in  (ilogau. 

Es  ist  ein  .sehr  l)eliebtes  Kinderspiel,  einen  Stein  .so  über  ein 
Wasser  zu  werfen,  da.ss  er  des.sen  Oberfläche  möglichst  oft  berührt. 
Auch  der  Erwachsene  versucht  es  wolil  gelegentlich  wieder  ein- 
mal, erinnert  sich  zum  mindesten  gerne  an  dieses  Vergnügen  seiner 
•Jugendzeit.  Goethe  gedenkt  seiner  in  den  Leiden  des  jungen 
Werthers  (Bernays,  der  junge  Goetlie  III  319):  „Ich  gieng  den 
Fluss  hinab,  bis  an  einen  gewi.s.sen  Hof,  das  war  auch  .sonst  mein 
Weg,  und  die  Plätzgen,  da  wir  Knaben  uns  übten,  die  meisten 
Sprünge  der  flachen  Steine  im  Wa.s.ser  hervorzubringen“.  Dann 
finden  wir  das  Spiel  in  einem  der  Andersenschen  Märchen  er- 
wähnt, in  der  Geschichte  vom  fliegenden  Kotter:  „Der  Sohn  bekam 
mm  all  dieses  Geld  . . . und  warf  Fitschen  auf  der  See  mit  Gold- 
stücken, anstatt  mit  einem  Steine“.  Und  hier  fallen  uns  aus  dem 
Anfänge  von  Frenssens  .Jörn  Uhl  die  Worte  ein:  „Wir  wollen 
auch  nicht  von  der  Mühe  reden,  welcher  jene  reiche  Bauernjunge 
sich  machte,  dem  es  trotz  seiner  Dummheit  gelang,  seines  Vaters 
Geld  in  vier  Wochen  durchzubringen,  indem  er  tagelang  die  Taler- 
stücke  über  den  Fi.schteich  schunkte“.  Gewiss  hst  auch  in  0.  Gy- 
saes  Vivienne  (Westermanns  Monatshefte  62,  844)  unser  Spiel 
gemeint:  „Sie  war  irgendwo  am  Strande,  warf  vielleicht  flache 
Steine  ins  Wa.sser“.  Auch  der  Freiherr  v.  Ompteda  erwähnt  das 
Spiel  in  seinem  Romane  Benigna  (Velhagen  und  Klasings  Monats- 
hefte 23,4  S.  571):  „Dort  suchten  sic  flüchtig  Kiesel  und  warfen 
sie  ins  Wa.sser.  um  sie  drei-,  vier-,  sechsmal  auf  der  Oberfläche 
sich  abschnellen  zu  las.sen“.  Ferner  (flara  Viebig,  Das  Kind  und 
das  Venn  = Naturgewalten“  S.  253:  „Von  der  Böschung  hatten  sie 
wei.s.se  Kiesel  lierunteHlit.schen  las.sen  übers  Wa.sser“.  Endlich  ver- 
wei.se  ich  auf  Friedrich  Huchs  neuesten  Roman:  Pitt  und  Fox, 
die  Jjiebeswege  der  Brüder  Sintrup;  wo  Harald  van  Loo  mit  flachen 
Steinen  über  das  Wasser  wirft  (S.  77). 


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Tn  seinem  Alemannischen  Kinderlied  und  Kinderspiel  (1857) 
bringt  Rocliliolz  auf  S.  465  eine  Reihe  von  Namen  für  dieses  Spiel 
herbei,  so  den  englischen  duck  and  drakes,  Enten  und  Enteriche 
machen.  Im  Appenzell  heisst  es  z.  B.  Vater  und  Mutter  schlagen, 
küssen,  erlösen.  Der  erste  'Bogen  des  springenden  Steines  heisst 
Vater,  sein  zweiter  die  Mutter,  die  nachfolgenden  immer  kürzer 
werdenden  die  Kinder.  Der  Schlesier  nennt  das  Spiel  bekanntlich 
Buttei'schnitten  schmieren.  Siehe  Krügers  Gottfried  Kämpfen 
S.  254  f.:  ,.Im  Sturmschritt  sausen  die  kühnen  Welterobcrer  den 
buschigen  Hang  hinah,  um  .sofort  am  Seeufer  die  harmlo.se  Kunst 
zu  üben,  mit  flachen  Steinen  ,.Buttei'schnitten  zu  sclimieren“. 
Pfeifend  und  klatschend  fliegen  die  Steine  über  den  majestätisch 
ruhigen  Spiegel  des  Sees.  Bald  ist  rings  kein  flaclier  Stein  mehr 
zu  Anden,  und  der  Ehrgeiz  der  Könner  und  Nichtkönncr  nimmt  ab“. 

Es  ist  ja  selbstverständlich,  dass  dieser  Zeitvertreib  unendlich 
alt  sein  muss.  Auch  in  der  Literatnr  des  klassischen  Altertums 
wird  er  erwähnt.  Einige  Kenntnis  der  Spiele  *)  der  altgriechischen 
Jugend  verdanken  wir  den  alten  Dichtern  und  Künstlern,  sodann 
den  Werken  der  alexandrinischen  Grammatiker.  Diese  hat  Sueton, 
der  Verfa.sser  der  zwölf  Kaiserbiographien,  in  seiner  Schrift  über 
die  Kinderspiele  bei  den  Griechen  benützt,  und  aus  Sueton  schöj)ften 
wieder  Eustathius,  ein  Byzantiner  des  12.  .lahrhunderts,  und  die 
Platonscholien;  aber  auch  Pollux  (2.  Jh.  n.  Chr.),  He.sych  (5.  Jh. 
n.  (’hr.)  und  andere  Ijexikographen  sowie  die  Scholien  zu  Aristo- 
phanes  gehen  in  ihren  Mitteilungen  über  die  Kinderspiele  auf 
Sueton  zurück.  Eustathius  (zur  11.  18,  .543)  beschreibt  unser  Spiel 
— die  Griechen  naiiiiten  es  Epostrakisraos  — folgenderma,ssen : 
es  ist  das  eine  .>\rt  Kinderspiel,  darin  he.stehend,  das  man  flache 
Steinchen,  die  vom  Meere  geglättet  sind,  auf  den  Wasserspiegel 
wirft,  mitunter  hüpfen  sie  mehrmals  über  ihn  hin,  liis  sie  ihre 
Kraft  verlieren  und  untersinken.  Ähnlich  erklärt  der  Etymolog 
Pollux  (IX  119);  man  wirft  einen  Stein  über  die  Oberfläche  des 
Was.sers  und  zählt  die  Sprünge,  die  er  vorm  Untersinken  bei 
seinem  Fluge  ülicr  das  Wa.sser  macht,  We.ssen  Stein  am  häufig- 
sten aufsetzt,  der  hat  gewonnen.  — Ofl'enbar  wetteiferte  die 
Jugend  also  im  Eiiostrakismos  miteinander.  Das  erfahren  wir 
auch  aus  einer  Stelle  der  interc.ssanten  Sclirift  Octavius  des  Minu- 
cius  Felix,  einer  der  älte.sten  Apologien  des  ('hristentums,  die, 

')  IJübm,  dv  cottiibii.  dissert.  ßonucnsis  ISU3. 


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58 


oft’enbar  von  Tertullian  abliangig,  wohl  dom  3.  Jahrhiindort  zuzu- 
weisen ist').  Es  heisst  da  am  Ende  des  3.  Kapitels:  wir  sehen, 
w'ie  die  Kinder  um  die  Wette  eifrifi:  Scherben  ins  Meer  werfen. 
Zu  diesem  Spiele  werden  vom  Strande  abgeplattete  Steine  auf- 
gelesen, die  das  Spiel  der  Wellen  geglättet  hat.  Man  nimmt  einen 
solchen  flachen  Stein  wagerecht  zwischen  die  Finger,  beugt  sich 
dabei  so  tief  als  möglich  und  schleudert  ihn  dann  so  über  die 
Wellen,  dass  er  bald  die  Oberfläche  des  Meeres  trifft  und  gleich- 
sam auf  ihr  schwimmt,  in  leiser  Bewegung  dahingleitend,  bald 
die  Wellenkämme  schneidend  herausspringt  und  weiter  fliegt, 
von  der  Bew  egung  beharrender  Kraft  gehalten.  Unter  der  .Tugend 
fühlte  sich  der  als  Sieger,  de.ssen  Stein  am  weitesten  flog  und  am 
meisten  Sprünge  machte. 

t'brigens  war  und  ist  es  wohl  auch  heute  noch  Sitte,  z.  B.  an 
den  Mittelmeerküsten,  während  eines  solchen  Wurfes  einen  Wunsch 
zu  tun  und  aus  den  Bewegungen  des  Steines  auf  seine  Erfüllung 
zu  schliessen,  s.  Revue  des  trad.  pop.  17,  2. 


Die  schlesischen  Geschichten  von  den  schädi- 
j?enden  Toten. 

Von  Dr.  .1.  Klapper. 


I.  Der  Vanipirbogrlff. 

Der  Vampirbegrifl  hat  sich  für  die  Volkskunde  als  ein  wirk- 
liches Danaergeschenk  erw'iesen,  das  ihr  von  den  Balkanvölkern 
gemacht  w'orden  ist.  Kein  anderer  mythologi.scher  Begriff  fasst 
heute  eine  solche  Fülle  verschiedenartiger  Züge  unter  sicli,  und 
über  keinen  herrschen  so  unklare  Voi’stellungen,  wie  über  den 
Vainpirbegriflf.  Und  so  wäre  es  im  Interes.se  fester  Begriffs- 
begrenzungeu  in  der  volkskundlichen  Forschung  zu  wünschen, 
wenn  die  Bezeichnung  „Vampir“  wieder  auf  ilire  bulgarische 
Heimat  beschränkt  würde  und  die  vergleichende  Volkskunde,  an- 
statt einen  so  vielseitigen  Au.sdruck  zu  gebrauchen,  für  die  ein- 
zelnen unter  ihm  bisher  zusammengefassten  volkstümlichen  Vor- 
stellungen klare  das  Wesen  dieser  Vorstellungsgruppen  kennzeich- 
nende Ausdrücke  einführte. 

•)  W.  Kroll,  Ilhtin.  Mue.  60,  :t07  ft. 


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1.  Was  wird  heute  alles  mit  dem  Wort  Vampir  bezeichnet! 
Als  die  europäische  Gelehrtenwelt  mit  dem  fremden  Begriff 
„Vampir“  bekannt  wurde,  da  hatte  er,  in  den  Gelehrtenkreisen 
wenigstens,  noch  seine  enge  Begrenzung;  man  verstand  darunter 
einzig  und  allein  den  Toten,  der  aus  dem  Grabe  zurück- 
kehrt, um  den  Lebenden  das  Blut  auszusaugen.  Damals 
war  das  philosophisch-medizinische  Interesse  vorherrschend.  Man 
erörterte  ernstlich  die  Frage,  ob  vom  naturwi.ssenschaftlich-medi- 
zinischen  Standpunkte  aus  solche  "Berichte  Glauben  verdienten. 
Das  sind  jetzt  fast  zweihundert  Jahre  her.  Um  das  Jahr  1728 
kam  aus  dem  ungarischen  Dorfe  Kisolova  die  Nachricht,  dass  ein 
gewis.ser  Peter  Plogojowitz  nach  seinem  Tode  in  acht  Tagen  neun 
Personen  ins  Grab  nach  sich  gezogen  hätte.  Die  Sterbenden  sagten 
aus,  Plogojowitz  sei  in  der  Nacht  gekommen,  habe  sich  auf  sie 
gelegt  und  sie  so  gewürgt,  dass  sie  sterben  müssten.  Unter  Hin- 
zuziehung des  Popen  wurde  .sein  Grab  geöffnet  und  sein  Herz  mit 
einem  Pfahle  durchstochen;  es  kam  viel  Blut  aus  dem  noch  un- 
versehrten Körj)er  hervor;  Haut,  Haare  und  Bart,  sowie  die  Nägel 
waren  sogar  nach  dem  Tode  nachgewachsen.  So  lautete  der  Be- 
richt des  Kai.serlichen  Provisors  ini  Gradisker  Distrikt.  Der  Fall 
wurde  dem  Professor  Beyer  in  Altdorf  auf  kaiserlichen  Befehl  zur 
Untersuchung  überwie.sen.  Putoneus,  der  uns  das  berichtet,  druckt 
zugleich  eine  Relation  über  einen  gleichen  Fall  aus  dem  serbischen 
Dorfe  Medw’edia  ab,  wo  ein  gewisser  Arnold  Paole  nach  seinem 
Tode  vier  Leuten  das  Blut  au.sgesogen  und  sie  so  getötet  haben 
sollte;  diese  Opfer  Paoles  seien  durch  ihren  gewaltsamen  Tod 
selbst  wieder  Vamjiire  geworden  und  hätten  noch  andere  Menschen 
umgebracht.  Und  um  dem  Sterl)en  Einhalt  zu  tun,  grub  man  dort 
dreizehn  Tote  aus,  die  als  Vampire  galten,  pfählte  und  verbrannte 
sie;  die  Asche  warf  man  in  die  Morava*).  Mit  diesen  Nachrichten 
hielt  der  Vampirbegriff  seinen  Einzug  in  die  europäische  Gelehrten- 
welt. Hinter  der  Tätigkeit  des  Blutsaugers  traten  alle  anderen 
Züge  zurück,  die  natürlich  schon  damals  dem  südslavlschen  Vampir 
in  der  Volksvorstellung  anhafteten;  Vampir  und  blutsaugender 
Toter  waren  ein  Begriff. 

2.  Gar  bald  aber  erinnerte  man  sich  in  Deutschland  an  Be- 


')  Besondere  Xachrieht  von  denen  Varapyren  oder  so  genannten  Blut- 
Saugern  voll  Putoneo,  Leipzig  1732  S.  1 44. 


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richte  der  Chroniken,  besonders  aus  Pesfzeiten,  die  mit  jenen  süd- 
slnvisehen  Krzälilungen  grosse  Ähnliclikeit  besassen.  Nur  zogen 
hier  die  Toten  die  Lebenden  niclit  durch  Saugen  des  Blutes  nach 
sich,  sondern  sie  zelirten  an  ihren  Gewändern,  frassen  ihre  Grab- 
schleier in  sich  hinein,  wenn  sie  diese  mit  dem  Munde  erreichen 
konnten,  nagten  sich  sogar  ihre  eigenen  Gliedmassen  blutig,  um 
durch  solche  magische  Handlung  im  Grabe  noch  oben  unter  den 
Lebenden  ein  Sterben  zu  veranlassen.  Audi  in  diesen  Hällcn  hatte 
man  sich  solcher  Schädiger  durch  Pfählen  und  Verbrennen  ent- 
ledigt. Diese  nachzehrenden,  fressenden  oder  schmatzen- 
den Toten  wurden  jetzt  ebenfalls  als  Vampire  bezeichnet. 

3.  So  rückt  in  den  Mittelpunkt  des  Vampirbegriffes  die  leben- 
vernichtende Tätigkeit  des  Toten.  Damit  reiht  man  mm  auch 
unter  diesen  Begriff'  die  Erzählungen,  in  denen  der  Tote  magisch 
durch  seinen  Blick  den  Lebenden  ins  Grab  zieht. 

4.  Zahllos  sind  nun  jene  Berichte  von  Totenwesen,  denen  die 
beabsichtigte  Vernichtung  des  Lebenden  nicht  gelingt,  die  den 
Versuch  machen,  den  Lebenden  zu  Tode  zu  jdageii,  aber  darin 
verhindert  werden.  Auch  diese  Totenwesen  gelten  jetzt  als  Vam- 
pire. Die  Geschichten  von  aufhockenden,  würgenden,  pla- 
genden Toten  werden  zu  Vampirgeschichten. 

5.  Wir  sehen,  der  Begriff'  verschiebt  sich  von  neuem;  es  ge- 
nügt, dass  der  Tote  ein  Schädiger  ist,  dass  er  den  Lebenden  nicht 
mehr  zu  töten  braucht,  um  als  Vanipier  zu  gelten.  Diese  Schädi- 
gung bezieht  sich  in  manclicn  Erzählungen  gar  nicht  mehr  auf 
das  Leben  des  Men.schen.  Die  Toten  kehren  zurück,  um  das 
Vieh  in  den  Ställen  zu  plagen,  um  die  Speisen  zu  ver- 
tilgen oder  zu  verderben.  Auch  diese  Schädiger  gelten  als 
Vampire. 

6.  Zum  Teil  geht  diesen  Vampiren  auch  noch  der  Cliarakter 
als  Scliädiger  verloren.  Strauss  iKuichtet  in  dem  Werke  über  die 
Bulgaren  von  lärmenden,  Kirmes  feiernden  Vampiren,  und  wir 
werden  ähulichen  Berichten  von  lärmenden  Toten  auch  in  Schlesien 
begegnen.  Der  Tote  sucht  seine  Xahruug  niclit  mehr  im  Blute 
der  Lebenden,  sondern  in  der  ihm  zukommenden  Spei.se.  Er  lebt, 
des  Nachts  wenigstens,  als  wenn  er  nicht  ge.storben  wäre.  Der 
Tod  hat  nicht  einmal  die  b’amilienbeziehungen  gelüst.  Wir  finden 
auch  in  Schlesien  wie  anderwärts  Berichte  von  Verstorbenen, 
die  mit  ihren  Frauen  weiter  verkehren,  ohne  irgendwie 


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Zügrc  des  Schädigers  mehr  zu  zeigen.  Soweit  hat  sich  der  Vampir- 
begritf  verschoben. 

7.  Idealisiert  finden  wir  diesen  Volksglauben  vom  Verkehr 
zwischen  Lebenden  und  Toten  in  der  Sage  von  der  Braut  von 
Korinth  wieder,  wo  die  Sehnsucht  nach  dem  Bräutigam  die 
Tote  aus  dem  Grabe  zurückführt.  Freilich  haben  wir  hier 
auch  den  Glauben,  da.ss  der  Verkehr  mit  dem  Toten  selbst  tätlich 
wirkt.  Auch  dieser  Stoff  ist,  wenn  auch  nicht  ohne  berechtigten 
Widerspruch,  den  Vampirstoffen  zugezählt  worden. 

8.  Der  tote  Bräutigam  holt  die  in  verzweifelter  Sehnsucht 
nach  dem  Geliebten  lebende  Braut  ins  Grab.  Der  Lenorestoff 
der  in  so  mannigfachen  Versionen  in  slavischen  und  deutschen 
Ländern  verbreitet  ist,  ist  kein  Vampirstoff  mehr,  wird  aber 
immer  wieder  darunter  gerechnet.  Schon  hier  haben  wir,  wenn 
auch  nicht  überall  klar  au.sgedrückt,  in  dem  Tode  des  von  dem 
Toten  abgeholten  Menschen  die  Sühne  für  eine  Schuld,  für  die 
Verzweiflung,  der  sich  der  überlebende  hingegebeu  hat. 

9.  Der  Tote  kehrt  als  Rächer  zurück.  Hat  man  die  bis- 
herigen Stoffe  als  Vampirstoffe  aufgefasst,  so  liegt  kein  Grund 
vor,  die  Geschichten  von  den  Ermordeten,  die  ihre  Mörder  plagen, 
von  den  Geizigen,  die  noch  im  Grabe  ihre  Schätze  verteidigen,  ja 
sogar  die  Don  Juansage  aus  dem  Ki’eisc  der  Vainpirgeschichten 
au.szuschliessen.  Es  macht  keinen  Unterschied  mehr,  ob  der  Tote 
etwa  wie  in  Goethes  Totentanz  sein  eigenes  Interesse  wahrt,  oder 
von  Gott  zur  Bestrafuifg  oder  Warnung  des  Lebenden  bestimmt 
wird. 

10.  Sind  dann  auch  die  im  Wochenbett  sterbenden 
Frauen  Vampire,  die  man  einst  nach  dem  Zeugnis  des  Burchard 
von  Worms  pfählte,  und  denen  der  Volksglaube  des  Mittelalters 
nichts  anderes  nachsagte,  als  dass  sie  in  alter  gewohnter  Kleidung 
wiederkäinen,  und  von  denen  mau  heute  nur  weiss,  da.ss  sie  ihre 
Kinder  warten? 

11.  Nimmt  man  nun  noch  hinzu,  da.ss  in  Romanen  des  neun- 
zehnten Jahrhunderts  auch  lebende  Vampire  auftreten,  dass 
man  sogar  das  Wort  für  die  pathologischen  Erscheinungen  der 
Nekrophilie  und  Nekrophagie  angewendet  hat,  so  ergibt  sich  zur 
Genüge  die  Unsicherheit  in  der  Anwendung  des  Vampirbegriffes 
und  seine  Unbrauchbarkeit  für  die  volkskundliche  Foischung. 

So  bleibt  nur  die  Möglichkeit,  den  Vaiupirbegrift'  entweder 


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wieder  so  eng:  zu  besclirünken,  wie  er  es  bei  seiner  Herübernabine 
in  die  gelehrte  Literatur  war,  und  für  die  anderen  Gruppen  von 
Erzählungen  abzulelinen,  oder  ihn  überhaupt  aufzugeben.  Wir 
lassen  am  besten  den  Bulgaren  ihre  Bezeiehnung  für  den  wieder- 
kehrenden schädigenden  Toten;  auch  bei  ihnen  begegnet  man  in 
der  Verwendung  des  Wortes  Vampir  einer  bedenklichen  Unsicher- 
heit. Nicht  jeder  derartige  Schädiger  ist  ein  Vampir;  man  be- 
zeichnet ihn  teilweise  als  Lepir;  oft  gelit  dem  Bulgaren  auch  das 
Bewusstsein  ab,  dass  es  ein  Toter  ist,  man  sieht  in  dem  Gespenst 
etwas  von  unbekannter  Herkunft,  vermischt  es  mit  dem  in  Gml)ern 
wolmenden  dämonischen  l'strel  einerseits  und  dem  die  Menschen 
des  Nachts  plagenden  Krankheitsdämon  Morava. 

Die  gleiche  Unsicherheit  wie  in  der  Begriffsbegrenzung  des 
Vampirs  sehen  wir  in  der  Erklärung  seines  Namens  und  in 
Verbindung  damit  in  der  Beantwortung  der  Frage,  wo  die  Heimat 
des  Vampirglaubens  zu  suchen  sei.  Das  ist  ein  weiterer  (Jrund 
für  die  vergleichende  Volkskunde,  mit  der  Verwendung  des  Wortes 
recht  vorsichtig  zu  verfahren;  ein  Wort,  das  anstatt  in  seijier  Be- 
deutung seinen  Begriff  zu  veranschaulichen  nach  Sinn  und  Her- 
kunft durchaus  unklar  ist,  empfiehlt  sich  doch  nicht  zum  wis.sen- 
schaftlichen  Terminus. 

Früher  nahm  man  allgemein  an,  dass  in  dem  aus  dem  Serbi- 
schen entlehnten  Worte  „Vampir“  auch  ein  slavischer  Stamm  zu- 
grunde liege;  im  Polnischen  stellt  sich  dazu  üpior  und  Upierzyca. 
Somit  leitete  man  es  ab  von  dem  Zeifwoifupierzyc  = mit  Federn 
versehen,  so  da.ss  Upior  ein  geflügeltes,  gefiedertes  Gespenst  be- 
zeichnete  *).  Die  daneben  gegebene  Ableitung,  die  es  mit  einem 
„Saugen“  bedeutenden  Stamme  in  Verbindung  bringen  wollte, 
wurde  als  unwahrscheinlich  abgelelint.  Aber  auch  mit  der  ersten 
Abteilung  hat  man  gebrochen.  Polivka  (Prag)  lehnt  im  Aiuschhi.ss 
an  Miklosich  eine,  slavische  Wurzel  ab  und  i.st  der  Ansicht,  dass 
das  Wort  Jedenfalls  erst  später,  vielleicht  aus  dem  Türkischen, 
wo  iibcr  „Hexe“  bedeute,  in  die  slavischen  Sprachen  übergegangen 
i.st*).  Hingewie.sen  sei  hier  auch  darauf,  dass  die  Neigung,  das 
Wort  aus  dem  Türkischen  zu  erklären,  schon  recht  alt  ist.  Das 


')  Linde.  .Stnwnik  Jezyka  I’olskiego,  Lwöw  1860  unter  t’pior. 

*)  Z d.  V f.  iisterr.  Volkskunde  VII  IB.'i;  Miklosich,  Ktymol.  Würterbueb. 
Wien  1886  unter  Vampirü. 


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„Schlesische  historische  Tjal)yiintli“  vom  Jalire  1737  bringt  es 
nämlich  bereits  mit  einem  allerdings  unkontrollierbaren  türkischen 
Ujamperischt  oder  Ujamferischte  in  Verbindniig,  das  „Schlafegel“ 
oder  „Nuchtgeist“  bedeuten  soll.  Durch  die  Hypothese  von  der 
türkischen  Herkunft  des  Wortes  liess  man  sicli  verleiten,  für  den 
Vamidi’glauben  selbst  eine  morgenländische  Heimat  zu  suchen  *). 
Aber  es  sprechen  docli  gewichtige  Gründe  für  die  alte  Ableitung 
des  Wortes,  wonach  der  Upior  eben  ein  „Pluggespenst“  ist.  „Flug- 
teufel“ heissen  noch  heute  in  den  deutschen  Gegenden  Ober- 
schlesiens  jene  Menschen,  die  als  Alp  drücken  gehen  können  und 
nach  ihrem  Tode  weiter  als  Druckgeister  ihr  Unwesen  treiben 
müssen*).  Und  die  schlesisch-imlnische  Auffassung  von  dem  Wesen 
solcher  Nachtunholde  lässt  sich  am  besten  aus  einer  Handschrift 
aus  der  Mitte  des  15.  Jahrhunderts  dartun,  wo  es  in  einer  Über- 
schrift heisst:  Contra  incubum  alias  latalecem;  auch  hier  ist  schon 
wie  noch  heute  ganz  allgemein  der  Incubus  (Dämon  oder  Toter) 
als  Latalec,  d.  h.  fliegendes  Gespenst  aufgefasst*).  Dazu  stimmt 
auch,  was  ich  in  der  Gegend  von  Philippopel  von  einem  Bulgaren 
hörte,  der  versicherte,  der  Vampir  sei  ein  Nachtgespenst  mit  Adler- 
nase und  feurigen  Augen,  sein  Kleid  sei  ein  Gewand  aus  Federn; 
seine  Füsse  seien  mit  gro.ssen  Bauemstiefeln  bekleidet;  ob  das 
Gespenst  geboren  oder  gestorben  sei,  wisse  man  nicht.  Wenn  die 
Kinder  weinen,  dann  schüchtert  man  sie  ein  mit  den  Worten:  St! 
der  Vampir  kommt!  Das  Wort  über  aber  scheint  dem  Nordtürken 
heute  nicht  mehr  bekannt  zu  sein;  wenigstens  erhielt  ich  in  drei 
Fällen  von  ostrumelischen  Türken  die  Antwort:  Iber  ist  die  Kiste, 
über  kennen  wir  nicht. 

So  wird  man  wohl  das  Wort  Vampir  weiterhin  als  geflügeltes 
Gespenst  zu  deuten  haben  und,  anstatt  für  die  Geschichte  dieses 
Volksglaubens  Licht  aus  dem  Orient  zu  erwarten,  besser  daran 
tun,  zunächst  einmal  unsere  eigene  europäische  t'berlieferung  von 

')  Z.  (1.  V.  f.  Volkskunde  1904;  S.  292  ff.:  A.  Jellinek,  Zur  Vampyrsage.  Er 
stutzt  sich  auf  einen  Bericht  van  Konkels  in  der  Tijdschrift  for  indische  Taal-, 
Band-  en  Volkenkundc,  Batavia  46,  95,  wonach  in  Alinos  ein  Türke  mit  offenen 
Angen  und  offenem  Munde  im  Grabe  gefunden  wurde,  der  ein  Sterben  in  der 
Stadt  veranlasste,  bis  man  ihn  pfählte. 

’)  .lulius  Nestler  (Prag!,  Geister-  und  Gespensterglanben  der  Schlesier  (in 
Kübezabl,  Schweidnitz  1907  S.  103)  aus  der  Gegend  von  Neustadt  und  Leobschütz. 

’)  Breslau,  Kgl.  u.  B'niv.  Bibi.  (.'od.  ms.  1.  O.  ÜS  Bl.  11  r,  geschrieben  1454 
in  Woblau. 


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dem  Volksglauben  an  schädigende  Tote,  zu  i)riifen,  was  l'iir  die 
mittelalterlichen  Erzählungen  von  schädigenden  Toten  noch  fast 
gar  nicht  geschehen  ist.  Und  ich  bin  der  Überzeugung,  da.ss  man 
hier  bereits  alle  dem  Vampirglauben  wesentlichen  Züge  vortinden 
und  ans  ihnen  den  modernen  Vamiiirglauben  sogar  in  .seiner  eigen- 
artigsten, kompliziertesten  Form,  der  Imlgarischen,  herleiten  kann. 
In  die.sem  Sinne  will  ich  hier  kurz  einige  Stoffe  erwähnen,  die 
zum  Teil  mittelalterlichen  Handschriften  entnommen  sind,  und  die 
für  die  Erklärung  des  Vampirglaubens  von  Wichtigkeit  sein  können. 

Auf  die  Ausgestaltung  des  Vamiiirglaubens  der  Balkanländer 
ist  der  griechische  Volksglaube  von  den  Lamnien  sicher  nicht 
ohne  Einfluss  gewesen.  Die.se  waren  schöne  gespenstische  Frauen, 
die  durch  allerlei  Blendwerk  Kinder,  besonders  schöne  Jünglinge 
anlockten,  ihnen  das  Blut  aussogen  und  ihr  Flei.sch  genossen.  Im 
Mittelalter  verstand  man  unter  ihnen  Ungetüme  mit  Weiberkopf 
und  Tierleib,  von  denen  die  aberglänbi.schen  Frauen  erzählten, 
da.ss  sie  die  Kinder  jdagten ').  Da  sind  ferner  die  kindertötenden 
Empusen*)  und  die  lesbi.sche  (iello,  das  Schreckge.spenst  der 
Jugend;  vor  allem  die  mythischen  Harpyien,  die  ganz  wie  die 
modernen  bulgarischen  Vain]iire  über  die  Speisen  herfallen  und 
sie  verderben.  Mit  ihrer  Vorstellung  verband  sich  zeitig  .schon 
die  von  den  Striges,  Nachtvögeln  dämoni.schen  Charakters,  die 
nach  Aristoteles  den  Ziegen  und  Ammen  die  Milch,  den  Kindern 
das  Blut  au.ssaugen  ^),  und  deren  Verwandtschaft  mit  dem  Geschlecht 
der  Harpyien  bereits  Ovid  in  den  Fasten  betont,  nachdem  er  von 
ihnen  gesagt  hat,  dass  sie  die  Gurgel  voll  von  dem  amsgesogenen 
Blute  haben ‘).  Verwandte  Vorstellungen,  die  zur  Ausbildung  des 
Vampirglaubens  herangezogen  werden  konnten,  waren  also  zahl- 
reich vorhanden.  Die  V'orstellung  von  den  schädigenden  Toten, 
die  sich  in  der  Furcht  vor  ihnen  und  den  ihnen  ge.spendeten 
Opfern  bei  allen  Naturvölkern  nachweisen  lässt,  fand  so  auf 
griechischem  Boden  reiche  Nahrung.  Helion  im  Beginn  des  achten 

')  Hrpslau,  Kgl.  u.  Cniv.  Bibi.  Cod.  ms.  IV.  y.  97  Vokabular  Ex  quo 
(um  14,^1)  Bl.  107  V:  Est  lameii  monstrum,  sed  femineae  faciei.  Quam  fetulae 
finguiit  infantibus  esse  molestam. 

*)  Ober  die  blutsaugonden  Enipusen  s.  Ludw.  Laistner,  Rätsel  der  Sphinx 
I 60  fl  . 

•)  Hist.  an.  lib.  IX  c.  30. 

')  Kastor,  lib.  VI  v.  1,'U  — 13S. 


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66 


.Talirliiimloi'ts  ii.  Chr.  ist  der  rilanbe  an  (Jolndeii  und  Strifreu  zu 
einer  Gesanitvnrstelluntr  versdimolzen  und,  was  t)edeutendcr  ist, 
den  Strigen  inenselilieher  Ursprung  iteigelegt.  In  einem  Bruchstüek, 
das  dem  Joliannes  von  Damaskus  zugeseliriehen  wird,  findet  sich 
die  üenierkung,  dass  ungetnldete  Leute  der  Meinung  seien,  es  gebe 
Weiber,  die  als  Strigen  oder  (leluden  in  der  Jmft  um  die  Häuser 
ziehen,  in  sic  auch  bei  verschlossenen  Türen  eindriingen  und  die 
Kinder  erwüi-gten '),  also  durchaus  der  Hexenglanlie  des  abend- 
ländischen Mittelalters.  Was  hier  lebenden  Weibern  zugescliriebeti 
wird,  konnte  ebenso  giit  auch  zur  Weiteihildung  der  Vorstellungen 
von  .schädigenden  Toten  herangezogen  werden.  So  finden  sich  in 
den  modernen  bulgarischen  Vampirberichten  Züge,  die  sich  durch- 
aus mit  detn  mittelalterlichen  Strigenglaid)en  decken;  ein  Vampir 
sangt  seiner  Braut  das  Blut  ans  und  stopft  sie  voll  Stroh®);  den 
(tlauben,  dass  die  Striga  das  Herz  fressen  und  den  .Men.schen  voll 
Stroh  stopfen  könne,  bekäm[ift  schon  Burchard  von  Worms®).  .\uch 
an  Beispielen  für  die  V'ampirfurcht  im  Altertum  und  frühen  .Mittel- 
alter  fehlt  es  nicht.  Als  einst  die  .Manen  ihre  gewöhnlichen  Opfer 
nicht  erhielten,  weil  die  Börner  mit  der  .Al) wehr  der  Feinde  be- 
schäftigt waren,  so  erzählt  Ovid  in  den  Fasten,  da  verliessen  die 
Verstorbenen  ihre  Gräber  bei  Nacht,  .schwärmten  als  Lemuren 
heulend  durch  die  Stadt  und  ganz  Latium  und  verursachten  ein 
gewaltiges  Sterben^).  Und  in  der  Lebensbeschreibung  des  Kai.scrs 
(’aligula,  die  Sueton  etwa  120  n.  dir.,  also  80  Jahre  nach  dem 
Tode  des  Imperators  abfa.s.ste,  hören  wir,  da.ss  die  Leiche  des 
Kaisers  bei  den  wirren  Zeitverhältnissen  nur  unvollständig  auf 
einem  eilig  hergerichteten  Scheiterhaufen  verbrannt  worden  und 
dann  unter  einer  dünnen  Schicht  Erde  in  den  Lamianischen  Gärten 
bestattet  worden  war.  Da  wurden  die  Gartenhüter  bc.ständig  von 
Erscheinungen  geängstigt,  und  auch  in  dem  Hause,  wo  er  gestorben 
war,  gab  es  allnächtlich  irgend  einen  Spuk,  bis  die  später  aus 
dem  Exil  heimkehrenden  Schwestern  die  Leiche  völlig  verbrannten 
und  das  Sterbehaus  durch  Feuer  zei-stört  worden  war®).  Aus  dem 
Procüpius  ging  in  viele  Exempelsammlungen  die  Erzählung  über, 

’)  Migac.  F.  gracc  LXXXXIV  ,s.  1603. 

*)  Adolf  Stranss,  Die  Bulgaren,  Leipzig  18)18  S.  11)1. 

•)  Mignc.  F.  lat.  t'XX.KX  973. 

*}  Fastor.  lib.  II  v.  533—  540. 

*)  Suetonius  lib.  IV  c.  59. 

Mitteilungen  U.  acliles.  lies.  f.  Vkile.  lieft  X\l. 


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66 


dass  Tlieodpricli  der  Grosse  imeli  der  Rnnorduii}?  des  g'reisen  Syni- 
maclius  (525)  bei  einem  Mahle  in  dein  Kopfe  eines  F’isches  den 
Koj)f  des  Ermordeten  zu  erblicken  jrlaubte,  ^der  die  Unterlippe 
nach  Art  eines  Drohenden  nafrte“.  Auch  der  spätfrriechische  Roman 
kennt  den  dem  Grabe  entsteigenden  lebenranbenden  Toten,  ln  den 
„Ephesischen  Geschichten  von  Anfheia  und  llabrokomes“  eines 
Xenophon  von  Ejiliesus,  einem  Roman,  der  in  der  ei’sten  Hälfte 
des  zweiten  Jahrliunderts  nach  dir.  entstanden  ist,  wird  erzählt 
(Buch  V 7,  7.  8),  da.ss  bei  Gelefjenheit  einer  fe.stlichen  „Pannychis“ 
ein  Kind  von  den  Seinigen  aliirrt  und  zum  Grabe  eines  jüiifrst 
verstorbenen  Mannes  kommt.  Da  springt  ^Jemand“  aus  dem  Grabe 
hervor,  sucht  das  Mädchen  zu  halten,  sie  schreit  und  flicht;  end- 
lich wird  es  Tii{r,  da  sclilägt  er  sie  auf  die  Brust,  und  seitdem 
ist  sie  krank').  Aus  dem  späteren  Mittelalter  berichtet  Gardanus 
von  einem  Mailänder  Arbeiter,  der  um  die  dritte  Nachtstunde 
heimkehrte  und  einen  Lemuren  erblickte,  der  ilin  verfolgte.  Zwar 
sucht  er  zu  entfliehen,  aber  das  (iespenst  holt  ilin  ein  und  wirft 
ihn  zur  Erde;  er  will  schreien,  aber  er  bringt  keinen  Laut  hervor. 
Jjange  ringt  er  mit  dem  Lemur,  endlich  finden  ihn  Vorübergehende 
und  bringen  ihn  halbtot  heim;  nacli  acht  Tagen  stirbt  er*).  Einen 
vollendeten  Bericht  über  das  Treiben  .solcher  Toter  bei  den  Lapp- 
ländern erhalten  wir  in  den  beiden  seltenen  Büchern  des  (’a.spar 
Peucer  ,.de  Theomanteia''  und  der  Magica  eines  Anonymus  vom 
.Jahre  1597;  in  die.sem  letzteren  lautet  der  Bericht  in  wörtlicher 
f'bertragung  aus  dem  Lateinischen'*). 

„Die  Pilappen  bewohnen  den  äus.sersten  Teil  der  Halliinsel 
Scandinavien  am  Eismeere.  Bei  ilmen  ist  die  Zahl  und  die  älacht 
der  (Jespenster  gewaltig,  die  umhergehen,  mit  ihnen  leben  und 
sprechen  und  in  keiner  Weise  ferngehalten  oder  wegge.schaftt 
werden  können.  Und  da  sie  liauptsächlicli  von  den  Schatten  der 
Verwandten  nach  deren  Tode  erschreckt  und  geängstigt  werden, 
suchen  sie  es  zu  verliindern.  indem  sie  die  Leichen  aiisgraben  und 
im  Feuer  bestatten.  Durch  dieses  Mittel  allein  schützen  und 
sichern  sie  sich  gegen  die  Plagereien  und  Schrecknisse  der  Dämo- 
nen. Denn  wenn  sie  das  tun,  erscheinen  ihnen  die  Schatten  jener 

')  Krwin  liohilc.  Der  griechische  Uuman  2.  Leipzig  1900  S.  45. 

*)  llieron.  Carilaiius.  Liber  de  Subtilitate.  Hasel  1.5.52  S.  .52.5. 

*)  Magica,  seu  mirabiliiiin  historiariim  de  .Spectris  ....  Libri  II  . . . 

suiiiptibus  Ilenningi  Urasij  1.597  S.  5Ci. 


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67 


fiinlerliiii  niclit  mehr;  wenn  sie  es  al)er  unterlassen,  werden  sic 
l)estiindig  von  den  Schatten  der  herumscliwärmenden  Verwandten 
prestört  und  beunruliigt“. 

Die  inittelalterlichen  Theologen  haljen  durch  ihre  Erkliirungs- 
vei^sHche  des  Volksglaubens  von  den  wiederkehrenden  Toten  dazu 
beigetragen,  dass  diese  (iespenster  mit  dem  Treiben  reiner  Dämonen 
in  Verbindung  geliracht  und  mit  ihnen  verwechselt  wurden.  Nach 
der  Theologie  des  Mittelalters  kann  ein  schuldloser  Toter  selbst 
nicht  mehr  zuriiekkehren;  wohl  aber  kann  sich  der  Teufel  des 
toten  Menschen  bedienen,  um  die  Lebenden  zu  betrügen  und  zu 
schädigen.  Als  Beispiel  möge  die  Cber.setzung  eines  Exempels 
dienen,  das  einer  Breslauer  Handschrift  vom  Jahre  1405  ent- 
nommen ist '). 

Per  Teufel  erschien  einem  Weibe  in  der  (iestalt  ihres  gestor- 
benen Mannes,  in  der  .Stadt  Siena  starb  der  Mann  eines  jungen  Weibes  und 
wurde  begraben.  Nach  einigen  Tagen  erschien  er  s»*iner  (lattin,  als  sie  in  ihrer 
Kammer  allein  war,  so  schön,  wie  er  Iriiher  gewesen  war.  Pas  junge  Weib 
wird  von  ihm  beruhigt  und  sie  sprechen  miteinander,  umarmen  und  küssen  sich, 
und  sie  blieb  den  ganzen  Tag  mit  ihrem  tiatten  in  dem  Zimmer,  und  sie  schien 
nicht  mehr  so  traurig  zu  sein,  wie  sie  es  nach  dem  Tode  ihres  Patten  gewesen 
war.  Pa  wunderte  sich  die  Schwiegermutter  und  blickte  durch  ein  Poch  ins 
Zimmer  und  sah  das  Weib  mit  ihrem  Patten,  l'nd  betroffen  von  dem  Anblick 
schickte  sie  sofort  zu  einem  Poniinikanerbruder,  und  der  Prüder  brachte  unter 
der  Kutte  den  Peib  des  Herrn.  I'nd  alsbald  verliess  der  Teufel,  der  in  den 
Peichnani  gefahren  war  und  ihn  so  frisch  bewahrte,  dass  er  lebendig  zu  sein 
schien,  den  Körper,  der  ganz  verwest  und  voll  Würmer  zurUckblieb.  I'nd  man 
Hess  heimlich  im  Prabe  nachschen  und  fand  dort  keinen  Peichnam  vor.  i'nd 
nun  begrub  man  ihn  heimlich  draussen  vor  der  Stadt. 

Zu  diesem  mittelalterlichen  Gegenstück  zur  Braut  von  Korinth 
ge.sellt  sich  die  andere  Erzählung  de.sselben  Exempelbuches  von 
einer  Jungfrau,  die  nachts  in  einer  Kirche  betet,  in  der  ein  Toter 
liegt.  Der  Teufel  fährt  in  den  Körper  und  geht  auf  die  Jtmgfrau 
zu;  doch  diese  sclilägt  ihn  ra.sch  entschlossen  mit  einem  Stibe  auf 
das  Haupt.  Da  zieht  es  der  Teufel  vor,  aus  dem  Körper  zu  ent- 
fliehen, so  dass  der  Tote  auf  die  Erde  sinkt*). 

Tn  die.sen  Fällen,  von  denen  der  zweite,  an  das  Abenteuer  des 
(Trafen  Richard  von  der  Normandie  erinnert,  mu.ss  der  Teufel  den 
I.,eichnam  beseelen,  weil  der  Tote  selbst  ohne  .schwere  Schuld  ge- 

*)  Broslim,  Kgl.  u.  fniv.  liibl.  Cod.  ms.  I.  F.  745  Hl.  242'ö;  es  ist  .loh. 
Herolts  l’romptnarium  cxemplorum  discipuli.  unter  T excmpl,  XVII. 

’)  Pieselbc  Hs.  Bl,  218 ca;  unter  V exempl.  XXIX, 

5* 


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68 


storbpii  ist.  Wie  aber  auch  brnti*  bosotider.s  Verbrpclipr  zu  scbä- 
(ligendpn  'l'otpn  wprdpii,  so  fimlpt  ini  Mittplaltor  dor  Vorlirpclipr, 
dpr  im  Unfripdpii  mit  dpr  Kirrlip  starb,  im  (iral)p  kpinp  Hidip. 
Ein  Hpis])iel  von  piiipin  Wuclierpr,  dpr  widorrpclitlich  im  Klostpr 
bpipesetzt  die  Arönche  plapen  mns.s,  findpt  sieb  in  einer  Reibe  von 
Exempplbttrberii  des  15.  Jalirbunderts '). 

Ein  Wucherer  wnrde  einst  in  einem  Miinchskhister  begraben.  Er  verliess  des 
Nachts  das  (trab  heulend  und  lärmend,  deckte  das  Haus  ab,  peinigte  die  Mönche 
schrecklich,  schlug  sic  mit  einem  Stocke  und  wurde  des  Morgens  vor  der  .Stadt 
auf  dem  Felde  gefunden.  ,\ls  man  ihn  mehrere  Mal  immer  wieder  in  seinem 
lirabe  begraben  hatte,  beschwor  ihn  ein  heiliger  Mann,  zu  ulfenbaren,  warum 
er  und  die  Mönche  keine  Ituhe  hätten.  Da  sprach  jeiier:  „Ich  bin  verloren; 
denn  ich  werde  nie  liuhe  finden,  weil  ich  durch  meinen  Wucher  Tag  und  Nacht 
die  .\rmen  geplagt  habe.  Ihr  aber  könnt  Kühe  finden,  wenn  ihr  meinen  Leich- 
nam aus  eurem  Kloster  herauswerft“.  Das  geschah,  und  man  vt’urdc  seitdem 
nicht  mehr  von  ihm  belästigt. 

Die  Vampirbpripbtp  bptonpii  sämtlipli  als  wp.spiitlicbes  Kenn- 
zpiclipn  lies  Vami)irs  dip  l’nvpnvpsbarkeit  dps  Lpicbriams.  Diespti 
clmrakteristisdipii  Ziip  famlpii  wir  in  dpii  vprwiiiuitpn  antikpii  Kr- 
zäblunppn  iiiclit  prwäbnt.  Und  dopli  ist  er  kein  ursprüiiglicber 
Bpstiindteil  der  modprneii  \'ampirvorstplliinp,  liir  dessen  Erkliirnnp 
vielleiclit  ptir  die  Herunziehunp  iutsserpiiropäisebpr,  morpenliindiscber 
Qitellen  notwendip  würde,  .\ncli  für  ilin  bietet  das  .Mittelalter 
dureliaiis  geniipende  Flrkläriinp.  Es  i.st  bekannt,  da.ss  in  Griecben- 
land  die  E.xkoiiimitnizierten  naeb  ibrein  Tode  zu  Rrontolakken 
oder  Tympaniten  werden  mü.ssen;  dazu  pebören  alle  Verbreeber, 
Zauberer,  Selb.stinörder.  Im  .Mittelalter  palt  die  l’nverwesbarkeit 
penau  .so  wie  beute  in  (iriecbeiiland  als  Strafe  für  die  blxkommu- 
tiizierten.  Dafür  ein  Beispiel,  (lot.sebalk  Hollen  ( 1400--1481), 
der  berülimte  westfiilisebe  .Aupustinerprediper,  erzablt  in  der 
62.  Predipt  des  Winterteils  seiner  Prediptsammlunp  folgende  Ge- 
.sebiebte  aus  .Siena: 

.\ls  ich  im  Kloster  zu  .siena  in  It.alien  studierte,  sah  ich  den  Jinsgegrabcncn 
Körper  eines  Weibes,  der  siebzig  .Jahre  in  der  Erde  gelegen  hatte  und  noch  an 
allen  seinen  tiliedern  und  Haaren  unversehrt  war  Er  wurde  aufrecht  an  die 
.Mauer  gelehnt,  und  die  ganze  Stadt  lief  zusammen,  um  ihn  zu  sehen.  MitUm 
in  der  Nacht  aber  wollte  der  Küster  in  die  Kirche  gehen  und  die  Lampe  für 
die  Matutin  anzUnden.  .Xis  er  heraustrat,  folgte  ihm  jener  Körper  und  rief,  er 

')  Breslau.  Kgl.  ii.  I'niv.  Bibl.Cod.  ms.  I.  (J.  337  Bl.  209r;  anch  t'od.  ms. 
1.  0.  12  Bl.  437  V;  .loh.  Herolts  ITomptuarium  exemplorum  discipuli,  unter  .S 
exempl,  III. 


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könne  deswegen  nicht  zu  Staub  werden,  weil  er  in  dem  Kirrhenbannc  begraben 
worden  sei.  ,t!eli  daher  zum  päpstlichen  Legaten,  damit  er  mir  die  Wohltat 
der  Lossprechung  zuteil  werden  lasse  l»;imi  wird  der  Leih  zerfallen“.  Her 
Küster  tut  es.  Das  Weib  wurde  losgesproehen  und  der  Körper  mit  dem  Weih- 
wasser besprengt;  und  alsbald  zerfiel  er  in  Asche,  Daher  ist  der  Kirchenbann 
sehr  zu  fürchten. 

Als  St.  1,'lricli  hei  einer  Preilifrt  auf  dem  Kirdiliofe  allen 
Gebannten  befiehlt,  sich  zu  entfernen,  da  -öftnet  sich  ein  Grab, 
aus  dein  ein  Ritter  steifet,  der  um  die  Absolution  vom  Ranne 
bittet').  Pitton  de  Tonrnefort  berichtet,  dass  der  Teufel  nur  in 
einen  Griechen  fahren  und  ihn  zum  ,\'^roucolacas'‘  machen  könne, 
wenn  er  dem  ftriechischen  Ritus  aiigehöre,  was  wohl  auch  so  zu 
deuten  ist,  dass  dieser  Grieche  eben  von  den  nach  römischem 
Ritus  Lebenden  als  Exkommunizierter  angesehen  wird*).  Und  bei 
den  Russen  werden  neben  Hingericliteten,  plötzlich  Gestorbenen, 
Sellistmördern  und  Trunkenbolden  auch  die  Altgläubigen  oft  zu 
Vampiren"),  die  somit  auch  zu  den  Gebannten  gerechnet  zu  werden 
scheinen.  Jedenfälls  sind  für  die  Deutung  des  Glaubens  an  die 
Unverwe.sbarkeit  der  .schädigenden  Tuten  religiö.se  .Motive,  der 
Kirchenbann,  massgebend. 

Von  grosser  Bedeutung  für  den  Glauben  an  schädigende  Tote 
war  endlich  im  Mittelalter  der  Glaube  an  den  Incubus,  den  Alp. 
Man  braucht  die  beiden  Erscheinungen,  wiederkehrender  Toter 
und  Alp  tlieoretisch  nicht  zu  vermi.schen;  prakti.sch  wird  man  oft 
in  den  Volksüberlieferungen  keine  Entscheidung  tretl'en  können, 
ol)  man  es  mit  dem  einen  oder  dem  anderen  We.sen  zn  tun  hat. 
Der  Schlesier  kennt  den  .\lp  auch  als  Totengeist,  der  Mecklen- 
burger sjiricht  vom  Nachtmar  und  meint  den  plagenden  Toten. 
Die  germanischen  Maren  und  Mährten  sind  als  Alpgespenster  un- 
zweifelhaft Seelen  der  Verstorbenen  *)  die  mit  den  männlichen  ve- 
di.schen  Maruts,  dem  kriegerisch  gerüsteten  wilden  Heer  den 
Stamm  „mer“  sterben  gemeinsam  haben-’).  Der  mittelalterliche 
Glaube  verbindet  mit  ihnen  noch  den  antiken  Ephialtes,  über 
dessen  Zugehörigkeit  zn  den  phalli.schen  Naturdämonen  oder  den 

')  Breslau,  Kgl.  u.  I'niv.  Bibi,  Cod.  ms.  1.  0.  12  Bl.  277», 

*)  Voyagc  du  Levant.  Lyon  1717  Bd.  1 S.  164, 

•)  Zcitschr.  f.  Sozialwissenschaft,  Bd.  111  S.  231. 

•)  Alfr.  Hillelirandt,  Vedische  Mythologie  Bd.  III  317  ff. 

*)  Vgl.  Schräder,  Heallvxicon  der  indogerm.  Altertumskunde,  Strassbnrg 
l'JOl  S.  873  unter;  Traum. 


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70 


TotenffeistiTii  die  Aiisiditen  geteilt  sind.  Unter  dem  Jlalir  ver- 
steht der  Theologe  im  Mittelalter  einen  Dämon,  das  Volk  eine  alte 
Vettel,  die  drürken  geht,  der  Arzt  einen  physiologischen  Krank- 
heitsziistand  ’).  Dämon  oder  Hexe,  er  brauclit  das  Blut  des  Leben- 
den genau  so  wie  der  Tütengeist.  Das  Streben  nach  der  Lebens- 
kraft des  anderen,  die  durch  das  Blut  symbolisiert  wird,  ist  der 
Grundzug  aller  Drugkunludde.  Der  mittelalterliche  Necromant 
wusste  sehr  genau,  wie  er  die  Totengeistcr  zu  locken  hatte;  er 
machte  es  wie  einst  Odysseus;  er  mischte,  wenn  er  nicht  genug 
Blut  vorsetzen  konnte,  Wasser  damit,  um  die  Geister  mit  dem 
blutroten  Tranke  zu  locken“). 

So  lässt  sich  der  Glaube  an  schädigende  Tote  re.stlos  auch  in 
seiner  kompliziertesten  Form  bei  den  slavischen  Völkern  als  ein- 
heimischer  Glaube  erklären,  ohne  dass  Entlehnung,  wenigstens  in 
historischer  Zeit  anzunehinen  wäre.  Die  Grundliigen,  der  Glaube 
an  das  Fortleben  der  Beelen,  an  das  Streben  der  Toten  nach  dem 
Blute  der  Lebendigen,  der  mindc.stens  gf'meinitidogermani.sch  ist 
und  sich  wohl  bei  allen  Völkern  nach  weisen  las.sen  wird,  diese 
Grundlagen  in  einer  Fortbildung  durch  Aufnahme  verwandter  Züge 
aus  anderen  Gebieten  des  mittelalterlichen  Volksglaubens  können 
ungezwungen  zu  den  heutigen  Formen  führen,  die  der  Glaube  an 


')  Breslau,  Kgl.  u.  I'niv.  Bibi,  ('»d.  ms.  IV.  ().  07  Bl  liäSr  (1,=).  ,Ili1;  In 
hac  hora  dicitur  vulgaritcr  phialtcs  upprimere  homiiics.  Creditur  uiUctn  plii- 
altcs  daemon  qiii  huiiiinr.s  videtur  opprimerc  et  fere  suffuenre.  — Cod.  ms.  111. 
¥.  20  (V.  ,1.  1417)  riarificatdrium  .Johannis  de  Tornomira.  Bl.  Z.öSvl*;  De  ineuho. 
l’assiu  ista  dicitur  ab  incubacione  mentis  et  sensnum  . . ijuod  inenbus  est 

nomen  diaboli  dieunt  theologi,  qui  eomprimunt  corpora  de  nocte  dormiemia. 
Laici  dieunt,  qnod  est  vetula  proprie  equae  inarae  romprinieiis  liomines 
de  Ducte;  sed  ims  medici  suiuus;  ideu  dicimiis  aliter.  .Am  unteren  Bande  von 
anderer  Hand  der  Hinweis:  vipn  der  mären.  — Cod.  ms.  111.  F.  n (14.  .Ih.) 
Bl.  12rl>:  De  inciibo  Nota  de  causis  ineiibi  est  iinus  modiis  direndi  tbeologuruin, 
qund  sit  spirilus  demon,  scilieet  quidam  sic  nominatns,  qui  qnandn  stat  in  aerc 
demon,  super  rorpus  hominis,  corpore  iaeente  resnpino,  ipse  respicit  cor  et  gra- 
vat  ct  premit  sic  Corpus,  quod  non  potest  moueri.  Aly  dieunt,  qnod  sit  uetnla 
de  nocte  currens. 

*)  Z.  B.  nach  Isidor  von  .Sevilla  in  Cod.  ms.  I.  U.  H.ü  der  Breslauer  Kgl. 
u.  I'niv.  Bibi.  Bl.  i)9r:  .Vigromantici  sunt,  quoruin  precaiiCacionibus  videntur 

resuscitati  nxprtui  püvinare  et  ad  interrogala  respondere El  ad  quos  rc- 

snscitandos  radaveris  sangvis  adicitur.  .Nam  nmare  deimpiies  sangninem  dieunt. 
ideoque.  quociens  nigrtpmancia  fit.  cruor  aqua  mi.scetur.  ut  ccplore  sangwinis  fa- 
cilius  prouoceiitur. 


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71 


sdiädigende  Tote  bei  den  europäischen,  vorneliinlich  slavischen 
Völkern  aiifweist. 

II.  Die  schleslsclini  (ieseUieliteii  von  den  sehlidiirenden  Toten. 

Unter  Schlesien  ist  hier  die  politische  i)renssische  Provinz  zu 
verstehen.  Diese  Begrenzung  könnte  bei  einem  volkskundlichen 
Thema  äusserlich  und  willkürlich  erscheinen,  sie  i.st  hier  jedoch 
notwendig,  da  wir  gerade  für  diesen  Landesteil  nocli  keine  Ge- 
samtdarstellung des  Volksglaubens  von  den  schädigenden  Toten 
besitzen,  während  für  die  umgehenden  Länder  die  Aufgabe  gelöst 
ist;  für  die  Polen  und  Galizier  durch  die  Untersucliungcn  von 
Julian  Jaworsky  *)  in  Lemberg,  für  Mähren  und  Österreich- 
Schlesien  durch  d’hllvert*)  und  Berger“),  während  für  die  nördlich 
von  Schle.sien  gelegenen  Landesteile  immer  noch  Mannhardts 
grundlegende  Arbeit  „über  Vampyri.smus“  ausreicht.  Gerade 
Schlesien  bot  bei  .seiner  starken  Mischung  des  germanischen  und 
slavi.schen  Volkes  für  die  Weiterentwicklung  des  beiden  Vöfleern 
eigentümlichen  Glaubens  einen  günstigen  Boden.  Und  so  .sehen 
wir  im  Verlaufe  eines  Zeitraumes  von  etwa  600  Jahren,  wenn 
wir  der  ältesten  Quelle  trauen  dürfen,  die  Schlesier  in  ihrer  Furcht 
vor  den  Wiedergängern  abhängig  zunächst  von  den  böhmischen, 
dann  von  den  polnischen  und  endlich  von  den  mährischen  und 
österreich-schlesischen  Berichten  über  .s-olche  Wiedergänger,  und 
auch  die  Berichte,  die  wir  über  die.sen  Volksglauben  aus  der  letzten 
Zeit  haben,  tragen  bald  die  Merkmale  der  einen,  bald  der  anderen 
Gruppe  von  Vam])irerzählungen.  Mit  den  polni.schen  Berichten 
gemeinsam  haben  die  schlesi.schen  den  Glauben  an  die  im  Grabe 
nachzehrenden  l’oten,  der  den  Südslaven  losgelöst  von  den  Wieder- 
gängererzählungen  zu  fehlen  scheint,  ebenso  wie  den  Mäliren  und 
ö.sterreichschlesiern.  Desgleichen  findet  sich  auf  slaviscliem  Boden 
in  Schlesien  die  der  polnischen  Wiedergüngervorstellung  eigene 
Betonung  des  Hexen-  und  Alpcharakters  desjenigen,  der  nach 

')  Z,  rt.  V.  f.  Vk.  Vni  (1S98)  3'tl~336  mit  reicher  Literatur. 

•)  Schriften  der  hist.-stat.  Section  der  k.  k.  mähr.-schles.  Geseltsch.  Bd.  XII 
Brünn  18.^9  S.  .319:  Das  Zauber-  u.  Hevenwesen,  dann  der  Glaube  an  Vampyre 
in  Milhren  u,  Österreich-.Schlesien, 

•)  Z d,  deutschen  Vereins  f.  d.  Gesch.  Mährens  u,  Schlesiens,  herausg.  v. 
Schober  Bd.  VIII  (19GI)  Brünn.  S.  201 : Zum  Hexen-  und  Vampyrglauhen  in 
Xordmühren. 

•J  Z.  f.  deutsche  Mythologie  IV  (lbö9)  S.  259  ff. 


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72 


seinfin  Tode  als  AVit“derp:änp:('r  oder  Xarhzelirer  wirken  muss.  Nur 
wer  zu  Lebzeiten  Alp  oder  Hexe  war,  wird  nacli  dem  Tode 
Wiederfräiifrer  oder  Nachzelirer.  Dagegen  zeigen  die  unter  miiliriscli- 
bölimisc-liem  Einflüsse  oder  von  den  polnischen  Berichten  unab- 
hängigen Erzählungen  auch  andere  Gründe,  wie  [»lötzlicher  Tod, 
Selbstmord  und  sündhaftes  Leben,  die  dem  Toten  die  Buhe  raidien 
und  ihn  zum  Schädiger  machen.  Das  Interesse  für  die  Nachrichten 
von  schädigenden  Toten  war  in  Schle.sien  auch  in  Gelehrtenkreisen 
sehr  stark.  Kaum  waren  die  südslavischen  Nachrichten  bekannt 
geworden,  da  beteiligt  sich  auch  schon  ein  Sclilesier  Pohl  aus 
Liegnitz  an  dem  Traktatstreit,  den  diese  Nachrichten  auslnsten, 
und  bei  ilim  finden  wir  die  bündigste.  Definition  des  Begrifl'es 
„Vampir“.  Er  definiert:  „Vampire  sind  Tote,  die  Lebenden  durch 
Entziehung  des  Blutes  Schaden  zufügen  und  sogar  das  Leben 
rauben“ ').  Aber  schon  bevor  die  Vampirbericlite  aus  Ungarn  und 
Serbien  eine  wahre  Hochflut  von  Traktaten  in  Deutschland  verur- 
sachten, beschäftigten  sicli  schlesisclie  Arzte  und  Natnrkundige 
mit  den  polnischen  Nachrichten  vom  Upierz,  wie  die  Form  in 
den  deutschen  Abhandlungen  dieser  Zeit  lautet.  Die  heute  geläu- 
fige Form  Upior*)  kommt  in  diesen  Berichten  niclit  vor.  Für 
Polen  selbst  lässt  sicli  diese  Form  Upierz  ebenfalls  in  dieser 
Zeit  nachweisen  *);  für  den  weiblichen  Wiedergänger  finden  sich 
die  Ausdrücke  Upierzycä  oder  einfach  Strzia'*).  Die  schlesischen 
Notizen  von  Upierz,  die  in  die  Zeit  von  17Bi — 1722  fallen,  sind 
in  der  neueren  Literatur  über  diesen  Aberglauben  unbekannt;  sie 
enthalten  manches  Bedeutsame  für  die  Gcscliichte  des  Upior- 
glaubens  in  Polen  und  Sclilesien.  Die  erste  Erwähnung  auf 

sclilcsischem  Gebiet  findet  sich  in  den  „Natur-  und  .Medizin- 
geschichten“ ^),  einer  periodi.schen  Zeitschrift  der  Bre.slauer  Ärzte, 
vom  Jahre  17H);  dort  heisst  es  in  einer  Abhandlung  „Von  einem 
besonderen  Begi'äbni.saberglauben“ : 

')  .1.  Clir.  I’ohlins,  Dissertatio  ile  Ilominilnts  post  mortem  Sa)i);aisugiM, 
lieipzi);  I7SZ,  p.  13:  Vampyri  seii  mortui  vivis  per  ablationcm  Sanguinis  (iain- 
num  inferentes.  ipsami|ue  vitam  auferentes 
Dagegen  begegnet  auch  l’pier. 

•)  ehr,  II.  Krndtel.  Warsavia.  Dresden  1730  S 17.ö. 

*)  ebenda. 

*)  Sammlung  von  Natur-  u.  Medicin  . . . (iesebiehten  , . . ans  Lieht  gc- 
stellet  von  einigen  Brcsslanisehen  Medicis,  Breslau.  9.  Versuch  1719  S.  114. 


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73 


,Es  lila?  uns  p.  I gi'nui?  si-yn  voritxu  mir  lifyliluffiu  <‘iiips  udar  des  an- 
diTii  Aberglaubens  von  Lcicben  und  üegrübnissen  bloss  mit  Namen  /.u  nennen. 
I'enn  lieber!  was  hat  z.  E.  das  so  genandtc  W’icderkommen  der  V'crstor- 
bcneii,  die  cruentatio  cadavenim').  die  rnverwcsslicbkcit  eines  und  des 
andern  im  Leben  sündhaften  Uliedes.  das  sogenandte  N'aehfressen,  das  ilunde- 
lleulen,  das  Leichcnhrcttcr- Fallen,  das  Weichhleihen  der  erst  abgestor- 
benen Leiber,  und  andere  vorgegebene  physikalische  Sterbensbcdculungen, 
das  Fenster-Aufmachen  beim  Absterben  eines  Menschen,  die  Furcht  vor  Hethrii- 
nung  des  Sterbe-Kittels,  die  ohne  Abbrechung  eines  Pfennigs  nothwendige  Ke- 
zahlung  des  Sargs  an  den  Tischler,  die  Ausliischung  eines  oder  des  andern 
(•rabiielites  oder  Kertze  und  vielfültige  andere  dergleichen  llegebenheiten , vor 
einen  anderen  Grund  als  den  Aberglauben?" 

Dieser  Katalofr  .schlesischen  Toteimlierfrlanhens  kennt  also  so- 
wohl den  schädipenden  Wiederpiinger  wie  ancli  den  Xaclizehrer. 

Uni  die.selbe  Zeit,  1721,  erscliien  die  Kuriose  Naturpeschielite 
des  Könipreiclis  l’oleiU  von  dem  .lesniten  Kzaczynski,  die  die  beste 
Zn.sanimenfassunp  des  sclilesisch-polni.sehen  Upierzplaubens  gibt. 
Die  Stelle  beisst  in  dentscher  rbertiagung*): 

,Ich  habe  vielmals  von  glaubwürdigen  Augenzeugen  gehört,  dass  man 
Mcnschenleichen  gefunden  hat.  die  nicht  allein  lange  Zeit  unverwest.  mit  beweg- 
lichen Gliedern  und  rot  geblieben  waren,  sondern  überdies  auch  Mund,  Zunge 
und  -Augen  bewegten,  die  Leichentücher,  in  die  sie  gehüllt  waren,  verschlungen 
und  sogar  Teile  ihres  Körpers  frassen.  Bisweilen  ist  auch  die  Kunde  davon 
gekommen,  dass  eine  derartige  Leiche  aus  dem  Grabe  aufstand.  über  Kreuzwege 
und  Häuser  wandelte,  sich  bald  dein,  bald  jenem  zeigte,  auch  manche  anfiel, 
um  sie  zu  erwürgen  W'enn  es  eine  Mannesleiche  ist.  dann  htdsst  dieses  Wesen 
Ppicr,  wenn  es  eine  Frauenleichc  ist.  l'pierzyca,  d.  h.  gleichsam  ,ein  gefiederter 
mit  Federn  versehener,  leichter,  zur  Bewegung  geschickter  Körper“. 


')  Der  Glaube,  dass  sich  die  Leiche  im  Grabe  selbst  blutig  macht,  durch 
Kauen  an  den  eigenen  (iliedern 

’)  P.  Gabr.  Kzaczynski  S.  J.  llistoria  Xatnralis  Curinsa  Uegni  Poloniae. 
,'<andumiriac  1721  p 364:  De  t'ruentationibus  Cadaverum;  p 365:  Contigit  in 
Polonia.  Bussia.  Litvania,  ut  testantur  exempla  anthentica  plurima.  et  ego,  in- 
quit  (iengeil  ,1.  in  Kversionc  .Atheismi,  multoties  ah  oculatis,  fide  dignis 
testibus  audivi.  quod  cadaver  humanum  repertum  sit.  nun  tantum  diuturno  tem- 
pore incorruptum.  tiexibilc.  rubienndum,  sed  insnper  caput,  os,  linguam  et  oculos 
interdum  movere,  linteamcnta.  (|uibus  fuit  involutnm  deglutire,  imo  et  vorarc 
partes  sui  corporis,  t^uandmiuo  etiani  notatnm  est,  qnod  cadaver  eiusmodi  c 
tumulo  exurgat  compita,  domos  obambulet,  his  et  illis  sc  eonspiciendum  prae- 
beut.  ac  i|uosdam  ctiam  invadat  et  suft'ocare  nitatur.  Si  viri  sit  cadaver  l'pier, 
si  muliebre  l'pierzyca,  quasi  diceres  plumefactum  corpus,  leve.  agile,  ad  motum.  — 
Dieses  Buch  ist  in  der  Vampirliteratur,  wie  es  scheint,  auch  nicht  beachtet 
worden. 


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74 


Die  Stelle  bemerkt  weiter,  dass  man  solchen  T^eiclien  das 
Haupt  abschneide,  um  sich  vor  ihren  Xachstellungen  zu  schützen. 
Was  in  diesen  beiden  Stellen  als  Kennzeichen  des  U])iors  an- 
geführt wird,  das  treffen  wir  in  den  schlesischen  Geschichten  von 
solchen  schädigenden  Toten  wieder,  die  uns  durch  die  (’hroniken 
berichtet  werden.  Die  früheste  die.ser  Erzählungen,  die  in  ihrer 
Lebendigkeit  alle  anderen  Geschichten  von  solchen  Toten  übcrtriff't, 
finden  wir  in  der  Grafschaft  Glatz,  also  in  dem  Gebiete,  in  dem 
niebt  die  polnischen,  sondern  die  böhmischen  Vorstellungen  von 
solchen  schädigenden  Toten  vorbildlich  geworden  sind.  Dement- 
sprechend ist  der  Tote  auch  nicht  Nachzehrer  allein,  sondern 
Wiedergänger.  Der  Bericht  findet  sich  auch  zunächst  in  einer 
böhmi.schen  Schrift,  in  der  berühmten  „Böhmischen  Chronik“  des 
Hajek,  die  um  1547  beendet  und  im  Jahre  155)4  ins  Deutsche 
übei'tragen  wurde ').  Aus  dieser  deut.schen  Cbersetzung  ging  er 
in  die  Glaciographia  des  Magisters  Georgius  Aelurius  Uber,  die 
1625  in  Eiankenstein  beendet  wurde-).  Aus  Aelurius  stammt  die 
modernisierte  Wiedergabe  der  Geschichte  bei  Grässe,  iin  Sagenbuch 
des  Preussischen  Staates  '')  unter  dem  Titel  „die  Hexe  zu  Lewin“. 
Der  Text  lautet  in  iler  Form,  wie  er  den  Schlesiern  bekannt 
wurde,  bei  Aelurius  folgendermassen: 

„.Vniio  134,5  Hat  siclis  in  liiihnien  in  einem  .Stadtlein  Levin  genand  zii- 
getragen.  Ks  war  darinnen  ein  Tiipffer,  mit  Namen  Hucliacz.  welcher  ein  tVeib 
hatte,  dieselbe  hicss  lirodka  vnd  war  voll  Tenffelischer  Zäuberey:  .41s  solches 
lautbar  worden,  ermahnten  sie  die  Priester,  von  solchen  bösen  Thatcn  .abzu- 
stehen. l.'nd  wie  wohl  sie  sich  dessen  ölfentlich  enthielt,  so  trieb  sie  es  doch 
in  geheimb.  AulT  einmal  begab  sichs,  als  sie  ihre  Geister  zusammen  geruffen. 
starb  sie  desselben  Tages  gehelingen  Todes,  niemand  wüste  es  zu  sagen,  ob  sie 
von  ihnen  nmgebracht.  oder  sonsten  gestorben  war:  l'mb  dieser  Vrsachen 

willen,  wolte  man  sie  unter  fromme  l'liristen  nicht  begraben,  sondern  ward  auff 
einem  .Scheydewege  verscharret:  Haid  wurde  gespüret,  dass  sic  liernmb  gienge. 
vielmals  zu  den  Hirten  auff  dem  Felde  käme,  sich  in  mannigfaltiger  Tiere  Ge- 
stalt verwandelte,  die  Hirten  erschreckte,  vnd  das  Viehe  verjagete,  welches 
ihnen  nicht  wenig  bekUmmernis  brachte,  fnterzeiten  Hess  sic  sich  auch  in 
ihrer  Gestalt,  als  wenn  sie  noch  lebete,  sehen:  Itarnacb  kiun  sic  auch  vielmals 
in  demselben  .‘^tädtlein.  vnd  in  den  vmbliegenden  Dörffern.  in  der  Leute  Häuser, 
vnd  erschien  in  mancherley  Gestalt,  redete  mit  den  Leuten,  erschreckte  ihrer 


')  Bd.  I Kl.  240*  in  der  Ausgabe  von  1.594. 

•)  H<!. 

’)  Kd  II  S.  19H.  Aus  Hajek  ging  der  Bericht  auch  Uber  in  Heinrich  Hochs 
Neue  Laussnitz-Bühm-  und  Schlesische  Cbrouica,  Leipzig  1687  S.  5. 


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76 


ein  Teil,  vnd  braditc  ('tlirhe  i?nr  vnibs  Leben.  Die  Niicbbarn  des  StHdtleins. 
vnd  die  Bnwren  aus  den  vmbliegcndcn  Dürffern  vercinij;tcn  sich,  Hessen  sic 
darch  einen  hier  zu  tttchti^cn  Mann  anss^raben:  Als  sidcheg  j'eschehcn.  kundten 
alle  bey  wesende  Leute  sehen,  dass  sie  des  Schleyers,  so  sie  auf  dem  Kopffe 
gehabt,  die  helffte  in  sieh  hinein  gefressen,  derselbe  ihr  aus  dem  Halse  gantx 
blutig  heraus  gezogen  worden : Mann  Hess  ihr  zwischen  die  Brust  einen  eichenen 
1‘fal  schlagen,  bald  flos  ihr  das  Blut  aus  dem  Leibe,  nicht  anders  als  aus  einem 
Binde,  dass  sieh  männiglich  verwunderte,  vnd  ward  also  wieder  vcrscb.arret 
Nach  kurtzer  Zeit  Hess  sic  sich  wiederumb  sehen,  vielmehr  als  zuvor,  erschreckte 
vnd  tötedte  die  Mcnsclieii,  vnd  welchen  sie  vmbgebracht . auf  deine  sprang  sie 
mit  den  Füssen  heruinb;  Derwegen  wurde  sie  durch  denselben  vorigen  Mann, 
wiederumb  auffgedackt  vnd  befunden,  dass  sie  den  l’fal,  welchen  man  ihr  in  den 
Leib  gesehiagen  gehabt,  aussgezogen  und  vnd  in  Händen  gehalten:  Nach  diesem 
lies  man  sic  heraus  ziehen,  vnd  sampt  dem  Pfal  verbrennen,  vnd  die  .Asche  sampt 
der  Krden  in  das  (Jrab  schütten,  vnnd  also  verscharren;  Nicht  weniger  hat  man 
an  dem  Ort,  wo  man  sic  verbrand.  etzlicbe  Tage  einen  zwirbel  Wind  gesehen“. 

SlLssgeburteii  sitid  wie  Wechselbülger  bcstiinint,  iiacli  ihrem 
Tode  die  Mciisdien  zu  plapen.  Von  einem  .solclien  Teufelswesen 
hörten  um  die.selbe  Zeit  die  Seiilesier  aus  einer  Broschüre,  die  der 
hüchweise  Kat  von  Olmütz  drucken  lie.ss.  Diese  Broschüre  ist  uns 
leider  nicht  erhalten,  aber  der  Text  pin<r  über  in  das  Tlieatrum 
Historicum  des  Andreas  Hondorf.  Er  lautet  in  der  ('bersetzunpr 
des  lateinischen  Textes  der  von  Philipp  Lonicerus  ISHO  zu  Frank- 
furt be.sorpften  Au.sp:abe'): 

,Im  .lahre  lö6,ä  gebar  ein  Weib  in  dem  Dorfe  Schmirtz.  das  zur  Herrschaft 
des  edlen  Herrn  Vratislaus  von  Bernstein  gehört,  ein  teuflisches  Wesen,  das 
weder  Kopf  noch  Küsse  hatte,  an  der  Brust  aber  neben  der  linken  Schulter 
einen  ofl'encn  Munii  und  neben  der  rechten  Schulter  ein  Ohr  zeigte.  .An  Stelle 
der  Finger  hatte  es  .Saugwarzen  wie  ein  Frosch  oder  eine  Kröte,  der  ganze 
tjcib  »’ar  Icbcrfarhen  nnd  zitterte  wie  Fettbrühe  oder  (»altert.  .Als  die  Hebamme 
dieses  Wesen  in  eine  Wanne  oder  Schüssel  zum  Waschen  setzte,  da  brach  es  in 
schrecktiches  (ieschrei  aus.  Vor  der  Kirche  sahen  sich  viele  Leute  dieses  Mon- 
strum an;  dann  wurde  es  an  der  besonderen  Stelle,  die  für  die  ungetauft  ster- 
benden Kinder  bestimmt  ist,  verscharrt.  Aber  seine  Mutter  bat  unautliörlich. 
dass  man  dieses  schreckliche  Wesen  wieder  ausgraben.  verbrennen  und  so  voH- 
stiindig  vernichten  möchte,  damit  nichts  mehr  von  ihm  übrig  bliebe;  und  sic 
gestand,  dass  der  Teufel  oft  mit  ihr  in  der  (»estait  ihres  Mannes  verkehrt  hätte. 
Daher  solle  man  dem  Teufel  das  seine  zurückgeben,  ihr  aber,  die  vom  Satan 
gewaitig  geschreckt  und  geplagt  werde,  möge  man,  so  bat  sic  flehentlich, 
Wächter  und  fromme,  treue  Freunde  zur  Seite  geben.  Es  wurde  daher  schliess- 
lich auf  Befehl  des  edlen  Herrn  V'ratislans  die  Missgeburt  wieder  nusgegraben, 
auf  einen  Karren  gelegt  und  dem  Henker  übergeben,  der  sie  vor  dem  Dorfe 
verbrennen  sollte.  Trotzdem  man  aller  eine  ungeheuere  Menge  Holz  verbrannte. 

.S.  IHfi. 


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könnt!'  diese  teiiflisehi'  Mssse  iiiclil  vernichtet  werden,  ja  die  Windeln,  in  die 
sie  einuewieki'lt  war.  hlielien  trotz  des  liochlodernden  Keilers  noch  feucht.  Iiis 
der  Henker  das  Wesen  in  lauter  kleine  Teiie  zerselinitt  und  dann,  aber  aneh 
noch  mit  j;rosser  Mühe  verbrannte.  Das  ('csehah  am  Freitajj  nach  Christi 
liinimelfahrt  Das  Weib  wurde  unterdessen  vom  Teufel  gewaitig  geplagt;  in 
jener  Nacht  hörte  man,  wie  unter  (.ilockengcläut  mit  ungeheuerem  Lärme  Pferde 
um  ihr  Haus  rasten,  und  in  der  folgenden  Nacht  vernahm  man  ein  klägUchi-s 
Uejammer,  zunächst  vor  ihren  Fenstern,  dann  sogar  im  Hanse  selbst,  das  die 
Mutter  und  die  Nachbaren  furchtbar  erschreckte.  Das  Weib  hörte  nicht  auf, 
tiott  anzullehen,  und  die  Kirche  schickte  heisse  (icbetc  für  sie  zu  tiott  empor. 
Schliesslich  befahl  jemand  dem  Teufel  in  der  Kraft  des  Namens  (iottes,  in  die 
tiefste  Hölle  hinabzufahren.  Da  vernahm  man  ein  lichenl.  als  wenn  sich  Hunde 
und  Katzen  bissen,  und  starkes  tilockengeiäut,  und  der  Fluss,  der  an  jenem 
Hause  vorüberfliesst.  trat  aus  zum  grossen  Sehreeken  der  Nachbarschaft  Aber 
die  frommen  (iebete  erreichten  doch,  dass  das  Weib  von  der  Wut  und  Bosheit 
lies  rasenden  Teufels  durch  die  (inade  des  barmherzigen  (iottes  befreit  wurde. 
Diese  (iescbichlc  wurde  auf  Befehl  des  wohlweiscn  Magistrats  und  Kates  zu 
Olmiltz  ausführlich  bis  in  alle  Einzelheiten  aufgezeichnet,  gedruckt  und  ver- 
öffentlicht“. 

Sieht  man  in  die.sei-  Krzälilting,  welches  Interesse  da.s  Volk 
und  sogar  die  Rehörden  in  Schlt'sien  an  solchen  (ie.schichteii  in 
jener  Zeit  genoniiiien  haben,  thinn  wird  es  nichts  Aiif'fallendes 
mehr  sein,  dass  die  beiden  folgenden  Berichte  die  gelehrtesten 
Männer  nicht  allein  Schlesiens  ern.stlich  bt'schiiftigt  liaben  und  so- 
gar in  der  apologetischen  Riteratnr  als  Watten  gegen  den  Atlieis- 
niiis  eine  Rolle  sjiitden  konnten,  lin  Jahre  1612  erschien  in  Stras.s- 
Inirg  da.s  Werk  des  IMco  de  Mirandola  über  die  „Stri.x“ ');  das 
Mannscfipt  des  Buches  war  durch  Schenkung  in  den  Besitz  des 
Bre.slauer  Gelehrten  .Martin  Weinrich,  der  von  1548 — 1609  lebte 
lind  am  h^lisabethgyninasiam  wirkte,  gekommen  und  mit  einer  Vor- 
rede Weinrichs  aus  seinem  Xaclilasse  veröffentlicht  worden,  ln 
dieser  Vorrede  finden  sich  die  beiden  ausführlichen  Berichte,  von 
denen  hier  tnir  eine  kurze  Inhalt.sangabe  fidgen  kann.  Bei  dem 
grossen  Aufsehen,  das  sie ’erregt  haben,  ist  es  verständlich,  dass 
sie  auch  in  andere  Werke  in  ihrer  ganzen  Ausdehnung  Aufnahme 
fanden.  Der  engli.sche  Theologe  Henricus  Morus  hat  sie  in  die 
2.  Auflage  des  Antidotus  adversus  Atheismum’')  aufgenommen. 
Die  erste  der  beiden  Geschichten  findet  sicli  weiter  in  der  Silesio- 


Strix  seil  de  ludiliriitione  daemoimm 


')  Joh.  Francisci  l’ici  .Mirnndulae 
dialogi  tres.  Argentorati  lt>!2. 

’)  London  lG7y  Tom.  II  Aiitidotus  üb  III  cap.  Vlll  u.  X. 


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fTrapliia  ilcs  Henclins');  lii-ide  Kizälilun^fii  ffitiffcn  aus  Wiüiiriclis 
Vorrede  in  das  „Sclilesisdie  liistnrisrhc  Labyrintli“  *)  iil)cr,  die 
zweite  Erzälduii"  ist  ausserdem  in  Kloses  ,Tiiterarischeu  Unter- 
lialtungen“  abgedruckt“);  aus  dem  ^Sclilesischen  liistorischen  Laby- 
rinth“ überiialim  beide  (Jeschicliteii  (Jrässe  ins  „.Sagenbucli  des 
Preussisclien  Staates“  *). 

Im  Jahre  1591  schnitt  sich  ein  Schuster  in  einer  berühmten  sihlesischeii 
Stadt*)  die  Kehle  durch  Itie  I’rsache  des  Selbstmordes  war  unbekannt.  Seine 
Frau  verband  die  Wunde  und  erzählte,  er  sei  am  Schlaue  gestorben.  Nach 
sechs  Wochen  erzählt  man  sich  in  der  Stadt,  dass  ein  tiespenst  in  der  (icstalt 
des  Schusters  die  Schlafenden  quäle  und  drücke.  Zugleich  verbreitet  sich  das 
(ierücht,  der  Schuster  sei  durch  Selbstmord  gestorben.  Die  Verwandten  wider- 
setzen sieh  der  .\usgrabnng  der  Leiche;  das  tiespenst  wirft  sich  auf  die  Betten 
der  Schlafenden,  hängt  sich  ihnen  an  und  versucht,  sic  zu  erwürgen,  und  drückt 
sie  so  stark,  dass  man  um  Morgen  noch  bleiche  Flecken  und  sogar  noch  nach 
Stunden  Fingerspuren  sah.  Endlich  setzt  das  geängstigte  Volk  die  Ausgrabung 
der  Leiche,  die  vom  22.  September  1591  bis  IS.  April  1.592  im  (irabe  gelegen 
hat,  durch.  Man  findet  den  Toten  unversehrt,  stark  aufgebläht,  die  Haut  der 
Füsse  ist  abgefallen,  aber  darunter  neue  gewachsen.  An  der  grossen  Zehe  des 
rechten  Kusses  sieht  man  einen  .\usw'uchs,  der  einer  Rose  gleicht.  Nach  vier- 
undzwanzig  .'stunden  begräbt  man  ihn  wieder,  aber  an  einer  für  rnehrliche  be- 
stimmten Stelle.  Koch  das  Oespenst  treibt  sein  altes  Spiel,  bis  man  dem  Toten 
am  7.  Mai  1.592  Kopf,  tilieder,  Hände  und  Füsse  abtrennt,  und  den  Kücken 
öffnet.  Da  findet  man  das  Herz  unversehrt  .wie  bei  friscbgeschlachteten 
Kälbern“  Die  Leiche  wird  auf  einem  Scheiterhaufen  von  sieben  Klaftern  Holz 
verbrannt  I ber  N.icht  bewacht  man  die  .5sche,  damit  sie  vom  Volke  nicht  zu 
verbrecherischen  Handlungen  aufgelesen  werden  konnte;  am  folgenden  Morgen 
wiift  man  sie  in  einem  Sacke  in  den  Fluss  Nun  hatte  man  Ruhe 

Dip  zweite  Erzälilung,  die  sieli  in  Weiniichs  Vorrede  un- 
niittellmr  an  die  vorherpeliende  an.sclilies.st  “i,  hat  znni  Selianitlatz 
einen  kleinen  Ort  an  der  sctile.si.sehen  Grenze  iin  Gebiete  Österreich- 
Schlesiens. 

Ker  Bürger  .lohannes  Kuntze  in  Bennisch  bei  .lägerndorf,  ein  allgemein 
geachteter  Mann,  wurde  vom  Pferde  geschlagen  und  lag  im  Sterben.  Wegen 
geheim  gebliebener  Frevoltalen  verzweifelt«  er  an  der  göttlichen  Barmherzigkeit. 


')  Nie.  Henclins,  Silcsiographia  Kenovata,  cd.  M.  .1.  Fibiger,  Breslau  1704, 
cap.  VII  §8. 

»)  Breslau  1737  S.  .363  u.  351. 

’)  Breslau  1775  S.  457. 

*)  Bd.  II  S.  176  u.  214. 

*)  Kas  Schics,  hist.  Lab.  setzt  hier  hinzu  (S.  352):  welches  die  Stadt 
Brcsslan  seyn  sol. 

•)  8.  13. 


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In  der  Nacht  sah  sein  Sohn,  der  hei  ilnn  wachte,  tim  die  dritte  Stunde,  wie  eine 
Katze  das  Fenster  öffnete,  dem  Sterbenden  ins  (iesicht  sprang,  als  wenn  sic  ihn 
fortreissen  wollte,  sich  aber  bald  darauf  zurlickzog.  In  diesem  .\u«enblicke  trat 
der  Tod  ein.  Das  schreckliche  Ende  Kiintzes  wird  gehcimgehalten  und  die 
Leiche  in  der  Kirche  beim  .\ltare  bestattet.  Heim  Tode  und  während  des  lie- 
gräbnisses  gingen  schwere  (iewitter  nieder.  Nach  drei  Tagen  erscheint  ein  (le- 
spenst ')  in  der  (iestalt  des  Verstorbenen,  plagt  die  Schlafenden  in  den  Betten 
und  die  Pferde  im  Stalle.  Die  Erscheinung  wiederholt  sieh ; das  Despenst  springt 
auf  die  Leute,  würgt  sie  so,  dass  die  Male  noch  lange  zu  sehen  sind,  plagt 
durch  Drücken  die  Frauen  im  Kindbett  und  raubt  ihnen  die  Kinder  au.s  der 
Wiege.  Wie  es  Ulaube  gewöhnlicher  Leute  ist,  dass  sich  an  den  (iräbern  von 
Hexenmeistern  Mäo.selöcber  finden,  so  sah  man  auch  an  Kuntzes  (irab  solche 
Löcher,  die,  obwohl  man  sie  ausflillte,  doch  immer  wieder  am  nächsten  Tage 
da  waren.  Am  .Altartuche  erschienen  grosse  Blutflecke.  Kühen  sog  das  (iespenst 
die  Milch  aus.  Endlich  gräbt  man  die  Leiche  aus;  man  findet  sie  unversehrt, 
mit  frischgewachsener  Haut;  die  Augen  sind  bald  offen,  bald  geschlossen;  der 
Kopf  ist  am  ersten  Tage  nacii  Norden,  am  zweiten  nach  Süden  gewandt.  Als 
man  den  Körper  verletzt,  fliesst  frisches  Blut  heraus,  obwohl  er  vom  H Februar 
bis  zum  20.  .August  in  der  Erde  gelegen  hat.  Die  Leiche  wird  auf  einen 
Scheiterhaufen  gebracht,  aber  der  Henker  hat  einen  ganzen  Tag  zu  tun,  bis  der 
Körper  vollständig  verbrannt  ist  Auch  hier  wird  die  Asche  in  den  Fluss  gestreut. 

Ebenfall.s  noch  in.s  16.  Jiihrhundert  {rcliiirt  ein  Bericht  an.<  der 
Niederlausitz  von  einem  Weihe,  da.s  unter  dem  Namen  einer  Gratin 
Villambrosii  melirere  Edclhöfe  be.suclit  und  dort  in  den  Familien 
grosse  Verheerung  antrerichtet  hat*).  Bleibt  es  in  dieser  Sape 
unklar,  ob  mau  es  mit  einem  Lebenden  oder  einem  wiederkehren- 
den Toten  zu  tun  hat,  .so  ist  es  in  dem  folg:enden  Frankensteiner 
Berichte  zweifelhaft,  ob  man  einen  Dämon  oder  eine  ffestorbene 
Hexe  anzunehmen  hat,  obschon  der  Name  dieses  We.sens  auf  seinen 
Hexencharakter  hinweist.  Martin  Koblitz  berichtet  in  .seiner 
, Frankensteiner  Chronik“  *)  unter  dem  Jahre  1605. 

Im  Frühling  und  Sommer  Hess  sich  allhier  in  der  Neustadt  und  sonst  an 
etlichen  Orten  ein  l'ngetUm  sehen,  oft  als  ein  Hund,  bald  als  ein  Kalb,  des 
Nachts  vor  und  nach  Mitternacht,  welches  man  die  Kothe  oder  Drothe  genannt, 
so  die  Leute  sehr  vexieret  und  geplagt  hat,  auf  der  Strasse  vom  Itaumgarten 
nach  Frankenberg  zu  neben  dem  Holze;  hat  sich  von  den  Iteiscnden  am  hellen 
Tage  sehen  lassen,  ist  auf  sie  gewälzt,  wie  eine  grosse  Kegelkanle;  hat  die 
Vorüberreisenden  heftig  geplaget,  dass  fast  niemand  dieselbe  .Strasse  mehr  hat 


')  AVeinrich  nennt  cs  incubus  und  cphialtes;  Henelius  nennt  den  Kuntze 
einen  Icraur  post  mortem  insignis  und  das  (iespenst  ein  Alp-(iespcnste. 

’)  Haupt,  Sagenbuch  der  Lausitz,  Leipzig  I8(i2  Bd.  I S.  (>8. 

’)  Abgedruckt  in  der  .Monatsschrift  von  und  für  Schlesien“,  herausgegeben 
von  Heinrich  Hoffmanu,  Bd.  I (182‘JJ  S.  411. 


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wandorn  wollen;  hat  Martin  Riedeln,  den  Zadelmiiller,  als  er  fUrilberprezogen. 
dermassen  gequälet.  dass  er  den  dritten  Tag  hernaeli  gestorben  ist. 

In  diese  Zeit  liinein  passt  auch  die  Safre  von  dem  Breslauer 
Marktweibe,  das  keine  Ruhe  iiu  Grabe  hat,  sondern  allnächtlich 
hervorkonimt,  sein  Sterbckleid  ablcfft  und  zu  seiner  Marktbude 
eilt.  Der  Tünner  von  St.  Elisabeth  raubt  das  Sterbekleid  und 
flüchtet  auf  den  Turm;  das  Weib  ersteigt  den  Tunn,  aber  bevor 
es  den  Türmer  erreicht,  schlägt  es  ein  Uhr,  und  das  Gespenst 
zerschellt  unten.  Wir  können  über  diese  Sage  schnell  hinweg- 
gehen, denn  es  würde  nicht  schwer  halten  nachzuweisen,  dass  hier 
der  Versuch  gemacht  ist,  Goethes  Ballade  „der  Totentanz'*  in 
Breslau  zu  lokalisieren.  Die  Erzählung  findet  sich  bei  P'ranz  Seit 
„Sagen  aus  Breslaus  Vorzeit“,  von  wo  sie  auch  in  Grässes  Sagen- 
buch übergegangen  ist'). 

Aus  dem  Anfänge  des  17.  .Jahrhunderts  .sind  uns  dagegen  zwei 
Prozesse  aus  schlesischen  Oi'ten  gegen  plagende  Tote  in  der 
„Neuen  Laussnitz-  Böhm-  und  .Schlesischen  (’hronika“  des  Hein- 
rich Roch*)  überliefert.  Der  erste  fand  1612  in  Jauer,  der  zweite 
1614  in  Giersdorf  unterm  Kyn.ast  .statt.  Roch  berichtet: 

Iien  8.  .Tnnii  sind  die  Leute  zu  KUnern  bey  dem  .lauer  von  einem  Oespenste 
sehr  geplagt  worden,  und  weil  der  verstorbene  gemeine  Hirte,  so  in  Verdacht 
gewesen,  ist  er  in  dem  .\usgraben  so  frisch,  als  wenn  er  kaum  einen  Tag  darin 
gelegen  hätte,  befunden  worden,  und  nach  des  Körpers  Verbrennung  hat  das 
t'bel  aufgehöret. 

Nachdem  zn  (iörsdorff  unterm  Kynust  das  Volck  von  einem  Oespenste 
lange  geplaget  wurde,  dass  etliche  gar  davon  gestorben,  ist  endlich  ein  Kohl- 
schUrer,  so  vor  drey  Jahren,  und  sein  Weib,  so  vor  8 Wochen  begraben,  in 
Verdacht  gezogen  worden,  dieselben  wiederumh  ausgegraben,  frisch  blutende 
und  unverwesende  gefunden  und  daraufl'  den  2'i.  hujus  zu  Pulver  verbrannt 
worden,  worauf  das  ('bei  alsbald  aufgehöret  hat. 

Weit  Über  Schlesiens  Grenzen  hinaus  drang  der  Ruf  von  den 
Wiedergängern,  die  in  Freudcnthal  an  der  schlesLschen  Grenze 
und  in  der  Neisscr  Gegend  um  das  Jahr  16.Ö1  ihr  l’liwescn  trieben. 
Unter  die.seni  .lahre  berichtet  der  „Curiöse  Geschichtskalender  des 
Herzogtums  Schlesien“,  der  in  Leipzig  1698  erschien“): 

„In  Schlesien  zu  Freudcnthal  vexierten  die  Gespenster  des  Nachts  die 

’)  Franz  .Seit,  Sagen  aus  llrcslans  Vorzeit,  Breslau  18.83  S.  50;  Grösse 
a.  a.  0.  II  170;  Uber  Goethes  Quelle  s Stephan  Hock,  Pie  Vampyrsagen  und  ihre 
Verwertung  in  der  deutschen  Literatur,  Berlin  liKX),  .S.  32. 

*)  Leipzig  1(187  S.  23(1  u.  242. 

*)  S.  76. 


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I.cutv  absrlioulifli.  Iiio  Obrijtkiit  lioss  ciiicii  vcrdSchtiucn  Kürper  aus  dem 
(irabo  deswegpti  nehmen,  und  demselben  den  Kopf  absehneiden,  welcher  irisch 
Blut  von  sieh  gab:  die  Leute  wurden  aber  hierdurch  noch  furchtsamer,  und 
zogen  etliche  davon  anders  wohin“. 

Fast  die  {fleidie  Nachricht  fimlet  sich  etwa  liundert  .Talire 
spiitcr  in  dem  ,.Neuen  Schlesischen  Allerlei“ ')  vom  Jahre  1785. 
Bedeutend  ausführlicher  aber  erziihlt  von  dem  Glauben  an  solche 
Wiedergiinger  jener  Zeit  der  „Schlesi.sclie  Robinson“,  der  einen 
klaren  Einblick  in  den  Hexen-  und  (iesi>enstorglauben  in  Schlesien 
während  der  Zeit  kurz  nach  dem  dreissigjährigen  Kriege  gewährt. 
Nachdem  in  diesem  Romane,  der  in  den  siebziger  Jahren  des  sieb- 
zehnten Jahrhunderts  spielt,  wiederholt  von  wunderbaren  Erschei- 
nungen Verstorbener  die  Rede  gewesen  ist,  die  der  Vater  des 
Romanhelden  gehabt  hat,  heisst  es*j; 

,Es  war  solches  .\nno  1651,  da  die  tiespenster  zu  Kreudenthal  des  Nachts 
die  Leute  abscheulich  plagten,  und  die  Hexen  in  Schlesien,  sonderlich  im  Neissi- 
schen,  mit  gantzen  Schaaren  erschrecklich  schwermten.  Man  liess  etlicher  Orten 
verdächtige  Cörpcr  aus  dem  Orahe  nehmen,  denselben  einen  Schlee-Dorn  dnrch.s 
Ilertze  stossen,  und  die  Kiipfe  mit  dem  (irabscheide  abstUmnieln.  so  noch 
frisches  Blut  von  sich  gaben,  und  auf  einem  langweiligen  IloItz-.Stosse  kaum 
zu  Asche  verbrennen  wollten,  l'm  die  Hexen  aber,  sonderlich  im  Zuckmantc- 
lischen,  ausznrotten,  wurden  8 Henker  bestellet,  die  mit  Exekutieren  alle  Hände 
voll  zu  thun  hatten;  als  leider!  vielleicht  noch  einigen  alten  Leuten  bekannt 
sein  diirlfte“. 

Fiid  Roch  erzählt  in  seiner  Chronik'*): 

,Im  .Augusto  wurden  die  r,eule  umb  Freudenthal  von  den  tiespenstern 
des  Nachts  sehr  vexieret,  welche  auch  das  Vieh  ausgesogen  und  getötet,  her- 
nach dann  wieder  in  ihre  (iräber  gegangen;  dannenhero  die  Leute  gantze 
Märkte  und  Klecken  verlassen  und  sich  an  andere  sichere  Orter  zu  wohnen  be- 
geben. Im  September  ist  die  Hex-  und  Zauberey  in  Schlesien  (so  an  Männern. 
Weibern  und  Kindern  erschröcklich  Überhand  genommen)  grausam  bestraffet 
und  sind  nur  allein  in  Zuckmantel  8 Hencker  gehalten  worden,  welche  alle 
Tage  v(dl  auff  zu  thun  gehabt“ 

So  wird  Schlesien  infolge  der  Verwilderung,  die  die  Kriegs- 
Zeiten  mit  .sich  gebracht  hatten,  in  iler  zweiten  Hälfte  des  sieb- 
zehnten Jahrhunderts  das  hJdorado  der  Hexen  und  Wiedergänger. 
Im  Jahre  1671  quälte  der  Hexenmeister  Martin  Weimar  in  Schwarz- 
walde bei  Lande.shut  die  Tarnte  nach  .seinem  Tode  .so,  da.ss  man 

’)  13.  Stück;  daraus  mitgctcilt  von  P.  Drechsler,  .Sitte.  Brauch  und  Volks- 
glaube in  .Schlesien  l 318. 

’)  Ausgabe  vom  .lahre  1723  .S.  29. 

*)  8.  307. 


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ilm  aiisgrub,  ilini  die  Hände  auf  den  Rücken  band,  und  als  das 
niclits  nutzte,  ilini  den  Kopf  abstacli,  ilin  verbrannte  und  sein 
tirab  als  das  eines  Uncliristen  zuinauertc  ’).  Im  Jahre  Külll 
ötfiiete  man  in  Bunzlau  das  Grab  eitles  Schneiders,  weil  der 
Pfarrer  darin  ein  Klopfen  vernommen  hatte.  Man  fand  den  Kopf 
blutig,  aber  sonst  kein  Zeichen,  da.ss  der  Begrabene  etwa  noch 
gelebt  hätte.  Im  Hau.se  des  Schneiders  jedoch  fand  sich  ein 
Vierteljahr  lang  ein  Gepolter,  sonderlich  bügelte  es  die  ganze  Zeit, 
ohne  jedoch  jemand  etwas  zu  tun,  bis  es  sich  endlich  nach  und 
nach  wieder  verlor  ®).  In  Reimswaldau  nnterm  FüiNtenstein  wurde 
im  Jahre  1709  die  Leiche  Georg  Eichners,  weil  er  umging,  im 
Sarge  über  die  Kirchhofsmauer  gestützt  und  auf  den  Schindanger 
gebracht;  dort  .stiess  man  ihr  den  Kopf  ab,  warf  sie  in  ein  Loch, 
und  legte  ihr  den  Kopf  zwischen  die  Beine;  dann  zertrümmerte 
man  den  Sarg,  warf  ihn  auf  die  Leiche  und  scharrte  die  Grube 
zu”).  Von  einem  solchen  AViedergänger  aus  der  Zeit  um  1715 
erzählt  auch  ein  rngenannter,  der  in  einem  in  jenem  Jahre  ge- 
druckten Büchlein  aus  Landeshut  berichtet:  Ein  Hexenmei.ster  war 
nach  seinem  Tode  wiedergekommen,  um  den  Leuten  die  Xahrung 
wegzue.ssen.  Als  in  ficgenwart  des  Magistrats  sein  Grab  geötfnet 
wurde,  fand  man  ihn  mit  dem  Gesicht  nach  unten  liegen,  unver- 
sehrt und  mit  rotem  Gesicht;  der  Scharfrichter  stiess  ihm  den 
Kopf  ab,  und  es  floss  frisches  Blut  hervor.  Seitdem  Hess  sich 
das  Gespenst  nicht  mehr  sehen  ^).  Um  dieselbe  Zeit  lässt  sich  die 
Furcht  vor  Wiedergängern  auch  in  der  Umgegend  von  Bre.slau 
nachweisen.  Im  Jahre  1719  wurde  ein  Bettelmann  aus  Katholisch- 
Hammer  bei  Trebnitz  nach  dem  Kirchhofe  in  Polnisch-Hammer 
begraben.  Am  anderen  Tage  kamen  mehr  als  siebzig  Leute  aus 
Katholisch-Hammer,  um  die  Leiche  wieder  airszugrahen.  Denn 
weil  man  sie  „är.schlich“  oder  verkehrt  aus  dem  Dorfe  heraus- 
getragen hätte,  müsste  man  sie  ebenso  wieder  ins  Dorf  ziirück- 

')  Drechsler,  Sitte  usw.  I Nr.  :tI7;  initgeteilt  aus  Uörlicli,  (ieschichtc  der 
Stadt  Strehlen  S.  398. 

’)  Sammlung  von  Natur-  u.  Mediziiigeschichtcn,  1726  S.  572.  Bericht- 
erstatter ist  hier  ein  I)r.  Liefmann  in  Bautzen,  der  aus  dieser  Stadt  einen  ähn- 
lichen Full  vom  Jahre  1706  mitteilt  von  einem  Soldaten,  der  sich  dem  Teufel 
verschrieben  hatte. 

*)  Drechsler  a.  a.  0.  1 Nr.  318. 

*)  A.  Bartsch,  Ein  anonymes  Büchlein  vom  Jahre  1715;  in  Eiviers  Oher- 
schlesicn  1 838 

(1.  sclilvs.  lies.  1.  VkUu.  Hell  X.M.  6 


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brinf^pii  und  dann  reclit  zu  firabc  briiij^pii,  sonst  wUrdu  bpinacli 
das  <ranzt‘  Dorf  sterben.  Schon  hatte  man  die  Leiche  aus  dem 
(Jrabe  geholt,  da  kam  der  Pfarrer,  verwies  die  Leute  wegen  ihres 
Aberglaubens  und  schickte  sie  wieder  nach  Haii.se  ').  Die  Vorschrift, 
da.ss  der  Tote  mit  dem  Kopfende  zuerst  hinau.sgetragen  werden 
mü.sse,  wenn  man  seine  Wiederkehr  verhindern  wolle,  ist  noch 
heute  in  Schlesien  verbreitet®).  Im  We.sten  Deutschlands  scheint 
man  Schlesien  um  die.se  Zeit  für  ein  von  solchen  Gespenstern 
geradezu  tyrannisiertes  Land  betrachtet  zu  haben.  In  Thai*sanders 
„Schauplatz  vieler  ungereimter  .Meynungen  und  Erzehlnngcn“  findet 
.sich  folgende  Nachricht  von  oberschlesischen  Wiedergängern  ”). 

..In  Schlesien,  und  zwar  in  einem  Dorffe  Hozeploz  genannt,  sollen  die 
.Menschen  nach  dem  Tode  sehr  oft  zu  den  ihrigen  zurUckkommen,  mit  ihnen 
essen  und  trinken,  ja  gar  mit  ihren  hinterlassenen  Weihern  sich  fleischlich  ver- 
mischen. W’enn  reisende  Li'Ute  zu  der  Zeit,  da  sic  aus  den  (irälrern  heraiia- 
komnien,  durch  das  Dorfl'  passieren,  laufl'en  sie  ihnen  nach  und  hucken  ihnen 
auf  ihre  liilcken'". 

Das  rohe  Verfahren,  durch  das  sieh  das  Volk  seiner  Peiniger 
entledigen  zn  können  glaubte,  das  Knthaupten  und  Verstümmeln 
der  Leichen,  die  durch  irgend  einen  rmstaiid  in  Verdacht  ge- 
kommen waren,  als  Wiedergänger  ihr  Unwesen  zu  treiben,  erregte 
bei  den  kirchlichen  Organen  Hedenken;  und  von  die.ser  Seite  her 
wurde  das  Volk  auf  Mittel  hingewiesen,  sich  von  den  Wieder- 
gängern zu  befreien,  die  ebenso  wirk.sam  und  dabei  hnmanerer 
Art  waren.  So  finden  wir  in  dem  auch  für  die  Oberglogauer 
Gegend  approbierten  „Ministerium  E.xorcisticum“  des  Franziskanei's 
Momschmidt  vom  Jahre  1738  die  Frage');  „Was  .soll  man  mit 

.Sammlung  von  Natur-  und  Mcdizingcschichtcn , 9.  Versuch  1719  S.  114. 

Drechsler  a.  a.  O.  I Nr.  H27. 

’)  Berlin  l7.Sfi  Bd.  I Stück  VIII;  als  IJuelle  werden  die  herühmten  .^cta 
Eruditorum.  .lahrgnng  1722  .S.  17  angeführt;  aus  Tharsaiider  ging  der  Bericht 
über  in  Zeidlers  l'niversal-Lexicon. 

')  Pranciscus  Solanas  Monschmidt,  Ministerium  Kxorcisticnm , uppau  bei 
W.  Schindler,  17SS  p.  72:  (juid  ergo  agcndum  cum  illis  maleficis  mortuis,  qui 
cum  daemone  fccerunt  in  vita  expressuin  pactum,  ut  post  suam  mortem  possint 
resurgerc . secum  corpora  lideliuin  defnnctorum,  imo  etiam  innocentium,  in  hoc 
caemeterio  post  sc  sepultorura  trahere,  hinc  inde  discurrere,  homines  ad  terrorem 
inquiet.are,  et  t<Tribilitcr  divexare;  de  quibas  habemus  rccentissima  exemplaV 
Uespondeo  I;  Non  esse  dubium,  quin  per  licitum  contr.ap.actum  talia  .Spectra 
sint  cuercenda.  Verum  cum  quantis  molestiis  vespillionum  et  Carniiieum  cum 
nausea  et  horrore  adstantiumV  loquantur  ii,  qui  adhuc  vivunt  ocularcs  horum 


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jiMicn  toten  Zauberern  nuiehen,  die  mit  dem  Teufel  wiilirend  ihres 
Lebens  ausdrücklichen  Pakt  geschlossen  haben,  dass  sie  nach 
ihrem  Tode  wieder  aufstehen  und  die  Leichen  der  verstorbenen 
(lläubigcn,  sogar  der  unschuldigen  Kinder,  die  auf  diesem  Kirch- 
hofe nach  ilmen  begraben  sind,  nach  sich  ziehen,  umherlaufen,  die 
Menschen  schrecklich  bennruhigen  und  entsetzlich  plagen;  wovon 
wir  noch  ganz  neuerdings  Heispiele  erhalten  haben?“  Und  der 
Franziskaner  antwortet,  die  Behandlung,  die  Totengräber  und 
Henker  den  verdächtigen  Leichen  angedeihen  liessen,  sei  doch  zu 
grausig  und  schrecklich  für  die  Augenzeugen;  der  ehrbarere  und 
kürzere  Weg  der  Beschwörung,  des  Exorzismus  sei  diesem  Vor- 
gehen vorzuziehen. 

Wir  müssen  uns  erinnern,  dass  auch  Maria  Theresia  solche 
Leichenexekutionen  in  ihrem  Lande  untersagte,  zum  grossen  Leid- 
wesen der  Henker,  die  daraus  schöne  Einnahmen  gezogen  hatten. 
Schlesien  wurde  preussische  Provinz.  Die  Aufklärungszeit  kam, 
und  sie  ging  am  schlcsi.schen  Volke  nicht  sjmrlos  vorüber;  die 
Berichte  über  Wiedei'gänger  verlieren  sich.  Eine  vereinzelte  Nach- 
richt findet  sich  in  Grünhagens  „Geschichte  Schlesiens  unter 
Friedrich  d.  Gr.“').  Im  .lalire  1748  starl)  in  Lonkau  in  Ober- 
schlesien ein  Knecht,  Glowatsch  mit  Namen.  Am  Tage  nach 
seinem  Tode  war  er  noch  nicht  starr.  Er  war  ein  Wiedergänger 
und  ging  Knechte  und  ^lägde  quälen  und  drücken.  Der  Landrat 
und  der  Kreisphysikus  waren  nicht  imstande,  den  Dorfbewohnern 
ihren  Wahn  zu  nehmen.  Aber  das  Gesi)cnst  muss  wohl  vor  den 
preussisclicn  Behörden  Angst  bekommen  haben,  denn  nach  einiger 
Zeit  verbreitete  sich  das  Gerücht,  dass  es  ins  Teschener  Gebiet 
au.sgewandert  sei.  Nun  erst  beruhigte  sich  das  Dorf  wieder.  Das 
ist  der  einzige  Fall  in  der  ganzen  Wiedergängerliteratur,  da.ss  ein 
.solches  Gespenst  auswandert;  sonst  ist  es  Regel,  da.ss  sein  Treiben 
an  die  Gegend  gebunden  i.st,  wo  die  Leiche  liegt.  Ans  dein 
Jahre  1803  wird  uns  aus  Pless  berichtet,  da.ss  „manchem  toten 
Körper  zur  sicheren  Verbannung,  dass  er  sich  das  Herumgehen 


tesU-B.  Respondco  igitur  II.  Icviori,  honestiori  et  hreviori  modo  haec  siiectra 
esse  coercenda:  natii  inni  haec  resurrectio  corporum  non  iiisi  opc  daenionis  ad- 
niittcnte  Deo  Hat;  si  ergo  per  potestatem  exorcisticam  Exorcistae  a Dw  tradi- 
tam  duemon  cx  bis  corporUius  pnlaus  fuerit,  certc  Corpora  praefatoruni  reaurgere 
non  poterunt. 

')  lld  II  .S  5(!9. 


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verzollen  lasse,  zum  t’berfliiss  ein  Lukaszettel  in  den  Mund  ge- 
steckt wurde  ')• 

Die  schädigenden  Toten,  von  denen  in  den  vorausgehenden 
Berichten  die  Rede  ist,  haben  sämtlich  den  Charakter  des  Incubus 
oder  Ephialtes,  also  Alpcharakter;  sie  gehören  zu  den  Druck- 
gespenstern, können  also  auch  aus  physiolophischen  Zuständen  derer, 
die  an  solchen  Ali)träumen  leiden,  erklärt  werden.  Bedeutend 
schwieriger  ist  die  Erklärung  für  das  Aufkommen  der  Vorstellungen 
von  nachzehrenden  Toten,  d.  h.  solchen  Schädigern,  die  ohne  nachts 
das  (irab  zu  verla.ssen  und  die  Lebenden  durch  Alpdruck  zu 
plagen,  andere  nach  sich  ins  (Jrab  ziehen,  indem  sie  an  ihrer 
Kleidung  oder  an  ihren  Gliedmassen  im  Grabe  herumkauen. 
Der  Glaube  an  solche  Tote,  der  den  Polen  mit  den  schlesi,scheii 
Deutschen  gemein  ist,  der  sich  aber  auch  weiter  nach  Westen  in 
den  mitteldeutschen  Gegenden  ausbreitet,  erfordert  für  seine  Er- 
klärung die  Verbindung  mehrerer  Motive.  Zunächst  liegt  darin 
der  Versuch,  das  in  Epidemiezeiten  auffallende  Xachsterben  in 
den  Eamilien  zu  erklären,  in  denen  sich  ein  Todesfall  ereignet 
hatte.  Tatsächlich  treten  die  Xachrichtcn  von  den  schmatzenden 
t)der  fre.ssenden  Toten  immer  in  Verbindung  mit  Pestepidemien 
auf.  War  bei  den  Berichten  von  den  Wiedergängern  die  jihysio- 
logischc  Dispo.sition  einzelner,  die  an  Aliiträumcn  litten,  für  die 
Gestaltung  der  Gespenstervorstellung  entscheidend,  so  liegt  der 
Ausbildung  der  Vorstellung  von  Xachzehrern  der  Versuch  einer 
Gesamtheit  zugrunde,  das  Xachsterben  zu  erklären.  Diese 
Gesamtheit,  die  natürlich  nicht  zugleich  von  Alpvorstellungen 
beherrscht  sein  konnte,  musste  die  Erklärung  für  solches  unbe- 
greitlichcs  Xachsterben  in  einzelnen  Familien  oder  Gemeinden  auf 
einem  atideren  Gebiete  suchen.  Xun  wusste  man,  dass  Hexen  und 
l'belgesinnte  durch  magische  Zauberhandlungen  ihren  Feinden 
Krankheit  und  Tod  bringen  können.  Wohl  überall  tindet  sich  der 
im  Altertum  so  verbreitete  Glaube,  da.ss  die  Durchbohrung  von 
Wachstiguren  oder  die  Vernichtung  eines  Bildes,  das  den  Feind 
darstellt,  auch  den  Tod  des  Darge.stellten  zur  Folge  hat.  Die.ser 
Glaube  in  seinen  mannigfachen  Abarten  war  auch  fJemeingut  der 
deutschen  wie  der  iiolni.schen  Lande.steile  im  au.sgehenden  Mittel- 

')  .Srhlcsischf  Provinzial- Blätter  1S03  Bil.  H7  ,S.  öH2.  Was  sind  Lukas- 
zettel? Welcher  Text  steht  d.arauf?  Werden  sic  noch  verwendet? 


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85 


alter.  An  solche  Vorstellungen  anknüpfend  mag  man  zu  dei' 
Deutung  gekommen  sein,  dass  das  Naclisterben  während  der  Epi- 
demien das  Ergebnis  magischer  Handlungen  eines  Toten  sein 
miis.se.  Was  der  Tote  ini  Grabe  tut,  das  Auffressen  der  Kleidung 
oder  das  Nagen  und  Saugen  an  seinen  eigenen  Gliedern,  das  be- 
zieht er  auf  die  Lebenden  und  zieht  sie  so  mit  magischer  Kraft 
nach  sich.  Dieser  Glaube  hätte  sich  aber  niclit  festsetzen  können, 
wenn  alle  tatsächlichen  Unterlagen  gefehlt  hätten.  Solche  Tat- 
sachen mögen  in  jenen  Zeiten  der  Angst  und  Aufgeregtheit  die 
Wahrnehmungen  oder  Einbildungen  einzelner  hergegeben  haben, 
dass  aus  gewissen  Gräbern  Laute  hervordrangen,  was  ja  liin  und 
wieder  der  Fall  gewesen  sein  mag,  l)esondei’s  zu  Pestzeiten,  wo 
Fälle  von  Bei.setzung  noch  Lebender  wohl  vorgekommen  sein 
mögen.  Fand  man  nun  gar  beim  Oft'neii  solcher  Gräber  den  Köri>er 
eines  solchen  Be.statteteu,  der  vom  Scheintode  nocli  einmal  erwacht 
war,  nicht  mehr  in  der  alten  Lage  oder  gar  blutend,  dann  waren 
die  Grundlagen  sämtlich  gegeben,  aus  denen  sich  der  Glaube  an 
nachzehreiide  Tote  entwickeln  konnte. 

Der  älteste  Beleg  für  diesen  Glauben  in  Schlesien  findet  sich 
in  den  Jahrbüchern  der  Stadt  Breslau  von  Xicolaus  Pol  ’)  unter 
dem  Jahre  1517.  Dort  heisst  es: 

„Von  Michaelis  bis  auf  Andreä  stürben  bei  2000  Menschen.  Ini  wilhrenden 
Sterben  ward  zu  Gross  Mochbar  der  .Schäfer  mit  seinen  Kleidern  bej-raben,  die 
er  im  Grabe  gefressen  nnd  wie  eine  San  geschmatzet  l>arum  man  ihn  auf- 
gegraben, die  Kleider  blutig  in  seinem  Maul  gefunden  und  ihm  mit  dem  Grabe- 
scheit  den  Hals  abgcstochcn  und  der  Kopf  vor  den  Kirchhof  gelegt  worden. 
Harauf  cs  im  I'orfe  zu  sterben  aufgehort“. 

Wohl  nicht  viel  später  ist  eine  Nachricht  aus  Constadt  bei 
(Ms  zu  setzen,  die  .sich  in  der  „Neuen  Sammlung  merkwürdiger 
Geschichten  von  unterirdi.schen  Schätzen“  findet  *).  Der  Verfasser 
erzählt,  dass  das  Weih  des  M.  .lohannis  Herbinus,  die  aus  Con- 
stadt  bei  01s  stammte,  behauptete,  sie  höre  ihren  toten  fiatten  im 
Grabe  singen.  Das  Grab  wurde  vom  Totengräber  geöffnet,  aber 
man  fand  nur  den  verwesten  Leib.  Dieser  Glaube  au  Nachzehrer 
ist  auch  in  schlesischen  Pestpredigten  behandelt  worden.  Eine 

*)  Hetausgegehen  von  ,Toh  Gust.  lülsehing  Hreslau  1819  Bd.  111  S.  1. 

*1  Neue  Smumlung  merkwürdiger  Geschichten  von  unterirdischen  Schätzen 
. . . von  (’.  E.  F.  Brcsslau  und  Leipzig  1756  S.  23.  Als  Quelle  wird  Haubers 
Bibliotbcca  niagica  S.  560  angegeben. 


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86 


solche  Predigf,  die  sicli  auf  Vorgänge  aus  dem  Jahre  1553  bezieht, 
wurde  um  das  Jahr  1600  in  Lauban  von  dem  Pastor  Martin  Böhm 
gehalten;  es  ist  die  siebzehnte  seiner  Predigten  von  den  „drey 
grossen  Landtplagen“ ; darin  sagt  er'); 

„Man  hat  in  Pcstilenzzeiten  erfahren,  das  tote  Leute,  sonderlich  Weibcs- 
personcn,  die  an  der  Test  gestorben,  im  (irabe  ein  Schmätzen  getrieben,  als 
ein  Saw,  wenn  sie  isset:  und  das  bey  solchem  Schmätzen  die  Pest  heftig  zuge- 
nommen, und  gemeiniglichen  im  selben  Geschlecht  die  Leute  hänffig  nach  ein- 
ander gestorben.  . . . Anno  lö5;t  als  die  Pest  allhier  zum  Lauban  regierte,  ist 
dergleichen  auch  geschehen,  das  eine  Weihesperson  im  Grabe  also  geschmätzet  hat“. 

Dass  solche  Weibesiiersonen  zumeist  im  Leben  schon  Hexen 
gewesen  sind,  ergibt  sich  aus  einem  Berichte  aus  Oberschlesien*) 
vom  Jahre  1801. 

„Die  Leiche  der  Marguna  Warlin  aus  t'chilsko  wurde  nach  tiross-üorzütz 
in  der  Herrschaft  Uderberg  zur  Beerdigung  gebracht.  Auf  das  Gerücht,  dass 
dies  Weib  eine  Scheere  auf  dem  Kücken  habe  und  also  ein  sogenannter  V'ampyr 
sei,  Hess  ihr  der  dortige  Pfarrer  einen  Liikaszcttcl  unter  die  Zunge  legen,  ihr 
die  Nasenlöcher  mit  Erde  verstopfen,  sie  im  Sarge  umwenden  und  auf  Bauch 
und  Gesicht  legen  und  so  ohne  Sang  und  Klang  hecTdigen“.  Auf  die  Beschwerde 
der  Tochter  der  Verstorbenen  ordnete  der  Erzpriestcr  die  Ausgrabung  dieser 
„Strzyga“  an.  Eine  Scheere  fand  sich  auf  ihrem  Kucken  nicht;  der  Lukaszettel 
und  die  Erde  wurden  aus  Mund  und  Nase  entfernt  und  die  Leiche  christlich 
beerdigt.  Pas  geschah  am  In  Mai  1801  in  tiegenwart  der  Dorfgerichte. 

Etwas  früher  als  diese  Nachricht  fällt  eine  andere,  die  den 
Nachzehrerglauben  in  allerdings  schon  recht  verblasster  Form  in 
der  entgegengesetzten  Ecke  Schlesiens  nachweist.  In  der  „Bunz- 
lauer  Monatsehrift“  vom  Jahre  1779  erzählt  ein  Mitarbeiter*): 

.Ich  kam  einmal  in  ein  Haus,  wo  eine  Leiche  lag.  und  als  ich  die  Hintcr- 
lasBcnen  trösten  wollte,  so  fand  ich  sie  mehr  in  Betrübnis  Uber  die  Erwartungen 
der  Zukunft,  als  Uber  den  gegenwärtigen  Todesfall.  Ich  bemühte  mich  die  l'r- 
sarhe  davon  zu  erfahren,  und  nach  vielen  l'mschwcifen  ward  mir  entdeckt, 
dass  die  Leiche  nicht  verstarrt  sey,  und  also  unfehlbar  jemand  aus  dem  Hause 
nachsterben  müsste“. 

Wie  ein  unmündiges  Kind  .schon  von  Geburt  an  durch  Ein- 
fluss böser  Mächte  zum  Alpdrücken  verurteilt  sein  kann,  so  kann 
es  auch  ohne  seine  Schuld  nach  seinem  Tode  zum  Nachzehrer 
werden.  Wir  haben  in  dem  folgenden  aus  Steinkirch  berichteten 
Glauben  das  Fortleben  des  .schon  im  11.  Jahrhunderte  bei  dem 

')  Hie  drey  grossen  Landtplagen  ...  in  XXIII  Predigten  erklcret  durch 
Martinum  Bohemum  Laubanensem,  Predigern  daselbst.  Wittenberg  ICiOl  .S.  141. 

*)  .Schlesische  Provinzial-Blätter  1801  Bd.  ;!4  S.  18(>. 

•)  S.  297. 


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87 


Hessen  Rnrcliard  von  Wonns  in  den  Dekretalen  bekäniriften 
Glaubens,  dass  imgctunft  stei))ende  Kinder  die  Lebenden  belästigen 
und  desliall)  iin  Grabe  gei)fälilt  werden  müssen ').  Indem  der 
Pastor  Rnpreebt  ans  Steinkircli  von  den  Regräbnisbräudieu  seiner 
Pfarrei  berichtet,  schreibt  er  über  die  Beobaclitnngen,  die  er  beim 
Tode  seiner  Tochter  ini  .Talire  1800  gemacht  hat*); 

Bei  ilicii  dieser  (!e!o){ciiheit  ward  die  Hegel  gegeben,  ja  sorgfältig  Aeht 
zu  haben,  dass  der  Leiche  im  Sarg  niclit  etwa  ein  Band  oder  sonst  etwas  von 
der  Korperbed«>cknng  nahe  an  den  Mund  komme,  ilenn  daran  würde  sie  sonst 
im  (irabc  so  lange  kauen,  bis  jemand  aus  der  Familie  nachstürbc*. 

Für  die  (Iberlausitz  wird  derselbe  (Haube  noch  ans  neuester 
Zeit  bezeugt.  Ein  Toter,  der  rote  Backen  behält,  wird  bald  einen 
aus  der  Verwandt.schaft  nachholen ; auch  darf  man  dem  Leichnam 
kein  Tuch  nahe  an  den  Mund  bringen,  sonst  kaut  er  darau,  und 
die  ganze  Familie  stirbt  aus“).  ITul  schlesischer  Glaube  verbietet, 
dem  Toten  getragene  Sachen  anzuziehen,  sonst  würde  der,  dem 
sie  gehörten,  ins  (Jrab  naehgezogen^).  ln  Xamslau  wurde  noch 
1890  ein  Mann  mit  dem  Gesichte  nach  unten  begraben,  da  er  mit 
Zähnen  geboren  war  und  die  Sage  geht,  dass  man  eine  solche 
Leiche  zuletzt  nicht  im  Gesicht  sehen  dürfe,  da  jeder  Be.schauer 
dann  in  kurzer  Zeit  sterben  mü-sse').  Über  den  heutigen  Volks- 
glauben in  Schlesien  von  Wieilergängern  und  schädigenden  Toten 
kann  ich  mich  hier  auf  einzelne  Bemerkungen  und  Nachträge  zu 
den  Arbeiten  von  Drechsler®)  und  Kühnau’)  über  den  schlesischen 
Toten-  und  Seelenglauben  be.sehränken.  Zu  den  Wiedergänger- 
geschichten, die  heute  noch  im  Volke  bekannt  sind,  gehört  die 
Sage  von  dem  Totentanz  zu  Nei.sse.  Sie  hat  ihren  Ursprung 
in  den  Berichten  aus  der  Mitte  des  17.  Jahrhunderts,  die  bereits 
angetührt  wurden. 

*)  Decret.  lib  XIX  bei  Mignc  Scries  lat.  l'XXXX  974, 

’i  Schloaisrhc  t’rovinzial-Blättcr  18(K)  Bit.  31  S.  274. 

’)  Haupt,  Sagenbuch  der  Lausitz,  Leipzig  18ti2  Bd.  1 (W. 

*)  Drechsler,  Sitte  usw.  1 Nr.  329. 

*)  Ebenda  Xr.  319  nach  einer  Notiz  des  Breslauer  (iencralanzeigers  vom 
1.  XII.  1899. 

•)  Mythische  Erscheinungen  ira  schlesischen  Volksglauben.  Programm 
Zabrze  1904  — .Sitte,  Brauch  und  Volksglaube  I Xr  31f)— 3.Ö6.  — Die  Seele 
nach  dem  Tode  in  der  Anschauung  des  Volkes  (Mitteilungen  der  Schics,  Des.  f. 
Volksk  Heft  19  S.  1 ff.). 

’)  Umgehende  Seelen  (Mitt.  d .Schles.  t>.  f.  Vk,  Heft  16  S.  84  ff.). 


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Ein  nltvr  Sackpfeifer  bat.  da»s  man  ibin  seinen  Iliidelsaek  mit  ins  tirab 
lc({c.  Narb  seinem  Tode  iiffnetc  sieli  um  Mitternacht  sein  (iral),  der  Saekpfeifer 
stieg  heraus  und  begann  zum  Tanze  anfzuspielen.  Ans  den  anderen  (iräbern 
stiegen  nun  Männlein  und  Weiblein  heraus  und  tanzten  dazu.  Der  Türmer  sah 
das.  erzählte  es  weiter,  und  in  der  nächsten  Nacht  fanden  sich  viele  Neugierige 
ein.  Aber  die  Toten  gingen  auf  die  Zuschauer  los,  und  viele  von  ihnen  sanken 
vor  Schreck  in  Ohnmacht,  einige  starben  sogar  Vergebens  suchte  die  Oeistlich- 
keit  den  Spuk,  der  sich  wiederholte,  zu  bannen.  Erst  als  auf  den  Rat  mehrerer 
Universitäten  die  verdächtigen  Körper  aus  dem  Orabe  genommen,  ihnen  ein 
Schlehdorn  durchs  Herz  gestossen  und  mit  dem  (irabschuit  die  Köpfe  abgetrennt 
worden,  und  die,  welche  frisches  lilut  von  sich  gaben,  verbrannt  worden  waren, 
hatte  der  Totentanz  ein  EndeM. 

In  Straduna,  Krei.s  Oppeln,  erzählt  man  .sich,  dass  die  tote 
Sfriga  zurückkehre,  um  die  Leute  zu  belästigen.  Will  man  sich 
von  ihr  befreien,  so  nimmt  man  gut  brennbare.s  Holz  und  zündet 
es  an,  oder  man  stösst  glühendes  Ei.sen  in  die  Milch.  Da  muss 
der  Geist  in  der  Nacht  erscheinen,  und  man  besprengt  ilin  unter 
Gebet  mit  Weih was.ser;  dann  kommt  er  nicht  mehr  wieder*).  Die. 
hier  angegebenen  Mittel  sind  dreifaclier  Herkunft.  Das  erste  ist  ein 
symbolischer  Verbrennnngsakt  des  Leichnams  des  Schädigers;  das 
zweite  ist  die  im  M ittelalter  auch  in  Schlesien  bekannte  magi.sclie  Hand- 
lung, durch  die  man  die  niilchsteldende  Hexe  zum  Krseheineri  zwingt; 
das  dritte  endlich  vertritt  die  als  Ersatz  für  die  Totenschändung 
von  kirchlichen  Organen  empfohlene  Bannung.  Im  Schlosse  Gross- 
Nossen  wohnte  einst  eine  durcli  ihre  Absonderlichkeiten  bekannte 
Gräfin.  Die  hatte  einen  Kater,  den  ihr  ein  Diener  immer  nacli- 
tragen  musste.  Einmal  Hess  er  ihn  fallen.  Da  wurde  die  Gräfin 
so  zornig,  dass  sie  den  Diener  erstaeli.  Seitdem  die  Gräfin  ge- 
storben ist,  springt  dort  allen  Tieren,  die  vorüherfahren,  eine 
Katze  auf  den  Rücken  und  tötet  .sie*). 

In  Gleiwitz  erzählt  man  sich:  Wenn  jemand  gestorben  ist, 
klopft  cs  in  der  Nacht  nach  seinem  Begräbnis  ans  Fenster.  Da 
darf  man  nicht  aufmaclien,  denn  dran.s,sen  stellt  der  Tote,  ölfnet 
man,  so  holt  der  Tote  iioeli  andere  Familienmitglieder  ins  Grab 
nach*),  ln  Cottwitz  hei  Neuwaldau  wird  erzählt,  dass  man  dem 

')  Nach  .Seiler  bei  0.  Richter,  Deutscher  Siigcnschatz,  tilogau  Bd  III  .s  I.S9. 
.Aus  den  .Unterrednugen  aus  dem  Reiche  der  Oeisfer'“  Bd.  I S.  Z4B  in  (irässe, 
.Sagenbuch  des  preussischen  Staates  Bd.  II  S.  372. 

’)  Mitteilung  eines  Schülers. 

’)  Mitteilungen  von  Schülern. 

*)  siche  vorherige  Anni. 


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89 


Erhiingten  den  Strick  und  den  Balken  mit  ins  (Irab  geben  müsse. 
Bei  einem  Erbängteii  hat  man  das  nicht  getan.  Da  ist  er  jeden 
Abend  gekommen  und  hat  ans  Fenster  geklopft  und  gerufen:  Gebt 
mir  doch  den  Balken.  ]Mau  hat  nicht  eher  Ruhe  gehabt,  als  bis 
man  den  Balken  absägte  und  mit  ins  Grab  legte '). 

Den  Übergang  der  Alpvorstellungen  in  den  Glauben  von 
schädigenden  Toten  zeigt  uns  der  Glaube  der  Xeustädter  uml 
Leobschützer  Gegend  an  „FlngtenfeD,  die  im  Leben  die.  Macht 
haben,  beliebig  den  Leib  zu  verlassen,  um  als  böse,  besonders  un- 
sittliche Geister  allerlei  Unfug  zu  treiben,  und  nach  ihrem  leib- 
lichen Tode  als  Schädiger  und  Blutsauger  umgehen  müs.sen.  ln 
Riegersdorf  lebte  ein  armer  Häusler,  der  selten  seine,  Hütte  ver- 
liess.  Er  starb.  .Als  der  Pfarrer  sein  Grab  einsegnen  wollte, 
sitzt  der  Tote  auf  der  Kirchhofsraauer  und  lacht  laut.  Von  nun 
an  benniuhigt  er  das  Dorf,  bis  man  ihn  an  drei  Kreuzwegen  nach- 
einander verscharrt,  wieder  au.sgegi’aben  und  verbrannt  hat.  Der 
Henker  musste  ihn  an.sserdem  noch  bannen  -). 

Solange  der  Körper  nicht  in  Staub  zerfallen  ist,  bleibt  die 
Seele  in  seiner  Nähe.  Wer  auf  Erden  gut  lebte,  der  braucht  nach 
dem  Tode  den  Beistand  der  Hinterla.ssenen,  ihr  Gebet.  Eine  Le- 
gende des  15.  .lahrhunderts  ei-zählt’),  dass  ein  Priester,  der  nicht 
für  die  Verstorbenen  betete,  von  einem  Toten,  der  .seine  Hand  aus 
dem  Grabe  streckte,  festgehalten  wurde.  Der  Tote  forderte  sich 
ein,  was  man  ihm  schuldig  war.  Schon  im  12.  Jahrhunderte  findet 
sich  in  einer  schlesischen  Predigthand.schrift ')  die  Legende,  nach 
der  die  Toten  ihre  Hände  aus  den  Gräbern  steckten,  als  der 
heilige  Germanus  über  den  Kirchhof  ging,  um  die  Gräber  mit 
Weihwa.sser  einzusegnen.  Jeder  wollte  etwas  Weihwa.sser  auf  die 
Hände.  War  der  Tote  aber  habsüchtig,  so  streckt  er  noch  aus 
dem  Grabe  die  Hand,  um,  was  in  seiner  Nähe  ist,  hineinzuholen. 
Als  im  Herbst  1908  in  einer  kleinen  Stadt  der  Grafschaft  Glatz 
eine  geizige  Tischlei-switwe  gestorben  war,  entspann  sich  zwischen 
einem  Bäcker,  der  ihr  Grab  besuchte,  und  dem  Totengräber,  der 
an  der  Seite  dieses  Grabes  ein  neues  grub,  folgendes  Gespräch. 

')  siehe  vorherige  Anni. 

.Tiilius  Nestler  (Prag),  (icistcr-  u.  ties|H*n3terglauben  der  Schlesier 
(Hiibezahl,  Sehweidnitz  UH)7  S.  103;. 

‘)  Kgl.  u.  l'niv.  Bibi,  zu  Breslau,  Cod.  ms.  IV.  F.  184.  Bl.  35 'b, 

•)  Kgl  u.  Priiv.  Bibi  zu  Breslau,  (.'od.  ms.  I.  Q.  2(17. 


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90 


näckcT:  „Xa,  da  liegt  sic  jetzt“.  — Totengräber:  „Da.s  Weih  bat 
nocli  iin  Grabe  keine  Hnli“.  — B. : ,Aeb!“  — T.:  Denken  Sie 
sicli  docb,  gestern  bal)  icb  liier  ein  Brett,  und  wie  icb  inicb  uni- 
dreb,  greift  da.s  Weib  aus  dem  Grabe  danaeb  und  zieht  mirs  rein“. 
— B.:  Ja,  ja,  die  bat  nie  genug  kriegen  können“. 

Ein  kurzer  Überblick  über  die  Ergebnisse  dieser  Zusammen- 
stellung des  .scblesi.scben  Volk.sglaubens  von  scbildigenden  Toten 
möge  den  Ab.scbluss  bilden.  Der  Glaube  an  Wiedergänger,  die 
Blut  saugen,  und  an  Nacbzebrer  ist  in  ganz  Seblesieu  nacbzu- 
weisen,  wenn  auch  in  den  polnischen,  lausitziscbcn  und  an  der 
bübmiscb-niäbriscben  Grenze  liegenden  Teilen  der  Provinz  eine 
stärkere  Neigung  dafür  unverkennbar  ist.  Der  Glaube  liegt  gleicb- 
inässig  aus  katboliscbem  wie  protestantischem  Gebiet  vor.  In  den 
Vordergiaind  des  Interesses -trat  er  zweimal,  zunächst  während 
der  Epidemien  des  16.  Jahrhunderts  und  dann  nach  dem  dreissig- 
jährigen  Kriege  in  Verliindung  mit  den  Hexenverfolgungen  mn  die 
-Mitte  des  17.  Jahrhunderts.  Zu  Wiedergängern  werden  alle,  die 
im  Leben  mit  dem  Teufel  im  Bunde  standen,  oder  ihm  bei  ihrem 
Tode  verfallen  sind;  also  Hexen  und  Hexenmeister,  ferner  Hirten, 
die  ja  als  Bauern  am  längsten  bei  der  Bekehrung  des  Volkes 
pagani  blieben  und  denen  im  Mittelalter  immer  wieder  die  Reste 
heidnischer  Segensformeln  verboten  werden  mussten,  mit  denen  sic 
ihre  Tiere  schützten,  wie  ja  noch  jetzt  im  Volke  der  Schäfer  als 
Wunderdoktor  gilt.  Zu  der  Teufelsschar  gehören  die  Selbstmörder 
tind  die  Wucherer  und  andere  Verbrecher.  Als  äu.s.sere  Zeichen 
werden  Male  angegeben,  ein  Scherenmal  am  Rücken,  ein  Ro.senmal 
am  Fuss,  oder  die  (Jeburt  mit  Zähnen  oder  das  Wach.sen  einer 
doppelten  Zahnreihe.  Hier  könnte  man  glauben,  da.ss  wie  im 
Glauben  südslavischer  Völker  auch  Unschuldige  prädestiniert  sein 
können,  Wiedergänger  zu  werden.  Aber  wenn  der  mit  doppelter 
Zahnreihe  oder  lang  herauswachsenden  Zähnen  Behaftete ')  oder 
der,  dem  ein  Zahn  vor  dem  andern  steht*),  in  Schle.sien  als  .Alb 
oder  Striga  betrachtet  wird,  so  ist  das  nur  ein  Rest  des  alten 
Glaubens  an  Wechselbälger,  und  die  Eigentümlichkeit  in  der  Zahn- 
bildung das  Kennzeichen  jener  albischen,  nimniersatten,  fressenden 
Wesen.  So  lä.sst  auch  Shakespeare  den  Unhold  Richard  III.  mit 

')  Drechsler,  .Sitte  usw.  II  Nr.  545. 

’)  Mitteüuug  eines  Schülers. 


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Zähnen  greboren  werden ').  Tn  Russland  geht  die  Veranlagung 
zum  blutsaugenden,  fressenden  Menschen  nach  dem  ülaubeii  des 
Volkes  vom  Vater  auf  den  Sohn  über.  An  einem  solchen  Menschen 
sah  man  einst  nach  dem  Tode  seines  Vaters  plötzlich  zwei  grosse 
Zähne  wie  Hauer  aus  dem  Munde  wachsen,  er  war  ein  Zauberer, 
ein  Schainan  geworden,  und  man  befreite  sich  von  ihm,  indem 
man  ihu  mit  Espenpfeilen  erschoss  und  verbrannte*).  Auch  in 
Frankreich  kann  die  Kraft  des  Zauberers  und  der  Fluch  des  Alp- 
charakters auf  Ihischuldige  übergehen,  es  genügt,  dass  ein  Kind 
die  Hand  des  sterbenden  Zauberers  berührt®).  In  der  Schweiz 
geht  die  Zaubermacht  der  Hexe  auf  das  jüngste  Kind  über^). 
Solchen  Fällen  von  Vererbung  begegnen  wir  in  Schlesien  nicht. 
Auch  der  Zufall  spielt  hier  nicht  die  Rolle  wie  z.  B.  in  Bulgarien, 
wo  die  T.,eiche,  über  die  ein  Huhn  oder  eine  Katze  springt,  oder 
die  nicht  mit  öl  eingerieben  wurde,  zum  Vam))ir  wird®),  oder  in 
lö-ankreich,  wo  das  Kind,  das  am  Vorabend  einer  Schlacht  ge- 
boren ist,  ein  Alp  werden  mu.ss“).  So  fehlt  auch  in  Schlesien  der 
Glaube,  dass  der  vom  Nachzehrer  oder  blutsaugenden  Wieder- 
gänger ins  Grab  nachgezogene  nun  seinei'seits  zu  derselben  Tätig- 
keit verdammt  ist,  wogegen  wir  in  zwei  h’ällen,  in  der  Sage  vom 
Neisser  Totentanz  und  in  dem  Exorzismenbuche  des  Olmützer 
Franziskanei's  den  Glauben  ausgesprochen  linden,  dass  der  Wieder- 
gänger aus  dem  Grabe  auch  andere  Tote  herauszulocken  veiinag. 
Auf  wem  bereits  beim  Tode  der  Verdacht  ruht,  dass  er  Wieder- 
gänger oder  Nachzehrer  werden  könnte,  bei  dem  beugt  man  vor; 
er  wird  so  gelegt,  dass  sein  Blick  die  Lebenden  nicht  mehr  treffen 
kann,  man  füllt  seinen  Mund,  um  das  Kauen  zu  verhindern,  mit 
Erde,  oder  man  legt  etwas  Geweihtes  hinein,  denn  der  mehrfach 

')  Richard  III  .Vct  III  sc.  4:  York:  Marry,  they  say  my  unole  grew  so 
fast,  that  he  rould  giiaw  a crost  at  two  hours  old.  — Auch  bei  den  Kassnhen 
kommt  der  Hexenmeister  mit  Zähnen  auf  die  Welt;  s.  Mannhardt,  Z.  f.  deutsche 
Myth  IV  259. 

’)  .A.  Loewenstimm,  .Aherglauhc  und  Strafrecht;  übersetzt  aus  dem  Kussi- 
schen.  Herlin  1897  8.  55. 

•)  .Alfred  de  Nore,  t'outumes.  Mythes  et  Traditions  des  Provinces  de 
France.  Paris  1840  S 88. 

‘)  Staub  u.  Tobler,  Wiirterbuch  der  schweizerdeutschen  .Sprache;  Hd.  II 
.Sp,  182.5  unter  Hexe. 

“)  Adolf  Strausz,  Die  Bulgaren,  Leipzig  1898  S.  188. 

*)  A.  de  Nore,  t'outumes  etc.  S.  88. 


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92 


erwiiliiite  Lukaszettrl  wird  woli!  nur  ein  Banninittel  sein.  Hin- 
sichtlich des  Treibens  des  Wiederpinpers  und  der  Tätifjkeit  des 
Naclizehrers  decken  sich  die  schlcsLschen  Berichte  mit  dein  sonst 
alljreinein  vorhandenen  Volk.sjflauben.  Der  Tote  hockt  auf,  würgt, 
und  zwar  bei  Tage  oder  bei  Nacht,  saugt  wie  der  Alp  Milch  und 
Blut,  verkehrt  mit  dem  hinterlassenen  Weibe;  er  plagt  auch  wie 
der  russische  Wiedergänger  das  Vieh'),  während  der  Bulgare  das 
mit  dem  Vampir  eng  verwandte  Ungeheuer,  das  tags  in  seinem 
(irabe  schläft  und  nachts  .Men.schen  und  Tiere  plagt,  anders,  näm- 
lich U.strel  nennt*).  Die  Tätigkeit  des  Nachzehrers  Ist  in  Schlesien 
dieselbe  wie  anderswo.  Ist  die  Gefährlichkeit  des  Toten  erkannt, 
der  Verdacht  gegen  ihn  von  der  Obrigkeit  als  wohlbegründet  an- 
erkannt, so  tritt  man  zu  einem  Gericht  und  zur  Be.strafung  gegen 
ihn  zusammen,  wie  man  es  bei  einem  Lebenden  tun  würde.  Wie 
der  Tote  im  Volksrecht  als  Ankläger,  Zeuge,  Eide.shelfer,  Erbender 
eine  Rechtsperson  sein  kann,  so  kann  er  auch  von  der  Gemeinde 
angeklagt  und  abgeurteilt  werden");  seine  Seele  wird  eben  im 
Grabe  als  bei  der  Leiche  gegenwärtig  gedacht.  Die  älteste  Strafe 
für  den  schuldig. befundenen  Toten  i.st  die  Pfählnng;  sie  wird  in 
den  ältesten  Zeugni.ssen  nicht  als  Strafe  der  Lebendigen  erwähnt, 
sondern  als  Leicheniifählung.  Sie  ist  Strafe  und  Seelenabwehr 
zugleich.  Der  Piozess  wird  in  (icgenwart  des  zuständigen  Gerichts, 
also  der  Stadtobrigkeit  oder  des  Scholzen  und  der  Schöffen  vor- 
genonnnen.  Mehr  zur  .Abwehr  als  im  Sinne  einer  Strafe  wird  das 
Enthaupten  der  Toten  und  die  Veränderung  der  Lage  des  Kopfes, 
den  man  zwischen  die  Beine  .setzt,  vorgenommen;  man  will  durch 
Zenstörung  des  organi.schen  Zu.saniinenhanges  der  Könierteile  dem 
Tuten  das  Saugen  und  Nachzehren  unmöglich  machen;  denselben 
Sinn  hat  die  Zerslücklnng  des  Körpers.  Das  radikalste  Mittel  ist 
die  Verbrennung.  Wenn  die  Seele  an  den  Ort  gebunden  i.st,  wo 
der  Körjier  lagert,  dann  muss  sie  frei  werden,  wenn  die  .Asche 
vom  Winde  verweht  oder  vom  Fluss  weggetragen  wird.  Der 
.Seele  sind  die  Werkzeuge,  mit  denen  sie  schädigen  konnte,  geraubt. 
Ersetzt  werden  diese  Abwehrmassregeln  durch  Besegnung  und 

')  Loewenstimm  a.  a.  O.  S.  9.ä. 

•)  X.  StraiiBZ.  Oie  BulKarcii  .s.  1Ü4.  aus  dem  Bezirk  von  Burmas. 

*)  flcinr.  Brunner,  I'as  reclitliclu-  Kortleken  des  Toten  bei  den  Germanen 
(Dentsehe  .Monatsschrift  1!K)7  Heft  7 S.  18  ff.)  und  Fr.  Kaufmann  im  Archiv  für 
Ucligionswissenscliaft  11  (1908;  8.  1:J3. 


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Exorzisnuis.  Wiclitig  ist  der  Hinweis,  dass  aticli  im  sclilesischen 
Volke  die  Neigrung  bestand,  die  Asclie  der  Scliädiger  als  heil- 
kräftig oder  zanbcrkräftig  einzusaninieln.  Sollen  wir  hier  ein 
(iegenstück  sehen  zn  dem  weitverbreiteten,  auch  in  Schlesien  bis 
in  die  neueste  Zeit  nacliweisharen  Glauben,  dass  das  Blut  Hin- 
gerichteter besondere  Heilkraft  besitzt,  oder  haben  wir  es  mit  dem 
Glauben  zu  tun,  dass  Totendinge,  besonders  Teile  und  ( iegenstände, 
die  von  Verbrechern  stammen,  besonders  glückbringend  sindV 
Schon  Karl  der  Grosse  verbot  den  Sachsen  bei  Todesstrafe,  das 
Fleisch  der  Strigen  zu  essen  oder  anderen  zu  essen  zu  geben '). 


Zur  Volkskunde  im  Kirchspiel  Laiigeiiöls,  Kreis 

Laubau. 

Von  Pr.  plül.  M.  Trcblin. 

Durch  freundliche  Mitteilungen  des  Herrn  Pastor  Rudolph 
und  andrer  ortskundiger  Leute  aus  dem  fast  rein  evangelischen 
Kirchspiel  Langenöls  bin  ich  in  der  Lage,  die  trelflichen  For- 
schungen des  HeiTii  Professor  Dr.  Drechsler  über  „Sitte,  Brauch 
und  Volksglauben  in  Schlesien“  in  wenigen  Punkten  zu  ergänzen. 

Vor  der  Taufe  legt  man  dem  neugeborenen  Kindlcin  in  Langen- 
öls das  Gesangbuch  unter  die  Koitfkissen.  Denn  stirbt  der  Säug- 
ling i)lützlich  und  ohne  Taufe,  so  soll  ihm  das  Gesangbuch  die 
Zugehörigkeit  zum  ('hristentum  sichern. 

Schreit  ein  Täufling  während  der  Tauffeierlichkeit,  so  eilt  die 
Hebamme  herbei,  tunkt  den  Lutschpfropfen  ins  Taufwa.sser  und 
steckt  ihn  dem  Schreihals  in  den  Mund.  Der  Zweck  dieser  Hand- 
lung ist  dem  Geistlichen  unbekannt. 

Fine  im  Sterben  liegende  Wöchnerin  liess  den  Pastor  noch 
rasch  zur  Taufe  ihres  wenige  Tage  alten  Kindes  rufen.  Kach  dem 
Volksglauben  holt  die  tote  Mutter  ihr  ungetauftes  Kind  ins  Grab 
bald  nach. 

Das  Abendmahl  wird  selbst  von  Kirchlich-Gleichgültigen  ge- 
wünscht, wenn  der  Tod  vor  der  Tür  steht.  Der  Genuss  des  Herrcn- 
mahls  soll  den  Tod  bannen,  und  es  gilt  besonders  dann  als  heil- 
kräftig, wenn  es  einem  Kranken  gereicht  wird,  nachdem  mehrere 

')  Moll,  (ii-rni.  Leg.  II  Toro.  I p.  ßfi. 


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Todkranke  liintereinander  ansdieineiul  durch  seine  Macht  gerettet 
worden  sind. 

Bei  der  (irösse  des  Kirclispiels  häufen  sicli  zuweilen  die  Amts- 
handlungen. Niemals  aber  kann  es  der  Geistliche  bei  den  I.a'iiten 
durchsetzen,  dass  eine  Trauung  vor  einer  Beerdigung  stattfinde. 
Es  gilt  als  unheilvoll  zu  heiraten,  solange  ein  Grab  ofi'en  steht. 

Einem  Schwerkranken  legte  man  ein  Schwalbennest  unter  das 
Bett;  das  sollte  seine  Wiedergesundnng  bewirken.  Aber  das  Mittel 
hat  ebensowenig  geholfen  wie  ein  andres,  das  ein  Quacksalber 
einer  todkranken  Frau  verordnete;  Der  Ehemann  musste  ihr  am 
frühen  Osterniorgen  die  Nägel  an  Händen  und  Fü.ssen  beschneiden 
und  diese  noch  vor  Sonnenaufgang  in  einen  nahen  Teich  werfen. 

Am  Silvesterabend  umhüllt  man  die  Obstbäume  mit  Stroh- 
wi.schen.  Die  Bäume  tragen  im  kommenden  Jahre  dann  reichlich 
und  bleiben  von  Krankheiten  verschont,  vgl.  Drechsler  I 44,  11  81. 

ln  Gieshübel  glaubt  man,  da.ss  der  Kuckuck  im  Herbst  zum 
Sperber  werde  (vgl.  Drechsler,  Mitteil.  Heit  XIX  S.  88).  Schon 
mancher  arme  Kuckuck  hat  deshalb  als  Raubvogel  sein  Leben 
lassen  müssen! 

Zum  Schluss  möge  noch  eine  volkstümliche  Flurnamencrklärung 
angeführt  werden  (vgl.  Mitteil.  Heft  XX  S.  SJ  f.).  Im  Niederdorfe 
von  Langenöls  liegen  auf  einer  unfruchtbaren  Anhöhe,  die  erat  in 
neuester  Zeit  gerodet  wurde,  mehrere  ärmliche  Häuser.  Der  Volk.s- 
mund  nennt  sie  ,Die  neue  Not“,  und  er  reimt  darauf;  „im  Sommer 
kein  Wasser,  im  Winter  kein  Brot''. 


MüreliBii  und  Sagen  aus  Oliersclilesien. 

Von  Dr.  I’.  Drechsler  in  Zabrüe. 


1.  Adam  und  das  Pferd. 

Als  Gott  Adams  Mühen  und  Schweiss  bei  der  Erwerbung  des 
täglichen  Brotes  sah,  da  erbarmte  es  ihn.  Er  stieg  herab  und 
.sprach  zu  ihm;  .Adam,  hier  hast  du  das  Pferd;  es  .soll  dir  bei 
deiner  Feldarbeit  helfen.  Aber  du  gibst  ihm  am  Morgen  nur  ein 
Korn  Hafer,  zu  Mittag  zwei  Körner  und  am  Abend  wieder  nur 
eins''.  Adam  versprach  es.  Schnell  ging  ihm  mit  Hilfe  des 
Pferdes  die  Feldarbeit  von  statten.  Das  Tier  gedieh  auch  recht 
gut  bei  dem  geringen  Futter.  .Mit  der  Zeit  aber  dachte  Adam 


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iiiclit  inelir  au  das  (!ott  geprebcne  Verspm  lien  und  gab  dem  Pferde 
zum  Lohne  für  die  treuen  Dienstleistungen  jedesmal  ein  Korn 
mehr.  Da.s  Pferd  wurde  uidieimlicli  dick  und  .stark,  es  tat,  was 
es  wollte,  und  Adam  konnte  es  nicht  mehr  im  Joche  bündigen. 
Da  wandte  er  sich  in  .seiner  Not  zu  Gott.  Mit  strafendem  Hlieke 
sprach  der  Herr  zu  Adam:  „Dn  hast  meinen  Willen  nicht  befolgt. 
Da  du  aber  aus  Mitleid  so  gehandelt  liast,  will  ich  dir  verzeihen“. 
Darauf  nahm  Gott  sein  Schwert  und  schlug  dem  Pferde  an  jedem 
Fu.sse  die  Ader.  Da  bekam  es  seine  frühere  Gestalt  und  Kraft 
wieder.  .Eine  Strafe  jedoch“,  sprach  Gott  zu  Adam,  ,.musst  du 
haben:  du  wirst  jetzt  dem  Pferde  so  viel  Fletzen  Hafer  geben, 
wie  du  ihm  früher  Körner  verabreicht  hast“.  Jedes  Pferd  hat 
seitdem  die  Narben  dieses  Aderlasses  an  den  F'nssen  und  muss  so 
viel  Hafer  bekommen. 

2.  Gott  als  Schuldner. 

Ein  Sclimied  hatte  sich  sein  ganzes  Leben  lang  geidagt  und 
gearbeitet,  ohne  dafür  Rezaldimg  zu  erhalten.  Denn  jeder,  der 
bei  ihm  etwas  arbeiten  Hess,  sagte  zum  Lidme:  Gott  bezahls! 
Als  der  Sclimied  nicht  melir  recht  arbeiten  konnte  und  seine 
Sclimiede  sclion  dem  Einfallen  nahe  war,  schloss  er  sie  eines 
Sonntags  ab,  legte  den  Schlü.s.sel  unter  einen  Stein  und  machte 
sicli  auf  den  Weg  zum  lieben  Gott.  Endlicli  kam  er  dort  an  und 
vernahm  die  Frage:  „Was  willst  du?“  „Lieber  Gott“,  antwortete 
der  Schmied,  „du  bi.st  mein  Selmldner.  Alle,  für  die  ich  gearbeitet 
habe,  sagten  mir  zum  Lohne:  fiott  bezahls'  Ich  bitte  dich:  zalile 
mir  jetzt“.  — Freundlicli  .sali  ilm  der  liebe  Gott  an  und  reichte 
ilim  eine  Geige.  „Was  soll  mir  die  Geige?“  fragte  der  Schmied. 
Da  nahm  Gott  die  Geige,  setzte  den  Geigenbogen  an  und  strich 
einmal  über  die  Saiten.  Der  Schmied  war  entzückt.  Da  strich 
Gott  zum  zweitenmal  über  die  Saiten,  und  der  Schmied  wusste 
sich  vor  Freude  kaum  zu  fa.ssen.  „Lieber  Gott“,  rief  er,  „zwei- 
mal hast  du  gestrichen,  die  Hälfte  deiner  Schuld  schenke  ich  dir. 
Streich  noch  einmal,  und  wir  sind  quitt“. 

Dann  suchte  der  Schmied  seine  Werk.stätte  wieder  auf,  keine 
Spur  war  mehr  von  ihr  zu  sehen.  Der  Stein  war  noch  da,  aber 
über  und  über  mit  Moos  bewachsen.  Er  hob  ihn  auf  und  fand 
den  Schlüs.sel,  der  war  ganz  verrostet.  .Als  er  ihn  sah,  sank  er 
tot  nieder.  Es  waren  tausend  Jahre  vergangen'). 

')  Man  Vjjl.  .Mitteil.  Xlll  .S.  77  f. 


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3.  Warum  die  Juden  krumme  Nasen  haben. 

Als  die  Juden  mit  Spiesseii  anszof^en,  um  Jcsum  zu  suchen, 
und  ihn  im  Garten  Gethsemane  trafen,  fragte  er  sie:  Wen  suchet 
ihrV  Sie  antworteten:  Jesum  von  Nazareth.  Da  erwiderte  er: 
Das  hin  ich!  und  sie  Helen  auf  ilir  Angesicht  und  schlugen  sich 
die  Nasen  krumm.  Seitdem  haben  sie  dieses  Kennzeichen  (Zabrze). 

Geister  von  Kaiserberg  lioantwortet  die  Frage  in  .seiner 
Postille:  Die  Juden  assen  in  der  Wüste  Kromet Vögel,  dass 
inen  die  schnebcl  zu  der  nasen  heraus  hiengen'). 

4.  Das  lebendig  eingemauerte  Kind  ^). 

In  Ujest  .sollte  an  der  Stelle  eines  ehemaligen  Klo.sters  ein 
Armenliaus  gebaut  werden,  aber  was  am  Tage  gearbeitet  worden 
war,  wurde  nachts  von  unsichtbarer  Hand  zerstört.  Einige 
Burschen  gaben  um  .Mitternaclit  acht  und  sahen  einen  Wagen  mit 
.schwarzen  Pferden  Vorfahren,  worin  eine  schwarzverhüllte  Dame 
sa.ss.  Mit  dem  Kreuzzeichen  wurden  die  Pferde  aufgehalten,  und 
die  Dame  gab  auf  die  Frfigen  der  Burschen  die  Antwort,  wenn 
das  Haus  stehen  bleiben  solle,  so  mü.sse  eine  Mutter  ihr  kleines 
Kind  lebendig  einmauern  lassen.  T,ange  fand  sich  niemand,  end- 
lich gab  eine  .Magd  namens  Janetzki  ihr  einige  Monate  altes  Kind 
gegen  eine  hohe  Geldsumme  her.  Als  die  Fü.sschcn  schon  ein- 
gemauert waren,  Hng  das  Kind  zu  reden  an  und  fragte:  Was  ist 
weicher  als  Flaum,  was  ist  süsser  als  Zucker,  und  was  ist  härter 
als  Stein?  — Es  galt  sich  selb.st  die  Antwort:  Weicher  als  Flaum 
ist  der  Mutter  Scho.ss,  süsser  als  Zucker  ist  der  Mutter  Brust, 
und  härter  als  Stein  ist  meiner  .Mutter  Herz. 

5.  Die  goldene  Ente  zu  Tost. 

Unter  dem  alten  Schlosse  zu  Tost  liegen  Schätze,  besonders 
eine  goldene  Ente.  .Man  hat  aber  trotz  eifrigster  Nachforschung 
nichts  Hilden  können.  Einmal  hüteten  im  Schlosshofe  zwei  Knaben 
die  Ziegen.  Der  eine  stieg  durch  ein  Loch  in  den  Keller,  sah 
eine  schwarze  Katze  und  schlug  nach  ihr.  Da  verwandelte  sie 
sich  in  eine  zi.schende  Schlange,  vor  der  er  eiNchreckt  flüchtete. 

')  Vielleicht  regen  diese  .Antworten  aus  dem  Ui.  und  20.  .Ih.  zu  weiterer 
forschung  und  Krgünzung  an. 

’j  Vgl.  Liebreclit,  Zur  Volkskunde  S.  2S4  IT. , wo  andere  Literatur  ver- 
zeichnet ist,  und  Drechsler,  Sitte,  liraueh  II  1,  wo  nur  Tieropfer  erwähnt  sind. 


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Als  er  es  dem  andern  Knaben  erzählte,  versnchte  dieser  liinab- 
znsteigen  nnd  hörte  eine  Stimme:  Nicht  eher  wird  der  Schatz  ge- 
hoben, als  bis  eine  Kuh  zwei  schwarze  Stiere  zur  Welt  ge- 
bracht hat '). 

6.  Die  Seele  ale  weiseleuchtendee  Heu. 

Ein  junger  Bursche  aus  Antonienhütte  verkehrte  mit  einem 
-Mädchen  aus  Haleniba.  Das  verbot  ihm  seine  Mutter  und  starb. 
Als  der  Bursche  eines  .Abends  wieder  zn  dem  Mädchen  ging,  er- 
blickte er  vor  sich  einen  Haufen  Heu,  das  ganz  .schneeweiss 
leuchtete:  es  stellte  sich  ihm  rechts  und  links  in  den  Weg.  Er 
sprang  darüber,  aber  es  verfolgte  ihn  bis  in  die  Wohnung  des 
Mädchens  und  blieb  dort  am  Fenster,  ohne  dass  es  jemand  anders 
sehen  konnte.  Auch  auf  dem  Rückwege  wurde  er  verfolgt,  .so 
dxss  er  krank  wurde  und  erst  genas,  als  ei'  den  Umgang  mit  dem 
Mädchen  für  immer  veischworen  hatte. 

7.  Oie  Ottern  und  der  OtternkSnig  *). 

In  Zabrze  .steht  hinter  den  Familienhäu.sern  der  Concordia- 
Grube  an  der  alten  Beuthener  Stra.s.se  ein  Bildstock  im  Schatten 
von  drei  Kastanien.  Von  diesem  Orte  erzählen  alte  Leute  folgendes: 

l'Vüher  stand  am  Beuthener  Was.ser  dichter  Wald.  Mitten 
im  Grünen  lag  eine  kleine  Mühle.  Da  kam  einmal  ein  Müller- 
geselle  auf  seiner  Wanderschaft  hierher.  Er  bemerkte  mit  Er- 
staunen, dass  eine  Unzahl  von  Ottern  ganz  ungestört  in  Küche 
und  Stuben  umherkroch.  Sofort  erbot  er  sich,  das  Gehöft  von 
dem  Ungeziefer  zu  reinigen.  Der  alte  Müller  war  zuei’st  gar 
nicht  damit  einverstanden.  Die  Tiere  taten  ihm  nichts,  und  .sein 
jüng.stes  Kind  hatte  seine  helle  Freude,  wenn  eine  kleine  Otter 
zahm  herankam  und  mit  aus  dem  Milchnapfe  Milch  und  Graupe 
schleckerte.  Als  einmal  das  Tier  gar  nicht  von  der  Milch  lie.ss, 
da  gab  das  Kind  der  Otter  mit  dem  Löftel  eins  auf  den  Kopf 
und  sagte:  „Graupe  auch,  nicht  immer  Milch!“ 

Während  der  Müller  noch  überlegte,  da  sprach  der  Gc.selle 
immer  eifriger  auf  ihn  ein.  Schliesslich  willigte  der  Müller  ein. 
Da  fragte  der  Geselle  noch,  ob  auch  der  Otterkönig  hier  sei. 
Nein!  war  die  Antwort.  Jetzt  zog  er  eine  Flöte  aus  seiner  Tasche 

')  rnischreibunfi  für  niemals. 

»)  V)jl.  Drechsler  a.  n.  O.  II  181  f. 

MitUUiiiigen  d.  sohlet».  Gos.  f.  Vkfie  Heft  XXI.  * 


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lind  blies  darauf.  So  pfeifend  p;ing  er  über  das  Beuthener  Wasser 
und  die  Anhöhe  hinauf,  es  drängrten  sich  hinter  ihm  in  langem 
Zuge  die  Ottern,  die  ihre  Schlupfwinkel  in  dem  Gehöfte  verlas.scn 
hatten.  Schon  hatte  der  kecke  Geselle  eine  tiefe  Grube  gegraben, 
um  die  Ottern  zu  versenken,  da  eilte  plötzlich  der  Ottemkönig 
mit  blitzendem  Krönlein  auf  dem  Kopfe  herbei  und  erwürgte  ihn. 
Die  Grube  wurde  sein  Grab;  mitleidige  Leute  setzten  ihm  die.sen 
Bildstock. 

Andere  erzählten,  mit  dem  Bild.stock  habe  es  folgende  Be- 
wandtnis: Der  Müller  hatte  dem  Otterukönige  das  übliche  Opfer 
an  Milch  entzogen;  erbost  hierüber  soll  er  den  Müller  verfolgt 
und  an  dieser  Stelle  erdrosselt  liaben. 

8.  Oie  erzürnte  Wasserjungfer'). 

Wenn  man  auf  der  Stra.sse  von  Zabrze  nach  Biskupitz  geht, 
sieht  man  rechts  einen  gro.ssen  Teich  und  davor  eine  Wasser- 
haltungsmaschine. Vor  Zeiten,  als  hier  noch  dichter  Wald  stund, 
da  lebte  dort  ein  einsames  Ehejiaar.  Neben  ihrem  kleinen  Häus- 
chen w'ar  ein  Brunnen.  Darin  lebte  eine  fromme  Wasserjungfrau. 
Es  schmerzte  sie  sehr,  wenn  sie  die  grausigen  Pluchworte  des 
Ehepaares  vernahm.  Als  wieder  einmal  der  Mann  in  seinem  Zorn 
schrecklich  fluchte,  da  schwur  die  Wasserjungfer  Rache.  Mitten 
in  der  Nacht  erregte  sie  die  innersten  Tiefen  des  Brunnens.  Un- 
aufliörlich  quoll  das  Wasser  empor  und  vergrub  im  Tale  alles, 
das  Häuschen  mit  den  Leuten,  den  Stall  mit  seinen  Bewohnern. 
Seitdem  ist  da  ein  gros.ser  Teich. 

Wenn  jemand  in  dem  Teiche  badet  und  w'ird  von  dem  Strudel 
— die  oben  erwähnte  Wasserhaltiing.sinascliine  hat  in  der  .Mitte 
des  Teiches  das  Saugrolir  liegen  — in  die  Tiefe  gezogen,  dann 
raunen  sich  noch  heute  die  Leute  zu:  Und  die  Wa.sserjungfer  i.st 
immer  noch  nicht  befriedigt. 


')  Drechsler  a.  a.  O.  II  Ki8. 


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Scherz-  und  Ernsthaftes 
fther  besondere  Zusamniensetznngen  mit  aus- 
iind  be-  im  Schlesischen. 

Von  Pr.  P.  Drechsler  in  Zabrze 

Der  praktische  Arzt  Dr.  X.  hat  den  Titel  Saiiitiitsrat  erhalten. 
V^oller  Stolz  über  diese  Hangerhöhungr  peht  Frau  Saiiitiitsrat  auf 
den  Wochenmarkt  und  wundert  sich,  dass  die  Leute  ihr  nicht  mit 
trrö.s.serer  Hochachfiinj?  hegcfifnen  als  vordem.  Wie  gar  die  getirre 
(iemüsefrau  sie  in  herkümmlicher  Weise  übereifrig  begrüsst:  ,(»u‘n 
■Morgen,  Frau  Dokfrn!  Salhite  gefällig,  Frau  Dokt'rn?  oder  hüb.sche 
Maern'  (.Mohren),  Frau  Dokt’rn?“  da  braust  I'Yau  Sanitätsrat  ent- 
rüstet auf:  „Ach  was!  ’s  hat  sich  ausgedoktert“.  — Darauf 
die  Gemüsefrau  bedauernd:  „Je,  je,  Frau  Dokt’rn  — is-d'r  Herr 
Dok'tr  tut?“  — — 

Es  hat  sich  ausgedoktert  bedeutet:  es  ist  mit  dem  Doktor 
zu  Ende,  was  Frau  X.  auf  den  Titel,  die  (iemüsefrau  auf  das 
leibliche  Lelien,  die  Existenz  des  Doktors  bezieht.  — 

Der  Kanzleirat  Schneider  beschwichtigt  seine  eifersüchtige 
Ehehälfte  Gustel,  die  ihm  ohne  (.Jrund  Vorwürfe  macht,  dass  „a, 
wie  ma  soat,  näberm  Weige  ging“ : 

„Aber,  (iustel  — — “ 

„ü,  es  hat  sich  ausgegustelt.  Geh  doch  zu  deiner  Dulci- 
nea.  — Geh  doch  zu  ihr.  — ach!  — ich  arme  Hetrogene!“ 
Heinzei,  A lustiger  Bruder.  S.  14. 

Es  hat  sich  ausgegustelt:  für  dich  existiert  eine  Gu.stel 
nicht  mehr.  — Ähnlich: 

„Hä,  Jungefro,  wie  wärsch  denn  — ?“  — „Och,  bei  mir 
hot  sichs  ausgejungefrot“:  ich  bin  keine  junge  Frau  mehr. 
Regnal,  Schlesi.sche  Teufeleien.  S.  14. 

„Gib  mir  ein  Gold.stück!“  — „Ach,  es  hat  sich  ausgegold- 
stückt:  mit  den  Goldstücken  ist  es  zu  Ende. 

Diese  mit  dem  betonten  Adverb  aus  und  einem  Substantiv 
gebildeten  Verben  kommen  nur  unpersönlich  und  reflexiv  vor, 
auch  in  anderen  Zeitformen.  So  konnte  Frau  Kanzleirat  Schneider 
auch  sagen:  ’s  wird  sich  bald  ausgusteln:  die  Gustel  wird 
für  dich  bald  nicht  mehr  existieiTii,  sie  wird  dich  Treulosen  ver- 


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lassen.  — Es  wird  sich  bald  aushürg:ernu‘istern  könnte  man 
in  bezup  auf  einen  Bürgermeister  supen,  der  sein  Amt  bald  ver- 
lieren, der  nicht  wiedergewählt  werden  wird.  Gebräuchlicher  aber 
ist  das  zweite  Futurum:  es  wird  sieh  bald  ausgegustelt,  aus- 
gebürgermeistert  haben. 

Dieses  volkstümliche  aus  bezeichnet,  wie  in  den  Wendungen; 
das  Theater  (die  Aufführung),  die  Kirche  (der  Gottesdienst),  die 
Schule  (der  Unterricht)  ist  aus,  die  Beendigung,  den  Abschluss 
einer  Tätigkeit,  allerdings  in  ganz  freier  Auffassung.  So  ist  die 
Tätigkeit  des  Doktoi-s  im  Volksmunde  das  Doktern:  er  doktert, 
die  der  Gustel  gewissermassen  das  Gusteln:  sie  gustelt,  usw.  — 
Seltener  begegnet  der  j)ersönliche  Gebrauch  dieser  Zusammen- 
setzungen: er  hat  ausgedoktert,  ist  nicht  mehr  Dokter,  sie  hat 
au-sgegustelt,  ist  nicht  mehr  (seine)  Gustel. 

Dagegen  ist  dieser  Gebrauch  gewöhnlich,  wenn  das  aus  in 
Verbindung  mit  Verben  das  Ende  der  Tätigkeit  bezeichnet: 
Man  wei.ss  wohl,  dass  .sein  Pferd 
So  wie  sein  ganzer  Staat  den  Gläubigern  gehört. 

— So  hat  er  ausgeiirahlt.  Stopi)e,  Parnass  S.  2(50, 
d.  h.  .sein  Prahlen  i.st  nun  zu  Ende.  — Aushaben,  dms  Ende 
haben,  zu  Ende  sein;  wenn  lieber  kommt,  dann  hat,  wer  lieb  war, 
aus.  A.  Gryphius,  Card.  Cel.  4,  48. 

Er  hat  ausgemaclit  sagt  man  bei  einem  Spiele,  z.  B.  beim 
Domino  oder  Billard,  von  dem,  der  das  Spiel  beendet  hat;  er  hat 
ausgetanzt:  hat  aufgehört  zu  tanzen.  Auch  reflexiv?  ich  habe 
mich  mich  wieder  einmal  (für  lange  Zeit)  ordentlich  ausgetanzt, 
ich  habe  in  mir  das  Verlangen  zu  tanzen  (l)eendef)  gestillt;  die 
Wolke  hat  sich  tüchtig  ausgeregnet:  dem  Regnen  ein  Ende  ge- 
macht; vgl.  es  liat  endlich  ausgeregnet. 

Die  zweite  gewöhnliche  Grundbedeutung  des  aus:  von  innen 
heraus,  hervor  bietet  Stopjie  in  einem  anderen  ausregnen:  Man 
.sann  vergebens  nacii,  bis  endlich  Bustabur,  der  Stadt  Astronomus, 
aus  dem  (iestirn  erfulir,  es  hätte  diesmal  hier  Jungfern  au.s- 
geregnet,  d.  h.  vom  Himmel  liernnter.  — 

Sehr  beliebt  sind  im  Schlcsisclicn  verbale  Zusammen- 
setzungen mit  der  untrennbaren  Partikel  be-.  Dies  ist  die  ver- 
kürzte Form  von  altem  bi,  bei,  und  setzt  die  Tätigkeit  des  Verbs 
in  vollendeter  Beziehung  zum  Objekt,  Peisjon  (aler  Sache.  Die 
Verbalbildung  erfolgt  durch  Zusammen.setzung  des  be-  1.  mit  Sub- 


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stantiven:  einen  bealben,  wie  ein  Alb  belästigen,  einen  be- 
muttern, wie  eine  Mutter  behandeln,  versorgen,  begaunern, 
wie  ein  Gauner  mit  einem  verfahren,  ihn  betrügen;  2.  mit  Verben; 
einen  bekochen,  l)ewaschen,  beflicken,  bereinigen,  be- 
stricken, jemand  durch  Kochen,  Waschen,  Flicken,  Reinemachen, 
Stricken  bedienen,  in  der  Richtung  der  Tätigkeit  für  ihn  sorgen; 
einen  begützeln,  begitscheln,  ihn  durch  Aufmerksamkeit, 
Zärtlichkeit,  Liebkosung  gewinnen,  günstig  stimmen,  vgl.  oberi)fälz. 
bekätzen,  bekutzen  sich  um  einen:  sich  mit  jemandem  befassen, 
um  ihn  bekümmeni,  Frequentativbildung  zu  gitzen,  kitzen:  be- 
lästigen, plagen,  Weinhold  Wbch.  43  b;  einen  beliumszen,  be- 
nachteiligen, übenorteilen,  vgl.  bair.  hams.sen,  zu  behammeln,  ahd. 
hamalön  mutilare?  Grimm,  DWbch  I 1325.  — Bekochlöffeln, 
überlegen,  erwägen;  itzc  thoat  sich  der  Mecster  die  ganze  Kunst 
vu  vurne  und  vu  hingen  bekoochlöfteln.  Oderwald,  Schiäsche 
Pauerbissen  S.  8,ö;  ich  werde  die  Sache  beköchlötfeln  (allg.)  hängt 
nicht  mit  dem  Substantiv  Kochlöffel  zusammen,  sondern  scheint 
(in  Anlehnung  an  Kochlöffel)  Weiterlüldung  aus  begucken  zu  sein. 

Verben  mit  dom  Präfix  be-  werden  auch  reflexiv  gebraucht: 
sich  bemaclien,  .sich  betun,  sich  bekackcn,  sich  bekotzen, 
sich  begatschkern,  sich  durch  Regiessen  beim  Trinken,  Wasclien, 
überhaupt  Hantieren  mit  einer  Flüssigkeit  beschmutzen,  sich  be- 
kleckern, sich  mit  Schmutzklecksen  besudeln,  sich  beklunkern, 
sich  am  Blech  (Kleidsaume)  oder  Hosenraiide  (der  Borte)  be- 
schmutzen, sich  bell  essen,  .sich  bis  an  die  Kniekehle  (vgl.  Hesse 
f.  Kniestück  der  Schinken  oder  Keulen,  ahd.  halisa,  mhd.  hahse, 
heh.se)  beschmutzen,  sich  be  kaufen,  sicli  beim  Kaufen  verrechnen, 
selbst  schädigen:  na,  der  hat  .sicli  hipsch  bekauft! 

3.  be-  tritt  auch  vor  Adjektive:  betul icli  (zu:  sich  betun 
um  einen,  sich  freundlich,  liebevoll  um  einen  bemühen),  sich  um 
einen  bemühend,  schmeichlerisch,  sorgsam,  freundlich,  dienst- 
fertig; sei  Weib,  die  betuliche  Wirtin.  Holtei  S.  67;  se  woar 
betulich  und  gemittlich  wer  wee.ss  wie;  ähnlich  betusam:  be- 
wuschpert,  bewusclibert,  1)  einschmeichelnd,  zärtlicli,  2)  be- 
hende, auch  oberlaus.:  sie  ist  betu.sam  und  bewuschpert  (Graf- 
schaft); das  gefirre  bewuschperte  Züngel.  Heinzei,  Richel,  S.  4ö; 
bewusch]iertes  Schnapscl  (Hund,  mit  Ansjiielung  an  Wu.schper, 
verbreiteti'r  Hundename  wie  Flink),  zu  wispern,  wuspern, 
1)  zärtlich  flüstern,  2)  rasch  und  leicht  hinschlüpfeu. 


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Eine  besondere  Rolle  spielt  die  Partikel  be-  iin  Sclilesisehen 
bei  einer  Drohung:,  Ablehnung:,  Zurückweisung:.  Wenn  jemand 
irgend  etwas  tut  oder  sag:t  und  man  droht  dem  Betreffenden, 
weist  ihn  ab  oder  verwahrt  sich,  dann  nimmt  der  Schlesier  das 
Wort,  den  Ausdruck,  worauf  der  Ton  lieg:t,  auf,  .setzt  ihm  be- 
vor und  gibt  cs  in  kühner  Infinitivbildung  drohend,  abweisend 
oder  sich  verwahrend,  gewöhnlich  mit  der  Einleitung;  Ich  werde 
dich  (gleich)  be  . . . zurück. 

Erst  heute  vernahm  ich;  „Was,  Sie  wollen  die  (gemeint  war; 
schmutzige)  Windel  nehnienV!  — Ich  werde  Sie  gleich  bewin- 
deln!“  — Neulich  ging  ich  an  einer  Schmiede  vorbei  und  hörte, 
wie  der  „Liehrjiinge“  den  Meister  fragte:  „Mest'r,  sull  ich  de  Nägel 
feilen?“  Der  Meister  drohte:  „Du,  ich  war  dich  glei  bcfeilen!“ 
Auf  den  Lehrling  wirkte  die  drohende  Zurechtweisung:  Ich  werde 
dir  gleich  für  deine  Dummheit,  dass  du  die  Nägel  abfeilen  willst, 
paare  geben!  ebenso  wie  weiland  bei  Vergil  auf  die  Winde  das 
Quo.sego  — aus  dem  Munde  Poseidons. 

„De  Male  hoafs  Harze  uf  dar  ärschliga  Seite“,  entfuhr  es 
einmal  dem  Willem.  Der  Duste  fing  die  Rede  ab  und  erklärte: 
„Ich  wär.sch’r  .schunt  auf  die  rechte  Seite  schärgen“,  worauf 
ihn  der  Willem  anknurrte:  „Ich  war  dich  beschärgen“  und  .die 
Fäuste  ballte.  Regnal,  Schlesi.sche  Teufeleien  S.  130.  — -Dar 
Schwiegervoater'“  meinte  Willem.  „Ich  war  dich  beschwieger- 
voatern!“  knurrte  ihn  der  Guste  an. 

„Karlindel“,  ineenfe  der  Gru.ssmonn-Schneider  zu  Seiner,  „ich 
war  nich  beim  Dukter,  ich  hab  a Heildiener  Schulz  getroffen,  där 
meinte,  das  mi.s.sf  ich  nich  auf  die  leichte  Achsel  nehm’,  der  hie- 
sige Dukter  kinnt’  mer.sch  i'das  Ohrleiden)  er.scht  verkootschen 
(verpfuschen),  ich  seilte  lieber  glei  zu  anner  Kuinpabletät  (Ka- 
pazität!) na  Berlin  fahren,  sonste  da  — Weiter  koam  a nich. 
„Ich  war  dich  bekumpabletäten“,  schrieg  ,se,  „do.ss  de  de 
Latschen  verlienscht!“  Oderwald,  Schiäsche  Pauerb.  S.  72. 

„Muttel“,  .soate  de  Hanndel,  „’s  konn  doch  nicht  Schinnerscli 
gäben  als  wie  awing  de  Welt  sahn!“  De  Mutter  setzt  ihr  glei 
an  Dämpfer  uf.  Se  stemmte  de  Orme  ei  de  Seeten,  doss  se  aus- 
soag  (aus.sah)  wie  a Bun.scheltupp  (Bnnzlauer  Tojif)  mit  zwee 
Henkeln,  und  .soate:  „Ich  wär  dich  bcweltsahn!“  — 

„.Morgen!“  „Ich  werde  dich  gleich  bemorgen!“  droht  man 
einem,  der  etwas  auf  morgen  verschieben  will.  — „Ich  mag  nicht!“ 


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„Ich  werde  dich  gleich  bemagen!“  — „Mutter,  ist  das  mein?“ 
„Ich  werde  dich  beraeinen!“  — 

Für  die  Zusammensetzung  des  be-  mit  Fremdwörtern  bietet 
Jäschke  in  Wort  und  Brauch  2.  Heft:  Lateinisch  - romanisches 
Fremdwörterbuch  der  schlesischen  Mundart.  1908  zahlreiche  Be- 
lege, z.  B.  begrattelirn,  bejudizini,  bekompelmentim,  bekuzen,  be- 
molestijen,  beopselwirn,  beräsenirn,  betexen  S.  16,  wozu  noch  viele 
andere  kommen. 

Diese  in  Schlesien  alltägliche  Verwendung  des  be-  findet  sich 
auch  in  Comödien  von  dem  Sach.seu  Christian  Felix  Wcisse 
(1726—1804),  dem  Leipziger  Studiengenossen  Lessings.  Adelung 
führt  daraus  an: 

Es  ist  der  Herr  von  Liebreich,  du  weisst  nicht,  was  du  tu.st. 

Jobst.  Ich  will  dich  und  ihn  beliebreiclien. 

Sie  behauptet,  sie  sei  die  Frau  Junkern.  Aber  ich  will  sie  be- 
junkern,  dass  sie  an  mich  denken  soll.  So  findet  sich:  bebestien, 
bedeinen,  beexcellenzen,  beflachsen,  beficgeln  u.  a.  m.,  alles  Wort- 
foi-men,  die  hier  zu  Lande  auch  begegnen  könnten.  Grimm  fügt 
Dwbch  I 1203  bei:  Es  ist  kein  Grund  da,  dergleichen  Scherz  nur 
in  „die  niedrigen  Sprecharten“  zu  verweisen.  Grimm  kannte,  da 
ihm  Weinholds  Sammlungen  dafür  keine  Belege  boten,  die  leben- 
dige und  ausgedehnte  Verwendung  des  be-  im  Schlesischen  nicht; 
sonst  würde  er  sie  nicht  bloss  als  Scherz  bezeichnet  haben. 

Ich  kann  aus  der  mir  zu  Gebote  .stehenden  Literatur  leider 
nicht  feshstellen,  wie  weit  aus-  und  be-  in  anderen  Mundarten 
etwa  ähnliche  Verbindungen  eingeht. 


Was  die  Grossmutter  singt. 

Von  Dr.  K.  Olbrich. 


Eine  mir  freundlich  zur  Verfügung  gestellte  Sammlung  schle- 
sischer Volkslieder  gibt  das  wieder,  was,  wenn  auch  mit  ver- 
mindertem Gedächtnis,  eine  hochbetagte  Frau  in  Breslau  noch 
heute  still  vor  sich  hinzusingen  pflegt.  Im  folgenden  werden 
einige  Proben  daraus  mitgeteilt,  die  auch  weitere  Kreise  interes- 
sieren und  zu  ähnlichen  Sammlungen  anregen  dürften.  Massgebend 
für  die  Auswahl  war  der  Grundsatz,  alles  sichtlich  aus  gedruckten 
Liederbüchern  übernommene  auszuscheiden  und  so  nui‘  echtes 


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Volksgut  zu  bieton.  Fast  alle  berichten  von  der  Liebe  Leid,  von 
Eitelkeit  und  Leichtsinn  lebenslustiger  Mägdlein,  von  ihrer  bitteren 
Not,  von  ewiger  Treue  und  falscher  Liebe,  vom  Sterben  am  ge- 
brochenen Herzen  und  grausamen  Mord  aus  Eifersucht  oder  Ver- 
zweiflung. 

Da  taucht  in  seltsamer  Verkürzung  die  uralte  Märe  vom 
„Ritter  und  der  Magd“  auf; 

„Es  spielt  ein  Ritter  mit  einer  Magd. 

Sie  spielten,  ei,  so  lange  — 

Sie  spielten  sieben  ganze  Jahr’ 

Da  ward  dem  Mädchen  bange  . . .“ 

Umsonst  sucht  der  Verführer  die  verzweifelnde  Entehrte  zu 
trösten:  seinen  Reitknecht  soll  sie  heiraten,  dreihundert  Reichs- 
taler .will  er  ihr  dann  als  Brautge.schenk  geben  — sie  hört  nicht 
auf  ihn,  sondern  eilt  zu  ihrer  Herzmutter,  all  ihr  Leid  zu  klagen. 
Im  Kämmerlein  verschlossen,  bittet  sie  Gott  um  Hilfe  in  ihrem 
Elend  und  Jammer  . . . Damit  bricht  das  Lied  plötzlich  ab.  — 
Ist  cs  hier  der  kecke  adelige  Verführer,  der  das  Mädchen  ins  Un- 
glück stürzte,  so  zeigt  das  alte  „Schaniperlied“  von  der  „Schenk- 
dirne“ oder  dem  „Schwabentöchterlein“,  wie  Eitelkeit  und  Ver- 
gnügungslust eine  Bauerntochter  in  Sünde  und  Schande  geraten  lassen ; 
,Es  war  einmal  ein  Mädchen  stolz, 

Die  wollte  nicht  mehr  dienen, 

Sic  wollte  einen  Mantel  han, 

Die  Schuh’  mit  schmalen  Kiemen  . . .“ 

Es  duldet  die  Genus.slüsterne  nicht  mehr  auf  dem  Dorfe,  sie 
inu.ss  hinein  in  die  geheimnisvoll  mit  ihren  Freuden  lockende 
Gro.s.sstadt,  die  das  unerfahrene  Mädchen  anzieht,  wie  das  Lampen- 
licht die  Motte.  Aber  in  der  Stadt  hei.sst  es,  das  zum  Luxus 
nötige  Geld  sich  verdienen  — und  bald  sitzt  sie  beim  Kaufmann  in 
der  Hinterstube,  drei  dreistlüsterne  Gesellen  holen  sie  an  ihren 
Tisch,  setzen  ihr  mit  Zutrinken  und  Handgreiflichkeiten  zu  und 
würfeln  schliesslich  aus,  wem  sie  für  die  Nacht  gehören  soll  — 
das  alte  Ende  vom  Liede!  Das  Lied  bricht  hier  ab,  es  kennt 
nicht  den  in  anderen  Fassungen  angefügten  Schluss,  wie  der 
Bruder^sie  in  „der  engen  Gassen“  findet  und  durch  schnelle.  Ver- 
heiratung vor  völligem  Versinken  im  Morast  der  Gro.ssstadt  rettet. 
Ein  trauriges  Stück  auch  moderner  Sittenge.schichtc  im  Volksliede' 

Von  einer  verlas.senen  Verführten  singt  ein  anderes  Lied  im 
Tone  weichelegischer  Klage.  Es  ist,  wie  man  leicht  nachweLsen 


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kann,  fast  völlig  aus  anderen  Liedern  ziisammengestoppelt  — und 
trotzdem  macht  es  einen  einheitlichen  Eindruck,  ja  es  wirkt  mit 
seiner  still  entsagenden  Wehmut  ergreifend: 


,In  meines  Vaters  Harten 
Da  steht  ein  Lindenbaum. 
Darunter  muss  ich  warten 
Bis  mein  llerzliebster  kommt. 
Der  Himmel  ist  so  trübe, 

Scheint  weder  Mond  noch  Stern, 
Der  Jüngling,  den  ich  liebe. 

Der  ist  in  weiter  Fern’. 

Ich  sitz  in  meiner  Kammer. 
Beweine  meinen  Schmerz. 


Allein  cs  ist  geschehen, 

Der  Kummer  bricht  mein  Herz, 
Und  dass  im  Waid  so  dunkel  ist. 
Das  macht  das  grüne  Laub,  — 
Dass  du,  mein  Schatz,  mir  untreu  bist. 
Das  hätt'  ich  nie  geglaubt!  — — 
Ach,  hätten  meine  Augen 
Dich  Jüngling,  nie  gesehn, 

Da  könnt'  ich  froh  und  heiter 
Noch  bei  den  andern  stehn“. 


Beim  Kosen,  versteckt  im  dichten  Grün,  .schwur  er  ihr  cin.st 
Treue,  ehe  er  hinaiuszog  in  die  Perne  — nun  sitzt  sie,  während 
die  andern  Mädchen  am  Brunnen  stehen  und  scherzen,  in  düsterer 
Nacht  unter  dem  Lindenbaum  oder  in  einsamer  Kammer  und  hairt 
weinend  des  Treulosen  . . . Derbere  Tone  schlägt  ein  Oderschiffei'- 
lied  an,  dtus,  soweit  ich  sehe,  noch  nicht  gedruckt  ist.  Pis  entlehnt 
der  allbekannten  „Nonnenmäre“  den  Eingang: 

„Stand  ich  auf  hohem  Berge 
Fnd  sah  ins  tiefe  Tal. 

Sich,  da  kam  ein  junger  Schiffer 
(iesegeit  daher!“ 

Bald  hat  .sie  sich  dem  Burschen  ergeben,  der  ihr  lieber  ist, 
als  „andre  drei  und  vier“.  Mit  „gekräuseltem  Haare“  geht  sie 
mit  ihm  oft  zum  Tanze.  PT'eilich  bekommt  sie  dafür  „einen 
schlimmen  Lohn“,  den  der  Reim  auf  dieses  Wort  ausdrückt.  Sic 
verwünscht  nun  ihr  Leiien,  macht  ihrer  Mutter  Vorwürfe,  dass  sie 
sie  nicht  besser  beschützte,  nnd  wünscht,  sie  hätte  sich  früher  in 
die  Oder  gestürzt,  um  „als  unschuldiges  Blut“  zu  sterben.  — 

Plin  traurigeres  Plnde  nimmt  Liebe  und  Verführung  in  einer 
sogar  in  dojipelter  PVissung  vorliegenden  Ballade,  die,  wie  bereits 
Hotl'mann  von  Fallersleben  in  seinen  „Schlesischen  Volksliedern“ 
bericlitet,  besonders  in  der  Grafschaft  Glatz  weit  verbreitet  ist: 
„Es  ging  seil  ein  verliebtes  Paar 
Im  grünen  Wald  spazieren  . . .“ 

Der  kecke  Jäger  hat  im  Walde.sdunkeln  das  schöne  Mädclien 
verführt.  Bald  zeigen  sich  die  Folgen,  und  „damit  die  Schand' 
nicht  grö.sser  ward  und  alles  blieb'  verschwiegen“,  lockt  er  sic 
abennals  in  den  grünen  Wald,  ersticht  sie  und  stirbt  .selbst  auf 


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ihrer  Leiche.  Erst  nacli  mehreren  Jahren  führen  die  Vögel,  die 
„weit  und  breit  um  sie  geflogen  kamen“,  die  Auffindung  der 
Leiclien  herbei.  Die  andere  Fassung  aber  klingt,  wie  auch  eine 
Variante  des  Liedes  bei  Hotfmann,  legendenhaft  aus; 

,Sic  waren  noch  so  frisch  und  schön 
Ganz  unversehrt  geblieben  !•“ 

So  deutet  die  weiterdichtende  Volksphanta.sie  leise  an,  dass 
der  Himmel  ihnen  verziehen  hat,  und  webt,  wie  Goethe  in  den 
Wahlverwandtschaften  um  Ottiliens  Leiche,  um  ihr  Grab  sogar  den 
Schimmer  der  Heiligkeit.  Aus  dieser  Sympathie  des  Volkes  mit 
den  unglücklichen  Liebenden  möchte  man  fast  schliessen,  dass 
unsere  Ballade  eines  jener  Gedichte  ist,  wo  Hartherzigkeit  der 
Verwandten  und  Standesvorurteile  das  Paar  in  Schande  und 
schliesslich  in  den  Tod  treiben.  In  die.sen  Kreis  gehört  auch 
wahrscheinlich  „der  treue  Husar“.  Während  er  im  fernen  Lande 
ficht,  wird  sein  Lieb  daheim  schwer  krank,  „die  Krankheit  nahm 
kein  Ende  mehr“.  Sofort  verlässt  er  sein  Regiment  und  eilt  in 
die  Heimat,  aber  er  trilft  sie  bereits  sterbend  an,  „denn  sie  war 
kalt  und  nicht  mehr  warm“.  Aber  ans  dem  bitteren  Schmerz 
ratt't  er  sicli  auf,  ein  stolzes  Begräbnis  als  echte  Soldatenbraut 
soll  sie  wenigstens  haben: 

,\Vü  nchm  ich  nun  die  Träger  her? 

Zwölf  Bauern  sind  zu  ordinär! 

Ja,  zwölf  Husaren  mfissen's  sein, 

Die  tragen  mir  mein  Liebchen  fein“. 

Nach  dem  Begräbnis  aber  zieht  er  wieder  von  dannen,  und 
„sein  Trauern  nimmt  kein  Ende  mehr“.  Deutlich  erkennt  man, 
trotzdem  das  Lied  stark  zersungen  i.st,  noch  den  alten  Kern:  Die 
Tochter  des  reichen  Bauern  wird  zur  Geldheirat  gezwungen,  sie 
kann  aber  den  schmucken  Krieger  nicht  vergessen  und  siecht  im 
Gram  über  ihr  vernichtetes  Lebensglück  dahin. 

Eine  weitere  Gruppe  bilden  jene  liieder,  die  den  nach  langer 
Zeit  aus  der  Fremde  Heimkelirenden  die  Geliebte  als  Frau  eines 
anderen  wiederfinden  hissen.  Wehmütig  schmerzliche  Enttäuschung 
spi'icht  aus  dem  .stellenweise  stark  sentimentalen 
„Müde  kehrt  ein  W'andersmann  zurück 
Nach  der  Heimat  seiner  Jugend  Glück“. 

Freudig  eilt  er  zu  des  Liebchens  Haus,  doch  vorher  kauft  er 
für  sie  in  der  Gärtnerei  ein  Sträusslein.  Aber  die  Gärtnersfrau 


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bindet  ihm  die  Rosen  unter  bitteren  Tränen;  denn  sie  hat  in 
dein  Fremden  den  einst  Geliebten  erkannt,  der  ihr  auch  in  der 
Ferne  treu  blieb,  während  sie  ihn  verjjass.  Auch  er  erkennt  sie, 
aber  entsagend  zieht  er,  mit  dem  Strausse  als  letztem  Andenken, 
wieder  in  die  Welt  hinaus.  Grimmiger  äussert  sich  Enttäuschung 
und  Zorn  des  „eifersüchtigen  Knaben“  in  dem  allbekannten: 

,\V'a8  kann  uns  denn  schöner  erfreuen, 

Ala  wenn  der  Sommer  angcht, 

Da  blühen  die  Kosen  im  Maien. 

Soldaten  marschieren  ins  Feld“. 

Allzulange  hat  sich  der  Soldat,  sein  Versprechen  verge.ssend, 
in  der  Welt  lierumgetrieben;  jetzt  kehrt  er  heim  und  will  sein 
„feins  Mädel“,  wie  einst,  freudig  begrü.ssen,  doch  hart  tiint  ihm 
entgegen:  ^Ich  darf  dir  ja  nimmer  gefallen, 

Ich  habe  ja  schon  einen  Mann“. 

Da  überwältigt  den  Heissblütigen  die  Wut,  er  zieht  sein 
.scharfes  Messer  und  stösst  es  ihr  tief  ins  Herz. 

Bei  weitem  das  interes.santeste  Soldaten-  und  Liebeslied  in 
der  Sammlung  aber  ist  „der  Deserteur“,  interes.sant  schon  deshalb, 
weil  das  Lied  aus  Würzburg  stammt,  und  angeblich  an  einen 
wirklichen  Vorfall  aus  dem  Jahre  1818  in  dieser  Stadt  anknüpft, 
in  Schle.sien  aber,  eingewandert,  sich  an  das  in  Bre.slau  gar- 
ni.sonierende  Kürassierregiment  anpa.sste.  In  den  Sammlungen 
schlesischer  Volkslieder  ist  es  noch  nicht  verzeichnet.  Noch  melir 
Bedeutung  aber  gewinnt  die  Ballade  dadurch,  dass  ihre  Grundlage 
ein  Rechtsaltertum  bildet,  nämlich  die  Sitte,  da.ss  ein  Verurteilter 
vom  Tode  gerettet  werden  kann,  wenn  eine  Jungfer  erklärt,  ihn 
heiraten  zu  wollen.  So  bittet  hier  das  von  ihm  verführte  Mädchen 
den  Deserteur  im  letzten  Augenblicke  vom  Tode  los: 

Ks  wiir  einmal  ein  Kuufmannssohn 
Dem  König  von  l’reusscn  dient  er  schon. 

Er  bildte  sich  ein.  Er  würde  bald  sein  Offizier! 

Der  junge  Mann  mu.sste  brav  exerziern, 

Er  macht  sich  fertig  zum  De-sertiern 

Zum  .\bmarsebiern.  Zum  Desertiern  Bei  Nacht. 

l'nd  wie  er  nun  über  das  .Stadttor  kam. 

Begegnet  ihm  der  Herr  Schandarni. 

, Wohin.  Kamerad.  .-Ms  junger  Soldat  So  spat?“ 

„Ich  bin  sen  ein  Bresl.auer  Kürassier. 

Ich  liebe  ein  Mädchen  nicht  weit  hier  — 

Dorthin  steht  mein  Sinn,  Da  muss  ich  hin  Bei  der  Nacht!“ 


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108 


„Rist  du  deiiii  «in  Breslauer  Kürassier, 
äo  kebr  nun  wieder  zurück  mit  mir. 

Zurück  mit  mir  In  dein  tjuartier!  Arretiert!“ 
l'nd  wie  er  nun  wieder  ins  Regiment  kam. 

Fing  alles  zu  schreien,  zu  lachen  an: 

„AVuher,  Kamerad,  Als  juTiger  Soldat  So  früh!“ 

Der  Oberst,  das  war  ein  sehr  zorniger  Mann; 

„VV’as  fang’  ich  mit  diesem  Soldaten  an: 

Die  Haft  als  .Strafe  ist  zu  klein, 

Der  Mann,  der  muss  erschossen  sein!  Ohn’  (inad!“ 

Er  wurde  gebunden  in  Randen  und  Ketten, 
llinausgeführt  zu  seiner  (irabstätten. 

Entblösst  sich  die  Brust;  „Schiesst  zu  nur  mit  Dust!“ — „Halt  ein!“ 
Da  kam  sen  ein  Miidchen,  das  weinte  gar  sehr, 

Sic  bat  wohl  um  den  Deserteur: 

„Er  hat  mir  gcraubet  mein  Ehr  und  mein  .‘>tolz 
Dort  draussen  in  dem  Tannenholz  Bei  der  Nacht!“ 

„Hat  er  dir  gerauhet  dein  Ehr  und  dein  Stolz 
Dort  draussen  in  dem  Tannenholz. 

So  geh  ich  dir  mein  Ehrenwort  drein; 

Der  Mann  darf  nicht  erschossen  sein!“  l’ardon! 

Aus  dem  für  den  Soldateii.stand  befjcLstcrtcn  Kaufmanns-sohn 
in  Würzburg,  der  dem  Könige  von  Bayern  al.s  Reiter.sinann  dienen 
will  und  mit  , Stiefel  und  Sporn,  Karabiner,  Pistoln“  wohl  „ein- 
mimtiert“,  dem  Obersten  von  Wallemsteiu  vorge.stellt  wird,  i.st  ein 
Freiwilliger  beim  schlesischen  Küra.ssierregiment  geworden,  aber 
die  Erlebni.sse  sind  die.selben  geblieben.  So  ist  es  nicht  nur  das 
singbare  volkstümliche  Kunstlied,  das,  überall  eingebürgert,  allen 
deutschen  Stämmen  gemeinsam  ist,  .sondern  auch  die  namenlose 
Volksmäre  wandert  von  West  nach  Ost,  vom  Süden  nach  dem 
Norden,  wurzelt,  sich  anpassend,  schnell  im  neuen  Boden  ein  und 
wird  schlie-sslich  Gemeingut  aller  Stämme. 

ln  den  meisten  Liedern  tritt  als  Flickwörtclien  immer  wieder 
„sen“  auf. 

„Es  ging  sen  ein  verliebtes  Paar“  . . . 

„Ich  bin  scii  ein  preussischcr  Kürassier“  . . . 

Solche  Flickwörter  sind  als  Eigentümlichkeit  der  Volkslieder 
bereits  bekannt;  .so  erwähnt  Boehme:  „Volkstümliche  Lieder  usw.“ 
S.  197  gelegentlich,  da.ss  im  Westen  Deutschlands  „es“  als  Füll- 
wort beliebt  ist: 

„und  soll  ich  nicht  erlangen, 
was  mir  cs  liegt  im  Sinn“. 


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109 


In  Hoffmanns  scliU'sisrliPn  Volksliedcni  fand  ich  bisweilen 
„sich“  in  dieser  Art  verwendet: 

,wo  wird  sieb  dein  Vater,  der  Maurer,  sein“.  (Xo.  130,  4 d.  u.  a.). 

Ein  Kenner  der  Grafschaft  Glatz  teilte  mir  mit,  dass  dort 
„se“  oder  „sen“  für  die  Volkslieder  typisch  ist;  z.  B.  sin"t  ein 
Maurer  und  Poet  dazu  in  Gebersdorf: 

„X'u  schau  sc,  mei  Madel. 

X'u  schau  se  mal  recht. 

Bin  ich  nicht  ein  schöner  Bauernknecht“. 

Wie  mir  Profe.ssor  Siebs  mitteilt,  ist  in  schwäbischen  Landen 
(und  auch  in  fränki.schen  Gegenden)  allgemein  üblich,  ein  ’s  ein- 
ziifiigen  (vgl.  .Mitt.  XI  16,  XX  108);  be.soiulers  bei  Soldatenliedern 
ist  es  auffällig,  z.  B.  singt  man : 

„t’nd  mach's  mir  einen  Specksalat 
Für  mich  und  meinen  Schatz!“ 
oder:  ..Siegreich  woll'n  wir’s  Frankreich  schl.agen, 
sterben  als  ein  Held‘‘. 

Eine  nähere  rntersiicliung  über  Ursprung,  Poim  und  Verbrei- 
tung dieser  Flickwörter  wäre  wünschenswert.  — 

Nachweis  der  bisher  gedruckten  Texte  der  Lieder  in  Erck 
und  Boehmes  Liederhort  und  in  Hoffmann  von  Fallersleben  und 
Ern.st  Ricliters  „Schlesi.schen  Volksliedern“. 

Ritter  und  .Magd.  E.  u.  B.  I S.  695  Nr.  110  ff.  Hoffmann 
S.  9 Nr.  4. 

Die  Schenkdirne.  E.  u.  B.  I S.  425,  Nr.  119.  Hoffmann 
S.  116,  Nr.  92. 

Die  Verlassene.  Zusammengesungen,  in  die.ser  Passung 
noch  nicht  aufgezeichnet.  Zur  letzten  Strophe  vgl.  E.  u.  B.  II 
S.  512  Nr.  709  h. 

Oderschifferlied.  Noch  nicht  aufgezeichnet.  Zur  Ein- 
leitungs.strophe  vgl.  E.  u.  B.  1 89  a,  Hoffmann  Nr.  127  f.;  die  letzte 
Strophe  ist  gleich  E.  u.  B.  II  S.  516  Nr.  714,  womit  zu  vergleichen 
Nr.  714  c Str.  7.  — 

Meuchelmord  der  Geliebten.  E.  u.  B.  I,  S.  180  Nr.  52. 
Hoffmann  Nr.  68. 

Der  treue  Husar.  E.  u.  B.  I S.  629  Nr.  96.  Hoffmann 
S.  281  Nr.  269  (zu  Str.  6 vgl.  S.  187  „der  verwundete  Knabe“). 

Die  Gärtnerfrau.  E.  u.  B.  II  S.  4(>9  Nr.  672;  fehlt  bei 
Hoffmann. 


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110 


Der  eifersüchtige  Knabe.  E.  u.  B.  I 16.3  Nr.  48;  Hoff- 
mami  S.  264  Nr.  229;  vgl.  auch  Wunderhorn  (a.  X.  1808)  II  S.  17. 
Der  Deserteur.  E.  u.  B.  III  Nr.  1398;  fehlt  bei  Hotfmaim. 


Ostergicssen  auf  Schloss  Lubowitz  1804. 

Von  ür.  K.  Olbrich. 

Eine  prächtige  Schilderung,  wie  das  „Ostergicssen“  auf  einem 
schlesischen  Herrensitz  vor  100  .Tahren  von  Jung  und  Alt,  Hoch 
und  Niedrig  lustig,  inutwillig  und  mit  Nachdruck  geübt  wurde, 
finden  wir  in  Eichendorfl's  Tagebuchaufzeichnungen,  die  in  der 
Au.sgabe  von  Kosch  und  Sauer  vor  kurzem  als  elfter  Band  er- 
.schienen.  Da  heisst  es:  2.  April  1804  „weckte  uns  der  H.  Brauer 
schon  frühzeitig  mit  zwei  gefüllten  Gie.sskannen  in  der  Hand,  in 
dessen  Gesellschaft  wir  dann,  nachdem  der  H.  Pfarrer  Wodartz 
auf  die  Madlene  den  Anfang  gemacht  hatte,  dass  sämtliche 
Schlossfraucnzimmer  mit  mehreren  Zubern  Wasser  schwemmten 
und  dann  noch  bei  der  Frau  Heisigin  u.  Nannettel  eine  wahre 
Lubowitzer  Wasserhochzeit  anrichteten.  Von  hier  begaben  wir 
uns  nun  nebst  H.  Kai)lan,  Heisig,  Organist,  Breyer  u.  Schopp,  gar 
wohl  mit  Krügen  und  Kannen  etc.  versehen,  allesamt  nach  Ganjo- 
witz,  indem  wir  uns  durch  .sechs  Mann  die  gro.sse  Feuersprütze 
der  Lubowitzer  Gemeinde  fcyerlichst  vortragen  lie.ssen.  Als  wir 
nun  auch  hier  die  Piicliterin  beyin  Kaffee  gebadet  hatten,  langte 
endlich  die  Bande,  nach  einigen  nicht  minder  wütigen  Neben- 
scharmützeln, besänftigt  in  Lubowitz  an.  Am  nächsten  Tage 
kommt  die  „Revanche“  3.  A[)ril;  „.  . . . von  wo  wir  uns  alsbald 
darauf  nach  Hause  begaben,  wo  ich  aber  noch  früh  von  dem  sich 
revanchirenden  Heere,  nachdem  ich  dasselbe  durch  Echapiren 
genug  buxirt  hatte,  im  Garten  durch  und  durch  gegossen  wurde. 
Bald  darauf  die  grosse,  für  den  Kaplan  und  Schopp  zu  gut  ge- 
meinte I‘ber.schwemmung  der  Caplanei  ....  Nachmittags  eine 
neue  Giesserei  zwischen  uns,  Schimonsky,  Adametz,  den  Brzeznitzer 
bTeylen,  Pächterin  und  Mama  im  Garten“.  Am  4.  April  findet 
noch  eine  grosse  Wa.sscrschlacht  statt:  . . . „Nachmittags  die 
Giesserey  zwischen  männlichem  und  weiblichem  Geschlechte  und 
dann  zwischen  Wodartz  und  Kroker  und  zuletzt  zwischen  Kroker 
und  Schopp,  von  der  man  mit  Recht  .sagen  kann:  finis  coronat 


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111 


opus,  da  sich  sogar  Blut  in  die  Wasserfluten  mischte“.  (Vgl.  M.  II 
11,  IV  22,  Xin  40,  Drechsler  II  1 S.  100  f.)  Auch  „das  Ruthen- 
schmagostern  mit  den  Frewlein“  erwähnt  Eichendorff  (6.  4.  1807).  , 


Mitteilungen. 

Die  erste  Sitzung  des  .lahrcs  1909  fand  am  Freitag,  den  \h.  Januar  im 
Auditorium  der  Universität  statt.  Der  Vorsitzende  gab  zunächst  eine  (Übersicht 
Uber  die  Arbeiten  und  die  Entwicklung  der  tiesellschaft  während  des  Jahres 
1908.  — Hofkunsthändler  Bruno  Richter  erstattete  als  Schatzmeister  den 
Kassenbericht.  Die  Uesamteinnahmen  des  Jahres  1908  beliefen  sich  auf 
2987.88  Mark,  die  Ausgaben  auf  4421.86  Mark,  so  dass  sich  ein  Fehlbetrag  von 
14HH,98  Mark  ergibt.  Die  tiesellschaft  bcsass  an  Effekten  am  1.  Januar  1909 
45UÜ  Mark,  die  in  der  städtischen  Bank  niedergelegt  sind.  Auf  Antrag  der 
Rechnungsprüfer  Professor  Dr.  K.  Appel  und  Professor  Dr.  0.  Hoffmann 
ward  dem  Schatzmeister  Entlastung  erteilt  und  der  Dank  der  Gesellschaft  für 
seine  Mühewaltung  ausgesprochen.  Indessen  ward  in  .\nbetraclit  der  sehr  un- 
günstigen Finanzlage  des  Vereins,  die  sich  vor  allem  durch  die  im  Verhältnis 
zu  den  Einnahmen  sehr  reichen  Ausgaben  für  Veröffentlichungen  erklärt,  die 
Notwendigkeit  betont,  neue  Hilfsquellen  zu  erschliessen;  wir  können  unsere  ver- 
ehrten Mitglieder  im  Interesse  eines  guten  Fortganges  unserer  Arbeiten  nur 
dringend  bitten,  bei  geeigneter  Gelegenheit  ernstlich  und  tatkräftig  für 
materielle  Unterstützung  unserer  Bestrebungen  zu  wirken. 

Der  bisherige  Vorstand  der  Gesellschaft  wurde  sodann  auf  Vorschlag 
wiedergcwählt,  nämlich  die  Herren  Professor  Dr.  Siebs  (Vorsitzender),  Geh. 
Regicrungsrat  Dr.  N eh  ring  (Stellvertreter),  .Stadtbibliothekar  Dr.  Hippe  (Schrift- 
führer), Museumsdirektor  Privatdozent  Professor  Dr.  Seger  (Stellvertreter), 
Hofkunsthändler  Bruno  Richter  (Schatzmeister),  Verlagsbnchhändler  Max 
Woywod  (.Stellvertreter),  Profcs.sor  Dr.  Körber,  Kgl.  Gymnasialdirektor  Pru- 
fesser  Dr.  Feit,  Universitätsprofessor  Dr,  Skutsch,  Oberlehrer  Dr.  Olbrich, 
Universitätsprofessor  Geh.  Regierungsrat  Professor  Dr,  Hillebrandt,  Schrift- 
steller Hugo  Kretschmer,  Oberlehrer  Professor  Dr.  KUhnau,  Oberlehrer 
Dr,  Klapper,  — Hierauf  hielt  Universitätsprofessor  Dr.  Otto  Hoffmann  einen 
Vortrag  „über  den  geschichtlichen  Hintergrund  der  Volkssage“. 
Nachdem  der  Redner  die  Wichtigkeit  der  Erforschung  des  historischen  Kerns 
hervorgehoben  und  von  der  unbeeinflussten  volksmässigen  Tradition  geschicht- 
lichen Stoffes  die  absichtlich  von  bestimmten  Kreisen  zu  praktischen  Zwecken, 
zur  Stärkung  der  Macht  oder  Festigung  religiösen  Kultes  gepflegte  Überlieferung 
geschieden  hatte,  ging  er  auf  die  Bedeutung  der  Heldensage  und  der  Lokal- 
chronik  ein.  Er  hob  die  Bedeutung  der  Sprachwissenschaft  und  Archäologie 
hervor,  die  mancher  bestrittenen  Überlieferung  wieder  zu  ihrem  Rechte  ver- 
holten hätte,  und  suchte  das  an  mehreren  Beispielen  zn  zeigen.  Die  sagenhafte 
Überlieferung  von  den  Pelasgern  als  Ureinwohnern  Griechenlands,  die  durch  die 
alten  Historiker  initgetcilt  werde,  sei  durch  Sprach-  und  Namenforschung  er- 
härtet worden;  ebenso  sei  durch  die  Vergleichung  der  griechischen  Dialekte  von 


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112 


Hellas  und  Kleinasien  die  angezweifelte  ionische  und  dorische  Wanderung  wahr- 
scheinlich gemacht;  auch  würden  die  ältesten  Xachrichten  der  («otcn  Uber  ihre 
Wohnsitze  in  Skandinavien  durch  vergleichende  Xamenforschung  und  prähistorische 
Funde  bestätigt.  Die  persischen  Kilnigslisten  des  Ilerodot  seien  durch  Inschriften- 
funde als  richtig  erwiesen  worden,  und  es  sei  auch  für  die  römischen  Königs- 
sagen und  die  griechischen  Königslisten  wohl  nicht  die  Ablehnung  gerechtfertigt, 
wie  sic  ihnen  von  der  (ieschichte  vielfach  zuteil  werde.  So  betonte  der  Vor- 
tragende, dass  es  wünschenswert  sei,  wenn  Sprachwissenschaft  und  Archäologie 
von  der  Ueschichtswissenschaft  mehr  berücksichtigt  würden,  als  es  jetzt  ge- 
wöhnlich der  Fall  sei.  Dem  Vorträge  schloss  sich  eine  lebhafte  Diskussion  an, 
an  der  sich  namentlich  die  rniversitätsprofessoren  itr.Wendland,  Dr.  W.  Stern 
und  Dr.  Siebs  beteiligten.  — Am  12.  Februar  hielt  rnivcrsitätsprnfessor 
Dr.  Wendland  einen  Vortrag  über  antike  Xovellistik;  ein  Bericht  darüber 
kann  erst  im  nächsten  Hefte  gegeben  werden. 

Am  Mittwoch  den  20.  Januar  starb  nach  längerer  Krankheit  unser 
allverehrtcr  stellvertretender  Vorsitzender  (ieheimer  Regicrungsrat  Professor 
Dr.  Wladislaw  Nehring  im  79.  Lebensjahre.  Wir  haben  in  ihm  einen  be- 
deutenden Vertreter  der  slavischcn  Philologie,  einen  Förderer  der  Voikskunde. 
einem  hervorragenden  Mitarbeiter  und  einen  stets  bereiten  Helfer  und  Freund 
verloren.  Jeder  P.and  unserer  , Mitteilungen“  bekundet  seine  eifrige  Teilnahme 
an  unseren  Bestrebungen.  Als  Nehring  am  12.  Juli  1900  sein  fünfzigjähriges 
Doktorjubilänm  feierte,  haben  wir  seine  Verdienste  in  einem  besonderen  Glück- 
wunschschreiben gewürdigt  und  sein  Bild  gegeben  (Heft  XV  S.  1 ff.). 

Als  neue  Mitglieder  sind  unserer  Gesellschaft  beigetrelen:  I.  aus 
Breslau  die  Herren  l’niversitätsprofessor  Dr.  Baumgartner,  Professor  Dr. 
Bentzingcr,  Universitätsprofessor  Dr.  Berneker,  Schulrat  und  Kgl.  Kreis- 
schnlinspektor  Brückner,  Oberlehrer  Lucius,  UniversitUtsprofessor  Dr.  Preuss, 
Universisätsprofessor  Dr.  Schräder,  stud.  phil,  .Selkc,  Oberlehrer  Steins, 
Universitätsprofessor  Dr.  Supan,  stud.  med.  Tichy,  Universitätsprofessor  Geh. 
Regicrungsrat  Dr.  Wolf,  stud.  theol.  cath.  Wlodarczyk,  Privatdozent  Dr. 
Ziegler;  Frau  Degenkolb,  Fräulein  Fillie.  II.  von  auswärts  die  Herren 
Pfarrvikar  .\rndt  in  Kauscha  Bez.  Liegnitz.  .Amtsrichter  Franz  in  Cosel  OS,, 
Vikar  Habcrnoll  in  Bunzlau,  Superintendent  Knobel  in  Obcrbiclau  b.  Roth- 
wasser;  die  Kgl.  öffentliche  Bibliothek  in  Dresden,  der  Kunst-  und 
Altertumsverein  in  Xeisse. 

Mit  dem  vorliegenden  einnndzwanzigsten  Hefte  unserer  Mitteilungen,  mit 
dem  der  XL  Band  beginnt,  wird  die  Zählung  nach  Heften  abgeschafft  und  nur 
diejenige  nach  Banden  beibehaltcn;  cs  beginnt  somit  nicht  mit  jedem  Hefte, 
sondern  nur  mit  jedem  Bande  eine  neue  Paginierung.  In  dem  Krscheinen  der 
Hefte,  die  als  erstes  und  zweites  Heft  des  Bandes  bezeichnet  werden,  tritt  keine 
Änderung  ein. 

Die  dritte  Tagung  des  Verbandes  deutscher  Vereine  für  Volks- 
kunde findet  am  2(1.  und  27,  .September  1909  in  Graz  statt  (vgl.  das 
Korrcspondenzblatt  Nr.  9). 

.Schluss  der  Redaktion:  12.  Juli  1909. 

Bucbdrackerel  Mareizko  d Martin,  Trebnitz  1.  Scbl. 


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Moiidfinstornisso  im  Volksgluubeii  der  antiken 
lind  modernen  Babylonier. 

Von  Dr.  Hruno  Meissner. 

Die  alten  Raby Ionier  hatten  eine  feste,  abgerundete  Welt- 
ansclianung.  Sie  haben  über  viele  Fragen,  die  wir  heutzutage 
zur  (ieologie,  der  physikalischen  Geograjihie,  der  Astronomie  etc. 
zählen,  nicht  nur  nachgedacht,  sondern  auch  auf  alle  Fragen  eine 
Antwort  erteilt.  Nur  können  ihre  Erklärungen  natürlich  vor  dem 
Forum  der  modei  nen  \Vis.senscliaft  fast  niemals  standhalten.  Aber 
das  ist  ja  das  Schick.sal  so  vieler  Theorien,  dass  sie  von  Zeit  zu 
Zeit  von  andern,  be.s.seren  abgelöst  werden!  Bemerkenswert  bleibt 
es  immerhin  zu  sehen,  mit  welcher  Kühnheit  sich  hier  ein  primi- 
tives Volk  an  die  Erklärung  der  schwierigsten  Probleme  heran- 
wagt und  sie  restlos  löst. 

Schon  Diodor  von  Sizilien  erzählt  uns“),  dass  die  Babylonier 
.sich  die  Erde  als  einen  umgekelirten,  unten  ausgehöhlten  Kahn 
vorstellten.  Natürlich  darf  man  sich  die.sen  Kahn  nicht  länglich 
vorstellen,  sondern  er  war  der  bis  auf  den  heutigen  Tag  auf 
dem  Euphrat  und  Tigris  so  gebräuchlichen  Guffe  ähnlich,  die 
ungefähr  wie  ein  runder  Trog  oder  wie  ein  übermässig  grosser 
Salznapf  aussieht.  Der  Weltkahn,  oder  wie  ihn  die  Babylonier 
nennen,  der  „Weltberg“  ist  von  allen  Seiten  vom  Ozean  umgeben. 
Aber  auch  unter  dem  Welttrog  dehnt  sich  die  Wa.ssertiefe  aus. 
Diese  Annahme  ist  notig  zur  Erklärung  des  Orundwassers;  denn 
den  Umstand,  da.ss  man  bei  tieferem  Graben  in  die  Erde  auch 
auf  Wasser  stiess,  konnte  man  sich  nur  durch  die  Hypothese  eines 
unterirdischen  Ozeans  plausibel  machen.  Am  Ende  des  Ozeans,  im 
äussersten  Osten  und  Westen,  stehen  zwei  Berge,  die  dazu  dienen, 
das  Himmelsgewölbe,  das  über  der  Erde  wie  eine  gros.se,  halb- 
kugelförmige  Glocke  sich  wölbt,  zu  tragen.  Jenseits  des  Gewölbes 
fliesst  wieder  der  Ozean,  und  zwar  der  himmlische;  denn  wenn 
es  auf  der  Erde  regnet,  so  ist  das  nichts  anderes  als  Wasser  des 
himmlischen  Ozeans,  das  durch  die  Spalten  des  Himmelsgewölbes 

■)  II  3t,  7. 

UtUeUongen  d.  sclttea.  Uos.  t.  Vkde.  Hund  XI  8 {lieft  X.XI1J.  3 


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114 


liindnrchläuft.  Als  Matprial  für  Hinimrl  und  Erde  diente  dem 
Scliöpfergotte  Marduk  der  Jjcib  des  Urungelieuei-s  Tiiunat,  der 
Repräsentantin  des  Chaos.  Nach  fürchterlicliem  Kampfe  gelang 
es  ihm,  seine  Feindin  zu  töten  und  zu  zerspalten.  Aus  der  einen 
Hälfte  der  Tiämat  machte  er  die  Erde  *), 

die  andre  Hälfte  nahm  er,  machte  sie  zum  Himmelsdach, 
er  zog  eine  Schranke  davor,  stellte  Wächter  auf, 
ihre  Wasser  nicht  hinauszulassen,  befahl  er  ihnen®). 

Ähnliche  Anschauungen  von  der  Erschatfung  der  Welt  wie 
die  hier  vertretenen  muss  übrigens  auch  der  Verfasser  der  bibli- 
schen Schöpfung-sgcschichte  gehabt  liaben;  denn  auch  Gen.  1,  6 f. 
macht  Gott  eine  Feste,  d.  h.  das  Himmelsgewölbe,  wodurch  die 
W'asser  über  und  unter  der  Feste  ge.schiedcn  werden,  und  wenn 
bei  der  Sintflut  (Gen.  7,  11)  einerseits  die  Brunnen  der  gros.sen 
Tiefe  aufbrechen,  andrerseits  die  Fenster  des  Himmels  aufgetan 
werden  und  ein  Regen  kommt,  so  haben  wir  hier  auch  ganz  deut- 
lich die  Vorstellung  eines  unterirdischen  und  eines  himmlischen 
Ozeans.  .Ja  selbst  die  Erinnerung  an  Kämpfe,  die  Jahve  vor  der 
ErschafTung  der  Welt  mit  Ungeheuern  (Raliab,  I.,eviathan,  Tehom) 
zu  bestehen  hatte,  hat  sich  noch  in  der  poetischen  Literatur  des 
alten  Testaments  erhalten®),  wenn  auch  der  sittlicli  hochstehende 
Verfasser  des  ersten  Kapitels  der  Genesis  diese  Fabeln  der  Vor- 
zeit aus  seinem  Bericht  eliminiert  hat‘). 

Uocli  kehren  wir  nach  Babylonien  zurück ! An  dem  Himmels- 
gewölbe befinden  sich  die  Sterne;  die  Fixsterne  sind  an  ihm  be- 
festigt, die  Planeten  fahren  auf  ihm  hin  und  her.  Eine  besondere 
Stelle  unter  ihnen  nimmt  der  Mondgott  Sin  ein.  Er  ist  es  nicht 
nur,  der,  entsprecliend  der  orientalischen  Sitte,  den  Tag  am  Abend 
beginnen  zu  lassen,  die  Tage  bestimmt,  und  darum  auch  Vater 
des  Sonnengottes  Schama.sch,  sondern  er  teilt  auch  den  Mond- 
monat ab®): 

Den  Mondgott  lie.ss  er®)  aufstrahlen,  die  Nacht  unterstellte  er  ihm. 

*)  V'gl.  King,  The  seven  tablets  of  creation  1\'  1.S8  ff. 

•)  Vgl.  zu  diesen  Ausführungen  besunders  .lensen,  Die  Kosmologie  der 
Babylonier. 

•)  Vgl.  z.  B.  Ps  74,  12  ff.;  89,  10  ff.;  Jes.  .51,  9 ff.;  Hiob  9,  i:l;  26,  12  etc. 

*)  Für  alles  Nähere  verweise  ich  auf  (iunhel,  Schöpfung  und  Chaos  in 
Urzeit  und  Kndzeit. 

*)  Vgl.  King  a,  a.  U.  V 12  ff. 

*)  Der  Schöpfergott  Marduk. 


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Er  bestimmte  ihn  als  Geschöpf  der  Naclit,  die  Tage  zu  bestimmen, 

machte  ihn  allmonatlich  ohne  Unterlass  in  der  Tiara erhaben: 

Am  Anfänge  des  Monats  leuchte  auf  im  Lande, 

mit  Hörnern  *)  sollst  du  strahlen,  um  sechs  Tage  zu  bestimmen. 

Am  siebenten  Tage  [mache]  eine  halbe  Tiara, 

am  vierzehnten  [Tage]  sollst  du  gleich  sein  [an  beiden]  Hälften. 

ln  seiner  segensreichen  Tätigkeit  wird  aber  der  Mondgott  zu- 
weilen gestört  durch  unheilvolle  Kräfte,  die  ihn  zu  verdunkeln 
trachten,  mit  andern  Worten  durch  Eintritt  einer  Mondfinsternis. 
Mondfinsternisse  gelten  bei  allen  primitiven  Völkern  als  sehr  un- 
heilvoll*); sie  bringen  den  Menschen,  besonders  aber  auch  dem 
Könige,  schweres  Unglück.  Um  dem  Unglück  zu  entgehen,  gab 
es  für  die  Babylonier  zwei  Mittel:  Gebet  und  Zauberei  nebst 
Beschwörung.  Die  gewöhnliche  Form  de.s  Bittgebete.s,  Schädigung 
durch  Mondfinsternis  abzuwendeu,  war  folgende*):  Ich,  N.  N.,  der 
Sohn  des  N.  N.,  dessen  Schutzgott  N.  N.,  dessen  Schutzgöttin  N.  N. 
ist,  vor  dem  Unglück  der  Mondfinsternis,  die  am  Tage  N.  N.  des 
Monats  N.  N,  stattfand,  den  bösen  Mächten,  den  bösen,  nicht  guten 
Vorzeichen,  welche  in  meinem  Palaste  und  meinem  Lande*)  sich 
ereigneten,  ging  ich  Dich  (o  Göttin)  an  und  suchte  Dich  auf;  o 
höre  mein  Flehen. 

An  einer  andern  Stelle  wird  uns  aber  auch  ein  Zauberritual 
mitgeteilt,  das  dazu  dienen  soll,  das  durch  eine  Mondfinsternis 
heraufbeschworene  Unheil  zu  vertreiben  vom  „Könige,  dem  Sohne 
seines  Gottes,  der  wie  der  neu  aufglänzende  Mondgott  die  Seele 
des  Landes  hält“.  Dieser  Beschwörung  geht  ein  erzählender  Text 
voraus,  der  die  Erklärung  der  Mondfinsternis  geben  soll.  Wir 
ersehen  aus  ihm,  dass  die  Bedränger  und  Verfinsterer  des  Sin 
sieben  böse  Dämonen*),  Boten  des  den  Menschen  häufig  feindlich 
gesinnten  Himraelsgottes  Anu,  sind®): 

’)  Die  Sichel  des  Mondes  wurde  als  Hörner  resp.  als  Hörnerkrone  angesehen. 

’)  Vgl.  Lasch,  Finsternisse  in  der  Mythologie  und  im  religiösen  Gebrauch 
der  Völker,  im  Arch.  f.  Keligionswissensch.  III  97  ff. 

*)  z.  B.  King,  Babylonian  magic  and  sorccry  no.  1,38 ff. 

*)  Hier  betet  natürlich  ein  König. 

*)  Die  Vorstellung  von  sieben  bösen  Geistern,  ,die  Himmel  und  Erde 
umkehren“,  findet  sich  teilweise  im  alten  und  neuen  Testament  wieder,  besonders 
lebhaft  aber  in  hebräischen  und  mandäischen  Zauberschalcn ; vgl.  Zimmern, 
Keilinschriften  und  das  AT.,  3.  Anfl..  461  ff. 

*)  Der  Text  ist  publiziert  Guneiform  texts  from  babylonian  tablets  Vol. 

8‘ 


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116 


Niederstossende  Stürme,  böse  Götter  sind  sie. 

Schonungslose  Dämonen,  die  auf  dem  Himmelsdamm*)  geboren  sind, 
sind  sie. 

Sie  — Unheilstifter  sind  sie. 

Biisewicfiter,  die  täglich  Böses  [zu  ergreifen],  Mord  zu  begehen 
[planen,  sind  sie]. 

Unter  ihrer  Siebenzahl  ist  [der  erste]  ein  Südwind  . . . 

Der  zweite  ist  ein  Drachen,  de.ssen  geöffnetem  Hachen  niemand 
[entrinnen  kann]. 

Der  dritte  ist  ein  zorniger  Panter,  der  die  Kinder  (?)  raulit. 

Der  vierte  ist  eine  furchtbare  Schlange  . . . 

Der  fünfte  ist  ein  grimmiges  wildes  Tier,  das  man  nicht  von 
seinem  Rücken  zurückhalten  [kann]. 

Der  sechste  ist  ein  .sich  erhebender  . . .,  der  vor  Gott  und  König 
[sich  nicht  fürchtet]. 

Der  siebente  ist  ein  Sturm,  ein  böser  Wind,  der  [keinen]  Pardon  [gibt]. 

Sieben  sind  sie,  Boten  des  (Himmelsgotte.s)  ,\nu  sind  sie. 

Von  Stadt  zu  Stadt  Finsternis  machend,  sind  sie. 

Ein  Orkan,  der  im  Himmel  wütend  uinherjagt,  sind  sie. 

Dickes  Gewölk,  das  im  Himmel  Dunkelheit  macht,  sind  sie. 

Sturm  sich  erhebender  Winde,  welche  am  hellen  Tage  Finsternis 
machen,  sind  sie. 

Mit  der  Windsl)raut,  dem  bösen  Winde,  sich  uinhertreibend  sind  sie. 

f'berschweinmung  des  (Gewittergottes)  Adad,  starke  Zerstörungen 
sind  sie. 

Zur  Rechten  Adads  gehend  sind  [sie]. 

Am  Horizont  des  Hinnnels  wie  Blitze  [leuchtend  sind  sie]. 

Mord  zu  begehen  vorwärts  gehend  [sind  sie]. 

In  den  weiten  Himmeln,  der  Wohnung  des  Götterkönigs  .Anu  stellen 
sie  sich  böse  auf,  ohne  einen  Gegner  zu  finden. 


•Als  ihre  Siebenzahl,  die  bö.sen  Götter,  auf  dem  Himmelsdamm  sich 
unihertrieben,  kreisten  sie  deiiErleuchterSin  grimmig  ein. 
Den  mannbaren  Schemasch  und  den  tapferen  Adad  brachten  sie 
auf  ihre  Seite. 

XVI  19  ff.  Für  die  I berseUung  s.  Thoinpsoii,  The  devils  and  evil  spirits  of 
Babylonia  I 88  ff. 

')  rnter  dem  Hinimelsdainm  ist  das  früher  erwähnte  Himmelsgewölhe  zu 
verstehen. 


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117 


Die  Göttin  Ischtar  sclilug  beim  Götterkönig  ;^nn  eine  glänzende 
Wolinung  auf,  da  sie  selbst  nach  der  HeiTSchaft  über 
die  Himmel  trachtete. 


[Wegen  der  Verjfinsterung  der  Sin  [fürchtete]  sich  der  Menschen- 
spross, [befiel  Fii]i'cht  das  Land. 

[Die  Menschjheit  wurde  verwirrt  und  ward  kummervoll. 

[Sin],  an  Licht  verfinstert,  konnte  sich  in  seiner  Herrscherwohnung 
nicht  hinsetzen. 

Sins  Bediiingnis  erschaut  nun  endlich  Ellil,  der  Gott  der 
Erde,  und  erinnert  sich,  da.ss  Siti  (Mond),  Schamasch  (Sonne)  und 
die  Ischtar  (Venusstern)  eigentlich  doch  eingesetzt  seien,  um  das 
Himmelsgewölbe  in  Ordnung  zn  halten.  Darum  sendet  er  seinen 
Boten  Xusku  an  den  Gott  der  Wassertiefe  Ea,  der  mit  seiner 
Weisheit  überall  aushilft,  um  ihn  zu  einer  Hilfsaktion  für  den 
armen  Mondgott  zu  bestimmen.  Ea  .sendet  schliesslich  seinen  Sohn 
Marduk  aus,  der  durch  einen  Zauberspruch  und  Zauberritual  der 
Verfinstening  des  Sin  ein  Ende  macht.  So  wie  nun,  so  können 
wir  schlie.s.sen,  durch  diese  Zaubermittel  der  Mondgott  von  seinen 
Bedrängern  befreit  wird,  kann  der  Mensch  durch  dieselben  Mittel 
den  bösen  Folgen  der  Mondfinsternis  entgehen. 

Es  ist  nun  interessant  zu  sehen,  da.ss  die  Vorstellung,  eine 
Mondfinsternis  eiibstehe  durch  Bedrängung  des  Mondes  von  seiten 
bö.ser  Geister,  sich  im  Iraq  bis  auf  den  heutigen  Tag  erhalten 
hat.  Der  berühmte  englische  Ausgräber  Layard,  der  Wieder- 
entdecker Ninives,  erzählt  nämlich  in  seinem  Werke  Niniveh  und 
Babylon  *)  gelegentlich  seines  Besuches  der  Afet.sch-Araber  bei 
den  Ruinen  von  Nippur  folgendes;  „Ich  erwarb  mir  nach  dem 
Beispiel  anderer  Rei.sender  vor  mir  einiges  Ansehen  durch  den 
Schein  übermenschlichen  Wissens,  indem  ich  mit  Hilfe  eines  Ka- 
lenders eine  paiticlle  Mondfinsternis  voraussagte.  Dieselbe  trat 
dann  zum  grossen  Missfallen  meiner  Gäste  wirklich  ein,  die  sich 
abmühten,  durch  das  Herausschlagen  der  Boden  aller  meiner 
Küchentöpfe  die  Dschins  hinwegzuscheuchen,  die  den  Planeten 
ergriffen  hatten“.  Erklärend  fügt  er  hinzu:  „Der  allgemeine 

Glaube  unter  den  unwis.senden  Mohammedanern  lä.sst  eine  Sonnen- 
oder Mondfinsternis  dadurch  entstehen,  dass  ein  böser  Geist  den 

')  S.  422  der  deutschen  Ausgabe. 


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118 


Himmelskörper  gefasst  hat.  Bei  solchen  Gelegenheiten  versammelt 
sich  in  den  Städten  des  Morgenlandes  die  ganze  Bevölkerung  mit 
Töpfen,  Pfannen  und  anderen  einen  Klang  gebenden  Gegenständen 
und  macht  damit,  sowie  mit  ihren  Lungen  einen  solchen  teuflischen 
Lärm,  der  wohl  eine  ganze  Annee  böser  Geister  verscheuchen 
könnte,  wenn  sie  auch  wirklich  in  solcher  Entfernung  wären“. 

Diese  Angaben  Layards  habe  ich  bei  meinem  Aufenthalte 
auf  den  Ruinen  Babylons  (1899 — 1900)  vollkommen  bestätigt  ge- 
funden, nur  dass  man  hier  nicht  mehrere  Dschinnen  als  Übeltäter, 
sondern  nur  einen  Bedränger  annimmt,  nämlich  eine  Art  weib- 
lichen Walfisches  namens  Hüte.  Vielleicht  hat  sich  in  dieser  Figur 
eine  Reminiszenz  an  die  alte  Chaosgöttin  Tiamat  erhalten,  die  die 
Lichtgottheiten  bekämpft.  Wenn  die  Mondfinsternis  eintritt,  glaubt 
man,  die  Hüte  wolle  den  guten  Mond  verschlingen.  Darum  ver- 
sammelt sich  Alt  und  Jung,  trommelt  mit  den  Fäusten  auf  den 
kupfernen  Gefässen  und  schreit  aus  vollem  Halse,  um  der  Hüte 
Schrecken  einzuflössen,  damit  sie  von  ihrem  Vorhaben  ablasse. 
Dabei  singt  man  unaufhörlich: 

iä  Hüte  elballä ‘ahiddi  gumärnä  bissä'a 
d.i.:  0 Hüte,  du  Verschlingerin,  lass  unsern  Mond  sofort  wieder  los. 

Dieser  Gebrauch  ist  also  im  ganzen  Iraq  bekannt  und  hat 
sich  jedenfalls  von  hier  aus  auch  in  dem  übrigen  islamischen 
Orient  verbreitet  ’).  Die  Gebildeteren  empfinden  ihn  übrigen  selbst 
als  Volksglauben,  und  mein  Lehrer  Reschid  meinte,  in  Wirklich- 
keit entstünde  die  Mondfinsternis,  weil  der  Mond  hinter  einen 
grossen  himmlischen  Berg  trete*). 

Der  Umstand,  dass  ähnliche  Erklärungen  der  Entstehung  der 
Finsternisse  wie  die  hier  gegebenen  sich  bei  vielen  Völkern  finden, 
reicht  meines  Erachtens,  wenigstens  nicht  bei  den  beiden  von  mir 
behandelten  Fällen  aus,  um  mit  Lasch  a.  a.  0.  152  darin  eine 
Bestätigung  der  Lehre  Bastians  vom  Völkergedanken  zu  sehen. 
Ich  halte  vielmehr  die  neuarabische  Erzählung  für  eine  direkte 
Entlehnung  des  babyloni.schen  Originals;  denn  man  kann  auch 

*)  Sonstige  Nachweise  s.  bei  Lasch  a.  a.  0.  116  ff. 

’)  Ich  mache  hier  nur  nebenbei  darauf  aufmerksam,  dass  kosmische  Vor- 
gänge auch  sonst  in  der  arabischen  Literatur  mythologisch  erklärt  werden. 
Nach  Ihn  Abbäs  (LisAn  el  'Arab  IV  161)  ist  .der  Donner  ein  Engel,  der  die 
Wolken  so  antreibt,  wie  der  Kameltreiber  durch  seinen  Zuruf  die  Kamele  an- 
treibt*. Vermutlich  haben  wir  hier  eine  Remiuiscenz  an  den  alten  Gewitter- 
gott Adad. 


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119 


sonst  beobachten,  dass  der  Orient  sehr  konservativ  ist,  und  dass 
sich  nicht  selten  nicht  nur  Worte  und  Dinge,  sondern  auch  Ideen 
und  Anschauungen  vom  Altertum  bis  auf  die  Neuzeit  erhalten 
haben '). 

Eine  Weltchroiiik  des  aus^;eheuden  Mittelalters. 

Von  l>r.  .1.  Klapper. 

Das  streben  der  mittelalterlichen  Scholastik  nach  Universalität, 
das  in  der  Theologie  zur  Abfassung  der  gewaltigen  theologischen 
Summen  führte,  machte  sich  auch  in  den  anderen  Wissensgebieten 
geltend  in  der  enzykto])ädischen  Verarbeitung  des  überlieferten 
Stoffes  und  führte  so  in  der  Geschichte  über  die  Kloster-  und 
Landeschroniken  hinaus  zu  Darstellungen  der  Weltgeschichte. 
Freilich  vermisst  man  in  diesen  umfangreichen  Weltchroniken 
meist  die  Betonung  des  inneren  Zusammenhanges  der  geschicht- 
lichen Ereignisse,  und  aus  der  augustinischen  Geschichtsphilosopliie, 
die  im  Altertum  die  Vorbereitung  auf  den  Gottesstaat  des  Christen- 
tums erblickte,  ist  schliesslich  oft  nur  die  dürftige  äussere  Ein- 
teilung in  die  fünf  Weltreiche  übriggeblieberi,  die  dem  sechsten, 
der  Fülle  der  Zeiten  in  Christus  vorausgehen;  aber  je  loser  das 
äussere  Band  wurde,  das  die  Ereignisse  verknüpfte,  desto  grö.ssere 
Selbständigkeit  erlangten  die  einzelnen  Stoffe,  und  desto  weiter 
ging  die  Freiheit  des  Chronisten,  alles,  was  ihn  und  seine  Zeit 
interessierte,  in  sein  Werk  aufzunehmen.  Und  so  werden  die 
Weltchroniken  des  späteren  Mittelalters  nicht  bloss  Spiegelbilder 
des  gelehrten  scholastischen  Wissens,  sondern  auch  durch  die  in 
ihnen  aus  verschiedensten  Quellen  zusammengetragenen  Züge  halb 
gelehrter  und  rein  volkstümlicher  t'berlieferung  zu  Fundstätten  für 
kulturhistorische  und  volkskundliche  Forschung.  Hier  finden  wir 
oft  den  Schlüssel  zur  Deutung  moderner  Volksbräuche  und  Er- 
zählungen, sei  es,  dass  diese  Stoffe  in  den  Chroniken  aus  dem 
Volksleben  vergangener  Jahrhunderte  in  ursprünglicherer  und 
weniger  getrübter  Form  aufgezeichnet  wurden,  oder  dass  halb- 
gelehrte Stoffe  aus  diesen  Chroniken  ihren  Weg  ins  Volk  gefunden 
haben  und  noch  heute  ira  Volksbrauch  und  in  den  Volkserzählungen 
fortleben.  Denn  der  Wirkungskreis  dieser  Sammelwerke  blieb 

')  Vgl.  Meissner,  Babylonische  Bestandteile  in  modernen  Sagen  und 
Gebräuchen,  im  Archiv  f.  Religionswissensch.  V 219  ff. 


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120 


niclit  auf  die  Gelehrtenwclt  beschränkt.  Wie  die  literariscli  ge- 
bildeten Kreise  in  diesen  lateinischen  Werken  die  Anregung  zur 
Verarbeitung  in  der  Volkssprache  fanden,  so  dass  ihnen  die 
deutsche  Literatur  des  Mittelalters  eine  eigene,  reich  entwickelte 
Literaturgattung  verdankt,  so  strömte  den  breiteren  Volksschichten 
der  Inhalt  dieser  Werke  in  den  Plxempeln  der  Predigten  zu.  Wie 
oft  trifft  man  gerade  hier  den  typischen  Eingang:  Man  liest  in 
den  Chroniken  . . .,  und  dann  folgt  eine  jener  Wunderge.schichtcn, 
die  so  reich  an  rein  volkstümlichen  Sagen-  und  Märchenmotiven 
sind.  Eine  Aufgabe  der  Volkskunde  ist  somit  auch  die  Unter- 
suchung jener  spätniittelalterlichen  Chroniken,  die  noch  unter  den 
Handschriftenbeständen  unserer  Bibliotheken  zu  linden  sind,  und 
weil  wertlos  für  den  Historiker,  bisher  keine  Beachtung  gefunden 
haben.  Sie  bieten  neben  vielem  Bekanntem  manche  bisher  gar 
nicht  oder  nur  selten  bezeugte  Züge  volkskundlicher  rberlieferung, 
und  auch  das  Bekannte  tritt  uns  hier  oft  in  beachtenswerten  Al)- 
änderungen  entgegen;  und  sie  geben  in  ihrer  Gesamtheit  ein  Bild 
von  den  geistigen  Intere.ssen  des  Volkes  aus  einer  Zeit,  deren 
Verständnis  eine  notwendige  Forderung  für  die  Erfassung  unseres 
heutigen  Volkstums  ist. 

Eine  solche  Chronik  besitzen  wir  in  der  Handschrift  IV.  F.  54 
der  Königlichen  und  Universitätsbibliothek  zu  Breslau.  Sie  ge- 
hörte früher  den  Augustiner-Chorherren  zu  Sagan,  wohin  sie  wohl 
bald  nach  ihrer  Vollendung  im  Jahre  14(58  gekommen  ist;  jeden- 
falls trägt  sie  bereits  den  ältesten  Katalogisierungsvermerk  dieses 
Klosters  vom  Jahre  1684.  Uns  interessiert  hier  nur  der  zweite 
früher  selbständige  Teil  von  BI.  115  bis  Bl.  255,  der  die  Welt- 
chronik des  Karthäusermönchs  Johannes  von  Hagen  enthält. 
Für  die  Datierung  .seines  Werkes  genügt  das,  was  er  uns  selbst 
in  der  Einleitung  mitteilt;  der  .Ausdruck  „heute“  bezieht  sich  nach 
der  Angabe  dieser  Einleitung  in  der  Chronik  immer  auf  das  Jahr 
1467,  in  dem  das  Werk  verfasst  und  vervollständigt  worden  sei. 
Tatsächlich  ist  nach  Zwischenbemerkungen  im  Text  nur  der  ei"ste 
Teil  bis  Bl.  166'*’  in  die.sem  Jahre,  der  Kost  dagegen  erst  im  fol- 
genden Jahre  geschrieben.  Kommt  aber  der  Ausdruck  „zu  unserer 
Zeit“  vor,  so  will  ihn  der  Verfa.s.ser  auf  den  Zeitraum  von  1412 
bis  1467  bezogen  wi.s.sen.  In  einer  kurzen  Bemerkung  auf 
Bl.  202'“  spricht  er  von  sich  als  „unwürdigem  Karthäuserbruder 
zu  Erfurt“;  dort  muss  er  also  noch  1468  gelebt  haben,  und  dort 


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121 


ist  die  Chronik  entstanden,  Gelefrentlieli  erfahren  wir  (Bl.  22H*’), 
dass  er  im  Katharinenkloster  zu  Eisenach  das  Grabmal  Heinrichs 
von  Thüringen  und  Hessen  gesehen  hat.  Wichtiger  aber  ist  die 
Angabe  im  Quellenvcrzeichnis,  dass  er  den  „Sachsen  Engelhusen, 
Magister  zu  Prag,  mit  eigenen  Augen  gesehen“  hat.  Somit  scheint 
er  zu  Prag,  über  das  er  auch  sonst  gut  unterrichtet  ist,  seinen 
Studien  obgelegen  zu  haben;  jedenfalls  aber  verdankt  er  die  An- 
regung zu  seinem  Werke  dem  Magister  Dietrich  Engelhusen,  der 
um  die  Mitte  des  14.  Jahrhunderts  in  Eimbeck  geboren,  eine 
„Chronica  nova“  verfasste,  die  bis  zum  Jahre  1433  reicht  und 
nach  Leibnitz’  Urteil  nicht  zu  den  schlechtesten  Ausläufern,  der 
mittelalterlichen  Weltchroniken  gehört  *).  Erreicht  hat  Hagen  das 
nicht  ungewandt  geschriebene  Vorbild  nicht,  ln  einem  aber  unter- 
scheidet sich  seine  Chronik  von  der  Engelhuscns  aulfallend.  Während 
dieser  mit  gutem  historischen  Sinn  über  alles  Sagenhafte  mit  ganz 
kurzen  Andeutungen  hinweggeht,  verweilt  Hagen  mit  unverkenn- 
barer Freude  am  Wunderbaren  gerne  bei  solchen  Stollen.  Das 
bemerkt  man  bald  am  Anfang  (Bl.  120''*),  wo  er  ausführlich  die 
Reisebeschreibung  des  Abenteurers  Jean  de  Mandeville  (1300 
bis  1372)  erwähnt. 

,Es  schrieb  Herr  Johannes  von  Mandevilla  vor  nicht  langer  Zeit,  fast  zu  un- 
serer Zeit,  im  Jahre  13ö5  die  Geschichte  dessen,  was  er  an  den  verschiedenen  Stätten 
sah,  da  er  ein  gebildeter  englischer  Ritter  war  und  nach  vielen  Kriegen  der  Könige 
Frankreichs  und  Englands  die  Länder  der  Heiden  durchwanderte  und  im  Solde 
des  Sultans  stand.  Von  diesem  erhielt  er  einen  Schutzbrief  zum  Besuch  der 
heiligen  Stätten,  wo  Christus  litt,  wirkte  und  lehrte.  Und  darauf  durchreiste 
er  unter  sicherem  Geleit  die  Länder  der  Tartaren,  Inder,  I’erser  und  anderer 
Völker  und  beschrieb  ihre  Sitten,  Kriege  und  Religionen,  und  wie  fast  in  allen 
Ländern  der  Heiden  Christus  in  der  höchsten  V^erehning  stände  und  in  den  vor- 
genannten Ländern  Christen  mitten  unter  den  Heiden  lebten.  Und  er  schrieb 
von  Oger,  Herzog  von  Dänemark,  wie  er  mit  zwölf  Grafen  und  120000 
Auserlesenen  im  Jahre  des  Herrn  800  Uber  das  Meer  fuhr  zum  Kampfe,  das 
heisst  zur  Zeit  Karls  des  Grossen.  Mit  diesem  soll  derselbe  Herzog  im  Kampfe 
gegen  die  Heiden  gestanden  haben  und  von  den  Ungläubigen  in  jener  Nacht 
getötet  worden  sein,  in  der  auch  Roland  hol,  wie  hier  noch  später  erzählt  werden 
wird.  Aber  in  der  Chronik  dieses  Ritters  liest  man,  dass  dieser  Oger  unter  Gottes 
Beistand  alle  Fürsten  der  Ungläubigen  [120  rb]  überwand,  bis  in  die  fernsten  Länder 
Herzöge  und  Könige  einsetzte  und  christliche  Kirchen  gründete  und  zum  Könige 
Indiens  einen  Grafen  ans  Fricsland,  mit  Nameu  Johannes  ernannte,  der  sehr 
fromm  war.  Daher  wurde  er  von  seinen  Gefährten  Priester  Johannes  ge- 

')  Abgedruckt  in  Leibnitz’  Scriptorcs  rcrum  Brunsvicensium,  Hannover 
1710  Bd.  II  977— 114;j. 


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122 


uannt,  und  daher  heisst  noch  heute  der  KSuig  Indiens  .Priester  Juliauues*. 
Andere  geben  freilich  einen  anderen  Grund  dafiir  an  Ganz  Indien  glaubt  an 
Christus,  doch  wohnen  auch  Ungläubige  unter  ihnen  Und  er  schreibt  vom 
Königreiche  Carlliay  (China),  von  dem  der  Tartaren  und  Inder,  von  den  Inseln 
und  Ländern,  die  fast  beim  Paradiese  liegen,  wie  er  sie  sali.  Und  er  verfasste 
sein  Buch  zuerst  in  LUttich*. 

Die  von  Hagen  sonst  iti  der  Einleitung  angegebenen  Quellen 
sind  die  bekannten  mittelalterlichen  Chroniken.  Mit  den  ange- 
führten Werken  erschöpfen  sich  aber,  wie  er  ausdrücklich  hervor- 
hebf,  seine  Quellen  nicht.  Wie  er  seine  Einleitung  mit  der  Bitte 
um  ein  Ave  Maria  beginnt,  so  erötfnet  er  die  Ausführung  im 
Namen  Jesu.  Nach  einer  Erörterung  über  die  göttliche  Substanz 
folgt  das  Sechstagewerk,  darauf  an  der  Hand  der  Bibel  ein  Über- 
blick über  das  in  Weltalter  gegliederte  Altertum.  Interesse  ge- 
winnt diese  Darstellung  für  uns  aber  erst  mit  dem  Augenblicke, 
wo  die  Geschichte  Alexanders  des  Grossen  erzählt  wird.  Unter 
den  uns  bekannten  Texten  zur  Alexandersage  zeigt  die  grösste 
Verwandtschaft  mit  unserem  Chroniktexte  die  in  das  Speculum 
historiale  des  Vinzenz  von  Beauvais  aufgenommene  Epitome,  doch 
zeigt  unser  Text  so  eigenartige  Uinstellnngen  und  Abweichungen, 
dass  Vinzenz  kaum  seine  Quelle  gewe.sen  sein  kann.  Nach  einer 
rein  geschichtlich  gehaltenen  Übersicht  über  Alexanders  erste  Taten 
setzt  der  Sagenbericht  mit  dem  Augenblicke  ein,  wo  Darius  ihm 
gegenübertritt '). 

Alexander  in  Asien. 

Darius  schickte  ihm  eine  Peitsche,  eine  Rute  und  einen  goldenen  Ball, 
damit  der  Jtingling  zu  seiner  Hutter  zuriickkehrte,  mit  der  Rute  gczUclitigt 
würde  und  mit  dem  Balle  spielte’).  Doch  .Alexander  liess  sieb  nicht  ab- 
schrecken  und  rüstete  zum  Kriege  gegen  Darius  und  bekriegte  ihn 
drei  Jahre  lang  und  überwand  den  Monarchen.  Und  er  nahm  den  Ver- 
wundeten bei  sich  auf  und  gewährte  ihm  gern  seine  Bitte,  die  Hutter,  d.  h.  des 
Darius  Gattin  zu  beschützen  und  seine  Tochter  Roxane  zur  Gemahlin  zu  nehmen. 
Und  er  begrub  den  Darius  mit  königlichem  Prunk’}.  Dann  erliess  er  ein  Edikt, 
in  dem  er  verkündete,  er  habe  geschworen,  die  Mörder  des  Darius  zu  erhöhen 
[145vb],  Diese  glaubten,  sie  würden  hoch  geehrt  werden,  doch  sie  wurden  au 
den  Galgen  gehängt  und  so  dem  Eide  des  Königs  gemäss  erhöbt’).  Dieser 
rückte  gegen  Porus,  den  König  Indiens.  Und  im  ersten  Treffen  wurde  das  Pferd 

*)  Wichtige  sachliche  .Abweichungen  von  den  bekannten  .Alexandertexten 
sind  durch  Sperrdruck  gekennzeichnet.  Vinzenz  wird  nach  der  .Ausgabe  des 
Speculum  muius  Bd.  IV  Duaci  U>24  zitiert. 

’)  Vinc.  lib.  IV  c.  26. 

»)  lib.  IV  c.  28.  ’)  lib.  IV  c.  44, 


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123 


Alexanders  Bucefala  getötet,  das  mehr  als  er  selbst  kämpfte').  Daher 
trauerte  Alexander  und  bestattete  es  und  erbaute  Uber  seinem 
Grabe  einen  Turm.  Endlich  besiegte  er  den  Perus  und  erlangte  die  unend- 
lich grossen  Schätze  Indiens  und  beschenkte  sein  ganzes  Heer.  Und  die,  welche 
Ton  seinem  Heere  gefallen  waren,  bestattete  er  mit  Ehren  und  befreite  ihre 
Frenude  und  gewann  so  die  Herzen  aller.  Und  er  durchzog  die  Reiche  Indiens. 
Und  er  machte  die  Amazonen,  Königinnen,  tributpflichtig*).  Dann  zog  er  bis 
hinter  die  Säulen  des  Herkules*)  und  kam  zu  den  Bäumen  der  Sonne  und  des 
Mondes.  Von  einem  steiiialten  Priester  belehrt,  opferte  er*),  und  als  am  Morgen 
die  Sonne  anfging  über  dem  Baum  der  Sonne,  sprach  dieser  in  indischer  Sprache : 
.Alexander,  du  wirst  der  Herr  der  Welt  sein,  aber  du  wirst  nicht  lange  leben*. 
Am  Abend,  als  der  Mond  erschien,  da  sprach  der  Baum  des  Mondes  in  grie- 
chischer .''prache;  .Du  wirst  in  diesem  Jahre  der  Herr  der  Welt  sein,  im  fol- 
genden Jahre,  im  Monat  Hai,  wirst  du  in  Babylon  an  Gift  sterben.  Frage  nicht 
mehr  danach,  damit  die  Prophezeiung  nicht  vereitelt  wird*).  Und  er  kehrte 
zurück,  und  es  erwarteten  ihn  Gesandte  aus  Afrika,  Spanien  und  anderen  Ländern, 
die  er  noch  nicht  besiegt  batte,  um  ihn  zu  ihrem  König  zu  machen,  weil  sie 
alle  die  Furcht  vor  ihm  befallen  hatte.  Uud  er  schrieb  selbst  an  die  Bragmancn, 
und  diese  antworteten,  wie  sie  einfach  ohne  unnötige  Kleidung  und  Nahrung, 
ohne  Zank  und  Streit  ein  naturgemässes  Leben  führten.  Als  er  aber  danach 
Babylon  betreten  wollte,  wurde  er  von  einem  Nigromanten  daran  gebindert,  der 
ihm  sagte,  dass  er  darin  sterben  würde.  Doch  ein  Philosoph  antwortete,  das 
sei  eitel  Geschwätz,  und  Alexander  [146 ra]  glaubte  dem  Philosophen  und  zog 
in  Babylon  ein*).  Er  nahm  Roxane  zur  Gemahlin  und  viele  Mazedonier  ver- 
mählten sich  gleichfalls,  und  es  herrschte  grosse  Freude  in  Babylon.  Da  gab 
Antipater  dem  Alexander  ein  äusserst  starkes  Gift,  und  dieser  erkrankte  und 
lebte  noch  sechs  Tage*).  Er  ernannte  zwölf  Gefährten,  die  für  ihn  re- 
gieren sollten  und  befahl,  dass  man  ihn  im  Tempel  des  Ammonius 
oder  Ammon  in  Ägypten  beisetzen  solle.  Und  jene  zwölf  Fffrsten 
trugen  ihn  mit  grosser  Pracht  auf  ihren  Schultern  zum  Grabe.  Aber 
nur  vier  erhielten  die  Herrschaft,  Ptoloniäus,  der  Sohn  des  Lagus  in  Ägypten, 
Antigonus  in  Asien,  Selencus  in  Syrien  und  Philippus  in  Mazedonien.  Und  beim 
Tode  des  Alexander  schwieg  ganz  Babylonien,  und  die  Völker,  die  er  unter- 
worfen hatte,  glaubten  nicht,  dass  er  gestorben  wäre,  denn  sie 
hielten  den,  der  so  viele  Gefahren  Uberstanden  hatte,  für  unsterb- 
lich. Alle  beweinten  ihn  als  ihren  Vater;  nur  die  Mazedonier  freuten  sich, 
dass  sie  so  von  seiner  Dienstbarkeit  frei  geworden  waren.  Keiner  ist  ihm 
ähnlich  gefunden  worden,  in  dessen  Gegenwart  alle  Truppen  mit  Freuden  bereit 

')  lib.  IV  c.  49. 

*)  lib.  IV  c.  6S. 

*)  lib.  IV  c.  .5.0.  . 

•)  Das  wird  ihm  bei  Vinc.  lib.  IV  c.  57  gerade  verboten;  auch  fehlt  dort 
das  senissimo  .steinalt*. 

*)  Vinc.  lib.  IV  c.  57. 

•)  lib.  IV  c.  63. 

')  lib.  V c.  1. 


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124 


waren,  die  Maliern  zu  crsUlrnien  imd  vor  keiner  Gefahr  znrückznselirecken.  Er 
liat  keinen  Feind  angegriffen,  den  er  nicht  besiegt,  keine  Stadt  und  keine  VBlkcr- 
scliaft,  die  er  nicht  unterworfen  hatte.  Ewiilf  Jahre  regierte  er  nach  seines 
V'aters  Tode;  im  dreiimddreissigaten  seines  Lebens  starb  er*).  Seine  Mutter 
liess  darauf  viele  Vonichme  in  weibliclier  Vermessenheit  taten.  Datier  wurde 
sie  schliesslich  von  Kassander  belagert  und  musste  sich  ihm  ergeben.  Ein  von 
ihm  einberufeiier  Rat  entschied  einstimmig,  dass  man  sic  toten  inilsse.  In 
königlicher  Kleidung  schritt  sie,  auf  zwei  Dienerinnen  gestützt,  voll  Majestät 
und  Würde  den  Soldaten  entgegen,  die  gegen  sic  abgeschickt  worden  waren; 
diese  wurden  durch  den  Anblick  so  eiiigeschüchtert,  dass  sie  sie  nicht  zu  be- 
rühren wagten.  Da  sandte  Kassander  andere,  die  sie  niederstiessen.  Slarkmütig, 
ohne  einen  Laut,  empfing  sie  den  Todcsstreich,  mit  ihren  Haaren  und  Kleidern 
bedeckte  sie  ihre  Glieder  und  gab  kein  Zeichen  unehrenhafter  Gesinnung,  um 
noch  im  Tode  zu  beweisen,  dass  sie  den  König  der  Könige  getragen  habe’). 
Das  hatten  die  Bäume  de  r Sonne  [I4ßrh]  lind  des  Mondes  dem  lexander 
vorausgesagt:  seine  Mutter  Olympias  würde  ermordet  und  auf 
öffentlicher  Strasse  niedergestreckt  werden.  Das  ist  auch  ge- 
schehen. So  vergeht  der  Ruhm  der  Welt.  0,  wie  kurze  Zeit  währte 
ihr  R n h in  I 

Mit  riiristi  Geburt,  über  iles.son  Leben  mir  sehr  dürftige  An- 
gaben gemacht  werden,  wendet  sicli  das  Interesse  des  Chronisten 
der  Geschichte  der  römischen  Kaiser,  dann  der  ersten  Märtyrer 
und  Päpste  zu.  Wir  erfäliren  da  gelegentlich,  dass  St.  Petrus 
einen  Schüler  „in  die  Küstengegenden  nach  Bardewigk,  in 
die  Nähe  von  Luneborch“  schickte  [Ibfi'*'];  die  Bekehrungs- 
geschichte von  Barlaam  und  Josaphat  wird  ums  Jahr  378  an- 
gesetzt [182''“];  die  Sage  von  der  Hindin,  die  die  Hunnen 
durch  die  Sümpfe  zu  den  Nachbarvölkern  leitet,  wird  in 
denselben  Form  wie  in  Jordanis’  Gütenkrieg  Kap.  24  vorgetragen 
[183'’’'];  zur  Zeit  des  Papstes  Leo  IV.  „.soll  in  Britannien  Merlinus 
von  einer  Jungfrau  geboren  worden  sein,  dessen  Vater  ein  Ge- 
spenst war;  dieser  ist  auch  ein  Prophet  gewesen  und  hat  mehreres 
vorhergesagt;  denn  der  Geist  Gottes  weht,  wo  er  will,  auch  in 
den  Schlechten“  [185'“].  Zur  Zeit  Theoderichs  werden  die  Sieben- 
schläfer*) erw'eckt  [185'“j;  derselbe  Theoderich  wird,  wie  ein 
frommer  Einsiedler  in  einer  Vision  sieht,  in  die  Esse  des 
Vulkans  geschleppt  [188’’“]L.  Bald  darauf  wird  die  Legende 

‘)  lib.  IV  c.  ()4  mit  starken  Abweichungen. 

’)  lib.  V c.  10. 

•)  8.  H.  Günter,  Lcgeuilen-Stndicn  (litOfi)  S.  71. 

•)  aus  Gregors  Dialogen  IV  c.  31;  vgl.  Jiriczek,  Deutsche  Heldensage  I 
(1898)  268  fit. 


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125 


vom  Teufelsbündnis  des  Tlieophilus  erzählt  [188'*]*).  Zum 
Jahre  541  folgt  die  Geschichte  des  Königs  Artus. 

[188''*’]  Artus,  Künig  Britanniens,  besiegte  einen  Riesen,  unterwarf  rnhm- 
vull  die  Könige  des  Abendlandes  und  drang  gegen  Rom  vor.  Da  er  aber  hörte, 
dass  sieb  jemand  znm  Könige  Brilauniens  aufgeworfen  hätte,  kehrte  er  zurück 
und  besiegte  ilin.  I>ort  wurde  er  im  Kampfe  verwundet.  Daher  setzte  er 
seinen  Sohn  Konstantin  als  König  ein  und  ging  von  dannen  in  einen  Wald,  um 
sieh  zu  heilen.  Und  noch  heute  weiss  man  nicht,  oh  er  gestorben  ist  oder  noch 
lebt,  weil  er  bis  heute  nicht  wiedergekommen  ist. 

Unter  dem  Jahre  5(50  wird  die  Legende  von  der  wunderbaren 
Errettung  des  Judenknaben  aus  dem  brennenden  (4fen  und  der 
Bestrafung  seines  Vaters  erzählt  [188''’]*),  bald  darauf  das  Mirakel 
von  dem  Kruzifix,  das  von  einem  Juden  verwundet,  zu  bluten 
anfängt  [189 ’■*]*).  Dann  folgt  eine  kurze  Andeutung  der  Bran- 
danlegende. 

[189  ra]  Maebutos,  ein  vornehmer  hlann,  fuhr  mit  dem  Abt  Braudau  durch 
das  Meer,  erweckte  einen  Riesen  znm  Lehen  und  taufte  ihn,  der  ihm  die  Strafen 
der  Hölle  erklärte;  er  las  die  Messe  auf  einem  Walfisch  und  sah  Wunderdinge 
auf  dem  Meere*). 

Um  das  Jahr  624  wird  dann  die  Vision  des  Purseus  an- 
gesetzt (191'“].  Aus  der  Zeit  Karls  des  Grossen  erzählt  der 
Chronist  zunächst  die  Legende  von  dem  Abte  Agidius,  der  vom 
Kaiser  um  seine  Fürbitte  gebeten,  da  er  eine,  schwere  Sünde  nicht 
beichten  will,  beim  Messopfer  einen  Zettel  von  einem  Engel  er- 
hält, auf  dem  Karls  Sünde  aufgeschrieben  ist  [193^“]®);  dann  folgt 
ausführlicher  die  schöne  Legende  von  dem  Freundespaarc  Amicus 
und  Amelius®). 

[195  ra]  Znr  Zeit  Karls  des  Grossen  bekamen  der  Graf  von  Auvergne  und 
der  Graf  von  Berti  Söhne,  die  sich  vollständig  ähnlich  waren.  Diese  wurden 
nach  Rom  geschiikt,  damit  sie  vom  Papste  getauft  würden.  Sie  trafen  sich  in 
der  Stadt  Lncca  und  schlossen  enge  Freundschaft.  Als  sie  beimgekehrt  waren, 
staih  der  Vater  des  Amicus,  der  der  Sohn  eines  Ritters  war,  und  er  selbst  wird 
vertrieben  und  findet  nach  langem  Sachen  den  Amilius,  den  Sohn  [195 rü]  des 


')  s.  H.  Günter,  Legenden-Studien  S.  163. 

•)  8.  Günter  a.  a.  ü.  S.  138  Anm.  1. 

*)  vgl.  Wiener  Sitzuugsher.  phil.-hist.  Kl.  113  (1886)  922  Nr.  22. 

*)  s.  C.  Schröder,  S.  Braudau  1871 ; G.  Schirmer,  Zur  Braudanuslegende  1888. 
*)  s.  Günter  a.  a.  0.  S.  121  ff. 

•)  8.  Oröbers  Oruudr.  d.  rom.  Phil.  II  1,  458;  ein  deutscher  Text  in  Görlitz 
um  die  Mitte  des  15.  Js.  geschrieben  in  der  Hs.  I Q 169  Bl.  (161  v ff.)  der  Kgl.  n. 
Univ.-Bibl.  zu  Breslau. 


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126 


Grafen,  der  i)im  in  allen  StDcken  ülmlich  Hielit.  Und  beide  kuniiuen  an  den  Hof 
Karls.  Amiens  wird  Verwalter  des  kiiuigliclien  Schatzes,  Aniilins  aber  Mund- 
schenk. Amiens  besuebte  seine  Gattin,  unterdessen  verfuhrt  Amilius  die  Tochter 
des  Königs  und  wird  angeklagt.  Da  kehrt  Amiens  zurück,  legt  die  Kleidung 
des  Amilius  an,  weist  die  Anklage  der  Verführung  zurück  und  unterzieht  sich 
zum  Beweise  seiner  Unschuld  einem  Zweikampfe,  und  da  er  unschuldig  ist,  siegt 
er.  Amiens  aber  wird  vom  Aussatz  befallen,  und  ein  Engel  sagt  dem  Amilius, 
dass  sein  Freund  nicht  geheilt  werden  könne,  wenn  er  nicht  die  beiden  Kinder 
töte,  die  er  von  der  Tochter  Karls  bat.  Und  traurig  tötet  er  sie  und  heilt  mit 
dem  Blute  .seiner  Kinder  seinen  Freund  vom  Aussatz.  Und  durch  göttliche 
Gnade  werden  die  Kinder  wieder  znm  Leben  erweckt.  Darauf  dienten  sie  in 
Reinheit  und  Heiligkeit  Gott  . . . [19öva]  Karl  aber  erbaute  zwei  Kirchen, 
um  die  zu  begraben,  die  in  Italien  im  Kampfe  gegen  die  Longobardeu  gefallen 
waren,  und  er  trennte  die  Leiber  des  Amilius  nnd  Amicus.  Aber  nachher  fand 
man  sie  wieder  beieinander  in  derselben  Kirche  an  derselben  Statt. 

Mit  dieser  Erzälilung  stehen  wir  schon  mitten  in  den  Abenteuern 
und  Kämpfen  Karls.  Der  Bericht  über  Karls  Zug  nach  Jerusalem 
und  Konstantinopel  ist  in  unserer  (’hronik  eng  mit  der  Rolands- 
sage verknüpft.  Angelehnt  ist  der  erste  Teil  an  die  „Descriptio“, 
den  legendarischen  Bericht  aus  St.-Denis '),  der  zweite  Teil  schöpft 
unter  starken  Kürzungen  aus  dem  Pseudo -Turpin,  doch  flicht  er 
wieder  ähnlich,  wie  wir  es  bei  der  Alexanderlegende  sahen, 
Stellen  ein,  die  der  Chronik  des  Turpin  fremd  sind  *). 

Die  Kurlasage. 

[I96va]  Karl  behandelte  die  Griechen  immer  freundlich,  damit  sie  nicht 
ans  Missgunst  gegen  ihn  Ränke  schmiedeten.  Um  jene  Zeit  wnrdc  Karl  an- 
gerufen,  das  Heilige  Land  zu  befreien,  weil  Konstantin  VI.  vou  Gott  offenbart 
worden  war,  er  solle  Karl,  den  König  der  Franken  [196  zur  Wiedereroberung 
des  Heiligen  Landes  zu  Hilfe  rufen,  was  auch  geschehen  ist.  Und  uachdem  die 
Heiden  vertrieben  worden  waren,  kam  er  nach  Konstantiiiupel,  wo  er  mit  grossem 
Prunk  empfangen  wurde.  Man  bot  ihm  reiche  Geschenke  und  Schätze  an,  aber 
er  wollte  sie  nicht  annebmen,  da  er  alles  um  Gottes  Willen  getan  hatte.  Doch 
bat  er  sich  nach  dem  Siege  einige  Reliquien  aus.  Und  man  gab  ihm  welche 
von  der  Dornenkrone  Christi,  von  dem  Holze  des  Kreuzes,  vom  Hemd  der  seligen 
Jungfrau  Maria  und  dem  Wickelbande,  mit  dem  sie  Christum  in  der  Wiege  ge- 
wickelt bat,  und  es  geschahen  neue  Wunderzeichen , und  es  blühte  das  Zeichen 
des  Kreuzes,  nnd  Unzählige  wurden  dort  und  unterwegs  geheilt.  Er  brachte 
die  Reliquien  nach  Aachen,  wo  sie  an  den  Iden  des  Juni  den  Gläubigen  gezeigt 

')  s.  Jules  Coulet,  Etudes  sur  I'ancieu  poöme  fran^ais  du  Voyage  de  Cbar- 
lemague  en  Orient.  Montpellier  1907. 

•)  Ausg. : Gcrmanicarum  rerum  quatour  celebriores  vetiistioresquc  chrono- 
grapbi.  Frankfurt  a.  M.  1666.  Auf  diese  Ausgabe  beziehen  sich  die  Kapitel- 
angaben der  Anmerkungen;  wes  im  Turpin  fehlt,  ist  gesperrt  gedruckt. 


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127 


zu  werden  pflegen;  jetzt  aber  zeigt  man  sie  den  Ulfliibigen  nur  noch  jedes 
siebente  Jahr,  damit  sie  nicht  entwnidigt  werden.  Und  der  König  mahnt  die 
Besucher,  vorher  zu  beichten,  wie  er  es  auch  selbst  getan  hat.  Karl  der  Grosse 
hat  auch  sein  Fest  zu  Aachen  und  wird  dort  verehrt,  obgleich  er  von  der  Kirche 
nicht  beiliggesprocheu  ist;  das  sagt  Johannes  ini  ersten  Kapitel  Uber  die  Re- 
liquien und  Heiligenverehruug. 

Und  nachdem  er  viele  Kriege  geführt  hatte,  wollte  er  ausruhen,  aber  er 
sab  drei  Nücbte  eine  weisse  Strasse  am  Himmel,  die  bis  zum  hl.  Jakobus 
führte.  Und  dieser  sprach  zu  ihm:  .Sieh  auf  und  vertreib  die  Heiden  vom  Orte 
meines  Grabes,  und  ich  werde  dir  helfen,  und  zum  Lohne  sollst  du  das  Himmel- 
reich haben“.  Und  er  stand  auf  und  rüstete  ein  grosses  Heer,  mit  dem  er  nach 
Spanien  zog ').  Und  dort  zerstUrte  er  alle  Götzenbilder  bis  auf  eins,  das  Sana- 
cades  (Turpiu:  Salamcadis)  heisst,  das  Machamet  anzubeten  pflegte,  uud  in  dem 
eine  Legion  Dömonen  steckt.  Wenn  sich  ihm  Christen  naben,  scheint  es  nmzu- 
kommen,  wenn  sich  jedoch  Sarrazenen  hiubegeben,  scheint  es  sich  zu  freuen. 
Es  ist  an  dem  Meeresgestade  durch  sarrazenische  Kunst  wunderbar  erbaut  *).  Es 
kann  nicht  vernichtet  worden.  Karl  nahm  alle  bedeutenden  Städte 
in  Spanien,  sechsundzwanzig  an  Zahl.  Einige  ergaben  sich  frei- 
willig, andere  widerstanden  im  Vertrauen  auf  die  Stärke  ihrer 
Mauern  langeZeit.  Manchmal  lag  er  sechs  Monate  vor  einer  dieser 
rebellischen  Städte,  aber  wenn  er  den  hl.  Jakobus  anrief,  stürzten 
ihre  Mauern  bis  auf  den  Grund  zusammen.  Und  der  König  fluchte 
jenen  Rebellen  uud  machte  die  Städte  unbewohnbar.  Es  sind  das 
Lucerua,  Adama,  Ventosa  und  Piriata.  Er  reinigte  den  Ort  des  Grabes 
des  hl.  Apostels  Jakobus,  den  Herodes  enthauptete,  und  an  dieser  Stätte  setzte 
er  Kanoniker  ein  und  machte  ganz  Spanien  tributpflichtig').  Als  er  aber  darauf 
zurUckgekehrt  war,  sammelte  der  König  der  Sarrazenen  ein  grosses  Heer  und 
vertrieb  die  Christen  uud  Wächter,  die  Karl  eingesetzt  hatte.  Dieser  rüstete 
sich  alsbald  uud  zog  gegen  ihn.  Und  es  kam  der  Sarrazene  Agcogolandus 
(Aigolaudns)  mit  einer  unzähligen  Menge  Orientalen,  und  zuerst  kämpften 
zwanzig  gegen  zwanzig,  darauf  hundert  gegen  hundert,  und  so  weiter.  Immer 
blieben  die  Franken  vor  den  versammelten  Heeren  Sieger,  und  es  fielen  vierzig- 
tansend  vom  Heere  Karls  und  noch  mehr  auf  der  anderen  Seite.  Und  alsbald 
kamen  ans  Italien  viertausend  dem  Könige  zu  Hilfe.  Als  das  Aigolaudns  hörte, 
floh  er;  Karl  aber  stellte  die  Ordnung  wieder  in  Spanien  her  und  kehrte  heim“). 
Aiogolandes  sammelte  ein  ungeheures  Heer  unter  allen  orientalischen  Königen 
mit  Ausnahme  des  Königs  von  Indien  gegen  Karl.  Auf  die  Kunde  davon 
Hess  Karl  die  Sklaven  frei,  befreite  die  Gefangenen,  versöhnte  sich  mit  seinen 
Feinden  und  bot  die  Könige  Englands,  den  König  Argerus  (Ogerius)  von  Däne- 
mark, die  Herzöge  und  Fürsten  Italiens,  Burgunds,  Frieslands  und  fast  alle  an- 

‘)  Turpin  c.  2. 

’)  c.  4;  der  Chronist  bezieht  irrtümlich  das  .Unikommen*  und  .Freuen“ 
auf  das  Bild,  anstatt  auf  die,  die  sich  ihm  naben.  Bei  Turpin  stirbt  der  Christ, 
der  sieb  naht,  während  der  Heide  unversehrt  bleibt. 

•)  c.  5. 

‘)  c.  8. 


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128 


deren  unter  dem  Christeuvolke  auf ').  Und  er  batte  in  seinem  Heere  Bischöfe, 
Priester  nnd  Mönche,  um  die  tiakramente  zn  s|ienden,  well  es  Sitte  war,  dass 
alle  beichteten  und  das  Sakrament  empfingen,  bevor  sie  in  den  Krieg  zogen. 
Und  er  hatte  hnndortdreiundsiebzigtausend  Krieger  ohne  die  anderen,  die  ihm 
zn  Hilfe  kamen,  die  nnzftblbar  waren,  und  sein  Heereszug  war  zwölf  Meilen 
lang*).  Und  Aiogolaudus  verspracb  dem  Karl  viele  Schätze,  wenn  er  sich  ihm 
unterwerfen  wolle.  Karl  aber  ging  mit  einem  Ritter,  als  wenn  er  ein  Bote 
wäre,  zu  ihm  und  forschte  dort  nach  allen  Ueheimnisscu.  Und  endlich  schlug 
er  ihn  vollständig*).  Nachdem  die  Sarrazenen  solche  Verluste  erlitten  hatten, 
wollte  sich  Aiogolaudus  taufen  lassen  und  Christ  werden,  da  er  den  Christengott 
filr  mächtiger  hielt.  Und  als  er  zur  Taufe  kam,  sah  er  unter  anderem  dreizehn 
Arme,  die  Christum  und  seine  Apostel  vorstellteii.  Da  sprach  er  entrüstet: 
„Wer  seines  Gottes  Boten  so  schlecht  nährt  und  pflegt,  der  dient  ihm  nicht 
gut“*).  Und  am  anderen  Tage  erklärte  Aiogolandus  wieder  den  Krieg.  Doch 
fiel  er  in  der  Schlacht,  nnd  die  Seinen  wurden  getötet  oder  flohen*).  Darauf 
schickte  der  König  von  Babylou  den  Riesen  Ferrnenntus,  der  zwölf  Fnss  hoch 
war.  Dieser  besass  die  Kraft  von  vierzig  Männern  und  kannte  am  ganzen 
Körper  nicht  verletzt  werden,  ausser  am  Nabel,  weil  er  mit  Drachenblut  eiu- 
gerieben  am  ganzen  Körper  hart  geworden  weder  mit  Pfeilen  noch  sonst  irgend- 
wie verwundet  werden  konnte.  Dieser  forderte  Karl  zum  Eiuzelkampf  heraus. 
Karl  schickte  ihm  zuerst  den  König  von  Dänemark;  doch  der  Riese  packte  ihn 
mit  der  Hand  und  schleppte  ihn  in  ein  Gefängnis,  und  naeh  diesem  noch  viele 
andere.  Endlich  erbat  sich  Roland,  der  Sohn  des  Grafen  Milou  und  der  Tochter 
Karls,  die  Erlaubnis  zum  Kampfe,  die  ihm  der  König  nur  ungern  erteilte.  Der 
Riese  nahm  ihn  auf  dieselbe  Weise  wie  den  ersten  gefangen  und  zog  ihn  auf 
dem  Pferde  den  Weg  entlang.  Da  wandte  sich  Roland,  sprang  vom  Pferde  und 
riss  ihn  mit  herunter,  tötete  das  Pferd  des  Gegners,  und  nun  kämpften  sie  zu 
Fnss  bis  zur  Ermüdung.  Am  anderen  Tage  nahmen  sie  den  Kampf  wieder  auf. 
Ermüdet  ba't  der  Riese  um  einen  Waffenstillstand,  um  sich  ansschlafen  zn 
können,  und  Roland  legte  ihm  selbst  einen  Stein  unters  Hanpt.  Dann  fragte 
er  ihn,  wie  es  käme,  dass  er  nicht  verwundet  werden  könne,  und  entlockte  ihm 
das  Geheimnis.  Darauf,  als  er  wieder  gefangen  worden  war  nnd  auf  seinem 
Pferde  sass,  durchbohrte  er  ihm  den  Nabel,  nnd  so  wurde  der  Riese  getötet. 
Noch  sterbend  rief  er  Machainet  um  Hilfe  an;  doch  es  flohen  vou  seinem  Heere 
zwanzigtausend,  und  die  Christen  verfolgten  sie  und  befreiten  ihre  Gefangenen 
aus  den  Gefängnissen  *).  Nach  dieser  Niederlage  schlossen  zwei  andere  heidnische 
Fürsten,  die  Brüder  Marserius  und  Gelibandus  (Beligandus)  arglistig  mit  Karl 
Frieden  nnd  schickten  gleichsam  als  Geschenk  Gold,  Silber,  vortrefflichen  Wein 
nnd  tausend  sarrazenische  Mädchen.  Und  die  Christen  berauschten  sich  und 
sündigten  wie  Menschen,  und  die  Heiden  besiegten  die  Christen  und  töteten  eine 
ungeheure  Menge  von  ihnen').  Roland  aber  entkam,  und  sein  hebräisches') 
Horn  erscholl,  und  er  sammelte  hnudert  Genossen,  mit  denen  er  jene  verfolgte. 
Er  tötete  den  Marserius  und  seine  Genossen,  aber  er  verlor  die  hnndert,  die  er 

■)c.  9.  *)  c.  11.  *)  0.  9.  *)  c.  13. 

»)  c.  14.  •)  c.  17.  *)  c.  21. 

•)  ,hebraica*  verlosen  für  .heburnea“. 


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um  sich  hatte,  und  wurde  selbst  schwer  verwundet.  Daher  stieg  er  auf  einen 
Berg  mit  seinem  Pferde  und  seinem  Schwerte,  das  Duranda  hiess  und  unver- 
gleichlich an  Stärke  und  Kraft  war  gleich  dem  Karls,  das  Speziosa')  heisst, 
mit  dem  er  unendlich  viele  getütet  batte.  Da  er  aber  sah,  dass  er  sterben 
müsse,  wollte  er  es  au  einem  Felsen  zerbrechen,  aber  er  konnte  es  nicht.  Da 
stiess  er  so  kräftig  ins  Hom,  dass  die  Adern  seines  Halses  zersprangen.  Und 
Engel  trugen  den  Klang  acht  Meilen  weit  dorthin,  wo  Kail  war.  Und  der 

König  wollte  zurUckkehren , als  er  den  kläglichen  Ruf  und  Klang  vernahm. 

Aber  Rolands  Verräter  Analongns  (Ganualonus)  war  dort,  der  ihm  sagte: 
.Roland  ist  auf  der  Jagd**).  Zur  selben  Zeit  las  der  Bischof  Turpin  eine 
Hesse  für  die  Verstorbenen,  und  er  erblickte  ein  grosses  Heer  von  Dämonen  und 

fragte:  ,Wer  seid  ihr,  und  was  tragt  ihr?*  Und  jene  erwiderten:  .Teufel  sind 

wir,  und  wir  tragen  den  Marscrius  und  die  anderen  Ungläubigen  znr  Hölle. 
Michael  aber  führt  euren  Hornblä.ser,  den  Roland,  mit  den  anderen  zum  Himmel*. 
Und  während  er  das  Karl  erzählte,  kam  der  Bruder  Rolands  und  meldete  seinen 
Tod*).  Karl  kehrte  zurück  und  weinte  Uber  seinem  Leichnam  und  schwur,  nicht 
eher  zu  ruhen,  als  bis  er  ihn  an  den  Ungläubigen  gerächt  hätte.  Die  Sonne 
aber  stand  drei  Tage  unbeweglich,  bis  er  an  seinen  Feinden  Racbe  genommen 
hatte*).  Dann  kehrte  er  zurück  und  bestattete  den  Leichnam  Rolands  und  die 
anderen,  die  Könige  Englands,  Dänemarks,  Italiens,  und  die  Fürsten  mit  grossem 
Prunk  in  den  Städten  Spaniens  und  machte  reiche  Stiftungen  für  die  Kirchen 
und  eiricbtctc  Fundatiunen  zum  ewigen  Gedächtnis  jener  Könige  Dänemarks, 
Britanniens  und  der  anderen*).  Und  oft,  bevor  man  in  den  Kampf  zog,  sab 
man  Lanzen,  die  man  am  Abend  [197  vbj  in  der  Erde  gesteckt  hatte,  am  Morgen 
blühen.  Auf  anderen  erschien  ein  Kreuz,  und  das  war  ein  Zeichen,  dass  jene 
Soldaten  als  Märtyrer  fallen  sollten*).  Karl  aber  kehrte  heim  nnd  erkrankte 
alsbald.  Da  liess  er  durch  den  Mönch  Isnardus  ein  Martirologium 
unfertigen  nnd  auch  anderes  Nützliches  schreiben,  und  er  gründete 
fünf  Klöster  zu  Mainz,  zu  Salzburg,  zu  Köln  und  anderswo.  End- 
lich entschlief  er  sanft  im  Herrn  im  Alter  von  zweiundsiebzig 
Jahren  nach  Empfang  des  Sakraments  in  Gegenwart  des  Papstes 
Leo,  der  Bischöfe  und  vieler  Fürsten.  Und  er  wurde  in  einem 
Marmorgewölbe  zu  Aachen  beigesetzt  mit  dem  goldenen  Diadem 
auf  dem  Haupte,  auf  dem  Throne  seiner  Herrlichkeit;  auf  seinen 
Knieen  liegen  die  vier  Evangelien  in  goldenen  Lettern  geschrieben, 
auf  die  er  seine  Rechte  legt,  nnd  in  der  Linken  hält  er  den  Zepter 
seines  Reiches.  So  sitzt  er  gleichsam  im  Grabe.  Es  sah  aber  Turpin, 
der  Erzbischof  von  Reims,  der  sein  Leben  schrieb,  wie  damals  viele  Teufel  durch 
die  Lüfte  zogen;  nnd  er  beschwor  sie.  Jene  aber  sagten:  .Wir  fahren  zum 
Tode  Karls,  um  ihn  in  die  Hölle  zu  führen“.  Er  beschwor  sie  dann,  dass  sie 
zu  ihm  zurückkebrten.  Als  sic  wiederkamen,  sprachen  sie:  .Wir  haben  ihm 
Brot  vorgeworfen,  aber  es  kam  einer  ohne  Kopf,  dem  Herodes  den  Kopf 
hatte  abschlagen  lassen,  nämlich  der  Apostel  Jakobus,  und  entriss  ihn  nn- 

‘)  bei  Turpin  c.  8 heisst  das  Schwert:  Gaudiosa. 

*)  Turpin  c.  23.  •)  c.  26.  *)  c.  26.  •)  c.  29. 

*)  Turpin  erwähnt  das  in  den  Kapiteln  8,  10,  16. 

Hittollnngea  d.  scMos.  Ues.  f.  Vkde.  Band  XI  n (Hell  XXII;.  3 


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seren  Dämonen,  indem  er  die  unermesslichen  Wohltaten  und  Reichtilmer  herhei- 
hrachte,  die  die  Kirchen  von  ihm  erhalten  haben  zur  SOhnc  für  seine  Sünden '). 

Aus  der  Zeit  der  Nachfolger  Karls  sei  die  Vision  Karls 
des  Dicken  erwähnt,  in  der  er  die  Leiden  seiner  Vorfahren 
ini  Jenseits  erblickt  [lOtD“],  und  die  Legende  von  der  Päpstin 
Johanna,  die  unter  dem  Jahre  847  ziemlich  wörtlich  nach  dem 
Texte  des  Martinas  Polonus  erzählt  wird,  aber  mit  zwei  Zusätzen, 
nämlich,  dass  damals  bestimmt  worden  sei,  dass  man  sich  des 
Geschlechts  des  neugewählten  Papstes  zu  vergewissern  habe,  und 
dass  am  Orte  der  Niederkunft  Johannas  eine  Bildsäule  errichtet 
worden  sei  [198'^’]*).  Aus  der  Zeit  Arnulfs  wird  die  Sage  von 
Hatto  von  Mainz  berichtet’). 

[200'»]  Bischof  Hatho  ging  elend  zugrunde;  er  wurde  im  Wasser  von 
Mäusen  aufgefressen.  Das  war  die  Strafe  Gottes , da  er  zur  Zeit  der  Teurung 
eine  mit  Arnieu  vollgefullte  Scheuer  hatte  anzUnden  lassen,  und  als  sie  darin 
weinten,  gesagt  hatte;  „Wie  schreien  doch  diese  Mäuse!“ 

Ausführlich  wird  bald  darauf  die  Geschichte  des  Zauberers 
Gerbert  erzählt*). 

[203  vaj  Arnulfus  aus  dem  Geschlechte  Karls  wird  znm  Bischof  von  Keims 
ernannt,  nachher  abgesetzt  und  der  MBnch  Gerbert  mit  der  Würde  bekleidet. 
Nachher  aber  findet  man,  dass  mau  ohne  päpstliche  Erlaubnis  den  Bischof  nicht 
hätte  absetzen  dürfen;  und  so  wurde  Arnulfus  wieder  eingesetzt  und  Gerbert 
von  Otto  zum  Erzbischof  von  Ravenna  ernannt  und  wird  daun  Papst.  Daher 
der  Vers:  Transit  ah  Remis  Gerbertus  ad  Ravennam,  fit  papa  Ingens  Bomae. 
Dieser  Papst  geriet  auf  Abwege  und  lernte  die  Nigromantie  und  die  Künste  des 
Quadriviums;  er  stahl  ein  ausführliches  Buch  Uber  die  schwarze  Kunst,  ver- 
schrieb sich  dem  Teufel  und  wirkte  Wunderdinge  in  jener  verwerflichen  Kunst, 
so  dass  er  zuerst  in  Reims,  daun  in  Ravenna  uud  schliesslich  in  Rom  zu  hohen 
Ehren  gelangte.  Er  hatte  vom  Teufel  die  Prophezeiung  erhalten,  dass  er  nicht 
sterben  würde,  bevor  er  in  Jerusalem  eine  Messe  gelesen  hätte.  Es  gibt  aber 
in  Rom  eine  Kirche,  die  so  hei.sst,  dort,  wo  das  „romilisehe  Asyl“  war.  Hier 
liest  der  Papst  dreimal  jährlich  die  Messe.  .Als  nun  Gerbert  dorthin  gekommen 
war  und  sieb  znr  Messe  vorbereitet,  wird  er  krank,  und  als  er  seine  Zauber- 
statue befragt,  erhält  er  die  Antwort,  dass  er  sterben  müsse.  Daher  beklagt 

>)  c.  32. 

’)  Monum.  Germ.  Sanctorum  XXII  428,  herausg.  v.  L.  Weiland  1872;  siehe 
Dollinger,  Papstfabeln  27  ff. 

•)  Liebrecht,  Zur  Volkskunde  1879  8.  1 — 16;  .Anz.  f,  die  Kunde  der  deut- 
schen Vorzeit  XXVI  111;  ürässe,  .“Sagenbuch  2,  107  ff. 

*)  Picavet,  Gerbert,  un  pape  philosophe  d'aprcs  riiistoirc  et  d’apres  la  li!- 
gende,  Paris  1897,  cap.  VI.  Quelle  ist  Wilhelm  v.  Malmesbury  (Migne  Series 
Int.  179,  1 137), 


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131 


er  vor  den  Kardinalen  alle  seine  Sünden  und  bekennt  sie  ihnen.  Vor  Stannen 
wis.sen  diese  nichts  zn  sagen.  Da  liisst  er  sich  in  seiner  Raserei  und  Angst  die 
Glieder  einzeln  abschlagen  und  vor  die  Tür  werfen,  indem  er  ruft:  ,MiSge  der 
diese  Glieder  in  Besitz  nehmen,  der  sich  von  ihnen  den  Lehnseid  schwüren  Hess. 
Meine  Seele  aber  hat  sich  nie  an  diesen  Eid,  oder  besser  an  dieses  Sacrileg  ge- 
bunden“. Er  suchte  in  der  Erde  verborgene  Schätze,  er  sah  solche  in  Rom  auf 
dem  Marsfelde,  aber  er  erlangte  dort  keine,  sondern  anderswo  In  den  Königen 
und  Fürsten  Frankreichs  und  des  römischen  Reiches  fand  er  Schüler  seiner  Non- 
gier. Und  so  ging  er  endlich  leiblich  und  geistig  elend  zugrunde.  Andere 
sagen,  er  sei  wegen  seiner  Busse  gerettet  worden. 

Von  Otto  III.  erzählt  die  Chronik,  dass  ihm  Karl  der 
Grosse  iin  Traume  erscheint,  ihm  tliicht,  dass  er  aus  Neugier 
sein  Grab  habe  öffnen  lassen,  und  als  Strafe  verkündet,  dass  er 
ohne  N'aehkommen  sterben  werde  [204'"“].  Unter  dem  Jahre  1013 
folgt  dann  die  Sage  von  den  Tänzern  von  Kölbigk,  inhaltlich 
genau  nach  dem  Bericht  des  Otbert,  also  wohl  aus  Wilhelm  von 
Malmesbury  direkt  oder  durch  Vermittelung  des  Vinzens  von 
Bt'auvais  entlehnt ').  Wertvoller  dagegen  für  die  deutsche  Sage 
ist  der  Bericht  über  den  Tod  Heinrichs  II. 

Der  Merseburger  Kelch. 

[2U4vb|  Als  Heinrich  starb,  kamen  die  Teufel  und  klagten  ihn  wegen 
vieler  Vergehen  an.  Aber  St.  Laurentius  brachte  einen  grossen  goldenen  Kelch 
herbei,  legte  ihn  auf  die  Wage,  und  die  Schale  mit  den  guten  Werken  sank 
herab.  Und  der  Teufel  berührte  mit  der  Zange  den  Kelchkuauf,  wie  mau  heute 
noch  an  dem  Kelche,  der  in  Merseburg  ist,  sehen  kann. 

Bei  Adelbert,  der  im  Leben  Heinrichs  zuerst  diese  Sage 
erwähnt,  stammt  die  Spur  am  Kelche  davon,  dass  die  hcrab- 
sinkende  Schale  zu  hart  auf  den  Boden  aufstösst,  so  dass 
unsere  Fa.ssung  eine  selbständige  Weiterbildung  der  Sage  dar- 
stellt*). Im  Anschluss  an  Wilhelm  von  Malmesbury*)  wird  dann 
zum  Jahre  1044  die  Geschichte  von  jener  englischen  Hexe  er- 
zählt, die  sieh  drei  Nächte  vor  den  Dämonen  bewachen 
lässt,  in  der  letzten  Nacht  aber  doch  von  ihnen,  trotzdem  sie  in 
eine  Ilirschhaut  eingeschnürt  und  mit  Ketten  im  Sarge  festgebunden 
ist,  durch  die  Lüfte  in  die  Hülle  entführt  wird.  Wir  kommen 


•)  Wilh.  V.  Malmesb.,  Gesta  regum  Anglor.  lib.  II  § 174;  Viuc.  Bellov. 
Spec.  hist.  lib.  XXVI  c.  10;  siehe  E.  Schröder,  Die  Täuzer  von  Kölbigk -(Z.  f. 
Kirehengeach.  17  (1896)  94  ff. 

*)  Adelberti  Vita  Heinrici  II,  luipcratoris  (Script.  Germ.  hist.  IV  810). 

•)  Gesta  reg.  .4ngl.  lib.  II  § 204  (Migne  179,  1188). 

9» 


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132 


nun  zu  einem  Stoffe,  der  in  der  neueren  deutschen  Literatur  eine 
gewisse  Rolle  gespielt  hat  und  deswegen  etwas  eingehender  be- 
sprochen werden  mag.  Wieder  im  Anschluss  an  Wilhelm  von 
Malmesbury,  aber  mit  mehreren  Abweichungen  und  Kürzungen, 
erzählt  unser  Chronist  unter  dem  Jahre  1049  die  folgende  Ge- 
schichte. 

Das  Harmorbild. 

(206  '•>]  Zu  derselben  Zeit  feierte  ein  vornehmer  Jüngling  mit  einer  Jung- 
frau seine  Hochzeit.  Mit  seinen  Gefährten  ging  er  hinaus,  um  zu  spielen.  Da- 
bei steckte  er  den  Ring,  den  er  erhalten  hatte,  an  den  Finger  einer  Statue,  die 
dort  stand.  Als  er  ihn  aber  nach  dem  Spiele  wiedemehmen  wollte,  konnte  er 
ihn  nicht  vom  Finger  abziehen.  In  der  Nacht  kehrte  er  mit  einem  Gefährten 
dorthin  zurück,  aber  er  fand  den  Ring  nicht  mehr,  da  er  weggenommen  worden 
war.  Als  er  sich  nun  seiner  Braut  nahen  will,  fühlt  er,  wie  sich  zwischen  ihn 
und  sie  ein  Gespenst  wie  ein  dichter  Nebel  drängt,  sehen  aber  konnte  er  es 
nicht.  Und  dieses  Wesen  spricht:  „Ruhe  bei  mir,  denn  du  hast  dich  mit  mir 
durch  den  Ring  verlobt“.  Und  so  geschah  es  immer  wieder.  Endlich  offenbart 
der  Bräutigam  dieses  Geschehnis  seinen  Frennden  und  Eltern.  Diese  riefen 
einen  Priester,  der  zugleich  ein  Schwarzkünstler  war,  mit  Namen  Palumbns, 
dem  sie  grosse  Versprechungen  machten.  Dadurch  verlockt,  schrieb  dieser  einen 
Brief,  den  er  dem  Bräutigam  gab  mit  deu  Worten:  „Geh  und  stell  dich  um 
Mitternacht  an  einen  Ort,  wo  vier  Wege  Zusammentreffen.  Dort  werden  viele 
Fröhliche  und  Traurige  in  mannigfacher  Verfassung  an  dir  vorüberziehen.  Sprich 
jedoch  mit  keinem.  Aber  wenn  ein  Weib  auf  einem  Tier  in  der  Tracht  einer 
Dirne  vorüberreiten  und  dich  frech  anblicken  wird,  so  übergib  ihr  den  Brief“. 
Der  Jüngling  tat  das,  forderte  von  ihr  deu  Ring  und  erhielt  ihn  auch  zurück. 
Der  Dämon  aber  streckte  seine  Hände  gegen  den  Himmel  aus  und  rief  laut: 
„Allmächtiger,  wie  lange  wirst  du  die  Schandtaten  des  Priesters  Palumbus  noch 
dulden!*  Als  aber  dieser  Ruf  zu  deu  Ohren  des  Palumbus  draug,  erkannte  er, 
dass  sein  Ende  gekommen  war,  und  er  bereute  vor  dem  gesamten  römischen 
Volke  seine  unerhörten  Freveltaten  und  bekannte  sie.  Und  dann  schlug  er  sich 
freiwillig  alle  seine  Glieder  ab  und  starb  unter  dieser  entsetzlichen  Strafe  vor 
den  Augen  aller.  Vielleicht  ist  er  doch  eine  Beute  der  Dämonen  geworden. 

Von  den  inhaltlichen  Änderungen,  die  unser  Chronist  vornahm, 
ist  die  bedeutendste,  dass  er  den  Brief  sofort  der  Dirne  zustellen 
lä-sst,  während  bei  Wilhelm  von  Malmesbury  der  Brief  einem 
obersten  Dämon  überreicht  wird,  der  dann  das  Dämonenweib  zur 
Rückgabe  des  Ringes  auffordert.  Es  liegt  hier  in  Wilhelms  Be- 
richte eine  römische  Volkssage  vor.  In  einer  der  Handschriften 
schlie.s.st  .sie  nämlich  mit  den  Worten:  Das  erzählt  sich  die  ganze 
römische  Landschaft  bis  auf  den  heutigen  Tag,  die  Mütter  lehren 
es  ihren  Kindern,  damit  sie  es  der  Nachwelt  überliefern*);  und 

■)  Munum.  Germ.  hist.  .Scripiurcs  X 471  aus  einem  Codex  zu  Canterbury. 


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133 


der  Glossator  einer  anderen  TTandsehrift  setzt  als  Namen  des 
Jünglings  Lucianus  und  der  Jungfrau  Eugenia  hinzu ').  Das  Er- 
eignis, das  sich  nach  Wilhelm  im  Jahre  1045  zugetragen  hat  und 
von  ihm  um  die  Mitte  des  12.  Jahrhunderts  aufgezeichnet  wurde, 
hat  bereits  im  Mittelalter  eine  starke  Wirkung  ausgeübt.  Denn 
bereits  im  13.  Jahrhundert  findet  sich  dasselbe  Motiv  in  wenigstens 
drei  Handschriften  zu  einem  Marienmirakel  verarbeitet  vor*). 
Danach  spielen  junge  Leute  Ball;  einer  befürchtet,  den  Ring,  den 
er  von  seiner  Geliebten  erhalten  hat,  zu  beschädigen.  Er  will  ihn 
einstweilen  in  der  Kirche  ablegen.  Da  sieht  er  ein  Bild  Marias; 
über  dessen  Schönheit  entzückt,  entsagt  er  der  früheren  Liebe  und 
steckt  den  Ring  an  den  Finger  des  Bildes.  Das  Bild  krümmt  den 
Finger.  Trotzdem  heiratet  der  Jüngling  einige  Zeit  darauf.  In 
der  Hochzeitsnacht  erscheint  ihm  Maria,  sich  zwischen  ihm  und 
der  Braut  lagernd  und  den  Finger  mit  dem  Ringe  vorstreckend. 
Er  verlässt  die  Braut  und  wird  Mönch.  Nach  der  anderen  Ver- 
sion steht  die  Marienstatue  auf  dem  Platze  vor  der  Kirche.  Im 
17.  Jahrhunderte  wurde  Wilhelms  Venusgeschichte  zu  neuem  Leben 
erweckt.  E.  G.  Happel  gab  eine  fast  wörtliche  Übersetzung  davon 
in  seiner  Sammlung  seltsamer  Geschichten,  die  1687  in  Hamburg 
erschien*).  Derselbe  Band  aber  enthielt  eine  in  fünf  Kapitel  ge- 
teilte Geschichte:  Die  seitzahme  Lucenser-Gespenst,  die  „ein 
sehr  curieuser  Frantzose  von  den  aller  neuesten  Scribenten“  aus 
Lucca  berichtet  habe : Ein  italienischer  Reisender  Alessandro  wird 
von  einem  gewissen  Donati  in  das  Haus  einer  gespenstischen  Dame 
geführt,  aber  daraus  glücklich  befreit.  Dieser  Donati  und  die 
Dame  müssen  so  nach  ihrem  Tode  umgehen,  weil  sie  zu  Lebzeiten 
als  Gastwirtsleute  viele  Fremde  ennordet  haben ‘). 

Von  einem  Marmorbilde,  das  Venus  vorstellt  und  Leben  an- 
nimmt, ist  jedoch  in  dieser  Geschichte  gar  nicht  die  Rede. 


')  Cod.  Bari.  261  des  Wilhelm. 

’l  A.  Mussaffia,  Studien  zn  den  mittelalterlichen  Harienlegeuden  (Wiener 
Sitzungaberiebte,  pbil.-bist.  Kl.  113  (1886)  S.  62  Nr.  29,  von  wo  obeustehendc 
Inhaltsangabe  entnommen  ist;  ferner  11.3  S.  979  Nr.  67  und  etwas  abweichend 
113  S.  986  Nr.  49;  115  (1887)  S.  49  Nr.  2. 

•)  E,  Q.  Happelii  Relationes  Curiosae,  Hamburg  1685 — 1689,  5 Bde.,  Bd.  III 
470;  hier  ist  die  Geschichte  in  die  Zeit  Heinrichs  IV.  (1056—1106)  verlegt;  sie 
tr&gt  die  Überschrift:  Die  Teufflisebe  Venus. 

*)  ebenda  III  510. 


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1819  crticliicii  Elclieiulorf fs  romantische  allegorisieronde 
Novelle:  Das  Mannorbilcl.  Ein  Brief  an  Fouqud  (2.  XII.  1817) 
erwähnt  zugleich,  allerdings  in  recht  unbestimmten  Ausdrücken, 
dass  er  wohl  zu  seiner  Novelle  iu  Happels  Lucenscr  (ieschichte 
die  entfernte  Veranlassung  erhalten  habe.  Eichendorlf  scheint 
sich  also  nicht  mehr  darüber  klar  zu  sein,  dass  er  zwei  ver- 
schiedene (Quellen  in  seine  Novelle  hineingearbeitet  hat*).  So 
wurde  ihm  das  Lucenscr  Gespenst  zur  Marmorvenns,  die  im 
Frühling  wieder  Leben  annimmt,  um  die  Jugend  *von  christlicher 
Frömmigkeit  zu  heidnischer  Sinnenlust“  *)  zu  verlocken. 

Sehen  wir  hier  die  alte  Form  geändert,  aber  auch  mit  neuem 
Geist  belebt,  so  finden  wir  sic  bei  einem  anderen  Novelli.sten  un- 
verändert wieder.  In  den  „Venetianischen  Novellen“  Gaudys, 
die  1838  erechienen,  führt  die  eine  den  Titel  „Frau  Venus“. 
Hier  haben  wir  trotz  alles  äu.sserlichen  Beiwerks  nach  Inhalt  und 
Form  die  mittelalterliche  Sage,  nur  dass  sie  nach  Verona  in  die 
Zeit  nach  Tan  Grandes  II.  Ermordung  durch  seinen  Bruder  Can 
Signorio  (13ö9)  verlegt  wird,  und  da.ss  der  „Maure“  Palombo  nach 
dem  Zauber  sj)urlos  verschwindet. 

Doch  kehren  wir  nach  dieser  .Abschweifung  zurück  zu  unserer 
Weltchronikl  Im  Jahre  1131  „befiel  das  heilige  Feuer  viele, 
doch  sind  mehrere  durch  die  .selige  Jungfrau  und  Magdalena  auf 
ihr  Gebet  hin  von  der  Krankheit  befreit  und  geheilt  worden“ 
[211**].  Philip])  II.  von  Frankreich  „erblickte,  in  den  Händen 
des  Priesters  die  Hostie  nach  der  Konsekration  blutig  gefärbt 
und  als  Fleiscli,  aber  man  sagt,  das  .sei  an  anderen  Orten  gc- 
.schehen  zur  Vernichtung  der  Häresie,  welche  die  Anwe.senheit 
riiristi  in  der  konsekrierten  Hostie  läugnet“  [213*'’]'*).  Mit  dem 
Jahre  1200  wendet  sich  das  Interesse  den  Tartaren  zu.  Von  lien 
an  vei-schicdenen  Stellen  zerstreuten  Angaben  über  Sitten  und 
Bräuche  der  Tartaren  .sind  die  meisten  der  Keisebcschreibung  des 
Mandcville  entlehnt*).  Für  die  Sagenge.schichte  interessant  ist  die 

’)  Danach  ist  zu  berichti(?cii , was  Ewald  Reinhard  in  dem  Aufsatze  über 
Eichendorffs  Novellen  (Literarischer  Ilandweiser  1900  Nr.  IS  S.  1 f.)  sagt. 

’)  Vogt  n.  Koch,  Deutsche  Literaturgesch. ' 1897  S.  870. 

*)  Über  die  Hostienwunder  8.  Schönbach,  Studien  zur  Erzählungsliteratiir 
des  Mittelalters  VI.  Teil  (Wiener  Sitzungsber.  phil.-hist.  Kl.  1.t6  (1908)  I). 

*)  In  der  .Ausgabe  von  J.  0.  Ilalliwell,  The  Voiage  and  Travaile  of  Sir 
John  Maundeville,  London  1839,  cap.  XXlll  S.  247 — 265, 


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135 


Begründung  der  Abstammung  der  fränkischen  Könige  von 
den  Troianern. 

[2I9va]  Das  Königtum  der  Franken  liat  seinen  Ursprung  in  den  Troianern 
ans  der  Keit  des  Fürsten  nnd  römischen  Kaisers  Aurelianus.  der  denen  die  Frei- 
heit versprach,  welche  die  Frauken  botinässig  machen  könnten.  So  kam  Pri- 
amus  II.  mit  einem  Heere  aus  Phrj'gien  und  Troia,  um  sie  zu  bekriegen,  und 
danach  regierten  seine  Söhne. 

Audi  zur  Sage  vom  bergentrückten  Kaiser  bietet  die 
riiroiiik  einen  kurzen  Beitrag.  Nachdem  von  dem  Gericht 
Innocenz'  IV.  über  Kaiser  Friedrich  II.  die  Rede  gewesen  ist,  zu 
dem  der  Kaiser  nach  Lyon  geladen  worden  war,  fährt  der 
Chronist  fort : 

[220va]  Er  wurde  Friedrich  von  Sleffanborch  (Stanffeu)  genannt.  Und  es 
geht  die  .Sage,  dass  er  dort  noch  hente  lebt,  weil  man  nichts  von  seinem  Tode 
liest.  In  einem  Kriege  in  Italien  verschwand  er  nnd  ist  noch  nicht  wieder- 
gekominen.  Aber  zu  den  Zeiten  des  Herzogs  nnd  Kaisers  Ludwig  von  Bayern 
trat  einer  in  den  Rheingegenden  auf,  der  sagte,  er  wäre  der  Kaiser  Friedrich, 
und  viele  nahmen  ihre  Länder  als  Lehen  von  ihm.  Oer  Kaiser  lachte  darüber, 
doch  schliesslich  wurde  die  Zahl  seiner  Anhänger  zn  gross.  Deshalb  zog  der 
Kaiser  gegen  ihu,  belagerte  die  Stadt,  in  der  er  sich  aufhielt,  bis  man  ihn  ans- 
lieferte, und  liess  ihn  in  einem  Oefässe  verbrennen. 

Au.s  der  Geschichte  desselben  Kaisers  sei  nocli  erwähnt  die 
Sage  von  dem  Versuche  der  Freunde  des  gefangenen  Herzogs 
Friedricli  von  Österreich,  diesen  mit  Hilfe  des  Teufels 
aus  Ludwigs  Gewalt  zu  befreien  [227'^*].  .Te  mehr  wir  uns 
dem  Zeitalter  des  Chronisten  nähern,  desto  dürftiger  wird  der 
Sagenstoff.  Das  ist  ja  ganz  natürlicli;  eine  Sage  braucht  Zeit,  um 
zu  reifen.  Auch  ist  der  Blick  des  Historikers  in  dieser  Zeit  zu 
einseitig  auf  die  Wirren  in  der  Papstge.schichte,  die  Re  form  versuche 
auf  den  Konzilien  und  die  beginnenden  Häresien  gerichtet;  die 
Darstellung  nimmt  oft  ein.seitig  dogmatisclien  Charakter  an,  da  ist 
kein  Platz  mehr  zum  Fabulieren;  schliesslich  werden  diese  Inter- 
e.ssen  abgclöst  von  Darstellungen  der  kleinen  politischen  Fehden 
zwischen  den  einzelnen  Territorialherren;  in  dem  Drange  der  Zeit 
geht  dem  Chronisten  der  historische  Blick  für  das  Bedeutende 
ebenso  verloren  wie  die  Lust  am  Legendenhaften.  Hin  und  wieder 
hören  wir  ein  scharfes  Wort  über  die  letzten  Regenten.  „König 
Wenzel  betrank  sich  täglich  ...  Er  liess  nicht  ab  vom  .süssen 
gallischen  Wein  und  anderen  berauschenden  Getränken“.  Schlie.s.s- 
lich  haben  die  Frankfurter  „einen  Strohmann  gemacht  imd  in 


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einen  Mantel  cingcsclilossen,  der  den  König  vorstellen  sollte,  ihn 
durch  die  Stadt  wie  einen  Räuber  geschleppt,  abgesetet  und  fort- 
geworfen“ [230'*’].  Und  doch  geht  auch  die  Beschreibung  der 
Zeitgeschichte  des  Chronisten  nicht  ohne  Gewinn  für  die  Sagen- 
geschichte dahin.  Der  eine  dieser  Stotfe  spielt  auch  in  der 
heutigen  Volkssage  noch  eine  wichtige  Rolle.  Unter  dem  Jahre 
1412  findet  sich  der  folgende  Abschnitt. 

Die  schwarze  Greet. 

[234’''’]  Die  andere  Tochter  des  Königs  von  England,  Greta  mit  Namen, 
heiratete  den  König  von  Dduemurk  und  führte  nach  seinem  Tode  die  Regierung. 
Sie  fügte  den  Seestädten  viel  Unrecht  zu  und  lebte  ausschweifend.  Endlich 
aber  wollte  Gott  den  Freveln  ein  Ende  machen,  und  nachdem  sie  viele  getötet 
und  den  Städten  in  Belagerungen  und  sonst  vielen  Schaden  zngefügt  hatte,  soll 
sie  mit  Leib  und  Seele  von  ihrem  Schiffe  ins  Verderben  gestürzt  worden  sein. 
Und  man  nennt  sie  die  , schwarze  Greet“  (Nigra  Greta).  Ihr  Leib  wurde 
später  mit  grossem  Prunk  beigesetzt,  aber  in  derselben  Nacht  entstand  in 
Westfalen  ein  grosser  Schlund  in  der  Erde,  und  dort  ist,  wie  das  Volk  all- 
gemein erzählt,  ihre  Seele  hineingefahren. 

Erinnern  wir  uns,  dass  Johann  von  Hagen  selbst  Westfale 
ist,  und  da.ss  er  jedenfalls  bald  nach  seinen  Kindheitsjahren  zum 
Eintritt  ins  Kloster  die  Heimat  verliess;  somit  ist  die  von  ihm 
mitgeteilte  Sage  die  Form,  in  der  sic  um  1425  in  Westfalen  er- 
zählt wurde.  Noch  heute  ist  die  „schwarze  Greet“  dort  dem 
Volke  bekannt. 

„Da  birst  das  Moor,  ein  Seufzer  geht 
Hervor  aus  der  klaffenden  Höhle; 

Weh,  weh,  da  ruft  die  verdammte  Margret: 

„Ho,  ho,  meine  arme  Seele!“  — 

so  heisst  es  in  Annette  von  Drostc-Hülshoffs  Gedicht:  Der 
Knabe  im  Moor'j.  Aber  das  Hauptgebiet  dieser  Sagen  ist 
Schleswig.  Sie  sind  gesammelt  in  K.  Müllenhoffs  Sagen,  Märchen 
und  Liedern  der  Herzogtümer  Schleswig,  Holstein  und  Lauenburg*). 
Hier  sind  Sagen  von  einer  Riesin,  die  einen  PeLsen  schleudert 
(S.  269),  einen  Berg  in  der  Schürze  trägt  (S.  273)  und  das  Dane- 
werk  baut  (S.  275),  mit  einer  Sage  von  St.  !\Iargareta,  die  den 
Fischern  verbietet,  einen  perlengeschmückten  Fisch  zu  behalten 

*)  Gesammelte  Schriften,  l’otta,  Bil.  I 97. 

•)  1845  S.  14  Nr.  XI,  S.  18  Nr.  XVI,  S.  157  Nr.  CCXV,  S.  2fi9  Nr.CC'CLXl, 
S.  273  Nr.  CCCLXVII,  S.  275  Nr.  CCCLXXI,  S.  342  Nr.  CCCCLIX,  S.  585  Nr.  DCV- 


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(S.  157  und  Anni.  S.  598),  auf  eine  K<ini>rin  Margareta  übertragen, 
die  als  Gespenst  über  das  Danewerk  reiten  muss  (S.  342),  nach- 
dem sie  zu  Lebzeiten  mit  den  Holsten  Krieg  geführt  hat  (S.  14) 
und  die  Elbe  und  Schlei  mit  einer  Kette  gegen  feindliche  Schiffe 
abgesperrt  hat  (S.  18)‘).  Der  bisher  älteste  Beleg  für  diese  Sagen 
von  der  Königin  findet  sich  im  Chronicon  Holsatiae  des  Presbyter 
et  Scriba  Bremensis.  Dieser  verlegt  aber  den  Kampf  der 
„swarten  Grete  (Nigra  Margarita)“  in  die  Zeit  um  1175, 
wo  gar  keine  Königin  Margareta  regiert  hat*).  Dafür  hat  man 
bisher  in  der  Margrcthe  Sambiria,  die  bis  1282  regierte,  das 
Urbild  der  Sageiikonigin  sehen  wollen  ’).  Doch  mit  Unrecht.  Sie 
bot  keinen  genügenden  Anlass,  um  ;\Iiftei)unkt  und  Träger  von 
einer  Reihe  von  Volkssagen  zu  werden.  Und  den  historischen 
Irrtum  des  Bremer  Chronisten  haben  seine  Nachfolger,  die  ihn 
ansge.schrieben  haben,  dadurch  stillschweigend  berichtigt,  dass  sie 
für  Margareta  den  König  Waldemar  setzten.  AVie  der  Bremer 
Chronist,  der  doch  Zeitgenosse  der  Unionskönigiu  gewesen  sein 
muss,  wie  er  Zeitgenosse  des  Johann  von  Hagen  war,  zu  seinem 
Irrtum  kam,  ist  nicht  nachweisbar.  Aber  bereits  K.  Müllenhoff 
hat,  ohne  allerdings  historische  Beweise  dafür  zu  haben,  richtig 
angenommen,  dass  die  Trägerin  der  späteren  Sage  die  Unions- 
königin Margareta  (1353 — 1412)  gewesen  ist,  dass  man  in  ihr  die 
, schwarze  Margaret“  zu  erblicken  hat*).  Müllenhoffs  Annahme 
findet  in  unserer  Sagenversion  ihre  Bestätigung.  Unser  Chronist  ^ 
war  auch  über  das  Ende  dieser  Königin  gut  unterrichtet.  Mar- 
gareta starb  wirklich  auf  dem  Schiffe,  als  sie  1412  nach  Flens- 
burg gekommen  war  und  wieder  heim  fahren  wollte,  noch  bevor 
sie  den  Hafen  verlassen  hatte.  Und  die  Volk.ssage,  die  jene 
Riesensagen  auf  sie  übertrug,  zeigt,  welch  gewaltigen  Eindruck 
die  bewundernswerten  Kegierungstaten  der  Königin  auch  auf  ihre 
Gegner  machten,  wie  die  Sagen  von  der  Verdammnis  dieser  Kö- 
nigin die  natürliche  Folge  ihres  oft  rücksichtslosen,  grausamen 
A’ergehens  gegen  ihre  Feinde  sind. 

Liess  sich  in  diesem  Falle  eine  Angabe  unserer  Chronik  ver- 
werten, um  die  hi.stori.schen  Beziehungen  einer  Volkssage  darzu- 

')  9,  J.  Urimm,  Oeutsclio  Mythol.  * III  l.%5. 

')  Monmnenta  inedita  rerain  (icrinanicanini  ed.  E.  J.  de  Wcstphalen,  III  43. 

Üansk  biografisk  Lexikon  Bd.  11  (1897)  116. 

‘)  a.  a.  O.  S.  692.  Anm.  zu  S.  18  Nr.  16. 


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legen,  so  sind  einige  andere  Bemerkungen  des  Clironistcn  eher 
geeignet,  die  durcheinanderlaufenden  Fäden  einer  anderen  mittel- 
alterlichen Sage  noch  mehr  zu  verwirren.  Wir  finden  hier  nämlich 
zwei  Angaben  iilier  den  „Priester  Johannes“,  die  der  son.stigen 
Sage  fremd  sind.  Hagen  erwähnt  diesen  Presbyter  Johannes 
bei  drei  Gelegenheiten.  Die  eine  der  Nachrichten,  die  er  unter 
dem  Jahre  120J  bringt,  geht  inhaltlich  auf  eine  Angabe  des  Vin- 
zenz von  Beauvais  zurück 

[215'''’]  Zu  diesen  Zeiten  wurden  die  Tartaren,  die  von  den  Produkten 
ihrer  Herden  leben  und  in  Zelten  wolmen,  und  die  dem  Könige  Indiens  unter- 
geben waren,  von  diesem  Könige,  dem  Presbyter  Johannes,  aufgefordert,  den 
gewohnten  Tribut  und  Frondienste  zu  leisten.  Da  hielten  sie  einen  Rat  unter 
sich,  und  einer  von  ihnen  mit  Namen  (iwiscam  (Cingischan)  gab  den  Rat,  sich 
gegen  David,  den  König  Indiens,  ihren  Herrn,  zu  emiiören.  Die  anderen 
stimmten  diesem  zu,  sammelten  ein  Heer,  überfielen  deu  nichtsahnenden  König 
Indiens  und  töteten  ihn. 

Unbekannt  dagegen  ist  in  der  Johannessage  der  von  Hagen 
gebrachte  Auszug  aus  .Mandevilles  Keisebe.schreiltung,  dass  Karls 
des  Grossen  Paladin  Ogier  von  Dänemark  auf  einer  Orientfahrt 
einen  friesischen  Grafen  zum  Könige  Indiens  gemacht  habe,  der 
von  seinen  Gefährten  wegen  .seiner  Frömmigkeit  „Priester  Jo- 
hannes“ genannt  worden  sei.  Der  Mandevilletext,  der  dem  Chro- 
nisten vorlag,  mu.ss  diese  Stelle  wohl  enthalten  haben.  Die  eng- 
lische Ausgabe,  die  mir  allein  zugänglich  ist,  kennt  ihn  nicht,  und 
in  ihr  würde  das  Kap.  27,  das  über  den  Glauben  des  indischen 
Kaisers  handelt,  .schwerlich  mit  der  Angabe  Hägens  über  die  Her- 
kunft seiner  Dynastie  in  Einklang  gesetzt  werden  können.  Auch 
wei.ss  die  Literatur  über  diese  Sage  von  Hägens  abenteuerlicher 
Angabe  nichts;  ebensowenig  die  französische  Sage  von  Ogier  von 
Dänemark.  Zum  drittenmal  tut  Hagen  dieses  Königs  während  der 
Be.schreibung  der  Regierung  König  Sigismunds  (1410—1437) 
Erwähnung. 

[235 fa]  Der  Kaiser  Imlieiis,  mit  Namen  Presbyter  Jobanuea,  schrieb  an 
Sifrismund,  den  Römischen  König,  ausführlich  über  die  Reichtümer  und  Provinzeu 
Indiens  und  drückte  den  Wunsch  aus,  Sigismund  zum  Marscliall  seines  Hofes  zu 
machen,  wenn  er  damit  einverstanden  wäre;  denn  der  König  Indiens  glaubt, 
dass  ihm  die  Herrschaft  Uber  die  gesamte  Christenheit  zukomme. 


')  Spec,  hist.  Uh.  XXIX  c.  fiO.  Vgl.  dazu  (inst.  Oppert,  Der  Presbyter  Jo- 
hannes 1864  S.  64 — 66;  F.  Kampers,  Alexander  der  liros.se  und  die  Idee  des 
Weltiinperiums  1901  S.  100—110. 


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Diese  Notiz  überträgt  den  angcblicli  vom  Könige  Indiens  an 
den  griecbisclien  Kaiser  Manuel  I.  Koninenus  (1143 — 1180)  ge- 
richteten Brief*)  über  die  wunderbaren  Schätze  und  die  Macht 
der  indischen  Könige  auf  Sigismund.  Wodurch  diese  Verwechslung 
verschuldet  wurde,  lässt  sich  leider  nicht  feststellen.  Die  Angabe 
zeigt  aber,  wie  lebendig  diese  Sage  noch  im  Ausgange  des  Mittel- 
alters im  Volke  war. 

Endlich  möge  noch  ein  Abschnitt  aus  unserer  Chronik  erwähnt 
werden,  der  ein  schönes  Beispiel  für  die  Entstehung  von  Volks- 
sagen ist.  Im  Jahre  1455,  in  der  Nacht  vom  7.  zum  8.  Juli, 
vollführte  Ritter  Kunz  von  Kaufungen  den  kühnen  Prinzen- 
ranb  auf  dem  Schlosse  zu  Altenburg“).  Welchen  Anteil  das 
Volk  an  diesem  Ereignisse  nahm,  beweist  ein  alter  Bcrgreihen 
vom  Prinzenraube,  der  noch  die  Sprache  des  15.  Jahrhnntlerts  er- 
kennen läs.st“).  Dieses  hi.storische  Volkslied  gibt  noch  ziemlich 
genau  den  richtigen  V'erlauf  des  .Abenteuers  wieder.  Die  Nach- 
richten der  folgenden  Jahrhunderte  aber  haben  einen  Sagenzug 
nach  dem  andern  in  sich  aufgenommen,  obwohl  die  besten  urkuml- 
lichen  Berichte  darüber  Vorlagen.  Ein  Vergleich  des  sicher  aus 
mündlicher  Quelle  .stammenden  Berichtes  unserer  Chronik  mit  dem 
urkundlichen  Material  zeigt,  wie  .schnell  hier  die  Phantasie  des 
Volkes  die  (Jeschichte  ausschmückte;  der  Chronikbericht  ist  ja  nur 
etwa  zwölf  Jahre  nach  dem  Ereignis  abgefasst.  Er  hat  folgenden 
Wortlaut. 

[245  r*>]  Im  Lande  Meissen  geriet  ein  Adliger  Kunrad  Kaiifnng  (Corradus 
Kapliiinge),  ein  vortrefflicher  Kriegsnianu,  Anitmium  des  Herzog.s  im  Schlosse 
Altenburg  (Aldenborch),  in  Zwistigkeiten  mit  dem  Herzog.  Der  KUcheukneebt 
(coquiis)  gab  sich  zum  Verrat  her,  liess  ein  BcUiich  herab  (pallium),  und  der 
Ritter  erstieg  mit  seinen  (»efährten  die  Schlossmauer  und  nahm  die  beiden  Söhne 
des  Herzog-s  gefangen,  als  sie  schlafen  gehen  wollten.  Als  die  Mutter  um  Hilfe 
rufen  wollte,  setzte  er  ihr  das  Schwert  auf  die  Bru.st,  damit  sie  .schwieg.  Und 
sie  machten  sich  auf  zwei  verschiedenen  Wegen  fort,  damit,  im  Falle  dass  der 
eine  Teil  mit  dem  einen  Knaben  gefangen  genommen  würde,  der  andere  ent- 
käme und  bei  einer  Aussöhnung  die  tiofangenen  gegen  den  anderen  Sohn  frei- 

')  .4bgedr.  bei  Oppert  a.  a,  0.  S.  107  ff.  Eine  gute  Handschrift  dieser 
Epislola  findet  sich  im  C'od  ms  IV  F 3.3  (Bl  27'a}  der  Kgl.  u.  Univ.-Bibl,  zu 
Breslau  (Ende  13.  Jh.,  aus  dem  Kloster  Heinrichan);  und  vom  J.  1424  in  Cod. 
ms,  IV  F 81  (Bl.  205vai. 

’)  Vgl.  Willi.  Schäfer,  Der  Montag  vor  Kiliani,  Dresden  1855;  Einige 
.\ktenstilcke  zur  Gesch.  d.  Sächsischen  Prinzeuraubes,  .\ltcnbnrg  1855. 

’)  R.  V.  Liliencron,  Die  hist.  Volkslieder  der  Deutschen  I (1865)  480. 


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140 


gegeben  wUrdeu.  UucI  sic  kamen  in  einen  Wald,  wu  Köhler  waren.  Und  man 
läutete  Stnrm  in  der  Nacht  in  ganz  Heissen.  Der  jüngere  Sohn  des  Herzogs 
aber  rief  die  Köhler  zn  Hilfe;  diese  riefen  einander  herbei,  überwältigten  die 
Räuber  und  brachten  den  gefangenen  Suhu  des  Herzogs  zurück.  Die  anderen 
aber  verbargen  sich  mit  dem  andern  Knaben  in  der  Sommerhitze  drei  Tage  lang 
an  einer  einsamen  Stelle  und  sammelten  Erdbeeren  für  .sich  und  den  jungen 
Herzogssohn.  Schliesslich  aber  schickten  sie  einen  nach  Lebensmitteln  ans. 
Dieser  wurde  ergriffen  und  verriet,  nachdem  liian  ihm  dafür  das  Leben  versprochen 
batte,  die  anderen.  Und  so  wurden  alle  zurUckgebracht  und  enthauptet.  Der 
Verräter  aber  wurde  gevierteilt  und  gerädert. 

Die  urkundliche  Darstellung;  dieses  Ereigfnisses,  die  uns  in 
dem  Schreiben  erhalten  ist,  das  der  Kurfürst  Friedrich  zu  Sachsen 
zur  Rechtfertigung  seines  Vorgehens  gegen  Kunz  an  die  Reichs- 
fürsten gerichtet  hat,  weicht  von  der  vorstehenden  Schilderung  in 
den  folgenden  Punkten  ab.  Kunz  gelangt  auf  einer  Strickleiter, 
die  ihm  ein  am  Abend  vorher  ins  Schloss  gesandter  Knecht  zu- 
wirft, in  das  Schloss,  erbricht  das  Zimmer,  in  dem  die  jungen 
Herzoge  bereits  schlafen.  Sein  die  Tat  erschwerendes  Verhalten 
gegen  die  Mutter  ist  in  unserem  Berichte  frei  erfunden,  ebenso 
wie  die  Angaben,  dass  die  Prinzen  auf  verschiedenen  Wegen  ent- 
führt wurden,  dass  Köhler  den  älteren  befreiten  und  der  jüngere 
von  Beeren  leben  musste,  bis  die  Ergreifung  eines  nach  Lebens- 
mitteln ausgeschickten  Ritters  auch  zu  seiner  Befreiung  geführt 
hätte.  Im  Berichte  des  Kurfürsten  werden  beide  Prinzen  den 
Räubern  von  den  Verfolgern  abgejagt;  auch  ist  hier  nichts  davon 
gesagt,  dass  Kunz  gevierteilt  worden  sei.  Das  Beerensuchen  aber 
erwähnt  bereits  das  Volkslied  und  auch  die  anderen  abweichenden 
Züge  unseres  Berichtes  finden  sich  in  den  sagenhaften  Darstellungen 
des  Ereignisses  im  Laufe  der  folgenden  Jahrhunderte  wieder. 
Wir  sehen  somit,  dass  sich  der  Hauptprozess  der  Sagenbildung 
bereits  in  den  wenigen  Jahren  nach  der  Tat  vollzogen  hat,  .solange 
das  Interesse  des  Volkes  und  die  Erregung  über  den  Vorfall  noch 
lebendig  waren;  an  dem  Ergebnis  der  Entwicklung  dieser  ersten 
Jahre  ist  in  der  Folgezeit  nichts  Wesentliches  mehr  geändert 
worden. 

Mit  dem  Berichte  über  den  Prinzenraub  nähern  wir  uns  dem 
Ende  der  Chronik.  Wie  eine  Erinnerung  an  längst  vergangene 
Zeiten  mutet  es  an,  dass  der  Chronist  mit  einem  Ausblick  auf  den 
Weltuntergang  und  das  jüngste  Gericht  .sein  Werk  beschlie.s.st; 
schon  dieser  eine  Zug  zeigt,  dass  er  noch  das  echte  Kind  des 


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141 


Mittelalters  ist.  So  i.st  äusserlicli  die  Einheit  herftestellt;  mit 
einer  Betrachtung  des  Wesens  Gottes  begann  er,  mit  der  Rückkehr 
der  Menschheit  zu  Gott  vollendet  er  die  Weltgeschichte.  Wie 
mannigfach  und  bunt  Geschichte  und  Sage  auch  an  dem  Le.ser 
vorüberzogen,  alles  findet  in  der  Gottheit  Vollendung  und  Ab- 
schluss. Wer  wie  der  mittelalterliche  Scholastiker  die  Welt  .sub 
specie  aeternitatis  betrachtet,  für  den  ist  alles  Vergängliche  nur 
ein  Exempel,  ein  Gleichnis  de.ssen,  was  wir  als  Wahrheit  erkennen 
werden  im  Jemseits. 

Verzeichnis  der  besprochenen  Sagenstoffe. 

Ogier  von  Dänemark  — Alexandersage  — Petrus  schickt 
einen  Sendboten  in  die  Lüneburger  Gegend  — Barlaam  und  Jo- 
saphat — Hinde  als  Pührerin  der  Hunnen  — Merlin  — Theoderich 
wird  in  den  Vulkan  ge.schleppt;  Vision  — Siebenschläfer  — 
Theophilus  — König  Artus  — Judenknabe  — blutendes  Kruzifix 
— Brandan  — Ägidius  — Amicus  und  Amelius  — Karlssage 
nach  dem  Pseudoturpin  — Vision  Karls  des  Dicken  — Päpstin 
Johanna  — Hatto  von  Mainz  — Zauberer  Gerbert  — Otto  III. 
von  Karl  verflucht,  da  er  sein  Grab  öffnen  lä.sst  — Tänzer  von 
Kölbigk  — Merseburger  Kelch  — Hexe  aus  dem  Sarge  von  Dä- 
monen entführt  — Marmorbild  (Frau  Venus)  — heiliges  Feuer 
von  Maria  und  Magdalena  geheilt  — Bluthostie  — Troianer  als 
Vorfahren  der  Franken  — bergentrückter  Kaiser  (Friedrich  II.)  — 
Herzog  Friedrich  von  Österreich  soll  durch  den  Teufel  aus  dem 
Gefängnisse  gerettet  werden  — Wenzel  als  Strohmann  — die 
schwarze  Greet  — Priester  Johannes  — der  Prinzenraub  des 
Kunz  von  Kaufungen. 


Drei  Dramen  mit  Verwendung  der  schlesischen 
Mundart  aus  dem  Jahre  1618. 

• Von  Ür.  Alfred  Lowak. 

Im  Jahre  1618  erschienen  in  Wittenberg  drei  Dramen,  zu 
einem  Bande  vereinigt,  anonym  im  Drucke:  1.  Acolastus,  Eine 
Lustige  ('emoedia  vom  verlorenen  Sohne;  2.  Eine  Schöne  Comoedia 
vom  Alten  vnnd  Jungen  Tobla;  3.  Tragicomoedia,  Ein  schön 


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Teutsch  Spiel  Vom  Holoferiie  viul  der  Juditli.  Ihr  Verfasser 
ist  der  Laiibaner  Pastor  prim.  .Martin  Hölimc  (Martinus  Ibdie- 
mus)‘).  1557  zu  Lauban  in  Schlesien  geboren*),  besuchte  er  bis 

zu  seinem  siebzehnten  Lebensjahre  die  Schule  seiner  Heimatstadt. 
Dann  begal)  er  sich  nacli  Wien,  wo  er  zwei  Jahre  lang  „Kinder 
informirct“,  und  von  da  nacli  Strassburg,  wo  er  ein  Lielilings- 
schüler  des  weitlierühmten  Pädagogen  Profe.ssors  Joh.  Sturm  wurde. 
Der  Tod  seines  Vaters  rief  ihn  1580  nach  Lauban  zurück,  wo  er 
1581  zum  ersten  Male  predigte  und  sjiäter  die  er.ste  Pastorstelle 
erhielt.  Am  5.  Februar  1622  ist  er  in  Lauban  gestorben.  Ausser 
den  genannten  Dramen  hat  er  nocli  einen  Jetzt  verschollenen 
„Joseph“  (1610)  geschrieben*),  sowie  ein  Kirchenlied  und  eine 
grosse  Anzahl  Predigten.  Der  Stoff  der  Haupthandlung  in  sämt- 
lichen drei  Schauspielen  Böhmes  lehnt  sicli  an  den  Bericht  der 
Bibel  an.  Fr.  Spengler  liebt  mit  Recht  hervor^),  dass  in  Böhmes 
Dramen  ein  wirklicher  Fortschritt  gegenüber  dem  16.  Jahrhundert 
wahrzunehmeii  ist:  Böhme  versteht  es,  die  Haujitpersonen  ge- 
schickt in  den  Vordergrund  des  Interesses  zu  stellen,  wirkliche 
Charaktere  zu  zeichnen,  und  zu  motivieren;  ja  er  richtet  schon 
sein  Augenmerk  darauf,  dramatische  S])aniiung  hervorzurufen. 
Was  uns  aber  am  meisten  angeht,  sind  die  Bauernepisoden  in  den 
drei  Dramen,  die  übrigens  durchaus  nicht  gänzlich  zu.sammcnhang- 
los  neben  der  Haupthandlung  heriaiifen:  auch  hier  sucht  der 
Dichter  zu  motivieren  und  alles  mit  der  Haupthaiidlung  zu  ver- 
knüpfen. In  diesen  Episoden  nun  bedient  sich  Böhme  teilweise 
der  schlesischen  Mundart.  Freilich  lässt  die  Heimat  des 
Dichters,  Lauban,  darauf  schliessen,  da.ss  es  sich  hier  nur  um 
eine  im  weiteren  Sinne  schlesische  Mundart  handle,  nämlich 
die  schlesisch-oberlausitzische;  dafür  scheinen  auch  die  Formen: 

‘)  Vgl.  über  ihn : Scherer  in  der  Allgein.  deutschen  Biographie  III  59 ; 
Fr.  Spengler:  Mnrtinus  Bühemus,  Jahresbericht  des  K.  K.  Uymnasiums  zu 
Znaim  Uber  das  Schuljahr  1892'93;  A.  Lowak  im  VII.  Bande  der  von  Max 
Koch  und  Gregor  Sarrazin  herausgegebenen  Breslauer  Beiträge  zur  Literatur- 
geschichte, Leipzig  1906  S 96  ff. 

*)  Die  Mitteilungen  über  M.  Böhmes  Leben  entnehme  ich  dem  Buche: 
Lebensgeschichte  aller  Evangelischen  Pastorum,  die  von  1525  . . . bili  auf  diese 
Zeit  in  . . . Lauban  gelehret  und  gelebet  haben  . . . verfertigt  . . . von  M.  Gottfr. 
Uoffmann,  Lauban  1707,  S.  133 — 164. 

’)  Spengler  a.  a.  0.  S.  2. 

<)  a.  a.  0.  S.  6 ff. 


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143 

sayn,  klayn  (=  dem  heutigen  oherlausitzisehen  soin,  kloin)  zu 
sprechen;  indes  finden  sich  diese  ebenso  aucli  im  engeren 
Schlesien,  z.  B.  um  Glogau,  Grünberg,  Primkenau,  Peterwitz  und 
Neudorf  bei  Schweidnitz  und  Mittelwalde');  und  wenn  sonst  noch 
als  besonders  charakteristisch  für  die  Oberlausitz  gilt,  dass  das  nhd. 
ei  = mhd.  i hier  durch  den  ai-Laut  vertreten  i.st,  so  linden  wir 
demgegenüber  in  unsern  drei  Dramen  auch  Formen  wie;  sein  (= 
mhd.  sinem)  = nhd.  seinem,  menner  (=  mhd.  miner)  = nhd.  meiner, 
die  gemeinschlesisch  sind.  Auch  in  den  übrigen  Formen  unseres 
Dialektes  ist  eine  besondere  Eigentümlichkeit  gegenüber  dem 
schlesischen  Dialekte  im  engeren  Sinne  nicht  zu  erkennen.  Man 
dürfte  daher  nicht  zu  weit  gehen,  wenn  man  die  Mundart  der 
drei  Dramen  als  schlesisch  bezeiclinet.  Leider  i.st  der  Dialekt 
hei  Martin  Bolime  stellenweise  mit  viel  Hochdeutsch  durchsetzt. 
Trotzdem  wird  ein  Neudruck  der  mundartlichen  Szenen  von 
Böhmes  Dramen*)  nicht  ohne  Interesse  sein:  einmal  haben  wir 
hier  eine  verhältnismii.ssig  frühe  und  reichliche  Probe  unseres 
Heimatdialektes,  und  überdies  enthalten  die  betreffenden  Szenen 
eine  nicht  unbeträchtliche  Anzahl  heute  vielleicht  ganz  oder 
wenigstens  nahezu  au.sgestorbener  alter  Wörter;  sie  sollen  am 
Schlüsse  des  Neudruckes  erklärt  werden. 

Acolastus. 

IV  3. 

Chremes:  Ich  bin  .schier  ey  eim  halbe  Johr  1 

Necht  ey  der  Stadt  gewest  verwor. 

Nun  nius  ich  ney  vnd  dornoch  fron, 

Wis  vmb  den  Kornkaulf  sey  gethon. 

Sie  Saiten  mers  lief  abgeschlayn,  5 

Das  werde  mer  wing  frume  trayn, 

Drey  marck  ha  ich  dafür  gehat, 

Do  mich  ey  Becke  sehr  drum  bath, 

Noch  war  mers  doch  key  be.ssel  feyl, 

Ich  hasen  doch  ey  Michel  theil,  10 

Ich  ha  Sender. 

‘)  V’gl.  Weinhold,  Über  deutsche  Dialektforschung,  Wien  IS&t,  S.  64. 

’)  Nur  zwei  E.Yemplare  seiner  .Schauspiele  sind  noch  bekannt,  die  sich  in 
Berlin  und  in  Wolfenbüttel  betinden;  dem  Verfasser  dieser  Arbeit  stand  das 
Berliner  Exemplar  zur  Verfügung. 


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144 


Ich  mns  ern  sehn,  wie  ichs  kan  kartn. 

Das  ich  kan  (jüldn  vnd  Thaler  niartn. 

By  wemme  sengt,  kuni  heilgr  Geist, 

Da  gilt  der  Haber  allermeist.  15 

(Schient  «uff  die  Taschen) 

Da  wil  ich  mir  die  Ta.sche  flickn. 

Mit  Gülden  vnd  mit  Thalern  .spickn. 

Ich  wil  Sender. 

Itz  geh  ich  vor  ey  den  Wcinkellr,  20 

Do  ich  vertrinck  ey  schön  par  Hellr. 

Der  Bürger  raiussn  mirs  wider  gehn, 

AVenn  sie  mey  schön  Korn  wollen  sehn. 

(.Sol  sich  vmbsehn). 

Box  jes,  wän  sah  ich  dorte  gihn,  25 

Dor  (?)  Rodtherr  ists  ich  gib  zu  jhm. 

Per  hochdentsch  redende  Ratsherr  (iernsius  klagt  Uber  sein  (iesinde. 

Chrenies;  Weisiger  Herr  jhr  dörfft  nicht  kläin, 

Der  Sewhirt  hot  sich  ack  ge.schläyn, 

Mitm  grüß  Knecht  vmb  die  mittel  Maid, 

Von  dem  Handl  ha  ich  lang  ge.sait,  30 

Ich  ho  Sender. 

(-iernsius  fragt,  warum  das  Gesinde  jetzt  so  schlecht  sei: 

Chremes;  Weisiger  Herr,  ich  wils  wul  sayn. 

Wenn  sie  zu  saat  gefressen  hayn. 

So  thun  sie  key  guts  nimmermehr, 

Sie  brummen  wie  ey  zeidel  Beer.  35 

Die  Knechte  wöln  ack  spieln  vnd  sauffn. 

Wer  was  sait,  so  wöln  sie  entlauffn. 

Die  Made  sich  zu  dienen  schemn. 

Wenn  sie  gern  wollen  Männer  nehmn. 

Wenn  man  jhn  ack  ey  Wörtlein  sait,  40 

So  schicken  sie  sichs  flucks  zur  jait. 

Sie  binden  ey  vnd  woln  bal  schertzn, 

Ju  das  sie  könn  die  Knechte  hertzn, 

Zihn  ern  zu  Hause  an  cn  ort; 

Do  darf!  jhn  sain  key  Mensch  ey  Wort;  45 

Wenn  sie  ack  könn  am  Rackn  leckn. 

So  darff  sie  niemand  frü  auffweckn; 


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145 


Su  gilits  vffn  Dorff  viid  ey  der  Stadt, 

Dos  aucli  viel  faule  Mägde  hat. 

Den  eben  hinzukommenden,  bettelnden  Acolast  empfiehlt  C'hrcmes  dem 
(ierusius  als  Knecht: 

Ey  Herr,  säht  mir  den  Kerl  ers  an,  50 

Wie  es  erhungert  der  Gespan, 

Ich  bitt  vnib  Gottswilln  nenit  jhn  an. 

Hä  wird  tun  was  hä  weis  vnd  kan. 

(iernsins  geht  darauf  ein.  Bühnenanweisung;  Der  Knecht  und  .\colastus 
gehn  miteinander  ab. 

Geriisius:  .Mein  Nachbar  geht  doch  mit  mir  naus? 

Chremes:  Icli  ha  vor  was  zu  richten  auß,  55 

Dorumb  ich  heut  ging  ey  die  Stadt. 

Gerusius;  Was  Lsts,  das  es  kein  Anstant  hat? 

Chremes:  Ich  ha  zu  thun  mit  meines  gleichn, 

Ich  wil  gar  baal  noch  euch  naus  schleichn. 

Wenn  ich  ack  ha  mein  thun  verricht.  üO 

Gerusius:  Ich  bitt  bleib  doch  lang  aussen  nicht. 

Ich  wolt  gern  brauchen  ewern  Rath, 

Weil  mein  Gesindel  vnruh  hat, 

(Gerusius  gehet  davon.) 

Chremes;  Mein  Nachbar  hets  %vul  angenumn, 

Das  ich  jhm  bald  wer  vif  gesprungn,  65 

Hä  dünckt  sich  traun  keine  Saw  nicht  sein, 

Vnd  denckt  bey  sich,  ich  sey  ey  Schwein. 

Oho,  ich  bin  jhm  viel  zu  gut. 

Ich  ha  traun  auch  en  tappern  muth, 

Ey  ju,  ich  bin  auch  noch  ey  Man,  70 

Dos  man  schwerlich  entberen  kan. 

Ich  thu  vorwar  gar  viel  bein  Sachn, 

Was  in  Gerichten  ist  zu  machn; 

Wenn  ich  nicht  wer,  ich  wolt  gern  sehn. 

Was  vn.sern  Schnitzen  .soll  geschehn.  75. 

Das  weis  wul  mein  Herr  Nachbar  ju, 

Drum  spricht  hä  mir  so  fleißig  zu, 

Eu  ju,  jhm  flugs  entgegen  lauf!. 

Ich  ha  mein  Zins  bey  ihm  verkaufft; 

Itz  wil  ich  en  Weinkeller  drabn,  80 

Vnd  wil  mich  wermen  vnd  wul  labn. 

Mliteilnuirrn  H,  artiles.  Ge«,  f,  Vküe.  Hiuiil  Xi  S pleft  XXII).  IB 


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146 


Schmeck  ich  denn,  das  der  Wein  ist  sawr, 

Ich  sauff  jhn  nicht  bin  ich  ein  lawr, 

Die  Börger  mügn  jhn  selber  saufn, 

So  wil  icli  vffs  Dorf  wider  lauffn;  85 

Wil  mich  darnach  niey  Nachbar  han, 

So  mus  hä  mich  vor  bitten  lan, 

Süst  kom  ich  nicht,  weil  ich  frey  bin. 

Ich  darf  jliin  nischt  zu  Hoffe  zihn. 

IV  6. 

(teorgias  und  Cipora  auf  dem  Wege  zum  Gute  ihres  Herrn; 

Georgius;  Wie  gut  hots  doch  ey  Bürgersman,  90 

Der  sey  Guth  off  dem  Land  kan  han, 

Es  bringt  ihm  Weitzen,  Gorst  vnd  Korn, 

Mich  deucht  es  sey  Jhm  nicht  gefrorn. 

Er  kans  vmbs  Geld  genaw  wegmessn, 

Kan  Hatschen,  Gänß  vnd  Hüiuler  essn,  95 

Hat  Ochsen,  Schoff  vnd  Kelber  viel. 

Die  kan  ha  schlachten  wenn  ha  wil. 

Ha  wil  Sender. 

Cipora:  Was  hilffts  iney  .lodl,  s eß  alls  zu  wing, 

Der  Geitz  es  gar  ein  .seltzsani  Ding,  100 

Wir  trayn  jetz  so  viel  Dinges  ney '), 

Wer  weis,  obs  auch  genugsam  sey. 

Der  Geitz  liat  nicht  gmig,  sihstu  wul, 

Hot  ha  gleich  Hauß  vnd  Scheunen  ful. 

So  hot  ha  doch  kein  mal  gnug  dran,  105 

Wil  inde  noch  mie  lieber  han. 

Georgius:  0 Cyper  sich  zu,  stolper  nicht, 

Sist  wirstu  die  Eyr  em  Korb  zcrbrcchn. 

Wie  soll  ha  scheltn,  der  lu.se  Leclin. 

Cipora:  Mey  Jodel,  wer  könt  jhm  gethun,  110 

Wenn  nun  die  Eyr  zerbrechen  .schun : 

Wil  lia  sie  vnzebrochen  han. 

So  loß  ha  zents  ruinb  Ei.sen  schlau. 

Georgius:  Der  Vater  inöchts  nicht  achten  sehr, 

Wenn  Acolast  daheinie  wer,  115 

’)  .Sie  liringen  ihrem  Gutsherrn  I’ebrgus.  .Vcnlasts  V.ater,  die  Abgaben. 


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147 


So  sihstu  wie  der  aide  Sühn  '), 

So  tomb  kan  vrab  ey  ding  leicht  thun. 

Der  alte  Narr  ist  gar  der  Geyr, 

Do  gihts  herumb  das  heische  Fewr, 

Durchstanckert  alle  Winckel  aus,  120 

Lest  vnbeschnaiipert  niclits  ini  Hauß, 

Giebt  liecht  ein  neige  Buttrinelch  weg, 

Ich  gleiib,  ha  gäss  es  ie  in  Dreck; 

Vorzeitä  gab  mans  arme  Leutii, 

Itz  schabt  man  alles  jhn  von  Heiitn.  125 

Me  gebt  nischt  mie  vmb  Gottes  willn, 

Es  mus  ack  alls  den  Beutel  fülln; 

Ha  zehlt  dem  Gsiiid  auch  ey  das  Brudt, 

Icli  wolt,  das  jhn  lieut  hult  der  Tudt, 

Wenn  ack  ey  Brückle  wird  verthon,  130 

So  brumt  ha  wohl  ey  Jahr  darvoii. 

Cipora:  Ey  lieber  Man,  ich  wil  das  sayn, 

Das  ding  wird  jhin  ken  frunien  train. 

Es  wird  dem  alten  Knecht  gedeyn, 

Wim  Hundt  das  Graß,  hä  mus  auspeyn;  135 

Der  Geyer  hat  jhn  gar  besessn. 

Das  ha  für  Gcitz  nicht  kan  sat  fressn, 

Dü  kan  man  nischt  zum  besten  krign, 

Darunib  mus  man  sie  auch  crn  betrign, 

Wer  nischten  wil  zu  sehend  gehn,  140 

Der  mus  es  blintzend  Ion  geschehn. 

Georgius;  Sweig,  liebes  Weib,  vnd  kom  herein’), 

Schow,  ob  wir  auch  wilkommen  sein. 

Ergötzlich  ist  die  dritte  mundartliche  Szene:  V 4. 

Anlusslich  der  Feier  der  Rückkehr  Acolasts  hat  auch  (ieorgius  einen  Krug 
Weins  bekommen;  angeheitert  kommt  er  zu  seinem  Weibe: 

Georgius:  Juch  dich,  juch  dich,  mein  liebe  Griet, 

Ich  geh  nu  heim,  kom  wilstu  mit,  145 

Ich  mus  dich  nemen  a jen  Arm. 

Cipora:  Je  Jodel  thu  nech  wie  ein  Schwarm, 

Thu  nicht  so  Herrisch  lieber  Mau, 

')  Pbiloponus. 

*)  In  den  Gutshof. 

10* 


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148 


Sich,  wie  die  Leut  vns  paffen  an, 

Ey,  ey,  was  wem  die  Bürper  sprechn!  150 

Georgius;  Was  fron  sic  viel  noch  mein  Gebrechn, 

Ich  ha  dich  off  den  Dorff  pefreyt. 

Die  Bürger  han  auch  jhre  frewd: 

Frag  ich  doch  nemrig,  wie  sies  niachn. 

Wenn  sie  han  jlire  siebensachn.  155 

Cipora;  Ey  Man,  wilstu  denn  niclit  fort  pin. 

Wir  werden  raarter  vbel  bst  in. 

Gedenk  doch,  das  der  Jung  Herr  sait, 

Wir  Süln  necht  bleiben,  biß  das  tayt. 

Georgius:  Du  schic  mey  Herr,  der  karge  Narr,  160 

Ich  woll,  das  ha  het  all  die  Darr, 

Das  hellsche  Pewer  sist  nischt  kan. 

Als  niefein,  Kieseln  treiben  an, 

Vnd  sage  lieber  Zän  ausreissn. 

Als  das  Gesind  ein  bissen  beissn.  165 

Hier  blaset  man  im  Mause  wieder  auff. 
Georgius;  Horch,  gibt  dochs  i)feiffen  wieder  an, 

Cipcr,  Du  must  doch  cinmahl  dran. 

Cipora:  Man,  was  ist  dir  Heut  wiederfalirn. 

Ich  gleub,  du  hast  verlorn  ein  Sparn, 

Du  hast  ja  nicht  soviel  gesoffn. 

Ich  glaub,  der  Narrnsack  hat  dich  troffn. 

Georgius:  0 Weib,  es  ging  gar  wercklich  zu. 

In  welchem  Wiiickel  sttickst  denn  du? 

Die  Köchin  ging  vnd  holet  Wein, 

Ich  horcht,  sie  Schluß  den  Keller  ein. 

Die  Kann  nam  ich  jhr  aus  der  Hand, 

Die  ich  geschwopne  full  befallt; 

Dü  wahr  ich  traun  Ju  nicht  so  faul. 

Ich  wüschte  zu  tlups  mit  offs  Maul, 

Ich  suff  sie  aus,  vnd  Possen  treib. 

Das  nicht  ein  Tröpfel  drinnen  Ideib. 

Den  Trunck  thet  ich  der  Köchin  bringn. 

Das  mir  die  Augen  vbergingn; 

Vorwar  ich  hat  mich  vbernumn, 

Das  ich  kaum  kunt  zu  üdeni  kumn. 

Das  est  mir  so  in  Kopff  gestiegu. 


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175 


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149 


Ich  lia  soiff,  ich  werd  bleiben  lign. 

Cipora:  Was  saite  denn  die  Mapd  derzuV 
Georgins:  Sie  lacht  vnd  sprach,  ey  traweii  ju, 

Das  heist  die  Gurgel  ausgespielt, 

Die  Lung  vnd  Leber  abgekühlt: 

Da  nani  ich  sie  beim  Heupt  vnd  lacht, 

Sic  sayt,  ich  hets  gar  gut  gemacht. 

Cipora:  Do  recht  die  Fraw  hot  mirs  gesayt. 

Das  du  dich  zackest  mit  der  .Mayt, 

Vnd  das  du  Geyder  neckisch  seist, 

Vnd  flugs  mit  allen  Mägden  freist. 

Ich  sag  dir,  Jodel,  sich  dich  für. 

Die  Staupsaul  sticht  fürs  Herren  Thür. 
Georgius:  Fraw,  deines  Leibes,  ich  mags  nicht, 

So  thut  man  wer  die  Eh  zubricht, 

Ich  mag  sic  wul  ey  kley  wing  beign, 

Du  bist  vnd  bleibest  doch  mein  cign. 

Cipora:  Mey  Jodel,  schweig,  sprich  nicht  äsu. 

Bis  nicht  so  sicher,  frech  vnd  rhu, 

Vnd  thu  nicht  wie  die  losen  Buhn, 

Die  spotten  Gott  im  Himmel  drubn. 

Mit  Gottes  Wort  sie  treiben  possn, 

Wenn  sie  jhr  Käsen  han  begossn. 

Er  wils  an  solchen  Spöttern  rechn. 

Die  sein  Wort  vnd  jhr  Eh  zerbrechn. 
Georgius:  Wilstu  mir  Predigen  liebe  Tock, 

So  zeuch  das  Hembd  bald  vbern  Rock. 

Cipora:  Vorwar  ich  sey  dirs  lieber  Man, 

Solch  ding  ich  vbel  hören  kan, 

*)  . . cht  ein  doch  wul  das  Hertz  erkaltn, 

. . . Licht  sol  dir  der  Lützel  haltn. 
(Georgius):  . . Ristu  doch  wie  ein  beißig  Gaul, 

. . fehrst  mir  trotzig  vbers  Maul, 
t dir  leichtlich  was  begegn, 

. . cht  zuletzt  noch  Püffe  regn. 

(Cipora):  . . . schlag,  hast  du  eines  Mannes  Hertz, 

')  Die  punktierte»  Stellen  deuten  an,  dass  hier  das  Exemplar 
schädigt  ist. 


190 


195 


200 


205 


210 


215 


220 


stark  be- 


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löO 


(Georgius):  . . Es  sol  dich  bald  gerewn  der  scliertz. 

. . . gihn  aus  ein  andern  Faß, 

. . wir  nicht  wehrn  oft’  der  Gaß;  225 

. . mb  solt  ich  nech  lustig  sein, 

. . . Acolast  ist  kommen  heim? 

Philoponus  hat  diesen  Worten  zngehört  und  fragt  nochmals,  wer  ge- 
kommen sei: 

Georgius:  Je  junger  Herr  hat  jhrs  vernomn, 

Heut  kam  ewer  Bruder  Acolast, 

Ey  das  war  ey  wilkummen  Gast,  230 

Habt  jhr  nech  hörn  die  Pfeiffen  klingn. 

Noch  der  wir  all  han  müssen  springn. 

Der  Vater  sich  gar  lustig  macht, 

Er  hat  wie  lang  nicht  so  gelacht. 

Weil  hä  den  Sühn  nn  wieder  hat,  235 

Sie  stachens  Kalb,  ey  das  war  fet. 

Philoponus:  Wen  hat  er  denn  mit  sich  gebracht? 

Georgius:  0 Herr,  hä  führt  ein  grusse  macht. 

Philoponus:  Wer  warn  sie  denn,  hör,  sag  mirs  bald! 

Georgius:  Sie  warn  gleich  wie  die  Lenß  gestalt.  240 

Philoponus:  Was  hat  er  denn  für  Kleider  an? 

Georgius:  So  schien,  das  ichs  necht  sagen  kan. 

Philoponus;  Was  wars  für  Zeug?  sag  her  mein  Knecht. 

Georgius;  Domaschke  Sackleimt,  ist  mir  recht. 

Die  war  gantz  wie  ey  Fischer  Netz,  245 

Da  sag  hä  rauß  gleich  wie  ey  Götz. 

Je  Herr  wolt  jhr  nicht  auch  gihn  nein, 

Vnd  mitte  guter  dinge  sein? 

Bühnenanweisung;  Die  Meyern  leufft  ins  Hauß,  den  Vater  anzuzeigen 
Cipora:  Ey  junger  Herr,  ich  lauff  ins  Hauß, 

Vnd  hies  den  Vater  kumraen  rauß.  250 

Georgius;  Nun,  Junger  Herr,  jhr  glaubts  ack  nicht. 

Was  sie  für  Speiß  han  Zugericht. 

Sie  han  Wein,  Semmel,  Fleisch  vnd  Fisch, 

Der  Vater  sitzt  auch  .selbs  an  Tisch, 

Drum  gibt  halt  gute  Weise  mit.  255 

,Der  Bauer  torckclt“  und  Philoponus  schilt  ihn; 

Georgius:  Mey  Junger  Herr,  halt  mirs  zu  gut, 


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151 


Das  ich  war  be}'  so  guden  Math, 

Es  kümt  mir  nech  all  Tage  für, 

Das  ich  könt  trincken  Wein  vnd  Bier. 

Philuponus  schimpft  weiter  anf  ihn: 

Georg  ins:  So  gihts  vns  armen  Bawerslentn,  260 

Wir  müssen  ey  gantz  Jahr  arbeitn, 

Wenn  vns  ey  Trenckel  ist  beschert, 

So  han  wir  ey  gantz  Land  verzehrt. 

Wenn  sich  ey  Bawer  ey  mahl  freet, 

Ich  lial,  es  wisd  jhm  wnl  bekreet.  ■ 265 

.Die  Mcyern  kümpt  wider*  und  Philoponus  jagt  beide  fort. 

Georgins:  Ich  habs  mie  als  ein  mahj  gehört, 

Kum,  Cyper,  heim  gib  mirs  geleit, 

Dn  sihst,  das  wir  schnn  han  be.scheit. 

Cipora:  Nun  han  wirs  Marster  wnl  gemacht, 

Vnd  vns  beim  Snlin  in  Vngunst  bracht.  270 

So  gihbs,  wenn  man  begeust  die  Nall, 

Da  stell  man  sich  gleich  wie  ein  Haß, 

Drum  geh  ack  fort,  bald  bleistn  lign, 

Du  solst  dein  theil  dalieimen  krign.  274 


Tobias. 

Im  Dialekt  sprechen  der  Bauer  Corydon  und  sein  Nachbar 
Menalias:  die  in  Betracht  kommenden  Szenen  sind  II  4;  II  5;  IV  4. 

II  4: 

Corydon;  seine  (liochdeutschsprechende)  Tochter  A.selgia,  Ra- 
guels  Magd;  ihr  Bräutigam  Pamphilus  (ebenfalls  hocluleutsch- 
redend). 

Corydon:  Ich  stund  gleich  ey  d’Scheun  vnd  drasch, 

Vnd  meine  Fraw',  die  hat  ein  wasch. 

So  schickt  mein  Tochter  naus  en  Botn, 

Was  seyn  wird,  kan  ich  nicht  derrotn. 

(ich  kan  sender.)  5 

Ich  ließ  flugs  alles  stin  vnd  lign. 

Ey  ey,  wo  werd  ich  sie  nu  krign. 


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152 


Bühnenanweisung:  Die  beide  reden  mit  einander  vnnd  fechten  mil  den 
Händen. 

Sich  (loch,  dort  kömht  sie  mit  eiin  Knecht, 

Was  lian  sie  doch  für  ey  gcfecht. 

(sie  han  sender.)  10 

Aselgia  klagt,  daß  sie  grüßen  Arger  habe: 

Corydon;  Du  must  ind,  ind  was  newes  san 

Vnd  Jung:  vnd  Eyer  beysammen  han. 

Was  war  es  denn  für  ey  gehotrV 
Aselgia  klagt,  daß  Sara,  Kaguels  Tochter,  sie  verleumdet  habe. 
Corydon:  Der  Schoffliuud  dancks  d’losen  Mchrn. 

Die  Stadtleitschen  thun  all  a su,  15 

Als  wehr  ein  Bawren  Kind  ein  Kuh. 

Horch,  du  hasts  auch  ern  wollen  han. 

Aselgia  sagt,  sie  habe  Sara  nichts  getan;  sie  klagt  ihr  Leid;  sic  könne 
Saras  Behandlung  nicht  mehr  ertragen. 

Corydon:  Je  horch,  wie  wilstus  gleichwul  inachn? 

Wie  thustu  immer  mehr  den  sachn? 

Heim  tarstu  nicht,  das  westu  wul,  20 

Die  Stiffmuttr  i,st  der  bußheit  ful. 

Wer  sie  dir  nicht  zu  zeh  gerotn, 

Du  seihst  mir  nicht  so  dorumb  zottn. 

Sol  ich  dich  dann  gen  Hoffe  thun. 

So  ho.stu  auch  geringe  Luhn.  25 

(du  liest  sender.) 

Wu  wilstu  immermehr  hinkomn? 

Aselgia:  Nichts  be.ssers  als  ein  Man  genomn. 

Corydon:  Do  .setzen  se,  sie  sein  gedrot, 

Key  Kerl  nimt  dich,  der  auch  was  hot. 

Aselgia:  Je  Vater,  ich  bin  schon  versagt.  30 

Corydon:  Ey  seys  .Marig  Gotts  Muttr  geklagt. 

Je,  Mädel,  welstu  schun  en  nehinn? 

(du  wehst  sender.) 

Aselgia:  Ich  mus  mich  mit  der  zeit  betiemn. 

Corydon:  Je,  ist  dirs  auch  zu  thun  gar  wul?  35 

Wer  es  sey  Nenn?  wie  heist  dey  Rul? 

Aselgia:  Mein  Freyer  ist  von  frembdes  her! 

Corydon:  Horch,  wenn  der  Kerl  auch  redlich  wer. 


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153 


Aselgia;  Des  hat  er  zcugmis,  Brif  vnd  Sigl. 

Corydon:  Horch,  wenns  denn  wer  ey  Biertigl, 

Der  seine  Pfiing  fürn  Zapffii  trüg, 

Vnd  dir  all  Tag  die  Haut  vol  schlüg. 

(hä  schlug  Sender.) 
Aselgia  lobt  ihren  Liebsten,  nur  arm  sei  er. 

Corydon:  Das  Lst  nischt.  wer  kein  Heller  hot. 

Der  bringt  sein  Narung  nicht  zu  rot. 

Der  Tage  tretten  viel  daher. 

Der  Mahlzeiten  sein  noch  viel  mehr. 

Das  Maul  wil  jmmer  essen  han, 

Von  Wänden  inans  nicht  .schaben  kan. 

Ein  Handwerk  auch  anlog  bedartf. 

Man  sichts  in  allen  Winckeln  schärft'. 

Wer  niclits  hot,  der  mus  bleiben  steckn, 

Da  mus  das  Weib  am  Rocken  lecken. 

Der  est  des  Bettelmannes  Brudr, 

Mit  dem  man  nicht  erwirbt  vil  Fudr. 

Wenn  der  Man  nicht  kans  Handwerg  treibn, 
So  mus  hä  stets  ey  Bettler  bleibn. 

•tselgia  hält  das  Leben  eines  Handwerkers  fUr  weniger  aufreibend 
des  Bauern: 

Corydon:  Des  auch  wor,  ich  mus  selber  sagn, 

Das  wir  vns  schendlich  mü.ssen  plagn. 

Drumb,  wie  du  w'ilt.  gefeit  er  dir. 

So  nim  jlin  liin,  er  sol  nicht  mir. 

Horch,  wenn  dir  nu  der  Kerl  entlieff? 
Aselgia:  Ich  hab  sein  Lelir  vnd  Gehurts  Brieft'. 
Corydon:  So  wi.stu,  hinder  wenn  du  sitzt, 

Den  Kerl  hast  du  ja  wul  gefitz.st. 

Drumb  sicti  zu,  Gibs  jm  ju  nicht  wiedr. 

Sie  sein  zu  krorap,  die  gude  Brüdr. 

Wo  es  hä  denn?  Kan  ich  jhn  sehn? 

Aselgia  ruft  I’amphilus: 

Corydon:  Vorwar,  das  ist  ey  stadlich  Man, 

Ey  wenn  dich  wol  der  Lechem  han. 

Ey  Mänle  mit  eim  strüerm  Leib 
Gilt  viel  mie  als  ey  gülden  Weib. 

Box  jes,  ha  hot  ein  tappern  Mut. 


40 

45 

r>o 

55 

als  das 
60 

65 

70 


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154 


Aselgiii  bittet  um  des  Vaters  Einwilligung: 

Corydon:  Was  ists  denn,  das  jhr  beide  klait, 

Je  hab  ich  doch  nie  neyn  gesait. 

Ey  ju  wil  ich  docli  Hertzlidi  gern. 

,(iebcn  einander  die  Hände“.  I'ampbilus  erkundigt  sich  aber  gleich 
der  .\u8Steuer  der  Braut; 

Corydon:  Ich  wil  dirs  sayn:  Laß  mir  derweil. 

Do  mir  mein  erstes  Weib  gestarb, 

Mein  Nahrung  mir  schir  gar  vertarb. 

Mir  zoute  nicht  der  Witwer  ordn, 

Ich  wer  gar  bald  zum  Bctler  wordn. 

Was  solt  nu  meinem  ding  geschehn, 

Ich  must  mir  otf  ein  ander  sehn. 
iMein  Kindern  must  ich  viel  vermachn, 

Das  sie  auch  können  sich  bcsachn. 

Die  Tochter  ha  ich  wul  bedacht, 

Ja  jhr  sechs  schelgc  Mark  vennacht. 

Sie  hat  Jhr  au.sgedingt  dazu, 

Zwo  Ziegen  vnd  ein  inelcke  Kuh, 

Zur  Hochzeit  vnd  zum  Betgewaiidt 
Halb  hundert  marck  pelchä  .sein  benant. 

So  viel  du  nimmermehr  bequemst. 

Wenn  du  gleich  ein  Stadt  strintze  nenist. 

Du  nembst  sender. 

Famphilus  ist  damit  noch  nicht  zufrieden. 

Corydon:  Mein  Kerls,  ich  ha  der  Kinder  mie. 

Ich  kan  nicht  sehn  allein  autt’  sie. 

Du  kanst  ja  deine  Hand  bederbn. 

Das  du  auch  kiimpst  zu  eigen  vnd  erbn. 

Famphilus  und  .Aselgia  bitten  den  Vater  um  mehr  Aussteuer. 
Corydon:  Die  Still  Mutter  hat  all  die  kröck. 

Für  der  ich  mich  nicht  gerne  rock. 

Doch  wil  ich  selbs  ein  Ochsen  brengn, 

Der  lang  nicht  hat  gczogn  an  Strengn. 

Vnd  wil  denn  zur  Stieft’mutter  sprechn. 

Ich  wül  dir  jhn  am  Geld  abrechn. 

Zur  halben  mastig  ist  ha  schun. 

ha  es  sender. 


75 

nach 


80 


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95 


100 


105 


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155 


Aselgia:  Ey  Vater,  habt  jlir  denn  kein  llun? 

Corydon;  Wert  jhr  euch  ack  wul  lossen  an, 

So  solt  jhr  wul  ein  Vater  han.  110 

Ich  wil  kummen  manclimal  gesclilichn, 

Vnd  euch  in  ewrera  Haus  besichn. 

Da  woIn  wir  vns  zum  Ufen  setzn, 

Vns  mit  eim  guten  Trunck  crgetzn. 

Kein  Pfennig  sol  es  euch  gestihn,  115 

Es  sol  aus  meinem  Beutel  gin. 

Daheimen  Trinck  ich  nichts  als  Born, 

Sonst  hab  ich  der  Stiff  Mutter  zorn. 

Der  Born  hat  wul  ein  guten  saftt. 

Doch  ist  darin  geringe  kraflft.  12Ü 

Wenn  ich  einmal  in  Kretschem  lauft', 

Vnd  mir  ein  Kenlein  Bier  kauff. 

Ich  halt,  sie  mich  wilkommen  lieist, 

Wünscht,  das  mich  hui  der  böse  Geist. 

Sie  sagt,  ich  hab  sie  nicht  bedacht,  125 

Vnd  meinen  Kindern  als  vermacht. 

Drumb  sie  so  hefttig  kratzt  vnd  krimt, 

Vnd  als  in  jhr  Verwahrung  nimt. 

Davon  wird  mir  das  mein  entzogn 

Vnd  werden  meine  Kinder  betrogn.  130 

Solt  ich  mir  denn  am  Leib  abbrechn 

Vnd  nicht  zuweiln  ein  trinckel  zechn. 

So  thet  ich  euch  vnd  mir  vnrecht, 

Mich  vor  der  zeit  zu  Grabe  brecht. 

Doch  wil  ich  alles  nicht  verzehrn,  135 

Mein  Gütter  könn  mich  wul  ernehrn. 

Vnd  wenn  ich  dann  einmal  werd  sterbn. 

Ein  gut  stück  Brot  werd  jhr  ererbn. 

II  r>: 

Corydon  hat  gleich  Einkäufe  zur  Verlohungsfcier  gemacht : 

Corydon;  Ich  ha  vmb  sechs  pölchu  Seml  gckautt't, 

(Corydon  hat  Semmeln  in  Armen) 

Vnd  het  mich  balde  drübr  geraufFt.  140 

Ich  sait,  die  Semmeln  sein  zu  klein, 

So  Saiten  sie,  so  las  sie  sein. 


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156 


Will  du  sie  nicht,  so  las  sie  lieftn, 

8ic  weiden  ein  andern  Kauffnian  kripn. 

Ich  schnltetst  heut,  was  seit  ich  sain,  145 

Icli  must  sie  zum  Verlöbnis  hain. 

Ich  wer  viel  inie  noch  müssen  gen, 

Dieweil  die  zusag  ist  gesehen. 

Ey  Schweinen  Ilriitel  oder  siebn, 

Sein  in  eim  rischen  nein  geriehn.  150 

Man  keufft  ey  beßle  vrab  ein  Biemn, 

Das  es  so  dünne  wie  ein  Ricinn. 

Vor  Bier  werd  ich  niü.ssen  gen 
Mie  als  ein  weissen  oder  zehn. 

Vorwar  man  geh  ein  neigle  Bier,  155 

Das  ich  im  Trunck  erschreck  dafür. 

Ich  .sül  auch  was  von  Weine  schenckn, 

Wie  jederman  wul  kan  gedenckn. 

Ey  sieben  I’öchel  für  ey  Quart, 

(Sol  am  Barte  streichen) 

Das  es  zu  tewr  bey  meinem  Bart.  160 

Doch  geh  iclis  gern,  es  ligt  ni.scht  dran, 

Dieweil  mans  mus  zu  Ehren  han. 

Ey  Ey,  was  dings  wirds  noch  geslin, 

Biß  das  die  Braut  zur  traw  wird  gin. 

Dem  Weib  darlfs  ich  nicht  halb  bekenn,  165 

Sie  söl  mir  .sonst  den  Bart  auskemn. 

Drey  .schiUge  Thaler  ha  ich  gespint 
In  Balcken,  das  sie  key  Mensch  lind. 

Ich  ha  traun  sorg,  sie  müssen  fort, 

Biß  ich  das  ding  bring  auff  ein  ort.  170 

Doch  wil  ich  sie  wul  wieder  krign, 

Die  Bürger  wil  ich  auch  betrign. 

Wenn  ich  breng  Korn  vnd  üerst  herein. 

Keß,  Butter,  Hüner,  Gänß  vnd  Schwein. 

Da  körnt  vorwar  des  Bawers  Keul  175 

Gar  tapper  auff  des  Bürgers  Beul. 

Schiimp  wieder  Schiimp,  so  mus  maus  niachn. 

Wer  sich  wil  in  der  Welt  besachn. 

In  diesem  .\ut;enhlicke  kommen  Tobias  und  .\sarias  (der  Kngel  Raphael). 
Asarias;  Glück  zu  mein  Man,  was  machstu  hier? 


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157 


Corydon:*  Do  wart  ich  für  des  Rag:els  Thür.  180 

Asarias:  Auff  wen,  mein  Man,  sa<?  niirs  doch  an? 

Corydon:  Mey  Kerles,  was  geh  ich  dich  an? 

Docli  das  diis  weist,  ich  wart  allhier 
Auff  meine  Tochter.  Tobias;  wo  ist  sie? 

Corydon;  Sie  dient  ey  dem  Haus  ey  halb  Jar,  185 

So  dünckt  sie,  als  werns  zehn  vorwar. 

Asarias;  Wieso,  was  mus  für  vrsacli  han? 

Corydon:  Die  vrsacli  weis  ein  jedcrinan. 

Das  Teuflfel  Asmo  drinne  wohnt, 

Nun  hot  has  Haus  bald  angezont.  190 

Darnach  legten  sies  off  die  Mayt, 

Ich  halt  sie  grein,  do  sie  mirs  sayt. 

Sie  sat  sender. 

Asarias  gibt  der  Magd  die  Schuld ; 

Corydon:  Wer  hat  jhr’)  denn  die  Mennr  er.schlagn? 

Gros  wunder,  das  sie  auch  nicht  sagn. 

Mein  Tochter  ha  sie  hingericht.  195 

Tobias:  Behüt  mich  Gott,  da  frey  ich  nicht. 

Corydon:  Je  raey  Kerl,  was  wüst  du  dich  zeihn, 

Das  du  dir  wölst  das  Weib  derfreyn; 

Denck,  jhr  sein  ey  der  erste  Nacht 

Wul  sieben  Männer  vmbgebracht.  • 200 

Es  wer  viel  be.sser,  das  dus  list, 

Weil  du  ey  hisch  jung  Blüttel  bist. 

Sich,  hestu  mir  mein  Arm  zuschlan, 

Das  ich  sie  müst  am  Halse  trän, 

Vnd  liest  mir  so  zudroschn  den  Kopp,  205 

Das  lia  kling  wie  ey  hole  Topp: 

So  könt  ich  dirs  doch  rothen  nicht. 

Ich  ließ  die  Braut  han  all  die  Gicht. 

Asarias  sagt,  der  Teufel  Asmud  habe  die  Männer  erschlagen,  nicht  Sara. 

Corydon  (zu  Tobias):  Ich  sey  nicht.  Es  ders  Leben  feyl. 

So  thu  derzu,  versuch  dey  Heyl.  210 

Der  Asme  kan  dich  auch  erwüi-gn. 

Du  hast  so  wing  alß  jene  Bürgn. 

Darau  say  ich  der  von  der  Braut, 

')  Sara,  iiaguels  Tochter  und  Braut  des  Tobias. 


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158 


Sis  ey  Rotz  herbe  biese  Kraut. 

Du  sollst  dem  Teuffel  bein  Horen  krign.  215 

Asarias  zeiht  den  Bauer  der  Lüge: 

Corydon;  Mein  Tochter  körnt,  was  Riht  niichs  an, 

Hier  körnt  des  ßawren  Tochter:  Ad  filiam: 

Horch,  der  wil  des  Herrn  Tochter  han! 

Wir  sein  Affen,  das  wir  hie  stin, 

Korn  las  vns  in  die  Garküch  Rihn. 

IV  4: 

Anlässlich  der  Verlobung  seiner  Tochter  hat  sich  Corydon  einen  Rausch 
angetrunken : 

Corydon:  Vorwar,  der  Trunck  hat  midi  erschlichn,  220 

Ich  wer  mir  en  Geferten  suchn. 

Der  mich  vffn  Wege  fort  kan  treibn,  ^ 

Ich  möcht  süst  leichtlich  liegen  bleibn. 

Der  Bawer  mus  taumeln. 

Ey  Tronckner  mus  die  Loft't  vermeidn. 

Die  Lofft  den  Tronck  wil  gar  nicht  leidn.  225 
Wenn  man  beim  Tronck  sich  nüchtern  dünckt, 

Körnt  man  naus,  bald  man  liinekt  vnd  sinckt. 

Do  ich  noch  tranck,  do  war  mir  wul. 

Mich  docht  ich  wer  key  bessel  ful. 

Itz  kann  ich  kaum  otfn  Füssen  stin,  230 

Ich  weis  nicht,  wie  ich  heim  sol  gin. 

Hett  ich  itz  hinne  Wahn  vnd  Pferd, 

Das  wer  vorwar  ey  gut  Gcferd. 

Itz  kommet  Menalcss. 

Mein  Nachbar  Nelcke  körnt  mer  recht. 

Vorwar  ha  hot  auch  ern  gezecht.  235 

Gefatter  Nelck,  en  gude  Morgn! 

Corydon  soll  husten. 

Menalcas:  Wie  eß  der,  welstu  doch  derworgn. 

Es  hot  sich  marster  wul  gemorgt, 

Förn  Seiger  hastu  nicht  gesorgt. 

Sich  doch,  die  Son  gar  nidrig  stiht. 

Das  sie  gar  bal  zu  goulde  gibt. 

Dyt  (?)  Marg  man  jtz  leuten  wird. 

Du  hast  dich  ey  der  Zeit  verirt. 


240 


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159 


Corydon: 

Mcnalcas: 

Corydon; 

Menalcas; 

Corydon; 


Menalcas; 


Corydon; 


Menalcas; 


Gefatter,  wo  hastu  pjesessn? 

Corydon  sol  aber  husten  vnd  krölpsen. 
Du  host  fett  Schweine  Fleisch  gefressn, 

Vnd  host  kalt  dinpr  bald  drautl'  gesoflfn, 
Gefatter  Nelck,  du  hosts  getroffn. 

Rot  nu,  das  hastu  schon  derrotn, 

Wie  safftig  worn  die  Schweinen  Brotn. 
Gefatter  menner,  sa  mer  recht, 

Wu  hastu  dich  so  full  gezecht? 

Mein  Tochter  ha  ich  heut  verthon, 

Rodt,  was  michs  wird  gestanden  hon. 

Das  wirstu  selbs  am  besten  wissn. 

Ich  wer  ders  ack  erzehle  miissn. 

Der  Garkoch  wul  acht  biem  bekam, 

Darzu  ich  auch  drey  Herig  nam 
Vnd  kaufft  auch  vmb  6 pclche  Wurst, 

Ey  wie  hot  mich  doch  druff  gedurst! 

Drüm  ha  ich  ausgegiin  für  Bier, 

Ich  glaub  ein  Dotgen  oder  vier. 

Vorwar,  die  jauche  war  nicht  arg. 

Ich  fühls  im  Heut,  sie  war  gar  starck. 

Sechß  pclche  gab  ich  aus  für  Semmeln, 

Noch  kont  die  Tochter  so  sehr  bemraeln, 

Das  ich  noch  Wein  derzu  liß  huln, 

Do  macht  ich  lostig  jhren  Buln. 

So  gibstu  dey  Kind  ey  die  Stad, 

Was  toug  doch  drein  ein  Bauer  Mad! 

Sie  werd  ack  müsse  Eule  sein. 

Doch  wie  du  wilt,  das  Kind  es  dein. 

Mein  Tochter  es  nicht  grob  vnd  faul, 

Se  hat  vorwar  auch  Zeen  im  Maul. 

Fürn  Bürgern  wird  sie  sich  nicht  .schemn, 

Se  lest  er  sist  nicht  leichtlich  nemii. 

Noch  siste  gleichwuhl,  wiß  zugiht, 

Key  Bauer  ey  der  Stat  bestiht. 

Die  Huffart  es  ju  gar  zu  grüß, 

Der  Bawr  des  Bürgers  Narr  sein  muß. 

Sie  dencken,  sie  verstins  allein 
Vnd  vnscr  einer  sey  ey  Schwein. 


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160 


Vor  Zeiten  war  es  ju  nicht  su, 

Do  wahr  auch  guter  fried  viid  ruli. 

Die  Junckern  liattn  die  Börger  lieb, 

Itz  heissens  Hurnsen,  Schelm  vnd  Dieb.  285 

Die  Bürger  hieltens  mit  de  Baum, 

Itz  heissens  röltz  vnd  gi’obe  Laurn. 

Do  es  kein  fried  noch  einigkeit, 

Kein  trew,  lieb  noch  gerechtigkeit. 

Der  vorthel  es  bey  jederman,  290 

Eis  plogt  das  ander,  wu  es  kan. 

Ein  jeder  heit  vil  von  seim  plundr, 

Werds  su  gut  wem,  so  hot  michs  wundr. 

Du  west  wul,  was  sayt  vnser  Pfarr, 

Das  vnse  Grußnen  ey  Bauer  wahr,  295 

Ein  Bauern  vnser  grusse  Muttr, 

Die  gübn  den  Kühen  selber  futtr. 

Etz  thun  Börger  vnd  Edelleut, 

Als  betten  sie  ack  Perlen  heut, 

Vnd  wir  wem  ack  allein  aus  Erdn,  ßOO 

Drümb  achten  sie  vns  gleich  den  Pferdn. 

Wenn  wir  sie  nicht  helffn  all  dernehrn, 

So  würden  sie  gar  lang  nicht  zehrn. 

Offm  Pflaster  wechst  traun  nicht  gar  viel. 

Vom  Ackr  vns  Gott  dernehren  wil.  305 

Jedoch  so  mus  en  ordnung  sein. 

Das  wir  nicht  lauffen  wie  die  Schwein. 

Wenn  nicht  im  Dorff  ein  Juncker  wer, 

Vnd  ey  der  Stadt  ey  Bürgmeister, 

Su  thet  ein  jeder,  was  ha  woll,  310 

Eis  macht  das  ander  tomb  vnd  toll, 

Keis  für  dem  andern  fridlich  säß. 

Ich  hal,  das  eis  das  ander  fräß. 

Drumb  sols  wul  sein  em  ganfze  Land, 

So  gönn  man  jederman  sen  Stand.  315 

Wenn  die  gramhafftig  weiß  ack  thet 
Vnd  keis  das  andr  zum  Narren  het. 

Corydon;  Gefatter,  du  redst  wul  von  sachn. 

Du  wirst  mir  arst  gedancke  machn. 

Ob  ich  mach  Hochzeit  ey  der  Stadt.  320 


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161 


Menalcas:  Machs  wie  du  will,  dei  Hertz  dei  Raht; 

Wer  ich  wie  du,  ich  thet  es  nicht,  • 

Du  siclist  wul,  wie  man  vns  anficlit. 

Sulstu  dein  Volck  gar  bretigen  rein, 

Sie  mnsteii  Eule  Spiegel  sein,  325 

Die  Hörger  hettn  gän  Affe  feil, 

Sie  würden  vns  gän  vnser  theil. 

Druinb  inagstu  wul  daheinie  bleibn, 

Vnd  ey  der  Stad  nicht  hutfart  treibn. 

Ott  in  Dorff  bistu  bey  dem  Gespan,  330 

Do  dich  key  Bawer  tadeln  kan. 

Do  mögen  wir  en  Krätscliein  gin, 

Vnd  Tantzen  bey  dem  lichte  Kin. 

Do  können  wir  vns  tapff'er  freen, 

Gar  biß  die  Hann  gen  Tage  krehn.  335 

Do  führt  denn  hüsch  bey  Monde  scliein 
Ein  jeder  Hans  sein  Grittel  heim. 

Corydon;  Ja  libr  Gefatter,  du  redst  wul, 

Icli  bin  ju  gar  zu  stöckne  ful. 

Ey  Ey,  wie  drückt  niichs  vmb  die  Brost,  340 

(Sol  husten) 

Ich  hal,  sis  mer  so  von  der  Worst. 

Es  wol  (?)  mir,  lieber,  gämlich  sein. 

Menalcas;  Gefatter,  thu  nicht  we  ein  Schwein. 

Sich  doch,  mey  Kerl,  wie  taumelstu, 

fleh  heim  vnd  leg  dich  an  die  ruh,  345 

Vnd  .schloff  die  fole  tapff'er  ans, 

Korn,  ich  gih  mit  dir  biß  fürs  Haus. 

Wie  weltu  bey  dem  Weib  bestin, 

Ich  hal,  es  wird  dir  vbel  gin. 

Corydon:  Es  gih,  wis  kan,  ich  mus  derleidn,  350 

Sie  werd  mir  ju  nichts  heut  ab,schneidn. 

Judith. 

Schlesisch  sprechen  die  Bauern  Mogetus  und  Agricus,  die 
Bäuerinnen  Thestilis  und  Agatha,  und  Phidomenus,  ein 
„Filtziger  Bawer“.  Sie  treten  in  II,  5 und  V,  3 auf.  Inhalt: 
Schilderung  des  Kriegselends. 

HlttcllitDKOn  d.  »clilos.  Go:«.  f.  Vlide.  Band  XI  2 iHnO  XXIt>.  1 1 


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162 


II  5. 

* Mogetiis:  Ey  liebes  Weib,  wie  grosses  Leiclt 
Han  wir  erlebt  in  dieser  zeit; 

Wir  müssen  immer  sein  gerüst, 

Das  Land  jtz  voller  Landsknedit  ist, 

Die  fressen  vns  vorm  Maule  weg  5 

Brodt,  Kese,  Butter,  Fleisdi  vnd  Speck. 

Tregt  man  jlim  nicht  bald  vf  den  Tisch 
Nach  jhreni  Willen  Fleisch  vnd  Fi.sch, 

So  gihn  sie  flugs  selbs  cy  den  Stall, 

Besehn  die  Schott'  vnd  Kinder  all;  10 

Was  mager  ist,  das  bleibt  wul  stihn. 

Das  Fettest  mus  Ilugs  mit  jhn  gihn. 

Da  worlfn  sie  die  Haut  davon, 

Das  Fleisch  gar  vbel  wird  verthon. 

Es  werd  sender. 

Thestilis:  Gott  wirds  erbarmn  em  Himmel  drübn  15 

Was  an  vns  thun  die  bösen  Buhn, 

Mein  Gans  vnd  Hüner  sein  verthan, 

Itz  greitt'en  sie  der  Tauben  an, 

Sie  .schie.ssen  sie  vom  Dach  heruntr, 

Wens  Haull  anbrant,  diis  wer  kein  wundr,  20 

Ich  hat  ein  gantz  schock  Hüner  gihn, 
ln  eira  Tag  warn  sie  halb  dohin. 

Die  andre  ich  (in)  Backott’en  stockt, 

Dofür  ein  stuB  Holtz  tapper  legt, 

Dozu  hatt  ich  gethon  den  Han;  25 

So  bald  ha  ting  zu  kreen  an. 

So  warn  die  Hüner  all  verrothn. 

Sie  sein  schün  allzumahl  gebrotn. 

Zwcltf  Botter  Topp,  zwu  tonnen  Küß, 

Hatt  ich,  die  warn  gar  schün  vnd  äß;  30 

Die  hau  sie  mir  all  abgebocht. 

Vnd  .sein  schier  alle  durchgebrocht. 

Sie  wühl  Ack  Wein  vnd  Bier  saufn, 

Vnd  wirdt  doch  alles  verthon  mit  haufn. 

Wenn  man  jhn  gleich  gibt,  was  man  hott,  35 

So  treiben  sie  ack  draus  den  Spot. 

Sic  sprechen : Wir  sein  Wirdt  em  Hauß, 


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163 


Was  Hauß  pst,  mag  sich  backen  draus. 

Wu  .solcli  Wesen  soll  lenger  welirn, 

So  bleibet  vns  nicht  mehr  zu  zehrn,  40 

Sie  niü.ssen  mit  vns  hunger  leidn, 

Ich  hal,  das  söl  vns  breiigen  Frewdn. 

Agricus:  Hör  Agath,  was  die  Thestel  sayt, 

Wie  gar  üots  jämmerlich  sie  klayt, 

Uilit-s  jlin  doch  ärger,  als  vns  gibt,  4ö 

Wie  wuls  bey  vns  nicht  kö.stlich  stillt, 

Mücht  eim  doch  wul  das  Hertz  zubrechn. 

•Agatha:  Ey  kuint,  wir  wollen  sie  ansprechn. 

Agricus:  (iliick  zu  Gefatter  am  Ober  End, 

Wie  gihts  euch  itz  bey  dem  Elend?  öO 

•Mogerns:  Es  gibt  nicht  wul,  das  Gott  derbarm, 

Key  wunder  wers,  vnß  freÜ  der  Harm; 

Was  wir  han  ey  viel  .larn  erworbii. 

Das  es  ey  kurtzer  zeit  verdorbn ; 

Wenn  vns  drum  breclit  Wa-ssr  oder  Fewr,  55 

Der  scliluß  oder  sterben  Vngeheur, 

Su  inusten  wirs  ja  sii  verge.s.sn: 

Ey  su  bans  bise  Leut  gefressn. 

Denn  man  key  wortle  sagen  thar. 

Das  frist  vnd  bittert  itmnerdar.  00 

Agricus:  Ich  vnd  mey  Weib  lian  zugeliort, 

Ey  langes  vnd  ey  breittes  dort. 

Wie  jhr  hat  vbers  grüsse  Leidt 
So  sehr  geschrien  alle  beidt. 

Mogerus:  Wie  stihts  bey  euch?  hat  jhr  dech  rhu?  65 

Agricus:  Was  rhu?  Es  stiht  auch  su  vnd  .su. 

Das  Vnglück  es  itz  gar  gemein, 

Drum  klait  so  sehr  grus  vnd  auch  klein. 

Doch  könn  wirs  noch  äsu  derleidn, 

Ob  wir  .schon  nicht  han  gro.sse  Preudn,  70 

Der  Fänrich  cs  ey  vuserm  Hauß, 

Der  timt  jhra  wie  die  Katz  der  Maus, 

Er  legts  jhn  zäh  vnd  es  jhn  fest, 

Dasselbig  ist  dech  vns  das  best. 

Er  es  ey  Kerl,  jhr  glaubts  ack  nicht,  75 

Wie  hä  sey  thun  .so  w'ul  verricht: 

11» 


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164 


Die  Landsknecht  müssen  fridlich  sein, 

Sist  schlet  lia  mit  sein  Knüttel  drein. 

Agatha:  Ju,  lieber  man,  das  es  wul  wohr; 

Subald  hü  aber  kömp.t  fürs  Thor,  80 

So  sein  die  Landsknecht  gar  zu  toll, 

Zumohl  wenn  sie  sein  stückne  vol. 

Nun  wahr  der  Fänrich  auch  nicht  do, 

Do  worn  die  Landsknecht  hör  vnd  froh. 

Ich  hal,  es  ging  bund  vber  eck,  8.ö 

Sie  worn  doch  alle  wie  die  Höck, 

Ich  mags  reden,  semmr  all  die  Feifl, 

Sie  warn  nichts  anders  als  die  Teiifl: 

Wie  wir  vns  legten  ey  die  Kamnir, 

Da  wehr  bal  worden  grusser  Jammr:  00 

Mey  man  lag  still  vnd  .sanffte  schlieff. 

Ein  Schelm  die  Kammer  starck  vf  lietf. 

Setzt  jhm  die  Wehr  bloß  an  die  Brust, 

Wolt  mit  mir  bü.ssen  .seine  lust. 

Da  sprang  ich  eylends  aus  dem  Bett,  95 

Zwe  schärfte  Messer  ich  da  hett. 

Die  fa.st  ich  bal  zu  beyden  lliindn. 

Hets  jhm  gestus.sen  ey  die  Lendn, 

Derweil  der  Man  dergreilf  den  Spieß 

Vnd  traft'  jhn.  das  hes  bleiben  ließ.  100 

Wie  nun  der  Fiihnrich  wieder  kam, 

Vnd  vnser  grusse  Klag  vernam. 

Dem  Kerl  thet  hü  en  Po.ssen  reissn, 

Er  ließ  jhn  schlagen  ey  die  Eisn; 

Do  worden  alle  Landskneclit  still,  105 

Vorwar,  der  bösen  Straft'  schaft't  viel. 

Thestilis:  Je  lieb  Gefatter,  das  es  gut. 

Wenn  alle  hotten  sülchen  Mut, 

Vnd  wenn  die  Heutleut  hielten  Schotz, 

So  blieb  daliinden  mancher  Trotz;  110 

Bey  vnsern  Nachbarn  es  nicht  su. 

Sie  hen  zu  Tag  und  Nacht  necht  rhu; 

Der  Oberst  selber  ist  nicht  frumb. 

Ist  Gottloß.  Vnkeu.sch,  Schlimm  vnd  Krumb, 

Itrunib  sein  die  Knechte  gleich  wie  er,  115 


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165 


Sie  liiibeii  wieder ')  Zucht  iiocli  Khr, 

Sie  fluchen  eckel  Schlapperment, 

Mit  Sternen,  Tonnen.  Eleineiit, 

Mit  Wunden.  Martern,  Kreutz  vnd  Leidn, 

(iott  lestern  i.st  jlir  beste  Frewden,  120 

Rs  sey  Rleich  Abend  oder  Morpn, 

Vnib  Gott  den  Herrn  sie  nicht  viel  sorgen, 

Kein  beten  geht  aus  jhrein  Maul, 

Sie  fressen  wie  ey  Hund  vnd  Gaul. 

Sie  .si)rechen : kein  Saw  frist  vnd  bet,  125 

Vnd  werden  gleichwol  groß  vnd  fet; 

Ist  gleich  ey  Ding  nicht  halb  gekocht. 

Noch  hau  sie  alle.s  wul  gemocht. 

Sie  sprechen,  sie  hau  Stehlern  Magn, 

Wer  kochts  den  Wölffen?,  sie  auch  .sagn,  130 

Sie  .schlogen  Schloß  vnd  Ka.sten  aufl', 

Do  sehn  die  Huren  fleißig  drauff. 

Das  sie  erwischen  bares  Geldt, 

Vnd  sünsten,  was  jhn  wul  gefeit; 

Ein  Men.sch  sic  halten  wie  en  Hundt,  135 

Do  werd  niancli  fruin  Mensch  sehr  verwundt. 

Manchs  wird  auch  heimlich  gar  derschlayn, 

Wers  hat  gethon,  kan  nieniandt  sayn. 

Sie  treiben  mit  dem  Fraw  Volck  schand, 

Key  Weib  eß  sicher  of  dem  Landt.  140 

Drumb,  lieben  Männer,  thut  derzu. 

Schafft  euch,  auch  Weib  vnd  Kindern  rhu. 

Wir  könns  die  lenge  nicht  so  endn, 

Ihr  must  zusehn,  wie  jhrs  kont  wendn, 

Ihr  must  mit  eysern  Flegeln  dreinschlagn.  145 

Agatha;  So  mü.stn  sie  ihr  Leben  wagn, 

0 lieben  Männer,  rückt  euch  nicht, 

Glaubt  mir  nur,  das  jhr  nischt  ausricht, 

Ihr  macht  ack  viel  ein  ärger  spiel. 

Wüst  jhr  denn  nicht  das  Sprichwort  gutt:  150 

Viel  Hunde  sein  der  Hasen  Tudt? 

Drumb  setzt  ack  still  vnd  hat  gedolt, 

Gedenckt,  das  wirs  han  su  verscholl. 

')  .Sull  wohl  heissen;  weder. 


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16ß 


Tliestilis;  Ihr  liat  reden,  lieb  Gefattr, 

Das  macht,  jhr  kent  nicht  vnser  Tatr,  155 

Wer  vnser  Volck  in  ewern  Hauß, 

Ilir  schlügt  sie  mit  Mistgabeln  aus; 

Der  Fehnrich  heit  euch  wul  den  Rückn, 

Das  jhr  euch  necht  für  jhm  diirfft  bückn, 

Glaubt  mir  gewißlich,  wenn  ha  thet,  160 

Ihr  werdt  wul  sehen,  was  jhr  het. 

Agatha:  Ey,  sie  sein  ju  nicht  all  a su. 

Manch  Knecht  lest  jeden  wul  zu  rhu, 

Er  beth  vnd  singt,  sich  frömlich  heit. 

Der  bösen  weiß  jhm  nichts  gefeit.  165 

Thestilis:  Schweig  still,  die  Wort  kan  ich  nicht  hörn. 

Ich  says  bey  meiner  Trew  vnd  Ehrn, 

Sie  sein  all  vber  eine  Leist, 

Den  keiner  gar  viel  guts  bewei.st; 

Ist  einer  gut,  .so  seins  all  gut,  170 

Denn  einer  wie  der  ander  thut, 

Söln  sie  noch  lenger  stelle  lign, 

Vnd  sie  nicht  irgendt  pölie  krign. 

So  könn  wir  .selbs  im  Land  nicht  bleibn. 

Weil  sie  so  gar  gnis  Wesen  treibn;  175 

Drumb  seht,  das  man  sie  all  erschlcgt; 

Denn  weil  sichs  Vngeziefer  regt, 

So  es  im  gantzen  Landt  kein  rhu, 

Drumb  thut  man  gleich  mehr  bal  darzu. 

Mogetus:  Nun  liebes  Weib,  thu  doch  gemach,  180 

Sie  sein  zu  stark,  wir  sein  zu  schwach, 

Kömts  ack  darzu,  wie  *)  wein  sic  drc.schn. 

Sie  allzumahl  zum  Landt  naus  Pre.schn. 

Agricus:  Ich  het  wohl  selber  solchen  Sinn, 

Das  man  sie  .schlüg  fürn  Geyer  hin.  185 

So  han  wir  jhr  zu  viel  daheim, 

Ihr  Hundert  ist  gegn  vnser  eim, 

Sie  fressn  vns,  wem  wir  gekocht, 

Drumb  hilfts  nicht,  das  man  .schnart  vnd  pocht. 

Agatha:  Ihr  lieben  Mennr,  euch  nicht  verraest,  100 

')  WoLl  statt  : wir. 


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167 


Seilt  zu,  das  jlir  nicht  Gotts  vergest, 

Von  Gott  kömpt  das  gross  Vnglück  her, 

Des  Zorn  ist  eyfrig  hart  vnd  schwer. 

Wir  habens  mit  der  Sünd  verdint, 

Drunil)  weis  zeit,  das  man  jhn  versühnt;  l!t5 

Wie  silit  inan  doch  sey  liebes  wundr, 

Wie  es  geht  ey  der  Welt  jitzundr; 

Es  ist  kein  Gottesfurcht  im  Landt, 

Der  Aberglaub  es  keine  Schandt, 

.Man  flucht,  man  schilt,  man  lestert  Gott,  200 

Sein  Wort  man  höret  an  mit  spot, 

Ey  igliclis  wil  .sem  Kopp  nach  lebn, 

Autf  die  Fürstehr  kein  Hrücklen  gehn, 

Wie  grus  es  Haß.  Grol,  Zorn  vnd  Neid, 

Man  find  kein  Lieb  noch  einigkeit.  205 

Wie  es  die  Hottart  so  gestign, 

Die  alden  mustcr  bleibn  lign, 

Man  mus  all  dar  was  newes  han, 

Mit  spielen  nehrt  sich  mancher  man, 

Man  frcst  vnd  seiitt't.  man  Ruht  vnd  Hurt,  210 
Welch  luse  Leben  wirdt  geführt, 

Niemand  wil  mehr  barmhertzig  sein, 

Was  man  derwischt,  das  steckt  man  ein, 

Manch  Mensch  leugt,  das  die  Backen  bign. 

Der  froinb  kan  bald  ein  Schandfleck  krign;  215 
Wenn  solche  Sünden  stratt't  der  Pfarr, 

So  heists,  wie  tollert  vnse  Narr, 

Solch  ding  siht  alles  Gott  der  Herr, 

Dann  er  wirdt  vns  die  Stratt'  so  schwer, 

Drunib  sollen  wir  vns  all  bekehrn,  220 

So  wird  Gott  vnsern  Feinden  wehrn. 

Thestilis:  .la  lieb  Gefattr,  ses  alles  wohr, 

Dus  wir  solln  Biusse  thun  zuvor. 

Doch  mus  man  auch  den  Kerles  wehrn, 

Die  vns  stihn  noch  Gut,  licib  vnd  Ehrn.  225 

Fürwar,  wenns  bey  mir  -stünd  allein. 

Ich  schlüg  mit  beyden  Feusten  drein, 

Vnd  hieltt'  sie  all  zum  Land  naus  treibn, 

Sollt  ich  gleich  of  dem  Platze  bleibn. 


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168 


Agricus : 


Thestilis; 


Agatha : 
Thestilis: 
Mogctus: 

Agricus: 

Mogetus: 


Ey  Thesti‘1,  komm,  es  ist  huch  zeit, 

Das  Volck  viis  vbenn  Halse  leit. 

Wer  weis,  was  sic  derweil  anfaiign! 

Mit  jhm  merd  *)  ich  vorwar  nicht  Prangii, 
Ich  wolt,  das  sie  all  holt  der  Bock, 

Wern  jhr  gleich  hundern*)  tausent  Schock. 
Ey,  besser  wers,  wem  sie  bekehrt. 

Ihr  keiner  solchs  von  Gott  begehrt. 
Vielleicht  wird  man  sie  ferner  führn, 

Do  sie  ey  theil  die  Hüls  verliern. 

Zu  guder  Nacht  bewahr  euch  Gott, 

Der  helft'  vns  doch  von  dieser  Notli! 


V 3. 

Entimus,  ein  „Ehrlicher  Bürger“  und  Pliilodomeiius 
„Filtzigcr  Bawer“.  ln  der  Mundart  spricht  der  Bauer. 
Klagen  über  die  Kriegsnot. 

Entimus  fragt  den  Hauer,  wie  cs  ihm  bisher  gegangen  sei. 

Philod.:  Gegangn?  Ich  woll,  sie  wem  gefangn. 

Die  vns  han  vberii  Hals  gelegn. 

Der  Lutzei  sprech  jbn  ftugs  den  Segn, 

Sie  han  vns  haussn  schier  all  derschlayn, 
Dorüber  dürtft  jhr  drin  nicht  klayn; 

Ihr  wahrt  fest  ey  der  Stadt  verschlossn, 

Sie  mu.sten  euch  zu  fride  lo.s.sn. 

Sie  musten  ,ser. 

Entimus  behauptet,  dass  man  in  der  ,Stadt  mehr  als  draussen  zu 
gehabt  habe. 

Philod.;  Das  glaub  ich  nu  noch  nimmermehr. 

Wie  kan  das  jmmer  müglich  sein. 

Ich  ha  verlorn  Ross,  Rindt  vnd  Schwein, 

Mein  Kasten  han  sie  all  durchsucht 
Vnd  han  sich  drüber  wul  Zuflucht, 

Sie  suchen  Gelt  vnd  fundens  nicht, 

Ich  docht,  jhr  lieben  Brüder  sücht. 

Die  Vogel  sein  geflogen  auß, 

')  werd? 

Soll  wohl  heissen:  hundert. 


230 

235 

240 
, ein 


245 

leiden 

250 

255 


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169 


Do  hau  sie  midi  gemattert  selir, 

Idi  Söll  jhii  sagen,  wo  Gelt  wehr,  2HO 

Ich  docht,  ich  wil  dirs  doch  nic.lit  weisn, 

Vnd  solstu  midi  zu  stücken  reissn. 

Sonst  es  mey  Vorrath  gar  dohin, 

Ich  mus  nu  sehn,  was  idi  gewinn. 

Entimiis:  itusseilialb  der  Sludt  hätte  man  den  Soldaten  reirhlich  zu  essen 
(fegeben  und  sie  so  benibigt. 

l’hilüd. : Was  sölln  sie  schunn,  die  luse  Troppn,  265 

Idi  hal,  sie  kunten  tajiper  lioppn, 

Wenn  man  niclit  thet.  was  jhn  gefeit. 

Manch  Kerl  sich  wie  ein  tomb  Mensch  stelt. 

Entiinns  glaubt,  l’hilodomcnus  spreche  von  den  Soldaten  des  eignen  Landes. 

Philod.:  Ey  ja,  wenns  wem  die  Ereiindt  gewest, 

So  vns  geschützt  in  vnserm  Näst.  270 

So  wahrens  Feind  vnd  Heidnisch  lA'ut, 

Ich  gleiih,  sie  betten  Tcutlels  Heut. 

Viel  vbelß  habn  sie  vns  gelhon, 

Ich  kan  ack  nicht  gnug  sayn  davon. 

Ich  bitt  Herr'),  vns  von  jhn  erlöß,  275 

Das  zu  vns  kom  wedr  gutt  noch  büß; 

Wie  fein  still  ists  in  vusern  Hauß. 

Nach  dem  die  Kerls  sein  kommen  drauß; 

Wir  wollen  sein  gar  hertzlich  frum, 

Ack  das  söch*)  Volck  nicht  wiederkum.  280 

Entinins  bittet  ihn  um  (ietreidc. 

Philod.:  Sie  han  mich  W'ul  sehr  au.sgeplündrt. 

Doch  hat  die  Judith  sie  verhindrt. 

Das  sie  mich  nicht  bestohlen  gar. 

Das  Getreid  nicht  ausgedroschen  wahr, 

Ich  ha  des  im  Stru  noch  viel  liegn,  285 

Das  wirdt  nun  müssen  rausser  flign, 

Ich  brengs  sobald  ich  dreschen  kan. 

Ich  mus  doch  wieder  Pfenge  han. 

Entimus:  1‘bilod.  solle  mit  ibm  kommen. 

Philod.:  Fürw'ar,  das  mahl  kans  nicht  gesein,  200 

■)  Gott. 

*)  sölch. 


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170 


Ich  lia  noch  vntern  Leuten  scliult, 

Xu  liii  ich  Icngcr  niclit  (Jedult. 

Kntimns:  I’hilod.  werde  sein  (ield  doch  nicht  bekommen. 

Philod.:  Es  liilfft  nichts  für,  sie  müssen  dran, 

Ich  wil  Gelt  oder  Bürgen  han.  205 

Ich  ha  auch  grüssen  Scliaden  gclittn, 

Wer  schenkt  mir  was,  wolt  icli  gleich  bittn. 

Doch  wo  sie  mers  verzinsen  wehrn, 

So  wil  ichs  jhn  auch  borgen  gern. 

Ihr  findets  dasmahl  nicht  im  Hauß. 

Ohn  Zins  wil  ich  kurtz  vmb  nicht  harrn,  300 

Wenn  sie  gleich  bittn,  so  wil  ich  starrn, 

Eys  Stadtbuch  wil  ichs  schreiben  lo.ssn. 

Sie  mochten  mir  sist  machen  possn. 

Kntymus : I’hilod.  solle  die  Schuld  erlassen. 

Philod.:  Die  Kerl  han  mir  vor  gnug  verthon,  305 

Drumb  schweigt  ack  still,  ich  geh  davon. 

Erklärung  einzelner  Wörter. 

I.  Acolastus.  Zeile  H:  Beche  (ahd.  bekko)  = Bäcker.  DWb.') 
1 1215:  , (Dieses  Wort)  könnte  sich  vorlinden,  obschon  kein  beleg 
zur  band  ist“.  Hier  haben  wir  einen  Beleg.  — Z.  13;  märten  im 
schl.W. ®)  nicht  erwähnt;  wohl  — «iaer«i  (mischen),  wozu  schl.W. 
S.  ßO  ein  siibst.  »inerte  verzeichnet.  — Z.  25:  box  jcs  \ box  = bocks 
(gen.  V.  bock)-,  viele  Formeln  des  Scheltens  und  Verwimderns  be- 
ginnen mit  diesem  gen.,  der  von  einem  nachfolgenden  oder  zu  er- 
gänzenden subst.  abhängig  ist;  vgl.  DWl).  II  202.  — Z.  35:  zeidel- 
bär-,  dazu  vgl.  Heft  XI 11  der  „Mitteilungen  der  Schles.  Gesellschaft 
für  Volkskunde“  S.  62.  — Z.  41 : jait  = jagdV  DWb.  IV  2,  2250; 
Schmcller  I 1201.  — Z.  46:  Bnckn;  subst.  Hacken  im  DWb.  nicht 
erwähnt ; vielleicht  = recke  {recken),  das  auch  als  Scheltwort  gebraucht 
wurde  (DWb.  VIII  444);  vgl.  engl,  wretcli.  — Z.51:  gespan  (ebenso 
mhd.)  — Gefährte,  Genosse.  — Z.  83 : Imcr  (mhd.  lihe)  = Schelm ; vgl. 
schl.W.  51.  — Z.  !(5:  hatschen  ^ Enten,  vgl.  DWb.  IV  2,  558;  der 
Name  wahrscheinlich  von  dem  eigentümlichen  Gange  der  Ente 

*)  Deutsches  Wörterbuch. 

Weinhold,  lieiträge  zu  einem  schles.  Wörterhuche,  Wien  1855. 


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171 


gebildet,  wozu  vgl.  das  verb.  hatschen  : sclil.W.  :13.  — Z.  !)9:  Jodl, 
Kosename  für  Joseph;  noch  heute  hört  niun  auf  dem  Lande:  Josl. 

— Z.  10!l:  Jechn,  verwandt  mit  lecker  = Maulredner,  Schmarotzer, 

Schlingel  (?).  — Z.  113:  aents  rnmb;  ients  = zends  ist  gen.  adv. 
von  end(e)  und  bedeutet:  bis  zu  Kode,  ganz;  vgl.  schl.W.  17.  — 
Z.  121:  vnbeschnanpert ; vgl.  l)\Vb.  1 1587  beschnanbern  = be- 
riechen. — Z.  130:  brückte  — brickel  = Bröcklein,  schl.W.  12.  — 
Z.  154:  nenirig  = nimmer.  — Z.  157:  marter  (marsler)  eigentlich 
= Marter;  bei  Flüchen,  Beteurungen  in  der  adverbialen  Be- 
deutung: sehr(l)Wb.  VI  IfiSO).  — Z.  Ki3:  niefein  (niff'eln)  ~ reihen 
(schl.W.  65);  vgl.  Schmeller  - 1 1731.  — Z.  160:  sparn  — span? 
einen  .sj)ar«  verlieren ; vgl.  dazu  die  heutige  Redensart:  einen  Span 
hal)en  — nicht  recht  gescheut  sein.  — Z.  177:  geschwiqme  full; 
vgl.  dazu  schl.W.  88:  schwappen,  schwappen,  schwappern  (von 

Flüssigkeiten,  die  klatschend  an  den  Rand  schlagen).  — Z.  105: 
zacken  (zocken,  schl.W.  110)  = ziehen,  zupfen,  necken,  scherzen, 
namentlich  mit  Frauenzimmern;  schon  mhd.  in  diesem  Sinne  ge- 
braucht (zocken,  zecken).  — Z.  106:  geyder  = geier\  d ist  unorga- 
nische Einfügung,  vgl.  hinder  (Hühner);  DDF.  S.  76');  hier 
Schimpfwort.  — Z.  202:  beign  — beugen?  — Z.  212:  tock  (ahd. 
tocka)  = Puppe;  liebkosend  häutig  in  Schlesien  gebraucht  (seid. 
W.  98).  — Z.  217:  lützel  = 'reufel.  — Z.  244:  domaschke  sack- 
leiml\  domaschke  = Damast  (Daniask),  Zeug  aus  Damaskus,  von 
Leinwand  (leimt). 

II.  Tobias.  Z.  11:  ind  («•«)  = immer;  über  die.ses  Füllwort 
vgl.  DDF.  S.  143.  — Z.  12:  gehötr  = geheaer,  geheier,  das  wieder 
zu  geheien  gehört,  einem  alten  Worte  mit  merkwürdiger  Geschichte 
und  mannigfacher  Bedeutung;  hier  etwa  = Kummer,  .\rger;  vgl. 
DWb.  IV  1,  2,  2340.  — Z.  15:  stadlleitschen;  leiUche  (leatsehe) 

— Hündin,  liederliche  Dirne,  verächtlich  auf  Weibspersonen  (DWb. 
VI  850).  — Z.  23:  zottn  etwa  = traurig,  niedergedrückt  sein 
(=  mhd.  zoten,  in  zotten  niederhangen  (?)).  — Z.  28:  gedrot  (mhd. 
gedräte)  = nhd.  gedrat,  schnell,  eilig,  alsbald  (DWb.  IV  1,  1,  2038); 
indes  diese  Bedeutungen  pas.sen  hier  nicht,  wo  das  Wort  nach 
dem  Zusammenhänge  etwa  die  Bedeutung:  schlau,  klug  zu  haben 
scheint.  — Z.  31:  Marig  (got.  Mär  ja)  = Maria.  — Z.  40:  bicrtigl; 
dieses  Schimi)fwort  (—  Säufer)  ist  im  DWb.  nicht  erwähnt.  — 

*)  Wpinhold,  l.'ber  deutsche  Dialekt forschiin);  . . .,  Wien  185.H. 


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172 


Z.  51:  anliKj  ~ Anlage.  — Z.  (J(>:  fitzn,  verb.  zu  .siibst. /to  = 
Faden;  also  etwa  = in  die  Netze  fangen,  umgarnen;  vgl.  I)\Vb. 
111  16il5;  sclil.W.  21  verzeiebnet  nur  cerfitzn  — die  Fiideii  ver- 
wirren. — Z.  SS  sechs  scheUje  (schilge)  m irck;  ein  schilk  oder 
schilrhn-  liie.ss  in  Scblesien  ein  Dutzend  (Palm:  Neudruck  der  (ie- 
liebten  Dornrose,  S.  ibi).  — Z.  !(2:  pekhä;  Diminutiv,  vgl.  mhd. 
pf eitel,  feines  Seidenzeng,  (jew«'iid.  Decke  n.  dgl.  — Z.:  !(il:  stadl- 
strinUe  = ..  strunze;  im  verächtliclien  Sinne  auf  Frauenzimmer 
gebraucht  (.sclil.W.  0.5).  — Z.  !lll:  bederbn  — mhd.  bulerben,  nütz- 
lich .sein  (intr.)  und  (trans.)  nützen,  nützlich  maclien.  — Z.  100: 
kröck  (ö  wegen  des  Reinie.s;  sonst  kmck(e))  eigentlich  schlechtes 
Stück  Vieh,  dann  Scheltwort  (Weinhold,  Molteiglo.ssar  S.  116).  — 
Z.  10(1:  mastig  = feist,  fett  (DWi).  VI  1718).  — Z.  127:  krimen 
= kratzen  (DWb.  V 2805).  — Z.  144:  kfiiißmann:  hier  der 
Kaufende,  nicht  der  Verkaufende.  — Z,  150:  in  eim  rischen;  vgl. 
sclil.W.  78:  in  einem  reschen  = rasch  (risch).  — Z.  151:  biemn 
(boemen);  noch  heute  gebräuchlich.  — Z.  1511:  pöchel  = V — 
Z.  167:  spinen  ^ spinden  (spunden)  = mit  Simnd  verschliessen, 
überhaupt:  verschliessen,  verstecken;  vgl.  Heyne,  Deutsch.  Wörter- 
buch III,  727.  — Z.  177:  schlimp  (Schlimmlieit).  — Z.  1!)2:  grein 
(mhd.  grinen),  (weinend)  den  .Mund  verziehn.  — Z.  202:  hisch 
(hübsch).  — btüttet,  dimin.  v.  Hlut.  — Z.  2011:  zuschlan;  über  zu 
für  zer  im  schles.  Dialekte  vgl.  D.  1).  F.  S.  57.  — Z.  214:  gutz: 
Betenerungsformel,  eigentlich  gen.  von  Gntt.  — Z.  2.42:  wahn  = 
Wagen.  — Z.  2.‘14:  Xeleke  = Menalcas.  — Z.  238:  gemorgt  = ge- 
merkt? — Z.  242:  sie  (die  Sonne)  gar  hü  zu  goulde  (Dolde)  gibt; 
in  der  Grafschaft  Glatz  heute  noch  die  Reden.sart:  die  Sunne  gilU 
ei  Gäle.  — Z.  244:  krölpsen  krülpsen  (DWb.  V 2438)  und  rülpsen 
(DWb.  VllI  1477);  hörbar  anfstos.sen,  ructare.  — Z.  261 : ein  dotgen 

— nd.  diUjm,  Heller,  vgl.  deut,  das  heute  noch  in  Schlesien  ge- 

bräuchlich zur  Bezeichnung  von  Geringwertigkeit:  z.  B.:  er  ist 
keinen  Dent  wert.  — Z.  2(i5:  bemmein  (bimmeln,  bammeln),  hier 
= bitten.  — Z.  2S5:  hurnsen  = Hnrensohn,  Schelm.  — Z.  287; 
röltz  (riilz;  DWb.  VIll  1478)  eigentlich  - das  Anfstossen;  über- 
tragen: ungebildeter  Mensch.  — Z.  316;  gramhafftigikeet),  Mis.s- 
gunst  (Weiidiold,  Holteiglos.sar  110).  — thet  - weise 

handelte  (nändich  die  Mi.ssgunst);  im  Zusammenhänge  — aufhörte. 

— Z.  333:  kin  — Kienholz,  das  zum  Leuchten  diente  (kienspun). — 
Z.  337:  Griltd  — Gretel,  Gretchen.  ■—  Z.  339  : stöcktie  /ul  = stock- 


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voll,  stockbetnmken.  — Z.  il42:  gäniHch  = wuiiderlicli,  selt.sum, 
iinbflia‘,dich  (scbl.  \V.  2b).  — Z.  iU(>;  tok  ■ Botruiikenheit  (eigent- 
licb  Tollheit);  noch  heute  pelu-iiuchlich. 

III.  JiKÜth.  Z 30:  «ÄS  (inlul.  iiezp)  = essbar;  in  Schlesien 
auch  in  der  Bedeutung::  schön,  aiifrenehni  (DWb.  I .ÖOO).  — Z.  4!): 
Gvfutter  am  Ober  End:  vvolil  zu  erpäiizen:  des  Dorfes.  — Z.  älj: 
der  sMuas  = Schlossenregen.  - Z.  S4:  hör  = inhd.  h<r,  stolz, 
übermütig.  — Z.  S7  = scmmr  = iiihd.  sam  mir;  ellipt.  Beteueruiigs- 
forniel:  bei  Gott!  u.  ä.  — feiß;  entstanden  aus.-  feu  (pfui)  ver- 
fl(ucht)  (y).  — Z.  10!l:  heiUlcat  = llauptleute.  — Z.  117:  schlapper- 
meiU,  in  Versvün.schungen  gebraucht;  verhüllende  Kntstellung  von 
Sakrament  (l)Wb.  IX  488).  — Z.  läti:  talr,  eigentlich  = Tartar 
(.seid.  W.  07);  die.  Krinnerung  an  die  sclireckliche  Tartarenzeit 
lebte  im  Volke  fort;  hier  bedeutet  das  Wort  in  übertragenem 
Sinne  überhaiiiit:  Leiden.  — Z.  214:  (der  Mensch)  lengt,  dw<  die 
backn  (wohl  = balkn?)  bign;  noch  heute  be.steht  die  Redensart:  er 
schwindelt,  dass  die  Balken  biegen.  — Z.  301 : starrn  = starr, 
unerbittlich  sein. 

Sclilesiseho  Flurumzfige,  besonders  das 
Saateiireiteii. 

Von  Dr.  Kühn  au. 

Xur  einmal  im  .lahre  hörte  ich  es,  das  uralte  Glöckchen  der 
Begriibiiiskirche  zu  Batschkau,  der  ältesten  Kirche  des  Städtchens. 
Früh  gegen  sieben  Uhr,  am  MonUige  vor  Christi  Himmelfahrt, 
hallte  es  wie  eine  wiederkehrende  Stimme  der  Vergangenheit  über 
die  Gräber,  die  Gärten,  die  Felder,  und  bald  darauf  klangen  die 
Töne  des  Gemeindegesaiiges  den  Neisser  Berg  herauf,  denn  die 
Bittprozession  zog  hinauf  zum  „hl.  Rochus“.  Die  Schulen  mit 
den  Kirchenfahneii,  der  Geistliche  im  Rochett,  das  Kruzifix  vor 
die  Brust  haltend,  und  wer  Zeit  hatte  von  der  Gemeinde,  meist 
Angehörige  des  weiblichen  Geschlechts,  zogen  unter  feierlichem 
Litaueiengesaiig  hinaus  ins  Freie,  wo  die  ersten  b'elder  an  die 
städtischen  Grundstücke  grenzten.  Die  Prozession  galt  dem  Segen 
der  Felder,  Misswuchs  und  Teuerung  .sollte  dem  kommenden  Jahre 
fernbleiben,  Gedeihen  der  Feld-  und  tiurtenfrucht  und  gute  Ernte 
herabgetleht  werden  durch  die  Gebete  der  Teilnehmenden.  In 


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174 


einem  StäTUclien,  wo  ein  niclil  unerheblicher  Teil  der  Bevölkerung 
noch  selbst  den  Garten  und  Acker  baut  oder  zu  gemütvoller  An- 
teilnahme am  Gedeihen  der  Feld-  und  Gartenfrüchte  durch  täg- 
lichen Augenschein  veranlasst  wird,  verfehlt  eine  solche  Bitt- 
prozession  noch  immer  ihren  Kimlruck  nicht,  und  es  folgen  ihr 
die  Wünsche  auch  derjenigen,  die  irgendein  Geschäft  vom  Mitgehen 
abhält.  Am  Dienstag  tnid  Mittwoch  wiederholt  sie  sich,  aber  sie 
schlägt  nach  zwei  anderen  Richtungen  ihren  Weg  ein. 

Diese  noch  allenthalben  in  katholischen  (iegcnden  Schlesiens 
abgehaltenen  Bittgänge  an  den  drei  letzten  Tagen  vor  Christi 
Himmelfahrt  sind  uralt.  Ffannenschmid  hat  sie  in  .seinen  „Ger- 
mani.schen  Erntefesten“  bis  in  heidni.sche  Zeit  zurückgefiihrt.  Die  im 
Indicnlus  suiierstitionum  (nm  Mitte  des  8.  Jahrh.i  enthaltene  Kapitel- 
über.schrift:  De  simulacro,  quod  jier  campos  portant  wird  als  der 
Hauptbeweis  alter  Flurumzüge  mit  Umtragen  des  {Jottcrbildes  bei 
den  Deutschen  angesehen.  Die  Kirche  hat  die  Idee  dieses  Bitt- 
ganges zu  dem  ihrigen  gemacht  und  mit  Abstreifung  des  heid- 
ni.scheii  Wesens  in  eine  christliche  Kultusübung  umgewandelt  Die 
Zeit,  in  der  diese  Umzüge  abgehalten  wurden,  ebenso  auch  ihre 
be.sondere  Einrichtung  zeigt  eine  gewis.se  Mannigfaltigkeit.  Für 
Jene  kommt  der  ganze  Zeitraum  des  Frühjahrs  vom  Augenblick 
des  Säens  bis  zum  Reifen  des  Getreides  in  Betracht.  Für  die.se 
gelten  in  der  Hauptsache  zwei  ,\rten  des  Umzuges,  der  zu  Fuss 
und  der  zu  Pferde.  Wo  die  Kirche  die  Leitung  in  die  Hand  nahm, 
blieben  Au.sartungen  fern,  wo  sie  aber  die  Veranstaltung  freigab 
und  die  Veranstalter  höchstens  zur  Teilnahme  am  Gottesdienste 
verpflichtete,  haben  sich  bisweilen  so  .schlimme  Unsitten  ein- 
ge.schlichcn,  da.ss  die  weltlichen  Behörden  zur  Aufrechterhaltung 
der  Ordnung  die  Umzüge  verbieten  mussten.  Dies  ist  in  unserer 
Provinz  am  Hl.  August  1786  mit  dem  .sogenannten  8aatenreiten 
geschehen. 

Meine  Zusammenstellungen  haben  nur  Schlesien  (üsterreichi.sch- 
Schlcsicn  eingeschlos.sen)  im  Auge.  Es  ist  nicht  viel,  da  es  sich 
um  einen  aus.sterbenden , ja  für  Preussi.sch-Schlesien  fast  au.s- 
gestorbenen  Gebrauch  handelt.  Ich  sehe  natürlich  von  den  kirch- 
lichen Bittgängen  an  den  drei  Tagen  vor  Christi  Himmelfahrt  *) 

‘)  Oie  Wahl  dieser  drei  Tage  geht  sicherlich  in  sehr  alte  Zeit  zurück. 
I’fannenschmid  erwähnt  (S.  63)  die  .Synode  von  Cloveshoe,  jetzt  Ahington,  an 


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ab,  die  ihre  Stütze  an  der  Kirclie  haben  und  von  der  Ackerbau 
treibenden  Bevölkernnp:,  soweit  sie  ffliiubig  ist,  als  ein  religiöses 
Bedürfnis  emj)fnnden  werden.  Ausser  diesen  finde  ich 

Fluruiiigliiige  zu  Fiiss 

nur  in  folgenden  Fällen. 

In  der  Grafschaft  Glatz. 

In  den  Dörfern  um  die  Heuscheuer  in  der  Grafschaft  Glatz 
herr.scht  der  Gebrauch,  zwischen  Ostern  und  Pfingsten  die  Felder 
zu  umgehen.  Der  bäuerliche  Besitzer  lädt  dazu  die  ganze  Ver- 
wandtschaft. Vettern  und  Mulimen,  ein.  Zn  Ostern  schon  ist  Holz 
geweilit  w'orden,  Palmkätzchen  schon  am  Palmsonntage.  Man  liat 
aus  dem  Holze  Kreuzchen  geschnitten  und  zieht  nun  mit  der  ganzen 
Verwandtschaft  um  die  Felder,  an  allen  vier  Ecken  werden  je 
drei  Kreuzchen  und  eine  Palme  mit  einem  Segensspriich  ein- 
gesteckt'). Dann  kehrt  man  nach  Han.se  zurück,  und  alle  Teil- 
nehmer werden  zur  M andelsniipe  geladen:  Milch  mit  Sahne  ge- 
rührt, Zucker  und  feinge.schnittene  Mandeln.  Man  nennt  das  „Zur 
Mandelsuppe“  kommen,  laden,  gehen  usw.  Es  geschieht  das,  wenn 
die  Saat  eine  Handbreit  hoch  ist,  nicht  an  einem  bestimmten  Tage, 
wohl  aber  Sonntags. 

So  berichtet  ein  Oberförster  H.,  der  .sich  .selbst  einen 
„Vollblutgrafschafter“  nennt,  weil  er  dort  geboren  ist  und 
den  grössten  Teil  seines  Lebens  dort  in  Diensten  ge.standen  hat. 

Wenn  in  diesem  Falle  der  FInrumgang  einen  rein  privaten 
Gharakter  hat,  so  vollzieht  er  sich  in  kirchlichen  Formen  in  fol- 
gendem Falle,  der  um  so  meikwürdiger  ist,  weil  der  Umzug  in 
der  Nacht  stattflndet. 

der  Themse  in  England,  die  unter  Erzbischof  f'nthbcrt  von  l’antcrbury  im 
.labre  747  beschloss,  dass  an  den  drei  Tagen  vor  Himmelfahrt  Christi  die  Re- 
liquien der  Heiligen  herunigetragen  werden  sollten  usw.  ln  Gallien  und  Spanien 
wurden  die  drei  Tage  schon  in  der  2.  Hälfte  des  5.  .Tahrhunderts  kirchlich  be- 
gangen (Pfannenschmid  S.  48). 

')  Pas  Stecken  der  Kreuzchen  und  Palmen  am  Ostersonntage  in  der  Frühe 
ist  noch  in  katholischen  Gegenden  allgemeiner  Gebrauch,  doch  findet  dabei  kein 
Umzug  statt.  Der  Besitzer  des  Feldes  geht  von  der  Kirche  stillschweigend  aufs 
Feld,  oft  schon  in  der  Nacht  um  2 Uhr  (mancher  geht  schon  um  12  Uhr),  und  steckt 
unter  Gebet  die  Kreuzchen  und  Palmen  an  die  Ecken  des  Feldes,  das  gibt  der 
Feldfrucht  Segen.  Er  geht  dabei  kreuzweise  von  einer  Ecke  zur  andern. 
.Stehen  die  FeldfrUchtc  in  Beeten,  so  steckt  er  auf  jedes  Beet  ein  Kreuzchen, 
aufs  letzte  drei  und  eine  Palme  Iso  in  Wöitz  bei  Ottmachau). 


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17(5 


Das  Saateiiselien  in  Jauerni»'  (Oestcrr.-Schl.) 

In  der  Nacht  vom  Karsamstagi*  anf  den  Ostersonntag  findet 
das  Saatengehen  statt.  Knaben  nnd  Jünglinge,  Männer  und  (ireise 
versaninieln  sich  naclits  nacli  1 Uhr  in  grosser  Zahl  an  einem 
frülier  bestimmten  Orte,  üm  2 Chr  wird  ausgegangen.  Den  Zug 
führt  ein  bejahrter  Mann  an.  Er  trägt  das  Kruzifix,  welches  mit 
einem  grünen  Kranze  gesclimückt  ist.  Zu  beiden  Seiten  des  Kreuz- 
trägers gehen  grei.se  Männer  als  Vorbeter.  Diesen  folgen  zunächst 
die  schulfähigen  Knaben  des  Ortes,  von  denen  jeder  mit  einer 
Klingel  (Schelle)  versehen  ist.  Ihnen  schliessen  sich  die  erwach- 
senen Jünglinge  an,  den  Abschlu.ss  des  Zuges  bilden  ältere  Männer. 

Der  Zug  in  Jaueniig  (österr. -Schl.)  geht  gewöhnlich  vom 
Rathause  aus  in  feierlicher  Stille  über  den  Ringplatz  und  über  die 
Schlossfreiung  gegen  den  fürstbischüflichen  Meierhof  zu  und 
kommt  hierauf  ins  freie  Feld.  Nun  erschallen  Tal  und  Hügel 
von  dem  Geläute  der  Klingeln  ünd  dem  Gesänge  der  Jünglinge 
und  Männer.  Langsam  beweg't  sich  die  Prozession  dem  nahen 
Walde  zu  und  hält  endlich  dort  bei  dem  Antonikirchlein,  welches 
festlich  beleuchtet  i.st,  unter  dem  Klange  dio-ses  Glöckleins  an. 
Während  des  (Jebetes,  das  hier  vetTichtet  wird,  schie.ssen  junge 
Biu-schen  aus  Schlüsselbüchsen  und  Pi.stolen. 

Hierauf  lenkt  der  Zug  in  das  jenseitige  Tal  gegen  die  Ober- 
stadt ein.  Von  da  geht  es  abermals  einen  Berg  hinan,  sodann  bei 
dem  Totenhügel  vorbei  nach  der  Wei.ssbacher  Strasse,  wo  man  mit 
Tage.sgrauen  anlangt.  Dort  warten  bereits  die  Stabträger  der 
verscliiedenen  Zünfte,  die  Fahnen  und  die  Musik  der  Kirche. 
Nachdem  diese  sich  angesctilossen,  begibt  sich  die  Prozes.sion 
hinter  dem  Dorfe  hinab  in  die  „alte  Kirche"*,  wo  abermals  ein 
längeres  Gebet  verrichtet  wird. 

Ist  das  Gebet  beendet,  so  setzt  sich  der  Zug  nach  der  Stadt 
in  Bewegung  und  erreicht  durch  die  Obergasse,  die  Johannes-  und 
Brückengassc  hindurch  den  Ring])latz.  Hier  schreitet  man  unter 
inbrünstigen  und  ergi-ei  fenden  Gebeten  um  die  Marienstatue, 
während  fromme  Älütter  mit  ihren  kleinen  Kindern  im  Arme  von 
den  Fenstern  der  Wohnungen  aus  dem  Gebete  sich  anschliessen. 
Endlich,  etwa  6 Uhr  morgens,  geht  der  Zug  nach  der  Stadtpfarr- 
kirche, wo  die  Saatengänger  der  sogenannten  Saatenmesse  bei- 
wohnen. Anton  Peter,  Volkstümliches  aus  Osterreichi.sch- 

Schlesien  11  1867  S.  283. 


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177 


Endlich  berichtet  Drechsler,  Sitte,  Brauch  und  Volksglaube  I 
8.  108  von  einein  mancherorts  stattfindenden  Elurumgange  an 
St.  Marcus  (25.  April),  z.  B.  in  Beuthen  OS.,  in  Waltersdorf  bei  Sprottau. 
(irösserer  Beliebtheit  scheinen  sich  die 

FlurniiizHge  zu  Pferde 

erfreut  zu  haben.  Sie  aber  gerade  sind  dem  alten  Volksbrauche 
zum  Verderben  geworden  durch  die  Ausartung,  zu  der  sie  den 
Anreiz  in  sich  hatten.  Die  Kirche  stellte  sich  am  Anfang  diesen 
Ritten  hindernd  in  den  Weg.  Als  sie  den  heidnischen  Brauch  des 
Plurumzuges  in  ihren  Dienst  stellte,  schloss  sie  doch  die  Umritte 
in  Deutschland  aus.  ln  einem  Capitulare  aus  der  Zeit  Karls  des 
Grossen  heisst  es:  Et  illos  tres  dies  ante  Ascensionem  Domini 
jejunate.  Et  cruces  et  Reliquias  sequimini,  non  in  joco,  nec 
caballicando;  sed  cum  humilitate  et  contritione  cordis  celebrate 
ipsas  Rogationes,  et  a carne  omnes  abstiiietc,  et  Missas  audite. 
(l’fannenschinid  S.  367.)  Trotzdem  haben  sich  diese  Umritte  bis 
in  un.sere  Tage,  unter  Duldung  der  Kirche,  an  manchen  Orten  er- 
halten. Nachdem  das  christlich  gewordene  Volk  allen  heidni.schen 
Brauch  abgelegt  hatte,  konnte  sie  von  ihrem  anfänglichen  Verbote 
absehen,  .solange  die  Ordnung  gewahrt  blieb. 

In  Schlesien  finden  diese  Umritte  zu  Pfingsten  (Königsreiten, 
auch  Pfing.streiten)  oder  zu  O.stern  (Osterreiten,  Saatenreiten)  statt. 

Das  Königsreiten  in  Österreichisch-Schlesien. 

In  Österreichisch-Schlesien  ist  das  Königsreiten  ein  Volksfest 
des  Ackerbau  treibenden  Landvolkes.  Es  reiten  nämlich  am 
Pfingstmontage  der  Dorfrichter  u.  a.  aus  der  Gemeinde  auf  schönen 
Pferden  ins  Feld  und  umreiten  lang.sam  und  mit  Andacht  ihre 
Äcker,  singen  fromme  Lieder  und  beten.  Sie  hoffen  dadurch  den 
Segen  Gottes  für  ihre  jungen  Saaten  zu  erflehen  und  Wetterschäden 
davon  abzuhalten.  Wer  das  schönste  Pferd  bei  dieser  Feierlichkeit 
hat,  der  wird  als  König  anerkannt.  Nachmittags  begeben  sich 
dann  alle  Bauern  zum  Könige,  welcher  ein  schwarzes  Schaf 
braten  lassen  muss.  Jeder  Bauer  nimmt  ein  Bein  (einen  Knochen) 
von  diesem  Schafe  und  steckt  es  am  anderen  Morgen  vor  Sonnen- 
aufgang in  die  Saaten,  damit  diese  gedeihen. 

An  einigen  Orten  wird  das  „Saatenreiten“  in  ähnlicher  Weise 
abgehalten,  und  zwar  am  Pfingstsonntage. 

Vernaleken,  Mythen  und  Bräuche  185!)  S.  306  Nr.  28. 

Ultteilungen  d.  «cUles  Oe»,  f.  Vkde  Bund  .\l  2 (lieft  .VXJIi.  I- 


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In  dem  Braten  eines  schwarzen  Schafes  ist  deutlich  genug 
noch  eine  Erinnerung  an  ein  Opfer  enthalten,  das  bei  den  heid- 
nischen Flurumzügen  am  Schlüsse  geschlachtet  wurde.  Dass  ein 
solches  Opfer  wirklich  dargebracht  wurde,  bezeugt  eine  im  Jahre 
!)40  erlassene  Verordnung  der  Abtissin  Maresuith  in  Kloster 
Schildesche  bei  Bielefeld,  die  einen  kirchlichen  Umgang  für  den 
zweiten  Pfingsttag  (Montag)  anordnet  und  bestimmt,  dass  die  Um- 
ziehenden pro  gentilicio  Ambarvali  in  lacr}’mis  et  varia  devotione 
(statt  des  heidnischen  Opfers  beim  Flurumzuge,  das  sie  unter 
Tränen  und  mannigfaltiger  Verehrung  darbrächten)  sich  .selbst 
.schlachten  sollten.  U.  Jahn,  Opfergebräuche  S.  147. 

Am  häufigsten  fanden  in  Schlesien  die  Flurumritte  zu  Ostern 

statt. 

Das  Osterreiten  in  Österreichisch-Schl esien. 

Am  hl.  Ostertage  wird  in  Dörfern  des  Wagstädter  Bezirkes 
in  den  einzelnen  Höfen  das  .schönste  Handjjferd  von  den  Mägden 
mit  Bändern  und  Kränzen  ge.sclimückt.  Nach  dem  nachmittägigen 
Gottesdienste  verbissen  die  Bui'schen  auf  den  herausgeputzten 
Pferden  das  Dorf  und  reiten  längs  der  Grenze  so  lange  hin,  bis 
sie  zu  dem  Gehöfte  eines  Bauers  vom  benachbarten  Dorfe  kommen. 
Dort  läs.st  man  sie  ein,  und  sie  reiten  dreimal  im  Hofe  herum 
unter  Absingen  heiliger  Lieder,  die  gewöhnlich  mit  dem  österlichen 
Alleluja  be.schlo.ssen  werden.  Der  Hausvater  bewirtet  sie  dann 
mit  einem  fri.schen  Trunk  Bieres  oder  Weines. 

Anton  Peter,  Volkstümliches  a.  üsterr.-Schl.  II  1867  S.  285. 

Das  Saatenreiten  in  österreichisch-Schlesien. 

Noch  heute  wird  das  Saatenreiten  in  Osterr.-Schl.,  wie  ich 
höre,  weiter  landeinwärts  geübt.  Es  findet  wie  das  Osterreiten 
zu  Ostern  statt,  mit  dem  es  wohl  gleichartig  ist.  Näheres  über 
den  heutigen  Brauch  vermag  ich  nicht  anzugeben '). 

Denn  nahe  der  (Jrenze  (bei  Jauernig)  habe  ich  vergeblich 
nacligeforscht,  nähere  Angaben  hat  mir  niemand  machen  können, 

')  .vis  ich  im  Jahre  19(Ki  von  den  .Wilden  Löchern“  jenseits  der  Heu- 
scheuer  auf  Tscherbeney  zu  niederstieg,  erfuhr  ich  von  einem  Einwohner  der 
dortigen  tiegend,  dass  diesseits  der  Grenze  (in  der  Urafschaft)  nur  die  .Kreuz- 
tage“ gehalten  werden  (die  drei  Tage  vor  Himmelfahrt),  jenseits  aber  im 
lirannauiseben  werde  um  jMachaii  und  Brunnkress  zu  l »Stern  geritten,  wobei 
auch  geschossen  werde.  Dort  finde  noch  das  .Saatenreiten  statt,  einmal  habe 
er  eine  Prozession  von  sieben  Keilern  gesehen. 


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179 


die  Einzelheiten  des  Gebrauches  sind  hier  schon  dem  Gedächtnisse 
des  Volkes  entschwunden. 

Und  doch  ist  das  Andenken  an  das  Saatenreiten  in  der 
Jauerniger  Gegend  auf  eine  merkwürdige  Art  erhalten  geblieben. 
Wer  auf  der  Strasse  von  Patschkau  nach  Jauernig  wandert, 
der  trifft  kurz  nach  Überschreitung  der  heutigen  Landesgrenze  un- 
gefähr einen  Kilometer  vor  dem  österreichischen  Dorfe  Weissbach 
auf  einen  kapellenartigen  Bau  zur  rechten  Seite  der  Strasse.  Wer 
ihn  zum  ersten  Male  sieht,  bleibt  unwillkürlich  stehen.  In  die 
breite  Vorderseite  des  massiven,  oben  abgedachten  Steinbaus  ist 
eine  metallene  Tafel  eingelassen,  die  ein  Bildwerk  mit  einer  ünter- 
.schrift  trägt.  Das  Bild  stellt  einen  auf  dem  Rücken  liegenden 
Mann  dar,  hinter  dessen  Kopfe  ein  entlaubter  Baum  steht.  Der 
Mann  ist  anscheinend  tot.  Ihm  kommen  von  der  Fussseite  ent- 
gegen zehn  Reiter  mit  zwei  Kircheutähnen.  Die  Unterschrift 

lautet.  Marin  hat  an  heut  einen  üabrici  gegrüsst, 

als  ich  entselet  wurde  durch  Sturm  und  gross  (iefrist. 

Ich  lag  fi  Tage  lang  allhier  mit  Schnee  bedeckt, 
bis  sich  .lesus  selbst  vom  Todten  hat  erweckt, 
es  trafen  mich  nunmehr  die  Saatenreiter  an, 
sie  schickten  mich  zu  Haus  mit  einem  Osterfahn. 

Darum  für  meine  Seele  bete,  o frommer  Christ, 
der  Du  crstaunensvoll  dicss  Denkmal  siebst  und  liest. 

Franz  Hauke  bürgerlicher  Schneidermeister  aus  Stadt  Jauernig. 

Den  25.  März  1773. 

Eine  Abteilung  dieser  Verse  nach  Reimzeilen  (wie  oben)  und 
eine  Interpunktion  findet  nicht  statt,  vielmehr  laufen  sie  ununter- 
brochen von  einem  Rande  der  Metalltafel  zur  andern.  Der  Ein- 
fluss der  Witterung  bleicht  die  Farben  und  verwischt  die  Züge 
der  dargestellten  Personen.  Dann  wird  Bild  und  Schrift  wieder 
einmal  aufgefrischt.  Ein  Kunstwerk  ist  es  nicht,  und  auch  die 
Erneuerung  geschieht  durchaus  handwerksmässig. 

Sehr  verbreitet  muss  diis  Saatenreiten  überhaupt  im  ehemaligen 
Fürstentum  Neisse-Grottkau  (dem  alten  Bischofslande)  gewesen 
sein,  wozu  auch  die  Jauerniger  Gegend  gehörte.  Das  beweisen 
folgende  Berichte. 

Das  Saatenreiten  im  Neisser  Kreise. 

„(Der  Bewohner  des  Neis.ser  Kreises)  ist  abergläubisch  und 
hält  viel  auf  Prozessionen.  So  wird  z.  B.  am  O.stersonntage  von 

12* 


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180 


sämtlichen  Gemeinden  unter  Anfiihriinpr  des  Seholzen  oder  eines 
Gerichtsmannes  um  die  Saate  geritten  und  geistliche  Lieder  gesungen. 
Wenn  dieser  Gewohnlieit  nur  nicht  eine  besondere  Kraft  zuge- 
•schrieben  würde,  so  wäre  sie  so  unreclit  nicht;  sie  erhält  den 
Glauben  an  eine  besondere  Vorsehung  unter  den  Menschen“. 

Zimmermann,  Beiträge  III  1784  S.  259. 

Die  Anführung  durcli  den  Seholzen  oder  eines  Gerichtsmannes 
gibt  dem  Umzüge  den  Charakter  einer  öffentliclien  Gemeinde- 
handlung. Es  scheint  aber,  da.ss  die  für  die  Aufrechterhaltung 
der  Ordnung  verantwortlichen  Organe  diese  ihre  PHiclit  häufig 
ausser  acht  gela.s.sen  liahen  oder  die  Führung  aus  den  Händen 
gaben,  dass  der  ganze  Umzug  jungen  Bur.schen  überlassen  worden 
ist,  die  dann  allerlei  Unfug  trieben.  Das  muss  .schlie.sslicli  so  all- 
gemein ge.scheheti  sein,  da.ss  ein  Verbot  des  Saatenreitens  im  Ge- 
biete der  NeLsse-Grottkauer  Landscliaft  erfolgen  musste. 

Abstellung  des  Saatenreitens  im  Neissc-Grottkauer 
Land.schaftsgebiete. 

„Auf  verschiedenen  katholischen  Dörfern  versammeln  sich 
am  Ostersonntag  nach  dem  Frühgottesdienst  die  Knechte  und 
Jungen  zu  Pferde  vor  der  Kirehe.  Sie  gehen  in  diese  in  Pro- 
ze.ssion  und  verlassen  sie,  nach  Absingung  eines  Liedes,  ebenso 
feierlich  und  unter  Glockenläuten.  Nun  umreiten  sie,  in  Pro- 
ze.ssion  mit  den  Kirchenfähnlein  und  Glöcklein  daherziehend  und 
von  Scholz  und  Gerichten  geführt,  die  besäeten  Felder  unter  An- 
stimniung  einiger  Lieder,  um  dadurch  alles  Unglück  von  den  Saaten 
abzuweuden.  Dieser  uralte,  fromme  Gebrauch  ist  in  den  wenigen 
katholischen  Dörfern  Schlesiens,  besonders  des  Fürstentums  Neisse, 
in  denen  er  sich  erhalten  hat,  in  ein  Wettrennen  und  in  eine 
Trinklustbarkeit  au.sgeartet.  Schon  geraume  Zeit  vorher  stehlen 
die  Knechte  ihren  Dienstherren  Futter,  um  die  Pferde  mutig  zu 
machen.  ,\m  Tage  des  Umritts  selbst  versammeln  sich  die 
Reitenden  bei  der  Branntweintla.sche  ini  Kretscham.  Zum  Teil 
.schon  benebelt  ziehen  sie  lärmend  in  die  Kirche  und  brüllen  ein 
Lied.  Sowie  sie  auf  das  Feld  kommen,  zerstiebet  der  Zug,  jeder 
treibet  sein  Pferd  an,  um  am  ersten  die  Saat  umritten  zu  haben, 
einer  dränget  den  andern,  und  diese  Wallfahrtende,  die  allen 
Schaden  von  den  Saaten  abwenden  wollen,  zertreten  die  längst 
dem  Wege  stehendeu  Wenn  das  besäete  Feld  umritten  ist. 


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schwärmen  sic  nacli  den  benachbarten  katliolischen  Diirfern.  Ilir 
erster  Besuch  g'ilt  dem  Branntwein,  dann  wird  nach  der  Kirche 
lind  den  Saatfeldern  geritten,  und  zuletzt  der  Pfarrer  heimgcsuchet, 
der  jedem  Saatenreiter  das  Geschenk  mit  Bier  geben  muss.  Von 
einem  so  vielfachen  unmä.ssigen  Genus.se  zweier  berauschenden 
Getränke  des  Verstandes  nicht  mehr  mächtig,  gehet  es  vom  letzten 
Dorfe  in  einem  Jagen,  was  das  Pferd  laufen  kann,  einer  mit  dem 
andern  wetteifernd,  nach  der  Heimat.  So  manches  Pferd  wird  zu- 
grunde gerichtet;  nicht  selten  stürzen  sich  einige  von  diesen  Be- 
.softenen  zu  'l’ode,  alle  leiden  an  Gesundheit  und  Moralität.  Um 
dieser  üblen  Folgen  willen  haben  die  Neisse-Grottkauer  Stände 
des  Land.sclmftlichen  Systems  durch  das  Fürstentums -Kollegium 
die  .Abstellung  des  Saatreitens  bei  der  Königl.  Bre.slauischen 
Krieges-  und  Domänenkammer  nachgesuchet.  Sie  ist  unterm 
31.  August  V.  J.  (1780)  verfüget  worden“. 

Schles.  Prov.-Blätter  1787  S.  57— 5Ü.  Auch  P.  Dittrich 
in  Mitt.  d.  Schles.  Ges.  f.  Vkde.  Heft  XIII  S.  113. 

In  anderen  Gegenden  l’reuss. -Schlesiens  hat  sich  ebenso  wie. 
in  (»sterr.-Schlesien  das  Saatenreiten  an  einzelnen  Orten  erhalten. 

Das  Kreuzreiten  in  der  Lausitz. 

FJn  .seltsamer  Osterbrauch  kommt  jährlich  noch  in  dem 
Städtchen  Wittichenau  in  der  Oberlausitz  zur  Ausführung.  .Am 
ersten  Osterfeiertage  versammeln  sich  nämlich  ungetahr  200  Alit- 
glieder  des  Kirchsiiiels  zu  einer  berittenen  Prozession,  die  von 
einem  Beiter  mit  hohem  Kreuze  und  von  Fahnenträgern  geführt  wird. 
Diese  Kreuzreiteriiroze.ssion  dirigiert  sich  nach  dem  nahegelegenen 
Pfarrdorfe  Kalbitz,  um  dort  der  A’esperandacht  beizuwohnen. 
Unter  Glockengeläut  sind  inzwischen  die  Ralbitzer  Kreuzreiter 
nach  Wittichenau  gezogen.  Beide  Prozessionen  locken  regelmässig 
Tausende  Zuschauer  aus  der  Umgebung  an.  Interessant  ist  es  noch 
bei  dieser  Proze.ssion,  da.ss  sich  jeder  der  Teilnehmer  vornimmt, 
das  bestgeschmückte  Pferd  zu  haben.  Alle  Pferde  sind  denn  auch 
über  und  über  mit  Flitter  und  allem  möglichen  Tand  behängen. 

.Schles.  A' olkszeitung  vom  11.  April  1909. 

A^on  be.sonderem  Interesse  ist  ein  Bericht  vom 

Saatenreiten  in  .Schonwalde  bei  Frankenstein. 

Mir  liegt  ein  Ausschnitt  aus  der  „Schles.  A'olkszeitung“  vor, 
unterzeichnet  Breslau  H.  Brosig  (Jahrg.  und  Nr.  vermag  ich  nicht 


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allzugeben).  Hier  wird  vom  Saatenreiten  als  einer  noch  bestehen- 
den Sitte  erzählt.  Ich  führe  den  Artikel,  soweit  er  uns  inter- 
essiert, wörtlich  an.  ,In  dem  grossen  und  schönen  Bauerndorfe 
Schönwalde,  Kreis  Frankenstein,  der  Heimat  des  liochseligen 
Bischofs  Herzog,  besteht  seit  undenklichen  Zeiten  der  Brauch,  am 
Ostermontage  einen  feierlichen  prozessionalen  Umritt  um  die 
weiten  Gemarkungen  der  Gemeinde,  oder  doch  wenigstens  um 
einen  Teil  derselben,  zu  veranstalten;  im  Volksmunde  w'ird  die 
seltsame  Osterjirozession  kurzhin  „Saatenreiten“  genannt.  Über 
den  Ursprung  dieser  eigenartigen  Sitte  geben  die  Matrikelbücher 
und  sonstigen  Naclirichtcn  des  Pfarrarchivs  von  Schönwalde,  ob- 
wohl sie  bis  ins  17.  Jahrhundert  zurückreichen,  keinen  Aufschluss. 
Gewiss  ist  jener  Umritt  zunächst  weiter  nichts  gewesen,  als  ein 
Ausdruck  der  Freude  des  Landmannes  über  das  Erwachen  des 
Frühlings,  der  ihm  die  Möglichkeit  bringt,  die  geliebte  Scholle  nach 
lähmender  Untätigkeit  in  Winters  Banden  aufs  neue  bebauen  zu 
können.  Unter  diesem  Gesichtspunkt  betrachtet,  reicht  der  Brauch 
vielleicht  bis  in  die  heidni.sche  Vorzeit  zurück  und  ist  erst  später 
mit  kirchlichem  Nimbus  umgeben  worden.  Die  fromme  Bevölke- 
rung jenes  Ortes  selbst  leitet  ihn,  soweit  wir  in  Erfahrung  bringen 
konnten,  aus  jenen  schrecklichen  Tagen  her,  w o die  wilden  Horden 
der  Hu.ssiten  Schlesiens  Gaue  furchtbar  heimsuchten.  So  gestaltet 
sich  der  feierliche  Zug  als  eine  Dankesprozession  für  den  Wieder- 
eintritt geordneter  Verhältnisse,  nachdem  die  Hussitengefahr 
glücklich  vorüber  war.  — Übrigens  existiert  der  genannte  schöne 
Brauch  nicht  nur  in  jener  Gemeinde,  sondern,  wie  uns  aus  früheren 
Berichten  der  „Schles.  Volkszeitung“  bekannt  ist,  auch  zu  Witti- 
clienau  und  zu  Gross-Kunzendorf  in  Osterr. -Schlesien.  Selbst  in 
rein  protestantischen  Gegenden,  z.  B.  in  der  wendischen  Lausitz  *), 
pflegt  man  den  Brauch  des  Osterreitens. 

Über  die  Zusammensetzung  und  Ordnung  des  Zuges  sei  fol- 
gendes bemerkt:  Jedes  Bauerngut  (die  Gemeinde  Schönwalde  zählt 
72  derselben)  stellt  zum  feierlichen  Zuge  ein  Pferd,  w'elches  ge- 
wöhnlich vom  Besitzer  selbst  oder  von  einem  seiner  Söhne  geritten 
wird.  Die  Gutslierrschaft  stellt  alter  Sitte  gemäss  drei  Pferde; 
und  rühmend  sei  erwähnt,  dass  selbst  protestantische  Besitzer  es 
sich  zur  Ehre  anrechnen,  an  der  Prozession  teilnehmen  zu  können. 

')  Vgl.  hierzu  Wuttke.  Sächsische  Volkskunde  S.  285. 


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Selbstverständlich  wird  jeder  Bauer  in  stolzem  Selbstgefühle  den 
besten  seiner  Gäule  zu  diesem  Paradezuge  auswählen;  da  die 
reiche  Gemeinde  an  und  für  sich  über  schönes  Pferdematerial  ver- 
fügt, gewährt  die  Kavalkade  einen  prächtigen  Anblick.  Die 
Jugendfrischen  Rc'iter  sitzen  fest  und  sicher  im  Sattel,  sind  sie 
doch  meist  gediente  Kavalleristen,  denen  es  sichtbar  Freude  macht, 
ihre  mühsam  beim  Kommiss  erworbenen  Künste  wieder  einmal 
zeigen  zu  können.  Die  infolge  der  langen  Winterruhe  feurigen 
Tiere  sind  mit  eleganten  Sätteln,  Schabracken  und  reichem  Zaum- 
zeug schon  geputzt;  tut  sieh  doch  jeder  Bauer  etwas  zugute,  nicht 
bloss  den  frommen  Sinn,  sondern  auch  .seine  Wohlhabenheit  an 
diesem  Tage  in  prunkender  W'cise  zur  Schau  zu  tragen.  — Der 
Zug  versammelt  sich  auf  dem  grossen  Kirchplatze,  und  gegen 
6 Uhr  morgens  erfolgt  unter  feierlichem  Geläute  der  Glocken  der 
Aufbruch.  Die  Proze.ssion  eröffnen  zwei  junge  Bauernsöhne  auf 
schmucken  Rossen  mit  wallenden  Kirchenfahnen  in  der  Hand; 
ilmen  folgt  ein  Reiter  mit  dem  heil.  Kreuzesbilde,  dessen  Wunden 
am  Karfreitag  der  gläubige  (’hri.st  erst  mit  Inbrunst  geküsst  hat. 
Die  beiden  Reiter,  rechts  und  links  neben  ihm,  schellen  im  Takte 
des  Getrappels  der  berittenen  Proze.ssion  mit  den  harmoni.sch  ab- 
gestimmten Mes.sglocken.  Dem  Brauche  gemä.ss  stellt  diese  drei 
Pferde  das  Dominium.  Hieran  reiht  sich  paarweise  die  Hälfte  der 
Reiterschar,  das  schmucke  Vieh'),  möglichst  nach  der  Farbe 
symmetrisch  geordnet.  Zwischen  die  vordere  und  rückwärtige 
Hälfte  des  Zuges  schiebt  sich  der  ebenfalls  berittene  Chor  der 
Kirchenmusiker  ein,  welcher  die  Ostergesänge  der  erhebenden  Pro- 
zession so  gut  als  möglich  zu  begleiten  hat.  Die  zweite  Hälfte 
des  Trosses  eröffnet  der  Ortsvorstand  der  Gemeinde,  den  Schluss 
bilden  wiederum  zwei  Fahnenträger.  In  früheren  Zeiten  war  es 
durchaus  nicht  selten,  dass  auch  der  Pfarrgei.stliche,  insofern  er 
sich  der  Reitkunst  befli.ssen  genug  dünkte,  an  der  Prozession  teil- 


*)  Pie  Sitte,  dass  das  Vieh  mitgefflhrt  wird,  entspringt  dem  fiednnken, 
auch  dieses  teilnchmcn  zn  lassen  an  dem  Segen,  der  ven  der  Bittprozessiun  für 
den  Hausstand  erwartet  wird.  In  den  Prozessionen  zu  Oesede  und  Ituile  im 
Gebiet  des  Hochstifts  Osnabrück  wurden  Pferde  und  Kühe  in  grosser  Menge 
mit  hcrnmgefübrt.  Pie  Prozession  geschah,  um  von  dem  allmächtigen  (iott  die 
Erhikltung  der  lieben  KornfrUchtc,  die  Abwendung  der  schädlichen  Gewitter  und 
des  Hagelschlages  und  die  Befreiung  der  Pferde  und  des  Hornviehes  von  bösen 
Krankheiten  demütigst  zn  erbitten.  Pfannenschmid  S.  64. 


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nahm.  Im  zweiten  Teile  des  Zuges  tragen  zwei  Reiter,  analog 
dem  Kreuzesträger,  die  Auferstehungsfigur  und  die  brennende  Oster- 
kerze, auch  die  übrigen  Kirchenfahnen  sind  in  gemessenen  Ab- 
ständen im  Zuge  untergebracht.  Diese  feierlich  ernste  Kavalkade 
bewegt  sich  in  althergebrachter  Weise  nun  hinaus  auf  die  ausge- 
dehnten Gemarkungen  der  Gemeinde  und  nimmt  ihren  Rundweg 
nach  der  Richtung  der  ürtschaften  Herzogswalde,  Silberberg,  Rasch- 
dorf, Raudnitz  und  Peterwitz  zu,  schwenkt  über  auf  die  südliche 
Peldscite  des  Dorfes  und  nimmt  ihren  Rückweg  zum  Dorfe  auf 
dem  Wege  zum  neuen  Kirchhofe  der  Gemeinde.  Abwechselnd 
singt  die  berittene  Prozession  heilige  O.sterlieder  und  betet  laut 
oder  still  zur  Ehre  des  Erstandenen.  Nach  2-  bis  2Vsstündigem 
Ritte  im  Dorfe  wieder  angelangt,  wird  der  .sogenannte  Kreis  an 
der  Kirche  unter  dem  fi*stlichen  Geläute  aller  Glocken  noch  zwei- 
mal umritten,  wobei  gewöhnlich  der  herrliche  Hymnus  Regina  coeli 
(Freu'  dich,  du  Himmelskönigin),  von  freudiger  0.stermusik  begleitet, 
gesungen  wird.  Nun  übernehmen  die  schon  läng.st  auf  ihre  Herren 
wartenden  Bauernknechte  die  Pferde,  und  es  ist  für  sie  ein  be- 
sonderes Vergnügen,  die  Pferde,  auch  einmal  stolz  wie  die  Herren, 
nach  den  Ställen  ziirückzuführen.  Die  Veranstalter  der  Prozession, 
die  bei  schlechtem  Wetter  mit  ihren  arg  mitgenommenen  Zylinder- 
hüten  mit  Sporen  an  den  Fü-ssen  dann  oft  recht  drollig  aus.sehen, 
nehmen  nun  ein  kleines  Frühstück  ein  und  gehen  dann  in  corpore 
zum  Hauptgottesdienste.  Ist  das  Wetter  am  Ostermontage  allzu 
ungünstig,  wird  die  Prozession  auf  einen  der  nächsten  Sonntage 
verschoben. 

Bis  auf  den  heutigen  Tag,  so  Hessen  wir  uns  berichten,  ist 
der  fromme  Brauch  nie  unterlas.sen  worden.  Früher  sollen  sogar 
Strafen  auf  die  Nichtteilnahmc  am  Zuge  gesetzt  gewesen  sein. 
Der  ohne  hinreiclienden  Grund  Fernbleibende  hatte  zwei  Pfund 
Wachs  an  die  Kirche  und  vier  Silbergroschen  für  die  Armen  der 
Gemeinde  zu  entrichten.  Diese  Zwangsbestimmungen,  welche  sich 
gewi.ss  die  frommen  Bewohner  jener  Gegend  selbst  aufgelegt  haben, 
um  das  Zustandekommen  der  Proze.ssion  zu  sichern,  sprechen  eben- 
falls für  das  recht  hohe  Alter  dieser  frommen  Sitte. 

Ja,  uns  wurde  berichtet,  da.ss  man  selbst  in  den  allerschlech- 
testen  Zeiten  nie  von  dem  alten  schönen  Brauche  Hess.  In  der 
furchtbaren  Zeit  des  dreissigjährigen  Krieges  wurden  auch  die 
blühenden  Getilde  der  Frankensteiner  Ebene  arg  mitgenommen. 


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Der  selincllc,  kluge  schwediselie  Heerfülirer  Torstensoii  lagerte  eiust 
zur  Osterzeit  gerade  im  Schlosse  zu  Schöiiwalde.  Infolge  der  vielen 
Plünderungen  verarmt,  zählte  die  einst  blühende  Ortschaft  nur  noch 
'S  bis  4 Pferde,  mit  denen  man  betrnl)t  zum  Ostermoi-gen  ausritt. 
Torstenson,  welcher  den  sonderbaren  Aufzug  bemerkte,  Hess  ihn 
anhalten,  befragte  ihn  über  Zweck  und  Ziel  und  .stellte,  ergriffen 
von  dem  Mute  und  der  Treue,  mit  der  man  an  der  alten,  frommen 
Sitte  liing,  .selbst  eine  .Anzahl  seiner  besten  Pferde,  um  die  .schone 
Prozession  zur  Khre  Gottes  feierlicher  zu  gestalten.  Möge  der 
fromme,  schöne  Hrauch  aiicli  der  Nachwelt  erhalten  bleiben“. 

Dieses  Schönwalder  Saatenreiten  i.st  in  mehr  als  einer  Hinsicht 
merkwürdig.  Rs  i.st  niclit  blo.ss  ein  wirkliches  Flurumreiten,  indem 
nach  alter  Sitte  die  Gemarknngen  der  Gemeinde  vollständig  um- 
ritten werden  (nicht  teilweise),  es  i.st  auch  ein  Rrauch  der  ganzen 
Gemeinde;  denn  wer  von  den  Hesitzern  sich  ohne  liinreichenden 
Grund  anssclilie.sst,  wird  durch  einen  Beitrag  für  die  Armen  der 
Gemeinde  gestraft.  Das  Mitführen  des  Viehes  inmitten  der 
Reiter.scliar  i.st  bereits  hervorgehid)en  worden.  Es  ist  ein  sonst  in 
Sclilesien  meines  Wi.ssens  nicht  vorkommender  Brauch,  der  aber  in 
anderen  deutschen  Gegenden  .sein  Gegenstück  findet  (s.  Anm. 
zn  S.  183). 

Auf  eins  sei  noch  aufmerk.sam  gemacht,  die  Bewirtung*), 
die  am  Schlüsse  des  Plurumrittes  den  Heitern  gereicht  zn  werden 
pflegt.  Im  Schönwalder  Brauch  freilich  ist  diese  zu  einem  kleinen 

')  .Ausserhalb  .Schlesiens  findet  sich  diese  Rewirtiing  z.  B.  im  Branden- 
bur[{isehen,  wo  der  Schullehrer  mit  den  Kindern  um  I.  Mai  um  die  Saatfelder 
geht,  wofür  sic  dann  eine  Mahlzeit  erhalten  (Pfanneiischmid  S.  62).  Es  ist  eine 
Steuer,  die  den  Teilnehmern  der  Prozession  von  denjenigen  Personen  gezahlt 
wird,  die  an  dem  Segen  ihres  Bittganges  .Anteil  nehmen  wollen.  So  werden  der 
Muitagsprozession  zu  Hülle  (im  UsnahrUcliischen)  S.  18.H  .Anm.  reiche  üabeu,  meist 
Xaturalgaben,  von  den  AVallfalirern  gespendet,  die  eigens  bei  dieser  (Jelegenbeit, 
oft  aus  weiten  (legenden,  herankommen.  Die  Gaben  legte  man  hinten  auf  die 
Tragbahre,  auf  der  das  mitgeführte  Marienbild  getragen  wurde  (Pfannenschmid 
S.  55).  Auf  gleicher  Stufe  steht  das  Segenkorn , welches  im  Magdeburgischen 
dem  Pfarrer,  Küster  und  der  .Schule  von  einigen  Ortschaften  geliefert  wurde, 
weil  jene  um  die  Felder  gingen  und  dabei  singen  und  beten  mussten  (Pfannen- 
schmid S.62).  Bei  den  in  protestantischen  Gegenden  gebräuchlichen  Hagelfeiern,  die 
den  katholischen  Flnrnmzügen  entsprechen,  hat  sich  diese  Steuer  an  Kirche 
nnd  .Schule  vielfach  erhalten,  wofür  Pfannenschmid  zahlreiche  Beispiele  anführt. 
Bei  den  hannoverschen  Wenden  östlich  von  Pelzen  findet  sich  noch  hente  das 
Hagelbier  (Pfannenschmid  S.  86). 


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Frühstück  zusüinincngesclirumpft,  das  sich  die  Veranstalter  der 
Prozession  selbst  gestatten,  offenbar  weil  es  es  für  wohlhabende 
Baueni  und  Bauernsöhne  nicht  schicklich  wäre,  sich  etwas  schenken 
zu  lassen.  In  anderen  Fällen  aber  ist  diese  Bewirtung  erhalten 
geblieben  und  bisweilen  die  Hauptsache  geworden.  Sie  ist  erhalten 
geblieben  im  Osterreiten  des  Wagstädter  Bezirks,  wo  die  Reiter 
Bier  oder  Wein  erhalten.  Sie  ist  zur  Hauptsache  geworden,  die 
zur  Ausartung  führte,  in  dem  Bericht  aus  dem  Neisse— -Grott- 
kauer  Fürstentum,  wo  der  Pfarrer  den  Burschen  Bier  reichen 
mu.ss.  Eine  solche  Bewirtung  ist  auch  die  Mandelsuppe  in  der 
Grafschaft  Glatz  (S.  175). 


Volkstümliche  Zimmer-,  Garten-,  Feld-  und 
Waldpflanzen  im  Liebauer  Tale.*) 

Vun  Wilhelm  Patschovsky  in  Dittersbach  hei  Dicban. 


In  früheren  Zeiten  war  man  der  Meinung,  dass  jede  Pflanze 
einem  besonderen  Zwecke  diene;  war  es  nicht  die  Heilkuust,  so 
die  geheime  Kunst.  Der  Gebrauch,  die  Pflanze  als  Schmuck  für 
Garten  und  Zimmer  zu  verwenden,  hat  sich  erst  später  hcraus- 
gebildet. 

Man  schrieb  also  jedem  Gewächs  auf  dem  Felde  und  im  Walde 
eine  bestimmte  Heilkraft  zu,  die  sich  der  Mensch  nutzbar  machen 
wollte.  Deshalb  gab  man  sich  viel  Mühe,  diesen  Nutzen  der 
Pflanze  ausfindig  zu  machen,  und  um  dies  sicher  zu  erreichen, 
wurden  sie  zu  den  verschieden.sten  Zwecken  ausprobiert.  Die 
Namen  vieler  Heilpflanzen  lernte  man  aus  den  medizinischen 
Werken  der  Ärzte  des  Altertums  kennen.  Hierbei  kamen  aber  oft 
Verwechselungen  ähnlicli  klingender  Namen  vor,  oder  man  über- 
trug die  botanischen  Namen  auf  beliebige  Pflanzen  unserer  Heimat, 
weil  man  der  irrigen  Ansicht  war,  dass  bei  uns  dieselben  Pflanzen 
wüchsen,  welche  die  Alten  in  ihrer  Heimat  als  Heilpflanzen  be- 
funden hatten.  So  erhielten  eine  grosse  Anzahl  von  den  bei  uns 

’)  Krjjätiüuna  zu : , Beiträge  zur  Schlesischen  Volkskunde  aus  dem  Liehauer 
Tal“  .lahrgang  1897  Heft  IV.  Zugleich  eine  Ergänzung  zu  dem  Aufsatz  von 
Herrn  Dr.  K.  Olbrich:  .Beobachtungen  über  den  schlesischen  Bauerngarten“  in 
Mitt.  XVI  66  ff. 


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heimischen  Pflanzen,  von  denen  man  glaubte,  dass  sie  sich  bei 
einer  Krankheit  als  erfolgreiches  Heilmittel  erweisen,  den  Beinamen 
„officinalis“,  und  von  diesen  Pflanzen  war  nun  das  Publikum  fest 
überzeugt,  dass  sie  die  angegebene  Heilwirkung  auch  wirklich 
hätten.  Noch  jetzt  tragen  viele  Pflanzen  diesen  Ehrenbeiuamen, 
aber  aus  der  offizineilen  Liste  sind  sie  längst  gestrichen.  So  z.  B.; 
Euphrasia,  Pulmonaria,  Cynoglossum,  Primula,  Vincetoxicum,  Ar- 
chusa,  ja  selbst  auch  Gratiola,  das  Gottesgnadenkraut  u.  a.  Aber 
trotz  der  Erklärung  der  Sachverständigen,  welche  gewisse  Pflanzen 
für  Heilzwecke  als  wertlos  erklären,  hält  man  heut  doch  noch 
vielfach  an  der  Meinung  fest,  dass  auch  die  von  der  offizineilen 
Liste  gestrichenen  Pflanzen  die  bestimmte  Heilkraft  besitzen.  Ja, 
für  den  Laien  ist  es  sogar  schwer,  die  jetzt  noch  als  Heilkräuter 
dienenden  Pflanzen  von  denen  zu  trennen,  denen  nur  der  Volks- 
glaube eine  Heilkraft  zuschrcibt. 

VMele  Pflanzen  dienten  ferner  der  geheimen  Kunst,  also  einem 
geheimnisvollen,  zauberhaften  Zwecke.  So  wurde  das  Widerton- 
moos wider  das  „Antun“,  d.  h.  gegen  das  Behexen,  gebraucht. 
Heslialb  nähte  man  es,  besonders  Kindern,  in  die  Kleider.  Zu 
dera.selben  Zwecke  gebrauchte  man  Beifuss,  Johanniskraut,  Be- 
schreikraut,  Berufungskraut,  Doraoth,  Mistet  usw.  — Die  goldgelbe 
Haube  des  Widertonmooses,  ferner  die  goldgelben  Blüten  von  Gold- 
milz und  Frauenmantel  gebrauchten  die  Alchimisten  zur  Herstellung 
der  Goldtinktur,  mit  der  sie  hofften,  gewöhnliche  Steine  und  Me- 
talle in  Gold  verwandeln  zu  können.  Den  knotigen  Wurzelstock 
vom  Salomonssiegel,  ferner  von  der  Springwurz  und  die  Haselgerte 
als  Wünschelrute  kauften  gern  .solche  Leute,  die  verborgene  Schätze 
damit  heben  und  dadurch  auf  einmal  reich  werden  wollten.  — 
Eisenkraut,  Allermannsharnisch,  Sieg^vu^z  usw.  bezahlte  man  zur 
Zeit  des  dreissigjährigen  Krieges  mit  viel  Geld,  weil  diese  Pflan- 
zen, in  die  Kleidung  eingenäht,  kugelfest  und  unverwundbar  gegen 
Hieb  und  Stich  machten.  — Viele  Pflanzen  dienten  als  Schutz 
gegen  Naturkräfte,  Gewitter  usw.,  andere  wurden  für  Wetter- 
propheten gehalten. 

Ja  selbst  den  Tieren  .schrieb  man  ehedem  eine  Liebhaberei 
für  gew'isse  Pflanzen  zu.  So  meinte  man,  Hirsch  und  Bär  gingen 
dem  starkriechenden  Lauch  nach,  der  Habicht  habe  eine  Vorliebe 
für  die  Habichtskräuter,  die  Schlangen  lieben  das  am  Boden  hin- 


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krieclieiule  Hiiin-Pferrigkraut,  der  Spetlit  dagfcgen  die  vielblütigc 
Weisswurz  usw. 

Einige  wildwuelisende  Ptianzen  waren  den  Göttern  gewidmet 
und  sie  wurden,  sowohl  hei  Festen  zu  Ehren  der  (Jottheiten  als' 
auch  bei  Festlichkeiten  des  Familienlebens  l)edeutungsvoll  benutzt. 

Um  nun  alle  diese  wildwachsenden  Pflanzen  für  den 
Bedarfsfall  immer  bald  zur  Hand  zu  haben,  verpHanzte  man  sie 
in  die  Nähe  der  Wohidiäuser,  und  so  entstand  der  Hausgarten.  — 
Wegen  ihres  angenehmen  Duftes  oder  der  schönen  Blütenpracht, 
hauptsächlich  aber,  um  sie  auch  während  der  Winterszeit  zu  Heil- 
und  anderen  Zwecken  im  frischen  Zustande  zur  Verfügung  zu 
haben,  wurden  einige  bevorzugte  Pflanzen  in  kleineren  Gefässen 
im  Zimmer  ge])flegt.  Es  dienten  also  die.se  I’flanzen  in  erster 
Linie  wohl  praktischen  Zwecken  und  nebenbei  auch  als  Zimmer- 
schmuck. Obgleich  die  aufklärende  Zeit  den  geheimnisvollen 
Nimbus,  welcher  gewisse  l^anzen  iimgali,  allmählich  zerstört  hatte, 
hielt  man  doch  an  der  liebgewordenen  Gewohnheit,  Pflanzen  im 
Zimmer  zu  i)flegen,  fest  und  so  dienen  jetzt  die  Zimmerpflanzen 
in  erster  Linie  als  Schmuck,  und  ihre  Verwendung  zu  Heil-  und 
anderen  Zwecken  hat  eine  untergeordnete  Bedeutung  erlangt. 

Zimmerpflanzen. 

Einige  der  Zimmeriiflanzen  stehen  im  Sommer  auf  einem 
grünange.strichenen,  mit  einem  Stäbchenzaun  versehenen  Brett, 
welches  auf  dem  Fenstersims  ruht.  Eret  zur  rauhen  Jahreszeit 
werden  die  Pflanzen  ins  Zimmer  hereingenommen.  Am  häutigsten 
werden  gepflegt: 

F'uehsien  ( Fuchsia  coccinea  und  hybrida),  die  man  auch  Glocken- 
strauch und  Träne  Christi  neiuit. 

Monatsrosen  (Rosa  damascena  Mill.). 

Dornenkrone  Clu'isti,  eine  Art  Schlangencacfus  mit  grossen  Stacheln. 
Balsamincn  (Impatiens  halsamina),  welche  meist  in  Zigarrenkistchen 
stellen. 

Begonien  und  Pelargonien. 

Passionsblume  (Passiflora  caerulea),  die  man  auch  Auferstehungs- 
oder Eintagsblume  oder  Leiden  Christi  nennt. 

Männertreu  heisst  Lobelia  erinus  hytirida. 

Bisweilen  findet  man  auch  in  verschiedenen  Häusern 
Zimmerlinde  (Sparmannia  africaua  L.). 


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Amarj’lla,  welclie  den  imerkliirliclien  Namen  ,Sdilafniiitze“  er- 
halten hat, 

Winterastern,  eine  Art  rhrysantemum,  und 

(Mnerarien  (Cineraria  liyhrida)  sind  als  dankbar  blühende  Pflanzen 
beliebt. 

Ma}?dalenenhaar  (Iseueepis  graeilis)  findet  als  Ampelgewiichs  Ver- 
wendung. 

Wachsblnmen  (Hoga  carnosa  R.  Br.)  und 

Eisblumen  (^lesembrianthe-muni  crystallimum  L.)  werden  gern  ge- 
pflegt, desgleiehen 

Paradiesäpfel  (Solanum  Sycopersicnm),  die  auch  Tomaten  oder 
Liebesäpfel  genannt  werden. 

Als  Heiliiflanzen  findet  man  häufig: 

Aloe,  deren  Blätter  auf  Brandwunden  gelegt  werden.  Gleichem 
Zwecke  dienen  auch  die  Blätter  der 

Meerzwiebel  (Scylla  maritima  L.).  Gekocht  gibt  sie  einen  Tee 
gegen  Husten.  ' 

Kosen-Pelargonie  (Pelargonium  roseum),  auch  Rosenkraut  oder 
Pomadenstrauch  genannt,  wird  bei  Magenkrampf  angewandt. 

^larum  verum,  das  man  Merumverum,  Katzenkraut  oder  Katzen- 
gamander nennt,  findet  man  in  vielen  Häusern.  Man  zerreibt 
die  Pflanze  und  riecht  daran  bei  Ohnmachtsanfiillen  und 
Krämi)fen.  Eine  Abkochung  dient  als  Augenwasser  und  als 
Heilmittel  bei  Magenkrankheiten. 

Melisse  (Melissa  offic.  L.)  wird  bei  Ohnmacht.sanfällen  als  Tee 
gebraucht  und 

Muskat  (Myristica  moschota),  auch  Moschusblume  genannt,  belebt 
die  Nerven,  sobald  man  an  die  Pflanze  riecht.  Melisse  und 
Muskat  werden  auch,  und  zwar  im  Sommer  nebst  Garten- 
pflanzen,  wie  Pfeffer-  und  Krausemünze  usw.,  zu  den  „Riechein“ 
verwendet,  die  sich  des  Sonntags  die  Frauen  mit  in  die  Kirche 
nehmen.  Die  Riechei  werden  nebst  dem  sorgfältig  zusamraen- 
gefalteten  weisscn  Taschentuche  auf  dem  Gebet-  resp.  Gesang- 
buche getragen  und  finden  besonders  während  der  Predigt  häu- 
fige Verwendung. 

Myrten  (Myrtus  communis),  das  Sinnbild  der  Liebe,  findet  man 
oft  in  den  Familien,  wo  Töchter  vorhanden  sind.  Von  diesen 
Sträuchern  werden  die  Zweige  zu  den  Brautkränzen  geschnitten. 
Aber  nur  Frauen  dürfen  Myrten  anpflanzen,  nicht  die  Mädchen, 


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denn:  „Wer  Myrten  baut,  wird  keine  Braut!“  Der  Bräutigam 
trägt  am  Hoclizeitstagc  ein  Myrtensträusschen  auf  der  rechten 
Seite  der  Rockklappe  und  nur  „eclite“  Jungfrauen  dürfen  einen 
Brautkranz  von  lebendigen  Myrten  tragen.  Bei  Beerdigungen 
von  Jungfrauen  und  Junggesellen,  auch  bei  Kindern,  der  himm- 
lischen Hochzeit,  wird  dem  Sarge  ein  Myrtenkranz,  auf  einem 
weissen  Kissen  liegend,  vorangetragen.  Die  weissgekleideten 
Mädchen,  die  „Jungfern“  genannt,  sind  mit  Myrtenkränzen,  die 
auf  dem  Haupte  getragen  werden,  geschmückt,  und  die  schwarz- 
gekleideten Jünglinge  haben  ein  Myrtensträusschen  mit  weisser 
Schleife  an  den  Rock  gesteckt.  — Gleichen  Zweck  erfüllt  bei 
Beerdigungen  der 

Rosmarin  (Rosmarinus  offic.  L.),  der  ein  Sinnbild  der  Trauer  ist. 

Als  ünglückspflanzen  gelten  in  Zimmern: 

Epheu  (Hedera  helix  L.),  welcher  auch  Kummeri>flanze  heisst,  und 
Hortensie  (Hydrangea  liortensis),  die  Ballenrose,  welche  den  Tod 
ins  Haus  bringt. 

Als  Wetteranzeiger  verwendet  man  die  Früchte  des 
Storchschnabels.  Auf  einem  Brettchen  sind  die  verschiedenen 
Witterungserscheinungen  verzeichnet  und  in  der  Mitte  ist  die 
Frucht  befestigt,  welche  mit  der  Spitze  das  kommende  Wetter 
anzeigt.  Die 

Wasser-  oder  Wetterpflanze  (Canna  indica  L.),  auch  Meerkraut 
genannt,  zeigt  bevorstehenden  Regen  dadurch  an,  dass  die  Blätter 
eine  Flüssigkeit  in  Form  von  wasserhellen  Tropfen  ausschwitzen. 

Gartenpflanzen. 

Unter  Garten  versteht  die  hiesige  Bevölkerung  die  nicht  grosse 
Wiese,  welche  das  Gehöft  ganz  oder  teilweise  umgibt.  Oftmals 
hat  diese  Wiese  nicht  einmal  einen  Zaun,  oder  der  besteht  nur 
aus  parallelliegenden  Stangen,  welche  von  Doppelfählen  festgehalten 
werden.  Nur  sehr  selten  findet  man  in  diesen  Gärten  einige  Obst- 
bäume. Vom  Garten  ist  wohl  zu  unterscheiden  das  „Gärtel“, 
welches  meist  nur  klein  und  von  einem  Hecken-,  Latten-  oder 
Stengelzaun  umschlossen  ist.  Wir  mü-ssten  also  die  in  diesem  Ab- 
schnitte erwähnten  Pflanzen  eigentlich  „Gärtelpflanzen“  nennen. 
Das  Gärtel  liegt  meist  gen  0.  zu  an  der  Vorderseite,  oft  auch  gen 
S.  zu  an  der  Giebelseite  des  Gebäudes,  aber  immer  bei  den  Fenstern 
der  Wohnstube. 


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Bei  Anpflanzung  eines  lebendigen  Zaunes  finden  vorzugsweise 
Verwendung:  Weissdoru  (Crataegus  oxyacantlia),  Spireeii  (Spirea 
hypericifolia),  Eisbeeren  oder  Schneebeeren  (Symphoricarpus  race- 
mosus  L.)  und  Hecken-  oder  Hundsrose  (Rosa  rugosa  L.).  Am 
Staketen-  oder  Stengelzaun  rankt  bisweilen  der  Nachtschatten 
(Solanum  dulcamara  L.),  Bitteisüss,  empor.  — Ist  eine  Laube  vor- 
handen, so  ist  diese,  umsponnen  von  wildem  Wein  (Ampelopsis 
quinquefolia  R.),  Gichtrübe  oder  Zaunrübe  (Bryonia  alba  L.)  oder 
Geisblatt  (Lonicera  Caprifolium  L.). 

Als  Einfa.ssuugen  der  Beete  verwendet  man  Pyrethrum  (Pire- 
thrum  inodorum  Sm.),  Herz-.Tesu-  oder  Porzellanblume  (Saxifraga 
umbrosa  L.)  oder  Buchsbaum  (Buxus  sempervirens  L.),  welcher 
auch  gern  zu  Grabkiünzen  verwendet  wird. 

Das  „Gürtel“  sollte  vorerst  die  für  den  Haushalt  erforderlichen 
Heilpflanzen  liefern.  Erst  in  späterer  Zeit  wurden  die  Heil- 
pflanzen immer  mehr  und  mehr  von  den  Zier-  und  Nutzpflanzen 
verdrängt. 

In  einer  Ecke  des  Gartens,  und  zwar  nahe  dem  Hause,  steht 
meist  ein 

Holunderstrauch  (Sambucus  nigra  L.),  der  auch  Flieder  genannt 
wird.  Blüten  und  ein  Mus  von  den  Beeren  geben  einen  blut- 
reinigenden, schweisstreibenden  Tee,  der  auch  bei  Rheumatismus, 
Husten  und  Heiserkeit  angewendet  wird.  Die  gekochte  Rinde 
ist  ein  Heilmittel  bei  Verstopfung  und  Wassersucht.  Hat  jemand 
Leibschmerzen,  so  singt  man:  „Koch,  koch  Fliedertee,  dem  (der) 
N.  N.  tut  der  Bauch  so  weh“. 

Oft  steht  auch  beim  Hause  eine 

Linde  (Tilia  platyphyllos  Scop.  oder  parvifolia),  deren  Blüten  einen 
schwei.s.streibenden  und  blutreinigenden  Tee  geben.  Er  benimmt 
die  Hitze,  heilt  auch  Katarrh,  Husten,  Magenschwäche  und  Fall- 
sucht. Ausserlich  dient  er  zu  Injektionen  und  als  Gurgelwasser. 

Die  wichtigsten  Heilpflanzen,  welche  im  „Gürtel“  angebaut 
werden,  sind: 

Salbei  (Salvia  offic.  L.).  Der  Name  stammt  von  salvus  = gesund, 
heilsam.  Die  Pflanze  ist  das  Sinnbild  der  Rettung  und  des 
Heils.  Die  Blätter  nennt  man  auch  Gc.schmackblätter.  Den  Tee 
braucht  man  bei  Verschleimung,  Fieber,  Heiserkeit  und  Hal.s- 
schmerzen.  Die  Blätter  legt  man  auf  Wunden.  Die  Wichtigkeit 
dieser  Pflanze  beweist  der  Ausspruch:  „Warum  stirbt  der 


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Mensch,  da  doch  für  ilin  Salbei  im  Garten  wäclist!“  Klbenso 
felilt  in  keinem  Gaiden 

Baldrian  (Valeriana  offic.  L.),  der  seinen  Namen  vom  Gotte  Balder, 
Odins  Solin,  Iiat.  Baldriantee  wirkt  krampfstillend  auf  die 
Gebärmutter  und  wird  bei  Wurmbeschwerden,  Nervenschwäche 
und  Kopfscliinerzen  gebraucht.  Audi  für  schwache  Augen  wird 
er  angewandt;  dalier  heisst  man  die  Wurzel  auch  Augenwurzcl 
oder  Balders  Augenbrauen.  Da  Balder  als  Gott  der  Beredsam- 
keit galt,  ist  diese  Pflanze  auch  das  Sinnbild  der  Beredsamkeit. 

Dass  ausser  Baldrian  auch 

Biberneil  (Pimpinella  Saxifraga  L.)  gegen  ünterleib.sleiden,  Cho- 
lera und  Pe.st  gebraucht  wird,  zeigt  der  Spruch: 

„Trinkt  Biberneil  und  Baldrian, 

Da  wird  die  Pest  ein  Gnde  lian“. 

Beifuss  (Artemisia  vulgaris  L.),  auch  Peipst  genannt,  wird  an- 
gebaut, obgleich  er  als  Freilandpflanze  in  ziemlicher  Menge  vor- 
kommt. Der  Tee  wirkt  krampfstillend  und  schweisstreibend. 

Wermut  (Artemissia  Absinthium  L.)  ist  ein  vorzügliclies  Heilmittel 
bei  Appetitlo.sigkeit,  Magenleiden,  Mundgeruch,  Sodbrennen, 
Wechselfieber,  Krampf  und  Rheumatismus. 

Niemals  fehlen  im  Garten: 

Krauseminze  (Mentha  crispa  Koch.),  deren  Tee  bei  Leibschmerzen 
und  Magenleiden  angewendet  wird.  Ferner 

Pfeflerminze  (Menta  piperita  L.),  deren  Tee  den  schwachen  Magen 
stärkt  und  bei  Leib.schmerzen,  Verdaunngsbeschwerden,  Blä- 
hungen, Krämpfen,  .\.sthma,  Darmleiden,  Periodenstörungen  und 
Wechselfieber  gute  Dienste  leistet.  Sodann 

Eibiscli  (Aethaea  offic.  L.),  Alttce,  der  ein  bewährtes  Heilmittel 
bei  Brust-  und  Halskrankheiten,  Verschleimung  und  Husten  ist 
und  zur  Erweichung  der  Geschwüre  dient. 

Die  spanische  Schwarzwurzel  (Scorzouera  liispanica  L.)  leistet  bei 
Verschleimung,  Heiserkeit  und  Husten  gute  Dienste.  Auch  be- 
fördern die  Blätter,  welclie  auf  Wunden  gelegt  werden,  die 
Heilung  der  letzteren.  Ein  grosser  Strauch 

Liebstöckel  (Levi.sticum  offic.  Koch.),  Kübstückel  oder  Liebesstückel 
genannt,  wird  sorgfältig  gepflegt.  Die  jungen  Pflanzen  dienen 
als  Suppengemüse  und  als  Zusatz  zu  Bädern,  weshalb  man  diese 
Pflanze  auch  „Badekraut“  nennt.  Ältere  Pflanzen  finden  An- 
wendung bei  Brustbeschwerden,  Magenkrampf  und  Blähungen. 


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Weil  diese  Pflanze  sieh  auch  bei  Frauenleiden  sehr  pit  bewährt, 
nennt  man  sie  auch  , Gebärmutterwurzel“.  Liebstöckel  findet 
auch  Anwendung  als  Zaubermittel  bei  Liebeswerbungen.  Wird 
am  Johannistage  Liebesstückel  dem  Vieh  in  die  Tränke  gegeben, 
so  können  ihm  die  Hexen  nichts  anhaben.  Die  Kühe  rindern 
ordnungsmässig  und  kalben  glücklich. 

Tee  von 

Kardobenediktenkraut  (Cnicus  benedictus  L.)  „geht  durch  alle 
Glieder“,  wirkt  kniinpfstillend  und  schweisstreibend. 

Hohen  Friedlos  (Lysimachia  punctata  L.)  findet  man  fast  in  jedem 
Garten. 

Die  Malve  (Malva  Alcea  L.)  heisst  im  Volksmunde  Pappel.  Sie 
gibt  einen  Tee  für  Halsleiden,  die  Blätter  bewirken  die  Er- 
weichung von  Zahngeschwüren.  Der 

Sanikel  (Sanicula  europaea  L.)  heisst  auch  Zornikel.  Der  Tee  heilt 
Lungenleiden  und  Verechleimung  und  innerlichen  Schaden. 
Ferner  bereitet  man  aus  dieser  Pflanze  eine  licilsame  Wundsalbe. 

Melisse  (Melissa  offic.  L.)  oder  Hasenohr  gibt  einen  Tee  gegen 
Nerven-  und  Magenschwäche,  Magenschmerzen  und  Bläliungen 
und  wird  auch  zu  Bädern  gebraucht. 

Fenchel  (Foeniculum  offic.  L.)  leistet  vorzügliche  Dienste  bei  allen 
Brustleiden,  Kolik  und  V'erdauungsstörungen. 

Küchenpflanzen. 

Schnittlauch  wird  recht  reichlich  angebaut,  denn  er  darf  im 
„Wechquorge“,  dem  „schlesischen  Kaviar“  nicht  fehlen.  Auch 
in  Suppen,  Tunken  usw.  wird  er  in  reichlichen  Mengen  genossen. 
In  den  Wechquoi'g  gehören  auch 

Zwiebeln,  Zwibbeln. 

Petersilie,  und  zwar  Wurzeln  und  Kraut  sind  eine  beliebte  Suppen- 
würze. Meist  in  einer  Ecke  steht  ein  grosser  Strauch 

Kröhn  oder  Merrettig,  dessen  Wurzeln  gerieben  zu  „Kröntunke“ 
verwendet  wird,  die  bei  Festessen  an  der  Kirmes,  beim  „Ge- 
vatteresseu“  und  beim  Hochzeits,schmau.se  nie  fehlen  darf. 

Dill  nimmt  man  zur  Bereitung  einer  Tunke  und  zum  Einlegen  der 
„sauren“  Gurken  und  des  Sauerkrautes. 

Pfefler-  oder  Bohnenkraut,  dann 

Gurkenkraut  oder  Boretsch  sind  eine  Beigabe  zum  Gemüse. 

MiUeUungen  d.  Fehles.  Oe.s.  f.  Vkde.  Band  XI  s ^HeO  XXII). 


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Majoran  wird  den  Suppen  und  der  rüllunp:  der  „hausschlachtenen“ 
Wurst  beigegeben.  Andere 

Gemüsepflanzen  werden  nur  in  bescheidener  Menge  angepflanzt. 

Zierpflanzen 

nehmen  im  „Gürtel“  nur  eine  untergeoi’dnete  Stelle  ein.  Am  liäu- 
figsten  werden  gepflanzt: 

Rosen  (Rosa  centifolia  L.),  wurzelechte,  weisse  und  rote. 

Gliedra  (Dielytra  spcctabilis),  Herzeistrauch,  tränendes  oder  fliegen- 
des Herz  genannt. 

Päonie  (Paeonia  offic,  L.),  Pumpel-  oder  Pttngstro.se,  auch  Gicht- 
rose genannt,  weil  die  Wurzel  gegen  Gicht  und  Kpilepsie  ge- 
braucht wird.  Fast  in  jedem  Garten  findet  man 
Nachtviole  (Hesperis  Matronabis  L.)  und 

Brennende  Liebe  (Lychnis  clialcedonica  L.),  die  man  auch  Je- 
rusalemsblume nennt. 

Strohblumen  (Herantliemnm  annuum  L.),  Immortellen  genannt, 
werden  de.shalb  gezogen,  damit  sie  im  Winter  das  Moos  zwischen 
den  Fenstern  schmucken. 

Ringelrosen  (Calendula  offic.  Tj.)  werden  zu  Tee  verwendet,  der 
Wunden  heilen  soll.  Diese  Manze  gilt  auch  als  Totenblume, 
weshalb  sie  auf  die  Grabhügel  ge])flanzt  wird. 

Andere  Zierpflanzen  sind : 

Sametröslein  (Tagetes  erecta  pleni.ssaj, 

Gänseblümchen,  und  zwar  eine  gefüllte  Art, 

Stiefmütterchen, 

Primeln,  welche  auch  Aurikeln  oder  Popinkchen  hei.s.sen,  ferner 
Astern,  welche  als  Totenblumen  gelten  und  deshalb  gern  zu  Grab- 
krünzen gewunden  w'erden;  und 
Karthäuser-Garten-  und  Federnelken. 

Von  Zwiebelgewächsen  findet  man  häufig  vor: 

Jüsephslilie  (Lilium  candidum  L.), 

Schneeglöckchen  (Galanthns  nivalis  G.), 

Knotenblume  (Leucoium  vernum  L.),  Schneegacke  genannt, 

Tulpen  (Tulipa  Gesneriana  L.j, 

Narzissen  (Narci.ssus  poeticus  L.)  und 

Märzbecher  (Narci.ssus  pseudo-narcissus  L.V  Oft  wird  auch 
Türkenbundlilie  (Lilium  martagon  T-.)  aus  dem  Walde  geholt  und 
in  den  Garten  veiiiflanzt.  Die  Zwiebel  heisst  Goldwurzel  und 


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wird  gegen  die  „guldena  Odern“  (Hämorrhoiden)  angewandt. 
Andere  wildwarh.sende  Pflanzen  sind: 

Stnrinliut  oder  Eisenhnt  (Aconitus  napellus  L.),  der  auch  Jungfern- 
schnh  lieisst,  und 

Kugelranunkel  (Trollius  europaea  L.),  welche  unter  dem  Namen 
Goldkoppe  oder  Goldkugel  bekannt  ist. 

Seltener  findet  man  im  Garten  die 
Schwarze  Niesswurz  (Heloborus  niger  L.),  welche  Chri.strose  oder 
Auterstehungsblume  genannt  wird,  und 
Soiineuro.se  (Heliantliu.s  annuus  L.),  deren  Samen  als  Vogelfuttcr 
dient. 

Von  strauchartigen  Gewächsen,  die  .sowohl  frei  oder  am 
Heckenzaun  stehen,  sind  zu  nennen : 

Seidelbast  (Daphne  Mezereum  L.),  Kellerhals, 

Türki.scher  Flieder  (Syringa  vulgaris  L.),  den  man  auch  fälschlich 
Holunder  nennt;  ferner 
Goldregen  (Cytisus  Laburnum  L.)  und 
Mehldorn  (Mesi)ilus  germanica  L.). 

Feldpflanzen. 

Unter  den  Feldpflanzen  finden  wieder  die  Heilpflanzen  die 
grösste  Bedeutung,  welche  gesammelt  und  für  den  Bedarfsfall  auf- 
bewahrt werden. 

Spanische  Schwarzwurzel,  Baldrian,  Sanikel  und  Beifuss  sind 
schon  bei  den  Gartenpflanzen  erwähnt  worden. 

Sodann  werden ‘als  Heilpflanzen  gesammelt: 

Quendel  (Thymus  Chamaedrys  F.),  Judenmutter  oder  Hühnerkraut 
genannt,  die  namentlich  zu  stärkenden  Bädern,  besonders  für 
Kinder  verwendet  werden.  Die  mit  dieser  Pflanze  gefüllten 
„Kräuter.säckel“  sind  nervenstärkend  und  desinfizierend.  Inner- 
lich gebraucht  man  den  Tee  gegen  Verdauungsschwäche  und 
Gärung  im  Darmkanal. 

Spitzwegerich  (Plantago  lanceolata  L.),  Wegebreit,  Wegerich.  Der 
Tee  ist  schleimlösend,  heilt  alle  Brust-  und  Lungenkrankheiten. 
Die  Blätter  auf  Wunden  gelegt,  befördern  deren  Heilung. 
Grosser  und  mittlerer  Wegerich  (P.  major  und  media)  geben  einen 
Tee,  der  sich  bei  Verdauung.sbeschwerden,  Lungen-,  Magen-  und 
Dannverschlcimung,  Blascnschwäche  und  Wechselfleber  bewährt. 
Die  Blätter  heilen  brandige  Geschwüre. 

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Huflattig  (Tussilapo  Farfara  L.)  wird  als  Bnisttcc,  sowie  als 
Heilmittel  bei  Husten  und  Heiserkeit  sehr  geschätzt.  Frische 
Blätter  legt  man  auf  entzündete  Stellen  und  Wunden,  damit  sie 
die  Hitze  entziehen. 

Bitter-  oder  Fieberklee  (Menganthes  trifolia  L.),  Dreiblatt  genannt, 
gibt  einen  guten  Tee  gegen  Fieber  und  Magenleiden. 

Kümmel  (Carum  Car\  i L.)  heisst  auch  Karbe  oder  Garbe  und  findet 
nicht  nur  als  Tee  bei  Verdauungsbeschwerden  und  Blähungen 
Anwendung,  sondern  wird  auch  dem  Brotteig  beigemischt. 

.Tohanniskraut  (Hyperium  pertoratum  und  (jiiadrangulum  L.),  auch 
Blutkraut  genannt,  gibt  einen  kranipfstillenden  Tee,  der  auch 
gegen  Kopfschmerzen,  Leberleiden,  Blähungen,  Verschleimung 
und  Bettnässen  gebraucht  wird.  Die  Wurzel  behebt  Schwindel- 
anfälle. Das  Kraut  wird  in  der  Johannisnacht  gesammelt;  als- 
dann schützt  es  vor  Hexen  und  bösen  Geistern.  — Junge  Mäd- 
chen pressen  am  Johanni.stage  die  Pflanzen  im  Taschentuch  und 
denken  dabei  an  eine  männliche  Person.  Zeigt  sich  im  Taschen- 
tuch ein  rötlicher  Saft,  so  wird  die  männliche  Person  ihr  Bräu- 
tigam; zeigt  sich  nur  ein  grüner  Saft,  so  entsteht  kein  Liebes- 
verhältnis. — Junge  Mädchen  flechten  am  Johannistage  lose 
Kränze  von  Johanniskraut  und  werfen  sie  in  die  Höhe  und 
sprechen  dabei:  „Bleibt  der  Kranz  ein  Kranz,  bleibt  die  Liebe 
ganz.  Geht  der  Kranz  entzwei,  ist’s  mit  der  Lieb’  vorbei“. 

Schafgarbe  (Achillea  millefolium  L.)  steht  in  besonderem  Ansehen. 
Sie  heilt  Magenkrampf,  Hämorrhoiden,  Gicht,  Schwindsucht, 
Ausschlag,  Blutspeien,  behebt  Stuhlverstopfung,  Bettnässen  und 
Darmverschleimung,  wirkt  vorteilhaft  auf  die  Verdauungs- 
organe, nervenstärkend,  abführend  und  urintreibend  und  reguliert 
die  Blutungen  der  Gebärmutter.  Der  Saft  heilt  Wunden  und 
Geschwüre.  Die  junge  Pflanze  bildet  einen  Hauptbestandteil 
der  Frühlingskräutersuppen. 

Königskerze  (Verbascum  thapsus  L.)  wird  auch  Zollich  genannt. 
Der  Tee  wird  gebraucht  bei  katarrhalischen  Leiden,  Brust- 
krankheiten und  Fieber.  Umschläge  von  Blättern  erweichen 
Geschwüre.  Eine  aus  dieser  Plianze  bereitete  Salbe  hilft  bei 
Rückenschmerz  und  Hämorrhoiden.  Getrocknet  und  pulverisiert 
verzehrt  die  Pflanze  das  wilde  Fleisch. 

Gundermann  (Glechoina  hederaceum  L.),  Gundelkraiit  oder  Gond- 
ling  findet  als  Tee  Verw'endung  bei  Stockungen  des  Unterleibes 


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und  allen  Frauenkrankheiten;  ferner  bei  Schwindsucht,  Ruhr, 
weissem  Fluss  und  skrofulösen  Geschwüren.  Den  Saft  gibt  man 
Kindern,  wenn  sie  Leibschmerzen  haben.  Gundermann  ist  ein 
Bestandteil  der  Prühlingskräutersuppen. 

Steinpeterlein  IPimpinella  saxifraga  L.)  wird  auch  Biberneil  oder 
Beinwell  genannt.  Diese  Pflanze  wird  angewandt  gegen  Durch- 
fall, ünterleibsleiden,  Husten,  dann  zur  Heilung  von  Wunden 
und  gebrochenen  Gliedern.  Die  jungen  Blätter  werden  als 
Salat  gegessen. 

Rainfarn  (Tanacetum  vulgare  D.)  heisst  auch  Refelblume  oder 
Wunnkraiit.  Der  Tee  leistet  gute  Dienste  bei  Wurrakrankheiten 
und  Magenkrampf. 

Gauchheil  (Anagallis  phoenicea  L.),  Goarteel  oder  Krähenseife  ge- 
nannt, gibt  heilsamen  Tee  gegen  Leberverhärtungen,  Nerven- 
krankheiten, Stockungen  des  Blutes.  Auch  soll  er  den  Biss 
giftiger  Schlangen  und  toller  Hunde  unschädlich  machen. 

Ehrenpreis  (Vcronica  offic.  L.),  erhielt  den  Ehrennamen:  „Heil  der 
Welt“ , weil  er  gewissermassen  als  ein  Universalmittel  gegen 
Schwindsucht,  Lungen-  und  Brustkrankheiten  galt.  Auch  bei 
Verschleimung  und  Reissen  wendet  man  ihn  an.  Vom 

Löwenzahn  (Leontodon  autumnalis  L.),  welcher  auch  Maiblume 
heisst,  gibt  die  Wurzel  einen  Tee  gegen  Stockungen  des  Unter- 
leibes, Treber-  und  Hautkrankheiten;  er  wirkt  blutreinigend  und 
abführend.  Die  jungen  Blätter  werden  in  die  Kräutersuppen 
genommen. 

Mauerraute  (Asplenium  Ruta  muraria  L.)  befördert  gekocht  den 
Haarwuchs,  desgleichen  die  Wurzel  der 

Klette  (Lappa  offic.  All.),  aus  welcher  das  Klettenwurzelöl  bereitet 
wird. 

Braunwurz  (Serophularia  nodosa  L.  |.  Die  gekochten  Wurzeln  geben 
einen  Tee  gegen  Skrofeln;  auch  ziehen  sie  Geschwüre  auf. 

Mauerpfcfl'er  (Sedum  acre  L.),  Steinkraut  oder  Katzenkräutlein, 
heilt  als  Tee.  Fallsucht,  und  der  frische  Saft  heilt  Geschwüre. 

Stiefmütterchen  (Viola  tricolor  L).  Der  Tee  reinigt  das  Blut 
und  ist  heilsam  gegen  Skrofeln  und  verdorbenen  Magen. 

Augentrost  (Euphrasia  offic.  L.)  führt  diesen  Namen,  weil  ein 
Aufgu.ss  des  Krautes  ein  Augenheilmittel  ist.  Gewitterblume 
wird  diese  Pflanze  genannt,  weil  .sie  bei  einem  Gewitter  blau 
wird,  und  weil  der  Blitz  dort  einschlägt,  wo  die  abgepflückte 


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Pflanze  aufbewahrt  wird.  Man  darf  sie  niemals  vor  oder 
während  eines  Gewitters  abpflücken.  Tee  von  dieser  Pflanze 
bewährt  sich  auch  bei  Magenkrankheiten.  Augentrost  wird  auch 
Kapellenblume  genannt. 

Acker-Schachtelhalm  (Eqiiisetum  arvensc  L.),  Zinnkrant  oder  Katzen- 
schwanz. Tee,  innerlich  genommen,  heilt  Wassersucht,  Blut- 
speien und  Nierenleiden;  er  reinigt  den  Magen  und  behebt  Ham- 
beschwerden;  äusserlich  angewendet  wirkt  er  blutstillend  und 
heilt  Geschwüre  und  faulige  Wunden. 

Arnica  (Arnica  montana  L.)  heisst:  Bergwohlverleih,  Fallkraut, 
Gems-  und  Blutblume.  Die  Blüten  werden  mit  Spiritus  auf- 
gesetzt. Diesen  Arnika-Spiritus  gebraucht  man  zur  Heilung  von 
Wunden  und  Quetschungen.  Kraut  und  Wurzeln  geben  einen 
Tee  gegen  Verdauung.sschwäche,  Krämpfe,  Epilepsie,  Schlag- 
anfall; derselbe  wirkt  auch  schleim-  und  nrintreibend.  Die 

Quecke  (Triticura  repens  L.)  gibt  einen  blutreinigenden  Tee. 

Fetthenne  (Sedum  Telephium  L.)  oder  Johanniswurzel  nimmt  man 
zu  Tee  gegen  Fieber  und  Fallsucht.  Der  Saft  der  Blätter  heilt 
Kopfgrind,  Milchschorf  und  Brandwunden  und  stärkt  die 
Glieder.  Man  holt  am  Johannistage  so  viel  Zweige  von  Fett- 
henne als  Personen  im  Hau.se  resp.  in  der  Familie  sind  und 
legt  die  Zweige  auf  einen  Balken.  Es  sterben  oder  erkranken 
im  Hause  resp.  in  der  Familie  so  viel  Personen  als  Zweige 
verdorren.  Die  übrigen  Zweige  grünen  weiter. 

Hirtentäschel  (Capsella  Bursa  pa.storis  Mnch.),  Stückelkraut,  liefert 
einen  Tee,  der  Kheumatismus,  Blutspeien  und  Schleimflüsse  heilt 
luid  übermässig  starke  monatliche  Blutungen  und  Nasen- 
bluten stillt. 

Eberwurz  (Carlina  acaulis  D.)  Karline,  Aberdistel,  Silberdistel 
oder  Distelbrötchen  genannt,  verwendet  man  als  Salat  und  in 
der  Tierheilkunde.  Den  Fruchtboden  isst  man.  Diese  Pflanze 
dient  auch  als  Wetteranzeiger. 

Sauerampfer  (Ruinex  Areto.sa  L.),  Sauerlump  regt,  roh  gegessen, 
den  Appetit  an  und  reinigt  das  Blut.  Man  i.sst  ihn  auch  als 
Gemüse  und  würzt  die  Suppen  damit. 

Brunnkre.sse  (Nasturtium  offic.  R.  Br.)  wird  roh  gegessen  und  heilt 
Schwindsucht,  reinigt  das  Blut  und  regt  den  Ajjpetit  an. 

Rapünzchen  (Valerianella  olitoria  Poll.),  Rapunze,  auch  Rebimde 
genannt,  wird  als  Salat  gege.s.sen,  die  als  blutbildend  gilt. 


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Herbstzeitlose  (Cholcliicum  autumnale  L.),  Wiesensafran  oder  nackte 
Jungfer  soll  ein  Heilmittel  gegen  Gicht,  Rheumatismus  und, 
Wassersucht  sein. 

Wilde  Rose  (Rosa  canina  L ),  Hundsrose,  Hagebuttenstrauch.  Die 
Prüchte  (Hagebutten)  geben  eine  schmackhafte,  blutreinigende 
Suppe. 

Vogelknöterich  (Polygonum  aviculare  L.),  Dehngras  oder  Schweine- 
gras genannt,  gibt  einen  Tee  gegen  Was.serleiden  und  Durchfall. 

Herzgespan  (Leonurus  Cardiaca  L.)  hilft  als  Tee  bei  Herzkrank- 
heiten und  Fieber. 

Gnadenkraut  (Gratiola  offic  L.),  auch  Gottes  Gnadenkraut  ge- 
nannt, heilt  als  Tee  Wassersucht,  Herz-,  Leber-  und  Milzkrank- 
heiten; desgleichen  Melancholie  und  Verstopfung.  Es  treibt 
Würmer  ab  und  dient  als  Brechmittel.  Aus 

Wal.schen-  oder  Lungenkraut  (Lobaria  pulmonaria  Hoffni.)  bereitet 
man  Tee,  welcher  bei  Lungen-  und  Halsleiden  geschätzt  wird. 

Andorn  (Marubium  vulgare  L.),  Dorant  oder  Dauerang  wird  bei 
Krankheiten  des  Viehes  benutzt.  Auch  vertreibt  man  damit 
Hexen,  denn;  „Taste  (V),  Dill  und  Dauerang  ist  der  Hexen 
Widerstand“. 

Nesseln  (Urtica  dioica  und  urens  L.)  geben  einen  Tee  gegen 
Husten,  Lungenentzündung,  Brustleiden,  Wechselfieber,  Hämor- 
rhoiden und  übermässige  Monatsblutungen.  Er  ist  auch  blut- 
reinigend  und  harntreibend.  Nesseln  gehören  auch  unbedingt 
in  die  Frühlingskräutereuppen. 

Giersch  (Aegopodium  Podagraria  L.)  heilt,  als  Tee  genossen,  Po- 
dagra, nämlich  Gicht  und  Reissen. 

Schellkraut  (Chelidonium  majus  L.)  wird  Hühnerdreckgras  genannt. 
Der  Saft  dient  äusserlich  zur  Beseitigung  der  Hühnerwurzeln. 

Flachs-  oder  Lein  (Linum  usitatis  simum  L.).  Der  Same  wird 
gekocht  und  in  Säckchen  auf  Geschwüre  gelegt,  um  diese  zu 
erweichen.  Die  Blüten  sind  ein  Sinnbild  der  Häuslichkeit  und 
Treue.  Aus 

Bachbunge  (Veronica  Becca  bunga  L.),  Quell  - Ehrenpreis  oder 
Funde,  wird  eine  Salbe  bereitet.  Diese  verwendet  man  bei 
offenen  Schäden,  geschwollenen  (iliedern,  Rheumatismus.  Da- 
her sagt  man:  „Mache  Salbe  von  der  Funde,  damit  Fleisch  und 
Bein  gesunde“. 


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Rundblättcrigcr  Friedlos  (Lysimachia  Nuraeralia  L ).  Der  Tee 
von  dieser  Pflanze  ist  ein  vorzügliches  Heilmittel  bei  Mundfaule. 

Zelirkraut  (Betonica  oftic.  L.)  ist  gut  gegen  „die  Verzelirige“  d.  i. 
die  Auszehrung  und  gegen  Fieber. 

Eberreis  (Artemisia  Abrotanum  L.),  (Jartenheil,  gibt  einen  magen- 
stärkenden Tee  und 

Herzgespan  (lieonurus  Cardiaca  L.)  findet  Anwendung  bei  Herz- 
beklemmungen. 

Zwei  wichtige  Heiljjflanzen:  die  echte  Kamille  und  Tausend- 
güldenkraut kommen  im  Liebauer  Tale  nicht  vor.  Sie  werden  viel 

gebraucht,  mü.ssen  aber  aus  der  Apotheke  bezogen  werden. 

Andere  Pflanzen,  welche  einen  besonderen  volkstümlichen 

Namen  haben  sind: 

Natternzünglein  (Echium  vulgare  L.),  „Stolzer  Heinrich“  oder 
Frauakrücka  genannt.  Am  23.  Juni  zur  Mittagszeit  geholt,  darf 
man  die  Pflanze  über  keinen  Bach  tragen,  dann  vertreibt  sie 
die  Ratten.  „Such  um  Johanni  Frauakricka 
Und  hoa  se  drin  eim  Staolle. 

Wenn  sich  de  Raotta  drinne  blicka 
Do  verteibst  ’se  aolle. 

Günsel  (Ajuga  reptans  L.)  heisst  auch  Kuckucksblume  und  dient 
als  Zaubermittel. 

Knabenkraut  (Orchis  maculata  L.),  Gottes  Hand.  Gibt  man  die 
Wurzel  Kühen  und  Ziegen,  so  verlieren  sie  die  Milch  nicht  und 
bekommen  dieselbe  wieder,  sobald  sie  dieselbe  verloren  hatten. 

Kornrade  (Agrostemma  Githago  L.)  = Kornschnate. 

Sumpfdotterblume  (Galtha  palustris  L.)  und 

Hahnenfuss  (Ranunculus  acer  L.)  hei.ssen  Butterblume. 

Kornblume  (Centaure  Cyanus  L.)  = Ziegenbein. 

Vergissmeinnicht  (Myosotis)  in  den  verschiedenen  Arten  Krebs- 
oder Froschäuglein. 

Steinnelke  (Diantlius  deltoides  L.)  = Steinröschen. 

Buschanemone  (Anemone  nemoro.sa  L.)  = Krähcnfalke. 

Ruhrkraut  (Gnaplialium  dioicum  L.)  = Katzenpfötchen  oder  Immor- 
tellen. 

Gänseblümchen  (Bellis  perennis  L.)  = Ma.ssliebchen,  Orakelblume, 
Marienblümchen  oder  Margaretenblume.  Man  zupft  einzeln  die 
Blätter  aus  und  spricht  den  bekannten  Spruch:  „Er  liebt 
mich“  etc. 


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Brunclle  (Prunella  vulgaris)  = Wiesenpflaume. 

Hundskamille  (Anthemis  Cotula  L.)  = Kuliaugc,  Orakelblume  oder 
Magaretenhlume. 

Klappertrog  (Alectorolophus  min.  und  mag.)  = Gröschchen. 

Löwenzahn  (Leontodon  Taraxacum  L.)  = Gänsefett,  Eierbrötchen, 
Maiblume. 

Bachuclkenwurz  (Geum  rivale  L.)  = Ziegenflei.sch. 

Frauenmantel  (Alchemilla  vulgaris  L.)  = Gansekragen. 

Labkraut  (Galium  Mollugo  Ti.)  = Ziegentod,  weil  die  Ziegen, 
welche  davon  fressen,  sterben. 

Pechnelke  (Viscaria  vulgaris  Röhl.)  - Woin.schmierblume  (Wageii- 
schmierblume). 

Pferdekümmel  (Oenanthe  aquatica  Lmk.)  = Tierschimmel. 

Kuckucksblume  (Lychnis  flos  cuculi  L.)  = Rindfleiscli. 

W aldpflanzen. 

Auch  der  Wald  bietet  eine  grosse  Anzahl  Heilpflanzen.  Zu 

ihnen  gehören: 

Einbeere  (Paris  qiiadrifolia  L.),  deren  Blätter  gegen  Geschwulst 
angewendet  werden;  auch  ziehen  sie  Geschwüre  auf.  Gekocht 
wirken  sie  .schwei.sstreibend  und  schmerzstillend.  Der  Saft  der 
Beere  soll  bei  Augenentzündungen  gute  Dienste  leisten. 

Hauswurz  (Sempervivum  tectorum  li  ).  Die  fri.schen  Blätter  legt 
man  auf  Wunden,  und  zwar  namentlich  auf  Brandwunden;  sie 
vertreiben  auch  Hühneraugen  und  heben  die  schädlichen 
Wirkungen  der  Bienenstiche  auf.  Der  Saft  der  Blätter  stillt 
das  Blut,  heilt  Halsentzündungen  und  beseitigt  Sommersprossen. 
Der  Landmann  sicht  es  gern,  wenn  diese  I^flauze  auf  seinem 
Hau.se  wäch.st,  denn  sie  hält  den  Blitz  ab. 

Tüpfelfarn  (Polypodium  vulgare  L./,  Engelsüss  oder  Steinwurzcl 
genannt.  Die  süssschmeckende  Wurzel  wird  gege.ssen.  Gekocht 
gibt  sie  einen  Tee  gegen  Brustkrankheiten.  Zerkleinert  dem 
Boden  beigemischt,  befördern  sie  das  Wachstum  gewisser 
Pflanzen  (Palmen  etc.). 

Waldmeister  (Asperula  odorata  !>.),  Herzfreude  oder  Sternleber- 
kraut sammelt  man  zu  Tee  gegen  Herzklopfen,  Gelbsucht,  Haut- 
iind  Bauchwa.s.sersucht. 

Brombere  (Rubus  fruticosus  L.)  oder  Kratzbeere.  Aus  den  Blät- 
tern bereitet  man  einen  Tee  gegen  Wasserbeschwerden,  Diarrhoe, 


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Rlutflüsse  und  Haiitaussdiläge.  Der  Tee  wird  auch  als  Gurgel- 
wasser gebraucht. 

Engelwurz  (Archangelica  offic.  Hoff.)  „ist  für  alles  gut“,  nament- 
lich gegen  Pest  und  Cholera.  Sie  wird  auch  bei  Krankheiten 
des  Viehes  gebraucht.  Aus  den  gekochten  Blättern  der 
Preisselbeeren  (Vacciniuni  vitis  idea  L.)  bereitet  man  einen  Tee 
gegen  verdorbenen  Magen.  Die  Blätter  der 
Heidelbeere  (Vacciniuni  mytillus  L.)  liefern  einen  Tee,  welcher 
sich  bewährt  bei  Zuckerkrankheit,  Katarrhen,  Husten,  Blasen- 
schwäche, Ruhr  und  Durchfall.  Bei  Durchfall  werden  auch  die 
getrockneten  Beeren  gegessen. 

Erdbeere  (h’ragaria  vesca  L.).  Aus  den  Blättern  bereitet  man 
einen  blutreinigenden  Tee,  der  sich  bei  Husten,  Gelbsucht, 
Durchfall,  Gries-,  Stein-  und  Leberleiden  bewährt.  Die  Früchte 
zerteilen  Gichtknoten  luid  stillen  den  Keuchhusten. 

Faulbaum  (Frangula  Ainus  Mill.h  Tee  aus  Rinde  und  Blättern 
bereitet  ist  ein  gutes  Abführmittel. 

Bärlapp  (Lycopodium  clavatmn  L.;,  Krähenfüsse,  Otternwurzel  oder 
Teufelskrallen.  Der  Blütenstaub  wird  gegen  Wundnässe  und 
Gescliwüre  gebraucht. 

Quirlblättrige  Weisswurz  (Polygonatnm  verticillatum  All.).  Diese 
Pflanze  verhilft  dem  Vieh  zu  .Milch  und  bricht  die  Gewalt  der 
Hexen.  Ein  diesbezüglicher  Spruch  lautet: 

Wirtelfürm'ge  Weisswurz  such'  als  Futter, 
tiib  ’se  dem  Vieh,  ’sis  für  a Nutzen! 

Du  erzielst  viel  Milch  an  Butter 
Auch  koannst  du  a Hexen  trutzen! 

Türkenbundlilie  siehe  Gartenpflanzen,  und  zwar  Zierpflanzen. 

Von  den  Fichten,  Tannen,  welche  man  auch  als  Christ- 
baum verwendet,  und  von  Kiefern  nimmt  man  die  Spitzen  der 
Sprossen  als  Zusatz  zu  Bädern,  die  dadurch  kräftigend  werden. 
Aus  den  Birken  zieht  man  den  Saft.  Wer  denselben  trinkt, 
wird  schon.  Die  Birken  dienen  als  Schmuck  der  Altäre,  welche 
am  Fronleichnamsfeste  im  Freien  errichtet  werden.  Nach  den 
Gotte.sdiensten  reissen  sich  die  Leute  Birkenrei.ser  ab  und  nehmen 
dieselben  mit  nach  Hause,  denn  sie  schützen  vor  Blitzschlag  und 
vor  Hexen.  Zwie.sel  vom  Haselnussstrauch  dienen  als  Wünschel- 
rute; de.sgleichen  CJerten  von  Weiden.  Die  Kätzchen  von  letzteren 
heissen  Palmen.  Diesen  Namen  haben  auch  die  ganzen  Zweige, 


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welche  am  Palnisonntagc  in  der  Kirche  geweiht,  bei  der  Pro- 
zession getragen  und  dann  mit  nach  Hause  genommen  werden. 
Auch  sie  schützen  vor  Blitzschlag.  Wer  am  Palmsonntage  Palmen 
verschluckt,  bekommt  keine  Halsleiden. 

Wie  aus  dem  Vorstehenden  ersichtlich  ist,  nehmen  die  so- 
genannten Heilpflanzen  die  erste  Stelle  ein.  Bei  vielen  von  ihnen 
mischt  sich  Wahrheit  und  Volksglaube  derart,  dass  dem  Laien  die 
Unterscheidung  .schwer  fällt.  Wenn  auch  die  foiLschreitende 
Wissenschaft  allmählich  immer  mehr  in  die  breiteren  Volksschichten 
dringt  und  den  Volksglauben  verdrängt,  so  wird  es  doch  gewiss 
noch  lange  dauern,  ehe  letzterer  ganz  ausgerottet  ist.  Ein 
Kräutlein  gibt’s,  dessen  Heilkraft  sich  stets  bewährt  liat  und  sich 
auch  fernerliin  bewähren  wird.  Von  ihm  sagt  Tieck : 

,Witk'r  »Ile  Wunden  gibt’s  ein  klüftig  Kraut; 

Der  hat  Heilung  funden,  der  dies  Kräutlein  baut. 

In  des  Glaubens  Garten  ist  es  nur  zu  schau’n; 

Lern  dies  Kräutlein  warten,  cs  heisst:  Goltvertrau'n!“ 


Volkstracht  in  der  Gegend  von  Boyadel. 

V’on  M.  Hel  Im  ich. 

Zu  den  bedauerlichsten  Begleitersclieinungen  der  Neuzeit  vom 
Standpunkte  der  Volkskunde  gehört  das  Dahinschwinden  der  Volks- 
tracht. Der  Zug  weiblicher  Hilfskräfte  vom  platten  Lande  in  die 
Städte  und  die  Dienstpflicht  der  jungen  Männer  tragen  gleichmässig 
dazu  bei.  Früher,  als  sich  noch  nicht  die  gleichförmige  und  farb- 
lose Männerkleidung  von  heute  herausgebildet  hatte,  wo  also  auch 
in  der  Stadt  noch  ein  Unterschied  der  Trachten  je  nach  Stamm 
und  Land  eher  zu  Anden  war,  hinkte  die  bäuerliche  Mode  immer 
um  mehrere  .lahrzehnte  hinterdrein  und  ergab  zusammen  mit  dem 
konservativen  Sinn  der  damaligen  Landbevölkerung  auch  der  männ- 
lichen Tracht  eine  besondere  Eigenart.  Heute  bringt  der  Ausgediente 
selbst  in  die  entlegenste  Gegend  den  städtischen  Geschmack  für 
die  hässliche  röhrenfönnige  Hose  und  das  Jackett  oder  den  Rock 
mit  zurück,  wohl  nur,  weil  er  sich  dadurch  den  Anstrich  des 
weltmännisch  Erfahrenen  geben  wJll.  Und  die  weibliche  Be- 
kleidung mit  ihrer  wechselnden  Mode  gelangt  heutzutage  viel 


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sclirieller  auch  ins  Dorf  und  wird,  wenigstens  als  Fcstkleidung, 
aus  falscli  angebrachtem  Ehrgeiz  getragen. 

Nur  die  Kleidung,  die  bei  den  häuslichen  und  wirtschaftlichen 
Verrichtungen  angelegt  wird,  verrät  beim  weiblichen  Geschlecht, 
wenigstens  in  der  weiteren  Umgebung  von  Boyadel,  auf  die  ich  mich 
hier  beschränken  will,  welcher  Art  die  landesübliche  Tracht  noch 
vor  etwa  30  bis  50  Jahren  gewesen  ist. 

Diese  Arbeitstracht  besteht  heute  noch  aus  einem  gewöhnlich  leuch- 
tend saftgrünen  faltigen  Kock,  einem  ärmello.sen  eng  anliegenden 
Ijeibchen,  einer  losen  dunklen  ein-  oder  zweireihigen  Jacke,  sowie 
einer  meist  dunkelblauen  Schürze.  Die  Jacke  hat  auf  der  Schulter 
eingeriegene  Ärmel,  die  darum  etwas  hochstehen  und  wird  auf  der 
Stra.sse  stets  lose  getragen.  Bei  der  Arbeit  wird  die  Schürze 
darauf  gebunden.  Von  allen  diesen  Kleidungsstücken  interessiert 
am  meisten  der  Rock,  weil  dieser  noch  aus  selbstgewirkten  Stoffen 
gearbeitet  wird,  öfters  sieht  man  wohl  noch  eine  Arbeitsschürze 
aus  solchen  Stoffen.  Doch  ist  diese  jetzt  fast  immer,  wie  auch 
die  übrigen  Teile  der  Bekleidung,  aus  gekauften,  fabrikraässig 
hergestellten  Stoffen  gefertigt. 

Für  die  Hausmacherstotfe  nun  wurden  früher  alle  Zutaten  in 
der  Wirtschaft  gewonnen  und  verarbeitet.  Die  Kette,  die  soge- 
nannte jSerije“,  wurde  aus  eigengebautem  Flachs  gesponnen  und 
entweder  roh  verwendet  oder  vorher  im  Hause  schwarz  gefärbt. 
Der  Einschlag,  der  Schu.ss,  ob  nun  Woll-  oder  Wadgarn,  wurde 
ebenfalls  zu  Hause  gesponnen;  die  Wolle  kam  von  den  in  jeder 
Wirtschaft  früher  noch  in  kleiner  Zahl  gehaltenen  Schafen  und 
wurde  rein  oder  mit  Abfällen,  Werg  find  geringerem  .Material  ver- 
sponnen. Von  all  diesem  Hausfleiss  ist  unmerklich  ein  Stück  nach 
dem  anderen  abgebröckelt.  Zuerst  zog  ein  Wollsi)inner,  der  seinen 
Wohnsitz  in  Kontopii  liatte,  von  Haus  zu  Haus  und  kammelte  und 
verspann  auf  dem  besonders  dazu  gebauten  Rade  die  Wolle  an 
Ort  und  Stelle.  Dann  wurde  das  rohe  Material  ihm  ins  Haus  ge- 
schickt, der  Färber  trat  für  die  Hausfrau  ein  und  jetzt  wird  der 
Schu.ss  im  Laden  gekauft,  da  die  Schaflialtung  vollständig  abge- 
kommen ist.  Nur  die  Herstellung  der  Kettenfäden  und,  was  damit 
zusaramenhängt,  und  das  Wirken  hat  sich  noch  in  vielen  Häu-sern 
gehalten.  Im  Winter  wird  der  Webstuhl,  der  .sonst  auseinander- 
genommen in  der  Scheune  oder  unter  einem  Schleppdach  hinter 


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dem  Hause  freliäii"t  hat,  wieder  anffrehaut  und  die  Hausfrau  und 
die  Kinder  arbeiten  daran  die  festen  bunten  Stotfe. 

Denn  eins  liat  sicli  bislier  noch  bei  diesem  Verfahren  von 
früher  her  erhalten,  das  ist  die  Freude  an  bunten  Mustern,  die  in 
immer  neuen  V'^crbindungen  der  Hauptfarben  grün,  rot,  gelb, 
schwarz  und  seltener  braun  und  blau  unter  den  fleissigen  Händen 
entstehen.  Die  angeführten  Farben  stehen  in  der  Reihenfolge,  die 
ungefähr  ihrer  Beliebtheit  entspricht.  .lede  Wirkerin  setzt  ihren 
Stolz  slarein,  ein  neues  Muster  herau.szubringen.  Oft  allerdings 
siegt  der  Sinn  für  Wirtschaftlichkeit,  wenn  vorhandene  VoiTätc 
der  einen  oder  anderen  Farbe  zur  Rücksichtnahme  auffordern. 
Infolge  der  langen  Erfahrung  wird  mit  grosser  Sicherheit  die  er- 
forderliche Menge  des  einzelnen  Wirkgutes  berechnet  und  die 
Länge  des  herzustellenden  Stückes  der  beabsichtigten  Verwendung 
angepasst. 

Vorzugsweise  beliebt  ist  ein  Muster  aus  wechselnden  schmalen 
schwarzen  und  breiteren  saftgrünen  Streifen.  Freilich  sind  die 
Muster  zahllos.  Unter  den  etwa  50  Rockstoffproben,  die  ich  ge- 
sammelt habe,  sind  mir  noch  nicht  einmal  zwei  gleiche  vorgelegt 
worden.  Lange  wird  das  allerdings  nicht  mehr  dauern.  Denn 
mir  wurde  von  verschiedenen  Seiten  wichtig  bedeutet,  dass  für 
be.ssere  Rocke  jetzt  nur  einfarbige  (fast  stets  grüne)  Stoffe  be- 
liebt werden.  Woran  das  liegt,  wurde  mir  aus  einer  Äusserung 
einer  meiner  Quellen  klar.  Diese  Frau  besitzt  mehrere  Töchter, 
die  auswärts,  in  der  Mark,  während  des  Sommers  arbeiten.  Für 
diese,  darf  sie  nur  noch  einfarbige  Stoffe  wirken,  da  sie  an  ihrer 
Arbeitsstelle  mit  den  streifigen  Röcken  verspottet  worden  sind  — 
ein  Schulbeispiel,  wie  Gedankenlosigkeit  und  Nachäffung  den  Sinn 
für  gute  alte  Sitte  totschlagen! 

Welch  feine  Unterschiede  die  Tracht  kennt,  darüber  belehrte 
mich  eine  Aufklärung,  die  mir  von  einem  Mann  der  hiesigen  Ge- 
gend in  treffender  Männerauffassung  gegeben  wurde.  Die  Streifen 
der  Rücke,  sagte  mir  die.ser  Gewähr.smann,  laufen  bei  den  jüngeren 
Frauen  rund  um  den  Rock;  die  älteren  aber,  die  nicht  mehr  „asu 
ebilds“  (so  eitel)  seien,  trügen  Röcke  mit  senkrechten  Streifen. 
Das  hängt  mit  der  Herstellungsart  der  Röcke  zusammen.  Denn 
während  die  Röcke  mit  wagerechten  Streifen  aus  mehreren  Bahnen 
bestehen,  die  vom  ganzen  Stück  geschnitten  werden,  verwenden 
die  älteren  Frauen  ein  einziges  Stück  in  der  der  Rockweite  ent- 


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sprechenden  Liinpe,  wie  es  vom  Webstuhl  kommt,  machen  also 
eine  Ersparnis  an  Arbeit  auf  Kosten  der  Eitelkeit.  Übrigens  sind 
auch  die  aus  dem  Stück  .geschnittenen  Hahnen  der  zusammen- 
gesetzten Rücke  oben  und  unten  gleich  breit;  sie  werden  nicht 
keilig  geschnitten  um  den  Stolf  nicht  zu  verschneiden,  damit  er 
später  noch  als  Futter  verwendet  werden  kann.  Die  so  herge- 
stellten Röcke  sind  sehr  faltig.  Sie  werden  oben  „e-gelindR“  und 
mit  einem  Gurt  versehen.  Die  Machart  ist  also  die  denkbar  ein- 
fachste. 

Mit  dem  Aufliören  der  Hausfurberei  und  der  Verwendung 
schlechten  Materials,  welches  mit  Baumwolle  vermengt  ist,  hängt 
die  Vergänglichkeit  der  Farben  in  den  neueren  Stoffen  zusammen. 
Deswegen  werden  die  roten  und  grünen  Streifen  heute  noch  meist 
aus  reinem  Wollgarn  eingeschos.sen,  von  dem  die  Spule  90  Ff. 
etwa  kostet,  während  für  die  anderen  matteren  Farben  Wadtgarn 
genommen  wird,  die  Spule  zu  etwa  60  Pf. 

Die  Unterscheidung  der  aus  den  verschiedenen  Stoffen  herge- 
stellten Rücke  mit  verschiedenen  Namen,  von  der  mir  eine  .sonst 
gute  Quelle  erzählte,  scheint  nicht  überall  bekannt  oder  streng 
durchgeführt  zu  .sein.  Danach  .sollten  nämlich  die  rein  w'ollenen 
allein  „Rücke“  genannt  worden  sein,  während  für  .schwereren  oder 
leichteren  Wadtgarnstoff'  bzw'.  das  daraus  gefertigte  Kleidungstück 
die  Bezeichnungen  „Plenten“  und  „Kittel“,  letztere  für  das  Arbeits- 
zeug, im  (febrauch  gewesen  sein  sollen.  „Plente“  scheint  einen 
herabsetzenden  Nebensinn  zu  haben,  wie  die  Äusserung  eines  jungen 
Mannes  in  der  Brieger  Gegend  verrät,  der  in  seinem  Heimatdorf 
w'egen  einer  erlittenen  Ver.spottung  nicht  mehr  zum  Tanz  ging; 
er  sagte  nämlich,  er  wäre  sich  zu  gut,  nur  „den  Weibesle.uten  die 
Plenten  auszuschwadern“. 

Ausser  diesen  bisher  genannten  Bestandteilen  der  weiblichen 
Kleidung  ist  in  der  bezeiclmeten  Gegend  noch  ein  besonders  auf- 
fallendes Stück  nicht  allzuhäufig,  aber  doch  noch  hie  und  da  im 
Gebrauch.  Es  i.st  dies  die  sogenannte  „Einhülle“,  ein  kragen- 
oder  mantelartiger  Unihang  aus  den  gleichen  vorbeschriebenen 
Stoffen.  Er  besteht  aus  einer  langen  Bahn,  wie  sie  vom  Webstuhl 
kommt,  die  an  einer  Langseite  eingeriegen  und  an  einem  Stoffbund 
von  etw'a  50  bis  60  cm  Länge  und  10  cm  Breite  befestigt  und 
mit  Bindebändern  versehen  ist. 

Dieser  Kragen  wird  entweder  um  den  Hals  gelegt,  so  dass 


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der  Kopf  frei  ist,  oder  aiicli  um  den  Koi>f,  nur  das  Gesicht  frei- 
lassend und  wird  dann  vermittelst  der  Bänder  „untei-m  Bart“  d.  h. 
unter  dem  Kinn  gebunden.  Diese  „Einhülle“  umgibt  in  vielen 
Palten  den  Oberkörper  und  ist,  da  sie  aus  dem  derben  Hausmacher- 
stüft'  gearbeitet  und  noch  warm  gefüttert  wird,  ein  vorzüglicher 
Schutz  gegen  die  Kälte.  Die  Farben  sind  sehr  bunt:  rot  mit 
grün  oder  gelb  und  schmalen  schwarzen  Streifen  sind  am  belieb- 
testen. Die  Vorliebe  des  Volkes  für  bunte  Muster  scheint  auf 
einen  Tropfen  slawischen  Blutes  zurückzuführen  zu  sein,  der  in 
der  Gegend  von  Boyadel  sicher  vorhanden  ist.  Im  Kreise  Brieg 
links  von  der  Oder,  wo  der  deutsche  Stamm  wohl  unvermischt  erhalten 
ist,  wurde  früher  ein  ähnliches  Kleidungsstück,  aber  aus  schwarzem 
Tuch  getragen.  Dagegen  ist  in  Bladen,  Kreis  Leob.schütz,  die 
bunte  „Hülle“  wieder  bekannt,  dort  in  der  nächsten  Nähe  mäh- 
rischer Gemeinden. 

Als  Kopfbedeckung  wird  jetzt  ein  Tuch  mit,  oder  gewöhnlich 
ohne  Hut  getragen.  Früher  waren  Hauben  allgemein  üblich,  be- 
stehend aus  einem  eng  anliegenden  Kopf  mit  besonders  darüber 
zu  legender  Stirnbinde  und  darauf  noch  einer  Binde  aus  einem  drei- 
eckigen zusammengelegten  schwarzen  Tatt'ttuch,  welches  mit  festem 
Knoten  über  der  Stirn  gebunden  wurde.  Die  „.Maschen“  wurden  sehr 
sorgfältig  auseinander  gezogen  und  mussten  recht  steif  abstehen. 
Gewöhnlich  bestand  die  Haube  neb.st  Binde  aus  gesticktem  Tüll. 
In  der  Trauer  wurde  eine  Haube  aus  .schwarzem  Tafft,  ebenfalls 
mit  „Maschen“  getragen.  Für  Festlichkeiten  bestand  die  soge- 
nannte „Purrhaube“  aus  einem  über  der  Stirn  eingeriegenen 
Spitzentuch,  de.ssen  Zipfel  frei  über  das  Haar  heruntei'fiel.  Von 
den  Seiten  gingen  Seidenbänder  herab,  die  im  Nacken  zusaramen- 
gefasst  und  dort  mit  künstlichen  Blumen  verziert  waren.  Ebenso 
befand  sich  ein  solcher  Blumenausputz  über  der  Stirn. 

Auch  Tre.ssenkappen  aus  Brokatstolf  sollen  früher  getragen 
worden  sein,  doch  ist  es  mir  erst  vor  kurzem  gelungen,  eine  solche 
zu  Gesicht  zu  bekommen. 

Leider  i.st  von  der  Männertracht  viel  weniger  zu  sagen,  denn 
eine  ausgesprochene  und  örtlich  feststehende  gibt  es  nicht  mehr. 
Die  billigen  Joi)pen,  die  heut  in  jedem  kleinen  Geschäft  feilge- 
halten  werden  und  vielleicht  darum  so  beliebt  sind,  kann  man 
füglich  nicht  als  Tracht  bezeichnen.  Vor  etwa  50  Jahren  trugen 
die  Männer  eine  lange  dunkle  Hose,  hoch  heraufreichende,  meist 


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schwarz-  und  rotpestrei ftc  Weste  und  laiifjen  blauen  Rock.  Im 
Winter  wurde  darül)er  ein  schwertuchner,  blauer  Mantel  mit  meh- 
reren übereinander  liegenden  Kragen,  der  sogenannte  Koller,  ge- 
tragen. Die  Knöpfe  daran  waren  gross  und  schwarz,  öfters  mit 
eingelegten  messingnen  Blumen.  Als  Kopfbedeckung  fand  ich 
einen  steifen  Hut  von  grobem  Pilz  in  Form  der  geraden,  sehr 
hohen  Zylinderhüte  mit  kleiner  gerader  Krempe  und  einfachem 
schmalem  schwarzem  Bande  darum. 

Zur  Arbeit  tragen  die  Männer  alten  Schlages  vielfach  eine 
kurze  gestrickte  oder  gewirkte  und  gewalkte  Jacke,  einreihig  und 
ohne  Kragen.  In  der  Arbeit  werden  von  beiden  Geschlechtern 
meist  Holzpantinen  getragen,  sonst  von  den  Frauen  Ledernieder- 
schuhe  auf  dunklen  Strümpfen  und  von  den  Männern  sogenannte 
halbschäftige  Stiefeln,  in  die  gegebenenfalls  die  Hose  gesteckt 
werden  kann. 

Leider  muss  ich  feststellen,  dass  in  der  Bevölkerung  der  Sinn 
für  die  ursprüngliche  Tracht  und  die  Freude  daran  vollständig 
verloren  gegangen  ist  und  die  wenigen  Reste  nur  allein  ihres  prak- 
tischen Nutzens  wegen  sich  erhalten  haben.  D(>r  Versuch  einer 
Wiederbelebung,  wie  er  an  anderen  Orten  und  teilweise  mit  gutem 
Erfolg  gemacht  worden  ist,  würde  nach  meinen  Wahrnehmungen 
keinem  Verständnis  begegnen,  wenn  nicht  gar  Spott  ernten. 


Ein  alter  Vertragsbrauch. 

Von  Dr.  Paul  Drechsler  in  Zabrze. 

Im  Altertum  wurden  wichtige  Verträge  feierlich  abge.schlossen, 
damit  sich  die  Erinnerung  daran  recht  lebendig  erhalte.  Dabei 
schlug  einer  mit  der  Hand  in  des  andern  Hand,  wie  wir  es  noch 
heute  tun  und  dazu  topp!  sagen,  oder  man  berührte  mit  seinen 
Fingern  die  Fingerspitzen  des  andern.  Auch  hiervon  lebt  ein  Rest 
in  dem  bekannten  Brauche;  Wenn  zwei  einen  Schnaps  trinken 
wollen,  so  halten  sie  das  Gläschen  empor,  blicken  sich  an  und 
la.ssen  die  Spitzen  ihrer  kleinen  Finger  einander  berühren.  Das 
gewöhnliche  Volk  kennt  diesen  Brauch  nicht,  wie  auch  das  An- 
stossen  auf  das  Wohlsein  nie  recht  gemein  war. 


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JP?L 

Dieses  Rerüliren  oder  Aiistnssen  mit  den  Finf^ern  hiess  stnpfen, 
stüiifeii,  stijifen  oder  tipl'en.  Letzteres  Zeitwort  begegnet  auch 
in  der  Ziisaminensetzung  eintipfen;  s.  Grimm,  Reclitsaltertiimer 
S.  147  f.  Für  einti])fen  bei  einem  Vertrage  bietet  sich  ein  Beisj)iel 
in  einem  lür  die  schlesische  Dialektkenntnis  liochwiclitigen  Erzeugnis 
aus  dem  17.  .lahrhundert.  Zwei  Hauern,  Hans  Wui'st  und  Stürze- 
becher, haben  gemeinsam  ein  Verbrechen  begangen.  Darauf  .sagt 
Hans  Wurst: 

Abr  horcht  dach  | wenn  wii'  ju  varrautha  würda  | dass  wiers 
gethaun  lietta  j su  iniissa  wir  ag  baalde  ney  dorzu  sprecha  | vnd 
guar  nisclita  aanderss  das  wirs  nicht  gethaun  huan  wir  huansender 
sie  liegass  an  ihra  Hals  nee. 

Stürzebeclier:  Duas  iess  raicht  | Nockwer  Hanss  j dass  du 
saist  I dass  wirs  nicht  gethuan.  Xu  an  dau  walla  wir  eytippa 
da.ss  ju  kinnar  vom  aandarn  ischta  .suayn  \>il.  (Sie  giessen  Hier 
auff  den  Tisch  vnd  tippen  ein.) 

Hier  heisst  das  eintipfen  soviel  wie  eintauehen,  eintunken, 
intingere  (wie  der  Schlesier  auch  „in  die  Dinte  eintipft“ ; vgl.  Grimm, 
DWbch.  111  332,  Beleg  aus  Stieler).  Durch  das  Eintauchen  der 
Finger  in  das  Bier  soll  das  Versprechen,  einander  nicht  zu  verraten, 
feierlich  bekräftigt  werden.  Noch  heute  sollen  in  der  Striegauer 
Gegend  sich  Steinbrucharbeiter  feierlich  zu  etwas  verpflichten, 
indem  sie  Schnaps*  auf  den  Tisch  giessen  und  darein  die  Finger 
eintipfen,  ganz  wie  die  Bauern  es  mit  dem  Biere  tun.  — Als  sich 
im  J.  1731  die  Protestanten,  die  der  Fürsterzbischof  Firmian  von 
Salzburg  zur  Auswanderung  zwang,  zum  letztenmal  in  Schwarzach 
versammelten,  wurde  der  sogenannte  „Salzbund“  geschlos.sen.  Wer 
zum  Bunde  hielt,  tauchte  die  Finger  zur  Bekräftigung  nach  alter 
Sitte  in  Salz.  Im  Wirtshause  steht  noch  der  Tisch  mit  roher 
^lalerei  und  der  Umsclirift:  „Das  i.st  der  nämliche  T'isch,  worauf 
die  lutherischen  Bauern  Salz  ge.schleckt  haben“.  Meyer,  Deutsche 
Alpen,  2.  Teil,  1900,  S.  86. 

Wir  erinnern  an  das  Blut,  worein  nach  Lucian  Toxar.  37  die 
Scythen  ihre  Schwester  tauchten.  Die  Bewohner  der^schottischen 
Hebriden  tauchten,  wenn  sie  sicli  zu  etwas  verpflichteten,  die  Hände 
in  Blut.  Grimm,  Kechtsaltertümer  S.  265,  267. 

Der  Spieler  tippt  mit  dem  Finger,  um  zu  erklären,  dass  er 
„raitgehen“  will;  davon  hat  auch  ein  bekanntes  Hazardspiel  den 
Namen. 

MUtclIunh'cn  il.  «lOil*».  Oc».  f.  Vkilc.  liaml  -\I  2 (UeO  X.MO.  tt 


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Damit  ist  der  Ursprung  des  Brauches  nicht  erklärt.  Dies  will 
ich  auch  hier  nicht  versuchen,  sondern  es  soll  nur  die  Anregung 
gegeben  werden,  dem  Brauche  nachzugeheii  und  dafür  weitere 
Belege  beizubringen. 

Zimmermannsspruch. 

Mitgetcilt  von  Lehrer  Gebhardt  in  Cantcrsdorf,  Kreis  Brieg. 


Das  neue  Haus  ist  aufgerichtet.  Auf  dem  Giebel  wird  ein 
Kreuz  aus  Latten  angebracht,  an  dessen  Spitze  ein  grüner  Busch 
(z.  B.  Lindenzweige)  befestigt  wird.  An  jedem  Kreuzesarm  hängt 
ein  Tuch  für  den  Maurermeister  und  für  den  Zimmermeister;  bei 
grösseren  Bauten  erhalten  wohl  sämtliche  Biuihandwerker  ein 
kleineres  Tuch.  Neben  dem  Kreuze  steht  ein  redegewandter  Mann, 
meistens  der  Zimmerpolier,  und  hält  eine  längere  oder  kürzere 
Ansprache.  Weiter  nach  unten  haben  sich  die  andern  Zimmerleute 
aufgestellt,  die  mit  grosser  Begeisterung  in  das  Hoch  einstiraraen, 
das  der  Redner  am  Schlus.se  ausbringt:  auf  den  Hausherrn,  die 
Hausfrau,  die  Kinder,  die  Meister,  die  Gesellen  und  alle,  „die  beim 
Bau  nur  eine  Hand  gerührt  haben“,  und  zw'ar  erhält  jeder  sein 
besonderes  Hoch.  Den  Schluss  bildet  der  Hebeschmaus,  bei  dein 
es  lustig  und  laut  zugeht,  und  von  dem  es  in  einem  alten  Zimmer- 
mannsliede heisst:  „Ist  aber  ein  Hau  vorbei,  und  gibt  es  Schmau-serei, 
gut  zu  e.ssen  und  gut  zu  trinken,  gebraten  Wurst  und  Schinken, 
gut  Bier,  gut  Brantewein : da  ist  gut  Zimmerinann  sein.  — Ist 
aber  ein  Bau  vorbei  und  gibt  es  nichts  dabei,  nichts  zu  essen, 
nichts  zu  trinken,  kein’  gebratne  Wurst,  kein  Schinken,  kein  Bier, 
kein’n  Brantew'ein:  der  Teufel  mag  Zimmermann  sein.  — Ist 
aber  ein  Bau  vorbei,  und  gibt  es  Schlägerei,  können  wir  uns  nicht 
vertragen,  tun  wir  uns  tapfer  schlagen  auf  Winkeleisen  frei.  Da 
gibt’s  auch  Lust  dabei.  (!)“  — Leider  sind  auch  diese  Bräuche  in 
unserer  Gegend  fast  ganz  verschwunden;  nur  der  grüne  Busch  ist 
geblieben,  und  den  Hebe.schmaus  wei.ss  man  auch  jetzt  noch  zu 
schätzen.  Einen  alten  Ziniinermannsspruch  hat  mein  Vater  auf- 
geschrieben ; hier  ist  er:  „Ihr  lieben  Herrn  und  Frauen  alle,  | hört, 
was  ich  sage  mit  grossem  Schalle,  | und  was  da  auch  ein  Zimmer- 
mann i für  eine  Predigt  halten  kann.  | Wurd'  einst  ja  Zimmer- 
mannssohn genannt,  | der  allen  Völkern  wolil  ist  bekannt,  ] der 


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allen  Menschen  das  Heil  fj^bracht.  | Drum  werde  der  Zimmermann 
hoch  peacht’t.  | In  seinem  Namen  ist  es  auch  geschehen,  | was  ihr 
da  könnet  mit  Augen  sehen,  | dass  dieser  Hau  ist  hergestellt  | und 
dem  lieben  Bauherrn  gar  wohl  gefällt.  | Weil  es  sich  aber  dann 
auch  gebühret,  ] wenn  man  ein  solches  Werk  hat  vollführet,  | dass 
man  es  betrachte  | und  gebe  recht  achte,  | wie  alles  bereitet,  | und 
was  es  bedeutet,  | so  ist  es  ein  alter  und  löblicher  Brauch,  | 
dass  der  Zimmermann  tue  ein  Sprüchlein  auch.  | Und  ich  tu  bitten 
hierdurch  jedermann,  | dass  er  mein  Sprüchlein  andächtig  hör’  an.  | 
Der  aber  uns  gnädig  geholfen  zu  bauen,  | der  wolle  das  Haus  stets 
in  Gnaden  anschauen!  ) — Im  Hause  gibt's  Stuben  | und  oft  auch 
viel  Buben.  | Da  gibt’s  eine  Kammer  | und  oft  auch  viel  Jammer.  | 
Da  sieht  man  Böden  | und  oft  auch  viel  Nöten.  | Da  sieht  man 
Ställe  1 und  oft  auch  die  Hölle,  | wenn  Unfried  und  Streit  | es  er- 
füllet mit  Leid.  [ Drum  der  uns  geholfen,  das  Haus  zu  erbauen,  | 
der  wolle  es  immer  in  Gnaden  anschauen.  | — Wir  haben  zuerst 
eine  Stube  gebaut,  | wie  ihr  nun  alle  mit  Augen  schaut.  | Da  wohne 
der  Pleiss,  | vergiesse  viel  Schweiss,  j da  schatfen  ohn’  Ende  | die 
tätigen  Hände  | vom  frühesten  Morgen  j mit  nötigen  Sorgen  | bis 
zum  Abendermüden  | und  alles  in  Frieden.  | Mit  gutem  Gewissen 
und  heiterem  Blick  | seh  jetles  am  Abend  aufs  Tagwerk  zurück!  | 
Und  gibt’s  in  den  Stuben  | viel  lärmende  Buben,  | wie  die  Ölzweige 
frisch  I rings  herum  um  den  Tisch,  | so  fehl’  es  zum  Guten  | auch 
nicht  an  den  Ruten,  | mit  heilsamen  Streichen  | die  Kindlein  zu 
weichen.  | Und  Lehrbuch,  Gesangbuch,  Katechismus  und  Bibel  | 
sind  da  so  notwendig  wie  volle  Kübel.  | — Wir  haben  da  auch 
eine  Kammer  gebaut,  | wie  ihr  nun  alle  mit  Augen  anschaut.  | 
Gibt  es  nun  einen  Jammer,  [ gibt  es  auch  die  Betkammer.  | Da 
scliliess  dich  ein  | mit  Gott  allein;  | da  falle  du  nieder,  ] so  kommt 
dir  wieder  | viel  Trost  ins  Herz,  | bei  allem  Schmerz  | die  Hille 
vom  Herrn,  [ der  da  hilft  so  gern.  [ Und  währt  es  auch  bis  in  die 
Nacht  I und  wieder  an  den  Morgen,  j soll  doch  dein  Herz  an  Gottes 
Macht  I verzweifeln  nicht  noch  sorgen.  | Der  alles  stets  hat  wohl- 
gemacht, 1 des  Auge  stets  im  Himmel  wacht,  | der  geb’  stets  eine 
gute  Nacht!  | — Wir  haben  da  auch  eine  Küche  gebaut,  | wie  ihr 
nun  alle  mit  Augen  an.schaut.  \ Da  arbeite  die  Mutter  | bei  Milch 
und  bei  Butter,  | mit  reinlichem  Fleisse  | zu  bereiten  die  Speise,  | 
mit  freundlichem  Gesichte  | zu  bringen  die  Gerichte.  | Und  wenn’s 
nur  recht  in  der  Werkstatt  steht,  | der  Mann  nicht  lieber  ins  Wirts- 

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212 


haus  frcht,  1 und  man  das  Retkiimmprlein  nicht  verjrisst.  | Gott  an- 
nifet  zu  jeder  Frist,  | dann,  Freunde,  hat's  in  der  Küche  nicht 
Not.  I Fleisch,  lUitter  und  Brot,  | ein  paar  Würstlein  im  Schlot  | 
bescheret  dann  immer  der  liebe  Gott.  | — Wir  haben  dann  auch 
einen  Boden  gebaut,  | wie  ihr  nun  alle  mit  Augen  an.schant.  1 Da 
kann  man  viel  Waren  | wohl  anfbe wahren,  | so  man  lernet  das 
S])aren,  ] was  noch  viel  he.sser  wird  sein,  [ als  die  Sparren,  die  wir 
gemacht  ilarein.  | Da  gibt  es  denn  ininier  viel  Wolle  und  Lein  | 
und  volle  Schrein’.  | Doch  ist  noch  viel  besser  als  aller  Gewinn  | 
ein  frommer,  gottsel’ger,  zufriedener  Sinn.  | Der  wohne  denn  in 
diesem  Hans,  | der  geh’  mit  allen  ein  und  aus,  | der  lindre  alle 
Müh  und  Plag,  | der  bringe  Freude  jeden  Tag,  [ der  tröst’  in  allem 
Leid  und  Weh,  | der  bringe  Segen  aus  der  Höh’.  | — So  lang’  das 
Hans  noch  stehen  wird,  | behüt’  es  treu  der  gute  Hirt  ; vor  Feuer 
und  jeder  andern  Not,  | Wenn  aber  kommen  wird  der  Tod  | und 
treibt  eins  nach  dem  andern  au.s,  | geh’  Gott  im  Himmel  ein  bessres 
Haus,  1 das  nicht  mit  Hiinden  ist  gemacht,  j das  ewig  bleibet  in 
stolzer  Pracht.  | Nur  einer  der  rechte  Baumeister  ist,  | des  Werke 
bleiben  in  jeder  Frist:  | Gott,  unser  Vater  durch  .lesum  Christ,  | 
der  die  Erde  so  herrlich  bereitet  hat  | und  im  Himmel  droben  die 
ew’ge  Stadt,  | die  uns  verheis.seii  von  .seiner  Gnad.  | Dem  bringen 
wir  Lob,  Preis  uml  Dank  | und  bitten  ihn  nn.ser  Leben  lang,  ] 
wie  er  uns  geludfen,  dies  Haus  zu  erbauen,  | .so  wolle  er  .stets  es 
in  Gnaden  an.schauen!“ 


Obersclilesisclies  vom  Wassermann. 

Vuii  I>r,  Paul  Drechsler  in  Zabrze. 

Wenn  man  in  Alt-Zabrze  die  Hochberg-Kolonie  hinuntergeht, 
kommt  man  an  ein  kleines  Hiiu.schen,  das  heute  nicht  mehr  be- 
wohnt ist.  Es  gehörte  einem  gewi.ssen  Czodrok  und  steht  dicht 
am  Btuithener  Wasser.  Unter  dem  überstehenden  Schindeldachc 
ist  bis  zur  Brusthöhe  trockenes  Unkraut  aufge.schichtet.  Hier  ist 
nach  allgemeinem  Glauben  der  Nachbarn  die  Schlafstelle  des 
Wassermanns.  Er  legt,  um  anzulockeii,  luinte  Bänder,  neue 
Schuhe  usw.  auf  einen  Pfahl,  der  .schiäg  im  Bache  steht.  — 

Vor  vielen  Jahren  wiirJe  ilie  Sehtaeke  iler  ItonnersniarckliiUte  von  einem 
Pforile  Uber  die  Urlickc,  die  über  das  Beutlicncr  Wa-sser  fllhrl,  auf  das  gejjen- 


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213 


Uberliegende  Feld  gefahren  und  zu  (Schlacken-)Halden  aiifgeliäuft.  Eines  Abends 
widlte  das  Pferd  durchaus  nicht  Uber  die  Brttcke.  Weder  die  Peitschenhiebe 
des  Kutschers  noch  die  ermunternden  Zurufe  von  Nitschc  (das  ist  noch  der  ein- 
zige Überlebende  Zeuge  dieses  Vorfalls  — 1908)  konnten  das  Tier  dazu  bringen, 
die  Brücke  zu  betreten.  Da  zwangen  die  Miinner  endlich  das  Pferd  vorwärts 
zu  gehen,  indem  sie  den  Wagen  mit  der  glUhendlieissen  Schlacke  vorschoben. 
Als  das  Pferd  die  Hitze  spürte,  ging  es  weiter,  aber  nur  einen  Schritt.  Dann 
bäumte  es  sich  auf,  drehte  sich  auf  den  Hinterbeinen  um  und  drängte  sich  auf 
die  glühende  Schlacke  rückwärts  hinauf.  Es  verbrannte  sich  so,  dass  es  sofort 
erschossen  werden  musste.  Nun  ging  Kitsche  über  die  Brücke,  kam  aber  nur 
bis  zur  Hälfte,  dann  drehte  er  pliitzlich  um  und  kam  schnurstracks  zu  den 
Männern  gelaufen,  die  noch  bei  dem  toten  Pferde  standen.  Am  ganzen  Leibe 
zitternd  erzählte  er,  unter  der  Brücke  sitze  der  Wassermann;  er  habe  ihn  au 
seiner  roten  Mütze  und  an  seinen  grünen  Augen  erkannt.  — Ihn  hatte  also 
auch  das  Pferd  erblickt;  Tiere  sind  geistersichtig.  — 

In  einem  Nachbardorfe  war  alle  Sonntage  Tanz.  Uelangwcilt  setzten  sich 
einmal  um  Mitternacht  ein  paar  junge  Burschen  in  eine  Ecke  und  bekiagten 
sich,  dass  es  so  wenig  schöne  Mädclien  gebe.  Wie  sie  sich  noch  so  unterhielten, 
da  tauchten  plötzlich  zwei  (manchmal  hört  mau  es  auch  von  dreien)  wunder- 
schöne Mäilcheti  im  Saale  auf.  Kein  Mensch  kannte  sic,  niemand  hatte  sie  vor- 
her gesehen.  Die  zwei  feschesten  Bnrscben  machten  sich  sogleich  an  sie  heran. 
Sie  tanzten  viel  und  waren  guter  Dinge.  Als  die  Burschen  nach  einer  Panse 
die  Mädchen  wieder  zum  Tanze  lÜhreu  wollten,  da  waren  sie  verschwunden. 
Niemand  hatte  sie  Weggehen  sehen.  Alles  Suchen  der  Burschen  war  vergeblich. 
Ärgerlich  machten  sie  sich  auf  deu  Heimweg,  denn  cs  war  sch<m  2 Uhr  nachts. 

Am  nächsten  .Sonntag  erging  es  dun  Burschen  ebenso.  Da  nahmen  sie  sich 
vor,  am  folgenden  Tanzfeste  gehörig  aufzupassen.  Und  richtig,  die  Mädchen 
kamen  um  Mitternacht  wieder.  Die  Burschen  hängten ')  sich  sofort  wie  die 
Kletten  an  sie.  Sie  tanzten  nur  wenig  und  zwangen  dann  die  Mädchen  mit  ins 
Nebenzimmer  zu  kommen.  Sie  liesson  sich  Kuchen,  Wein  und  Bier  kommen  und 
begannen  ihr  Verhör.  Es  war  aber  nichts  ans  ilen  Mädchen  herauszukriegen. 
.Je  näher  die  erste  Stunde  heranrückte,  desto  ängstlicher  wurden  sie.  Endlich 
erklärten  sie  den  Burschen,  .sie  müssten  jetzt  nach  Hause,  ihre  Zeit  sei  um,  und 
der  Vater  sei  so  streng.  Die  jungen  Leute  boten  trotz  alles  .^blehnens  ihre  Be- 
gleitung an,  und  die  beiden  Paare  zogen  zum  Dorfe  hinaus  und  kamen  in  eine 
den  Burschen  unbekannte  Gegend  mit  einer  schön  gepflasterten  Strasse.  Unauf- 
hörlich baten  die  Burschen  um  Auskunft  über  deu  Namen,  den  Wohnort,  den 
Vater  usw.  Da  Hessen  sich  die  Mädchen  endlich  erweichen  und  sagten:  .Unsere 
Zeit  ist  sowieso  um;  ihr  sollt  alles  erfahren.  Wir  sind  die  Töchter  des  Wasser- 
manns und  wohnen  hier  in  dem  grossen  Teiche“.  Als  die  Burschen  aufsahen, 
bemerkten  sie  in  der  Tat  ein  grosses  Wasser.  In  dem  unnatürlichen  Dämmer- 
lichte konnten  sie  sich  jedoch  nicht  zurcchtfinden  Deu  Teich  sahen  sie  zum 
ersten  Male,  sie  wussten  überhaupt  nicht,  wo  sie  waren.  Da  sagte  wieder  eines 
der  Mädchen:  .Wir  danken  euch  für  die  irdische  Freude,  die  ihr  uns  bereitet 


')  Die  Erzähler  sagten : hingen. 


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habt ; möge  e»  euch  gut  geben.  Denkt  auch  einmal  an  uns,  denn  dass  wir  jetzt 
noch  mit  euch  sprechen,  das  ist  unser  Tod.  Vielleicht  lässt  sich  der  Vater  noch 
erweichen;  wenn  nicht,  dann  werdet  ihr  zwei  blaue  Flammen  auf  dem  Teiche 
hüpfen  seheu“.  Mit  diesen  Worten  verschwanden  die  Mädchen.  Uanz  entsetzt 
starrten  die  Burschen  in  die  pechschwarze  Flut.  Eine  unheimliche  Stille  folgte. 
Dann  schwoll  das  Wasser,  es  brauste  und  tobte  um  sie  her.  Das  Wasser  leckte 
an  den  beiden  empor  nnd  schien  um  Hilfe  zu  bitten  für  die  Jungfrauen,  die  mit 
ihrem  Vater  auf  dem  Grunde  des  Sees  rangen.  Dann  wurde  es  wieder  ganz 
still:  zwei  blaue  Flammen  irrten  sekundenlang  Uber  dem  Wasser  nnstät  umher'). 

Als  die  beiden  wieder  zu  sich  kamen,  sahen  sie  weder  den  Teich  noch  die 
schöne  Strasse.  Sie  standen  mitten  in  einem  beniebtigten  Sumpfe  und  wateten 
mit  Lebensgefahr  auf  festes  Land.  Der  Morgen  graute,  als  sie  müde  heim- 
kehrteu. 

Schlafen  in  der  Bedeutung  von  Verrücktsein. 

Von  Dr.  K.  Wutke. 

Am  20.  April  1559  schliesst  der  Ritter  Fabian  v.  Schönaich 
einen  Vertrag:  wegen  der  Güter  Hertwigswalde  (Kreis  Sagan)  etc. 
mit  „Stenzein  von  Nostiz  vor  sich  n.  ahn  statt  Hansens  seines 
schlafenden  Bruders  vorkeuffern  am  andern  thaile“  (Gleichzeitige 
Ab.schr.  i.  Bresl.  Staatsarch.  F.  Sagan  O.  A.  Hertwigswalde].  Was 
der  Ausdruck  „.seines  schlafenden  Bruders“  bedeuten  soll,  wird 
durch  zwei  andere  gleichzeitige  Dokumente  belegt.  In  dem  einen, 
einer  Lehnsbestätigung  Ihr  das  Fürstentum  Sagan  von  1551,  heis.st 

')  Dass  die  Seelen  als  Flammen  oder  Lichter  Uber  den  Wassern  schweben, 
ist  allgemeiner  Glaube;  vgl.  Drechsler,  Sitte,  Brauch  ii.  Volksgl.  I S.  315  Dazu 
vergleiche  man  eine  Notiz  der  Schlesischen  Zeitung  vom  28.  Oktober  d.  J.  Nr.  759; 
Über  ein  sehr  merkwürdiges  .Begräbnis“  lesen  wir  im  Wiener  .Dentscheu 
Volksbl.“:  Bei  einer  jüdischen  Familie  in  einem  Orte  nächst  Ödeuburg  wollte 
man  am  15.  d.  M.  einen  Fisch  ausweideu.  Die  damit  beschäftigte  Köchin  hörte 
plötzlich  aus  dem  Innern  des  Fisches  ein  Wimmern.  Der  Köchin  und  der  um 
den  KUcheutisch  stehenden  Familie  bemächtigte  sich  ein  grosser  Schrecken,  und 
das  Familienoberhaupt  eilte  schnurstracks  zum  Rabbiner,  um  ihm  diese  geheimnis- 
volle Sache  zu  melden.  Der  Rabbiner  war  über  das  sonderbare  Ereignis  gar 
nicht  sehr  erstaunt  und  ordnete  an,  dass  der  Fisch  auf  dem  israelitischen  Fried- 
hofe begraben  werden  müsse.  In  seiner  Erklärung  teilte  der  Rabbiner  dem  kon- 
sternierten Hausvater  mit,  dass  die  Seele  des  Menschen,  wenn  sie  dcu  irdischen 
Leib  verlasse,  über  den  Wassern  schwebe.  Der  Fisch  habe  eine  solche 
menschliche  Seele  verschluckt  und  deshalb  müsse  der  Fisch  auf  rituelle  Weise 
bestattet  werden.  Die  Familie  hat  dem  Fische  tatsächlich  ein  den  israelitischen 
rituellen  Vorschriften  entsprechendes  Begräbnis  zuteil  werden  lassen.  Es  muss 
bemerkt  werden,  dass  sich  auch  vor  etwa  fünfzehn  Jahren  in  Ungarn  ein  der- 
artiger Fall  ereignet  hat. 


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es  an  der  betr.  Stelle  „Diese  Lehen  seind  bewilligt  und  gethan 
den  zweyen  Brüdern  von  Nosstiz,  alß  dieweil  der  Doctor 
Nosstiz  wafinsinig,  hat  der  Stenzei  die  Lehen  vor  sich  und 
Ihnen  (ihm)  angenomen,  jedoch  der  gestalt,  wann  der  doctor 
wider  zu  seiner  vernunfft  khoraraen  wirdt,  das  er  den 
Lehen  gebuerliche  folge  neben  der  Pflicht  im  Ambt  Sagan  thue“ 
[Bresl.  Staatsarch.  F.  Sagan  I 27  p.].  An  der  zweiten  Stelle  ver- 
leihen die  Kommissare  im  Namen  des  Landesherrn  die  Lehen 
„dem  edlenn  ernvessten  Stentzel  von  Nostiz  vor  sich  und  in 
nalimen  seines  Brueders  des  hochgelertten  Hannsen  von  Nostitz 
doctors,  welcher  itzundt  schwach  ahnn  seiner  vernunfft“ 
[Ebendas'  I 27  n.]. 

Grimms  Deutsches  Wörterbuch  Bd.  IX  Sp.  288  kennt  nur  den 
Ausdruck  „die  schlafende  Sucht“. 


Literatur. 

Schleaiens  volkstümliche  liherlieferungen.  Sammlungen  und  Studien  der  Sclile* 
sischen  Gesellschatt  für  Volkskunde,  begründet  von  Friedrich  Vogt, 
beransgegeben  von  Theodor  Siebs.  Leipzig,  Teubuer.  Soeben  erschien  der 
erste  Teil  vou  Band  III:  Schlesische  Sagen  von  Richard  KUhnau.  lu  Original- 
band M.  6,76  für  Mitglieder  (Ladenpreis  M.  9). 

Der  Herausgeber  des  vorliegenden  Bandes  ist  den  Lesern  der  „Mitteilungen* 
kein  Fremder;  seine  Beitrüge  zu  unseren  Sammlungen,  seine  zusammenfas-sendeu 
Abhandlungen  waren  bereits  Vorarbeiten  für  das  grosse  Werk,  dessen  Zusammen- 
stellnug  ihm  1906  übertragen  wurde.  Was  nun  vor  uns  liegt,  ist  die  Erfüllung 
eines  längst  gehegten  Wunsches,  einer  Ehreupfliebt  der  Gesellschaft  für  Volks- 
kunde. Was  Gustav  Freytag , Oelsner,  vor  allem  Karl  Wein  ho  Id  erstrebten, 
Schlesien  das  zu  schaffen,  was  andere  Provinzen  längst  besasseii,  ein  umfassen- 
des, wissenschaftliches  Sagenbuch , geht  nun  der  Vollendung  entgegen.  Es  war 
gewiss  keine  leichte  Arbeit,  das  weithin  zerstreute,  oft  versteckte  Material  zn- 
sammenzubringen,  schwerer  noch,  das  Echte  von  dem  Unechten  zu  scheiden,  am 
schwersten,  den  Stoff  übersichtlich  anzuordnen.  Mit  dem  sicheren  Blick  und  Ur- 
teil des  geschulten  Sagenforschera  hat  Ktthnau  hier  das  Richtige  getroffen : das 
Buch  ist  eine  durchaus  brauchbare  Quelle  für  wissenschaftliche  Arbeiten  — 
literarischer  Nachweis  der  Fundstätten  und  Angabe  des  Verbreitungsgebietes 
geben  dafür  wesentliche  Hilfen;  es  bietet  aber  auch  dem  Laien,  der  in  den 
Sagen  mehr  siebt,  als  ein  Spiel  luüssiger  Phantasie,  eine  Fülle  von  Anregungen. 
Der  vorliegende  Band  I (611  Seiten)  behandelt  die  Spuk-  und  Qespenstersagen, 
die  zwanglos  nach  den  Orten,  an  denen  sie  haften,  gegliedert  sind  (Leichen-, 
Grab-,  Kirchhof-,  Kirchturm-,  Mordstättenspnk  usw.).  Sind  bei  einer  Sage,  wie 
vielfach,  Varianten  vorhanden,  so  werden  sie,  chronologisch  angeordnet,  nach- 
einander angeführt.  Kühnau  bat  es  absichtlich  vermieden,  Uber  Ursprung,  Deu- 


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luug  oder  gescliicbtlirbe  Entwicklung  der  Sagen  etwas  hinzuziifiigen:  sein  Ruch 
soll  eben  nur  ein  vorläufiger  Abschluss  der  Sammeltätigkeit  sein.  Aber  gerade 
diese  besonnene  Zurückhaltung  verleiht  dem  Werke  seinen  wissenschaftlichen 
Wert  als  Quelle;  wir  müssen  dafür  dem  Verfasser  ebenso  wie  für  seine  unend- 
lich mühevolle  Arbeit  Dank  wissen.  Möge  das  Buch  in  den  weitesten  Krei.sen 
Verhreitung  finden  und  der  Welt  beweisen,  dass  auch  in  Schlesiens  üanen  der 
Sagen born  nicht  versiegte.  Dr.  0. 

Wort  und  Brauch.  Volkskundliche  Arbeiten,  namens  der  Schlesischen  Gesellschaft 
für  Volkskunde  in  zwanglosen  Heften  herausgegeben  von  Theodor  Siebs  und 
Max  Hippe.  Breslau,  M.  & H.  Marcus. 

S.  Heft.  Rübezahl-Forschungen.  Die  Schriften  des  M.  Johannes 
Prätorius  von  Dr.  Karl  de  Wyl.  (VIII,  159  .Seiten)  1909. 

Die  bisher  erschienenen  Hefte  der  Sammlung  volkskundlicher  Arbeiten,  die 
die  Schlesische  Gesellschaft  für  Volkskunde  unter  dem  Titel  .Wort  und  Brauch“ 
herausgibt,  haben,  soweit  sie  Schlesisches  behandeln,  sprach-  und  wortge- 
schichtliche Untersuchungen  gebracht.  In  dem  soeben  ausgegebeneu  5.  Heft  legt 
Karl  de  Wyl  eine  Arbeit  zur  Sagengeschichte  vor,  die  um  ihres  Gegenstandes 
willen  auf  allgemeine  Teilnahme  rechneu  darf.  Die  volkstümlichen  Überliefe- 
rungen, die  an  den  schlesischen  Berggeist  Rübezahl  anknüpfen,  sind  bereits  mehr- 
fach Gegenstand  der  Kritik  gewe.sen.  Insbesondere  haben  die  eindringenden 
Studien  voiiRegell  uud  Zacher  die  .-tufmerksamkeit  auf  die  in  den  Rübezahl - 
geschichten  liegenden  sagengeschichtlichen  Prohlemc^geleukt  und  einer  ein- 
gehenden Untersuchung  Uber  den  Kernpunkt  der  hier  vorliegenden  Fragen  viel- 
fach vorgearbeitet. 

Es  war  bekannt,  dass  die  Quelle  für  die  gesamte  Riibezahltraditiou  der 
letzten  Jahrhunderte  die  Schriften  des  Johannes  Prätorius,  eines  ziemlich  kritik- 
losen Vielschreibers  des  17,  Jahrhunderts,  sind,  der  in  einer  grossen  Anzahl  von 
Schriften  eine  gewaltige  Menge  von  Nachrichten  über  deu  Aberglauben,  die 
volkstümlichen  Anschauungen  uud  Sitten  seiner  Zeit  zusammengetrageu  hat. 
Die  Rübezahlgeschichten  hat  er  in  seiner  Daemouologia  Rubiuzalii  und  ihren 
zwei  Fortsetzungen  (1G<)2 — 1665)  und  in  dem  Satyrus  Elymologitus  (1672)  erzählt. 
Es  galt  festzustellen,  ob  diese  von  Prätorius  erzählten  Geschichten  von  Rübe- 
zahl erfunden  oder  volkstümlichen  Ursprungs  sind.  Der  Verfasser  beantwortet 
in  seinem  Buche  diese  Frage,  indem  er  in  sehr  gründlicher  Weise  untersucht, 
wie  Prätorius  zu  seinen  Geschichten  gekommen  ist.  Er  weist  nach,  dass  Prä- 
torius eine  Reihe  von  Gewährsmännern  gehabt  hat,  die  das  schlesische  Gebirge 
und  seine  Bewohner  kannten,  und  die  wohl  in  der  Lage  waren,  ihm  das  zu  be- 
richten, was  das  Volk  sich  im  Gebirge  von  Rübezahl  erzählte.  Neben  deu 
Wurzelgräbem,  Kräuterkrämern  und  einer  grösseren  Anzahl  einzelner,  wenn  auch 
nur  allgemein  bezeichneter  Personen,  waren  es  vertrauenswürdige  Leute,  wie 
der  Hirsebberger  Apotheker  Hieronymus  Sartorius,  dessen  Existenz  de  Wyl 
urkundlich  festgelegt  hat,  die  dem  Prätorius  Nachrichten  über  das  Gebirge  uud 
Rübezahl  zutragen.  Freilich  hat  Prätorius  sich  nicht  darauf  beschräukt,  die 
Geschichten  zu  erzählen,  die  ihm  von  jenen  Personen  berichtet  wurden.  Als 
ärmlicher  Literat,  der  von  dem  Ertrag  seiner  Feder  lebte,  hat  er  den  vorhan- 
denen .Stoff  an  UUbezahlgesthichtcn  künstlich  vermehrt,  indem  er  eine  erhebliche 
Anzahl  von  fremden  Erzählungen  mit  Rübezahl  in  Beziehung  brachte.  Er  hat 


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sich  nicht  gescheut,  in  andere  volkstümliche  üeschicliten,  die  mit  Rübezahl 
nichts  zu  tun  hatten,  den  Namen  Rübezahl  einznschmuggeln,  oder  irgend  eine 
Erzählung,  die  ihm  passend  schien,  mit  einer  Überschrift  zu  versehen,  die  den 
Namen  Rübezahl  enthielt.  In  diesem  Sinne  ist  Priitorius  bei  aller  Anerkennung, 
die  wir  ihm  als  dem  ersten  und  erfolgreichsten  Sammler  echter  Rübezahltradi- 
tionen zollen  müssen,  ein  Fälscher  gewesen. 

Es  ist  ein  Verdienst  de  Wyls,  in  eingehender  Kritik  und  mit  grosser  Um- 
sicht lind  Belesenheit  eine  sehr  erhebliche  Anzahl  der  Rübezahlgescliichlen  des 
Prätoriiis  auf  ihren  volkstümlichen  Wett  untersucht  zu  haben.  Der  Verfasser 
hat  dabei  die  beträchtliche  Prätorius  vorangehende  und  auch  die  spätere  Li- 
teratur über  Sagen  und  .Aberglauben  in  umfassender  Weise  herangezogeu,  manche 
neue  Vorlage  und  Parallele  zu  Prätorius  aufgedeckt  und  im  ganzen  einen  wert- 
vollen Beitrug  nicht  nur  zur  Geschichte  der  Rübozahlsagen,  solidem  der  litera- 
rischen Tradition  überhaupt  geliefert.  -p- 

6.  Heft.  Martinslieder.  rntersuchiing  und  Texte  von  Or.  Wilhelm 
Jürgensen.  (2  Bl.,  nti  Seiten)  1910. 

Die  Martinslieder  sind  eine  (iattung  volkstümlicher  Festliedcr.  die  sich 
insbesondere  ini  westlichen  Deutschland  eifriger  Pflege  erfreut  haben.  Sie 
zerfallen  in  zwei  deutlich  voneinander  verschiedene  (irnppeti.  die  Kinderliedcr 
nnd  die  Oescllschaftslieder.  Wie  bei  uns  in  Schlesien  am  Sonntag  Laetare,  so 
zogen  und  ziehen  zum  Teil  noch  heut  im  we.stlichen  Niederdeutsclilami , in 
Holland  und  Flandern  an  manchen  Orten  die  Kinder  am  Vorabend  des  Martins- 
tages  mit  Laternen  singend  von  Haus  zu  Haus  und  bitten  mit  ihren  Liedern 
um  milde  Gaben,  d.  h.  um  .Äpfel,  Birnen,  Nüsse  oder  um  Brennholz  für  die 
Martinsfeuer.  Die  (iesellschaftslieder  sind  Tisch-  und  Wcinlieder,  die  am 
Abend  des  Martinstages  bei  festlichem  Gelage  zu  Ehren  des  Heiligen  gesungen 
werden. 

Jürgensen  hat  diese  Lieder,  die  in  grosser  Zahl  überliefert,  aber  an 
den  entlegensten  Stellen  verstreut  sind,  soweit  sic  erreichbar  waren,  gesammelt 
und  sich  daniit  den  Dank  aller  Volksliedfreunde  und  -forscher  verdient.  Dem  .Ab- 
druck der  Liedertexte  hat  er  eine  eingehende,  wohlgegliederte  Untersuchung  voraus- 
geschickt,  die  von  dem  beherzigenswerten  Gedanken  ausgeht,  dass  eine  Auf- 
hellung der  heilte  vielfach  dunklen  alten  Bräuche  bei  der  Feier  eines  Festes, 
wie  des  Martinstages,  ihre  beste  Stütze  findet  in  den  Liedern,  die  jenes  Fest 
begleiten,  und  dass  andererseits  die  Erklärung  der  Lieder  nicht  möglich  ist,  ohne 
die  Heranziehung  der  .Sitten  und  Bräuche,  die  jenem  Feste  eigentümlich  sind. 

Wie  der  Martintag  nach  alter  .Sitte  den  Abschluss  des  bäuerlichen  Ernte- 
nnd  Wirtschaftsjahres  bildet,  andererseits  den  .Anfang  des  AÄ'inters  bedeutet, 
so  tragen  die  Kinderlieder,  die  am  Martinstage  gesungen  werden,  einen  doppelten 
Charakter;  sie  gelten  teils  dem  Beginn  eines  neuen  Jahres,  teils  dem  Einzug 
des  Winters.  Jürgensen  behandelt  in  eingehender  Darstellung  die  geographische 
Verbreitung  und  das  .Alter  der  Kinderlieder;  er  schildert  nach  dem  Inhalt  der 
Lieder  und  auf  Grund  anderer  Berichte  den  Umzug  der  Kinder  am  Martinsfest 
und  weiss  es  wahrscheinlich  zu  machen,  dass  die  singenden  Kinder  clicdeni  im 
Umzüge  Tierma.sken  mit  sich  führten.  .Auch  andere  wichtige  Elemente  der 
Martinsfeier,  die  Galum,  die  erbeten  und  gespendet  werden,  die  Verheissnngen 
und  Verwünschungen,  die  die  kindlichen  Sänger  aussprechen,  die  Martinsfeuer, 


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ferner  die  Stellun((  des  Heiligen  innerhalb  der  Martinspocsie  werden  unter  Heran- 
ziehung verwandter  trbcriieferungen  ausführlich  erilrtert. 

Von  grossem  Interesse  sind  die  Ergebnisse,  zu  denen  Jürgensen  in  seiner 
L’ntersucbung  über  die  (iesellschaftsliedcr  zu  Ehren  des  hl.  Martin  gelangte. 
Wie  die  Martinsgelagc  ausserordentlich  alt  sind  — schon  im  6.  Jahrhunderte 
werden  durch  kircliliclic  .\utoritäten  die  pcrrigilia  in  honorem  Domini  Martini 
verboten  — , So  werden  auch  die  Martinslieder  bereits  im  l.H.  Jahrbundert  er- 
wähnt. Die  Mehrzahl  dieser  Meder  kennzeichnet  sich  durch  ihre  lateinisch- 
deutsche  Mischsprache  als  das  Produkt  fahrender  Kleriker  und  Studenten ; aber 
auch  seine  volksmässigen  Elemente  sind  nicht  zu  verkennen.  Jürgensen  hat  im 
Zusammenhänge  mit  den  Uesellschaftslicdern  zwei  besonders  wichtige  Fragen, 
die  Entstehung  der  wüsten  Ess-  und  Trinkgelage,  d.  h.  die  Wurzeln  des 
bacchischen  Martinskultcs,  und  den  merkwürdigen  Zusammenhang  des  Kultus 
der  Gans  gerade  mit  der  Feier  des  Martinsfestes  eingehend  untersucht  und 
ist  dabei  zu  zwar  nicht  durchaus  gesicherten  — das  ist  bei  der  Schwierigkeit 
der  Materie  kaum  möglich  — , aber  sehr  plausiblen  Ergebnissen  gelangt,  die 
man  in  seiner  anregenden,  gut  geschriebenen  und  wertvollen  Studie  selbst  nach- 
lescn  möge.  -p- 

Drechsler,  Dr.  Paul.  Bergbau  und  Bergmannsleben  in  Schlesien.  Ein 
Lesebuch  für  Bergleute  iiud  Bergmannsfreunde.  Kattowitz,  Gebr.  Böbin.  190S. 

Drechsler,  dem  wir  so  reiche  Förderung  der  Volkskunde  Schlesiens  ver- 
danken, bat  uns  und  insbesondere  den  Bergleuten  mit  diesem  Buche  ein  präch- 
tiges Geschenk  gemacht.  Wir  lernen  die  Geschichte  des  Bergbaues,  namentlich 
iu  Schlesien,  keunen  und  werden  dann  so  recht  iu  Leid  und  Freud  des  Berg- 
manns eiugeführt.  Von  seinem  täglichen  Leben,  seiner  Arbeit  und  seinem  Haus- 
wesen hören  wir,  von  Sitte  und  Brauch,  vom  Aberglauben  und  von  der  Poesie 
der  Bergleute.  Ein  gesonderter  Abschnitt  ist  der  Bergmannssp rache  gewidmet, 
und  ein  nützliches  kleines  Verzeichnis  der  wichtigsten  Bergwörter  beschliesst 
die  Schrift.  Einige  Berichtigungen  wird  der  verdienstvolle  Verfasser  nicht  un- 
gut nehmen  : itine  steinä,  wie  Ütfrid  sie  in  seinem  Evangelienbuche  erwähnt, 
sind  nicht  , Eisensteine“  — die  würden  als  iaanin  (hzw.  isarin)  benannt  werden, 
sondern  .Eissteine“,  d.  h.  Bergkristalle,  weil  sie  wie  Eis  aussehen  (S.  Iß).  — 
.Seife“  bzw.  sife  niederdeutsch  sipe  meint  nicht  eigentlich  eine  Goldwäsche 
(S.  23),  sondern  kann  einen  jeden  Bach  bezeichnen,  also  MiUlenseifen,  Müllen- 
siefen  meint  einen  Mühlbach  (man  vergleiche  die  Orts-  und  Personennamen,  auch 
(^rseiffen  n.  a.  m ).  — Zu  den  Liedern,  z.  B.  zu  dem  reizenden  Bergmanusliedc 
.Der  Bergmann  ist  eine  edle  Zier“  hätte  ich  gern  die  (originelle)  Melodie  ge- 
druckt gesehen.  — Diese  kleiuen  Bemerkungen  mögen  nur  ein  Ausdruck  für  das 
aufrichtige  Interesse  sein,  das  wir  an  dem  hübschen  Buche  nehmen;  dass  es, 
namentlich  in  überschlesieu,  viel  gelesen  werden  wird,  ist  mir  nicht  zweifelhaft. 

Siebs. 

BSckel,  Otto.  Psychologie  der  Volksdichtung.  Leipzig,  B.  G.  Teuhner,  1906, 
VT  -f  432  S.  — 7 M. 

Böckel  ist  uns  kein  Unbekannter  In  den  Mitteilungen  Heft  XI  S.  40  ff. 
behandelte  er  .Das  Volkslied  der  polnischen  Uberschlesier  verglichen  mit  der 
dentschen  Volkspoesie“.  Seine  bekannteste  Arbeit  sind  die  .Deutschen  Volks- 
lieder aus  Oberhesseu“  [Marburg  1886].  Die  wertvolle  Einleitung  zu  diesem 


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219 


Bache  bildet  gewisscrmasseii  die  Grnodlage  zu  dem  vorliegeuden  Werke,  das 
die  Frucht  2äjäbriger  Arbeit  darstellt.  — B.  sieht  den  Ursprung  des  Volks- 
gesanges im  Bufe,  nm  den  sich  allmitblich  das  Lied  kristallisiert.  Freude  und 
Schmerz  sind  die  treibenden  Motive,  aus  dem  Freuden-  und  Scbmerzensrufe 
leitet  er  nun  alles  ab.  In  den  Kehrreimen  der  Volkslieder  habe  sieb  vielfach 
der  alte  Huf  noch  erhalten,  ebenso  in  den  Klanggebilden  der  Kinder-  nnd 
Wiegenlieder.  Formen  wie  ,nanna,  ninna*  sind  tatsächlich  international.  Er 
übersieht  dabei  aber  doch  wohl  die  Bedeutung  des  Rhythmus.  Ohne  bedingungs- 
los auf  K.  Bücher  [Arbeit  u.  Rhythmus]  zu  schwören,  glaube  ich  doch,  dass  der 
Rhythmus  dem  Rufe  schon  zugrunde  liegt.  Vgl.  meine  Ausrilhmngcu  darüber 
in  deu  Mitteil.  XIII,  9 ff.  Auch  in  den  Rufen  der  Strassenverkäufer  ist  der 
Rhythmus  genau  so  wichtig  wie  die  Tousebritte.  Die  Worte  sind  oft  unver- 
ständlich , aber  Rhythmus  und  Melodie  sind  das  Charakteristische.  An  ihnen 
allein  habe  ich  z.  B.  in  Spanien  sehr  bald  die  einzelnen  Ausrufer  immer  wieder- 
erkanut.  In  andalusischeu  Tänzen  unterbricht  häufig  der  Ruf  ,oIö*  ganz  ent- 
sprechend dem  ,hamude*  der  Beduinen  (S.  12)  den  oft  improvisierten  Text  nach 
jeder  Verszeile,  während  da.s  taktmässige  Händeklatschen  der  Zuschauer  den 
Rbythmns  genau  bervorhebt.  Auch  das  Kriegslied  und  den  Kriegsruf  haben 
wir  uns  wohl  rhythmisch  zu  denken,  ebenso  das  Zusammenschlagcn  der  Waffen. 
Heute  übernimmt  heim  Sturmangriff  Hornist  und  Trommler  die  Aufgabe,  die 
Vorwärtsbewegung  rhythmisch  zu  regeln,  jenes  elektrisierende,  wundervolle  Sig- 
nal, das  Liliencron  iu  den  Kriegsnovellen  begeistert  schildert.  Aber  das 
griechische  «XaXä  ist  ebenso  rhythmisch  wie  der  anapästische  oder  bacchäische 
Schlachtruf  der  Hessen  1792  vor  Frankfurt  ,Zum  Donner,  zum  Donner,  zum 
Donner  bailoh!*  oder  das  ,Bumperlibum  aberdran  heiabanl*  der  Schweizer 
Söldner  aus  dem  1,5.  Jahrhundert. 

B.  behandelt  nicht  das  ganze  fast  unabsehbare  Gebiet  der  Volksdichtnng, 
sondern  beschränkt  sich  auf  das  gesungene  Lied.  Hierin  ist  er  ganz  erstaun- 
lich belesen  und  bringt  ans  allen  Weltteilen  eine  Fülle  von  Material  bei,  das 
für  den  Volkskundler  eine  wahre  Fundgrube  wird.  Wer  in  der  Geschichte  der 
spätmittelalterlichen  Dichtung,  vor  allem  im  Drama,  und  in  den  Gebräuchen  und 
Anschnunngen  unseres  Volkes  bewandert  ist,  wird  häufig  deutlichen  Parallelen 
im  Volksliede  begegnen.  So  entsprechen  die  Spottlieder  auf  einzelne  Stände 
deren  Behandlung  im  geistlichen  Drama  oder  im  Fastnachtspiel.  Die  Rückkehr 
der  toten  Mutter  zu  ihren  Waisen  kennt  nicht  nur  das  Lied,  sondern  auch  der 
Volksglaube.  Hier  wie  dort  besteht  ein  inniges  Verhältnis  des  Menschen  zu 
seinen  Pflanzen  und  Tieren,  er  macht  sie  zu  deu  Vertrauten  seines  Kummers 
und  seiner  Lust.  Man  denke  nur  an  den  Brauch,  den  Tod  des  Hausherrn  oder 
die  Weihnachtsfreudenbotsebaft  in  Stall  und  Garten  anziisagen.  Mancher  Ab- 
schiedsgruss  eines  Verstorbenen  im  Volksliede  klingt  deutlich  an  Wendungen 
auf  Marterln  und  Totenbrettern  an.  — Das  Volkslied  wird  erklärt  als  der  „dem 
Gefühlsleben  unmittelbar  entsprungene  Gesang  der  Naturvölker,  d.  h.  aller  der- 
jenigen Stämme,  die  der  Kultur  noch  ferusteben  und  im  unmittelbaren  Zu- 
sammenhänge mit  der  Natnr  leben“.  Zu  diesen  Naturvölkern  werden  auch 
Finnen,  Litauer,  Letten,  alle  Slaven  nnd  ein  Teil  der  Romanen  gerechnet.  Da- 
bei mag  aber  doch  manch  literarisches  Gnt  mit  unter  die  Volksdichtnng  ge- 
raten sein.  Das  Versprechen,  noch  mehr  singen  zu  nullen,  hört  sich  wie  die 


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Lockung  eiues  Fahrenden  an.  Mit  Recht  wird  betont,  wie  der  Dichter  zurück- 
Iritt,  nicht  Neuhchfipfer  sondern  Fortsetzer  ist,  während  die  Ziihiirer,  die  das 
Lied  anffaiigeu  und  weiter  liilden , fast  noch  wichtiger  sind  als  der  Dichter, 
denn  sie  retten  allein  das  Lied  vor  der  Vergessenheit  (S.  33,  49j.  Und  doch 
verraten  viele  Lieder  ihres  Verfassers  Stand,  Stiimnung,  Anschauungen  und 
Heimat  (S.  41  ff.).  Unendlich  mannigfach  nnil  doch  wieder  schlicht  geschildert 
sind  die  Gefühle  und  Stiniraungen,  die  sich  in  den  V'olksliedern  ausdrllcken,  das 
Verhältnis  von  Mensch  zn  Menschen,  zn  Tieren  und  Pflanzen,  Heimweh  nnd 
Abentenerdrang,  Lust  und  Leid,  Liebe  und  Spott,  Sehnsucht  und  Verzweiflung. 
Wertvolle  kulturgeschichtliche  Beobachtungen  ergeben  sich  daltei.  So  erscheint 
warnend  und  versuchend  den  englischen  Schiffern  eine  Meermaid,  den  Kata- 
Ionischen  der  Teufel  (S.  38).  Im  heute  waldlosen  Spanien  spielt  der  W'ald  kaum 
eine  Rolle,  in  englischen  Balladen  ist  er  der  lustige  Tummelplatz  der  Jäger 
oder  der  Aufenthalt  für  Räuber  und  V'erhaniite , voll  V'ogelsang  und  frischem 
Grün,  in  skandinavischen  nnd  deutschen  Liedern  ist  er  <lie  zanberumwobeue, 
unergründliche  Stätte  geheimnisvoller  W'under  (S.  40).  Zecher-  und  Wander- 
lieder sind  nur  dem  Deutschen  V^olksliede  eigen  (S.  57)  Die  nordische  Land- 
schaft in  ihrer  Eigenart  bringt  e.s  mit  sich,  dass  in  nordischen  Liedern  Elfen 
und  VV'as.sergcister  eine  so  grosse  Rolle  spielen  wie  nirgendwo  anders  (S.  62). 
Unterschiede  im  Wesen  der  Völker  spiegeln  sich  auch  in  ihren  Liedern.  Liebe 
und  Hass,  Segen  nnd  Fluch  sind  anders  im  deutschen  Liede  als  etwa  im 
italienischen  oder  polnischen  (S.  274  f.  302).  Das  deutsche  Trinklied  ist  wein- 
iustig,  das  polnische  scbnnpsselig  (S.  314).  Der  deutsche  Deserteur  verlässt 
seine  Fahnen  aus  Heimweh,  der  französische  aus  Liehesnot  (S.  384).  — 

Ungemein  zäh  hält  das  V’olk  an  seinen  Lieilern  fe.st  (8.  156  ft).  In  rein 
evangelischen  Ländern  leben  noch  katholische  Lieder  fort,  so  in  Hessen,  Nor- 
wegen, auf  den  Färöern.  Ich  möchte  da  noch  ein  nordisches  Elfenlied  anftthren, 
dessen  Kenntnis  ich  \\'.  H.  Vogt-Görlitz  verdanke,  das  mit  den  VV'orten  schliesst: 
„Senkte  Maria,  ai  med  oss!“  [Folkesango  og  Melodier  af  A.  P.  Bergensen  1* 
Kbhvn  1869  8.  312].  8oldaten  verbreiteten  das  Marlboroughlied  auf  ihren 
Märschen  (S.  184  vgl.  Mitt.  9,  10).  Französische  Kolonisten  nehmen  ihre  Lieder 
nach  Kanada  und  an  den  Mississippi  mit,  der  Vankee-Doodle  ist  wahrscheinlich 
eine  durcli  verkaufte  hessische  Landeskinder  übertragene  Schwälmer  Tanzmelodie. 
Icli  erinnere  dabei  an  die  tiroler  Auswanderer,  die  ihr  Passiousspiel , wie  es 
scheint,  nach  Amerika  mitnahmen  [Wackeruell,  Altdeutsche  Passionsspiele  aus 
Tirol,  Gratz  1897  S.  XXX|.  — 

Das  Angeführte  möge  als  Probe  genügen,  um  zu  zeigen,  welche  .Vnregung 
Böckels  Buch  gibt,  nicht  nur  dem  Volkskundler,  sondern  auch  dem  Freunde  der 
V'olksdicljtung  überhaupt,  zumal  es  sich  von  aller  Polemik  fern  hält  nml  reich- 
liche Proben  gibt.  Es  ist  eine  Freude,  die  Kapitel  z.  B.  über  Heimweh,  Mutter- 
liebe, Natur,  Humor  usw,  zu  lesen.  — 

Zum  Schlüsse  behandelt  B.  die  Ursachen  des  Verfalls.  Bachdruckerkunst, 
Polizei,  Ziehharmonika,  Geistlichkeit,  Tingeltangel,  Behörden,  soziale  Not  und 
Halbbildung  haben  das  Ihrige  zur  Vernichtung  des  alten,  schönen  Gutes  getan. 
Und  der  Schnlgesang,  der  nur  oft  mit  ein  paar  Plärrliedern  für  den  Sonntagsgottes- 
dienst  und  die  Schulfeiern  sich  abgiht,  vollendet  das  grosse  W'erk  der  Zer- 
störung. Ich  denke  noch  mit  Schrecken  daran,  wie  ich  mit  Fricdr.  V'ogt  1901 


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in  Batzdorf  war  mid  die  Melodien  der  Weilinaclitaspiellieder  auf/ciclinete.  Ala 
idi  dann  nach  anderen  Volkalie<Icrn  forschte,  hekani  ich  zu  allererst  die 
, Bienenkönigin*  und  etliches  noch  Schlimmere  vorgesetzt!  So  ist  es  allenthalben. 
Besondere  Schuld  haben  auch  unsere  Bernfsinusiker.  Man  denke  an  das  Ver- 
halten mancher  von  ihnen  den  Bohnachen  Konzerten  gegenüber  (vgl.  E.  Bohn, 
fifi  hist.  Konzerte  S.  44].  Und  für  üesangavoreinsharden  und  Bratensirenen 
sind  die  Volkslieder  auch  nichts.  Wenlen  sic  aber  „bearbeitet“,  etwa  von 
Koschat  und  ühnlichem  üelichter,  dann  gnade  uns  Gott!  Es  ist  dann  wie  viel- 
fach mit  der  lJialckt„dichtmig* , ein  rohes  oder  gefühladuselig-nnwahres  Zerr- 
bild. — Böckel  ist  Optimist.  Er  glaubt  an  eine  baldige  Umkehr  zum  Outen. 
Ich  traue  dem  allen  nicht  sehr.  Besondere  Hoffnung  setzt  er  anf  das  Kaiscr- 
liederhnch,  dessen  Bearbeitung  für  llännerchor  ja  gewiss  in  Bohns  Händen  aufs 
denkbar  Beate  untergebrachl  ist.  Wer  bearbeitet  aber  einmal  die  landläufigen 
Männergesangvereine?  Und  wer  reformiert  vor  allem  ilen  Schulgesang?  — 
Möchte  Böckels  Optimismus  recht  behalten  und  meinen  Unglauben  Lügen 
strafen!  Niemand  wäre  glücklicher  darüber  als  ich.  Ur.  K.  0. 

Schwerin,  H.H.von.  Helgoland.  Ilislurisk-geografiak  undersökniug.  Lund  1896. 

Eine  freilich  schon  vor  längerer  Zeit  erschienene,  aber  uns  erst  vor  kurzem 
zugegangene  Arbeit,  die  sich  mit  Geschichte  und  Sage  der  Insel  beschäftigt, 
(iewi.ssenhaft  sind  die  ältesten  Berichte  vor  Adam  von  Bremen  zusammengestellt 
lind  erörtert.  Im  Fosetcslandc  der  Vita  Willibrordi  will  Schwerin  das  Land 
Wursten  erkennen  — das  erscheint  mir  sachlich  und  sprachlich  unmöglich.  So- 
dann ist  Adam  von  Bremen  ein  längerer  Abschnitt  gewidmet;  die  insula  Farria 
wird  als  Faerüer  gedeutet  — ich  schliesse  mich  dieser  Auffassung  an,  wenn- 
gleich mir  der  Gedanke,  dass  Föhr  gemeint  sein  könnte,  nicht  völlig  widerlegt 
erscheint,  ln  einer  aii.sgezeichiieten  liarstcliung  sinil  die  Lokalgeschichte  der 
jüngeren  Zeit  und  die  Entwickelung  der  Sage  von  dereinstiger  Grösse  behandelt. 
Oer  Erklärung  des  Namens  der  Insel  aus  llölland  muss  ich  wegen  des  auf  dem 
zweiten  Teile  ruhenden  Akzentes  widersprechen;  ich  deute  die  auf  der  Insel 
geltende  Namensform  Hallüiin  als  „hohes  Land“,  vgl.  Beitr.  z.  Gesch.  d.  deutschen 
Sprache  n.  Lit.  v.  l’aul  u.  Braune  XXXV  535  ff.  — Oer  letzte  Teil  behandelt 
Helgoland  in  physiscli-geograpbiscber  Hinsicht  sowie  die  Kartographie  der  Insel. 
Es  ist  eine  sehr  dankenswerte  Arbeit  des  verdienstvollen  Forschers.  8iebs. 
Siebs,  Or.  phil.  Theodor,  ord.  Prof.  a.  d.  Kgl.  Univ.  zu  Breslau.  Helgoland  und 
seine  Sprache.  Beiträge  zur  Volks-  und  Sprachkundc.  Mit  einer  Karte  von 
Helgoland.  Aug.  Raiischenplat,  Verlagsbuchhandlung,  Kuxhaven  und  Helgoland. 
liK)9.  4°.  319  8.  Originalleineuband.  Preis  3 M. 

Seitdem  am  9.  August  1890  die  Übergabe  Helgolands  an  Deutschland  statt- 
gcfiinden  hat,  ist  da.s  Interesse  an  dieser  In.sel  stark  gestiegen,  und  ihr  schönes 
Seebad  weist  von  Jahr  zu  Jahr  stärkeren  Besuch  auf.  Zwar  sind  seither  über 
LanUesheschaffenheit,  Geschichte  und  Sage,  auch  über  <iie  Rechtsgeschichte  des 
Ländcheus  Einzeluntersuchungen  erschienen,  aber  in  der  Literatur  Uber  Helgo- 
land blieb  ein  tür  den  Besucher  der  Insel  stark  fühlbarer  Mangel  insofern  immer 
noch,  als  bisher  kein  Buck  vorhanden  war,  das  auf  wisseiiscliafllicher  Höhe 
stehend  einen  Einblick  in  alles  Wissenswerte  gewährt  hätte  und  vor  allem  der 
Sprache  der  Helgoländer  Rechnung  getragen  hätte,  deren  8tudiuni  bisher  voll- 
kommen vernachlässigt  wonlen  war.  Oer  mühevollen,  aber  dankbaren  Aufgabe, 


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dem  gebildeten  Besucher  ein  solches  Werk  zu  schaffen  und  die  Sprache  zmn 
erstenmal  wissenschaftlich  zu  behamlelu,  hat  sich  nuu  Siebs  unterzogen. 

In  dem  ersten  Teile  seines  Werkes  werden  wir  mit  der  (jeschichte  Helgo- 
lands bekannt  gemacht.  Von  vorhistorischer  Besiedlung  haben  sich  nur  dürftige 
Spuren  erhalten,  nud  was  aus  den  Schriftstellern  des  Altertums  auf  die  Insel 
bezogen  wird,  kann  ebenso  gut  von  einer  anderen  gesagt  worden  sein.  Ein- 
gehende kritische  Untersuchung  erfährt  die  erste  sichere  Erwähnung  der  Insel  bei 
Adam  von  Bremen  um  das  Jahr  1050.  Der  Name  .Helgoland*  bedeutet,  wie 
anderen  Deutungen  gegenüber  erwiesen  wird,  .hohes  Land*.  In  der  Geschichte 
hat  die  Insel  eigentlich  nur  zur  Zeit  der  Kontinentalsperre  1807  als  Schmuggel- 
Station  eine  gewisse  Rolle  gespielt;  seit  1814  zur  Bedeutungslosigkeit  verurteilt, 
wäre  sie  auch  ohne  Einnahmen  geblieben,  wenn  nicht  Jakob  Audreseu  Siemens 
1826  das  Seebad  errichtet  hätte,  das  den  Helgoländern  heute  neben  dem  Lotsen- 
gewerhe  und  einigem  Fi.scb-  und  Hummerfang  den  Unterhalt  gewährt. 

Die  Helgoländer  sind  friesischen  Stammes,  wenn  auch,  wie  die  Personen- 
namen erweisen,  immer  Zuzug  von  auswärts  stattgefunden  hat.  Friesisch  ist 
die  Sprache  geblieben,  die  auf  der  lii.sel  eine  selbständige  Weiterbildung  erfuhr. 
Und  die  Sprache  ist  heute  dort  fast  das  einzige,  was  wirkliche  Eigenart 
aufweist. 

Der  Helgoländer  zeichnet  sich  durch  klaren  Blick  und  ein  gewisses  Selbst- 
bewusstsein dem  Höherstehenden  gegenüber  aus;  von  aufrichtiger  Frömmigkeit 
beseelt,  ist  er  arm  an  Phantasie;  Sagen,  Märchen  und  Lieder  fehlen  fast  ganz. 
Von  Aberglauben  ist  kaum  eine  Spur  zu  linden.  Oeeiut  bleibt  das  Völkchen 
durch  seine  Sprache,  die  kein  Fremder  spricht. 

Der  zweite  Teil  des  Buches  führt  uns  in  die  Volkskunde  der  Insel  ein. 
Dieser  Teil,  der  die  auf  der  Insel  gesammelten  Texte  in  Helgoländer  wie  in 
deutscher  Sprache  bringt,  ist  ein  dem  Besucher  wie  dem  Forscher  gleich  will- 
kommenes Lesebuch  des  Helgolandischen  geworden.  Mit  gutem  Grunde  hat  der 
Verfasser  Gespräche  ans  dem  täglichen  Lebe)i,  vom  Badewesen  und  vom  Lotseu- 
beruf  vorangestellt,  denn  gerade  in  diesen  Stoffen  offenbart  sich  am  besten  der 
Vorstellungsgehalt  der  Bewohner,  wie  andererseits  gerade  solche  Stoffe  den  inter- 
essantesten Teil  des  Wortschatzes  eines  Volkes  bergen.  Doch  folgen  auch  Er- 
zählungen von  der  Fischerei  nud  Schiffahrt,  von  Sitte  und  Brauch  und  einigen 
wenigen  abergläubischen  Vorstellungen.  Darauf  sind  die  sprichwörtlichen 
Redensarten  zusammengestellt , denen  einige  schöne  Gedichte  in  der  Landes- 
sprache, hauptsächlich  von  Heinrich  E.  Claasen,  folgen.  Und  den  nicht  nur 
lexikographisch  wichtigen  Beschluss  dieses  volkskundlichen  Lesebuches  bildet  eiue 
.Sammlung  der  Personen-  und  Ortsuameu,  sowie  der  Namen  der  Vögel,  Seetiere 
und  Pflanzeu  der  Insel. 

Wofür  aber  Professor  Siebs  der  besondere  Dank  der  .Sprachforscher  und 
zunächst  der  Germanisten  gebührt,  das  ist  der  dritte  Teil  seines  Werkes,  der 
eine  allgemeine  Darstellung  der  Helgoländer  Sprache  nach  Laut-  und  Forineu- 
verhältnissen  und  ein  vorzüglich  gearbeitetes  helgolandisch-deutsches  und  dentsch- 
helgolandisches  Wörterbuch  enthält.  Für  deu  Laien  wird  dieser  Teil  eine  will- 
kommene Ergänzung  zu  dem  vorher  Gebotenen  sein,  für  den  Germanisten  die 
einzige  Grundlage  für  das  Studium  einer  untergehenden  friesischen  Mundart. 
Gerade  Professor  Siebs,  der  als  Verfasser  einer  ausführlichen  Geschichte  der 


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225 


friesUcben  Sprache  bekannt  ist,  war  als  bester  Kenner  dieses  Dialektes  wie  kein 
anderer  zu  dieser  Arbeit  berufen. 

Wir  wünschen  dem  mit  so  grosser  Liebe  zum  Friescnvolke  geschriebenen 
Werke  den  Erfolg  und  die  Verbreitung,  die  es  verdient.  Als  eine  streng  wissen- 
schaftliche und  zugleich  dem  gebildeten  Laien  zusagende  landes-  und  volks- 
kundliche Darstellung  wird  es  vorbildlich  bleiben.  Dr.  K. 

Mitteilungen. 

Am  27.  September  1S09  ward  zu  Graz  die  dritte  Tagung  des  Verbandes 
deutscher  Vereine  für  Volkskunde  ahgehalten.  Der  Bericht  Uber  die 
Satzungen  wird  im  Korrcspondenzblatte  gegeben  werden;  die  betreffende  Nummer 
ist  trotz  unserer  Bitten  und  Vorstellungen  nicht  zeitig  geliefert  worden.  Unsere 
Gesellschaft  war  durch  den  Vorsitzenden  Professor  Dr.  Siebs  vertreten.  Der 
bisherige  Ausschuss  ward  wiedergewählt,  indessen  trat  als  zweiter  Vorsitzender 
Prof.  Dr.  Lauffer,  Direktor  des  historischen  Museums  iu  Hamburg,  ein.  Stadt- 
pfarrer Dr.  A.  Scbullerus  hielt  einen  Vortrag  Ober  die  Märchen  in  Siebenbürgen. 
— ln  dem  Korrespondeuzblatte  wird  ausser  dem  Berichte  Uber  diese  Tagung 
eine  Umfrage  Uber  .die  Freimaurerei  im  Volksglauben*  gedruckt  werden;  sie 
geht  aus  von  K.  VVehrhan  und  Dr.  K.  Olbrich,  der  ja  mehrfach  Beiträgezu 
dieser  Frage  iu  unseru  .Mitteilungen*  geliefert  bat. 

Am  Freitag,  den  12.  November  hielt  der  Vorstand  unserer  Gesellschaft 
eine  Sitzung  ab ; der  ordentliche  Professor  der  slavischen  Philologie  Dr.  Erich 
Berueker  ward  zum  stellvertretenden  Vorsitzenden  erwählt,  ln  der  sich  an- 
schliessenden allgemeinen  Sitzung  hielt  Geh.  Jnstizrat  Prof.  Dr.  Felix  Dahn 
einen  Vortrag  Uber  .die  QUtter  der  Baiern*,  in  dem  ganz  besonders  die 
Gestalten  der  sog.  niederen  Mvtbologie  berücksichtigt  wurden;  der  allverebrte 
Freund  unserer  Gesellschaft  erntete  reichen  Dank  fOr  seine  Worte.  — Am 
Freitag,  den  10.  Dezember  hielt  der  zweite  Vorsitzende,  Professor  Dr.  E. 
Berneker,  einen  Vortrag  Ober  .russische  Volksepik*.  Nach  einleitenden 
Worten  über  die  Volksdichtung  der  slavischen  Stämme  überhaupt  berichtete  der 
Vortragende  zunächst  Uber  das  Bekanntwerden  und  die  wissenschaftliche  Samm- 
lung der  russischen  Heldenlieder,  schilderte  dann  die  verschiedenen  Sagenkreise 
ihrem  Stoffe  nach  und  wusste  bei  grosser  Knappheit  doch  ein  anschauliches  Bild 
dieser  Dichtart  zu  geben;  schliesslich  suchte  er  die  Frage  nach  der  Entstehung 
der  Lieder  zu  beantworten,  und  wurde  dabei  der  verschiedenartigen  Methodik 
der  Forschung,  der  mythologischen  und  historischen  nnd  sagenvergleichenden, 
gerecht.  Wir  hoffen,  da.ss  uns  der  Vortragende  aus  der  Fülle  seiner  Gedanken 
Uber  diese  Fragen  Manches  für  unsere  .Mitteilungen*  spende. 

Nachdem  die  Ausgabe  der  Schlesischen  Sagen  soweit  gefUrdert  ist,  dass 
schon  demnächst  der  Druck  des  zweiten  Bandes  beginnen  kann,  müssen  wir  der 
schtineu  Pflicht  eingedenk  sein,  die  vielen  im  Volksmunde  lebenden  Lieder  zu 
sammeln.  Dank  der  eifrigen  Arbeit  mancher  Vorgänger  birgt  unser  Archiv 
bereits  wertvolle  Schätze,  aber  es  fehlt  noch  viel,  dass  wir  zu  einer  Ausgabe 
gerüstet  seien.  Und  so  haben  wir  zu  Anfang  November  an  alle  schlesischen 
i^eiiungeu  einem  Aufruf  zur  Mitarbeit  versandt,  der  wohl  allen  unsem  Mitgliedern 
bekannt  geworden  ist. 


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Die  Hehrzniil  der  in  Sclilesien  erecheiuendcn  Zeitungen  hat  diesen  Aufruf 
ahgedriukt;  wir  sagen  den  verehrten  Kedaktionen  dafür  unseren  heri- 
lichsten  Dank  und  bitten  zugleich,  sich  auch  fernerhin  freundlich  unser  guten 
Sache  annehmeu  und  gelegentlich  zu  weiterer  Mitarbeit  anregen  zu  wulleu. 

Nicht  minder  herzlich  aber  ist  unser  Dank  an  die  vielen  Einsender, 
die  zum  Gelingen  des  Werkes  geholfen  haben  und  helfen  wollen. 
Es  ist  erhebend  uml  rührend,  welch  eine  Begeisterung  unsere  Bitte  entfacht 
hat:  von  Hochgestellten  bis  zum  einfachen  Manne  und  armen  Müdchen  hinab  haben 
sich  alle  Kreise  beteiligt,  mehr  aU  dreihundert  Sendungen  sind  an  den  Vorsitzenden 
(Breslau  XIII,  Hohenzollerustrasse  53  H)  bis  jetzt  eiugegaugen,  darunter  viele 
wertvolle  ältere  und  neuere  haudschrifiliehe  Liederbücher,  Das  ist  ein  schönes 
Zeichen  nicht  nur  für  die  Freude  am  Liede  und  an  volkstümlicher  Überlieferung, 
sondern  auch  für  einen  hoben  Grad  gesunder  Bildung,  die  das  eigenste  und 
bodenständigste  Gut  unserer  Heimat  nicht  in  frevelliafler  Dummheit  verachtet, 
sondern  als  einen  bedeutsamen  Kulturfaktor  würdigt. 

Die  vielen  Sendungen,  namentlich  die  uns  nur  für  einige  Zeit  geliehenen 
Hefte  und  Bücher  müssen  nun  durchgearbeitet  werden.  Das  dauert  eine  lange 
Weilei  jedoch  brauchen  die  Einsender  sich  um  die  Sicherheit  dieser  Stücke  nicht 
sorgen:  sie  sind  auf  der  Breslauer  Stadtbibliothek  wohl  verwahrt  und  werden 
späterhin  zurückgeschickt  werden. 

Wir  bitten  nun,  uns  auch  weiterhin  Sammlungen  zugehen  zu  lassen. 
Alles,  auch  das  geringste,  ist  willkommen.  Wir  werden  in  unseren  .Mitteilungen* 
über  die  Eingänge  berichten  und  die  Namen  der  Mitarbeiter  verzeichnen. 

Ara  16.  Dezember  starb  in  Glogau  der  Gymnasialoberlehrer  Dr.  F.  I’radel. 
In  dem  hochbegabten  jungen  Gelehrten  haben  wir  einen  Irenen  Freund  der 
Volkskunde  und  trefflichen  Mitarbeiter  verloren. 


Als  neue  Mitglieder  traten  unserer  Gesellschaft  bei  aus  Breslau  die 
Herren  Oberbibliothekar  l’rof.  Dr.  Börner,  Kgl.  Archivassistent  Dr.  Gustav 
Croon;  Frau  Käthe  Mugdan;  Schles.  Museum  für  Kunstgewerbe  und 
Altertümer;  die  Herren  Uuiversitätsprofessor  Geh.  Kegierungsrat  Dr.  Prae- 
torius,  Taubstummeulchrer  Karl  liotlier,  stellvertr.  Direktor  a.  d.  agrikultur- 
chemischen  Versuchsanstalt ' Dr.  Albert  Schlicht,  Lektor  an  der  Universität 
Friedrich  Stoy;  von  auswärts  die  Herren  Bahnmeister  Georg  Berger  in  Neu- 
hof b.  Liegnitz,  Museuuisvorsteher  Gustav  Barth  iu  Hoheuelbe,  Lehrer  Josef 
Niedeuzu  iu  Rudnik  bei  Ratibor,  Landgerichtssekretär  Theophil  Stosch 
in  Ratibor,  Pfarrer  Alois  Thomas  in  Lamsdorf,  Kreis  Falkenberg  OS. 

Die  nächste  Sitzung  findet  am  Freitag,  den  14.  Januar  1910,  statt:  der 
ord.  Professor  Dr.  Otto  .Schräder  wird  einen  Vortrag  halten  Uber  .Begraben 
und  Verbrennen  im  Lichte  der  Religions-  und  Kulturgeschichte*. 

Mit  diesem  XI.  Bande  hört  die  fortlaufende  Zählung  der  Hefte,  sowie  die 
gesonderte  Seitenzählung  innerhalb  der  einzelnen  Hefte  auf 

Schluss  der  Redaktion;  19.  Dezember  1909. 

Bactidraukerci  Maretzke  A Martin,  TreUnUx  l.Bcbies. 


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MITTEILUNGEN 

DER 

SCHLESISCHEN  GESELLSCHAFT 
Fl  VOLKSKUNDE 

lierausgegeben 

Yon 

THEODOR  SIEBS 


»fuia  XII 

Jahrgang  1910 


BRESLAU 

Selbst verl;ig  der  Gesellschaft 

(fllr  di'ii  Ituchliatulcl  zu  buziuhun  durch  M.  vt  U.  Marcus,  Breslau  Xlll) 

1910 


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Alle  Hechte  Vorbehalten. 


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Inhalt. 

Aufsätze  und  Mitteilungen. 

S<»ltc 

Gusindc,  Oborlulirvr  l)r.  |)bil.  Kniirad,  Von  Land  und  Luiilcn  in  Kpaiiion  1 

Meiasnor,  Univ.-I’rof.  Dr.  phil.  lirunu,  Luftfahrten  iin  alten  Orient  . 40 

Schräder,  llniv.-Prof.  I)r.  phil.  et  jur.  Otto,  Itcgraben  und  Verbrennen 

im  LichU'  der  Keligions-  und  Kulturgeschichte 48 

Sunnenmark,  Karl,  Zur  österreichischen,  französischen  und  englischen 

Nationalhymne 73 

Klapper,  Oberlehrer  Dr.  phil.  J.,  Schlesische  Sprichwörter  des  Mittel- 
alters   77 

Rother,  Taubstnmmenlehrer  Karl,  Im  KrSuterladen 109 

Sclke,  cand.  phil.  Georg,  Probe  glStzischer  Mundart 117 

Olbrich,  Oberlehrer  Professor  Dr.  phil.  K.,  Emst  Theodor  Amadeus 

Hollmann  und  der  deutsche  Volksglaube 121 

Kondsiella,  Oberlehrer  Dr.  phil.  F.,  Die  Totenbretter 149 

Keiper,  Oberlehrer  Professor  Dr.  phil.  Phil.,  Flandrischer  LeichtfuÜ, 

Flandrian 139 

Siebs,  Univ.-Prof.  Dr.  phil.  Th.,  Altere  Helgoländer  Gedichte,  gesammelt 

von  Geh.  Sanit&tsrat  Dr.  med.  Harmsen 161 

Klapper,  Oberlehrer  Dr.  phil.  J.,  Vampir,  Werwolf,  Hexe 180 

— , Krankheitsübi'rtragung.  Rezepte  aus  altschlcsischcn  Handschriften  . 185 

llcllwig,  Gerichtsassessor  Dr.  jur.  Alb.,  Ein  moderner  HexenprozeO  in 

Posen 191 

Klapper,  Oberlehrer  Dr.  phil.  J.,  Ein  schlesisches  Neujahrslicdchcn  aus 

dem  XV.  Jahrhundert 21.5 

Rother,  Tauhalummenlehrer  Kurl,  Zusammensetzungen  mit  „toU-“  . . 218 

Graebiscb,  F.,  Probe  der  wcstgliitzischen  Mundart  von  Brzesowie, 

Kreis  Glatz  223 


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IV 


Seite 

Besprechungen. 

Schlesiens  volkstümliche  llberlieferungcn,  Band  IV:  Knhnau, 

Bichard,  Schlesische  Sa^’on  II  (I>r.  0.) 

Heyuianu,  Dr.  phil.,  Das  bremische  Plattdeutsch  (Siebs) 225 

Bünker,  S.  B.,  Schwänke,  Sttgen  usw.  (-0-) 226 

Hourck,  Emile  U.  van,  et  Bookenoogen,  G.  J.,  Histoire  de  rimagorie 

pupulaire  Flamande  (E.  A.) 226 

Hörmann,  Ludwig  von,  Tiroler  Volksleben 227 

Strackerjan,  L.,  Aberglaube  uqd  Sagen  aus  dem  Herzogtum  Oldenburg. 

2.  Aun.  (Siebs) 227 

Dähnbardt,  Oskar,  Natursagen  I— UI  (Ss.) 23(1 

Busch,  Wilhelm,  Ut  Öler  Welt 230 

Golther,  Prof.  Dr.  W.,  Ueligion  und  Mythus  der  Genjianen 230 

Ouellen  nnd  Porschungen  zur  deutschen  Volkskunde  (Ss.)  . 231 

Handbücher  zur  Volkskunde  (Ss.) 232 

Gebhardt,  .\ng.,  (iramuiatik  der  Nürnberger  Mundart 233 

Pessler,  W,,  Das  altsächsische  Bauernhaus 234 

Geschäftliche  Mitteilungen. 

Sitzungsberichte 119  235 

Eingänge 120  236 

Nachrichten  und  Anzeigen 120  236 


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Von  Land  und  Leuten  in  Spanien.'^ 

Von  Dr.  Koiirad  Gusiiide. 

Die  landläufige  Vorstellung  sieht  in  Spanien  ein  sonniges,  über- 
aus fruchtbares  Land  mit  fast  afrikanischem  Klima,  voll  Blüten,  voll 
Gesang,  voll  Leidenschaft,  ein  paradiesisches  Land,  in  dem  man 
den  Winter  kaum  dem  Namen  nach  kennt.  Und  wer  nur  ober- 
flächlich vom  Jleere  aus  hineinschaut,  der  kann  wohl  zu  solchen 
Vorstellungen  kommen.  Doch  anders  wird  das  Urteil,  sobald  man 
ins  Innere  kommt.  Spanien  ist  eben  in  vieler  Beziehung  das  Land 
der  schroffen  Gegensätze.  Die  Mittelmeerküste  übertrifft  mit  ihrem 
sonnigen  Klima,  in  dem  nur  Frühling  und  Sommer  zu  herrschen 
scheinen,  noch  die  Riviera.  Heißer  i.st  der  Sommer  in  Andalusien, 
das  neben  der  erhabenen  Hochgebirgsnatur  der  Sierra  Nevada  sub- 
tropischen Pflanzenwuchs  hegt.  Der  waldreiche  Norden  mit  seiner 
steil  abfallenden  Küste,  den  tief  eingeschnittenen  Fjorden  und  dem 
meist  schneebedeckten  Kantabrischen  Gebirge  hat  ganz  alpinen  Cha- 
rakter. Das  Innere  des  Landes  aber  ist  zum  großen  Teil  eine  baum- 
lose, trübe  Steppe,  am  schlimmsten  in  Aragonien.  Nur  dort,  wo 
die  Flüsse  den  salzhaltigen  Boden  ausgelaugt  haben,  finden  sich  in 
der  braungelben,  einsamen,  wasserlosen  Ode  fruchtbare  Oasen.  Die 
Mancha,  die  Heimat  des  Don  Quijote  und  des  Sancho  Panza,  kennt 
ebenfalls  weder  Baum  noch  Wasser.  Wein  gibt  es  hier  in  Hülle  und 
Fülle;  um  einen  Schluck  Wasser  bittet  man  vergebens.  — Und  Kastilien, 
das  Herz  des  Landes,  hat  ähnliches  Gepräge.  Hier  und  da  ringt 
mühsam  der  Bauer  dem  Erdboden  eine  Frucht  ab,  wo  unter  der 
scheinbar  trockenen  Oberfläche  eine  Letteschicht  das  spärlich  ein- 
sickernde Regenwasser  zurflckhält.  In  Andalusien  und  an  'der  Süd- 
westküste Spaniens  sähe  man  einen  solchen  Boden  als  wertlos  an  und 
ließe  ihn  liegen.  Der  Kastilier  aber  baut  darauf  seinen  Weizen  und 
Roggen  und  seine  Kichererbsen  (garbanzos).  Der  größte  Teil  liegt 
jedoch  öde  und  wird  nur  von  dürren  Wanderschafen  durchzogen. 

Wald  gibt  es  nur  im  Norden,  hauptsächlich  in  den  baskischen 
Provinzen.  Hier  ilarf  jeder  Haushalt  nur  drei  Ziegen  halten,  denn 

')  Vortrag,  gehalten  in  der  Sitiuug  vom  11.  Februar  1!)10. 

Mitteiluugeu  d.  scble:^.  Ges.  f.  Vkde.  Ituud  XU  (Heft  1)  1 


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0 


die  Ziefien  sind  ja  die  Hauptfeinde  der  jungen  Bannitriebe  und  damit 
des  Bauinn-iiches  flherhaui)t.  Ein  alter  ,fuero‘,  ein  Sonderreclit  der 
baskisc'lien  Provinz  Alava  bestimmt,  es  dürften  dort  nach  der  Ver- 
fassung keine  Eisenhämmer  angelegt  werden,  damit  das  Lantl  nicht 
entwaldet  werde.  Hier  oben  im  \orden  allein  hat  also  eine  ver- 
nünftige Vorsicht  den  AVald  erhalten.  — Die  Meinung,  der  Baum 
hindre  durch  seinen  Schatten  das  Wachstum,  führt  zwar  auch  in  der 
nächsten  Umgegend  von  Breslau  zum  Fällen  der  schönsten  Bäume 
auf  bäuerlichem  Grund  und  Boden.  Für  den  Spanier  ist  der  Baum 
aulierdem  aber  ein  SchlujdVinkel  für  die  Singvögel,  denen  der  Bauer 
erbitterte  Fehde  geschworen  hat.  Da  man  nämlich  allenthalben  nur 
den  wenig  Zentimeter  tief  ins  Erdreich  eindringenden  Hakenpllug  kennt, 
ist  die  Saat  den  Vögeln  besonders  leicht  zugänglich.  Und  da  der 
Wald  und  infolgedessen  auch  die  Insekten  fehlen,  sind  die  Vögel 
erst  recht  aufs  Saatkorn  angewiesen.  So  verschlingen  sich  hier  Ur- 
sache und  Wirkung.  Das  unvernünftige  Schlagen  der  Wälder  nötigte 
die  Vögel,  sich  an  die  Saat  zu  halten,  und  danim  wird  jedes  wild- 
wachsende Bäumchen,  das  ihnen  einen  Schlupfwinkel  gewähren  könnte, 
auch  noch  gefällt.  Mit  Gani  und  Blei  wird  gegen  die  annen  kleinen 
Sänger  ein  häßlicher  Vernichtungskarapf  geführt. 

Spanien  hat  sieh  selbst  zur  Öde  gemacht  durch  das  wahnwitzige 
Niederschlagen  der  ehedem  mächtigen  Wälder.  Estremadura  war 
früher  äußerst  fruchtbar.  Die  Entwaldung  machte  es  zur  Heide. 
In  Massen  wandern  die  Bewohner  aus.  Schaf-  und  Schweinezucht 
sind  als  einziger  Erwerb  anstelle  des  .\ckerbaus  getreten.  — In  der 
.Mancha  heizt  man  mit  Stroh  oder  abgeschnittenen  Ranken  der  Wein- 
stöcke. Ein  kleines  Wäldchen  nur  steht  da  für  den  Bedarf  an  Holz 
zu  Geräten  und  Stellmacherarbeiten.  Meilenweit  kommen  die  Bauern, 
um  aus  diesem  Bannwalde  Holz  zu  holen.  — 

Zwischen  Madrid  und  der  Sierra  de  Guadarrama  war  früher 
dichter  Wald.  Philipp  II.  suchte  hier  in  dem  gesunden  Waldklima 
Erholung.  Heute  sieht  man  ebenfalls  nur  ringsum  Steppe,  und  das 
Klima  ist  berüchtigt.  Überall  im  Lande  der  gleiche  Unverstand,  die 
Vernichtung  des  Holzbestandes  ohne  auch  nur  eine  Spur  von  Ersatz. 
So  mußte  das  einst  fruchtbare,  blühende  Land  zur  Steppe  werden. 

Die  Waldvemichtung  hatte  andere  Übel  im  Gefolge.  Bei  starken 
Regengüssen  schwellen  plötzlich  die  Flüsse  hoch  an,  überschwemmen 
weithin  das  Land  und  reißen  alles  verheerend  mit  sich.  Homsignale 
melden  das  Hochwasser  den  Uferbewohnern;  aber  das  entfesselte 


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3 


Klement  ist  oft  schneller  als  der  Mensch,  Nicht  nur  die  Wasche, 
ilie  allentlialben  an  den  Flußnfern  ausgebreitet  liegt,  auch  Ziegen 
und  Schafe  samt  ihren  Hirten  werden  mitunter  überrascht  und  mit- 
gerissen Und  nach  wenig  Stunden  ist  der  Fluß  wieder  das  alte 
H'hläfrige  Itinnsal  wie  zuvor.  — Eigenartig  plötzlich  ist  auch  der 
empfindliche  Wechsel,  der  auf  den  weiten  Hochebenen  des  Binnen- 
landes mit  dem  Untergange  der  Sonne  eintritt.  Mit  dem  letzten 
Strahl  der  Sonne  ist  auf  einmal  das  eben  noch  lebendig  flutende 
Korsoleben  im  Parke  von  Madrid  verschwunden.  Sofort  verbreitet 
sich  eine  gefährliche  Kühle,  vor  der  alles  flieht').  Ein  Sprichwort 
sagt;  „Hasta  la  cuarenta  de  mayo  no  te  quitaras  del  sayo“  (bis  zum 
-tO.  Mai  lege  den  t'berzieher  nicht  weg).  Ich  kannte  mehrere 
Spanier,  die  jedes  Jahr  pünktlich  erst  am  10.  Juni  den  ^lantel  in 
den  Schrank  hüngten. 

Es  findet  sieh  die  üppige  Vegetation  und  das  milde,  sonnige 
Klima  nur  im  Osten  und  Süden*).  In  Valencia  wirft  man  zur  Fast- 
nacht Blumen,  nicht  Konfetti.  In  Sevilla  blühen  die  Kosen  das 
ganze  Jahr,  und  zu  Weihnachten  habe  ich  da  am  Grabenrande  neben 
der  Straße  Veilchen  gepflückt.  Docli  mehr  als  drei  Viertel  des  Landes 
ist  wüst  und  rauh.  Das  ganze  Binnenland  macht  einen  ernsten,  er- 
habenen, traurigen  Eindruck.  Hier  ist  der  Winter  bitter  kalt,  der 
Sommer  unerträglich  heiß.  Weit  und  breit  ist  dann  Feld  und  Heide 
von  der  sengenden  Sonne  vollsbindig  braun  gebrannt.  Von  Burgos 
erzählt  ein  bekanntes  Sprichwort:  „Nueve  meses  de  invierno,  tres 
meses  de  infienio!“  (9  Monate  Winter,  3 Monate  Hölle).  Dasselbe 
Sprichwort  gilt  übrigens  auch  von  Madrid  und  Avila.  In  meinem 
Leben  habe  ich  noch  nicht  so  gefroren  wie  in  Kastilien  mit  seinen 


')  .El  airc  do  .Madriil  cs  tan  sütil  (|iie  niata  ä nn  hombre  y no  apaga  ä 
uii  candil“  (Die  Luft  Tun  Madrid  ist  so  fein  und  dnnn,  dalS  sie  einen  Menschen 
tötet  und  kein  Licht  auslöscht). 

’)  Drei  Wochen  ehe  die  ersten  Mes.sinaapfelsinen  zu  uns  kommen,  essen  wir 
schon  Apfelsinen  aus  Valencia  und  Murcia.  Eine  .\rroba  (=  11,5  Kg)  Apfel- 
sinen kostet  in  Cartagena  nur  1 bis  1,50  Pcs.;  im  weinbaugesegneten  Bioja 
bekommt  man  für  1,50  l’es.  eine  Arroba  Trauben,  in  Madrid,  wo  die  lange 
Bahnfracht  alles  Tertciicrt,  nur  1 bis  1'/,  Kg.  Wären  die  Bahnen  besser,  so 
könnte  ein  allgemeiner  Austausch  stattlinden.  Dank  der  großen  Unterschiede 
im  Klima  der  einzelnen  Landschaften  — in  .\lmeria  reift  z.  B.  der  spanische 
Pfeffer  im  .Januar,  in  Valladolid  Ende  Juni  — könnte  das  ganze  Land  das  ganze 
Jahr  über  mit  Früchten  reichlich  versorgt  sein.  Statt  dessen  verfault  ein 
großer  Teil,  weil  er  nicht  verschickt  werden  kann.  Vgl.  S.  9. 

1* 


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4 


ungehindert  von  der  schnee-  und  eisbedeckten  Guadarrania  herilber- 
pfeifenden  Nordwinden.  Die  Lungenentzündung  ist  dann  das  fürchter- 
liche Schreckgespenst  für  jeden  Kastilier,  besonders  für  den  Madrider. 

Die  Öde  im  Lande  wäre  noch  größer,  wenn  der  Spanier  von  den 
Mauren  niclit  eine  segensreiche  Erbschaft  übernommen  hätte,  diircli 
die  er  der  spröden  Natur  zu  Hilfe  kommt:  die  Bewässerungsanlage. 
Wo  man  die  nicht  hat  verfallen  lassen,  da  enstehn  blühende  Felder 
mitten  in  der  <)de.  Am  auffälligsten  ist  das  in  Aragon.  Haarscharf 
schneidet  da  der  bewässerte  Bezirk  gegen  die  unbewässerte  Öde  ab. 
Die  Bewässerungszeiten  für  die  Kanäle  sind  genau  geregelt,  um 
gegenseitige  Schädigung  zu  verhüten.  In  Granada  gibt  die  große 
Glocke  auf  der  Torre  de  la  Vela  auf  der  .\lhambra,  deren  Klang  man 
30  Stunden  weit  hören  soll,  das  Zeichen  zum  Öffnen  der  Schleusen; 
in  Valencia  besorgt  das  die  oberste  Glocke  auf  dem  Domturme,  der 
,Miguelete‘,  nach  dem  der  ganze  Tum  ebenfalls  ,Miguelete‘  ge- 
nannt wird.  In  Valencia  tagt  auch  noch  heute  jeden  Donnerstag  vor 
dem  Aposteltore  der  Kathedrale  ,el  tribunal  de  aguas‘.  Ein  Bauem- 
gerichtshof  entscheidet  hier  öffentlich  und  kostenlos  über  nachbarliche 
Bewässerungsstreitigkeiten.  Richter  und  Zeugen  reden  in  der  Volks- 
mundart. Wer  sich  dem  Spruche  nicht  fügt,  der  bekommt  kein  Wasser 
auf  sein  Feld.  Dieses  Tribunal  stammt  von  den  Mauren  her  und 
ist  heute  ein  Akt  bäuerlicher  Selbsthilfe  in  einem  Lande,  dessen 
Rechtspflege  schwerfällig  und  unzuverlässig  ist.  — Wo  aber  Flüsse 
und  Brunnen  fehlen,  hauptsächlich  im  Binnenlande,  da  gedeiht  auch 
herzlich  wenig.  Und  die  elenden  kleinen  Dörfer  sehen  oft  noch  trost- 
loser aus  als  der  Erdboden.  Die  Lehmhäuser  haben  die  Farbe  des 
Erdreiches.  Kein  Baum,  kein  Kirchturm  winkt  freundlich  aus  der 
Ferne.  Die  elende  Dorfkirche  unterscheidet  sich  kaum  von  ihrer 
Umgebung.  Oft  bleibt  man  im  Unklaren,  ob  die  gelbbraunen  Lehm- 
haufen in  der  Ferne  seltsame  Naturgebilde,  eigenartige  Fomen  des 
Erdbodens  sind,  oder  ob  man  menschliche  Wohnungen  vor  sich  hat. 

Wie  das  Land  voller  Gegensätze  ist.  so  sind  auch  die  einzelnen 
Bevülkernngstvpen  zum  Teil  grundverschieden.  Ganz  außerhalb  steht 
der  Katalane,  der  geschäftsgewandte  Industrieritter.  Er  vermeidet 
es,  ,el  Castellano‘  zu  sprechen,  sondern  redet  in  seiner  katalonisch- 
limosinischen  Mundart.  Was  außerhalb  Kataloniens  liegt,  ist  Aus- 
land. Sein  ganzes  Streben  geht  auf  die  Loslösung  von  Kastilien  und 
auf  die  Vereinigung  mit  den  stamm-  und  sprachverwandten  Bewohnern 
Südfrankreichs.  .\us  Haß  gegen  das  übrige  Spanien,  vor  allem  gegen 


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5 


Kastilien,  ist  der  Katalane  Karlist  geworden.  In  Katalonien  allein 
ist  das  Bombenwerfen  zuhause;  hier  ist  die  Brutstätte  des  Anarchismus; 
und  der  Fremde  tut  Spanien  bitter  unrecht,  wenn  er  diese  Zustande 
verallgemeinert.  — Auch  die  Basken  im  Norden  stehen  außerhalb. 
Diese  Beste  der  alten  Iberer  sind  gar  keine  ludogennanen ').  Bis 
ins  Dt.  .Tahrh.  haben  sie  eifersüchtig  ihre  alten,  jetzt  allerdings  ihnen 
genommenen  Sonderrechte  gehütet  und  sich  immer  eine  gewisse 
Selbständigkeit  gewahrt.  Der  ganze  Typus,  vor  allem  der  Gesichts- 
bau, ist  anders,  ebenso  Lebensweise  und  manche  eigenartige  Gewohn- 
heit der  häutig  noch  auf  Einzelhofen  wohnenden  Bauern.  Auch  im 
übrigen  Spanien  halten  sich  die  Basken  abgeschlossen  für  sich.  — 
Der  .\sturier  gleicht  an  Freiheitsstolz  dem  Basken.  Weder  Körner 
tioch  Goten  konnten  dieses  Land  unterjochen.  Hier  fanden  die  von 
den  Arabern  verfolgten  Goten  ihre  Zuflucht.  Von  hier  ging  aber 
auch  der  ganze  Fanatismus  gegen  die  Heiden  aus,  der  den  Grund 
zum  spanischen  Königreiche  legte.  Hier,  und  allenthalben  auch  in 
den  baskischen  Provinzen,  findet  man  noch  am  ersten  blonde,  hoch- 
gewaeli.sene  Leute,  einen  Typus,  der  dem  übrigen  Spanien  fremd  ist*).  — 
Der  Galizier  ist  ein  armer  Teufel.  Viele  wandeni  aus,  viele  verdienen 
sich  als  Lasttniger,  Straßenkehrer  oder  Erntearbeiter  im  übrigen 
Spanien  ihr  Brot.  Die  Frauen  dienen  häufig  als  Ammen.  Wegen 
ihrer  sauren  Arbeit  sind  die  Galizier  ziemlich  mißachtet.  ,Gallego‘ 
ist  im  übrigen  Spanien  ein  grobes  .Schimpfwort.  Umsomehr  halten 
diese  Leute  zusammen,  und  sehnsüchtig  treibt  es  .sie  doch  wieder 
nach  ihrer  armen  Heimatsprovinz  zurück.  — Ebenfalls  abgeschlossen, 
arbeitsam,  dickköpfig  und  bigott  ist  der  Aragonese.  Mühsam  sucht 
er  seiner  Steppe  etwas  abzugevrinnen.  Die  Virgen  del  Pilar,  die 
Jungfrau  Maria  von  der  Säule,  ist  seine  Schutzheilige,  ihr  Heiligtum 
die  neue  Kathedrale  in  Zaragoza.  Dort  steht  die  Säule,  auf  der 
Maria  dem  .\postel  Jacobus  erschienen  sein  soll.  Wer  den  lieben 
tfOtt  lä.«tert,  dem  dreht  der  .\ragonese  tlen  Rücken;  wer  aber  das 
(ieringste  gegen  die  Virgen  del  Pilar  sagt,  den  schlägt  er  tot. 
Überall  kenntlich  ist  der  Aragonese  an  seiner  Tracht.  Die  Ärmel 
der  schwarzen  Samtjacke  sind  geschlitzt  und  mit  Knöpfen  besetzt, 
ebenso  die  schwarzen  Samthosen,  unter  denen  noch  eine  weiße  Leinen- 

')  Heinrich  Winkler,  Das  Baskiacho  und  der  vordcrasiatisch-uiittel- 
ländiscbe  Völker-  und  Kullttrkreis.  Breslau  1909. 

Es  ist  aber  verkehrt,  deshalb  von  unverfSlschteii,  echten  Germanen  zu 
reden,  wie  das  z.  B.  auch  Diercks  ausgiebig  tut. 


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6 


hose  heiTorguckt.  Um  den  Kopf  ist  ein  buntes  Seidentuch  gewunden, 
den  Leib  umschlingt  eine  violette  oder  rote  breite  Binde,  die  ,faja‘, 
die  zugleich  als  Tasche  dient.  Die  Kastilier  sind  froh,  daß  ein 
gütiges  Geschick  diese  Dickköpfe  als  Pufl’er  zwischen  sie  und  Kata- 
lonien gesetzt  hat.  — Würdevoll  und  ernst  ist  der  Kastilier,  unberührt 
von  jeder  Sentimentalität,  freimütig  und  stolz,  dabei  doch  freundlich, 
unwissend  vielleicht,  aber  durchaus  nicht  dumm,  sondern  schlagfertig 
und  von  gutem  Mutterwitz.  Er  ist  kein  Geschäftsmann  und  darin 
dem  Andalusier  gleich,  dessen  Widerspiel  er  im  übrigen  ist.  Wer 
von  der  kastilischen  ,grandeza‘  eine  Ahnung  haben  will,  der  sehe 
sich  eine  Sonntagsparade  auf  dem  Schloßhofe  in  Madrid  an.  Der 
Spanier  hat  bekanntlich  keine  Nationallimne').  An  ihre  Stelle  tritt 
die  Marcha  real,  die,  fast  noch  einmal  so  langsam  als  unser  Parade- 
marsch, mit  60  Schritt  in  der  Minute,  einen  enisten,  würdevollen 
und  feierlichen  Eindruck  macht.  — Und  nun  der  Andalusier.  Ist  der 
Kastilier  gemessen  und  stolz,  so  ist  der  Andalusier  beweglich, 
phantasievoll  und  voll  Lebenslust,  die  Frauen  nicht  schön,  aber  von 
vollendeter  Grazie,  besonders  beim  andalusischen  Tanze,  jenem  hin- 
reißenden Schauspiel,  das  eine  unendliche  Fülle  anmutigster  Bewegung 
und  glühendster  Leidenschaft  entfaltet.  In  Andalusien  ist  ein  ganz 
beträchtlicher  {Anschlag  maurischen  Wesens  und  Blutes  unverkennbar. 
Die  Sprache  weist  eine  Menge  maurischer  Lehnwörter  auf,  besonders 
für  Landwirtschaft  und  Bewässerung.  In  Valencia.  Elche  und  Murcia 
— von  Granada  und  seiner  Umgebung  gar  nicht  zu  reden  — fand 
ich  Leute  mit  echt  maurischen  Gesichtem,  die  man  nur  in  den  Burnus 
zu  stecken  und  auf  den  Socco  in  Tanger  zu  versetzen  brauchte.  Was 
wir  uns  gewöhnlich  unter  Spanien,  spanischer  Tracht  und  spanischem 
Wesen  vorstellen,  das  ist  lediglich  Andalusien.  Hier  ist  die  Heimat 
der  Tänzerinnen,  des  Don  Juan,  des  Figaro  und  der  Carmen.  Hier 
war  der  Tummelplatz  der  ,Contrabandistas‘ , jener  waghalsigen 
Schmuggler,  die  zu  Volkshelden  geworden  sind,  weil  der  Kampf  gegen 
die  Organe  der  Staatsordnung  ihr  zweiter  Beruf  war;  hier  machten 
die  Straßenräuber,  die  , Bandoleros*,  noch  um  die  Mitte  des  19.  Jahrh. 
das  ganze  Land  unsicher,  bis  die  Guardia  civil,  eine  ganz  vorzügliche 
Polizeitruppe,  mit  ihnen  aufräumte.  Hier  sind  die  schwarzäugigen 
Frauen  Goyas  und  Zuloagas  zuhause,  hier  ist  schließlich  die  Heimat 
der  Toreros,  der  bezopften  Stierkämpfer,  mit  ihren  hellseidenen, 

*;  Kniü  Bohn,  Die  Nationalhyuincn  der  europäischen  Völker  = Wort  und 
Brauch  IV,  S.  31. 


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überreich  mit  Gold  bestickten  Gewändern,  deren  Wert  bei  den  be- 
rühmtesten an  5000  Peseten  beträgt.  — 

Eine  Gesellschaft  für  sich  bilden  schließlich  die  im  ganzen  Lande 
verstreuten  Zigeuner.  In  Sevilla  und  besonders  in  Granada  sind  sie 
seit  langem  angesiedelt.  Hier  hausen  sie  zum  Teil  in  Höhlen- 
wohnungen und  haben  unter  einem  eigenen  „Könige“  eine  Art  Selbst- 
verwaltung. Tanz  und  Spiel,  Wahrsagen  und  Stehlen,  immer  aber 
Betteln,  das  ist  ihr  Erwerb.  Die  jungen  sind  oft  berückend  schön, 
die  älteren  schmutzig  und  widerlich  liäßlich,  die  Männer  meist  ver- 
wegene abenteuerliche  Gestalten.  Sie  leben  abgeschlossen  vom  übrigen 
Volke  und  sind  leicht  von  ihm  zu  unterscheiden. 

Fern  im  Süd  das  schöne  Spanien  entspricht  also  wenig  unserer 
gewöhnlichen  Vorstellung.  Was  ist  nun  schuld  an  unsemi  einseitigen, 
falschen  Begrifie  vom  spanischen  Lande  und  Volke?  Einmal  die 
schlechte  Erreichbarkeit  des  Landes.  Wie  eine  chinesische  Mauer 
liegen  die  Pyrenäen  vor  dem  Lande  und  trennen  es  ganz  vom  übrigen 
Europa.  Keine  irgendwie  nennenswerte  Verkehrsstraße  geht  über  das 
Gebirge.  Nur  im  äußersten  Westen  und  Osten  sucht  sich  zwischen 
Meer  und  Gebirge  die  Ei.senbahn  einen  Eingang  ins  Land.  Und 
was  für  eine  Eisenbahn!  Schuld  sind  auch  manche  Vorurteile,  die 
einem  gewissen  Kulturdünkel  entspringen,  der  sich  keine  Mühe  gibt 
oder  keine  Zeit  und  Fähigkeit  hat,  auch  die  guten  Seiten  eines 
eigenartigen  Volkes  kennen  zu  lernen.  Freilich  findet  man  die  immer 
schwerer  heraus  als  die  schlechten  Seiten,  die  sofort  ins  Auge  fallen. 
Doch  die  Hauptschuld  tragen  unsere  Dichter.  Heine,  Geibel,  Heyse 
müßten  vor  Gericht  gestellt  werden  wegen  Vorspiegelung  falscher  Tat- 
sachen. Nach  dem  .fintenreichen  Ebro*  mit  seinen  , Schatten  des 
Waldes*  wird  man  vergebens  suchen.  Man  findet  einen  an  der  Ab- 
zehrung krankenden  Fluß,  der  sein  Wasser  auf  die  Felder  abgegeben 
hat  und  statt  der  Wälder  eine  öde,  rötlich  gelbe  Steppe.  Und  gar 
der  Manzajiares  mit  seinen  Linnen  spülenden  Mädchen,  bei  deren 
Anblick  die  Fluten  und  der  Wind  innehalten  sollen  vor  Bewunderung ! 
Es  gibt  auf  der  weiten  Welt  kaum  etwas  Häßlicheres  als  die  Wasch- 
weiber am  Manzanares,  dem  prosaischsten  Flusse,  der  häufig  über- 
haupt kein  Wasser  hat.  Als  Ferdinand  VH.  einmal  darüber  ging, 
soll  man  das  Flußbett  vorher  mit  Wasser  besprengt  haben,  um  den 
Staub  zu  löschen.  Und  ein  Madrider  Witz  wort  behauptet,  ein  Maul- 
esel habe  den  Manzanares  eines  Abends  ausgetrunken,  aber  am 
folgenden  Tage  wieder  laufen  lassen.  Da  wird  nicht  ,ein  Garten  das 


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Land  am  Manzanares‘,  der  Fluß  leuchtet  nicht  , kristallen“,  wenn  die 
Waschfrau  ,rait  dem  schneeigen  Fuß  (!)'  in  die  Wellen  tritt.  Trübe 
und  schmutzig  ist  das  Wasser,  und  so  weit  das  Auge  reicht,  sieht 
es  durch  ganz  Madrid  einen  einzigen  großen  Wäschetrockenplatz. 

Tatsächliche  Mißstünde  tragen  schließlich  auch  dazu  bei,  das 
Urteil  über  das  Land  der  Hidalgos  ungünstig  zu  beeinflussen. 
Spanien  krankt  vor  allem  an  seiner  elenden  Verwaltung.  Hier  ist  die 
richtige  Adresse  für  manches  harte  Urteil,  das  über  den  Spanier  als 
solchen  mit  Unrecht  geteilt  wird.  — An  der  Grenze  beginnt  schon 
die  an  Rußland  erinnernde  Abschließung  nach  außen.  Die  Bahnen 
haben  größere  Spurweite;  Menschen  und  Waren  müssen  also  um- 
geladen werden,  .\lles  mögliche  unterliegt  einem  hohen  Einfuhrzoll, 
von  dem  lediglich  die  katalanische  Industrie  den  Vorteil  hat;  sogar 
Bücher  werden  verzollt.  .\lle  Simdungen  werden  an  der  Grenze  ge- 
öffnet. Infolgedessen  haben  größere  Firmen  in  den  Grenz-  und  Hafen- 
städten ihre  Vertreter,  die  ein  ,muy  amigo“  der  Zollbeamten  sind. 
Das  Wort  , amigo“  ist  ein  sehr  dehnbarer  Begriff.  Alle  rechtliche 
und  unrechtliche  Einwirkung  auf  andre  beruht  auf  der  .\migo- Wirt- 
schaft. Der  Amigo  findet  sich  mit  den  Zollbeamten  ab  und  die  Ware 
darf  ins  Land.  — Die  Eisenbahnen  sind  fast  durchweg  in  französischen, 
im  Süden  teilweise  auch  in  englischen  Händen.  Bequemlichkeit  i.st 
Nebensache,  hohe  Tantiemen  für  die  Aktionäre  die  Hauptsache.  Seit 
f)0  .fahren  soll  die  Bahn  Iran — Madrid,  die  einzige  Lebensader,  die 
Spanien  mit  dem  übrigen  Europa  verbindet,  zweigleisig  gebaut  werden. 
Aber  von  der  63;?  km  langen  Strecke  sind  heute  nur  47  km  zwei- 
gleisig, nämlich  Irun — San  Sebastian  und  Villalba — Madrid.  Selbst 
auf  vielen  Hauptstrecken  verkehrt  nur  ein  einziger  leidlich  brauch- 
barer Zug  am  Tage.  Der  Lu.vuszug  fährt  mit  40  km  Stunden-Ge- 
schwindigkeit,  also  etwa  wie  die  Zobtener  Klingelbahn,  der  Personenzug 
mit  25  km  und  weniger.  Man  muß  allerdings  berücksichtigen,  daß 
der  Zug  vom  Meerespiegel  mehrfach  über  Gebirge  klettern  und  Stei- 
gungen von  der  Höhe  unseres  Riesengebirgskammes  übenvinden  muß.  — 
Der  Mangel  ausreichender  Eisenbahnwege  ist  ein  Fluch  für  Spanien. 
Unberechenbare  Schätze  von  Erz  und  Kohle  liegen  im  Lande,  die 
nicht  ausgebeutet  werden  können.  Im  Binnenlande  findet  man  eine 
Fabrik  nur  ganz  vereinzelt.  Doch  wo  das  Meer  den  Verkehr  erleichtert 
und  von  der  Eisenbahn  unabhängig  macht,  da  hat  sich  eine  blühende 
Industrie  entfaltet,  besonders  im  Norden  am  Biskayschen  Golfe,  von 
Katalonien  ganz  abgesehen.  Während  man  in  Madrid  Südfrüchte 


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etwa  ebenso  teuer  bezahlt  wie  bei  uns,  müssen  sie  in  der  Provinz 
an  vielen  Orten  verfüttert  oder  weggeworfen  werden,  weil  dort  die 
Verkehrsmittel  mangeln,  um  sie  zu  verschicken  (Vgl.  S.  3,  Anm.  2.) 
— Und  bei  dem  geringen  Verkehr  werden  dann  die  Eisenbahnwege, 
sobald  die  Fahrstraßen  in  der  Regenzeit  aufgeweicht  sind,  zu  den 
bequemsten  Wegen  für  den  Fußgänger.  Man  fragt  einfach  beim 
Bahnwärter,  ob  ein  Zug  kommt  und  geht  dann  selbst  durch  Tunnel 
trockenen  Fußes  und  ganz  gemächlich  hindurch.  Unter  solchen  Um- 
ständen hat  sich  auch  das  alte  Beförderungsmittel  trotz  der  Eisen- 
bahnen in  großem  Umfange  erhalten.  Es  ist  ein  merkwürdiger  An- 
blick, wenn  man  in  der  Frühe  ganze  Züge  zweirädriger  Lastkarren, 
mit  4,  5,  6,  8,  selbst  9 Maultieren  bespannt,  auf  den  Landstraßen 
daherfahren  sieht.  Am  späten  Nachmittage  sind  sie  in  der  Posada 
(Herberge)  aufgebrochen  und  fahren  nun,  bis  die  steigende  Sonne  sie 
zur  Einkehr  zwingt. 

Da  der  Staat  mit  eigner  Verwaltung  nichts  erreicht,  hat  er  alles 
mögliche  verpachtet;  Tahakmonopol,  Post,  Telegraph  und  Eisenbahnen 
sind  in  Händen  von  Privatgesellschaften,  .^m  schlimmsten  ist  es 
beim  Stadtzoll,  Selbst  in  mittleren  Städten  wird  man  unmittelbar 
vor  dem  Bahnhofe  von  recht  fragwürdig  aussehenden  Gestalten  an- 
gehalten, Man  hält  sie  eher  für  Vagabunden  als  für  Zollwächter, 
Den  Fremden  lassen  sie  in  der  Kegel  ungeschoren,  die  Einheimischen 
werden  jedoch  oft  arg  belästigt,  denn  die  Privatgesellschaft  sucht 
natürlich  möglichst  viel  herau.szuschlagen.  In  Cüatro  C'aminos,  einer 
V'orstadt  von  Madrid,  haben  die  Zöllner  vor  zwei  .lahren  eine  Frau 
angehalten,  die  ihrem  in  der  Stadt  arbeitenden  Manne  das  Essen 
trug,  und  wollten  ihr  buchstäblich  das  Fleisch  im  Topfe  besteuern. 
Eine  gewaltige  Erregung  war  die  Folge,  und  in  der  Nacht  wurden 
sämtliche  Zollbuden  angezündet.  Von  da  an  waren  die  ,Aduaneros‘ 
wieder  zurückhaltender. 

Der  Staat  ist  die  große  Krippe,  aus  der  alles  frißt.  Das  Streben, 
Deputierter  oder  gar  Minister  zu  werden,  ist  begreiflich;  denn  ein 
reicher  Segen  von  Schmiergeldern  ist  bestimmt  zu  erwarten.  In  den 
Ministerien  sitzen  an  den  Pulten  eine  Reihe  Leute,  die  nichts  zu  tun 
haben,  vor  weißen  Bogen  Papier.  Um  am  Ruder  zu  bleiben,  hat  der 
Minister  vor  der  Wahl  zu  den  Cortes  bei  seinen  Parteigängern  sich 
verpflichtet,  für  diesen  und  jenen  zu  sorgen.  Fällt  das  .Ministerium, 
so  fallen  gewöhnlich  auch  seine  Beamten,  denn  jetzt  will  die  Gegen- 
partei alle  ihre  Leute  an  die  Krippe  bringen.  Der  Minister  bekommt 


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seine  Pension.  Die  hunderte  von  armen  Schluckern  aber,  die  außer- 
dem versorgt  worden  waren,  werden  nun  auf  die  Straße  geworfen. 
Vor  70  Jahren  brachte  es  Sjjanien  auf  106  Minister  binnen  zwei  Jahren, 
von  denen  keiner  über  ein  Vierteljahr  im  Amte  war').  Und  wenn 
das  Ministerium  auch  nur  einen  Tag  lang  sich  hält,  so  belastet  sein 
Sturz  den  Staat  mit  vielen  Tausenden  Pensionsgelder.  Jeder  sucht 
nach  Kräften  in  seine  Tasche  zu  wirtschaften;  und  er  kann  das  un- 
besorgt tun.  Ist  doch  auch  der  ganze  Parlamentarismus  ein  einzig 
dastehendes  Gaukelspiel.  Schon  lange  vor  der  Wahl  ist  das  Ergebnis 
festgesetzt*).  Durch  seine  Organe  läßt  das  Ministerium  das  Volk  be- 
arbeiten, ein  kleiner  Bruchteil  von  Sitzen  wird  anstandshalber  den 
Oppositionellen  angewiesen,  im  übrigen  wird  das  durch  die  beständigen 
Enttäuschungen  gleichgültig  gewordene  Volk  von  den  Wahlmacherii 
der  Regierung  unter  Aufsicht  zur  Unie  geführt.  Wahlfälschungen 
sind  an  der  Tagesordnung.  Jedesmal  erhebt  die  Opposition  dagegen 
scharfen,  aber  nutzlosen  Widerspruch.  Kommt  sie  selber  ans  Ruder, 
so  sind  nur  die  Rollen  vertauscht,  die  Sache  bleibt  dieselbe. 

Spanien  wäre  der  beste  Staat,  wenn  alle  Gesetze,  die  bestehn, 
befolgt  würden.  .\ber  die  Gesetze  stehn  nur  auf  dem  Papier,  und 
eine  grundverkehrte  Wirtschaft  lähmt  alle  guten  Absichten.  Vor 
zwei  Jahren  bewilligte  man  zwei  Millionen  für  Aufforstung.  Da 
werden  Wächter  und  Beamte  gewählt,  und  jeder,  der  etwas  zu  sagen 
hat,  bringt  seine  Schützlinge  an  die  Staatskrippe.  So  ging  es  weiter, 
bis  das  Geld  zu  Ende  war.  Nur  daran  hat  niemand  gedacht,  daß 
man  erst  eine  Baumschule  anlegt.  Ähnlich  geht  es  mit  den  Vorlagen 
über  Heer  und  Flotte,  Unterrichts-  und  Verwaltungswesen.  Die  Uni- 
versitätsbibliotheken sind  bis  in  die  dreißiger  Jahre  des  vorigen  Jahr- 
hunderts leidlich  gut  bestellt;  die  aufgehobenen  Klosterbibliotheken 
lieferten  teilwei.se  sehr  wertvolle  Sammlungen.  .\us  späterer  Zeit 
sind  nicht  einmal  die  allernotwendigsten  Hilfsmittel  zu  haben.  Kein 
Wunder!  Die  Universitätsbibliothek  zu  Salamanca  hat  nach  Abzug 


')  Vgl.  .\iidalusivn,  Spiegelbilder  aus  dem  südspanisebe»  Leben,  .-tus  den 
Brieten  eines  jungen  Deutschen.  Hrsg.  v.  Dr.  W.  Häring  (W.  Alexis  . Berlin 
1842,  S.  128. 

’)  Iber  diese  verrotteten  Zustände  vgl.  Itiercks,  Das  moderne  Spanien, 
Berlin  1908,  S.  13G1T.,  228  IT.  Im  allgcnx'ineii  verweise  ich  auf  dies  Buch,  das 
vielfach  meine  in  der  Zeit  von  1907  bis  1908  in  Spanien  gemachten  Beobachtungen 
bestätigt,  mag  es  auch  Jfters  im  einielnen  meinen  Widerspruch  hcrausfordem. 


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aller  Venvaltuiigskosten  täglich  70  Centimes  für  Bücher  auszugeben*), 
und  hunderte  von  Bücherkisten  liegen  dort  noch  unkatalogisiert  auf 
dem  Boden,  aus  denen  Dr.  Fromme  auf  den  ersten  Griff  wertvolle 
Inkunabeln  hervorzog.  Was  unter  solchen  Verhältnissen  gestohlen 
werden  kann,  ist  unberechenbar.  — In  Sagunt  auf  der  Festung  stehn 
die  alten  Römerbauten  noch  trotzig  und  unerschüttert  da,  auch  die 
maurischen  Werke  halten  der  Zeit  noch  stand;  die  kaum  viel  über 
100  Jahre  alten  spanischen  Kasernen  sind  ein  Bild  trostlosen  Verfalls. 

Bei  solcher  Wirtschaft  ist  es  begreiflich,  daß  die  Zahl  der  auf- 
wärts strebenden  Städte  sehr  klein  ist.  Madrid  ist  der  moderne 
Emporkömmling  gegenüber  dem  altehrwürdigen,  heruntergekommenen 
Toledo.  Dann  sind,  wenn  man  das  emsig  sich  regende  Katalonien 
wieder  ausschaltet,  eigentlich  nur  noch  Sevilla  zu  nennen,  das  auf 
Kosten  von  Cadiz  sich  hebt,  weil  mit  der  Flut  mittlere  Seeschiffe 
den  Guadalquivir  aufwärts  bis  zum  Quai  von  Sevilla  fahren  können, 
und  die  Städte  nahe  der  Küste  im  Norden,  wie  Bilbao,  Santander, 
Gijon,  Oviedo,  wo  die  Industrie  gedeihen  kann.  Aber  gerade  die 
alten  Kulturstätten  Cordova,  Granada  und  Toledo  sind  traurige  Über- 
bleibsel längst  entschwundenen  Glanzes. 

Und  wie  die  Verwaltung,  so  ist  die  Erziehung.  Madrid  hat  an 
600 (M)0  Einwohner  aber  nur  zwei  höhere  sechsklassige,  öffentliche 
Schulen*).  Der  Schulbetrieb  ist  mittelalterlich -scholastisch.  Wer 
einmal  den  öffentlichen'  Jahresprüfungen  beiwohnt,  der  wird  staunen 
über  die  Menge  auswendig  gelernter  Definitionen  *)  und  Zahlen.  Wo 
sich  der  Schüler  seine  Kenntnisse  erwirbt,  ist  gleichgültig.  Er  muß 
sich  nur,  wenn  er  einmal  studieren  will,  alljährlich  über  seine  Kennt- 
nisse in  den  für  jedes  Jahr  vorgeschriebenen  Disziplinen  ein  Prüfungs- 

')  Mitteilung  des  Herrn  I*r.  Fromme,  des  Direktors  der  Deutschen  Schule 
in  Madrid. 

•)  Krcslaii  hat  Ssechsklassige  und  9 neunklassige  höhere  Schulen,  von  denen 
zwei  ihrem  System  nach  Dopjielanstalten  sind.  — Ganz  Spanien  hat  nur  58  fnnf- 
bis  sechsklassige  hrdicre  Staatsschnlen,  dafür  323  Privatschulen,  von  denen  etwa 
ein  Viertel  geistliche  Schulen  sind.  lUercks,  Das  moderne  Spanien  S.  183. 

*)  Das  Lehrbuch  der  spanischen  Grammatik  für  Volksschulen  beginnt  mit 
den  Fragen:  Was  ist  Sprache?  Was  ist  Grammatik?  In  wieviel  Teile  zerfSllt 
die  Grammatik?  Was  ist  Analogie.  Syntax,  Prosodie,  Rechtschreibung?  Was 
ist  ein  Wort?  Was  ein  Satz?  Und  so  geht  es  weiter.  Die  verständnislo.^ 
auswendig  gelernten  ellenlangen  Definitionen  werden  von  den  Kindeni  mechani.sch 
heruntergeschnarrt.  Kbenso  heißt  es  in  andern  Lehrbüchern:  Was  ist  Geschieht»:? 
Wie  teilt  man  sie  ein?  Oder:  Was  ist  .Arithmetik?  usw. 


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Zeugnis  von  einer  Staatssehule  erwerben.  Zum  allergrößten  Teile 
liegt  der  Unterricht  in  privaten,  vielfach  in  geistlichen  Händen.  Am 
besuchtesten  sind  die  von  Jesuiten  geleiteten  höheren  Schulen.  Sie 
gelten  vielfach  als  die  vornehmsten  und  besten.  Auch  der  Elementar- 
unterricht befindet  sich  häufig  in  den  Händen  der  Geistlichkeit.  Für 
die  Mädchenerziehung  ist  überhaupt  nicht  gesorgt.  Die  Xonnenschule 
ist  die  einzige  Bildungsstätte  für  die  spanische  Frau  *).  In  kleineren 
Städten  und  auf  dem  Lande  gar  ist  das  Schulelend  noch  schlimmer 
als  in  Madrid.  Die  Kirchenschule  ist  die  Folge  der  elenden  Schul- 
verwaltung in  den  Gemeinden,  in  denen  neuerdings  das  Gehalt  der 
Lehrer  von  den  ,Conservadores‘  unter  Maura  auf  .30  Peseten  monat- 
lich herabgedrückt  worden  ist.  Dabei  bleibt  der  größte  Teil  des 
Volkes  (über  60®/o)  Analphabeten.  Recht  bezeichnend  ist  die  eigen- 
artige Form,  vermietbare  Wohnungen  anzuzeigen.  Ein  weißer  Papp- 
deckel vor  den  Fenstern  bedeutet  im  ganzen  Lande  leere  Wohnungen. 
Und  selbst  in  den  Vorstädten  von  Madrid  sagt  eine  kleine  weiße 
Fahne  auf  dem  Dache,  daß  das  Haus  zu  verkaufen  ist. 

Wie  soll  bei  solcher  Verwaltung  und  bei  einem  derartigen  Er- 
ziehungswesen ein  schwer  heimgesuchtes  Volk  sich  wieder  empor- 
arbeiten ? 

Am  emjifindlichsten  wirken  diese  Zustände  vielleicht  im  Ge- 
schäftsleben. Der  Si)anier  ist  kein  Geschäftsmann,  der  Andalusier 
noch  viel  weniger  als  der  Kastilier.  Die  größeren  Häuser  Madrids 
sind  zum  großen  Teil  in  Händen  von  Katalanen  oder  Ausländern. 
Groß  ist  die  Abhängigkeit  von  Paris.  Was  von  Paris  kommt,  wird 
immer  gern  aufgenommen,  auch  wenn  es  nur  glänzender  Schund  ist. 
,\ber  der  Spanier  hat  auch  Hut-  und  Kleidennoden,  hatte  den  Diabolo 
und  die  Kinematographen  viel  eher  als  wir,  ist  also  darin  uns  gegen- 
über der  Modernere.  Das  Wort  ,precio  fijo‘  (fester  Preis)  findet 
man  nur  in  wenig  Geschäften  Jladrids,  und  nur  in  solchen  mit 
großem  Fremdenverkehr.  Der  Spanier  will  handeln,  darum  ist  er 
über  diese  neuen  Geschäfte  sehr  ungehalten,  die  nach  seiner  Meinung 
das  Publikum  üben’orteilen.  Er  rechnet  damit,  daß  ihm  im  Preise 

')  Ganz  nenerding»  ist  den  Frauen  aui-h  der  üniversitiUsbesiich  gestattet 
worden.  .\ber  bei  der  strengen  .tbgcscblossenheit,  in  der  die  Mädchen  gehütet 
worden,  wird  vorderhand  das  Frauenstudimn  wohl  nicht  viel  über  die  Theorie 
hinaus  kommen.  Die  Zahl  der  Mäilchen,  die  sich  den  jährlichen  obligatorischen 
.lahrespröfungen  an  einer  der  beiden  Madrider  Staatsschulen  unterziehen,  ist 
sehr  gering. 


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Torgesclilaijen  wird,  bietet  die  Hälfte  oder  zwei  Drittel  der  geforderten 
Summe  und  geht  ruhig  hinaus,  ohne  etwas  zu  kaufen,  wenn  er  die 
gewünschte  Herabsetzung  nicht  erreicht.  Wer  nicht  den  Schaden 
haben  und  obendrein  noch  ausgelacht  werden  will,  der  rauli  es  eben- 
so machen.  Eine  deutsche  Dame,  die  seit  vielen  Jahren  in  Madrid 
lebt,  kam  nach  ihrer  deutschen  Heimat.  Ihre  sämtlichen  Angehörigen 
erklärten  nacheinander,  nie  mehr  mit  ihr  in  ein  Geschäft  gehn  zu 
wollen  und  verlangten  am  Ende  von  ihr  das  Versprechen,  überhaupt 
nicht  mehr  in  ihrer  Vaterstadt  einzukaufen.  Die  spanischen  Ein- 
kaufssitten waren  den  Angehörigen  doch  zu  peinlich.  — Wie  rück- 
ständig das  Geschäftsleben  noch  ist,  erhellt  schon  daraus,  daß  es  in 
Spanien  gar  keine  Postanweisungen  gibt.  Der  Geldverkehr  mit  dem 
Auslande  ist  auf  eingeschriebene  Wertbriefe  oder  Schecks  angewiesen; 
im  Lande  selbst  wird  auch  gemünztes  Geld  verschickt,  das  in  be- 
sonders feste  Umschläge  eingenäht  und  eingesiegelt  werden  muß. 
Aber  der  Spanier  kennt  das  Geschäftsleben  nicht  anders  und  läßt 
sich  auch  nicht  verblüffen.  Ein  Fremder,  der  in  einem  Geschäfte 
einmal  nörgelnd  erklärte,  in  Paris  bekäme  er  alles  viel  besser  und 
billiger,  erhielt  die  bestimmte,  doch  nicht  unhöfliche  Antwort:  „Si 
senor,  pero  aqui  estä  Usted  en  Espana!“  (Ja,  aber  hier  sind  Sie  in 
Spanien !) 

Hand  in  Hand  mit  dieser  unmodernen  und  unsicheren  Geschäfts- 
tätigkeit geht  eine  große  Unpünktliclikeit  und  Unzuverlässigkeit. 
Da  hilft  wieder  die  Amigo-Wirtschaft.  Der  Durchschnittsspanier 
hat  eine  Menge  Amigos  in  allen  Berufsklassen.  Ein  großer  Teil 
seiner  Zeit  wird  durch  die  Besuche  in  Anspruch  genommen,  die  er 
ihnen  abwechselnd  zu  machen  hat.  Im  Anfänge  erkundigte  ich  mich 
bei  Deutschen  nach  Geschäften.  Ich  war  gewöhnlich  wenig  zufrieden ; 
man  war  langsam  und  unpünktlich.  Da  liielt  ich  mich  an  die 
Spanier,  und  ich  war  glänzend  bedient.  Meine  Uhr  war  einmal  ent- 
zwei. Mein  Wirt,  ein  pensionierter  Offizier,  hatte  einen  ,muy  amigo‘ 
(guten  Freund),  der  Uhrmacher  war.  Die  Ausbesserung  war  gut 
und  billig  und  in  wenig  Stunden  erledigt.  Ich  war  am  Fahrkarten- 
schalter dadurch  geschädigt  worden,  djiß  infolge  eines  Mißverständ- 
nisses zuviel  Kilometer  aus  meinem  Kilometerhefte  herausgetrennt 
worden  waren.  Höflich  und  mit  großem  Bedauern  wurde  mir  auf 
meine  Vorstellungen  erklärt,  es  sei  nicht  mehr  gut  zu  machen.  In 
der  Tat  gab  es  einen  solchen  Paragraphen.  Aber  ein  bekannter 
Spanier,  dem  ich  die  Geschichte  erzählte,  hatte  einen  Amigo  in  der 


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Eiscnhahnkiinzlei.  Er  forderte  ohne  weiteres  mein  Kilometerheft, 
und  am  selben  Abend  hatte  ich  den  Schein  in  der  Hand,  der  trotz 
des  Paragraj)hen  den  Schaden  wieder  gut  machte.  Als  meine  Bücher- 
kiste kam,  ging  mein  Wirt  aufs  Bahnzollamt,  und  ich  bekam  sie 
sofort,  ohne  einen  Centimo  zu  zahlen.  Ein  anderer  Deutscher  w-ar 
miUtrauisch  und  wollte  sich  die  Sache  selbst  besorgen.  Viele  Tage 
lang  muUte  er  uraherlaufen,  von  einer  Geschäftsstelle  wurde  er  znr 
andern  geschickt;  am  Ende  mußte  er  noch  ausgiebig  bezahlen. 

Zu  der  großen  geschäftlichen  Ungewandtheit  gehört  auch  die 
unnötige  Kraftvergeudung.  Es  ist  ein  Unfug,  vor  einen  Lastwagen 
bis  neun  Maultiere  in  langer  Reihe,  eins  immer  hinter  dem  andern, 
zu  spannen;  höchsten.s  zwei  ziehen  davon.  .\ber  man  setzt  einen 
gewissen  Stolz  darein,  eine  stattliche  Zahl  Zugtiere  verspannen  zu 
können.  — Ein  mäßig  großer  Sandsteinblock  wird  auf  einem  Karren 
gefahren.  Zwei  Leute  ziehen  ihn  bequem.  .\ber  acht  andre  laufen 
mit.  rauchen  Zigaretten,  ulken  sich  gegenseitig  und  Bekannte  auf 
der  Straße  an,  jeder  hat  eine  Hand  an  den  Wagen  gelegt,  und  jeder 
ist  fest  überzeugt,  emsig  mitzuarbeiten.  — Auch  vom  Werte  der 
Zeit  hat  man  keine  Vorstellung.  Das  müßige  Herumstehn  auf 
öffentlichen  Platzen,  an  der  Eisenbahn,  das  Sitzen  auf  den  Spring- 
brunnenrändern mitten  auf  der  Korsostraße  von  Madrid  ist  etwas 
Selbstverständliches.  An  der  Puerta  del  Sol,  dem  Hauptplatze  von 
Madrid,  folgen  die  dichten  (irupi)en  von  Nichtstuern  genau  dem 
Sonnenläufe.  Wie  im  Sommer  der  Schatten,  im  Winter  die  Sonne 
sich  dreht,  so  wechseln  im  Laufe  des  Tages  diese  Gruppen  ihren 
Platz.  Der  Bürgersteig  ist  für  die  sich  Unterhaltenden  da,  nicht 
etwa  für  den  Verkehr.  Wer  es  eilig  hat,  der  weicht  auch  beim 
größten  Schmutzwetter  aus  und  tritt  auf  die  Straße. 

Und  doch  ist  dieses  Volk  arbeitsam.  Ich  habe  die  .\rbeiter  bei 
den  .Ausgrabungen  von  Numancia  beobachtet  und  darüber  gestaunt, 
wie  geschickt  und  findig  sie  waren  und  wieviel  sie  am  Tage  zuwege 
brachten.  Und  wo  die  Steppe  unterbrochen  wird  von  Koggen-, 
Weizen-  und  Erbsenfeldern  oder  von  Ölbaumpflanzungen  [von  Oliven- 
wäldern  zu  reden  ist  eitel  Unsinn],  oder  auf  den  weiten  Ge- 
bieten, wo  Weinbau  getrieben  wird,  da  ist  das  Land  gründlich  mit 
dem  sauren  Schweiße  des  Bauern  gedüngt,  der  mit  den  aller- 
primitivsten Werkzeugen  die  Scholle  bewirtschaftet,  die  er  der  Steppe 
abgewinnen  kann.  Man  gehe  ferner  in  die  großen  Industriebezirke 
im  Norden  oder  nach  Algier.  Der  Wein-  und  Getreidebau  -Algiers 


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ist  lediglich  ein  Erzeugnis  spanischen  Fleilies.  Hier  kann  sich  der 
Bauer  freier  regen,  weil  er  von  der  traurigen  Steuerwirtschaft  des 
Mutterlandes  nicht  erdrückt  wird.  Und  in  Portugal  und  Südamerika 
gar  ist  der  Spanier  der  gesuchteste  und  ausdauerndste  Arbeiter. 
Aber  in  Spanien  hört  man  immer  und  immer  wieder  die  Worte: 
„Warum  soll  ich  mehr  arbeiten?  Warum  soll  ich  mir  moderne 
Werkzeuge  anschaft'en?  Sie  sind  teuer,  und  der  Staat  nimmt  mir  ja 
doch  alles,  was  ich  mehr  verdiene.“  Das  stimmt  Die  Frau,  die 
an  der  Straßenecke  Knoblauch  feilhalt,  zahlt  täglich  25  Centimes, 
der  Drehorgels])ieler  im  .fahre  mehrere  Hundert  Peseten  Steuer.  Für 
jedes  Schild  am  Hause,  auf  dem  Dache,  ja  für  den  Namen  des  Hotels 
auf  dem  Abkratzer  muß  Steuer  bezahlt  werden.  Die  Steuer  greift 
dort  zu,  wo  sie  das  field  leicht  j)acken  kann.  Der  reiche  Grund- 
besitzer und  der  Großkaufmann  dagegen,  dem  sein  Verdienst  schwer 
nachzuweisen  ist,  kann  sich  ihr  leicht  entziehen.  Am  schlimmsten 
daran  ist  der  kleine  Handeltreibende  und  der  Bauer.  Kein  Wunder, 
\venn  da  der  Bauer  die  Lust  verliert  und  nur  von  der  Hand  in  den 
Mund  lebt.  — Etwas  anders  liegt  es  in  den  größeren  Städten. 
Viele  scheuen  da  die  andauernde,  geregelte  .\rbeit  und  reißen  sich 
um  einen  kleinen  Gelegenheitsverdienst  als  „Führer,“  Kofferträger 
oder  Ausrufer.  Und  was  wird  nicht  alles  unter  ohrenzerreißendem 
Länn  ausgenifen ! Tinte,  Papier,  Gummibänder,  Begenschirme,  junge 
Hunde,  Zeitungen.  Lose,  ja  sogar  Anteile  für  eine  Automobilverlosung! 
Die  Städte  sind  bei  der  geringen  Industrie  auch  garnicht  imstande, 
ihr  großes  Proletariat  mit  dauernder  .\rbeit  zu  versorgen.  Darum 
verdienen  sich  diese  Leute,  genügsam  wie  sie  sind,  den  Unterhalt 
für  ein  paar  Tage;  ist  der  verbraucht,  so  sehen  sie  sich  nach  einer 
neuen  vorübergehenden  Beschäftigung  um,  die  ihnen  obendrein  meist 
mehr  einbringt,  als  regelrechte  Arbeit.  Ich  kannte  einen  vierzehn- 
jährigen Zeitungsjungen,  einen  netten  und  geweckten  Kerl,  der  es 
am  Tage  auf  fünf  Pe.-eten  (=  4 M.)  brachte.  Sein  Vater  war  Maurer 
und  verdiente  fünf  Realen  (1,25  Pes.)! 

Der  Spanier  kennt  keine  Disziplin  und  Ordnung  in  unserm  Sinne. 
Er  rühmt  sich  dessen  sogar.  Das  ,deslile‘,  der  Vorbeimarsch  der 
Truppen,  nicht  zu  verwechseln  mit  dem  würdevollen  Parademarsch 
der  Marcha  real  (S.  (!),  ist  für  einen  guten  preußischen  Soldaten 
eine  Kinderei.  Der  Paradeschritt  ist  der  gewöhnliche  Promenaden- 
schritt, nur  daß  man  möglichst  in  einer  Reihe  zu  bleiben  sucht. 
Einer  steckt  den  Kopf,  der  andre  den  Bauch  vor,  der  sieht  rechts. 


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jener  geradeaus.  Aber  jedesmal  lierrscht  allgemeine  Begeisterung 
über  den  wundeirollen  Parademarsch.  Beim  Ausmarsch  geht  es 
durch  die  Stadt  in  flottem  Schritt  und  guter  Ordnung.  In  der  Vor- 
.stadt  aber  droht  sich  alles  aul'zulösen.  Einer  geht  rechts,  der  andre 
links,  man  fallt  sieh  unter,  als  ob  es  ein  Schulspaziergang  wäre. 
Vielsagend  ist  schon  der  Name.  Jeder  Übungsmarsch,  auch  der 
längste  — und  die  spanischen  Soldaten  legen  mit  ihren  leichten 
Bastsandalen  Tagesmärsche  von  70 — SO  km  zurück  — heißt  ,paseo 
militar*,  d.  h.  wörtlich  militärischer  Spaziergang.  Es  wäre  jedoch 
falsch,  wollte  man  nach  solchen  Äußerlichkeiten  das  ganze  Militiir 
schlecht  beurteilen.  Der  spanische  Soldat  ist  ein  tüchtiger  Kerl,  der 
seine  Schuldigkeit  tut,  von  unglaublicher  Zähigkeit  und  Ausdauer, 
voll  wildem  Fanatismus  im  Kampfe,  dabei  äußerst  anspruchslos. 
Wenn  das  Militär  im  Lande  nicht  entfernt  das  Ansehen  genießt  wie 
bei  uns,  so  liegt  es  daran,  daß  immer  noch  das  Loskaufrecht  besteht. 
Das  liberale  Ministerium  Moret  hat  erst  1909  diesen  Übelstand 
beseitigen  wollen,  mußte  aber  schon  nach  einem  halben  Jahre  den 
Loskauf  aus  Finanznot  wiedereinführen.  Für  1500  Peseten  entzieht 
sich  jeder,  der  es  irgendwie  kann,  der  wichtigsten  Ehrenpflicht.  Der 
Staat  verdient  dabei  jährlich  12  Millionen.  Wer  einmal  gedient  hat, 
der  hängt  auch  an  seiner  Fahne.  Der  Wohlhabende  aber  sieht  mit 
Geringschätzung  aufs  Militär.  Bei  uns  reißt  sich  das  verzärteltste 
Muttersöhnchen  zusammen,  wenn  es  gefragt  wird:  „Du  willst  doch 
einmal  Soldat  werden !“  Es  besinnt  sich  auf  seine  Männlichkeit  und 
antwortet  mit  entschiedenem  „Ja!“  In  Madrid  kam  ich  damit  nicht 
an.  Der  junge  Hidalgo,  bei  dem  ich  den  Versuch  machte,  zeigte 
ein  äginetisches  Grinsen,  dann  ein  entschiedenes  Kopfschütteln ; zuletzt 
kam  ein  energisches  „Nein!“ 

Die  Sicherheit  in  Spanien  ist  heute  dieselbe  wie  bei  uns.  Schlimmer 
steht  es  mit  der  Sauberkeit.  Man  kann  die  Gesundheitspflege  in 
einem  Lande  oder  die  Güte  eines  Gasthauses  nach  den  Bedürfnis- 
anstalten beurteilen.  Da  kommt  Spanien  übel  weg.  Die  Ülfentlichkeit 
ist  die  allgemeine  Bedürfnisanstalt,  auch  am  hellen  Tage.  Und  vom 
ersten  Abenddämmem  ab  spielen  sich  in  ruhigeren  Stadtvierteln  auf 
offener  Straße  die  allerintimsten  Szenen  ab.  Die  Polizei  geht  vorbei, 
ein  witzige.s,  derbes  Scherzwort  ist  alles.  Cosas  deEspana!  — Häufig 
sind  die  Anschläge,  die  das  Hauchen  verbieten.  In  der  ersten  Eisen- 
bahnklasse gibt  es  sogar  ein  Nichtraucherabteil,  in  dem  jedoch  mit  Vor- 
liebe geraucht  wird.  Auf  den  Bibliotheken  wird  im  Lesesaal  das  Verbot 


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beachtet.  Aber  kalter  Schauer  überhäuft  einen,  wenn  man  die  Beamten 
mit  der  ewig  brennenden  Zigarette  in  den  Bücherräumen  und  unter 
den  kostbaren  Handschriften  herumwirtschaften  sieht.  Gerade  dort, 
wo  es  am  gefährlichsten  ist,  wird  es  am  ärgsten  getrieben.  — Der 
Mangel  an  Diszijilin  nimmt  mitunter  groteske  Tonnen  an.  Drei 
Kerle  sind  gefesselt,  zwei  an  den  Armen,  der  dritte  an  der  Hand. 
Stadtpolizisten  führen  sie.  In  der  Calle  de  las  Huertas  (GartenstraBe) 
wollen  die  drei  plötzlich  in  ein  Haus  treten.  Die  Polizisten  fragen 
staunend  und  erhalten  die  Antwort;  „Wir  wollen  uns  erst  eine  Zigarette 
anzünden.“  Der  an  der  Hand  Gefesselte  wickelt  die  Zigaretten,  reicht 
den  andern  beiden  auch  welche  und  zündet  sie  an.  Die  Polizisten 
haben  ruhig  gewartet;  dann  geht  der  Zug  weiter.  — Es  war  in 
Sagunt.  Ich  stand  am  Schalter  mit  einigen  Bauern.  Die  Abfahrt- 
zeit war  längst  da,  aber  noch  kein  Zug  und  keine  Fahrkartenverkäuferin. 
Ich  wurde  ungeduldig.  Da  redeten  mir  die  Leute  gut  zu.  „Ach 
die  Senorita  schläft  noch,  sehen  Sie,  da  drüben  hinter  dem  verhängten 
Fenster.  Aber  sie  wird  schon  noch  kommen.“  Und  sie  kam,  der 
Zug  kam  auch  und  wartete,  bis  alle  ihre  Fahrkarten  hatten.  Dann 
ging  es  weiter,  zwar  mit  45  Minuten  Verspätung,  aber  die  Senorita 
hatte  wenigstens  ausgeschlafen. 

Bei  alledem  beobacihtet  aber  das  Volk  freiwillig  oft  eine  Ordnung 
und  Disziplin,  um  die  wir  es  manchmal  beneiden  können.  Ohne 
StoBen  und  Schimpfen  und  ohne  Schutzmannsgeschrei  leert  sich  all- 
wöchentlich zweimal  der  groBe  Stierzirkus  in  Madrid,  in  dem 
15000  Personen  Platz  haben.  Vom  Dreikönigstage  bis  zum  Ascher- 
mittwoch ziehen  allabendlich  groBe  Gesellschaften  von  Bürgern  oder 
Studenten  mit  Saitenspiel  durch  die  StraBen,  in  der  Mitte  trägt  ge- 
wöhnlich einer  die  spanische  Fahne.  Von  selbst  halten  sie  die 
peinlichste  Ordnung.  Jedem  preuBischen  Feldwebel  lachte  das  Herz 
im  Leibe,  sähe  er  diesen  Vordennann  und  diese  Seitenrichtung.  Oder 
man  beobachte  das  Volk  am  Fahrkarten-  oder  Postschalter.  Ohne  von 
Beamten  zurechtgewiesen  zu  werden,  treten  alle  von  selbst  in  einer 
Reihe  an.  Die  Abfertigung  geht  sehr  langsam,  da  viel  dabei  ge- 
schrieben wird.  Keiner  sucht,  vor  den  andern  zu  kommen,  keiner 
drängelt.  Ich  habe  an  deutschen  Schaltern  schon  mit  Wehmut  an 
diese  Ordnung  zurückgedacht.  — .\m  1.  Mai  war  groBer  Sozialisten- 
umzug in  Madrid.  Arbeiter  und  Arbeiterinnen  zogen  langsam  mitten 
durch  die  vornehmsten  StraBen,  jede  Gnippe  mit  einer  roten  Fahne. 
Ich  habe  über  70  Fahnen  gezählt.  Kein  Schreien,  kein  Johlen,  in 

Mitteilungen  d.  sctales.  Oes.  f.  Vkde.  Iliind  XII  (Heft  1)  3 


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musterhafter  Ruhe  ging  der  ganze  Zug.  Kein  Schutzmann  mehr 
als  sonst  war  aufgehoten.  Wozu  auch?  Die  Leute  hielten  selbst  die 
peinlichste  Ordnung.  Die  Zuschauer,  auch  die  Schutzleute,  begrüßten 
ilire  Bekannten  im  Zuge,  man  scherzte  hinüber  und  herüber;  es  war 
keine  Demonstration  mehr,  sondern  ein  Volksfest.  — Oder  eine 
Szene  draußen  vor  der  Stadt.  Sobald  die  warme  Zeit  kommt,  ist 
es  das  Sonntagsvergnügen  der  Madrider,  den  ganzen  Tag  auf  den 
Wiesen  vor  der  Stadt  zu  verbringen.  Alle  Vorräte  werden  in  Körben 
mitgebracht  — und  in  „Freßkobern“  leistet  der  Spanier  Wunderbares, 
am  meisten  auf  der  Eisenbahn  — , mitten  auf  der  Wiese  wird  abgekocht, 
man  dehnt  sich  und  streckt  sich,  faulenzt,  Erwachsene  und  Kinder 
spielen  Blindekuh  oder  Toro.  Doch  nie  wird  der  Nachbar  verletzt, 
fremdes  Eigentum  im  Übermute  beschädigt.  Ohne  Unterschied  der 
Stände  lagern  die  einzelnen  Gruppen,  und  keine  kommt  der  andern 
ins  Gehege. 

Eigenartig  ist  das  Verhältnis  des  Spaniers  zur  Religion.  Das  Volk 
ist  fromm  und  gläubig  ‘);  die  Ruhe  und  Ordnung  in  den  Kirchen  ist 
viel  strenger  als  in  Italien.  Größer  aber  noch  als  seine  Frömmigkeit  ist 
die  Liebe  zu  Putz  und  Pomp.  Etwas  Dekoratives  liebt  der  Spanier 
im  eigenen  Leben;  den  König  Amadeus  machte  vor  allem  sein 
einfaches  Wesen  unbeliebt.  Auch  an  seiner  Kirche  bewundert  er 
besonders  die  ungeheure  Macht  und  den  glänzenden  Prunk,  und  die 
Kirche  muß  ihm  umsomehr  imponieren,  je  weniger  ihm  der  Staat 
sein  kann.  Die  Prozession  wird  ihm  zum  Schauspiel,  hei  dem  das 
Sakrament  Nebensache  ist.  Die  Hauptsache  dabei  sind  die  mächtigen, 
meist  aus  Edelmetall  getriebenen  Gruppen,  die  oft  von  zwanzig  und 
mehr  Männern  getragen  werden  müssen  und  die  Größe  eines  Zimmers 
erreichen.  Die  einzelnen  wie  Fastnachtdominos  vermummten  Bruder- 
schaften überbieten  sich  gegenseitig  mit  ihren  Figuren.  Oft  wird 
gehalten,  um  die  Träger  zu  wechseln.  Da  trinkt  man  denn  schnell 
einmal  aus  dem  am  Gürtel  hängenden  Weinschlauche,  oder  man 
scherzt  mit  den  Zuschauern.  Das  Heilige  ist  so  gut  wie  verloren 
gegangen,  die  Schaustellung  ist  übrig  geblieben.  An  der  Spitze  steht 
darin  Sevilla.  Alle  Tage  der  Karwoche  finden  Prozessionen  statt, 
bei  denen  eine  beispiellose  Pracht  entfaltet  wird.  Sevilla  wird  dann 
zur  Fremdenstadt;  es  wimmelt  von  Engländern.  Wohnungen,  Lebens- 
mittel, alles  ist  dreimal  so  teuer  als  sonst,  Tribünen  werden  gebaut, 

')  Vgl.  Wilbraudt,  Kund  ums  Mittelmeer,  Stuttgart  u.  Berlin  19t'9  S.  33  ff. 


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kurzum  die  ,Semana  Santa‘  von  Sevilla  ist  die  berühmteste  Schau- 
stellung in  ganz  Spanien.  — Wie  der  Aragonier  an  seiner  Schutz- 
heiligen, der  Virgen  del  Pilar  hängt,  habe  ich  envähnt.  Überall 
bildet  er  sie  ab.  Der  Spanier  findet  nichts  dabei,  uns  mutet  es 
eigentümlich  an,  wenn  eine  Gesellschaft  von  Aragoniem  in  Volks- 
tracht einen  Fastnachtsumzug  mit  einer  Fahne  macht,  auf  der  das 
Kild  der  Virgen  del  Pilar  ist.  Und  darüber  steht  ein  Schild:  .Segnndo 
premio  del  carnaval  1908‘.  — Vom  Gründonnerstag  bis  zum  Kar- 
sonnabend  fährt  kein  Wagen  und  keine  Straßenbahn  in  Madrid. 
Aber  auf  den  Straßen  ist  kein  Vonvärtskommen.  Der  Korso  ist 
eleganter  denn  je.  Gründonnerstags  tragen  die  Damen  weiße  Man- 
tillas,  Karfreitags  schwarze.  Man  spricht  aufgeregt  vom  Stiergefecht 
(corrida)  am  Ostersonntage;  die  besten  Espadas  und  die  besten  Stiere 
aus  der  Zucht  des  Herzogs  von  Veragua')  sind  angekündigt.  Die 
Plätze  sind  schon  ausverkauft  und  werden  ums  Fünffache  überzahlt. 
Und  kommt  der  Sonntag,  da  bewegt  sich  ein  endloser  Zug  von 
Wagen  und  Fußgängern  nach  der  Plaza  de  toros.  Frauenhttte  sieht 
man  so  gut  wie  gar  nicht,  nur  weiße  Mantillas;  und  viele  Frauen 
tragen  die  malerisch  um  den  Leib  geschlungenen  ManilatOcher;  alle 
haben  Blumen  im  Haar,  meist  gelbe  und  rote,  in  den  spanischen 
Farben.  Die  halbe  Karwoche  waren  Feiertage.  Streng  nach  altem 
Brauche  repräsentierte  man  die  kirchliche  Trauer.  Am  schmerzlichsten 
war  es  jedoch,  daß  die  ganze  Zeit  ohne  Corrida  war.  Die  Corrida 
ist  der  Ausdruck  der  größten  Festfreude.  Alle  großen  Kirchenfeste 
wären  keine  Feste  ohne  Corrida.  Wo  man  die  nicht  haben  kann,  wo 
die  nächste  ,Plaza  de  toros‘  zu  weit  ist,  da  trägt  man  am  höchsten 
Feste  seinen  schmutzigen  Arbeitskittel  und  arbeitet,  wenn  man  nichts 
Besseres  vorhat.  Unmittelbar  unter  den  Felsen  von  Montserrat,  so- 
zusagen unter  den  Augen  des  altehrwürdigen  wundertätigen  Marien- 
bildes sah  ich  am  Ostermorgen  Frauen  Wäsche  w.ischen.  Meine 
Frage  venvunderte  sie.  „Was  sollen  wir  tun?  Und  die  Wäsche  ist 
si'hmutzig.“ 

Fast  noch  wichtiger  als  die  großen  Kirchenfeste  sind  die  Feste  der 
heiligen  Schutzpatrone.  Dreierlei  gehört  zu  einer  solchen  Feier,  eine 


')  Er  ist  ein  Sacbkomuio  des  Kolumbus,  einer  der  reichsten  und  cinlluü- 
reichsten  (jranden;  das  ganze  Volk  spricht  von  ihm,  denn  er  hat  die  größten 
Stierherden.  Er  war  auch  einmal  schon  Unterrichtaminister.  Und  sein  -khne, 
der  dem  Lande  ungeheuren  Reichtum  und  eine  ganze  Welt  geschenkt  hatte,  hat 
Ketten  getragen  und  starh  in  Vergessenheit. 


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große  kirchliche  Prozession,  ein  Jahnnarkt  (feria),  hauptsächlich  Vieh- 
niarkt,  und  eine  Keihe  besonders  stattlicher  Stierkämpfe.  .Jeder  Ort 
feiert  seinen  Heiligen.  Sein  Tag  ist  der  größte  Feiertag  iin  ganzen 
Jahre.  Wie  tief  dieser  festliche  Lokalpatriotisinus  wurzelt,  konnte 
man  bis  vor  zwei  Jahren  in  Pamplona  sehen.  Pablo  de  Sarasate 
kam  fast  jedes  Jahr  am  27.  Juli,  dem  Tage  von  St.  Ferrin,  zur 
Feria  nach  Pamplona.  Und  wenn  das  Volk  dichtgedrängt  vor  seinem 
Hause  stand  und  beständig  „Viva  Don  Pablo!“  schrie,  dann  trat  er 
mit  seiner  (leige  auf  den  Balkon,  das  laute  Schreien  verstummte, 
und  Sarasate  spielte  seinen  Landsleuten  etwas  vor.  Es  soll  selten 
vorgekommen  sein,  daß  Sarasate  eine  Feria  in  Pamplona  versäumte. 

In  der  landesüblichen  Art,  große  Kirchenfeste  zu  feiern,  macht 
sich  eine  immerhin  entschuldbare  kindliche  Oberflächlichkeit  geltend, 
die  ihr  Vergnügen  haben  will  und  aus  dem  Kirchenfest  ein  Volks- 
fest macht.  Viel  unangenehmer  wirkt  es,  wenn  persönliche  Eitelkeit 
des  Einzelnen  sich  in  den  Vordergrund  drängt  und  obendrein 
noch  Sterben  und  Tod  dazu  benutzt.  Wird  einem  Kranken  die  Weg- 
zehrung gebracht,  so  wird  das  zu  einem  großen  Aufzuge.  Die  Freunde 
und  Bekannten  werden  gebeten,  den  Geistlichen  zu  begleiten,  alle, 
selbst  Kutscher  und  Lakaien,  sind  barhäuptig  und  tragen  Kerzen  in 
den  Händen.  Die  Familie  tut  sich  etwas  darauf  zu  gute,  wenn 
dieser  Aufzug  recht  stattlich  aussieht  und  die  ganze  Straße  davon 
spricht.  Und  soll  von  der  Pfarrkirche  den  Kranken  und  Schwachen 
der  ganzen  Parochie  an  einem  Tage  das  Abendmahl  im  Hause 
gereicht  werden,  dann  erbitten  die  ,Sacramentales‘,  eine  besondre 
Brüderschaft,  die  die  Besorgung  derartiger  Veranstaltungen  sich  zur 
Aufgabe  macht,  vom  Palaste  für  die  Priester  Kutschen  in  ,media  gala‘. 
Auch  eine  Sektion  Soldaten  wird  auf  Wunsch  gestellt.  Die  Freunde 
und  die  Bruderschaftsnütglieder  gehen  mit,  den  Hut  in  der  Hand, 
alle  tragen  zehnpfündige  Kerzen.  Vom  und  hinten  geht  eine 
Musikkapelle.  Einst  mag  dies  eine  Ehrung  des  Sakramentes  gewesen 
sein ; heute  ist  es  eine  Befriedigung  der  persönlichen  Eitelkeit.  — 
Ähnlich  ist  es  bei  Begräbnissen.  Die  Leichenwagen  sind  überladen 
mit  Schmuck,  die  goldbetreßten  Leichendiener  haben  weiße  Perücken. 
Bei  vornehmen  Begräbnissen  fahren  70  und  mehr  Kutschen  mit  als 
Vertreter  ihrer  Besitzer.  Jeder  Kutscher  und  jeder  Lakai  trägt  eine 
Riesenkerze  im  Werte  von  10 — lö  Pesetas.  Da  sie  sich  den  Rest  be- 
halten können,  ist  es  selbstverständlich,  daß  sie  sie  bald  auslöschen, 
um  beim  Verkaufe  möglichst  viel  heranszuschlagen.  Die  nächsten 


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Angehörigen  fahren  in  Wagen  mit  verhängten  Fenstern,  die  übrigen 
unterhalten  sich,  essen  wohl  auch,  und  die  Herren  rauchen  natürlich. 
Um  so  elender  sieht  das  Begräbnis  der  Armen  aus,  die  nicht  einmal 
ein  eignes  Grab  bekommen.  Da  die  Einzelgräber  sehr  teuer  sind, 
kommen  sie  in  einer  Gnibe  mindestens  zu  dreien  übereinander. 
Nach  fünf  Jahren  werden  dann  die  Knochen  herausgenommen  und 
zerschlagen,  und  die  .Angehörigen  haben  nun  keinen  Ort  mehr,  wo 
sie  ihre  Toten  besuchen  können. 

Spanien  ist  übersät  mit  Klöstern.  Madrid  allein  hat  deren  f)5.  Zum 
Teil  mag  in  die  strengeren  verzückte  AVeltverneinung  sich  zurück- 
zielien.  Ich  glaube,  kein  Land  ist  an  Wunderheiligen  so  reich  wie 
Spanien.  Vielfach  sind  es  aber  Versorgungsanstalten.  Die  reichen 
Klöster  mögen  das  Land  aussaugen,  den  stummen  Karthäusem  mag 
das  Volk  fremd  und  mit  einer  gewissen  Scheu  gegenüber  stehn; 
viele,  und  gerade  die  bescheideneren,  sind  jedoch  wahre  Wohl- 
täter für  die  Armen  der  Umgegend,  wenn  sie  auch  mitunter,  be- 
günstigt durch  ihre  Steuerfreiheit,  mit  den  Erzeugnissen  ihres  Fleißes 
den  Handwerker  schädigen.  Es  entwickelt  sich  zwischen  der  armen 
Bevölkerung  und  den  Klosterleuten  eine  ehrliche  Freundschaft.  Nur 
wer  das  Elend  dieses  Volkes  in  den  öden,  abgelegenen  Landesteilen 
kennt,  der  versteht  dieses  Verhältnis.  Mag  die  Volkswut  sich  einmal 
gegen  die  reichen  und  sich  vom  Volke  abschließenden  Klöster  kehren, 
die  wohltätigen  werden  in  den  .Allerärrasten  auf  dem  Lande  immer 
treue  Verbündete  finden,  vor  allem  wenn,  wie  in  Salamanca,  ein 
Listiger  Kfichenpater  den  Verkehr  mit  dem  Volke  versieht,  der  mit 
ihnen  plaudert,  sie  nach  den  Kindern,  der  Ziege  und  nach  der  Ernte 
fragt,  Verständnis  für  die  Sorgen  der  .Annen  und  immer  einen 
Trost  für  sie  bereit  hat.  Mir  sind  die  beiden  Dominikaner  in  Sala- 
manca noch  in  schönster  Erinnerung,  jene  bescheidenen  Leute,  die 
sich  auch  in  ihrer  Zelle  ihre  Poesie  gewahrt  haben  und  davon 
schwärmten,  wie  sie  in  Sommervollmondnächten  den  wundervollen 
gotischen  Kreuzgang  durchwandeln  und  im  Garten  in  den  hohen 
Bäumen  die  Nachtigall  singen  hören.  Auch  der  Baum  und  der 
Vogel  muß  ja  in  den  Klosterfrieden  Ilüchten,  um  vor  Verfolgung 
sicher  zu  sein. ') 

Eine  tiefe  Kluft  trennt  den  reichen  und  amien  Weltklerus. 


')  Über  das  wundervolle  Kloster  auf  dem  Montserrat  vgl.  Schlesische 
Zeitung  1909  Kr.  469  Tom  8.  Juli. 


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2-2 


Dieser  ist  ein  geistliches  Proletariat,  verachtet  und  bitter  arm.  Ein 
Pfarrer  in  einem  Dorfe  an  der  Ouadarrama  hatte  neben  freier  Wohnung, 
die  eher  ein  Stall  heilien  könnte,  zwei  Pe-'^eten  täglich.  Da  muli 
freilich  jedes  Bildungsstreben  erfrieren.  Die  Allerünnsten  stecken 
ihre  Kinder  ins  Priesterseminar,  um  ihnen  den  unaufhörlichen  Kampf 
mit  der  unfruchtbaren  Scholle  zu  ersparen,  den  sie  selbst  führen, 
um  dann  .schließlich  doch  nur  vom  Steuerfiskus  gebrandschatzt  zu 
werden.  Der  künftige  Pfarrer  soll  später  auch  seiner  Verwandtschaft 
das  Leben  einigermaßen  erleichtern.  Der  reiche  Klerus  sitzt  dagegen 
auf  fetten  Pfründen,  die  von  den  Vornehmen  teuer  erkauft  werden. 
Am  gesuchtesten  sind  die  an  der  Kathedrale  von  Toledo.  Schon 
durch  ihre  verwandtschaftlichen  Beziehungen  und  durch  Sitze  im 
Senate  sind  diese  geistlichen  Würdenträger  in  der  Lage,  entscheidend 
in  die  Geschicke  Spaniens  einzugreifen,  nicht  immer  gerade  zum 
Segen  des  Landes. 

Der  Spanier  ist  leicht  erregt  und  schnell  für  etwas  begeistert. 
Aber  ebenso  schnell  ist  das  Feuer  erloschen,  sobald  er  andre  Ab- 
lenkung findet.  Voriges  Jahr  deckte  der  A^orsitzende  des  juristischen 
Büros  im  Marineministerium  Juan  Macias  eine  Reihe  Durchsteckereien 
auf,  die  bei  der  Vergebung  der  neuesten  Flottenbauten  vorgekommeu 
waren.  Das  Kammerpräsidium  lehnte  die  Besprechung  ab.  Drei 
Tage  lang  herrschte  große  AVut.  Vor  dem  ,Congreso‘,  dem  .Abgeordneten- 
hause, sajiimelte  sich  das  A'olk  und  verlangte  drohend  die  Unter- 
suchung und  die  Befreiung  des  Gemaßregelten.  Der  Ministerpräsident 
Maura  blieb  fest.  Nach  acht  Tagen  sprach  niemand  mehr  davon, 
und  der  anne  Kerl  blieb  in  Haft,  weil  er  so  ungeschickt  war,  etwas 
laut  zu  sagen,  was  jedermaTin  wußte.  — Unter  Karl  IV.  verbot  der 
Minister  Squilache  die  langen  Capas.  Sie  sollten  nur  bis  zu  den 
Waden  gehn.  Er  wußte,  warum.  Der  Königsmord  in  Portugal  hat 
wieder  gezeigt,  daß  sich  unter  diesen  langen,  weiten  Umhängen  jede 
Mordwaffe  verbergen  läßt,  ln  allen  Sammlungen,  in  Schlössern  und 
in  der  Schloßkindie  müssen  jetzt  alle  Capas  draußen  abgegeben 
werden.  Squilache  ließ  auch  Laternen  auf  den  Straßen  anzünden, 
um  dem  dunklen  Treiben  zu  steuern.  Man  empfand  das  als  einen 
Eingriff  in  die  heiligsten  Rechte.  Es  kam  zu  Unruhen,  und  Squilache 
mußte  flüchten.  Aber  er  kam  bald  wieder,  die  Laternen  brannten 
weiter  und  die  Capas  wurden  kürzer.  — Aus  derselben  Eigenschaft, 
schnell  sich  zu  erregen  und  schnell  wieder  zu  vergessen,  erklären 
sich  auch  die  großartig  angetängenen  und  nicht  vollendeten  Bauten. 


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23 


Eine  Basilika  von  gewaltiger  Anlage,  die  zum  Ehrengrabe  für  hervor- 
ragende Spanier  werden  sollte,  steht  seit  lä  Jahren  unvollendet  da. 
Nur  der  Turm  und  eine  Halle  ist  ausgebaut.  Und  das  Denkmal  für 
Alfons  XII.  mitten  im  Parke  von  Madrid  ist  in  der  Hauptsache  ein 
großes  Eisengerüst,  das  wie  ein  Riesengalgen  in  die  Luft  ragt.  Seit 
sieben  Jahren  steht  es  so.  Weder  der  Staat,  noch  die  Stadt,  noch  der 
König  selber  denken  daran,  dies  wenig  ehrenvolle  Denkmal  zu  vollenden. 
Wer  neugierig  ist,  der  mag  sich  nebenan  in  der  Bretterbude  für  50  Centi- 
mes das  Gipsmodell  ansehen.  — Es  ist  immer  derselbe  Gang.  Das  in 
der  Begeistenmg  großartig  angelegte  Werk  übersteigt  die  ausgeworfenen 
Kosten,  von  denen  ein  Teil  womöglich  noch  sj)urlos  verschwindet. 
Die  Begeisterung  ist  vertlogen,  und  das  angefangene  Werk  bleibt 
unvollendet  liegen.  Damm  sind  auch  die  politischen  Aufstilnde,  die 
frttlier  zum  täglichen  Brote  gehörten,  von  geringem  Erfolge  gewesen. 
Es  fehlte  an  Ausdauer,  man  beruhigte  sich  wieder,  und  alles  blieb 
beim  alten. 

Dabei  kann  das  Volk  in  wilde  Leidenschaft  geraten.  Das  zeigt 
sich  besonders  beim  Tanze,  hauptsächlich  in  Andalusien.  Und  wenn 
ein  Messer  gezogen  wird,  so  geschieht  es  fast  immer  um  eines  Weibes 
willen.  Am  schlimmsten  und  grausamsten  wird  die  Leidenschaft  im 
Kriege.  Es  ist  furchtbar,  was  alte  Soldaten  aus  den  Karlistenkämpfen 
der  siebziger  Jahre  zu  erzählen  wissen.  Der  Spanier  ist  der  geborene 
ttuerillakrieger.  Das  mag  iberisches  Erbe  sein ').  Im  StraUenkampfe 
hat  man  ehemals  in  Sagiint  ebenso  Großartiges  geleistet  wie  im  19.  Jhdt. 
in  Madrid  und  Saragossa  (span.  Zaragoza).  Im  allgemeinen  ist  aber 
der  Spanier  friedfertig.  Er  murrt  wohl  einmal,  aber  er  läßt  sich 
trotzdem  von  seiner  Regiemng  ziemlich  viel  gefallen.  Selbst  wer 
mit  klarem  Blicke  und  ehrlichem  Herzen  die  elende  Verwaltung  ver- 
dammt, findet  sich  doch  mit  entsagendem  Achselzucken  ins  an- 
scheinend Unvenneidliche  und  sagt  nur  als  Erklärung:  , Cosas  de 
Espana‘. 

Aber  eine  Leidenschaft  ist  noch  zu  nennen,  die  den  A'ollblut- 
spanier  in  heiße  Erregung  versetzt,  nämlich  der  Stierkampf.  Das 
Theater  spielt  in  Spanien  nicht  die  Rolle  wie  bei  uns.  Die  Oper 
ist  italienisch.  Laute  Unterhaltung  während  der  Mu.sik  ist  etwas 
Selbstverständliches.  Spanische  Schauspiele  werden  wohl  gespielt, 
doch  im  Vordergründe  steht  die  ,Zarzuela,‘  das  kleine,  echt  spanische 

Vgl.  IMcrcks,  Geschichte  Spaniens  II  ölt  ff,  .528. 


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24 


Scherz-  oder  Rührstück.  Alle  Stunden  beginnt  ein  neues  Spiel,  oft 
ä bis  6 am  Abende.  Nach  jedem  Stück  wird  das  Theater  geräumt, 
und  für  billiges  Geld  kann  man  sich  die  eine  oder  andre  Zarzuela 
anssuchen.  Doch  auch  die  Zarzuela  kann  sich  mit  dem  Stierkampfe 
nicht  messen.  An  der  Mittelmeerküste  machen  ihm  allerdings  die 
ekelhaften  Hahnenkämpfe  den  Rang  streitig.  Der  Baske  hat  sein 
Ballspiel;  in  jedem  baskischen  Dorfe  steht  ein  Ballspielhaus;  jung 
und  alt,  hoch  und  niedrig  widmen  sich  dem  anmutigen,  große 
Gewandtheit  erfordernden  Spiel.  Für  das  ganze  übrige  Spanien  ist 
das  Nationalvergnügen  die  Corrida.  Es  gibt  gegen  250  Plazas  de 
toros  im  Lande,  durchweg  amphitheatralische,  kreisnmde  Gebäude, 
die  mitunter  über  15000  Menschen  fassen.  An  mehr  als  100  Orten 
wird  vorübergehend,  altem  Brauche  getreu,  der  Hauptplatz  zur  Arena 
gemacht.  Denn  wie  die  Autos  da  fe,  so  fanden  auch  die  Stiergefechte, 
ehe  man  besondre  Gebäude  dafür  baute,  auf  dem  Marktplatze  statt. 
Selbst  ganz  elende  Dörfer,  die  von  einer  Volksschule  kaum  etwas 
geträumt  haben,  leisten  sich  ihre  bescheidene  Plaza  de  toros.  Ich 
habe  Spanier  kennen  gelernt,  die  seit  30  Jahren  abonniert  sind  und 
jeder  Corrida  beiwohnen.  In  Madrid  gibt  es  den  größeren  Teil  des 
Jahres  über  zwei  wöchentlich,  mindestens  sechs  Stiere  kommen  jedes- 
mal zur  Strecke.  Mit  solchen  ,.\ficionados‘  (begeisterten  Verehrern), 
wie  sie  sich  selbst  nennen,  muß  man  zum  Stiergefecht  gehn,  um 
einen  rechten  Begriff  zu  bekommen.  Dann  sieht  man  nicht  nur  die 
Grausamkeit,  sondern  auch  die  Mannigfaltigkeit  und  vollendete  Grazie 
des  Kampfes.  Die  genaue  Beschreibung  des  Verlaufes  kann  ich  mir 
hier  wohl  ersparen').  Nur  ein  paar  Bemerkungen.  Der  Stier  ist 
weniger  zu  bedauern  als  die  armen  Pferde,  alte  abgetriebene  Gäule, 
liie  noch  von  Glück  sagen  können,  wenn  sie  der  Stier  vollständig 
zerreißt;  denn  sonst  werden  sie  mit  zerbrochenen  Rippen  und  aus 
dem  durchbohrten  Leibe  heraushängenden  Eingeweiden,  am  ganzen 
Leibe  zitternd,  immer  wieder  vor  den  Stier  gestellt.  Für  diese  unerhörte 
(Quälerei  hat  der  Spanier  kein  Auge;  er  beachtet  nur  die  Anmut 
und  Geschicklichkeit  der  Toreros.  Sieht  man  vom  ersten  Teile  des 
Kampfes  ab,  in  dem  die  Pferde  dem  Stiere  beinah  buchstäblich  auf 
die  Hörner  gestoßen  werden,  so  kann  man  allerdings  die  katzenartige 
Geschmeidigkeit  und  Gewandtheit  der  Stierkämpfer  nur  bewundern. 
Es  ist  ein  gefährliches  Spiel.  Der  Stier  rast  auf  seinen  Angreifer 


')  Vgl.  Schlesische  Zeitung  1909  Nr.  544  vom  6.  August. 


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•25 


ZU;  ein  Stoß  nur,  im  nämlichen  Augenblicke  eine  kleine  Wendung, 
und  haarscharf  tobt  er  am  Leibe  des  Toreros  vorbei,  die  spitzen 
Banderillas  im  Nacken.  Anßer  dem  Matador  oder  Espada  hat  keiner 
der  Toreros  eine  ausreichende  Waffe  gegen  den  Stier.  Auch  die 
Lanze  der  Picadores  taugt  mit  ihrem  kurzen  Stachel  bloß  zum  Reizen, 
nicht  zur  Abwehr.  Und  nur  Stirn  gegen  Stirn  darf  das  Tier  an- 
gegriffen werden,  nur  dann,  wenn  es  selbst  zum  Angriff  bereit  ist. 
Da  bleiben  dem  Torero  nur  gespannteste  Aufmerksamkeit  und  äußerste 
Gewandtheit  übrig;  ein  geringes  Versehen,  ein  kleines  Straucheln 
kann  sein  Tod  sein.  Mit  erbarmungsloser  Leidenschaft  folgt  der 
Zuschtiuer  jedem  Schritt.  Seine  Kritik  ist  gerecht  und  schonungslos. 
Der  berühmteste  Matador  wird  beim  geringsten  Versehen  ausgepfiffen, 
ob  der  König  da  ist  oder  nicht;  in  der  Plaza  de  toros  ist  das  Volk 
suverän.  Blumen,  Fächer,  Mantillas,  Ringe,  Handschuhe,  Hüte,  selbst 
AVeinschläuche  fliegen  dem  gewandten  Matador  zu;  Orangen-  und 
Eierschalen,  Sitzkissen,  Käserinden  und  Papierknäuel  hageln  auf  den 
schlechten  unter  ohrenzerreißendem  .fohlen  und  Pfeifen  herab.  Dann 
hat  man  auch  die  beste  Gelegenheit,  die  unglaubliche  Schlagfertigkeit 
und  den  erbannungslosen  AVitz  des  Spaniers,  besonders  des  Kastiliers 
(s.  S.  (i)  kennen  zu  lernen.  Dem  Espada,  der  schlecht  zustößt,  ruft 
z.  B.  einer  zu:  ,,Ah,  du  bist  ein  guter  Christ,  du  willst  das  Tier 
nicht  ohne  Beichte  sterben  lassen,“  oder  ,du  willst  ihn  wohl  beerben 
und  er  soll  vorher  das  Testament  machen?“ ‘)  .Außer  sich  vor  Erregung 
sind  vor  allem  aber  die  Toreros  selber.  Ich  sah,  wie  ein  junger 
Espada  vor  dem  Stiere  langsam  rückwärts  ging.  Er  strauchelte  über 
eine  Pferdeleiche.  Im  selben  .Augenblicke  saß  ihm  das  Hom  des 
Stieres  in  den  Lenden.  Totenbleich  raffte  er  sich  auf,  um  trotz  alles 
Zuredens  noch  einmal  gegen  den  Stier  zu  gehn,  bis  er  .zusammen- 
brach. Diese  Leidenschaft  für  das  Stiergefecht  sitzt  tief  im  Volke. 
Bei  uns  spielen  die  Knaben  Soldaten,  in  Spanien  entweder  Räuber 
und  Karlist  oder  am  liebsten  ,Toro“,  und  sie  reißen  sich  darum, 
Toro  oder  Torero  zu  sein.  .Auch  Envachsene  kanu  man  Toro  spielen 
sehen.  Ein  Gobelin  von  Goya  stellt  eine  solche  Szene  dar.  AVill 
man  Gott  oder  einen  Heiligen  besonders  ehren,  so  veranstaltet  man 
zur  Feier  des  Festes  einen  Stierkampf  (s.  S.  19f.).  Der  Namenstag 
oder  die  Hochzeit  des  Königs,  besonders  hoher  Besuch  wird  durch 
eine  Corrida  gefeiert.  Ehe  der  letzte  Abschnitt  des  Kampfes,  die 
eigentliche  Tötung,  beginnt,  weiht  der  Alatador  seinen  Stier  dem 

')  Vgl.  Emannel  tou  Cuendiaa,  Spanien  und  die  Spanier  S.  195. 


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26 


Könige,  oder  dem  Alcalden '),  oder  sonst  einer  Persönlichkeit,  die  er 
besonders  ehren  will.  Dann  sucht  er  es  so  einzurichten,  daß  er 
seinen  Gegner  unmittelbar  zu  Füßen  desjenigen  ersticht,  dem  der 
Stier  geweiht  ist.  Eine  Sängerin  hatte  vor  Jahren  in  Santander  zu 
Gunsten  der  Überschwemmten  in  Zaragoza  gesungen  und  aut  jedes 
Honorar  verzichtet.  Auf  Wunsch  der  aragonesischen  Kolonie  in 
Santander  weihte  tags  darauf  Largatijo  seinen  Stier  der  Sängerin. 
Der  Begeisterungsjubel  soll  unbeschreiblich  gewesen  sein.  Eine 
größere  Ehrung  für  die  Sängerin  war  nicht  auszndenken.  König 
Alfons  XIII.  liebt  als  echter  Spanier  die  Corrida,  darum  ist  er  bei 
seinem  Volke  beliebt.  Noch  volkstümlicher  ist  die  Infantin  Isabel, 
seine  Tante,  die  nicht  nur  als  ,muy  aflcionada'  sehr  häufig  das  Stier- 
gefecht besucht,  sondern  mitunter  auch  die  Esj>adas  auszeichnet.  Die 
Königin-Mutter  Maria  Cristina  hat  viel  fürs  Land  während  ihrer 
langen  Regentschaft  getan.  Das  gibt  man  allenthalben  zu.  Aber 
so  recht  beliebt  konnte  sie  nicht  werden,  weil  sie  die  Corridas  nicht 
leiden  konnte  und,  wenn  sie  bei  besonderer  Gelegenheit  einmal  hingehn 
mußte,  sich  wegdrehte. 

Der  Spanier  hängt  so  fest  an  seinem  Stierkampfe,  daß  Staat  und 
Kirche  dagegen  machtlos  sind.  Der  Versuch,  die  Corridas  Sonntags 
zu  verbieten  und  nur  alle  14  Tage  statttinden  zu  lassen,  wurde  nach 
zwei  Wochen  wieder  aufgegeben,  da  das  Volk  in  hellem  Aufstand 
war,  voran  die  Studenten.  Dazu  kam  gerade  ein  Wechsel  iles 
Ministeriums,  und  die  neue  Regierung  konnte  sich  nichts  Besseres 
wünschen,  um  sich  beliebt  zu  machen,  als  die  Gelegenheit,  dem 
schreienden  Volke  seine  ,circenses‘  wiederzugeben.  Und  die  Kirche 
muß  gar  gute  Miene  zum  bösen  Spiel  machen.  Vor  dem  Kampfe 
nimmt  der.  Torero  das  Abendmahl,  und  der  sterbende  erhält  in  der 
Kapelle,  die  sich  meist  neben  der  Plaza  de  toros  befindet,  die  Weg- 
zehrung. 

Sicher  steckt  ein  großes  Quantum  Roheit  im  Spanier.  Das 
Leben  des  Tieres  gilt  ihm  nichts,  überall  kann  man  auf  der  Straße 
Pferde,  Ochsen  und  Maultiere  mit  großen  blutenden  Wunden  sehen, 
an  denen  sich  dann  ganze  Schwärme  von  Fliegen  festsetzen.  Das 

■)  Der  Alcaldc  ist  cini'  Art  BörgermeistiT.  Er  hat  das  Zeichen  lur  Eröffnung 
des  üefcohtc.s  und  zum  Übergang  von  einem  Teile  zum  andern  zu  gi'bcn.  Die  ge- 
wöhnliche tVeiheforuicl  des  Matadors  lautet:  .Brindo  li  Su  l’sia  y & lodas  las 
buenas  seHora-s  qiie  estan  cn  la  plaza  de  toros.“  (Ich  weihe  [den  Stier]  Euer 
Gnaden  und  allen  schönen  Frauen,  die  im  Zirkus  sind). 


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•27 


Kavalleriepfeid  ist  vorzüglich  und  gut  gepflegt,  der  Stier  in  der 
Arena  kann  ein  ,bravo  toro‘  sein  und  mit  Beifall  überschüttet  werden, 
wenn  er  ,cortesia‘  (anständiges  Betragen)  besitzt.  Fehlt  ihm  aber 
die  Angreiferwut,  so  wird  er  ausgepliffen.  Die  ganze  Arena  brüllt 
dann  nach  „banderillas  de  fuego“,  die  in  dem  Augenblicke,  da  sie 
dem  Stier  in  den  Nacken  gestoßen  werden,  sich  entzünden  und  durch 
den  brennenden  Schmerz  das  Tier  wild  machen  sollen.  Der  Gestank 
der  verbrannten  Haare  erfüllt  den  ganzen  Zirkus.  Nützt  auch  dieses 
barbarische  Mittel  nicht,  bleibt  der  Stier  furchtsam  und  scheu,  so 
verfällt  er  der  allgemeinen  Verachtung  und  wird  abgeführt.  Wie 
diese  feigen  Stiere,  so  ist  auch  jedes  Zugtier  ehrlos.  Es  ist  nur 
eine  Maschine  für  den  Menschen,  die  er  nach  Möglichkeit  ausnützt, 
zu  der  er  nie  in  ein  persönliches  Verhältnis  treten  kann.  Schlechtes, 
nicht  passendes  Geschirr,  der  Ochsenstachel  und  der  Mangel  an 
Pflege  sind  die  Mittel  widerlicher  Tierquälerei.  — Es  ist  gewiß 
kein  Zufall,  daß  gerade  in  Spanien  die  Inquisition  ihre  traurigsten 
Triumphe  feierte.  Auch  durch  die  modenie  spanische  Malerei  geht 
ein  Zug  von  Grausamkeit.  Im  neuen  Museum  in  Madrid  überwiegen 
bei  den  spanischen  Historienmalern  beinahe  die  Stolle,  die  mit  Tod, 
Krieg  und  Verbrechen  zu  tun  haben '). 

Neben  diesem  Hange  zum  Grausamen,  der  in  der  spanischen 
Geschichte  oft  wild  ins  Kraut  geschossen  ist,  steht  eine  große 
Natürlichkeit,  ja  Derbheit.  Es  ist  etwas  Selbstverständliches,  wenn 
Frauen  in  Gesellschaft,  bei  Tische  oder  beim  Korso  ihr  Kind  an  die 
Brust  legen.  Der  Fremde  nennt  das  grobe  Sitte  und  Mangel  an 
Takt.  Mir  scheint  es,  als  ob  darin  doch  eine  große  Natürlichkeit 

')  Z.  B.  Kosolus:  Tod  der  Liioretia  und  l>ie  ihr  Testament  diktierende 
Isabella  die  Katholiscbe,  Vera;  Grablejfung  des  hl.  LaurLOilius  und  Der  letzte 
Tag  von  Numaneia,  Gisbert:  Erschießung  des  Generals  Torrijos  und  seiner  An- 
hänger in  Malaga.  Pradilla:  Johanna  die  Wabn.sinnige  am  Sarge  Pbili|i)>s  des 
Schönen,  derselbe  Vorwurf  von  Valles,  Borras- Abella : Freisprechung,  Garnele: 
Tod  des  Lucanus,  Dominguez:  Tod  des  Seneoa,  Villegas  Brieva:  .tllegoric  dos 
Krieges,  Martinez  Cubells:  Peter  I.  von  Portugal  zwingt  seine  Vasallen,  der 
Leiche  der  Ines  de  Castro  zu  huldigen,  Casaa:  Hinrichtung,  Plasencia:  Ursprung 
der  römischen  Republik,  .Mulloz  Degrain:  Die  Liebenden  von  Teruel,  .kuierigo 
y Aparici:  Asylreihl.  Hidalgo  de  Caviedes:  Khea  Silvia,  Casado  del  .Alisal; 
Ophelia  und  Die  Glocke  von  Hucsca,  der  scheußlichste  Vorwurf,  der  sich  er- 
denken läßt  (Uber  die  Sage  vgl.  Diercks  I 429}.  Ich  erinnere  ferner  an  <toya; 
Hinrichtung  spanischer  Bürger  durch  die  Franzosen  am  3.  5.  1808  [im  Prado- 
muscum]. 


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■28 


liige.  In  der  iTesellschaft  und  in  der  Eisenbahn  reden  selbst  ge- 
bildete Franen,  ancli  in  Gegenwart  von  Herren  und  Fremden,  frei 
über  Dinge,  die  man  bei  uns  nicht  zum  Ballgespriiche  machen 
dürfte ').  Schlimmer  schon  ist  für  uns  der  dem  Südländer  überhaupt 
eigne  starke  Knoblauchgenuß.  Selbst  den  Mündern  der  Damen  aus 
der  Gesellschaft  entströmt  ein  durchdringender  Knoblauchduft,  für 
den  der  Spanier  keine  Geruchsnerven  zu  haben  scheint.  — Die  an- 
schauliche, lebendige  Sprache  der  Unterhaltung  kann  sich  bi.s  zur 
Derbheit  steigern,  und  selbst  grobe  Wörter  Hießen  als  gelinde  Flüche 
mit  ein,  ohne  daß  jemand  an  ihre  wahre  Bedeutung  noch  denkt. 
Im  Gespräche  hört  man  ,carajo‘,  ,cono‘  mitunter  in  jedem  zweiten 
Satze.  Und  wenn  der  Marktschreier  seine  Zuschauer  ,hijos  de  puta‘ 
nennt,  dann  lachen  sie,  und  niemand  denkt  daran,  den  Kerl  aufs 
Maul  zu  schlagen. 

Auflallend  ist  die  Höflichkeit  gegen  Frauen.  .Jeder  übt  sie  als 
äußerliche  Fonn.  Der  Straßenbahnwagen,  der  zur  Plaza  de  toros 
fährt,  ist  überfüllt.  Dichtgedrängt  stehn  wir  auf  der  Plattform.  Da 
steigt  noch  eine  behäbige  einfache  Frau  aufs  Trittbrett.  Der  Schaffner 
will  widersprechen.  „Hombre,  es  una  sehora!“  sagt  einer.  Damit 
ist  die  Frage  erledigt.  Der  Schaffner  schweigt,  wir  quetschen  uns 
noch  etwas  mehr  zusammen,  und  die  Frau  fährt  mit.  — Wenn  von 
dem  .Attentate  auf  den  König  bei  seiner  Hochzeit  gesprochen  wird, 
da  redet  man  kaum  von  den  unschuldigen  Opfern  unter  den  Zu- 
schauern' und  Soldaten,  man  bedauert  nur  immer  die  im  übrigen 
jetzt  unbeliebte  Königin:  „o,  la  pobrecita,  esa  joven  senora!“  Am 
weitesten  geht  darin  natürlich  der  .\ndalusier.  Eine  Grupjie  Männer 
sitzt  plaudenid  beisammen.  Eine  Frau  kommt,  sie  braucht  gar  nicht 
hübsch  zu  sein.  Plötzlich  fliegen  alle  Jacken  herunter  und  werden 
auf  der  Straße  ausgebreitet.  Die  Männer  überbieten  sich  in  .\us- 
rufen:  „Que  cuerpo  gracioso!  que  cara  hermosa!  que  ojos  bonitos!“  *) 
.\uch  ihre  Mutter,  ja  ihre  Großmutter  wird  gepriesen.  Es  wäre 
eine  schwere  Beleidigung,  wenn  sie  nicht  mit  freundlichem  Kopf- 
nicken auf  die  Jacken  treten  wollte.  Und  ist  sie  vorbei,  so  werden 
die  Jacken  aufgehoben,  und  man  spricht  wieder  vom  .\lltäglichen. 

Diese  äußerliche  Ritterlichkeit  darf  man  aber  nicht  überschätzen. 
Die  innere  .Achtung  vor  der  Frau  ist  beim  Spanier  nicht  besonders 

')  Vgl.  Andalusien  hgg.  v.  Dr.  W.  Häring  (W.  Alciis)  S.  I.'i2  f. 

*)  Welch  zierlicher  Körper!  Was  Ihr  ein  schönes  Gesicht!  Welch  liebliche 
Augen ! 


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29 


Loch.  Kein  spanisches  Mädchen,  das  anf  sich  hält,  geht  in  Madrid, 
selbst  hei  Tage,  olme  Begleitung  auf  die  StraUe.  Unter  solchen 
Verhältnissen  bleibt  die  Tochter  bis  zur  Hochzeit  streng  behütet. 
Eine  Verlobtenzeit  ist  so  gut  wie  unbekannt.  Vorher  darf  der  Ver- 
liebte wohl  vor  dem  Fenster  stehn  und  durchs  Gitter  das  Mädchen 
anschmachten.  Ist  sein  Antrag  angenommen,  so  hört  auch  das  auf. 
Nie  sieht  der  Verlobte  seine  Braut  ohne  Zeugen.  Der  Botaniker  an 
der  Madrider  Universität,  der  ein  paar  Monate  in  Göttingen  war, 
konnte  sich  nicht  genug  darüber  wundern,  daß  bei  uns  die  Braut 
mit  ihrem  Bräutigam  allein  auf  die  Straße  und  sogar  ins  Theater 
gehn  darf.  Daß  in  Spanien  so  etwas  unmöglich  sei,  drückte  er  etwas 
drastisch  aus.  — Doch  allzugroße  Strenge  erzeugt  List.  So 
spielt  der  Brief  und  die  stets  dienstbereite  Zuträgerin  eine  Rolle. 
Der  geeignet.ste  Platz  für  solchen  Austausch  ist  die  Kirche.  Ein 
Bild  von  Santamaria  im  neuen  Museum  zu  Madrid  stellt  eine  solche 
Szene  dar.  Ein  junges  Mädchen  kniet  neben  ihrer  andächtig 
betenden  Mutter.  Die  Zuträgerin  hat  eben  ihren  Brief  empfangen 
und  bringt  ihn  dem  hinter  dem  Gitter  harrenden  Offizier.  Uns  er- 
scheint das  Bild  äußerlich  und  nichtssagend;  der  Spanier  sieht  es 
mit  verständnisvolleren  Augen  an.  In  der  Calatravaskirche  habe  ich 
selbst  einen  ähnlichen  Vorgang  beobachtet.  — Eigenartig  ist  der 
Korso  in  Salaraanca  dafür  verwertet.  Die  Plaza  de  la  Constitution 
ist  der  schönste  Platz  in  ganz  Spanien,  rings  von  hohen  Rennaissance- 
gebäuden  umgeben,  die  sich  im  Untergeschoß  in  hohen  Hallengängen 
auf  einen  Schmuckplatz  öffnen.  Zur  Promenadenzeit  bewegen  sich 
hier  Männer  und  Frauen  getrennt,  die  einen  nach  rechts,  die  andern 
nach  links,  so  daß  sie  einander  beständig  begegnen.  Ein  junger 
Ehemann,  der  dies  Verfahren  offenbar  noch  frisch  im  Gedächtnis 
hatte,  erzählte  mir:  „Man  begegnet  sich,  man  sieht  sich  an  und 
gefällt  sich,  der  Verliebte  steckt  schließlich  dem  Mädchen  heimlich 
im  Vorbeigehn  ein  Briefchen  zu.  Das  nächste  Mal  bekommt  er  die 
Antw'ort.  So  geht  es  weiter,  und  das  Ende  vom  Liede  ist  die  Heirat.“ 
Es  liegt  etwas  Äußerliches,  Oberflächliches  im  Spanier.  Er  lebt 
sein  Leben  auf  der  Straße.  Zu  Hause  geht  es  oft  sehr  ärmlich  zu,  aber 
für  die  Straße  verwendet  er  alle  Anfmerksamkeit;  seine  letzte  Pesete 
opfert  er  womöglich  für  einen  modernen  Hut.  Das  Hauptaugenmerk 
aber  gilt  dem  klaren  Spiegelglanze  seiner  Stiefel.  An  allen  Ecken 
gibt  es  Stiefelputzhallen,  in  allen  Cafes  treiben  sich  die  ,limpiabotas", 
die  Stiefelputzer,  mit  ihren  Putzkästen  lierum.  Unfehlbar  sieht  ein 


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30 


Durclisciinittsspanier  einem  Fremden  nicht  zuerst  ins  Oesicht,  sondern 
auf  die  Stiefel.  Unvermittelt  steht  neben  diesen  Modedienern  der 
Proletarier.  Bei  uns  hat  doch  selbst  der  Ärmste  eine  Art  Sonntags- 
anzug, mit  dem  er  auch  äutierlich  seine  Feiertage  begeht.  Die 
annsten  unter  den  Spaniern  haben  nur  ihren  Arbeitsanzug. 
Zerrissen  und  schmutzig  gehn  sie  an  den  höchsten  Feiertagen 
zur  Kirche,  und  in  derselben  Tracht  gehn  sie  hinter  den  mit  über- 
ladenem Prunke  ansgestatteten  Leichenwagen  her.  Noch  aufliilliger  ist 
es,  daß  nicht  ehva  eine  tiefe  Kluft  diese  beiden  Gegensätze  trennt. 
Fs  ist  ein  für  den  Fremden  seltsames,  doch  nicht  seltenes  Bild,  daß 
das  Modegigerl,  das  behutsam  jedes  Stüubchen  von  seinem  Rocke 
wegpustet  und  ängstlich  seine  Stiefel  in  acht  nimmt,  neben  dem 
ungepflegten  Arbeitsmanne  in  lebhaftem,  vertraulichem  Gespräche  geht. 

Durch  die  unsagbar  schlechten  Wohnungsverhältnisse  ist  der 
Spanier  aber  geradezu  gezwungen,  auf  der  Straße  zu  leben.  Die 
Häuser  sind  eng  und  finster,  oft  trotz  der  bittern  Winterkälte  im 
Binnenlande  gar  nicht  heizbar.  In  den  neueren  Häusern  sind  zwar 
Kamine,  aber  sie  heizen  eher  das  Weltall  als  die  AVohnung.  In  dem 
holzlosen  Lande  mit  den  schlechten  Bahnen  und  teuren  Frachten 
sind  zudem  die  Heizinaterialien  sehr  teuer.  So  bildet  denn  das 
Kohlenbecken  im  Winter  immer  noch  den  Mittelpunkt  eines  spanischen 
Hauses.  Man  sehe  sich  nur  einmal  die  Casus  de  Huespedes,  die 
echt  spanischen  Fremdenpensionen  an.  Sie  sind  erstaunlich  billig. 
Man  zahlt  für  Kost  und  Wohnung  gewöhnlich  4 bis  5 Peseten  täglich. 
Die  Kost  ist  ausreichend  und  für  spanischen  Geschmack  .«ogar  meist 
gut.  Aber  schon  der  Gedanke,  in  diesen  luft-  und  lichtlosen  Höhlen 
zu  schlafen,  macht  einen  Nichtspanier  schaudern.  — Die  Ärmsten 
Jiaben  überhaupt  kein  Obdach.  Sie  schlafen  mitten  auf  der  Straße, 
und  verschlafen  sie  den  Alorgen,  so  läßt  man  sie  eben  liegen  und  jeder 
weicht  ihnen  vorsichtig  aus.  Im  Sommer  mag  das  ja  ganz  erträglich 
sein.  Aber  im  AVinter  liegen  diese  Unglücklichen,  wenn  sie  keinen 
Unterschlupf  finden,  ebenfalls  da,  in  dicke  Decken  eingehüllt.  Dann 
hält  der  Tod  unter  ihnen  eine  ergiebige  Ernte. 

AA’ir  machen  uns  von  der  bittern  .Armut  gar  keinen  Begriff. 
Das  fruchtbare  .Andalusien  könnte  viele  Tausende  betriebsamer  Bauern 
ernähren.  .Aber  dieses  Paradies  ist  zum  großen  Teil  AA’eide  für 
Stierherden,  die  für  die  Corrida  bestimmt  sind;  fast  das  ganze  Land 
gehört  Großgrundbesitzern,  und  die  Leute  behaupten,  auf  einen 
Reichen  kämen  6000  Arme.  Bewundernswert  ist  jedoch  die  Zufrieden- 
heit, mit  der  die  .Armen  ihr  Los  tragen.  In  .Andalusien  ist  es  ja 


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31 


nicht  so  sehlimni.  Kalt  ist  es  so  gut  wie  nie,  und  ein  hiLlchen  Obst, 
ein  Stück  Brot  oder  ein  Schluck  Wein  mit  Wasser  reicht  aus.  Im 
Notfälle  pflückt  man  die  Früchte  des  überall  wildwachsenden  Feigen- 
kaktns  oder  grübt  die  Wurzeln  der  Zwergpalme  aus,  die  an  allen 
Grabenrändern  gedeiht,  und  itSt  sie.  .\ber  auch  anderwärts  verrichtet 
es  ein  Stück  Brot  und  ein  paar  rohe  Salatblätter.  Dabei  sind  die 
Leute  lustig  und  guter  Dinge;  nie  habe  ich  so  einen  armen  Teufel 
murren  oder  schimpfen  hören.  Zu  dieser  Anspruchslosigkeit  des 
Lebens  gehört  die  große  Nüchternheit,  die  jedem  Spanier  überhaujd 
eigen  ist.  Fast  im  ganzen  Lande  gedeiht  ein  ausgezeichneter  Wein, 
der  für  ein  paar  Centimes  zu  haben  ist.  Trotzdem  erinnere  icli 
mich,  nur  ein  einziges  Mal  einen  angetrunkenen  Spanier  gesehen  zu 
haben. 

Überreich  ist  das  Land  an  Bettlern,  die  regelrechte  Organisationen 
bilden.  Sie  haben  ein  Anrecht  auf  das  Almosen.  Es  ist,  als  ob  das 
homerische  . . . Jrgös  yÖQ  Aiög  eloiv  änavres  ^tvoi  re  re  hier 

noch  in  Geltung  wäre.  Und  widerwärtig  ist  es,  wie  sie  all  ihre  Gebrechen, 
die  verkrüppelten  und  verstümmelten  Arme  und  Beine  zur  Schau  tragen. 
Das  Geschäft  ist  einträglich.  Es  gehört  zum  guten  Tone,  daß  vor  allem 
jede  Frau  und  jedes  Mädchen  die  in  Scharen  vor  der  Kirchtür  hockenden 
Bettler  der  Reihe  nach  abgeht  und  jedem  sein  Almosen  gibt.  Die 
Gesellschaft  ist  mitunter  ziemlich  aufdringlich,  dabei  fühlt  sich  jeder 
im  Innern  als  ,caballero‘.  Einmal  hat  mich  doch  einer  etwas  be- 
schämt. Als  er  mir  keine  Ruhe  ließ,  sagte  ich:  „Weg!  Belästigen 
Sie  mich  nicht!“  Den  Erfolg  hatte  ich  nicht  erwartet.  „Caballero, 
verzeihen  Sie,  ich  wollte  Sie  nicht  belästigen;  nein,  entschuldigen 
Sie ! Ich  empfehle  mich  ja  schon.“  Sprach's  und  verschwand.  Mein 
barscher  Ton  hatte  seinen  Stolz  geweckt.  — Alle  möglichen  Instrumente 
werden  von  blinden  Bettlern  gespielt.  Vollständige  Quartette  durchziehen 
die  Straßen  und  spielen  an  allen  Ecken.  Und  sie  spielen  meist 
recht  gut.  Man  findet  unter  ihnen  sogar  erblindete  Opernsänger  oder 
Theatennusiker.  — Die  spanischen  Bettler  haben  einen  unbändigen 
Freiheitsdrang.  Krankenhaus  oder  .\syl  sind  ihnen  wie  die  Hölle. 
Die  Tochter  des  früheren  deutschen  Botschafters  hatte  besonderes 
Mitleid  mit  einem  Manne,  der  immer  am  Prado  bettelte.  Nach 
langen  Bemühungen  gelang  es  ihr,  in  einem  Asj'l  eine  Freistelle  für 
ihn  zu  erwirken.  Freudestrahlend  teilte  Sie  es  ihrem  Schützlinge 
mit.  Da  wurde  der  Mann  grob.  „Was  denken  Sie?  Bis  Mittag 
verdiene  ich  hier  schon  3 Peseten  und  nachmittags  auch  noch  2. 


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3-2 


Und  da  soll  ich  in  ein  Asyl  gehn  und  meine  Freiheit  aufgeben? 
Niemals!“  — Dabei  ist  das  ein  lustiges  Volk.  Sie  reden  sich  gegen- 
seitig mit  Don,  Sehor,  Caballero  an.  wenn  sie  nicht  gerade  die  Epi- 
theta aus  der  Zoologie  nehmen.  Sie  feiern  auch  ihren  Karneval  auf 
ihre  Art.  Am  lustigsten  war  eine  stattliche  Schaar  Einbeiniger,  die 
als  Matrosen  gekleidet,  mit  der  spanischen  Fahne,  Klarinette  und 
Trommel  spielend,  durch  die  Straßen  zogen.  Sie  hielten  musterhaft 
Ordnung  und  hatten  sich  ganz  sj-mmetrisch  gegliedert,  die  Männer 
mit  rechtem  Stelzbein  auf  der  Rechten,  die  mit  linkem  Stelzbein  auf 
der  Linken.  Zuerst  schien  mir  das  wie  eine  Satire  auf  die  spanische 
Marine.  .Aber  daran  dachte  niemand.  Die  Heiterkeit  war  allgemein, 
und  mit  dem  klingenden  Erfolge  konnten  sie  wohl  zufrieden  sein. 
Warum  sollen  diese  Leute  nicht  betteln?  Betteln  doch  selbst  die 
Studenten.  Mit  ihren  Saiteninstrumenten  ziehen  die  ,Estudiantinas‘ 
zur  Fastnachtszeit  alle  Abende  durch  die  Stadt,  und  wo  Mädchen  auf 
dem  Baikone  stehn,  da  spielen  sie,  und  ein  paar  Geldstücke  lassen 
nicht  lange  auf  sich  warten.  Bei  solchen  Umzügen  tragen  sie  eine 
hübsche,  kleidsame  Tracht  aus  schwarzem  Samt,  langen  schwarzen 
Strümpfen  und  niedrigen  Schuhen,  über  einer  Schulter  hängt  der 
kurze  schwarze  Mantel.  Vom  an  dem  samtnen  Zweistutzer  steckt 
ein  kleiner  weißer  Löffel,  eine  Erinnerang  an  jene  Zeit,  da  sie  mit 
ihrem  Löffel  hernmzogen  und  sich  ihre  Mahlzeit  von  den  Bürgern 
erbettelten.  Sie  müssen  dazumal  argen  Hunger  gehabt  haben.  Ein 
paar  aragonesische  Jotatexte*)  behaupten  von  ihnen; 


Cuando  un  estudiaote  Iloga 
A la  esqaina  de  una  plaza, 
Dicen  las  revcndedoraa : 
„Puera  esc  perro  de  caza.“ 

De  una  cuchara  de  palu 
Que  llevaba  un  cstudiante 
Se  fabricaron  las  puurtas 
Del  castillo  de  Alicante. 

La  capa  del  cstudinnto 
Pareee  un  jardiu  de  flores, 
Toda  llena  de  remiendos 
De  difereutes  eolorcs. 


An  der  Ecke  eines  Platzes 

Ließ  einst  ein  Student  sich  blicken. 

Drohend  schrien  die  Uükerweiber: 

I „Windhund!  fort!  sonst  spürt’s  dein 
Rücken“. 

Holzem  war  der  Löffel,  welchen 
Ein  Student  sein  eigen  nannte; 

I Draus  hat  man  das  Tor  geziniinert 
I Auf  der  Burg  zu  Alicante. 

Des  Studenten  Mantel  ist  ein 
; Blumengarten,  ungelogen ! 

Übers&t  ist  er  mit  Flicken, 

Bunter  als  der  Regenbugen. 


')  Die  Jota  ist  ein  dem  Fandango  ähnlic  her  Tanz,  zu  dem  alle  möglichen  ein- 
strophigen  Texte  gesungen  werden;  oft  werden  sie  improvisiert. 


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33 


Das  Rettein  ist  so  eintrii);lich,  daß  die  Polizei  in  Madrid  schon 
versucht,  den  Zuzug  von  auswärts  zu  verhindern.  Der  Spanier  selbst, 
oder  vielmehr  die  Spanierin  begünstigt  das  Blühen  dieses  Gewerbes. 
Ein  guter  Bekannter  und  Landsmann  sagte  einst  einem  gesund  aus- 
sehenden Bettler,  er  möge  doch  arbeiten,  er  selber  müsse  es  auch.  Ant- 
wort: „Ach  Sie  Ärmster,  wie  bedaure  ich  Sie,  daß  Sie  arbeiten  müssen!“. 
Das  Betteln  bringt  eben  zehnmal  mehr  als  mühsame  Arbeit.  Und 
nun  das  Entsetzliche:  es  gibt  tatsächlich  Leute,  die  absichtlich  ihre 
Kinder  in  frühester  Jugend  zu  Krüppeln  machen,  um  bessere.  Verdiener 
zu  haben. 

Die  reine,  kindliche  Freude  an  der  Natur  scheint  dem  Spanier 
ganz  abzugehn.  Wer  es  kann,  baut  sich  wohl  an  der  Guadarraraa 
ein  Haus;  dorthin  flieht  er  vor  der  in  Madrid  unerträglichen  Sommer- 
hitze, aber  regelrechte  Gebirgswanderungen  kennt  er  nicht;  dazu 
ist  er  zu  bequem.  Und  wie  in  der  Sierra  de  Guadarrama,  so  ist 
es  auch  anderwärts.  Nach  Blumenbrettern  vor  den  Fensteni  der 
Bauernhäuser  oder  nach  freundlich  grünenden  Bauerngärteii  sieht 
man  sich  vergebens  um.  Die  Blume  dient  nur  zum  Schmucke  für 
die  eigne  Person;  die  einfachsten  Frauen  verstehn  es  vorzüglich, 
die  Blumen  in  ihrem  von  der  Mantilla  bedeckten  Haare  immer  wieder 
anders  zu  stecken.  Nur  wo  die  von  den  Mauren  überkommene 
Bauart  beibehalten  ist,  da  entfaltet  sich  im  Innern  des  Hauses  eine 
wundervolle  Blütenpracht.  Am  treuesten  wird  die  maurische  Haus- 
fonn  in  Toledo  und  besonders  in  Sevilla  bewahrt.  Nach  der  Straße 
zu  ist  das  Haus,  dessen  Anlage  an  das  römische  erinnert,  einförmig 
und  fast  fensterlos.  Die  Wohnung  öffnet  sich  nach  innen  auf  einen  vier- 
eckigen Hof  (patio).  In  der  Mitte  ist  gewöhnlich  ein  Springbrunnen. 
Kletterpflanzen  beleben  die  Wände,  Rosenstöcke,  Orangenbäume  oder 
Zypressen  und  allerhand  Blumen  zieren  den  Hof,  den  eine  gepflasterte 
und  möblierte  Halle  umgibt,  und  nach  dieser  Halle  öffnen  sich  tlie 
Zimmer  des  Unterstocks.  So  sahen  einst  die  Höfe  der  .\lhainbra 
aus;  die  nämliche  Gestalt  haben  heute  zahlreiche  Klosterhöfe  in 
Spanien.  Und  die  , Patios'  sind  geradezu  ein  Wahrzeichen  von  Sevilla. 
Selbst  ganz  einfache  Häuser  bergen  da  einen  kleinen  Garten  in  sich. 
Das  Maurenerbe  hat  man  hier  weitergej)tlegt.  Aber  im  ganzen  übrigen 
Lande  ist  auch  diese  Art  Hausgarten  unbekannt. 

Eine  falsche  Vorstellung  denkt  sich  Spanien  als  das  Land  des 
Gesanges.  Sangesfroh  sind  nur  die  Katalanen  und  vor  allem  die 
Basken,  also  die  nicht  spanischen  Stämme.  Die  eng  zusammen- 

MitteUungeo  li.  ächlea.  Oea.  f.  Vkdf.  Band  Xll  Uleft  1).  3 


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haltenden  Basken  kann  man  in  Madrid  abends  oft  in  einer  Bierhalle 
singen  hören.  Ganz  leise,  wie  für  sich,  singen  sie  ihre  drei-  und 
vierstimmigen  eigenartig  schwermütigen  Melodien,  deren  Harmonik 
an  norwegische  Weisen  erinnert.  Bei  lauter  Unterhaltung  hört  man 
sie  in  ihrer  Kcke  gar  nicht.  Wird  aber  erst  einer  aufmerksam,  dann 
verstummt  die  Unterhaltung  bald  und  alles  hört  ihnen  zu.  Einmal 
wurden,  wie  mir  ein  glaubwürdiger  Zeuge  erzählte,  nachher  einige 
junge  deutsche  Kaufleute  aufgefordert,  auch  ihrerseits  etwas  zu 
singen.  Lange  waren  sie  unschlüssig,  endlich  einigten  sie  sich  auf 
das  deutsche  Nationallied:  „Trinke  wir  noch  e Treppche“!!  — Der 
Spanier  pflegt  bloU  die  vieneilige  ,copla‘,  welche  nur  die  Unterhige 
für  eine  Tanzraelodie  ist  und  oft  improvisiert  wird.  Dagegen  liebt 
er  die  Guitarre  und  die  mandolinenartige  ,bandurria‘,  der  die  Melodie 
zufällt.  Zu  zwanzig  und  mehr  spielen  sie  recht  gewandt,  hauptsächlich 
lebhafte  Marschweisen.  Auf  dem  Lande  spielt  die  Guitarre  dieselbe 
Rolle  wie  bei  uns  die  Ziehharmonika.  Einen  segenvollen  Kultur- 
rückstand möchte  ich  noch  erwähnen.  Das  Klavier  gehört  noch  nicht 
zur  notwendigen  Wohnungsausstattung,  und  es  gehört  auch  noch 
nicht  zum  guten  Tone,  bei  mangelndem  Gehör  und  beim  Fehlen 
jeder  Stimme  zu  singen.  Glückliches  Land! 

Wer  den  Spanier  richtig  anfaUt.  der  wird  über  seine  Höfliclikeit 
staunen,  die  aber  immer  würdevoll  bleibt,  nie  servil  wird.  Der 
käme  freilich  übel  an,  der  ihm  herrisch  oder  herablassend  gegen- 
übertreten wollt«.  Selbstbewußt  ist  auch  der  Geringste,  überzeugt 
davon,  ein  Caballero  zu  sein.  Wer  aber  selbstbewußt  wie  er,  doch 
höflich  auch  dem  Einfachsten  gegenüber  ist  und  ihn  als  gleichberechtigt 
behandelt,  der  findet  in  der  Kegel  einen  freundlichen,  liebens- 
würdigen, hilfsbereiten  Menschen.  Nur  ein  Beispiel.  Ein  deutscher 
Mathematiker  war  seit  zwei  Tagen  in  Spanien.  Er  verstand  kein 
Wort  Spanisch.  Da  machte  er  mit  einem  andern  Herrn  einen  Ausflug 
nach  Yuste,  dem  einstigen  Wohnsitze  Karls  V.  Von  der  Bahnhaltestelle 
Navalmoral  galt  es  noch  einen  Ritt  von  38  km.  Unterwegs  treffen 
die  beiden  mit  zwei  Spaniern  zusammen.  Mittlerweile  regnen  sie 
vollständig  ein,  und  als  der  eine  von  den  Spaniern  hört,  daß  unsre 
l.ändsleute  in  zwei  Tagen  wieder  in  Madrid  sein  müßten  und  daß 
der  Mathematiker  keinen  ausreichenden  Schutz  gegen  das  Unwetter 
habe,  bietet  er  ihm,  obwohl  er  ihm  stockfremd  war,  seinen  Regen- 
mantel an.  Der  Deutsche  lehnt  es  dankend  mit  Hilfe  seines 
Dolmetschers  ab.  Da  erklärt  der  Spanier  fast_befehlend : „Hier  ist 


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meine  Karte!  Geben  Sie  (iie  samt  dem  Gummimantel  unten  beim 
StationsTorsteher  ab,  der  mich  ganz  gut  kennt.  Ich  bleibe  hier,  bis 
der  Regen  auf  hört;  dann  reite  ich  nach  Navalnioral  und  hole  mir 
den  Mantel  in  der  Station  ab“.  Es  half  kein  Widersjumch,  er 
mußte  den  Mantel  nehmen.  — Und  so  oft  ich  mich  auch  der 
freundlichen  Hilfe  von  Spaniern  zu  erfreuen  hatte,  so  erinnere  ich 
mich  doch  nicht,  jemals  ausdrücklich  eine  Bitte  ausgesprochen  zu 
haben.  Nur  eine  leise  Andeutung,  und  die  Bekannten  standen  mir 
mit  ihrer  Zeit,  mit  ihren  Amigos  und  mit  Empfehlungsbriefen  zur 
Verfügung.  Ja  sie  suchten  sogar  nach  Gelegenheiten,  sich  mir  ge- 
fiUlig  erweisen  zu  können.  — Jeder  Spanier  wird  allen,  die  mit  ihm 
in  der  Eisenbahn  zusammenfahren  oder  sonstwie  Zusammenkommen, 
seine  Zigarren,  sein  Obst  oder  sein  Konfekt  anbieten,  sobald  er  sich 
selbst  davon  nimmt.  Die  einfacheren  Leute  vor  allem  meinen  es 
ernst,  wenn  sie  ihre  unerschöpflich  scheinenden  Eßvorräte  auspacken. 
Wer  begreiflicher  Weise  gegen  spanische  Küche  Mißtrauen  hegt 
oder  bei  dem  sehr  primitiven  Verfahren  des  Anbietens  — es  wird 
einem  womöglich  ein  Stück  Fleisch  einfach  unter  die  Nase  ge- 
halten — keine  Lust  hat  zuzulangen,  dem  bleibt  nichts  übrig  als 
zu  rauchen.  Das  allein  entschuldigt.  Ein  Freund  von  Adolf 
Wilbrandt  erzählt  recht  launig'),  wie  er  von  Medina  del  üampo  bis 
Salamanca  sechzehn  Zigaretten  geraucht  habe,  nur  um  sich  den 
wiederholten  Aufforderungen  zum  .Mites.sen  zu  entziehen.  Das  Unter- 
lassen einer  solchen  Einladung  wilre  jedoch  eine  grobe  Ungezogenheit. 
Jeder  Straßenkehrer,  der  auf  der  Promenadenbank  oder  auf  der  Erde 
sitzend  seine  Erbsen  verzehrt,  wird  jeden,  der  unmittelbar  an  ihm 
vorbeikommt  und  ihn  zufällig  ansieht,  zum  Mitessen  einladen.  Und 
selbst  der  höchste  Würdenträger  hat  ihm  dafür  zu  danken  und  ihm 
guten  Appetit  zu  wünschen.  — Kommt  man  in  ein  fremdes  Haus, 
so  heißt  das  erste  Wort-,  das  die  Hausfrau  oder  der  Hausherr  sagt: 
„Aqui  tiene  Usted  su  casa“  (Hier  sind  Sie  zu  Hause).  — Am 
weitesten  geht  der  Spanier  im  Briefstil.  Der  ständige  Schluß  ist 
da  „Su  seguro  servidor  que  besä  las  manos“  (meist  abgekürzt: 
S.  S.  S.  q.  b.  1.  m.  = Ihr  ergebener  Diener,  der  Ihnen  die  Hände 
küßt).  Und  geht  es  an  eine  Frau,  dann  heißt  es:  „que  besä  los 
pies“  (q.  b.  1.  p.).  Der  Dame  küßt  man  die  Füße.  Zum  Glück  be- 
steht niemand  auf  der  Verwirklichung  dieser  Versicherung. 


')  Rund  U1II8  Mitlelnieer  S.  31. 

3* 


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36 


Vielfach  wird  anderwärts  der  Fremde,  der  die  Landessprache 
nicht  fließend  spricht,  durch  überlegnes  Lächeln  oder  gar  durch 
Spott  verletzt.  Das  ist  in  Spanien  sogut  wie  ausgeschlossen.  Mag 
man  die  Sprache  noch  so  sehr  radebrechen,  der  Spanier  wird  sich 
trotzdem  Mühe  geben,  den  Fremden  zu  verstehn,  und  ist  er 
intelligent  genug,  so  wird  er  ihm  zu  helfen  versuclien;  denn  er  be- 
trachtet das  Streben,  seine  Sprache  zu  sprechen,  als  eine  Artigkeit 
gegen  seine  Nation.  Der  Leiter  der  Ausgrabungen  in  Numancia 
sprach  das  Spanische  nichts  weniger  als  gut.  Dennoch  habe  ich 
keinen  einzigen  von  seinen  Arbeitern  grinsen  sehen  oder  gar  witzeln 
hören;  sie  halfen  ihm  ein  und  suchten  zu  erraten,  was  er  meine. 

Bei  all  seiner  Höflichkeit  bewahrt  der  Spanier,  wenigstens  im 
Norden  und  in  der  Mitte  der  Halbinsel,  eine  wahre  Senatoren  würde. 
Er  ist  ein  geborener  Redner.  Blütenreich  und  ausdrucksvoll  ist 
seine  Sprache,  gemessen  und  doch  lebendig  die  Gesten,  ob  er  im 
Parlament  redet  oder  von  der  ,olla  podrida“,  der  spanischen  Suppe 
spricht.  Sein  Ausdruck  wird  leicht  für  unsem  Geschmack  über- 
schwenglich. Als  ich  in  Norwegen  Norwegisch  zu  sprechen  ver- 
suchte, sagte  man  gutmütig;  „De  tale  meget  godt  Norsk“.  Als  ich 
mich  einigermaßen  ins  Spanische  eingelebt  hatte,  hieß  es  gleich: 
„0,  Usted  habla  como  otro  Cervantes!“  Der  Vergleich  ist 
charakteristisch.  — Mit  Grazie  paart  sich  die  Würde  häufig  bei  den 
Frauen,  so  ungraziös  ihre  F,rseheinung  auch  sein  mag.  Man  be- 
obachte ein  Mächdien  oder  eine  grundhäßliche  Waschfrau  im  Sommer 
mit  ihrem  Fächer.  Er  ist  von  der  Trägerin  unzertrennlich  und  ist 
ihr  mehr  als  ein  Zeitvertreib.  Eine  Fülle  von  Empfindungen  kann 
sie  mit  ihrem  Fächer  ausdrücken,  Liebe,  Zorn  oder  Langeweile,  dem 
jungen  Mädchen  wird  er  im  koketten  Spiel  zum  Dolmetscher  seiner 
Empfindungen.  Keine  Fremde  könnte  das  nachmachen. 

Mit  seiner  Hötlichkeit  und  Würde  verbindet  der  Spanier  einen 
bewundernswerten  demokratischen  Stolz  im  besten  Sinne  des  Wortes. 
Er  kennt  keine  sozialen  Unterschiede.  Es  soll  Staaten  geben,  wo 
man  aus  der  Art  des  ftrußes  sofort  das  soziale  Verhältnis  ersehen 
kann,  in  dem  die  sich  Begegnenden  zu  einander  stehn.  In  Spanien 
gibt  es  etwas  derartiges  nicht.  Ein  Grüßen,  bei  dem  der  Hut  nach 
den  Gesetzen  der  Zentrifugalkraft  heruntergeschleudert  wird,  ist 
unbekannt.  Man  kennt  auch  keine  anmaßende  Überhebung  beim 
Höhergestellten  und  keine  Unterwürfigkeit  des  Niederen.  Jeder  wird 
nur  mit  dem  Vornamen  angeredet,  und  vor  Jeden  Vornamen  gehört 


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37 


das  Wort  ,Don‘.  Es  klanp  fast  komisch,  als  bei  der  öfTentlichen 
Prüfung  im  spanischen  Gymnasium  die  zehnjährigen  Schüler  z.  B. 
mit  „Senor  Don  Manuel  Hemändez  y Garcia“  angeredet  wurden.  Die 
Sitte,  auch  den  Mutternamen  mitzunennen,  macht  allein  den  Namen 
vollklingend’).  Und  der  Titel  ,Don‘,  der  jedem  zukommt,  hat  etwas 
Ausgleichendes.  Der  König  ist  eben  der  Don  Alfonso  und  der 
Droschkenkutscher  ist  der  Don  Josö  oder  Don  Felipe.  Jeder  Bettler 
ist  ein  Don,  und  der  König  ist  schließlich  auch  nur  ein  Don. 

Man  kann  in  Spanien  verhältnismäßig  leicht  zu  einem  Orden 
kommen,  da  der  Minister  dieDij>lome  einfach  ausfüllt  und  gegenzeichnet, 
die  schon  die  autographierte  Unterschrift  des  Königs  ,Yo  el  rey‘ 
(Ich  der  König)  tragen.  Dies  ist  nämlich  die  Form  der  königlichen 
Unterschrift.  Man  braucht  also  nur  Bekannte  im  Ministeriiun  und 
übriges  (ield  zu  haben.  Es  gibt  nämlich  zwei  Arten  Ordensverleihungen, 
,con  gasto*  und  ,sin  gasto‘  (mit  und  ohne  Kosten).  Die  erste  Art 
ist  leicht  zu  haben  und  ist  leiiiglich  für  ordenslüsteme  Fremde  da. 
Als  w'irkliche  Auszeichnung  gilt  aber  natürlich  nur  die  andre  Art. 
Bekommt  der  Spanier  den  Orden  nicht  ,sin  gasto‘,  so  verzichtet  er. 
Aber  bezahlen  wird  er  dafür  keine  Pescte,  und  er  lächelt  mir  über 
die  Fremden.  So  eitel  er  in  .seiner  Kleidung  sein  mag,  sein  Demokraten- 
stolz ist  doch  noch  größer.  Dazu  kommt,  daß  der  Staat  als  politisches 
Wesen  ihm  nicht  viel  gilt. 

Mit  den  alten  Kulturen,  die  über  sein  Land  hingeschritten  sind, 
hat  der  Durchschnittsspanicr  keine  Fühlung.  Manchmal  hat  man 
den  Eindruck,  als  seien  Jahrtausende  an  diesem  V'olke  spurlos 
vorübergegangen.  In  der  Mancha  und  selbst  in  nächster  Nähe  von 
Madrid  wird  der  Wein  noch  heute  in  3 bis  4 Meter  hohen  Töpfen 
aufbewahrt,  und  um  Murcia  und  Valencia  trifft  man  im  täglichen 
Gebrauche  Gefäße  von  genau  derselben  Form  wie  die,  welche  man 
im  alten  Sagunt  oder  in  Numancia  gefunden  hat.  — In  Granada  und 
(’ordova  sind  die  maurischen  Wunderbauten  als  Anziehungsmittel 
für  den  Fremdenverkehr  natürlich  bekannt  und  geschätzt.  Im  übrigen 
Lande  hat  man  wenig  Verständnis  dafür.  Man  freut  sich  der  Patios 
und  benutzt  noch  die  alten  Wasserleitungen,  aber  niemand  kümmert 
sich  darum,  wem  dieses  kostbare  Erbe  zu  danken  sei.  Man  ist  immer 

')  InlcroBsant  ist  die  Art,  wie  die  noppcinamen  beim  militärischen  Appell 
angewandt  werden.  Der  Offizier  oder  Unteroffizier  ruft  den  Vornamen  und  Vater- 
namen auf,  der  Soldat  antwortet  nicht  mit  „Hier*,  sondern  mit  dom  Mutter- 
namen. Z.  B.  Aufruf:  Miguel  Berceruclo!  Antwort:  j Ldpez! 


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3« 


noch  gewfihnt,  die  , Moros*  als  die  Erbfeinde  der  Ehristenheit  anzii- 
sehen.  Noch  schlimmer  geht,  es  den  Goten.  Sie  sind  einfach  ,los 
biirbaros*.  Im  (ihrigen  hat  man  von  ihnen  flberhaupt  keine  Vor- 
skdlung.  Und  die  gewaltigen  Rdmerbauten  sind  teilweise  zum  Mittel- 
punkte von  allerhand  Teufelssagcn  geworden.  Als  ich  in  Tarragona 
einen  Steuerbeamten  nach  dem  römischen  Aquädukte  fragte,  erklärte 
er,  so  etwas  gebe  es  nicht.  Mein  Widerspruch  half  nichts.  Da 
fragte  ich  glücklicherweise  nach  der  ,puente  del  diablo*.  Sofort 
wuUte  er  Bes(-heid. 

Um  so  stolzer  ist  der  Spanier  auf  seine  kastilisch-spani.sche 
Vergangenheit ').  Ferdinand  und  I.sabella,  die  Katholischen  Könige, 
sind  ihm  der  Inbegriff  nationalen  Glanzes.  Mit  der  Erinnemng  an 
diese  Ruhmeszcit  des  katholischen  Spaniens  täuscht  er  sich  über  die 
traurige  Gegenwart  hinweg.  Mag  er  mit  vielem  in  seinem  Vater- 
lande unzufrieden  sein,  er  ist  doch  stolz  darauf,  ein  Spanier  zu  sein. 
Viele  sehen  in  den  Fremden,  die  im  Lande  wohnen,  doi^h  nur 
,barbaros‘,  die  nach  Spanien  gehn,  um  Geld  zu  verdienen,  weil 
sie  in  ihrer  Heimat  nicht  vonvärts  kommen,  ihr  Land  muß  also 
elend  und  ann  sein.  Ein  spanischer  Philologe  fragte  mich  einmal, 
wie  es  komme,  daß  so  viele  meiner  Landsleute  und  auch  viele  Franzosen 
und  Italiener  nach  Spanien  kämen,  dort  ganz  spanisch  würden  und 
nie  mehr  zurüekkehren  wollten.  Sein  I>and  sei  zwar  arm,  und  er 
ginge  vielleicht  auch  ins  Ausland,  um  mehr  zu  verdienen.  „Pero 
morir,  seiior,  morir  solamente  en  Espana!“  Ich  mußte  ihm  leider 
die  Antwort  auf  diese  Frage  schuldig  bleiben.  — Es  gibt  kaum 
ein  Kind  in  Spanien,  das  nicht  die  Abenteuer  des  edlen  Ritters 
von  der  traurigen  Gestalt  genau  kennt.  Der  Don  Quijote  ist  die 
Nationalbibel  des  Spaniers.  Von  Velazquez  und  Miirillo  wußten  mir 
zwölljährige  Knaben  und  Mädchen  recht  hübsch  zu  erzählen.  Sinnig 
ist  auch  die  Art,  wie  der  Staat  seine  Großen  ehrt.  Die  alten 
50-Pesetenscheine  tragen  das  Hildnis  des  Velazquez  und  auf  der 
Rückseite  eine  sehr  schöne  Wiedergabe  .seines  Hildes  aus  dem  Prado 
„Apolls  Hesuch  in  der  Schmiede  des  Vulkan.“  Die  neuen  .äO-Peseten- 
scheine  zeigen  das  Bild  Echegarays  und  die  ‘20-Pesetenscheine  das 
des  Quevedo. 


')  ChrisU-ntnin  und  Spanisch  ist  dom  Durchschnittsapsnier  dasseibo. 
,UabIo  l'stod  cristiaiiu!*  sa^t  or  dem,  der  eine  fremde  Sprache  spricht,  um 
ihn  zum  Spanischsprechen  aufzufordem. 


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39 


Schon  die  geographische  Lage  bringt  es  mit  sich,  daß  wenig 
Spanier  aus  ihrem  Lande  heraus  kommen.  Der  Bauer  kennt  kaum 
die  nächste  Stadt.  Und  auch  der  Gebildete  und  Wohlhabende  fahrt 
im  Sommer  höchstens  an  die  kühlere  Nordküste.  Geht  er  einmal 
ins  Ausland,  dann  ist  Paris  die  Grenze.  Paris  ist  ihm  die  Versinn- 
bildlichung des  Auslandes.  Weiter  hinaus  kommen  die  allerwenigsten. 
Um  so  fester  hängt  der  Spanier  mit  Stolz  und  Liebe  an  seiner 
Heimat.  Als  Staat  gilt  ihm  Spanien  meist  nicht  viel,  aber  als 
Nationalbegriff  ist  ihm  sein  Kspafia  alles.  Er  gesteht  offen  die 
Schäden  seiner  Verwaltung  ein,  er  gibt  unumwunden  zu,  daß  vieles 
besser  .sein  könnte,  solange  man  freundlich  mit  ihm  redet  und  seinem 
Nationalstolze  nicht  zu  nahe  tritt,  der  gerade  jetzt  nach  den  un- 
glücklichen Kriegen  besonders  reizbar  und  empfindlich  ist.  Nur 
versuche  man  es  nicht,  von  oben  herab  mit  Geringschätzung  von 
Spanien  als  Nation  zu  reden!  Dann  erwacht  die  Leidenschaft  der 
alten  Iberer  in  ihm  zu  heller  Flamme.  — Sein  NationalgefOhl  ist 
ihm  verkörpert  in  der  spanischen  rot-gelb-roten  Fahne.  Er  nimmt 
den  Hut  nicht  einmal  vor  dem  Könige  ab,  wohl  aber  vor  Gott,  vor 
einem  Toten  und  vor  der  Fahne. 

Dieses  Volk  scheint  schwer  an  seiner  Vergangenheit  zu  kranken. 
Seine  Geschichte  ist  durch  viele  .lahrhunderte  nichts  als  Krieg  und 
grausame  Verfolgung.  Und  als  mit  dem  Fall  Granailas  das  heiß- 
ersehnte Ziel  endlich  erreicht  war,  da  warf  ihm  im  selben  .lahre 
durch  die  Entdeckung  Amerikas  das  Schicksal  einen  Reichtum  in 
den  Schoß,  den  es  nicht  anzuwenden  verstand;  denn  das  christliche 
Spanien  konnte  Reiche  zerstören,  aber  es  konnte  nichts  aufbauen. 
Und  doch  ist  es  übereilt  und  töricht,  dieses  Volk  für  verkommen  zu 
erklären  und  ihm  die  Zukunft  abzusprechen.  Allenthalben  regt  sich 
ein  lebendiges  Streben,  aus  dem  alten  Elend  herauszukommen.  Der 
Verlust  der  Kolonien  war  ein  Glück  für  das  Land.  Das  sieht  heute 
jeder  Sj>anier  ein.  Statt  Geld  ins  Land  zu  bringen,  verschlangen 
sie  unerhörte  Summen  und  waren  nur  ein  Tummelplatz  für  Abenteurer, 
.letzt,  da  das  Land  auf  sich  selbst  angewiesen  ist,  beginnt  es,  seine 
Kräfte  zu  sammeln,  und  ein  ehrliches  Vorwärtsstreben  ist  unverkenn- 
bar. Auch  in  der  Industrie  zeigt  sich  ein  emsiges  Arbeiten  und 
ein  stetiges  Steigen.  Freilich,  zweierlei  ist  unbedingt  notwendig, 
eine  gründliche  Reformation  ganz  oben  und  ganz  unten,  eine 
Reformation  der  Verwaltung  und  eine  Reformation  der  Erziehung 
und  des  Unterrichtes.  Das  mag  keine  leichte  Aufgabe  sein,  und 


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vielleicht  kann  sie  die  Burbonen  den  Thron  kosten.  Aber  ob  mit 
oder  ohne  Gewalt,  getan  muß  sie  werden,  wenn  Spanien  nicht  fort- 
fahren will,  für  Frankreich  und  England»  die  Ka.stanien,  aus  dem 
Feuer  zu  holen.  Sonst  wiire  es  schade  um  dieses  Volk  mit  seinem 
demokratischen  Selbstbewußtsein,  das  sich  nie  wegwirfl,  mit  seinem 
unglaublichen,  fast  krankhaften  Nationalstolze.  Es  ist  wie  ein 
entartetes,  ungezogenes  Kind  aus  guter  Familie,  das  neben  viel 
häßlichen,  rückständigen  Eigenschaften  doch  eine  wirklich  ehrliche 
Liebenswürdigkeit  und  eine  tief  im  Blute  sitzende  stolze  Kitterlichkeit 
hat,  die  wir  nur  bewundern  können. 


Luftfahrten  im  alten  Orient. 

Von  Dr.  Bruno  Meissner. 

Es  ist  als  wahrscheinlich  anzunehmen,  daß  die  Menschen  .sehr 
bald,  nachdem  es  ihnen  gelungen  war,  das  nasse  Element  auf 
hölzernen  Schitfen  zu  durchqueren,  auf  die  Idee  kamen,  sich  auch 
das  Luftreich  zu  erobern.  .Jedoch  wir  wissen,  daß  diese  Eroberung 
in  ])ra.\i  nur  .sehr  langsam  vonstatten  ging,  allein  die  Phantasie  be- 
schfitligte  sich  vielfach  mit  dieser  IVage. 

Als  selbstverständlich  galt  es,  daß  die  Götter  die  Eigenschaft  besaßen, 
vom  Himmel  herab-  und  zum  Himmel  hinaufzu.steigen.  Indes  ist  es  frag- 
lich, ob  man  sich  hierbei  immer  bestimmte  Vorstellungen  machte,  auf 
welche  Weise  die  Götter  ihren  Weg  zurflcklegten.  Auch  in  der  baby- 
lonischen Legende  von  Adapa  wird  nicht  angegeben,  wie  er  zum  Himmel 
Anus,  des  Himmelsgottes,  gelangt.  Es  heißt  dort  nur '):  „Den  Weg  zum 
Himmel  hieß  er  (der  Gott  Anu)  ihn  nehmen,  und  er  (Adapa)  stieg 
zum  Himmel  hinauf“.  Später  wurden  dann  diese  Anschauungen 
und  .•Vus<lrucksweisen  auch  auf  menschliche  Wrhältnisse  übertragen, 
jedenfalls  ohne  daß  man  sich  den  Kopf  zerbrach,  wie  diese  Dinge 
möglich  waren.  So  sagt  der  Psalmist*):  „Führe  ich  gen  Himmel, 
so  bist  du  da.  Bettete  ich  mir  in  die  Hölle,  siehe,  so  bist  du  auch 
da“.  Ganz  ähnlich  äußert  sich  ein  assyrischer  Dichter’):  „Geht’s 


')  S.  Jensen,  Kcilinschriftl.  Bibi.  VI,  1,  97. 

»)  Ps.  139,  8. 

S.  Ziiiimorn,  Keilinschr.  und  das  Alte  TesUui.  3.  S.  386. 


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ihnen  gut,  so  reden  sie  vom  aufsteigen  zum  Himmel,  sind  sie  in 
Kummer,  so  spreclien  sie  vom  hinabfahren  zur  Hölle“.  Auch  bei 
den  sog.  Himmelreisen  der  Seele,  die  im  Parsismus  und  späteren 
Judentum  eine  große  Rolle  spielen ‘),  hat  man  sieh  meist  wohl  von 
Spekulationen  darüber  ferngehalten,  auf  welche  Art  sich  die  Seele  in 
den  Himmel  erhob. 

Unsicher  ist  es  auch,  wie  man  sich  im  alten  Orient  die  sog. 
Entrückungen  dachte,  und  ob  man  damit  die  Vorstellung  des 
Fliegens  verband.  Von  dem  Patriarchen  Henoch  heißt  es*):  „Und 
weil  Henoch  in  Oemeinschaft  mit  Gott  gewandelt  hatte,  so  ver- 
schwand er  (einst);  denn  Gott  hatte  ihn  hinweggenommen“.  Genau 
dasselbe  Wort  „hinwegnehmen“  wird  auch  bei  der  Entrückung  des 
Ut-napischti,  des  babylonischen  Noa,  gebraucht’);  „(Da)*)  nahmen  sie 
(die  Götter)  mich  hinweg,  und  in  der  Feme  an  der  Mündung  der 
Ströme  ließen  sie  mich  wohnen“.  In  der  uns  griechisch  erhaltenen 
Version  des  babylonischen  Priesters  Berussus’)  wird  das  ähnlich 
wie  in  der  Henochgeschichte  ausgedrückt  durch  yeveodcu  dipavfj. 

Etwas  genauer  sind  die  Mittel  der  Luftfahrt  bei  der  Entrückung 
des  Elias  angegeben*);  „Während  sie  (Elias  und  Elisa)  nun  in 
solcher  Unterredung  immer  weiter  gingen,  erschien  plötzlich  ein 
feuriger  Wagen  und  feurige  Rosse;  die  trennten  beide  von  einander, 
und  Elias  fuhr  also  im  Wetter  gegen  Himmel“. 

Bei  Christi  Himmelfahrt  sind  es  Wolken,  die  ihn  aufwärts  führen. 

Alt  und  naiv  ist  gewiß  die  Vorstellung  Gen.  28,  12,  wonach 
eine  Leiter  die  Verbindung  zwischen  Himmel  und  Erde  bildet’). 

')  S.  Housset,  Die  Hiinuiclroise  der  Scl-Io  iin  Archiv  f.  Kcligiuns- 
vtissensch.  IV,  l.äfi  ff’ 

*)  Gen.  5,  24.  .Auch  sein  babylonisches  Äquivalent,  der  lirkönig  Kn-uie- 
dur-an-ki  = EieöoQaxog,  wird  in  die  Vcrsainuiliing  der  AVahrsagegöttor 
8chauiasch  und  Adad  berufen,  aber  es  ist  in  un.sern  Quellen  nicht  bemerkt,  ob 
diese  Heriifiing  auch  eine  Kntrnckiing  war;  vgl.  iSiuunevn  a.  a,  0.  8.533. 

’)  8.  Jensen  a.  a.  0.  8.  245. 

*)  Nachdem  Gott  Bel  ihm  und  seinem  Weibe  verkündigt,  dall  sie  wie 
Götter  sein  und  in  die  Gefilde  der  Soeligeii  entrückt  werden  sollen. 

*)  S.  Kusebius,  Gbron.  ed.  Seboene  I,  19  ff. 

*)  II  Koen.  2,  11. 

*)  Diese  Leiter  spielt  auch  eine  Rolle  in  Mohammeds  nScbtlichcr  iteise  und 
Himmelfahrt,  In  einer  Nacht  wird  er  durch  das  Fabeltier  El-Boräq  von  Mekka 
nach  Jerusalem  gebracht  und  unternimmt  dann  auf  der  Jakobsleiter  seine 
Himmelfahrt;  vgl.  Müller,  Der  Islam  I,  85  f.  Im  späteren  Islam,  besonders 
in  Tausend  und  eine  Nacht  werden  dann  alle  möglichen  Arten  von  Luftfahrten 
sehr  häufig  beschrieben. 


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42 


Wenn  man  aber  von  diesen  Flügen  absieht.,  bei  denen  gewßhn- 
lich  die  (tottheit  selbst  helfend  eingreift,  so  lag  es  am  nächsten, 
sich  zuerst  die  Vögel  als  Vorbilder  oder  Vermittler  des  Fliegens  zu 
nehmen.  So  entstand  die  Anschauung.  daQ  man  sich  entweder 
mittelst  Flügeln  in  die  Luft  schwingen  (I)aedalus,  Ikarus),  oder 
durch  Vögel,  meist  Adler,  direkt  in  die  Lüfte  tragen  lassen  könne 
(Ganymed). 

Ks  ist  zwar  nirgends  ausdrücklich  gesagt,  aber  jeden- 
falls anzunehmen,  daß  die  assyrischen  (icnien  und  Stierkolosse,  die 
.sehr  häufig  mit  Flügeln  darge.stellt  sind,  diese  auch  wirklich  zum 
Fliegen  benutzten.  Auch  die  beiden  Keruben  im  salomonischen 
Tempel  (I  Koen.  6,  23  ff.)  hatten  5 Ellen  lange  Flügel. 

Besonders  aber  von  der  zweiten  Art  des  Fliegens  lassen  sich 
auch  in  den  Fabeln  des  semitischen  Orients  mehrere  Beispiele  an- 
führen. 

Dem  Heros  Etana ')  soll  ein  Sohn  geboren  werden,  der  die 
Herrschaft  des  Landes  ausüben  soll.  Die  Geburt  geht  aber  ans  uns 
unbekannten  Gründen  nicht  gut  von  statten,  darum  bittet  Etana  in 
seiner  Not  den  Sonnengott  um  Hilfe.  Der  weist  ihn  an  den  Adler, 
mit  dessen  Unterstützung  er  „das  Kraut  des  Gebarens“  aus  dem 
Himmel  der  Istar,  der  Göttin  der  Fruchtbarkeit,  herabholen  solle. 
Dieser  Flug  in  die  Lüfte,  der  in  zwei  Ab.schnitten  zu  je  drei 
Doppelstunden’)  stattfand,  wird  nun  genau  beschrieben’): 

„Der  Adler  [spricht]  zu  ihm,  zu  Etana: 

„„Mein  Freund 

Wohlan,  ich  will  dich  tragen  zum  Himmel  [des  Anuj. 

Auf  meine  Brust  leg  [deinen  Rücken], 

auf  die  Schwungfeder  meiner  Flügel  leg  [deine  Hände], 

auf  meine  SeUe  leg  [deine  Seite].““ 

Auf  seine  Brust  legte  er  [seinen  Rücken), 

auf  die  Schwungfeder  seiner  Flügel  legte  er  [seine]  Hän[de], 

auf  seine  Seite  legte  er  [seine]  Sei[te], 


')  FUr  den  Zusammenhang  des  Mythos  s.  Zimmern  a.  a.  0.  S.  564  ff. 
Für  die  Übersetzung  s.  Jensen  a.  a.  0.  S.  101  ff. 

’)  Die  Babylonier  zUiIten  nach  Doppelstunden,  deren  12  auf  einen  Tag 
gingen. 

’)  S.  Jensen  a.  a.  U.  S.  11311. 


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43 


Ipfjte  sich  fest  an,  sodaß  proß  ward  seine  Last.  Nachdem  er 
[üin|  eine  Doppelstunde  getragen, 
sprilcht]  der  Adler  zu  ihm,  zu  Etana: 

,, Schau,  mein  Freund,  die  Erde,  wie  sie  geworden  ist. 

Wirf  einen  Hlick  auf  das  Meer  an  den  Seiten  des  Welt{berges]. 
Die  Erde  sieht  aus  (?)  wie  ein  Berg,  und  das  Meer  ist  geworden 
zu  Wassern  [eines  Flusses]  (?)').““ 

Nachdem  er  [ihn]  die  zweite  Doppelstunde  emporgetragen, 

spri[cht]  der  Adler  zu  ihm,  zu  Etana; 

„„Schau,  mein  Freund,  die  Erde,  wie  sie  geworden  ist. 

Die  Erde  ist  [wie  ein  Ackerheet]  (?)*).““ 

Nachdem  er  [ihn]  die  dritte  Doppelstunde  emporgetragen, 

spr[icht]  der  Adler  zu  ihm,  zu  Etana: 

„„Schau,  mein  Freund,  die  Erde,  wie  sie  geworden  ist. 

Das  Meer  ist  geworden  zum  Graben  eines  Gärtners.““ 

Nach  dieser  Fahrt  gelangen  beide  zum  Himmel  des  Anu, 
dem  sie  ihre  Reverenz  erweisen.  Nach  einer  Ruhepause  geht 
der  Flug  weiter  zum  Himmel  der  Istar: 

„Nachdem  er  [ihn]  ei[ne]  Doppelstunde  [emporgetragen], 
(spricht  er): 

„„[Mein]  Freund,  sich  die  Erde,  wie  sie  [geworden  ist]. 

Von  der  Erde  ist  etwas  zu  sehen  (?)  [so  groß  wie  die  Mond- 
scheibe] (?)'), 

und  das  weite,  Meer  ist  so  groß  wie  der  Hof  (des  Mondes).““ 
Nachdem  er  [ihn]  die  zweite  Doppelstunde  [emporgetragen], 
(spricht  er): 

„„Mein  Freund,  sieh  die  Erde,  wie  sie  geworden  ist. 

Die  Erde  ist  geworden  zu  einem  Mehltladen  (?) '), 
und  das  weite  Meer  so  groß  wie  ein  Brotkorb.““ 

Nachdem  [er  ihn]  die  dritte  Doppelstunde  [emporgetragen], 
(spricht  er): 

„„Mein  Freund,  sieh  die  Erde,  wie  [sie  verschwunden  ist]  (?)  '). 
Ich  sehe  die  Erde,  daß  sie  [verschwunden  ist]  (?)’)i 
und  vom  weiten  Meere  werden  [meine  Augen]  nicht  ge- 
sättigt.““ 


Diene  Ergänzung  int  unnicher. 


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Nun  aber  bemächtig  sich  Ktanas  eine  große  Angst.  Er  will 
(len  Adler  veranlassen,  Halt  zu  machen,  dabei  reißt  er  den  Vogel 
mit  sich,  und  beide  stfirzen  in  die  Tiefe.  Das  Ende  der  Erzählung 
ist  uns  leider  nicht  erhalten,  sodaß  wir  nicht  wissen,  was  aus  Etana 
und  seinem  Kinde  geworden  ist. 

Diese  Sage  war  in  Babylonien  sehr  bekannt  und  wurde  auch 
auf  Siegelzylindem  vielfach  bildlich  dargestellt").  Daher  ist  es 
nicht  zu  verwundern,  daß  sie  in  mannigfachen  Formen  auch  zu 
andern  Völkern  gewandert  ist.  Nicht  ganz  sicher  ist  der  Zusammen- 
hang zwischen  unserm  Mythus  und  der  von  Aelian*)  erzählten  Ge- 
schichte des  Gilgamos,  der  ja  eine  ähnliche  Heroenfigur  wie  Etana 
ist.  Dort  läßt  der  babylonische  König  Seuechoros  den  Sohn  seiner 
Tochter  von  der  Zinne  des  Palastes  werfen,  weil  nach  einer  Weis- 
sagung sein  Enkel  ihm  die  Herrschaft  rauben  werde.  Ein  Adler 
fängt  aber  den  Knaben  mit  .seinen  Klügeln  auf  und  bringt  ihn  zu 
einem  Aufseher,  der  ihn  auferzieht.  Später  bemächtigt  sich  der 
Jüngling  dann  wirklich  der  Herrschaft,  sodaß  die  Weissagung  in 
Erfüllung  geht.  In  dieser  Erzählung  hat,  wie  Aelian  .selbst  her- 
vorhebt, eine  Vermengung  mit  der  Danaesage  stattgefunden,  aber 
das  riiarakteristische  bei  beiden  Erzählungen  ist,  daß  hier  wie  dort 
Gilgamos  - Etana  auf  dem  Adler  reitet. 

ln  späterer  Zeit  wurden  dann  alle  diese  tabulosen  Züge  auf 
Alexander  den  Großen  übertragen.  Nach  Pseudokallisthenes*) 
spannt  Ale.xander  der  Große  vor  einen  Wagen  zwei  ausgehungerte 
Raubvögel,  vor  denen  er  eine  Leber  aufhängt.  Indem  sie  diese  zu 
erhaschen  suchen,  wird  der  Wagen  mit  Alexander  so  hoch  in  die 
Höhe  gezogen,  bis  ilim  die  Erde  wie  eine  Tenne  und  das  Meer  wie 
eine  Schlange  erscheint.  .Auch  im  Talmud ‘)  wird  von  Alexander 
erzählt,  er  hatte  sich  so  hoch  in  den  Himmel  hinaufgeschwungen, 
daß  ihm  die  Erde  wie  ein  Ball  und  das  Meer  wie  eine  Schüssel 
erschienen  sei.  Die  .Araber  schreiben  diese  Luftfahrt  jedenfalls  ur- 


')  S.  Har  per  in  Bcitr&gc  zur  .\ssjrioI.  11,  408. 

’)  Anim.  Histor.  XII,  21. 

’)  II,  41  Ber.  C 0(1.  Mnllor. 

Talm.  jer.  Aboda  zara  3,  I.  Vgl.  speziell  Israel  Levi,  Rev.  des 
idudcs  juires  VII,  78  ff.,  der  dort  alle  Stollen,  wo  Alexander  im  Talmud  und 
Midrasch  erwähnt  wird,  zusanunenstellt. 


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sprflnglicher  dem  Nimrod  zu '),  wof?ej(en  die  Perser  sie  wieder  von 
ihren  Heroen  Kai-Kaos  sowohl  wie  Dschemschid  erzählen*). 

Diese  blrzählung  mag  uns  hinfiberleiten  zur  Achiqargeschiehte. 
Das  Märchen  vom  weisen  Achiqar,  dem  Minister  Sanheribs,  der  von 
seinem  Neffen  Nadan  gefangen  gehalten,  dann  aber  befreit  wird  und 
in  Ägypten  vor  dem  Pharao  allerlei  Kunststflcke  ausführt,  ist  uns 
vorläufig  nur  in  jüngeren  syrischen  und  arabischen  Übersetzungen 
erhalten’).  Aber  neuere  Untersuchungen  haben  gezeigt,  daß  die 
Geschichte  zweifellos  altnrientalischen  Ursprungs  ist’).  Nicht  nur 
ist  der  zweite  Teil  der  Aesopvita  des  Maximus  Planudes*) 
sicherlich  von  der  Achiqargeschiehte  abhängig,  sondern  auch  die 
Anspielungen  im  Buche  Tobit‘)  beweisen,  daß  zur  Zeit  seiner  Ab- 
fassung d.  h.  also  c.  im  ersten  vorchristlichen  .Jahrhundert  die 
Achiqarlegende  in  Israel  vollkommen  bekannt  war.  Diese  Erkenntnis 
hat  in  allerjüngsUw  Zeit  eine  ungeahnte  Hestätijgung  gefunden,  in- 
dem bei  den  Funden  aramäischer  Papyri  in  Elephantine,  die  unter 
anderm  sehr  wichtige  historische  Urkunden  aus  dem  fünften 
vorchristlichen  Jahrhundert  enthalten’),  auch  Fragmente  einer 
aramäisch  geschriebenen  Version  der  Achiqarlegende  zu  Tage 
getreten  sind.  Es  besteht  die  Hoffnung,  daß  diese  Dokumente  in 
Bälde  werden  herausgegeben  werden.  Trotzdem  wir  die  Geschichte 
auf  diese  Weise  bis  in  das  fünfte  Jahrhundert  hinauf  verfolgen 
können,  glaube  ich  nicht,  daß  sie  uns  in  dieser  Fassung  in  der 
ältesten,  ursprünglichen  Form  vorliegt.  Die  Schilderung  des  Ver- 
kehrs der  beiden  Höfe  von  .\ssyrien  und  Ägypten  weist  derartige 
charakteristische  Züge  auf,  wie  wir  sie  Jetzt  durch  die  Amama- 
knrrespondenz  kennen,  daß  man  schon  hierdurch  zur  Annahme 
assyrischer  Entstehung  des  Märchens  getrieben  wird.  Dann  aber 
kommt  hinzu,  daß  eine  ganze  Anzahl  Eigennamen  eine  augen- 
scheinlich babylonisch  - assyrische  Fonn  haben.  Der  Name  des 


q Vgl.  Israel  I.eri  a.  a.  O.  lll,  '239;  Lidzbarski  in  Zeitachr.  f. 
.Assyriol.  VII,  113;  Kalide,  Der  grieeh.  Koman  S.  188. 

’)  Vgl.  Meißner  in  Zeitaelir.  d.  deutsch.  uiorgcnl.liescII.'<cb.  XXXXVIII,  190^ 
’)  Vgl  Conjbenre,  Harris,  Lewis,  The  story  of  Ahikar. 

*)  Vgl.  Smend,  Alter  und  Herkunft  des  Achikar-Itoinans. 

*)  Vgl.  Eberhard,  Kabniae  romanenses  I,  125  ff.  Es  handelt  sich  um 
die  KapiUd  '23—32. 

«)  Tob.  1,21  ff.;  '2,  10;  10,  17;  14,  10  ff. 

’)  Vgl.  Sachau,  Drei  araui&isebc  Hapyriisurkunden  aus  Elephantine. 


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46 


Haupthelden  findet  sich  als  Achum  - iaqar,  Achi-iaqar  sehr 
häufig  im  Zwei  Strom  lande  von  der  Zeit  von  ‘2000  bis  650  v.  Chr. '). 
Der  Name  des  Neffen  Nadan  ist  rein  assyrisch,  ebenso  wie  der 
seines  jüngeren  Bruders  Nebozaradan*),  und  auch  der  Name  des 
Henkers  Nebosemakh  kann  assyrisch  erklärt  werden.  Aus  diesen 
Gründen  suche  ich  also  den  Ursprung  der  Sage  in  Assyrien.  Aber 
selbst  wenn  sich  das  nicht  bewahrheiten  sollte,  müs.sen  wir  sie 
trotzdem  als  altorientalisch  ansehen  und  können  ihre  .Angaben  hier 
verwerten.  Die  Stelle,  die  für  uns  in  Betracht  kommt,  lautet  unge- 
fähr folgendermaßen.  Als  Achiqar  von  seinem  Neffen  gestürzt  war 
und  nur  durch  eine  List  des  Scharfrichters  gerettet  sich  in  einer 
unterirdischen  Kammer  auf  hielt,  schickte  der  Pharao  von  Ägypten 
einen  Brief  an  Sanherib,  worin  er  ihm  die  Aufgabe  stellte,  ihm  eine 
Burg  in  der  Luft  zu  bauen.  Wenn  er  es  könnte,  wollte  er  ihm 
Tribut  für  drei  Jahre  geben,  wo  nicht,  sollte  jener  zur  Hergabe 
derselben  Summe  verpflichtet  sein.  Als  niemand  Rat  wußte,  erötfnet 
der  Scharfrichter  dem  bekümmerten  Könige,  daß  Achiqar  noch  am 
Leben  sei,  und  daß  der  vielleicht  helfen  könne.  Hoch  erfreut  ließ 
jener  nun  den  armen  Achiqar  kommen  und  bat  ihn  um  Hilfe.  Der 
ließ  nun  zwei  junge  Adler  fangen,  zwei  je  zweitausend  Ellen  lange 
Leinwandstflcke  weben  und  zwei  Kästen  bauen.  Dann  nahm  er  zwei 
kleine  Knaben,  band  die  Zeugstücke  an  die  Füße  der  Adler  und 
ließ  die  Knaben  sich  auf  die  Rücken  der  Tiere  setzen.  Alle  Tage 
flogen  die  Vögel  nun  etwas  höher  mit  ihnen,  bis  sie  zweitausend 
Ellen  hoch  in  die  Lüfte  stiegen.  Die  Knaben  aber  sollten  von  oben 
herab  rufen:  „Bringt  uns  Steine,  Lehm  und  Kalk,  damit  wir  das 
Schloß  des  Pharao  bauen ; denn  die  .Arbeiter  sind  müssig“.  Nach 
vierzig  Tagen  waren  die  Vorbereitungen  beendet,  und,  nachdem 
Achiqar  dem  erstaunten  Könige  sein  Werk  gezeigt,  begab  er  sich 
mit  großem  Gefolge  nach  .Ägypten.  Dort  wird  dann  die  .Aufgabe 
genau  in  der  angegebenen  Weise  gelöst,  und  die  erstaunten  Ägypter 
müssen  sich  als  überwunden  bekennen.  Ganz  ähnlich  ist  die  Er- 
zählung in  der  Aesopvita.  Hier  läßt  Aesop  zur  Lösung  seiner  .Auf- 
gabe vier  junge  Adler  fangen,  welche  er  so  abrichtete,  daß  sie 
Ballons  (&vXaKes)  mit  Knaben  in  die  Höhe  trugen  und,  wie  jene 

®)  Vgl.  Ranke,  The  Babjl.  eipcdilion  of  tho  uniTcraity  of  Pennsyl- 
vania VI,  1,36. 

’)  Dieser  Name  küinml  allerdings  auch  im  Alten  Testament  (II  Kön.  25,  8; 
Jer.  33,8;  52,  12)  vor.  Hier  ist  er  der  General  Nebukadneiars. 


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wollten,  auf-  und  abwärts  flogen.  In  Ägypten  fliegen  dann  die  vier 
Adler,  als  die  Aufgabe  gestellt  wird,  die  Burg  in  der  Luft  zu 
bauen,  in  die  Höhe  mit  den  Knaben,  die  von  dort  aus  naeh  Bau- 
material verlangen.  Als  der  Pharao  entgegnet,  er  habe  keine  ge- 
flügelten Menschen,  erwidert  Aesop,  sein  König  habe  welche. 

Auch  diese  Erzählung  vom  Bau  eines  Gebäudes  in  der  Luft  ist 
mehrfach  weitergewandert.  Nach  dem  Talmud ')  soll  K.  Josua  ben 
Chananja,  ein  Zeitgenosse  des  Kaisers  Hadrian,  mit  griechischen 
Weisen  disputiert  haben.  Als  diese  ihm  aiifgaben,  ein  Haus  in  der 
Luft  zu  bauen,  sprach  er  den  Schern  *)  aus,  stieg  in  die  Höhe  und 
hing  zwischen  Himmel  und  Erde.  Von  da  rief  er  ihnen  zu:  „Bringt 
mir  Ziegelsteine  und  Lehm“.  Auch  nach  persischer  Überlieferung, 
wie  sie  uns  z.  B.  bei  Tabari’)  und  Hamza*)  vorliegt,  liefl  sich  der 
mythische  König  Kai-Kaos  von  den  Dämonen  eine  in  der  Luft 
hängende  Stadt  bauen.  Tabaris  Erzählung  lautet:  „Es  glauben 
einige  Mythographen,  daß  die  Satane,  die  dem  Kai-Kaos  unterworfen 
waren,  ihm  nur  auf  Befehl  Salomos,  des  Sohnes  Davids,  gehorchten 
und  ihm  eine  Stadt  namens  Kaikadar  (?)  bauten,  deren  angebliche 
Länge  achthundert  Parasangen  war.  Sie  umgaben  sie  mit  einer 
Mauer  von  Bronce,  einer  von  Kupfer,  einer  von  Erz,  einer  von  Thon, 
einer  von  Silber  und  einer  von  Gold  und  trugen  sie  dann  in  die 
Luft  zwischen  Himmel  und  Erde  mitsamt  dem  Vieh,  Häusern, 
Schätzen  und  Menschen“. 

Diese  Beispiele  mögen  genügen  zum  Beweise  dafür,  daß  auch 
schon  der  alte  Orient  sich  lebhaft  mit  der  Frage  der  LuftschifTahrt 
beschäftigte.  Ob  man  aber  über  diese  Phantiisien  hinausging  und 
sie  auch  praktisch  zu  lösen  versuchte,  ist  ungewiß,  ja  unwahr- 
scheinlich. Erst  unserer  modernen  Zeit  ist  es  Vorbehalten  gewesen, 
auch  die  Luft  zu_  erobern. 

*)  Bechor.  8 b. 

’)  Iler  Name  Gottes,  das  heilige  Tetragrammaton,  dureb  dessen  Aus- 
sprache man  in  der  Luft  hingen  kann;  vgl.  auch  Sanbedr.  95  a. 

’)  I,  G02. 

*)  S.  35  ed.  Gottwaldt. 


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Begraben  und  Verbrennen 
im  Lichte  der  Religions-  und  Kulturgeschichte'^. 

Von  Dr.  Otto  Schräder. 


Es  ist  die  Welt  des  Todes,  die  wir  heute  mit  einauder  durch- 
wandern wollen.  Lassen  Sie  uns  diesen  Gang  antreten  mit  den 
Worten  des  Dichters,  dessen  jeder  gern  gedenken  wird,  wenn  er  sich 
anschickt,  über  die  urewigen  Fragen  des  Menschenlebens  nachzudenken; 

,Des  Todes  rührendes  Bild  steht 

Nicht  als  Schrecken  dem  Weisen,  und  nicht  als 
Ende  dem  Frommen. 

Jenen  drängt  es  ins  Leben  zurück  und  lehret  ihn 
handeln ; 

Diesem  stärkt  es  zu  künftigem  Heil,  im  Trübsal 
die  Hoffnung: 

Beiden  wird  zum  Leben  der  Tod.“ 

Der  Tod  — ein  Leben,  ein  Leben  in  des  Wortes  verwegenster  Be- 
deutung, eine  Fortführung  des  irdischen  Daseins  mit  allen  seinen  Be- 
dürfnissen, Wünschen  und  Leidenschaften,  das  ist  zugleich  die  Auf- 
fassung unserer  fernen  V'orzeit,  und  die  Befriedigung  dieser  Bedürf- 
nisse, Wünsche  und  Leidenschaften  der  Toten  durch  die  Lebenden 
der  innerste  Kern  eines  fest.geregelten  Totendienstes,  dessen  Bedeutung 
von  Schritt  zu  Schritt  wächst.  Je  weiter  wir  in  die  Vergangenheit 
zurflckgehen*). 

Welch  eine  Fülle  seltsamer  Gebräuche  überrascht  uns,  mögen 
wir  uns  nun  dem  frühen  Altertum  der  Inder,  Griechen,  Körner  und 
Deutschen  oder  denjenigen  Teilen  Europas  zuwenden,  in  denen  die  Ver- 
hultnis.se  und  Gedanken  der  Urzeit  unter  primitiveren  Kulturzuständen 
oft  bis  auf  den  heutigen  Tag  bewahrt  sind,  namentlich  den  litau- 
ischen und  slavischen  Völkern. 

Da  sehen  wir  den  Toten  in  festlicher  Kleidung  aufgebahrt  und 
Freunde  und  Nachbarn  mit  eindringlichen  Fragen,  als  ob  er  es  hören 


')  Vurlrag,  ^'cbalten  in  der  Schlesiaelieii  (Jesellachafl  fBr  Volkskunde  am 
14.  .lanuar  1910. 

Die  wissenscliafiliclien  Beleg«  für  die  hier  vurgeLrageucn  Tatsachen  und 
-tnschauungen  wolle  mau  in  meinem  Keallcxikon  der  Indugermauischeii  Altertums- 


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49 


und  verstehen  könnte,  an  ihn  herantreten:  „Warum  er  eigentlieh  ge- 
storben sei,  er,  der  doch  genug  zu  essen  und  zu  trinken,  Weib  und 
Kind,  Ochsen  und  Schafe  besessen  habe.“  Da  liören  wir  die  Frauen 
der  luiclisten  Verwandtschaft,  Mutter  und  fiattin,  Tochter  und  Schwieger- 
tochter einzeln  und  ini  Chor,  oder  auch  gemietete  Klageweiber,  deren 
Kunst  im  Umkreis  sieh  eines  großen  Rufes  erfreut,  bewegliche  und 
nicht  enden  wollemle  Klagelieder  anstimmen.  Da  .sind  wir  Zeugen 
w'ütender,  obgleich  wie  alles  fibrige  durch  die  Sitte  vorgeschriebener 
Schmerzensausbrüche,  die  sich  im  Zerraufen  der  Haare,  im  Zerkratzen 
der  Brüste  und  Wangen,  im  sich  Hinwerfen  auf  den  Flrdboden  äußern. 
Und  im  schrillen  Mißklang  zu  diesem  Leid  ziehn  sich  durch  alle 
Phasen  der  Bestattung  mehr  oder  minder  geräuschvolle  Lustbarkeiten: 
Schmüuse  und  Zechereien , Spiele  und  Wettkämpfe , Tänze  und 
Maskeraden. 

Sind  aber  die  Tage  der  Bestattung,  neben  der  Hochzeit  des 
höchsten  Familienfestes  unserer  heidnischen  Vorzeit,  vorüber,  so  um- 
schlingt ein  neues,  noch  dauerhafteres  Band  die  Lebenden  und  die 
Toten.  Immer  aufs  neue,  z.  B.  am  dritten,  sechsten,  neunten, 
zwanzigsten,  vierzigsten  Tage  nach  stattgehabtem  Begräbnis,  dann 
wieder  nach  Verlauf  eines  halben  .lahres  und  periodisch  bis  zum 
.lahresschluß  muß  die  einzelne  Familie  des  Toten  mit  umständlichen 
Bräuchen  gedenken,  wozu  für  das  ganze  Volk  in  den  verschiedensten 
Zeiten  des  .lahres  große  allgemeine  Totenfeste  treten,  an  denen  sich 
die  Gräber  öffnen  und  die  Toten  bei  den  Lebenden  einkehren.  Wehe 
der  Familie,  die  ihre  Verstorbenen  vernachlässigt;  denn  diese  sind 
mächtige  Götter  geworden,  obwohl  mau  sie  einfach  als  die  „Väter“, 
„Großväter“  oder  „Urgroßväter“  bezeichnet.  Auch  unser  Wort  „Ahnen“ 
hatte  ursprünglich  diesen  Sinn.  Sie  sind  strenge  Hüter  der  Familien- 
ordnung  und  rächen  mit  grausamen  Strafen  wie  Mißwachs,  Familien- 
zank, Kinderlosigkeit  sich  an  dem,  der  die  schuldigen  oder  ver- 
sprochenen Opfer  ihnen  vorenthält. 

Aus  der  Fülle  der  Bräuche,  die  sich  um  diesen  urväterlichen 
Totendienst  und  .\hnenkultus  schlingen,  will  ich  eine  Reihe  von  ein- 
zelnen Zügen  her.ausgreifen,  die  besonders  geeignet  erscheinen,  über 
die  Vorstellungen  unserer  Vorzeit  von  dem  Leben  der  Toten  jenseits 
des  Grabes  Licht  zu  verbreiten.  Dabei  soll  ein  Unterschied  zwischen 

kuude  SlralSburtr  lüOI  (in  2.  .\ufla}:«  in  Vorbün-ilung)  und  in  incinnm  .\nfsntz 
Arjan  Kriigion  in  di-r  von  .Tames  Hastings  luTausgogebcncn  Kiii-vclopacdia  of 
Beligion  and  Ethicä,  Vol.  U (Ediiiburg  1910)  anrsuchuu. 

Mitti'iluD^en  d.  scblvs.  lies.  f.  Vkde.  Uaud  XII  (Heft  1).  4 


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Begraben  und  Verbrennen,  dem  eigentlichen  Gegenstand  der  heutigen 
Besprechung,  zunächst  noch  nicht  gemacht  werden. 

Aus  einem  der  kulturentrOcktesten  Teile  Europas,  dem  sogenannten 
Weißrußland,  das  die  Gouvernements  Smolensk,  Witebsk,  Minsk, 
Mohili'w  u.  a.  umfaßt,  wird  uns  folgender  Begräbnisbrauch  berichtet: 
„Man  senkt  den  Körper  ins  Grab  zusammen  mit  den  Lieblings- 
gegenständen des  Toten.  Wenn  er  z.  B.  ein  Schuhflechter  war, 
so  legt  man  ihm  einen  angefangenen  Schuh  hin,  wenn  ein  Zimmer- 
mann oder  anderer  Gewerbetreibender,  so  gibt  man  ihm  Axt,  Meißel, 
Hobel,  Säge  usw.  Außerdem  legt  man  jedem  Toten  in  den  Sarg: 
Hrod,  Salz,  Eier  für  einen  Eierkuchen,  Nüsse,  Bier  und  eine  Flasche 
Schnaps,  ebenso  wie  eine  kurze  Tabakspfeife  mit  Tabak  und  Feuer- 
zeug oder  eine  Schnupftabaksdose.“  Besonders  häufig  werden  beim 
(jraben  neuer  Gräber  Flaschen  mit  Schnaps  gefunden,  welche  die 
Totengräber,  erfreut  über  den  köstlichen  und  abgelagerten  Fund,  auf 
der  Stelle  zu  leeren  sich  kein  Gewissen  machen.  „An  den  Gürtel 
des  Mannes,  oberhalb  des  Hemdes,  hängt  man  einen  Beutel,  der  mit 
glatten  Kupferknöpfen  versehen  ist  und  ein  kleines  Messer  in  lederner 
Scheide,  Gegenstände,  von  denen  sich  der  Bauer  im  täglichen  Leben 
nicht  trennt.  Wie  dem  Manne,  so  legt  man  der  Frau  in  die  Busen- 
l'alte  des  Hemdes  ein  reines,  leinenes  Taschentuch,  damit  sich  der 
Verstorbene  (wie  die  Bauern  ausdrücklich  versichern)  vorkommenden 
Falls  Auge,  Nase  und  Mund  abwischen  könnte.“ 

Mit  Staunen  sehen  wir  also,  daß  sich  hier  noch  unter  der  vollen 
Herrschaft  des  Christentums  fast  unversehrt  ein  Brauch  erhalten  hat, 
iler  sich  an  der  Hand  der  Ausgrabungen  durch  alle  Perioden  unserer 
Vorgeschichte  bis  in  die  sogenannte  „ jüngere  Steinzeit“,  d.  h.  bis  in 
<lie  Epoche,  in  der  der  Mensch  seine  Waffen  und  Werkzeuge  nur 
aus  geglättetem  Stein  oder  Horn  herstellte,  verfolgen  läßt,  der 
Brauch,  dem  Toten  Gefäße  mit  Speise  und  Trank,  Waffen,  Werk- 
zeuge, Haushaltungsgegenstände  jeder  Art,  Toilettegegenstände. 
Schmucksachen  usw.  in  den  Tod  mitzugeben.  Die  ersten  Spuren 
dieser  Sitte  lassen  sich  nach  den  neusten  Ausgrabungen  sogar  schon 
in  palaeolithischer  Zeit  nachweisen. 

.Jede  prähistorische  Sammlung  ist  reich  an  Beispielen.  In  dem 
Museum  meiner  Vaterstadt  Weimar  hat  es  der  in  einem  Steinkisten- 
grab aus  dem  Derflinger  Hügel  bei  Kalbsrieth  in  der  Enclave  Allstedt 
des  Großherzogtums  Sachsen  in  Hockerstellung  beigesetzte  Tote  zu 
einer  gewissen  Berühmtheit  gebracht.  Seine  Beigaben  waren  ein  großes 


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Tongetaß  und  eine  flache  Trinkschale,  ein  FeuersteinbeiJ,  drei  Knochen- 
nadeln, drei  Schmuckstücke  aus  Schweinezähnen,  ferner  zwei  Schinken- 
knochen und  drei  Schweinsfüße,  auch  ein  Unterkiefer  vom  Hausschwein. 

Einem  anderen  Skelett  aus  der  Gegend  der  Zuckerfabrik  in  All- 
stedt selbst  waren  beigegeben:  eine  Hirschhorna.xt,  ein  Feuersteinmesser, 
ein  Löffel  aus  einer  Flußmuschel,  ein  Schlagstein  zur  Rohfabrikation  von 
Beilen  und  ähnlichen  Werkzeugen,  ein  angefangenes  Beil  (ganz  wie 
in  Weißnißland  ein  angefangener  Schuh),  eine  Art  Knebel  vielleicht 
zum  Zusammenhalten  eines  Gewands,  und  eine  Handmühle.  Sehr 
anschaulich  wirkt  auch  der  schlesische  Landsmann  :ms  Jordansmflhl 
im  Breslauer  Museum,  einer  etwas  späteren  Zeit  oder  einer  etwas 
fortgeschrittenen  Kulturperiode  angehörig.  Ihm  waren  beigelegt:  zahl- 
reiche Finger-  und  Armringe,  eine  Halskette  mit  Brillenspirale,  zwei 
F'lintspäne,  sechzehn  steinerne  messer-  oder  sägenartige  Gegenstände, 
eine  steinerne  Axt,  zwei  große  Eberhauer  und  endlich  drei  Gefäße,  von 
denen  eins  mit  acht  Hasenläufen  — doch  wohl  einer  Lieblingsspeise 
des  Toten  — angefüllt  war. 

Höchwahrscheinlich  stellen  derartige  Grabinventare  zugleich  die 
gesamte  persönliche  Habe  der  Verstorbenen  dar.  Wir  stehen  in 
den  Anfängen  der  Enhvicklungsgeschichte  des  persönlichen  Eigen- 
tums. Haus  und  Hof,  Vieh  und  Feld  gehören  der  Familie  oder 
Sippe.  Wirkliches  Eigentum  des  Einzelnen  ist  nur  die  sogenannte 
„Fahrnis“,  vor  allem  Waffen  und  Werkzeuge  des  Mannes,  Schmuck- 
und  Spinngeräte  des  Weibes,  und  da  es  in  jener  Epoche  weder  den 
Begriff  der  Erbschaft  noch  den  des  Testamentes  gibt,  so  ist  es  ein 
durchaus  folgerichtiger  Gedanke,  diese  Fahrnis  dem  Toten  als  Aus- 
stattung für  das  künftige  Leben  ursprünglich  unverkürzt  mit  ins 
Grab  zu  geben.  Hierauf  weist  auch  die  in  den  altgermanischen 
Rechten  vorhandene  Idee  des  „Totenteils“  hin,  d.  h.  eines  rechtlichen 
Anspruchs,  den  der  Verstorbene  an  seinem  Nachlaß  hatte,  und  den 
später  die  Kirche  unter  dem  Namen  „Seelgeräte“  für  sich  mit 
Beschlag  belegt  hat. 

Was  hier  mit  Beziehung  auf  die  ältesten  verhältnismäßig  ärm- 
lichen Grabausstattungen  der  thüringischen  Länder  oder  Schlesiens 
gesagt  ist,  gilt  ebenso  natürlich  von  den  reicheren  Grabinventaren, 
wie  wir  sie  namentlich  in  den  skandinavischen  Ländern  oder  im 
Süden  Europas  finden.  Greifen  wir  gleich  das  üppigste  von  allen 
heraus,  wie  es  von  Heinrich  Schliemann  in  dem  vierten  der  auf 
der  Königsburg  von  Mykenae,  also  aus  vorhomerischer  Zeit,  bloß- 

4» 


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r,2 

freieren  (»raber  an  den  Tag  gebracht  worden  ist.  Hier  fanden  sich 
fünf  (^eril>{te,  Ober  die  ein  geradezu  unerhörter  Keichtum  der  ver- 
schiedensten Wertstücke  ausgelireitet  war.  Gesieht-smasken , Hrust- 
plaften,  Diademe,  Kronen,  Knöi>fe,  Blumen,  SchultergOrtel,  Arm- 
bänder, Hinge,  Beclier,  Kuhköpfe,  Modelle  von  Tempeln,  alles  aus 
purem  Gold,  Schwerter  und  l.anzen  aus  Bronze,  Kessel  aus  Kupfer, 
Vasen  aus  Terracotta,  Schmuck  aus  Bergkrvstall.  Bernstein,  Alabaster, 
aber  auch  .Vusterschalen  und  ungeölfneto  Austern,  die  beweisen,  daß 
es  schon  damals  „.\usternfreunde“  gal).  Natürlich  können  wir  nicht 
strikte  beweisen,  dali  diese  Schatze  den  ge.samten  Keichtum  dieses 
Fttrstengeschlechts  ausmachten;  aber  wenn  wir  bedenken,  dali  noch 
in  den  homerischen  Gedichten  sich  die  8))uren  des  Gebrauchs  finden, 
den  Toten  ihre  ganze  Habe  mitzugeben  (hom.  Kn’f)Eit  KreQif^etv 
„Jem.  die  letzten  Ehren  erweisen**,  eigentlich  aber  wohl  „ihm  den 
Besitz  darbringen“),  ist  es  zum  mindesten  sehr  wahrscheinlich. 

Begreitlicherweise  mulJte  diese  unglaublich  unwirtschaftliche  Ver- 
wendung des  Besitzes  frühzeitig  Bedenken  erregen,  und  tatsächlich 
sehen  wir  die  griechischen  und  römischen  (Tcsetzgebungen  bald  gegen 
sie,  ebenso  wie  gegen  anderen  Luxus  und  andere  Übertreibungen  der 
Begräbnisse,  Front  machen.  Schoti  in  der  römischen  Zwölftafelgesetz- 
gebung  war  das  Verbot  enthalten,  „Gold  dem  Scheiterhaufen  hinzii- 
zufügen“,  mit  Ausnahme  des  Goldes,  durch  welches  „die  Zähne  ver- 
bunden sind“.  Einen  Schädel  mit  goldenem  Gebiß  kann  man  in 
Hom  im  Museum  di  Papa  Giuglio  an  der  \Ta  Flaminia  in  Augen- 
schein nehmen. 

Derartige  Bestimmungen  fehlten  natürlich  im  Norden  Europas. 
.\ndererseits  nahm  :iber  auch  hier,  nachdem  die  ersten  Beziehungen 
durch  Handel  und  Verkehr  mit  dem  Süden  angeknüpft  w'aren,  und 
die  Metalle,  zuerst  Bronze  und  Gold,  sich  zu  verbreiten  angefangeii 
hatten,  iler  Wohlstaml  reißend  zu.  Überall  — so  müssen  wir  uns 
die  Entwicklung  der  Dinge  vorstellen  — tauchen  aus  der  demo- 
kratischen Gleichheit  der  l'rzeit,  Völker  gründend  und  Völker  ver- 
nichtend, von  reisigen  Gefolgsleuten  umgeben,  mächtige  Fürsten- 
geschlechter auf,  die  nun  darauf  bedacht  sind,  wie  ihr  irdisches,  so 
aiich  ihr  jenseitiges  Dasein  zu  verschönen.  Neue  Arten  von  Toten- 
beigaben,  obwohl  fast  immer  nach  südlichem  Vorbild,  werden  daher 
in  den  späteren  Epochen  unserer  Urgeschichte  üblich. 

Besonders  häufig  wird  das  Pferd,  das  ja  noch  heute  ilem  Sarge 
lies  Fürsten  folgt,  dem  Reifer  in  sein  Grab  mitgegelien.  Am  prunk- 


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vollsten  waren  in  dieser  Heziehiing  die  Leiehenbegaiignisse  der  sky- 
thischen  Könige,  die  einst  an  den  nördlichen  Gestaden  des  Schwarzen 
Meeres  herrschten.  .■Vber  noch  Tacitus  berichtet  von  un.seren  Vor- 
fahren, ,,dali  dem  Scheiterhaufen  einiger  Männer  auch  ihr  Pferd  liei- 
gegehen  wird.“  ja  nach  einem  russischen  Heldenlied  ]dlegte  es  zu 
geschehen,  daLl  der  tote  Beiter  seihst  auf  seinem  Pferde  in  das  Grab 
gesenkt  werde: 

„Da  fingen  sie  dort  an  ein  tirali  zu  gralien. 

Sie  gruben  aus  ein  tiefes,  großes  Grab, 

Pin  tiefes  wohl  20  Faden  breit. 

Und  da  ward  Potok  Michail  Ivanovic 

Mit  dem  Pferd  und  dem  kriegerischen  Küstzeug 

Hinuntergelassen  in  das  tiefe  Gral). 

Und  sie  hüllten  es  ein  mit  eichener  Decke 
Und  überschütteten  es  mit  gelbem  Sande.“ 

\Vie  die  Beste  von  Pferden,  so  werden  aus  den  Grabhügeln  auch 
Wagen,  ja  — bei  den  NVikingern  — ganze  Schiffe  ausgegraben. 

•\ber  damit  ist  noch  lange  nicht  der  Gedanke  iler  Totenbeigaben 
bis  zu  Ende  gedacht,  .lener  armselige  Hocker  im  Dertlinger  Grab- 
hügel mochte  sich  .seine  SchweineripjK-hen  selbst  servieren.  Der  Fürst 
und  Vornehme  al)er  bedurfte  der  Hilfeleistung  des  Dieners,  und  so 
ist  es  eine  durchaus  folgerichtliche  Scheußlichkeit,  am  Grabe  oder 
Scheiterhaufen  des  Herrn  Sklavinnen  und  Sklaven,  bei  den  Leichen- 
begängnissen der  skythischen  Könige  den  Mundschenk,  Hofbitcker, 
Stallmeister,  Kammerdiener  und  .kdjutanten  abzuschlachten.  Und 
weiter!  .ledennann  weiß,  daß  in  Indien  noch  zur  Zeit  der  eng- 
lischen Herrschaft  die  Frau  des  Verstorbenen  oder  eine  derselben 
mit  der  Leiche  auf  den  Scheiterhaufen  gebracht  wurde. 

Weniger  allgemein  bekannt  dürfte  sein,  daß  derselbe  Brauch 
der  Mitgabe  eines  Weibes,  sei  es  der  Ehefrau,  sei  es  einer  Bei- 
schläferin, einstmals  den  ganzen  Xonlen  unseres  Erdteils  beherrscht 
hat  und  ebenso  bei  Skythen  und  Thrakeni,  den  Völkern,  die  südlich 
und  nördlich  der  Niederdonau  saßen,  wie  bei  Slaven  und  Germanen 
zu  belegen  ist. 

Es  hat  nicht  an  Forschern  gefehlt,  die  selbst  diese  furchtbare 
Sitte  in  romantischem  Lichte  betrachtet  und  von  einer  vorbildlichen 
Treue  der  Gatten  oder  Liebenden  bis  in  den  Tod  gesprochen  haben. 
Nichts  kann  falscher  sein  als  eine  solche  .\uffassung.  Niemals  und 
nirgends  ist  es  dem  Manne  eingefallen,  der  Frau  in  das  tirab  oder 


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in  die  Flamme  des  Scheiterhaufens  zu  folgen.  Die  Frau  steht  in 
dieser  Beziehung  ganz  auf  gleicher  Stufe  mit  Sklavinnen  und 
Dienerinnen.  Sie  ist  im  Diesseits  mit  Leib  und  Leben  dem  Manne 
zu  Willen  gewesen  und  soll  es  nun  auch  im  Jenseits  sein.  Wohl 
wird  von  mehreren  Berichterstattern  übereinstimmend  hervorgehoben, 
daß  diese  Frauen  selbst  sich  nach  dem  Tode  mit  dem  Manne 
drängten  und,  wenn  sie  starben,  deswegen  von  ihren  (Genossinnen 
gepriesen  wurden.  Allein  wir  dürfen  nicht  vergessen,  daß  es  sich 
hierbei  meistens  um  Verhältnisse  der  Vielweiberei  handelt,  in  denen 
zu  allen  Zeiten  ein  Kampf  der  Frauen  und  Nebenfrauen  um  die  Khre 
stattgefunden  hat,  die  Favoritin  des  Mannes  zu  sein,  und  nur  in- 
sofern ist  dieser  Ehrgeiz  der  nach  dem  Tode  mit  dem  Manne  ver- 
langenden Frauen  für  unsere  Zwecke  von  Bedeutung,  als  er  Zeugnis 
ablegt  von  der  felsenfesten  Überzeugung  dieser  unglücklich-glücklichen 
Geschöpfe,  «laß  sie  dereinst  wirklich  jenseits  des  Grabes  als  um- 
neidete Favoritinnen  der  Männer,  mit  denen  sie  gestorben  sind, 
leben  werden. 

Äußerst  lehrreich  ist  in  dieser  Beziehung  der  Bericht  eines 
arabischen  Reisenden,  der  im  Jahre  !)’il  n.  (Jhr.  einem  derartigen 
Leichenbegängnis  der  Russen  beiwohnte.  Der  vornehme  Tote  liegt 
in  kostbarer  Kleidung  auf  dem  Schiff,  mit  dem  er  verbrannt  werden 
soll.  Eins  seiner  Mädchen  hat  sich  bereit  erklärt,  mit  ihm  zu 
sterben.  Nach  einer  langen  Reihe  wunderbarer  Zeremonien,  die 
darauf  hinzudeuten  scheinen,  daß  eine  förmliche  Vermählung  des 
Toten  mit  der  Lebenden,  eine  richtige  Totenhochzeit  vorgenommen 
wird,  wird  das  Mädchen  in  halb  exstatischem  und  berauschtem 
Zustand  auf  den  flachen  Händen  der  Männer  dreimal  emporgehoben, 
so  «laß  sie  den  Toten  erschauen  kann.  „Sieh“,  ruft  sie  das  erste 
Mal,  „hier  sehe  ich  meinen  Vater  und  meine  Mutter“.  „Sieh“,  das 
andre  Mal,  „jetzt  sehe  ich  alle  meine  verstorbenen  Anverwandten 
sitzen“.  „Sieh“,  das  dritte  Mal.  „dort  sitzt  mein  Herr,  er  sitzt  im 
Paradiese.  Das  Paradies  ist  so  schön  und  grün.  Bei  ihm  sind 
.«eine  Männer  und  Knaben;  er  ruft  mich,  so  bringt  mich  denn  zu 
ihm“.  v.  Kurze  Zeit  darauf  gibt  ihr  ein  finsteres  Weib,  das  sie  den 
Todesengel  heißen,  den  Gnadenstoß. 

So  ist  der  Tote  mit  seiner  gesamten  Habe,  seinem  Pferd,  seinem 
Diener,  seinem  Weibe  wohl  für  das  zukünftige  Leben  versehen. 
Speise  und  Trank  werden  in  reicher  Menge  um  ihn  aufgestellt,  Über- 
reste des  Leichensidimauses,  der  zur  Ehre  des  Verstorbenen  am  Tage 


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des  Begräbnisses  und  am  Grabe  selbst  von  Verwandten  und  Freunden 
abgehalten  worden  ist. 

Allein  diese  Lebensmittel  können  dem  guten  Appetit,  über  den 
auch  die  Vorstorbenen  verfügen,  nicht  lange  genügen.  Es  ist  daher 
notwendig,  daß  die  Näch.ststehenden  von  Zeit  zu  Zeit  den  Toten 
neue  Nahrung  zuführen.  Das  ist  der  eigentliche  Zweck  jener  zahl- 
losen Erinnerungsfeste,  von  denen  ich  oben  sprach. 

An  den  großen  Totenfesten  bietet  — oder  bot  wenigstens  bis 
vor  kurzem  ein  russischer  Friedhof  einen  wunderbaren  Anblick.  Um 
die  Gräber  sind  die  Familien  der  Verstorbenen  festlich  versammelt. 
Sie  haben  leckere  Pfannkuchen.  Pirogen,  Kringel,  gefärbte  Eier, 
Weizen-  und  Nudelfladen  mitgebracht  und  breiten  sie  nun  auf  den 
Gräbern  aus.  Dazu  stellen  sie  Schnaps,  Bier  und  Brahe  auf,  von 
denen  sie  einige  Tropfen  auf  die  Gräber  ausgießen.  Dann  rufen  sie 
die  unterirdischen  Gäste,  einen  jeden  — das  ist  Totenbrauch  — 
mit  vollem  Namen  und  bitten  sie  beim  Erinnerungsmahl,  dem  sie 
natürlich  auch  selbst  wacker  zusprechen,  zu  essen  und  zu  trinken.' 
Anfangs  geht  die  Sache,  abgesehn  von  monotonen  Totenklagen,  still 
zu,  bald  aber  schallt  fröhliches  Geplauder  über  die  Gräber  und 
schließlich  wälzt  sich  ein  brausender  Strom  lustiger  Bursche  und 
Mädchen  der  benachbarten  Wiese  zu:  Tanz,  Spiel,  Gelächter, 

Kreischen,  Liebeskosen. 

Auch  in  den  Häusern  linden  streng  ritual  geregelte  Erinnerungs- 
mahle statt.  Auch  hier  ladet  man  die  Toten  unter  Namensnennung 
feierlich  ein: 

„Ihr  heiligen  Großväter,  wir  rufen  Euch, 

Ihr  heiligen  Großvater,  kommt  zu  uns! 

Hier  gibt  es  alles,  was  Gott  gegeben  hat.“ 

Zuerst  erscheint  bei  diesem  Mahle  das  eigentliche  Totengericht, 
der  Kanun,  bestehend  aus  Graupen  mit  Honig,  der  Lieblingsspeise 
der  Toten,  auf  dem  Tisch.  Hiervon,  sowie  von  jedem  folgenden 
Gang  muß  der  Speisende  unweigerlich  einige  Löffel  neben  sich  für 
die  Toten  auf  den  Tisch  legen,  so  daß  schließlich  auf  demselben 
ein  ganzer  Mischmasch  aller  möglicher  Sj)eisen  vorhanden  ist. 
Anfangs  herrscht  eine  gedrückte  Stimmung.  Jedes  Geräusch  ver- 
kündet die  Anwesenheit  der  Toten,  deren  man  daher  nur  im  Guten 
gedenkt.  Schließlich  entläßt  7iian  die  Gäste  wieder: 


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.-•6 


„Ihr  heiligen  Uroüväter,  Ihr  seid  hierher  geflogen, 

Ilir  liabt  gegessen  und  getrunken. 

Fliegt  jetzt  wieder  nach  Hau.se.“ 

Kusch,  kusch,  wie  man  zu  den  Hühnern  sagt,  um  sie  zu 
verscheuchen. 

■\lles  dies  kehrt  Funkt  für  Punkt  bei  Griechen  und  üömern, 
Indern  und  Deutschen  wieder,  und  auch  die  Ausgrabungen  haben 
manchen  Zug  einer  luierhörten  Healistik  dieser  Totenspeisungen  an 
den  Tag  gebracht.  So  ist  in  Mykenae  über  dem  vierten  Grab,  von 
dessen  reichem  Inhalt  ich  oben  sprach,  ein  runder  umi  hohler  Altar 
gefunden  worden,  der  bis  zu  dem  Kaum  der  Toten  führte,  un«l  durch 
den  ohne  Zweifel  Honiggüsse  und  das  Hlut  der  Ojifertiere  nach 
unten  entsendet  wurden.  In  Rom  hat  der  geniale  Architekt  Boni 
sich  mit  kaninchenhafter  Geschicklichkeit  unter  den  Grundmauern 
iler  Tempel  und  Statuen,  welche  das  Forum  Komanum  schmücken, 
hindurchgegraben  und  hier  aus  der  frühsten  Zeit  Roms  einen  Fried- 
hof entdeckt.  Auch  hier  zeigten  sich  in  der  Niihe  der  Gräber 
röhrenförmige  Gruben,  die  Überreste  verbrannter  Früchte  und  von 
Milchspenden  enthielten. 

Auch  im  Altertum  galt,  wo  immer  Erinnerungs-  und  Leichen- 
mahle abgehalten  wurden,  die  Seele  des  Verstorbenen  für  anwesend. 
Das  war  der  Grund,  daß  man,  ganz  wie  in  Rußland,  wie  man  sich 
schon  im  Altertum  ausdrückte,  den  Toten  zu  loben  idlegte,  auch 
„wenn  er  ein  schlechter  Kerl  gewesen  war.“ 

Und  ähnlich  erklären  sich  die  Spiele  und  Wettkämpfe,  die 
Neckereien,  Tänze  und  Vermummungen,  die  überall,  wie  wir  schon 
sahen,  zu  Ehren  der  Toten  abgehalten  wenleri.  Der  Tote  hat 
seinen  Siiaß  im  Leben  gehabt.  Er  soll  ihn  auch  im  Tode  nicht 
entbehren. 

Diese  .Auffassung  des  Lebens  nach  dem  Tode  mußte  naturgemäß 
auch  auf  die  älteste  Grabanlage  selbst  einwirken. 

Von  griechischen  und  römischen  Schriftstellern  erhalten  wir  die 
Nachricht,  daß  in  der  allerältesten  Zeit  die  Toten  überhaupt  nicht 
aus  der  Wohnung  entfernt,  sondern  in  ihr  begraben  worden  seien, 
und  die  neuesten  .Ausgrabungen,  die  man  in  Griechenland  in  der 
Landschaft  Böotien  unternommen  hat,  scheinen  diese  verblüffende 
Alitteilung,  ebenso  wie  deutsche  und  schlesische  Funde,  zu  bestätigen. 
Vielleicht  war  es  auch  nur  der  Hausherr,  der  in  der  eigenen  Hütte 


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am  Henle  seine  Kühe  fand  und  weiter  über  wohl  und  Wehe  der 
Seinen  waltend  gedaclit  wurde. 

Jedenfalls  seheint  hiermit  ein  bei  mehreren  Völkern  unseres 
Stammes  z.  B.  in  Rom  nachweisbarer  häuslicher  Schlangenkultus  zu- 
sammenzuhängen,  dem  zu  Folge  eine  oder  mehrere  Schlangen  am 
Henle  gepflegt  werden.  Bei  der  wendischen  Bevölkening  des  Spree- 
walds werden  noch  heute  in  jedem  Hause  zwei  Schlangen  verehrt,  die 
„Hausherr“  und  .,Hansfrau“  heiUen.  Die  Schlange  aber  ist  — 
noch  in  der  griechischen  Kunst  — das  Abbild  der  menschlichen 
Seele. 

Aber  auch  sobald  man  angefangen  hatte,  die  Leiclie  aus  der 
menschlichen  Wolinung  zu  entfernen  und  ilir  draußen  eine  Stätte 
zu  bereiten,  konnte  dies  nach  allem,  was  wir  bisher  über  die  Auf- 
fassung des  Todes  eiTahren  haben,  nur  in  dem  tiedanken  geschehn, 
daß  dem  Verstorbenen  eine  neue  Wohnung  errichtet  werden  müsse, 
in  der  er  nun  in  seiner  .\rt  weiterleben  werde,  und  die  Analogie  der 
menschlichen  Wohnungsverhältnisse  mußte  hierbei  mehr  oder  weniger 
deutlich  hervortreten. 

Diese  menschlichen  Wohnungsverhältnisse  müssen  wir  uns  für 
das  vorröraische  Nordeuropa  so  primitiv  wie  möglich  vorstellen.  Von 
den  auf  PlTihlen  — wie  in  der  Schweiz  — errichteten  Hütten  ab- 
gesehn,  handelt  es  sich  liauptsächlich  um  sogenannte  Wohngruben, 
d.  li.  um  mehr  oder  weniger  tief  in  den  Erdboden  eingegrabene 
Höhlungen,  über  denen  aus  Flechtwerk  hergestellte  und  mit  Lehm 
beworfene  Wände  und  Dächer  errichtet  wurden.  Nur  für  Fürsten 
und  Vornehme  werden  mehrteilige  Häuser  und  — viel  leicht  in  Nach- 
ahmung des  südlichen  Steinbans  — eigentliche  Blockhütten  früh- 
zeitig vorhanden  gewesen  sein.  Der  Steinbau  selbst  ist  erst  durch 
die  Körner  in  das  nördliche  Europa  gekommen. 

Wenn  unter  diesen  Umständen  füglich  jeder  für  einen  Ver- 
storbenen in  der  Erde  hergestellte  oder  mit  Erde  überdeckte  Hohl- 
raum als  ein  Ersatz  der  menschlichen  Wohnung  gelten  konnte,  so 
mußte  die  .Aufmerksamkeit  der  Hinterbliebenen  vor  allem  darauf 
gerichtet  sein,  dem  Aufenthaltsort  des  Toten  eine  Dauer  zu  verleihen 
die  den  Hütten  der  Lebenden  in  Folge  ihrer  leichten  Zerstörbarkeit 
durch  Feuer,  Sturm  und  Feinde  versagt  war. 

Die  Dauerhaftigkeit  der  Wohnungen  der  .Abgeschiedenen  ist 
gerade  auf  dem  Boden  der  altgermanischen  Länder  in  überraschender 
Weise  erreicht  worden. 


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Schon  mancher  von  Ihnen  wird,  wenn  ihn  seine  Wanderung? 
durch  das  Hannoverische  oder  durch  Schleswig-Holstein  oder  über 
die  dänischen  Inseln  führte,  in  sinnender  Betrachtung  vor  jenen 
ungeheuren  über  einander  getürmten  Felsblöcken  gestanden  haben, 
die  stimmungsvoll  über  die  Heide  oder  das  geackerte  Land  hinweg- 
schauen und  unberührt  von  Jahrhunderten  und  Jahrtausenden 
von  alten  Zeiten  und  Menschen  erzählen.  Es  sind  die  unter  den 
Namen  „Rundgrüber“,  „Hflnenbetten“  und  „Riesenstuben“  bekannten 
Grabanlagen,  von  denen  namentlich  die  letzteren  zweifellos  ins  Gigan- 
tische übersetzte  Nachbildungen  menschlicher  Wohnungen  sind.  Oft 
lange  und  doppelte,  von  aufrecht  stehenden  Steinen  gebildete  Gänge, 
in  denen  man  gebückt  gehen  kann,  führen  durch  den  Hügel,  von 
dem  diese  Riesenstuben  noch  meist  bedeckt  sind,  in  geräumige  eben- 
falls von  aufrechtstehenden  und  Decksteinen  gewaltigster  Dimensionen 
gebaute  Kammern,  deren  Länge  von  zwölf  bis  vierzig  Fuß  schwankt. 
Oft  findet  man  in  einem  Grabe  Skelette  von  vielen,  zwanzig  bis 
dreizig  und  mehr  Individuen  mit  Beigaben,  die  bisher  keine  Spur 
von  Metall  gezeigt  haben.  Es  waren  ohne  Zweifel  Familien-  oder 
Sippengräber,  wie  wir  uns  auch  die  Wohnungen  der  Lebenden  in 
alter  Zeit  nicht  von  Sonderfamilien,  sondern  von  Großfamilien  d.  h. 
bei  einander  lebendem  Vater,  Mutter,  verheirateten  Söhnen,  Oheimen 
und  Tanten  besetzt  denken  müssen. 

In  Mitteleuropa  und  Rußland,  wo  diese  megalithischen  Bauten 
verschwinden,  sind  es  andere  Denkmäler,  die  unsere  Aufmerk- 
samkeit fesseln. 

Wer  auf  der  Eisenbahn  von  Erfurt  nach  Sangerhausen  fährt, 
passiert  unweit  von  Sömmerda  die  Station  Leubingen,  wo  ein 
berühmt  gewordener  Hügel  schon  von  dem  Jenaer  Professor  Klop- 
fleisch,  einem  lange  verkannten  Pfadfinder  auf  dem  Gebiete  der  Ur- 
geschichte, ausgegraben  worden  ist. 

Nicht  allzuweit  von  Leubingen,  in  dem  sogenannten  Mannsfelder 
Seekreis,  bei  einem  Orte  namens  Helms dorf  ist  ganz  neuerdings 
ein  dem  Leubinger  in  vieler  Beziehung  verwandter  Hügel  aufgedeckt 
worden.  In  beiden  Hügeln  sind  über  den  Toten,  die  im  Leubinger 
Fall  auf  einem  hölzernen  Fußboden,  im  Helmsdorfer  in  einer  bett- 
formigen,  gezimmerten  Totenlade  ruhten,  richtige  Holzhfltten  — gute 
Zimmermannsarbeit  — mit  steil  abfallenden  Dächern,  dessen  Bohlen 
in  Leubingen  noch  mit  Schilf  bedeckt  waren,  errichtet  gewesen.  Im 
Leubinger  Hügel  war  ein  älterer  Mann  beigesetzt,  dem  quer  über 


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den  Schoß  ein  Mädchen  von  eivva  zehn  Jahren  gelegt  war,  im  Helms- 
dorfer  anscheinend  ein  einzelner  Mann  in  Hockerlage.  Die  Beigaben, 
Bronzeäite,  bronzene  Dolchstäbe  und  Dolche,  kleine  Meißel,  ein 
Hammer  aus  Diorit,  ferner  reicher  Goldschmuck,  Armreife,  Nadeln, 
Spiralringe,  Spiralröllchen  u.  a.  weisen  auf  die  älteste  Metallzeit  und 
darauf,  daß  es  vornehme  Leute  waren,  die  hier  bestattet  wurden. 
In  einer  dichten  Aschenschicht  unter  der  Totenlade  des  Helmsdorfer 
Hügels  fand  man  noch  die  Skelette  zweier  Männer,  die  dem  Toten 
offenbar  als  Diener  mitgegeben  waren,  wie  auch  das  sehr  junge 
Mädchen  in  dem  Grabe  des  älteren  Herren  einen  tiefen  Blick  in  die 
Sitten  und  in  die  Sittlichkeit  jener  Zeiten  gestattet. 

Das  Interessanteste  für  unsere  Zwecke  bleiben  aber  doch  die 
eine  unzweideutige  Absicht,  dem  Toten  ein  Haus  zu  errichten  be- 
kundenden Holzhütten  des  Leubinger  und  Helmsdorfer  Hügels. 

Es  ist  unseren  Prähistorikern  bis  jetzt  unbekannt  geblieben, 
daß  ähnliche,  ja  fast  gleiche  Anlagen  überaus  häufig  in  den  süd- 
russischen  Kurganen  wiederkehren,  d.  h.  in  jenen  Grabhügeln,  die  in 
den  Ländern  nördlich  des  Schwarzen  Meeres  malerisch  ül)er  die  Ein- 
förmigkeit der  Steppe  ausgebreitet  sind.  Und  zwar  gilt  dies  sowohl 
von  den  den  einst  in  diesen  tlegenden  herrschenden  skythischeu 
Stämmen  ungehörigen  Kurganen  wie  auch  von  denen  früherer,  noch 
mannigfacher  Aufklärung  bedürftiger  Epochen. 

Wenigstens  auf  eine  dieser  südrussischen  Hüttenbestattungen  sei 
unter  diesen  Umständen  besonders  hingewiesen.  Sie  wurde  im  Jahre 
1903  von  V.  A.  Gorodzow  in  einem  Kurgan  des  Gouvernements 
Jekaterinoslaw  aufgedeckt  und  gehört  nach  dem  genannten  Forscher 
dem  Ende  des  zweiten  Jahrtausends  v.  Chr.  an. 

In  der  Tiefe  des  Hügels  befand  sich  eine  geräumige  viereckige 
Grube,  auf  deren  Boden  ein  aus  dicken  eichenen  Brettern  hergestelltes 
Gebälk  (eine  Art  Totenlade)  zutage  trat.  Zwischen  den  Wänden 
der  Grube  und  denen  des  Gebälks  war  in  östlicher  Richtung  ein  rot 
gefärbter  Topf  und  das  Haupt  einer  Kuh  niedergelegt.  In  allen  vier 
Ecken  lag  je  ein  Kuhfuß. 

Innerhalb  des  Gebälks  war  in  Hockergestalt  ein  weibliches 
Skelett  beigesetzt,  mit  den  Handwurzeln  unter  dem  Gesicht;  auf  der 
linken  Seite  ruhend,  mit  dem  Kopf  nach  N.O.  gewendet.  Am  Halse 
wurden  kleine  Stückchen  auseinandergefallener  bronzener  Perlen  oder 
anderer  ähnlicher  Verzierungen  gefunden.  Vor  dem  Gesicht  stand 
ein  irdener  Topf,  vor  der  Brust  lag  eine  Reihe  von  Klappern,  die 


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aus  dem  Rückgrat  eines  Tieres  iieraiisgeschnitten  waren,  unter  dem 
Skelett  Kalkerde,  unter  dem  Schädel  Schilf. 

Die  größte  Besonderheit  dieser  Bestattung  aber  bildete  eine 
Hütte,  die  über  dem  Gebälk  errichtet  war.  Die  Hütte  bestand  aus 
zwei  Säulen,  die  in  nindlichen  <lruben  zu  Häupten  und  Füßen  des 
Toten  außerhalb  des  Gebälks  eingegraben  waren.  .\uf  die  oberen 
Enden  der  Säulen  war  ein  Balken  gelegt,  an  den  sich  Ä.ste  lehnten, 
sodaß  sie  das  Geliecht  eines  nach  zwei  Seiten  abfallenden  Daclies 
bildeten.  Über  den  Ästen  lag  Schilf. 

■\uf  dem  Daclibalken  stand  eine  Reihe  umgestürzter  Töpfe  und 
eine  stark  verwitterte  Handmühle  aus  S.indstein.  Noch  weiter  oben 
befand  sich  eine  .\schenschicht.  in  ihr  ein  Kulikopf,  vier  Kuhbeine, 
ein  großer  Topf  mit  Grübchenverzierung  am  Hals  <les  Gefäßes  und 
durclibohrtem  Roden,  verbrannte  Knochen  und  ein  Schleifstein. 

Diese  somit  festgestellte  .\nalogie  des  Grabes  mit  der  mensch- 
lichen Wohnung  ließe  sich  weiter  durch  die  Urgeschichte  bis  in  die 
geschichtlichen  Zeiten  verfolgen.  Wir  brechen  ab,  um  uns  einer 
anderen,  in  dieselbe  Richtung  deutenden  Erscheinung  zuzuwenden. 

In  dem  bisherigen  habe  ich  einigemal  den  .■\usdruck  „Hocker“, 
„Hockerskelett“  gebraucht,  was  bedeutet,  daß  die  betreuenden  Toten 
nicht  ausgestreckt,  sondern  in  zusaramengekauertem  Zustand,  als  liegende 
Oller  sitzende  Hocker  beerdigt  worden  waren.  Dieser  Brauch  hat 
schon  in  der  Steinzeit  in  Südrußland,  Österreich-Ungarn.  Deutsch- 
land — wir  brauchen  uns  nur  den  Toten  aus  dem  Derflinger  Hügel 
zu  vergegenwärtigen  — , der  Schweiz,  Frankreich,  England,  Däne- 
mark eine  außerordentliche  Verbreitung  gehabt,  und  man  hat  teil- 
weise sehr  phantastische  Erkläningen  desselben  aufgestellt. 

Ich  glaube  aber,  daß  sein  Sinn  ein  sehr  naheliegender  ist.  Die 
sprachlichen  und  sachlichen  Hausforschungen  der  letzten  Jahre  haben 
mit  Deutlichkeit  gezeigt,  daß  all  das  Hausmobiliar,  das  unser  Heim 
mit  Behaglichkeit  und  Bei|uemlichkeit  erfüllt,  der  Tisch,  der  Stuhl, 
die  Bank,  das  Bett  außerordentlich  spate  Kulturerscheinungen  sind, 
und  unsere  Vorfahren  demmich,  solange  sie  sich  in  ihren  gewiß  sehr 
niedrigen  Hütten  befanden,  beim  Gespräch,  der  .\rbeit,  dem  Essen 
usw.  auf  jene  hockende  Stellung  angewiesen  waren,  die  wir  eben  in 
den  Gräbern  finden.  .\uch  diese  ist  also  nach  meiner  Auflassung 
nur  eine  Vorspiegelung  und  Nachahmung  des  wirklichen  Lebens  für 
das  Scheinleben  des  Gralies. 


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«1 


Kine  liautige  Begleitci^cheinung  dieser  Hockerskelette  ist  die  an 
ihnen  hervortretende  Farl)ung  der  Knochen;  doch  hat  man  erkannt, 
daß  dieselbe  ni«dit  erst  nachträglich  vorgenommen  worden  ist, 
sondern  vielmehr  von  Farbe,  Rötel  und  Ocker,  herrührt,  die  später 
nach  Zerfall  des  Fleisches  auf  die  Knochen  ahfärhend,  ursprünglich 
dazu  bestimmt  war,  dem  Toten  zur  Bemalung  oder  Tätowierung 
seines  Körpers  zu  dienen,  ein  Braucli,  der  auch  von  den  historischen 
(Quellen  aus  ganz  Nordeuropa,  selbst  von  unseren  germanischen  Vor- 
fahren gemeldet  wird. 

Überhaupt  ist  man  gerade  für  die  Toilette  des  erstorbenen 
ängstlich  besorgt.  Rasiermesser  werden  seit  der  ältesten  Metallzeit 
beigegeben.  Auch  die  scharfen  Feuersteinmesser  der  Steinzeit  sollen 
diesen  Dienst  verrichten  können;  doch  habe  ich  noch  nicht  der 
Wissenschaft  das  Opfer  eines  Versuchs  gebracht.  Selbst  Bäder 
werden  im  alten  Griechenland  und  in  den  litauisch-slavischen 
Landern  bei  den  Erinnerungsfesten  für  die  Toten  aufgestellt.  Die 
weißrussischen  Bauern  versichern,  daß  man  dies  tun  müsse,  weit 
die  Toten  sich  im  Ganzen  nur  vier-  oder  fünfmal  im  .lahre  badeten, 
und  man  sie  nur  für  diese  Zeit  beurlaube. 

Unter  den  bisher  erörterten  Beerdigungsarten  werden  Sie  die- 
jenige vermissen,  die  später  unseren  Erdteil  erobert  hat  und  noch 
heute  die  herrschende  ist,  die  Beisetzung  iin  Sarg. 

In  der  Tat  ist  der  Sarg  sowohl  im  Süden  wie  im  Norden 
Eurojtas  lange  Zeit  unbekannt  gewesen,  ln  Griechenland  umhüllten 
die  zäh  am  Althergebrachten  festlialtenden  Lazedämonier  noch  lange 
die  Leiche  nur  mit  Palmzweigen  und  Ölblättern.  Die  erste  an  den 
Sarg  erinnernde  Totenbergung  war  in  Griechenland  die  Beisetzung 
des  Toten  in  großen  Tongefäßen,  d.  h.  die  Hineinzwängung  der  Leiche 
in  einen  sog.  Pithos,  wie  sie  neben  der  Bettung  des  Toten  auf 
S(diichten  von  Kalksteinen  oder  Sand,  zuw'eilen  auch  auf  dum  Boden 
selbst  in  den  Gräbern  der  .sogenannten  Dipylonepoche  (ca.  1000—800 
V.  Chr.i  nachgewiesen  worden  ist.  Später  kommen  dann,  ofl'enbar 
aus  dem  Orient  eingefiihrt,  eigentliche  Sarkophage  aus  Thon,  Stein 
und  Holz  vor,  deren  Ausgangspunkt  gewiß  in  Ägypten  liegt,  wo  sie. 
als  Behälter  der  mumifizierten  Leii’he  schon  im  vierten  .lahrtausend 
nachweisliar  sind. 

Von  Griechenland  aus  wird  diese  neue  Art  der  Totenbergung 
sich  langsam  über  das  übrige  Europa  verbreitet  haben,  nur  daß  in 
den  ungeheuren  Waldungen,  die  damals  unsern  Erdteil  bedeckten, 


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6-2 


an  die  Stelle  der  kunstvolleren  Bildungen  des  Orients  der  einfache 
„Totenbanm“,  d.  h.  der  ausgehöhlte  Banmstamm  trat,  den  wir  als 
Totenberge  im  Süden  zuerst  auf  jenem  von  Herrn  Boni  aufgedeckten 
Friedhof  des  Forum  Bomanum,  im  Norden  in  jütischen  und  schles- 
wigschen  Grabhügeln  der  älteren  Metallzeit  antreffen. 

Mit  der  Erfindung  des  Totenbaums  war  für  die  nördlichen 
Länder  das  Problem,  einen  dauernden  Hohlraum  als  Wohnung  für 
den  Toten  zu  gewinnen,  einfach  und  praktisch  gelöst.  Die  Hünen- 
lietten  und  Riesenstuben  waren  an  das  V^orkomraen  erratischer  Blöcke 
gebunden  und  ihre  Errichtung  mit  unendlicher  Mühe  von  Hunderten 
verbunden.  Auch  die  oben  beschriebenen  Holzhütten  und  jene  ge- 
waltigen Steinkisten,  in  deren  einer  wir  z.  B.  unseren  Derflinger 
Hocker  ruhen  sehen,  waren  gewiß  nur  dem  Reicheren  erschwinglich. 
Den  Totenbaum  aber  konnte  jeder,  der  eine  Axt  hatte,  fällen.  Daß 
man  ihn  wirklich  als  eine  Wohnung  des  Toten  auffaßte,  beweist  u.  a. 
seine  russische  Bezeichnung  domo vi na  von  russ.  doraü  = lat.  domus 
,Haus‘.  Im  Gouvernement  Olonetz,  wo  ich  im  Jahre  1H07  einige 
Zeit  Studien  machen  konnte,  schneidet  man  in  den  Totenbäumen 
kleine  Öffnungen  heraus,  und  setzt  in  sie  Fensterglas  ein,  so  daß 
diese  Lichtöffnungen  den  Schultern  des  Verstorbenen  gegenüberliegen. 

Und  noch  eine  zweite  Eigenschaft  dieser  Totenbäume  mochte  sie 
den  Waldbewohnern  empfehlen.  Es  handelt  sich  fast  ausschließlich 
um  Eichen,  deren  Holz  und  Rinde  liekanntlich  konservierende  Kraft 
hat.  Wer  erinnert  sich  nicht  der  zynischen  Äußerung  des  Toten- 
gräbers in  Shakespeares  Hamlet,  nach  der  der  Lohgerber  ein  Jahr 
länger  als  andere  Menschen  vor  dem  gänzlichen  Zerfall  in  der  Erde 
sicher  ist?  Will  man  sich  von  dieser  konservierenden  Wirkung 
solcher  eichenen  Totenbäume  überzeugen,  so  betrachte  man  die  im 
Kopenhagener  Museum  aufbewahrten  E.xemi)lare,  denen  wir  die  Er- 
haltung der  einzigen  Männer-  und  Frauentrachten  aus  dieser  frühen 
Ejioche  unserer  Kulturgeschichte  verdanken. 

Erhaltung  und  Aufbewahrung  des  Leibes  und  seine  Versorgung 
mit  aller  Nahrung  und  Notdurft  des  Lebens,  das  ist  das  Alpha  und 
Omega  aller  der  Bestattungsgebrauche,  die  an  unserem  geistigen 
Auge  voriil)ergezogen  sind. 

Inmitten  dieser  Zustände  sehen  wir  die  Menschen  auf  einem 
Mal  einen  Scheiterhaufen  errichten,  den  Toten,  um  dessen  Erhaltung 
man  so  ängstlich  besorgt  war,  darautlegen  und  ihn  zu  einem  Häuf- 
lein Asche  verbrennen. 


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63 


Die  Feuerbestattung  hat  ihren  Einzug  gehalten. 

Wann  kam  sie  aufr'  Woher  stammt  sie?  Was  hat  sie 
zu  bedeuten?  Soviele  Fragen,  soviele  Rätsel! 

Jacob  Grimm,  der  im  Jahre  1849  eine  bedeutende  Arbeit  über 
das  Verbrennen  der  Leichen  geschrieben  hat.  war  der  Meinung,  daß 
der  Leichenbrand,  dessen  Sinn  eine  Opferung  des  Toten  an  die 
Götter  gewesen  sei,  von  den  nomadisierend  aus  Hochasien  in  Europa 
einziehenden  Indogermanen  daselbst  verbreitet  worden  sei.  Das 
letztere  ist  schwerlich  richtig;  denn  wir  können  bei  mehreren  indo- 
germanischen Völkern,  z.  B.  bei  den  Griechen,  einen  Übergang  vom 
Begraben  zum  Verbrennen  wahmehmen,  und  unter  den  asiatischen 
Indogermanen  sind  die  Perser,  Meder,  Sk^'then  immer  unbekannt  mit 
der  Sitte,  die  Leichen  zu  verbrennen  geblieben. 

Eine  Erklärung  anderer  Art  ist  ganz  neuerdings  versucht 
worden.  Es  ist  eine  gut  beobachtete  Tatsache,  daß  das  Feuer  schon 
in  der  Sphäre  des  Begrabens  — gleichviel  zu  welchem  Zweck  — 
eine  gewisse  Rolle  gespielt  hat.  In  die  Asche  dieser  Totenfeuer 
habe  man  die  Leichen  gelegt,  um  sie  dadurch  zu  rösten  und  so, 
ähnlich  wie  durch  Einbalsamierung  vor  Fäulnis  zu  schützen.  Der- 
artiges läßt  sich  in  den  mykenischen  Schachtgräbern,  in  den 
nordischen  Riesenstuben  und  vielleicht  auch  in  dem  Helmsdorfer 
Fürstengrab  wahrnehmen. 

Gewissermaßen  durch  V'^ersehen  sei  dann  die  Verbrennung  der 
ganzen  Leiche  erfolgt,  und  so  der  Leichenbrand  entstanden  — eine, 
wie  mir  scheint,  unmögliche  Erklärung,  welche  die  Regel  von  der 
Ausnahme  abzuleiten  unternimmt  und  die  schon  daran  scheitert,  daß 
man  in  jenen  skandinavischen  eichenen  Tobmbäumen  Leichen  ge- 
funden hat,  deren  wohl  erhaltene  Kleidung  beweist,  daß  sie  niemals 
dem  Feuer  ausgesetzt  gewesen  sein  können. 

Wollen  wir  uns  in  dieser  schwierigen  Frage  selbst  ein  Urteil 
bilden,  so  müssen  wir,  glaube  ich,  uns  daliin  wenden,  wo  für  den 
europäischen  Kulturkreis  die  Sitte  des  Leichenbrands  zuerst  einiger- 
maßen chronologisch  fixierbar  ist  und  in  ihrer  Bedeutung  von  gleich- 
zeitigen Menschen  erläutert  wird,  zu  den  homerischen  Gedichten. 
Diese  .stellen  indessen  nicht  die  Anschauungswelt  des  griechischen 
Mutterlands  dar,  das  ja,  wie  unsere  Bemerkungen  über  die  Grab- 
stätten von  Mykenae  und  die  Dii)ylongräber  zeigen,  zunächst  an  der 
ältesten  Gewohnheit  des  Begrabens  festhielt,  sondern  vielmehr  den 
Ideenkreis  der  ionischen  Griechen,  die  frühzeitig  von  Hellas  nach 


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64 


Kleinasien  ausgewamiert  sind.  Hier  in  dem  kleinasiatisehen  Kü.sten- 
land  malt  also  der  ionische  Stamm  zu  der  Sitte  der  Leichen- 
verbrennung Obergegangen  sein,  die  ausnahmslos  in  den  homerischen 
(iedichten  gilt  und,  was  wichtig  ist,  auch  den  Trojanern  zuge- 
schrieben wird. 

Auch  Ober  die  eigentliche  Bedeutung  der  neuen,  mit  dem  bis- 
herigen Zustand  brechenden  (jewohnheit  erhalten  wir  von  dem 
Dichter  Auskunft: 

„Dies  jedoch  ist  für  die  .Menschen  (Jesetz,  dalJ,  wenn  sie 

nun  tot  sind, 

Und  die  Sehnen  das  Fleisch  nicht  mehr  und  die 

Knochen  verbinden, 

Weil  all  dies  der  gewaltigen  Kraft  des  flammenden 

Feuers 

Völlig  erliegt’,  sobald  dem  Gebein  das  Leben  entflohn  ist. 

Daß  alsdann,  einem  Traumbild  gleich,  die  Seele 

davonfliegt“. 

Wohin  sie  fliegt,  ist  nicht  zweifelhaft.  Es  ist  das  Haus  des  Hades, 
das  der  Seele,  nur  wenn  der  Leil)  verbrannt  ist,  offen  steht.  In  der 
Nacht  vor  seiner  Verbrennung  erscheint  Patroklos  dem  schlafenden 
Achilleus  und  fleht  um  rasche  Verbrennung.  Seine  Seele  schweife 
ruhelos  um  das  weittorige  Haus  des  Hades.  Sobald  aber  der  Körper 
des  Feuers  teilhaftig  geworden  sei,  werde  die  Seele  niemals  zu- 
rückkonimen. 

Ganz  ähnliche  Gedanken  kehren  bei  den  Indern  wieder.  Auch 
bei  ihnen  war  V'erbrennung  der  gewöhnliche  Weg  für  den  Toten, 
die  nächste  VV'elt  zu  erreichen.  Der  „fleischfressende“  Agni  (=  lat. 
üjnü  ,das  Feueri)  trägt  den  V'erstorbenen  in  die  andere  VV’elt,  zu 
den  V'ätern  und  (Jöttern,  zur  Unsferldichkeit.  Im  Bauch  des  Feuers 
steigt  der  Tote  empor. 

Es  kann  also  keinem  Zweifel  unterliegen,  daß  der  ursprüngliche 
Sinn  der  Feuerbestattung  der  war,  die  bis  dahin  auch  nach  dem 
Tode  am  Körper  haftend  gedachte  Seele  aus  dieser  Haft  zu  befreien, 
und  durch  den  Rauch  der  Flamme  einem  fernen  Totenreiche  zu- 
zuführen. Dieser  (Jedanke  mußte  umso  näher  liegen,  als  diemensch- 
liche Seele  selbst  als  ein  rauehartiges  Gebilde  aufgefaßt  wurde,  wie 
aus  der  Gleichung  griech.  th/nög  .Seele‘  = lat.  fümus  , Rauch*  auf 
das  unzweideutigste  hervorgeht. 


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Ö5 

Wo  zu  allererst  dieser  neue  Glaube  aul'Kekommen  ist,  läßt 
sich  noch  nicht  mit  Bestimmtheit  sagen,  ebenso  wenig  die  Zeit  und 
der  Weg  seiner  Verbreitung  in  Europa  genau  bestimmen.  Viele 
Erkenntnis  wird  hier  noch  die  l’rähistorie  zu  Tage  fördern.  Eine 
der  bedeutendsten  neuen  Tatsachen  ist,  daß  im  südlichen  Rußland, 
am  mittleren  Dniepr  schon  aus  spütneolithisclier  Zeit  umfangreiche 
Leichenbrandstatten  bekannt  geworden  sind,  die  noch  besonders  durch 
Funde  bemalter  Keramik  und  von  Idolen,  wie  sie  ganz  neuerdings 
auch  in  Schlesien  hervorgetreten  sind,  charakteri.siert  werden. 

Sicher  ist,  daß  auch  bei  den  europäischen  Barbarenvölkern  der 
Glaube  an  besondere  Totenreiche  sich  friih  entwickelt  hatte.  Die 
Erinnerung  an  ein  solches  hat  z.  B.  unser  Wort  ,,Hölle“  bewahrt, 
das  seinen  heutigen  Sinn  erst  durch  das  (Christentum  erhalten  hat. 
Aber  auch  bei  den  heidnischen  Thrakern,  Slaven,  Litauern  finden  wir 
den  Glauben  an  solche  Totenreiche. 

Daß  nun  auch  hier  nach  Aufkommen  des  lieichenbrandes  die 
Flamme  des  Scheiterhaufens  als  das  bequeme  Mittel  angesehen  wurde, 
den  Toten  an  die  wahre  Stätte  seiner  künftigen  Seeligkeit  zu  be- 
fördern, dafür  besitzen  wir  wenigstens  ein  direktes,  wenn  auch  erst 
spätes  Zeugnis.  Sie  erinnern  sieh  jenes  Leichenbegängnisses  eines 
vornehmen  Russen,  dem  ein  arabischer  Reisender  beiwohnte.  Dieser 
wendet  sich  an  einen  der  herumstehenden  Russen  mit  der  staunenden 
Frage,  was  dies  alles  bedeute,  und  jener  antwortet:  „Ihr  Araber  seid 
wahrhaftig  ein  dummes  Volk.  Ihr  nehmt  den  geliebtesten  und 
geeintesten  Mann  und  werft  ihn  in  die  Erde,  wo  Würmer  und 
kriechendes  Getier  sich  von  ihm  nähren.  Wir  aber  verbrennen  ihn 
in  einem  Augenblick  und  unmittelbar  geht  er  unverzüglich  ins 
Paradies  ein“. 

Zu  diesem  Gedanken,  die  Seele  des  Toten  durch  die  Flamme 
des  Scheiterhaufens  zu  befreien  und  im  Rauch  des  Feuers  einem 
fernen  Totenreich  zuzuführen,  tritt  ein  zweiter,  im  Grunde  mit  dem 
ersten  identischer,  nämlich  der  Wunsch,  sich  selbst  durch  das 
Verbrennen  der  Leiche  von  dem  Toten  zu  befreien  und  seine  Wider- 
kehr zu  verhindern.  Es  be<larf  an  verschiedenen  Orten  einer  be- 
stimmten Zeremonie,  um  einen  Toten  aus  der  unterschiedlosen  Mas.se 
der  Geister  in  die  Zahl  der  verehrten  Vorfahren  einzureihen. 
Noch  heute  nimmt  der  wcdßrussische  Bauer  den  Toten,  ganz  wie  in 
Indien,  nach  Vollbringung  einer  solchen  Zeremonie  mit  folgenden 
Worten  in  die  Liste  seiner  Ahnen  auf:  „Großväter  und  Großmütter, 

Mitteilangen  d.  achle.?.  Oe.«,  f.  Vkde.  Band  XII  (Heft  I)  5 


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«6 


Väterchen  und  Mütterchen,  Onkel  und  Tanten,  nehmt  unseren  ver- 
storbenen Vater  zu  Euch,  lebt  dort  gut  mit  ihm,  zankt  Euch  nicht.“ 
Bis  dahin  schweift  der  Verstorbene  nihelos  um  die  Stätte  des  Grabes 
oder  die  frühere  Wohnung  umher  und  erschreckt  in  mancherlei 
Gestalt,  namentlich  von  Tieren,  die  Lebenden.  Der  Glaube  an  Wer- 
wölfe und  Vampyre  und  die  Furcht  vor  einem  der  größten  Schrecken 
des  primitiven  Menschen  dem  Albtraum  hat  hier  seinen  Ursprung. 
Von  alledem  befreit  man  sich,  indem  man  den  Toten  verbrennt. 
Auch  das  wird  unumwunden  ausgesprochen.  „Auf  Island  war  ein  Mann 
vor  der  Tür  einer  Wohnung  in  stehender  Stellung  begraben  worden, 
damit  er  seine  Wirtschaft  betiuem  übersehen  könne.  Weil  er  aber 
wiederkommt  und  viel  Schaden  anrichtet,  verbrennt  man  ihn  und 
streut  die  A.sche  ins  Meer.“ 

So  stehen  nunmehr  die  ursprünglichen  Grundgedanken  sowohl 
des  Begrabens  wie  des  Verbrennens  in  aller  Deutlichkeit  vor  uns. 
Allein  es  hieße  den  Charakter  derartiger  Ideen  verkennen,  wollte 
man  meinen,  daß  dieselben  nun  auch  in  Wirklichkeit  überall  in 
dieser  Reinheit  und  Deutlichkeit  hervorträten.  Vielmehr  können  wir 
wahrnehmen,  wie  die  krasse  Realistik  dieser  Begräbnisbräuche  von 
früherer  Zeit  an  hier  mehr,  dort  weniger  durch  Akte  der  Sym- 
bolisiernng  gemildert  wird,  um  dann  hier  mehr  dort  weniger  zu 
gedankenloser  Gewohnheit  zu  werden. 

Die  gesamte  Habe,  die  m:in  eigentlich  dem  Toten  ins  Grab  mit- 
zugeben verpflichtet  ist,  wird  in  wohl  verstandenem  Interesse  der  Hinter- 
bliebenen nur  angedeutet,  und  es  ist  möglich,  daß  das  Geld,  das  man 
selbst  in  unseren  Städten  dem  Toten  noch  vielfach  in  den  Sarg 
legt,  der  Charongroschen  der  Griechen,  den  letzten  Rest  jener  ältesten 
Anschauung  darstellt.  Statt  wirklicher  Wafl'en  und  M'erkzeuge, 
auf  die  der  Überlebende  nur  ungern  verzichtet,  begnügt  man  sich 
Miniaturnachbildungen  derselben  dem  Toten  mitzugeben,  statt  eine 
wirkliche  Wohnung  ihm  zu  errichten,  dieselbe  durch  eine  bloße 
Steinsetzung  anzudeuten.  Überall  siegt  das  Leben  über  den  Tod. 

Vor  allem  aber  kann  man  die  Sitten  und  Gebräuche  des  Leichen- 
brandes nicht  verstehen,  wenn  man  sich  nicht  vergegenwärtigt, 
daß  derselbe  überall  mit  den  älteren  Gedanken  und  Gewohnheiten 
des  Begräbnisses  <ler  unverbrannten  Leiche  zu  verschmelzen  die 
Neigung  zeigt. 

Zunächst  ist  darauf  hinzuweisen,  daß  im  alten  Europa  zu  keiner 
Zeit  und  vielleicht  bei  keinem  Volke  seit  Einführung  des  Leichen- 


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ß7 

brandes  dieser  letztere  aussehlielilicher  Brauch  gewesen  ist,  sondern 
daß  immer  Begraben  und  Verbrennen,  indem  — aus  noch  nicht 
deutlich  erkennbaren  Gründen  — bald  das  eine,  bald  das  andere 
vorherrschte,  neben  einander  bestanden  haben ; doch  ist  auch  in  diesen 
Fragen  noch  nicht  ilas  letzte  Wort  gesprochen. 

Wen  seine  Sommerreise  nach  dem  lieblichen  Salzkammergut 
führt,  der  versäume  nicht  einen  Ausflug  nach  dem  Hallstätter  See 
mit  dem  zwei  Stunden  von  Hallstatt  entfernten  Salzberg  zu  machen, 
um  einen  Blick  auf  die  Stätte  eines  der  berühmtesten  ffräberfelder 
der  Welt  aus  der  Zeit,  in  welcher  das  Eisen  zuerst  nördlich  der 
Alpen  erscheint,  zu  werfen.  Hier  sind  über  tausend  Gräber  aus- 
gegraben worden  und  ziemlich  genau  die  Hälfte  derselben  zeigt 
Skelette,  die  andere  Hälfte  Leichenbrand.  Dabei  sind  die  Brand- 
gräber oft  mitten  zwischen  die  Skelettgräber  eingestreut,  und  die 
Gleichartigkeit  der  Beigaben  lehrt,  daß  es  weder  von  dem  Geschlecht, 
noch  von  dem  Besitz  des  Verstorbenen  abgehangen  haben  kann,  ob 
er  begraben  oder  verbrannt  wurde.  Es  scheint  hier  also  — sagen 
wir  — schon  im  fünften  .Jahrhundert  vor  Chr.  ein  absolut  friedlicher 
und  humaner  Zustand  gegenseitiger  Anerkennung  erreicht  gew'esen 
zu  sein. 

Ob  dem  freilich  eine  Zeit  des  Kampfes  voraus  gegangen  ist,  ob 
es,  wie  noch  vor  kurzem  in  meiner  Vaterstadt  Weimar,  Verwandte 
zu  Begrabender  gegeben  hat,  die  es  sogar  verabscheuten,  mit  den  Ver- 
wandten zu  Verbrennender  eine  < irabkapelle  gemeinsam  zu  haben,  und 
ob  das  Hallstätter  Ministerium,  wie  zu  Weimar  geschehn,  infolgedessen 
das  V’orhandensein  gesonderter  Bäume  zur  Vollziehung  der  Toten- 
bräuche für  beide  anordnete,  können  wir  nicht  wissen. 

.Jedenfalls  haben  auch  im  klassischen  Griechenland  und  in  Kom 
offenbar  beide  Best.attungsarten  friedlich  nebeneinander  bestanden,  und 
Dichter  und  Philosophen  haben  es  nicht  einmal  für  der  Mühe  wert 
gehalten,  sich  darüber  zu  äußern,  welche  von  beiden  sie  für  die  Un- 
sterblichkeit der  Seele  für  besser  hatten.  War  liier  ein  Kampf,  so 
muß  er  in  vorhistorischer  Zeit  stattgefunden  haben. 

Die  enge  Verwandtschaft  beider  Bestattungsarten  und  das  Hinüber- 
greifen der  älteren  Beerdigungssitte  in  die  Feuerbestattung,  zeigt 
sich  aber  vor  allem  in  den  Riten  dieser  letzteren  selbst.  Zunächst 
kann  es  als  ein  allgemein  gütiges  Gesetz  betrachtet  werden,  daß 
Kinder  überhaupt  nicht  zu  verbrennen,  sondern  zu  begraben  sind. 

Dieser  Brauch  tritt  uns  im  alten  Indien  ebenso  wie  in  Griechen- 

ä* 


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C8 


land  und  auf  jenem  prähistorischen  Friedhof  <les  Forum  Komanuin 
entgegen  und  wird  in  Rom  ausdrücklich  als  Satzung  ausgesprochen. 
Welches  das  Motiv  dieser  Kinschränkung  der  Feuerbestattung  ist,  oh 
lediglich  die  Rücksicht  auf  die  gröliere  Einfachheit  und  Rilligkeit 
der  Erdbestattung,  oder  ob,  wie  wahrscheinlich,  ein  anderer  tieferer 
Grund  dieser  Sitte  anzunehmen  ist,  ist  noch  nicht  mit  Sicherheit  er- 
mittelt worden. 

Bemerkenswert  ist  ferner,  dali  gerade  bei  den  ältesten  Feuer- 
bestattungen des  Nordens,  die  teilweise  bis  in  die  Steinzeit  reichen, 
die  Leiche  im  Grabe  selbst  verbrannt  wird,  so  daU  Asche  und 
Knochen  gleich  an  Ort  und  Stelle  bleiben.  Auch  diese  Sitte  ist  ganz 
neuerdings  in  sehr  alten  griechischen  Gräbern  aus  Eleusis  nach- 
gewiesen worden,  wie  sie  aus  Rom  längst  bekannt  war.  Überhaujtt 
gewinnt  man  auf  diesem  Gebiete,  wie  auf  andern,  immer  wieder  den 
Eindruck,  daU  es  hauptsächlich  vom  Süden  oder  Sfldosten  Europas 
ausgehende  Kulturströmungen  waren,  welche  in  früher  vorrömischer 
Zeit  bestimmend  auf  Gewohnheiten  und  Vorstellungen  der  Nordleute 
einwirkten. 

Eine  höchst  seltsame  Verquickung  von  Begraben  und  Verbrennen 
stellt  ferner  die  auf  unserem  Hallstätter  Friedhof  einigemal  — aber 
wie  es  scheint,  sicher  — nachgewiesene  Tatsache  dar,  daß  der  Ver- 
storbene, beinah  als  ob  er  es  beiden  Riclitungen  hätte  recht  machen 
wollen,  halbiert  und  die  eine  Hälfte  begraben,  die  andere  verbrannt 
war.  Der  einzige  Zug,  der  sich  aus  der  geschichtliihen  Überlieferung 
hierbei  heranziehen  läßt,  ist  der  in  Rom  aufs  beste  bezeugte  alte 
Brauch,  eine  Familie  erst  dann  ihrer  Pflichten  gegen  den  Toten  für 
ledig  anzusehen,  wenn  bei  einer  Leichenverbrennung  ein  Glied  des 
Körpers,  etwa  ein  Finger  als  os  resectum  abgeschnitten  und  be- 
sonders begraben,  auch  eine  Erdscholle  auf  die  Knochenreste  ge- 
worfen worden  war. 

Nicht  weniger  sehen  wir  den  uralten  Gedanken,  dem  Toten  in 
der  Erde  eine  richtige  Hütte  zu  erbauen,  auch  in  den  Verhältnissen 
der  Feuerbestattung  wieder  auferstehen.  Man  formt  — namentlich 
in  Italien  und  Deutschland  — die  ünien,  welche  die  Asche  des  Ver- 
storbenen aufnehmen  sollen,  als  Häuser  mit  Dächern  und  Türen  und 
liefert  in  diesen  sogenannten  „Hüttenurnen“  zugleich  dem  Kultur- 
forscher ein  wichtiges  Material , um  nach  diesen  Mustern  die 
Wohnungen  der  Lebenden  in  sehr  frühen  Zeitläufen  unserer  Geschichte 
zu  rekonstruieren. 


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69 


Wie  handpreiflieli  dabei  die  Analojrie  zwischen  Wohnung  und 
<irab  einer-,  zwischen  Orab  und  Leichenurne  andererseits  ist,  zeigt  der 
Umstand,  daß  das  in  den  alten  Wohnungen  meist  vorhandene  Wand- 
oder Giebelloch,  durch  das  der  Hauch,  aber  auch  ilie  Seele  des 
Schlafenden  oder  Sterbenden  hinausspaziert,  der  dusnikü  des  rus- 
sischen Hauernhauses,  sich  ebenso  in  zahlreichen  Grabanlagen  wie  in 
zahlreichen  Urnen  findet,  wovon  man  sich  wiederum  in  unserem 
Breslauer  Museum  überzeugen  kann. 

Den  besten  Beleg  aber  dafür,  daß  man  auch  die  Feuerbestattung 
aus  dem  (Jesichtswinkel  der  Beerdigung  betrachtete,  liefert  die  Ge- 
schichte der  Totenbeigaben  selbst.  Was,  sollte  man  meinen, 
konnte  einem  Geist,  der  durch  den  Bauch  des  Scheiterhaufens  in  ein 
fernes  Totenreich  getragen  war,  die  Beigabe  etwa  eines  Rasiermessers 
nützen?  Und  wirklich  sehen  wir  in  den  homerischen  Gedichten,  die 
von  gewissen  Überresten  iilterer  Anschauungen  (s.  o.)  abgesehen, 
keine  Totenbeigaben  und  keinen  Totendienst  überhaupt  kennen,  den 
aus  der  Feuerbestattung  sich  ergebenden  Schluß  mit  aller  Schärfe 
gezogen. 

.\nders  im  Bereich  lier  europäisclien  Feuerbestattung.  Hier 
werden,  nach  einigem  Schwanken,  im  wesentlichen  dieselt>en  Beigaben 
wie  bei  der  Beerdigung  auch  bei  der  Urne  eines  Verstorbenen  nieder- 
gelegt oder  — vielleicht  in  einer  etwas  späteren  Phase  die.ser  Ge- 
dankenreihe — auf  den  Scheiterhaufen  gebracht  und  mit  dem  Toten 
verlirannt,  damit  sie  ihm  ins  .lenseits  folgen. 

Sehr  bezeichnend  hierfür  und  sehr  hübsch  ist  folgende  Geschichte, 
die  Herodot  erzählt.  Periander,  der  Tyrann  von  Korinth,  hatte  eine 
Frau,  die  hieß  „Bienchen“-  (Melissa).  Die  war  gestorben  und  ver- 
brannt worden.  Da  läßt  sie  eines  Tages  durch  Vermittlung  eines 
Totenorakels  dem  (tatten  sagen,  sie  friere,  denn  sie  habe  nichts  an- 
zuziehen — eine  den  Frauen  aller  Zeiten  geläufige  W^endung.  Ihre 
Garderolie  sei  zwar  mit  ihr  liegralien,  aber  nicht  mit  ihr  verbrannt 
worden.  Was  tut  der  liebende  (Jatte?  Er  befiehlt  sämtlichen  Ko- 
rinthierinuen  im  höchsten  Staat  im  Tempel  der  Hera  zusammen- 
zukommen. Dort  zwingt  er  sie  sich  zu  entkleiden  und  sendet  ihre 
gesamten  Kleidungsstücke  durch  die  Flamme  des  Scheiterhaufens  dem 
gelieliten  „Bienchen“  zu.  Liebevoll  und  nicht  kostspielig! 

•la,  man  kann  sagen,  daß  in  der  Epoche  des  Mitverbrennens  der 
Beigaben,  die  im  Norden  schon  tief  in  die  christlichen  Zeiten  herein- 
ragt, die  pompösesten,  freilich  auch  schrecklichsten  Leichenbrände 


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Vorkommen.  Aus  zahlreichen  Besclireibuiigen  dieser  Art  sei  auf  da.s 
Leichenbegängnis  des  litauischen  Großfürsten  Gedimin  hingewiesen, 
das  im  Jahre  1341  unserer  Zeitrechnung  stattfand:  „Ks  wurde  ein 
Scheiterhaufe  von  Fichtenholz  errichtet  und  darauf  der  Leichnam  ge- 
legt, in  den  Kleidern,  die  der  Lebende  am  meisten  geliebt  hatte,  mit 
dem  Sabel,  dem  Speer,  dem  Köcher  und  Bogen.  Dann  wurden  je 
zwei  Falken  und  Jagdhunde,  ein  gesatteltes  lebendiges  Pferd  und  der 
getreuste  Lieblingsdiener  unter  Wehklagen  der  umstehenden  Krieger- 
schar mitverbrannt.  In  die  Flamme  wurden  Luchs-  und  Bärenkrallen 
geworfen,  sowie  ein  Teil  der  dem  Feinde  abgenommenen  Beute,  end- 
lich auch  drei  gefangene  deutsche  Ritter  lebendig  verbrannt.  Nach- 
dem die  Flamme  erloschen  war,  wurde  die  Asche  und  das  Gebein 
des  Fürsten,  des  Dieners,  des  Pferdes,  der  Hunde  usw.  gesammelt 
und  in  einem  Grabe  an  der  Stelle,  wo  die  Flüßchen  Wilna  und  Wilia 
zusammenlließen,  niedergelegt  und  mit  Lrde  liedeckt.“ 

Solche  Zustände  fand  das  Ghristentum  in  den  nördlichen  Ländern 
vor,  und  es  ist  sellustverständlich  als  eine  kulturhistorische  Großtat 
zu  bezeichnen,  daß  es  ihnen  ein  Ende  machte.  Wenn  es  aber,  an 
die  Enll)estattung  des  Judentums  und  der  semitischen  Völker  über- 
haupt gewöhnt,  jedwede  Feuerbestattung  bekämpfte,  so  geschah 
dies  weniger,  weil  man  die  Verbrennung  der  Leiche  dem  christlichen 
Dogma,  besonders  dem  von  der  Auferstehung  des  Fleisches  für  zu- 
widerlaufend erachtete,  als  weil  eben  der  Leichenbrand  neben  vielem 
anderen  ein  Kriterium  des  Heidentums  bildete.  Mit  gleichem  Eifer 
verfolgte  man  auch  das  Begraben  im  Wald,  im  Hügel,  auf  dem 
freien  Feld  statt  auf  dem  geweihten  Friedhof  bei  der  Kirche,  das 
Schmausen,  Zechen,  Singen,  Tanzen,  Sichvennummen  auf  ilen  Gnibern, 
kurz  alles,  was  nach  Heidentum  schinei:kte.  Interessant  ist,  daß  man 
für  Hexen  und  Zauberer  — womit  man  freilich  eine  neue  Scheußlich- 
keit anstelle  der  alten  setzte  — gerade  den  Feuertod  wählte.  Es 
dürfte  in  ,A.nlehnnng  an  den  oben  berührten  volkstümlichen  Glauben 
geschehen  sein , daß  das  Feuer  die  Wiederkehr  der  Toten  ver- 
hindert. 

Als  Jacob  Grimm  im.lahre  1S4!>  über  das  Verlrrennen  der  Leichen 
schrieb,  sagte  er  mit  schmerzlichem  Bedauern;  „Wir  können  nicht 
wieder  zu  den  Gebräuchen  ferner  Vergangenheit  umkehren,  nachdem 
sie  einmal  seit  lange  abgelegt  worden  sind.  Sie  stehen  jetzt  außer 
Bezug  auf  unsre  übrige  gewohnte  Lebensart  und  würden  neu  ein- 
geführt den  seltsamsten  Eindruck  machen,  obgleich  selbst  der  Sprach- 


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gebrauch  immer  nocli  duldet,  von  der  Asche  unserer  unverbrannten 
Eltern  zu  reden“.  Er  hat  sieh  geirrt.  Seit  den  siebziger  Jahren 
hat  auch  in  Deutschland  eine  neue  Bewegung  zugunsten  der  Feuer- 
bestattung eingesetzt,  die,  obgleich  durchaus  auf  sanitären  und 
ästhetischen  Gesichtspunkten  beruhend,  doch  dadurch  einen  religions- 
geschichtlichen Hintergrund  gewann,  daß  die  christliche  Kirche  beider 
Konfessionen  ebenso  wie  das  Judentum  das  Verbrennen  der  Leichen 
für  ihren  Lehren  zuwiderlaufend  erklUiie  und  ihm  einen  teilweise 
leidenschaftlichen  Widerstand  entgegensetzte. 

Schneller,  als  man  hoft'en  konnte,  hat  wenigstens  die  evangelische 
Kirche  diesen  Standpunkt  aufgegeben  und  an  seine  Stelle  ein  tolerari 
jiotest  gesetzt.  Augenblicklich  befinden  sich  in  Deutschland,  wenn 
ich  richtig  zähle,  .sechzehn  Krematorien  in  Betrieb,  woraus  folgt,  daß 
die  Feuerbestattung  zur  Zeit  behördlicherseits  in  Sachsen-Koburg- 
Gotha,  Baden,  Hamburg,  Sachsen-Weimar,  AVflrttemberg,  Sachsen 
und  Bremen  zugelassen  ist;  und  es  gehört  — besonders  nach  den 
Verhandlungen  des  preußischen  Landtags  vom  Juni  dieses  Jahres 
— keine  große  Prophetengabe  dazu,  um  vorauszusagen,  daß  in 
wenigen  .1  ahr zehnten  die  Feuerbestattung  in  ganz  Deutsch- 
land gleichberechtigt  mit  der  Erdbestattung  dastehen 
wird. 

Es  dürfte  daher  am  Platze  sein,  zu  dem  Bitual  der  modernen 
Feuerbestattung  noch  einige  Bemerkungen  zu  machen. 

Hätte  ich  ihren  Freunden  einen  Bat  zu  erteilen,  so  würde  ich 
glauben,  daß  an  der  uralten  Sitte,  die  Urne  mit  den  Besten  des 
Toten  im  Schoß  der  „wohlgegrflndeten  dauernden“  Erde  beizusetzen, 
festgelialten  werden  müsse,  da  die  Aufstellung  der  meist  zerbrech- 
lichen und  hundert  Fährnissen  :uisgesetzten  Gefäße  in  den  all- 
täglichen Wohnungen  der  Lebenden,  in  nüchternen  und  eintönigen 
Columbarien,  schon  im  Altertum  einer  Erfindung  der  Großstadt,  ja 
selbst  in  den  an  sich  poesievollen  Urnenhainen  berechtigten  Bedenken 
vom  Standpunkt  der  Pietät  gegen  den  Toten  unterliegen  könnt»*. 

Vergleicht  man  sodann  den  Gang  einer  modernen  Feuerbestattung 
mit  dem  einer  solchen  des  klassischen  Altertums,  so  fehlen  in  der 
ersteren  naturgemäß  eine  Beihe  erschütternder,  aber  auch  trostreicher 
Momente. 

Ln  Alti'rtum  wurde  die  Leiche  auf  dem  .Scheiterhaufen  vor  den 
Augen  der  Leidtragenden  verbrannt: 


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„0  weiser  Brauch  der  Alten,  das  Vollkommene, 

Das  ernst  und  langsam  die  Natur  geknüpft, 

Des  Menschenliilds  erhabne  Würde,  gleich. 

Wenn  sich  der  Geist,  der  wirkende,  getrennt. 

Durch  reiner  Flammen  Tätigkeit  zu  lösen. 

Und  wenn  die  Glut  mit  tausend  Gipfeln  sich 
Zum  Himmel  hob,  und  zwischen  Damjif  und  Wolken 
Des  Adlers  Fittig  deutend  sich  bewegte. 

Da  trocknete  die  Träne,  freier  Blick 
Der  Hinterlassnen  stieg  dem  neuen  Gott 
In  des  Olymps  verklärte  Käume  nach“. 

•Auf  die  Löschung  des  .Scheiterhaufens  folgte  die  Zeremonie  des 
Kinsummelns  der  Knochen-  und  .Aschenreste  durch  die  Verwandten: 

,AVenn  ich  einst  zum  zarten  .Schatten  verwandelt  bin“,  so  tröstet 
sich  der  römi.sche  Dichter  Tibull,  „und  mein  weißes  Gebein  schwarze 
•Asche  liedeckt,  dann  soll  zu  meinem  Scheiterhaufen  weinend  die 
Geliebte  kommen.  Begleitet  sei  sie  vom  Schmerz  der  teueren  Mutter, 
die  den  Eidam  beklagt,  wie  jene  den  Gatten.  Fromm  mögen  sie 
netzen  die  Hand  und  mein  Gebein,  das  allein  von  mir  übrig  blieb, 
in  schwarzem  Tuche  s.ammeln.  Zuerst  mit  firnem  Wein,  dann  mit 
schneeweißer  Milch  sollen  sie  es  besprengen,  mit  leinenem  Schleier 
trocknen  und  getrocknet  es  im  marmornen  Grabhaus  bergen“. 

Derartige  Züge  fehlen,  wie  begreiflich,  der  modernen  Feuer- 
bestattung, deren  Feierlichkeit  da  abbricht,  wo  die  antike  ihren 
Höhepunkt  erreichte. 

Besonders  würdig  und  feierlich  wird  daher  gerade  der  letzte 
den  Leidtragenden  sichtbare  .Akt  der  modernen  Feuerbest<attung  zu 
gestalten  sein,  der  Augenblick,  in  dem  der  Sarg  dem  Auge  der  An- 
wesenden entschwindet,  und  unter  keinen  Umständen  wird  hierbei, 
wo  es  sich  um  eine  christliche  Bestattung  handelt,  auf  die  Gegen- 
wart und  Mitwirkung  des  Geistlichen  verzichtet  werden  können. 
Besonders  hiergegen  scheinen  aber  selbst  lil)erale  Kirchenregierungon 
die  meisten  Bedenken  zu  haben.  Und  dennoch  müßte  — gerade  im 
Interesse  der  Kirche  — auch  dieser  Widerstand  gebrochen  werden; 
denn  wie  auch  immer  die  Menschen  seit  grauen  Zeiten  sich  das 
„unentdeckte  Land,  von  deß  Bezirk  kein  AA'andrer  wiederkehrt“,  ge- 
dacht haben  oder  denken,  der  Moment,  in  dem  der  .Schrein,  der 
vielleicht  das  Liebste  oder  Verehrungswürdigste  birgt,  was  wir  be- 


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saßen,  in  die  Tiefe  sinkt,  wird,  gleichviel  ob  es  sich  um  Begraben 
oder  Verbrennen  bandelt,  immer  der  erschütterndste  und  des  Trostes 
bedürftigste  sein,  und  in  dem  Herzen  des  Priesters  wie  des  Laien, 
des  Weisen  wie  des  Toren  wird  es  wiederhallen:  „Sterben  — schlafen. 
Schlafen!  Vielleicht  auch  träumen“. 


Zur  österreichischen,  französischen  und 
englischen  Nationalhymne. 

Von  K.  Sonnenmark  in  Brünn. 


Zu  den  wertTullcn  .\usfnhrungen  Bohn's  in  sidnem  Werke  .Die  National- 
hjuinen  der  europäischen  Volker“  (Wort  und  Brauch,  herausgegeben  von  Prof. 
Dr.  Th.  Siebs  und  Prof  Dr.  M.  Hipjie,  Heft  IV,  Breslau,  M.  u.  H.  .Marcus 
1908)  seien  folgende  Bemerkungen  gegeben. 

1.  Auf  Seite  18,  wo  von  der  österreichischen  Volkshymne  ge- 
sprochen wird,  ist  die  „Hymne  auf  Kaiser  Franz“  (1797)  von  Leopold 
Lorenz  von  Haschka  und  die  „Hymne  auf  Kaiser  Franz  .losef“ 
(18Ü4)  von  Johann  Gabriel  Seidl  angeführt.  Mir  ist  noch  eine  dritte 
österreichische  Volkshymne  bekannt')  und  zwar  die  „Hymne  auf 
Kaiser  Ferdinand“,  die  von  Karl  von  Holtei  im  Jahre  1835 
gedichtet  wurde.  Die  Melodie  von  Josef  Haydn  hat  man,  von  einer 
ganz  unwesentlichen  Veninderung  abgesehen,  ganz  unberührt  gelassen. 
Der  Text  lautet: 


Gott  erhalte  unsern  Kaiser, 
IJnsern  Kaiser  Ferdinand  I 
Beich,  0 Herr,  dem  guten  Kai.ser 
Deine  starke  Vaterhand! 

Wie  ein  zweiter  Vater  schalle 
Er  au  deiner  Statt  iui  Land! 

.la,  den  Kaiser,  Gott,  erhalte. 
Unsem  Kaiser  Ferdinand! 


Laß  in  seinem  Kate  weilen 
Weisheit  und  Gerechtigkeit, 

Laß  ihn  seine  Sorgen  teilen, 
Zwischen  Zeit  und  Ewigkeit, 

Daß  er  hier  sein  Reich  verwalte 
Nur  als  deines  Reiches  Pfand! 
Ja,  usw. 


')  Ferdinand  von  Saar  arheitete  auch  an  einem  neuen  Teste  der  öster- 
reichischen Volkshymne  im  Frühjahr  1897  in  Kaitz.  Im  Mai  halte  er  zwei 
Strophen  bereits  fertig  gedichtet  und  las  sie  seinem  Fnmnde  Emil  Söffe  vor; 
er  scheint  Jedoch  den  Gedanken  bald  aufgegeben  zu  haben,  denn  er  erwähnte 
später  der  Hymne  nicht  mehr.  Vgl.  Emil  Söffe,  Vermischte  Schriften,  Fr. 
Irrgang,  Brünn  1909. 


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Gib  ibm  Friodtiu!  Gib  ihoi  Ehre, 
Wenn  die  Ehre  ruft  rum  Krieg  I 
Sei  mit  ihm  und  seinem  Heerei 
Uusern  Fahnen  schenke  Siegl 
Wo  sie  walten,  da  entfalte 
Segen  sich  für  jeden  Stand  I 
Ja,  usw. 


Alles  wechselt  im  Getriebe 
Vielbewegtor  Erdenwelt! 

Doch  erj)robtcr  Treu’  und  Liebe 
Ward  die  Dauer  bcigestellt. 

I Unsre  Treue  bleibt  die  alte, 
Unautlöslicb  ist  ihr  Band. 

I Ja,  usw. 


II.  Auf  Seite  2b  wird  bei  der  Entstehunj;  der  Marseillaise  gesagt, 
daß  „die  Dietrieh’sehe  Familie  es  dem  Hau])tmann  Rouget  de  l’Isle 
nahelegte,  das  patriotische  Ereignis  dichterisch  zu  verwerten.  In  der 
Nacht  vom  24.  zum  2b.  April  dichtete  und  komponierte  dieser  den 
Kriegsgesang  für  die  Rheinarmee“  . . . Die  Klavierbegleitung  hatte 
eine  befreundete  Dame  in  höchst  dilettantischer  Weise  zurechtgemacht, 
da  der  Dichter-Komponist  nur  die  Melodie  und  ein  kurzes  Nachspiel 
für  die  Geige  aufgeschrieben  hatte.“ 

Die  Marseillaise,  die  in  den  Tagen  der  Revolution  plötzlich  wie 
ein  Flammenzeichen  autloderte  und  ihre  anfeuernde  begei.sternde  Macht 
in  den  Eroberungskriegen  Napoleons  noch  stärker  entfaltete,  war  auf 
die  Einzelheiten  ihrer  Entstehungsgeschichte  hin  bisher  noch  nicht 
erforscht.  In  Marseille  waren  eines  Tages  ihre  leidenschaftlichen 
Töne  erklungen,  und  von  dort  hatte  sie  ihren  Eiroberungszug  durch 
ganz  Frankreich  angetreten.  Aber  der  eigentliche  Geburtsort  des 
Liedes  war  Straßburg,  wie  wir  aus  einer  kürzlich  er.schienen  .Abhandlung 
von  Alfred  B.  Bonard‘)  erfahren,  die  über  alle  Einzelheiten  der 
Elntstehung  berichtet.  Rouget  de  l’Isle  war  im  April  1 7112  Geniekapitain 
in  Straßburg,  wo  General  Kellennann  die  Garnison  befehligtem.  Der 
General  verkehrte  damals  viel  bei  dem  Bürgermeister  Dietrich,  der 
für  Poesie  und  Musik  große  Vorliebe  zeigte.  Kellennann  zog  auch 
den  dichterisch  begabten  Kapitain  in  diesen  Kreis  und  bat  ihn,  bis- 
weilen für  eine  Soiree  um  „la  surprise  par  un  poeme  non  publiö“ 
(die  Überraschung  durch  ein  unveröfTentlichtes  (.ledichtj.  E'ür  den 
27.  April  hatte  der  Befehlshaber  (nicht  Dietrich!)  seinem  Kapitain 
wieder  solch  einen  halb  oftiziellen  dichterischen  Auftrag  erteilt,  und 
zwar  hatte  er  um  etwas  gelmeten,  „ce  qui  en  vaut  la  peine  d’etre 
chante  au  caini);  un  poeme  ä entlaininer  les  coeurs,  un  hymne  en- 
trainant,  une  belle  chansou  qui  plait  au  parti  du  jieuple“  (w'as  die 
Mühe  verlohnt,  iin  Lager  gesungen  zu  werden,  ein  Gedicht,  die  Herzen 
zu  entlliunmen,  eine  fortreißende  Hymne,  ein  schönes  Lied,  das  der 


')  Sur  la  Marseillaise,  l’aris  1900. 


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Volkspartei  gefällt).  Rouget  de  l’Isle  bat  um  einen  kleinen  Auf- 
schub, da  man  der  Poesie  nicht  so  befehlen  könne ; aber  er  arl)eitete 
die  ganze  Nacht  durch  an  einem  Gedicht ')  und  trug  dies  am  nä(disten 
Tage  bei  Dietrich  vor.  Zehn  Personen  waren  um  ihn  versammelt, 
der  Bürgermeister  Dietrich  mit  seiner  Frau  und  seinen  beiden  Nichten, 
einige  höhere  Stadtbeamte  und  zwei  Studenten.  Der  Dichter  nannte 
den  Titel:  „Chant  de  Guerre  de  (nicht  pour“)  l’annee  du  Rhin, 
dedie  au  Marechal  Luckner“,  ging  dann  zum  Klavier  und  begann 
die  nachher  so  berühmt  gewordene  erste  Strophe.  Eine  große  Be- 
geisterung ergriff  die  Zuhörer:  Dietricli  sang  bei  den  letzten  Strophen 
den  Refrain  „Au.\  annes,  citoyens!“  aus  voller  Kehle  mit,  die  Studenten 
warfen  ihre  Hüte  in  die  Höhe  und  schrieen:  „Vive  la  France!“ 

Am  folgenden  Sonntag,  :i9.  April  wurde  die  „Kriegslnmme“  in  einer 
einfachen  Orchestrierung  von  der  Ka])elle  der  Nationalgarde  auf  dem 
Straßburger  Paradeplatz  gespielt  und  von  der  Menge  mit  jubelndem 
Beifall  aufgenommen.  Wahrend  so  in  Straßburg  das  Lied  bereits 
verbreitet  war,  brachte  ein  Student  aus  Montpellier  die  neue  Hymne 
am  2‘2.  .Juni  nach  Marseille  und  sang  sie  hier  bei  einem  Festmahl, 
das  die  Stadt  500  Freiwilligen  gab,  die  nach  Paris  zogen.  Ein 
Musiker,  Vernais,  von  dem  Gesänge  so  begeistert  wie  die  Straßburger, 
lief  zum  Rathaus  und  deklamierte  vor  der  dort  ver.«ammelten  Wache 
die  Ode  Rouget  de  ITsles  so  schön  und  hinreißend,  daß  die  Bürger 
von  Marseille  sogleich  allgemein  den  Gesang  anstimmten.  Die  500  Frei- 
willigen zogen  nun  mit  diesem  Marschlied  nach  der  Hauptstadt,  und 
die  Pariser  legten  der  Straßburger  Hvmne  den  Namen  „Marseillaise“ 
bei.  — Von  Rouget  de  ITsle  stammen  nur  0 Strophen  der  National- 
hj7nne,  während  die  siebente,  die  sich  an  die  Kinder  wendet  und 
sie  ermahnt,  dem  Vorbild  der  Väter  zu  folgen,  bisher  dem  Dichter 
Lebrun  oder  auch  dem  Revolutionspoeten  Marie  Josef  Chenier  zu- 
geschrieben wurde.  Doch  stammt  diese  letzte  Strophe  von  einem 
einfachen  Abbe  Pessouneaux  aus  Vienne  im  Departement  Isere.  Als 
die  Marseiller  auf  ihrem  begeisterten  Marsch  nach  Paris  bei  Vienne 
vorbeikamen,  hatten  sich  die  Bewohner  zum  feierlichen  Empfang 
gerüstet.  Ein  Tor  aus  grünem  Laub,  mit  Fahnen  und  bunten  Gir- 
landen geschmückt,  empfing  die  Freiwilligen,  die  ihr  neues  Sieges- 

')  Dies  liat  K.  Scherer  in  seinoiii  wunderbaren  GeiniUde:  „Rouget  de  l’Ialc 
ruuiposant  la  Marseillaise  eu  captirite  ä Strasbourg  dans  la  nuit  du  24.  an  25.  avril 
1792“  Tortreftlich  dargcstellt.  Dieses  Gemälde  ist  wolil  bi  kanntcr  als  das  von 
J.  A,  Pils,  das  Bohn  anfnhrt. 


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lied  sangen.  Und  als  eine  leine  Ehrung  hatte  der  Abbe  Pessonneaux 
den  Schulkindern  von  Vienne  eine  von  ihm  gediehtide  Strophe  ein- 
geübt, mit  der  sie  nun  auf  den  Ge.sang  der  Grollen  im  hellen 
Kinderchor  antworteten.  Diese  Zeilen  der  Kinder  gefielen  so  gut, 
daß  sie  in  die  Nationalhymne  sofort  aufgenommen  wurden  und  für 
immer  zu  einem  einzigen  Ganzen  mit  ihr  verwuchsen.  Als  im  .Jahre 
1 794  die  Schreckensherrschaft  in  Lyon  ihre  furchtbaren  Opfer  forderte, 
wurde  auch  der  Abbe  Pessonneaux  verhaftet.  Schon  war  das  Verhör 
zu  Ende,  und  der  Richtspruch  sollte  über  ihn  gefallt  werden,  da 
zogen  Schüler  singend  an  den  Fenstern  des  Gerichtssaales  vorbei  und 
sangen  die  , Strophe  der  Kinder“,  die  der  anne  Abbe  gedichtet. 
„Da  ihr  nun  Richter  über  mein  Leben  seid,“  sagte  er  weinend,  „so 
bitte  ich  um  eine  letzte  Gnade:  Laßt  mich  von  zwanzig  dieser 
Kinder  zum  Richtplatz  begleiten,  die  diese  Strophe  singen  sollen, 
die  mir  so  das  Herz  rührt  . . .“  Er  wurde  freigesjtrochen  und  von 
seinen  Pfarrkindern  mit  Ovationen  empfangen. 

III.  Es  heißt  auf  Seite  '2it,  das  Verdienst,  überzeugend  dargetan 
zu  haben,  daß  die  Marseillaise  textlich  und  musikalisch  das  geistige 
Eigentum  Rouget  des  l’Isles  ist,  gebühre  dem  französischen  Musik- 
historiker .Julien  Thiersot.  [Die  Melodie  wurde  früher  allerdings  all- 
gemein dem  Rouget  de  l’Isle  zugeschrieben;  andere  nannten  sogar 
als  Komponisten  einen  Chevalier  d’Huna,  den  Violinvirtuosen 
■M.  J.  Roucher,  F.  J.  Reichardt,  einen  unbekannten  Kapellmeister 
Holtzmann  usw.  .Jetzt  aber  ist  nachgewiesen,  daß  Rouget  de  l’Isle 
den  Text  seiner  Hymne  zum  Teil  mehreren  Sätzen  der  Tragödie 
„Esther“  und  „Athalie“  von  .Jean  de  Racine  entnahm,  wahrend  er 
die  Melodie  notengetreu  von  einer  Nummer  des  Oratoriums  „Esther“ 
von  .Jean  Baptiste  Lucien  Guion  (nicht  wie  Bohn  schreibt:  Grison), 
einem  Kaj)ellmeister  in  Saint-Omer  abschrieb]. 

IV.  .Auf  Seite  3 heißt  es,  daß  die  englische  Volkshymne  „God 
save  the  king“  wohl  174d  entstanden  sei.  Sie  wurde  zum  ersten 
Male  im  Sommer  174'>  gespielt,  als  die  englischen  Truppen  gegen 
den  Kronprätendenten  (nach  Finchley)  ins  Feld  zogen.  — Das  Ge- 
mälde von  Hogarth:  „Der  Auszug  nach  Finchley“  stellt  dieses  denk- 
würdige Ereignis  vortrefflich  dar;  es  zeigt  nämlich  eine  Verkäuferin 
des  Liedes,  das  zuerst  „God  save  great  George  the  king“  betitelt 
war.  Vgl.  Emil  SolTö,  Bunte  Blätter,  Brünn,  Fr.  Irrgang,  lH9t*. 
Alinea:  „Hogarth.“ 


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77 


Schlesische  Sprichwörter  des  Mittelalters. 

Von  I)r.  J.  Klapper. 

l)it>  Bedeutung  des  Spricliwortes  für  die  Beurteilung  des  Charakters 
eines  Volke.s  und  seines  Airschauungskreises  ist  langst  erkannt  und 
hervorgehoben  worden,  und  an  Sammlungen  der  Sprichwörter  neuerer 
Zeit  ist  auch  in  Deutschland  kein  Mangel  mehr.  Auch  in  den 
mundartlichen  Wörterbüchern  nehmen  die  in  den  verscliiedenen 
Dialektgehieten  heimischen  Sprichwörter  schon  lange  den  ihnen  ge- 
bührenden Platz  ein.  Was  uns  aber  heute  noch  sehr  mangelt,  das 
sind  Sammlungen  von  Sprichwörtern  d<‘s  Mittelalters;  davon  liegen 
erst  ein  paar  recht  dürftige  Versuche  vor.  Zwar  kennen  wir  bereits 
eine  große  Zahl  lateinischer  Sprüche  aus  Quellen  des  Mittelalters, 
und  auch  die  Stellen  unserer  mittelhochdeutschen  Literatur,  die 
offenkundig  auf  deutsche  Sprichwörter  Bezug  nehmen,  sind  zusammen- 
gestellt worden,  aber  die  ihnen  entsprechenden  volksmäßigen  Formen 
dieser  Sprüche  ruhen  zum  allergrößten  Teile  noch  ungehoben  in  den 
Handschriften  des  späteren  Mittelalters,  ja  sie  haben  bisher  noch 
garnicht  die  Aufmerksamkeit  unserer  volkskundlichen  Forscher  auf 
sich  gelenkt.  Und  doch  müssen  wir  sie  erst  kennen  gelernt  haben, 
ehe  wir  die  wichtigen  Fragen  einwandsfrei  lösen  können,  welche  von 
unseren  heutigen  Sprichwörtern  echt  bodenständige  Erzeugnisse  sind, 
und  wann  die  aus  dem  Auslande  übernommenen  zu  uns  herein- 
gedrungen sind.  Zur  Lösung  dieser  Fragen  soll  die  folgende  Arbeit 
über  die  Sprichwörter  der  schlesischen  Handschriften  des  Mittelalters 
ein  Beitrag  sein.  Zugleich  wird  sie,  wie  ich  hoffe,  eine  willkommene 
Beisteuer  zu  dem  geplanten  schlesischen  Wörterbuche  abgeben,  und 
endlich,  möchte  sie  die  Anregung  zu  einer  Durchsi(!ht  einer  be- 
stimmten Gruppe  von  Handschriften  in  auBerschlesischen  Sammlungen 
geben,  in  denen  für  dieses  Gebiet  unserer  deutschen  Volkskunde 
noch  reiche  Schätze  verborgen  liegen.  Es  handelt  sich  auch  hier 
um  die  bisher  so  selten  beachteten  lateinischen  Predigthandschriften 
des  14.  und  U).  Jahrhunderts.  Wie  die  folgenden  Beschreibungen 
der  in  der  vorliegenden  Arbeit  benützten  Handschriften  zeigen 
werden,  war  es  ein  beliebtes  Mittel  der  vor  dem  Volke  predigenden 
Mönche,  nach  der  Angabe  des  Kanzelspruches  das  Interesse  und  die 
Neugier  der  Zuhörer  dadurch  zu  fesseln,  daß  ein  deutsches  Sprich- 
wort der  folgenden  Predigt  zugrunde  gelegt  und  dann  meist  in 


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78 


f'eistlichem  Sinne  ausgelegt  wurde.  So  leistet  uns  heute  eine  solche 
Predigt  einen  doppelten  Dienst.  Sie  gibt  uns  nicht  allein  den 

Wortlaut  des  Spruches  in  der  dem  Volke  wirklich  gehiutigen  Form, 
oft  freilich  in  lateinischer  Niederschrift,  sondern  sie  ermöglicht  uns 
auch  in  Füllen,  wo  uns  heute  der  Sinn  mancher  Wendungen  nicht 
mehr  klar  ist,  «las  Verständnis,  indem  sie  uns  ihre  geistliche  Aus- 
legung bietet.  Die  fflr  unsere  Sammlung  herangezogenen  Hand- 
schriften sind  sämtlich  in  schlesischen  Klöstern  benutzt  worden,  für 
mehrere  lälit  sich  auch  nachweisen,  dali  sie  in  Schlesien  entstanden 
sind.  Das  schließt  freilich  nicht  aus,  daß  vielleicht  die  Originale 
dieser  Predigtabschriften  außerhalb  Schlesiens  zu  suchen  sind.  Doch 
i.st  eines  sicher:  Die  Form,  in  der  die  deutschen  Sprüche  mitgeteilt 
werden,  ist  überall  die  dem  ostmitteldeutschen  Dialekte  entsprechende 
und  kann  im  Laut-  und  Wortbestand  ohne  weiteres  für  den 
schlesischen  Dialekt  in  .\nspnich  genommen  werden.  Mit  Absicht 
sind  in  das  Verzeichnis  der  Sprichwörter  auch  alle  handschriftlichen 
Parallelen  aufgenommen  worden;  sie  sind  einerseits  wichtig  für  die 
Kntwicklung  unserer  Mundart,  andererseits  sind  sie  das  beste  Zeug- 
nis für  die  örtliche  und  zeitliche  Verbreitung  des  Spruches  und 
somit  für  seine  Beliebtheit  beim  scblesischen  Volke.  .\uf  außer- 
schlesische Vergleiche  konnte  nicht  ganz  verzichtet  werden.  Berück- 
sichtigt sind  einmal  die  in  unserer  mittelhochdeutschen  Literatur 
vorkomraenden  Parallelstellen,  soweit  sie  in  der  Sammlung  Ignaz 
V.  Zingerles  ,Die  deutschen  Sjuichwörter  im  Mittelalter“')  zu- 
sammengestellt  sind.  Diese  Parallelen  werden  zugleich  zeigen,  wie 
weit  sich  bei  gleichem  Oedanken  oft  der  sprachliche  .\usdruck  der 
mittelhochdeutschen  Dichtungen  von  der  echt  volksmiißigen  Fonii 
unserer  Sprichwörter  entfernt.  Dann  wurde  die  älteste  niederdeutsche 
Sprichwörtersammlung  des  Tunicius')  benutzt,  die  Hoffmann  von 
Fallersleben  herausgab,  und  deren  Entstehung  er  in  das  Jahr  1514 
setzt.  Der  Vergleich  mit  den  Stücken  dieser  SaTnmlung  erweist  für 
manches  schlesische  Sprichwort  auch  eine  weit  über  die  Grenzen 
Schlesiens  hinausgehende  Verbreitung.  Von  schlesischen  Sammlungen 


')  Wien  1864.  Da  dieses  Werk  den  Stoff  am  bequemsten  zugiinglich 
macht,  .sind  auch  diu  Stcllunnachwcisungeu  daraus  entlehnt,  selbst  dann,  wenn 
seither  Neuausgaben  der  von  Zingerle  benützten  mittelhochdeutschen  Texte 
erfolgt  sind. 

2)  Berlin  1870. 


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79 


konnte  für  einzelne  Stfleke  Daniel  GomoIkesSprichwörte.rverzeichnis ') 
zum  Vergleich  herangezogen  werden.  Vollständigkeit  ist  selbstver- 
ständlich nicht  für  diese  Parallelen  erstrebt  worden,  dagegen  wird 
das  Verzeichnis  der  schlesischen  Sprichwörter  des  Mittelalters  im 
ganzen  die  Masse  darstellen,  die  heute  überhaupt  aus  den  Hand- 
schriften noch  zusammenzustellen  ist,  sodaß  in  diesem  Sinne  ein 
vollständiges  Verzeichnis  der  altschlesischen  Sprichwörter  geboten 
wird.  Lateinische  Sprüche  und  Sentenzen  sind  dann  mit  aufgenommen 
worden,  wenn  sie  entweder  ottenkundig  das  deutsche  Sprichwort 
wiedergeben,  oder  wenigstens  im  Grundgedanken  mit  ihm  flberein- 
stimmen  und  so  eine  gelehrte  Variante  darstellen.  In  der  Anordnung 
wurde  so  verfahren,  daß  bei  mehreren  Stücken  gleichen  Inhalts  die 
Aufzählung  dem  Alter  der  Quellen  entsprechend  erfolgt;  die  Gesamt- 
anordnung geschieht  alphabeti.sch  unter  den  Stichworten,  die  in  den 
Sprüchen  hervortreten;  einzelne  Verw'eisungen  sind  zur  größeren 
Übersichtlichkeit  nötig  geworden.  Die  Handschriften,  denen  die 
Stücke  entnommen  wurden,  sind  nach  dem  Alter  geordnet  die 
folgenden.  Sie  gehören  sämtlich  der  Königlichen  und  Universitäts- 
bibliothek zu  Breslau. 

1.  Cod.  U18.  I.  Q.  128.  Ohne  Titel;  Pergamonths.  .Vnf.  des  14.  Jahrhunderts. 
Die  ihr  entnommenen  lateinischen  Sprüche  stehen  Hl.  48ra.  Inhalt;  theo- 
logische Traktate  und  Stellen  klas.sischer  und  mitteIIateiui.schor  Hichtungon. 

2.  Cod.  ms.  I.  F.  471.  Jaeobi  do  Voragino  Sermones  de  tempore;  früher 
den  Augustiner-Chorherren  zu  Sagan  gehörig,  mit  dem  Eintrag:  Hunc 
libnim  apportavit  frater  Gregorius.  Papierh.s.  vom  Jahri'  1404.  Die  ihr 
entnommenen  deutschen  Sprichwörter  .stehen  am  unteren  Kande  der  einzelnen 
Predigten  als  Thcmien  für  den  Predigtlext  de.s  Jakobus  de  Voragine. 

3.  Cod.  ms.  I.  F.  478.  Jordani  Sermonnm  pars  III  et  IV.  Früher  den 
Augustiner-Chorherren  zu  Sagan  gehörig,  mit  dem  Eintrag:  Istc  über  per- 
tinet  in  monasterium  Grvnberg  ei  te.staincnto  magistri  l'ostein.  Papierhs. 
vom  Jahre  1408.  Die  der  Hs.  entnommenen  lateinischen  Spräche  sind 
auf  der  Innenseite  des  Vorderdeckels  und  auf  der  Vorderseite  des  Schmutz- 
blattes unter  einer  Reihe  theologischer  Notizen  von  einer  Hand  aus  der 
ersten  Hälfte  des  15.  Jahrh.  eingetragen. 

4.  Cod.  ms.  I.  F.  525.  Sermones  do  tempore;  früher  der  Hibliotbek  der 
(torpus-Christi-Kirche  zu  Breslau  gehörig;  Papierhs.  aus  dem  .\nf.  d. 
15.  Jahrh.  Benutzt  ist  daraus  BI.  307'». 

5.  Cod.  ms.  I.  tj.  463.  Collectanea  theologica:  aus  der  Bibliothek  des 
Kollegiatstiftes  zu  Glogan;  darin  der  Eintrag:  Dominus  Sigismundus  Hern- 

')  Der  Heller  gilt  am  meisten,  wo  er  geschlagen  ist  . . . Über  tausend 
dergleichen  Sprüchwörter,  welche  sowohl  in  Städten,  als  auch  auf  dem  Lande 
in  Schlesien  im  Schwange  gehen  . . . von  Daniel  Gomolcken.  Anno  1734. 


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80 


stat  dodit;  Papicrb».  dcs<  Anf.  de«  15.  .Ih.  Die  daraus  entnooiiiifnen 
latciiii.'ichcii  Verse  verteilen  .sich  durch  die  gaiiie  Hs. 

6.  Cod.  ms.  I.  Q.  348.  Descriptio  festi  de  visitatione  b.  Mariae  rirg.  in 
Bohemia  insUtuti;  aus  der  Bibliothek  der  Dominikaner  zu  Breslau.  Papierhs., 
um  1453  entstanden;  Sanunelhandschrift  theologischen  Inhalt.s;  daran.«  be- 
nutzt Bl.  150  r. 

7.  Cod.  ms.  I.  F.  706.  Collectio  Sermonum  Dominicalium  per  Hicmem;  aus 
der  Bibliothek  der  Corpus-Cbristi-Kirche  zu  Breslau.  Papierhs.  vom  Jahre 
1458.  I>ic  dimtschen  und  lateinischen  Sprichwörter  sind  teils  die  Themen 
der  Predigten  von  Bl.  202  rt>  bis  Bl.  284  fb,  teils  sind  sie  von  derselben 
Hand  neben  den  lateinischen  Predigttext  am  Rande  vermerkt. 

8.  Cod.  ms.  1.  F.  752.  Exempla  in  usiim  praedicatornm ; aus  der  Bibliothek 
des  Kollegiatstifte.s  zu  Glogau.  Papierhs.,  geschrieben  in  ihrem  ersten 
Teile  per  magi.strum  Zylo,  inagislrum  in  artibus  nee  non  bacc.  Jaris 
canonici  in  scola  Frangforlis  anno  1476.  Diese  Hs.  enth&lt  von  Bl.  367« 
an  von  demselben  Schreiber  eine  Predigtsaminlung,  die  jeder  einzelnen 
Predigt  ein  deutsches  Sprichwort  nach  dom  Kanzclspruche  folgen  laßt 
und  dann  geistlich  deutet.  Diese  Sammlung  ist  in  Glogau  geschrieben. 
Für  unsere  Sprichwörter  ist  sie  von  der  größten  Bedeutung.  Sie  beginnt 
mit  der  Predigt;  Ihesum  quorilis  nazarenum.  Surrexit,  non  est  hic.  Marens 
ultimo.  Dicitur  provcrbialiter:  wöre  liebe  aldet  nich,  et  est  proverbiuni 
verum,  quia  semper  renovatiir.  Die  letzte  Predigt  Bl.  433 »b  hat  zum 
Kanzelspruch:  Desiderio  desideraui.  Luc.  22.  provcrbialiter:  wilkomen  sath 
vnde  esze  gerne.  Die  ganze  Sammlung  schließt  mit  der  Bemerkung:  Et 
tantuni  de  thematibus  vulgaribus  et  proverbjs  ipsius  Fridanci.  Finita  in 
Glogouia  per  me  N.  Zcjjlo]  utque  alibi.  Anno  domini  MCCCCLXI  in  die 
feste  s.  vincula  Petri. 

9.  Cod.  ms.  I.  F.  759.  Sennones  de  Tempore  et  Sanclis;  aus  der  Bibliothek 
der  Franziskaner  zu  Jauer;  Papierhs.  aus  der  Mitte  des  15.  Jahrbs.  mit 
dem  Einträge:  Ist<‘  über  assignatus  domino  N.  plebano  in  copperberg. 
legat  30  missas  cum  tot  vigilys.  Benutzt  ist  Bl.  25 1 rb. 

10.  Cod.  mit.  I.  0.  44.  Consilia  ad  vitae  spiritualis  perfectionem.  Aus  der 
Bibliothek  der  Augustiner-Chorherren  zu  Breslau.  Eintrag:  Ex  libris 
Fratris  Mart:  F.  Weis  C.  R.  W;  und  darunter  von  etwas  sp&terer  Hand: 
1635.  Ex  liberia  dono  accepi  a Domino  Lud.  Kredele  . . Mart:  Fili:  — 
Papierh.s.  aus  dem  Ende  des  15.  Jahrhs.  Die  daraus  entnommenen  lateinischen 
und  deutschen  Vorst:  verteilen  sich  durch  die  ganze  Handschrift. 

11.  Cod.  ms.  I.  F\  757.  Sermones  de  tempore.  Aus  der  Bibliothek  der  Corpus- 
Christi-Kirche  zu  Breslau.  Papierhs.  aus  dem  Ende  des  15.  Jahrhs.  Die 
daraus  entnommenen  lateinischeu  und  deutschen  Sprüche  stehen  an  der 
Spitze  kurzer  Predigtstoffe  von  ßl.  36«  bis  Bl.  213rb.  Nach  einem  Ein- 
träge auf  einer  Einlage  bei  Bl.  4r  ist  ein  Teil  davon  auch  in  Görlitz  ge- 
predigt worden. 

12.  Cod.  ms.  I.  y.  340.  Sermones  de  sanctis  feslisque  diebus.  Aus  der 
Bibliothek  der  Dominikaner  zu  Breslau;  Papierhs.,  zum  Teil  in  Italien 
während  der  Studienzeit  eines  Mönches  geschrieben.  Bl.  273  r:  Sennones 
islos  aureos  cum  essem  in  Neapolitano  gymnasio  Anno  Salutis  MCCCC 


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nonagesimo  quarto  mi’cum  versus  naiale  solum  detnli  ego  fr.  Jaeobiis 
Jounnis  Streller  Wratislaviensis.  Daraus  benutzt  der  Kinlrag  auf  Bl.  273» 
vom  Jahre  1.503. 

13.  Cod.  ms.  I.  Q.  472  Bd.  D Varii  tract.  theolugici.  Papierhs.,  geschrieben 
von  einem  Frater  Krmolaus  (Franzi.skaner),  der  1515  in  Frankenstein,  1516 
in  Oppeln  und  in  demselben  Jahre  in  Krieg  war.  Die  Hs.  enthält  von 
Bl.  61»  an  103  Predigten,  denen  nach  dem  Kanzelspruch  je  ein  deutsches 
Sprichwort  folgt;  am  Schluß  sind  dann  noch  22  sulche  deutsche  Sprich- 
wörter nachgetragen.  Die  Sammlung  beginnt  Hl.  61  r:  Introdnctio  thema- 
tum  1515  in  Frankesten.  Dominica  prima  adventiis.  Ecci‘  rei  tuus  venit 
tibi  mansuctu.s.  Math.  21.  Man  darff  myt  dem  czickelen  of  den  margkt 
nicht  eilen,  wen  her  vorkoft  ys  wol  yn  der  gassen.  Moraliter;  per  ednm 
intellegitnr  Christus  usw.  Die  letzti'  Predigt  Bl.  103  r wurde  gehalten 
Dominica  vicesima  qiiarla.  Puella  surge.  Mathei  9.  Den  leezten  heißen 
gerne  dy  hiinde.  Moraliti'r;  per  vltimum  intellegitur  homo  qui  differt  peni- 
tenciam.  usw.  Am  Schluß  steht  die  Bemerkung;  In  franckensten  1515  in 
vigilia  sancti  Anthony. 

14.  Cod.  ms.  IV.  Q.  123.  Privilegien  der  Stadt  Braunau;  Papierhs.  vom  Jahre 
1664.  Daraus  sind  benutzt  die  Eintriige  am  Vorsatzblatt  und  auf  der 
Innenseite  des  hinteren  Einbanddeckels. 

Besondere  Beachtung  unter  diesen  benutzten  Handschriften  ver- 
dienen Cod.  ms.  I.  F.  152  und  I.  Q.  47‘2  Bd.  I.  Sie  haben  den 
Hauptteil  der  Sprichwörter  geliefert.  Diese  beiden  Sammlungen  von 
Spricliwörterpredigten  stellen  Auszüge  aus  einem  großen,  für  das 
ganze  Kirchenjahr  berechneten  Predigtwerke  dar,  von  dem  bisher 
vier  Handschriften  bekannt  waren,  die  jedoch  ebenfalls  sämtlich  nicht 
vollständig  sind.  Bereits  im  .lahre  1870  hat  Konrad  Hoffmann  aus 
einer  Handschrift  der  Schwabacher  Kirchenbibliothek  in  den 
Sitzungsberichten  der  bayerischen  Akademie  der  Wissenschaften  (Bd.  II 
25 — 38)  162  deutsche  Sprichwörter  veröffentlicht.  Diese  Sprich- 
wörter decken  sich  inhaltlich,  der  sie  erklärende  Predigttext  auch 
meist  der  Form  nach  mit  den  beiden  Breslauer  Handschriften,  doch 
enthalten  diese  manches  Stück,  das  dort  fehlt,  während  anderseits 
auch  in  den  Breslauer  Handschriften  mehrere  dort  vorhandene 
Predigten  ausgelassen  sind.  Hottmann  setzte  die  Entstehung  dieser 
Sammlung  noch  ins  14.  .Jahrhundert;  die  Schwabacher  Handschrift 
ist  jedoch  erst  um  die  Mitte  des  LI.  Jahrhunderts  geschrieben.  Im 
Jahre  1903  wies  Ludwig  Stern  in  den  „Beiträgen  zur  Bücherkunde 
und  Philologie,  August  Wilmanns  zum  25.  März  1903  gewidmet“  in 
„.Mitteilungen  aus  der  Lübene r Kirchenbibliothek“  (S.  67 — 96),  auf 
eine  zweite  Handschrift  dieses  Sprichwörterpredigtwerkes  hin,  die  sich 
jetzt  in  der  Kgl.  Bibliothek  zu  Berlin  befindet  (Cod.  .Arnoldianus 

Mitteilungen  d.  echtee.  G«e.  f.  Vkde.  Itaiid  XU  (Heft  1).  6 


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82 


Thf.  612)  und  die  im  Jahre  1459,  wie  Stern  vermutet,  in  Breslau 
geschrieben  wurde.  Sie  enthält  die  Predigten  geordneter  und  gibt 
die  162  deutschen  Sprichwörter  in  richtigerer  Fassung.  Ihre  Mund- 
art ist  ostmitteldeutsch  (schlesisch).  Stern  benutzte  für  die  Text- 
gestaltung der  Sprichwörter  noch  ein  drittes  Exemplar  des  Werkes, 
das  1446  in  Kaitenbuch  geschrieben  ist  und  in  seiner  .\nordnung 
mit  dem  Schwabacher  starke  Übereinstimmungen  aufweist.  Auf  diese 
Handschrift  (Cod.  lat.  monac.  12  296)  hat  zuerst  .1.  A.  Schmeller  im 
bayrischen  Wörterbuche  aufmerksam  gemacht.  Sterns  Lübener  Hand- 
schrift steht  unserer  Breslauer  I.  Q.  472  Bd.  I in  der  Anordnung 
sehr  nahe,  ist  älter  als  diese  und  im  Text  der  Sprichwörter  un- 
zweifelhaft zuverlässiger;  aber  abgesehen  davon,  daü  unsere  Breslauer 
Handschrift  der  heutigen  E^orm  des  schlesischen  Dialekts  viel  näher 
steht  und  so  für  die  Gescliichte  der  schlesischen  Mundart  von  Wert 
ist,  bietet  sie  doch  auch  wieder  manches  Sprichwort,  das  in  der 
Lübener  Handschrift  fehlt,  und  ist  so  auch  für  die  Kenntnis  der 
Originalfassung  unseres  Predigtwerkes  von  Wichtigkeit.  Auf  eine 
vierte  Redaktion  dieser  Sjirichwörterpredigten  nimmt  Adolph  Franz 
in  einem  Aufsatze  über  „Sprichwörterpredigten  aus  dem  15.  Jahr- 
hundert“ Bezug,  der  im  „Katholik“  (84.  Jahrg.  1904 — 3.  Folge 
Bd.  XXX  S.  373 — 384)  erschien.  Das  von  Franz  gefundene  Exemplar 
stammt  aus  Bamberg  (Papierhs.  Q.  V.  14)  und  ist  in  der  zweiten 
Hälfte  des  15.  Jahrhs.  geschrieben;  es  enthält  nur  86  Predigten  und 
stellt  eine  Auswahl  aus  dem  Gesamtwerke  dar;  doch  enthält  es  einige 
Stücke,  die  in  den  drei  anderen  Redaktionen  fehlen.  Zu  diesen  vier 
Handschriften  gesellen  sich  nun  unsere  zwei  Breslauer  1.  E\  752  und 
I.  Q.  472  Bd.  I;  beide  sind  auch  nur  Auszüge  aus  dem  verlorenen 
Originalwerke,  doch  von  gleicher  Bedeutung  wie  die  schon  bisher 
bekannten  Handschriften,  mit  vielen  Stücken,  die  in  jenen  fehlen. 
Eine  eingehende  Vergleichung  dieser  beiden  bisher  unbekannten 
Redaktionen  mit  den  bekannten  ist  hier  nicht  beabsichtigt,  da  sie  dem 
Zwecke  des  Aufsatzes  nicht  entspricht;  auf  Grund  der  drei  westlichen 
und  der  drei  schlesischen  E'assungen  jedoch  wäre  es  jetzt  möglich, 
die  Originalsammlung  nach  Umfang  und  Textgestaltung  ziemlich 
genau  zu  erschließen.  Hatte  Konrad  Hoffmann  unter  Bezugnahme 
auf  eine  gelegentliche  Erwähnung  Heinrich  von  Mügelns  in  diesen 
Predigten  als  Entstehungszeit  des  Originals  das  14.  Jahrhundert  an- 
gesetzt, so  wird  diese  Annahme  durch  die  Schlußbemerkung  der 
Breslauer  Handschrift  I.  E\  752  gestützt,  die  die  angeführten  Sprich- 


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83 


Wörter  Freidank  zuschreibt.  Mit  „Freidanks  Besrheidenheit“  haben 
diese  Hprichwörter  zwar  bis  auf  einige  wohl  rein  zufällige  inhaltliche, 
nicht  formale  Anklänge  nichts  gemein,  doch  mußte  der  im  ganzen 
14.  Jahrhundert  noch  hochgeschätzte  Freidank  seinen  Namen  auch 
für  unsere  Sprichwörterpredigten  hergeben.  Noch  ein  anderer  Grund 
spricht  für  das  14.  Jahrhundert  als  Entstehungszeit  dieser  Sammlung. 
In  der  Breslauer  Handschrift  I.  F.  471  (der  No.  'J  unserer  Be- 
schreibungen) sind  von  fast  gleichzeitiger  Hand  unter  Predigten  des 
Jakob  de  Voragine  ‘26  deutsche  Sprichwörter  gesetzt,  die  sich  auch 
bis  auf  ein  einziges  in  unseren  Sprichwörterpredigten  wiederfinden. 
Die  Hs.  I.  F.  471  ist  nun  laut  Schluüberaerkung  bereits  1404  ge- 
schrieben. Der  Mönch,  der  etwa  um  dieselbe  Zeit  die  deutschen 
Sprichwörter  nachtrug,  muß  also  bereits  am  Anfänge  des  15.  Jahr- 
hunderts unser  Sprichwörterpredigtwerk  gebannt  und  benutzt  haben. 

Wenn  wir  so  in  mehreren  schlesischen  Handschriften  Sprich- 
wörtersammlungen finden,  die  mit  den  mitteldeutschen  Mönchen  und 
Kolonisten  nach  Schlesien  gewandert  sind  und  sich  hier  w, ährend  des 
ganzen  15.  Jahrhunderts  einer  großen  Beliebtheit  erfreut  haben,  so 
dürfen  wir  aus  diesen  Sprichwörtern  getrost  einen  Rückschluß  tun 
auf  den  (Jiarakter  des  schlesischen  Volkes  im  Ausgange  des  Mittel- 
alters. Eine  kurze  Übersicht  über  den  Inhalt  dieser  Sprichwörter 
wird  also  zugleich  eine  nicht  unzutreffende  Charakteristik  des  Volkes 
ergeben.  Mochte  auch  nicht  all  die  in  den  Sprichwörtern  liegende 
Weisheit  im  Leben  verwirklicht  werden,  so  enthalten  diese  Sprüche 
doch  ein  von  tler  Menge  gebilligtes  Lebensideal.  Geben  sie  also  auch 
nicht  ein  getreues  Bild  des  Volkes,  wie  es  war,  so  sind  sie  doch  ein 
Bild  dessen,  \vie  es  sein  wollte.  Weit  ist  der  Gesichtskreis  dieser 
Spiichwörter  nicht;  es  spiegelt  sich  in  ihnen  das  eng  bürgerliche  und 
bäuerliche  Leben  wieder,  mit  seinen  einfachen  gesellschaftlichen  Ver- 
hältnissen; nur  selten  wird  auf  etwas  Bezug  genommen,  was  nicht 
auch  der  Vorstellungswelt  des  einfachsten  Menschen  geläufig  ist. 
Einige  Bilder  aus  der  Tierwelt  zeigen  leise  Anklänge  an  die  Tierfabel 
und  das  Tierepos,  von  klassischer  Gelehrsamkeit  ist  so  gut  wie  gar- 
nichts,  von  der  lateinischen  Poesie  und  Spnichweisheit  de.s  Mittel- 
alters recht  wenig  zu  verspüren;  auch  Anklänge  an  die  heilige  Schrift 
finden  sich  nicht  viele.  Die  Gesamtmasse  enveckt  den  Eindnick  einer 
auf  deutschem  Boden  erwachsenen  Spruchweisheit,  wie  sie  in  litera- 
rischer Form  in  Freidanks  Bescheidenheit  vorliegt.  Ihre  Moral  gründet 
sich  auf  einen  gesunden  Egoismus;  der  Zweck  der  Sprüche  ist  die 

c* 


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84 


Sicherung  eines  glücklichen  Lebens  auf  Erden  und  eines  seligen  Todes. 
^Vie  das  hölische  Epos,  so  eniptiehlt  auch  das  volksinüliige  Sprich- 
wort die  iSelbstbeschrankung;  Maß  ist  in  allen  Dingen  gut.  Das 
geziemt  dem  Menschen  vor  allem  im  Glück.  Lache  nicht  zu  sehr, 
es  ist  noch  nicht  aller  Tage  Abend.  .Man  soll  den  Tag  nicht  vor  dem 
Abend  loben.  Niemand  preise  sich  glücklich,  er  sei  denn  über  den 
Bach  hinüber.  Ende  gut,  alle.s  gut.  Es  ist  nicht  zu  verwundern, 
wenn  der  Mensch  in  seiner  Schwäche  fällt.  Fällt  doch  sogar  das 
Pferd,  obwohl  es  zwei  Füße  mehr  hat.  Doch  erst  der  Gefallene  kann 
sittliche  Kraft  zeigen.  Wer  nie  fiel,  stand  nie  auf.  (iott  ist  des 
Menschen  sichrer  Hort.  Vertrau  auf  Gott,  will  er  dein  Wohl,  so  kann 
niemand  wider  dich.  Sei  schlecht  und  recht,  so  gefällst  du  ihm. 
Gott  kennt  dich;  er  weiß  wohl,  wer  ein  guter  Pilgrim  ist.  Sei  zu- 
frieden mit  seiner  Gnade;  gibt  ers  nicht  in  Schetfeln,  so  gibt  ers  in 
Löffeln.  Man  muß  den  Teufel  fallen  durch  Gottes  Kraft.  Hilft  dir 
Gott,  so  helfen  dir  auch  seine  lieben  Heiligen.  Bete  und  arbeite. 
Gewöhn  dich  zeitig  ans  Arbeiten.  Jung  gewohnt,  alt  getan.  Was  ein 
Häkchen  werden  will,  das  krümmt  sich  beizeiten.  Was  Hänschen 
nicht  lernt,  lernt  Hans  nimmermehr.  Lerne  gründlich:  nicht  das  lange 
Messer  allein  macht  den  guten  Koch.  Sieh,  daß  dich  nicht  der  Vor- 
\Vurf  trifft:  älter  wirst  du,  aber  klüger  nicht.  Erstrebe  nichts  Un- 
mögliches: man  kann  das  Meer  nicht  in  eine  Flasche  schöpfen.  Lerne 
auch  aus  dem  Schaden:  der  Geltrannte  scheut  das  Feuer.  Such  ein 
festes  Ziel:  wer  zwei  Dinge  zugleich  erstrebt,  verliert  gemeiniglich 
sein  Brot.  Weh  dem,  der  vielen  Herren  dient!  Sei  ausdauernd:  auf 
den  ersten  Streich  fällt  der  Baum  nicht.  Betreib  das  Handwerk  geni, 
das  dir  dein  Brot  gibt.  Kommst  du  nicht  mit  der  Hand  durch,  so 
nimm  den  Mund  zu  Hilfe.  Blüht  dir  dein  Glück  zu  Hause  nicht,  so 
sieh  dich  draußen  um.  Wo  dirs  gut  geht,  da  ist  dein  Heim.  Was 
du  tun  willst,  tu  allein:  je  mehr  Hirten,  desto  üblere  Hut.  Jeder 
für  sich,  und  Gott  für  uns  alle.  Wie  wirs  treiben,  so  geht  es.  Viel 
verdirbt,  worum  man  sich  nicht  kümmert.  Wer  zu  sj)ät  kommt,  hat 
das  Nachsehen.  Den  liCtzten  beißen  gerne  die  Hunde.  Wer  die 
Weile  hat,  nimmt  das  Beste.  Wer  zuerst  kommt,  mahlt  zuerst. 
Nutze  die  Gelegenheit:  bei  Brote  ist  leicht  Brot  zu  verdienen.  Ein 
Abend  ist  besser  als  zwei  Morgen.  Halt  den  Sack  schnell  auf,  wenn 
dir  ein  Ferkel  gerei<dit  wird.  Man  muß  den  Mantel  nach  dem  Winde 
hängen.  So  kommst  du  vorwärts.  Besitz  ist  nicht  zu  unterschätzen: 
der  beste  Freund  auf  Erden  i.st  der  Pfennig  in  der  Tasche.  Man 


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yr> 

kauft  wenig  Gold  um  ein  Ei.  Leere  Hand  kauft  nichts.  Der  Arme 
hat  arnaen  Mannes  Kauf.  Sogar  die  Weisheit  gilt  nichts  ohne  Reich- 
tum; Kleider  maclicn  Leute.  Glücklich,  wer  genug  in  seinem  Hause 
hat!  Halt  dich  warm,  so  frierst  du  nicht.  .\uf  ganzer  Haut  ist  gut 
schlafen.  Wer  da  hat,  die  klingen,  der  hat  auch,  die  singen.  Hüte 
dich  aber  vor  dem  Geize,  damit  es  von  dir  nicht  heißt:  je  reicher, 
desto  karger.  Der  Geizhals  leidet  Not  im  Überfluß.  Je  mehr  der 
Geier  hat,  ilesto  mehr  will  er.  Sei  freigebig,  dann  wirst  du  nie 
Mangel  leiden:  milder  Hand  gebraih  es  nie.  Große  Gabe  bringt 
großen  D:ink.  Wer  «int  haben  will,  muß  Gut  geben.  Wo  man  nichts 
hinlegt,  nimmt  man  nichts  weg.  Wer  gut  schmiert,  fahrt  gut.  Was 
mir  geschenkt  wird,  das  halt  i<-h  für  gut.  Nimm  guten  Rat  dank- 
bar an:  wem  nicht  zu  raten  ist,  ist  nicht  zu  helfen.  Nur  der  Narr 
lehnt  den  Rat  anderer  ab  und  spricht:  nach  deiner  Pfeife  tanz  ich 
nicht.  Freilich  gibt  mancher  einen  Rat,  der  sieh  selbst  nicht  raten 
kann.  Sei  auch  dankbar  für  fremde  Hilfe:  man  soll  sich  vor  dem 
Baume  neigen,  von  dem  man  Schatten  hat.  Sei  frtdilich  mit  den 
Fröhlichen  und  zur  rechten  Zeit:  vor  Fastnacht  kurze  Predigt  und 
lange  Bratwürste.  Doch  kommt  herbei  der  Aschtag,  dann  steck  die 
Fiedel  in  den  Sack.  Wenn  die  Lust  am  größten  ist,  soll  man  das 
Spiel  auf  hören.  Hüte  dich  vor  dem  Übermut.  Auf  kurze  Freude 
folgt  leicht  langes  Leid.  Süße  Bissen  haben  oft  sauren  Nachgeschmack. 
Nacli  großem  Donner  kommt  gerne  Regen,  ln  der  Freude  lerne 
weinen.  Doch  halte  den  Kopf  hoch  im  Unglück:  guter  Mut  ist 
halber  Leib.  Nach  Regen  kommt  wieder  Sonnenschein.  Nichts  ist 
80  schlecht,  daß  es  nicht  auch  sein  Gutes  h:ltte.  Die  Not  gibt  dir 
Kraft:  Not  bricht  Eisen.  <ieht  alles  verloren,  dann  wahre  wenigstens 
den  guten  N:imen.  Hab  Geduld  im  Unglück,  es  wird  alles  wieder 
gut.  Sei  ausdauernd  in  der  Arbeit:  Rom  ist  nicht  an  einem  Tage 
erbaut  worden.  Weiter  kommt,  wer  langsam  geht,  als  wer  in 
schnellem  Lauf  ermüdet.  Schnelle  Sprünge  taugen  nichts.  Lerne, 
wo  du  k:»nnst:  gute  neue  Mare  soll  jeder  gerne  hören.  Es  ist  gut, 
etwas  zu  wissen.  Man  hat  Nutzen  von  dem,  was  man  kann.  Wer 
die  Weise  kann,  führt  die  Braut  heim.  Der  Weise  bleibt  vor  manchem 
Unglück  bewahrt:  wer  das  fieschoß  herankommen  sieht,  wird  selten 
verwundet.  Nichts  geschieht  ja  ohne  Ursache.  Der  Weise  halt  nicht 
alles  für  Gold,  was  glänzt.  Alt  sein  ist  ein  Unglück,  aber  alt  und 
töricht  sein  ist  doppelter  Scluiden.  Gar  mancher  bessert  den  Stall 
erst  aus,  wenn  er  das  Pferd  verloren  hat,  und  springt  erst  dann  auf 


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den  Hund  zu,  wenn  dieser  den  Sehmer  gefressen  hat.  Wer  zwischen 
Tür  und  Angel  gerät,  kommt  leicht  zu  Schaden.  Torheit  macht 
Arbeit.  Mancher  ist  blind  mit  sehenden  Augen.  Und  auch  fttr  ihn 
gilt:  Blinder  Mann,  armer  Mann.  Führt  ein  solcher  einen  anderen 
Toren,  so  fallen  .«ie  leicht  beide  in  die  Grube.  Den  Toren  erkennt 
man  am  Übennut.  Wer  aber  über  sich  hinaus  will,  der  überwirft 
sich  leicht.  Wenn  dem  Esel  zu  wohl  ist,  geht  er  aufs  Ei.s  tanzen. 
Bescheidenheit  bewahrt  am  besten  vorUni^Ock:  wer  hoch  steht,  fällt 
auch  tief,  .le  höher  der  Berg,  desto  tiefer  das  Tal.  Denn  das  Glück 
ist  launisch:  mancher,  der  vorweg  lacht,  weint  zuletzt.  Wen  der 
Teufel  schänden  will,  dem  hängt  er  ein  Ehrenkleid  um,  ehe  er  ihn 
öffentlich  demütigt.  Überlege  deine  Handlungen,  überlege  aber  auch 
deine  Bede:  Abendrede  und  Morgenrede  stimmen  selten  überein. 
Viel  Reden  macht  wüste  Häupter.  Trunkner  Mund  redet  aus  de.s 
Herzens  (irund.  Wer  seine  Zunge  beherrscht,  ist  stärker,  als  wer 
eine  Stadt  erobert.  Hör,  sieh,  schweig,  dann  lebst  du  in  Frieden. 
Gute  Rede  findet  eine  gute  Statt.  Der  Weise  erwartet  die  rechte 
Zeit,  ehe  er  spricht,  der  Tor  kann  sie  nie  abwarten.  Rede,  wie  es 
einem  Manne  geziemt.  Rede,  wie  dir  der  Schnabel  gewachsen.  Sprich 
die  Wahrheit,  auch  wenn  dir  die  Welt  deswegen  gram  wird.  Es 
gibt  nichts  Schlimmeres  als  den  Heuchler.  Sei  vorsichtig  im  Um- 
gänge. Glaube  niemand,  so  täuscht  dich  niemand.  Von  böser  Ge- 
sellschaft wird  man  leicht  hauptsiech.  Den  guten  Baum  erkennt  man 
an  den  guten  Früchten.  (Tleich  zu  gleich  gesellt  sich  gerne.  Gleich 
währt  gerne  lange.  Doch  wirst  du  kaum  drei  finden,  die  an  Geist 
und  Herz  ganz  gleich  sind.  Daher  Vor.sicht!  Niemand  ist  unser 
Freund,  der  nicht  als  Freund  handelt.  Den  Freund  erkennt  man  in 
der  Not.  Doch  mußt  du  dich  ihm  auch  als  Freund  erweisen:  eine 
Hand  wäscht  die  andere.  Wie  du  dienst,  so  lohnt  man  dir.  Auch 
bei  deinem  Freunde  gilt:  an  dem  Besten  ist  der  beste  Kauf.  Es 
gibt  nichts  Schlimmeres  als  einen  falschen  Freund.  Kein  Haß  ist 
schlimmer  als  geheuchelte  Liebe.  Hüte  dich  vor  dem  Schalke;  wo 
der  Teufel  nicht  hin  kann,  schickt  er  seinen  Boten  hin.  Weh  dem 
Wirte,  dessen  Gäste  Schalke  sind!  Wohl  dem  Wirte,  dessen  Gäste 
fromm  sind.  Lerne  zeitig  gehorchen : (fehorsam  führt  zur  Ehre.  Doch 
baue  nicht  auf  Herrengunst:  Frauendienst  lohnet  nicht,  Herrengunst 
erbet  nicht.  Laß  dich  nicht  von  deinem  Weibe  beherrschen:  es  ist 
gegen  das  Gesetz,  daß  die  Königin  den  König  regiert.  Erziehe  deine 
Kinder  streng;  gar  oft  ist  das  jüngste  Kind  das  liebste,  und  was 


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dann  das  liebe  Kind  tat,  das  ist  wohlgetan.  Doch  denke  daran:  Je 
lieber  das  Kind,  desto  größer  der  Besen.  Doch  sei  nicht  allzu  hart: 
zu  scharf  macht  schartig.  Nach  süßem  Tone  ist  gut  tanzen.  Sei 
ein  guter  Hauswirt:  wie  der  Hirt,  so  die  Schafe.  Weh  den  Gästen, 
wo  der  Wirt  ein  Schalk  ist.  Handle  gut,  so  lange  du  lebst,  nach 
dem  Tode  sieh,  wo  du  bleibst.  Was  man  im  Leben  säet,  das  erntet 
man  nach  dem  Tode.  Verderben  tut  w'eh.  Je  besser  das  Leben, 
desto  sanfter  da.s  Ende.  In  der  Welt  aber  triumphiert  oft  das  Böse. 
Neid  und  Haß  waren  immer  auf  der  Erde.  Je  größer  der  Schalk, 
desto  größer  oft  das  Glück.  Die  Menschen  wandern  sich,  wenn  Esel 
gekrönt  werden.  Wer  die  Arbeit  tut,  hat  oft  das  Nachsehen.  Wer 
das  Geld  hergeben  muß,  bindet  die  Schuhe  mit  Baste;  die  Herren 
aber,  die  dem  Bauern  alles  nehmen,  die  gehen  in  Samt  und  Seide. 
Wie  oft  muß  das  Ferkel  entgelten,  was  die  Sau  gebraut  hat!  Die 
Bösen  aber  machen  gemeiusame  Sache:  eine  Krähe  hackt  der  anderen 
die  Augen  nicht  aus.  An  den  Bösen  ist  jeder  Besserungsversuch 
vergeblich:  alte  Hunde  werden  selten  gebändigt.  Als  der  Teufel 
krank  war,  wollte  er  sich  bessern,  als  er  aber  genas,  war  er  schlecht 
wie  vorher.  Die  Bösen  denken:  aus  fremder  Haut  ist  gut  Kiemen 
schneiden;  Tausch  ist  kein  Raub;  wer  den  anderen  täuscht,  der  ist 
sein  Meister;  Gewalt  geht  vor  Recht.  Sie  gleichen  dem  Wolfe:  der 
Wolf  wandelt  den  Balg,  aber  nicht  den  Schalk.  Was  man  dem 
Wolfe  auch  sagen  mag,  er  spricht  immer:  Lamm,  Lamm.  Sie  sind 
wie  der  Hund:  wasch  und  kämm  den  Hund,  er  ist  und  bleibt  ein 
Hund.  Kommt  der  Böse  zu  Ehren,  so  kennt  er  kein  Mitleid.  Was 
man  ihm  tut,  ist  alles  verlorener  Dienst.  Doch  er  schöpft  solange 
aus  dem  Borne,  bis  er  ihn  ausschöpfl.  Der  Krug  geht  solange  zum 
Wasser,  bis  der  Henkel  bricht.  Es  ist  nichts  so  fein  gesponnen,  es 
kommt  doch  ans  Licht  der  Sonnen.  Auch  hier  gilt  das  Wort:  wer 
anderen  eine  Grube  gräbt,  fällt  selbst  hinein,  und  wer  anderen  einen 
Galgen  baut,  kommt  leicht  selbst  daran. 

Bei  diesem  Gange  durch  die  altschlesische  Sprichwörterweisheit 
werden  wir  wohl  zwar  an  einzelnen  Punkten  die  Empfindung  haben, 
daß  ihre  Gesamtheit  nicht  eine  geschlossene,  widerspruchslose  Lebens- 
anschauung bietet,  — das  ist  bei  der  Mannigfaltigkeit  ihrer  Her- 
kunft und  ihrem  weiten  Geltungsbereiche  auch  nicht  zu  erwarten,  — 
aber  wir  werden  doch  darin  gewisse  feste  durchgehende  Linien  der 
Volksmoral  erkennen,  nach  denen  sich  das  V'erhalten  des  Einzelnen 
wie  der  Gesamtheit  in  den  verschiedenen  I^ebenslagen  richtete.  Und 


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HO  ermöglichen  uns  diese  Sprichwörter  einen  besseren  Einblick  als 
jede  andere  (Quelle  in  die  wesentlichen  (imndlagen  des  Charakters 
und  der  Lebensanschauung  des  schlesischen  V'olkes  im  Ausgange  des 
Mittelalters. 


Text. 


AAS  1.  Vbi  est  cadaver,  ibi  congregant  aquile  11. 

2.  Der  rewcht  eyn  oss,  dem  folget  her  noch  S. 

•\BENI)  3.  Is  ist  bessir  eyn  obinth  wenne  czwene  morgen  8. 

4.  Obentrede  vnd  margenrede  treit  nicht  ober  eyne  2. 

5.  Obynt  rede  vnde  morgen  rede,  dy  tragen  seiden  vber  ene  13. 
.4LT  6.  Elilyr  wyrstu.  Cluger  aber  seldyn  13. 

7.  .41t  vnde  thoricht  ist  y.cweerley  schade  8. 

8.  .\lt  vnde  thröricht  ist  zcweerle  .schadyn  13. 

ARBEIT  ‘J.  .4bsque  labore  graui  non  possunt  magna  parari  3.  8. 
ARG  s.  240;  241. 

.4RM  10.  .4nnan  hot  armans  kawtl'  2. 

11.  Annraan  hot  anuannis  kowtf  8. 

12.  -4rm  man  hat  arm  manys  kaf  13. 

ARZT  13.  Man  sal  den  arczt  libin  durch  des  notczis  wille  8. 

14.  NVe  deme,  der  dem  arczte  geburth  13. 

ASCHE  s.  86.  ASCHERMITT4VOCH  s.  DO. 

AUGE  s.  35;  182;  227;  252;  343;  344.  15.  Qui  est  extra  aspectum 
oculorum,  est  extra  mentis  intuitum. 

16.  Was  das  awge  syhet  vnde  dy  oren  hören,  do  swyrt  das 
hercze  nicht  noch  8. 

nie  Zahlen  hinter  den  Sprichwörtern  weisen  auf  die  Zahl,  unter  der  im 
Vorherj>ehenden  die  Handschrift  beachriehen  ist,  aus  der  di«  Sndlc  entnommen 
ist.  Oas  Blatt  ist  der  Einfachheit  halber  nicht  angegeben,  da  sich  der  Spnich 
leicht  an  der  Hand  der  Beschreibung  der  Hand>chrift  auflinden  liißt. 

1.  Nach  -Hiob  39,  30. 

2.  Wenn  jemand  einem  andern  ans  Zuneigung  in  einen  fremden  Ort  folgt. 

3.  Vergleiche  H.  Frischbior,  Preußische  Sprichwörter*  (1865)  Nr.  7. 

10.  Kr  kann  sich  nur  wenig  kaufen. 

15.  .\us  cod.  ms.  1.  F.  503,  Eremitau  Sennoucs  de  tempore;  vom  .labre  1431, 
Bl.  Ir«.  Vi-rgl.  J.  von  Ziugerle,  l»ie  deutschen  Sprichwörter  im  Mittel- 
alter  1864  S.  15:  Tunicius,  cd.  Hoffmann,  Nr.  203:  We  üt  den  ogen 
i«,  de  is  al  vorgetten. 

16.  Hwem  = Schmerz  empfinden. 


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17.  Was  das  oge  syt  vnde  das  ore  höert,  do  schw\Tt  das  hercze 
nicht  noch  13. 

BAST  s.  345;  346;  347. 

BADER  18.  Fare  schire  yns  dorff.  dy  pawer  synt  truncken  8. 

BAUM  s.  360.  19.  Dicitur  in  communi  proverbio:  Arbori  debet  in- 
clinari,  a qua  vmbra  habetur  7. 

20.  Man  zal  deme  bowme  neygen,  von  deme  man  schadin  hot  8. 

21.  Man  sal  dem  bome  neygyn,  von  welchym  her  schatyn  hot  13. 

22.  Arbor  sit  qualis  fas  est  cognoscere  malis  3. 

23.  Man  irkennit  eynen  bovm  aw.ss  seynen  fröchten  8. 

BERG  24.  Farce  mihi,  parcamque  tibi,  raons  inquit  ennti  3. 

BESEN  s.  •21-2. 

BESITZ  25.  Beatu.s  homo,  qui  habet  satis  in  domo  10. 

26.  Wol  ym,  der  do  selbist  icht  hot  8. 

27.  Is  ist  wol  des  der  icht  hat,  wenne  seyn  ist  wol  zcu  ge- 
nissen  8. 

BESTE  s.  4‘24.  28.  An  dem  besten  ist  der  beste  kiW  4. 

29.  An  dem  bestin  ist  der  lieste  kovfl'  8. 

30.  An  dem  bestvn  ist  der  beste  koff  13. 

31.  Was  yn  man  dem  bestin  thut,  das  sal  nvmande  obil  behagen  8. 
BETEN  32.  Nunc  lege,  nunc  ora,  nunc  cum  feruore  labora:  Sic 

erit  hora  breuis  et  labor  ipse  leuis  3. 

BITTEN  33.  Is  gilt  eyn  bethin  vnd  nicht  zcu  vorsiigen  8. 

BLIND  34.  Wenne  eyn  blinder  den  andern  leytet,  so  vallen  sy  gerne 
beyde  yn  eyne  grübe  8. 

35.  Dy  synt  blint  mit  sehendin  owgen  8. 

36.  Blind  man,  arm  man  8. 

37.  Blynt  man,  arm  man  13. 

BOCK  38.  Des  sich  der  bog  vorwes,  das  vormutet  her  sich  of  der  gest. 
BORN  s.  5-2. 

18.  Die  Aiislcguntf  gibt  ilic  Erläuterung;  Hoc  aliquando  verificatur,  quando  huino 
accedit  ad  laycoa  ebrios  et,  si  non  eompoaiU'  rexerit  se,  offemlitur. 

19.  Tunicius  Nr.  700:  Men  njgel  dem  böiu,  dar  men  bäte  af  hefl. 

23.  Nach  Mattbaeus  12,  33:  ex  fructu  arbor  agnoscilur. 

23.  Freidank  86,21;  von  obeze  wirt  der  boum  erkant. 

25.  Horaz,  Oden  IV  9,4.'):  Beali  possidontes. 

33.  ejn  = ihn. 

34.  Vergleiche  Freidank  55,9—10. 

36.  Tuniuius  Nr.  183:  Ein  blint  man  arm  man  etc. 

38.  gest  = capra,  OeiU;  qui  per  se  ucquani  est,  omnes  alio.s  putat  esse  nequam. 


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BÖSE  39.  Nulli  compatitur  nequam  adeptus  honorem,  »Si  non  depri- 
raihir,  credit  se  melioretn  3. 

40.  Quanto  tiuis  peior,  tanto  sors  sibi  maior  (5. 

41.  De  quanto  nequam  peior,  sor.s  est  sibi  maior  10. 

42.  .le  großer  schalk,  ye  l)essir  glucke  8. 

43.  K großer  schalk,  e besser  geluck  13. 

44.  Malum  non  vitatur  nisi  cognitum  7. 

45.  Das  boze  wirt  nicht  vormeyd\Ti,  man  irkenne  is  denne  7. 

46.  E\ti  dingk  kan  so  bosze  nicht  gese\'n,  is  ist  io  czu  ichte  gut  8. 

47.  Is  ist  seiden  keyn  ding  zcu  bosze,  is  ist  yo  zcu  ichte  guth  8. 

48.  En  ding  kan  nicht  alzo  böse  gese}'n,  es  ist  zcu  ichte  guth  13. 

49.  E s ist  seldyn  yrken  dyng  alzo  boze,  ys  ist  zcu  ichte  gut  13. 

50.  Was  man  den  boszin  thut,  das  ist  allis  vorlorn  wircz  8. 
BRATWURST  s.  79;  80.  BRAUT  s.  427;  428;  429. 

BROT  51.  Bey  brote  ist  gut  broth  zu  irwerbin  8. 

BRUNNEN  52.  Man  scheppit  alzo  lange  eynen  born,  bis  das  man 
en  gar  aws  scheppit  8. 

BÜRDE  53.  Equale  iugum  nulli  quoque  opprimit  dorsum  0. 

54.  Gleich  burde  bricht  nymant  den  hals  13. 

BUSSE  55.  Nömpine  thuen  ist  dy  gröste  husze  2. 

DANK  s.  112;  113;  114;  ll.’i. 

56.  An  dem  menschin  ist  nicht  danck  czu  vordinen,  daz  man 
em  dy  sonne  czu  neygete  8. 

DIENST  s.  191.  57.  Dinste  wol,  zo  lonet  man  dir  wol  2. 

58.  Alz  du  mir  dinst,  alzo  lone  ich  dir  8. 

59.  Als  du  myr  djTiest,  zo  Ion  ich  dir  13. 

60.  Commune  proverbium:  In  duabus  rebus  perditur  panis  11. 

61.  Ad  duo  qui  tendit  nee  vnum  nec  duo  prendit  3. 

62.  We  jin,  der  do  nl  herrin  dynet  8. 

DONNER  s.  315;  318. 

EHRE  s.  122.  63.  Vorsmehit  dir  meyne  ere,  ich  wil  dichs  wol  irlossin  8. 
EI  8.  145;  14t»;  147. 

42.  Vgl.  WälschcrGa.st4510;  Tu  n icius  Nr.  897;  Einem  srhiilke  schflt  vake  gut. 
46.  Tunicius  Nr.  804;  Nein  dink  so  slim,  it  sy  al  war  güt  t«. 

3i.  Man  verdient  leicht,  wenn  man  die  günstige  Gelegenheit  wahmimmt. 

54.  Morolf  II  377;  Gliche  burde  briihet  nyman  den  ruck;  Wolkenstein  V. 
5,1;  siehe  Zingerlc  a.  a.  0.  S.  23. 

55.  NSmpinc? 

62.  Nach  Matthaeus  6.24. 

63.  Ich  geb  dir  nichts;  du  bist  undankbar. 


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EINEB  64.  Ich  wil  mit  ejme  machin,  Ir  sullin  hündirt  sich  an  en 
stosin  S. 

EISEN  s.  291;  292. 

ELEND  65.  Poeta  dicit:  gaudium  est  miseris  socios  habere  penarum  11. 

66.  Misero  nil  durius,  dum  miser  leuatur  in  altum  3. 

ENDE  s.  243.  67.  Wenn  das  ende  gut  ist,  so  ist  is  gar  gut  8. 
ENGEL  68.  E_vngel  czu  den  sdiofiin  8. 

ESEL  69.  Homines  mirantur,  dum  asini  coronantur  10. 

70.  Wenne  deme  ezel  zcu  wol  ist,  so  gehet  her  off  das  eys 
tanczin  8. 

71.  Wen  dem  esel  zcu  wul  ist,  zo  gyt  her  off  das  eys  tenczen  13. 
ESSEN  72.  Dy  weyle  wir  essen,  dy  wevle  lebe  wir  vo  8. 

FAHREN  s.  .342.  ’ 

FAIjLEN  73.  Non  mirari  bipes,  quando  tibi  lapitur  pes:  (Juadrupes 
in  plano  quandoque  cadit  pede  sano  10. 

74.  Numquam  cadebat,  qui  nuniquaiu  resurgel)at  (j. 

75.  Der  ny  vil,  der  stunde  ny  off  2. 

76.  Wer  do  ny  gevyel,  der  stvnt  ny  off  8. 

77.  Der  do  ny  fil,  de  stunth  ny  off  13. 

78.  Der  do  ny  fil,  der  stunt  ny  wider  off  13. 

F.\STNACHT  79.  Vor  fastnaclit  korcze  prediget  vnde  lange  bröt- 

worste  8. 

80.  V br  fastnacht  korcze  prediget  vnde  lange  brotwurste  13. 
FEIND  81.  Vindis  mund  reth  seiden  guth  8. 

FENSTER  s.  219;  220. 

FEUER  s.  434.  82.  Der  gebraute  forcht  das  fewer  13. 

FERKEL  83.  Wenne  man  das  ferkel  beuth,  So  sal  man  den  sag  uff 
haldin  8. 

84.  Wen  man  das  ferckyl  beuth.  so  sal  der  sag  bereyt  seyn  13. 

85.  Is  müssen  offte  dy  ferckyl  entgeldyn,  was  dy  zau  gebreuth  13. 
FEUER  86.  Der  das  fewers  darff,  der  sucht  ys  in  der  asche  7. 

Spinoza  Ethik  IV.ÖT:  Solamen  miseris  sorios  habuisse  malurum. 

70.  Hagen,  Gesamtabenteiier  II  95;  D.  Gomolke,  Sprüchw.;  Wenn  am  Esel  zu 
wubl  is,  SU  gibt  a ufs  Es  tantzen,  und  bricht  a Been. 

73.  Tnnieius  Nr.  1133:  It  voll  wol  ein  pert  van  veir  Voten:  I).  Gomolke, 
Sprfichw.:  Stolpert  doch  a Pfard  uf  vier  Fußen. 

74.  Tunicius  Kr.  401 : I>e  ny  en  vel,  de  en  dorfte  ök  ny  upstän. 

83.  Was  man  dir  schenkt,  nimm  schnell  an;  Tunicius  Nr.  1K6:  Wan  men  dal 
verken  büt,  so  sal  de  sak  syn  bereit.  ' 

8fi.  Tunicius  Kr.  1204;  De  de.s  viires  behovet,  de  soke  it  in  der  aschen. 


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FIEDEL  87.  Off  eyner  alden  fydel  singet  man  snsse  donen  (i. 

88.  Sepe  vetusta  lira  mihi  dat  modulamina  mira  6. 

89.  <)ff  eyner  aldyn  fidel  singet  man  süsse  don  13. 

90.  Stosz  dy  fedil  yn  den  sagk,  hewte  ist  der  aschtag  8. 
FLADEN  s.  196.  FLASCHE  s.  269. 

FLIEGEN  91.  Do  flog  der  aide  aws  8. 

FRAGEN  92.  Dicitur  in  proverbio:  Qni  rem  ignorat,  hunc  oportet 
interrogare  1 1 . 

93.  Wer  eynes  dinges  nicht  en[weis],  der  müs  fregyn  11. 
FRAU  94.  Schone  irawen  gebyn  nicht,  herryn  dyn.st  erbit  nicht  13. 
FREIGEBIGKEIT  s.  112;  113;  114;  115.  95.  Qiii  sna  dat  large, 
ab  Omnibus  laudatur  ille  10. 

FREUDE  s.  310;  314;  423.  96.  Quod  cito  letatur,  cito  dolet  et 

lacrimatur  6. 

97.  Kurcze  fräwde  vnd  lange  vnszelde  2. 

98.  Korcze  frewde,  lange  vnsalde  3. 

99.  Korcze  frewde  vnd  lang  betnibnis  13. 

100.  Korcze  freude  vnd  lange  vnselde  13. 

101.  Zu  selde  lernit  weyneu  8. 

FREUND  102.  Non  est  deterior  hosti.s  quam  fictus  amicus, 

Non  odium  gravius  qnam  simulatus  amor  5. 

103.  (iuamuis  tres  socy  sunt  iuncti  l'etlere  caro,  Ipsorum  tarnen 
mentes  et  pectora  concordant  raro  10. 

104.  E.viguum  inunus,  quod  dat  tibi  pauper  amicus  10. 

105.  In  nötyn  yrkent  man  eyn  frfinth  13. 

106.  Is  ist  nymant  frund,  her  thu  denne  fruntlicli  8. 

107.  Der  beste  frund  off  erden  ist  der  pfennig  yn  der  thaschen  8. 
FRIEREN  s.  419. 

FRIEDE  108.  Is  ist  besser  czu  dyngen  aws  dem  strawche  ven  aws 
dem  stocke  2. 

t)3.  DentschiT  Cato  (cd.  Zarher)  v.  533:  swaz  dir  si  unkuni,  di'S  soltu  Trägen 
zalliT  Stunt. 

94.  Istud  jirovcrbiiini  pro  prima  partc  do  hunizatoribus,  qui  babcnt  duas  honi- 
zatrice.s:  Tnaui  pulchraiii  et  aliam  distortain.  Et  quod  dat  sccniida,  con- 
sumit  prima:  W ackeriiagel,  1>.  Leaeb.^  1,  855:  Herren  buld  en  erbet  nil; 
Tunieius  Xr.  575:  Heren  bulde  is  nein  erve. 

104.  Vgl.  Distieba  Oatonis  I,  20  (Zacher  S.  175):  Exiguuui  uiunus  cnui  dat 
tibi  pauper  amicus,  .\ccipilo  placide,  pleiie  laudare  niemcnto. 


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109.  Is  ist  besser  gedinge  yn  dem  strawche,  wenne  yn  deme 
stocke. 

110.  Audi,  vide,  tace  si  vis  viuere  [in]  pace  i 
FROMM  111.  Der  gehet  hynde  eyn,  als  dy  fromen  tim  IL 
FRUCHT  s.  -^2^ 

GABE  112.  Magna  campana  dat  grossum  sonum  L 
113.  Magna  canijiana  magnum  habet  sonum  LL 
HA.  Magnum  douum  dat  magnam  gratitudinem  L 
115.  Eyne  grosse  gäbe  hot  eynen  grossen  danck  L 
GALGEN  s.  1 57. 

GANS  llfi.  Gans  abir,  gans  henvedir,  noch  bleibit  gans  eyne  gans  8. 
GAyr  s.  441;  442.  117.  We  dem  gaste,  wo  der  wirt  eyn  sehalk  ist  L 
118.  Libe  geste  werden  wohl  entphangen  8, 

GAUL  119.  Arbitror  esse  satis,  quod  confertur  mihi  gratis  L 
GEDULD  120.  Wer  iss  noch  erbeyten  kvnde,  is  worde  noch  schlecht 
werden  8. 

121.  Wer  ys  yi-betjTi  künde,  ys  würde  noch  allis  gut  UL 
GEHORSAM  122.  Der  do  vorhürt,  do  wiTt  ere  ausz  UL 
GEIER  123.  E meher  der  geyer  hat,  e mher  her  habin  wil  8. 
GEISS  s.  3iL 

GEIZ  s.  123.  124.  Ve,  cui  nil  satis  est  et  quem  sua  reddit  egenum 

Copia  nec  totus  sufficit  orbis  ei!  8. 
GELEGENHEIT  s.  275;  27R.  125.  Dicitur  in  proverbio:  Qui  non 
facit,  quando  potest,  non  facit,  quando  vult  LL 
GERN  HABEN  s.  ‘253.  12fi.  Das  myr  übet,  das  let  myr  nymanth  UL 
GESCHENK  s.  LUL 

GESCHOSS  127.  M'er  vorbesyt  das  geschos,  der  wirt  diste  myimer 
verwundet  8, 

GESELLSCHAUr  s.  1^  2ÜIL 

128.  Von  bozer  gezelschaft  virt  ein  man  hawpzicli  2, 


109.  Ausli-eung:  Es  ist  bcs.ser,  mit  Gott  in  der  Welt  Frieden  ru  si  ldießon,  als 
Tcrdainmt  zu  worden. 

111.  Das  Wort  „from“  wird  in  der  Auslegung  als  , adulter“  wiedergegeben. 

1‘20.  sehleelit  = recht;  Auslegung:  Die  Guten  hoffen  in  Geduld  auf  Vergeltimg. 
122.  promuuentur  tales  qui  sciiint  obaudire. 

122.  Vgl.  Prcidank,  m 21—22. 

128.  Keiniar  v.  Zw.  184:  von  ungesellen  wirt  der  man  vil  dicke  houbet  siech; 
Fraucnlub  Spr.  271.  11;  Gcsclleschaft,  diu  bösheit  kan,  von  der  wirt  houbet 
siech  ein  man. 


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129.  Von  bozer  geselschafft  wyrt  man  hör  sich  13. 

130.  Surgit  origo  mali  de  turpi  sepe  sociali: 

Ergo  de  tali  tibi  {»recaueas  animali  5. 

GEWALT  131.  Gewalt  geet  vor  recht  9. 

GEWOHNHEIT  132.  Jungk  gewont,  alt  gedonth  13. 

GLAUBEN  133.  Glewbe  nymande,  so  thewssit  dich  nymant  8. 

134.  Glöwbe  nvmande,  so  tewsschit  dich  n}'mant  13. 

GLEICH  135.  Eyn  iczlich  gleyche  suchit  seyneu  gleyche  8. 

136.  Gleich  sammelt  sich  gerne  13. 

137.  Gleich  wert  gern  lange  13. 

GLOCKE  s.  ll-J;  113. 

GLÜCK  s.  42;  43.  138.  Is  sal  nymant  „hew“  sprechin,  her  kome 
denne  obir  dy  hach  8. 

139.  Nymant  spreche  „hü  hü“,  her  sei  den  henüber  13. 

140.  Ich  neme  das  guthe  gelucke  vor  den  segyn  vnde  fure  mit 
den  thoren  hen  8. 

141.  Si  quem  felicem  vis  dicere,  consule  finem: 

Felix  nemo  prius,  nisi  quem  finis  heat  eins  5. 

GOLD  142.  Dicitur  in  proverhio:  Non  omne  quod  splendet  est  aurum  1 1 . 

143.  Non  teneas  aurum  totum  quod  splendit  nt  aunim  10. 

144.  Is  ist  nicht  allis  golt,  das  do  gleisset  8. 

145.  Aurum  pro  solo  inodicuin  datur  ouo  6. 

146.  Man  gebit  eyn  wenig  golt  vunb  eyn  ey  8. 

147.  Man  kofft  wenig  goldes  \Tnbe  eyn  ehe  13. 

GOTT  s.  339;  340;  341;  ,3.Ö0;  .3.51;  371. 

148.  Wer  do  gote  getrawct,  der  hot  gar  wol  gebawet  8. 

149.  Wer  Gott  vertrauhet,  der  hot  woll  gebaut. 

150.  Got  wes  wol,  wer  eyn  gut  jnigram  ist  13. 

151.  Gibt  mirs  got  nicht  scheffelich,  so  gibt  her  mir.ss  leffelich  8. 

152.  Quidquid  vult  dominus,  plaeet  simul  omnibus  sanctis  (!. 

153.  Alzo  got  wyl,  allzo  wellin  alle  seyne  üben  heyligen  8. 

132.  Vgl.  Freidank  108,  17. 

135.  Tiinicius  Nr.  565:  Gelyk  sorht  sik. 

137.  (icrcchtigkoit  regiert  lange. 

138.  Man  soll  den  Tag  nicht  vor  dem  Abende  loben. 

140.  Ein  Tor  kninincrt  sieb  nicht  uni  sein  Heil,  sondern  nur  um  den  Gewinn. 
144.  Vgl.  Pfaffe  Konrat  71,  17:  iz  enist  nicht  allez  gold  daz  da  glizzit: 
Strickers  K arl  2504:  ez  ensi  onch  allez  golt  niht,  daz  man  doch  glizen  siht. 
148.  Aus  eod.  ms.  I.  K.  663,  Bd.  II,  Vorsatzbl.,  Ende  15.  Jabrb. 


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154.  Was  got  wyl,  das  wellyn  och  seyn  hilgen  13. 

155.  Wil  mich  got  neren,  zo  mag  mirs  nymant  voheren  (uel 
voczeren)  JL 

(iRUBE  15fi.  In  proverbio  dicitur:  Aliquis  fodit  foveam  alteri,  et 
ip  in  eam  catlit  LL 

157.  Manchir  bawet  dem  andini  eynen  galgyn  vnd  kommyt 
selbyr  doran  LS. 

GUT  s.  47;  ^ 4iL  158.  Wer  do  gut  haben  wil,  der  muss  gut 
losen  (ader  gebin)  li. 

HAKEN  159.  Uvrvutn  se  prebet,  quod  ad  vncum  crescere  debet  S. 

IfiO.  Is  kromrait  sich  yn  der  jognnt,  das  zcij  eynera  hocken 
werden  wyl  &, 

IßL  Was  eyn  gutter  hocke  werdyn  wyl,  das  krommyt  sich  yn 
zceiten  13, 

1fi2.  Was  do  hackericht  werden  wyl,  das  krümmet  sich  jm 
czeyten  S. 

HAND  8.  271 ; 272;  273;  274.  IfiS.  Myt  ledigen  hendyn  ist  böze 
kauf  schlagen  13. 

164.  Manns  manum  lavat  ^ 

lfi5.  W'enne  eyne  hant  dy  ander  qwet,  so  werden  sy  beyde 
reyne  H. 

Wer  sich  der  hand  nymme  mag  imeren,  der  musze  zu 
hulffe  den  munt  nemen  S. 

HANDWERK  1ft7.  Czn  dem  handwerge  zal  man  zieh  gerne  gebin, 
von  deme  man  mag  ewig  gelebin  >L 

HANS  1R8-  Hansellus  quidquid  teneris  non  discit  in  annis, 

Hans  nunqnam  discet,  semper  ineptus  erit  L4. 

HARREN  s.  1112.  HASS  s.  2M.  HAUPT  s.  3Ü5. 

HAUSHALTEN  Man  sal  sich  streckyn  domoch  her  sich  kan 
bedecken  13. 

HAUT  170.  Est  dormire  bonum  cute  tota  in  hesitanda  (?)  fi. 

171.  Off  ganczer  hawt  ist  gut  sloften  S. 


157.  Die  bibl.  Irescbichte  vun  Ksther  und  Maidocbäus. 

IfiO.  Troj.  Kr.  £400:  Swaz  leime  baRgen  werden  sol,  daz  krnmbet  sieh  vil 
Trneje;  ähnl.  Marner  (MSHII.  2älb);  Krauenlob  Spr.  125,6  (MSH.  II. 
222a);  Tuniciu.s  Nr.  969:  It  mot  gut  tjrt  kninunen,  dat  ein  gut  hake 
werden  sal. 

164.  Qomolke,  Sprüchw.:  Kne  Hoand  muss  die  andere  woaschen. 

170.  Tunicius  Nr.  956:  In  beler  hüt  is  gut  slapen. 


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172.  Of  ganczir  haut  ist  gut  schlotfjui  13. 

173.  Von  fremden  hewten  sneyt  man  breyte  ryme  8. 

HEILIG  s.  15-2;  153;  154. 

174.  Y heiliger  mensch,  y grosser  anfechtung  13. 

HEIMAT  175.  Quod  patria  careas  quereris,  patria  uere  putanda  est, 
Quocumque  est  homini  vita  quieta  loco  12. 

176.  Ibi  patria,  vbi  bene  12. 

177.  Was  man  nicht  do  hej-me  hot,  das  muÜ  man  andirswo 
suchin  8. 

178.  Ich  gehe  wol  andirswo,  das  mir  do  heyme  ebin  were  8. 
HELFEN  s.  291);  300.  HERBERGEN  s.  183;  184. 

HERR  179.  Dy  herren  wellin  gebethen  sejm  8. 

HERRENDIENST  s.  62;  94. 

HERRSCHEN  s.  319.  180.  In  quacumque  domo  femina  viro  predoe- 

minatur,  Hoc  sciat  omnis  homo,  domus  hec  confusa  tenetur  5. 
HERZ  s.  15;  16;  17;  386.  HEU  s.  337. 

HEUCHLER  181.  Tergiversator  desistit,  preuaricator 

Occultat  verbum,  profert  plasphema  falsum  3. 
HIMMEL  182.  W en  du  czu  hymmel  ferist,  zo  stöbe  m>T  nicht 
j-n  dy  ogen  12. 

HINAUS  183.  Wol  aws,  vas  habe  vir  geherbergt  2. 

184.  Wol  aus,  wol  aus,  was  habe  ich  geherbriget  13. 
HINLEGEN  185.  Wo  man  nicht  hyn  legt,  do  nympt  man  nicht  2. 

186.  Wo  man  nicht  hyn  lehit,  do  vynt  man  nicht  8. 

187.  Wu  man  nicht  hyn  let,  do  f.vnt  man  nicht  13. 

HIRT  188.  Als  der  hirtte  ist,  alzo  seyn  och  dy  schofle  13. 

189.  Y mehr  hyrten  y vbilber  gehut  13. 

HITZE  s.  317;  318. 

HOCH  190.  Y höcher  berg,  y tifl'er  tayl  13. 

HOF  s.  275;  276.  191.  Setze  du  deynen  holl'  vorbaß. 

173.  I>asselbi‘  Bild  Freidank  114,  19—22;  Tunicius  Nr.  1050:  Van  eins 
anderen  hiU  is  RÜt  reime  .'Uiyden;  0.  Gouiolke,  Sprüchw.:  Oas  anderer 
I.oite  Hoat  is  gutl  Kiemen  sclinei  den. 

182.  bjroniee,  quasi  quis  diccret:  Ego  non  credo  te  tarn  saueluni. 

184.  de  malis  hospilibus. 

189.  D.  (loniolke,  Spriieh«.:  .Je  mehr  Hirten,  je  übler  gehutt. 

190.  do  superbia;  vgl.  Bon  er  39,  37,  83,  33;  So  höher  berg.  aö  tiefer  t*l; 
Zingerle,  S.  18. 

191.  Such  dir  einen  andern  Herrn. 


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HOFFEN  s.  298.  192.  Et;  lenger  eyner  harret,  ce  serrer  her  narn'ith : 
Fnv  oft’  vnd  sjtote  nyder  brenget  allys  herwyder  13. 
HOFIEREN  193.  Der  weide  gerne  hoffiren  vnde  kansten  nicht  8. 
HUND  194.  Wen  man  dem  hvnde  czu  vil,  zo  hot  her  das  smer 
gessen  2. 

195.  Wen  man  dem  hunde  zcu  wil,  zo  hot  schmor  gessen  13. 

196.  Ys  mochte  eyn  hunth  wol  sehmeckyn,  das  dy  tladjTi  gut 
wem  13, 

197.  Dicitur  in  vulgari:  Antiquus  canis  non  facilepotest  domari  7. 

198.  E.vn  ald  hund  ist  bosze  bendigk  zcu  machen  8. 

199.  Eyn  alt  hunth  ist  boze  bendigk  zu  machyn  13. 

200.  Hunc  canis  infestat,  tjui  seraper  vltiraus  e.xtat  6. 

201.  Den  leczten  beyßen  gerne  dy  hunde  (i. 

202.  Den  letczten  beysen  die  hunde  gerne  8. 

203.  Den  leczten  beißen  gerne  dy  hunde  13. 

204.  Non  est  in  veile  canum,  quod  equi  moriantur  in  anno  10. 

205.  Ablue,  pecte  canem,  canis  est  et  penuanet  idem  1. 
HUNDERT  s.  04. 

JAGEN  206.  Dicitur  in  proverbio:  Qui  alium  agitat,  raro  quiescit 
ipse  11. 

207.  Wer  den  andern  yaget,  der  mgeth  seiden  8. 
K.AEBFLEISCH  s.  3S7.  KÄMPFER  s.  357.  KARG  s.  320. 
KATZE  208.  Dy  speien  mittenander  alzo  dy  katze  mit  der  mavss  8. 

209.  Die  kacze  übet  den  fisch,  adder  tewchsin  wil  sy  nicht  sich 
pacz  8. 

210.  Dy  katcze  übet  den  fisch,  ader  sy  wil  nicht  anrfiren  das 
Hiss  13. 

KAUF  s.  10;  11;  12;  28;  29;  30;  147;  103. 

iy4.  Vgl.  Wae kcrnagel  D.  Losob.’  I 855  (Dintisca  1 324):  Als  man  den  bunt 
henken  wil,  sö  In'it  er  Icder  gessen. 

197.  Vgl.  l'reidank  109,26;  Tunicius  Nr.  817:  Olde  hunde  sint  quat  ben- 
dich  tu  makcii. 

201.  I>.  Goinulke,  Sprüchw.:  Ja,  was  hingen  a noch  kninuil,  das  frassen  die 
Hunde. 

205.  Freidank  138,5:  Oienge  ein  hmit  tusent  stunt  ze  kirchen,  er  w»r  doch 
ein  hiiiit. 

207.  Tunicius  Nr.  354:  De  einen  anderen  jaget,  de  en  restel  sik  nicht. 

209.  Vgl.  Wunder,  D.  Sprchw.-Lei.  unter  „Katzi:“  Nr.  69:  Catus  amal  piscem, 
sed  non  vult  tangere  Humen  (Binder  I 178). 

MiitcUiiuzen  d.  scliles.  ües.  f.  Vkde.  Baad  XII  (Heft  l).  7 


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9R 


KENNEN  211.  Sal  ich  dich  kennen,  nü  So  mustu  dich  io  nennen  ^ 
KIND  212.  E über  kint,  E großer  besin  8. 

213.  Y Uber  kynt,  y größer  ruthe  liL 
m.  Est  quilibet  actus  cari  pueri  benefactus  8, 

215.  Was  das  libe  kint  thut,  das  ist  aller  wol  gethon  1 il‘2. 

21fi.  Das  iungiste  kynt  das  libiste  8, 

217.  Das  iungste  kynt  das  libeste  13. 

213.  Wenue  das  kint  seynen  willen  hat,  so  weynt  is  nicht  8. 
KIRCHE  219.  Ecclesia  Tetns  raro  habet  Incidas  fenestras  L 
220.  Eyn  aide  kirche  hat  boze  fenster  8- 
KLEID  221.  Si  careas  veste,  nec  sis  vestibus  honeste. 

Nullius  es  laudis,  licet  sapias  omne  quod  audis  5. 

222.  Sint  noua  uel  vetera,  pauper  sua  calcimenta 
Rumpit  palpando  dcius  quam  diues  eundo  L 
KLINGEN  s.  321;  322.  KLUG  s.  tL 

KNÄUEL  223.  Was  man  von  irst  wint  off  eyn  klewel,  daz  reist 
man  czu  leczt  abe. 

KNECHT  s.  357. 

KOCH  224.  Vulgariter  dicitur:  Non  omnis  deferens  longum  cultellum 
bonus  est  cocus  L 

KÖNNEN  225.  Waß  wir  können,  daß  loben  wir, 

Waß  wir  nicht  können,  hat  keine  Zier  LL 
226.  Wer  etwas  kan,  der  gneußit  seyn  8. 

KRÄHE  227.  Eyne  cro  ducket  der  ander  nicht  dy  ogen  aus  UL 
KRUG  228.  Der  kruck  gheyt  so  lange  zcu  dem  wasser,  bas  ym  der 
hengil  abe  bricht  8, 

KRUMM  8.  ^ HiO;  1^.  1 32. 

229.  Gut  wegk  vmbe,  hot  keyne  krvmme  8. 

212.  Vgl.  Wolken  steio  XIX  ^ lib  Je  lieber  kint,  ic  grii-zrr  pescn;  ähnlich 
Helbling  III  9^  Muscatbliit  120,  8. 

223.  Aus  cnd.  m.s.  L F.  535,  Anf.  d.  15.  Jabrbs.;  früher  der  Bibi,  der  Augustiner- 
Chorberren  zu  Sagan  gebürig,  Blatt  62». 

224.  Tunicins  Kr.  1 16:  It  sint  altusamen  neino  köcke,  de  lange  messe  dragen. 
227.  De  raptoribns  et  putentibus  popnli;  Quelle:  Maerobius,  Satumalia  conricia 

VII  5:  Oomii  comici  nunqiiam  oculos  effodit;  Tunicius  Kr.  333:  De 
eine  kreie  cn  bit  der  anderen  nein  oge  ut;  D.  Gomolke,  Sprüchw.:  Knc 
Krob  lioakt  der  andern  nicht  die  Ogen  aas. 

225.  Vgl.  Mones  Anz.  7.  505 : Ollula  tarn  fertur  ad  aquani,  quod  fracta  refer- 
tnr;  D.  Gomolke,  Sprüchw.:  Der  Krug  gibt  su  lange  zum  Woasser,  bis 
a a Henckel  vcrloirt. 


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99 


KUH  230.  Wes  dy  ku  ist.  der  zci  si  hey  dem  zcaile  13. 

231.  Bos  conqueritnr.  Hoc  genus  merdarum  suffero  digne,  Si 
non  merdassem,  onera  non  generassem  3. 

L.\CHEN  232.  Lache  nicht  czw  sere,  allir  tage  obint  ist  nicht  komen  7. 

234.  Lache  wen  du  hem  gyst  13. 

235.  Der  do  am  freitage  lacht,  der  went  gerne  am  sontage  13. 

236.  Non  bene  conveniunt  nec  in  vna  sede  morantur  Et  meror 
et  risus,  thartarus  et  paradisus  5. 

L.4NDSMANN  237.  Lanthman,  schantman,  weystu  icht,  so  schweyg  8. 
LANG  238.  Ich  heyße  E lenger  E über  (ader  besser)  8. 

239.  Ych  heyße  y lengir  y über  13. 

240.  E lenger,  E erger  13. 

241.  Y lengir,  y erger  13. 

LANGSAM  242.  Cursu  delicitur,  paulatim  longius  itur  3. 

LAUFEN  s.  2-i-2;  288. 

LEBEN  s.  72;  378.  243.  Yo  bessir  lebinyo  seliger  (semfter)  ende  7. 
LEID  s.  97;  98;  99;  100.  LETZTER  s.  201;  202  ; 203. 
LEUMUND  244.  Omnibus  amissis  famam  seruare  memento  10. 
LEUTE  s.  413.  LICHT  s.  335. 

LIEBE  245.  Wöre  liebe  aldet  nich  8. 

246.  Caritas  nna  querit  caritatem  alteram. 

247.  Eyn  lip  sucht  gerne  das  andern. 

248.  Eyn  lip  suchit  das  ander  gerne  8. 

249.  „Eyn  lip  suchit  gerne  das  ander  lip“  sprach  der  wolff  vnde 
lugethe  in  den  gensestal. 

250.  Eyn  lib  sucht  das  ander  13. 

251.  Wo  übe  ist,  dy  ewgent  sich  8. 

252.  Wu  do  ist  dy  übe,  aldo  ist  och  das  oge  13. 

253.  Lip  habin  vnd  nicht  genyssin,  daz  mochte  wol  der  geyir 
(adir  tewfel)  vordrissen  8. 


230.  Tunicins  Nr.  413:  Des  de  ko  is,  de  iiimt  sc  bj  dem  störte. 

231.  Dampnum  qnod  qnis  sua  culpa  sentit,  sibi  debet,  nun  alter!  imputari. 

237.  Tunicitis  Nr.  673:  Landesman,  sihandesmaii.  Der  Land.smann  cri&blt  die 

Schlechtigkeiten  des  Heiuiatsgeiiossen  in  der  Fremde. 

243.  Vgl.  Koner  .>4,45:  Ein  bie.s  leben  wer  das  bat,  dar  an  ein  bces  ende 
gerne  stät. 

246  u.  247.  Ans  cod.  ms.  I.  F.  503  Bl.  ICOrb  t.  J.  1431. 

253.  Vgl.  Liedersaal  184,  3:  Lieb  hän  und  miden  ist  ein  bitter  liden;  134,  S: 
Lieb  hän  äne  tröst  ist  mines  herzeu  röst. 

7* 


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lOO 


LOB  254.  Der  muli  sich  selbir  lobin,  her  hot  bosse  nocbewer  8. 
LÖFFEL  s.  151.  LOHN  s.  57;  58;  59. 

LÜGEN  255.  Wer  ligen  wil,  der  mag  wunder  zagen  2. 

256.  Wer  do  lygen  wolde,  der  mochte  wunder  sagen  8. 

257.  Der  do  ligen  wil,  der  mag  wunder  sagen  13. 

MAGNET  258.  Der  aytsteyn  czwet  en  8. 

MAHLEN  25D.  Dicitur  in  communi  proverbio:  Qui  ad  molendinum 
prior  venerit  prius  molit  11. 

260.  Dicitur  proverbialiter:  Qui  cicius  venerit,  cicius  molit  11. 
M.\HLZEIT  261.  Post  mensam  stabis,  aut  passus  mille  meabis  10. 
MANN  262.  Was  wer  eyn  man,  her  rethe  den  menlich  13. 
M.\NTEL  s.  372;  .373;  374. 

263.  Man  sal  den  mantel  dren  noch  dem  der  wynt  gyhet  13. 
MAKE  s.  352.  264.  Gute  newe  mhere  sal  ydennan  gerne  hören  8. 

265.  Gutte  new  mere  sal  yderman  gerne  huren  13. 

MARKT  s.  453. 

MASS  266.  Eyn  mosse  ist  zcu  allen  dingen  gut  13. 

M.\US  s.  208.  267.  Wen  dy  mawss  sath  ist,  so  ist  das  mel  bitter  8. 

268.  Wen  dy  mauss  sat  ist,  zo  is  yr  das  mel  bytter  13. 

MEER  269.  Der  wil  das  mer  }ii  eyne  flasche  gyssin  8. 

MEHL  8.  267;  2(>8.  MEISTER  s.  3(57. 

MESSEN  270.  Is  ist  bessir  czwir  gemessen,  den  eynes  vorgessin  8. 
MILDE  271.  Milder  hant  gebrach  ny  8. 

272.  Milder  hant  gebrach  nye  8. 

273.  Milder  hant  ny  gebrach  7. 

274.  Mylder  hant  ny  gebrach  13. 


254.  Fastiiachtsp.  52G,  6:  Weih  man  vil  pAser  nachpauren  hat,  der  lub  sich 
scibs;  das  ist  mein  rät;  Tuuiciiis  Nr.  319:  De  sik  sulven  loven,  de  hebben 
quade  nabers. 

2.56.  Tunicius  Nr.  291;  Do  wil  leigen,  do  kan  wat  nijes  aeggen. 

262.  Tunicius  Nr.  1018:  Dat  is  ein  man,  de  strak  kallet  als  ein  man. 

263.  Spervogel  (MSF  22.25)  Wan  sei  den  mantel  kören  als  das  weter  gät; 
Tristan  262,32:  Man  sei  den  mantel  kören,  als  ie  die  winde  sint  gewant; 
vgl,  Boncr  83.55;  Tunicius  Nr.  707:  Men  mot  de  hoiken  na  dem  winde 
hangen. 

266.  Colmarer  Liederhs.  111,1;  Din  mäze  ist  zallen  dingen  guot;  Kenner 
4793;  5511:  Mäze  ist  zuo  allen  dingen  guot;  Tunicius  Nr.  659:  Mate  is 
in  allen  dingen  gnt. 

270.  Winsbekc  25,  1;  Freidank  131,23;  Bezzer  ist  zwir  gemezzen  dan  seinem 
mäle  vergezzen. 


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MIST  275.  Didtnr  in  proverbio;  Expurga  fimmn  tuum,  donec  tu  ad- 
vocatus  in  curia  es  7. 

276.  Fure  wyt  (?)  aus  deynen  mist,  dy  weyle  du  zcu  höfe  bist  8. 
MORGEN  s.  3;  4;  5.  MÜHLE  s.  259;  2110. 

MÜSSIGGANG  277.  Von  tnissigk  gehen  wirt  zelden  ein  man  reich  2. 

278.  Von  mvssig  ghoen  wirt  man  seiden  reych  8. 

279.  Von  mfi.ssig  gelieii  wyrt  eyn  man  seiden  reich  13. 

MUND  s.  Hi«. 

MUT  280.  Gutter  mut  ist  halber  leip  2. 

NACHBAR  s.  254. 

NACHREDE  s.  244.  281.  Thar  is  eyner  thuen,  man  thar  is  ym 
nachsagen  8. 

NACHT  282.  l>y  nacht  ist  nymandis  frünth  13. 

NASCHEN  283.  Genessche  wyl  fil  schiege  haben  13. 

284.  Genesche  veil  siege  haben  2. 

NASS  285.  Wo  is  vor  nas  ist,  do  mag  ys  leychte  gereynen,  das  is 
noch  nesser  wirt  8. 

NEID  286.  Dicitur  in  proverbio:  Invidia  et  odium  numquam  defe- 
cerunt  in  terra  7. 

NEUGIER  287.  Der  vbir  sich  huhet,  dem  fallyn  dy  spene  yn  dy 
ogen  13. 

288.  Wer  alczu  syre  löfit,  dyzer  wyrt  gerne  müde  13. 
NEUIGKEIT  s.  204;  205.  289.  Res  est  cara  satis,  dum  tempus  habet 
nonitatis,  Sub  pede  calcatur,  qnando  nimis  inveteratur  5. 
NONNE  290.  Nonnen  vryen,  monche  companey,  huren  geselschaft, 
get  man  seiden  mit  vromen  ap  3. 

NOT  s.  105.  291.  Noth  bricht  eysen  8. 

292.  Noth  brich  eisen  13. 

NUTZEN  293.  Vtilis  est  fanti  Bachus,  medo  basia  danti,  Fons  bonus 
aranti,  ceruisia  grata  culianti  3. 

294.  Ich  mus  dich  nutczin,  die  weyle  ich  dich  habe  8. 

OHR  8.  16;  17.  PELZ  s.  .397. 

275.  Mach  dich  bereit,  sidange  es  Zeit  ist. 

281.  Daher  soll  man  sich  in  acht  nehmen  beim  llniideln,  wenn  inan  den  guten 
Kuf  bewahren  will. 

287  11.  288.  yuod  nnllus  dobet  curiose  scrutari. 

291.  Frauentrene  .'108  (Hagen  Ges.  Abent.  1271)  daz  noch  not  bricht  daz  isen ; 
1).  Gomolke,  Sprflehw. ; Nuth  bricht  Eesen. 


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102 


PFENNIG  s.  107.  295.  Der  pliennig  ist  nirne  alzo  genende,  alzo  do 
er  geschlagen  ist  8. 

PFERD  s.  40.5.  296.  Hütte  dich,  mein  phert  slehet  dich  2. 

297.  Hütte  dich,  meyn  phfert  sehlet  dich  13. 

PFLÜGEN  298.  Terram  nullus  aret,  in  qua  non  spes  seminat  10. 
PILGRIM  s.  150.  PREDIGT  s.  79;  80. 

RAT  299.  Wemme  nicht  zcu  rothin  ist,  derae  ist  och  nicht  zcu 
helften  8. 

300.  Mancher  gebit  ejTiem  andern  yn  roth,  der  ym  selber  nicht 
geroten  kan  8. 

RAUB  301.  Wechsil  ist  keyn  rop  13. 

RECHT  302.  Cunctis  qui  jilaceat,  non  credo  quod  modo  vivat.  Non 
placuit  cunctis  rex  diuine  pietatis  10. 

303.  Fac  bene  dum  viuis,  Post  mortem  sich  wo  du  bleyliest  IO. 
REDE  s.  4;  5;  2(52.  304.  Eyne  gute  rede  rindet  eyne  gute  stad  8. 

305.  Vil  rede  macht  wüste  höte  13. 

306.  Omne  malum  braxat,  qui  lingue  frena  relaxat,  prudens 
dumtaxat  dicenda  tacendaque  t.i.xat  5. 

307.  Qui  seit  seruare  lingwam  .sensusque  domare.  Forcier  est 
illo,  qui  frangit  viribus  vrbes  3. 

308.  Was  .sulde  dy  czunge  mir,  wenne  ich  nicht  sal  gebrawehyn  ir  8. 

309.  Was  sulde  mir  dy  czunge,  wenne  ich  nicht  domethe  reden  sal  8. 

REGEN  s.  285;  383.  310.  Post  vinum  verba.  post  ymbrem  sequitur 

herba,  Post  flores  fructus  sequitur,  post  gaudium  luctus  3. 

311.  Post  grandem  pluviam  sequitur  quandoque  solis  ortus  de- 
lectabilis. 

312.  Noch  eynem  reyne  kommit  gerne  eyn  sonnenscheyn  8. 

313.  Noch  eynem  placz  regen  kommet  gerne  eyn  sonescheyn  13. 

314.  Post  risum  grisum  (?)  sequitur  sepyssime  fletus  ß. 

315.  Noch  grollen  donnern  kommet  genie  eyn  reyn  ß. 

316.  Noch  großem  dünnem  kommet  gerne  em  reyn  13. 

317.  Post  magnum  ardorem  sequitur  vehemens  pluvia  ß. 

318.  Noch  grußer  hicze  k^inmeth  gerne  eyne  plov  ß. 

REGIEREN  s.  180.  319.  Est  contra  legem  reginam  regere  regem  10. 

295.  I>.  Gu mölke,  Sprüihw. ; De  Haller  gilt  am  m.ston,  wu  a gcschloan  ist, 

300.  Buch  der  Rügen  5:  Maiiec  man  git  guoten  rät,  der  im  selben  keimm  hat. 

301.  Raptores  recipiunt  vaccas  et  dant  eanem,  tlorenos  et  dant  bursam. 

302.  Vgl.  Freidank  106,  18;  Morolf  II  413. 

311.  -\us  cod.  ms.  I,  F.  503  Bl.  174«  vom  Jahre  1431. 


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ins 

KEICH  s.  277;  278;  279.  320.  Y reicher  y kerger  IS. 

321.  Wer  do  hot,  das  do  klinget,  her  vindet  wol,  das  do  synget  8. 

322.  Wer  do  hot  dy  do  clyngeu,  der  fynt  och  dy  do  sj-ngen  13. 

323.  Diligitur,  colitur,  quem  sors  illuminat  ere,  Despicitur, 
premitur,  qui  pauca  videtur  habere  5. 

324.  Dum  diues  loquitur,  quamuis  sit  inops  racionis,  protinus 
auditur,  laudatur  ut  os  Salomonis  5. 

325.  Diues  diuicias  non  congregat  absque  labore,  non  tenet 
absque  metu,  non  perdit  absque  dolore  3. 

REIHEN  326.  Der  ist  gut  an  den  reyen  zeu  brengen,  wer  do  gerne 
tantzt  8. 

ROM  327.  Roma  die  vna  non  est  tota  bene  edificata  (J. 

328.  Rom  ist  niclit  yn  eynem  ior  gebawet. 

RÜHE  s.  200;  207.  RUTE  s.  213. 

SACK  s.  83;  84.  329.  Dicitur  in  proverbio:  Melius  est  saecus  in 
collo,  quam  plaga  in  dorso  7. 

SAU  s.  8.5.  SÄUBERLICH  s.  388.  SAUER  s.  302;  .303. 

SCHAF  s.  68;  188.  330.  (ieföger  schofle,  der  gehn  vil  yn  eynen  stal  13. 
SCHALK  s.  42;  43;  117;  441;  442;  445.  331.  focke  dich,  man 
sucliit  schelke  8. 

332.  Tücke  dich,  man  suchet  schelke  13. 

333.  Das  man  eyn  schalk  wyl  vndyr  dy  banck  stußen,  zo  rayn 
io  ym  dy  sehn  her  für  13. 

334.  Eyn  schalg  krewcht  zu  winkel  8. 

335.  Der  kommt  nicht  zu  lichte,  her  hot  etwaz  gebrawen  8. 
SCHARF  336.  Alezu  scharff  wyrt  gerne  scharfltig  adyr  scherticht  13. 
SCHATTEN  s.  19;  20;  21.  SCHEFFEL  s.  151. 

SCHEUNE  337.  Eyn  eyne  schewne  gehört  hew  8. 

SCHI.MPF  338.  Wen  der  schymp  am  besten  ist,  zo  zal  man  off  horin  2. 
SCHLICHT  339.  Siecht  vnd  gerecht  ist  got  beheigelich  2. 

340.  Siecht  vnde  recht  behagit  gote  am  aller  bestin  8. 

341.  Siecht  vnd  gerecht  übet  got  vnde  ist  das  allerbeste  13. 
SCHMER  s.  194;  195. 


322.  Huc  proTerbium  habet  veritatem  in  lutinistis  et  citharistis  et  fistulatoribua. 

Sic  per  larga  mimera  reges  ao<juisierunt  uiagnam  laudeni  et  honorem. 

827.  Hätzleriu  137  b;  Ea  ward  Korn  gestifftet  nicht  aines  tages,  als  man  da 
gicht;  Tnniciiis  Nr.  2G2:  Collen  wort  up  einen  dach  nicht  getimmert. 
338.  Keinardus  Vulpes,  cd.  Mone  1832;  4,  770;  Ludus  omittatur,  dum  liquet 
esse  bonum. 


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SCHMIEREN  S42.  Der  do  sehmert,  der  fert  13. 

SCHNEE  343.  Der  weyße  sne  vorbient  dy  owgen  8. 

344.  Der  schny  vorblendet  dy  ogen  13. 

SCHUH  s.  222.  345.  Her  bint  den  schnell  mit  bastlie,  der  i.-;  gelden  muß  2. 

346.  Her  bynt  dy  sohu  mit  beste,  der  i.s  gelden  muß  8. 

347.  Her  bynt  dy  sehu  mit  beste,  der  sy  beczalen  raiiß  13. 

348.  Nymant  wes,  wen  der  schuch  drilcket,  wen  der  yn  an  hot  13. 
SELBST  349.  Selber  thnt.  Selber  hot  8. 

350.  Eyn  yder  man  vor  sich  selber,  got  vor  vns  allen  8. 

351.  Eyn  yder  man  vor  sich,  got  vor  vns  alle  13. 

SELTEN  352.  Was  do  zeldyn  geschit,  das  seynt  weyte  mehre  13. 
SINGEN  s.  321;  322;  400;  410;  411;  412. 

SONNE  s.  50;  311;  312;  313;  354;  355. 

SPECK  353.  Ys  ist  aus,  das  man  speck  of  kolyn  brit  13. 

SPINNEN  354.  Is  wirt  nymmer  so  kleyne  gesi>onnen,  is  kommt 
dach  an  dy  Zonen  8. 

355.  Is  wyrt  nymmer  alzo  cleyne  gespunnen,  ys  kommet  an  dy 
sonne  13. 

SPRUNG  356.  Snelle  sprunge  synt  zu  iiiehte  gut  8. 

STALL  s.  330;  404;  405. 

STEIGER  357.  Gute  steyger  fallin  gerne,  gute  kempher  werdin  gerne 
irmoet  8. 

STEIN  8.  40().  358.  Dicitur  proverbialiter:  Duo  lapides  duri  raro 
molant  bene  11. 

359.  Czwene  herte  steyne  dy  malen  seiden  deyne  11. 
STRECKEN  s.  16‘J. 

STREICH  360.  Arbor  per  primum  nequaquam  corruit  ictum  1. 


342.  de  illis  qui  diligunt  innnera. 

34G.  Hoc  dicitur  de  lajcis,  agricolis,  vincatoribiis,  qui  omnia  solvant,  que  prin- 
cipi’S  et  reges  consumunt.  Ipsi  enini  tarn  cibum  quam  putum  labore  suo 
acquirunt. 

349.  Kroue  fi809:  Selbe  tete  selbe  habe;  Berthold  1 92,36:  Selbe  tote,  selbe 
bete;  Heuer  24,40;  Selb  tet,  selb  hab;  Tunicius  Nr.  1139:  Sulven 
doen,  sulven  hebben. 

353.  Den  Speck  kann  man  nur  auf  Kohlen  braten. 

354.  Bauer  49,55:  Nie  wart  sö  klein  ges]iunuen,  ez  ka'iu  etswcnn  zu  aiinoen. 

357.  Freidank  115,  1 : Swer  stiget,  der  sei  vörhten  val. 

360.  Auch  in  Mones  Anz.  7,505;  Tunicius  Nr.  215:  De  bom  en  velt  nicht  van 
dem  ersten  slagc. 


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105 


STROH  361.  Anlet  de  facili,  si  stramen  iungitur  igni  10. 

SÜSS  362.  Söße  byssen  sawyr  schlig  13. 

363.  Söße  schlig  hot  sawyr  schmagk  13. 

TANZ  s.  70;  71;  326. 

364.  Vor  dich,  vor  dich,  noch  deyner  pfeyfte  tancze  ich  nicht  8. 

365.  Vor  dich,  vor  dich,  noch  deyner  pfeiffe  tancze  ich  nicht, 
vnde  dorumme  vordencke  mich  nicht  13. 

366.  Noch  süßem  dün  yst  gut  tanczen  13. 

TÄUSCHEN  3.  133;  134.  367.  Wer  den  andern  tensschet,  der  ist 

seyn  ineister  13. 

TEUFEL  s.  421 ; 422.  368.  Man  darff  nicht  den  thewfel  an  dy  vant 
molen,  man  hekumpt  sein  dennoch  wol  2. 

369.  Man  darft’  den  tewfil  nicht  an  dy  want  molen  8. 

370.  Man  darff  den  tenffel  nicht  an  dy  want  molen, 
her  korapt  wol  vngemolt  13. 

371.  Man  mus  den  teufil  feilen  mit  gotis  kralft  8. 

372.  Wen  der  thewfel  sehenden  wil,  dem  henget  her  eynen 
langen  mantel  an  2. 

373.  Wen  der  te>vfil  sehenden  wyl,  dem  hengt  her  yn  langen 
mantil  an  8. 

374.  Den  der  teüffil  sehendyn  wil,  dem  henget  her  eynen  langyn 
mantyl  an  13. 

375.  Wo  der  tewffil  nicht  hyn  kan,  do  sendet  her  seynen 
knecht  hen  8. 

376.  Dum  demon  languebat,  dixit  bonu.s  esse  uolebat. 

Do  der  tewffel  genass,  do  was  er  alss  er  ee  wass  10. 

TIEF  s.  100. 


361.  Vgl.  Freidank  121,3:  Morolf  II  434;  Jnng.  Titiircl  5776,3;  Trojaner 
Kr.  8659. 

363.  (^uod  de  mane  cibus  raldc  bene  sapit,  sed  in  vespere  angit  et  gravat. 

365.  Proverbium  cst  illoruni,  qui  sunt  capitosi  et  frontosi  nolcutes  sequi  con- 
silia  aliuruni. 

373.  Hoc  dicitnr  coumiuniter  contra  tales,  qui  aliquando  sublimantur  honoribus 
et  poslea  deprehcnduntiir  in  ])Ublici.s  peecatis  deli(|Uisse. 

375.  Wackernagel  D.  Leseb.^  1 855  (=  Diutisca  I 324):  Do  der  tiufel  nit  hin 
mag,  dö  sent  er  sinen  botlen  hin;  Tunicius  Nr.  195:  War  de  duvel  nicht 
en  kumt,  där  sent  he  synen  boden.  Als  der  Teufel  Christum  nicht  ver- 
fuhren konnte,  sandte  er  die  Pharisäer. 

376.  Vgl.  Froidank  137,20:  Ein  wolf  was  siech;  do  er  genas,  er  was  ein 
Wolf  als  er  e was. 


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106 


TOD  377.  A^siduam  pestem  morti.s  tibi  credito  festem  3. 

378.  Hic  locus  est  flendi,  locus  est  peccata  luendi. 

Fac  bene,  dum  viuis,  post  mortem  vivere  si  vis  3. 

TON  s.  87;  88;  89;  366. 

TOK  s.  7;  140.  379.  Fst  fatuus  talis,  ijuem  decipit  ars  monialis. 
Est  fatuus  fateor,  quem  caluos  vrgit  et  v.vor. 

380.  Torheit  macht  erbej-t  8. 

381.  Torheyt  machit  crbeyt  7. 

TRAUER  s.  236;  310;  314.  TRAURIG  s.  8. 

TREIBEN  382.  Also  wir  iss  treybin,  also  gehit  is  vnss  8. 
TROPFEN  383.  Ich  mente  is  hette  getreppilt,  alzo  hot  gereyneth  13. 
TROST  384.  Noch  guttim  tröste  kommet  (vel  volget)  alle  selikeyt  8. 

385.  -411e  vnser  trosl  leyt  an  dir;  lest  du  vns,  so  sey  wir  ge- 
lossen  8. 

TRUNKEN  s.  1 8.  386.  Eyn  trunckyn  inunth,  retli  des  herczyn  grunth  1 3. 

387.  Eyn  trunken  man  ist  nicht  kalplleysch  8. 

TUN  388.  Thu  suberlich,  zo  n^TUpt  man  dich  13. 

TÜR  389.  Wer  sich  zcwissen  thoyr  vnde  angel  mengt,  der  queczet 
sich  gerne  8. 

ÜBERMUT  390.  Dicitur  in  proverbio: 

(iui  mittit  lapideni  in  altum,  super  capud  eins  cadet  11. 

391.  Wer  sich  ober  wil,  der  oberwirft  zieh  2. 

392.  ^ 'ir  videas,  quid  tu  iubeas,  dum  magnus  haberis; 

Et  caueas,  ne  forte  nias,  dum  stare  videris. 

Prospicias,  ne  despicias,  que  ledere  queris: 

Dat  varias  fortuna  vias,  non  ergo  mireris  b. 
ÜBERSPRINGEN  393.  Wer  do  nicht  obin  hyn  kan,  der  muß  vnder 
durch  krichen  8. 

394.  Wer  do  nicht  obir  springen  kan,  der  kriche  vnder  8. 

395.  Wer  do  nicht  vberspringen  kan,  der  kriche  vnder  13. 
ÜBERWINDEN  396.  Der  den  andern  vbyrmag,  der  stust  [in]  yn 

den  sag  13. 

UNGLÜCK  s.  165. 

UNFLAT  397.  Man  darff  nicht  vnflot  in  den  pelz  seczen  2. 

379.  Aus  cod.  ms.  IV.  Q.  179  v.  .1.  135G. 

384.  Wigalois  74.  31 ; Guot  tröst  was  io  lo  ncEl<’n  guot. 

386.  Tunicius  Xr.  442  u.  1330;  De  viillc  niunt  aprikl  des  berten  graut. 

397.  Tunicius,  Xr.  520:  Men  höret  nicht  de  vlo  in  den  pels  to  setten ; 
I>.  Go  mölke,  Sprüebw.;  Ich  wölte  mer  Luise  .am  Peltr  setzen. 


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107 


URSACHE  398.  Nyst  nicht  geschyt  ane  zache  8. 

399.  Nyssthen  geschrt  ane  sache  13. 

VATERLANU  s.  175,  176,  177,  178. 

VERDERBEN  400.  Vil  vortyrbet,  das  man  nicht  wyrbet  13. 

401.  Vorterbyn  thut  gar  wy  13. 

VERDRIESSEN  402.  Wen  es  rordreust,  der  ge  syn  abe  13. 
VERGELTUNG  403.  Qnid  sibi  quisque  serit  presentis  tempore  vite. 
Hoc  sibi  messis  erit.  cum  dicitur:  Ite,  venite  10. 
VERLUST  404.  Wen  man  das  f)  e vorlewst,  zo  bessert  man  den  stal  2. 

405.  Wen  man  das  phertd  vorlaust,  so  bawt  man  den  stal  13. 
VERTRAUEN  406.  Ich  vorlosse  mich  dor  uff,  ich  habe  ouch  eyn  steyn 
in  dem  brethe  8. 

VERZICHTEN  407.  Ich  gehe  is  (lohen  8. 

VIEH  s.  104. 

VOGEL  408.  Dicitur  in  proverbio:  Magneaveshabent  magnos  nidos  11. 

409.  Man  spricht  jti  deme  sprichworte : 

Cantat  auis  queuis  sicut  rostrum  sibi  creuit  7. 

410.  Also  der  fogel  ist,  alzo  singet  her. 

411.  Als  der  fogil  ist,  alzo  synget  her  13. 

412.  Der  fogeier  süsse  synget,  wenne  her  den  fägeler  wyl  be- 
trigen  8. 

WACHSEN  413.  Wenestu  das  lewte  off  bowmen  wachs.sen?  8. 
WÄHREN  414  Ys  wert  dy  lenge  nicht  13. 

WAHRHEIT  415.  Propter  veritatem  nostrum  perdidimus  fratrem  3. 

416.  Wer  dy  woret  fet,  dem  wyrt  man  gerne  gram  13. 

417.  Wer  do  die  worheit  reth,  dem  wirt  man  gram  8. 

418.  Wer  do  reth  dy  worheyt,  der  secze  seyn  hoff  von  danne 
we_vt  8. 

4(X).  Freibergs  Trist.  4847;  Wan  manic  dinc  verdirbet,  des  man  niht  enwirbel: 
Walther  (ed.  Lachmann)  lOG,  15:  War  vil  verdirbet,  des  man  nicht 
enwirbet;  Cato  (ed.  Zacher)  v.  457:  Manie  dinc  verdirbet  derz  niht  von 
erste  wirbet. 

4Ü1.  Istiid  proverbium  habet  veritatem  in  superbia  temporali. 

404.  TuniciusNr.  1328:  War  ummo  slnst  du  den  stal,  als  de  page  is  enwege. 
409.  Sachsensp.  praefatio  45:  der  vogel  singet  als  im  der  munt  gewaczen  steil 
zu  sänge. 

411.  Aus  cod.  ms.  IV.  Q.  41  Bl.  35r.  v.  J.  1451;  aus  der  Bibi,  der  Äugu.stiner- 
Chorherren  zu  Breslau. 

412.  Cato  (cd.  Zacher)  Disticha  1,27;  Noli  homines  blando  nimium  sermone 
probire:  Fistula  dulce  canit,  voluerem  cum  decipit  auecps. 

413.  Vgl.  Zfd  Vnterr.  14,  214  u.  735—739. 


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108 


WAISE  s.  444. 

WARM  419.  Halt  dich  warm,  so  treust  dich  nicht  13. 

WAND  s.  3()8;  369;  370. 

WASSER  420.  Yn  snlchem  wasser  sheyt  (?)  man  sulche  fysche  8. 
WECHSEL  s.  301. 

WEIB  421.  Demonis  antiqua  asperialus  est  femina  rasa  6. 

422.  Eyn  alt  weyp  hoch  beschorn  i.st  des  tewfels  einhoni  6. 

• 423.  Eyn  ald  weyb  vnde  eyne  schossil  korp,  do  ist  wenig 
l'rewden  jTme  8. 

WEILE  424.  Wer  dy  wele  hot,  der  nyrapt  das  beste  13. 

WEINEN  s.  96;  101;  ‘218;  235. 

425.  Wer  do  hynden  noch  weynet,  deme  ist  so  we,  alzo  der  do 
vor  weynet  (ader  gewevnet  hat)  8. 

426  Vnselde  vnd  betrubnis  lernet  wenen  13. 

WEISE  427.  Wer  dy  weyze  weis  vnd  kan,  der  fftrt  dy  brawt  heym  2. 

428.  Wer  dy  weysze  kan,  der  ffiret  dy  mayt  beym  8. 

429.  Der  dy  weyse  kan,  der  furt  dy  braut  hem  13. 

WEISHEIT  430.  Dum  sapiens  loquitur,  attendit  tempus  et  horam, 

Sed  nunquam  stultus  quorit  adesse  moram  5. 

431.  Vilibns  induuys  sapiencia  nulla  videtur, 

Quamuis  sit  sapiens,  pro  stulto  nudus  habetur  5. 

432.  Anus  et  annus  abit,  semper  sapiencia  stabit  1. 

WENN  433.  Si  „nisi“  non  esset,  perfectus  quilibet  esset, 

Sed  nondum  visi,  <(ui  caruere  „nisi“  14. 

WIND  s.  263. 

434.  Starcke  wynde  vnd  dorre  holcz,  dy  helffyn  dem  fewyr  off  13. 
WILLKOMMEN  435.  Wylkomen  sath  vnde  esze  gerne  8. 

436.  Wilkommen  sat,  vnde  ese  gerne  13. 

WIRT  8.  117.  437.  Hospitis  absencia  dat  nobis  incommoda  raulta  3. 

438.  Wo  eyn  man  hyn  kompt,  do  fvnt  her  den  wirt  do  hejme  2. 

439.  Wo  eyn  man  hyn  konirnit,  so  ist  der  wirt  do  heyme  adir 
kommet  gar  schire  8. 

440.  W''o  man  hyn  kommet,  do  fynt  man  den  wyrt  do  heme,  abe 
kommet  gar  schire  13. 

441.  Wol  dem  wirte,  do  dy  geste  from  sejm  vnde  wee  deme 
wirte,  do  dy  geste  schelke  seyn  8. 

442.  Wol  dem  wyrte,  do  dy  geste  from  seyn,  vnd  wy  dem  w)Tth, 
do  dy  geste  scheke  seyn  13. 

442.  contra  instabib'S  svruos  et  ancillas. 


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109 


WISSEN  443.  Is  ist  gut  etwass  zu  wissen  8. 

WITWE  444.  Witliwen  vnde  weyszin  sal  man  neszin  (?)  8. 

WOLF  s.  249.  445.  Der  wolff  der  wandelt  den  balc  vnde  nicht 

der  (!)  schalk  8. 

446.  Was  man  saget  dem  wollte,  zo  spricht  her  allezceit:  lamp, 
lamp  13. 

447.  Fronte  lupi  visa  credatur  cauda  propinqua  3. 

448.  Advenit  ecce  lupus,  dum  mencio  fit  sepe  eius  (!. 

449.  Wen  man  des  wolies  gedenkit.  so  komt  her  gerne  6. 

450.  Wen  man  des  wolffis  gedencket,  zo  kommt  her  schire  8. 

451.  Wen  man  des  wolffes  gedencket,  zo  kompt  her  gern  13. 
ZEIT  452.  Man  mus  die  czeit  nemen  alzo  sie  kompt;  wirt  isz 

jTiimir  besser,  zo  neme  wirs  ouch  8. 

ZIEGE  453.  Man  darft'  myt  dem  czickelen  of  den  margkt  nicht  eilen, 
wen  her  vorkoft  ys  wol  jm  der  gassen  13. 
ZUFRIEDENHEIT  454.  Non  est,  aliquis  in  mundo,  qui  dicit  .se: 
habundo  10. 

ZUNGE  s.  306;  307;  308;  309. 


Im  Kräuterladen 

Von  Karl  Bother. 


L'm  einmal  zu  sehen,  was  noch  heutzutage  an  Heilkräutern 
wirklich  gekauft  wird,  gegen  was  für  Krankheiten  sie  angepriesen 
nnd  angewendet  werden,  und  unter  welchen  Namen  sie  feilgehalten 
werden,  ließ  ich  mir  den  gesamten  Inhalt  einer  der  wenigen  hier 
in  Breslau  vorhandenen  Kräuterbuden  zeigen,  benennen  und  die 

443.  Sci-uudum  Catonis;  Scir»  aliquid  laus;  vgl.  Cato  (cd.  Zacher,  p.  182) 
Dist  IV,  29. 

445.  Siielonius  Ve.spasian  XII:  Vulpes  pilum  mutat,  non  uiores. 

448.  Wackernagel,  D.  Leseb.*  I,  835. 1 7 : Sö  inan  den  wolf  nennet,  sö  er  zu 
drenget;  I).  Gomolke,  Sprnchw.:  Wenn  ina  s Wullles  gedenckt,  su  kümnit 
a;  vgl.  Terenz,  Adelphi  IV  1 : Lupus  in  Fabula. 

')  Vergl.  Walter,  „Ein  Besuch  vor  4<i  .laliren“  Milt.  VIII,  4.  Patschovskj, 
„Volkstüniliihe  Zimmer-,  Feld-,  und  Waldpflanzen  im  Liebauer  Tale“,  Mitt.  XI, 
186fl‘.  Vor  allem  vgl.  Dr.  K.  Olbrich'»  treffliche  „Beobachtungen  ttbcr  den 
Bchlcsischcn  Bauerngarlen“  (Mitt.  XVI,  GG— 84),  mit  denen  die  folgenden  Dar- 
stellungen viel  Gemeinsames  zeigen. 


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110 


Art  der  Anwendung  angeben.  Was  ich  gesehen  und  gehört,  gebe  ich 
getreulich  in  derselben  bunten  Reihenfolge  und  auch  in  der  Form 
wieder,  daß  die  Pflanzen  für,  nicht  gegen  eine  bestimmte  Krank- 
heit seien.  Ich  füge  nur  den  son.st  gebräuchlichen  deutschen  und 
den  botanischen  Namen  und  einige  Bemerkungen  in  kleinerem 
Druck  bei. 

Sonst  wurde  mir  gesagt,  daß  da  nicht  nur  die  verschiedensten 
Heilkräuter  vorhanden  seien,  sondern  auch  solche  getrocknete  Pflanzen, 
die  als  Gewürze  dienten  oder  als  Tee  zum  Abendbrot  getrunken 
würden.  Leute  mit  schwachen  Nen’en  trinken  solchen  Tee  statt  des 
russischen.  Einer  sage  dem  andern,  dies  oder  das  habe  ihm  geholfen. 
So  kämen  Vornehme  und  Geringe  kaufen,  und  des  Menschen  Wille 
(Glaube)  sei  sein  Himmelreich.  Alles  fände  dabei  guten  Abgang. 
Der  Wegetritt  — die  Wegwarte  oder  wilde  Zichorie,  Cichorium 
Int)'bus  — ist  gut  für  die  Nieren. 

Der  Beifuß  — Artemisia  vulgaris  — wird  als  Gewürz  zum  Gänse- 
braten genommen,  ist  aber  auch  gut  für  Gallensteine  und  Leber. 
Die  Schafgarbe  — Achillea  Millefolium  — ist  blutreinigend,  für 
den  Husten  und  für  alles. 

Die  Odermänige  — der  Odermennig,  Agrimonia  Eupatoria  — für 
Leberleiden,  schmeckt  aber  auch  so  sehr  gut.  schokoladenartig. 
Die  Pißblume  — Grasnelke,  Armeria  vulgaris  — für  Blasenleiden. 
Das  Zinnkraut  oder  Schachtelhalm  — Ackerschachtelhalm, Equisetum 
arvense  — für  Blasenleiden  und  Nieren.  Her  Name  Zinnkraut  dnrfte 
erst  durch  Kneipp  nnter  das  Volk  gekommen  sein,  das  diese  Pflanio  früher 
nur  Katzenzahl,  also  Katzenschwanz  (zagel  — Schwanz)  benannte.  Alte 

Leute  berichteten  mir,  daß  man  in  der  Frankensteiner  Gegend  für  Knh- 
sebwanz  auscblieUlich  ttäl  oder  < Uidhin  sagte,  was  auch  Knötel,  Schles. 
Prov.  Blätter  1871  bestätigt:  auch  heute  spricht  man  in  Breslau  beim 
Fleischer  ja  noch  vom  to?/. 

Die  Wacholderbeeren  — von  .Tunipenis  communis  — sind  für  die 
Nieren.  Auf  die  glühende  Platte  geworfen,  beseitigen  sie  den 
schlechten  Geruch,  wenn  etwas  flbergelaufen  ist.  Mir  selbst  sind  siu 
als  Imagcnstärkendes  Mittel  bekannt.  Um  Neustadt  und  in  Österreich- 
Schlesien  bereitet  man  daraus  den  jochSnlo/o/t,  den  Hausierer  in  ganz  Schlesien, 
auch  in  Breslau,  „für  alles“  aiipr.’isen. 

Die  Wacholdernadeln,  zum  Baden  und  Trinken,  sind  wassertreibend. 
Das  Tausendgüldenkraut  — Ervtliraea  Centaurium  — ist  für 
den  Magen. 


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111 


Die  Bärentraubenblätter  — BäreDtraube,  Arctostaphylus  Uva 
ursi  — sind  wassertreibend. 

Das  Johanniskrau’t,  bei  Militsch  Liebeskraut  genannt  — Hypericum 
perforatum  — ist  blutbildend  (?),  für  die  Wassersucht,  auch  für 
die  Gelbsucht.  Bei  Camenz  heißt  die  Pflanze  Blutreinifc’unjrstee. 

Die  Kornblume  — volkstümlich  Ziegenbein,  ts1ja(>fn,  t'entaurea 
Cyanus  — ist  augenstarkend  und  blutreinigend. 

Der  Augentrost  — Euphrasia  officinalis  — wird  mit  Kornblume 
und  weißer  Lilie,  (gemeint  waren  die  Blfitcnblatter  der  weißen  Seerose,) 
auf  Kombranntwein  aufgesetzt.  Damit  werden  die  Augen  ein- 
gerieben. 

Das  Pfefferkraut  — Satureja  hortensis  — tut  man  als  Gewürz 
zu  den  Schnittbohnen;  auch  dient  es  zum  Stopfen. 

Esdragon  — Artemisia  Dracunculus.  — 

Präsilikum  — Basilikum,  Ocimum  basilicum  — und 

Thymian,  der  echte,  angebaute,  Thymus  tnilgaris  — sind  nen'en- 
stürkend,  dienen  aber  auch  als  Gewürze. 

Der  Quendel  — volkstümlich  Iwunla,  Thymus  Serpyllum  — dient 
zum  Baden  für  Kinder;  ist  sehr  stärkend. 

Der  Majoran  — volkstümlich  mdiron,  Origanum  Majorana  — , man 
gibt  ihn  als  Gewürz  zur  Wellwurst  und  zum  Gänsebraten;  er  gibt 
auch  einen  krampfstillenden  Tee. 

Die  Gurkentille  — der  Dill  volkstümlich  gdrkatih,  Anethum 
graveolens  — heilt  auch  die  Wassersucht. 

Die  Steinnelke  — Dianthus  deltoides  — ist  für  die  Gallensteine. 

Der  Ginster  — Färberginster,  Genista  tinctoria  — ist  für  Husten 
uud  Lungenleiden,  auch  für  die  Wassersucht. 

Der  Baldrian  — Valeriana  offic.  — ist  krampfstillend  und  nerven- 
stärkend. 

Die  Pfeffermünze  und  Krausemünze  — Mentha  piperita  und 
M.  crispa  — sind  krampfstillend  und  gut  für  den  Magen,  sie 
werden  auch  als  Tee  zum  Abendbrot  getrunken. 

Stiefmüttern  — Stiefmütterchen,  Viola  tricolor  — , 

Weiße  Quecken  — Triticum  repens  — und 

Nußblätter  — von  Juglans  regia  — sind  blutreinigend. 

Preisselbeerblüte  — Vaccinium  Vitis  idaea  — ist  blutreinigend 
und  wird  als  Tee  zum  Abendbrot  getrunken. 

Die  Holunderblüte  — von  Sambucus  nigra  — dient  zum  Schwitzen. 


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112 


Die  Lindenblüte  — von  Tilia  platyphyllos  — ist  schweißtreibend, 
gegen  Husten  und  dient  auch  als  Tee  zuin  Abendbrot. 

Der  Salb  ei  — Salvia  offic.  — dient  zum  (lurgeln  bei  Halsschmerzen, 
auch  als  Gewürz  zum  Schöpsertleisch. 

Die  schwarze  Malve  — die  Rlüten  der  Pappelrose,  Althaea  rosea 

— dient  bei  Halsschmerzen  zum  Gurgeln  und  Trinken. 

Kahnelblätter,  die  Blätter  der  weißen  Wasserlilie,  — Seerose, 

Nymphaea  alba  — dienen  zum  Auflegen  bei  Geschwüren;  sie  be- 
nehmen die  Hitze;  die  Blfltenblätter  sind  für  die  Augen.  (Siehe  oben) 

Die  Männertreue  — Eringium  campestre  — dient  zum  Ausräuchem,. 
wenn  jemand  glaubt,  verhext  zu  sein;  dazu  werden  neunerlei 
Kräuter  genommen. 

Der  Kalmus  — Acorus  Calamus  — dient  zum  Baden  für  Kinder 
und  ist  fürs  Reißen;  die  Wurzel  ist  gut  für  den  Magen. 

Die  Petersilie  — Petrosilinum  sativum  — ist  wassertreibend,  aber 
nur  für  Kinder,  da  sie  nur  schwach  wirkt. 

Die  Hagebutten  — Früchte  von  Rosa  canina  — volkstümlich 
hänhuta  — dienen  zu  Suppen  und  Tunken;  auch  sind  sie  fürs 
Wasser  und  blutbildend. 

Huflattichblüten  und  -blütter  — von  Tussilago  Farfara  — sind 
schleimlösend  und  für  den  Husten. 

Die  weiße  Taubnessel  — Lamium  album  — Kraut  und  Blüten 
sind  gegen  Ausfluß. 

Die  Sen  nesb  lätter  und  auch  die  Sennesschoten  oder  Mutterblätter 

— /amubletf,  von  verschiedenen  Arten  von  Cassia  — dienen  zum 
Abführen.  Vom  Schriftsti'llcr  Krelschuicr  wird  mir  mil«eteilt,  dalS  man 
mit  „MutU-rblalt“  auch  den  Frauenmantel  — Alclicmilbi  vulgaris  — bezeichne, 
der  al.-i  Tee  ziim  Abführen  besonders  Kindern  gegebou  werde. 

Die  Faulbaumrinde  — von  Rhamnus  Frangula  — zerkleinert 
nimmt  man  ebenfalls  zum  .\bfflhren. 

Gartheil  — volkstümlich  yarifl,  ein  in  botanischen  Büchern  nicht 
aufzufindender  bei  uns  aber  sehr  gebräuchlicher  Name.  Das  Kraut 
wird  von  den  Drogisten  als  Herba  Abrotani  geführt  und  kommt 
von  einem  im  südlichen  Eurojia  heimischen,  bei  uns  in  Gärten 
gezogenen,  gewOrzhaft  duftenden,  strauchartigen  Gewächse,  sonst 
Eberraute.  Artemisia  Abrotanum,  genannt,  — ist  gut  für  die  Lungen. 

Eibisch  — Althaea  otfic.  — • Süßholz,  — GlycjTrhiza  glabra  — 
und  Anis  — Pimpinella  Anisum  — geben  einen  guten  Brusttee, 
gut  gegen  Husten. 


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113 


Kümmel  — Carum  Carvi  — und  Fenchel  — Poeniculum  offic.  — 
wirken  beruhigend.  Sie  sind  für  kleine  Kinder  gegen  Unruhe  ira 
Leibe. 

Der  Waldmeister  — Asperula  odorata  — wird  zu  Tee  und  Bowle 
verwendet.  Außerdem  wird  er  in  Zigaretten  geraucht.  „Das  ist 
billiger,  unschädlich  für  die  Lungen  und  schmeckt  viel  besser.“ 

Heil  aus  dem  Grunde  — das  schien  mir  Tormentilla  erecta  L. 
zu  sein,  — gegen  alles,  besonders  gegen  Hasten. 

Himbeer-  Broml)eer-  und  Erdbeerblätter  werden  als  Tee  statt 
des  russischen  getrunken. 

Das  Lungenkraut  — Pulmonaria  offic.  — ist  gut  für  die  Lungen 
und  gegen  Husten. 

Ehrenpreis  — Veronica  Chamaedrj's  — und  Beifuß  — Artemisia 
vulgaris  — werden  gegen  Gallensteine  getrunken.  „Ehrenpreis 
macht  Lungen  und  Leber  weiß.“ 

Der  iSanikel  — Sanicula  europaea  — ist  gegen  Lungenschwindsucht. 

Kordabenedikte,  nur  angebaut  vorkoininend,  — Carduus  benedictus 
ist  gut  für  den  .Magen. 

Arnika  — Arnica  rnontana  — mit  Spiritus  aufgesetzt,  dient  als 
„Einreibe“  gegen  Rheumatismus.  Mir  .selbst  als  fiben-.ssehend  wirkendes 
Hcilniiltcl  bei  frischen  Sclinitlwiindi'n  bekannt. 

Täscbel  — Täschelkraut,  großer  Kla]>itertopf,  Alectorolophus  niajor 
— ist  blutstillend. 

Der  Rosmarin  — Rosmarinus  offic.  — ist  gegen  Rheumatismus. 

Die  mittlere  Wegebreite  — Plantago  media  — und 

Der  Spitzwegerich  oder  Ri])penkraut — auch  Lungenkraut,  volks- 
tümlich wilthrl/jakrotM  genannt,  Plantago  laneeolata  — sinil  gegen 
Husten;  letzteres  auch  gut  für  die  Lungen. 

Kastanien  — die  Früchte  von  Aesculus  Hippocastanum  — geschält, 
geschnitten  und  mit  Spiritus  aufgesetzt,  sind  fürs  Reißen;  ebenso 
die  Kastanienblüte.  Mir  ist  bekannt,  dali  Kastanien,  an  eine  Schnur 
gereiht,  als  Halsband  gegen  Reißen  getragen  werden. 

Die  blaue  Glockenblume  — Campanula  medium  — dient  zum 
Baden.  Dem  gleichen  Zwecke,  aber  unter  dem  Namen  Fingerhut 
gezeigt,  soll  die  rundblättrige  Glockenblume,  Campanula 
rotundifolia,  dienen. 

Die  Brennessel  — Urtica  dioeca  — und 

Die  Iter-  oder  Hflternessel  — Hirtcnnessel,  mundartlich  h^rtanesal 
U.  urens  — sind  beide  schleimlösend. 

MitUilungea  d.  schles.  Ges.  f.  Vkde.  Band  Xil  (Heft  1)  ^ 


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114 


Die  Wassermelisse  — Melissa  offic.  — ist  gegen  den  Husten. 

Katzenpfötchen  — Gnaphalium  dioecum  — sind  gegen  das  Wasser 
(d.  li.  wassertreibend.) 

Die  Aberdistel.  — Eberdistel,  Kugeldistel,  Carlina  acuulis  L.  — 
„Wenn  nichts  melir  liilft,  da  hilft  Aberdistel.“  Im  Pflanzenbuche 
von  I)r.  Dulitsch  fliide  ich  die  Bemerkung:  Yen  Karl  dem  Großen  ist  sie  als 
Mittel  gegen  die  Pest  empfehlen  worden. 

Die  Schwarzwurzel  — Symphytuin  offic.  — ist  gegen  Husten  und 
für  die  Lunge. 

Der  Lavendel  — Lavandula  spica  — ist  nervenstärkend;  wird 
auch  als  Tabak  geraucht. 

Die  Kamille  — Matricaria  Chamomilla  — ist  krampfstillend. 

Der  Gundermann  — Glechoma  hederaceum  — ist  für  alles. 

Die  Blätter  der  Silberpappel  — Populus  alba  — dienen  zum  Auf- 
legen bei  Geschwülsten;  sie  benehmen  die  Hitze. 

Lärbaum  — Lärchenbaum,  Larix  decidua.  — Nadeln  und  junge 
Zweige  sind  gut  für  die  Augen. 

Die  weiße  Nelke  — es  war  Seifenkraut,  Saponaria  offic.  — ist 
gegen  den  weißen  Fluß. 

Birkenblätter  — von  Betula  alba  — sind  wassertreibend  und 
blutreinigend.  Sonst  sind  frische Hirkcnblattcr  alsMittel  gegen  Klicumatismiis 
sehr  geschätzt. 

Das  Eisenkraut  — Verbena  offic.  — ist  gegen  Flechten.  Kurz 
einkochen  und  damit  schmieren. 

Der  Rittersporn  — Delphinium  Consolida  — ist  gegen  Stechen 
in  der  Brust. 

Ebereschenbeeren  — mundartl.  d/rcsa,  von  Pinis  Aucuparia  — 
wirken  harntreibend  und  dienen  auch  als  Vogelf'utter. 

Schlehenblüten  — von  Prunu.s  spinosa  — wirken  blureinigend 
und  fuhren  ab. 

Der  Bitterklee  — Menyantlies  trilbliata  — ist  gegen  verdorbenen 
Magen. 

Wermt  — Wermut,  Artemisia  Absinthium  — ist  ganz  ausgezeichnet 
für  den  Magen. 

Endlich  war  noch  vorhanilen 

Gras  bezw.  Heu  zum  Färben  der  Eier  und  eine 

„birkene“  Rute.  „Das  ist  oR  die  beste  .Medizin.“ 


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115 


Tra  Anschlüsse  hieran  möchte  ich  noch  einige  Pflanzen  anfflhren 
als  Ergänzung  zu  dem  Aufsatze  von  I)r.  Olbrich:  „Beobachtungen 
über  den  schlesischen  Bauern  garten.“  (Mitt.  Heft  XV^I,  (i(!)  Dabei 
habe  ich  den  Bauerngarten  im  Sinn,  wie  ich  ihn  seit  etwa  50  Jahren 
aus  meinem  Heimatsdorfe  Grunau  bei  Camenz  kenne. 

Fast  in  jedem  Stübchen  wurde  damals  dieGi  chtnesscl  — Plectran- 
thus  fruticosus  — „gegen  die  Gicht“  gezogen,  wohl  mehr  als  Abwehr- 
mittel; denn  von  einer  Anwendung  habe  ich  nie  etwas  gehört.  Heut 
ist  die  Pflanze  dort  kaum  noch  vorhanden,  aber  ich  sehe  sie  hier  in 
Breslau  öfters  am  Fenster  von  Kellerwohnungen.  Sie  wird  hier  mit 
dem  Namen  Mottenpflanze  belegt,  da  sie  die  Motten  vertreibe. 
(Nachträglich  wurde  mir  meine  Ansicht  mit  den  Worten  bestätigt: 
Wo  eine  Gichtnessel  steht,  da  kommt  keine  Gicht  hin.)  — Am 
Fenster  wurde  ehemals  auch  die  Auferstehungsblume  gepflegt, 
eine  einfache  Begonie,  deren  Spezies  ich  nicht  habe  ermitteln  können. 

Im  Gärtel  fehlte  als  Heilpflanze  nirgends  der  Eibisch  — Althaea 
offic.  — Er  wurde  wie  noch  gegenwärtig  als  schleimlösend  gegen 
Husten  angewendet.  Hier  und  da  fand  sich  die  schwarze  Pappel 
— Althaea  rosea  — deren  Blüten  aber  nicht  wie  oben  angegeben 
verwendet  wurden;  sie  dienten  vielmehr  zum  Aufweichen  von  Ge- 
schwülsten. Ein  beliebtes  Hausmittel  waren  die  Blatter  des  an 
Gräben  wach.senden  Froschlöffels  — Alisma  PlanUgo  — , mund- 
:irtlich  foelejl  genannt.  Getrocknet  und  dann  eingeweicht,  sollen  sie 
Geschwülste  aufweichen  und,  z.  B.  bei  Bienenstichen,  die  Hitze  be- 
nehmen. — Vom  Kainfarren  — volktOml.  nnw»r,  Tanacetum 
vulgare  L.  — wurden  die  BlüU'ii  als  Tee  gegen  Eingeweidewürmer 
gegeben. 

Im  Blumengarten  war  sehr  häufig  die  Feuerlilie — Lilium 
bulbiferum  — vertreten,  besonders  in  der  Grafschaft  Glatz,  wo  ich  sie 
auch  wildwachsend  in  einem  Kleefelde  in  außergewöhnlich  großen 
Mengen  angelroffen  luibe.  Ihre  Zwiebeln  müssen  dort  wohl  noch 
unter  der  Pflugsohle  gelegen  haben.  Für  die  Traubenhyazin  the  — 
Hyacinthiis  muscari  — habe  ich  vom  Volke  nie  einen  Namen  gehört. 
Eine  ausdauernde,  etwa  1,20  m hohe  Herbst aster  — Aster  sali- 
cifolius  — mit  zahlreichen  kleinen,  blaßblauen  Blüten,  wucherte  fast 
überall;  nur  kräftigere  Herbstfröste  vermögen  ihre  BlOhwilligkeit  zu 
beenden,  wogegen  die  Georginen  — Georgina  variabilis  — schon 
dem  ersten  Reife  zum  Opfer  fallen.  Sie  wurden  in  ihrer  alten,  ge- 
füllten, halbkugeligen  Form  von  einzelnen  Liebhabern  sehr  geschätzt. 

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116 


Als  „Karthäusern elkc“  wurde  die  Barlnelke  — Dianthus  bar- 
batus  — gepflegt,  mundartlieb  katiirf^malJu,  und  am  Zaune  stand 
die  besonders  gegen  Abend  so  herrlich  duftende,  aber  heut  kaum 
noch  beachtete  Nachtviole,  — Hesperis  matronalis  — . 

(blofatka  waren  die  Veilchen.)  (ieduldet  wurde  an  der  Mauer  oder 
in  einer  Ecke  die  Akelei  — Aquilegia  vulgaris. 

Von  Sommerblumen  waren  häufig  anzutreffen  die  heute  leider 
fast  vergessene  Jungfer  im  Grünen  oder  (Jretel  im  Grünen  — 
Nigella  damascena  — , Astern  nur  in  der  einfachen  Form  und 
Strohblumen.  Mit  Strohblumen  schmückt  man  das  trockene  Moos 
^ — mundartlich  <//•  mu-xt  — zwischen  den  Doppelfenstern. 

Als  Eigentümlichkeit  ist  es  wohl  zu  bezeichnen,  daß  damals 
Tulpen  in  der  ganzen  Umgegend  überhaupt  nicht  vorkamen. 

Als  Heckenzaun  oder  als  laubenartige  Bedeckung  des  Hauseinganges 
diente  häufig  die  Spanische  Weide  — Bocksdorn,  Lycium  flaccidum 
Much.  — Am  Zaune  stand  hie  und  da  als  Strauch  oder  Baum  der  Spil  1- 
baum  — Evonymus  europaeus.  Spillbaum  hieß  er,  weil  aus  seinem  Holze 
die  Spille  oder  Spindel  zum  Flachspinnen  gefertigt  wurde.  „Pfaffen- 
hütchen“ — mundartlich  fii/artfln  — nannte  man  seine  Früchte, 
die  vor  dem  Aufspringen  einem  roten  Priesk'rbarett  ähnlich  sehen 
und  als  „Rutkaflabeem“  — nUhiilahäm  — klebten  die  Jungen  seine 
gelben  Samenkörner  als  I>ockmittel  für  die  Rotkeblchen  mit  Butter 
an  den  Deckel  des  „Meisekastens,“  — mundartlich  nu'fxkosta. 

Wenn  auch  nicht  gerade  kennzeichnend  für  den  Bauerngarten, 
so  doch  für  volksetymologische  ümdeutung  bemerkenswert  ist  folgendes 
Beispiel:  Ein  Kornelkirschbautn  — Comus  mas  — stand  in  der 
Nähe  der  kleinen  Brücke  über  das  den  Garten  durchfließende  Bächlein. 
komUkershaom  hieß  er  iin  Munde  der  Leute;  aber  man  dachte  dabei 
nicht  mehr  an  die  ursprüngliche  Ableitung  von  Cornus  — Kornel- 
kirsche, als  vielmehr  an  „das  Kanal,“  konäl.  So  bezeichnet  man 
den  Durchlaß  unter  kleinen  Brücken.  Man  sagt  z.  B. : « koruU  müs 
gtrofmi  warn. 

Schließlich  seien  noch  ein  paar  eigenartige  volkstümliche 
Pflanzenbezeichnungen  aus  der  ('ainenzer  Gegend  angeführt: 
Zeller,  tsfhr,  für  Sellerie  und  Pasternak,  piUt»rnak,  für  Pastinak. 
Rauhbeeren,  nigbarn,  für  Stachelbeeren  — Hibes  Grossularia. 
Turteltauben,  torkAtagha,  für  Eisenhut  — Aconitum  Napellus. 

Tiiiibcben  wenien  die  2 lanegestielti'n  Kronenblälter  genannt,  die  innerhalb 

des  helinfbniiigen  Kelchblattes  stehen. 


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117 


Pannonichroscn,  panSnif^rüfa,  für  Pfingstrosp  — Päonia  offio.,  im 
Rieaengeb.  piim/alrufa. 

Ziegenbein,  ttnjalx-n,  für  Kornblume  — Centaurca  Cyanus. 

Schmirgel,  smerpal,  für  Dolterblume,  — Caltha  palustris. 

Huttermilchblume  für  Windröschen  — Anemone  nemorosa. 

Keilhacken,  k-adhaka,  für  Schlüsselblume,  Himmelschlüssel,  Primula 
elatior.  Dieser  Name  ist  sehr  kennzeichnend,  da  er  die  Stellung 
einer  Blüte  zum  Blütenstiele  ins  Auge  faßt. 

Himmelschlüssel,  hividMesla,  für  den  gelben  Sichelschneckenklec 
— Medicago  falcata. 

Pferdeaugen  oder  Taubenaugen  für  Skabiose  — Scabiosa 
Columbaria. 

Wilde  Rübenkraut,  icildirfbaJcrotidi,  für  Spitzwegerich  — Plantago 
lanceolata. 

tjUdigetila  für  Labkraut  — Galium  mollugo. 

Heil  aus  ’m  Grunde  oder  helpluta.^  für  Fingerkraut  — Potentilla 
erecta. 

Hasenbrot,  hiifabrot,  für  Frühlingshainbinse  — Carex  praecox. 

Sauerlumpe,  faoerlumpa,  für  Sauerampfer  — Rumex  acetosa. 

Hahnkrele,  hmheb,  für  Knäuelgras  — Dactilis  glomerata. 

tängrns,  für  Tennengras  — Polygonum  aviculare. 

Pluderhosen,  plüd»rhdfu,  für  Lungenkraut  — Pulmonaria  offlc. 

Gänsbrich,  gimahrM,  für  Gänsefingerkraut  — Potentilla  Anserina. 

stiinbarä,  für  Zweizahn  — Hidens  tripartitus,  von  Scdiube  Hettler- 
laus  genannt.  Bei  der  Jugend  hießen  die  Früchte  wegen  des 
klettenartigen  Anhängens  Hettelmänner,  Ixiulmenar. 

Sdmpala,  für  Champignon. 


Probe  glätzischer  Mundart:  die  Kirmes. 

Mitgetoilt  von  stiiü.  phil.  (.ioorg  Sei  kr. 

Herr  Gutsbesitzer  Johannes  Mader  in  Neu-Weistritz  (Kreis 
Habelschwerdl)  hat  mir  folgende  Beschreibung  der  Kirmes  seines 
Dorfes  gegeben.  Für  mannigfache  Berichtigungen  bin  ich  Herrn 
Oberlehrer  Dr.  Klapper,  einem  genauen  Kenner  der  Mundart  dieser 
Gegend,  zu  Dank  verpflichtet.  Neu-Weistritz  liegt  auf  der  (irenzo 
der  oberdörfischen  und  glälzischen  Mundart,  gehört  aber  noch  zu 


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dipsor.  Dip  phonetische  Schreibung  folgt  der  von  Herrn  Professor 
Siebs  iin  Heft  XVII  der  Mitteilungen  vorgesclilagenen  Transscription, 
für  die  Vokale  venveiso  ich  auf  die  8.  u.  9.  Auflage  der  deutschen 
Bühnenaussprache  von  Professor  Siebs  (Köln  1910,  S. ‘29  f.).  ^ be- 
zeichnet offenes  langes  e,  oflenes  langes  o. 


do  kermas. 

da  gantsa  woq],ia  darfir  lints  Son  fll  tsu  tün.  gam^ntlicyi  wert 
da  ersta  täga  da  Müba  uns  haus  (Hausflur)  ausgawaist.  da  mitalsta 
täga,  im  a dönarÄfic^,  wert  dar  ersta  kucha  gabaka.  dar  wert  a gesta 
gosikt,  dl  aigahöda  wärn.  ’s  wert  ä im  dl  tsait  ai  da  Stijt  aikffa 
gaförn  wegan  bir  on  brantwain.  dof  if  aim  dorfa  gam(ntli((li  ni  tsu 
l)9n.  dö  wert  menitails  a tiijlitiiyi  fös  lögarblr  on  a fasla  (nfacjjas 
on  a fasla  karnbrantwain  on  ä wol  noqli  a grfisa  firkantar  (vierkantige 
Flasche)  güda  brantwain  (ibar  waibarsnops  gahult.  ofta  ä is  dar  pauar 
mit  dar  w(»ra  tse  laiijra  aim  wertshaufa  aigakijrt  on  knijlit,  wen  a hijm- 
kiint,  fum  waiba  son  ti<Jliti<yi  da  baisa  (Ausschelte),  wail  fe  son  ufs 
hakmäl  post.  l'emTims  wert  ertt  arntliijh  ku<dia  gabaka,  da  StDba 
gawosa  on  ols  üfgaroimt  on  blitsablangk  gamaqlit  on  fir  dar  lira  on 
am  höwa  warn  da  spenwehanestar  rögakört  on  a dar  gantsa  höf  gak^rt. 
funti<yi  marja  wert  da  töfid  fii  dar  bina  (Dachraum)  rundar  gahult  on 
a da  güda  Ätila  tsa  reijlita  gaStelt.  darnöi^i  gits  ai  a götsdinst  on  di 
darlupna  misa  ticüitiijli  kuqlia  on  fir^eni  (zurecht  machen),  wen  da 
kerijha  auf  is,  wert  an  agablik  ai  da  seiigke  aigakCui  on  wen  fa  hem- 
kuma,  fain  wol  da  etSda  gesta  .4on  dö,  on  flr  a ertta  huügar  wert 
gamcntliijli  a wii%  kuQl,ia  üfgatrcn.  darnocji  klepalts  ä imarfart  mit  a 
batalloita.  fer  di  fain  gam(-ntli(Jli  a n<ja  felfalkuQl^a  (Füllselkucheu) 
mit  mötsprons  (Ohstmus)  firgasert.  fir  a tsvantsiijli  jöran  wijiv  mit 
a batalloita  afu  Älimp,  dos  an  must  ekstra  a batalfuqht  aim  dorfa  fain, 
dar  fa  wilda  ma^lja  (verscheuchen)  must,  libar  fit  mä  on  h((rt  ma 
da  laiarloita  kuma,  di  fi^  wol  (i  dam  taga  tsimliijh  stark  aitinda  on 
momjlimöl  posirts  ä,  dos  da  wal.sbelar  hadiqlj  a stikla  tantsa.  wen 
da  gesta  darnöql)  ola  dö  fain,  wert  da  flesfupa  üfgatr(n,  damöql)  kimts 
ronttU'Ä  mit  feinftunjika  on  krentui%ka  (Meerrettichtunke)  on  faura 
gorka.  dan  kernt  brötwurst  on  hüna  ai  faurar  turi^ka,  di  Is  aus 
fafarkucha,  rosiiTgka  (Rosinen)  on  mandalkernani  on  f(T  a gOdar  aibrena. 
tsum  rentflösa  on  dar  hüna  wert  blös  bir  gatrutfgka,  dainöch  kirnt  dar 
svainabröta  on  wer.sta  on  kolpsbröta,  tsu  däm  kirnt  ets  noch  dar 


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brantwaii)  tsuin  trii^ka.  darnöcl)  1!  ä aspaufa.  ai  dar  git  mä  ai  a 
färdaSt^il  on  ai  a kiStöl  on  11t  Il(j_hs  fij  !}.  wans  nl  tsu  wait  is,  gil 
mar  a mfd  Ow  a pl(m  t.sur  raitJOla  (Karussel)  on  tsur  luft^iukal. 
wen  l'a  tsQrika  kuina,  £i'it  dar  kala  on  kueha  son  uwain  tisa.  da  hote 
str('falkuql)a,  kälakutdia,  fafarkui^a,  tsukorkuqjja,  niökiu^ia.  wen  ti<y)ti(f^ 
gasa  on  trui%ka  is,  dö  wert  am  birfasla  noql>  a möl  ti<Jl)ti(yi  luft  ga- 
mat^it,  da  wail)ar  fail^  wol  <ä  Son  ti<Jtiti^  tsu  kr(Sa  (lachen)  wail 
a (=  ihnen)  dar  güdo  (Branntwein)  son  a wiifgk  ais  ebarStibla  kuma 
is.  damöqji  gits  ais  wertshaus  tsu  dar  müfi<yi.  dö  wert  jü  (ja)  ge- 
m(ntli^  bis  ai  a möntiijjj  gatantst  ons  git  t'(T  lustii^.!  tsil.  ’s  juii^ 
folk  kirnt  wol  fir  tsvea  ni  h(m.  da  m(i-Sta  gesta  blain  wol  ibar 
naqlit  dö,  on  wen  fa  aus  dar  Seiljika  kuma,  it  a grüsa  Str(o  Son  fir- 
ga.'Crt.  dö  wert  ä no  ni  bäla  gaSlöfa.  dö  wert  erst  a waila  unlln 
on  Sintlüdar  gamaqljt  on  fil  gakinSt,  bis  dar  Slöf  kirnt.  mönti((li 
marja  höt  wol  mamjliar  a Sw(ra  köp,  i)bar  ’s  nutst  nist,  a müf  Bf,  da 
Strca  wert  am  undarm  (ir/a  wekgarisa,  den  da  waisbelar  misa  da 
Stüba  widar  üfroima;  nöjam  friStika  gits  bäla  ai  da  ker<(lia.  afu  bäla 
wi  da  orgal  Stiia  Is,  git  aim  wertshaul'a  da  müfii^i  Son  widar  lös  on 
dö  wert  nöqh  a möl  t'e.sta  gatantst.  dos  tauart  wol  ofta  bis  im  draia. 
on  wen  I'a  h(mkuma,  krija  fa  gamcntliijli  fö  d/-  keijhan  da  bai.sa,  wail 
’s  asa  kalt  woni  is  on  fa  höt  misa  imarfart  foiam.  damöcjl)  gits  äbar 
Sorf  ibars  asa,  wail  jfldas  huiigor  höt,  ’s  asa  is  griida  wi  funtiijlis.  da 
waita  gesta  (die  von  weit  hergekommen  sind),  gm  darnöijh  Inin  on 
krija  nöqlj  a Stika  kuqlja  mit  tsar  mitbrei^o  (zu  einer  Mitbringe),  di 
da  iioqj,!  dö  blain  (’s  höd  ’ar  ä fllo,  di  da  bis  dinsti<9i  warta),  rün 
fifdi  a bisla  ans;  öms  gm  fa  widar  mit  a ögahci'ija  ais  wertshaus 
on  halfan  da  kemas  arntlic^,!  bagröba.  wen  ols  foribar  is,  dö  Sprefdia 
da  Seiigka  on  da  müfakanta:  ’s  kermasla  wiir  unfa. 


Mitteilungen. 

Dil'  erst«  Sitzung  des  Jahres  1910  fand  am  Freitag,  den  14.  Januar  im 
Auditorium  I der  Universität  statt.  Der  Vorsitzende  gab  zunächst  eine  Über- 
sicht über  die  Arbeiten  und  die  Entwicklung  der  (lesellschaft  während  des 
Jahres  1909. — IIofkuiisthsndliT  Bruno  Kiehter  erstatUde  sodann  als  Schatz- 
meister den  Kassenbericht.  Die  (Josambdnnahpien  des  Jahres  1909  belii'feu 
sich  auf  3320,53  Mark,  die  Ausgaben  auf  3131,48  Mark,  so  dall  sich  ein  Saldo 
Vortrag  von  194,05  Mark  ergibt.  Die  Gesellschaft  besaß  am  l.  Januar  1910  au 
Effekten  4500  Mark,  die  in  der  städtischeu  Bank  uiedergelegt  sind.  Auf  Antrag 


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120 


der  Ki'chnurgsprUfer  Geh.  Kcgicrungsrat  Professor  Hr.  K.  Appel  und  Professor 
U.  A.  Pillet  ward  dem  Schatzmeister  Entlastung  erteilt  und  der  Dank  der 
Oesellsehaft  für  seine  Mühewaltung  ausgesprochen.  — Da  wir  für  den  Fortgang 
unsenr  groQen  Arbeiten,  zu  denen  sieh  ja  neuerdings  noch  die  tatkr&ftige 
Bearbeitung  der  schlesischen  Volkslieder  gesollt  hat,  bedeutender  Mittet  bedürfen, 
bitten  wir  unsere  Mitglieder  dringend,  bei  geeigneter  Gelegenheit  eifrig  für 
materielle  Unterstützung  unserer  Bestrebungen  zu  wirken  und 
den  Jahresbeitrag  nicht  auf  das  .MindestmaH  von  drei  Mark  zu 
bcschr&nkeu. 

Der  bisherige  Vorstand  der  Gesellschaft  ward  sodann  auf  Vorschlag  wieder- 
gew&hlt,  nkmlich  die  Herrn  Dniversititsprofessor  Dr.  Siebs  (Vorsitzender), 
Unirersitätsprofessor  Dr.  Bern  cker  (Stellvertret4ir),  Direktor  der  Stadtbibliothek 
Professor  Dr.  Hippe  (Schriftführer),  Museumsdirektor  Privatdozent  Professor 
Dr.  Seger  (Stellvertreter),  Hofkunsth&ndler  Bruno  Richter  (Schatzmeister), 
VerlagsbuchhSiidler  Mai  Woywod  (Stellvertreter),  Oberlehrer  Professor  Dr. 
Körber,  Kgl.  Gymnasialdirektor  Professor  Dr.  Feit,  Universit&tsprofessor  Dr. 
Skutsch,  Oberlehrer  Professor  Dr.  Olbrich,  Universitätsprofessor  Geh.  Reg. 
Kat.  Dr.  Hillebrandt,  Schriftsteller  Hugo  Kretschmer,  Oberlehrer  Prof. 
Dr.  Kühnau,  Oberlehrer  Dr.  Klapper.  — Hierauf  hielt  Universitätsprofessor 
Dr.  Otto  Schräder  einen  Vortrag  über  „Begraben  und  Verbrennen  im  Lichte 
der  Religions-  und  Kulturgeschichte“  — er  ist  im  vorliegenden  Hefte  abgedrnckl. 

Am  17.  Januar  .starb  Verlagsbuchhilndler  Max  Woywod.  Er  hat  seit 
langen  Jahren  dem  Vorstande  der  Gesellschaft  angehört,  und  wir  haben  in  ihm 
einen  allzeit  bereiti'n  Helfer,  einen  treuen  Berater  und  Freund  vcrloreu. 

Am  Freitag,  den  11.  Februar,  fand  die  zweite'  Sitzung  dieses  Jahres  statt; 
Oberlehrer  Dr.  K.  Gusinde  sprach  Uber  „Land  und  Leute  in  Spanien“  — der 
Vortrag  ist  im  vorliegenden  Hefte  gedruckt. 

Die  dritte  Sitzung  ward  am  Freitag,  den  %'>.  Februar  gehalten:  Universit&ts- 
professor Dr.  von  Wenckstern  hielt  einen  Vortrag  Uber  „Volksseele  und 
Wert“,  der  in  höchst  interessanter  Weise  und  weitschauenden  Blickes  die 
Schicksale  und  Bestrebungen  einer  fernen  Zukunft  darzustellen  suchte. 

Als  neue  Mitglieder  traten  unserer  Gesellschaft  bei  aus  Breslau: 
Frl.  Eva  Dittrich,  die  Herren  Universit&t8pri>fessor  Dr.  Gercke,  Privat- 
dozent Dr.  E.  W'aetzmann,  Kgl.  Aichungsinspektor  Jos.  ScliUfer,  Privat- 
duzent  Dr.  0.  Kinkeldej',  Raurat  Heinrich  Kuhse,  .Schriftsteller  Paul  Aust, 
Korrespondent  Josef  Richters;  von  auswärts;  die  Herren  Oberschichtmeister 
Rieh.  Loegel  in  Waldenburg,  Professor  Dr.  Treutler  iu  Guben,  Pastor 
Weiss  in  Zabrze  O.-S.,  Frau  Kommerzieurat  Ephraim  in  Görlitz,  Herr 
Lehrer  Morgenstern  in  Bielawe,  Kr.  Freystadt,  Frl.  Klara  Zimmermann 
in  Hamburg,  Herr  stud.  pliil.  Heinrich  Nentwig  in  Heidelberg,  Volks- 
bibliothek  in  Schweidnitz,  die  Herren  Lehrer  Wilh.  Sehre  mmer  in 
Obcr-Peilau,  Dr.  Karl  de  Wyl  in  FUrstl.  Drehna  bei  Calau  S.-L.,  Schrift- 
steller .kll'r.  Neebold  in  Heidenheim  a.  d.  Brenz,  Württemberg. 


Schliitl  der  Redaktion:  24.  Juni  1910. 
Buchdruckerei  A.  Favorke,  Breslau  11. 


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Ernst  Theodor  Amadeus  Hotfmann  und  der 
deutsche  Volksglaube. 

Von  Dr.  Karl  Olbrich. 

Motto:  .Mao  wird  mit  Versnügeo.  wena 
auch  nicht  mit  unversttodiger  Bewunderung, 
wieder  an  der  Latema  magika  zur&ekkebren, 
die  Hoffmaon  ln  die  Weit  bineiohing.*  F.  Hebbel 
XU.  81.  (Hease-Ausgabe). 

Bekannt  ist  W.  Grimms  .Abneigung  gegen  E.  T.  A.  Hoffmann,  der 
ihm  „mit  all  seinem  Geist  und  Witz  von  Anfang  bis  zu  Ende  wider- 
wärtig war“  — und  nicht  minder  scharf  urteilte  Goethe  im  Anschluß 
an  W.  Scotts  .\ufsatz  „On  the  sui)ernatural  in  fictitious  compositions“ 
über  die  „krankhaften  Werke  jenes  leidenden  Mannes“,  dessen  ge- 
spenstischem  Trug  er  das  gesunde  Grimmsche  Kiiidennärchen  gegen- 
überstellt.  Man  wird  das  Urteil  beider  von  ihrem  Standpunkt  ans 
durchaus  billigen  können  — der  schlichte  Belauscher  der  Volks- 
und Kinderseele  und  der  treu  für  die  Nationalbildung  besorgte 
Olympier  konnten  kaum  anders  urteilen.  Immerhin  wird  man  — 
und  den  Beweis  dafür  soll  die  folgende  Studie  führen  — zugeben 
müssen,  daß  Hoflmann  über  die  Schatze  des  deutschen  Volks- 
glaubens durchaus  verfügte  und  den  Empfindungen  des  Volkes, 
seinen  naiv-schlichten  Äußerungen  vielfach  mit  feinem  Ver.ständnis 
entgegen  kam.  Seine  psychologische  Begründung  mancher  Sagen- 
motive hat  sogar  modernen  Versuchen  der  Mythendeutung  (ich  denke 
an  Laistner)  unbewußt  vorgearbeitet. 

Außer  der  mehr  skizzierenden  Arbeit  von  Benz:  „Märchen- 
dichtung der  Romantiker“  (Gotha  1‘JOS,  S.  13!) — 148)  besitzen 
wir  eingehende  Studien  über  Holfraanns  Scliaffen,  insbesondere  sein 

Abkürzungen: 

Elliiiger  = E.  T.  A.  Uollmanu,  sein  Leben  und  seine  Werke.  1894. 

B.  Huch  = Ausbreitung  und  Verfall  der  Koniantik.  1902. 

Dr.  G.  H.  Schubert  = .Ansichten  von  der  Saehtscite  der  Naturwissenschaft. 
Dresden  1808. 

Symbolik  = Schubert,  die  Symbolik  des  Traumes.  1814. 

Hoffmanns  Werke  sind  nach  E.  Urisobachs  Ausgabe  (Hesse,  Leipzig  1900) 
zitiert. 

MUtellungen  d.  sebtes.  Ges.  f.  Vkde.  Baud  XII  (Heft  2).  9 


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Verhältnis  zum  deutschen  Volksmärchen,  in  A.  Sackheims: 
„E.  T.  A.  Hoffmann.“  (Leipzig  1908 J An  53  Grimmschen  Märchen 
weist  er  „hoffmanneske  Möglichkeiten“  nach,  insofern  man  ihre  Motive, 
Gesamtstimmung  und  Empfindungsgehalt  in  einen,  allerdings  meistens 
äußerlichen  und  entfernten  Zusammenhang  mit  Hoffmanns  Erzählungen 
bringen  könnte.  So  löst  er  gewisse  Gestalten  heraus:  den  Traum- 
jörg — den  PrOfungsaspiranten  für  Glück  und  Unsterblichkeit  — 
die  kämpfenden  höheren  Geister.  Für  Hoflfmanns  Erzählungen  ge- 
winnt er  außerdem  drei  bedeutsame  Typen:  den  Lindhorst-,  den 
Anselmus-  und  den  Seelenföngertypus.  Mit  einer  ausgebreiteten  Be- 
lesenheit und  sicherem  Blick  kennzeichnet  er  auch  die  Vorläufer 
der  Gedankenwelt  Hoffmanns  und  seine  Nachfolger. 

Sackheims  Zusammenstellung  der  Volksmärchen  mit  Hoffmanns 
Erzählungen  führte  ihn  zu  dem  Ergebnis,  daß  ein  absoluter  Gegen- 
satz besteht,  so  lehrreich  sonst  ein  Vergleich  mit  den  Urbildern  für 
Hoffmanns  dichterisches  Gestalten  sein  mag.  Vorliegende  Arbeit  will 
nun  nicht  vergleichen,  sondern  zunächst  lediglich  den  Bestand 
registrierend  feststellen;  sie  hebt  aus  Hofimanns  Erzählungen  alles 
das  heraus,  was  in  das  Gebiet  des  Volksglaubens  gehört.  In  zweiter 
Linie  aber  mußte,  um  seine  eigenartige  Auffassung  und  Umgestaltung 
zu  erklären,  vielfach  auf  Dinge  hingewiesen  werden,  die  auf  Hoffmanns 
Geistesrichtung  bestimmend  einwirkten.  Diesem  Zwecke  dient  die 
vorbereitende  Einleitung,  welche  in  die  Stimmungswelt  der 
„serapiontischen“  Romantiker  einzuftthren  versucht. 

Die  geistige  Bewegung  innerhalb  dieser  Kreise  kann  man  als 
die  schärfste  Reaktion  gegen  den  aufklärerischen  Rationalismus  be- 
zeichnen. Nach  der  Zeit  der  Aufklärung,  „die  alles  so  klar  machte, 
daß  man  vor  lauter  Klarheit  nichts  sah  und  sich  am  nächsten 
Baume  im  Walde  die  Nase  anstieß,  wollte  man  jetzt  das  Jenseits 
mit  hinübergestreckten  Armen  von  Fleisch  und  Bein  erfassen').“ 
Überall  spürte  man  dem  geheimnisvollen  Verkehr,  der  „innigen  Ge- 
meinschaft des  physischen  und  psychischen  Prinzips“  nach.  Wichtige 
Entdeckungen  auf  dem  Grenzgebiete  beider  schienen  den  Schleier 
Jahrtausendelang  verborgener  Geheimnisse  zu  lüften’).  Im  „Magnetis- 
mus“ sah  man  zum  ersten  Male  deutlich  das  Wirken  eines  rein 
psychischen  Prinzips  auf  Körper  und  Geist  eines  anderen’).  Arzte 
studierten  die  rätselhafte  neue  Kraft  als  eine  Heilmethode  der  Zukunft, 

')  M,  141.  ’)  VU,  65  f.  »1  Symbolik.  Einltg.  XV. 


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123 


Charlatane  und  Betrüger  benutzten  sie,  um  sich  mit  einem  Nimbus 
zu  umgeben  und  Geld  oder  EinfluU  zu  gewinnen;  magnetische  Ver- 
suche standen  in  den  Kreisen  der  Gebildeten  „im  höchsten  Flor  und 
galten  als  eine  Art  mystischen  Gottesdienstes.“  Es  wurde  Mode,  von 
Magnetismus,  Siderismus,  magischen  Verknüpfungen  durch  Sympathie 
und  Antipathie  zu  sprechen*).  Schreibt  doch  selbst  Schopenhauer: 
„Wer  heutzutage  die  Tatsache  des  Magnetismus  und  Hellsehens 
leugnet,  i.st  nicht  ungläubig,  sondern  unwissend  zu  nennen“  und  weiter- 
hin „Animalischer  Magnetismus,  Sympathiekuren,  Magie,  Wahrträumen, 
Visionen  geben  sichere  unabweisbare  Anzeige  von  einer  Verbindung 
der  Wesen,  die  auf  einer  andern  Ordnung  der  Dinge  beruht,  als 
die  Natur  ist.  — — „Der  Magnetismus  gibt  eine  faktische  und 
vollkommen  sichere  Widerlegung  des  Materialismus  *).“  Mit  erhöhtem 
Interesse  beobachtete  man  nun  auch  alle  jene  Vorgänge,  bei  denen 
die  Seele,  getrennt  vom  Körper,  ein  Sonderleben  zu  führen  schien: 
das  Reich  der  Träume  und  Gesichte,  der  Ahnungen  und  Fern  Wirkungen, 
das  Nachtwandeln  und  das  Doppelgängertum  — alles  Erscheinungen, 
von  denen  der  Glaube  des  „gemeinen  Volkes“  schon  längst  allerhand 
Geheimnisvolles  zu  berichten  wußte.  Nerven-  und  Irrenärzte  suchten 
in  die  nervös-hysterischen  Zustände,  das  wunderlich-rätselhafte  Treiben 
der  Irren  von  dem  neuen  Standpunkte  aus  einzudringen;  lebten  doch 
auch  diese  außerhalb  aller  Gesetze,  von  denen  sonst  die  Menschen- 
gedanken regiert  werden,  in  einem  Lande  voll  seltsamer  Träume,  und 
hörten  und  sahen  Dinge  aus  einer  anderen  Welt. 

Die  Forschung  mußte  sich,  so  gut  sie  es  damals  vermochte, 
diesen  Dingen  nähern,  zum  mindesten  sie  als  bedeutende  Probleme 
betrachten.  Medizinische,  psychologische  Werke  suchten  den  neuen 
Erscheinungen  gerecht  zu  werden  *).  Aber  man  hätte  mehr  Kenntnisse 
haben  müssen,  um  das  Neue  richtig  bewerten  zu  können,  so  entstand 
nur  eine  verworrene  mystisch-phantastische  Naturphilosophie.  Ein 
stattliches  Auditorium  scharte  sich  um  Dr.  G.  H.  Schubert,  als  er 
seine  Vorlesungen  über  die  „Nachtseiten  der  Naturwissenschaft“ 
hielt*).  Er  versuchte  darin  eine  wissenschaftliche  Erklärung  von 

')  VII,  11  ff.  17  f.  Beschreibung  einer  magnetischen  Sitzung  eb.  66. 

•)  vgl.  Hansjakob  «Aus  kranken  Tagen.“  225. 

Eine  Auslese  bei  Hoffmann  X,  234.  III  I.ÖO  (148)  man  rgl.  R.  Huch 
S.  273  ff.  („romantische  Ärzte.“) 

*)  Dresden  1808  in  der  Amnldischen  Buchhandlung  erschienen  und  dem 
„würdigen  Meister,“  Freund  und  Zuhörer  Gerhard  von  Kngelgen,  Historienmaler, 
gewidmet.  ^ 


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1-24 


„jenen  verschiedenen  Dingen,  die  man  bisher  zu  dem  Gebiete  des 
Wunderglaubens  zählte“  (XV).  Ähnliche  Wege  schlug  er  in  seiner 
„Symbolik  des  Traumes“  ein,  einem  der  merkwürdigsten  Bücher 
jener  Zeit,  das  dem  Verfasser  sogar  die  Widmung  einer  Schrift  „über 
gespenstische  Visionen  und  Kundgebungen  wahrsagender  Geister“  ein- 
trug. (Symbolik  Einltg.  XIII  f.)  Beide  Werke  zeigen  eine  wunder- 
liche Mischung  mehr  oder  weniger  richtiger  natunvissenschaftlicher 
Beobachtungen  und  theosophisch-mystischer  Träume,  vorgetragen  in 
einer  poetisch  gehobenen  Sprache.  Überhaupt  war  hier,  wo  die 
Wissenschaft  ratlos  ohnmächtig  den  neuen  Problemen  gegenüberstand, 
den  kühnsten  Hypothesen  der  weiteste  Spielraum  geboten.  „Das 
Geistersehen  wurde  geradezu  eine  Krankheit  des  Jahrhunderts“  (eb.) 
In  den  großen  Städten  und  voniehmlich  in  den  höheren  Stünden 
fand  das  Zitieren  von  Klopfgeistern  Eingang  und  setzte  viele  in 
Aufregung  und  Verwirrung  (eb). 

Unter  solchen  Umständen  kam  auch  der  vom  Rationalismus 
zurückgedrängte  Volksglaube  wieder  zu  neuem  ,\nsehen  *).  Denn 
wie  Schubert  in  seiner  Deutung  von  Goethes  Märchen  sagt,  „in  der 
phantastischen  Dämmerung  des  Abends  schaut  der  Aberglaube,  wenn 
auch  nur  auf  unvollkommene  Momente,  über  den  großen  Strom,  der 
die  Welt  des  Materiellen  von  der  Geisterwelt  trennt,  hinüber*). 
M^ihus,  Sage,  Märchen  vermischen  ja  in  der  Tat,  ihrem  ganzen 
Wesen  nach,  das  Sinnlich-Begreifliche  mit  dem  Übersinnlich-Unbegreif- 
lichen und  sind  mit  dem  Traume  auf  das  Engste  verwandt.  .\uch 
für  ihre  kindlich-naive  Weltbetrachtung  gibt  es  kein  Unmöglich. 
Und  nun  verknüpfen  sich  die  Fäden  nach  allen  Seiten  hin,  das  Reich 
der  kindlichen  Märchen  und  der  Volkssagen  — die  Vorgänge  des 
Traumlebens  — das  weltferne  Treiben  der  Irren  — das  Hellsehen 
der  Magnetisierten  — alles  zeugt  von  dem  Zustande  eines  „höheren“ 
Bewußtseins,  wo  die  Gesetze  der  Wirklichkeit  nicht  mehr  gelten, 
eine  eigene  Welt  beginnt  und  der  Geist,  in  ihr  allein  lebend,  das 
Wesen  der  Realität  verlernt  hat. 

Wenn  einer,  so  war  E.T.  A.  H offmann  prädestiniert,  diese  Elemente 
in  sich  aufzunehmen  und  zu  verarbeiten.  In  der  mimosenhaft  reizbaren 

Symbulik  des  Traumes,  in  vierter  Auflage  liorausgegeben  von  Koiisislorialrat 
F.  G.  Ranke.  Leipzig.  Broikhaus  1862. 

XIII  89.  Karikatur  der  mystisch  eingeweihten  jungen  Herren  in  Berlin. 
I.  20t.  246.  Das  Treiben  der  weisen  Frauen  in  den  Vorstädten  Dresdens. 

t)  Nachtseiten  324. 


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1-25 


Seele  des  pathologisch  veranlagten  Neurotikers,  der  in  einer  wunderlich 
bizarren  Unwelt  aufwuchs,  lebte  seit  seiner  Jugend  eine  Neigung 
zum  Geheimnisvollen  *).  Das  Schicksal  verschlagt  den  Regierungs- 
beamten in  slavisch-deutsche  Gegenden,  wo  „eine  bunte  Welt,  voll 
magischer  Erscheinungen  um  ihn  her  flimmert  und  flackert.“  Durch 
das  Eingreifen  der  napoleonischen  Zeit  wird  ihm  sein  eigenes  Ijeben 
zu  einem  geheimnisvollen  Märchen,  wo  fremde  Mächte  sichtbarlich 
walten,  wie  in  den  alten  Sagen  *).  Er  wird  in  den  Gedankenkreis 
der  Romantiker  eingeführt  und  tritt  mit  einer  Reihe  von  ihnen  in 
persönliche  Beziehung.  Mit  Freude  greift  er  zu  Büchern,  in 
denen  die  ihm  eigene  Stimmung  zum  Ausdruck  kommt,  zu  alten  und 
neuen  Werken,  wo  rätselhafte  Tatsachen  vom  naivgläubigen  oder 
mystischen  Standpunkte  behandelt  werden.  Er  liest  Schriften  über 
Magnetismus  und  Geisteskrankheiten,  Physiologie  und  Traumleben, 
besonders  regen  ihn  des  „geistreichen  Schriftstellers  Schubert“  Gedanken- 
gänge an,  die  er  wiederholt  zitiert,  noch  viel  öfter  benutzt’).  Der 
>[agnetismus  streift  ihm  „ganz  in  das  Gebiet  des  Geisterhaften 
hinein,“  regt  ihn  bis  in  die  tiefste  Seele  an  und  „muß  für  jeden 
poetisch  Gesinnten  den  höchsten  Reiz  haben.“  Er  ist  ihm  „die  höchste 
Potenz  des  Traumes,“  der  an  sich  schon  die  wunderbarste  Erscheinung 
im  menschlichen  Organismus  ist*).  In  der  Sprache  eines  Geister- 
reiches  redet  zu  Hoffmann  auch  seine  Lieblingskunst,  die  Musik; 
unter  dem  Eindruck  musikalischer  AVirkungen  objektivieren  sich  ihm 
die  in  seiner  Phantasie  lebenden  Erscheinungen  eines  über  der  Welt 
der  Erfahrungen  stehenden  geheimen  Geisterreiches’).  Im  Kreise 
der  Serapionsbrüder  kommt  seine  Eigenart  zum  vollendeten  Ausdruck. 
Hier  ist  er  der  raärchen-  und  sagenkundige  Lothar®),  der  „in  allen 
phantastischen  Dingen,  besonders  in  allen  möglichen  Zauber-  und 

’j  ,E.  T.  A.  Hoffmanns  Leben  und  tVerko.“  Vom  Standpunkt  des  Irren- 
arztes. Von  0.  Klinke.  li>02.  ,E.  T.  A.  Hoffmann“  von  Richard 

Schau  kal.  I9Ü4. 

’)  VI,  94/95. 

’)  Nachtseiten  zitiert  VII,  95,  VI,  194,  VIII,  94,  Symbolik  1,317,  IV,  40. 

*)  VII,  12. 

®)  Man  vgl.  die  ausgezeichneten  Ausführungen  K.  Schäfers  in  „die  Be- 
il eutniig  des  Musikalischen  und  Akustischen  in  £.  T.  .4.  Hoffmanns 
literarischen  Schaffen“  ;Marburg  1909)  insbesondere  Kapitel  4.  (Hoffmanns 
Phantastik  und  die  Musik.)  S.  214—221. 

*)  Sackheim,  189.  — VIII,  10,  schildert,  wie  er  alle  Chroniken  aus  sämt- 
lichen öffentlichen  Bibliotheken  zusanimenschleppt.  vgl.  IX,  173. 


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1-2« 


Hexengeschichteii  und  Teufeleien  bewandert“  ist  — er  ist  vor  allein 
der  Gespensterselier  Cyprianus,  den  das  Treiben  der  Irren  unheimlich 
anzieht,  dem  im  Umgang  mit  ihnen  sogar  ein  besonderer  dichterischer 
Aufschwung  in  Anschauungen  und  Bildern  erwächst  *).  Durch  seinen 
Beruf  psychologisch  geschult,  ausgerüstet  mit  einer  selten  scharfen 
Beobachtungsgabe,  verarbeitet  Hoffmann  das  Gesehene  und  Erlebte 
mit  phantastischer  Krfindungs-  und  Gestaltungskraft.  Es  erging  ihm 
schließlich  so,  wie  seinem  irren  Kapellmeister  Kreisler,  in  dem  er 
sich  selbst  in  seinen  höchsten,  aber  auch  gefährlichsten  Stunden 
zeichnete.  Wie  dem  genial-phantastischen  Musiker  seine  Noten 
schließlich  Spukgestalten  werden,  so  sieht  auch  Hoffmann  die  Ausgebuiden 
seiner  Phantasie  oft  leibhaftig  vor  sich*).  Besonders  unter  den  Ein- 
wirkungen der  geliebten  Feuerzangenbowle’)  verstärken  sich  diese 
Halluzinationen  und  treten  aus  dem  Schöpfungsnebel  des  Rausches 
geisterhaft  hervor.  Da  steigt  sein  Archivarius  Lindhorst  im  Pokale 
auf  und  niedei,  in  der  schäumend  sich  mengenden  F'lüssigkeit  leben 
und  weben  Feuer-,  Wasser-  und  Erdgeister,  Teufelsfratzen  schauen 
den  erhitzten  Zechern  über  die  Schulter  — und  in  einsamer  Stamm- 
kneipe duckt  plötzlich  ein  Erdmännlein  unter  dem  Tische  hervor  und 
nascht  Brotkrümchen*). 

So  wird  die  Welt  des  deutschen  Volkglaubens  für  Hoffmann  die 
„Hieroglyphensprache“  seiner  Poesie.  Mit  Bewußtsein  wendet  er  sich 
von  der  bisher  üblichen  fremden  Sagenwelt  zur  deutschen.  Eine 
„blos  grillenhafte  und  zwecklose  Feerie“  erschien  ihm  läppisch  und 
albern  — höchstens  eine  Ergötzung  für  den  müßigen  Pöbel  *);  dem 
wahren  Dichter  jedoch  ist  die  verkörperte  Traumwelt  der  Sage  das 
wertvollste  Ansdrucksmittel  seiner  tiefsten  Gedanken.  In  den  be- 
wunderten Märchen  von  1(X)1  Nacht  erkannte  er  als  das  ewig  Leben 
und  Wahrheit  Verleihende,  daß  sie  uns  nicht  in  ein  unverständliches 
Feenland  versetzen,  sondern  ihre  Gestalten  auf  den  Straßen  des  Orients 
wandeln,  wo  mitten  in  der  .Alltäglichkeit  ihnen  der  wunderbarste 
Zauber  entsprießt.  Deshalb  verlegt  auch  er  die  Basis  seiner  Himmels- 
leiter, auf  der  wir  mit  ihm  zu  den  höheren  Regionen  seines  Geister- 
reiches emporsteigen  sollen,  auf  deutschen  Boden  und  in  seine  eigene 
Zeit  ®).  Die  Welt  des  Wunderbaren  hat  für  Hofl’mann  ihre  Ausläufer 
in  dem  Wunderlichen  in  der  uns  umgebenden  Welt,  sie  lebt  neben 

1)  VI,  28,  IX,  14.  2)  vgl.  Ellingcr,  S.  92.  >)  I.  51,  249. 

‘)  I,  249.  I,  52.  I,  261.  Einlig.  LXXII  u.  XC.  Anm. 

5)  X I,  83.  •)  VlII,  90  f. 


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uns  in  dem,  was  wir  seltsam,  absonderlich,  vielleicht  komisch,  bizarr, 
verrückt  nennen,  in  rätselhaften  Gestalten,  denen  wir  im  Leben  be- 
gegnen, in  Ereignissen,  die  uns  staunen  machen  *).  Hier  aber  stimmt 
Hoifmanns  Ansicht  genau  mit  dem  kindlich-naiven  Glauben  des  Volkes 
überein,  das  alles  Ungewohnte,  Fremdartige,  Auffällige  stets  mit  dem 
neugierigen  Erstaunen  des  Kindes  betrachtet,  nach  den  Ursachen 
fragt,  unzufrieden  mit  einer  nüchtern  realen  Erklärung  alsbald  das 
Wunderbare  dahinter  vermutet  und  schließlich  phantasiereich  nahe 
liegende  Anschauungen  und  Erzählungen  aus  der  ihm  vertrauten 
Sagenwelt  anknüpft. 

I.  Geheimnisvolle  Personen  im  Volksglauben  und  bei 
Hoffmann. 

So  finden  wir  denn  bei  Hoffmann  alle  jene  Gestalten  wieder, 
welche  der  Volksglaube  von  alters  her  wegen  ihres  abenteuerlich- 
geheimnisvollen Treibens  mit  einem  Sagenkranze  umwob:  die 

Astrologen  und  Zauberer,  Alch}-misten  und  Goldmacher,  weise  Frauen 
und  Hexen,  Zigeuner  und  Scharfrichtergesellen.  Da  sitzt  im  „Majorat“ 
der  alte  Freiherr  auf  seinem  Schloßturm,  umgeben  von  einem  voll- 
ständigen astronomischen  Apparat  — und  bereits  zu  seinen  Lebzeiten 
geht  die  Sage,  daß  er  „geheimer  Wissenschaft,  der  schwarzen  Kunst“ 
ergeben  sei.  ja  der  eigene  Sohn  flucht  auf  „das  unheimliche  Treiben 
des  wahnsinnigen  Alten®).“  In  der  „Königsbraut“  haust  der  komische 
Dapsul  von  Zabelthau  einsam  auf  dem  Bergfried  der  zerfallenen  Väterburg ; 
sein  Hofmeister  hinterließ  ihm  einen  Hang  zur  Mystik  und  eine 
ganze  Bibliothek  okkultistischer  Bücher;  und  nun  treibt  er  dort  oben 
astrologische  Studien  und  träumt  von  allerlei  Elementargeisteru ’). 
Ein  Alchymist  ist  der  unheimliche  Doktor  Trabacchio,  der  das  be- 
rüchtigte Gift  acjua  toffana  herstellt  und  angeblich  mit  dem  als  roter 
Hahn  erscheinenden  Teufel  verkehrt.  Der  düstere  Advokat  Koppelius 
ist  ein  Goldmacher,  mit  dem  Nathanaels  Vater  im  verschlossenen 
Zinuner  chemische  Versuche  anstellt,  wobei  er  ums  Leben  kommt*). 
Den  Meister  Abraham  im  „Kater  Murr,“  der  allerlei  künstliche 
akustische  und  optische  Apparate  und  Maschinen  herstellt,  hält  das 

')  ob.  und  I,  195.  Elfingcr  176. 

*)  III,  163,  204,  man  vgl.  hierzu  auch  iu  Schubert  „Nachtseiten“  5:  den 
ergrauten  König  vun  .\tlantis,  der,  nachts  auf  huhcr  Sternwart  sitzend,  den 
alten  Bund  mit  der  Natur  bewahrt. 

»;  IX,  194  ff.  *)  111  76  ff.,  III,  12  ff. 


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Volk  ebenfalls  für  einen  Magier,  der  ira  Laboratorium  Geld  macht 
und  mit  fremden,  unheimlichen  Mächten  konferiert  *).  Das  geheim- 
nisvolle Volk  der  Zigeuner  tritt  uns  in  Hoflinanns  Erzählungen  zwei- 
mal entgegen.  So  weilt  die  wahnsinnige  Fürstin  von  Eeitlingen 
längere  Zeit  bei  einer  der  umherziehenden  Banden,  die  „mit  dunklen 
Künsten  und  geheimen  Wissenschaften  ihr  Wesen  treiben.  Eine  ver- 
worrene Zigeunergeschichte  bildet  den  nicht  gerade  glücklichen  Ab- 
schluß des  „öden  Hauses“.  Kinderraub,  geheime  Arzneikünste,  der 
Irrsinn  einer  unglücklichen  Frau  vermischen  sich  hier  nach  Hoffmanns 
eigener  Kritik  in  seltsam  graulicher  Weise®).  Jlin  unheimlicher, 
verruchter  Scharfrichterknecht  steht  im  „Vampyr“  mit  der  teuflischen 
Baronesse  in  ehebrecherischem  Bunde®). 

Vollendet  sind  Hoffmann  namentlich  solche  Gestalten  gelungen,  wo 
zunächst  nur  das  Fremdartige,  Absonderliche  in  Gestalt,  Benehmen  und 
.\uftreten  den  Schein  des  Geheimnisvollen  erweckt,  so  daß  man  sie  für 
Menschen  mit  übernatürlichen  Kräften,  ja  Teufelsgesellen  hält.  Typisch 
dafür  sind  die  beiden  Majore  im  „Magnetiseur“  und  im  „Elementar- 
geist.“ Der  dänische  Major  a.  D.  und  Lehrer  an  der  Ritterakademie 
mit  seiner  hageren  Gestalt,  den  brennenden  Augen,  einem  plötzlichen 
Stimmungswechsel  und  gelegentlich  halbirren  Betragen  fordert  die 
Sagenbildung  geradezu  heraus.  Und  alles,  was  der  Volksmund  von 
ihm  erzählt,  entspricht  genau  dem,  was  wirklich  von  Zauberern  und 
Freimaurern  berichtet  wird/).  Im  Sturm  auf  hoher  See  hat  er  sich 
dem  Teufel  ergeben,  um  sein  Leben  zu  retten;  der  Satan  erscheint 
ihm  in  Gestalt  eines  schwarzen  Hundes  oder  anderen  häßlichen  Tieres, 
und  er  muß  oft  hart  mit  ihm  kämpfen,  bis  er  doch  einmal  unterliegt.. 
Unter  den  „Dienstboten  und  im  gemeinen  Volke“  sind  noch  andere 
abenteuerliche  Gerüchte  über  ihn  verbreitet,  er  könne  Feuer  besprechen, 
Krankheiten  durch  Handauflegen  oder  den  bloßen  Blick  heilen  u.  a.  m. 
So  stirbt  er  auch  den  echten  Freiraaurertod : allein,  im  verschlossenen 
Zimmer,  und  der  starre,  gräßliche  Blick  der  Leiche,  der  blutige 
Schaum  vor  dem  Munde,  die  um  den  Degen  gekrampfte  Hand  lassen 
darauf  schließen,  daß  ihn  der  Teufel  nach  wildem  Kampfe  erwürgte®). 

Eine  ähnliche  Figur  ist  der  irische  Major  O’Malley.  Auch  bei 
ihm  ist  es  eine  absonderliche  Gestalt,  ein  exzentrisches  spleeniges 
Treiben,  das  zur  Sagenbildung  führt,  und  der  junge  Gardeleutnant 

1)  42.  »)  XIV.  19,  22,  47.  III,  158  f.  •)  IX,  183. 

vgl.  meine  ..Freimaurersagen“  Mitt.  Heft  XII,  69,  76  f. 

■^)  I.  142  ir.  Mitt.  u.  0.  73  f. 


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Viktor  erlebt  mit  dem  unheimlichen  Gesellen  unter  den  psychischen 
Nachwirkungen  einer  schweren  Kopfwunde  in  bösen  Träumen  entsetz- 
liche mystische  Abenteuer*).  Dali  O’Malley  Geister  durch  lautes 
Vorlesen  aus  einem  Buche  zitiert,  ist  ein  bekannter  Zug  der  Hexen- 
meistersagen; die  damit  meistens  verbundene  Erzählung  von  dem 
Zauberlehrling,  der  in  des  Meisters  Abwesenheit  neugierig  das  Buch 
benutzt  und  sich  plötzlich  von  seltsamen  Erscheinungen  umgeben  sieht, 
verwendet  Hoft’mann-Kreisler,  um  die  magische  Macht  der  Musik  sym- 
bolisch zu  schildern  *).  Auch  der  alte  Archivarius  Lindhorst,  ein  besonders 
in  arabischen,  koptischen  und  Sanskritraanuskripten  belesener  Antiquar 
und  daneben  experimentierender  Chemiker,  gilt  wegen  seines  wunder- 
lichen Benehmens  und  weil  er  bei  verschlossenen  Türen  arbeitet,  als 
geheime  Wissenschaften  treibender  Zauberer;  in  seinem  „blauen 
Bibliotheksaale“  erblickt  die  aufgeregte  Phantasie  des  Studenten 
Anselmus,  als  er  rätselhafte  Handschriften  kopiert,  ein  Märchenland 
voll  der  seltsamsten  Erscheinungen*).  Wenn  der  Salamanderfürst 
aber  später  den  Unglücklichen  in  eine  Kry stallflasche  bannt,  so  ist 
das  ein  ZauberstOckchen,  dem  wir  z.  B.  in  Grimms  Märchen  „der 
gläserne  Sarg“  begegnen*). 

Lindhorst  aber  führt  uns  bereits  zu  einer  anderen  Gruppe 
Hoffmannscher  Gestalten  hinüber,  die  mit  unserm  Thema  nichts  mehr 
zu  tun  haben,  jenen  grotesken  Menschen,  in  denen  Hoffmann  sein 
eigenes  Wesen  karrikierte,  dem  Bat  Krespel,  dem  Obergerichtsrat 
Drosselmeier,  dem  Professor  in  der  „Automate*).“ 

In  ähnlicher  Weise  läßt  Hoffmann  den  Hexenglauben  sich  aus 
wirklichen  Gestalten  des  täglichen  Lebens  entwickeln:  wie  das  Volk 
alte  Frauen  an  bestimmten  Anzeichen  als  Hexen  zu  erkennen  glaubt, 
so  schildert  er  die  alte  Bäuerin  als  schon  durch  ihr  Äußeres 
gekennzeichnete  Hexe.  Die  „weise  Frau“  wohnt  in  Dresden  vor  dem 
Seetore,  ein  hageres,  zahnloses  Weib  mit  einer  Habichtsnase  und 
leuchtenden  Katzenaugen  im  entstellten  Gesichte.  Ihren  Unterhalt 
verdient  sie  sich,  indem  sie  aus  Karten,  Kaffeesatz  und  gegossenem 
Blei  weissagt,  sie  kann  .auch  im  Metallspiegel  Gestalten  erscheinen 
lassen  — und  man  munkelt  von  ihr,  daß  sie  noch  mehr  kann®). 
Um  den  Nimbus  zu  verstärken,  umgibt  sie  sich  mit  allerlei  un- 
heimlichem Getier  und  seltsamem  Gerät.  Wie  viele  andere,  sucht 

>)  XIII.,  151  ff.  »)  I.,  29.  Mitl.  VII.,  45  ff. 

>)  1.,  18G,  211.  *)  Grimm  M.  So.  163;  I.,  236  f. 

'■}  R.  Huch  S.  202.  I.,  204,  205,  246. 


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auch  die  hysterisch-liebeskranke  Jungfrau  Veronika  die  Hexe  auf  — 
und  in  den  Fieberphantasien  einer  starken  Erkältung  erlebt  sie  mit 
ilir  eine  grauenhafte  Geisterbeschwörung:  am  Tage  der  Tag-  und 
Nachtgleiche,  auf  einem  Kreuzwege  wird  der  magische  Bannkreis 
gezogen,  in  dem  der  Hexenkessel  brodelt,  und  die  bis  zum  wahnsinnigen 
Entsetzen  geängstigte  Jungfrau  erblickt  in  Sud  und  Rauch  wirre 
Gestalten  und  schließlich  ihren  Anselraus.  Hoffinann  verweilt  mit 
innigem  Behagen  bei  diesem  „Höllenbreughelschen“  Gemälde,  dessen 
Züge  der  Volkssage  nachgezeichnet  sind*). 

So  verbreitet  Hoffmann,  indem  er  das  Fremdartige,  vom  Ge- 
wöhnlichen Abweichende  stark  betont,  diese  Gestalten  sich  in  einer 
phantastischen  Seele  widerspiegeln  läßt  und  die  Vorgänge  des  inneren 
und  äußeren  Lebens  genial  vermischt,  über  das  Ganze  jene  eigenartige 
Stimmung  des  Wunderbaren,  die  überhaupt  das  Kennzeichen  seiner 
Poesie  ist. 

Wo  aber  Hofimann,  wie  im  „Berganza“,  in  .Anlehnung  an  ein 
A'orbild  weiter  dichtet  oder  eine  Chronik  als  Quelle  benutzt,  wie  in 
den  Hexengescliichten  „der  Teufel  in  Berlin“  (VUI,  11  ff.)  und  der 
„Geschichte  von  den  zerbrochenen  Eiern“  (in  „der  Feind“  XIV,  190), 
da  verzichtet  er  auf  diese  Verknüpfungen,  läßt,  wie  bei  der  Schilderung 
der  Hexenversammlung  (I,  82  f.)  seiner  Phantasie  frei  die  Zügel 
schießen  (Shakespeares  Hexenszenen  scheinen  ihm  vorgeschwebt  zu 
haben)  — oder  er  erzählt  „mit  den  Phrasen,  Redensarten  und 
Wörtern  des  alten  Chronikers,  der  seine  Rede  wohl  zu  setzen  wußte.“ 

II.  Ungewöhnliche  Zustande  des  Bewußtseins. 

AAagische  Beeinfiussung. 

Konnten  wir  bei  diesen  Gestalten  trotz  der  eigenartigen  Bei- 
mischung bizarrer  und  psychopathischer  Züge  die  deutliche  Anlehnung 
an  Anschauungen  des  Volksglaubens  nicht  verkennen,  so  gilt  dasselbe 
von  gewissen  magisch-okultistischen  Operationen  und  geheimnis- 
vollen A'orgängen:  dein  Spiegelbild  und  Spiegelschauen,  der  Sjinpathie- 
wirkung  und  Telepathie,  den  Ahnungen  und  Traumen.  Hoffmann 
erwähnt  das  „Ammenmärchen“,  w'omit  die  Wartefrau  das  kleine  Kind 
schon  ängstigte’).  Sie  sagte  nämlich,  „wenn  Kinder  nachts  in  den 
Spiegel  blicken,  kuckte  ein  fremdes  garstiges  Gesicht  heraus,  und 


>)  eb.  21G— 2ia. 

*)  U1/H5  vgl.  Webers  llemokrit  IV, 4G. 


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der  Kinder  Augen  blieben  dann  erstarrt  stehen“.  Dem  Si)iegelbilde 
haftet  überhaupt  etwas  unheimliches,  gespenstiges  au:  die  nervös- 
ängstliche  Marie  läuft  trotz  ihrer  sechzehn  .Jahre  noch  Gefahr,  vor 
ihrem  eigenen  Spiegelbilde  zu  erschrecken,  das  sie  für  eine  ge- 
spenstische Erscheinung  hält*).  Aus  Sage  und  Dichtung  bekannt 
ist  der  Hexenspiegel,  in  dem  durch  Zauberkünste  Bilder  wie  leib- 
haftige Gestalten  erscheinen*).  Hoffmann  sucht  diesen  Glauben 
psychologisch  zu  vertiefen,  indem  er  ein  scharf  isoliertes  Denken  an 
die  gewünschte  Person  damit  verbindet.  So  findet  er  die  V"er- 
knüpfung  mit  den  suggestiven  Experimenten  des  Magnetismus;  denn 
Mesmer  hatte  beobachtet,  daß  Spiegel  die  magnetische  Wirkung  ver- 
stärkten. Bei  reizbaren  Personen  pflegte,  nach  Schubert,  schon  das 
Uineinblicken  in  einen  aus  einer  hellpolierten  Metalltläche  bestehenden 
Spiegel  zu  genügen,  um  bei  ihnen  einen  dem  magnetischen  Hell- 
sehen ähnlichen  Zustand  hervorzubringen*).  So  erhält  die  hysterische 
Veronika  von  der  weisen  Frau  einen  blanken  nmden  Metallspiegel, 
aus  dem  ihr,  wenn  die  Strahlen  sie  durchdringen,  der  geliebte  An- 
selmus  entgegenlächelt*).  Auch  der  exaltierte  junge  Baron  muß  in 
Schnüspelpolds  verdunkeltem  Zimmer  mit  Unterdrückung  aller  anderen 
Vorstellungen  in  einen  kleinen  leuchtenden  Metallspiegel  schauen, 
worauf  die  Griechenfürstin  in  blendender  Schönheit  ihm  daraus 
entgegen  tritt*). 

Im  Anschluß  an  den  alten  Brauch,  durch  einen  als  .Andenken 
überlassenen  Gegenstand  eine  stete  geistige  Verbindung  zwischen 
Getrennten  aufrecht  zu  erhalten,  hatte  ein  (auch  im  Märchen  gel- 
tender) Volksglaube  die  mit  dem  Gegenstand  verbundene  suggestive 
Femwirkung,  eine  Art  psychischen  Rapportes  entwickelt.  Wenn 
Spikher,  in  Giuliettas  Liebesfesseln  schmachtend,  eine  aus  ihrem 
Halsbande  entwendete  Perle  starr  anschaut  und  dabei  Sinn  und 

»)  1,151. 

*)  Grimm,  D.  M.  117.  Goethes  Hexenküche,  Ludwigs  Engel  von  .kugs- 
burg  u.  a.  m. 

•)  R.  Huch  S.  293.  Symbolik  208.  Wie  ein  Medium,  durch  Spiegcl- 
sebuuen  in  magnetischen  Schlaf  versenkt,  in  fremden  Sprachen  redet  und  von 
entfernten  Personen  und  Sachen  crz&hll,  schildert  Hoffmann  X,  151  f.  — Zn 
der  ebendort  erw&hnten  Kristallkugcl  vgl.  man  Grimm  M.  No.  197.  Ein  Hand- 
spiegel spielt  bei  dem  , exaltierten  Seelenzustande'  Theodors  im  ,r>den  Haus' 
(JIl,  147)  eine  Rolle;  flimmernde  Brillengläser  treiben  den  düsteren  Nathanael 
zur  Verzweiflung  (III,  27). 

*)  1.220.  »)  XIII.119. 


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132 


Gedanken  fest  auf  sie  richtet,  muß  die  Entfernte  leibhaftig  vor  ihm 
erscheinen^).  So  löst  sich  sogar  das  Bild  der  verstorbenen  Mutter 
unter  der  sehnsuchtsvollinnigen  Betrachtung  aus  dem  Rahmen  und 
beschützt  im  geheimen,  stillen  Walten  ihr  Kind  bis  zu  seinem 
Hochzeitstage*).  Der  letzte  Zug  erinnert  leise  an  das  , mutter- 
seelenallein“ gelassene  Kind  der  Volkssage,  zu  dem  sich  die  ver- 
storbene Mutter  gesellt*).  Wenn  im  „verlorenen  Spiegelbilde“  die 
böse  Macht  sich  des  Abbildes  eines  Menschen  bemächtigt,  um  ihm 
zu  schaden*),  so  schwebt  wohl  die  Volksanschauung  vor,  daß  Bild 
und  Person  in  sympathetischem  Verhältnis  stehen*).  Wie  der  vin- 
kulierende  Gegenstand  die  Erinnerung  festhält,  so  verschwindet  sie 
auch  mit  ihm.  Von  dem  Augenblick  an,  wo  von  einer  mattgewordenen 
Kartätschenkugel  das  Medaillonbild  der  Braut  an  seiner  Brust  in 
Atome  zersplittert  wird,  fühlt  sich  Bogislav  von  allen  unheimlichen 
Einflüssen  befreit,  die  ihn  seit  dem  Duell  mit  dem  gespenstischen 
Nebenbuhler  verfolgten*).  Der  vennittelnde  Gegenstand  kann  aber 
schließlich  auch  ganz  fehlen  und  in  Fonn  eines  visionären  Schauens 
oder  telepathischen  Empfindens  ein  rein  psychischer  Rapport  ein- 
treten.  So  sieht  die  irre  Hermenegilde  den  Tod  des  fernen  Geliebten 
in  der  Schlacht  mit  allen  Einzellieiten  zur  selben  Stunde,  wo  er 
wirklich  tUllt’)  — man  denkt  an  das  „Femgesicht“  des  Volks- 
glaubens. Der  „reisende  Enthusiast“  spürt  m.ächtig  die  Nähe  der 
Sängerin  Julia  zur  selben  Zeit,  wo  sie,  wie  er  später  erfuhr,  ver- 
schied“.) Antonia  stirbt  in  Pisa  zur  selben  Stunde,  wie  ihr  ferner 
Geliebter,  der  Oberst  in  der  italienischen  Nobelgarde®).  Es  erinnert 
dies  einerseits  an  das  „Todanraelden“  des  Volksglaubens  — man 
vergleiche  Grimms  „Zusammenkunft  der  Toten*“)“  — andrerseits  an 
die  „Liebessympathien“  des  Volksglaubens.  Hoffraann  selbst  spricht 
an  dieser  Stelle  von  den  „Liebesverzauberungen“,  von  denen  alle 
Chroniken  voll  sind,  die  in  tollen  He.xenprozessen  immer  Vorkommen 

')  I,27G.  S)  XIII,  61.  »)  Miltlg.  189S;  V,  43.  *)  I,  271  ff. 

*)  Vgl.  meine  Freimaurersagcn  Mittig.  XII/G8. 

“)  VHI,  127.  ’)  III,  249.  255.  “)  I,  73f.  «)  III,  152  f. 

*“J  D.  S.  No.  342;  Schubert  „Nachtseiten“  350  f.  weist  darauf  hin,  daß 
von  der  auf  Entfernungen  wirksamen  Sympathie  zwischen  Magnetiseur  und 
Somnambule  „nur  noch  ein  Schritt  ist  bis  zu  dem  wunderbaren  Mitwissen  eines 
Entfernten  um  das  Schicksal,  vornehmlich  um  den  Tod  einer  geliebten  Person.“ 
Er  führt  eine  Menge,  „selbst  von  kantiseben  Philosophen  bezeugter“  FJllo  au 
und  weist  darauf  bin,  daU  besonders  Wahnsinnige  und  Nervenkranke  ein  Vor- 
gefühl vom  Tode  selb.st  ihnen  ganz  fremder  Personen  haben. 


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_ 233 

und  sogar  „in  dem  Gesetzbuche  eines  sehr  aufgeklärten  Staates  be- 
handelt werden.“  Er  betont,  daß  sie  insofern  auch  rein  ps.vchisch 
zu  wirken  bestimmt  sind,  als  sie  nicht  nur  zur  Liebeslust  anregen, 
sondern  auch  unwiderstehlich  an  eine  bestimmte  Person  bannen 
sollen*).  Einen  solchen  teuflischen  Liebestrank  reicht  Julia  dem 
„reisenden  Enthusiasten“,  es  „war  ihm,  als  knisterten  und  leckten 
kleine  blaue  Flämmchen  um  Glas  und  Lippe’)“.  In  das  Gebiet  der 
magischen  Beeinflussung  gehört  noch  der  „böse  Blick“.  Nach  der 
Ansicht  des  Volkes  erregt  er  Herzensangst,  Beklemmungsgefühle  und 
kann  auch  einen  ganz  gesunden  Menschen  durch  magische  Infektion 
vergiften®).  Solch  düstere,  unheimlich  stechende  oder  glühend  bö.se 
Augen  haben  bei  Hoffmann  alle  unheimlichen,  teuflischen  Gestalten; 
einer  besonders  treffenden  Schilderung  seiner  Wirkung  begegnen  wir 
in  der  „Geschichte  vom  verlorenen  Spiegelbilde.“  Wenn  die  Teufels- 
buhle Giulietta  Erasmus  anblickt,  so  faßt  es  ihn  wie  eine  fremde 
Macht  und  drückt  seine  Brust  zusammen,  daß  sein  Atem  stockt. 
Ihr  sonderbarer  Blick  erregt  ihm  Jederzeit  inneren  Schauer,  seine 
Lippen  erstarren,  er  kann  kein  Wort  hervorbringen*).  Für  Hoffmann 
spielt  hier  wieder  die  Vorstellung  von  dem  lähmenden  Blicke  des 
Hypnotiseurs  mit,  der  auf  sein  Opfer  eine  staunenswerte  Gewalt  aus- 
übt; und  auch  hier  i.st  das  Physische,  wie  oben  bei  den  Liebe.s- 
tränken,  auf  das  Psychische  übertragen,  indem  der  Teufelsblick 
Giuliettas  den  biederen  Philister  Spikher  nicht  körperlich  schädigt, 
sondern  sein  Seelenheil  gefährdet. 

Eine  geheimnisvolle  Beeinflussung  findet  auch  bei  den  Ahnungen 
und  Träumen  statt,  die  bekanntlich  im  Volksglauben  ebenfalls  eine 
große  Rolle  spielen.  Bei  Hofimann  sind  es  meist  düstere  Vorgefühle 
eines  kommenden  Unheils;  sie  erfassen  den  Menschen  mit  solcher 
Macht,  daß  er  zu  allem  anderen  unfähig  nürd.  Oft  ist  es  dem 
Menschen  unklar,  ob  es  dunkle  Erinnerungen  aus  früherer  Zeit  oder 
Nachwirkungen  eines  dunklen  Traumes  sind.  Hysterische,  gemüts- 
kranke Menschen,  wie  die  Prinzessin  Hedwiga  im  „Murr“,  die 
Baronesse  im  „Majorat“,  der  Hofrat  Reutlinger  im  „steinernen  Herz“, 

•)  III,  15-2.  388  IT. 

I,  25G.  Vgl.  die  Hexenküche  im  Faust.  — Die  neueste  liternrisclie 
Verwendung  ist  F.  Wedekinds  Komödie  „Der  Liebestrank.“ 

’)  Wutko  „Der  deutsche  Volksaborgluube“.  214.  220. 

*)  I,  267.  270.  Man  xergl.  auch  die  Iiypuolisierendcu  Augen  des  Fremden 
in  Ib.sens  „Frau  vom  Meere“. 


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134 


neigen  besonders  zu  solchen  Ahnungen ').  Was  der  wache  Mensch 
als  dunkle  Ahnung  empfindet,  sieht  der  schlafende  als  Traumbild. 
Wie  der  moderne  Theosoph  an  einen  Astralleib  glaubt,  der,  wenn 
der  physische  Leib  schlitft,  zu  eigenem  Leben  erwacht,  so  schlüpft 
nach  dem  Volksglauben  die  Seele  aus  dem  Körper  des  Schlafenden, 
geht  um  und  erlebt,  wie  dort  der  .\stralleib,  Dinge,  die  der  physische 
Organismus  dumpf  als  Traum  empfindet.  Hoffmann  hat  sich,  im 
Anschluß  an  Schubert,  eine  Traumtheorie  gebildet.  Die  niedere 
trügerische  Art  des  Träumens,  wo  irgend  eine  körperliche  oder 
geistige  Unordnung  im  Organismus  von  dem  Geiste  phantastisch  um- 
gedeutet wird,  scheidet  für  ihn  aus.  In  dem  tieferen  Traume  aber 
schwebt  der  Geist  über  Raum  und  Zeit,  wie  im  Miirchen.  Hier 
wachsen  der  Seele  die  Schmetterlingsflflgel,  und  sie  beginnt  ein 
zweites  Leben,  wo  wir  alle  Erscheinungen  des  Geisterlebens  nicht 
nur  ahnen,  sondern  wirklich  sehend  erkennen  *).  In  diesem  Zustande 
zeigt  dem  Schlafenden  ,das  innere  .\uge“  die  von  anderen  erlebte 
Gegenwart,  wie  dem  alten  Großonkel  im  Majorat;  der  Traum  läßt 
die  Vergangenheit  wieder  aufleben,  wo  selbst  längst  Vergessenes  aus 
dunklen  'Liefen  wieder  emportaucht,  wie  in  „Doge  und  Dogaresse“ 
vor  dem  armen  .\ntonio  sein  früheres  schönes  Leben;  er  gewährt 
Klicke  in  die  Zukunft,  wie  er  Ferdinand  die  einstige  Geliebte 
leibhaftig  schauen  läßt  (die  .\utomate)  *).  Ein  nachwirkender 

Traum  kann,  wie  bei  Albert  im  „Elementargeist“,  zu  einem  dem 
Menschen  unbegreiflichen  Zwangsgefühle  werden*),  gute  Geister 
können  den  Menschen  im  Traume  ernsthaft  warnen,  um  ihn  aus  den 
Schlingen  des  Bösen  zu  retten*).  Der  lebhafte  Traum  kann  zur 
Vision  werden,  wie  dem  „Rat  Krespel“  ein  lichtes  Bild  in  ohn- 
machtähnlichem Schlummer  den  Tod  Antoniens  verkündet®).  Im 
„Murr“  wird  die  ganze  physiologische  Literatur  über  den  Traum 

■)  X,  b-2;  III,  175,  262;  vgl.  VI,  40.  UI,  7.  u.  a. 

Schubert  „Symbolik“  151.  Das  Gefühl  einer  „doppelten  Persönlichkeit 
wird  Tom  Nachtwandler  und  auch  nach  langen  Krankheiten  empfunden,  und  sic 
ist  „bpi  Wahnsinn  mit  lichten  Intervallen  und  im  Traume  wirklich  vorhanden“. 
,.I>er  beim  Wachen  gegen  jede  andere  Stimme  verschlossene  innere  Sinn  wird 
durch  öfters  wiederkehrende  Träume  geöffnet“  (208).  Bei  Hoffmann  I,  140, 
147,  149;  X,  234  f.  u.  a.  m.  Man  vgl.  auch  Khodos  Psyche.  S.  G ff. 

»)  III,  172.  VII,  118.  VII,  82. 

*)  XIII,  136.  138.  142.,  wobei  allerdings  auch  telepathische  Suggestion 
mitwirkt,  indem  Viktor  beständig  konzentriert  an  ihn  denkt. 

®)  II,  124.  ®)  VI,  50. 


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135 


angeführt*);  mit  besonders  lebhaftem  Interesse  verfolgt  Hoffmann  die 
Cbergangsznstände  vom  Wachen  zum  Träumen,  das  „Delirieren  des 
Einschlafens“,  die  ersten  Momente  des  Erwachens  aus  bewustlosem 
Schlafe,  das  Auffahren  im  Traum*).  Diese  „schlichten  und  doch 
geheimnisvollen  Lebenserfahrungen“  glaubte  man  mit  dem  Magnetis- 
mus ergründen  und  als  Eingreifen  fremder  physischer  Mächte  deuten 
zu  können.  Man  sprach  von  fremden  Mächten,  denen  man  dann 
willenlos  hingegeben  sei,  von  dämonischen  Gewalten,  die  auf  den 
Schlafenden  verderblich  einwirken  könnten  *).  Ein  solches  unheimliches 
Wesen  kennt  aber  auch  der  Volksglaube,  den  „Alb“,  und  wer  Laistners 
„Rätsel  der  Sphinx“  gelesen  hat,  weiß,  wie  viele  Sagen  zwanglos 
sich  ans  dem  Alpdrücken  herleiten  lassen.  Daß  anch  Hoffmann 
daran  gedacht  haben  muß,  beweist  sein  „Magnetiseur“;  denn  diese 
gespenstige  Gestalt,  die  scheinbar  durch  geschlossene  Türen  geht, 
die  unglückliche  Maria  in  einen  „bewußtlosen  und  doch  höher 
lebenden“  Schlafznstand  versetzt,  die  ihr  „in  beherrschender  Macht 
im  Traume  als  ihr  Meister“  erscheint,  er  heißt  — Albanns*).  So 
hat  auch  der  in  die  Farbe  der  Nacht  gekleidete,  bleiche  fremde  Graf 
im  „unheimlichen  Gast“,  von  dem  Theodor  (Hoffmann)  selbst  sagt, 
daß  er  „mit  dem  Magnetiseur  dieselbe  Basis  habe“,  etwas  Albartiges 
an  sich*).  Am  meisten  nähern  sich  die  beiden  Erzählungen  der  in 
Grimms  Märchen  „der  gläserne  Sarg“  aufgenommenen  Roman- 
geschichte. Die  Ähnlichkeit  ist  zum  Teil  verblüffend:  das  plötzliche 
Auftauchen  des  Fremden  in  dem  Schlosse  — seine  spannende  Unter- 
haltung — sein  Eindringen  in  verschlossene  Zimmer  — seine  ma- 
gische Gewalt  Ober  die  Grafentochter  — dies  alles  findet  sich  wieder. 
Und  hier  heißt  es  auch;  „ich  wollte  mein  Kammermädchen  rufen, 
aber  zu  meinem  Erstaunen  fand  ich,  daß  mir,  als  lastete  ein  Alp 
anf  meiner  Brust,  von  einer  unbekannten  Gewalt  die  Sprache  ge- 
nommen war“  usw.  *). 

>)  23t.  *)  III.  142,  X,  31,  83.  III,  150.  >)  HI,  150.  I,  141. 

*)  LaUtner  a.  0.  XIX.  — I,  141  ff.  Sackheim  freilich  sagt  zu  dem 
Namen:  „sein  Namen  könnte,  wie  der  des  Prosper  Alpanus,  etwas  mit  den 
Alpen  und  ihrer  strahlenden  l'nheimlicbkeit  zu  tun  haben:  ein  Präludium  zum 
Zarathustra.“  (!)  Den  Prosper  Alpanus  im  Klcinzaches  hat  übrigens  Ellinger 
schon  auf  den  gelehrten  Arzt  des  sechzehnten  Jahrhunderts  Prosper  Alpinns 
ziirfickgeführt  (173). 

*)  Vm/131. 

•)  Grimm  M.  No.  163.  Vgl.  II,  259. 


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IHß 


III.  Der  Teufel  im  Volksglauben  und  bei  Hoff  mann. 

Gespenstische  Dilinonen  waren  es,  die  in  den  Träumen  ver- 
derblich auf  den  Menschen  einwirken  konnten.  Hoffmann  glaubte  an 
solche  finstere,  arglistige  Mächte,  die  in  den  hellsten  Sonnenblick  des 
Lebens  mit  ihren  schwarzen  Krallen  hineingreifen,  als  etwas  Fremd- 
artiges in  unser  Leben  plötzlich  eintreten  und  uns  zu  einem  willen- 
losen Werkzeuge  zu  ihren  unheilvollen  Plänen  machen  Mau  würde 
etwa  an  die  gleichzeitige  Schicksalstragödie  denken  können,  aber 
Hofimann  hat  über  dieses  Theater,  das  „sich  mit  dem  Satan,  der 
Hölle  und  einer  Fratze,  die  sie  Schicksal  nannten,  befreundete“,  ver- 
nichtend geurteilt’).  Seine  Ansicht  gibt  wohl  am  besten  der  als 
„scharfsinniger  Beobachter“  psychischer  Einwirkungen  gerühmte 
Mediziner  wieder,  wenn  er  an  die  Herrschaft  eines  bösen  geistigen 
Prinzipes  über  die  Seele  eines  Menschen  nur  dann  glauben  will, 
wenn  eine  Schwäche  des  inneren  Willens  (eine  Abnomiität  iin 
geistigen  Organismus)  da  ist,  die  jener  Raum  gibt’).  Unter  dieser 
Voraussetzung  sind  seine  Teufelsgeschichten,  wie  Kreisler  sagt,  eine 
„Darstellung  des  irdischen  Unterganges  durch  böses  Wollen  feind- 
licher Mächte*).  Aber  sein  Teufel  ist  doch  etwas  ganz  anderes,  als 
die  ihm  und  uns  bekannte  Gestalt  der  deutschen  Volkssage  — sie 
zeichnet  er  getreu  nach  seinem  Vorbilde  in  den  Chroniken  in  „der 
Teufel  in  Berlin“  und  „der  Kampf  der  Sänger“  und  lobt  die  drollige 
Naivetät,  die  eigenartige  Mischung  von  Grauenhaftem  und  Ironischem 
in  diesen  Erzählungen.  Fou([ues  „Galgenmännlein“  liebt  er  deshalb 
so,  weil  es  ganz  die  Wirkung  jener  einfachen  altertümlichen  Teufels- 
spnkgeschichten  hervorbringe’).  Sonst  aber  ist  für  ihn  der  Teufel 
der  Ausdruck  einer  inneren  Seelenstimmung  — er  „denkt  mehr  an 
ihn,  als  daß  er  ihn  zu  sehen  glaubt“  — er  ist  das  geheimnisvolle 
Etwas,  das  den  rechten  Moment  zu  erspähen  weiß,  um  höhnend  mit 

’)  Einltg.  XC.  Anm.;  II,  124.  188.  VI,  19.5  ii.  «. 

»)  XV,  187. 

’)  III,  151  f.  Ähnlich  hckiimpft  iin  ,, Sandmann“  dio  versUndige  Klara 
Nathanaels  mystische  lA'hro  von  Teufeln  und  grausen  MBchten,  die  den  sich 
frei  wühnenden  Menschen  als  Spiel  dunkler  Gewalten  hinstellt.  Gegenüber 
dieser  „düsteren  langweiligen  Mystik“  betont  sie,  daß  die  teuflische  Macht  nur 
sein  und  wirken  kann,  wenn  man  sie  nicht  aus  Sinn  und  Gedanken  verbannt 
(III.  22  f.). 

‘)  I,  322.  ’)  VIII.  1711.  21.  Grimm  I>.  M.  No.  125.  195  ii.  a. 


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137 


den  scharfen  Krallen  in  unsere  Brust  zu  fahren  und  sich  an  unserem 
warmen  Herzblut  zu  weiden*).  Immerhin  entlehnt  Hoffmann  dem 
Glauben  des  Volkes  das  seltsame  Äußere  und  all  die  furchtbaren 
Begleiterscheinungen,  mit  denen  es  den  Teufel  ausstattete.  Er  ist- 
lang  und  hager,  hat  eine  spitze  Habichtsnase,  tückisch  funkelnde 
Augen  und  einen  hämisch  verzogenen  Mund.  Er  trägt  einen  feuer- 
roten Rock  oder  roten  Mantel,  und  am  breiten,  niedergekrempten  Hute 
weht  die  rote  Feder®).  Der  bekannte  Teufelspakt  mit  Unterschrift 
und  Blutstropfen  — man  vgl.  z.  B.  Grimms  Märchen:  „Der  Teufel 
und  seine  Großmutter,  Goethes  Faust,  u.  a.  — begegnet  uns  in  der 
„Geschichte  vom  verlorenen  Spiegelbilde®)“.  Auch  daß  der  Teufel 
Kinderopfer  verlangt,  wie  wiederholt  im  „Ignaz  Denner“  und  an- 
gedeutet in  der  Nebengeschichte  zum  „Teufel  in  Berlin“,  ist  ein 
altes  Sagenmotiv.  In  Grimms  Märchen:  „Das  Mädchen  ohne  Hände“ 
erscheint  z.  B.  der  Teufel  ebenfalls  als  fremder  Mann,  der  nach  be- 
stimmter Frist  das  Kind  als  Preis  für  seine  Unterstützung  sich  holt*). 

Trotz  dieser  Teufels.attribute  tritt  uns  — abgesehen  von  den 
oben  angeführten  Erzählungen  nach  alten  Chroniken  — der  Teufel 
nie  leibhaftig  entgegen,  sondern  Hoffman  verkörpert  das  böse  Prinzip  in 
einer  Menschengestalt,  am  liebsten  der  eines  Fremden,  der  plötzlich 
in  den  friedlichen  Kreis  guter  Menschen  tritt®).  Im  „Ignaz  Denner“ 
taucht  es  in  wilder  Stnrmnacht  als  verirrter  Reisender  in  dem 
Heime  des  Rerierförsters  Andres  auf  und  sucht,  scheinbar  mitleidig 
und  freigebig,  mit  Geld  und  Schmuck  ihn  und  sein  Weib  zu  um- 
garnen. (UI.,  41)  — in  „Kreislers  Lehrbrief“  erscheint  es  als  un- 
bekannter, stattlicher  Mann  auf  des  Junkers  Burg  und  verstrickt 
durch  betörende  Erzählungen  und  seine  wundervollen  Lieder®)  das 

'}  I,  253.  Zu  dem  Ganzen  vgl.  mau  folgende  Stelle  aus  Schuberta 
„Symbolik“  88.  Anm.  „Dämonisebo  suchen  zunttebst  und  meistens  das  Böse 
an  den  Personen,  die  mit  ihnen  in  Rapport  kommen,  anf  und  machen  es  laut- 
bar. Ihre  Weise  ist  bahnend,  bitter,  alles  verdammend,  alle  Hoffnung  ab- 
schneidend“. 

*)  I,  256.  268.  III,  52,  69.  VII,  52,  Grimm  I).  M.  No.  195. 

»)  M.  No.  125.  — I,  277  f. 

*)  m,  50,  61  ff.,  87.  VIII,  21.  Vgl.  auch  I,  318.  Grimm  M.  No.  31, 
weiterhin  ,Jlumpel3tilzehen“  No.  55  und  No.  92,  ebenso  Band  II,  27. 

Dieser  geheimnisvoll  unerwartet  auftretende  Fremde  ist  als  typische 
Figur  in  fast  allen  Schicksalsdramen  vorhanden,  (vgl.  Schmidtborn.  Christoph 
Ernst  Frh.  v.  Houwald  als  Dramatiker.  Marburg  1909.  S.  105  f.) 

®)  Dieser  dämonische  Einfluß  einer  selt.sam  ergreifenden  Musik  erinnert 
abermals  an  Grimms  Märchen  „der  gläserne  Sarg“  und  begegnet  uns  wieder  in 
MiUeiluuseD  d.  schles.  Ges.  f.  Vkde.  Band  XII  (HeftZ).  10 


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138 


blutjunge  Burgfräulein  in  unlösbare  Bande  (L,  318)  — es  drängt 
sich  mit  sinnlicher  Lockung  an  den  sonst  großherzigen  und  gemüt- 
vollen Schloßherrn  von  L.  heran  und  verleitet  ihn  zu  geheimnisvollen 
. Greueltaten  (VIII.,  21.)  Und  diese  letzten  Gestalten  leiten  wieder 
zu  den  oben  skizzierten  albartigen  Erscheinungen  des  , unheimlichen 
Gastes“  und  „Magnetiseurs“  über. 

IV.  Gestalten  der  niederen  Mythologie. 

Ein  Teufelsgeselle  ist  der  Alraun  der  deutschen  Sage.  (Grimm 
1>.  S.  No.  84).  Hoffmanns  Begeisterung  für  Fouqu6s  Galgenmännlein 
wurde  bereits  oben  gedacht.  Er  selbst  hat  diese  Gestalt  zwar  nicht 
in  den  Mittelpunkt  einer  seiner  Erzählungen  gestellt,  aber  wir  finden 
ihn  wiederholt  erwähnt.  So  kennt  die  sagenkundige  alte  Muhme  in 
Genthin  „des  Wnrzelmännlein,  dem  gar  nicht  zu  trauen  ist,  denn  so 
ein  Kerlchen  stößt  einem  zuletzt  das  Herz  ab').  Mit  wunderlichen 
Alraunwurzeln  treibt  der  gespenstige  Klingsohr  im  „Sängerkrieg“ 
ein  teuflisches  Spiel  ’).  Das  herzzerschneidende  entsetzliche  Gewinsel 
und  Geheule,  wenn  man  die  Alraunwurzel  ans  der  Erde  zieht,  wird 
in  der  „Königsbraut“  erwähnt’),  und  der  Kobold,  den  Jungfer 
Veronika  vor  ihrem  Kaffeeklatsch  nervös-überreizt  überall  zu  sehen 
glaubt,  springt  „wie  ein  Alräunchen  hervor*).  Zu  dem  neckisch 
höhnenden  Kobolde  gesellt  sich  der  Poltergeist  (vgl.  Grimm  D.  S. 
No.  74).  Hoffmann  charakterisiert  mit  seinem  Treiben  eine  bestinunte 
Art  Musik:  „bei  seinem  Erscheinen  regen  sich  alle  Elemente  auf 
einmal,  wittert  er  aber  Morgenluft,  so  verschwindet  er  mit  einem 
heftigen  Knalle,  worauf  alles  umher  plötzlich  mit  Grabesstille  bedeckt 
liegt’).“ 

Kobolde,  Gnomen  und  Zwerge  gehen  bei  Hof&nann  völlig  in 
einander  über;  in  der  „Königsbrant“  werden  die  kleinen  Wesen  bald 
mit  diesem,  bald  mit  jenem  Namen  bezeichnet.  Das  Grotesk-Komische 
ihrer  Gestalt  hat  Hoffmann  dem  Volksglauben  vorzüglich  nachgezeichnet; 
die  Schilderung  des ' prächtig-grotesken  Aufzuges  der  Zwerge  mit 
ihrem  Könige  erinnert  in  einzelnen  Zügen  an  Goethes  „Hochzeitsfest’)“. 
Den  häßlichen  Zwerg,  der  die  schöne  Jungfrau  an  sich  ketten  will, 

dem  Uppi);  berauschenden  Liede,  mit  dem  Heinrich  von  Osterdingen  im  , Kampf 
der  Singer“  Mathilde  bezaubert.  (VH-.  •*2).  Er  gehört  in  das  Gebiet  jener 
„mystischen“  Musik  Hoffmanns,  von  der  Schiffer  a.  0.  S.  89  ff,  spricht. 

>)  XIII,  172.  ä)  VII.,  49.  3)  IX.,  201.  *)  I.,  208. 

’)  XV.,  37.  *)  LX,  207  ff. 


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139 


finden  wir  in  Grimms  Märchen  „der  starke  Hans“  wieder  *).  Freie 
Erfindung  HofTmanns  ist  es,  daß  er  die  Erdgeister  in  den  Wurzeln 
des  Gemüsegartens  leben  läßt  — immerhin  kennt  auch  der  Volks- 
glaube solche  aus  den  Gewächsen  heraustretende  und  in  sie  zurück- 
kehrende Geister“),  — jedenfalls  trifft  Hofi&nann  dabei  glücklich  den 
echten  Märchenton,  man  denke  nur  an  die  drolligen  Namen  der 
kleinen  Fürsten  (212.  219.)  oder  die  in  Töpfen  und  Pfannen  brodelnden 
und  winselnden  Rüben  (233).  Und  drastisch  tritt  neben  die  poetisch 
phantastische  Ausgestaltung  der  Märchengestalten  die  derb-reale  Auf- 
fassung der  Großraagd,  die  voll  Zorn  über  den  verwüsteten  Garten 
schimpft:  „Kobolde  sind  es,  nichts  als  unchristliche  Hexenkerle!“ 
Mit  einem  Stückchen  Kreuz^vurzel  getraut  sie  sich  „die  verfluchten 
kleinen  Kreaturen“  zu  verjagen.  (230.) 

Zu  den  Erdgeistern  gehört  auch  der  Berggeist  in  den  „Berg- 
werken von  Falun.“  Hoffmann  entnahm  die  Geschichte  ans  Schuberts 
Nachtseiten  (215  f.),  der  sie  seinerseits  „Hülpher,  Kronstedt  und  den 
schwedischen  gelehrten  Tagebüchern“  nacherzählte.  Andere  Züge 
entlehnte  Hoffmann  dem  Heinrich  von  Oflerdingen  des  Novalis  (I,  5)*). 
Immerhin  haben  wir  eine  Berechtigung,  die  Erzählung  anzufflhren, 
insofern  der  als  alter  Bergmann  erscheinende  Grubengeist  auch  eine 
deutsche,  im  Harz  und  Obersohlesien  bekannte  Sagengestalt  ist. 
Einige  Nebenzüge  könnten  sogar  darauf  hindeuten,  daß  Hoffmann 
während  seines  Aufenthaltes  im  Osten  von  dem  slavischen  „Starbnik“ 
etwas  hörte*). 

Den  Übergang  aus  dem  Kreise  der  mythischen  Gestalten  zu  den 
Gespenstern  bildet  die  „weiße  Frau“  der  deutschen  Sage.  Auch  sie 
hat  Hoffmann  in  eine  seiner  Erzählungen  aufgenoramen ’).  Der  alte 
Gärtner  erzählt,  daß  sie  sich  manchmal  im  Schloßgarten  blicken  lasse. 
Als  Adelgunde  eines  Abends  spottend  sie  nachäffen  will,  erblickt  sie 
plötzlich  das  Gespenst  vor  sich,  während  die  andern  es  nicht  wahr- 

*)  Grimm  M.  No.  166. 

*)  man  vgl.  Mitt.  1.,  8.  III.,  26  den  „Bäume  drückenden  Alb“  und  Mann- 
bardu  „Feld-  und  Waldkultes.“ 

*)  Ellinger  a.  0.  S.  133. 

*)  Mitt.  XII.,  71  fl.  Tgl.  Grimm.  D.  S.  No.  III.  Im  übrigen  hat  schon 
Sackheim  (a.  0.  207  n.  270)  auf  den  Einfluß  slavischer  Sagen  auf  Hoflmann 
i'  .rch  Mitteilungen  seiner  Frau,  auf  die  an  Spuk-  und  Gespenstergeschichten 
reiche  Provinz  Knjavien  als  Fundstätte  für  den  sagensammelnden  Dichter  hin- 
gewiesen.  Zu  Kujavien  vgl.  Mitt.  XIV.,  58,  70  fl) 

*)  VII,  69  fl. 

10* 


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140 

nehmen  — nun  ersfheint  es  ihr  jedesmal  zur  selben  Abendstunde 
wieder  und  wird  schließlieh  zu  einer  fixen  Idee,  unter  deren  Nach- 
wirkungen sie  und  ihre  Familie  in  Geisteszerrüttung  zu  Grunde 
gehen.  Auch  hier  erhält  die  Volksanschauung  durch  Beimischung 
magnetischer  (der  „schwebende  Teller“)  und  psychopathischer  Momente 
eine  echt  Hoffmann’sche  Färbung,  die  höchstens  in  dem  Umstande  einen 
kleinen  Rückhalt  findet,  daß  in  manchen  Sagen  das  Erscheinen  der 
Aveißen  Frau  stets  ein  Unglück  verkündigt").  Mit  der  bekannten 
weißen  Frau  als  erlösungsbedürftige  Seele  hat  HofiFmanns  Gestalt 
nichts  zu  tun. 


V.  Gespenster. 

Die  weiße  Frau  leitete  uns  zu  den  Gespenstern  über;  hier  be- 
finden wir  uns  in  Hoffmanns  ureigenstem  Gebiete.  Denn  keiner  hat 
es  so  wie  er  verstanden,  das  Entsetzen  und  Grausen  vor  etwas  Un- 
heimlichem zu  schildern;  unübertrefflich  ist  vor  allem  die  Schilderung 
der  Unwelt,  ans  der  der  Gespensterglaube  erwächst.  Wie  Shakespeare 
läßt  er  uns  an  diese  glauben,  indem  sie  in  voller  Begleitung  aller 
der  düsteren  geheimnisvollen  Nebenbegriffe  auftreten,  mit  welchen 
wir,  von  der  Amme  an,  Gespenster  zu  erwarten  und  zu  denken  gewohnt 
sind.  Wenn  der  Sturmwind  im  Kamin  heult  und  pfeift,  knattert  und 
zischt,  die  Windfahnen  ächzen  und  stöhnen,  die  Teemaschine  ge- 
heimnisvoll singt,  die  Menschen,  bang  zusammengedrängt,  in  fieber- 
hafter Erwartung  etwas  Ungewöhnlichem  entgegensehen  — in  solchen 
nächtlichen  Stunden  entsteigt  das  Volk  der  Gespenster  seiner  dunklen 
Heimat  und  beginnt  seine  irren  Wanderungen®).  In  der  „seltsam 
wohltuenden  Aufregung“  solcher  Geschichten  schwelgen  die  Serapions- 
brüder, und  wer,  Avie  Wagner  in  seinem  Gespensterbuche,  als  Rationalist 
stets  die  natürliche  Erklärung  hinzufügt  und  alles  als  Phantasie- 
gebilde erklärt,  der  ist  ihnen  das  Urbild  eines  widerlich-nüchternen 
Banausen’).  Dem  Volksglauben  abgelauscht  sind  die  Bedingungen, 
unter  denen  bei  Hoflmann  sich  der  Glaube  an  Gespenster  entwickelt. 
In  dem  „öden  Hause“  unter  den  Linden,  wo  eine  Wahnsinnige  mit 
ihrem  Wärter  ihr  unheimliches  Wesen  treibt,  spukt  es  nach  dem 
Glauben  der  Berliner*).  Vor  den  Trümmern  des  zerfallenen  Herren- 
schlosses erzählt  der  Bauer  dem  Fremden  von  dem  dort  hausenden 

’)  vgl.  i.  B.  die  bckaonte  Berliner  Scbloßsage,  (iräße,  Sagenbuch  des 
preußischen  Staates  I.,  lä  ß. 

®)  VIII,  93  f.  VI,  116.  •)  111,  139. 


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141 


Spuke  und  den  grauenvollen  Klagelanten,  die  sieh  besonders  bei  Voll- 
mond aus  dem  Gemäuer  vernehmen  lassen^).  Dem  entspricht  die 
Ruine  im  magischen  Mondenlichte,  um  welche  der  Nachtwind  stöhnend 
pfeift,  wo  im  „Elementargeist“  die  Geisterbeschwörung  stattfindet-). 
Schon  hier  erreicht  HoflFmann  mit  allen  Mitteln  der  Darstellung  eine 
fast  physische  Wirkung  der  Situation,  eine  geradezu  unheimliche 
Wahrscheinlichkeit  bewirkt  er  aber,  wenn  er  die  Gespenstererscheinungen 
sich  gewissermaßen  aus  der  Atmosphäre  entwickeln  läßt.  So  entpuppt 
sich  im  „Majorat“  zwar  der  nächtlich  umgehende  unselige  Geist 
schließlich  als  der  nachtwandelnde,  von  Gewissensqualen  gefolterte 
Diener  Daniel  — aber  das  ganze  Milieu  dieses  fluchbeladenen  Ortes 
ist  so  meisterhaft  geschildert,  daß  man  selbst  fühlt,  wie  es  jeden 
neu  Eintretenden  alsbald  in  seinen  Bann  ziehen  und  in  unselige 
Verhältnisse  verstricken  muß  *).  Noch  überzeugender  ist  die  gespenster- 
schwangere  Luft  im  Hause  der  alten  Tante  Severins.  Dieses  alt- 
jüngferliche Heim,  wo  nur  der  dicke  Mops  und  der  alte  Papagei 
noch  hausen,  über  dem  altertümlichen  Hausrate  ein  feiner  .Moderduft 
lagert,  wo  die  verstohlene  Sehnsucht  nach  einem  längst  verschwundenen, 
früh  verlorenen  Liebesglücke  immer  noch  leise  nachzittert  — es 
gebiert  von  selbst  die  Erscheinung  des  schlürfenden  Gespen.stes  der 
ehemaligen  Besitzerin,  das,  wenn  der  Hochzeitstag  sich  jährt,  umgeht 
und  seufzend  nach  dem  Brautschmucke  jammert*).  Nur  in  Ibsens 
Atmosphärendrama  finden  wir  eine  gleiche  Kunst,  die  drückende 
Stimmungsschwüle  darzustellen  — man  denke  etwa  an  Rosmersholm. 
Die  furchbarste  Gestalt  des  Gespenstes  ist  der  blutsaugende  Revenant, 
der  Vampyr,  von  dem  Hofimann  wahrscheinlich  während  seines 
Aufenthaltes  im  slavischen  Osten  zuerst  gehört  hatte.  In  den 
„Eli.xieren  des  Teufels“  nennt  Pietro  Belcampo  den  gespenstisch 
auftauchenden  fremden  Maler  mit  seinen  stieren,  lebendigtoten  Augen 
einen  „Revenant“  — • er  zeigt  sich  als  unheildrohender  Ahnengeist 
gerade  immer  an  wichtigen  Wendepunkten  der  Erzählung*).  Im 
„Kater  Murr“  will  die  hochgradig  hysterische  Prinzessin  ihre  häufigen 
Ohnmachtsanfiille  auf  einen  bedrohlichen  Ahnhern  zurückführen,  der, 
im  Grabe  Vampyr  geworden,  ihr  das  Blut  aussauge*).  Auf  seiner 
Suche  nach  serapionischen  Stoffen  stieß  Hoffmann  auf  „Ranfts, 
Diakoni  zu  Nebra,  Traktat  von  dem  Kauen  und  Schmatzen  der  Toten 

•)  III,  232.  “)  XIII,  159.  »)  III,  169  ff. 

<)  VI,  108  ff.  *)  II,  93.  »)  X,  176. 


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142 


in  den  Gräbern.“  Mit  schaurigem  Behagen  gibt  er  Auszüge  aus 
dem  Buche,  und  der  Zweifel  ob  selbst  ein  so  ekelhafter  Aberglauben 
sich  dichterisch  verwerten  lasse,  gab  ihm  seine  Erzählung  „der 
Vampyr“  ein.  Aber  er  gestaltete  den  scheußlichen  Stoß  noch 
scheußlicher,  indem  er  Lebende  zu  Vampyren  machte.  So  schuf  er 
die  knochendürre,  leichenähnliche  Figur  der  Baronesse,  deren  Geist, 
während  der  Körper  im  Starrkrampf  liegt,  den  seltsamen  Gelüsten  nach- 
geht — ja,  er  läßt  die  entsetzliche  Neigung  sich  vererben  auf  die 
unselige  Tochter,  die,  als  Vampyr  entdeckt,  wahnsinnig  wie  eine 
heulende,  blutgierige  Hyäne  den  eigenen  Gatten  anfüllt  und  diesen 
selbst  in  den  Irrsinn  treibt.  Weiter  konnte  die  grauenhafte  Widrigkeit 
allerdings  nicht  getrieben  werden  — aber  Hoffmanns  Grundsatz,  das 
Physische  mit  dem  Psychischen,  den  Aberglauben  mit  Geistesstörungen 
und  psychiatrischen  Anschauungen  zu  verbinden,  mußte  dazu  führen  ^). 

VI.  Sagentiere 

Wie  Tierfabel  und  Märchen,  so  ließ  die  Romantik  gern  die 
Tiere  als  Menschen  sprechend  und  handelnd  auftreten,  dem  Volks- 
glauben entnahm  sie  auch  die  Seelentiere  d.  h.  solche  Tiergestalten, 
in  denen  alte  Götter,  böse  Geister,  abgeschiedene  und  erlösungs- 
bedürftige Seelen  verkörjiert  geheimnisvoll  weiter  leben.  Hoftmann 
war  ein  großer  Tierfreund  und  scharfer  Tierbeobachter,  er  hatte,  wie 
für  alle  psychischen  Übergänge,  ein  besonderes  Interesse  für  die 
Verknüpfungen  von  Tier-  und  Menschenseele.  Er  konnte  sich  ent- 
rüsten, wenn  man  vom  bloßen  Instinkt  der  Tiere  sprach.  Ihm  schien 
es  ein  klägliches  Unterfangen  der  „albernen  Schulweisheit“,  der  doch 
fast  alles  in  der  Natur  unerforschlich  bleibt,  das  ganze  geistige 
Vermögen  der  Tiere  mit  dieser  Bezeichnung  wegwerfend  abzufertigen. 
Er  wies  darauf  hin,  in  wie  wunderbarer  Weise  es  sich  oft  genug 
äußert,  und  allein  der  Umstand,  daß  auch  die  Tiere  träumen  können, 
genügt  ihm,  die  Idee  eines  blinden,  willkürlichen  Triebes  zu  ver- 
werfen’). Auch  hier  nähert  er  sich  der  Anschauung  des  Volkes,  das 

')  IX,  173  ff.  vgl.  sein  scharf  absprcchondes  Urteil  XV,  187. 

’)  So  verteidigt  auch  sein  ,,Meister  Floh“  in  drolliger,  mit  Zitaten  aus 
alter  und  neuer  Zeit  reich  belegter  Ilarstelluug  die  Tiere  gegen  die  Meuschen- 
meinung,  sie  seien  Maschinen  ohne  Peukkraft,  ohne  Willensfreiheit,  die  sich 
willkUrlos,  automatisch  bewegen,  und  betont  gegenüber  der  beschränkten  wissen- 
schaftlichen Bildung  des  Menschen  ihren  hohen  Verstand,  ihre  Geisteskraft 
(XII/84  f.). 


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in  dem  Mitgeschöpf  nie  ein  seelenloses  Wesen  und  allein  den  Gegen- 
stand rücksichtsloser  Ausbeutung  sah,  sondern  mit  ihm  stets  in 
inniger,  fast  märchenhafter  Beziehung  stand,  wie  sich  noch  heute  in 
hundert  kleinen  Zügen  offenbart. 

In  Anlehnung  an  Vorbilder,  Cervantes  und  Tieck,  verwendet 
Hoffmann  Hund  und  Katze,  um  bei  ihrer  Nachahmung  und  Auf- 
fassung des  menschlichen  Lebens  sich  über  die  verschiedensten 
Gebiete  mit  der  ihm  eigenen  Mischung  von  Ernst  und  Spott  zu 
äußern').  Der  philosophierende  Kater  Murr  verleugnet  trotz  aller 
Bildung  doch  niemals  seine  Katzennatur,  das  unheimliche  Treiben 
des  Gespenstertieres  liegt  ihm  freilich  fern.  Ausgeprägt  tritt  uns 
dieses  bei  den  Hexenkatzen  im  „Berganza“  und  „goldenem  Topf“ 
entgegen.  So  läßt  der  Hausgenosse  der  Rauerin  ihre  Klientin  mit 
dreimaligem  Miau  ein  und  wohnt  der  Audienz,  gravitätisch  auf  einem 
Polsterstuhle  sitzend,  bei;  völlig  höllisch  aber  ist  sein  Mitwirken  bei 
der  Geisterbeschwörung,  wo  er  funkensprühend  und  zeternd  voraus- 
rennt und  unaufhörlich  winselnd  den  magischen  Dreifuß  umkreist. 
Älmlich  treibt  es  der  große,  schwarze  Kater  bei  der  Hexenversammlung 
im  Berganza’).  Pudel  Skaramuz  und  sein  leichtfertiger  Neffe  Ponto 
im  Murr  sind  wieder  lediglich  Menschent3'pen  in  Tiergestalt,  ohne 
indes  die  tierische  Eigenart  völlig  zu  verleugnen ; aber  der  ästhetisch 
gebildete  gut  belesene  schwarze  Bullenbeißer  Berganza  trägt  deut- 
lich einige  Züge  des  höllischen  Geisterhundes  der  Volkssage;  wir 
erkennen  ihn  wieder,  wenn  in  mondheller  Nacht  seine  glühenden 
Augen  Feuer  sprühen,  erregt  umlierrollen  und  elektrische  Funken 
aus  seinen  schwarzen  Haaren  knistern*).  Etwas  Gespenstisches  hat 
auch  der  schwarze  Hund  an  sich,  der  dem  wunderlichen  alten  Diener 
aus  dem  „öden  Hause“  nachschleicht,  von  diesem  „satanischer 
Höllenhund“  tituliert  uird  und  sich  menschenähnlich  benimmt*). 


')  X,30  Schubert  in  seiner  „Sjmbolik  des  Traumes“  (S.  1G5)  berichtet 
in  Anlehnung  an  Keil,  daß  sonst  ganz  normale  Menschen  zu  gewissen  Zeiten 
glauben,  in  einen  Hund  oder  eine  Katze  verwandelt  zu  sein,  und  deren  Wesen 
dann  täuschend  naebahmeu.  — Die  Vermengung  literarischer  Einflüsse  und 
eigener  Erlebnisse  HolTmanns  mit  beiden  Tieren  ist  bei  Elliuger  naebgewiesen 
(a.  0.  80  u.  148);  eine  treffliche  Charakteristik  des  Kater  Murr,  seiner  Beziehung 
zum  Tier,  Volksglauben  und  anderen  literarischen  Katzentypen  findet  sich  bei 
Pr.  Lepppmann:  „Kater  Murr  und  seine  Sippe“  (München  1908).  Ein  Prinz 
als  schwarzer  Hund  z.  B.  bei  Grimm  M.  No.  54. 

»)  I,  205.  21G.  *)  I,  87.  13G.  *)  III,  141. 


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Außer  Hund  und  Katze  sind  Wiesel,  Maus  und  Fledermaus  bekannte 
Oesjienstertiere.  Das  Wiesel  entnahm  Hoffmann  zwar,  wie  er  selbst 
angiebt,  dem  Aberglauben  der  Neugriechen,  wenn  aber  Theodors 
Mutter  das  Tierlein  „beste  Dame“  anredet,  so  darf  wohl  daran  er- 
innert werden,  daß  es  auch  ira  deutschen  Volksglauben  „Fräulein“ 
heißt  und  mit  Respekt  behandelt  wird  *).  Treftlich  hat  Hoffmann  das 
nächtliche  Wesen  der  Mäuse  geschildert,  wie  die  Tierlein  mit  den 
kleinen  funkelnden  Augen  aus  allen  Dielen  hervortauchen,  wie  vor 
ihrer  kecken  Freßlust  weder  der  Speckvorrat  der  Mürchenkönigin 
noch  die  Zuckerpuppen  in  Mariechens  Schränklein  sicher  sind  “) 
* ’iespensterhaft  ist  die  Gestalt  des  ^läusekönigs  mit  den  sieben 
gekrönten  Köpfen,  wie  ihn  der  Volksglaube  kennt®).  Wenn  die 
große,  häßliche  Maus,  Frau  Mauserink,  die  in  der  Wiege  liegende 
Prinzessin  nächtlich  beschleicht  und,  der  schlafenden  Wärterinnen 
spottend,  sie  in  eine  Mißgestalt  verwandelt,  so  denkt  man  wohl  an 
eine  in  Tiergestalt  auftretende  böse  Fee*).  Im  Anschluß  an  eine 
Herliner  Volkssage  erwähnt  Hoffmann  auch,  daß  dem  Münzjuden 
Lippold  sein  Zauberteufel  in  Mausgestalt  erschien*).  Ekelhafte 
Fledermäuse  mit  verzerrten  lachenden  Menschengesichtern  schwingen 
sich  in  der  Hexenkaramer  an  der  Decke“).  In  Fledermausgestalt 
mit  menschlicher  Larve  erscheint  der  Satan  bei  den  Kinderopfem 
Trabacchios,  und  als  große  schwarze  Fledermaus  rettet  er  die 
Harbara  Roloffin  aus  dem  lodernden  Scheiterhaufen’).  Teufelsvögel 
sind  im  Volksglauben  Eule  und  Rabe.  Im  Berganza  kommt  die 
Haupthexe  auf  einer  Eule  angeflogen,  wie  in  Grimms  .Märchen 
No.  116  auf  einem  Kater  angeritten*).  Wenn  der  teuflische  Daper- 
dutto  aus  dem  Zimmer  entweicht,  rauscht  es  mit  schwarzen  Raben- 
il ttgeln,  ein  schwarzer  Rabe  sitzt  bei  der  Hexe  auf  einem  Rund- 
spiegel, den  weissagenden  Odinraben  hat  die  kluge  Frau  bei  sich, 
die  mit  ihrem  geheimen  Wissen  allen  Bewohnern  von  Sonsitz  ein 
Rätsel  aufgibt  — und  im  Majorat  wird  wenigstens  das  Unheimliche 
des  fluchbeladenen  Schloßsaals  dadurch  verstärkt,  daß  vor  den  Ein- 
dringenden ein  schwarzer  Rabe  aufflattert,  gegen  die  Fenster  prallt 

')  XIII, 62.  Vgl.  Mitt.  VIII,  I3.  55.  bei  Brieg  heißt  es  noch  heute  „FrSile“. 

2)  VI,  207.  218.  231. 

*)  eb.  207.  Hoffmann  entnahm  ihn  nach  Sackheim  einer  Amauer  Lokal- 
sagc.  Kä  ist  wohl  eine  Nachbildung  des  „Rattenkönigs“. 

*)  eb.  221.  Vgl.  227.  “)  VIII,  34.  *)  I,  206. 

’)  111,  78:  VIII,  17.  *)  I,  84. 


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und  sieh  in  den  Abgnind  stürzt*).  Bekannt  ist,  welche  Rolle  Kröte 
und  Schlange  in  Märchen  und  Sage  spielen.  Die  Teufelskröte  im 
„Berganza“  „deren  Larve  etwas  Menschliche.s  an  sich  trägt“,  rührt 
eifrig  in  dem  Hexenkessel,  schwillt  mehr  und  mehr  an  und  stürzt 
sich  schließlich  selbst  hinein®).  In  Schlangengestalt  erscheinen  in 
der  Sage  verwunschene  Seelen,  erlösungsbedürftige  Prinzessinnen; 
nur  der  Berufene  kann  sie  befreien,  und  ihm  wird  Liebesglück  und 
Reichtum  zuteil  — er  wird,  wie  es  in  Grimms  Märchen  (No.  72) 
heißt,  „König  vom  goldenen  Berge“.  Ein  Berufener  aber  ist 
Hoffcaanns  Student  Anselmus  mit  seinem  „kindlich-poetischen  Gemüte 
in  der  sonst  so  dürftig-armseligen  Zeit  innerer  Verstocktheit“.  liim 
erscheint  im  sagenumwobenen  Holunderbusche  die  holde  Serpentina 
mit  ihren  beiden  Schwestern.  Zur  Frühlingszeit  hängen  die  smaragd- 
glänzenden Schlänglein  mit  den  schimmernden  Augen,  leise  singend 
und  äthertrinkend,  im  dunklen  Gezweig;  bei  Sonnenuntergang  aber 
verlassen  sie  ihren  Sitz,  schlüpfen  schimmernd  durch  das  Gras  und 
stürzen  sich  in  die  Wellen  des  Stromes*).  Ihr  Zauberhort  aber  ist 
die  Poesie  selbst,  dem  überglücklichen  Anselmus  erschließt  sich  nach 
manchen  Prüfungen  „das  Leben  in  der  Poesie,  wo  sich  der  herrliche 
Einklang  aller  Wesen  als  tiefstes  Geheimnis  der  Natur  offenbart*)“. 
So  wunderbar  lieblich  hat  Hoffmann  die  deutsche  Schlangensage 
um  gestaltet*). 

»)  I,  278;  I,  205;  XIV,  5 ff.  Grimm  M.  No.  61;  111,  207. 

»)  I,  82  ff.  »}  I,  180  f.  *)  ob.  252. 

*)  In  Grimms  oben  angofnhrti  m Märcht  n heißt  es:  „in  der  dritten  Nacht 
Wiii'd  die  Schlange  zu  einer  schönen  Königstochter,  die  kam  mit  dem  tVasser 
des  Lebens  — — — und  war  Jubel  und  Freude  im  ganzen  Schloß.  Da  wurde 
ihre  Hochzeit  gehalten,  und  er  war  König  vom  goldenen  Berge.“  Laistner 
(I,  101  f.)  erz&hlt  ein  ähnliches  Märchen  nach  Wolf  (Deutsch.  Hausmlirchen 
S.  265  f.)  und  schließt . daran  die  Deutung:  „die  Pracht  und  Herrlichkeit  am 
Schlüsse  ist,  rationalistisch  gesprochen,  das  poetisch  ausgeschmuekte  behagliche 
NachgefUhl  des  lieblich  endenden  Traumes  — die  mythische  Dichtung  aber 
konnte  dom  Reize  nicht  widerstehen,  die  so  deutlich  empfundene  Traum- 
wirklichkeit sich  in  die  wache  Wirklichkeit  fortsetzeu  zu  lassen  und  so  zu  be- 
währen, daß  das  alles  „kein  Traum“  war  . . . wenn  die  Traumgogenwart  ihrer 
Persönlichkeit  ins  wache  Leben  herüberlritt,  so  ist  es  natürlich,  daß  auch  ihre 
WunderschlSsser  und  Zaubergiirten  „wahr“  werden.“  — In  Novalis  Gedicht: 
.Der  Himmel  war  umzogen“  begegnet  der  Dichter  im  Gebüsch  der  Königin  der 
Schlangen,  die,  wie  Hoffmanns  Serpentina,  im  grünen  nnd  goldenen  Glanze 
schimmert.  F.r  berührt  sie  mit  der  Zauberrute,  die  ihm  ein  Kind  gab:  „so, 
wunderbarer  Weise,  ward  ich  unsäglich  reich“.  Hier  schwebt  offenbar  derselbe 
Gedanke,  wie  bei  iloffmann,  vor. 


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14« 


VII.  Pflanzenglauben. 

Auch  in  den  Pflanzen  leben  nach  dem  Volksglauben  geheime 
Kräfte.  Gegen  die  Krankheiten,  die  die  Natur  entstehen  ließ,  hat 
sie  in  ihnen  dem  Menschen  wirksame  Heilmittel  gegeben.  In  den 
Pflanzen  wohnen  aber  auch,  wie  in  den  Tieren,  Dämonen  und  Seelen. 
Hoffinann  war  durch  Schuberts  Vorlesungen  auf  das  Leben  der 
Pflanzen  hingewiesen  worden  (Nachtseiten  2*29  ff.).  Diesen  und  An- 
regungen seines  Freundes  Chamisso  entstammt  auch  sein  lebhaftes 
Interesse  für  exotische  Gewächse.  Aber  auch  das  innige  Verhältnis 
des  deutschen  Volkes  zu  seinen  Pflanzen  ist  ihm  durchaus  nicht 
fremd  und  wird  von  ihm  sinnig  und  zart  geschildert.  Wer  freilich 
nur  in  eitler  Erkenntniswut,  wie  die  Mikroskopisten  Swamerdamm 
und  Leuwenhoek,  die  Naturwunder  bis  in  den  innersten  Keim  frevel- 
haft zu  erforschen  sich  abmüht,  der  vernichtet  die  der  Natur  ge- 
schuldete fromme  Andacht  und  Bewunderung;  zu  ihm  sprechen  die 
Blumen  niemals  mit  süßen  Worten  *).  Aber  einfaclien  Menschen  von 
kindlich  gutem  Gemüte  eröffnen  sie  ihre  Geheimnisse,  zu  ihnen  treten 
sie  in  ein  inniges  Verhältnis  und  unter  ihrer  Pflege  gedeihen  sie 
besonders  gut*).  Ihrer  treuen  Hüterin,  dem  schlichten,  herzigen 
Gretchen,  würden  ihre  Blumenkinder  fremd  werden,  müßte  sie  sie 
mit  den  fremden  botanischen  Namen  bezeichnen.  Die  tiefe  Pflanzen- 
symbolik, der  wir  die  schönsten  deutschen,  Blumennamen  verdanken, 
tritt  uns  bei  Hoffmann,  wenn  aucli  nur  bei  exotischen  Gewächsen, 
entgegen;  die  Mimosa  pudica  ist  ihm  das  Symbol  einer  zarten, 
empfindsamen  Seele,  die  nur  nachts  blühende,  stark  duftende,  groß- 
blumige Fackeldistel  bedeutet  das  „ewige  Mysterium  der  Liebe  und 
des  Todes“;  die  prachtvoll  blühende,  giftige  Datura  fastuosa  tritt  wie 
ein  Abgesandter  höllischer  Mächte,  zur  Sünde  verleitend  in  den 
stillen  Garten  und  den  Kreis  friedlicher  Menschen^).  Ebenso  finden 
wir  bei  Hoffmann  Beziehungen  zur  Pflanze  in  Märchen  und  Sage. 
Wenn  die  Möhren  in  dem  üppigen  Felde  dem  fröhlichen  Hände- 


')  XIII/131.  »)XIV,  ö5f. 

*)  XIV,  71,  95,  99f.  Man  vgl.  Schuberts  Nachtseiten  etc.  248:  „I*er 
grnOe,  gelbblfihcnde  Kaktus  aus  Jamaika,  dessen  schöne  Blüten  sieh  erst  gegen 
Abend  crschliellen  und  schon  vor  Sonnenaufgang  verblühen“,  und  249:  „Gerade 
in  dem  höchsten  Momente  des  Blnhens,  welcher  auch  zugleich  der  des  Ver- 
welkens  und  des  Todes  ist,  zeigt  sich  in  dem  Pflanzcugeschlecht  eine  Vor^ 
ahnung  des  höheren  tierischen  Seins“. 


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klatschen  ihrer  treuen  Pflegerin  Ännchen  mit  leisem  Kichern  antworten 
und  ihr  mit  feinen  Sümmchen  zurufen:  „Zieh  mich  heraus,  zieh 
mich  heraus,  ich  bin  reif,  reif,  reif!“,  so  erinnern  wir  uns  an  Grimms 
Märchen  „Frau  Holle“  und  die  Worte:  „Ach,  schüttele  mich,  schüttele 
mich,  meine  Apfel  sind  alle  miteinander  reif!“  *).  Bei  Grimm  finden 
wir  auch  in  den  „Zwölf  Brüdern“  und  den  „Goldkindem“  jene  enge 
Sympathie  zwischen  Mensch  und  Pflanze,  die  ihren  Ausdruck  darin 
findet,  daß  sich  das  Schicksal  der  Menschen  im  Blühen,  Welken  und 
Sterben  der  Blumen  widerspiegelt.  Dasselbe  Motiv  finden  wir  am 
Schluß  von  Hofimanns  „Meister  Floh“  wieder;  auf  rätselhafte  Weise 
verschwindet  in  der  Nacht  das  zweite  Brautpaar,  zur  selben  Zeit 
aber  schießt  im  Garten  die  hohe  Fackeldistel  auf,  — am  Morgen 
senkt  sie  die  verwelkte  Blüte,  und  um  sie  schlingt  sich  eine  bunte 
Tulpe,  die  ebenfalls  den  Pflanzentod  starb:  „Das  Mj-sterium  ist  er- 
schlossen, der  höchste  Augenblick  alles  erfüllten  Sehnens  war  auch 
der  Augenblick  ihres  Todes“*).  Lei.se  klingt  bei  dem  „Umschlingen“ 
der  Blumen  auch  die  schöne  Volkssage  mit  von  den  sich  umklammernden 
Pflanzen  auf  den  Gräbern  derer,  die  sich  einst  so  innig  liebten. 

Auch  der  volkstümliche  Glaube  an  die  geheimnisvoll  in  den 
Pflanzen  schlummernden  Heilkräfte  begegnet  uns  bei  Hoffmann.  Der 
„alte  Wundarzt“*)  kennt  nicht  nur  genau  die  Kennzeichen  manches 
Heilkrautes,  sondern  auch  die  Stunde,  wann  es  gepflückt  werden 
muß,  und  die  eigenartige  Mischung  der  Säfte.  An  die  Einleitungen 
zu  den  alten  Kräuterbüchern  erinnert  es,  wenn  an  derselben  Stelle 
auf  die  Ärzte  gescholten  wird,  die  mit  ihren  fremden  Pillen  und 
Essenzen  die  Kranken  nur  vergiften,  und  die  dort  geschilderte  alte 
Kräuterhe.xe,  die,  von  den  Ärzten  gerichtlich  verfolgt,  beim  Volke 
umsomehr  beliebt  ist,  ist  eine  typische  Volksfigur. 

VIII.  Ätiologische  Sagen. 

Einen  nicht  geringen  Kaum  nehmen  in  der  deutschen  Sagenwelt 
schließlich  die  Geschichten  ein,  welche,  als  sogenannte  ätiologische 
Sagen,  eine  seltsame  Erscheinung  zu  erklären  versuchen,  also  erst 
durch  diese  veranlaßt  sind.  Auch  solche  finden  wir  bei  Hofftnann. 
Da  liegt  einsam  im  Walde  unter  einem  alten  Baume  ein  großer 

>)  IX,  195,  197.  Grimm,  D.  M.  No.  24. 

*)  XII,  133f.  Vgl.  Schubert,  Symbolik,  S.  69  und  S.  73:  „Liebe  und 
Tod,  das  seligste  .Streben  des  Gemütes  und  der  Untergang  des  Individuums 
erscheinen  in  den  Mysterien  vereint“.  *)  VII  121. 


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148 


Felsblock;  allerlei  wunderbare  Moose  und  Adern  durchwachsen  ihn 
wie  rote  Adern.  Pferde  scheuen  vor  der  unheimlichen  Statte,  und 
die  erregte  Phantasie  des  Volkes  sieht  dem  Steine  Blutstropfen  ent- 
quellen. Bald  raunt  eine  „alte  Fabel“,  daß  hier  ein  unheimlicher 
Mord  geschah  und  aus  dem  Blute  des  von  einem  Teufelsgesellen 
geschlachteten  Mädchens  jene  wunderlichen  Zeichen  auf  dem  Block 
entstanden*).  In  der  zweiten  Erzählung  wird  ebenfalls  an  einen 
rötlich  geaderten  Stein  angeknflpft,  er  befindet  sich  in  einem  ent- 
legenen Zimmer  eines  prächtigen  Lustschlosses;  der  letzte  Besitzer 
ist  gestorben,  und  allerlei  abenteuerliche  Gerüchte  gehen  über  ihn 
um.  Wenn  man  die  zerstreuten  Linien  auf  dem  Stein  verfolgt  und 
verbindet,  kann  man  mit  der  nötigen  Phantasie  allenfalls  einen 
Kinderkopf  herausfinden,  der  den  ganzen  .Jammer  des  Todeskampfes 
im  Antlitz  ausdrückt.  Der  greise  Kastellan  des  Schlosses  deutet  auf 
„eine  im  Volke  verbreitete  Sage“  hin,  daß  ein  teutlisches  Wesen 
den  sonst  gutmütigen  Herrn  durch  das  Versprechen  ewiger  Liebes- 
lust  zu  der  schwarzen  Tat  eines  Kinderopfers  verleitete*).  Ätiologische 
Sagen  sind  echte  Produkte  der  fabulierenden  Volksphantasie,  als 
solche  in  der  Luft  schwebende,  wie  Sommerfäden  lose  an  den  passenden 
Orten  haftende  Gebilde  befriedigen  sie  den  ausgeprägten  Serapions- 
bruder nicht  völlig,  und  so  versteht  man  die  ärgerliche  Bemerkung 
Theodors  (Hoffmann),  „etwas  Unheimliches  müsse  sich  dort  doch 
begeben  haben,  eine  rein  erdichtete  Sage  könne  es  kaum  sein“. 


Ich  fasse  in  einem  Überblick  die  Ergebnisse  kurz  zusammen: 
Aus  dem  weiten  Gebiete  des  deutschen  ^'olksglaubens  treten  uns  bei 
Hoffmann  geheimnisvolle  Menschen,  ungewöhnliche  BewuUtseins- 
zustände,  Wesen  der  niederen  Mythologie,  teuflische  und  gespenstische 
Gestalten,  Tier-  und  Ptlanzensagen  entgegen.  Bei  der  dichterischen 
Umgestaltung  der  rätselhaften  Persönlichkeiten  setzt  er  an  demselben 
Punkte,  wie  die  fabulierende  Volksphantasie,  an.  Anschauungen  des 
Volkes  über  magische  Seelenverbindungen  verknüpft  Hofl'mann  eng 
mit  den  wissenschaftlichen  Theorien  seiner  Zeit  über  Magnetismus 
und  Hypnose.  Das  Schauen  von  Gespenstern  und  Geistern  entwickelt 
sich  bei  ihm  bald  ans  pathologischen  Seelenzuständen,  bald  aus  der 

*)  1,  317  ff.  Man  vergleiche  etwa  Grimm,  I).  S.  Xo.  357,  wo  die  im  Stein 
eingedrfickten  Finger  Spuren  von  dom  gewaltsamen  Sterben  einer  üiiglUckliehon 
sein  sollen.  *)  VIII/21. 


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149 


Umwelt.  Der  Teufelsglaube  wird  ihm  zum  .Ausdruck  einer  philo- 
sophischen Weltanschauung.  Dem  Empfinden  des  Volkes  gegenüber 
Tier  und  Pflanze  bringt  Hoffinann  ein  feinfühliges  Verständnis  ent- 
gegen; Ansätze  der  Volkssage  zu  einer  poetisch-sinnigen  Symbolik, 
wie  im  Schlangenmärchen,  weiii  er  künstlerisch  zu  verwerten. 

Dieses  Bild  aber  konnten  wir  nur  gewinnen,  indem  wir  von 
einem  einseitigen  Gesichtspunkt  ans  Holtmanns  Erzählungen  durch- 
musterten. Ausgeschieden  wurden  alle  Feerien  und  Verzauberungen, 
alle  talmudisch-kabbalistischen,  orientalisch-buddhistischen  Geheim- 
nisse’), nicht  minder  alle  jene  „verdammten  Schnörkel“,  grotesk- 
bizarren Beigaben,  ohne  welche  Hoffmann  eben  nicht  Hoffmann  wäre. 
Selbst  obige  Betrachtung  zeigt  uns  ja  den  Dichter  mit  seinen 
psychischen  Sonderheiten  und  Absonderlichkeiten.  Wer  ihn  jedoch 
deshalb  tadeln  wollte,  der  versündigte  sich  an  Holfmanns  Schutz- 
patron Serapion:  auch  dieser  wunderliche  Heilige  erzählte  ja  aus 
seinem  Innern  heraus,  was  er  mit  dem  Auge  des  Geistes  erschaute, 
und  nicht,  was  und  wie  er  es  gelesen  und  vernommen. 


Die  Toten bretter*^ 

Von  t>r.  Franz  Kondziclla. 

Es  ist  nicht  meine  Absicht,  eine  erschöpfende  Darstellung  des 
Gegenstandes  zu  geben,  sondern  nur  einen  ergänzenden  Beitrag. 
Deshalb  sind  die  größeren  Arbeiten  eines  Hein’),  Rieder*)  und 
E.  H.  Meyer’)  über  die  Totenbretter  außer  acht  gelassen  worden. 

')  Sackbeim,  S.  206 ff. 

*)  Vortrag,  gehalten  am  6.  April  1910  iin  Musik.saale  der  Kgl.  l'nirersität 
zu  Breslau. 

’)  tVilh.  Hein,  I>ie  Totonbretter  im  Böhmerwalde.  In  Mitteilungen  der 
aulhropologisclicn  Gesellschaft  in  Wien.  Bd.  21.  Wien  1891.  Derselbe,  Die 
geographische  Verbreitung  der  Totenbrettcr.  ebda.  Bd.  24.  Wien  1894. 

*)  Otto  Rieder,  Totenbreiter  im  bayrischen  Walde,  mit  Berücksichtigung 
der  Totenbretter  überhaupt.  In  Zschr.  für  Kultnrgeschichte.  Neue  (4.)  Folge 
der  Zeitschrift  für  detitsehe  Kulturgeschichte-.  Hgb.  von  Georg  Steinhausen. 
2.  Bd.  Weimar  1895. 

’)  E,  H.  Meyer,  Totenbretter  im  Schwarzwalde,  ln  der  Festschrift  zur 
50  j&hrigen  Doktorjubitlfeier  K.  Weinholds.  Straßburg  1896. 


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150 


Da  sie  nur  bis  zum  Jahre  180ö  reichen,  so  gilt  es  vor  allem,  im 
folgenden  eine  Schilderung  der  Totenbretter  des  jüngsten  Jahrzehnts 
zu  geben. 

Die  Totenbretter  kommen  in  Schlesien  im  Tale  der  Steine  zwischen 
Braunau  und  Glatz  vor,  und  zwar  in  den  Ortschaften  Tuntschendorf, 
Scharfeneck,  Ober-,  Mittel-  und  Niedersteine*).  Sie  finden  sich  in 
der  Grafschaft  Glatz*),  in  Klein-Karlsberg  (auf  dem  Wege  von 
Wünscheiburg  nacli  Groß-Karlsberg  und  nach  der  Heuscheuer),  in 
Passendorf  (eine  halbe  Stunde  von  Groß-Karlsberg  auf  dem  Wege 
zum  Braunauer  „Stern“)*)  und  sind  auch  in  der  Gegend  von  Neurode 
heimisch*).  In  Braunau  konnte  man  auf  dem  Wege  vom  „Stern“ 
im  Jahre  1873  eine  beträchtliche  Anzahl  Totenbretter  antreffen*),  und 
in  der  Umgebung  der  Stadt  Braunau  bedienen  sich  die  Dorfbewohner 
ihrer  noch  ziemlich  häufig“).  Im  deutschen  Westböhmen  ist  das 
Leichen-  oder  Totenbrett  im  ganzen  Gebiete  verbreitet  und  noch  bis 
in  die  jüngste  Zeit  in  Gebrauch  gewesen.  Leichenbretter  besaß 
früher  jedes  Hans,  oft  gab  es  aber  auch  in  jedem  Dorfe  nur  eins, 
das  zur  gemeinsamen  Benutzung  diente.  Man  bewahrte  es  gewöhnlich 
am  Dachboden  auf  oder  unter  dem  Dachvorsprung  des  Hauses  („unter 
der  Tipf“),  um  es  so  gegen  die  Einflüsse  der  Witterung  zu  schützen  ’). 
Gehen  wir  von  hier  aus  etwas  südlich,  so  finden  wir  westwärts  von 
Neugedein  (bei  Furth)  die  ersten  Totenbretter  bei  Braunbusch.  Im 
Nachbarorte  Viertl  sind  sie  schon  sehr  verbreitet.  Je  mehr  man 
sich  von  Viertl  der  bayrischen  Grenze  nähert,  desto  zahlreicher 
werden  sie“).  In  Bayern  sind  sie  vom  Lech  bis  zur  Amper  und  Würm, 
um  Wessobrunn  wie  Fürstenfeldbrück,  Seeshaupt,  Ambach  und  so 
weiter  nach  dem  ünterlande  zu  verbreitet  *).  Auch  im  Walde  zwischen 

*)  Zeitschrift  für  österreichische  Volkskunde.  Wien  1896.  Bd.  1 S.  64; 
K.  Gusinde,  l’her  die  Totenbrettor.  In  Mitteilungen  der  schles.  Gesellschaft 
für  Volkskunde.  Breslau  1901.  Heft  7 S.  33. 

*)  P.  Drechsler,  Sitte,  Brauch  und  Volksglaube  in  Schlesien.  Leipzig 
1903,  I.  TeU  S.  307;  K.  Gusinde  a.  a.  0.  S.  33. 

*)  Gusinde  a.  a.  0.  S.  33.  *)  Drechsler  a.  a.  0.  I.,  307. 

*)  Drechsler  I.,  307. 

“)  Zeitschr.  f.  listerr.  Volkskunde.  Wien  1896.  Bd.  I S.  96. 

*)  Alois  John,  Sitte,  Brauch  und  Volksglaube  im  deutschen  Westböhmen. 
In  Beiträge  zur  deutseh-böhmiseben  Volkskunde.  Prag  1905.  Bd.  VI  S.  168. 

“)  Ztsebr.  f.  österr.  Volkskunde.  Bd.  I S.  127. 

•)  Jo h an  nes  Sep  p,  Völkerbranch  bei  Hochzeit,  Geburt  nnd  Tod.  Mönchen 
1891.  S.  140. 


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151 

Holzhausen  und  Grabenstatt  am  Chiemsee  sind  sie  heimisch ‘).  In 
Tirol  begegnen  wir  ihnen  in  den  nördlich  von  Zell  gelegenen  Orten 
Prielau,  Mairhofen,  Maishofen  und  Mitterhofen*).  Im  Salzburgischen 
zieht  sich  die  Grenze  der  Totenbretter  im  Süden  von  Zell  am 
See  nach  Bruck  im  Mittelpinzgau;  im  Oberpinzgau  und  Lungau 
kommen  sie  nicht  vor.  Im  Norden  halten  sich  ihre  Grenzen  in 
denen  des  Herzogtums;  im  Osten  reichen  sie  noch  bis  nach  Ober- 
österreich ®). 

Die  Gestalt  der  Totenbreiter  — ihre  Länge  entspricht  gewöhnlich 
der  des  darauf  zu  legenden  Leichnams  — ist  sehr  verschieden.  Wir 
finden  ganz  einfache  rohe  Bretter,  wie  ehemals  in  der  Mieser  Gegend 
(Westböhmen)*),  im  südöstlichen  Gebiet  von  Forchheim*),  im  Mittel- 
pinzgau*) und  in  der  Nordoberpfalz’).  Heute  verwenden  ärmere 
Leute  in  der  Gegend  von  Neuem  gleichfalls  noch  rohe  Bretter“). 
Die  meisten  sind  jedoch  glatt  abgehobelt,  wie  bei  den  Zipsera  in 
der  Bukowina*),  in  der  Braunauer  Gegend’*),  in  der  Nordoberpfalz  ") 
und  früher  in  Deutsch- Westböhmen”).  In  Leogang  (Tirol)  ist  das 
Totenbrett  abgerundet,  während  die  4 Ecken  des  Brettes,  welches 
sich  an  einem  Stadel  nicht  allzuweit  vor  der  Alm  auf  dem  Wege 
nach  Saalfelden  befand,  durch  eine  Querlinie  abgeschrägt  waren”). 
In  Deutsch- Westböhmen  hatte  es  früher  eine  ausgeschweifte  Form  ’*). 
In  Flöß”)  und  Rothenbaum’*)  sind  die  Bretter  heute  mit  Türm- 
chen oder  Ecktürmchen  verziert,  in  Silberberg  weisen  sie  sogar 

')  Marie  Ejan,  Totenbretter  um  Salzburg.  In  Zsebr.  des  Vereins  für 
Volkskunde.  Berlin  1898.  Bd.  \ail.  S.  205. 

*)  Fr.  Stolz,  Über  die  Leichenbretter  im  Mittelpinsgau.  In  Zschr.  für 
öslerr.  Volkskunde.  Wien  1903.  Bd.  IX.  S.  3. 

*)  M.  Eysn  a.  a.  0.  S.  205. 

*)  Michael  Urban,  Totenbretter  in  Westbühmen.  In  Zschr.  f.  österr. 
Volkskunde.  Wien  1897.  Bd.  I.  S.  179. 

*)  Zschr.  f.  österr.  Volkskunde.  Wien  1902.  Bd.  VIII.  S.  346. 

•)  Stolz,  S.  5. 

’)  Wolfg.  Baiiemfeind,  Aus  dem  Volksleben.  Sitten,  Sagen  und  GobrSuebe 
der  Nordoberpfnlz.  Regensbnrg  1910.  S.  106. 

*)  Joseph  Blau,  Totenbretter  in  der  Gegend  von  Neuem,  Neumark  und 
N enkirchen.  In  Ztschr.  f.  österr.  Volkskunde.  Wien  1903.  Bd.  IX.  S.  18. 

*)  Job.  Polek,  Ans  dem  Volksleben  der  Zipser  in  der  Bukowina.  In  Zschr. 
f.  österr.  Volkskunde.  Wien  1902.  Bd.  VIII.  S.  33. 

’*)  Zschr.  f.  österr.  Volkskunde.  Wien  1896.  Bd.  I.  S.  96. 

”)  Banernfeind,  S.  106.  '•)  John,  S.  168. 

’»)  Stolz,  S.  5.  ’*)  John,  S.  168. 

’*)  Blau,  S.  25.  ’»)  Blau,  S.  21. 


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Säulchen  auf)  und  sind  baroi^ken  Altarverzierungen  naclige- 
bildet*). 

Wie  die  Gestalt  der  Totenbretter,  so  ist  aueh  ihre  Farbe  sehr 
mannigfaltig.  Von  Leogang  nach  Saalfelden  sind  die  Bretter  in  bei 
weitem  überwiegender  Zahl  griin,  blau  oder  hellbraun*),  ira  Pinzgau 
schwarz,  blau  oder  grün  *),  in  Schmiding  (Mittelpinzgau)  hellbraun  *), 
in  Rothenbaum  (Westböhmen)  stets  weiß,  und  in  Silberberg  sind 
einzelne  von  ihnen  bei  Kindern  und  Unverheirateten  blau*). 

Über  die  Aufschriften  und  Sprüche  auf  den  Totenbrettern  läßt 
sich  folgendes  sagen.  Was  zunächst  die  ersteren  betrifft,  so  sind 
die  meisten  Totenbretter  mit  einem  oder  mehreren,  gewöhnlich 
3 Kreuzen,  mit  Namen,  dem  Geburts-  und  Todestage  der  verstorbenen 
Person  versehen.  So  in  Schlesien '),  Braunau*),  Deutsch- Westbölunen“), 
im  Egerland,  früher  in  der  Mieser  Gegend'*),  heute  im  Tepler 
Hochland  und  besonders  in  der  Umgebung  vonTepl"),  wo  sie  noch 
zierliche  Inschriften  aufweisen,  im  südwestlichen  Gebiete  von  Forch- 
heim'*)  sowie  in  Klein-Karlsberg  und  Passendorf'*),  wo  sie  3 in  der 
Länge  des  Brettes  eingeschnittene  Kreuze  trugen,  in  Bayern'*),  im 
Salzburgischen  '*),  in  welchem  Lande  3 Kreuzchen  unter  einander  zu 
finden  sind,  und  endlich  im  Mittelpinzgau'®). 

Neben  diesen  Aufschriften  kommen  noch  andere  vor.  So  lesen 
wir  auf  den  Totenbrettern  in  Leogang  „Christliches  f Andenken“ 
oder  „Ingottverschieden“  ”).  Wir  finden  auch  die  Inschrift  „Leichladen 
des  in  Gottergebenen  Jünglings  usw“ '*)  und  im  Mittelpinzgau'*) 
„Leichbrett  der  geehrten  Jungfrau  Gertrud  Hörl“  gest.  1896.  Hier 
erhalten  die  meisten  Personen  das  Attribut  „geehrt“  und  „ehrenge- 
achtet“ *“).  Die  gebräuchlichste  Aufschrift  war  früher  im  Mittelpinzgau 
„Leichbrett“,  seltener  „Leichenbrett“  oder  „Leichladen.“  Bisweilen 
findet  sich  auch  „Leichladen  zum  Andenken“,  nur  einmal  „Gedenk- 

')Blau,  S.25.  *)Blaii,  S.21.  »)  Stolz,  S.8. 

*)  Eysn,  S.  207.  *)  Stolz,  S.  10.  «)  Blau,  S.  25. 

’)  Drechsler  I,  307.  *)  Zsebr.  f.  österr.  Volkskunde.  I,  S.  96. 

*)  John,  S.  168.  '»)  Urban  a.  a.  0.  S.  179. 

")  Unser  Egerland.  Eger  1905.  Bd.  IX.  S.  24. 

'*)  Zschr.  f.  österr.  Volkskunde.  Wien  1902.  Bd.  VIII.  S.  346. 

*•)  Gusinde  a.  a.  0.  S.  33. 

'*)  E.  H.  Mejer,  Deutsche  Volkskunde.  Straßburg  1898.  S.  271. 

'*)  Eysn,  S.  206.  **)  Stolz,  S.  5;  vgl.  auch  ebda.  S.  10  f. 

")  Stolz],  S.  7.  '*)  Stolz,  S.  7 Anm.  1.  '*)  Stolz,  S.  9. 

»)  Stolz,  S.  11. 


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laden,“  vielleicht  in  zwei  oder  3 Fällen  „Denkmal“  ’).  Im  Kolling- 
wald  (Tirol)  ist  auf  einem  Brette  „Denkmahl  des  geehrten  Jünglings 
Johann  Grassl“  und  daneben  „Leichbrett  der  Elisabeth  Grassl“  zu  lesen. 
In  Ruhgassing  triflt  man  ein  „Denkmal  von  Rupert  Vieberger“  (187’2), 
darunter  „Leich  Bred“  (1885)*).  Ein  Brett  an  einer  Scheune  zwischen 
Seehäusl  und  Zell  führt  den  Namen  „Gedenkladen“  *).  Am  meisten 
dürfte  jetzt  die  Bezeichnung  „Christliches  Andenken“  vertreten  sein, 
znm  ersten  Mat  von  18(>2.  Nur  ein  einziges  Mal  enthält  ein  Leichen- 
brett (1901)  des  Johann  Keil  aus  Oberhaus  die  Inschrift: 

Ein  alter  Greis,  in  Haaren  weil!, 

Ist  einst  gelegen  hier,  usw,*). 

In  der  Mieser  Gegend  in  Westböhmen*)  wurden  ab  und  zu  in 
das  Brett  die  Worte  eingeschnitten  „Zur  Erinnerung  an  den  (oder 
die)  verstorbene  N.  N.,  geboren  den  . . gestorben  den  . . . fff“, 
und  im  Tepler  Hochland  stand  früher  „Zum  Andenken  an  ...“*). 
Im  Pinzgau  ist  mitunter  neben  Sprüchen  und  Versen  auch  ein 
Heiligenbild  aufgematt‘). 

Die  Totenbretter  weisen  nicht  nur  den  Namen  eines  einzelnen 
Verstorbenen  auf,  sondern  auch  mehrere  Namen  kommen  auf  demselben 
Laden  vor.  So  im  Mittelpinzgau,  wo  auf  dem  gemeinsamen  Brette 
die  Namen  von  zwei  Personen  verzeichnet  sind.  Vorzugsweise  sind 
es  aber  dann  die  Namen  zweier  Ehegatten,  wie  dies  aus  einem 
„Leichbrett“  im  Kollingwald  zu  ersehen  ist,  auf  dem  das  im  Jahre 
1863  verstorbene  Ehepaar  Herzog  verewigt  ist*).  Aber  auch  die 
Namen  zweier  Geschwister  kommen  vor.  So  an  der  Straße  Saalfelden 
nach  Maishofen  „Christliches  Andenken“  eines  62  jährigen  „Bauern- 
sohnes“ aus  Schwaiberg  und  eines  10  jährigen  „Ziehsohnes“  auf  dem- 
selben Hofe  (1899).  In  der  Nähe  von  Maishofen  erscheinen  auf  ein 
und  demselben  „Leichladen“  drei  Schwestern  (1882),  in  Leogang 
Vater  und  Tochter,  die  im  Jahre  1882  zur  ewigen  Ruhe  gegangen  sind®). 

Außer  den  eben  erwähnten  Aufschriften  sind  noch  allerlei  Sprüche 
auf  den  Totenbrettem  angebracht.  So  sind  sie  im  Tepler  Hochland 
und  besonders  in  der  Umgebung  von  Tepl  gewöhnlich  mit  einem 
sinnigen  Sprüchlein  religiösen  Inhalts  versehen,  welches  der  Tischler 
selbst  ersonnen  hat.  „Sie  boten  mit  ihren  oft  mehr  als  urwüchsigen 

*)  Stolz,  S.  9.  *)  Stolz,  S.  9 Anm.  1. 

•)  Stolz,  S.  3.  *)  Stolz,  S.  9.  ®)  Urban  a.  a.  0.  S.  179. 

®)  Unser  Egerland.  Bd.  EX.  S..24.  . Eysn,  S.  200. 

«^Stolz,  S.  9.  »)  Stolz,  S.  10. 

Mitteilungen  d.  schles.  Ges.  f.  Vkde.  Band  XII  (Heft  3).  1 1 


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poetischen  Äußerungen  den  jungen  Leuten  gar  manchen  Stoff  zu 
fröhlichen  Scherzen“ ').  Im  Mittelpinzgan  erscheinen,  datiert  von  1891, 
Verse  aus  Schillers  „Glocke“  mit  den  Worten; 

.Ach,  die  Gattin  ist’s,  die  teure, 

Ach,  es  ist  die  treue  Mutter, 

r>ie  der  Fürst  ins  Reich  der  Schatten 

Wegführt  aus  dem  Arm  des  Gatten“^). 

Ein  anderer,  und  zwar  recht  sinnreicher  Spnich  bei  der  Anna- 
Kapelle  in  Deschwitz  lautet: 

Was  ist  des  Menschen  Streben,  Was  ist  der  Mensch  auf  Erden? 

Sein  Jagen,  Haschen,  Müh’n?  Ein  Schatten,  der  verfliegt. 

Was  er  errafft  im  Leben,  Er  muß  zu  Asche  werden 

Verl&ßt  im  Tode  ihn.  Sein  l.ebensstrom  versiegt*). 

Und  wiederum  ein  anderer  enthalt  die  schlichten  Verse: 

0 ruhe  sanft  im  kühlen  SchoQ  der  Erde, 

Nach  manchem  Kampf  und  mancherlei  Beschwerde. 

Wer  dich  gekannt,  der  wird  und  muB  es  sagen. 

Es  hat  ein  edles  Herz  in  deiner  Brust  geschlagen. 

Ave  Maria*) 

Die  Verwendung  der  Totenbretter  ist  eine  zwiefache.  Zunächst 
dienen  sie  zur  Aufbahrung  von  Verstorbenen.  Hat  in  der 
Braunauer  Gegend  jemand  die  Augen  fttr  immer  geschlossen,  so 
bringt  der  Tischler  ein  Brett  mit,  worauf  die  Leiche  in  irgend  einer 
Kammer  gelegt  wird;  dort  bleibt  sie  bis  gegen  Abend  des  dritten 
Tages  liegen,  und  an  diesem  geschieht  die  Einsargung  *).  So  ruht 
auch  in  Klein-Karlsberg,  Passendorf*),  in  der  Gegend  von  Neuem’) 
und  im  deutschen  Westböhmen  der  Tote  auf  dem  Brett,  bis  man  ihn 
in  den  Sarg  legt.  Im  Egerland*)  liegt  der  Verblichene  in  seinem 
besten  Gewand  auf  dem  Leichenbrett,  das  sich  auf  einer  frei- 
stehenden Bank  befindet.  In  Karlsbad  und  Umgebung®),  wie  im 

Stiftsland  Waldsassen’“)  wurde  der  Tote  ebenfalls  auf  einem  einfachen 
Brette  aufgebahrt.  Im  salzburgischen  Flachgau”)  liegt  jetzt  die 

’)  Unser  Egerland.  Bd.  IX  S.  24. 

®)  Stolz,  S.  12.  *)  Blau,  S.  33  Nt.  29. 

‘)  Blau,  S.  28  Nr.  7.  I'ber  Totenbrettersprüche  vgl.  ebda.  S.  22 — 37. 

*)  Zschr.  f.  österr.  Volkskunde.  Bd.  I S.  96. 

•)  Gusinde,  S.  34.  ’)  Blau,  S.  18.  *)  John,  S.  168. 

®)  Job.  Bachmann,  Egerl&nder  ToUnbräuche  (vor  etwa  40  Jahren),  ln 
Unser  Egerland.  Bd.  IX  S.  29. 

'“)  Unser  Egerland.  Eger.  1906.  Bd.  X S.  183. 

”)  Unser  Egerland.  Eger.  1903.  Bd.  VU  S.  58. 


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155 


Leiche  nur  an  einzelnen  Orten  auf  dem  Laden;  meist  ist  es  nur  bei 
Dienstboten  und  Armen  so.  In  Unterbergen  (Mittelpinzgau)  im  sog. 
Kl.uisnerhäusl  lagen  die  Verstorbenen  früher  ebenfalls  auf  den 
Leichen  brettern  *). 

Wahrend  in  der  Hegel  dasselbe  Totenbrett  nur  einmal  zu  diesem 
Zweck  verwendet  wird,  ist  dies  an  einzelnen  Orten  keineswegs  der 
Fall.  In  Oberfranken’)  nämlich  vererbte  sich  das  Totenbrett  in  der 
Familie  weiter.  Im  Voigtlande  blieb  es  in  zahlreichen  Häusern  als 
Erbstück  in  der  Familie,  oder  wurde  dem  Käufer  eines  Gutes  über- 
lassen. Fehlte  im  Hause  ein  Leichenbrett,  so  holte  man  es  nach 
alter  Sitte  bei  einem  Nachbar’),  wie  auch  heute  noch  es  bei  den 
Zipsem  in  der  Bukowina  geschieht*),  um  darauf  Erwachsene  auf- 
zubahren. 

Nach  der  Bestattung  der  Verstorbenen  werden  die  Totenbretter 
sehr  oft  an  Scheunen  oder  Stadeln  angebracht,  wie  zwischen  Leogang 
und  Saalfelden,  auf  der  Straße  bis  Lenzig,  welches  etwa  "20  Minuten 
vor  Saalfelden  liegt  (180— lHO  an  der  Zahl),  zwischen  Seehäusl  und 
Zell,  auf  dem  Wege  von  Meierhofen  nach  der  Landstraße,  die  von 
Maishofen  nach  Zell  führt’),  in  Unterbergen  beim  Abstieg  vom 
Hundstein,  in  ,\lm  im  sog.  Klausnerhäusl,  wo  mehrere  Leichenbretter 
in  frischen  Farben  und  sorgfältiger  Ausführung  sich  befinden®),  an 
der  Leogangerstraße,  von  Zell  am  See  der  Saale  entlang  bis  zum 
Steinpaß  bei  Melleck’),  im  Pinzgau*),  früher  im  Mittelpinzgan ®),  in 
den  deutschen  Orten  um  Taus  (Böhmen),  z.  B.  Vollmann,  Ma.xburg 
usw.  bis  Schüttenhofen  ’")  und  schließlich  im  Glemmtale  bei  Zell  am 
See,  wo  auf  den  Laden  Leute  von  Maurach  aufgebahrt  waren,  die 
1804  am  Nervenfieber  starben“).  Man  sieht  sie  ferner  auch  an 
Zäunen  angelehnt  oder  befestigt,  wie  auf  der  Straße  von  Saalfelden 
nach  Maishofen  unter  einem  großen  Kreuze  (26  an  Zahl)”),  von  Zell 
am  See  der  Saale  entlang  bis  zum  Steinpaß  bei  Melleck”)  und  im 
Pinzgau'*),  früher  auch  im  Mittelpinzgau '*),  an  Bäumen,  wie  ehe- 

')  F.ysii,  S.  207.  Stolz,  S.  6. 

’)  G.  Lamniert,  Volksmodiziii  und  medizinischer  .\berglaube  in  Bayern. 
Würzburg.  1869.  S.  104. 

*)  Job.  .\ug.  Emst  Köhler,  Volksbrauch,  .Vbcrglauben,  Sagen  und  andere 
alte  ilberlieferungcn  im  Voigtlande.  Leipzig.  1867.  S.  251. 

’)  Job.  Pülek,  S.  33.  «)  Stolz,  S.  3.  ’)  Stolz,  S.  6. 

«)  Eysn,  S.  205.  »)  Eysn,  S 206  und  207.  '«)  Stolz,  S.  3. 

")  Urban,  S.  179.  ”)  Zschr.  f.  flsterr.  Volkskunde  Bd.  I S.  64. 

'»)  Stolz,  S.  6.  '*)  Eysn,  S.  205.  '*)  Eysn,  S.  206. 

11* 


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15(5 


mals  im  Mittelpinzgau'),  jetzt  im  Kollingwald*),  von  Zell  am  See 
der  Saale  entlang  bis  zum  Steinpaß,  im  Walde  zwischen  Holzhansen 
und  Grabenstätt  am  Chiemsee,  um  Piding  unterhalb  Reichenhall,  um 
Innzell  und  KrispP),  im  Tepler  Hochland*),  in  Passendorf*)  und 
in  der  Nordoberpfalz*),  wo  sie  oft  5 bis  8 Stück  wagerecht  über- 
einander angebracht  sind,  ja  auch  unter  ihnen,  oder  in  der  Nahe 
von  Kreuzen  stehen,  wie  zwischen  Seehäusl  und  Zell’),  auf  der 
Straße  von  Saalfelden  nach  Maishofen  “),  in  der  Gegend  von  Neuern  ®) 
und  bei  Schuster  in  Jägershof  (Bayern)  hart  an  der  Grenze'“)  und 
endlich  auch  an  Kapellen,  wie  in  Passendorf"),  um  Neuem'“), 
auf  dem  Wege  von  Viertel  nach  der  bayrischen  Grenze  zu'“)  und 
in  deutschen  Orten  um  Taus'*).  Selbst  die  Wände  der  Kapelle 
werden  mit  Totenbrettera  benagelt'“). 

Am  häufigsten  werden  die  Totenbretter  auf  den  Boden 
niedergelegt.  So  liegen  sie  im  salzburgischen  Flachgau'®)  am 
Wege  oder  auf  demselben  oder  dienen  als  Stege  über  schmale 
Gräben,  weil  nach  üblicher  Sitte  der  Vorübergehende,  vor  allem 
aber  jener,  der  das  Brett  betritt,  ein  Vateninser  für  die  arme 
Seele  des  Verstorbenen  beten  soll.  Vor  15  Jahren  konnte  man  un- 
gefähr eine  halbe  Stunde  von  der  Stadt  Salzburg  entfernt  auf  dem 
Wege  durch  das  Leopoldskroner  Moor  zahlreiche  Totenbretter  sehen. 
Dieser  Weg  führt  heute  noch  den  Namen  „Totenweg“  ”).  In  Berg- 
heim (Salzburg)  reihte  sich  noch  vor  einigen  Jahren  den  Kirch- 
steig hinan  Brett  an  Brett'®).  In  der  Mieser  Gegend  legte  man 
die  Totenbretter  auf  irgend  einen  Fußweg,  den  die  Angehörigen  des 
Verstorbenen  am  meisten  zu  benutzen  pflegrten,  oder  über  einen 
Graben  als  Steg'“);  so  auch  in  der  Nordoberpfalz ““).  In  der  Gegend 
von  Neuern  legen  sie  Ärmere  über  eine  sumpfige  Wegstelle“').  In 
Deutsch-Westböhmen  wurde  das  Brett  bei  einem  Bache  (Nallesgrün) 
oder  über  einen  Graben  (Egerland)  oder  auf  den  Weg  gelegt, 
gewöhnlich  am  Kirchwege  (Silberberg),  aber  auch  am  Kirchsteige 


’)  Stolz,  S.  5.  “)  Stolz,  S.  5.  *)  Stolz,  S.  6. 

*)  Eysn,  S.  205.  ®)  Uas-  Egorl.  IX.  24.  •)  Gusindc,  S.  33. 

’}  Baucrufcind,  S.  106.  “)  Stolz,  S.  3.  Stolz,  S.  6. 


'“)  Blau,  S.  18,  25. 
'“)  Blau,  S.  39. 

'»)  Grban,  S.  179. 
*“)  Eysn,  S.  207. 
i»)  Eysn,  S.  208. 

■*»)  Blau,  S.  18. 


")Blau,  S.29.  '*)  Gusinde,  S.  33. 

'*)  Zschr.  f.  tisterr.  Volkskunde  I,  127. 

'«)  Blau,  S.  39.  Eysn,  S.  206. 

““)  Urban,  S.  179.  “')  Bauernfeind,  S.  106. 


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157 


(Haselbach)  Im  Tepler  Gebiete  sieht  man  sie  teils  liegen,  teils 
am  Wege  stehen*).  Auf  dem  Kirchwege,  der  von  Kl  aderlas  nach 
Tepl  führt,  waren  früher  die  Totenbretter  sehr  zahlreich  vertreten*). 
In  der  Gegend  von  Eisenstein  liegen  sie  in  unmittelbarer  Nähe  des 
Fußpfades,  ragen  auch  sicherlich  mit  einem  Ende  in  diesen  hinein*). 
Im  Stiftslande  Waldsassen  konnte  man  sie  früher  an  Wegen  oder 
auch  als  Übergang  über  Bäche  oder  Gräben  finden.  Auf  der  Straße, 
die  von  Wiesau  nach  Fuchsmühl  führt,  sind  sie  noch  heute  zu 
sehen*).  Im  Gebiet  südöstlich  von  Forchheim  trug  man  sie  an  den 
Kirchweg.  Noch  vor  sehr  kurzer  Zeit  diente  eines  als  Steg  am 
Kirchweg  nach  Pinzberg  bei  Dobenreuth.  Zwischen  Langensenden- 
baeh  und  Effeltrich  lagen  1893  noch  mehrere,  wie  auch  am  Wege 
von  Kunreuth  nach  Pinzberg.  Heute  sind  noch  Totenbretter  bei 
Gaiganz  in  einer  Wiese  am  Wege  nach  Pinzberg  zu  finden*).  In 
der  Braunauer  Gegend  wird  das  Totenbrett  auf  einen  viel  betretenen 
Feldweg  und  auf  über  feuchte  Wiesen  führende  Fußsteige  hinaus 
gelegt’).  In  der  Gegend  von  Neurode  traf  man  sie  auf  Kirch- 
steigen oder  sie  lagen  auch  zu  beiden  Seiten  des  Weges  oder  führten 
als  Steg  über  Feldgräben*).  In  Haselberg  in  Böhmen  legte  man 
sie  an  einem  bestimmten  Orte  nieder,  oft  sogar  in  ganzen  Schichten 
übereinander*).  In  Silberberg  stellte  man  sie  früher  bei  einer 
Wiese  auf,  die  heute  noch  den  Namen  „Toudabredawies“  führt, 
jetzt  reihen  sie  sich  am  Waldrande  um  eine  hölzerne  .\rmenseelen- 
tafel '“). 

Schließlich  war  es  auch  üblich,  allerdings  nur  vereinzelt,  die 
Totenbretter  nach  der  Beerdigung  des  Verstorbenen  zu  verbrennen, 
wie  in  Deslawen”). 

Die  Totenbretter  gehören  nicht  nur  etwa  der  Vergangenheit  an, 
sondern  reichen  noch  ins  letzte  Jahrzehnt  hinein.  Das  älteste  uns 
bekannte  Totenbrett  ist  dasjenige,  welches  im  Walde  bei  Hochberg 
in  Bayern  hängt'*).  Im  Pinzgau  stammen  die  Totenbretter  von  1890 

')  Jolin,  S.  168. 

*)  John,  S.  169;  vgl.  auch  Unser  Egerland  Bd.  IX  S.  24. 

*)  Uns.  Egerl.  IX,  24.  *)  Zschr.  f.  österr.  Volkskunde  I S.  192. 

*)  Uns.  Egerl.  VII,  58.  *)  Zschr.  f.  österr.  Volkskunde  VIII,  346. 

')  Zschr.  f.  österr.  Volkskunde  I 96.  •)  Drechsler  I,  307. 

John,  8.  169. 

’®)  Blau,  8.39;  über  die  Aufstellung  der  Totenbretter  vgl.  auch  ebd. 
8.  39—41. 

“)  John,  8.  169.  '*)  Blau,  8.  29. 


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158 


und  1891  und  zwei  „Leichenbretter“  von  1890.  An  einer  Scheune 
von  Pfaffenhofen  rühren  sie  von  1898  und  1901  her.  Im  .sog. 
Klausnerhänsl  weist  ein  Totenbrett  die  Jahreszahl  1902  auf'). 
Südlich  von  der  Kirche  des  Dorfes  Alm  finden  wir  einen  Laden  aus 
dem  Jahre  1899  und  zwischen  Neuhäusl  und  Zell’)  einen  „Gedenk- 
laden“  vom  26.  Mai  1900.  Auf  dem  Wege  von  Kammer  nach  Saal- 
felden’)  begegnen  uns  drei  Bretter  am  Zaune  von  1877,  1898  und 
1902.  Im  Mittelpinzgau  lassen  sich  Totenbretter  aus  den  Jahren 
1896,  1897,  1898,  1899,  1900  und  1901  nachweisen  *),  worunter 
sich  eins  vom  Oktober  1900  befindet,  das  ein  im  zartesten  Alter 
verstorbenes  Kind  verewigt®).  In  Passendorf  (Schles.)  gehört  ein 
Totenbrett  dem  Jahre  1892  und  ein  anderes  dem  von  1901  an®). 

Der  Aberglaube  spielt  auch  bei  den  Totenbrettem  eine  große 
Rolle.  So  ist  in  der  Gegend  von  Neuern  die  Ansicht  vertreten,  daß, 
wenn  das  .\nflugbrett  des  Taubenschlages  aus  dem  Holze  eines  Toten- 
brettes hergestellt  werde,  die  Tauben  nicht  davon  flögen ').  In  Viertl 
dürfen  die  umgefallenen  Totenbretter  nur  die  Verwandten  des  Ver- 
storbenen aufrichten;  tut  es  dagegen  ein  Fremder,  so  stirbt  er  selbst 
oder  jemand  aus  seiner  Familie*).  In  Karlsbad  und  Umgebung  soll 
sich  derjenige,  der  über  ein  Totenbrett  geht,  das  über  einen  Graben 
gelegt  ist,  die  Gicht  zuziehen.  Es  soll  sogar  die  Kraft  besitzen, 
die  Raupen  zu  bannen,  wenn  es  gestohlen  uud  ins  Krautfeld  getragen 
wird“).  In  Egerland,  Fauenreut  und  Haselbach  hätte  derjenige, 
der  beim  Überschreiten  eines  Totenbrettes  ein  Vaterunser  zu  beten 
unterließ,  schwere  Beine  bekommen '“).  Im  Voigtlande  band  man  den 
Toten  auf  das  Leichenbrett  fest,  um  so  zu  verhüten,  daß  er  herab- 
fiele, weil  er  dann  bald  wieder  ein  Familienmitglied  holen  würde"). 
In  Deutsch- Westböhmen  war  allgemein  der  Glaube  vertreten,  das 
Totenbrett  pflege  sich  vor  einem  bevorstehenden  Todesfälle  zu  rühren  *). 
oder,  sei  es  verfault,  so  sei  auch  der  Leichnam  verwest,  die  Seele 
erlöst  und  befinde  sich  im  Himmel  (Hesselsdorf) '*). 

•)Stolz,  S.  6.  »)StoU,  S.  3.  *)Stolz,  S.  8, 

‘)  Stolz,  S.  13  f.  *)  Stolz,  S.  15.  «)  Giisiudo,  S.  33. 

')  Blau,  S.  19.  Zschr.  f.  östorr.  Volkskundo  I,  12G. 

»)  Uns.  Egcrl.  X,  183.  '“)  John,  S.  1G9. 

")  Joh.  Aug.  Ernst  Köhler  a.  a.  0.  S.  251.  •)  John,  S.  1G8. 

'*)  John,  S.  169;  über  den  Aberglauben  bei  den  Totenbrettem  vgl.  aiieh 
Gusinde  a.  a.  0.  S.  38  ff. 


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Flandrischer  Leichtfuß,  Flandrian. 

(vgl.  Mitt.  XI,  53) 

Von  Dr.  Philipp  Keipor  in  Regensburg. 

In  einem  ScliQleraufsatz  stieß  ich  kürzlich  auf  den  Ausdruck 
„ein  flandrischer  Leichtfuß“  und  erfuhr  auf  Befragen  von  dem 
betreffenden  Schüler,  daß  man  in  seiner  Heimat  Hohenburg  (in  der 
nordwestlichen  Oberpfalz)  einen  leichtsinnigen,  unbeständigen  Menschen 
so  nenne.  Ein  anderer  Schüler,  aus  Regensburg  gebürtig,  fügte  bei,  daß 
man  in  dieser  Stadt  im  Volksmund  in  gleichem  Sinne  die  Bezeichnung 
„ein  Flandrian“  gebrauche  — also  eine  der  zahlreichen  Bildungen 
auf  latinisierendes  -ian,  d.  i.  Jän  aus  Johann,  wie  Grobian,  Dummian, 
Damian,  Lüdrian  u.  a.  Im  ersten  Augenblick  glaubte  ich,  daß  hierin 
der  Landes-,  bezw.  Volksname  Flandern  zu  erkennen  sei,  aber 
bald  fand  ich,  daß  eine  andere  Erklärung  *)  das  Richtige  trifft.  Das 
BajTisehe  Wörterbuch  bietet  nämlich  (I,  79'J)  folgendes:  „fl andern, 
flUndern,  hin  und  her  bewegen,  wehen,  ziehen  . . . Das  Fländer- 
lein  (Fländo'l.)  = flatterhaftes  Mädchen.  Daher  wohl  die 
Redensart  Mädchen  aus  Flandern  DW  III  1 722.“  An  dieser 
Stelle  im  DW  (III,  1722)  finden  wir  nun,  in  der  Hauptsache  überein- 
stimmend, folgenden  Aufschluss:  a)  fl  andern,  fländern,  alas  agitare, 
motitare,  flattern,  wehen.  Auch  für  pfuchzen,  spritzen,  speien. 
S.  flendem  und  Hindern,  b)  f Linderer,  m.  hat  Henisch  1 12ß,5  für 
fax,  fun.ile  und  für  Hamen,  Priester;  es  gehört  zu  Fl  an  de,  Funke, 
Flitter;  und  fländern.  Schwäbisch  flanderer,  Flattergeist, 
[flinder  verhält  sich  zu  Hitter  wie  Handern  zu  flattern]  c)  flanderl, 
flanderlein,  ein  Hatterhaftes  Mädchen.  Schmeller  1,  588.  Frisch 
1,  272b  hat  Flanderlein  für  Flitter,  vgl.  Flinder.  d)  fländern, 
Flandria,  Flamland.  Häufig  im  Reim  auf  andern,  Treu- 
losigkeit und  Flatterhaftigkeit  der  Weiber  oder  Junggesellen 
auszudrücken.“  Von  den  dort  mitgeteilten  Belegstellen  führe  ich  nur 
einige  an: 

„wann  dise  böbin  ist  von  Flandern, 
si  gibt  ein  buben  umb  den  andern“. 

*)  Sie  deckt  sich  zum  Teil  mit  dem,  was  B.  Kahle  in  der  Zcitschr.  d. 
Vereins  f.  Volkskunde  XVIII,  116  und  in  unseren  , Mitteilungen“  XI,  53  (an- 
knllpfend  an  Pradcl’s  Äußerungen  ebenda,  Heft  XX,  Band  X,  S.  101)  aiis- 
geffihrt  hat.  Ss. 


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160 


bei  H.  Sachs  und  noch  öfter  bei  diesem  Dichter,  wie  auch  bei  Ayrer. 
Ferner  bei  Weise  überfl.  Gedichte  4,  10: 

„Doch  weil  mir  nun  bei  andern 
Das  Glücke  günstig  scheint, 

So  bin  ich  auch  von  Flandern.“  . . . 

Bei  Goethe  11,339: 

„Weil  ich  so  gewohnt  zu  wandern 
Heute  hier  und  morgen  dort, 

Meinen  sie,  ich  wSr  von  Flandern, 

Schicken  gleich  mich  wieder  fort.“ 

Hierzu  die  Erläuterung:  „Das  flattern  = flandern  leitete  von 
selbst  auf  den  Namen  Flandern  und  auf  das  Unbeständige, 
nicht  bloss  in  der  Liebe,  sondern  überall: 

wann  wir  sind  kunimen  her  von  Flandern, 

geben  ein  drappen  umb  den  andern.  H.  Sachs  I 517b.“ 

Schliesslich  ebenda:  e)  Flandrer  m.,  Flandrensis: 
der  Toscaner  lieblichkeit 
und  der  Flandrer  Witzigkeit,  vgl.  llanderer. 

f)  flandrisch,  was  flämisch,  doch  ohne  dessen  Neben- 
sinn“. — 

Letztere  Bemerkung:  „doch  ohne  dessen  Nebensinn“  ist  zwar 
richtig  (s.  unter  flämisch),  aber  das  Vorkommen  des  Ausdrucks 
„flandrischer  Leichtfuß“  im  Volksmund  der  Oberpfalz  beweist, 
daß  es  noch  ein  zweites  flandrisch  gibt,  das  mit  Flandern  nichts 
zu  tun  hat,  sondern  vom  Zeitwort  flandern  = flattern  gebildet 
ist  und  flatterhaft,  unbeständig,  leichtsinnig  bedeutet.  Auch 
das  Bayrische  Wörterbuch  kennt  dieses  Wort  nicht,  und  ebenso  ist 
die  in  gleichem  Sinne  in  Regensburg  und  wohl  auch  sonst  noch  im 
Gebiet  der  altbayrisehen  Mundart  volksübliche  hübsche  Bildung  „ein 
Fländriän“  weder  im  Bayrischen  noch  im  Deutschen  Wörterbuch 
zu  finden.  — Dieses  von  mir  beigebrachte  Beispiel  mag  demnach 
lehren,  daß  selbst  so  umfassende  und  gründliche  Wörterbücher  wie 
diese  beiden  doch  hie  und  da  Lücken  aufweisen,  ein  Umstand,  der 
darauf  hinweist,  daß  bezüglich  des  Wortschatzes  die  genauere  Er- 
forschung der  Mundarten  noch  manche  Nachlese  im  einzelnen  Sinne 
ermöglicht. 


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_ifn 

Altere  Helgoländer  Gedichte. 

Gesammelt  von  Geh.  Sanithtsrat  Dr.  med.  Harmsen. 

Herausgegeben  Ton  Dr.  Th.  Siebs. 

Herr  Geheimer  Sanitätsrat  Dr.  med.  Harmsen  in  Lüneburg,  der 
kurz  nach  der  Mitte  des  vorigen  Jahrhunderts  lange  Zeit  Arzt  auf 
Helgoland  gewesen  ist,  hatte  die  große  Freundlichkeit,  mir  neun 
(ledichte  in  Helgoländer  Sprache  zu  übersenden,  die  er  auf  der  Insel 
in  den  Jahren  1857 — 1860  gesammelt  hatte.  Abgesehen  von  einigen 
Wiegenliedern,  Abzähl-  und  Kinderreimen,  sind  es  Gedichte  von 
Albrecht  Groneweg,  der  Klempnerraeister  war,  und  dem  damaligen 
Landeskassenmeister  Knutz  Michels.  Die  Stücke  sind  von  ver- 
schiedenem AVerte,  sowohl  was  den  Inhalt  als  die  echt  helgolandische 
Färbung  der  Sprache,  anlangt:  daß  die  Leute,  wenn  sie  Verse  machen, 
besonders  leicht  in  plattdeutsche,  oder  gar  hochdeutsche  Ausdrucks- 
weise verfallen,  ist  begreiflich ; und  namentlich  gilt  das  von  Gelegen- 
heitsgedichten wie  „di  nai  doktar  es  kirnen“  (der  neue  Doktor  ist 
gekommen).  Indessen  sind  alle  diese  Gedichte  — selbst  wenn  sie 
zum  Teil  freie  Übertragungen  nach  dem  Hochdeutschen  wären  — für 
die  Kenntnis  des  Helgolandischen  schon  deswegen  von  Bedeutung, 
weil  wir  aus  älterer  Zeit  fast  gar  keine  Sprachproben  haben.  Sie 
bilden  somit  in  gewissem  Sinne  eine  dankenswerte  Ergänzung  zu  den 
Texten,  die  ich  in  meinem  Rnche  „Helgoland  und  seine  Sprache“, 
Beiträge  zur  Volks-  und  Sprachkunde,  Cu.xhaven  und  Helgoland  1909, 
herausgegeben  habe. 

Die  Form,  in  der  die  Gedichte  mir  Übergeben  wurden,  habe  ich 
nicht  beibehalten  können:  wer  nicht  gründlich  helgolandisch  kennt, 
würde  nicht  im  Stande  sein,  die  Texte  darnach  richtig  zu  lesen  und 
zu  verstehen.  Ich  habe  sie  daher  in  die  Schreibung  meines  Buches 
umgesetzt.  Mit  Hilfe  des  dort  gegebenen  Wörterbuches  wird  auch 
jeder  die  Gedichte  übersetzen  können;  der  Betiuemlichkeit  halber  aber 
habe  ich  eine  hochdeutsche  Übertragung  beigeffigt. 

Für  verschiedene  Deutungen  und  Berichtigungen  bin  ich  meinem 
verehrten  Freunde,  Herrn  Oberlehrer  Dr.  phil.  Hans  Köster  in 
Hamburg,  dankbar.  Auch  einem  anderen  Helgoländer,  Herrn  Heinrich 
Claasen,  der  selber  uns  durch  hübsche  Gedichte  erfreut  hat,  weiß 
ich  für  einige  Aufklärungen  Dank. 


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162 


Von  den  Gedichten  hat  vrohl  nur  „die  LooUenbraut“  literarisches  Interesse. 
I>a.s  Motiv  der  „Lenore“  erscheint  hier  — freilich  ohne  die  eigentliche  Ent- 
führung und  den  Geisterritt  — mit  dem  seemännischen  Motiv  der  auf  die 
Hnckkehr  des  Geliebten  harrenden  Matrosenbraut  verbunden.  Verschiedene 
kleine  Züge  der  Lenorendichtung  finden  wir  auch  hier,  i.  B.  „der  Mond  scheint 
hell.“  Ob  der  Verfasser  nach  einer  deutschen  Vorlage  gearbeitet  hat,  kann  ich 
nicht  sagen;  der  schlechte  Zusatz  der  beiden  letzten  Strophen  könnte  es  ver- 
muten lassen,  aber  trotz  alles  Suchens,  ist  mir  weder  ein  solches  Gedicht, 
noch  auch  nur  eine  einschlägige  Fassung  der  Sage  bekannt  geworden.  Ie>ise 
.tnklänge  linden  sieh  bei  Möllenhoff,  Sagen,  Märchen  und  Lieder  der  Herzog- 
tümer Schle.swig-Holstein  und  Lauenburg  Xo.  123  und  124  (8.  163).  In  die 
Seemannsdichtung  gehören  auch  die  englischen  Fassungen  von  Coleridge 
(The  Ancient  Mariner),  wo  das  Schiff  nach  der  Geisterjagd  versinkt,  und  von 
Campbell  (im  Spectre  Boat),  wo  die  tote  Braut  den  Ungetreuen  auf  gespensti- 
gem Schiffe  in  den  Tod  holt,  vgl.  A.  Brandt  bei  Erich  Schmidt,  Bürger’s 
Lenore,  Charakteristiken.  Berlin  1886,  S.  19!) — 248,  wo  auch  reiche  Literatur- 
angaben. Solche  finden  sich  auch  bei  Ulrich  Jahn,  Volkssagcn  aus  Pommern 
und  Kögen.  Stettin  1886,  S.  VIII;  ferner  in  der  mir  bei  aller  Bi'inühung  unzu- 
gängig  gebliebenen  Arbeit  von  J.  SozonoviC,  Bürgers  Lenore  und  ihr  ver- 
wandte’ Vorwürfe  in  der  europäischen  niid  russischen  Volkspoesie,  Typographii- 
des  Lehrbezirks  in  Warschau  1893,  VII  251  Ss.  8'. 

Schreibung. 

Vokale.  Kurz  werden  gesprochen  die  unbezeiclineten  Vokale 
a wie  in  hochdeutsch  naxs  (nach  dem  Werte  der  Bfihnenaussprache), 
e wie  in  hell,  i wie  in  Füeh,  o wie  in  Gott,  u wie  in  Hund,  ö wie 
in  könnte,  ü wie  in  Sünde.  Lang  werden  gesprochen  die  mit  einem 
Striche  bezeichneten  Vokale  ä wie  in  Staat,  ö wie  in  See,  i wie 
in  ihn,  r>  wie  in  Sohn,  0 wie  in  Huhn,  fi  wie  in  Söhne,  fl  wie  in 
Sühne  — die  a und  ä sind  etwas  heller,  die  ö,  ö,  ü,  fl  etwas  weniger 
gerundet  als  im  Bflhnendeutschen;  e wie  hochd.  schwaches  e in  hahe. 
ü wie  langes  englisches  e in  men,  wie  langes  englisches  a in  sair, 
water.  In  den  Diphthongen  ea  und  öa  liegt  der  Akzent  öfters  auf 
dem  zweiten  Vokal,  so  daß  man  ja,  yä  hört.  — Der  Akut  (')  be- 
zeichnet in  zweifelhaften  Fällen  den  Wortakzent. 

Konsonanten,  i und  y sind  konsonantische  i und  u;  n^  ist 
einfacher  Velarlaut  wie  in  lan^/e.  Dank-  wird  also  daiTgk  geschrieben ; 
(Jh  wird  wie  in  ich,  (^i  wie  in  ach  gesjirochen ; g ist  stimmhafter 
Keibelaut  wie  in  Tape  mitteldeutscher  Mundarten;  fi  ist  wie  sch  in 
schön  zu  sprechen  (so  auch  in  Sj  und  ütj);  anlautendes  j wird  meist 
wie  dj  gesprochen;  r wird  häufig  schwach  gesprochen;  t ira  Auslaut 
nach  Konsonanten  und  j im  .\uslaut  wird  ebenfalls  oft  schwach  ge- 
sprochen und  deshalb  eingeklammert,  z.  IL  br(*(j)  Brücke,  bes(t)  /<«/. 
Näheres  ist  darüber  S.  173  ff.  des genannten  Buches  mitgeteilt. 


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163 


I.  Di  löäts  sin  brid. 


1 . Di  mün,  di  sinet  sö  hei,  sö  hei 
ip’t  wetar  del  sin  skin, 

det  wear  s5  bleak,  sö  stel,  sö  stel, 
kl^r  wear  di  lo(jl)t  en  rin. 
aql>’  d^  hid  al  en  stüram  wait, 
ne  hid  di  win  hem  entli  lait. 

2.  di  measta  lä(5ljt0r  wear  al  it, 
stel  wear  ’t  ip  ’t  heia  lun, 
bid6kat  wear  med  sni  sö  wit 

di  ir;  en  bi  di  strun 

wear  al  det  böman  lad^  farbi, 

ken  mensk  lat  bitan  hem  möar  si. 

3.  doql)  ensöm  ‘)  bi  det  wetar  stin 
en  fjmal  djoiQi;  en  r^r. 

dji  kid  ken  rö,  ken  trö.st  möar  fin, 
her  hart  wear  her  sö  su^r. 


en  bistark  (öiiud^  trekt  her  dol, 
en  bistark  dröm  stin  fer  her  sei. 

4.  Dji  hid  ken  rn  möar  fin’  a 
his  2), 

it  most  dji  fin  di  loqht; 
her  fraiar  wear  no<jh  ni(Jlj  dear  tis  *), 
ken  nyrecjljt  wear  her  broqjit, 
dat  jänar  hid  fan  hem  wat  sen. 
0,  Wear  hi  med  sin  skep  järst  ben ! 

5.  so  ludg  hid  dja  al  arkar  kid, 
dji  wear  hem  dji^  sö  jjud, 

en  hi  moql>t  her  sö  gearn  lid, 
hi  lat  1er  her  sin  blud. 
en  wear  tu  sendai  hi  wear  tis, 
dan  skul  heram  kos(t)  wes,  det 
wear  wis*). 


I.  Die  Lootsenbraut, 

1.  Der  Mond,  der  warf  so  hell,  so  hell,  aufs  Wasser  nieder  seinen  Sehein;  das 
war  so  bleich,  so  still,  so  still,  klar  war  die  Luft  und  rein.  Xcht  Tage 
hatte  schon  ein  Sturm  geweht,  jetzt  hatte  der  Wind  sich  endlich  gelegt. 

2.  Die  meisten  Lichter  waren  schon  aus,  still  war  es  auf  dem  ganzen  Lande, 
bedeckt  war  mit  Schnee  so  weiß  die  Erde;  und  an  dem  Strande  war  schon 
das  Arbeiten  lange  vorbei,  kein  Mensch  ließ  draußen  sich  mehr  sehen. 

3.  Doch  einsam  am  Wasser  stand  ein  M&dchen  jung  und  schön;  sie  konnte 
keine  Kuh,  keinen  Trost  mehr  finden,  ihr  Herz  war  ihr  so  schwer.  Eine 
böse  Ahnung  druckte  sie  nieder,  ein  böser  Traum  stand  ihr  vor  der 
Seele. 

4.  Sie  hatte  keine  Ruhe  mehr  ini  Hause,  hinaus  mußte  sic  in  die  Luft;  ihr 
Bröutigam  war  noch  nicht  zu  Hause;  keine  Kachrioht  war  ihr  gebracht, 
daß  einer  von  ihm  etwas  gesehen  hatte;  o,  wSre  er  doch  mit  seinem  Schiff 
erst  im  Hafen  (binnen)! 

5.  So  lange  hatten  sie  schon  einander  gekannt,  sic  war  ihm  ja  so  gut,  und 

■)  ist  plattdeutsch;  meist  gilt  statt  dessen  das  ebenfalls  plattd.  aUn 
«allein“' 

’)  «in  dem  Hause“  ist  nicht  (Iblich;  statt  dessen  dren  eig.  «drin“. 

>)  «da  nach  Hause“  ist  nicht  Üblich;  allenfalls  wear  ’en  t’is  eig.  «war  nach 
Haus“  statt  «war  zu  Haus“,  analogisch  nach  guiig  'en  t'is  «geh  nach  Haus“. 

*)  eig.  wes  «gewiß“;  doch  werden  wis  «gewiß,  eig.  weise“  (z.  B.  wis  wUr 
gewiß  werden,  erfahren“)  und  wes  «gewiß“  (z.  B.  det  es  wes  «das  ist  gewiß“) 
bisweilen  verwechselt. 


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Ifi4 


H.  do(^  es  di  wek  fargii^en  wear, 
en  es  di  s^ndai  kim, 
do’  wear  di  freier  no’  ni(yi  dear, 
ken  n9re(y>t  dji  femim. 
ip't  nai  *)  di  mün  kim  ün  di  loQi>t, 
doqi)  kim  ken  mensk,  dear  tidiii^ 
broqi)t. 

7.  det  hart  fan  grym  en  komer 

suvr, 

sS  wanert  dji  ombi, 

fer  her  wear  niijii  di  ir  möar  rijr, 

en  lust  en  froid  ferbi. 

en  es  di  wontar  wear  tu  en, 

wflr  ’t  ed  en  kfll  järst  nn  her  sen. 

8.  en  es  di  kl6ö  sö  gren  wear 
stin, 

det  fedjöar  wear  wear  dear, 
en  es  di  böäman  blemkan  fin, 


es  sent  djahans  wear  wear, 
do  wear  her  hart  sö  fol  fan  p in, 
ken  rO  fin  hem  *),  ken  tröst  möar  in. 

9.  bidriwat  giiig  det  födjöar  hen, 
di  semar  fallet  fin, 

doql>  skint  fer  her  ken  waram  sen, 
ken  stcran  möar,  ken  mfin. 
en  wear  di  dai  uk  noiji)  s5  swfil, 
fer  her  wear  ’t  grlfK^jj,  bistark,  kfil. 

10.  en  es  det  wetar  maql>tigan, 
brfift, 

en  es  di  harus  kim, 
en  der  di  böam  di  win  sö  süft, 
sin  bledan  fon  hem  nim, 
en  es  di  harus  wear  tu  en, 
do  wear  fer  her  uk  alas  hen. 

1 1 . es  alas  wear  sö  wit  bisnait 
en  döädanklet  finfin. 


or  mochte  sic  so  f^ern  leiden,  er  ließe  fUr  sic  sein  Blut.  Und  war  er  zum 
Sonntag  wieder  zu  Hause,  dann  sollte  ihre  Hochzeit  sein,  das  war  gewiß. 

6.  Doch  als  die  Woche  vergangen  war,  und  als  der  Sonntag  kam,  da  war  der 
Brkutigani  noch  nicht  da,  keine  Nachricht  vernahm  sie.  Aufs  neue  kam 
der  Mond  an  den  Himmel  (an  die  Luft),  doch  kam  kein  Mensch,  der 
Nachricht  brachte. 

7.  Das  Herz  von  Gram  und  Kummer  schwer,  so  wanderte  sie  umher,  für  sie 

war  die  Erde  nicht  mehr  schün  und  Lust  und  Freude  vorbei;  und  als  der 

Winter  zu  Ende  war,  ward  es  Ode  und  kalt  erst  in  ihrem  Sinn. 

8.  Und  als  der  Felsen  so  grtlu  wieder  stand  und  das  Frühjahr  wieder  da  war, 

und  als  die  Bftume  Blüten  bekamen,  als  wieder  Sankt  Johannistag  war,  da 

war  ihr  Herz  so  voller  Fein,  keine  Ruh  fand  sich,  kein  Trost  mehr  ein. 

9.  Betrübt  ging  das  Frühjahr  dahin,  der  Sommer  fing  an,  doch  schien  für  sie 
keine  warme  Sonne,  keine  Sterne  mehr,  kein  Mond ; und  war  der  Tag  auch 
noch  so  schwül,  für  sie  war  es  schaurig,  schrecklich,  kalt. 

10.  Und  als  die  See  gewaltig  brauste,  und  als  der  Frost  kam  und  durch  den 
Baum  der  Wind  so  sauste  und  ihm  seine  Blätter  nahm,  und  als  der  Herbst 
zu  Ende  war,  da  war  für  sie  auch  alles  hin. 

11.  Als  alles  so  weiß  beschneit  war  und  ein  Totcnkleid  anbekam,  und  als  der 
Wind  so  kühl  wieder  wehte  und  kahl  die  Bäume  standen,  und  als  alles  so 
tot  und  Ode  war,  da  war  sie  auch  zu  leben  müde. 

’)  ,aufs  Neue“  nach  dem  hochd. 

2)  oder  ist  , hen“  gem.dnt?  „keine  Ruhe  fand  hin,  kein  Trost  mehr  hinein“. 


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165 


en  es  di  win  sö  kol  wöer  wait, 
en  k^l  di  böaman  stin, 
es  alas  wear  sO  döad  en  ed, 
do  wear  dji  uk  tu  lewan  med. 

1 2.  en  es  di  dai  ip  lest  wear  kirn, 
di  dai,  dear  fer  en  djsar 
sindOg  her  fraiar  fan  her  nim, 
en  es  at  in  wear  wear, 

do  tu  di  hemal  beridljt  dji: 

„ö  leat  mi  doqh  ken  dai  wear  si. 

13.  di  doad  es  djö  ter  mi  det 
hast, 

ö got,  nem  mi  tu  di! 
det  lewan  es  mi  dj^  tu  last; 
skel  ik  hem  ni(Jlj  wear  si, 
wat  skel  dan  ip  ’a  ir  ik  du?“ 
sö  beric^it  dji,  sö  slip  dji  tu. 

14.  es  wan  dear  ün  di  dernsk 
jän  kirn, 

sö  kirn  at  her  ne  fer, 
es  wan  dji  nipam  g^r  farnim 
en  klapam  för  di  der. 


en  tre  raijl  rip  at  her  bi  nem! 
wat  skul  det  wef?  wearfan  skul’t 
körn? 

15.  dji  lukat  ap,  dji  lukat  om, 
doch  kid  dji  g^r  niks  si, 

en  alas  wear  wear  stel  en  stom, 
det  rupam  wear  farbi. 
djist  s^it  di  klok  tu  tilälaw  ün, 
en  hei  es  dai  wear’t  fan  di  mün. 

16.  hi  skint  sö  r$r,  hi  skint 
sö  hei, 

sö  hei  ün’t  fenstar  in, 
di  n^qlit,  di  wear  sö  stel,  sö  stel, 
klf>r  wear  di  loqljt  en  rin. 
doqlj  tijalö  skalt  at  der  di  lo<jht; 
di  dai,  di  hid  sin  löp  folbroqljt. 

1 7.  en  hjat  en  kül,  en  kül  en  hjat 
det  fijmal  wflr  tu  mud, 

det  förhöd  wür  fan  syat  her  weat, 
ny't  höd  ap  stauat  her  blud: 
en  spükums  stid  dear  ün  di  der, 
es  her  fer’n  djöar  ün  dröm  kim  fer. 


12.  Uud  alü  endlich  der  Tag  wiederkam,  der  Tag,  der  vor  einem  Jahr  dainala 
den  Lootsen  ihr  nahm,  und  als  es  wieder  Abend  war,  da  betete  sie  zum 
Himmel;  ,o  laB  mich  doch  keinen  Tag  wieder  gehen! 

13.  Der  Tod  ist  ja  för  mich  das  beste;  o Gott,  nimm  mich  zu  dir!  Das 

Leben  ist  mir  ja  zur  Last;  soll  ich  ihn  nicht  Wiedersehen,  was  soll  dann 

auf  der  Erde  ich  tun“?  So  betete  sie,  und  so  schlief  sie  ein. 

14.  Als  ob  da  in  das  Zimmer  einer  kkme,  so  kam  es  ihr  jetzt  vor;  als  wenn 

sie  gar  Rufen  vemihme  und  Klopfen  ror  der  Tür;  und  dreimal  rief  es  sie 
bei  Namen.  Was  sollte  das  sein?  wovon  sollte  cs  kommen? 

15.  Sie  schaute  auf,  sie  schaute  umher,  doch  konnte  sic  gamichts  sehen,  und 
alles  war  wieder  still  und  stumm,  das  Rufen  war  vorbei.  Grade  sagte  die 
Uhr  zwölf  an,  und  bell  wie  Tag  war  es  vom  Monde. 

16.  Er  schien  so  schön,  er  schien  so  bell,  so  bell  ins  Fenster  hinein;  die 
Nacht,  die  war  so  still,  so  still,  klar  war  die  Luft  und  rein.  Doch  zwölf 
schallte  es  durch  die  Luft,  der  Tag  hatte  seinen  Lauf  vollbracht. 

17.  Und  heiß  und  kalt,  und  kalt  und  heiß  ward  dem  Midcben  zu  Mute,  die 
Stirn  ward  ihr  naß  von  Schweiß,  zu  Kopf  stieg  ihr  das  Blut:  ein  Gespenst 
stand  da  in  der  Tür,  wie  es  ihr  vor  einem  Jahre  im  Traume  erschienen  w ar. 


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Ififi 


18.  en  naiar  kirn  at  nij  her 
djSart, 

ne  dji’t  ün’t  gasecjht: 

we(?h  wear  her  adgst,  her  fraiar 
wear't, 

her  liart  wür  her  ho  le(Jht! 
so  dji  hem,  sö  stld  lii  dear, 

es  l'Or  en  djnar  hi  giiTpan  wear. 

19.  „watfandihemaldibigeart, 
om  wat  di  hericyit  hast, 

det  h^  ik  ala  m(>l  Qnheart, 
nein  ne  fan  di  di  la.st, 
di  al  en  djear  di  trekt  tn  grin; 
en  rü  en  fredan  skelt  di  tin! 

20.  di  skelt  nicjh  mear  alen 
hir  stun, 

kum  ined  en  liiliga  mi, 
ik  briilg  di  ün  en  betar  lun 
en  gui%  ni(Jh  mear  fan  di. 
ik  höl,  wat  ik  di  iän  myl  suür, 
skelt  ne  med  ini  farfmii^it  wür. 

21.  sin  hun  liji  ip  her  höd  hi  del, 


es  det  hi  tu  her  sfüt; 
lei^t  wear  her  hart,  frai  wear 
her  sei 

fan  komar,  gr^m  en  moit. 
her  trekt  ken  süri^h  raöar,  ken  pin, 
en  rü  en  fredan  fln  hem  in. 

22.  det  wear  di  nyQljt,  es  1er 
en  djöar 

sö  dii^it  di  stflram  wait, 
di  nöcj)t,  dear’t  djniSgk  en  graualk 
wear 

en't  hnialt,  fref  en  snait. 

det  wear  di  n^qlit,  det  wear  di  stin, 

wear  di  djuiTg  löats  sin  döad  ün  fin. 

23.  di  sen,  di  skint  sö  hei,  sö  hei, 
di  loqht  wear  rin  en  röad; 
do(^  ün  di  k^mar  blew  at  stel, 
det  ffimal  l^i  — wear  döad. 

fer  her  skint  ne  en  betar  sen, 
en  al  her  laidan  wear  tu  en. 

24.  en  es  di  sendai  kiraan  wear, 
en  es  di  wek  tu  en, 


18.  Und  n&ber  kam  cs  auf  sie  zu,  jetzt  sah  sic  ihm  ins  Gesicht:  furt  war  ihre 
.\ngst,  ihr  BrSntigam  war  es,  wie  leicht  war  ihr  das  Herz!  So  sah  sie 
ihn,  so  stand  er  da,  wie  vor  einem  Jahre  er  gegangen  war. 

19.  ,Was  von  dem  HimincI  du  begehrt,  um  was  du  gebetet  hast,  das  habe  ich 
jedesmal  angehört  und  nehme  jetzt  die  Last  von  dir,  die  schon  ein 
Jahr  lang  dich  zu  Boden  drückt:  und  Ruhe  und  Frieden  sollst  du  finden. 

■JO.  Du  .sollst  nicht  mehr  allein  hier  stehen,  komm  mit  und  folge  mir,  ich 
bringe  dich  in  ein  besser  Land  und  gehe  nicht  mehr  von  dir;  ich  halte, 
was  ich  dir  einmal  geschworen  habe:  jetzt  sollst  du  mit  mir  vereint  werden*. 

21.  Seine  Hand  legte  er  ihr  aufs  Haupt,  indem  er  zu  ihr  sprach;  leicht  war  ihr 
das  Herz,  frei  die  Seele  von  Kummer,  Gram  und  Mühe;  keine  Sorge,  keine 
Pein  drückte  sie  mehr,  und  Ruh  und  Frieden  fand  sich  ein. 

22.  Das  war  die  Kacht,  ala  vor  einem  Jahre  so  stark  der  Sturm  wehte,  die 

Nacht,  wo  es  dunkel  und  grausig  war  und  hagelte,  fror  und  schneite;  das 

war  die  Nacht,  das  war  die  Stunde,  da  der  junge  Lootsc  seinen  Tod  fand! 

23.  Die  Sonne,  die  schien  so  hell,  so  hell,  die  Luft  war  rein  und  rot,  doch  in 

der  Kammer  blieb  es  still,  das  Mädchen  lag  da  — es  war  tot.  Ffir  sie 

schien  jetzt  eine  bessere  Sonne,  und  alle  ihre  Leiden  (hochd.)  waren  zu  Ende. 

‘24.  Und  als  der  Sonntag  gekommen  war,  und  als  die  Woche  zu  Ende  war,  da 


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Iß7 


do  did  ja  her  di  lesta  jär, 
broqljt  her  119’t  karkhof  hen. 
en  mani  ö^n  wear  dear  weat, 
arkjän  did’t  om  det  fomal  lead. 

•25.  es  brid  dji  no(^  ün  di  Ir, 
es  brid  noqi)  ün  her  fat, 

II.  Min  wensk. 

1.  S kid  ik  ün  det  hart  her  si! 
wüst  ik,  of  dji  wat  hil  fan  mi! 
det  wear,  wat  ik  sö  gearn  rooQljt ! 
5 wüst  ik,  wat  dji  toqijt. 

2.  en  kidst  di  ün  min  hart 
mi  si, 

(lan  s9^st  di,  wat  ik  hil  fan  di! 
en  möar  — ö lew  mi,  hei  en  klyr 
s(>gst  di  di  sal5  g^r.  — 

A.  Groneweg. 


her  bridkrants  wear  her  noql)  en  sir, 
es  dji  ün’t  graf  wür  sat. 
det  wear  di  s6ndai,  di  fer  ’n  djöar 
es  kostdai  her  bistemat*)  wear. 

Groneweg. 


III.  Wiegenlieder. 

1.  wingka  wingka  de, 
if  fvar  fart  it  ün  se, 

If  mein  gnilgt  dc-1  om  bökan, 
if  Petarkan  lait  al  w^kan. 

2.  mm  alarba.st  letj  enakan, 
di  syumat  ün  di  se; 

en  wan  hi  lungar  ni(y>  suuma  kan, 
dan  sat  hi  sin  stert  ün  di  hei^it. 


gaben  sie  ihr  die  letzte  Ehre,  brachten  sie  nach  dem  Kirchhof  hin.  Tnil 
viele  Augen  waren  da  naß,  jedem  tat  es  leid  um  das  Mtdchcn. 

'25.  .Als  Braut  nun  lag  sie  in  der  Erde,  als  Brant  in  ihrem  Sarge,  ihr  Braut- 
kranz schmückte  sie,  als  sie  ins  Grab  gelegt  wurde  (eig.  gesetzt).  Das 
war  der  Sonntag,  der  vor  einem  Jahr  ihr  als  Hochzeitstag  bestimmt  war. 
Die  beiden  letzten  Strophen  dieses  Gedichtes,  das  in  einfacher  und  doch 
wirkungsvoller  Weise  den  gleichen  Stoff  wie  Bürgers  Leonore  behandelt,  er- 
scheinen uns  als  ein  freilich  volkstümlich  empfundenes,  aber  trotzdem  ge- 
schmackloses und  auch  sprachlich  nicht  einwandfreies  Anhängsel. 

II.  Mein  Wunsch. 

1.  Ach,  könnt  ich  schau’n  ins  Herze  ihr  Und  wüBt  ich,  was  sie  hält  von 
mir!  Das  wär'  es,  was  ich  gerne  möcht:  Ach  wüßt’  ich,  wäs  sie  dächt! 

2.  Und  könnt'st  du  scbau'n  ins  Herze  mir,  Dann  sähst  du,  was  ich  halt’  von 
dir!  Und  mehr  noch:  glaub’  mir,  hell  und  klar  Sähst  du  dich  selber  gar. 


III.  Wiegenlieder. 

1.  Winke  winke  dee.  Unser  Vater  fährt  aus  in  See,  Unsere  Mutter  geht  ins 
Unterland  (hinunter)  um  die  Mulden  mit  Augeltau  (zu  holen),  Unser  Peter- 
chen  liegt  schon  wachend.  — Die  erste  Zeile  ist  sinnlos,  nur  des  Reimes 
wegen  gemachL 

2.  Mein  allerbestes  kleines  Entchen,  das  schwimmt  in  der  See;  und  wenn  es 
nicht  mehr  schwimmen  kann,  dann  st.  .kt  (setzt)  es  seinen  Schwanz  in  die 
Hob.  Die  Reime  weisen  auf  plattdeutschen  oder  hochdeutschen  Ursprung  hin. 

t)  hochdeutsche  Wendung,  die  in  helgolander  Laute  übertragen  zu  sein 
scheint. 


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168 


IV 

. Abzählreim. 

jan,  tau. 

tre, 

di  best  en  grewan  ff. 

di  best  en  grfwan  os, 

di  kekast 

fln  en  koks. 

V.  Kinderreime. 

dear  liji  det  tvif  her  letj  enakan  d6ad ; 

1.  bopam  Haikans  bis,  dear 

5 we,  ö we,  dji  kid  jam  nii^j  mest! 

steint  en  sil. 

dear  liji  dji?  noQli  ses  aiar  fln’t  nest. 

en  ün  di  sil,  dear  es  en  k^est, 

dear  kaft  dji  her  sokar  en  te  for 

en  Dn  di  k^est,  dear  es  en  nest, 

en  di  broqljt  dji  hen  fer  heram 

en  Qn  det  nest,  dcar  es  en  hün. 

naibars  der. 

en  fln  di  hün,  dear  es  en  ai. 

.3.  Liskan,  senar  priskan. 

en  ün  det  ai,  dear  es  en  dedar, 

senar  nedal,  senar  tread, 

di  ra^kat  alar  menskans  wedar. 

Maikan  skul  nijlöp, 

2.  On  di  Halam,  fln  di  Halam, 

dear  wüst  dji  ken  read. 

dear  wear  s5’n  nöad, 

VI.  Det  hid  ik  niijlj  toql)t! 

En  snüri  dentja  ens  fPrtudre^n 
fin  ’n  lüsti  gas^lskaft,  det  es  imar  rijr, 

IV.  AbzSblreime. 

Eins  zwei  drei,  du  bist  ein  grobes  Vieh,  du  bist  ein  grober  Ochs,  du  kochst 
in  einer  Muschel.  — Die  Verse  sind,  wie  viele  Abzablrersc,  sinnlos  und  nur  um 
des  Reimes  willen  gemacht.  Aufffillig  ist,  daC  hier  das  helgoland.  tre  mit  dem 
wohl  plattdeutschen  fe  reimt;  mehr  noch,  daß  die  plattd.  Form  os,  die  auf 
Helgoland  statt  des  zu  erwartenden  *oks  gilt,  auf  das  helgolandisehe  koks  reimt 
Die  Verse  waren  noch  um  1870  allgemein  bekannt. 

V.  Kinderrci  me . 

1.  Oberhalb  von  Heikens  Haus,  da  steht  ein  Pfahl,  lind  in  dem  Pfahl,  da 
ist  ein  Ast,  Und  in  dem  Ast,  da  ist  ein  Nest,  und  in  dem  Nest,  da  ist  ein 
Huhn,  Und  in  dem  Huhn,  da  ist  ein  £i.  Und  in  dem  Ei,  da  ist  ein  Dotter, 
Der  macht  aller  Menschen  Wetter, 

2.  Auf  der  D&nc,  auf  der  Düne,  Da  war  so  'ne  Not,  Da  lag  der  Frau  ihr 
kleines  Entchen  tot;  0 weh,  o weh,  sie  konnte  sie  nicht  missen!  Da  lagen 
ja  noch  sechs  Eier  im  Nest.  Da  kaufte  sie  sich  Zucker  und  Tee  dafür, 
den  brachte  sie  hin  vor  ihres  Nachbars  Tür. 

3.  Lieschen,  ohne  Prieschen,  ohne  Nadel,  ohne  Faden;  Maiken  sollte  nach- 
lanfen,  da  wußte  sic  keinen  Bat. 

VI.  Das  hütte  ich  nicht  gedacht! 

Ein  schnurrig  Stückchen  mal  vorzutragen 
in  einer  lustigen  Gesellschaft,  das  ist  immer  hübsch. 


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169 


det  m^ikat  med^nar  en  machti  fargnö^an, 
det  alamijl  wet  wi,  det  es  imar  w$r. 
do  iin  ik  di  infal,  en  stek  ens  tu  mi^kan 
an  if  ^in,  fln  Halnnar  sprek; 
doqh  of  djira  gaf$l  min  wunarlik  sykan, 
det  wet  ik  noQl>  ni(Jli,  det  raut  ik  fars$k. 
en  lest  at  djira  dan,  det  stek  Qntuhearn, 
dan  wel  ik  at  fördreg,  fan  hartan  gearn. 

det  stek  fangat  fin.  ik  stid  ens  ip  falam 
en  lukat  ijwar  det  Delarluu  wecjlj, 
en  tüfeliölj  ful  min  ög  nij  di  Halam; 
wat  ik?  wat  fin  ik  Ip  jän  myl  fin  se^t? 
hi  8^  alhel  firs  it,  es  hi  hid  den: 
en  klutsi(^  polsydan  wear  dear  rinom; 
sö  hid  ik  hem  dj$  noqlj  ^Isniqh  sen, 
fan  lutar  farwunarui%  stid  ik,  wear  stom. 
dan  dfit  tu  balewan,  det  hid  ik  ni<^  toQlit, 
det  wear  mi,  es  ful  ik  it  di  loql)t. 

doQji  min  farwunarung  skul  järst  big^n. 
ne  slfig  ik  min  ög’an  n^’t  Delarlun  hen. 
dear  stid  en  gröt  his,  en  slot  wear’t  tu  naman, 

das  macht  mitunter  ein  großes  Vergnügen, 
das  wissen  wir  allzumal,  das  ist  immer  wahr. 

Da  kriegte  ich  den  Einfall,  einmal  ein  Stück  zu  machen 
in  unserer  eignen,  in  Helgoländer  Sprache; 
doch  ob  euch  meine  wunderlichen  Sachen  gefallen, 
das  weiß  ich  noch  nicht,  das  muß  ich  Tersuchen. 

Und  lüstet  es  euch  dann,  das  Stück  anzuhSren, 
dann  will  ich  cs  von  Herzen  gern  vortragen. 

Das  Stück  fängt  an.  Ich  stand  mal  auf  dem  Falm 
und  sah  über  das  Unterland  weg, 
und  zufällig  fiel  mein  Auge  auf  die  DUne; 
was  sah  ich,  was  bekam  ich  auf  einmal  in  Sicht? 
sic  sah  ganz  anders  aus,  als  sie  getan  hatte, 
und  klotzige  Pallisaden  waren  da  ringsum; 
so  hatte  ich  sie  ja  noch  nie  gesehen, 
vor  lauter  Verwunderung  stand  ich  und  war  stumm; 
denn  das  zu  erleben,  das  hätte  ich  nicht  gedacht, 
das  war  mir,  als  fiele  ich  ans  der  Luft. 

Doch  meine  Verwunderung  sollte  erst  beginnen. 

Jetzt  richtete  ich  meine  Äugen  nach  dem  Unterlande  hin. 
Da  stand  ein  großes  Hans,  ein  Schloß  war  cs  zu  nennen, 
MUtelluussa  d.  schles.  Oes.  f.  Vkdo.  Baud  XII  (Heft  2).  12 


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170 


en  prachtstek,  es  ik  sind^  noq^  ni<51)  scn, 
med  silan  rinum  stid  at  dear  tu  braman, 
med  spegalglasfenstar,  det  es  do<^  ni(^  men, 
en  befi  en  pracht,  es  hir  noQ^  ni(^  wefan, 
fan  iän  s^l  gii%  det  man  wear  On  di  Qr; 
di  iän  tu  sprii%an,  di  ur  tu  lefan, 
tu  itan  di  der,  tu  spelan  nnmar  §tjQr‘). 
en  es  ik  ne  fraget,  wat  det  wear  fer  ’n  bis, 
do  hOart  ik  : di  bers,  di  nai  buwat  iärst  es.“ 
ne,  det  tu  bilewan,  det  hid  ik  niiji)  toql^t, 
det  wear  mi,  es  ful  ik  it  di  loql^t. 

Doql>  min  farwunarui%  skul  järst  ens  big^n: 
det  wear  lui%  ni<^  alas,  wat  hir  Ik  hid  sen! 
dear  wear  g^r  en  dernsk,  dear  wuks  ^palsin 
en  figan  en  maiS^lar,  ert’an  sog$r 
en  al  die  farskedana  sortan  win, 
grenluöfeköal  en  pem,  kantttfal  re(51;it  r^r, 
en  böän,  Ik  lew  g^r,  det  wear  fan  din, 
med  bledan  so  gröt  es  en  skilarhis, 

ein  Pracbtstfick,  wie  ich  es  meiner  Tage  nicht  gesehn  hatte, 

mit  Säulen  ringsum  stand  es  da  zu  prahlen, 

mit  Spiegclglasfenstem,  das  ist  doch  nicht  gering. 

Und  binnen  eine  Pracht,  wie  hier  noch  nicht  gewesen, 
von  einem  Saal  ging  das  nur  immer  wieder  in  den  andern ; 
der  eine  zum  Tanzen,  der  andre  zum  Lesen, 
zum  Essen  der  dritte,  zum  Spielen  Nummer  vier. 

Und  als  ich  nun  (ragte,  was  das  für  ein  Hans  wäre, 
da  bSrte  ich:  die  Börse,  die  erst  neu  gebaut  ist 
Nein,  das  zu  erleben,  das  hätte  ich  nicht  gedacht, 
das  war  mir,  als  fiele  ich  aus  der  Luft. 

Doch  meine  Verwunderung  sollte  erst  noch  beginnen: 
das  war  lange  nicht  alles,  was  ich  hier  gesehen  hatte! 
da  war  gar  ein  Zimmer,  da  wuchsen  Apfelsinen 
und  Feigen  und  Mandeln,  Erbsen  sogar 
und  alle  die  verschiedenen  Sorten  Wein, 

Grünkohl  und  Birnen,  Kartoffeln  recht  schön 
und  Bohnen,  ich  glaube  gar,  von  denen 
mit  Blättern  so  groß  wie  ein  Schilderhaus, 

')  In  der  handschriftlichen  Überlieferung  stand  „fjur“;  von  Herrn  Claascn 
wird  mir  nun  schriftlich  versichert,  daß  ältere  Leute  diese  Form  für  „vier“ 
gebraucht  hätten.  Aber  ich  habe  auf  der  Insel  niemals  eine  Spur  davon  be- 
merkt und  deshalb  die  übliche  Form  in  den  Text  gesetzt. 


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171 


wear  ydam  en  efa  en  klet  fan  fin, 
dear  ja  ncK^  lewat  fln’t  paradls. 
ik  toQl)t  : ben  ik  dan  ün’t  möarnlun, 
dat  sok  al  wat  kan  fin  jän  n^cjljt  entstun? 

DoqI)  min  ferwunerung  wear  noqlj  niijl)  tu  en: 
om  was(t)‘)  fert  tufeli  min  wai  mi  hen. 
dear  wear  g^r  en  h^lwan,  med  skepara  fol  propat, 
med  sroakan  en  tjalkan,  me’  dampars  sfig^r, 
en  fer  di  brej  en  grSt  dampar  djist  stopat, 
di  freman  kirn  fin  di  wal,  ö sO  r^r! 
di  bertan  wear  ^war,  ja  brikt  jam  nic^lj  mear, 
kOn  stewan,  ken  rudars,  en  uk  ken  ofsear. 
dear  stld  ik  en  wear  fer  farwuneruiSfe  stora, 
doql)  ne  fin  ip  jänrn^l  di  efal  ik  om ! 
en  dröm  hid  at  wefan,  wat  ik  hid  al  seö, 
en  hirmed  es  uk  min  stek  tu  en. 

Do<jl)  iänm^il  Ip  kl6ö,  ni«y>  tu  fardjitan, 

wovun  Adam  und  Eva  uin  Kleid  bekamen, 
aU  sie  noch  im  Paradiese  lebten. 

Ich  dachte:  bin  ich  denn  im  Morgenlande, 
daß  all  so  was  in  einer  Nacht  entstehen  kann  ? 

Doch  meine  Verwunderung  war  noch  nicht  zu  Ende: 
nach  dem  Süden  des  Unterlandes  führte  zuDUlig  mein  Weg 

mich  hin: 

da  war  gar  ein  Hafen,  mit  Schiffen  vollgepropft, 

mit  Schmacken  und  Tjalkcn,  mit  Dampfern  sogar, 

und  vor  der  Brücke  hielt  gerade  ein  großer  Dampfer ; 

die  Fremden  kamen  an  Land,  ach  so  hübsch! 

die  Mannschaften  zum  Anbooten  waren  überflüssig,  sie 

brauchten  sie  nicht  mehr; 

kein  Stewen,  keine  Ruderboote  und  auch  kein  Offizier. 

Da  stand  ich  und  war  vor  Verwunderung  stumm, 
doch  nun  bekam  ich  auf  einmal  den  Esel  umgehängt: 
ein  Traum  war  es  gewesen,  was  ich  alles  gesehen  hatte, 
und  hiermit  ist  auch  mein  Stück  zu  Endo, 

Doch  einmal,  auf  dem  Oberlande,  nicht  zu  vergessen, 

')  was(t)  ist  der  Weststrand,  wes(t)  meint  die  Himmelsrichtung;  om  was(t) 
meint  die  Südseite  des  Unterlandes. 

eine  Schuircdensart  aus  der  Zeit,  wo  man  dem  Schüler  zur  Strafe  ein 
Eselsfcll  umhängte  und  ihn  in  die  Ecke  stellte;  ,nun  bekam  ich  auf  einmal 
den  Esel  am(gehängt)“,  d.  h.  ich  war  der  Dumme,  ich  kam  in  Verlegenheit. 

12* 


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172 


stid  brakan,  wel  hondart,  uk  naint  wi  jam  hütan; 

doql,i  iär  ik  jam  losten  dear  nocJ,i  ans  soqljt, 

fin  akars  ik  blöat  en  ketjan  en  locj^t. 

det  h<7  wi  bilewat,  dot  liy  wi  erfOran, 

welk  hid  det  bi  di  änfai%  wel  ^int, 

dat  alas  fln  kürtar  tid  wöar  sö  wear  würan, 

dat  djSarludfe  di  kleö  fol  kantüfal  wear  stijnt? 

dearom  sijii  di  ni<yi  möar  : „det  wel  ik  ni<Jh  lew, 

bet  ik  at  ans  si,  so  lung  wel  ik  tew.“ 

det  hi?  wi  bilewat  Ip  i’  betjan  lun, 

dat  fei  ün  kürtar  tid  hir  kan  entstun. 

Sö  lew  ik  dau,  wan  di  nai  bers  es  ans  kl^r, 
en  wan  di  Halam  es  skitset  redlit  rQr, 

O 

di  slQpatn  järst  lai  es  fln  Abrahams  sköät 
en  knap  noqlj  wflr  fan  det  wetar  mear  weät, 
en  wan  nocj)  gyr  djofl^n  went  m^l  ans  tf  k^tar, 
dan  — lew  ik  uk  — h<?  wi  en  nai  teijtar. 

A.  Groneweg. 

VII.  Di  wontar  tu  en. 

1.  Di  l9i%s$m  wontar  es  tu  en,  di  wart  fer’t  järst  uk  wel  niks  si; 
en  if  komedi  es  farbi;  wi  hy  di  semar  fer  di  hnn, 

welk  ne  niks  fan  l’  spei  hid  sen,  lebend!  wart  at  al  bi  strun. 

standen  Baracken,  wohl  hundert,  auch  nannten  wir  sie  Hütten; 
doch  als  ich  neulich  noch  darnach  suchte, 
fand  ich  Acker  nur  und  Hederich  und  Luft. 

Das  haben  wir  erlebt,  das  haben  wir  erfahren, 

wer  hatte  das  zu  Anfang  wohl  geahnt, 

daß  alles  in  kurzer  Zeit  wieder  so  geworden  war, 

daß  dieses  Jahr  das  Oberland  wieder  voll  Kartoffeln  steht? 

Darum  sage  du  nicht  mehr:  „das  will  ich  nicht  glauben; 
bis  ich  es  mal  sehe,  so  lange  will  ich  warttm.“ 

Das  haben  wir  erlebt  auf  unserm  biseben  Land, 
daß  viel  in  kurzer  Zeit  hier  entstehen  kann. 

So  glaube  ich  denn,  wenn  die  neue  Börse  mal  fertig  ist, 
und  wenn  die  Dune  recht  hübsch  geschützt  ist, 
und  wenn  die  Schaluppen  erst  wie  in  Abrahams  Schooß  liegen 
und  vom  Wasser  kaum  noch  naß  werden, 
und  wenn  noch  gar  unser  Kater  mal  Junge  kriegt, 
dann  — glaube  ich  auch  — haben  wir  ein  neues  Theater. 

VII.  Der  Winter  zu  Ende. 

1.  Der  langsame  Winter  ist  zu  Ende,  und  unser  Theater  ist  vorbei;  wer  nun 
nichts  von  unserem  Spiel  gesehen  hat,  der  wird  für's  erste  auch  wohl  nichts 


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173 


2.  di  f^maldr  löp  med  b^kan  al, 
di  meas(t)an  slQpam  sen  al  uf, 
di  sp^d  en  rUv  wür  uk  ne  bal 
fln  yrboid  sat.  En  fin  en  ruf, 
dan  hij  i’  kleO  wi  r^ir  ün  stan, 
en  lamkansr  spriiig  wear  ijwar 

di  fan. 

3.  uk  wi  mut  re(y)ta,  ne  i’  sen 
Ip  firs  wat  es  komfdispel; 

di  iän  soql)t  ny  sin  dernskan  hen, 
of  hi  uk  no<^  tapslra  skel; 
di  flr  so<jl)t,  dat  hi  mani(Jli  gat 
ün  sofy,  stül  en  dekan  hat. 

4.  uk  hir  en  döar  es  k^d  en  stod 
ip  fenstarn,  daran  fidar  stak; 

en  wel  hi  hy  ft'r't  wlfulk  fred, 


dan  mut  hi  farawa  senar  snak; 
kürt  ; arkiän  went  ne  ip  at  lun 
med  (trboid  fol  sin  hüd  en  hun. 

5.  dearom  s^i  wi  dan  uk  adjts 
fer’t  iärst  ne  med  fargnejtan  sen, 
en  hepa,  wan  djim  gung  hen  tis, 
dat  djim  at  uk  ni(^  menar  sen! 
dan  h$  wi  mud  en  h^  di  jär 
tu  m^kan  djim  no(^  oft  plas^ar. 

G.  en  hartalk  daifgk  nem  uk 
noqh  med 

fCT  djeram  bidraqji  tu  i’  spei 
en  det  farsprekan,  dat  wi  wet 
tu  sketsan  djeram  frentalk  wel; 
en  wan  wi  dan  ans  t5p  wear  kem, 
dan  bllw  is  troi!  en  fela  ken! 

Knuti  Michels. 


sehen;  wir  haben  den  Sommer  vor  uns  (vor  der  Hand),  lebendig  wird  es 
schon  am  Strande. 

2.  Die  Mädchen  laufen  alle  mit  Mulden,  in  denen  Tau  ist,  die  meisten  Schaluppen 
sind  schon  fort,  der  Spaten  und  Harke  werden  auch  nun  bald  in  Arbeit 
gesetzt;  und  in  einem  .Augenblick,  dann  haben  wir  unser  Oberland  schon 
in  Stand,  und  Lämmer  springen  wieder  über  das  Moor  (ywor  di  fan  heiUt 
eine  Stelle  an  der  AVestknste). 

3.  Auch  wir  müssen  unseren  Sinn  jetzt  auf  etwas  anderes  als  Theaterspiclcn 
richten;  der  eine  sieht  nach  seiner  Stube,  ob  er  auch  wohl  tapezieren  soll; 
der  andere  sieht,  daß  er  manches  Loch  in  Sofa,  Stuhl  und  Decken  hat 

4.  Auch  hier  und  dort  ist  kahl  eine  Stelle  auf  Fenstern,  Türen  oder  Zaun; 
und  wollen  wir  vor  den  Weibsleuten  Kuhn  haben,  dann  müssen  wir  an- 
slreichen,  ohne  Rede.  Kurz:  ein  jeder  kriegt  nun  auf  der  Insel  mit  Arbeit 
Kopf  und  Hand  voll. 

5.  Darum  sagen  wir  denn  auch  fürs  erste  jetzt  adieu  mit  vergnügtem  Sinn 
und  buffen,  weun  ihr  nach  Haus  hingeht,  daß  ihr  (es)  auch  nicht  weniger 
vergnügt  seid;  dann  haben  wir  Mut  und  haben  die  Ehre,  euch  noch  oft 
Vergnügen  zu  uiachen. 

6.  Einen  herzlichen  Dank  nehmt  noch  mit  für  euren  Beitrag,  zu  unserem 
Spiel  und  das  Versprecheu,  daß  wir  euren  freundlichen  Willen  zu  schätzen 
wissen;  und  wenn  wir  dann  mal  wieder  zusammen  kommen,  dann  bleibt 
uns  treu,  und  cs  fehle  keiner! 


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174 


VIII.  Det  Lun. 


1 . Ik  wet  en  lun,  det  lait  sö  ed, 
sö  Öns^im  fln  det  wetar, 

dear  stret  di  se  med  senar  fred 
en  senar  rast,  dje  letar 
di  tid  wart,  reft  hi  fan  det  lun 
bi  letjanar  we<yj  di  kant,  di  strun ! 

2.  wat  reft  hi  ni(yi  f6r  mani(J}) 
gat; 

bi  was(t)an^)  sen  di  stedan! 
en  wat  hi  iänm^l  niman  bat, 
det  lait  lui%  djip  an  fredan, 
det  hielt  farlefan,  det  es  hen, 
ken  raensk  kan  det  turöj  wear  wen! 

3.  ho  böalkt  di  se  dear  graualk 
hol 

bi’n  stüram  it  westan  — nilran! 
ho  es  di  loqljt  so  tÄjok,  so  fol! 
ho  drent  it  fan  di  teran! 


ken  sen,  ken  mün  lat  dan  hem  si, 
det  es,  as  wear  di  weit  farbi. 

4.  Doql)  st^nt  det  lun  no<jj) 
imar  dear 

en  stret  noqji  med  det  wetar, 
en  du  di  sk^dan  hem  uk  sear, 
fil6^t  wür  ja  wear  betar. 
noql)  halt  djij  jän  sin  maqljti^  hun 
dear  bopam  $war  det  le^  lun. 

5.  en  fr^st  di : „ho  hit  at  dan, 
wat  di  s5  graualk  m^kast?“ 

dan  gäl  1er  froidan  ik  es  man, 
sö  spitsk  es  di  uk  l^chast, 
ted^k  n^  det  Lun  ik  fln  min  liart, 
wear  fei  ik  froid  s^,  fei  uk  smart. 

fi.  wear  ik  ip  kleweskinth? speit, 
wear  ik  ip  mem  her  järam 
üfskOran  fan  di  heia  weit 


VIII.  Helgoland. 

1.  Ich  weiß  ein  Land,  das  liegt  so  öde,  so  einsam  in  der  Sec,  damit  kämpfen 
die  Wogen  sonder  Friede  und  Rast.  Im  Laufe  der  Zeit  reißt  die  Brandung 
von  der  Insel  bei  Kleinem  die  Felskanto  und  den  Strand. 

2.  Was  reißt  sie  sic  nicht  für  viele  Löcher!  am  Weststrande  sind  die  Stellen! 
Und  was  sie  einmal  genommen  bat,  das  liegt  lange  tief  in  Frieden,  das 
bleibt  verloren,  das  ist  hin,  kein  Mensch  kann  das  wieder  zurnckbekommeu. 

3.  Wie  heult  die  See  da  grausig  hohl  beim  Sturm  aus  Westen  und  Korden; 
wie  ist  die  Luft  dann  dick  und  voll,  wie  dröhnt  es  von  dem  Turm.  Keine 
Sonne  noch  Mond  läßt  dann  sich  sehen;  das  ist,  als  wäre  die  Welt  vorbei. 

4.  Doch  steht  die  Insel  noch  immer  da  und  streitet  noch  mit  dem  Wasser; 
und  tnn  die  Schäden  ihr  auch  weh,  vielleicht  werden  sie  wieder  besser 
Koch'  hält  ja  einer  seine  mächtige  Hand  da  droben  über  das  kleine  Eiland. 

5.  Und  fragest  du:  wie  heißt  es  denn,  was  du  so  graulich  schilderst  (machst) 
Dann  weine  ich  vor  Freude,  ich  als  Mann,  so  spöttisch  du  auch  darüber 
lachst,  wenn  ich  denke  an  Helgoland  in  meinem  Herzen,  wo  ich  viel  Freude 
und  viel  Schmerz  auch  sah. 

6.  Wo  ich  auf  dom  Oberlande  als  Kind  gespielt  habe,  wo  ich  auf  Mutters 
Arm,  fern  der  ganzen  Welt,  nichts  von  Zank  und  Harm  kannte,  dies 
Land  war  noch  meine  ganze  Welt  damals  und  unser  Haus  am  Strande  ein 
mächtiger  Staat. 

*)  am  Weststrande,  vgl.  S.  171,  Anm.  1. 


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175 


niks  kid  fan  ätjni%k  en  haratn. 
min  heia  weit  wear  doqIj  det  Inn 
en  ma<^ti^  at$t  if  hif  bi  strnn. 

7.  do<^  es  mi  dan  ün’t  twalawst 
djsar 

min  f^r  ans  hid  med  niman 
n$’n  fastawal,  en  wunar  dear 
tu  fgan  mi  wSar  kiman, 
dear  ik  min  d^  no<jl)  niijl)  liid  sen, 
do  wear  min  rau  mej[äns  uk  hen. 

8.  dear  ’t  if‘)  wear  mi  di  loq^t 
sö  sw^r, 

en  wat  min  froid  hid  wefan, 
8pelt3i(Jl),  det  moql>t  ik  si  niijl) 
möar; 

hid  ik  fin  bukan  lefan 

fan  lunan  fir  en  maql)ti(Jlj  se, 

to<j^t  ik  meiäns  : det  most  di  si. 

9.  iän  djöar  gii%  n^  di  flr  so  hen, 
en  l5äts  wear  ik  ne  wttran, 


fei  stedan  en  h^wan  hid  ik  sen, 
uk  mani^  stüram  erfüran; 
doQl)  wear  min  alaman  ni(Jh  farbi, 
di  heia  weit  wul  iärst  ik  si. 

10.  do’  stürS  min  mera,  her 
fuli(yjt  min  f^r. 

ne  wear  Ip’t  lun  niks  blewan, 
wat  hol  mi  kid  dear  lui%ar  moar, 
ik  toqht  ne,  flrs  tu  lewan. 
adjfs  s^it  ik  tu’n  liwa  strun, 
en  89^  min  d^  ni(Jl)  wear  min  lun. 

1 1 . min  höd  es  ne  al  k$l  en  gri, 
h^  ni^  möar  lui%  tu  lewan; 

6,  kid  ik’t  Lun  noqlj  ans  wear  si, 
dear  es  min  hart  do<^  blewan. 
ken  strun  es,  dear  ik  ni(Jl)  h^  sen, 
do(jj>  nämi  kid  ik  rau  wear  wen. 

12.  ö Lun,  ftr  ywar  di  ndrdse 
hen 

lukast  di  fan  ewi(Jl>  tidan; 


7.  Doch  aU  mich  dann  in  meinem  zwölften  Jahre  mein  Vater  einmal  mit  nach 
dem  Festlande  genommen  hatte,  und  als  mir  dort  Wunder  vor  Augen 
gekommen  waren,  die  ich  meiner  Lebtage  noch  nicht  gesehen  hatte,  da  war 
meine  Ruhe  auch  mit  einem  Male  dahin. 

8.  Dort  zu  Hanse  war  mir  die  Luft  so  schwer,  und  was  meine  Freude  gewesen 
war,  Spielzeug,  das  mochte  ich  nicht  mehr.  Hatte  ich  in  Büchern  gelesen 
von  fernen  L&ndern  und  gewaltiger  See,  dachte  ich  nunmehr:  das  mußt 
du  sehen. 

9.  Ein  Jahr  ging  nach  dem  anderen  so  hin,  ein  Lootse  war  ich  nun  geworden, 
viele  Stüdte  und  H&fen  hatte  ich  gesehen,  auch  manchen  Sturm  erlebt; 
doch  war  mein  Sehnen  nicht  vorbei,  die  ganze  Welt  wollte  ich  erst  sehen. 

10.  Da  starb  meine  Mutter,  ihr  folgte  mein  Vater;  nun  war  auf  der  ganzen 
Insel  nichts  geblieben,  was  mich  noch  länger  hätte  dort  halten  können; 
ich  dachte  jetzt  daran,  anders  zu  leben.  Adieu  sagte  ich  dem  lieben  Strand 
und  sah  mein  Lebtag  meine  Insel  nicht  wieder. 

11.  Mein  Kopf  ist  jetzt  schon  kahl  und  grau,  ich  habe  nicht  lange  mehr  zu 
leben;  könnte  ich  Helgoland  noch  einmal  Wiedersehen!  Da  ist  mein  Herz 
geblieben.  Keinen  Strand  gibt  es,  den  ich  nicht  gesehen  habe,  doch 
nirgends  konnte  ich  wieder  Ruhe  ßnden. 

12.  Helgoland,  weit  über  die  Nordsee  hin  schaust  du  seit  ewigen  Zeiten;  ob 


•)  meistens  Qn’t  if  „bei  uns  zu  Hause.“ 


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176 


of  din  biwftnar  uk  wel  sen 
no(^  troi  jeram  öla  sitan? 
of  ja  tu  sketsan  wet  di  jär, 
dat  ja  fan  Frefan  stamat  djöärt? 

13.  fan’t  Lun,  ho  mani<y)  skep 
hat  dear 

help  ün  di  nSad  al  finan, 
wat  sekar  djip  farlefan  wöar, 
hid  ja  hem  ni(Ji)  bistinan; 
w5arjani<yj,  dearmedsuatenmoit 
heram  lewan  ofara  fer  en  doit. 

14.  dj$,  Lun,  di  best’t,  wat  fln 
raln  hart 


sin  d^  skel  bllw  fln  setan; 
ben  Ik  uk  fir,  en  wQr  med  smapt 
Ip’t  st^rObad  h^nsmetan, 
ik  beriga  fer  det  letj  Lun: 

,höl,  got,  at  fln  din  maqliti^  hun !“ 

15.  dj$  Helgolun,  6 got  baw^r 
en,  dear  ’t  bawflnt,  fln  frSdan! 
löat  rin  jeram  hart  wef,  rim  en 
w^ir, 

leat  bi  di  heIi(Jtj  stedan, 
wcar  ja  tu  lesta  rau  gung  hen, 
töi%k,  dat  ja  alam^l  brflars  sen. 

Knut!  Michels. 


IX.  Di  nai  doktar  es  kirnen. 

Djuii^,  hast  ’t  al  hjärt?  di  nai  doktar  es  kiman, 
dear  ne  wear  Intret  fln  „Asckan“  sin  sted; 
djistarin  di  klok  elbam,  do  hy  ik  ’t  farniman, 
do  hid  ik  för  det  liwa  snak  al  kön  fröd; 
do  wOr  ik  al  frijgat  : ho  so<5l)t  hi  dan  it? 
wat  hat  hi  fer’n  nef  en  hek  hat  hi  dan  ’n  mit? 


deine  Bewohner  auch  wohl  noch  ihren  alten  Sitten  treu  sind?  ob  sie  die 
Ehre  zu  schätzen  wissen,  daß  sie  von  Friesen  hcratammcn? 

13.  Von  Helgoland,  wie  manches  Schiff  bat  dorther  schon  Hilfe  in  der  Not 
bekommen,  das  sicher  schon  in  der  Tiefe  verloren  war,  bitten  sie  ihm  nicht 
beigestanden,  wSren  die  nicht,  die  mit  Schweiß  und  Möhe  ihr  Leben  für 
einen  Deut  opfern. 

14.  Ja  Helgoland,  du  bist  es,  das  in  meinem  Herzen  immer  fest  bleiben  soll; 
bin  ich  auch  fern,  und  würde  ich  schmerzvoll  aufs  Sterbebett  geworfen, 
ich  bete  für  das  kleine  Land:  halte,  Oott,  es  in  deiner  m&chtigen  Hand. 

16.  Ja,  bewahre,  o Gott,  in  Frieden  Helgoland  und  die,  die  es  bewohnen!  Laß 
ihr  Herz  rein,  weit  und  wahr  sein,  lasse  sie  bei  den  heiligen  SUtten,  wo 
sie  zur  letzten  Ruhe  bin  gehen,  daran  denken,  daß  sic  alle  Brüder  sind! 

IX.  Der  neue  Doktor  ist  gekommen'). 

Junge,  hast  du’s  schon  gehört?  Der  neue  Doktor  ist  gekommen, 
der  jetzt  wieder  eintritt,  an  Aschen  seine  Stelle; 
gestern  Abend  um  elf  ühr,  da  hab  ich  es  vernommen, 
da  hatte  ich  vor  dem  lieben  Gerede  gar  keine  Ruhe; 
da  wurde  ich  schon  gefragt:  wie  sicht  er  denn  aus? 
was  hat  er  für  eine  Nase,  und  was  för  einen  Mund  hat  er? 

')  Damals  — etwa  gegen  1860  — war  eine  .Anzahl  von  jungen  Damen, 

Töchter  von  Ratleuten,  Beamten  usw.,  die  mehr  vorstellen  wollten  als  ihre 


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177 


Ohai,  wat  skel  det  ne  weer  wör  för’n  riwan 
om  di  aram  man!  irat  skel  hi  wel  tel^k? 
wat  skel  't  öfdjiw  fer  en  laram  en  kiwen, 
wan  hi  set  bi  di  jän  en  di  flr  Ip’m  bei%kl 
di  jän  s^it  ; di  meast  m^ket  hi  mi  doQ)>  di  kür! 
di  ilr  spit  : no<j^  laiJ^  ni(Jh;  hi  hil  di  fern  bttr. 

Ne,  s^it  dan  wear  iän,  di  ür  wear  do<^  betar, 
di  wear  ht>l  Ok  en  drü-g  nk  ken  brel! 
ho  mani<51unijl  speit  di  med  is  swartan  petar! 
ho  mani(51im5l  kirn  dear  en  kns  nied  On’t  spei! 
ho  mani(<hm9l  koiart  alön  wi  ip  kleö, 
ho  manicy^mijl  für  ik  med  hem  rin  om  kl^5. 

mani(y>m$l  giiSfe  wi  m^darkar  ip  falam, 
dj^i,  manic^im?!  broq^t  hi  mi  del  Ip  ’am  ball 
djy,  manicjlim^l  wear  ik  med  hem  fln  ’a  Halam! 
ni<5h  iän  m^l  kirn  ik  med  ürs  iän  tu  pal! 
kflrt ; om  man  tu  syin,  hi  wear  noc^  di  hast, 
hi  giiig  no<^  flr  ijwar  di  man  med’  an  kijast. 

Oho,  was  wird  das  nun  wieder  fnr  ein  Reißen  werden 
um  den  armen  Mann?  was  soll  er  wohl  denken? 
was  wird  das  fnr  ein  Gelärm  und  Gezänk  abgeben, 
wenn  er  bei  der  einen  oder  anderen  anf  der  Bank  sitzt! 
die  eine  sagt;  am  meisten  macht  er  doch  mir  die  Kur! 
die  andere  sagt:  noch  lange  nicht!  er  hat  dich  fUr  ein  Bauernmädchen 
. gehalten’ 

Nein,  sagt  dann  wieder  eine,  der  andere  war  doch  besser, 
der  war  ganz  anders  und  trug  auch  keine  Brille! 
wie  manches  Mal  spieltu  der  mit  uns  schwarzen  Peter! 
wie  manches  Mal  kam  da  ein  Kuß  mit  ins  Spiel! 
wie  manches  Mal  spazierten  wir  allein  auf  dem  Oberlande  > 
wie  manches  Mal  fnhr  ich  mit  ihm  um  die  Insel. 

,Ja,  manchmal  gingen  wir  zusammen  auf  dem  Palm, 
ja,  manchmal  brachte  er  mich  zum  Unterlande  anf  den  Ball! 
ja,  manchmal  war  ich  mit  ihm  auf  der  Däne! 
nicht  ein  einziges  Mal  habe  ich  mit  einem  anderen  etwas  gehabt! 
kurz,  um  es  nur  zu  sagen,  er  war  noch  der  beste, 
er  ging  noch  weit  Uber  den  Mann  mit  einem  Quast*). 

Altersgenossinnen.  .\ls  an  Stelle  des  Badearztes  I>r.  v.  Aschen  ein  junger 
Assistenzarzt  nach  Helgoland  kam,  angelten  sie  alle  nach  ihm,  und  keine  wollte 
ihn  der  anderen  gönnen.  Darauf  beziehen  sich  die  Verse. 

*)  Das  meint  wohl  einen  Oflizier,  denn  die  Offiziere  trugen  Quasten  auf 
den  Achseln;  rielleicht  ist  auch  an  einen  höheren  Beamten  zu  denken. 


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178 


s^it  dan  w5ar  iän,  „di  tidan  sen  ijwer! 
do  fin  uk  ik  noq^  iän  mani^lunvl  nf. 
ne  wür  ik  al  öl;  di  nai  noql^  tu  k^parn, 
do  mos’  ik  al  li$  krinolln  en  dan  ’n  puf. 
en  det  ne  tu  wen,  sen  di  tidan  ni(J]>  n9, 
ik  mos’  dan  aparti(5h  al  kyeln  deartu  hy. 

Q,  s^it  wear  flrs  iän,  det  es  man  sek  snakan, 
di  hast  dj^  alans,  wat  ik  nii^  kan  wen; 
ala  gytir*)  weken,  dan  wenst  di  dj$  pakan 
med  mustars  en  frilan*),  det  hat  g9r  ken  en! 
wen  ik  det  man  hid,  skul  di  fraiars  wel  löp, 
dan  fr^gat  ik  ne  al  om  skoflar  tu  köp.“ 

ö,  s^iit  dan  w6ar  jän,  man  sa<^t  med  din  slüdar, 
di  m^kast  waräfti(Jl>  di  skoflar  ni(Jlj  djir; 
sö’n  d6rti,  di  f^il  al  Ip’t  hsd  di  es  püdar, 
en  m^ka  sö  mani<y)  hjär  skimari  fer. 
fer’n  djoar,  skel  ik  tei%k,  skelt  nij’n  potsdar  di  löp 
en  fr^ga,  of  hi  uk  hat  prigan  tu  köp. 

')  Tgl.  S.  170,  Anm.  I. 

*)  frilon,  englisch  frills,  meint  Falbeln,  Krausi  ii,  Volants. 

„Ja,“  sagt  dann  wieder  eine,  „die  Zeiten  sind  vorbei! 
da  kriegte  auch  ich  noch  manchmai  einen  ab! 
jetzt  werde  ich  schon  alt;  den  neuen  noch  zu  kapern, 
da  mäQte  ich  schon  eine  Krinoline  und  dann  noch  einen  Paff')  haben. 
Und  das  Jetzt  zu  bekommen,  darnach  sind  die  Zeiten  nicht, 
ich  müßte  denn  schon  besondere  Quellen  dazu  haben.“ 

„0,  das  sind  nur  solche  Sachen,“  sagt  wieder  eine, 
du  hast  ja  alles,  was  ich  nicht  bekommen  kann; 
alle  vier  Wochen,  dann  bekommst  du  ja  Packen 
‘nait  Mustern  und  Krausen,  das  hat  gar  kein  Ende! 
wenn  ich  das  nur  hatte,  dann  sollten  die  Freier  wohl  laufen, 
dann  fragte  ich  jetzt  schon,  um  Schaufeln*)  zu  kaufen.“ 

„0,  nur  sachte  mit  deinem  Geklatsche,“  sagt  dann  wieder  eine, 
du  machst  wahrhaftig  die  Schaufeln  nicht  teuer! 
so  an  dreißig  (Jahre),  die  fallen  dir  schon  wie  Puder  auf  den  Kopf 
und  machen  so  manches  Haar  vorne  grau; 

nächstes  Jahr,  sollt’  ich  meinen,  wirst  du  nach  dem  Barbier  laufen 
und  fragen,  ob  er  auch  Perücken  zu  Kauf  bat.“ 

*)  Damals  waren  Krinolinen  und  hohe  Puffarmel  in  der  Mode. 

•)  Es  heißt  auf  Helgoland  „er  hat  eine  Schaufel  bekommen,“  wo  wir 
„einen  Korb  bekommen“  sagen  (vgl.  Siebs,  Helgoland  S.  113);  darauf  bezieht 
sich  dieser  und  der  nbeniächste  Vors. 


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179 


Ai,  s^it  wear  flrs  iän,  en  fptat  her  nef  ün, 
di  kanst  do<^  di  fii%k,  dear  di  kfikak  nem  hat! 
mi  toQ^t,  di  t^st  man  iäiat  salavr  en  hei  hef  fin, 
iär  di  ars  jän  sin  stopast,  wat  doql>  niijlj  gud  lat, 
dan  Inka  mans  es  an  poldn  ny  din  poat, 
en  naistak  al  mgalt  fin  dtn  mit  med  di  döad! 

oql),  s^it  wcar  firs  iän,  wat  skel  sek  öl  snakan  I 
leat  det  ne  man  wef!  leat  ’s  liwar  biread, 
ho’t  ne  fer  is  es  om  bastan  tu  m^kan, 
dat  wi  fan  salaw  If  skan  ni(Jlj  farread. 
dan  det  es  doql)  w$r!  wafi  di  w^rhait  s^ü  wel, 
dan  djiw  wi  Is  alamijl  arkar  ni(Jlj  fei. 

dearom  mi  ne  toqj^t,  wan  noql>  ans  wi  möl  lukat, 
ho  kan  wi  om  bastan  bitöga  di  nai, 
lat  dan  at  jändun  wef,  nv  welk  hi  wel  lukat. 
of  falsk  teü,  gri  hiär  üdar  ’n  snürb^rt  hi  mai; 
di  hiiupts^k  es,  ho  wi  hem  tueskan  is  wen, 
en  ho  wi  om  bastan  kem  dearmed  tu'n  en! 

mi  to<^t  wel,  det  hast  w'Gar,  en  klup  tu  erreijliten! 


„Ei“,  sagt  nieder  eine,  und  faßte  ihre  Nase  an, 

„du  kennst  doch  den  Vogel,  der  den  Namen  „Kuckuck*  hat! 
mich  dSuchte,  du  zögest  nur  erst  selbst  einen  heilen  Strumpf  an, 
ehe  du  jemand  anders  seinen  stopfst,  was  doch  nicht  gut  aassieht; 
dann  sich  nur  wie  ein  Pfau  nach  deinen  eigenen  Ffißen; 
in  deinem  Munde  ringt  schon  ein  Stück  mit  dem  Tode'). 

„Ach“,  sagt  wieder  sonst  eine,  „was  sollen  solche  alte  Heden! 
laßt  das  nun  nur  sein!  laßt  uns  lieber  beraten, 
wie  cs  jetzt  am  besten  für  uns  zu  machen  ist, 
daß  wir  von  selber  unsere  Schande  nicht  verraten. 

Denn  das  ist  doch  wahr  -■  wenn  man  die  Wahrheit  sagen  will, 
dann  geben  wir  uns  alle  miteinander  nicht  viel  nach. 

Darum  däuchte  mir  jetzt,  wenn  wir  mal  zusUhen, 
wie  wir  am  besten  den  Neuen  fischen  können; 
dann  laßt  cs  einerlei  sein,  nach  welcher  er  sieht, 
ob  er  falsche  Zähne,  graue  Haare  oder  einen  Schnurrbart  lieben  mag; 
die  Hauptsache  ist,  wie  wir  ihn  zwischen  uns  kriegen, 
und  wie  wir  damit  am  besten  fertig  werden. 

Mir  däuchte,  das  beste  wäre  wohl,  einen  Klub  zu  errichten ! 

')  Der  Witz  ist  auf  deutsch  schwer  wiederzugoben.  Nai.stak  ist  ein  allein- 
stehendes Felsstück  im  Süden  der  Insel  (die  sog.  ingolsk  kark),  nahe  dem  sog. 
Mönch;  „ein  alleinstehender  loser  Zahn  ringt  in  deinem  Munde  mit  dem  Tode.“ 


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180 


dan  hat  hi  galOganhait,  komt  inaiTgk  is  in; 
en  om  di  dear  stridarai  dan  tu  slecjhtan, 
lat  hen  is  en  drii%k  en  kopkan  ip’a  in. 
mai  arkjän  sin  hast  fer  hem  salaw  ans  du! 
is  alamijl  trekt  do(j]>  gawälti<yi  i’  sku! 

KnuU  Michels. 


dann  bat  er  Gelegenheit,  kommt  auch  unter  uns; 

und  um  nun  die  Streiterei  zu  schlichten, 

laQt  uns  hin  gehen  und  ein  TuQchcn  trinken  heute  .\bend; 

mag  jede  ihr  bestes  f6r  sich  selber  tun  — 

nns  alle  drfickt  doch  unser  Schnh  gewaltig! 


Vampir,  Werwolf,  Hexe. 

Mitteilungen  aus  Handschriften. 

Von  Dr.  J.  Klapper. 

1. 

In  dem  Aufsätze  über  die  schlesischen  Ge.schichten  von  den 
schädigenden  Toten  [Mitteilungen  Heft  21  (1909)  S.  .äOff.]  habe  ich 
den  Nachweis  zu  führen  versucht,  daß  der  Vampirglaube  selbst  in 
seiner  entwickeltsten  Form,  wie  er  sich  bei  den  südslavischen  Völkern 
findet,  restlos  aus  den  Elementen  des  mittelalterlichen  Aberglaubens 
der  europäischen  Völker  abgeleitet  werden  kann,  ohne  daß  wenigstens 
in  geschichtlicher  Zeit  eine  Entlehnung  von  außereuropäischen  Vor- 
stellungen angenommen  zu  werden  braucht.  Hier  möchte  ich  auf 
eine  Stelle  hinweisen,  die  den  Glauben  an  solche  wiederkehrende 
Tote,  die  den  Lebenden  Schaden  antun  und  sie  sogar  bisweilen  töten, 
auch  für  das  französische  Mittelalter  nachweist.  Diese  bisher  unbeachtete 
Stelle  findet  sich  bei  dem  im  Jahre  1248  gestorbenen  Theologen 
Wilhelm  von  Auvergne,  den  auch  J.  Grimm  an  zwei  Stellen  der 
deutschen  Mythologie,  gelegentlich  der  Darstellung  des  Glaubens  an 
die  Dame  Abonde  und  die  Hellequin  (3.  .\ufl.  S.  237  u.  785)  be- 
nützt. Nachdem  Wilhelm  vom  Ephialtes  gesprochen  hat,  wendet  er 
sich  gegen  den  Widergängerglanben. 

,.4u3  dem  Angeführten  muß  dir  nun  auch  klar  geworden  sein,  was  du  von 
Nachrichten  zu  halten  hast,  die  man  h&nlig  über  tote  Menschen  verbreitet. 


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181 


nümlich,  daß  bu'  bUwoilcn  irgend  welche  Lebenden  tüten.  Da  n&mlich  jetzt 
derartige  Tote  noch  nicht  auferstehen,  sondern  die  allgemeine  Auferstehung 
abwaitcn,  so  ist  es  offenkundig,  daB  sie  weder  kSq>erlich,  das  heißt  in  ihrem 
Leibe  erscheinen  noch  in  solcher  Weise  jemanden  tüten,  besonders  da  ihre  Leiber 
zu  der  Stunde,  wo  sic  etwas  derartiges  zu  tun  scheinen,  vollstkndig  im  Grabe 
liegen  oder  doch  wenigstens  ihre  Gebeine“  *). 

Im  Jahre  1738,  also  etwa  um  die  Zeit,  als  die  südungarischen 
und  serbischen  Vampirberichte  in  Deutschland  bekannt  wurden, 
reisten  von  Olatz  aus  zwei  Franziskaner  nach  Siebenbürgen,  um  dort 
die  kirchlichen  Verhältnisse  zu  nsitieren.  Ihr  Itinerar  ist  uns  in 
der  Handschrift  IV.  Q.  200  der  Kgl.  u.  Univ.-Bibl.  zu  Breslau  er- 
halten. Darin  werden  auch  (S.  32)  zwei  Erzählungen  eines  alten 
Paters  in  „Szaszbes,  das  deutsch  Müllumbach  heisst“  (Szasz-Sebes, 
Mühlbach,  etwa  50  km  ostnordöstlich  von  Hermannstadt  mit  ungefähr 
7000  Einw.),  wiedergegeben,  deren  erster  ein  sonst  nirgends  bezeugtes 
eigenartiges  Mittel  anführt,  um  die  Gräber  auf  den  Kirchhöfen  anf- 
zufinden,  in  denen  Vampire  liegen.  Diese  Stelle  lautet  in  wörtlicher 
Übertragung: 

„Auf  Grund  seiner  eigenen  Erlebnisse  berichtete  uns  dieser  Pater  zwei 
recht  wundersame  Tatsachen  aus  der  türkischen  wie  der  anderen  Walachei. 
Erstens  n&mlich  komme  es  Öfters  vor,  dass,  wenn  sich  Menschen  den  Künsten 
der  Magie  ergeben,  durch  die  Magie  auch  die  Körper  von  Verstorbenen  an- 
gesteckt werden.  Um  nun  berausznfinden,  wo  ein  solcher  Körper  auf  dem 
Kirchhofe  begraben  liegt,  führen  ihre  Popen  auf  den  Kirchhof  ein  schwarzes 
Pferd,  einen  „Kappen“,  der  durch  die  Gr&berreihen  aller  derer  ruhig  hindnreh- 
schreitet,  die  durch  die  Magie  nicht  infiziert  sind,  dagegen  in  keiner  Weise 
angelrieben  oder  gezwungen  werden  kann,  über  ein  Grab  zu  gehen,  das  durch 
einen  derart  angcstuckten  Leichnam  entweiht  ist.  Sie  behaupten,  das  sei  ein 
Katurgesetz  oder  vielmehr  natürliche  Antipathie.  Auf  diese  Weise  sind  sie 
imstande,  sulche  Körper  bald  zu  erkennen,  auszugrahen  und  zu  verbrennen“^). 


Hs.  I.  F.  115  der  Kgl.  u.  Univ.-Bibl.  zu  Breslau;  Mitte  des  15.  Jhs. 
Bl.  295r>:  Ei  b;s  quoque  patefacla  esse  tibi  debent,  que  audis  plorumque  de 
multis  mortuis  hominibus,  quud  aliquos  de  viuis  intordum  oc<ddunt.  Cum  enim 
non  resurgant  adhuc  mortui  huiusmodi,  sed  generalem  cipectant  resurreccionem, 
manifestum  est  corporaliter  cos,  id  est  in  proprijs  corpuribus  nec  apparere  nee 
huiusmodi  neces  inferre,|  presertim  cum  corpura  ipsuruui  illa  hora,  qua  hoc 
agere  videntur,  vel  in  sepulcris  integra  iaceant,  vel  saltem  ossa  eomm. 

^ Recensuitque  a propria  experientia  dno  sat  mirabilia  de  Vallachia  tarn 
turcica  quam  altera.  Primum  quidem,  quod  cum  homines  magicis  artibus  dediti 
sint,  saepins  contingat,  quod  per  magiarn  inficiantur  cadavera  mortuurum.  Ad 
experiendum  ergo,  ubi  talo  cadaver  in  caemeterio  sepultum  iaceat,  popae  eorum 
asserentes  esse  contrapactum  naturale,  sen  potius  antipatiam  naturalem,  indu- 
cunt  ad  caemetcrium  eqvum  nigrum,  vulgo  Kappen,  qvi  cum  pur  omnia  sepulchra 


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182 


Zu  dem  uns  aus  Nikolaus  Pols  Jahrbüchern  der  Stadt  Breslau 
bekannten  ältesten  schlesischen  Berichte  von  einem  nachzehrendeii 
Toten,  der  dort  ins  Jahr  1517  gesetzt  ist*),  mögen  hier  aus  zwei 
schlesischen  handschriftlichen  Chroniken  die  entsprechenden  Stellen 
folgen,  die  den  Vorgang  viel  eingehender  schildern  und  sich  gegen- 
seitig ergänzen.  Es  handelt  sich  um  zwei  verschiedene  Fassungen 
der  „Schlesischen  Chronik“  des  Joh.  Scholz,  von  denen  die  erste 
mit  der  Signatur  der  Kgl.  und  Univ.-Bibl.  zu  Breslau  IV.  F.  117 
im  Jahre  1567,  die  zweite  IV.  F.  118  im  Jahre  1601  entstanden  ist. 
In  beiden  wird  die  Geschichte  von  dem  Gross-Mochberer  Nachzehrer 
ins  Jahr  1516  verlegt.  Diese  Berichte  lauten: 

[IV.  F.  117.  Bl.  126»].  In  dem  Jar  gruben  die  Pauren  lum  groß  Mochpar 
ein  Schaffer  aus,  der  am  Piingsttagc  gestorben:  befunden  die  Pauren,  daz  der 
selbige  Schaffer  also  in  den  Kleidern  begraben;  da  hetl  er  die  kleidor  dai  meiste 
teil  gefressen  vnd  ihme  im  halse  noch  gesteckt,  die  also  ausgerissen,  vndt  blnttig 
befunden,  ein  erschrecklich  ding.  Man  sagt  auch,  wie  er  im  grabe  geschmarzt 
habe  wie  ein  Sawe,  vnd  auf  sulche  hSren  ward  er  ausgegrahen  vnd  in  den  HaLs 
mit  einem  grahscheid  entzweigestoßen,  den  köpf  für  den  knrehhoff  gelegt,  ver- 
hoffte,  es  solde  nun  auf  hören  zu  sterhen;  es  ist  wahrhafftig  gesagt  worden. 

[IV.  F.  118.  Bl.  139r],  Ein  Seheffer  wirdt  vohrbrandt.  Eben  in  diesem 
Johr  gruben  die  pauren  von  groß  Mochber  auff  dem  kirchoff  den  Seheffer  auss, 
welcher  vor  vihlen  wochen  gestorben,  war  ein  zauhercr.  vnd  wann  solches  nicht 
geschehen  wehre,  so  wehr  das  ganze  dorff  außgestorhenn.  Hate  alle  sein  Sterb- 
gewandt  vmb]  sich  gefressen  vndj  ihm  grabe  wie  eine  Saw  geschmazt.  Der 
Hencker  stiss  ihm  den  köpf  ab  mit  einem  grabscheidt  vnd  hat  ihnn  vorbrandL 

Eine  dritte  Fassung  der  Scholz’schen  Chronik  Cod.  ms.  IV.  F.  120 
vom  Jahre  1568  deckt  sich  in  diesem  Berichte  (Bl.  163')  fast  Wort 
für  Wort  mit  der  ersten  der  beiden  hier  mitgeteilten.  Einen  ähnlichen 
Fall  erwähnt  die  Handschrift  F.  118.  Bl.  320r  unter  dem  Jahre 
1572  aus  Lossen  bei  Brieg. 

Ein  weih  wird  aussgegraben. 

Den  17  Julj  haben  die  pauren  vnd  gemeine  zue  Lossen  ein  weib,  welche 
eine  arge  Zauberin  gewesen  vnd  gestorben  war,  widerumb  auffgraben  lassen, 
dann  sie  ihm  grabe  geschmazt,  das  mabnn  sie  weidt  gehöret;  haben  ir  den  köpf 
mit  einem  grabscheidt  abgestoßen,  Iders  in  Sonderheit  begrabenn;  sie  hate  ir 
Sterbegewandt  gar  vmb  sich  gefressen. 

Dieselbe  Handschrift  berichtet  auch  (Bl.  443’)  von  wieder- 

nun  infecta  magijs  qvietus  vadit,  nullo  modo  impelli,  vel  cogi  potest,  nttranseat 
tale  sepulchrum  cadavere  infecto  foedatum,  nnde  mox  cognoscerc,  effodere,  et 
comburere  valent. 

t)  Siehe  Mitt.  Heft  21  (1909)  S.  85. 


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183 


kehrenden  plagenden  Toten  in  der  Stadt  Striegau  unter  dem 
Jahre  1594. 

Ein  gross  mirackel  geschchenn. 

Ebenn  zae  diser  zeit  haben  eich  zur  Strige  in  Schlesien  etliche  gestorbene 
vnd  begrabene  leiihte  wider  anff  Erdenn  sehen  lassen  vnd  die  noch  lebendige 
Menschen  auff  Mancherlei  weise  erschreckt  rnd  geplagt;  daranft  ist  von  Etlichenn 
berahtschlagt  worden  der  thoten  einen  auszuegrabenn  vnd  ihm  mit  einem  grab- 
scheidt  den  hals  abzucstoßen  vnd  vndter  dem  galgen  zue  vorsebarren,  welchem 
auch  also  nachgesezt.  Aber  nichts  dormite  auBgericht  worden;  dann  sich  der 
Thote  einen  Weg  alQ  denn  andemn  noch  immer  sohenn  lassenn.  derhalben  mahn 
in  wider  vndter  dem  gallgenn  ausgegrabenn  vnd  vorbrand,  von  der  Zeit  ahnn 
ist  diser  thote  nimanden  mehr  erschienen.  Das  ist  hernach  ahnn  mehren 
pershonen  probirt  wordenn. 

2. 

An  den  griechischen  Glauben,  daß  ein  Mensch  zur  Strafe  auf 
neun  Jahre  in  einen  Werwolf  verwandelt  werden  konnte,  erinnert 
der  eigenartige  Werwolfbericht,  den  der  obenerwähnte  Siebenbürger 
Pater  den  Franziskanervisitatoren  an  die  mitgeteilte  Erzählung  von 
der  Entdeckung  der  Vampire  durch  einen  Rappen  anschließt.  Dieser 
Bericht  bringt  sowohl  hinsichtlich  des  Grundes  der  Verwandlung  wie 
des  Erkennungszeichens  des  Werwolfs  Züge,  die 'unsere  Werwolf- 
literatur bisher  nicht  kennt  Der  Text  des  Itinerars  lautet  in  deutscher 
Übertragung  (S.  33): 

„Das  andere  ist  : daß  in  der  gesamten  Walachei  der  gerechte  und  in  all 
seinen  Werken  heilige  Gott,  um  der  ganzen  Welt  die  Schädlichkeit  des  Inzestes 
im  ersten  Grade  der  Blutsverwandtschaft  zu  zeigen,  dieses  schwere  Vergehen 
mit  einer  besonderen  und  wahrhaft  entsetzlichen  zeitlichen  Strafe  zu  bestrafen 
pflegt.  Wenn  der  Schuldige  der  Mann  ist  so  wird  er  nämlich  auf  der  Stelle  in 
einen  Wolf  verwandelt,  mit  der  Besonderheit,  daß  er  keinen  Schwanz  hat  und  nach 
sieben  Jahren  wieder  menschliche  Gestalt  zurückerh&lt,  wenn  er  nicht  in  dieser 
Zeit  getötet  wird.  Denn  da  ein  solches  Wolfsungeheuer  fast  nichts  anderes  frißt  als 
Menschenfleisch,  besonders  das  Fleisch  unschuldiger  Kinder,  bieten  die  Menschen, 
wenn  sie  irgendwo  ein  solches  Tier  bemerken,  alles  auf,  um  es  zu  töten.  Doch 
gelingt  ihnen  das  äußerst  selten,  weil  jenes  Tier  ungeheuer  schlau  und  vorsichtig 
ist.  Gelingt  es  aber  doch  einmal,  daß  ein  solch  nnglnckliches  Tier  getötet  wird, 
— wie  es  auch  jenem  Pater,  der  uns  dies  erzählt  hat,  gelungen  ist,  der  einen 
sulchen  Wolf,  ohne  ihn  zu  erkennen,  mit  einer  Kugel  erlegte,  als  er  einmal  über 
Land  ging  — dann  nimmt  ein  Fuß  des  Tieres  wieder  menschliche  Gestalt  an, 
während  der  ganze  übrige  Körper  auch  weiterhin  unter  der  Wolfsgestalt  ver- 
borgen bleibt,  wie  uns  jener  Augenzeuge  als  unbezwoifelbar  wahr  berichtete“ 

’)  Alterum  est:  Quod  in  ntraque  Wallacbia  Deus  justus,  et  sanctus  in 
Omnibus  operibus  suis  ad  ostendendam  nniverso  mundo  abominationem  incestns 
in  primo  gradu  consangvinitatis  talo  grande  delictum  speciali  et  vere  horribili 


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1H4 

Um  ein  Mittelding  zwischen  Berserker  und  Werwolf  handelt  es 
Bich  in  einer  Notiz,  die  sich  in  der  bereits  benützten  Handschrift 
IV.  F.  118  Bl.  356»  unter  dem  Jahre  157i)  findet,  und  die  den  Glauben 
an  Werwölfe  auch  für  Schlesien  im  16.  Jahrhunderte  voraussetzt. 

Ein  wunder  fall  geacbehcnn. 

Ihnn  disem  Johr  ist  dise  histuria  glaubwirdig  gcscbebenn  tu  Gabell  in 
Behmen;  ist  alhir  rill  gutton  loubttcn  bebandt  vnd  zuogescbriben  worden. 
Ncmlieb  os  bat  eines  Burgers  Tochter  eines  Burgers  Sobnn  gefreyt  vnd  mit  ir 
boebzeit  gebaltenn.  Vnd  wie  sieb  nun  Brandt  vnd  Breutigam  Schlaffen  gelegt, 
ist  der  Breutigam  in  der  Nacht  zu  einem  grimmigen  Thier  oder  Bebrr  wolff 
wordenn,  die  Brandt  vmbgebracht,  vndter  das  Behtt  gekrochenn,  wunder  ding 
gewubtet  vnd  gelobet,  das  nimandt  zue  ihm  gedorfftt.  Also  bat  man  Rath  ge- 
baltenn, wie  dem  zu  thun,  dormite  nimandt  mochte  von  ihm  besebedigt  werden, 
haben  ihnn  denn  hennker  thodt  sebißen  lassen. 

3. 

über  Hexenprozesse  erfahren  wir  in  den  schlesischen  Chroniken 
des  16.  Jahrhunderts  verhältnismäßig  wenig;  das  17.  Jahrhundert 
bietet  an  solchen  Stoffen  viel  mehr.  Eine  Vorschrift  für  Beichtväter 
vom  Jahre  1513  fordert,  daß  die  Weiber,  die  in  der  Walpurgisnacht 
den  Kühen  die  Milch  entziehen,  zunächst  Schadenersatz  leisten,  ehe 
sie  von  dieser  Sünde  gegen  das  Eigentum  anderer  losgesprochen  werden 
können^).  Ein  gewisses  Aufsehen  muß  der  Prozeß  gemacht  haben, 
dessen  Opfer  eine  97  Jahre  alte  Breslauerin  wurde,  die  man  wegen 
Zauberei  in  der  Oder  ertränkte.  Die  beiden  bereits  erwähnten 
Breslauer  Chroniken  IV.  F.  118.  Bl.  263»  und  IV.  F.  120.  Bl.  290^ 
berichten  darüber  unter  dem  Jahre  1559: 

Ein  altes  Weib  erseufft. 

poena  temporali  punire  solet.  Dclinquens  onim  masculini  generis  momentanee 
in  specicm  lupi  convurtitur,  cum  bac  distinctione,  quod  caudem  non  habet  et 
transactis  septem  annis  speciem  bumanam  denuo  acquirat,  nisi  intra  hoc  tempus 
occidatur.  Siquidem  quia  talv  monstrum  seu  lupua  qvasi  nibil  vorat,  nisi  carnem 
bumanam,  praosertim  innocentium  infantum,  bomincs,  si  alicubi  talem  besUam 
advertunt,  omni  nisu  eundem  occidere  conantur,  quod  tarnen  rarissime  contiugit 
propter  nimiam  aatutiam  et  cautelam  illius.  Quod  si  tarnen  contingat  /.*  prout 
et  contigit  eidem  Patri  narranti,  qvi  talem  lupum  esse  non  agnoscens  globo 
traiecit  qvia  actualis  campestris  ut  tale  infelii  animal  occidatur,  pes  unus 
recipit  et  reacquiscit  speciem  pedis  bominis  cactero  toto  corpore  sub  forma 
lupi  occultato  permanente ; ut  ille  oculatus  testis  pro  indubitata  veritate  nobis 
recensnit. 

0 Cod.  ms.  I.  Q.  17*2.  Bl.  102'.  Et  sic  de  omnibus  alys  circumstauejs, 
acilicet  quo  soleut  lac  subtrabere  in  vigilia  Walpurgis  et  similibus. 


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185 


Dl‘11  11.  August!  hat  mahim  zuc  Breslaw  ein  sehr  altes  ncib  iu  die  97  Jahr, 
wie  inahnn  ir  nach  gerechnet,  die  Zuckellhese  genandt  hinter  dem  Thumb  wonende 
alhic  erseufft;  war  eine  große  Zauberin  vud  wie  sie  der  hcnncker  hineiu  warff, 
Schwahni  sie  Enipohr  wie  ein  Schaum  aulT  dem  wasser.  woldt  sie  nun  der 
hennker  thodt  habenn,  muste  Er  sie  mit  einer  Stanngenn  erseulfan. 

Und  der  zweite  Bericht,  der  fast  denselben  Wortlaut  hat,  heißt: 

Den  11  Augusti  hat  man  alhio  zu  Breslau  ein  altes  weyb,  die  Zuckelhese 
genandt,  wonende  hinter  dem  Thumb,  erseufft;  do  man  sie  hinein  warff,  ging 
sie  nicht  unter,  sondern  sebwam  auff  dem  wasser  daher  wie  ein  Schaub,  das 
keyner  ror  nie  gesehenn  hat;  vnnd  das  dorumb,  das  sie  viel  bSser  thattenn 
gethan  hat. 

Zwei  Jahre  später  erlebt  man  auf  dem  Schweidnitzer  Anger  das 
Schauspiel,  daß  ein  Hirte,  der  des  Knankheitszaubers  angeklagt  worden 
war,  verbrannt  wurde.  Die  Chronik  IV.  F.  118.  Bl.  "iTO'  bemerkt 
unter  dem  Jahre  1561: 

Ein  hirte  wirdt  rohrbraudt. 

In  disem  Jabrj  wardt  auch  aihier  ein  Hirte  vorbrandt  worbafftig  auf  dem 
Schweinzer  annger.  diser  kondte  den  leuhtten  ahnn  Hende  vnd  fuße  geschoß 
machen,  kondte  sie  auch  widerumb  hcilenn,  wardt  plozlicbcnn  Reich. 

Wegen  Schädigung  des  Viehes  durch  Zauber  aber,  und  weil 
sie  einem  ganzen  Gutshofe  Läuse  angezaubert  hat,  wird  in  der  Nähe 
Breslaus  auf  Befehl  des  Gutsherren  von  Wohlau  ein  Weib  im  Jahre 
1601  verbrannt.  Die  Handschrift  IV.  F.  118.  Bl.  SOS*  berichtet: 

Ein  große  Zauberin  vorbrandt. 

Den  8 Juny  hat  der  Burggraff  zue  Wolaw  Fridrich  Mutschellinz  aulT  seinem 
dorff  seine  vnterthanin,  ein  altes  weib,  vorbrennen  lassen;  ist  eine  Zauberin 
gewesen;  hat  Villen  leuthenn  ahn  dem  vihe  groszen  schadenn  gelhahnn;  besonders 
vor  ihrem  Ende  hat  sie  dem  Junkernn  gemacht,  das  er  vnd  all  sein  ganz  hoff 
voller  lense  wordenn,  das  ihm  engstlich  vnd  bannge  wordenn.  wie  es  ferner 
bleiben  wirdt  gibt  die  Zeit. 


Krankheitsübertragung. 

Rezepte  aus  altschlesischen  Handschriften. 

Von  Dr.  J.  Klapper. 

Unter  den  Zauberhandlungen,  die  zur  Heilung  von  Krankheiten 
vorgenommen  werden,  nehmen  die  magischen  Krankheitsflbertragungen 
einen  besonderen  Platz  ein.  Man  sucht  sich  von  dem  Leiden  dadureli 
zu  befreien,  daß  man  unter  bestimmten  Bedingungen  einen  Teil  des 

MitteilUDgcii  d.  schlcs.  Oes.  f.  Vkd«.  Hand  XII  (Heft  2).  13 


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186 


kranken  Körpers  in  einen  anderen  Organismus  hineinbringt,  sei  es, 
(laß  man  damit  ein  Tier  füttert  oder  eine  Höhlung  einer  Pflanze, 
meist  eines  Baumes  ausfüllt.  Sobald  die  kranke  Materie  in  dem 
fremden  Organismus  aufgezehrt  ist,  ist  auch  die  Krankheit  ver- 
gangen. An  Stelle  des  Tieres  oder  der  Pflanze  kann  fließendes 
Wasser  den  Krankheitsstofif  aufnehraen.  Durch  gleiche  magische 
Handlungen  vermag  man  auch  die  Behexung  zu  beheben  und  schließlich 
auch  das  Wachstum  der  Kopfliaare  zu  befördern.  Daß  solche 
Handlungen  dem  heutigen  schlesischen  Volke  noch  durchaus  gehäufig 
sind,  zeigen  Drechslers  Ausführungen  im  zweiten  Bande  von  „Schlesiens 
volkstümlichen  Überlieferungen  *)“.  Daß  in  vergangenen  .Jahrhunderten 
dieses  Übertragen,  Verspinden,  Verpflöcken  der  Kranklieiten  zu  den 
beliebtesten  Heilkuren  der  Schlesier  gehört  hat,  sollen  eine  Reihe 
von  handschriftlichen  Rezepten  dieses  Inhalts  beweisen. 

Der  Breslauer  Haunold  beschäftigt  sich  in  seiner  umfangreichen 
Kuriositätensammlung,  die  um  1700  entstand,  wiederholt  mit  diesen 
magnetischen  Kuren.  So  erklärt  er  an  einer  Stelle“): 

Die  Bekandte  Cura  Magnetica  geschiehet,  wenn  man  das  Blut  von  einem 
Tcrwundten  oder  sonst  mit  Blutstörzung  Beladenen  kraucken,  als  in  der  rothen 
rubr,  Kasenblutten,  Blutspeyn  etc.  auf  dass  Caput  Mortuum  wirft,  da  denu  der 
Patient«  geneset,  auch  wenn  er  nicht  zur  stelle  ist,  sondern  ziemlicb  weit  von 
dem  orthe,  wo  das  aus.swerften  dies  geblütbes  gesebiehet,  sieb  befindet. 

Ist  es  hier  der  Totenkopf,  auf  den  ein  Teil  des  Krankheits- 
stoffes übertragen  wird,  so  gibt  derselbe  Autor  bald  darauf  eine 
eingehende  Beschreibung  einer  Krankheitsübertragung  im  landläufigen 
Sinne  auf  einen  anderen  lebenden  Organismus“). 

Die  Cura  transplanfatoria  ist  der  Magneticac  nicht  ungleich  und  wird  ver- 
ricblet,  wenn  man  ein  ander  frembdes  Corpus  mit  etwas  von  des  Patienten 
Leibe,  so  eine  Mumiam  fomentalem  bey  sieb  bst,  als  Blut,  Speichel,  Schweis, 
Urin  etc.  bestreichet,  und  Nachmahls  entweder  in  die  Erde  vergr&bt,  oder  in 
ein  frisches  guwächse  einspindet  oder  auch  einem  unvernünftigen  Vieh  zu 
fressen  giebet,  da  denn  nach  gCHchchener  vcrfaulung,  oder  in  dem  Corpore 
animali  veränderter  Textur  per  digustionem  praeviam  diu  Krankheit  verschwindet 
und  wenn  es  einem  Vieh  zu  fressen  gegeben  worden,  in  des  Viehes  l>eib 
gebracht  wirdl. 

Es  liegt  nahe,  daß  man  denselben  Weg  einhält,  um  bei  einer 
anderen  Person  oder  auch  bei  einem  Tiere  Liebe  und  Anhänglichkeit 


»)  Vgl.  besonders  H,  1 S.  80:  257;  277;  280  ; 299;  313;  316. 

®)  Handschr.  der  Breslauer  Stadtbibi.  B.  678.  Hunoldi  euriosa  I S.  225. 
*)  ebenda  S.  225. 


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1«7 


hervorzurufen.  Wahrend  die  hierher  gehörigen  Mittel,  die  sich  in  den 
Handschriften  des  schlesischen  Mittelalters  zahlreich  finden,  zwar 
recht  derber  Art  aber  ganz  einfach  anzuwenden  sind,  steht  das 
folgende  aus  spaterer  Zeit,  etwa  aus  dem  Jahre  U!23  stammende 
unter  dem  Einfluß  der  Astrologie  und  zeichnet  sich  durch  ein 
besonders  umständliches  Verfahren  aus*). 

Mumia  viva  ad  Amorem  constantissimum. 

Lass  in  einer  guten  Constellation  Jupiters  oder  Voneris,  welches  man  in 
einem  Calcnder  sehen  kan,  die  Median  an  dom  lincken  .\nn  schlagen,  und 
thue  das  Blut  also  warm  in  einen  ledigen  Ejerstopff,  welchen  Eyerstoff  man 
zuvor  boy  der  hand  haben  muss,  und  mach  die  Locher  mit  Rinden  und  Eyer- 
weiss  wiederumb  zu  und  beschmier  cs  mit  hnnorschmaltz,  daß  cs  das  huhn 
nicht  mercken,  auch  nicht  herausskommen  kan,  und  lege  es  hernacher  einer 
hennen  mit  unter,  die  da  ausbrntten  will,  so  wirst  du,  wann  die  Jungen 
Küchlein  ausskommen,  in  dem  Ey  eine  Materia  hart  wie  ein  zugorichtes  Bocks- 
blutt  finden,  dasselbe  nihm  auss  und  verwahre  es  als  einen  Schatz;  weme  du 
nun  hirvon  zu  essen  oder  zu  trincken  eingicbest,  der  muss  dir  affectionieret 
seyn,  und  von  hertzen  lieben,  gleichwie  das  blut  von  deinem  hertzen  kommen 
ist,  also  gehet  es  wiederum  zu  hertzen,  und  ist  eine  rechte  natürliche  Wissen- 
schaft, die  aber  bei  leibe  Niemand  missbrauchen  soll. 

Giebestu  hirvon  einem  Thiere,  so  bleibet  es  bey  dir,  und  will  ungern  von 
dir.  Und  hat  diss  geheimnnss  seine  Natürliche  Ursachen  und  ist  unter  des 
kaysers  Rudolphi  decreten  unter  ander  mit  gefunden  worden. 

Demselben  Anschauuiigskreisc  gehört  ein  anderes  Mittel  der 
gleichen  Handschrift  an,  das  ebenfalls  in  fremden  Personen  durch 
Übertragung  Liebe  erwecken  soll’). 

Liebe  und  Freundschafft  zu  machen  mit  einer  Moschaten. 

Nihm  eine  Moschatc,  so  mittelmSssiger  Grösse  scy,  schlinge  dieselbe  an 
einem  Freitag  Morgen,  in  hora  veneris,  dass  ist  Morgens  frühe,  wenn  die  Sonne 
aufgehot,  ein  und  suche  hcniaeher  den  folgenden  Tag  dieselbe,  wenn  sie  durch- 
gangen ist,  ex  stercorc  wieder,  wasche  Sie  rein  ab,  und  lege  Sie  den  folgenden 
freytag  eben  in  voriger  angedeuteter  stunden  unter  den  linken  Arm  und 
beschwitzc  diesse  Musscaten  wohl,  so  viel  möglich  ist,  und  behalt  Sie  her- 
nacher zum  Gebrauch.  Dieweil  aber  diese  Moschatc,  durch  diese  praeparation 
Ihren  natürlichen  gcruch  etwas  vorliehrcn  thut,  alss  nihm  eine  andere  .Moschatc 
und  bereibe  Sie  darmit,  so  kan  es  niemand  mercken.  Weme  du  nun  von  dieser 
Moschaten,  Menschen  oder  Viehe  eingiebst,  das  liebet  dich  natürlicher  weisse. 

Das  älteste  Bezept,  das  eine  wirkliche  Krankheitsübertragung 
auf  eine  Pflanze  enthält,  findet  sich  in  Schlesien  in  dem  bekannten 

*)  Uandschr.  der  Breslauer  Stadtbibi.  R.  534  Bl.  fi2  r. 

2)  Blr.  63r. 

13* 


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188 


niiltelhochdeutsclieu  Ar/.neibuclie  der  IJreslauer  Stadtbibliothek  aus 
dem  Anfänge  des  14.  Jahrhunderts  *).  Es  lautet: 

Flnirom  heizet  ze  ducc  rotschal  . . . Swen  di  zene  sneren.  di  sal  daz  enit 
vmme  crisen.  vnde  an  eisen  graben,  rnde  ruro  an  dem  wetunden  zan  dri- 
stunt.  vnde  zu  iclichoui  male  spien  au  die  erde,  vnde  setze  dan  das  crut 
wider  an  sine  stat.  iz  wcchset  als  e.  Plinius  der  sait.  her  geswere  nim- 
mer me. 

Wie  der  Schluß  zeigt,  stammt  das  Rezept  aus  der  Natur- 
geschichte des  Plinius  und  ist  aus  ihr  fast  wörtlich  übernommen*). 
Auch  hier  zeigt  sich  klar  die  starke  Abhängigkeit  unserer  mittel- 
alterlichen Heilkunde  von  der  Antike,  besonders  von  Plinius. 

In  den  folgenden  Jahrhunderten  nahm  die  .\nwcndung  solcher 
Mittel  immer  mehr  überhand,  sie  erhielt  sich  in  der  zünftigen 
Medizin,  bis  ins  18.  Jahrhundert.  Eine  schlesische  Chronik  des 
16.  Jahrhunderts  enthält  auf  ihren  letzten  leergebliebenen  Blätteni 
eine  Rezeptsammlung,  die  von  einer  Hand  des  17.  Jahrhunderts 
nachgetragen  ist’).  Unter  diesen  Rezepten  findet  sich  eine  ganze 
Reihe  von  solchen  Anweisungen,  Krankheiten  zu  übertragen.  Dieser 
spätere  Eintrag  erfolgte  jedenfalls  erst,  nachdem  die  Handschrift  in 
den  Besitz  des  Breslauer  Matthiasstiftes  gekommen  war.  An  die 
unfehlbare  Wirkung  solcher  Kuren  glaubten  somit  damals  auch  die 
gebildeten  Kreise.  Die  hier  in  Betracht  kommenden  Stücke  der 
Rezeptsammlung  sind  die  folgenden. 

Wieder  dass  fleber 

[Bl.  41Gr).  Xihm  des  Pebricilanten  seinen  urin  in  Paroxismo,  so  viel  er 
auf  einmal  von  sich  läßt,  und  weiche  denselben  mit  genügsamen  mehl,  mache 
ein  Täuglciu  und  Brodt  Kuchen  darauss,  und  hacke  es,  wirtTs  hernach  einem 
hungrigen  hunde  zu  fressen  für.  Ists  eine  Mans  Porsohu,  die  das  fieber  hat, 
so  muss  der  Hund  ein  Riedel  sein,  Ists  eine  Weibes  Persohn,  so  muss  der 
hundt  ein  Luppichen  sein  und  thu  solches  drermal  nacheinander.  Der  Krancke 
wirdt  genesen,  der  hundt  aber  erkranefcen 

>)  K.  291  Bl.  138v. 

Hist,  nat  lib.  XXV  c.  106:  Erigeron  a nostris  vocatur  seneeio.  Haue 
si  fi-rro  circuinscriptam  effodiat  aliquis,  tangatque  ca  denteui,  et  altcruis  ter 
dospuat,  ae  reponat  in  eundem  locum,  ita  nt  vivat  horba,  aiunt  dentem  eiini 
poslca  non  dolituruni.  Neu  hinzu  kommt  somit  im  uiittelhochdeutscbeh  Texte 
nur  die  Bestimmung,  daß  das  Kraut  ohne  Eisen  gegraben  wird;  das  wird  ja 
auch  beim  Graben  der  Verbena  gefordert. 

•)  Königl.  u.  Uuiv.  Bibi,  zu  Breslau,  eod.  ms.  IV.  P.  120.  Schlesische 
Chronik  vom  .fahre  801 — 1566;  geschrieben  von  Johannes  Scholz  1568.  Aus 
dom  Matthiasstift  zu  Breslau.  Die  Rezeptsammluug  beginnt  Bl.  406  ra. 


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189 


Item 

N'im  die  abgescbniUcnen  Xägel  an  hiindim  und  fassen,  binde  sie  einem 
lebendigen  Krebs  auf  seinen  Rucken,  wirf  den  Krebs  also  wieder  in  das  fließe 
wasscr.  Den  Krancken  wirdt  das  feber  verlassen  und  darvon  gesandt  werden. 

Oder 

Sihni  die  abgeschnitUm  Xägel  an  blinden  und  fassen,  begcnss  sie  mit 
seinem  eigenen  Urin,  spinde  sie  zusammen  in  einen  Raum,  so  wirdt  Patient 
von  dem  lieber  (juittiret  werden. 

Dass  ailerhandt  feber 

Wenn  sie  lang  gowchret,  sol  der  haber  wol  gesotten  curiren,  wimn  man 
denselben  in  einem  Säcklein  einen  tag  oder  drey  warm  übern  Magen  legt  und 
bemach  einer  Sau  zu  fressen  gibt  [416  v].  So  sol  eine  Spinne  in  eine  Hasel- 
nuss eingeschlosscn  und  am  halse  getragen  eine  gewisse  cur  wieder  dass 
feber  sein. 

Item 

Xihin  die  abgcschuitten  Xägel  eines  patienteu  an  bänden  und  füssen, 
wirf  sie  in  einen  Omsshauffen,  und  die  jenige  Omss,  welche  dass  Erste  Bisslein, 
davon  ergreifft  und  wils  weg  tragen,  die  nihm,  nnd  hänge  sie  an  deinen  hals, 
so  wirdt  das  feber  vergehen. 

Wieder  die  Oichtschmertzen 

[41Gv].  Xim  ein  Stück  rohes  Rindfleisch,  lege  dasselbe  auf  den  Schmerz- 
afl'ten  Orth  der  Füsso,  lass  es  eine  zimliehe  Weile  liegen,  nihm  es  weg,  und 
lege  cs  einem  hunde  auf.  Idicses  Mittel  ist  an  einem  Gichtbrichtigen  Bürger 
zu  Xnrnberg  probiret  worden,  der  Patient  ist  genesen,  der  hundt  aber  alss  ein 
Gichtbrichtiger  in  der  Stadt  herunib  gelauffen.  So  sol  auch  durch  diss  mittel 
eines  hiindes,  wenn  derselbe  einem  Podagrico  wirdt  beygelegct,  der  Patient  von 
seinen  Schmerzen  befreiet  werden  und  genesen. 

Noch  ein  ander  remedium 

Wieder  die  Gichtschmertzen:  sperre  einen  hausshan  ein,  und  gib  im 

sonst  nichts  als  von  deinem  Tisch  und  Teller,  wass  du  issest  und  Trinckest 
zeu  Essen  und  zu  trincken,  kaue  im  auch  selber  die  speise,  so  wirdt  der  Hahn 
dio  podagrisehen  Schmertzen  bekommen,  der  Patient  aber  davon  erlediget  werden. 

Item 

So  sol  anch  wieder  die  podagrisebe  Schmertzen  dieses  [417r]  dienen: 
Wenn  mau  die  nägel  an  dem  Schmertzhaften  Ort  abschneidet  und  einem 
frösch  an  den  hals  beuget  und  wiederumb  in  die  Lache  läst  springen,  so 
sollen  die  Schmertzim  vergehen. 

Wieder  die  Gelbsucht 

[417r].  Xibm  des  Kranken  Streue,  Lege  ein  Stüeklein  Xeu  Rindfleisch 
darein,  koche  es  wol,  wirfs  heniach  einem  hungrigen  hunde  für.  Wenn  er.s 
gefressen,  so  bekomt  er  die  Gelbsucht. 


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100 


Wieder  die  Schwindt-  und  Oelbsucht 

[4l7rj.  Lass  die  Modianador,  thue  das  Geblüt  fein  bescheidentlich  in  eine 
Eierschale,  und  lege  dieselbe  einer  brnttenden  hennc  bey  14  tagen  lang  unter 
und  gibs  bemach  einer  hungrigen  heiiue  zu  essen.  Das  Tertreibet  die  Kranckheit. 

Wieder  die  Zahnschmertzen 

[4I7r],  Kihm  einen  Splitter,  sUchere  den  Btisen  Zahn  damit,  biss  er  bluttot, 
gehe  damit  zu  einer  grünen  Weyde,  lüffte  die  Rinde  ein  wenig,  läge  das 
bluttige  SpSnehen  darein,  thue  die  Rinde  wieder  darüber,  das  das  SpSnehen 
damit  bedeckt  werde  und  verwachse,  die  Schmertzen  vergehen. 

Item 

[417v].  Schneidt  einem  Patienten  die  uägel  ab  an  bänden  und  fUssen  und 
zwar  iui  abnehmen  des  Monden,  und  thue  sie  zusammen  wol  verwahret  in  eine 
federkiel  von  einer  Ganss  und  den  II.  oder  12.  Marty  zwischen  8,  9 oder 
10  Uhr  vorniittig  gehe  einer  mit  dem  Patienten  zu  einer  Pappelweide.  Der 
gefeite  bohre  mit  einem  Neber  an  den  stam  des  Raums  ein  Loch,  die  späne 
läse  er  wol  zusammen,  und  sU'cke  sie  in  die  federkiel,  da  die  abgeschnittene 
nägcl  inne  sindt.  Dieses  Loch  schlage  er  mit  einem  keulichcn  von  einem  Ast 
dieses  Baums  gemacht  wieder  zu,  und  schneide  das  herauss  ragende  geholtze 
dem  Baum  gleich  ab,  und  bestreiche  es  mit  Erde.  Der  Patient  hütU'  sieh, 
dass  er  zu  diesem  Baum  nicht  mehr  komme.  Der  geferte  aber  mag  sicher  zu 
demselbigen  gehen  und  ob  er  grüne  oder  nicht  sich  erkundigen. 

Verwandt  mit  diesen  Mitteln  ist  eine  -Anweisung  aus  dem 
Jahre  1.183,  wie  man  die  einem  Mensclien  oder  Tiere  angezauherte 
Krankheit  beseitigen  könne '). 

So  einem  etwas  böses  angethan  oder  ihme  die  pferde  werden 
aussgespant 

Das  geschifertc  vom  Klöpjxd  von  einer  gloekhen  und  von  den  fördersten 
klauen  des  wieders,  der  von  der  weide  kombt,  geschähet,  dieses  mit  einander 
getrunckhen  und  lege  von  einer  weide,  die  da  in  Wasser  liget  und  immer  be- 
weget wirdt,  dir  selbe  este  unter  das  Leilacht  und  unter  das  bette. 

Item,  bore  ein  loch  durch  ein  bruekhc  und  brunz  dadurch  ins  wass.'r, 
oder  zeug  ein  pfähl  auss  einem  zaun  und  brunz  in  das  loch  und  kehre  den 
pfähl  umb  und  steckhe  das  ober  thcill  ins  loch.  Den  freytag  heniach,  wann 
du  es  gelhan  hast,  wieder  hineinbrunst  und  umbgekehret.  darnach  den  pfähl 
verbrandt,  hilfft  wohl. 

Endlich  sei  noch  eine  Stelle  angeführt,  die  beweist,  daß  man 
das  Verspinden  auch  anwandte,  um  das  Wachstum  der  Haare  zu 
fördern.  Sie  stammt  aus  der  bereits  benützten  Handschrift  der 
Breslauer  Stadtbibliothek  B 534,  die  gegen  li!2.S  geschrieben  ist. 

’)  Breslauer  Stadtbibi.  M.  1026  Bl.  142v. 


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1!)1 

Eine  Magische  Cur  Haare  wachsen  machen 

[Bl.  64  t].  ElzUche  Magi  koniiiien  her  und  schneiden  den  Haaren  die 
untersten  Zipffel  oder  ende  abe,  bohren  hemaeher  in  einen  weideneu  Baum, 
der  noch  jung  und  wachssbar  ist,  ein  Loch,  stecken  diese  Haar  dar  hinein, 
pfrupffen  das  Loch  ausswendig  wieder  zu,  und  wie  der  Baum  geschwinde  fort 
wAchsel,  also  wachsen  auch  die  Haar,  will  man  aber,  dass  die  Haare  nicht 
mehr  wachsen  sollen,  muQ  man  den  Baum  umbhauen. 


Ein  moderner  Hexenprozeß  in  Posen. 

Von  l)r.  Albert  Hellwig  (Berlin-Friedenau). 

Der  Glaube  an  Ho.sheitszauberei,  an  verderbliche  He.\enkunst, 
ist  eine  der  universalsten  Erscheinungen  des  Völkergedankens*).  Daß 
auch  im  modernen  Europa  noch  krassester  Hexenglaube  herrscht  — 
vielfach  leider  durch  religiöse  Dogmen  bestärkt*)  — haben  volks- 
kundliche*) und  kriminalistische*)  Schriften  gerade  der  letzten 
Jahrzehnte  über  allen  Zweifel  klar  gestellt.  Eine  wie  starke  sug- 
gestive Wirkung  der  Hexenglaube  noch  im  20.  Jahrhundert  hat, 
beweist  am  besten  die  überaus  traurige  Tatsache,  daß  nicht  nur 
zahlreiche  Fälle  jahraus  jahrein  die  Gerichte  beschäftigen,  in  denen 
betrügerische  Ausnutzung  des  Hexenglaubens  durch  Zigeuner  und 
andere  erfolgreiche  Spekulanten  auf  die  Leichtgläubigkeit  der  Aber- 
gläubischen zur  Sprache  kommt*),  sondern  auch  Proze.sse  wegen  He- 

*)  Vgl.  jetzt  das  ausgezeichnete  Buch  von  Scligmauu  «Der  böse  Blick 
und  Verwandtes“  (Berlin  1910,  zwei  B&udc). 

*)  Vgl.  mein  Buch  über  «Verbrechen  und  Aberglaube“  („Aus  Natur  und 
Gcistoswelt“  Bd.  212,  Leipzig  1908)  S.  30ff.,  6,14,  sowie  meine  Abhandlungen 
Aber  «Psychologie  und  Therapie  der  Besessenheit“  («Kosmos“,  Stuttgart  1907, 
S.  228  ff.),  „Der  Heienmord  zu  Forchheim'  («Der  Pitaval  der  Gegenwart“ 
Bd.  V.  S.  170  ff.).  Eingehender  werde  ich  darüber  demnächst  wahrscheinlich 
in  der  «Zeitschrift  für  Religionspsychologie“  handeln. 

*)  Vgl.  vor  allem  Wuttko,  «Der  deutsche  Volksaborglaube  der  Gegenwart“, 
dritte  Bearbeitung  von  Elard  Hugo  Meyer  (Berlin  1900)  sowie  v.  Hovorka 
und  Kronfeld,  „Yorglcichümle  Volksmedizin“  (.Stuttgart  1909). 

*)  Da  die  Kriminalisten  begreiflicher  Weise  die  kriminelle  Bedeutung 
betonen,  sollen  die  Belege  weiter  unten  angeführt  werden. 

*)  Vgl.  mein  zitiertes  Buch  8.  18  ff,  93  f;  zahlreiche  weitere  Fälle  werde 
ich  demnächst  im  «Gcrichtssaal“  beibringen  in  dem  zweiten  Teil  meiner  zu- 
sammenfassenden Abhandlung  über  den  modernen  Hexenglauben  und  seine 


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leidigung,  Uedrohung,  Nötigung,  Freiheitsberaubung,  Körperverletzung 
und  selbst  Ermordung  von  Hexen*)  bis  auf  unsere  Tage  verkommen. 

Der  Volksforscher  kann  selten  aus  Akten  schöpfen.  Wenngleich 
freilich  Zeitungsberichte,  wenn  vorsichtig  benutzt,  meines  Erachtens 
eine  durchaus  zuverlässige  Quelle  abgeben,  die  noch  viel  systematischer 
ausgenutzt  werden  könnte’),  so  wird  doch  der  Kriminalist,  dem  die 
Akten  über  einen  konkreten  Fall,  bei  dem  volkskundlichen  Interesse 
mit  hineinspielen,  zugänglich  sind,  nicht  nur  sicherer  festgestelltes, 
sondern  auch  vor  allem  reichhaltigeres  Material  bieten. 

Ich  hoffe  deshalb,  daß  es  den  Lesern  nicht  unwillkommen  sein 
wird,  wenn  ich  im  Folgenden  einen  mir  aktenmäßig  zugänglichen 
modernen  Hexenprozeß  aus  Posens  jüngster  Vergangenheit  schildere. 
Ich  will  dabei  diesmal  so  Vorgehen,  daß  ich  nicht  ein  resümierendes  und 
daher  unwillkürlich  mehr  oder  minder  subjektiv  gefärbtes  Gesamtbild 
des  Prozesses  gebe,  wie  er  sich  mir  aus  den  Akten  zu  ergeben 
scheint,  sondern  in  der  Art,  daß  ich  alle  wesentlichen  Schriftstücke 
aus  den  .Akten  wortgetreu  mitteile,  um  so  den  Leser  in  den  Stand 
zu  setzen,  gewissermaßen  selbst  in  diese  Einsicht  zu  nehmen. 


kriminelle  Bedeutung.  Vgl.  auch  meine  Skizze  .Ein  Diebstahl  unter  Benutzung 
des  Hoionglaubens“  in  der  .Zeitschrift  des  Vereins  für  rheinische  und  west- 
fälische Volkskunde“  Bd.  G S.  13  ff. 

*)  Vgl.  Manhardt,  .Die  praktischen  Folgen  des  Aberglaubens“  LSwen- 
stimm,  ..tberglaiibe  und  Strafrecht“  (Berlin  1897),  Gaupp,  .Zur  Lehre  vom 
psychopathischen  Aberglauben“  (Archiv  für  Kriminalanihropologie  und  Krimi- 
nalistik* Bd.  28  S.  20  ff.),  sowie  meine  Skizzen  .Ein  moderner  Hexenprozeß* 
(ebendort  Bd.  19  S.  223  f.),  „Der  böse  Blick  als  Mordmotiv“  (ebendort  Bd.  28 
S.  220  ff.)  „Zur  Psychologie  des  Hexcnglaubens“  (ebendort  Bd.  3G  S.  127  ff.), 
.Helenglaube  und  Blutspuren“  (ebendort  Bd.  30  S.  376)  .Eine  gefährliche 
Körperverletzung  infolge  Heienglaubens“  („Archiv  für  Strafrecht  und  Straf- 
prozeß“ Bd.  54  S.  132  ff  ),  „Der  Hexenmord  zu  Forchheim“  („Der  Pitaval  der 
Gegenwart“  Bd.  5 S.  170  ff.),  .Blutmord  und  Aberglaube,  Tatsachen  und  Hypo- 
thesen“ („Zeitschrift  für  die  gesamte  Strafrechtswissenschaft“  Bd.  80  S.  149  ff.), 
„Ein  Fall  von  Körperverletzung  infolge  des  Hexenglaubens“  (Monatsschrift  für 
Krhninalpsychologie  Bd.  3 S.  219  ff.),  „Zwei  psychiatrische  Gutachten  über  den 
Hexenmord  zu  Forchheim  nebst  Erläuterungen“  (..Ärztliche  Sachverständigen- 
Zcitung“  1909  Nr.  10).  Weitere  Materialien  werden  meine  im  „Archiv  für 
Kriminalanthropolopie“  demnächst  erscheinenden  Skizzen  über  „Heienmorde  in 
Frankreich“  sowie  „Weiteres  über  den  Hexenmord  zu  Forchheim“  und  meine 
oben  erwähnte  Abhandlung  im  .Gerichtssaal“  bringen. 

*)  Vgl.  meinen  Aufsatz  über  .Zeitungsnotizen  als  Quelle  für  volkskundliche 
und  kriminalistische  Forschungen“  in  dem  ..Archiv  für  Kriminalanthropologio 
und  Kriminalistik“  Bd.  35  S.  276  ff. 


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193 


i.  Klageschrift  nebst  Nachtrag. 

Schöndorf,  den  '11.  Mai  1907. 

Sehr  geehrter  Herr  Rechtsanwalt. 

Ich  erzähle  hhier  Hochwohlgeboren  den  Vorfall.  Tm  Jahre 
1904  kaufte  ich  in  Schöndorf  b.  Bromberg  ein  Grundstock,  welches 
keinen  Brunnen  hat.  Ich  kam  mit  den,  in  der  Glinkerstraße  12 
wohnhaften  Grundbesitzer  Derengowski’schen  Eheleuten  überein,  mein 
Trinkwasser  aus  ihrem  Bninnen  zu  entnehmen.  Die  Ehefrau  des 
Derengowski  leidet  schon  seit  vielen  Jahren,  also  schon  vor  meinem 
Kauf  in  Schöndorf,  an  Kopf-  und  Gliederreißen. 

Beweis:  die  Arbeiterfrau  Wilhelmine  Wilitzke  in  Schöndorf,  Breitestr.  16. 

Im  Jahre  1906  so  um  das  Frühjahr  stellten  sich  diese  Reißen 
wieder  ein  und,  infolge  des  weiter  vorschreitenden  Alters  der  Frau, 
wurden  auch  die  Schmerzen  (durch  den  nicht  mehr  so  widerstands- 
fähigen altemden  Körper)  wohl  mehr  empfunden  wie  früher.  Anstatt 
nun  zu  einem  unserer  Doktoren  zu  schicken,  wurde  zu  einer 
Wunderfrau  geschickt,  welche  mit  dieser  leidenden  Frau  ihren 
Humbug  trieb. 

Beweis:  die  Arbeiterfrau  Witkowski,  Schöndorf,  Breitestr.  17. 

Nachdem  nun  dieser  Wunder-Doktorin  ihre  Weisheit  und 
Anordnungen  vor  sich  gingen,  wurde  meiner  Schwiegermutter 
Bertha  AVitzke  und  mir  das  Wasserholen  oder  Betteten  ihres  Ge- 
höftes verboten.  Nach  kurzer  Zeit  hierauf  kam  die  Frau  Eva  Rasclike. 

Beweis : Frau  Eva  Raschke,  Kleinbartelsee,  Schulstr.  24  und  erzählte;  Der 
Derengowski  Joh.  senior  sei  zu  mir  ins  Geschäft  gekommen,  worauf 
ich  ihm  frenndlichst  mit  der  Hand  über  den  Kopf  gestrichen  haben 
soll,  und  kurze  Zeit  darauf  hätte  er  die  Klattem  bekommen  und 
diese  Frau  unter  vielen  seiner  hier  mehr  als  Deutsche  wohnenden 
Polen  gesagt,  sie  möchten  bei  diesem  Mimix  nichts  kaufen,  weil 
er  bei  Richard  Kipf  die  Klattern  bekommen  habe  und  anderes  mehr. 

Beweis:  Der  Eigentümer  Johann  Mayka  in  Kleinbartelsen,  Bergstr.  10 
und  Frau  Raschke; 

Ich  habe  mich  an  die  albernen  Quatschereien  nicht  gekehrt 
und  ließ  dieses  Gerede,  sowie  auch,  daß  meine  Schwiegermutter 
diese  großen  Schmerzen  an  Händen  und  Füßen  der  Derengowski- 
Ehefrau  angehext  haben  soll. 


Die  by  Googh 


194 


Nun,  nachdem  ich  und  meine  Schwiegermutter  sowie  meine 
Frau  seit  1906  so  manche  versteckte  Anspielung  und  Spitzen 
hören  mußten,  ohne  recht  jemand  fassen  zu  können,  verschlimmerten 
sich  die  Schmerzen  der  Derengowski  und  die  Frau  schrie  zeitweise 
so,  daß  es  vor  dem  Hause  derselben  zu  hören  war;  nun  sollte  die 
Bombe  platzen  und  mich  vor  die  Gefahr  stellen,  von  welcher  ich 
keine  Ahnung  hatte.  So  erging  sich  meine  Schwiegermutter  mit 
meinem  l'/j  jährigen  Kinde  auf  dem  Arm  in  Schöndorf,  Breite- 
straße, als  am  '24.  Mai  in  der  Nähe  meiner  Häuser  der  Johann 
Derengowski  auf  meine  Schwiegermutter  zutrat  und  sagte  (pscha- 
kreff!)  Sie  alte  Hexe,  Sie  haben  meine  Frau  behext,  und  nach  ihr 
spuckte. 

Meine  Schwiegermutter  erzählte  mir  die  freche  Belästigung, 
doch  konnte  ich  in  dieser  Sache  nichts  beginnen,  da  ich  keine 
Zeugen  hatte.  Eine  Anzeige  bei  der  Vorgesetzten  Behörde  aber 
würde  vergebens  ohne  Zeugen  sein,  da  die  Familie  sehr  gottes- 
lästerliche Beden  und  Flüche  im  Munde  hat. 

Als  ich  nun  am  25.  Mai,  also  einen  Tag  später,  am  Laden- 
fenster stand,  kommt  der  Johann  Derengowski  an  meinem  Fenster 
Vorüber  (andere  Straßenseite)  und  schimpft  j)schakreff  Miraix  und 
droht  nach  meinem  Fenster.  Ich  trete  hinaus,  um  mich  zu  über- 
zeugen, ob  ich  damit  gemeint  wäre,  oder  ob  vielleicht  noch  jemand 
am  Hans  stände.  Nachdem  ich  mich  überzeugt,  daß  ich  nur  ge- 
meint war,  was  ich  dadurch  beweise,  daß  der  Derengowski  auf 
mich  zukam  und  mir  sagte:  „Na,  was  sehen  Sie  sich  um,  gerade 
Sie  meine  ich  und  ich  sage  Ihnen  jetzt  zum  letzten  Mal,  daß 
Ihrer  Schwiegermutter  ihr  Leben  heute  ein  Ende  gemacht  wird. 
Es  muß  Schluß  gemacht  werden  mit  der  alten  Hexe.  Ich  fordere 
nochmals,  daß  Sie  mir  Ihre  Schwiegermutter  rausgeben,  daß  ich 
sie  totsteche,  wir  brauchen  das  Blut  von  der  Hexe.“  Ich  s.agte 
ihm:  „Sie  sind  wohl  irre  geworden,  ich  gebe  Ihnen  gleich  ein 
paar  Back])feifen,“  worauf  er  seine  Drohung  noch  unter  grauen- 
erregenden Flüchen  fortsetzte:  „Und  heute  werdet  ihr  alle  kalt 
gemacht,  ich  steche  sogar  das  Kind  in  der  Wiege  mit  der  Heu- 
gabel tot.“ 

Beweis:  Max  Weißert,  Schöndorf,  Glinker.str.  1.3,  ferner  die  Fuhr- 
leute August  tjuiram,  Frankenstr.  100,  Fuhrleute  Johann  Tor- 
schewski,  Bergkolonie  34,  Frau  Wilhelmine  Wilitzke,  Schöndorf, 


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195 


Breitestr.  15;  ferner  sind  noch  der  Ziegeleiarbeiter  Zesar,  Schön- 
dorf, Breit estr.  16  und  der  Schüler  Bolislaus  Heleniak,  Schöndorf, 
Breitestr.  14,  zugegen  gewesen,  doch  ist  der  Schüler  Heleniak  mit 
dem  Verklagten  verwandt. 

Als  ich  nun  noch  gar  über  die  Straße  ging  und  den  Namen 
einer  Frau,  welche  gerade  das  Derengowski’sche  Gehöft  verließ, 
notieren  wollte,  kam  die  Tochter  der  leidenden  Frau,  jetzige  Frau 
Marie  Oparski,  Schöndorf,  Breitestr.  17,  Eigentümerin  und  sagte: 
„.la,  ja.  Sie,  ich  werde  das  bezeugen,  daß  ihr  meine  Mutter  be- 
hext habt“  (ja,  ja),  schreiben  Sie  nur  mit  Bonbon  und  Liqueur. 

Zu  Beweis:  Frau  Anna  Zergattka  in  Schöndorf  11,  bei  Herrn  Fisch, 
diese  Frau,  welche  als  Hauptbelastungszeugin  gelten  könnte,  sagte 
mir,  sie  würde  gegen  die  kranke  Frau  nicht  zeugen,  worauf  ich 
ihr  sagte,  das  wird  das  Gericht  bestimmen. 

Nach  dieser  Attacke,  so  um  die  zehnte  Stunde  vonnittags, 
den  25.  5.  kam  der  Sohn  Theodor  Derengowski  aus  der  Stadt  und 
hörte  das  Wimmern  seiner  Mutter.  Er  trat  mit  erhobener  Faust 
vor  ihr  Haus,  mit  dem  Gesicht  mir  zu,  weil  ich  in  der  Ladentüre 
stand  und  schrie:  „Wenn  Sie  das  alte  Weib,  die  Hexe,  nicht  so- 
gleicli  rüberschicken  und  meiner  Mutter  die  Klattern  abnimmt, 
dann  komme  ich  rüber  und  dann  werde  ich  Richter  spielen,  ich 
schlage  die  Hexe  einfach  tot.“ 

Zu  Beweis:  Der  Arbeiter  Otto  Schulz,  20  .lahre  alt,  in  Klein- 
bartelsen: 

Die  kranke  Frau  hat  trotz  ihrer  Reißen  noch  soweit  Mut,  sich 
an  ihre  Hausecke  zu  stellen  und  zu  rufen:  „Den  Mimi.x  s(dl  samt 
der  alten  Hexe  das  Gewitter  ersclilagen  und  alles  verbrennen.“ 
(Ich  weiß  nicht,  ob  diese  Schimpferei  über  die  Straße  auch  straf- 
bar ist). 

An  demselben  Tage,  also  am  25.  Mai  um  ca.  1 Uhr  kam  der 
Johann  Derengowski  abermals  und  zwar  mit  umgedrehtem  Peitschen- 
stock auf  meinen  Laden  zu;  ich  verschloß  die  Tür,  worauf  der 
Angeklagte  zu  seinem  Busenfreund,  den  Grundbesitzer  Micliael 
Sommerowski’schen  Eheleuten,  Schöndorf,  Breitestr.  14  etwas  vis 
ü vis  ging  und  weiter  drohte,  er  würde,  wenn  meine  Schwiegermutter 
nicht  bald  käme,  das  Haus  stürmen  mit  seinen  Söhnen  und  Ver- 
wandten, um  alle  darin  zu  töten. 

Beweis:  Arbeiterin  Wilhelmine  Wilitzke,  Breitestr.  16,  Arbeiter 
Wladislaw  Heleniak,  Schöndorf,  Breitestr.  12. 


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19(i 


Dieser  Arbeiter,  den  ich  vorher  nicht  gekannt,  kam  nachmittags 
zu  mir  und  bat  mich  (aus  welchem  Grunde,  weiß  ich  nicht,  trotz- 
dem derselbe  venvandt  mit  dem  Derengowski  ist),  ihn  als  Zeugen 
anzusetzen,  weil  er  mich  ersuchte,  heute  Nacht,  also  vom  ‘25.  zum 
26.  Mai  auf  meiner  Hut  zu  sein,  weil  er  gehört  hat,  wie  der 
Derengowski  bei  seinem  Freund  Sommerowski  die  Überrumpelung 
mit  seinen  Söhnen  besprach. 

Hierauf  schrieb  ich  einen  Zettel  an  den  Ober-Gendarm  Herrn 
H.  Giermann,  Thomerstr.,  welcher  in  dieser  kritischen  Zeit  bis 
spät  in  der  Nacht  ein  wachsames  Auge  für  die  gefährliche  Situation 
hatte.  Nur  der  pflichttreuen  Hilfsbereitschaft  dieses  vorzüglichen 
Beamten  ist  es  zu  danken,  daß  bis  dato  keine  Metzeleien  vor- 
gekommen sind. 

Dies  ist  der  Sachverhalt  bis  heute,  den  2ti.  Mai  1907. 

Wir  Verzeichneten  bitten,  in  anbetracht  der  groben  Be- 
leidigungen und  Geschäftsbeeinflussungen  der  4 Angeklagten  Straf- 
anträge dem  Gesetz  gemäß  zu  stellen. 

Hochachtungsvoll 

Richard  Kipf,  Schöndorf,  Glinkerstr.  16. 

Bertha  Witzke. 

Nachtrag:  Der  stark  polnische  Schöndorfer  Nachtwächter  war 
während  dieser  vorgenannten  Schimpfereien  am  Krankenbett  der  Frau 
Derengowski  und  verließ  das  Haus  erst,  als  ich  von  der  Straße  in 
mein  Haus  gegangen  war. 

Ich  bitte  recht  höflich,  diesen  Joseph  Kaschielski,  Schöndorfll, 
als  Zeugen  zu  laden,  damit  ich  sehe,  ob  er  Farbe  bekennt;  bei  mir 
spielt  er  den  Unschuldigen  und  erfahre  erst  jetzt  bei  Schluß 'des 
Briefes,  daß  selbiger  alles  gehört  hat. 


Schöndorf,  den  28.  5.  07. 

Herrn  Rechtsanwalt  Friedlaender 

Hochwohlgeboren 

Bromberg. 

Sehr  geehrter  Herr  Rechtsanwalt!  Ich  möchte  noch  als  Zeugen 
den  deutschen  Schiffer  Carl  Müller,  Schöndorf,  Breitestr.  17,  haben. 

Dieser  C.  Müller  wollte  am  Sonntag,  den  26.  Mai  früh,  bei  mir 
einkaufen.  Auf  dem  Wege  zu  mir  traf  er  den  Joh.  Derengowski. 
Dieser  sagte  ihm,  der  Müller  möchte  nicht  bei  dem  Kipf  kaufen, 


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197 


denn  seine  Schwiegermutter  hätte  seiner  Frau  was  angehext,  nun  sei 
seine  Frau  ganz  verkrüppelt;  wenn  er  die  alte  Hexe  gleich  erschlagen 
hätte,  wäre  seine  Frau  nicht  erst  in  so  eine  Krankheit  verfallen. 
Er  brauche  zur  Heilung  das  Blut  der  Hexe. 

Hochachtung  .svoll 
Richard  Kipf. 


II.  Ermittelungsverfahren  (Zeugenvernehmungen  und 
verantwortliche  Vernehmung  der  Beschuldigten). 

Bromberg,  den  15.  Juni  1907. 

Es  erscheint  der  Schankwirt  Richard  Kipf  aus  Schöndorf,  4(5  Jahre 
alt,  evangelisch,  wegen  Meineides  nicht  bestraft  und  erklärt  auf  Be- 
fragen : 

Die  Derengowski’sche  Familie  in  Schöndorf  ist  mir  seit  längerer 
Zeit  feindlich  gesinnt,  indem  sie  behauptet,  meine  Schwiegermutter, 
die  Witwe  Bertha  Witzke,  wohnh^  bei  mir,  hätte  die  Frau  Deren- 
gowski,  ich  selbst  den  Ehemann  Derengowski  mit  Klattem  behaftet, 
bezw.  dieselben  behext.  Aus  diesem  Grunde  werde  ich  von  der 
ganzen  Derengowski’schen  Familie  seit  Jahr  und  Tag  verfolgt. 

Am  24.  Mai  d.  J.  erzählte  mir  meine  Schwiegermutter,  daß  der 
Johann  Derengowski  sie  auf  der  Straße  angehalten  und  zu  ihr  folgendes 
gesagt  luabe:  „Sie  alte  Hexe,  Sie  haben  meine  Frau  behext.“  Außer- 
dem soll  Derengowski  nach  meiner  Schwiegermutter  gespuckt  haben. 

Am  25.  Mai  d.  J.  des  Vormittags  stand  ich  in  meinem  Laden. 
Von  ferne  sah  ich  Derengowski  auf  meinen  Laden  zukommen,  der 
schon  von  weitem  mit  dem  Peitscheustocke  drohte.  Ich  trat  vor  die 
Tür  und  Johann  Derengowski  trat  an  mich  heran  mit  den  Worten: 
„Ich  sage  Ihnen  zum  letzten  Male,  daß  Ihrer  Schwiegermutter  ihr 
Leben  heute  noch  ein  Ende  gemacht  wird,  es  muß  Schluß  gemacht 
werden  mit  der  alten  Hexe,  ich  fordere  Sie  nochmals  auf,  daß  Sie 
mir  Ihre  Schwiegermutter  ran.sgeben,  daß  ich  sie  totsteche,  wir 
brauchen  das  Blut  von  der  Hexe.“  Ich  sagte  zu  dem  Derengowski: 
„Sie  sind  wohl  irre,  ich  gebe  Ihnen  ein  piiar  Backpfeifen.“  Der 
Derengowski  entfernte  sich  einige  Schritte,  blieb  dann  wieder  stehen 
und  sagte:  „Sie  verfluchter  Mimix,  ich  steche  Ihnen  den  Bauch  auf 
und  lasse  Ihnen  die  Flecke  (?)  raus,  wenn  Sie  sich  heute  Xacht  zur 
Wehr  setzen,  dann  schlagen  wir  alles  tot,  was  im  Hause  ist,  ich  steche 


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1!*8 


sogar  (las  Kind  mit  der  Heugabel  tot;  lange  genug  hat  es  hier  mit 
den  Deutschen  gedauert,  die  mfissen  hier  ausgerottet  werden.“ 

Für  den  Vorfall  am  “2n.  Mai  d.  .1.  gebe  ich  folgende  Personen  auf: 

1.  Arbeiterfrau  Wilhelmine  Wilitzke  aus  Schöndorf,  Breitestr.  16, 

2.  Arbeiter  Wladislaw  Heleniak  daselbst,  Breitestr.  12, 

3.  Landwirt  Ma.x  Weißert  daselbst,  Glinkerstr.  13, 

4.  Fuhnnann  August  Quiram,  Bromberg,  Frankenstr.  100, 

5.  Fuhrmann  Johann  Torschewski  daselbst,  Bergkolonie  34, 

6.  Ziegeleiarbeiter  Zesar,  Schöndorf,  Breitestr.  16, 

7.  Den  Schüler  Bolislaus  Heleniak  daselbst,  Breitestr.  14. 

Am  25.  Mai  d.  J.  am  Mittag  standen  Johann  Derengowski  und 
der  .Arbeiter  bezw.  Eigentümer  Michael  Samorowski  zusammen.  Ich 
hörte,  wie  Michael  Samorowski  sagte:  „Sie  verfluchter  Mimix,  Sie 
hat  der  Teufel  auf  die  Erde  gebracht  und  der  wird  Sie  wieder  holen.“ 

Zeugen  hierfür:  der  Schüler  Bolislaus  Heleniak  aus  Schöndorf, 
Breitestr.  14,  sowie  die  Arbeiterfrau  Heleniak  daselbst. 

Am  25.  Mai  d.  J.  gegen  Mittag  trat  der  Theodor  Derengowski 
vor  die  Tür  und  rief  mir  folgendes  zu:  „Wenn  Sie  das  alte  Weib, 
die  Hexe,  nicht  sogleich  rüberscliicken,  daß  sie  der  Mutter  die 
Klattern  abnimmt,  dann  komme  ich  rüber  und  werde  Richter  spielen, 
ich  schlage  die  Hexe  einfach  tot.“ 

Als  Zeugen  dafür  benenne  ich  den  Arbeiter  Otto  Schulz  aus 
Kleinbartelsee,  Bergstraße. 

Bromberg,  den  21.  Juni  lt(07. 

Vorgeladen  erscheinen  und  erklären  auf  Befragen: 

1.  Der  Landwirt  Max  Weißert  aus  Schöndorf,  Glinkerstr.  13, 
23  Jahre  alt,  evang.,  wegen  Meineides  nicht  bestraft. 

z.  S.:  Am  25.  Mai  d.  J.  des  vormittags  hörte  ich,  daß  der 
Johann  Derengowski,  welcher  vor  dem  Kipfschen  Lokal  stand, 
schimpfte.  Die  einzelnen  Ausdrücke  habe  ich  nicht  verstanden. 

Max  Weißert. 

2.  Die  Arbeiterfrau  Wilhelmine  Wilitzki,  daselbst,  Breitestr.  15, 
47  Jahre  alt,  evang.,  wegen  Meineides  nicht  bestraft. 

z.  S.:  Am  25.  Mai  d.  .1.  hörte  ich,  wie  der  Johann  Derengowski 
auf  der  Straße  folgendes  schrie:  „Die  alte  Witzke  hat  meiner  Frau 
Bonbons  und  Liqueur  gegeben,  sie  hat  meine  Frau  verhext  und  die- 
selbe so  weit  gebracht,  daß  sie  jetzt  zu  Bett  liegen  muß.“  Be- 
dr(diende  Worte  habe  ich  nicht  gehört.  Frau  Wilitzki. 


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lSt9 


3.  Der  Ziegeleiarbeiter  Kasimir  Cesar,  daselbst,  Breitestr.  15, 
44  Jahre  alt,  wegen  Meineids  nicht  bestraft. 

z.  S.:  Am  25.  Mai  d.  J.  des  ^littags  kam  ich  an  dem  Kipfsehen 
Lokale  vorbei,  der  Johann  Derengowski  ging  auf  der  Stralle  auf  und 
ab  und  schimpfte.  Ich  hörte  die  Ausdrücke;  ,Die  alte  Hexe  hat 
meine  lYau  behext  und  die  muß  jetzt  liegen.“  Ich  trug  den  vor 
der  Tür  stehenden  Kipf,  was  der  Mann  will,  worauf  ich  die  Antwort 
bekam:  ,Der  Mann  hat  das  Delirium.“  Ich  ging  weiter  und  kann 
daher  nichts  weiter  bekunden.  Kasimir  Cesar. 

Bromberg,  den  29.  Juni  1907. 

Es  erscheint  der  Arbeiter  Theodor  Derengowski  aus  Schöndorf, 
Glinkerstr.  12  und  erklärt  verantwortlich  vernommen: 

z.  S. : Ich  bin  am  29.  Mai  1889  zu  Schöndorf  b.  Bromberg 
geboren.  Eltern  .Johann  und  Magdalena  geb.  Gawryer.  Bin  ledig, 
kathol.  Keligion,  ohne  Vermögen.  Wegen  Körperverletzung  mit 
5 Wochen  Gefängnis  vorbestraft. 

z.  S. : Ich  bestreite  bedrohende  Worte  ausgesprochen  zu  haben 
und  erwarte  Beweis.  Derengowski. 

Der  Eigentümer  Johann  Derengowski  erklärt  verantwortlich  ver- 
nommen: 

z.  P. : Ich  bin  am  8.  Oktober  1K51  zu  Gr.  Bislaw  Kr.  Tuchei 
geboren.  Eltern  Anton  und  Gertnid  geb.  Bock.  Bin  mit  Magdalena 
geb.  Gawryer  verheiratet,  habe  3 Kinder.  Bin  kath.  Religion.  Mein 
Grundstück  hat  einen  Wert  von  20000  Mk.  Nicht  bestraft. 

z.  S.:  Ich  bestreite  bedrohende  Worte  ausgesprochen  zu  haben. 
Ich  behaupte  nur  wiederholt,  daß  die  Frau  Witzke  meiner  Ehe- 
frau etwas  eingegeben  hat,  wovon  meine  Frau  krank  geworden  ist. 

Jan  Derengowski. 

Der  Schulknabe  Boleslaus  Heleniak  aus  Schöndorf,  Breitestr.  14, 
13  Jahre  alt,  kath.,  sagt: 

Ich  kann  zur  Sache  nichts  bekunden.  Ich  habe  nur  gehört, 
wie  der  Theodor  Derengowski  sagte:  „Verfluchtes  Weib,  wenn  Du 
rauskommst.“  Andere  bedrohende  Worte  habe  ich  nicht  gehört. 

Boleslaus  Heleniak. 

Broraberg,  den  2tJ.  Juli  1907. 

Es  erscheint  der  Arbeiter  Wladislaus  Heleniak  aus  Schöndorf, 
.Tohannisstr.  1,  22  Jahre  alt,  kath.,  wegen  Meineides  nicht  bestraft 
und  erklärt  auf  Befragen: 


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•200 


z.  S.:  am  25.  Mai  d.  .1.  in  der  Mittagsstunde  liörte  ich  wie  der 
Derengowski  sen.  zum  Sommerowski  sagte:  „Wenn  das  alte  Weib 
meiner  Khefrau  die  Schmerzen  nicht  abnimmt,  dann,  wenn  meine 
Jungen  von  der  Arbeit  kommen,  dann  gehen  wir  rum  und  schlagen 
sie  tot.“  Namen  hat  der  Derengowski  nicht  genannt. 

Wladislaus  Heleniak. 

Bromberg,  den  (i.  August  1007. 

In  der  Strafsache  gegen  Derengowski  und  Ges.  wegen  Bedrohung 
und  Beleidigung  erschien  der  nachl>enannte  Zeuge. 

Der  Zeuge,  mit  dem  Gegenstände  der  Untersuchung  und  der 
Person  des  Beschuldigten  bekannt  gemacht,  wurde  wie  folgt  vernommen: 

Zeuge  Kipf. 

Ich  heiße  Bichard  Kipf,  bin  4(i  Jahre  alt,  evang.  Religion, 
Gastwirt  in  Schöndorf,  mit  den  Beschuldigten  weder  verwandt  noch 
verschwägert. 

z.  S.:  Nachdem  dem  Zeugen  die  Aussagen  der  Zeugen  Bl.  8 ff. 
vorgelesen  waren,  erklärt  er: 

Die  Zeugen  haben  die  Wahrheit  gesagt,  ob  sie  aber  etwas  ver- 
schwiegen haben,  kann  ich  mit  Bestimmtheit  nicht  sagen. 

Ich  bitte  eidlich  zu  vemelimen:  den  Arbeiter  und  Eigentümer 
Sommerowski  in  Schöndorf,  Breitestr.,  sowie  dessen  Ehefrau. 

Meine  Mutter  wünscht  die  Bestrafung  der  Beschuldigten. 

Ich  halte  meine  Angaben,  welche  ich  auf  dem  Distriktarat  am 
15.  Juni  1907  gemacht  habe,  aufrecht.  Ich  bin  in  meiner  Gegend 
fast  der  einzige  Deutsche  und  werde  von  den  Polen  stark  angefeindet. 

Man  hat  mir  die  Zäune  zerbrochen  und  die  Tür  und  Schau- 
fenster mit  Menschenkot  besudelt. 

Etwa  Mitte  Juli  1907  stand  in  der  Mittagszeit  der  Arbeiter 
Bruno  Derengowski  vor  seinem  Gmndstück,  welches  meinem  Grund- 
stück gegenüber  liegt.  Er  rief  über  die  Straße,  er  müsse  die  alte 
He.xe  töten,  ehe  er  zum  Militär  ginge.  Er  müsse  Herz,  Lunge  und 
Augen  haben  und  sich  braten,  das  Blut  müsse  seine  Mutter  trinken. 
Wenn  der  Teufel  ihn  bekäme,  so  würde  er  einen  Schwager  haben, 
wie  er  noch  nie  einen  in  der  Hölle  gehabt  hätte.  Diese  Reden  wird 
der  Besitzer  Albert  Kurz  in  Klein  Bartelsee,  Schulstr.,  bestätigen. 

Bromberg,  den  23.  August  1907. 

Es  erscheint  der  Angeklagte  Bruno  Derengowski  aus  Schöndorf, 
Glinkerstr.  12  und  erklärt  verantwortlich  vernommen: 


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•201 


z.  P.:  Bin  am  22.  Oktober  1885  zu  Bromberg  geboren.  Eltern 
Johann  und  Magdalene  geb.  Gawryer.  Bin  ledig,  kath.  ßeligion, 
ohne  Vermögen.  Bin  angesetzt  und  soll  im  Herbst  d.  J.  beim  Train- 
Batl.  meiner  Militärpflicht  genügen.  Nicht  vorbestraft. 

z.  S.:  Ich  war  damals  total  betrunken  und  weiß  nicht,  was  ich 
getan  habe.  Der  Hugo  Elsner  aus  Klein  Bartelsee,  Lagestr.,  wird 
bekunden  können,  was  ich  damals  gesprochen  habe. 

Bruno  Derengowski. 

Der  Eigentümer  Johann  Sommerowski  aus  Schöndorf,  Breitestr.  14, 
42  Jahre  alt,  kath.,  wegen  Meineides  nicht  bestraft,  erklärt: 

Im  Monat  Mai  d.  J.,  das  Datum  kann  ich  nicht  mehr  genau 
bezeichnen,  erzählte  mir  der  Derengowski  sen.  folgendes:  „Die 
Schwiegermutter  von  Kipf  hat  mir  erzählt,  daß  der  Kipf  sein  Haus 
in  Fordon  angesteckt  hat.  Kipf  ließ  sich  von  der  Feuerversicherung 
Sachen  bezahlen,  obwohl  dieselben  nicht  verbrannt  waren,  die 
Schwiegermutter  hat  die  Sachen  nach  Schöndorf  gebracht  und  ver- 
schenkt, meine  Frau  hat  auch  einen  Unterrock  bekommen,  die  kennt 
Kräuter,  wenn  sie  die  kocht,  dann  werden  die  Glieder  ausgesetzt. 

Mehr  weiß  ich  nicht,  namentlich  kann  ich  über  die  Bedrohungen 
keine  Auskunft  geben. 

Johann  Derengowski. 

Schöndorf,  den  30.  September  1907. 

In  der  nebenbezeichneten  Strafsache  bestreite  ich  und  meine 
mitangeschuldigten  Söhne,  die  in  der  Anklage  erwähnten  Vergehen 
begangen  zu  haben.  Es  ist  allerdings  richtig,  daß  meine  Ehefrau 
seit  zwei  Jahren  vollständig  bettlägerig  ist  und  daß  dieselbe  sich  in 
dem  Glauben  befindet,  daß  sie  von  der  Frau  Witzke  durch  ver- 
abreichte Speisen  und  Getränke  eine  Blutvergiftung  sich  zugezogen 
habe,  dieserhalb  hat  meine  Ehefrau  der  Frau  Witzke  auch  mein  Haus 
verboten,  um  mit  ihr  nichts  weiter  zu  tun  zu  haben,  und  nicht  mehr 
mit  ihr  in  Berührung  zu  kommen. 

Als  die  Frau  Witzke  meiner  Ehefrau  eines  Tages  Piroggen  brachte 
und  weder  sie  noch  ich  diese  genießen  wollten,  und  ich  dieselben 
deshalb  meinem  Hunde  verwarf,  wurden  sie  sogar  von  diesem  Tiere 
verschmäht  und  in  der  Erde  zugekratzt. 

Die  Frau  Witzke  habe  auch  erklärt,  daß  es  eine  Krankheit  gibt, 
welche  den  Menschen  vergiftet  und  ihm  dierKnochen  auseinander- 
setzt. Der  Zeuge  Kipf  ist  mir  sehr  feindlich  gesinnt  und  trachtet 

MittuilungoD  d.  seSleä.  Oeä.  f.  Vkda.  Baud  Xll  (Heft  2]. 


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202 


danach,  mein  Grundsttlck,  das  an  das  seinige  grenzt,  in  seinen 
Besitz  zu  bekommen,  und  will  mich  durch  die  erhobene  Klage  in 
meinem  Vermögen  schädigen.  Er  hat  auch  zu  dem  Zeugen  Heleniak 
gesagt,  er  würde  mich  schabemacken  und  wenn  ich  ihn  mit  der 
Peitsche  schlagen  sollte,  würde  er  sich  ins  Bett  legen,  das  Geschäft 
zu  machen  und  dann  würde  er  binnen  ein  bis  zwei  Jahren  mein 
Grundstück  bekommen.  Beweis;  das  Zeugnis  des  Arbeiters  Heleniak. 
Ich  kann  das  Zeugnis  des  Schankwirts  Kipf  und  der  Witzke  nicht 
annehmen.  Ich  bin  mir  unter  den  obwaltenden  Umständen  einer 
strafbaren  Handlung  nicht  bewußt  und  beantrage,  mich  und  meine 
angeschuldigten  Söhne  von  der  erhobenen  Anklage  freizusprechen. 

Jan  Derengowski. 

III.  Protokoll  Ober  die  Hauptverhandlung  erster  Instanz. 

Bromberg,  den  19.  Oktober  1907. 

In  der  Strafsache  gegen  den  Eigentümer  Johann  Derengowski 
in  Schöndorf  geb.  8.  10.  ül. 

2.  den  Arbeiter  Theodor  Derengowski  ebenda,  geb.  29.  8.  89. 

3.  den  Arbeiter  Bruno  Derengowski  ebenda,  geb.  20.  10.  1885, 
wegen  Beleidigung  und  Bedrohung  erschienen  bei  Aufruf  der  Sache 
die  Angeklagten. 

Die  Verhandlung  begann  mit  dem  Aufraf  der  Zeugen.  Es 
meldeten  sich: 

1.  Schankwirt  Richard  Kipf, 

2.  Frau  Bertha  Witzke, 

3.  Arbeiterfrau  Wilhelmine  Wilitzke, 

4.  Ziegelarbeiter  Kasimir  Cesar, 

5.  Schnlknabe  Boleslaus  Heleniak, 

6.  Arbeiter  Wladislaus  Heleniak, 

zu  1 — 4 aus  Schöndorf,  zu  5 und  6 aus  Schöllersdorf. 

Die  Zeugen  entfernen  sich  zunächst  aus  dem  Sitzungssaal,  nach- 
dem sie  mit  dem  Gegenstände  der  Untersuchung  und  der  Person  der 
Angeklagten  bekannt  gemacht  und  auf  die  Bedeutung  des  Eides  sowie 
insbesondere  darauf  hingewiesen  worden  waren,  daß  der  Eid  sich  auf 
die  Beantwortung  solcher  Fragen  beziehe,  welche  dem  Zeugen  über 
seine  Person  und  die  sonst  im  § 67  StPO  vorgesehenen  Umstände 
vorgelegt  würden. 

Die  Angeklagten,  über  die  persönlichen  Verhältnisse  vernommen, 
gaben  an,  wie  in  der  Anklage. 


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203 


Die  Vorstrafen  wurden  anerkannt. 

Der  Beschluli  vom  9.  September  über  die  Eröffnunt;  des  Hanpt- 
vertahrens  wird  verlesen. 

Die  .\ngeklagten,  befragt,  ob  sie  etwas  auf  die  Beschuldigung 
erwidern  wollen,  erklärten: 

Angeklagter  zn  1:  Ich  bestreite  die  Äußerung  getan  zu  haben. 

Angeklagter  zu  2:  Ich  bestreite  die  Beschuldigung. 

Angeklagter  zu  3:  Ich  weiß  von  nichts,  ich  war  damals  sinnlos 
betrunken. 

Die  Zeugen  wurden ' hierauf  einzeln  vorgerufen  und  — in  Ab- 
wesenheit der  später  zuhörenden  Zeugen  — wie  folgt  vernommen: 

Ich  heiße  Bertha  Witzke,  bin  57  Jahre  alt,  evang.,  mit  dem 
Angeklagten  nicht  verwandt  und  nicht  verschwägert,  wegen  Meineides 
nicht  bestraft. 

z.  S.:  Als  ich  am  fraglichen  Freitag  — 24.  Mai  — bei  den 
Angeklagten  vorüber  kam,  sagte  mir  der  Angeklagte  zu  1 : „Du  alte 
Hexe,  nimm  meiner  Frau  die  Krankheit  ab.  Du  hast  sie  behext,“ 
und  spuckte  nach  mir. 

Von  den  anderen  Äußerungen  habe  ich  nichts  gehört. 

2.  Zeuge  Kipf  nach  Leistung  des  Zeugeneides. 

z.  P.:  Ich  heiße  Bichard  Kipf,  bin  47  Jahre  alt,  evang.,  mit 
den  Angeklagten  nicht  venvandt  und  nicht  verschwägert,  wegen  Mein- 
eides nicht  bestraft. 

z.  P.:  Am  25.  Mai  d.  J.  kam  der  Angeklagte  zu  1 zu  meiner 
Frau  ans  Fenster  und  sagte,  „sie  müsse  der  Witzke  sagen,  sie  möchte 
rüberkommen  und  meiner  Frau  die  Klattem  abnehmen,  sonst  schlage 
ich  .sie  tot. 

Ich  stellte  ihn  dieserhalb  zur  Bede;  er  wiederholte  die  Äußerung 
und  sagte  noch:  „Du  verfluchter  Mimix,  ich  steche  Dich  tot,  wenn 
die  Witzke  nicht  rüberkommen  wird,  dann  steche  ich  sie  tot,  wir 
brauchen  das  Blut  von  der  Hexe,  meine  Frau  muß  es  trinken.“ 

Der  Angeklagte  zu  2 hat  an  demselben  Tage  in  bezug  auf 
Witzke  gesagt:  „Wenn  das  alte  Weib  nicht  rüberkommt  und  meiner 
Frau  die  Klattem  abnehmen  wird,  werde  ich  rüberkoramen  und  Bichter 
spielen  und  die  Hexe  totstechen.“ 

Mitte  Juli  äußerte  Derengowski:  „Bevor  ich  zum  Militär  gehe, 
muß  das  alte  Weib  noch  tot  gemacht  werden,  wenn  sie  nicht  kommen 
wird,  und  meiner  Mutter  die  Klattem  abnehmen  wird. 

Bruno  Derengowski,  damals  sehr  betrunken. 

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204 


3.  Zeugin  Wilitzke  nach  Leistung  des  Zeugeneides: 

z.  P.;  Ich  heilie  Wilhelniine  Wilitzke,  bin  47  Jahre,  evangel., 
mit  den  Angeklagten  nicht  verwandt  und  nicht  verschwägert,  wegen 
Meineides  nicht  bestraft. 

z.  S.:  Ich  habe  gehört,  wie  der  Angeklagte  Johann  Derengowski 
in  bezug  auf  Frau  Witzke  sagte;  „Die  alte  Hexe  hat  meiner  Frau 
Bonbons  gegeben,  hat  meine  Frau  behe.xt,  sodaß  sie  das  ganze  Jahr 
zu  Bett  liegen  muß.“  Von  den  anderen  Äußerungen  kann  ich  nichts 
bekunden. 

4.  Zeuge  Cesar  nach  Leistung  des  Zengeneides: 

z.  P.;  Ich  heiße  Kasimir  Cesar,  bin  44  Jahre  alt,  kath.,  mit 
den  Angeklagten  nicht  verwandt  nnd  nicht  verschwägert,  wegen  Mein- 
eides nicht  bestraft. 

z.  S.:  Als  ich  eines  Tages  zur  Arbeit  ging,  hörte  ich,  wie 
Johann  Derengowski  sagte:  „Das  graue  Aas  ist  gesund  und  meine 
Frau  muß  leiden.“  Er  meinte  die  Frau  Witzke. 

5.  Zeuge  Boleslaus  Heleniak  unbeeidigt. 

z.  P.:  Ich  heiße  Boleslaus  Heleniak,  bin  13  Jahre  alt,  kath., 
Bruno  Derengowski  hat  meine  Schwester  zur  Frau,  mit  den  andern 
Angeklagten  nicht  verwandt  und  nicht  verschwägert. 

z.  S.:  Ich  habe  gesehen,  daß  Johann  Derengowski  dem  Kipf 
mit  einem  Peitschenstiel  gedroht  hat  vor  dem  KipPschen  Hause.  Er 
schimpfte  auch,  habe  aber  nicht  verstanden,  was  er  gesagt  hat. 

6.  Zeuge  Heleniak  nach  Leistung  des  Zeugeneides: 

z.  P.;  Ich  heiße  Wladislaus  Heleniak,  bin  22  Jahre  alt,  kath. 
Religion.  Bruno  Derengowski  hat  meine  Schwester  zur  Frau,  mit 
den  andern  Angeklagten  bin  ich  nicht  venvandt  und  • nicht  ver- 
schwägert, wegen  Meineides  nicht  bestraft. 

z.  S.:  Ich  habe  gehört,  wie  Johann  Derengowski  sagte:  „Wenn 
meine  Söhne  von  der  Arbeit  nach  Hause  kommen  werden,  dann  werden 
sie  zu  der  Witzke  gehen  und  die  Hexe  totstechen.“ 

IV.  Urteil  erster  Instanz. 

Die  Angeklagten  sind  schuldig  und  zwar: 

Johann  Derengowski  der  Beleidigung  in  zwei  Fällen  und  der 
Beleidigung  in  Tateinheit  mit  Bedrohung  in  zwei  weiteren  Fällen. 

Theodor  Derengowski  der  Beleidigung  in  Tateinheit  mit  Bedrohung 
und  werden  dafür: 

Johann  Derengowski  zu  30  Tagen  Gefängnis, 


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•’or) 


Theodor  Derengowski  zu  10  Tagen  Gefängnis  verurteilt. 

Bnino  Derengowski  ist  der  Beleidigung  in  Tateinheit  mit  Be- 
drohung nicht  schuldig  und  wird  deshalb  freigesprochen. 

Die  Kosten  des  Verfahrens  fallen,  soweit  Verurteilung  erfolgt 
ist,  den  Angeklagten  Johann  und  Theodor  Derengowski,  im  Übrigen 
der  Staatskasse  zur  Last. 

Gründe. 

Folgender  Sachverhalt  ist  in  der  Hauptverhandlung  durch  die 
Angaben  der  Angeklagten,  die  eidlichen  Zeugenaussagen  der  Frau 
Bertha  Witzke,  des  Gastwirts  Richard  Kipf,  der  Arbeiterfrau  Wilhelmine 
W ilitzki  des  Ziegelarbeiters  Kasimir  Cesar  und  des  Arbeiters  Wladislaus 
Heleniak,  sämtlich  aus  Schöndorf,  sowie  durch  die  uneidlichen  Aus- 
sagen des  Schulknaben  Boleslaus  Heleniak  ebenda  erwiesen  worden: 

1.  Der  Angeklagte  Johann  Derengowski  hat  zu  Schöndorf  am 
21.  Mai  li)07  zu  der  Zeugin  Witzke  gesagt:  „Sie  alte  Hexe,  Sie 
haben  meine  Frau  behext,“  und  hat  dazu  vor  der  Witzke  ausgespnckt. 

2.  Ebendaselbst  hat  der  Angeklagte  Johann  Derengowski  am 
nächsten  Tage,  dem  2.5.  Mai  1907,  den  ganzen  Vormittag  über  vor 
dem  Hause  des  Kipf  getobt.  Er  hat  hierbei  unter  anderm  folgende 
Äußerungen  dem  Kipf  gegenüber  ausgestoßen: 

a)  „Ich  sage  es  Ihnen  zum  letzten  Male,  daß  Ihrer  Schwieger- 
mutter, der  Frau  Witzke,  Leben  heute  ein  Ende  gemacht  wird,  es 
muß  Schluß  gemacht  werden  mit  der  alten  Hexe.  Ich  fordere  Sie 
nochmals  auf,  mir  Ihre  Schmegermutter  herauszugeben,  daß  ich  sie 
totsteche;  wir  brauchen  das  Blut  von  der  Hexe.“ 

b)  „Sie  verfluchter  Mimix,  ich  steche  Ihnen  den  Bauch  auf  und 
lasse  Ihnen  die  Flecke  raus;  wenn  Sie  sich  heute  Nacht  zur 
Wehr  setzen,  dann  schlagen  wir  alle.s  tot,  was  im  Hause  ist.  Ich 
steche  sogar  das  Kind  mit  der  Heugabel  tot.“ 

3.  An  demselben  Vormittag  hat  er  auf  der  Dorfstraße  aus- 
gerufen: „Die  alte  Hexe,  die  Witzke,  hat  meiner  Ehefrau  Bonbons 
und  Liqueur  und  Piroggen  gegeben;  sie  hat  meine  Ehefrau  behext 
und  dieselbe  soweit  gebracht,  daß  sie  jetzt  das  ganze  Jahr  zu  Bett 
liegen  muß!“ 

4.  Ebenfalls  zu  Schöndorf  hat  an  demselben  Tage,  den  25.  Mai 
1907,  der  Angeklagte  Theodor  Derengowski  zu  Kipf  mit  Beziehung 
auf  die  Bertha  Witzke  gesagt  : „Wenn  Sie  das  Weib,  die  alte  Hexe, 
nicht  gleich  rüberschicken,  daß  sie  der  Mutter  die  Klattern  abnimmt. 


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20ß 


dann  komme  ich  rüber  und  werde  Richter  spielen.  Ich  schlage  die 
Hexe  einfach  tot.“ 

5.  Der  Angeklagte  Bruno  Derengowski  hat  zu  Schöndorf  in  dem 
ersten  Drittel  des  Juli  1907  mit  Bezug  auf  die  Witzke  ausgerufen, 
er  müsse  die  alte  Hexe  töten,  ehe  er  zum  Militür  ginge. 

Bezüglich  des  letztgenannten  Angeklagten,  des  Bruno  Deren- 
gowski, hat  die  Hauptverhandlung  ergeben,  daß  er  sich  zur  Zeit  der 
Bedrohung  in  einem  Zustande  krankhafter  Störung  der  Geistestätigkeit 
befunden  hat,  durch  welchen  seine  freie  Willensbestimmung  aus- 
geschlossen war.  Er  war  nämlich  zur  Zeit  der  Äußerung  stark  be- 
trunken. Zu  der  Annahme,  daß  zu  jener  Zeit  seine  freie  Willens- 
bestimmung ausgeschlossen  gewesen  ist,  ist  das  Gericht  aufgrund 
seiner  eigenen,  glaubhaften  Angaben  gelangt.  Er  hat  angegeben, 
er  sei  an  jenem  Tage  von  einem  Tanzvergnügen  zurückgekehrt,  an 
dem  er  in  seiner  Eigenschaft  als  Musiker  teilgenommen  habe.  Im 
Anschluß  an  das  Tanzvergnügen  habe  er  viel  alkoholhaltige  Getränke 
genossen,  und  zwar  deshalb  besonders  viel,  weil  einer  der  Musiker, 
mit  dem  er  zusammen  gespielt  habe,  Geburtstag  gefeiert  habe.  Er 
sei  so  betrunken  gewesen,  daß  er  auf  dem  Hofe  des  von  seiner  Familie 
bewohnten  Grundstücks  zusaminengebrochen  sei  und  dort  mehrere 
Stunden  zwischen  Enten  und  Hühnern  geschlafen  habe. 

Da  demzufolge  seine  Handlung  nach  § 51  StGB  eine  strafbare 
Handlung  nicht  war,  mußte  er  der  ihm  zur  Last  gelegten  Tat, 
nämlich  der  Beleidigung  in  Tateinheit  mit  der  Bedrohung  eines 
Verbrechens,  für  niclit  schuldig  erklärt  und  von  der  Anklage  des 
Vergehens  gegen  §§  185,  188,  241,  C,  73  StGB  freigesprochen 
werden. 

Zu  den  Handlungen  des  Angeklagten  .Johann  und  Theodor  Deren- 
gowski ist  zu  bemerken,  daß  ihre  Äußerungen  darauf  zurttckgehen, 
daß  die  Frau  Derengowski,  die  Eliefrau  des  Johann  und  Mutter  des 
Theodor  Derengowski,  seit  einiger  Zeit  an  Rheumatismus  und  Weichsel- 
zopf litt,  und  daß  die  Angeklagten  aufgrund  der  Erklärung  einer 
angeblich  heilkundigen  Frau  der  Meinung  gewesen  sein  mögen,  die 
Bertha  Witzke  habe  sie  mit  den  Krankheiten  behext.  Mochten  die 
Angeklagten  entgegen  jeder  vernünftigen  Anscliauung  auch  wirklich 
dieser  Überzeugung  Raum  geben,  so  lag  doch  kein  Anlaß  vor,  in 
einer  derartigen  Weise  gegen  die  Witzke  vorzugehen. 

Wir  müssen  daher  einer  sonst  unbescholtenen  Frau  gegen  der- 
artige Verdächtigungen  einen  weitgehenden  Schutz  gewähren. 


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Durch  die  Äußerung  zu  1,  2 a und  3 haben  Johann,  durch  die 
Äußerung  zu  4 Theodor  Derengowski  vorsätzlich  und  rechtswidrig 
ihrer  Mißachtung  gegen  die  Frau  Witzke  Ausdruck  verliehen.  In 
der  Äußerung  zu  3 hat  Johann  Derengowski  zugleich  mit  Bezug  auf 
die  Witzke  nicht  erweislich  wahre  Tatsachen  behauptet,  die  geeignet 
waren,  sie  verdächtig  zu  machen  und  in  der  öffentlichen  Meinung 
herabzuwürdigen.  In  der  Äußerung  zu  2 b lag  eine  vorsätzliche  und 
rechtswidrige  Kundgebung  seiner,  dem  Kipf  gegenüber  kundgegehenen 
Geringschätzung  durch  Androhung  der  Mißhandlung.  Es  stellen 
sich  daher  sämtliche  Äußerungen  als  Beleidigung  dar,  und  zwar  die 
Äußerung  zu  1,  2a,  2b,  3 und  4 als  Vergehen  gegen  § 185,  die 
Äußerung  zu  3 zugleich  als  ein  Vergehen  gegen  § 18ß  StGB.  Straf- 
antrag ist  von  Bertha  Witzke  und  Richard  Kipf  unter  dem  15.  August 
1907,  also  rechtzeitig,  gestellt  worden. 

Durch  die  zu  2 b erwähnte  Äußerung  hat  Johann  Derengowski 
den  Kipf  zugleich  mit  der  Bedrohung  des  Verbrechens  des  Tot- 
schlages bedroht.  Die  Äußerung  zu  2a,  1 und  4 sind  der  Bertha 
Witzke  durch  die  Personen  fiberbracht  worden,  denen  gegenüber  sie 
gefallen  sind.  In  jeder  dieser  Äußerungen  war  gleichfalls  eine  Be- 
drohung mit  der  Bedrohung  des  Verbrechens  des  Totschlages  zu  er- 
blicken. Bei  dem  aufgeregten  Wahn  des  Johann  Derengowski  und 
des  Theodor  war  anzunehmen,  daß  die  Absicht  derselben  hierauf 
gerichtet  war,  Furcht  in  den  Bedrohten  zu  wecken,  auch  waren  die 
Äußerungen  geeignet,  in  den  bedrohten  Personen  Furcht  vor  der 
Verwirklichung  der  angedrohten  Verbrechen  hervorzurufen.  Theodor 
Derengowski  hat,  wie  seine  Vorstrafen  beweisen,  bei  Bedrohung  der 
Tat  die  zur  Erkenntnis  ihrer  Strafbarkeit  erforderliche  Einsicht  be- 
sessen. 

Nach  alledem  war  tatsächlich  festzustellen,  daß  die  Angeklagten 
Johann  und  Theodor  Derengowski  zu  Schöndorf 

A.  Johann  Derengowski  am  24.  Mai  1907  die  Frau  Bertha 
Witzke  beleidigt  hat  (cfr.  Äußerung  ad  1). 

1.  Am  25.  Mai  1907  durch  drei  weitere  selbständige  Hand- 
lungen zugleich 

a)  1.  die  Frau  Bertha  Witzke  beleidigt, 

2.  sie  mit  der  Bedrohung  eines  Verbrechens  bedroht  hat  (cfr. 
Äußerung  zu  2 a), 

b)  1.  den  Gastwirt  Kipf  beleidigt. 


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2.  ihn  mit  der  Bedrohung  eines  Verbrechens  bedroht  hat  (cfr. 
Äußerung  zu  2b), 

c)  1.  die  Witzke  beleidigt, 

2.  mit  Bezug  auf  sie  nicht  erweislich  wahre  Tatsachen  be- 
hauptet hat,  die  genügend  sind,  sie  verächtlich  zu  machen  und  in 
der  öffentlichen  Meinung  herabzuwürdigen  (cfr.  Äußerung  zu  3). 

B.  Theodor  Derengowski  durch  ein  und  dieselbe  Handlung  am 
2,').  Mai  1907 

1.  die  Witzke  beleidigt, 

2.  sie  mit  der  Bedrohung  eines  Verbrechens  bedroht  hat  (cfr. 
Äußerung  zu  4)  — Vergehen  gegen  §§  185,  186,  194,  61,  241,  74, 
73,  57  StGB.  — 

An  Strafen  erschienen  nach  Lage  der  Sache  angemessen: 

A.  Gegen  Johann  Derengowski 

1.  wegen  der  Handlung  zu  1 eine  Gefängnisstrafe  von  5 Tagen, 

2.  wegen  der  Handlungen  zu  2 a,  2 b und  2 c Gefängnisstrafen 
von  je  10  Tagen. 

B.  Gegen  Theodor  Derengowski  eine  Gefängnisstrafe  von  10  Tagen. 
Aus  den  gegen  Johann  Derengowski  erkannten  Strafen  ist  ge- 
mäß § 74  StGB  eine  Gesamtstrafe  von  30  Tagen  Gefängnis  gebildet 
worden.  Die  Entscheidung  über  die  Kosten  des  Verfahrens  wird 
durch  § 497  StPO  gerechtfertigt. 

V.  Protokoll  über  die  Hauptverhandlung  zweiter  Instanz. 

Broniberg,  den  12.  Dezember  1907. 

In  der  Strafsache  gegen 

1.  den  Eigentümer  Johann  Derengowski  in  Schöndorf,  geboren  am 
8.  10.  1851  in  Gr.-Bislaw  bei  Tuchei,  verheiratet,  katholisch,vorbestrafti 

2.  den  .Arbeiter  Theodor  Derengowski,  ebenda,  geboren  am 
29.  5.  1889  in  Schöndorf,  ledig,  katholisch,  vorbestraft, 

wegen  Beleidigung  und  Bedrohung  erschienen  zur  Hauptverhandlung 
über  die  von  den  beiden  Angeklagten  eingelegte  Berufung  gegen  das 
Urteil  des  Königlichen  Schöffengerichts  in  Bromberg  vom  19.  Oktober 
1907  die  Angeklagten  und  Rechtsanwalt  v.  Wierzbicki  als  Verteidiger 
tür  beide. 

Die  Verhandlung  begann  mit  dem  .\ufrufe  der  Zeugen.  Es 
meldeten  sich: 

1.  Der  Gastwirt  Richard  Kipf, 

2.  Frau  Bertha  Witzke, 


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_ _ 

3.  Arbeiterfrau  Wilhelmine  Wilitzke, 

4.  Ziegeleiarbeiter  Kasimir  Cesar, 

5.  Schulknabe  Bolislaus  Heleniak, 

6.  Arbeiter  Wladislaus  Heleniak, 

zu  1 — 4 aus  Schöndorf,  zu  5 und  6 aus  Schröttersdorf. 

Hie  Zeugen  entfernten  sich  zunächst  aus  dem  Sitznngssaale, 
nachdem  sie  mit  dem  Gegenstände  der  Untersuchung  und  der  Person 
des  Angeklagten  bekannt  gemacht  und  auf  die  Bedeutung  des  Eides 
sowie  insbesondere  darauf  hingewiesen  worden  waren,  daß  der  Eid 
sich  auf  die  Beantwortung  solcher  Fragen  beziehe,  welche  dem  Zeugen 
über  seine  Person  und  die  sonst  im  § 67  StPO  vorgesehenen  Um- 
stände vorgelegt  würden. 

Der  Berichterstatter  hielt  einen  Vortrag  über  die  Ergebnisse  des 
bisherigen  Verfahrens.  Das  Urteil  erster  Instanz  wurde  verlesen. 

Die  Angeklagten,  über  die  persönlichen  Verhältnisse  vernommen, 
gaben  an:  wie  vorseitig. 

Die  Angeklagten,  befragt,  ob  sie  etwas  auf  die  Beschuldigung 
erwidern  wollen,  erklärten 

zu  1:  „Ich  bestreite,  die  beleidigenden  Äußerungen  oder 

Drohungen  ausgesprochen  zu  haben,“ 

zu  *2:  „Ich  bestreite  ebenfalls,  den  Gastwirt  Kipf  oder  die  Frau 
Witzke  beleidigt  oder  bedroht  zu  haben.“ 

Die  Zeugen  wurden  hierauf  einzeln  vorgerufen  und  in  Abwesen- 
heit der  später  abznhörenden  Zeugen  wie  folgt  vernommen: 

1.  Zeuge  Kipf. 

Nach  Leistung  des  Zeugeneides: 

Ich  heiße  Richard  Kipf,  bin  47  Jahre  alt,  evangelisch,  Gastwirt 
in  Schöndorf,  mit  dem  Angeklagten  weder  verwandt  noch  verschwägert, 
wegen  Meineides  nicht  bestraft. 

z.  S.:  Am  25.  Mai  d.  J.  kam  der  Angeklagte  zu  1 vormittags 
an  meinem  Laden  vorüber  und  äußerte  dabei  zu  mir:  „Ich  sage 
Dinen  zum  letzten  .Male,  daß  Ihrer  Schwiegermutter  ihr  Leben  heute 
ein  Ende  gemacht  ivird,  es  muß  Schluß  gemacht  werden  mit  der 
alten  Hexe.  Ich  fordere  Sie  nochmals  auf,  mir  Ihre  Schwiegermutter 
herauszugeben,  daß  ich  sie  totsteche,  wir  brauchen  das  Blut  von  der 
Hexe.“  In  ähnlicher  Weise  schimpfte  er  noch  eine  ganze  Weile 
fort  und  schließlich  sagte  er  noch  zu  mir:  „Sie  verlluchter  Miraix, 
ich  steche  Ihnen  den  Bauch  auf  und  lasse  Ihnen  die  Flecke  raus, 
wenn  Sie  sich  heute  Nacht  zur  Wehr  setzen,  dann  schlagen  wir 


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alles  tot,  was  im  Hause  ist,  ich  steche  sogar  das  Kind  mit  der  Heu- 
gabel tot.“ 

Mit  Bezug  auf  meine  Schwiegermutter  sagte  er  dann  noch: 
„Die  alte  Hexe  hat  meiner  Frau  Bonbons  und  Liqueur  gegeben,  sie 
hat  meine  Ehefrau  behext  und  dieselbe  soweit  gebracht,  daß  sie  das 
ganze  Jahr  zu  Bett  liegen  muß.“  Gegen  Mittag  kam  dann  auch 
der  Angeklagte  zu  2 noch  dazu  und  beteiligte  sich  an  dem  Schimpfen, 
wo  er  dann  sagte:  „Wenn  Sie  das  Weib,  die  Hexe,  nicht  sogleich 
rüberschicken,  daß  sie  der  Mutter  die  Klattern  abnimmt,  dann  komme 
ich  rüber  und  werde  Bichter  spielen,  ich  steche  die  Hexe  einfach  tot.“ 

Diese  Beden  sind  auf  den  Aberglauben  zurückzuführen,  der  dort 
noch  unter  den  Leuten  herrscht.  Die  Ehefrau  des  Angeklagten  zu  1 
ist  seit  längerer  Zeit  krank,  meine  Schwiegermutter  sollte  sie  behext 
haben. 

Schnaps  habe  ich  zuweilen  rübergeschickt,  dies  tat  ich,  um 
mich  mit  den  Derengowski’s  gut  zu  stellen.  Ich  hatte  damals  noch 
keinen  Brunnen  auf  meinem  Gehöft  und  ließ  das  Wasser  gegen  Ent- 
gelt von  dem  Derengowski’schen  Gehöft  holen,  das  gegenüberliegt. 

2.  Zeugin  Witzke. 

Nach  Leistung  des  Zeugeneides: 

Ich  heiße  Bertha  Witzke,  bin  57  Jahre  alt,  evangelisch,  Schuh- 
macherswitwe und  wohne  in  Schöndorf,  mit  dem  Angeklagten  weder 
verwandt  noch  verschwägert. 

Am  24.  Mai  ging  ich  mit  einem  Kinde  meines  Sohnes  spazieren. 
Ich  traf  den  Angeklagten,  der  mir  im  Vorflbergehen  zurief:  „Sie 
alte  Hexe,  Sie  haben  meine  Frau  behext;“  dabei  spuckte  er  nach  mir. 

Den  Skandal  am  25.  Mai  habe  ich  auch  gehört,  doch  konnte 
ich  die  einzelnen  Worte  nicht  verstehen,  da  ich  im  Zimmer  war. 

3.  Zeugin  Wilitzke. 

Nach  I^eistung  des  Zeugeneides: 

Ich  heiße  Wilhelmine  Wilitzke,  bin  48  Jahre  alt,  evangelisch, 
Arbeiterfrau  in  Schöndorf,  mit  dem  Angeklagten  weder  verwandt 
noch  verschwägert,  wegen  Meineides  nicht  bestraft. 

z.  S.:  Am  25.  Mai  d.  J.  traf  ich  den  Angeklagten  Johann  Deren- 
gowski  in  der  Nähe  des  Kipfschen  Ladens,  ich  wohne  ebenfalls  ganz 
in  der  Nähe  von  Kipf,  ich  hörte  damals  die  Äußerung  von  ihm: 
„Die  alte  Hexe  hat  meiner  Frau  Liqueur  und  Bonbons  gegeben  und 
sie  behext,  sie  hat  sie  soweit  gebracht,  daß  sie  das  ganze  Jahr  zu 
Bett  liegen  muß.“  Diese  Worte  bezogen  sich  auf  Frau  Witzke, 


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4.  Zeuge  Kasimir  Cesar. 

Nach  Leistung  des  Zeugeneides: 

Ich  heiße  Kasimir  Cesar,  bin  44  Jahre  alt,  katholisch,  Arbeiter 
in  Schöndorf,  mit  den  Angeklagten  weder  verwandt  noch  verschwägert, 
wegen  Meineides  nicht  bestraft. 

Als  ich  eines  Tages  im  Mai  zur  Arbeit  ging,  kam  mir  vor  dem 
Kipf’schen  Geschäft  Johann  Derengowski  entgegen  und  sagte  etwas 
wie;  „Alte  Hexe,  Graukopf.“  Ich  wußte  nicht,  wen  er  damit  meinte. 

Staatsanwalt  und  Verteidiger  verzichteten  auf  die  Vernehmung 
der  weiteren  Zeugen. 

Beschlossen  und  verkündet,  von  der  Vernehmung  der  Zeugen 
Wladislaus  und  Boleslaus  Heleniak  Abstand  zu  nehmen. 

VI.  Urteil  zweiter  Instanz. 

In  der  Strafsache  gegen 

1.  den  Eigentümer  Johann  Derengowski  in  Schöndorf,  geh.  am 

8.  Oktober  18.'>1  in  Gr.-Bislaw  bei  Tuchei,  katholisch,  verheiratet, 

vorbestraft, 

2.  den  Arbeiter  Theodor  Derengowski  in  Schöndorf,  ebendort 
geboren  am  29.  Mai  1889,  ledig,  katholisch,  vorbestraft,  und 

3.  Bruno  Derengowski 

wegen  Beleidigung  und  Bedrohung  hat  — auf  die  von  den  An- 
geklagten Joliann  und  Theodor  Derengowski  gegen  das  Urteil 
des  Königlichen  Schöffengerichts  in  Bromberg  vom  19.  Oktuber 
1907  eingelegte  Berufung  die  1.  Strafkammer  des  Königlichen  Land- 
gerichts in  Bromberg  in  der  Sitzung  vom  12.  Dezember  1907 

für  Recht  erkannt: 

Die  Berufung  der  beiden  Angeklagten  wird  auf  ihre  Kosten 

verworfen. 

Gründe. 

Die  beiden  Angeklagten  haben  gegen  das  vorbezeichnete  Urteil, 
durch  w'olches  sie  auf  Grund  der  tatsächlichen  Feststellung,  daß  sie 
zu  Schöndorf. 

A.  Johann  Derengowski 

1.  am  24.  Mai  1907  die  Frau  Bertha  Witzke  beleidigt  hat, 

2.  am  25.  Mai  durch  dreierlei  weitere  selbständige  Handlungen 
zugleich 

a)  1.  die  Frau  Bertha  Witzke  beleidigt, 


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2.  sie  mit  der  Begehung  eines  Verbrechens  bedroht  hat, 

b)  1.  den  Gastwirt  Kipf  beleidigt, 

2.  ihn  mit  der  Begehung  eines  Verbrechens  bedroht  hat, 

c)  1.  die  Witzke  beleidigt, 

2.  mit  Bezug  auf  sie  nicht  erweislich  wahre  Tatsachen  be- 
hauptet hat,  die  geeignet  sind,  sie  verächtlich  zu  machen  und  in  der 
öffentlichen  Meinung  herabznwflrdigen; 

B.  Theodor  Derengowski  durch  ein  und  dieselbe  Handlung  am 
25.  Mai  1907. 

1.  die  Witzke  beleidigt, 

2.  .sie  mit  der  Begehung  eines  Verbrechens  bedroht  hat, 
gemäß  §§  185,  18ti,  194,  61,  241,  74,  73,  57  StGB  wegen  Be- 
leidigung und  Bedrohung  verurteilt  worden  sind,  und  zwar  Johann 
Derengowski  zu  einer  Gesamtstrafe  von  30  Tagen  Gefängnis  und 
Theodor  Derengowski  zu  10  Tagen  Gefängnis,  fristzeitig  Berufung 
eingelegt  und  ihre  Freisprechung  evt.  eine  mildere  Strafe  beantragt. 

Durch  die  erneute  Hauptverhandlung,  insbesondere  durch  die 
eidlichen  glaubhaften  Aussagen  der  vernommenen  Zeugen,  des  Gast- 
wirts Kipf,  der  Scbuhmachenvitwe  Bertha  Witzke,  der  Arbeiterfrau 
Wilhelmine  Wilitzke  und  des  Ziegelarbeiters  Kasimir  Cesar,  sämtlich 
aus  Schöndorf,  ist  folgender  Sachverhalt  erwiesen: 

Die  Ehefrau  des  Angeklagten  zu  1 und  Mutter  des  Angeklagten 
zu  2 ist  seit  dem  Frühjahr  1906  so  stark  an  einem  rheumatischen 
Leiden  erkrankt,  daß  sie  durch  die  Krankheit  ans  Bett  gefesselt  ist. 
Eine  angebliche  heilkundige  Frau,  die  zu  Rate  gezogen  wurde,  er- 
klärte, die  Kranke  sei  behext  worden.  Darauf  kam  in  der  Familie 
des  Angeklagten  auf,  die  Zeugin  Witzke  habe  die  Kranke  behext. 
Frau  Witzke  ist  die  Schwiegermutter  des  Zeugen  Kipf.  Sie  lebt  in 
dessen  Hause  und  ist  auch  in  seinem  Geschäft  tätig.  Sie  hatte  zu- 
weilen der  Ehefrau  des  Angeklagten  zu  1 bei  ihren  Einkäufen  im 
Geschäft  ein  Glas  Liqueur,  ein  Stück  Kuchen  oder  ähnliche  Kleinig- 
keiten gegeben,  wie  dies  den  Kunden  gegenüber  vielfach  üblich  ist. 
Durch  diese  Gaben  sollte  die  Zeugin  W’itzke  das  Blut  der  Kranken 
vergiftet  und  dadurch  die  Krankheit  verursacht  haben.  Diese  Meinung 
faßte  sowohl  in  der  Derengowski’schen  Familie,  wie  auch  bei  den 
übrigen  Polen  der  Nachbarschaft  fest  Wurzel  und  war  die  Ursache 
zu  folgenden  Vorfällen. 

A.  1.  Am  24.  Mai  1907  begegnete  der  Angeklagte  zu  1 der 
Zeugin  Witzke  auf  der  Straße  in  Schöndorf,  und  indem  er  vor  ihr 


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ausspuckte,  sagte  er  zu  ihr;  „Sie  alte  Hexe,  Sie  haben  meine  Frau 
behext.“ 

1.  a)  Am  25.  Mai  1907  kam  der  Angeklagte  zu  1 an  dem 
Geschäftslokal  des  Zeugen  Kipf  vorüber.  Dort  blieb  er  stehen  und 
sagte  zu  Kipf,  der  an  dem  Fenster  seines  Ladens  stand:  „Ich  sage 
Ihnen  zum  letzten  Male,  daß  Ihrer  Schwiegermutter  ihr  Leben  heute 
ein  Ende  gemacht  wird,  es  muß  Schluß  gemacht  werden  mit  der 
alten  Hexe.  Ich  fordere  Sie  nochmals  auf,  mir  ihre  Schwiegermutter 
herauszugeben,  daß  ich  sie  totsteche,  wir  brauchen  das  Blut  von  der 
Hexe.“ 

b)  Der  Angeklagte  zu  1 hielt  sich  fast  den  ganzen  Vormittag 
dort  laut  schimpfend,  auf  der  Straße  auf  und  äußerte  noch  weiter  zum 
Zeugen  Kipf:  „Sie  verfluchter  Mimix,  ich  steche  Ihnen  den  Bauch  auf 
und  lasse  Ihnen  die  Flecke  raus;  wenn  Sie  sich  heute  Nacht  zur 
Wehr  setzen,  dann  schlagen  wir  alles  tot,  was  im  Hause  ist;  ich  steche 
sogar  das  Kind  mit  der  Heugabel  tot.“ 

c)  Schließlich  rief  der  Angeklagte  zu  1 noch  folgende  Worte 
laut  aus:  „Die  alte  Hexe,  die  Witzke  hat  meiner  Ehefrau  Bonbons 
und  Liqueur  und  Piroggen  gegeben,  sie  hat  meine  Ehefrau  behext 
und  sie  soweit  gebracht,  daß  sie  jetzt  das  ganze  Jahr  zu  Bett 
liegen  muß.“ 

Diese  Äußerung  hörte  unter  anderm  auch  die  Zeugin  Witzke  mit  an. 

B.  Gegen  Mittag  kam  der  Angeklagte  zu  2 noch  dazu,  und  auch 
er  rief  dem  Zeugen  Kipf  zu:  „Wenn  Sie  das  Weib,  die  alte  He.xe, 
nicht  rüberschicken,  daß  sie  der  Mutter  die  Klattern  abnimmt,  dann 
komme  ich  rüber  und  werde  Richter  spielen.  Ich  schlage  die  Hexe 
einfach  tot.“  Es  war  klar,  daß  die  Worte  sich  auf  die  Zeugin  Witzke 
beziehen  sollten. 

Noch  an  demselben  Tage  nachmittags  wurde  dem  Zeugen  Kipf 
von  dem  Arbeiter  Wladislaus  Heleniak  aus  Schröttersdorf  mitgeteilt, 
die  Angeklagten  wollten  in  der  Nacht  sein  Haus  stürmen.  Kipf 
machte  hiervon  dem  Gendarm  seines  Bezirks  Mitteilung,  der  daraufhin 
die  Nacht  über  Wache  hielt,  es  wurde  jedoch  seitens  des  Angeklagten 
nichts  rmternommen. 

Die  Angeklagten  haben  bestritten,  die  angeführten  Äußerungen 
getan  zu  haben,  doch  ist  dies  Bestreiten  den  durchaus  glaubwürdigen 
Aussagen  der  Zeugen  gegenüber  belanglos. 

Es  scheint  allerdings  in  den  Kreisen  des  Angeklagten  noch  ein 
derartiger  Aberglaube  zu  herrschen,  daß  sie  wirklich  in  der  Meinung 


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lebten,  die  Ehefrau  Derengowski  sei  von  der  Zeugin  Witzke  beliext 
worden.  Es  kann  ihnen  aber  trotzdem  nicht  das  Recht  zugesprochen 
werden,  ihre  bedauerliche  Meinung  in  so  gehässiger  Weise  zum  Aus- 
druck  zu  bringen.  Die  Äußerungen  des  Angeklagten  stellen  sich 
als  Beleidigung  gröbster  Art  dar.  Die  Angeklagten  waren  sich  bewußt, 
daß  sie  den  Zeugen  Kipf  und  Witzke  gegenüber  Geringschätzung  und 
Mißachtung  zum  Ausdruck  brachten. 

Gleichzeitig  aber  haben  die  Angeklagten  die  Zeugen  Kipf  und 
Witzke  durch  die  Äußerungen  zu  1 a und  b mit  der  Begehung  eines 
Verbrechens  — des  Totschlages  — bedroht.  Daß  sie  auch  in  den 
Betroffenen  die  Furcht  vor  der  Verwirklichung  dieses  Verbrechens 
erwecken  wollten,  unterliegt  keinem  Zweifel,  wenn  man  berücksichtigt, 
daß  die  Angeklagten  in  ihrer  Verblendung  glaubten,  die  Zeugin 
Witzke  könne  die  Kranke  wieder  gesund  machen,  und  daß  sie  an- 
scheinend dies  durch  ihre  Drohungen  erreichen  wollten. 

Hiernach  war  die  tatsächliche  Feststellung  des  Schöffengerichts 
lediglich  aufrecht  erhalten. 

Daß  der  Angeklagte  zu  2 bei  Begehung  der  Tat  die  zur  Er- 
kenntnis ihrer  Strafbarkeit  erforderliche  Einsicht  besessen  hat,  be- 
weisen seine  Vorstrafen  und  sein  Auftreten  vor  Gericht. 

Bei  fristzeitig  gestellten  Strafanträgen  (§§  194,  til  StGB)  waren 
daher  gemäß  §§  185,  186,  241,  74,  73,  57  StGB,  der  Anklage  zu  1 
wegen  Beleidigung  in  einem  Falle,  wegen  Beleidigung  in  Tateinheit 
mit  Bedrohung  in  zwei  Fällen  und  wegen  einfacher  Beleidigung  in 
Tateinheit  mit  übler  Nachrede  in  einem  weiteren  Falle  und  der  .An- 
geklagte zu  2 wegen  Beleidigung  in  Tateinheit  mit  der  Bedrohung 
zu  verurteilen. 

Die  Straftaten,  deren  sich  der  Angeklagte  zu  1 schuldig  gemacht 
hat,  können  bei  der  Verschiedenartigkeit  der  Äußerungen  und  An- 
lässe nicht  als  eine  fortgesetzte  Handlung  angesehen  werden. 

Die  Angeklagten  haben  durch  ihre  Äußerungen  nicht  nur  die 
Familie  Kipf  in  Furcht  und  Schrecken  gesetzt,  sondern  haben  den 
Zeugen  Kipf  auch  geschäftlich  schwer  geschädigt,  da  bei  dem  in  den 
polnischen  Volkskreisen  noch  herrschenden  Aberglauben,  sich  viele 
Personen  durch  die  Verdächtigungen  des  Angeklagten  von  dem  Besuch 
des  Kipfschen  Lokales  haben  abschrecken  lassen. 

Zudem  sind  die  Angeklagten  beide  bereits  vorbestraft;  es  er- 
schienen daher  die  erkannten  Strafen  von  5 und  dreimal  zu  je 
19  Tagen  Gefängnis,  gemäß  § 74  StGB  eine  Gesamtstrafe  von 


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•215 


30  Tagen  Gefängnis  gegen  den  Angeklagten  zu  1 und  von  10  Togen 
Gefängnis  gegen  den  Angeklagten  zu  2 keineswegs  als  zu  hoch  be- 
messen. 

Die  Berufung  war  daher,  wie  geschehen,  zu  verwerfen. 

Die  Kosten  des  Bechtsstreites  haben  die  Angeklagten  gemäß 
§ 505  StGB  zu  tragen. 


Ein  schlesisches  Neujahrsliedchen 
aus  dem  XV.  Jahrhundert. 

Von  Dr.  J.  Klapper. 

Während  die  schlesischen  Handschriften  des  Mittelalters  keinen 
einzigen  Te.vt  eines  Liedchens  enthalten,  das  bei  den  Umzügen  der 
Kinder  am  Sommertag  gesungen  worden  wäre,  ist  uns  in  mehreren 
Handschriften  aus  dem  Anfänge  des  15.  Jahrhunderts  ein  Neujahrs- 
bettellied überliefert,  das  von  den  Kindern  vor  den  Häusern  vor- 
getragen worden  ist,  und  das  in  seinem  Inhalte  an  die  heutigen 
Sommerlieder  Schlesiens  wie  an  die  westdeutschen  Martinslieder  an- 
klingt. Wir  verdanken  die  Erhaltung  dieses  Liedchens  dem  Umstande, 
daß  es  seine  Verse  zur  geistlichen  Auslegung  in  der  Neujahrs- 
predigt hergeben  mußte.  Die.ser  Predigttext  mit  den  eingestreuten 
deutschen  Versen  findet  sich  am  ausführlichsten  in  einer  Handschrift 
der  Kgl.  und  Universitätsbibliothek  zu  Breslau  mit  der  Signatur 
I.  F.  503,  die  aus  der  Bibliothek  der  Breslauer  Corpus-Christi-Kirche 
stammt  nnd  im  Jahre  1431  von  dem  Johannitterbruder  Nicolaus 
Nedirbeyn  de  Lubschitz  gesclirieben  worden  ist,  der  zu  dieser  Zeit 
Prediger  in  Striegau  war.  Die  Handschrift  enthält  in  ihrem  ersten 
Teile  die  Sermones  Eremitae  de  tempore.  Auf  Bl.  201  rb.  folgt  dann 
die  Predigt:  In  die  circumcisionis  videlicet  de  Nouo  anno.  Folge 
kinth  folge,  schon  ist  schon  ist  der  engel  schar.  Iste  cantus  canitur 
per  festum  natiuitatis  Christi,  et  amicus  ab  amico,  vicinusa  vicino 
nouum  annum  requirit.  Circa  quod  notandum,  quod  in  isto  cantu 
vnigari  pueri  casti,  mundi,  innocentes  et  simplices  hortantur  sequi 
nouum  regem  puerum,  non  senes,  videlicet  in  peccatis  ...  In  dieser 
Weise  wird  Vers  für  Vers  geistlich  gedeutet.  Wesentlich  älter  noch 
ist  der  Text,  den  eine  fast  gleich  lautende  Neujahrspredigt  in  der 
Handschrift  IV.  Q.  175  Bl.  199v  enthält.  Diese  Handschrift  stammt 


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216 


aus  dem  Anfänge  des  15.  Jahrhundert  und  gehörte  früher  der 
Bibliothek  der  Augustiner-Chorherrn  zu  Sagan,  der  sie  nach  einer 
Bemerkung  auf  Bl.  259  v von  einem  Dominus  Conradus  de  Reichen- 
bach zugegangen  ist.  In  diesem  zweiten  Text  fehlt  jedoch  der 
Schluß,  die  Versehen,  die  von  den  Kindern  gesungen  wurden,  nach- 
dem sie  die  Geschenke  erhalten  hatten.  Dieser  Schluß,  den  die 
erste  Handschrift  nur  andentet,  ist  am  ausführlichsten  in  der  Hand- 
schrift I.  F.  524  überliefert,  die  um  die  Mitte  des  15.  Jahrhunderts 
entstand,  deren  Herkunft  jedoch  nicht  mehr  zu  ermitteln  ist.  Sie 
enthält  von  drei  Händen  eine  Reihe  von  Predigten  für  das  Kirchen- 
jahr und  kurze  Predigtstoffe;  unter  diesen  auf  Bl.  402 'b  für  den 
Tag  der  Beschneidung  des  Herrn  die  Predigt  mit  dem  Bettel- 
liedchen, jedoch  nur  auszugsweise.  Der  Text  beginnt  mit  den 
Worten : Ergo  hodie  est  consuetudo,  vtinam  bona,  cantare  a natiuitate 
communitate  hoc  canticum;  ffolge  kint  ffolge,  usw.  Nimmt  man  die 
drei  überlieferten  Texte  zusammen  mit  ihren  sich  gegenseitig  er- 
gänzenden Lesarten,  so  wird  man  sich  leicht  ein  klares  Bild  von  dem 
ursprünglichen  Liedchen  machen  können,  das  natürlich  im  Gebrauch 
in  den  verschiedenen  Gegenden  kleine  Umgestaltungen  und  Kürzungen 
erfahren  hat.  Wir  werden  nicht  fehlgehen,  wenn  wir  es  für  das 
15.  Jahrhundert  als  im  ganzen  deutschen  Schlesien  bekannt  an- 
nehmen, da  die  Handschriften  die  es  enthalten,  von  einem  Leob- 
schOtzer  und  einem  Reichenbacher  stammen.  Die  drei  Texte  lauten 
unter  Weglassung  der  lateinischen  geistlichen  Auslegung  nach  ihrem 
Alter  geordnet: 

1. 

[Cod.  ms.  IV.  Q.  175.  Bl.  199v;  Anf.  d.  15.  Jhs.] 

Wolge,  kint,  volge  . . . 

Ich  weis  mir  ejn  holden  . . . 

Ich  weis  in  dirre  gasseii 
eynen  nche  man  gesessen  . . . 

Hannus  mein  herre 
daz  dich  got  Sre  ... 
daz  dich  got  ere  ... 

GIbit  vns  eyne  gobe 
czu  desim  Neuen  iare. 

Hefter  ejmen  pheninc, 
czu  iare  eynen  Schilling  ... 


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217 


2. 

[Cod.  ms.  I.  F.  503.  Bl.  201  rb-,  v.  J.  1431]. 

Folge,  kinth,  folge! 

schon  ist,  schön  ist  der  engel  schar  . . 

Seyt  fro,  das  ist  meyn  rot  . . . 

Ich  veys  mir  holde  frunde  . . . 
wol  ym,  der  eren  hot  ... 

Ich  [weis]  mir  eyn  der  gassen 
eynen  reychyn  man  gesessen  . . . 

Gebt  \Tis  e>Tie  gäbe 
zu  desjTn  newen  yore, 
hewer  eynen  phennig, 
obir  yor  eynen  Schilling  . . . 

Percepto  aiitem  munere  pueri  finaliter  clamant  et  dicunt: 
Fro,  her,  fro! 


3. 

[Cod.  ms.  I.  F.  524.  Bl.  402  vb;  Mitte  des  15.  .Ihs.]. 

Folge,  kint,  ffolge  . . . 

Ich  weys  eynen  holden  . . . 

Ich  weys  yn  deser  gasse 

Kyn  reychen  man  gesessem  (!),  Gesessen  . . . 

Petnis,  meyn  hirre, 
das  euch  got  ere  ... 

Gebit  vns  Eyne  gobe 
Czu  dessen!  newen  yare, 
hewer  Eynen  jifenning, 
czu  yare  eynen  Schilling  . . . 

Vro,  hirre  vro! 

wer  czu  desim  Erhatltigen  fert, 

(lerne  ist  ere  Beschert; 

alzo  ist  wns  gethon, 

wir  vorn  czu  Eynem  fromen  man. 

Im  Zusammenhänge  mit  diesen  Neujahrsliedchen  der  Kinder 
sei  ein  Neujahrsspruch  der  Breslauer  Wächter  vom  .Jahre  1740  mit- 
geteilt, der  sich  in  der  Handschrift  IV.  F.  24!)  (Bl.  203  r)  der  Kgl. 
und  Univ.-Bibl.  zu  Breslau  findet.  Diese  Handschrift  stammt  aus 
dem  gleichen  Jahre. 

Mitteilungen  d.  schles.  (ies.  r.  Vkde.  Itaud  Xll  (IleflZ).  15 


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218 


Pro  Novo  Anno  Custodes  Optant. 
Höchster!  steh  diss  Jahr  uns  bey. 
Deine  Hand  woll  unss  bedecken, 
Lass  dein  graesslich  feurgeschrey 
Unsre  Mauren  nicht  erschrecken. 
Hunger,  Pest,  und  Wasser-Noth 
und,  was  zu  vorderben  droht, 
Wende  ferner  Allerwegen, 
und  gieb  Stadt  und  Land  den  Segen. 


Zusammensetzungen  mit  „voll“. 

Von  Taubstummonli'hror  Karl  Hothor. 

Weit  zahlreicher  als  die  Schriftsprache  bildet  die  Mundart  Zu- 
samraensetzungen  oder  (nach  Grimm,  D.Wtb.  IV 2,  S.  421)  bloße  Zu- 
sammenrückungen mit  dem  Kigenschaftsworte  „voll“,  das  dabei  in 
fol  oder  wal  verkürzt  wird.  Die  harte  oder  weiche  Aussprache,  die 
teils  von  den  Nachbarlauten  und  teils  von  der  Silbentrennung 
abhängig  zu  sein  scheint,  steht  bei  den  meisten  Beispielen  zwar  fe.st, 
doch  wechselt  sie  auch  in  einzelnen  Fällen.  Kine  allmähliche  An- 
näherung an  das  Hochdeutsche  zeigt  sich  darin,  daß  in  manchen 
Fällen  die  Endsilbe  heute  verloren  ist.  Früher  sagte  man  z.  H. 
n hurtj'al  genf»  — eine  Herde  Gänse  und  a ■piUrfilja  — ein 
Reet  Petersilie,  heute  dagegen  n hxrda  ganfa,  a bäta  pitarfilj».  Viel 
häufiger  als  im  Hochdeutschen  werden  auch  die  Verkleinerungsfonnen 
gebildet  und  angewendet.  j 

Die  Stoffnamen  sind  mit  dem  vorangehenden  Worte  bisweilen 
eng  verknüpft.  So  habe  ich  gfsfal  nur  in  Verbindung  mit  Kleie  gehört. 

Beachtenswert  ist  in  manchen  dieser  Zusammensetzungen  die  eigen- 
artige Erhaltung  der  Genitivform  des  Artikels,  während  das  folgende 
Substantiv  sie  aufgegeben  hat.  Im  Gegensätze  zu  den  Beispielen 
„einen  Becher  Weines“  oder  „ein  Arm  voll  Holzes“  (D.Wtb.  1, 41!t) 
wird  in  der  Mundart  das  s des  2.  Falles  an  das  Wort  angehängt, 
das  ein  Maß  oder  eine  Menge  angiht : z.  B.  a AofaU  tmsar,  ein  SchatV 
voll  Wasser.  Der  Gebrauch  dieser  Genetivforra  scheint  zwar  in  Ab- 
nahme begriffen  zu  sein,  da  das  s oft  genug  weggelassen  wird;  wir 


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219 


geben  es  aber  in  allen  Beispielen  wieder,  in  denen  wir  es  gehört 
haben  ‘). 

Die  Beispiele  selbst  sind  aus  meiner  Erinnerung  nieder- 
geschricben,  ergänzt  und  berichtigt  durch  meine  80jährige  Mutter. 
Grunau  bei  Camenz  ist  der  Ort,  dem  die  Art  der  Aussprache  an- 
gehöit,  deren  phonetische  Bezeichnung  der  „Deutschen  Bühnenaus- 
sprache“ von  Prof.  Dr.  Siebs  folgt  (]  bedeutet  ein  reduziertes  1.) 

Allgemein  bekannt  ist  der  Ausdruck  n hamfsU  arb»a  — eine 
Handvoll  Erbsen,  weniger  das  Diminutivum:  a himfala  gra^»  — 
ein  Händchen  voll  Graupe,  oder  eine  Hand  nicht  ganz  voll;  noch 
seltener  ist  die  verbale  Form  hamfaln;  dies  bedeutet  eine  Art  des 
Grasens.  uxirda  ni  hämfaln  kdn,  dür  kän  ni  grdfa,  dar  kan  ok  kipa. 
Beim  „Kippen“  wird  das  Gras  mit  der  Sichel  nur  abgeschlagen, 
während  es  beim  hamfaln  bis  zu  einer  großen  Handvoll  in  der  Hand 
gehalten  wird. 

Ein  bei  uns  fast  ganz  ausgestorbenes  Wort  ist  n gesf»l;  das 
sind  zwei  aneinander  gehaltene  Hände  voll.  Beim  Schweinemästen 
gibt  man  einem  Schaff  voll  gestampfter  Kartoffeln  n gesf»l  klafa  — 
Kleien  — zu.  Nach  einer  Mitteilung  sagt  man  in  Ostpreußen 
n gej)s  ful.  Bei  Kaltscheit,  Gesamt-Wörterbuch,  1834,  ist  zu  lesen: 
„Der  Geps,  nd.,  eine  doppelte  hohle  Handvoll;  die  Gepse,  kleines, 
ein  Maß  haltendes  Milchgeschirr.“  Ein  solches  Maß  soll  in  Ost- 
preußen noch  bekannt  sein.  Weiteres  über  dieses  Wort  siehe  D.Wtb. 
IV  2,  S.  3540.  Weinhold  führt  es  weder  in  seinen  „Beiträgen 
zu  einem  schlesischen  Wörterbuche“  noch  in  seinem  handschriftlichen 
Nachlasse  an;  vgl.  althochd.  gebiza. 

Die  Magd  gibt  dem  Vieh  n ormtoab  gräa  — einen  Arm  voll 
Gras.  Das  Kind  bringt  a h'mwala  idrUa  — einen  kleinen  Arm  voll 
gehacktes  Holz  — herein.  Als  Zeitwort  gebraucht:  Beim  Heu  „ein- 
kappeln“  sagt  man:  fu  dam  fila  örmwaln  tut  em  s ganta»  gari]>»  wi. 

Manches  Kind  hat  schon  bei  der  Geburt  n kupßU  hür»  (neuer- 
dings sagt  man  feiner  han,  — den  Kopf  voll  Haare. 

Die  Kuh  nimmt  o maglualt  ätrü  oder  n mupfih  har  — das 
Maul  oder  die  „Muppe“  voll  Stroh  oder  Heu.  (Das  von  Grimm 

1)  Grimm,  D.Wtb.  C IV 2,  S.  422:  „Im  Englischen  steht  sich  ähnlich  two 
hands  full  iinil  two  haiidfuls  gegenüber,  das  letitcre  vüllig  als  Compositum  be- 
handelt.“ Diese  englische  Erscheinung  dürfte  aber  als  reine  I’luralbildung  xu 
beurteilen  sein  und  hat  mit  unserer  Genitivform  nichts  zu  tun. 

lö* 


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2-20 


D.Wtb.  I.  5f>3  angeführte  „miimpfel“  für  mundvoll  ist  im  Sehlesischen 
nicht  üblich,  da  für  Mund  stets  Maul  gebraucht  wird.) 

Geht  man  an  einer  frisch  gedüngten  Wiese  vorüber,  so  bekommt 
man  n omtHjd  twxftl  — die  Nase  voll. 

Ist  jemand  stark  erschrocken,  so  verordnet  man  ihm  n Muhc.^l 
teosir  — einen  Schluck  Wasser;  dann  schadet  der  Schreck  nicht. 
Friert  man,  so  trinkt  man  a slikwala  hfs3  mil/Ji  oder  /n~sa  kö/i'  — 
einen  kleinen  Schluck  heilie  Milch  oder  heißen  Kaffee. 

a gräfawufb  bringt  n hukfjl  gras  — eine  Bürde  Gras.  Eine 
ganz  andere  Bedeutung  hat  die  Verkleinerungsform  von  hukfal.  a 
hikwala  gatriiide  oder  hat’  ist  ein  noch  nicht  einmal  halbvoll  beladener 
Wagen  mit  Getreide,  Heu  oder  anderem.  Das  will  wohl  ironisch 
sagen:  er  bringt  auf  dem  Wagen,  womöglich  auf  dem  Leiterwagen, 
nur  soviel,  als  man  auch  auf  dem  Bücken  tragen  könnte,  cand.  phil. 
Günther  hat  in  Königs hain  für  denselben  Bcgritf  das  Wort  ritiwaia 
gehört. 

Zum  Distelnstechen  oder  zum  ßttkti  — Unkraut  pflücken,  aus- 
reißen — im  Getreide  machte  man  sich  früher  ein  Grastuch  über 
Kücken  und  Schulter  um,  die  „Ausschfltte.“  matdt  dar  di  timsiU  im! 
ham/alwarfa  — handvollweise  wurde  die  ßuka  hineingesteckt,  bis  das 
Tuch  zum  Ausschütten  voll  war;  das  war  n Von  einer  lang- 

samen Person  sagte  man : e di  rna  mmitwH  hot^  do  ha  ipr  Uswfa  — eh 
die  eine  „AusschOttfel“  hat,  da  liabe  ich  ilirer  zwei.  Heutzutage  ist 
die  Ausschütte  kaum  noch  in  Gebrauch;  man  zielites  aus  Betjuemlich- 
keitsrflcksi(diten  vor,  Viertelkörbe  mitzunehmen,  wenn  auch  durch  diese 
das  (Jetreide  mehr  zerdrückt  wird. 

Kill  Knabe  hat  n milafal  berna  üfgaklaobt  — eine  Mütze  voll 
Birnen  aufgelesen  oder  gar  n toswah  ejrjl  gtnnufM  — eine  Tasche  voll 
Äi>fel  gestohlen.  Ein  Mädchen  aber  hat  « seiißaU  pihsj  — eine 
Schürze  voll  Pilze  gesammelt,  oder  es  bringt  vom  Bäcker  a lit’ßwalu 
l'umuln  mit)  ein  Tüchlein  voll  Semmeln. 

Beim  Kaufmann  holt  man  n xiornit-nJaLs  (auch  xlarnitt/jbf)  rufhÄa 
— eine  Düte  Hosineii,  a stofniUtwtda  tstnd  — , eine  kleine  Düte  Zimt, 

M titwM  ixukarUotg  — eine  Düte  Zuckerzeug  oder  « iilwala  fafar 
eine  kleine  Düte  Pfeifer.  Mornitaa  für  Düte  ist  aber  schon  recht 
veraltet. 

Auf  den  Tisch  schüttet  man  n tupfals  oder  auch  nur  a tipwala 
katüfaii  — einen  Topf  oder  ein  Töpfchen  Kartoffeln,  man  „suiipt*“ 
n talwalx  fupa  — einen  Teller  Suppe,  ißt  u lälwata  ipbakna ßagma  — 


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2-21 


ein  Teilerchen  gebackene  Pflaumen,  nimmt  n Spisf,tl  kraot  — einen 
„(jabelÄi)ieü“  Sauerkraut  und  trinkt  zuletzt  n MlicA  oder  a sulwala 
Xy)/c  — eine  Schale  oder  ein  Schälchen  Kaflee,  in  den  man  n 
sfütstnl  märfaltjiuhr  — eine  Messerspitze  Farin  tut.  Auf  fettes 
Fleisch  nimmt  man  gern  a gb^ncala  In-antwarn  — ein  Gläschen 
Branntwein,  seltener  a <jUme.>l  e/ar£i  bir  — ein  Glas  einfach  Bier. 

Auf  den  Tisch  kommt  gelegentlich  auch  n fonuvk  gdbakn»  kllda 
— Pfannenklöße,  ein  Gebäck,  oder  a fanwala  — Eierfüllsel, 

eine  Mehlspeise;  ferner  n süic»k  fuhu  — eine  Schüssel  Blattsalat, 
a simcala  krinUmh  — ein  Schüsselchen  Meerrettichtunke,  n toxw»l 
[oft  — eine  Tasse  Kiibens_vrup,  a Uiswaki  h/mU-h  — eine  Täßchen 
Honig  und  n biksftl  femft  — eine  Büchse  Mostrich.  Eine  reizende 
Cbertreibung  'enthält  die  Bedensart  a madtt  a gififhta  vsi  Uan  fän- 
wabi  gfdemjU  tafwel. 

Vom  Schweineschlachten  holen  die  Armen  der  Nachbarschaft 
n knikicaU  oder  u krigicala  wbrstfup,i  — einen  Krug  oder  ein  Krüglein 
Wurstsuppe. 

Die  Katze  erhält  öfters  a näpfala  gud»  mildi  — ein  Näpfchen 
gute  Milch;  statt  Napf  voll  sagt  man  n nnppl.  Den  Kühen  gibt 
man  n korp/nU  sprf»  — einen  Korb  S]>reu;  brüht  man  diese, 
so  erhalten  sie  a AofAt  brij,  dazu  a kirbwida  riba  — ein  Körbchen 
geschnittene  Itunkelrfiben.  Zur  rohen  Spreu  gibt  man  n iinird  kok 
ieoa,)r  --  einen  Eimer  kaltes  Wasser.  Ein  Mastschwein  bekommt  a 
■siifabt»  derbii  /nui  — ein  kleines  Schaff  derben  Fraß,  nämlich 
gestampfte  gekochte  Kartoffeln  mit  Kleien  vermischt,  ein  anderes  da- 
gegen n emwA  ge.slod^r  einen  Eimer  voll  flüssiger  Nahrung. 
Manche  Kuh  gibt  a fxir  geltwaln  — zwei  Gelten  voll  Milch,  eine 
andere  kam  e gelhvala  — kaum  eine  kleine  Gelte. 

In  den  Keller  kommt  wohl  nie  a Josicds  warn  — ein  Faß 
Wein;  eher  einmal  a fi'mwida  bir  — ein  Fäßchen  Bier.  Da  steht  n 
lunwA  kragt  — eine  Tonne  Sauerkraut  und  o tinwida  farargörka  — 
ein  Tönnchen  sauere  Gurken. 

Der  Trinker  holt  sich  n JhMivLi  — eine  Flasche  — Brannt- 
wein und  ist  traurig,  wenn  zuletzt  ntir  noch  a fhMrhutßh  — ein 
Fingerhut  voll  — darin  ist.  Den  Raucher  erfreut  n kixtwAx  — 
eine  Kiste  — Zigarren.  Dem  über  Durst  klagenden  Kinde  bedeutet 
man : x hit  ju  n gantix  Atantfxl  wosxr  — es  hat  ia  eine  ganze  Stande 
voll  Wasser  — draußen  stehen. 

Man  holt  n konwxU  wagxr  — eine  Kanne  Wasser;  tsw  konwaln 


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222 


fafn  n fdrt  — zwei  Kannen  sind  eine  Fahrt  Wasser,  a känwala 
kö/f  — das  bekannte  blaue  Kännchen  voll  Kaffee  — nehmen  sich 
die  Arbeiter  mit  zur  Arbeitsstätte.  Ist  der  Kaffee  zu  dünn  geraten, 
so  hat  man  wohl  n plumpfal  — eine  Pumpe  voll  — Wasser  zu- 
gegossen. Eine  tüchtige  Übertreibung! 

Auf  dem  Boden  steht  mancher  fakfal  — Sack  — Getreide, 
hängt  a fekwcda  Apäln  (früher  Apala)  — ein  Säckchen  voll  Äpfel- 
spalten, liegen  a pdr  mattfaln  bun  — ein  paar  Metzen  Bohnen; 
aber  es  findet  sich  da  auch  manchmal  a gants  näst/d  moff»  — 
ein  Nest  voll  Mäuse. 

In  den  Garten  gießt  man  n tsopfal  Itif»,  einen  Zuber  voll  Jauche, 
in  ein  Mauseloch  aber  a pär  aepf»U  — ein  paar  „Schöpper“  voll 
(Schöpper  von  schöpfen.)  Auf  ein  Gartenbeet  trägt  man  n trdgftl 
Mist;  mit  der  Trage  wird  der  Dünger  aus  dem  Stalle  geholt.  Den 
Weinstock  bedeckt  man  mit  ar  gäbf»l  oder  mit  a pär  gäbfaln  mUt 
— mit  einer  oder  mehreren  Gabeln  voll  Mist. 

Vom  Felde  holt  man  n rätw»la  kiipa,  ribakupa,  a rätuxUa  blet»r, 
auch  a iMmwala  fut»r  — eine  Radwer  voll  Runkelrübenköpfe, 
der  obere  Teil  der  Rüben  mit  sämtlichen  Blättern,  oder  eine  nicht 
ganz  volle  Radwer  abgebrochener  Runkelrflbenblätter,  auch  ein 
Wägelchen  Putter. 

Von  Hernmträgern  kauft  man  a mötfd  blöbärn  — ein  Maß 
Blaubeeren  oder  a mäsfala  jochdtUafoft  — ein  Mäßchen  Wachholder- 
beersaft. 

Beim  Spinnen  bestand  ehemals  di  tsäl»,  die  für  einen  Abend  auf- 
gegebene  Menge,  in  drei  bis  vier  Hpilwaln  — Spillen  voll  Garn. 

Von  einer  sparsamen  Magd  rühmte  man,  sie  habe  n gantsa 
sratA-fd  kröm,  wi'tcbakröm  und  fünti/Mröni  — einen  ganzen  Schrank 
voll  Wochen-  und  Sonntagskleider,  dazu  auch  « sreiokwala  weA»  — 
ein  Schränkchen  voll  Wäsche.  Beim  Umzuge  hat  mancher  n gantsa 
wänwsl  — einen  Wagen  voll  — Sachen. 

Ein  Knabe  spielt  mit  einer  Schachtel  Bleisoldaten  oder  mit  einem 
Kästchen  Knöpfe,  die  er  beim  knepaln  gewonnen  hat:  n Saditfsl 
fuldäta,  a kästtcala  kneps;  a feähtwala  — Schächtelchen  — Streich- 
hölzchen aber  nimmt  man  ihm  weg.  Von  Schachtel  heißt  sonst  die 
Verkleinerungsform  säcditala. 

Aus  der  Genitivform  ist  ersichtlich,  daß  auch  in  den  Aus- 
drücken n U/sls  fups,  a lefalas  »iPditsin,  n se/ds  arbsa  — ein  Löffel 
Supjie,  ein  Löffelchen  Medizin,  ein  Scheffel  Erbsen,  — das  Wort  ,voll“ 


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223 


enthalten  ist,  wiewohl  es  in  diesen  Beispielen  mit  der  Endsilbe 
des  Grundwortes  zusammenfällt. 

Einen  abgewiesenen  Freiersmann  tröstet  man  mit  dem  Hinweise, 
daß  es  ihrer  (Mädchen)  nicht  bloß  eine  Handvoll,  sondern  sogar  ein 
ganzes  Land  voll  gäbe: 

ä!  s höd»r  ju  ni  ok  n hamfal, 

8 höd»r  gär  a ganis  lantßl. 


Probe  der  westglätzischen  Mundart  von 
Brzesowie. 

Von  F.  Graubisch  in  Kudowa. 


Vorbemerkung.  Glätz.  o und  5 ( = mhd.  a,  ä,  o,  6,  u)  vor  r 
erscheint  (auch  bei  Dehnung)  als  a,  ä:  bärt,  jär,  bärn  (bohren), 
gahäit,  gatär(yjt.  Für  mhd.  o und  u steht  vor  r in  einigen  Wörtern, 
wohl  bei  ursprünglicher  Tieftonigkeit,  e;  imrfert,  erntliijl),  derejj)  u.  a. 

Die  älteren  Leute  in  Brzesowie  sprechen  noch  nach  oberdörfischer 
Weise  näi,  wäik,  glöiva  usw.,  in  letzter  Zeit  dringt  das  Nieder- 
glätzische  durch,  das  auch  in  der  folgenden  Probe  zum  Ausdruck  kommt. 

Das  silbische  m hat  deutlichen  u -Vorschlag:  bäfum. 

Von  Drachen  und  Freimaurern. 

on  dan  amöl  h^n  la  aim  darfa  gafan  en  traql)a  erStijs  um  daqlja 
bei  enr  witve.  di  hoto  a gawelvo  (Laden),  on  dar  giiSg’s  afü  SleiJljt 
nw  amöl,  on  Spetr  hotso  fe(t)  drSosa  ai  dr  ÄtOvo  fm  mutrgots- 
belda.  dar  fol  dj  trac^a  im|  wära  wekaSlopt  h^n.  On  dan  h^n  fa 
dan  tra<^a  wldr  gafän  um  bäma  a fimf  Jnta  fo  damfelva  haufa.  a 
fol  ausgafän  h^n,  wi  eno  foirija  Sita  (Schütte  Stroh),  on  dan  if  a 
glai((l)a  ai  da  wotka  (velares  1)  gaflQn,  dö  h^n  f a nima  galan.  on  da 
loita  lijn  imj,  dr  traijlja  tut  Stäla  momjjja  loita  on  a fraimauran') 
liitrQn. 

dl  tun  fei^)  glg“)  mid  irm  aijna^)  bluta  undrsraiva  um  taiwl, 

*)  I^ehnwort  aus  der  Schriftsprache,  vgl.  ni9ir  = Maurer. 

Gekürzt  .-lus  glijv  «ih  = glaube  ich. 

’)  Lehnwort  aus  der  Schriftsprache,  weil  ai  nicht  lautgcjelzlich. 


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224 


dö  misa  fa  dan  der<y)  tsve  Stüva')  gin,  dö  tut  fa  a Sraivr  firn  on 
tut  a als  tsaija,  on  dö  län  fa  a da  taiwl  ai  dr  heia,  on  dan,  wen 
ja  gelt  brauqlja,  do  kena*)  fa  ok  a pär  Avertr  Icjn,  on  dö  brend  a dj 
taiwl  en  ITik(g)elt.  on  dan,  wen  fa  dr  taiw]  ai  de  heia  hula  wel, 
on  dö  kemd  a kytr  on  drwer<51jt  fa.  de  fraimaurr  wan  (werden) 
^dr  fQr  alt.  da  misa  a ola  jära  wos  baun,  on  wen  s ä drai  tsljan 
(Ziegel,  pl.)  flffoma  fain. 


Literatur. 

Schlesiens  TolkstOmllcbe  Itborllefernn^n.  Sammlungen  und  Studien  der 
Scblusiachcn  Ucscllschaft  für  Volkskunde,  begründet  vun  Friedrieh 
Vogt,  berausgegeben  von  Theodor  Siebs.  Leipzig,  Teubner.  1911.  Band  IV: 
Schlesische  Sagen  II.  Elben-,  Dümonen-  und  Tenfelsagen.  Von 
Richard  Kfibnan.  XXXII,  745  Ss.  Preis  für  Mitglieder  M.  7,50  (Original- 
band M.  8,25). 

Noch  vor  JabresschluB  erscheint  soeben  der  zweite  Band  von  Kfihnaus 
Sagenbuch.  Er  fügt  zu  den  im  ersten  Teile  behandelten  Seelensagen  die  in 
Schlesien  vertretenen  Erzählungen  von  Elben,  Dämonen  und  vom  Teufel.  Der 
Versuch,  den  unendlich  reichen  Stoff  auch  diesmal  in  zwanglos  gebildeten 
Gruppen  geordnet  darzustellen,  kann  als  im  wesentlichen  gelungen  bezeichnet 
werden.  Zn  don  Hausgeistern  gesellen  sich  die  Erdgeister  und  die  in  Wald, 
Feld  und  Wasser  hausenden  mjrthischen  Gestalten.  Als  Dämoni'U  treten  Tiere, 
Berg-  und  Grubengoistcr,  der  wilde  Nachtjäger,  die  Riesen  auf;  ein  Sammel- 
begriff: .Goltdämonon“  umfaßt  Erzählungen  von  Tod-,  Post-,  Wind-  und  ver- 
schiedenen anderen  Gottheiten.  Für  dio  anschließenden  Tenfelsagen  sind  nach 
sachlichen  Gesichtspunkten  fUnf  Gruppen  geschaffen.  Durch  Buchstaben  vor 
dun  Überschriften  ist  auch  diesmal  gekennzeichnet,  aus  welchem  Teile  Schlesiens 
die  Sage  stammt;  bei  den  Wassergeistern  und  Bergdämonen  ist  eine  ürtliche 
Scheidung  auch  in  don  Sagen  selbst  durchgefflhrt,  wodurch  zugleich  die  slavisehen 
Einschläge  hervortretcu.  Die  vorsichtige  kritische  Auswahl  der  Sagen,  dio  alle.s 
Unzuverlässige,  Ausgeschmückte  aussondert,  verleiht  dem  Sagenbucho  nicht  nur 
wissenschaftlichen  Wert  als  lautere  Quelle  echten  alten  Gutes,  sondern  wahrt 
auch  den  schlichten  Ton  der  Volksübcrliefcrung,  dem  gerade  diese  Erzählungen 
ihr  anheimelndes  W’oson  verdanken.  Möge  dem  zweiten  Bunde  dieselbe  freund- 
liche Aufnahme  beschiedon  sein,  wie  dom  ersten;  vor  allem  sollte  jeder  Schlesier 
es  nicht  versäumen,  seiner  Bibliothek  zur  Weihnachtszeit  das  schlesische  Sagou- 
buch  cinzureiben.  Dr.  0. 

t)  In  ihrem  Logenhaus. 

*)  Lautgosetzlich  wäre  kena  zu  erwarten  (so  auch  sonst  im  Glätz.),  offenes 
e vielleicht  nach  dem  Konj.  kenda  oder  nach  wela,  wonach  auch  fela  = füllen 
gebildet  ist  (statt  fela).  (welda  : wela  kendo  : kena). 


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225 


Hejmaan,  Dr.  pbil.  W.,  Das  brRinischo  Plattdeutscli.  Kinc  grainmatisrlic  Dar- 
stellung auf  sjiracligcsrhiclitlichur  Uruiidlagc.  Herausgugebiii  auf  Veran- 
lassung des  Vereins  für  nicdersächsisclies  Volkstnm.  Bremen,  Gust.  Winter, 
1909.  IX,  17C  Seiten.  M.  3. 

Die  kleine  Grammatik  des  Bremer  Plattdeutsch  ist  eine  recht  erfreuliche 
Gabe.  Zwar  ist  die  Sprache  nicht  vom  Standpunkte  der  heutigen  Sprach- 
wissenschaft aus  betrachtet,  doch  immerhin  mit  einer  gewissen  sprachgeschicht- 
liehen  Schulung;  und  vor  allem  — da.s  ist  das  wichtigste  — kennt  der  Ver- 
fasser seine  heimatliche  Mundart  von  Kind  auf.  Damit  sind  schon  Licht-  und 
Schattenseiten  des  Büchleins  angedeutet.  Es  ist  für  weitere  Kreise  verständlich, 
und  man  kann  sich  aus  ihm  praktisch  unterrichten.  .Vnderorseits  ist  auf  eine 
eigentliche  phonetische  Schreibung  verzichtet,  und  das  hat  oft  zu  unzulänglicher 
Lautbczeichnnng  geführt:  so  ist  z.  B.  langes  i mit  schriftspraehliehem  ie  darge- 
stellt;  und  in  vielen  Fällen  ist  die  Quantität  aus  der  Schreibung  nicht  er- 
sichtlich: welcher  Fremde  wird  z,  B.  in  he  töft  ,cr  wartet"“  das  hier  geltende 
lange  5 erkennen? 

Iler  Hauptfehler  des  Buches  ist,  dsß  es  vielfach  mit  praktischer  Darstellung 
gelehrtes  Wissen  verquicken  will  und  dadurch  Verwirrung  stiftet;  andererseits 
werden  naheliegende  Erklärungen  bei  Seite  gelassen.  Eine  Anzahl  von  Be- 
merkungen, die  zumeist  die  Lautlehre  betreffen,  mögen  hier  Platz  linden.  S.  4 
wird  hinter  kerke  (Kirche)  bemerkt  „griechischen  Ursprungs,  aus  KugtaK»/“; 
diese  Herkunft  (aus  KVQiaKÖv)  zu  erwälinen  hat  hier  gar  keinen  Sinn.  — S.  5 

„In  sUtern,  mhd.  gislern  (vgl.  gut.  gistraäagis  morgen) wechselt  i mit  e 

in  den  verschiedenen  gennanischen  Mundarten.  Vgl.  noch  stviUen  schwellen  ahd. 
und  as.  sjvellan-,  guiUen  quellen  mhd.  queUn  (so!)“  usw.  Für  den  Laien  hätten 
sulche  Bemerkungen,  auch  wenn  sie  nicht  fehlerhaft  wären,  keinen  Wert.  — 
S.  6 „meist  wird  jetzt  danach“  — nämlich  nach  kurzem  u — „der  Konsonant 
doppelt  geschrieben,  vgl. /»/f  voll  . . .“;  das  ist  doch  nrgermanischc  Gemination! 
— S.  7 wiille  Wolle,  mit  o in  ahd.  wolla,  mhd.  wolle,  dagegen  (so!)  mit  « in 
got.  wuUa.“  — S.  7 wird  das  « in  susler  Schwester,  su/l  Schwelle  „durch  den 
Einfluß  eines  vorhergehenden,  aber  später  ausgefallenen  v“  aus  e erklärt.  — 
S.  10  heißt  cs,  die  Form  .i/ooi/e  für  i/ooil  beruht  auf  einem  gennanischen  Stamm 
und  klingt  veraltet“;  von  title  „Gezeiten“  heißt  cs,  „zugrunde,  liegtauch 
hier  ein  germanischer  zweisilbiger  Stamm  ti-ili  (Kluge).“  Was  hier  gemeint  ist, 
dürfte  sowohl  Kluge  als  auch  anderen  Fachlenten  unverständlich  bleiben.  — 
S.  14  werden  die  vor  st  gesprochenen  Längen  (sehoster)  ilen  Kürzen  (roste)  als 
willkürliche  Erscheinungen  gegenübergestellt,  wenigstens  wird  eine  — nahe- 
liegende — Erklärung  nicht  versucht.  — S.  .38  wird  das  * in  sestig,  sebentig 
neben  sestig,  sebentig  nur  durch  kräftigere  Artikulation  erklärt,  wältrend  hier 
doch  wohl  analogischer  Einfluß  der  Formen  mit  vorhergehendem  mst  (enuntsestsg) 
vorliegt.  — S.  40  wird  diu  Aussjirache  des  anlautcnden  j derjenigen  in  engl. 
John,  ital.  maggiore  gleii  hgostellt;  nach  meiner  Empfindung  decken  sie  sich 
nicht  ganz,  denn  der  Bremer  spricht  ds'j,  äVj  oder  dj,  nicht  di.  — S.  45  bleibt 
das  d in  side  Seide,  kride  Kreide,  äder  Ader,  snUer  Schneider  gegenüber  hals- 
afsnler  „Halsabschneider“  unerklärt;  die  Foruien  mit  d erklären  sieh  durch 
schriftsprachlichen  Einfluss.  — S.  53  heißt  es  ,c  hat  über  / gesiegt  in  stamern 


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22  fi 

„sUmmi'ln“ : aber  das  ist  nicht  Lautwandel,  sondern  cs  handelt  sich  nm  ver- 
schiedene Sufiixe.  — S.  54  ist  das  Auftreten  von  i statt  w in  Hiifn,  aber  u.  a. 
wohl  durch  das  folgende  I r xu  erkiSren;  betrelfs  der  wechselnden  Schreibung 
von  b,  v,  f glaube  ich  nicht  mit  dem  Verf.,  .daß  die  Verwirrung  xum  Teil  die 
Wirkung  iler  Lektüre  Reuters  ist.“  — S.  5ß  sind  bahn  höhn  als  .Nebenform“ 
von  .Boden“  bctra(ditet,  wühlend  es  doch  dem  hochdeutschen  .Bühne“  ent- 
spricht, also  mit  jenem  wohl  gar  nicht  verwandt  ist.  So  könnte  ich  noch 
mancherlei  Verbesserungen  geben. 

Vielleicht  ließe  sieh  in  einer  etwaigen  neuen  Auflage  der  eine  oder  andere 
dieser  Winke  verwerten.  Dann  wSre  die  .Absicht  meiner  Ausstellungen  erreicht, 
denn  ich  habe  den  Wert  dieser  fleißig  überlegten  volkstümlichen  plattdeutschen 
Grammatik  nicht  schmälern  wollen.  Siebs. 

Blinker,  J.  It.,  Schwänke,  Sagen  und  Märchen  in  heanzischer  Mundart.  Leipzig, 
Deutsche  Wrlagsaktiungesellschaft,  1907.  XVI,  436  S.  M.  6. 

Die  „Ileanzon“  heißen  die  Deutschen  des  westlichen  Teiles  vom  Eisen- 
burger Komitat  in  Wostungarn,  im  weiteren  Sinne  auch  die  Bewohner  der 
Komitate  Adenburg,  AViosclburg  und  Preßburg.  Ihre  Mundart  ist  — so  scheint 
cs  nach  den  vorliegenden  Texten  — bayrisch-österreichisch;  der  Verfasser 
freilich  möchte  einen  fränkischen  Einschlag  annehmen.  In  dieser  Sprache 
werden  uns  113  Stücke  dargeboten,  Schwänke,  Sagen,  sagenhafte  Erzählungen 
und  Märchen,  die  der  Herausgeber  nach  dem  Munde  eines  Straßenkehrers  auf- 
gezeichnet  hat,  und  zwar  im  Laufe  vieler  Jahre.  Beachtenswert  ist,  daß  eine 
größere  Erzählung  zweimal  von  demselben  Gewährsmanne  in  einem  Zwischen- 
räume von  zehn  Jahren  wiedergegoben  ist:  der  Unterschied  der  zwei  Texte  ist 
gering.  Das  ist  eine  Erfahrung,  diu  auch  ich  öfters  gemacht  habe:  die  Prosa 
der  Erzählung  haftet  manchmal  im  Gedächtnisse  der  Leute  so  gut  wie  der 
Wortlaut  von  Versen.  — Die  Schreibung  ist  keine  rein  phonetische,  vielmehr 
ein  Mittelding  zwischen  einer  solchen  und  einer  schriftdeutschen;  so  bleibt 
natürlich  manches  von  der  .Aussprache  dem  Loser  unklar.  — Volkskundliches 
Interesse  bieten  verschiedene  Texte,  und  dafür  müssen  wir  Dank  wissen. 
Eigenartig  ist  die  Gestaltung  der  Lenoronsagc  (No.  42).  -e- 

Henrck,  Emile  H.  van,  et  Boekenoogen,  G.  J.,  Histoire  de  rimagerio  populaire 
llamande  et  de  scs  rappiprts  avec  les  Images  etrangeres.  Bruxelles,  I.ibrairic 
nationale  G.  van  Üest  & Co.  1910.  4“.  728  Seiten. 

Das  umfangreiche  Wiprk  in  vlämischcr  und  französischer  Sprache  stellt 
sich  die  Aufgabe,  möglichst  alles  zu  sammeln,  was  in  Belgien  an  volkstüm- 
lichen Illustrationen  und  zugehörigen  Texten  zu  finden  war.  Die  dankenswerte 
Arbeit  macht  keinen  Anspruch  auf  hohen  Kunstwert,  aber  sie  ist  von  Bedeutung 
vor  allem  für  die  Volkskunde,  denn  sie  zeigt  in  Bild  und  AVort  das  Leben  und 
Treiben  dos  16.  bis  18.  Jahrhunderts  in  Belgien  und  vergleichend  auch  in 
anderen  Ländern  auf.  In  vielen  Stichen  und  Holzschnitten,  zum  Teil  auch  in 
ersten,  primitiven  Buntdrucken  wird  das  Volksleben  vorgeföhrt.  Wir  sehen 
religiöse  Darstellungen:  wundertätige  Bilder  und  ihre  Anbetung,  kirchliche 
Feste,  meist  die  der  Kinderheiligen  Martin  und  Nikolaus,  mit  Umzügen.  Ganze 
Gruppen  voll  Märchen  und  Legenden,  oft  nur  in  Größe  einer  Briefmarke  und 


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•227 


doch  meist  deutlich  ansgefShrt,  mit  Text,  finden  wir;  die  Typen  der  Ausrufer 
und  Verkäufer,  die  Handwerker  bei  der  Arbeit,  Reilttnzer  und  Llufer  bringen 
uns  das  Straßengethebe  |rerscbwnndcner  ZeiUm  wieder  nahe.  Wie  durch  hell- 
geputite  niederlindische  Scheiben  sehen  wir  in  das  Treiben  des  Haushaltes 
hinein;  h&nsliche  Szenen,  Taufen  und  Hochzeiten  ziehen  an  uns  yornber.  Auch 
Kriegssienen  wurden  uns  in  vielen  Bildern  yeranschaulicht.  Große  Jahrmarkts- 
bilder zeigen  die  Grenadiere  Napoleons;  den  großen  Kaiser  selbst  sehen  wir 
bei  Waterloo  und  dann  auf  eiliger  Flucht. 

Von  echt  niedorlkndischer  Nairet&t  sind  die  Schwänke  und  Räuber- 
geschichten und  die  Verse  dazu,  sowie  die  plumpen  Bilderbogen  für  Kinder. 

Im  ganzen  stehen  die  Illustrationen  des  17.  Jahrhunderts  auf  höherer 
Stufe  als  die  späteren.  In  älterer  Zeit  spüren  wir  eben  noch  den  Einfluß  der 
guten  niederländischen  Schule. 

Auch  französische,  schwedische  und  deutsche  Stoffe  sind  berücksichtigt. 
.Alle  Verleger,  die  sich  mit  Dildschmuck  befaßt  haben,  sind  rerzeichnct. 

Wie  dankenswert  diese  Publikation  ist  und  ihre  ErweiU;rungen  auch  sein 
würden,  das  wird  sich  erweisen,  wenn  die  Volkskunde  sich  den  reichen,  darin 
enthaltenen  Stoff  zu  fruchtbarer  Arbeit  über  Gebräuche  und  Trachten,  Feste 
und  Dichtungen  nutzbar  gemacht  haben  wird.  £.  A. 

HSrmann,  Ludwig  von,  Tiroler  Volksleben.  Stuttgart,  Ad.  Bonz  & Co.  1909. 

498  Seiten.  M.  5. 

Ein  ganz  Tortreffliches  Büchlein,  in  dem  das  Alltagsleben  des  Tirolers 
von  einem  der  gründlichsten  Kenner  des  Volkslebens  dargesUdlt  ist.  Die 
Festtage  nach  dem  Kalender,  von  Lichtmeß  bis  zu  den  Zwölften,  das  Familien- 
leben und  die  häuslichen  Ereignisse,  sommerliche  und  winterliche  Spiele  und 
Belustigungen  sind  so  anschaulich  erzählt,  daß  jedem,  der  für  volkskundliche 
Dingo  Sinn  hat,  das  Buch  nicht  genug  empfohlen  worden  kann.  Möge  solche 
Schildcruugsweise  auch  für  andere  Stammesgebiete  Nachfolge  finden. 

Auf  einige  sprachliche  Anmerkungen  würde  man  gern  verzichten,  z.  B. 
Seite  196  wird  .Holte“  (vgl.  HoltwurO  als  mittollateinisches  Lehnwort  (moli- 
tura)  gedeutet,  während  cs  doch  ein  (mit  lat.  molcrc  urverwandtes)  urgermanisches 
Wort  ist,  vgl.  got.  mulda,  „Staub,  Erde.“  — S.  424  re  bedeutet  nur  Leiche, 
nicht  Bahre.  — S.  434  heißt  es  von  lat.  talpa,  „Maulwurf“ : „da  auch  die  Be- 
zeichnung salpa  vorkommt,  so  dürfte  das  Wort  auf  den  Stamm  scalp,  „schneiden, 
scheeren“  zurückgehon.  Wird  Derartiges  in  der  nächsten  Auflage  gestrichen, 
so  läßt  das  treffliche  Buch  nichts  zu  wünschen. 

Straekeijaiiy  Ludwig,  Aberglaube  und  Sagen  aus  dom  Herzogtum  Oldenburg. 
2.  erweiterte  Auflage,  heransgegoben  von  Karl  Will  oh.  2 Bände.  Olden- 
burg, Oerh.  Stalling.  1902.  M.  7,‘20. 

Es  ist  dankbar  anzuerkennen,  daß  die  Verlagsbuchhandlung  von  G.  Stalling 
sich  zu  einer  Neuausgabc  des  vergriffenen  trefflichen  Werkes  entschlusson  hat. 
Jeder,  der  sich  mit  der  Volkskunde  der  oldenburgischen  Lande,  sei  cs  der 
sächsischen  oder  der  friesischen,  befaßt  hat,  weiß  den  hohen  Wert  des  Werkes 
zu  schätzen. 


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228 


Daß  der  IlBransgcbcr  der  neuen  Auflage  die  alte  Einteilung  beibehalten 
bat,  ist  nur  zu  billigen;  auili,  daß  er  meint,  cs  „liegt  kein  Grund  vur,  sach- 
liclie  Angaben  aus  der  ersten  Auflage  zu  uuU'rdrüekeii“,  solange  sie  nieht  als 
falsch  erwiesen  sind.  Ja,  wenn  doch  einmal  nicht  volle  Neuarbeit  gemacht 
werden  sollte,  so  würde  ich  es  für  das  einzig  Richtige  gehalten  haben,  auf  die 
Gefahr  hin,  Unsicheres  wieder  abzudrucken,  nur  einen  .Abdruck  der  ersten 
.Ausgabe  zu  bieten.  So  wird  cs  in  der  Vorrede,  scheint  mir,  versprochen,  aber 
leider  nicht  gehalten.  Es  hiitton  ja  etwaige  Ergänzungen  und  Literaturangaben 
anhangsweise  hinziigcfügt  werden  können.  Jetzt  aber  ist  das  Allo  und  Neue 
— trotz  der  angebrachten  Sternchen  — nicht  durch  genügende  Literalur- 
nachweiso  gekennzeichnet.  Ich  halte  daher  für  wissenschaftliche  Zwecke 
die  erste  .Auflage  weiterhin  für  unentbehrlich;  jedenfalls  Lst  zu  bedauern, 
daß  der  alte  Bestand  dieser  nicht  deutlich  hervortritt  und  nicht  die  alten 
Seitonzahlon  am  Rande  vermerkt  sind. 

Was  das  wichtige  Gebiet  des  Saterlandcs  anlangt,  so  sind  meine  nach 
sehr  zuverlässigen  tiewähr.sleuten  gemachten  Aufzi'ichmingen  (in  der  Zcitsebrift 
dos  Vereins  für  Volkskunde  1893),  besonders  über  die  Festfeicm,  ganz  un- 
beachtet gelassen.  Im  Interesse  der  Sache  kann  ich  erklären,  daß  ich  zwischen 
so  sicheren  MitUdlungen,  wie  mein  alter  trefflicher  Gewährsmann  Remnier 
Dumstorf  in  Hullen  sie  bot,  und  so  unzuverlässigen,  wie  der  vom  Herausgeber 
sehr  übersebiitzte,  mir  persönlich  bekannU'  Bergmann  sic  — wenn  auch  W(dil 
in  gutem  Glauben  — phantastisch  zurechtmachte.  gar  wohl  zu  scheiden  gewußt 
habe.  Diese  l’hantastereien  haben  schon  verschiedentlich  Unheil  angeriehtet. 

Sollte  eine  dritte  Auflage  nötig  werden,  so  muß  wieder  der  erste  Druck 
zugrunde  gelegt  werden.  Vor  allem  muß  'aber  ein  Register  geboten  werden; 
mit  einem  solchen  das  Buch  liebevoll  auszustallen,  das  hätte  der  IIiTausgeber 
der  trefrticlu'ii  Strackcrjan’schen  .Arbeit  sich  nieht  versagen  dürfen. 

Siebs. 

Itähnhurdt,  Oskar,  Katursagen.  Band  I.  Sagen  zum  alten  Testament.  Leipzig 
und  Berlin,  B.  G.  Teubnor.  1907.  XIV,  37fi  ,Ss.  M.  8.  — Band  II.  Sagen 
zum  neui-n  Testament.  1909.  XVI,  31fi  Ss.  M.  8.  — Band  III.  Tiersagen. 
1910.  XIV,  .058  Ss.  M . 15. 

Sagen  und  Märchen,  die  die  Natur  in  ihren  einzelnen,  dem  Volke  ver- 
trauten Erscheinungen  zu  deuten  vcrsiichoii,  hatte.  Dähnlmrdt  schon  1898 
bi’rausgegebi'n.  Der  wissenschaftliche  Gedanke,  diesen  Gegimstand  ontwieklungs- 
geschichllich  zu  behandeln,  machte  die  Durchmusterung  einer  gewaltigen  Zahl 
von  Sagen  aller  Vrdker  notwendig,  und  hierzu  sind  dem  Verfa.sser  manche 
namhaften  Gelehrten  behilflich  gewesen. 

Das  Bedürfnis,  die  Natur  poetisch  zu  erklären,  oder  anderorseite  die  will- 
kürliche Ätiologie  sind  die  Triebfedern  zur  Bildung  der  Natursagen:  in  crsterein 
Falle  soll  nur  das  Warum  der  Naturerschiünung  festge.stelll  werden,  im  anderen 
wendet  sieb  die  Sage  — mi'ist  zum  Schlüsse  — plötzlich  zum  Naturgcscliicht- 
lichen.  Diese  letztere,  willkürliche  Ätiologie  ist  besonders  stark  in  den 
biblischen  Legenden  vertreten. 

Zunächst  werden  als  Sagen,  die  im  alten  Testament  erscheinen,  die  Welt- 
schüpfung,  die  Eischaßung  dos  .Munschi  ti,  der  Süudenfall,  der  Totschlag  .Abels, 


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‘229 


die  Sintflut  bchandcdl,  und  die  Tiden  voIksmüfliKcn  Ausgestaltunsen  dieser 
St-ufTe,  wie  sie  uns  in  den  vereubiedensten  Zeiten  und  bei  den  versebiedeueUm 
Völkern  entgcgeiitreten,  erscheinen  hier  — wohl  zum  ersten  Male  — nach 
rdnenden  Gesichtspunkten  vereinigt.  Sehr  klar  tritt  das  dialektische  Prinzip  in 
der  Kosmogonie  und  Anthrupogonio  hervor  — inwieweit  sich  hier  mit  dem  Ver- 
fasser historische  Beziehungen  vermuten  lassen,  bleibe  dahingestellt.  Es  tritt  die 
grolle  Bedeutung  der  Teufelssagen  hervor,  die  sich  in  dem  Motiv  vom  Wetteifer 
des  Teufels  mit  dem  Schöpfer  und  in  der  Erschaffung  der  dem  Menschen 
feindlichen  Geschöpfe,  Tiere  und  Pflanzen  sowie  in  der  Verleitung  des  Menschen 
zum  Bösen  zeigt.  SelbstvcrsUindlich  wird  sich  der  Stoff  zu  allen  Zeiten 
noch  ergänzen  lassen;  aber  der  außerordentliche  Wert  dieses  Buches  besteht 
darin,  daß  durch  reiche  Zusammenstellung  bisher  nicht  herangezogenen  Materials 
vieles  bisher  Getrennte  unter  gemeinsame  Gesichtspunkte  gebracht  wird. 

Der  zweite  Band  ist  den  an  das  neue  Testament  anknnpfendon  Stoffen 
gewidmet.  "Wie  bei  den  Sagen  des  alten  Testamentes,  ist  selbstverständlich  auch 
hier  nicht  in  erster  Linie  au  ursächlichen  Zusammensetzung  mit  dem  Biblischen 
gedacht,  sondern  dieses  hat  nur  den  Einteilungsgrund  abgegeben.  Und  so  darf 
bei  diesen  uns  als  christlich  erscheinenden  Dingen  der  Anteil  des  griechisch- 
römischen,  germanischen,  slavischcn  Geistes,  auch  der  orientalischen  Einflüssi- 
nicht  unterschätzt  werden.  Die  große  Bedeutung  der  apokryphen  Literatur 
wird  gewürdigt,  die  auf  das  engste  mit  mündlicher  Volksüberlicfenmg  zu- 
sammenhängt; und  zahllos  sind  nun  die  i bertragiingen  zwischen  d<ui  biblischen 
und  apokryphen  Stoffen,  zwischen  christlicbim  und  heidnischen.  Das  führt  dann 
aut  das  umfangreiche  Gebiet  der  Mischung  heidnisch-  und  christlich-religiöser 
Gestalten,  die  — nachdem  ein  längerer  .\bsehnitt  der  Entwicklung  der  Jesus- 
sagen  gewidmet  ist  — ganz  besonders  an  der  Pigur  des  Petrus  aufgezidgt 
wird.  Wie  heidnischer  Volksglaube  und  christliche  Sago  sieh  mischen,  sucht 
hier  der  Verfasser  durch  Motive  zu  erhärten,  die  den  Tiersagen  eingereihl 
werden  können.  Die  Tiere,  die  dim  verscbiedeneu  göttlichen  Gestalten  heilig 
oder  lieb  sind,  spielen  in  der  Sage  ihre  feste  Kölle. 

Der  ganze  dritte  Band  ist  recht  eigentlich  den  Tiersagen  gewidmet.  Mehr 
und  mehr  ist  dem  Verfasser  „die  Einheit  des  mythischen  Denkens  aller  Völker“ 
zur  Gewißheit  geworden.  Wie  die  Erziehung  des  Kindes  zur  Nalurbeobachtung 
bei  allen  Völkern  mehr  oder  weniger  gleiche  Wege  geht,  so  auch  sind  die 
Motive  der  Tiersagen  mehr  oder  wtmiger  dieselben,  und  daher  ist  auch  di<^ 
anthropopathischu  .•Auffassung  der  Tiere  so  ähnlich:  daher  überall  die  Sagen, 
nach  denen  die  Menschen  von  den  Tieren  abstammen;  daher  die  Anschauung 
von  den  Übernatürlichen  Kräften  der  Tiere,  und  daher  die  starke  Wirkung  dieser 
.knschauiingen  auf  Sitte  und  Brauch. 

1 »en  weiteren  Bänden,  die  einen  zweiten  Teil  der  Tiersagon,  die  Pflanzen- 
sagen  und  eine  Samndnng  indischer  Sagen  (von  Johannes  Hertel)  bringen  sollen, 
sehen  wir  mit  freudiger  Erwartung  entgegen.  Der  reiche,  wohlgeordnete  Stoff 
ist  uns  von  größtem  Wert«'.  Möge  der  Verfasser  seinem  Grundsätze  treu  bleiben, 
uns  möglichst  objektiv  dieses  große  Material  zu  geben.  Gewiß  ist  es  nicht 
leicht,  den  Fehler  fast  aller  Forscher  auf  dem  Gebiete  von  Sage  und  Mythos 
zu  meiden  und  nicht  in  eine  einseitige  Art  der  Deutung  zu  verfallen.  Afters 


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230 


schon  scheint  sich  mir  der  Verfasser  an  der  tnsscrsten  Grenze  zu  bewegen, 
die  das  Gebiet  des  jedem  Einlenchtenden  Ton  dem  der  bei  solcher  Arbeit  zu 
meidenden  Hypothese  trennt:  zum  Beispiel  da,  wo  von  Pferd  und  Rind  als 
Gegens&tzen  in  der  Sage  geredet  wird;  wo  die  Mischungen  der  Gestalten  von 
Petrus,  Donar  und  dem  Teufel  crwfthnt  werden  n.  a.  mehr.  Gewiß  hat  jeder 
Gelehrte  das  gute  Recht,  den  Vermutungen  Raum  zu  geben,  aber  in  solchen 
Werken,  wie  in  dem  vorliegenden,  ist  jeder  Verzicht  als  ein  Gewinn  zu  preisen. 

Mit  den  besten  Wünschen  für  dies  schöne  Werk  erwarten  wir  die  Zeit, 
da  wir  weiteres  berichten  kOnnen.  Sa. 

Busch,  Wilhelm,  üt  öler  Welt  (ans  alter  Zeit).  München,  Lothar  Joachim,  1910. 

M.  3,50. 

Aus  dem  Nachlasse  seines  Onkels  Wilhelm  Busch  gibt  hier  0.  NSldeke 
die  Ton  jenem  um  1850  gesammelten  Härchen,  Sagen,  Volkslieder  und  Reime 
in  die  Öffentlichkeit.  Wir  sind  Wilhelm  Busch  bei  dieser  reproduktiven  Tätig- 
keit schon  Tor  zehn  Jahren  im  Korrespondenzblatte  für  niederdeutsche  Sprach- 
forschung begegnet,  aber  den  meisten  wird  diese  seine  Sammelarbeit  neu  sein. 
Der  treffliche  Busch  hat  sich  auch  hier  bewährt.  Die  kurze  knappe  Erzäblungs- 
weise  in  dun  Märchen  berührt  sehr  wohltuend;  ich  möchte  fast  glauben,  daß 
hier  weniger  nach  schriftsprachlichem  Gebrauche  umgewandelt  ist,  als  in  den 
Grimin'schen  Märchen.  Damit  soll  freilich  nicht  gesagt  sein,  daß  Kürze  immer 
echt  Tolksmäßig  sei.  Die  Wiedergabe  der  mundartlichen  Stücke  ist  leicht  ver- 
ständlich. In  den  Sagen,  Volksliedern  und  Reimen  zeigt  sich  das  Dilettantische 
in  der  großen  Dürftigkeit  — auf  diesen  Gebieten  hat  der  Reichtum  erschöpfen- 
der wissenschaftlicher  Sammlungen  uns  verwöhnt;  in  den  Märchen  tritt  der 
Wert  dos  Buches  durch  die  Eigenart  der  Fassungen  stärker  herror.  Sehr  er- 
freulich und  voller  Humor  sind  die  skizzenhaften  Zeichnungen  von  der  Meister- 
hand unseres  Wilhelm  Busch.  Wir  empfohlen  das  Küchlein  aufs  wärmste. 

Uoltber,  Prof.  Dr.  W.,  Religion  und  Mythus  der  Germanen.  Neuer  Verlag 

Deutsche  Zukunft,  Leipzig  1909.  115  8.  4".  M.  4. 

Es  ist  erfreulich,  daß  auch  weiteren  Kreisen  mehr  und  mehr  die  törichte 
Anschauung  benommen  wird,  als  ob  wir  nordische  Quellen  und  gennanische 
Mythologie  gleichsctzcn  dürften.  In  diesem  Sinne  wirkt  auch  Golthors  Dar- 
stellung im  Großen  und  Ganzen.  Auch  wird  der  Leser  durch  eine  einleitende 
religionsgeschiehtlicho  Betrachtung  über  die  Bedeutung  von  Traum-  und  Seelen- 
glauben, Ahnenkult  und  Naturbelebung  zur  vorurteilsfreieren  Aufnahme  vor- 
bereitet. — Bei  der  Schilderung  der  i'inzelnen  Gottheiten  ist  vielleicht  trotz 
alles  gegent<'iligen  Wollcns  dem  Nordischen  zu  viel  Bedeutung  beigemessen; 
andererseits  scheint  mir  Tacitus  zu  sehr  zurückzutreten;  und  vor  allem:  hier 
sind  dem  Laien  doch  mancherlei  Vennutungen  geboten  worden.  Wer  kann  sicher 
behaupten,  daß  Tbiogsus  den  Volksversammlungsgott  bedeute,  daß  Freyr  = ags. 
frea  .Herr“  sei  u.  a.  m.?  Ob  freilich  andere  Mythologcn  noch  mehr  Entsagung 
Oben  würden,  als  Goltber,  ist  mir  sehr  zweifelhaR;  und  so  wollen  wir  im 
Namen  weiterer  Kreise  fUr  diese  DarsUdlung  dankbar  sein.  — Sehr  klug  ist  es, 
daß  gerade  diese  Schrift  auf  alle  Götterbilder  modemer  Phantasie  verzichtet 


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2:n 


hat;  der  Umschlag  durchbricht  leider  mit  seinem  unpassenden  Odinbilde  diesen 
guten  Umndsatz.  -e- 

Quellen  und  Foraehnngen  zur  dentachen  Volkskunde.  Ueransgegeben  von 
K.  K.  BIQmml.  I.  Kohl>  Fr.  Fr.,  Heitere  Volksges&nge  aus  Tirol.  Mit 
Singweisen.  Wien,  Verlag  Dr.  B.  Ludwig,  1908.  164  S.  M.  6.  II,  Kopp« 
Arthur,  Brembergor-Gedichto.  1908.  62  S.  M.  2.  III.  Kohl,  F\  F'.,  Di« 
TiroliT  Bauernhochzeit.  Sitten,  Bräuche  usw.  1908.  282  S.  M.  9.  IV. 

Krallk,  R.  r..  Zur  nordgcrmanischun  Sagcngeschicbte.  1908.  120  S.  M.  4,80. 
V.  HSfler,  Max,  Volksmedizinische  Botanik  der  Germanen.  1908.  124  S. 

M.  4,80.  VI.  BlOmml,  Beiträge  zur  deutschen  Volksdichtung.  1908.  198  S. 
M.  7,20. 

Die  dankenswerte  Reibe  Tolkskundlichor  Forschungen  wird  auf  das 
Günstigste  durch  Franz  Friedrich  Kohl  eröffnet.  In  seinen  .heiteren  Volks- 
gesängen  aus  Tirol“  knUpft  er  an  J.  Strolz’  im  Jahre  1807  erschienenen  Beitrag 
.Bnrgall“  an,  der  uns  berichtet,  wie  in  Tirol  merkwürdige  Vorfälle  und  Er- 
eignisse, namentlich  spottbcischende,  gern  in  Reime  gebracht  und  abgesuiigen 
worden;  solche  LiediT  haben  sich  dann  oft  lange  Zeit  erhalten.  Sie  wurden 
früher  meist  nur  von  einer  BaQstimme  begleit.'!,  heute  werden  sie  gewöhnlich 
zur  Gitarre,  die  erst  seit  dem  19.  Jahrhundert  in  Tirol  verbreitet  ist,  oder 
zur  Zither  gesungtm.  Eine  besondere  Rollo  spielen  die  Neckereien,  die  auch 
Buschgawill,  Puschgwill  oder  ähnlich  benannt  werden  — eine  Entstellung  aus 
l’asquill,  wie  eine  solche  ja  auch  im  Schlesischen  als  pulse  kwilo  oder  dergl. 
vorkomint.  Violstrophige  Gedichte  in  Reimen  sind  es,  in  denen  einzelne  Leute 
oder  ganze  Stände,  wie  Bauern,  Handwerker,  Fuhrleute,  Bettler,  Kästenbrnter 
usw.  in  launiger  Weise  Torgcnoniinen  wurden.  Für  die  Volksdichtung  haben  sie 
ebensowohl  ihre  Bedeutung  wie  das  Schnadahnpforl.  Die  Aufzeichnung  dieser 
Stücke  in  der  Mundart  erscheint  klar  und  zuverlässig;  ein  kleines  Würt<n'buch 
dient  der  Erläuti'rung;  die  Melodien  sind  teils  ein-,  teils  mehrstimmig. 

Eine  nicht  minder  vortrefllicbe,  einzigartige  Leistung  bietet  uns  derselbe 
F.  F.  Kohl  in  der  „Tiroler  Bauernhochzeit“.  Josef  Reiter,  der  Leitor  des 
Mozarteums  in  Salzburg,  hat  ihm  zum  musikalischen  Teile  Beistand  geleisU't. 
Religiöse  (hochdeutsche)  llochzeitlieder,  Tafellieder  (zumeist  mundartlich},  sind 
mit  Melodien  — verschiedene  für  Klavier  — mitgeteilt;  dann  folgen  ein 
l’rimizliud,  dann  alte  Hochzeitslänze  aus  Kastellruth,  gesetzt  von  Reiter,  und 
dann  eine  grobe  Reihe  von  Hoebzeitsreimen  und  Sprüchen  — ein  Abschnitt, 
der  sich  mit  den  „heiteren  Volk.sgesängen“  berührt;  endlich  Schilderungen  der 
Tiroler  Volkshochzeit  und  der  Primiz  aus  etwa  zwanzig  der  verschiedensten 
Ortschaften  Tirols.  — Uns  ist  eine  so  eingehende  Darstellung  der  Hochzeit, 
sowohl  von  den  Sitten  und  Bräuchen  als  auch  den  Liedei-n  in  Text  und  .Melodie, 
aus  anderen  Gegenden  nicht  bekannL 

Im  zweiten  Bande  ist  diu  bekannte  Geschichto  vom  Herzen,  wie 
sie  z.  11.  im  Castellan  von  Goiicj’  erscheint  und  uns  vom  Breiincuberger  seit  dem 
13.  Jahrhundert  berichtet  wird,  von  Arthur  Kopp  buhandelt.  Vom  ilrunnen- 
berger  handelten  die  Meistersinger,  und  das  hat  ja  zur  Benennung  des  sog. 
Brembergertons  geführt;  es  hieb,  ein  eifi^rsüchtiger  Ehemann  sollte  den  von 
Brennonberg  getötet  und  sein  Herz  gebraten  der  Geliebten  vorgesetzt  haben. 


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232 


Die  Brennenbergor  Licdeslieder  waren  im  Schwange.  Ihrer  siobiehn,  soweit 
sie  aus  lliogenden  Blättern  bi  kannt  geworden  sind,  hat  Kopp  in  dankenswerter 
Weise  hier  gesammelt  und  auch  (leschichte  und  Sage  vom  Brennenberger  be- 
handelt. 

In  Band  IV  will  y.  Kralik  die  nordische  Sagengeschichtc  neugeordnet 
verfuhren  und  scheidet  sieben  Sagengrnppen,  die  mit  den  „Sagen  vor  dem 
Amszuge  Odins“  beginnen  und  mit  dem  „Ausgange  in  die  Karlssago“  schließen. 
Es  ist  nicht  unintere.ssant  zu  sehen,  wie  sich  der  Verfasser  selbständig  syn- 
thetisch diesen  Gang  gestaltet  hat,  und  seine  Belesenheit  auf  dem  Gebiete 
nordischer  Sage  ist  gewiß  anzuerkennen  — wenngleich  nordische  Wortformen 
vermuten  lassen,  daß  er  nicht  seihst  das  Nordische  beherrscht.  Ist  dies  die 
subjektive  Bedeutung  des  Buches,  so  müßte  ein  objektiver  Wert  seiner  Anf- 
stelluugen  von  dem  Verfasser  noch  erst  durch  eine  kritische  Arbeit  über  diese 
Fragen  erhärtet  werden. 

Max  USflcr  behandelt  im  fünften  Bande  die  einzelnen  Pflanzen  und 
Kräuter,  die  sich  für  die  germanische  Zeit  annohmen  lassen,  in  ihrer  volk.s- 
mcdizinischen  Verwendung,  wobei  Sitte  und  Brauch  eine  große  Rolle  spielen. 
.Aber  auch  zusammenfassende  Ergebnisse  werden  von  Höfler  gewonnen,  indem 
er  nachweist,  daß  die  altgermanischcn  Heilpflanzen  fast  nur  in  nächster  Um- 
gebung menschlicber  Siedlungen  wuchsen;  daß  ihre  primitivste  Verwendung 
der  Fortpflanzung  und  Fruchtbarkeit  galt,  und  daß  die  ältesten  Heilpflanzen 
die  an  Stärke,  Zucker  und  Fett  reichen  Nährpflanzen  waren,  die  vor  allem 
gegen  Auszehrung  gebraucht  wurden;  daß  imdlich  der  Heilgnmdsatz  similia 
similibus  in  verhältnismäßig  junge  Zeiten  weist. 

Aui'h  sucht  H.  darzulegeu,  wie  der  Animismus  besonders  die  innerhalb 
des  Ilausgchäges  wachsenden  Kräuter  und  Bäume  als  Gestalten  oder  Wohn- 
sitze des  mit  Opfergaben  zu  versöhnenden  Hausgeistes  belebt  habi^,  der  als 
„Kobelhold“  günstig  oder  als  „Mar“  eine  Unholdcngoslalt  war.  Inwieweit  sich 
so  weitgehende  Schlüsse  auf  Kult  und  Glauben  ziehen  lassen,  wage  ich  nicht 
zu  entscheiden.  Jedenfalls  zeigt  Höfler  auch  hier  wieder,  wie  er  seine  sub- 
tilen Forschungen  weiteren  GosichtspunkUm  unterzuorduen  weiß. 

Der  sechste  Teil  der  Reihe  ist  ein  Sainmelband,  in  dem  eine  Reihe  von 
Forschern  mit  Thematon  zur  Volksdichtung  hervortreten.  Durch  Beispiele  aus 
dem  Uöhmerwalde  erläutert  Jungbauer  eine  Definition  und  Einteilung  der 
Volksdichtung;  einen  höchst  wertvollen  Bericht  über  die  Volksdichtung  im 
Jahre  1907  (schon  einmal  gedruckt)  bietet  Blümml;  Kohl  und  Pirkl  geben 
Nachträge  zu  der  im  drittrm  Bande  behandelten  „Tiroler  Banemhoehzeit“ ; 
andere  geben  Märchen,  Schwänke,  Sagen  und  vor  allem  Volkslieder  aus  ver- 
sehiedeuen  Gegenden  — es  ist  mehr  der  Band  einer  Zeitschrift,  während  die 
früheren  Teile  Monographien  sind.  Alle  dicst;  Bände  zeigen  eine  vortreffliche 
Ausstattung,  die  dem  lleransgcber  und  dem  Verleger  zur  Khre  gereicht.  Ss. 

Ilandbllrher  zur  Volkskunde»  Leipzig,  Wilhelm  Heims.  I.  Band.  Wchr- 
han,  Karl,  die  Sage.  1908.  Iß2  S.  II.  Thimine,  A.,  da.s  Märchen.  1909. 
202  S.  III.  Schell,  0.,  das  Volkslied.  1908.  204  S.  IV.  Wchrhaii,  K., 
Kinderlieil  und  Kinderspiel.  I!K)9.  189  S.  V.  Sartori,  1’.,  Sitte  und 

Brauch  1.  1910.  18G  S.  Jo  M.  2. 


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233 


Gcwili  ist  es  eine  sehr  nntzlichc  Aufgabe,  in  »eiteren  Kreisen  Interesse 
für  die  Aufgaben  der  Volkskundi>  zu  erwecken,  und  diese  Absicht  hegt  die 
kleine  Saimninng  wohl  in  erster  Linie  und  erfüllt  sin  auch.  Sic  wird  manchem 
Anleitung  zu  eigner  lleUtigung  auf  volkskundlichem  Gebiete  geben  können. 

Kino  Gefahr  liegt  in  dem  Umgrenzen  der  verschiedenen  Gebiete.  Vor 
allem  sind  K.  Wehrhan  Schwierigkeiten  durch  die  Definition  erwachsen,  zumal 
da  ja  die  Grenzen  viel  umstritten  sind.  Ifci  ihm  fitngt  das  Mißverstindnis 
schon  mit  der  Etymologie  an:  Das  Substantiv  „Sage“  ist  abgeleitet  (so!)  vom 
Verbum  „sagen“  nsw.,  und  acht  deutsche  Wörterbücher  werden  als  Eideshelfer 
herangezogen.  Sartori  sagt,  indem  er  die  Begriffe  „Gewohnheit,  Brauch,  Sitte, 
Mode“  gegen  einander  abgrenzen  will,  u.  a. : „Das  Wort  Sitte  h&ngt  zusammen 
mit  altindischem  svadhü  = Gewohnheit,  das  man  auf  sva  = snus  und  dhä  = 
■setzen,  machen,  tun,  zurückgeführt  hat.“  Nun,  da  muß  es  doch  einmal  ge- 
sagt sein:  seihst  abgesehen  von  solchen  unglückseligen  Etymologien,  es  kommt 
für  uns  bei  diesen  Definitionen,  mit  denen  deutsche  Gelehrte  so  oft  altmodisch 
die  Zeit  verplcinperii,  garnichts  heraus!  Ob  für  die  Bhilosophie,  will  ich  nicht 
beurteilen;  für  die  Vbdkskundo  jedenfalls  nicht.  Thimme  nimmt  hier  den 
richtigsten  Standjiunkt  ein,  indem  er  über  das  Wort  und  die  Definition  von 
Miirchen  nichts  sagt. 

Damit  wollte  ich  aber  nur  vor  künftigen  Mißgriffen  warnen,  keinen  Tadel 
anssprechen.  Denn  jedes  der  Büchlein  hat  seine  Verdienste.  Wehrhan  hat 
in  nicht  ungeschickter  Weise,  ühnlich  wie  ehedem  Elard  Hugo  Meyer  cs  getan, 
auf  möglichst  viele  Sitten  und  Briiiiche  aufmerksam  gemacht,  indem  er  sic  bei 
Besjirechung  der  einzelnen  Gelegcnhidten,  z.  B.  bei  der  Hochzeit  viTgleichend 
zusammenslellt.  Das  hat  ja  Nachteile,  indem  vieles  Bekannte  wiederholt  und 
recht  willkürlich  ausgewiihlt  wird;  aber  der  Leser  lernt  auf  manches  achten, 
was  beim  Erfragen  und  Vergleichen  von  Nutzen  ist.  Heichhaltige  Literatur- 
angabi'U  hesehließen  dieses  Bändchen  wie  alle  anderen.  Nach  älinlicher  Dis- 
position hat  Wehrhan  das  — übersichtlichere  und  daher  dankbarere  — Gebiet 
„Kinderlied  und  Kinderspiel“  dargestclit;  gute  Bemerkungen  über  Khythmus, 
Ih'im,  Metrik  und  Musik  sind  anzuerkennen;  wohl  nur  ein  Zufall  ist  cs,  daß 
die  wichtigsten  Sammlungen  in  der  „Literatur“  vergessen  sind,  nämlich  der 
Grundriß  und  der  Jahresbericht  der  germanischen  Philologie.  — Am  bequemsten 
hatte  es  Schell,  da  für  die  Methodik  der  Volksliedsforsihung  reichliche  und 
nutzharc  Vorarbcili'n  aus  neuester  Zeit  zu  Gebote  stehen.  Die  Darstellung  ist 
sehr  verständig,  kurz  und  geschmackvoll  und  geht  über  den  Wort  hinaus,  den 
ihr  der  bescheidene  Verfasser  zumißt.  Am  schwierigsten  hingi'gcn  hatte  es 
widd  Thimme  mit  der  Bt:handliing  des  Märchens;  auch  er  hat  sich  in 
ilankenswertcr  Weise  mit  seinem  Sti>ffc  abgcfnndeii,  nur  daß  mir  die  stilistische 
Seite,  die  doch  sehr  wichtig  ist,  zu  wenig  beachtet  zu  sein  scheint.  Damit 
genug  über  die  kleinen  nützlichen  Handbücher,  die  dem  Laien,  der  sich  für 
volkskundliche  Korschiing  interessiert,  warm  empfohlen  werden  können,  zumal 
da  sic  für  den  billigen  Preis  von  zwei  Mark  jedem  leicht  erreichbar  sind.  Ss. 

Gebhardt,  August,  Grammatik  der  Nüniberger  Mundart.  Grammatiken  deutscher 

Mundarten  VII.  Unter  Mitwirkung  von  Otto  Bremer.  Leipzig,  Breitkopf  u. 

Härtel,  1907.  399  8.  M.  12. 

Mllteilunacn  ü sehlcs.  (»es.  f.  Vkdo.  liaiid  XII  (Heft  2). 


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234 


Es  wird  eine  sohr  nnifangridchp  (irammatik  der  lebenden  Mundart  Nüni- 
berga  gegeben,  die  zum  oberpfiUzischon,  also  zum  bairisiben  gerechnet  wird. 
Nach  einer  phonetischen  Darstellung  des  Lautsystems  folgt  die  historische  Be- 
handlung. Die  Sprache  Hans  Sachsens  wird  grundsStzlich  ausgeschlossen ; da.s 
ist  sprachwissenschaftlich  begründet,  indessen  wSre  ein  nftbercs  Eingehen  auf 
sie  doch  erwünscht  gewesen.  In  einem  bcsondi'rcn  Abschnitt  w ird  die  iCcitfulgo 
der  Lautwandlungen  graphisch  dargestcllt  — eine  höchst  minutiöse  Arbeit,  die 
freilich  nur  bei  wenigen  Miindartonforschern  auf  Verständnis,  d.  h.  auf  Nach- 
prüfung rechnen  dürfte;  cs  gehört  Mut  dazu,  die  vielen  Linien  derartiger  in 
ihrem  Werte  nicht  zu  [unterschätzender  Zeichnungen  nachziiziehen,  um  schlieUlicIi 
doch  nur  subjektiv  gültige  Anschauungen  zu  gewinnen.  Lieber  hätte  man  der 
Wortlehre  und  Syntax  eine  eingehendere  Behandlung  gewünscht,  Wenu  z.  B. 
in  § 142  nur  ganz  wenige  Zusammensetzungen  mit  voll-  erscheinen,  so  möchti' 
man  meinen,  daß  sich  vielleicht  noch  mehrere  hätten  linden  lassen,  wie  wir  sie 
in  diesem  Hefte  S.  218ff.  mitgetcilt  haben;  natürlich  wollen  wir  das  nicht  mit 
Sicherheit  behaupUm.  Auch  das  Syntaktische  ist  sticfniüttt^rlich  behandi-lt. 
Daß  dem  Wortschatz  kein  Baum  gegönnt  wird,  damit  soll  kein  Tadel  für  dittscs 
Buch,  sondern  nur  die  allgemeine  Warnung  ausgesprochen  sein,  daß  die  .Mund- 
artenforschung nicht  allzu  einseitig  aufgefaßt  werde.  — Die  Darstellung  de.s 
musikalischen  Akzentes  in  Notenschrift  halten  wir  für  wenig  erfolgreich,  so  si^hr 
sic  auch  in  Modo  sein  mag.  Bei  jeder  mundartlichen  Äußerung  kommen  hier 
so  viele  Imponderabilien  in  Betracht,  daß  die  Wiedergabe  der  Melodie  durch  Noten 
viel  Zufälliges  und  Persönliches  hat.  — Daß  unter  den  Tcitproben  <}oethe.s 
Zueignung  (der  Morgen  kam,  es  schauten  seine  Tritte)  „b)  im  Munde  der  Un- 
gebildeten“ erscheint,  halten  wir  nicht  fUr  glücklich;  cs  kann  sich  bei  einem 
solchen  nur  dem  Gebildeten  zugängigen  Stöcke  doch  höchstens  um  eine  gewalt- 
same Übertragung  in  dio  Sprache  der  üngobibleton  handeln. 

Doch  das  alles  sind  Dinge,  die  uns  nicht  hindern,  in  der  Gebbardt'schcn 
Grammatik  eine  sehr  fleißige,  gründliche  und  wertvolle  Arbeit  zu  sehen,  für  die 
wir  dem  Verfasser  und  Herausgeber  Dank  wissen. 

Pessler,  Dr.  Willi,  Das  altsächsiscbe  Bauernhaus  in  siüner  ger>graphischcn 
Verbreitung.  Ein  Beitrag  zur  deutschen  Landes-  und  V^olkskundo.  Braiin- 
schweig,  Fr.  Vieweg  u.  Sohn,  1906.  258  S.  M.  10. 

Nach  Ansicht  Pcsslcr's  stellt  sich  das  altsächsischc  Bauernhaus  durch 
Vergleich  mit  anderen  Grenzen  als  eines  der  wichtigsten  Kennzeichen  des 
Sachsonstammos  heraus.  Wenngleich  sich  diese  Behauptung  a priori  bestreiten 
läßt,  da  ja  doch  die  Siedler  den  Hausbau  veränderten  Bedürfnissen  einer  neuen 
Heimat  häufig  anzupassen  gezwungen  waren,  so  können  wir  doch  nur  dankbar 
sein,  wenn  dio  Bedeutung  dieses  Kriteriums  Pessler  zu  seinen  eingehenden 
Forschungen  über  das  niedersächsische  Haus  veranlaßt  hat.  Das  Werk  wird 
durch  eine  sehr  gewissenhafte  Darstellung  der  geographischen,  agrarischen  und 
technischen  Literatur  cingeleitet,  dann  folgen  Kinzelforschungim  über  dio 
Verbreitung  des  Saebsenhauses  und  seine  verschiedenen  Ausgestaltungen;  reiche 
liegister  erleichtcni  die  l'bersicht  über  das  Ganze,  und  treffliche  Pläne  und 
kartographische  Darstellungen  dienen  der  Erläuterung.  Als  Charakteristika  des 
Sachsenhauses  werden  die  Dreitciligkeit  (hohe  Diele  mit  zwei  Seitenschiffen), 


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•235 


die  Stellung  des  Herdes  in  der  Mitte  des  Hauses,  die  Vereinigung  des  Ganzen 
unter  einem  Dache  gewonnen.  Ist  dies  ja  im  wesentliehen  bekannt,  so  ist 
neu  und  ein  entschiedenes  Verdienst  Pesslcrs,  die  geographische  Verbreitung 
auf  der  Karte  fcstgcstellt  zu  haben.  Kr  hat  es  sich  keine  Mühe  rerdrielien 
lassen,  zu  Fuß  und  zu  Itad  die  ihm  wichtigim  GcbieU'  zu  durchstreifen. 
HotTentlich  kommt  er  im  Laufe  der  Zeit  auch  zur  Darstellung  des  friesischen 
Hauses,  das  man  wohl  aus  dem  skehsischen  bat  entwickeln  wollen;  ich  ver- 
mute, daß  er  in  dieser  Sache  zu  anderem  Krgebnisse  kommen  wird.  Über  die 
weiteren  Forschungen,  die  Pcsslcr  seit  dem  Erscheinen  seines  treffliehen  Buches 
unternommen  hat,  hoffen  wir  bei  nächster  Gelegenheit  zu  bericlitin.  S. 


Mitteilungen. 

Am  2.1.  .luni  1910  starb  in  Breslau  der  Schatzmeister  unserer  Gesellschaft, 
Hofkunsthändler  Bruno  Hirhter.  Seit  langen  Jahren  hat  er  in  nnermridlicher 
Weise  treu  seines  IChri'namtea  gewaltet;  in  ihm  haben  wir  einen  steUs  hilfs- 
iind  ralbereiten  Freund  verloren.  Wir  werden  sein  Andiuiken  in  Ehren  halten. 

Am  7.  November  fand  eine  Sitzung  des  Vorstandes  statt.  Es  wunlc  über 
die  Veröffentlichungen  und  Arbeiten  der  Gesellschaft  beraten  und  der  Bi  schlnß 
gefaßt,  zu  dem  am  3.  August  1911  zu  feiernden  humlertjährigen  Jubiläum 
unserer  Universität  einen  Fe.stband  herauszugeben,  zu  dem  fast  alle  diejenigen 
Vertreter  volkskundlicher  Wissensi  haft,  die  zugleich  Angehörige  der  Universität 
und  unserer  Gesellschaft  gewesen  sind,  Beiträge  zugesagt  haben.  — Zum  Schatz- 
meister wurde  der  Bankier  Dr.  Kurt  von  Eichhorn  (Blllcher|)latz  13  11.) 
gewählt. 

Am  Freitag  den  11.  November  fand  die  erste  öffentliche  Sitzung  im 
itörsaal  I der  Universität  statt,  l’rof.  Dr.  Knhnau  hielt  einen  Vortrag  über 
die  Schlesischen  F.lben-,  Dämonen-  und  Tenfelssagen  und  gab  damit 
einen  l'berblick  über  seine  Arbeit  am  zweiten  Bande  der  Schlesischen  Sagen. 
Seitdem  ist  dieser  nnifangreiche,  außerordentlich  reichhaltige  B.and  im  Buch- 
handel crs<  hiencn,  zur  Freude  aller  Forscher  auf  dom  Gebiete  der  Volkskunde, 
sowie  aller  derer,  die  Sinn  für  V(dksdichtung  haben.  Zumal  da  wir  mit  kurzen 
Worten  das  Werk  auf  Seite  224  besprochen  haben,  können  wir  auf  eine  Inhalts- 
angabe lies  Vortrages  verzichten. 

Am  Freitag  den  9.  Dezember  hielt  die  Gesellschaft  den  zweiten  Vor- 
tragsabend ab.  Universitätsprofessor  Dr.  Franz  Skutsch  hielt  einen  Vortrag 
über  „eine  messianischo  Weissagung  vom  Jahre  40  vor  Christus“, 
mit  dem  er  einen  höchst  wertvollen  und  fesselnden  Beitrag  zur  ReligionsgeschichU- 
und  somit  auch  zur  Volk.skundc  des  römischen  Altertums  gab.  Er  bot  eine 
dichterische  Übersetzung  und  eine  Erklärung  der  vierten  Ekloge  des  Vergil,  in 
der  man  früher  eine  messianischc  Weissagung  und  christliche  Ansebannngen  hat 
erkennen  wollen.  Der  Vortragende  wies  nach,  wie  sich  die  Prophezeiung  auf 
die  Geburt  eines  Sohnes  des  Kaisers  Oktavian  beziehen  sollte ; daß  der  Hof- 
dichter Vergil  in  dieser  Weissagung  eben  nur  die  Möglichkeit  der  Geburt  eines 

IC* 


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23fi 


Sohni-s  und  nicht  auch  einer  Tnchter  — wie  sie  »ich  mit  der  Gehurt  der  Julia 
erfüllt  hat  — ins  Auge  lallt,  ist  durchaus  de.r  damaligen  AnHchauung  gcniHB. 
Mit  der  KrklSrung  des  Gedichts,  das  ja  später  in  der  Geschichte  der  christlichen 
Heligion,  der  Dichtung  und  der  bildenden  Kunst  eim-  große  Bedeutung  haben 
sollU“,  gab  der  Vortragende  reichen  Stoff  lur  Kunde  von  römischer  Religion 
lind  Sitte. 

Die  Arbeiten  zur  Sammlung  und  Herausgabe  der  schlesischen  Volks- 
lieder nehmen  gnlen  Kortgang.  Die  Einsendungen,  divren  wir  im  letzten  Jahre 
eine  so  große  Zahl  rorzeichiu'n  konnten,  haben  sich  vermehrt.  Vor  allem  ist  die 
Arbeit  nun  der  Katalogisierung  gewidmet  gewesen.  Auch  weiterhin  werden  wir  für 
Saininlung  und  Sendung  von  Liedern  dankbar  sein.  Nur  durch  eifrige  Mitarbeit 
Vieler  ist  das  Gelingen  eines  so  groß  angelegten  Merkes  möglich. 

Am  10.  Dezember  starb  zu  Heidelberg  im  fünfzigsten  la'bensjahre  der  außer- 
ordentliche Professor  der  nordischen  Philologie  und  Volkskunde  Dr.  Bernhard 
Kahle,  wohl  der  einzige  in  Deutschland,  der  einen  amtlichen  Lehrauftrag  für 
V'olksknndc  hatte.  Der  Verstorbene  hat  sieh  nicht  nur  durch  seine  Arbeiten 
zur  nordischen  Sprache  und  Literatur  und  zur  deutschen  Volkskunde,  sondern 
auch  durch  tätige  Mitwirkung  an  volkskundlichen  Bestrebungen  verdient  gemacht. 
Unsere  „Mitteilungen“  haben  mit  ihm  einen  geschätzten  Mitarbeiter  verloren. 


Da  wir  für  den  Fortgang  unserer  großen  Arbeiten,  zu  denen  sich  ja  jetzt 
noch  die  Herausgabe  der  schlcsi.schcn  Volkslieder  ge.sellt  hat,  bedeuU'nder 
Mittel  bedürfen,  bitten  wir  unsere  Mitglieder  dringend,  bei  geeigneter  Gelegenheit 
eifrig  für  materielle  Unterstützung  unserer  Bestrebungen  zu 
wirken  und  den  Jahresbeitrag  wouiögllch  nicht  mif  das  Mindestmass  von 
drei  Mark  zn  beschränken.  M ir  bitten,  auf  unsere  besondere  Mitteilung  be- 
lugnehmend,  um  baldige  Einsendung  au  den  Schatzmeister,  B.ankior  Dr.  Kurl 
von  Eichhorn,  Breslau  I,  Blücherplatz  1311. 


Als  neue  Mitglieder  traten  unserer  Gesellschaft  bei  ans  Ilreslan: 
Herr  Dr.  Kurl  von  Kichborn,  Frl.  Helene  Redlich.  Herr  Univ.-Professor 
Konsistorialrat  Dr.  Gennrich,  Herr  Architekt  Effonberger,  Frl.  A.  Favorke; 
von  auswärts  die  Herren  Rcinbold  Richter  in  Seifhcnnersdoif  i.  S.,  Apo- 
theker Friedrich  Buchwald  in  Schweidnitz,  Buchhiiiidlcr  Rudolf  Mitschke 
in  Striegan,  Karl  Sonnenmark  in  M'icn,  Seminarlehrcr  Dr.  T h.  Schünborn 
in  llunzlaiL 


Die  n.lrhste  Sitzung  lindel  am  Freiing  den  13.  Januar  1911  um 
8 Uhr  im  Hörsaal  I der  Universität  statt:  der  ord.  Professor  Dr.  v.  Wenck- 
stern  wird  einen  Vortrag  hallen  über  „Theorie  der  Bevölkerungs- 
statistik.“ 


Schluß  der  Redaktion:  22.  Dezember  1910. 


A.  Favorke,  Itresiau  II. 


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jMitteUungcn 

dee  Terbandee  deutfcher  Vereine 
für  Volkehunde 

JSJr,  1.  (KorrefpondenzbUtt)  1905. 


@dcftewort. 

®icfc  SWittcitungen  ftcHen  fic^  in  ben  !5)ienft  beS  ScrbonbeS 
beutfc^er  ®creine  für  ®oIf§tunbc.  Sieben  ben  nur  tn  längeren 
3n)ifdjenräumen  möglicfjen  ^ufcunnienfünften  füllen  fie  einen  bauern« 
ben  ®ertel^r  feiner  SJlitglieber  unter  einanber  oermitteln  3ur  görberung 
ifirer  roiffenft^aftlic^en  unb  praftifei^en  3Irbeit.  Ob  fie  biefe  Slufgabe 
erfüllen  tonnen,  roirb  roefenttic^  non  ber  Unterftü^ung  abpngen, 
bie  fie  Don  Seiten  be§  ®erbanbe§  felbft  erfafiren.  ®aburd),  bafe 
fie  on  fämtlid;e  Ginjeimitglieber  ber  Vereine  üerfanbt  roerben,  ift 
ein  DoIfätunblidjeS  Organ  gefc^affen,  beffen  fieferfreiS  üiele  Saufenbe 
ääf)[t,  beffen  Stimme  nic^t  blofe  non  ben  @elef)rten  üernommen 
roirb,  fonbern  non  ben  roeiteften  Jtreifen  berer,  bie  irgenbroie  oolfs* 
funblid)  intereffiert  finb,  ein  Organ,  roie  e§  bi§  jc^t  roo^t  nod^ 
nirgenbS  befte^t.  9Bir  ritzten  in  biefer  erften  SJlummer  oor  allem 
an  unfere  SerbaubSmitglieber  bie  Sitte,  ben  „Mitteilungen"  burd^ 
il)re  tätige  Ieilnal)me  5U  ber  Sebeutung  5U  oerl)etfen,  bie  fie  ^aben 
lönnen. 

Sluc^  über  ben  Serbanb  felbft,  über  beffen  äußere  ©ntfte^ung 
unb  ^ufammenfegung  biefe  Summer  einge^enber  berichtet,  ift  eS 
roo^l  am  ®la§c,  einige  SBorte  ju  fagen,  jumal  er  trol3  ber  furjeu 
3eit  feines  Sefte^enS  fdjon  einigen  tritifd)en  Sctradjtungen  auSgefegt 
mar.  $ie  Sotroenbigteit  eines  3>‘f“^“tenfd)tuffe§  ift  oon  allen 
DolfSfunblidjen  Slrbeitern  oon  iel}er  anertannt  roorben.  Unb  fd^on 
Dor  einigen  ^a^ren  ^at  biefe  @infid;t  ba3u  gefül)rt,  ba&  eine  Sn^aljl 
Don  Sereinen  fid^  in  bem  „©efamtocrein  ber  beutfdjen  @efd)id)tS» 
unb  SlltertumSDereine"  sufammenfanbeu  unb  bort  halb  eine  neue 


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2 


oolf§funblid)c  Slbteilung  in§  Seben  riefen.  9Iu  il^tcn  S3erf)an,blungcn 
fann  jeber,  ber  fid)  al§  Jcilneijmer  an  ber  ^auptoerfammlung  ^at 
eintragen  laffen  nnb  ben  Serfammlungäbeitrag  entrichtet  t)Qt.  teiU 
nehmen.  „®er  3mecf  be§  ©efamtuereinä  bet  beutfehen  ®efchi«htS= 
unb  Slltertumsoereine  ift,  ein  einheitliches  3uf“*^mennjirten  biefer 
aSereine  3U1  Srforfchung  nnb  ©rhaltung  ber  naterlänbifchen  ®en!= 
möler  unb  jur  görberung  ber  beutfehen  @efchid^t§=  unb  ailtcrtumS^ 
forfchung  herbeijuführen''  (§  1 feiner  ©ahungen).  ®ie 
3ufammengef(hIoffenen  aSereine  beträgt  169,  unter  ihnen  befinbet 
fich  eine  im  aSerhältniS  nerfihroinbenb  geringe  ainsahl  non  fpesicU 
DoIfSfunblichen  aSereinen  (roohl  5 — 6).  :3n  bet  aibgeorbnetenDcr= 
fammlung,  ber  in  lehter  ;3fnftan3  aUe  roichtigen  aSefchlüffc  jufallcn, 
entfdjeibet  bie  ÜJiehrhcit  ber  erfchienenen  aJereinSuertreter.  Qd)  führe 
biefe  ßinselheiten  nur  an,  um  ein  aiilb  non  ber  Stellung  ju  geben, 
bie  ben  noltsfunblichen  aSereinen  innerhalb  biefer  großen  Ctgani» 
fation  5ufallen  muh-  aiian  ging  mohl  banon  au§,  bag  bie  a3olt§= 
funbe  eine  „hiftorifdje  ^ilfSroiffenfdjaft"  fei,  eine  IRubrif,  unter  ber 
fie  bis  auf  ben  heutigen  ®ag  hüufig  untergebracht  mirb.  (Sine  folche 
a3etrad)tungSn)eife  ift  geroih  möglidj  unb  in  mand;er  ^inficht  auch 
förbetlich.  ®te  ©efchidjte  bebarf  in  ber  ®at  auf  Dielen  ©ebieten 
ber  ^ilfe  ber  aSolESfunbe,  unb  eS  ift  nur  erfreulid),  roenn  fie  fich 
beffen  erinnert,  aiu^  bie  aSolfStunbe  ift  anbererfeitS  auf  bie  Untere 
ftühung  ber  ©efchichtSroiffenfchaft  angcroiefen.  ®ic  Ißrähiftorie  liefert 
ihr  intereffanteS  93iaterial;  bie  Quellen  ber  @efchid)te  finb  311m  ®cil 
aud;  bie  ihren;  bie  üerritorialgefchichte  hilft  ihr  manche (Srfcheinungen 
beS  a3olfSlebcn§  crtlären ; Dor  allem  ber  ßulturgefd)i(hte  ift  fie  nahe 
Deriüanbt.  a3on  biefen  engen  a3c3iehungen  legen  auch  l>ic  l3rooin3ial= 
unb  lütalgcfd;id3tlid)en  ^citffhrifte«  3«ugni§  ab,  inbem  fie  aHjährlich 
eine  fjülle  roertDolIer  DoltStunblichcr  airbeiten  bringen.  39ei  aller 
aBürbigung  aber  bes  aianbeS,  ba§  beibc  aöiffenfdjaften  nerbinbet, 
unb  bn§  niemanb  locfern  roill,  follte  man  hoch  nid)t  nergeffen,  bah 
bie  aSoltätunbe,  unb  3mar  nidjt  blüh  in  ®cutfd)anb,  fonbern  in 
allen  Ihilturlönbern,  längft  eine  felbftänbigc  Söiffenfchaft  geiuorben 
ift  mit  eignem  airbcitSgebiet  unb  eigner  airbeitSmcife.  Schon  im 
3ühre  1858  beinerftc  38.  Stiehl  in  einem  atortrage,  ber  gerabe 
ncuerbingS  mit  Stecht  luicbct  mehr  beachtet  luorben  ift,  unb  ber  ben 
3roccf  hotte,  bie  Selbftänbigteit  unb  aBiffenfchaftlichfeit  ber  a?ülf§= 
funbe  3U  erroeifen : „3ch  seigte  Shuen,  bajj  bie  aSoltStunbc  fclbftänbig 
geroorben  fei,  freigefprod;en  namentlid)  dou  ihrer  alten  ®ienftbarfeit 
bet  ©eographic  unb  ©efchichtc."  ®aS  holbc  Qahrhunbert,  bnS  feitbem 


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3 


|V>tl 


Dcrftric^eu  ift,  ^at  bie  Sigeiiart  bcr  IBolfsfunbc  noc^  fcf)ärfct  au§= 
geprägt. 

gä  finb  ^auptfäc^licf)  stnet  @eficf)töpunKe,  unter  benen  fic  i^re 
roiffcnfdjQftlicfie  9lrbeit  auffa^t.  bem  93oI(öIcben  bcr  @egcn= 
loart,  ba§  fic  erfaffen  roiü,  erfennt  fie  bie  ^üge  einer  näheren  ober 
entfernteren  93crgangcnf)cit  roieber;  ba§  Sagcälic^t  bcr  ©cgcniimrt 
t)ilft  i^r  bad  3)unfcl  ber  Scrgangcnfjcit  erteilen.  Unb  anbererfeits 
finbet  jened  Sßolfälebcn  feine  roufole  ßrflärung  roieber  au§  ber 
i?cnntni§  bc§  längft  93crgangcncu.  ^ür  ben  bcutfd)cn  93olf§forfc^cr 
ift  boficr  bie  eingct)cnbe  S3efd)äftigung  mit  bem  beutfdjen  9lltertum 
indbefonbere  nod)  feiner  gciftedgcfdjic^tlidjcn  Seite  f)iu  unerläfelidj, 
oud)  5um  SSerftänbnid  bcr  fog.  Stcalien.  2Jlit  onberen  SBorten,  bie 
bentfdjc  SSolfdtunbe  bebarf  bcS  engen  Ütnfdjtuffcd  an  bie  gctmanifd)e 
'f}i)itologie  nnb  9lltcrtum§funbe.  9lber  ba  bad  bentfdje  33oltdtum 
fd}on  feit  früher  3cit  ftarten  freinbcn  ©inflüffcn  audgefe^t  roar,  bie 
bid  in  bie  ©egenroart  roirfen,  ginfiüffcn  befonberd  bcr  ülntitc,  bcr 
femitifdjen  ißöltcr,  ber  Slarocn  unb  9tomancn,  fo  finb  roir  auf  bie 
^ilfc  bcr  Sin^clp^ilologicn  biefer  23ölter  angcroiefen,  roenn  roir  bie 
fragen,  bie  und  bad  SBoIfdIcbcn  bcr  ©egenroart  ftcllt,  bcantroorten 
rooHcn.  derjenige,  bcr  und  roiffcnfdjafttid)  biefe  Kombination  oou 
S3crgangenf)eit  unb  ©egenroart,  oon  ij3l)ilologic  unb  93olfdfunbc  juerft 
gelcf)rt  ^at,  ift  Qotob  ©rimm  geroefen.  fRic^l  meinte  in  bem 
crroäfjuten  Sortragc,  roir  tönnten  oon  einer  neuen  2ßiffcnfd)aft  bcr 
93oltdtunbe  fclbft  bann  reben,  roenn  roir  nud)  gar  nid)td  rocitcred 
befaßen,  ald  road  bie  !8rüber  ©rimm  jur  ©rtenntnid  bed  bcutfdjcn 
9?olted  gefdjaffen  i)aben. 

9Ibcr  bie  öoltdhinbc  — unb  bad  gilt  für  bie  jeber  Diatiou  — 
mufe  i^re  93licfe  and)  nod;  in  nnberem  als  bem  angegebenen  Sinn 
über  bie  nationalen  Sdjrnnten  l)inaud  rid)tcn.  2)ad  üeben  bed 
IBolfed  erroeitert  fic^  il;r  311m  Ceben  ber  SDlcnfc^^eit.  $ad  eigen» 
artige  alte  ©eifted»  unb  Kulturleben,  bad  fie  betradftet,  rocift  fie 
bin  auf  ältere  Stufen  bcr  mcnfd;lid;cn  Gntroicfclung  übcrt;nupt. 
'JJlit  Staunen  finbet  fie  unter  ben  fog.  9Jaturoölfern  äl;nlicbc  2cbcnd» 
formen  unb  @eiftedcr3cugniffc  roic  unter  ben  93eroobncrn  bcr  eignen 
.'pcimat.  Unb  fie  abnt  eine  gcfcblicbe  Gntroicfclung  bcr  S)ienfd;beit, 
in  bcr  bie  bed  eignen  Sßolted  brinnen  ftel;t.  !Jcdl)alb  mufe  fid;  bie 
iBültdtunbc  oerbünben  mit  bcr  9?öltcrfunbc,  bcr  Gtl;nologic.  ©erabc 
bie  Icljtcn  ^al)r3ebntc  buben  und  bied  auf  bad  bcutlid;ftc  gelehrt. 
Gs  ift  ein  93erbienft  bcr  cnglifd;en  (jorfebung  mit  'Jlad)briid  bieraiif 
bingcroiefen  311  baben.  '4^  b i f ° ^ o 9 * ^ (rooruntcr  id;  auch  bie  9Uter» 


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tumSfimbe  Dcrfte^e)  itnb  Ethnologie  finb  bic  beiben  ©ruubpfeilcr 
bet  roiffenfchaftlichcn  iBoIfötuube. 

®o6  bie  Sßoltstunbe  baneben  auf  bte  ÜDlitarbeit  5QhIreicher 
anberer  SSiffen^chaften  angeroiefen  ift,  broucht  njoht  tnuni  befonbetS 
betont  51t  toerben.  ©erobe  in  biefer  äJiQnnigfaltigteit  ihrer  53e* 
5iehungen  befteht  einer  ihrer  ^auptreije.  ^3)nrdh  ba§  Sanb,  ba§  fic 
um  bie  oerfchiebenften  SBiffenSüroeige  frf)Iingt,  förbert  fie  in  einer 
Seit  be§  ©pcäialiftentuinS  ba§  roiffenfehaftiiehe  3)enfen  überhaupt. 
Sie  gleicht  barin  ber  ißhilofophie,  bie  ihr,  ebenfo  roie  bie  ©efchithte, 
3)ienfte  leiftet  unb  folche  uon  ihr  empfängt.  Sumal  ipfpchologie 
unb  Soziologie  roerben  ihr  bei  Grfaffung  be§  Seelenleben^  be§ 
SßolfeS  behilflich  fein  niüffen.  Sheo^oflie  3ieligion§njiffenfchaft 
erfchliefeen  il;r  bo§  gefcljichtliche  Serftänbniä  ber  ©laubenäformen. 
SJJebizin  unb  SfuriSprubenj  erleichtern  baä  Stubium  oolfätümlicher 
^eilfunbe  unb  alter  9techt4fitten.  3)ie  Uiationalötonomie  roeift  fie 
auf  bie  roirtfchaftlichen,  bie  ©eographie  auf  bie  natürlid)en  @runb= 
lagen  be§  SBolt§leben§  hi»-  ®en  üJaturioiffenfchaften  oerbanft  fie 
ben  Segriff  be§  organifcheu  SebenS  unb  feiner  Entraicfelung. 

Sdh  glaube,  roet  fich  biefe  Eigenart  ber  Uloltötunbe  unb  it)rc 
Stellung  unter  ben  SBiffenfehaften  Ilar  nmefjt,  mirb  uri§  zuftinnnen, 
roenn  mit,  ohne  babutch  etmaige  anbere  ^Beziehungen  ftören  z» 
roollen,  einen  felbftänbigen  Snfammenfehtuh  ber  ooltälunblichen 
Slrbeit  für  geboten  halten.  9lur  ein  foldher  gibt  unS  bie  58erocgung§= 
freiheit,  beten  mir  im  Sntereffe  ber  Sache  bebürfen  unb  ermöglicht 
un§  S3ünbniffe  nach  allen  Seiten  hin  zu  fchliepen.  organifchc 

Ulnfchlufj  on  einen  Serbanb,  in  beffen  Sentrum  anbere  Sntereffeu 
ftchen,  unb  feien  fie  noct)  fo  mcrtooll,  mufe  unfere  Ulrbeit  lähmen. 
lEcr  eigne  Serbanb  leiftet  un§  ©ernähr  bafiir,  bah  für  fein  roiffeiu 
fdjaftlicheS  unb  prnttifd)cö  3Birfen  nur  o oltSf  unbliche  ©efidjtä= 
punfte  nmhgebenb  finb.  9lur  ein  felbftänbigcr  9Serbonb  mirb  unfere 
9lrbeit  oor  ber  S^i^fpiitterung,  bic  gcrabe  für  fie  fo  gefahtbringeub 
ift,  beroahren  tönucn.  Eine  ©licberung  in  ^unberte  oon  felbft= 
ftänbigen  territorialen  Vereinen,  mic  fie  bie  lanbesgcfdjidjtlidje  3^or= 
fchung  roohl  oerträgt,  mürbe  für  bie  $olt§funbc  ocrhängniöooU  fein. 
®a§  liegt  in  ihrer  auf  bas  2ppifd;e  gcrid)teten  Eigenart  begrünbet. 
Sd)on  jetjt  führt  bic  oiclfnch  oorhanbene  Sfaii<^>^i'ng  unb  ber 
mnngclnbc  Überblid  zu  mancher  nuhlofcn  Slrbcit  unb  bcbnucrlid)cr 
firaftoergeubung ; bic  93olfätunbc  bebarf  ber  ft'onzcutrierung.  9hcr 
ein  felbftänbigcr  IBcrbanb  eublich  mirb  internationale  Beziehungen 
antnüpfen  formen,  ohne  bie  mir  auf  bic  3)auer  nid;t  auSfommen 


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5 


fönnen.  i?ciu  ernft^after  ^iftorifer,  am  atlcriucnigftcii  einer,  bem 
bic  SJoIfäfuiibe  am  öer^en  liegt,  roirb  un§  ba^er  ob  unferer  ©elbft= 
ftänbigteitsbeftrebungen  grollen  bürfen. 

5lu(l)  bic  Dielen  .^ninbcrtc  unb  Saufenbe  oon  ßaien,  bie  mir 
für  nnferc  Sadje  geroorben  l)abcn  unb  511  locrben  fud)cn,  tönnen 
nur  ^nfrieben  fein,  roenn  fic  miffen,  bafe  bic  öeitung  biefer  33c= 
ftrcbimgen  in  ben  $iinbcn  oon  Sadftunbigen  liegt.  ®ie  33olt§fnnbc 
märe  in  bem  3a^rf)iinbert,  ba§  feit  i^ren  9lnfängen  oerftric^en  ift, 
rocitcr  gefommen,  roenn  nirf)t  atljiiljnufig  ber  2)ilettanti§mu§  bie 
^üljrnng  übernommen  ^ätte.  9toc^  ^cutc  fpürt  bic  SoIfStunbc  bic 
9loc^roirtnng  oergangener  ^uflänbc.  ffltöc^te  nnfer  ®erbanb  biefe 
il)rc  2eiben§5eit  bcenben,  inbem  er  fic  al§  Säiffenfe^aft  oertieft  unb 
anäbaut.  Grft  bonn  roirb  and;  bic  ÜJtitarbcit  ber  f^rennbe  unb 
Siebbaber  ber  33olf§funbe  jur  ridjtigen  ©eltnng  unb  Serroertnng 
fommen.  roir  fie  bringenb  braud)cn,  unterliegt  feinem  ^njcifcl. 
^a§  in  anberen  ®iffenfd)aftcn  ein  roid)tiger  Jcil  ber  gelehrten 
^Irbcit  ift  unb  ohne  gelehrte  Silbnng  nicht  gclciftet  roerbeu  fann, 
bic  Sommliing  beö  Stoffes  für  bic  f^orfchung,  baS  fann  in  ber 
töoltSfnnbc  ber  gebilbctc  2aie  burch  feine  Jätigfeit  in  einer  SBcife 
fürbern,  bic  für  ihn  unb  bie  3öiffeufd)aft  glcidj  rocrtooll  ift.  ®aS 
Solfslcben,  baS  bei  aller  @leid;förmigtcit  im  ganzen  bod)  im  ein= 
(feinen  fo  uncnblid)  mannigfaltig  geftattet  ift,  unb  baS  bei  aller 
5leigung  ,^um  f^cfthaltcn  bcS  Sitten  bodj  fortroährcnb  bem  langfameu 
S2anbel  alles  ßcbcnbigcu  unterliegt,  fann  nidft  oon  bem  cinjclnen 
(ilelchrten  gefdjaut  unb  erfaßt  roerben.  Saufenbe,  bie  im  2cbcn 
brinnen  ftchen,  müffcn  babei  helfen  unb  hoben  bieS  feither  geton. 
Sind)  hier  gilt  eS  innigere  93e3ichungen  hersuftcUen,  bic  Slrbcit,  forocit 
eS  in  beren  eignem  Qoiereffe  liegt,  cinheitlid)  31t  gcftaltcn  unb  bic 
(Erfahrungen,  bie  gemadjt  roerben,  attfeitig  311  nuhen.  S)ieS  Ijerbcn 
3uführeu  roirb  eine  ber  Slufgaben  beS  SerbnnbeS  fein.  Unb  beshatb 
roenben  fid;  audj  biefe  9)Uttei(ungcn  an  alle  nufere  fjreiinbc. 

3c  mehr  bic  SolfSfunbc  3ur  SBiffcufdjaft  roirb,  je  beffer  eS 
ihr  gelingt  bic  2aicn  3ur  SItitarbeit  hcran3U3ichen,  befto  mehr  roerben 
oud)  bie  ßcbcnStrnftc,  bic  fic  in  fid)  birgt,  3ur  (Entfaltung  fommen. 
(Eine  oertiefte  itenntniS  beS  tBolfSlcbeiiS  muh,  >®ie  fic  baS  S'cnfcn 
bcS  (Sin3ctncu  iimgcftaltet,  aud)  auf  fein  .^nnbeln  beftimmenb  cin= 
roirfeu.  Unb  fo  oermag  bie  93olfSfunbc,  in  ber  (^cgenioart  nnb 
33crgaugenheit,  einonber  erhcHcnb,  nahetreten,  audj  bic  ^ofooft 
fegcnStciih  311  beeinfluffen.  SBiffcnfdjaft  unb  2cbeu,  bie  beiben,  bic 
fid)  fo  oft  3um  eigenftcu  Sdfaben  oon  einonber  entfernt  hoben. 


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6 


fd)Iie^en  in  iljr  bn§  inuigftc  SSünbniö.  ©ic  fc^Iägt  bic  Srürfc  non 
bcm  in  bcni  SBolt^gan^cu  nnb  burd)  c§  uiat^fcnbcu  natürtidjcn 
'JJlcnfc^cn  31t  bcm  burd)  bic  pdjftc  ©ciftcStultur  ©cbilbetcn,  nic^t 
blo^,  inbcin  fic  getrennte  fircife  einonber  näi)crt,  fonbern  and),  tnbem 
fie  bic  beiben  Seelen,  bie  fo  oft  of)nc  fidj  gu  ocrftc^cn  ober  felbft 
gn  fennen  in  bcmfcibcn  iDlcnft^cn  nebcncinanber  banfen,  bic  ou§ 
bcm  ®oIt  unb  bic  auö  ber  Silbnng  ftnmmcnbc,  gut  ©inbeit  gu= 
fammcnfd)lic{5t  unb  fo  ein  perfönlid)c§  8cbcn  meeft,  bo§  im  bcimat= 
Iid)cn  üöobcn  feft  roiirgelnb  feine  ©ipfel  of)nc  ©efabr  fröblidj  in 
bic  ^öl)e  treiben  laffcn  fann. 

So  ift  bie  iöoltstunbe  fdjiicfelid)  eine  Sadfe  aller  ©cbilbetcn. 
Cfab  fie  c§  in  Söirtlidjfeit  merbe,  bagn  Ijilft  un§  boffentlid)  ber 
neue  Serbanb.  lUJödftc  c§  biefen  ÜJiitteilungcn  befdjiebcn  fein, 
bienenb  unb  oermittclnb  gur  Grreid)ung  ber  großen  bic  ibm 

geftceft  finb,  mitgumirten. 

ül.  S t r a cf. 


2.  Bericht 

über  die  zu  Ceipzig  am  6.  Hpril  1904  abgehattene  honftituierende 
Sitzung  des  Terbandee  deutfeher  Vereine  für  Voikshunde. 

Ter  hu  Saufe  bcs  'iSinter^  1903/04  uoii  ben  ^Crofcfforen  Dr.  G.  fDl  ü 3 t* 
Seil), 93  imb  Dr.  9(.  £ t r a et  > ffliefien  nii  eine  grobe  3“bl  »on  'ilereineu  unb 
Gin.ielforfcfiern  ergangenen  Ginlabnug,  am  6.  nnb  6.  'Jlpril  1904  ju  Seipiig 
jn  einer  S3eratung  über  ben  3iiiammenfti)lnö  ber  beutidicn  'Vereine  für  9.lo(tö» 
fnnbe  jiifammengntreten,  batten  bie  nad)ftebenben  öerren  Ivolgc  geleiftet : 

Web.  9lrd)iprat  Dr  Taillen,  iPerlin.  cdjriftfteiler  Dr.  S ö cf  e l , 
'D!id)cnborf  (iDlorf).  fßrofeffor  Dr.  SR.  33  0 b n e n b er  3 e r,  Tübingen.  Cber- 
lebrer  33rofeffor  Dr.  J.  33oIte,  ®er(in.  Dr.  33.  Grome,  Wöttingen.  Ober» 
lebrer  Dr.  C.  T ä b n b n r b t,  Seipjig.  ^'rofeffor  Dr.  31.  T i e t e r i d) , öeibel. 
berg.  Weneralinnjor  j.  T.  Rreiberr  non  5 riefen,  Tresben.  Dr.  ©iefecte, 
Seipjig.  Dr.  St.  (älrnber,  Treeben.  Dr.  Gb.  .^abu,  33er(in.  T'rofeffor 
Dr.  31.  .S)  au  ffen,  33rag.  35rofeffor  Dr.  .U.  Odm,  Wiegen.  Dr.  p.  6eU 
m o 1 1,  Seipjig.  Web.  Slegiernngsrat  33rofeffor  Dr.  351.  e n n e,  Wöttingen. 
33rofeffor  Dr.  $>.  öirt,  Seip.üg.  33rofcffor  Dr.  33.  Kable,  öeibelberg.  33ro^ 
feffor  C.  St  n OOP,  niogafen.  Dr.  fjricbrid)  £.  St  rauft,  3l3icn.  351ufeutn>j. 
Slffiftent  Dr.  C.  Sauf  f er,  ffrontfurt  a.  331.  Dr.  raetl.  IR  eigner,  Seipjig. 
Edtriftfteller  ;R.  331  i elfe,  33erliu.  Thofeffor  Dr.  G.  331  ogf,  Seip.gg.  Ober» 
lebrer  nnb  33riuntbojent  Dr.  St.  31  e u f d)  c 1,  Treoben.  3-trofcffor  Dr.  i'l.  31  oe  • 
biger,  33er(in.  Cbericbrer  %*rofcffor  Dr.  £artori,  Torlniunb.  33iblio* 
tbefnr  Dr.  C.  £d)ell,  Glberfelb.  35rofeffor  Dr.  O.  £ei)ffert,  Tresben. 
T*rofcffor  Dr.  TI)-  Siebst,  33reslau.  3abrifont  $.  «ötelnnb,  Scriin. 
T'rofeffor  Dr.  31.  £tracf,  ('Siegen,  sgeofeffor  Dr.  S>.  £tnmine,  Seipjig. 
Web.  31e3ierungörat  Dr.  3' oft,  33erlin.  Cberleftrer  31.  SSoffiblo,  SSoren, 


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7 


Jjolgcnbe  SSetcinc  unb  ülnftoltcii  roorcn  burd)  biefe  ^>erren  Dertrctcii: 

Setein  für  Soltäfunbe,  Serlin.  ®cfcnid)aft  für  niebcTbeutfd)e  Soltä» 
funbe,  Ciöttingeu.  Serein  für  fädjnfdje  Solfäfunbe,  lirc^bcn.  Sctjlcfifdic  öe- 
feUfc^aft  für  SolfSfunbe,  Sreälmi.  3Bürttcmbergifd)c  Scrciniqung  für  Solfgfunbe, 
Xübingen.  Serein  für  (Sgetlänbct  Solfstunbe,  Gger.  ^effifd)c  'Bereinigung 
für  SoltSfunbc,  @iegen.  Setein  für  tl)einifd)>n)cftfälifd)e  SoItSfunbe,  Xort» 
munb.  Sabifc^er  Setein  für  Soltgfunbe,  ^>cibelberg.  3(usfd)ug  für  beutfd)- 
böbmifd)c  Solfsfunbe,  Stag.  b^eicUfc^aft  für  Sntf)ropoIogie,  @tf)nologie  unb 
Urgefd)ic^te,  Serlin.  Siuieiim  für  Soltstrac^ten,  'Berlin.  'Stanbenbutgia, 
Serlin. 

0(^riftlic^  batten  ihre  prinjipieQe  3uftiminung  jii  bem  geplanten  3»« 
fammenfd)lu6  folgenbe  'Sereinc  auggefptod)cn : 

Serein  für  baprifdje  Solfgtunbe,  'JSütjburg.  Sebroeijerifebe  ®efeUicbaft 
für  Solfgriinbe,  3>""-‘><i>'  Serein  für  Soltsfunbe  unb  Solfatuuft,  Sfüneben. 
Serein  für  'Sierlönbet  Runft  unb  ^eimattunbe,  SUtengamme.  Serein  $)eimat, 
ftanfbeuren.  Xeutid)er  SoIfSgefangncrcin,  SJien. 

Sie  Seratnng  fonb  Sfittiood)  ben  6.  9tpril,  pormittagb  10  llbr,  im 
£)örfaal  XI  ber  Uniperfität  ftatt.  XenSorfig  botte$)errSrofeffor  Dr.?t.Stt ad- 
©iefien,  baä  Srototoll  führten  bie  ^)erren  Dr.  Xäbnbarbt« Seipjig  unb 
Dr.  ra  r n b e r . XreSben. 

?)ert  Srofeffor  ©traef  brachte  jnnöcbft  boä  Serbältnig  ber  poltsfnnb- 
lidien  Sereine  jum  Öefamtperein  bentfd)cr  ®ejcbid)tg«  unb  'JUtertuinsocreine 
jur  Sprache  unb  legte  bar,  bnft  ber  'Serfueb,  in  einer  fünften  Seftion  beä 
WefaintuereinS  bie  polfsfnnblicben  Sereine  äniammcnjnfcbliefien,  notipenbiger» 
tpeife  fd)eitern  iniiBte.  Xer  'Sorfigenbe  beä  (öefamtuereing  beutfeber  blefcbicbtä'“ 
unb  'lUtertumgpereine,  fjerr  (gebeimernt  Sailleu,  perfud)te  bogegen  nad)ju> 
roeifen,  bag  eg  ipol)!  moglicb  toüre,  and)  innerhalb  biefer  Seftion  ben  3»’ 
fammenfeblufj  ber  polföfimblicbcn  Sereine  fruebtbor  ju  geftallcn. 

Xie  Xigfuirion  jeigte  jebod)  fofort,  bag  für  biefe  ?lnglieberung  an  ben 
Mefaiutuerein  in  ber  Serfammlung  feine  Stimmung  oorbaubeu  tuar;  auch 
6err  Wenernl  ooii  Sriefeu,  ber  einftige  Segrünber  bet  poltgfunblicben 
Seftion  innerhalb  heg  Wefamtoereing  trat  für  bie  Sdjaffung  eineg  f e l b • 
ftänbigen  'Serbnnbeg  ein.  'Jlad)bem  bann  audi  öerr  Webeimerat  Saitleu 
im  Samen  beg  Wefamtpcreing  bem  neu  511  grünbenben  'Berbanb  bie  beften 
9Bünfcbe  für  bie  3»tn«ft  auggeiprodjen,  unirbc  auf  tgrunb  einet  jmeifacben 
Sbftimmuug  (einer  und)  .(topfen  unb  einet  nad)  Slörperfcbnften)  bie  ©rünbung 
eineg  folcbeu  'Setbanbeg  befd)Ioffen. 

Xaron  fd)log  gd)  bie  'Beratung  bet  Crganifation  beä  Serbnubeg.  Sie’ 
führte  ju  folgenben  grunblegenben  'Befcblüffen. 

1.  Xer  Serbanb  erhält  ben  Samen:  „Serbnnb  beutfdter  Set* 
eine  für  S 0 1 f g f u n b e.'  Xet  3«f“g  *•”  Xeutjdtlanb,  Cfterreid)  »mb  ber 
Sd)ineijt"  fod  hinjutreten,  fallg  eg  non  C|tctreid)iid)er  ober  Schmeijer  Seite 
geioünjcht  »oirb. 

2.  Slitglieb  beg  Setbanbeg  fön  neu  alle  Sereine  unb 
91  n ft  alten  ip  erben,  bie  fid)  bie  5örbcrui»g  ber  'Boltgfunbc 
jum  3icle  gefegt  haben,  dagegen  »oirb  nug  praftifchen  ©rünben  bie 
9lufnahmc  einjelner  Serfouen  aig  Slitglieber  beg  'Serbnnbeg  abgelehnt. 


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3.  CineSBerfammluitg  oonSIbgeorbnetcnber  einjcf» 
nen  Beteine  foll  miubeftcnS  aUc  jroet  Qoöte,  in  bringen- 
bcn  Sällcn  ijäufigcr  jufam  men  treten.  ®ie  3E3al)I  beö  Crteä 
bet  Slbgeorbnetenoeriammlung  bleibt  bet  jeroeilä  jufammcntrctcnbcn  Bet» 
{ommlung  libcrloffen,  bie  oon  5“  cntjc^cibet. 

4.  9113  geineinfameS  Ctgon  (oll  ein  Jlotte(ponbcnäblatt  in  bet  Störte 
oon  ctroa  jmei  Bogen  iöbrlid)  cr(cbeincn. 

6.  3tber  bem  Bctbanb  angeljötcnbe  Betein  jn^lt  einen  jö^tlic^cn  Bei» 
trog  oon  10  Bftnnig  für  jebeä  (einer  SDütglieber,  minbcftenS  (ebocb  10  3Jlf. 
Siafnt  erljält  er  (ooiclc  ©jcmplare  bcS  fiorre(ponbenäblatte3  al§  et  Blitglieber 
jöl)tt.  — 9lnftaltcn  jaljleu  minbeftenS  10  931f.  Beitrag  unb  erbalten  bis  ju 
20  Cjemplatcn  bcS  Rotrc(ponbenjblQttc8. 

6.  Sine  SentmlfleH*  'fl  Bctbanb  ipiinfc^enSroett;  bie(elbe  (oH 

il)tcn  Sitj  toecb(cln  tonnen. 

7.  ®e(d)öftS(üt)tcnbcS  Organ  bcS  Betbottbes  ift  bet  9lnS(cf)u6. 

■Jie(e  Bc(ct)lüffc  nebft  einet  9icit)c  oon  ergönjenben  Bcftiinnumgen,  bie 
(pejiell  bie  ®e(ct)äftSotbnung  betreffen,  fn'b  ben  Sattungen  beS  BetbanbeS 
niebergclcgt,  oon  beten  erneutem  9lbbruct  toir  hier  abfeben. 

3n  ben  gefcl)äftSfiil)tcnben  9luS(d)up  nmrben  gemöblt: 

^)err  Btofeffot  Dr.  91.  ® 1 1 o ct , ©iejjen,  olS  erfter  Borrtbenber. 
Cicrt  Btofeffot  Dr.  IH.  SiJün(d),  Siegen,  als  jroeitet  Borftgenbet. 
^ert  Btöfeffor  Dr.  ft.  ^ e l m , ©iegeu,  als  Scfitiftfübret. 

®en  ©{gagmeifter  ju  fooptieren  blieb  bem  9luS(d)ug  überlaffen.  ®erfclbe 
roöglte  in  bet  Sigung  oom  6.  9luguft  1904  ^ertn  SHecgtSauioalt  Dr.  S p o g t, 
©iegen,  Srantfurterfttage  10. 

Bet  uöcgfte  BetbanbSfag  foll  im  öerbft  1905  in  ^>omburg  unmittelbar 
not  Beginn  beS  Bg'IologentageS  abgegalten  loctben.  tperr  Oberlcgret  955  o [» 
fiblo  gat  bofüt  einen  Bortrag  über  „bie  lecgnit  beS  Sammelns*  jugefagt. 


3.  Terbandsangelegenbcitcn. 

9llS  3Jlitglieber  finb  bis  jut  Xructlegung  biefer  Bummer  bem  Betbanbe 
folgenbe  Bereine  unb  9lnftalten  beigetreten: 

1.  Berein  für  BotfStunbe,  Berlin. 

2.  Sd)lefifd)c  ®efcU(d)aft  für  BoltStunbe,  BteSlnu. 

3.  ficffifcge  Bereinigung  für  BoltStunbe,  ©iegen. 

4.  ©eiellicgaft  für  nieberbeutjege  BoltStunbe,  ©öttingen. 

5.  Berein  für  rgeiniicg^ioeftfölifcgc  BoltStunbe,  Xortmunb. 

6.  Berein  für  babifege  BoltStunbe,  $teibelberg. 

7.  0eicllfd)aft  für  9lntgropologie,  Gtgnologie  unb  Urgefegiegte,  Berlin. 

8.  Berein  ber  Sammlung  für  bcut(cgc  BoltStunbe,  Berlin. 

9.  ftönigl.  3)!u)eum  für  Böltcrfunbe,  Berlin. 

10.  9luS(cgug  für  beutfcg»bögmi(cge  BoltStunbe,  B>-‘a9- 

11.  Bctbanb  für  ©gcrlönbct  (91otbgaui(cge)  BoltStunbe,  Gget. 

12.  9i5ürttcmbcrgi(cge  Sammelftctlc  für  ooltstümlid)e  Überlieferungen 
(ftgl.  StatiftifegeS  SanbeSamt  unb  Bereinigutig  für  BoltStunbe). 

13.  ®cgipeijeri(d)e  We(ctlfd)oft  für  BoltStunbe,  3üficg. 

14.  Baron  Bratentgal’jcgeS  Bhi(cum,  .^ermannftabt. 


9 


SlbgeleOut  f)at  ben  ©iutritt  bcr  33crciu  für  öftevvcic()i!cf)e  5?o(föfunbc 
mit  9tüctfid)t  auf  feine  ja()treici)en  nict)tbeutfcbcn  iDlitglicbcr  imb  9lufgaben. 

einige  nnbere  ?lereine  mugten  ou^  finanäietlcn  ©rünben  oom  Gintritt 
abfeben : nämlid)  bie  9liebcrlmifiger  ®cfcUfrf)aft  für  9tntf)ropologic  nnb  3Uter» 
tumsfunbe,  ®uben;  ber  ‘öercin  für  iPiertönber  ftnnft  nnb  $ieimatfunbe,  Sitten» 
gamme;  unb  ber  Holtsgeiangsoerein,  SiSien.  3lnd)  ber  ^iftorifd)»Iitetorif(f)c 
3roeigocrein  bc^  93ogeienftub5  bat  megen  bcr  ^öbc  beä  3leitragg  Siebenten, 
febod)  liegt  non  biejein,  mie  non  einigen  ineitcren  Siereinen  eine  befinitine  Gnt> 
febeibung  nod)  nid)t  nor. 

Ser  SBercin  für  föcbfifdjc  SBoltsfunbc  unb  ber  33erein  für  bagerifebe 
Slolt^tunbe  haben  ihren  SBeitritt  abhängig  gemacht  non  einer  ,3inberung  bcr 
0obnngen,  inäbefonbere  in  ber  9tid)tung  ouf  ^«bresbeitrog  nnb  Selbftäubig. 
feit  bcr  Ginjclncreinc*.  Sa  bcr  gcfcbäftSfübvenbe  Slnäfcbub  nid)t  berechtigt 
ift  eine  folcbe  Slnberung  norjunebmen,  inirb  bie  Slngelegcnbeit  auf  bem  nncbften 
Slerbanbötag  jur  Sieratung  foinmen. 


4.  Tereins-Nacbnebten ‘)* 

’^^eretn  für  ‘^adtlunbe,  Sicriin. 

Seine  ®efd)id)te  in  ben  fahren  1891—1900  bat  Rarl  SPciubotb  im 
elften  beä  'Sereinö  ®.  110  ff.  gegeben.  Gr  ift  ber 

flltcfte  herein  für  33oltstunbe  unb  am  23.  Qanuar  1881  begvünbet  loorbcn. 
Sein  3'fccf  ift  bie  (förbening  bcr  toiffenid)nftIicben  SJoItätunbe.  Gr  (egt  boä 
$)auptgetnicbt  auf  i’orlrägc  unb  Griäutcrung  non  Hotlogen  in  ben  adjt  . 
Sibungen  be§  3abteä  unb  auf  bie  £)crau§gabe  bcr  ,3citfcbrift  beä  Sierein« 
für  Slolfätunbe“,  bie  nierteljäbrlicb  in  Jpeften  non  je  8 Siogen  Cer.  8“  mit 
Sofetn  unb  3lbbilbungen  erjd)eint  unb  ben  äUitglicbetn  portofrei  äugefanbt 
roirb.  Ser  3<*brcäbcitvag  beläuft  ficb  auf  12  fUlarf.  Sic  3abl  bcr  3J!itglicbcr 
beträgt  runb  200.  31nf  abgegveuätc  fjorfebungs»  unb  Sammelarbcit  mußte 
ber  'Percin  ucr,nd)tcu,  um  bie  Sätigteit  nennaubter  bereits  beftebeuber  (S3rau> 
bcuburgio,  3)hifcum  für  'Po[t§trnd)teu,  ®cf.  für  Stntbropologic  u.  f.  10.)  nid)t 
ju  frenäcn,  lehnt  fie  aber  nid)t  ctina  gvunbfäl)Iid)  ab.  9!ur  eine  Siibliotbef 
bat  bcr  llcreiu  nach  unb  und)  sufnmmcugcbrncbt,  bie  nornebmlid)  burd)  Saufd) 
erroorbene  in»  nnb  auslänbifdte  3fit!ä)riftc»  umfaßt.  Grftcr  SJorrtljenber  bcs 
33crein^  inar  biä  jii  feinem  Sob  am  15.  Slnguft  1901  fein  Siegtünber  SCcin* 
bolb,  feitbem  leitet  ißn  'Prof.  Dr.  3)lar  SU  0 e b i g c r , Söcrlin  8W.  48,  Sffiilbclm» 
ftrnße  140.  3f®eiter  'Porfitjenber  unb  ^jeranögeber  bcr  3r>t!ä)rift,  Icßteres  al§ 
9lachfolgcr  'BJcinboIbä,  ift  'prof.  Dr.  3obfl'»'rä  Solle,  Scrlin  SO.  26,  Glifa» 
betbufer  37.  Sen  ‘Porftnnb  bilben  außerbem  2 Sdjriftfübrcr,  1 Sebaßmeifter, 

')  SBir  beginnen  hier  mit  äufammenfaffenben  3lngabcn  über  bie  biäberigc 
Gntroidlung  nnb  Sätigteit  ber  Ginjelncrcine.  ßeiber  tann  nuS  SUnummnngcl 
norerft  nur  ein  Seit  bcrfclbcn  ncröffentlid)!  tncvben;  bie  folgenbeu  SUummeru 
ipcrben  bie  fyortfeßung  bringen.  3tußcrbcm  foU  fortlaufcnb  über  alle  tnicb» 
tigen  Greiguiffe  bc§  'Pcrcinälcbcn§  (neue  Unternebmungen,  SÜnberung  in  bcr 
Crganifation  u.  f.  n>.)  berid)tet  roerben.  3öir  bitten  bie  Sorftänbe  bcr  'Percinc 
uns  jcioeilS  entfpreebenbe  SUitteilungen  jutommcu  ä«  laffen. 


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2 Scifitjcr.  9tii§jcl)u6  oon  12  üllitgliebom  o(s  Seirat  jur 

Seite.  9Ulc  ©enannten  roerben  alljäbi'Iicf)  <tcn)äf)tt.  (ß.) 

SSetHner  ^eCeirfAaft  für  ikni(rop«r«gi(,  ^ifn«f«gi(  nnb  9rgff4l4((< 

SJetliii  SW.,  fiöniflflröt5etftro6c  120. 

©cnrüiibet  1M9.  ilütftonb;  ©cf).  fDleb.^SRot  'iProfcffot  Dr.  SJ.  SBalbeoer, 
Scrlin,  öutberftraße,  Söorritjcnber.  — Dr.  phil.  ^oul  Stöger,  Sctjriftfü^rcc. 

3af)te9beitrng  20  ü)lt.  3Jlitgtiebcrjn^I;  5 ©f)rciimilglicbcr,  110  ©orrc= 
iponbievenbe  Sfflitglicbcr,  527  orbeiitlicbc  fUfitgliebcr. 

3ii>ccf  bet  ©efcUfc^aft  ift  bic  Sliiregung  tmb  Sörbfraiig  bcS  ^ntcrcffcä 
für  9lntt)ropologie,  ©tbiiologic  unb  Urgefct)id)lc  butef)  ®crf)miblimgeii,  foroie 
bic  Sörbctimg  biefer  äBiffciijd)aftcu  burd)  UntcrftiUjimg  ooii  Untcrind)ungen 
)mb  9lrbeiten,  tpeldjc  biefclbcn  betreffen,  burd)  Sommfuug,  SJcgiftrieriing  unb 
'ßetonbrnng  bc9  fDloteriols  unb  burd)  ©tlctd)tcrimg  ber  Scntittung  beäfetben. 

Sic  @cfcllid)aft  befil)t  eine  3d)äbet*  unb  Stelettfmnmtung,  eine  Sibfio« 
tf)et  unb  eine  Sanunlung  antbropofogifd)er,  etf)nogropf)i)d)er  unb  urgefdjicbt- 
ltd)er  'i*I)C‘tograp()icn. 

'}5ublifntiouen : 1.  3«iffd)rift  für  ©tI)nologie  mit  ben  93erl)aubluugen  ber 
Weienfebaft  (feit  1809),  jöörlicb  (ed)9  $)cfte.  — 2.  91ad)rid)tcn  über  Scutfebe 
OUtertumsfunbe  (1891—1904),  biefelben  erfebeineu  oon  1905  nn  nicht  inebr. 

'herein  ber  ^antmrung  für  beuir4e  ^ofKskunbe  (früber:  „herein  beS 
OTufeutnä  für  beutfd)c  'ßo(fstrad)tcn  unb  Srjeugniffe  beä  $mi§gcinerbe§‘'). 

Set  'ßcrcin  eniftonb  1891  au§  betn  1888  oon  fHubolf  9?itcboro  gcgtüii- 
• beten  .Homitee  jut  Grriebtung  eines  ÜJJufeumS  für  bcuticbe  S8olfStrad)ten  unb 
©titcugniffc  beS  JörniSgctucrbeS",  in  Sfetlin.  ©nbc  3J!ai  1903  übernab’”  bie 
ftönigt.  ^rcufi.  StontSrcgicrung  bas  iDiufeum  unb  glicberte  cS  bem  ftönigL 
ÜJlufeum  für  'ßoltsrunbc  in  'ßcriiu  unter  Seitung  bcS  Weh.  iRcgierungSrateS 
Dr.  9Ub.  9Job  nn.  Ser  'ßcrcin  bleibt  unter  äinberung  bcS  SlamcnS  unb  bet 
Statuten  befteben. 

Sforftanb:  'ßrofeffor  Dr.  3)(.  SJartclS,  ©ebeimer  SanitntSrat,  Serlin  NW. 
Sfomiftraftc  7,  'ßorfibeuber;  — fjabrifnnt  6.  Sofclaub,  SBcrlin,  Sebriftfübrer. 

3obrcSbeitrng  10  iDIt. ; fPlitglieberjabl  195.  SaS  Sninmclgcbiet  ift  ganj 
Scutfd)lnnb. 

Ser  SPcrcin  mibli.üert  jinangfofc  Jpefte  tnöfiigen  UmfnngS. 

^thttfüaU  für  nirbrrbenir4e  '^«(BsKunbr. 

©cgrüubet  1902  (betporgegangen  aus  einer  feit  1898  beftebenben  ata» 
bemifeben  Itercinigung,  bic  fid)  nus)d)lieblicb  bnS  Sammeln  polfSfunbticben 
3J!atcrialS  jum  3'tf  flttelit  batte).  — 'ßorftanb:  ©ebeimer  SfegicrungSrat  9Jro» 
feffor  Dr.  9)1.  .(bei) ne,  ©öttingen,  'ßorfiljenbcr.  — 'ßvipatbosent  I>r.  (Sonrab 
Sordtliug,  (böttingen,  2l<cenbernUcc  5,  erfter  5d)riftfül)rcr.  — Dr.  9).  Grame, 
©öttingen,  3übeuftrafiC  17,  jipciter  Sebriftfübrer.  — Cbcrpoftictrctnr  Seide, 
©öttingen,  Sd)nbmciftcr. 

OnbrcSbcitrng  2,60  9)ir.;  9)litg(iebcri)obl  (1904)  ctipa  120.  Sie  ©efeU* 
fd)aft  fnminelt,  mit  'ßusfdtlufi  aon  SBcftfalcn,  im  gaitäcn  Slieberbeutfcblanb. 
Sic  Sammlungen  erftreden  fid)  auf  bnS  ganse  Webiet  ber  IBoItSfunbc,  au8= 
gcfd)loffcn  ift  ifanbeStunbe,  SbeuölfcrungSftatiftif  u.  f.  ii’. 


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11 


SJeröffciitlidjt  finb  biä  ictU  mir  Sraflcbogcu;  in  ^luSficbt  flenoinmeu  finJ> 
ptriobijci)  eifcl)cincnbc  „iDlittciliingcu“  an  bic  SDiitglicbcr,  bancbcn  nb9C)d)loffene 
ficinc  «tubien  nlä  ,9Jcuiaf)r§blQttct*. 

Xic  WefeUid)aft  bcfitjt  fein  iDlufeum  nnb  feine  !0ibIiott)ct;  bn§  9lrcf)it> 
ift  bejonber?  teirf)  nn  ninfänglici)en  Sammlungen  über  bog  fcfllic^c  3al)r, 
bog  31oItglicb  nnb  bie  ^olfgjage. 

herein  für  '9!rrfünber  ^nnfl  nnb  Jaeimailnnbe,  6.  31.,  iUltcngamme. 

(^egrnnbet  'llooember  1901  in  9tenengomme  in  ben  'l<ierlnnbcn  (|)om> 
burgifebeg  Canbgebiel).  (Sine  Xisfiüfion  im  £pred)iaal  ber  flergeborfer  3eit«ns 
batte  ben  bireften  9lnftoft  baju  gegeben,  toöbrenb  im  engeren  Rreiie  bie  (fttün* 
bang  (cbon  uorl)er  gepinnt  mar. 

(Ter  'Uorftnnb  mirb  ouf  brei  geiuöblt,  er  beftebt  jur  3uit  öen 
Herren;  iinftor  5- &0H3,  'lUtengamme,  1. 'i<orf.;  Canbroirt  £.  ©dtaumann, 
9lltengammc,  2.  ilori.;  31oftor  211.  91  n tilg,  (9eeftbnd)t,  Sdiriftfübrcr;  ftnuf- 
monn  S.  $)eitmann,  9leuengamme,  Raifterer;  Seifiger:  Üaiibiuirt  3. 
ben,  Rirdmmrben,  Runfttiicbler  (S.  Üimman,  Curglad,  Runfttiicbler  3- 
fnrfen,  Slird)iparben. 

ailitglieberjabl  ('lluguft  1904)  254. 

Oabregbeitrag  2 'DK.  (Xie  (8eiamteiima()me  betrug  1903  : 203G  Ü3K., 
bie  aiuggabe  1954,35  DK.) 

3mect  beg  'llereing  ift:  1.  5ie  (Srforid)ung  unb  Dflege  ber  in  ben  Dier» 
Imiben  porbanbenen  Runftbenfmäler.  2.  ^ie  Seeinfluffiing  beg  gegeniucirtigen 
tionbiüerfg  im  Sinne  ber  ollen  beimallidKn  Runft.  3.  'Sie  'lleförberung  beg 
etubiumg  ber  ()eimallid)en  (Defcbidite  unb  fiulturge(d)id)te. 

Tie  'Holfgfimbe  im  eigcntlidten  Sinn  bnl  bet  Dcrein  offisiell  imd)  nid)t 
bearbeitet,  basjelbe  ift  für  fpöter  in  9lugnd)t  genommen. 

■tierauggegeben  tuurben  3ol)regberid)te  unb  Keine  21roid)üren,  ,timöd)ft 
nur  für  bic  'Diitglicber  unb  einen  tieiueren  Rreig  beftimmt. 

Verein  für  ^gerfünber  Vo^^fionbe,  (Sger. 

Wegrünbet  1897  pon  9Uoig  3obn,  SdtriftftcUer  in  (Sger,  ber  pou 
1897—1904  ben  'l*erein  als  21orftanb  leitete.  Oeibresbeitrog  2 Rtoneu,  Düt« 
gIicber,to()l  (1903)  über  500;  Snmmelgcbiet  baS  ISgcrlnnb. 

Dublitationcn:  a)  2llg  2(ercinSbIatt  Pon  1897—1904  „llnfcr  (Sgetlnub*, 
21Inlter  für  ISgerlönber  21olfgfunbe.  ^ieie  3eitfd)rift  crfdieint  oou  1904  un» 
«bbnugig  pom  2<erein  im  (Sigcnncrlng  bcs  'Hcgrüiibcrs  unb  ßetauSgeberg 
911oig  G'fler,  21aI)nI)offtrafie  2.5. 

li)  (Sgcrlönber  DoKSlicbcr  I 1898,  II  1901,  'UrciS  jufommen  2 Rr.  40  ©. 

Xer  'llercin  befigt  lucber  ein  9lrd)iu  nodi  ein  'Dlufeum,  aber  eine  ficinc 
'llibliotbef  unb  ein  pl)otogrnpl)ifd)cS  'lllbum. 

Xer  21erein  fdjcint  infolge  perfönlidicr  Xifferen.^en  im  301)«  1904  jein 
(Silbe  gefunben  ju  baben,  iüil)eres  bnrüber  foiuic  über  ben  'ilerbleib  feiner 
Sibliotbef  unb  'llbotograpbicenjnmmlung  luor  iiid)t  ju  etiiiiticln.  Seine  9lrbeit 
mirb  fortgefcljt  burd)  ben  iiad)gennniileii2terbaubfüt(Sgcrlänbcc(91orbgauifd)e) 
Dolfsfiinbe. 

Vetbaitb  für  ^gerfünber  (V«ebganifi6e)  Vo^sKtixbe. 

(ilegrünbet  1904.  (grünber  unb  berjeitiger  üeiter  9lloiS  3 0 b "/  £ff)rift* 


Di  ■ ■ 


Googfc 


12 


fIcUcr,  (Sflcr,  33at)uf)offtrafje  25.  2 fitonen.  $cr  i'crbaiib  t)ot 

9)ertrctcrjrf)aftcn  in  9lfcf),  (Sflct,  5fItcnou,  ftorlsbab,  '^(an,  Icplit?,  Jacbau, 
aj!ic§.  9lls  'Sorort  unb  ^««rntftcnc  gilt  ßger.  — Sammelgcbiet  bc§  'Cer-' 
banbä  ift  bnö  ganje  tiorbgauiid)C  Spracbgcbict  in  'Jcntid)böf)men,  feine  Satnm= 
Inng  erftredt  fid)  nuf  bic  gefamte  Süolfstnnbe. 

Crgan  bes  SJevbanbcs:  Unfer  ßgcrlnnb,  iölötter  für  Ggerlönber 
(unbe,  berau^gegeben  v>on  9i[oiä  Oob”r  Gfl'r-  erfdjeinen  G Riefte. 

Jln<(rop*r»sif4(  ^efettfdiaft,  9Bien. 

©egriinbet  1870.  'läunettoe:  ©rjbetsog  Sronj  Scrbiimnb  oon  Öfterrcicb« 
©fte.  ©btenprärtbent:  ®r.  fvetbinanb  i^teiberc  uon  9lnbrian*®erburg. 
^röribcnt;  'IJtofeffor  Dr.  R.  loibf,  Süien  IX/1,  SfiJajagaffc  8.  Itiäcpräribcuten; 
©ebeimetat  Dr.  R.  21).  o.  3Hanin»£terncgg,  'itrofeffor  Dr.  ?,!.  30910» 
iRegieningärat  Dr.  ÜR.  iUl  u d).  Setrctäcc:  ’lJtofcffoc  Dr.  9i.  9)lud),  ülRen  XIII/2, 
^cnjingerftrabc  82;  Dr.  Sico  S8oud)al,  Siien  IX/4,  Spittelauergaffc  2.  91njjet« 
bem  geboren  bem  itorftonb  ein  Siccbnungsfiibrct  unb  ein  Äofrier  au,  fotoic 
16  9hiöid)ufträte.  Sorftnnb  unb  ÜluBfcbufj  loerben  auf  brei  3obw  geroäblt, 
in  ber  ÜBcife,  bofi  jcibtlid)  bic  Slcuioabl  eine-ä  5ritteB  ftntiRnbet. 

'Jiitgiiebersahl;  25  ©brenmitglicber,  65  Rortefponbievenbe  iDlitglicber, 
3 Stifter,  39  unterftübenbe  iRitglieber  ('Beitrag  20  Rronen),  345  roirtlicbe  9)!it» 
glieber  (Seitrng  10  .Rronen).  2ic  ©efainteinnnbiuc  betrug  im  3o()rc  1903: 
12918  Rronen,  bic  'Ruägnbe  12770  Rronen. 

'Jic  ©cfctlfdjaft  befd)äftigt  Rd)  (und)  § 1 ihrer  Satjungen)  mit  91utbro» 
pologic,  ©tbnogrnpbic  unb  llrgcfdiid)tc  beö  lllcnfcben.  Sic  gibt  bic  ,)Bht- 
tcilungcn  ber  ?lntbropologifcben  ©efcUfd)nft  in  SBien*  borauS,  bic  jnbriid)  in 
6 ^eften  oon  sufnmmcn  ctioa  30  9)ogen  erfd)cinen.  Gigenc  Sammlungen 
bcRbt  bic  ©efellfdjnft  itidR,  ba  Rc  alles  au  bnä  t.  f.  naturbiftorifd)c  öof« 
inufeum  (©tbnograpbifdjc  'Abteilung)  abgibt. 

$emanir4M  ^alionarmnrenm,  Olürnbcrg. 

©egriinbet  1852.  Hcrscitigcr  Slorftanb  ©ebeimernt  ©.  'llcjolb. 

$aS  'JRiiicum  pflegt  bic  lioltsfunbc  als  Icil  ber  allgemeinen  beutfdten 
Rulturgcfdiicbtc  in  4fcfd)räntung  auf  Utoirt^altcrtiimcr  unb  9<olfstrad)tcn. 

Sic  9luignbe  bc§  9J!ufeumö  ift  ,iuuäd)ft  biefcs  fDinterial  sii  fammcln. 
öicrfür  ift  eine  befonbere  Dlbtcilung  ber  Sammlungen  crrid)tet  morben.  Siefe 
cntbolt  nuf  einer  ©ruubflddic  oon  runb  13000  gm  10  ilaucrnftubcn  ouä  oer« 
febiebenen  Seilen  Seutfd)lanbs  mit  Giuridjtung  unb  eine  rcidic  gfdlc  oon 
©mit  aller  9lrt.  , 3001100  eine  rcidjbalti'K  Sammlung  oon  ®oltstrnd)ten. 

^nblitationcn:  SPütteilnngcn  aus  bem  gctmanifd)cn  'Jtationalmufeum. 
Sicfclbcn  cntbaltcn  gclcgcntlicb  Dlbbnnblungcn  sur  ilolfsfunbc.  Sie  toerben 
nur  im  Saufd)  gegen  anbere  'l/ublitationcn  unb  an  'Dütglicbcr,  roelcbc  bas 
ÜRufeum  unterftüRen,  abgegeben,  nn  IcRtcrc  ju  10  3Rf.  im  3obr.  Umfang 
jäbrlid)  ction  20  'Hogcn. 

,$»efRf4e  '^ereintgung  für  '^ofRsHunbe.  ©.  13.,  ©icRcn. 

3m  3ol)re  1897  trat  nlS  Seftion  beö  Cbcrbeffifcbcn  ©eiri)id)tSoereinS  ju 
©ieücn  bic  ,'3  c r c i n i g u n g für  t)  « ii  > f rf)  ® 3 0 l f S t u n b c"  inS  fieben. 
Siefclbe  arbeitete  einen  ffragebogen  auS  unb  begann  mit  ber  Sammlung 
uülfotunblicben  üRnterinlS.  3"  ib^'O'»  Dluftrag  gab  feit  1899  'Vrof.  91.  Strnef 


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13 


bie  „SBlnttct  füv  ^cirtirf)c  Qloltsfunbc"  l)crouä,  pon  iuclrf)cn  in  brci  ^t'fjrflöngcn 
13  Olummcni  (I  1-6,  II  I — 4,  III  1—3)  cvid)icncn.  Sic  iBlätler  lonrcn  ju« 
gleid)  Beilage  bes  ©icBcncc  9lnjeigcrö.  — 91ad)bcm  im  Sommer  1901  jeitenö 
einer  größeren  Slnjatjl  oou  SDlitgiiebcru  ber  'Bereinigung  ber  Antrag  auf  üoä« 
löfung  berjelbeu  oom  Wefd)id)tSDCrcin  geftcllt  mor,  bcjc^loji  biejer  im  Ottober 
1901  bic  Seftion  cingeben  ju  laffen  unb  ben  fUlitglicbcrn  bcö  SluSfdjuffcä  ber 
Settion  bic  Begriinbung  eine»  fcibftänbigen  Bereins  für  f)effijd)c  Boiröfimbc 
anbcimjuftellcu.  fturj  barauf  rourbc  biefer  Bcrcin  gegrünbet  unter  bem  uer-^ 
änberten  'Hamen:  „^)cfrifci)c  'Bereinigung  für  BoKstunbe.* 

Sic  Bereinigung  ftet)t  unter  bem  'llrotcttorat  bes  W r o 6 t)  c r j o g S 
(S  r n ft  Bub  m i g oon  4''cffsu. 

Ser  Borftanb  (ber  auf  brci  getoöblt  mirb)  bcftcl)t  jur 

ben  ^)crrcn:  'Brof.  Dr.  9(.  Strad,  'Botfibenber,  Slliccnftv.  16;  Br°f-  Pr- 
aBüufd),  ftelluertr.  Borf.;  Obcrlcbrer  2.  Sietrid),  ©cbriftfül)rer, 
Sranlfurterftr.  13;  Brof.  Dr.  Sl.  ^clm,  fteUoertr.  Sd)riftfüt)rcr;  Rommer» 
jienrat  ^ e i dt  e 1 1)  e i m , !Hed)ncr.  'Heben  bem  Borftanb  fte()t  ein  91uSfd)up 
non  16  'Hlitglicbcrn. 

Ser  OnbreSbeitrag  beträgt  für  Reffen  minbeftenS  1 9H.,  für  fonftige 
'Hcid)Sbeutid)c  2,  für  BuSlönber  3 Bl.  'Blitglieberjabl  (1. 1-  1005)  runb  1100, 
barunter  13  'Batronc  ('Beitrag  20  Bl.  unb  mebr).  Sic  t'lcjamtcinnat)mcii  unb 
'HuSgnben  betnigcn  im  Oaljrc  1904  ction  3500  Bl. 

Sic  'Bereinigung  befitjt  baS  früher  burd)  bic  Settion  gejommcUc  Bla- 
terial  unb  fegt  bie  Sammlungen  fort.  Sammcigebiet  ift  in  erftcr  2inic  boS 
(SroBberjogtum  Jöcffen,  beffen  'BoltSlcben  bic  'Bereinigung  erfaffen  unb  bar» 
ftcUcn  loilt.  'Bon  ber  $)cimnt  auSgc()cnb  rid)tct  üc  jebod)  ibre  'Blidc  auf  baS 
gefamte  ©cbict  ber  'Boltstunbc,  cingebenf  ber  grogcii  l*'« 

gier  überall  oorl)onbcn  finb,  unb  ber  'Brobleme  bic  nod)  iljrer  Böfung  tjarren. 
Obren  toiffcufdiafllicbcn  3'rlcn  jur  Seite  ftcllt  fic  bic  Bufgabc,  mcitcrc  Rrcife 
ber  ©ebilbeten  für  bie  Boltstunbc  ju  geminnen.  Siefem  'Brogrnmm  bienen 
bic  im  Buftrag  ber  Bereinigung  uon  'Brof.  Dr.  'H,  Strad  feit  1902  bernuS- 
gegebenen  ,^''cjfifd)en  Blätter  für  'BottStuubc''.  Sicfclben  erfebeinen  jäbrlid) 
in  brci  $icftcn  »on  jufammen  12 — 15  Bogen  unb  bringen  miger  felbftänbigcn 
gröfjercn  'Buftätjen  tlcincrc  'Blitteilungen,  'Bcfprcd)uugen  unb  'Hod)rid)tcn. 
Sic  Blätter  locrbcn  ben  Blitglicbern  uncntgeltlid)  geliefert. 

Bufter  ben  Blättern  gibt  bie  'Bereinigung  eine  3eitid)riftenfd)nu  b«rnuS, 
ioeld)e  alljäbrlid)  einen  Übcrblid  über  bic  gefamte  oolfStunblid)c  3eitfcbriften- 
titcratur  bes  oorbergebenben  3<*^)rcS  geben.  Bn  bic  3citfd)riftcnid)nu  fd)licBt 
fteb  ein  auSfübrlidjeS  fadjlicbcs  Begifter  on.  Ser  jmeitc  Oftbrgang  berjetben, 
bic  3«ibd)riftcu  bes  3«brcS  1903  umfnffcnb,  luirb  bcmnädjft  crid)ciucn.  Sie 
3eitjd)riftenid)au  crboltcn  bic  Blitglicber  gegen  Grböbuug  ibreo  Beitrags  ouf 
3 bcjiu.  4 unb  6 Blort.  'Hid)tmitglicbcr  fönnen  bic  Blätter  fomt  3citfd)riften» 
fd)au  burd)  ben  'Bud)l)anbel  für  ben  uom  'Bcrieger  (@.  B.  Seubner)  unb  ber 
'Bereinigung  feftgeiebten  Breis  (ca.  40  Bfo-  pro  Bogen)  bejieben. 

Sic  Bereinigung  befibt  ein  reid)baltigcS  'Brd)io,  rocldieS  bic  Bcant- 
luortungcn  ihres  rtragebogenS  unb  eine  Sammlung  oon  3eituugSnuSid)uitten 
umfnfjt;  bosfclbe  ift  burd)  ^lilfsbibliotbctnr  Dr.  0.  Slod)  georbnet  unb  tarn, 
logifiert  unb  befinbet  fid)  in  ber  ©roßberjogl.  Uniucrrttät3bibliotI)et.  3“r  Be» 


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14 


iiutjuiiQ  beiiclbeii  bebarf  tä  ber  fflcncbmigimg  bcs  33orftanbc0  ber  3icieinigimg, 
S«r[ciibung  imc^  axiSmävtS  finbct  nur  misnabmSroeiie  ftatt. 

9<on  einer  Sibliotbcf  beftttt  bie  93ereinigung  erft  fleine  älnfänge;  ein 
2eil  i^rer  Zmifcbic^riften  gibt  fie  an  bie  Unioerfitätlbiblioibef  ab. 


5.  Sonftigt  Mitteilungen  '). 

SSnnb  J»(iBair4a|.  Sä  mar  ein  id)äne0  3»fi>"i>«c>itreffen,  bag  faft 
.gugleici)  mit  ber  @rQnbung  be§  oolfstunblid)en  Herbanbeä  ein  3ufa"»''ei'* 
icgluB  ber  auf  ^eimatjd)ug  gerict)teten  93cftrebungen  erfolgte.  3im  30.  SUJarj 
fonftituierte  ftd)  in  3)resben  ber  Söunb  ^eimatfd)utt  unb  mä()lte  jum  iBot- 
fi^enben  ^rof.  Sdjultie-'Jlnumburg,  Saalect  bei  ftöfen,  jum  (Befeböftä- 
fübrer  'Hobert  'Hielte,  Gtjarlottenbnrg,  iRönneftrage  18.  ,Xer  3'*><!<t 
$unbeS  ift"  (nnd)  § 1 feiner  Satjungen)  ,bie  beutjd)e  $>eimat  in  iljter  natür- 
litgen  unb  gcjd)id)tli<b  gemovbenen  (Eigenart  ju  fd)ütjen*.  Sein  Ülrbcitbfclb 
teilt  fid)  in  folgenbe  (Bruppen:  a)  (?enfmalpflege.  b)  ifJflege  bet  überlieferten 
tönblidien  unb  bürgerlicben  'Dmimeife;  (Erbaltung  beS  porbanbenen  SeftanbcB. 
c)  Sd)ub  bes  &anbfcbaftsbilbe0  einfcblieglid)  ber  iHuinen.  d)  Siettung  ber  ein* 
()eimijd)en  2ier*  unb  i)iflanjenroe(t  fomie  ber  geologijd)en  (Eigentümlicbteiteii. 
e)  'Ifoltstunft  auf  bem  (Bcbiete  ber  bemeglicben  @egenftänbe.  f)  Sitten,  ®e* 
bröudte,  Sefte  unb  Irad)ten.  $ie  Hitgliebfd)aft  ift  nicht,  an  bie  3oblu*»g 
eines  'beitrage  gebunben,  bagegen  mirb  auf  freimiUige  3t'<»enbungen  gercebnet. 
S)en  Hitgliebern  luerbcn  bie  »Hilteilnngcn*  beS  93unbeS,  pon  benen  bis  je^t 
fed)S  Olummern  erfd)ienen  finb,  unenlgeltlid)  geliefert.  33ei  bem  innigen  3u’ 
fammenbang,  in  bem  biefe  Seftrebungen  mit  ben  unfrigen  ftcl)cn,  bürfen  ft« 
gemig  auf  bie  leilnnbme  ber  poltstunblid)  intereffierten  ftreife  ved)nen,  ebenfo 
7oie  anbrerfeits  bie  pra(tifd)e  Slrbeit  beS  ^eimatfd)ut;eS  pielen  ben  ißSeg  juv 
'UoKStunbe  jeigen  mag. 

jknl9r«por«gen- jiongrrg  ’).  'llom  4. — 7.  'Iluguft  tagte  in  ®reifSmalb  ber 
35.  beutfebe  '31ntbropologen*Hongreg.  2er '^orfigenbe,  fflcb.'iRat  p.  ülnbtian» 
Herbnrg  ('Men)  ging  in  feinet  'HegrügimgSnnfpradie  auf  bie  Sejiebungen 
jinifdien  2pracbforfd)ung  unb  'llatunpiffcnfd)aft,  jipifcben  'flbilalogie  unb  (Ethno- 
logie ein,  bie  ficb  ju  fruchtbarer  gemeinfamer  Slrbeit  oerbänben.  (Et  mieS  be- 
fonberS  auf  UfenerS  fyorbenmg  einer  pergleidienben  Sitten*  unb  !HecbtS- 
gefdiicbte  bin,  bie  er  in  ben  „$)efrtfcben  'Wöttern"  uon  neuem  geftcllt  ()<*(•  9l«d) 
mir  erhoffen  oon  ber  3'''ö>'"'tf"ifbcit  mit  ber  (Ethnologie,  bie  unS  in  ber 
'Soirstimbe  unentbehrlich  ift,  reiche  frörberung.  2urd)  ben  »llerbanb  beuifcber 
'Vereine  für  'HoltStunbe",  bem  nudi  bie  äferliner  ®efellfd)oft  für  3lntl)ropologie, 
(Ethnologie  unb  Urgefebiebte  beigetreten  ift,  mirb  boffentlid)  ber  '3Beg  ju  innigeren 
Söejiehungen  gebahnt  merben.  — Unter  ben  'llortrögen  l)tbe  idi  einige  heroor. 
’lJrofeffor  OlieumenhuiS  (iieiben)  fprad)  über  bie  Sinn  ft  ber  ^önh  an* 
SajatS  auf  'Iforneo  (Sdptiijcrcien,  Stidereien,  Webereien),  mobei  folgenbe 


')  Ülud)  in  ben  ^eff.  ölältern  f.  'Holfsr.  III,  $).  2/3. 

’/  3)lit  'Kenuiiung  bcs  '3erid)teS  ber  ,2eutfd)en  l’itcraturjeitung'  in 
9lr.  33,  35  11.  30,  1904. 


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1^  j 1 1 1 jvp^iyn  & *• .‘.‘  * . “ • 

— 15  — 

intercffantc  iöcobacf)tim<j  mitflctcilt  njurbc:  »(Sigcutümlidjcnociic  fangen  bic 
jungen  fieutc  beibetlei  fflefcf)lccl)tä  erft  in  bev  ißnbertätäjeit  an,  fid)  ber  Oliiä* 
Übung  oon  Runftfertigfeiten  jujuroenben,  unb  bic  (c^önften  Slrbciten  liefern  fie 
in  ber  iperiobe  ber  SiiebcSrocrbiingcn.  ®a  finb  fie  and)  am  crfinbungärcidjften, 
n>obei  ä“  bcad)tcn  bleibt,  baß  bic  'Dldbctjcn  ineift  nad)  'Jfotioen  orbeiten,  bie 

oon  fUlännem  f)em'ibren. 9lad)  ber  llcrljeiratung  pflegt  bic  Himft* 

Übung  cinäufd)lofen,  locil  bic  Sorgen  bcs  5>£>*>äftanbc5  unb  ber  Jvamilic  feine 
3eit  baju  taffen.*  — ^rof.  Rarl  n.  b.  Steinen  (iöerlin)  fprad)  über  bic  !ö  c • 
bcutung  ber  Icrtümuftcr  für  ben  gcomctrifd)cn  Stil  ber  'Jlatur- 
DÖIter,  ifJrof.  3Jlontcliuä  (Stodl)olm)  über  neue  Jjunbe  ous  IHomä 
früfjcfter  3^*1»  j.  I.  biä  ins  12.  «•  ßf)r-  jnrüdbatiert  (Ion» 

förge,  $>auSumen),  'prof.  3.  @üntf)cr  (3Jiünd)cn)  über  bie  Slnfängc  bcS 
3äf)lcnS,  fRcc^ncnS  unb  fDlcffenS  im  £id)tc  ber  pcrglcid)cnbcn  (Stfjno» 
logie,  roobei  bie  fragen  ber  auto(^tl)onen  Gntftcf)ung  unb  ber  Übertrognng 
an  Seifpiclen  erörtert  locrbcn.  Prof.  iR.  Plud)  (SEÖictt)  enblid)  rcbctc  über  bas 
3citper  t)öltniS  fprad)gcfd)id)tlid)cr  unb  urgcfd)id)tlid)cr  Gr- 
jd)cinungcn.  ,Gr  tarn  ju  bem  GrgebniS,  bofi  als  bic  Seit  bcS  inboger» 
inanifdicn  UmoKS  bic  reine  Steinjeit  angefeben  merben  müffc.“  Sie  gcr- 
manifdic  Sprache  l)übc  fid)  in  ber  Pronjejeit  uon  ber  inbogennnnifdicn  getrennt. 
— 3“'“  lagungSort  für  1905  rourbe  Salzburg  in  SUuSüd)!  genommen. 

3>rT  effle  inleniaUonare  ,R«ngreli  für  alTgemdiie  tagte 

am  30.  Sluguft  unb  1.  September  in  Pafcl.  9luS  ben  Portrögen  Ijebe  id)  nur 
einiges  ooltSfunblid)  Ontereffnnte  nad)  bem  Pcrid)tc  ber  ,Scutfd)cn  Literatur- 
Leitung*  (1904,  9lr.  38)  btnjor.  Prof.  91.  Sieterid)  (^teibclbcrg)  befprid)t 
bie  Pcligion  ber  Plutter  Grbe.  Gr  jeigt,  baft  bic  fflcbräud)e  unb  Por- 
ftellungcn  bei  ©eburt  unb  lob  bic  Puffaffung  ertennen  laffen,  baO  bic  Grbe 
bic  Pliittcr  oUcr  fei.  ,Sorauf  führt  fid)  bie  Pcrcl)rung  ber  Pluttcr  Grbe  juriid, 
bic  mir  bei  ganj  auScinonbcrftcl)enben  Polfern  finben.*')  — Prebiger  PJeber 
fchilbcrt  ein  la  m aiftifd)c  S Wloftcr  unb  bic  SamaS  in  Üibet,  ihre  Pcli» 
giofiläl  unb  Sluffaffung  ber  Sünbe:  Sie  Sünben  loerben  auf  einen  3>egenbod 
gclaben,  bic  Sürpfoften  jum  Schul)  uor  bem  Unholb  mit  Pint  bcftrichen.  — Prof. 
Ü.  p.  Sdu'öbcr  (ÜPien)  jprach  über  ben  „©tauben  an  ein  höchfteS  gutes 
PJefen  bei  ben  9t  r iern“:  „Ser  ©taube  an  baS  gute  9öeien,  luclcheS  als 
grober  ©cift  rcgicrcnb  im  .fMmmel  loohnt,  mar  bei  ben  alten  9lricni  neben 
Paturbienft  unb  Seelcntult  porhanbcn,alS  $)immclSoater,  SieSpitcr,  als  hödtftes 
gutes  SPejen,  baS  über  Ploral,  Pcd)t  unb  Sreue  macht.*  SieS  mirb  an  ben 
Pbfömmtingcn  ber  9lricr  ju  cnpcifen  gefudtt.  — Prof.  9)f  a l)  I c r (Pubnpeft) 
rcbctc  über  „Ra  Ic  nberboten  in  rcligionSl)iftorifcher  Seutung“; 
Ser  9luSgang  für  bie  3<titeintcilung  ber  alten  9ignpter  unb  Pobplonicr  mor 
ber  PottmonbStng  (=  echapattu  b.  h-  PotlenbungStag).  So  mürbe  ipötcr 
jeber  phofentog  unb  nod)  jpäter  jeber  fiebente  Sag  genannt;  boher  ber  biblifdie 
Sabbat.  ,9lud)  bic  onbern  jübijehen  geftc  hoben,  mos  ihre  Satierung  angcht, 
fatraten  Ghoraftcr,  ber  baburch  nod)  beftätigt  mirb,  baf)  fie  jum  Seil  in  bic 
Pguinoftien  fallen.  3i'nt  Schluft  mcift  ber  Pebner  auf  bic  mertmürbige  Sat» 
joche  h'ti,  boB  ber  Sag  ber  ©räberöffmmg  bei  ben  9igi)ptern  mit  9lltcricelen, 

')  3cÖt  t't  breiterer  9luSfül)rung  im  9lrchio  für  PcligionSmiffcnidtaft 
Pb.  8,  e.  1 ff. 


l » 


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16 


ebcnfo,  baö  bcr  ®cbntt§=  uub  3lufcrftcl)unc(§tag  bes  ägi)pti(d)en  ®ottes|o()ucä 
•f)oai0  mit  bcm  bc0  ©ottcsjo^ncs  6f)riltus  äufommenfaUc." 

O't  bcT  iimiptpcrfammliufg  bes  ^cfanhimin»  bcntfittt  anb 

jUirrfnattocrrinc  (8—11.  Stiigiift)  finb,  roie  id)  beu  5Dlittcilungen  bcS  JJerciiiä 
für  föd)fifd)c  33o(fsfimbc  (Söb.  III,  7)  cntnebmc,  in  bcr  V.  Seftion  für 
Slotfgfunbc  brci  Sliilrägc  gcftcUt  iinb  jum  SIcfcblufi  crljobcit  iporbcn:  1.  33rof- 
S r c n n e r (äöürjbiirg)  beantragt  bic  9lnba^nung  einer  gcograpbifdjcn  Statiftit 
bes  a u § b a u 0.  2.  3trd)ipbircttür  355  o I f r a m (93Ie^)  beantragt  p^oto» 

grapbifdjc  ober  äcicbncrifdie  3lufnabmc  bcr  355  e g c t r c u j c jn  pcranlaffcn. 
3.  3rl)r.  D.  5 r i c f e n (Slre^bcn)  beantragt  35etciligung  aller  ®efd)id)t0»,  SUter« 
tnm0«  nnb  35ol(ähmbcpcrcinc  an  bcr  Sammlung  pon  3 1 u r n a m c n. 

1^00  judfio  für  3t(ngi«ns»if|renriS«f(  bat  mit  feinem  7.  35anb,  ber  fettt 
fertig  Dorliegt  eine  glän,(enbe  355iebergcburt  erlebt  *).  (rd  ift  in  ben  Scubncr'fd)en 
35crlag  übergegangen,  nnb  9llbred)t  Siete  rieb  ift  in  bic  SHebaftion  cinge* 
treten.  Saö  35onport  fpridjt  fid)  übet  bic  neuen  geftedt 

bat.  60  foll  ein  3t'draIorgan  fein,  „bas  bic  Slrbcit  ber  pcrfd)icbcnen  35b>lo* 
logicn,  nor  allem  bcr  riaffifcben,  fcmitifd)cn,  inbifeben,  gcrmanifdicn  jur  Söfung 
bcr  gcmcinfamen  nnb  in  jeber  einjelncii  biefer  'I5b>lt*logien  immer  neu  |ld) 
aufbrängenben  35roblcmc  ju  oerbinben  ober  tnenigften0  beren  ^auptfortfebritte 
non  bcr  einen  jur  nnberen  Wruppc  mitjuteilen  bebilflid)  ift."  60  bnnbelt  fid) 
junöd)ft  nid)t  fo  fcl)r  um  bic  6rforfd)ung  aller  befouberen  gefd)id)tlid)cn  rcli« 
giöfen  6ntinidclungen,  als  piclmcbr  um  bic  6rforfcbung  bcr  überall  äbnlidjen 
Unterfcbid)t  rcligiöfcr  llorftcllungcn , um  ba0  35crftänbni0  bcr  „35  o 1 1 0 » 
religio  n*.  3110  bie  roiebtigften  35unbc0gcnoffcn  biefer  35etrad)tung0incife 
erfebeinen  bie  6 1 b n o l o g i c nnb  bic  35  o l ( 0 f u n b c.  Saft  biefe  beiben  unb 
bic  gcfcbid)tlicben  35b'Iolo!lieu  auf  einanber  angcroiefen  finb,  ipenn  fie  ju  neuen 
religionsgeicbid)tlid)en  6rtenntniffen  gelangen  looUcn,  roirb  mit  6ntfcbiebenbeit 
betont.  3110  eine  bcfonbcr0  luiditigc  Slufgobe  ber  3<!'b'd)rift  roirb  „bic  6r« 
forfebung  bcr  ©enefts  bes  6briftcntum0,  bes  Untergang0  bcr  antilen  unb  bc0 
SBcrbcns  unb  3Bnd)fcu0  ber  neuen  SRcligion*  bejeidpict. 

Ser  iniffcnfcboftlicben  35olfstunbe  loirb  fie  bic  tocrtooHftenSicnftctciftcn; 
foft  alle0,  ipa0  loir  Sitte  unb  ®raud)  nennen,  führt  ja,  foioeit  eS  alt  ift,  ouf 
rcligiöfe0  Seben  jiirüct  unb  tonn  nur  uon  bort  au0  begriffen  incrbcn.  Sa0 
3lrd)iu  loirb  un0  bi«  ein  treuer,  äuncrlnifigcr  unb  gciftoollcr  gübrer  fein. 

’)  ®.  Scubner  1904.  16  3Jlt.  ^uäioifcben  ift  bereits  ba0  1.  ^eft  be0 

8.  Sanbc0  erfebienen. 


S(Sttflltltim8 ; ?!tüfclTor  Dt.  8.  OUm,  eictcn.  StUanlagc  B. 
truif:  unb  Untbctfuate.Xruttertl  (C.  Slnbt)  9le6en. 


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]MitteUungeti 

dee  Verbandes  deutfcber  Vereine 
für  Volkskunde 

2.  (Korrefpondenzblatt)  Juli  1905. 


Programm 

der  erften  'Cagung  dee  Terbandee  deutfd)er  Vereine 
für  VoUtehunde 

6ntfpicrf;cnb  beni  am  6.  Stprit  1904  in  2eip,^ig  gefaxten  Sc= 
frf)lnffc  finbet  bic  Slbgcorbnctenocrfammlung  be§  SerbanbeS  am 

2.  Oktober  1905  in  ßamburg  im  »patriotifchen  Gebäude*' 

(iroftbriiefe)  ftatt  mit  folgcnbem  ißrogramm: 

Son  9 — 11 V2  1U)I  gefebäftUAe  Beratung  der  Abgeordneten. 

Togesorbnung : 

1.  ®cfcf)äft§=  unb  5Rcd)cnfcf)aftSbcrid)t  beö  91n§fcf)uffc§. 

2.  Seratiing  ber  non  ben  ißercinen  für  füdjfifcfjc  unb  bapcrifcfjc 
93olf§tnnbe  Dorge|d)lagcnen  ificDtfion  ber  ©a^ungen. 

:i  künftige  ©cftaltiing  ber  SSerbanbämitteUungen. 

4.  93orfif)lägc  bc§  '2(u§fc^u)|eä  über  öerftcflung  cinc§  iHepertoriums 
für  Doltgtunblidjc  33ibliograpt)ic  bi§  1902. 

5.  (gtmaige  fonftige  93arfd)läge  unb  SlUinfdje. 

6.  Ijet  nädjftc  Serbanbätag. 

7.  9}eu:t)Qrjl  bc§  9(u&fd)uffe§. 

Ilm  11'/,  Ubr:  Stüljftüct,  bargeboten  uon  bem  Söereiu  für 
.^amburgifdje  ©efe^i^te. 

Ilm  12  U^r:  Tortrag  beS  .öerrn  Oberlehrers  SB  0 f f i b 1 0 nu§ 
SBaren  „Über  bie  Jedjnif  bc§  SnmmelnS". 

SBir  machen  auöbrücflid)  barauf  aufmertfam,  bofe  nad)  § 8 
ber  Slcrbanbsfahungen  an  ben  Slbgeorbneteuoerfammlnngen  auch 
nicht  abgeorbneteäüitglieberber  @in3eIoereine  unb  Slnftülten 
mit  beratenber  Stimme  tcilnchmen  fönnen. 


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2 


9Im  'Jlad^mittag  5Bcfid)tigungcn  bet  Sammlung  Fjanv 
burgifefjer  Slltcttümer,  bc§  SBlnfcumS  für  Sölterfunbe,  beä  OTufeum^ 
für  ßunft  unb  ©croerbe  u.  a.  unter  fadfuerftänbiger  gü^rung. 

9Ibenb§8Uf)r;  ÖffentUdie  Terfammlung  im  „ipatriotifcfjcn 
©cbäube" : 

1 . Ginteitenbe  9t  n f v r a c dou  §errn  ißrof effor  Dr.  9t.  S t r a d , ©te^cn. 

2.  Stortrag  Don  .^ertu  Dr.  S 1 0 m e , ©öttingen,  „Über  t;iftorifct)e 
93oIt§funbe". 

3.  93ortrag  non  $cttn  *)3rofcffor  Dr.  J^iteniuä,  ®ireftor  be§ 
ÜJlufeumS  für  SSötfertunbe  in  .^amburg,  über  „93oIf§funbe 
unb  93i3Ifertunbe".  (ÜJlit  93orfü^rung  uon  Sic^tbilbcrn.) 

SBir  bitten  um  rc^t  ja^Ireidjc  93eteitigung. 

®ö  roirb  barauf  SRüdficfjt  genommen,  bafe  bic  Xeitne^mer  nadj 
ber  93erfammtung  nod^  ben  Ütegrüjsungöabcnb  be§  ifj^ilologcntaged 
befudjen  fönnen. 

®er  gefd^äft§fü^renbc  9tu§fd^u§ 
bes  93erbanbe§  beutfd)et  SBeteine  für  93oIf§tunbc. 

.^m  9Infcf)Iufe  hieran  oeröffenttid^en  mir  folgenbe  9)titteitung  bed 
9tusfcbuffe§  bes  SSereinS  für  $amburgifcf)e  ©efcf;i^te,  ber  fidf) 
ber  Vorbereitungen  jur  93erbanb§tagung  in  Iieben§rDÜrbigftcr  unb 
tattrnftigfter  9öeifc  angenommen  f)at: 

Sonntag,  den  i.  Oktober,  c.  9 llt)r,  mirb  ein  Hueflug  in  die 
Tierlande  ftattfinben  mit  Vefic^tigung  oon  Jtirc^en,  Käufern  (9trc^i= 
tettur  unb  3>nie»flu§ftattung),  irad^ten  ufro.  (iRütffel^t  c.  4 Uf)r).  ^ic 
Vefud)cr  bes  SerbanbStagd  finb  frcunbtidjft  ^ur  Xeitna^me  aufgeforbert. 

9tm  9Ibenb  bc§  1.  Oft.  ^loangtofe  3wfflnmiE"funft  ber  Jeil= 
neunter  ber  93crbaubf'togung.  Väfjcre  9tu§funft  f)ietüber,  foroie  über 
ben  9lu§ftug  in  bic  Sietlanbe  SamStag,  ben  30.  Sept.,  nadjmittagd 
oon4  Uf)r  ab  in  ber  9lu§funft§ftcIIc:  „Vatriotifd;c§  ©ebäubc" 
(Jroftbrücfc). 

.öotclqnarticre  oon  9Jlf.  3,50  an  für  iJlac^t  unb  Vett  (einfd^I. 
ßaffee)  unb  ißrioatquartierc  oon  2tlt.  2,50  an  für  9lad^t  unb  Vett 
(einfd)l.  fiaffee  unb  Vebienung)  tonnen  bei  früf)3citiger  SRcIbung  be= 
forgt  merben.  llnfer  VereinSmitglieb  .öerr  Dr.  o.  5R  e i c , .öam= 

bürg  7,  l^at  fidj  in  freunbtid)er  Söeifc  bereit  ertlärt,  bic  Vermitttung 
,3u  übcrnet)meu. 

9t  n m c l b u n g c n 3um  Verbanbätag  roic  311m  9tu§ftug  roetben 
unter  Venu^ung  bciliegenber  .fiforte  mögtidbft  batb  erbeten. 

'J)er  9tu§f(^ufe  be§  Vereins  für  ^amburgifc^c  ©cfdjidjte. 


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Tcrbandsangclcgcnhcitcn. 

9U«  ailitfllicbct  finb  i>cnt  ^öevbanbc  rocitet  beigctrclcu; 

15.  3)!ii?eum  für  'Söltcrfimbe,  üeipjig. 

16.  herein  für  ®amburgifcf)c  ®eid)icf)tc,  ©nniburg. 

17.  ^ntouacr  9Jlujeum,  Altona. 


Tcrcinsnachricbtcii '). 

SSabifdet  9(trtn  fit  7o(lslmib(,  ^>cibelbcrg. 

©egrünbrt  1904  ju  3)aben"®aben,  anfiüipfeub  an  bic  tm  3of)rc  1893  in 
greiburg  gebilbctc  'Bereinigung,  bie  bereite  eine  grofee  StoffnUe  gefammcit  unb 
bearbeitet  f)«*-  befteben  biä  je^t  bie  beiben  3n>eigpcreine  (leibelberg  unb 
greiburg.  len  Borfitj  fübrt  j,  3-  ^)eibclberger  3'ocigperein. 

Borftanb:  Brofeffor  Dr.  S.  ft a f)  i e , Borfibenbcr;  BrofefforDr.  ib-2otenben 
ftellpcrtr.Borf. ; Cberlefjrer  e r r i g l , Sebrif tf übrer ; Berleger  g.  S tb  u l j e, 
ftaffenfübrer;  Bwfeffor  Dt.  fi.  Sütterlin,  Beifiber. 

Blitglicberjabt:  ca.  200. 
gabreSbeitrng:  minbeftenS  1 Blf.  10  Bfg. 

Ber  'Bercin  roiU  bie  'Bo(f§überlieferungen  be§  ®ro6berjogtumb  Baben 
fammeln  unb  roiffenfcbaftlid)  bearbeiten.  3ebocb  foUen,  [oroeit  eS  roiinfebenä. 
ipcrt  erfebeint,  auch  bie  benachbarten  ®ebiele  nicht  auSgejcbloffen  roerben. 

$er  Berein  publiziert  bie  Babifcben  Blätter  für  Bolfäfunbe. 

6in  Blufeum  beftht  ber  Berein  nicht,  Brehip  unb  Bibliothel  fmb  in  ben 
erften  Bnfängen,  jeboch  ftebt  bie  Überroeifung  beä  non  ber  älteren  Sreiburger 
Bereinigung  gefammelten  BlaterialS  beoor. 

$4»B}er{f4f  $efeltf4aff  füt  |^eaut«Hbe,  3ürich. 

Bie  ©rünbung  ber  ©efellfchaft  erfolgte  am  3.  SDlai  1896  in  Clten, 
nachbem  im  oorauSgegangenen  BSinter  pon  ben  ^lerren  Dr.  ®.  ^offmann* 
ftraper,  Dr.  G.  91.  Stüctelberg  unb  Cberftl.  Gmil  IRicharb  ber  Befchluh 
gefaßt  iporben  loar,  einen  Berein  jur  Bflegc  ber  fchroeijerifchen  Boltstunbc 
inö  lieben  ju  rufen.  9lm  16.  guni  beäfelben  3ahreä  fonftituierte  fith  bet 
Borftanb  folgenbermaßen:  Btäfibent:  Dr.  G.  ^offmann-ftraper,  3ürich; 
Bizepräfibent ; Brof-  ®.  9Jluret,  ®enf;  Quäftor;  Gmil  Bicharb  (eefretör 
ber  Raufmännifchen  ®efellfchaft),  Sütich:  91ftuar:  Dr.  G.  91.  Stücfclberg, 
3ürich,  unb  Beifiher:  Btof-  Dr.  Bh-  'Better,  3>'t>ch,  baneben  beftanb 
ein  roeitercr  ©efetljchaitsauäfchuß  oon  13  931itgliebem.  3ohte  1904 

beftanben  biefe  beiben  Organe  au§  folgenben  ^)erren:  I.  Borftanb: 
Bräfibent:  Btöf-  Dr.  Ztj.  Better,  3>'t'ch;  Biäe»Bräribcnt:  Bt»f-  Dr. 
G.  ^loffmann.ftraper,  'Bafel;  9lttuar:  Dr.  G.  91.  Stüctelberg,  Bafel; 
Ouäftor:  Cberftl.  G.  SRicharb,  3><t'ch:  Beifiher:  Btof.  Dr.  g.  geanjaquet, 
Bern;  II.  9luäfchu6:  Btof-  3-  Bonnarb,  Saufanne,  Dr.  SR.  Branbftetter, 
Cujeni,  SRegierungärat  Btof.  Dr.  '91.  Bnrcfharbt*gin§Ier,  Bafel,  SRegenä 
2.  G.  Bufinger,  ftreujen  b.  Solothurn,  Btof.  Dr.  2.  ®auchnt,  Bern,  Bfott" 
helfer  91.  Rüchlcr,  fternä,  Dr.  ?).  3Rercier,  ®enf,  Btof-  Dr.  @.  SBleper  oon 

')  Biegen  SRaummangelS  tonnten  leiber  nicht  olle  eingelaufenen  SRach= 
richten  in  biefer  SRummer  jum  9lbbruct  gelangen.  9(uch  ein  uns  sugegangener 
größerer  9luffoh  mußte  leiber  für  eine  fpätcre  Gelegenheit  jurüctgeftellt  loerben. 


;■  > •• 


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4 


Sliionau,  3-  ff^ur,  G.  'IJomet^n,  i.'ocoruo,  Cberft 

Dr.  5R.  oon  !Hcbiug»atbcteg(i,  3-  !Rcict)lcn,  Breiburg,  Dr.  metl.  SRiä, 
Ib“u,  'IJrof*  Dr-  S.  Singer,  'Hern,  Hfr-  3-  Stoinmler,  Sern,  Dr.  Ctto 
'J}a)er,  3iir>c4)- 

^ic  ?Dlitg[icberjnl)l  betrug  im  1904  : 456. 

3m  SUiutcr  1904  hoben  bie  eibgcnöififd)en  'Jlöte  auf  9lntrag  be§  H u n b e §• 
rate§  ber  ®efe[l)cf)oft  in  (iberaier  üöeife  einen  jährlichen  Hcitrng  non 
2500  Br.  bcroitligt. 

®cr  fUlitglicberbcitrag  beträgt  ohne  Hejug  ber  3r>tfchrift  3 Bt-, 
mit  Hesug  berfciben  7 Br. 

91u6er  bem  „Schioeijcrifchcn  3lrchio  für  Bolfsfunbe“  (Hiertcl- 
johr§fchrift  mit  burdjfchnittlid)  20  ^rudbogen  im  3nhr)  erfcheinen  in  freier 
Böige  bie  „Schriften*  ber  ©efctlfchaft,  oon  beneu  biä  jet)t  folgenbc  3 Häube 
jur  Sluägabe  gelangt  finb:  I.  G.  91.  Stüdelberg,  ®efchid)te  ber  fHeliguien 
in  ber  Schrocis  (1902);  II.  ®.  3üricher,  Jlinberlieb  unb  Ainberfpiel  im  Kanton 
Sern  (1902);  III.  Sobler,  'I?olf4lieb  im  9lppeuje(lerlanbe  (1903). 
SiefcS  unb  ba§  folgcnbe  3“hr  roerben  2 toeitere  'Hänbc  bringen. 

“Eie  Sibliothef  ber  ©efellfchaft  ('Utai  1904  : 961  9lummern)  befinbet 
fich  im  Hörfengebäubc,  3'irich. 

Bür  ein  9D1  u f e :i  m für  Holfsfunbe  roerben  feit  1904  ©egenftänbe  in  Hajel 
gefammelt.  'Eicfelben  fnth  aber  einftiueilen  bem  Hublifum  nicht  jugänglid). 

Xie  9(nlegung  eineä  9lrchioä  ift  in  9lu§ftcht  genommen. 

6.  ipoffmonn-ft'raper. 

7rrtlii  fit  r(tiR<r4<  «nb  «e|IfAnf4(  ^oflstiinbe,  Glberfelb. 

©egrünbet  am  26.  3>di  >"  ®Iberfelb,  baä  jum  Sig  beä  ScreinS  beftimmt 
rourbe,  perfolgt  ber  Herein  ben  3>rrrfi  ^>aä  3'dercffe  für  bie  Holtäfunbe  in 
Hheinlanb  unb  95icftfQlcn  ju  pflegen  unb  sroar  oorläufig  burd)  regelmäöigc 
^erauägabe  einer  3citfchrift,  bie  sugleich  ber  Sammlung  unb  roifTcnfchaftlichcn 
Herorbeitung  oller  polt4tümlid)en  Überlieferungen  bient.  ®er  Herein  begann 
feine  tätigfeit  ntit  bem  erften  HercinSjahr  1904.  ten  9lufto6  ä«r  ©rünbung 
hat  eine  im  Brühiaf)r  1903  in  Köln  ftattgefunbene  3ufammenfunft  oon  fieben 
J)erren  gegeben  (tirffen,  Dr.  B'iarciuä,  0.  ^pmmen,  fHabemacher,  Schell, 
'HSehrhan,  Hrof.  HBiebemann). 

ter  Horftanb  befteht  j.  31-  au§  ben  |)erren:  Hrof.  H-  Sartori- 
tortmunb,  1.  Horf.;  Unioerf.»Hrof.  Dr.  91.  JBiebemann-Honn,  2.  Horf. ; 
Hibliothetar  D.  Sd)cll  unb  fichrcr  K.  'Kchrhon-Glberfelb,  Schriftführer; 
Schriftfteller  O.  ^a u4m an n»@lbetfe(b,  9led)nung4führer;  unb  ben  Heifihcni : 
Rgl.  Cbcrbibliothcfar  Hrof.  tr.  Sahlmann-Hlünfter;  Unioerf.-Hrof.  Dr. 
Br.  3afteä*9Jlünfter;  Oberlehrer  Dr.  3of-  9)lüllet*trier;  Schriftftellet 
St. Hrümer.tortnumb;  Stettor  G.  Hobemad)er«Slöln;  Hrof.  Sr.  tümpel- 
Hielefelb;  Cehrer  3ae.  3rai’rr.Slaiferef(h  (Gifel). 

Sie  Htitglicberjahl  beträgt  ruub  550,  ber  Hcitrag,  roofür  bie  3ri<fchrift 
geliefert  roirb,  jährlich  3 Htf.,  für  forpcrfchaftliche  ÜJIitglieber  6 3Dlf.  (Hiblio* 
thefen  3 3Jlf.) 

Hon  ben  burd)  ben  Herein  herausgegebenen  Heröffentlichungen  liegen 
fechS  ^)efte  ber  feit  9lnfang  1904  oicrteljährlid)  crfcheinenben  3ettfchrift  be§ 
'Hereins  oor,  bie  im  3“hrc  ca.  20  Hogen  umfoffen  foll.  3»  SluSftcht  genommen 


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5 


ift  bic  ipcrnusaabc  uon  einjcliDcrfcn,  bie  für  bic  ä»  umfang« 

rcid)  finb  nnb  cluädne  ©ebictc  bcr  3?oIfstunbc  bc§  SommelgcbictcS  bejio. 
beffen  ooltätümlicber  Überlieferungen  nmfoffcn.  ?)er  93etein  bot  Hd)  mit 
feiner  ferner  in  ben  $ienft  bet  Sammlung  be8  munbartlid)en 

SltaterialS  bcr  gefaintcn  frdnfi)d)«ripuariicben  ®ialcftc  (rocitcrcä  Sliebettbcin« 
gebiet)  gefteHt  unb  beabftebtigt  bie  ^)crou0gabc  eines  umfaffenben  3Börterbud)e0 
bet  rocfifälifd)cn  OTunborten. 

®aS  Samntclgebiet  bcS  5)ereinS  bitbet  in  erfter  Sinie  SRbeinfanb,  SBeft- 
falcn  unb  Sippe,  ohne  fid)  jebod)  auf  bic  politifcbe  9lbgten5ung  biefet  SanbeS« 
teile  ftreng  jit  befd)ränfen,  »ieimcbt  tönnen  aud)  bic  näd)ftbenacbbarten  Stricbe 
bcrüdficbtigt  lucrben,  fofern  fic  !>em  Soltäcbaratter  unb  aifo  bem  ®epräge  bcr 
’BoltStnnbe  nad)  ju  bem  oben  genannten  eigentlidjcn  Sammclgebict  geboren. 

(fin  91rcbio  unb  ein  9JJufeum  bcfibt  junge  9)ercin  noch  nicht,  jeboeb 
eine  •»  ben  erften  9lnfnngen  befinbenbe  ticinc  93ibliotbet,  bic  ficb  jufammen« 
febt  aus  gefebenften  ober  jur  ÜRcjenfion  überioiefcnen  SBerfen  unb  miS  ben 
9lustoufcbfd)riftcn  einet  SRcibe  oon  Vereinen.  (3Bbn.) 

0(f(Sr4«ft  für  7onuSiittb(,  »reSIau. 

©egriinbet  1894  bur(h  ^riebricb  9fogt,  bcr  bic  ®efetlfcboft  oon  1894 
bis  1902  geleitet  but.  Sie  ®cfellfcbaft  »erfolgt  ben  3med,  baS  Qntcreffc  für 
ooKStümlicbc  Überlieferungen  im  allgemeinen  ju  beleben  unb  ju  pflegen,  unb 
loill  allcä,  inaS  ficb  un  folcben  Überlieferungen  in  6d)lerien  erbolten  b“l» 
möglicbft  oollftönbig  fammeln.  Sie  fudjt  biefeS  3‘cl  ju  erreichen  bureb  öffent- 
liche, jebermann  3ugängliche  ißorträge,  bie  roöbrenb  bcr  Sffiintermonate  übet 
©egenftönbe  bcr  allgemeinen  ober  bcr  fcblcfifcben  ColfStunbc  gehalten  roerben, 
unb  burch  ib«  ipublifotionen. 

®cr  ißorftanb  beftebt  auS  folgenbcn  Metren;  SBorftbenber;  Unio.-iProf. 
Dr.  Ib-  Siebs,  ^obenjollcrnftr.  53;  StcUoertrctcnbcr  SSorTibcnbcr : ®eb. 
SJegierungSrat  Unio.:95rof.  Dr.  915.  91  e bring;  S^riftfübrer  : Stabtbibliotbefar 
Dr.  9)1.  ^lippc,  Jlörnerftr.  40,  Stcllocrtretenber  Schriftführer:  9)lufcumbireftor 
Dr.  .'p.  Seger;  Schabmeiftcr:  Hgl.  •'poftunftbänblcr  95runo  fRicbtcr,  Schrceib- 
niberftr.  8,  Steltoerlrctenber  Scbnbmeiftcr : 95erlagSbucbbänblcc  9)1.  9Bogioob; 
Scirit)«:  '?tof.  Dr.  :puln)a,  95rof.  Dr.  Rörber,  ^uftiärat  Sgl-  ®i)m« 

nnftnlbircttor  9Jrof.  Dr.  Seit,  Unio.=95rof.  Dr.  Stutfeh,  Sebter  unb  Schrift- 
ftcllcr  91  ei  ne  It  (ipbilo  oom  955albe). 

5)ie  fDlitglicberjabl  beträgt  j.  3*  diua  670.  2'er  OabreSbeitrag  ift 
3 9)lat(  für  SrcSlaucr,  2 9)lart  für  ausioärtigc  9)litgliebcr. 

95nblitationen:  1)  9)litteilungen  bcr  Schief.  ®efellfcbaft  für 
95oItSfunbe.  93anb  I bis  VI  (1894—1904). 

2)  93cibcftc  ju  ben  9)litteilungcn  bcr  Schief.  ®efellfd).  für 
95oItS(unbe.  I.  95nutfcb,  C,  ©rammatif  ber  9)lunbatt  non 
RieSlingSroalbe,  fircis  |)abelfcbiucrbt.  I.  Xcil:  Sauücbre.  1901. 
II.  ©oe^gen,  £B.,  $ie  9)lunbart  oon  S'ubrauctc.  A.  ©rammatifeber 
Icil.  1902.  Scholj,  Ost.,  i£cr  Spinnabenb  jn  ^lerjogSroalbau 
im  9Sinter  1899.  1901. 

3)  Sd)Iefien§  oolfstümlicbc  Überlieferungen.  Sammlungen 
unb  Stubien  bcr  Scbleftfchen  ©efcUfchaft  für  95oI(Stunbe.  Scipjig, 
iß.  @.  ieubner.  9)anb  I.  ®ic  Schlefifcben  iß5eibnad)tsfpiele.  95on 


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6 


S.  ^ogt.  1901.  Sanb  II.  Sitte,  93raiid)  uiib  ®oltägIaubc  in  Scblcfien. 
®on  i?rec{)s(er.  I.  Icil.  1903.  (II.  leil  im  'Erud). 

3b«  93ibliott)ef,  cinfcblieblicf)  bet  Saujebfebriften,  bot  bic  OcjeDIcbaft 
im  Oob«  1904  an  bie  Stobtbibliotbet  obgegeben.  Gin  OTnieum  bcfibt  fie 
nicht.  'EaS  Hrcbtn  enthält  reiche  bonbicbriftlicbc  Sammlungen  anS  faft  aQcn 
Gebieten  bet  (cblef.  3?olKtunbe. 

33iMI(ail«rgif4<  $«nuM(||iflI4  fix 

Sic  roitb  gebilbet  nom  fönigl.  roürtt.  Statiftifeben  Canbeäamt  in  Stutt- 
gart iinb  bet  iffiüttt.  IBctcinigung  für  ißoKStimbc,  bie  jnt  3t<t  ciuä  14  SDlit- 
gliebem  beftebt. 

EoS  figl.  Canbeäamt  trägt  bic  ftoften  ber  Sommlung,  übernimmt  bie 
Etudlegung  ber  ißeröffentlicbungcn  in  (einen  roürtt.  Qobrbücbem  für  Statiftif 
unb  SonbeStunbe  einfcblieblicb  ber  für  91u§taufcb,  Ginjeloerfouf  iifro.  nötigen 
3abl  oon  Sonberabbrüden.  — Eie  Sßereinigung  bottc  ben  Fragebogen  gu 
entroerfen  (roaS  bureb  ^rof.  Sfobnen berget  gefebab)  unb  bie  eingclaufenen 
iBericbtc  gu  orbnen  unb  gu  regiftrieren,  unb  foll  bie  ißeröffcntlicbungcn  berftellen. 

Eie  91nregung,  bie  ooltäfunblicben  Überlieferungen  gu  fammeln,  rourbe 
1899  oon  ¥rof.  Sobnenberger  gegeben;  bie  gegenroärtige  Crganifation  auf 
Mat  oon  Oberftubienrot  3-  t>-  Startmann  gefebaffen. 

airbcitägebict  ift  baö  Rönigreieb  äBurttemberg.  SJorftanb:  Gefcbäftä- 
fübrenbeö  SMitglieb  bet  Bereinigung  ift  Brof.  Dr.  R.  Bobnenberger. 

Bublifationen:  Blitteilungen  über  oolfstümlicbe  Überlieferungen  in 
®ürttemberg,  gebrudt  in  ben  roürtt.  3ob>^bücbem  für  Statiftif  unb  SanbeS- 
tunbe  unb  gugleicb  in  Sonberbtuden  ausgegeben  (bie  Sammler  erbolten  folcbc 
Etüde  unentgeltlicb).  Grfcbienen  ift  bis  fegt  t>cft  I (1904):  Sobnenberger, 
9IuS  Glaube  unb  Sage. 

EaS  Slrcbio  ber  Bereinigung  beftebt  auS  etroa  600  gröberen,  bie  $taupt- 
puntte  beS  Fragebogens  beantroortenben  Bericbten,  unb  einet  noeb  unbetannten 
3abl  fleinercr  Beiträge. 

Blufeum  beftgt  bie  Bereinigung  (eines,  oueb  (eine  eigene  Bibliotbef: 
ooKSfunblicbe  Betöffentlidiungen,  bic  bureb  Eoufcb  eingeben,  roerben  an  bie 
UniocrritätSbibliotbef  Eübingen  gegeben. 

jkasr««!)  fix  ben(r4-MMr4(  9oflUlnnbe,  Brag.  (I.  ^uSgoffe  20.) 

Eiefet  BuSfebufj  ift  nicht  ein  Berein  im  Sinne  anbetet  lanbfcbaftlicben 
Bereine  für  bcimatlicbe  BoKSfunbe,  fonbern  eS  ift  eine  oon  ber  ©efellfcbof  t 
gut  Färberung  beutfeber  SBiffenfebaft,  flunft  unb  Siteratur  in 
Böhmen  geroäblte  unb  im  Mobmen  biefet  Gefetlfcbaft  roirfenbe  BrbeitS« 
(onemiffion  gut  Buffommlung  beutfd)er  BoKSüberliefcrungen  in  Böhmen. 

Eet  aiuSfcbuß  beftebt  aus  fünf  Blitgliebern : bem  §ofrate  Dr.  ®töb- 
mann  unb  ben  Btofeffoten  an  bet  bentfeben  Unioerfität  ^ auff  en,  Raube, 
fieng  unb  Sauer. 

Brofeffot  $)auffcn  ift  feit  1894  mit  bet  Scitung  bet  Buffammlungen  unb 
Beröffentlid)ungen  betraut.  3"  ben  3ob««  1894—1900  rourben  in  gang 
Eeutfcb-Böbmen  Sammlungen  ouS  fämtlicben  (Oebieten  ber  BoKSfunbe  ocr- 
anftaltet,  auf  @tunb  eines  non  ^auffen  oerfabteu  möglid)ft  überficbtlicben 
unb  eingebenben  Fragebogens,  ber  in  einet  Buflage  oon  mehreren  Eaufenben 


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7 


Dctfcnbfl  rourbc  imb  ^auptfödjltd)  burdj  Sermittehmg  bei  ®C(iirfäfd)uliii(pcttoreti 
aller  48  bcul{c^cii  ©c^ulfacjirfe  ber  2cI)rcr(d)ofl  jugeipicfcn  tpurbe.  SMdbtenb 
ber  icd)^iäf)rigcn  Sainmcltötigfeil  ift  ein  aufierorbcntlid)  gtoftcä  uitb  piel» 
ieitigeö  SDlaterinl  auä  aüen  Seilen  beä  Sanbeä  pon  mehreren  ^unberten  pon 
Mitarbeitern  eingelaufen,  ^auffen  l)at  barüber  in  jed):ä  ®erid)ten  bie  ISr* 
gebniffe  jebeä  3“^)re§  auäfüljrlid)  porgefüb^t  (Mitteilungen  ber  ©efellfcbaft 
91r.  3,  5,  7,  8,  9,  11).  Sie  angefammelten  Sefjä^e  ftub  iui  Ulrdbip  für  ®olf4» 
funbe  in  ben  ÜRäumen  ber  ©efeUfdjaft  aufberoat)«.  @8  finben  r»b  bonb» 
fd)riftlicb  jabllofe  Soltslieber,  Sagen  unb  Märd)en,  SarfteUungen  Pon  Sitten 
unb  @ebräucben  u.  f.  n>.,  auch  piele  gefebriebene  Sieberbücber,  box^fcbriftlicbe 
3auber»  unb  3unftbiicber,  ©ebetbii^er,  Sücber  mit  polt8tümlid)en  Heilmitteln, 
Segen  gegen  %tmx,  Heren,  SReifefegen,  enblid)  3eicbf<«n9en  unb  ®botograpbien 
pon  ®olf8tracbten,  ®auernbäufern,  Hörweiten  unb  ®olf8bräud)en,  ®läne  u.  a. 

Seit  1896  erfebeinen  jäbrlicb  bie  ,Seiträgc  511t  beutfcb*böbmifcbert 
® oltäf un be",  rebigiert  pon  ®rof.  Houffen,  in  einjelnen,  ju  ®önben  fitb 
ju[ammenfd)liegenben  Heften,  melcbe  bie  fpätere  »oiffenfcbaftlicbe  ©efamtoer* 
roertung  ber  aufgefammelten  Überlieferungen  oorbereiten  unb  entlaften  foUen. 
(Eröffnet  rourbe  bie  Sleibe  bureb  eine  oom  fieiter  oerfagte  »Sinfübtung  in 
bie  beutfcb*böbmi|d)e  ®oIt8tunbe  nebft  einer  ®ibliograpbie',  bie 
bie  Slufgaben  unb  3tele  ber  beutfcb>böbmifcben  ®olt8tunbe  erläutert  unb  alle 
auf  biefem  ©ebiete  erfebienenen  ®üd)er  unb  9luffäbe  in  überrubtlicbee  unb 
geograpbifebet  Slnorbnung  porfübrt. 

®ei  ber  3Iu8n>abl  ber  Slrbeilen  für  bie  ®eiträge  tpot  ber  ©eficbtäpunft 
maggebenb,  bag  einjelne  tüchtige  gute  ®carbcitungen  nerfebiebenet  ©ebiete 
ber  ®olf8tunbe  oeröffentlicbt  roerben  follten,  bie  momöglicb  als  ®orbilber  für 
anbere  PolfStümlicbe  Slrbciten  in  Seutfcbb£)b»uen  bienen  follten.  60  tourbe 
junäcbft  bie  reicbbultigfte  ®eantn>ortnng  beS  auSgefanbten  f^agebogenS : 
SaubeS  ®olfSüberlieferungen  ouS  Scplib  oIS  Mufter  für  Summier  per- 
öffentlicbt,  ferner  2 Hefte  HuuSbaiuStubien  Pon  Sippert,  3 H^fte  ®olfS» 
fcbaufpiele  auS  bem  ®öbmeripalbe  pon  3lmmann,  eine  cingebenbe  Sorf» 
gefebiebte,  ^ognS  Cberlobma,  eine  ©efebiebte  ber  im  ungorifeben  ®anat 
oerfprengten  Slnficblcr  auS  bem  ®öbmenoalbc  u.  o.  3m  3uli  1906  erfebien 
nun  in  biefer  fReigc  jum  erftenmal  ein  Merf,  baS  unmittelbor  einen  grogen 
Seil  ber  Grgebniffe  ber  genannten  Sammeltätigfeit  perroertet.  Ser  oon  3 0 b u 
bearbeitete  6.  ®anb  ber  ®eiträge  „Sitte,  ®raud)  unb  ®oltSglauben  in  Seutfd). 
SBeftböbmen*  ift  aufgebaut  auf  ben  in  ber  ©cfellfcbaft  aufbeipabttcn  banbfebrift* 
lieben  Überlieferungen  bcS  befugten  ©ebieteS  (64  meift  fegt  reicbbaltigen  6infen'= 
bungen  auS  etioa  ebenfopiel  Crten  in  ÜBcftböbmen)  unb  auf  ber  uotlicgenben 
gebrudten  fiitcratur,  bie  namentlicb  für  baS  Sgerlanb  fegt  reich  ift. 

herein  für  Scyr.  unb  ^nabartferfibttng,  Mürjburg. 

Ser  ®erein  für  bagrifebe  ®oltStunbc  unb  Munbartforfebung  ift  im 
Sommer  1894  oon  ®rof.  D.  ®renner  unb  ben  fiebrern  3-  ®egl)I  >utb 
3- Sd)mibfonb  begrünbet.  ®orfigenber  feit  ®efieben  O.  ®renner.  3ob«ä- 
beitrog  1 Mt.  Mitglieber  luaren  bis  3rübjabr  1905  770  angemelbet,  totfäcb* 
lieber  ®eftanb  jur  36it  600. 

Ser  ®erein  fammelt  Mitteilungen  auS  allen  ©ebieten  ber  bagrifeben 
®oltSfunbe  unb  Munbartforfebung,  um  ge  tünftig  in  umfaffenben  ®änben  ju 


, “l  • ‘ ^ 


DigrflZeo  uy  Cjvju^Ic 


s 


oeröfftntlic^en.  «ein  SBerbeorgan,  bic  „3)111161(11113611  unb  Umfrogen  511t  boi)v. 
®oIfätuubc“,  erl)alleii  außer  ben  3)lilglieberii  aud)  bie  iämllicßen  Sefet  jineiet 
großfr  lagesjeiluugen  in  einer  Slnflage  uon  gegen  4üU(X)  3lbbrncteii;  fie  er* 
feßeinen  oiermal  im  3a()rc  ('/>  3)ogen  früßer  4"  jet)!  8»).  1er  Sjcrcin  bat 
burd)  3«icbi>B  '-Bcrlegcr  bie  Öerau4gabc  munbartlicbet  Unterfnebnngen  er> 
inöglicbt,  nnb  in  ber  9lu4gabc  ber  Sammlung  non  fileebetger  an§  eine 

9lnregnng  ju  meiterer  Sammclarbeit  gegeben.  3n  llorbcrcitung  ift  al§  erfter 
Sanb  ber  eigentliiben  3}eröffcntlid)ungen  eine  5)o(täIieberiammlnng  ouä  ber  '¥foIä- 

1a§  9(rd)iii  umfaßt  über  1500  Olummern  fd)riftlid)er  Sinläufe,  baju 
eine  Sammlung  non  3-^b<3tograpbicn  unb  3Uifnabmcn  non  (Bauernböuicm. 
ein  3Jlu(eum  befit)t  ber  33ercin  nießt.  ®ic  93ibliotbcr  ftrebt  möglicßfl  ood- 
ftänbige  SBertretung  ber  baprijeßen  3)nb[ifationcn  an,  erioirbt  aber  aueß  bie 
loicßtigeren  »oKätunblicßen  9Bertc  in  beutjeßer  Spraeße,  gelegcntlicß  aueß  frembe. 
lurd)  (KuStaufeß  ober  Rauf  beließt  ße  bie  einfcßlägigen  3eitfcßriften.  ein  por- 
länßgeä  33ibIiotßet4oerjeicßni4  ift  im  Irud  erfeßienen.  ® renn  er. 

9«ii«naßirafraia,  'Jtürnberg.  (ergänjung  ju  ben  3lngoben 

in  31r.  1.) 

®ie  nolfäfunblicße  Sammlung  beä  ©ennanifeßen  9lat..3)lufcum§,  bie 
feit  16  faßten  uorbereitet  rourbc,  ift  jeßt  in  ben  Sälen  60—62  aufgeftellt 
unb  oon  1905  an  bem  Sßefueß  geöffnet.  Sie  umfaßt  etioa  14400  ©egenftänbe 
aller  Slrt.  SJefonberS  ju  enoäßnen  ift  bie  tradjtenfammlung,  bie  563  Shimmern 
umfaßt  unb  bureß  ein  reießeä  3lbbilbung§niateria(  ergänjt  tuirb,  foiuie  eine 
318  91uimnem  umfaffenbe  Sammlung  oon  ißflugmobellen. 

eine  Slrbeit  oon  Dr.  D. liauffer  in  Srnntfurt  über  bie  Sauernftuben 
beei  9)lufeunis  roirb  oeröß'entlicßt  in  ben  3)!ittcilungen  auä  b.  ®.  91.  1904  ff. 

^ereilt  fftt  6Smd4if44  'poflltlnnbe,  SBien,  I,  4.  Höipplingcrftraßc  34. 

1er  Serein  lourbe  1894  gegrünbet  oon  Dr.  3)1.  ab  erlaubt  unb 
Dr.  20.  Stein  (f  1903);  er  fteßt  unter  bem  ^Irotcftorat  beä  erjßerjogä  Cubioig 
®ittor. 

Sorftanb:  ©raf  3.  ?iarracß,  2)eäfibent;  öofrat  Dr.  2).  3“9'e‘  *"'i> 
CSfnr  eblero.  ^)oefft,  ©ijepröribenten;  Dr.  3)1.  $) aber  Innbt,  Sdjriftfüßrer. 

3aßre§beitrag  2 fironen,  bei  9)ejug  ber  3eilfcßtift  6 ft'ronen.  3)lilglicber» 
jaßl  (3)lai  1906):  669.  91rbeitägebiet  ift  bie  2Jolt6funbe  ber  öftcrreid)iid)en 
25ö(ferfcßaften. 

9)ublifationen : 3t>lftßrifl  fnt  öftcrrcicßifdje  2)o(t4funbe  I— XI,  baju  brei 
Supplementßefte,  Ratalog  ber  Sammlungen  beä  3)iufeumä  für  öfterrcidjifeße 
3)oltä(unbe  (1892)  unb  ein  91euer  güßter  beä  3)1.  f.  ä.  V.  (1900). 

1er  2)erein  befitjl  ein  3)lufeum,  bas  ctioa  18600  91ummern  umfaßt, 
2!orftnnb  beäfelben  ift  Dr.  $iaberlaubt. 

lie  Sibliotßef  beä  25ereinä  jäßlt  etioo  1000  Stäube. 


€<^cift(dtunQ:  ^rofeffor  Dr.  (Hlm,  (Strficit.  8Qt>anlage  ä 
X>ru(f:  unt»  (0*  SHtibt)  OieBtn. 


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jMitteUungen 

dc9  Verbandes  deutfcber  Vereine 
für  Volkskunde. 

J^r.  3.  (Kornfpondenzblatt)  Januar  1906. 


I.  ßtricht  über  die  crfte  Tagung 
d«8  Terbandcs  dcutfcbcr  Tmiiu  für  Tolhshundc. 

Xte  crftc  Scjgunc)  bcä  a3cvbanbe§  fonb  am  2.  Cttobcr  ju  ^»ambucg  ftatt. 

Sdjou  am  1.  Cftober  ()atte  firf),  einet  freimblicben  Slufforbening  beä 
'I*ctcinä  für  Jpatnburgifcbe  ®cfc^itf)tc  folgenb,  eine  3(nja()(  auäronrtiger  fetten 
citigefnnben,  um  nn  bem  »om  'herein  ocranftalteten  füuäflng  in  bic  iBiedonbe 
leiljnnc^men.  SJon  '-Bergebovf  auä  umvben  ju  SBagen  bie  Crtc  tturälacf, 
-'[Itengammc  unb  9Jeuengomme  befud)t,  mobei  fief)  ®elegen{)eit  bot,  eine  9Jeit)e 
uon  Sauevn()äufcrn,  bic  Äircf)cn  in  Gurötoct,  in  3Htengamme  unb  boä  9J!ufeum 
in  Sleucngammc  ju  beridjtigcn.  ®ic  ^)ccTcn  G.  fPioB,  Dr.  Stettiner  unb 
OTaIct  C.  Scf)tDinbta^f)cim  mi§  ^omburg  [oiuie  ^>err  ^aftor  OMö  (9Uten> 
gainmc)  batten  bie  fiiebenSroürbigfeit  gübrung  unb  Grflämng  ju  übernebmen. 

Ülm  2.  Ottober  oormittagS  9 Ubr  begannen  bie  gcjcböftlicben  SJeratungen 
in  ben  JRäumen  beä  SJercinä  für  öamburgifebe  ®efcbicbte  im  ifSatriotifeben 
Weböube.  "Sen  iBorfitj  b“ttc  ?5rofeffor  Dr.  91.  Stracf*®icBen,  ®d)riftfübret 
lunven  bic  $)crrcn  93rof.  Dr.  Jt.  $)clm»®ic6cu  unb  Dr.  Jl.örncr»^)amburg. 

93crtretcn  roaten  cif  ®crbnnbämitglicber,  nämlicb:  bet  iliercin  für  ißoltsi» 
funbe,  Sctlin,  butd)  93rof.  Dr.  SBoItc;  — bie  fcblcfifcbc  ®cfe(Ifcl)aft  für  SJoltä» 
fnnbe  burd)  iJSrof.  Dr.  3icb§,  93teälau;  — bie  ©efellfcbaft  für  nieberbeutfebe 
'Bolf^funbc  butd)  Dr.  Gromc,  ®öttingen;  — bie  b^ffifebe  SJereinigung  für 
'Solfätunbc  burd)  ißtof.  Dr.  91.  Strad,  ®icBcn;  — ber  'herein  für  rbcinifib* 
mcftfälifdjc  Siolfstunbe  butd)  %'tof.  Dr.  Sartori,  ITortmunb;  — bet  SBcrcin 
für  bobifd)c  SSoItStunbc  burd)  $tof.  Dr.  Sflttcrlin,  fieibelbctg;  — bic 
fd)rocijctifd)c  ©efeUfebaft  für  Sfoltäfimbc,  3nticb,  burd)  9-*tof.  Dr.  $ioffmaitn. 
Sirager,  Safcl;  — ber  9?crcin  für  iiamburgifcbe  ®cfcbid)tc  bureb  Sianbgeriebtä- 
bireftor  £d)rabcr,  Hamburg;  — baö  fölufcum  für  SBöIfctfunbe,  Scipäig,  butcb 
®ircftor  Dr.  Cb  ft;  — baS  fÖhifcum  für  SBöItcrfunbc,  Hamburg,  butd)  9>tof. 
Dr.  Ib'lcniuä;  — boä  91Itonact  fUIufcum  burd)  2ircftor  Dr.  fiel) manu. 

9?or  Gintritt  in  bic  iage§orbnung  begrüSte  ber  Sorfigenbe  bie  Set« 
fammlung,  ^errn  ffireftor  Sd)mcig,  ben  Sertretet  ber  nicbcrlänbifcbcn  SRc« 
gietung,  unb  fpra^  bem  Setein  für  öamburgifd)c  ®efd)icbtc,  insbefonbere 
ben  ^)etten  G.  SK  a b ««b  Dr.  9S  a r b u r g ben  roärmften  SSant  für  bic 
tatfrSftige  Sorbercitiing  ber  2agung  auö.  SBamenä  beä  Sercinä  für  ^>am« 


'dtn 


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o 


biitfliicljc  ®cid)ici)te  bcgrüjjte  öcrr  Sonbgcric^tsbirettor  £d)tabct  bic  ajcr» 
fammlung  uiib  übertcicbtc  beii  Icituel)mcn(  als  ^eftgabc  eine  SJlummcv  bcv 
SerciiiS.iDUHcilimgcn.  $>crt  Dr.  Stettiner  lub  bie  SJerfammlung  jum  Seiud) 
beS  äHuicuins  für  ftunft  unb  Wcircrbc  ein  unb  übcrreid)te  einige  Gremplarc  bes 
ffierfes:  „SaS  ^ambutgijc^c  SJlnfenm  für  Slnnft  nnb  ffictncrbe,  borgeftcUt  jiir 
geier  bcä  25jäbr.  33cfte[)cnS  »on  grcunbcn  unb  Sdjülcrn  3uftu§  ®rinctmonnS.' 

Sarauf  rourbe  in  bic  SagcSorbmmg  eingetreten. 

1.  2er  ®efcf)oftSberid)t  würbe  uon  'Isrof.  Dr.  Straef  «nb  ^tof.  ^>clm 
erftottet.  5Jic  9tcd)mmg  würbe  uon  'IJrof.  Dr.  3folte  unb  ißrof.  Dr.  Siebs 
geprüft  unb  richtig  befunben,  worauf  bem  9{cd)ncr  Gntlaftung  erteilt  würbe. 

2.  Sic  itcrcinc  für  fäd)rif<ts  »»i>  bapriidje  ItoIfStunbc  hatten  ihren  Gin» 
tritt  in  ben  SJerbonb  abhängig  gemacht  uon  einer  »'Jinberung  ber  Sahungen, 
inäbefonberc  in  ber  Siiehtung  auf  Ot>hrcSbeitrag  unb  Selbftönbigtcit  ber 
Ginäcioctciuc''.  Stuf  Slntrag  uon  9^rof.  Siebs  würbe  bem  Ickten  SBSunfd) 
entfprechcnb  cinftimmig  befchloffen,  in  § 1 ber  Satjungen  äusufetjen:  »febod) 
unbefchabet  bet  Sclbftänbigfeit  ber  einjelnen  SCcrcine.*  Sngegen 
würbe  cS  mit  3Uicffid)t  auf  bic  ginonjlage  beS  iterbanbes  als  unmöglid)  er. 
tlärt,  einen  anberen  S^büingämobiiS,  etwa  eine  ftaffclförmige  mit  Gntlaftung 
fchr  grofser  Sfereine  oerbunbene  9ibftufung  bcS  9?eitragS  einjuführen,  fobafj 
alfo  bie  allen  93eftimmungen  übet  ben  fDlitgliebSbeitrag  bcftchcn  bleiben.  Gä 
würbe  jebod)  auf  Slntrag  oon  iJJrof.  SiebS  eine  uon  '?rof.  931  ogt  norge- 
fchtagenc  SHefolution  angenommen,  woburd)  es  möglich  wirb,  SJcrcinen,  benen 
ber  iöeitritt  jum  üerbanb  auS  finanjicUcn  Cörünben  Schwierigteit  madü,  oor. 
läufig  gewiffe  ülusnahmebcbingungen  ä«  gewähren.  Ob  bieS  gcfchehen  foll 
ober  nid)t,  cnticheibet  in  jebem  einjelnen  5atl  ber  9luSfd)u6. 

3.  9luf  9lntrag  oon  95rof.  Dr.  ^of  fmann-Kraper  würbe  cinftimmig 
befdtloffcn,  bic  Hcrbanbsmittcilungcn  in  bcrfelben  ÜBcife  wie  bisher  weiter 
erfcheinen  ju  loffen. 

4.  'JlamcnS  beS  SluSfchuffeS  fcblug  iprof.  9t.  Strad  oor,  als  9tnfang 
einer  ^Bibliographie  ber  'üolfStnnbc  bic  eigentlich  nolfsfunblidjcn  beutfehen 
3eitfchriftcn  bis  1902  in  bcrfclber  ®cife  wie  eS  feit  1902  in  ber  3s><fd)riftcn. 
fchau  ber  6cff.  Slätter  gefchieht,  bibliographifch  ju  uernrbeiten. 

91uS  ber  SBcrfammlung  würben  jwei  ©egenoorfchläge  gemad)t : 
Dr.  Gromc,  Oberlehrer  SBoffiblo  unb  9>i‘of.  Sattori  befünoorteten  bic 
^erfiellung  lanbfchaftlichcr  iRcpertoricn,  ip^of.  8 ölte  wünfdjtc  bie  Sd)affung 
einer  fadilid)  georbneten  ©ibliographic.  2a  bic  ^crftcllung  lonbfdjaftlichcr 
SRcpertoricn  jebod)  eher  Sad)c  bet  Ginjelucrcine  als  bcS  SBcrbanbeS  ift,  unb  bie 
Schaffung  einet  umfaffenben  fachlich  georbneten  8ibliographic  in  abfehbnrer 
3eit  unburchfübrbat  ift,  würbe  ber  9lntrag  bcS  9luSfchuffc3  angenommen. 

5.  Ginec  Slnrcgung  oon  8tof.  Q.  93Jeicr.8afel  folgcnb,  bcontragen  bie 
fd)wcijcrifche  ©efellfchaft,  ber  Scrliner  Herein  unb  bic  hsinfehs  Herciniguug 
für  HolfSfunbe  folgcnbc  Sicfolution:  ,2a  eine  allen  wiffcnfchofttichcn  9tn* 
fprüchen  genügenbe  Sammlung  ber  beutfehen  HolfSlicbcr  bis  jetd  nicht  oor» 
hanben  ift,  hält  cS  ber  Herbanb  bcutid)er  Hercine  für  HoltStuubc  für  feine 
93flid)t,  eine  folche  ju  fd)affcn  unb  ju  biefem  3rofcte  junächft  eine  3nocntari« 
fiening  ber  fiiebertejic  unb  93Iclobien  oorjuncl)men.“  2iefe  9{cfotution  würbe 
einftimmig  angenommen.  Gbenfo  würbe  bic  23ahl  einet  Äommifrion  bc« 
fchloffen,  loetdie  bic  Horbercitung  biefer  9lrbcit  in  bie  öanb  nehmen  fotl  unb 


Digihzco  — .jk' 


3 


bec  nöc^ften  Zaguug  beg  ^ecbanbeS  genmtp.rc  3?or)ci)läge  unterbreiten  roirb. 
3n  bie[e  Botnmtfrion  tnutben  geniä^lt  bte  fterten  'Crof.  3.  3)leier.Safe(, 
^rof.  Solte-Serlin  unb  iProf.  9t.  ® trocf»fflte6en;  eg  bleibt  biejen  iiberlaffen 
eoentuea  roeitere  geeignete  9)Iitglieber  jujuroäblen. 

6.  ®ie  fünfte  ©eftion  beg  (<i(efanitoereing  beutfdjer  ®efcbid)tg>  unb 
9Utertum§Dereine  ^at  in  if)r  Strbeitgprogramm  bie  beutfdje  |>augforicbung 
aufgenommen  unb  bem  gefc^nftgfüfjrenben  9lugfct)u6  einen  Fragebogen  jur 
©tatiftif  ber  beutfd)en  Öouernbnugfonnen  jugeben  laffen.  Xer  9?erbanb  ftefjt 
biefem  Uuternebmen  natürlid)  rooblrooUenb  gegenüber;  ber  Sorfigenbe  fcfjlägt 
bie  folgenbe  9tefoIution  oot,  bie  einftimniig  jur  9lnnabme  gelangt:  ,5er  3}er= 
banbgtag  empfieblt  feinen  OTitgliebem,  bie  oon  bet  5.  ©eftion  beg  ®efamt> 
oeretng  ber  beutfeben  ®efcbici)tg-’  unb  atltertumgoereine  in  91ugficf)t  genommene 
Statiftit  ber  bentfeben  Sauernbaugformen  nach  Kräften  jn  unterftüben." 

7.  3m  Stuftrag  beg  jocbfifcben  SJereing  für  93oltgfunbe  labt  93vof.  ÜJIogt 
ben  SSerbanb  jur  StugfteQung  für  'Soltgtunft  in  Xregben  1906  ein.  5et  9Jet- 
banb  nimmt  oon  biefer  Sinlabung  mit  5ant  Kenntnig. 

3tlg  Ort  ber  näcbften  Xagung  mürbe  baranf  IBerlin  beftimmt;  bie 
Xagung  roirb  im  Saufe  beg  Qabreg  1907  ftattfinben,  genauere  ®eftimmnng 
ber  3g>t  bleibt  bem  Stugfebug  überlaffen. 

8.  Stuf  Stntrag  beg  ^errn  S^tof.  S9olte  mürbe  ber  bUbetige  Stuefebu^ 
butcb  Stfflamation  miebergemäblt. 

5ie  gefcbäftlicben  Sfetbanbhmgen  enbeten  nadtmittagg  3 Itbr,  fte  maren 
nnterbroeben  bureb  eine  balbftünbige  Frübftüctgpaufe  unb  einen  etroo  einftün- 
bigen  SJortrag  *)  beg  ^)erm  Oberlebrer  SiSoffibto  (SiSaren)  über  bie  ledpiif 
beg  ©ammelng. 

SBenn  id),  fo  begann  ber  SJortragenbe,  bi'^  i't  3brtt"  Ärcifc  über  bie 
Xeebnit  beg  ©ammelng  reben  fotl,  fo  fonn  idi  meine  Stufgabe  nur  batin  feben, 
bureb  ging  Darlegung  bet  (Srfabrungen,  bie  id)  in  jmanjigjobriger  Slrbeit 
gemonnen  habe,  bie  Stnregung  ju  einem  SJleinunggaugtaufcb  jn  geben. 

SlQgemein  gültige  fRegeln  mirb  fein  erfabtener  ©ammler  anfftellen  mollcn, 
mebet  für  bie  Organifation  bet  SBerbearbeit  noch  für  bie  lätigfeit  beg  ©ammelng 
felbft.  ®ie  Sntftbeibung  über  bte  Frage,  mie  eine  möglid)ft  grobe  3<>bt  tütb- 
tiger  Sftitarbeitei  ju  geminnen  unb,  mag  jebmeret  ift,  bei  ber  Strbeit  feft» 
jubalten  fei,  roirb  in  jebet  Sanbfebaft  oon  roecbfelnben  äubeven  Umftäuben 
abbängen:  oon  bet  |)öbe  ber  jut  SJerfügung  ftebenben  SJlittel,  bem  SSerbolten 
ber  IBebdrben  unb  bet  Sanbegpteffe,  oon  ber  Slnjabl  unb  ben  Sleigungeu  bet 
bem  Seitet  unlerftellten  faebtunbigeu  Kräfte,  unb  nid)t  jum  roenigften  oon  bem 
3)la§  oon  Strbeit,  bag  bet  Seiter  felbft  bem  llnternebmen  j»i  roibmen  oermag. 
Unb  roiebetum  bie  Xätigteit  beg  einjelnen  ©nmmletg  — fie  roirb  bebingt  fein 
einerfeitg  burd)  fein  Xemperament  unb  feine  obofifd)e  Seiftunggfäbigfeit,  bann 
aber  aud)  burd)  ben  St)arafter  ber  ®eoäIterung  unb  burd)  ben  größeren 
ober  geringeren  fReießtum  beg  Sanbeg  unb  ber  einjelnen  üanbftridie  unb  Sfolfg« 
fd)id)ten.  3”t'»tgg  roieber  roirb  ftd)  aud)  bet  geübtefte  ©autmlet  oor  neue  Sluf- 
gaben  geftetit  feben,  bie  nur  ein  fd)uelleg  (Stfaffen  ber  augenblidlicßen  Sage 


*)  5et  Sortrag,  bet  für  ben  Slbbntd  an  biefer  ©teile  ein  loenig  gefürjt 
ift,  roirb  in  roefentlid)  erroeiterter  @eftalt  im  15.  S3anbe  ber  3eit'd)r’fi  t>e® 
Sereing  für  ®ol(gfunbe  (Berlin)  jum  Slbbrud  fommeu. 


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glüctlidi  ju  töien  oecmag.  Uiib  n>a§  am  meiften  (Seroö^t  für  feinen  ßrfotg 
bietet,  ba$  loirb  U)in  (ein  anbcret  geben  fönnen:  eine  glücflicfte  älnlage,  mit 
Semen  jeglicben  Stanbeö  /,u  nertebcen,  unb  eine  unbejtvingli^e  Siebe  jui 
eacbe  iverben  nun  einmal  imnter  fein  befteS  Dfürtjeug  fein,  Unb  bocb,  meine 
Herren,  gibt  e*,  roie  in  jcbcr  ftunft,  fo  aucf)  in  bet  beä  SammelnS  oolMtüm« 
lieber  Überlicfcrnngen  allerlei  teebnifebe  $>anbgriffe  unb  tf^rtisleiten,  bie  erlernt 
nterben  tönnen,  unb  ein  SluStaufcb  tmferer  (Srfabrungen,  roie  er  nun  beule 
angebabnt  roerben  foU,  roirb,  fo  boffe  icb,  helfen,  unS  gegenfeitig  »or  flRib' 
griffen  jn  id)ütten  nnb  bie  gemeinfame  Slibeit  5u  fürbem. 

ibiaä  bie  Crgnnifation  bet  UBerbearbeit  unb  ben  93erfebr  mit 
ben  iUlitarbeitern  betrifft,  fo  gloube  icb  uticb  auf  turge  Slnbeutungen  befebränten 
gu  follen.  Sin  IBcijoiel  au€  ber  (üefebiebte  unjereS  mectlenburgifcben  Unter- 
nebmens  mag  3bncn  geigen,  uon  roie  uerbängniOooller  äSirfung  bei  ben  erften 
€cbritten  gemaebte  Rebler  fein  fönnen.  S)em  9lufrufe,  bet  im  f^ebruat  1891 
in  übet  6000  S^cmplaren  inä  Sanb  ging,  roar  ein  Segleitfcbreiben  beigelegt, 
roorin  an  bie  fBütteilung,  bob  mir  ein  bulbjabriger  Urlaub  erroirft  fei,  bie 
!0itte  angefcbloffcn  roar,  mir,  falls  id)  ben  3Bob<tort  beS  Slbreffaten  befueben 
follte,  tatfröftige  Unterftübung  beim  Sammeln  gu  geroöbren.  SaS  enoieS  fub 
als  ein  febroeret  SDlibgriff.  ^unbertc,  bie  fonft  gum  eigenen  Sammeln  bereit 
geroefen  roüren,  legten  ficb  gang  aufS  Slbroartcn,  anbere  liegen  ben  gefammeltcn 
Stoff  gut  Ülbbolung  im  Sebreibtifeb  ruben;  bis  in  bie  legten  ^agre  binein 
finb  mir  iHnfgeiebnungen  auS  jener  3eit  in  bie  &önbe  gefollen.  9lucb  baS 
roar  ein  f^el)ler,  bag  in  bie  Hommiffton,  bie  gut  Untergeiebnung  beS  SlufrufS 
gebilbet  roarb,  l<olföfcbu liebtet,  auf  beten  Ooferroilligfeit  im  @runbe  boeb 
jebee  Sammclunternebmen  angeroiefen  ift,  nicht  biueingeroüblt  routben;  eben 
nur  'DIitglieber  beS  31ltertumS*33erein§  foQten  igm  angeböten.  lEet  ®ebante, 
eigene  iSereine  für  SJoltöfunbc  gu  grünben,  roar  bamalS  leiber  noch  nicht  auf- 
getaudtt. 

iütenn  fo  ber  Srfolg  bes  SlufrufS  ben  Srroartungen  nicht  cntfptacb  unb 
uns  bas  (Slücf  uerjagt  blieb,  bie  erfte  Segciftcrung  für  baS  oaterlänbifcbe  Unter- 
nebnten  mit  »ollem  91ad)bruct  auSnugen  gu  fönnen,  fo  mugte  ieg  um  fo  emftger 
fndjen,  bnrd)  unablofügc,  perfön  liebe  9lnregung  gum  3«!  gu  fommen, 
umfomebr,  alS  mir  eine  3eitfehrift  ober  ein  anbereS  Organ  für  ®littei(nngen 
unb  91nfrogen  nid)t  gur  Sferfügung  ftanb.  — Sine  grögere  3«hl  »on  Snnb- 
lebrcrn  ouf  jener  balbjährifitu  SBanberfabrt  bureg  'UufflSrung  über  bie 
nationale  Sfebcutung  unb  bie  roiffenfchaftlicben  3i«f«  Unternehmens  für 
bie  Sammelarbeit  gn  geroinnen,  hielt  nicht  febroer.  fDlanche  oon  biefen  finb 
mit  einer  über  alles  Sob  erhabenen  |)ingabc  bem  Unternehmen  biS  heute  treu 
geblieben  ')•  ülbcr  gar  oiele,  bie  onfangS  groge  Hoffnungen  roedten,  gelen 
unter  bem  jruefe  öugerer  ÜJerhältniffe,  ber  jo  in  meinet  Heimat  fegroet  genug 
auf  bem  Segrerftnnbe  läget,  gar  balb  roiebet  ab.  f£a  galt  eS  bann,  immer 
roicbet  bie  Süden  auSgufüllen  unb  auf  eine  möglicgft  gleicgmägige  ®ertretung 
aller  Sanbesteile  bebaegt  gu  fein.  2!er  Sefueg  berSanbeSlebreroetfamm- 
lungen  bietet  eine  oorgüglicge  ©clegengeit,  Sanbe  perfönlicger  fjreunbfcgaft 

')  2er  iiortragenbc  geigte  fpäter  einige  bet  roertuoQften  unb  umfang* 
reidiftcn  Beiträge  oot,  bie  igm  im  Saufe  oietcr  3agre  auS  Sebtetfreifen  guge» 
gangen  finb. 


Digitlied  t 


o 


ju  fnüpfen  unb  neu«  ^)elfer  ju  loerben.  — ®ci  bcn  Seminotieii  uiib 
^oljetcn  Schulen  loirb  eS  ganj  auf  bte  nacbbrücflic^e  unb  ftetige  Siu> 
n)icfung  bet  Seite«  unb  Sekret  anfoinmen.  3floüe  ^ortciioe  unb  Fragebogen 
bleiben  of)ne  red)tcn  Srfoig. 

2:ic  SieiöffenUic^ung  einer  grb|creu  uon  ooltetümlic^en  unb  fpracb« 
lid)en  Klaubereien  aug  meiner  Feber  in  einer  ber  3e'tungen  beS  Sanbeä 
fjat  oieUeicbt  manchem,  ber  oon  ber  €ct)ön()eit  unb  FßHc  unfere«  Kolfstumä 
nichts  lougtc,  bie  älugen  geöffnet;  bod)  bie  erhoffte  ÜBirfung  blieb  au9.  Cb 
bie  (iinrid)tung  einer  aQfonntäglid)en  voltötninlichen  &c(e,  n>ie  fie  mir  fegt  por 
einigen  3Bod)en  oon  ber  Stcbattion  ber  am  meiften  gelefencn  3c<tung  beö 
Sanbeö  sugeftanben  ift,  größeren  Crfolg  haben  loitb,  mug  bie  @rfahrung  lehren. 

9Jlit  bejonberer  Fteube  höbe  idj  ftets  fieuteauSbemSanboolte  felbft 
ale  iUiitarbeiter  begrügt.  Kauern,  länblid)«  .'panbroertcr,  Schäfer  u.  a.  fmb,  luenn 
fie  erft  bie  anfängliche  Scheu  vor  bem  9lieberfd)reiben  öberivunben  haben,  mit 
<£ifer  für  bie  Sache  tätig.  Sind)  F^^ouen  auö  bem  Sflittelftanbc  jeidinen  fich 
burch  treueb  SUibharrcn  aub.  ?ab  tieinc  oon  mir  jujammengeftellte  K ü h n e it  • 
ftüct  ,(£in  SUiutcrabcnb  in  einem  medlenburgifd)en  Kauernhoufe*,  boS  oielfad) 
auch  Heineren  Stäbten  unb  Körfern  jur  Karfieliung  getommcn  ift,  hot 
bab  Kcrftänbnib  bicfcr  Srcije  für  bie  3>clc  Unternehmens  geförbert. 
Kleinen  Sffierbebriefen  an  foldje  fieute,  oon  benen  id)  annehme,  bag  ihnen  boS 
SIbreffenfchreiben  nngeroohnte  Slrbeit  fei,  lege  ich  frantierte,  mit  meiner 
fertigen  81  br eff  c oerfchcnc  jtuocrte  bei.  Unbcbingt  notmenbig  ift  cs,  otleKci* 
träge  fofort  unb  cingchenb  gu  bcantroovten,  burd)  tpimoeifc  auf  bie  Kebcutung 
toichtigerer  Stüde  boS  Fntcrcffc  jti  ocrfiefen  unb  ncugeiuonnenc  ^iclfcr  immer 
uncbcr  aitsutrciben,  bag  ge  für  jebc  Überlieferung  bie  Cuelle  angeben.  — Ker 
banfenstoerlen  Slnregung  eines  meiner  Klitarbeitcr,  ctioa  nUjäl^lid)  eine  3 o • 
fammentunft  aller  heroorragenben  .Reifer  ju  ocrnnftaltcn,  um  neue  Sirbeits, 
gebiete  feftjulcgcn  unb  im  cinjclncn  ju  beftimmen,  höbe  ich  bisher  auS  Klangcl 
an  Klittcln  nid)t  Fol0e  geben  tonnen.  — ®ine  ausgiebige  Kerfenbung  oon 
Fveiesemp Inren  holte  ich  für  geboten.  3eh  fjobe  bcn  jmeiten  Kaub  ber 
medlcnburgifchen  KoltSüberlicfcrungcn  an  über  200  Sflitarbcitcr  oerfanbt.  Sie 
Sanblehrer  laffen  baS  SBcrf  im  Korfe  herumgehen.  Kas  crlcid)tcrt  bie  rocitere 
Slrbeit  ungemein.  Sluch  bie  3i'fcnbung  geeigneter  SJertc  auS  an  bereit 
Sänbern  (Slnbrce’S  Kraunfd)iucigcr  KoltStunbe  ift  immer  mit  befonberer 
Freube  begrügt)  ober  bie  3usignung  etioa  ber  KoltStunbe  S.  ii.  Klegcr'S  hot 
fich  nlS  nühlich  erroiefen.  föingehenbe,  fortlmifenbe  Ke  richte  in  bcn  ÜanbeS. 
jeitungen  über  bie  Fonfehritte  ber  Sammlung  unb  bie  Kerbieufte  ber  einzelnen 
tfielfcr  fmb  5u  empfehlen.  Sine  Honorierung  ber  Keiträge  bagegen  ift  mir 
immer  bebentlich  crfchienen. 

iDJas  bie  Form  ber  Slufäcichnungen  onlangt,  fo  bin  id)  gciool)nt, 
meinen  SJlitarbeitcrn  oöUigc  Freiheit  ju  taffen.  Sille  Koijd)riften  fmb  gefährlich, 
(fine  meiner  Klitorbciterinncn,  eine  Kugmachevin,  jehreibt  ihre  (Srinneningcn 
toährenb  bet  Slrbeit  auf  bie  Kopiertollcn  ber  Seibenbänber.  Gine  Kermchrimg 
ber  Slrbeit  bcbcutet  eine  folchc  KJiUtür  lür  bcn  fRebattor  nid)t.  Obertragen 
mug  er  ja  bod)  alles.  Unb  ein  3««'BCH  oller  Keiträge  beeinträchtigt  bcn 
Überblid  über  ben  Kefih  bet  einjclncn  Crtfchoftcn  unb  löegcnben. 

Kei  ber  ISinrichtung  ber  Foogebogen,  bie  ja  nun  einmal  bei  ber 
erften  Ginführung  jebeS  Unternehmens  unentbehrlich  finb,  bie  richtige  Klitte 


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jinifc^en  anjugebräugter  Aürjc  unb  aü^iigroger  '-Breite  ;u  galten,  ift  (c^niec. 
SBill  man  bann  fpöter  im  befonberen  SBätfel,  Seime,  Sieber  unb  bergleici)en 
fammein,  fo  empfiei)lt  eä  fid),  bie  Slnfänge  aller  betannten  Stücfe  aufju. 
jeic^nen;  baS  ÜBic^tigfte  fonn  man  ja  burd)  bie  Slrt  beä  ®rude§  fenntlic^ 
machen.  93or  adern  aber  oermeibe  man  e§,  foicbe  Spejialfragcbogcn  ju  um' 
fangreic^  ju  geftalten.  6§  roar  ein  5ci)ler  non  mir,  ben  12  Seiten  langen 
Fragebogen  ju  ben  ffinberreimen  ungeteilt  inS  Sanb  üu  fc^iden.  Fe  me^r 
man  boS  @anje  in  tleine  Stüde  serlegt,  befto  größer  loitb  bie  SBirfung 
fein.  ®ie  Seute  rooden  immer  roieber  nufgerüttelt  unb  an  bnä  Untemeßmen 
erinnert  fein.  9lud)  mein  auSfüßtlicßer  Fragebogen  ju  ber  l)einüfd)en  Sagen« 
loelt  fjat  ben  erhofften  Srfolg  nidjt  gehabt.  ®ie  große  SDlenge  furjer,  bem 
Fenifteßenben  bod)  meift  unoerftönblicßer  Slnbeutungen  »erroirrt  unb  ent- 
mutigt. Fd)  fomme  öberßnupt  non  ber  sBerfenbung  gebrudter  F’^od^üogen 
immer  tneßt  ä«rüd.  gibt  beffere  Slittel,  basi  Fntereffe  road)  511  ßolten. 
So  empfeßle  icß  bringenb,  tücßtige  Beiträge  im  Sanbe  ßerumjufd)idcn. 
ßabe  oielfod)  9lufjeid)nungen  ou§  bem  Sübroeften  nod)  bem  Sorboften,  au8 
bem  Strelißer  Sonbe  naeß  ber  Oftfeetüffe  gefanbt  unb  umgefeßrt.  9lucß 
ßier  roirtt  bas  Seifpiel  oft  meßr  ol§  ade  Unterroeifung.  9!od)  geeigneter  ift 
ein  anbereS  ÜJlittel,  ba8  id)  erft  in  ben  leßten  F«ß*'®"  erprobt  ßabe.  Ftß 
feßreibe  ouf  Oftaojettel  je  eine  ganj  beftimmte  %x<XQe  über  einjelne  ^fünfte. 
Don  biefen  Fettein  fenbe  icß  etroa  je  80—40  Stüd  an  ein  ®ußenb  IDlitarbeiter, 
auf  bereu  fjilfäbereitfcßaft  icß  mieß  oetlaffeu  fann,  mit  ber  Ditte,  im  ®orfe 
ßermnjufragen.  ®ie  jurüdfommenben,  mit  Slntioort  unb  JDrtäangabe  oer- 
feßenen  Fellel  geßen  bann  roieber  an  anbere  Steifer  in  anberen  Sanbeäteilen. 
®iele§  fUlittel  ßat  faft  immer  Grfolg  unb  ift  aueß  namentlicß  noeß  bet  negatioen 
Seite  ßin  roertood,  um  ba§  Feßlen  non  9lu8brüden  unb  Dräueßen  in  ben 
einselnen  SanbeSteilen  feffjufteden.  9lucß  bie  Derfenbung  non  gefeßriebenen 
(nießt  gebrudten)  Doftfarten  mit  Südantroort  ift  im  föinjelfade  nüßlicß. 

®ie' Derbinbung  mit  ben  3JJitarbeitern  enger  ju  geftalten,  roitb  im 
allgemeinen  um  fo  leicßter  gelingen,  je  meßr  bie  Beiter  be8  Untemeßmenä 
felber  Grfaßrung  im  Sammeln  haben.  roedt  Fntereffe,  roenu  man 
in  feinen  Ülntroortbriefen  non  eigenen  Fwiben  berießten  tonn,  unb  e§  ift  non 
außerorbentließem  SDerte,  roenn  man  roidigen,  aber  ungeübten  ^telfetn  in  per- 
fönlicßem  Umgang  bureß  eigenes  Seifpiel  311  seigen  nermag,  inie  mau  bie  ner- 
borgenen  Scßät3e  anS  Sießt  3ießen  fann.  Unb  bamit  feßide  icß  mieß  au, 
Fßnen  non  meiner  eigenen  Sammeltötigfeit  3u  ersößlen. 

3Bet  felbft  in  bns  geiftige  Seben  eines  SolteS  einbringen  inid,  roitb 
3uerft  unb  nor  adem,  autß  roenn  er  ein  umfaffenbeS  SBörterbueß  nießt  plant, 
bie  Spraeße  erforfeßen  muffen.  Seßon  um  baS  Dertrauen  bet  Seute  3U  ge- 
roinnen,  ift  eine  nödige  Deßerrfeßung  ber  OTunbart  unbebingteSiErforbemiS. 
Fa  eS  roitb  nüßlitß  fein,  ficß  ben  Derfcßiebenßeiten  bet  einseinen  ®egenbeUf 
namentlicß  in  ber  ®ipßtßongienmg,  naeß  lüften  ansupaffen.  9BaS  Ulrieß  F^^ß*^ 
alSmöglicß  ßinftedt,  roenn  man  mit  berdJlunbart  nießt  nertraut  fei,  mit  bem 
fUlifcßbialett  auSsufommen,  roie  ißn  frembe  Bießßänblet  fpreeßen,  muß  icß  für 
meine  ^eimot  als  bureßauS  untunlid)  beseidjnen  ').  3lber  aueß  bie  Fw»ß* 


')  ®et  Dortragenbe  fmnmelt  in  nieberbeutfeßem  ©ebiet.  F“'  Cber- 
beutfcßlanb  unb  dJlittelbeutfcßlanb  ift  tatfäcßlicß  bet  ©ebraueß  bet  SUJunbatt 


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7 — 

Sammeln  roitb  mefeutlid)  eit)öbt,  menn  man  bec  Hlhmbact  ibr  Slccbt  gönnt. 
91nf  ber  Sud)e  nad)  ben  cigentlidten  SSoltäübeiUcferungen  ruerben  SHigerfolgc 
nicht  auäblciben.  Ülbct  bnä  ©efübl  be«  Übetbmffeä  nad)  iold)en  Snttäuid)ungen 
tommt  nicht  auf,  toenn  man  immer  mieber  burch  einen  ooUeit  Xrunf  auö 
bem  ®om  munbartlicher  Webe  ffitguidung  fchöpfcn  fann.  3d)  fenne  feine 
gröbere  5reube,  al§  mit  'Hlönnem  unb  grauen  anS  ber  Sanbbeoölterung  ju 
plaubern,  bie,  vom  ftöbtifchen  93crfehr  itnb  bem  Sinflub  ber  Schriftfprache 
unberührt,  auä  lebenbigem  Sprachgefühl  hctauS  ihre  Webe  fonnen ; ba 
ift  faft  jeber  Sah  'rflenö  ««er  ®c'tc  h«»  bebeutfam.  ®elegenhett, 
bem  Sßolte  auf8  Wlaul  ju  fehen,  hat  jn  jeber.  9tatürlich,  roer  burch  ocrnianbt- 
fchaftliche  ober  freunbjd)aftliche  ®eäiehungen  mit  bem  fianbleben  perfnüpft  ift, 
bem  toirb  fich  bie  3iolt8fprache  leichter  erjchlieben.  Slber  auch  in  ber  Stabt 
fann  man  täglich  finben,  loenn  man  nur  ernftlich  fucht,  jumal  heute,  roo  bie 
länblid)en  Arbeiter  in  immer  grögeren  iWengen  in  bie  Stabte  ftrömen.  Unb 
ein  ®c)präch  mit  bem  ipirten  ouf  bem  gelbe,  bem  911ten,  ber  bie  ÜBege  beffcrt, 
bem  Wlütterchen,  ba8  beim  ^üten  ber  ®dnfe  pon  jungen  lagen  träumt,  bem 
Xagelöhner,  ber  beS  gleichen  9Begc8  jicht,  ift  halb  im  gluffe,  loenn  man  ben 
Beuten  mit  freunblid)em  ®ru6  gegenübertritt  unb  auf  il)re  gutereffenroelt  einju» 
gehen  ineife.  gn  roenig  Wlinuten  evfennt  man,  ob  man  WuSbeute  erhoffen  barf. 
ßine  augerorbentlich  günftige  ®elegenl)cit,  bas  95otf  ju  belaitfd)en,  bietet  fich 
bem  Sammler  bar,  tpenu  er  flcine  öä  übler  unb  91  uf  fünf  er  inS®ertrauen 
3iel)t  unb  mit  ihnen  jujammen  ouf  ihren  ÜBagen  auf  bem  Baube  hcrumfährt. 
Sei  bem  Scrfehr  gerabe  biefer  Beute  mit  ben  Säuern  unb  Xagelöhnerfrauen 
fommeu  in  ber  ßrregung,  roie  fie  ber  daubel  mit  fich  j»  bringen  pflegt,  be« 
fonbcrS  picle  alte  Sßenbungen  ans  Sicht,  greilich  fobalb  bie  Beute  merfen, 
bah  man  fte  auShorche,  ift  bei  ben  meiftcn  bie  Unbefangenheit  bahin.  Wur 
roenige  ertragen  es  ohne  S'iubuhe  jprochjchöpferifdier  Jtraft,  bag  man  niebcr« 
fchrcibt,  loaS  fie  reben.  geh  hübe  in  früheren  gohren  abioajchbare  ®ummi* 
manfehetten  ju  heimlichen  Wotijen  benugt,  ober  irgenb  einen  Sorioanb  gefucht, 
um  ohne  Serbacht  bas  Wotijbuch,  ober  bas  RurSbuch,  ober  ben  Ralenbcr  her* 
auSjuholcu.  Xurch  Übung  lernt  mon,  ohne  folche  Stügen  ouSjufommeu  unb 
bei  jeharfem  B>inl)öreu  ein  fürjeres  ®cfpräch  ju  bemeifteni.  gnbem  man  fich 
ben  Banf  ber  Unterholtung  roieber  oergegemoärtigt,  fallen  einem  aud)  bie 
Eigenheiten  im  SluSbnicf  unb  Sagbau  roieber  bei. 

Xod)  roer  ruh  höhere  giele  fteeft,  tper  ben  unermcglichen  ÜBortoorrat  unb 
bie  jnhllojen  WebenSarten  unb  Sprid)ipörter  aud)  nur  annähernb  crfchöpfenb 
fammelu  roill,  ber  roirb  gd)  mit  einem  folchen  gelegentlichen  Selaujchen  beS 
SolfeS,  jo  notroenbig  eS  ift,  unb  roenn  er  eS  lange  gahre  mit  glücflichftem  Er* 
folge  betrieben  hat, nicht  begnügen  bürfeu;  e§  mug  planmägigeS  WuSfragen 
geeigneter  ©eioährSmänner  hinjufommen.  Unb  ein  fold)eS  Sammeln 
munbartlichen  Stoffes  ift  leicht  erlernbar,  unb  jeber,  ber  in  ben  Überliefe* 
rungen  einer  Banbfchaft  heimifeh  locrben  roill,  roirb,  glaube  ich,  ßut  tun,  mit 
biefen  Xingen  jn  beginnen.  Watürlid),  roer  in  allgemeinen  SBenbungeu  nach 


ineift  unnötig,  oft  fogar  getoig  nad)tctlig:  hier  genügt  ootlftnnbtg  ber  ®c* 
brauch  öer  ungejroungenen  UmgangSjprache,  bie  ja  immer  mehr  ober 
roeniger  bioleftifch  gefärbt  ift.  9lnm.  b.  Web. 


Din'ti.’c'J  I / Go»  iglf 


8 


alten  StiiSbcfideu  fragen  ivoUtc,  iviicbe  fid)  fntje  3lbroeifiing  gefallen  (affen 
muffen : ,3a,  roenn  Sc  fo’n  olle  fianbroiirb  töten,  beim  inöten  Se  na  unf 
9fan>ccbörp  galtn,  bor  (tebben  fe  oäl  fo’n  platt  ^ürb:  bi  nnä  iS  foioat  ni^ 
begöng’!*  fDlnn  frage  3unöcl)ft  geniecftere  Seiite,  beren  (äunft  man  im  Sorf* 
fnige  bnrd)  ein  ®Iaä  Sfier  ober  einige  gerooimen  f)at,  nad)  gonj 

beftimmten,  fontreten  Xingen,  etroa  nad)  ben  Benennungen  ffir  bie  einjelnen 
Xeile  bes  UBagenS  ober  bes  BflugeS,  nad)  Slnmamen,  nad)  ben  Stamen  oon 
Xieren  unb  Bflnnjen.  Sö6t  man  babei  feltene  3lu8brüctc  cinfliefeen,  bie  man 
in  anberen  £anbeSteiIen  gehört  f)ai.  fo  ift  boä  allgemeine  ge< 

niectt.  So  fmb  alle  StanbcSfprad)cn  leid)t  ju  erforfd)cn.  SBenn  man  erft  bei 
ben  gifd)em  im  Boote  filjt  unb  Xeilnal)me  für  i()re  Slrbeit  betunbet,  fo  roerben 
fie  halb  gefpräd)ig.  Um  in  bie  3d)iffetfproebe  tiefer  einjubringen,  bie  mir 
oon  allen  BerufSfprad^en  ber  Heimat  immer  als  bie  reid)ftc  unb  bebeutenbfte 
er)d)icnen  ift,  pfleßc  id)  in  ben  Xörfern  ber  Oftfeetüfte  früheren  Rapitönen 
unb  snotrofeii  eigenartige,  anberSnio  gel)örte  fBenbungen  oorsulegeu  mit  bem 
Borgeben,  ben  Sinn  berfelben  nid)tju  nerftc()cn:  in  fold)en  ©rtlänmgcn  tommt 
bann  oft  ein  ganjeS  Beft  oerroanbter  ülusbrüde  jum  Borf^ein.  $at  man 
ben  Seilten  burd)  fo(d)e  (y>^ogen  über  Xinge,  bie  il)rcm  @erid)ts(reife  nat)e 
liegen,  ein  BerftönbniS  bafür  beigebroc^t,  roaS  man  roill,  fo  oerfuebe  man 
ganj  nl(mät)lid)  auf  anbere,  fd)roicrigere  ©ebiete  überjugel)en.  9lbet  freilid)  nicht 
jeber  l)ält  bem  Jrager  Stanb.  ©erabe  Originale,  an  bie  man  geroöbnlii^ 
oerroiefen  roirb,  bie  in  ihrer  täglichen  Bebe  altes  Sprachgut  in  Bfcnge  im 
Blunbe  führen,  ocrhaltcn  fid)  meift  bet  äSigbegier  beS  Sammlers  gegenüber 
ablehnenb:  fie  finb  311  fclbftänbig,  um  fid)  frembem  ©ebantengange  nn3ube» 
guemen.  Xann  roieber  gibt  eS  Scute,  bie  in  hSchflem  Blage  hilfsbereit  finb, 
beuen  aber  felbft  bie  ffiegenroart  bcS  Sammlers  löftig  ift;  fie  looUen  allein 
fein,  um  ihren  Grinnenmgen  nachjuhängen.  Bnbete  loieber  rooUen  burd) 
unabläffige  Stagen  angeregt  fein.  Xie  Sähigfeit  eiii3elner,  ben  leifeften 
Bnbeutungen  beS  Sammlers  311  folgen,  ift  gan3  erftaunlid). 

3ch  tonn  oon  biefen  Xingen  nicht  reben,  ohne  an  einen  Blann  aus 
bem  Sanbooltc  311  beuten,  ber  mir  bei  meinen  erften  toftenben  Schritten  in 
baS  Bfunberlanb  ber  Blunbart  miBerorbentliche  Xienfte  geleiftet  hat-  3'* 
einem  Xorfe  bet  .^ngenoroer  $eibe,  roo  id)  in  ben  acht3iger  3ahren  mieber- 
holt  roährenb  bet  Serien  Duortier  nahm,  hatte  ich  l>aS  ®(üd,  einen  jungen 
Bübnerfohn  tennen  311  lernen,  ber  fich  mir  halb  aufs  engfte  anfchlog. 
3m  Glternhaufe  im  Banne  alten  ©laubcuS  unb  öltet  Sptechroeife  aufgeioachfen, 
babei  oon  leichter  SaffungStraft  unb  roiffenSburftig,  lieg  et  geh  bolb  oon  bem 
Bferte  alter  Überlieferung  über3eugcn  unb  loar  bonn,  jebc  Belohnung  oon 
fich  nieifenb,  unabläfftg  bemüht,  mir  ben  Boben  31t  ebnen.  Xie  $ilfe  eines 
folchen  BermittlerS  au 3 bem  Bolte  felbft  tonn  ber  Sammler  gar  nicht 
hoch  genug  fchägen.  3th  begleitete  ben  jungen  Sreunb  bei  ber  Selbarbeit  ober 
fuhr  mit  ihm  311  ben  &o(3auttionen  in  ben  Bfalb,  immer  toieber  überrafcht, 
3U  fehen,  mit  nielcher  2cid)tigteit  er  bei  jeber  geh  barbictenben  ©elegcnhcit 
aus  feiner  Schahtammer  olter  SBenbungen  ben  treg'enben  SluSbrud  l)c>^vior« 
3u()olen  mugte.  Unter  feinet  ©inroirfung  hatten  bann  nud)  halb  bie  übrigen 
Xotfberoohnet  jebe  Scheu  oor  bem  Sretwöen  ocrloren.  Blit  meinen  Sätteln 
in  ber  Cianb  ging  ich  auf  bem  Selbe  hinter  ben  Binberinncn  unb  ben  fiartoffel» 
fammlcrinnen  her,  ober  fuchte  mir  ein  Blähdien  hoch  oben  im  Scheimfad), 


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9 


um  oon  bott  ouS  bie  Webe  bet  Sieule,  bie  bei  frobev  (Snuearbeit  in  munterem 
3Bed)ie[  ^inunbberjuneben  pflegt,  ju  be(aujd)en. 

9Benn  fo  bie  8d)ä^e  bet  aJlunbart,  bie  uralte«  ®ut  in  veidter  ^üde  treu 
betoabrle,  bei  teblic^et  SJHlbe  leid)t  ju  ^eben  ftttb,  fo  erforbert  boS  Sammeln  bet 
eigentlici)en  93  o 1 1 S ü b e r 1 i e f e r u u g e n ein  erbeblic^  grbgereS  S0la6  non  Übung 
unb  aud)  non  Cpfennilligteit.  ft'inberreime,  bie  nod)  beute  in  Icbenbigem 
(Bebrauebe  ftnb,  roerben  ja  jebem  Sommlet  leid)t  jufallen.  Slbcr  baä  Suchen 
noch  ben  nertlungenen,  f)olb  netgeffenen  9JoirStcimen  unb  Siebern  ift,  bei 
tmä  JU  Sanbe  inenigftenä,  ein  fauteS  Stüd  Wrbeit,  unb  uidjt  ol)iie  leijes 
Sd)aubem  benfe  icb  an  jenen  Sommer  bes  3“l)teä  91  jurüd,  ols  id)  ied)S 
SRonate  lang,  in  mbelofet  ©aft  non  lEorf  ju  2!orf  cilenb,  boö  Sanb  mi«- 
fcbtieglid)  nach  Wätfeln  unb  Weimen  abfud)te.  @rft  tuenn  man  Sagen  unb 
Snäreben,  Wraud)  unb  Glauben,  bie  mit  anfangs  in  falfd)em  'Ifertrauen  auf 
9artfd)euS  ®}erf  non  bet  Sammlung  auSgefcbloffcn  batten,  bineinjiebt,  menu 
man  neben  ben  9EBörtern  jugleicb  in  bie  Renntnis  bet  Sad)en  einjubringen 
iuebt  unb  ©auSbau,  l£rod)t  unb  (Berät  erforfd)t,  erft  inenn  man  ein  nolleS 
93ilb  non  bem  öuBeren  unb  inneren  ©eben  beS  9Jolte§  in  entfebrounbener  3eit 
JU  gemimten  fuebt,  erft  bann  entfpriebt  ber  Sobn  ber  aufgemaubten  WHibe. 
3u  einer  Suft  aber  fann  baS  Sammeln  biefet  ®inge  nur  merben,  roenn  man 
otleS  flüchtige  ®urcbftteifen  ber  ©eimnt  aufgibt  unb  in  rul)igetn,  nianmößigem 
Vorbringen  ben  Vefitj  engbegrenjter  Vejirfe  ju  erid)öpfen  iudjt. 
habe  mir,  feitbem  icb  in  ben  meifien  SonbeSteilen  juperläffige  Vlitarbeiter  mei6, 
einige  menige  lanbfcbaftlid)  febön  gelegene  Crte  in  ber  meiteren  Umgebung 
meines  SVobnortes  berauSgefuebt,  ju  benen  icb  immer  micber  jurüdfebre.  3” 
bet  näberen  Umgebung  — um  auch  baS  ju  jagen  — ift  bie  perfonlidte  93e> 
fanntfebaft  mit  ben  Vefibetn,  Väd)tern  unb  Voftoren  leiebt  bixberlid).  (£rft 
bei  folcber  oft  mieberbolten  ßintebr  in  ein  2'orf  fann  man  bas  oolle  Vertrauen 
ber  Seute  geminnen  unb  ihnen  3rit  loffen,  ficb  in  bie  alten  (Erinnerungen 
mieber  bitteinjulcben.  Unb  nur  in  folcben  Stanbguartieren,  mo  man 
mit  ben  örtlicbeu  Verbältniffen  genau  pertraut  gemorben  ift,  tann  man  an 
bie  (Einrichtung  non  Sammelabenben  in  gröberem  Stil  berangeben,  mie  icb  fie 
feit  langen  Qabren  in  9Varen  mit  glüdlicbem  (Erfolge  obgebalten  l’<*be.  Soeb 
folcbe  feften  Stübpuntte  mollen  erft  gefunfcen  merben,  unb  es  mirb  nidit  nutjloS 
fein,  JU  jeigen,  bureb  melcbe  ÜJlittel  ber  Sammler  ber  Sebmierigfeiten 
©err  ju  merben  oerntag,  bie  ficb  unter  meniger  günftigen  Verbältniffen  feiner 
Slrbeit  entgegenftcllen. 

Rommt  man  als  grember  jmn  erften  Slialc  in  ein  3orf,  fo  ift  boS 
Staunen  groß.  ,9Bot  bee  Saat  mol  in’n  Vlunn’  bett  — mat  bor  mol  bi 
rulbröben  mag!*  ÜaS  Slnfinnen  beS  Sammlers  bat  eben  für  biefe  Seute, 
benen  eS  etmaS  oöllig  Weites  ift,  baß  ein  ftubierter  SDJatm  fidt  tim  ihr  (BeifteS- 
leben  fümmert,  etmaS  ftart  ÜbetrafebenbeS,  uttb  icb  tonnte  Ob”«”  luftigften 
fWigperftänbniffe  erjäblen;  ,fDlubber  Schulten,  Sltubber  Scbulieti,  mo  tannft 
bu  ben’ti  fDlantt  mot  nörbäbett.  !©e  arm  fiierl  fatitt  eenen  jo  leeb  bobn,  bee 
bett  bat  jo  ’n  bätett  in  ’ti  Ropp;  mo  tünn  be  füfj  pör  fo’tt  Iröbeltram  fiett 
@elb  utgäben.  SHööft  em  nidS  oertellen,  Sflubber  Schulten,  bu  maatft  ent  jo 
füfe  ümmer  norrfeber.*  Wiifflärettbe  Vorarbeit  beS  SebrerS  mürbe  ja  falfcbeti 
Vuffaffnngen  porbeugeti  tömten;  bod)  ift  nicht  jeber  baju  bereit,  oitd)  mirb  eS 
barauf  antommen,  in  roelcbem  VerbälmtS  ber  fDlantt  ju  feitten  ^orfgenoffett 


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10 


®igenHid)em  ülUgtraiien  aber  bin  ic^  auch  ba,  roo  it^  mit  ganj  ollein 
bcn  3i<eg  bahnen  mugtc,  taum  je  begegnet.  Unjei  medlenburgijc^eiS  Sage« 
löbneroolf,  ju  bem  id)  mid)  oon  ^ugenb  auf  am  meiften  bingejogen  füble, 
ift  offenen  derjenä  unb  leid)t  ju  geroinnen,  roenn  man  i^m  in  ber  rechten 
äSeijc  nabt;  bie  äeute  bobcn  ein  febr  feines  ®efüb(  bafür,  ob  man  ftc^  über 
fte  luftig  macben  roitl  ober  ob  man  ihrem  ®eifteSleben  Sichtung  unb  93et> 
ftänbnis  entge^enbringt.  3Bcm  freilich  bie  @abe  oerfagt  ift,  and)  bem  9lie» 
brigftcn  unb  Slrmftcn  mit  nihigcr  (^rcunblichfeit  ju  begegnen,  bem  roerben 
bie  liefen  ber  Sioltefeelc  oerfchloffen  bleiben. 

5ragt  man  bann  nun  im  3!otfe  herum,  roet  roohl  im  Senhe  cxlter 
Überlieferung  fein  fönne,  fo  erhält  man  juerft  meift  menig  hof 
Dolle  Slustunft;  ,3ee  liggen  up  ’n  fiirchhof,  bee  foroat  müßten;  bee  fünb 
nu  nich  inihr  an  ’t  Stüber.  — ^üüt  marb  non  ’n  Slrieg  fnadt  un  roat  be 
IScmotrnten  herpötebringen ; fo’n  perroünjchten  Rtam  iS  nu  ut  be  SBelt  rut.  — 
l£en  Spööt  hell  Slapoleon  ut’t  2anb  btäben.  — l)e  3Belt  hett  fit  jo  üm« 
breiljt.  — 9Bat  Se  jöfen,  bat  regiert  nich  mihr  — bat  hett  fit  aflörot  — bot 
bemengt  ’n  fit  nich  'n>hr  mit  — bat  hüürt  nid)  mihr  mit  to."  — @at  niele 
haben  in  ber  Zat  oon  ^ugenb  auf  für  bie  $oefie  biejer  Sachen  feinen  Sinn 
gehabt.  ,3f  h«ff  üm  fo’it  Sllfaujerien  nie  nich  brüb’t.*  — „So  hoc’ch' 
flubiert  bün  it  nid).*  — „SBat  be  Serch  fingt,  bat  fann  ’t  Se  of  nich  feggen, 
bee  hett  fo’ne  poifche  Spraat,  bee  fann  it  nich  oerftahn,*  — „95on  be  lütten 
Ünnerierbichen?  Sie,  bor  fann  ’t  Se  nictS  oon  oertellen,  it  l)eff  mit  be  S3aben* 
ierbjchen  nooch  to  bohn."  — „iDIicn  ißabber  roier  Sniber;  roat  ne  Slabel  böten 
fünn,  bat  mügt  neihgen,  beim  hett  man  to  foroat  feen  Xiet  to.*  — „9Qecgen> 
leebet?  Sie,  bee  heff’t  mienläber  nich  jungen,  be  fflöten  roürben  uppc  3er  ben- 
fmäten,  bor  müßten  f’  üt  groot  roöhlen.  Sünb  jo  groot  nooch  rootben.*  — 
Slnberc  finb  burd)  ftreng  tirchliche  ®efinnung  ben  Überlieferungen  ent- 
frembet:  „So’n  Unbugenben  roeet  it  nich.*  — »3l'i  bat  Sheltiodfent  heff  it 
feenen  Slnbeel,  it  heff  mien  3)ohn  in  be  Schrift.*  — ,33  jo  hüüt  Sünnbad), 
roo  fann  it  Sc  hüüt  rool  roat  oertellen,  mien  SJlonn  geit  jo  mit’n  Rling’bübel.* 
Sluch  CebcnSfd)icf  fa  le  üben  ihren  ©influp:  „3<*(  ü*  wen  jungen  S)agen 
heff  it  fooäl  leeroe  Finger  roüßt;  oeroer  roenn  be  leero’  |>errgott  eenen  bemt 
Summer  oeroer  Summer  fd)ictt,  beim  fadt  bat  all  fo  fachten  ut  ’n  Sopp  tut.* 
5)od)  ber  Sammler  roeih,  baff  treues  SluSharren  feinen  fiohn  finbet. 
3n  bem  legten,  oerborgenen  Sintel  fprubclt  oft  ein  überreichet  Duell  heroor. 
Stie  ®cbächtniSfroft  einjelncr  ift  in  ber  Jat  berounbemSioert.  ,3n  ben’u 
Sierl  iS  ßUuiib  un  iBobben  oerfadt.  — ®ee  locct  ’n  ganjeu  ^oppenfad  oull 
— bat  geit  nid)  no  ’ne  ^luuSpoftill  rin,  roat  bee  roeet.*  — ,3)lit  mi  iS  bat 
grab’  as  mit’n  3>n'ncnvump,  rocnn'n  bor  anftött,  benn  bruf’t  bat  tut.  — SDlien 
Schrift  iS  nich  *0  bull,  oeroer  hier  haben  heff  it  ’n  Soot.  — SBenn  Se  mi  mem 
be  Siörfpiegclungen  maten,  beim  roill  it  rool  roat  hetoörfrigen.*  — Sluch  wf 
baS  lempcrament  unb  bie  äugen blidliche  Stimmung  ber  fieute  fommt  natür* 
lieh  oiel  an.  „3t  tann  nich  losballeni,  roenn  it  fall.  — SBenn  eenen  bat  fo 
gluupfd)  iip  ’n  2iio’  tümmt,  benn  fann  man  fit  nidS  rutergraroioeln.  — S!or 
mööt  man  Stebigteit  to  hebben  to  foroat.*  S3on  älteren  Stauen  roirb  man 
am  bcficn  mehrere,  etroa  brei  bis  fünf,  5ufammenbringcn:  ift  erft  ber  SBctt» 
cifer  roeiblicher  3t*ngcn  rege  gerootben,  fo  hat  man  geroonneneS  Spiel. 
SlnhererfeitS  ift  eS  oft  oerfehrt,  bie  Beute  niiS  ihrer  geioohntcn  Umgebung 


11 


/ 


tjeiauSjunigen,  ftc  ctroa  inS  Oouä  beä  SebietS  ober  tu  beu  ®aft()of  )u  bitten. 
aJlan  taffe  ben  fRabema(i)eT  in  feinem  Schauer,  ben  ÜBcber  fjiutet  feinem 
2Bebftn()l;  man  fud)c  bic  fjorftarbeitct  im  ilBalbc  möbtcnb  ber  OTittagSpaufe 
auf.  ,93uten  in  be  gribeit  geit  bat  ümmet  bätet*,  t)äxtt  icb  öfter  oon  fieuten, 
bie  geroobnt  roaten,  il)t  lagenietf  unter  freiem  |)imme[  ju  oettid)ten.  ©in 
alter  gorftarbeiter,  ber  an  einem  SlUtagc  auf  meine  SMtte  gegen  3<il)lung 
eines  reid)li(i)en  XageIoI)neS  )u  ^aufe  geblieben  mar,  um  mir  fmärd)en  ju 
ergäblen,  mar  fd)on  pot  fDlittag  pötlig  erfeböpft:  baS  ®efübl,  r«<l)  J«  öet 
ungcroobnten  fUrbeit  perbungen  ju  haben,  brüctte  ihn  ;u  Soben. 

’JBie  meit  es  nun  gelingt,  bie  fd)Iummernben  Erinnerungen  ju  tpeefen, 
baS  roirb  roefentUd)  Pom  ®efcbid  beS  Sammlers  abbängen.  3c  mebt  er  ben 
ganzen,  rocitftbiebtigen  Stoff  be  betrieben  lernt,  je  tiefer  er  in  bie  un= 
enblicbe  fDlannigfaltigteit  alten  ®laubenS  einbringt,  je  leiebter  et  bie  gäben 
511  nerfnüpfen  meib,  befto  reid)et  mitb  bet  Ertrag  feiner  91rbeit  fein.  ,3Bo 
iS  bat  eenmal  moeglicb*,  meinte  einmal  eine  alte  lagelöbnerroitroe,  ,if  b*ff 
nu  boeb  be  fleeber  un  iRimetS  tom  Xeel  fict  mien  bet  nicb  mil)t  uppc 

Xung'  buti>  >t>o  foenen  Se  bat  bloS  all  ut  mi  ruterbalen.* 

3d)  höbe  mit  im  2aufe  ber  3“b*e  — ou&er  einem  Hauptbuch  unb  einem 
turjen  ÜluSjug  — für  jebcS  einjelne  ®ebiet  befonbere,  immer  roiebet  etgäu5te 
grageb lieber  angelegt,  in  betten  id)  neben  ben  SluSjügen  auS  meinen  Samm= 
lungen  mit  roter  linte  mertuolle  Überlieferungen  aus  nnberen  flänbern  net= 
jeiebnet  habe,  bie  mir  bisher  aus  bet  ^eimat  nicht  betannt  gcroorben  fmb. 
XaS  gibt  eine  gute  ^anbbabe,  um  befonberS  ergiebige  Cuellen  auSjufeböpfen. 
Xoeb  je  mehr  man  oon  biefen  Xingen  lernt,  befto  gröbere  ^uriicfbaltung  ift 
geboten.  dtiemalS  barf  man  auf  böten,  ben  fiernenben  ju  fpielen;  man 
muff  anfangs  oft  auch  Sillbeta nnteS  nieberfeb reiben,  bamit  bie  Seute 
nur  erft  baS  ®efübl  geroinnen,  bab  ihr  SBiffen  non  SBert  ift.  Sonft  fommt  bie 
rechte  ®ebelaunc  nicht  auf.  ,Xat  iS  roürtlicb  to’n  Soeben*,  meinte  einmal  eine 
grau,  ,bee  fUlann  roill  oon  uns  Schclmftücfen  lil)ten  un  roeet  fülbeu  be  oller« 
ineifien.*  Unb  ein  Sllter  erflärte  mir:  ,9Dlit  Se  feem  mi  bat  boeb  giftem  juft 
fo  pör  aS  up’t  ©eriebt;  bee  |)etren  roceten  bat  pörber  ot  oll  ümmer  bätet  aS 
man  fülben.*  ^at  man  nun  bie  fieute  jum  iRcben  gebracht,  fo  nuhe  man  bie 
Stunbe;  liebe  Slachbarinneit  bringen  fonft  leicht  |)unbebaare  bajroifdjen.  Slueb 
bie  biuterber  auffteigenbe  Sing  ft  not  bem  Slaftor  pcrfcblicbt  bic  ^erjen. 
Xab  man  fclber  nicht  }iinperlicb  unb  priibe  fein  barf,  ift  felbftncrftänblicb. 
Ein  gcroiffeS  SJlab  oon  greigebigfeit  ift  geboten.  Xutd)  ein  ®cfcbenf  an 
boS  Enfeltinb  ift  ©rogmutter  leicht  getoonneit.  Xic  Xantbarfeit  ber  fieute 
für  tleine  Slufmertfamteiten,  einen  ®tu6  attS  ber  gerne  ober  ähnliches,  Ijot 
fuh  u'ir  oft  in  rübrenben  Slugerungen  funbgeton. 

Einen  crbeblicben  Untcrfchieb  ber  einzelnen  SanbeSteilc  habe  ich 
in  SDledlenburg  nicht  feftftellen  fönnett.  Xie  gnbuftrie  bat  ja  bei  uttS  ibteit  jer« 
ftörenben  Einflub  nod)  nicht  geübt.  Orte  mit  altanfäfftger  S9eoölferung  hoben 
natürlich  im  aUgemeinen  ölte  Überliefentng  treuer  beroobrt.  Solche  |)ofbörfer, 
auf  benen  bie  Xagelöbner  oft  roechfeln,  finb  menig  ergiebig.  3"  Sltmen- 
bäufern  in  fleineren  Stäbten  unb  auf  groben  abeligen  ©ütern  höbe  ich  oft 
reiche  Ernte  holten  fönnen.  SSerfttebe,  in  ft'afemen  ju  fammeln,  finb  bisher 
non  mir  nicht  angeftellt  ntorben. 

SBill  man  SloltSlicber  fuchen,  fo  loitb  man  bie  ©egenben  beoorjttgen 


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12 


muffen,  in  benen  ber  33olt$geiano  nod)  bi»  oor  furjcm  eine  fefte  ^ffegeftätte 
batte:  bei  unä  finb  ei  einzelne  leite  bei  Stretiber  S2anbei,  roo  bii  in  bie 
netinjiger  eemeinfamen  ätufjieben  bee  labatiblätter  atte 

Siebet  im  ilBetteifet  gefuugen  roorben  ftnb.  SDlitnntec  aber  finbet  man  aueb 
Siebet  unb  fReime  an  unetroattetet  Stelle.  €o  batte  icb  nach  ben  Sebetteimen, 
roie  fie  in  bet  UBatenet  (Megenb  jum  leit  noch  bc»te  bei  ^oebjeiten  übltcb 
finb,  übetati  anbetiieo  lange  oetgebeni  gefuebt.  ^(bblicb  ttaten  fie  mit  in 
gtoget  ^üUe  unb  SebÖnbeit  in  einigen  Sdtfetn  bei  Sübroefteni  entgegen;  wo 
fie  abet  nut  gebtauebt  roetben  bei  bet  %tatel(öft,  bai  b«i§t  bem  SRabl,  bai 
bem  gemeinfamen  fllacbibtecben  ju  folgen  pflegt.  Sei  bem  Sotfeben  nad) 
Sagen  roitb  ei  ficb  empfebfen,  bie  loeitcte  Umgebung  altet  ft'ultftätten  mit 
befonbetet  Sotgfalt  abjufueben.  Slueb  alte  Setg-  unb  fjliitnamen  leiten  mit- 
untet  auf  bie  Sput,  ebenfo  ptäbiftotifebe  lentmälet.  Sei  allen  roiebtigeten 
Stücten  fuebe  id)  fteti  bie  (^eiPÖbtimännet  ju  oetanlaffen,  baß  fte  fttb  übet 
ibte  Stellung  jut  Sage  öußetn;  foldje  etflärenbe  Semetfungen  oettaten  oft 
ein  übettafebenbei  Setftänbnii.  — Son  gtößtem  3nteteffe  ift  ei  meitet,  Sogen- 
Satianten  ju  jammein,  unb  ben  Setbteitungitteii  bet  einjelncn  Sofalfagen 
feftjtiftetlen.  Sefonbeti  bebeutfame  Stüde  laffe  icb  »o»  bcnfelben  Seuten 
naeb  mebtjäbtigem  3'oif4«»taum  mit  roicbctet3äbl*f>:  bai  ift  ein  gutei  IDUttel, 
bie  3«0‘tJäjrigteit  bet  llbetliefetung  ju  ptüfen.  lutcb  gelegcntlicbe,  unpet- 
böebtige  f^tagen  jud)e  man  ßd)  übet  bie  ^)etfunft  unb  Sebenigefebiebte  bet 
®eioäbtimännct  ju  unterriebten.  — lie  Stellung  bet  SeoöKetung  jum 
91  betglauben  ift  in  meinet  Heimat  in  ben  einjelnen  (Begenben  oetfebieben; 
bai  muß  man  beim  Sammeln  natiidicb  betüdftebtigen.  Sei  allen  oetfcbioun» 
benen  Stäueben  jammlc  ntan  pon  ben  Seuten  felbft  möglicbft  genaue  9lngaben 
übet  bie  3^1  unb  bie  ®tüttbe  bei  9lufbüteni.  Xoeb  id)  tann  bi^t^  uicbt 
näl)ct  batlcgcn,  roie  man  im  einjclnen  ju  pctfabten  bat,  um  jupctläjngc  unb 
etjeböpfenbe  91ngaben  ju  etbalten.  Si  ift  3eib  baß  icb  ein  Snbe  macbc. 

9J)eine  Scbilbetung  bat,  um  roabrbeitigetteu  ju  fein,  an  ben  Sebmietig. 
feiten  bet  Sammelatbcit  nidjt  potübetgeben  tonnen.  9lllcin  füt  bie  3Rflben, 
bie  n)it  bent  jotfeben  nad)  jctttüminettet  Übctlicfening  nun  einmol  unjer- 
ttcnnlid)  oetbuiibcn  finb,  loitb  jebet  Sammlet  teicbe  £ntfd)äbigung  finben, 
ipenn  et  auf  bet  Suche  nach  Sagen  unb  ÜRöteben,  nach  Staueb  unb 
(Glauben  bie  teebten  Seute  finbet,  bie,  mitten  in  biefen  Xingen  lebenb,  mit 
tiefem  (Sefübl  füt  ibten  poetijeben  (debalt  begabt,  ei  ali  ein  ®Iüd  empfinben, 
loenn  jemanb  fommt,  ficb  an  ißten  Sebägen  ju  fteuen.  Xai  Silb  folcßet 
Seroöbtimännet  ptögt  fid)  bem  Sammlet  unoetgeßlieb  ein.  SJenn  id)  in 
meinen  Sagenfüften  blättere,  tritt  mit  immer  niiebet  bet  alte  3*^81*'^  nu* 
®ielon>  bei  fUJalcbin  oor  9liigen,  bet  mir  an  jmei  febönen  Sommetobenben, 
ben  Slid  träumetijeb  in  bie  3«rnc  gerichtet,  felbet  oon  inneret  9Scibe  ergriffen, 
einige  lußenb  bettlicber  Sagen  etjäblte.  Xa  ift  nur  ein  leifei  9lnftoßen  oon 
nöten,  rußig  läßt  man  bem  Strom  bet  (Stinnetung  freien  Sauf,  nur  butd) 
ein  lutici  9Bort  fueßt  man  311  3eigen,  baß  man  bie  Schönheit  bet  alten  ßiebilbe 
empfinbet.  9Benn  ieß  folcßcn  fSlänncni  unb  grauen  gegenüberftbe,  bie  mit  in 
rüdbaltlofem  Sertrauen  ißt  innerftei  ©laubenileben  enthüllen,  unb  nun  in 
langet  Seiße  uralte  Sotftellungcn  oor  mit  auftaueßen,  fo  ift  mit  feßon  öfter 
311  Üllute  gctpcfen,  ali  toenn  ieß,  um  gaßttaufenbe  3utüdocrfebt,  einem  ger- 
manifeben  Stiefter  laufcßte. 


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13 


2a«,  meine  -Texten,  ift  eben  oammlevftenbe,  nnb  id)  {d)üege  mit  bem 
iQliinid)e,  bag  folc^eS  Sammlccglüct  in  reichem  iDtage  aQ  ben  anbeven  SRönnerit 
blühen  möge,  bic  jel)t  nbetaQ  in  beiuicben  Sonben,  ber  alten  Sci)ulb  eingeben!, 
fict)  um  bie  93etgung  be§  förbguteS  bemüf)en.  ®enn  mir  io  nid)t  mübe  roerben, 
metfeiiemb  bic  Sloufteine  ^crbci}iitragen,  bann  roirb  beccinft  ber  fommenbe 
ÜJlciftet  ein  ftotjeä  Slentmat  beuticf)en  93o(l3tumö  aufcid)ten  fönneu. 

9Jod)  Sd)lu6  bet  gcfd)äftlid)en  'Berfjanblungen  befic^tigen  bie  leUncfimec 
untet  ber  liebcnSmücbigcu  fieituug  bc3  f)ccrn  Sanbgcrid)t3biccttoc3  Sc^tobec 
bie  Sammlung  ^ambucgijd)er  Slltertümec. 

Slbenbs  8 Ul)r  fanb  ebenfalls  im  ?lottiotifd)cn  ®cbäubc  eine  öffentliche 
Scrjaminlung  ftatt. 

^tof.  Stvaef  begcügie  im  Olamen  beS  iBetbonbeS  bie  Slnroefenbcn,. 
inbem  er  barauf  Ijinroies,  oon  roclchem  IBJcrt  für  bie  ®oltätunbe  bie  leilnohme 
unb  3)litarbeit  ber  ©ebilbeten  fei.  Qm  Slnfd)luf;  hieran  behanbelte  et  mit 
einigen  3Qorten  baS  'llerhättnis  ber  SoltStunbe  jur  Silbung.  &r  betonte  ben 
©egenjah,  in  ben  beibe  oiclfach  treten,  inbem  bie  iBilbung  eine  Erhebung  über 
bic  iDlaffe  erftrebe  unb  bemühtes  inbioibualiftifcheS  ©eifteSleben  pflege  unb 
fchöhe,  mährenb  bie  3}olfSfunbe  gerabc  bas  unbemuhte  geiftige  Scbcii  bet 
ÜJJaffe,  beS  älolfeS,  ju  ihrem  ©egenftanb  habe,  jenes  ficben  ber  ©emeinfehaft, 
aus  bem  alle  inbioibualiftiiche  flultur  t)tvaui  geroachfeu  fei  unb  noch  ^cute 
herau6ioad)fe.  Sluch  ber  ©cbilbetc  roerbe  in  feinem  ganjen  ®enfcn  unb 
panbeln  fortroährenb  mehr  ober  meniger  pou  bem  ihn  in  ©egenmart  unb 
3?crgangeuheit  uingebenben  iSlaffenleben  beftimmt.  Tabnrch,  bag  bie  Gilbung 
es  ignoriere  ober  gcringichöge,  erid)rocrc  fie  bem  Sinjclncu  baS  SerftänbniS 
ber  Söirtlichteit,  in  ber  fie  ihn  orientieren  foHte,  uub  errid)te  fünftliche 
2chran!en,  bie  it)u  pon  feinem  ®olfc  unb  einem  guten  leil  feines  eigenen 
Selbft  trennen.  Sie  (Sinficht,  bafe  ein  Söeitcrfchrcitcn  ber  Gilbung  auf  biefem 
Siege  ocrbcrblich  fei,  oerbreite  fich  immer  mehr.  3”  Suuft  unb  ^Soefie  fuche 
mau  mieber  bie  ncrlorene  (jühlnng  mit  bem  ^olfe  ju  gcroinnen.  2BaS  biefe 
beiben  anfchaulich  ju  erfaffen  fuchten,  toollc  bie  Soltstunbe  mit  ben  fSlittcln 
ber  Siiffenfehnft  crfchlieBcu.  Ohre  große  prattifdie  31iifrion  beftehe  in  einer 
Dieform  unferer  nationalen  Silbimg.  deshalb  ergehe  auch  iht  iKnf  on  alle 
©ebilbeten.  91id)t  mehr  ein  tüuftliihcS,  im  2reibhanS  uub  in  Stubeuluft  ge» 
jogeneS  @eipäd)S  foUe  bie  Gilbung  fein,  foubern  eine  fchöne,  unter  ©otteS 
freiem  Fimmel  entfaltete  Slütc,  bereu  Söurjeln  in  ber  heimatlichen  ßrbe  nihen, 
unb  bic  uns  föftlichc  (vrüchte  uerheißt.  fSlit  bem  Siunfehe,  baß  auch  bie  &am> 
bürget  Xagung  hierju  beitragen  möge,  fchloß  ber  IBortragenbe. 

®arauf  fprach  Dr.  (£rome  (©öttingen)  über  ^ ift  orifchcSioltStunbe; 
biefer  Sortrag  halte  etma  nachfteheuben  ©ebanteugang: 

Xer  Siert  aller  ber  jahlreichen  prinsipicllen  Grörtenmgen  bet  jüngften 
läge  beruht  oor  anberem  in  bem  Seftreben,  bet  jungen  Siiffenfchaft  bet 
SolfStunbe  ein  größeres  Sd)mcrgeroid)t  in  fich  felbft  ju  fd)affen,  rooburch  ßs 
eben  erft  eine  mirflich  lebenSfröftige  Siiffenfchaft  roirb.  Xaß  bie  eigentliche 
Sammelarbeit  babei  mehr  ober  meniger  immer  in  ben  $>intergrunb  gebräugt 
mirb,  ift  ju  betlagen,  barf  aber  boch  nicht  eigentlich  mißmutig  machen : eine 
boch  enblich  einmal  eintretenbe  noUftänbige  Älarheit  über  baS  3id  ber  Solfs. 
funbe  mirb  bas  Serfäumte  bann  um  fo  fchueUer  nochholen  laffen.  Stllgemeine 
9lnerfennung  nuiß  enblich  ber  Sag  erfahren,  baß  bie  SolfSfnube  eine  philo« 


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(ogifdje  ^igüiplin  ift,  nielcl)e  biac^auS  I)iftori[c^*p()iIoIogifc^c  'Dtet^obe  bet  ber 
SBerarbeitung  be8  OTotctialeg  in  %troenbung  ju  bringen  bat,  mit  anbcm 
SBorten,  eä  mug  eine  biftorifcbe  SoKStynbc  »ot  allem  biitd)  |>eraniiicl)ung 
unb  Dollftänbigc  Sammlung  ber  älteren  3<ugniffc  auSgebaut  roerben,  roeldje 
enblicb  einmal  eine  menn  aucb  iit  if)rer  fflenauigfeit  nur  begrenjte  Sbi^t’nologie 
ber  eittjelnen  3eugniffe  möglich  mad)t;  roie  bei  iolcber  l)iftorifd)en  SBertung 
l>eg  geiomten  Xlatcrialcg  auc^  eine  gröfiere  (Sinficbt  in  bie  3iel^  nolfg' 
funblid]en  Sammclarbeit  möglid)  niirb,  (ann  nid)t  genug  beroorgeboben 
roerben.  ®aß  bie  älteren,  bem  eigcntlicbcn  9lllertmnc  itn(ercS  9lolfeä  angc- 
börigen  Scbicbtcn  beä  2JiaterinleS  bie  rocrtpollercn  bub,  baö  bicr  bie  roert. 
noUften  iSouftcinc  für  eine  tünftige  große  Slltertumäfunbe,  roie  fie  Sari  IDlütlen* 
boff  in  (einem  ©eifte  cr(cbautc,  noch  jumeift  unertannt  unb  ungefnnben  ruben, 
borf  feinem  ffiinfid)tigen  mehr  sroeifelbaft  (ein  unb  muß  rubig  auägc(procbcn 
roerben.  ©erabe  ber  beutfcben  iBolfstunbe  müßten  burcb  bitje  Sejiebtmg  ju 
iem  größten  ^Problem  un(ercr  iBergangenbeit,  bem  Urfprung  unb  RinbbeitS. 
alter  un(eret  SHation,  bie  3>cle  'b^e  Sannnelarbcit  beutlid)  gcftecft  (ein 
unb  bie  ibr  brobenbe  ®efal)r  in  baä  U(crlo(e  ju  geraten,  roäve  für  immer 
be(eitigt;  auf  ©runb  biefer  ©rroägung  muß  jcßt  einmal  junäcbft  baS  biefen 
älteften  Scbicbten  angebörige  iDlatcrial  fgftematiicb  mit  aller  ftraft  »on  beit 
beutfcben  »otfätunblicben  Vereinen  gc(ammclt  roerben,  eine  noch  immer  febt 
große,  aber  bocb  juleßt  ju  beroältigenbe  Ülrbeit.  i!)a8  ben  jüngeren  Scbicßten 
angebörige  SDlateriat  muß  big  auf  roeitereg  an  jroeiter  Stelle  fommcn,  (eine 
Sammlung  gefcbiebt  mehr  nebcnber,  benn  cg  (oll  nid)t  Unroid)tigeg  gerettet 
roerben  unb  ^Söicbtiges  baburcß  oerloren  geben. 

3n  ihrer  iSejiebung  ju  bem  einen  großen  in  ber  beutfcben  9lltertumg« 
funbe  becubenben  Obeale  unfereg  93olfeg  bccubt  aber  auch  bie  große  praftifcbe 
unb  (ojiale  iBebeutung  ber  Sjolfgfunbe  für  bie  Station  roie  für  ben  eiujelnen, 
fonft  nirgenb. 

3um  Schluß  fpracb  ^tof.  Dr.  ®.  Xbileniug  (Hamburg)  über  ißolfg» 
funbe  unb  SSölferf  unb  e.  SRcbner  führte  folgenbcg  aiig:  'Uolfgfunbe  ift 
eine  notionale  unb  biftoofcbe  SBiffenfcbaft;  fic  bc»t  bie  9lufgabe,  eine  beftimmte 
ge(cbid)tlid)  unb  geograpbifcb  abgcgreujte  IDlcnfcbenucrbinbung  pon  loufenben 
ober  iDlillionen  in  allen  fiebengäußerungen  ju  erfor(d)en.  So  cbarafterifiert 
fte  .H.  Söcinbolb.  £ie  llölferfunbc  bagegen  fiebt  in  ber  ge(amtcn  IDlenfcbbcit 
eine  ©inbcit  unb  oerfolgt  il)re  ©ntroicflung  oon  ben  primitioften  big  ju  ben 
bödjften  3uflünbcn  ber  Kultur;  ihre  9Jletbobe  ift  bie  oergleicbenbe,  bie  ße  ouf 
außcreuropäifcbe  Slatur.  unb  ftultnrpölfer  cbcnfo  ougbcbnt  roie  auf  unfer 
eigeneg  9folf.  ®arin  liegt  bie  ®erübrung  jroifcben  ben  beiben  äPiffcnfcbaften; 
auch  ihre  93letboben  finb  ähnliche.  Rultumölfer,  loclcbe  eine  Schriftfpracbe 
unb  fchriftlicbe  Übcrliefenmgen  iberiben,  roeift  bie  33ölferfunbe  in  erfter  Sinie 
ber  pbilologifcben  93ebanblung  ju,  unb  nießt  anberg  fann  fie  mit  ben  europä* 
ifeßen  SBölfern  ncrfnßrcn.  3Bo  ße  Ulaturoölfer  in  ben  Krcig  ißrer  Unter* 
fueßungen  jiebt,  tritt  an  bie  Stelle  beg  gefeßriebenen  SUortes  bag  materielle 
©rjcugnig  — ber  Speer,  ber  bearbeitete  Stein  ober  bie  iDlasfe  — als  ßifto* 
rif^eg  'Jofument  für  bie  ffiefdßcßtc  beg  Slolfeg.  9lbcr  aud)  bie  ßöcßftcn  Äultur- 
pölfer  bcßßen  eine  ftoßlidjc  Kultur  an  ©erät  unb  ionftigen  Singen,  roelcße 
gleicßfaUg  alg  biftorifd)C8  Sofument  ber  Scßriftnölfcr  anjufeßen  ift  unb  um 
jo  beutlicßer  in  bie  Grfeßeinung  tritt,  je  meßr  roir  oon  ber  nioellierenben  unb 


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bie  oltc  ipnuSinbuftric  oerbvänflenbcn  SUJafTciiprobiirtion  bet  3na{d)ine  uu§- 
entfcrneit.  SBaS  un8  ba  eigenartig  faeriit)rt,  ift  nic^t  oUcin  bie  Ülufeening 
(bäuerlichen''  (Scjchmacfä  in  ber  93erjienmg  ober  bie  eingehcnbe  Searbeitung 
eines  Weräts,  fonbern  oor  nUein  bie  jeittiche  2iefe,  in  roelche  bie  SRealien 
ber  ^oUStiinbe  uns  hinabfübren.  üRübcloS  tSnncn  loir  unter  ben  Geräten 
etnjQ  bie  SicfjcrbcitSnabel  jurüct  oerfolgcn  bis  ju  ben  t$ibeln  ber  SBronjejeit 
bie  3BoUfct)crc  reicht  jurücf  bis  jur  erften  Sifenjeit  unb  ber  moberne  Spinn» 
wirtcl  aus  ^orjeQan  j.  S.,  beit  mit  heute  in  Jrantreich  finbcn,  führt  äutücf 
bis  jn  ben  alten  ülnfieblungen  ZrojaS  unb  in  unjere  eigene  Steinzeit. 

(freilich  fixb  bitä  alles  nur  Übcrlebfel,  bie  (Ich  erholten  h<*hen;  roeit 
mehr  ift  im  Saufe  ber  3eit  perloren  gegangen,  nieleS  hat  fich  nur  in  fehr 
oeränberten  fformen  erhalten.  ^Eet  ®efi(|  einer  früheren  Rulturperiobe,  ber 
pon  ber  neueren  tedtnifch  überholt  roirb,  gerät  unter  bie  ^lerrfchaft  ber  ¥han» 
tofte;  nicht  mehr  oerflonbcn  n»ft  er  jum  ©eräte  beS  StbevglaubenS  herab, 
ajfntbob,  ein  Sifchof  oon  SHenneS  im  jtoölften  ^ahrhunbevt,  fenut  bie  Stein» 
beile  als  Schut;  gegen  311ihfchlag  unb  gegen  ©rtrinten,  als  Spenber  Pon 
ruhigem  Sd)lnf,  füjjen  Iräumen  u.  f.  lo.  3n  ben  Ställen  ober  dauSbächern 
ber  fehteftfehen  unb  braunfchmeigifchen  ®auern  finbet  man  ebenfo  Steinbeile- 
als  Schuh  gegen  IBlih  ober  auch  alS  iHlittel  jur  Teilung  tränten  SliehS.  3n 
Schottlanb  tlopfen  bie  Seelen  mit  Steinbeilen  au  bie  Pforte  beS  (fegefeuctS. 
lEie  ^feilfpitien  aus  Stein  gelten  in  ©uropo  als  ©Ifenboljen,  in  Italien, 
grantreich  unb  ^rlonb  inerben  fte  als  Talismane  in  Silber  unb  ftupfet  ge- 
faxt unb  erfcheinen  fogar  als  ^eftanbteil  beS  fRofeutranjeS.  O«  fpäteren 
Seiten  loirb  baS  Steinbeil  chriftlich»mönchifch  311m  3Reffer,  baS  man  gegen 
Unroetter  in  ben  Sachbalten  ftögt.  ©benfo  fchütjt  bie  Sichel  ber  hsiügrtt 
SRothburga  gegen  Unroetter. 

9tm  3äheftcn  erhielten  ftch  bie  lotcngebräuche,  benu  allen  3e>tcn  ift  bie 
Scheu  por  ben  Xoten  gemeinfam,  unb  alle  Sfölter  rooQen  bie  Seele  beS  9lb» 
gefchiebenen  günftig  ftimmen  ober  ihr  ^afein  am  unbetannten  Orte  behaglich 
geftalten.  Xotcnlicber,  roic  ftc  bie  altinbifche  fiiteratur  tennt,  loerben  noch 
heute  an  manchen  Orten  S)eutfchlanbS  gefungen,  unb  bie  Xotengoben  beftehen 
loenn  auch  ia  neränberter  (form  fort,  ©efchichtlich  be3eugt  ift,  bafe  bie  roertpollen 
SBeigaben,  roclche  urfprünglich  bem  loten  inS  ©rab  folgten,  burch  IRachbil» 
billigen  in  Zeig  abgelöft  rourben;  fo  geht  bie  Sregel  unmittelbar  3urüct  auf 
bie  Slrmringe,  i^alsbergen  unb  Saugen,  roelche  bie  Sronseaeit  uns  nuS  ©räbem 
überlieferte,  unb  ebenfo  ift  baS  3opfgebäct  eine  2lbföfung  bcS  Opfers  roirtlicher 
3öpfe.  Sregel  unb  3apfgebäct  finh  311m  Überfluh  noch  an  beftimmtc  ffeier» 
tage  gebunben,  roelche  fidj  auf  ben  Zotentu  It  be3ieben. 

3ii  ben  eigenartigften  30*9*»  Öer  3ritlichen  Ziefe  gehörten  bie  Zrabi» 
tioiien  über  ben  Inhalt  oorgefchichtlicher  ©räber.  3n  bem  ZromningShöi  bei 
Schubi}  liegt  nach  ber  Sage  ein  Krieger,  roelcher  meuchlings  oon  ber  fchroarsen- 
'Margarete  (geftorben  1282)  enthauptet  rourbe;  als  man  boS  brati3e3cittiche 
©rab  öffnete,  faiib  mau  neben  oiibereii  Steletten  eines,  beffen  Schäbel  311  feinen 
(fflheii  lag.  3n  Seccotel  bei  Schroeriii  er3Öhlte  man  fid)  oon  bem  großen 
tfnlgel,  in  roelchem  bie  Untcrirbifchen  roohnen ; 3U  ihren  3)!ahl3eiten  leihen  fie 
ftd)  ouS  ben  übrigen  Sergen  Seffel,  ÜReffer  unb  anbere  ©eräte.  Reffei  unb 
Zafel  faiiben  ftd)  bei  ber  Öffnung  beS  ©rabeS.  (ferner  roiihte  mou,  bah  haS 
©rab  fo  grohe  Sehäge  berge,  bah  man  bamit  boS  gaii3C  Zorf  taufen  tönne. 


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16 


3n  bcr  lat  fonb  fic^  in  bcr  SDlitte  beS  ®tabc3  eine  SDlcngc  con  Stonjegegen» 
ftdtitben.  3oId)e  Übereinftimmungen  foib  too^I  geeignet,  tinS  bie  Srljaitung 
uralter  ®eräte  nnb  ®ebräiicbe  ju  ertlären,  mögen  ft«  immerf)in  inonc^erlei 
ÜBanbhmgen  burd)gcntad)t  hoben. 

Überall  in  ber  IBcKsrunbe  begegnen  nnö  berartige  Spuren,  bie  unoer> 
änbert  ober  ben  perjehiebenen  [eilher  burchlaufenen  ®ntn<ictluitgäftufen  ange- 
pa6t,  auS  ber  :3eht(ieit  jnrüctführen  bi«  tief  in  urgefdjichtliche  Seiten-  illie 
aber  ift  in  biejeni  Seitraume  ein  nnb  baSfelbe  iBolt  im  abgefd)loffenen  nnb 
ungeflörten  öeftg  feiner  ftullur  nnb  feine«  Snnbe«  geroefen.  l&lanberungen 
pon  3iöltern,  IDlenfchen  unb  Stultnrerjeugniffen  haben  jtu  allen  Seiten  bie 
llultur  be«  einzelnen  91olfe«  beeimlugt.  Scl)on  in  ber  Steinjeit  finben  mit 
in  einem  beutfehen  ®rabc  Schnectenfcholen,  melthe  an«  bem  ®ebiete  be« 
SDIittelmeere«  flammen.  Später  tarn  bie  33rünje  au«  ßppern  nach  tDlittel- 
unb  Dlorbeuropa,  unb  jahlreich  nnb  nachhaltig  finb  fpäter  bie  ®inflüffe  bet 
iDlittelmeerlänber  auf  ben  9torbeu.  ^uch  in  fUeinigfeiten  fprach  geh  ba«  au«: 
ber  öfterreichifche  Soppelabler  tritt  in  ber  Seit  ber  Slreui^üge  an  bie  Stelle 
be«  eintopfigen  unb  flammt  im  lehtett  ®runbe  au«  Snbien.  Seht  oiel  meitere 
äBanberungen  hot  man  für  bas  ^atentreuj  nachgeroiefen,  ba«  uon  SBeftcuropa 
bi«  Cftaften  reicht  unb  beffen  Vertreter  man  auch  in  Slmerira  gefunben  hoben 
roill.  ®ie  jeitliche  Verteilung  be«  4>atenfrenje«  in  9lficn  ift  ber  SUanberuuge* 
hopothefe  günftig,  benn  e«  taucht  in  (Ihma  unb  Oopan  fpoter  auf  al«  am 
IDlittelmeer;  bie  neuen  5orfd)ungen  in  iurfeflan  unb  Sentralafien  laffen  un« 
■eine  frühjeitige  Berührung  jioifchen  Cccibent  unb  Drtent  etrennen,  bie  mohl 
auf  ben  Slle^'anberjug  jurüdgeht.  Slllein  ba«  fbafenfreu)  erfdteint  in  ben  «er» 
fd)iebenen  Sönbeni  aud)  al«  ®nbfovm  in  ber  Crnameutit;  man  hot  e«  unter 
anberem  al«  9ltinbräbd)en  gebeutet  unb  als  öugerfte  Stilifietung  non  Vögeln- 

2Jamit  entftcht  bie  neue  Srage,  bie  überall  in  ber  uetgleichenben  Völter- 
funbe  bei  ®leid)heiten  ober  Ülhulichfeiten  aufiuioerfen  ift.  Vlir  roiffen,  bag  in 
ber  Viologie  j.  V.  bie  gleichartige  gärbung  ber  Vlüftenticre  nid)t  auf  Ver- 
roanbtfchaft  beniht,  unb  bejeichnen  biefe  Srfcheinung  bnher  als  Aonpergens. 
®iefe  gleiche  Sejeichnung  roenben  roir  in  ber  Völtertunbe  on,  roo  gleiche 
gönnen  auftreten,  bie  roeber  burd)  Vlanberungen  jufammenhängen,  noch  fonft. 
ipie  uenuanbt  gnb.  3as  ftrcuj  in  ber  Ornamentit  be«  dtriftlichen  flultur* 
freifes  erfegeint  hi«r  feinet  .{terfunft  nad)  ohne  toeitere«  oerftänblich.  VJit 
finben  e«  aber  auch  im  oortolumbifchen  Slir.erita  al«  tpierogigphe  in  Vilber» 
hanbfehriften  unb  al«  rubiinentäre  Stilincrung  be«  SlligatorS  in  ber  Crna- 
mentif  ber  ©hirigui.  fiiegt  hier  beullich  bie  Slonoergenj  uor,  fo  ift  ge  loiebetuin 
in  anberen  gälten  fehr  sroeifelhaft. 

SSeiter  noch  ol§  biefe  grageu  ber  Cruamentif  führt  uu«  bie  Verfolgung 
uon  Vorftellungen,  loelche  al«  (£igeutümlid)teiten  beftimmter  ftulturftufen  er* 
fcheinen.  Allgemein  oetbreitet  ift  j.  V.  bn«  Veftreben,  ©egenftönbe,  bereu 
nrfprüugliche  Vebeutung  pergeffen  tuorben  ift,  neu  ju  beuten.  Vlenn  nufere 
Vauem  bas  Steinbeil  al«  Sd)utj  gegen  Vlil;fd)lag  anfehen,  fo  finben  mir  bie 
aingcht,  bag  bie  Steinbeile  Sonnertcilc  fmb;  in  aUabagnStar  unb  in  logo 
gelten  g«  gleidtfall«  als  Srjeuguige  be«  Vlige«.  Vliniu«  beriditet  uon  jioti 
Sitten  pon  'Jonnerteilen,  einer  fd)roaräen  unb  einer  roten ; bie  erftere  hilft 
jut  SBegnahme  ganjer  glottcn  unb  Stabte.  9L<ir  rounbern  uns  hoher  auch 
nicht,  bag  un«  öammerbeile  mit  porfeinitifd)en  gnfd)riften  au«  bem  3.  gahr* 


Digitlzed  b' 


17 


tauienb  o.  G.f)r.  erhalten  routben,  ober  Steinbeile  mit  gnoftijc^eii  3nic^rifteii 
aus  3(gi)pten,  ftleinafien,  (Sciec^enlanb.  ®anj  äbnlicb  etfliiig  eS  ben  6teiu> 
pfeilfpi^en.  ^itci)  bet  SBunic^  beä  üneuit^eii,  auf  bie  föott^eit  eiujutpitfeii,  ift 
©emeinflut  Mus  äigqptcn,  auä  ©riec^enlaub  unb  iRom,  auä  Qnbieit  uub 
Oftafteu  tennen  mit  bie  Sitte,  einet  ®ott()eit  IBotipgaben  batjubtingen,  unb 
bet  gleiche  ©ebtauef)  ftettfebt  and)  f>eute  nod)  im  tatt)o(ifd)en  Sübbeutidjianb, 
unb  luanbctte  aus  Spanien  mit  bet  {titele  nac^  bem  tat^olifcben  Dlmctifa. 
9tud|  93otiobi(bet  meeben  in  ititd)en  unb  Xempeln  aufge^ängt,  unb  bie  ©leid)* 
l)eit  bet  aiuffaffung  etroa  sroifdien  einem  bapetifc^en  unb  einem  japanifc^en 
aSotiubilbe  ift  ganj  übettafc^enb.  Scf)tpeilicb  haben  mit  cä  hier  mit  ®anbe* 
tungen  au  tun,  c«  liegt  oielmel)t  bie  ^ugetung  einet  ®ebantenteil)e  not, 
roeld)e  übetall  an  eine  beftimmte  ©ntroicflungSftufe  teligiöfen  Setftänbniffes 
gebunben  ift.  Sluth  im  Sebiet  bet  IDIagie  tteten  unameifelhaftc  Ronoetgena* 
et)d)einungen  beuttich  betpot.  9luf  ben  Qnfeln  bet  Sübfee  batf  man  bie 
@d)alc  einet  petachtten  iSanane,  abgefcf)nittene  ^aate  obet  Slägel  nicht  fott* 
roetfen,  beim  itgenb  ein  f^einb  fbnnte  fic  benugen,  um  ©efunbheit  obet  Heben 
bee  lInpotricf)tigen  au  gefäbtben.  3”  ®d)riften  beS  Zenael,  Heipaig  1753, 
finbet  ftd)  eine  gona  cntfptcchenbc  Sotfehtift,  um  einen  geinb  magifd)  a«  lö’ 
bieten:  SRau  macht  in  [einem  iRamen  ein  ilBachS*  obet  Seimbilb,  in  luelcheS 
^aate  oon  ihm  eingefnetet  loetben;  biefe»  ®ilb  loitb  mit  Slabeln  geftochen, 
mit  roelchen  ein  Xotet  eingenäht  routbe. 

SBie  man  ben  3)len(chen  auf  magifchem  9Bege  beeinflußt,  fo  auch  bie 
'Jlatut.  Überall  faft  begegnen  unS  3ercmonien,  loelche  baau  beftiinmt  finb, 
ben  ©tttag  bet  3agb,  bet  ffifthetei,  bet  Smte  reich  i»  geftalten.  äSielfad) 
roetben  babei  ®laStcn  pcnpanbt,  loelche  ben  träger  aum  gruchtbarteitsbärnon 
machen,  tic  IDIaStentänae  bet  DJtanbanen  unb  bie  ^erchtentänae  in  Sala* 
bürg  bienen  bet  ^örbetung  bet  ffruchtbarreit.  Sclbft  in  ben  ffotmen  ftnb  bie 
fDlasfen  überall  einonber  ähnlich,  ein  ScipeiS  bafut,  roie  fcht  bie  ^hantafie 
bet  ÜJlenfchen  in  bet  gleichen  [Richtung  arbeitet. 

tie  ©eifpiele  laffen  fich  um  ein  Vielfaches  petmeliien.  Valb  tritt  unS 
bie  aeitliche  tiefe  einer  mobetnen  ©tfcheimmg  entgegen,  halb  regt  unS  aut 
Sotichung  bie  räumliche  SlnSbehnung  uon  ©eräten  obet  ©ebanten  an, 
mögen  fie  burch  Vlanbetungen  übertragen  fein,  obet  felbftänbige  ©trmbungen 
batftellen.  Überall  aber  genügt  nicht  mehr  bie  Überficht  über  baS  große  ®c- 
bict  bet  üRcnfchhcit,  um  folchc  Stagen  au  löfen,  ipit  bebürfen  bet  eingehenben 
RenntniS  aller  HebenSäußetungen  eines  Volles,  um  unfete  Vergleichungen 
anftellen  au  tönnen  unb  au  allgemein  gültigen  ©efegen  au  gelangen,  ta  tritt 
es  Hat  hscpor,  baß  bie  ooltSlunblichc  Vchanblung  eines  SanbeS,  baS  tiefe 
©inbringen  in  baS  ^e[cn  feiner  Veoölferung  erft  bie  ©runblagen  fchafft,  auf 
benen  bie  Völfertunbe  meiteraubmien  permag,  unb  baS  gilt  nicht  nur  pon 
ejotifchen  Vaturpöltem,  fonbern  in  bemfclben  9Raße  Pon  unferem  eigenen 
Volle.  Übcrrafchenb  piel  VIteS  hat  fid)  in  ißm  erhalten  unb  aal)Ireich  finb 
feine  Veaiehungen  a“  ber  übrigen  fDlenfchheit.  ®ie  bie  Völlerlunbe  fiflden* 
hafteS  fchaffen  mürbe,  menn  ße  bie  ©rgebniffe  ber  beutfehen  VollSlunbe  per* 
nachläffigte,  fo  barf  ße  auch  hoßen,  boß  bie  VollSlunbe  tRugen  aiehen  loirb 
aus  ben  mancherlei  Slnfäßen  unb  ©rgebniffen,  roelche  bie  oetgleichenbe  Slrbeit 
ber  Völlerlunbe  fchon  fegt  aufauroeifen  hat. 


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3;er  93ortragcnbc  iDuflrierle  feine  Sluäfü^rungen  butd)  eine  grögete 
Slnja^I  Sic^tbüber. 


3um  3d)(uffc  biefeg  SericgtS  fei,  um  fDügoecftänbniffen  oorjitbeugen, 
barauf  gingeiuiefen,  bag  bei  ben  Zagungen  unfereä  SSerbanbeS  nict)t  blog  bie 
Seiiet  unb  delegierten  ber  Vereine,  fonbern  and)  alle  (Sinjelmitglieber  ber* 
felben,  bie  ^ntereffe  on  ben  93erganblungen  negmen,  roUlfommen  finb  unb  ficg 
an  ber  diätuffion  beteiligen  fönnen.  Sefonberä  bei  ber  Beratung  roiffenfegaft- 
licger  (fragen  ift  bie  Zeilnagme  aQer  @ad)lunbigen  in  gogem  fDlage  erroünfegt. 


z.  Terbandsangclcgenlmtcn. 

9Ug  Snitglieber  gnb  bent  3)erbanbe  weiter  beigetreten: 

18.  snufeum  für  ®öltertunbe,  |>amburg. 

19.  Säegfifeger  33erein  für  3!oirgfunbe,  dreäben. 

2ü.  Söerein  f.  ä3agrifcge  ißoUgfunbe  u,  fDIunbartenforfegung,  ‘IBürjburg. 
21.  ^iftor.'Iiterar.  3>D«<flocrein  beä  SJogcfentlubs,  Stragburg  i,  6. 


3.  Tcrcinenadiriditm. 

7rreta  für  MraAttttlfife  €ig:  ^ermannftabt  SSorftanb: 

D.  Dr.  griebrieg  Zeutftg,  eo.  Stabtpfarrer  unb  SuperintenbentiaU33ifar  in 
§ermannftabt  ©efretar : ®rnft  IBriebrecger,  ©eminarlegrer, ^ermannftabt 
@egrünbet  1840.  der  herein  jfiglt  gegenroärtig:  86  Sgren«  unb  fotrefp. 
fmitglieber,  69  bureg  Stift\mg  bleibenbe  SOlitgtieber,  668  orbentl.  fUIitglieber. 
Beitrag  für  ftiftenbe  fUlitglieber  200  Kronen,  für  orbentl.  6 Kronen  jögrlicg. 
3ebeS  fDlitglieb  ergölt  bafür  baS  ,91rcgio*. 

$ublifationen:  1.  2lr<gio  beS  ^Sereing  für  gebenbürgifege  SanbegFunbe, 
jägrlicg  2 — 3 $efte  (rebigiert  vom  iOereingaugfegug).  (Begenroärtig  34  IBänbe. 

2.  Korrefponbenjblatt  beg  ißereing  für  g^üenbfirgifege  Sanbegfunbe 
(jögrlicg  12  giummern,  Qogregbejuggpreig  2 IFronen,  rebigiert  non  Slbolf 
6 cg  ul  1er  ug).  Slugerbem  felbftönbige  $ublitotionen,  unter  benen  bie  bebeu* 
tenbften:  Urfunbenbueg  jur  ®efcgicgte  ber  deuifcgen  in  Siebenbürgen.  (Ge- 
arbeitet oon  granj  3'"'»n6rmann,  6arl  SJeiner  unb  ®.  fDtüller.)  Gig 
jegt  3 Gönbe  erfegienen.  Kircglicge  Runftbenfmöler  aug  Siebenbürgen  I.  IL 
(358ien,  S.  ®rüfer,  jegt  2B.  Kr  afft,  |>ermannftabt).  Siebenbürger  Snünsen 
unb  fmebaillen.  (Gearbeitet  oon  9lbolf  Me  feg.)  ^ermannftabt  1901. 

3n  Gorbereitung : 1.  Siebenbürgifeg-beutfegeg  Gäörterbucg.  3JHt  Ge« 
nügung  beg  9Börterbucgnacglaffeg  oon  3ogann  9E3olff,  bearbeitet  oon  ®uft. 
Kifcg,  ®eorg  Keingel,  Gbolf  Scgullerug  (bag  erfte  t>eft,  bearbeitet  oon 
9tbolf  Scgullerug,  wirb  1906  erfegeinen. 

2.  Golfgbicgtungen : die  deutfegen  in  Siebenbürgen,  ^erauggegeben 
oon  ®ottlieb  Granbfcg  unb  Slbolf  Scgullerug.  (®rfcgeint  1906.) 

8.  gorfegungen  j«r  Golfgtunbe  ber  deutfegen  in  Siebenbürgen,  im  Auf- 
trag beg  Gereing  für  fiebenbürgifcge  Sanbegfunbe  gerauggegeben  oon  Slbolf 


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19 


Sd)uUcru§.  1.  $cft:  ©uftao  Slifc^,  5Ber(iIcid)ciii)es  SKörterbuc^  bcr  Slösiiev 
(fiebcnbürfliicfieu)  imb  moicifräntiirf)  • lurembuvgcr  aKimbart,  1906.  2.  ^cft: 

Stubicn  juc  ®c)cl)id)tc  bcr  iloltöbid)tung  bcr  'Scutfcbcn  in  Siebenbürgen  uon 
©ottlieb  iöranbfd)  nnb  9lbolf  Scbntlcrnä.  Qn  33orbcrcitnnc).)  SBJcitcre 
$icftc  locrbcn  cnt()a[ten;  95olfstrnd)t  (!Ö.  ÜBittftocf),  Slgrarbiftorijdje  Stnbicn 
(®.  91.  S d)  u 11  c r),  Sgntar  bcr  ncbcnb.«beutid)cn  SJluubart  (91.  S d)  u 11  c r n s), 
ftinbcripicle  (ternft  9iriebred)cr),  Weograpl)ic  bcr  rtcbenb.=bcnt(d)cn  9Jlnnb» 
ort  (91.  Schein  er  nnb  91.  Sdjulleruä).  — 

Sammlungen  ^ot  ber  9?crein  nidU.  Sie  louic^idjriften  geben  in  bie 
ilcripobrung  nnb  ben  Sefilj  beä  9(aron  91nidentbarid)cn  93?njeum^  über  (Stif- 
tungsonftalt  im  Sefitj  bcr  erft.  Slird)c  in  Jpermannftabt),  eben  ba()in  midi 
bie  uom  ißerein  enporbenen  911iertämer  unb  Pülfäfunblidien  ©egenftönbe.  6s 
finb  9.<crbmiblnngcn  im  bab  93rndcntbarid)e  'Ihijenm  jit  einem  «fiebeiu 

bürgi{d)>beutidien  9!ationalmufeum*  umsngcftalteiu 

9<gl.  ^leinrid)  Herbert,  ©e(d)id)te  bes  9?ereinö  für  fiebcnbütgifdie 
Snnbeätunbe  (91rd)ip  28,  139—236). 


4.  8onrt(g<  Mitteilungen. 

Sie  7n(in<0nng  fnt  ^oOUSimbe  teilt  mit,  bag  bie  3eit> 

fd)tiftcnfd)an,  iueld)e  bisher  (ngl.  baS  elfte  gebrndte  91unbid)rciben  beä 
SBcrbaubeä  pom  Sommer  1904,  S.  9f.)  ben  93er  banbSmit  glich  er  n jum 
ermäfeigten  93rciS  oon  2 331t.  geliefert  imtrbe,  pom  3“brfl“'<g  1905  ob,  bcr 
im  fionfe  bieic^  Sommers  crfd)cinen  roirb,  bcS  gröberen  Umfanges  toegen  nur 
ju  bem  ebenfalls  nod)  ermöbigten  'l*rcis  pon  3 33tt.  abgegeben  merben  tann. 
Sie  üieferung  erfolgt  nid)t  birett  an  bie  cinjelncn  ÜHcflcftanten,  jonbern  mir 
burd)  9<ermittelung  bcr  ©injeloercine,  inclcbcn  jene  anget)Ören. 

Ser  tabif4e  herein  fär  ^elKstonbe  I)ot  im  abgelaufencn  3<>l)<^e  boS 
1.  ^eft  einer  neuen  polfStunblidjen  3eitfd)rift,  bcr  ,931ötter  beS  Stab.  SSereiuS 
f.  IBoltSf.*,  crjdicinen  laffen  mit  folgcnbem  3«l)“lt:  ¥•>  ®abifcbcr  Scrcin  für 
SBolfSfunbc ; 0.  ^offner,  Sie  93flege  bcr  SiolfStnnbe  in  ®obcn;  91.  ftalile. 
Über  4<otfSliebcrporianten ; ®.  Kable  u.  3.  43foff,  Umfragen  jur  StolfStnnbc. 

Qn  Stt^rae«  ift  als  fcibftänbiger  3nJcigocrcin  bcS  SnnbeS  ,fbcimatfd)ub“ 
ein  93ercin  für  nirberfd4fir4es  9«(lsteM  entftanben,  ber  fid)  jmar  im  ganjen 
mebr  bas  praftifebe  3>et  beS  SebutjeS  unb  bcr  6rboltung  bcS  'BolfStnmS  gc= 
fteeft  bat,  aber  oud)  bie  Sammlung  oon  93olfSlicbcrn  ins  91ugc  fogt.  ficiter 
bet  7.  ©nippe,  bie  fid)  hiermit  befeböftigen  tpirb,  ift  ^icrr  Cbctlcbtct  Dr.  Sorbet. 
Ser  OabreSbeitrag  beträgt  niinbcftcnS  2 331f. 

3n  bem  ehemaligen  Jlttrlelfeii  bat  bcr  93ctcin  für  beföfebe  ®cfd)id)tc  unb 
fianbeStunbe  bie  eammlung  bcr  oolfStunblicbcn  Überlieferungen  in  bie  ^länbe 
genommen,  inbem  er  einen  9lu8fcbu6,  beftebenb  auS  ben  Herren  ©cncralmajor 
6ijcntraut*Aoffcl,  ¥rof.  3.  93ogt.33larburg  unb  93rof.  R.  SBend .33latburg 
mit  ber  Crganifation  bet  9lrbeit  bcouftrogt  b“t.  Serfelbe  bat  im  fiaufe  beS 
Sabres  einen  Sragebogen  nerfanbt,  bet  bereits  nielfacbe  93eantreortungen  ge- 


20 


funbcn  f)ot.  2a§  gc|Qmmctte  Ü)JateriaI  luirb  auf  ber  OTavbutgcr  Unioerritöts- 
bibliot^ef  aufbciuafirt.  — Jüißcrbcm  ift  am  15.  Ott.  1905  burrf)  ^crru  Ober» 
bibliotfjcfar  Dr.  ®runucr  in  Raffel  ein  , herein  jut  Grforfdjung  uub  pflege 
ber  l)ClTifcf)t''  mhinbarten''  ins  ficben  gerufen  tootben  ([.  ^effcnlanb  XIK, 
9lt.  20,  ©.  289). 

3m  Sommer  biefeS  3t*0reS  foH  in  ber  in  'Steäben  ftaltfinbcnben 
III.  beutfcfieu  jinnUgdsetfeattsItrltttiis  sum  erften  fSIale  eine  bcfoitberc  2tb- 
teilung  für  iUolfgfunft  jur  9lnfd)auung  gebracht  luerben.  I’er  ®ereiii 
für  fädififc^c  ißoltSfunbc  ^at,  roie  oben  (@.  3)  ermähnt,  bic  5tcunblid)tcit  ge» 
habt,  ben  Serbnnb  beutfeber  Sßercine  für  ajoltsfunbe  jum  Sefudje  ber  Sind- 
ftcQung  einjulaben.  Serfelbe  hierein  l)at  in  ben  lebten  ÜBoeben  an  bic  ooifS» 
tunblidjen  SIcteine  ein  'Jlunbfcbreiben  oerfebieft,  in  bem  er  eine  ©inlabung 
ihrer  iDütgliebcr  ju  gcmcinfamcr  lagung  in  Slusricbt  ftellt.  3''^>C”'  'oit  auf 
bie  93ebeutung,  bic  biefe  Slusftellung  für  bas  ©ebict  ber  ®oltStunft  baben 
loirb,  nacbbrüdlid)  b'nroeifcn,  feben  tuir  unS  äugleid)  burd)  unS  geroorbene 
3ufcbriftcn  oeranlafet,  barauf  aufmerffom  ju  mad)en,  bajj  es  bei  ber  ge- 
sinnten Sogung  nidjt  um  ein  llnterncbmcn  bcS  SBcrbanbeä  boabett,  boB 
biefer  oielmebr,  bem  in  Hamburg  gefaxten  iöcfdjlufj  cntfprcd)cnb,  im  3^*)*^® 
1907  in  33  erlin  tagen  luirb. 


€(firifllcihni|j : QMe^cn.  eübanlflge  &. 

Siiut;  Co[>  unb  UitloetfilSt»  Inttftrtl  (C.  SHitbt)  OI(6en. 


Digitlzed' 


JVlitteUungeTi 

des  Verbandes  deutfcher  Vereine 
für  Volkskunde 

I^r.  4.  (Korrefpondenzblatt)  Oktober  1906. 


:3m  bcftcn  9J}anne§aIter  ift  nod)  mc^rmonatlid^cm 
Seiben 

profcffor  Dr.  Hdolf  Strack 

am  16.  Qimi  biefc§  5U  Sieben  geftorben. 

3fn  ibm  ift  ein  SWnnn  bal^in  gegangen,  bet  roie 
roenig  anbere  erfüllt  mar  non  tDarmet  Siebe  gut  ffiolfä» 
funbe,  Don  jugenbftifd^er  ®egeifterung  für  i^re  ^of)en 
Slufgaben  unb  non  ernftem  Streben  if)t  ju  bienen, 
liefern  Streben  entfprangen  aud^  jene  oon  i^m  in  Ser» 
binbung  mit  anberen  oerfolgten  Sdjritte,  bie  im  fjriif)= 
jal)t  1904  5ur  ©rünbung  be§  SetbanbeS  bcutfi^cr  Screine 
für  Solfäfunbe  führten,  beffen  erfter  Sotfi^enber  er  bi§ 
3U  feinem  Sobe  geroefen  ift.  Ml^erftel^enbe  roiffen,  rocldj’ 
gro^e  Hoffnungen  er  ouf  bie  Sötigfeit  be§  SerbonbeS 
fe^te  unb  roie  raftloS  er  fetbft  tätig  roat  ju  feiner 
roeitcren  üluSgeftaltung,  bis  er  bie  {Jeber  auS  bet 
legen  mu^te,  obgerufen  gleidj  einem  Sämann,  ber  bie 
ßrntc  nic^t  erleben  burfte. 

^Jer  Serbanb  roirb  if)m  unb  feiner  oom  J'obe  oor» 
zeitig  abgebrodjenen  Slrbeit  ein  bauetnbeS  unb  bantbareS 
Snbenten  beroal)ren. 


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Qmfragc  Uber  hrttnineUcn  Hbcrglaubcn. 

Ter  abcrfllaubc  fpiclt  bet  jof)Ircid)cn  i<crbrcd)cn  eine  oielfacb  noc^ 
imterfcbfttstc  SHotlc.  3Jon  Knminnliftcn  nnb  33olfsforfd)cni  finb  in  ben  Ictjtcn 
3a^ven  bebeuteubc  3)latcri«Iien  ßc[ammelt.  3rf)  uenucife  bejonberS  mtf 
@ro0>  ,,?)onbbntf)  für  Unterindjungsrii^tev“  (4.  9luf(.  1904),  Cötnenftimm, 
,9lbergloube  iinb  Strafrecht*  (Berlin  1897)  iinb  „9lberglaube  nnb  9Jcrbred)cn" 
(3eitfd)rift  für  Sojia(tDiffcnfd)Qft,  1903,  S.  209/231  nnb  273/286).  3öf)lrcid)C 
Beiträge  nnb  3)lotcriafien  enthalten  anch  triininaliftifche  3eitfd)riftcn,  fo  befon- 
ber§  baö  »fUrchiu  für  Rriminalanthropologic  nnb  Rriminaliftif*  foroie  bie 
.fWonatäfchrift  für  Rriminalpfncholoqie  nnb  Strafrechtsreform“;  ferner  bie 
befannten  poltstnnblichcn  Sammelroertc  nnb  3eilfd)riften. 

9J3ie  aber  jeber  loetB,  ber  ftd)  mit  biefen  95robIemen  befchäftigf,  h“rrc“ 
noch  3ahlreid)C  fWatcrialien  ihrer  Serroertnng.  3ch  f)£>bc  mir  bie  erforjehnng 
be§  trimincUen  9lbcrglanben8  in  feinem  ganjen  Umfange  jitr  befonbeten  91nf> 
gäbe  gemacht.  Spejicll  intcreffiett  er  mi^  aber,  fotocit  er  heutjntage  noch 
prattifch  roirb.  Tnrch  bie  gütige  Unterftühung  einer  großen  3<>hl  i't*  "tb 
nuälänbifcher  ®elehrter,  9Rid)ter,  'poliäcibcamte,  StaatSamoälte,  ^Ifarrer, 
Sehrer  nfto.  fotuie  bnreh  Sammeln  ber  hierher  gehörigen  3cttnng§anSfchnittc, 
toobei  mir  bas  berliner  ,3Ettnng§=iHachrichten  = Sureau*  oon  iR.  Teßmer 
nnb  für  baä  SlnSIanb  ber  „Stoeijer  SlrgnS  ber  treffe"  (®enf)  loefentliche 
Tienfte  geleiftet  h“öc”(  ift  '>t>r  gelungen,  eine  große  SHeihe  bisher  brach 
liegenbcr  Materialien  ber  3orfchu«9  ä'iflöitglid)  jn  machen.  Tiefer  ®rfoIg 
ermutigt  mich,  ofle  biejenigen,  betten  biefe  Umfrage  j"  ®eficht  fommt,  jtt 
bitten,  mir  ihnen  etioa  befannte  Materialiett  frettnblid)ft  tnitjttteilcn.  ®3 
interefrieren  mid)  tticht  ttnr  afle  9lttgaben  über  l<erbrechett  anS  91berglattbett 
foroie  über  aberglättbifche  Sforftcllimgcn,  bie  jn  Slerbredjen  Slnlag  gebett  tönnen, 
fonbern  anch  “Ue  9!achrid)teit  über  Slbcrglattbc  ber  Söerbrecher,  fo  über  Talis- 
mane, ;^imme(Sbriefe  nfto.,  fotoie  über  aberglättbifche  '^Srosebitren,  bitrd)  bie 
man  noch  heutigen  logeS  glaubt,  einen  Ticb  ober  foitftigcn  ®erbred)er  ent- 
bedett  ober  beftrafeti  ju  föttttett,  fo  j.  93.  Samten,  ßrbfteb,  Srbfchlüffcl  unb 
ffirbbibel,  Totbeten,  envofttement  itfto.  3ebe,  auch  bie  tleinfte,  91ttgabe  roirb 
banfbar  eittgegcngcnommen  nnb  tntter  OJettmtng  beS  ©ctoährSmotttieS  — oitf 
befonberen  Munfeh  ohtte  OlameitSttennnttg  — oeröffentlicht  tocrbctt.  9!ur  bitte 
ich,  febe  Mitteilung  möglidift  geitntt  jn  mochett,  alfo  toenn  tnöglid)  mit  gettatter 
Slngabe  beS  CrteS,  ber  3cit,  ber  betreffenbett  93erfotten  foroie  ber  Quelle  ber 
9loti3  5U  oerfchett. 

Über  folgettbe  Materiett  tuäre  mir  eine  gütige  Mitteilttng  jttr  3eit 
befottberS  erroünfeht. 

1.  Manche  Sente  glauben,  eitt  Meitteibiger  locrbe  nid)t  cntbcdl,  loenit  er 
geroiffc  mpftifche  Mittel  nntoettbe,  5.  toentt  er  beim  Schroören  ben  linfen  9lrm  auf 
betn  SRüden  h®He  ober  boS  3»ttere  ber  Sdjtrttrljattb  betn  SRidjter  jttfehre  ober 
bie  GibcSformel  oerftümmele,  ober  toentt  er  Sattb  ittt  Stiefel  höbe  nfto. 
(93gl.  meittc  anSführlidje  9lbhnnblnngett  über  „Mpftifdje  3erctnottictt  beint  Meitt- 
eib"  int  ,®erichtSfaal*,  1905  ttnb  1906.)  3Ü  öcitt  Cefer  barnfaer  etioaS  betattnt? 

2.  3ft  barüber  ettoaS  befattttl,  bof)  Tiebe  oft  atn  Tatort  ihre  Olotburft 
oerrichten?  91ttS  toeldjer  ®cgettb?  9BeSl)alb  gefd)icht  bas?  91uf  ben  Tifch, 
in’S  93ett  ober  too?  Merbett  bie  ®jfrcmcntc  jitgebedt?  Ttttt  bieS  itttr  ©c- 


3 


it)o^uf)cit§Derbtccf)cr?  ficnnt  moii  ben  9lu5bnicf  „'JBäc^ter*,  »üladjltoadötet*, 
,2Bocf)tmciftct*,  „^Poftcn",  ,Sd)UbiBai^c',  ober  einen  analogen  beutfe^en 
ober  anSlönbiJcljen  SluSbnid  für  nicnjcblic^c  Ssfrementc?  2lnä  roelc^cr  ©egenbf 
Sßaä  ift  nad)  Eingabe  beS  Sülteä,  ber  Sl5erbred)er  iinb  be§  ®in(cnberä  bet 
Sinn  bie(et  SBejeidjnnngen  ? (93gl.  meine  Stijjen  ,®inigeä  übet  ben  gromoa 
merdae  ber  ßinbrec^er"  in  ber  »ÜJJonatSfc^rift  für  Sfriminalpfqc^ologie  unb 
Strafred)tärefotm',  1905  unb  ,9Beitere§  übet  ben  granms  merdae"  (ebenba,  1906) 
foroie  übet  ,5!ie  ÜBebeutung  beä  gromna  merdae  für  ben  95rottifer*  (,9lrd)io 
für  flriininolantljropologic  unb  firiminaliftif*,  9)b.  23.) 

3.  Jlcnnt  femanb  irgenb  einen  Slberglauben,  bet  ju  einem  iCiebfta^l 
Slnlafi  geben  fönntc?  (9)gl.  meine  Sfijse  ,2iebftaf)l  auS  Slbetglauben"  im 
,9lrd)io  für  RriminoIanH)topoIogie  unb  Rriminaliftit",  1906.) 

4.  Rennt  jemanb  irgenb  einen  91berglauben,  bet  einen  ®iebftal)I  oet' 

binbem  fönnte,  j.  S.  ba&  [d)mangere  grauen  nid)t  ftef)lcn  bürfen,  roeil  fonft 
if)t  fiinb  ein  ®ieb  mürbe,  ober  bag  man  on  beftimmten  lagen  nid)t  fteljlen 
bütfe,  ober  auch  an  geroiffen  Crten  nid)t,  ober  nicht  gemiffe  ©egenftänbe,  meil 
man  fonft  Unglüd  hierüber  meine  bemnficf)ft  im  „Strdjio  für 

Rrim."  etfcf)einenben  Sfijjen  ,i?iebftal)l  oertjinbernbet  Slbergtoubc".) 

6.  3ft  bet  SUetbrecherabergloubc  befannt,  ba6  man  etroaä  am  tatort 
äurüdtaffen  müffe,  roenn  man  oert)inbcrn  rooUe,  bafj  man  entbedt  roirb? 

6.  3ft  etroad  über  bie  „SReligiofität"  bet  93etbtecf)er  betannt?  ganb  man 
bei  ihnen  jpimmelsbriefc,  gingen  fic  jur  Ritchc,  beteten  fic,  glaubten  fic  an 
einen  ©ott  ufro.?  SJertrauten  fie  auf  ben  SBeiftanb  ©otted  bei  ihren  Slaten 
ober  ouf  ben  eineä  beftimmten  ^>eiligen?  Rieften  fie  geroeihte  ©egenftänbe  für 
ZaliSmane,  j.  S.  eine  gemeihte  Rerje,  eine  ^)oftie  ufro.?  ©taubten  fic,  burch 
bie  95eichte  ein  leidjtciä  ÜJlittel  ju  haben,  um  fich  roiebet  ju  entfünbigen  ufro.? 

6.  ©laubt  ba§  SBolt,  bop  bie  3ig«unet  Rinber  tnuben?  3n  roelchet 
©egenb?  3ft  fo  etroaä  roirflich  oorgefommen?  (Sgl.  meine  Stijie  „3«m 
Rinbertaub  burch  3'9«“''er*  in  ,®ie  ipolijei",  1906.) 

7.  3ft  „S’aS  6.  unb  7. 93uch  IDlofeS",  ,$ie  geiftliche  Schilbroadht*,  »gouftS 
^»ötlenäroang",  ,$a§  DiomanuSbüchlein"  ober  ein  anbereS  berartiged  ,3auber> 
buch"  i>«  ®olf  oerbreitet?  3ft  burch  hen  ©tauben  beS  93olfeä  baran  fchon 
Unheil  angerichtet?  (93gl.  meine  Stisje  ,9Hobctne  3auberbüchet  unb  ihre 
Sebeutung  für  ben  Rriminaliften“  (,9ltchio  f.  Rrim.*,  3)b.  19.) 

8.  3ft  irgenb  etroad  batübet  betannt,  ,bah  Raninchenpfote  unb  Söhnen 
(giefolen)  ald  Serbred)ertafidmane  gelten?  Ober  fonft  etroad  über  ihre  aber* 
glöubifche  ffletroenbung  ? (Sgl.  meineStijje  „IDlettroürbigeSerbrcchertatidmane* 
(,9lrd)it)  f.  Rrim.",  Sb.  25). 

9.  ÜBelche  |>eilmittet  hat  bad  Sott  gegen  ©pilepfie?  |)ätt  man  indbe* 
fonbete  bad  Stut  eined  Hingerichteten  für  roirtfam?  ©itt  ber  ©pileptifche  ald 
oom  leufel  befeffen? 

10.  3ft  ein  tontreter  galt  betannt,  roo  burch  iffiahrfaget  ober  Rorten- 
legerinnen  irgenb  ein  Unheil  angerichtet  ift,  j.  S.  ein  Selbftmorb,  gomitien» 
jroiftigteiten,  Serbtechen  ufro.  oerurfacht? 

11.  3ft  ber  ©taube  betannt,  bag  fchroangere  grauen  nicht  fchroören 
bürfen,  roeil  bad  ju  erroartenbe  Rinb  fonft  oiel  mit  bem  ©ericht  3U  tun  h^le? 
9Iud  roelcher  ©egenb  ? Sinb  gölte  betannt,  roo  aud  biefem  ©runb  bie  5ludfage 
oerroeigert  ift? 


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4 


12.  ®lau(it  man,  bag  ^öbecoftic,  Sobomie  obec  Unju^t  mit  fttnbcm 
ober  Oungfcauen  @e|cf)Iecf)t§franf{)eiten  tönne?  (Sgt-  meine  Slbbanbtung 
„2)ie  Sebeutung  beS  (riminenen  SlberglaubenS  für  bie  geri(f)tlicbc  3)!ebijin* 
(,ätitUcbe  Saci)oetftönbigcn*3eitung”,  SBerlin  1906.) 

2lucb  jebe  anbete  berartige  3)litteilung  roirb  mit  33ant  »erroertct  merben 
fönnen.  SefonberS  errofinfd)t  fmb  SDitteilungen  perfbniidjer  ©rfabnmgcn  ober 
münblicbc  Überlieferungen,  namentlid)  ottenmägiger  ()älle‘,  aber  au(f|  für 
Hingabe  fd)on  gebnidter  Hlotijen,  bie  ficb  nicf)t  in  ben  aUbefonnten  foKloriftifcben 
unb  iuriftifcben  3eitfd)<:iflsn  finben,  märe  icb  febr  banfbar;  auct)  Überfenbung 
einfd)lügiger  3s<i»n9'Snotijen,  unter  Hingabe  oon  Xitel,  Ort  unb  Xatum  ber 
3eitung,  p«!»  ntit  erroünfdjt. 

^etmSbotf  bei  Setlin,  6cl)lo6ftr.  9.  — Hluguft  1906. 

Dr.  jnr.  Hilbert  $>elln)ig. 


Tmlnsnadirfditcn. 

Xer  Herrin  für  fA4fif4(  14.  Qebtuar  1897  in  XreSben 

begrünbet  niorben,  er  f)at  bie  @igenfcbaft  einer  iurifti[ci)en  ißerfon. 

Xen  Hlnlaf)  jut  ®tünbung  bot  bie  im  Sommer  1896  in  Xteäben  abge» 
baltene  ^anbroertSauSftellung,  bei  roelcber  eine  alte  Stabt  unb  ein  Xotf  gut 
Htnfd)auung  gebrad)t  imirben,  in  benen  ftc^  ein  Xraci)tenfeft  abfpielte,  auf  bem 
glle  nod)  oor^aiibenen  fädbpfcben  ißolf3trad|ten  oertreten  mären.  Onfolgebeffen 
roirb  in  bem  HJereiu  bie  lOoItStunbe  nicpt  nur  tl)eoreti[<^,  fonbern  aud) 
prattifc^  betrieben  unb  bet  SoltStunft  Slec^nung  getragen. 

H3ei  ber  Organifation  beg  Hierein^  rourben  oier  Hlbteilungen  eingerid)tet, 
unb  groat  für:  1.  93errooltungSangelegenl)eiten , 2.  Hlrd)io  unb  HSibliot^et, 
3.  HHufeum  unb  4.  ginangielleä.  HlUc  oier  Hlbteilungen  unterfte()en  bet  36u» 
tralleitung  beä  ®efamtoorftanbe8:  Senetalmajot  g.  X. 
oon  (^riefen,  lOorfi^enber,  Oberbaurat  ®.  Sc^mibt,  ftetloertr.  HforTt^enber, 
Oberftteutnant  g.  X.  oon  ©rünenroalb,  1.  Sd)tiftfü^ret,  Dr.  ®ruber,  2.  Sd)rift- 
fübrcr,  Dr.  ^elmolt,  3.  Sd)tiftfü[)ret,  HJtof-  Dr.  ®.  HDogt,  Heiter  non  Hlrd)io 
unb  ®ibliot^ef,  H3tof.  O.  Sepffcrt,  Heiter  beä  3)hi)eum8,  ^auptmann  g.  X. 
®D^e,  Sdja^mciftcr. 

1.  Xie  erfteHlufgabe  berHJerroaltung  unter  Heitung  be8  HJotp^enben  beftonb 
barin,  fDlitglieber  gu  rocrben.  3'”  ^>erbft  1897  roaren  beten  700  oorl)anben,  im 
3abre  1906  ift  il)te  3<>^l  ouf  «bet  2300  geftiegcn.  Xie  übet  baS  flönigreic^ 
Sac^fen  unb  baS  ^crgogtum  Hlltenburg  oerteilten  HDitglieber  fiub  in  62  Orts* 
gruppen  pereinigt  Xie  ®ruppen  fmb  felbftönbig  unb  ftefieu  unter  OrtäpPegem, 
roelcfje  Serfammlungen  abf)alten,  in  benen  33ortröge  unb  ^efprecbungen  gehalten 
roerben,  rooburd)  iinfere  Seftrcbungen  über  baS  gange  Hanb  perbreitet  unb 
baS  95olt  über  unfere  3roerfe  aufgetlärt  roirb.  Qn  ben  ©tuppen,  befonbetS 
in  XtcSben,  foroie  bei  ®elegent)eit  bet  alljätirlic^  in  einer  anbercn  Stabt  abgu* 
baltenben  Itauptoerfammlung  roerben  oollsfunblidie  Hlbenbe  oeranftaltet,  an 
benen  HloKSlieber  gefungen,  Xialeltporträgc  gebatten  ober  ®b>:iftfpiel*  unb 
anbere  Htuffüf)rungen  geboten  roerben,  unb  gu  benen  auch  Hlicbtmitglieber 
3utritt  hoben.  — Xer  Hierein  ift  mit  mehreren  anberen  HJeteinen  in  ®er- 
binbung,  bgro.  ihnen  als  HUitglieb  beigetreten ; feit  1906  gehört  er  auch  bem 
Hlerbanb  ber  beutfchen  Hiereine  für  HlottStunbe  an. 


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— 5 


2.  ^ett  5Prof.  Dr.  SUJogt,  fieipjig,  a(ä  ficiter  beä  Sltc^iuä  uub  bev  93ib!io* 
t^et,  bie  ibteti  ©taub  in  ßeipjig  fjabcii  unb  mit  ®cnet)migung  bc0  figt.  Rulluä- 
miniftcriumS  in  ÜRoumcn  bcr  ftgL  Unioerrität§bibliott)et  untetgcbracbt  finb, 
lont  nor  allem  bcmüfjt,  ^onbfc^riften  unb  $nicfi(l)tiften  ju  fammcin.  1906 
fmb  362  ^anbic^riften  unb  1686  Stucfidjriflen  rein  Dolfäfunblic^en  C^aratterä, 
ferner  od)t  Rnpfetn  mit  lofen  Slöttcrn  unb  SHottjen  t)orf)anben.  Gin  Sier- 
jteicbniS  berfelben  jur  SBeröffentlicf)ung  ift  in  Vorbereitung.  Seit  1.  Slpril  1897 
erfcbeint  im  ©elbftoerlagc  beä  Vereint  eine  pon  ben  ^>erten  Vrof.  Dr.  G.  SJlogt 
unb  Vtof.  Dr.  Stumme  ^erouägegebene  Vierteljn^rfctirift  .afütteilungen  beä 
Vereins  für  fädjfiWe  Voltsfunbe“,  nie(cf)e  anfangs  einen  Vogen,  feit  1900 
jtoei  Vogen  ftart  an  jcbem  erften  lag  beS  SZluartalS  ben  Vfitgiiebern  uncnt« 
gelt(id)  jugefd)idt  roirb.  3®  ^>rei  Oat)tgänge  bilben  einen  Vanb  oon  24  Vogen; 
nom  4.  Vanb  ift  baä  1.  ^cft  am  1.  Slpril  1906  erfc^ienen.  Sie  Schrift  entfjält 
VereinSnacbrid)ten,  Sluffälje  rein  poltätunblid)en  Onl)alt0,  für  roelc^e  |)ouorar 
gejaf)tt  roirb  unb  Slnfragcn  bam.  bereu  Veantroortung.  — Sa  öfters  Slbfjanb« 
lungen  eingingen,  roelc^e  a»  umfangreid)  rooren,  um  in  ber  VereinSfcljrift 
Vlofl  a“  finben,  fo  erfdjcinen  feit  1906,  in  Sc^önfelbS  Vud)Oanbhing,  fieipaig, 
berauSgegeben  oon  Vtof-  Dr.  G.  SDlogt  „Veit rüge  aur  VolfStunbe"  in 
aioanglofen  ^)eften,  bie  mit  25— 33‘/i  Vtoaent  SRabatt  an  bie  fDütglieber  oer* 
tauft  roerben.  SaS  1.  ^eft ; Sd)laud),  ,Sad)fcn  im  Spridjmort*  unb  baS 
2.  f)eft  ,3)laltefifd)e  9Jlärd)eu  unb  Scbioänfe,  gefammelt  oon  V*  Slg*  fmb 
bereits  etfd)ienen,  baS  3.  ^eft,  bie  gortfebung  bes  2.  ^efteS  ift  im  Srud  fertig, 
baS  4.  ^)eft,  Ropp,  Verlin,  „Sädjfijcbe  Voltslieber*,  ift  no(b  im  Srud;  bcibe 
roerben  efjebalbigft  erfdjeincn. 

SluSerbcm  Rnb  im  Sluftrage  bcS  Vereins  berauSgegeben  toorbeii;  „Sagen- 
buch  beS  Rönigreid)S  Satbfcn"  oon  Dr.  Sllfreb  3}Ieid)e,  i*eipaig  (1903,  Scbön» 
felbS  Vucbbonblung),  — „Sie  Sorftirclje  im  Rönigreicf)  Sad)fen"  oon  D.  ©runer 
(1904,  Slrroeb  Strand),  Seipaig)  unb  „Von  ber  3Siege  bis  aum  Grabe*  — ein 
Vilberroert  — oon  Vrof.  D.  Segffert  (1906,  ©erlacb  & Söiebling,  ffljien). 

fDlit  42  Vereinen,  teils  innerl)alb,  teils  augerbalb  Seutfd)lanbS,  ift  ber 
Verein  in  Sd)riftenauStaufd)  getreten. 

3.  Ser  ficiter  bet  britten  Slbteilung  „2)lufeum*,  Vr^f.  D.  Segffect, 
SreSben,  f)at  «rit  grogem  gieig  unb  oielem  VerftänbniS  eine  Sammlung  oon 
©cgenftänben  bäuetlicger  Runft  aniQm'rtengetragen,  loelcbe  1906  bereits  über 
6000  Vummetii  aöf)lt.  Sie  befteljt  ouS  Vauern möbeln,  gemalten Scgränten, 
Stuben,  Sopfbrettern,  Sifd)en,  Stüblen  ufro.  — Sie  Segtilinbuftrie  ift 
oertreten  butd)  Criginaltracbtcu  bet  fäcbftfcbcn  Saiibbeoöltcrung,  unb  burcb 
Seile  oon  Sracbten  roie  ^tauben,  Vänbetn,  Scbütaen,  gaden,  Vöden  ufro. 
Sie  Reramit  roirb  oertretcn  burcb  aderbanb  6g»  unb  Srintgefd)itr  in  ©laS, 
^otaeUan,  Son,  3inr<  u"b  Rupfer.  ©ebraucbSgegenftönbeunbSlrbeitS« 
foroie  Sdergeräte  unb  böuetlicbe  Scgmudfacben  oeroollftönbigen  bie  Somm* 
lung.  Sctfelben  ift  ferner  eingegliebcrt  eine  teicbc  Sammlung  oon  Vb»lO' 
grapbien,  3sicbnungen  unb  Slquarellen  oon  böuerlicber  Runft  unb 
Vauroeifc.  Segtere  Sammlung  roirb  aüjäbrlid)  oermebrt,  benn  baS  Rgl. 
fUlinifterium  beS  Qnnetn  bat  butd)  Verotbnung  bie  Sireftionen  ber  RgL  Runft- 
geiocrbe-  unb  VaugeroertSfcbulen  angcroiefen,  ihre  Scgüler  anaubalten,  all- 
fäbrlicb  Slbbilbungen  oon  ©egenftänbcn  bnuerlicber  Runft  unb  Vauroeife  beim 
Verein  einaureicgen.  Sie  eingereicbten  Scbülerarbeiten  roerben  oon  einer  unter 


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einem  flfli.  Itoinmiffar  fte[)enben  Slommi(rton  geprüft.  Die  beften  Slrbciten 
iperben  biircb  ^römien  nu§gejeid)nct  unb  getjen  in  ben  Scfi^  bes  ItetcinS 
über.  Die  nicht  promiierten  gehen  «n  bie  Slnfcrtiger  jnrüd, 

4.  Die  finonjicllcn  Sterhciltniffe  roerben  bnreh  ^lemi  §anptmann  j.  D. 
Wötje  peripaltct.  — Der  3ahreäbeitrag  jebes  SDlitgliebeä  betrögt  1,50  flJtf. 
Dafür  erhalt  cä  bie  Sierteljahtbfchrift  unb  ben  3ahrc§bcrid)t,  jufammen  jehn 
Drndbogen,  nnentgelllich  jugefchidt,  h«!  beim  Slnfauf  ber  ipublifationen  bes 
illcrcinä  25 — 33'/i  ^rojent  SHabatt  unb  hat  freien  ©intritt  in  baä  'Dlufcum. 

Die  Roften  für  ^erftenung,  Honorar  unb  Serfenbung  ber  Hierteljahvä- 
(chrift  unb  be§  Jahresberichtes,  für  l'litglieberbeitröge  an  anbere  33crcinc,  für 
©infammein  uon  Jahresbeiträgen,  fHegictoften,  'fJorti  ber  fehr  auSgebehnten 
Rorrefponbenj  iiftp.  überfteigen  freilid)  bie  Sumnte  ber  Jahresbeiträge  trotj 
ber  groben  9lnjal)l  ber  OTitglieber;  ber  Herein  ipäre  hoher  nid)t  im  Stonbe 
feinen  finan jieHen  ®erpflid)tungen  nachjufonunen,  roenn  er  nidjt  Unterftühungen 
uon  ber  Sgl.  Staatsregierung,  uerfchicbenen  Stäbten  unb  ber  öfonomifchen 
©efellfchaft  erhielte.  Diefe  Unterftühungen  luerben  uerroenbet  jur  Jnftanb. 
haltung  unb  Grgänjung  beS  9lrd)iuS,  ber  Hibliothet  unb  beS  fWufeumS.  Drotj 
gröftter  Sparfnmtcit  hat  fid)  ber  Herein  loegen  Hlangel  an  ben  nötigen  Htitteln 
bie  ©rtoerbung  roertuoHer  ©egenftänbe  für  9lrchiu,  Sibliothet  unb  3Jlufcum 
öfters  entgehen  laffen  müffen. 

DreSben,  im  Juni  1906.  Jrljr.  u.  Jtiefen,  Wenctalmafot  j.  D., 

Horfttjenber. 

^ertaiib  für  ^gerfinber  (ül«Tbg«nif4«)  ^fsdslnnbe.  [Hgl.  Htitteilg.  b. 
Herb,  beutfd).  H.  f.  Holfsfunbe  9lr.  1 (1905)  ©eite  11  u.  12.  Statt  Deplih 
foU  richtig  Depl  ftehen.J 

Der  1904  begrünbete  Herbaub  erftredt  fid),  roie  bereits  mitgeteilt  ('Hlitt. 
b.  Herb,  beutfeh.  H.  f.  Holfsfunbe  9Jv.  1 Seite  11),  nicht  auf  bnS  engere  ©get» 
lanb  allein,  fonbern  auf  alle  norbtueftböhmifchen  Hejirfe,  in  benen  noch  ber 
egerlänbcr  (norbgauifd)c  ober  oberpfälser)  Dialeft  gefprod)en  toirb.  Slaheju 
in  jebem  Hesirfc  biefeS  Sprachgebietes  ift  ein  Hertrctcr  aufgeftellt,  ber  im 
Sinne  ber  jeitfehrift  »Unfer  ©gerlanb"  loirft.  9llS  befonberS  erfreuliches  Jeichen 
ber  immer  mehr  roachfenben  Hebeutung  nolfSfunblicher  Seftrebungen  mug  bie 
im  Jahre  1905  erfolgte  Hegrünbung  eines  uolfSfunblichcnDrtS»aiuSfchuffeS 
in  Carl  Sb  ab  bezeichnet  luerben,  ber  ftd)  unter  bem  rührigen  Hertreter  bes 
Garlsbciber  HejirteS,  Jierrn  Hürgcrfchullehrer  Jofef  ^ofmann  in  ©arlSbab, 
äu  bem  3'»erfe  fonftituierte  um  ein  uon  Sllois  John  in  ©ger  angeregtes  $>eft 
über  GarlSbaber  Holfsfunbe  ju  ermöglichen,  beffen  Grfcheinen  burch 
bie  Cpferroilligfeit  ber  ©arlsbaber  Stabt»  unb  Sparfaffcuerroaltung  unb  zahl- 
reicher Spenben  gefidjert  rourbe.  (GS  ift  als  ^»eft  IV/V  non  U.  G.  erfchienen.) 
Der  DrtSauSfehuB  für  Holfsfunbe  in  GarlSbab  befteht  gegenroärtig  auS  ben 
Herren : Dr.  med.  Garl  Hecher  (Hroteftor),  Jofef  Jpofmann,  Hürgerfchullehrer 
(Cbmann  unb  ©efchäftsführcr),  Jofef  ©örgl,  Sehrer  (Schriftführer),  ftatl 
Sd)öttner  (ftafftercr),  Hrofeffor  iRubolf  Sößl.  aiuger  biefem  reichhaltigen  ^efte 
ift  auch  eine  »GarlSbaber  ooltSfunbliche  Hilbermoppe*  erfchienen, 
roclche  27  fiunftblätter  nolfstunblichen  Jnholts  enthält  unb  beim  Huchhönbler 
^ermann  Jacob  in  GarlSbab  z“  beziehen  ift.  (HreiS  beS  aud)  in  Sonbet» 
auSgabe  erfchienenen  J)efteS  famt  Runftbeilagen-fUlappe  10  ftr.) 


7 


2ie  DolfStimblici^e  (Jbce  bot  burcf)  biefe  Seftrebungeit  eine  mächtige 
Sörbening  in  unieretn  ©ebictc  erlangt  unb  märe  lebhaft  jn  luiinfchcn,  ba& 
auch  bie  übrigen  Sejirfc  ftd)  ju  ähn(id)cn  Slrbeitcn  entidjlicfjcn  tonnten. 
toivb  ®ad)c  ber  betreffenben  Itertrctcr  fein  in  biefem  Sinne  ju  mitten. 

9U^  ooltstunbliche  3«><fd)rift  für  bas  gefamte  Slorbgangcbiet  erfdicint 
,Unfcr  Bgerlanb*.  Slättcc  für  CSgerlänber  Boltötnnbe.  ^erauägegeben 
Don  9IIois  3oh'<  üi  ßger.  3ohroo"9  IX  (1905)  brachte  u.  a.  Slbhanblnngen 
iinb  aiuffähc  über  ÜJlai.,  $)ochäeit§.  nnb  Öcgräbnisbräud)c  oon  51.  Sllberti, 
3.  Fachmann  unb  91.  gieh,  egerlänbet  ©ebilbbrote  oon  ^ofrat  Dr.  ^Jöflct,  ben 
Sagenfehah  beä  (SgcrlonbeS  oon  91.  Qohn,  9lbergläubifd)e§  oon  C>.  Sommert, 
Beiträge  jur  norbgmiijchcn  SDlunbart  oon  fiöfil,  ©erbet  unb  Schiepet,  ferner  eine 
Starte  beä  norbgauifchen  Sprachgebietes,  jahlreichc  tleinerc  IDlitteilungen  u.  a. 

I?et  laufenbe  Jahrgang  X (1906)  mirb  aufier  bem  überaus  reich* 
haltigem  (farisbaber  Jpeft  nod)  umfaffenbe  O''l)olts*  unb  ®ad)regifter  übet 
iämtlichc  jehn  Jahrgänge  bringen. 

9IIS  Banb  VI  ber  oon  Brof.  Dr.  91.  öauffen  in  Btog  geleiteten  „Beiträge 
äur  bcutfd)»böhm.  BoltStuubc*  erfchien  1906  baS  umfangreiche  Bud):  Sitte, 
Brauch  unb  BoltS glaube  im  beutfd)cn  2Beftböh»*ett  »o«  9lloiS 
3ol)n,  BtO0>  Saloe’fdje  ^lof.  unb  UnioerfitäiS*Bud)hanblung.  9)lit  einet  Starte 
beS  norbgauifchen  Sprachgebietes  in  Böhmen. 


Sonftige  Mitteilungen. 

pritte  b«ifr4e  jtuvflgrni(T6(-jt«sß(irniifl.  gn  ber  brüten  beutfd)cn 
Stunftgetoerbe.9luSftellung,  Xresben  1906,  befinbet  fich  eine  9tbteilung  für 
B 0 1 1 S t u n ft.  6S  ift  aufserorbcutlid)  bescichnenb,  bafi  bie  !?reSbeuer 
9lusfte(lung,  bie  ihre  lore  ntir  ben  m o b e r n e n Slunftäufierungen 
geöffnet  hot,  ber  BoltStunft  IRaum  äor  Berfügung  geftellt  hotte.  SS 
mar  tein  gehlgriff  — eS  mar  ein  ©rfolg  auf  allen  Sinien.  $ie  BoltStunft 
hat  gezeigt,  baft  fie  i n u e r I i di  jung  ift.  ga,  fie  bemieS  oon  neuem,  bafi, 
menu  bie  gorm  ben  ©igenid)afteu  beS  Stoffes  fich  anpaßt,  Sunftmerte  oon 
bleibenbcm  9Bcrt  entftehen.  SoS  mit  bem  ©rftarten  unfereS  mobernen  Ruuft» 
gemerbeS  gleichjeitig  auftauchenbe  ©efühl  für  bie  oft  überfehene  ober  inißochlete 
ooltstümlidjc  Äunft  ift  bähet  eine  im  befteu  Sinne  ueujeitliche  Bemegung. 
lEie  bei  aller  ©hrfurd)t  oor  ben  nberlieferuugen  ju  Sage  tretenbe  Selbftänbig* 
teil  ber  BoltStunft,  iljre  Staioität  unb  gorbenfreubigteit,  ihre  9)laterialgered)tig* 
feit  tönnen  als  Guell  lebenbiger  9lntegung  bejeichnet  merben. 

2ic  91u6ftellung  mar  oon  Btof.  D.  Segffert,  SreSben,  nid)t  nur  nad) 
ethnographifdjen,  fonbern  oor  allen  Singen  nach  tunftlerifchcn  ©efichtSpuntten 
geleitet,  unb  in  allen  Seilen  ISeutfd)lanbS  hotten  fid)  bemähtle  Blitarbciter 
gefunben.  Sic  jerfällt  in  ocrfchiebcne  Unterabteilungen.  Gin  Sammelrnum 
ift  ben  bäuerlidjen  Stictereien,  SBcbcreicn  unb  ben  föauben  gemibmet.  Schon 
hier  tann  man  tlar  bemerten,  melche  töfiliche  Gigenart  in  biefen  Runftentfal- 
tungen  unferem  Bolt  ju  eigen  mar  unb  meid)  große  Schätje  eS  im  Begriff 
ift,  JU  Dcrliercu.  9luu  folgen  in  bunter  9lbmechflung  — burch  ben  ©runbriß 
beS  jur  Berfügung  fteßenben  iHaumeS  bebingt  — Baueruftuben  oom  Bagern* 
lanb  bis  hinauf  nad)  SchleSioig.^tolftein,  (eine  9)lufeumSaufmad)ungen,  fonbern 


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8 


rccf)te  unb  (djlidjtc  9Jäume,  bie  oou  ber  aiusftetlung  dou  Stnäetflegenftänbeu, 
iUlöbel,  Spieljcug,  ®olb*  unb  Silberfd)muct  ufio.  unterbrochen  ift.  S'ie  aibtcU 
lung  Soltstunft  fnnb  allgemeine  9lnteilnnhme.  i£tc  Kunftter  ber  ocrichiebcnfien 
JHicfjtungen  Ijaben  fid)  hier  — unb  baS  ift  burchnuä  nict)t  in  alten  leiten  ber 
aiuäftellnng  ber  Rail  — gefunben.  l?ie  fiunftI)anbioerter  unb  felbftoerftänb- 
lid)enueijc  bie  2J!änner  ber  IBoItc-funbe  tönnen  bie  oielfeitigfte  Slnregung  f)'fr 
fdjöpfen : bie  9luSfteIlung  ift  für  uiele  eine  Offenbarung.  ISreSben  ift  in  feinen 
aieftrebnngen,  nid)t  nur  bie  93olfäiuiffenf(i)aft,  fonbern  auch  ajoltsfunft  ju 
pflegen,  tatfräftig  oorroärtä  gegangen  unb  hat  pon  neuem  gejeigt,  bafe  prot- 
t i f ch  e SQj  e r 1 e für  unfer  Solt  gehoben  toerben  müffen. 

9llä  9lbfchlu6  ber  polfäfunblidjen  9lbteilung,  bie  im  fteinerneu  9lu0* 
ftellungSpntaft  uutcrgcbracht  ift,  mnö  man  ben  ®orfpIal3  mit  feiner  prächtigen 
Schule,  mit  feinem  crjgebirgifchen  unb  tönigöberger  J^aufe,  mit  ben  6in-  unb 
ßioei-Ramilienhäufern  anfehen : ba§  Stilb  toirb  h'er  lebensfrifch  abgefchloffcn, 
unb  bie  Stlicfe  roerben  frenbig  unb  oerheihungbooll  in  bie  3ufu”ft  gerid)tet. 

.0. 

Jbetmatpfege-  nnb  '^o(S»tra(Sfe«fe|t.  3ur  Rörberung  ber 
^jeimatpflegc  in  Oberheffeu  unb  befonberS  in  ben  nörblichen  Seilen  ber 
SBctterau  unb  beä  fogennnnten  ^)üttenberge§  ipurbe  im  Runi  biefe« 
in  bem  ficinen  oberheffifchen  Stöbtehen  93nt)bad)  ein  ^eimatäpflege*  unb 
Stolfätrachtenfeft  oeronftattet,  boä  fid)  auch  größeren  Unternehmungen  oer- 
ronnbter  2lrt  loürbig  jur  ©eite  ftellen  barf.  Rn  ber  ftäbtifchen  Surnhalle 
luar  eine  2(u9ftetlung  arrangiert  roorben,  bie  auf  Meinem  SRaum  picleä  bot. 
Sie  DJJufeen  ju  ©ießen,  DJlarburg,  Sllsfclb  unb  Stuljbach  unb  jahtreiche  fprioate 
hatten  baju  beigefteuert.  Stnögeftcllt  roaren  nid)t  nur  irachtengruppen  auä 
ben  uerfchiebenften  Seilen  Oberheffenä  unb  be§  früher  großh-  hdT'fihcn  jeht 
preußifchen  ^intcrlnnbS,  allerlei  bäuerlicher  |)auörat,  ©ammlung  oon  'Uhoto* 
graphien  ton  heffifd)en  ^läufern  unb  fiirchen,  fonbern  ouch  ganje  SHäume: 
ein  Sdilofjimmer  auö  bem  Sd)lihcrlanb,  ein  SBohnraum,  Rüche,  unb  ein 
Stauernioirtöhaii^-  — ^cn  C)öhepuntt  beS  RefteS  bilbetc  ber  Reftjug  am 
17.  Rmii.  Rn  biefem  unirbe  nach  ben  Rahreöjeiten  angeorbnet  in  36  ©nippen 
bas  bäuerliche  2cben  in  feinen  roichtigften  ©rfcheinungen  oorgeführt : SluSfaat, 
^ochjeit,  6rntc,  Rlachöbereitimg,  Sohfehälen,  Sutterbereitnng,  bie  ©pinnftubc, 
©ingfchule,  Säeferei  u.  f.  ro.  Sie  oerfchicbenen  Orte  beS  aimtcö  lBut)bach  unb 
beö  ^ütienbergeä,  aber  auch  einige  auS  roeiterer  ßutfernung  hallen  eS  über- 
nommen, je  eine  ©nippe  in  ihrer  Ortstrad)t  baräuftcllen.  Stuf  biefe  Sltcife 
ergab  fich  ein  anßerorbentlid)  aiijiehcnbeö  unb  abited)SIung§reicheä  Stilb. 

Sin  mehreren  Slbenbcn  rourbc  fobaun  ein  oon  Sl.  Storch,  fflnhbad),  oer- 
faßte?  Refifpiel  »Sie  Süttenberger*  aufgeführt,  bn?  auf  hiftorifchem  hinter- 
grunb  (Snrehreife  SSlücher?  burch  außbad)  1813)  gleichfatl?  pcrfchiebene  Stolf?- 
Ijenen  jur  Sarftellung  brodjtc. 

Rür  lueitere  Orientienmg  über  SBußbad)  unb  ben  ^lüttenbcrg  oetiDeifcn 
mir  auf  bie  ebenfall?  oon  91.  ©torch  oerfaßte  Reftfcßrift  „l?ieb  ^eimatlanb*, 
bie  auch  eine  große  Rüllc  locrtooUer  unb  intereffanter  Slbbilbungen  bietet. 

9lm  ^aupttag  be?  Srad)tenfefte?  mürbe  in  Stußbad)  ein  »heffifcher 
3ioeigoercin  für  län  bliche  ^eimatpflege“  gegrünbet. 


Sc^riftldtung:  DrofefTor  Dr.  tt.  ^dm.  ۟Mit(age 

2)rud:  ^of<  imb  UniOcrfitSl«‘Xru(fecel  (D.  ffliibt),  Aieben. 


]VlittdluTigeii 

dee  Verbandee  deutfcber  Vereine 
für  Volhehunde 

Nr-  5-  (KorrcfpondenzbUtt)  3^uni  1907. 


Bericht  über  die  6ifenad)er  Delegiertenverrammtung 

vom  24.  Mai  1907. 

9Iuf  bcc  öomburgcr  logung  (1905)  iviar  bcfd)loffcn  »oorbcn,  im  3a^rc 
1907  einen  SUerbanbätag  in  93erlin  obju^alten.  9118  3cit  mürbe  bofür  bie 
Sßfingftroocl)e  in  9lu8rtd)t  genommen,  unb  bet  Serliner  ?5erein  für  93oI{8tunbc 
nol)m  bie  SJorbereitiingen  in  bie  ?)anb.  35ec  9ln§fii()vung  bie)e8  ipianes 
ftedten  fid)  jebod)  nnüberroinbli^e  öinberniffe  in  ben  Süeg,  über  bie  ber  93er> 
linet  SBerein  bem  gefd)äft§fü()renben  9lu8fd)UB  am  16.  gebruor  bcridjtetc.  68 
roar  barnad)  fein  onberer  2Beg  möglich,  alä  für  bie(e8  ouf  eine  orbent» 
Iid)e  SBerbanbstagimg  ju  nerjid)tcn  unb  jur  6rlebigung  bringenber  Slngelegen- 
^iten  eine  rein  gefd)SftIid)e  S'elegiertenDerfammlung  objubalten.  3)ie|elbe 
fanb  nodi  Dorf)erger)enbct  fcbriftlid^er  SJJleinungsaufietung  ber  !Berbanb8mit> 
glieber  am  24.  3Jlai  ju  6ifen ad)  im  -öotel  ftronprinj  ftott. 

Ütnrocfcnb  tuaren  bie  öerren  : 

^roF.  Dr.  ®olte,  ®erlin,  al8  93ertreter  bc8  Serlinet  ®erein8  für  Solfäfunbe 
unb  ber  Sd)rceij(erifd)en  ®efellfd)aft  für  Coltsfunbe. 

^rof.  Dr.  C.  9)  renn  et,  ißfürjburg,  al8  Slerttcier  be8  iöcrein8  für  baprifdje 
Soltsfunbe  iinb  aihmbartforfcbung,  iöürjburg. 

®el)eimct  öofrat  9Jvof.  Dr.  |)aupt,  ®icMen,  olä  aSorüt^enber  be§  gcfcbäft8' 
fübrenbeu  9Iu8fd)uffe§  be8  SJerbnnbeä  nnb  sngicid)  alä  SBertreter  bet 
Öefnfd)cn  93eteinigimg  für  FBoltätunbe. 

^rof.  Dr.  R.  ^>elm,  ©ießen,  alä  ec^riflfü^rer  beä  93erbanbeS. 

^tof.  Dr.  91.  R a t)  1 c , $>eibelberg,  alä  iBertrcler  beä  babifdjen  SJereinä  für 
Solfätunbe. 

?Srof.  Dr.  6.  fDiogt,  fieipäig,  alä  9Jertreter  beä  9Sereinä  für  föd)rifd)e  ^olfä» 
funbe. 

?5tof.  Dr.  9J1. 'Jlöbi  get,  93erlin,  alä  9)ertretet  beä  9fereinä  für  Soltäfunbe, 
Scriin,  unb  ber  Rgl.  Sammlung  für  9)oItätunbe  8U  Serlin. 

?5rof.  Dr.  Xf).  Siebä,  alä  Vertretet  bet  Sd)leüWcn  @efetlfd)aft  für  9Solfä» 
funbe,  SSreälau. 

6ntfd)ulbigt  loaren : 

®er  fRbE>«'fd)'n)eftfölif(^e  ®erein  für  9Jolfäfunbe. 

Xer  literarifd)"f)iftoriid)e  Bmeigoerein  beä  93ogefenflubä  unb 
Xaä  fUlufeum  für  33ölferfunbe,  Hamburg. 

Slotfi^enbet:  ®e^eimerat  |>aupt. 

Sdiriftfü^rer:  ^rof.  ^)elm. 


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2 


1.  ®er  Sotfi^eiibe  etöffnete  bie  mevfammliing  unb  gebad)te  beä  oer- 
ftorbcncn  crftcn  SSorft^cnben,  ^rofefforä  Dr.  91.  Stracf,  bet  oevftorbcnen 
Seiter  uoii  9ltiftalten,  rudere  bem  93erbanbe  angebörteu:  ®e^eimerat  95o6, 
ffletliu,  unb  ®iteftor  Ob  ft,  ficipjig,  foroic  bet  feit  ^erbft  1906  Bcrftorbcnen 
®elcl)rtcn,  beten  fUrbeiten  füt  bie  ißoltsfunbe  non , fBcbcutung  roaten:  $>. 
Ufenet  unb  5DI.  ^)enne. 

2.  3>n  Ülufttage  beS  abmefenben  SHed)nerä  legte  93tof.  ^lelm  bie  Kec^. 
nung  »ot,  bie  mit  einem  ftoffenbeftonb  uon  328  9)lf.  15  95fg.  abfdjlog.  ®ie 
Slecbnung  rourbe  »on  ben  fetten  95tof.  SB  ölte  unb  SR  obiger  geprüft  unb 
richtig  befunben,  roorauf  bem  5Rcd)ncr  Sntlaftung  erteilt  mnrbe. 

8obann  erftattete  95tof.  pelm  ben  ®ei^äflsbericbt,  beffen  einjelne 
93unfte  im  Saufe  bev  rociteren  Set^anblung  nod)  befprod)en  mürben. 

3.  3m  Sluftrage  beä  SBerlinet  Sßeteins  für  SBoltigfunbe  lub  barauf  |)ert 
^tof.  SRöbiger  ein,  bie  nädjfte  SBerbanbStagung  im  $ierbft  1908  in  Sletlin  nb« 
}ul)alten.  ®ie  SBerfammlung  ftimmte  biefem  SBorfc^lag  ju. 

4.  3m  ßcrbft  oergangenen  3a^wä  l)at  iperr  Dr.  Si^offiblo  bei  bet 
fünften  Slbteilung  bes  ©efamtoereinb  beutfd)er  ®efd)id)t§.  unb  SlltertuinS» 
peteine  ben  Slntrag  eingereid)t,  eine  ooirshmblid)e  Bciürolftelle  ju  fdjoffetu 
SSem  gefd)nft9fül)tenben  9lu§fd)ufi  beb  9?erbonbeb  root  bamalb  SDittteihmg 
pon  biefem  Slntrag  gemad)t  roorben  unb  bcrfelbe  gab  fofort  fdiriftlid)  bie 
ertlärung  ab,  baft  er  ein  gemeinfameb  SBorge^en  beb  SBcrbanbeb  unb 
ber  fünften  9lbteilung  in  biefer  Slngelegcnljeit  für  unbebingt  nötig  Ijnlte  unb 
bafj  ber  SBerbnnb  jn  biefem  3**föinmenarbeiteu  bereit  fei.  SEie  äfcrfaimnlung 
billigte  nnd)trciglid)  biefe  Grtlörung  be§  9lusfd)uffes.  ^)eiT  9?rof.  9ftcnner 
berid^tete  barauf  nod)inalb  eingebenb  über  bie  SBorfd)läge  3Boffiblos  unb  ftellte 
ben  Slntrng,  bie  einjelncn  Sßereine  baju  ju  oeranlnffen  iljre  Sammlungen  ju 
perjctteln.  liefet  Slntrag  mürbe  in  ber  folgenbcn  (pon  9frof.  Siebs  fonnu» 
lierten)  Raffung  einftimmig  angcnominen: 

.lEie  Sßertretcr  ber  beutfeben  SJereine  für  SBolfStuube  nebmen  bie  non 
ber  fünften  Ülbleihing  bes  „(SSefamtoereins*  gegebene  Slnregung  jur 
Sdiaffung  einet  nolfstunblidjen  .iiauptfommclftellc  in  bem  Sinne  auf, 
bafj  fie  es  ben  Süereinen  butd)  befonbercS  9lnfd)reiben  als  bringenbfte 
Ülufgabe  empfcl)len,  it)ren  SBeftnnb  an  ®niclfad)en  unb  banbfcbriftlicben 
Sammlungen  uoltSfunblid)en  3"f)Qlts  nad)  einljeitlicbein  Sdjema  ju  oer- 
jettcln.  Ser  Slusfdjujj  mirb  baS  Sd)emn  ausarbeiten.* 

5.  ^rof.  SB  ölte  nerlas  barauf  ben  S8erid)t  ber  SBoltSlieber-llom- 

miffion.  3>'  Sibung  oom  7.  3uni  1906  haben  ficb  9-'rof.  Solte, 

Serlin,  unb  95rof-  3-  fUJeier,  Snfel  (?rof.  Strnef  mar  burd)  firauR)eit  per- 
binbert)  über  bie  einridjtnug  eines  bibliograpbifdicn  SBerjeid)niffeS  ber  beut- 
feben SBoltSlieber  beraten,  bas  für  eine  fpütere  \unfaffenbe  Sammlung  bet 
Scjte  unb  fDJelobien  als  ©nmblage  bienen  fann.  Sie  einigten  ficb  babei  übet 
folgenbe  fünfte: 

a)  Öttlicbc  aibgrenjung.  2a  bas  ganje  beutfebe  Sprachgebiet  bc- 

rfteffubtigt  merben  inu6,  ift  eine  SBerftünbignng  mit  ben  in  Öfterreid), 
Siebenbürgen  unb  ber  Sdirocij  ju  biefem  eingerichteten  Organi* 

fationen  bringenb  erforberlicb,  febou  um  für  bie  fRegiftrierung  beS  3Rate- 
riats  momöglicb  gleiche  ©tunblage  ju  pereinbaten. 

b)  9118  zeitliche  9lbgrenjung  nach  rüdmärts  empfiehlt  fich  baS  3a^^: 
1770  mit  SRüdficbt  auf  ^)erber8  ®eftrebungcn. 


3 


c)  2ic  aibflreujimg  gegen  bic  ftunftbid)timg  bietet  Srf)n>ierigtciten ; bet 
bet  üJIotetiatinmmlimg  initb  man  beffet  rocittjersig  tjctfal)ren  unb  ju- 
näcbft  aUeS  nufne^men,  roaä  nact)it>eislic()  oom  iBottc  gejungen  roorben  ift. 
3n  S8etract)t  fommt  ioiootjl  gebnicfteS  ^Jiateiiat  (in  93oI(sliebet[amm> 
lungen  unb  3ciit<^t'ften)  n>ie  ()<inbfci)iiftlici)eä  (auf  iBibliotbeten,  SereinS» 
ntcf)ioen  unb  im  ^vioatbenb)* 

d)  0r  ganif  a tio  n.  'Jlotroenbig  ift  bie  ervicfjttmg  einet  3enttalfteüe, 
bie  ba§  pon  ben  Sfeteinen  gclicfette  ÜKatetial  in  (Smpfang  nimmt,  otbnet 
nnb  netatbeitet.  Släljeteä  übet  bic  lätigtcit  biefet  3enttolftcQe  roitb  ftii) 
etft  beftimmen  laffcn,  roenn  fcftftcf)t,  roelcbe  (Sclbmittel  ju  bieicni  3rt>ecte 
petfügbat  finb.  — 9U8  ültbcitdteiftung  bet  Seteine  ift  in  ^liiäftcbt  ge- 
nommen eine  ißetjettelung  bet  bfinbftbriftlicben  fiieberbeftänbe  if)tet  2lt- 
ct)ipe  unb  bet  in  ifjten  93eteid)  foUenben  2otaljcitfd)riften,  ipäf)tenb  füt  bie 
SKcgifttictung  bet  gebturften  fiiebetfommlungen  bic  3entta[ftctlc  einju- 
tteten  bättc. 

e)  Jeebnif  bet  Sicgifttictung.  Sfit  baä  ^aupttegiftet  (ollen  ben 
Slcteinen  3ettel  in  Guattfotmat  gelicfett  loetbcn.  5iit  jcbc8  fiieb  ift  ein 
3ettcl  511  petipenben,  bet  oon  bet  1.  Stropbc  bie  beiben  erfteu  3eilcn 
nebft  Slngobc  bet  biefet  cntjptcdienben  ettoaigen  JReimiootte,  pon  ben 
übtigen  Sttopbcn  obet  mit  bic  Slnfangejcilc  entbölt.  9lm  0d)lub  folgt 
bie  Slngobc  bet  3eilenäabl  bet  1.  Stropbe,  bcS  ctiooigen  iCotbonben» 
feinä  bet  'Diclobic  unb  bet  Sunbftcllc  nebft  Signatut.  — Ifie  3entralftelle 
foCl  aub  biefein  Jpoupttegiftet  ein  IRegiftct  fdintlicbet  Sttopbenonfönge 
unb  ein  Dieimtegiftet  bet  SlnfnngSfttopbcu  betftcüen.  Ta  bie  ülufnabme 
unb  SHegifttietung  bet  9J!elobicn  butd)  Slicbtfadnnönnet  oetfd)iebene 
®d)nnetigfeitcn  bietet,  fo  roitb  biefe  Slufgabe  etft  fpötet  butcb  eine  obet 
mebtete  facbmännifcb  geidnilte  Rtöfte  gelöft  roetben  fönnen. 

Tie  Sterfammlung  billigte  biefe  9<otfd)läge  nnb  faenufttagte  ben  ge- 
febeiftsfübtenben  9lu8fd)ni),  bic  einleitcnbcn  ®d)ritte  511t  3noentatirietung  noch 
biefen  (Snmbfätjen  jn  tun  unb  gleicbseitig  bic  Sefebnffung  bet  bafiit  nötigen 
©clbmittcl  inö  Üluge  ju  faffen. 

6.  3n  ^lambutg  roat  bet  Sluöfcbuf?  ermödjtigt  roorben,  bie  eigentlicb 
polfshmblicbcn  beutfeben  3eitfd)tiften  bie  jum  3obtc  1902  in  bet  SUcifc,  roie 
eä  feit  1902  in  bet  3eitid)tiftcnid)au  bet  ^eff.  ®löttct  fi'it  llolfefunbc  ge- 
fcbiel)t,  bibliogtapbifd)  ä'<  bcatbeiten.  Tic  SJotbercitung  biefet  Sltbeit  butte 
SJtof.  Sttoef  gonj  allein  nbetnommen  ; bei  feinet  (Stfronfung  unb|  feinem  iobe 
blieb  bcSbuIb  udeö  liegen.  Ta  nbetbice  bic  9lnnd)ten  übet  bic  ättccfmöbigfte 
®inrid)tung  biefet  S8ibliogtapl)ic  febt  geteilt  loarcn,  bcftbloß  bet  9lu§fd)u6, 
oon  bet  ibm  erteilten  Srmöcbtigung  notläufig  Feinen  (Sebrand)  j'i  madjen, 
fonbetn  eine  etneute  'Scipteebung  bet  9lngclegcnbcit  ju  nctanlaffcn.  Tic  Siet- 
(ammlung  entfebieb  fidi  bobin,  etft  auf  bet  ®ctlinct  Tagung  im  3ubfc  1908 
über  biefe  Sibliogtapbic  ®cfd)lnB  jn  (offen. 

7.  ®tofcffot  |)aupt  beantragt,  eine  flommifnon  eitiäufcbcn,  rocldjc  bie 
eammlung  bet  3 betiprft  d)e  unb  Segen  beä  beutfeben  Sprocbgebictcg 
porbereiten  unb  bet  ®crlinet  Tagung  borübet  beriebten  foll.  Ter  Slntrog 
lourbc  angenommen  unb  in  bic  flonnniffion,  mit  bem  9ied)t  bet  3uroobl,  ge- 
roöblt  bic  fetten  ®rof.  91.  Tictcrid)  unb®rof.  ®.  ffal)le,  ^icibclbcrg,  unb 
Dr.  ^).  ^icpbing,  (9ie6cn. 

8.  3»«erbalb  bc8  gcfdiöftSfübrcnbcn  9lu8icbuffc8  ftiib  feit  btt  .tmmburget 
Tagung  bie  folgenben  ®erönbcnmgcn  eingetreten: 


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4 


Ser  crftc  ajorrt^enbc,  ?5rof.  Dr.  91.  ©tracf,  ftarb  am  16. 3uni  1906.  Sie 
®cicl)5fte  leitete  bann  bet  ffeKoertretenbe  9Jorritjenbe  ¥rof-  Dr.  n n f c^.  91m 
6.  Qanuar  1907  routbc  ©ett  ®cbehnerat  9Srof.  Dr.  $.  ^nnpt  olä  erfter  9Jor* 
fitjenber  cooptiert.  9lm  81.  3JJärj  (c^icb  .^ert  9Jrof.  ® ü n j d)  infoltie  feineä 
ÜBegjuflS  nach  Rönigäberfl  aug  bcm  9Iusfd)ug  on§.  (Eine  6ria8tpaf)l  fonb  — 
mangels  einer  geeigneten  9SeriönIid)feit  unb  mit  SHiirfTtcbt  anf  bie  ju  Siienac^ 
porjnnc^menbc  Smeuerung  beS  @eiamlauS)c^uffcS  — nid)t  mehr  ftatt. 

Sei  ber  nun  norgenommenen  Sleuroal)!  rourbcn  geroäblt: 

Srof.  Dr.  S.  imogt,  S2eipjig,  jum  erftcn  Sorfi^enben. 

Stof.  Dr.  D.  ©et)f  fert,  Sresben,  jum  ftellocrtretenbcn  Sorft^cnben. 

Dberlefjrer  Dr.  SSf)t>botbt,  fieipjig,  jum  £d)riflfül)rer. 

Sie  3u'oaf)f  ^*9  5Red)nerS  blieb  ben  ©cmoblten  überloffen. 

|)crr  Stof.  Slogf  etllättc  füt  ficf)  «nb  $)crrn  Säbnljarbt  bie  9lnnol)mc 
bet  SSobl. 

^ert  Stof.  Segffert  bot  injroifdjen  ebenfalls  bie  'Sfal)l  angenommen  nnb 
^crr  Dr.  SanteniuS  (i.  5a.  Soigtlönber  & l^o.)  bat  fid)  bereit  erflärt, 
baS  Smt  beS  SRcd)nerS  ju  öbernebmen. 

9.  Sad)bem^)crr  Stofeffor  iHö  biger  bcm  biSberigen  gcfcboftsfübrcnbcn 
9IuSf(buffe  ben  Sant  ber  Serfammlung  ouSgcfprod)cn,  mnrbe  bie  Sigung  um 
12‘/i  Ubr  gefcbloffen.  

Qmfragc  über  Bccrcnfammclrcimc  und  -bräuebe. 

Surd)  bie  in  ber  tlcinen  Sdirift  oon  6.  Slülbaufc  (Sic  aus  ber  Sa» 
genjeit  ftammenben  Webröuebe  ber  Sentfdien,  nomcnllicb  ber  -iieffen,  Raffel  1867) 
cntbaltcnc  rcid)c,  aber  nur  locnig  bcfannic  Sammlung  bcr@ebräud)c,  bie  fid)in 
ber  Sd)njalm,  in  ben  Rrcifen  Äircbbain  unb  Srantenberg  an  bas  Sfludcn  ber 
?)eibelbceren  tnüpfen,  foroic  burd)  einige  9lngnben,  im  91id)io  ber  »soefri* 
feben  Scrcinigung  für  SollStunbc*  bin  itb  angeregt  loorbcn,  ben  Seeren» 
fammclrcimen  unb  ben  ®cbräud)en  bei  bem  Jpcibelbeerlcfen  and)  in  ben 
bcffifcben  Stooinjen  Dbcrl)effcn  unb  Startenburg  nndjjugcbcn,  unb  habe 
burd)  prioate  Umfrage  fd)on  niclc  roertpollc  91ngaben  crbnltcn.  9luS  ber 
,nolfStunblid)cn  fiitcratur  fmb  mir  ucr)d)iebcnc  [yötmen  bcS  SccrenopferS 
(and)  als  ber  °öcr  ,3011*  bcjcid)nct)  auger  aus  Reffen  aud)  auä 

bcm  5Rl)cinlanb,  Sraunfd)ipcig,  (jranten,  Sägern,  Söl)incn  befannt*),  nmlj» 
renb  fiiebd)cn  jum  Sccrcninmmeln  j.  S.  aud)  aus  bcm  9il)cinlanb,  Sieger» 
lanb,  iparj,  aus  Ibüringcn,  bcm  Sogtlai\b,  £ad)fcn,  Sd)lcfien,  Saben,  bet 
Sfalj  bejeugt  5üt  genaue  Sütteilung  fold)cr  9icime  unb  für  eingebenbe 

9tngabcn  über  bie  Sräud)c  beim  Sccrenpflücfcn  (j.  S.  SegrÜBung  bcftimintcc 
Säume;  Opfer  on  beftimmten  Stellen  bcS  Sfalbs,  an  flrcujroegcn,  por  Säu- 
men, auf  Steinen;  ®cbctd)cn  beim  Opfern;  loaS  gefd)icl)t  mit  ben  erften 
Seeren  ? müffen  flinber,  bie  jum  erften  Slal  mit  in  bie  Seeren  geben,  ftd)  einer 
befonberen  3ttcmonic  untermerfen?),  foioie  übet  bas  ctioaige  Sorbanbenfein 
bet  Sorftellung  oom  „^»cibelbecrtnännlcin"  ober  ,=)pciblein*  *)  märe  id)  aUcn 
Sreunben  ber  Soltstunbe  febr  banfbar. 

Dr.  $)ugo  ^epbing,  ©iefjen,  ©oetbeftr.  48. 

•)  Sgl.  j.  S.  U.  5al)n,  Sie  bcutfd)cti  Opfcrgcbräud)c,  S.  206  f. 

*)  Sgl.  j.  S.  g.  Sl.  Söbmf,  Scutfd)cs  Rinbcrlicb  unb  Äinbcrfpiel,  S.  190ff 
*)  Sgl.  ffi.  $).  Sieger,  Seutfebe  Slgtt)ol.,  S.199;  Sab.  Soltslebcn,  S.  120f. 

Scbriftlcitung:  Stof.  Dr.  R.  ^elm.  ©iegen,  Sübanl.  6. 

®rud:  ^of-  unb  UnioerritätS=®ructcrei  (O.  Rinbt),  ©iefeen. 

3/ 


- ‘ize"  by 


JVKtteiluiigeii 

dee  Verbandes  deutfeher  Vereine 
für  Volkskunde 

Dr.  6.  (RorreTpond(n}bUtt)  Oovember  1907. 


^efen  und  Hufgaben  der  Volk5hunde. 

Ser  junge  !Serbanb  beutfi^CT  Vereine  für  %3oU£tunbe  bot  in  ben  elften  Sauren 
feine«  Sefteben«  f<bn>ere  geilen  burebgema^t.  ®er  bärtefte  Sebtag  für  ibn  mar  bei 
Zob  feine«  elften  ICorfibenben,  8.  Straif«,  brr  ben  iBerbanb  in«  Seben  gerufen  bntte 
unb  mit  bei  gonjen  Sntfcbloffenbeit  feine«  Sbaralier«  für  ibn  einirat.  Stiod  bot  in 
brr  rrften  92ummei  be«  8erbanb«organe«  flar  au«gefprocben,  wa«  ibn  «u  einer  felb> 
ftünbigen  freien  Bereinigung  brr  Berrine  für  BoUelunbr  beftimmt  bntte:  bie  BoU«> 
lunbr  foOte  enblicb  auch  in  Zrutfcblonb  eint  Sfiffenfeboft  »ttbtn,  bie  fitb  frlbft  genug  ift 
unb  um  ihrer  felbft  ntiHen  betrieben  »erben  foQ,  bie  »obt  Bon  ben  92a(bbargebirten 
Irmen  »iQ,  ma«  fie  ju  ihrer  eignen  Sntrautlung  bcautbt,  bie  aber  nitbt  bie  Wienerin 
einer  anbem  SBiffenftbaft  fein  baif.  SelbftorrftSnbliib  tonnte  in  bei  furjm  Spanne 
grit,  bie  Strad  getoirlt  bnt,  ba«  giel  niibt  eiietibt  werben.  Aber  au«  bem  Sfuge 
werben  wir  e«  nicht  taffen,  unb  wenn  e«  erreicht  ift,  wirb  erft  bem  SRanne  bet  ge* 
bübrenbe  Sohn  juteil  werben,  ber  e«  gewiefen. 

Jll«  Strod  bie  Jlugen  gefcbloffen  bntte,  fehlen  e«  eine  geitlaug,  al«  foQte  bei 
Berbanb  weeber  au«  ben  trugen  geben.  Za«  würe  ju  bebauem  gewefen,  ba  wir  erft 
burch  bie  Bereinte  Arbeit  beginnen,  bie  Wrtbobe  be«  Sammeln«  unb  Brraibeiten« 
be«  Stoffe«  au«jubilbcn,  ba«  Sebiet  feftn  ju  umgrenzen,  realen  unb  ibealen  (Kewinn 
au«  bei  Befchiftigung  mit  ber  Boll«lunbc  ju  jicben.  9hci  burch  gemeinfame«  äBirfen 
ift  r«  mbglich,  oiel  unnüpe  unb  hoppelte  Bibeit  ju  Berbüten  unb'  bie  geiftigen  ßrüfte 
ju  tonjentrirren.  S«  ift  auch  bie  Brrtnüpfung  aQer  Bereine  beutfeher  Bolt«tunbe  — 
beutfeb  natürlich  in  etbnogiapbifchcm,  nicht  in  politifchrm  Sinne  — jum  Beibanbe 
bie  Borbebingung  ju  einer  grölen  internationalen  Bereinigung,  bie  nur  eine  Siage 
brr  grit  ift  unb  ju  bet  bereit«  bie  einleitenben  Schritte  getan  fmb.  Solche  £r> 
wfigungen  mflffen  un«  beftimmen,  aQe«  aufjubieten,  um  ben  Berbanb  ju  erhalten. 
92ui  fchweren  $eT,;tn«  höbe  ich  bie  Seitung  übernommen.  Slber  bie  Sinigleit,  bie 
unter  ben  Bertretem  ber  ©njeloereine  in  Sifenach  berrfchle,  lä|t  mi^  hoffen,  bol  in 
gleichem  Seifte  auch  weitergearbeitet  wirb  unb  ba|  ber  gentrale  bie  Untrrftüpung  ber 
SinjelBeteine  nicht  fehlt. 

3ft  nun  bei  Berfolgung  be«  gemeinfamen  giele«  bie  ({inigleit  wünfchen«wert, 
fo  ftnb  hoch  bie  Srge  unb  äRittel,  bie  jum  giele  führen,  mannigfaltig  unb  bemnach 
auch  bie  fUnfuhten  barüber.  Über  biefe  mul  geflrilten  werben.  Srft  burch  ben 
Streit  ber  Borteien  Hären  fcch  bie  ünfichten,  unb  jebe  SBiffenfehaft,  bie  feine  Streitfragen 
bietet,  ift  tot  ober  fiecht  babin.  gu  biefer  filaffe  will  bie  aufftrebenbe  Boll«funbe  nicht 
gehören.  Sie  bietet  noch  ein  weite«  Schlachtfelb  für  benfenbe  ftöpfe  unb  beborf  bet 
tfämpfrr,  wenn  unfie  wiffenfchafiliche  unb  praftifebe  Arbeit  geföibnt  werben  foD.  gu 
biefem  Ifampf  bi«lt  Strad  bie  Mitteilungen  be«  Berbanbe«  für  ba«  geeignetfte  Organ, 


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2 


ba  eA  in  btt  $2nbt  taufrnbn  (ommt,  btt  ^ntneffe  ffii  bit  wiiftnft^afllii^e  unb  piat^ 
Hft^t  XJoltitunbe  ^aben.  16on  btt  Unttrft&$ung,  bit  bit  äßilttilungtn  bon  ftittn  btt 
Sinjtlbtttint  trfa^ttn  foUltn,  mat^tt  tr  ti  abpngig,  ob  birft  i^tt  Kufgabt  tt- 
faQtn  tbnnten.  €inb  wir  t^rlic^:  bitft  Untttfiübung  ift  btt  Stitung  bei  Sttbanbt« 
bi<4tt  ni(^t  jutril  gtwotbtn.  Stnn  gragtn,  bit  ÜBifftnft^aft  unb  b’^bltif^t  Sltbtit 
(iutttn  unb  fötbtrn  (önnttn,  fmb  in  btn  ttft^itntntn  jptfttn  nii^t  angefc^nitttn 
worben;  aai  |te  bringen,  ift  teftriettnbtr  92atur,  Strickte,  bit  bit  Stitung  junt 
großen  Zeit  ^at  jufammtn^oltn  müfftn,  um  bit  Spalten  bed  Organs  ju  ffllltn. 
Soden  bit  Witteilungen  i^re  Hufgabe  ISfen,  fo  mflffen  unS  unfre  Witglieber  mit 
Stitrigen  beft^enlen,  in  bentn  }u  btn  Hufgaben  unb  jur  Wet^obe  btt  SolISlunbc 
Stedung  genommen  wirb,  auS  benen  wir  nac^  prattif^en  Erfahrungen  hbrtn,  wit  unb 
burth  wen  am  beften  bollStunblichtt  Stoff  eingetmttt  wirb,  wo  neue  Oueden, 
nameutlidi  für  bit  gef^ichtlitht  Enlwitflung  beS  QolfStumS,  ju  finben  fmb  u.  dhnl. 
Srt  anrtgcnbe  Xeil  mu§  bit  $efte  ber  Witteilungen  behertfihen,  btr  rtftrierenbt  mu6 
mehr  in  ben  ^inttrgrunb  treten. 

Seit  bet  fCiSluffion,  bie  pth  *>"  2-  Sanbe  ber  ^effifihen  Slitter  für 

SollSlunbe  jwifchen  Strad  unb  ^offmann^^aper  cntwidelt  hat,  ift  bie  giage  über 
baS  SJefen  ber  SoltSlunbe  niept  wiebet  eingehenbra  erdttert  worben.  3"  biefem 
Streite  fpielte  bie  Sebeutung  beS  Wortes  „Soll"  in  SollSlunbe  eine  wcfentli(he  IRode. 
^offmann-ftrapet  oerftanb  unter  Sott  in  erfter  Sinie  baS  „vulgas",  bie  niebre, 
primitio  bentenbe,  uon  wenig  3nbipibualititen  burcpbrungene  Wenge.  Siefe  fodte 
bot  ödem  ben  Stoff  )ur  SoltSfunbe  liefern.  fCtmgegenflber  h«!  Strad  mit  bodem 
dteepie  herborgehoben,  bo6  auch  in  i><n  höheren  Schichten  ber  SeoBllerung,  bie  man 
nicht  unter  baS  vulgns  ju  rechnen  pflegt,  noch  biel  altes  SoltStum  fortlebt,  baS  wir 
entfchieben  als  boltSfunblicheS  Woterial  mit  berwerten  müffen.  92ach  Strad  ($e|f. 
SlStter  II,  71  f.)  hat  bie  SoltStunbe  ju  iprem  (üegenftanb  nicpl  boS  vulgns,  fonbem 
bas  Soll  (bejw.  ben  Stamm,  Sauberbanb  u.  ühnl-  Sruppen),  infofem  eS  als 
folches,  als  natürli^  geworbene  Scmeinfchaft,  geiftig  fchaffenb  unb  fiebenSformen 
erjfugenb  unS  entgegentritt.  HIS  Hufgabe  ber  SoltStunbe  bejeichnet  et  eS,  bie 
geiftigen  Erjeugniffe  unb  bie  formen  biefeS  burch  Sitte  gebunbenen  EtemeinfchaftS' 
lebenS  5u  erforf^en  unb  oerglei^enb  ihre  Etefepmähigleit  ju  rtfennen.  3"  feiner 
reinften  HuSprügung  trete  unS  bieS  SoltStum  bei  bem  Sauemftanbe  entgegen,  weshalb 
gerabe  biefem  bie  gtoge  Sebeutung  in  ber  SoltStunbe  julomme.  Strad  berfteht  alfo  unter 
Soll  in  SoltStunbe  bie  natio,  unter  brr  Hufgobe  ber  SoltStunbe  bie  Sefchüftigung  mit 
ben  geiftigen  Erjeugniffen  beS  ftodeltiogeifteS  ber  natio,  bie  im  tBegenfape  ju  ben  inbioibu' 
eden  Srjeugniffen  einjelner  Serfonen  ftehen.  Efanj  lann  ich  bu<h  i>i^n  ^Definition  bon 
SoltStunbe  nicht  bciftimmen.  3»  geiftigen  Erjeugniffen  beS  burch  !>><  ®<lt<  gebunbenen 
EfemeinfchaftSlebenS  mülten  wir  auch  ^»S  fRittertum,  baS  Silbenwefen,  bie  mobemen 
tum-,  Sing>  unb  onbre  Sereine  rechnen,  bie  ftcher  lein  Jorfcher  ber  SoltStunbe  in 
fein  Sebiet  ziehen  wid.  Wan  werfe  nicht  ein,  bag  bieS  h>fiatifche  Sebilbe  fmb,  bie 
bie  3(it  berweht  hbt  ober  fpüter  ober  früher  berwehen  wirb,  bie  alfo  jum  Teil  für 
bie  Elegenwart  leine  Sebeutung  hoben.  Woden  wir  baS  SoltStum  eines  SolleS  in 
feinem  ganzen  Umfange  erforfchen,  bann  bürfen  wir  nicht,  wie  eS  Strad  ju  tun  fcheint,  auS> 
fcpliehlich  mit  ben  Erfcheinungen  beS  SoltSlebenS  ber  Gegenwart  rechnen,  fonbem  mit 
bem  gef  amten  SolfSleben,  foweit  wir  eS  gefchichtlich  jurüdberfolgen  ISnnen.  3‘  weiter 
wir  aber  in  ber  3^t  jurüdgehen,  um  fo  mehr  f^winbet  bann  ouch  ber  Sauemftanb 
als  IReprüfentant  beS  Teiles  im  Solle,  bet  ben  ffodettibgeift  bertritt.  gifit  bie 
Segenwatt  mag  er  als  folchet  gelten,  für  baS  Wittelalter  nicht.  Unb  waS  baS 
Huftommen  unb  Serfchwinben  bet  Erfcpeinungen  betrifft,  fo  wAre  audh  bieS  tein 
Srunb,  fie  auS  bem  Segriffe  ber  SoltSfunbe  }u  bannen.  Xracpten,  ^auSfotmen, 


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3 


felbft  baä  VolISIitb  u.  a.  fommt  unb  berf^winbct  ebrnfo  im  VolKlebcn,  unb  niemanb 
onfagt  i^m  ^cimatiie^t  in  bfr  lOoUbfunbe.  Saturn  fcbliegen  wir  alfo  j.  S.  bai 
Sunftwfffn  Bon  btt  SolKfunbe  ouJ,  wibi^enb  bo(b  bie  SünglinflS»  unb  SDJSnnctbünbc, 
bie  9Ja(bbarf<ba(ten  unumftiitten  ju  ibt  gtböten?  Sie  $fl)(^ologie  gibt  unä  bie  SInl» 
roort:  baä  eine  ift  bet  affojiati&en  Sentform  bet  Soltsfeele  enl(btof|en  unb  lebt 
burtb  fte  fott,  bo«  anbre  bcm  refleltietenben  Setflanbe.  9hit  mit  ben  Stjeugntffen 
bet  etfteien  bat  e^  bie  SotlSlunbe  ju  tun. 

Sit  wiffen  oHe,  ba6  bi«  in  ben  b®<bf**"  Steifen  notb  Biel  Sbetglaube  bnefib*- 
Unb  ba«  mitb  f^wetlicb  autb  halb  anbet«  tnetben.  @o  lange  Sittbcnglaube  notb 
BOTbanben  ift,  fo  lange  witb  autb  bet  flbetglaube  fottleben.  Sag  für  Unj&blige  bie 
13  eine  Scbte(ten«jabl,  fRitttoo^  obet  S^eitag  ein  bSfet  Xag  ift,  ift  unumftbbli<b< 
Xatfacbe.  Stanb  botb  felbft  ein  SKann  wie  Si«mattf  im  Sanne  biefe«  Hberglauben«. 

Sie  b'^au«  ^offmanrnStabet  ftblieben  lann,  biefe  Xatfa^e  betBcife,  ba§  „3umm> 
beit  unb  (Sfebeimtat«titcl  fub  nitbt  immet  au«ftblic6en",  ift  mit  unBetftinblitb.  Unb 
ift  nitbt  alle«  ba«,  »a«  IRabaub  al«  „Ältbeibniftbe  Sutjeln  im  latboliftben  Sullu«“ 
jufammengettagen  b“*/  fom  StanbBunlt  be«  Ritbtfatbolifen  Slbetglaube?  3tb  felbft 
betennc  ganj  offen:  fo  Biel  itb  mitb  autb  »lit  bet  ffleftbitbte  unb  ben  Sutjeln  be« 
Slbetglauben«  beftbSftigt  habe,  fo  ertoBBe  itb  »litb  botb  b<et  unb  ba  in  feinem  Sanne. 

^ic  Reigung  jum  Slbetglauben  ift  bem  912enfcben  Bon  Sinbbeit  eigen,  unb  je  natb  bet 
Umgebung  feinet  3ugenb  mitb  biefe  bolb  mel)t,  halb  mcniget  tief  in  ibm  Sutjel  ge» 
ftblagen  haben.  Ititt  ibm  abet  bann  ba«  Objelt  be«  Hbetglauben«  (j.  S.  bie  gabt 
13  obet  bei  einem  9u«gange  eine  Soje,  ein  .^lofe  u.  bgl.)  entgegen,  fo  mitb  bie«  un» 
roilllütlitb  auf  ibn  einen  Sinbtutf  matben,  autb  menn  ibm  fein  Setftanb  fagt,  ba| 
eine  feeliftbe  Srtegung  übet  ba«  betteffcnbe  Cbjelt  Unfinn  ift.  — Sie  b'et  bet 
Qlebilbete  im  Sanne  be«  Slbetglauben«  ficbt,  fo  fteben  Xaufenbe  Bon  ihnen  fetnet  im 
Sanne  Boll«tümli^er  Sitte.  Saturn  ftbmüdt  man  felbft  in  ben  Saläften  ju  jebem 
Seibnatbt«feft  ben  Qbtiftbaum?  Saturn  mug  am  $fingfttage  eine  Slaie  ba«  $au« 
jieten?  Sit  fteben  im  Sanne  bet  Boll«tämlifben  Sitte,  bet  Qtemobnbeit.  flbct 
matum  btetben  mit  biefen  Sann  nitbt,  ba  mit  ja  je^t  roiffen,  bab  bie  Sitte  im 
Srunbe  genommen  autb  ein  Stütf  Jlbetglaube  bitgt?  Xie  Sitte  mitit  unmillliltlitb 
auf  unfet  (Demüt;  bet  gtüne  Saum  mit  feinen  iMtbtetn  im  Sintet,  bie  friftbe  Sitte 
im  IRai  tut  bem  (Semüte  mobl,  mie  ein  Selbblumenfttaub,  ben  bie  Sinbct  ben  Sltem 
au«  bet  neuetmatbten  Statut  beimbtingen.  Sie  Sitte  bebetrftbt  ba«  @emüt.  He  lübt 
ben  tefleftictenben  Setftanb  gat  iii^t  mitfBtetben.  — ffin  anbre«  Silb.  Set  alte  Soltor 
bat  ben  ganjen  Sag  übet  feinen  Sfltbern  gefeffcn  unb  BbUofoBbifiben  Stoblemen  natb' 
gebatbt.  Hm  Hbenb  gebt  er  au«;  fein  Qlang  führt  ihn  am  Sitt«bau«  Botüber,  au« 
bcm  frdblitbet  ®efang  junger  Sutftben  ftballt.  Set  fa«jiniert  ihn;  et  tebrt  ein,  mitb 
begrübt  unb  cingelaben,  an  bem  ^teubenfeft  bet  Sugenb  teiljunebmen.  Salb  tommt 
et  fub  mie  ein  ganj  anbtet  SRenftb  bot;  et  fühlt  fitb  gehoben,  mitb  felbft  miebet  mit 
jung,  unb  natbbem  et  ben  Sotfiblag  ju  einem  Solf«licbetlomment  gematbt,  ertönt 
au«  feinem  SRunbe  ba«  Sieb,  ba«  ec  einft  al«  Solbat  gehört  unb  oft  gefungen  bot: 

„Hn  bet  Seitbfel,  fern  im  Cften".  Sober  biefet  Umftbmung  bei  bem  ollen  ^»etm,  bet 
fitb  felbft  im  Secgieitb  mit  feiner  Stimmung  btntet  ben  Sütbcin  mie  Sag  unb  Ratbt 
BotlommI?  Sie  Umgebung  bot  biefen  Sonbel  bemictt;  fein  gtübelnbei  Seift  ift  ju 
•tmufe  bei  ben  Sütbetn  geblieben,  bo«  beitete  Stberjen  unb  Singen  läfet  fein  Semül«. 
leben  malten.  Unb  menn  jut  fciben  Stunbe  ein  Sammlet  Bon  Soir«liebetn  in  ben 
ätei«  treten  mürbe,  itb  bin  überjeugt,  et  mürbe  ba«  Sieb  be«  alten  Süngec«  ebenfo 
aufjeitbnen  mie  bie  bet  jungen  Sutftben.  3"  foltbet  Stimmung  finb  Bon  botb* 
gelehrten  Seuten  autb  felbft  manibe  Sieber  gebitblet  motben,  bie  halb  Eigentum  bet 
Senge,  be«  Solle«  gcmorbcn  finb.  Sir  miffen  ja  alle  au«  erfabtung,  mie  bie  , 


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4 


92atur,  »ie  9ncie  unb  föSlbnr  unb  (Jrfl^Iingbgtan  un|re  @etle  be^mft^cn  unb  ganj 
ben  Tcfldlimnben  Serftanb  in  ben  ^intergninb  brfingm.  Sin  titfflic^rt  Srifbiii  4irr> 
Don  ^at  Dr.  iRabingec  brieflicfi  ^o^n  SRcier  milgeteilt  (ftunftlieber  im  %oU«munbe 
6.  III  f.):  „3(^  itlbft,"  fo  ft^Tcibt  er,  „nmr  im  >■»  Itopplergacten  jn 

Beec^tebgoben  in  il)ret  (b.  b.  be«  Dr.  Seftcrmo^r  unb  be«  B2iniflerialrat< 

fieinfelber)  OiejeDfcbaft,  ali  fie  biei  (Slunben  Xnib  fangen,  in  Scbnaberbflltfeln  ge> 
reimt,  oui  bcm  Stegreife.  Sb  nmren  bri(t)tisc  Seiftungen,  Don  benen  bie 
fi(b  Diele  notierten  unb  unter  bab  groge  "lublifum  bet  Bercbtebgabner  Sanbe  brachten. “ 
9}o<h  anbre  Beifpielc  führt  3-  fDicifr  an,  noch  benen  Sieber  tüebilbeler  gleich  nach 
ihrem  Sntftehen  Sigentum  ber  fDlenge  genorben  fmb.  Sab  in  aQer  Seit  gibt  unb 
ein  Siecht,  biefe  Sieber  Don  benen  ju  trennen,  beren  Berfaffer  mir  nicht  lennen,  bie 
aber  aller  Sahrfcheinlichfeit  nach  bon  Seuten  oub  bem  Bolle  gebichtet  unb  gefungen 
morben  fmb?  Sie  ben  Wirten  auf  ben  Bergen  hot  au<h  ben  (Sebilbelen  bie  Katux 
birett  jum  Siebe  angeregt,  bie  um  fo  mehr  fein  tSemüt  beherrfchen  mu6.  Denn  er 
felbft  ein  Äinb  ber  Serge,  ber  Slatur  ifl. 

Bub  allen  ben  angeführten  Beifbielen  geht  hnoor,  ba6  ber  (Sebilbete  ebenfo  gut 
Stoff  jur  BoUblunbe  liefern  (ann  mie  ber  Ungebilbele,  ber  Sann  aub  bem  Bolle. 
3n  febem  SRenfehen  lebt  gleichfam  ein  Sobb^fatenfeh : ein  Slaturmenfch  unb  ein  Sultur* 
menfeh:  biefer  jeigt  fith  burch  feine  refiettiermbe  unb  logifche  Senfmeife,  fener  bunh 
feine  affojiatioe.  Unter  ben  tüebilbeten  übertoiegt  im  gembh>>Ii<h<n  Seben  ber  &uUur> 
menfeh,  oHein  auch  er  tann  in  Sagen  lommen,  roo  er  in  ben  Bann  ber  affojiatibcn  fDent> 
form  gerfit.  3"  biefem  3>>fto”bb  fteht  er  auf  gleichet  Stufe  mie  ber  Ungebilbete,  rote 
bet  Slaturmenfch.  .Sine  hbh'te  ^Iturflufe,"  fagt  Schulge  (Bfh^ologie  bet  Slatur- 
DMler  S.  242),  „ober  lontreter  aubgebrüeft,  ein  auf  einer  hbheten  ober  fogar  hbchfint 
ftulturftufe  ftehenbeb  BoU  ift  teinebroegb  ein  in  allen  teilen  butchaub  gleichmü&ig  be< 
fchaffeneb  Qiebilbe.  9'bt  e«  borin  ouch  BeD6lletung«fchi<hlen  Don  tiefet,  fo 

tieffter  Bilbung  unb  Untultur,  bie  in  biefer  Bejiehung  ben  Silben  ähnlich  fmb.  . . . 
Unb  wab  Dom  (üanjen  gilt,  gilt  auch  nom  ^nbiDibuum.  Buch  lein  einzelner  SRenfeh, 
unb  felbft  ein  Qloethe  nicht,  ftelll  in  oQen  feinen  Xeilen  gleichmäiig  geartete  Jhiltur- 
gebilbe  bar;  in  febem  Don  unb  fchlummert  ber  roilbe  SRenfeh,  foroohl  in  fittlichet  alo 
auch  in  intelleltueller  Beziehung,  unb  macht  fich  ju  geilen  geUenb.“  Unb  wie  biefer 
guftonb  hih^hifchfr  Slffojiotion  bei  einem  SRenfehen  häufiger  eintrilt  alb  bei  einem 
onbem,  fo  flberwiegt  et  auch  bei  einer  Klaffe  SRenfehen  mehr  alb  bei  einer  anbem. 
Bei  bem  gnbiDibuum  tritt  er  ein,  fobalb  ber  Sinbeud  bet  Bu§enweU  auf  bie  Seele 
fo  grog  ifl,  boB  bie  @emütbrcgungen  ben  rcfleltierenben  Berftaub  jurüdbrängen  unb 
bie  Seele  nur  noch  unter  bem  (iinfluffe  biefer  Qtemütbftimmung  bie  £inge  auffagt 
unb  roiebergibt.  Xie  BuBenwelt  fegt  r«h  aber  jufammen  aub  ber  umgebenben  Slatur, 
roichtigen  SebenbDotgängen  unb  ben  SRitmenfehen  mit  ihren  Sorten,  ^anblungen  unb 
Serien.  Surch  legiere  fteht  ber  SRenfih  Vßfcich  <nt  Banne  bet  Überlieferung,  {wifchen 
bet  unb  ben  QKnflüffen  ber  Umgebung  ein  inncter  gufamnienhang  befiehl.  Senn 
Überlieferung  ift  in  biefem  $aQe  nichtb  onbreb  alb  Ciiibrüde  ber  BuBenroell  auf  bie 
Seelen  ber  Borfahren.  Sinbrüde,  bie  fich  Don  tScfchlecht  auf  Sefchlecht  fortgebflanjt 
haben.  SRit  biefen  SieflejäuBetungen  bfhchifchet  Bffojiation  hat  fich  olfo  bie  BoUb- 
tunbe  JU  befchäftigen,  unb  hierin  fteHt  fie  fich  >■>  <9fegenfo|  jur  Sefchichte  unb  befonberb 
jur  Kulturgefchichte,  in  ber  ber  abmägenbe  Berftanb  beb  ^nbiDibuumb  beftimmenb  ift. 

Senn  wir  nun  bie  bfhchifche  Bffojiation  in  ben  SRittelpunlt  beb  Begriffeb 
„BoUblunbe"  ftellen,  fo  erllärt  fich  Dielerlei,  roab  man  bibher  alb  Zolfache  ange- 
nommen, aber  noch  "ichl  JU  beuten  oerfucht  hat.  gun^ihft  folgt  h'^oub,  boB 
heute  ber  Bauernftanb,  ober  fagen  wir  richtiger  bie  Slänbe,  bie  ihre  Befchäftignag 
in  ber  freien  Slatur  hoben,  ben  meiften  Stoff  ju  Dollblunblichcr  fffotfehung  bieten. 


Di^iiiZ6d  by  CjOO^Ic 


5 


Snin  bri  i^iun  abrnoicgt  infolge  it|rcT  SUbung  unb  tbcer  Sefib&ftigung  in  bei  Statur 
bie  affojiatibe  Sentform.  (üanj  babfefbe  ift  bei  ben  ^nbeni  bei  $a0,  bie  namentlicb 
ffli  £teb  unb  Sbiel  einen  leii^en  ooIMfunblitben  Stoff  genäbrcn.  San  ben  beiben 
0ef<b(«bi^  neiblitbe  entftbieben  mebi  Steigung  jui  affojintiben  Smtmeife 

al<  ba$  minnlitbe;  b<f^«uä  eiU&rt  [idf,  bag  n>ii  bei  ibm  gewiffe  Lagerungen  bei 
SoHbtuma  (Aberglaube,  SoU^litb  u.  a.)  megr  gepflegt  finben  aU  beim  mdnnlitben 
(Vefdtlrcbte.  — fOie  junebmcnbe  Silbung,  b.  g.  bie  logif^e  @d|ulung  be^  SerftanbeO, 
bringt  bie  pfgcgifdie  Affojiarion  immer  mef|i  aurfid.  ^nfo^Scbeffen  gemibren  b^bn 
gebilbete  Söltei  ober  Stämme  menigcr  Sßaterial  aur  Sollifunbe  ali  Sblter  nieberer 
SuUurftufe.  Unftreitig  ift  bie  oDgemeine  Silbung  bei  irgfte  ffeinb  oQed  beffen,  wag  wir 
alg  Lugerungen  bei  Sollbfeele  in  biefem  Sinne  aufaufaffen  pgegcn.  Aug  brr  affojiatiorn 
iCentform  erlliien  ficb  au^  bie  grogen  ttbneinfiimmungen  geiftigcr  Sracugnige  bei 
oerfibiebmften  Sblfer,  bie  bei  ßulturoSKrr  mit  benen  brr  Statuiobllei.  £enn  bie  SSir- 
tung  brr  Umgebung  auf  ben  SRenfiben  ift  im  Qfiunbe  genommen  bei  öden  gleiig  ober 
ibnlitb,  nur  bie  ^orm  bei  Siiebergabe  ift  fe  natg  brr  tüemütganlage  bei  SBlfei  per- 
fibieben.  SBir  gnben  bei  biefer  Auffagung  Dom  ^rfen  bei  Sollgtunbr  aueg  ben 
Srunb,  warum  in  ibr  bag  @emütgleben  bei  SiHIci  eine  fo  wirgtige  StoOc  fpielt.  Ser 
Staturmenfeg  fagt  bie  Siftgeinungen  bei  Augenwelt  mit  bem  Qtefibl  auf;  fie  begerrftgen 
feineScelenftimmung,  unb  in  ber  jeweiligen  Srelenftimmung  gibt  er  fie  wieber.  Aug  ben 
glridjen  SSirfungm  ber  Augenwrlt  auf  bie  menftglitge  Seele  ertlirt  fug  au(g  bei 
(oOeltioe  Sgarafter  brr  Siacugnige  beg  SoUggeifteg,  ber  bri  genteinfamer  Abftammung 
unb  bem  babureg  brbingten  SoUgtgaialter  aueg  in  brr  Soim  aum  Aiiobrutf  fommt. 
Sei  ber  afjoaiatipen  Sentwrife  treten  bie  griftigen  Starugniffe  beg  Cinaelnen,  tritt  bie 
SnbiPibualitit  poUftinbig  aurüct.  Sog  bie  Perftgiebenen  geiftigen  Sraeugnigr,  bie  wir 
au  ben  SRoterim  bei  Soltötunbe  retgnen,  nitgt  Pon  brr  SRage,  fonbern  Pon  einer 
beftimmten  ißerfbnlitgfrit  auggegen,  wigen  wir  ade.  3°  g'(<^  »nb  ba  tbnnrn  wir 
fogot  bie  Serfbnlicgfrit  naigwrifen,  wie  eg  bri  Perftgiebenen  SoUgliebem,  bei  $aug> 
inftgriften,  bri  Serien  ber  Solfglunft  brr  $aU  ift.  Sa  aber  biefe  geiftigen  (£iaeugnige 
ogne  jebe  SlegeEion,  Pielmegr  gona  im  Sfüglen  unb  Senfen  beg  @anaen,  beg 
SoIIrg  geftaltet  worben  finb,  retgnen  wir  fie  ebrnfo  au  ben  Cfrarugnigen  beg  Sol(g> 
geigeg  wie  bie  anbern,  beim  Uigcber  wir  nitgt  (ennen.  Stitgt  bag  ^x^’fibuum 
ftgletgtgin  baif  bager  alg  Cuede  poUglunblitgen  Stogcg  perworfen  werben,  fonbern 
bie  3nbiPibualitit,  aug  ber  ber  regettierenbe  Seiftanb  fpritgt.  Aug  biefer  Auffagung 
Pom  Sefen  ber  Solfgfunbe  crllirt  gtg  enbliig  aueg  mit  Scicgtigleit,  unter  wcltgen  Se> 
bingungrn  Serie  inbiPibueder  Seiftegarbeit  au  SRaterien  bei  Sollglunbe  werbm 
Unnrn.  Sir  wiffen,  bag  manegeg  Seil  ber  Sollglunft,  bie  Sollgtiatgtm,  PpIIg' 
tdmlitge  Sauweifen,  aber  aueg  Sieber,  Spricgwiitei,  ja  felbft  Piel  Aberglaube  unb 
Sitte  ouf  Siaeugnige  einer  gigerm  jlultur,  auf  inbiPibuede  Qleiftegarbcit  aurüd 
aufägrm  gnb.  Solange  biefe  ben  Stempel  regeltierenber  Seiftrgarbeit  a<*9™< 
gegbrm  ge  bem  CBcbiet  brr  ihilturgeftgitgte,  niegt  brr  Sollglunbe  an.  Sobalb  aber 
brr  Staturmenfeg  feine  ffreube  unb  Soglbegagen  baian  gnbet  unb  fie  in  biefem  Q)e> 
fflgle  aufnimmt  unb  umgeftaltet,  treten  ge  in  ben  Itreig  Pollglunblitger  Objelte.  Sag 
agoaiatip  brnlmbe  Soll  bilbet  ni^t  naeg,  fonbern  eg  agmt  natg;  bie  Unigegaltungen 
enlfpringen  niegt  regeltierenber  Qfeiftrgtitigleit,  fonbern  einer  ©eiftegtitigleit,  bie  Pon 
(Empgnbungra  unb  ^efdglen  geleitet  wirb. 

Staeg  biefen  Sarlegungen  linnen  wir  bag  Qtebiet  unb  fomit  aueg  bie  Aufgaben 
bei  Sollglunbe  ftgirfei  umgrmam.  Sanatg  gat  bie  wigenfegaftliege  Sollgfunbe  alg 
Objett  igrei  ^rftgung  bie  geiftigm  lEraeugnige  eineg  Solleg,  bie  burtg  pfgtgiftge  Agoaiation 
entgonben  unb  bur^  biefe  fortgepganal  beaw.  Pciänbert  worben  gnb.  Unter  bem  n^PU“, 
begm  Sraeugnige  au  erforftgm  gnb,  peeftegm  unfre  Sereine  halb  eine  etgnograpgiftge, 


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6 


balb  eine  ])alitif(^e  Sin^eil.  ni4l>  >*’<(  $ta{i8  le^rt,  Don  bie{er  Sin* 

^eit  nur  einen  Xeil,  ba$  vnigns,  bie  nieberen  @(^i^ten,  fonbern  aOe  ^n^ibibuen 
(oweit  r>4  on  i^ren  ÜBotlen,  :^onbIungen  unb  Kerlen  bie  oben  enoi^nte  S)enIform 
wa^rne^men  Ifigt. ')  Sin  unb  für  fii^  befc^üftigt  bie  Soltgfunbe  nur  mit  ben 
jeugniiten  eine$  S3oi[e^  unb  jioaT  mcift  eineg  ihilturbolleg.  Um  aber  bie  pfqt^ift^en 
Urfac^en  bet  Stlc^einungen  }u  ergrünbcn  unb  ben  Slammc^oiattet  be<  SoKeg  feftjU' 
fteOen,  muffen  bie  ^araUcierfc^einungen  anbetcr  Qblter  unb  befonbetg  ber  fßatutoilter 
Drtgleitfienb  unb  ertlSrcnb  I|rTangejogcn  merbcn. 

über  nid)t  nur  bag  föefen  ber  Sioltglunbe  mäffen  wir  ft^firfer  ju  erfaffen  fuc^en, 
fonbern  aut^  iljre  äSaterie  muffen  wir  m.  anberg  einteilcn  alg  eg  gegenwärtig  ju  ge> 
ft^e^en  pflegt,  hierüber  ift  um  fo  mcl^r  Slugfprac^e  unb  Scrftänbigung  erwünft^t,  alg 
nat^  bem  folgenbcn  Qntwurf  bag  gefammelte3Ralerial  in  ber  3entralfleQe  gruppiert  werben 
foD.  St^on  nad^  ber  i£eutung,  bie  @trad  bem  S3egriff  ber  Siollgtunbe  gegeben  bat, 
habe  i(b  bie  Seinbolbfcpe  Qlruppicrung  nitbt  mehr  für  glüdlitb  unb  jeitgemäi  gcbalten. 
Sieben  bie  „geiftigen  Srftbeinungen''  beg  iöolfeg  im  SKittelpunlte  beg  Segriffeg,  fo 
mug  oon  biefen  auggegangen  unb  bag,  wag  Sfieinbolb  alg  innere  unb  äugere  3>t* 
ftänbe  bejeitbnel,  mug  mit  brr  $fb<be  beg  SfoUeg  in  3ufammenbang  gebratbt  werben. 
®ar  niebtg  mit  ber  Solfgtunbe  ju  tun  bat  bag,  wag  ibr  SScinbolb  alg  Einleitung 
ooraugftbidt : bie  pbbrtftb'  Erftbeinung  beg  Sfolleg.  Siefe  übftbnitte  gebären  in  bag 
Eebiet  ber  Üntbtopologic,  unb  wie  wir  unfer  Eebiet  oor  ünne^ion  oon  feiten  ber 
92a<bbarmiffrnfcbaften  ftbfipen  wollen,  fo  wollen  wir  autb  leinen  ünfprutb  matben  auf 
etwag,  bag  ung  nitpt  gebärt.  9Xit  bemfelben  9)etbte,  Wie  bie  pbbfifiben  Erf^einungen 
beg  Solfeg,  fännten  wir  autb  bie  Seftbreibung  feineg  £anbeg,  feine  Erftbiibte,  bie 
Statiftil  u.  a.  bereinjieben,  wie  eg  j.  3).  Säuttlc  in  ber  Sätbriftb^»  Solfgfunbe  getan 
unb  fo  bie  Sfegriffe  Solfg^  unb  fianbegtunbe  oermengt  bot-  Erben  wir  oon  brr 
Xatfaibe  aiig,  bag  bie  Erforfibung  ber  pfpebifeben  Erfcbeinungen  beg  Sfolleg  ben  Singel* 
punlt  ber  f^orfebung  bilbet,  fo  ift  bie  Einteilung  ber  SRateric  m.  E.  burtbaug  einfacb. 
ij)ie  Sfollgfunbe  bot  jur  üufgabc  baptulegen,  wie  fub  $fb<^e  beg  Siolteg  äugert: 

1.  im  SBort, 

2.  im  Elaubrn, 

3.  in  .^»anblungen, 

4.  in  SBerfen. 

I.  E)em  1.  Slbfcpnitt  gebött  bann  an: 

a)  Sie  Spratbe  beg  SSolleg,  foweit  wir  fie  alg  Sfollgfptatbe  ju  bejeitbnen  pflegen: 
ber  Sialelt  mit  feinen  befonberen  formen,  feinem  SSortf^op,  feinem  Stil. 

b)  Sic  Siamen,  bie  bag  Sfolf  fub  “«ä  feiner  Umgebung  beigelegt  bat:  $erfonen 
unb  Ortgnamen,  Slur>  unb  SBalbnamcn,  oollgtfimlicbe  Sicr'  unb  $flanjenbej«(b' 
nungen,  Warnen  für  gewiffe  Vorgänge  im  8eben,  wie  für  ben  tob,  bie  taufe, 
trunfenbeit  u.  bgl. 

c)  Sie  Sfollgbicbtung:  Sag  SSollg*  unb  Ktnberlieb,  SRäreben,  ffabel,  Sage, 
Dolfgtümlitbe  bramatiftbe  Si^tungen,  bag  Sprichwort,  bie  ^aug>  unb  $auggerät' 
fprü^e,  bie  Snftbriften  ber  SRorterln,  totenbretter,  Erabftrine  u.  a.;  S3ollgbumor  unb 
Qollgnedereien. 

*)  9Bag  oon  einem  3ü’g<flg  iUolfglunbe  gilt,  gilt  natürlicb  Oon  allen. 
glaube  begbalb,  bag  Strad  auf  bem  riibtigen  SSege  jum  Sferftänbnig  beg  bSefeng  ber 
iBolIghmbe  ift,  wenn  et  oon  ber  Entflegung  neuer  Sictjeiler  fagt:  .Sie  Weflepon 
ift  babei  (aum  tätig;  üffojiationen  formeller  unb  naturriler  ürt,  bie  fub  unbeniugt 
einfteOen,  tun  bag  meiftr."  ($ieff.  Slätter  I,  S.  60). 


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7 


II.  Sn  l^oUiglaube  bilbtt  ben  Ü^ngang  ju  btni  3.  ^aubtabf^nitt.  ®om«t 
et  buT(^  ba<  ®oit  jum  Suibnut  (ommt,  ge^btl  n )u  I,  foneit  n bagegen  au8  bn 
^anblung,  au8  Sitte  unb  9rau(^  Ifti(^t>  9u  III.  mbc^te  i^n  in  einem  befonbeten 
Kbfd^nilt  bebanbelt  fe^en.  ^reilit^  ift  e8  ni^t  leitet,  eine  Sirenje  bem  Hber» 

glauben  fc^Iet^tbin  unb  bem  abergliubii^en  9rau(^  ju  jie^en.  Sa^n  finbet  man 
mei(t  biefe  beiben  Singe  getrennt,  ben  übnglauben  jeiiiffen.  So  miQ  j.  8.  SBein« 
^olb  ben  tlbnglauben  untn  bet  iHeligion  (II,  3)  be^anbelt  fe^en,  bnlangt  abn  aut^ 
bei  bn  Sebenifttlc  (II,  1)  Slbnglauben  bn  ^anbmnMbuift^en, 

Be^anblung  be8  9auem[alenbn8  u.  a.  Sbenfo  finbet  >n  bem  Sntnmif  ju  oolM> 
funblit^en  Stofffammlungen,  ben  mit  Stennn  jugefc^idt  ^at,  neben  bem  ^aufttabfti^nitt 
III:  „tlbnglaube“  untn  II:  „Sitte  unb  Stauc^“  bie  Abteilung:  „Äbngliubifcbe 
StAuc^e".  Am  beften,  glaube  it^,  fommen  mit  au8,  menn  mit  einen  Untnft^ieb 
gmifd^en  lebenbigem  unb  totem  Aberglauben  matten.  Untn  jenem  Oerfte^e 
i(^  aDe  9Soite  unb  :^anblungen,  au8  benen  noc^  altn  @)lau6e  an  bie  Ab* 
bAngigteit  beA  Wenftben  oon  bn  Au^enmelt,  bon  feinet  Umgebung  ffmi^t, 
untn  bem  toten  Abnglauben  bagegen  ben,  mo  jebe  SUaubmAOorftettung  im  Saufe 
bn  3ni  ongeffen  ift,  mo  altn  tRituA  nur  in  bn  bollAtümlitben  Sitte  fotUebt. 
Angang,  ZagemAblnei,  Zraumbeutnei  u.  bgl.  ftnb  Icbenbign  Aberglaube,  ^AblingA* 
unb  SobanniAfeun,  bn  Stblag  mit  bn  SebenArute,  baA  6ffen  bn  Oftnein  u.  a. 
bagegen  toter;  b>n^  bot  fitb  <Uln  fiult  obn  SlituA  nur  notb  alA  bollAtümlicbe  Sitte 
nbalten,  unb  niemanb  abnt  notb,  ba§  biefe  einft  bn  AuAbtud  Don  QdaubenA* 
Dorftellungen  gemefen  ift.  Sabei  gebe  itb  natflrlicb  Don  bn  Sfegenmart  auA.  Senn 
Detfolgen  mit  biefe  DollAtümli(be  Sitte  in  bn  3^1  SurAd,  fo  (Annen  mit  mobl  auf 
3eugniife  ftogen,  ouA  benen  autb  notb  ibt  bn  IBoUAgloube  fbriebt. 

Abftbnitt  II  bDt  bemnacb  }u  bebanbcln  ben  lebenbigen  Abnglouben  obn 
titblign  ben  iBollAglauben.  t^inbn  gehört  bn  Staube  an  bie  C^nmitlung  bn  92atur, 
beA  ^immelA,  bn  Seftirne  auf  bie  Seftbide  beA  Wenftben,  bn  Snten*  unb  Seiftn* 
glaube,  bn  Abnglaube,  bn  fitb  an  bie  einjelnen  Zage  beA  SabteA,  on  bie  ^auftt* 
neigniffe  im  menftbliibtn  Seben,  an  bie  einjelnen  StAnbe  unb  Setufe  tnflbft,  bie 
DoUAtilmlitbe  fteillunft,  fomeit  fie  im  Abnglauben  mui^elt,  bie  ^opbtli(>  bn  3aubn 
u.  bgl.  Abn  au^  bie  DollAtflmlitbe  Auffaffung  Don  Sott,  Seit,  IReligion,  bem  Seben 
nach  bem  Zobe,  bie  bon  bn  Sebre  beA  tbtifilitben  SogmaA  Dielfatb  abmeitbl,  gehört 
in  bieA  fiapitel. 

3n  Abfibnitt  III  finb  bie  Äugetungen  bn  iiloltAfeele  buttg  bie  .'panblung  gu 
grubbinni.  St  banbeit  alfo  Don  Sitte  unb  Stauch  »nb  jmat: 

1.  in  bn  fojialm  Sneinigung  beA  SolteA  (in  bet  ^milie,  im  AHtagAleben, 
bei  befonbeten  Sreigniflen,  on  ben  gefttagen;  unter  ben  oetftbiebenen  AlterAUaffen, 
ben  Detfcbiebenen  SefeQfcbaften,  StAnben,  Serufen)  unb 

2.  in  bn  Sneinigung,  bn  Semeinbe,  bem  ftaatlicben  3uf‘><”i»nt' 

feblug.  $inbn  geböten  Dot  adern  baA  DolfAtflmlicbe  Setgt  (SeiAtilmn)  unb  bie 
SlecbtAgemobnbeiten  (^auAniatfen,  ffnbbolj  u.  a.),  bie  auA  bem  SlecbtAgefiibl  beA 
SoKeA  bnauAgemaebfen  fmb. 

Abfcbnitt  IV  enblitg  fammelt  bie  Äugetungen  bn  SotlAfeele  in  ben  Snlen, 
ben  Stjeugniffen  DoKAtAmlitbn  Arbeit.  $in  lommen  in  Setraegt: 

1.  bie  Sobnung  ($auA  unb  ,^of)  mit  ihrer  Sinriebtung  unb  AuAfdgmiidung, 
mit  fbten  SnAten,  bie  für  ben  AdtogAbebotf  unb  gut  Srboltung  beA  SebenAuntn* 
balteA  notmenbig  gnb.  Sefonbne  Seaegtung  Dnbient  babei  bie  SoKAlunft  unb  bie 
DoUAtfimlitge  ^auAatbeit; 

2.  bie  Üleibung  (bie  AdtagA«  unb  gefttagAtracgt,  bn  Detfcgiebenen  AltnAftufen, 
bei  befenbnen  Selegengeiten,  bn  Stgmud  u.  o.); 


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8 


3.  bie  Sta^rung  ((^atalteriftifc^e  Sbrifen  in  beftimmten  Qiegenbcn,  ju  bcftimmtm 
geittn,  bai  bolKtümlic^e  (Bebid  u.  a.)- 

boi>(  SBor^ergebcnbrn  berfuobt,  boj  SBtfcn  bn  %JolMfunbe  aug  b«m 
Waterial,  wie  rt  in  btn  Bttjcbicbfnnt  BoU^tunblicben  3«tf(^riftcn  Borfiegt,  ju  rrtlSmi 
unb  alj  baä  aubfcblaggebenbc  bie  affojiattBe  Sentweife  beb  SolteS  gefunben.  8llf4, 
tso4  inbiBibuetle  unb  rcfletticienbe  (Sieiflesatbrit  bcbingl,  ift  bemnat^  Bon  b«  Soltl* 
tunbe  augjufc^licgen ; fobalb  roir  bicfe  (hjcugniffe  mit  l^ereinjieben,  fteucin  »ii  in< 
Ufeilofc.  Sluf  aQe  $^äQc  boI><n  ^ iBotlilunbc  nui  mit  SrjcugntfTen 

bfp^if^ei  ätorginge  jii  tun.  0uf  (Krunb  biefet  Xatfac^e  f(^nt  mit  bie  b>er  Borge« 
ft^lagtne  Qlliebming  bc4  äßatcrial^  nicht  nur  »ünfchentracrt,  fonbem  gerabeju  not« 
menbig.  SelbftBrrftinblicfi  bejirben  fich  bie  {(ubffibrungen  nur'  auf  einen  Xeil  be< 
wiffenfcbaftiicben  SetriebS  ber  $olIbfunbe,  auf  bie  33egren}ung  unb  ^rubbierung  beb 
Waterialb.  %uf  bie  gefchichtüch'  unb  bft)<bfi08>f<b<  Srflfirung  ber  (brjeugniffe  beb 
iBoltbgeiftee , bie  ber  miffenfcbaftlicbc  Setrieb  ebenfaUb  erbeifcht  unb  bie  ftamm« 
beitlicbe  Sollbtunbe  jur  Bergleitbenben  macht,  tann  icb  b'^  ebenfo  wenig  eingeben 
wie  auf  bie  Aufgaben,  bie  ber  Solfbfunbe  für  bab  b<^oiiif<be,  befonberb  bab  fojiate 
Seben  ber  Qtegcnwart  crwacbfen.  2)agegen  mbcbtc  icb  bie  3ßetbobe  Bollblunblicbet 
^orfcbung,  foweit  fie  bab  Siaterial  betrifft,  noch  turj  berübren. 

3>ie  meiften  Arbeiten,  bie  auf  Bottbtunblicbem  (Gebiete  in  ben  lebten  Sabren 
Berbffentlicbt  worben  Tinb,  fmb  Stofffammlungen,  bie  fub  auf  ein  territorialeb  Qtebiet 
befcbränien  unb  bie  nur  bab  bringen,  wab  gegenwärtig  noch  im  Solle  fortlebt.  3u 
folcben  einfachen  Sammlungen  gehört  leine  wiffenfchaftliche  Oletbobe,  fonbem  nur 
Xreue  in  brr  bSiebergabe.  Stwab  anberb  liegt  eb  bei  Sferlen,  bie  innerhalb  rineb 
örtlich  abgegrenülcn  (Sebieteb  beftimmte  Srjeugniffe  beb  Solleb:  Sagen,  Sitten  unb 
(bebröu^e,  Wätfel  u.  bgl.,  abfchliehenb  geben  wollen,  ^ier  wirb  ni.  ®.  mrift  ju  Bor- 
eilig  Beröffentlicht.  ^uxuerlei  Bermibt  man  bei  biefen  Sublilationen  nur  ju  oft: 
1.  bie  Serfolgung  brr  örtlichen  Aubbebnung  brr  3eugniffe  unb  2.  bie  IRätfoerfolgung 
brr  3mgniffe  in  ber  3(<l  unb  ibreb  $9anbrlb  innerhalb  brrfelben. 

©ewiffe  ttrjeugniffe  ber  Sollbfeele  finb  allgemciu;  fie  erftreden  fuh  über  ganje 
^0Bini;en,  ganje  SSnbrr  unb  laffen  ftch  auch  bei  anbrrn  Söllern  in  ähnlicher  Ser« 
breitung  nachwrifen.  Anbre  bagegrn  finb  auf  engere  Greife,  auf  Xeile  einrb  Sanbeb, 
einjrlne  läler,  ja  juwrilen  fogar  auf  rinjelne  Ortfchaften  befchränlt.  ^ier  unb  ba 
lönnen  wir  ein  fprungbafteb  Auftauchen  ber  3tugniffe  wabmebmen:  fte  begegnen  in 
ganj  Berfcbiebcnen  ©egenben,  jwifeben  benen  fich  leine  Spur  beobachten  lä|t,  bie  fie  alb 
Überbleibfel  einer  früher  jufammmbängenbrn  Kette  erllären  lönnte.  Xabei  ift  eb  Bon 
ganj  befonberer  SBichtigleit,  wenn  fich  ©rjeugniffe  Bon  Berfcbiebenen  ©ebieten  ber 
Sollblunbe  in  gleicher  terri*orioler  ©ntwitHung  Berfolgen  laffen,  wenn  fich  i-  S-  fefl» 
ftellen  Idftt,  baS  bie  ©rensen  beb  Xialclteb  mit  ben  ©renjen  gewiffer  5>aub«,  öeröt« 
unb  SchmudthBen  ober  beftimmter  Sitten  unb  ©rbräuchr,  ja  felbft  mit  benen  oon 
Sagen  unb  Sollbliebem  äufammenfallen.  ®ie  Crfnbrung  bat  gelehrt  — ich  Bermeife 
auf  bie  Seobaebtungen  Bon  fflallee,  'Jlbainm  u.  a.  — , bah  man  burch  folcbe  Ber- 
glrichenbe  Wetbobe  ju  recht  bebeutenben  Ccgebniffen  tommen  tonn,  burd)  welche  bie 
Sollblunbe  zugleich  in  ben  Xienft  ber  Botrrlänbifchen  ®tbnograpb>b  unb  ©efebichte 
tritt.  Xebbalb  ift,  wob  man  leiber  in  unfern  oollblunblichcn  Sammelwrrten  faft 
burchweg  Brrmiht,  eine  Serfolgung  beb  Aubbreitungbgebietcb  Bollblunblicher  3*ugnijfe 
unbebingt  notwenbig.  Sie  ßrgebniffe  laffen  fich  om  flbcrfichtliehften  barftellen  bure^ 
eine  Karte,  aub  ber  bie  ©tenjen  ber  Sfugniffe  fofort  erficbtlich  finb. 

Sin  weiterer  Jebler,  bem  man  bei  boltbtiinblidjer  Jorfchung  böufig  begegnet, 
ift  bie  Sefchtänlung  beb  ÜKaterialb  auf  bie  äc^ugniffe  ber  ©egmwort.  Jebeb  einzelne 
Jeugnib  ber  Soltäieelc  ift  ein  pfBchifcheb  unb  biftorifcheb  Srobutt.  SSie  olleb  bem 


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9 


®onbfl  bet  iJeiim  unterroorfen  ift,  (o  finb  e-i  auc^  bic  SJolIaferif  unb  i^w  ISijeufl« 
nifff.  OTanc^e«,  baä  »oir  ^fulc  jum  fcften  4<eflonb  ooltatunbliditr  Jorii^unfl  rt^nen 
— ftinncre  an  bic  Trat^tcn,  baa  S!3eil)iia(^t«feft,  ^iftorifi^e  SJolfaiicber  — , ift  in 
naibraciabacct  ^eil  enlftanbcn  unb  ^at  fic^  in  bet  tmmet  tätigen  Sollälcclc  bietfa^ 
bctänbcit.  Dicfec  (liftorii^c  Sntraitnungaprojcg  ntu6  Dcrfolgt  unb  flatgctegt  nterben, 
wenn  wir  bic  $ol($(unbc  uoii  einem  (ebrreic^en  SbDit,  wob  fw  ^eutc  notb  oielfatb  ift,  ju 
einer  ernften  SBiffenjefjoft  erbeben  wollen.  Um  in  ibn  aber  einjubringen,  müffen  junädift 
bie  ooUafunblitben  3(ugnif{c  aus  Sibt^iftitüden  oergangener  auS  ben 

föerlen  ber  SibtiftftcDcr,  3fitf(fitiftcn,  Urlunbcn,  ©riefen  u.  bgl.  auagejogen  unb  ge- 
fammelt  werben,  Bon  ßäfot  unb  lacitua  bia  ju  ben  ©tbriftftüden  ber  jüngften  Cer- 
gangenbeit.  $ier  ift  noch  ein  weitea  ürbeitagebiet,  benn  nur  wenig  ift  in  biefei  Ce- 
jiebung  getan  (bie  Slrbciten  Bon  9(.  Xauffmaim,  Bicbrecbt,  ©^Cnbatb  u.  a.  (innen 
aia  Corbilb  bienen).  Biber  bie  BIrbeit  lägt  fub  bewältigen,  wenn  nur  mit  Bereinten 
Sriäften  ber  (finjelBercine  blnnmäbig  unb  energijtb  Borgegangen  wirb.  92ur  barf  man 
nic^t  Bor  ber  3eit  tiiit  ber  Ccrarbcitung  bei  SKateriaia  beginnen;  ber  (Grang  nacb 
oorieitigen  ©ublitationcn  ftbabel  mehr,  aia  ba§  er  bic  ©acbe  fbrbert.  Sie  Creiibifdte 
Blfabcmie  ber  äBiffenftbaften  mag  unä  Corbilb  bienen:  fie  febafft  junäcbft 

getreue  Bluagaben  unfrer  Stbriftfteller,  bie  cinft  bei  ber  Cearbeitung  cinea  großen 
bctitfd)cn  Sirterbiuba  bie  (Itrimblage  ber  ©ammeiarbeit  bilben  foQen.  Crntcn  wir 
au(^  nid|t  bic  gräebte  unfrer  Blrbcit,  fo  befteOen  wir  boc^  baa  ^Ib  in  einer  Oeife. 
bie  jutünftigen  Stejiblei^tcrn  reii^en  Srtrag  ftcberl.  ®rft  wenn  bie  3eugniffe  früherer 
3eiten  jufammengetragen  unb  mit  benen  ber  Qfegenwart  oerinübft  finb,  lä6t  fn^  in 
ftreng  b'floriMer  Cletbobc  eine  SarfteUung  bet  beutfeben  Coliafeelc  in  ©ptatbc, 

Qdauben,  ©itte  unb  Craueb  unb  Serien  geben  unb  frember  ®influ§  oom  beimifeben 

ßfut  fibarf  f^eiben. 

Um  bie  Bielen  unb  großen  Aufgaben,  bie  bem  Cerbanbe  beborfteben,  erfiUfen 
,tu  (Bnnen,  mäffen  wir  junätbft  bana^  traebten,  möglicbft  alle  Cereinc,  bie  bie  Bolta- 
fnnblicbe  gorftbutfl  auf  ibr  ©rogramm  geftbrieben  haben,  in  unfern  Cerbanb  berein- 
jujicben.  Sa  mu6  aQea  aufgeboten  werben,  um  .^inberniffc,  bic  jwiftben  bem  Cer- 
banb  unb  bem  einen  ober  anbern  Cereine  fteben,  ju  befeitigen.  Oua  ben  81(tcn  ergibt 
ficb  nun,  bo6  bie  $ibe  bea  jäbrlitben  Ceitraga  jiemlitb  Biele  Cereine  abgefebretft  bat, 
in  ben  Cerbanb  einjutreten.  Sir  boffeu,  bo6  Tub  ein  anbrer  Sobua  ber  Ceitraga- 
jtablung  finben  lägt,  bamit  biejet  wenigftena  (ein  l^inbernia  mehr  fei,  fi<b  bem  Cer- 
banb anjugliebetn.  f^reilicb  mügte  man  bann  barauf  ftnnen,  bem  Cerbanbe  auf  anbre 

Seife  Sittel  jujufübren,  benn  mit  ber  Btuabegnung  bea  9(rbcitagebietca  watbfen  autb 
bie  Bluagaben  bea  Cerbanbea.  ®.  Sogt. 

6ine  internationale  Vereinigung  vothskundticher  Verbände. 

Säbrenb  wir  no^  in  ber  Sntwitflung  begriffen  fmb,  gebt  una  brr  ©lan  ,vi 
einer  internationalen  Cereinigung  ber  Cercine  für  CoKalunbe  ju.  Sag  una  oiif 
biefem  (üebiete  wiffenftbaftlicber  Hrbeit  anbre  CiSller  Boraua  finb,  weig  jebet,  ber  bic 
Cerbältniffe  (ennt.  Saa  bat  nitbt  aOea  figon  bie  engliftbe  Folklore  Society  geftbaffen! 
3n  ben  flanbinoBiftben  Sänbem  gibt  ea  ftgon  länger  an  ben  Unibrrfttäten  fiebrftäble 
für  Bol(a(unbli(bc  5orf<buu0-  ®oa  b'er  aua  gebt  autb  bet  Slufruf  jum  3ufommenftblug. 

3m  Bergangenen  Sommer  reifte  Raotle  Ärogn,  ber  befonnte  ttalcwaloforftbet 
unb  Ctofcffot  bet  gnniftben  CoKalunbe  in  ^elfingfota,  buttb  ©(onbinoBien  unb 
Seutftblanb,  um  fitb  mit  Certretem  bet  Coliafunbe,  befonbeta  mit  8.  CIri(  in  fiopen- 
bogen,  übet  biefe  Sngclegenbrit  tu  befbreeben.  tlrobn  unb  8.  Olrit  haben  nun  einen 


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10 


(innouif  ju  rincm  internationalen  „groUloiiftenbunb"  aufgefteDt,  bei  bie  Vertreter  bn 
IBollbtunbe  in  ben  Deriibicbenen  Sinbern  einanbei  nfi^ei  bringen  unb  oor  allem  bie 
fortnA^renbe  SBieber^olung  berfelben  Srbeit  befeitigen  foU.  9Ber  jemolb  auf  bem 
Gebiet  bei  Dcrgleic^enben  QoUAIunbe  gearbeitet  ^at,  nici§,  mie  ftbmierig  iS  ift,  fu^ 
bab  Waterial  jufammen  ju  fuc(|en,  eb  ju  erlangen.  !t)ei  foldier  Arbeit  »iQ  bei  31er* 
banb  unteiftübenb  unb  beiatenb  eingteifen.  (ir  will  ttataloge  über  iDiaterial  bei  oer* 
fd)iebenen  SAnbei  ^eranbgcben,  will  Abft^riften,  Aub}üge  unb  Übrrfe|ungcn  gegen 
mAtigcA  $onorar  »ermitteln,  wid)tige  wiffmfc^aftlic^c  Arbeiten  unter  feine  gtttidte 
nebmen  unb  in  einer  leid)t  jiigdnglicben  Spracbe  oerbffcntli(f|en,  bunt)  f>eriobif(l)e 
3ufammen(ünfte  bie  oollblunblitbcn  Scftrebungen  in  ben  einzelnen  SAnbcm  förbem 
unb  bie  Arbeit  bertiefen.  S)ic  Angelegenheit  bepnbet  fub  erft  in  ben  Anfängen  ber 
(Antwidlung.  Aber  ich  holte  eb  fär  meine  Pflicht,  unfre  Witglieber  fdjon  heute  barauf 
hinjuweifen,  ba  wir  mbglitherweife  bereitb  auf  ber  berliner  Xagung  ju  ihr  Stellung 
nehmen  mfiffen.  Wog!. 


Zum  alt9«rmaniTcbcn  CoTen. 

3n  )wei  AuffSgen:  „Über  bab  gemianifiheSoofen“  (Wonatbber.  ber  figl.  Afabemie 
ber  Atiffenfthaften  ju  Berlin  1853)  unb  „Xie  SoobftAbihen"  (Symbolac  Bethninnno 
Hollwegio  oblatae;  €.  69  ff.,  Seil.  1868)  hat  ^orncher  bab  altgermanifthe  Dofen  burcl) 
bie  HaoelftAbthen  im  3.<ol!bbrau(h  nathgewiefen.  Xie  angeführten  3eugniffe  ftammen 
faft  alle  aub  92orbbeutf(hlanb  unb  Sfonbinabien,  teinb  aub  Obeibeutfihlanb.  Solltm 
fiih  hier  gar  (eine  Sfeifpiele  biefer  altgemianifchen  Sitte  im  fRechtblcben  finben? 
31ielleicht  ftedt  bab  eine  ober  anbre  in  feltenen  ober  berfthoQenen  Sthriften.  Sollte 
fith  hier  ober  ba  noch  ber  tOrauch  erhalten  hoben,  fo  wfire  ith  für  eine  Witteilung 
fehl  banlbar.  !6eionbeib  lommt  eb  hierbei  auch  mit  barauf  an,  ob  ruh  «o<h  irgenbtoo 
rin  3ufommenhang  mit  ben  Saoelftübdhen  unb  ben  tpaubmaiten  nathweifen  lügt,  b.  h. 
ob  bie  Xeilnrhmer  beim  ffooeln  Tuh  ihter  ^aubmaifr  bebienteii.  *.  Wogt. 


Hufforderung. 

Xie  einjelnen  Seieine  beb  tßerbanbeb  werben  gebeten,  unb  möglithft  balb 
'Jiamen  unb  Abreffe  ihieb  Borfibenben  bejw.  Sthriftführerb,  fowie  bie  Witglieberjohl 
beb  31eieinb  jufommen  ju  (affen.  Auch  wären  wir  banlbar,  wenn  man  unb  auf 
Vereine  h>nwiefe,  bie  ebenfaUb  bie  uollblunblithe  Überlieferung  pflegen,  aber  noth 
nicht  bem  SSerbanbe  angegliebert  hoben.  Xiefe  fowie  ade  übrigen  Witteilungen  im 
^ntereffe  beb  lOerbanbeb  beliebe  man  an  bie  Abreffe  beb  Sehriftführerb,  Dr.  Cbfar 
Xähnharbt,  Bripjig-lüohlib,  Warbathflr.  9,  ju  richten. 

Xieienigen  31eieine,  bie  ben  Sahrebbeitrag  für  1907  noch  nicht  eingefanbt,  bitten 
mir,  benfelben  möglichft  bolb  on  unfern  Siechnungbführer,  $erm  Dr.  $antcniub, 
Seip5ig-9i.,  Sreitlopfftr.  7,  gelangen  ju  loffen. 


£4r1ttlcituna ; Dr.  lätnliarbt,  Seiwtj-iitoljlU,  »tatliacWroSt  ». 
eu<(btu<tnd  SMciorb  pobii  (p.  Otto),  tteibiila. 


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des  Verbandes  deutfcber  Vereine 
fUr  Volkskunde 

nr.  7.  (RomfpondcnjbUtt)  loli  1908. 


Programm 

dar  }w*it*n  Cagang  des  Verbandes  deutfcber  Vereine 
fQr  Volkshunde 

®ie  jjoeite  Sagung  beä  Serbanbe«  toirb  am 

z.  unb  3.  Oktober  1908  in  Berlin 
mit  folgenbem  ^rogromm  ftattfinben: 

freitag,  am  2.  Oktober,  abends  77,  Ubr: 

BegrkBnng  mit  ißorfU^rungen  voIIitIunbli(^er  Ülrt  in  bec 
flieffource  jur  Unterl^altung,  Oranienburger  ©tr.  18,  na^e  bem 
ÜJIonbijoupia^  unb  bem  @tabtba^nl)of  Sörfe. 

Sonnabend,  am  3.  Oktober,  vormittags  10  Qhr: 

Qiefc^äftlic^e  Beratung  der  Hbgeordneten  in  ber  Sieffource: 

1.  @ef(§äftä=  unb  Med^nungSberid^t  beä  Hudfc^uffes. 

2.  Serid^t  über  bie  aufjeii^nung  ber  beutfc^n  ißolfälieber. 

3.  Seri(^t  über  bie  geplante  ©ammlung  non  3<iuberformeln. 

4.  tJrtage  ber 

5.  ®enffd^rift  unb  Petition  an  ben  SWeitbäfanaler. 

6.  grage  bet  anglieberung  an  ben  ,3ntcrnationaIcn  Sunb  foltlo- 
riftift^er  gorft^er  FF.“ 

7.  aJünf(^c  unb  Slnträge. 

3u  1 unb  2 beantragt  ber  9luöfc^u6:  ®ie  eingefe^tcn  9luS’ 
f(^üffe  bleiben  hefteten.  IBiS  jur  @rri(^tung  einer 
für  SSolfSfunbe  pnb  bie  ÜJlanuffripte  an  bie  betreffenben  93or» 
fiftenben  einjufenben. 

8.  iRä(|fter  SSerbanbStag.  93orf(^Iag  be§  2lu8fd^u(fe8 : 1909  in  ©ras, 
im  8lnf{^Iu6  an  ben  bort  ftattfinbenben  ©rften  flongreg  für  fad^< 
lic^e  Siolfötunbe. 

9.  Üteuroa^I  be8  9Iu8f(^uffe8. 


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2 


9tn  biefen  ®erl^anblungen  fönnen  no(^  § 8 ber  ©Ölungen  auc^ 
ni^t  abgeorbnete  9)KtgIteber  ber  Sinjelvereine  unb  SInftalten  mit 
beratenbcr  Stimme  teilne^men. 

» 

Qm  12  Qhr:  Kleine  Vorträge. 

1.  IBortiag  beä  §emx  ^rofeffor  Dr.  §auffen  au8  5ßrag:  Über  baä 
SoIfSlieb  in  Öfterreic^  unb  feine  Dorbereitete  ^»etaxtSgabe. 

2.  SOortrdg  be8  §erm  ißforrer  Dr.  ©d^uIIernS  au8  ^ermannftabt. 

Qm  5*/t  Qhr:  Öffentlidie  Verfammlang  in  der  RelTonrce: 

©inlextenbe  Slnfprat^e  be8  §erm  ^ofeffor  Dr.  SKogf. 

SJortrog  be8  §erxTX  ^ofeffor  Dr.  ©,i  e b S • 0re3lau. 

9iac^  ben  0orträgen  feTtmabl  unb  barauf  volhshundlid» 
Huffäbmngen. 

ainmelbungen  jur  leilnabme  werben  bis  jum  12.  September  bei 
ber  0erIagS^aixbIung  0e^renb  & So.,  Seriin  W.  64,  Unter  ben 
ßinben  16,  erbeten,  unb  jroor  unter  Beifügung  »on  4 SDlf.  für  bie 
ißerfon,  wofür  bos  trodene  ®ebecf  beim  fjefteffen  unb  bie  xjoIfSfunb= 
lid^en  Borfteüungen  geboten  werben.  ®enaue  Eingabe  ber  Slbreffe 
ift  wegen  Überfenbung  ber  fjeftfarte  notwenbig.  Mn  bie  girmo 
Be^renb  dt  (So.  bitten  wir  auc^  aQe  etwaigen  Mnfragen  ju  richten. 

®ie  leilnal^me  am  BerbanbStagc  fte^t  ^>erren  unb  ®amen  frei, 
gür  bie  gü^tung  burd^  SRufeen  unb  §u  fonftigen  @e^enSmürbig= 
feiten  wirb  geforgt  fein.  9Bie  ber  Berein  für  BoIfSfunbe  in  Berlin 
mitteilt,  l^at  ©eine  (SjjeUenj  ber  §err  ÜJUnifter  beS  Unterrix^tS  gern 
in  Mu8fi(|t  genommen,  einen  Bertreter  jum  BerbonbStoge  ju  ent= 
fenben.  ®er  genannte  Berein  wirb  fpäter  nod^  ein  genaueres  Bro« 
gramm  an  bie  BerbanbSoereine  fenben  unb  i^nen  auf  SBunft^  jebe 
erforberlid^e  Don  (Jjemplaren  jufcfiicfen. 

®er  gefc^äftsfü^renbe  MuSfx^ug 
beS  BerbanbeS  beutfx^er  Bereine  für  BotfSfunbe. 


HlUrtfimUch*  rschtsTymboUfd)*  I^andlung  bsi  ToU|ug 
der  Strafe  fSr  Red>t5venveigerang. 

ISS  ift  ein  befannteS  ®tfc|)  ber  luItiirgefcbicbtHcbcn  (Sntniidlung,  bab  boS 
ÄbftraftionSoemtbgcn  mit  ftcigciiber  gxittur  ^unimmt.  ®iefe  ®cfamterf(beinung 
finbet  man  notßrlict)  autb  im  MetbtSicben  nrieber.  Bieberc  fixilturen  finb 
nod|  nUbt  imftanbe,  abftrofte  MeebtSibeen  unb  MecbtSbanblungcn  rein  abftraft 
}u  faffen  bejm.  ju  öoDjieben.  ®ie  ^b«  nxuft  noeb  burtb  einen  finntixben 


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3 


SJorgang  bargeftcHt  meiben.  gennanifc^e  in  alter  it» 

SRittelalter  ift  ttic^  an  re^t^f^mbolifc^en  S9räu(^. 

ba<  rBmifc^  ftuItumoK  genügte  SBertrag  unb  Übergabe,  um  fiauf 
ober  S3erfauf  non  ^mntobiUen  re^tüfrfiftig  ju  oolljü^en.  9Hc^t  fo  beim 
germanifc^  ^olbfultunolfe.  ^ier  mugte  ber  Serfthifn  bem  fi&ufer  einen 
^atm,  ein  91afenftücf,  einen  @tu^I  überreichen,  fehlte  biefe  fhmbolifche 
^anblung,  fo  nur  bä  ftauf  nicht  rechtölräftig.  0ot^e  f^mbolifc^  ^n^ 
langen  hoben  fich  biü  in  bie  Sieujeit  erhalten.  2)ie  Überreizung  bä  ^almB 
unb  anbre  8<^tmonien  bei  3o>>»oWIinrt)erfauf  mürben  im  Xrierfchen  erfl 
burch  boB  Sanbrecht  oom  3ah<^  1668  allgemein  abgefchofft. 

Unü  fotl  hi^  @rupt>e  rechtüfbmboUfcher  ^anblungen  befchäftigen: 
bie,  melche  beim  SoQjuge  ber  ®äa^  für  ^echUbermeigerung  ooQjogen 
mürben,  ^n  altgermanifcher  3”t  erfolgte  bie  fogenannte  f^ebtoBlegung; 
b.  h-  bem  @chulbigen  mürben  alle  SDÜttel  gum  Seben  entjogen;  fein  ^uB 
mürbe  niebergeriffen,  fein  Xor  oerbfdhlt  f^"  9)runnen  oerfchüttet,  fein  Seuer 
auBgetöfcht.  S)ie  (äitjiehung  ber  unentbehrlichften  (Sgiftengmittel  gmang  ihn 
gum  Scriaffen  ber  ^eimat.  3)ie  (Skmeinfe^ft  flieh  ben  auü,  ber  ihre  alü 
heilig  geaZtete  9leZtBorbnung  mihachtete.  iffiir  hoben  eB  Ifitx  niZt  mit 
fqmbolifchen  |ianblungen  gu  tun,  fonbeim  mit  realen  ^anblungen,  beren  reale 
Solgen  in  oollem  Umfange  beabfichttgt  maren. 

3n  Duellen  beB  auügehenben  SDHttelalterB  fehren  biefe  ^anblungen  mieber, 
aber  in  abgefchmöchter  gorm;  unb  bie  reale  ^anblung  hot  nun  teilmeife 
einen  f^mbolifchen  (Sinn. 

^aü  Zor  mirb  nicht  mehr  oöDig  Mri>fählt;  ober  nach  bem  ^eUtum 
oon  freugnach  mürbe  noch  bem,  ber  fich  meigerte,  ben  ^bginü  gu  geben, 
ein  @tecfen  bor  bie  Zür  gefchlagen:  fo  oft  er  barüber  ging,  gahlte  er  bie 
höchfte  guldfftge  Üklbftra^,  60  Schillinge.  Z)ie  3>oangümahregeI  muhte 
natürlich  halfen. 

(Sin  bermanbteB  Sferfahren  berichten  bie  SieiBtümer  bon  Säacharach: 
Sehnt  einer  bie  ffiahl  gum  (SchCfftn  ab,  fo  gieht  ber  @chuttheih  mit  gmei 
Schöffen  einen  gaben  bor  feine  Zür.  So  oft  er  ober  fein  @eftnbe  über  ben 
gaän  ober  auf  baö  (Srbe  (=  89efih  an  glur)  gehen,  gahlen  fie  bie  hbehfk  Suhe. 

!Bom  SHeberreihen  beö  ^aufcö  oerlautet  nichts  mehr;  aber  aus  ben 
lujemburgifchen  Stäbten  9lemich  (1462)  unb  (S^ternaZ  erfahren  mir, 
bah  bort  mit  (Beihilfe  ber  !^rger  bem  ber  girft  beS  ^ufeS  entgmeigehouen 
marb,  ber  ftch  ber  $fänbung  burch  txo  gefchmorenen  (Sieric^sboten  miberfchte 
begm.  baS  ^anb  miberrechtlich  mieber  an  fich  nh. 

iBom  (Berfchütten  beS  SBrunnenS  ift  niZt  mehr  bie  Siebe.  Slber  nach 
bem  SSciStum  bon  ^armSroth  unb  (Senheim  (fmnSrüd,  1608)  mürbe 
iSaffer  unb  SBeibe  unb  Slnffiruch  auf  ben  (Semeinbemalb  bem  (auch 
SiaZtommen)  entgogen,  ber  feine  ißflicht  gegenüber  ber  SRarlgenoffenfchaft 
nicht  erfüllte. 

gn  gilsborf  (Su^emburg,  1601 — 1603)  fehiette  man  oiermal  eine 
Vufforberung  an  ben  $fanbmeigerer.  gebeSmal  muhte  er  !0uhe  gahlen. 
@ab  er  niZt  nach,  bann  mürbe  ihm  SBaffer  unb  3Seibe  oerboten.  ^If 
auch  baS  noch  oiZt,  fo  mürbe  er  auSgemiefen;  unb  gmar  mürbe  ihm  babei 
baS  geuer  auSgefchüttet.  $ier  finben  mir  alfo  ni>4  baS  obenermähnte 
altgermanifche  Verfahren  an.  @s  mar  baS  äuherfte  rechtlidhe  30’ongSmittel. 

ä)iir  fZeint,  bah  baS  geuerauSlöfchen  nicht  bloh  eine  f^mbolifche  93egleit> 
hanblung  mar.  geuer  mar  bamals  oiel  fchmerer  gu  erlangen  als  jeht. 


■c^I‘ 


4 


Sntof4  (4,  fo  ^olte  man  e4  nom  ^rbc  beS  9ta(^6ar4.  XXt  ißfanbmeigem 
erhielt  nun  gemi^  bon  niemanb  Stuer.  nfitige  Slement  mar  i^m  im 

3)orft  entjogrn.  2)ie  realen  folgen  be4  redbtbfbrmlit^en  Sudlöfc^enS  fc^on 
jmangen  i^n  jum  IBerlaffen  beb  ^ufeb  unb  beb  Orteb. 

Stellte  fic^  ber  SJtörber  ober  Zotjcbläger  bem  ®eri(^te  nü^t,  fo  trat 
bab  „SBerjelen"  beb  Siec^teb  ein,  not^  nac^  bem  Slutrec^t  bon  Sacbaraib 
(bor  1350).  Sb  erfolgte  in  fbmbolift^er  gorm:  nach  fräntifi^en  9le(^ten 
fc^mang  ber  Slic^ter  im  tBoltbgerit^te  feierlich  bie  Sadel  ober  er  jerbra^  ben 
Stab.  9ia4  bem  angeblich  Süheingauifchen  Sanbrecht  (14.  mürbe 

ber  flüchtige  virzalet  (althochb.  Hrzellan  = berieten)  mit  ffler  und  mit 
braut.  ®er  fo  SBerurteilte  mor  recht-  unb  ehrlob.  ®ie  Oefibpten  beb 
Getöteten  „binnen  achter  susterkinde“  tonnten  ihn  fihlagen;  fdhiugen  fie 
ihn  tot,  fo  gahtten  fie  nur  eine  geringe  Scheinbu^ 

X^r  hbixn  OueHen  aub  ber  9ihnngegenb  angeführt.  SBir  finb 

aber  in  ber  Sage,  auch  äkittelbeutfchianb  menigftenb  einen  83e(eg  gu 
bringen. 

Sdb  meftbeutfehe  unb  nieberlönbifthe  ISauem  feit  bem  Anfänge  beb 
12.  :3oh>^hun^rtb  fich  bftlich  ber  Saale  unb  (Hbe  nieberlie|en,  ho^cn  fie 
offenbar  auch  h^»*<f<^  diechtbfitten  mit  eingeführt.  3"  @ohIib  bei  Seibjig 
haben  fich  neben  ber  flamifchen  Sebbiferung  bermutlich  Sitämen  angefiebelt. 
Menigftenb  galt  bort  bab  blämifche  Erbrecht  bib  gum  ^ahre  1720.  !Cort 
finben  mir  aub  fester  3nt  noch  ein-3cugnib  für  einen  altertümlichen  rechtb- 
fhmbotifchen  Srauch  beim  Ißollgug  ber  Strafe  für  Stigachtung  ber  2)orf> 
orbnung.  92ach  ber  3)orforbnung  bom  3<>h>^  1667,  bie  ich  i&ns^  (>"  berberbter 
^anbfehrift)  fanb,  foD  bem  ^ofeigentümer,  ber  gur  Sermaltung  beb  @uteb 
gegen  bie  Z)orforbnung  eine  unbelannte,  nicht  bertrauenbmürbige  Verfem  ein- 
fe(t,  „bie  ^offtatt  bergraben  unb  er  aller  nachbarlichen  f)freiheit  unb 
©erechtigfeit  fo  lange  entfett  merben,  bib  er  ber  ®emeinbe  nach  »Oem  mohl 
hergebrachten  S3rauch  einen  ehrlichen  unb  untabeligen  9Rann  oorfteUen  . . . tut*. 
(tx  ging  alfo  beb  ünrechteb  auf  Sluhung  beb  ©emeinbeeigenb  (SBaffer,  SBeibe, 
ebentueü  SSalb)  unb  ber  92achbarrechte  berluftig.  Sr  ep^erte  nicht  mehr 
für  bie  ©emeinbe  (mie  oben  nach  Sieibtum  bon  Silbborf).  SQmboIifch 
mürbe  bieb  in  ftnnenfäHiger  SBeife  burch  bab  Vergraben  ber  ^offtatt  ange- 
beutet. %uch  bie  realen  92achteile  finb  gu  beachten:  3)er  ^gefchloffene  tonnte 
nicht  mit  bem  SBogen  ober  mit  Äctergeräten  ben  |)of  berloffen. 

fllfo  auch  i^flOch  ber  Saale  finben  mir  mittelalterliche  rechtbfhmbolifche 
^anblung  bor,  unb  noch  in  ber  gmeiten  ^filfte  beb  17.  ^h^^hunbertb! 

SBir  erfahren  aber  noch  mehr.  3m  3“hK  1720  mar  ber  ©rauch 
gefchmunben.  X)ie  im  mefentlichen  fonft  mit  ber  bom  3ohi^  1657  gleich- 
lautenbe  Xorforbnung  bom  3<>hi^  \T2Ü  lägt  ben  ©affub  meg:  „bie  ^of- 
ftatt  bergraben.*  Sie  fagt  nur,  ber  ^ofeigentümer  foKe  aller  na^barlichen 
Freiheit  unb  ©erechtigteit  fo  lange  entfett  merben  ufm.  Sie  fügt  aber  ba> 
für  neu  Dbrigteitlicheb  ©ut^finben." 

2)er  Hergang  ift  offenbar  biefer:  3bgmifchen  ift  bie  betreffenbe  rechtliche 
Munition  bon  ber  !Corfgemeinbe  an  bie  2)orfobrigteit  übergegangen;  unb  biefe 
hat  ben  ihr  fremben  boltetümlichen  ©rauch  befeitigt,  nicht  mehr  beachtet. 

Cin  meitere«  ift  gu  beachten:  3”  bw  gmeiten  ^Ifte  be«  17.  3ahrh“n'>*rt* 
begann  man  oon  oben  f)tx,  mohl  unter  bem  Sin^uffe  be4  römifchen  diechteS, 
alte  9Iefte  be4  ooltbtümlichen  beutfehen  Stechtcb  abgufchaffen.  Sie  maren 
ben  3»riften  unoerftönblich,  finnlod.  Sen  3mdften  fehlte  bag  hlßomfchc 


6 


S3crflänbni4.  ®o  erfläTt  fic^  mo^t  bie  bSDige  Oefeitigung  bei  rec^tsf^mbolifi^en 
9räu(^e  bet  3minobiIiaro^ouf  burt^  ba«  Xtierfc^e  Sanbret^t  1668;  baS 
Huf^örtn  beS  SBergraben2  bei  ^offiatt  jWifc^en  1657  unb  1720  in  (&o^iS. 
HId  ttKÜenr  Seleg  mag  bie  ^tatfac^e  bienen,  bag  in  einem  Seif^jiger  Siats« 
borfe  1684  ober  1685  boi  ben  ^uriften  ^ijiorifi^  unberftinblii^  blömift!^ 
9Ied^t  burc^  ben  (Sinflug  non  fünften  unb  nai^  einge^olter  ret^tlit^er  dz- 
tenntnis  bei  hirfürftlii^en  ©c^öppenftu^IeS  in  fiei^ijig  jmangSueife  al4  ju  ber 
„Untert^anen  8iuin  reit^nbe  übele  ©emo^n^eit“  abgeft^affi  mürbe. 

Lic.  Dr.  SWatlgraf'SeiiJjig. 


6rTt«r  Kongreß  für  facbUchc  Volkskande 

September  1909  in  6ra{. 

?iu«  einem  Äufnif,  ben  ^«rr  ^ofrat  Dr.  ©djuc^arbt  unb  ^err  ^rofeljor 
Dr.  äReringer  non  ©raj  au4  im  ^onuar  biefeS  3a^ie4  oerfanbt  ^aben,  teilen 
mir  fotgenbed  mit: 

„3m  ©ebtembei  1909  finbet  in  @ia)  bie  50.  iBerfammtung  beutfe^er 
$^iIoiogen  unb  @t^u(m&nnet  flatt.  3)iefer  mic^tige  @ebenftag  gibt 
Seranlaffung,  ben  ®Iicf  auf  Sergangenbeit  unb  3utunft  )u  lenten. 

@«bon  @rimm  bot  „SBörter*  unb  „Sachen"  in  einem  Ätem 
genannt,  aber  erft  bie  legten  Sagte  gaben  jur  ftaren  Srtenntnid  gefügrt, 
bag  bie  Spraegforfegung  ber  Saegforf^ng  al4  notmenbiger  (Srgänjung 
bebarf,  bag  bie  Stgmologie  ber  ^ntntö  ber  „Satgen"  niegt  entraten 
fann,  bag  baS,  ma8  bie  ürcgäologie  für  bie  Haffifcge  ifjgilologie  bebeutet, 
in  entfpreegenber  äBeife  aueg  für  bie  anberen  pgiiotogifcgen  ^idjiplinen 
gefegaffen  merben  mu^. 

!I)ie  facgiiege  tBoIf^hinbe  bietet  ba}u  bie  SRittet.  ^edgalb  moUen 
bie  Unterjeiegneten  aI3  (Srgänjung  be4  71rbeitdplane4  ber  50.  iBerfammtung 
beutfeger  ^gilotogen  unb  Scgulmänner  bie  iBilbung  einer  Settion  bean« 
tragen,  roeldge  bie  gorfegungen  übet  bie  „UrbefegSftigungen"  (Äderbau, 
gifegerei,  |>irtenmefen),  über  bad  $au4  unb  feine  Geräte  fomic  über 
bie  im  ^aufe  geübten  ^eegnifen  (9iügen,  Spinnen,  giecgten,  äBeben  ufm.) 
jum  Oiegenftanbe  igrer  SBerganblungen  maegen  foü. 

Xie  ISefegränfung  auf  biefe  !l;ei(e  ber  adgemeinen  SSoIfdhinbe  ift 
barin  begrünbet,  bag  bie  berügrten  gragen  }urjeit  im  ÜRittcIpunfte 
bc8  3ntereffeö  — aueg  für  bie  S^ule  — ftegen,  fomie  ferner  bann, 
bag  tS  unmöglich  ift,  ber  ganjen  ungegeuren  dieicggaltigfeit  ber  SJoIIö* 
lunbe  in  bem  gegebenen  Magmen  gereegt  ju  merben.  ^ie  iBilbung 
einer  eigenen  Seition  für  bie  facgIiege  SoIIötunbe  empfiegit  flcg  aueg 
beömegen,  meil  igre  @egenftSnbe  niegt  mie  bie  geiftigen  (£rjeugniffe  ber 
Solföfeele  (Sagen,  URär^en,  Sräuc^  ufm.)  in  ben  anberen  Seftionen 
jur  Sefpretgung  gelangen  lönnen." 

SBie  mir  gören,  ift  injmifcgen  eine  genügenbe  Slnjagl 
crtiärungen  bei  ben  |>erren  JBerfaffem  biefeö  Stufmfeö  eingelaufen,  fo  ba|  bie 
Silbung  einer  befonberen  Seftion  gefeegert  erfegeint.  SBir  begrüben  hm  aufeer» 
orbentlicg  banlenömerten  ißlan  alö  einen  neuen  Segritt  oormörtö  unb  bitten  bie 
SRitglieber  beö  Serbanbeö,  bie  Saege  ber  @rajer  bung  jaglrdcge  ^teüigung 
ju  unterftfigen. 


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6 


ffitc  hn  lebten  ^fte  unfcrcr  9Ritt(t(ungm  befannt  gegeben  mürbe,  ijt 
ber  $Ian  einer  internationalen  Sereiniguug  aller  ißereine  für  S^oßStunbe  im 
ffierfe.  tiefer  ißtan  ift  burc^  unfere  finniie^en  unb  ffanbinaoifc!^  Sa^genofen 
jur  Xat  gemorben.  3He  folgenben  ^c^nitte  bringen  bie  Aufgaben  unb  3iclc 
ber  Sertinigung. 

6rru  iDitteUung 

des  folkloriftifthen  forfcberbutides  »FF‘*. 

^ie  ©ammeltütigteit  auf  bem  ooßüfunblic^en  (foinoriftifc^en)  Gebiete 
mü^renb  ber  lebten  ^a^rje^nte  ^at  eine  unüberfe^bare  9Raffe  miffenf(^ftli(^ 
HRaterialeü  gufammengebrac^t.  9ti(^t  nur  bie  intenfibe  Arbeit  organifierter 
Stefedfe^aften,  fonbem  aui^  bie  Seifhingen  eingetner  $erfonen  meifen  ftaunene' 
merte  JRefuttate  auf.  Sraui^  iif  ben  Stamen  beü  grbgten  @ammlerü  beutfe^er 
Solfüfunbe,  Dr.  diii^arb  SBoffibloÜ,  gu  nennen,  melier  in  ber  anfpnul^> 
lofen  Stellung  eineü  @gmnafiane^8  in  ber  fleinen  Stabt  SSaren  über  700 
Sanbüteute  gur  Aufgeiebnung  metflenburgifeber  Überlieferungen  angefeuert  bat? 
Ober  foD  itb  beS  oerflorbenen  eflnifcben  $afiord  Dr.  ^acob  ^urtü  er« 
möbnen,  meteber  über  100000  Seiten  SRanuffeibt  bon  girfa  1000  b<tfn>ben 
^nben  binterlieb? 

Sag  biefer  faft  unenbliibe  bleiebtum  bon  Sotumenten  eine  breite  unb  fefte 
@runbtage  für  bie  uergleicbenbe  Sotfütunbe  bilben  mirb,  ifl  eine  augenfibrin« 
liebe  unb  erfreuliibe  Zatfacbe.  Anbererfeitü  aber  mirlt  berfelbe  auf  ben 
gemiffenbaften  Sorfeber  beinah  erbrüefenb.  Saum  bermag  er  bie  angebäuften 
SRaterialien  feinet  eigenen  Soßet  gu  bemältigen.  Sie  foll  et  ba  b*>ff^ 
raftlofen  gortfibrißen  ber  Sammeltütigteit  in  ben  berfibiebenften  Sünbm  unb 
Sprayen  gebübrenb  folgen  gu  tbnnen?  Segon  bie  Anfibaffung  ber  gerftreuien 
Srudfaiben  ift  bcutgutage  ein  fibmieriget  Untemebmen.  Aber  ber  bei  loeitem 
grögte  Zeit  bet  Stoffet  ift  Mog  banbfibriftliib  in  einem  ^mplare  an  einem 
Orte  borbanben,  unb  et  merben  gemig  mebrere  aSenfcbenalter  bergeben,  ebe 
bie  SrAfte  unb  Soften  gur  ^erautgabe  ber  immer  maigfenben  9Raffe  befega^ 
morben  gnb.  (Einem  93oßtfunber  (^oßloriften),  meliger  niigt  über  unbegrengte 
SDHttel  unb  3tit  oerfügt  unb  ein  ungemöbnliibtö  Spraigtalent  beggt,  bleibt  fo« 
mit  nur  ein  Autmeg  übrig:  ber  Seiganb  feiner  l^itforfcger. 

SBie  ift  aber  biefer  Seiganb  gu  erlangen?  An  men  barf  man  geg 
menben?  SSie  meit  barf  man  et  mögen  einen  anberen  gu  belägigen?  SBie 
foD  man  feine  SKübe  unb  Unfogen  oergüten?  Siefe  93ebcnfen  ^ben  mögt 
mamgen  feinfühligen  ffiorfiger  abgefegredt,  unb  niigt  ogne  Urfaige.  Scgmerlidb 
lann  man  einem  garf  befigügigen  SBigenfegagtmann  gumuten,  bag  er  jeber« 
geit  bereit  fei,  für  fremben  ^barf  eine  Stenge  ^nbfegrigen  bunggugbbem  unb 
augerbem  für  Abfcgreiber  unb  Überfeger  gu  forgen.  Aber  ogne  biefe  Soraut« 
fegung  ig  eine  mirfliige  unb  reegtgeitige  ^ilfe  bei  einer  migenfigaglicgen 
Arbeit  !aum  benfbar. 

Alt  icg  im  oergangenen  3uni  mit  bem  autgegeiegneten  Sorfiger  unb 
Segrer  ber  ©oßifunbe  an  ber  Unioergtät  gu  Sopengagen,  Dr.  Ajel  Dlrif, 
bie  Seforgnige  unferer  Sigenfegag  befpraeg.  Tarnen  mir  gu  bem  Slefultate,  bag 
ein  intemotionaler  IBerein  gu  gegenfeitigem  ©eiganb  gegrünbet  merben  mügte. 
3n  erger  Sinie  galt  et  unt,  bie  Vermittlung  bon  Abfcgriften,  Au^ügen  unb 
Überfegungen  bon  fianbfcgrigen  unb  figmer  gugängliigen  Srudmerfen  gu  orbnen. 
Siefe  märe  mögliig  bureg  einen  Sofaloerein  in  jebem  Sanbe,  meliget  über 


7 


Stubiemib«  ober  onben  nit^t  olliutfure  ÄrbeitSfräfte  »erfügte,  um  au«  ben 
i^m  )ugängU(^m  €amm(ungen  ba«  gettriinfe^te  au«fu(^,  abf(^ben,  coentueQ 
au(^  überfein  ju  lajfen,  loetcl^r  au|erbem  bereit  märe,  bie  8efteQungen 
(einer  eigenen  äRitglielMr  an  ankre  Sofatoereine  ju  oermitteln  unb  nötigen' 
fall«  für  biefelben  §u  bürgen.  Sc^on  megen  be«  le^termäfinten  Äififo«,  aber 
au^  um  leichtfertige  SBeftedungen  ju  oerfiinbem,  mü^te  non  jebem  äRitgliebe 
be«  SoIalDerein«  eine  mdgige  (£intritt«abgabe  ein  für  aüemal  entrichtet  merben. 
(Einige  Oeftimmungen  gegen  HRihbrauch  be«  für  miffenfchaftliche  gorf^ungen  an« 
oertrauten  aRateriale«  foüten  auch  feftgefteUt  merben,  oor  allem,  um  ®efamt' 
pubtifationen  au«  fremben  Sammlungen  ohne  befonbere  SemiQigung  oorjubeugen. 

iBorläufig  märe  e«  nicht  nötig,  oon  einem  Sotaloereine  unb  feiner  !8cr' 
maltung,  um  bie  (ürünbung  berfelbm  bei  meniger  günftigen  SBerhältniffen  nicht 
ju  erfchmeren,  mehr  al«  biefe  iSermittlung  be«  Slu«taufche«  Oon  aRaterialien 
}u  forbem.  3h^  eigene«  Sache  mürbe  fie  aDmähiich  fchon 

baju  führen,  bie  Sammlungen  eine«  Sanbe«  fomeit  mie  möglich  an  einem 
Sufbemahrung«orte  jufammenjubringen  unb  biefelben  inhaltlich  ju  orbnen,  ba» 
mit  nicht  ein  jeber  Sefteller  immer  oon  neuem  bie  Zlurchfuchung  be«  gefamten 
jerfireuten  unb  chaotifchen  äRateriale«  ju  beftreiten  brauchte.  Die  Kataloge 
lönnten  ju  aHereiii  bie  ocrfchiebenen  9trten  ber  an  einem  Orte  aufbemahrten 
%otI«übnlieferungen  angeben  mit  ißermeifen  auf  Shimmem  ober  Seiten.  %ach 
unb  nach  mühten  aber  noch  Ser^cichniffe  ber  oerfchiebenen  Dhemata  au«gearbeitet 
merben.  Da«  Sebürfni«  gegenfeitigen  Seiftanbe«  mürbe  ber  befte  Stnfpom  jum 
Setlcifem  in  fhfleraatifchem  Orbnen  fein. 

(Kn  ^nb  ber  fiofaloereine  fönnte  ferner  auf  bie  miffenfchaftlichcn  8lu«' 
gaben  ber  Oolfötunblichen  SRaterialien  (Einfluh  haben,  foroohl  in  ber  Seförberung 
einheitlicher  $läne  al«  in  ber  Überminbung  fprachlicher  i^mierigteiten.  Da| 
anf  bie  Seichte  ber  Sammeltötigteit  bie  Sanb«leute,  bie  fich  an  ber  SIrbeit 
beteiligt  haben,  ba«  nächfte  Tlnncht  haben,  ift  natürlich  unb  unbeftreitbar,  benn 
ohne  ^ublitationen  in  ber  heimifchen  Sprache  mirb  ba«  ^ntereffe  für  bie  IBolt«' 
tunbe  nicht  aufrechterhatten,  fluch  Gibt  e«  Überlieferungen,  befonber«  bie 
metrifchen,  metche  jebenfatl«  in  ber  Originalfprache  oeröffentlicht  merben 
müffen.  Äber  e«  lönnte  fogar  im  tehteren  Salle  ein  Weferat  in  einer  SBclt- 
fprache  beigefügt  merben,  mie  g.  in  ben  brei  ^nben  ber  fetutcfifchen  Sieber 
oon  Dr.  3.  ^urt,  in  melchen  ben  736  -f-  710  + 474  Seiten  eftnifcher  Dialcft- 
tejte  eine  ou«führliche  3nhatt«ongabe  oon  88  + 168  + 137  Seiten  in  beutfeher 
Sprache  folgt  3ehi  ermdgt  man  emftlich  in  ^infi^t  auf  bie  jirfa  20  000 
ftnnifchen  unb  10  (XK)  eftnifchen  äRdr^enoarianten,  ob  e«  nicht  am  gmect' 
mähigfien  märe,  biefelben,  mie  auch  alle  übrigen  SRörchen  ber  fSett,  in  einer 
ben  Sachmäimem  aügemein  gugängtichen  Sprache  mögtichfi  hirg  referiert  her» 
au«gugeben  unb  in  ber  Originatfprac^  btoh  eine  flu«mahl  ber  beften  Stuf' 
geichnungen  in  extenso  gu  bruefen.  Ohne  über  (9etbmittel  gu  oerfügen,  lönnte 
ber  Dunb  in  biefer  {Richtung  manche«  mirfen,  inbem  er  burch  (Erteilung  feiner 
(Signatur  bie  flufmcrlfamfeit  ber  Soefcher  auf  ißublifationen  .tenite,  bie  bem 
Sweefe  be«  ©unbe«  entfprechen,  unb  (omit  ben  Äbfah  berfelben  erlei^tertc. 

Schliehlich  mühte  ber  ©unb  für  bie  ^bung  bn  ©ot(«tunbe  auf  ba« 
97ioeau  einer  ftreng  gefchulten  Di«giplin  unb  pr  bie  (Einführung  biefer  SBiffen- 
fchaft  al«  Stubienfach  an  ben  Unioerfitöten  arbeiten.  3"  Sri^nia  beHeibet 
SDfottfe  äRoc  mittleren  eine  ©rofeffur  ber  „©otlStrabition  unb  mittetatter' 
lic^n  Siteratur“.  Kn  ber  Unioerfität  gu  ^thngfor«  finb  mährenb  ber  lebten 
3ahee  nicht  menige  Ifanbibaten'  unb  Sigentiatenegamina  in  ber  burch  eine  c.  0. 


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8 


^oftffur  bcrtrctenen  „finnif^en  unb  bergleii^btn  SotTtbit^tungSforfc^ung“ 
be(onber8  bon  Se^rem  ber  röutteifprat^e  unb  ber  SnnbeSg^c^ic^  abgelegt 
ootben.  Sopen^gen  ^t  Dr.  Olrit  als  Sertreter  bei  ,norbi|c^  %oIfS' 
funbe*  ein  pe^tbare«  Ontereffe  unter  ben  Stubenten  erroecft;  c«  bebarf  bIo6  beS 
SjamenSrec^tcS,  um  bie  bo^e  @teHung  biefet  IStpenftbaft  feit  6n.  @runbtt)ig 
au(b  in  bei  3>>^nfi  S>änemar{  ju  ptbem.  (fbenfo  würbe  bie  beutfcbe 
SioITstunbe,  welche  auf  bie  ^nitiatioe  beriBebrüber  @rimm  unb  bie  iBorarbeiten 
Steinbolb  fiöblerS  b^weifen  tonn,  fub  noch  Mftiger  entwideln,  wenn  ihre 
beroorragenben  iSertreter  mehr  @elegenbeit  hätten,  bie  ftubierenbe  ^ugenb  an 
ben  Uninerfitfiten  anjuregen  unb  anjuieiten. 

%(n  bei  Ausarbeitung  ber  folgenben  Statuten  bat  ein  junger,  für  bie 
8foItStunbe  energiftb  arbcitenber  Schwebe,  <£.  S3.  bon  Sbbow,  teilgenommen. 
(Einige  QerbePerungen  oerbanfen  wir  ben  gütigen  SSemerfungen  beS  ^auS- 
geberS  ber  3ntfcbrift  beS  iBereinS  für  SoIlStunbe  in  IBerlin,  Dr.  3-  SoIteS. 
^orfcbläge  ju  ^nberungen  unb  Anmelbungm  gegrünbeter  Sofaibereine  lönnrn 
borläupg  an  einen  ber  Unterjeicbnci  ber  Statuten  beS  (BnnbeS  gefanbt  werben. 
|)ctfingforS,  ben  23.  92ob.  1907.  Saarle  Srobn. 


$Utut*n  des  Bandes  »FF*. 

§ 1.  !Der  9fome  beS  ©unbeS  wirb  bejeicbnet  burcb  „FF*  (gotflorc 
gellows,  SoIfeminbe'Soi^Slere,  ^äbäration  beS  (foRIoripeS,  Sotfloripifcbcr 
gorfcberbunb). 

§ 2.  ®er  ©unb  berfolgt  ben  3>oe«f: 

a)  ben  ffiorfcbcm  boltslunblicbes  (folfloriftifcbes)  SRaterial  auS  ben  ber> 
fcbiebenen  Sänbem  jugänglicb  ju  machen  unb  Sataloge  berartiger  Sammlungen 
berauSjugeben; 

b)  bie  ^auSgabe  wiPenfcbaftlicb  befriebigenbei  ©eröffentlicbungen  boIIS' 
funblic^r  (folfloriftifcber)  ©Materialien  in  einer  leicht  gugänglicben  Sprach« 
ober  mit  Äeferatcn  in  einer  folchen  ju  fBrbem. 

§ 3.  Durch  ©crmittlung  beS  ©unbeS  tönnen  Abfchriften,  AuSpge  unb 
Überfehungen  non  ^anbfcbriften  unb  fchwer  jugfinglichen  Drudwcrfen  ouS 
öffentlichen  unb,  foweit  wie  möglich,  auch  <»tS  prioaten  Sammlungen  befchafft 
werben. 

§ 4.  Das  non  bem  ©unbe  befolgte  ©Material  barf  ohne  befonbere  (£r> 
laubnis  nicht  |u  anberen  3ü>ecfen  als  wiffenfchaftlicher  Sorfchung  benu^t  werben 
(NB.  nicht  für  (^famtpublilationen).  SBirb  Material  nerlangt,  baS  gelegentlich 
}u  einer  wiffenfcbaftlichen  Arbeit  im  eigenen  Sanbe  nerwenbet  werben  foQ,  ip  ber 
©crmittler  berechtigt,  baSfelbe  wöb^nb  einer  beftimmten  3<tt  jurüctjubatten. 

§ 5.  gür  jebeS  Sanb,  baS  im  ©unbe  burch  ©Mitglieber  oertreten  ip, 
fon  eine  Sofaloerwaltung  ober  ein  ©ertreter  eingefeht  werben,  ber  bie  ©cftellungen 
beS  ©Materials  nermittelt. 

§ 6.  ©eim  ©eitritt  ju  bem  ©unbe  pnb  als  ©eitrag  jur  ©epreitung  ber 
laupnbcn  Ausgaben  beS  ©unbeS  unb  jur  Deefung  beS  PMiptoS,  baS  bie  SoIaU 
ocrwaltung  ober  bei  ©ertreter  bei  ©eftcDungen  übernimmt,  an  biefe  ein  für 
aOemal  10  granlS  }u  entrichten. 

§ 7.  Die  ©Mitteilungen  beS  ©unbeS  werben  allen  ©Mitgliebem  unentgelt« 
lieh  jugeftellt.  ©ei  Abfehrip  leicht  leferlicher  Originale  wirb  für  1000  ©uch' 
paben  jirfa  0,35  frf.  ober  jirta  1 frf.  für  bie  ArbeitSftunbe  befahlt  DaS 


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9 


SoDaKoninen  unb  tluffuc^n  imrb  mit  1*/,  frl4.  für  bte  ®tunbe 

honoriert  SaSfelbt  gilt  bon  gopien  fc^luet  ledbanr  Criginale  unb  übtr* 
ft^ungen  (NB.  Iiterarif(^  bermenbbare  Ü6nrfet)ungen  nac^  Überdntunft). 
grS^ertn  ©täbten  lann  bti  toeiter  ßntfernung  unb  Mt^änfter  3ugängti(^feit  ber 
%(bfc^rtibe|ieQen  eine  entfprec^nbe  Vergütung  beS  3^oerIufieg  ftfigefe^t  »eiben. 

§ 8.  (£in  9ieba{tionMudi(^ug  non  brei  $er{onen  neiöffentlic^t  9Rit> 
teiiungen  über  bie  ^nbi(^riftlic^n  ©ammlungen  unb  ben  ©tanb  ii^rer  Senu^ung. 

§ 9.  2)iefer  Kudf^ug  ift  befugt,  ^ublitationen,  bie  bem 
Sunbed  entfpiec^en,  bie  ©ignatur  bed  93unbeS  ju  erteilen,  gürd  erfte  »erben 
„International  series“  unb  „Northern  series“  ber  „FF  publications“ 
^eraudgegeben,  lef^tere  ©erie  umfagt  buä  ffanbinabifcge  unb  gnnif(!g«eftnif(gc 
Material  9leue  ©erien  tönnen  mit  ^ilfe  ber  fiofaloermaltungen  Don  bem 
9lebattiondaudf(gug  Mranftattet  »erben. 

§ 10.  Der  SlebattionSaudf^ug  »irb  alle  brei  3agre  auf  einem  adge* 
meinen  gongreg  ober  buri^  fc^riftlicge  Sbftimmung  mit  einer  ©timme  für 
jebe  Sofaloermaltung  bej».  jeben  Vertreter  ge»Sl)tt.  Stuf  ägnliige  SSeife  »irb 
über  änberung  ber  ©a^ungen  beS  S3unbed  abgeftimmt,  ju  melier  ftetö  eine 
9Re^rI)eit  non  j»ei  Dritteln  ber  ©timmen  erfor^rti(g  ift. 

S^et  Otrit.  (£.  SB.  bon  ©gbo».  gaaite  grogn. 

Dansk  Folkemindesamling,  Stonnebp,  $etfingfor<, 

gopenbagni.  €(bneben.  ^inlanb. 


,FF*  publications  Northern  series  1. 

Die  ©ignatur  bed  S3unbed  gat  ber  interimiftifcge  0teba(tion8au8fcbug  ben 
er»öl)nten  brei  ©finben  cfhtif^er  Sieber  non  3-  erteilt.  3^r  nollftänbiger 
Ditet  tautet  tateinifdi: 

Monumenta  Bstoniae  antiquae  vel  Thesaurus  antiquus,  carmina, 
sermones,  opiuiones  aliasquo  antiquioris  aevi  commemorationes 
Bstonorum  continens.  Permultis  sociis  adjuvantibus  collegit  et  edidit 
Dr.  Jacobus  Hurt.  Pars  prima;  Carmina  popularia  Volumen 
primum,  secundum,  tertium.  Helsingforsiae , sumptibus  et  typis 
Societatis  Litterarum  Fennicae  1904 — 7.  3m  gon5en  LXXVIII  -f- 1920 
(eftnifcg)  + 393  (beutf(g)  = 2401  ©eiten  ©rogoltoo.  ©rei«  16  16  + 10 

= 42  fronte. 

3u  bem  ermägigten  ©reiä  non  blog  30  fronte  (influftne  be«  bebeutenben 
©oftporto«)  »irb  biefe«  oHe  Sieber  ber  f.  g.  ©etufefen  umfajfenbe  SBerf  ben  3Rit- 
gliebem  bed  ©unbed  „FF“  burc^  bie^finnifc^  Solalner»aItung  unter  greujbonb 
jugefanbt. 

„FF*  publications  Northern  series  2. 

Hjalmar  Thuren,  Folkesangen  paa  Fmraerne  (The  folksong 
in  the  Faeroe  Islands,  with  an  excerpt  in  german)  gopen^agen  1907. 

SBirb  ben  Slitgtiebem  be«  ©unbe«  „FF“  ebenfoH«  ju  ermägigtem  ©rei« 
non  ber  bönifc^en  SotaIner»aItung  jugefanbt. 


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10 


Zur  f5rd«run)3  der  Volkshande. 

Btoeierlei  fruc^tbaie  (Sebanten  finb  eS,  bte  in  bei  ooitiegenben  9hinunei 
unfcree  Somfponbenjblattee  )um  Kudbiud  gebracht  finb,  bei  eine  vom 
92orben  \)tr,  bei  anbere  bom  @flben,  beibe  in  gleitet  SBeife  geeignet,  bem 
jugenblic^en  Xatenbiang  bet  SSoHMunbe  mächtig  iBorfc^ub  }u  leiften;  bei 
fiänbei>3ufammenf(^Iug  n>iffcnf(^ftli^  Kibeit  unb  bie  Söibeiung  bei  fai^' 
(ic^n  iBoHdfunbe. 

SSlenn  ti  tnii  eilaubt  ifi,  ein  poai  SBoite  auS  bem  ©tegieif  baju  ju  fagen, 
fo  (ann  id^  ben  ißlan  be2  internationalen  83unbe<3  aus  eigenei  (Sifatjiiuig 
nic^t  anbeiS  bejeid^nen  als  eine  eilöfenbe  Xat.  9iic^tS  ift  füi  ben  t8otlS> 
foift^ei  fo  fc^mieiig,  toie  bie  Sefi^ffung  auSiänbif^i  SDlateiialien.  ^ätte 
ic^  nic^t  baS  miiflic^  fettene  ®tü(f  gehabt,  ffii  meine  Statuifagen  fieunbtic^ 
^elfei  ju  ftnben,  baS  SBeil  mäie  tläglic^  gefc^eiteit.  <fi  Snt« 

täufc^ung,  im  ®tic^  gelaffen  ju  meiben,  nic^t  eifpait  geblieben,  unb  bie  oben 
beiü^ite  9iage,  inmictoeit  eS  juläfftg  ifi,  anbent  mit  feinen  SBünfc^  jur 
Saft  ju  fallen,  ^at  mit^  oft  in  i^iei  ganzen  t>einli^en  iSd^weie  bebrüA; 
abei  onbeieifeits  entfc^äbigte  bie  ^»ilfsbeicitfc^oft  wtHigei  Sieunbe  in  teid^ 
ti(^m  IDia^e.  Sßieoiel  me^i  jebo(|  tann  ein  9unb  }U  gegenfeitigei  Unter' 
ftü^ung  leiften  I SSie  manc^m  mUftiebenben  fffoifdiei  mag  ei  ben  fBeg  ju 
ueigleicfienben  Stubien  ebenen,  mie  mandien  noc^  abfeitS  fte^enben  geminnen! 
Unb  »eichen  ?luff(^mung  unfeiei  S3Kffenfc^aft  baif  man  erlooiten,  — nit^t 
nui  bon  bei  ei^ö^ten  Xeitna^me  bei  ffad^enoffen,  fonbem  boi  allem  au(^  oon 
bei  (^(^tie^ung  unentbe^ilii^ei  Duellen!  3)aS  lägt  fiig  boilöufig  nui  agnen. 

9iägei  liegen  bie  f<<^  ^ 3&it*cning  bei  fatglicgen 

älolfstunbe  eigeben.  tnüt>fe  an  ben  ®ia}ei  Songieg  fegi  weitgegenbc 
Hoffnungen  unb  raünfcge  bon  H^ijen,  bag  biefem  bielbeigetgenben  Anfang 
eine  ununteibioegene  Keige  eifolgicicgei  Tagungen  folgen  mbge. 

übei  gOgci  nocg,  alS  bei  tbigenfigaftlicge  SBeit  biefeS  e^ten  SongreffeS, 
ftegt  mii  feine  päbagogifcge  Sebeutung,  infofem  ei  feine  Xötigleit  bem 
VibeitSplan  bei  50.  SSeifammlung  beutfcgei  ißgilologen  unb  0(gulmänner 
angliebeit  unb  fibei  Siagen  beiganbelt,  bie  „im  IDUtteltiunit  beS 
— au(g  füi  bie  ©dgule  — gegen".  fflUt  biefei  Slürfgdgt  auf  bie  ©cgule 
roiib  eine  goibeiung  eifflUt,  bie  feit  JJagien  — je  ögei,  je  übeijeugenbei  — 
eigoben  tooiben  ift:  bie  IBoltstunbe  füi  ben  Untenicgt  nugbai  }u  macgen. 
SllS  icg  im  3agie  1899  in  bei  „3tiif<grig  füi  ben  beutftgen  Untenicgt"  ein 
paai  Anlegungen  in  biefei  SUcgtung  gab  unb  bann  in  bei  ^aibeitung  beS 
Hierfefcgen  fiefcbucgS  füi  gögeie  ©cgulen  im  SJeiein  mit  diubolf  HiO>c6)^<ii<t>tS 
gleicggefinntem  ffieunbe  Oeoig  ©eilit  füi  boKsfunblicgen  fiefeftoff  folgte,  ba 
gieg  eS  tbogl  giei  unb  ba:  bie  3cit  ift  nocg  nicgt  gcfommen,  bie  SSigenfcgaft 
ju  jung.  Seitbem  ift  eine  $eiiobe  angeftiengtei  Slibeit  ueiftiicgtn,  bie  SSoIfS' 
funbe  ^t  gcg  in  lafcgem  Auffcgtoung  enttoiilelt,  unb  eine  tlnjagl  fnrädgtiger, 
aucg  ben  ffemeiftegenben  fegelnbei  S93eite  ig  eifcgienen.  ^in  SBunbei,  bag 
bie  Sofung:  mcgi  SSoIfSfunbe  in  bei  @cgule!  fegt  lautei  eitönt  benn  je,  unb 
bag  }.  IB.  bei  IBeiein  füi  ©äcgfifcge  SioltStunbe  füi  ben  näcgften  iSintei 
eine  ^eige  oon  Soitiägen  übei  SBoIfShmblitgeS  in  bei  0cgule  plant.  (Sin 
göcgft  bantcnSmeiteS  Untemegmen!  2)enn  mei  bie  Sugenb  gat,  bem  gegört 
bie  3»tung.  Unb  icg  bin  feg  übeijeugt,  bag  baS  ^ fBoITShmbe 
UDijugSmeife  auf  bei  0cgule  bnugt.  über  anbeieifeits  meine  idg,  bag  eS 
mit  Songiegen  unb  SSoitiägen  nicgt  getan  ift  üniegungen,  bie  man  burcg 


11 


fot^e  em^ffingt,  oerfKüd^tigcn  fic^  aDju  leicht;  bie  $5rcr  ift  oer^ältnil* 

mäiig  Hein;  unb  getabe  bie,  bie  man  getoinnen  möchte,  ftnb  auSgeblieben. 

föaS  mir  brauchen,  finb  liteiarifc^e  Hilfsmittel,  bie  auS< 
f(^Iie&lic^  für  baS  S9ebürfniS  ber  @c^ule  }ugef(^nitten  finb. 

felbft  befc^Sftige  mic^  feit  Sßorarbeiten  ju  einem 

umfangreichen  iQuftrierten  iSerte  , Silber  auS  ber  beutfc^en  SoitStunbe",  baS 
ic^  nad^  SoIIenbung  beS  SDlanuffripteS  non  Sanb  3 unb  4 meiner  9Tatur> 
fagen,  nermutlic^  im  fiaufe  beS  nächften  ^a^reS,  encrgifc^  in  Angriff  nehmen 
merbe.  CfS  foD  nac^  Strt  ber  @rubefc^en  S^arafterbitbcr  abgerunbeie,  bem 
jugenbiic^en  @efcf)ma(t  unb  SerftönbniS  angepagte  Xarfteüungen  aus  bem 
Qiefamtgebiete  ber  SoKSfunbe  barbieten.  Sine  äJionograp^ie  über  baS 
äRänben  in  XeubnerS  Sammlung  „KuS  92atur  unb  SeifteSmelt"  foü  aiS 
felbftdnbige  Srgänjung  erfc^einen.  Solche  Sflc^  müßten,  benf  ic^,  rec^t  nac^ 
bem  fiergen  ber  Sd^üter  fein.  SSHe  menig  boju  gehört,  beren  ^ntereffe  für 
SoItSfunbe  ju  mechn,  baS  ^at  mic^  ein  tieines  Sricbnis  gelehrt.  SS  mar 
in  Oberfefunba,  mo  ic^  für  Sc^üiemorträge  nur  geringe  feibftfinbige  Arbeit 
oerlange.  ^ bot  unter  oerfc^ietKnen  tiuSma^ltbemata  auc^  ein  fe^r  einfach 
an:  ein  Referat  über  ^öfters  in  ber  ,8Wt-  f-  ®f.“  erfcf)ienenen  Hufföbe  über 
geflgtbäcfe.  ÄÜgemeineS  Schütteln  beS  ßopfeS,  oerbu^t  läc^lnbe  ©efu^ter, 
leifeS  Sc^aubeml  9Ran  mugte  offenbar  nic^t,  maS  man  bamit  anfangen  follte. 
Snblicb  erbot  fic^  ein  armer  Sc^lucter,  ber  mo^I  nichts  meitcr  füllte,  als  bag 
feine  fc^mac^e  Sraft  für  ein  fol^es  Referat  auSreic^te.  Unb  ftehe  ba!  ^er 
Serfu^  glüdte.  Seiten  finb  meine  grogftäbtifc^n  jungen  fo  suf> 

mertfam  gemefen,  mie  bamats,  aiS  fie  }um  crftenmal  oon  Sfieifeopfern  unb 
diebiibbroten  gürten,  ä^niic^  ift  eS  mir  oft  gegangen,  mcnn  ic^  mic^  auf 
SieblingSgebietc  meiner  Spejialftubien  berirrte  ober  — mie  ber  Schüler  fagt 
— ins  fo^ien  tarn.  SRan  barf  für  gemig  anne^men,  bag  auf  jeber  ülterS* 
ßufe  beS  SgmnafiumS  eine  fe^r  lebhafte  Vuffaffung  für  alles,  maS  SoIfStum 
heigt,  oor^anben  ift.  SS  fe^it  nur  an  geeigneten  Süc^m,  bie  bie  ^ugenb 
in  biefeS  Skbiet  einffl^ren  tönnten. 

Sber  auc^  ber  Se^rer  bebarf  ber  ^ilfSmittci,  um  ieberjeit  baS 
nbtige  SRateriai  jur  ^anb  ju  ^aben. 

SSenn  ic^  an  bie  fieftüre  ber  ^S^eren  Schulen  benle,  — mie  oft  unb 
mie  ungejmungen  taffen  fic^  ba  VuSMide  auf  ootlslunblic^e  X^emata  geben! 
Unb  mie  menige  miffen  in  biefen  Gingen  Sef^eib!  SS  ift  ja  baS  Unglüd  ber 
SottStnnbe,  bag  i^re  Siteratur  über  alle  i^fc^reibung  mü^fetig  jufammen« 
jufioten  i^l  2Ber  ^fitte  3^i  Snft  bajui  SEBenn  fc^on  in  einer  großen 
Sibiiotlief  mie  in  Seipgig  eine  fo  reic^^Itige  3^tf<^nft  mie  bie  „Revue  des 
traditäons  populaires“  fe^It,  oieter  Singetmerfe  nicf)t  gu  gebenfen,  — moS 
foD  man  gar  oon  bcn  Kollegen  in  Keinen  Stäbten  ermarten,  mo  meniger  als 
nichts  gu  ^ben  ift?  Unb  mieoiet  Rtateriai  aus  älterer  3<>i  nt^i  oerftedt  in 
3eitfc^ften,  mie  bem  „SHobuSl*  85er  miü  bie  Sänbe  alle  burc^fe^n,  mer 
ftc^  3(UeIföften  anlegen,  bie  ftc^  nur  tangfam  unb  fpärlic^  füllen  merben? 

^tte  es  ba^  für  eine  ber  bringenbflen  Aufgaben  ber  lommenben 
3a^re,  bag  unS  auger  einem  met^obifc^en  ^anbbuc^  über  „Sotfslunbe 
unb  Spmnafiatunterric^t''  oolfsfunbtic^e  Kommentare  nic^t  nur  gu 
beutfc^en  Sefebüc^em,  fonbcm  auc^  gu  ben  mic^tig^n  Sc^riftfteUem  geliefert 
merben.  Sorarbeiten,  g.  S.  über  SoKSlunbe  bei  ^orag  (itatienifc^),  liegen 
gmar  Dor,  aber  boch  fpärlid^.  Über  Sirgit  im  SRittelalter  ^ä^rt  ber 
Schüler  laum  je  etmaS.  SBogu  gibt  eS  XeubnerS 


- 'A 


12 


bUroeilen  a\id)  ju{ammenfaffenbe  Sirferate  o^ne  felbftänbigc  t^tic^ung  er* 
fc^tnen?  3ft  ti  nid^t  fe^r  nefentlic^  für  uns  Se^er,  bie  nrir  unm5gU4  in 
allen  Sätteln  feftfi|}en  (önnen,  ttuffä^e  ju  erhalten,  bie  in  einzelnen  teilen 
tnomöglic^  jum  Sorlefcn  in  Oberttaffen  geeignet  fmb?  ^abe  mi(^  ge* 
Icgentlii^  bur(^  ein  foIc^eS  Sleferat  über  bie  ^rotfoitforfebung  fo  eingebräb 
unterriebtet,  wie  i(b  eS  fonft  niemals  bermoibt  bütte!  BaS  aber  für  ger« 
maniftifebe.  jebem  Slfabemiler  nabeiiegenbe  @egenftänbe  gilt,  baS  gilt  in  er* 
böbtem  SRa|r  bon  ber  !@onstunbe.  ^Ift  nur,  ibr  ^nbigen,  unb  ibr 
öffnet  baS  (Dbmimrium  eurer  SMffenfcbaft!  SBoblgemerft,  eine  Öelaftung 
bebeutet  bie  immer  nur  gelegmtUcbe  Untermeifung  in  ber  iBoItSfunbe  nicht, 
nobl  aber  eine  erfreulicbe  Kbmecbftung  in  bem  Sinertei  beS  UnterrriebtS* 
betriebeS.  SSeIcben  SBert  fie  für  bie  ^äftigung  beS  9tationa(gefüblS  bni>ni 
mübte,  braucht  nicht  gefagt  ju  roerben.  3enen  ehrlichen  RuSruf,  ben  S. 
SReber  einmal  bon  einem  3nbbrer  bemabm,  „bag  ihm  bureb  bie  iSoIfSfunbe 
erft  bie  Vugen  geöffnet  feien  über  bie  ^cimat  unb  baS  eigne  Seben,"  möchte 
man  fo  gern  auch  auS  bem  SRunbe  eines  Schülers  böten! 

Unb  noch  eins!  äBir  leben  im  Scitatter  ber  i&Uettantenbhbtograbhit- 
gein  Schüler,  ber  nicht  Suft  bütte,  mit  bem  Stpbatat  binuuSjumanbem  unb 
feine  ^eimat  tünftlcrifcb  feben  ju  lernen.  äBoblan!  Sebrt  ihn,  fie  auch  oolts* 
(unbli^  }u  feben,  unb  ibr  gebt  ihm  baS  SöfiUebfte,  n»S  ihr  in  nationaler 
unb  bifiotifc^r  ^infiebt  geben  tönnt.  ^abt  ihr  ein  Sfioptifon  in  ber  Schule, 
fo  oerroenbet  bie  SSilber  eurer  Schüler  für  IBorträge,  bie  natürlich  »st  bem 
ScfamlcötuS  in  ber  tlula  ju  holten  finb.  3>er  9iuben  lohnt  bie  reichlich- 

Sienn  nun  in  bem  obigen  Aufruf  jur  @rünbung  beS  internationalen 
IBunbeS  ^rofeffuren  für  ÜJollStunbe  geforbert  merben,  fo  fcheint  mir  biefe 
Sorberung,  menigftenS  in  Seutfcblanb,  erft  bann  %uSfi^t  auf  Srfolg  ju 
haben,  menn  baS  oottsfunblicbe  Stubium  febon  auf  ber  Schule  norbereitet 
unb  baS  Sfntereffe  für  biefeS  Soch  gemeeft  roorben  ift.  So  nur  mirb  bie 
Sragc,  maS  fie  merben  mu|:  eine  ^ebürfniSfrage.  S3aS  ift  btutjutage 
bem  Stubenten  bie  SolfSlunbe!  !SurcbfcbnittSftubenten  tümmem  ficb  um  baS, 
moDon  fie  nie  etmaS  SeftimmteS  erfahren  hoben,  in  ber  Siegel  nicht  oiel.  ®äbe 
man  aber  auf  ber  Schule  genügenbe  oolfstunbliche  Anregung,  fo  mürbe  manch 
einer  auch  auf  ber  Uniocr^töt  unb  fpäter  im  Slrnt  ein  ^r}  für  biefe  einzig* 
artige  SBiffenfebaft  hoben,  bie  ihn  baS  fflort  S<ii{  ^obnS  nerfteben  lehrt: 
!DaS  büchte  ®ut  beS  SttanneS  ift  fein  Soll! 

SS  bürftc  fomit  eine  notmenbige  Pflicht  beS  IBerbanbeS  fein,  eine  Se* 
megung  ein^uleiten,  bie  ben  ®nb}mecf  bot,  ouf  Srmeiterung  ber  fiehrbUine  im 
DoltShinblic^n  Sinne  einjumirfen  unb  auf  (Sinfübrung  eine#  geeigneten  bureb 
^anbbücbcr  ju  befebaffenben  SebrftoffeS  ju  bringen ! 3)ie  IBerbinbung  eines  fon* 
greffeS  für  Ülolfsfunbe  mit  einer  $iIoIogenoerfammIung,  mie  fie  in(Bra)  für  1909 
geplant  ift,  erfebeint  mir  als  augerorbentlicb  geeignet,  bie  3lbee  beS  ooltshinb* 
lic^n  Unterrichts  }u  förbem.  Dr.  OSlur  S)äbnbarbt,  Seipjig. 


Hufforderuti]). 

3)icienigen  IBerbanbSmitgiieber,  beren  SabreSbeitrag  noch  nicht  eingefanbt 
ift,  merben  gebeten,  ihn  möglichft  fofort  an  $erm  Dr.  $anteniuS  (Soigtlönberl 
Verlag),  fieipjig,  ^ofpitalftrage  10,  }u  entrichten. 


Dr.  SKarbad^^l«  9. 

Oa^brutferri  9K^rb  ^a0n  (^.  Otto).  Cribjlg. 


]M!ttenungeii 

dee  Verbandes  deutfcber  Vereine 
für  Volhskunde 

Dr.  8.  (RorreTpond«nfbUtt)  Dc}«mbcr  1908. 


Bericht  über  die  |weite  Cagung  des  Verbandes 
deutfd)er  Vereine  für  Volkskunde. 

üm  2.  unb  3.  Oltober  fanb  bie  jioeite  S^ogung  beä  iBcrbanbed  in  iBcrIin, 
in  bcr  oltangcfc^cncn  SRcIfource  jur  Unterhaltung  ftatt. 

35ort  bereiteten  bie  mit  ihren  Samen  zahlreich  erschienenen  äKitglieber 
ber  SBerliner  SSereinc,  inäbefonberc  be«  SBereinä  für  iBoIfäfunbe,  am  SIbenb 
bei3  2.  Oftober  ben  audmärtigen  @öften  einen  überaus  Smhfang. 

5Ra(h  HebenSroürbiger  ®egrü6ung  burch  $erm  ißrof.  Dr.  9loebiger  entfaltete 
ftth  ein  reiches  ^rogromm  oolfSfunblicher  tßorführungen.  Sllte  SoIfSIieber, 
gefungen  Don  fjirou  fitoffegf-SWüHer,  8^1.  Sriebel  unb  Sri.  ©chmibt,  neue 
töolfSlieber,  Don  bem  erjgebirgifchen  SBotfSbichter  ^erm  Mnton  ©ünther  jur 
@itarre  Dorgetragen,  ^erbenreigen  unb  Suhpolfa,  auf  jtDei  ©chmegelhfeifcn, 
fomie  fiänbler,  auf  IDhinbharmonifa  unb  @itarre  Don  ^erm  ®eorg  SredhSler 
}u  @ehör  gebracht,  tllphontflänge  unb  ^hrrigm  Quf  bem  tlntilopenhom, 
©ignale  nebft  beren  DoIIStümtichen  Seutungen  Don  ^erm  SgL  Kammer» 
mufiter  Königsberg  Dorgeführt,  bajmifchen  So^rlfünfte  beS  greifen  ©chmeijerS 
3ofehh  Selber  unb  Kafpertefpiele  beS  ^)erm  ©anjouge  ouS  SreSben  — boS 
aQeS  jog  in  rafcher  Solge  Dorüber  unb  würbe  mit  Sant  gegen  bie  S3er> 
anftaltcr,  namentlich  bie  ^»erren  ißrof.  SRoebiger  unb  Ißrof.  Solte,  oufmerffam 
entgegengenommen. 

Äm  3.  Oftober,  DormittogS  10  Uhr,  folgte  bie  gefchfiftüche  Beratung 
ber  übgeorbneten. 

ünmefenb  waren  bie  Herren: 

Dr.  ©Tunner,  als  Sertreler  ber  Sgl.  Sammlung  für  ©olfsfunbe  ju  Berlin, 
Dr.  Söhnharbt,  als  Schriftführer  beS  ©erbanbeS, 

©rof.  Dr.  4»auffen,  als  ©ertreter  beS  ÄuSfchuffeS  für  beutfchböhmifche  ©oHS« 
funbe  in  ©rag  unb  beS  ©erbonbeS  für  ©gerlönber  ©otfSfunbe, 

©rof.  Dr.  ^Im,  atS  ©ertreter  beS  ©ereinS  für  baherifche  ©olfSfunbe, 

©rof.  Dr.  Sahle,  als  ©ertreter  beS  ©abifchen  ©ereinS  für  ©ollSfunbe, 
®ireftor  Dr.  fiauffer,  als  ©ertreter  beS  ©ereinS  für  Hamburger  ©efchichte, 
©rof.  Dr.  3ohn  SKeier,  ols  ©ertreter  ber  Schweijerifchen  ©efellfchaft  für 
©olfSfunbe, 

©rof.  Dr.  SKogf,  als  ©orfihenber  beS  gefchäftS^h«nboi  HuSfchuffeS  beS 
©erbanbeS  unb  als  ©ertreter  beS  SKufeumS  für  ©ölferfunbe  in  fieipjig, 
Dr.  ©ehler,  alS  ©ertreter  beS  Hamburger  ©iufeumS  für  ©ölferfunbe, 

©rof.  Dr.  ©oebiger,  alS  ©ertreter  beS  ©ereinS  für  ©olfSfunbe  in  ©erlin. 


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2 


'ßrof.  Dr.  Sortori,  ate  SBertntcr  b«4  9l^ctnif(^«Hjeftfätiic^)en  Serein^  fite 
SSoIfdhinbe, 

Pfarrer  Schutte,  atd  SSertreter  ber  ^effifc^en  SSereinigung  für  SJoIfdIunbe, 
$cof.  O.  ©e^ffert,  al^  SSertreter  beS  iBereind  für  fäi^ftfc^e  iBoIfdhinbe, 

Dr.  ©iebS,  olS  Vertreter  bei  ©(^(efifc^n  ©efeüfc^aft  für  SoITdhmbe, 
©öfelonb,  aI0  SBertreter  bc8  Sereinä  ber  Sgl.  ©ammlung  für  ®oHähinbc 
Berlin, 

Dr.  Iräger,  otä  Sertreter  ber  Berliner  ?intf|ropoIogii(^cn  ®efeHf(^aft, 

überbie«  eine  größere  3“f|t  ^»trrtn  mit  beratenber  Stimme,  barunter  ^err 
i^Jrof.  Dr.  Botte,  Berlin,  unb  ^lerr  Brof.  Dr.  SBoffiblo,  SBoren  i.  SDlctft. 

1.  $er  Borfit^enbe  eröffnete  bie  Berfammlung,  ^ieg  bie  Srft^ienenen 
jur  gemeinfamen  Arbeit  loilltommen  unb  geballte  fobann  ber  äJtänner  un- 
ferer  SBiffenft^aft,  bie  feit  ber  Gifenai^er  iDelegiertenoerfammlung  (24. 3Rai  1907) 
oerftarben:  Brof-  @oHöc,  Glarb  $ugo  SWeper,  Stlbrer^t  ®ieteri(^  unb 

©anitätSrat  Dr.  Siffauer. 

2.  Dr.  ^ä^n^arbt  erftattetc  ben  Geft^ft^beric^t,  auä  bem  ^erborging, 
bafe  bie  Begiftrierung  ber  Bolf^lieber  (ogL  SKitt.  Br.  5,  B“"^  5) 

Berein  für  fäc^fifc^  Boltiifunbe  beenbet  ift,  bie  Berbinbung  mit  ber 
öfterreic^ifc^cn  Organifation  ber  BoIfSlieberfammlung  teild  gelungen,  teiB 
in  muäfit^t  gefteHt  ift.  3)ie  Bibliograp(|ie  beS  beutf^bö^mifc^en  ge> 
brudten  unb  bunbfc^riftlic^en  Boltdiieberbeftanbed  — eine  Arbeit,  bie  }tuei 
bis  brei  bauern  bürfte  — ^at  |>err  B>^of-  l>ouffen  jugefagt.  gür 

bie  Stufna^mc  ber  ju  ermartenben  SBateriatien  |at  bie  S)ireftion  ber 
UniberfitätSbibliot^el  ju  fieipjig  einen  Baum  jur  Berfügung  geftclit.  Gin 
©d^ema,  nad|  melc^cm  ber  Beftanb  an  Srudfac^en  unb  ^anbfc^riftlit^en 
©ammlungcn  oolfStunblit^en  einzelnen  Bereinen  ein^eittid) 

Derjettelt  merben  lann  (ogl.  IBitt.  Br.  5,  Bunit  '!)>  i>cr  KuSfe^ug  natb 
Berftönbigung  mit  bem  Borftgenben  ber  5.  Slbteilung  ber  Gefc^ic^tS'  unb 
'^lltertumSOcreine,  $erm  Btof-  Brenner,  ausgearbeitet  unb  oerfanbt.  — SBie 
j^err  B^of.  Sa^le  mitteilte,  ftnb  bie  BoIfSlieber  ber  alemannift^en  Steile 
BobenS  ebenfalls  fertig  regiftriert.  — Qm  Sluftrage  beS  abroefenben  Bec^nerS 
legte  Dr.  Säbn^arbt  fobann  bie  Beebnung  oor,  bie  mit  einem  Saffenbeftanb 
oon  243  SBf.  34  Bfü-  obfebtog.  !Die  Betbnung  mürbe  bon  ben  ^rren 
©ölelanb  unb  Submig  geprüft  unb  richtig  befunben,  morauf  bem  Betbner 
Gnttaftung  erteilt  mürbe. 

3.  B<rof.  Soblc  brachte  bie  bon  ihm  unb  Dr.  ^ugo  ^epbing  (Gie^n) 
ausgearbeiteten  Seitfähe  jur  ©ammlung  ber  Sou^eirfprüche  unb  ©egen  beS 
beutfehen  ©prachgebieteS  jur  Befprechung  (bgl.  aSitt.  Br.  5,  B“"*l  7).  Sic 
mürben  mit  geringen  Änbeningen  angenommen  unb  merben  bcmnächft  ben 
Bereinen  jugefanbt. 

4.  3ur  Qragc  ber  Qcitfehriftenfehau,  über  bie  Bwf-  3Jlog(  berichtete, 
mürbe  ein  Eintrag  beS  StuSfehuffeS  in  ber  folgenben  bon  B>^<’f-  Boebiger  unb 
Brof.  Qohn  SBeier  formulierten  Qaffung  angenommen; 

»Der  Berbonb  hält  b«"  Sortbeftanb  ber  Qeitfehriftenfehau  im  bisherigen 
Umfong,  nur  mit  genouerer  Sichtung  bcS  SRaterioIS,  ^r  notmenbig  unb  fagt 
ber  ^effifchen  Bereinigung  für  BolfShmbc  feine  petuniäre  Unterftühung  ju, 
fobalb  ihm  bie  SBittel  ju  feiner  Slrbcit  jur  Berfügung  ftehen.  lieber  bie 
Ginjclheitcn  mirb  ber  MiiSfchuh  beouftragt,  mit  ber  ^effifchen  Bereinigung  in 
Berbinbung  ju  treten." 


3 


5.  di  folgte  bie  Beratung  über  bie  ju  befc^ffenben  IRittel.  3ubor  n> 
tläite  bie  Serfammlung  auf  finregung  bed  ^rm  ißrof.  Koebiger  unb  be> 
fonberen  Äntrog  be«  ^errn  $rof.  8ol((e,  ben  Äu8f(^u§  bei  aller  ffieiterorbeit 
na4  befhn  Kräften  ju  unterftü^n,  unb  beauftragte  i^n  i^erauf,  eine  ißetition 
an  ben  iReii^tanjler  ju  richten  unb  bcifbnlic^  beim  Steic^amt  bed  Innern 
BorfteHig  ju  toerben.  di  foll  fiierbei  junäc^fl  lebiglic^  bie  Sammlung  ber 
SoRMieber  betont  toerben. 

6.  3>tr  (frage  ber  Singlieberung  an  ben  ,3ntemationaIen  S3unb  folfto* 
rifüft^  5orf(^er  FF*  »urbe  auf  Äntrag  bc8  Äu8f(buffe8  befc^Ioffen: 

,^ie  (Singeloereine  foQen  i^re  SRitglicber  auf  bie  IBorteile  be8  ^nter' 
nationalen  iBunbe8  foifioriftifc^er  fforfc^r  aufmerffam  mad^en  unb  bie  miffen* 
fc^aftlic^  Xötigen  jum  Beitritt  aufforbem.* 

7.  hierauf  gelangten  noc^  folgenbe  Anträge  be8  Siu8fc^uffe8  jur  Slnna^me: 

1.  „Solange  bem  Sierbanbe  leine  9HttcI  jur  Verfügung  ftc^,  bie 
bie  StnfteDung  einer  ^UfShaft  ermbglic^en,  bleiben  bie  ein* 
gefegten  SluSWüjfe  befielen.* 

2.  „®ie  SJereine  »erben  erfut^t,  irater^Ib  i^  S3erein8gebiete  oon 
ben  Setreibebubpen  p^otograb^fc^  iSufna^men  ju  mat^n  unb 
baä  Stuftreten  ber  oerft^iebenen  gormen  fe^jufteüen." 

^rr  SRielfc  erflSrte  ftcfi  bereit,  einen  Sntmurf  barüber  oorjuiegen. 

8.  gn  bie  tBonsiieberlommiffion  würbe  auf  Slntrog  oon  $rof.  8olte 
^err  &t\).  8legierung8rat  ißrof.  Dr.  grieblönber  gewählt.  ®iefer  na^m  bie 
Sa^I  banfenb  an. 

9.  Sluf  Sintrag  oon  ^erm  Söfelanb  »urbe  ber  Slu8f4u§  beauftragt, 
eine  iänberung  be8  § 14  bör  Statuten  (Beitrag  betreffenb)  bi«  jur  nöt^ften 
Tagung  Dorjiibereiten. 

10.  gür  ben  näc^ften  BerbanbStag  »urbe  ®ra}  gewählt. 

11.  ®er  gef(^äft8fül|renbe  Siuifc^ug  »urbe  burt^  Bumf  »iebcrgetoä^li. 

Sluf  bie  Beratung  folgte  ein  Bortrag  be«  ^>erm  ißrof.  $auffen  über 
bo8  öfterreic^ifdie  BolUIieb  unb  feine  oorbereitete  ;^erau8gabe,  ber  unten  ab* 
gebrudt  ift.  Sin  }»eiter  Bortrag,  ben  ^rr  Bfonrer  St^ulleru«  in  ^rmann* 
fiabt  jugefagt  ^atte,  mugte  (eiber  au8fallen,  ba  biefer  bur(^  amtliche  Srünbe 
am  (Srf deinen  oerljinbert  »ar.  Um  2'  ',  Uf|r  f(^Io|  ber  Borfi^enbe  mit 
^crjlic^en  ®ante«»orten  bie  Si^ung. 

Um  5 U^r  fanb  eine  oon  jafitreic^n  Teilnehmern  (über  250)  befuchte 
öffentliche  Berfammlung  ftatt,  »eiche  bur^  bie  Segenwart  be«  ^erm  Seheimen 
OberregierungSratS  Dr.  Schmibt,  ber  in  Bertretung  be«  ^erm  Unterricht«* 
minifler«  erfchienen  »ar,  ihre  befonbere  Slu«jei^nung  erhielt.  Bach  einer 
Slnfprache  be«  |»erm  fßrof.  Dr.  TOogf,  bie  wir  unten  im  SBortlaut  »ieber* 
geben,  ergriff  ^err  Btof.  Dr.  Sieb«  ba«  SBort,  um  SWt  Slufgaben  ber 
BotI«funbe  eingehenb  ju  erläutern.  ®cr  Bortragenbe  fehle  junächft  bie  Snt* 
»idlung  ber  Doll«funblichen  Befirebungen  in  ®eutfchlanb  au«einanber;  wenn  auch 
einzelne  h^öorragenbe  Selehrte,  Dor  allem  bie  Brüber  Srimm,  SRüHenhoff, 
Schmetter,  SBeinhoIb  ftch  fchon  Doi'her  um  Brauch  unb  Sitte,  Sage  unb  Btörchen, 
Sieb  unb  Stauben  be«  Bolle«  gelümmert  hatten,  fo  »ar  bie  Bf^^S^  Tinge 
hoch  recht  eigentlich  ber  "“th  1870,  feit  bem  ffirftarlen  be«  beutfehen 
Bationalgefüht«,  oorbehalten.  gn  neuefter  Beit  oerbanlen  wir  reiche  görbenmg 


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t ' • . 


4 


inbinlt  txr  ^ßreugifc^n  SRabtmic  ber  SBiffenfc^afttn,  benn  burc^  bit  Don 
angertgte  Satologifierung  bei  beutfi^n  ^anbfc^riften  ift  ber  SoRdfunbe 
— loie  an  ben  bon  Dr.  filapper  in  iBreStau  gemachten  (£ntbec!ungen  gcjeigt 
»urb«  — reit^et  Stoff  jugefü^rt  »oorben:  befonbert  in  ben  ^rebigtbanb- 
f(briften  beii  ff>äten  97iittelatter4  ift  biele8  SSiffendwerte  pr  (Siforfcbung  be4 
iQoRSglaubeng  in  ber  Sagen»  unb  SRärdienliteratur  entbatten. 
geeignete  ©eifpiele  beleu^tete  ber  ffiortragenbe  bann  bie  SRetbobif  ber  ein- 
jelnen  SorfcbungSgebiete  unb  »amte  nor  Seicbtglöubigfeit  unb  ungenfigen» 
ber  SRatbfjrüfung  be«  münbti(b  gefannnelten  Stoff«;  er  forberte  ftrotge 
Organifation  ber  Sammeltätigfeit,  tooburcb  toirflitb  brauchbare«  [Reue  bon 
fchon  ©etanntem  unb  ftet«  SBieberboRem  gefonbert  toerbe.  ^ierp  aber  feien 
aRittel  nötig,  unb  aucf)  in  anberer  ^inficht  fei  bie  Unterftübung  burch  bie 
^Regierung  ber  Sinjelftaaten  unb  be«  ©eich^  unerläglicb;  nm  ftetige  SBieber» 
botungen  be«  fcbon  itufgejeicbneten  gu  oermeiben,  fei  e«  tDünfdben«n)crt,  bag 
bie  guten  unb  loeite  ^eife  intereffierenben  ©eröffentlicbungen  ber  <^gen, 
Sitten  unb  ©röucbe,  aRSrcben,  Sieber  für  Schulen  unb  ©ibtiotbefen  aQge> 
mein  gur  ©erfügung  gefteRt  mürben,  unb  baburch  mürbe  auch  überaD  Siebe 
gur  Sache  gemedt  merben.  So  bantcn«mert  e«  fei,  bag  für  ©efchaffung 
greifbarer  (Segenftänbe  unb  Kbbilbungen  — Dom  bräbtßorifchen  Steinbeit 
bi«  gur  mobemen  glinte  — ben  äRufeen  unb  Schulen  faft  ungegählte  äRittel 
guflöffen,  fo  fei  e«  hoch  bebauertich,  bah  i^cin  geiftigen  &|erungen  be« 
Sutturleben«  fo  gang  gu  lurg  tümen,  bag  nicht  ben  ©ibiiothefen,  ben  Sehrem 
unb  Schülern  ebcnfo  reich  bie  OueQen  rein  geiftigen  Seben«  ftöffen,  bie  ber 
©honiofic  unb  ber  ^eimatliebe  fruchtbaren  ©oben  fchaffen. 

©ortragenbe  gab  bann  al«  ©eifpiel  miffenfchaftlicher  S)arfteDung 
eine  turge  3ufammenfaffung  ber  michtigften  Sitten  unb  ©rauche  bei  ber  ©er> 
tobung  unb  ^ochgeit  unb  geigte,  mie  au«  biefen  unter  ^gugiehung  älterer 
Duellen  ein  ©ilb  ber  germanifchcn  (Einrichtung  unb  geier  be«  ©rautlaufe« 
unb  ber  ^eimführung  gemonnen  merben  tann. 

%I«bann  fprach  ber  ©ebner  mit  htrgem  SSorte  über  bie  (Erforfchung 
Don  $au«>  unb  ^rchenbau,  2)orf>  unb  Stabtanlage  unb  ©oII«tracht.  3n 
miffenfchaftlicher  ©egiehung  lönne  auf  biefem  lebteren  @ebiete  mohl  mehr  ge> 
fchehen  al«  in  tmattifcher  ^inficht  gum  Schule  ber  ©oR«trachten,  benn  Don 
jeher  fei  ba«  SanbDoR  ber  ftäbtifchen  SRobe  gefolgt,  unb  ba«  merbe  pch 
ouch  in  3»tunft  nicht  änbem  taffen.  (Eine  anbere  ^age  fei  e«,  ob  nicht 
unfere  h^htten  Greife  einmal  bie  ^aft  in  ftch  fühlen  mürben,  einen  beutfch' 
nationalen  SBillen  in  ihrer  Reibung  auf  irgenbeine  SBeife  gu  betätigen, 
anftatt  ftch  formen  ihrer  (Semänber  oon  ©arifer  Sototten  ober  eng> 
tif^en  3)anbie«  Dorfchreiben  gu  taffen. 

3um  SchtuI  mie«  ber  ©ebner  auf  bie  hoh«  ©rbeutung  ber  äRunbarten» 
bfiege  unb  »forfthung  fomie  auf  ben  h<ft«nfthen  SBert  ber  ©oIt«tunbe  hin; 
auch  betonte  er  bie  michtigen  fogialen  Stufgaben,  bie  faft  aRe  ©erufe  auf« 
engfte  mit  ber  ©oR«tunbe  Derfnübften:  bem  (Sefehgcber  unb  fünften  fei  e« 
nötig,  mit  bem  ©echtSempfinben  be«  ©oRe«  näher  oertraut  gu  fein;  ber  Strgt 
mürbe  ber  hciltofen  Surpfufthaei  am  beften  baburch  begegnen,  bah  tt  ©er> 
ftänbni«  für  (Empfinben  unb  Überlieferungen  be«  ©oRe«  geminne;  ber  ®etft> 
liehe  merbe  unfinnigem  Stberglauben  mirfung«ooRer  entgegentreten  ufm. 

So  h«i>  ©ebner  ben  miffenfchafttichen,  äfthctifchen,  fogialen  unb 
nationaten  SBert  ber  ©oR«(unbe  hc^^for  unb  forberte  gu  gemeinfamer  Strbeit 
an  ihrer  Hebung  auf. 


5 


Kn  biefen  SBortrog  fc^Iog  ein  glönjenbed  Scftma^t  an.  ^a8 
anf  ben  Saifer  als  ben  B^rberer  ooHSfunblic^  9eftiebungen  braute  $>err 
$rof.  Dr.  aRogt  auS.  Sr  tterlaS  ^ietbei  folgcnbe  2)ebef(^,  bie  als  ünt* 
noit  auf  ein  am  SSonnittage  an  ©eine  aRajeftät  fiberfanbteS  ^ulbigungS* 
tetegromm  eingetroffen  war: 

,@e.  aRafefiat  ber  Saifer  unb  fiönig  nehmen  leb^fteS  Sntereffe 
an  ben  iBeftrebungen  beutfi^er  Vereine  für  SSoIfShinbe,  erfioffen  non 
bet  bieSjö^rigen  Xagung  fnn^tbaie  aimcegung  unb  taffen  für  ben 
^utbigung^rug  beftenS  banten. 

atuf  atller^öc^ften  iBefe^I.  3)er  @e^ime  SabinettSiat  i.  SB.  o.  aSetg." 

|)eTr  $rof.  Stoebiger  bantte  alten,  bie  jum  (Getingen  bec  Tagung  bei* 
getragen  Ratten,  inSbefonbere  ben  SBertretem  ber  Vereine  unb  bem  ^erm 
fiuttuSminifter,  ber  einen  SBertreter  entfanbt  ^abe;  ^err  @e^.  Oberregierungs* 
rat  ©4mibt  ^ob  in  feiner  Srtuiberung  ^eroor,  bag  baS  aRinifterhim  ^n 
aSeftrebungen  beS  SerbanbeS  aufmerffame  Xeitna^me  jumenbe  unb  fie  nach 
Srfiften  förbcm  toerbe,  er  ermunterte  ju  tneiterem  ©cbei^n  ber  Strbint  unb 
trat  warm  fQr  bie  3Bieberbetebung  beS  SBottSgefangeS  ein;  ^err  ©e^eimrat 
Sriebet  begrüßte  ben  ®erbanb  ats  SSertreter  beS  OberbQrgermeifterS  ber 
©tabt  ©ertin,  atS  35ireItor  beS  aRörtifc^en  ©roninjiotmufeumS  unb  ats 
©orft^ber  ber  „©ranbenburgia",  (Sefeltfdiaft  für  ^eimathinbe  ber  aS^obinj 
©ranbenburg,  bie  bem  ©erbanbe  bereits  am  ©ormittage  eine  eigene  gefl* 
fc^rift  „©eiträge  jur  ©otfSfunbe"  überreid^t  ^attc;  $err  ^ätof-  0.  ©e^ffert 
banfite  bem  ©ertiner  OrtSauSfc^ug  für  feine  mü^ebotte  Strbeit,  ^err  $rof. 
©otte  feierte  bie  Xamen,  ^err  ©rof.  ©c^mibt  riditete  tterjtic^e  3)anIeS* 
Worte  an  bie  auswärtigen  ©ertreter,  befonberS  Üfterreic^  unb  ber  ©c^weij. 

aiadi  ber  Safet  tarn  ber  bottSfunbtic^e  Stjoratter  beS  3iageS  noc^  einmal 
jur  (Rettung,  ©ottstieber,  bie  bon  f^räutein  ©remer,  $erm  |>iatmar  atrtberg 
unb  ^erm  Stnton  ®Qntt|er  gefungen  würben,  ^obter  unb  |)eimattiebcr 
beS  ^rm  3ofcp^  getbcr  unb  3Reifter  OanjougeS  8aft)ertet^eater  erregten 
ieb^ften  ©eifatt. 

(Jin  frö^tit^er  ©att,  ber  bie  Seitnc^mer  no(^  tange  beifammen  fiieit, 
bitbete  ben  ©«btu&.  ©ott  ^erjtic^er  ®anfbarfeit  finb  bann  atle,  bie  in  ber 
9iei(^^aut)tftabt  eine  fo  fc^öne  ©afttic^feit  genoffen,  in  bie  gewohnten  ®cteife 
beS  ficbenS  unb  ber  Ärbeit  ^eimgele^rt.  ®ine  ootl  ©ertrauenS  in 

bie  ffinftige  (Entwicfetung  beS  ©erbanbeS! 

aRöge  uns  bie  ©tabt,  in  ber  einft  Sart  SBein^otb  ber  ©otfsfunbe  ju 
wiffenf(^ftti(^em  ünfe^en  oer^atf,  einen  neuen  aiuffc^wung  ootfSfunbtidicr 
Sorfc^ung  bringen,  reichen  (Gewinn  für  bie  äBiffenfc^a^  unb  für  baS  gefamte 
beutft^e  ©otf.  0.  D. 


0«r  6infta6  der  Volkshunde  auf  die  vertchiedenen 
Zweige  der  mifTenTchaft  und  Kunft 
Tlnfprad»  von  Profeffor  Dr.  Gagen  fflogh  aus  Ceip}ig. 

^oi^bere^rte  Sßamen  unb  Herren! 
atac^bem  wir  unS  biefen  ©ormittag  wiffenft^afttii^  unb  tf)eoretif<^  mit 
ber  ©otlSlunbe  beft^äftigt  tiaben,  begrüben  wir  ©ie  an  biefem  «benb,  wo 


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6 


toir  na^  alter  Sitte  au(^  ber  ^ra^iS  i^r  Stecht  cinräumen.  SBir  treten  jegt 
balb  in  bie  3”^  ^rd^nei^en,  jener  alten  Dolfdtümlic^n  Sefte  unter 
i^riftlit^m  Utamen,  bie  no4  ^te  bieljad^  im  Stolle  ber  ^bl^unß  bed  feft> 
li(^n  Saures  finb.  83on  i^nen  fagt  fc^on  ^o^nned  Kgricola,  ber  £anb^> 
mann  unb  3cil9cnofTc  Sut^erl:  ,3“  $Hrc^me{jen  ge^  bie  l&eutjc^n 
pjammen  unb  finb  frö^lic^  unb  guter  ^htge;  eS  gefi^iel^t  aber  beö  3a^re^ 
nur  einmal;  borum  ift  ed  I5bli4  unb  e^rlic^,  fintemal  bie  Seute  baju  ge* 
f (Raffen  finb,  bag  fie  freunblii^  unb  e^rlie^  untereinanber  leben  f ollen. " 
SSenn  mir  nun  ^cute  unfre  Tagung  mit  einem  9Ra^Ie,  mie  tS  bei  ben 
fHrmeffen  nie  fehlen  barf,  beenben,  fo  ^anbeln  aud^  mir  löblich  unb  manbeln 
in  ben  Sabnen  unfrer  äJorfabren,  jumal  mir  noch  feltner  ald  fie  ju  folibcr 
Sefiliebfeit  uns  jufammenfinben.  ^oeb  beoor  mir  ju  biefer  leiblichen  9iab' 
rung  übergeben,  geftatten  Sie  uns  noch  etmaS  geifiige  Sorfoft,  bie  Sie  mit 
unfern  3itl^  belannt  machen  unb  3b"^”  jois^n  f°II>  3Rägblein 

„iBolfStunbe",  baS  einft  hier  in  SBerlin  ju  frifeber  SebenStraft  ermaebt,  febon 
rin  ftattlicbeS  unb  DielbegebrteS  f^fräulein  gemorben  ift. 

9tocb  nicht  jmei  ^ahrjehnte  finb  oerflricbcn,  als  bic^^  m i>cr  3cxtrale 
beS  beutf^en  Reiches  Sari  äBeinboIb  baS  KfcbenbrBbel  beutfeber  SSiffenfeboft 
an  bie  ^anb  nahm,  eS  ibreS  SücbengemanbeS  entfleibete  unb  ihm  ben  ihm 
gebübrenben  Sife  bereitete.  Seitbem  ift  boS  frifebe  SKöbeben  in  feiner 
Schönheit  erfannt  unb  ein  iJiebling  »ieler  gemorben,  bie  mit  miffenfcboftlicbera 
^ft  Siebe  ju  ihrem  IBoIte  oerbinben  unb  einen  tlaren  $licf  für  baS 
praltifcbe  Seben  b<>(>^-  ^ie  joblreicben  IBereinc  für  SSolfShinbe,  bie  in  vielen 
Sünbem  unb  IßroDinjen  Z)eutfcbIanbS  unter  ber  Seitung  miffenfcbaftlicb  ge* 
fcbulter  SRänner  entftanben  finb,  legen  bictoon  3^»gniS  ab.  Sine  neue  3(<l 
ift  b^^cingebroeben;  unfer  alteS  SoItStum  febminbet  immer  mehr.  SßaS  von 
ihm  noch  oorbanben  ift,  foH  — oielleicbt  in  lebter  Stunbe  — gefammelt, 
miffenfcbaftlicb  bearbeitet  unb  für  bie  Sefamtbeit  nu^bar  gemacht  merben, 
bamit  uns  fpötere  ©efcblecbter  nicht  einer  UnterlaffungSfünbe  jeiben.  ^ier 
ip  jugleicb  ein  ©ebiet  geiftiger  Ärbeit,  auf  bem  ber  ©elebrte  gemeinfam  mit 
bem  Saien,  bem  IRann  aus  bem  Solle  tätig  fein  fann  unb  baS  ficb 

fo  trefflich  eignet,  bie  Sluft  fojialer  ©egenfäfe  ju  überbrüefen.  ®ie  Solls* 
funbe  ift  eine  SSiffenfebaft  aus  bem  Seben  unb  für  baS  Seben.  hierüber  mirb 
3bnen  mein  SoIIege  Siebs  berichten;  mir  geftatten  Sie  nur,  bag  ich  in 
biefem  SKittelpunfte  geiftigen  SebenS  unb  ber  SBiffenfebaft  in  menigen  3ügtn 
auf  bie  befruebtenbe  ®ätigleit  ber  SolfSlunbe  b‘i'>i’eife,  bie  fie  auf  anbre 
3meige  ber  SBiffenfebaft  unb  bie  Sunft  auSgeübt  bot. 

S9?er  SoltSfunbe  treibt,  muh  auch  SöIIerfunbe  treiben,  b.  b-  er  mu^  ficb 
mit  bem  ganjen  3lbeenlreiS  ber  Katuroölfer  befeböftigen.  SJer  ftammbeitlicbe 
SolfShinbe  allein  treibt,  legt  ficb  felbft  eine  Scbeutlapf)e  ox,  bie  ihm  nie 
einen  flaren  Slicf  in  bie  feelifcben  ä[u6crungen  feines  SolfeS  gibt.  9hir 

bureb  bie  vergleicbenbe  Solls*  unb  Sölferlunbe  merben  unS  bie  tulturetlen 

Überrefle  unferS  SoIIeS  auS  längft  vergangenen  3eiten,  auS  feiner  fiinbbeit 

unb  Qugenb,  erft  verftänblicb.  ®urcb  biefe  vergleicbenbe  Sollshcnbe  ftnb 
jablreicbe  SBiffenfebaften  in  ganj  neue  Sahnen  gelentt  morben.  föaS  bot  man 
früher  nicht  alles  über  ben  altgennanifcben  ©ötterglauben  gefabelt  unb  gebiebtet: 
erft  bureb  SoRstunbe  mirb  unS  allmählich  bie  Seligion  unfrer  Sorfahren 
flar,  erft  bureb  fie  mirb  ben  Quellen  ber  ^ert  pgeficbert,  ber  ihnen  gebührt. 
Sa^  UfenerS  treffenben  Semerhingen  liegen  bie  Stnfönge  unb  ber  Sntmief* 
lungSprojeb  beS  ©laubens  unb  ffuIteS  aller  Sultumölfer  in  einer  vorlitera* 


7 


rift^en  3*it;  f*'  fönncn  mir  nur  entjiffcm  au8  ben  Uberlebfctn,  bie  bic 
Sbdcr  aus  i^rer  ^ufienb  ja^rtaufenbelang  namentlich  in  Sitte  unb  iBrauch 
erhalten  ho^cn.  So  hoi  dieligionSgefchichte  aller  ^IturoStfer  burch  bic 
®oIfSfunbe  einen  neuen  Sluffchmung  genommen.  @anj  befonberS  ift  er  in  bcr 
ber  flafpfchen  SöHer,  bor  allem  ber  ©riechen,  ju  beobachten.  Ufener,  (grtoin 
Sohbe,  bon  ben  jüngeren  befonberS  ber  Iciber  ju  früh  berfchiebene  Stlbr. 
IDieterich  h°^^"  griechifche  9Rhih°^'’9i^r  antilen  £ebcnSanfchau> 

ungen  mit  bem  SBolfStum  bcr  ©cgennwrt  berquicft  unb  fo  einen  frifchen  3“S 
in  baS  Stubium  beS  (laffifchen  ÄltertumS  gebracht  unb  eS  bem  gluch  bcS 
ßpigonentumS  entriffcn.  Unter  bem  ßinfluffc  bcr  SolfSfunbc  löft  fich  baS, 
loaS  man  cinft  als  SRhiho^oßK  auffaßtc,  einerfeitS  in  SleligionSgcfchichtc  auf, 
anberfeitS  in  ©ötterfage  unb  ©öttermörchen. 

Uuch  an  ber  ^elbenfagc  ift  bie  %ol!Sfunbe  nicht  fpurtoS  borübci' 
gegangen,  ^ohl  bielfach  bie  SInfehauung,  bah  .^Ibcn> 

gcftaltcn  oerblahte  ©ötter  feien,  allein  bie  bolfsfunbtichen  Sorf^ungen 
91.  OlrifS  unb  bie  bölferbfhchologif^en  iBeobachtungen  SQunbtS  hoben  ihr  gau,; 
ben  Soben  entjogen.  Schon  flopft  bic  SBoIfSfunbe  bei  bcr  litcrarifchen 
(forf^ung  an.  S^h  meine  hict  nicht  bei  ber  S3ehanblung  beS  IDtärchcnS,  ber 
Sage,  bcS  iBoIlSlicbeS;  biefe  ®ichtungSartcn  finb  bolfsfunblichc  Dbjcftc  unb 
pnb  als  folche  immer  bchanbelt  toorben.  3n  feiner  ^ragcr  SlcftoratSrebc 

berlangt  Sauer  als  Sorbebingung  aller  literargcfchichtlichcn  fforfchung  grünb* 
licheS  Stubium  beS  äJollStumS,  baS  jeber  Seichter  auS  feiner  ^mat,  auS 
feiner  gamilie  mitgebracht  hot;  er  erhofft  ht«ouS  eine  SRegeneration  bcr 
Siiteroturgefchichte.  — Unb  roaS  oon  bcr  Siteroturgcfchichtc  gilt,  gilt  noch 
mehr  oon  ber  fiultuo',  oon  ber  Staotengefchichte.  |)ier  lehrt  unS  bie  IBotlS* 
funbe  ben  8oben  lennen,  ouf  bem  allein  bic  inbioibucDc  S3cgabung  unb 
ÄuSbilbung  auf  ßrfolg  rechnen  fann.  ®enn  fein  lalent  hot  ßrfolgc,  wenn 
feine  "^t  Änerfennung,  nicht  ein  ßcho  in  ber  Seele  feines  SBolfcS 

finben.  3n  ßrfenntniS  biefer  latfache  hot  Samprecht  in  Scipjig  für  fein 
neubegrünbeteS  fulturhiftorifcheS  Seminar  eine  befonbere  Mbteilung  für  baS 
Stubium  bcr  SBoIfSfunbe  gefchaffen.  3<h  erinnere  ferner  an  bic  SBcbeutung, 
bie  oolfSfunbliche  Sötigfeit  für  bie  Sprochioiffenfchaft,  für  bic  ©efchichtc 
unfrer  äJiutterfprache  hot.  SBoS  biefer  bie  ®olfSfprache,  ber  ®ioIeft  leiften 
fann,  ift  fchon  oor  100  3ohren  Oon  SchmcHcr  erfonnt.  Mber  erft  in  ben 
lebten  3ohrifhnten  ift  man  feinem  fjingerjeig  gefolgt,  unb  unter  bem  ßin- 
fluffe'ber  oolfSfunblichen  ®etocgung  hot  man  in  ben  oerfchiebenen  Sönbem 
beutfeher  3unge  begonnen,  ben  bialeftifchen  SBortfehah  ju  fammeln  unb  in 
biefen  SBörterbüchem  juglcich  bie  3eogniffc  Oolfstümlichen  SCenfenS,  Xun  unb 
,^>onbeInS  aufjufchichten.  3>*  muftergültiger  SBeifc  hoben  bic  Schtoeijer  mit 
ihrem  3biotifon  ben  Snfang  gemacht;  ßlfah,  Schwaben  finb  nachgefolgt,  bei 
ben  Siebenbürger  Sachfen,  in  ben  SRheinlanben,  in  Sachfen,  SIhttnngen, 
SchlcSmig-^olftein  ift  mon  rüftig  on  bcr  Ärbeit,  an  bcr  baS  ganje  Sott 
teilnehmen  foll,  unb  eS  ift  ju  hoff«",  bah  auch  bie  anbem  Seile  unfers 
SaterlanbS,  befonberS  auch  bie  Seutf^en  in  Cftcrrcich,  noch  folgen.  Sic 
Slrbeit  für  bie  Sialeftforfchung  }u  fonjentricren  unb  fo  bic  SJege  ju  einene 
groben  beutfehen  SialefttoBrterbuche  }u  bahnen,  baS  wäre  eine  Slufgabc  beS 
SerbanbeS  ber  beutfehen  Sltabemien,  ganj  im  Sinne  ihres  Stifters  Seibnih. 
Seiber  hot  unfer  Sott  unb  unfre  SBiffenfehoft  Oon  biefer  Seite  nicht  oiel  ju 
hoffen,  worauf  erft  jüngft  wieber  oon  berufener  Seite  hmfietoiefen  worben 
ift.  $ier  ift  auch  bie  ffforberung  geftellt  worben,  bah  olle  phttologifche 


JU  uy  \_7..ji.^lc 


8 


3(r6cit  oon  ber  3!otaIität  htS  SBoßMeben^  auSjuge^en  unb  bag  ber  Sie- 
formbrojeg  ber  Ißbilologie  bon  einer  fbftematii^en  Susjtböpfung  ber  noch  im 
Sotle  fliegenben  ÖueQen  geleitet  unb  gefSrbert  tnerben  müiTe. 

@0  ertnarten  fafl  aQe  ©ebiete  bumaniftifc^er  SBiffenfcba^  bon  ber  93otf£> 
funbe  Unterftü^ung  unb  erhoffen  burcb  fie  iBerjüngung  in  bem  großen 
©ärungSprojefie  unfrer  Stii-  3**  ©rtenntniä  biefer  Slatjacbe  haben 

au6erbeut[cbe  Sbifer  ber  iBoItdtunbe  an  ihren  Uniberfitäten  eine  ^flegftättc 
gcfihaffen. 

Soch  ber  erfrifchenbe  @influg  ber  Sotfötunbe  geht  über  bad  philologisch' 
hiftorifche  Gebiet  hinaus.  Schon  beleben  (Srjeugniffe  ber  iBottSbichtung,  beS 
iBoIfSglaubenS,  ber  tBoIfSfunft,  Sialettproben  unfre  geographischen  $anb' 
unb  fiehrbücher;  3n<>iogen  unb  iBotaniler  laSSen  baS  S3ot{  erjähten,  loaS  eS 
bon  unSem  ^flanjen,  bon  unSem  Sieren  »oeife  unb  mie  eS  ihr  fieben  unb 
ihre  92amen  in  finblich'naiber  S3eiSe  aufSagt. 

Selbst  bie  StechtSniSSenSchaft  hat  begonnen,  jur  iBoIfShmbe  in  bie  Sehre 
äu  gehen,  unb  bie  treSfüchen  Strbeitcn  bon  ^oSt,  SöroenStimm,  ^tttoig  u.  a. 
jcigen  Rar,  ibie  fruchtbringenb  bollstunbli^e  «SarSchung  für  bie  juriStiSchc 
SBifSenSchoft  unb  ißrajis  werben  fann.  Unb  baSSelbe  hat  bie  SRebijin  getan. 
SBeiche  9lone  bie  SBotfSmcbijin  im  fieben  aller  SJöIfer  unb  ju  allen  3öteii 
gespielt  hat,  iSt  ja  belannt.  Kber  erSt  in  neurer  3ait  hat  man  Si<h  baran 
gemacht,  bieSen  StuSflug  ber  IBoltSphantaSie  bon  wifSenSchaftlich'mebiiiniSchent 
Stonbpunfte  ouS  ju  betrachten,  unb  hifa  iSt  iProf.  SKagnuS,  neben  bem 
fleißigen  ^öfler  ber  beStc  Senner  ber  58ollSmebijin,  ju  bem  (Srgebnis 
gclommen,  baS  er  am  SchluSSe  Seines  lebten  SBerleS  als  bie  grucht  jahre- 
langen gorSchenS  nieberlegt:  „®ie  SBortSmebijin,  Sagt  er,  berbient  unSer 
3nterefSe,  unSre  Teilnahme,  Sogar  unSre  Unterftühung.  Sie  lann  unter  ißc- 
bonnunbung  ber  SKebijin  unb  unter  Staatlicher  StufSicht  ein  hochgefthähter, 
gcrabeju  unentbehrlicher  Xeil  beS  ftranfenbienSteS  werben." 

3eigt  Sich  in  ben  eben  berührten  ©ebicten  ber  @inftu6  botfsfunblicher 
gorSchung  junächSt  in  ben  SBerlftötten  ber  SBiSSenSchaft,  So  greift  er  bei  ber 
Sunft  bereits  in  baS  öffentliche  fieben.  ©ebanfen»  unb  ©efühttofigfeit  hat 
in  ben  oerfloffenen  3ah*^äthnten  in  Stabt  unb  befonberS  auf  bem  fianbe 
einen  SBauftit  gezeitigt,  bei  beffen  bto§em  Slnbticl  einem  falt  wirb:  gcrabe, 
fahle  SBönbe,  bie  SWaueni  wei|j  oon  oben  bis  unten,  ohne  allem  ober  mit  ganj 
uerfehltem  Schmuct.  3)er  gan^e  !IppuS  ift  jenen  ;g>äuSchcn  nachgebilbet,  bie  man 
als  Schachtelbubenwarc  für  wenige  ißfennige  laufen  fann.  SBic  äußerlich,  fo 
finb  bie  Raufer  auch  innen  befchaffen;  aHeS  oiereefig  unb  fchön  regelmäßig, 
in  ber  ®de  ber  mobemc  eifeme  Dfen,  falt  in  feinem  Stil  wie  bet  ganje 
Siaum.  !DaS  finb  Stufenthaltsfafernen,  aber  feine  SBohnftätten,  in  benen  man 
behaglich  nach  t)eS  SageS  fiaft  unb  äRühen  auSruhen  unb  wo  im  Steife  ber 
gamilie  baS  @iemüt  }u  feinem  iRecßte  fommen  fann.  3Bir  haben  geftern  baS 
hübfehe  fiieb  oon  ber  Ofenbanf  gehört;  in  Solch  öben  3täumen  ift  bieS  Sicher 
nicht  entftanben.  ®iefer  unerfreuliche,  gemütlofe  Souftil  hat  nicht  unwefent 
lieh  ba^u  beigetragen,  baß  oielenorts  baS  @emütSleben  unfreS  iBolfeS  Der- 
troefnet  ift.  9luch  bie  Umgebung  ber  ^leimat,  ber  SBalb,  bet  SBeg  am 
giuffe,  auf  bem  Singer,  wo  man  fich  fonft  an  ber  Slatur  erfreute  unb  baS 
.derj  in  hamtlofem  ©cplaubcr  auSfehüttete,  ift  oielfach  ben  gorberungen 
unfrer  mobemen  3nbuftrie  äum  Opfer  gefallen.  So  ift  baS  SJotfSleben  oer- 
öbet.  ®egen  biefe  IBcröbung  ift  auS  ben  Oolfsfunbtichen  Sieftrebungen  heraus 
ber  ^eimatsfchuji  entftanben,  ber  bie  ijSflcge  heimatlicher  siatur,  Sunft  unb 


9 


Sautoeife  auf  fein  $rogiamm  gefegt  ^at.  ttuf  bem  Gebiete  bei  bilbt^en 
tSaiftedung,  namentlich  auf  (Sefögen,  SRSbeln,  Schmudgegenftfinben  iß  ie^t 
.tBoIUhinft"  ba8  SofungSmoit  gemtnrben:  man  greiß  jurfid  auf  bie  fchlichten 
(Sijeugniffe,  an  benen  bergangene  (Skfchlecfiter  i^ie  greube  gehabt  hoben, 
unb  übeiaQ  fann  man  bie  Beobachtung  machen,  baß  biefe  auch  h^i^  noch 
auf  ben  fchlichten  mie  ben  gebilbeten  äRann  oiet  mohltuenbei  »irfen,  atd  bie 
fiaiifaturen  mobeiner  Sunftiichtungen.  ^ch  oermeife  ferner  barauf,  ju  melchem 
^nfehen  in  unfern  !tagen  bad  fchtichte  BoRdlieb  gelangt  ift  (Hnft  h^i^ 
man  ti  nur  in  f)fttten  unb  auf  ber  Straße,  jeßt  erfreut  ti  in  großen 
Sälen  ^1}  unb  Semflt  oon  !£aufenben,  bie  fcheinbar  bem  BoIKtum  entrücft 
ßnb,  unb  auch  >»t  faiferlichen  Balafte  iß  ti  Siebling  unb  Schübling  getoorben. 
2)urch  bie  Anregung  beä  madem  $ommer  in  3Bien  iß  eä  neu  ermedt 
unb  baä  t>ofär  überaQ  htnsctragen  moiben,  mo  bie  beutfche  3onge 

eiflingt.  Selbß  auf  unfie  Siteratur  iß  bie  Dolfätunbliche  Bemegung  nicht 
ohne  (Sinßuß  geblieben:  ße  hot  bie  beutfcße  ^orf>  unb  Steinßabtbichtung 
ju  hoh^t  (Entfaltung  gebracht  unb  ißr  buich  bie  Schöpfungen  (üanghoßrO, 
:£)an8ja(obä,  BofeggerO,  SohnrepO  u.  a.  Xaufenbc  oon  greunben  jugeffihrt. 

So  tönnen  mir  in  ber  SBißenfchaß  unb  fiunft  h<obIi<^cn,  rnoßin  mir 
mollen:  überaQ  hot  ßch  bie  Bollofunbe  (Eintritt  oerfchofß  unb  eine  @emeinbe 
}u  grflnben  gemußt.  Unb  ti  ßnb  nicht  bie  f^Iechteßen  ber  Station,  bie  ihr 
hutbigen.  9(ber  maä  für  und  baS  michtigße  ift:  mo  ße  regiert,  ba  fchmeben 
$hinft  unb  SBißenfchaß  nicht  in  ben  hoh^,  falten  fßcgionen,  bie  für  ben 
gemöhnlichen  Sterblichen  unerflimmbar  ßnb,  fonbem  ße  leben  im  Bolf  unb 
bleiben  mit  biefem  in  ßetem  SBechfeloeifehr.  Unb  babuich  gibt  bie  ooIfti> 
tunbliche  Sorfchung  ber  Station  mit  Stofen  baO  Sapitat  jurüd,  baä  eO  oon 
ihr  empfangen  ßot.  Sn  biefem  Sinne  miQ  unfer  Berbanb  mieten  unb 
fraßen,  unb  er  erbittet  ßch  ba}u  Sh<^c  Unterftüpung:  mir  arbeiten  }um 
SBohle  bc8  beutfchen  BoIteO,  jum  Sohle  unfrei  SStitmenfchen. 


Ober  da5  VothsUed  in  Ötterreich  and  feine 
vorbereitete  I^erausdabe. 

Tortrag  von  proftTTor  Dr.  Hdolf  I^auffcn  aas  Prag. 

SJteine  Herren!  möchte  feinen  abgerunbeten  Bortrag  über  baö 
ößerreichifche  Boltölieb  holten,  fonbem  im  gern  nur  über  ein  Unternehmen 
buchten,  melcheö,  menn  aQe  Slnfäße  unb  Sünfeße  reifen,  ein  mürbigeö 
^enfmal  beö  Bottöliebeö  in  ßßerreieß  merben  foQ.  Sluö  meßi  alö  einem 
@mnbe  befeßränte  ieß  mieß  ßier  nur  auf  baö  beutfeße  Boltölieb  in  Cfterreicß. 

@ibt  ti  nun  ein  bcutfch-ößerreicßifcheö  Boltölieb,  baö  an  gemeinfamen 
ßeroorfteeßenben,  tppifeßen  ©genfeßaßen  ertennbar,  ßcß  oom  Boltälicb  in 
ieutfcßlanb  unb  in  ber  Seßmeij  alä  eine  befonbere  (Erfeßeinung  abßöbe? 
^iefe  Stage  muß,  fo  aQgemein  geßalten,  oemeint  merben.  Benn  in  ben 
oerfeßiebenen  fiänbem  unb  (Sauen  Ößerreießö  gibt  eö  beutfeße  Stömme,  bie 
ooneinanber  in  ber  Btunbart  unb  im  Sefen  ju  oerfeßieben  ßnb,  um  bie 
gleichen  Bolfölieber  }u  feßaßen.  Slußerbem  ßnb  bie  ^ügellänber  beö 
Seftend  unb  Storbmeftenö,  fomie  bie  Umgebungen  größerer  Stäbte  mit  bem 
beutfeßen  Steieß  bureß  ßunbert  Söben  fo  innig  oerbunben,  baß  ße  aueß  am 
aQgemein  beutfeßen  Sieberfeßap  innigen  Slnteil  ßaben.  Slnbererfeitö  aber  gibt 


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10 


ei  in  ßfterreic^  nieber  Sanbfc^aften,  bie  vburc^  @ebirg8jä^,  buc(^ 
frembe  ißQlKftämnie  bom  {Reiche  unb  au(^  bon  i^rem  SolfiStutn  in  Oftemic^ 
gchrennt  finb,  beten  fiieber  barum  in  Stoff  unb  Sorm,  in  ben  Singtneifen 
ein  ganj  eigenartige^  @epräge  jeigen,  o^ne  bag  bie  gcmeinfamen  ffäben  ab' 
gcriffen  mürben. 

Sine  SarfteQung  ber  befonberen  SIrt  bc<$  beutfc^en  iBoIfMiebeS  in 
ßfletreit^  müfete  alfo  einjelnc  Sönbergrubpen  unb  fianbeSteile  in«  Äuge 
fajfen:  bie  Stlpenlänber,  bie  Subetenlönbcr,  Sprac^infeln  ufm.  ^»ier  btfif(en 
bie  2ieber  mie  Selb»,  Siefen-,  Salb-  unb  Mlpenblumen  in  bielgeftaltigcn 
gönnen  unb  garben  unb  jeigen  boc^  in  einzelnen  obgefc^Ioffenen  Gebieten 
eine  bobenftänbige  glora.  ton»  ^>cr  bei  ber  Betrachtung  biefer  Bolfä- 
bic^tung  nic^t  oermeiten  unb  meife  nur  auf  meine  ausführliche  Shnratterifiit 
beS  beutfehen  BotfSliebeS  in  ßfterreich* Ungarn  hin,  bie  oor  14  gahren  in 
ber  „3eitfd)rift  bcS  BereinS  für  BolfSfunbe"  an  ber  Spi^e  beS  oierten  ©anbeS 
erfchienen  ift. 

Kur  toenige«  möchte  ich  “«4  i>iEfEt  Stubie  hernu^flreifen.  gn  gnnj 
Xeutfch'Öfterrei^  merben  Sieber  in  ber  SWunbart  gelungen.  Bon  jmei  @c- 
fichtspunlten  aus,  oon  ber  geographifchen  Sage  unb  ben  BertehrSoerhättniffen 
einerfeitS,  oom  Stoff  unb  ber  Ärt  ber  Siebet  anbererfeits,  fann  man  ben  @c- 
brauch  ber  Bhinbarten  beobachten.  tCanach  finb  bie  Sieber  im  fübüchen  Öfter- 
reich,  in  ben  Älpenlänbem,  auch  im  ©öhmertoalb,  ber  DolfStunblich  bajugehört, 
in  ber  Sprachinfei  ©ottfehee  — aHeS  gebirgige  unb  malbreiche  ©egenben  — 
jum  großen  Seit  in  ber  heimifchen  äJtunbart  gehalten,  oielfadh  noch  in  ganj 
urroüchfiger  gorm.  gm  nörblichen  Kieberöftcrreich,  namentlich  in  ber  Um- 
gebung Pon  Sien,  in  ©tähren  (mit  ÄuSnahme  bcS  abgefchloffencn  $hih- 
länbchenS),  in  Schleften,  in  2)eutfchböhmen,  alfo  in  Sbenen  unb  $üge(- 
lönbem  mit  ftärterem  Berfeht  als  in  ben  anberen  ©ebieten  ÖfterreichS,  ift 
bet  Sieberfchah  ungefähr  ju  jroei  ®ritteilcn  fehriftbeutfeh,  ju  einem  drittel 
munbartlich.  Unb  jmar  finb  fehriftbeutfeh  bie  ©aHaben  unb  erjählenben 
Sieber  höheren  StilS,  mit  Kittern  unb  ©belfräutein,  Schlöffem  unb 
Burgen,  auch  öie  gcfchichtlichen  Sieber,  melche  aüc  nicht  an  beftimmte  Sanb- 
fchaften  gebunben  finb,  toelche  überall  Spannung,  SRitleib,  Berounberung 
erroeden,  melche  früh  ünn  manbemben  f>anbmerlsburfchen,  Keilern,  Sanbs- 
fnechten,  Stubenten,  |>aufiercm  oon  Sanb  ju  Sanb  getragen,  auf  glug- 
blättem  unb  in  Sammlungen  gebrudt,  oon  lonfehern  in  ber  Singmetfe 
umgearbeitet  morben  finb  unb  fo  auch  ihre  urfprünglich  munbartliche  gär- 
bung  abgeftreift  hoben.  Ähnlich  oerhält  eS  fich  mit  ben  meift  oon  ©eiftlichen 
oerfahten  fitchlichen  Siebern,  mit  ben  feierlichen  Shorgefängen  oon  Berg- 
leuten, Solbaten  unb  göoften.  5)iefc  Ärt  Sieber  merben  auch  m ab- 
gelegenen Sänbern,  alfo  auch  in  ben  Älpen,  menigftenS  im  lebten  gahr- 
hunbert,  jumeift  fehriftbeutfeh  gefungen.  liefet  feierlichen  BollSbichtung 
fteht  eine  meit  größere  Schar  oon  fchlichten,  auch  meift  fürjeren  Siebern 
gegenüber,  mit  Stoffen,  bie  auS  bem  gembhnli^en  Seben  beS  ÄHtagS, 
aus  örtlichen  Sreigniffen  unb  guftänben,  auch  mit  beutlich  lanbfchaft- 
lieber  gärbung  ermachfen  finb.  ÄUe  mit  einer  padenben,  anfchaulichen, 

mi|igen,  auch  berben  S)arfteUung  oerfehen,  alle  Oon  Seuten  aus  bem 
Botte  unb  barum  in  ber  Kiunbart  Oerfagt.  BefonberS  beliebt  finb 
barunter  bie  Bierjeiler,  bie  in  ber  öfterreichifchen  Älpenmelt  hrimifch  unb 
ungemein  reichlich  oertreten  finb,  aber  auch  anbermärts  nicht  fehlen.  ÄUe 
biefc  Sieber  merben  auch  in  ben  Subetenlänbem,  mie  überhaupt  in  SRittel- 


;lc 


11 


beutfc^Ianb,  in  ber  aRunbart  gefungen.  Btfonberd  bie  {Reime  unb  Spiel« 
öerfe  ber  Sinber,  welche  jo  überall  auf  beutf^em  ©oben  — bie  ©rofeftöbte 
nic^t  autSgcnammen  — bie  Se^riftfprac^e  erft  in  ber  ®(^ule  lernen,  gi^lic^ 
bringen  in  jüngerer  3cit  burc^  ^eimtel}renbc  ©urfi^,  bie  beim  aRilitür, 
unb  burt^  ailäbi^n,  bie  in  ©ro^ftäbten  gebient  ^aben,  immer  me^r  ft^rift« 
beutft^e  Sieber  aut^  in  abgelegene  ©egenben  ein,  mie  in  ben  ©bpmerwalb, 
in  bie  Sprac^infel  ©ottfc^ee  unb  p ben  Siebenbürger  Sac^fen.  2)iefe 
Sieber  merben  bort  pmeilen  in  bie  aRunbart  umgefe^t.  Z)od^  auc^  ber 
umgefe^rte  SBeg  mirb  eingefd^lagen,  fo  bag  munbartlid^  Sieber  in  Stdbten 
in«  St^riftbeuifcfie  umgefe^t  werben.  ®a  bie«  nie^t  immer  boHflfinbig 
burc^gcfüprt  wirb,  fo  jeigen  Diele  Sieber  Don  Sc^le«wig'$olftein  bi«  na(^ 
Samten  unb  Siebenbürgen  ein  ©emif(^  Don  Sc^riftfprai^e  unb  ^alelt. 
3Ran  fann  auc^  beobachten,  ba^  j.  ©.  ©gerlänber  Sieber  in«  ©rjgebirge 
bringen  unb  in  bie  bortige  aRunbart  umgefe^t  werbm.  Kbfiihtliche  ©er« 
wenbung  Don  3Runbart  unb  Schriftfprache  in  einem  Siebe  finbet  nur  bei 
©efprö(h«liebem  ftatt,  j.  ©.  in  ber  in  jirol  unb  in  ber  Steiermarf  Diel 
gefungencn  ,®eicf)tc  ber  Sennerin*. 

ffia«  ift  nun  in  Öfterreich  gefchehen,  um  ben  gro|en  unb  wertDoHen 
Sieberfchah  h<^rau«2ugeben?  mö^te  Sie  nicht  mit  einer  langen  Sifte  Don 
IRamen  unb  Xiteln  langweilen,  nur  auf  ba«  SBichtigfte  muh  h^c>^ 
merben.  3ebc«  ganj  beutfehe  ober  pm  Seil  beutf^e  ßronlonb  in  Dfterreich 
hat  bereit«  eine  ober  auch  mehrere  Sammlungen  geieitigt.  Sto  SRieber« 
öfterreich  beftcht  nur  eine  fleine,  houptfüchlich  au«  bem  SSienerwalb  ge« 
fchöpfte  Sammlung  Don  Xfchifchfa  unb  Schottfp  (1819,  2.  Slufl.  1844, 
IReuauSgabe  1906  oon  griebrich  Srou|,  ber  aber  überfein  h“l. 
erfte  Auflage  48  Sieber  enthült,  bie  in  bie  {Weite  nicht  aufgenommen  worben 
finb;  auherbem  „Sinberlieber"  Don  ©lümml«aBurth  (1906).  3n  Ober« 
öfterreich  hol>cn  wir  bie  Sammlung  Don  ünton  Don  Spaun  (mit  Singweifen, 
184.5,  3.  'Uufl.  1882);  in  Sal{burg  bie  Don  ©in{en{  aRaria  Süh  (1866); 
in  Xirol,  abgesehen  oon  älteren,  {um  S^eil  unDerlählichen  ftuögaben,  eine 
jüngere,  ungemein  werioolle,  burch  „IRachlefen“  bi«  hc“ic  ergän{te  Samm« 
lung  Don  g.  g.  Sohl  (1899ff.).  3n  Steiermarf  ift  bie  lehte  Sammlung 
welche  auf  ben  honbf^riftlichen  Sieberbeftänben  be«  ©r{her{og«  gohann, 
fowic  auf  ©orarbeiten  Don  Seinholb  unb  IRofegger  fugt,  Don  Hnton 
Schloffar  (1881)  hc<^ou«gcgeben  worben.  ^roor{uheben  finb  auch 
91.  SBerle«  SUmlieba  (1884).  Samten  bepht  eine  öltere  Sammlung  Don 
©ogatfehnig  unb  |>errmann  (1869 f.)  unb  eine  neue  mit  Singweifen 
Don  |)an8  Wedheim  (1893);  Öfteneich«S<hlcfien  eine  Don  91nton  ©et er 
(1865);  aRähren  nur  eine  (^mmlung,  unb  {War  bie  ältefte  lanbfchaftliche 
Sammlung  Don  ©oIt«liebem  überhaupt,  g.  ©.  aReinert«  „Sieber  au«  bem 
Suhlänbehen*  (1817).  gn  Xeutfehböhmen  ho^c«  ürir  brei  tleinere  lanb« 
fchaftlich  begren{te  Sammlungen  Don  91.  ©aubler  „IRorbböhmifche  ©olf«lieber* 
(1877),  Don  91.  Sirfchner  „©efänge  au«  bem  91uffiger  ©au*  (1887)  unb 
Don  gohn  unb  (£{crnp  „(ggerlönber  Sieber*  (1898/1901)  unb  eine  ba« 
gan{e  Sanb  umfaffenbe,  fehr  reichhaltige  Sammlung  Don  ^rufchfa  unb 
Joifcher  (1891).  gür  gnneröfterreich  bie  „Älmer*  Don  g.  ©.  Seibl  (1850), 
für  bie  9flpen  überhaupt  bie  „Schnaberhüpfel*  Don  S.  Don  ^örmann 
(1881).  gür  gan{  ajeutfch-öfterreich  finb  bie  grohm  ©erbienfte  {u  rühmm, 
bie  fich  9Iegicmng«rat  l)r.  gofef  ©ommer  um  unfere  gute  Sa^e  erworben 
hat:  burch  {ahltriche  91u«gaben  Don  ©olt«liebem  mit  Singweifm,  nammtlich 


12 


burc^  feine  ,444  3obIer  unb  guc^ejer*  (2.  Äufl.  1906;,  burt^  feine  3«** 
fc^rift  ,3)a8  beutfc^e  $oIt4tieb"  unb  bur^  bie  1889  erfolgte  Segrfinbung 
bei  beutfc^en  tBon^gefangSOereinS  in  ^ien.  ©einem  Seifpiel  folgten  bie 
SBereine  in  IBojen,  Sdinn,  @raj,  Siefing,  SBien  (^otlSlieboerein),  unb  im 
beutfc^en  Sleicb  Seniat^,  @eia  unb  9ieuruf)tnn,  bie  olle  }ur  ißftege  be4 
lebenben  !BoIf4liebe4  gegrünbet  morben  finb. 

äJian  follte  nac^  bem  tSorgefü^rten  meinen,  e0  wäre  genügenbe 
Krbeit  geleiftet  worben,  bo(^  ift  baä  ni^t  ber  ffaQ.  Sie  älteren  genannten 
©ammlungen  ^aben  in  ber  Siegel  feine  ober  nur  wenige  ©ingweifen, 

fte  {eigen  ferner  unbeabfic^tigte  ober  wiQfürlic^e  änberungen,  ja  bewußte 
gälfe^ungen.  Slut^  bie  ^unbart  ift  unjulänglic^  ober  gerabeju  falfc^ 

Wiebergegeben,  ©o  ^at  noc^  bei  einer  oor  furjem  erfd)iencnen  ©amm* 

lung  Srau^  unb  SSIümmlS,  ,SIuffeer  unb  ©c^naber^übfler", 

ißommer  arge  ©(^ni^r  noc^gewiefen.  ferner  finb  manche  ber  älteren 

©ammlungen  auc^  antiquarif^  nid|t  me^r  ju  befc^affen.  3Q^I(ofc 
ootte  Sieber  finb  txrftreut  in  lanbfd^oftli^en  ^eimatfunben, 

3a^rbüc^em  unb  3«tungen,  beren  ältere  Qa^rgänge  nur  wenigen  ober  übet- 
baupt  nicht  {ugänglich  finb.  Kbgefehen  oon  biefem  gebrucften  tBeftanb,  ber 
olfo  einer  einheitlichen  SScrorbcitung  unb  ^erouggabe  bringenb  bebarf,  ift 
noch  gi^oher  ©choh  unbetannter  Sieber  {u  h^^c»,  teilä  au4  noch  un> 

benähten  ^anbfchriften,  teilä  au4  bem  IBoIIämunb.  ©o  befiht  J.  16.  bad 
9J2ufeum  in  ©aljburg  eine  umfängliche  Sieberfammlung  aub  bem  Sfachlah 
bon  ©üg  unb  ber  93erein  für  ©efchichte  ber  2)eutfchen  in  SSöhmen  mehrere 
alte  Sieberbüiher  bom  18.  h^touf  mit  ©ing> 

weifen.  Allerorten  werben  auch  in  älteren  bäuerlichen  unb  bürgerlichen 
gamilien  wertoolle  alte  honbfchriftliche  Sieberbücher  mit  ©ingweifen  unb 
IBegleitung  bon  3iihct,  ©itarre  ober  flabier  aufbewahrt,  aber  al4  pietät« 
boH  gehüteter  ffamilienberth  auch  grögere  ©ummen  nicht  hergegeben, 

fo  bal  man  fich  ber  SDlütjc  ober  fioften  einer  Slbfchrift  unterziehen  mu|. 

SRit  bem  Äuäfterben  beä  lebenben  Ißolteliebe«  hui  eä  in  ßfterreich  noch 
feine  guten  SBege.  ffteilich  nur  in  Hochtälern,  SIBalbbergen  unb  ©egenben 
mit  reiner  ffelbwirtfchaft.  „83or  bem  Oualm  ber  Sabrifen  bcrfchwinben  bie 
IBoIfälieber,  wie  einft  bie  ©Ifen  bor  bem  ©chall  ber  ©locfen.“  (©BdeL) 
©eitbem  in  lE)eutfchlanb  ©olfBlieber  gefammelt  unb  aufgejeichnet  werben,  — 
unb  baS  ift  bolb  150  3ahre  hc^  — ertßnt  immer  wieber  bie  Slage,  ba4 
©oltBlieb  fterbe  auB,  man  fBnne  eS  nur  mehr  bon  einigen  alten  ffrauen 
hBren,  eä  fei  bie  höchfte  3^0»  bie  borhanbenen  Sefte  burch  ©chrift  unb  ®rucf 
feft{uhaltcn  unb  bor  bem  Untergang  ju  retten.  Slber  feit  HtrberB  ©c- 
mühungen,  ber  auch  baß  SBort  ©ollBlieb  geprägt  hoi>  SlmimB  unb 
©rentanoB  ©ammlungen  würben  in  aüen  beutfehen  Sanbfehaften  Itaufenbe 
unb  aber  Saufenbe  bon  ©olfBliebem  gefunben.  Unb  je  fpäter,  um  fo  tiefer 
würbe  gefchürft  unb  um  fo  reichereB  ©belmetaU  jutage  gefBrbert.  ©oethe 
hat  im  ©ommer  1771  für  Ht>^ber  „auf  feinen  ©treifereien  im  ©Ifah  auB 
ben  Sehlen  ber  älteften  SRütterchen"  ein  2)uhenb  ©aHaben  „aufgehafcht". 
Surt  SRünbel,  ber  ein  3ahrhunbert  fpäter  elfäffifche  SolfBlieber  fammelte, 
teilt  nach  ftrenger  SluBwahl  unter  feinen  gunben  256  ©tücfe  mit.  3®ci 
©eifpiele  auB  meinen  eigenen  ©rfahrungen:  SluB  ber  ©prachinfel  ©ottfehee 
hat  ©dirBer  in  feinem  SBBrterbuch  biefer  ÜRunbart  (1876)  30  Sieber  ber- 
Bffentlicht.  9Ran  halte  bamalB  ben  l^nbruct,  eB  wäre  aUeB.  gn  meinem 
©uch  über  biefe  ©prachinfel  (1895)  habe  ich  l&O  burchwegB  munbartlichc 


13 


S?oIf«liebcr  ^etouSgegtbtn.  Unb  nun  teilt  mir  ißrof.  Sf(^infcl,  bcr  fieiter 
bei  @ottfd)eCT  Äuift^uffei  mit,  bo6  bie  mit  ^ilfe  ber  Sekret  3.  $cr^  unb 
SB.  SWinfet  jiemtii^  abgeft^loffene  Äuffammlung  für  bo«  neue  Unternehmen 
800  Sieber  entholte.  gemer  bie  1891  erfchienene  ©ommlung  ,$eutfche 
®otl8licber  auä  ©Bhmen"  bringt  — abgefchen  öon  ben  ®ierjeilem  unb 
^nberreimen  — ein  holbei  Üaufenb  Solfilieber,  »eiche  noch  ^ ouibrüd- 
lichen  (^tlärung  ber  ^erauigeber  „bomoli  noch  bom  ®oIfe  gefungen  »urben 
obö:  noch  Wi  in  bie  neuefte  Seit  befonnt  »oren".  Unb  »ir  hoben  für  bai 
neue  Unternehmen  ungefähr  10000  Sieber  unb  einige  toufenb  TOelobien 
beifommnc. 

Unb  bog  ®o(fiIicber  noch  i»»er  oon  neuem  entftehen,  bemeift  ®omnier 
für  bie  ©teiermorf  unb  Sung^ouer  für  ben  ®Bhmer»oIb;  unb  j»or  längere 
erjählenbe  unb  gefchichtli^e  Sieber.  ®enn  ®ierjeiler  »erben  in  ben  Äl)>en 
jeben  ©onn-  unb  geiertag  beim  ®onjen,  Srinlen,  Siebeln  unb  ^)änfetn  nur 
fo  oui  ben  Ärmeln  gefchüttelt. 

Unb  »oi  bühn  in  £)fterreich  noch  nicht  befteht,  boi  foll  bei  bem  neuen 
Unternehmen  mit  ollem  (Eifer  ongeftrebt  »erben:  eine  für  aDc  ^onlänber 
unb  Stationen  Ofterreichi  noch  einheitlichen  (Srunbfähen  mit  grBgter  ©orgfolt 
burchjuführenbe  üuägabe,  bie  ein  obgerunbeteä,  möglichft  erfchöpfenbeS  ®e>- 
fomtbilb  bon  ber  güüe  ber  älteren  unb  bcr  noch  lebenben  ®otÜbichtung  in 
ßfterreich  »iebergeben  foD.  ®ie  ®orgefchichtc,  bie  bühnigen  (Ergcbniffc  unb 
bie  noch  erforberlichen  Aufgaben  biefeä  neuen  Unternehmens  möchte  i^  ic(t 
borführen. 

« * 


3m  3oh<^  1302  h«t  bie  SBiener  91iufitocrIagS«(8efe((fchaft  UnioerfoI> 
(Ebition  ben  ®(on  gcfogt,  eine  KuSgobe  bon  ®oIÜIiebcm  ouS  gonj  Cfterreich 
in  einzelnen  ^cftcn  ju  ocröffcntlichen,  »orouS  bann  ein  ©ammelmerf  mit 
Siebern  in  ben  bcrfchicbenen  öfterreichifch<n  ©prachen  ermachfen  foQte.  ®er 
bomalige  SDtinifter  für  finltuS  unb  Unterricht,  SBilhel»  Kitter  oon  ^ortel, 
hat  in  einem  Srlag  bie  ®chörben  aufgeforbert,  namentlich  bie  ©chulleitungen, 
SDhifitanftalten  unb  ®ereine  jum  ©ammein  oon  Siebern  unb  SRelobien  ju 
oeranlaffen.  ®ie  ganje  ©a^e  aber  tarn  nicht  recht  in  ging.  ®eiträge 

liefen  fpärlich  ein  unb  blieben  fchlieglich  gonj  auS.  ®ommer  h«t  nun  in 
feiner  Sf'tfchrift  9CJ«i0t,  »ie  untlor  man  pch  über  bie  unb 

burch  eine  ausführliche  (Eingabe  anS  SKinifterium  biefe  Angelegenheit  in 

ben  richtigen  SBcg  geleitet,  daraufhin  hot  ber  9)tinifter  am  22.  Ko» 
oember  1904  mehrere  gachlcute  ju  einer  ©i^ung  nach  SBien  berufen, 

»0  nach  längeren  ®eratungen  befchloffen  »urbe,  eine  auf  »iffenfehaft» 
lieber  (Srunblage  beruhenbe  mehrbänbige  @efamtauSgabe  unter  bem  ®itel 
„^S  ®oItSlieb  in  Cfterreich“  oorjubereiten.  Ungarn  blieb  auS  ftaats» 
rechtlichen  (Srünben  beifeitc.  3"  biefer  ©i^ung  »urbe  auch  ein  engerer 
AuSfduh  geibählt,  ber  nach  ®ommerS  (Ent»urf  bie  (Slrunbjüge  für  bie 
©ammlung  ouSarMtete.  3"  ber  5»citen  ©i^ung  beS  ^auptauSfehuffeS  am 
10.  April  1905  »urben  biefe  (Srunbjüge  burchberaten,  fo»ie  bie  ArbeitS» 
auSfehüffe  unb  beren  ®orfihenbe  für  bie  einzelnen  Sronlänber  unb  Kationen 
befteüt,  unb  j»ar  in  ber  SBeife,  bah  füe  ®6hmen  ein  beutfeher  unb  ein 
tfchechifcher  AuSfchul,  ebenfo  für  Ktähren  unb  ©chlcften  jufommen,  für  bie 
beutfehen  Alpcnlänber  unb  für  bie  ®oIen,  Kuthenen,  booten,  ©lotoenen, 
Kumänen,  gtoliener  unb  Sabiner  fe  ein  AuSfehuh  gebilbet  »urbe.  ®Ü  }um 


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14 


Sommtr  1906  ^aben  alle  bie  ©ommeltätigteit  eingeleitet.  !{>ie 

'Jiegiecung  ^at  für  biefed  gan^e  Unternehmen  ungefähr  20000  Kronen  ffirä 
3ahr  bennlligt 

Kuf  (Drunb  beä  fchon  erhmhnten  (Snttourfeä  h^t  $ommer  eine  au4> 
gezeichnete  , Anleitung  jur  Sammlung  unb  flufzeichnung  oon  SSoItäliebem' 
fertiggeftellt.  ^ier  mirb  z^nöchft  ber  @egenftanb  ber  Suffammtung  genau 
beftimmt;  9ße(tliche  unb  geiftliche  tBoItälieber,  SJaQaben  unb  fiiebeätieber, 
älierzeiler,  Krbeitälieber,  Sieber  z»  Sträuchen  unb  SBolfSfchaufpieten,  Sänze, 
9lufe,  3obIer  unb  3u^ezer;  alle«  mit  ben  Singtoeifen.  Äu<h  ©prüd)e, 
Scherzprebigten  unb  Spd^toörter.  Knrz  zufontmengefagt;  ,gu  fammeln  ift 
aUeä  unb  jebeä,  maä  baS  SBoß  an  Soltäbichtung  unb  SSoIfämufit  noch  befigt 
unb  einpen«  befag.*  gemer  gnben  mir  h««  «ine  futje  !BarIegung  ber  be- 
griffe boltslieb  unb  ooltätilmlicheä  Sieb  mit  beifpielen;  genaue  tlnmeifungen 
für  bie  tiufzeichnung  ber  Singmeifen  unb  belehrungen  über  9lhhthmu8, 
3’onart,  begteitung,  ferner  über  Sammlung  h°xbf<^<^fi6cher  unb  gebnufter 
Sieberbücher  unb  gtugblätter.  Sem  legten  ttbfchnitt  ,9Bie  macht  man  baS 
bolt  mitteilfam?“  folgt  ein  Sragebogen  mit  22  Inapp  gehaltenen  Sragen. 

Siefe  allgemeine  Anleitung  mürbe  bann  oon  ben  übrigen  beutfchen 
üuäfchüffen,  ben  IRumönen  in  ber  bufomina  unb  ben  Sabinern  in  Sirol  je 
noch  gegebenen  berhältniffen  unmefentlich  abgeänbert.  Sie  Hrbeitäauä- 
fchüffe  ber  anberen  Stationen  h<>^cn  auf  @runb  beä  erften  (SntmurfS 
felbftänbige  Einleitungen  oerfagt.  Ser  Seiter  beä  flomenifchen  Eluäfchuffed  h<ii 
fogar  einen  gragebogen  oon  Dielen  taufenb  gragen  bem  Unterrichtäminifterium 
zur  Srucflegung  unterbreitet. 

bon  ben  bisherigen  Srgebniffen  ber  übrigen  beutfchen  ElrbeitSauSfchüge  fann 
ich  x»r  menigeS  mitteilen,  nämlidh  baS,  maS  ich  Eingaben,  bie  in  bommecS 
3eitfchrift  erfchienen  finb,  entnehme.  Ser  borfigenbe  beS  SluSfchuffe«  für 
Stteberögerreich,  Karl  Kronfug,  hot  in  einem  bortrag  (gebruor  1908)  mit 
Siecht  betont,  bag  man  nur  oon  einem  tirolifchen,  fteirifchen,  (ämtnifchen 
bolislieb  fpreche,  hoch  nie  oon  einem  nieberöfterreichifchen,  alS  ob  biefeS 
Sanb  nichts  zu  bieten  hütte.  @r  meift  nun  auf  ®runb  ber  neucften  Sammel- 
ergebniffe,  morunter  fich  auch  über  hunbert  Sänze  begnben,  an  Dielen  bei- 
fpielen  nach,  bag  baS  nieberöfterreichifche  bolfSlieb  an  beichholtigfeit  ben 
Ellpenlönbem  nicht  nachftehe,  fonbern  fie  an  SRannigfaltigfeit  übertreffe,  unb 
ferner,  bag  bie  ^armoniperung  ber  bollsmeifen  befonberS  cigenortig  fei. 
3n  Sirol  hut>en  einzelne  Sammler  ungemein  Diele  bolfSlieber  zufommen- 
gebracht:  fo  Elbjunft  S.  birfl  1250,  Siegler  1200,  Kurot 

3.  ©och er  500  Sieber  — faft  oHe  mit  ben  siictobien  — , ferner  ber  6hor- 
meifter  S.  Sucerna  über  100  Sänze.  Stach  bem  bisherigen  Ergebnis  oon 
4000  ©otisliebem  fchägt  ber  ©orfigcnbe  ©rof.  3.  ^acfcrnell  ben  ge> 
famten  Sieberbeftonb  auf  20000  Stücf.  (Sr  rühmt  in  feinem  bericht  bie 
geigige  STtitarbeit  feiner  Stubenten  (@ermaniftcn)  unb  munbert  pch,  bag 
gegen  alle  (Srmartung  bie  ©olfSfchullehrer  bort  menig  leiften.  l^n  Steier- 
nmrf  unb  Kärnten  hoben  pch  eine  groge  3oht  fon  Sommlern  zur  ©erfügung 
geftellt.  Qn  ber  Steiermarf  mürben  bis  zum  $erbp  1907  gegen  1300  Sieber, 
bamnter  130  geiftliche,  330  meltliche  erzäplenbe  Sieber  mit  150  Sing- 
meifen,  gegen  600  Scpnaberhüpfel,  2 ©otfsfchoufpiele,  Diele  Steimfprüche,  über 
20  3obler  unb  100  Sänze  — ungerechnet  bie  Don  ©ommer  fegon  in 
früheren  3ahren  unb  fürzlich  gefummelten  Seifen  — gezählt.  3"  Kärnten 
hoben  ziwt  Sammler  befonberS  Diel  zuftanbe  gebracht:  bflrgcvfchulbireftor 


15 


©.  ©t^üttdlopf  unb  Sot^Ic^m  fiicbleitner,  bcr  erftere  tut  {öblic!^ 
Jfämten  ungefähr  1000  Sieber,  bet  le^terc  in  SWittelfämten  250  Sieber, 
20  unb  50  ©ierjeiler,  faft  aQe  mit  ben  äReiobien.  ganjen 

finb  ^ier  jufammengefommen  500  Sieber,  4 ©oIKfi^ufpiele  unb  17  l^anb> 
{(^riftlic^e  Sieberbücber,  barunter  mehrere  geiftlic^en  ^n^altd.  ^n  bem  für 
Oberöjteneic^  unb  ©aljburg  gemeinsamen  SIrbeit4au4f(^u6  ^aben  ber  Som« 
ponift  3.  9ieiter  unb  bie  Se^rer  3-  ^Seifer  unb  9R.  3a»ner  bie  ©ammel« 
tätigteit  in  bie  ^anb  genommen,  9Rä^ren>@cbIefien  ^aben  {i(!^  bei  ©or> 
fi^nbe  ^fille^rer  3-  unb  bie  übrigen  fünf  liudfcbugmitglieber  je  ein 
abgegrenjteü  ©ammeigebiet  auügemä^It.  ©iS  ßnbe  1907  finb  in  beiben 
Sdnbem  900  Sieber,  1200  ©ierjeiler,  500  Sprüche,  150  San  je,  30  ftinber« 
ft)ie(e  unb  12  ©oß4f(^aufbieIe  jufammengetommen.  ^ugerbem  foOen  bie 
längft  oergriffenen  ©ammiungen  bon  äReinert  unb  ©eter  neu  gebructt  werben. 

Uu4fü^riid|er  fann  ic^  natürlich  über  unfern  Üu8f(bu|  für  baü  beutfc^e 
©oI(4tieb  in  ©öfimen  beriditen.  bin  jum  ©orfi^cnben,  jum  Seiter  ber 
©ammeltätigieit,  jum  Herausgeber  ber  Xe^e  unb  jum  ©erfaffer  ber  Sin« 
leitung  unb  ber  ünmertungen  befteOt  worben,  ©rof.  Dr.  H^inric^  Slietfc^, 
ber  ©ertrcter  ber  3Rurßwiffenf(^oft  on  unferer  Uniberfitöt,  ber  bor  einigen 
3a^ren  baS  fc^öne  ffluc^  «®ie  beutft^e  Siebweife"  neröffentlic^t  i|ot,  jum 
Meboftor  ber  ©ingweifen.  ©rof.  Dr.  Sfdiinfel  übernimmt  bie  Über* 
Prüfung  ber  ©(^reibung  ber  munbartlid)en  Sieber.  SitS  tüd|tigen  ©bonetiter 
bat  er  ftcb  burcb  fein  bor  turjem  erfibieneneS  ©ucb  „3)ie  ©rammatif  ber 
@ottf(beer  SRunbart"  bewährt.  B“*"  SegierungSoertreler  ifl  ©tattbolterei- 
fefretär  iRuboIf  ffreiberr  ©rocbäjla,  ber  ficb  als  ßomponift  unb  äRufif* 
fcbriftfteHer  einen  guten  ©amen  erworben  bot,  ernannt  worben. 

Sie  ©ammeitätigfeit  gebt  in  Seutfdbböbmen  etwas  anberS  bor  ficb 
als  in  ben  übrigen  foonlänbem,  unb  jWar  aus  folgenbem  ©runbe;  Qm 
Auftrag  ber  ©efeüfcbaft  jur  fförberung  beutfcber  SBiffenfcbaft,  ^nft  unb 
Siteratur  in  ©öbmen,  bie  icb  b<^  bertrete,  bube  icb  in  ben  O^b’^cn  1894 
bis  1900  in  ganj  Seutfcb*©Bbmen  mit  H'^ff  ungefähr  200  Sebrem 
fämtlicbe  ©ebiete  ber  ©oifsüberlieferungen  gefammelt.  Sie  ©rgebniffe, 
barunter  Saufenbe  bon  Siebern  unb  ©ingweifen  unb  biete,  jum  Seit  febr 
alte  bctnbfcbriftlicbe  Sicberbücber  finb  im  ©oItSfunbe«$tnbib  ber  genannten  ©e> 
fetlfcbaft  aufbewabrt.  Siefen  wertboOen  ©eftanb  bui  bic  ©efellfcbaft  bem 
Unternehmen  beS  UnterricbtSminifteriumS  unter  ber  ©ebingung  fibertaffen,  bag 
bie  wiffenfcbaftticbcn  ©rgebniffc  ber  ©earbeitung  beS  eingelaufenen  SRateriatS 
in  ben  „©eiträgen  jur  beutfcbböbmifcben  ©olfSfunbe"  bon  mir  berBffentticht 
werben  fetten.  2tuS  biefem  ©runbe  bat  auch  baS  SRinifterium  unferen  KrbeitS* 
auSfcbug  nicht  }u  einer  allgemeinen  ©ammettätigfeit  berpftichtet,  wie  anber* 
wärts,  fonbem  nur  ju  einer  ergänjenben.  3"  biefem  Sinne  ftnb  mir  auch 
norgegangen. 

Unfer  HuSfchuh  muhte  ferner  einen  Slbfchnitt  ber  fchon  besprochenen  2ln> 
teitung  ©ommerS  burch  einen  neuen  erfe^en,  ben  über  bie  Schreibung  ber 
baierifch'öfterreichifchen  SRunbart.  Sie  StuSfchüffe  in  ben  beutfchen  Sttpen* 
tönbem  tonnten  ihn  ungeänbert  übernehmen,  ©ei  unS  war  baS  nicht 
mfiglich,  weit  baS  beutfchc  ©ott  in  ©öbmen  — gegenwärtig  jWeieinbatb 
Slitlionen  — berfchiebenen  Stämmen  unb  SRunbarten  angebört.  SroJ 
ber  ©tannigfattigfeit  ber  bon  Ort  ju  Ort  fich  allmäblich  beränbemben 
©tunbarten,  fann  man  hoch  im  ganjen  hier  grohe  ©ruppen  unterfcheiben, 
welche  berfchiebenen  beutfchen  Stämmen  angebören,  bie  nicht  nur  in 


16 


2>«itf4bö^mcn  angefiebelt  finb,  fonbcnt  jenfeUS  bcr  SanbeSgrenjen,  aifo 
in  SHcber»  unb  Dberöjkrm«^,  fomie  jenJeiW  bcr  8?ei^«Btenje  in  ©oiem, 
@c(^{en  unb  ©trieften.  Sieben  ber  baieiif(^'6[tecrei(^i|c^en  9)iunb' 
act  int  fäbmeftlic^cn  ©ö^men  mußten  no(^  berfiiffic^tigt  uerben  bie  ober> 
(tfäijifc^e  ober  norbgauifc^e  ©iunbart  in  SBeftbö^men  ((Sgerlanb  unb 
Umtrci«),  bie  oberfät^fif^  ober  fogenonntc  »norbbö^mift^e“  SKunbort  im 
meftlic^n  unb  mittleren  Seile  Siorbbö^menB  ((Srjgebirge  unb  bem  .©orlanbe 
bis  jur  SIbe)  unb  enblic^  bie  fc^Iefift^e  iKunbart  im  bftlic^cn  ©ö^men. 
Siefer  Slbfc^nitt  bringt  in  unferer  ^ffung  eine  genau  burc^gefü^rte  Anleitung 
jur  Schreibung  ber  ßaute.  ®o  bie  get»Ionte  £ieberau8gabe  für  «oeitere 
Schichten  berechnet  iß,  tonnte  bie  Schreibung  ni^t  ftreng  t>honeti{ch  fein; 
hoch  iß  fic  fo  gehalten,  baß  bie  oerfchicbenen  ffärbungen  ber  munbartlichen 
Kudfprache  aud  ben  oerfchicbenen  Gebieten  ©öhmenb  entf)n;c^cnb  mieber' 
gegebCT  »erben. 

SBie  überall  inbuftriereichc,  im  lebhaßen  ©erfehr  liegenbe  ®egenben  arm 
an  ©olliSlicbem  finb,  fo  iß  auch  i»  ^orbböhmen,  in  ben  großen  Sohlen» 
gebieten  oon  Suj,  ©rüj,  Scftliß  unb  öftlich  bcr  6Ibe,  in  ben  an  gabri!«- 
untcmehmen  fo  reichen  ®egenben,  »o  auch  SKangel  h^mifchcr  Krbeit8> 
träße  Sröaßen  oon  tfchcchifchen  StrbcUem  cingcfchlciJpt  werben,  bcr  lebenbigc 
fiieberqueQ  oollßänbig  oerfiegt.  3tud  biefen  (Gebieten  hoben  wir  fo  gut  wie 
nichts  eingeheimft  (Sine  erfreuliche  güde  oon  Siebern  aber  fpenben  noch 
©egenben,  wo  bie  gelbwirtfchaß  bie  Seutc  emShrt;  erftaunlich  rci^  ßnb  bie 
äSalbgebiete.  So  haben  wir  gleich  ot^  c<ite  Ausbeute,  Anfang  1907,  unferem 
tüchtigßen  Sammler  ©ußao  ^ungbauer,  au#  allen  Seilen  be#  ©öhmer» 
watbe#  500  er^ht^t*^  Sieber,  barunter  200  munbartliche  unb  2(X)  Sing» 
weifen,  ferner  — ade#  in  bcr  SÄunbart  — 800  Sierjeiler,  300  ßinber» 
reime,  Sieber  ju  beßimmten  ©rauchen,  40  Sänje,  400  dleimfßrüche,  außerbem 
9 honbfchrifttiche  Sieberbücher  unb  16  honbfchrißtiche  ©olfSfchaufpiele  ju  Der° 
banfen.  3»ngbauer  war  auch  t»<  oerßoßenen  Sommer  in  ber  oon  SHeber» 
Sßerreich  hei^nragenben  Sttrachjunge  Steubiftriß  unb  hot  im  Sorfe  Slrthol} 
an  einem  Siachmittag  mehr  jußanbe  gebracht,  al#  anbere  Sammler  in 
©lonaten.  Stießt  fo  reichholtige,  aber  boeß  erfreuliche  Sammelergebniße  ßnb 
au#  bem  ©rjgebirge  unb  au#  SBeftbaßmen  eingclaufen,  fo  au#  ber  Umgebung 
oon  Seßmiebeberg  unter  anberen  40  feßrißbeutfeße  unb  47  munbartlicße  er» 
jühlenbc  Sieber,  ein  SBeißnoeßt#«,  ein  Sreilbnig#-,  ein  Sommer»  unb  Sääinter» 
fpiel  unb  jaßlreiche  Singweifen,  au#  bem  ©ejirfe  SRic#  unter  anberem  20 
feßrißbeutf^e  ©otI#badaben,  5 längere  munbartlicße  Sieber  unb  meßrere 
Sanjlieber  mit  wecßfclnbem  Sißhlßmu#.  Sa#  ßnb  nur  ©eifftiele. 

Sie  Slrt  unb  Sureßfüßrung  ber  Sammcltätigfeit  weießt  }um  Seit  bei  un# 
auch  t)on  ber  in  ben  übrigen  ^ontänbem  ab.  ©ei  ben  anberen  Stu#fcßüßen 
fammcln  Seiter  unb  SRitgticber  fetbß.  ©ommer  iß  in  einer  befonber#  gtfle!- 
tießen  Sage,  weit  er  feine  ßeimifeße  ßeierifeße  SRunbart  oödig  beßerrfeßt  unb 
in  aubgejeießneter  SBeife  aueß  bie  feßwierigften  SRetobien,  fo  meßrftimmige 
Nobler,  nach  t>em  ©eßbr  aufjeießnen  tann.  (Sr  ßeigt  in  bie  ©erge,  taufet 
in  ben  atßjenhütten  bem  ©efong  bcr  Senner  unb  Sennerinnen,  trinß,  ßngt 
unb  plaubert  in  ben  Sorfwirt#ftubcn  mit  ^otjfnccßten,  Jägern,  ©auembimen 
unb  ©urfeßen  unb  maeßt  ba  große  SluSbeute.  ^n  feiner,  jebem  Sammler 
feßr  cm))fehten#werien  frifeß  gefeßriebenen  Seßriß:  „Über  ba#  ätßterifeße  ©otl#» 
lieb  unb  Wie  man  e#  ßnbet*  (2.  Sluflage,  SBien  1908)  gibt  er  au#  feinen 
oieljäßrigen  Srfaßrungen  Icßrreicße  ©cifßiele,  wie  man  ba#  SRißtrauen  unb 


17 


bie  93efangen^t  b«r  Älpler  überninben  fann.  @elbft>enben,  meint  er,  führen 
ju  feinem  Kuftif^ien  non  gieibier  unb  Wn  bürfe  nur  mit  äRag 

angeiuenbet  »erben.  Unb  nun  jeigt  er,  »ie  man  bie  Seute  in  eine  gemütli(^e, 
heitere  unb  barum  gefpröchige  unb  auch  fnnglu[tige  Stimmung  oerfehm  fann. 
iluch  $rof.  Dr.  £effiat,  bn  fieiter  bed  Mmtnifchen  %u8fchuf|ed,  hot  felbft  in 
ben  berfchiebenften  Tälern  feinet  ^eimatötanbed  über  500  Sieber  aufgejeichnet. 
äRitglieber  einzelner  KuSfchüffe  finb  auch  tüchtige  SBoItiliebfünger.  Sfuger 
$ommer  noch  ^onful  unb  @0^'  Xiroler  KuSfchug  Sucema  unb  Sohl, 
in  Särnten  ß.  Siebleltner,  in  Dberöfterreich  3-  Sränil, 

$aiS  ift  bei  un8  leiber  nicht  ber  9aU.  8et  ber  bunten  Ißielgeftaltigfeit  ber 
ÜRunbarten  in  ^eutfchböhmen  wäre  auch  niemanb  in  ber  Sage,  mit  ben  Sanb« 
leuten  ber  oerfchiebenen  ®aue  in  ihrer  3Runbart  ju  nerfehren.  3<h  beherrfche 
biefe  nur  foweit  theoretifch,  ba|  ich  fchriftlich  borliegenbe)  Sialettlieber 
neiiiehc-  Anfang  an  hoben  wir  barum  ben  ©runbfah  gehabt,  für 

einzelne  abgerunbete  ©tammeägebiete  je  einen  Seiter  ber  Sammeltätigteit  auä* 
juwöhlen.  SIm  beften  bewährt  hoben  fich  bisher  reifere  ©tubenten,  ®ermo> 
niften,  bie  oifo  fachmännifch  oorgebilbet  pnb,  bie  in  bem  betreffenben  ®ebiet 
geboren  unb  aufgewachfen  unb  barum  mit  ber  äRunbart,  fowie  mit  ben  ört* 
liehen  unb  perfSnIiehen  IBerhältniffen  ber  ^eimat  oöüig  oertraut  ftnb.  äRan^e 
hoben  felbfi  tüchtige  mufitalifche  Senntniffe;  anbere  bebienen  fich  jor  SIuf> 
jeichnung  W ©ingweifen  htionfeh^  IBerufämufifer.  3>a  biefe  ©tubenten  ouch 
meine  ^örer  finb,  fo  hotte  unb  höbe  ich  Gelegenheit,  ihre  Gignung  ju  biefer 
fchwierigen,  aber  bantbaren  Aufgabe  tennen  }u  lernen.  Unb  ba  fie  mir  bie 
Grgebniffe  perfOnlich  bringen,  fo  bleibe  ich  »<11  Ih"^  ftänbigem,  gegenfeitig 
anregenbem  IBerfehr.  3)aä  ift  freilich,  ü)irb  man  meinen,  etwaä  gar  ju 
bequem.  Stber  ich  höbe  Weber  in  ber  früheren,  noch  io  ber  gegenwärtigen 
Seitung  ber  ©ammeitätigfeit  bie  fleine  9Rühc  gefcheut,  in  oerfchiebene  Gebiete 
JU  reifen  unb  mich  mit  ben  Gewährsleuten  münblich  in  IBerbinbung  ju  fe^en. 
@0  war  ich  i»i  Ixcbft  1907  in  SOlieS  unb  im  Ggerlanb,  im  Derfloffenen 
September  im  bftlichen  IBöhmen,  im  3fngebirge,  im  IBraunauer  Sänbehen  unb 
im  Üblergebirge.  ^ier  höbe  ich  houptfächlich  ben  3>oecf  oerfolgt,  ju  ben  jahl* 
reichen  wertoollen  Xe^ten,  bie  wir  auS  früherer  3tü  unferm  flRitglieb  Stnton 
Sahler,  10eamten  beS  beutfehen  SonbeSfulturratS,  unb  bem  gegenwärtig  in 
3nnSbrucf  wirtenben  $rof.  Dr.  3-  ^offmann  oerbonfen,  bie  noch  fehlcnben 
©ingweifen  ju  erlangen.  3<h  höbe  hic<^  houptfächlich  mit  mufeffunbigen 
Sehrem,  Sapellmeiftem  unb  lRegenS>Ghori  oerfehrt  unb  überoQ  bie  Bufoge 
baibiger  (Erfüllung  meiner  SBünfehe  erholten.  Xatfächlich  finb  injwifchen  f^on 
ungefähr  100  ©ingweifen  eingetroffen.  Xo  wir  bie  ©chönhengfter  unb  bie 
3slouer  ©prachinfel,  beren  in  Göhmen  liegenbe  Xeile  oolfSfunblich  }u  SHähren 
gehören,  mit  BufKmmung  beS  äRinifteriumS  bem  KuSfehuh  für  SDfähren  unb 
©^lefirn  abgetreten  haben,  fo  ift  alfo  ber  SreiS  um  ganj  Xeutf^böhmen 
gef^loffen  unb  bie  Ginleitung  ber  ©ammeitätigfeit  burchgeführt.  SBir  hoffen 
in  ben  nächften  jwei  3ohrcn  noch  öiel  einjuheimfen,  aber  ber  Grunbftocf  ift 
bereits  ungemein  ftattlich. 

SSie  foQ  nun  biefe  ©toffmaffe  gefichtet,  bearbeitet  unb  hnouSgegeben 
werben?  $ier  horten  beS  ÄuSfe^ffeS  no^  fchwere  Aufgaben.  Xie  erfte 
Vorarbeit,  womit  wir  im  nächften  3ohr  beginnen  wollen,  ift  — um  eine 
Überficht  ju  gewinnen  — eine  3uwulorifterung  beS  ©eftonbeS  ber  unS  honb- 
fchriftlich  oorliegenben  Sieber  unb  Sieberbücher,  fowohl  unfercS  SluSfchuffeS, 
wie  ber  Gefellfchaft,  beS  ©ercinS  für  Gefchichte  unb  anberer  Ärchioe,  ferner 


18 


bet  Siebet  in  beutf(^bö^mif(^en  3ciif<^nficn,  ^eimatSfunben  u{to.  Sit  metbcn 
biefe  nac^  ben  iOefümmungen  bet  nom  Setbanbe  eingefe^tcn 

SSolfbliebfonttniffion  butc^fü^ten,  tnie  ed  »o^tfc^einlic^  auc^  bie  anbem  beutfe^n 
Ktbeit^auäfi^üffe  tun  luetben. 

Sei  biefet  wichtigen  SBotatbeii  wetben  mit  fc^on  bie  @pteu  non  ben 
ßötnetn  f treiben  tönnen  unb  nut  baä  audmä^Ien,  mal  fic^  füt  bie  geplante 
Kulgabe  eignet,  ^iet  etgeben  miebet  neue  @c^mietig(eiten.  9htt  einigel 
möchte  idf  ^etaulgteifen.  ©o  bie  etotifc^en  Siebet,  obet  fagen  mit  gut  beutfcb  bie 
unjüc^tigen  Siebet.  Sem  fc^Iic^ten  SBoIfe  ift  Süftem^eit  böQig  ftemb.  !(bct 
bal  Soit  bettac^tet  mit  {Rec^t  bal  @ief(^te(^tlic^e  ail  etmal  Slatfltlic^el,  ba 
el  butd^aul  nii^t  uon  bet  3impetlicl^(eit  bet  fibetbilbeten  ©täbtet  angeftäntelt 
ift.  Sal  ®efunbbetbe  aud^  auf  bcm  gefc^Iei^tlic^en  ®ebiete  gehört  jut  (£igen> 
att  bet  unteten  ©c^ic^ten  unb  tommt  in  nieten  Siebetn,  befonbeti  in  ben 
©c^nabetfiüpfeln  unb  in  ben  Senftetfptüc^eln  ftäftig  jum  Slulbtucf.  9ii(^t  nur 
in  ben  Stlpen,  fonbetn  aud)  in  ben  ©ubetenlänbetn  gibt  el  Saufenbe  foU^ 
„Silblinge“;  bo(^  immet  ift  ^iet  nic^t  bal  Unjüc^tige  bie  ^auptfac^e,  fonbetn 
bet  Si(.  Sit  metben  natätli(^  aud)  manc^el  banon  aufne^men,  fomeit  el 
mitflic^  ^odlliebet  finb  unb  bet  Sigenatt  bei  betteffenben  ©tammel  ent> 
fptec^en.  Sal  Mtgfte  metben  mit  in  bie  Änmerfungen  oetmeifen.  Soc^ 
motten  mit  nid|t  fo  ootge^en,  mie  ©lümmt,  bet  megen  feinet  flei|igen  6t- 
fotfc^ung  unfetcl  ^olflliebel  ünetfennung  uetbient,  bei  feinet  i^mmlung 
,6toHfc^et  iBoItlliebet  aul  Seutft^'Öftetteic^"  (1905)  ootgegangen  ift.  6r 
btingt  I)iet  neben  ißtoben  naioet  ©innlic^teit  in  Siebetn  aul  bem  Sanb- 
ootfe,  mal  ja  ganj  in  Otbnung  ift,  aud)  niemall  gefangene  ,6tjeugniffe 
ftäbtif(^et  SSotbette,  oon  benen  man  fic^“,  mie  iBoIte  mit  Ste^t  getilgt  ^at, 
»mit  6fet  abmenbet*. 

Oletnet:  ja^tteit^e  Siebet,  nid)t  nut  öltete  battobenattige  Siebet,  bie 
übet  ganj  Seutfc^Ianb  oerbteitet  finb,  fonbetn  aud)  SBietjeilet  unb  hit}c 
Sicbelliebet  finb  in  ben  meiften  Sönbetn  Öftetteic^l  üblit^.  Selc^el  Sanb 
fott  aifo  biefe  übetatt  gemeinfamen  Siebet  ^etoulgeben?  SRut  bei  fcbr 
menigen  ©tüden  ift  bet  6ntfle^unglott  }u  etf^tie^en;  öttli(^e  SInfpieiungen 
finb  gat  feiten  unb  lönncn  aud)  fpätet  eingefügt  motben  fein.  Sie  munb- 
attlid)e  ffätbung  ift  ni(^t  immet  füt  bie  Heimat  entfcbeibenb,  benn  ^üufig 
metben  foli^e  Siebet,  melc^e  in  anbeten  Sanbfi^aften  Slufna^me  finben,  in  bie 
bort  übliche  IDtunbart  übetttagen.  äRe^tfac^et  Ülbbtud  ganj  glei(!^et  Sieber 
in  oetft^iebenen  Äulgaben  märe  miftlic^.  Soc^  fott  anbererfeiti  miebet  ein 
Sanb,  in  bem  nac^meillic^  ein  Sieb  feit  langer  3cü  ^eimifc^  ift  all  i)eimii(^ 
betrad)tet  unb  oiel  gefangen  mitb,  jugunften  einel  anbetn  Sanbel,  bal 
Dietteic^t  bie  gleiten  Unrechte  batauf  ^at  aulgefc^ieben  metben?  Übet  biefe 
^agen  unb  übet  bie  ?Itt  bet  flnotbnung  im  einjelnen  mitb  noc^  eine  Se- 
tatung  bet  93orfi(enben  unb  Sufiffac^männet  attet  Stulfi^üffe  in  Sien 
nötig  fein. 

Snjmiic^en  ge^en  bie  oetfc^iebenen  flulfc^üffe  i^re  eigenen  Sege. 
bet  ©teiermarf  finb  fünf  SBönbe  oeranfc^tagt:  I.  Übet  3000  Sänge.  II.  @egen 
1000  3obIer  unb  3u(^ejer.  UI.  Über  5000  ©(^naber^üpfel.  IV.  6tgä^Ienbe, 
geiftlic^e,  Siebellie^t  u.  a.  V.  Sie  übrige  SSoIflbic^tung  unb  äRufit;  Slact- 
träge.  Sie  erften  gmei  ©änbe  liegen  brudfettig  oot.  Sal  aRinifktium 
^at  aber  oortäufig  Sebenfen,  bal  gange  Unternehmen  mit  SBänben  gu  eröffnen, 
bie  nicht  eigentliche  Siebet,  fonbetn  SRelobien  ohne  obet  nut  mit  geringem 
Seft  bringen. 


19 


Unfer  ^at  bie  bie  ^(uSgabe  in  brei  Sänben  p ntr* 

bffentli(^en,  bon  beren  Umfang  je^t  noc^  nichts  Se^mmted  gefagt  »erben 
tann.  Sei  erfte  Sanb  foQ  geiftlic^e  Sieber,  I0allaben,  gcfc^id)tli(^e,  Siebet' 
lieber,  im  ganjen  jumeift  fc^riftbeutfdie  Sieber  größeren  UmfangS  enthalten, 
©ei  bem  jweiten  ©anbe  wollen  wir  »erfuc^en  — notflrlid^  mit  Sermeibung 
Don  SBieberfioIungen  — für  bie  oerfc^iebenen  abgerunbeten  €tamme^gebiete 
bie  biefen  abgelegenen  @egenben  befonberd  eigentümlichen  Sieber  jufammen* 
jufteHen,  bie  bort  hciwtfch  ftnb,  bie  hciwiftfic  Umwelt,  Sitten  unb  ffeftbrüuehe 
jeigen.  hierher  gehören  meift  fürjere,  burchauö  munbartliche  Sieber  unb  ©ier> 
jeiler.  Ser  brüte  ©anb  foll  bie  ©olföbichtung  in  weiterem  Sinne  bringen. 
fUfo  junfichft  nicht  @efungeneö:  Sieimfprüche  an  Rufern,  auf  Srabfteinen,  fowie 
auf  Sotenbrettem,  bie  im  ©öhmeiwalb  noch  reichlich  Dorhanben  finb.  Sann 
ftinberreime,  »lieber  unb  »fpiele  unb  Slrbeitölieber.  gtrner  fürjere  Solf«» 
fchaufpiele,  bie  h^iönifch'germanifchen  ©rauchen  entflammen,  aifo  Bboentfpiele, 
Stemfingen,  SKaiumjüge,  SchwerttanjKime,  Jfrühlingöfpiele,  Sommer-  unb 
SBinterfpiele,  auch  Sieber,  bie  in  umfängliche  ©olföfchaufpiele  eingelegt  finb. 
Sie  ©arianten  für  Se;t  unb  ©felobie,  fowie  bie  fprachlichen  (Srflärungen 
foüen  am  3u§  abgebrueft  werben;  bie  ©ehanblung  ber  Stoffe  foll  in  ben 
Stnhang  fommen,  eine  fuije  3ufammenfaffung  ber  wiffenfchaftlichen  Sr» 
gebniffe  in  bie  (Anleitung.  SBaä  bie  Slneinanberreihung  im  einjelnen  bc> 
trifft,  fo  fann  bie  fogenannte  tünftlerifche  ünorbnung  nur  Don  einem  Sichter 
an  feiner  Sebichtfammlung  feinem  eigenen  (Sefühl  entfprechenb  burchgeführt 
werben;  bei  einer  Don  belehrten  hci^Duögegebenen  ©olföliebfammlung  müffen 
aber  fachliche  unb  ftoffliche  Sefichtöpunfte  walten. 

dum  Schlug  meineö  ©erichteö  möchte  ich  noch  in  möglichftcr  Sürje  bie 
groge  erörtern,  wie  mir  eä  bei  ber  Sluämahl  mit  bem  Segriff  Solfölicb 
halten  wollen,  ©ommer  fpricht  in  einigen  flbfchnitten  feiner  Anleitung  Dom 
echten,  wirtlichen  ober  eigentlichen  ©oltöliebe.  Ser  Seiechtigfeit  wegen  hoöcn 
wir  in  einer  Knmerfung  baju  bie  neuefte,  Don  ©ommer  einigermagen  ab» 
weichenbe  Segnition  3oh<t  ©teierö  hinjugefügt,  welche  auö  beffen  ergebniö» 
reichen  tritifchen  Unterfuchungen  erwachfen  ift  unb  bei  ben  Sachgenogen 
Diel  Entlang  gefunben  hat-  ©feier  fagt  in  feiner  Schrift  „^nglicber  im 
©olfömunb"  (S.  Ilf.):  ,Älö  ©olföpoege  »erben  wir  biejenige  ©oepc  bejeichnen 
bürfen,  bie  im  ©funbe  beö  ©olfeö  lebt,  bei  ber  aber  baö  ©olf  nichtö  oon 
inbiDibueüen  Anrechten  weig  ober  empgnbct  unb  ber  gegenüber  eö  . . . . eine 
unbebingt  hc<nrf<hcnbe  Stellung  einnimmt.“  $luö  ben  weiteren  Sluöführungcn 
Slfeierö  ergibt  fieg  noch  folgenbeö:  ^ebeö  Sieb  hat  ein  beftimmteö,  meift  geiftig 
höherftehenbeö  ^nbiDibuum  jum  ©erfager.  Ob  biefeö  Sieb  nun  einen  befannten 
ober  unbefannten,  einen  ben  ©oltöfchichten  ober  ben  gebilbeten  Stänben  an» 
gehörigen  ©erfager  h^t,  ob  Anlage,  Son,  Stil  beö  Siebeö  Dolfömägig  ober 
funftmägig  finb,  ob  eb  auö  alten  Überlieferungen  fegöpft  ober  ©erfönlicheö 
jeigt,  ba«  ollea  finb  nur  nebenherloufenbc  (»afjegorif^e“)  (Sigcnfchaflen,  bie 
baö  Siefen  ber  Sache  nicht  berühren.  ^ebeS  Sieb  fann  nur  bann  ©oltölieb 
werben,  wenn  e8  Dom  ©olf  wie  ein  hcrrfnlofe«  @ut  aufgenommen  Wirb,  boa 
bauemb  leben  bleibt,  alfo  „Dolfläugg“  wirb  unb  Dom  ©olfe  nach  begen  ®c> 
f^maef  unb  nach  teilweife  fünglerifchen  ©egehtapunften  umgeftaltet  wirb, 
ähnlich^  gilt  für  bie  ©felobien. 

Siefe  Segnition  hat  ein  junger,  aber  erftaunlich  reifer,  gegenwärtig  in 
©rüfunganöten  ftehenber  Stubent,  OluftaD  dfungbauer,  berichtigt  unb  ergänjt 
in  feinem  Dor  einem  halben  Sagre  in  ben  „©eiträgen  jur  beutfehböhmifegen 


20 


SJolfäfunbc"  erfc^ienenen  ®ut^c  „^JoIKbit^hing  au«  bem  ®ö^mermalbc" 
(@.  inf.,  X^.  SRcier  betlagt  mit  9tcd^t  („^nftlicb  unb  Soltatieb“,  ©.  18), 
bag  fid|  bei  bcr  Betrachtung  ber  Sigentümlichfeiten  be«  BotfSIiebe«  lein 
Slu«gang«buntt  für  bie  Unte^uchung  geminnen  taffe,  bag  Berfchiebenheiten 
beftehen,  aber  in  tnelcher  {Richtung  fich  bie  Sntmidfung  bemege,  fei  nicht  ju 
cntfcheiben,  ba  ihr  Stnfang  unb  C^bpuntt  nicht  ju  faffen  fei.  S)aburch 
mürben  aÜe  Untcrfu^ungen  feinerer  Ärt  unmöglich,  ^ungbauer  mar  nun  in 
ber  günftigen  Sage  — a(«  Bauernfohn  mitten  unter  ben  Sanbleuten  Ober* 
plan«,  ber  ^eimat  Stifter«,  aufgemachfcn  — „Urformen*  öon  Siebern 
heimifcher  Bauernbichtcr  (cnnen  ju  lernen  unb,  unterftüht  vom  ®ebächtni« 
atter  Seute,  bie  meitere  ©ntmicftung  unb  Berarbeitung  in  mehreren  gaffungen 
ju  oerfolgen.  Bon  biefem  ©tanbpuntt  au«  meint  er,  bag  al«  BoIt«tieb  bem 
innerften  Sem  nach  nur  ein  folcgc«  Sieb  gelten  fönne,  ba«  nicht  nur  „eoff* 
läufig*  fonbem  auch  „uoI{«entftanben*,  aifo  oon  einem  äRann  au«  bem  Bolfe, 
üon  ber  ^nftbichtung  unbeeinflugi,  gebichtet  morben  ift.  3ch  mug  geftehen, 
bag  c«  mi^  perfönlich  fcgmerjüch  berührt  hut,  bag  au^  fotcge  meit' 
fchmeigge  Srjeugniffe  be«  Bo(f«gefangc«,  mie  fic  gerabe  in  ber  genannten 
Schrift  mitgeteilt  merben,  bie  poetifch  minbcrroertig  gnb  unb  auch  i>urch  ben 
langen  Borgang  ber  Bereinfachung  unb  Umbilbung  im  BoII«munbe  nicht  ju 
äfthetifchcm  ®enug  befähigt  merben,  mirftiche  Botf«Iieber  fein  foOen,  unb  nicht 
bie  herrlichen  Sieber,  bie  un«  au«  bem  15.  unb  16.  Suhrgunbert  erhalten 
unb  heute  noch  int  Bolfe  lebenbig  finb,  meit  biefe  gcher  }um  grögten  2:eil 
oon  ^nftbichtem  oerfagt  mürben.  Natürlich  gibt  c«  auch  biete  neuere  nach' 
meislich  „ootfScntftanbene*  Sieber  Oon  hohem  poetifchen  SBert. 

SBir  merben  aber  bei  unfrer  Slu«gabe  ben  Begriff  Botf«tieb  nicht  fo 
eng  faffen,  mie  ^ungbauer  e«  macht,  ber  übrigen«  biefe  gormet  rein  tgeo- 
retifch,  nur  für  ba«  Botf«tieb  im  ftrengften  ©inn  aufgefteHt  hoi»  ohne  prol- 
tifche  gotgerungen  borau«  jiehen  ju  motten.  Unb  mir  merben  auch  ben  Be- 
gri^  Botr«tieb  nicht  fo  meit  faffen,  mie  e«  in  ber  reichhottigen,  fchönen,  oom 
beutfehen  ^aifer  oerantagten  Stu«gabe  „Botf«tieberbuch  für  SRännerchöre*  ge> 
fchehen  ift,  mo  neben  oieten,  au«brücftich  fo  bcjcichneten,  „Botf«tiebem* 
auch  jahtreiche  Sunfttieber,  bie  ohne  Beränbeningen  im  Bolfe  beliebt 
gemorben  finb,  für  bie  SWännergefong«oereine  mit  {Recht  Stufnagme  ge- 
funben  hoben.  SBir  merben  un«  üielmehr  on  bie  altbemährten  Begriffe 
Botf«tieb  unb  ootf«tümtiche«  Sieb  hotten,  gtücftich  geprägte  (bi^e 
mefen«Dermanbten,  atlmähtich  ineinanber  übergehenben  (^fcheinung«formen 
trefflich  bejeichnenben)  ?lu«brücfe,  melchc  SWeier  erfreutichermeife  ouch  bei- 
behalten  hot.  ^enn  „ootf läufig*  ftingt  nun  einrnat  nicht  gut.  hot>r  über 
biefe  beiben  Begriffe  oor  mehreren  fahren  (in  ber  „3*iiWrift  für  beutfehe« 
Stltertum"  45,  änj.  ©.  66—70)  gehonbett  unb  meine  bafetbft  au«gefpro^cne 
?luffaffung  nicht  geänbert.  (®iefe  ?lu«führungen  finb  ju  umfänglich,  at« 
bag  i(h  fie  hier  mieberhoten  fönnte.)  äBir  merben  alfo  biefe  beiben  ®ruppen 
Botf«tieb  unb  ootf«tümtiche«  Sieb  mit  Borfiegt,  hoch  ohne  (Engherjigfeit  unb, 
foroeit  at«  mögti^,  getrennt  in  unfere  9lu«gabe  aufnehmen. 

8tu«  biefem  Berichte  merben  ©ie  erfegen,  bag  mir  in  Öfterreich  fteigig 
am  SBerfc  gnb.  Sluch  in  ber  ©chmeij  hoben  geh  bie  greunbe  be«  Botföliebe« 
jufammengetan.  Sie  ©chmeiierifchc  ©efeUfchaft  für  Bolf«funbe,  bie  Sehrcr, 
fomie  bie  ©efang««  unb  aRufifoereine  hoben  im  {Rooember  1906  einen  Aufruf 
unb  gragebogen  für  eine  oorbereitete  @efamtau«gabe  oerfenbet.  SBir  Seutfege 
aiigerhalb  bcr  9teich«grcnje  münfehen  aber  oom  ^erjen,  bag  auch  unferem 


21 


SRuttetlanbe,  bem  Xieuti'c^en  Slcic^e,  bie  winenfc^aftlic^c,  aber  auc^  au2gc' 
fpioc^en  nationale  8lufgabe  in  Eingriff  genommen  merbe,  bcn  !BoI{iSliebeifc^a( 
bed  9iei(beä  mbglic^ft  ooüftänbig  aufjufammeln,  ju  bergen  unb  ^eraulju* 
geben.  SBenn  nur  bie  3Rittei  befc^afft  toerben,  an  tü^tigen  itrbeitem  toirb  ci 
ni4)t  fehlen. 


Ober  (ü*  GrforTcbung  der  RetbraTagen.  0 

Ton  Richard  CaoTfidlo. 

Das  9let^ra>^obIem,  baS  feit  1768,  b.  feit  bem  betannten  Streit 
über  bie  Sd^t^eit  ber  fogenannten  ißrilmi^er  :3^o[e  bie  medlenburgift^e 
SntertumSforf^ung  auf  baS  leb^ftefte  befcf)äftigt  ^at,  b.  bie  grage,  mo 
mir  baS  91ationa(^eiIigtum  ber  9Red!(enburger  SBenben,  bie  Orafciftätte  beS 
Siuti^engotteS  iRabegaft'Suaraftci  }u  fue^en  ^aben,  ift  neuerbingS  mieber  in 
ben  Sorbergrunb  beS  QntereffeS  gerücft  morben  burd)  bie  ©rabungen,  roelt^e 
mit  |)ilfe  ber  oon  ber  Sire^oro-Stiftung  bemiüigten  äWittel  bie  oon  ber 
berliner  0nt^ropotogif(^en  ©efeüfi^aft  eingefe^te  Stet^ra^Sommiffton  unter 
ber  unermüblidien  unb  in  ^öc^ftem  SJiage  fac^hinbigen  unb  forgfdltigen 
Seitung  beS  ^xs^ni^urS  Ceften  auS  SBeriin  feit  Hier  on  »nb  in  ben 

beiben  bei  92eubranbenburg  gelegenen  Seen,  ber  DoKenfc  unb  ber  SiepS, 
oome^men  lögt.^ 

Die  SBfung  beS  Problems  nun  mar  biS^r  ftetS  entmeber  auf  ^iftorif(^> 
fritifc^em  ^ege,  b.  i|.  burc^  eine  einbringenbe  SSürbigung  ber  beiben  iBeric^te, 
bie  uns  Dbictmar  oon  SOlerfeburg  unb  %tbam  oon  SBremen  binterlaffen  hoben 
(auf  bie  Schmierigfeiten,  melche  bie  iBergleichung  ber  beiben  iBeridhte  bietet, 
fann  ich  hi^<^  nicht  eingehen),  ober  auf  rein  archöoiogifchem  9Bege  oerfucht 
morben.  Der  SBert  oon  Slumamen  unb  SSoIfSfagen  mar  nicht  erfannt. 
Such  ber  Leiter  ber  fehigen  ©rabungen  glaubte  anfangs  biefer  Hilfsmittel 
entraten  ju  tönnen 

9Jiir  maren  fchon  ju  Anfang  ber  neunjiger  3oh<^^  in  äSaren  bei  Seuten, 
bie  aus  ber  9ieubranbenburger  ©egenb  flammten.  Sagen  über  IRethra  be- 
gegnet.  Die  ©rflörung  eines  ©eiehrten,  bem  ich  fic  oorlegte,  folche  Sagen 
feien  jmeifelloS  jungen  UrfprungS  unb  erft  burch  bie  mieberholten  ©rabungen 
ber  92eubranbenburger  Sorfcher  entftanben,  hot  mich  leiber  bamalS  oon 
meileren  Slachforfchungen  iurücfgeholtcn.  ÄIS  bann  im  SRai  1906  ber  jmeite 
IBericht  OeftenS  erfchien,  ber  mir  ben  ©inbrud  medte,  bag  man  auf  bem 
SBege  jum  3ici<  fti/  t*-  h-  t>og  Siethra  bei  Ufeubranbenburg  ju  fuchen  fei 

’)  fiurj  beooc  unfer  Qetbanb  in  Seilin  tagte,  bottc  in  SQbect  eine  Dagung 
beS  SefanitDereinS  beutfthec  @)ef^itblS*  unb  SHtertumCitiereine  ftattgefunben,  wobei 
Herr  $tof.  iRicharb  Sioffiblo  über  feine  91etbTafagen>3oriihung  fOrad).  Ruf  Sitten 
bet  @<hn|tteitung  biefeS  aoccefoonbenjblatteS  hot  ber  oetbienftoolle  Sotfthet  bie  (üfite 
gehabt,  au(h  ben  SRitgliebcm  beS  SetbanbeS  oon  jenem  Sottioge  in  bem  folgenben 
ftorf  bertürjten  unb  etheblid)  Oerdnbcrten  Seridjte  Kenntnis  jit  geben. 

*)  Der  Umftanb,  bab  bet  SiafieTiOiegcl  beibei  Seen  heute  um  anbertholb 
Steter  hbhet  ift  oIS  )ut  SBenbenjeit  (baS  Stauwect  ber  am  Snbe  beS  18.  ^ahr« 
hunbects  gebauten  Sintabemühle  in  Seubranbenbutg  hol  biefe  Srhbhung  bemirft) 
unb  bah  babuTth  bet  Umfang  bet  in  bcn  Seen  getegenen  3»feln  eiheblith  gegen 
früher  Derinbcct  ift,  eifthmert  bie  Qfrabungen  auherorbcntli^.  Die  Serichte  OeftenS 
pnben  fnh  in  bet  3>i<hr-  f-  ®thnoI.  1904  S.  758  p.,  1905  S.  981  P.,  1906  S.  1006  p., 
1908  S.  559  p. 


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22 


(nic^t  neniger  ats  15  Orte  waren  fc^on  für  9iet^ra  in  9(n$t)ru(^  genommen, 
Oeften  felbft  ^tte  jucrft  bei  0elbberg  gegraben),  ba  fc^ien  e«  mir  erwünft^, 
an  Ort  unb  ©teile  weiter  nac^juforftbcn  unb  feftjuftellen,  ob  nic^t  bo(^  jene 
früher  gefunbcnen  Sogen  auf  oltcr  Überlieferung  beruhten. 

ffiin  furjer  ®orfto6  im  3“"'  1906  ergab  eine  überraf(^enb  reiche 
9IuSbeute,  barunter  eine  ©age  Don  ber  SSergrabung  beO  golbenen  @otted  brr 
Sienben  im  „©lanfenburger  leic^"  bei  Ißritwi^,  beren  9RitteiIung  an  bie 
9ietI)ra>Sommiffton  jur  golge  ^ttc,  bag  biefe,  o^ne  weitere  ©agenfunbc 
abjuwarten,  lebiglic^  auf  @runb  biefer  Sage  an  bie  Ausgrabung  bes  XeidicS 
beranging,  bie  au(b  je^t  wieber  fortgefflbrt  werben  foQ.')  ©cbon  bie  SRannig- 
faltigfeit  biefer  erften  Ausbeute  aber  wir  gezeigt,  bafe  b'tr  nur  plon« 
inäfeige  Arbeit  jum  führen  fönne.  ftfötc  l«>ber  bie  ©ammeiarbeit 
Dorlöufig  ein,  um  mich  beffer  rflften  ju  fönnen. 

Surdb  eine  eingebenbe  Prüfung  ber  älteren  @efcbi(btSwerfe,  ber  umfang» 
reichen  unb  ber  iBericbte  über  bie  früheren  Grabungen  fuchtc 

ich  junächft  Slarheit  ju  gewinnen,  ob  unb  inwieweit  bie  heute  umlaufenben 
iüolfsfagen  auf  gelehrtem  IDSege  inS  %oIf  gebrungen  fein  fönnten.  3)ie  ganjc 
ältere  Siteratur  gab  faft  gor  feine  SluSbeute.  2atomu8*©teinmeh,  um  1600 
Sfeftor  in  9leubranbenburg,  ber  juerft  Slethra  bei  iprilwih  fucht,  fagt  nicht# 
Don  lebenber  Überlieferung.  3m  31'olfteeit  wirb  ber  SBoIfSfage  nur  in  gon^ 
unbeftimmten  äSenbungen  Srwähnung  getan,  obwohl  cS  hoch  nahe  genug 
gelegen  hütte,  ber  bunflen  Sunbgef^ichte  ber  31>oIe  unb  ben  Qlrunblagen  ber 
©chahgräberci  bcS  @ibeon  ©ponholh  nachjugehen.  3oII  hot  nur  }Wei  be» 
langlofc  Sagen  über  ben  SachcrSwall. 

(Srft  Sfieberhöffer  (1857)  bringt  mehrere  größere  Sagen  über  SRethra, 
bie  bann  im  ÄuSjuge  in  boS  ffierf  Don  SJartfeh,  ber  ßigeneS  nicht  hluiu- 
fügt  (für  baS  ©treliher  2onb  fehlten  ihm  bie  Sammler  faft  ganj),  in  bie 
Dielgelefenen  Ehronifen  Don  ^enjlin  unb  ^rilwih,  in  2efebüd)er  unb  3f*tungen 
übergingen.  3®**  9liebevhöfferf(hen  Sagen  finb  echt,  wenn  auch  “uf- 
gepult,  bie  brüte  ift  ein  wiHfürlicheS,  aus  mehreren  echten  Slruchftücfen  ju« 
fammcngeftetlteS  unb  mit  fremben  3utaten  gefchmüefteS  SWochwerf:  Doii 
iicinrich  bem  2ömen  unb  einem  Sönig  Don  SRethra  weift  bie  echte  ®oIfS< 
fage  nichts. 

®aft  aus  biefen  Quellen  bie  Don  mir  bis  bahin  gefunbenen  Sagen 
nicht  flammen  fönnten,  war  mir  flar.  So  muftte  ich  junächft  an  ber  tin* 
nähme  feftholten,  bie  fich  mir  Don  Domeherein  bei  ber  2ebcnbigfeit  ber 
Ginjeljöge  aufgebrängt  hotte,  boft  bie  lebenbe  Überlieferung  beS  SoIfeS  in 
bie  SJenben^eit  jurücfrei^e.  ®as  lieft  weitere  erhebliche  Slusbeute  erhoffen, 
■^oft  fich  Sagen  fogar  ouS  DorfloDifcher  3c>t  im  Söfecflenburger  SBolfe  erholten 
haben,  hotte  ja  jehon  früher  ber  bie  SBolfSfage  beftätigenbe  Sunb  beS  Ißeclatelcr 
$tronjewageno  gezeigt. 

3ch  juchte  bann  weiter  mit  ber  glurnomenforfchung  uertraut  ju  werben 
unb  in  ben  „3>^90rten  ber  flaüifchcn  3»t)thoIogie"  einjubringen.  ©ammel« 
fahrten  enbli^  in  bie  Umgebung  anberer  wenbifiher  ftultftätten,  fo  ber  SBurg- 
wällc  am  flauer  See,  bei  firafow  unb  am  SJlalchiner  See,  gaben  mir  Don 
bem  Ehorafter  hftwijchrr  ®urgwallfagen  ein  bejfereS  ®ilb,  olS  ich  ouS 
®artfch  unb  ben  Don  meinen  9Kitarbeitem  unb  mir  felbft  früher  gefummelten 
Sagen  gewinnen  fonnte. 

')  SJiSöer  iinb  hier  nur  bie  iRefte  eines  fteinjeitlichen  ^ahlbaueS  aufgebeeft  worben. 


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23 


3nt  Shrä^Iing  1907  ging  id|  bann  in  bet  !£oQenie>®egenb  felbft  an  bie 
Sammeiarbeit  ^eran.  !Gad  Tiufne^men  bet  S^umamen  enoicS  fic^  atö  ein 
ootjüglic^eS  SDhttel,  um  in  ber  ganzen  @egenb  ^eimifc^  ju  mcrben  unb  bie 
2cute  ju  unbefangenen  SKitteilungen  anjuregen.  3(^  ^abe  bann  bi*  ^eute*) 
59  Dörfer  ber  ®egenb  ißenjlin  — SJeuftrcIi^  — Stargarb  — Keubranbenburg, 
jum  Deil  bon  ^au*  ju  ^au*,  abgefuc^t  unb  eine  flfülle  bon  @agen  gefunben, 
mie  fie  mo^I  bei  feiner  anberen  ^iftorifd)  bcbeutfamen  Stätte  bi*^cr  aufgebedt 
morben  ift.  Unbeeinflußt  burcß  bie  tBericßte  Dfjietmar*  unb  tibam*  unb  bie 
©rgebniffe  ber  biößerigen  ©rabungen  ßab  id|  nac^  Sräften  berfu(^t,  immer 
nur  ben  Datbeftanb  aufjuneßmen,  niemat*  etma*  in  bie  Seute  ßineinjufragen, 
bie  fraufen,  ficß  bietfacfi  bireft  roiberfpred^enben  ®ericßte  in  allen  ©injeljügen 
feftjußaltcn,  unb  immer  mieber  bie  ©laubmürbigleit  be*  ®ewä^r*manne*  ju 
prüfen  unb  feftjufteUen,  au*  raclcßen  OueQen  er  fißöpfte.  ®or  abfic^tlii^en 
Däufeßungen  glaube  icß  bnreß  bierunbjlbanjigjä^rigc  ©ammlererfaßrung  gc> 
ftßüßt  ju  fein.  Äu*  SWitteitungen  ber  Deftenft^en 

Strbeiter  gefeßöpfte  Angaben  abjume^ren,  bebarf  e*  meift  nur  meniger  SBorte. 
SHirflicß  fagenfunbige  Seute  merten,  menn  man  ihnen  in  reihtet  SBeife  naht, 
fofort,  morauf  e*  antommt. 

SKanche  Sagen  pnb  auf  jwei  unb  brei  Dörfer  befihränft.  Die  Sanbe*« 
grenje  (feit  1701)  unb  eine  Spraihfihtibe  gehen  mitten  burih  ba*  Sagen« 
gebiet  hinburch-  Mm  reiihften  finb  bie  Dörfer,  bie  unmittelbar  an  ber  Siep* 
liegen.  3n  ber  weiteren  Umgebung  »erblaßt  bie  Sage  merfmürbig  fihnetl. 
9iur  bie  ©lodenfage  geht  in  einem  Umfrei*  »on  etwa  brei  bi*  »ier  SIKeiten 
in*  Sanb  hinein.  Mber  Seute,  bie  au*  jenen  Dörfern  ftammen  ober  bort 
einen  Dcil  ihre*  Sehen*  uerbraiht  h<>i>en,  finb  natflrli^  weithin  jerftreut:  fo 
ift  be*  Suchen*  fein  ®nbe.  3ih  hni>«  niir  eine,  bemnä^ft  burch  bie  ßirchen« 
büiher  ju  »emollftänbigenbe  Sifte  aller  tüamilien  angelegt,  bie  bor  50  unb 
100  3ahren  in  jenen  Dörfern  anföffig  waten,  unb  fuche  feftjuftellen,  ob  unb 
wo  noih  9tachfommen  fotiher  längft  oerftorbenen  Seute  leben,  bie  mir  »on 
betagten  ®ewähr*männem  al*  befonber*  fagenfunbig  bejeichnet  worben  ßnb. 
9)tanchc  ber  h^nte  umlaufenben  Sagen  finb  nach  fieß  gegenfeitig  ftüßenben 
Mngaben  juoerläffiger  @ewähr*männer  in  bie  britic  unb  »ierte  ©eneration 
hinauf  4U  feßen,  ftammen  alfo  au*  einer  S^ü/  öo"  SRethrafrage 
überall  noch  t*ine  9febe  war.  ©*  ftellt  fich  ho^ou^/  i*iä  in  ben  Mnfang 
be*  neunzehnten  3ohrhnnbert*  hinein  ba«  ®ilb  »on  ber  SBunberftabt  unb  ihren 
oergrabenen  Schäden  ben  Seuten  noch  »öllig  »ertraut  gewefen  ift. 

Die  ganje  l^genb  zeichnet  fich  burch  fint^ic  Mnfäffigfeit  ber  ®e»ölferung 
au*,  wie  benn  fchon  ba*  ^nfammenfallen  »ieler  Snmiliennamen  mit  Ort*« 
namen  baoon  z^ngt,  wie  feft  bie  ®eDölferung  mit  bem  ®oben  »erwachfen  ift. 
Srembe  Schnitter  finb  noch  h^nif  in  einzelnen  Dörfern  eine  unbefannte  @r- 
fiheinung.  S*  fommen  anbere  Umftänbe  hinzu,  welche  bie  ungewöhnli^c 
3ähigfcit  unb  Sebenbigfeit  bet  Überlieferung  erflärtn.  Die  Schilberungen 
»on  SKafch  lehren,  boß  bie  ganze  Umgebung  ber  Siep*  noih  »or  140  3ohrcn 
ein  erheblich  anbere*  Mu*fe^n  hotte,  baß  zohtlofe  ©rab-  unb  ®efeftigung*« 
anlagen  »on  ber  alten  Seit  zeugten,  bie  feitbem  zerftört  worben  finb:  ber  ®au 
ber  ©houffee,  bie  »on  IReubranbenburg  nach  IReuftreliß  führt  unb  nahe  an  ber 
Siep*  »orbeigeht,  hot  große  ®erwüftungen  angerichtet.  Mber  auch  bie  weitere 
Umgebung,  bie  fo  reich  ift  an  Sleften  »on  ®urgen,  Schlöffem  unb  glöftem 

')  b.  p.  bi*  Snbe  9Jo»ember. 


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24 


rote  feine  anbere  @egenb  9Jfe(fIenburg4  (^ier  ^at  unjer  großer  Sanbdmann 
Sc^Iiemann  bie  glü^enbe  Siebe  }ur  SBiebererweifung  bergangener  ^errtic^feit 
in  fi(^  aufgenommen)  biett  bie  ft^affenbe  ißolfeä  rege  Hu(b 

bie  buTcb  Oeftend  (Grabungen  teilroeife  febon  befiätigten  S9eri(bte  ber  Sifeber 
unb  Steinfobrer  über  fRefte  otter  3)amtnanlagen  in  ber  Sieb#  gaben  ber 
Überlieferung  immer  roieber  neue  9tabrung. 

ift  in  bobent  ®rabe  beaebtenaroert,  »ie  febr  b>«  bie  ©«gen  j.  ©. 
bon  ber  roilben  3<>Qb>  Dont  9Rart,  bom  üDraf,  bon  SSerrobIfen  unb  anbere 
©agenireife,  bie  fonft  faft  überall  in  äHedlenburg  einen  breiten  Soum  ein- 
nehmen,  jurüeftreten.  über  bon  9laubrittem,  bon  ©urgen  unb  ©cbäben  roirb 
nirgenba  fo  biet  crjäblt  roie  bicr.  Unb  baa  groge  ©ammelbeden  ift  immer 
roieber  ber  ©agenfreia  bon  9ietbra.  ®rft  ein  genauer  (Sinblid  in  baa  ganje 
©agenneb  einer  ®egenb  gibt  fiibere  ©runbtagen  für  baa  Urteil  über  Sllter 
unb  ©ebeutung  ber  einzelnen  ©agenjüge. 

greilicb  je  mehr  non  biefer  ©agenmaffe  ana  Siebt  fommt,  befto  febtnerer 
roirb  ea,  baa  biebte  @eroebe  ju  entroirren:  bie  gäben  fcblingen  ficb  hinüber 
unb  beeüber.  Kn  Überrafebungen  roirb  man  gerobbnt.  gaft  feber  neue 
gunb  beleiubtet  einen  früheren,  kleine  unbebeutenbe  3ü9e  getoinnen  bI9|ticb 
3Bert.  Unb  ber  ftbeinbare  ®egenfab  mamber  ©agen  töft  fiib  auf,  fobalb 
man  babon  abfiebt,  bie  9Ucbtigfeit  aller  Kngaben  an  ICbietniara  ©eri^t  ju 
meffen,  ber  boeb  nur  naeb  ^örenfagen  fcbilbert  unb  im  roefentliiben  nur  ben 
einen  Bembel  im  Kuge  b<>i-  iüüer  au^  an  allerlei  feltfamem  9iantroerf,  an 
Knaebroniamen,  bollaetbmologifcben  3)eutungen  ufro.  fehlt  ea  roie  bei  jebem 
gröberen  ©agenfreife  nicht.  ©riQ  j.  ©.,  ber  angebliche  (Srbauer  bon 

©rilroib,  roirb  mit  Sill,  b.  b-  üUb/  bem  ©roherer  9icubranbenburga,  ju« 
fammengeroorfen  u.  a.  m.  3cb  roerbe  fpöter  aHe  folcbe  ©ntgleifungen  forg- 
fältig  buchen,  fie  gehören  mit  jum  ©ilbe;  bab  fie  ben  SSert  ber  ^auptmaffe 
nicht  im  minbeften  in  grage  ft^üen  lönnen,  ift  felbftoerftänblicb.  Unb  noch 
eina  fei  betont:  bie  ©föglicbfeit,  bab  ©injeljüge  auf  gelehrtem  SSege  ficb 
in  bie  ©olfafage  eingefcblicben  boüen,  mub  natürlich  fici<^  int  ^nge  behalten 
roerben.  Sie  grage  enblicb,  ob  befonbera  altertümliche  ©agen  in  bie  oor> 
flaoifcb*germanifcbe  3^  jurücfreichen,  ift  febr  febroer  ju  entfebeiben;  barauf 
lann  ich  hict:  ni^t  näher  eingehen.  Sab  bie  ganje  ®egenb  febon  in  oor« 
flaoifcber  3^ii  fin<^  befiebelt  geroefen  ift,  lehren  noch  h^ic  uorhanbene 
©rabanlagen  unb  prähiftorifebe  gunbe  mannigfacher  Krt. 

Stach  biefen  allgemeinen  ©emerfungen  gehe  ich  baju  über,  oon  bem 
3nhnit  ber  ©agen  ein  ungefährea  ©ilb  p geben.  tann  hi^  nicht  oolI> 
ftänbige  ©agen  mitteilen;  ich  faffe  nur  fur3  bie  biaherigen ' Srgebniffe  ju> 
fammen,  bie  natürlich  burib  neue  gunbe  noch  roefentlicb  erroeitert  unb 
berichtigt  roerben  fönnen. 

Sa  hict^  (ine  S^rte  bea  ©agengebietea  nicht  beigegeben  roerben  fann, 
fo  nenne  ich  furj  bie  roiebtigften  Stamen:  Ortfebaften  am  Soüenfeufer 
roeftlicb  öon  Steubronbenburg:  ©roba,  SKeierahof,  IRehfe,  SBuftroro;  öftlicb 
oon  Stcubranbenburg:  Slein*3tcmeroro.  3n  ber  Sollenfe  bei  ®uftroro:  bie 
gifeberinfet.  Drtfeboften  om  Siepaufer:  roeftlicb  3ippinn),  ©rilroih  (babinter 
^ohenjierib  ufro.);  an  bem  ©übufer:  ©liaabach,  ©ferbeberg  unb  ©lanlen« 
burgateicb  (babinter  bie  äReierei  ©hrenhof);  am  öftlicben  Ufer  Ufabel  (bahinter 
ber  3cchntD*SBatb).  3n>if(ben  ber  Siepa  unb  ber  Sollenfc  (mit  ©erbinbunga- 
gräben)  boa  Siepfer  ©rueb,  öftlicb  baoon  fixieforo.  3m  Siepafee  bie  3nfeln 
Jfiebroerber  (oor  ©rilroib)  unb  ^anfroerber  (oor  bem  Siepfer  ©rueb). 


Dy  • cogle 


25 


1.  ®ic  Sragc,  bie  ielbft  nat^  ben  (Srfolgcn  bcr  iüngftcn  Orabungcn 
ntaiu^em  noii)  immer  ftritiig  erfc^ien:  ob  benn  über^u))t  Ketl^ra  an  bem 
loHenfe*  unb  2iepä»See  ju  futbcn  fei,  mirb  bur(^  bie  Sotläjage  enbgültig 
entfc^ieben.  <Si  ift  oöQig  unbenfbar,  ba§  bie  ©efamt^it  bcr  oon  mir  ge< 
funbcnen  Sagen  auf  gelefirtem  SSJegc  ind  !BoR  gebrungen  fei.  9tur  bie 
'Snnafimc  einer  unauSgefc^tcn  mänbli(^en  Überlieferung  Don  ber  3Benbenjeit 
ber  Dermag  ben  blutigen  I0efib  bed  SSoIteS  ju  ernären.  feiner  anberen 
(Segenb  äJiecflenburg^  bni  fieb  i><e  Erinnerung  an  bie  SBenben  (bc  SBennfeben) 
fo  lebenbig  erbaltcn  wie  hier. 

2.  Siueb  bie  benüflen  unb  noch  mebt  bie  älteren  Sfumamen  reichen 
ium  leil  auf  roenbifebe  ober  ber  wenbifeben  unmittelbar  folgenbc  Briten 
jurüct.  ®ie  92amen  ber  ffifebereijäge  ftnb  befonberd  bemerfenSnert. 

3.  ®urcb  bie  Ergebniffe  ber  früheren  unb  ber  febigen  Grabungen  mirb 
bie  SHcbtigfeit  ber  echten  ISoIfSfage  in  manchen  ^nften  beftätigt,  in  feinem 
ficber  miberlegt.  SBie  meit  fie  mit  ®birinmr^  unb  tlbamS  Scbilberungen 
in  Übereinftimmung  ju  bringen  ift,  fann  erft  unterfuebt  merben,  menn  bie 
Sammelarbeit  abgefcbloffen  ift. 

4.  ®ie  Angaben  b'xbf'rinsicr  fieute  laffen  erfennen,  bag  früher  an  bem 
Ufer  ber  fiiep4  erhebliche  Stächen  mit  3Batb  bebeeft  maren,  bie  btute  beaefert 
merben.  So  fommen  mir  bem  S3ilbe  jener  silva  ab  incolis  Intacta  et 
venerabilis  magna,  oon  ber  Sbitimor  rebet,  näher. 

5.  92amen  ber  Stabt  treten  in  bet  IBoIfdfagc  auf:  Schöne  Sieba 
(Siebe,  Sieta)  o.  ä.,  SDiagareta  u.  ä.  unb  Siinioeh.  9ieba  finbet  fich  fchon  in 
ben  annales  Augustenses  unb  fpäter  bei  gabrieiu«  (1597).  SKinioeh 
erinnert  an  ba«  Siinioeta  (ftatt  SBincta)  bed  codex  I’uchenü  oon  ^Imolb. 
®ie  h^utc  in  Eelehrtenfreifen  übliche  Sonn  fRethra  ift  ebenfo  mie  bie  Sonn 
Slethte,  bie  fich  bei  Slbam  unb  ^Imolb  finbet,  bcr  unbceinflugten  ®oIf«« 
Überlieferung  oiHIig  fremb.  Ein  juoertäffiger  @emährömann  erflärte  mit 
groger  SBcftimmtheit,  bie  Stabt  höbe  jmei  Slamen  gehabt:  ben  jmeiten  (auger 
Schöne  Sieba)  hotte  er  oergeffen. 

6.  Rion  einer  Bnrftörung  ber  Stabt  burch  äRenfchenhanb  meig  bie 
^ottöfage  nichtö;  fie  erflärt  ihren  Untergang  burch  eine  Überflutung  ober 
eine  Überlaftung  bcö  SSobenä  unb  bringt  bamit  anbere  Sieränberungen  ber 
Erbobcrflächc  in  nahegclcgenen  ®örfem  in  3“fommenhang.  Tiefe  Sinnahme 
ber  IBolföfage  fteht  nicht  im  SBiberfpruch  mit  ber  gefchichtlichen  Überlieferung. 
Tic  in  älteren  ©efchichtömerfen  geh  oielfach  gnbenben  Stngaben  über  eine 
breifache  Beefiöning  beruhen  auf  falfcher  ßombination.  9?ur  bie  Stachricht 
bet  annales  Augustenses  über  ben  3nfl  öeö  Sifchofö  ®urcharb  oon 
.^mtberftobt  ift  mit  Sicherheit  auf  SSethro  ju  bejiehen. 

7.  Tie  Sagen  über  bie  Slucht  bcr  SBcnben  unb  bie  ©ergung  bcr 
Tempelfchähe  meichen  ftarf  oon  einanber  ab:  hiee  freuten  r«h  nahezu  20 
oerfchiebene  Sfachrichten,  bie  jum  Teil  mieber  burch  Schahfogen  ber  meiteren 
Umgebung  beftätigt  merben.  So  fotl  j.  ©.  in  einem  ber  3RoHengorfer 
Eirabhügel  SRaria  mit  bem  Sefuöfinbe  oergraben  liegen.  Tie  Sfuniamen 
auf  ber  Erenge  Oon  ©toHenftorf  unb  Bohlen  (Tümelömifch,  Heiligtum  u.  a.) 
roeifen  auf  alte  ^Itftätten  hin. 

8.  Eine  au$  guter  Cluellc  gammenbe  Sage  begeichnct  ein  Sultbilb  abi 
ein  filberneä  Salb,  baö  an  einem  ©allen  befeftigt  gemefen  fei. 


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26 


9.  3Bad  bic  Sage  9iet^rad  anlangt,  fo  raiti  bie  SKe^tja^I  ber  @agcn 
bie  ©tabt  auf  ben  fleineren  ber  beiben  ©een,  bie  »Siep«"  bef(^rönft  miffen; 
onbere  fu(^cn  fie  in  ber  SoHenft. 

10.  ®ie  „gif(^erinfcl“  in  ber  ÜoHenfe  bei  SBuftro»,  auf  ber  juerft 
sBe^er,  bann  Srücfncr  (feit  bem  ®rüdenfunbe  bei  SBuftro»  im  3o^re  1887), 
jule^t  Oeften  ben  diabegafttempcl  gefuc^t  ^ben  (Oeften  ^at  eine  flarfe 
S3o^>  unb  Uferbefeftigung  feftgeftellt),  »irb  in  einer  ©age,  bie  Sennjei(^n 
^o^en  Mlterä  an  fid^  trägt,  SBilenfo  genannt.  ®cr  SiWereijug  an  ber 
ffieftfeitc  ber  3nfcl  fü^rt  noc^  ^eute,  »a8  Oeften  »ot|I  entgangen  ift,  ben 
9lamen  „SBenb«^öfen"  ober  „SBenbä^öf)en“. 

11.  !Dic  ©age,  bie  S^ietmar  ermähnt,  non  bem  auä  bem  ©et  bei  bem 
Jembel  auftauc^enben  ®ber,  beffen  ©rf^inen  alä  ®orjei(^en  rineä  Stieget 
gelte,  l)ab  it^  bisher  in  ber  lebenben  Überlieferung  nic^t  »ieber  gefunben. 

aber  bringt,  roae  biä^er  ni(^t  beaefitet  ift,  fomeit  i^  fc^e,  SKüIIen^off 
eine  ganj  ä^nlic^e  ©age  aus  glenSburg:  baS  fc^eint  bie  neuerbingS  bon 
^iftorifem  berfoc^tene  ünna^me  ju  ftü^en,  bag  auc^  in  ©i^leSmig  ©laben 
gewohnt  ^ben.  Slut^  in  $ommem  ^aben  fic^  bermanbte  ©agen  erhalten. 

12.  S3ebeutfam  tritt  baS  bon  SBuftro»  ^erbor.  3" 

©utSgarten  liegt  nac^  ber  ©age  baS  gotbene  Salb,  ©c^on  in  einem  ^rojeg 
bom  3“^re  1530,  beffen  Slftcn  ©e^er  im  ©(^»eriner  Ärt^ine  fanb,  ^anbelt 
cS  fi4  um  ©c^a^gräbereien , bie  ,^rt  am  !7or»ege  bes  ©au^ofeS  bon 
SBuftro»"  borgenommen  »orben  finb:  ein  Umftanb,  ber  ouf  baS  Stlter  ber 
Siet^ra>©(^a^fagen  ein  ^eQeS  Sic^t  »irft. 

13.  Ku(^  baS  benachbarte  9iehfe  unb  baS  ganje  S^oOenfeufer  bis  ©roba 
()in  hot  Überlieferungen,  bic  jWeifelloS  in  »enbifthe  3c*t  jurürfreithen.  ©in 
Äderftüd  „bei  ber  heiligen  ffiiche"  nrirb  in  einem  Sirchenbifiticrbuch  bon  1574 
genonnt:  „©»cnn’ccf"  h*e§  noch  One  furjem  eine  jeht  bcrfoUcne  alte  Sidie. 
^im  nahen  fUteierShof  jeigt  fith  nach  ber  ©oltSfagc  ein  IDradhe,  ber  auS 
ber  ©rbe  herborfommt  unb  »ieber  berfch»inbct;  baS  flingt  an  eine  unten  ju 
er»ähncnbc  ©age  bon  einer  auS  ber  &be  täglich  heebortommenben  SBunbrr* 
pflanjc  an.  — Slach  einer  ©robaer  Überlieferung  lag  bic  ©tobt  in  ber  XoUcnie 
in  ber  Biiehtung  bon  SKeierShof  nach  filein -Slemero»  h^über.  Xie  ftarf- 
fprubelnben  OueUcn  bei  filein 'Slemcro»  »oQen  nach  ber  ©oHsfage  ben 
golbenen  @ott  aus  ber  XoHenfc  »ieber  herauSfehaffen.  6in  grifchereyug  j»ifchen 
SKeierShof  unb  S3roba  führt  noch  heute  einen  unanftänbigen  Siamen,')  ber 
nach  ber  ©ollsfage  früher  auch  ben  Xörfem  (Sobenbürp  (bgl.  Shihn>©ch»arh, 
Stbb.  ©agen,  ©.  32)  unb  ©otteSgabc  eigen  War:  in  aQcn  brei  Sailen  fcheint 
eS  fich  um  altheilige  ©tätten  ju  huubeln,  bie  berächtlich  gemacht  »erben  foUten. 

14.  Äuch  ©roba,  bet  alte  Sährort  — fpäter  Sih  eines  filofterS,  be- 
wahrt in  giumamen  unb  ©agen  biel  alte  Überlieferung.  @ine  Bleubranben- 
burger  ©age  fucht  bie  untergegangene  ©tabt  in  ben  SBiefen  am  XotlenfeftuB. 

15.  Xie  unmittelbare  Umgebung  oon  $ril»ih  ift  mit  ©agen  angefüllt, 
oon  benen  aber  manche  aus  jüngerer  3eit  ftammen.  Xer  ,©chlohberg",  auf 
bem  äRafch  ben  Biethratempcl  fuchtc  (hier  hut  eine  mittelalterliche  S3urg  ge- 


*)  3n  bem  ißiogcamm  oon  ShihncI  „£ic  flaoifchen  Ortsnamen  in  SRetflenbuig- 
Strelip",  II  (1883),  S.  36,  wirb  biefer  Sifcheieijug  „bobentog"  genannt,  ©ein  ®e- 
w&hrSmann,  ein  Serwanbter  beS  SifthereipiiditeTS,  geftanb  mir,  bah  er  biefen  Stamen 
gewählt  hübe,  weil  er  ben  anftöhigen  Slamen  nicht  h«be  nennen  mbgen.  SKan  muh 
eben  beim  ©ammein  ber  Slumamen  ftetS  an  Sloltsfchichten  fich  wenben,  bie  foldje 
ütUctrithten  nicht  tennen. 


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27 


flanben),  tritt  wenig  ^erbor.  äRe^icre  ©(^a^räberjagen  ^aben  jum  äRitteI> 
pnnh  ben  fianbrat  bon  IBrebotb,  ber  ju  3cit  tbieber^olt  S}ionjefunbc 

gemocht  ^at.  ^D€r  im  Sbolflreit  bietgenannte  giumomc  „S^etrerberge“  wirb 
bei  Sühnet  au8  bon  glurregiftcr  bon  1759  belegt. 

16.  SIuc^  bie  @efc^i(^te  ber  '^^Iroiber  3^oIc  wirb  burc^  jwei  Über« 
Heferungen  beleut^tet.  92ä^erei8  lann  ^ier  ni(bt  angebeutet  werben. 

17.  3m  Jpintertanbe  bon  ifjrilwit  fe^e  alte«  ^rieftet»  unb  Jembet- 

lanb.  ^o^enjieri^  war  nod)  bor  fünfzig  $e;enborf  berfebrien  — 

wie  au^  anbere  Dörfer  in  ber  9?öbe  wenbifc^er  ftultftötten,  fo  j.  SB.  Wambow 
beim  ©ageler  SurgWall.  — Der  1898  abgebrannte  Dor^iebftaÜ  in  $oben- 
jieri^  führte  im  SoIKmunbe  ben  9iamen  ,3iobeI8frog“ : berfetbe  9?ame,  beffen 
mbtl|ifcbt>^  (^aralter  ja  belannt  ift,  fe^rt  amb  beim  naben  Srabeburger  SBurg> 
wall  wieber,  auf  beffen  ©ebeutung  für  bie  9ietbrafrage  febon  S?if(b  bingtroitftn 
bat.  — S*"  »^ibenbolt“  in  ber  :£»obenjieribcr  Öorft  bo&f"  f'tb  ”o<b  ber 
©oiföfage  bie  lebten  SBenben  bebaubtet.  — 3”  bem  im  felben  SBalbe  ge* 
legenen  „Stribbom*@ec"  wobnen  wciblitbc  Oottbeiten.  — 3>"  »Sauten  See* 
auf  SSenbfetber  Selbmarf  liegt  nach  ber  ©olbfage  ber  äSenbentönig  be> 
graben.  — 3<u  benachbarten  ©lumenbotj  weifen  3Iurnamen  wie  (Dottöfamp 
auf  altes  Dempetlanb  bin. 

18.  Die  oor  ©ritwib  liegenbe  3ufel  „fiiebwircl“,  auf  ber  Ceften  eine 
ftarle  wenbifebe  ©efiebelung  naebgewiefen  bat,  erfebeint  in  einer  bebeutfamen 
SiponSfagc  al«  ©tfitte  eine«  DempelS. 

19.  Die  gelbmarf  ber  ju  Spritwib  gebfirenben  SÜJeierei  ßb^tnbof  (int 
©üben  ber  fiiepS)  b“t  ficber  mit  jum  b**l'gfu  ©ejirfc  gehört.  Der  Kante 
bat,  wie  ber  Slumame  ,4!fb«"töll"  geigt,  nichts  mit  bem  ©omamen  bes  fianb- 
ratS  @b^cureicb  bon  ©rebow  gu  tun,  wie  immer  behauptet  wirb.  Der  SBcg, 
ber  bom  ©utSbofe  an  bie  ©rilwib*  Ufabeier  Sanb^aie  b^ranführt  (früher 
ging  er  bis  an  bie  SjiepS  weiter),  war  nach  ber  ©age  „ber  alte  SBeg  nach 
©cböne  Keba". 

20.  Über  ben  „©pihberg",  ber  nicht  Weit  bon  biefem  SBege  liegt,  läuft 
eine  ©age  um,  bie  auf  ben  Sult  einer  weiblichen  ©ottbeit  fcbliegen  lägt. 

21.  Der  nabe  faltbalrige,  in  bie  Sieps  fliegenbe  „©liaSbacb*  (im 
©olfSmunbe  SierS  bäl  ober  fiierfcb  böf),  ber  SRittelpunft  ber  ©puffagen  ber 
gangen  ©egenb,  febeint  ber  ©rengbacb  beS  b<Uigcn  SBegirfeS  nach  äBeflen  bin 
gewefen  gu  fein,  fluch  anberen  wenbifeben  Kultftätten  ift  eS  ein  ©ach, 
bei  bem  ber  ©put  beginnt. 

22.  Die  ©agen  bon  bem  nabegelegenen  „©ferbeberg“,  aus  bem  ber 
©ferbebieb  ©chmdfoot,  mit  elfenbeinernem  SRod  befleibet,  bffbortomntt,  be* 
wahren  bie  ©rinnemng  an  baS  Sultbilb  einer  flabifchen  ©ottbeit  (©oante* 
bit?),  baS  bic>^  auf  ragenber  ^öbc,  bon  ber  auS  man  baS  gange  ©een* 
gebiet  überfchaut,  feinen  ©tanb  batte.  Diefe  ©agen  finben  ihr  ©egenftüd  in 
ber  ©age  bon  bem  Dämon  Shiidcrbeen,  ber  an  ber  Saucnburgifchen  ©tenge 
häuft,  unb  auch  t>it  ®age  oom  ©iHng  im  „©onnenberge"  bei  ©archim  ift 
nabe  oerwanbt. 

23.  Die  gange  Umgebung  beS  ©Iantenburg*DeicbeS  ift  boQ  bon  wert* 
würbigen  Überliefemngen,  bie  auf  alte  ^eiligfeit  ber  ©tätte  f^Iiegen  taffen. 
Die  obenerwähnte  ©age  übrigens  bon  bem  golbenen  ©otte,  ber  b<(>^ 
graben  fei,  ift  auf  brei  Dörfer  befchränft. 


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28 


24.  Sie  ÜberUtferung  be4  SBoIfeS  Don  einem  Samm  in  bec  Sie)>4,  ber 
Don  Ufabel  ^ei  bU  in  bie  ®egenb  bed  ißfeibeberge^  fü^re,  Derbient  eint 
9ia(^))rüfung. 

25.  ftuf  ber  Setbmarf  Don  Ufabel,  bie  noc^  }u  ÜRaf^en^  3nt  an 
©rabbenfmötem  unb  SBefeftigungäanlagen  überreich  gewefen  ift,  tritt  in  ber 
SoHäfage  ber  »^aterenenkrg"  ^erDor:  nörblit^  Don  i^m  ^at  Deften  eine 
Sammauffc^attung  aufgebeift. 

26.  Sa8  an  Ufabet  grengenbe  Sriclon),  baS  bid^r  Don  ber  ar^äologift^ 
gorfc^ung  ganj  Dernai^Iäffigt  toorben  ift,  war  nac^  ber  SSoItSfage  ber  9Rarft> 
t>Ia^  Don  9tet^ra.  $ier  ^aben  nai^  einer  Sage  bie  3Benben  auf  i^rer  gluckt 
fialt  gemacht  unb  ben  golbenen  @ott  angebetet.  !Bon  einem  Samm,  ber 
nac^  ber  ißotlsfage  Don  ben  ^ofgärten  aud  jur  fiie))4  naib  Schöne  9ieba 
^inunterffl^rte,  finb  noc^  ^te  9iefte  Dor^nben:  feine  9ti(^tung  wirb  feft}u> 
legen  fein.  Slumamen  wie  ^jenfetter,  ^rrgooren  u.  a.  finb  bebeutfom. 
%on  ber  „^wenigtuut"  ge^en  Sagen  um,  bie  auf  ben  gutt  weibtic^er  ®ott' 
feiten  ^inpbeuten  fc^einen.  2ln  ber  „gricfower  böt"  ^aben  wir  ben  ®ren}' 
bac^,  bn  ben  t)eiligen  SBejirf  nac!^  Storben  ^in  abfc^Iog,  ju  fe^en:  au(^  ^ier 
Käufen  [läf  wieber  bie  Sputfagen,  bie  jum  Seil  in  fe^r  alte  f|inaufragen. 

27.  Sie  atte  ^ciligfeit  be£  „fiiepfer  SBruc^eiS''  wirb  in  fülumamen  wie 
«SBietbä!“  (ba8  ift  bie  ältere  Stamenäform  für  ba8  ®ietbäf  ber  garten  — 
ber  9tame  finbet  fic^  auc^  fonft  bei  fit^er  wenbifc^en  Surgwällen),  ,9tonnen« 
böf"  unb  „blag'  SBifc^"  (beibe  altm^t^ifd^)  be3eugt.  — Äuf  ber  „tleinen  ^)or^'' 
^icr  im  Siepfer  Säru^  liegt  nat^  me^^ac^  beglaubigter  Sage  bad  golbrae 
galb.  — 5»ier  war  ber  „SBenbenfirc^^of".  ?tn  ber  wefttid^n  Spi^  beS 
tBnu^eS,  bem  „S3ac^er4waa",  ^at  Oeften  eine  tBefeftigung8anIage  nad^gewiefen. 

28.  Sie  @egenb  jwifi^en  bem  Siepfer  93ru(^  unb  ber  Snfel  ,,^emp> 
wirel“  ift  nac^  beachtenswerten  Sagen  bie  eigentliche  Stätte  Don  fRethra. 
^icr  taucht  am  ;fJohanniStage  (in  allen  tRethrafagen  ift  eS  wie  auch  f'’«^  i" 
ben  Sagen  Don  wenbif^en  tBurgwältcn  immer  nur  ber  ^[ohanniStag,  an  bem 
bns  Untergegangene  anS  Sicht  lommt)  atlerlei  @oIbeneS  h^rDor. 

29.  Ser  ^anfwerber  felbft  war  nach  Angabe  eines  @ewdhrS> 
mnnneS,  ber  auS  guter  Ouette  fchöpfte,  bie  Stätte  eines  SempelS;  h>cr  liege 
ber  Schah  begraben,  äuf  ber  S^fcl»  ouf  ber  früher  bei  ber  SBeaeferung 
wenbifche  gulmrreftc  in  fehr  grohen  ilRengen  anS  Sicht  getommen  finb, 
hoben  fdhon  ®ott  unb  iörücfncr  gegraben.  Deften  hot  h'^r  eine  Uferbefefti» 
gung  nachgewiefen.  Ein  Steinbamm  führt,  nach  Angaben  alter  Seute, 
unter  ber  ganjen  Oberfläche  ber  3nfet  hin. 

5>ier  auf  bem  ^anfwerber  finb  früher,  waS  Deften  entgangen  ju  fein 
fcheint,  Sierlnochcn  unb  ^irfchgeweihe  in  grober  3oht  gefunben  worben.  ES 
ift  möglich,  bag  biefe  f^nbe  mit  ber  Angabe  ShietmarS,  bag  ber  Sempet 
„pro  basibus  diversarum  sustentatur  comibus  bestiarum“,  in  3“* 
fommenhang  5U  bringen  ift,  wie  auch  in  ber  Stabt  SRalchow,  ber  Stätte 
eines  anberen  wenbifchen  fanum  cutn  idolis,  ^irfchgeweihfunbe  gemacht 
worben  finb.  IRatürlich  würbe,  wenn  fortgefehte  Erabungen  hi^  Spuren 
eines  SempetS  ergeben  foHten,  bamit  nicht  erwiefen  fein,  bag  wir  eS  hi*c 
mit  bem  Don  Shietniar  befdgriebenen  SRabegafttempel  }U  tun  hotten.  ES 
wäre  fehr  wohl  möglich,  bag  hin  in  ber  IRähc  beS  3RarttplaheS  griefow  ein 
|>eiligtum  ftanb,  in  bem  bie  nieberen  tBollSfchidhten  ju  opfern  pflegten, 
wöhrenb  ber  griegSgott  Sabegaft  ouf  ber  gifthninfel  Derehrt  würbe. 


29 


(£int  (o(c^  tlnna^me  lönntc  bur(^  einen  weiteren  Umftanb  eine  @tü^e 
gewinnen,  ^ier  auf  bent  ^anfwerber  finbet  fic^.  Wie  fd^on  @teudIoff  (1907) 
^emoige^oben  ^at,  ^olunber  (gteeber)  in  ungewöhnlicher  9)2enge  unb  Störte. 
®ie  Beobachtung  ©eher«  in  feiner  wertvollen  Ärbeit  über  bie  wcnbifchen 
Schwerine  in  ffltecftenburg  (1867),  ba^  5I“rnomen  wie  gieeberluul,  gieeber- 
barg  u.  a.  fich  auffallenb  oft  bei  wenbifchen  BurgwöDen  finben,  hat  fi<^  für 
gonj  3J2ecfIenburg  a(ö  richtig  erwiefen.  Unb  auch  fRethragebiete  (bei 
Slehfe  unb  in  ber  3«hoü)er  SorfO  finben  fich  biefe  9lamen.  Kun  ho*  f<hon 
Beher,  bew  baö  ^arfe  Borfommen  bed  i>oIunberö  auf  bem  Bethragebiete 
noch  unbelannt  War,  eine  iRachricht  beS  SRiletiu^  bag  bie 

Sarwaten  einen  (Sott ' Butfcaetuä  Verehrt  hätten,  ben  f’C  fich  unter  einem 
^olunberbaume  wohnrnb  buchten  unb  ben  fie  }u  bitten  pflegten,  bei  äRarciv 
poluö,  bem  deus  magnatum  et  nobilium,  für  fie  Sürbitte  einjulegen. 
(Sinen  ®ott  ©ufchaitiö  hotten  nach  berfelben  Quelle  auch  t’i^  Slaven.  3)aö 
mecflenburgifche  Buftelow  liegt  in  ber  9töhe  einer  wenbifchen  ^Itftötte. 
Das  aDeö  wiü  genauer  erforfcht  fein.  (Sine  einbringenbe  Untcrfuchung  beö 
ganjen  ^anfwerbcrö  unb  feiner  Umgebung  ift  jebenfattö  ein  bringenbe«  (Sr- 
forbemiö. 

30.  Slbcr  auch  t*oö  ^interlanb  von  Ufabel,  bie  gro|e  „3echow‘‘  ge* 
nannte  So^t,  in  ber  fchon  äRafch  9tethra  gefucht  hot,  ift  angefüQt  mit 
Sagen,  bie  jum  Seil  in  wenbifche  3nt  jurüctweifen.  ^aS  „fchwarje  Bruch" 
bei  (Shtcnhof,  ber  Schaupla^  einer  Bifion,  bie  lange  „^ömerfuul",  bie 
noch  uor  fechjig  fahren  nach  ben  Angaben  eineö  juverlöffigen  (Sewöhrö* 
manneö  burch  ®rabanlagen  unb  botanifche  äRerlwürbigteiten  auögejeichnct 
war  (hier  war  nach  t>ci;  Boltöfage  ber  eigentliche  „Slufenthaltöort"  ber 
SBenben),  bie  Umgebung  von  „Kobenfrog",  in  ber  ein  golbener  ^ahn  bie 
£eute  fchrecft,  ber  .Seulenberg"  mit  ber  pcher  alten  Sage  von  ber  febcn 
BHttag  auö  ber  (Srbe  hcrvortommenben  menfchentopfartigen  SBunberppanje, 
bie  ben  Krm  beö  chriftlichen  ©aftorö,  bet  fie  fortbannen  Will,  lähmt,  u.  ö.  m., 
baö  aUeö  macht  mir  }ur  (Sewiih^t,  bag  wir  tS  hi^  tu  biefer  gorft  mit  ber 
^auptmaffe  jeneö  obenerwähnten  h^üS^  SBalbeö  ju  tun  hoben,  unb  bag 
au^  in  biefem  SBalbe  fich  ^Itftätten  befunben  hoben.  Slu^  baö  nahe 
SBanjfa  — noch  h^ute  bie  Stätte  eine«  ffllarfte«  — tritt  in  giumamen  unb 
Sagen  bebeutfam  hervor. 

31.  gewinne  eben,  je  tiefer  ich  .iu  ben  Sogenfrei«  ber  ganzen 
@egenb  einbdnge,  immer  mehr  bie  fefte  Überzeugung,  bag  wir  eä  bei 
Kethra  mit  einer  auögebehnten  civitas  ju  tun  hoben,  bie  eine  größere  Kn* 
zahl  von  BefeftigungSanlagen  unb  auch  mehrere  !tempelftätten  umfchloffen 
hat  3)ie  Grenze  be«  ganzen  (Sebiete«  feftzufteHen,  wirb,  wenn  überhaupt, 
nur  mit  $ilfe  ber  Sagenforfchung  gelingen  lönnen. 

B3ie  bie  3ritungen  fürzlich  melbeten,  hot  bie  9lethra>gommiffion  erfreu* 
licherweife  befchloffen,  bie  @rabungen  mit  Cbifer  fortzuführen,  fobolb  bie 
nötigen  weiteren  SRittet  au8  bet  Bit^ow*Stiftung  bewilligt  fein  werben.  3)ie 
Sommiffton  wirb  fich  einer  emftlichen  ©rüfung  be«  (Srgebniffe«  ber  Sagen* 
foifchung  nicht  länger  entziehen  lönnen,  ohne  ber  Sache  zu  fchaben.')  Unb 
wir  bürfen  an  ber  Hoffnung  fefthalten,  ba$  e«  vereinter  Arbeit  gelingen 
werbe,  ba«  Ißroblem,  ba«  nun  f^on  foviel  ^aft  in  Slnfpruch  genommen  hot, 
in  feinem  ^auptteile  ber  Söfung  zuzuführen. 

‘)  Unmittelbai  nac^  Sbfenbung  biefe«  Beriete«  erhielt  ich  bie  0utfocbenuc(i, 
ber  Dtethra-ftommifrion  beizutrelen  unb  ihr  bie  Don  mir  gefammelten  Sagen  bor}ulegen. 


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30 


ÄUein  — mie  ouc^  immer  bcr  SBert  bet  Solfefage  für  bie  ari^äo' 
iogijc^e  3orf(^ung  ftellen  mag  — bie  iRet^rafagenfo^c^ung  trägt  i^ren 
SBert  unb  i^m  So^n  in  fid^  {elbcr.  (£rft  in  bicfen  }mei  Sauren  ^ab  it^ 
bcn  unerft^bpflit^n  Sagenrei^tum  beä  ÜRetflenburger  S3oHe^  in  bollem  Um« 
fange  mürbtgen  lernen.  toerbe  bie  ©ammeiarbeit  meiterfü^ren,  biä  bie 
ganje  Umgebung  in  weiteftem  Umfange  blanmögig  abgefuc^t  unb  bet  Ie|te 
erreichbare  ©emährämann  auSgefragt  ift.  ^ann  merbe  ich  ">'<h  ^ übrigen 
menbifchen  ^Itftätten  ber  ^mat  jumenben.  3"  ^ Scthren 

hnffe  i^  bann  ben  ganjen  ©agentreiä  in  urfunblicher  ^orm  anS  Sicht 
bringen  ju  fönnen.  ®ie  Sergleichung  mit  bcr  BRaffe  bar  übrigen  Sagen  bw 
$>eimat,  bie  in  meinen  ^änben  ift,  fowie  auch  Slurchforfchung  ber 
Slumamen  mirb  bie  (Eigenart  ber  auf  menbifchc  3^*1  jurflcfgehenlMn  Über* 
tieferungen  aufbeefen,  »ielleicht  auch  flnüifihcn  Sult  in  hcHereä  Sicht  ftellen 
fönnen. 

9Röchtc  man  auch  i"  etnberen  beutfehen  Sänbem,  in  benen  ©laben 
mohnten,  emftlich  an  bie  ©agenforfchung  ge^n.  Sec  Sohn  toirb  nicht  auö- 
bleiben.  Stuch  um  bie  IBinetafagen  j.  h»!  fi^h  i«  niemanb  biShor  emß' 
lieh  bemüht.  Saö  eben  ift  bie  Sehre,  bie  bie  9iethraforfchung  nahelegt,  bah 
mir  hoch,  wie  in  allen  bolföfunblic^n  Singen,  fo  auch  >n  ber  beutfehen 
©agenforfchung  erft  am  SInfange  ftehen  unb  ba|  bie  Überlieferung  beä  SBoIfö 
hoch  Jäher  ift,  alö  man  ju  glauben  pflegt. 


Zu  i&ittcUungcn  Dr.  7,  $.  4. 

3nt  Slnfchtug  an  ben  Sluffah  bon  SKarfgraf  ^itt.  5Rr.  7,  ©.  4)  fei 
barauf  aufmertfam  gemacht,  bah  ou<h  <n  Sfreiberg  i.  ©.,  aifo  ebenfaUä  im 
©ebiete  öftlich  ber  ©aale,  baö  Serjelen  bis  jur  Stitte  bet  16. 
häufig  angemanbt  nmrbe.  Slgl.  ben  SIbbruef  beö  ffreiberget  SBerjählbiühä, 
cod.  dipl.  Sax.  reg.  II.  14,  ©.  177  unb  ben  ausführlichen  Äuffah  bon 
Srmifch,  SieueS  Srehio  f.  fächfifche  @efchichte,  13,  ©.  1,  mo  ©.  3 auch 
auf  oereinjelteS  Sorfommen  beS  tSerjelenS  in  anberen  oberfächfifchen  ©täbten 
hingemiefen  toirb. 

@iehen.  @.  S e h n e r t. 


Hn  die  Rcebnungsführcr  der  Tcrein«. 

Sie  3oht^c4beiträge  bitten  mir  bom  1.  ^onuar  1909  ab  an  ben  neuen 
IRechnungSführer  beS  IBerbanbeS, 

§erm  WechtSanroalt  ß.  SRothe,  Shott>t>6  *•  ® / 86, 

ju  fenben.  SBir  hoffen  fchon  om  nä^ften  SBerbonbStagc  einen  neuen  3oh^“n8^' 
mobiiS  borfchlagen  ju  fönnen. 

Ser  gefchäftSführenbe  SluSfchuh. 


Dr  X)(i&n6arbt,  9. 

Sudfbnufertt  Sli^nrb  Otto),  fifibjtfl- 


Verbandes  deutscher  Vereine  für  Volkskunde 


(Korrespondenzblatt). 

Nr.  II.  juiriTiöT 


Delogiert  ciiyerHainiiiliiiig 

des  Verbandes  deiitsclier  Vereine  für  Volkskunde. 

Der  von  dem  Gesamtverein  der  deutschen  Geschichts-  und 
Altertumsvereine  und  dem  Verband  deutscher  Vereine  für  Volkskunde 
eingereichte  Antrag  (vgl.  Mitt.  Nr.  10)  ist  der  Hamburger  Ober- 
schulhehörde,  Sektion  für  die  wissenschaftlichen  Anstalten,  vorgelegt 
worden,  und  die  Sektion  hat  die  Genehmigung  zur  Angliederung 
der  Hauptstelle  für  deutsche  Volkskunde  an  das  Museum 
für  Hamburgische  Geschichte  erteilt.  Zur  weiteren  Verfolgung 
dieser  Angelegenheit  wird  am  Sonnabend,  den  1.  Oktober  1910,  vor- 
mittags 10  Uhr  in  WeimaPi  im  Hotel  Elephant,  eine  Delegierten- 
Versammlung  stattfinden,  die  sich  hauptsächlich  mit  der  Errichtung 
der  Hamburger  Hauptstelle  für  deutsche  V^olkskunde  beschäftigen 
umi  das  von  Herrn  Professor  Dr.  Lauffer  aufgestellte  Programm 
beraten  wird.  Auch  die  Frage  der  Volksliedersammlung  soll  zur 
Erörterung  gelangen. 


Das  Volkslied  in  Österreich. 

Von  Josef  Pomme r.*) 

Oriindziige  für  die  Sanimlung  österreichischer  Volkslieder. 

Diese  vom  hohen  k.  k.  Mini.<terium  für  Kultus  und  Unterricht  ge- 
plante Sammlung  soll  in  einzelnen,  national  abgegrenzten  Randen  die 
gesamte  Volksmusik  uud  namentlich  das  Volkslied  der  einzelnen  in  Öster- 
reich lebenden  Völker  und  Stämme  umfassen.  Die  Hauptaufgabe  besteht 
in  dem  Aufspüren  und  Aufsammeln  jener  in  den  breiten,  mittleren 
und  unteren  Schichten  des  Volkes  entstandenen  oder.doch  dort  ver- 
breiteten Lieder,  Tänze  und  anderen  musikalischen  Äußerungen  des 
Volkslebens,  welche  bis  zum  heutigen  Tage  noch  nicht  aufgezeichnet 
worden  sind.  Ferner  werden  in  die  Sammelarbeit  einzubeziehen  sein 
jene  Erzeugnisse  des  musikalischen  und  dichterischen  Volksgeistes 
(Lieder  jeder  Art  und  Form,  rj'thmische  Rezitationen  mit  inbegriffen, 
Schnadahüpfel,  Jodler,  Tänze  usw.),  welche  zwar  bereits  niedergeschrieben 

*)  Für  ^tige  Genehmigung  dei  Abdruckes  ist  die  Schriftleitung  dem  Herrn 
Verfasser  zu  herzlichem  Danke  verpflichtet. 


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oder  schon  gedrnckt  und  in  2^itscbriften,  fliegenden  Blättern,  ge- 
schriebenen Liederbüchern,  bandscliriftlichen  oder  gedruckten  Samm- 
lungen u.  dgl.  niedergelegt,  aber  noch  nicht  kritisch  verarbeitet 
worden  sind.  Die  auf  Grund  dieser  Sammelarbeit  herzustellenden 
Ausgaben  sollen  streng  wissenschaftlichen  Charakter  haben  Es  wird 
in  ihnen  deslialb  auch  die  ganze  bereits  vorhandene  einschlägige 
Literatur  kritisch  zu  behandeln  und  in  die  Bearbeitungen  einzubeziehen 
sein.  Die  dringendste  Arbeit  ist  und  bleibt  jedoch  die  Aufzeichnung 
des  noch  nicht  Entdeckten  oder  doch  noch  nicht  Veröfientlichten  ans 
dem  Volksmunde.  Tag  für  Tag  sinkt  Ja  wertvolles  Volksgut  in  die 
Vergessenheit  für  immer.  Eile  lut  not! 

Soll  der  Erfolg  dieser  Sammelarbeit  nicht  dem  Zufalle  anheim 
gegeben  sein,  so  muß  sie  planmäßig  vorbereitet  und  fachmännisch 
geleitet  sein.  Soll  die  Hauptforderung,  welche  man  au  eine  solche 
Sammlung  vom  wissenschaftlichen  Standpunkte  stellen  muß,  die  Voll- 
ständigkeit, auch  nur  annähernd  erreicht  werden,  so  wird  man  sich  an 
die  große  Öffentlichkeit  wenden  und  alle  Gebildeten,  die  mit  dem 
Volke  Fühlung  haben  oder  aus  demselben  hervorgegangen  sind,  ins- 
besondere Lehrer,  Geistliche,  Beamte,  Ärzte,  Studenten,  zur  Mitarbeit 
heranziehen  müssen.  Zu  diesem  Zwecke  ist  die  Ausarbeitung  einer 
Anleitung  zur  Sammlung  und  Aufzeichnung  dieses  poetisch-musikalischen 
Volksgutes  und  die  Veröffentlichung  und  Aussenduiig  eines  Frage- 
bogens notwendig. 

Im  Volkslicde  ist  Dichtung  und  Musik  in  lebendiger  Einheit 
verbunden,  beide  sind  deshalb  anfznzeichnen.  Nur  in  Jenen  Fällen,  in 
welchen  eines  von  beiden  nicht  zu  erreichen  ist  darf  mau  sich  mit 
der  Niederschrift  des  anderen  Teiles  begnügen. 

Die  geplante  Sammlung  wird,  wie  schon  der  Titel  he.sagt,  der 
Hauptsache  nach  das  Volkslied  in  seiner  lyrischen  Form, 
aber  auch  episch  lyrische  Volksballaden  und  epische  Lieder  enthalten. 
Auch  das  Schnadahüpfel  mit  seinen  verschiedenen  Weisen,  auch  so- 
genannte Tänzeln,  Gasselsprüche,  ferner  auch  Dramatisches,  Weihuachts- 
spiele,  Lieder  und  Ueimsprüche  zu  Frühlings-,  Ernte-  und  Hochzeits- 
bräuchen n.  dgl  sollen  in  der  Sammlung  Beachtung  finden. 

Wir  erweitern  den  Begrift’  des  Volksliedes  hiermit,  bis  er  sich 
dem  Umfange  nach  mit  dem  der  Volksdichtung  überhaupt  deckt  Auch 
nach  der  musikalischen  Seite  sind  die  Grenzen  weiter  abzustecken: 
Jodler,  Juchezer,  Rufe,  Nachtwächter-  und  Rammerlieder  und  namentlich 
Tanzweisen  sind  in  die  Sammeltätigkeit  mit  einzubeziehen.  Der  Begriff 
des  Volksliedes  ist  nach  dieser  Richtung  somit  derart  verallgemeinert 
worden,  daß  er  sich  mit  dem  der  Volksmusik  deckt  Was  sich  noch 
außerdem  gelegeutlich  aufdrängt  und  sonst  vielleicht  nicht  oder  doch 
nicht  leicht  mehr  zugänglich  sein  dürfte:  'Beobachtungen  über  volks- 
tümliche Musikiustrumeute,  über  Tanz  und  Tracht,  über  Brauch  und 
Sitte,  über  Sprache  des  Volkes,  wird  nicht  abzuweiseu,  sondern,  soweit 
es  mit  dem  Volksgesauge  und  der  Volksmusik  zusammeuhängt,  zur 
Kenntnis  zu  nehmen  sein.  Für  die  wissenschaftliche  Verwertung 
wird  nach  Möglichkeit  gesorgt  werden.  Hauptsache  bleibt  natürlich 
immer  das  eigentliche  Volkslied  selbst 


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Fflr  die  Beurteilung  des  Volkscbarakters  und  -geschmackes  ist 
es  aber  auch  wichtig  zu  wissen,  welche  Kunstlieder  das  Volk  besonders 
in  sein  Herz  geschlossen  hat.  Wenn  es  diese  unverändert  singt  oder 
doch  unverändert  in  seine  Liederbücher  einschreibt,  genügt  es,  die 
Dichtungen  in  Kürze  unzweideutig  zu  bezeichnen,  ohne  daß  eine  Ab- 
schrift derselben  anzulegen  wäre. 

Das  gesammelte  Material  ist  den  einzelnen  Arbeitsausschüssen, 
deren  Adresse  in  den  Tagesblättern  der  betreffenden  Länder  bekannt 
gegeben  wir<l,  einznsenden. 

Seine  wissenschaftliche  Prüfung  und  Verarbeitung  ist  Sache  der 
in  den  einzelnen  Ländern  zur  Sammelarbeit  berufenen  Arbeits- 
ausschüsse und  des  leitenden  Hauptausschusses. 

Die  Sammler  mögen  sich  bei  ihrer  Arbeit  stets  vor  Augen 
halten,  daß  sie  die  Hauptaufmerksanikeit  darauf  zu  lenken  haben,  daß 
ihre  Niederschriften  das  Gehörte  nach  Wort  und  Weise  in  möglichst 
photographischer  Treue  und  ohne  jede  subjektive  Zutat  wiederzugeben 
haben. 

Die  Liedweisen  sollen  nicht  harmonisiert  oder  mit  einer  Begleitung 
versehen  werden.  Sie  sind  niederzuschreibeu.  genau  wie  sie  das  Volk 
singt,  mit  allen  Abweichungen  vom  Normalen  in  Rhythmus,  Takt, 
Tonfolge  uud  Harmouie,  mit  denen  sie  vom  Volke  selbst  gesungen 
werden.  Singt  das  Volk  ein  Lied  einstimmig,  so  ist  es  einstimmig 
wiederzugeben;  lebt  aber  ein  Lied  zwei  , drei-  oder  mehrstimmig  im 
Volke,  so  sind  auch  diese  weiteren  Stimmen  möglichst  getreu  auf- 
zuzeichnen. Dasselbe  gilt  von  der  Begleitung  auf  volkstümlichen 
Instrumeuteu,  als  Schwegelpfeifen,  Sacki)feifen,  Klarinetten  und  anderen 
Blasinstrumenten,  Geigen,  Zither,  Hackbrett,  GiUrre,  Zieh-  und  Mund- 
harmonika u.  dgl. 

Die  Liedertexte  sind  genau  nach  der  Volkssprache  wiederzugeben. 
Derbheiten  sollen  nicht  ausgemerzt  oder  .abgeschwächt  werden.  Ent- 
scheidend ist  nicht  die  Orthographie  der  Schriftsprache,  sondern  die 
lebendige  Volkssprache.  Es  ist  daher  die  möglichst  genaue  und  ge- 
treue Wiedergabe  der  mundartlichen  Klänge  durch  die  Schrift  an- 
zustreben. 

Da  mau  von  Laien  eine  streng  wissenschaftliche  phonetische 
Schreibung  der  Mundart  nicht  erwarten  und  verlangen  kann,  wird  man 
sich  damit  begnügen  müssen,  nur  die  auch  dem  ungeschulten  Ohre 
sich  aufdrängenden  auffallendsten  Eigentümlichkeiten  der  Volkssjirache 
in  einer  einfachen,  anschaulichen,  clas  Wortbild  möglichst  wenig  ver- 
ändernden Wöise  einheitlich  bezeichnet  zu  erhalten. 

Lieder  und  Tänze  zeichne  man  in  einer  bequemen,  einfachen 
Tonart,  mit  möglichst  wenig  Vorzeichen  in  mittlerer  Tonhöhe  auf; 
wünschenswert  ist  jedoch,  daß  die  absolute  Tonhöhe,  in  der  die  Lieder 
vom  Volke  gesungen  werden,  angedeutet  werde. 

Die  einzelnen  Stücke  sind  gesondert  auf  Quartblättern  oder 
Halbbogen  in  gut  lesbarer  Schrift  zu  verzeichnen.  Es  ist  nur  eine 
Seite  des  Papieres  zu  beschreiben.  Der  Name  des  Sammlers,  die 
Namen  der  Personen,  nach  deren  Angabe  das  Lied  (Stück)  auf- 
gezeichnet wurde,  der  Fundort,  das  Verbreitungsgebiet  des  Liedes, 


sein  mntmaßliclies  Alter,  die  Zeit  seiner  Niederschrift  ist,  soweit  als 
möglich,  bei  jedem  Stück  gesondert  mit  größter  Gewissenhaftigkeit 
aiiziigeben.  Einerseits  soll  hierdurch  eine  Nachprüfung  ermöglicht, 
anderseits  aber  auch  das  Verdienst,  das  dem  Vorsänger  wie  dem 
.'Sammler  zukommt,  anerkannt  werden.  Auch  Erklärungen  mundart- 
licher Ausdrücke,  Kemerkungen  zum  Verständnisse  des  Textes  und 
ähnliche  Zusätze  sind  erwünscht  und  werden  die  verdiente  Berück- 
sichtigung finden. 

Man  spüre  auch  den  licuten  aus  dem  Volke  nach,  die  in  ihren 
Kreisen  als  Liederdichter  und  Improvisatoren  bekannt  sind,  ln  ver- 
einzelten Fälleu  gelingt  es  nämlich,  bei  neuentstandenen  Volksliedern 
den  „Dichter“  ausfindig  zu  machen.  Vor  Leichtgläubigkeit  sei  jedoch 
gewarnt,  denn  häufig  behaupten  Leute,  die  ein  Lied  gerne  und 
vielleicht  aus.schließlich  singen,  daß  sie  dies  ihr  Leiblied  auch  selber 
„gemacht*,  d.  i.  erfunden  haben,  ohne  daß  diese  Behauptung  den 
Tatsachen  entspricht. 

ln  jene  Gegenden,  in  denen  das  Volkslied  im  Aussterbeu 
begritt'en  ist,  werden  einzelne  oder  mehrere  Fachmänner  zur  Auf- 
sammlung des  noch  Vorhandenen  entsandt  werden  müssen. 

Personen,  welche  die  Sammelarbeit  nicht  selbst  besorgen  können, 
mögen  wenigstens  durch  Angabe  von  Quellen  unserer  Arbeit  Vorschub 
leisten,  indem  sie  die  Anschriften  von  Liedersängern  und  -sängerinneu, 
von  Volk.smusikanten,  von  Besitzern  einschlägiger  haudschriftlicher 
Aufzeichnungen  u.  dgl.  bekanntgebeu. 

Auf  Grund  der  im  Vorstehenden  beschriebenen  großen,  möglichst 
umfassenden  wissenschaftlichen  Ausgabe  ist  auch  eine  zweite,  kleinere 
populäre  Ausgabe  geplant,  deren  Zweck  die  Wiederbelebung  der  Pflege 
des  Volksliedes  in  Schule,  Haus  und  Gesellschaft  sein  soll.  Sie  wird 
eine  Auswahl  der  besten  und  wertvollsten  Volkslieder  enthalten  in 
einfachem,  echt  volkstümlichem  musikalischen  Satze  je  nach  der 
Eignung  der  einzelnen  Lieder  für  Chorgesang  oder  Einzelgesang  mit 
Begleitung  eines  Instrumentes  (Klavier,  Gitarre,  Zither). 

Auch  die  Herstellung  dieser  Ausgabe  wird  von  künstlerischem 
und  wissenschaftlichem  Standpunkte  aus  unter  Leitung  des  Hanpt- 
ausschusses  und  Mitwirkung  der  einzelnen  Arbeitsausschüsse  erfolgen. 

Ihr  Erscheinen  ist  einem  späteren  Zeitpunkte  Vorbehalten. 


Aufforderung. 

Unsere  Mitglieder  werden  gebeten,  den  Jahresbeitrag  möglichst 
bald,  spätestens  bis  zum  1.  September  an  unsern  Schatzmeister 

Herrn  Kechtsanwalt  Kothe,  Chemnitz  i.  S.,  Theaterstraße  86 

einzusenden. 


SchrlfÜcItQDc:  Rektor  Prof.  Dr.  Dihnb »rdt,  laolpslf,  Könlgttr.SS.  — Druck  dtr  Drwdci- 


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