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ITTEILÜNGEN
DER
SCHLESISCHEN GESELLSCHAFT
FÜR VOLKSKUNDE
lierausgegeben
von
THEODOR SIEBS.
Band X.. - , /
.liihrgantr liKW. — lieft XIX nnd XX der ganzen Heihe.
BRESLAU
Selbstverlag der Gesellschaft
(für den Buchhandel zu beziehen durch Max tVuywod’s Verlag, Breslau VllI)
190H.
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Alle Reclite Vorbehalten.
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Inhalt.
AiirsUtzc und Mitteilungen.
Drechsler, Oyrnpasialdirektor Dr. iibil. P., Die Seele nach ilcm
Tode in der Anschaunng des Volkes XlX S. 1
Fraeukel, Üiiiv.-Prof. Dr. phil. S., Ans orientalischen Quellen . . XIX S. 25
Klapper, Oberlehrer Dr. phil, J., Das Märchen von dem Mädchen
ohne Hände als Predigtexempel XlX S. 29
Olbrich, Oberlehrer Dr. phil. K., Zehn Schntzbriefe unserer Soldaten XlX S, 45
Hellwig, Ür. iur. Alb., Die Freimaurer iin Volksglauben . . . XIX S. 71
Drechsler, Oyiiiuasialdirektor Dr. phil. 1’., Schlesiens Vogelwelt in
der Sprache und im Glauben der Heimat XlX S. 81
Hellniich, Kgl. Landmesser M., Zur Volksetymologie XlX S. 95
Schulte, Oeh. Reg.-Rat Professor Dr. phil. W. , Leben und Sitten
in Schlesien niu die Mitte des 16. Jabrlmiiderts XIX S 97
K lap per , Oberlehrer Dr. phil. J., Sagen und Märchen des Mittelalters XX S. 1
ünwerth, Dr. phil. \V. von. Das starke Verbum in der schlesischen
Mnndart XX 8. 30
Goessgen t, Oberlehrer Dr. phil. W., Der Wortschatz der Mund-
art von Diibraucke . ^ , , , , , , . . , ^ , . XX S. 4S
Drechsler, Gymnasialdirektor Dr. phil. P., Sprachliche Erstarrungen
iiu Schlesischen , , , ^ , ^ ^ XX 8. 71
Trebliii, Dr. phil. M., Zur Kunde von den schlesischen Ortsnamen XX S. 78
— Die Wüstung Jocksdorf XX S. 8ti
Pradel, Oberlehrer Dr. F., Schlesische Volkslieder XX S. 89
Drechsler, Gymnasialdirektor Dr. phil. P., Volkslieder .... XX S. 104
Dittrich, Oberlehrer Professor P., Einiges über Uaudwerksbräuche XX S. 114
Siebs, ITniv.-Prof. Dr. phil. Th., Rllhezalil XX S. 127
Bosprechnngen.
Heidrich, R., Christnachtsfeicr und Cliristnachtsgcsiinge in der
eY.angeliselieii Kirche (F. Pradel) XlX S. 132
Führer durch die Saniinlung für deutsche Volkskunde in
Berlin (F. Pradeli XIX S. 133
Beiträge zur Heimatku nde der Pfalz , II. Pfälzer Frühlings-
feiern (F. Pradel) XIX 3. ISS
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IV
Hellwig, Dr. Albert. Verbrechen und Aberglanbe fSs.) ■ , . ■ XIX S. 134
Schlesiens volkstümliche Überliefernngeii 1— III . ■ . XX S. 132
Reichert, Dr. Hermann, Die deiitschen Familiennamen f-e-) . ■ XX S. 1<)2
Jftsehke, Dr. Erich, Lateinisch-romanisches Fremdwitrterbacli Jer
schlesischen Mundart (-p-) ■■ . , XX S. 1.34
V. Unwerth, Dr, Wolf, Die schlesische Mundart (s.) XX 3. 1H5
Bob n, Prof. Dr. Emil, Die Nationalhymnen der europäischen Villker(ts.) XX S, 136
Schräder, Otto, Spraclivergleichniig und Drgeschichte I, II, 1„ 2.
(Siebs) XX S. 137
Martin, Alfred. Deutsches Badewesen in Yergangenen Tagen (s.) XX S. 139
John, Alois, Sitten, Brauch und Volksglauben iin deutschen West-
bsbinen (s.) XX S. 14(1
Der gemitt lieh e Scliläsingcr. Heransgegeben von Pani Keller (s.) XX S. 140
RBsaler, Robert. Wie der Schnoahel gewaxen (s.) XX S 140
Heinzei , Max, A frisches Riclicl (s.'i ' XX S. Hl
Oberdieck, .Marie, Tust de mitte? (t.) XX S. 141
Sabel, Robert, Suniitich-Noehroitts (t.) XX 141
<»<‘scliaftlt(‘li(‘ Mittolliiiiiteii.
Sitzungsberichte XIX S. 134 XX S. 141
Eingänge XIX ,S. l.H(>
Nachrichten und Anzeigen XIX S. 1.H6 X.K S. 142
Register zu Heft XI bis XX, von stud phil, Sclke X-K S. 143
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Die Seele mieli dem Tode in der Anschauung
des Volkes.
Von I>r. I’aul Drechsler in Zabrze.
„Es ist dein Menschen gesetzt, einmal zu sterben“. — Wer
wollte .sagen, wann und wo dem Menschen die Erscheinung des
Sterbens zum erstenniale vor .\ugen getreten ist! Aber sie wieder-
holte sich immer und immer wieder und wurde stete, lückenlose
Erfahrung, ergreifend und geheimnisvoll heute wie am ersten Tage.
Die.ses Kind, das sich vor kurzi-m mit rosigen Wangen und
blitzenden Augen im Reigen auf dem Anger drehte, dieser Mann,
der in der Fülle des Lebens dastuiid mit festen, markigen Knochen
— sie liegen auf dem Sterbebette. Ihrer Brust entringt sich der
letzte Laut, der letzte Hauch, der Klirper reckt und .streckt sich
noch einmal, und mit der fliehenden Warme erblasst die Wange,
das Siegeszeichen des Todes.
Doch die Seele kann sich von dem Körper, den sie solange
belebt und bewegt hat, nicht völlig gelöst haben, sie weilt in ihm,
wie im Schlafe, in stiller Ruhe, gleichwie iin kalten Baume zur
Winterszeit das stille Leben in das innerste Mark, in die tiefste
Wurzel geflüchtet ist, um dem Kii.sse der Lenzessonne zu erwachen,
oder sie führt, zunächst in der Nähe des Körpers und des Grabes,
ein selbständiges Da.sein, um weiter zu wirken in unvergänglicher
Kraft. So ist (philosophisch gesprochen) die Grundverschiedenheit
von Stoft' und Kraft die Grundlage des ünsterblichkeit.sglaubens.
.\us die.sem uralten Glauben, da.ss auch nach dem Tode die
Seele fortlebc, erklärt sich bei allen Völkern eine Fülle von .\n-
.schauungen, Sitten und Gebräuchen, die sich aus gleichen mensch-
lichen Voran.ssetzungen in gleicher Gemeinsamkeit gebildet und
teils in ursprünglicher Fa.ssnng, teils mehr oder weniger verdunkidt
bis zur Gegenwart erhalten haben. Ich be.schränke mich hier
Mittelläufen <1. ÄCbUs. Oes. r Vkde. Halt XIX. t
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darauf, mit besonderer Berücksiclitiprung Sehlesiens, eine f'bersieht
des Wesentlichsten zu peben*), denn wenn je auf einem (lebiete
der Volkskunde ist hier Beschränkung und Mass geboten.
Zunächst sind nach dem (ilauben des Volkes Leben und Seele
von dem Kori)er nicht geschieden, der Tote ist nicht oline Leben,
sondern nur oline Bewegung. Er beobachtet bis zum Begräbnis-
tage die Trauer der t'berlebenden (laidwigsdorf bei Görlitz). Noch
heute denkt man sich, dass ein Verstorbener ganz gut hören und
verstehen könne, was man zu ihm sage, und dass er nur nicht
imstande sei, seine Gedanken und Gefühle zu äussern. Oft erzählt
man, die tote Mutter habe mit geweint, als der liebe Sohn aus
der Ferne herbeieilte und über die Leiche gebeugt hei.sse Tränen
vergoss (Breslau 1906). Wird die Leiche angckleidet, dann ruft
man den Toten dreimal beim Vor- und Zunamen: N. N'., wir wollen
dich anziehen! — Sofort werden die starren Glieder beweglich
und lassen sich bequem bekleiden (Leobschütz, Neustadt, Kreuzburg).
Auch kann man dann der Leiche den Trauring ohne Schwierigkeit
vom Finger ziehen (Breslau) und die Sterbehandschuhe anlegen
(Leipe bei Jauer). Ruft man nach dem Anziehen: N. N., nun
kannst du wieder ruhig schlafen! wird der Tote wieder steif und
starr (Gramschütz bei Glogaii).
Wie man dem Sterbenden die Gabe zuschreibt, in die Zukunft
zu schauen, so richtet man auch Fragen und Bitten an den Toten
und deutet scheinbare oder zufällige iiassive Bewegungen des
Körpers als Antworten und Erhörungen (hieraus hat sich mannig-
faltiger Totenzauber entwickelt); be.sonders bittet man die Leiche,
Krankheiten allerart mitzunehmen, z. B. Hühnerwurzeln, Cberbeine,
Zahnschmerzen.
Neben diese Vorstellung, dass die Seele in gleichsam nur
gehemmter Beweglichkeit auch nach dem Tode im Körper
fortlebe, tritt die andere, auf die Traumerscheiiiungen nicht un-
we.sentlich eingewirkt haben, da.ss mit Eintritt des Todes sich
') In iler reichen Literatur ist in letzter Zeit hinznpekiimmen: \V. Wuniit,
Völkerpsychologie 2. Band: Mythus und licligion. 2. Teil, Leipzig lOOt!;
0. Schräder, Sprachvergleichung und rrge.schichte. 11, Teil, 2. .'\bschniU: I>ic
I’rzcit. .lena l‘J07 Einschlägigen Stofi' hoten vor allem Wuttke, Der
deutsche Volksahergliiube der Oegenwart, 3. ,\ufl., Berlin lilflO; B. Iirechslcr,
•Sitte, Brauch und Volksglanhen in Schlesien, I. Leipzig l!K):t. II. liKKi, und
E. 11. Meyer, Mythologie der Gennanen Strassbnrg 1903.
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die Seele vom Körper löse und selbstäiidip: fortlebe. Das
Sinnfälligste beim Sterben ist das schwere und langsame Atmen:
in ihm scheint das Leben hin- und herzutluten, mit ihm das Leben
zu schwinden. Mit dem letzten Atem, dem letzten Hauche
entweicht die Seele, selbst ein Haucli (vgl. sanskrit. atmän
Haucli, Lehen, Seele = alid. ätum Atem, Seele), ein Wind (vgl.
lat. aniiniis Seele, griech. Wind), ein I.,üftchen, eine
Wolke: der Mensch haucht sein Leben aus, er hat aus-
geatmet, oder, wie es Freidank derber ausdrückt: ,I)ie Seele
fährt von mir wie ein Blaas (Hauch) und lässt midi liegen wie
ein Aas“. Der Körper liegt kalt und steif da, die Seele aber lebt
in einer anderen Welt unvergänglich weiter. Da.ss sie auch in
Tier-, vornehmlich Mausge.stalt, aus dem Munde des Sterbenden
schlüpft, wird z. B. aus Franken uinl Schlesien (Bre.slaui berichtet.
Die Anschauung, dass die Seele nach dem Tode ein Si'heinleben
als Scliatten führe, ist (hierin stimme ich Wernicke in Grimms
Wörterbucli bei) aus dem klassischen Altertum in un.sere Literatur
aufgenommen und nie volkstümlich geworden; vgl. l’radel, Mittcil.
1!)04 S. 1 ff.
Um die Seele am Entweichen zu liindern, vielleicht, um sie
im Körper festzuhalten und mit ihm zu begraben, schlie.sst man
der Leiche Mund und Augen, ein Brauch, der auch zu der nor-
dischen und griechischen Toteiibesorgung gehört. Heute will man
dadurch vermeiden, dass das starre Auge des Toten, „der böse
Blick“, einen aus der Familie nachliole, oder man will den Ver-
storbenen als Schlafenden erscheinen la.s.sen. Anderseits stellt
man sich vor, dass mit der entweichenden Seele auch die .seelischen
Kräfte des Sterbenden entweichen, und dass ein anderer die.se
Kräfte auffangen und sicli aneignen könne. Darum ist es ein
lebendiger Brauch, dass ein Kind über den Mund des Sterbenden
gehalten (in abgeschwächter Form: an das Herz der .sterbenden
Mutter gelegt) wird oder ein Verwandter sich über ihn beugt
(Leobschütz, Brc.slau, Goldberg). So will aucli die Schwe.ster der
durch Selbstmord endenden Dido, wenn noch ein letzter Atem der
Sterbenden nmherirren sollte, diesen mit ihrem Munde auffangen.
Vergil, Aencis IV, 684 ff.; vgl. Cie. Verr. 45.
Am gebräuchlichsten aber ist es, sobald der Sterbende den
letzten Atemzug getan hat. sofort alle 'l'üren und Fenster zu
öffnen, damit die Seele ungehindert ins Luftreich entwciclie und
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sich nirgend verhalte. Als man dies nicht beachtet hatte, fand
man am andern Morgen eine Rauchwolke im Zimmer (Dyhernfurth,
Kreis Wohlau). ln Ostpreussen können manche den Ge.storbenen
noch vierzig Tage nach dem Tode als eine nebelartige Gestalt er-
kennen. Man stürzt alle Stülile und Gefiisse um, rückt alles von der
Stelle, verhängt Bilder und Spiegel, lässt die Stubenuhr und die
Hofplumpe stillestehen, damit nichts die Seele festhalte oder störe.
Um ja nichts zu versäumen, was das Entweichen der Seele be-
günstigt, wird ausserdem allem und jedem im Hause, den Mit-
bewohnern, dem Vieh, den Haustieren, dem Vogel im Käfig, den
Bienen, ja, dem Getreide, den Sämereien und Blumen, dem Brunnen-
wasser, kurz, der ganzen Wirtscliaft, mit der der Verstorbene in
trauter Häuslichkeit und Berührung gelebt bat, sein Tod an-
gesagt; vgl. Drechsler, Sitte, Brauch I, 291.
Dass dies alles ge.schieht, wird eingeschärft. Werden bei
einem Todesfälle die Stühle nicht uingedreht, so bekommt, wer
sich darauf setzt, Kreuzschmerzen (Gleiwitz). Wird die Uhr nicht
ungehalten, so bleibt sic von selbst stehen und geht nie wieder.
Unterlässt man das Ansagen, vereitlet das Vieh, die Bienen wandern
oder steiben aus, der Vogel im Bauer „geht eiiU, das Getreide
verdirbt, das Brunnenwasser versiegt usw.
Falls dem Verstorbenen nicht alles nach (Jebülir zuteil wird
(de mortuis nil nisi bene), fürchtet man sein Wiederkommen,
und diese Furcht spricht aus allen Gebräuchen der Totenbe-
handlung.
Dazu gehört die Ausstellung der Leiche (griech.
und die Leichenwache. Der Tote wird gewaschen und mit dem
Leichenheinde bekleidet. Dabei achtet man darauf, dass das Hemd
auf dem Kücken zugenäht ist, sonst mü.sste sich ja, wie mir eine
Frau in Obersclilesien (Beuthen) sagte, „der Vater im Himmel
schämen und nur immer mit dem Kücken an der Wand stehen“.
Dann wird er, mit den Füs.sen zur Türe gewendet, zur Besichtigung
für Verwandte und Freunde aufgebahrt, die es auch nicht unter-
la.ssen, in stillem Gebete von der Leiche Abschied zu nehmen und
ihr ewige Kühe zu wün.schen.
Ein Rest der alten Leichenwache ist noch heute der Brauch,
dass bei dem Toten 'l’ag und Nacht gedungene alte Männer oder
Frauen wachen. Totengebete murmeln und religiöse Lieder Hüstern
(Schlesien, Tirol, Skandinavien).
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Früher wurde auch eine feierliche Totenklage, in der die
Verdienste des Vei’storbcuen geiiriesen werden, anpestiniint, so
schon hei den Indern, den (Jriechen, den Römern, so bei 81aven
und Germanen. Von Hektor singt Homer (Ilias XXIV, 71‘Jff.):
Als sic den Leichnam nun in die prangende Wohnung geführct,
Legten sie ihn anf ein schönes Ocstclf und ordneten Sänger,
.\nznhehcn die Klag', und gerührt mit jammernden Tönen
Sangen sie Tranergesang . . ,
Wenn sich bei den Germanen für diese Totenlieder, die super
mortuos, d. h. vor der Leiche, gesungen wurden, der Au.sdruck
sesu, SKso findet (R. Kögel bei Paul, Grundriss II* 1, 42), .so liegt
auch darin etwas Vorbeugendes, Abwehrendes. Die Bezeichnung
sesu i.st verwandt mit lat. sesmo, sermo und tritt zu ahd. .süsön,
süsfn, sü-sen (Diefenbach nov. gloss. 337*' süssen) und bezeichnet
etwa , leises Singen“, ,.Flüstern“: man will , flüsternd“, was der
Luftnatur der Seele rück.sichtsvoll entspricht, den Toten an der
Rückkehr hindern. Es ist eine Beschwörung, ein Zauberlied ‘),
ähnlich den im Indiculus .superstitionum et paganiarum (aus der
Zeit Karl des Gro.ssen) verbotenen dädsisas, womit gleichfalls
.Totenzauberlieder“ bei der Leicheuwache und bei der Leichen-
stätte bezeichnet werden. Zu diesen Liedern wurde auch getanzt,
um die bö.sen Geister abzuwehren (vgl. ahd. sespilön). Aus einem
.schlesi.schen Berichte .schimmert eine Erinnerung daran durch: ln
diesem Jahre. (140(i) wurde in Schle.sien ein Totentanz aufgeführet,
der mit lautem Jubel und Jauchzen begann. Plötzlich fiel ein
.lüngling oder ein Mädchen zu Boden und stellte sich tot, worauf
die Musik verstummte und von alten Lippen dumi)fer Totenge.sang
erscholl. (O. Schwebel, Tod und ewiges Leben im deutschen
Volksglauben. Minden 1887 S. 199). Da diese Tänze ausarteten,
wurden sie von der Kirche, seit dem 10. Jahrhundert wiederholt
verboten. In Tirol und im Schwarzwald beten die Wächter bei
der Leiche („super mortuos“) meistens, aber sie spielen und trinken
auch dazwischen und erzählen sich lustige Geschichten.
Bei der Leiche brennt auch fortwährend ein Licht, und unter
oder an das Leichenbett stellt man eine Schü.ssel Wasser (alt-
') Hierin finiict der Anfang des besonders in .Schlesien heimischen Wiegen-
liedes; Sanse, ninne, sause und suse ninne seine Erklärung: man beschwört
flüsternd iheute: einschläfernd) alles Böse, besonders den Tod, der ninne, d. i.
der Wiege, und dem Kinde fernzubleiben.
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jieiiK'in). Dies sind "loiclifalls alte Scliutzmittel, deren Bedeutung
durch die Erkliirun}>:en späterer Zeit verdunkelt wird. Sn heisst
es ini Vogtlande, ein Licht muss brennen, damit die Seele nicht
im Finstern zu wandeln braucht (Wuttke § 729). Doch das Feuer
hat eine reinigende Kraft; die Fackel oder Kerze gehört seit jeher,
z. B. im griechischen und römischen Hitus, zu den Reinigungs-
zeremonien. (I)iels, Sibyllin. Blätter S. 47 ff.) Das ideht soll die
Seele aus dem Hause scheuchen, wie der schle.sische Bauer die
bö.scn Geister durch Ausräuchern aus Hau.s und Hof verjagt. Aus
demselben Grunde gibt man in Schle.sien, in Franken und in Siid-
dentschland dem Sterbenden eine brennende Kerze, die .sogenannte
Sterbekerze, in die Hand oder steckt um ihn sechs bis acht
brennende Lichter herum (Ostpreussen, Lausitz, Oberpfalz, Vogt-
land). Wuttke § 723. Zu diesem Gedankengange stimmt auch der
altertümliche Segensspruch, der bei der Weihe der Kerzen an
.Mariae Lichtmess von der Kirche gesprochen wird. Sie sollen die
Kraft erhalten, den bösen Gei.st zu vertreiben „aus allen Wohnungen
der Verehrer Gottes, aus Kirchen, aus Häusern, aus den Winkeln,
aus den Betten, aus den Speisezimmern, aus allen Orten, wo immer
Knechte Gottes wohnen und ruhen, schlafen und wachen, gehen
und stehen'^. U.sener, Religionsgeschichtliche Untersuchungen 1
S. 311. Dieselbe schützende Kraft besitzt das Wasser. Drechsler,
Sitte, Brauch II S. 148; be.sonders das Weihwasser, das ln keiner
katholischen Familie fehlt. „A Scliälche (kleine Schale, Glasnäpf-
chen) mit Weihwas.ser über am Bett is gutt vor alles; do kimmt
nischt Schieches (d. i. was scheucht, .schaecht, spukt) ei de Stuw
(Stube)“. Max Waldau, Nach der Natur *11, 276 (aus der Gegend
von Kätscher). Wird der Sarg aus dem Hause getragen, giesst
mau hinter ihm kreiizwei.se Wa.sser vor die Türe, um sich gegen
die Wiederkehr des Toten zu sichern und wäscht sich in derselben
Absicht nach der Rückkunft vom Kirchhofe sorgfältig die Hände.
Es i.st erwiesen, dass bei den indogermani.schen Völkern das
Begraben der unverbrannten Leiche der ältere Bestattungsbrauch
war, der eine Zeit lang durch das Verbrennen abgelöst wurde, dann
aber unter dem Eintlusse des Christentums wieder allgemeine
Geltung erlangte. Ebenso fest steht, da.ss die Indogermanen ihrem
Toten für .seinen Gebrauch bestimmte Beigaben in das Grab mit-
gaben oder später auf dem Sclieiterhaufeii mitverbrannteu, damit
sie dem Toten in das .lenseits folgten. Dass man es dem Ver-
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storbenen dort an nichts fclileii lasse, damit er nur .die ewige
Rulie“ finde, ist der rberlel)enden ängstliclie Sorge; freilich ist
die Hauptursache aber auch hierbei die Angst, sicli selbst durch
die Mitgabe alles dessen, was jene Ruhe verschaffen kann, gegen
den Wiedergänger zu schützen. Darum legt man ihm in den
Sarg, was ihm im Leben besonders lieb war, und was er im
künftigen Leben nicht missen soll: Gebetbuch, Kamm, Schmuck-
sachen, Brot, dem Alten seine Dose, der Frau Putzgerät, Nähnadel
mit Zwirn und Fingerhut, dem Kinde den Saugiifropfen und die
Puppe, der Braut das Hochzeitskleid und den bräutlichen Schmuck,
mit der ausge.sprochenen Erklärung, damit die Toten zufrieden
seien, Beschäftigung hätten und nicht umgingen. Stirbt eine
Wöchnerin vor dem Kirchgänge, so wird sie in Nieder- und
Mittel.schlesien schwarzgekleidet, also im Kirchgangstaat, in den
Sarg gelegt, während sonst alle Sterbekleider weiss sind; andern-
falls „meldet sie sich“. Auch muss sie unter allen Umständen
(Lauban, Schweidnitz, Schönau, Parchwitz, .lauer) das Traugesang-
buch, Flicken und Nähzeug mit in den Sarg bekommen, weil sie,
wie es in Liebau, J..andeshut, Grünberg hei.sst, für das Kind arbeiten
muss; unterlie.sse man diese Beigaben, würde sie wiederkommen
und ihr Kind gar holen. Geht einer Wöchnerin das Kind im
Tode voran, so gab man ihr in Ludwigsdorf bei Görlitz auch
ein Töpfchen oder einen kleinen Tiegel, einen Löffel und Quirl
mit, denn sie mu.ss für ihr Kind kochen; auch eine Windel, Näh-
nadel, Zwirn, Kinderhcmdchen, Schere, denn sie mu.ss ihr Kind
warten und dafür nähen. Diese Beigaben finden wir bei allen
Völkern. „Noch heute“, erzählt Sejn von den Weissrusseii (Sbornik
der Kais. Akad. der Wiss. in St. Petersburg LI Nr. 3 p. .')34).
„senken sie nacli dem Totenamt den Verstorbenen in das Grab
zusammen mit Gegenständen, die von ihm besonders geschätzt und
ihm bei Lebzeiten be.sonders lieb waren. Wenn er z. B. .seinem
Gewerbe nach ein Schuhflechter war, so legen sie ihm unweigerlich
einen angefangenen Bastschuh hin, wenn er ein Zimmermann war
oder sonst ein Handwerker, dann geben sie ihm eine Axt, einen
Meis.sel, einen Hobel, eine Feile. Abgesehen von diesen (besonderen)
Dingen geben sie jedem Toten ins Grab mit: Brot, Salz, Eier für
einen Eierkuchen, Nüsse, Bier und Schnaps in einer Flasche,
ebenso wie eine kurze Tabakpfeife mit Tabak und Feuerzeug oder
eine Tabakdose mit Schuupftabak“. Vgl. Schräder a. a. 0. S. 426.
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Tacitiis crziililt (Germania c. 27): „Die Leiclien lieriilniiter
jränner werden auf bestimmten Holzarten samt ihren Waffen und
ihrem Rosse verbrannt''. Auch die Westfroten senkten iliren Konifr
Alarich „mit der Rüstung auf dem Pferde“ in das aufgewühlte
Flussbett des Husento. Eine Erinnerung an diese Beigaben von
Waffen und Ross batte sieb aueli in unserer Heimat erhalten.
Hier folgte das Klage])ferd, verhüllt mit Trauergewändern, dem
Sarge des Herrn. Darauf nimmt die öLser Kirchenkonstitution
von 1664 Bezug und verbietet; Was die Begräbnis.se derer vom
Adel betrifft, soll vor das verka])pte Pferd, wenn es naebge führt
wird, 10 Tlr. Schlesisch gegeben werden.
Wie bei den Römern die Vorschrift bestand, dass der Erbe,
sobald die Leiche aus dem Hau.se herau.sgetragen i.st, das Haus
mit einem Besen fegen muss (Fe.stus Ep. S. 77, 18), so ist es auch
in Deutschland Brauch, hinter einer ans der Stube getragenen
Leiche au.szukehren, damit der Tote, nicht wiederkebre, Wuttke
§ 737, Drechsler I §331. Man fürchtete sogar, dass die Seele,
wenn die Leiche zum Kirchhofe gefahren wird — das ge.schah
früher auf den in Schlesien häutigen besonderen Totenwegen —
und der Kutscher nicht wieder über die Dorfgi'cnze gelangt, ehe
der Sarg versenkt wird, dass die Seele auf dem Wagen mitzurück-
fährt (Zobtencr Halt). Um sich ganz zu sichern, nimmt man nach
der Beerdigung den Leichenwagen auseinander oder stellt ilin mit
den Rädern nach oben auf die Rungen (Gros.s-W artenberg, Milit.sch,
Trachenberg). Einen solchen auseinandergeteilten Leiclicnwagen
erwähnt schon Burchard von Wonns ums .Tahr 1000.
Ein Rest der Totenopfer, durch die man die Verstorlienen
ferner zu beruhigen suchte, ist das Leichenmahl, der Leichen-
schmaus, das Trauer- oder Totene.ssen, das niederdeutsche Tröstel-
bicr oder Rüeateu. Findet dieses Opfer auch meistens nach der
Beerdigung statt, so wissen wir aus Schlesien, da.ss es auch im
Trauerhause vor dem Hinaustragen der Leiche nicht ungebräuchlich
war. Es war frülier Sitte, z. B. in der (irafschaft, da.ss im
Trauerhause vor dem Sarge ein Trunk und Imbiss gereicht wurden.
Im Mai 1830 erliess das katholische Kirchenkollegium zu Neisse
das Verbot: „Wir haben oft zu bemerken Gelegenheit gebäht, dass
in dem Tranerhause, bevor die Leiche zur Beerdigung gehoben
wird, den Leichenträgern Branntwein zum Trinken vorgesetzt
wird usw.“.
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(Ipjrcn Kmle der luiif'ziger Jalire kam es im polniselien Ober-
sclilesieii CRiida) noch vor, dass sich die Leidtragenden auf den
eben anfgescliütteten Grabhügel niedersetzten, Brot und Käse assen,
aus einer Flasche einen Umtrunk liielten und dabei religiöse lüeder
sangen. Gewöhnlich kehrt man jetzt auf dem Rückwege vom
Kirchhofe im nächsten Kretscham ein, uni den Toten zu ver-
trinken, „das Fell oder die Haut zu versaufen“, ein Brauch, der
von Schleswig-Holsteins Spitze bis zn den Gipfeln der Alpen unter
verschiedenen Bezeichnungen bekannt ist. Ich habe es selbst er-
lebt, dass man dem Toten einen Elirenstuhl oben an der Schmal-
seite des Tisches frei Hess, in einer Rede seiner Vorzüge gedachte
und ziim Schluss auf sein Wohl trank. Der Leichenschmaus un-
verheirateter Pereonen heisst auch himmlische Hochzeit, im
deutschen Oberschlesien bloss „Hochzeit“ oder „Trauerliochzeit“.
Das Trauerhaus wird mit Kränzen und Maien festlich ge.schmückt,
denn dieser Tag gilt als Hochzeitstag des Verstorbenen; deshalb
wird denn auch das .sogenannte Traueressen oft wie ein voll-
ständiges Hochzeitsmahl zugerichtet und dazu ausser den Ver-
wandten, Trägern und Leidjungfern ein grosser Teil der Leichen-
begleitung zu Gaste geladen (Piltsch, Mocker, Leobschütz, Ratibor,
Zobtener Halt, Kreis .lauer). Xach einer solchen Hochzeit wird
nicht selten wie in alter Zeit zu Ehren des Toten getanzt (poln.
Oberechlesien, Cosel, Rudelsdorf bei Heidersdorf, Grafschaft). In
der mittel.schlesischen Gebirgsgegend wird ein Leidessen mit
Kaffee und Kuchen vorgesetzt *).
Es sind noch zwei Mitgaben für die Toten zu besprechen, die
vorher absichtlich unerwähnt blieben: Brot und Geld.
Auf das Hausbrot haben die Verstorbenen Anspruch, ein Zug,
der schon im alten Griechenland begegnet. Darum legt man ihnen
Brot in den Sarg und lä.sst ihnen die Brotkrüinel, die man sorgsam
zusammenfegt, zukommen, indem man sie in das Feuer wirft (all-
gemein). Auch in tiriechenland gehörten vom Tische gefallene
Brosamen den Verstorbenen, den Heroen. Die.ser Glaube erklärt
folgenden in Schlesien und in England geübten Brauch; Ist ein
') Thukyrtides II. erzählt, dass man im Winter 431/430 die im l’elo-
ponnesisohen Krieije zuerst (iefallenen iiffentlich bestattet liahe und nach der
Leiehenrede des l’erikles nach Hanse gegangen sei; bei Demosthenes pro eorona
wird noch ein von den Vätern und Brüdern der Begrabenen veranstaltetes
Leichenniahl erwähnt.
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im Wasser Veviinpliicktcr so tief pestinken, dass man ihn nicht
findet, so wird ein Stück Brot aufs Wasser pelefTt (in Gnrek bei
Kybnik wird — zum Schutze der Lebenden — in das Brot ein
brennendes Licht gesteckt); der Tote nähert sich dem Brote, auf
das er Anspruch hat, und wird unter ilini gefunden.
Wie die Gewährung des Brotes den Toten zufrieden .stellen
soll, so ist anderseits die Mitgabc eines oder dreier Geldstücke,
meist Pfennige, nicht, wie ich früher auf Grund schlesischer
Redensarten annahm, das Fährgeld in die Unterwelt gleich dem
griechischen larAoi , sondern eine Geldabfindung für den Toten.
Stirbt in Ros.sberg bei Beuthen OS. ein kleines Kind, so gibt man
ihm in den Sarg das Taufkleid und legt ihm Brot auf eine, drei
Pfennige, die ihm von den Paten eingebunden worden sind, auf
die andere Seite. So hat man dem Kinde alles, was es sich,
herangewachsen, im Leben hätte erwerben können, Lebensunterhalt
und Besitz, mitgegeben und hofft dadurch jeder Wiederkehr der
Seele vorzubeugen.
Wo und wie lebt die Seele, nachdem sie sich im Tode vom
Körper lo.sgelö.st hat? Bis zur Beerdigung im Körper oder gleich
nach dem Eintritt des Todes in dem ihrer Windnatur verwandten
Elemente, in der Luft. Dies ist wohl seit alters die allgemeine
volkstümliche Vorstellung.
Das (’hristentum brachte dem Volke als Seelenorte den
Himmel, den sich der gewöhnliche Mann nur ganz allgemein als
einen Ort ewiger Seligkeit hoch oben im Luftreich vorstellt, wo
man« den harten Kanijif um das tägliche Brot nicht kennt, eine
Vorstellung, in die sich die Erfüllung aller Hoffnungen, die rest-
lose Gew'ährung hochgesteigerter irdischer Genü-sse einmischt —
man denke an das Gedicht „Der .schlesische Bauernhimmel“, das
uns in derber Weise lehrt, wonach das Volk sich sehnt — und
die Hölle, von der man sich als einem Orte ewiger Qual tief im
dunkeln Erdenschosse gleichfalls keinen bestimmten Begriff macht.
Zwischen Himmel und Hölle liegt unbestimmt und nebelhaft das
christliche Fegefeuer und das grenzenlose Totenreich, das
Land „der armen Seelen“, von w'O sie. Je nachdem sie gelebt
haben und behandelt worden sind, als teils freundliche, teils feind-
liche Wesen in luftigen, nebelhaften Umrissen oder in Menschen- und
Tiergestalt wiederkehren und in mannigfaclie Beziehungen und Be-
rührungen zu den Menschen treten, auf ihr Wohl und Wehe einwirken.
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Für gpwölmlicli werden sie anf dem Kirehhofe in der Xälie
der Gräber weilend gedacht. Hier besuclit inan sie nacli alter
Sitte am Vorabende von Allerseelen (2. November) und schmückt
ihre Gräber mit Kränzen und Lichtern. Am Morgen des Aller-
seelentages findet auf manchen Kirchhöfen ein Umgang (Prozession)
statt, während der die Lichter wiederum brennen,
Iii(> lächtiT, von Erinnerung ontzUndet,
Wies frommer Brauch am Allerseelentage,
rnd dass der Toten keiner Wiederkehr’,
Wenn man's versäumt, raunt alte Volkesmiir ')
Da flattern die Seelen der Kinder als Vögel um die Leichen-
steine. Aus diesen Vogelseelen entwickeln sich die getlügelten
Genien und in der christlichen Kunst die Engelgestallen.
In der Allerseelennacht vemimmeln sich die Seelen der ver-
storbenen Gemeindemitglieder in der Kirche und wohnen einer
Messe bei, die der letztverstorbene Pfarrer liest. Man kann sie
um die Mitternachtstunde singen hören; besonders begnadete,
fromme Menschen können sie auch sehen (Oberschlesien). Wenn
es weiter heisst, dass sie auch zu Opfer gehen und dabei das ihnen
in den Sarg mitgegebene Geld auflegen, beweist dies nur die
Mitgabe von Geld und ist eine .spätere Deutung. Darauf wandeln
die Toten in wallenden wei.ssen Gewändern auf den Feldern und
zu den menschlichen Wohnungen (Cosel). So besuchten in Rom
die Seelen der Verstorbenen im Mai, an den Lemurien, die
Wohnungen der Nachkommen. Im Dunkel der Nacht ging dann
der Hausherr durch die Wohnung und streute ihnen neunmal
schwarze Bohnen hin, um sie durch diese Gabe zum Verlassen des
Hauses zu bewegen. (Vgl. Wis.sowa, Religion und Kultus der
Römer S. 181>). Ähnliches geschah in Athen im Frühling, am
dritten Tage des dem Dionysos geweihten Anthesterienfestes (vgl.
Samter, Familienfeste S. 114). Nach dem Glauben der Tiroler
werden vom Mittagsläuten am Allerheiligentage bis zum Festläuten
des folgenden Tages die armen Seelen aus dem Fegefeuer frei-
gelassen: man lässt für sie besondere Kuchen auf dem Tische die
Nacht über stehen und heizt die Stube, damit sie sich wärmen
können. Man zündet auch auf dem Herde ein „Seelenlichtlein“
an, mit de.sscn geschmolzenem Fette sic ihre Brandwunden be-
’) Urechslvr, Ilfimatlust niul .lugt-mlglUck, Kattowitz 1003, S. 90.
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stri-iclieii, wie in BitlimiMi mit der Butter, mit dei' man am Aller-
seelentapre die brennende Herdlampe füllt. Wuttke i; 752.
Doch auch zu anderer Zeit ziehen die Seelen umher, be.sonders
in den zwölf Xächten vor Weihnachten oder in den Nächten
von Weihnachten bis Dreiköniprsta^. In dieser Zeit werden Haus,
Kehl und (iarten mit Zaidierschutz umgeben. Man zog Zauber
wirkend .symbolisch einen Kreis um das Grundstück — „die. g<ddne
Schnur geht um das Haus* (in den Sommerliedern am Sommer-
oder Totensonntag), — wie man um das Itrennende Haus laufend
das Feuer be.schwört. Man brennt um Militsch-Tracheid)erg die
ganze Nacht hindurch Kien, man .schie.sst über hhdd und Flur, in
Strauch und Baum und umwindet die Obstbäume mit Stroh, damit
ihnen die Geister nichts anhaben und sic im nächsten .Jahre reiche
Frucht tragen.
In der Christnacht lä.sst man in Ratibor, .Mocker, Schweidnitz
nach der Mahlzeit den Tisch gedeckt, damit die armen Seelen
davon essen können; denn, wie es in <"»sterreichi.sch-Schlesien heisst,
um Mitternacht ist es ihnen ge.stattet, zu e.ssen.
So zeigt sich schon hier die Unterscheidung guter Geister,
deren Gunst man sich sichern will, und böser, die man ab-
wehren will.
Daneben ist die Vorstellung lebendig, dass sich auch zu an-
deren Zeiten, Ja, beständig die Seelen im Hause oder in seiner
Nähe in benachbarten Räumen, .sei cs Baum, Hügel, Wa.sser, auf-
halten. Geht die Stubentüre von selbst auf, so kommt eine arme
Seele auf Besuch. Mit Vorliebe sitzen die Seelen im Kehrbesen
und zwi.schen Tür und Angel. Damm darf man nicht mit dem
Besen, aber auch nicht auf ihn .schlagen, und die Türe nicht zu-
werfen, .sonst leiden die Seelen. Drechsler, Sitte, Brauch 1, 310.
Ein Bettlerlied in Hessen lautet; Ei orm Seelchc sass henger de
Dehr on guckte ganz trurig hervör. Wuttke § 750. Nach ost-
preu.ssischem Glauben halten sich die Seelen gern vor der Haustür
auf; deshalb darf man kein Wa.s.ser hastig hinau.sgiessen, sonst
begies.st man sie, oder sie sind, wie es in Oberfranken hci.s.st,
unter der Hau.sschwelle; wenn man ein neues Haus betritt, s(dl
man nicht auf die Schwelle treten, weil dies den armen Seelen,
die darunter sind, wehtut. Findet hierin der schlesi.sche Brauch,
dass man die Junge Frau über die Schwelle ins Haus hebt
iNaumburg, Kreis Saganj, seine Erklärung? .Uuch tritt die Wöch-
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iierin um Sprottau mir sclieuvoll über die Scliwelle und hält dabei
den Atem au.
Mit diesen Hausfreistern stellt der Jleu.scb iu innifreni Verkehr.
Am Audreasabeiid betet man zu ihnen, dass die künftifje Ehehälfte
iiii Traume erscheinen möfre; mau bittet sie, einen zur trewiinschten
Stunde zu wecken u. a. m. Ja, sie helfen sog:ar dem Holzdiebe
auf seine Bitte unertappt stehlen.
Dass die Seelen, Geister, Wichter, Unterirdi.schen im Hause
dauernd weilen und darin herrschen, ist uralter Glaube. So ritt
schon der Altisländer Oddr um ein verlassenes Haus pregeu die Sonne
von rechts nach links, zur persönlichen Sicherheit mit einem ludernden
Holzbraiide, und sprach: *Hier nehme ich mir Land, denn ich sehe
hier keine bewohnte Kaustätte. Hört das. ihr Wichter, die ihr in
der Nähe .seid!'* E. H. iWeyer, German. Mythol. S. 213. Ihr Sitz
ist der Herd, der Mittelpunkt der Häuslichkeit, und sie sind g'e-
radezu die Schützer der Herdgemeinschaft, deren Gunst mau an-
fleht und sich bei allem sichert. Das sind, wie Schräder, Die
Urzeit S. 428, ausführt, die indischen pitaras „die Vllter“, die
griechischen Jeoi .rai QOKu „die Seelen der Väter oder VorfahreiU
oder die i i mräroyf c „die [.'rgrossväter*^ oder die oben erwähnte
denen die Brosamen zukommen, die lat. di parentes oder die
Divi inanes, die (erschlossenen) got. .\useis, dierussi.schenroditeli
„Eltern“, die weLssrussischen dzjady „Grossväter“. Der bekannteste
Hausgeist ist der gemeingermanische Kobold, an den in Schlesien
die aus Holuudermark gebildeten Stehaufmänneben erinnern, er ist
„der im Hause waltende“, der dyai>og {iaifmv des griechischen,
der lar familiaris des altrömischcn Volksglaubens. Wie letzterer
mit der Familie das Haus wechselt und ihm beim Eintritt iu die
neue Wohnung ein Opfer dargebracht wird, ut nobis haec habitatio
Holm faustii felix fortunatai|iU' evcimt
t’luutus Trinummus v. 40 f.,
so begrü.sst mau ihn iu Schlesien beim Beziehen eines neuen
Heims durch Hineiiilacheu in das Ofeuloch (Breslau) und opfert
ihm auf dem oberen Rande des Ofens Geld (gewöhnlich drei
Pfennige) (Kat.scher), auch Brot. Werden Salz und Besen dabei
erwähnt, so sind das alte Schutzmittel. Dem Schutze der penates
„der (Geister) drinnen“ emiitiehlt sich die Braut, indem sie heute,
ganz wie im alten Indien, iu Norddeutschland, Ostpreus.sen, West-
falen, in der Eifel dreimal um das Herdfeuer oder den Kes.sel-
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liakcn schreitet ( Wuttke S öfiß), in Schlesien, wo der Ofen oft an
der Wand steht, uni den Tisch.
Ein traulicher seeli.scher Hausgeist ist in Schlesien das Klape-
weibel, de.ssen wehklaprende Stimme in der Stille der Nacht auf
dem dunklen Boden frehört wird, wo es seinen Aufenthalt hat.
In der Grafschaft lUsst das Klafremütterlein vor den Fenstern
oder in einem Winkel des Hauses ein gewisses Weinen und
Wimmern — es ist der wehkla<rende Wind — hören, wenn jemand
krank i.st und sterben wird. Drechsler, Sitte, Brauch 11, 163.
Wie wir am Allerseeleiitage die Seelen der Kinder als Vopel
um die Totensteiue flattern sahen, so stecken auch in den Motten,
Schmetterlingen, Käfern und .sonstigem Getier, das da im Haiuse
und aus.serhalti , kreucht und fleugt*, Seelen. Es sei nur der Holz-
wunn oder die Totenuhr erwähnt, ein Käfer (Blajis mortisaga),
dessen Ticken einen nahen Todesfall auzeigt. ln Schlesien i.st
besonders die Hausotter ein Tier, unter dem sich nach lebendigem
Glauben eine Seele birgt. Hieraus hat sich, schon bei den alten
Griechen und Kölnern, ein häuslicher Schlangeiikultns entwickelt ‘j.
Jedes Haus birgt ein Otternpaar, das man hegt und i)flegt. Die
Tiere haben im Keller oder unter der Hau.ssch welle (Oberschlesien)
ihren Sitz; hier wühlen sie, sich in den Grund des Hauses und
sind gewöhnlich unsichtbar. Zuweilen gibt die Hausotter einen
eigentümlichen pech- und wachholderartigeii Geruch von sich,
worauf dann gemeiniglich Hegenwetter folgt, oder sie kündigt eine
den Hausbewohnern drohende Gefahr, eine Feuersbrunst oder einen
Todesfall, durch ein dem Bcdircn der Totenuhr ähidiches Geräusch
an. Wech.seln die Hausbewohner die Wohnung, so ziehen die
Hau.sottern mit, wie der Hausgei.st. In der „Tunkelstunde“ kommt
der Otterkönig, der Ahne, oder die Otterkönigin, die Ahnfrau, die
.Muhme, bisweilen aus dem Grunde oder der Malier des Hauses
hervor und geniesst Milch und Brot, das die Kinder gern mit
ihnen teilen. Seelentiere sind auch das Wiesel, das der Schle.sier
schmeichelnd ,GevatterIe“ nennt, wie es in Spanien comadreja
(commatercula) Gevatterin, bei den Slaven nevestuka: nevesta
Braut, junge Frau, im Altpreiissischen niosuco Mühuichen, im Li-
tauischen mo.sza IManne.sschwester hei.sst, die Eidechse, die Schön-
juiigfer, das Schiiijimferle, ein Name, der in Oberbayern für das
') Vgl. Olbrkh in Mitteil. V. 40 ff.
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Hauswiesel pilt, der Hansfroscli und unter anderen besonders
auch die Maus, wovon viele bekannte Sapen geben. In nianclicn
(iegenden (so um 8triegau, Brieg, Kreuzburg) vertritt das Heimelien
(die Hausgiille) die Hausotter. Man darf das Heimchen nicht
stören, sonst verlasst der lar familiaris das Haus, und das Glück
zieht mit fort. Schön sagt E. H. Meyer a. a. O. S. 77: ,Der
Wohnung der Menschen zugetan, leise aus der Erde kriechend oder
horchend und wieder still und plötzlich darin verschwindend, erschienen
(diese Tiere) w'ie geheimnisvoll in ihrem alten Heim fortlebende
Seelen der Verstorbenen, deren Leiber früher in de.ssen unmittel-
barer Nähe oder sogar in de.s.sen Innerem bestattet wurden. Wir
blicken in den dunkelsten Winkel indogermanischer Hausreligion
mit all ihrer Heimlichkeit und Unheimlichkeit, wie sie durch zahl-
lose neuere, aber auch viele ältere nicht nur germanische, .sondern
auch andere indogermanische Zeugnis.se enthüllt wdrd‘‘. Neben
diesen in der Nähe des Men.schen weilenden Tieren, unter denen
sich die Ahnengeister bergen und mit dem Wohl und Wehe der
Nachlebenden innig verknüpft sind, gibt ea Seelen oder Geister,
die in den Elementen, in Wind und Wasser, Wald und Feld, auf
und in der Erde, kurz überall, wo ein Men.sch je seinen Geist
au-sgehaucht hat, ihrWe.sen treiben, zu leben und zu wehen .scheinen.
Iias Seelenwesen wohnt im Baume,
In Berg und Fluss, in Wald und Hang,
Schwebt mUckcngleieh im luftigen Raume
l'nd teilt der Vöglein sflssen Sang').
Dass aus diesen Seelenorten auch die Seelen Neugeborener
herkommen, ist ein naheliegender Schluss.
Wie die Seelen guter Men.schen in Gestatt zarter, lichtflockiger
(Lämmell Wölkchen auf- und ab.schweben, so fährt die Seele eines
Bösen wie ein Sturm, ein Wirbel (man denke an Goethe, der auf
.seiner Schweizerreise von 1780 in dem Wolken.schleier des Staub-
bachfalles selige Geister erblickte und ihrem Ge.sange tauschte)
nach engli.schem Glauben ,as a furious whirlwind“ (Hans Sachs
sagt „als ein scharpfer wind“) dahin. Darum besteht im Volks-
bewusstsein der engste Zusammenhang zwischen der gewaltsam
ausgepres.sten Seele eines Gehängten und dem Winde. „Es ist so
windig, es muss sich einer gehängt haben* heisst es allgemein,
und man setzt wolil hinzu: Die Bäume läuten aus (weil dem
') I'rechsler, Heimutlust S. 132.
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Si-lbstmörder Glockengcläute versafrt ist). Dies ist der Kern des
schon von Geiler von Kei.sersi)erf' um 1500 bezeuprten Glaubens
an das wütende Heer oder die wilde Jagd, die Gesell.scliaft
aller eines gewaltsamen oder plötzlichen Todes Ge.storbencr, an
deren Spitze ein Führer (Wodan oder auch Bertha oder Holda)
tritt. Wenn es draussen heult und stürmt, besonders in den zwölf
Nächten, da zieht die Geisterschar (Wuotans Heer = wülende.s
Heer) mit Rüdengebell und l’eitsclionknall, Jagdruf und unheimlichem
Getöse auf bestimmten Stra.ssen durch die Lüfte.
Die alte volkstümliche Meinung, dass die Seelenwindgeister,
denen sicli unter kirchlichem Einfluss aucli die vor der Taufe ge-
storbenen Kinder und Irrlicliter beigesellen, in einem Berge weilen,
von wo sie hervorbrechen und wohin sie znrückkehren, bewahren
auch schlesische Sagen. So weilt das Seelenheer mit seinem Führer
im Geiersberge (an der Südseite des Zobten), im Hausberge bei
Hirschberg, in Oberschlesien bei Siemianowitz an der ru.ssischen
Grenze, im Walde bei dem deutschen Dorfe Schön wald, Kreis
Gleiwitz. ln Oberschlesien ist an die Stelle Wodans die heilige
Hedwig, die Schutzpatronin Schlesiens, getreten: sie hat die Seelen
der auf der Walstatt bei Liegnitz Gefallenen um sich vereinigt,
ln entscheidender Stunde wird sie mit ihren Schläfern erwachen
und des Landes Feinde besiegen. Im Jahre 1848 hat man Zeichen
bemerkt, die auf das Erwachen deuteten: man hat Männerstimmen
und Wattengeklirr gehört und wunderbare Gestalten gesehen.
Gewöhnlich hört man bloss manchmal Schnarchen und tiefe Atem-
züge.
Da.ss dieser Glaube an die Wind.seclen indogennani.sches Erb-
teil i.st, beweist die indische Vorstellung von den Bhütas, den Seelen
von Bösewiclitern, die im Gefolge des Sturmgottes Rudra durch die
Luft fahren. Im altgricchi.schen Seelenglauben, der uns in Homei-s
Gedichten entgegentritt, sind die Harpyien, , dahin rattende’* Wind-
gei.ster, die dicht vor ihrer Hochzeit gestorbenen Töchter des
Paiidareos.
Eine andere Form, unter der sich die Hauchseele birgt, ist
das Licht oder Feuer. Wenn eine Sternschnupiie vom Himmel
fällt, .sagt man, eine arme Seele wird erlö.st: man bringt den
plötzlichen Licht.schein in Beziehung zu der Seele, ln Ge.slalt
lichter Flämmehen erscheinen auf Sümpfen, feuchten Wiesen, Feld-
rainen und an Landstrasseii die Irrwische, die Irrlichter, oft
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unter Fülirunp: iles grossen Leuchters, und die Feuermiinner.
Ks sind die Seelen noch ungetaufter Kinder oder solcher Menschen,
die noch eine Schuld gegen die Mitmenschen wegen unehrlichen
Land- oder Gelderwerbs ahzubüssen haben, die Grenzstein verrücker,
unehrliche Landmesser und Richter oder Geizhälse, die Geld, um
es den rechtmässigen Besitzern zu entziehen, irgendwo im Gelände
vergraben haben. Sie sausen im Gefolge des wilden Jägers dahin
oder führen einsame Wanderer irre, hocken ihnen auf und bringen
sogar den, der über ihr Erscheinen spottet, in Lebensgefahr.
Meist aber schütteln sic .sich, dass die Funken umhersprühen, und
verschwinden.
Die Seelen anderer Toten erscheinen in mannigfacher Tier-
ge.stalt und schrecken die Menschen. Hat in einem Teiche jemand
durcli Mord oder Selbstmord sein Leben verloren, so zeigt sich
zu bestimmter Zeit ein wei.sscs Kalb, das Wasserkalb. Es läuft
hinkend und ängstlich schreiend (es „sclireit etwas wie ein Wa.sser-
kalb“ geläufige Redensart) um den Teich herum und verschwindet
wieder im Wasser.
Zur Strafe für noch abzubüssende Sünden gehen die Toten
um, spuken, scheuchen, schaechen; man sagt: es schaecht, spukt,
geht um. Ein solches Umgehding erscheint in unheimlicher, feucr-
augiger Gestalt. Die christliche Phantasie belastet sie oft noch
mit Ketten, den Zeichen der Verdammnis. Von den Tieren, deren
Gestalt die argen Sünder anuehmen, begegnen im Glauben und in
der Sagenwelt Schlesiens .schwarze Hunde, schwarze Hennen, feu-
rige Schweine, feuerschnaubende Pferde, Stiere, dreibeinige Hasen,
Kröten und vieles andere. Gute Seelen zeichnet die weis.se Gestalt
aus. So bringt die weisse Henne Glück. Im polnischen Ober-
schlesien glaubt man allgemein, da.ss bei armen, braven Leuten
sich eines Tages eine wei.sse Henne, statt ihrer wohl auch ein
kleiner weisser Vogel (von seinem pfeifenden Tone genannt
Gwisdek) eintinde, in der Stube herumpicke und dann unter dem
Ofensaume, wo der Sitz des Hau.sgeistes ist, ein goldenes Ei lege.
Vielleicht finden hierin Günthei’s Worte ihre Erklärung:
Ich nennte mich s<hon selbst der weissen Henne Sohn
l'nd lebte so vergnügt als weiland Salmnon. (1732) S. 62.
Viele brechen ihren eigenen Grabesfrieden durch irgendeine
Schuld, nach deren Abbüssung sie erst Ruhe finden. Dem Pastor
von Gross-Parcliwitz, Kreis Hoyei’swerda. erzälilte eine Frau, ihr
MitteUunnen ü. scnlei«. Oes. t. Vkde. UeO XIX. ^
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vor zwei .Tiilircn grestnrbener Mann sei ilir im weissen Oewande
erscliiencn, alier als sie iliin zngerufen habe : Mattlics, liisf du da!
wieder verseil wunden. Auch die Mieter des Hauses wollen einifje
Tajre darauf die Erselieinung: vor ihren Fenstern haben vorbei-
huschen sehen und wunderten sich, dass er keine Ruhe finden
konnte, da er nicht gerade besonders Böses getan habe.
Vielleicht gehören zu den iiersönlieh gefassten Seelenwesen
des Volksglaubens ursprünglich auch die in allen Waldgegenden
unter verschiedener Bezeichnung vorkoinnienden zarten Gebilde,
die in Schlesien als Buschmännlein und -weiblein bekannt
sind, die Seelen guter, aber plötzlich und unbussfertig gestorbener
Baumräller, Beeren- und Pilzensammler und -Sammlerinnen. Diese
Seelen schweben, wenn sie heimziehen, als lichte Wölkchen ülier
dem Walde; ihre Erlösung scheint davon abznhängen, da.ss die
Baumfäller ihr Werk mit dem frommen Spniche ,.Jn (iottes Namen“
beginnen. Mit diesen Wesen bevölkert die germanische Phantasie
gern das einsame, beängstigende Dämmerweben des Waldes, und
man oj)fert ihnen Brot, nm sich ihrer Gunst zu versichern.
Aus der uralten Auftäs.sung, dass sich die Seele im Tode vom
Leibe löse, dann ruhelos umherirre und wiederkehre, eine Strafe,
zu der hauptsächlich böse Menschen verurteilt sind, bildete sich
schon in der Urzeit die Vorstellung von mehr oder minder un-
heimlichen Wesen, die weniger in den Bereich des Gesichts-, als
des Tastsinns gehören: cs sind die l/uäl- und Driickgeister, die
allen Indogennanen itnliel)sam l)ckannt sind, Seelen Verstorbener,
die als Maren, Alber (Plural zu Alp) und Truden sich bald als
Tiere bald in inen.schlicher (Jestalt auf den Körper des Schlafenden
setzen und ihn (luälen. Spricht der Norddeutsche: „Mich reitet die
Mahre“, so heisst es in Schlesien: „^[ich drückt der Alp“ und in
Österreich und Bayern: „Es hat mi die Trud druckt“. Dieser
Vorstellung leiht auch in gesteigerter Weise Deutschlands grösste
Dichterin, Annette von Droste-llülshotf, Ausdruck, wenn sie sagt,
d;uss sich die Wolkenschichte auf die Heide legte „wie ein
dunkler Mar“.
Ein Spross des Ali)traums ist die nächtliche Spukgestalt des
Vampirs ')• Es ist dies mich der Volkssage der Geist eines Toten,
der nachts dem Grabe entsteigt und den Schläfer umklammert, um
’) Val. Klii|(|)i-r in Mittcil. XVII S. 110 f
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iliin (las Blut auszusaufreii und dadtirdi sein eigenes Leben zu
verlängern. So trieb es die widerwillig zum Christentum bekehrte
-Braut von Korinth“ aus dem Grabe, den ihr genommenen heid-
nischen Bräutigam zu umarmen,
,Xoch zu suchen das vermisste Out.
Xnch den schon verlornen Mann zu liehen
l’nd zu saugen seine.s Herzens Hluf.
Das Wort Vampir ist dem Serbischen entnommen, und der
damit bezcichiiete „Xachzehrer“ gehört dem Volk.sglauben der
Slaven, Rumänen, Albanesen und Griechen an. Ein .slavi.scher
Fremdling ist auch die im polnischen Oberschlesien, z. B. Beuthen,
unter dem Namen Seiga (Scheiga) bekannte und dem Vampir
verwandte Si)iikgestalt. Kinder, die auf dem Rücken ein grosses
Mal haben, das wie eine Schere aussieht, werden Seigas. Ein
Jahr nach ihrem Tode kommt unfehlbar ein grosses Sterben über
das Volk. Will man das verhüten, mu.ss man der Leiche den Kopf
abschlagen und ihr in den Scho.ss legen oder einen Pfahl durch
das Herz treiben. Sonst bleibt sie lebendig und geht verderben-
bringend um. Neben dem Vampirglauben ist in pidnischen Gegenden
Schlesiens (Beuthen. Zabrze, Namslaii) heute noch der Glaube ver-
breitet, dass solche Menschen, die mit einer doppelten Reihe von
Zähnen oder überhaupt mit Zähnen geboren werden, Strzygi ge-
nannt, zwei Seelen haben. Stirbt ein solcher Men.sch, so bleibt
eine Seele in .seiner Leiche; diese kommt um Mitternacht aus dem
Grabe heraus, besteigt den Kirchturm, und soweit ihr Blick
reicht, sterben die Menschen, die indem Alter .stehen, das die
Leiche erreicht hatte. Um diesem Sterben vorzubeugen, soll man
der Leiche vor deren Beerdigung zwischen die Zähne einen Kie.sel-
■stein geben (damit sic daran zehrt!) und sie mit dem Rücken nach
oben in den Sarg legen (ist noch 1899 in Nam.slau ge.schehen),
oder man muss ihr mit einem Siwten das Haupt abtrennen und
zwischen die Beine legen. Leichenpfählung und Kopfabschneiden
werden als Abwehrmittel schon in alten Berichten erwähnt und
.sollen noch in neuerer Zeit toten Kindbetterinnen und ungetauften
Kindern gegenüber angewendet worden sein *)•
Der Vampirglaube lebt auch in einer Beuthener Sage fort*);
Zur Zeit als man noch keinen anderen Kirchhof als den bei der
') E. H. Meyer a. a. n. 101 f.
♦) F. firunicr. Chronik der .Stadt neiitlien in Ohersrhlesien, ISfiM S. 31!tf.
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Pfarrkirclip liattc (etwa ums Ende des Ifi. Jalnliundert.s), soll sich
beim Scheine des Vollmondes eine (iestalt ans einem Grabe, unfern
des Kirchhofeingangs, um Mitternacht gezeigt haben. Diese Gestalt
habe ein Leichentuch von sich aufs Grab geworfen, sei in den
(Jlockenturra gegangen und habe gelautet, sei eine Stunde darauf
wiedergekommen, habe das Tuch umgelegt und sicli dann wieder
ins Grab versenkt. Nachdem die Nachbarn aus ihren Fenstern
dies Tun mehrere Monate beobaclitet hatten, wagte es ein uner-
schrockener Mann, hinzugehen und das I.(eichentuch wegzunehmen.
Darauf sei das Gespenst vom Kirchendache herabge.si)rungeii und
liabe das Tuch zurück verlangt. Dieser soll das Leichentuch hin-
geworfen haben und schnell fortgelaufen sein. Von da an habe
man das Gespenst nicht wieder gesehen. — Dazu .stellt sich eine
Vjunpirsage, die aus dem Dorfe Gro.ss- Neundorf, '/> Meile von
Nei.sse entfernt, A. Kästner (184ö) nach mündliclien Erzählungen
mitteilt: Jede Nacht starb einer im Dorfe; der Vampir ging von
Haus zu Haus und holte sich sein Ojjfer. Er kam um Mitternacht
vom Kirchhofe und ver.schwand dort wieder. Da stiegen vier
Wächter auf den Kirchturm, um den Kirchhof nacli allen Seiten
hin zu beobachten. In der .Mitteniacht erblickten sie die Sclireck-
gestalt. Mit geisterhaftem Tone rief sie ihnen zu: ,Komm‘ ich
bis ein Uhr hinauf, .so seid il)r verloren!'' Und sie mühte sich
fort und fort, an den Mauern des 'rurmes emporzuklettern, und
.schon war sie fast oben, da .schlug es eins, und sie stürzte herab
und war verschwunden. Am andern .Morgen grub man au der
Stelle, wohin das Ge.spenst gefallen war, die Erde auf und fand
einen schlafenden .Menschen. Sogleich wurde der Sr'hläfer gevier-
teilt und wieder begraben: das Sterben hörte auf. A. Kästner,
Einiges über Sagen, namentlich Schlesiens. Nei.sse 184.5 S. 21.
Ähnliche .Sagen waren im benachbarten Böhmen verbreitet. Da-
von erzählte August Goethe, der im Jahre 1807 in Böhmen weilte,
seinem Vater, und Goethe schuf, imlem er mit der Sage von dem
das (irab verla.ssenden .Spukgeiste die .sonst bekannte .Sage von
den um Mitternacht tanzenden Toten verband, im Jahre 1813 die
bekannte Ballade „Der Totentanz“.
Tüte kommen auch wieder, wenn sie fal.sch ge.schworen haben,
wenn ihre letzten Wünsche nicht erfüllt werden, wenn sie mit
einem unenthüllten Geheimnis ge.storben sind, oder wenn etwas
zurückgeblieben ist. woran ihr Herz gehangen hat (Lauban, Gold-
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berg). AikIi (Ut firani der Zurückgpbliebi'iien lässt sie keine Ruhe
finden, bis sie sie nacligeholt haben, wie in Bürgers Leonore.
Rührend ist die Mutterliebe, die der Seele auch im Grabe keine
Ruhe lässt. Die Wöchnerin kommt (neun oder zehn Tage lang)
jede Nacht ihr Kind ])flegen und beugt sich über sein Lager
(Liebcnthal, Landeshut, Runzlau, Ratibor, Leobschütz). Auch
bettet man, wenn eine Wöchnerin mitsamt dem Kinde stirbt, in
der Gegend um Jauer, Striegau und Tiiebenthal, sechs Wochen
lang das Wochenbette sowie des Kindes Bette oder Wiege fri.sch
auf. Die rührenden Erzählungen von dem Kinde, das in seinem
Sarge nicht ein.schlafen kann, weil sein Hemdchcn von den Tränen
der Mutter nass ist, und von dem Tränenkrüglein sind neueren
Ursprungs.
Selbstmörder finden keine Ruhe und kommen wieder. Auf
dem Friedhofe muss, wie es in Goldberg lieisst, der zuletzt be-
gi-abene Selbstmörder Wache halten, bis der nächste kommt. Da-
mit nicht die Überlebenden gepeinigt werden, wurde früher auch
jeder Selbstmörder im Sarge aufs Angesicht gelegt. Auch wurden
die Selbstmörder auf dem Fiebig (V’ichweg, Viehtrift), wo zuweilen
der Galgen stand, oder auf den Grenz wegen, wo die Felder von
zwei fiemeinden zu.sammenstüs.sen, in tiefe Löcher venscharrt.
Hier findet in dunkeier Nacht das Stelldichein der unheimlichen
Geister statt; schwarze Hunde heulen, unsichtbare Hähne krähen,
Kühe brüllen, Schweine grunzen. Wehe dem Wanderer, der hier
des Weges muss: es „huckt“ ihm auf, es huscht hin und her, be-
sonders nach dem Orte der Entleibung hin, wie es den Mörder
nach dem Schauplatz seiner Untat zieht.
Bevor man einen Gehängten ab.schneidet, gibt man ihm eine
Ohrfeige; sonst würde die Seele einen beunruhigen (allgemein).
Zahlreich sind die Wiedergänger, die Seelen oder Geister
eines plötzlichen Todes Gestorbener oder Verunglückter: sie mü.ssen
solange umgehen, als sie noch hätten leben können. Schon die
blo.sse Nähe des Mörders bewirkt, da.ss die Seele in die Leiche
zurückkehrt und das starre Blut des daliegenden Erschlagenen
tiiessen macht. Als Hagen an SiegfrieiLs Bahre trat, „tlo.ssen die
Wunden sehr“. Dieser Glaube an das Bahrgericht war schon in
Indien lebendig, tritt in den französischen Artusromanen des 12.
Jahrhunderts in die Gedankenwelt Mitteleuropas und findet sich
auch in Schlesien, ln einem Kouzeptbuche des Ursuliuerklosters
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zu Liolieiitlial vom (>. Mai 1602 bis 20. Jimi 1606 biukt sich ilie
Eintragung: Bei einer Schlägerei wurde Matthes Scholz der Sohn
in den Leib gestochen und blieb tot. Alle be.stätigen nachher,
das.s dies geschehen ist, aber keiner will wissen, wer der Mörder
sei, ja, sogar als in gehegtem Dinge allesamt die Leiche
aurühren, ist kein Zeichen, wie man vermeint, gemerkt
worden.
Unruhig und gefürchtet sind auch die (leister der Uirseligen,
der Verworfenen, die Gespenster (vom ahd. gi.span.st „Verlockung,
Trugbild“). Sie hausen, oft bis znm Jüngsten Tage, in Wald und
Wiese, auf Grenzen oder Bainen, in Hohlwegen, auf Burgen und
in Sandgruben, auf Kirchhöfen, unter Brücken, in der Imft, im
Wasser und tief in den Höhlen der Erde; ja, .selbst aus der Kirche
in Wohlan zeigen die Geister mit den Fingern auf die Stra.s.se.
Man kann ohne Übertreibung sagen: fast jeder Ort hat sein Ge-
spenst, das zu bestimmter Zeit umgeht und bis zu seiner Erlösung
Schrecken verbreitet. Da.ss dic.se Spukgeister oft kopflos erscheinen,
erklärt sich daher, da.ss es ursprünglich die Seelen Geköpfter oder
Hingerichteter waren.
Die umgehenden Seelen oder Geister sucht man auch durch die
geforderte Erfüllung einer unlösbaren Aufgabe an einen bestimmten
Ort zu bannen. Solche Aufgaben sind in Schlesien: die Tannen-
nadeln eines Waldes (in Oldenimrg: die Sandkörner der Heide)
zu zählen, den Bober mit Topf ohne Boilen au-szuschöpfen (man
denkt an die Danaiden), bei einem eisernen Pfahle zu verweilen,
bis er verfault ist, alle Wasser zu durchwaten u. a. Auch kann
man den Geist in einen Busch oder einen Sumpf oder in eine
Hummel und diese in den Wald bannen. Dieses Verbannen be-
sorgen der Scharfrichter, katholi.sche Prie.ster und Jlönche, vor
allem die Kapuziner und die Jesuiten, auch in evangelischen Ge-
genden, oder sonst ein kluger .Mann.
.Selbst ja cntscliwebt unrnliig dem Irrwischmore der kopflos
Waukendc Wicht aiit Oekreisch. den ein Mönch liinb.innte vom Kichtplatz.
Vo.ss. Das Ständchen v. iJ3.
Hat jemand Geld vergraben, so findet er im Grabe keine
Ruhe, bis der Schatz gehoben ist. Er erscheint in der .Mitternacht.s-
stnnde und winkt; folgt ihm einer furchtlos und .schweigend, ohne
sich umzusehen, und findet den Schatz, so i.st der Geist erlöst.
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Davon wissen ilie aucli in Schlesien liäuliffen Sdiatzsageii viel zu
erzählen *).
Tote erscheinen ferner zur (^ual anderer. Die von ihrem
Gatten misshandelte Ehefrau erscheint dem Manne allnächtlich
und quält ihn. Unifrekehrt kommt in Pommern die heisspeliebte
Frau allnächtlich aus ihrem Grabe ans Bett ihres Gatten, um ihm
freundlich zuzusprechen, bis er eines Morgens auf ihrem Grabe
gefunden wird, lang au.sgestreckt, als ob er die schwindende Frau
hätte küssen und mit seinen .\rmen umfangen wollen. Vgl. Jahn,
Volkss aus Pommern S. VI 11.
Sollen denn die armen Seelen niemals Ruhe finden? sollen sie
nie erlöst werden? Ihre Erlösung geschieht durch Erfüllung ihrer
letzten Bitten und Gelübde, durch an ihrer Stelle geleistete Sühne,
durch fromme Werke, Almosen, Erbauung von Kapellen, Kreuzen,
Bildstöcken, „Martern“, Fürbitte oder auch liebende Teilnahme.
Dankt man z. B. einem Feuermanne, der einen begleitet hat, mit
tleii Worten: „Bezahl dir’s Gott viel tausendmal!“ so bringt man
ihn der Flrlösung näher, andernfalls Jammert er: „Nun muss ich
noch hundert Jahre hier umgehn“. Trägt einer den Grenz.stein,
den er verrückt hat. auf der Schulter vorbei und fragt: „Wo soll
ich ihn hintragen?“ und antwortet man : „Trag ihn hin, wo du ihn
weggenommen hast!“, so ist er erlöst (allgemein). Wenn zwei
Personen gleichzeitig du.sselbe sprechen, .so haben sie eine arme
Seele erlöst. Die erlöste Seele fliegt bisweilen als weisse Taube
davon, ln denjenigen Teilen Schlesiens, wo die Toten- oder
Leichenbretter bekannt sind, glaubt man, dass die Seele dann
in die ewige Seligkeit eingehe, wenn das Leichenbrett durch-
getreten ist.
Nach weitverbreitetem Glauben muss derjenige, der eine Seele
erlöst, selbst sterben (Wuttke 768): nur die aufopfernde Liebe
sühnt.
Vom Burgberge im Stein.seifersdorfer Tale geht ein Höhenzug
der hohen Eule zu und führt zu einem Grenzsteine. Hier ist das
sogenannte „Stölzelloch“, ein verrufenes, unheimliches Gebiet. Für
alle Schätze der Welt möchte es niemand zur Nachtzeit betreten.
Hier, unter dem Steine, auch die „drei Aspen“ genannt, liegen
viele böse Geister verbannt, die um Mitternacht ihr schauerliches,
*) \'gl. KUhimu in Mitteil XVllI S, 6MD.
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\Vi“.scn tri-ibcn, Geister mit klaffenden Wunden oder den Koj)f
unter dem Arme, nach RuIie üchzend, durchjagen zu Ross und zu
Fuss, umgeben von feuersprühendem Getier, das (jebiet. Ein
junges, reiches Weib, das über die Grenzen dreier Ort.schaften
hinaus wohnen und mehr Schandtaten in .seinem kurzen Leben be-
gehen wird, als alle unter den „drei Aspen“ Verbannten zusammen
begangen haben, wird ihnen die ersehnte Erlösung bringen.
Auch die Voretellung tindet sich, dass die im (jrabe mit dem
Körper verbundene Seele mit dem Zerfall der Leiche vergeht oder
doch wenig.stens nach drei Men.schenaltern, oder dass die in der
Erinnerung der rberlebenden fortlebende Seele sich mit dem
.schwindenden Gedenken an den Toten mehr und mehr veiüüchtige
und in das All aufgehe.
Aus dem Gesagten ersehen wir: Der Menschheit ist seit ihrer
frühesten Kindheitsstufe der ünsterblichkeitsglaube, der (ilaube an
das Fortleben der Seele nach dem Tode, und das Abhängigkeit.s-
gefühl von etwas höherem eigen, denn was soll das heissen: diese
und jene Seelen haben noch zu büs.sen, bis sie Ruhe finden, wenn
hier nicht etwas Höheres, eine sittliche Weltordnung vorechwebt!
So bestehen zwischen dem Leben und dem Tode ungezählte
Wech.selbeziehungen :
Menschenhast und Totenra.st .scheidet keine Schranke.
Über allem aber schwebt siegreich die ('berzeugung: Derjenige
findet im Grabe Ruhe, d. h. je nach der vei-schiedenen (ilauben.s-
fassung im Jenseits die ewige Seligkeit, der in seinem Leben die
Mahnung befolgt hat:
„Edel sei der Mensch, hilfreich und gut!“
Anderseits gilt die Auflassung, wie sie die Chorführerin in
(joethes Helena ausspricht:
„Wer keinen Namen sich erwarb noch Edles will.
Gehört den Elementen an“. —
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Aus orientalischen Quellen.
Von l'r. Fracnkcl.
I. ZiK'kpii als Vorbodentniis
Die Kunst, aus den Zuckungen einzelner Glieder die Zukunft
vorlierzusapen, ist vom Altertunie an bis in die neuere Zeit na-
mentlich ini Orient systeinatiscli ^eptle^rt worden. Daher finden
sich perade in den alten Kirchenverordnunpen des Ostens Warnnnpen
vor solchem heidnischen Zaid)erwesen. So wird iti einem alten
Canon (Reliquiae jur. ecclesiast. anticiuissim. ed. de Laparde p. 12)
ein .raZooTr genannt und in einer Glosse erklärt als e.ii/i'ou’
Ta;,- ^ia(f i)i>ovy xitr;ait^ ti'n /tthöt („der die verschiedenen Glieder-
bewegunpen deutet“). (Kbenda S. 131,8 wird den Klerikern ver-
boten, ein Huch über die Zuckungen oder die Male des Körpers
ZU lesen.) Auch der syrische Julianosroman (S. 48) kennt diese
Wahrsagung.
Der Glaidie au die vorbedeutende Kraft der Zuckungen lässt
sich auch aus einer Stelle eines älteren arabi.schen Dichters er-
schliessen, der, weil ihm das Auge zuckt. Hoffnung hegt, dass seine
(jeliebte ihn erhören wird. (Omar li. Abu Rabiah ed. Schwarz
2, 30, 132, 13*).) Mit anderer orientali.scher Weisheit i.st die
Zuckungsauslegnnp auch in die si)ätgriechische Literatur gewan-
dert , wie der Tractat : l/f/.«//;fod(V <«poj'pa/(/(«rto)> .-repi :ia/.!«~>r
fianixij llnilfitäim ilaoüea (Franz Scriptores physiognomo-
niae veteres Altenburg 1780 ]t. 4ö 1—508) zeigt. — Eine aus-
führliche arabische .Abhandlung über die.ses Thema, verfasst von dem
bekannten Polyhi.stor al (iähiz (+ 809) ist kürzlich von Inostranzelf
im XVHII. Rande der kaiscrl. russischen Archäolog. Gesellschaft
zugleich mit einer Cbersetznng und ausführlichem Kommentar ver-
öffentlicht worden. Da diese ru.ssische ('bersetzung aber vielleicht
nicht allen Freunden der Volkskunde zugänglich ist, so folge hier
[') Nachschrift bei der KoiTektnr; .\uf die kürzlich erschienene ausführ-
liche Abhandlung von l>iels über diesen (iegenstand, die dem Verf. nuch nicht
zugänglich war, kann hier nur verwiesen werden.]
•) ,Mcin rechtes .Auge zuckte glUckverheissend; das ist das .Auge, dessen
Zucken man vertrauen darf“.
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eine doiitsclic ('iHTtrufrimg: di’S HanidstUckes, das von den Zuckungen
und ilirer Deutung liandelt, nach dem arahisclien Oi-iginal.
Al Gähiz gibt da zunächst Nachricliten ülier die Berufung
indischer Wahrsager durch persische Könige aus dem Sasaniden-
(leschlechte. „Diese Inder“, heisst es (S. ö), „sagen, dass alles
auf der Erde, Steine, Pflanzen, Tiere, unter dem Einflüsse der oberen
Burgen ') und der leuchtenden Sterne stehe und alle Veränderungen
von ihrer Vereinigung oder Trennung, ihrer Verschiedenheit oder
I'berein.stimmung abhäiigen. . . . Sie urteilten nun nach allem, was
sie .sahen und hörten, nahmen es als Omen an und deuteten es
auf jedem Gebiete, wie z. B. das Hören eines Wortes, den Laut
eines Vogels, die Bewegung einer Pflanze, das Fallen eines Steines,
das Entgegenkommen eines Tieres, und ebeii.so urteilten sie nach
Zeichen an Gliedern von Menschen und Tieren und auf Grund
ihrer Kenntnis der Bedeutung der Zuckungen der ,\dern oder
Glieder und auf Grund der Betrachtung der Schulterknochen
(S. 21.) „Man sagt: Wenn der Vorderkopf oder der Schädel
eines Menschen zuckt, so deutet das auf Kranklieit oder Verrei.sen.
Manche von den Kundigen aber sagen, es ist ein Anzeichen von
hohem Sinn und deutet auf Erreichen einer ange.sehenen Stellung.
. . . Wenn die rechte Seite des Kopfes zuckt, .so deutet das auf
nahe bevorstehendes Gute; wenn die linke, auf einen Verlust.
. . . Wenn Ko])f- oder Schläfenadern .schlagen, .so deutet das
auf Krankheit, die durch das Blut und die Wärme entsteht. . . .
Wenn die Stirn zuckt oder viele ilirer Adern schlagen, so
deutet das auf Trauer und Betrülmis oder auf Triefäugkeit, die
aus dem Blute entsteht. . . . Wenn die rechte Seite des Gesichts
zuckt, .so deutet das auf Gutes; wenn die linke, auf Böses. . . .
Wenn die Mitte des Gesichts zuckt, so deutet das auf Trauer und
') I), i. die Bilder des Tierkreises.
’) Kino Arbeit von Amlree über diese .Art der Wahrsnuung ist dem Verf.
nicht /.ugänglich. Vielleicht sind die folgenden beiden Nachweise dort noch
nicht verwertet, (iregor. Barhebraei Scholia in beviticum (ed. Kerber. Breslauer
Pissertat t8!l5> p 2ö. Zn „Zeicbendenter“ bev. I!), HO; „D.as sind beute, die
ans den (Jliedern der Menschen und den Schultcrknochen der Schafe wahr-
sagen“. — t^iiatreinere bei Vnllers bex l’crs. lat. I !I4 eine Wahrsagung, ,(|ui
consiste ü placer dans Ic fen unc nmoplate de mouton. dont on a eu soin de
raeler toutc la chair et ft observer soigneiisement les differentes fissures. que lii
chalcnr produit dans la contexturc de l'os.
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Betrübnis. . . . Wenn das Aiipenlid zuckt, so deutet das auf
(iutes. . . . Wenn die Nasenspitze zuckt, so deutet das auf Ver-
lust. . . . Wenn das rechte Olir zuckt, so deutet das auf Gutes
und Gewinn; wenn das linke, auf Betrübnis und Verlust. . . .
Wenn der Hals zuckt, so deutet das auf Anstrengung und Mühe.
. . . Wenn die Schnltern zucken, so deutet das auf Herrschaft
und Macht. . . . Wenn die Mitte des Bartes zuckt und das Kinn
zittert, so deutet das auf Gutes. . . . Und wenn der rechte
Gaumen unterhalb des Bartes ztiekt, .so deutet das auf Gutes; wenn
d<‘i- linke, auf Bü.scs. . . . Wenn die Extremitäten zucken, .so
deutet das auf Furcht, Schrecken und Scldatflieit. . . . Wenn der
rechte Oberanu zuckt, so deutet das auf Gutes; wenn der linke,
auf Schlimmes und Verlust. . . . Wenn der Leib zuckt, so deutet
das auf viele Freude. . . . Das Zucken der Gluteen und Ober-
schenkel deutet auf Freude, das der Untenschenkel auf Ermüdung
des Herzens und Kummer“.
[Im Vorstehenden sind nur diejenigen Sätze wiedergegeben, die
sich auf das vorbedeutende Gliederzucken beziehen. Damit
in engstem Zu.sammenhange aber stehen die aus dem Zucken oder
dem Schlagen der .Adern abgeleiteten Deutungen auf die körperliche
oder geistige Natur des .Menschen. So hei.s.st es z. B. nach der
Deutung der .Augenlidzuckung: „Und wenn bei einem Menschen
die .Adern des Gesichtes und die .Augenlider sich bewegen, olme
zu zucken, so hat er eine bösartige Natur, ist ein Verläumder und
ein Sykophant“. Nach der Deutung der Bauchzuckung: , Et si
haec palpitatio perdurat in (luodam et (piasi consuetudo ei est, hic
est libidinosus et coitus anians. Et si in muliere est, haec aniat
libidinem et masculam imedem ]tarere solet“.]
II. Wirkung In die Ferne.
Als Gegenstück zu dem Zeibschr. des Vereins für Volk.skunde
S. 400 mitgeteilten Vertluchung.szauber kann der folgende von
dein Geographen al Mokadda.si (ed. de Goeje S. 140) überlieferte
Heilzanber gelten.
„ln der eine Poststarion von Mossul entfernten .Stadt BäaSikä
wächst eine Pflanze. Wenn die jemand ausrei.sst, der an Skroplieln
oder Hämorrhoiden leidet, so wird er von diesen ('beln befreit. .Atier
auch wenn ein daran Leidender einen Mann mit einer Nadel und
einer Drachme zu bestimmten Personen in jener Stadt .schickt, in
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deren Pamilie slcli diese Zanberkniide vererbt, und einer von
diesen sie zn jener Pflanze hintriifrt und er sie ini Namen des
Leidenden berausreisst, so wird dieser gelieilt und wenn er aucli
in Säs (in Transoxanien!)*) wohnte. Die Drachme wird dann sein
Eifjentum“.
Der Glaube an die Heilnnp von Krankheiten durch Ausreissen
von Wurzeln ist ja auch jetzt noch in weiten Volkskreisen ver-
breitet. Einer Erklärung scheint aber die Nadel zu bedürfen.
Man erwartet nach sonstigen Analogien nämlich, dass die ausge-
ri.ssene Wurzel mit der Nadel durchstochen wird. Entweder hat also
Mokaddasi’s Herichterstatter diesem den Vorgang nicht ganz genau
niitgeteilt, oder es ist vielleicht im Texte etwas ausgefallen. Dass
die aus der Perne gesandte Nadel dazu dient, den Zusammenhang
zwi.schen der Pflanze und dem Kranken herzustellen, ist deutlich.
111. Verlobuiisrsbraiieli.
Derselbe Mokaddasi erzählt (S. 3(i9): ,.Oft habe ich den V'er-
lobiingen in Hajär beigewohnt. Die Leute versammeln sich bei
dieser Gelegenheit am ,'M)end; jeder hat eine Plasche Ko.senwas.ser
in der Hand, und an den Türen der Hrautleute lirennen Lichter.
Dann beginnt ein würdiger Mann eine elegante Rede, in der er
(für den Hräutigam) bei einem anderen, der die Seite der Braut
vertritt, um die Braut wirbt. Dieser erwidert ihm, wenn er ge-
endigt hat, und erklärt in der Antwort seine Einwilligung. Darauf
knüpfen sie das Eheband (d. h. schreiben sie den Ehekontrakt), und
dann werfen alle ihre Plaschen an die Wand“.
Das Zerbrechen der Pla.schen ist hier gewiss als Abwehrzanber
zu deuten. Ahidich auch das Zerbrechen eines Kruges vor einer
am Hoctizeitshause sich versammelnden ^lenge (l.ane, Sitten und
Gebräuche der heutigen Egt'pter II. 70), das nach der von Laue
gegebenen Krkliirung allerdings hanpt.sächlich dazu dienen soll, den
schönen auf die Strasse gehängten Leuchter vor dem bö.sen Blick
zu bewahren. — Bei dieser Gelegeidieit sei auch auf einen von
Hontsma im ,Peestbundel aan Prof. M. J. de Goeje“ Leiden 1891
S. ö'ß bekanntgemachten persischen Hochzeitsbrauch verwie.sen.
Auf den vergoldeten Deckel eines rosenfarbigen To])fes wird eine
') oder ,das Anrecht darauf“.
’) D. h. in einer sehr grossen Kntferming. Vgl. die iUmlirhe .Angabe ZfVk.
441, 8.
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der Braut (rlpicliemlc (Jestalt frcinalt. Wenn nun die Leute komnien,
um die geseliniüekte Braut zu sehen, so zeig;t man iimen dieses
Bild mit den Worten; Selit da die Braut, „damit der von dem
l)ösen Auge zu lurclitende Schade dies Bild trett'e und an der Biaut
vorbeigehe. Dann wirft man den To])f vom Dache mit dem
Au.srufe: so möge das böse Auge brechen".
Das Märclieii von dem Mädelieii oline Ilaiide
als Predigtexempel.
Von Hr. J. Klapper.
Nur ein geringer Teil der Sagen- und Miirehenstoffe des
-M ittelaltci’s hat seine Verbreitung und ('berliefernng durch die
.Jahrhunderte einem rein literarischen Interesse zu verdanken, sei
es, dass diese Stoffe in der Landessprache oder in lateini.scher
Sj)iache eine poetische Bearbeitung, meist in gebundener Form,
erfuhren, oder sei es, dass sie in Sammelwerken, zum Teil von
einer Riihmenerzählung umgelren, von Land zu Land und von
(feschleeht zu Geschlecht weitergegeben wurden. Zu den Stoffen,
die derartig überliefert worden sind, gehört fast alles, was uns
von nationalen Heldensagen bekannt ist; dazu gehören schlie.sslich
auch ein paar .Märchen, die in der Sammlung der Grimmschen
Kinder- und Hausmärclien Aufnahme gefunden haben. Von ihnen
stammen zwei aus lateini.schen Versdichtungen des 15. .Tahrhunderts,
„das Kselein“ ') und „die Rübe“. Doch sind das bei der Fülle
') ,I>as Esclcin“, in den (irimmschon Miirchcn Xr. 144, ist uns einer
Strassburger IIs. des ausgehenden 1.5. .Tahrliunderts entnommen. Bei der Ver-
wandtschaft des Stoffes mit dem Amor- und l’syche-Miirrhen ist cs von Interesse,
dass sich dieselbe Versdichtung auch in der Hs. IV 120 der Breslauer Kgl.
lind l'niv -Bibi, auf Bl. 18r_28v findet. I»ic Hs. ist I47ö von einem .Schlesier,
dein Brieger Kleischerssohn (ieorg Scheyffir in Krakau geschrieben und enthält
ausser dem Asellus auch die Kabeln des Avianus. Auch in Krakau selbst be-
findet sich eine Asellushandschrift Eine engverwandte Erzählung hat K. .M.
Luzel n.ach der VolksUherlieferung .aufgezeichnet in den Contes populaircs
de Basse-Bretagne, Baris 1887 S, 2U4: L'hoimne-poulain ; auch Le Loup
gris (8. ;)()6), L'Homme-Marinite iS. '(41) und E Homme-t’rapamI (S .'käOj gehören
in diesen Stoff kreis.
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der im Volke ülierlieferten Erziililuiifrssfofte nur fraiiz verscliwindeml
wenipe Fälle, in denen sieh die Filialtiinp derartiper Stoffe ans
dem literarischen Interesse erklären lässt, das pewisse Volkskreise
daran bekundeten. Die Hiniiherrettnnp eines weit zahlreicheren
Teiles der Sapen und Märchen bis in unsere Zeit aber verdanken
wir einer echt mittelalterlichen Einrichtnnp, auf deren Hedentunp
von unserer Sapen- und Märchenforschnnp noch nicht penüpend
hinpewiesen worden ist, nämlich dem Exem])elwesen. Znm Exempel
eipnete sich jede Erzählunp, moehte si<! ans der Heilipenlepende,
aus dem Kreise der christlichen Bekehrnnpspeschichten oder aus
den Volksüberlieferuupen stammen, sofern sie die Moplichkeit einer
moralischen Deutnnp bot. Solche Erzählnnpen wurden im Laufe
des Mittelalters immer mehr ein unnmpänplicher Bestandteil aller
der Predipten, die sich nicht auf eine J’araphra.se der Sonn- und
Festtapsepisteln und Plvanpelien beschränkten oder etwa nur für
den Klosterklerus bestimmt waren, sondern sich an das Volk
wandten; sie illustrierten die moralischen Wahrheiten und erfüllten
diesen Zweck dem naiven Zuhörer pepenüber ebenso put und besser
als die Erzählunp pe.schichtlicher Beispiele. Das Volksmärchen
und ein Teil der Sapen eipneten sich mit ihrer starken Betonunp
der sittlichen Weltordnunp und des Verpeltunp.spedankens aus-
pezeichnet zu solchen Prediptexempeln, und so wurden von den
Mönchen mit Vorliebe solche Stoffe direkt aus dem Munde des
\hdkes aufpezeichnet und wanderten mit dem Prediper oder seinem
Werk, oft auch zu panzeii hlxempelbücheru vereiuipt von Land zu
Land und üherdatterten, durch ihr lateinisches (iewand dem um-
bildenden Einflüsse mündlicher Volksüberlieferunp entzopen, viele
Jahrhunderte. So wurde mancher Stoff, der zunächst auf ein ein-
zelnes Volk beschränkt war, internationales Uut, und wenn der
Mann aus dem Volke immer wieder im .Aiuschluss an die Moral-
lehren das eindrueksvolle Exempel vernahm, so fand es Einpanp
in den Vorstelluupskrcis der einzelnen Familien und wurde so in
Wahrheit zum Hausmärcheu. Mit dem Beginn der Neuzeit w'erden
die Exempel, soweit .sie Sapen- und Märchenstoffe enthalten, immer
seltener in den Predipten veiwvendet; auf prote.stantischem (.Jebiete
werden sie bei der hier eipenen starken Betonunp der Bibel durch
Stoffe aus der Heiligen Schrift verdrängt, und auf katholi.schem
Boden schadet ihnen in gleicher Weise das Erw-achen des historischen
Sinnes und Jenes (Jefühl, da.ss solche Protänstotfe die relipiö.sen
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f'biinfrpn eiitsvUrdistPii, das ja aiudi ein Anlass für dio Verwoisunp
des Scliausidels aus der Kirclip geworden ist. .Mit der Entfernung
.solcher E.\eni|iel aus der Predigt vollzog sicli naturgemäss eine
Entwertung der Sagen und Marclien überhaupt; sie entschwanden
dem Oe.sichtskrei.se der breiteren Volksschichten immer mehr und
fanden .schliesslich nur noch Pflege da, wo die Bedingungen für
die naive Aufnahme nicht verloren gegangen waren, bei Frauen
und Kindern. Pas Hausmärchen wurde zum Kindermärchen.
Für die volkskundliche Sagen- und Märchenfoi’schung bieten
heute die bekannteren Exempelwerke wie des Thomas von Brabant
Werk de proprietate apum, die Dialoge des C'aesarius von Heister-
bach, die Oesta Romanorum und die Marienmirakel, die .sämtlich
in die.ser Richtung bereits untersucht worden sind, nur noch ver-
hältnismässig geringe Ausbeute. Dagegen enthalten die vielen
handschriftlichen Exempel.sammlungen unserer Bibliotheken und
vor allem die Predigthaiulschriften mit den zahlreich darein ein-
ge.streuten Exempeln noch ein reiches Material, das seiner Ver-
wertung im volkskundlichen Sinne noch harrt. Ich möchte an
dieser Stelle nur noch auf einen Punkt hinweisen, der für die
Erhaltung unserer Volk.smärchen und Sagen von entscheidender
Bedeutung geworden ist. Es fällt bei der Durchsicht aller Exempel-
sammlungen und Einzelexempel auf, da.ss Stoffe des kla.ssischen
Altertums darin mit ganz verschwindenden Ausnahmen fehlen.
Das i.st aus den Bedenken heraus zu erklären, die die Kirche
gegen die Verwendung .solcher heidnischen Stoffe in der Predigt
naturgemä.s.s zu einer Zeit haben musste, wo erst die romanischen
Völker für das Christentum gewonnen wurden; und wenn man
sich erinnert, wie ein Lucian derartige (iötterfabeln schon in
nachklassischer Zeit dem Oespötte i)reisgegeben hatte, oder wie
Laktanz gegen die Fabeln der Heiden käm])fte, wird man die ab-
lehnende Haltung der christlichen Kirche gegen alle antiken
Exeinpelstüffe begreifen. Es haben ausdrückliche Verbote gegen
ihre Verwendung in der Predigt bestanden, und die Warnung vor
ihnen ist das ganze Mittelalter hindurch wiederholt worden').
’) .‘>0 in der Hs. I 172 der Kgl. und fniv.-Hiljl. xn lireslan des 15. .His.
.-ms dem Kloster der .Augustiner »'Iiorherren zu Siigan. Bl,95v; Nutiindum quod
fabiilnc non debent allegari in anibone seilicet Ktucidarii. .Aesopi. .Aviani, l'lau-
diaiii, Theoduli et alinruiii iion approbatoruiu a sanrta Kcclesia. ((uainvis mystice
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Eine solche Besdiränkuiifr des Stoft'es musste Platz schaffen für
die Aufnahme von Erzählungen anderer Völker, ja geradezu die
Prediger zur Nachforschung nach geeigneten volksmässigen Stoffen
anregen, so dass es gar nicht verwunderlich ist, wenn, wie es in
der Disciplina clericalis des Spaniers Petrus Alphonsi geschieht,
sogar reiche orientalische Stoffe zusammengetragen werden.
Welche Veränderungen ein solcher Märchenstoff erfuhr, um
dem moralischen Endzweck der l'redigt besser dienen zu können,
und wie ein derartiges Exempel sich auch manchmal zu einer
ganzen Predigt erweitern konnte, dafür gibt die folgende, mittel-
alterliche Fassung des Märchens von dem Mädchen ohne
Hände ein schönes Bci.spicl. Das Stück ist der Handschrift I Q
350 der Kgl. und Universitätsbibliothek zu Breslau entnommen;
die Handschrift ist um 1490 in dem Kloster der Augustiner (’hor-
herren zu Sagau ge.schrieben und enthält Stoffe zu Predigten vor
dem Volke. Ich gebe den lateinischen Text in einer möglichst
wörtlichen I'bersetzung. Die moderne Fassung des Märchens lindet
sich in den (frimmschen Kinder- und Hausinärchen unter Nr. 31.
Kxeui |»lniii.
[Bl. 3'] Es war einmal ein gar mächtiger, edlerund reicher
König; der hatte eine sehr schöne, ehrbare und vornehme (iemahlin.
Und die Königin gebar eine liebliche und überaus anmutige Tochter.
Nach wenigen Jahren starb die Mutter des Mädchens, die Königin.
Darauf heiratete sich der König eine andere, die war auch schön.
■Als die aber Königin war, blickte sie voll Neid auf des Königs
Tochter, denn die war noch viel schöner. Das wusste das Mädchen
ganz gut, doch sie kümmerte sich nicht darum, .sondern sie wandte
sich Christus zu und diente ihm und der Jungfrau Maria treu.
Da begab es sich, dass der König in ferne (Jegenden rei.ste
und in seinem Lande uinherzog. ln seiner Abwe.senheit rief die
Königin einen Jäger zu sich und s])rach zu ihm: ,Ich möchte dir
ein (leheimnis anvertrauen, wenn du es treu bewahren wolltest.
Tust du das aber nicht, dann klage ich dich nach der Rückkehr
des Königs an, da.ss du mir zuwidergeliaudelt hast, und .so wirst
du eines bösen Todes .sterben“. Der Jäger antwortete: „Herrin,
ich bin bereit, alle deine Befehle entgegenzunehmen“. Die Königin
(■.\pomtnlur et per ea.s pupiiliis e.xeitatnr. l'mle quälam episoopns iniminc Uesi-
ileriiis a beato Orejfoiio fiiit repreliensus. quia talia faciebat.
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al)CT sprach: .Sieli, ich liin meiner Tochter nicht piinstig: gesinnt,
weil sie so schön ist. Denn wenn Fürsten und Kitter und gro.sse
Herren zu uns kommen, dann drängt sich alles um sie, und man
loht und preist ihre Unterhaltung und Anmut, | Hl. 4'1 ihren Lieb-
reiz und ihre Schönheit, und dass misst'ällt mir so, da.ss ich es
nicht mehr länger ertragen kann. Deshalb wenle ich noch vor
der Rückkunft des Königs meinem Hofgesinde den Hefehl geben,
zur Jagd auszuziehen, und auch sie .soll mit dir hinausziehen.
Und wenn dn im dichten Waldgestrüp]) mit ihr allein sein wirst,
dann sollst du sie erstechen und ihr die Hände ab.schneiden und
in das leinene Obergewand, das ich ihr anlegen werde, einhnllen
und mir das Kleid mit den Händen als Wahrzeichen ihres Todes
überbringen“.
Der Jäger aber gelobte ihr das aus Furcht vor dem Tode.
Und als er mit dem Mädchen an eine für den .Mord geeignete
Stelle im Walde gekommen war, sprach er zu ihr: sAch, du
.schöne, edle, königliche Jungfrau, nun muss ich dich nach dem
Befehle deiner Mutter töten, und das tut mir in meinem Herzen
über die .Massen leid. Aber ich habe es deiner .Mutter versprochen,
und wenn ich es nicht tue, mu.ss ich selber sterben“. Als das
.schone Mädchen das hörte und erfuhr, dass ihre Mutter diesen
Befehl gegeben hatte, sprach sie zum .läger: „.\ch, lieber Bruder,
ich bitte dich, hab doch Mitleid mit mir! Töte mich nicht; .sage
nur, du hättest mich getötet. Schneide mir jetzt die Hände ab,
hülle sie. in mein Kleid ein und bringe sie zu meiner .Mutter“.
Jener aber empfand Mitleid mit ihr. Und er schnitt ihr die Hände
ab, nahm das Kleid des Mädchens, hüllte die Hände hinein und
Hess die Jungfrau ohne Speise und Trank allein in der Einsamkeit
und kehrte traurig zurück. Vorher aber schwur das Mädchen dem
Jäger, da.ss sie nie wieder an den Hof ihres Vaters zurückkommen
wolle.
Und so irrte sie ein paar Tage in der Einsamkeit umher und
ging bald nach der, bald nach jener Kiclitnng. Und als sie so
jammernd und unter Weinen und Klagen in ihrer Traurigkeit da-
herging, kam ein vornehmer .füngling, der von seinem Vater, einem
Burgvügt, auf die .lagd geschickt worden war. Er grüsste sie,
und voll Verwunderung über ihre Schördieit fragte er, warum sie
in ilieser Einsamkeit .so ganz allein umlierirre. Das Mädclnm aber
.Mitteiltiiif’ei) il. fffhlpf. Oe*, f. Vkflc. Uet'r \IX. .t
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antwortete; ,Sieli, mir liat einer in diesem Walde die Hände ab-
{rcsrlmitten, und icli Untrlückliclie irre so lienim und weiss niclit,
wohin ich mich wenden soll". Ihre Abkunft und den Namen
jenes Jägers aber wollte sie nicht verraten, damit er nicht dem
Zorn und der Ungnade des Königs, ihres Vaters, verfiele, wenn
er davon Kenntnis erhielte, weil die Königin ilim [1!1. 4'] reiche
Schätze und viele Auszeichnungen am königlichen Hofe versprochen
hatte; und dieses Versprechen hatte sie aucli erfüllt. Der Jüngling
aber empfand Mitleid mit ihr und sjirach; „Wie hei.s.st du?“ Und
sie antwortete; „Salvatica i.st mein Name, und ich bin eine (’liristin
und diene nieineni Herrn Jesus Christus und seiner Mutter, der
Jungfrau Maria“. Als das der Jüngling hörte, nahm er sie mit
sieh auf die Hurg seines Vaters. Dort aber gewann sie sich die
Zuneigung aller, und wer kam und ging, und sie blickte ihn an,
der musste ihr gut sein.
Nach drei Jaliren sprach der alte Schlossvogt zu seiner Frau;
.Un.ser Stdin ist Jetzt alt genug; wir mü.s.sen uns um ein vornehmes
Mädchen umtun, das er zum Weibe nehmen kann; so werden wir
auch mit anderen Merisclien in Freundschaft leben“. Die Mutter
gab ilim reclit, und als sie sichs liin und her überlegt liatten,
sprach der Vater; Sieh, wir haben da einen guten Naclibarn, der
hat eine hül)sclie Tocliter. Die wollen wir iinserm Sohne zur Frau
geben“. Und sie teilten ihm ihren Willen mit. Der Sohn aber
cntgegnete; „Wenn ich ein Mädchen zur Frau nelnnen soll, dann
will ich keine ainlere hal)en als Salvatica“. Als das der Vater
hörte, sprach er zum Sohne; „Ich glaube, du bist toll! Willst du
Jenes verstümmelte .Mädchen heiraten, von dem du nicht einmal
wei.sst, wer und woher es ist? Dass die alberne Rede!“ Der
Sohn aber siu-aeh wieder; „Wenn ich eine heiraten mu.ss, dann
will ich keine andere als Salvatica“. .Als seine Kltern das hörten,
galien sie ihm Salvatica zur Frau. Ihid er nahm sie zum Weil)e,
und er behandelte sie mit .Achtung und Fhrfurcht, und sie führten
ein Leben voll Einmütigkeit und Eintracht und liebten einander
von Herzen.
Es traf sich aber, dass der König Jenes Landes, der Vater
Salvaticas, Feinde hatte, die gegen ihn ins Feld zogen. Als er
auf seine Königsburg zurückgekehrt war und nach seiner Tochter
gefragt hatte, da hatte ihm die Königin gi'.sagt, das Mädchen .sei
zum Zeitvertreib mit den Jägern auf die .lagd ausgezogen, und
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dort Vfrloreiijri'jraiipen, und sie sei wold von wilden Tieren auf-
(jefressen worden.
Xnn schickte der König an den Bnrgvogt ein Schreiben, er
s(dle unverzüglich an den königlichen Hof kunnnen, um mit ihm
gegen die Feinde zn zi(dien. Der Burg\ogt aber sprach zn seinem
Sohne: „Idebster Solin, der König befiehlt midi an seinen Hof,
damit ich mit ihm in den Krieg ziehe. Du siehst, ich hin ein
bejahrter Mann. [Bl. 5'| den das Alter entkräftet hat. und der das
nicht mehr tun kann. Tritt du an meine Stelle!“ Der Sohn ant-
wortete: „Vater, ich bin bereit, das für dich zn tun und dem
königlichen Befelile nachznkommen. l’m eins aber bitte icli dich,
Vater, aus ganzem Herzen: pflegt mir mein inniggeliebtes Weib
in meiner Abwe.senheit in aller Aclitung und Fhrfnrcht; das er-
warte icli von euch. Tut ihr das nicht, und ich nehme es bei
meiner Kückknnft wahr, dann will ich dich und meine Mutter
verla.ssen und euch fürderliin nicht melir als meine Kltern, .sondern
als meine Feinde ansehen“. Als seine Eltern das hörten, versprachen
sie, alles genau so zn halten, wie er es wün.schte. Fml er empfahl
auch Jedem einzelnen aus seinem Gesinde seine Gattin. Und da
Salvatica .schwanger war, trug er seinen Eltern auf, dass sie ilim
bald nach ihrer Niederkunft durcli einen Boten schriftlich mitteilen
sollten, was sic geboren hätte, mul dass sie bis zu seiner Kückkelir
das, was sie geboren habe, treu behüten und bew'ahrcn sollten.
Und als die Zeit kam, gebar Salvatica zwei überaus .schöne
Knäblein. Die haltern rüsteten alsbald einen Boten aus und teilten
ihrem Sohne das Ereignis mit. Als der Bote aber an den könig-
lichen Hof kam, du erblickte ihn die Königin, rief ihn zn sich
und horchte ilni über den Grund seiner Ankunft aus. Und sie
hielt ihn bei sich zurück und Hess ihm Speise in Hülle und Fülle
auftragen, vornehmlich aber scliweren Wein. Und als er in der
Nacht schlief, da nahm ihm die Königin den Brief weg, und da
sie sich die Sache überlegte und vermutete, dass es sich um ihre
Tochter handeln könnte, schrieb sie einen anderen Brief des In-
halts, da-ss Salvatica zw-ei Hunde geboren hätte. Als der Solin
des Bnrgvogts den Brief gele.sen hatte, sprach er zum Boten: „Ich
befehle dir, dass du .sofort nach deiner Bückkehr meinen Eltern
.sagst: was mein Weib auch geboren hat, sollen sie auf jeden
Fall bis zu meiner Rückkunft bewahren“. Und er gab ilim einen
Brief dieses Inlialts mit. Der Bote aller war .so unvorsichtig und
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ginp auf seinem Rückwege wieder zur Königin, denn sie liatte cs
ihm so uufgetragen. Und sie liess ihn in Hülle und Fülle bewirten
und ihm überreichlich starken Wein vorsetzen. In der Nacht aber,
als er schlief, nahm ihm die Königin den Brief weg und las ihn
[Bl. 5'] und sclirieb einen andern, da sie aus dem ganzen Tat-
bestände schloss, dass Salvatica ihre Tochter wäre. Und sie
schrieb: sobald der Bote heimkomme, solle man Salvatica mit
ihren Kindern verstossen, da man nicht wisse, wer sie sei und
welcher Abkunft, und woher sie gekommen wäre. Und die Eltern
richteten sich nach dem Wortlaute des Briefes und riefen einen
Jäger und trugen ihm auf, er solle das junge Weib mit ihren
Kindern in die Verbannung in eine Einöde führen. Er tat das,
und das verstos.sene Weib irrte mit den an ihren Hals gebundenen
Kindern in grösster Not ohne Speise und Trank Jammernd und
unter Tränen und Klagen in der Waldeswildnis umher. Ihid sie
rief den Herrn Jesus Christus und seine ^lütter, die Jungfrau
Maria, an und hetete auf göttliche Eingebung: „() gütiger Gott,
siehe, ich, dein unglückliches Geschöpf möchte nie gegen deinen
Willen handeln und nie in meinem Leben einem Menschen etwas
Böses zufügen, und ich gehe mit meinen Kindern so elendiglich
zugrunde“. Und als sie weiterging, erblickte sie ein kleines Haus,
und es war die /eile eines heiligen Mannes, der darin wohnte,
l.’ud sie ging an die Zelle heran und begann mit ihren Kindern
gar bitter und untröstlich zu weinen und bat um der Liebe Jesu
und Marias willen um Einlass, auf dass sie nicht eine Beute der
wilden Tiere würde. Da hörte jener gute Vater das Klagegeschrei,
aber er wagte nicht, seine Zelle zu öH'uen, denn er fürchtete, es
möchte ein Gaukelspiel des Teufels und eine Vei'suchung sein.
Nachher aber ergriff ihn das Mitleid, und er liess sie ein, und als
er sich alles recht überlegt hatte, baute er für sie und ihre Kinder
ein eigenes Häu.schen, und er teilte mit ihr das Brot und das
Wa.sser, von dem er sell)st lebte.
Endlich kam der Gatte Salvalicas, des Burgvogts Sohn, von
dem Kriegszuge des Königs heim. Als seine Litern das hörten,
kamen sie ihm voll Eifer und Liebe entgegen. Und er dachte bei
sich: Wo bleibt deine Gattin, dass sie nicht kommt, um mich zu
begrüssen V Und er fragte nach ihr und s])rach : „Wo ist denn
Salvatica, mein teures W’eib, mit ihren Kindern?“ Und die Eltern
antworteten: „Weisst du nicht, wo sie ist. da du doch geschrieben
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hast, dass sie mit ihren Kindern bald nacli des Boten Rüekkelir
in die Verbannung: geschickt werden sollteV Und so ist auch ge-
schehen“. Als er das hörte, wurde er von einer gewaltigen Be-
stürzung [Bl. 6''] ergritfen, und sein Herz wendete sich ihm im
I/cibe herum, und er sprach zu seinen Eltern: „Habe ich euch
nicht vor meinem Weggange gesagt, ihr solltet sie mit ihren
Kindern in aller Achtung und Ehrfurcht ])flegcn, wenn euch an
meiner Liebe etwas gelegen ist? Und so habe ich euch auch ge-
schrieben. Wie konntet ihr .so handeln und alles in das Gegenteil
verkehren?“ Aber seine Eltern zeigten ihm den Brief, den sie
erhalten hatten. Jener aber entgegnete: „Das ist nicht meine
Schrift, .sondern die eines anderen, und der Brief ist böswillig
gefiUscht. Wenn ihr mir nicht Salvatica mit meinen Kindern zur
Stelle schafft, bin ich nicht weiter euer Sohn, und ihr seid nicht
mehr meine Eltern“. Da riefen sie den Jäger und versprachen
ihm viele und reiche Geschenke, wenn er Salvatica mit ihren
Kindern wieder zurückbringen konnte; wenn er sie aber nicht
brächte, .sollte er sein Leben verlieren; denn nur er wüsste den
Ort genau, wo er sie allein gelassen hätte. Der gute Jäger aber
zog hinaus, um seine Herrin zu suchen. Doch als er sie drei
Tage lang nicht finden konnte, ergriff ihn eine gro.sse Angst. Und
er ging weiter und sah das Häuschen jenes heiligen Mannes, des
Eremiten, bei dem Salvatica lebte. Und er beschwor unter lautem
Jammern und Klagen den Vater Eremiten, ihm zu sagen, ob er
in dieser Einöde ein Weib mit zwei kleinen Kindern hätte umher-
irren sehen. Der Einsiedler antwortete: Nein. Da weinte der
Jäger in seiner grossen Herzensangst bitterlich und sagte: „Weh,
mir Armen, wenn ich sie nicht finde und nach Hause bringe, dann
verliere ich mein Leben“. Und wieder bat er den Einsiedler in-
ständig unter vielen Tränen und erzählte ihm, da.ss .sein Herr, der
Sohn des Burgvogts und Gemahl Salvaticas, von dem Kriegszuge
des Königs heimgekehrt sei. Da hatte der Vater Einsiedler Mit-
leid mit dem Manne und ging zu Salvatica und sprach: „Siehe,
der Mann, der dich in die Verbannung führte, ist als Bote deines
Gemahls gekommen. Dein Gemahl ist aus dem Kriege heimgekehrt
und will dich wiederhaben oder seine Eltern verla.ssen. Was ge-
denkst du zu tun?“ Sie antwortete: „Ach, ich fürchte, es möchte
mir noch etwas Schlimmeres zusto.ssen. Nur ungern möchte ich
zurückkeliren und lieber sterben, wenn es Gottes Wille wäre“.
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Als der fromme Vater Kinsiedler das vernalim, wusste, er iiiclit,
was er tim sollte und spraeli zu dem Weibe: „Hitte Gott und
seine Mutter, die Jungfrau Maria, dass sie dir und mir zeigen und
offenbaren, [Bl. 6'] wie du bandeln sollst“. Und als sie getrennt
beteten und das Weib im Gebet und in der Anrufung der immer-
währenden Jungfrau Maria vor ihrem Altäre verharrte, da
schlummerte sie ein. Und es enschien ihr eine überaus herrliche
Jungfrau, und die Jungfrau war Maria, und sie gab dem Weibe
ihre Hände zurück. Und als sie erwachte, da hatte sie die Hände,
die ihr ahgehauen worden waren, wieder. Und sie lobte Gott und
Maria und sagte ihnen Preis und Dank; dann ging sie zu dem
Vater Eremiten und zeigte ihm ihre Hände. Und unter .seiner
Zustimmung und auf seinen Rat kehrte sie mit ihren Kindern und
dem Jäger zu ihrem Gatten zurück. .\ls dieser sie erblickte, da
freute er sich unendlich und dankte Gott und der seligen Jungfrau
Maria. Und er behandelte sein Weib mit aller Verehrung und
Achtung.
Die Kunde hiervon und von dem Wunder verbreitete sich
über das ganze Land und kam auch dem Könige zu flhreii. Und
um sich von der Wahrheit zu überzeugen, schrieb er an den
Burgvügt, er solle unverzüglich, nachdem er den Brief ge.sehen
und gele.sen, mit seinem Sohne und de.s.sen Gattin und Kindern zu
ihm kommen. Und als sie der König erblickte, siirach er zu sich
in seinem Herzen: Das Weib dieses jungen Ritters ist sicherlich
meine Tochter, die ich verloren habe, und deren man mich .so
böswillig beraubt hat. Und er überlegte siehs immer wieder von
neuem und erkannte untrüglich, dass dieses Weib .seine verlorene
Tochter war, und er erforschte genau, wie sich alles zugetnigen
hatte. Und seine Freude war überaus gross, und er lobte (»ott
und die .lungfran Maria aus tiefstem Herzen.
Dann Hess er ein grosses Gastmahl vorbereiten und lud viele
Fürsten, Ritter und gro.sse Herren zu sich ein. auf dass sie seine
znrückgekehrte Tochter .sehen möchten. Den Tod aber, den die
Mutter ihrer Tochter zugedacht hatte, verhängte er über die böse
Königin selbst. Vor allen anwe.senden Herren wurde sie gesteinigt.
Und der König und seine Tochter, der Burgvogt mit .seiner
Frau und ihr Sidin mit .seiner Gemahlin und den Kindern führten
nun ein glückliches und sehr glückliches Lehen und dienten uiuserem
Herrn .fesus Christus und der Jungfrau Maria in grosser Demut
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lange, lange Zeit, ntiil sie sind sicher in den Himmel gekommen.
Das erfiehe Maria uns allen von unserem Hotte, der durch alle
Zeit lebt und regiert, Amen.
Hei der Bedeutung des Stott'es wird es nicht ühertlüssig sein,
auf seine (Quelle /uriiekzugehen, um so mehr als uns auch diese
nur durch ein Kxemjiehverk erhalten worden ist. Das Märchen
von dem Mädchen ohne Hände beruht auf einer bisher uid)ekanuten
alt französischen Sage, deren historische, (irundlagen bis in den
Ausgang des siebenten Jahrhunderts zurück führen. Die Sage fand
Aufnahme in ein Exempelwerk, das etwa um 1300 von einem
französischen Dominikaner, der sich Johannes (icbii Juuii
nennnt, verfasst wurde und den Titel: Scala caeli führt'). Der
Vergleich des Märchens mit dei- Sage zeigt uns so recht, wii'
t'bergänge aus Sagen- und Komanstofl'en in die .Märchenliteratur
sich vollzogen, indem man geläufige und beliebte Märchenmotive
mit den Sagen verband und zugleich die vorhaudenen lokalen und
zeitlichen Beziehungen, die der Sagenstotf enthielt, beseitigte. Ich
gebe den Text der (irundlage unseres Märchens nach einer Hand-
schrift der Bre.slauer Kgl. und Uuiv.-Bibl. d () 4Ö4) vom Jahre 1402.
Die Toehtt'r des (>rafeii von Poitou.
[Bl. 37'’] Mau liest iii einer (jeschiclite der Könige von
Frankreich, dass einst ein (Jraf von l’oitou lebte, der von seiner
vornehmen und guten ( iemahlin einen Sohn und eine Tochter hatte.
Als nun der Vater nach dem Tode seiner (iemahlin eines Tages
die Schönheit seiner Tochter betrachtete, fa.sste, er den Knt.schluss,
sie zu verführen. Doch als er sie mit Schmeicheleien und Drohungen
bi'drängte, wies sie, unerschütterlich in ihrer Keuschheit und
Reinheit, nicht wie ein Weib, sondern standhaft wie ein Mann,
das böse Ansinnen ihres Vaters zurück. Dieser alicr bestand hart-
näckig auf seinem verbrecherischen Verlangen. Fnd da der Bruder
des Mädchens zu seiner Ausbildung in den Wi.ssenschaften nach
Bologna gegangen war und sic niemanden hatte, dem sie sich
rückhaltslos anvertrauen konnte, ruft sie ihre Amme und teilt ihr
das traui-ige (.leheimuis mit. Diese ist entsetzt über den frevel-
') Der Verfasser, dessen Werk ich noch bei einer anderen (ielegcnheit
charakterisieren werde, beniitr.t Cäsarius von Heisterbach und auch bereits
Jacubns u Voragiue, kennt aber die Uesta Kumanurum noch nicht.
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halten Ausielilas' des Vaters imd rät dem Mädchen, da sie seine
Standhal'tifrkcit sieht, zur Flucht vor dieser Geleprenheit zur vSünde.
Und sie nalmicn ilire Kleinode und ihr Geld mit und Hohen in
der Nacht und kamen endlich zum heilifren Agidins, wo der Sohn
des Königs von Arles von dem Grafen des hl. Ägidins erzogen
wurde. Da der Amme und dem Mädchen bereits das Geld aus-
gegangen war, gingen sie zur Gräfin und baten sie um Lebens-
unterhalt. Und da die (träfen 1 131. 3B''| die Schönheit des .Mädchens
sah und die Unschuld, die aus ihrem Gesicht leuchtete, nahm sic
sie als Tochter an und behielt auch die Amme zu ihrer (3esellschal't
iu ihrem Hau.se. Und während das Mädchen Gott und die heilige
Jungfrau inständig um Bewahrung ihrer Unschuld anfiehte, gewann
sie der Sohn des Königs von .\rles in aller Ehrbarkeit lieb. Als
nun von der Königin von Arles die Hochzeit ihres Sohnes mit der
Tochter des Königs von Frankreich betrieben wurde, antwortete
ihr der Jüngling, der auf einem eigenen Schlosse lebte, dass er
nie eine andere zur Gemahlin nehmen würde als das Fräulein
Margaretha vom (irafenschlo.sse des hl. Agidins. Da kamen alle
seine Freunde zusammen und baten ihn inständig unter vielen
Tränen, davon abzustehen; aber er lie.ss sich nicht dazu bewegen,
und endlich werden das Fräulein und der Königs.sohu ehelich
verbunden.
Von da an verfolgt die Königin von Arles die Gemahlin ihres
Sohnes mit tötlichem Hass. Die.se aber trug ein Kind unter ihrem
Herzen, und als die Zeit der Niederkunft nahte, musste der junge
König von Arles in einen Kamjjf ziehen. Und da er dem Grafen
des hl. Agidins, der .seine Gattin früher an Kindes Statt angenommen
hatte, sein ganzes Vertrauen schenkte, vertraute er ihm seine Ge-
mahlin an. indem er ihn bat, ihm bald nach der Geburt des Kindes
Nacbrichten zugehen zu lassen. Der König reist ab, seine (icmahlin
geldert einen Sohn, und der Graf schickt einen Boten mit dieser
Nachricht an den König ab. Den Boten aber führt seine Haltsucht
zur Königin, und dort wird er schändlich lietrogen. Denn in
einem gefälschten Briefe schreibt die Königin an Stelle der Nach-
richt des (trafen, seine Gemahlin habe einen Sohn mit einem
Hundekojtfe geboren. Der junge König liest den Brief, wird aber
trotz dieser traurigen Nacbricht durch die Liebe zu seiner (ienmhlin
bestimmt, znrückzuschreiben, dass man die Mutter mit dem Knaben
gut ptlegen und hüten solle. Der Bote kehrt zurück, snclit die
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Mutter des Kunips auf, wird zum zweiten Mule von ihr betrunken
peiiiarlit, und sie entwendet ihm den Brief und legt in die Büelise
einen anderen folpenden Inlialtes; , Könip N. prüsst den Grafen
X. Da wir sichere Kunde haben von der Herkunft unserer Ge-
mahlin aus niederem, unbedeutendem Stande, gehen wir dir den
Befelil unter Androhunp unserer ünpnade, die Mutter mit dem
Kinde zu töten, [Bl. 38'] damit icli nacli meiner Heimkelir eine
edle und schöne Braut heimführen kann“. Der Graf wird von
Trauer und Schmerz erpritten, als er den Brief liest. Kr teilt
seiner Herrin, die noch im Kindbett liegt, den Inhalt des Briefes
mit und hcfielilt ihr, aufzustehen und sicli den Händen der Mörder
auszuliefern. Da erhebt sie sich, sinkt auf ihre Knie und ruft;
.0 Gott, du Schützer der Reinheit und Wahrhaftigkeit, bewahre
mich vor jeder Sünde und vor die.sem Schmerz!“ Noch in derselben
Naclit wird sie von den Henkern mit ihrem Sohne zur Hinrichtmip
in einen Hein peschlepi)!. Doch als sie den Knaben am .^rm erpritfen
und bereits das Schwert gezogen hatten, um ihn umziihriiipen, da
fanden sic Gefallen an ihm, und von Mitleid überwältigt, sprachen sie
zueinander: .Wenn wir die Mutter töten und den Knaben sclionen,
wird er vor Hunger umkommen, da wir ihn von keiner anderen
Frau aufziehen las.sen können“. Und sie sprachen zur Mutter:
„Wenn du in fremde Länder wandern willst, wo du unbekannt
bist, dann wollen wir dir um des Knaben willen dein Leben
schenken“. Und sie dankte ihnen und segnete sie. und von Tür
zu Tür bettelnd zog sie mit Pilgern durch die Länder und kam
schliesslich nach Bologna, wo ihr Bruder, der zu seiner wi.ssen-
schaftlichen Ausbildung hingegangen war, als Bischof cinge.setzt
worden war. Dort ndite sie sich aus und empfing vom Bischöfe,
der täglich für die Pilger sorgte, Almo.sen. Dabei erblickte sie
ein frommer Mann und wurde auf ihre Schönheit und die edle
Gestalt ihres Sohnes auBnerk.sam. Dieser bat den Bischof, da.ss
er sie im Hau.se einer frommen Frau unter sein Gefolge aufnähme,
damit sie nicht anderen Ärgernis gäbe, wenn sie so durch die
Welt pilgerte. Der Bi.schof erfüllt seine Bitte und sorgt gern für
ihren l.^nterhalt.
Kndlich kommt der junge König ans dem Kampfe heim und
fragt den Grafen des hl. Agidius nach .seiner Gemahlin und fordert
sie zurück. Die.ser weist in gro.sser Bestürzung den Brief vor, in
dem die Ermordung von Mutter und Kind befohlen wird, und er-
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kliirt, (lass der Befehl aiisfreführt worden sei. [Bl. d'.t'] .Man ruft
den Boten, fragt ihn nach seinem Wege und entdeckt, dass die
Königin Mutter von Arles die Briefe gefälscht hat. Die Henker
werden herbeigerufen, und der König fragt sie mit tränenerstickter
Stimme nach der Grabstätte seiner Frau und seim*s Kindes, niii
ihnen dort in den Tod zu folgen. Als er aber in den Hain geführt
worden ist und die Walirheit nicht länger verborgen bleiben kann,
bekennen die Henker, dass sie die Mutter aus Mitleid mit dem
Kinde, ohne ihr ein Leid zu tun, hätten von dannen ziehen la.ssen.
Diese Worte richten den König wieder auf, und er schwöit, nicht
eher wieder in sein Königreich zuriiekzukehren, als bis er sichere
Kunde von .seiner Gemahlin hätte. Er geht allein von dannen,
versclienkt seine königliche Kleidung an .\nne, legt ein Bettler-
gewand an, und indem er von 'für zu Tür um Almosen bittet,
forscht er nach der Mutter und dem Kinde, indem er die Gc'stalt
und die be.sonderen Kennzeichen seiner Gattin angibt. Und als
er die Gewissheit erlangt hat, da.ss sie mit anderen Armen ihres
Weges gezogen ist, folgt er ihren Simren und wird so auch nach
Bologna geführt. Als er dort eines Tages aus der Hand des
Bi.schofs ein Almosen entgegennimmt und man an ihm weder Kot
noch Gebrechlichkeit, sondern nur die Demut eines Almoseuemp-
fängers wahrnimmt, lässt ihn der Bi.schof zu sich rufen und fragt
ihn nach dem Grunde .seiner Herkunft, l.'nd er erzählt der Reihe
nach alles, wie es sich zugetragen hat, und der Bischof erkennt,
dass jenes Weib, das von seinen Almosen lebte und nnlerhalten
wurde, die (jemahlin die.ses Mannes sei. Er lä.sst die fromme
Frau mit dem Jungen Weibe kommen und fragt diese nach ihrer
Abkunft und ihrem früheren Stande. Da erkennt er, dass sie
seine leibliche .Schwester und die Gemahlin des Königs von Arles
ist. Am folgenden Tage lä.sst er ein .Mahl bereiten, ihnen beiden
königliche Gewänder anlegen, seine ge.samte Umgebung zu.sammen-
rufen und führt die Mutter mit ihrem Kinde in die .Arme ihres
Gatten. Und der König schliesst sie in seiner Freude in seine
Anne und küsst sie und lä.sst sie nicht mehr von sich. Da ruft
der Bischof: -Mein lieber Freund, la.ss .sie mir d(Kh auch für
einen .Augenblick; es ist ja meine Schwester, und ich bin ihr
leiblicher Bruder, der Sohn des Grafen von Poitou. .Als das der
König hörte, war die Freude aller ungemein gro.ss. Und der
Bischof gab seiner Schwester die Grafschaft Poitou als Mitgift,
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die er selbst ererbt hatte, und mit grossem Gefolge und in Freuden
sandte er sie in ilir Königreich zurück.
Ich Imbe diese, einer verschollenen Historia regum Franciac
entlehnte Sage hier deswegen ausfiihrlicli wiedergegeben, weil wir
in ihr nicht nur die letzte Grumllage unseres Märchens zu erblicken
haben, sondern auch deswegen, weil sie zugleich die bisher ver-
geblich gesuchte (Quelle für eine ganze Reihe mittelalterlicher
Dichtungen ist. mögen sie nun direkt aus dieser lateinischen (Quelle
hervorgega Ilgen .sein, oder durch Zwi.schenglieder darauf zuriiek-
gehen. Der unbekannte Dichter des mittelhochdeutschen Romans
von Mai und Beaflor nennt als .seine (Quelle selb.st eine Frosachronik
oder ein E.\em])elbuch *). und auch die aus dem 12. Jh. stammende
Vita OHäe primi wird die Gründungssage des Klosters 8. .\lbans
aus dieser verschollenen Chronik der französischen Könige entlehnt
haben®). Indirekt beruhen auf ihr der Bericht in der anglonor-
manni.schen Chronik des Nicholas Trivet*), aus dem Gower und
Chaucer ihren Stoff entlehnten, das mittelenglische Gedicht Fniare *),
dius als (Quelle bretonische Lais bezeichnet, und des Fhili]i|i von
Beaumaiiüir Roman ,.Manekine‘ ^), in dem bereits die Heldin sich
die linke Hand abhaut, um den Werbungen ihres Vaters zu ent-
gehen. Die Literatur über die zahlreichen Variationen un.seres
Märchens, die zum Teil noch heute im Volksniunde lebendig sind,
verzeichnet Hermann Suchier in seinem .Aufsatze: Über die Sage
von Ofta*). Doch wird der Versuch, die Sage als altgermanisches
Gut in Anspruch zu nehmen, auf Grund der uns vorliegenden
ältesten Fassung, die in französisches Geliiet führt, abzulehnen
sein’). Denn da.'js wir es in un.serem Te.xte mit einer alten
Chronikenfa.ssung zu tun haben, das beweisen schon die klaren
geograidiischen Bezeichnungen und die histori.sch einwandsfreie
Verbindung des hl. Agidius mit der Stadt Arles, Züge, die gegen-
*) .^usg vnii F. Pfeiffer, 1H48 S 3 v. 12— Ifi.
•) Mathaci Paris Historia maior, ed. Wats London 1640.
•) .\usg in der Chancer Society, second serics VTl, S. 1.
*) .\usg. von liitson, .\ncient English mctrical romancecs 2, 2t(4. (1K02;.
*) Bordier, Philippe de Itemi sire de Beaumanoir, 1873 lUeser lioman
entstand um 1270, wahrend der deutsche von Mai und Beatlor bereits 1257 ge-
schrieben worden sein «’ird.
•) Pani-Braunes BeitrSge Bd. 4. 514 (1877).
’) Ebenda S 516.
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über den ])liantastisclien Orts- iiiid I’ersoiieimamen der anderen
Fassuti{j:en sofort die Originalität unseres Textes erkennen lassen.
Unil nun keinen wir zu unserem Mürclienexeinpel zurück.
Krst ein Vergleich mit den mittelalterlichen literarischen Fassungen
der zugrunde liegenden Hage einerseits und mit den heutigen
Variationen des Märchens anderseits zeigt den bedeutenden, ästhe-
tischen Wert unserer eingangs erzählten Fxcmpelfassung. Nur
hier ist die ge.samte Handlung einheitlich motiviert. Unter Weg-
lassung des anstössigen Sageneinganges von dem sündigen Ver-
langen des Vaters ist die erste Prüfung der Heldin, Jedenfalls erst
aitf dcuhschem Hoden, durch die Eitiführung des Motivs von dem
Hasse der bösen Stiefmutter begründet; ihrer Eifersucht fällt
Salvatica zum Opfer wie Sneewitchen, mit der sie auch in ihrem
ferneren Geschicke manche. Ähnlichkeit anfweist; und attch das
Vertauschen der Briefe, durch das die zweite Prüfung der Heldin
veranla.s.st wird, ist der bösen Stiefmutter Werk. Am Schlu.ss
tritt noch einmal die Ähnlichkeit mit dem Sneewitchenmärchen
stärker hervor, da in beiden die böse Königin mit dem Tode be-
straft wird. Auch die Sage von Genofeva wird nicht ganz unab-
hängig von un.serem Märchen sein. Der Wald und der Jäger
spielen in unserer Fa.ssiing dieselbe Rolle, wie in der Sneewitchen-
und der Genofevasage, und die ganze erete Waldszene hat ihr fast
wörtliches (iegenstück in dem Grimmschen Märchen Nr. ‘J7 von
dem Was.ser des Lebens, wo auch der Jäger beauftragt ist, den
Prinzen zu töten. Diese für un.sere Fassung charakteristischen
Züge geben ihr ein echt deutsches Gepräge und machen sie in viel
höherem Grade als die in den Grimmschen Märchen enthaltene
Fa.ssung des Märchens von dem Mädchen ohne Hände zu einem
Wertstück deutscher Volk.spoesie.
Zum Schluss noch einige Worte über das mit der alten Sage
später verbundene Marienmirakel von der wunderbaren Wieder-
erlangung der abgehauenen Hände. In dem Abschlagen der Hände
.sieht Hermann Suchier in seinem obenerwähnten Aufsatze ‘) einen
aus germani.schem Rechtsbrauch entlehnten Zug; ich halte das
Motiv vielmehr als eine Entlehnung aus griechi.schem Romangnt.
Es findet sich auch in Seneca, controversiae I 7, wo ein Vater
den Seeräubern doppeltes Lösegeld für die Freigabe seines Sohnes
') PBH. IV 6tio.
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4^
verspriclit, wenn sie diesem, der seinen Bruder getötet hat, zuvor
die Hände abhauen. Als Vorlage für unsere .Märehenfassung hat
aber meines Erarhtens eine Legende von dem hl. .Johannes
Dama.scenus gedient, die mit einem wundertätigen Marietd>ilde nach
dem Abendlande kam.
Um sich seines Gegners zu entledigen, lässt der Kaiser von
Byzanz in die Hände des Fürsten von Damaskus einen angeblich
von Johannes geschriebenen und mit gefälschtem Siegel ver-
•sehenen Brief spielen, in dem sich der Heilige erbietet, an
Byzanz die Stadt Damaskus zu verraten. Auf Befehl des Fürsten
wird dem Heiligen vom Scharfrichter die rechte Hand abgeschlagen.
Vor einem Marienbilde bittet dieser um den Beistand Marias, da
er nun nicht weiter zu ihrer Ehre schreiben könne. „Nach diesen
vnnd dergleichen Worten vbertällt ihn der Schlaft'; die Mutter
(iottes, welche alles gehört, vnd sehr wol verstanden, würdiget
sich ihren Diener vnd lieben Sohn zu besuchen, vnd seinem Be-
gehren zuwillfahren, nimbt die Hand von dem Altar, haltet vnd
truckt .sie mit vbernatürlicher Krallt also an den stum])fcn Arm,
da.ss sie alsbald angewachsen“. Der Heilige erwacht, sieht, dass
.sein Ti’aum in Erfüllung gegangen ist, „vnd sagte Gott vnd seiner
lieben Werthen Mutter vmb solche Gutthat gebührenden Dank“.
Das wundertätige Bild kam nach Venedig*).
Zehn Schutzbriefe unserer Soldaten.
Von Dr. Karl Olbrich.
Im .Tahrgange 1897 unserer „Mitteilungen“ (IV 81 ff.) erstattete
ich bereits einen kurzen Bericht über „Waffeusegen“, der eine
geschichtliche Einleitung, die den Brauch möglichst weit zurück
verfolgte, und einen nacli Gruppen geordneten Überblick über den
Inhalt sämtlicher mir bekannter „Schutzbriefe“ gab. Die in
meinem Besitz befindlichen Briefe blieben damals noch ungedruckt.
') Entnommen dem Marianisdicn Atlas des Gnilcimus Gumppeiiberg, Ingol-
stadt l(w)7 Bd. I S. 4.S flf. — In einer Perg -Hs. I 21 Bl. Ulv der Kgl. und
rni%'.-Bibl. 7,11 Breslau ans dem 14. .Ih. wird in einer Weihnachtspredigt er-
zählt, dass ein ohne Arme geborenes Miide.hen, .Xnast.asia, die in einer unter-
irdisehen .Schmiede den Bla.sebalg tritt, in der Gehnrtsnarht Christi das Licht
wahrninimt. zu Maria eilt, das Kind berührt und dadurch ihre .Arme erhält.
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46
Ich hole dies jetzt nacli, lepe aber, um die fortwährenden Wieder-
holungen zu vermeiden, ini all^enieinen einen Originalbrief zu-
grunde und füge die bedeutenderen Abweichungen der anderen Texte
als Fussnoten hinzu. Ich berücksichtige dabei nur die iin Ori-
ginal vorliegenden Briefe; von den in Abschriften cingesandten
und im Jahrgange 1870,71 der „Gartenlaube“ veröftentlichten
Briefen, die ich l)ei meiner ersten Arbeit noch heranzog, nehme
ich diesmal Abstand, da ich ihre ('bercinstimmung mit den Ur-
texten nicht kontrollieren kann. Die hier benutzten Originale sind
vergilbte, z. T. eingerissene und befleckte Papiere von (juart- bis
Folioformat, alle einmal längs und zwei- bis dreimal quer ge-
brochen. So konnten sie be(piem im Brustbeutel oder auch im Ge-
sang- oder Soldbuch mitgeführt werden. ' Sie sind sämtlich während
eines oder mehrerer Feldzüge getragen worden, worüber die
Briefe der Einsender Auskunft geben ; unter einigen steht der
Name des Schreibers oder der Schreiberin; der eine war ursiu iing-
lich mit drei Siegellacktropfen geschlossen , dazwischen stand die
Nummer der Komiiagnie und des Regimentes.
Eine andere Überlegung, zu der mich eine vergleichende
Durchmusterung der zehn Originale führte, ist die Veranlivssung,
dass ich den Inhalt der Briefe in zwei Grupiien behandele’. Acht
Briefe nämlich sind nicht einheitlich, sondern unverkennbar aus
mehreren, ursprünglich selbständigen Bestandteilen zusammeu-
gefügt. Der erste ist eine Bannformel („So wie Christus am t')l-
berge .still stand, so .sollen . . . (>.}, der zweite ist das Graf-Philipp-
amiilet (Gr.), der dritte der Himmelsbrief (Hi.). .Als vierter tritt
in zwei Briefen die Legende von Kai.ser Karl hinzu (K ). Die
mir vorliegenden Exemplare zeigen nun folgende Zusammen-
setzung;
1. ö. -f Hi.
(dazwi.schen steht die Geschichte von der Gewinnung des Briefes).
Hierher gehören:
Original I aus Schleswig-Holstein,
„ II aus Zeulenroda,
„ III aus Peiskehammer,
„ VI aus Schlesien,
„ VII aus Schlesien (mit .seinem ersten Teile), doch ist hier
noch Gr. angefügt, (also 0. -|- Hi. + Gr.)').
’) Dieselbe Zusammeuselziing zeigt z. li. der lirief bei Barlsob (.S.tgeii ans
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47
■2. Gr. 4- + Hi.
(zwischen i). mul Hi. die (ieschiclite von der Auftitidunp: des Briefes).
Hierher {rehiiren:
Uripinal IV au.s Mccklenburff ivor 0. neue t'berschriff: ^Haus-
und Schufzhrief');
Orifrinal V au.s Kas.sel (V Komp. R<rt. 80), eilijr {re.schriehen und
lückeiiliaft ').
'3. Hi. + Gr. + K.
(Hi. ohne einleitende Auffindunfrsge.schichte).
Hierher gehören:
Original X au.s Pommern (('henschrift „Himmelsbrief“);
Original VII aus Schlesien (mit seinem 2. Teile), doch ist Gr. nur
abgekürzt erhalten*);
4. nur Gr. oder Hi.
nur Gr. Original VIII (eingesandt aus Zeulenroda mit II), eine
.Menge Segen formein und Beschwörungen sind damit ver-
bunden *);
nur Hi. Original IX ans Mecklenburg mit einer völlig eigenartigen
Einleitung und .\uftindungsgeschichte*).
('berblickt man 1—3, so entsteht folgendes Bild: Das Hau])t-
stück der zusKinmenge.setzten Briefe bilden ö. und Hi., d. h. der
einleitende Teil ist der Bannspruch, daran schlie.sst sich stets die
Geschichte von der Auftindiing des Briefes, und darauf folgt der
.Mo<kleiibiirj{ II) Nr, HWl ans Knatuik; ein liricf ans Neusladt-FriciUaiiil (Archiv
für Religionswissenschaft V I.Ö.H) Nr. 2 — zu VII: Bartsch a. a 0. Nr. 11)29 mul
Ulrich .lahn (Baltische .Studien H6, 210), Brief 2 au.s Kemitz, Kr. Randow.
') Hierher gehört z. B auch der Brief hei U. Jahn a. a. 0. S. 4.ü (ebenfalls
vor Ö neue Überschrift: „Hans- und Schntzbrief''), und bei Bartsch a. a. 0.
Nr ir>;10 ans Proseken bei Wismar (auch hier vor O. neue llbcrschrift: „ein
.Sclmtzhrief“, das fehlende „Haus“ ist durch Versehen in die voranfgehende
Kormel hineingezogeii „das ist bcs.ser als tiold im Hans“ (sonst „das ist Iresser
als (iolil“); aus „und“ ist daun „ein“ geworden.
’) Dazu stimmt z. B. der Brief bei ü. Jahn a. a. O. S. 40 uiul .1er Brief in
iler Zcilschr. f. Kthiiologie, 31. Verhaudl. 8. 4(i!) ans Pommern.
*) -Ähnlich ist iler Brief bei Meier (Sagen aus Schwaben) S. 52H und im
Archiv für Religionswissenschaft a. a 0. Nr. 3.
•) Zn vergleichen ist der Brief im .Archiv nsw. a. a. O. Nr. 1 (für das
(iradoria meines Briefes steht hier „Gregorin“) aus Böhmen; und Losch „Deutsche
.Segen. Heil- und Bannsprüchc“ Nr. 340, (Württcmbergi.schc Jahrbücher II 3 [1891)
S. 2;t4}.
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48
Hiiniiiflsl)riet' (4 X). Davor oder daliiiiter (2 X, 1 X) tritt in
einipen Briefen der Graf-Pliilippbrief; doch sind die Bestandteile
alifjesetzt, zum Teil auch durch neue ('berschrift gekenn-
zeichnet. Der merkwürdigste Brief ist VH; hier sind eng
auf 4‘/s Seiten Folio hintereinander geschrieben: D. -f Hi.
(mit Einleitung) und ür. + Hi. (ohne Einleitung, anfangs
wairtlich mit X übereinstimmend) -f- (ir. (abgekürzt) + K. Dar-
nach könnte, man annehmen, dass der Schreiber vemhiedene Vor-
lagen (etwa unser 1 und 3) hatte und sie nach dem Grund.satze:
„Doppelt hält bessei"* nacheinander in einem Schutzbriefe zu-
sammensclirieb. Der erste Gr. ist vielleicht durch ein Versehen
dazwischengeraten; der Schreiber hat die Wiederholung aber
jedenfalls gemerkt und deshalb Gr. beim zweiten Male auf die
Namen beschränkt (s. u. S. 50 A. 1). So könnte dieser Brief VII
als Schulbeisiüel dafür dienen, wie unsere kompilierten Schutz-
briefe überhaupt entstanden sein mögen.
Wenn also in unseren Originalbriefen der Text auch alseine
Einheit aufgefas.st wird und eine gemeinsame ('berschrift und ein
gemeinsamer Ab.schlnss in einigen scheinbar vorhanden ist, so sind
sie doch, wie obige ('bersicht zeigt, ein Gemisch von verschieden-
artigen Bestandteilen, die weder logisch recht verknüpft noch im
Tone einheitlich sind. Das einzig Gemeinsame, das sie zusammen-
hält, ist der gleiche Zweck: Schutz des Trägers vor Gefahren im
Kriege.
Ich führe also den Inhalt der acht Briefe in zwei Abteilungen
vor: 1. Der Graf- Philippbrief langeschlo.ssen die Legende von
Kaiser Karl), 2. Der Himmelsbrief (angeschlossen der einleitende
Bannsegen). Brief VUl und IX werden dann in vollem Wort-
laut mit allen Fehlern und Lücken der Originale wiedei'gegeben.
Ein Aidiang enthält die für Geschichte und Verwendung der
Briefe wertvollen Begleitschreiben.
Der Ornf-Phllipp-brlef.
Nach Nr. 7 (1. Teil).
Ein Brief an jedermann.
(Vornelimlich aber für einen Schleswig-Holsteiner und für die,
welclie für sie fechten.) B. G. H.
Ein Giaf hatte einen Diener, w'elcher sich für .seinen Vater
das Haupt wollte abschlagen las.seii. Als nun solches ge.scliehen
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sollte, da versaf^te des Scharfrichters Schwert, und er konnte ihm
das Haupt nicht absclilafren '). Als der Ural' dies sah, frafjte er
den Diener, wie es ziipin<re, dass das Schwert ihm keinen Schaden
znfn^e, worauf der Diener ihm diesen Brief mit den Buch-
staben L. J. F. K. ü. B. R. K. zeiprte. Als der Graf diesen
sah. befahl er, da.ss ein jeder die.sen Brief bei sich tragen .sollte.
Wenn jemand die Xase blutet oder er sonst blutigen Schaden
hat und das Blut nicht stillen kann, .so nelime er die.sen Brief
und lege ihn darauf, so wird er das Blut gleich .stillen.
Wer dieses nicht glaulten will, der schreibe die Buchstaben
auf einen Degen oder Gewehr und steche (stelle) ihn al.sdann
an einen bestimmten Platz (Ort), so wird er nicht verwunden
können *).
Und wer diesen Brief bei sich trägt, der kann nicht l>e-
’) Ein Graf sollte einem Diener, den wollte er für B. G. 11. Vater das
llnii|it aljsclilageii la.sscn. Wie nun .solches gcsclielien, so hat ihm der Scharfrichter
keinen Sclmdcii zufügen kUnnen. Als der Graf dies . . . (.5 und 4). Graf Philipp
von Flandern, iler einen Ritter hatte und diesem eines Verhrccliens wegen den
Kopf abhaiien lassen wollte, vermochte es durch seinen Scharfrichter nicht;
denn er konnte ihn weder verwunden noch erhauen. Die-s erregte gros.se Ver-
wunderung bei dem Grafen und allen .Anwesenden Der Graf liess ihn hierauf
vorfuhren nnd brachte ihn zum üesländuis, mit welchen Dingen dies zugingu,
worauf er ihm das Leben achenklo, und der Ritter ihm sogleich diesen Brief
mit folgenden Buchstaben vorzeigte diese
Diener wunderten sich sehr. Wenn jemand die Nase . . . (10). Graf Philipp von
Flandern der batte einen Diener, der das Leben verschuldet hatte , dass er ihn
wollt richten lassen, und da sein .Schwert nicht schneiden wollte, da wunderte
sich der Graf sehr und sagte zu ihm: .Zeige mir deine Sache, so will ich dir
ilas Lehen schenken*. Da zeigte der Diener ihm den Brief, den er an seiner
rechten Seile hatte. Das gefiel dem Grafen und allen seinen Knechten wohl
nnd liess den Brief alle seine Diener abschreiben. Indem wenn du vor Gericht
gehst, so nimm diesen Brief an deine rechte .Seite. Hast du einen Feind, der
mit dir streiten will, so nimm diesen Brief zu dir an ileine rechte Seite, so kann
dir nichts versehreu oder überwinden. Auch welche Frau in Kindesnöten liegt
und nicht gebiiren kann, so hänge ihr denselben um den Hals, so gebärt sie
ohne Schaden. So jemand die Nase blutet, dem gib den Brief in die rechte
Hand, so stillt sich gleich das Blut*. Dann Iregiunen andere Beschwörungen
(H) 8. n. S. 65.
•) der schreibe vorstehende Buchstaben auf ein Mes.ser und steche
ein Tier damit, cs wird gewiss nicht bluten“ (10). Darauf folgen die Namen:
,Ben t Vcsius t Baltus f Nomen f Sebusch t Muhamett + .lesus f Maria t
Joseph + “.
Mlttcllantreu d. BOliles. lies. r. VkUc Hell Xi\ 4
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60
zaubert werden, und seine Feinde können iiini keinen Schaden
zufügen *).
Wer diesen Brief bei sieb trägt, das ist besser, denn (iold.
Vergleicht man den Text der Erziililting in den einzelnen
Briefen miteinander, so sielit man alsbald, dass 8 ihn am voll-
kommensten bietet; liier sind alle wesentlichen Züge klar ent-
wickelt: der Scharfrichter kann den Verbrecher nicht ent-
haupten. .Man vers])riclit ihm das Leben, wenn er das (Jebeimnis
verrat. Er zeigt .sein .fest “machendes Amulet. Durch Abschreiben
wird es zu allgemeinem Nutzen weiter verbreitet. Zur Ver-
gleicliung und Ergänzung füge ich den Text aus zwei Segen vom
Anfänge des .sechzehnten .lahrhunderts bei:
„graf philipp von Üandern wolt ainen men.schen sin haupt
abschlacben, da plaib der man von des swerts siege und ward nit
wundt. des verwundert den grafen, wie dem waer, das in das
swert nit versebnid; und sy gelobten im das leben, da ließ er den
brief wissen i E i i t g t c f den brief ließ der graf .schreiben
ifftgtstlfotitlfot custodiat täninlum tuum Kuentz
t ft t n f 1 t t h t t t i t u t welcher men.sch für geriebt
get, der nein den brief mit im“ usw.*).
„gi’att' llainrich von Flandren der wolt ainem menschen das
hanpt ab.schlahen, da kündt in das schwert nit ge.scbneiden von des
priffs wegen, des wündert sich iler graft' mul all lentt. dy das
sahen, da gelobt er im das leben zu halten, das er im saget, wy
das znging, das in das schwert nit schnidt. da zaigt er im diseii
jiritt'. T. G. F. T. X. disen pritf ließ er den leuten außsebreiben,
wan er ist al.so gut, iiesunder für schneiden, für pe.schlelien und
') Nr 4 fügt ein: D."is sind die heiligen 5 Wunden Chri.sti K. II. T. G. K.
So his .sicher, dass kein snltdi l’rteil dir geschehen kann. Wer diesen Brief bei
sii'h (ragt, dein kann kein Blitz oder Donner, kein Feuer oder Wasser schaden
(= 5), und wenn eine Krau gebärt und die Geburt nicht von ihr will , so gebe
inan ihr diesen Brief in die Hand, so wird sie bald gebären, und das Kind wird
sehr glücklich werden. — Nr. 7 setzt, ii.achdcin am .Schluss des ersten Teiles Gr.
bereits stand, mitten im zweiten Teile noch einmal an: „Graf Philipp von
Flandern. Bin t Zebus f Berline t Mel t Vernen f Flucht f Moemed t Vichiis
Maria t Joseph“, schliesst aber sofort die Legende von Kaiser Karl an (s. o. S. 48).
•) Veroftentlicht von Dr. Alwin .Schultz ans einer l’apierhandschrift ilcr
Münchener Bihlimhek f’od. gerin. 821 (iirspr. im Kloster Tegern.see) im .Anzeiger
für die Kunde der ileilLschen Vorzeit. N. F. XVI. 18(i!l, 8. 4(1, <47.
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für all poß wurm und pfft und für fiMiknus. f F. G. luiütn aiiien
veint, der mit dir streiten oder veelitcn oder kempfen wil, so
soltn disen pritV pey dir halten, pax teeuin sit cnm famulo tno . . .
usw.“ ‘). Gemeinsam mit unseren Texten haben diese älteren
auch die Vorscliriften für die Verwendniifj des Hriefes bei Na.sen-
blnten, hei einer {refährliehen Geburt und die Probe an einem
Tiere: „wer des nit *relanl)en wil, der sclireili dise wort auf ein
swert und stech es in ein swein, das emplnet nif' — „wer des
nit glauben wil, der schreib dise wortt auf ain boclismesser und
stech damit ain schwein, so iilnet es nif‘. Kine ähnliche Probe
keimt auch der Kolumbansegeii (Text bei Holte a. a. O. 436): „sy
pnnden ancli den segen an einen ochsen, den mochten sie nit er-
totteii". Später tritt mit der Einführung des Schie.ssgewehres an
ihre Stelle die Sch iess jirnbe auf Katze oder Hund (vgl M. IV, 86
und u. S. 57).
Für unsere Hetrachtnng ist es vor allem wichtig, dass, wie
die Hriefe z. T. .selbst hervorlielien , das in ihnen wirk.same die
-Worte, Huchstaben'“ sind. Dessen ist sich der Hesitzer dieses
Hriefes widil auch heute noch bewusst. Lehrer .Micliaei aus
Straslmrg i. M., dem ich zwei Exemplare verdanke, .schreibt mir
wenigstens, da.ss man in dem (Jrafenbriefe den lateinischen
Huchstalien eine ganz besondere Kraft zu.schreibt, „obwohl
niemand weiss, was sie bedeuten, und sie aucli in den vorliegen-
den E.xemiilaren erheltlich ab weichen'“. Diese geheimnisvollen
Zeichen standen ja auch, wie die Erzählung selbst liericlitet, ur-
siu’iinglich allein in dem Hriefe, und darnach geliört dieser Teil
unserer Schntzbriefe in das (iebiet der magischen Zaulierzettel.
von deren Gebraucli, wie ich bereits früher ausführte, altfranzü-
si.sche und mittelliochdeut.sche Dichtungen, die HeLclitspiegel, ganz
liesonders aber Scliriften des sechzelniten und siebenzehnten .lahr-
hunderts zu bericliten wis.seu (Mitt. a. a. ().). ln unseren Schutz-
briefeu finden sich allein an dieser Stelle Jene Huchstaben und
Xamen. ^fan braucht liier niclit unbedingt an orientaliscli-kabba-
listischc Einflü.s.se zu denken; auch dem ('hri.stentum Stand der
Buchstabenzauber damals nicht fern, und das germanische Heiden-
*) Aus einem Miiuchener Codex veröffentlicht von Holte (Zeitschrift dt«
Verein« für Volkskiinilu, Berlin XIV, 1S04, S. 4H7.I.
1«
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52
tum kannte schon schützende Zanherrnnen 'i. In Anlehnnnp an
die l)ekiinntc Form der altheidnisclien ZaubersprUche ist dann jene
Erzählung als „episclier Eingang* dem eigentlichen „Briefe“
voraufgeschickt worden, um durcli die „bindende Kraft“ des erst-
maligen Gebrauches gewissermassen seine spätere Wirksamkeit zu
sichern^). Die Schlussworte in dem einen Segen des XVI. Jahr-
hunderts „custüdiat fainulnm tuum Kuentz“ (wenige Zeilen später
nach Angabe der Verwendung noch einmal aufgenommen mit „hoc.
sit auxilium dei famulum (o) tunm (o) Kuentz“) zeigen deutlich
den Versuch, den bindenden Parallelismus herzustellen. „So wie
der Brief damals schützte, so soll er jetzt mich den Kuntz
schützen“. Was nun die voraufge.schickte Erzählung selbst be-
trifft, so hat Bolte sich der Mühe unterzogen, sämtliche Schutz-
briefe, in denen Graf Philipp von Flandern auftritt, zusaminen-
zustellen (a, a. (). S. 437 Anm.); freilich ist es unmöglich, heraus-
zubekommen, welcher von den ge.schichtlich bekannten Trägern
dieses Namens etwa gemeint .sein könnte. Bedeutsamer erscheint
es mir, dass die Wirkung des Briefes zum ersten Male an einem
Verbrecher erkannt wird. Auch der bereits früher erwähnte
Kolumbansegen (a. a. O. S. 43(i) berichtet: „do versuochten sie es
an einen ubersagten (überwiesenen Verbrecher), den mochten sie
mit keinerlei marter leidt getan an dem leben“. Man sieht, hier
handelt es .sich nicht um eine zufällige Entdeckung, sondern um
eine absichtliche Probe auf die Wirkung an einem Menschen, der
sein Leben .sowieso schon verwiikt hatte. Die Verbindungen
zwi.schen dem Gi'afenbrief und dem Kolumbansegen sind aber
wahrscbeinlicli noch viel enger. Man vergleiche nur den Text bei
Lo.sch (a. a. O. Nr. 30t))*):
') K. .U. B (Kaap.ir, Meli-liinr, Balt.lia.sftr) siiiil z. )t. , vermnllich niii ilcr
Iireizahl willen, mirliwei.sliili schon fiUh im ZauberseRPn eebraiiclit worden ; noch
heute hält wohl die crosse Masse die drei Zeichen Uber der Tür Hlr einen
Schützenden Zauber. Belege filr den gcrinanischeii Hraneh s. hei K. Meyer:
,l*er Aberglaube det Jlittelalters“ S. 2.i7 f. ; fiir Ka.s|ur iisw. bei Losch a. a. 0.
■Nr. III, l.'rt, :19.H n. a.
*) Wie fest dieser Brauch wurzelt, zeigen noch heute die Reklamezettel,
worin die Fl.aachehen des .Ternsalcmerhalsains und ähnliche von Hausierern ver-
triebene .MIhcilniittel geliOllt sind. Indern sie mit dem Volksgeschmack rechnen,
erzälilen sic meistens anfangs eine alte lieschichto von der Entdeckung oiler
ersten Verwendung des Arkamims.
.aus dem , wahren, geistlichen Schild, so vor iUK) .Jahren von dem heiligen
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53
„ln dem Lande Ybeiien war ein Küniy, der hatte einen
S(din mit Namen Collonmnus, führte ein heiliges Leben ... es be-
gab sich aber, dass der König, sein Vater, in fremde Lande in
einen Streit ziehen mus.ste, bat er seinen Sohn Collomanum, dass
er ihm seinen Segen gebe, damit er beliütet würde vor allen
seinen Feinden und vor alle dem, was ihm schaden möchte. Also bat
der heiligs Collomanns Gott den Allmächtigen, dass er ihm offen-
baren mochte, wie er seinen Vater segnen sollte, dass er behütet
würde. Gott erhörte .sein Gebet und sandte Collomano einen
Hrief vom Himmel; denselben solle er seinem Vater geben, da-
mit er werde behütet vor usw. Weil aber diesem Briefe anfäng-
lich wenig Glauben beigemessen wurde, da.ss er ,so gros.se Ki'aft
habe, wurde dem König geraten, er solle den Brief an einem
verurteilten Menschen probieren lassen, welches auch der König
zu tun befahl. Dem Verurteilten wurde solches angedeutet und
ermahnt, das Gebet mit .\ndacht zu verrichten, welches alles ge-
schähe. Als ihm nun der Züchtiger das Haujit abschlagen
wollte, koiuit er ihn nicht verwu nden oder verschneiden“.
Der l'beltäter besteht dann „mit dem Briefe“ auch die Probe im
Feuer und im Wasser, gegen Gift, Büchsen uml Pfeile und scharfe
Watten. „Als nun dieses der König samt vielen anderen mit Ver-
wimderung gesehen, Hess der König den Brief mit seinem
Namen abschreiben und ein jeglicher besonders mit seinem
Namen, .sie behielten den Brief in gros.sen Ehren und zogen dahin
in den Streit und überwanden alle ihre Feinde. Daher soll sich
jeder Christ betteissen, dass er diesen Brief bei sich trage und
das Gebet mit .Andacht verrichte, so wird er von aller Gefahr er-
ledigt werden, ln welchem Hau.se dieser Brief sorgfältig auf-
bewahrt wird, schlügt kein wildes Feuer ein, auch wird dem.selben
kein grosses Unglück widerfahren“. Darauf folgt ev. Joh. I, 1 bis
14, Segen Nr. 357 und 358 aus dem Bomanushüchlein, die sieben
W^orte Christi am Kreuz, und ein halb deut.sches halb lateinisches
Gebet, das in manchen Bestandteilen an die beiden obenerwähnten
Segen aus dem Beginne des XV’I. ,Iahrhunderts erinnert. Die.ser
Brief ist in einer Sammlung enthalten, die sich den Anschein gibt.
Pabst IjCO X. bestätigt worden, wider alle gefährliche biise Menschen sowohl, als aller
Hexerei und Teiifelswerk cnfgcgengeselzt. cnni licenlia Mrp. Ceus. ibid. An.
1747 im Press. Erie, bei Jakob Keim“ (ein Auszug aus dem RoioauusbUcbleiuJ.
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iiiti- von (k-r Kinin* Sanktioniertes zu entlialten ') (vgl. oben die
Vexierübersclirift!); so ist denn aueli die Krzäldnng auf den
Legendenton abgestiniint, und der „Itrief'' enthält einen „Segeir,
ein „Gebet“. Trotzdem wäre es sieher l'alseli, etwa anzunehinen,
dass der Grafenbrief älter ist und die Grundlage für die Kolum-
banlegendc gab. Denn diese ist gewiss das Ursprüngliche; der
rätselhafte Anfang mehrerer Grafenbriefe „dem w(dlte er für
seinen Vater das Haupt absehlagen lassen“ (vgl. S. 4it) scheint
ja sogar noch einen rudimentären Bestandteil der früheren Legende
zu enthalten*).
Wenn aber die Probe an einem, der hingerichtet werden soll,
den Mittelimnkt der Erzählung bildet, so .scheint damit auch eine
Verbindung zu den berühmten „Passaner zeddeln“ gefunden zu sein,
die vom Henker verkauft wurden. Es waren (nach Zedlers Uni-
versallexikon 1740 s. V.) „papierne Zettel in Talersgrösse, mit
wunderlichen (’harakteren und unbekannten ^\’orten bezeichnet“,
die sowohl Menschen als Tiere fest machten, „dass sie nicht
können beschädigt werden“. Sie wurden während des dreissig-
jährigen Krieges von den Siddaten massenhaft gekauft und als
Amulet getragen und bewirkten, dass „diese gottlosen Teufels-
diener weder von Kapier noch Degen wund gemacht werden und
die Musqiietenkugcln in die Ermel empfahen und mit den Händen
auffangen könnten“ (aus Anhoiii l>ei .Meyer a. a. (). S. 277). Auch
hier treten wieder jene „Uharaktere und Worte“ auf, denen an-
fangs möglicherweise ein Sinn zugrunde lag, die aber jetzt in den
korrumpierten Texten jeder Erklärung s])otten '’).
Da „Feste“ nicht bluten können, mag der Brief alsbald auch
') „Uer geistliche Scliihl“ wurde Übrigens, wie in einem Artikel „Vom
Aberglauben“ in der „Killnischen Volkszeitung“ (8. Januar 1907) berichtet
wurde, noch von den Chinakriegern hei einem Messlmdcnbesitzer erstanden!
•) Der hier gemeinte Kolumban (in Stadlers „Heiligenlexikon“ Nr. 7) war
Bischof in Irland (s. o. Yberien-Ilibcrnia). üb in irgendeiner Weise damit zu-
sammenhäugt , dass einzelne Scliutzhrief'e sich als „Brief ans Britannien“ be-
zeichnen. lasse ich dahingestellt.
*) Nr. 4 nennt einmal ftlnf Buehstabon „das sind die fünf Wunden Christi“;
diese .spielen auch sonst in Waffen und Diehssegen eine grosse Rolle (Losch a.
n. 0. Nr. 22, 2(>, 107, llfi, 159, 214 und Anzeiger für Kunde der deutseheu
Vorzeit a. a. O. ,S. 47;; eine iilinlh iic Bedeutung haben die sieben Worte Christi
am Kreuze. Die Namen werden einmal { Anzeiger nsw. a. a. 0.) ilie „IXXVlj
.Namen Christi* genannt; doch bleibt alles verworren und unklar.
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ein Mittfl gej?pii starkes Bluten geworden sein, und schliesslieli
verwendete man ihn, wie die meisten anderen Segen, als allgemeinen
Sehutz in jeder Not und Gefahr. Bezeichnend i.st ülirigens, dass
er unter den „Kunden“ der Kandstrasse stark \;prhreitet war und
wohl noch ist. Meier (a. a. O. 526) berichtet, dass „rei.sendc
Handwerkshnrschen den Brief bei sich tragen“, bei Jahn .steht
über einem Briefe „ge.sandt ans Holstein durch einen Gesellen“;
ans dem Gedankenkrei.se der wandernden Handwerksburschen
stammt wohl aucli die wiederholt erwähnte Verwendung des
Briefes (Meier a. a, ()., Berliner Zeitschr. f. V. a. a. O. 438), um
„des Herren oder der Frau Gunst zu verschaffen“; und wenn in
den Briefen nicht selten an erster Stelle ihre Verwendung „vor
Rat“, „vor Gericht“ betont wird, so ist damit nicht nur eine enge
Verbindung mit der voraufgehenden Erzählung geschaffen, sondern
es mag auch den „Kunden“ ganz erwünscht gewesen sein, gegen
die man, da sie zur Landplage geworden waren, seit dem sech-
zehnten Jahrhundert eneigi.sch vorging.
Nun setzt in den zwei in Gruppe 8 vereinten Briefen un-
mittelbar hinter den magi.schen Worten des Araulets, die mit
„Maria-Jü.sepdi“ cliristlich ansklingen, eine Legende von Kaiser
Karl ein. Sie lautet in beiden Exemplaren fast wörtlich über-
einstimmend:
„Die.ses kräftige und für alle (Menschen) heilsame Gebet
wurde im Jahre 1805 auf dem Grabe unseres Herrn Jesu (unseres
Heilandes) gefunden. Als Kaiser Karl zu Felde zog (ging), erhielt
er es von Parti in Frankreich (vom Papst aus Frankreich) nach-
ge.schickt, der es (dass er e.s) sogleieh auf seinem Schilde mit
goldenen Buchstaben anfdrücken lie.ss. Wer dieses Gebet täglich
betet oder täglich beten (le.sen) hört und damit das Vaterunser
und Jesu Leiden verbindet, wird keines nnnatürliclien (natürlichen!)
'J’odes sterben, auch nicht durch Gift nmkommen. Eine Frau in
Kinde.snöten wird leicht entl)unden werden, und wenn der .Mann
das neugeborene Kind der Mutter zur (an die) rechten Seite legt,
auch (so) wird es vom Unglück befreit sein. ,\ucli wird, wer
dieses Gebet bei sich trägt, von keiner Krankheit angefochten
werden (dieser Satz fehlt in X). Wer die.ses Gebet von Haus zu
Hanse trägt, wird ge.segnet werden, der es aber verspottet, wird
ewig verflucht werden. ,4nch wird das Hans, worin es sich be-
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limlet, nicht vom rnfjcwitter getrottVu werden; und zuletzt, wer
dieses Gebet betet oder beten hört, der wird drei Tafte vor seinem
Ende ein Zeichen vom Himmel sehen“.
Ähnlich beftinnt die flinleitung des Kolumbansegens (Losch
a. a. O. S. 240). ,Das ist eine Abschrift, so der Pabst Leo dem
Karolo, seinem Bruder, gesendet; auch hat diesen Brief der
würdige Abt Coloniannus seinem Vater, dem Könige von Yberien,
gesendet. Und wer diesen Brief bei sich trägt, er wird behütet
usw. . . .“ — Dass dieser Ge.schichte jede innere Verbindung mit
dem Graf-Philippbriefe fehlt, ist unbestreitbar. Es ist eine jener
Erzählungen, die ähnlich, wie gewisse Strophen der Volkslieder,
wandernd bald da bald dort ,.anfliegeir‘. In anderen Texten der
Schutzbriefe (z. B. Gartenlaube 1871 S. 87) leitet sie den Himmels-
brief ein, der dann, ohne die Geschichte der Auffindung iwie in
Gruppe 3), eimsetzt mit „wenn ihr euch hütet vor usw.“. Dann
taucht sic wieder als Vorwort zu einem „Gebete zum heiligen
Kreuze“ auf. Dies erschien z. B. vor einigen Jahren bei W. Witke
in Leobschütz im Druck und wurde trotz energischer .Abmahnung
der Geistlichkeit massenhaft gekauft. Im Texte lautete hier
einiges anders; „ . . . im Jahre 1505 gefunden . . . erhielt er es
vom Papst zum (Jeschenk und schickte es nach St. .Michel in
Frankreich , wo es auf einem Schilde mit goldenen Buchstaben
wunderschön ausgedruckt zu lesen ist“. Der Name des Papstes
pa.sst sowohl zu Karl V. als Karl dem Grossen; für jenen spricht
die Jahreszahl 1505, für diesen die enge Beziehung zu dem
Papste; doch bleibt auch hier alles unklar und kann höchstens
durch eine gelegentliche Entdeckung vielleicht erklärt werden.
I>or Hiniiiiolsbrief.
Nach Nr, 0.
Hatis- und Schutz.segen.
Im Namen (Jottes des Vaters, des Sohnes und des heiligen (leistes!
So wie (.Miristus am ölberge Stillstand, soll vor dem-
selben, der diesen Brief geschrieben bei sich trägt, alles
(jeschütz still stehen*).
') So wie Chi'istii« im Ülgarten still staiui, .so sollen alle OeschiUze still
stehen (2, 1, 8),
wer das ({eschriebene ini wahren V'ertraneii auf mich, euren Erlöser, der
für euch als ein Scbuldoi'fcr geblutet hat. bei sieh tragt, den wird nicht treffen
des Feindes Ueschoss (2).
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Deiiisclben wird nichts schaden des Feindes Geschütz noch
Waffen; diesen wird Gott beschützen, er darf sich nicht fürchten
vor Dieben und Mördern. Es soll ihm nicht schaden Geschütz,
Degen, Pistole. Alle Gewehre müssen still stehen, sichtbare
nnd unsichtbare, sowie man auf mich anschliigt (loa hält) '). durch
den Befehl des heiligen Gei.stes*).
(Jott mit mir!
Wer die.sen Segen*) gegen die Feinde bei sich trägt, wird*)
beschützt bleiben. Wer diesen Brief nicht glaidien will*», hänge
ilin einem Hunde an und schies.se nach ilnn, wird er dann er-
faliren. ob es Wahrheit sei, so diesen Brief bei sicli trägt, wird
nicht gefangen noch von des Feindes Waffen verletzt. .\men.
Wie wahr es ist, dass Christus gi'storben nnd gen Himmel
gefahren ist, wie wahr es ist, da.ss er auf Erden gewandelt ist*),
kann ich nicht gestochen, geschossen noch an meinem Leibe ver-
letzt werden, weder an Fleisch noch Bein’). Ich beschwöre
alle Gewehre und Waft'en dieser Welt beim lebendigen Gott")
des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes.
Ich bitt im Namen .Jesu Christi Blut.
Dass keine Kugel mich treffen tut.
Sie .sei von Gold, Silber oder Blei,
(iott im Himmel, half mich von allem frei !
Im Namen Gottes des Vatei-s, des Sohnes und des heiligen
Gei.stes !
Dieser Brief ist durch den Engel Michael®) gesandt,
') wenn sie auf den Wehren und gerichtet sind (2).
’) durch den Tod Jesu Christi, es luilsseu st. st. a. (i. durch den Befehl des
Erzengels Michael (7, 1),
durch den Befehl des Engels Michael (4 und 3).
*) Brief nnd Segen bei dem Feinde bei (.3).
•) vor der feindlichen Kugel (7, t).
") nicht glaubt, der wäre besser, dass ein Mllhlsteiu an den Hals gehängt
und er ersäuft wird im tiefen Meere (2)'
•) so wahr er gestossen und gestochen ward (3).
’) werden, Fleisch und Bein soll mir unbeschädigt bleiben (4l.
im Namen des (4 n. a.j.
•) Himmelsbrief, wird genannt (iradoria, welcher mit gilldenen Buch-
staben geschrieben und zn sehen ist in der Michaeliskirche zu .31. liermain,
allwo der Brief über der Taufe schwebt; wer ihn angreifen will, vor dem weichet
er. Wer ihn al>er abschreiben will , zu dem neigt er sich und tut sich selbst
auf (9; wörtlich gleich (iillhoff .Bilder aus dem Üorfleheu“ 2}.
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5R
anno MIA in Holstein gcl'ninlen wimlcn, es (or) war mit froldencn
Hnrhstaln'ii ilaranf gescliriplK'ii Hodrscna ! Er scliwobtp iil>pr dci‘
Taufe'). Wer ilm greifen wollte, vor dein wich er zurück, bis
anno 17!t2 jemand mit dem Einfalle .'iich niiherte, ihn abzu-
.schreiben und der Welt mitzuteilen, zu die.sem niiherte ersieh*).
Ferner*) stand darauf: Wer am Sonntage arbeitet, ist von
mir veidainmt *). Ihr sollt nicht sein wie die unvernünftigen Tiere,
ihr sollt an diesem Tage keine Arbeit verrichten, .sondein viel-
mehr tleissig in die Kirche gehen*). Ich gebiete, sechs Tage in
der Woche zu arbeiten®); jederinann, er sei jung oder alt, soll
seine Sünden abbitten, dass sie ibiii vergeben werden. Schwüret
nicht hastig bei meinem Namen! Begehret nicht Gold nocli
Silber'), Scheut euch vor bösen Men.schen, vor böser Lust und
Begierde*). Seid nicht falsch! Ehret Vater und Mutter! Redet
*) zur Wand über der Taufe (3), zu wamleln über der l’aufe (1), zu Mtigo-
dina Uber der Taufe (2); iii (toldsteiii — sebwebte über der Taufe Magdalt-ue»
|7. 1) gesebrieben und schwebte Uber der Taufe (ö, 4).
’) neigte er sich berab (nieder) (4, 3, 1).
•) fUrwabr e,s steht darin geschrieben . . . (3).
*) und ich werde eucli slrafeu. Ich werde einen König aufsetzen wider
den andern, eine Stadt wider die andere; alsdann werde ich meine Hand von
euch wegzieben. Wegen eurer Ungerechtigkeit werde ich zweischuei<iige .Schwerter
ergreifen, euch zu vertilgcu, ich werde mit Donuer und Blitz auf die Erde
hcrabfahreu, damit ihr erkennt meinen Zorn und meine göttliche üerechtigkeit,
weil ihr des Sonntags arbeitet. Aus v.dterlicher Liebe habe ich mich ver-
söhnet, sonst wäret ihr längst wegen eurer Ungerechtigkeit verdammt worden.
Ich befehle sowohl jung als alt, dass ihr fleissig in die Kirche gehet und eure
Sünden bekennet. Bei der Taufe müsst ihr vor der Taufe und nach der Taufe
nicht von eurem Nächsten beleidigt werden (?). Hütet euch vor Unterdrückung
der Armen, somlein helft den Dürftigen. Wer dieses nicht glaubet . . . (7b).
‘) und von eurem Reichtum sollt ihr den Armen mitteilen (geben) (1, 3);
denn cs ist anvertrautes Gut (2) — und mit Andacht beten, eure Haare
nicht kräuseln, nicht Hoffahrt in der Welt treiben und von eurem Reichtum
den Armen mitteilen (3).
*) und den siebenten Tag sollt ihr Gottesdienste hören. Tut ihr es nicht,
so will ich euch strafen mit Pestilenz, Krieg und teuren (traurigen) Zeiten
(I, 2, 4'; ich gebiete euch, dass ihr des .Sonnabends nicht zu spat arbeitet,
des Sonntags früh mit jedermann, jung und alt, andächtig in der Kirche für
eure Sünden betet, damit sie euch vergeben werden (1, 2, 3).
’) schwöret nicht (boshaft ?) bei meinem Namen um Gold oder Silber (1).
*) denn so bald (so wahr) ich euch geschaffen habe, so bald (so wahr)
kann ich euch wieder zernichten (3, 1). Einer soll den andern nicht töten mit
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nicht ralschcs Zcufrnis wider euren Xäelisten' Diinn gebe icli Ge-
sumlheit und Frieden.
Wer aber diesen Brief nicht glanl)t und nicht darnach tut,
ist von mir verdammt, er wird weder Glück noch Segen hal>en.
Ich sage, dass .lesus diesen Brief geschrieben Iiat; wer
widei-spriclit , der ist verlassen und soll keine Hülfe haben. Wer
diesen Brief hat und nicht offenbart, der ist von der christlichen
Kirche verflucht und von meiner Andacht verlassen. Ks soll
diesen Brief immer einer den anderen abschreiben lassen. Wenn
sie soviel Sünden getan als Sand am Meere, fiaiib am Batime und
Sterne am Himmel sind, so scdlen sie alle vergeben werden.
Glaubet gewiss, dass ich der Herr bin, und wer nicht glaubt, der
•soll .sterben und seine Kinder mit ihm einen ladin empfangen').
Wenn ihr euch nicht bekehret, so werdet ihr*} jiimmerlich zer-
.scliossen und werdet auch am jüngsten Tage Strafe erleiden")').
Im Namen Je.su ('hri.sti Amen!
Der „Himmelsbrief'“ ist als selbständige kleine Schrift
bereits seit geraumer Zeit anerkannt. 1901 hielt I)r. Karal»ecek
in der Sitzung der philosophisch-historischen Klasse der Kaiser-
lichen .Akademie der Wissenschaften zu Wien vom 0. November
einen Vortrag darüber und wies darauf hin, dass der Privatdozent
der orientalischen Philologie Dr, M. Bittiier den Brief in armenischen
Texten aus dem Ende des ersten nachchri.stlichen Jahrhunderts ent-
deckt hatte. Er ist nach .seinen .Angaben auf mohammedanischem
Boden unter kopti.schen Chri.sten entstanden, hat im Orient, wie die
verschiedenen sprachigen Kedaktionen bewei.sen, in hohem Ansehen
gestanden und S(dl heute noch zu den Kirchenbüchern der neii-
.syrischen Chri.sten zählen. Leider war es mir bi.slier unmöglich, diese
seiner Zunge, imil soDt nicht falsch gegen euren Nächsten hinter dem Kücken
sein Freuet euch eurer Güter und eures Reichtums nicht. Ehret . . . (9).
') eines jämmerlichen fhösen) Todes sterben (1).
*) gleich bestraft oder ich werde euch am jüngsten (terichte strafen, so
ihr keine .Antwort geben könnt, ein jeglicher Uber seine Sünden (4 ähul. 1 n. 9).
•) wer diesen Brief im Hause bat, der wild eine liebliche Frucht zur
Well bringen . . . (4j, zu Hanse hat oder bei ihm trägt, dem wird kein Donner-
wetter (Donner oder Blitz) schaden, und er soll vor Feuer und Wasser behütet
werden. Welche Frau den Brief bei sich trägt und sich darnach richtet,
die wird eine liebliche Frucht . . . ^9, ähnlich 1, 2).
•) Haltet meine (iebote, welche ich euch durch meinen Engel Michael
gc.sandt habe. Durch .lesum t'hristiim. .Amen. (4, 9, 1, 2.)
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Texte zu eiliiilteii; docli kann ieli iini so elier (laraiif verzieliten,
weil Bittner bereits sieli damit bescliäfti«:t, die wundersamen
Wanderiing’en des Briefes zu verfolg'en. Eine alte lateinisclie
Version des Hiininelsbriefes hat I)r. J. Klapper mir aus seiner
reichen .Sammlung zur Verfüfrung gestellt. (Univ. bibl. codex
mannser. 1. Q. 143 (J''), Vorsatzblatt; vor 147d; das Papier war
in der Mitte liings und vierfach quer gebrochen (s. o. S. 46). Hier
lautet die Einleitung: epistula ardua ad praccepta Christi, haec
est epistula domini nostri Jesu Christi, quae de caelis super altare
sancti Petri descendens in Jerusalem incripta marmoreis tabulis,
et linnen de ea nt fulgor erat. Angelus autem domini eam tenebat
in manibus et omnis poinilus, cum videbat eam, prae timore ceci-
dit in facies siias et clamavit dicens Kyrie eleison, epistola autem
domini sic dicebat: . . . und nun beginnt die Ermahnung, ut diem
sanctum domiiiicum custodiatis! Im wesentlichen stimmt der Text
mit unseren überein; manche unklaren Stellen in die.sen erhalten
bei der Vergleichung alsbald einen richtigen Sinn, z. B. „ich geliiete
euch, dass ihr des Sonnabends nicht zu spät arbeitet“ (oben S. 58 Anni. 6)
heisst hier „custodieritis diem sanctum dominicum ab hora nona
sabbati u.sque in diem lunae (später noch einmal ab hora nona
•sabbati usque in diem Imme lucente caelo clara luce) und die
rätselhafte Stelle „bei der Taufe müsst ihr vor der Taufe und nach
der Taufe nicht von euerm Nächsten beleidigt werden“ (oben S. 58
Anm. 4) ist wahr.scheinlich eine entsetzliche Entstellung von „si
(|uis habuerit aliquam iracundiam cum aliquo homine et accesserit
coriuis Christi accipiendum, anatema sit! Eine genauere Ver-
gleichung mu.'-s einer .späteren Arbeit Vorbehalten bleiben ').
Für unsere Zwecke genügt es, folgendes hervorzuheben: Was
wir hier vor uns haben, ist ursprünglich sicher kein Watfensegen
gewesen; man könnte es etwa eine „christliche Haustafel“ nennen,
') Eine hier nicht vurhamiene, rÄtsellmfte Stolle unserer Briefe (iinlet sich
ilentliclior in I>r. Klappers Anl'zcichuuu^eii aus einem Uebetbuclie vuii 1404
(eod. nmimacrip. I. D. 7, 79 r Vüiblatt) ... in Jerusalem in der Kapelle der
Junefrau Maria, de Christus darinuc gegeiselt wart. Bonifaeius der sechte
[’ahst durch willen des Königes von Frankenreicli hat daran gegeben XIII tausend
iare nblas, dy es sprechent, wen man gotles leichnam erhebet oder wen man
wandelt off dem altar . . . Daraus ergibt sich, dass für die wunderlichen
Lesarten (oben S. »B .4nm 1) unsere Konjektur (M n. a. 0.) .wiihrend der Wand-
lung auf dem Altar“ richtig war.
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dazu bpstimmt, als „Haiisspgen“ iiii Hause auffyeliiinnft und fleissip
gelesen zu werden. Lelirer Mieliael selirieb mir. da.ss dieser Brief
in Mecklenburgs Dürfern fast in Jedem Hau.se bängt; Johannes
Gillbotf (Bilder aus dem Dortleben Nr. 2) berichtet gelegentlich,
da.ss ein „Himmelsbrief'“ sieh „bei kleinen Leuten in Dörfern und
Städten im Rahmen an der Wand oder zusaniinengelegt in der
Lade unter dem Ge.sangbuche findet“. Für eine weite Verbreitung
ist ja in dem Briefe selbst gesorgt durch die energischen, mit
Drohungen verbundenen Befehle, ihn „abschreiben zu la.ssen — zu
olfenbareu — immer weiter zu geben — von Haus zu Haus zu
tragen“. So ist er denn auch im Druck erschienen und zwar bei
— Gustav Kühn in Neurupi)inB!
Ursprünglich sind Ja alle diese Dinge als religiöse Ermahnung
und göttlicher Segen gedacht. Auch unsere Briefe heben trotz
mancher Wunderlichkeiten hervor, dass der verheissene Segen nur
dann eintritt, wenn man „daran glaubt — sich bekehrt — diese
Gebote hält — sieh darnach richtet“. In der Volksanschauung
aber wird diese Bedeutung, wie meistens, .schnell veräus.serlicht;
ihm genügt es, da.ss man „den Brief im Hause hat“, um vor
„Donnerwetter, Feuer und Wasser“ behütet zu werden; es genügt,
da.ss man „ihn bei sich trägt“, um vor allem Schaden gefeit zu
sein*). Der „Himmelsbrief“ wird so zum „Haus- und Schutzbrief“,
und in letzter Eigeu.schaft sichert er denn auch seinen Besitzer
„gegen alle tödlichen Gewehre und Kugeln im Kriege“. Um
diese Verwendung zu betonen, sind dann wohl Jene Stellen
einge.schoben worden, die sich ausdrücklich auf Kriegsgefahren
beziehen; und hier war nun auch der Punkt gegelien, an den andere
') Im Mai 1867, als «las fieriiclit ging, Mannschaften sollten znni Franzosen-
krieg eingezogen werilen, kanflen die jungen linrsrhen den als Manuskript
ge«liui kten Brief bei G. Kühn. (K. Bartsch n. a. 0. II 341.) Er war mit einem
llolzsrliiiilte versehen, der .lesiis mit der .striihlenkrone, auf Wolken schwebeml
nnil nneh oben weisend, darstellte. Gillhofl' beschreibt ihn folgenderiimssen :
„oben ein Ureieek, darin ein Auge; «Inrllber ein Engel mit knallrotem Kleidit
lind blauer Schärpe, in der Linken trug er einen grtlnen Palmenzweig, in «1er
rechten eine gelbe Posanne“. Beiile berichten, dass der billige Druck mit einem
halben Taler bezahlt wurde!
•) So liugen die Jinlen Zettel mit Stellen des mosaischen Gesetzes, die
t'hristen die Anfangsworte des .lohannesevangelinms als Aiimlet hei sich (M«;yer
a, a. O S. 2Ö8, Mitt. IV 891. Bei den Miihamedaiiern tuen Koranspritcho die-
selben Dienste
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WattViiscfren, wie (Ut Graf-Pliilipp-hrief und der Tlaimspnieh, sicli
ankrystallisieren konnten.
Der Bunns]irueli.
Aneil dieser einleitende Teil ist offenbar nielit einlieitlieli:
unsere Texte machen durch das bekräftijreride jAmeu'* einen deut-
lichen Absatz hinter der Schlussiirobe; und in der Tat wird darauf
auch ein anderer Ton angeschlajten : es foljjrt eine Jener ziemlich
farblosen Besch wörun(j:en, welche, wie viele andere, die wirkende
Kraft durch die , Wahrheit“ einer Bibelstelle oder eines (ilaubens-
artikels begründen wollen unil schliesslich in frereimten Versen
aiiskliiifren. Ks ist eben die bekannte Erscheinunp: aus der zweiten,
christlichen Epoche der Senensschöpfun}r'), dass verschie-
denes in einem Sefjen vereint wird und Anrufiiufren Gottes, Christi
oder Mariä sowie allerlei anfrehänp:te Gebete die alten Formeln
allmählich um.schlingen und fast ver.schwinden la.ssen. .Aber die
Einleitungsformel unseres Briefes ist trotz allem noch leidlich
erhalten, sie gehört offenbar unter jene Formeln, von denen tlriuim
(11, 1042) sagt, dass sie .sicher .nicht in der christlichen Zeit
ent.s]irangen, wohl aber unter dem Volke, das nur heilige Xamen
einschaltete, törtdauern konnten“. Soll man es wagen, die heidni-
.schen Worte, die uns den Sinn un.serer Formel erschlie.s.sen könnten,
zu raten? .ledentälls lockt es. mit aller V'orsicht einen Versuch
zu machen. Irgendwelche Verbindung mit dem weitverbreiteten
..lordansegen“ (Eberniann a. O. S. 24 ff.) muss zunächst bei aller
scheinbaren .Vhnlichkeit abgewiesen werden; denn dort handelt es
sich um das Stillstehen des rinnenden Blutes, wozu der bindende
Parallelismus des stillstehenden Wa.s.sers bei Christi Taufe im
Jordan genau stimmt. Ein solche sorgfältige ('bereinstimmung
fehlt in unserem Spruch; wollten wir sie kon.struiercn, so niü.sste
er lauten: Ghristus im ülgarten alle Wallen still-
.standen, so .sollen vor mir alle Waffen Stillstehen“. Ist dies
vielleicht wirklich die alte Form des Sju-uches gewesen, die nur
durch .schlechte ('berlieferung verloren ging? Ich vermag sic nicht
naclizuwei.sen; doch tinde ich unter den vielen Sprüchen eines
„rechten und wahrhaften Tobia.s.segens-, der in meinem Besitze
i.st und viele .Anklänge an die .Anpreisungen unserer Wartensegen
’) Oskar Eberinanii, „Blut- mul Wiiml.scj'en in ihrer Eiitwickeliiii^“
- Palnesfra. XXV), Zeitselir. d. V. f. V'. Berlin V', 4 f.
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enfliiilt, folgenden Ab.satz (reclits iiiiteii neben dein Stamm des
diircli die ,Zeielien* geliildeten Kreuzes"!:
, Jesus ('hristus ging in den Saal, da fingen seine Feinde an
zn schweigen und ihr (iewehr und Waffen stille stehen'),
als das Wasser in den Fluss Jordan gestanden ist, als Johannes
der Jüngere Jesnm Christum, den wahren und lebendigen Solin
(iottes getauft hat. Aineir.
Der Tobiassegen ist, wie schon sein Name besagt, ein echter
Keisesegen; um gegen alle (iefahren, die den Wanderer bedrohen
können, zu schützen, sind in ilim Tlruchstücke aus allen möglichen
Segen vereint und oline rechten Zusammenhang nebeneinander
gestellt. Di'shalb liegt die Vermntnng vielleicht nicht allzu fern,
dass auch au obiger Stelle zwei Segen koniiiiliert sind: ein Waffen-
uml ein Blutsegen; der gleiche Ausdruck .stille stehen“ mag dazu
verleitet haben. Ist dies richtig, so hatten wir im ersten Teile
wirklich ein Stillstehen der Watten vor Christus und damit die
Möglichkeit, dass ein derartiger S]>rucli wirklicti bestanden hat.
Sollte etwa Christus hier für Balder stehen, den nach dem Mythus
keine Watte verwunden konnte, weil alle (iewächse durch seine
Mutter liesproclieti waren? Die enge Verinndung des germanischen
tlottes mit Cliristus ist ja laugst tiekannt, und Bugge, der die
Fntstehung der Pialdermytlien umgekelirt ans Zügen von ('hristus,
I>onginus und Lncifer zu erklären versucht*), vermag sie doch
nicht in ihrem vollen Fmfange daraus lierzuleiten; obiger Zug
z. B. fehlt ganz. — Doch das ist, wie gesagt, mehr Dichtung als
Wahrheit, Vermutung, nicht Behauptung, nt in licentia vetustatis,
wie Tacitus sagt!
') Vermntlich .\nlelinmig an .toh.mn, Ev. XVIII, ß: ,ila wichen sic zurück
lind fielen zu Boden* in legendcnliafler Weiterbildung. — Sonst ziehen Waffen-
•spgen gern eine andere Hihelstelle zur liekriiftigiing heran .Christus tran.siens
jicr inedios illos ibat in pace* (z, li. bei Losch a. a. 0, S. 2,V2 Nr. .SS:!; S. 247
Nr.
’) Studien über die. Entstehung der nordischen Götter- lind neldensageii.
Iicnt.sch von O. llreiiner, München 1889. — t.'lier die .\rt, wie germanische Mythen
und r.liristliehc rs'genden sich beeiiilliisst haben, herrscht jedenfalls noch keine
rechte Klarheit.
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Oiupi)(> 4. Klier IX.
Der Briet zu Britanien, zu liescliützen alle föillielien Gewehre.
Kugel ini Kriege, für Feuer und W'a.'^ser.
Auf der Brust zu tragen.
Der Segen.
Im Namen de.s Vater.s, des Sohnes und des heiligen Geistes.
leh, Gott, schenke die.sen Brief an den Lehrern der Piiicste
mit der heiligsten Versicherung, dciKselben genau ans Herz zu
legen. Er hat solche Kraft, dass er .schützet wider seinen Feinden.
Derselbe bedarf 20 Tage Abla.s.s, so kann ihm nichts widerfahren,
weder Feuer, noch Wa.sser, noch Zauberei, Wenn eine schwangere
Frau nicht gebären kann, so soll sie die.sen Brief zu sich nehmen,
denselben durchleseii und nach dem .siuechen; Der christlichen
Dreieinigkeit, das Vaterunser und dreimal ave Maria beten, so
wird sie gebären. Wer die.sen Brief bei sich trägt, der wird
siegen gegen seine Feinde. Er bezeichnet sich mit dem heilgen
t Kreuze unseres Herrn Jesu Christi. Das f Christi erhalte und
bewahre mich durch Jesum Christum und durch .seine vielen au.s-
gestandenen Leiden, Marter und I’cin, und durcli dein rosenfarbiges
Blut, welches du vergossen ha.st zur Erlösung der Seelen. Be-
wahre uns wider der giftigen Luft und gegen die unsichtbaren
Feinde, damit sie nicht schaden können, durch Jesum Christum
unseren Herrn. Amen. Amen, .4men.
In Jesu Namen ist dieser Brief geschrieben und mit
dem Bilde des heiligen Kreuzes durch den Engel Michael
an den Papst gesandt; derselbe hat diesen Brief dem Papste
laut vorgelesen, so da.ss alle umherstehenden Engel und Kardinäle
es gehört haben:
Jeder, der das Gute übt, s<dl im Himmel mit goldenen Buch-
.staben verzeichnet werden. Ich, .lesus Christus, welcher in
sich mit der Dreieinigkeit Gottes vereint ist, befehle euch denn,
dass ihr die Feiertage heiliget und feiert und nicht einen
irdischen Gewinn sucht; denn ich habe geboten, dass ihr nur
6 Tage in der Woche arbeiten sollt und den siebenten Tag für
mich zu behalten. Ich, Jesus Christus, der ich von der Jung-
frau .Maria geboren bin, tue euch kund, da.ss ich diesen Brief
aus meiner mir gegebenen göttlichen Kraft geschrieben habe,
damit ihr euch hütet vor der Sünde und an den Festtagen in
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Oottpsfurclit betet — sonst werde ich eueli strafen mit Feuer,
Pest und Hunger. Ich werde einen Krieg: über den anderen, ein
Heer iU>er das andere schicken, das Kind wird sicli fregen den
Vater, der Bruder wider der Schwester empören, wenn ilir die
(Jebote des höchsten Scliöpfers der Welt nicht beachtet.
Wer diesen Brief bei sich trägt, der wird keinen schreck-
lichen Tod erleiden, er wird selig in G<»ttes Hände sterben. Kr
wird auch keinen weltlichen Schaden erleiden; kein Mörder, noch
Dieb, noch feindliche üescliütze, noch Degen, noch Pistole, noch
Picke, noch Muskete, werden ihm etwas antun können.
In Jesu Namen .stehen stille alle sicht- und unsichtbaren Ge-
schosse, damit sie mich nicht tieften! (Jott mit mir über alle
die.se Verderber!
Wer die.se Worte nicht glauben will, der schreibe sie auf
einen Zettel und binde sie einem Hunde um den Hals, schiesse
nach ihm, .so wirst du es .sehen und erfahren, da.ss es wahr ist.
wer diesen Brief bei sich trägt, der wird nicht gefangen, noch
ge.scho.ssen, noch verletzt werden. ,\men.
In Jesu Namen! So wahr als ('hristus gestorben ist, so wahr
als die Maria Gottes Mutter ist, so wahr kann ich nicht gehauen,
noch gestochen, noch verletzt werden. Ich beschwöre alle
Waffen auf der Welt durch den lebendigen Gott im Namen des
Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes, heilige Dreifaltigkeit,
heiliger Michael, heiliger Emanuel, lieiliger Rael, heiliger Patri-
archen, Propheten, Märtyrer, Evangelisten! Amen.
So wahr als Christus zum Himmel gefahren ist, so wahr kann
mich heute kein tödliches Blei treffen. Gott der Vater sei zwi.schen
mir und alle Ge.schosse!
Im Namen der Dreifaltigkeit. Amen.
Brief VIII.
Schutz- und Hausbrief.
(Jraf Philipp v'on Flandern — — — ab.schreiben. (Text
s. oben S. 49 Anm. 1.)
Indem, wenn du ins Gericht gehen willst, so nimm diesen
Brief an deine rechte Seite — stillt sich gleich das Blut.
(Text a. 0.)
Dieser Brief hängt sich an .lesns Christus, welcher walirer
(jütt und Mensch i.st.
Mittel lUDt'cn d. eehleii. Oes. f. Vkiie. lieft XIX. ^
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Beliüt midi NN vor allerley Waffen und (lesrlnitz, Schwerter
und Degen und Helmgarten, wa« haut oder sclineidet, alles, was
nach der Geburt Jesus (,’hriti geschmiedet worden, es sei Eisen
oder Stahl oder Messing, Holz, Erzes oder Bley.
Jesus Christus, der wahrer Gott und Mensch und Gottes ist,
behüte mich NN vor allerley Bley, Waft'en und Geschütz.
Behalte deine Prowe, wie Maria ihre Jungfrauenschaft vor
und nach der Geburt Jesus Christus.
Jesus Christus, verwandele alle Geschütz und (je.schoss, wie
du dich verwandelt hast in alle deine Menschheit.
Jesus Christus, mach alle Gewehre und Geschütze matt und
stumpf, um deiner Mutter willen, ja, mache mich, Jesus Christus,
vor allen Waft'en sicher und frey um der Blut.stro]ifen willen,
welche du am Olberge geschwitzet hast.
Jesus Christus, behüte mich vor Ehebruch, Hurerei und Tot-
schlag, vor Feuer- und Wa,ssersnot, vor Stehlen und Hauben, vor
allerley Sünden.
Jesus Christus, stehe mir bei bis an mein Ende und la.ss mich
nicht .sterben ohne deinen heiligen Gei.st. Amen.
Die heilige Dreieinigkeit sei mit mir und behüte mich NN;
dei' ewige Gott, Jesus Chri.stus, bleibe bei mir zu Wasser und zu
Lande, in Holzen und in Feldern, in Städten und in Dörfern, wo
ich NN beim Herrn Chri.stus bin, behüte mich vor allen Feinden,
sichtbaren und unsichtbaren, heimlichen und ötfentlichen, da.ss mich
die ewige Gottheit durch das bittere Leiden und Sterben Jesus
Christus und sein heiliges rosenfarbenes Blut, das er am Stamm
vergossen hat.
Jesus Christus ist in der Fülle gekreuziget und gestorben,
am dritten Tage auferstanden und gen Himmel gefahren und sitzet
zur Hechten des allmächtigen Vaters, dieses sind wahrhaftige
Worte, also wahrhaftig müssen auch sein alle diese Worte,
die in diesem Briefe stehen:
Da.ss ich NN von keinem Menschen oder Mörder gefangen
oder gebunden werde, da.ss mich NN kein Ge.schütz, Wehr und
Waffen, sie. mögen den Namen haben, was sie wollen, verletzen
oder treffen.
Es müssen die Hahne .stehen und die Kugeln mich nicht im
geringsten beschädigen, sondern von mir abweichen, so wahr als
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niciii Jesus die reelite Hand an des Kreuzes Bandgesehoss lielialten.
Kein (Jesclioss, Stoss, Hieb schaden nicht mir.
Sowie Jesus seinem Vater gehorsam war, also müssen auch
alle Geschoss, Wehr und Waffen dir gehorsam sein und mir keinen
Schaden zufügen. Im Namen des Vaters, des Sohnes und des
heiligen Geistes. Amen.
Jesus ging über das Meer und sähe in das heilige Land, es
müssen zerbrechen Strick und Band, und gebrochen Wehr und
Waffen, es müssen verblindcn die Augen, die falsch sind.
Herr Jesus Christus, behüte mich NN, dass mich kein Türke
oder Franzose überfalle, kein Wa.sser oder ?>uer überfalle, kein
Waffen oder (Jescho.ss, es sey Stahl oder Fi.sen oder Metall oder
Bley, das nicht so wohl ge.segnet sei, als der Wein im Kelche,
den Jesus seinen Jügcrn gab, das wahre Himmelsblut — das walte
(ioff der Vater, der Sohn und der heilige Geist. Amen.
Der Segen, den der Erzengel Michael tat, da er Jlaria den
Gruss brachte, der gehe über mich NN.
Der Segen, den Gott tat über Maria und Joseph, als sie nach
Ägyi)ten zogen, der gehe über mich NN.
Das ? Kreuz mein ? meine rechte Hand gehe durch fremdes
I,Kand, diuss mich kein Wolf zcrreis.se, dass mich kein Hund bei.sse.
Behüte mich NN, mein Fleisch und Blut vor bösen Stunden und
falschen Zungen. Das walte Gott der Vater, der Sohn und der
heilige Geist. Amen.
Anhang I.
Die Begleitschreiben (.soweit vorhanden).
Nr. II. Ich erlaube mir Ihnen einen Schutzbrief zu übersenden.
Die Abschrift ist von einer Kopie genommen, die vor crc. 40 Jahren
mein Vater sich genommen hat.
Zeulenroda 1894. Briefträger W.
Nr. 1. Diesen Brief lm.be ich am .11. .8. 88 abgeschrieben von
einem Brief, den der Grossvater von meiner Frau im Jahre 1848
in Schleswig- Holstein ‘) als Soldat von einem ulten Manne
erhalten hat.
Schwarzenfels 1894. Gerichtsdiener F.
’) Dazn vergleiche man die Überschrift des zweiten von den in Original 7
znsammenge.schriebeneii Briefen : ,Ein Brief an jedermann. Voniebndich aber
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Nr. V. t'bersende Ihnen das Original eines Schntzbriefes; der-
selbe wurde mir in 186(3 von einem alten Gardisten übergeben.
Ich habe denselben auch während zwei Feldzügen in meiner Brief-
tasche getragen, denn wenn man jung ist, glaubt man theilweise
an solchen Hokuspokus und stirbt nicht gern.
Cassel 1894. Kricgcrvereinsmitglied G. S.
Hierzu vergleiche man die Nachschrift zu Original 7:
„Bitte um V'^erzeihung wegen der schlechten Schrift, den es
ist in der Eile geschriben worden 1866. etwas hat Otilie ge-
schriben. Lieber Hermann, Du musst dran glauben*) und ihn
imer bei dir tragen. Viele Grüsse usw.“.
Der Jetzige Kriminulschutzmann P. (Berlin) schreibt: (Nr. IX.)
„Einsender dieses Schutzl)riefes ist ein Mecklenburger, welcher
im Jahre 1870/71 den Feldzug im 11. Mecklenburgischen Dragoner-
Regiment Nr. 18 mitgemacht hat. Bei der .Mobilmacliung wurde
er mir von meinen Grosseltern, bei denen ich erzogen worden bin,
mit dem Bemerken übersandt, ich möchte denselben l>ei mir tragen
und es würde mir keine Gefalir begegnen . . . Ich mu.ss nun,
um ehrlich zu sein, gestehen, dass ich damals — heute denke ich
allerdings andere darüber — fest glaubte, der Brief würde seine
Wirkung nicht verfelden. Der Gedanke war geradezu ein
glücklicher, ich muss Ihnen eingestehen, da.ss ich, ohne mich
zu überlieben, mit einer Dreistigkeit und Unverfrorenheit gegen
den Feind geritten Idn, oline jemals an Gefahr zu denken“®).
Am Ende des von ihm eingesendeten Briefes steht folgende
.schöne Nach.schrift: „und nun, mein lieber Solin, ziehe mit diesem
für einen Schleswig-Holsteiner und für die, welche für sie fechten“. Die-
selbe Überschrift in Jahn a. a. 0. 2. Brief und Archiv für Religionswissenschaft
a. a. 0. Nr. 3.
*) Zu dem „glauben* vcrgleicbe niaii das Molto über dem Oartcnlnube 1871
S. 20 nbgedrnckten „Brief, aus Holstein gesandt“:
„Der Ulaube muss dabei sein.
Der Brief ihut’s nicht allein“.
(Dieselbe Überschrift bei Jalm a. a. 0. S. 4.ö.)
’) Der eine Einsender eines .Schutzbriefes in der flartenlaube 1871 S. 20
jibilosopliiert darüber, ob der Offizier solchen Aberglauben nusrotten solle, und
meint schliesslich, im Kriege sei der Soldat eine Maschine, die mit allen ihr zu
Ocbnle stellenden Kräften arbeiten muss, gleichviel, woher sie dieselben nimmt.
„Der .Schwache, der iles Aberglaubens benötbigt ist, mag ihn zunSchst bebnlten,
wenn er nur bierdnreh zu einem höchsten Kraftaufwande befühigt wird“.
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Briefe {regeii die Franzosen und liaue und steclie sie nieder, soviel
dein kräftiger Arni es vermag. Denke an deine Grosseltern, sie
Iiaben anno 12 mir meine besten Pferde mitgenommen und wollten
deiner Grossmutter einmal Gewalt antun. Auch schicke ich dir
einen Zehnthalerschein, damit du keine Xoth leiden sollst. Sei
tapfer gegen den Feind, aber im (Quartier tue niemandem etwas
zu leide. Denke an die Worte von Matthias Klaudins, wo er
sagt: „Mein Sohn, tue keinem Mädchen etwas Böses an, und denke
daran, dass deine Mutter auch einst ein Mädchen war“. Mache
unserem Hofe keine Schande und führe dich gut! Schreibe
bald, wenn du ülier die Grenze kommst usw. Dein Grossvater J. P.“
Dass der Brief bis in die letzten Jahre benutzt wurde, geht
aus folgender Zeitungsnotiz hervor (Staatsbürgerzeitung, 14. August
lüOO); „Ein eigenartiges Immediatgesuch ist vor einiger Zeit beim
Kaiserlichen Civilkabiuett eingegangen. Ein biederer Handwerker
aus Stangenhain in Schlesien übersandte nämlich dem Kaiser
einen Original-„Schutzbrief“ für die nach riiina gehenden deutschen
Trappen mit dem dringenden Anheimgeben, den Brief mittels
Drackes vervielfältigen und jedem Soldaten ein Exemplar zustellen
zu lassen. Nach der Angabe des Bittstellers sei dieser Brief im
Jahre 1729 in Schleswig-Holstein vom Himmel gefallen und .schütze
seinen jeweiligen Inhaber nicht nur vor jeder feindlichen Kugel,
.sondern auch vor Krankheit und sonstigem Ungemach! Der
„Schutzbrief“ wurde jetzt dem Bittsteller im In.stanzenwege zurück-
gegeben, ohne dass natürlich von dem höchst sonderbaren Aner-
bieten irgendwelcher Gebrauch gemacht worden wäre“.
Anhang II.
Noch einige alte Waffensegen.
(Gefunden von dem Lehrer in den Schulakten einer Gemeinde des
Krei.ses Strassburg i. E. und durch Krei.s.schulinspektor P. Stiefel-
hagen durch die „Parole“ mir übermittelt. Vier vergilbte Oktav-
blätter alten rauhen Papiers) ').
„Gott und alle heilige Paigel, behüte mich führ Kügel und Dejgen,
weis sie ab geschwint
als der Wind
’) In der .Scbreibweise dee Originals ; die Lesezeichen habe ich hinzngefügt,
ebenso die Verse abgeaetzt.
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als riiristiis aus Maria freboliren ist iin t t t
bi’y Gottes Kraft und Macht beschütze
und beschwüre ich alle ■reschütze,
dass sie von mir weichen als der Stein, der von unsenn lieben
Jesuin ^'ab ist gewichen.
t t t
Gott der Vater ist mein Gutt,
Gott der Sohn ist mein Blud,
Gott der Heilige Geist,
Der mir Kugel und Stal abweisst. fff amen.
Sein heiliges Blut bedecke mich und behüte mich der Mann,
der den Dott an dem stamm
des heiliges Kreutzes nahm,
welcher höher ist, denn derselbe mann,
greif mich NX an!
Alle, die mir Heut zuwitter sein, müssen in Gottes Nahmen
stille stehn, bis die reine Mutter Gottes Kinen anderen Sohn
gebäret.
So sey dieser segen zuge, schlossen,
also ward Christus sein blut vergo.ssen,
dieser segen sey geschlossen,
also sein rosenfarbnes blut vergo.ssen;
dieser .segen sey gebunten
mit .seinen heiligen fünf wunden
und werde walir
durch die lieilige Dreifaltigkeit und deren Engelscliahr.
in Jesu Namen.
Amen.
Ein Ki-aud nennt sich wegeuwart oter ELsen Kraut, es ist
zwey schuh hoch mit l)lauem blunien; grab es auss
und setz es bey dein Hauss,
auf Balmsondach,
vordem der Dag unbrach,
stech auss, nehm olin ge.sprochen die Wurtzel, mit silber abgeschab,
henk dir an, wenn du willst, .schi.ss darauf, es wirt durch gehn.
Ich NN geh mit meinem gesegneten Leib in den Streit, den Gott
.selbst gestritten liatt, da er die Hölle überwant
und den Däufel darinnen baut,
da ge.schah ini weder — — — — (Flecken!)
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oter Hau
Also soll mir NN' gescliplin,
bis ich don Wirbrl meinos Haubt werte sehn, f t t
Herr Jesu Christ, hinter deinem Hurken verberge ich mich,
in deinen heilige fünf wunten schlihss ich mich, dein heilige drey
Blutsdr(d)cn beschütze mich, dein rosenfarbn blut beschütze mein
fleisch und blut, da.ss alle Kugel, stahl und Eisen von meinen
leib muss weichen im nahmen
t t t
amen“.
Die Froiimiurer im Volksglauben.
Kriminalistische Beiträge zur Volkskunde.
Von Dr. Albert Ifellwig in Berlin-Waidmanualust.
Die Freimaurer haben bekanntlich durch ihre geheimnisvollen
Zeremonien von jeher die Phantasie des Volkes besonders be-
schäftigt und zahlreiche Beiträge über diesen interessanten Teil
des Volk.sglaubens haben gerade die „Mitteilungen“ gebracht*). Der
bekannte Volksforscher Wehrhan beabsichtigt in nächster Zeit
eine ausführliche zusammen fassende Abhandlung über die Frei-
maurer im Volksglauben zu veröftentlichen*); deshalb will ich die
von mir persönlich gesammelten Anschauungen des Volkes Wehrhan
zur Verfügung stellen. Dagegen möchte ich einige Notizen, die
sich aus tjerichtsverhandlungen über diesen Volk.sglauben ergeben,
liier besonders darstellen.
Es handelt sich um drei Fälle. Der eine ist seinerzeit in
einer medizinischen Zeitschrift auf Grund der Akten und ein-
gehender p.sychiatrischer Beobachtung dargestellt worden. Die
beiden andern Fälle kann ich nur auf Grund von Zeitungsberichten
wiedergeben; doch kann ich nach den Erfahrungen, die ich bis-
her bei meinen Studien über kriminellen Aberglauben mit der
Verwertung derartiger Zeitungsnotizen gemacht habe, annehmen,
dass die dort berichteten Tatsachen in allen wesentlichen Punkten
zutrefl'end geschildert sind“).
') K. Olbrich in den Mitt. Heft XI S. 61 tf. und Heft XV S. 68 ff., sowie
Knoop in Heft XIV S. 58f.
•) In der „Zeitschr. des Vereins für rheinische n. westfälische Volkskunde“.
*) Vgl. meine demnächst im „Archiv für Kriminalanthropologie und Kri-
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I.
Anfang November 1907 halte sich in Halle a. d. S. ein 8chuhinaclier Mietze
wegen eines eigenartigen Betrages unter Ausnutzung des Aberglaubens zu ver-
antworten. Ein dort wohnendes OTjüliriges Fräulein wurde nachts öfter durch
schreckliche Träninc heiingcsucht. In ihrer Nut wandte sie sich an Mietzes
Frau, die sich mit Karteuschlagen beschäftigte. Die Kartenlegerin riet ihr, die
Spukgestalten durch Räuchern zu vertreiben. Das half aber nichts. Da sprachen
Nachbarinnen die Vermutung aus, die nächtlichen Beängstigungen rhhrteu viel-
leicht von den Freimanrern her; wenn sie selbst Mitglied einer Loge werden
könne, so wäre es mit den Quälereien in dic.sem Falle vorbei. Schuhmacher
Mietze behauptete nun. er sei mit einflussreichen Logenbrüdern bekannt und er-
bot sich, der Dame die Mitglied.sohaft zu verschaffen. Zn die.scm Zwecke müsse
er aber zu verschiedeneu Logen anderer Städte reisen, was aber viel Geld
kostet. Das Fräulein erklärte sich nun mit Freuden bereit ihm alle Unkosten
zu ersetzen nnd gab nach und nach fast 4000 Mark hin. Mietze legte ihr
Rechnung vor Uber angebliche Reisen nach Stuttgart , Düsseldorf, Hamburg,
Magdeburg, Königshütte, Frankfurt, Venedig, Mailand und Rom. Von jeder
Reise brachte er ihr Ordensbänder und Diplome mit grossen Siegeln über ihre
angebliche Aufnahme in verschiedenen Logen. Zweimal reiste er sogar in Ge-
sellschaft der alten Dame nach Hamburg und DUssehlorf und führte sie vor
grosse Gebäude, die er als Logen bezeichnete. Itas nächtliche Angstgefühl wich
aber trotzdem nicht. Mietze hätte der Dame jedenfalls noch ihr ganzes 22000
Mark betragendes Vermögen abgeschwindelt, wenn nicht ein Bekannter die Ge-
täuschte Uber den Wert der Ordensbänder und Diplome aufgeklärt hätte. Trotz
seiner bisherigen Unbescholtenheit wurde der Schwindler zu einem Jahr sechs
Monaten Gefängnis und fünfjährigem Ehrverlust verurteilt*).
Aus tlie.sfin Sachvcilialt sdieiiit .sielt mir t'olfrender Volk.sglaube
für Halle zu erfieben. Die Dame litt aiisclieiiieml an dem nervösen
Kranklieitszustand, den man im Volke .sonst gewühnlicli als Alj)-
drücken, Mabrreiten nnd iibnlich zu bezeichnen pHegt'). Er äus.sert
sich in einem beklommenen (Jefühl und schreckhaften Träumen.
Gewöhnlich glaubt man, dass das Alpdrücken von Hexen verursacht
werde, manchmal auch von anderen bösen dämonischen Fabelwe.sen.
üb irgend wo anders auch die Freimaurer in dem Rufe stehen,
derartiges .Mpdrücken zu verursachen, i.st mir im .Augenblick niclit ge-
nau erinnerlich, doch glaube ich, dies schon einmal gelesen zu haben.
minalistik“ zur V'cröffeutlichung kommende .\bh.vndlung über „Zeituiigsnotizon
als Quelle für folkloristische und kriminalistische Untersuchuugcu“ , sowie auch
E. Wullfen, Psychologie des Verbrechers (Gross-Lichtcrfelde 1908) Bd. 1, Vor-
wort S. XX f.
') Im „Pitaval der Gegenwart“ werde ich den Fall demnächst ausführlich
aktenraässig darstclien.
’) Vgl. V. Hovorka und Kronfeld, „Vergleichende Volksmedizin“ Bd. I
(Stuttgart 1908) ,S. 11 ff.
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In Halle* bestellt ein ilerartifrer Glaube sicherlich, denn die Xacli-
barn, welche die geäntrstifrte alte Dame nach der verf'eblicben
Hiinclierkur nni ihren Rat fragte, sprachen übei-einstiminend diese
Vernmtnnc aus. Da.ss die Freimaurer Alpdrücken verursachen
können, hans:t wohl damit zusammen, dass man sie ally;emein als
mit dem Teufel im Runde stehend ansieht, und daher ihnen wie
den Hexen auch alles Schlechte zntraiit. Da man plaubte, die
Freimaurer würden auHiören, ihr Opfer des Xachts zu (piälen, so-
bald dieses Mitglied der Freimaurerlogen geworden sei, scheint
der Volksglaube weiter dahin zu gehen, da.ss die Fieimaurer reiche
Leute mit .Alpdrücken quälen, um sie dadurch zu veranlassen, in
die Freimaurerloge einzutreten.
Xebenbei sei bemerkt, da.ss es mit Freude zu begrü.sseii ist,
dass das Gericht den raffinierten Betrüger trotz .seiner bisherigen
rnbc.scholtenheit zu einer so exemplari.schen Strafe verurteilte und
nicht, wie es bei uns — im Gegensatz zu Österreich — leider
meistens noch geschieht, den Aberglauben des Ojifers dem Täter
zugute hielt und ilin nur zu einer gelinden Strafe verurteilte').
11.
In einem zweiten Betiugsfalle, der im Februar Ht07 das
Dresdener Landgericht beschäftigte, spielte der Freimaurerglaube
nur eine untergeordnete Holle.
Ein Lalioratoriumsarbeitcr namens Ure.'ilcr hatte einem Kollegen die
Meinung beiznbriugen gon-uast , er atiinde mit dem Teufel im Bunde, verfüge
über das 6. und 7. Buch Mosea und könne ihm zu einem aogenaunten Teufels-
taler verhelfen, welcher die gute Eigenacheft habe, immer wieder zu aeinem
Bcaitzer znrückzukebren. Durch dieae und äbniiclie Betrügereien w-uaatc Dresler
dem Betörten für aeine Verhiiltniaao recht bedeutende Qcldbelrfige zu entlocken.
Er ging sogar ao weit, Briefe von ,Kaiaer Lucifuge“ zu überbriugen und um
milteruiicbtliche Stunde an dem Kaditzer Kirchhof aeinem Opfer ala ,Kaiacr
Lucifuge* zu eracheinen. Vor Gericht acliilderte der Betrogene dieaea Znaammen-
treffen mit Teufel folgendemiaaaeu ; ,Um Mitternacht machte ich mich auf den
Weg ohne Furcht, denn ich trug ja die geweihten Kerzen bei mir. In einem
Briefe hatte ich meine Bitte um (teduld nicdergeachrieben. Plötzlich aah ich
hinter der niederen Kirchhofamauer eine hagere, achwarz-weiaae Geatalt auf
einem Grabe atchen, die mir mit tiefer Stimme zurief: ,Du biat jetzt der
,Kareiat dea Kaiaera Lucifuge“, d. b. der dem Teufel mit Leib und Seele Ver-
achriebene* und .Mitglied der freiwilligen Freimaurerloge“. In dem Hügel, wo-
rauf ich Btehe, liegt ein Schatz von 3 Millionen vergraben, der gehört dir!
.^ber schweige!“ Dann warf ich meinen Brief dem Geiste vor die Füase und
‘) Vgl. mein Buch über „Verbrechen und Aberglaube“ (Leipzig, B. G.
Teubner, 1U08, ,Aua Natur- und Geiateawelt“ Bd. 2i2) S. 45, 84, 85 ff., 105, 106.
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einiil'alil mich“. Diese Teiifelsersehcinmig teilte er auch seiner Frau mit, die
nun gleichfalls auf goldene Berge hoffte. Als er sgiitcr einen Brief mit der
Aufschrift ,Aii das Mitglieil der freiwilligen Freimaurerloge* erhielt, äus.serte
er; „Ich wusste, dass in der Freimaurerloge nur reiche Leute sind, und ich war
doch als Angehöriger des Teufels ein reicher Hann!“ Inzwischen hatte sich die
Xaubergeschichte doch lierumgesprochen, doeh hüllte sich der Abcrgliiubischc
trotz aller Anzapfungen in geheimnisvolles Schweigen und äusserte nur: ,Gehl
nur in die Freimaurerloge, da könnt Ihr alles erfahren*. Erst als ein anderer
Arbeiter behauptete, gleichfalls Uber einen Geist zu verfUgen, der ihm alles ver-
raten habe, rUckte er mit einigen Einzelheiten heraus und machte es so möglich,
den Betrüger zu fassen. Zur Zeit der Hauptverhandinng soll er nach dem
Zeitungsbericht von seinem Aberglanben gründlich kuriert gewesen sein. Das
Landgericht verurteilte Dresler zn 6 Monaten Gefängnis und 3 Jahren Ehr-
verlust, indem es bedauerlicherweise als strafmildernd in Betracht zog, ,doss
der Betrug durch die unbegreifliche Leichtgläubigkeit des Opfers wesentlich er-
leichtert worden ist“ ').
Hier tritt besonder.s klar zutage die Anscliaiiung, das.t die
Freimaurer mit dem Teufel in Verbindung sind, denn dureli den
Teufel wird dem Betrogenen verkündet, dass er nunmelir Mitglied
der freiwilligen Freimaurerloge .sei. Die Freimaurer hält man im
Volk dtirchgehends für reiche Leute und dass er trotz seiner Ar-
mut in die l..oge anfgenommen wurde, erklärte er sich damit, da.ss
er ja mit dem Teufel im Bunde stehe und deshalb über grosse
Schätze verfüge. Oh er tatsächlich, wie berichtet wird, von seinem
Aberglauhen gründlich kuriert ist oder nicht, vielmehr nur den
Glauben an Dre.sler verloren hat, mag dahingestellt bleiben; sehr
wahrscheinlich ist es aber nicht, da er durch sein ganzes Gebaren
gezeigt hat, da.ss abergläubische Vorstellungen in ihm mit grösster
Intcnsivität wiiksam sind.
111.
Der dritte Fall wird eingehend von Dr. R. Henneberg,
Assistenten an der psychiatrischen Klinik der Königlichen Charitö
in Berlin, berichtet*).
Am 8. Juli 1901 wurde durch Gerichtsbeschlusä das Ehepaar R. behufs
Beobachtung und Begntaebtung der Irreiiabteilung der Königlichen Charitö
überwiesen. R. und »eine Ehefrau waren angcklagt wogen Betruges und gegen-
seitiger und gemeiusebaftlicber Kuppelei, der Ehemann des weiteren wegen
Nötigung, Sittlichkeitsverbrecheu uud Majostätsbeleidigung.
Aus den ausführlichen Angaben der augeklagten Ehefrau seien folgende für
uns wesentlichen Punkte wiedergegeben. Ihr auf sexuellem Gebiete sehr an-
') „Dre.sdner Nacbriehten“, 24. Februar 1907.
*) In den ,Charit6-Annalen“ Bd. 26.
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spnichsvuller Ehcmami Labe seit etwa 1886 mit der ihr bcfreuudeteii Frau K.
iatiiiicu Uuigaiig gepflegt. Ihr Mann habe ilir gesagt, dies tue er hauptsiiclilicb,
um der Frau K., wclclie leidend war, zu helfen. Bald nach seinem Geburtstage
Mitte Februar 1896 habe ihr Mann zum erstenmal von seiner Zngeliflrigkcit zn
den Freimaurern gesprochen. Als sie eines Tages nach Hause gekommen sei,
habe er gesagt, er habe ihr etwas Wichtiges mitzuteilen: Drei Herren seien bei
ihm gewesen und hätten ihm mitgeteilt, dass er, nachdem er nunmehr das
40. Lebensjahr erreicht habe, berechtigt sei, in den Freimaurerbnnd einzutreton,
da sein Vater gleichfalls Freimaurer gewesen sei. In der Folge würde er ein
Examen zu bestehen haben, nnd weitere Anweisungen würde er noch erhalten.
Bei diesem Gespräch war auch Frau K. zugegen. Am nächsten Tage sei er
angeblich nach der Freimaurerloge in der Dorotheenstrasse gegangen, habe die
Frau K., die wiederum auf Besuch bei ihr geweseu sei, umfasst und mit
Emphase ausgerufen , vielleicht bin ich doch noch einmal in der Lage, uns eine
hes.sere Zukunft zu sichern“. Dann habe er ausgeführt, dass für ihn .tOOOO M.
sichcrgestellt seien, die er im Fall des Bestehens des Examens erhalten würde.
Auch sei er berechtigt, sich eine Mitfrau auszuwählen, welche danu 10000 M.
erhalten würde. Als solche habe er sogleich die Frau K. namhaft gemacht.
Als angeblich bei den Freimaurern als Symbol der schwesterlichen Zusammen-
gebürigkeit gebräuchlichen Bitus habe sie sodann die Genitalien der Frau K.
berühren müssen. Ihr Mann habe auch gesagt, nunmehr müsse er mit der Frau
K. intimen Umgang haben , während er bisher nur die Ansicht vertreten habe,
dass der Koitus gegen viele Krankheitszustände ein Heilmittel sei und deshalb
mit der Frau K. gelegentlich verkehrt habe. Nach einigen Wochen wurde auch
die Tochter der Frau K. unter ähnlichen Zeremonien der Schwesterlichkeit auf-
genommen und R. deflorierte sie darauf in Gegenwart der Mutter und seiner
Frau. Nach einem Vierteljahr wurde auch der Sohn der Frau K. ohne besondere
Zeremonien eingezogen und musste mit Frau K. den Koitus ausführen, da dies
die Satzungen der Freimaurer erforderlich machten. Später traten noch bei ein
Herr nnd eine Frau Kr., eine Frau R., die Schwägerin des R. , ohne Wissen
ihres Mannes sowie als , Ehrenfrau“ mit besonderen Vorrechten Frau Sch., die
Schwägerin der Frau K. , und ihre Tochter Frau B., beide ohne Wissen ihrer
Ehemänner.
Von Zeit zu Zeit fanden Familienabemle mit deu notwendigen Zeremonien
statt, die besonders feierlich waren, wenu R., wie es alle halbe Jahre der Fall
gewesen sei, zur grossen Redonte, d. b. zu einer Generalversammlung der Frei-
maurer gehen musste. Vorher seien auf den gedeckteu Tisch Leuchter gestellt und
zwischen diese ein Gesangbuch gelegt worden, sodann habe ihr Mann mit einer der
Mitfranen in Gegenwart der anderen deu Koitus vollzogen, sich daun fein gemacht
und sei zur grossen Redonte gegangen, wobei ihm auf seine Anordnung als Ab-
schied , Behüt Dich (iott“ zugerufen sei. Bei seiner Zurückkunft habe ibr Mann
viel von der Freimaurerversamralung erzählt. Nach dieser Feier, etwa eine
Woche später, habe eine andere stattfinden müssen zur Feier, dass er wohl-
behalten wieder nach Hause gekommen sei, denn es sei nicht selten vor-
gekommen, dass einzelne infolge der Anordnung der Freimaurer sich hätten
erschiesseu müssen.
Im August 1899 starb Frau K. und bald darauf traten die Familie Kr. so-
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wie Frau Sch. uud ihre Tuchler ans. Trulzileiu hierdurch die V'ercinigung su
gut wie aufgelöst gewesen sei, habe ilir Manu doch alle auf die Freimaurerei
bezügliche Vorstellungen festgehalten und noch im Februar 1901 beabsichtigt,
eine neue Familie eiuzuziehen. Zirka vier Wochen vor ihrer Verhaftung sei
eines Tages Fräulein K. in ihrer Wohnung erschienen und habe ihrem Manne
auf den Kopf zugesagt, dass er niemals Freimaurer gewesen sei , worauf dieser
feierlich sagte: ,Auna, darauf kann ich dir hier jetzt nicht anworteu*. Da zu-
fällig eine andere Frau zugegen gewesen sei, habe sie diese Äusserung dahin
verstanden, dass er in Gegenwart nicht eingeweihter Personen nicht sprechen
dürfe. Am Tag darauf sei er angeblich zur Loge gegangen, um dort Bericht
zu erstatten; nach seiner Rückkehr habe er geaussert, dort sei bereits alles be-
kannt, und man sei darüber in grossem Aufruhr. Schon vorher hatte er mehr-
fach geänssert, seine Angelegenheit werde niemals in die Uffentlichkeit und vor
Gericht kommen, sondern von hochgestellten Personen unterdrückt werden, da-
mit der sexuelle Freimanrerritus im Volke nicht bekannt würde und den Sozial-
demokraten nicht zur Agitation dienen könne.
Bezüglich der Teilnahme des Kaisers und der Kaiserin an der Freimaurerei,
besonders auch an den Redouten, habe er oft eingehend Bericht erstattet. Die
Anklage wegen Sittlichkeitsrerbrechen batte er sich dadurch zngezogen, dass
er mit dem zwölfjährigen Mädchen Kr. den Cunniliugus vollfUhrte.
Die in den Untersuchungsakten beändlicben Zeugenaussagen stimmen bis
auf geringfügige Punkte mit der oben gegebenen Darstellung der Frau R. über-
ein, so dass wir nur einige folkloristisch interessante Punkte herausgreifen wollen.
Die neuaufgenommenen Mitglieder mussten einen Schwur leisten: .Nie-
mandem zu verraten, dass sic Logenmitglicdcr seien, niemals zu erzählen, was
in den Sitzungen passiere , den R. als Beschützer anznerkennen , ihm stets zu
helfen und ihn stets zu unterstützen, aber ihm niemals nachzugehon, was er
treibe“. Durch Hinweis auf diesen Eid wusste er die Mitfrauen zu dem Koitus
zu veranlassen, wenn sie sich einmal sträubten.
Frau R. verweigerte bei ihrer polizeilichen Vernehmung die Aussage, weil
sie als Freimaurcrin zu absolutem Stillschweigen verpflichtet sei. Bei ihren
späteren gerichtlichen Vernehmungen gab sie au, sie habe ihrem Manne in jeder
Beziehung Glauben geschenkt uud infolgedessen alle seine Anordnungen befolgt.
R. gab im allgemeinen zu, was die Zeugen von ihm aussagten. Er habe
nie in Beziehungen zur Freimaurerloge gestanden. Wie er dazu gekommen sei,
die unwahren Erzählungen über den Freimaurer zu machen, sei ihm selbst un-
erklärlich; er glaube, dass es infolge geistiger Erkrankung geschehen sei.
Der Sachverständige Dr. M. gab am 14. Juni 1901 sein Gutachten dahin ab,
dass R. Verfolgungswahnsinn zu simulieren scheine. Frau R. mache einen sehr
beschränkten Eindruck, so dass es sehr wahrscheinlich sei, dass sie den .Angaben
ihres Ehemannes geglaubt habe. Der Sachverständige stellte sodann den An-
trag auf Beobachtung in einer Irrenanstalt, dem, wie oben bemerkt, auch ent-
sprochen wurde.
Bei der Frau R. fiel als abnorm lediglich auf die Kritiklosigkeit, mit
der sie den Angaben ihres Mannes gegenüberstand. Bei ihrer Aufnahme in
die Charitö war sie noch durchaus davon überzeugt, dass alle .Angaben ihres
Ehemannes über Freimaurerei wahr seien: Ihr Mann habe ö Jahre lang dieselbe
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Behanptuiig anfrccbterlmlten mul mit der gröiutcii Bestimmtheit immer wieder-
bult, zahlreiche Eiuzelbeiten mit grusser Anschaulichkeit beschrieben und die
ganze Angelegenheit sehr ernst und feierlich betrieben ; auch sei ein (Irnnd, aus
dem ihr Mann alles erlogen haben kUnnte, nicht anfzufinden. Erst allmählich
gelang es, den Glauben der Fran R. ein wenig zu erscbilttem.
R. sagte in der Charit^, er sei auch jetzt noch überzeugt, dass er Freimaurer
sei, sein Vater sei bereits Freimaurer gewesen. Er schliesse das daraus, dass sein
Vater sich erschossen habe und von anderen Leuten zum Trunk verführt worden
sei; auch hake seine Mutter öfter gesagt, sie habe etwas auf dem Herzpu, sei
jeiloch nie dazu gekommen, es ihm mitznteilen. Bass er selber Freimaurer sei,
schliesse er daraus, dass ihm alles schief gegangen sei, was er auch angefangeu
habe. Dies sei dadurch zu erklären, dass jeder Freimaurer eine Gegenpartei
habe, die ihn zu schädigen snehe, während eine andere Partei ihn schütze und
unterstütze. Vor etwa 20 Jahren habe er einmal in einer Kneipe ein Gespräch
über Freimaurerei angehört nnd erinnere sich noch, dass die betreffenden Leute
gesagt hätten, die Freimaurer unterstützten sich gegenseitig, und unter Um-
ständen würden grosse Summen an ihre Familien ausgezahlt. Wie er auf die
Idee gekommen sei, selbst Freimaurer zu werden, könne er nicht sagen; „Ich
weiss nicht, wie das gekommen ist; ich glaubte, dass ich Freimaurer sei, und
bin noch jetzt der Überzengung*. Alle seine .\nordnungen bez. der Einziehung
von Personen habe er getroffen, da er fest überzengt gewesen sei, dass dies so
geschehen müsse und bei den Freimaurern so Sitte sei. Aus sexueller Begehrlich-
keit habe er es nicht getan, sondern geglaubt, nur seiner Pflicht gemäss zu
handeln. Wie er dazu gekommen sei, sich an dem jungen Mädchen Kr. zu ver-
greifen, wisse er selber nicht recht; er gebe zu, sich dabei vergangen zu haben,
mit der Freimaurerei an nnd für sich habe diese Affäre nichts zu tun ge-
habt. Bezüglich seiner falschen Angaben räumte er ohne weiteres ein, dass er
nunmehr einsehe, dass sie vorwiegend den realen Verhältnissen nicht entsprächen,
dagegen Hess er sich nicht ausreden, Freimaurer zu sein.
Auf Gruud dieses Sachverhalts und weiterer uns hier nicht interessierender
TatHachen kam Dr. Henneberg in einem ausführlichen Gutachten zu dem Schluss,
dass der Ehemann R. an dem bekannten Krankheitsbilde der Pseudologia
pliantastica leide nnd zur Zeit der Vornahme der ihm zur Last gelegten krimi-
nellen Handlungen nicht zurechnungsfähig gewesen sei , dass Fran R.
dagegen zurzeit nicht geisteskrank sei, und sich keine Momente er-
geben hätten, die zu dem Schluss berechtigten, dass sie zur Zeit der
ihr zur Last gelegten Handlungen geisteskrank war. „Dass in dem Umstand,
dass sie ihrem Ehemann Olanben schenkte , nicht ein einen krankhaften Grad
von Urteilslosigkeit erweisendes Moment erblickt werden kann , bedarf , wenn
man die Art und Weise, wie er seine Angaben hervorbrachtc , den geringen
Bildungsgrad der Eiplorandin und den Umstand, dass im Volke vielfach absurde
Vorstellungen über das Wesen der Freimaurerei vorherrschen , berücksichtigt,
keiner weiteren Ausführung. Aber auch in dem jetzigen Verhalten der
Explorandin, in der Hartnäckigkeit, mit der sie bei der Überzengung, dass ihr
Mann Freimaurer sei, verharrt, kann nicht der Ausdruck eines geisteskranken
Zustandes erblickt werden. Die Angeklagte hat 5 Jahre hindundi unter der
.Suggestion ihres Mannes gestanden, die V'orstellung. da.ss dieser ein betrügerisches
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spiel treibe, oder infolge eines krankhaften (ieisteszustandes die in Frage koin-
uieiideu Angaben machte, lag ibr völlig fern; und nach der Eutdeeknng und Ver-
haftung des R. war die fOr sic nabeliegende Vorstellung, dass man lediglich, nm
die Freimaurer nicht vor der Öffentlichkeit zn diskreditieren, alles als Lug und Trug
bezeichnete, geeignet, den Glauben an ihren ifanu bei ibr bestehen zn lassen.
Derselbe ist somit in einfacher Weise normal -psychologisch bedingt und kann
nicht als Ausdruck einer Geistesstörung oder geistiger Schwäche angesehen
werden. Wir geben unser Gutachten daher in dem Sinne ab. dass Frau R. zurzeit
nicht geisteskrank sei, und dass sich keine Momente ergeben habeu, die zu dem Schluss
berechtigen, dass sie zur Zeit der inkriminierten Handlungen geisteskrank war“.
Dieser Fall zeigt wieder von neuem, dass auch die alier-
gliiubischen Ideen Geisteskranker für die Volkskunde und die von
ihr befruchteten Wissenschaften durchaus nicht irrelevant ist,
vielmehr mci.stens sehr wohl beachtlich sind, da sie zwar einem
kranken Gehirn entsprungen sind, aber ihrem Inhalte nach in der
Kegel den Volksglauben getreu wiedergeben, manchmal freilich
mit einigen individuellen Variationen, wie sie sich aber auch bei
den abergläubischen Vorstellungen Geistesgesunder nachweisen
las.sen *). Aus diesem Fall ergeben sich eine ganze Reihe bekannter
volkskundliclier Motive.
Da ist zunächst die Anschauung, dass der Kandidat vor seiner
Aufnahme in den Freimaurerbund ein Examen ablegen müsse, wie
dies übrigens auch schon bei den Geheimbünden der Naturvölker
der Fall ist. ('her die nähere Gestaltung dieser Prüfung erfahren
wir leider nichts. Mit dieser Aufnahmeprüfung im Zusammenhang
.stellt der eigenartige Venschwiegenheitseid, den die neuaufgenom-
nienen Mitglieder dem II. leisten mussten, der auch dem Volks-
glauben entsjiricht und in den Pliden bei Aufnahme in einen
Verbrecherbund*) seine Parallele hat. Weiter hat R. dem Volks-
glauben entnommen, dass die Freimaurer reich werden und hohe
Konnexionen erhalten, ebenso die Idee von einer Generalver.samnilung
der Freimaurer und von dem Selbstmord von Freimaurern auf
Beschluss der Genossen. Auch, was über die „Gegenpartei“ ge-
sagt wird, die jeder F'reimaurer angeblich hat, lässt sich wohl
aus den Anschauungen des Volkes erklären. Der Freimaurer gilt
*) Vgl. darüber ausfUbrIieber meinen im nächsten Heft der „Zcitschr. für
die gesamte Strafrechtswis-senschaft“ erscheinenden Aufsatz über „Blntmord vind
Aberglaube. Tatsachen und Hypothesen“.
’) Vgl. C'ascella, ,11 brigantaggio“ (Aversa 1907) S. 171, 17Üf., sowie
meine denmäobst in der „Ztstebr. f. Religionspsychologie“ erscheinende nu.sfülirlicbe
Abhandlung über „Religiöse Verbrecher“.
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bekanntlich als mit dem Teufel im Bunde stehend, als dem Teufel
verfallen, dem er .sich ver.schriehen hat, der ihn aber dafür bis zu
seinem Tode in allen Anfreleprenheiten unterstützt. Ich denke mir
nun, da.ss unter der (Jegeniiartei die frommen christlichen Leute
zu verstehen sind, die dem Teufel entfregenarbeiten und ihm sein
Opfer zu entreissen .suchen, mindestens aber die Vergünstigungen,
deren sich die gottlosen Freimaurer erfreuen, zunichte zu machen
suchen. Sollte R. dagegen an das Bestehen zweier einander feind-
licher Parteien innerhalb des Freimaurerbundes selber geglaubt
haben, so wäre eine derartige Anschauung kaum verständlich, fände
auch meines Wissens in dem Volk.sglauben keinerlei Stütze.
Ausser diesen mehr oder minder dem Volksglauben entsprechen-
den Anschauungen über die Freimaurer linden sich bei R. auch
einige wenige, die, soweit mir bekannt, durch den Volk.sglauben
ihre Erklärung nicht finden, wenngleich sie keineswegs absurd
sind. Zunächst kommt in Betracht, dass R. glaubte, erst mit
Vollendung des 40. Leben.sjahres in den hTeimaurerbund aufge-
nommen werden zu können. Dass ein bestimmtes Alter zur V^or-
bedingung für den Eintritt in eine (ieheimgesellschaft gemacht
wird, kommt sicherlich gar nicht so selten vor, und möglicherweise
hat R. die.sen Zug einfach auf die Freimaurer übertragen. Mög-
licherwei.se aber ist er auf die.sen Oedanken auch nur de.shalb
gekommen, um sich selber zu erklären, dass er erst jetzt etw as von
seiner Zugehörigkeit zu den Freimaurern erfahre. Wichtiger ist
der sexuelle Ritus, den R, als angeblichen freimaurerischen bei den
Versammlungen einführte, und der gleichfalls, soweit mir wenigstens
bekannt, im Volk.sglauben keine Stütze findet. Für absurd kann
man aber auch diese Oedankenverbindung nicht erachten, da be-
kanntlich das sexuelle Moment eine grosse Rolle spielt bei Oeheini-
bünden, besonders solchen religiös-mystischer Färbung. Auf diese
eigenartige Rolle des sexuellen Faktors hat besonders Stoll Itin-
gewie.sen '). Man denke beispielsw ei.se an die sexuellen Verirrungen,
deren sich die Hexen nach allgemeinem Volk.sglauben bei ihren
Hexensabbaten schuldig machten, an die Oreuel, deren man mit Recht
oder Unrecht die Tempelherren be.schuldigte, an die berüchtigten
Königsberger „Mucker“, an den „Messias* Rosenfeld usw^ Der
’) Otto Stoll, Suggestion und Hypnotysmns in der Viilkcrpsycliologie,
2. Auf!., Leipzig 1904. Vgl. avicli Bernhard Stern, „(icschichtc der iiffentliclien
Sittlichkeit in Russland' Bd. I (Berlin 1!M)7) S. 193 ff., hesondera 22ö fl'.
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Gedanke sexueller Betätifning zur hiilieren Ehre der Gottheit
kommt uns auch nur von unserem modernen Emptiuden aus so
sonderhar vor; dass er primitiven Entsvickluufrsstufen und anderen
Kulturkreisen frar nieht so fern liejit, er^tiht sich aus dem gar
nicht so seltenen Vorkommen der religiösen Prostitution*). Oh K.
diesen Ritus mehr oder minder hewu.sst derartigen f'berlieferungen
entlehnt hat, mag dahingestellt hleihen. Es steht auch nichts im
Wege anzunehmen, dass die Ausge.staltung der sexuellen Zeremonien
geistiges Produkt des R. ist, wie derartige \eu.schöpfungen dem
Vülkerpsychologen ja nichts Ungewöhnliches sind. Jedenfalls zwingt
nichts zu der nach den Bekundungen der Ehefrau unwahrschein-
lichen Annahme, da.ss R. die eroti.schen Zeremonien sich erdacht
habe, um seine .sexuelle Begehrlichkeit zu hefriedigen. Wunder-
nehmen kann es auf den er.sten Blick, wie cs möglich war, dass
eine Reihe sonst anständiger Frauen und Mädchen sich so ver-
blenden Hessen, da.ss sie jedes Schamgefühl bei Seite .setzten und
vor den anderen Mitgliedern in grösster Ungeniertheit mit R. die
schlimmsten Schmutzereien Vornahmen. In Wirklichkeit ist aber auch
dieses keine absonderliche Tat.sache, vielmehr eine der gewöhn-
lichsten Erscheinungen bei Ki>idemien irgendeiner Art: Der
eigentliche Erreger der Epidemie ist vielfach, ja mei.stens ein
mindestens gei.stig minderwertiges, oft genug direkt geisteskrankes
Individunm, die gro.sse Mehrzahl der von seiner Wahnidee Ange-
steckten i.st aber in der Regel durchaus geistig gesund und steht
nur, solange die Suggestion wirk.sam ist, wie unter dem Banne
des Propheten “).
Sollte durch die.se kleine Abliandlung ein Beitrag zu dem
V'olksglauben bezüglich der Freimaurer erl)racht und gleichzeitig
dargetan sein, in welcher Weise Zeitungsberichte über Gerichts-
verhandlungen sowie p.sychiatrische (iutachten für die junge
Wissenschaft der Volkskunde dienst!)ar gemacht werden können,
.so wäre der Zweck vorstehender Zeilen erfüllt.
•) Vgl. Floss - Bartela, ,Das Weib in der Natur- und Völkerkunde“,
3. Aofl. (Leipzig 1891) — eine neuere siebt mir augenblicklich nicht zur Ver-
fflgung — Bd. I S. 34G ff., sowie Friedrich S. Kraiiss, „Beischlafausübuiig als
KuUhaudluug* iu den von ihm herauagegebeueti , Aiitropopliyteia“, Bd. 111
(Leipzig 190«) 8. 20,33.
’) Vgl. Hellpach, „Die geistigen Epidemien* (Frankfurt a. M. 1907), be-
sonders S. 48 ff., 54 ff., 95 ff.
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Sclilcsieiis Vogelwelt in der Sprache und iin
Glauben der Heimat').
Von Dr. Paul Drechsler.
Ackerniünnchen n., Männrhen, das ackert, in einem Teile
Niedersclilesiens (Sprottuu) Bezeichnung der Bachstelze, die auch
in Frankreich hin und wieder semeur, Säeniann, heisst; ähnlich
in Schweden. Die Volkssage verglich wohl die rührige Bewegung
des Schwanzes hei diesem Vogel dem Ackern. DWb. 1, 174. ln
Niederhessen sLngen die Kinder im Vorfrühling bei der Ankunft
der Bachstelzen:
Ackerniäiinchcn, A ckermännclien ,
, Acker mir mein Hcetehen. Välimir, Idiot. 7.
Ammer s. Goldammer.
Amsel f. (Turdiis merula L.), Amssel (mit geschärftem s),
in Oberschlesien Oinstel, Amstel, wie in Niederüsterreich und
Tirol, früher auch Merle. Gryphius, Horrib. (Palm) 1107. Sie
gilt als Gespenstertier. In der Gegend am Eulengebirge .sagt man
für gespenstische Töne: es pfeift wie eine Anusel. Drechsler,
Sitte, Brauch n. Volksgl. II, 228. Holtei nennt die Amsel dän
Dieb; S. 82. — Sie pfeift: Zistusi! und dieser Lockruf be-
zeichnet in Österreich-Schlesien geradezu den Vogel:
Ich halt am6I a scblnc Zistusi,
Du hältst ’s gän (gern) äii krigst 's nt. Peter, Volkstüml. I. Hfi.
Bachstelze f. (Motacilla alba L.), Bachstilzke, auch
Klosterfräulein, gibt Vorzeichen. Drech.sler a. a. 0. 11, 229;
vgl. Ackermännchen.
Baumläufer m. (Certhia familiaris L.), BaumlAfr, um Ncu-
.stadt und Neisse Baumrutscher, daneben Kletterspechtel, wie
in der Lausitz.
Dohle f. (Corvus monedula Ij.), Töle, wird gern gezähmt
im Hause gehalten und .Jakob gerufen. Man ruft gern: Jakob, wo
bistu’:' und gibt sich selbst die Antwort: Hinderin Oven und flick
Schuh. Die Dohle heisst auch Matschke, eine Lieblingsbezeich-
') Man vergleiche das jedem .Vaturfreunde zu empfehlende Hnch von Paul
Kollihay. Die Vögel der Preussisclien Provinz .Schlesien, llrealau liKki.
Mitteilungen d. netilea. Gen. f. Vkile. lieft XIX. ti
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niinpr für den Kanarienvogel, ans Mäfz-Matliias. Sie ist das Sinnbild
dummer Geschwätzigkeit; daher die Schelte tnmme Töle oder
Patschk(au)er Tole; vgl. Drech.sler a. a. O. II, 31. Dasz letz-
teres auch ein Gebäck bezeichnet, erwähnen Jüttner (Pfarrer in
Schönau, Kreis Leobschütz), der bei der Aufzählung von „Mitte-
brenge“ .sagt:
Och Potsohker Tohln gihn, nur mflss ma’s nich su nenn'n,
sust kennt ma sich dos Maul gor arig sihr verbrcnn'n.
Humorist. Pillen (1807) 2, 0.5.
und Holtei S. 183 ff. — Sie ist auch wegen ihrer Dieberei sprich-
wörtlich wie die Elster.
Weil der Trunkene gern .schwätzt (vgl. des Leobschützers
Scherffer Grobianer S. 73: wirstu vor andern trunken und redest
dies und das nach närrischen Gedunken), so steht Tohle für Rausch
in der Redensart sich eine Tohle kaufen, eine Tohle haben;
«
kflf der ni iirnt wieder su’ne Tohle
wie uf der F'ärschkewitzer Hu.\t. Heinzei, Vägerle 2.
Dohlengekrächze wird nicht gern gehört; in auffallender Nähe
kündigt es einen Todesfall an. — In Schlesien werden junge
Dohlen gege.s.sen, wie dies an dem Hofe zu Ca.s.sel in der zweiten
Hälfte des 16. Jh. geschah. DWb. II, 1219.
Drossel f. (Tnrdus musicus L.), Drussel, Weindrossel,
Drostei, Drnstel (Leobschütz, Neustadt, Nei.sse), Droxel (Graf-
schaft); als alter Name wird Zi])pe erwähnt. In Österreich-
Schlesien und der preu.ssischen Nachbarschaft (Kätscher) lautet ihr
Gesang;
Wenn b'r wän (werden), wenn br' wAn I ncie Schuh atizihn — zihn — zihn,
of .lägerudorf gin, gin, gin. i Schuh oazihii.
do wAn m'r, do wAn m’r
Alte Drossel; altes Weib (Waldenburg); ahd. dro.scela. —
Der Krainmets Vogel (Wachholderdros.sel , Tnrdus pilai'is L.)
hei.sst im dent.schen Oberschlesien Eichelheher oder Nusshacker
(Corvus glandarius L.), in Neustadt Zimmerdrossel, Zimmer-
drostel, um Nei.sse Dreck- oder Schnurrdrossel, bei Trachen-
berg Rranddrossel.
Elster f. (Pica caudata), früher Agläster, Aläster (bei
dem Leob.schützer Scherffer Ged. 691), mhd. agelastra, jetzt all-
gemein Schalastcr, Scholäster und Schölaster (Waltersdorf
bei Siirottan). Zu den „ frninnien Wünschen'* des Schlesiers ge-
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liörf: wie Scliolastcrn (TPsclipit. HoUei S. 486. Sie ist diehiscli
und selir (reschwätzip:; daher von einer ziinfrenferfifren Person:
die liat von der Scholaster gefressen (Sprottaii, Freystadt);
vgl. Paperlapä])! Du liust seliunt wieder vo enner äla Schaloster-
zuiige gefrassa! Lichter, Muttersprache S. 153. Man darf Besuch
erwarten, wenn die Sclialastern schäkern (scliiikern). Das Auf-
flicgen von zwei Kistern bedeutet Glück, von einer Unglück
(Hirschberg); ihr Schrei bringt Leid (Görlitz), Verdru.ss (Grafsch.).
Will inan das Eintreten der Vorbedeutung verhindern, muss man
den Vogel mit dem Besen vertreiben. Weil sie einst in der
Beiithener Gegend den hl. Hyacinth bei einer Predigt störte, wurde
sie aus jener Gegend (Oberschlesien) verbannt; vgl. Sperling.
Ente, Ante f. (Anas boschas L.); ihr Ijockruf Watschel
(Liebauer Tal), watsch, wätsch, täsch, täsch, härle (Trebnitz),
arrle, arrle (Liegnitz, 01s); i»olu. kusch, kusch.
Eule f. Fiile, Püscheile, Nachteile, heisst ohne Unter-
■scliied jedes Mitglied der Strigidae. Sie findet im Volksglauben
grosse Beachtung: Wenn sich eine Nachteule bei Tage um die
Häuser .sehen lä.sst, so liricht in kurzem Eener aus. Sie ist auch
Todesbote und hei.sst im Krei.se Brieg geradezu Tuleule, um
Rybnik und Ratibor Toten vogel. Hline über dem Tor angenagelte
Eule .schützt die Wirtschaft vor Hexen und Hexenwerk. — Dass
dich die wilde Eule! ist eine alte Verwün.schung (erwähnt schon
1648). — Spassen Sie nicht mit der Eule, die ist auch ein
Vogel: malen Sie den Teufel nicht an die Wand; eb (ehe) sich
die Eule berauft: im Morgengrauen (im .schles. Gebirge'. Ein
Frauenzimmer, das um den Kopf nicht in Ordnung ist, sieht aus
wie eine Eule, ist aufgedonnert wie eine Püscheile; jd.
zur Eule machen, ihn aufziehen, verspotten.
Finke (Fringilla coelebs L.), schlesisch weiblich gebraucht;
Diminutiv: das Finkei. Man unterscheidet die Bezeichnungen:
die Buchfinke, Gartenfinke, die Bergfinke (Fringilla monti-
fringilla L.), die TiCinfinke (Neustadt), die Winterfinke, oder
nach dem eigentümlichen Gesänge Finkenquäker, -quieker.
Das Männchen heisst der Finkchahu oder der Finkahar;
A 13 vergnügt As wie eim Pöscli
I'ense Koarlemoan A Finkchoahn.
fleinzel, last, I’.riuliT S. l.Sri; seng on spreng hisch (hübsch) mit wie a
Finkahar. Schünig S. 2ü.
ti*
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Finke dient zur Bildmis von Schelten; Mistfinke, schmut-
ziger Kerl, und bezeichnet auch den penis, erhalten in Bullfinke;
Ochsenziemer. In Lübeck hiess die Busse gefallener Mädchen
Finkengeld.
Ein kleines Trinkglas nennt der Schlesier a Finkenäppel.
Der trillernde Finkcnschlag heis.st Reitschü oder Reiter:
das Ohr hört keine Finke nicht den sogenannten Reiter schlagen.
Stoppe, Parnass S. 413, nach dem Laute rrrrreit-zu, auch Reiter-
zug: Singt enern Reuterzug, ihr gödelliaften Finken. Schertfer
Quere. Piast. Weinhold Wb. 77a stellt Reiter zu mhd. leiden:
drelien, wenden, wonacli Reiter: Reider - der Dreher, Triller;
ahd. gareidi vibratus. Auch hört man den Vogel singen:
.'■'(•hasch schusch schuscli, du k-unnst ni amftl a Wfrtla kusclit.abi-i-irn.
I’ctcr, Volkst. I, Gß.
Allgemein hei.sst es:
Wenn die Finken rrrreitschnh singen oder rfltschen, wird
es regnen. Nach dem Volksglauben findet man im Neste der
Finke bisweilen ein Steinchen von grauer Farbe, einen Finken-
stein, mit dem sich der Träger unsichtbar machen kann; Drechsler
a. a. 0. 11, 228, 2ti8; deutet auf die schwere Auffindbarkeit eines
Finkennestes. Vgl. auch (>im])el.
Fischreiher m. (Ardea cinerea L.), im Munde alter Leute
Feschräger (Neustadt); Lockruf: Kräik oder kra!
Fliegenstecher m., im deut.schen Oberschlesieu Bezeichnung
des Fliegenschnäppers (.Muscicapa grisola L.).
(Jauderhahn ni. Truthahn (Grafsch., Leobschütz, Neisse).
Er kollert: gauder, gauder, gauder, davon sein Name. —
gaudern .schw. vb. von seiner Stimme (Grafsch.); übertragen:
werd se wie a Uauderhohn
Foierrnt on kräht on gaudert. Schönig S. 48.
Redensart: .schimpfnig wie a Gauderhahu. Heiuzel, Ock ni
ti-übet. 118.
Gans f. Gäns (An.ser), schlesischer Festtagsbraten, be.sonders
zu Martini (11. Nov.), das .Männchen Ganser, Gautsch, Gansch,
Gälisch, Ganschich, mhd. ganeze: er darf vor junge Gän.s' ihm
•selbst mit Fleisz ausklauben die ältsten Gäntsche zwei. Schertfer
(lf>r)2); einen gänt.sch und drei gänse. Grbar von Kreidel 177)0.
Sie werden gestojift und genudelt (mit Schlischken ). Ein
Ratloser stiht dö als wie de Gans, weiins donnert; wie de
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Gans, wenns kracht und I)liUt. Holtei 8. 78; allein es war gerade,
als wenn sic eine Gans anpfit'fe (sie kehrten sich nicht dran).
Stoppe, Parna.ss 531; hinga (hinten) schneidt ma die Gänse
uf (Hirschberger Kreis) ruft man Leuten zu, die etwas „ärschlich“
(verkehrt) angreifen. Von kleinen Ortschaften heisst es: ’s a
Städtcl, wu de Gänse ufin Ringe grossen, wu s’ es Fläster
(Pflaster) weggefras.sa hoan. — Gans, dumme! ist eine geläufige
Schelte, wie Gänsekoi)f! Von Gänsegeschnärre (Ganseklein)
bekommt man Kopfschmerzen. — Früher wurden am Schlüsse der
Ernte auch Gänse geopfert; ein Erinnerungsrest ist in Mittel-
und Niederschlesien am Erntedankfest das Ganschreiten,
Drechsler a. a. O. II, 727. Auch ist die Gans ein propheti.scher
Vogel; man befragt sie am .Andrea.sabend, weissagt aus ihrem
Brustbein (dem „Schlitten“) harten oder milden Winter, je nach-
dem es weiss oder blau (rot) ist. Es bricht Feuer aus, wenn die
Gän.se hoch und weit hinfliegen. In Gänsegestalt erscheint der
Wassermann (Ober.schlesien) und der Alp.
Man achtet besonders auf die wilde Gans (die Gi'augans);
ihr schreibt man ein hohes Alter, ja, Unsterblichkeit zu: der
stirbt nicht, der fliegt mit den wilden Gän.sen; uralter Glaube.
Vielleicht hängt damit auch die Vorstellung von einem Gänse-
himmel zusammen: Du komm.st in den Gänsehimmel! —
Rrieger Gänse nennt der Schlesier die grossen, gelblich
umrandeten Schollen des Treibeises auf der Oder.
Gänsel i.st auch eine kleine Pilzart, Frisch 1, 317. — Gänse-
kraut n. Beifusz (.Astemisia vulgaris), weil man die mit heis.sem
Wa.sser abgebrühten Blumcnstengel in die zum Braten bestimmten
Gänse .steckt. — Gänsewein scherzhaft für Wasser; trink du
Gän.selwein! a Gla.sl Gansewein. JUttner 2, 65.
Wie am Martinstag die Gans den Festbraten liefert (gäbs
denn Martine ohne Gänsebrätn! Jüttner 2, 38) nach dem
alten Si)ruche: .Munera .sancti Martini sunt aiiser et amphora vini
und auch der Lehrer früher seine Martin.sgans als Geschenk er-
hielt, so wurde in Kat.scher den Webern, .sobald sie anfingen „bei
Lichte“ zu arbeiten, die Lichtgans vorgesetzt. — Man lockt
Gänse mit wulla, wulla (daher Wullgäusel), bull, bull (um
Namslau).
Gimi>el m. (Pyrrhula), Rot- und Blaugimpel, auch Loh-,
Luhfinke (Liebauer Tal, Neustadt, Lausitz). Er flötet von Zeit
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zu Zeit fast klafteiul „lUit“! Giiiijiel ist der Spottname für Gym-
nasiast.
Girlitz s. Zeisig.
Goldammer m. (Emberiza citrinella L.) Guldämmer, Gäl-
ammer, am Zobten Gnldalmer, bei Breslau Ammerl ing,
Emmerling wie in ö.sterreich (Amer oder Dinkel, eine Getreidc-
art, frisst der Vogel gern), in Nicdersehlesien .Amritze, um Neu-
stadt und Neisse Goldammei, Golditsclie und Golitsclike.
Im Herbst ruft er:
I'auor, Pauor. säh frlli, sah frih.
Sä a Keriila tir mich mit.
Im Frühjahr ruft er:
Paucr, Paucr, ich scheiss (Pr uf a Mist.
Nach der Volksmeinung zielten die (gelben) Goldammern die
Gelbsudit an: für die gelbe Sucht sind die Goldammern gut.
Lobenstein, Himmel-Schlüssel 611.
Grauammer m. (Emberiza calandra L.) heisst um Neisse
Gritschker.
Grasemücke f. (Sylvia simple.x Lath.) heis.st um Neustadt
im Munde alter Leute auch Neinsteuimerla, jetzt meist Fliegen-
stecher, Pliegeuschnäpper; die M önchgrasem ticke (Sylvia
atricapilla) allgemein Sch warzplättel , Schwarzplattei
(Grätsch.), auch Mönch, .Münch (Breslau). Sie singt:
Briderle, Briderle, schKdst? (Kätscher.)
Bei Gryphius, Horribil. (Palm) 268 bezeichnet Grasemückc
ein leichtfertiges Miidchen; vgl. Schnepfe.
Habicht m. (A.stur italumbarius L.) hei.sst bald Aar, bald
Stösser, Stiesser, bald Hühnergeier und ist gefürchtet. Um
ihn zu verscheuchen, rufen die Kinder (Kätscher):
Utnlageir, frisz de Kleia,
Frisz dich soat, mach a lioad
Im de ganze Hovestoat (Hofblätle). Vgl. Kuckuck.
Hänfling (Acanthis) m. hei.sst allgemein Hänflich, Hämf-
lich, Hamflich. Man uutei-scheidet Riit-, Grün- und Grau-
hampflich.
Himmelsziege, volk.stümliche Bezeichnung für die Bekassine
(Gallinago).
Kiebitz m. (Vanellu.s) gilt wegen seine.s Lockrufes ,.Kiwit“,
der als gib mit = komm mit gedeutet wird, im Zobtener Halt
als Totenvogel,
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Krähe f. (Corvus cornix L.), Kiölie, KnVe, Krä-e, wie schon
mild, krä, kräe, krähe, krö, aucli Scliwarzkrälie, die haufenweise
auftrcten :
Wif de Schworzkrohn über’s Hasla
Ficl'n sc ilb’r a Kasper liär. Köasler, Krieg ii. Frieden 9H;
es käme auf allen Strassen antrezofren wie Schwarzkrahen.
Schweinichen 2, 102.
Der Krähe rufen die Kinder zu;
Hopp du Krüc, hopp du Krfie!
Meine Miitt'r la Cievatterfröc. Feter I, fiH,
Sie selbst krächzt heiser päk, gäk oder krä, krä oder:
A Fard, a Fdrd! — I fs feit, is fett? —
\Vu leits, wu leits? — I'ass 's (jiiarrt, dass 's quarrt — oder:
Aim (iroab’ii, aim (iroab'u. — I Holzdiirr. holzdurr.
Scherzfrage: Wo hat die Krähe 's Euter'? — In der Schinder-
grnbe (Ohlau).
Die Krähe ist wahr.sagend. Krächzt (gäckt) die Sterbe-
krähe, so stirbt ein Verwandter. Die Krähen sind, wie alle
.schwarzen Tiere, teuflische Tiere. Die Scliwarzkrälie begleitet
den bei Striegelinülile am Füllengraben simkendcn Deist und
kommt in Begleitung des Urian (Satan) ma.ssenhaft ins Zimmer
derjenigen geflattert, die gewis.se Stellen im 6. und 7. Buche .Mosis
lesen (Breslau). — Pulverisierte Krnhenaugen sind zu vielem
gut. Formt man aus die.sem Pulver und weichem Brot Kügelchen
und wirft sie ins Wasser, so las.sen sich die Fische, die davon
fressen, mit den Händen längen. Auch Vogel kann man mit
diesen Kügelchen leicht fangen (altes Rezept).
K rohäugel (Kröhegel) heisst auch die nux vomica; jemanden
mit Krohegeln vergeben (Breslau).
Krähhäken: hakige .schlechte Schrift:
l'nd wer Krohlmkcu tntt krchlcn dernacben
Ff a Schiewer. Iloltei H37.
Von dem Geschrei gäk, gäk! hat die Krähe auch den Namen
die Gäke. Dohle und Gäke sind hierzulande (wie das Wort
„Drehlade“) Inbegriffe weiblicher Dummheit und Schwatzhaftig-
keit, und neben die Patschker Tohlen treten die Neisser
Gaken.
Krengel m. zu krengeln, quälen: Quäler, Würger, Name des
Dorndrehers oder Neuntöters (Jmnius), mit den Zusammen-
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setzungin: Gurtenkrengel, Wagenkrengel, Woinkringel,
Woingrengel (Liegnitz, .Tauer), Wartliekringcl (Glatz), Quark-
krengel (Bre.slau, deutsches Oberschlesien).
Kreuzschnabel in. (Loxia curvirostra L.), poln. krziwonos
Kruminnase, Krünitz, Krünis, Krinis (Liebenthal, (irafschaft,
Gebirge), Grinis (Oppeln). Er wird gern in der Stube gehalten,
denn er zieht Krankheiten, namentlich Gicht, an und scliützt das Haus
vor Gewitter. Wenn ein Kind die Fräse (Friesei) hat. so lass es
trinken aus dem Geschiri’, woraus ein Kriemsvogel trinkt (Herischdorf,
Kr. Hir.scliberg). Woher der krumme .Schnabel des Vogels riilirt,
weiss das Volk sinnig zu erklären, Drechsler, Sitte, Brauch 1,
Ihr weithin vernehmbarer Lockruf ist; Gepp, gep]», gipp, gipp!
Kuckuck m. (Cuculus canorus L.), Gukuck, nach .seinem
Ruf, dem Gucken vb.:
On «lle hört.a fiuckncks Stemme .\ guckt amfll on wetter nemme.
Oft Schrein; mer nifft a och .tnifll. i Dos tntt a, weil och starba siM. (Ncissc.)
Bekanntlich soll die Anzahl der im Frühlinge zuerst gehörten
Kuckucksrufe die Anzahl der .Jahre bedeuten, die man noch er-
leben wird. Man ver.situmt auch nicht bei den ersten Rufen des
Kuckucks im Frühlinge sein (Teld zu rühren oder auf die Ta.sche
zu klopfen. Zwischen dem Zobten und der Oder nimmt der wilde
Jäger die Gestalt des Kuckucks an; man erechrickt bei seinem
Erscheinen. Der Kuckuck verwandelt sich nach einem Jahr oder,
wenn er über den .Stoppel fliegt, in den „Stiessci”* (Habicht) oder
r Krimmer“ (Sperber) (Eulau l»ei Siirottau), in den Stösser oder
Aar (Waltersdorf), in den Sperber (Grafschaft), ein Volk.sglaulie,
von dem .schon Plinins berichtet. — Statt: hol dich der Teufel!
sagt man: hol dich der Kuckuck' ,.Man nennt einen jeden Ab-
schaum von Ehr und Wohltat verge.ssenen Menschen einen un-
dankbaren Kuckuck. .Ta, wenn die leichtsinnigen Flucher noch
den bösen Feind nicht nennen wollen, so heis.sen sie ihn den
Kuckuck. Der Kuckuck hat es geholt! usw.“. Bunzlauer Mtschr.
1775, 357. Die .Schelte: der undankbare (Tuckguck erwähnt
auch der Hirschberger Stoppe, Farn. 520.
Ijaschke m. (Loxia), Kernbeisser, Leske (Breslau), Ijaskc
(Neustadt. Leob.schütz):
lieh der baschke kflmmt gekrnchtn,
Denn de lioschken (sein Weilichcn) Icit ei Wuchen. Uoltci 483.
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Lerche (Alauda), Lirclie f. Hiniinel.slirclie :
l»ie Mrche niiis flnis Lichtmesse singen.
Tact irsch Küppel underm Sten zerspringen. lloltei lt)H.
Mit Mariae Lichtmess (2. Februar) gellt die Lerche unterm
Steine hervor in die Lüfte: de Lärche sizt nienich unterm Steine.
.Tüttncr 2, 58. Sie singt (in (■|sterreich-Schlesien):
•Maine Mntt’r hAt slwe. siwa Tächter.
S' liaon alle siwa, siwa grOsse Nansalärlier.
Sir wait. brait. tif, tif, tlf! Peter I. fifi.
Heidelerche f. (Alauda sylvaticn): Haubenlerche. Von dem
netten Vogel übertragen anfein .sauberes, schlankes Mädchen: Se is
SU nette und gcschlank wie a Hedelarchla (Reichenbach). Wenn je-
mand .schön singt, .so sagt man: er singt wie eine Heidelerche
(Rreslau, Leobschütz, Kreuzburg).
Magd, faule, Faulemäd, äle .Maod (I^iebauer Tal);
Wachtelkönig (Rallus crex), auch Grasemagd, Wiesenschnarre,
Wiesenquarrc, -knarre; Gäkrich (Neustadt), Deiit.srh- Böhmen
Gäke, in Österreich -Schlesien vielcrorten Hoaberkoahn; Ruf:
Knächt, Knächt.
Meise f. Ma-se, Mese (Panis L.) in zahlreichen Zu.sammen-
.setzungen: Kohlmeise (Parns maior L.): Spiegelmeise, Sichel-
schniied (Oberschlesien), auch Schlosser (Neustadt OS.), in der
Lausitz Schlo.s.ser und Feilschmied; Blaumeise (Parus caeruleus
L.); Blöma-se, Blömöse lOberschles., Osterr.-schles.), Pimjiel-
mf‘se (Rreslau); graue Meise (Neis.se) (Parus palustris commu-
ni.s); Koppmöse (Oberschlesien) (Parus cristatus mitratus), in der
].giusitz Schopfinei.se und Meisenkönig; Schwanz- oder Zäl-
ineise (Aegithalns caudatus); Schleiermei.se (Neisse), Pfannen-
stösser (Ziegenhals), Pfannenstiel (Neustadt), hier und da
Mnllermeise (Neustadt), (wie in der Lausitz) Teufelsbolzen,
Berg- und Schneemeise, im Riesengebirge sicherer Vorbote von
vielem Schnee. — Ein „um den Kojif unordentliches“ .Mädchen
sieht aus wie eine gerupfte Meise.
Nachtschatten m. (Neustadt) (Capri mulgus europacus L.),
Ziegenmelker, um Schweidnitz und in der Grafschaft Mulken-
dieb; man vgl. Nacht.schwalbe in Westböhmen, Himmelszieg im
Erzgebirge.
Nusshacker s. Eichelheher.
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Pfau 111., ein Wftteiiuoiilii't , wird liier erwiiliiit wegen der
Bezeichnungen Pfuulialiii, Pföfalioaii, Pföfalienne. Pfauenfedern
in der Stube bringen Unglück (Breslau, Brieg, Bentlieii OS.).
Pirol in. (Oriolu.s) hat den Volksnaiiien Biereule, Bieröle
nacli seinem Kufe: wenn die Biereule schreit, kommt sclilechtes
Wetter. Im Frankensteiner Schloss hält sich eine ge.spcnsti.sche
Biereule auf und ist in Beziehung gebracht zu dem benachbarten
Bierbüschel. Der Vogel heisst auch Goldamsel (wie in West-
biihmen), Golddrossel (wie in Tirol) oder nach seinem Lieblings-
futter Kirschenvogel, Kirschenspecht.
Puh 11 m. (Bubo), Uhu: der Schrei des Puliu ist für einen
der Kranken des Ortes der Todesruf (Bunzlau). Andere Namens-
formen sind Ballhau im nördlichen Niederschlesien, Piiihui,
Poihoi: do kimmt der Voater, der Herzig-Bräuer, geloatscht und
schnedt a Gesichte wie a Poihoi, weiiirn de Vägel üfziehn.
Heiiizel, A lu.st. Bruder 93.
Habe, Roabe, Nachtrabe ra. (Corviis corax L.), im Nams-
laiiischen (Keichtal) Bettelmann, ist ein Uiiglücksvogel ; sein
Krächzen weissagt Unheil. Um es abziiwenden, spuckt man drei-
mal auf die Krde. Nach altem Glauben badet er seine Jungen
am Karfreitagsmorgen in ilie.ssendeni Wasser, damit sie schwarz
werden; Drechsler, Sitte, Brauch TI, 230. — Er stiehlt wie a
Nachtroabe, altes Sprichwort. Bei den Schlesiern des 17. Jh.
(Günther, Stojipe) bezeichnet Rabe, gelber Rabe einen ungari.schen
Dukaten mit dem Bilde eines Raben.
Rebhuhn n. (Perdrix) (dessen Namen in betreff des ersten
Teils noch immer nicht sicher feststeht) liefeit nach dem Volks-
glauben ein Mittel zu geistiger Kraft. Wenn man monatlich ein-
mal die Schläfe mit Kebhühiiergalle einreibt, so macht das ein
gutes Gedächtnis. Ein Volk Rebhühner ist dem Schlesier eine
Kitte, Kiitte (richtig für Kette), ahd. cutti Herde, ebenso bair.-
scliweiz., nd. nl. Kudde, altfries. kedde.
Kotgalster ni. rothalsige Taube (Reichenbach).
Rotkehlchen n. (Lusciola riibeciila L.), Rütkätla, auch
bloss Kätla, Kätel n., Käte f. wird sehr geschont und gehegt.
Wer (in Böhmen und Obei’schlesien) ein Rotkehlchen tütet, dem
zittern zeitlebens die Hände. Es ist sehr zutraulich und neu-
gierig: Wunderhoft (neugierig) bist de halt üben wies Kätla, dos
röte. Jüttner 1, 4; die neuschierige Rutkate, de Werten. Heinzei,
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Jalirli. 49. Hat einer vor Frost eine rote Nase, rnft man ilini zu:
(in hast dir ja a Riitkatcl (a Katel) jtefaiigen! Bei Fiscliart Kot-
l)rüstlein in derselben Bedeutung:, DWl). Vlll, 1302. — Hot-
kätelbanin: Evonimus, Vogrelbeerbauiu, Spillbam. Weinliold,
Wb. 41b. Gleich beliebt ist das
Klitsch wänzel (Ruticilla), Rutsch wänzla, Kutschwiiift-
lich (Neustadt), Wüstlich, Wistlich (um Neisse und in der
Grafschaft), Schwarzw istlich (iin Rieseng-ebirgre und in der
Lausitz). Rutwislich (im Vorgebirgsland), vgl. Siebs, Mitt. XIV,
107. Es singt: Bauer, säst Jloab’r, Bauer, säst Hoab’r?
Beide Vögel bringen, wenn sie geschont werden, dem Hau.se
Glück und schützen es vor Blitz und Feuer.
Rüttelweib, Rötelweil), Rüttelweihe, Falco L., Wannenwäher
Schwenckfeld; vgl. Dreclisler, Sitte II, 102.
Schaetscher, Schoetscher, Tschaetscher m. allgemeiner
Xanio des Birkenzeisigs (Acanthis tlammea):
Schaetscher mid semm riiten Stirndel. Holtei'483; öch der
Vogel verzählt nf seine Weise und idappert, eb's nu a Schätscherle,
Ls, a Finkei, a Zeiskel, a Gini])el. El)d. 38; schätscliein vl).
von der Stimme des Vogels, doch auch übertragen: uti‘ der Gas.se
schätschern inse Spatzen. Griilin Waldersee. Schätscher ge-
braucht der Schlesier auch für Geld (kleine Münze): liost noch a
])oar Schät.scher? — a pör Schätscherle höt se o. ( Iderwald, Anne
schläsche Baperstunde S. 75; vgl. Zeisig.
Schalaster s. Elster.
Schneekönig s. Zaunkönig.
Schnepfe f. Schneppe 1. der bekannte Zugvogel (Scolopax),
2. feile Dirne; ihr Herumstreichen: der Schnepfenstrich: sie gellt
auf den Strich.
Schwalbe, Schwalme f. (Hirundo), Blutt.schwälme, Dreck-
schw&lme (Neustadt), in der Grafschaft, weil der Jungfrau .Maria
geweiht, auch Mirttergottesvogel genannt: ma sitt Men.schhöt
wie Schwalmen im Hürbste ziehn. Holtei 243. Das Haus ist
geschützt, wenn auf seinem Dache Störche, an seinen Mauern
Schwalben und in seinem (Jebälk Rotschwänzchen nisten. Wenn
man die erste Schwalbe erblickt, muss man das Geld in der
Tasche umrühreu, dann geht es das ganze .fahr nicht aus; auch
muss man, um Schönheit zu erlangen, sich beim Erblicken der
ersten Schwalbe aus der Mistiifütze wa.schen, um vor Kreuz-
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.scliiiierzeii bewalii t zu lileibun, sidi auf den Rücken legen. Soniiner-
spro.ssen vertreibt man mit Seluvalbenblut. Wasser, das man von
jungen N'estschwalben brennt, hilft gegen die schwere hinfallende
Krankheit (Sprottau). Man findet auch im Magen junger
Schwalben, ehe sie die Erde berühren, Schwalbensteine; die
sind dem (iesichte gut. Wenn einem etwas ins Auge kommt, so
tue einen solchen Stein in den Augenwinkel: er bringts heraus.
Doch findet man unter hundert Schwalben kaum eine, die ihn hat.
Drechsler a. a. 0. 11, 2!I7. — Fliegt eine Schwalbe ins Zimmer
einer Schwangeren, so hat sie Zwillinge zu erwarten (Ober- und
Mittelschlesien). — Weisse Schwalbe bezeichnet einen seltenen
Besuch (GrUnberg).
Sperling, Sperlich m. (Passer domesticus L.), Spärlich,
Spatz, Spatzker, Spoatzger, mhd. spaz, spatze, Ko.seform von
spare, Sperber. Das Volk unterscheidet den Haussperlich, den
Boamsperlich (Neustadt), den Hirsesperliug (Trachenbei-g)
und Rohrsperlich: er schimpft wie ein Hohi-sperling. Der
Sperling ruft (tschil])t):
Tschulink, Tschulink. Stiht beim Wnetz (Weizen).
.Seif, Seif, Seif | Dar Schelm, Schelm, Schelm.
ln Heidelberg bei Landeck soll es keine Sperlinge geben:
sie wurden einst, weil sie dort alles Getreide aufgefre.s.sen hatten,
von einem Breslauer Bischöfe verbannt; vgl. ElsUr.
Weisser Sperling bezeichnet allgemein einen seltenen Be-
such; vgl. Schwalbe.
Star, Stoar m. (Sturnus vulgaris L.) hat den Kosenamen
Stoarmatz: a Stoarmatz hielt uf seiner Meste (Starmeste,
Kästchen, das zum nisten für die Stare an den Bäumen angebracht
wird) anne derbauliche Prädigt von der Liebe, üderwald, Pauer-
bis.sen 23. Er ruft: Spitzbub, Spitzbub, schau, schau!
Stieglitz m. (1‘Yingilla carduelis L.), Stieglitzke, Stilzke
(Liebauer Tal), cech. stehlec, stelik. Er zieht die Schwindsucht an.
Storch, Sturch m.; Klapperstorch, ('her seine Bedeutung
in der Volksmedizin und seine Dankbarkeit vgl. Drech.sler a. a. 0.
II, 226.
Stüsser m. Stiesser s. Habicht.
Taube, Tauwe f. (Columba), nach der Färbung und Ge.stalt
Schimmel, Rutschimmel, Blöschimmel, Steiger, Kröpper,
Rotgalster (s. oben) u. dgl. bezeichnet, ln der Grafschaft besteht
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das Taubenpaar aus Toibr und Toibn, sonst Täuberich und
Tise (aus dein Lockruf tise, tise gebildet). Der Täulierich spricht:
Heb a Ruck, heb a Ruck (Rock)! — Die Taube zeucht an sidi
der giftigen Fieber Flecken. T.ohenstein, Hinimel-Sclilüssel 69.
Das Blut einer .schwarzen Taube, dem kranken Kinde auf die
Zunge gestrichen, befreit von Krämpfen (Liegnitzer Gegend).
Taubenmist befördert den Bartwuchs.
Die Tauben haben keine Galle, sie gehören den .Menschen alle:
Rechtfertigungsversuch der Taubendiebe. Der Taubenfreund heisst
Taubennarr, Taubenjökel (Ohlau, Breslau, Kreuzburg). — Wie
von Tauben gele.sen, z. B. von .schönem Weizen. A höt ’s Maul
uffe stihn wie an Taubenschlag; ’s ging aus und ei wie ei em
Taubasöller (Nim])tsch). Mancher ,schoiszt bem Derzehla inonch-
mol onder de Tauwa“; schneidet auf (Grafschaft). — Tauben-
fiissel, ein Kraut, Geranium colurabinum. — In einigen Gegenden
heisst die Taube auch Plauze, Feldplauze.
Turteltaube (Turtur), Türkei t au w' (Kätscher) f.; sie gurrt:
Was ich tu, is alls gutt; vgl. Peter, Viilkst. I, 0!)
Die Tauben rokutzen, ragutzen, regutzen, französ. rou-
couler, onomatopoetische Bildung:
Wenn bald hie und da ein Tutzt (flutzend)
So einander anrnkutzt, Czepko, Coridon;
wenn sie um das Dach rokutzen. Sat. Ged. I 34; wenn Tauben
sich ragutzend paaren. Stojipe, Parnass 333.
Wachtel f (t’oturnix): ’s Wachtelweibel heckt. Holtei 48f).
Schlagen die Wachteln .schon im Frühjahr, so folgt eine schlechte
Ernte und grosse Teuerung. Der Wachtelruf im Getreidefelde gibt
an, wieviel Taler das Getreide gelten wird, allgemein auch, wie
lange ein Mädchen noch ledig sein wird. — Wenn es im Sommer
viel Wachteln gibt, so bekommen wir viel Gewitter. Wachtel-
schlag: Bakbrwak, backwerwack, pickberwick (Franken-
stein, Kreuzburg), bittwerwitt (Reichenbach), putberlew’utt,
putberdew’utt (Kätscher); vgl. die Bezeichnung der Wachtel in
der Lausitzer Kindersprache Pitziierlik. Schlagt doch, ihr ver-
.schlagcncn (!) Wachteln!
ln Kätscher heisst es: Puit gurre wuit. krau’r a Bauch!
Mengt euer bnehrnhae voritzt in unsre Lieder. .Stoppe, l’nrimss87; 33;t.
Sn bcwusclibert als wie de Wachtel,
Wenn se dass se frühe aus em Wfze rickt
I'nd sirh's Wätter betracht und pickberwickt. llnltei 50.
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W i(‘(leliü|tf, Wicdcliopi» (Uimpa ppops L.), in., Wiede-
lioppe, Wiedehnppi* t., auch Hupper in. (Leobscliütz, Neissc);
•spiiclisvörtlicli: stinken wie a Wiedelnip]).
Würger ni., s. Krcngel.
Zaunkönig (Troglodytesi in., Sclineekönig (Liebenthal, Neii-
stadti, Schneepitzgcr (Kat.sclier); sich freuen wie ein Schneekönig:
sehr beliebte Redensart. Er lockt: tscliirp, t.schirp und hiess
früher auch Quack er:
SiiiRt eiiern Reuterzug ihr güdelhaften Kinken,
Ihr l^uarker euer Tschirp, ihr Meysen euer Pinken Scherffer, (Juerc, Pinst.
Der gefirre Vogel heisst an der iiiederösterreichischen Grenze
Aussi-eini.
Zeisig in. (Pringilla spinus L.). Die Grundform Zeis jxdn.
czyz bietet Günther (1732 1 78: Ich war kein .solcher Zeiss; ('ze])kn
hs. Zeisgen. Lebendige Weiterbildungen Zeislein n.: wie Kinder
sich am Rand' ein Zeislein la.ssen mühen. Scherffer, Hugo 251 ;
Zeiske (Holtei 48(i, Leob.schütz, Neustadt, Liebaul, Zeisker
(Kat.sclier), Zeiskel, Holtei 38; nd. Ziseke. — Czeisgeiigeba wer
(1452): das offene GefUngnis am Breslauer Rathause. Zeitschr.
f. Gesell. Schles. X, 245; 1543 Juni 21 wird verfügt: welcher sich
darwider setzet, sol mit dem Zeisgengebauer gestraft werden,
4 Tage und 4 Nacht, l'aber Orig. Vratisl. hs. Ein lockerer
Zeisig: leichtsinniger Mensch. — Bergzeiske: Name eines
Schwammes. — Zeisgenkraut, Stachys recta. Schwenkfeld. —
Dem Ge.sange des Zeisigs werden die Worte untergelegt: Ziegeffe.sch
is zäh. Holtei 482; vgl. Schaetscher.
Meerzeisig, Nieselzeisig ist ein Beinamen des Girlitz
(Fringilla serinus L.j, in Westböhmen Meerzeisl.
Ziegenmelker s. Nachtschatten.
Zum Schlus.se hebe ich aus Holteis Liederspiel „Die Wiener
in Berlin“ einige Strophen aus dem Schlus.sgesange heraus, die als
„taelsches Zeug“ in seinen Gedichten S. 482 ff. zu tiiiden sind und
uns einen gros.seii Teil der .schlesischen Vogelfauna vorfuhren.
Ei dam Walde wftchst der Reiske'), Ulil der Scheuer kräht de Krohe,
ühf eni liöine sitzt der Zeiske, ühf äm Hacrd hreniit's lichterlohe,
.Schwitschert; Ziegeflesch is zäh’, Und so kochen frischen Lehm,
Und der Kuck schreit immer: Mäh. Denn der Man klimmt hintc hem.
’) Reiske f., Reisker m. essbarer I’ilz. Man kennt den Blut- oder
Kotreisker i.Vgaricus delieiosust den (i rfinreisker und die Kergreiske
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■Tu, a klimmt wnl vo der Res«,
Und im Kasten') sitzt de M^se,
Und im Sprenkel*) (sist de) henkt
’s Katel, eh’b’s’) der Sperlich denkt.
Öcb der Laschke kUrnmt gekriicheu,
Denn de Lascbken*) leit ei Würben,
Und der Master Wiedehup
Dräbt sich justement an’n Znpp.
Schaetscher mit sem ruten Stirndel
FInckt an’n Appel, flnckt a Birndel,
Und a mfft de Faulemad,
Die is jnst im grissten Staat*).
Redt franziisch ock, denn se tarscb,
Und a Kamb hot se vum Barsch*)
Was der Hänflich ock mag wullcn,
HStt’ a nich irscht frogen sulleu,
Eh'h’ a*) tntt nach Hofe gihn,
Bale rnt und grau und grien.
NS, der Mtlnch’), das is a Racker,
Setzt sich uf a frischen Acker,
Der is grade irscht ragölt,
Wii aer i'm de Schub versohlt.
De Scholäster kUmmt zum Saufen
Runder nf a MiMwnrfshaufeu nsw.
Hot a Mieder vo der Lircbe,
Rute Bene wie de Störche,
Man vgl. auch die Vogelliochzeit bei Hoffmann n. Richter,
Schics. V'olk.'ilicder S. 72 ff.
Zur Volksetj^niologie.
Von M. Ilellmich in (iloguu.
In meinem Aufsatz über „Allerlei ('berflüssiges“ im Heft XVIII
dieser Zeitschrift habe ich am Schluss die in letzter Stunde er-
haltene Nachricht über das Vorkümmen der Durfreime in Kladau,
Kreis ülogan, erwähnt und dabei den von meinem Gewährsmann
gebrauchten Namen dafur„pul§r kwirl“ angeführt. Meine Annahme,
dass damit ein Hinweis auf die Gegend der Entstehung dieses
Brauches gegeben sei, hat sich als irrig erwiesen. Herr .Tustizrat
Reiche in Glogan macht mich tVenndlichst darauf aufmerksam,
dass ihm ein solcher Ausdruck in seiner Anwaltspraxis häutig vor-
komme und als Verballhornung von „Pasquill'‘ — über paäkwill,
puskwill, pulskwill — anzusehen sei. So nennt die Landbevölkerung
Niederschlesiens anonyme Zettel mit gegen Einzelne gerichtetem,
beleidigenden Inhalt, die an dem Hau.se, dein Hoftor oder an
Bäumen auf der Dorfstrasse befestigt werden.
') Scblagkasten zum Fange der Meisen.
*) Eine besonders zum Fange des Rotkehlchens (Katel) aufgestclite Kalle.
’) ehe es, ehe er.
*) de Laschken, gebildet wie die Müllern.
*) Staat m. kostbare Kleidung, .Sehmuek, vgl. Brautstaat, Sonntagstaat.
’j Weiterhildnng zu Här. Haer, Er, niäunliches Kanineheii; vgl, oben Kink.
’j Vgl. lirasemucke.
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Andere volksetymologisdie Uindeutungen sind durchsichtiger.
Die vor 50 Jahren gebräuchliche Bezeichnung „Sclinellalierc“ klingt
ja fast wie Hohn auf die damit belegte, gewiss auch nacli
damaligen Begriffen recht langsam fahrenden h'ahrpostverbindungen,
lässt aber doch ziemlich deutlich das Ursprungswort „journaliäre“
erkennen. Und wenn mich ein Bauer nach den „Bodenteuren“
fragt, folgert er ganz logisch den unver.standenen Namen „Boniteur“
aus der Tätigkeit .solcher Herren, die die Güte des „Bodens“ ab-
schätzen. Ebenso liegt ein bewusster Sinn in der Bezeichnnng der
Zerealien oder Halmfrüchte als „Zehrarien“, denn zum Verzehren
sind die Erzeugnisse bestimmt. Auch das Wort „insulieren“ triH't
zwar nicht die direkte Ableitung von „isolieren“, aber doch recht
gut den Sinn.
Bei solcher Umformung wird nun freilich nicht immer eine
Anlehnung an ein deut.sches Wort gesucht. Auch Fremdwörter,
wenn sie nur dem Volke geläufig sind, können als Ersatz dienen.
Freilich geht für uns dann der „Witz“ verloren, da der Sinn
solcher fremdsprachlichen Ersatzwörter nicht klar zum Bewusst.se.in
kommt. So wirken z. B. „Bataillonspunkt“ .statt „Polygonpunkt“
und „Bukettstab“ statt „Pikett.stab“ nur als Entgleisungen, wie
sie auch den Halbgebildeten leicht ])assieren.
Neben diesen beiden Arten der Umdeutung, bei denen deutsche
oder fremdsprachliche Worte zur Verwendung kommen, besteht
dann noch eine dritte Form, die rein dem Klange nach unmögliche
Formen bildet. Ich besitze die Abschrift einer Eingabe, in der
der Vertäs.ser sich mit dem Worte „hypothekarisch“ hofl'nungslo.s
herumschlägt und es mit „hopatikali.sch“, „hyputakrisch“ und „hopa-
takarisch“, immer vergeblich, versucht. Eben.so hat jener „gebildete“
Gemeindevorsteher, der da schrieb, „da.ss der Kreodor den Verkauf
des Grund.stücks nicht zulassen würde“ hilflos vor dem fremden
und doch so gerne angewandten Kreditor gestanden und vergeblich
eine Aidehnung an „Theodor“ gesucht, um dann schliesslich an
einer anderen Stelle mutig zum Verfahren II zurückzukehren mit
dem Ersatzwort „Kreatur“.
Und dieses Be.streben des Volkes, nnverständliche Worte sich
fa.sslich zurechtzulegen, macht nicht einmal vor der Mntters])raclie
halt. Zuneigung zur angcredeten Behörde hat den Bauer gewiss
nicht bewogen, die hoHentlich mit dem Cbrigen verschwindende,
greuliche AintsHoskel „ wohllüblich“ umzuwandeln in „wohllieblich“.
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Loben und Sitten in Schlesien um die Mitte des
16. Jahrhunderts.
Xiicli (len Aui'zeiclinmifren des Breslauci’ Rittmeistei’s Achilles
Scipio Sehellensclimidt (Nolaiuisl.
Von l>r. Wilhelm Schnlte.
I.
Achilles Scipio Schclleiischmidt (latinisiert auch No-
lanus freiiaimt) entstaniiiite aller Wahrscheinlichkeit nach einer
IJreslaner Haiidwerkerfaniilie, von der auch der Zuname herrührte.
Die Zeche iler Rot4rie.s.ser , Beckenschliiffer und Schellen.schniiede
war ziemlich jungen Datums. Im .Tahre 1377 berief der Rreslauer
Rat vier Becken.schlägernieister aus Gandersheim, um zum Prommen
der Stadt in Bre.slau ihres Bandwerks zu walten*). 1440 ent-
stand die Zeche der Rotgiesser und Beckenschläger*). Im .fahre
1409 zählte die Zeche der Rotgiesser und Schellenschmiede sieben
Meister*).
.lorge Schellenschmidt, der Urossvater des Achilles, wird
schon 1471 am 2. und .30. .Septemlier in den Breslauer Sigmiturbüchern
erwähnt*). Am 18. September 1472 Hess er der Barbara Bunczelinne
2 Mark Jährlichen Zinses auf sein Haus und Erbe auf der Alt-
büs.serstra.sse eintragen, die nach deren Tode an seine Frau Hed-
wig fallen sollten. Am gleichen Tuge verreichten sich die Ehe-
leute Jorge und Hedwig Schellenschmidt gegenseitig die Hälfte
ihres fahrenden und unfahrenden Gutes*). Um 1473 besass er ein
Haus auf der äussersten Schweidnitzer Ga.s.se. Am i>. April 1473
lie.ss er darauf für Katharina l\lelczerinne einen Zins von */a Mark
eintragen''’). Zehn Jahre später war er auf der .■Xlbrechtstra.s.se
') C. Dipl. Sil. VIII S. 75.
’) Klo.ie, Von Breslau, Dokumentierte Gescliiehte und liesclireibung, II
S. 415.
’) Klose, Darstellung der inneren Verhältnisse der .Stadt Breslau, .SS. rer.
.Sil. III S. 268.
*) Breslauer .Signatnrbncli von 1471 ini Stadtarchiv.
*) Breslauer Stadtarchiv G. I 17 f., 4IOf.
*) Breslauer Stadtarchiv Q. I 17 f. 4ii:ih,
Hittellangen <1. schles. Oes. f. Vkrtc. lieft .\l,\. 7
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98
angesessen. Im Jahre 1489 übernahm er mit seinem Sohne Bern-
hardin auf dieses Haus einen jährlichen Zins von 2 Mark auf’).
Jorges Nachkommen nahmen bald angesehene Stellungen in
ihrer Vaterstadt ein. Sein Sohn Bernhardin wurde 1484 als Bern-
hardinus Georgii de Wratislavia in die Matrikel der Krakauer
Universität eingetragen*). Nachmals wurde Bernhardin Schellen-
schmidt Breslauer Stadtschreiber. Als solcher ersclieint er urkund-
lich in den Jahren 1496 bis 1520 Juli 31 *). Er war mit Martha
Domnig, die wohl der alten Breslauer Ratsfamilie der Domnig^)
angehorte, verheiratet “). Dem Stadtschreiber und seiner Fi'au
widmete der Humanist Sigismund Buchwald (Fagilucus) in seinen
Extemporalitates Gedichte®). Auch dem Joliannes Nolanus und
seiner mit diesem verheirateten Schwester Katliarina Buchwald
.schrieb der humanistische Dichter ein Hochzeitsgedicht ’). Die
engen Beziehungen Bernliardin Schellen.schmidts zu den Humanisten
seiner Zeit erklären es zur Genüge, dass er .seine Söhne Valerius
Scipio und Achilles Scipio nannte. Üb der beiden gemeinsame
Name Scipio etwa die Latinisierung eines Familiennamens „Stock“
war, lässt sich nicht meltr nachweisen.
Der älteste Sohn, Valerius Scipio, .studierte wie sein Vater an
der Universität Krakau; er wurde am 27. November 1512 immatri-
kuliert"), dann wurde er wie sein Vater Breslauer Stadt.schreiber.
Er erecheint als solcher zuerst am 31. Januar 1522 bei Gelegen-
heit der Grenzregulierung zwischen dem Bre.slauer und dem öl.s-
') Breslauer Stadtarchiv O. I 19 f. 129 b.
*) Bauch, Schlesien und die Universilät Krakau im XV. und XVI. Jahr-
hundert, Zeitschr. f. Gesch. Schle.siens XLI S. 136
•) 1496 Zeitschr. f. Gesch. Schlesiens X S. 161. — 1500 Breslauer Stadt-
archiv Ropp. 2e; 1506 z. 15i; 1507 Novenib. 24 Par. IV 1343; 1509 Juli 26 .SS.
rer. Sil. 111 S. .30; 1510 Ropp. 2h; 151K Zeitschr. f. Gesch. Schlesiens X S. 161;
1520 Juli 31 SS. III S. 297.
‘) C. I). .Sil. XI S. 95 f.
‘) Breslauer Stadtarchiv 2116.
•) Bauch, Beiträge zur Literaturgeschichte des schlesischen Hum.auiBmns,
Zeitschr. f. Gesch. Schlesiens XXX S. 1.55. — Ad Bernadinnm Nolaunin urbis Vrat.
a Secretis socerum snnm. — De Nolaui Marthula et Corvini .\unula. — Ad
ciindem in landein Marthnle sue. ‘
’) Kpithalainiuin t'atharinc sororis et Joannis Nolaui soceri.
") Bauch a. a. O XLI S. 160 f.
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99
nischen Fürstentum *). ('ber seine vielseiti{?e Tätigkeit in den
Jaliren 1523 bis 1532 werden wir durch die Akten des Breslauer
Domkapitels unterrichtet^. Im Jahre 1531 wurde Valerius als
(Jesandter der schlesischen Fürsten und Stände in Sachen der
.Niederlage“ an König Ferdinand zum Speierer Reichstage ge-
schickt*). Jedenfalls hatte die Stadt Breslau allen Anla.ss, seine
amtliche Tätigkeit hoch zu bewerten.
Ob der zweite Sohn, Achilles Scipio, ebenfalls eine Universi-
tät besucht hat, liess sich nicht feststellen. Für seine humanistische
Bildung zeugen jedoch die gelehrten Zitate in seinen Schriften.
Zuerst wird er zusammen mit seinem Bruder Valerius envähnt.
Am 1. September 1530 bestätigte nämlich König Ferdinand I. zu
Augsburg dem Stadtschreiber Valerius Scipio und seinem Bruder
Achilles die Gerechtsame ihres auf der Albrechtstras.se an der
Ecke der Veitsgasse*) gelegenen Hau.se.s, wie es ihre Vorfahren
bese.ssen*). Am 20. Oktober 1534 war Achilles Schellen.schmidt
Zeuge, als der letzte Prior von St. Dorothea das Kloster an den
Breslauer Kat abtrat®).
Die nächsten Jahre waren für die weitere Laufbahn des
Achilles Schellenschmidt entscheidend.
In Oberungarn stritt der Hauptmann König Ferdinands I.,
Leonhard von Fels, mit Johann Zapolya um den Besitz des
Landes. Im Dezember 1536 hatten die Truppenführer Za])oly.as
trotz des bis Ostern 1537 verlängerten Waffenstillstandes Ka.schau
hinterlistig überfallen’). König Ferdinands Truppen unter Leon-
hard von Fels waren viel zu gering, um erfolgreichen Widerstand
leisten zu können. So drang im Jahre 1537 die Macht Zapolyas
in Oberungarn immer weiter vor. Im Mai 1537 hatte sich Peter
Pereny vor die Stadt Eperies werfen können. Leonhard von Fels
■) Klose, Darstelinng der inneren Verbältnisse der Stadt Breslan, SS. rer.
Sil. III S. 306.
’) Kästner, Beiträge z. Geseb. d. Bistums Breslan von 1300 bis 1635
S. 17, 25, 47 und 66.
*) Seine Instruktion im Breslauer Stadtarchiv AA. VIII 5 b.
*) Markgraf, Die Strassen Breslaus nach ihrer Gesebiebte und ihren
Namen S. 241; die Veitsgasse beisst jetzt Ziegengasse.
') Breslauer Stadtarchiv Z. 80.
*) Pols, ZeitbUeber der Schlesier III S. 79 f.
') Kugelwieser, Die Kämpfe Österreichs mit den Osmanen vom Jahre
1526 bis 1537, Wien 1899, S. 112.
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100
hielt die Stadt mit 4000 Mann besetzt und behauptete auch das
feste Schloss Saros. Nun wurde er riiifrs von der ('bermacht ein-
Keschlossen. Ende Juni sandte F'erdinand den Hieronymus Lasky,
der ihm 2000 Mann zugfeführt hatte, mit noch 6000 Böhmen unter
dem Befehl des böhmischen Grafen Albrecht Schlick zur Ver-
stärkung nach Eperies. Die Entsetzung von Eperies gelang auch *).
Lust und Liebe zum Kriegshandwerk hatte auch den Stadt-
schreibersohn, Achilles, unter die Fahnen des Königl. Hauptmanns
gezogen. Er selbst berichtet über die Episode vor Eperies in
dem Kapitel „Von der Wagenburg“ folgendes;
,Wo die Feiade n&be wären und die SchnrniUtzel angingen, und der An-
griff zu befahren wäre und eine Zeitlang inüsate man allda verharren, ao soll
die Wagenburg an sicheren Orten aufgeschlagen werden, besonders da kein
Mangel au Proviant, Futter, Holz uud an Wasser ist. als geschehen ist 1.Ö37
vor Eperies iu der Zips von dem Herrn Leonhart von Fels als oberster könig-
licher Feldbanptmaun, der niitsammt seinen zugethanen Kriegsrätben auf einem
buhen Berge eine Wagenburg geschlagen zwischen Eperies der Stadt und dem
Schloss Sebobar (’.), aus welcher Stadt die Zeit, so wir allda gelegen, nämlich
G Wochen und 3 Tage mit Proviant wir versehen sind gewesen. — Wo die
Wagenburg mit den Wägen nicht reicht, als Landsknechte nicht viel Wagen mit
sich fuhren , so mag ein guter spitziger Zaun gemacht werden hinter dem
Graben , wie denn vor Eperies geschehen in dem Loch .Friss mich nicht“ , da
uns der Feind belagert hat mit 2000O Manu und unser über 4000 nicht ge-
wesen, 6 Wochen und 3 Tage allda verharren mils-en und alle Tage mit dem
Feinde scharmUtzelt, da uns der Herr Lasko und der Herr Warkusch , welchen
Gott gnädig sei, errettet hat anno 1537; allda ist unser Okrister gewesen Herr
Leonhart Freiherr zu Fels Rö: Kö: Ma: Rath, Kämmerer, Oberster Hufmarschall,
Landeshauptmann au der Enns, Burggraf zu Tirol, oberster Feldhauptmanu iu
Ungarn * *).
Wie lanpe Acbilles Sclielleii.sclimidt Kriefrsdien.ste getan bat.
lie.ss .sich nicht ermitteln. Jedenfalls hatte er für da.s Kriegshand-
werk eine lebhafte Neigung; auch .seine militäri.schen Kenntnisse
und Erfahrungen waren, wie seine späteren Schriften bezeugen,
nicht unbedeutend.
Acht Jahre .später finden wir den Achilles Schellenschmidt
') Joh. Voigt, Iler Freiherr Hans Katzianer im Türkenkrieg, Historisches
Jahrhnch von Fr. v. Raumer 1844 .8. 145 f.
’) Freiherr Leonhard von Fels ist ein Vetter des Stammherni der einst in
Oherschlesien stark begüterten Reichsgrafen Kolonna. Vgl. Nowak, Die
Rcichsgrafen Kolonna, Freiherrn von Fels, auf Gro.ss-Strelilitz, Tost und Tworog,
Gross-Strelilitz 1302, .S, 7. — Von Ilieronjmns Lasky und Warkusch handelt ein
Schreiben d. d. Prag, 5. .Inli 1.537 im Breslauer .Staatsarchiv Rep. 13 III 11 p.
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101
wieder in Breslau. Er ist nunmehr verlieiratet. Zu seinem
Unterhalt lässt er sich in ein industrielles Unternehmen ein. Am
Ml. Dezember 1545 kaufte er nämlich mit seiner Ehefrau Anna
von den Vormündern der Maria Stemper die Papiermühle vor dem
Odertore samt einem , Häuslein am Rinp neben Haus Francke des
(Joldschmidts Erbe gelefren^ um 2000 Gulden; 860 Gulden sollten
darauf stehen bleiben, zu 5 "/o verzinst und jährlich mit 100 Gulden
abpezahlt werden ‘).
Mit seiner Eliefrau Anna scheint Acliilles Schellenschmidt
nicht gerade glücklich gelebt zu haben. Denn am 12. und
10. Juni 1546 hat er vor den Breslauer Schütten „bei seinen gutten
trewen und ehren anglobt, das er gen seym weyb mit Worten und
wercken fridlich leben soll und sie nicht beleidigen“, und in dem
zweiten Termine „hott dergleichen sein eheweib zugesagt, Jren
man vor gut zu haldten“ *). Auch mit der Papiermühle scheint
er keine guten Ge.schäfte gemacht zu haben. Denn im Jahre 1548
übersandte er eine Supi)likation an König Ferdinand I., in der er
um eine Fürbitte bei dem Breslauer Rat wegen eines Aufschubes
zur Zahlung seiner Schulden bat; er Imbe seine Papiermühle an
Meister Hansen verkaufen wollen; dieser aber sei erkrankt, so
da.ss der Kaufvertrag noch nicht habe zustande kommen können.
König Ferdinand sandte das Schreiben befürwortend am 0. März
1548 von Prag an den Breslauer Rat®).
Wenige Monate darauf erhielt er von dem Breslauer Rate ein
seinen militärischen Neigungen entsprechendes Amt. Am 24. Juli
1548 bestellte nämlich der Breslauer Rat den Acliilles Schelleu-
schmidt „in soliderer ansehung seines lieben Vatters, seynes langen
vordienens vnd .seines woluorhaltens“ zu seinem Rittmeister, so
da.ss „Er vnns vor sein Person vnd mit czweien erlichen gesellen
als mit dreyen Pferden dienen soll“. Dafür soll .seine Besoldung
auf jedes Pferd die Woche zwei und dreissig Schilling Heller sein
und falls er irgend woliin abgeschickt würde, soll er mit der Zehrung
freigehalten werden. Auch wird ihm für den Fall der Erledigung
das Hofrichtereiamt versprochen ; jedoch soll alsdann die Besoldung
') Breslauer Stadtarchiv Lib. .Siguat. von 1544. — Vielleicht ist das die
erste Papiermühle, welche in Breslau eingerichtet wurde und vou der Bartholo-
mäns Stein berichtet, SS. XVII S. 57 und Anm. 181.
*) Stadtarchiv, Lib. sign. 1546 f. 31a und 32h.
'} Ebenda EEE, 727 a und 727 b.
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102
nur auf zwei Pferde beschränkt sein: „Queinc es vnd langt es
aber, da got vor sey, zu kriegsleufften vnd wir seyncr czu ein
rittmeyster bedortfend, darzu er vor anderen seiner gescliicklich-
keyt nacli wurd gebraucht werden, wollen wir vns gegen Jnie als-
dan nach Kriegsordnung vnd gebrauch, wie andere sind in Schle-
sien, Jm an vnd abzug, auch mit schaden gelt . . . geborlich vnd
gon.stig czu uerlialten wis.sen“. „Zu deine wollen wir Jine auch
vor seine person und zweyn Diener des Ja res . . . ein cleydt geben
la.ssen, Jne auch mit ayner bequemen Herbergk vorsehen“ ').
Über das Breslauer Amt eines Rittmeisters sind wir nicht ge-
nügend unterrichtet. Mit der bewaffneten Bürgerschaft, die in
vier Quartiere geteilt war und von Hauptleuten befehligt wurde,
hatte dies Amt nichts zu tun. Die Stadt Breslau hielt aber auch
Söldner, Reiter wie Fus.svolk. Für das Fussvolk war 1512 Georg
Achtzehnnicht zum Hauptmann oder Rottenmeister gewählt worden.
Seine Bestallung hat grosse Ähnlichkeit mit der für Schellen-
schmidt *).
Die Reiter taten Botendienst für den Rat®); daher heissen
noch heute die städti.schen Boten Ausreuter. Sie wurden auch
deswegen gehalten, weil die Landstrassen selir oft von Beute-
lustigen unsicher gemacht wurden. Unter diesen Reitern befanden
sich auch Adelige und König Ferdinand lie.ss den Befelil ergehen,
dass sie, obgleich sie als Söldner dienten, darum nicht minder ge-
achtet werden sollten*). Solchen Adeligen erteilten die Rat-
mannen auch .schriftliche Zeugnisse, wie dies z. B. am 10. Oktober
1500 mit „dem Erbar wolltüchtigen Jwan Bößemann von Lohde“
geschah, der ihnen mit zwei Pferden mehrere Jahre als Söldner
gedient hatte®).
Nacli allem .scheint Achilles Srhellcnschmidt die Führung der
') Breslauer Stadtarchiv, Liber magnns f. 208 v.
») SS. III S. 187.
*) Dieaer Ratsboteu wird schon früh in den Stadtreebnungeu Ervvilhnung
getan. 1301 nuncius civitatis; 1303 enraores ; 1308 ciirsores, expluratorcs uuucii;
1327 nnd 1331 famuli eqnitaiites ; 1347 soldariis in precinm et in dainpnis
efjiiorum ; 1377 mincii eqnestres et pedestres. C. D. Sil. III S. 6, 12, 15, 27, 53,
56, 73, 110, 133, Vgl. die Ausgabe von 1468 in SS. III S. 278: Gabehard von
Mcicben mit drei Pferden 62 M. 4 Gr.
*) Neugebauer, Der Zwinger und die Zwinger-Brüderschaft S. 7.
») SS. III S. 286.
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103
von der Stadt Breslau geworbenen berittenen Söldner gehabt zu
haben.
Das Amt eines Breslauer Hotrichters, das ihm bei seiner Be-
stallung als Rittmeister in Aussicht gestellt war, dürfte ihm erst
ini Jahre 1554 zugcfallen sein; denn am 19. Dezember 1553 be-
kleidete dieses Amt noch Rochius Seidlitz*), während Achilles
Scipio Schcllenschmidt erst am 5. Januar 1555 in einer Urkunde
als Hofrichter erscheint *). Er wird als solcher auch noch am
26. Februar 1556 in einem Verzeichnis der Mannen des Hofgerichtes
aufgeführt *).
Bald darauf wurde Achilles Schellenschmidt zum Nachfolger
des Heinrich Falckenberg von Kanitz als ünterhauptmann oder
Amtmann des Konigl. Burglehens Namslau ausersehen. In dem
Liber magnus findet sich über seinen Verzicht auf die Breslauer
Ämter folgende Eintragung: „Diese beredte Bestallung (vom
24. Juli 1548) ist heute dato allenthalben auffgehoben und mit
allerseits gut Willen gantz und gar vorziehen, dorauff sich Achilles
aller forder Anspruch geeussert vud vorziehen; alles sonder gc-
ferde. Actum den 21. Mai anno 56“*).
Als Amtmann des Burglehns Namslau wurde Achilles Nutz-
niesser des in der Altstadt Namslau belegenen grossen Vorwerks.
Die für die wirtschaftlichen Verhältni.s.se der damaligen Zeit lehr-
reiche Verhandlung über die t'bergabe des Vorwerks hat sich er-
halten. Sie lautet:
,Dos InTeDtariiim Zar Alclcnstadt pro D. Achillo Scipioue dicto Nolanu
praefecto arcis in Nambslavia.
Anno domini 1556 den sieben vnd zwauczigsten tagk des niouadts Aprilis
ist dem ebrnesten Acbilli Scipioni Scbellenschmidt genauntb, Ampthmann aufT
dem königlichen Burgklehcu zu Nanipslaw, durch vns Steffan Hewgel viid Til-
man Hertwigen der liechten Poktor, als abgesawlte der Erbaren Haiiptmanschaft
zu BreBIaw, Tbernnthword worden auff dem Forwerge zur aldenstadt, Erstlichen
anu gelde vibe als scheps vnd seboffen buudert fUnff vnd zwauczigk, mer melke
') Breslauer Stadtarchiv LL. 223.
>) a. a. 0. LL. 224.
*) Breslauer Staatsarchiv Rep. 16 Nr. lOit.
*) Breslauer Staatsarchiv, Eintragung vom 31. Januar 1554 in Rep. 16
Nr. 64 f. 16 V.
•) Breslauer Stadtarchiv, Liber magnus f. 208 v.
•) unfruchtbares Vieh. Grimm IV 1, 2 S. 3059.
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schufTe hiiudcrt vier vutl ilrcißigk, mehr geleivhte ') leimiier sieben vnil seehszigk,
«larnocli zwo able Kühe, mer drei Kühe zu vier Jnreii nid vngeiierlich , nier ein
vihe ozeii , mer drei dreijharige oxlein vnd ein drcijorige Kalben, mer zwei
kclber czw czweien Jharen alle beide oxiein, mer sieben heurige Kelber,
dornuther ein oxicin. Jtem eine febnuutter*) mit dreitzen ferkelin, dorunter
fünf im Wolfmonad'j worden vnd die anderen acht von Weinachteu her ald.
Jtem fUnff fehlen*), dorunter eine gar sehr aide. Jtem zwecn walachen, der
eine sechs Jhar, der andere sieben Jhor ald, mer ein Hengstlein Jn vier Jharen,
mer drei walachen, zweite stein aide vnd der dritte über acht Jhor alt, mehr
eine treehtige Feldin*), Jtem zwei liewrige fölchen. Jtem eine Mandel gensc,
mer ein Mandel HUner. Jtem ein alter pochwagen gar geringe vnd zor-
schlotten. Soviell aber die Wintlierczcit anlangend, ist dem Heinrich falcken-
kerg*), altem Amptmaun von dem Hansen Kolischen nenn Malter vnd nenn
Scheffel Korn, mer zwei malder vnd neun scheffel weitzen in seinem abzuge voll
besehet vbcranudtwortlied vnd zugcsteld worden noch laut des Jnventarii. Es
hat aber Heinrich falckenberg dem Jetzigen Kewem amptlimami Achilli Scipioni,
8chellenschmidt genanudt. nach laut der zeugen aussage, dorauff sich falckenberg
selbst referiert vndt gezogen, nicht mehr als achtzehn scheffel vnd ein vierttel
vnd sonst im Hanffacker ctzlich wenigk scheffel weitzen, welcher aller erwachsen,
vorbrand vnd im stro, dorumb das es nass eingefürd worden, vonnohderter Weitzen
gewesen, besehet, dergleichen auch vormoge der czengen aussage vber ezwey bis Jn
drey malder Korn vber winther nicht besehet verlassen. Wir haben auch zur vber-
maße die Ersnmeu tieorge Ruthe vnd Lukas Maller, beide des Käthes zu Kanips-
law, neben den Scholzen zu aldeiistadt vnnd Schniarcliwilz solche Winther Soht
an Korn vnd weitzen besichtigen lassen, zum Theill auch selber besichtigt,
welche, wie es darumb eiugestald vnd geschaffen, Jr bekenntnis vnd Relation
dorUber gethon, wie in der vorzeichnis der handel zu Nampslaw nach der
czengen anssagen eingeschrieben zu befinden. Derhalben wird sich ein Erbar
Radth von wegen solchen biisen vnd geringen winther Soth, ouch von wegen
der mangel des filies von anders Jnn abzuge gegen Ihme dem Achille, domit er
nicht schaden leiden noch tragen darff, wol wissen zu vorhalden. Zn mehrcr
vrkund vnd Sicherheit haben wir Steffanus Hcngell vnd Tilmau Hertwigk doctor
kegeuwertigk Juventarium mit unserem angepornen petschaften be.sigclt vnd mit
eigener Hantl undersebrieben. Gesehen vnnd geben zue Nampslaw den acht vnd
czwanzigsteii April nach Christi vnsers herru vnd sehligmachers geburrtt im
XV 0 vnd LVI Jhare.
(S.) (-S.)
Steffan Heugell mp Tilman Hertwig m. p.*).
') geleicht = castratus oder ementulatus, wie in hs. Brcsl. vocab. des
16, Jh. bei Hoffraauu v. Fallersleben
•) farchmutter, Grimm III S. 1331.
•) Der Dezember nach Adelung Wörterbuch IV Sp 1605.
*) Stute, cqua, Grimm III S. 1485.
*) Heinrich Falkenberg war der Vorgänger Schellenschmidts.
•j Breslauer Stadtarchiv G. G. 40“.
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105
Acliilles Silii'llensi'liniiilt liut den Pitslen eines Anitinannes zu
Nauislau nur Ijis zum .lalire 1500 bekleidet'). Sein Naelifoljier
wurde Andreas Spijfel von Dobrau, des.sen Bestallnn};: am 22. April
1560 erfoljrte*).
In diese Zeit naeli Niederlefrung des Po.stens eines .Amtmanns
von Burg Namslau fällt wohl eine undatierte .sni)plieatio Aeliillis
Sei])ionis Nolani, worin er unter Berufung auf seine und .seines
Vatei-s treue, Dienste um die Au.szalilung von 400 Taler zu seiner
„.Abfertigung'* zu wiederlioltem Male bittet, während der Bres-
lauer Hat nur eine Summe von 350 Taler geben will ’).
Was Aehilles Sehellen.sehmidt bis zum Jahre 1571, wo er von
der Stadt Breslau wiederum als ihr Uittmei.ster angestellt wird,
für eine Holle gespielt hat, liess sich vorläutig tiicht feststellen.
Aus .seiner Bestallung vom 30. Januar 1571 wird ersichtlich, dass
er ausserhalb Schlesiens Dienste getan hat. Dort hei.sst es näm-
lich: „lind folgendt an andere ansehnliche orth vnd stellen, aldo
was merei-s czn nersuchen vnd czu erkundigen mit vn.serm vor
wissen vnd erlenbnis sich begeben vnd vorreiset, Jczo aller wider-
rumb sich czue vns vnd in dies .sein Vaterlandt eingestellet vnd
vns seine treue vnd willig dinst geburlicher weise zu anbitten vnd
antragen las.sen. Als haben wir gedachten Achillem Scipionem
in erwegung seines kegen vielen Erlauchten vnd an.sehenlichen
Personen, auch vnns vnd vnseren Vorfahren woilverhaltnus ander-
werts czu vnserem Hittmeister auf vnd angenommen“*).
Es hat hiernach den Anschein, als wenn .Achilles Schellen-
schmidt, ofteubar eine unruhige Natur, mit den amtlichen Stellen,
die er in Breslau und Namslau bekleidete, nicht zufrieden gewesen
sei und Höheres erstrelit habe. Schon seine Schriftstellerei, der
’) Eiutragaugeu von ibm als Unterhanptmann von Naiualau finden sich im
Kgl. .Staat.sarchiv Rep. l(i Nr. 64 vom 8. Januar 16.j7 f. 17, vom 1. April und
6. Juni 1559 f. 24 und 26. Am 8. August 1559 bekennen Kaspar lligkman und
seine Ehefrau Hedwig, dem Edleu und Ehrenfesten .Whilles Scipio Schclleu-
sehniidt genannt, Hauptmann auf dem Biirglehu Namslau, Vierzig Thaler Schulden
zahlen zu wollen. Breslauer Staatsarchiv, Stadt und Vorstädte Liegnitz, Kon-
traktenbneh Nr. 10 f. 39 a.
*) Breslauer Stadtarchiv Liber magniis f. 260 v. Vgl. das Schreiben dc.s
Hannfi Bockwicz an den Breslauer Laudeshauptmann o. 1>. ebenda.
•) Breslauer Stadtarchiv JJ. 3*’.
*) Ebenda, Lih. magn. f. 292 v.
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ein organisatorischer Zug nicht abziistreiten ist, lässt dies er-
kennen.
Schon 1553 widmete er, als der Stadt Bre.slau Rittmeister
sein , Kriegshuch“ dem „Durch leuehtigisten Hochgehornen Fürsten
vnd Herrn Herren Ferdinando Ertzherczogeii zue Ostereich, Her-
zogen yn Kernten, Steyer, Grauen czu Tyroll, Obersten Stadthalter
der Krön Rehem: Meinem gnedigisten Fürsten und Herrn“') und
ein anderes Exemplar dem Kanzler der Krone Böhmen, Reichs-
grafeu Heinrich zu Meissen, Graten zu Hauenstein, Plauen und
Gera*). 1557 sandte er eine Umarbeitung bzw. Erweiterung dieser
Schrift unter dem Titel „Türkensteuer“*) wiederum dem Könige
Ferdinand I.*). Dieselbe Schrift gelangte 1558 auch an die Stadt
Danzig*). 1560 überreichte er der Stadt Danzig eine preussische
Chronik ®). Mit dieser Chronik ist vorerst der Faden .seiner wechsel-
reichen Lebensgeschichte für uns abgerissen.
Es wäre gewiss nicht uninteres.sant, wenn die Schick.sale des merk-
würdigen Mannes in der Zeit von 1560 bis 1570 aufgedeckt werden
könnten. Wir mü.s.sen uns jedoch mit der Tatsache begnügen, dass es
ihn in seinem .\lter wieder in die Heimat und in seine Vaterstadt
zog, wo er seit Januar 1571 wieder seine alte Stellung als Ritt-
meister antrat.
*) Handschrift 10892 der k. k. Hofbibliothek za Wien.
*) Handschrift der herzogl. Bibliothek zu Wolfenhilttel, August, mnn. 39, 14.
*) In der Widmung heisst es: „wieder denn grausaiiieu wuttriebt denn
Turckeuo mith hulfflichenn Badt zue Stewerr gemeiner Christenheit“.
*) Handschrift 10704 der Wiener Hofhibliotbek.
*) Vgl. Jähns, Geschichte der Kriegswissenschaften vornehmlich in Deutsch-
land S. 532.
•) Die Chronica Scipionis wird zu einem Teile in der Stadtbihliothek. zum
anderen im Stadtarchiv zu Danzig aufbewahrt. Vgl. Dr. 0. Günther, Katalog
der Handschriften der Danziger Stadtbibliothek, Teil 2, 1903, S 213. Der Dnu-
y.iger Stadtsekretär Kaspar Schütz schreibt in dem Syllabus autorum seiner
historia rerum Prussicanim 1.599 also: „Über diese hat auch zu vnserer Zeit
ein Eisenfresser Achillis Scipio Stratioticus Halapanta (ob balophanta?) eine
Chrnnik deB deutschen Ordens zusammengeraspelt vnud dem Erbarn Batbe zu
Danlzig auno 1560 verehret, darinnen er so parteisch gemeiniglich in allen
Hei'.ilcln anff deB Ordens seitcu vnnd in den fUniembsten Laudes-Sachen so
kindisch vnd vnwissend sich erzeiget vnd insgemein mehr schendet und sebmehet,
denn Historien schreibt, das solch Convolut nicht werth noch tüchtig ist unter
die CTironiken zu zählen*. Weitere Angaben über diese Chronik s. Gehrke, der
Geschieh "Schreiber Bartholomäus Wartzmann, in Zeitschr. des Westprenssischen
Geschichtsvereins 1899 XL S. 129 f..
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107
In seiner Bestallung wird ihm nunmehr folgendes in Aus-
sicht gestellt:
,Zac einer ergetzang aber dieser seiner inUhe, sorgen rnd dinstes wollen
wir Jne mit einer freien Herbrige vnd wonnng nach gelegenheit vorsehen vnd
Jme ans unser Rentbkammer wöchentlich cznr besoldnng zwene Taler vnd jer-
lich ein stos Hoicz vnd acht schock Reisicht czn geben verordnen vnd darneben
mit fnnf Elen Tuch, allcrniaBen solches anderen beschicht , jerlicheu czn einem
kleidt bedenken vnd voisorgeu; Jm fahl wir Jnen aber an Königliche, Fürst-
liche oder andere ansehnliche Höfe, orth vnd stellen verschicken würden, wollen
wir Jnen alsdan neben geburlichen Zernng anch mit einem Ehrenkleidt, jedoch
nach vnseren Erkenntnns vnnd wolgefallen, czn versehen wissen, also das er do-
mit wol ezufrieden sein vnd sich alles gonstigen czn beruiucnn haben soll" ').
Wann Achilles Scipio Schellenschmidt sein bewegtes Leben
beschlossen hat, liess sich nicht ermitteln.
II.
Den militärischen Abschnitten der „Instruktion“ hat Schellen-
schmidt einen politisch-moralischen Traktat angehängt, der den
Titel führt: Zu Vorbesserung einer jeden fromen Obrickeit
gut Ordnung vnd pollicei seinen vndertonen zu geben, sich
in gutter Rüstung zu halten“*).
über den kriegswi.ssenschaftlichen Teil seiner beiden Schriften,
der „Instruktion“ und der „Türkensteuer“, hat Max Jähns in
seiner „Geschichte der Kriegswissenschaften“ eine ('bersicht ge-
geben’). Für uns hat der Anhang zu der „Instruktion“, den man
eine Landesordnung Schlesiens nennen könnte, wegen der leben-
digen und freimütigen Schilderung der Sittenzustände beim Adel,
beim Bauernstände und in den Städten einen besonderen Wert.
Eine volle Bestätigung und eine lehrreiche Ergänzung finden
Schellenschmidts Schilderungen in den bekannten Denkwürdigkeiten
von Hans von Schw’einichen^), wenn auch diese Tagebuchblätter
einer etwas Jüngeren Zeit angehören.
Zum vollen Verständnis der Schilderungen Schellenschmidts
wird es dienen, wenn der Ausgangspunkt seiner Darstellung, die
damalige Art der Landesdefension Sclilesiens, in grossen Zügen
besprochen wird.
') Breslauer Stadtarchiv Liber magnus f. 292 v.
’) In die „Türkensteuer“ hat dieser Traktat keine Aufnahme gefunden.
*) S. 529 ff., 743 und 753.
*) Heransgegebeo von U. Oesterley, Breslau 1878.
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(iejri'iiiilH'r der wachsenden Tiirkenfrctalir hatten sich die
schlesischen Fürsten und Stände der Bewillifrnnfj einer Latulcs-
stener nicht inelir entziehen können. Im Jalire 1527 wurde die
erste allgemeine Lande.ssteuer im Betrage von 100000 nngarischen
(Jnlden beschlossen. Die Anfbringung der Steuer wurde dnrcli
eine Selbst-Schatzung ermöglicht'). Für Achilles Schellensclnnidt
ist diese .Scliatznng“ die natürliche Vüraussetzung aller mili-
täri.sclien Einrichtungen.
Der Fürstentag im Oktober des Jahres 1529 brachte Schlesien
auch eine Landesdefensionsordnung. Ihr Zweck war, „wie
jeder Stand dem andern sich hilfreich beweisen .solle, im Falle er
angegrift’en werde“. Die Fügten und Stände teilten das ganze
Land in vier Kreise. Jedem die.ser Kreise wurde ein Hauptmann
vorgesetzt. Der oberste königliche Hauptmann soll ein Verzeich-
nis aller be.ses.senen Wirte erhalten, um aus dieser Itlusterrolle
be.stimmen zu können, wie viel von jedem Orte der 5., 10. oder
20. .Mann betrage, und so die Grösse des .\ufgebots zu bemessen.
In der Lande.sdefension war die Gestellung der reisigen
Pferde, die Bewaffnung und Ausrüstung der Fu.ssknechte, die Zu-
teilung des Geschützes, die Zahl der Heerwagen und der wöchent-
liche Sohl bestimmt. „Recht bezeichnend dafür, dass das Land
jetzt erst sich als eines zu.sammengehörigen Ganzen recht bewusst
wird, ist die Bestimmung, da.ss ein Landespanier mit dem Lande.s-
wapjien angefertigt und einer tauglichen Person übergeben werden
solle“*).
Der Ausbau der noch .sehr mangelhaften Lande.sdefension
wurde auf tlen nachfolgenden Für.stentagen fortgeführt. 1543
wurde eine neue Konsignation aller angesessenen Hauswirte ver-
langt und eine Generalmiisterung im ganzen Lande auf einen Tag
angc.sctzt *). .4uch eine B<*waft'nung des Landvolkes war in die
Wege geleitet. .4ber der Eifer Hess bei den schlesischen Ständen
bald nach; denn 1551 wird daraufangetragen und 1552 beschlossen,
') Vgl. Bach fahl, l)ie Organisation der Gcsauitstaat.svernaltiing Schlesiens
vor dem dreissigjahrigen Kriege S. 302. Eine ..Schatzung“ des Bistums Bres-
lau ist abgedrnckt in Darstellungen und Quellen zur schlesischen tfeschichtc III
S. 2(1.3 ff.
’) Palm, Schlesiens Laiide.sdefension im XV., XVI. und XVII. Jahrhundert,
in Ahhandl. d. .Schles Uesch. f. vaterl. Kultur, |)hilos,-hist. .Abteilung 1808 S. 81 f.
*) a, a. 0. 8. 84 f.
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die Biiohscn im TiUnde wieder tieiseite zu tun und zu verseldiessen.
Wörtlich heisst es:
.Sintemal eich dann Jn dieser schwinden vnd tewren zeitt, ancb vor-
kertteu vud büsen weit, viel vnd mannicbfaltige vbel, laster mit Stelen, ranbcn.
brennen, heimlicb apmordeu der Lentte, vorinercken lassen, das sich audi eczliche
plackerei dergfleichen nnzimlichen imittwillen zu begehen vnd zn treiben,
rottiren vnd Zusammen slahen, das zu besorgen, wo diesem Jn zeitten nitt zn
uorkomen, es mehr dasselb vberhand nehme, niemands vfT der strasseu sicher
wandeln können, vnd demselben leczlich vbel zu steuern sein: damitt aber die
fromen vor den boseun gesctintzt vnd gebandthapt werden.
So solle alle vud Jde buchsen, sie sein klein oder groll, dem panersmau
(ausgenohmen , was von kauff- und Wandersleuten, Handwergsgesellen ist) vor-
potten sein. Es soll auch ein Jder FUrst, Stand oder aber BUrgersman, von
seyiicn Vnderthaiien dieselben zn sich nehmen, bei Jme, oder da er nitt Jn dem-
jenigen Dorffe sesshafTtig were, dem Scholtczen oder in die kirche behaltiiisweise
einlegeu, Aida wann es die nottnrtfi erfordert, er dieselben linden müge, vnd
wann man der ymmer bednrlTend ist, die wiederniub an die orlt, daraus sie ge-
nomen, antwortte“ ').
Achilles Schelleusclimidt hatte iu dem Türkeukriege die
Wichtigkeit des militärischen Drills und die Bedeutung des Fuss-
vidkes, aber auch des («eschützwesens keiiiien gelernt. Im Gegen-
sätze zu den sclilesischeii Ständen drängt er darum auf die Ein-
ühiing der Bauern iu der Haudhahuug der Feuerwaffen. Seine
Vorschläge laufen auf eine feste Organisation dieser Schiess-
übungen auf dem Lande hinaus. Hauern wie Knechte sollen durch
Geldbeiträge diese ('buiigen ermöglichen. Der angesessene Adel
soll die Leitung in die Hand nehmen und durch Aussetzung eines
„Kleinods- die Lust und Kielte an den ('bungen wecken.
Wenn auch infolge der stets drolienden Türkengefahr die
militärische Seite bei Schellenschmidt im Vordergründe stellt, so
erweitert sich bei ihm docli die Lande.sdefension zur Lande.s-
ordnung.
Mit der Regierung König Ferdinands I. begann in Schle.sien
der abstrakte Staatsgedanke sich langsam zu verwirklichen. Dem
Königtum war eine neue Kriegsvertässung zu verdanken; es rief
Reformen der Rechtsjttlege ins Leben und eröft'nete dem Staate
neue finanzielle Hilfsquellen. Hter den widerstrebenden Sonder-
interessen stehend wandte es den wirtschaftlichen Verhältnis.sen
sein Augenmerk zu, unparteii.sch nur auf das Wohl des Ganzen
bedacht. Dazu kam noch, da.ss die königliche Verwaltung der
*) Acta publica, Hs. A. 45, 2a f. 127 v.
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110
ständischen in technischer Hinsicht weit überlegen war. Das
Königtum hatte die Stünde an Verständnis für die Bedürfnisse des
fortschreitenden Staatslebens, nicht minder an organisatorischer
Kraft und Fähigkeit übertroffen. Es war auf dem besten Wege,
den Anteil der Stände an der zentralen Staatsgewalt auf das Ge-
biet ihrer Privilegien zu bescliränken ‘).
Achilles Schellenschraidt , dem in seiner Doppelstellung als
Breslauer Rittmeister und als Hofrichter im Breslauer Mannen-
gericht sich der Unterschied zwischen der Wirksamkeit des auf-
strebenden Königtums und der Sonderinteressen der Fürsten und
Stände aufdrängen mochte, betont zwar nirgends direkt die könig-
liche Gewalt und ihre Regierung, wohl aber die Pflicht der Unter-
tanen, der Obrigkeit sich gehoi-sam zu erweisen. Zugleich ver-
langt er von der Obrigkeit, „sich zum höchsten zu befleissen, wie
ihren Unterthanen auf das treulichste vorzustehen sei, und dass
sie diese nicht mit unbilliger Bedrängnis beschweren sollen, damit
die Unterthanen in der Zeit der Not der Obrigkeit zu Hülfe
kommen mögen"“. Auf die.ser Grundlage will er die „Landes-
ordnung“ aufgebaut wLs.sen. Darum bespricht er ausführlich die
Stellung des Adels, des Bauernstandes und der Städte zu den
üft'entlichen Aufgaben, geisselt ihre Schwächen und Gebrechen und
erhofft von der Besserung der Sitten eine Hebung des Wohl-
standes, und die Befreiung und Stärkung der Kräfte des Landes
zur Abwehr der Türketigefahr und zur Erhaltung des Friedens.
Es ist dabei für den Kriegsmann natürlich, dass er die mili-
tärischen Verhältnisse überall in den Vordergrund treten lä.sst.
So ist seine Schrift zu einer lebendigen und anschaulichen
Schilderung des Lebens bei dem Adel, den Bauern und Städtern
geworden. Einen besonderen Reiz erhält .seine Darstellung durch
.seine volkstümliche Sprache - er selbst bezeichnet sie als seine
„einfeldige angeborene .schlesische Sprach“ — , durch die Ein-
flechtung volkstümlicher Redensarten und Sprüche, und entsprechend
dem Charakter .seiner Zeit und seiner eigenen Ausbildung durch
Heranziehung gelehrter und bibli.scher Zitate.
’)Racbfahl, Die Orj'anisation der Desaiiitstaatarerwaltuug .Schlesiens
S. 40-2.
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III.
Die Absclirift des iiacli folgenden Traktates Scliellenschmidts
ans der Handschrift n. H604 der Hof- und Staatsbibliothek in
München ist mir von einem mir sehr nahestehenden Obersten a. D.
ziigegangen. Der Traktat steht in der Münchener Handschrift
auf den Blättern 364 bis 411. Der Liberalität der k. k. Hof-
bibliothek in Wien habe ich es zu verdanken, dass ich hier auf
der Stadtbibliothek in Breslau die Foliohandschrift n. 10892 ver-
gleichen konnte. Hier steht der Traktat auf den Blättern 321 bis
379. Der prächtige Einband der Handschrift trägt den Titel
„Krigsbuch MDL HD.
Die Einleitung in das Kriegsbuch lautet:
Mit gUttlicher HUlff vnd Zulassung bin ich der tröstlichen Zuvorsiebt, mich
diese nochfolgenilen Mühe vnd Arbcilt nitt gancz vorgebenlicli vndernomen vnd
vnderfangen zu haben vnd den ehrliebenden newen unvorsuebten Kriegsleutten
— wie man spricht dulce bellum inexpertis — mit meinem cinfeldigen Under-
richt der Krigs Rüstung zu Hülfe kommen. Im Fall nitt viel nutz-
liclies daraus gesebuphd wird, magk auch kein .Schad daraus erwachsen
vnd erfolgen vnd ob die Undanckbarkrit bey manchem unvorstendigeu
vnd nngeibten erscheinen moechtt, will ich mir dennoch nitt graussen noch
forebteu vnd meinen Hued vor die Augen zu ziehen bedocht sein, siiuder den
boebvorsteudigen und krigserfabreueu Krigslenten mich dis fals zu erkennen
nitt ausschliesso vnd volgend mein Intcnd vnd trewes Oemidt, Inhalt dieses
Büchleins gnnstig zu vomemeu, welchs meinem Nächsten mitzutheilen ich aus
chrystlicher Liebe und Treue vornrsaclit, schuldig erkenne. Ob auch hoer,
scharff, weidgesuebt kanczeleysch Deutsch nitt befliessen , sundern bei meiner
einfeldigen angeborene schlesische Sprach vorbleibeu wollen, auf dies mol vor
gut passiven lassen vnd mich hieiuit zum dienstlichsten in Demutt entpholen zu
haben gerueben.
V. Die Landesord Illing.
Zu norbesserung einer jeden fromeu obrickeit gut Ordnung
vnd pollicei seinen vndertoneu zu geben, Sich jn guter Rüstung zu
halten wie folgett*):
Qott der almechtige gebeuth, das man vor die Obrigkeit bitten sol, das
sie durch Uott beschützt vnd erhalten werd, den eO sonderlich ein groß gnad
vnd gäbe Oottes yst, das gemeiner friedt erhalten, guett Ordnung vnd policzey
in allen Stenden, dorinne man die göttlichen Weisheit vnd guette sihett und
spuret. Gott wiell derbalben guett Ordnung vnd Regimeudt in aller weit haben,
diili jn diesem leben Gott der allmechtige vnd sein allmecbtigkeit erkennen
lernen, furchten, jni daucken, loben vnd preissen.
*) Die Rechtschreibung ist vereinfacht, zumal sie in den beiden Handschriften
nicht Ubereinstimmt.
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Dieweil von Gott dem aimcclitigen die Obrickeit geschaffen vnd gesaczt
viid zmi einem vorgeher vnd Kogierer geordiiclt, jnno auch das weltliche
scliwerdt, an landt vnd lenthen vortrawet, welcher auch noch muglickaitt den
gehorsam zn leisten schneldigk.
Darnmb sohl eine jede obrigkait sich znm höchsten benleissen vnd acht
haben, wie iren vuderthonen auf das treulichsten vorcznstehen, bcscbirmett vnd
beschuczt werden miiegcn; Sie auch mit vnbillicher gedrangnes, welchis die
arme vnderthonn belangende, nitt beschweren, jn der nioß vnd czill, die mittel
vnd wege gesucht, domit die vnderthonn jn der czeit der nott der ohrigkait zur
hniff kommen muegeu.
Wer land vnd lent mit vnrecht drang,
ob dem das Schwert yra fadem hang,
g.ar selten ein seligs end erlangt
vnd besthehet gros gefar, wie gros er [irangt.
Ein obrigkeitt sali jn der czeit des frideß den vnfried bedencken, sein
vnderton, waß wirdeii, Standes die sein, von landt vnd Stetten vor sich zu-
beschaiden gnedigst gerucheu, dobey Vorbringen vudt anczeigen, wie das der Erb-
feindt dehrr Christenheit der Tilrck mit gewalt au allen orten ohn vortiiittliiug
vnd vrsach die Christenheit mit hereskraft zn bekriegen, welchs dann mit
geringen schaden der christenhait nicht geschehen mocht. Sonder Landt vnd
lenth doruber vorheret vnd vorczeret vnd zn drummeru gehen, withwen vnd
weissen, geschendt, vnd geschmecht, wie man bey vnsern Nachbarn sehen vnd
erfahren *).
Derhalbcn sohl einjeder vnterthon was wirdens, Standes oder wessens die
sein, bey jren Eiden vnd iiflichtcn nussagen, seinen getreusten Rath mitteilen
noch seinen vorstandt, Do vns Gott der alniechtige gnediglich doiior behüten
wolt, das der Erbfeindt, die landt zn vberfallen bedocht, jn was gestalt vml
meinung, dem gemelten Türcken mit der gegenwehr zu begegnen, dieweil es
dann einen jeden in Sonderheit auch angehet vnd betreffendt.
Es soll auch ein obrigkeitb nach ausgesagtem Radtschlag vnd wolmeinnng,
des armen Rath nicht vorachteu, suuder eines jeden Ratschlag mit höchsten vlcis
beherzigen vnd das best, so einer obrigkeit dorans klauben vnd nehmen vnd mit
reifem Rath bescblissen. Ecziieh auf das trenliehste dcmselbigeu nachgehen
vnd die zeit nicht vorgeblichen vorflißen lassen, domit einer obrigkeit getreues
geinUth vnd wolfart der vnterthon von jn selbst gespürt vnd erkandt vnd ein
landis Ordnungk in allem thun, wie geburlich angcstellt mocht werden.
Als dem adel sich je Ritterlichen Sachen zu vben vnd gebrauchen gebürt.
Es sey zn Roß oder zu fuß, wie es sich noch ehren geziemen wioll. Sali ein
Obrigkeit mit vleis darob sein vnd giitt achtnng haben , das die von hem oder
ndclsgemeß, welche mit viel Kindern von Gott dem almecbtigen gencdiglieh
hegnadet vnd begabet, das sie dieselbigen zum theil als junge gesellen jn fremde
lamlt etwas ehrlichs z>i vorsuchen vnd lernen nbgefertiget, diejenigen zuvor,
welche vater vnd mutter als iren Eltern nit gehorsam geleisten wollen , vnd
alczeit doheim den Eltern anf den hals liegen, Kreezmer vnd Knohlochs
') Vor allem in Oliernngarn, wo Achilles ,Si hellensrhniidt seihst .am Kampfe
teilgenoniinen hatte; vgl. oljen S. 9!b
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jiuigckcni ') ans jhneii wenlcii vnd auf einen Edelmaiisliof vnd auf den andern
reiten, die Zeit ircr jiigciit vnwider ruflich vorgeldidi vorzeren vnd clie die ge-
iDClteii achtzehen jar alt werden •), sich in hejrat cinlusseu , als wehr weibes
mutter gestorben •), vnd inelir vorzeren wollen, als der liebe (Jott beschert.
Wo der Obrigkeit des ehrlichen vorachlagc.s viid bejdiel von den jenigen
an alle echte entsuhuldigung vorseczlicli beschwerden , So sollen genieltlie mit
ernst von der Obrigkeit dazn gehalten werden, Bey vorlirnng der lehn vnd
harter straf vnd zum vberflus ahzeigen seiner Obrigkeit vnd seinem vaterlandt
jni selbst zue ehren vnd festen auszichen wolt. welches dann bey der Obrigkeit
vnd dem gauczen Vaterlandt, darzn seinem gaulzcn ehrlichen geschlecht vnd jm
selbst zn allen guten erscheinen magk.
V'iid (iott der alinechtige einem solchen Khrlichen gesellen widernmh heime
hiilft, so soll ehr auch einen aufrichtigen palipart*) haben vnd mittebringen,
daUelbige augenscheinlich beweissen, Ah auch erkaniiilt mag werden, Ob der ehr-
lich gesell mit frommen oder schaden seine zeit vurzert hot, wie sieh dann
einem erliebendcn woll geziemen vnd geburen wiell.
Alsdann wann sich der ehrlich gesell hett etwas vorsiiclit vnd sich in ehr-
lichen .Sachen brauchen lassen, in zunorsicht seiner obrigkeit vnd dem ganczen
vaterlandt zu nncz vnd fruinmeii, als dann soll derjenige vor andere herfubr ge-
zogen werden, Ehrlich nach seinem standt nach erkenutnus der Obrigkeit zu
einem hcyspil der noch kommenden, das mau Junge bey dem altbeii aufziehe.
Nach meinem einfeltigeu gedanckcu ist auf die einheimischen mehr glanhens
vnd treuen zn setzen vnd frommen ans jline zn schephen, welche eines ehrliches
herkummeus vnd eines gnthcii nahuiens, dan die aus fremden landen zu vns
kommen vnd jn ein landt in das andere laufen vnd nichts zn vorlichren haben;
doch will ich den aufrichtigen vnd Erliehendeu uicbtes zne schade geredt mihr
Vorbehalten haben.
Wiewol in etlichen landen, als bey den vnvorsuchten vnd vuerfnrnen
hreuchlich , wann ein fremder landtfehrcr in ein landt kompt, dem anderswo
l.andt vnd leuth lanb vnd gras vorbothen*), so höret man jne also vlcissig zu,
') Kreezmer = solche, die im Kretscham, im Wirtshaus liegen, t'her die
Knoblochsjuuker vgl, Schickfuss, Schles. (Jironik 4, H9: .Doch werden allhicr
die Krippenreiiter, Stänker und Knoblochsgäste gar nicht verstanden“; vgl. S. 122
Anm. I.
•) Über den Beginn der Mündigkeit vgl. Klose’s Breslau SS. III S. 222;
.Die Zeit der Minderjährigkeit war in diesem Zeitraum durch kein obrigkeit-
liches Gesetz besliiiinit, sondern bing ganz von dem Willen <ler Eltern ah“.
Hans von Scbweinicbcu sagt in seinen Denkwürdigkeiten: .vier Jahre vorm
Bart scheereu und vier Jahre hcrnacli ist am besten ein Weib nehmen“. Aiisg.
von Oesterley S. 48.
•) Das soll wohl heissen: als stürbe das weibliche Geschleclit ans.
*) Passport,
•) Bei dam is Löh und Groas vertnrben. (Schlc.sisch.j W ander, Deutsches
.Sprichwlirterlexikon, Sp. 1807.
Mitteilungen il. scliles. lies. f. Vkde. Heft XIX. 8
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al« hett inan uilie Iriitc «csehen, wenn ehr nnbr ein wenig das inaiil vorkeron
kann So ist das anselicn scliun vorhanden.
Aus was vrsach entspringekt ein snieb vnerkenntlich vnd vnvursucht jr-
tlminb, welches bey den vorsteudigen vnd genblheu wenig kraft hat
Denn wie Christus saget, kein prophet ist in seinem valerlaudt angenehm').
Christus gieiig in einer armen ge.stalt, ehr hatte nit das ansehen wie die groB-
nicchtigcn Heren vnd potentaten als pilatns, Cayphas, Herodia, vnd die cidisten
der Juden hatten; doch künden sie vor jme nicht besteen vnd aufs wenigste
autwort geben, wie vus die heylige Schrift anzeiget.
Also gehet es auch mit armen gesellen, der woll zu Zeiten einer obrigkeit
vnd gemeinem nucz mit diustlichem Kath erscheinen inocht, aber ehr hat nit
das ansehen. Non est aeceptus in patria'j. Daraus wirt erkennet, das die
obrigkeit jre Regenten, die sie zum theil vnter ihnen haben , seihest nichts vor-
steben noch lernen wollen, auch fremde landt in irer jugendt zu beschauen vnd
zu uorsuchen jn ein vorgessen stelet vnd ire kinder auf das wenigste zu be-
fnrdrcn bedacht vnd demnach Regcnthcn mit dem Zunahmen vnd mit hohen
tittell gescholdeu wollen werden, vnd milsseu sich offt Schemen, das ir vortraule
mitwohner mehrcr vorstandt jn jbmig erfaten als die regenten seihest; dann cs
giindt keiner mehr dem andren die ehr, wa.s will daraus weiden.
Disfals sohl ein Obrigkeit ein gnedigst einsehen zu haben schnldigk sein,
domit ein vnterscheidt vnd mittel gehalten vnd die proplieten recht erkennen,
das sie angenehme sein .sollen So gemeltc ihrem beruf vnd geinuth ein gennge
thuen. -\rs probatiir arte.
Es mus oft ein ehrliebender mann Jn ander weg sein Resserung suchen von
noth wegen viid oft wieder sein eigen vaterlandl haiidelu viid timen, wiewol cs
beschwerlich, es geschieht nicht ohn vrsach*). Pauper ubiqiie jacet'). Not
siiebt weck*). Armiith lernt geiiaw fischen.
Kerner ist der Obrigkeit von nothen mit ern.st dohin zue gcdenckeii, das
die von adel oder diejenigen, so guter auf dein landt haben, das sieb ein jeder
noch seinem vorinngen rilstigck halten’), welche ireii hern oder Obrigkeit die
leben zu bestellen schuldig vnd in guter bereidt.schaft sizeii sollen.
Mehr sollen die .Scbolzen vnd frei|iaiiieu sieb jn guter rilstuiig vnd jn
') \ hot immer sc Maul fiirne für. Daniel (lonioicke, .*<prii'bwörter 17;U,
Wander a. a. 0. III 511, 23il.
’) Math. XIII 57.
•) Projiheta non est aeceptus in patria sna. \'gl. Dr, Andreas Sutor,
Chaos. .Augsburg 1710 ü. 720.
*) In dieser Neigung, fremde Dienste zu nehmen, zeigt sieb der Einlluss
des danialigen Siildnerwescns.
*) Ovid. fasti I 217.
") Wiener lldschr. ,wcg‘. Die beiden deutschen Redensarten lies.seii sieh
in dieser Form nicht nachweiscii.
’) Nach der Defeiisionsordniing sollte von jedem Dandgiite, welches sieh
auf :iü00 (iiilden „erstreckte“, ein gerüstetes Pferd gestellt werden, Palm
a. a. 0. 82.
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t)ereitschafi wie vor jaien brcnclilicli iiiit ireu jrutlieu walachen, die
sic selbst woll ezielien timgen, in irer arbcit braiubeii, mit Icicbtcn futter
Hiishalteii, darzn ir sinlS vnd schildt, iiauzerbeiiid, paekanetlein *), sclnverdt, ein
guten fanst kolben ein fiihrbUxlein sebadt ancb niebt durbei, dili alles jn vor-
ratli zu ballten in der zeit der nutli dem vaterlandt zu gut vnd auch vor sieb
selbst zn beschützen.
Mehr soll ein Obrigkeit ein vlcissig anfsehen haben, das ihre vnterthon,
welche zn solchen .Sachen tüchtig sein, aus langen rohren zu schissen genbet
werden, dann man findt noch viele junge jiinackenn •) in dorfern , die sich in
sulchen ehrlichen handeln woll brauchen l,vsscu vnd vor feinden zn stehen.
Vnd soll ein jtzlieh dorf noch gelegenheit mclir oder weniger, dnrnoch
das dorf groll ist, mit ettlich btlchscn, welch ziinlicli lang rohr haben, in vor-
rutli haben.
Dieselbigen bilchsen vnd lange rohr sollen von den panerslenthen des
ilorfes gezeuget werden vnd ein stener doraiif geleget, dieweil es dan dem lande
vnd iline selbst zu gut mit der zeit gereichen mag vnd an allen schaden die
l’.ucbseii in irer gewnrsain vnd vor eigen haben.
Die von adel sollen auch irc vnterlhon in steter vbnngk halten etwan
auf ein sontng oder feicr tag vnd wan es sonst der berschaft gelegen, niil dem
scliicssen vnterweissen , wie man die bUcliscn laden soll vnd kegen dem feindt
brauchen, vnd stelz in solcher vbnug vorharren fcsliglich doranf berfien vnd
bleiben; auch sollen die biiebssen wideruinb den scheppeu zugestalt werden,
dormit nitt enicherley iniitwill doraus entwuchs wie zuuor mclir geschehen*).
Ks sollen auch auf aiigesagte tagezeil, da sich diejenigen vormeinen
zn vben. Ein kleinot “) aufgeworfen werden noch jnhalt des vorinngcns, aldo
sollen die pancrslenthe gertner mit sampt den ledigen gesellen samptlich vnd
vngesnndcrt schyessen ; wann sie zuuor ein wenig jn vbung kommen , so
werden sie dester williger vnd vieiUiger vnd dorfen der vnibung keiner gefniir
bestehen.
Es ist besser sich in steter vbung zn halten. Es sey zn Roll oder Full vnd
mit bilchsen schießen, wider das man stelz in Krelzmerhaus seü, tag vnd nacht,
vnil vorsnffe alle vornunft vml sein harte arbeit, dadurch Gott geschendt ge-
lestert vnd geonehret wirdt.
Der pauren sohn vnd der freien kneebt, welche der berschaft vml pauirs
leiitlien dienen, als nemlich große kneebt, mittel kneebt, wie dieselbigen mit
sonderlichen nahmen mngeu genenilt werden, ilie sollen auch mit eiugezogen
') packanetlein, eiserne Haube.
•) Faustkolben = Streitkolben.
*) jnnak, polnisch, junger rüstiger Kerl. Linde II S. 278.
*) Vgl. den Beschluss der scblcsisclicn Stünde über die Ablieferung der
Waffen vom .1. I.Ö.Ö2 oben 8. 108.
*) Kleinot hier in dem Sinne von Preis. „Ehren- vnd Danek-Klciiiotteu“
im „Anssebreiben ziini grossen Fc.stscbics.scn in Neis.se“. Kästner, Gesebiehte
der Xeisser Sehülzengililc 1850 S. 21!.
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sein. Die persoiien so tUditi); zum .scliicssen »ol jeder noch erkentnus iler obrig-
keit vuil der herschaft ein klein sieuer zu kraut vuil liitt ') besteuert werden.
Sali ein jeder pauersinann von der hübe <> dt, von einer halben 3 dt , Kin
gertner soll einlegen 3 dt Ein groskneeht 2 dt Ein inittelkneeht 1 dt. Dieß
alles sohl alle suntag vor dem Schulzen vinl zweite sehepiieu aus bcuehl der her-
schaft eingelegt werden vnd in ein ladtt vorsi hlyssen; darumb soll man puluer
vnd bley kaufen.
Vnd so was ju vorradt bleibet, in der zeit der nott, als in teuer zelten den
nottnrfligcn vnd armen, auch den armen jtzt gemellen Knechten mit kranckheit
gestraft, inocbt vorgereicbt werden vnd zu biilf kommen *). So wirt der pauers-
man dester williger mit sampt den knecbten vnd ist mauicberley nutz vnd
frommen mit diesem gelt zuerlangeu vnd werden die diii.stbotteii der hersobaft
vleissiger zn dienen vorvrsacht vnd nit noch ander ber.scbafl't trachten, dieweil
sie ir gelt ein zeit langk in gemeinen kästen *j geleget haben.
Wo nne ein obrigkeit dieUe gemelte lands Ordnung jm landt zu steter
vbnng auferleget, ernstlich dcmselbigcu naebzugeben bescbliesse, kann ein obrig-
keit als die bochvorstendigen gnedig.st eraclitcii, was imez vnd fronien daraus
entspriUe vml erschi’jit mag werden.
Erstlich wirt ein obrigkeit wissen, wie mcchtig vnd gcwaldig ehr an landt
vnd leuthen, ferner wie viel tausendt man vormag in fehlt zn bringen zu roß
vnd fnU*), ob jm ein feindt ins landt ticll vnd .schaden voriueint zn thnen, domit
sich ein obrigkeit mit sampt seinen lieben getreuen vntertbon vor gewalt scblltzen
vnd zu der kegenwebr setzen.
Wenn aneb ein feindt solch.s jn erfarnoss kweiiie, das .solch geübt voick zu
roß und fuß mit solchen geschiitz genbet im lande wehren, Es würd sich der
feindt nit so palt wider seinen nachtbarn legen. Es kann oft ein schwert das
ander jnue balten •).
Es soll ein obrigkeit alle jar aufs wenigste vier mol mustern lassen vnd
coinißarien im landt dorzu ordnen, domit dem mandat geborsamplich nochgelebet
werde sub pena.
Do Gott gncdiglich dorfor sein wolt vnd der erbfeindt im landt viinor-
windtlic.hcn schaden zuzufiiegeii gesonnen, wie dann oft gesclichcn, so ist besser,
das feuer bej dem naebtbar gewert dann dobeime.
') Pulver und Blei.
’) Es ist ein interessanter sozialpolitischer Vorschlag, die für die .Schicss-
übungen gesammelten (ieldcr gegelienen Palles auch zur nnterstlllzung erkrankter
Knechte zn verwenden.
•) Vgl. Grimm V 26.Ö; — .‘Umoscnkasicn , Goticskasteii. — Oben wird
„Lade“ gebraucht.
*) Eine genaue Konsignation der zum Kriegsdienst verpflichteten M.ami-
schaflen wurde von den schlesischen .Stünden erst viel später, nämlich 1578 he-
schlossiui. Die (icsamtsnmmc in den vier Quartieren Schlesiens ergab 13939*». —
Palm a. a. 0. S. 87.
“) Ein Scliwert (heilielt das andere in der Scheyde. Wander a. a. 0.
IV 4(17, 32.
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Als dann ans vunoriuciilliclicr vrsncli eine obrigkeit sein vnterthon fordern
vnd brauchen, also das ehr sie ein ander mol auch brauchen kann. In medio
cousistit virtns *).
K» soll sich ein viitcrlhon, es sey was wirdena oder staudts er sey, nit
wcgerii, sunder sich an alle «tisrede vnd vorzngk seiner obrigkeit gejiot gehor-
sam vnd folgig sein, hey verlast der lelieiin vnd der guter, bey leibstrof vnd
kegcklich sich vor den feinden sehen zn lo.ssen, als die vorsneht vnd geUbet; denn
die feinde seint iiit alle in re militari geUbet vnd erfuren. Sollen auch die vom
heru.standt oder adels genoß mit sampt jren vndertbonen in der zeit des
friedens jr körn viid speißheuser in stetten gebaut haben’), domitt sie in der
zeit der nott mit weib vnd kindren vnd jren vnterthon dorein fliehen vnd jren
sehucr dorinne suchen vnd so langck dorinne vorharren, biß dem feindt ein
wider.stondt gesclicge vnd bics auf weitern beai haidi •).
Die vom adcl mit sampt jren vnterthunn sein pflichtig, sofehrn sie den
scliucz vinl foderung in Stetten vormcinen zu suchen, wie auch billieh, das si
auch den .Stetten mit dienstlicher liUlf in allen tliueun, so zn beschilzung ge-
hört, Kr sey an manren, grehen, geschucz, kraut vnd loth, mit aller Munition,
wie sich das erheischt, das inne dem gcinolten die vom adel zu gut erbauet
wirl, zu erhalten weib vnd kindt vnd jr armen vnterthon als woll den mitt-
Imrgern jn Stedtten. Es sollen auch jr speisheusser mit aller iiottdilrftigem
prolandt auf etlich jar profantirt sein. Jn solchen hohen obliegen ju der zeit
de.s frides soll ein obrigkeit ein gnediges oinseheii haben zu errettuug vnd zu
erhaltuug seiner landl vnd leuthen ju gutem fried vnd eynigkeit seiner vntcr-
tbouen. Concordia parvae res erescunt, discordia niaxiiuac dilabuntur*).
Wicwoll die von adel vnd die von stedten seiden jn einem stalle stehen’)
Es will alle niuhl einer besser als der amler sein. Es mag auch woll seinen be-
sebeidt haben noch iler weit pracht, welchs ilann bey tiott nichts ist. lienu bey
tiott ist kein vnterscheidt der personell. Derhalbon gebürt der obrigkeit jn
solchen vnn anderen feilen ein gnediges einsehen zu haben, doiiiit gut rcgiuient
vnd pollicey eines jdren landts gehalten wert, seinen standt noch; dieweil die
vnterthon einen Oott vnd einen iicrn haben.
Die von Stedten sein zinilich mit stiller grober stolzen holVart vorsehen,
welche von grossen vnchristlicheu wncher ire uariing znm teil des uegsten
vngedeyen jr enthaltung suchen vnd erlangen, welchs dann wider Gott vnd sie
*) Vgl. Horaz op. 18, 9.
’) Es sollen also in den StKdlen nicht nur l’roviautmagazine für die
städtische Bevölkerung eingerichtet werden, sondern auch für den laudgesesaeiieu
Adel und seine üntcrttiaiien. Es werden hier Korn- und Speisehäuser unter-
schieden; die Speisehänscr dienen wohl der Aufbewahrung aller Lebensmittel,
mit Ausnahme des Getreides.
*) Im Jahre l.'idl war verordnet, dass sich jeder Hauswirt auf ein Jahr
verproviantieren nnd kein Bauer beim Hcranrücken des Feindes in die Wälder,
sondern in die Wcichbildstadt fliehen solle. Palm a. a. 0. S. 85.
*) Sallust h. Jngnrih 10.
*) Wander a. a. ü. IV 769, 38, 39.
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118
selbst ist, Atich zu zeiluii rurmeiiicu aiuler zu iiurfiilireii vud au sich selbst uicbt
gedenken viul Ictzlich zum thor liienaualaufcn, ileii iiraclit vinl boffart jii berck-
«ergk *) suchen vnd dorin jr kurtzwcil vurtreiben.
Wo sich aber gemelte die von landt vud stedten eines Inndisordumig die
ein Obrigkeit vnd die im lande selbst ei kennen vnd vor guet ansehen, beschweren
wülthen, welches auf beiden theilcn zu nutz vud fromen gerechnet. Ito mag
ein Obrigkeit dielie vnd andere nach ge.schribene vnd vnmesige haudlung den
von landt vnd von stedten erzelen loBen.
Muegen die von landt vnd Stedtten vnd dorfern jren pracht , hoffart vnd
luutwil treiben, einaniler schinden vnd schaben, ein unordentlich wessen fhitrcn,
welchs wider Gott vnd sie selhs. das jr vunützlich vorschwelgern vud vorzercu,
wie bernoch volget, augenscheinlich vnd am tage ist.
Do mugen sie auch einer Obrigkeit mit Schätzung 'j vnd ander obligender
notturft zu hülf kommen, zu erhaltung vnd beschirmuug landt vnd leutb vnd
sich selbs, vnd ist besser den halben teil vnsers vormugeiis der fronten obrigkeit
gegeben, die vns von Gott dem almechtigcn gesetzt, denn diüem grauBamen feindt
der Christenheit jii sein hendt fallen, jn ewige Din.stbarkeit kommen, wie wir
sein vnchristlich furnehmen bey vnsern naclitbarii teglicli jn erfarung kommen
vnd selten, welches ich deti frommen Christen will heimgcstalt Itabcii vud sich
doraii zu siiiegclii mugen.
Mau weiß auch jtziger laitff noch, was sich jn vorBißner zeit jn
hititgerit klein groß Bosseit’), Österreich, Steyermarckt, Keriitlicn znegetragen hot,
das der tunk vberal sein gedeclitnus hinter jm vorlosscu ml seutiiUeritam
memoriant.
Derhalliett sollen wir sich nicht wiiler vttser obrigkeit vorzctzlich nit setzen,
Sünder gutwillig al zeit als die gehorsamen ßnden laßen, wie frommen vntcr-
thoiien woll anstchet vinl gebühren will. Veritas odiitm parit.
Nach dem der almeclitige Gott deit ttieuschen aus erden gesehaffeit vud wir
widerumb zue erden werden, nldo wollen wir weiter sehen, was (iott vor ein
wergek aus der erdeu geschaffen Itot vnd aus seinem gcschepf worden.
I. Der Adel.
Item wann Gott der allmechtige einen vom adel mit sampt seiner liehen
hausfraweu vud wirttin viel mit kindreit hegahet vnil beguailet, als iicmlich mit
schouen jiingfraueu, die iiuh in jr vulkomllcli alter kommen, nach Christlicher
ordumig teglicli in dun Kliliclicu stanilt zu treten willens, so werden gemelt
juugfrauc von den jungen gesellen augefoehten vnd hegereuth einer dos andren
tüchtcr zu einen Ehweib.
') Damals nahm der Bergbau in Schlesien einen nenen Anfschwntig. Der
Bruder des Achilles, Valerius Scipio .''chellcnschmidt , war Gewerke in
Taruowitz und Waldenburg in .'Schlesien mid zu Altstadt in Mähren. C. D. Sil. XXI
n. 433 und 434. Vielleicht hatte sein Bimler üble Erfahrungen gemacht.
Ober die ,Scltatzting“ vgl. oben S. 108.
*) Bossen = Bosnien.
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Als ilanii Wirt zumir, clic iiiaii sie bewert in ilen stainlt iler diristlichen
Ehe. vnib die jiiiiyfraw gefreiet, groß viiraesslicli einreiten, c» kouipt nicht einer
allein, sunder cs bitt einer den andren im zn dienst auf angesatzte zeit vnd
stelle dubin zn gefallen reiten: Iter kouipt beut, der kumpt ander morgen, ein
jeder will der peste bey der jungfraw sein vnd Kommen hauffweis gezogen,
das der arme haiiswirt vor leidt vorzagen inoebt, tliar doch von ehrent wegen
nichts uitt sprechen, snnder sie freuiidtlich einen jeden jn Sonderheit nach seinem
standt entpfuen vnd wilkommen heissen.
Also muss sich der arme bauswinit von wegen seiner lieben tochter vor
vnkosteu vnd sich erzeigen, als ehr sic gerne sehe vnd jne alle noch mugligkeit
ehr erbitten; das geschieht nit obu vrsacbe (dan zue viel ist zne viel) denn
jeder frommer Ehrliebcuder wolt gern sein lieb tochter aufs pest befurdern als
jm mnglieh, wie dann einem treuen hausvater znstebet.
Also liegen die geuieldten zum teil die Kretziner vnd Knoblocbs jungekern ')
dem guten man auf dem haiße etlich tage, das geschieht zu tag zn tage das
gantze jar, ehe lenger dann weniger, vnd heben snich freßen vnd saufen an,
vnd ein vnordentlieb wesen fnreu zn einer nacht biß zn der ander vnd wann
einer den andren zue todt mocht saufen, welchs dann oft gcschiecht, das mehr
menschen vom vbrigen freßen vnd saufen sterben als vom schwerdf).
Denn solch vnmeßig furnehmen soll fortmehr ein ehre sein. Es gedcnckt
auch der jungekern keiner nitt, da.s der wirt des hauUes domit boschwerdt wirdt;
daii es ist gut lachen den wen ca nit angehet ; wie gedeuckt aber der gute man,
der es mit schwerer arbeit erworben vnd die Gottysgabe also vorgeblich vnd
vnnnzlich gebraucht, kann ewer niemantz loß werden.
Wenn man sich einer lieyradt Vorsicht, so wirt auf beiden parthen ein tagk
ernennt vnd beschloßen der beredung, aldo werden auf beiden theilen groß
freundtschaft gefnrt; nach landes brauch lest der guthe geselle die jungfraw
werben vnd ires vatern vnd muttern mit sampt irer zuegetbone freundtschaft*)
gemilt vnd wolmeinung erkundigen, was ferner iler frome Edelman mit seiner
liel)en toebter vor ein heyr.adt gut will niitgebeu, wirt also noch landis brauch
die ehstiftung *) auf beydeu theilen beschlossen, schriftlich vorfaßt vnd vor-
siegelt.
Aldo wirt die jungfraw mit bcwilligung Vater vnd mutter vnd irer zu-
gethüuer frenntschaft znegesagt vnd wirt auf beyden theilen der ziigethaniie
freundtschaft glick vnd heil gewUuscht, vnd ist jdermau frolich vnd guter ding,
aber der arme hausvater beschwert mit der vnkost. Do gehet aber mal ein
vnordentlieb freßen vnd saufen an vnd welcher an besten gesaufen kann, der
tregt den dauck daruuii vnd wau diß seine eudtschaft gewindl, als daun wirt
der vorlubnustagk auf beyden theilen ernennt vnd ausgesatzt.
') Vgl. oben S. 11,3 u. Anm. 1.
•) Franck, Sprichwörter 1541 II lß2a.
*) Freundschaft, in dem Sinne von Verwandt.schaft.
•) auch Ehepakten genannt. Über Ehestiftung vgl. Kloses Breslau SS. III
S. 223.
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Auf welchen tay vml bc.stiiiiiite zeit iler vorlnbnuß wici ein jeder pari der
frenndtüchaft gesehen sein von nianns pershonen vnd weibes bildt vnd selbe.st
ein jeder in Sonderheit von grösten hiU auf den kleiistcn mit gülden ketten,
ringen, kleinoden, silbenn gürteln, von perlein, gnidenstuck, sanict vnd seiden,
welches dann alles zerhauen vnd zuflamnict *) mus sein, vnd ein itzlichs will vor
den andren gepreist sein.
Wirt widernnib ein groll pnuckettiren mit einem vnordentlich weßen, mit
vbrigen freßen vnd saufen vorgenohmen, vnd will zu letzt der wirt auch ge-
sehen sein; der lest alles in huf, was do lauft vnd kreucht, welchs mit harter
miiho erzogen wirdt, todtgesehlagen; die armen wilden thyrlein in weiden noch
in engen löchern sein nitt sicher, die vogcll jn lüften, der fisch in wasser, der
wirt nicht vergessen. Es ist auch nicht genug ein tisch drey mit der frenndt-
schaft zu besetzen vnd ein gericht oder vier zue geben, sonder etlich viel tisch
mit essen besetzt vnd vorgetragen. Aldo maß jedermann ein gnigeii geschenn.
Wann der verliebnc.stag noch aldem brauch vnd gewonheit Vorkommen, als dann
wirt der hochzeitliche tagk zu lob viid ehren dem Ehestandt ausgesatzt.
Wirt aber aufs neue getiacht, wie man sich mit aller iiottdiirft vml zue-
gehorung halten soll vnd sieh auf beiden tbcilcn ein jdes mit aller praebt riid
hoft'art geschickt riid ein geuugeii gescheen.
Erstlich soll der preudigam auf den hochzeitlichen tagk mit sampt seiner
zuegethaniic frenntschaft mit ansclicher pracht einreiten, vnd wirdt uiedenniib
von dem andren theil eiitkegcii zu reiten voroidiiet, vnd der Breuttigaiu mit
einer sonderlichen reuerenz vnd ehr entpfaiigen vnd angenohmen mit sampt
seiner zugethone freundtschaft als ein gast. Aldo will jedermann mit sampt
seiner zngethonne freundtschaft gesehen viid gepreist sein vnd wohl staftirt.
Mit iren guldenu ketten, kleiiiode, kicidnng, die aller zusehnilten viid zu-
fetzt’) mußen .«ein, mit schonen hengsten, stellene sattel*), sehoue zeug auf
den geulen, gehoffte') knecht, wie sich das gehurt vnd erheischen will hey solcher
hochzeitlicher freudt.
Die fraueii von adel mit iren toehtern vnd frawzinimer mit einem
schonen wagen mit sehoiKm hengsten einer färb lustig gezirt wollen auch vor-
seben vnd gesehen sein.
Darczn will jde fraw vnd jniigfraw iren sonderlichen beireiter vml dieucr
haben, welcher ine auf den dinst mus wartben auf den wagen vnd von dem
wagen, zu der treuung vml von der treuung, von tisch zu tisch, zum tanz
vom tanz furea muß vnd ein vleisiges auf achtung luibeu nach iulialt der bc-
stellungck’).
') zerbouweii mlid. — zersclilitzcii. — Flamme f. und m. auch in der Be-
deutung von paunieiilus, Lappeu. Dies ,Flumiiie‘ scheint ferner einen Besatz.
Lappen, Streifen an der Hose aiisgcdrlickt zu haben. Grimm III 17U.
’) In der Breslauer Kleidcrordunng vom 11. August 1548 (Breslauer Stadt-
hihliothek) heisst cs: , Dergleichen da.ss die zurschnitten vnd durchzogen Ermel
ileii weyberii und Jungkfrawen gentzlieh sollen Vorboten sein“. Vgl. vorige .\nm.
') mbd. stehclin; gemeint sind wohl die Zierraten am Sattel.
*) höfisch erzogen; gchovete Knappen Lexer. I 13<>4.
*1 Vgl. die Breslauer Jloehzeitordnuiig vom Iß. November InUO: .Fort mer
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Es lest sich eine fruw mler juii^rfraw an einen diencr oder hutjiinnfer nit
geni^en , »onilcrn sie mnßen cinon aber ilrey inclir aber weniger haben. Es
mnßen sieh genielte oft ein tag ein mal oder drey vorkleiden ') viid \va.s eine
Von der andren sieht Es sey an kleidung ring, gülden ketten, das inns die ander
auch haben das ihe die praelit mit praeht iiitt xnrgche.
Do Wirt alle hoffart mit hoch.sten vieis nit gespart vnd lierfiir gesneht von
mannes vnd weibcs personell; ein jeder will dem andren gefallen vnd der
schönste sein,
Eß inus auch nit gebrechen an perlein, giilden stuck, 8amet, seiden, gülden
ketten, ringen, kleinodcin, wie das alles mit sonderlichen nahmen, was zu der
leidigen boH'arlii vnd pracht gehorcudt, genent mag werden.
Aufs neu vnd widerumb wirt ein solch vnchristlicli weßeu mit freßen vmi
saufeu furgcnohnien, ein tag aber drey vier mehr dann weniger, do muß summa
smnmarum nichtes gebrechen wider ahn weiu noch ahn bihr; ein Jder mus ein
genügen haben von grosten biß auf den wenigstein; jderman will der hochzeit-
lichen f'reiid genießen.
Vnd wann dann die hochzeitliche freude vurbraeht vnd sein endtschaft
hat, als dann wirt der tag der heimfurung beuendt, aldo mnßen widerumb alle
freuudt auf beiden tlieileu der lirant vnd l’reudigam zu Ehren erseheineu vnd zu
Zeiten die heimfubmng großer als die hochzeit vnd wehrt auch ezliche
tage *).
Do mus der braut mit jrer freuudtsehaft widerumb entgegen geritten
werden vnd hebt sich die hoffart mit ircin vorigen pracht widerumb aufs neue,
wie ziiuor genugsam erzelt, vnd wirt ein solch jubiliren mit einem vnordent-
liclien weßen vnd vornehmen angefangen: do will der Dreudigam mit sampt
seiner freuudtsehaft auch gesehen sein vnd mnßen die frauen, jungfraweu mit
jren dieneryii vnd schone gerustc wagen mit aller hoffertiger uottorft vor-
sehen sein.
Vnd wann die heimfureu sein entschaft hat vnd ein Jeder seinen abschcidi
nimpt, als dann giebt ein nachlbar dem andren das geleit auheime, aldo iims
jeder jung ge.se11 seiner frauen vnd jungfrauen widerumb das geleit anheimgebcu
vnd heleitlien vnd seines dienstes ein genügen thuen; du sein sic wiederumb
frulich vnd guter ding vnd saufen wul also sehr als zouor, dauuu wirt gemel-
then ilienern ein krentzlein*), dormit auf vnd dohin.
wenn die Braut mit den gebetenen Jungfrauen zu der Kirchen oder zum Tanz
gehen wil; sol und mag sie zwene Brautiliner haben, die sie filren; sonder die
Jungfrauen sollen zwei und zwei miteinander gehen, und keinen Diner noch
Eurer haben; es wäre denn, dass eine Jungfrau zum clielichcu Stande verlobt
wäre; die mag wol den zu einen Diner haben und sich zu der Kirchen und
Tanze fuhren lassen*. — Kloses Breslau SS. III S. 204. Vgl. auch Drechsler,
Sitte, Brauch und Volksglaube in Schlesien I S. 2(’>5.
’) umkleiden. Adelung IV 1070.
’) Über die Nachhoebzeit vgl. Drechsler a. a. 0. I S. 281.
*) In der Breslauer Hochzeitsordnung heisst cs: „Von den Ilochzeitsbittcrn.
Es sollen forthin nicht mehr, denn acht Gesellen zu der Wirtschaft bitten. Den
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fiTiier wir( iiiilin bolradit vml l)er;itsi:hlB^«t auf» ne«', \vd man sich in
kurzer zeit wideruiiib hin nciulcn soll auf welch hochzeit, knubloch '), kiniltenfen,
liamket. kirchwej, wie man» nnhn haben will, aMo wcrileii die jung gesellen
wideriiiiib vür»iirecheii, doniil die weltliche pracht nicht znrgehe.
ferner beschert üc/tt vber ein jar einen Erben, du imiß das arme kint et-
liche zeit vngetaufi bleiben liegen vud zn Zeiten als ein haide stirbt», duzn
sull der Bräutigam noch auch die Braut keine teurere Kränze geben uder
schenken, denn einen Kranz um einen tiroschen“. Klose, Breslau Sf<, 111 H. 205.
Weinhold, Beiträge zu einem schlesischen Wörterbuch sagt S. 45;
,KnublaUcbsesseu, eine Festlichkeit des lli. Jahrhunderts, zu der sich gute
Freuniie einluden. Uri mm, Wörterbuch V 1450 2d; von einem ächiuans ge-
braucht. Eine genauere Kenntnis dieser merk» Unligen Sitte erhalten wir aus
Schweinichens Denkwürdigkeiten und einer Breslauer Verordnung.
Am 20. Jniii 1556 feilt der Breslauer Rat einen Landesbeschlnss mit, wo-
nach allermenuiglich grosser Pankett mit Knoblöchessen, Kyrehmes.sens, Tauffens
übermä».»iger ücvatterschaft endhallen .soll. Klose Ms. .Sn, f 492. Schweiuichen
berichtet 1575. Dies JFG. erfuhren, stellet derwegen an, dass ich von der Frau
Kiltlitzin zn einem Knubloch in ihr Haus erbeten. Weil denn die Jungfranen
schön lind frenndlichen, stellt ich mich ein. Wie wir nun ge.sscn und am aller-
lustigsten waren, kommet der Herzog als ein ander guter Geselle ins Uelach.
(Oesterley a. a. 0, S. 57.) 1578. Es Hess mich die Frau zu Hermsdorf zu einem
Knoblauch erbitten . . , .Allda waren zu 4 Tischen gute Deute, und beweiste mir
die alte Frau allda gross Ehre, ward als ein fürstlicher Hofmeister gehalten,
sonderlich aber, weil ich mich um .Tiingfran Margarethen, ihre Tochter, was thierete.
(,S. 171.) 1578. Wann ich denn au dem Schramm einen guten Freund hatte, bracht
ich bei ,TF(i. zuwege, dali sic Hochzeit droben machen wollten, davor solle <ler
Weigel JFG. 200 Tiilr. geben, dass es aber nnvermerkt znginge, siiielteii JFG.
mit Schrammen um ein Kuobloch, den JFG. verspielen sollten, wie es deim auch
beschall. Darauf liefahlen JFG. mir bald im Beisein der Jungfrau, ich sollte in
14 Tagen den Kuobloch anstellen und also Notdurft dazu verfassen. Jorge
8chrammen war auf .8 Tisch mitznbringen verlanbet und ich sollt anstatt JFG.
auch 3 Tisch von Adei bitten, wie denn Peter v, Schellendorf mit dem Weib,
die Fr.au von llcrmsdorf mit den Töchtern, mein Bruder »amt meinen Schwestern
gebeten wurden; wie der Tag kommt, war alles wohl angesicllt, hatten Trom-
meter, Kesseltrommel und Musiker genug da droben. Jorge .Schramm kommt
mit seiner Braut und Bräutigam gezogen. uS. 175f.) 1591. Dem nach JF'G. mit
mir um einen Kuobloch zu machen spielten , welchen ich denn gewann, als er-
mahnte JFG. ich, mir den selben zn machen, ... da ich mich denn auch auf
gemeldten Tag neben 12 guten Leuten bei JFG. einstellte. Allda sind JFtJ. und
allesamt lustig gewesen mit Tanzen und Haltung Musica und hat daneben gute
Räusche gegeben. (S. 374.) HHll. Den 23. (September) hat mir Herr Kreiselwitz
einen Knoblauch gemacht und etliche gute Leute dazu geladen, dabei sind wir
lustig gewesen und habe abends durch die Stadtpfeifer der Jungfrau (der Braut)
ein Uoferecht machen lassen, welche Musica wohl bestanden hat. (S. 535.)
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inuCeii ein zwciizii; jjefaUiTU tjebelhen wonlen vinl müssen iiit j'eriiiges stän-
de» sein ').
Da gehet wiedcrmnh die zeitliche hoiTart au iu allem thun wie aut der
huchzeitlichcn freudt, wie ulen gemelt mit fressen vud »auffeu tag viid nacht,
das der ineusch toll vnd töricht vml von aller vurnnntt moclit kummen.
Was geschieht weiter, cs ist schien ein dort, wie man spricht, es ist ein
jar ein mol Kirchwey dorinnc, do werden die frenndt nachbarn gefaitern geladen
eins vmh das ander, aldo nins widernmb aufgehen ein unnntze vnkust mit einen
vuordentlicben wesen.
-\lsdann kompt die ucrrische fasuacht’) auch licrhcy, die will iren sonder-
lichen fortgaugk haben, aldo mns alle weit reich vnd arm ult vud jung toll vnd
thoriebt sein vnd sich ein jeder mit seinem cygcu narren yben , aldo mns
widermnb volaufl" »ein vnd alles vnmitzes vorgenohmeu werden vud seinen hals
vnd bauch füllen als solt ehr morgen sterben. Ede, bibe, lüde, post mortem
imlla voliiptas.
Lelzlicb bitt man den almechtigen tiott, das den gemelthen vber ein jahr
wideruiub frisch vnd gcsunlh d.t» leben vorleihen wolt. oder wenn sie ir jüngste
tochtcr ansgehen, vorbesseru wollen, snich vbrigk vornehmen zu iiorbiiiigcn vnd
gnedig bestctligcn wolt, als hett Gott ein sunilerlichen gefallen doran.
Es» wehr von obgemeltbcn crzelten sacheu Etwas mehr zu beschreiben
wie ein jeder hoch vorsteudiger gun.stigk erachten magli, sonder es bleib in
seinen wyrden.
Vnd wann dass dieser oftgeraelther vnmeßiger vnkosten, der opft im jar
vnd viel mol geschieht, was auf gülden Ketten, Kleinott, gülden ring, silbern
gurlcl, von perlein, gülden stuck, Sammet, Tamascbken*i vud seiden, was die
vnmessige hoffart belanget, dorlzii wein, bichr, pfeffer. Safran, jnber, ncgiein,
zimetrinden, rziieker, mandeln vnd allcriey wurtz, fleisch, fiseh, wilprad, brot,
sallz, sehmaltz, wie sich bey solcher hochzeitlicher freudt gebueren vnd erheischen
wiell, liaber, hewe, stro, summa Summaruin, wan cs soll ordinaliter gerechnet
werden, von grosteu bis aufs kleinste, kann ein jeder boebvorstendiger eraehteu
vnd ermessen, was solch vbrig vornehmen, nie gelimcit, breugen vnd nützlich sein
niagk
Wass geschieht letzlicli die weide, teich, scliewTen , die vihestcilc, welche
billieh voll sollen sein , die werden ansgerenmet vnd gelehrt vnd die geringert
vnd nicht gebessert.
Woe dann dass gnet vnd dorf nicht raiclien wiel, so gibt sich der Edelman
in schult vnd macht sich zInUbar vud mus sein guet vui schreiben, wirt von
seinen negsteii iiucbbar oder ander, der demjenigen soleb gelt leibet, mit wiicher
vud vorehrnug*) gescbnndeu vnd gesebabet , vnd will ihine das guet nicht so
niel brengeu, was mibr auf den sebandtbaftigeu wiiclier gehet.
‘) i'ber ilie grosse Zahl der Paten vgl. .Schweiniehens Denkwürdigkeiten
S. 281 und den .8pottvcrs von Logau hei Drechsler I S. 1!K).
*) Über die Kastuachtslnstbarkeilen vgl. Kloses Bre.slaii SS. 111 22') f.
•) Tamaschkeü, Damast; vgl, Klose a. a. 0. S. 200.
*) Verehrung = Geschenk.
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Der nriiic iiaiierßmuu muß ileiin suieh seinen Sawreii seliwcia iimße rinl
arbeil vnci die luirr ilorUii leiben'), der imis auch des ciitli(;eMeii, «las ehr nibe
{{enussen bat, das letzlieb der berr mit aaiii]it den pawren ziie drnnimern gehet.
Alß dann muß der arme Eilelmatiu anß gebdrciigter null sein gillcr vur-
setzen vml vorkeuleii vnd werden jm zu Zeiten mit den geriebten bezwungen,
wie es sich daun scbickcu sull, kumiuet der geuieltc in groß kommer vnil nett
)iiit sampt seinem weib vnd kindern. Donec eris fclix, inultos numerabis nmicus
— tempura si fueruut nubila, solus eris’).
Stirbt dann der frome Edelman, wie wir daun alle zum toile geboren, so
bleiben viel wessen*) vml vnerzogene kinder, denselbigcn werden von der obrigkeit
voriminden gesalzt, wo noch etwas vorhanden, wo aber uiehtes uielit ist, do will
sieh uieniandtz der armen erbarmen.
Wo aber etwas vorbaiideu, da dringet man sich selb.st dorzu vnd will
jeilcrnmnn der negst beim breit sein. Es wirt auch oft den armen wcßeii vnd
kindern vorgestandeu; es toebt weil beßer.
2. Die Bauern.
ferner wie! ich beschreiben in kurlz der pauern vuurdnung vnd
wesen.
Der paucr.smanu ist ein all', was der pauerßniann von dem edelman siebt,
das wolt ehr jm gern noch tluin, so fern sich das vornmgen erstrecken wollt*).
Der jiauersmann hat sein ordunng, so jm (iott Kindtein be.sebcrt vml in ire
volkomliclic alter koinnien, als juiigfraucn, wirt ein armer manu, welcher kaum
sein brot zu essen mit vnkosten vbcrlcgct; der soll auch gedenckeii, wie ehr
sein armen kinder aufs best vnd faderlichst nach seinem vormiigen Vorsorge, wie
dann einen froinmen hausvatcr zustehet vml gelmrcn will.
Wo «lern [lanren ein guter gesell vorstist, der seine liehe tochtcr in den
standt der christlichen Ehe begerl, so ums der arme vber sein vormngen «lohin
ge«lencken auf angesatzte tagzeit, «Io etwan die zusag auf beiden theilen ge-
sebehen sohll, sich mit essen vnd triuckeu vorseheu wie cs danu gebureu will,
vnd wann danu sie die handinng beschloßen, als dann gebet das vnurdcntli«:h
weCcu an mit vbrigeu freßen vn«l saufen will keiner von den an«lrcn niebt weichen,
sie haben einander danu vor toll vnd töricht gesoffen.
Alsdann kompt der hochzeitliche tagk, aldo koinpt wider der ganze helle
häuf zucsammen mit irer beider freundtschaft, welches ohne beschwernns nit
') Wamler a. a. 0. II 224, 152.
•) üvid, Tristia I 9, 5 u. 6.
*) Wai.se.
*) Das Streben der Bauern , über ihren Stand hinauszug«!heu , trat seh«m
frühzeitig hervor; vgl. E. Michael, Oeschichte des dtut.scben Volkes seit «lein
13, Jahrhundert bis zum Ansgang des Mittelalters IS97 1 S. 72 ff. und die Stellen
aus den Fastnachtsspielen bei Schultz, Deutsches Leben im XIV. und XV.Jahr-
hundert 1H92 S. 171: .Nun aber sich die paurheit Den rittern gleich hat geklait
Mit gewallt um! mit gepBrden, Nun mag es iiumer guot werden“.
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ffeeudet uiäk «erdeii, das oft ein imuersman doimaeli er eiti vorraugeu zehen
zwenzig lisch mit freimdlschaft besetzt mit dem ersten nidersetzen mehr als
weniger, aldo will der hana vater auch gesehen sein vnd will ein jeder der beste
sein mit kleidnng geziert, es mntieu haben die färb zur bauen vnd zurschnitten
nach adellicben Sitten ').
Ra mns auch ire berschaft vnd sonst von sledten vnd dnrfern ilobin ge-
laden werden, aldo wirt widermnb ein solrb vnmeßig vnd vnordentlicli weUen
vorgenobmen, welches ich nllznveil geineltb, do siebs woll anders ziemen vml
geboren wolt vnd der wirt zum banse will auch nicht der nicht erste
bleiben.
Uer iiauersnian will auch sein sonderlich kirchweih haben des jares, vnd
will sein fremidt nachlbarn schweger dorzu gerufen vnd geladen haben vnd
mit genieltben in ein neu kondsebaft kommen vnd sich vber sein vormngen
vorvnkoaten.
ferner iitlegct der panersmann auf etlichen dorfern ein Kegelschieben ans-
znrnfen vnd in den obligenden stedtlein vnd dorfern dasaelbigc vorknndigen
loden; aldo pllegct man nmb etliche ochsen vnd schepse vnd dorglcic.lien , vnd
wird vmb gelt gewedt’), in der rnstelbank’) gespilt vnd geschoben das man jhe
vrsacb tindt das gottlod weden anzufaben.
') Vgl. oben S. 120 n. 1.
*) Die stSdti.schen Sebfitzenfeste worden bekanntlich in den Nachbaratiidten
nngesagt und ansgerufen; ebenso schob man in den Städten bei besonderen
Festlichkeiten um einen Ochsen Kegel (Klose a. a. O. S. 231). Die lianern ahmten
also auch hierin die Städter nach.
*) Die Ansdrilcke rasseln und spielen werden synonym gebraucht: si tnond
och spilan und rasslen. Leser II 8nö; huren und buben, raszien und spielen,
schlemmen und dämmen. Simplizissimus 1, Ö9. In dem .Spielteufel' (anno l:>r>2)
E. 111 heisst es; „Solcher wncher wirt gleicher weiß getrieben auff der Hastel-
ba nck, da man etwa vmb Zinnen gefeß oder anders mit blinden wiirffeln
s]iielet, und alles noch eins so thewr auffsetzt als jene gestehet, wenn sies
sonsten so thewr bieten oder verkantfen solteu, würde man sie für Jaden achten,
oder mit steinen werffen, Aber weils dem spiel zu ehren, nnd dem Vogel schieden
zu nutz vnd fördernng geschieht, ists alles recht, nnd muß ein Dieb dem andern
Stälen“. Vgl. Grimm, Wörterbnob V'IIl 144.
Ans schlesischen yuellen wird hier folgendes mitgeteilt:
1532. „Auch ward neben anderer Kurzwelle eine Kastelbank angerichtet,
darauf ihre viele viel Geld verworfen nnd verspielet. Weil aber D. Hessns
solches in der Predigt gerUget nnd gestraft, ist sie abgeschafft worden“. N. Pol,
Jahrbücher III S. 71. — lötiO. „Die Hasteibank, Ilahnwerfen, Kegelkanlo
nahm nnd gab, wie es Gelücke mithraebte“, a. a. O. IV 8. 17. — 1577. „Auf
der einen Rastelbnnk warf man die Würfel durch einen Trichter, auf der
anderen blos aus der Iland um Zinn“; a. a. 0. IV 8.91. — „Beyncben seindt
vier große lange Kegel-Pläcze zngericht worden, anf welchen man theilß vmb
Ochsen, theils vmb Zinen Gefeß ge.scboben, auch zwo Rnstelbencke mit blinden
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126
Bciill ') ilcr |inner8uiaiiii jung vnil alt in Kreczmehr und feirct den sonlag
vud sonst vorordnctlieii heilig tag vnd inunlag ’) dnntu welcher sontagsbruder,
ilas w'ehret tag vnd nacht vnd mailicher die gancze wocb solches vnnielSige
vornehmen, welches inan leglich von armen vud reichen sicht vnd s|mrct fort
mehr auch bey der weit eine ehr sein soll, welches daii ein vorterbnns der seien
Icibes vnd lebeiis ist.
Sanctus I’anlna spricht zn den Ephc.sern am fnnften Kapitel*) aanfft euch
nicht vol Weines, daraus ein vnordenilich wclieii folget. Alhie beschreibet vns
der liehe Sanct Paulus, wie wihr in aller mesigkeit vnser leben fiircn .sollen
vnd was ferner aus vnserm vbrigen vornclmien entspringt vnd vns guustlichen
voriiiaiict vud warnet.
Mit aller vberzalten vnchristlicher hoffart vud voruehmen die von adcl
vud pauersnian werden mit (iott lesteruiig als mit spilen vnd saiifen, .schelten
vnd Huchen vnd fressen, mit ehren zu vorinelden, das sie es oft niuUen wider-
geben, darzn mit schlagen morden vnd mit allem vnchristlichen vornehmen zu
endt bracht.
Nhne kann eine jede fromme obrigkeit als die hochverstendigen gnedigst
erachten, was ans solchem vnordenilichen weßeii vnd leben, welches hey der
weit vber liandt hat, genohmen, aiiii allen bedacht zn nortcrhnng leih vnd Sei
vnd leben initsampt irer narung. weiches alles wider (iolt vnd wider sein heiliges
wort ohnn alle mittel vorgenohinen wirt vnd nilt •wumler wehr, das in solchen
Wnrfl'eln, item zum Narren zu scheiben mit messern, Kugeln vndt zur lialhen
Kaule“. Kästner a a. O. .S. 4)1.
Mit Wilrffeln man spielte darum
Uraiilf auch dali abging eine Siim,
Die Kastelbaiick must sich auch leiden
Zum Pawren worffen die gcscheidn.
Welcher auffsperren that sein Maul
Wer hienein werffeii that sein Kanl.
tieorg Keutter, Bericht des Fürstlichen rechten Frey.schUssctts in Neilie 1(!12.
1.570 Juli tl. Ein Erhar Kat . . wollen aus wichtigen und beweglichen
urs.ac.hen alle Mum- und Spilplelze und Kastelbenkc, es sei mit Wilrffeln oder
Kartten, iles sich etliche Mnliiggengcr vor der Stadt auf dem .Sihwcidnitzschen
•Anger, im Werder vor St. Niklas, .“tt. Mauritz, liinder dem Thum vnd an andern
Ortten und Stellen zu gebrauchen pflegen, ernstlich verboten und abgc.schafl't
haben. Ms. Klose 35, f. 601.
') beidt von beiten, warten. Leier I 161.
’) Von den Handwerkern wurde der .gute Montag“ gern gefeiert; vgl.
liher definitionum, Stellmacher- Ordnung: .Demnach ans dem gneten Montag
nichts anders denn Vollsauffen, Ootslcsterung, Zank und dergleichen Vnrat er-
folgett, deshalb . . . abgetan und aufgehoben“ und 1.542; .Es sollen auch
Mawrer und Zimmcriente hey schwerer vnd harter Straff keinen gntten Montag
halten“. Die Banern machten es hierin den Städtern nach.
•) Ephes. V 18: Et nolite inehriari vino, in ipio esl liiiuria.
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_
viionientlkheu wcßeii (iuU <lcr almvcliti);c vii» wiJernertiijcu iiieiiüi;Iieii in oiucm
angenblifli straft vnil vorterbcii ließ.
Gott lier allemccliti){e wie elir vna mit somlerlidicn ijiiinicn viiser imniiig
giieiliglicb begabet, wie wir teglich vor viiscrii augeii sehen, welches wir vmb
Gott iiitt vordieiict, als iiemlich mit schone» kimlrcn, das liebe getreide anft
dem fehle, die thir jn weiden, die flstdi jn teicben, das vihe in furbrigen'), wie
das mit sonderlichen nahmen mag genent werden, begnadet, wie dasjenige, die
gaben Gottes, also schcndlicb viid boßlich mit vndmickbarkeit vnd mißbraneben
durch den hals geiagt wirdt.
Eß klagen die vom lande, sie sein arm vnd eines geringen vormugens, die
uuliriing viid baushaltung will inen znrgehen, sie mocbleu irc iiaruug anstellen
vnd also viiordentlicli vornebmen, das Gott vorvrsacbt wurde, das die hanshaltung
aller zu poden mast gehen vnd er sein Göttliche liandt ganiz vnd gar von vna
ahzi'ge, wie wir es woll vorsclmlden vnd vordieiien mngen.
Es kann der liebe Gott vns nhimmer nach unser willen thuen, ist das
lieben getreide ein vbertliis, vor welches wir danckbar sein sallen, so willen sich
die men.schen hencken, dos die gaben Gottes niclit gciden vml in thenrem kauf
sey; ist dann das liebe getreide zu wenigk vnd ein tbeuer zeit ciiifelt, so will
der menscli vorzagen vnd vorzwcifcln; thet wir, was wir soltbcn. so tbct Gott,
was wir wolthen.
Was aber den Christlichen Ebe.staudt belanget, welcher von Gott dem al-
iiiecbtigen aufgeaatzt vnd ein Christlich Göttlich wergk ist vnd von Jederman
zne loben vnd prei.sen, were auch wol billicb, das ein Göttlich Oliristlicb ord-
imiigck vnd regementb geordnet wurde, dorinne Gott der almecbtige geloliet vnd
gepreißet, darzii ein gnediges gefallen trnge, Vnil nicht also mit solchen vn-
chrisllichen vornehmen wie mannicbfeldig genieltli vnd erzalt, welches wider
Gott vnd sein wort vnd wider vns selbst ist. Darzu auch Gott gltlck vnd heil
auf allen theilen jn all vnserm thun vnd vornehmen seinen Goltlicbeu segen
gclien wolde. Amen.
Man hat vernohmcii des adels vnd irer vntertbon vbriges vornehmen anc.h
ir schwelgen vnd tbemmen’) vnd irc vbrige hoffart, welch nnhn in schwaiigk
kommen vnd mit grosser vnkost dicselbigc zu ende wird gebraclit.
Sohlen sich die vom lande oder der pauersmami seiner obrigkeit vnd jm
seihest zn erhallung landt vnd Icnth ybrer weiher, kinder vnd arme vntcrihann
jii ein .solchen oft gemelthen vnkosten einloßen, der frommen obrigkeit, die vns
von Gott gegeben, welche tag vnd nacht sorg vor vus tragen, wir gedcchteii
wilir iiinsten vorarmen sterben vnd vorterbeu.
3. Oer stad Ordnung vnd pollicei.
Die von Stedten haben maniclierley mißbrauch jn Iren bürgerlichen pracht
vnd vornehmen, dorinne sicli gut ordnung vnd regementb gebiircn wolt, dmion
veil zu schreiben, aber die weil alle dingck am tag, will ich jedem liocbvorsteii-
') forbridi = V'orwerk; vgl. Lexer III 4S4.
’) themmen — diimmen, schwelgen. Grimm II 7(jy.
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128
lügen liciin gestalt linbeii, wie inan a]niclit: iles broU ich esse, des liedlein ich
sing’), doch foder ein wenig in treuen den von Stedten zuspreeben.
Erstlich ist ein sonderlich anipt vnd eigenschatt aller regirer, das sie
tragen einer gautzen gemein einer Stadt die wirde herliclikeit vnd gesatzd hrench
vnd auch orduuiig anstellen zii^heschutzcn handthabeu vnd zn bedeucken, das
alle dasjenige so den gemeinen nutz belangende auf jr treuen vnd glanhcn ge-
stalt vnd jn allen gescheften vnd fuhrhahen standthaftig sein.
Dann gleicßer weis als den Vormunden mit den befolen gniern irer vor-
trantc nillndlein’) vnd jne nit selbst zu nncz zu bandeln gebnrth, also soll ein
gemein regement zue gemeinen vnd nit zu des regirers nutz gescheen.
Ein regirer soll auch niemandt durch falsch angeben weder jn neidt noch
jn has vorsagen loßen vnd der gerechtigkeit vnd erbarkeil vngeachtet Ob ehr
etlich mobl schwerlich domit erzürnet wurdt, so gentzlich vnd festiglicb an-
hangeu, das ehr eh des todes sterben, dann vorlassener obgesagter gemein
nulziger ding beghere. Diejenige die gemeine luitz gepurt zu regieren, dem
gemeinen nntz vorgesatzt, die sollen zwey gepot halten: vor Eines das sie
die liurgcr vnd mitwoner schützen und handthaben, auch alle muhe vnd vleis
zue gemeinen nntz orduen, jn solchen gemeinen nutzigcii Sachen ires eigen untzs
vorgessen.
zum andern Das sie dem ganzen gemeinen nutz vnd nit eines thcils bc-
srhinnen vnd welch also eines theils den bürgern radten vnd den andren theil
vorsenmen, doraus dann oft ein heimlicher groll, der sich zn norterhlichen
sachefi zn zwitracht vnd anfrnhr einer Stadt vnd ganzen gemein erhahreii*)
miieht.
Darumb jtzt gemeltbe laster in treflicher vnd starckmuttiger regirer der
herschung wirdig fliehen vnd hassen Soll sich selbs dem gemeinen nutz ganz
ergeben, nicht groß reichtumb oder gewalt znvberkommen trachten. Sander den
ganczen gemeinen nutz also beschirmen, das ehr einen jeden den reichen als den
armen mit rath vnd hilif nit vurlaße.
zuniel großer ergeitz zimet keinen großinuttigen, dann das man inn straf
vnd zichtigung denn zorn , gewalt, gunst vnd eigen nucz gar nicht erscheinen
loßen.
Vhermeßige beginlt der ehren Ist ein elendt dingk, zuiiorgleicheu die sich
zweien vnd zancken, welch billicb dem gemeinen nutz handthaben vnd regiren
Süllen, die tbun gleicherweiß, als so die schiffleuth sich zancken, welche billicb
das .schiff regiren sollen. Das wir auch alzcit die, di vns mit jren rath ja der
bescliirmiing des gemeinen nuczes entkegeu sein, nicht vor abgonner vnd vor
feindt halten sollen.
Es sein auch die nicht zu hören, die jn der gestalt der großmiittigkeit zu
uiel beschwerlich wider die gemelthen feinde zürnen vinl ist einem rcillicheu
mann niebtes loblicbers dann Sanftmütigkeit vinl vornieidung der zorns vnd soll
') Düs Hrnd ich asse, das Lied ich singe, (iomolcke.
’) Mündel.
*j erbahren - er-bern mhd.
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suoderlich tiey dem geiiiciiic, die ju gleiclicu leben viid viider einer jnrisdiction,
zngleicli die saiiSnmtigkcit vur die bobe den Kemiitlies geibet werden.
Das wir auch jn widerwertigkeit, so vns begegnet, nitli zürnen noch in
vnnntze feindtseligkeit jii vugcdult fallen sollen, doch ist die sanlTinutigkeit zu
loben, das dennoch dobey gestrenge uottorftige gerechtigkeit, ohne die kein
regeincnt bestehen mag, jn gemeinen nutz nith mangel.
Aber jn aller penung') vnd straf soll kein vngercchtigkeit vnd nichtes zu
des straffer vorlheil, sonder zu dem gemeine nutz geschehen. Es ist auch zu-
norhutcu, das die straf nicht grosser dan die vorschuldung sey vud gleich vber-
trettung furgenohmeu und gestraft werden.
Der Zorn wirt allermeist jn der straf rorbotcu, den welcher zorniglicben
straft, mag das recht mittel zu uil Tiid zu wenig nitt halten, dan der zürn soll
jn allen Sachen vormiden werden vnd ist zu wünschen, das sich die regirer der
löblichen satzuug dem rechten genieU halten, nicht durch zorn, sonder aus
hilligkeit zu der straf vnd peynigung bewegt werden, consilio melius viucas,
quam iracundia").
Ein groUmutiger soll sich gluckes nicht zu uil vber heben vud viifals nicht
zu uil entsetzen; wir solcn jn glückseligen Sachen, die vns noch vnseru willen
zu fliUen, mit gruUen vlcis die hoffart, den stolz mit vorachtnng fliehen, dan
also weil ju widerwertigen als in vnglucklichen dingen jst ein vnmesigkeit ein
leichtfertigkeit, ein gleich gemuth vnd angesicht zu behaldcn ist fast löblich.
Erstlich soll man jn allen woltbaten vnd diusten nith wider hilligkeit mit
vnbilligkeit handeln, dan gerechtigkeit ist ein grundtfest ewiges lobes, obn ilie
auch nichts loblichs geschehen mag. foelix civitas quae tempore pacis timet bclla.
Ein Stadt soll bedenckeu jn der zeit des friiles den vnfriedt, ob sich zuer
zeit zutruge, da Gott der ahnechtige giiodiglich douor sey, ein feindt jns laudt
qnem, wie demselbigen mit widerstandt begegnet mocht werden, aber ein stadt
mit einer langweriger belegerung betzwungen vnd belegert wie mau sich in
denselbigen Vorhalten sol.
Es soll auch ein Stadt, so fern sich jr vormugen erstrecken will, mit grebeii
vnd Manren, rundel, Streichwehren*), wie sich das erheischt, erbaut sein, wie man
in diflem buch einer Stadt belegerung fluden wirt.
Darzn mit gutbeu geschutz vud aller mnnition vnd zuegehorung an profiandt
in bereitschaft sitzen dorzu sein die von adel mit sampt iren vuterthon schuldig
zue helfen, sofern die gemeltheu von adel in der zeit des vnfriedts den schütz
ju Stetten zu suchen bedacht sein.
ferner sollen die von Stetten jr kom vud speisheuBer haben, welche mit
kom mel Speckseiten saicz dürre tisch vnd andere zuegehorung profantirt auf
etlich jare vursehen sein.
') penung von poena.
’) Mit dem Druckfehler nuitas statt vincas bei Cullmann, Sententiao pueriles.
Bndissin 156i>, Biv.
*) Streichwehr: ,Die Pa.stcien sollen gute Streichnehren Imhen“. Jiihus,
S. 5.S1.
Mitteilungen d. sclilee. Oee f. Vkde Heft XIX. 9
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130
Auch soll ein jede hnndtwergszeche ihr eigen körn vud si)eishang haben,
welch auch wie gemelt vorsehen eollen sein, dumiit sich jeder zech selbst retten
mbchtt.
Es soll auch ein jeder wirt sein haus aulTs weuigstc wo nicht mehr auf
ein ihar speis haben vnd sol mit seiner rustung, harnisch, ein gut lang buchsen,
ein langen spies vorseben sein, darzu mit schaufeln, grabscheid, rodthanen ‘),
mulden ’) von wegen der blinden greben •) zn erbauen in der iioth , darzu gut
liedern*) eimer, liettem*), sprutzen vnd feuerhacken, die bciiser mit cstrich*) vor-
sehon vnd vorsorget.
Auch soll sich gemeine Stadt mit iren purgern vnd mitwohnern jn steter
vbung halten als neiinlich mit buchsen sebiessen, es sey aus falckanetleiu’) oder
sonst mit langen rohren, vnd leute dorzu fodren, die die burgerschaft vud die
jugeut vuter weiden vnd jn gelegner zeit dorzu gehalten werden vnd ist beüer,
man vbe sich in tugent vndt erbarkeit, den das wir die zeit vnsers lebens, die
vns (lott gegeben bat, das jenige so vns Gott gnediglich vorlihen, vnnntz vor-
saiifeu vorscliwelgcn vnd vorgeblich hiubringen, ilarinno Gott gelestert vnd ge-
schendt wird.
Es soll auch ein jeder zech*) sich selbst probiren vnd in vbung halten, also
neynilich die eisten sollen den jüngsten gut c.vcmpcl geben vnd vnterweiüung
thiien mit freuntligkeit anlelhen vnd anfhnren. So auch jndert*) ein lediger gesell
didfals dorzu lust beti, ime dadelbige iiitt wegern, sondern dorinnc hulflieh vnd
dinstlich erscheinen.
Zuforderst sollen die von Stetten dy mitburger auch ir kinder zue der
kriegsvbnung halten einen allen kriegs mann, der ctwa.s vorsuebt, diesclbigen
Ihre kinder treulich befelcii vnd abfertigen etwas in frennle laudt zu uorsueben
vml zue lernen irem valerlandt vml der fremitscbaft zu gut vnd ehren vnd nit
also auf der seuhandt doheim liegen ’") wie man Icglich bey der jugent sicht
vnd spuret, denn aus Vorachtung vnd vorscnmligkeit alle sebnodigkeit vnd laster
entspringen.
Ich mein aber diejenigen, die vater vnd mutter nicht volgen wollen vnd
ir veterlich vud mütterlich erbfalil ") also boUlich vnd vnnuzlich vorzeren vnd
>) Rodehaue, C. D. Sil. IV S. 232.
’) mulden. Grimm VI 2G52.
•) blinder Grat>en, Schanze. Grimm II 120, 6.
•) ledern, inhd. liderin.
*) eine bauslittcr. C. I). Sil. IV S. 232; vgl. auch Grimm VI 735, Stelle
aus Holtei, Sc;hles. Gedichte (1858) 148.
*) ,mit estricb vorseben“ meint hier wohl ,pavimentiert“, vgl. geeslrichet
— Stratus, Schmeller, Kayr. Wörter!). I Kit).
’) falckaneliein, mlat. faleoneta.
") Zech = Ilanilwerksinnung.
•) jndert irgendwie; vgl. Lexer, Miltelhochd. Wörterbuch I (1415) unter
iener.
'“) auf der Seuhandt liegen, wie unser .auf ilcr Bärenhaut liegen“.
'*) erbfahl =« Erbfall, Erbschaft.
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131
vorschweiiilen, welches ilie froimiien elderu ju armiit mit grußeni koiiimer viid
sorgen erlanget, dorzii von den jenigcn betriiht vud bekümmert werden vnd ehe
die zeit kompt die früiiimeu Eltern vnter die erde breiigen, vnd che sie achtzeheu
jabr ait werden, weiber begeren zu haben ').
Es kennen vnd mugen nit alle doctures aus ibne werden oder geschickte
Kanfleutc, welche dann die frunimcn eitern gerne sehen vnd vor gut betten,
Sünder wollen sie nit lehrnen ita so lernen sie hotosta*), was mugen diß die
froinnicu Eltern, die aus vetterlicher vnd mütterlicher liebe jren kindren alles
gut gönnen vnd jre wolfart gerne sehen, was hilft es daun, das die Eltern veil
guthes vnd gelt loßen vnd die Kinder boßlicli anwerden (!) vnd vorzeten. Der-
balbcu sein die frommen eitern auch entschuldiget, dieweil sie jr ampt, so jbuc
von Uolt befoleu, ausgericht.
Die weil diß als die krieges vbung auch ein ehrlich vornehmeu ist vnd
von anfnngk der weit Krieg geweßon, welcher Kaisser konige fnrsten vnd heruu
gebrauchen mußen vnd an sic iiitt sein mugen und so die nothturft dies erfordern
wiell, seihest doran müssen zu errettung landt vud Icut jn beschitzung witwen
vnd weßen,
Vnd wann gleich einer oder mehr nicht wider heim kompt, welches dann
(iottis Wille, so scy Gott vnerzornet, so fheret der jeuige in Gottes nahmen zu
dem alden häufen, so sein sie doch gestorben als fromc ehrlich leuth.
Es mns doch einer doheim der gefahr hestchen, das juue ein aide wandt
derschlagc oder sonst mit langckweriger kranckheit beladen wirt, vnd muß
dennoch sterben; will Gott den menschen behüten, so ist ehr vbcrall bewart
vud vorsorgt.
Ein junger wird leicht laster frei,
der frouien leuteu wonet bey
vnd mugen sich leichtlich erhalten,
das sie durch zucht jn tugent alten.
Heatissima civitas que a sapieutibus regitur*).
') vgl. oben S. 113 Anm. 2.
’) Die Wiener Hschft. hat hottesta. Es ist wohl dasselbe wie „hotte stoh“.
Logau n. 526 bei Weinhold S. 37.
') bealissiina civitas que a sapieutibus regitur. Sentcnliac pueriles . . .
collectae per Leonh. Oulmannum, Bndissinae 1566, Blatt B>; vgl. Boetius de
consol. philos. Ic. 8.
U*
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Literatur.
Heidrich, R. t'hristiiachtsfcirr mul ('hristna(-litsf'vsnn)'u in der nvaiiKclischen
Kirche. (>iittiii|;en 11KI7, Vuiiileiihneck und Kuprecht. VI 1!)4 S. (ir. K.
Ein SeitenstUck zu den Weihnaehtsspielen sind die in der Cliristnaclitfeier
gesunp;enen alten Ijicdcr, mit denen sich mancherlei liriiuche verbinden. Aber
während die Weihnachtsspielc fast ganz aus dem Leben des Vidkes verschwunden
sind, erfreuen sich die volkstümlichen Christnachtlicder noch eifriger Pflege.
I*er W'rf. zählt 167. zuin allergrci.ssten Teile prenssische, Gemeinden auf, in denen
sic sich noch erhalten haben, Schlesien ist mit nicht weniger als 54 Urten ver-
treten. Diese Lieder und Wechselgesänge mit ihren vielen Hesonderheiten
werden uns im letzten .Abschnitte des Werkes initgeteilt. in den ersten Ab-
schnitten spricht der Verf. von dem Verbote der Christnachtsfeier, das wegen
der dabei oft vorkommenden rngehörigkeiten erfolgte. .Schliesslich wurde aber
die Feier auf Bitten der Gemeinden, mitunter auch der (ieistlichen, wieder er-
laubt, alte Missbräuche wurden beseitigt. Es wird dann geschildert, wie sich
die Feier gestaltete: wir hören von dem /Cuge der oft als Engel verkleideten
Mädchen und Knalwn in die Kirche; von deren festlicher Erleuchtung, u, a. durch
die sog. Kronen, Schlangen und Scheren; besonders Genaues von dem Wechsel-
gesangc zwischen Engel. Hirten und Gemeinde, dem tjuempas. so genannt nach
der ersten Liedzeile: yuem pastores landavere. Als man vom Gebrauche der
lateinischen Sprache zu dem der deutschen überging, erfuhr dieser AVechselgesang
eine starke Veränderung; merkwürdig, dass in Schlesien das Lied t^uem pastores
landavere noch heute nur lateinisch gesungen wird, freilich nur an zwei Urten,
in Klein -Gaftrnn (Kreis (ilogau) und Pless. Wessen .lugend solch alte schöne
Christnachtsfeier begleicht hat, wird mit dem Verf. des Wunsches sein, ,dass
die alte Sitte der Christnachtsfeier und des Christnachtsgesanges zunächst er-
halten bleibt, wo möglich sich weiter ansbreitet*. Mögen diese so wie die warm-
hi'rzigen Worte auf S. 55 bei unsern Geistlichen und Kantoren ein geneigtes
Uhr finden. — Dass der Verf. in seinen Mitteilungen und Sammlungen keine
Vollständigkeit erreicht hat, spricht er .selbst ans; er hofl't. dass sein Buch zu
weiterer Forschung anregen wird. — Vielleicht werden auch die kirchlichen
Feiern der anderen hohen christlichen Feste einmal auf ihren Gehalt an Altem
und Volkstümlichem hin geprüft.
Eine Merkwürdigkeit möchte ich bei dieser Gelegenheit erwähnen, ln der
evangelischen .Silvesterandiuht in Goldberg in .Schlesien singt der Chor den drei-
stimmigen Kanon: „Die Hand, die uns durch dieses Dunkel führt. Lässt uns dem
Elend nicht zum Haube, l'nd wenn die Hoffming auch den Ankergrund verliert,
.'<u lasst uns fest an diesem (ilauhen halten: Ein einz'ger Augenblick kann alles
iimgestalten*. Bekanntlieh sind das Worte der .Amanda an HUon in Wielands
Uberon (A'll 75; Zeile 7 heisst es dort natürlich: lass). -Nach der freundlichen
Mitteilung des Herrn Kantors P. .''chnlze rührt die Vertonung der A'er.se von
einem gewissen Bernhard her; ein Legat verpflichtet den Kantor, in der t^chluss-
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ancincht diesi'S Lit-d singen zn lassen. V»r mehreren .lalireii wüllle ein (ieist-
lieher das Ided verbieten, ufl'enbar wegen seines weltlichen Zusammenhanges; ist
doch auch bei Wieland mit der durch das |)nnkel führenden Hand nicht die
Hand (iottes gemeint. Hoch leistete die Gemeinde, die an dem Liede sehr hängt,
erfolgreichen Widerstand So ist dem Volke, freilich nur einem sehr kleinen
Bruchteile, eine Stelle ans Wielands Oberon wenn auch nicht ,volkslänfig“, so
doch bekannt und vertrant geworden, noch dazu durch Vermittlung der Kirche;
gewiss eine Besonderheit . deren eine gleiche ich nicht kenne. Wie beliebt die
Verse in (ioldberg sind, geht daraus hervor, dass ich sic in meiner Kindheit bei
einer alten Frau in Uoldbuehstaben auf dunkelblauem lirunde, eine schöne,
saubere Buehbinderarbeit. unter (ilas und Balimen gesehen habe. F, l’radel,
Führer durch die Sammlung für deutsche Volkskunde. Klosterstrasse Hti. König-
liche Museen zu Berlin Heruusgegeben von der (ieneralvcrw'allung,
Berlin 1!K)8 [»ruck und V'erlag von Georg Keimer. IV 71 S. Kl. 8.
Hiese Sammlung ist im .lahrc 1888 von Freunden der Volkskunde in Berlin
begonnen worden; durch Stiftung grö.sserer Sammlungen wuchs sie schnell an,
am 1. .April l‘.K)4 wurde sie in .Staatsbesitz übernommen. Nach rmhau ihrer
Bäume und neuer Ordnung ihres Besitzes ist die , Sammlung für deutsche Volks-
kunde“ anfangs dieses .Tahres wieder eröffnet worden. Sic bei Gelegenheit zu
besuchen wird kein Freund deutschen Volkstums unterlassen. Der eben er-
schienene Führer erzählt von dem Keichtume der Sammlung, die uns ein an-
schauliches Bild von der Eigenart der deutschen Stämme hesonders in ihrer
Wohnung und Kleidung, ihrem Haus- und Wirtschaftsgerät gelien will, doch
fehlt es auch nicht an Gegenständen, die sich auf Volksglauben und -brauch
beziehen. — Man vergleiche auch den Bericht in der Zeitschrift des Vereins für
Volkskunde -Will 241 ff. F, l’radel.
Beiträge zur Heimatkunde der Pfalz. 11 Pfälzer FrUhlingsfeicrn von Becker.
KaUerslautern 1908, in Kommission von Hermann Kuysers Verlag. 49 8. Gr. 8.
.Auch in diesem .lahre haben wieder in Schlesien am liätarcsonnlage
Knaben und Mädchen den Frühling herbeigesnngen . Gaben heischend für so
löbliches Tun. dem endlich wohl griesgrämige Behörden nicht mehr stäirend nml
wihrend in den Weg treten, vielfach eines Besseren belehrt durch Vereine oder
einzelne Männer, die unserem A'olke liebgewordenen Brauch schützen wollen.
Hass auch sonst noch in deutschen Banden nach alter SitU‘ Frühling und
.Sommer begrflsst werden, erfahren wir aus Beckers .Abhandlung, aber sie spricht
nicht so sehr von <lcn weit verbreiteten Lätarebräuchen, sondern geht vielmehr
auf die weniger bekannten des Fastnachtsrades und AVinterverbrennens, des
Stabans. des Kampfes zwischen 8ommer und Winter, des .Mailehens und Ptingst-
quacks in der Pfalz ein. Auch dieser Aufsatz lehrt uns. wie reich an schönen,
sinnvollen Bräuchen unser Volk einst war, wie es daran auch jetzt noch nicht
so ganz arm ist. A'ereinc für Volks- und Altertumskunde werden erst dann
rechte Bedeutung gewinnen, wenn sie ihre Aufgabe nicht bloss in gelehrter
Beschäftigung mit diesen Sitten sehen , sondern auch darin , sic zu erhalten.
Gerne hören wir von Becker, wie dies in der Pfalz mit gutem Erfolge versucht
worden ist. F. Pradel.
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Hellwig, r>r Alhrrt ViTbrcrhcii und A licr gliiuhc Ski/.wn nus der vidksknnd-
liclifii Kriminalistik. 1-10 8. Aus Natur und (ieistcswidt. 212. Händchen.
Leipzig l'.tOH. H. (i. Teuhner. M. 1.
Der Verfasser, der sieh durch mancherlei Arbeiten über kriminellen .Aber-
glauben bekannt gemacht und auch Beiträge für unsere „Mitteilungen' geliefert
hat, bietet hier nicht nur der volkskundlichen Wissenschaft, sondern auch der
strafrechtlichen I’raxis wertvidle Belehrung. I>er Hexen- und Vampirglaiibeu,
sympathetische Kuren, Wahrsagen, Zigennerglauben und inanclie andere
.Äusserungen des Aberglaubens haben so häutig in der Kriminalistik eine Holle
gespielt und sind noch heute so bedeutsam, dass die Volkskunde hier reichliches
Material findet. Auch der Kreimaurer-.Aberglaiiben Hesse sich hier anreihen;
lief Verfasser unterrichtet uns darüber im vorliegenden Hefte der .Mitteilungen“.
Nur mit kurzem Worte kann hier noch auf das soeben erschienene lesens-
werte Büchlein hingewtesen werden Wollten doch unsere Leser ans ihm lernen,
wie wertvoll für die Wissenschaft und wie anregend für jeden liebildeten es
ist, wenn .Angehörige bestimmter Berufe (.Inristen. .Arzte, (ieistliche. Lehrer,
•Apotheker, Landwirte seien hier des Beispieles halber genannti systematisch
sammeln wollten, was ihnen als eigenartig in .'^itte und Brauch des V'olkes so
reichlich im Berufsleben begegnet. S,s.
Mitteilungen.
Die letzte .Sitzung des .lahres 1!K)7 fand am Freitag, den 13. Dezember
im .Auditorium maximum der l'niversität statt. .Sarhdem der A'orsitzende einige
geschäftliche Mitteilungen über die Veröffentlichungen der (iesellschaft gemarht
hafte, hielt Herr rniversitälsprofessor Dr. med Klaatsch einen A'orfrag .Zur
A'olkskunde der Ureinwohner Australiens“. Die australische Hasse hat
in physiologischer und ethnologischer Beziehung einen ausserordentlich alten
Standpunkt bewahrt; über ihre Lebensweise, Sitten und (iebräuche gab der
A'ortragende höchst interessante Aufklärung, die ihm auf langen Studienreisen
in Australien geworden ist. Kr berichtete von dem Familienleben nnd den In-
stitutionen der Khe und des Mutterrechtes; Uber die Krwerbs<iuellen , den
Köri>crschmuck (als solcher dienen Menschenhaare , Muscheln, Farben), die
Kunstübung; ein besonderer Teil des Vortrages war dem Aberglauben ge-
widmet. Hier ist es vor allem die grosse Macht, die den alten Männern ein-
geräumt wird: man traut ihnen heilende Kraft, Zauberkunst und die Fähigkeit
zu, böse Geister zu bannen, ja sic haben Gewalt über Gewitter, Hegen und
Sturm. Sehr verbreitet ist die Furcht vor Tötung und Schädigung durch
AVirknng in die Ferne, wie ja auch hei europäischen Völkern der (ilaube an
symbolische Schädigung auf Distanz herrscht. Nach Besprechung der .Sitten nnd
Gebräuche beim Tode (Trocknen und Rauchern der Leichname ist üblich, auch
KannihaBsmus ist nicht selten) gab der Redner eine .''childernng der h.auptsäch-
lichsten ('haraktereigcnschaftcn. — .An der angeregten Debatte beteiligten sich
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der VorsitZfiide sowie Professor Dr. Skutscli und Kommandierender (ieneral
von WojTSch,
Die erste Sitzung des Juhres ÜRW fand am Freitag, den 17. Januar iin
Auditorium nmximum der l’niversität statt. Der Vorsitzende gab zunächst eine
('hcrsidit über die Arbeiten und die Kntw'iekclung der Uesellscliaft während des
Jahres 1!K)H. — Hofkunsthandler Hruno liiehter legte als .Sehatzineister den
Kassenberielit ab. Die liesamteinnahinen des Jahres 111117 beliefen sieh auf
3J53.(!2 -Mark, die .Ausgaben auf H2tl7,51 Mark, so dass sieb ein Pbersrhuas von
5l!.U Mark ergibt Der K.assenbestand, der am 1. Januar 1907 S4, 72 Mark be-
trug. ist somit am 1. Januar 1908 auf 140,8:1 .Mark angewachsen. Der Verein
besass an Kft'ekten am 1. Januar 19t)8 4500 Mark, die in der städtiseben Hank
niedergelegt sind. Auf .Antrag der Uechnungsprüfer Professor Dr. K. Appel und
Professor Dr. 0 lloffmaiin ward dem Schatzmeister Entlastung erteilt und der
Dank der (iesellschalt für seine Mühewaltung ausgesprochen. Der bisherige
Vorstand wurde auf Vorschlag wiedergewählt und besteht somit aus den Herren
Professor Dr .Siebs (V'orsitzender), Uch. Hegierungsrat Professor Dr. Nehring
(Stellvertreter), Stadtbibliothekar l>r. 11 ippe (.Schriftführer). Museumsdirektor Pri-
vatdozent Dr. H. Seger (.Stellvertreter). Hofkunstbändler Hruno Richter f.Schatz-
nieister), A'erlagsbucbhändler Ma.\ W oy w od (Stellvertreter), Professor Dr. K ö r her ,
Kgl. (iymnasialdircktor Professor Dr. Feit, l'niversitätsprofessor Dr. Skutsch,
Oberlehrer Dr (Hbr ich. — Hierauf hielt Pniversitätsprofessor Dr. von Wcnck-
stern einen Vortrag über den , Volkscharakter der Japaner“. Er wies
zunächst darauf hin, dass von jeher, seit Marco Polos Zeiten bis .auf den
heutigen Tag, die .Ansichten Uber den Charakter der Japaner sehr schwankten
und sich widersprächen: man denke an Pierre Loti gegenüber Lafeadio llearn;
Erwin Balz, der lange als Professor der Medizin in Tokio gewirkt hat. erachte
cs für ein unlösbares Problem; und so wolle der V'ortragende , zumal er nur
anilertbalb .lahre in Japan gelebt habe, auf den Arbeiten anderer als einer
Grundlage hauen. Sodann ging er auf besondere Charaktereigenschaften d(>r
Japaner ein, auf ihre grosse Zurückhaltung, ihre besondere Auffassung von Ehre
und von Elternliebe, ihre .Ansichten über .Aufgaben und pädagogisi he Bedeutung
des Dramas und ihre Forderungen an die Erzählungsliteratur und charakterisierte
dann die japanische Sprache, ihre Schwierigkeiten und das, was uns besonder.s
fremd an ihr erscheint. Mit mannigfachen Ausblicken auf die japanische (ie-
schiebte verband der Vortragende eine .Schilderung ihrer Kultur, ihrer Welt-
anschauung und Religion, in der der Ahnenkult und der (Hauben an die Wieder-
geburt eine so grosse Rolle spielen. Weiterhin ging der Redner auf die staat-
liche Organisation ein, besonders auf das Kriegswesen und die Beteiligung der
Bevölkerung am öffentlichen Leben. Dann ward die Stellung der Frau ge-
schildert, wie sie sich in der Einrichtung der Ehe (die als eigentlichen Zweck
nur die Erzielung männlicher Xachkominenschaft hat und sehr leicht geschieden
werden kann), in der Volkssitte und in der Literatur, vor allem in der lyrischen
I üchtung spiegelt. Redner gab manche charakteristischen Proben der Liebcspocsic
und suchte sodann den Charakter der Japaner durch eine treffende Auswahl von
Sprichwörtern zu zeichnen. Durch eine Reihe trefflicher Lichtbilder wurden
die .Ausführungen des Redners ergänzt.
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IMe zwcilc Sitzung ili-s Jahres faml am 7. Februar im iriirsaal I (kr
l'iiivcrsilät statt. Oberlelirer Dr. J. Klapper hielt einen Vortrag Uber .Sagen
nnil Märchen des Mittelalters aus sohlcsischcn Handschriften“, mit
dem er auf einen äusserst wichtigen und viel zuwenig beachteten Faktor der
literarischen l'berliefcrung im Mittelalter hinwies; das l’redigtexempel , in dem
die Kirche Sagen und Märchen und alle möglichen liattungen von Krzählungs-
Bloffen vorführte und weiterbildete und als sogenannte moralische Geschichten
bewahrte. Kedner ging zunächst auf die bekannten Sammlungen der Gesta
liomanorum. auf des t'aesarius von lleisterbach dialogus von den Wundern und
die Marienmirakcl ein und kam dann zu seinen eigenen Handschriftenstudien,
die ihm eine Fülle wertvrdlen Stoffes geliefert haben. .Als interessantes Hei-
spiid ward die Hearbeitung des Märchens vom Mädchen ohne Hände gegeben
(die im vorliegenden Heft S. 21Hf. mitgeteilt ist), dann Krzählungen von Dä-
monen und Schatzsagen mul von mancherlei anderen Motiven, die in der ger-
m.anischen, romanischen und sonstigen Literatur eine wichtige Holle gespielt
haben, ln dem Vortrage wie auch in der sich anschliessenden interessanten
Debatte ward erwiesen und anerkannt, welch eine grosse Fülle höchst wichtigen
volkskundlichen Materials die mittelalterlichen Handschriften, besonders die
l’redigthaiidschriften, Ijergen, und dankbar der mühevollen, aber lohnenden .\rbeit
gedacht, die der Vortragende auf diesem Gebiete leistet.
l»ie letzte Sitzung des Winters fand am Freitag, den 28. Februar im
Hörsaal 1 der Fniversität statt. Gymnasialdirektor l’rofessor Dr. Drechsler
aus Zabrze sprach Ober .Die .Seele nach dem Tode in der Anschauung
des Volkes“. Der Vortrag ist zu Beginn des vorliegenden Heftes gedruckt.
-Am 12. Januar feierte der .Schlesische Altertnmsverein sein fünfzigjähriges
Bestehen durch einen .Aktus im Museum; der Vorsitzende, Museunisdirektor
Dr. Seger, hielt die Festrede. Für unsere Gesellschaft, die sich durch lang-
jährige gemeinsame l'flege der Interessen mit diesem Verein verbunden fühlt,
sprach der A'orsitzende (ilückwünsche ans.
•Am 3. Gktobos- lindet zu Berlin die Versammlung des Verbandes der
deutschen Vereine für Volkskunde aus Deutschland. Österreich und der Schweiz
statt. Näheres darüber wird im Korrespondenzblatte mitgeteilt.
Mit bestem Danke verzeichnen wir Eingänge zu unseren Sammlungen
von dem Herrn Kentiier Oskar Scholz in Herzogswaldau. — Für jede weitere
Mitteilung von volkstümlichem Werte, von Liedern, S.agen, Sprüchen, .Sitten,
Bräuchen, Flurnamen, Redewendungen, Worten iisw’. sind »dr auch fernerhin
aufrichtig dankbar.
Als neue Mitglieder traten unserer Gesellschaft bei die Kothschild’sche
öffentliche Bibliothek zu Frankfurt a. Main und die Herren Dr. phil.
Jaoschke in Oels, Dr. inr. .A. Hellwig in Berlin- Waidmannslust. Pfarrer
Hohn in Frömsdorf, Kr. MUnsterberg.
Schluss der Redaktion: 12. Juli liHIH.
Bu.'lidruckerei Maretzke a Martin. Trebnitz 1. Schien.
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Sagen und Märchen des Mittelalters.
Von Dr. J. Kln|iper.
I. Scala cacli.
In dem Aufsätze über das Miirclien von dem Mädcben olme
Hände (.Mitt. XIX 29) erwähnte ich bereits als bedeutsame Quelle
für mittelalterliche Sag:en und Jlärchen ein Exemi>elwerk, das den
Titel Scala caeli führt. Der Verfasser dieses Werkes ist .lo-
hannes Gobii Junior — die von mir in jenem Aufsätze benutzte
Handschrift 1. Q. 454 der Kgl. und Universitätsbibliothek zu Bres-
lau nennt ihn Johannes Gebii Junii. Die Fülle des für die Volks-
kunde wertvollen Stoffe.s, der darin angeliäuft ist, wird eine etwas
eingellendere Beschäftigung mit dem Werke und seinem Verfasser
reclitfertigen. Dabei soll für die Entleimungen aus dem Werke
der Text der Breslauer Handschrift zugrunde gelegt werden, da
diese bedeutend vollständiger ist als die später noch zu erwähnen-
den Inkunabeln, auf deren oft sinnlosen Text man sich bisher in
den wenigen Fällen bezog, wo die Scala caeli überhaupt in der
Forschung Beachtung gefunden hat.
Die Hauptquelle für unsere Kenntnis der äusseren Eeben-sver-
hältnisse des Verfassers ist die Vorrede der Exempelsammlung
selbst. Hier bezeichnet er sich als Bruder des Bredigerordens
(Dominikaner); sein Werk widmet er einem Hugo de Coluberiis
(Hs.: Columberiis) , der als Praepositus der Kirche von Aix be-
zeichnet wird. Diese Aquensis ecclesia ist natürlich die südpro-
venzalische Stadt Aix, das alte Aquae Sextiae. In Jener Stadt, zu
der der Verfasser also zur Zeit der Abfassung seiner Sammlung
in Beziehung stand, ist auch um das Jahr 1296 ein Probst de
Coluberiis nachweisbar. Jedoch mit dem Vornamen Guillelinus.
Wenn der Probst Hugo, dem die Widmung gilt, nicht identisch ist
mit dem nachgewiesenen Guillelinus, was mir als sehr wahrschein-
lich erscheint, da die Abfassung des Werkes, wie wir sehen werden,
Mitteiluii^en <1. scltles. Oes. f. Vkdtv llelt .\\. t
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noch um das Jalii' i;-500 anziisctzcn ist. .so Imt er weiiiprstens der-
selben Familie angehört ‘). Der Verl'asser nennt sich nun .Jo-
lianues Junior, so da.ss er sich seihst auch in Beziehuiifr .setzt
zu einem älteren Johannes Gobii, und diese Beziehung ermöglicht
uns eine genauere Datierung, Unter den französisclien Dominikanern
ist dieser ältere Johannes Gohii eine nicht unbedeutende Per-
son. Als sein Geburtsort lässt sich Alestum, das heutige .\lais
im südfranzüsischen Departement Gard nacliweisen; 1273 i.st er
als Subrektor im Kloster Sisteron bezeugt; 1302 ist er Prior in
Avignon, von wo er in demselben Jahre in gleicher Eigenschaft
nach Montpellier geht; 1304 i.st er Abtim Kloster Saint- .Maximin;
von 1312 bis 1314 verwaltete er das Amt eines Provinzials; als
.sein Todesjahr nimmt man das Jahr 1328 an ’*). Dieser ältere
.Johannes Gobii, de.ssen Lebensweg wir .so ziemlich genau kennen,
wird der Onkel unseres Verfassers gewesen sein, und so werden
wir nicht felilgehen, wenn wir als Heimatsstadt des jüngeren Jo-
hannes Gobii gleichfalls .\lais aiisetzen. Nun i.st uns in elf Hand-
•schriften und drei Drucken der lateini.sche Text, und in zwei
weiteren Handscliriften die französi.sclie Übersetzung einer Dis-
putation zwisclien einem Prior von .Aluis und einem wiederkehrenden
Toten Guido de Torno (Guy de Tours) erhalten, und der Prior
wird in mehreren jener Hand.schriften Johannes Gobii genannt.
Die.ser dialogische Traktat führt den Titel: Disputatio inter quem-
dam priorem ordinis Praedicatorum et spirituni Guidonis, und als
Jahr, in dem die Begebenheit .stattgefunden haben .soll, wird in
der weit überwiegenden Mehrzahl der Ilarid.scliriften 1323 oder
1324 angegeben^). Prior von .Alais i.st aber der ältere Johannes
Gobii nie gewesen. Wenn wir also nicht um die.selbe Zeit in der-
selben Gegend drei Dominikaner gleichen Namens annelimen
wollen, so müssen wir in dem Prior der Di.sputation den Verfasser
der Scala caeli erblicken, der somit im Jahre 1323 im reifen
.Mannesalter steht. Die Scala caeli ergibt sich dann als ein
') Quetif et Echaril, Scriptoreä Ordinis Praedicatorum, Paris 1719—21,
I 633. Hier wird Hugo de ColHbcriis aber ganz willkUrlicb und irrtümlich erst
in die Zeit von 1320 bis 1363 gesetzt.
') Scriptores Ord. Praed. 1 633. — .\Ibanis, Hisloire du couvent de
S.-Maximin, p. 60. — Hoiiais, [,es freres l’rechcurs en («ascogne, p. 438.
’) Haiirean, B. Notiees et Extraits de i|uelqucs manuscrits latins de la
Bililiotiieqiie nationale, Paris, 11 .328 ff.
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.Tufrpiidwfrk dieses Dominikaners, denn die älteste Handschrift, die
wir kennen, die der Pariser Nationalbihliothek, .stammt aus dem
Jahre 1301 '). Diese Datierung- wird durch den Inhalt des Werkes
durchaus bestätigt; wir haben es wirklich mit einem ohne viel
kritischen Sinn aus zahlreiclien Quellen zu.sammengeschriebenen
Exemiielwerke zu tun, und zu dem Alter des Verfas.sers pa.sst es
dann auch, wenn er .sicli in der Widmung als einfachen Frater
seines Ordens bezeichnet. Das ist alles, was wir über sein Leben
erschlies.sen können. .\ls junger Bruder .schreibt er um 1300 die
Scala caeli, um 1323 ist er Prior zu Alais; wenn sein Tode.sJahr
in den Script. Ord. Praed. II 633 um 1350 angesetzt wird, so ist
das reine Vermutung.
Was will die Scala caeli, und woher hat sie ihren Namen?
Der Text der Inkunabeln ist gerade in der Vorrede recht ver-
stümmelt und gibt auf diese Fragen keine sinnvolle Auskunft;
deshalb soll hier der Gedankengang der Widmung folgen; er ge-
währt uns auch eine Vorstellung von den (lesichtspunkten, aus
denen überhaupt Kxemiielstoffe ge.sammelt wurden: Nur unter der
Hülle des 01eichni.s.ses und des Bildes vermögen wir, so führt der
Verfa.s,ser aus, den Strahl der göttliclien Wahrheit zu ertragen; so
sprach auch Christus in Parabeln und («leichnissen, um die im
Schatten des Todes sitzenden zum Himmel zu führen. Zu dem
gleichen Zweck entstand zu Ehren .Marias, des hl. Dominikus und
der hl. .Maria Magdalena die.se , Himmelsleiter“, damit wir mit
Verachtung anderen nur die Neugier befriedigenden zeitlichen
Wissens emporsteigen zur Betrachtung ewiger Wahrheiten. Der
Balken dieser Leiter aber gibt es zwei, nämlich die beiden Teile
die.ses Werkes; der erste Balken ist die Erkenntnis des Himm-
lischen und die Liebe, die wir dann dafür emptinden. Der zweite
Balken ist die Frkenntnis des Irdischen und die Reue über unsere
früheren Werke. Der erste Balken entfernt aus uns die Laster
und fördert die Tugenden. Der zweite zeigt uns die l)erühmten
Handlungen, die seit Beginn der Welt im Laufe der Jahre und
der sieben Zeitalter vollführt worden sind. Die Sprossen der
Leiter a!)er sind die verschiedenen nach dem Alphabet geordneten
Stoffe. Damit aber der Leser diese nicht gering ein.schätze, lä.sst
der Verfasser nun die Werke folgen, aus denen er seine Blüten-
') Hanr£an II :I24.
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lese veranstaltete. Einiges aber hat er aurh, wie er ausdrücklich
bemerkt, aus Predigten aut'genommeii, was nicht in gescliriebcnen
Quellen zu finden war. Zum Schluss bittet er seinen Gönner um
gütige Aufnahme und Nachsicht. Das Werk ist so angelegt, dass
unter einzelnen Stichworten (Tugenden, Laster, allgemeine Ge-
sichtspunkte für Prediger, also z. B. Castitas, Corpus Christi, Filii
et filiae erga parentes debent .se habere hoc modo . . .) die ent-
sprechenden Ge.schichten als Exempel angeführt werden.
Als Quellen führt Johannes Gobii selbst die folgenden Werke
an: die beliebte. Sammlung Vitas patrum, die er dem hl. Hiero-
nymus zu.schrcibt; die Dialoge Gregors des Grossen; die
Flores sanctorum des Jacob von Voragine (f 1298), womit
er dessen Legenda aurea meint; die Historiae scolasticae, also das
Werk des Petrus Comestor(f 1198); das Speculum exemplorum
des Jacobus de Vitriaco (f 1241); die Glossae super Bibliam
des Hieronymus; die Summa fratis Vincentii, d. h. das
Speculum maius des Vincenz von Beauvais (f 1264); einen
Liber magnus de donis spiritus, also das bisher nur teil-
weise herausgegebene Werk des Dominikaners Etienne de Bour-
bon (t 1261); das Mariale magnum, den jl^iber de vita et
perfectione fratrum Praedicatorum und das Alphabetum
narrationum des Arnuldus. Auch die.se Quellenangabe, die
kein nach 1300 verfa.sstes Werk enthält, bestätigt die Annahme,
dass die Scala caeli um die Wende des Jahrhunderts entstanden
ist. Zu diesen in der Vorrede genannten Quellen stellen sich
dann noch die bei einzelnen Exempeln angeführten, so CUsarius
von Heisterbach, ferner eine Historia regum Franciae und
eine Historia Romanorum, die natürlich nicht mit den Gesta
Knmanorum identisch ist; auch aus der Disciplina clericalis
des Petrus .Alphonsi finden sich Stoffe darin. Und diesen viel-
.seitigen Quellen entspricht auch der Inhalt. Mit echt mittelalter-
licher Freude am Wnuderbaren werden Bekehrungsgeschichten,
Heiligen- und Teufelsgeschichten, Sagen und Märchen vorgetragen.
Hs ist das Verdienst Goedekes, die Scala caeli zuerst für
die mittelalterliche Literaturgeschichte herangezogen zu haben, ln
Benfeys Zeitschrift Orient und Okzident 111 (1864) 397 gab er
einige Hinweise auf das Werk und seinen Verfa.sser und druckte nach
der ersten Ausgal)e (1476) ilen darin enthaltenen .4u.szug aus der
Geschichte der sieben weisen Meister ab. Nach ihm hat Osterley
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in der Ausgabe von Paulis Schimpf und Ernst (Stuttgart 1866)
bei den Nachweisungen der darin verwendeten Motive wiederholt
auch auf die Scala caeli Bezug genommen, — er nennt den Ver-
fasser der Angabe der Dnicke entsprechend Johannes Junior —
und in der Ausgabe der Gesta Romanorum (1872) weist er von
neuem darauf hin. Im 30. Bande von Fr. Pfeiffers Germania teilte
dann im Jahre 1885 J. J. Grane nach der Ulmer Ausgabe von
1480 den lateinischen Text der beiden Märchen vom Wasser dos
Lebens und von den drei Brüdern mit (S. 203), der in den folgen-
den Proben übersetzt ist, doch nennt er den Verfasser Johannes
Gobius. Und zuletzt hat A. Mussafia die darin enthaltenen
Marlenlegenden eingehend untersucht und verglichen unter Be-
nutzung des Druckes von 1480'). Der Text der Drucke ist oft
bis zur Unverständlichkeit verderbt, worauf auch Mussafia hinge-
wiesen hat, der die Schuld zum Teil den Druckern zuschreibt.
Bei der Ausnutzung des Werkes für die volkskundliche Sagen-
und Märchenforschung wird man daher immer auf die Hand-
schriften zurückgehen müssen. Mussafia hat bereits bemerkt, dass
solche Handschriften zu den Seltenheiten gehören; er kennt nur
eine einzige. Ich stelle im folgenden die mir bekannten Hand-
schriften und die vorhandenen Drucke zusammen. Die Drucke
haben nur den Wert einer einzigen selbständigen Hand.schrift, da
die beiden späteren auf den ersten Druck zurückgehen und, wie
eine Vergleichung ergeben hat, sogar alle Fehler die.ses ersten
Druckes teilen.
1. Hs. der Pariser Bibi. nat. Nr. 3606 v. J. 1301.
2. Hs. der Wiener Hofbibi. Nr. 13538.
3. Hs. Breslau, Königl. u. Univ.-Bibl. I. Q. 454 v. J. 1452.
4. Hs. im Monast. Dunense Gistercieiisium , Belgien, angeführt
bei Sanderus, Anton, Bibliotheca Belgica (1641) I 101.
5. Hs. Glarmontii in Arvernia (Dominikanerkloster) in fol. membr.,
erwähnt von Script. Ord. Praed. I 633.
6. Hs. Parisiis in Sorbon. chart. fol. Sed in hoc deest nuncu-
patoria et nomen auctoris; erwähnt ebenfalls in den Script.
Ord. Praed. I 633. Da die Bibi, der Sorbonne in die der
Nationalbibl. übergegangen ist, müsste sich diese Hs. jetzt dort
befinden.
•) S. B. (1. Kais. Aknil. tl. \V. phil.-hist. Kl. Bd. 119 (Wien 1889) IX 39
in (len ,ätudien zu den mittelalterlichen Marienlegendeu III*.
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fi
7. Excerpte aus einer yeala caeli-Hs,, die seltistäiidigen Wert
liabeti, da sie um 1400 bereits anpefertist wurden, enthält
die Hs. I. 202 der Kpl. u. Univ.-Bibl. zu Breslau von
Bl. 328'" an unter dein Titel: Exenipla ex libro (jui dicitur
Scala caeli.
8. Erster Druck: Lübeck 1476 mit der Lipatur ri für ni in
Junior, so da.ss dort .lohannes Jurior zu lesen ist. Folio.
Drucker: Brandis. Exemplar auf der Kpl. u. Univ.-Bibl. zu
Bre.slau.
9. Abdruck davon, jedocli ohne den Fehler Jurior für Junior.
Ulm 1480. Drucker: Johannes Zainer. Exemplar auf der
Kpl. u. Univ.-Bibl. zu Breslau.
10. Abdruck des ersten Drucks. Stras.sburp 1483 v. Jacobus
Eber. Exemplar auf der Göttinger Bibi.
Mit dem Stoffe, von dem ich in den Mitt. XIX 20 ff. zwei
neupefundene Versionen des Mittelalters übersetzte, dem Märchen
von dem Mädchen ohne Hände, liat sich einpehend Herrn.
Such i er in seiner Auspabe der (Euvres poetiques de Beanmanoir
(Societe des anciens textes fran^ais) Paris 1884 Bd. I S. XXIIl
bis LXXXI beschäftipt. ln die.ser auspezeichneten Untersucliunp
unterscheidet er zwei Grundtyiien, den Senatortyp und den Ere-
mitentyp. Diesem steht die von mir mitpeteilte erste Fassunp
nahe; sie zeipt enpe Verwandtschaft zu einem italienischen
Miracolo (Suchier S. L Nr. 17), doch bringt sie auch diesem pepen-
über sclbständipe Züge, die sie als eine urspriinplicliere Fassunp
erweisen; so zieht der Hcrzogs.sohn iin Miracolo zum Turnier,
nicht in den Krieg, die Vertauschung der Briefe findet im Mira-
kolo nur bei der Kückkelir des Boten statt, der Herzog findet die
Verstossene im Miracolo selbst wieder, und die Stiefmutter wird
nicht, wie in unserer Fassung gesteinigt, sondern verbrannt. Die
von mir aus der Scala caeli mitpeteilte Fassunp findet in Suchiers
reichlialtiper Sammlung von Versionen des Senatortypus zwar ver-
wandte Darstellungen, trennt sich aber von allen durch eine Fülle
wichtiger Einzelheiten und weist die Heimat der Sage in Frank-
reich, nicht in England nach. Der Xaine der (irafentochter Margaretha
deckt sich hier auffallenderweise mit der von Suchier S. LXll an-
pemerkten litauischen Sage von der hl. Margaretha. Sie wird in
unserer Fassung nicht auf dem Meere ausgesotzt; dieser Zug ist
sicher erst aus einer anderen Sageugru))pe in die unsere hinein-
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getragen. Was weiter für die ITr.sprüngliclikeit unserer Fa.s.sung
spricht, ist der Aufenthalt in Bologna, nicht in Rom, die Her-
kunft der Heldin aus Orafengeschlecht , nicht aus königlichem
Hause. Die meiste Ähnlichkeit weist unsere lateinische Fa.ssung
noch mit dem französischen Romane des .lehan Alart von derComtesse
d’Anjou auf, der 1316ge.schrieben, also nicht viel Jünger als die Scala
caeli i.st (Suchier a. a. O. S. XXXVII). Zu seinen Sagenversionen
hat Suchier noch Xachtriige versprochen (Romania 30, 519). Zu-
letzt haben sich mit dem Stoff beschäftigt, ohne Neues beizubringen,
die beiden Greifswalder Dissertationen von Henry Bussmann:
(traramat. Stud. über den Roman de la belle Heiaine (1907) und
von Krnst Hüdepohl: Weitere Studien zur Chanson de Lion de
Bourges (1900), ferner Kdith Rickert in der Neuau.sgabe des
Romans Einare (Early Engl. Text Society, Extra Series XCIX,
London 1908).
1.
Mit dem Märchen vom Mädchen ohne Hände im (irund-
gedanken verwandt, aber in der Durchführung ganz davon ab-
weichend i.st die ebenfalls der Scala caeli entnommene im folgenden
mitgefeilte Sage von der Tochter des Kaisers von Konstan-
tinopel. Wir haben es auch hier mit einer im Mittelalter ver-
breiteten Sagenversion zu tun, doch ist uns keine andere mittel-
alterliche Fassung bisher bekannt. Auch für die.se Sage i.st ein
spätgriechischer Roman.stoff als tjuelle auzunehmen. Das ergibt
sich aus einem albanischen inodernen Märchen, das ich nach der
mittelalterlichen Sage kurz aiiführen werde, und das uns Zeugnis
gibt von der Verbreitung und der Heimat des Stoffes.
Die Tochter dee Kaisers von Konstantinopel.
[KI. 39 V], Man liest in ilen Gescbicliten der Bönicr, dass ein KOnig in
Sizilien war, der die Tochter des Kaisers von KonsUntinoiiel zur Gattin hatte.
Da diese in grosser Zucht lebte, beneidete sie der Teufel um ihre Keuschheit
und erweckte Eifersucht in ihrem Gemahl, indem er ihm böse Träume von ihr
eingab. Uhu schien es im Traume, dass ein Jude mit ihr sündhaften Umgang
pflog. .\ls er auf Eingebung des Teufels wiederholt dieses geträumt hat, ruft
er Traumdeuter und Ratgeber zusammen und fragt, w.as er tun solle, und da
seine Ratgeber Gesellen des Teufels waren und die Keuschheit hassten, rieten
sie ihm, er solle seine Gemahlin mit dem Juden, auf deu der Verdacht fiel, ohne
Steuer und Segel, ohne Speise und irgendwelche Hilfe auf den Fluten des Meeres
aussetzen, damit sie vou den Walfischen gefresseu würde und ihren Eltern ihr
Untergang verborgen bliebe. Der Rat wird ausgefUhrt und die Herrin ohne
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jede Hilfe mit dem Juden nnf einem Schiffe »iisgcsetzt. Aber sic verzweifelt
nicht an üott. der die Konschhcit liebt, sondern wühlt ihn zu ihrem Schutzhemi,
die gebenedeite Jungfrau zu ihrer Ernährerin und die heilige Katharina zu ihrer
Fürsprecherin. Das Meer geht hoch, die Wellen schlagen empor, aber unter
Gottes Führung und dem Schutz der heiligen Jungfrau lauden sie ohne den ge-
ringsten Schaden in Venedig. Doch die Bosheit des Juden ist das Werkzeug
des Teufels ; er vergisst die wunderbare Kettung, bindet am Ufer die Frau und
stellt sie wie eine Sklavin zum Verkauf aus. Ein Kaufmann aus Toulouse wird
auf ihre Sebünheit und ihr edles Benehmen aufmerksam und kauft sie für fünf-
zehn Florin ; darauf führt er die heilige Frau , die iu ihrem Schmerze heftig
weint, nach seiner Herberge. Der Schlaf flieht ihre Augen, sie weint unaufhör-
lich und nimmt keine Speise zu sich ; demütig empfiehlt sie sich dem Beschützer
der Unschuld und erfleht Hilfe von der Jungfrau Katharina. Und als sie so in
ihrem Schmerze dahinicbt , erkundigt . sich der Kaufmann nach dem Grunde.
Und da er erfährt, dass sie von vornehmer Abkunft ist, ohne jedoch ihr Ge-
schlecht zu ergründen, verspricht er ihr, in der Absicht, ihren Schmerz zu
mildern, die Erfüllung einer Bitte. Da spricht sie: „Drei Dinge erbitte ich von
deiner Liebe; erstens, dass du nicht versuchst, meine Reinheit zu verletzen,
dann, dass du mich nicht in Fraueukleidern gehen lässt, sondern in Maunes-
kleidung, um nicht Anlass zu einem Ärgernis zu geben, drittens, dass du mich
nicht bei meinem Namen Katharina rufst, sondern nur als deinen (iefährten be-
zeichnest*. Das gelobte er ihr gern unter einem Eide. Sie legt nun Mäuuer-
kleiduug au, und er nennt sie nur seinen Gefährten. Sie besteigen ein mit
Waren beladenes Schiff und fahren nach dem Hafen Marseille. Dort rüstete
sich gerade der Bischof von Lyon zu einer Seefahrt. Dem Kaufmann aber geht
das Geld zu Ende, und so fragt er seinen Gefährten um Rat, und dieser zieht
den Ehering hervor und bietet ihn dem Kaufmann zur Veräusserung au; dieser
hat von seinem Werte keine .Ahnung. Doch erfährt er bald, dass die ganze
Stadt Marseille ihn nicht genügend bezahlen könnte. Viele kommen herbei ;
sie machen grosse Anleihen, um deu Ring zu gewinnen. Der Kaufmann aber
kehrt zu seinem Gefährten, das heisst zu der Herrin zurück, die im Hafen zur
Bewachung der Waren geblieben war, um sie um ihren Rat zu fragen. Doch
nirgends kann er sie finden ; und als er sich nach ihr erkundigt, sagen ihm die
umstehenden Leute: „Der Erzbischof von Lyon hat, um deu günstigen Wind
auszuuützeu, mit alt seinen Leuten sein Schiff bestiegen, und wir alle und auch
dein Gefährte waren ihm beim Einschiffen des Proviants behilflich, da wir es
gut mit ihm meinen, ünterdcs.sen aber schwellte der Wind die Segel, während
dein Gefährte noch atif dem Jleere war, und so ist er, ohne dass er es wusste,
mit dem Gesinde des Erzbischofs von Lyon abgefahren“. Bei die.ser Nachricht
zerriss der Kaufmann vor Schmerz seine Kleider; er stürzt zu Boden, lässt
seine Waren im Stich, eilt auf das Gebirge, um wenigstens noch die Spuren des
Weges seines Gefährten zu entdecken. Und da das Schiff noch nicht weit weg
war, erkannte er ihn noch, aber vor Weinen kann er nicht rufen, und so hehl
er die Hand empor und zeigt ihm den Ring. Da kommt plötzlich ein Rabe,
entreisst ihm den Ring und fliegt mit ihm fort. Von dem doppelten Verlust
betroffen, bricht der Kaufmauu zusammen. Seinen Gefährten aber leitete die
Gnade Gottes so, dass er in das Hausgesinde des Erzbischofs aufgenommen und
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von ihm wie ein Sohn gclmllen wnnle, und durch göttliche Fügung blieb cs
verborgen, dass es ein Weib war, sondern alle hielten sie für einen Hagen.
Der Kaufinann kommt nach Marseille zurück, verkauft alle seine Waren und
besteigt ein Schiff, um dem so innig geliebten (iefährten zu folgen. Aber seine
Keise war traurig; denn wShrend er nachfuhr, war der Erzbischof mit seinem
(.iefährten auf einen anderen Weg wieder heinigekehrt Bei seiner Ankunft er-
fährt er die Abreise des Bischofs. Xuii verzweifelt er an der .iuflindung seines
Gefährten. Sein Vermögen ist verbraucht; Krankheit und Leiden verfolgen ihn.
Und da gerade ein Schiff zur Abfahrt bereit ist, besteigt er es und bleibt fünf
Jahre lang auf dem Meere.
Der Erzbischof aber kam nach Konstantinopel und wurde dort vom Kaiser,
also Vom Vater der Frau, die ihm so gewandt als Page Dienste tat, eingcladen.
Der Kaiser bittet sich vom Erzbischof diesen Pagen aus. Dem ist das recht
gegen seinen Willen, und lange widersetzt er sich dem Wunsche des Herrschers.
Doch schliesslich lässt man dem Pagen selbst die Entscheidung, und dieser
wählt des Kaisers Dienst. Der Erzbischof kehrt heim. Der Page aber gewinnt
die Gunst des Kaisers in dem Masse, dass er von ihm als Nachfolger erwählt
und bestimmt wird. Doch der Page will davon nichts wissen und bittet einzig
um ein Schloss, auf dem er leben könnte. Da beruft der Kaiser die Fürsten
und die Geistlichkeit zu einer Beratung zusammen; er offenbart ihnen seinen
Plan, und alle sind mit Freuden einverstanden, da ihnen die hohen Fähigkeiten
des Pagen bekannt sind. Dieser nimmt nun von allen den Treueid entgegen
und entdeckt dem Vater und den Anwesenden, nachdem er sich ihrer Ver-
schwiegenheit versichert hat, dass er des Kaisers Tochter sei. Er verbietet
ihnen bei Todesstrafe das Geheimnis zu verraten, dass er ein Weib sei, solange
er ihnen nicht dazu die Erlaubnis gebe.
Nach einiger Zeit stirbt der Kaiser, und wie ein Manu wird seine Tochter
auf den Kaiserthron erhoben, ,Sie spendet reiche .\lmosen [Bl 41 r] und lässt
zu Ehren der heiligen Jungfrau und der heiligen Katharina und für das Seelen-
heil des treuen Gefährten, den sie tut glaubt, ein Hospital von seltener Grösse
erbauen. Jeden Abend aber kam ein Herold und rief : .Dieses Hospital er-
richtete der Kaiser zu Ehren der heiligen Jungfrau und der heiligen Katharina
und für das Seelenheil seines guten Gefährten“. Endlich kommt jener gute
Kaufmann von Toulouse, der all sein Vermögen geopfert hatte, nur um seinen
Gefährten wiederzufinden, übers Meer zurück, und Almosen bettelnd gelangt er
nach Konstantinopel, wo er viele Tage und Nächte in jenem Hospitale bleibt.
Eines Tages wird er auf die Worte des Heroldes aufmerksam, sein Mut belebt
sich von neuem, und sein ganzes Trachten ist darauf gerichtet, das Antlitz
des Kaisers zn sehen. Zwar gelang ihm das nicht sofort, doch endlich glückte
es ihm, und aus dem Antlitz und ans der Art, wie der Kaiser in die Dienste
des verstorbenen Herrschers getreten war, erkannte er, dass es jene Frau war,
die er einst gekauft hatte. Und er ging an die Ritter und Diener heran und
versprach ihnen für den Fall, dass sie ihm eine Audienz beim Kaiser vermitteln
wollten, einen Ring, dessen Wert so gross wäre, dass ihn niemand hoch genug
einschätzen könnte. Diese aber verachteten ihn wegen seiner schlechten Kleidung
und wiesen ihn aus dem Hanse. .4bcr er stellt es doch so geschickt an, dass
er eine Unterredung mit dem Kaiser erreicht. Dieser kommt alsbald in dank-
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barer Eriuiieriing au die Ciiite seines Uefiilirten auf iliu zu uml uuiarmt ihn,
iinil beide vergiesseii TrSiien. Er erliält königlicbe (iewSnder, wird gespeist
und gepflegt und gebadet. Unterdessen werden die Fürsten und Grafen zu-
saimuenberiifeu zu einem grossen Feste, das angesagt und vorbereitet wird.
Und als alle beisammen sind, wird der Kaufmanu in Gegenwart des ganzen
Volkes zum Bitter geschlagen und darauf zum Kiinige erbeben. Dann aber er-
zählt der Kaiser unter Zustimmung der Fürsten, die bereits wussten, da.ss sie
nicht ein Mann, sondern des verstorbenen Kaisers Tochter war, kurz entschlosseu
die Geschichte ihres Unglücks und der Treue ihres Gefährten. Und uni ihn
auszuzeichnen und als Entgelt für seine Mübsalc bietet sie ihm die Herrschaft
an und nimmt ihn zum Gemahl. Und so war sie Kaiserin, der Tolosaner aber
wurde Kaiser.
Die einzige mir bekannte Parallele zu dieser mit dei-
Cresccntiasiige verwandten KrzUhlung ist das albane.siselie
Märchen von dem „Mädchen im Kasten“, das G. .Meyer in
seinen Albanesischen Märchen (Sehnorrs Archiv für Literatnr-
ge.schichte 12, 127) mitgeteilt hat. Darin heiratet die Tochter des
Königs von Agyi»ten heimlich einen bürgerlichen Jüngling mit
Namen Konstantin. Von einem Juden, den sie nicht erhört, bei
ihrem Gatten verleumdet, wird sie von diesem in einen Flu.ss ge-
worfen, aber von Fischern gerettet und einem Türken für fünf-
zehntausend Piaster verkanft. Sie entflieht ihm und kommt als
Mann verkleidet in dem Augenblicke nach Ägypten, wo ihr Vater,
der König, gestorben ist, und wird unerkannt zum König gewählt.
•An allen Quellen lä.sst sie nun ihr Bild aufliängen, und jeder, der
bei de.ssen Anblick seufzt, wird in den I’alast gebracht; der Jude,
die Fischer, der Türke und endlich auch Konstantin. Sie gibt
sich zu erkennen, verzeiht dem Juden, belohnt die Fischer, ent-
•schädigt den Türken und erhebt Konstantin zum Könige.
Zu einzelnen Motiven die.ses Märchens hat Reinhold Köhler
Nachweisungen gegeben, die jetzt am zugänglichsten sind in Joh.
Boltes Ausgabe der „Kleineren Schriften“ Köhlers Bd. 1 391 — 3'J3.
2,
Als weitere l’rohen sidlen nun nach der Brc.slauer Hamlschrift
die beiden Märchen vom „Wasser des ].,ebens“ und von den -Drei
Brüdern“ übersetzt werden. Ihr lateinischer Text ist bereits von
J. J. C'rane ans dem Flmer Drucke vom Jahre 1480 in der Ger-
mania 30, 203 (188')) mitgeteilt worden. Doch ist auch in die.sen
beiden Stücken der Text der Drucke fehlerhaft; au.sserdem hat
('rane die beide .Märchen auszeichnendc eigenartige Moralisation
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wofTRelassun. Das Märdicn vom ^Wasser dos Lobons' woiclit so-
wohl von der Grimmsohon Fassung; (Kinder- und Hansniärehen
Nr. 97 und Bd. III 177) wie auch von allen anderen bekannten
Passungen, wie sic August Wünsche in M. Kochs Zs. f. vgl.
Literaturgeschichte 13, 1G6— 180 hehandelt hat, wesentlich ab.
Die Literatur zu diesem Märchen findet sich bei K. Köhler,
Kleinere Schriften l 502.
Das Wasser des Lebens.
[Bl. !23v] Ein König lag einst an einer nnlieilöareu Krankheit danieilcr.
Er hatte von den Ärzten erfahren, dass er nur geheilt werden könne, wenn er
Wasser aus dein Quell des Lebens bekäme, das ein Heihuittel gegen jedes
Siechtum w8re. Daher rief er seine drei Söhne vor sich und bat sie in.stäiidig,
sie möchten die Länder durcheilen und die Wässer versuchen, und dem, der ihm
das Wasser der Jugend brachte, versprach er sein Reich. Da versahen sich die
Sühne mit Geld, und sie verteilten die ganze Erde so unter sich, dass der
ältc.ste an den Ufern, der mittlere Uber die Ebenen, der jUngste aber Uber die
Berge gehen sollte. Schliesslich kam der jüngste, nachdem er die ilichtesten
Wälder durchwandert hatte, zu einem Greise, der ihn darüber belehrte, wo der
Quell der Jngeml war. Doch wies er ihn auch auf die ver.schiedeuen Gefahren
hin, die er zu bestehen hätte. Und wenn er diese nicht bestände, dann wäre
cs besser für ihn, zurückziikehrcu als dorthin zu gehen. Die erste Gefahr aber
war die Begegnung mit einer Schlange, die er töten mmsste. Die zweite Gefahr
war die Schönheit von Jungfrauen, die er nicht anblicken durfte; die dritte war
die Begegnung mit Rittern und Baronen, die ihm Wafl'eu aller Art aubielen
würden, die er aber nicht anuchmeu durfte; die vierte endlich war die Eröffnung
des Palastes, in dem die Jungfrau mit dem Schlüssel zum Jungbrunnen sass;
denn am Tore waren Glocken, die sogleich läuteten, wenn mau daran rührte,
und so Ritter herbeiriefen, die den Eindringling töteten. Gegen diese Gefahr
aber gab der Eremit dem Jünglinge einen Schwamm mit, den er in die Glucken
stopfen sollte, damit sie keinen Ton von sich gäben. Nun ging der Jüngling
dorthin, und als ihn die Schlange anfiel, tötete er sic unerschrocken mit seiner
Lanze. Darauf kommt er auf eine Wiese, auf der ihm wunderschöne Krauen
entgcgeneilen ; doch er verhüllt sein Gesicht und geht, ohne ein Wort zu
sprechen, von dannen. Als er zu einem prächtigen Schlosse kommt, treten ihm
Kitter und Barone entgegen und bieten ihm Waffen jeglicher .\rt als Geschenk
an und herrliche Pferde; aber er verschmäht das alles und kommt zu dem
Palaste, verstopft die Glocken mit dem Schwamm und tritt ein. Da erblickte
er eine überaus schöne Frau, die er demütig bat, sie möchte ihm von dem
Jungbrunnen geben. Da sprach sie: ,JIir ist von meinem Vater gesagt worden,
ich solle jenes Kitters Weib werden, der alle ihm entgegentretenden Hindernisse
siegreich bewältigen und unverletzt zu mir kommen würde. Und da du dieser
bist, wirst du nicht allein vom Jungbrunnen haben, sondern ich selbst werde
deine Gemahlin werden“. Und er kehrte mit dem Wasser zu seinem Vater auf
einem anderen Wege zurück, erhielt das Reich uml nahm die Jungfrau zu
seiner Gemahlin.
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Has ist geistlich gesprochen: Diese drei Söhne des Menschengeschlechts —
das ist nSmlich der kranke Vater — sind die drei Klassen von Menschen. Die
eine Klasse sucht (JenUsse, und diese geht an den Ufern; die andere sucht
ReichtUmer, und diese geht durch die Ebenen, die dritte aber gebt durch Hnss-
Ubungen, und diese gebt über die Berge. Ihr begegnen vier Hindernisse: die
Rachsucht, das ist die Schlange, die Fleischeslust, das sind die Weiber, die Sucht
nach irdischem Besitz und die Furcht vor der Armut, das sind die Ritter, und
die Sucht nach Ehre, das sind die Glocken. Das erste Hindernis besiegt der
Mensch mit der Lanze des reinen Mitleids mit den tichmerzen Christi, das zweite
durch die Flucht vor der Oelegenheit, das dritte durch die Hoffnung auf Ver-
geltung und das vierte durch den bittereu Schwamm der Selbsterniedrigung.
So geht er endlich ein in den Palast der Gnade und findet dort die Liebe, die
Gottes Tochter ist, und erlangt nicht allein das Wasser der Vergebung der
Sünden, sondern auch die Liebe Gottes selbst.
3.
ln dfr Form .stellt sich neben (lie.sei> Märchen vom Wa.sser
des Lebens hinsichtlich der daran geknüpften für die Verwendung
in der Predigt bestimmten Moralisation das hier ange.schlossene,
ebenfalls der Scala caeli entnommene Märchen von den tlrei
Brüdern, des.sen moderne Fassung in den Grimmschen Märchen
unter Nr. 124 stellt; ältere verwandte Fassungen sind ebenda
Hd. 111 221 zusammengestellt. Der in der Scala caeli voran-
ge.stellte Teil von dem Testamente des Weibes, das .seinen drei
Söhnen einen Birnbaum hinterlässt, tindet in den Ge.sta Romanorum
zwei Parallelen. Hier vererbt Ezechias ((Isterley Nr. 196 = Dick
c. 146) seinem ältesten Soline alles das an dem Baume, was unter
der Erde ist, dem zweiten alles, was oben i.st, dem jüngsten aber
alles, was trocken und feucht daran ist. Und in einer anderen
Erzählung hinterlä.sst Valerius (Osterley Nr. 262 = Dick c. 64)
den drei Söhnen einen einzigen Baum, der alles heilen kann, nur
nicht den .\us.satz. An die .sonderbare Teilung erinnert ja auch
die Teilung der Erde, die die drei Königssöhne in dem Märchen
vom Wa.s.ser des Lebens vornelimen. Wir sehen, da.ss das Motk-
des Baumerbes, das abweichend von den heutigen Fassungen des
Märchens von den drei Brüdern in unserer mittelalterlichen Version
organi.sch mit der Gescliicklkhkeitsiirobe verbunden ist, nicht un-
bedingt zu dem ursprünglichen Bestände gehört zu liaben braucht.
Oie drei Brüder.
[Bl. 123V ] Man liest, das.s einst ein Weib lebte, das drei Söhne batte,
zwei uneheliche und einen von ihrem Gatten. Da ihre Mitgift nur in einem
ßirnhaniiie bc.itand, und sie nicht wollte, dass ihr Gatte die unehelichen Söhne
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vün dem ihrer Ehe entsprossenen unterscheiden könne, teilte sic den Rirnhanm
in ihrem Testamente so, dass sie dem ditesten Sohne das Grade und Knimme
an dem Räume, dem mittleren das (irilne und Trockene daran, dem jüngsten
aber alles das hinterliess, was in und Uber der Erde von dem Raume war. Als
die Mutter gestorben war, wollte jeder den ganzen Raum haben, und so gingen
sie vor den Richter. Der aber sprach: Der Raum solle dem gehören, der sich
der grössten Rehendigkeit rühmen könnte. Da behauptete der Alteste von sich:
,Wenn ein Hase vorUbergelaufen kommt, und ich jage ihm nach, dann zieh ich
ihm das Fell ab, ohne dass sein Lauf oder der meine irgendwie dabei gehemmt
wird*. Der zweite sprach: .Ein Pferd mag noch so schnell daherrennen, ich
nehme ihm die Hufei.sen ab und bring den Reiter herunter, ohne dass sein Lauf
verzögert wird*. Der dritte aber sagte: ,Ich steige auf die höchsten Gerge,
in deren Mitte alle Winde wehen , und öffene ein Federkissen. Mag dann der
Wind noch so stark weben, und mögen die Federn noch so fein und das Kissen
ganz offen sein, ich bin doch so behende, dass ich alle Federn darin zurUckhalte
nnd auch nicht eine einzige berauskommt*.
Diese Mutter ist das Leben, der Rirnbaum der Mensch, die drei Söhne die
Welt. Der erste Sohn ist der Wille ohne Vernunft, der jeder Tugend bar ist;
der zweite Sohn ist der Tod, das Pferd der Leib, der Reiter die Seele; die vier
Hufeisen sind Schönheit, Reichtum, Tapferkeit und vornehme Abkunft; der dritte
Sohn ist der Teufel. Die zwei Rerge sind die beiden Testamente, der Wind
die Gaben des Heiligen Geistes. Das Kissen voll Federn ist das Gewissen voll
Sünden. Und dem Teufel wird der Rirnbaum gegeben, ilas heisst, der Mensch
im Gerichte Gattes.
II. Handschrift I. F. 11.5 der K^l. ii. Uiiiv.-Bibl. zu Breslau.
Zu den älteren Handschriften, die aus dem Breslauer Domini-
kanerkloster an die Kffl. und Universitätsbil)liothek gekommen
sind, gehört Cod. ms. I. F. 115, eine Papierhandschrift, die in
ihrem zweiten Teile eine sjtäter dazugehundene Exemjtelsammlung
enthält. Diese Sammlung ist, wie die Schrift und die cingestreuten
deutschen Glos.sen beweisen, um die Mitte des 14. Jhs., und zwar
in Ostmitteldeutschland, vielleicht in Schlesien seihst geschrieben.
Für die Sagen- und Märchenforschung ist sie nicht allein wegen
ihres verhältnismässig hohen Altei-s von Bedeutung; sie enthält
nämlich gerade die beliebtesten Stoffe des Mittelalters in einer
solchen Zahl, dass man sie mit den Oesta Bomanorum vergleichen
kann. Und da sie ein gleiches Alter aufweist wie die ältesten
Gesta-Handschriften und mit ihnen eine ganze Reihe von Stoffen
geinein.sam hat, ist sie von hoher Wichtigkeit für die Beurteilung
der uns durch die Gesta überlieferten Fassungen, l.hisere Hand-
schrift .steht ihnen durchaus .selbständig gegenüber; die Morali-
sationen fehlen ganz in ihr. Die folgenden Proben werden den
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lli'wois iTlirinfrcii, dass die Fassungen unserer Handschrift ältere
(Jestaltungen des Stoffes darstellen als die entsprechenden der
(Jesta Koinanornm. Angahen iiher benutzte (Quellen finden sich
nur gelegentlich; und auch da ist es dem Verfasser nur darum
zu tun gewesen, seine Erzählung durch ein typisches, durchaus
formelhaftes: Legitur in , . einznleiten. Oh die (Quellenangabe
auch zutreflend ist, das blieb ihm gleich. Wenn wir mit solchen
unzutreffenden (Quellenangaben nicht den Brauch vieler mittel-
alterlicher Dichter vergleichen wollen, für die Dichtung irgend-
eine, oft frei erfundene Grundlage anzugeben, so l)leibt nur die
andere Annahme, die auch durch die freie Textge.staltung einzelner
Stücke gestützt wird, dass der Verfasser des öfteren aus dem
Gedächtnis seine Erzählungen iiiedergeschrieben hat und die
falsche (Quellenangabe dann auf einem Irrtum l)eruht. Von be-
kannten Werken erwähnt er gelegentlich die Historia ecclesi-
astica, die Vitas iiatrum, Gregors Dialoge, weiter aber auch
die Epistula Alexandri, eine Cronica Itoinaiiorum, einen
Liber de illustribus, jedenfalls ein Werk über berühmte Mit-
glieder seines Ordens, eine Cronica Anglorum, womit Bedas
Kirchengeschichte gemeint ist, und eine Historia oder (Vonica
tripartita, unter der man im .Mittelalter nur das Werk des
Cassiodor verstehen kann. Aus dem reichen Inhalt, von dem
ich hier nur einige ausführliche Stücke geben kann, sollen
wenigstens einige Stoffe andeutungsweise behandelt werden.
Bl. 1(52'^*'; Ein Graf ermordet einen anderen, um dessen Weib
heiraten zu können; während zwei Xachtwaehen am Grabe des
Ennordeten wird er durch eine um Hache schreiende Stimme aus
dem Grabe und eine Antwort vom Himmel auf seinen Untergang
nach dreissig Jahren hingewiesen; nach dieser Zeit vernichtet
vom Himmel fallendes Feuer ihn und die Gräfin. Die Erzählung
wcichf in der Ausführung stark ab von der verwandten der (Jesta
Romanornm (österley Nr. 277). — Bl. 163'''': Amor niundi zeigt
einem Kleriker den wurmzerfres.senen Kücken; Gesta Romanorum
(Österley) Nr. 202; Parallelen ebendort in den Nachweisungen zu
dieser Nummer; — Bl. 104'®: Bischof von Mainz vor dem An-
gesichte Gottes; Vision. — Bl. 173'®: Ritter büsst durch
Schweigen; ähnlich im Promptuarius Discipuli des Job. Herolt
unter P. ex. 11(5. — Bl. ITO*^®: Ein Bi.schof von Köln rettet die
acht Kinder, die eine Bürgersfrau ertränken las.seii will, weil sie
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sich ilirer prosseii Zahl sohäint, iiiid führt sie dem Vater nacli
zehn Jahren wieder zn; ähnlicli iin l’roniptnariiis Discipnli de
^I. ex. 10. — Bl. 102'": Engel und Eremit; kürzer als in den
(iesta Homanorum (("»sterley Xr. 80 = Dick c. 220) und mit Ab-
weichungen und Umstellung der Ereignisse; vgl. dazu A. E. iSchön-
bach in den Wiener Sitzungsberichten, ]diil.-hist. Klasse 14J (1001)
Xr. 12. — Bl. 104'“: Teufelsbescliwörnng in Meydeburg civitate
Saxonia-, um Geld zu bekommen. — Bl. 100^'': Greis verkauft
Weisheiten; iihnlich Gesta Homanorum (Gstcrley. Xr. 103 = Dick
c. 162); Parallelen dazu in üsterleys Xuchweisungen. — Bl. 100'":
Die Ge.schichte des frommen Fridolin, abweichend von den Gesta
Homanorum (Osterley Xr. 283). — Bl. 108'": Sage von Amicus
und Amelius. — Bl. 200'“: Behandlung des Siegers bei den
Hörnern, wie in den Gesta Homanorum (Osterley Xr. 30 = Dick
c. 65). — .Mitten unter diesen Erzählungen steht auch eine
Sammlung von Jlarienmirakeln, die ebenfalls wichtige Stucke
enthält. Es sollen nun nach diesen kurzen Hinweisen als Proben
für die Gestaltung der Texte einige (‘bersetzungen folgen. Die
Handschrift enthält das Märchen von dem Könige im Bade.
Ein Vergleich mit dem Jovinianus der Gesta Homanorum
(Osterley Xr. 59 - Dick c. 148) lässt unsere Fa.ssung deutlich als
die ältere und ursprünglichere erscheinen, l'ber die Verbreitung
des Stoffes handeln Osterleys Xachweisungen in der .\usgabe der
Gesta Homanorum und die Aufsätze Heinhold Köhlers (mit Joh.
Boltes wertvollen Ergänzungen) in den Kleineren Schriften Bd. II
207 ff., 250, 584 f. Der so weit verbreitete Stoff' ist auch, aller-
dings aus einer ganz anderen als der hier mitgeteilten Quelle in
Schlesien von Mühlstrom dramatisiert und unter dem Titel:
Superbia humiliata im Jahre 1770 in Le(d)schütz als Schul-
koniödie aufgeführt worden; das Manuskript befindet sich mit der
Signatur IV. F. 68i. auf der Kgl. ii. Univ.-Bibl. zu Bre.slau.
1.
Oer König im Bade.
(Bl. 170v*>] Man liest, das.s einst in Hibernia ein König lebte, der jenen
Vers iin Lobgesange der heiligen .Inngfrau tilgte: , Die Maclitigen hat er von
ihren Sitzen gestürzt“, indem er sich stolzen Oeistes dagegen auflelmte nnd
sprach, er sei so geschützt, so von Bcleatignngen und Bittern umgeben und
verteidigt, dass ihn (lott niclit von seinem Throne stürzen könne. Und mit
solcher gotteslilsterlicber und hochfahremler Gesinnung verband sich bei ihm
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noch Unlanterkeit des Herzens, und vor seinem Richtcrstnhl fand das Recht
keinen Schutz. Als dieser hoffartige Kdni^; nun einmal im Bade sass, trat ein
JUnglinit heran, erhob seine Hand gegen des Königs Angesicht and wandelte
es so, dass er fortan iiiclit mehr wie der König anssah, sondern ein anderer
Mensch zu sein schien. Und als der JUngiing daronging, hielt ihn das Gefolge
fUr den König und leistete ihm Dienst. Der wirkliche König aber blieb noch
lÄnger im Bade, aber niemand Imdiente ihn. Da erhob er sich und verlangte
seine Kleider. Der Badediener jedoch sprach zu ihm, wenn er Kleider habe, so
solle er sie selbst nehmen. [171 r»J Da er aber weder seine Kleider noch das
Gefolge erblickte, begann er Uber die verächtliche Behandlung, die er erfuhr,
unwillig zu werden und sticss Drohungen aus. Nun hielten ihn alle, die im
Bade waren, für einen Menschen, der den Verstand verloren hat, und sie be-
warfen ihn mit Schmutz und gaben ihm Ohrfeigen und jagten ihn ans dem
Badehause hinaus. Da lief er nun nackt durch die Strassen, und hinter ihm
liefen die Kinder in Scharen. Schliesslich reicht ihm ein Bürger, der ihn für
närrisch hält, ein armseliges Gewand. Unwillig nimmt er es an und begibt
sich zum Königspalaste. Dort fragt er den Torwächter, warum ihn die Diener-
schaft so unwürdig behandele. Der aber fragt ihn, wer er eigentlich sei, und
als er entrüstet antwortet, er sei der König, glaubt auch der Torwächter, dass
er ein Narr ist, und lässt ihn ein vor das Hofgesinde, und alle halten ihn für
einen närrischen Gesellen und treiben ihren Spott mit ihm. Und so verbrachte
er in seinem elenden Zustande sieben Jahre. Kudlich ging er in sich und sprach
zu sich: ,Der Herr ist ein gerechter Richter. Er stürzt die Mächtigen von
ihrem Sitze. Wegen meiner Hoffart hat mich der Herr gederaUtigt*. Und in
seinem grossen Schmerze vermochte er den Spott der Menschen nicht mehr zu
ertragen, und er ging in einen Wald, um dort den Hungertod zu sterben.
Jener Jüngling aber, den alle für den König hielten, ritt einst auf die Jagd;
und bei dieser Gelegenheit kam er anch in den Wald, und dort traf er den
König. Und er fragte ihn, wer er wäre, und was er so allein in dem Walde
wolle. Und jener sprach: „Herr, ich bin der unglückliche König, der durch
Gottes Hand vom Throne gestürzt worden ist. Du aber bist erhöht worden“.
Da erwiderte ihm der Jüngling: „Weisst du nicht, dass der, welcher sich selbst
erhöbt, erniedrigt wird? Du aber hast die dir von Gott verliehene Macht dazn
gcmisshraiicht, dich in Hoffart gegen ihn zu erheben. Deshalb hat dir Gott
diese Strafe bestimmt. Aber da du jetzt Schmerz empfindest über dein Unrecht,
[171 rb] so nimm hier das Pferd und meine Kleider, und du sollst deine Herr-
schaft wiedererlangeu, weil du dich demütigst. Wisse, ich bin der Engel, der
dir zmii Schutz gegeben worden ist. Und ich bin gesandt, dir zu zeigen, dass
jeder, der sich selbst erhöht, erniedrigt wird, wer sich aber erniedrigt, der wird
erhöht werden“.
2.
Ein Gegenstück zu tlem .Joviniaiiusinärdien ist die oft iin
•Mittelalter beliandelte Legende von dem Königssoline im
Paradiese. Die Literatur zu dieser Legende findet sich in
Reinli. Köhlers Kl. Sehr. II 224 ft. Unsere lland.sclirift enthält
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eine in manrhen Züfjen von den bisher bekannt p;ewordenen ab-
weichende und im Scliluss ganz alleinstellende Fassung dieser Er-
zählung, die in ihrer Fonn zu den vollendetsten Stücken der
Handsclirift gehört und den Märchencharakter glücklich wahrt.
Hinsichtlich ihres Alters ist die Legende die Zweitälteste erhaltene
Version.
Der KSnigseohn Im Paradiese.
[Bl. 201'a] Ein christlicher König gab seinem einzigen Sohne eine Ge-
mahlin nml wollte die Hochzeit feierlich begehen. Noch vor der Hochzeit ging
der .TUiigling vor die Burg, um sich die Zeit zu verkürzen. Er hätte es von
Herzen gern gesehen, wenn ein paar Anne an dem Feste teilnehnien würden.
Ha erblickt er von ferne einen armen, aber ehrwürdigen Greis, der sich der
Burg naht. Er eilt ihm entgegen, grü.sst ihn in Ehrfurcht und fragt ihn,
wanini er komme Und der Greis erwidert, er wolle sich Almosen erbitten.
Da nimmt ihn der Jüngling voll Freude mit auf die Burg. Dort setzt er ihn
sich gegenüber an die Hochzeitstafel. Seine .\ugen können sich nicht von seinem
.\nblicke trennen. Er findet an der so ausnehmend würdigen Erscheinung des
Greises ein so herzliches Wohlgefallen, dass er das Mahl und die Musik vergisst
und den Anblick ilie.ses Grcisenantlitzes, das ihm immer herrlicher erscheint,
allen irdischen Freuden vorzieht. Nach dem Mahle dankte der Greis und
wollte fortgehen. Der Jüngling aber forderte ihn auf, dazubleibcn, und
hatte nur den einen Wunsch, beständig in seiner Umgebung leben zu dürfen.
Der Greis aber leimt die Aufforderung ab und spricht: „Hier bleiben kann ich
nicht. .Aber wenn du mich Wiedersehen willst , werde ich morgen um diese
.Stunde ein Eselein schicken; auf dem kannst du zu mir kommen. [201 rb] Dar-
auf ging der Greis zur grossen Betrübnis des Jünglings hinweg. Der aber denkt
nicht mehr an seine Hochzeit, und ungeduldig erwartet er den nächsten Tag.
Und gegen die erste Stunde kommt wirklich ein Eselein, ganz allein ohne Reiter
heran. Er besteigt es, und in kurzer Zeit ist er in einer Gegend, wo sanfte
Lüfte wehen, die prächtige Haine mit schönen Blumen und Bäumen schmücken,
und in der entzückender Vogelsang erschallt. Und dort gelangt er vor eine
Burg, die ganz aus Gold und Edelsteinen erbaut ist, und darin sieht er eine
grosse Zahl überaus schöner Menschen. Er reitet hineiu und begegnet einem
(ireise, der ihn nach dem Grunde seines Kommens fragt, worauf er dem ehr-
würdigen Greise erwidert, er sei von einem Annen, der als Gast an seinem
Hochzeitsmahle teilgenommen habe, eingeladen worden. Bei dieser Antwort
lächelt jener und spricht: „Dieser Arme ist der Schöpfer aller Welt und unser
Gott‘. Darauf nimmt er ihn an der Hand und führt ihn in die Burg
seines Herren. Und als der Jüngling den Herrn anblickt, da erkennt er
ihn alshald, und Seligkeit erfüllt sein Herz. Ganz in den Anblick seines Ant-
litzes versunken, das ihm von Augenblick zu Augenblick immer herrlicher er-
scheint, vergisst er das prächtige Mahl, das vor ihm auf der Tafel steht, uud
nach der Mahlzeit hat er nur den einen Wunsch, noch bleiben zu dürfen. Der
Herr aber entgegnet ihm: „Das darf jetzt noch nicht sein. Kehre nun wieder
heim, und dann wirst du bald zu mir znrückkominen. ntn für immer bei mir zu
HittvUangeif U. schles. Ups I Vkile. liofl XX. ^
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bleiben*. Voll Trauer mid Scbmerz reitet er auf dem E^eleiu nach Hause; noch
vor Mittag ist er, wie es ihm scheint, wieder daheim. Poch er findet die Burg
seines Vaters von Grund auf zerstört, und an ihrer Stelle erhebt sich jetzt ein
Kloster, Er tritt dort ein, aber niemand kennt ihn. Als er eudlich nach seinem
Vater fragt, da ruft der Abt die Brüder herbei, und man durchblfittert die
Klusterurkuuden und findet, dass der Jüngling dreihundert Jahre fortgewesen
ist. Dann geleitet man ihn an die Grabstätten seiner Eltern. Und auf seine
Bitten öffnen die Mönche das Grab seiner Braut. Und mau findet sie uuverwest,
und ihr Gesicht ist rot, wie wenn sie lebte; sie breitet ihre .Arme aus, und der
Jüngling steigt hinein in die Gruft, und sie umfängt ihn mit ihren Armen, und
er verscheidet unter den Augen der Brüder, um einzngeheu iu das Reich iles
Sohnes der glorreichen Jungfrau.
3.
Die in Frankrcicli ujid England im späteren Mittelalter wiederliolt
behandelte Sage von der Königin, die ihren Seneschall tötete,
scheint bisher aiif deutschem Boden noch niclit nachgewiesen zu
sein. .Auch in R. Köhlers Kl. .Sehr., wo Bd. II 3*J3 und 397 die
fremden Fas.sungen bes])rochen werden, fehlen Angaben über la-
teiui.sche Versionen und solche aus deut.schen (Quellen. Unser Beleg
wäre .somit der einzige Text, der die Verbreitung des Stotfes auch
auf deut.schem Gebiete beweist; zugleich i.st er die älteste Fa.ssung
überhau])!, die bisher gefunden worden i.st.
Die KSnigin, die den Merechall tötete.
(Bl. 195'«] Einst lebte ein junger König, der Vater und Mutter verloren
batte. Dieser hielt Umschau nach einer für ihn t).as.senden Gemahlin, wobei er
nicht auf Reichtum und Besitz, sondern mehr auf Tugend und Zucht Wert legte.
Und es traf sich, da.ss zur selben Zeit ein edles, reiches und ausnehmend schönes
Mädchen, das ebenfalls seine Eltern verloren hatte, heiraten widite und das
ihren Beratern mitteilte. Ihre Weisheit und .Schönheit gewannen ihr die Liebe
jenes Königs, und er sandte Boten und warb um sie, und .sie nahm die Werbung
an, und der Hochzeitstag wird vereinbart. Der König entsendet seinen Mar.scliall,
um die Braut mit gebührendem Prunk einzuholcu. .Aber dieser Marschall wird
durch ihre Sebönbeit zu bösem Begehren verleitet, und in treuloser Weise ent-
ehrt er sic heimlich des Nachts freventlich und gewaltsam In niasslosem .Schmerz
ermordert sie ihn in einer Nacht im Schlafe und ruft dann eine ihr treu ergebene
Magd, der sie ihre unglückliche Lage anvertraut. Diese holt einen Küchen-
burschen, der im Hause der jungen Königstochter anfgewachsen war, und bittet
ihn, den Leichnam fortziiscbaffcn nud über die Tat Stillschweigen zu bewahren.
Was branchts vieler Worte! Der Elende will das nur dann tun, wenn ihm die
Magd verspricht, ihm zu Willen zu sein. .An dem .Schlosse oder Palaste aber,
wo sich das ereignete [lO.ü'b], strömte ein reissendes Wasser vorbei, zu dem
vom .Shlosse aus eine steile Böschung hinal>lührte. Der Bursche steigt zum
Fenster empor, durch das er den Toten hinahwerfen will. In diesem .Augen-
blicke stösst ihn die Magd mit dem Leichnam hinab. Dar.auf entlliehen sie, uml
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die Sache bleibt verborgen. Die Hochzeit findet statt. Nach mehreren Jahren
will die Königin endlich beichten. Sie batte ans ihrer Heimat einen Kaplan
mit an den Hof gebracht, den der König ans Liebe zu seiner Gemahlin zum
Bischof erhoben batte. Auf ihn vertraut die Königin und bekennt ihm ihre
Tat. Doch nachdem sie ihr Bekenntnis abgelegt hat, spricht der unselige Bischof :
„Jetzt wird mir zuteil, was ich alle Tage meines Lebens gewünscht habe. Wenn
du mir nicht zu Willen bist, werde ich dich vor dem Könige und dem ganzen
Lande in Schande bringen und verderben“. Sie weist ihn zurück und er offen-
bart ihre Tat. Der König und das ganze Volk glauben ihm und sind von ihrer
Schuld überzeugt. Der König, der sie trotzdem lieb behält, ist tief unglücklich.
Aber gegen den Willen seines Volkes kann er nicht handeln, und so wird sie
vor ein Gericht gestellt, der königlichen Würde verlustig erklärt und mit ihren
Kindern iu die Heimat zurttckgeschickt. Auf ihrer Wanderung kommt sie zu
einer Kapelle. Sie tritt ein und hört die Messe , die ein heiliger Mann las.
Seine Andacht flösst ihr Zutrauen zu ihm ein, und sie offenbart ihm ihre Lage.
Da weinte er sehr, und als Busse für alle ihre Sünden trug er ihr auf, sofort
wieder znrückzukehrcu und sich einem Zweikampfe zu unterziehen. [196 ra] Und
zwar sollte sie vor dem ganzen Volke nur mit einem einzigen Gewände bekleidet,
ohne jeden Schulz in der Weise mit dem bewaffneten Bischöfe kämpfen, dass
sie die Kiseuspitze ihrer Lanze gegen ihre entblösste Brust und den Holzschaft
gegen den Panzer des Bischofs kehrte. Das befahl ihr der heilige Mann, damit
sie für ihre Sünden hinreichende Busse leistete für den Fall, dass sie iu diesem
Kampfe den Tod fände. Und sie kehrte unverzüglich zurück und verpflichtete
sich vor dem Könige und dem ganzen Volke zu diesem Kampfe. Erstaunen
ergreift alle, und ilurch Richterspruch wird der Zweikampf angeordnet. Sie be-
ginnen ihn; aber mit Gottes Hilfe siegt die Gerechtigkeit; dem verbrecherischen
Bischöfe wird vor aller Augen von der Lanze die Brust durchbohrt. Und alles
Volk preist Jesnm, Marias Sohn, den Helfer iu der Not.
4.
ln Verwandtscliaft mit die.ser Sage steht die Hildegardsage,
in.soferii auch sie die Verfolgung und den endgültigen Sieg einer
uiLschuldigen edlen Frau behandelt. Von dieser Hildegard.sage,
die in den Kreis der Karl.ssagcn eingetreten ist und als solche
auch in die Deutschen Sagen der Brüder (irimni Auliuihnie
gefunden hat (Bd. II 102 Nr. 437), enthält unsere Hand.sclirift eben-
falls eine Version, die von der Erzählung der üesta Koraanoruni
(O.sterley Nr. 249 = Dick c. löO) wesentlich abweicht und als
Quelle eine Cronica tripartita nennt. Zeitlich wäre eine Ent-
lehnung unserer Fassung aus des Vinzenz von Beauvais Spe-
culum historiale noch möglich, wenn auch recht unwahrscheinlich.
Dort wird unsere Sage recht ausfülirlich im Buch VII c. 90—92
erzählt, und auch die Bezeichnung der t)uelle als Cronica tripartita
wäre im Hinblick auf die Gesanitenzyklopädie, das Speculum ma-
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ius noch (lenkbar, besonders da eine nahe Verwandtschaft mit dem
Texte des Speculum liistoriale wirklich vorliegt. Aber wenn wir
nicht reclit eigenartitre Besonderheiten unseres Textes erst auf
Rechnuup: des Verfassers unserer Exempelsammlung setzen wollen,
müssen wir uns nacli einer anderen (Quelle uinsehen, aus der sow(dil
die Fassung des Vinzenz von Beauvais wie unsere bedeutend kürzere
Version hervorgegangen sind. Die Stellen, durch die sich der
Text des Vinzenz von Beauvais von dem unserer Handschrift
unterscheidet, sind folgende. Dort ist der Ort der Handlung Rom;
der Kaiser besucht die (iriibcr der Heiligen, übergibt Land
und ßruder der Obhut der Königin; diese hält ihren Schwager
in einem Turme gefangen; der rückkehrende Kaisen- lässt sein
Weib durch zwei Diener in einen tiefen Wald bringen; ein
vornehmer, aus Rom heiinkehrender Rittei- befreit sie. Später
bei ihrer zweiten Verstossung wird sie von fremden Schiffern,
nicht solchen, die der Ritter nach einem Arzt für seinen kranken
Bruder ausgesandt hat, befreit. Der Schluss weicht ganz ab; die
vom Himmel erschallenden Worte und der Tod der Königin fehlen
bei Vinzenz. Dieser gibt gar keine (Quelle für seine Erzählung
an. An anderen Stellen aber bezielit auch er sich auf eine tri-
partita historia, so z. B. im Speculum morale lib. 111 dist. VI;
lib. 111 dist. XXVllI; lib. 111 dist. XXXIl (Au.sg. Duaci 1624
p. 139‘J; 1503; 1551). Hier handelt es sich um das im Mittelalter
so häutig benutzte Werk d(>s Cassiodor, das Opus tripartitum
(Migne, Patres latini LXIX, LXX). l'nd so werden wir annehmen
müs.sen, dass auch unsere Handschrift sich, allerdings irrtümlich,
auf dieses Werk bezieht. Vielleicht enthielt auch .schon die Vor-
lage di(‘se fehlerhafte Ouellenangalie. Der Text gehört, abweichend
von der Crescentia.sage der Kaiserchronik (.Massmann, Vers
11367 — 12828, zn den Fa.ssungen, wo nicht Petrus, sondern Maria
der ausgesetzten Königin erscheint. Die Literatur zu dem Stofl'e
findet sich in t.lsterleys Xachweisungen zu Xr. 249 der Gesta Ro-
manorum, in Massmanns Ausgabe der Kai.serchronik Bd. 111 899 tf.
Zn vergleichen sind auch R. Köhlers Kl. Sehr. 11 275.
Die Königin von England.
[III. 169 fa] Mau liesst in der Olironika tripartitn, das.a einst ein König
in England lebte, der eine schöne und tugendsnme Gemahlin batte, auf deren
(I69r''] Bitten er sich vornahin, ein entbaltsamcs Leben zn führen. Seine Frömmig-
keit besiimmte ihn zn einer Fahrt ins Heilige Land. Daher übergab er die
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Uegierniig des Landes und den Hofhalt seinem Hnider. Diesen Bruder aber
verführte die Schönheit der Königin bald zu sündhaftem Begehren. Doch diese
suchte ihn immer wieder hinzulialten, endlich aber Hess sie eines Tages ein Haus
mit den nötigen Lebensmitteln versorgen und schloss ihn darin ein. Als jedoch
der König beimkehrte, da forderte sie den Eingeschlossenen auf, .seinem Bruder
freudig enigegeuzueilcn. Der aber verleumdet beim ersten Zusammentreffen mit
dem Könige ilie Königin in der schftndlichsten Weise, indem er ihr den Vorwurf
macht, sie habe mit vielen anderen die Treue gegen ihren Gemahl verletzt.
Der König glaubt seinem Bruder und beliehlt zwei Kämmerlingen, sie des Nachts
auf die nächste Insel zu schaffen und dort zu töten. Diese wollen sein Gebot
ausführen, aber auf dem Wege treffen sie mit einem Grafen zusammen, der den
König auf seiner Pilgerreise begleitet hatte. Als dieser sieht, wie man jene
schöne Frau zum Tode führt, fühlt er Mitleid mit ihr, entreisst sie ihren Händen
und nimmt sie mit nach Hause. Und gewonnen durch ihr tugendhaftes Ver-
halten, gibt er ihr seinen Sohn zur Pflege. Der Bruder des Grafen aber, der
ihre Schönheit sieht, verfolgt sie mit unlauteren Anträgen. Sie aber weist sein
Ansinnen zurück. Da tötet er, um sie bei seinem Bruder iii Schande zu stürzen,
dessen Sohn. Als die Frau das Kind erwürgt findet, bricht sie in ihrem Schrecken
in laute Klagen ans. Das Hansge.sinde [169va| eilt herbei und erblickt das ge-
tötete Kind. Aufs höchste über die Frau empört, verlangt das Gesinde und
auch der Bruder des Grafen, dass sie mit dem Feuerlode be.straft werde. Der
Graf aber fürchtet, dadurch Gott zu beleidigen, und ohne sie vor ein Gericht
zu stellen, befiehlt er, sie über das Meer in ein anderes Land zu bringen. Da
die Schiffer nichts Unerlaubtes von ihr erlangen können, setzen sie sie mitten
im Meere auf einem Steine ans. Sie aber betete zu Gott: ,0 Herr, ich weiss,
dass du die nicht verlässt, die auf dich vertrauen“. Und so sass sie in Ergebung
dort, bis sie einscblief. Da schien es ihr, als ob eine herrliche Jungfrau heran-
käme, die zu ihr sprach: „Bald wirst du aus dieser Not befreit werden. Grab
die Kräuter, die du unter deinem Haupte findest; mit ihnen wirst du jeden
Aussätzigen heilen können“. W'ie sie aber so da sass, da hörte sie ein Schiff
vorbeifahren. Darin waren Leute jenes Grafen, in dessen Hause sie Aufnahme
gefunden hatte. Und als sie die Frau auf dem Felsen sahen, nahmen sie sie in
das Schiff und erzählten ihr, dass sie einen Arzt suchten, der dem Bruder ihres
Herren helfen könne, der au.ssätzig geworden sei. Und sie erbot sich, ihn zu
heilen. Als sie dorthin kam, forderte sie den Aussätzigen auf, zunächst seine
Sünden zu bekennen, besonders den Mord, den er an dem Sohne seines Bruders
begangen habe. Das tat er auch. Da nahm die Frau das Kraut, das ihr die
heilige Jungfrau gezeigt hatte, und heilte ihn. Der Graf aber war über den
Verlust jener verleumdeten Herrin von Herzen betrübt. Da gibt sie sich ihm
zu erkennen. [lG9vb] Der Ruf ihrer Heilkraft kommt auch dem Könige von
England zu Ohren. Und er schickt nach ihr mit der Bitte, sic möchte seinen
Bruder von dem Anssatze reinigen. Sie kommt und spricht zu dem Kranken:
.Nur dann kann ein Kranker geheilt werden, wenn er öffentlich alle seine Sünden
bekannt hat“. Und so bekennt er unter Klagen, dass er die tugendhafte Königin
grundlos verleumdet habe. Darauf heilt ihn die Frau. Und da sie sieht, dass
der König Uber den Tod seiner Gemahlin grossen Schmerz empfindet, spricht
sie zu ihm: „Ich bin die, über deren Tod du so trauerst. Wisse, dass mich
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der Herr uuversebrt aus allen Ciefahreu errettet hat“. Und sie entsagte der
irdischen Herrschaft, Hess ein Jungfraneukloster erbauen und zog sich dorthin
zurück. Als sie dort Gott einige Zeit gedient hatte, hörte sie eine Stimme,
welche rief: ,Ibr seid es, die standhaft bei mir in meinen Prüfungen aasharrtet.
Kummet, ihr Gesegneten*. Und nach drei Tagen verschied sie im Herrn.
5.
Auch von Gregorius, dem grossen Büsser, bringt unsere
Handschrift eine kurze Passung, die insofern wertvoll ist, als sie
nicht aus Hartinanns Dichtung hervorgegangen ist. sondern den
franzüsi-schen Bearbeitungen und der Erzählung der Ge.sta Roma-
norum (Osterley Nr. 81 = Dick c. 170) näher steht, aber auch
diesen gegenüber eine Reihe abweichender Züge enthält. Die
Iiierher gehörige Literatur verzeichnet Osterley in den Nach-
weisungen zu Nr. 81 der Gesta Romantirum; H. Paul in der Aus-
gabe von Hartmanns Gregorius, Halle 1882 (Altdeutsche Textbibi.
Nr. 2 S. VI— Vlll); R. Köhler, Kl. Sehr. Bd. II 173 ff., l<J7ff., 200.
Gregorius auf dem Stein.
[Bl. 183 vb] Ein König hatte einen Sohn und eine Tochter, die sich sehr
lieb hatten. Als sie noch klein waren, wollten sie nie ohne einander schlafen
gehen. Etwa im siebenten Jahre oder etwas später wollten sic nur miteinander
spielen, da das ihren Neigungen entsprach. [184 ra] Der Vater und die Mutter
starben, und endlich waren sie so alt, dass der Jüngling selbst die Regierung
Übernehmen konnte. Da begann er mit seiner Schwester sündhaften Verkehr.
Und als sie fühlte, dass sie ein Kind bekommen sollte, wandte sie sich um Kat
an ihre Dienerin. Diese bot ihr ihre Hilfe an. Und nach der Niederkunft
machten sie einen Kahn zurecht, legten das Kind hinein und gaben ihm viel
Silber und Gold und kostbare Gewänder mit. Ausserdem legten sie zwei Tafeln
hinein, die die Worte enthielten: Mein Vater ist mein Onkel, meine Mutter
meine Tante. Dieses aber taten sie, damit man die vornehme Abkunft des
Kindes erkennen könnte, wenn der Kahn aus Land triebe und gefunden würde;
denn das Gold und die Kleider bewiesen .seine vornehme Herkunft. Der Kahn
wurde von Fischern gefunden. Ein Abt, in dessen Hafen der Kabn trieb, sah
es, kam heran, und als er den Knaben mit den kostbaren Gewändern erblickt
und die Tafeln gelesen batte, bandelte er dem Inhalte der Tafeln entsprechend.
Auf ihnen stand nämlich, mau solle dem Kinde eine königliche Erziehung zuteil
werden lassen und ihn einem vornehmen Berufe zuführeii. Der Abt taufte das
Kind und gab ihm den Namen Gregorius. Dann gab er es einer Bäuerin in
Pflege. Später besuchte der Knabe die Schule und machte gute Fortschritte.
Eines Tages aber geriet er mit den Bauernjungen in Streit, und zwar baupt-
säclilicli mit dem Sohne jenes Bauern, dessen Weib ihn aufgezogen hatte. Gre-
gorius aber war der Meinung, dass dieser Bauernknabe sein Bruder sei; der
aber warf ihm schliesslich vor, dass er ein uneheliches Kind iväre. Dieser Vor-
wurf stimmte ihn nnendlich traurig, und er behielt ihn im Gedächtnis, so dass
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ihn Jer Abt lauge nicht heriiliigeii konnte. [184 Endlich gelang es ihm
doch. Als aber (Iregorins gritsscr geworden war, sprach er zum Abte: ,Herr
wenn ich Griffel und Tafel ergreife, dann kommt mir« immer vor, als ob mir
eine Lanze in der Hand besser ansteben möchte*. Was braiiclit's vieler Worte!
Gregor drang in den Abt, das-s er ihm den wahren Sachverhalt offenbare; denn
er merkte wohl, dass der ßauernknahe, der ihn beschimpft hatte, ihm an Körper
und Gehst sehr unähnlich und hierin dem alten Bauer viel ähnlicher war. So
offenbarte ihm schliesslich der Abt seine Herkunft und den Inhalt der aufbe-
wahrten Tafeln und führte ihn dem Ritterstande zu. Und er legte ein so edles
Wesen an den Tag, dass er sich bei allen beliebt machte. Es geschah aber,
■lass der Vater des Uregorius, der König, starb und die Mutter auf das ärgste
von einem Vornehmeu bedrängt und in einer Stadt belagert wurde. Als Ore-
guriiis von der Bedrängnis jener Königin Kunde erhielt, sammelte er, um sich
ini Kampfe zu üben, Ritter um sich und ritt, nachdem er genauere Nachrichten
Uber diese Verhältnisse erhalten hatte, in jene Stadt, wo die Königin belagert
wurde, nm sie zu vei leidigen. Auf ihren Wunsch kämpft er mit jenem Vor-
nehmen, durchbohrt ihn mit der Lanze und beendet so den Krieg. Da be-
stürmen alle Vornehmen des Landes die Königin mit Bitten, sie solle diesen
uubegUterten Ritter zu ihrem Gemahl wählen. Und endlich nahm sic auf den
Rat ihrer Ritter Gregorius zum Gemahl, obgleich sie selbst gegen die Heirat
Abneigung empfand. Dass aber der, den sie so lieb hatte, ihr eigener Sohn
war, das ahnte sie nicht. Jedesmal, wenn der Ritter seine Tafel betrachtete,
daun begann er zu weinen und verbarg sie wieder. Das bemerkte eine Magd,
doch ziiuäcbst schwieg sie davon. Einmal aber, als sie bei ihrer Herrin sass,
erzählte sie auch von den Tränen ihres Herren und seinen Tafeln und holt diese
herbei. [184 va| Die Königin liest sie durch und gerät in Verzweiflung; sie
zerreisst ihre Kleider und reisst sich die Haare aus. Der König, der auf der
Jagd ist, wird zurUckgeholt ; auf Befehl der Königin lässt er die ganze Um-
gebung aus dem Zimmer hinaiisgehen. Nun forscht er die Königin aus, und sie
gesteht ihm, dass sie seine Mutter sei, und erzählt ihm alles. Wie der König
hört, dass er ihr Sohn sei, stürzen ihm die Tränen ans den Augen, und er zer-
reisst seine Kleider. Und er entsagt allem Besitz, und ohne Mittel entweicht er
heimlich durch das Fenster und flieht mit dem Vorsatz, die ganze Zeit seines
Lebens zu hflsseu. Das Gefolge kommt inzwischen zu der Königin ins Zimmer
zurück und tröstet sie. Von da an lebt sie als Witwe in beständiger Busse.
Der König Gregorius aber kam ans Meer, wo ihn ein Fischer unter Schmäh-
worten fragte, was er da wolle. Und er erwiderte, er sei entschlossen, in
strengster Busse sein Leben zu verbringen. Da zeigt ihm der Fischer einen
Felsen im Meere. Gregorius fragt ihn, ob er ihn daran anfesseln wolle. Dieser
tut es, und nachdem er die Fnssfesseln geschlossen hat, wirft er den Schlüssel
ins tiefe Meer mit den Worten: ,Wenn dieser Schlüs.sel gefunden wird, dann
sollst du deiner Busse ledig sein*. Zu derselben Zeit stirbt der Papst, und als
man vor der Wahl des nenen Papstes den Heiligen Geist angerufen hat — das
war damals Sitte wie noch heut — , da offenbart den Kardinälcn eine Stimme:
.Gregorius, der Sünder, soll Papst sein*. Alsbald sucht man überall nach ihm,
und so kommen die Ausgesaudten auch zu jenem Fischer. Und als sie diesem
auseinandersetzeu, was und wen sic suchen, antwortet er ihnen : .Ich habe einen
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Mann au jener Klijiiie aiigefesselt, <ler dort Hiisse tun wollte; vielleicht ist das
der Gesuchte“. Voll Freude wollten die Gesandten ihn sehen. Itoch der Fischer
sprach : .Esset zunächst ein Stück Brot bei mir*. Und er Hess Fische und
Wein bringen. Ais er aber einen Fisch ausnahni, das heisst, die Eingeweide
entfernte, fand er den Schlüssel zu den Fussfesseln, den er ins Meer geworfen
hatte. Da ruft er : „Nun ist seine Busse vollendet“. Er zeigt dem Qregorius
den Schlüssel und löst seine Fesseln. Auf die Anrede der Gesandten aber er-
widert üregorius: .Mein Gott, dein Wille geschehe“. Nun wird er nach Born
geleitet und wird dort Papst. Und er war so barmherzig gegen die Sünder,
dass der Ruf seiner wunderbaren Barmherzigkeit durch die ganze Welt drang.
Und so hört auch die Königin, seine Mutter, davon, und sie sucht ihn auf. Er
hört ihre Beicht, ohne zu wissen, dass er ihr Gatte und .Sohn ist. Als nun der
Papst aus dem Bekenntnis der Königin dies erfuhr, da erkannteu sie sich wieder.
Und er wies seiner Mutter nicht weit von sich einen ,\ufentbalt an und be-
suchte sic oft, um sie zu trösten. Und so haben sie beide um ihrer Busse willen
Gnade gefunden.
6.
Mit (kr in den Ge.sta Ronianortiin (Gsterley Xr. 70 = Dick
c. 193) eiitlialtenen Erzäliliing von der König.stucliter, deren Hand
dem bestimmt ist, der drei Fragen beantworten kann, deckt sich
im Eingänge beinahe wörtlich das im folgenden mitgeteilte Stück.
Doch sind die Fragen selb.st ganz anderer .Art, mul die eigen-
artige Lösung sowie die kühne .Morali.sation, die abweichend von
dem sonstigen Brauche in die Erziihlnng cinbezogen worden i.st,
anstatt sie zu beschliessen, geben dem Stück eine Sonder.stellnng
unter den verwandten Erzählungen mit Rätselfragen. Auch der
aszetische Schluss fällt ganz aus dem Rahmen der Märchen-
schlüsse heraus.
Die drei Fragen.
[Bl. 163 vbj Jian liest in der Cronica tripartitii, dass einst ein König in
Ybernia lebte, der seine Tochter nur dem geben wollte, der ihm drei Dinge
sagen könnte, über die er um jeden Preis Auskunft haben wollte, nämlich : was
das Schrecklichste, was das Nützlichste, und was das Stärkste auf der Welt sei.
Niemand aber fand sich, der ihm diese drei Fragen beantworten konnte. Da
machte sich ein Ritter auf, um nach ihrer Lösung zu forschen, und er durch-
wanderte viele Länder. Zuletzt kam er zu einem Felde, auf dem ciu grosser
Baum stand, und auf ihm sassen Vögel jeglicher Art. Während aber der Ritter
noch die Schönheit des Baumes bewunderte, siehe, da kam unversehens [164 r»J
ein furchtbares Gewitter, und der Blitz schlug in den Baum und zersplitterte
ihn in winzige Teile, und die Vögel waren verscheucht. Und als er weiterging,
kam er zu einem sehr fruchtbaren Felde, auf dem er abgemagerte Hirsche er-
blickte, und dann kam er zu einem öilen, unfruchtbaren Felde, und darauf sah
er wohlgenährte Hirsche. Und er ging weiter und sah einen Fluss; aus dem
wollte er trinken. Und er kostete davon und fand ihn süss wie Honigseim.
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Durch seine Süssigkeit gestärkt un<1 froh gestimmt, sprach er zu sich : .Ich n ill
gellen und nach ilem Ursprünge dieses Flusses forschen*. Und er fand, dass er
aus dem Maule eines Uuiides hervorstrümte. Und wie er am Ufer des Flusses
weiterwanderte. sah er, wie sein Wasser zu dem einen Ohre eines Wolfes hinein
und zum anderen wieder heransstrümte. Und voll V'erwiinderuug ilher all das
Oesehone sprach er zu sich: .Ich will doch uachforschen, wohin das Wasser
fliesst“. Und er fand, dass das ganze Wasser iu den Mund eines Lammes floss,
und daraus kam anch nicht ein Tropfen mehr hervor, sondern alles blich darin.
Und als er diese Wunder gesehen hatte, kam er zu einem heiligen Finsiedler.
Den fragte er nach der Bedeutung alles des.sen, was er erblickt batte. Und
der Einsiedler erklärte cs ihm. .Der grosse, schöne Baum, der Vögel aller Art
birgt, ist der König. Solange ihn seine Macht umstrahlt, hangen ihm viele
Freunde an. .\bcr wenn unversehens der Tod kommt und ihn in all seiner
irdischen Macht vernichtet, [164 rbj dann fliehen die Freunde, das sind die Vögel
des Baumes, von dannen und lassen ihn im Stiche. Und als Opfer seiner Frevel
tritt er in seinen Sünden nackt und blo.ss vor das Oeiicht: und das ist das
Sclirecklicbstc, was es auf Erden geben kann. Das fruchtbare Feld, das du
sahst, mit den mageren Hirschen, das ist die Welt mit denen, die ihr dienen.
Denn mögen diese auch noch so reiches Weideland haben, ihnen fehlt doch die
Hut des Heiligen Geistes und des guten und höchsten Hirten, da sie nicht ihm
und seiner Ehre dienen. Die wohlgenährten Hirsche aber auf unfruchtbarem
Felde sind jene, die die Welt verachtet, die zwar arm sind au irdischen Gütern
und der Ehren und ReichtUmer entbehren, die aber reich sind an geistlichen
Schätzen in ihrem Streben nach Gott : und das ist das Stärkste, was es auf der
W’elt gibt. Der Fluss endlich, aus dem du Stärkung und Erfrischung schöpftest,
ist Gottes Wort. Das kommt hervor ans dem Munde des Predigers, denn ihn
bezeichnet der Hund, da des Hundes Zunge alle Übel heilt. Und es gebt zu
einem Ohre des Wolfes hinein und zum anderen hinaus; das sind die hart-
herzigen Menschen, die das Wort Gottes hören und verachten. Aber es geht
ein in den Mund des Lammes, das heisst, in das Herz des milden Menschen,
der ihm sein Herz nicht verschlicsst : und dieses Wort Gottes ist das Beste auf
der Welt“. Als der Bitter diese Deutung vernommen hatte, dankte er Gott.
Und er berichtete das Vernommene dem Könige. Dann aber kehrte er zu dem
Einsiedler zurück, indem er auf die Königstochter verzichtete und im Dienste
Gottes aller Herrlichkeit der Welt entsagte und ein Leben in Armut führte.
Nach kurzer Zeit aber entschlief er in Frieden.
7.
Eine MitteLstellung zwischen den weitverlireiteten niittelalter-
liclien Erziililunffen von den guten, dankliaren Toten und der
anderen Sagengruppe von den Toten, die sich rächen, nimmt das
folgende E.xempel ein. Es i.st zugleich die älteste (Quelle der
Don-.Iuansage, die sich bisher erst seit dem Jahre 1015, dem
Aufführung.sjahre des Jesuitendramas J.,eontius in der Literatur
iiaclnvei.sen Hess. Joh. Bolte hat aber bereits in seinem Auf-
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salze über den Ursprung; der Don-Juansase in M. Koclis Z. 1‘. vsl.
liiteraturgescli. X. F. 13. 374 (1809) die Erwartung ausgesproclien,
da.ss noch einmal die Sage iin deutschen Jlittelalter nacligewie.sen
werden würde. Der folgende Text be.stätigt Boltes Erwartung. Die
Literatur zu dem Stofle findet sicli in K. Kölilers Kl. Sehr, l 64;
267 und II 239, wo J. Holte reiclie Nachweise gibt.
Oer tote Gast.
[Bl. 2U4rS] Eiust lebte ein dem Trünke ergebener Mann in der Ndlie
einer Stadt, dnreh die er jeden Abend trunken lieinikebrte. Al» er einmal nadiLs
nach Hause geben musste, unlim er seinen Weg Uber den Kirchbof. Dort fand
er einen Tuteusuhädel ; und gutmUtig sprach er za ihm: .Du armer Schkdcl,
was liegst du hier? Komm doch mit mir heim; ich werde dir dort zu essen
geben“. Da antwortete ihm der .Schädel: .Geh voran, ich werde dir folgen*.
•Als er die Worte vernahm, geriet er in die höchste Bestürzung, und die Augst
machte ibn wieder nüchtern. [204'»] Za Hause angekommen, setzt er sich am
ganzen Leibe zitternd ans Herdfeuer. Er lässt die Haustür schliessen, und als
er sieb zum Essen setzt, bcliehlt er dem Gesinde, wenn ihnen das Leben lieb sei,
niemanden, möge kommen, wer wolle, eiuzulassen. Plötzlich ist jemand vor der
Tilr, klopft heftig und fragt nach dem Hausherrn; er sei von ihm eiugeladen
worden. Alle sind still in ihrem Schrecken, und nur einer antwortet, der Herr
sei nicht zu Hause. Der Fremde aber erwidert: .Sagt nur eurem Herrn, denn
ich weis», dass er hier ist. er möge aufmaeben, sonst komme ich gewaltsam
hinein, wie ich gerade kann*. Da empfiehlt sich der Hausherr der Barmherzig-
keit Gottes und lässt die Tür öffnen. Und alle sehen die euUetzliche Gestalt
eines Toten hereinkommen , an dessen Knochen und Schädel nur noch Seimen
und Ilant haften, während man vom Fleische nichts mehr sah. Bei seinem An-
blick ergreift alle ein gewaltiger Schrecken. Der Tote wäscht sich zunächst die
Hände, daun setzt er sich unaufgefordert zwischen den Hausherrn nnd die
Hausfrau au den Tisch, und ohne einen Bi.ssen zu essen oder etwas zu trinken
und ohne ein Wort zu sprechen, quält er olle durch seinen grausigen .Anblick.
Nach dem Mahle erhebt er sieb und nimmt vom Hausherrn .Abschied mit den
Worten: ,Du hast mich zwar zu (taste gebeten, aber eine zuvorkommende Be-
handlung hast du mir nicht zuteil werden lassen. Und wenn du nicht meiner
in der Trunkenheit mit deinen törichten Worten gespottet hättest, wäre ich nie
in meiner schrecklichen Gestalt [204vb] bei dir eingekehrt. Für jetzt lebe wohl!
Doch in acht Tagen wirst du um dieselbe .Stunde au jenen Urt kommen, wo du
mich eingeladcn hast, zu dem Mahle, das ich dir bereiten werde; und du musst
kommen, magst du wollen oder nicht“. Mit diesen Worten verschwand er. Der
Hausherr aber und seine ganze Verwandtschaft suchten in ihrem Schrecken bei
erfahrenen Leuten Kat, wie er der (lefahr entgehen könnte. .Aber er erhielt
nur den einen Kat, seine Angelegenheiten zti ordnen, in wahrer Keue zu beichten
und das Sakrament zu nehmen, und so geschützt zur festgesetzten Stniide
Gottes Gericht zu erwarten. Das tat er auch. Und zur angegebenen Zeit ging
er mit allen Verwandten an jenen Ort, Plötzlich erfasste ihn ein gewaltiger
Wind und entführte ihn aufs sanfteste, ohne seinem Leilte einen .Schailen zu
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tun, bis er eiu wnuderscbönes, aber ganz ödes Schluss erblickte. Er ging durt
hinein und fand einen Tisch, der mit einladenden Speisen jeder Art besetzt war.
Nun erschien der Tote in demselben Zustande wie vurher, grüsste ihn freundlich
und hiess ihn an jenem Tische Platz nehmen , wahrend er sich selbst in einer
versteckten, elend beleuchteten Ecke an einem schmutzigen Tische mit un-
sauberem Tischtuche niederliess, auf dem ganz schwarzes Brot stand. Traurig
nnd wehmiltig blickte er seinen Gast an der geschmückten Tafel an, der vor
Verwunderung nnd Furcht nichts zu geniessen wagte. Schliesslich stand der
Tote auf und sprach zu seinem Gaste: , Warum fragst du mich nichts?* Jener
antwortete: „Ich wag es nicht vor Traurigkeit, [20öra] denn ich bin ganz in
Ungewissheit Uber mein Schicksal. Und doch möchte ich wissen, was dn weisst,
und was mir bestimmt ist“. Da erwiderte der Tote: „Fürchte dich nicht, du
wirst nicht uiukommen. Das alles geschah nur durch göttliche Fügung zn
deiner Besserung. Wenn du mich Toten nicht so leichtfertig eingeladen hättest,
wäre es dir nicht zugestossen. Über meinen Zustand aber wisse: „Ich war einst
Richter der Stadt, in der du wohnst. Um Gott kümmerte ich mich nicht und
lebte als Schlemmer. Aber da ich ein gerechter Richter war , bat Gott doch
Barmherzigkeit mit mir gehabt. Dies aber ist meine Busse für meine weltliche
Gesinnung. Ich weile in einem verlassenen Schlosse, und für meine Schlemmerei
habe ich vor mir einen armseligen, schmutzigen Tisch. Doch dir soll kein
Schaden geschehen; kehre jetzt wieder heim und büsse deine Sünden durch
Werke der Frömmigkeit*. In diesem .Augenblicke erfasste ihn der Wind wieder
und trug ihn an den Ort zurück, von dem er ihn entführt batte. Dort standen
noch seine Augebörigeu und trauerten um ihn. .Als sie ihn zurUckkommen sahen,
ergriffen sie alle die Flucht, denn er war wunderbar verändert. Die Nägel an
Händen nnd Füssen waren ihm wie Adlerkrallen gewachsen, und die ausge-
standene Angst hatte sein Gesicht schwarz und schrecklich abstussend gemacht,
SU dass ihn die Seinen nicht mehr erkannten. Und obgleich er nur eine kurze
Stunde fortgewesen war, kam ihm die Zeit doch wie tausend Jahre vur. Er
rnft seine Verwandten schliesslich zurück nnd erzählt ihnen, was er erlebt hat.
-Als sie das hören, [205 rb] loben sic alle Gott. Er selbst aber wurde ein tugend-
hafter Mensch und erlangte die Gnade, sein Leben fromm zu beschliesseu.
8.
Zu der in den Grimmschen Sagen Bd. II 143 Nr. 450 aus des
Pomarius Sächsischer Chronik v. J. 1588 angeführten ersten
Gründungssage von Hildeslieim, die dort bereits mit der
römischen Legende von Maria Maggiore (Maria Schnee) verbunden
ist. cntliält unsere Handschrift die Originalfassung. Der Kaiser,
de.ssen Name nicht genannt wird, ist Ludwig der Fromme.
Oie Gründung von Hlldetheini.
[Bl. I92va] Pliii Kaiser jagte in einem Walde. Sein Kaplan bängte die
Reliquien Unserer Lieben Frau, die der Kaiser innig verehrte, an einen Baum.
Aber er vergass sie und liess sie dort. Als er wieder zurückkehrt, kann sie
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iiieiimnil iiielir vuiii ISumiic Iu!siii»elit;u. Das meldet man dem Kaiser. Er schloss
daraus, da.s.s dort Dnsere Liehe Krau eine Stätte h.thcn wolle. Und er erbaute
daselbst eine Kinhe, die der Sitz des Dischofs von Hildesheim wurde.
‘.t.
Der .^laminon' iiiaclit nicht «jlücklich; mit ticin Kciclitum
kehren 8orgen ein, tlie ein Aniier nie kennen lernt. Diese ini
Mitteliilter immer wieder vorpetniffene Wahrheit hat in der
Literatur iliren vollendeten Aimdriick gefunden in La Fontaines
Fabel „TiC savetier et le financier“ (Fahles VIII 2), und auf
ihr beruht Hagedorns fredicht, der „muntere Seifensieder“,
das ja kaum in einem dcut.schen Lesebuche fehlt. 'Aber längst
vorher war dieselbe Erzählung in Deutschland zu Hause. .lo-
hann Herolt hat sie im Promptuarium Exemplorum (Ausg.
A. Koberger, Nürnberg 1502 unter dem Buchstaben T. ex. VIII)
in der Fassung, dass die Nachbarn dem sangesfrohen Armen einen
Sack (jeld vors Haus werfen, den er an sich nimmt; die Sorge
ums Geld lässt alsbald seinen Gesang verstummen, und die alte
Fröhlichkeit kehrt erst zurück, als ihm die Nachbarn das Gehl
wieder abgenommen haben. Dieser Stotl' scheint doch in .seiner
ältesten nachweisbaren Form französisch zu sein. Wenigstens
weist ihn der Text unserer Breslauer Handschrift, der wohl der
älteste bi.sher mudigewiesene ist, nach dem Jlons Pessulani, nach
Montpellier.
Oer lustige Spielmann und der Reiche.
[Bl. 20;tvb] Bei Montpellier lebte einst ein ganz armer Manu, mit Namen
Rubin. Der wohnte unter der Treppe eines ateiureiehen Geiziialses. Der Anne
hatte eine Fiedel (figellam fedjl), die er nach der Tagesarbeit auf der Strasse
spielte. Das brachte ihm manchmal vier oder gar fünf Groschen Spiellohii ein.
Und dieser Verdienst machte ihm grosse Freude. Dagegen hatte sein Herr nie
einen frohen Tag. Der dachte Tag und Nacht bekümmert Uber sein Geld nach.
Da sagte einst sein Weib zu ihm: ,Du, dieser Rnbin hat nichts, und doch ist
er immer lustig. [204 ra] Und du hast alles im Überfluss und bist doch immer
bekümmert“. Und ihr Manu sprach: .Weib, dem will ich seinen Frohsinn schon
vertreiben“. Die Frau aber wandte ein; .Das wird dir nicht gelingen, wenn
du ihm nicht etwa ein Leid autust“. Er aber versicherte ihr: .Ich werde ihm
nichts Böses zufügen“. Und der Hausherr warf heimlich einen Säckel voll
Groschen durchs Fenster in die Kammer des Rubin. .\m Morgen fand Rubin
das Geld, und nun dachte er den ganzi-n Tag darüber nach, was er wohl mit
dem Gehle anfangen solle. Und dahin waren Gesang und Frohsinn auf lange
Zeit. Nach mehreren Tagen sprach der Geizhals zu seiner Frau : .Warum singt
denn der Rubin nicht melirV“ Und sie erwiderte: .Bei Gott, das ist mir uu-
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begreiflich. Er hat jetzt schon lange nicht mehr gesungen*. Der Mann aber
spricht: .Ich werde ihm seinen Gesang wiedergebeii*. Und er ging zum Rubin
hinunter und verlangte sein Gold zurück. Der .\rine, der sich uicht zu weigern
wagte, gab es ihm wieder. Dann aber griff Rubin nach seiner Fiedel und
spielte auf ihr lustig wie früher. Und der Geizhals sprach wieder zu seiner
Frau: ,Hör doch, Weib, der Rubin singt wieder“. ,.Ia, ich bürs“, erwiderte
sie; „mein Gott, wie geht das denn zu?* Und nun erzählte ihr der Geizhals,
wie er es angefangen hatte.
10.
An (len Sdilus.s dieser Proben stelle ich einen Schwankstofl',
der mir sonst in der mittelalterlichen Erzahlnngsliteratur nicht
liejietrnet ist. Er zeigt, wie auch recht drastische Geschichten als
Predigtexemiiel Verwendung fanden. Zur Sache selbst ist zu be-
merken, dass in den mittelalterlichen Predigten häufig und mit
grassem Nachdruck gegen das Schminken angekämpft wird.
Schmink dich nicht, mein liebes Weib!
[Bl. 202''t>] Einst lebte ein Weib, das immer gegen den Willen ihres
Mannes ihr Gesicht schminkte. .Vis sie das wieder einmal an einem Festtage
getan hatte und ganz anders aussah, fragte sie ihr Mann, wo denn sein Weib
Pontia sei. Sic entgegnet ihm: „Bekreuzige dich und empfiehl dich Gott. Ich
bin doch dein Weib Pontia!“ Er aber erwidert: „Du bist es nicht. Mein Weib
ist dunkelbraun, du aber bist blendend wei.ss, mein Weib hat ein fahles Gesicht,
und du bist rot*. Da spricht sie: „Bei Gott, ich bin dein Weib Pontia“, Darauf
erwidert er: „Wenn du es bist, dann werde ich mal versuchen, ob ich die Farbe,
die ich auf deinem Gesicht sehe, wegbekommeu kann*. Und er machte sich
einen Strohwisch und packte sie bei den Haaren, — denn Hörner hatte sie nicht
— und begann ihre Wangen zu rcibeu, bis das Blut kam. Unterdessen rief sie
unaufhörlich: „Ich bin dein Weib Pontia“. Und als er sie genügend gescheuert
batte, sprach er: „Nun seh ichs endlich, du bist Pontia, mein geliebtes Weib“.
Diese Proben werden genügen, um die Bedeutung unserer
Iliindsclirift für die V'olkskttnde darzutun. Der wertvolle Inhalt
wird eine wenigstens teilweise Herausgabe die.ser Exetnpelsamm-
lung rechtfertigen.
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Das starke Verbum in der Schlesischen Mundart.
Von l'r. phil. \V. von Uiiwerth in Vpsalii.
Die beste t'bersicht über das Vokalsystem eines germaniseben
Dialektes gibt man im allgemeinen durch eine Vorfiibrung der
Ablautsreihen, wie sie sich im Dialekt darstellen, und diese Ab-
laut.sreihen wiederum lassen sich am besten veranschaulichen durch
das Flexionssystem des starken Verbums. Aber niemals bietet
die.ses ausnahmslos nur die laiitgesetzliche Fortentwicklung des
Flexionssystems älterer Sprachperioden. Stets finden sich einzelne
Formen und Forinengrui)pen, deren Ijautverhältnisse eine besondere
Erklärung erheischen. Und die.se Plrklärung finden wir in dem
Wirken der sprachlichen Analogiebildung.
Unter dem Ausdruck Analogiebildung fa.s.st man im populären
Sinne meist zwei Arten von sprachlichen Vorgängen zusammen.
Den ersten kann man als einfache Fürmenausgleichung bezeichnen.
Er besteht darin, dass eine Lautverschiedenheit zwischen mehreren
Formen desselben Paradigmas aii.sgeglichen wird, indem die Laut-
verhältnisse der einen Form auch von den übrigen angenommen
werden. So entwickelt sich z. H. durch Fonnenausgleich aus der
im Mhd. geltenden Flexion bant — blinden die in unsrer Schrift-
sprache herrschende; band — banden. Oder das mhd. Paradigma
füllen — fulte erhält seine heutige Flexion; füllen — füllte.
Ein anderer Vorgang i.st die Analogiebildung im engeren
Sinne des Wortes. Sie hat ihren Grund in der Tatsache, da.ss
un.ser Sprechen, das Anwenden der verschiedenen Worte und
Wortforineii, keineswegs nur ein Reproduzieren von erlerntem Ge-
dächtnis.stoft' ist (vgl. hierzu Paul, Prinzipien der Sprachgeschichte'*
S. SS ^8 ft'.). .Manche Flexionsformen eines Wortes, die der
Sprechende im Zusaimnenhang .seiner Rede verwerten muss, hat
er vorher noch nie gebraucht, vielleicht auch nie gehört oder
kann sich wenigstens nicht erinnern, sie gehört zu haben. Soll
er nun eine derartige Form bilden, so schliesst er sich dabei an
die Rildungsweise einer andern entsprechenden Formengruppe an,
die gerade in seinem Bewusstsein vorhanden ist. So will z. B.
ein Kind erzählen, da.ss es geniest hat. Das Partizip von nie.sen
hat es noch nie gehört. .Aber es weiss, dass man z. B. sagt „er
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schiesst, er giesst“, aluT „er hat geschossen, er hat gegossen“ . Also
bildet es nun zu „er niest“ g-äuz entsprediend das Präteritum „er
hat geflossen“, eine Form, die übrigens auch z. B. der schwäbischen
Mundart geläufig ist. Bildungen wie „Grosscater hat gerochen“
(anstatt „geraucht“ ) oder „Hansel hat das gekrogen“ (anstatt „ge-
kriegt“), sind ja in der Kindersprache ganz gewöhnlich. Und in
der natürlichen, nicht durch grammatische Schulung erworbenen
Sprache des Volkes treten zu allen Zeiten solche analogische Neu-
schöpfungen auf.
Aus der Erklärung ihrer Entstehungsweise folgt aber not-
w'endig die Tatsache, da.ss es kein zwingendes Gesetz für das
Eintreten solcher Bildungen gibt. Denn bereits bestehende, ältere
Formen können ja im Gedächtnis des Sprechenden vorhaudeii sein,
können aber auch fehlen. Und eine verwandte Formengruppe, nach
der man sich bei der Bildung richten kann, bietet sich bald un-
mittelbar dem Bewusstsein, bald findet sie sich nicht im Ge-
dächtnis. So erklärt es sich sehr einfach, da.ss wir im Nhd. zwar
zu fragen analog der Gruiipe tragen — trug ein frag (anstatt des
regelmässigen fragte) bilden, aber niemals zu wagen, bei dem — rein
lautlich betrachtet — dieselben Bedingungen vorliegen, ein wag.
Eine weitere notw endige Folge ist die, dass keineswegs eine kon-
sequente Durchführung der analogischen Bildung durch das ge-
samte Flexion.ssystcm eines Wortes stattfindet. Denn es brauchen
ja keine.swegs sämtliche Flexionsformcn w eder des beeinflussenden
noch des beeinflussten Wortes gleichzeitig im Bew'usstsein vor-
handen zu sein. So ist zwar ein Präteritum frag gebildet worden,
aber nicht ein Partizip gef ragen, was bei konsequenter Durch-
führung der Analogie mit tragen doch zu erwarten wilre.
Um im einzelnen Falle den Hergang bei einer analogischen
Neuschöpfung zu veranschaulichen, bringt man ihn am besten in Form
einer Proportion zur Darstellung (vgl. Paul a. a. 0. S. 1)7
So drückt man die Tatsache, dass die Form frag zn fragen in An-
lehnung an die Pormengriipi)e trug — tragen gebildet worden ist,
aus durch die Projicjrtion tragen : trug = fragen : x, (x = frug).
Können mehr als nur zwei Formen des Flexionssystems die Ana-
logiebildung veranlasst haben, so drücken wir es aus durch mehr-
gliedrige Proportionen z. B. tragen : trägst ; trug — fragen : fragst : frag.
Dass in den Volk.sdialekten, die nur durch den prakti.schen
Gebrauch erlernt und durch keine schulmeisterliche Xoim geregelt
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werden, die aiialogiselie Xeuscliöpfung üppige Blüten treibt, ist
nach dem bisher Ausgeführten selbstvci-stiindlicli. Will man aber
ihr Wirken im einzelnen Falle begreifen und in der genannten
Wei.se veransehaulichen, so ist eine genaue Kenntnis der Lautver-
hältnisse des Dialektes die notwendige Vorbedingung. Denn viele
analogische Verhältnisbildungen, die vom Standjiunkt der Schrift-
sprache aus nicht erklärbar sind, werden durch die Lautentwick-
lung der Mundart ermöglicht. So kann man z. B. im Schlesischen,
da mhd. ü und i lautgesetzlich zu.sammenfallen, zu wischen ein
neues Präteritum bilden in Anlehnung an tiln — fulte füllen (mhd.
füllen — fulte), also tiln : fulte — wisy : wüste. Oder da der Plural
zu Busch mundartlich denselben Vokal zeigt wie der Plural zu
Fisch, so kann man zu dem letzteren Worte einen neuen Singular
bilden entsprechend dem des ersteren; es ergibt sich also in der
Proportion ])ise : püS = fise : füs die im nördlichen Gebirgsdialekt
vorhandene Form füs (in der Kräutermuudart fös).
Um die Flexionslehre eines Dialektes oder einen besonderen
Ab.schnitt aus derselben klar vorführen zu können, i.st also ein-
mal erforderlich, dass man mit den Lautverhältnissen des Dialektes
vertraut ist. Hierfür kann ich im einzelnen Falle auf die Dar-
stellungen meiner sclilesischen Lautlehre verweisen (von U n werth,
Die Schlesische Mundart, Wort und Brauch 111, im folgeiuleii
zitiert als S. M.). Das Wirken der Analogiebildungen im einzelnen
darzulegen, wird nunmehr die wichtigste Aufgabe sein. Meine
Darstellung folgt der üblichen Anordnung nach Ablautsreihen.
Was die Bezeichnung der einzelnen Mundarten angeht, so ver-
weise ich auf S. M. S. 6 u. 77; für die Schreibung auf S. M. S. IX.
I. Erste Ablautsreihe.
Mhd. stige — steic — stigen — ge,stigen.
Gebirgsschlesisch blaiva bleiben blaip blaipst blaipt — blip
blipst — bliba — gebliba, snaida schneiden snait snetst snet —
snit — snita — geSnita; lausitzisch-sclilesisch sinaisn schiucissen
smest Smest — smis — smisn — gesmisij; glätzisch baisa heimsen
best — bis — bisa — gebesa; glogauisch besn beissen best, sren
schreien srüt — ksrain gcschriett; grünbergisch retn reUen retst ret
— ret — - geretn.
1. In den Formen bleiben und geblieben ist in Glätzischen und
in gebirg.s.schlesi.schen Gebieten das inlautende v geschwunden
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(S. M. § 72); blain peblin; durch Porraausgleichunff erscheint nun
auch die 2. pers. sing, als blaist.
2. ln der 2. 3. pei-s. sing, praes. tritt Vokalkürzung vor mehr-
facher Konsonanz ein : best beisst, pfeft p/ei/t, kecht keucht (mhd.
kleben), ret reitet, snetst änet schneidet (S. M. § 103 II). Formen
ohne. Kürzung zeigen Wörter mit inlautendem g b, z. B. gebirgs-
schlesisch blaipst, grünbergisch trepst treibst, lausitzisch staikst.
Hier ist nach stimmhaftem b und g der Endungsvokal vielleicht
später synkopiert als nach Stimmlosen und nach d, das mit den
s und t der Endung gemeinsame Artikulationsstelle hatte. Der
Imperativ zeigt langen Vokal vgl. gebirgsschlesisch blaip Snait,
grünbergisch trep.
3. Im Präteritum ist der mhd. Vokalwechsel in steic — stigen
meist zugunsten des Pluralvokales aufgegeben, vgl. gebirgsschle-
sisch blip bliba. grünbergisch ret rötn. Die Angaben über ein im
sing, au tretendes ei e stammen zumeist aus den Gegenden, die
mhd. i zu ai £* entwickelt haben (S. -M. S 12). Altes ei kenne ich
nur in der nordböhmischen Mundart (S. M. § 133), wo .smäes
schmiss, snäet schnitt, pfäef pßß', blae blich, sräe schrieb (mit Weg-
fall des Labials analog zum praes. blain blaist) neben pliir. Ämisn
usw. auftritt. Der gedehnte Vokal des sing, wird bisweilen in
den plur. eingeführt, vgl. gUlt.zl.sch plifa pfiffen, in snita schnitten
(wie im Partizip gesnita gesnetn) ist hingegen die Dehnung ge-
setzlich (S. M. § 95 Anm.).
4. Altes Partizip ohne Prätix erscheint im glätzischen blin
geblieben. Im Nord westgebiet der Diidithongierungsmundarten fand
ich blebni in der Wendung wüv blelmi ätön war stehen geblieben.
Die.se Form, die den Vokalismus des praes. zeigt, erklärt sich
wohl so, dass die Verbindung stehen bleiben von Wendungen wie
sagen lassen, kommen sehen, sagen hören beeinflusst worden ist, in
denen der Infinitiv anstelle des Partizips verwendet wird (.selbst-
verständlich aiKsgehend von Wörtern wie sehen, lassen, in denen
Infinitiv und altes präfixloses Partizip gleich lauten).
II. Zweite Ablautsreihe.
Mhd. biegen biuge — bouc — bugen — gebogen, bieten biute
— böt — buten — geboten.
Gebirgs.schlesi.sch gisngies.sen gist — gfis — gegu.sa; lausitzi.sch-
.schlesi.sch bigp biegtm — buk — bfign — gebögiK glätzi.sch gi.sa
Hilteilun^eD d. schll>.s. Oe», f. Vkdr. lieft ■*
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giessen gris g:i.st — grfis g^üst — "fisa — gri*g:psa; glngaiiiscli flign)
fliegen — flank — flaugp — gpflöfiü; grünbergiscli sibip schieben
Sftp — äübi|i — gPsaiibiji.
1. Altes ü-])raes. zeigen faufn (laus. 3. pers. feft). grün-
bergiscli föwm saufen und faugn (Krituterinumlart) saugen. Den
Präsenstypus von inbd. biuge blute zeigt vielleiebt laiisitziscb loigu
lügen. Sonst setzt die 1. pers. sing, .sowie der plur. .stets inlid. ie
voraus, das gemäss S. M. § 104 behandelt wird : frifn frieren,
belija belügen, siva (glätz.) schieben — gi.sa gicsseti. kriijia kriechen,
iiobitij (glog.) anbielen.
2. In der 2. 3. pers. sing, praes. ist der inhd. Vokalismus
(biute.s) vielfach erhalten, am konsecpientesten im Glätzischen vgl.
soi])st soipt schiebt, floitjit fliegt; Ipikst loiidit lügt, sloist schUesst,
goist giesst; im (Jebirg.s.schlesi.schen sind derartige Formen (oi)
.seltner, auch im Lausitzi.seh-Sehlesischen (vgl. jedoch für die .säch-
sische Lausitz .Michel, .Mundart von Seifhennersdorf S Ö2, Beitr.
z. Gesell, d. d. Sprache n. Lit. XV 1 fl.) und in den Diphthongierungs-
mundarten; Formen mit Kürzung des in sind gebirg.sschlesi.sch feft
säuft und in der Kräutenuundart krocdit krieeJU. Daneben er-
scheinen überall Formen mit mhd. ie. Diese inü.ssen ihren Vokal
.schon sehr früh durch Formenausgleich erhalten haben; denn sie.
zeigen die lautgesetzliche Kürzung von ie vor Stimmlosen (S. M.
S 104); bit bietet, slist schliesst, ritdit riecht, lausitzi.sch likst lügst,
smikst schwiegst; frühen Schwund von inlautendem g zeigt lau-
sitzisch flit fliegt. Die 2. pers. sing, des Imperativs zeigt Jetzt
meist mhd. ie; tsi eieh, gis giess (vgl. aber Michel, Mundart von
Seifhennersdorf Jj i)2).
3. Im Präteritum ist Pormenausgleich eingetreteu. Da ge-
dehntes mhd. u und langes mhd. o im Schlesi.schen zusammen-
gefallen sind (S. .M. S. 4), .so kann der Vokal in gebirg.s.schlesisch
tsikji tsiiga cog oder glogaui.sch .sau|) saubin schob sowidil altem
u als altem o entsprechen. Spuren von mhd. ou (mhd. bouc) sind
nicht nachzuweisen. Die vokali.sche Länge des sing, wird in den
Plural übertragen in glätzisch n'ujia rochen, fftfa soffen, gns& gossen.
ln der Kräuterniuiidart, wo mhd. u und ö durch ö vertreten
sind (S. M. S 127), und in einigen Gebieten der Diphthongierungs-
mundarten er.scheint im Präteritum ein ü, vgl. süii .schob, füf soff',
bfit bot, tsögi» sogen. Ebenso zeigt sich ü iin glätzischen Dialekt
der Xachbarschaft von Habelschwerdt (vgl. Paut.sch, Grammatik
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der Mundart von Kieslinprswalde § 47), wo man ebenfalls ö zu
erwarten hätte (S. M. g 19 Anm. 1, § 29 Anni. 1). Diese Erscliei-
nuiifr lässt sich so erklären, dass die Verben der 2. Reihe in Ana-
logie zu denen der reduplizierenden Klasse Präterita mit dem
Vokal mhd. uo gebildet haben (vgl. unten VH). Partizipien wie
gesöva geschoben, geböta geboten zeigen denselben \'okal wie geslöfa
geschlafen, geblöfa geblasen, und so ergil)t sieh die Proportion ge-
Idöfa : blhs = geböta : büt usw. Andrerseits ermöglicht auch die
Gleichheit von gelufa gelaufen mit gefula gesoffen eine Bildung
gelufa : lüf (unten VII, 4) = gefufa : füf. Und endlich ist es
denkbar, dass die ('bereinstimmung der gekürzten 3. pers. sing,
fett mit z. B. west wäscht eine Proportionsbildung weSt ; wiis =
fett : füf ermöglicht hat. Der Konjunktiv des Präteritums zeigt
regelrechte Vertretung von mhd. ü, vgl. gebirgsschlesisch tsKdist
sögest, tsija zögen, öbite anböte.
4. Im Partizip ist durch Angleichung an das Präteritum ü ein-
getreten in z. B. glätzisch gesüva geschoben-, dagegen bieten laut-
gesetzliche Vertretung von mhd. o: geliirgs-schlesisch fj-lürn cerforen,
glätzisch gefröjTi (S. M. i; 15). Die Formen mit stammauslauten-
dem g zeigen bald Krhaltung, bald Schwund des g (S. M. § 10(5)
vgl. gebirg.ssclilesisch götsüen gezogen; lausitzi.sch-schlesi.sch getsoin
gezogen, geböga gebogen (Strickerhäuser getlön geflogen); glätziscli
gelöga gelogen, getsen gezogen; glogauisch bcdoeii belogen; griin-
bergisch getsauefi getsaugn gezogen.
III. Dritte Ablautsreihe.
A. Mhd. brinne — bran — brunnen — gebrunnen.
Gebirg.s.schlesisch finda finden — tont — fonda — gefunda;
lausitzisch - .schlesisch ävim schwimmen — svum — svum — ge-
svum; glätzisch binda — bönt — bonda — gebunda; Diphthon-
gierungsmundarten bin binden — buuk — buu — gebun.
Im Präteritum ist der mhd. V^okalwechsel von baut — bunden
überall ausgeglichen; im Gebirgs.schlesischen und Glätzischen .so-
wie in Teilen des östlichen lausitzisch-.schlesischen Gebietes (Grott-
kau) zuguiusten der Singularform (zum Übergang des lautgesetzlichen
a in o vgl. S. M. S 1 Anm. 1, zur Dehnung in bönt usw. i? 102 IV),
in den übrigen Gebieten meist zugunsten des Pluralvokals.
B. Mhd. gelten giltc — galt — gulten — gegolten.
Gel)irg.sschlesisch malka melken milkst — mulk — mulka,
a*
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Konj. milke — gemnlka, Starva sterbeti St'rpst — Storp — Storva
— gröSfrva; lausitziscli-schlesisch halfn helfen — hüll' — liulfu —
fröhult'n; glätzisch nialka — molk — mulka — gemulka; glogauisdi
hilfip helfen — hüf — liiif^ — ghüfn.
1. Die 1. pers. sing, pracs. zeigt regelmässig den Vokal des
pliir. und des Infinitivs. Ausgleich zugunsten der 2. 3. pers. sing,
zeigen; hilfu (glogauisch und im nordhöhmischen Dialekt), gildu
geltai (nordböhmisch), gildu (glogauisch), gilt) (Kräutermundart),
ln gelda (gebirgsschlesisch) ist das e lautgcsetzlieh (S. 11. ^
2. Im Präteritum findet Ausgleich bald zugunsten des Singular-
vokals (gebii'gsschlesisch störva, lausitzisch l'rdoq), glätzisch gol
galt S. 11. § 67 Anm. 2), bald zugun.steii des Pluralvokals statt
(mulk hilf u. a.l Selten ist der IVech.sel (molk mulka) bewahrt.
3. ln dem Verbum wä''n werden ist das inlautende d ge-
schwunden (S. II. § 67). Im Partizip erscheint gebirgsschle.sisch
gewurn, glogauisch kwurn neben präti.vlosem wurn. Eine eigen-
tümliche Konjunktivbildung erscheint in lausitzisch were (Diph-
thongierungsmundarten wier), vgl. lausitzisch: icli ijlöpt s n ui dos
r ni kum were ich glanhtc es ihm nicht, dass er nicht kommen würde;
fr* wer sun kum wen fe s ok hirn wäre sie tvürde schon kommen,
wenn sie es nur hören würde. Zur Erklärung ist die Tat.sache
heranzuziehen, da.ss der Konjunktiv praes. in der Mundart gänz-
lich au.sser Gebrauch ist, während der Konjunktiv praet. noch
Verwendung findet (obwohl auch dieser mit Väirliebe durch Um-
■schreibung ausgedrückt wird, vgl. r <}öt ols wen r fitji Priditn
metjite er tat, als oh er sich fürchtelc, . . . ols wen de weitst f'urt
gin . . . als wenn du fort gingest). Da nun dem Konjunktiv jiräet.
von haus aus eine temporale Bedeutung nicht anhaftet, so kann
man ihn jetzt als direkt zum praes gehörig empfinden, und es ist
infolgedessen möglich, analog .solchen Pormgriqiiien wie näm
nehme — neme nähme, stäl stehle — Stele stähle, gä gehe — ge
gäbe auch zu wä'' werde einen Konjunktiv wäre -= würde, zu bilden.
4. Mhd. berelhen befehlen i.st infolge des Schwundes von h
mit stähl stehlen zusanimengefallen, vgl. Reihe IV, 5.
IV. Vierte Ablautsreihe.
.Mhd. nemen nime — nam — nämen — genomen.
Gebirgsschlesi.sch nama nehmen nimst — nöm — nöma — ge-
numa ; lausitziscli-schlesisch stähl stehlni stal stilst — stol —
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stojii — gestüln; sflätzisdi drasa dnsclien — gedrosa; glogauiscli
kum kommen kiinst — küoin — gökuin.
1. Im praes. zeigt die 1. i>ers. sing, stets den Vokal des plnr.
und des Infinitivs, ln bret^ia brechen ist das e lautgesetzlich
(S. M. g 0, 1), nordböliniiscli erscheint bracjin.
2. Im Präteritum ist allgemein Ausgleich zugunsten des Sin-
gularvokals eingetreten. Im Partizip erscheint lautgesetzlich o
vor tji: gebrocjia (S. M. J; 14).
3. Das Verhum kommen zeigt im praes. u (z. B. gebirgs-
schlesisch kuina), das sowohl auf mhd. o als u zurückgehen kann.
Das i der 2. 3. pers. sing, (kirnst kirnt) .setzt mhd. ü voraus. Im
praet. crecheint meist körn (küom), doch haben lange Fonnen wie
kvom kvoma (mhd. quam «luAmcii) bestanden. Im Partizip erscheint
präfi.xlose Bildung in kunia (gebii'g.sschlesisch und nordböhmisch).
4. An die 4. Reihe hat sich angeschlo.ssen gebirgsschlesisch
äpäln (SeidorD spalten. Da es im Infinitiv und der 1. pers. sing,
mit stäln übereinstimmte, .so bildete man stäl ; stäjn : stöl —
späl : Spä)n : spol. Aus .Anlehnung an stäln werden sich auch
die zu häln hallen gel)ildeten Formen hilst hilt hiütst hält erklären,
.stäl : stäln : stilst = häl : häln : hilst.
5. ln niederlausitzischem Gebiet wird zu stäln stehlen und
befäln befehlen ein Präteritum stül belnl gebildet. Dies erkürt
sich durch Anlehnung an die Flexion der reduplizierenden Verben
(Vgl. unten VII, 3); da im Schlesi.schen geblöfu geblasen, geAlöfn
geschlafen demselben Vokal zeigen wie gestöhi befoln, so ist da-
durch die Proportion ermöglicht geblöfp geslöfg : blüs Sli'if =
geStölu beföln : .stül befül.
V. Fünfte Ablautsreihe.
Mhd. geben gibe — gap — gäben — gegeben.
Gebirgsschlesisch und glätzisch : träta treten tritst — tröt —
tröta — geträta ; lausitzisch-schlesisch frasn fressen — frös —
frösg — gefräst! ; glogauiscli gän geben gä gipst — güop Konj.
giep — gfiobip — gegän.
1. Die 1. pers. sing, praes. stimmt .stets im Vokalismus mit
dem plur. und dem Infinitiv überein. In der 2. 3, jiers. sing, ist
die Dehnung unterlilieben oder jüngere Kürzung eingelreten vor
mehrfacher Konsonanz: gip.st gibst, likst lieg.st. Schwund von in-
lautendem b (v) zeigt gän geben, gegän (S.M. 5; 72). Intervokalisch
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ist li gescliwimden in fän göfän sehen, auslauteml dagegen als
Reibelaut erhalten in fich sieh. Ausgleich in verschiedener Richtung
ergab einerseits fist fit, andrerseits filmst (lausitzisch fikst).
2. Im Präteritum ist fast immer Ausgleich zugunsten des
Singularvokals eingetreten (trdt gilop). Nur lausitzisch fök so/i,
fögp sahen weist auf mhd. ä zurück. Zur Erklärung des g (ge-
birgsschlesisch foga) in der letzteren Form und in gesöga geschahen
vgl. S. M. ij 80 Anm. 1.
3. Das Verbum liegen lautet lija (gebirgsschlesisch u. glätzisch),
ligD (lausitzisch), lf‘gp(grünbergisch). Zu der mhd. 3.pers.sing. lit ge-
hören: glätzisch laist liegst lait, glogauisch löt und die Ausgleich.s-
form grünbergisch lekt (mit dem Vokal von lit). Das Partizip
zeigt die regelmässige Kontraktion der Lautgruppe ege (S..M. S 110);
gcbirg.sschlesiseh gelän, lausitzisch-schlesisch gelain. glätzisch gelen,
glogauisch geläeü.
VI. Sechste Ablautsreihe.
Mhd. graben — gruop — gnioben — gegraben.
Gebirgsschlesisch groba graben gröp gröpst gröpt — grüp —
grfiva Konj. grip — gegröba; lausitzisch-schlesisch wosn tcaschcn
west — wiis — wftsu — gewosp; glätzi.sch liöva heben höpst —
hup — hüva — gehöva; glogauisch fürn fahren (auch fürdll)
fift — für — fTifn — gefürn.
1. Das Verbum tragen zeigt die regelmässigen Kontraktionen
der Lautgru]i])en age (S. M. §§ 108,100) und ege (S 111): gebirgs-
schlesisch tröan trest getröan, lausitzisch-schlesisch troin, glätzisch
tren, Diphthongierungsmundarten trüeü tricst getrüeü. Das A"er-
bum schlagen bewahrt im Geliirg.sschlesischen und Glätzischen die
alte Präsensform mit mhd. ä: slö schlage, im übrigen stimmt es
vollkommen mit tragen überein.
2. Stehen setzt mhd. .stün voraus: Ftanimundarten stiu sti.st
.stit, Diphthongierungsmundurten staiu (glogauisch) und sten (grün-
bergi.sch). Im Präteritum erscheint stun (= mhd. stiiont) im
Glätzischen (Pantsch a. a. 0. i? 01) und stunt in lausitzischen Ge-
bieten (vgl. für die sächsische Lausitz Michel, Mundart von
Seifliennersdorf §37). Dagegen gilt stont im Gebirgsschlesischen
und stönt .ston Jtönda in glätzischen Gebieten. Die letztgenannten
Formen sind in Analogie zur 3. Ablautsreihe (vgl. oben 111 A)
geschaffen; bunda : hont (vor Ausgleich des Vokalwechsels) =
stunda : stont. Das Partizip lautet regelmässig gestanda.
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3. Das Verluini hthen flektiert im Präsens iiiiii rriiteritiim
repelmüssijr, vg;l. z. H. glätziscli li^va li^pst liiii) liüva, Diplitlion-
piernnpsiiuiiKlarten liiehip liüp liübin. Iin Partizip ersdieint da-
pepen peliöva, eine alte, auch in die idid. Schrittsprache pedrnnpene
Aiialopieforni. Die Form gehoben erscheint znei-st bei schlesischen
und sächsisch-thürinpischen Vertässern (vpl. Grimm, Wörterbucli 3
S. 841). Sie kann daher niclit als eine Anahtpiebilduiip zu Verben
wie scheren — geschoren erklärt werden. Denn die in* Prape
kommenden Dialekte zeipen, soweit mir bekannt, keinen Zusaramen-
l'all von mhd. e (schereti) und e {heben). Vom Standpunkt des
Schlesi.schen aus kann gehoben als eine Neubildunp nach dem
Muster reduplizierender Verben erklärt werden, vpl. Mest : blüs
: peblöfa — hepst : hiij) : pehöva. Der Fberpanp von mhd. ä > ii
oder zum mindesten der Zusammenfall von mhd. o und ä in einen
Laut (S. M. 8. 4) war zur Zeit des Gryphius jedenfalls schon voll-
zopen. l'nd so ist es wohl möglich, dass die Form gehoben aus
dem schlesischen Volksdialekt in die Schriftsprache pedrunpen ist.
VII. Die reduplizierenden Verben.
Mhd. lieijen — hiej — hiejen — geheijen.
Gebirps-schlesisch hfesa — his — hisa — geln'sa.
Der im Mhd. repelmässipe Vokal ie im Präteritum timlet sich
bei allen Verben dieser Klasse. Daneben aber er.scheint vielfach
ein ü u, das. da es in sämtlichen schlesischen Mundarten gleich
lautet, nur als lulul. uo, germ. 0 erklärt werden kann (vgl. S. M.
§ 42). Nun gibt es ja im Gotischen neben den einfach redupli-
zierenden Verben eine (truppe reduplizierend-ablautender Verben,
K. B. Ktan — lailöt, tekan — taitök ; mit Schwund der Rcdu]di-
kation i.stein Präteritum dieser Gruppe erhalten im .Altschwedischen:
löt löto. Und es konnte ja verlockend erscheinen, eine Form wie
schlesisch lös (Weinhold, ('l)cr deutsche Dialektforschung 8. 59)
pleicjifalls als eine derartige uralte Bildung atizusehen. Alte o-
Präterita, auf Grund indopermanischer Aldautsverhältnisse, setzt
K. Ljungstedt (.Anmärkuingar tili det starka preteritum i per-
manska spräk, U]ipsala 1887) auch für die IV. u. V. Ablautsreihe
sowie für Verben der reduplizierenden Gru])pe an (vgl. auch
V. Bahder, Anzeiger für indopermani.sche 8prach- und Altertums-
kuude II 8. (50 und Behaphel in Pauls Grundriss 1* 8. 736l. Die
Möglichkeit, dass man auch mit derartigen Bildungen rechnen
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müsse, ist iiiclit zu leugnen. Hier aber will ich mich begnügen,
die Wege aufzuzeigen, auf denen man auch in erst nach- mittel-
hochdeutscher Zeit auf schlesischem Boden zur Bildung der ü-
Prüterita gelangt sein kann.
1) An die kurzvokalischen Verben der VI. Ablautsreilie schlies.st
sich fallen an und bildet so sein Präteritum mit A, vgl. woäa
wasdien : weSt : gewoSa : wAä = fola ; feist : gefola : fül. Ge-
birgsschlesisch ei-scheint fole fil, lausitzisch-.schlesi.sch (östlich)
fül, glätzi.sch fil und eine Weiterbildung von fül zum schwachen
Präteritum fulde (vgl. unten 2) unter braten), glogauisch fil, grün-
bergisch gefAl. (Ganz entsprechenden Übergang von fallen in die
VI. Reihe zeigen neufriesische Mundarten, vgl. neuwestfriesisch
fül fAol und wangeroügisch ful fuln, Siebs in Pauls Grundriss I *
S. 1219 und 1922).
2. An Stin stehen schlie.sst sich gelten an. vgl. stin : geStanda
; Stunt = gin ; gegana : gunk. Die meist gebrauchte Präterital-
form ist jetzt gink gina, vgl. aber W'einhold, (‘ber deutsche Dia-
lektforschung S. 123. Das Partizip erscheint gebirg.s.schlesisch
und nordböhmisch als gana.
Weiter schlie.ssen sich an fattgen und hängen, vgl. gestanda
; Stunt = gana : gunk = gefana : funk = gehana : hunk. Weit
gebräuchliclier aber als die u-Pormen sind fink uml hink; tun
gilt in niederlausitzi.schem Gebiet (über u-PrUterita im Nieder-
deutschen und Friesischen vgl. Grundriss 1 S. 737 u. 1219 Anm.).
3. schlafen und blasen .stimmen in der 2. 3. pers. sing, pracs.
mit den langvokalischen Verben der VI. Reilie überein, und dies
führt zu der Proportionenbildung grepst grept (Diphth. griep.st,
laus. grei>st) : grAp = Slefst (slief'st, .slefst) : sluf = blAst (bliest,
West) : blAs. Im Gebirgsschlesischen gilt; .^löfa .slufa (mit Kürzung
vor Konsonant -f n, S. JI. ^ 103 III), slif .slifa geslöfa; im Lau-
sitzisch-Schlesischen slöfn slif, aber im östlichen Gebiet auch älAf;
im Glogaui.schen slöfn, im Grünbergischen slaufii sluf. Für blasen
gilt gebirgsschlesisch blöfa blis, glätzisch blis und blAs, grün-
bergisch blaufn.
An diese Verben hat sich auch bröta braten angeschlossen,
ist aber dann teilwei.se in die schwache Konjugation übergetreten:
das neugebildete ü-Pihteritum hie.ss lautgesetzlich (S. M. § 104)
brfit — bruta. Und nun wurde der Plural entsiirechend etwa
huta zu Inite hütete aufgefasst und dazu ein Singular brüte ge-
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bildet. Die scliwaclie Flexion ist auch in das Präsens gedrungen:
2. 3. pcrs. brutst brut; dagegen bleibt das alte Partizip gebröta.
Im Präteritum mögen eine Zeit lang starke und schwache Form
(brät und brüte) nebeneinander bestanden haben, und dies kann
die Veranlassung dazu gegeben haben, dass auch andere starke
Verben mit ä-Präteritum schwache Flexion annahmen, vgl. fulde
zu fola (oben unter 1), rute zu röta raten.
4. Um das ä- Präteritum bei dem Verbum laufen zu erklären,
müssen wir ausgehen von der alten Partizipialform geloffen (Paul.
Wild. Grammatik !; 164 Anm. 3; Pauls Grundriss I S. 737). Diese
lautet schlesisch gelufa gölutn und fällt so mit der gekürzten
Form des Partizips von slötä zusammen; daher bildet man ge-
slufa : slQf = gelufa : Ifif. Gebirgs.schlesisch gilt laulä lefst,
lif lifa, gelufa; lausitzisch-schlesLsch lofp h'fst, lif; glätzisch läfa
lefst, lif lifa, gelufa; glogauisch lofij, gelöfp ; grünbergi.sch laufn,
läf, gelauwm.
An laufen schlie.sst sich haueti an, vgl lefst (glätz. lefst) : läf
= hepst (glätz. hepst) : häp. Gebirgsschle.sisch erscheint haun
hepst häpt, hüp häba, gehaun; lausitzisch-, schlesisch haun haust,
haute (wohl analog saun , saute); glätzisch häu (und haun vgl. S. M.
§ 39) hepst, hip hiva; glogauisch hön; grünbergisch haun, hüp.
Die von Weinhold (a a.O. S.124) angeführte Form küf zu kaufen
lie.sse sich im .\nschluss an laufen und hauen ohne weiteres verstehen.
5. Hier führe ich auch das Verbum lassen an. obwohl mir
Präteritalformeu mit ü u (Weinhold a. a. 0. S. 59) in der lebenden
Wundart nicht begegnet sind. Es ist wichtig, gerade hier die
Wöglichkeiten einer Entwicklung etwaiger ü-Formen erst auf
.schlesi.schein Boden darzutun, da man eben bei diesem Verbum
am ersten an die Erhaltung einer alten germanischen ö-Form
(gotisch lailöt, schwedisch löt) denken konnte.
In der P'lexion wechseln kontrahierte und unkontrahierte
Formen: gebirgsschlesisch er.scheint: 1. pers. sing, lös lus lö,
2. 3. pers. lest, 1. 3. pers. i)lur. lön, 2. jdur. lust lut, Imperativ
2. sing, lös lus lö, jmaet. lis lisa Konj. lise, part. gelön lön;
lausitzisch-.schlesisch : praes. lus lest lusn, praet. lis, part. gfdusn;
glätzisch: praes. lus list lit lön, praet. lis lisa, part. gelön; die
Diphthongieruugsmundarten stimmen im allgemeinen zum Lau-
•sitzischen. Der Ursprung ilieser mannigfachen Formen i.st fol-
gender: mild. 1. pers. län wird zu lö, mhd. läze zu lös, mhd.
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2. pers. liest zu lest, inlul. ü. pers. laut zu gliitz. lit (S. il. 25
Anm. 1), mild. 2. ])lur. läzet > lust, lät zu lut, 3. jilur. laut zu
lön, und mm tritt nuch verseil iedeneii Kielituugen hin Formen-
ausgleicli ein. Die Möglichkeiten, auf analogischem Wege zu
einsm n-Prilterituin zu gelangen, sind nun folgende: lö attrahiert
slö schlage. Vgl. slö : slucji = Io : Ins; lös attrahiert Alöf hlös,
vgl. Slöf : sliif = lös : liis; part. gelusa attrahiert geslufa gfdufa,
vgl. geslufa : sliif = gfdu.sa : liis; lest attrahiert west feist nsw.,
vgl. feist : fiil = lest : lüs.
6. slossen erscheint in folgenden Formen : gehirgsschlesisch
stiisa, praes. stiis stist stist, praet. stis und stüs stüsa, jiart. ge-
stiisa; lausitzisch-schlesisch Ätusii, Stis, gestiisu; gliitzisch Stii.sa
(stist), stüs stüsa. gestüsa; gloganisch stausn. stüs, k.stausp; grün-
bergisch stöfn, gestösn.
Man darf wohl neben dem langvokalischen Partizip gestüsa
ein solches mit gekürztem Vokal an.setzen (S. M. g 103 lil); dann
gilt die Proportion geSlufa gelufa : slüf lüf -- gestüsa : stüs. An-
dererseits kann auch Beeinflu.ssung von seiten der II. Ablautsreihe
vorliegen, die ja ihrer.seits ü-Priiterita nach dem Muster redupli-
zierender Verben besitzt (oben II, 3). Dann gilt das Verhältnis
gist giesst slist : güs Slüs = stist : stüs.
Zum Schluss muss ich noch bemerken, da.ss meine Behandlung
des starken Verbums im Schlesi.schen selbstverständlich nicht den
Anspruch auf absolute Vollständigkeit erhebt. Es mag noch
mancher interessante Fund zu machen sein an Orten, wo ich nicht
ge.sainmelt habe. Tm ganzen aber glaube ich in den Hauptzügen
die historische Entwicklung und auch wichtige Beobachtungen
über die geographische Verbreitung im einzelnen gegeben zu haben.
Manche .scheinbare Lücken in der Darstellung finden in den tat-
sächlichen Verhältni.s.sen ihre Erklärung. Jeder, der sich einmal
für mundartliche Forschung auf schlesischem (iebiete interessiert
hat, wird wissen, wie scliwierig es z. B. ist, die Formen der
starken Präterita überhaupt zu erfahren. Denn die.se werden Ja,
aussei' in ganz bestimmten syntaktischen Oefügen, fast immer
umschrieben. Und .so können sie aus dem Sprach.schatz mancher
Individuen und Sprachgeno.ssensohaften leicht überhaupt schwinden;
oder es treten au ihre Stelle .schriftsprachliche Formen.
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Der Wortschatz der Mundart von Dnhrancke.
Von I>r, Waldemar lioessgen t-
Im Jalire 1902 ist als zweites , Beiheft“ zu den ^Mitteilungren“
eine wertvolle Arbeit von I)r. Waldemar Goessgen erschienen:
„Die Mundart von Dnhrancke“ (Kreis Spremberpf). Nur der erste,
prammatisclie Teil ist dort gegeben; den Druck des zweiten Teils,
der den Wortschatz umfasst, sollte der Verfasser nicht erleben.
Im Jahre 1906 ist der verdiente junge Geleinte nach schwerer
Krankheit gestorben. Ich gebe die Arbeit hier wieder, nachdem
ich verschiedenes Bekannte und Entbehrliche gestrichen und Weniges
hinzugesetzt habe; sie will nicht den gesamten Wortschatz, sondern
hauptsächlich die für die Mundart charaktcristi.schen Worte .sammeln
und legt ausserdem Gewicht auf Mitteilung von Sitte und Braucli. Ss.
Den Gegenstand der Untersuchung bildet die Mundart der
Bauern, nicht die der Industriebevölkerung, sofern sie erst kürzere
Zeit ansä.ssig ist. Es kommt darauf an, die alte Bauernmundart
möglichst rein zu erkennen, um später die h>gebuisse für die Be-
siedelung-sgeschichte der Lausitz nutzbar machen zu können. Vor
etwa 100 Jahren war die Bevölkerung noch ziemlich wendisch,
doch durchsetzt mit deutsclien Elementen. Die Germanisierung
ging namentlich in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts
schnell vor sich. Gegenwärtig sind Dubraucke, Tschernitz, Wolfs-
hain, Friedrichshain durchaus deutsche Dörfer. Die Wenden
lernten in Kirche und Schule die deutsche Schriftsprache, ausser-
dem aber waren sie den Einflü.ssen der Mundart oder der Mund-
arten der Deutschen ausge.setzt, die, früher oder später eingewandert,
ihre Nachbarn wurden. Woher sind jene Einwanderer gekommen V
Zur derein.stigen Lösung die.ser wichtigen Frage mag dieser
zweite Teil der Darstellung der Mundart von Dubraucke, der den
Wortschatz behandelt und auch in anderer Hinsicht den gramma-
tischen Teil ergänzt, hoffentlich einmal beitragen.
Die Schreibung i.st phonetisch und entspricht der in den „Mit-
teilungen“ vorgeschlagenen fast völlig (vgl. Siebs, Th., Wie .sollen
wir die schlesischen Mundarten schreiben? .Mitt. d. schles. Ge.sellsch.
f. Volkskunde XVI 1 .ö4ff.). Die Werte der einzelnen Zeichen sind
folgende ;
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a = kurzes, bülineiuleutsclies a, wie in alt.
ä = laiifjes a, wie in bühnend. Viüer.
e = kurzes offenes e, wie in Belt, hält.
e = langes offenes ä, ähnlich wie in Träne,
k = langes geschlossenes e, wie in See, weh.
e = kurzes geschlossenes e (koninit nur ini Diphthong a<* vor =
bühnend, ei in Wein, Mai).
a = gemurmeltes (schwaches) e, wie in Gabe, lobe.
i = kurzes offenes i, wie in Kind, tvissen.
i = langes geschlossenes i, wie in ihm lieb.
0 = kurzes offenes o. wie in doch, Bock.
ö = langes geschlossenes o, wie in Kohl, ohne
0 = kurzes geschlossenes o (kommt nur im Diphthong ao vor =
bühnend, au in Haus).
u = kurzes offenes u, wie in Hund, Kurt.
ü - langes geschlossenes u, wie in Huhn.
ae = Diphthong, wie in bühnend. Wein, Mai.
ao — Diphthong, wie in bühnend. Haus, auch.
r gewöhnlich Zäpfchen-r; Zungen-r (alveolar) ist seltener,
r silbebildendes, stark reduziertes r mit a- Färbung, z. R. Icrf
(Lehrer) klingt fast wie lera
1. m, n entsprechen den bülmendeutschen Lauten,
n ist velarer Nasal, wie in bühnend, lau = lang, dank» = danke.
1, m, n, n werden auch sill)ebildend gebraucht, z. H. efl Esel;
nur im Notfälle wird das durch {■ 1 n n usw. bezeichnet,
f ist stimmloser, w stimmhafter labiodentaler Reibelaut, wie in
bühnend, falle, Wall.
V ist stimmhafter,, bilabialer Reibelaut, z. B. kvark = Quark.
s ist stimmlos, wie in bühnend, es.sen.
f ist stimmhaft wie in bühnend, fage, E/el.
s ist stimmlos, wie bühnend, scli iti schön,
fj ist stiminliaft, wie bülinend. g in Courage, j in Journal.
(dl ist stimmlos, wie in bühnend, ich, tji wie in ach.
j ist stimmhaft, wie in bühnend, ja, jung.
h i.st Hauchlaut, wie in bülinend. hall.
Die Werte sind in der Regel nach den .^nfang.slanten geordnet; nur bei
unbetonten Vorsilben nach dem Stammanlaut.
Worte, die in der Mundart nngebrituchlich sind, werden in f] ein-
geschlosseu.
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Es sind auch einige rein wendisclie Worte aiigeflllirt , weil sie mitten in
der deutschen Itede wie deutsche Worte verwendet werden.
Worte mit vokalischem Anlaut kommen auch mit vorgeschlagcnem h vor,
andererseits unterbleibt in den mit h anlautenden der Hauchlaut oft.
a.
iin-ga-ficjit.i. n. Uezcieliiiung einer Krankheit = nihd, un-
jresülite, st. n. z. B. \vi liat'ta in da kirtjia wör, dö hö-it^ das
sinfr.ifiehta frakriejit: do \v6r inj- lö Slim! — angofitjita is, wen en
das esp nich sniekn tnt. Man brinjjt im Volke die Krankheit mit
.ansehen“ zusammen; mirs fon di gasen bedeutet: die Gegenwart
dieser Person, dieser Frau, hat in mir das „angafitdita“ hervor-
gerut'en.
äos-forn. st. V. Au.s.sehläge, Ge.schwüre, namentlich im Ge-
sicht. beküinmen; äo.sgaförn fafn.
äos-hfsij. st. V. Jem. Schimpfnamen geben. DWb. — .
äos-wirkp. sw. v. Den Brotteig zu Broten formen,
äos-äita. f. Die Ausschütte. Beim Grassiclieln binden sich
die Frauen häutig das Grastncli um und tun das gesichelte Gras
hinein; wird ihnen die Last unbequem, so .schütten sie den Inhalt
aus; das ist jed(‘srnal eine fl.Ausschütte“. DWb. l 962 kennt ^Aus-
.sehütte* nur als „Tisehabfälle'*.
äp-rafp. sw. v. abraffen, das zum Beladen eines Wagens
mit der Gabel heraufgereichte Heu oder Stroh abnehmen.
april-oksa. m. P'iner, den man „in den April geschickt
haf*. Man führt einen Men.schen an und klärt ihn dann auf, mit
den Worten: haeto i.sd)’ ersta april (erst april), sikt mj'’n oksn,
wü man in (=- hin) wil! Ebenso .schickt man in den Mai: häffis
d)' er.sta mae, sikt nij- n oksn nins hae (Heu)!
äp-r(in. ,sw. v. ausruhen, rasten. DWb.
(h)arfl. f. Armvoll; weiblich nacli Analogie von hampft|. f.
DWb. 1 563.
h.
bäba. f. Napfkuchen; wend. u. poln. baba,
biik - stel(t)so. f. Bach.stelze. wen die bäk.^tel(t)sa kumt,
breut fo na huka gras ufn svan(t)sa (d. h. wenn .sicli die Bach-
stelzen zeigen, kann man anfangen Gras zu sicheln).
bi'ikütäka. f. pl. bakubskg. Backob.st. Der Stamm von backen
mit dem wend. Deminutiv -uska; vgl. wend. mama : mamnäka.
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bertsaoka. f. Blasinstrument, aus der Rinde junper Weiilen-
zweige gefertigt. Die vom Holze abgezogene Rinde, etwa 4 cm
lang, wird an dem einen Ende von der Epidermis befreit, beim
Ilineinbla.sen liiast sich ein schnarrender Ton hören. Da.sselbe wie
b’aite in Leipzig. Wb. S. 111. — Vgl. Haupt-Schmaler II 225
(barcawa aus Weidenrinde oder dem Stengel von Kürbisbliitterh).
Pfuhl: barcawa u. börcawa = Rrummpfeife. Vgl. S. 67.
birb]. m. Kot gewisser Tiere, z. B. söf-, ferdo-. DWb. — .
birda. f. Bürde = ein Grastuch voll Gras, Heidekraut,
Heu oder dgl.; eine birda ist grös,ser als eine huka.
blubern. sw. v. brodeln, gurgeln (vom Wasser),
bok, buk, in mae buk, mui buk (= mein Gott). Scherz-
hafter Ausruf, in spottendem Sinne bewusst wendisch gebraucht,
vgl. wend. boh = Gott, ln .Muskau kommt häutiger vor: wes dr
buksa! weiss Gott! (Beteuerung),
boml. f. Troddel.
braska. Waldgegend zwischen Dubraucke und Jerischke.
breml, briml. m. männliches Schaf (auch - Stier?), vgl.
ahd. breman, mhd. auch brimmen (.st. v.) neben dem sw. v. brummen,
also = Brummer. — Vgl. Zeitschr. f. d. Phil. XX 8. 242 bremmel
= Zuchtoch.se; brummer. DWb. II 426; vgl. Leipz. Wb. S. 64
brömmeln = murren, keifen; Iterativ zu brummen. = Halle; S. 84
brummochse = Zuchtstier.
bretu. sw. v. fertig bringen; z. B. das bret icdi niCdi. —
der bekf der bret er§t ken örntlicjias bröt nic^i. — Bei breiten
(DWb. II 356) .steht diese Bedeutung nicht. = Leij)z. Wb. S. 63.
breten, ermöglichen, zustandebringen = Laus. Schles. Erzg.
brin. sw. v. brühen. 1. = sich hei.ss anfühlen, intrans.
2. trans. — DWb. 11 424 f.
brinkjn. sw. v. leicht in brink} zerfallen; auch die.ses Zer-
fallen veranla.ssen, briukl fallen la.ssen (brinkla doiji nicji fö!) Vgl.
DWb. II 431 (lu'unke, brünkcl, brünkeln).
bubak. m. ge.spensti.sches, böses Wesen; wie der .schwarze
Mann“ Schreckmittel für Kinder; böhm. bubak.
d.
dölan. m. Waldgegend bei Zschorno ; baumfreie gras-
bewachsene Stelle.
dräosamän. m. Brautdiener, zugleich der Festordner.
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(IriioSko. f. Urautjnngf'cr. dransaman und draosko liildeii
das Paar liiiiter dem Brautpaar; — wend. dru^ka = Genossin,
Gespielin; gew. Züchtjungfer, Brautjungfer: Pfulil S. 167.
dreliiik. m. kleiner Kreisel, Kinderspielzeug; kleine, runde
Scheibe oder Knopf mit durchgestecktem Hölzchen.
dremln. sw. v. vollpacken, einen Raum unter .Anwendung
von Kraft vollständig oder iilier- füllen; z. B. dr hanfu (Seitenraum
der Scheune) is gans ful godremlt mit ätrö. l)\Vb. II 1400:
dremeln (schlagen, stossen, schieben). — Weinhold, schles. Wb. 16:
gedremelt „gedrückt voll“.
drimafii. sw. v. (auch dremaen wurde gehört). Sich im
Halbschlummer befinden, nicken; z. B. iGi kundo nicji äcnslofn, itji
hö blüs fö gadrimaet; wend. dremac — schlummern.
drogonSo wifa. [ba<! da] Flurname, Ilrogon Familienname?
düban (in dulian). Flurn.; wend. duban-Eichen = (Feld,
Wald od. dgl.j; dub (Eiche) steckt auch im Namen nubraucke
(dubrauka ^ EiehenwiUdehen).
dumpaen. sw. v. dumpf aufschlagen. mit dem Kopfe gegen
die Decke oder an einen Balken stos.seu; wenn Kinder im Scherz
die Stirnen gegeneinander .stossen; das Stos.sen des Kalbes gegen
das Euter. Vgl. dumiieln (werfen, sto.ssen) DWb. II lf)22 und wend.
dump (.Schlag), dnmjiac (puffen) Pfuhl 171.
dundai', m. Donner. Auch in Ausrufen und Flüchen, deren
zweiter Bestandteil bisweilen eupliemi.stisch unverständlich ist;
dundj'-högl. dundr-litcjm (oft als Ausruf der Bewunderung), dundj-
fäbl, dundj-fägl, dundp-faksij , dundj’-wetr, dundr-wetstok für
„Donnerwetter!“ vgl. Leipz. Wb. S. 105, dundr-kil. Auch .scheltend
dfi dundp-medl du du!
düna. adj. (nur prädikativ) betrunken; ders ha?fa widp
möl düna.
e.
elda. f. Alter. — DWb, I 267: Alte.
tMiiliuk. m. Heimchen. — DWb IV 2 869: Heimei, n. Demin.
zu Heime (m. und f.), vgl. auch lieimilin, heimlin. — Die Form
hemliuk habe ich nicht gehört.
esarn. sw. v. in fi(4i üpesarn, j--esarn = hastig arbeiten
oder laufen, .so dass man erhitzt und atemlos wird. DWb. I
Beipz. Wb. S. 73.
öcJil-kapS. m. Eichelhäher. Vgl. schles. kapsch ^ Rock-
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tasclie (cai)saj, einkupschen einsacken, cinstecken; Weinliold,
Dialforscli. 80; etwa weil der Vogel Eicheln , einsackt“, frisst?
— Oder ist kap§ von kaps kubisz, kabis (schles. k^bscli = Kopf),
Kohlkopf, im Schles. zu Kopf überhaupt erweitert, abzuleiten?
Vgl. DWb. V 9.
f.
fapo. f. Windma.schine zum Reinigen des Getreides von der
Spreu. Dazu das Verbum: facn. sw. v. Vgl. fegen, sbst. die
fege, DWb. III 1412: Fege (= purgatlo) auch Sieb zur Reinigung
des Getreides, Kornfege. — fegen = „kehren“ kommt nicht vor,
ausser in dem (schriftsprachlichen?') sörstufegf oder sörskufegr
(Schornsteinfeger).
f|--fämt. adj. Umbildung aus infam.
faro. f. Pfarre, nur in der Reden.sart uf da fara gen = in
den Kontimiandenunterricht gehen.
ferfa. f. junge Kuh.
ferts|n, rum-fertsln. sw. v. massig hin- und hergelien.
Leipz. Wb. S. 112; DWb. — .
finfl. m. Füllsel, wurst-finfl. — DWb. I\' 1, 1 S. 520:
Füllsel, n.
fir-kanticji. adj. vierkantig, d. h. derb, gedrungen, vom
Kör])erbau. nd. kantig = munter, stark, dreist; vgl. DWb. V 176.
fitSln. sw. V. unnütze Bewegungen bei der Arbeit machen,
ohne Erfolg geschäftig sein; oft auch: mit einem Mes.ser unnütz
herumfuchteln. — DWb. 111 1693; Weinhold, schles. Wb. 21,
Leipz. Wb. S. 113.
flign, flin. st. v. 1. fliegen, 2. fallen; fallen selbst wird
wenig gebraucht; z. B. das haos is äpngoflögy. — dp Juno flit in
gröbm.
fögJ-fjküfu. Vögel verkaufen; ein Knabenspiel.
Der VogclverkÄiifer ist der fara (Pfarrer), der Käufer der nara (Narr). Es eiit-
apinnt sich dann folgendes (ie.sprHch: giin tak-p-fara (Guten Tag, Herr Pfarrer) —
tak j’-iiara (Guten Tag, Herr Narr) — lidm fa kena fögl tsn ffköfn? — ala
dinda (= die in der . .) weit rum-flinl Die Vilgel sind die Übrigen mitspieleu-
den Knaben. Der nara nennt nun Namen von Vögeln; wird ein Vogelnaine ge-
nannt, den ein Knabe erhalten hat, so „fliegt der aus“, und der nara muss ihn
fangen nsw. Die „Vögel“ erhalten oft abenteuerliche Namen, damit der Käufer
sie nicht sogleich errät ; einige sind im Wortschätze angeführt.
fölcjin. II. Fohlen; auch die braunen P’rüchte der Ro.ss-
kastaiiie.
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fräf n(t)Saft. f. audi ini Sinne von Verwandtscliaft ; z.R.
wir ffen bae uiifa fraf;ntsaft tsu kcnnust. Vjrl. Leipz. Wb. S. 116.
ful, in fp Inl nein. st. v. Jemand dnreliprüpeln; vom Au.s-
klopfen der Kleider hergenominen : diese klopft man aus, wenn sie
staubifr, voll sind.
[füs, fisa] nur als Mass gebriiuelilieb, sonst immer bfn, bf^na.
Vfpl. aber bär-fisiidi, barjis „barfiiss“.
g.
[gelt] Fragepartikel, in Dnbr. ganz ungebräiiclilich. Nach
DWb. IV 1, 2 3058 soll es in der Lausitz noch gelten; jenseits
der schlesischen Grenze schon in Muskau ist das der Falt.
gelt spiln in Redensarten wie: dö tüts gelt spiln, d. h. es
sclieiut, als ob dort ein Schatz (Geld) vergraben ist; (ungefähr =
dO Sechts „da spukt es“).
[gerna. adv.) ln der Redeutung „absichtlich“, wie in Schle-
sien, kommt es nicht vor; dafür: mit gfidn wiln; z. 15. der hatn
mit güdn wiln gastösQ.
glentsarn (glensarn). sw. v. unruhig glänzen, funkeln,
graopjn. sw. v. hageln (von kleineren Hagelstücken; sonst
slösp). Auch die umgelautete Form graepln kommt vereinzelt
vor. — Im 15. Jh. ist die Zusammensetzung isgrüpe (Hagelkorn)
bezeugt (Kluge: Etym. Wb.), Weinhold, schles. Wb. 29“.
grill Jn. sw.v. wimmeln; namentlich von vielen kleineren Tieren,
z. B. das gribjt alas fon Omefi;; vgl. Weinhold, Dialforsch. 36:
krebeln, kribeln; DWb. V 2202.
grif. m. Federhalter.
griwa. f. Stückchen gebratener Speck. Auch halbverheilte
wunde Stellen an den Lippen bezeichnet inan mit griwn; wer sie
hat, von dem sagt, man; er hat giiwp genascht; — Leipz. Wb.
unter Gäke S. 118 126.
groba-laeta. pl. Leichenzug; alle einem Begräbnis bei-
wohnenden.
grömäda. f. Gemcinderat; Gemeindeversammlung (beim
Schulzen); wend. hroinada = V^er.sammlung der Ortsleute; vgl. kökula.
grös-fotp spiln. Gro.ssvater spielen (Kinder.spiel).
Kine Rute winl in den Rasen ge.stcckt, d. i. der Grossvatcr; in gleicher
Entfernung davon werden soviele aus )5weigen gesohnitlene Pflocke in die Erde
gesteckt, als Mitspieler vorhanden sind. Die Mitspieler werfen nun nach der
Reihe ein Messer in den Rasen; der Pflock dessen, der geworfen hat, darf so-
Mtiteituueeo il. scbics. Oes. f. Vkde. HcO \\. t
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weit vorrücken, als die Klinge in die Erde gedrungen ist. Wer den Grossvater
zuerst erreicht hat, ist der erste Gewinner; wer ihn zuletzt erreicht, hat ver-
loren. — Vgl. Spiele der Wenden, das Pfeilchenwerfen in Haupt-Schmaler,
Volksl. d. W. II S. 224.
gu§a. f. Mund (sclieltend).
h.
häer. adv. heuer; davon haeritJiJ. adj. z. B. dp hacrit^i-se
hobf ^(Hafer).
haeta, meist a^ta. Sdiineichel- und Rufname für die Katze.
Wend. hajta (Katze), Kinderspraehe (Pfuhl).
[halt] md. und ohd. liiiufig, kommt in Dubr. nieht vor,
wohl aber in Muskau.
(haosn, hina. adv.] nicht vorhanden; dafür draosp, drina.
häpa. f. ein schlechtes Messer; auch ein Messer mit kurzer
Klinge. DWb. IV 2 471: Hape. f. ahd. happa, habba, mhd. hepe.
häparn. sw. v. das hapert — es geht schlecht, es fehlt an
etwas: dö häparts an gelda. (Nur unpersöiilicli.) — DWb. IV 2
471: hapern. Weinhold, schles. Wb. 33*.
harka. f. Harke; vgl. Leiiiz. Wb. S. 130; in Mu.skau hört
man auch schon reqjin dafür. DWb. IV 2 478.
[as hat = cs gibt] kommt in Dubr. nicht vor, wohl aber
in Muskau.
he! Interjektion. 1. mit he fordert man nach einer Frage
zur Antwort auf; z. B. was wil.stn liir? he! 2. mit he zeigt mau
Jemand etwas; z. B. ficji aniol! he! DWb. IV 2 714.
hekln. sw. v. liiikeln. Name, eines Kinderspieles.
Eine Rute, deren Zweige — nicht ganz bis au den .Stengel — abgeschnitten
sind, wird in die Erde gc.steckt; um diesen senkrecht stehenden heklbhm setzen
sich die Mitspielendeii herum, von denen jeder ein aus eiuem Zweige geschnittenes
Häkchen besitzt, das an den untersten Zweig des Häkelbaumes gehängt wird,
.leder Spieler wirft nun der Reihe nach ein Messer in die Hübe; zeigt dieses
heim Niederfallcn die mit der Kerbe oder dem Fabrikzeichen versehene Seite,
so darf das Häkchen iles lietrelfenden einen Zweig hilher gehängt werden. So
steigen alle Häkchen den Baum hinauf uiiil wieder herab. Der, dessen Häkchen
zuletzt unten wieder nnkoinint, hat verloren. DWb. I\' 2 180 kennt dies nicht.
lieldj-, heltj-. m. ein zum Pfarracker geliöriger Brunnen.
Vgl. DWb. IV 2 301 (Behältnis für Fi.sche).
hin.), f. Henne. Vgl. Leipz. Wb. 8. 134: liinne, biene.
DWb. hat eine sttiche Form niclit.
liiparlink. kleine Heuschrecke = Hüpfer.
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liorda, fläom-horda. f. Vorriclituiip zum Trocknen und Ab-
backen von 01)St (eine Heihe selimaler Leisten in peringeni Ab-
stande voneinander, durch einen Ralnnen znsainniengebalten). Nach
Kluge (Etj’ni. Wb.): Flecbtwcrk zu Wänden, niUd. borde (nid.), cf.
got. iiaiirds.
buiuko, buinka. Lockruf für Schweine; vgl. hun§.
bumpaoa. f. eine Vorrichtung, die kleinen Kindern ausser-
halb des Hauses, namentlich auf dem Felde, die Wiege ersetzt.
Drei Stäbe werden aneinander gelehnt; an dem Kreuzungspunkte
wird ein Zijifeltuch, in dem das Kind gebettet ist, aufgehängt, ln
wendi.schen Bauernstuben sieht man die bumpaoa auch oft genug
an einem Deckbalken befestigt, und das Kind wird darin in
Schlaf geschaukelt; cf. wend. humpac = schaukeln (Pfuhl S. 1071),
dumpawa = Schaukel (ebd. 105).
hunä, hunäj, hunäko. Lockrufe für Schweine. Im Wen-
dischen jagt oder treibt man die Schweine mit huC, hut- (s. Haupt-
Schmaler 11 S. 215); Einfügung von n ist in der Ma. öfters zu
beobachten. hun.s( (deutsch) und hunsko (wendisch) sind Deminu-
tivbildungen.
hupaz. m. 1. Heuschrecke, von hüpfen. 2. Wiedehopf, von
seinem Rufe: hup, hup! — wend. hupak heisst Wiedehopf, hupac
V. schreien wie der Wiedehopf. Die Heuschrecke dagegen hei.sst
sköck (skok d. S])rung). Also ist hupaz = Heuschrecke eine
wendisch-deutsche Neubildung, unter Anlehnung an hoi)!, hui)pcn;
vgl. schles. Huppepferd (Weinhold, Dialforsch.) 112 — 4.
hüää! Ruf mit dem mau die Hühner verjagt.
J.
jaodp. m. Eiter, der aus einer Wunde abgesondert wird.
Dazu jaodi’n. sw. v. eitern. DWb. — .
k.
kämüskaen. sw. v. Steinchen .spielen. Fangspiel mit fünf
Steinen. — Wend. kamjeü der Stein, dazu Demin. kamjusk
(Steinchen), daran tritt die deutsclie Endung -i'ii, die zu -aen wird.
Von Wenden gebildet, von Deutschen selten mehr gebraucht, da-
für meistens ätemijip äpilu.
kaola. f. Bezeichnung eines rundlichen Körpers, etwa
Knollen; z. B. snf-kaoln an panlöfj hon (d. li. Schnee ist am
Pantoffel fe.stgefroreu und bildet ,kaoln“. — das fert hat ana
4»
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örntlicjia kaolj an beno. In diesem Falle bedeutet k. soviel wie
Geschwür, Beule; dazu Vfrl. DWb. V 349 unter 3., auch N. Lausitz.
Magazin 30 S. 242. — di kiiuln löu da.s jdr gilt; das faen üb}-
kaoln! = gro.s.se Stücke (vp;!. DWb. a. a. 0. Id.). — Dieselben
Bedeutungen hat das wend. kula. — Das Wort ist nid.
kaopa. f. rundliclie Erhebung, uauientlicli des Erdbodens.
Davon Demin. kaepcjin. ii. kleine Erhebungen auf der Haut,
kleine Ge.schwüre u. dgl. DWIi. V 360. 3.: Ostind.; in Posen be-
zeichnet man so kleine Erdhügel, besonders auf Wiesen, aus der
Xiederlausitz ist es belegt als mit Gras oder Binsen bewachsene
Maulwurfshaufen. So auch in Duhr, (gras- kaopa); vgl. wendisch
kupa = Hügel.
kaopln. sw. v. vgl. Leijiz. Wb. S. 145, DWb. V 361; kleine
(besonders: heimliche) Tauschge, schäfte niaclien, md., uaraeutlich in
Sachsen, Nordböhmen, Sclilesieu, Niederlausitz, Posen; überall in
der Kindersprache.
käorefl, mei.st pl., nentr. (?). nocli nicht an.sgewachsene
junge Frösche. — Ich denke, es ist eine Entstellung von kaularsdi
(DWb. V 347); mit 1 für r ans dem Deminut. kaolerfj; — wend.
Kaularsdi: kuliric, kulowac.
kapä, vgl. edil-ka])s. in.
kastln, sw. v. etwas Festes, besonders Holz, in bc.stimniter
Ordnung aufschichten (uf-ka.stln). Weinhold, Dialforsch. 111.
kestln. sw. v. meist als ])art. praet. gakestlt (— kestlidi
adj.), d. h. karriert, in verschiedenen Hichtnngen gestreift, so dass
V’ierccke (kestl) entstehen.
ketl. n. und wohl auch f. Kleine Kette oder kleiner Schlie.ss-
haken zum Ver.sdilie.ssen von 8tall-, Gartentüren etc. — Nach
DWb. V 63Ö und Leipz. Wb. S. 146 Fein, tsii-ketln. sw. v.
durch ketl und Vorstecker .schliessen.
kikarn. sw. v. verstohlen, unterdrückt lachen. (Weinhold,
.schles. Wb. gickern); vgl. ahd. kichazzen. — DWb. V 660; Leipz.
Wb. S. 146.
kikn. [)1. O.stergeschenk, bestehend aus bemalten Eiern, PfeÜ'cr-
kuchen und Semmeln von lie.sonderer Form des Seelenzo]»fes (kik-feml),
das die Paten den Kindern bis zum 10. oder 12. .lahre geben, (di
kindr gön kikn liOln; nf (oder nocji) kikn gen.) DWb. V 2500:
küchen n. - Küchlein (Sp. 2Ö14), nd. Form küken, doch aueb im
lld. zeigen sich Formen mit k (cf. Sp. 2.516); die Bedeutung ist im
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DWb, iinruer Hülmolieii. In unserfr Ma. wird also die Bezeiclinung
auf die Eier ül)ertras:en. Oder ist vielinelir an einen Zusammen-
liang mit kucke f. (V 2518) zu denken, das in der Bedeutung von
Eierschale vorkoiumt?
kitsa. f. nur in ätör-kits.) = Staarkasten, und wets-kitsa
= Behältnis der Schnitter für den Wetzstein; so auch ini DWb.
unter Xr. 4, und Weinhold. Verbreitunp und Herkunft der DeuLschen
in Schlesien S. 218 (bzw. 62). — Md. (tränk. -thüring.). Vgl. DWb.
V 700; kieze = Korb und älinliche Gefässe. — ln dem Artikel
.Zur schlesischen Art und Mundart“ (Prov. Blätter. X. P. 7 (1868)
Seite 408) Lst angeführt kotze, auch kütze (Rückenfragkorb), und
es wird dabei auf poln. kosz verwiesen.
klapota. f. Wa.ssertrage (nur noch alten Leuten bekannt).
Klßn-Dübrapka. Klein-Dubraucke; das ist der Teil des
Dorfes, in dem die Tagelöhner vom herr.schaftlichen Gute wohnen,
die Leute ohne eigenen Grundbesitz, die man auch „di kleii lafto“
nennt im Gegensatz zu den Bauern mit eignem Grund und Boden.
grös-Diibraoka hört man mir manchmal, wenn der Gegensatz zu
klen. D. ausdrücklicli hervorgehoben werden soll. — Vielleicht
meint hier Gro.ss- das neue deutsche, Klein- das alte slawi.sche Dorf.
kK'na östarn. Der erste Sonntag nach dem Osterfeste.
kK'nutska (auch kleiiutskj-). sehr klein; hauptsächlich in der
Kindersprache, bisw'eilen auch bei Erwachsenen; z. B. 6 je! fö an
klenutskr ep)! — di knuln lön haep nicdi fera, das is alas fön
klenutska t.saek! kleines Zeug).
klimppfupa. f. Mehl.suppe, die eine Menge Mehlklümpclien
enthält. DWb. V' 1202 f. führt an klumper f. = Klümpchen; v^l.
unter 2. nd. klumiiermelk; auch im Md. kommt klumper vor.
kluka. f. Mutterhenne. DWb. V 1258t'.; klukg das
Rufen der Henne.
klunkp. m. .schlechtes, zeris-senes Kleidungsstück. Vgl.
DWb. V 1297: unter b; Leipz. Wb. S. 140.
knaks! Sclialliiachahmung beim Zerbrechen eines festen
Gegenstandes. Auch sub.st.: dö göps uf 6mol an knaks! Davon
koaksp. sw. v., vgl. frequentativ knastarn.
knaoplu. sw. v. abklauben (Fleisch von den Knochen);
ziemlich selten. — DWb. V 1371; md.
knaotäp. sw. v. (tsj’-knäqt.^p) = zerknittern, z. B. Papier
oder steife Wäsche.
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kuipjrn. sw. v. einen Knoten lösen, lif-, fj-kuiporn; z. B.
dp t'ödfl is g-anj fp-kniport, d. li. unauflöslich verwickelt. DWb. V
1523: knüppeln Nr. 3., Leipz. Wb. S. 80.
knula. f. (pl. kuuln) nur in der Bedeutung von Kartoffel (dieses
ist ungebräuchlich). DWb. V 1464 ff. kuiiln- ferigp, Ferien
zur Zeit der Kartoffelernte, Michaelisferien.
knfitäij. sw. V. (verhalten) weinen; vgl. DWb. V 1529 f. 4c.
kökln. sw. V. mit Feuer spielen. — Die md. und nrh. Form
von gaukeln. DWb. V 1566. Weinhold, Dialforsch. S. 95: gökeln,
vgl. Leipz. Wb. S. 124.
kö-kö . . . kö-ddts! Schallnachahinung. Da.s Rufen der
Henne; vgl, wcnd. kokodak!
kökoäcjhfl. n. auch kökotj n. (meist im pl.) Pfifferlinge. —
Vgl. wend. kokos (Henne); wegen der Ähnlichkeit mancher Pfiffer-
linge mit dem Kamm der Henne oder des Hahnes?
kökot. m. Festlichkeit nach der Kartoffel- oder Kornernte,
wobei die Arbeiter vom Bauern oder Gutsherrn bewirtet werden.
Vgl. wend. koket = Habn; es war früher ein wendischer Brauch, dass
zum Beschluss der Ernte der Wirt unter der letzten Schwade einen Hahn ver-
steckte, der dem gehörte, der heim Ziisammenraffen auf ihn traf; jedoch musste
der den flüchtigen Hahn sich erst haschen (Haupt-Schmaler: Volkslieder II üe-
hr&uchc der Wenden S. 221).
kökula. f. Das Gemcindeholz, die Gemeindekeule.
War früher im Dorfe jemand gestorhen, so wurde dies den Bewohnern der
Beihe nach dadurch mitgeteilt, dass vom Schulzen aus au den nächsten Bauer
ein Brett von dreieckiger Form, die Koknla , Uhergehen wurde ; er hatte diese
zugleich mit der Botschaft weiterznschicken, his sie wieder heim Schulzen an-
langte (vgl. Haupt-Schmaler II S. 251). Der Gebrauch ist seit etwa 40 Jahren
abgekoiumen. — In ähnlicher Weise geschieht die Berufung zur Gromada: es
wird ein Zettel, der die Aufforderung mit der .\ngahe der Zeit enthält, auf ein
Brettchen , an dem ein kurzer Stil ist (so dass das Ganze eine sebippenartige
Gestalt hat), befestigt und so von Haus zu Haus getragen. Seit etwa 25 Jahren
herrscht diese Art der Berufung nicht mehr, das Wort ist nur noch alten Leuten
bekannt. (Vgl. auch Andree: Wanderstndien S. 67 ff.)
kolats. m. Bezeichnung einer ziemlich grossen ruiullichen
Masse (mit dem Begriffe des Plumpen, Schweren) auch ein starkes,
gut entwickeltes Kind wird im Spass kolats genannt. Ferner
heisst so das letzte Brot, da.s aus den Teigüberresten im Back-
fass geformt wird; — wend, kolac (rundes Brot).
k61i. m. eine Futterpflanze: Knürich. ufi) köli gC*u = Kolli
pflücken gehen; wend. kolij.
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koräta. f. Rrotriiule. alul. krusta. iJWb. V 247!) f.
köSik. Fluni.; hängt vielleicht mit wend. kuäi abgestutzt,
kusk Stumpf, zusammen; Benennung nach abgestutzten Räumen?
kräeda-wiics! Ausruf des Er.staunens. Wend. Kreide =
kryda, als halb unwilliger Ausruf kommt vor kryda wida! =
Kreide Weide! — Vielleicht handelt es sich im obigen Ausruf
auch um eine euphemistische Umdeutmig des Namens Christi =
Christus weiss es, als Beteuerung?
kräts-bera. f. Brombeere. DWb. V 2071.
k re 1 a. f. ein in einen harten Gegenstand eingekratzter Riss.
— Leipz. Wb. S. Iö4. — Weinhold, Dialforscli, 111. — DWb. V
1081 f.: krall, krall, m. kralle unter 11); dazu kreln. sw. v.
Risse machen, kratzen
kreplrn. sw. v. sterben, von Tieren. DWb. V 2160.
kribaftsa. f. horizontales Brett, auf dem man beim Spinnen
sitzt, und an dem der Stab befestigt ist, um den der Flachs ge-
wunden wird.
krim. sw. v. 1. intrans. das krimt, d. h. man empfindet ein
Kitzeln. 2. trans. dj- bunt krimt (1^, der Hund kratzt sich.
kn'marä- laeta! Ausruf des Staunens, der Verwunderung.
Vielleicht euphemistische Umbildung von „Christenleute“!
kripl. ra. verkrüppelter Baum, selten auch von einem
.schlecht aussehenden Menschen gebraucht. Vgl. DWb. V 2473.
Dazu kriplith. adj. verkrüpiielt, krüppelhaft. Auch vorzug.s-
weise mit Bezug auf Pfianzen gebraucht. DWb. V 2303: krieplicht.
krür|. Der Stab, an dem der Rocken festgebundeu ist. Pfuhl
8. 204: krümele = Wockenstock, Oberwockenstock.
kukuk. m. Sprichwort (T.schernitz) : dp kükuk kirnt, wenj’
kan höb|- fresn; d. h. wenn der Kuckuck sich zeigt, muss der
Hafer schon eine gewisse Höhe erreicht haben.
kiilaoka. f. (Kuidersprache); rundlicher Gegenstand zum
Spielen, Kugel. — Dentin, zu kula (wend.) = Kugel, verwandt mit
kularn. sw. v. kollern, rollen.
külr-riba. f. Kohlrübe, cf. wend. kulrjepu: Haupt-Schmaler
11 213, nach Pfuhl S. 298: Kohlrübe = kulawa = kulawa repa
= kulirepa. Umbildungen a. d. Ital. s. DWb. V 1506 unter Kohlrabi.
küret), n. meist im pl. Pfifferling; auch kureSk^. pl. kommt
vor; vgl. Haupt-Schmaler 11 213; wend. kurjatka, kurjatko in der-
selben Bedeutung, von kura (Heime), für kokos (vgl. kokosqji^).
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kvatsa. f. Ohrfeige (scliallnadialimenil).
kvetäka. f. Zwetsclie; (vgl. auch DWb. VII 2360: (luetsche.
quctschke). Nur für gro.sse, runde Pflaumen gehrauclit.
kvirlo. f. der Quirl; ahd. dwiril > inhd. twlrel, beides
inasc. — DWb. VII 2376 f.: Quirl, m.
1.
läeii-ele; in da 1. gen, in die StanipfmUhle gehn, um dort
Leinöl schlagen zu lassen. Auftallig ist die Pemininbildung. Sonst
liei.sst die Stampfmühle stampa. Die Reden.sart ,iu da läenfda gen“ ist
wohl kontaminiert aus in da stampa (mila) gen und nocji läftiöla gf-n.
ledp-kupsl machn nennt man das Wiegen der Knaben auf
dünner Eisdecke, indem sie sich die Hände reichen und so auf
dem Eise gemeinsam in kleinen Schritten vorwärts- und dann
wieder zurückhüpfen, bis das Wasser durch das müi’be gewordene
Eis dringt, kupsa) i.st (nach v. Unwerth) im Schics. = Kopfseil,
d. h. das Tragband beim Ziehen der Karrt“. So auch bezeichnet
man das Fahren mit einem Schlittschuh als „heksj snafdjri“, nach
der Ähnlichkeit der Bewegungen.
ledunk. f. baumlose Stelle im Walde, die mit Heidekraut
bewachsen ist. DWb. — . Von dem.selben Stamme kommt in Dubr.
noch vor adj. leditji = 1. unverheiratet und 2. frei von Gepäck, leer.
leloa (lelüa). f. Die gelbe Seerose, auch die weisse Teich-
rose. — Wend. die Lilie = lilija, auch leluja (Haui>t-Schmaler II 305).
lern. sw. v. 1. lernen, 2. = lehren.
lum, än-lum. sw. v. ein Kinderspiel (nur von Knaben ge.sjiielt).
Stücke von alten Messerklingen werden an eine Wand geworfen, und aus ihrer
Lage nach dem Niederfallen ergibt sich, wer gewonnen hat. Die Sjüelprcisc
sind Knöpfe, namentlich blanke Messingknöpfc. — Kin solches Kliugeustück heisst;
Inma. f. DWb. VI. 1289; vgl. mild, lämel (lat. lamina), Weiubold, scbles.
Wb. 55: luminel, lummer f. = schlechtes Messer.
lunipak. m. Lumpenhändler; als Schimpfwort seltener ge-
braucht, während wend. liimpak = Lump, Lunipenkerl zumeist
als solches, freilich auch als .Lumpenhändler“ vorkommt (Gablcnz).
Vgl. DWb. — .
liiSkii. Name einer Feldgegend bei Dubr.; vgl. wend. lu^k
(kleine Waldpfütze, Moor- oder Grasteich im Kiefernwalde). Jenes
Feld liegt in der Nähe eines solchen Waldteiches, des risonk.
lüfo. f. Pfütze. — Wend. hiÄa. DWb. VI 1314. — Wein-
hold. schles. Wb. .05.
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57
III.
maii(t). iulv. in Aiirt'onUnuigssätzcn aiip'wciulet ; z. B. kuni
man = komm doch (nur)! — fok mant erst nist! DWb. VI 1524.
— Mlul. niwaii. Vgl. 0. Weise, Syntax der Altenburger Mundart
§ 33 munt -nur*, ndd. man.
mapnas lebms! Ausruf der Verwunderung — Herr meines
Lebens I
mae-oksa. m. s. april-oksa.
mac-Stana. f. Maistange.
In der I’lingatnacht wird im Dorfe eine hohe Stange aufgerieditet, die oben
mit Kränzen un<l bunten Tilchcni geschniUrkt ist. Wer am l'fiugsttage von den
jungen liurscheii bi» zur Spitze emporklettcrt. erhält irgend eine Belohnung.
maotska. adj. adv. weicli (namentlich von Obstl. überreif;
z. B. maotsika birn. — di e])J fapn gans maotska gashm (ange-
schlagen); (vgl. im DWb. VI 1781 f.: matike Brei). Vielleicht
hängt es mit dem von Weinhold, schles. Wb. 130 angeführten sw. v.
mauken , dumpf, stockig werden und riechen“ zusammen; vgl.
Mauschke, Mauke usw. Leipz. M b. S. 168.
mart, auch mort. m. Marder,
mekarn. sw. v. bezeichnet das Schreien der Ziege;
vgl. den Ruf mek, inek! l>ieser kommt in einem Spottvers auf die .Schneider vor:
äuacdf, inek-inek! > di »i») ful wantan:
di höfp ful drek, | dr .»uaedp mit» tanUn!
DWb. VI 1837: meckern.
inest 3. f. nur in sul(t)s-mcsta = hölzerner Salzbehälter.
— DWb. VI 2134: md; M'einhold, .schles. MBi. 62.
mika. f. (mika äpiln); ziigespitzer, kleiner Pfahl in Kinder-
.spielen. Weinhold (Verbreitung u. Heck. d. I). i. Schl. S. 208 (52))
führt es unter den \Vorten an, die niederdeutsche Einwirkungen
nachweisen sollen. — DWb. VI 2170.
mina. f. Schmeichel- und Rufname der Katze,
mits, mitsa. f. Name der Katze; vgl. wend. mica und
kec (Haupt-Schmaler II 215). das letztere kommt ganz vereinzelt
vor als kets oder kits. — DW’b. VI 2183: vornehmlich md. Vgl.
lliez, Miez, Leipz. M'b. S. 133, 170.
muka. f. mei.st pl. mukn. Tatiine; eigensinniges, absonder-
liches Wesen. Dazu das sw. v. lif-mukn murrend Widerspruch
erheben, und das adj. miiks (= mukis) = schmollend, verdrie.s.slich.
— DWb. VI 2605, 260» u. 2615. Leipz. MH». S. 172.
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58
mült-wiirf. in. neben inaol- wiirf. — I)\Vb. VI 1811.
Leijiz. Wb. S. 173 vMutliwolf).
initina. f. neben tantj bisweilen inGebrancli. — DWb.VI 2644.
iniitä, inütSo. Scliineiclielname der Knli. di inütso = die
Kuli (Kindcrspraclie).
II.
nÜQäiriijh. adj. neugierig. — DWb. VII 667, vgl. Leipz.
Wb. S. 175. Das Geiiitiv-s erscheint in vielen Mundarten, vgl.
ndl. nieuws gierig.
näkats. m. ein nackter Men.sch (.scherzhaft ). Deut.sch-
wendische Zusammensetzung, vgl. stinkats S. 66.
ncko§ kommt in dem .Vusruf der Bewunderung jeko§ ne
nekos! vor. j(>ko§ hängt mit Jesus zusammen, nf* = bewundern-
des „nein!“. Zur Bildung des nt^koä mag mit beigetragen haben
das wend. ncjko, schön (Kindersprache), woran noch das Ver-
kleinerungssuftix angehängt wurde. Jetzt ziemlich selten, beson-
dere von Kindern und Leuten gebraucht, die au.sser deutsch auch
noch wendisch sprechen.
niks. m. Ni.x. Nach der Vorstellung der Bauern ein fabel-
haftes Wesen, das im Wasser, in Brunnen und Teichen, wohnt
und den Men.schen feindlich gesinnt ist. „gf> nicji an born ran,
dp niks der tsit dp raen“, warnt die .Mutter ihr Kind.
nisl. m. Mund, Nase, auch das ganze Gesicht wird oft .so
bezeichnet. In grober scheltender Kede verwendet. Auch im
Schles. üblich. Vgl. Leipz. Wb. S. 176.
nönda. adj. adv. nah. comp, nendp, superl. dp nensto, an
nenstp (am nächsten); vgl. ahd. nähunt, mhd. nähent.
notjins. adv. hernach.
nufln. sw. V. undeutlich sprechen; vgl. niischeln Leipz.
Wb. 8. 177 (auch wend.); nüflak m. ein nä.selnd redender Mensch;
vgl. DWb. VII 1009.
0.
üstp-wasp. n. Wasser, das man in der Osternacht, ohne
ein Wort zu sprechen, schöpft, und dem besondere Heilkraft zu-
ge.schrieben wird.
!>•
pakäfa. f. (auch pokäfo); eine Menge unordentlich zu-
sammenliegender Sachen ohne Wert; frz. bagage.
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69
paky, fiqli. sw. v. sich iiackcn = riiipren. — DWb. \'II
1400 tt', unter 4); derb anfas.sen ; die Bcdeutnnp: „rinpen“ ist niclit
aiifregeben; auch: ficji l'urt-i)akn „sicli weg.schercn“.
päpruSk. m ? Farnkraut; wend. paprös, papru.s.
pekcjnj. n. Pfefferkuchen, der in buntes, mit Bildern und
Sprüchlein geziertes Pai)ier eingeschlos.sen ist. Beliebtes Jahr-
inarktsgeschenk für Kinder. — DWb. Vll 1400 führt diese spe-
zielle Bedeutung nicht an.
petarn. sw. v. mit den Fingernägeln etwas abkratzen;
z. B. do petra docji nith fngäl an griiida; do kans fraelich nich
heia wery. — Vgl. DWb. — .
petsgj-. mei.st plur.; genus? Kürbiskerne. Aus anderen
Gegenden mir nicht bekannt.
])iats-liis. m. Teich bei Wolf.shain. — Vgl. pijanca (Pfuhl
4.ä2l = Blutegel (in jenem Teiche sollen Blutegel sein) ; luia,
tu2k (Lache).
pila! Lockruf für Gänse; als subst. fern. gen. in der Kinder-
sprache üblich. — DWb. — . Pfuhl 4.63: pila, iiila! Lockruf
für die Enten.
pimpjn. sw. v. weinen, vgl. Leipz. Wb. S. 89.
pinka-j)äuka. In Dnbr. nur als Jenes bekannte Kinderspiel
bezeugt (vgl. DWb. VII 1800: „pinkepank, in welcher hand?“);
vgl. Leipz. Wb. S. 182. ln Leipzig .soll die Frage lauten: pink-
der-bank, wo steht der Schrank, oben oder unten? — In Dubr.
tritt der Leiter des Spieles vor seine Gespielen, hält die ge-
schlossenen Hände abwech.selnd über- und untereinander, während
er .sjjricht: pinka-panka, wü st^t dj- srank, öbip ödr untn?
pinky. sw. v. sich die .Augen zuhalteu, sicli weg (in eine
Ecke) wenden (der beim Versteckcnspielcn suchen muss, muss also
so lange „pinkii“, bis alle versteckt sind). — DWb. VTI 1860
fehlt diese Bedeutung.
pirtsl. n. Stückchen, Endchen. — DWb. VII 2278 jiürzel
ni. und II 554 bürzel, Schwanz, namentlich der kurze Schwanz
der Hirsche und des Schwarzwildes.
piSparn. sw. v. lei.se reden, flüstern. — DWb. VII 1868.
Weinhold, schles. Wb. 70; Leipz. Wb. S. 89.
pitf. m. Peter. Bezeichnung des Katers. Das Eintreten
des i ist auch schlesisch.
pitsy. sw. V. an den Brüsten (bzw. am Euter) saugen (von
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Kimlcrn und juiifji-n HaiistieiTn). Vffl. pitsn jd. fein. Brüste. —
Vgl. weiid. pic trinken und das iin Deutschen bisweilen gebrauchte
pitsn trinken. — Vgl. DWb. VII 1872; pitschen, kneipen, zechen;
Leipz. Wl). Biez S. 89.
plandorn. sw. v. Wasser in kleinen Mengen vergiessen;
ff- verspritzen. — Vgl. DWb. — .
|)län-lük. in. Wald- und Wiesengegend bei Dubr. (zmn
Teil sumpfig); vgl. wcnd. hika Wiese; plan (auch plon) vielleicht
= wend. ])lono otl'nes Feld, plony eben, unfruchtbar (die letzten
beiden Bedeutungen würden passen i.
I»laii(t)§!-n. sw. v. heftige Bewegungen ini Was.ser aus-
führen, das Wa.sser in heftige Bewegung versetzen; so auch
DWb. VII 189.'); vgl. Leipz. Wb. S. 183.
plats. in. Kuchen aus Brotteig. — DWb. VH 1916. Wein-
hold, schles. Wb. 71. Leipz. Wb. S. 188.
pletsicji. adj. jdattgedrückt; z. B. an plet.sig|- stf*n, ein
[ilattgeforinter Stein. — DWb. Vll 1903. Weinhold, schles. Wl). 71.
plino. f. umgepHügtes Stück Land; plin v. ]itlügen.
plints, plins, in. beliebtes (iebiiek (hewn-pliiits.i, llefenpl.,
kniiln-plint.so, Kartotfelpl.1. Slav. Wort. Leipz. Wb. S. 183.
plono. f. starke Leinwanddecke zuin I'berspannen der
Wagen; inhd. plahe, blähe, sw. f. Lexer I 294. — DWb. VH
1887. W'einhold. schles. Wb. 70. — plön-wögu. in. ein mit
einer Plane bedeckter Wagen, vgl. Leipz. Wb. S. 183.
plunSkn, meist plur., sonst plunske. f. saure .\pfel von
einem unveredelten Baume. Ist wohl nicht mit Plttnsche (DWb.
VH 1949, vgl. Weinhold, schles. Wb. 8. 72) zusammenzustellen,
sondern abzuleiten von wend. plonych, tleniin. phutuSk, Holzapfel-
(baum); auch in uiuscrer Ma. bezeichnet man bisweilen BUiiine
mit .sauren Äpfeln durch plun§kn.
pörclin. n. an pörcjiu = einige, wenige,
jirel. m. etwa = Trab, Galojip; gewöhnlich in Verbindung
mit matjin : an prel macjin = ein Stück schnell laufen.
püdjn. sw. V. schwimmen, ohne mit den Armen die be-
kannten Schwimnibewegungen nach den Seiten auszuführen. Wohl
kaum von , Pudel* alizuleitcn; vgl. ndd. puddeln, i)addeln.
puio. f. Wiege, puin. .sw. v. wiegen. — DWb. II 229:
Boie f. -- Boje und auch — Wiege, vgl. mhd. boie, beie; inlat.
boia (Diieange I 713). Weinhold (Verbreitung u. Herkunft der
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Deutsrhen in Srlil. S. 215 (5!))) führt es (Boiei unter ilen Worten
an, die den frank i.selien und tliüringisclien Be.stnnd iin Beides, be-
wei.sen sollen. Leipz. Wb. S. 91.
l)üra?n, fitdi. sw. v. sich beeilen, sich aufniachen; z. B.
na flink nn! wertp aecji nich baldo pura^-n? — DWb. VII 2277
piirren, II 545 burren. Weinludd, schles. Wb. 73.
[pnS. in.] in dem allgemeinen Sinne von Wald (wie im
Schles.) kommt es nicht vor, dafür heda. Doch ein BirkenwiUdchen
bei I)ubr„ das jetzt nicht mehr existiert, hie.ss birkn-pus; Ids-
weilen ist pus = dicht verwach.senes (Jehölz.
r.
rankarn. sw. v. (rum-, acn-rankarn) sich schnell und mut-
willig hin und her bewegen, so dass dadurch Schaden verursacht
wird. — DWb. VIll 107; Leipz. Wb. S. 190.
rats! Schallnachahmung des ZeiTeissen.s. — DWb. VIII 189
und 1080; ratsch und ritz, ratz.
[rikn. m.] nicht üblich, dafür immer puk]. m., Leiiiz.Wb.S.95.
rimpl. m. ein Stück Kot. Vgl. rümpfen?
[rink. m.j in der Bedeutung von Marktplatz (mariht) un-
gebräuchlich.
ri])ln, (fich). sw. v. (sich) rühren. Vgl. Weinhold, schles.
Wb. S. 76 (neben rappeln, dieses wird in unserer Ma. nicht in
solchem Sinne gebraucht; wohl aber raplicji = aufgebracht); di
slofn wol nocji? na nfi fanfe an ficji zu rip|n. Vgl. DWb.
Vlll 1032.
n'sänk. m. Waldteich bei Dunraucke; s. luÄkn.
rits! Schallnachahmung des ZerrcLssens ; vgl. DWb. VIII
1050: ritsch.
rofu. m. Rasen, röfpbank. f. Kasenbank. DWb. VIII 130f.
rotsak. m. Schimjifwort.
röts-])e))l. m. Schimpfwort; auch pep] allein kommt vor;
man bezeichnet so einen kleinen, unbedeutenden Menschen. Wohl
einer, der sich noch wie ein Kind in der Na.se „popelt“.
rumiiln. sw. v. dumpf tönen, poltern. Vgl. DWb. VIII 1489.
runa. f. (wögn-runa) das gekrümmte Holz, das, vom Achsen-
ende aufsteigend, dem Stabe als Stütze dient, an dem die Wagen-
bretter lehnen. — DWb. VIll 1520.
rustorn. sw. v. rosten. DWb. \HII 1284: rostern.
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62
r.
fdgrotka. Fluru. (Pl'arrackpr); vfrl. weiid. zahroda, um-
zäuiite Stelle, Garten, Feldg:arteii.
fi'ik-lmpiji. sw. V. Sacklaufen, Spiel der jungen Burschen,
faola. f. Säule; tsi'ipm-faola, Zaunsäule, faola smacsn, ein
Knabenspiel.
fiioj‘-lun(t)äa, fanr-lun(t)§ka. f. Bezeichnung des Sauer-
ampfers, oder auch hloss seiner sauren Blätter. Der 2. Bestand-
teil von Sauerani])fer tritt ja vielfach entstellt auf, vgl. DWb.
VIII 1869. Vgl. Sauerluni])e? etwa zusammenhängend mit Ifitsn?
Die Kinder pflegen den sauren Saft aus den Blättern zu „lütsp’“.
Die Einfügung des Na.sals n würde nicht dagegen sprechen, da
sich ähnliche Fälle in der Ma. finden. Leipz. Wb. S. 196.
fdga-tücji. n. Leinwandläi)pchen, durch das die Milch
nach dem Melken filtriert wird.
fdlaefp, felefn. P'lurn., vgl. zclezo, be.sser Äelezo, Eisen.
In unserer Gegend kommt Raseueisenstein vor; also etwa ein
Feld, das reich daran ist oder war? Neben felaefn kommt auch
KKfp vor.
felo. f. die Schwimmblase der Fische. V^gl. unter Seele
im DWb. IX 2922. Leipz. Wb. S. 211.
firop-lekj-. in. Name eines Vogels (beim Spiele, s. fögj-
fjkOfn).
f.
fifinka. Flurname.
s.
sf-si-sis! Lockruf für den Hund (.selten); wend. ce, ce!
(Hauiit-Schmaler 11 S. 215).
sa! Sa! Ruf, um die Hühner wegzujagen; vgl. wend. sö.
sa^'.sn. st. V. dazu safsjn. sw. v. DWb. VllI 2464 u 2468;
ferner :
savsp. m. Schimpfwort (unfähiger, kraftloser Mensch).
DWb. VI II 2468. türm - sa<*.sj- ist ein Name des Sperlings, Jedoch
nur beim fögl-frköfu (s. d.).
salüstp. f. Elster. DWb. Vlll 2058. Weinhold, schles.
Wb. 80. — salüstp sisu = Schalaster schiessen, d. i. ein von
Knaben ausgeführtes Kunststück.
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ft3
Ein Junge legt sich auf ileii Rücken und streckt die Hände über den
Kupf; auf die Hände setzt ein anderer seine Küsse; dann halt der erste die
Beine gebeugt nach oben, der andere lehnt sich mit dem Oberkbrper darüber,
worauf der Liegende seinen Freund mit der vereinten Kraft seiner Arme nnd
seiner Beine nach vorn schnellt.
salkacn. sw. v. scliellern. Das Verbum wurde nur einmal
in Dubr. gehört. Ein Spaten, den ein Knabe hielt, wurde von
einem andern kräftig geschlagen; da rieb sich jener die Hand
und sagte: das hat abp gosälkaet! DWb. IX 2500: schellern;
Schalken, zerhauen, sich Schalken, zerspringen: IX 2076.
siipa?n. sw. V. gehen, indem man viele und kleine Schritte
macht, äap, sap, Schallnachahmung des äapafn. Vgl. Weiidiold,
Dialforsch. 99. DWb. — . wend. sapac schleifend gehen, latschen.
Das Gehen des Schafes ist auch als sapa?n zu bezeichnen; be-
steht etwa gar eine Beziehung zu dessen Namen? vgl. wend. sepa,
Schmeichelwort für Schaf. — Zu sapa?n gehört das Schimpfwort
sapapa. f. weibliche Person mit schleppendem Gange.
äet)!}!. pl.; genus? Abfälle beim Flachsbrechen. Zu vgl. ahd.
scoub, Stroh; nd. schöf, pl. schöve.
äeka. f. gescheckte Kuh, geschecktes Pferd. — DWB. VIII
2382. Weinhold, Dialforsch. 110. Vgl. wend. saka in derselben
Bedeutung.
sei 3. f. Ohrfeige.
äenka. f. das Wirt.shaus. Weder das schles. Kretscham
noch das nd. Krug i.st in Dubr. gebräuchlich. — DWB. VIII
2542 f. 3) ; dazu :
senkr. ni. Gastwirt. DWB. VIII 2555.
s6pa?n. sw. v. den Flachs klopfen, damit er weicher wird.
DWB. — . Vgl. sebiii.
serik-täeqji. m. Teich bei Dubr.; vgl. DWb. VIII 2594;
wohl zusammenzustellen mit scherung (schering) „das Scheren“
(mild, scherunge, innd. scheringe, nnd. .scherung und .schering,
auch in der Bedeutung von Weide), zumal in der Nähe des Teiches
ein Schäferei i.st.
ga-äö(;Jie. n. kraot-ga.V-iyia, Pupjie, die auf dem Felde auf-
gestellt wird, um das Wild zu vertreiben. — DWb. IV 1.2. 38.56.
Leipz. Wb. S. 121.
sibakp. Flurname.
sindf-ficjitu. pl. f. eine öde, mit Brombeergesträuch be-
wachsene Gegend bei Dubr.
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64
Sint-liidj-, n. Hrhiinpfwort ; p;ilt aber nicht als besonders
prob. ,i(Ji los nitdi mit mir Sint-lndr Spiln‘-, damit weisen Mädchen
Scherze und Zudrinjrlichkeiten von juiifien Hnrschen zurück. —
DWb. IX 202. Vffl. Leipz. Wb. S. 200.
sip! sipl LockrnI' für Schafe. Im DWb. ebenso; IX 20(>
schip. Wend. sip, sip! Hanpt-Sclimaler II 215.
sirliuk. m. Schierling (Pflanze), sirlink spiln, ein Spiel,
das die Schulknaben gern in der Freiviertelstunde in der Schule
vornehmen.
Das Spiel stellt eine kleine (ierichtsverbamllmi^ dar. Die Rollen werden
auf Zettel geschrieben, die faltet man zusammen und verteilt sie. Die l’crsouen
sind: der Amtmann, der Hauer, der Dieb und der Schirliiig. Jeder öffnet den
Zettel, den er erhalten hat, zeigt ihn aber den andern nicht. Der Bauer erhebt
alsdann eine Anklage: ,hr aiiipiiian, di liomr haeta naedit na feta kn gastöln!'*
Amtmann: ,nutr maena gainaena‘? (der .Amtinauii spricht so hochdeutsch als
niiigliclo. Bauer: .jawül!“ Amtmann: ,wer i» dr dip?“ Der Bauer muss raten.
Trifft er den Dieb, so fragt der Schirling : .was solr krigp?“ Darauf setzt der
Amtmann das Strafmass fest, das gewöhnlich aus Püffen besteht, die mit ver-
schiedenen Schikanen verabfolgt werden (fimwa mit tsnkr, draea mit feff, spis-
riitn usw ). Die Strafe hat der Schirliiig zu vollziehen. Trifft der Kläger beim
Raten nicht den Dieb, so bekommt er seihst die Strafe. Der Schirliiig also ist
ein Polizist, ein Büttel oder dgl.
Wabrscheiulicli ist sirliuk (für *scherling?) eine Deminutivbildung zu
älterem sclierje .Scherge“ (wofern man ca nicht mit schürgen .atosseii, pullen“
in Verbindung bringen und ans ♦schttrgliiig erklären will). Ss.
sirii. .sw. V. qiiiileu. unruhig sein (von Kindern nnd Kranken);
z. L5. das killt das blat,‘pt hacta in f>n sirn (d. h. es ist immerfort
unruhig). — Wahrscheinlich — .scheren DWli. VIII 2575, in der
Bedeutung einen plagen, quälen. .Als Nebenform ist schieren an-
geführt IX 27. Dazu das adj. sirii^i unruhig, quälend. DWb.
IX 28 (in etwas abweichender Bedeutung).
äirp (surp). m. Scherbe, jil. sirbp; sirbp-haofn = Scherben-
haufen. .Ahd. scirbi, scirpi ; ein entsprechendes AVort für das
mhd. scliwache .sclierbe (meist niasc.) fehlt in der Ma. DWI).
VI 11 2561; schirb.
sisöka. f. Teich bei Wolfshain.
siÄka. f. meist im pl. .siskn; auch suskn hört man. Die
Samenbehälter der Kiefer, Kiefernzapfen. — Wend. siska, Zapfen
von Xadelliäumen.
skridla. Flurname.
slindj'ii. sw. v. auf einer Rutschbahn auf dem Eise dahin-
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65
gleiten, DWb. IX 723. — glinrtraoa. f. die Gleifbalin DWb.
IX 723 sdilinder t'. unter schlindeni.
slisn. st. V. (slos, gaälosn) in der Verbindung ledfii Slls^,
die Pederliaare von dem Kiele rupfen. Weinliold, scbles. Wb. 84
hat sclilci.ssen. An „schliessen“ angeglichen, wie im Hessischen,
vgl. DWb. IX 617,
smila. f. geschwollener Streifen, Schwiele, infolge eines
Hiebes mit einer Rute oder Peitsche; vgl. DWb. IX 1077,6 u. 2616,4.
smira. f. Schmiere, z, B. wbgn-smlra; alles, was man aufs
Brot schmieren kann, wie Butter, Fett usw.
smurgjn. sw. v. schlecht schreiben, schmutzig machen; z, B.
dü hasdr ja gans basmurglt.
Snipsl. n. papir-snii)sj, kleines, leichtes, von einem gifisseren
(ianzen abgc.sohnittenes Stückchen; vgl. DWb. IX 1342; dazu:
sni])s|n. sw.v. kleine Stucke ab.schneiden, so da.ss sie abspringen.
Vgl. Leipz. Wb. S. 205.
suito-bank. f. Bank, auf der Bretter oder Stangen fe.st-
geklemmt werden, um sie zureclitzusebneiden, abzuputzen mit dem
snita-mesr. n.
sosa. f. Schiebbrett mit langem Stiel, zum Einschieben der
Brote in den Ofen. DWb. IX 1599 und als iieutr. 1598. Wein-
hold, scliles. Wb. 87.
sjiaracn. sw. v. in etwas wühlen, mit einem Stocke, einer
< Jabel oder dgl. iti etwas herumstochern.
spericji. adj. stachlich, verwachsen, di tsakn (trockne
Zweige) faen fö §peri(^, di hakn fitji nidi gut.
spila. f. Spindel, länglicher Gegen.stand.
spilridi. adj. dünn, zerbrechlich, vgl. Leipz. Wb. S. 214.
spinta. f. di medjs gen tsu spinta, d. h. die Dorfmiidchen
versammeln sich an Winterabenden in einer Bauernstube, um zu
.si)inuen. Mit dieser Sitte wird auch das Wort .selten.
sprao. f. Spreu, mhd., ahd. spriu. Es ist nicht notig, mit
Michel (PBrB. XV S. 41) diese Form auf amd. *sprawi zurück-
zuführen, denn für iu tritt im Md. öfters ü ein, namentlich vor
w; so kommt auch sprü neben spriu vor, woraus sich sprao ent-
wickeln musste.
spretn. sw. v. au.sbreiten, nur in der Verbindung mist
spretn = den in Haufen angefahrenen .Mist auf dem Acker aus-
breiten.
HiUeltQnt;eii li. »chles. f. Vkdo. Heft XX.
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66
(gpre^fl.) fast ganz ungebräuchlich, dafür fögp, redg. —
z. B. der föt (fokt), das kanp ni<3i aos-haldp. Auffällig ist die
häufige Verwendung von sprc(^hg für fögn von Muskau ab; in
Muskau also: der fokt oder Spricht, das konp ni(^ aoshaldn; im
Schlesischen überwiegt sprechn.
SrökoS. m. ein Vogel; ich konnte nicht feststellen, welcher.
Der Name klingt an an wend. skrokaß, sröka (Elster).
Stäok-a?fp. n. Werkzeug zum Zerstampfen von Rüben,
Kartoffeln u. dgl. fürs Vieh; ein Stab, der an dem einen Ende
mit einem S- förmig gebogenen, scharfen Eisen versehen ist. Dazu
Staokp. sw. V. mit dem Stiiok-acfn stampfen; fiqji an b&n f|-
staokp, sich ein Bein verstauchen. — Vgl. nd. .stäken (bei Hand-
werkern und in der Wirtschaft etwas Schmales und Spitziges auf
etwas stossen. Hejme, Wb. III 763).
stapa^n, ätipa^n, stiiij-n. sw. v. mit einem spitzen Ge-
genstände in etwas herumsteclien; z. B. na du stapaest ja fö in
hirfo rüm, dir smeks wol haeto nicji?
stäbj-n und ätebjn. sw. v. in kleinen Tropfen regnen. —
Weinhüld, Dialforsch. 97 ; vgl. Leipz. Wl). S. 216.
stek(jlin trön. Stückchen tragen (Kindersprache).
Wer beim Baden mit dem Ankleiden znletzt fertig ist, muss stekt^g trön,
d. h. etwa bis an die Kniee ins Wasser geben, mit dem Munde ein im Wasser
schwimmendes Stückchen Holz erfassen und diircb eine geeignete Bewegung
hinter sich werfen, und zwar dreimal.
ätf n-kvet§p, m. Kernbeis.ser, Vogelnamc, besonders beim
fögl-ffkofp üblich (s. d.).
Ster. m. SchaflKick, Widder; vgl. Weinhold, schles. Wb. 94.
Ahd. stero, sw. m.
st6-uf. m. (sub.stant. Imper). Stehaufmännchen (Spielzeug),
vgl. Leipz. Wb. S. 216.
äti^kats. m. stinkender Men.sch, .seltener .stinkendes Tier;
bisweilen vom KiLse ge.sagt; vgl. näkats S. r>8.
ätirln. sw. v. mit einer Stange (oder einem anderen langen
Gegenstände) wiederholt in etwas hineinstechen ; z. B. wespiji
stirln; in do ep! stirln. Weinhold, schles. Wl>. 94; Leii>z. Wb.
S. 217.
ätlrtsj. m. Baumstumpf, verwachsener oder .schlecht aus-
gebildeter Baum oder Strauch. Vgl. Leipz. Wl). S. 220.
stirtsl-bok. m. (.sis^) = Purzelbaum (.schiessen).
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ätirtsn, sturtsp. sw. v. Acker, namentlich Stoppelfeld,
umpfHipen.
Stök-haos. n. Zuchthaus.
ätokfii. sw. V. .stottern; im Reden innehalten, stocken (fre-
quentativ zu stocken).
strampln, .sw. v. heftig mit den Beinen stossen (namentlich
von kleinen Kindern); Leipz. Wb. S. 219.
struu(t)sa. f. robustes Mädchen; vgl. Leipz. Wb. S. 219.
sum. sw. V. an etwas saugen (nur in dieser Bedeutung).
Vgl. schumel, plur. schumein, die weiblichen Brüste, Schmeller
II 420. Dazu
sum). m. Saugpfropfen für Säuglinge; vgl. wend. ßumjel
in derselben Bedeutung, Pfuhl, Wb. 89.
sunkaen. sw. v. schaukeln. DWb. IX 2004: schunkel und
schunkeln. Dazu subst.
sunkaoa. f. die Schaukel; vgl. inhd. schoc st. m. und schocke
st. f. (Seltener kommt vor di Sunkae). Vgl. Leipz. Wb. S. 207.
svan(t)s-gelt. n. Trinkgeld, das der Viehkäufer dem Dien.st-
mädchen des Verkäufers gibt. — DWb. IX 2271.
ävigats. m. das ans Ende des Peit.schenriemens gel)undene
Stück Bindfaden, Schmicke, Schnieke.
Svikaqka. f. vgl. S. 46.
kommt nur in einer Art Beschwörungsformel vor, die die Knaben sprechen,
wenn sie im FrQbjabr von jmigeii Weideuzweigen die Rinde ablösen, um Pfeifen
daraus zu machen. Damit sich die Rinde leichter löst, legen sie das betreffende
Stück aufs Knie, klopfen es vorsichtig mit dem Messergriffe, während sie sprechen:
börtsäpkä, srikäokä, dö fresp dir di rübip ;
wen dü ni(^ rundp gest, ^ dü fre.sp dir di milpnikp,
dö smaes i^ dir in gröbqi, di tffn df fnrno unt hintp tsvikp.
In V. 1 und 2 wird jede Silbe betont (j. ^ ^ j.), und bei jeder erfolgt ein
Messerschlag; ein ganz andrer Rhythmus setzt mit v. 3 ein: regelmässiger
Wechsel zwischen Hebung und Senkung, bei jeder Hebung in der Regel ein
Hesserschlag ^ » j. * j. * usw,). Das Wort erinnert an das v. schwicken,
unter schwick im DWb. angeführt (IX 2611) und an das wend. äwikad, swiko-
wad = peitschen, schlagen. Aus den Weidenruten werden die bekannten Pfeifen
gemacht, die man im Wend. mit äwikafa bezeichnet, was dem angeführten
Worte entspricht. [Es sei auf die mögliche Verwandtschaft dieses slaw. Wortes
mit dem deutschen ,Scbwegel“ hingewieseu. — Aus Oberschlesien sind mir ähn-
liche Verse in polnischer Sprache bekannt geworden. Ss.]
sviue. f. runder oder ovaler Korb, namentlich zum Port-
scliaffen von Streu. DWb. IX 2685 d.
ü»
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68
ävfräoa. f.
Kinderspielzeug; es ist eine runde, kleine Scheibe aus Blech oder Leder, deren
Rand gezähnt ist; durch zwei Löcher in der Mitte wird ein Bindfaden gezogen,
und durch geeignete Bewegungen wird die Scheibe iu schnelle Rotation versetzt,
so dass sich ein schwirrender Ton hören lässt.
svörta. f. 1) feste Haut (^pek-svürto) ; 2) ein Brett, von
dem die eine Seite mit Rinde bedeckt ist, also das erste und das
letzte der aus einem Stamme geschnittenen Bretter. l)\Vb. IX 2295 ti.
t.
t6! Ausruf = siehst du? vgl. terä!
teba. f. Hündin; vgl. ndd. tewe, title usw.
teuka. pl. fern, die kleinen, runden, frühreifen Pflaumen.
terS! Ausruf, drückt Stolz und Selbstbewu.sstsein aus; z. B.
denkt ir, it^i kuina niiji ribr ibrn tani (Damm)? ters, dö Idn itjt
sunt! Etwa entstanden aus fetarä (seht ihr’s?)? Das ist freilich
wegen des Akzentes nicht wahrscheinlich.
tetsn. m. der Zehnte, Abgabe an den Pfarrer und den Lehrer,
wie sie früher in einem gewi.s.sen Mass Getreide entrichtet wurde.
timpacn. sw. v. durch Abschlägen an eine Glocke oder
einen andern metallnen Gegenstand helle Tüne liervoiTufen.
tis, demin. tifl. Lockruf für Tauben; tifl. n. auch als subst.
— Weinhold führt das aus dem Lockruf gebildete subst. tise,
ti.s.se fein. Tiiubchen auch für die Oberlausitz an.
titS. m. oder n.? und demin. titJko. n. Bezeichnung für
ein kleines Tier; kleine Vögel, Käfer; auch der Floh wird mit-
unter so benannt (Kindersprache).
trajisu. sw. v. stark, unbeludfen auftreten. Dazu ti’aiisn.
jd. masc. Fuss.stai)fen.
trega. adj. trocken. Weinhold, schles. Wb. 100; freuge.
Lei)iz. Wb. S. 103. Dazu
tr(“gn. sw. V. trocknen; trans. und intrans.
trekn. sw. v. ziehen (eine schwere Last, einen Wagen). Xd.
Vgl. Weinliold, schles. Wb.
trempln. sw. v. treten, trampeln. — .\uch das Begatten
der V'ögel wird so bezeichnet: dr hon treiu])|t ila liina.
tresa. f. Regen.schauer.
tsack. n. Zeug: ufu t.safga faen = sich wolil betiiidcn, ge-
sund .sein, z. B. in wintp wörp krank, äbr nü isp widr ufu tsaega.
— Ferner tindet es in einem Wort.sjiiele Verwendung. Wenn
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jpiiiiind etwas sehen will und sagt tsä^gaindl (zeige einmal!), so
weigert sich der andere, es zu zeigen, indem er sagt: das is nicjji
foii tsüfgo! = das wird nicht gezeigt; eigentlich: das ist nicht
von „Zeug'* (Stotf, Tuch).
tsamparn. sw. v. in Verkleidung lierumziehen.
Am Fa8tnaclitsmort;en ziehen verkleidete junge Burschen von Haus zu Haus
und führen allerhand Fastnachtssclierzc aus ; dieses in Verkleidung Herumzieheu
ist tsaniporn gen. — Im Schlesischen kommen Ähnliche Worte vor, vgl. Wein-
hold, l>ialforsch. tOO: zempern dienen, zempem gehen auf Frondienst gehen;
(ebd. S. i)9; rvhampern und fchappern, hüpfend und tänzelnd gehen). Da es
sich gerade um einen Fastnacht.sbrauch handelt, wird man durch zaroparn oder
tchampern (Weinhold) leicht au den Schembart-Lauf erinnert; es scheint mir
aber doch gewagt zu sein, einen Zusammenhang anznnehineu, solange ver-
mittelnde Glieder fehlen. Ist etwa auch das von Weinhold angenihrtc Verbum
fchappern heranziizichen, das in unsrer Ma. in der Form sapaen existiert? Dass
sich für den Fastnachtsbrauch die Form tsamparn festgesetzt hat, braucht nicht
zu überraschen, da in unsrer Ma. s, ts und ts nicht allzn scharf getrennt sind;
vgl. die Formen tsulp, t.sulp, sulp oder tsisp, sisg (wie im Schlesischen); der
Name des Dorfes Tschernitz: tsernits, sernits, tserns. — Vgl. zumber in
Oberschles.
tsci'(^i)ka, tserenka. f. Art kleiner, sü.sser Hirnen,
tsig^-bort. m. Ziegenbart = essbarer, korallenartig ver-
zweigter Pitz.
tsul)), tsulp, sulp. m. Saugpfropfen für kleine Kinder;
vgl. Heyne im Wb. III 1453 (das hier erwähnte zullen „saugen“
habe ich in der Ma. nicht gefunden).
türin-sacsjr. m. Name für den Sperling (beim fögl-ffköfij,
s. d.), vgl. Dachscheisser, Leipz. Wb. S. 98.
u.
iif-§cpa. f. das fürs Vieh in Was.ser eingeweichte und zu-
samniengerührte Futter. DWb. I 730 liat nur das v. aufschöpfen,
IX 1533 f. : schöpfe = Schöpfgefäss.
iim-(t)setdia. adv. abwechselnd.
üm-wenda. f. di svera üm-wenda. Beim Steinchenspielen
(kamuäkafn) eine besondere Art, die Steinchen aufzufangen,
firäa. f. Getreiderest auf dem Stoppelfelde. Dazu
lirs?. sw. v. durcheinander werfen, verwirren, ftrsp sind
also znsamraengeliarkte Getreidereste, bei denen die einzelnen
Halme wirr durcheinander geraten sind, im Gegensatz zu den
Garben.
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70
w.
waefj'. m. Uhrzeiger.
waef?. st. V. bisweilen = zeigen; wäefamöl! zeige einmal!
— i^ wer df glae waefij! (drohend).
wäka. f. eine Art schwarzer Käfer, die sich namentlich
auf Kornböden u. dgl. aufhalten.
[walt. m.] dafür heda.
walk. m. ein Spiel. Dazu: walkaen. sw. v.
In den Osterfeiertagen vergnilgt sich die Dorfjugend am walkaen, einem
Spiel mit bantbemalten Eiern. In eine in die Erde gemachte Qrnbe (walk)
lassen die Mitspielenden der Reihe nach ihre Ostereier von dem oberen Ende
her hincinlanfen. Es kommt namentlich darauf an, ein Ei zn treffen, ‘das man
in die Mitte der Bahn gelegt hat. Es wird regelmässig nm Stecknadeln'gespielt.
Dieses Spiel kommt in unserem Kirchspiele auch allmählich ab. — Vgl. Uber die
Sitte: Uaupt-Scbmaler II 227. — VVend. walkad (wälzen, kollern), snbst. walka.
watäa! Lockruf für Enten (Tschernitz).
watäa. f. Ohrfeige (selten).
wat§ln, wätäln. sw. v. schwerfällig und zugleich gemäch-
lich gehn.
w6k-kum. st. V. wegkommen, d. h. sterben (von Haustieren).
fr-w6nta. f. Schlag ins Gesicht mit der äusseren Handfläche,
werla. f. die Werre, Maulwurfsgrille. Vgl. Leipz. Wb. S. 236.
werlink. m. eine aus Buttermilch und Mehl zusammen-
gerührte Suppe.
wös-dräe. Ausruf = wahrhaftig!
winj-, wino, wins. pron. interr. welcher, welche, welches
(s. Teil I S. 33).
winä. adj. wendisch; di winsij = die Wenden,
wita! Lockruf für Enten, ln der Kindcr.spracbe auch sub-
stantiviert : wita f.
witn. sw.v. Unkraut ausreissen, jäten; vgl. ags. weöd Unkraut,
ga-wöna. adj. gewohnt; z. B. di fapn bifta faen unfe är-
baet niOi gawöna.
wü, seltener w6? wo? und wohin? wfi ges du? = wohin
gehst du?
wurfp. sw. v. worfeln, die Getreidekörner durch Werfen
mit einer Schaufel von der Spreu sondern.
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71
Sprachliche Erstarrungen im Schlesischen.
Von Dr, Paul Drechsler.
Paul bespricht in seinen Prinzipien der Sprachgeschichte
3. Aufl. S. 214 f. Flexionsformen, die dadurch, dass sie auf Fälle
übertragen werden, denen sie eigentlich nicht zukommen, ihrer
ursprünglichen Selbständigkeit verlustig gegangen und völlig er-
starrt sind. So traten im Griechischen die singularischen Imperative
äyt, (feQs, f-iTii fiot, u. a. zu einem Plural und
wurden allmählich partikelhaft. Ein ähnliches Geschick haben im
Lateinischen die Imperative puta, cave (Plautus: cave dirum-
patis), im Französischen voici, voilä, im Neuhochdeutschen
lalt! sieh! u. a. Man vergleiche in unserer Umgangssprache :
'arte mal, ihr könnt gleich einen Brief mit nehmen! — guck(e),
u seid ihr ja! S. unten lat. em, en und glätzer schan.
Partikelhaft gebraucht werden im Griechischen auch olfiai.
Ob), im Lateinischen nicht selten opinor. Im Spätgrie-
ch?chcn sind Mife'/.e und oiiff/.ov völlig erstarrt; sie werden ohne
Rüksicht auf Person oder Numerus wie Konjunktionen gebraucht.
Dei nämlichen Vorgang zeigt unser nur. Es ist aus newiere
cntianden und heisst ursprünglich es wäre denn.
\uch das Schlesische zeigt uns sprachliche Erscheinungen,
dereiGrundbedeutung allmählich verblasst ist. Im deutschen Ober-
schle.en ist die Partikel malöicht (mit dem Ton auf der zweiten
Silbe ;vor unbestimmten Fürwörtern und Adverbien sehr beliebt:
da knnte malefcht wer kommen!, er ist malei'cht wo,
gebenSie uns maleicht was! Dieses maleicht i. S. von be-
liebigirgend geht auf magleicht zurück und heisst ursprünglich
mag licht sc. sein. So .sagt der Leobschützer Scherffer in
seinem Irobianer (1640) S. 166: Sie greifft magleicht
wohin. -
FUr-rosscr Herren Mund geliört das allerbeste,
Mag^ictiU- wo sich von ein grober Bauer mäste. Logau 1, 3, 17
würde hee lauten; maleichte wovon (eigentlich: von was) sich
e. gr. Baic mäste. Im Kreise Ohlau (Rodeland) hörte ich die
Form makihte (mit dem Ton auf dem mittleren (kurzen offenen) e).
In den Schs. Provinzialblättern 1871 S. 438 bespricht ein Lehrer
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72
aus dem Kreise Breslau die Mundarten der Dörfer an der Oder
ol)erliall) Breslaus bis Ohlau und bemerkt: „Sehr häutig hört man
die Wörter masg lachte (mag leicht) anwenden, z. B. Du lässt
dich masg lächte was überräden oder: masg lächtc war (wer)
könnte mich zum Norr'n hoab’n“. — Ähnlich ahd. macsen. Grimm,
Gramm. III, 242.
Man vergleiche damit die erstarrte Bedeutung wer weiss
was: der bildet sich wer weiss was ein; dem wirstu wer
weiss was zahlen müsssen; der hat wer weiss was gedacht!
Aus dem eingeschobenen glaub ich (vgl. oben ohiai, opinor)
wurde über die Mittelformen glebcb, glech, gleich, gleich, die
Einschiebpartikel glei, gle, die hauptsächich in tragenden und
zweifelnden Sätzen gebraucht wird und bedeutet: es soll, es
heisst. Die Glatzer Vierteljahrsschrift IV. Jahrgang (1885) S. 252
sagt sehr treft'end, wenn auch mit Verkennung des sprachgeschicht-
lichen Entwickelungsganges: Die Partikel gle‘), obd. gloii, glaei
wird gebraucht, wenn man sich für eine Äusserung, die man tu*
auf das Höremsagen beruft, und bedeutet soviel als: man glaub
wie man glaubt, wie geglaubt, ge.sagt wird. Z. B. Du wor.sct
gle krank = du wärest, glaubte, .sagte man, krank. — Ich \vr
gle fattziehn = ich werde, so wird geglaubt, behauptet, fortzielm.
Unmittelbar dahinter fährt die Glatzer Vierteljahrsschrift frt:
„Die Partikel „dech“ bedeutet doch*) — und, wenn .dir
betont, — dennoch *). Z. B. Ech ho’s ”ni dech gesoiit (ob<) =
ich hab's ihm doch gesagt und gleichwohl usw. Ich thät ech
zufreen (dech betont) = ich würde dennoch anfragen. obgleich sw“.
Dass diese beide sogenannten Partikeln ursprünglich Vrbal-
formen waren, hat der Verfa.sser der sonst wertvollen Beitrfe zu
dem Sprachschätze der Grafschaft, die er in den achtziger ähren
des vorigen Jahrhunderts schrieb, nicht erkannt. Es ist iP ent-
gangen, da.ss in den Schlesi.schen Provinzialblättcrn. Jahrgat 1870,
S. 603 f. .schon ans der Mundart in und um Frankfistein
verzeichnet ist: „Deich, gleich, haldich, drei Ein.schicsel mit
ähnlichem Sinne, welche Beschränkung des Urtils au.s-
driieken*), entstanden aus: denke ich, glaube (glöbe) ich, llte ich“.
Hier ist das glätzische dech richtig als selbständige Vbalform
erkannt.
Zugleich haben wir auch die Form haldich epHint; sie
') Von mir gesperrt.
/
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73
lebt heute iiii Schlesiüelien „quitsehvergiiiigf- lieber als das halt
im ]\lunde von jung und alt weiter, „als Fiill])artikel mit der
Bedeutung; ich halte dafür, nun eben, freilich; in der Schweiz,
Schwaben, Rayern, Deutschland, Österreich, in der Oberlausitz und
Schlesien gäng und gäbe“. Weinhold, Beiträge 1855, S. 32a; Grimm,
DWb. IV A 273.
Da für die glätzer Partikel doch bereits Belege beigebnicht
sind, holen wir die für glei und halt nach. Weinhold, Beitr.
S. 27b, bietet: „Es hat gleich geregnet? Es sind gleich viel
^len-sclieii da gewesen“. Neben diese nicht sehr schlagende Beweise
für die Erstarrung des glaub ich zu glei oder gle halte mau
das gemeinschlesische glei.
Der sille hot glei das gemacht?
IJie Bitte jess begangen? Hgltei 8. 91.
Is ni wOhr, a hflt glei ei der Luttrie gcwiinn'? (Knischcr, bcobschütz) ;
gle (im flirsclibergischcn): Das Ene sool glc boan an Schmiede,
Das Ander treibt de Selerei.
Brendel, Kobolde (1852) 8. 18.
— a Junge, Paul gle* hicsz a. Brendel a. a. O. 38.
* Verf. merkt an: glaube ich.
lech war’ dam Bräutjum ähnlich glc*,
Su soat sc un nuucli vieles meli.
* Ulinlicli, glaub ich.
Pitzlich Seffc. woasde mci Nubber ihs, thoat mer’sch vom Sloadtförschtcr
zu wissen, doasz a ’ne übrige Ziege gle hätte.
Philo vom Walde, Aus der llecmtc S. 17.
Der ähnliche Vorgang ist auch in der Lausitz und in Ober-
suchsen bekannt.
Man vergleiche dazu das thüringische mech = mein ich, mhd.
waniu, waen, meino.
Über halt lässt sich die Glutzer Vierteljahrsschrift IV. Jahr-
gang (1884/85) S. 251 etwas weitschweifig folgendermassen aus:
Die Partikel') halt, vom Grafschafter sehr oft und gern
gebraucht, kommt wohl her von dem Zeitworte dafürhalten
und drückt aus, dass man etwas entweder a) für zweifelhaft
gut, richtig, angemessen, nützlich hält, oder b) etwas für wahr-
scheinlich, oder c) für gewiss, oder d) für selbstverständ-
lich hält, oder e) es dient „halt“ zur Bezeichnung eines adver-
bialen oder adjektivischen Superlativs.
Von den vielen dafür beigebrachten Beispielen hebe ich nur
') Von mir gesperrt.
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74
eins hervor, weil an ihm die mannigfache Bedeutung von halt
erläutert wird.
a) Ich schrei halt: ich schreie, ubschon ich es für zweifelhaft
gut, nützlich u. dgl. halte, wenn ich es tue.
b) Ich war halt Schrein: es ist wahrscheinlich dass ich
Schrein werde, z. B. wenn der Arzt schneiden wird.
c) Ich schrei halt: cs ist für gewiss zu halten, dass ich
schreie, wenn ich anfange., laut zu sprechen.
d) Ich ho halt ge.schrian (geschrian betont): cs ist selbstver-
ständlich, dass ich schrie, als mich der Dieb anpackte.
e) Ich ho halt ge.schrian (ho betont): ich habe sehr geschrien,
als man mich anfiel;
„halt“ bezeichnet also einen adverbialen Superlativ. — In dem
Satze: Die Braut wor halt schin — i.st „halt“ die Bezeichnung
eines adjektivischen Superlativs.
Unser baldig (hälig), halt gibt dem Gedanken eine trau-
liche subjektive Färbung: ich bin der baldig goar zu gutt. Heinzei,
Richel S. 14; — es is baldig biesc, dass ma sich trennen muss;
— es kimmt halich uff an Versuch oa. Stoppe, Parnass S. 513;
— se (die Vögel) han haldich ooch ihre Spreche. Holtei S. 38. —
Werr sein halt wieder d’e Bolbirta (die Betrogenen). Jüttner 2, 21.
.Se war su schiene, se war su gutt,
Haid Friedrichs und der Luisel Blutt. Haltei S. 46.
In nächster Nähe zu dem ahd. halt, magis, potius, tritt die
schlesische Verbalpartikel, wenn sie sich zu Konjunktionen ge-
sellt: Na, wennde halt menst, da tus ock ! —
Wenn halt in keenem Magazien
Su grusse (Särge) nirgends fertich sühn, Holtei S. 20.
Ham freilich woar ganz andcrsch zu Mute.
Halt weil in doas Bissei Kurasche verliesz.
Rüssler, Aus Krieg und Frieden S. 10,
Da erkennt man so recht, in welchem Sinne von einer Er-
starrung gesprochen werden kann; die Flexionstätigkeit ist er-
loschen, um so reicher aber entwickelt sich „halt“ das innere
Leben die.ser merkwürdigen Sprachgebilde ‘). Vgl. DWb. 4 A
') Wenn in froher Zecher Kreise Goethes herrliches Lied „Hier sind wir
versammelt zu löblichem Tun“ erklingt, dann singt der Schlesier in der letzten
Strophe: Was sollen wir sagen zum heutigen Tag!
Ich dächte halt: Krgo bihainus!
statt des kalt vcrncineuden nur das den fnisilzenden gemütlich zunickende und
inniges Verständnis für die SituaUon zeigende halt. —
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S. 272 f. , Schmeller 2, 184 ff.; mhd. Beispiele bei Bcnecke-
Müller 1, 619.
Noch weniger starr ist trotz ihres hohen Alters die Inter-
jektion gelt, ursprünglich gelte, d. h. conj. präes. von gelten in
3. Person, für es gelte! oder auch gelte es? Sie verstärkt eine
im Tone innigster Überzeugung und freudigster Zuversicht aus-
gesprochene Behauptung, etwa in der Bedeutung „nicht wahr?“
Gern wird gelt, das auch als gell, gelle, in der 2. Person Plur.
als geldet, geltet, in der 3. als gelden sä, gällense auftritt,
durch ja oder die schlesische Lieblingspartikel ock (etwa: nur,
bloss, doch) noch gesteigert.
Sie sein wull ni tu hic — gelt? Heinzei, A lustiger Bruder S. 79.
Gelt, du werscht mßr halfa; gelt, a hots gesöiit? (Grafschaft).
— Nu, gelt ja, Se sein uf der Litter uf da Boom gekräbst!
Heinzei a. a. O. S. 31. — Geldock, Bieber- Gotlob, aezelst de
nich oh? Holtei S. 381.
Die Häusel sein nette —
Nu gellock — gelt? gelt? Hcinzel, Maigliickcl S. 70.
(jellocke, Du bist mer gutt? Vägerle S. 68
Du kennst ja Volkes Sproache, schlicht und bieder —
Und — gell ock — nee! — sc klingt der ni zuwider. Maigl. 8. 114,
Auch im Schlesischen ist das Wortspiel gelt: Geld, das man
solchen ironisch in den Mund legt, die bei der Heirat aufs Geld
sehen, ganz geläufig; Gelt (!) Mädel, ich bin dir gutt. —
DWb. 4, 1, 3057.
Wie im Lateinischen der Imperativ zu emere (nehmen, kaufen),
eme; nimm, da!, allmählich zur Interjektion em, en erstarrt, so
im Schlesischen der Imperativ zu schauen: schau(e). Er tiütt
uns in der Grafschaft Glatz als schan, schon (schau -1- eupho-
nisches n, auch schanne), ganz formelhaft entgegen und bezeichnet
etwa wohlan: schan, wie wör dös? schan, lasst mich er-
zählen! Gern tritt zur Verstärkung ock, ocke hinzu: schan-
ock, los mich amöl, wohlan, la.ss mich einmal versuchen! Vgl.
Glatzer Vierteljahrsschrift 3, 158; Pinncnich 2, 354*.
Auf enges Sjirachgebiet ist wohl die ohne Rücksicht auf Per-
son und Zeitstufe gebrauchte Partikel merscheint (Ton a«f der
zweiten Silbe) für (wie) mir scheint, anscheinend, bescliränkt.
Im Kreise Leobschütz ist sie gäng und gäbe: Sei Vöter wör mer-
•scheint dozumol tiimme om Leben; ihr wullt mich merscheint zum
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Norrii liön; (in wirsclit dich mcrsclicint iilaiiiirii; a wird inerschciiit
itz virzcn Jahre, l’liilo vom Walde, Leutenot 8. 31. Selten steht
die erstarrte Verhindunp am Anfänge des Satzes, z. B. .Mereeheint
mi oder (aber), se sein heit erre gangen. Aus der Heemte S. 4.
Es linden sich in Schlesien auch einige nominale Er-
starrungen. Wie in der Altenberger Mundart (Weise S. löß)
tritt hier das adverbiell erstarrte wunder bisweilen noch in seiner
ursjiriinglichen (Jeltnng als Objekt des Verbs auf: er hat Wunder
gedacht, wie fleissig er ist. Gewöhnlich aber sinkt es zum
Adverb herab: und stellten sihch gor Wunder wie vergniegt.
Holtei S. 10; sie denken wunderwas (meist übles!); icli döchf
wunderwer a war!
Wie im Nenhochdentschen seiner Zeit erstarrt ist. z. R.
bietet Paul a. a. O. S. 215 aus Hackländer die Jugend ist
unternehmend, wir sind es seiner Zeit auch gewesen, so
bc'zieht sich im Schlesischen sei(ne) Lebtage, sei Laebtig(e)
Holtei S. 34, auch auf jede Person, das Femininum und den Plural:
hö ich doch sei Lebtage (d. h. die Zeit meines Lebens) .so 'wös
ni gesän! (Kätscher.) Ich will seilatige mich nemme (niemelir)
a SU froin. Schönig S. 6, un iech hoa gehört salatig. Brendel,
Klänge meiner Heimat, S. 28; verstärkt olle salätiche (Graf-
schaft): so lange wie ich lebe, .stets, von jeher, immer, wie die
Glatzer Vierteljahr.s.schrift 3, 157 erklärt. Im Gloganischen hört
man uf sellätje.
Mit Beziehung auf den Plural: da.ss wer .sei lahtige kene Nnth
leda dörfl'ta. Stoppe, Parnass S. 508; siste kumma wer sei lahtige
ne medenander zu Striete, ebd. 510 f.
Das Reflexivum sich, das ursprünglich nur der 3. Person zu-
kam, wird in der Mundart durchweg auch in Beziehung auf die
1. Penson für das ,uns“ des Akkusativs und Dativs gebraucht.
Die.ser Vorgang ist alt. Schon in dem .schlesischen O.sterspiele des
14. Jalirhunderts (Hotfmann, Fundgruben II 304, 22) findet sich:
wir w'oln sich wem; vgl. auch für das OI)erdeut.sche Sciimeller ij 730.
her (wir) wärmen siheh. Holtei S. 19.
, Xa, underdässen
WulPn bir sihch (Dat. uns) deine tängde mässen. S. 22.
her nehmen sich (Pat.) gor a Pukal. S. 3.S.
do mach her sihch (Pat.) giidc Freunde. S. 39.
Und dernachern freun her sihch Beede. S. 50 n. ö.
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77
Zum Adjektiv geworden ist der Imperativ gerat in Ver-
bindung mit dem Adverb wohl, gewöhnlicli in der Redensart aufs
g(e)rade Wohl, worin das Adverb zum Sulistantiv erstarrt ist:
wir gingen aufs grade Wolil weiter, d. b. auf gut Glück.
DWb. IV, 3577.
Eine lelirreiche Wandlung durchlief die Partikel entgegen.
Sie lautet als Adverb ahd. ingegini, mhd. engegen und besteht
aus der Präpos. in und dem Acc. eines Nomens gleich dem
lateinischen obviam. Dem entspricht im Schlesi.schen die Wendung
in die kene (kine) (eidekene, eitkäne) gehen, kommen, so in
Leob.schütz, Hirschberg, im Gebirge:
Sc kumina. ihs der Tag verbei.
Mer Obeiids eidekeene.
Tscbampel, (jedirhtc in Schics. Gebirgsmundart ISfiG S. 242.
Ganz erstarrt und zur blossen Partikel geworden sind auch
einige i)rä])ositionale Verbindungen. Beliebt ist am Ende,
amende (gesprochen ä-mende) i. S. v. vielleicht, schliesslich,
wohl, wohl gar: der wird amende noch verrückt; du
wirst aniende nicht fertig werden!; der kommt amende
gar nicht.
Weil ha su sinnt, wie sich amendc
Doas IHiig am besten machen künnde.
Kössler, Aus Krieg und Frieden S. KiO.
Bei Leibe, beileibe, balleibe, beilei, verstärkt die Ver-
neinung: Ja nicht, z. B, es darfs beileibe kenner merken; tus
balleibe nich! Auch alleinstehender Ausdruck des Widei’spruchs,
der Verwahrung: bewahre! — Denkt Ja nich ärnde, doss ich
mich Euch oan a Hols schmeissen wild; balleibe, doas hoat de
■Magdalene nich nutt wendig. Rössler, Närr’sche Kerle S. 39; i bei-
leibe, se wil nich; — ich will a hibsche Leiten ärnt ni zu nahnde
träten, ne, beileibe! Giälin Waldersee, Gedichte S. 5.
Hierzu gehören auch Wendungen wie: er sagte, .schrieb ihnen
einen Tölpelmerks, Denkzettel, vgl. Holtei S. 338, Heinzei, A
lustiger Bruder S. 25; er lief hol’s der Teufel; er soff auf Teufel
raus; er hat die schnelle mach hurtig, Bezeichnung starken
Durchfalls (Breslau, Kreuzburg) u. a. m.
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Zur Kunde von den schlesischen Ortsnamen.
Vnn Dr. phil. Martin Trcblin.
I. Volkstümliche OrtiinmeiiserklärniiReii.
Der Volksmund beschäftigt sich viel und gern mit der Deutung
und der Erklärung von Ortsnamen. Dahei verfährt er in höchst
naiver Weise, indem er ohne geschichtliches Verständnis die
heutigen Fonnen der Ortsnamen für eine möglichst einfache und
naheliegende Erklärung zugrunde legt.
Uns allen ist aus der Schule durch die Uhlandsche Ballade
vom (jrafen Fiherhard dem Kauschebart die landläulige Erklärung
des Ortsnamens Achalm bekannt:
.Ach allm . . «töhnt einst ein Ritter; ihn traf des Mörders Stoss;
.Allmächt’ger wollt’ er rnfeu ; man hicss davon das Schloss“.
Auch in Schlesien gibt es zahlreiche Belege für solch volks-
tümliche Deutung der Ortsnamen '). Wir wollen hier nur einige
Beispiele anführen.
Den Namen des Dorfes LangeiiOls, Kreis Lauban (im Volks-
munde stets „Langeneiße“ genannt), erklärt eine handschriftliche
„Nachricht von dem Dorfe Langenoels, so viel wie möglich zu
erfahren gewesen. Angefertigt im Jahre 1826“*) auf folgende
Wei.se :
„Der Name des Dorfes gieht zu vermuthen, dass der Anfang des Dorfes
oder der erste Anhau von einer Weibsperson geschehen seyn könne, die Elisabeth
geheissen hat ; denn die alten Deutschen kürzten den Namen Elisabeth ab mit
der Benennung Oeiße; so mag auch dieses Weibsen von der Statur lang ge-
wesen seyn, wovon der Name dem Dorfe gegeben worden, nemlicb LangenoeIße
oder der langen Oeiße |: Elisabeth angehöriges Antheil und Wobnsizz. Es ist
freilich zwar nur Muthmassung, aber wir wollen es also dafür halten und auf
diese Art deu Anfang nicht bezweifeln“.
Diese Ort.suameiiserklärung lebt noch heute allgemein im
Volksmunde älterer Leute von Langenöls; sic beruht aber auf
') Siehe auch die Ortsnamen von Zuckmantel (Zeitschrift des Vereins
für Geschichte Schlesiens Bd. 27 S. 406 f.l, von Lichtewerden (Zeitschrift fttr
Geschichte und Kulturgeschichte Österr.-Schlesiens III. Jahrg. 1907/08 S. 158),
und von Ziegenhals (J. Lowag, Illustrierter Führer durch das Sudeteugebirge
II. Aufl. 1908 S. 297/.
’) Handschrift im evaugel. Pfarrarchive zu Langenöls ; der Verfasser ist
Christoph Buschmann, Gerichtsachreiber, t 18.32 im Alter von 67 Jahren.
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völlig: freier Erfindung:. Eine „lange Else“ erscheint weder unter
den Gründern noch unter den späteren Besitzern von Langenüls.
Der Ort tritt zum ersten Male im grossen Einnahmeregistcr
des Breslauer Bistums vom Jahre 1305 auf. Hier heisst es:
„Ttem in Olsna centum mansi positi pro L et est villa do-
mini Pussonis et solvunt hoc anno III [2‘/>] marcam et deberent
solvere tres marcas“.
1385 erscheint dann die Siedlung als das „Dorf zur langen
ülse“‘). Der Ortsname Olsna ist von polnisch olsza = Erle ab-
zuleiten. Ks ist aber sehr wahrscheinlich, dass Langenöls trotz
seines ursprünglich slawischen Namens als rein deutsche Gründung
anzusehen ist. Dafür spricht vor allem die riesige Flur mit der
fränkischen Flureinteilung. Wie auch anderwärts im schlesischen
Gebirge*) haben eben die ersten deutschen Siedler das neu-
begründete Dorf nach dem Bache slawischen Xamens benannt, an
dem sie sich niederliessen. Langenüls liegt am ölsebache, der
noch heute seinen Namen mit vollem Recht trägt : noch jetzt be-
gleiten zahlreiche Erlen seinen Lauf. Die Zusatzbenemiung
„Langen“-01s wird ohne, weiteres aus der Längsausdehnung des
Dorfes (es ist fast eine deutsche Meile lang!) klar.
Nur nebenbei sei bemerkt, da.ss nach meiner Ansicht die
Gründung von Langenöls wahrscheinlich schon in den Beginn des
13. Jahrhunderts, in die Anfang.szeit der deutschen Einwanderung
in Schlesien, fällt. Der Ort liegt im Bober-Queisgebiete, im Ein-
fallstore der deutschen Besiedlung von Schlesien, und seine Ge-
markung umfasste nach dem oben genannten Einnahmeregister
schon im Jahre 1305 100 (grosse) Hufen. Nur im Beginn der
deutschen Kolonisation standen den Einwanderern noch so aus-
gedehnte Ländereien zur Verfügung; spätere Ortsgründungen weisen
kleinere Gemarkungen auf. Die später eintreffenden Siedler
mussten sich eben mit dem Lande begnügen, das ihnen die ersten
Einwanderer noch übrig gelassen hatten.
In Pusclikau, Kreis Schweidnitz, leitet der gemeine Mann
den Ortsnamen von Pusch (Busch) und Aue ab. Aber der Ort
tritt bereits in slawischer Zeit auf und heisst 1149 Pastuchow,
1193 Postuchow; 1250 wird er dann Poschuchow, 1313 Pusch-
') Kgl. Staatsarchiv in Breslau, Schweidn.-Jaueracbe LanilbUcher I> fol. 27.
’) Siehe Darstellungen u. (Quellen zur echle». (>e«ch. VI 1908 S. 23, 24, 43.
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kowe prenannf. Pastudiow ist abziileitcn von polnisch pa.stnch
= Hüte, Hirtenjiiiip:('.
Recht kindlich muten uns die Erklärungen des Volkes bei
den Ortsnamen Kiilisehiiial/, Kreis Urottkau, und Seiferdiiii.
Kreis Schweidnitz, an. Der wunderliche Name des Dorfes Küh-
schmalz lud den Volk.smund geradezu zu einer Deutung ein.
Altere Leute wUsen Uber den Ort zu berichten, das Dorf KUlischmalz habe
bereits vor dem SOjähri^cn Kriege unter anderem Namen bestanden. In diesem
Kriege sei es vollständig verwüstet worden. Nur ein« einzige Familie mit ihrer
Kuh sei verschont geblieben; sie habe .sich während der ärgsten Hungersnot
vom Fett, vermutlich auch vom Fleisch, der Kuh ernährt. Zum Andenken daran
habe die wiedererbaiUe Siedlung nach Beendigung des .Schwedenkrieges“ den
Namen „KUhschmalz“ angenommen.
Vor der Vernichtung soll das Dorf an andrer Stelle, nordwestlich von der
heutigen Ortschaft, gelegen haben. An dem Wege von KUhschmalz nach Rogau
befindet sich linker Hand im Walde ein HUgcl, den der V’olksinund .Grabswäl“
nennt. Der .Grabswäl“ ist eine 3 in hohe, ijuadratische .Vuhilhe, deren Seiten-
längcn 12 bis 13 in betragen. Sie wird ringsum von einem sumpfigen Graben
umzogen. Nur im Norden fuhrt ein schmaler Zugang zum Grabswäl. Dicht
bei der Zugangs.stelle liegen eine Menge grösserer Feldsteine, die ilen Eindruck
erwecken, als könnten sie von einer zerfallenen Mauer berritliren, da sonst in
weiter Umgebung keine grösseren Steine zu finden sind. Das Volk erzählt, auf
dem Hilgel habe früher eine Burg gestanden, uuil ein im Süden ansto,ssender
baumloser, versumpfter Platz von etwa 15 m Breite und 30 m Länge sei der
Turnierplatz gewesen *). Um tien Grabswäl sollen ehedem die Häuser iles Dorfes
gestanden haben. Auch berichtete man mir von einem Schatz, der im Grabswäl
verborgen liege.
Hei diesein Bericht gclieii Dichtung und Wttlirlieit wohl neben-
einander hin. (ieschichtlich erscheint mir die Ortsverlegung nach
der Zerstörung des Dorfes iin Hüjithrigen Kriege. Soldie Ver-
legungen von 8iedlung(*n nacli ihrem Wüstwerden oder aus anderen
Gründen sind reclit häufig in Hclilesien vorgekommen*). Oft
spielen abergläubische Vorstellungen dabei eine wichtige Rolle.
Die Ortsverlegungen zeigen aufs allerdentlich.ste, da.ss man nicht
‘) Über den .Grabswäl“ gab mir Herr Hauptlebrcr Rieger freundlichst
Auskunft.
Siehe die Orte Rast e 1 wi tz — Sibyl lenort (Zeitschrift des Vereins für
Geschichte .Schlesiens Bd. 40 S. 309); Lndewigsdorf — Ullersdorf, Kreis
Landesbut (ebd. S. 320- 322); Rungenpusch — Rnngendorf, Kreis Schweid-
nitz (cbd. Bd. 41 S. 377 f.); .A It- R eichenbach — Stadt Reichenbach (Dar-
stellungen und Quellen z. schles. Geschichte VI S. 102); Gross- und Klein-
Friedrichstabor (Partsch, .Schle.stcn Bd. II S. 443) ; Jocksdorf — Breitenau
in Österr.-Schlcsien (vgl. S. Sfi f. in diesem Heft)
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bpreclitifrt ist, in den lientigeii Dorffirundrissen stets ein uraltes
oder erst in neuester Zeit wesentlich unifrestaltetes Bild zu sehen,
sondern dass auch schon früher durchf^reifende Veränderungen der
Siedlungsanlage vorgenoinmen wurden.
Vielleicht stand auf dem „Grahswäl“ das Schloss oder das
Vorweik der Wüstung Kühschmalz. Nach der Aussage orts-
kundiger Leute hat man heim Roden vom Baumstöcken und Baum-
wurzeln auf dem (»rabswal vor etwa 20 .Jatireu Mauerreste ent-
deckt. Die heutige Siedlung Kühschmalz mag bald nach dem
HOjährigen Kriege neu erbaut worden sein. Die Kirche und das
Schulhaus des heutigen Dorfes wurden im .lalire 1662 errichtet.
Uralt i.st der Name Kühschmalz; er kommt viele Jahrhunderte
vor dem „Schwedenkriege“ vor. 128!) er.scheint urkundlicli ein
Schulz Hertwig von Knsmalz; im Einnahmeregister des Breslauer
Bistums vom .Jahre 1305 wird der Ort „(öbola sive Cusclimalz“ ge-
nannt, 1344 werden im Einnalimeverzeichnis des Bistums „inferius
Kliwschmaltz cum duol)Us molendinis“ und „superius Kbw.schmaltz “
aufgeführt. Wahrend der Ortsname (’otiola wahrsclieinlich von
kobita = Ross, Mähre abzuleiten i.st, ist die Herkunft des Namens
Uiismalz Wühl bisher nicht erklärt worden. Damroth bleilit uns
in seinem verdienstlichen Buche über „Die älteren Ortsnamen
Schlesiens“ eine Erklärung des Namens schuldig. Meines Er-
achtens haben wir in der Form Knsmalz einen verstümmelten
slawischen Ortsnamen zu .sehen, der ursiuünglich „kusmolica“ lautete.
Ku.smolica i.st abzuleiten von der l’räposition ku = zu, neben,
bei und smolice, smolica = Ort, wo man Pech gewinnt (von
smola = Pecli).
Zu dieser Erklärung würde auch die Lage von Kühschmalz
stimmen : es ist wahrscheinlich eine Pechsiederei mitten im Walde
gewesen. Noch heute kommen im Westen der Dorfflur ansehn-
liche Waldungen vor, im Süden der Gemarkung treten ebenfalls
kleinere Waldreste auf, und die Einteilung der Flur nach Wald-
hufen, die das Messtischblatt heute noch ahnen lä.sst, zeigt die
Herr.schaft des Waldes in vergangenen Tagen an.
Vermutlich scliloss sich an die alte slawische Waldsiedlung
ein deutsches Dorf an, das den alten slawischen Namen des
Nachbarortes beibehielt. An den ursprünglich slawischen Dorfteil
mahnt noch „Die polnische Seite“, wie der nordwestliche Anteil
von Kühschmalz heis.st.
Mitteilungen 4. schlv«. (.les t Vkiie. ileit XX. ^
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Ktwa 5 km südlicli von Külischmiilz liegt der kleine Ort
ScliMedlleli, der nacli dem Volksmundc seinen Namen den Seliwedeii
verdankt; aber auch diese Plrkliirung des Ortsnamens gehört wohl
ins Gebiet der Volksetymologie.
Wie bei dem Ortsnamen Küh.schmalz hat der Volksmund auch
bei dem ehemaligen Sandstif'tsdorfe Seiferduu zur Erklärung des
Dorfnamens eine kleine sfigenhafte Erzählung erfunden, die zu-
gleich eine Marienlegende vorstellt.
Als in grauer Vorzeit Siedler in der Seiferdauer Gegend iimlierwanderten,
seien sie an ein altes Marienbild gekommen. Da sei ihnen die Jungfrau Maria
erschienen und habe ihnen zugerufen : ,Nu sei wer dau !“ Die Erscheinung der
heiligen Jungfrau habe als gUnsliges Vorzeichen gegolten, die Siedler hüUeu
sich hei dem Heiligeiihilde niedergelassen und hiltten das entstehende Dorf nach
dem Ausruf der Maria ,3ei-fer-dau* genannnt.
Im V'olk.smiinde heisst der Ort „SciberdO*, und es ist noch allgemein üblich,
auf den Ortsnamen zu reimen: „Sei her dö, dö hIein her dö“. Die Seiferdaner
katholische Kirche trSgt aussen an der Altarwand ein Marienbild, bei dem man
oftmals Beter sehen kann. Alle Marientage des Jahres werden in der Kirche
gefeiert. Im Juli findet alljährlich ein Skapulierfcst statt. Au diesem soge-
nannten „Seiherdäer Fest“ niiiiml die katholische Bevölkerung der Umgegend
teil, und die Kälahörner (Kaltcnhrunner), Stiifshaner (Stephanshaiuer), GSgler
(Goglauer) iisw. sind zugegen Die katholische Kirche von Seiferdau ist heute
Filialkirche von Kaltenbrunn.
Noch eine andere Sage über die Ortsgründung bringt der Volksmund ;
Zwischen Seiferdau und Klein-Bielau liegt ein Hügel, den der gemeine Mann
,Kirchherg‘ nennt. Am Fasse ilieser Anhöhe soll ursprünglich die Gründung
des Ortes geplant gewesen .sein, den Hügel seihst aber sollte die Kirche zieren.
Nun sei aber, so wird erzählt, auf geheimnisvolle Weise das bereits herbei-
geschaffte Baumaterial für die Kiiclie nach dem heutigen Kirchplatz getragen
worden, mau habe auf ihm die Kirche errichtet, und um die Kirche sei das Dorf
entstanden.
(iescliichtlicli ersclieint die Siedlung: zum ersten Mule in sla-
wischer Zeit unter den Schenkungen der herzoglichen Söline
Boleslaiis des Langen und Mesiko, die zu Lebzeiten ihres Vaters,
des Herzogs Wladi.slaw II. (f Hd<), mehrere Ortscliaften mit
ihren Hörigen in der Umgebung des Zobten dem Breslauer Sand-
stift verliehen. Der Ort wird hier Syuridou genannt, und sein
Name hält vielleicht die Erinnerung an den slawi.schen Begründer
der Siedlung fest. Die mit dem Suftix -ow gebildeten slawischen Orts-
namen sind in der Regel als Gründungen einer Einzeliterson anzusehen.
Ini Tale von üörbersilorf, Kreis Waldenburg, soll ursprüng-
lich nach Au.ssage alter Leute nur ein Gerbermeister gewohnt
haben; der heutige Name soll noch an das Gewerbe des ersten
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Siedlers erimiern. Der Ortsiiiiine von Dörbersdorf hat aber nichts
mit einem Gerber zu scliaft'en. Bei seiner ersten urkundlichen
Mi
Erwähnunp: im Jahre 1350 heisst das Dorf ^Girbrechtisdorf“.
Hier ist der Name des deutschen Unternehmers (locator) zur
Namensfrebutig der Siedlung verwandt worden.
Die Entstehung und die Benennung des Marktfleckens Golden-
traiini, Kreis I.aubaii, erklärt der Volksmnnd in folgender Weise;
Im Jalire 16öfi sull Cbrislopb vou Xostiz auf Tzscliocha eines Nachts ge-
träumt haben, eiu GoMklünilichen auf seinem Finger wüchse immer grösser.
Darauf habe er ücn alten Bergbau am Queis wieder aufgenommen und ,Neu-
städtel“ begründet, das im Jahre lt!77 die Rechte einer freien Bergstedt erhielt
und später tioldentranm genannt wurde. Vermutlich wurde die Siedlung so bc-
nannl, um schon durch ihren Namen glückverheissend zu erscheinen und Berg-
leute auzulocken. Leider verwirklichten sich die Hoffnungen des Grundherren
nicht, der Bergbau wurde bald wieder aufgegeben Noch heute zeigt man den
Ffingaug in den alten verlassenen Stollen,
Erweisen sich in diesen Fällen die volkstümlichen Ortsnamens-
deutungen als trügerisch, so zeigen sie mitunter auch eine grosse
Treue iii der ge.si-hichtlichen ('berlieferung.
ln der Ortschaft Eiben im Altvatergebirge erzählen heute
noch einheimische Leute von den früheren grossen Eibenbeständen
in der Umgebung der Siedlung, während sich kaum einer der
Dörfler noch eiu rechtes Bild von einer Eibe machen kann. Für
das Vorkommen der Plibe im Altvatergebirge s)>recheii auch P’liir-
namen, wie der „Pubenstein“, der an einem Berggipfel nordwest-
lich vom Dorfe Eiben haftet, und einige urkundliche Belege').
P'reudeiiburK. Kreis Waldenbtirg, kennt der gemeine Mann
fast nur unter dem Namen ,de GlAsehitte“, und im Volke besteht
noch die Erinnerung an die alte, im Jahre 16(51 begründete (ilas-
hütte, die zur Ortsgründung von P’reudenburg auf der P’lur und
den Trümmern der Wüstung Olbersdorf oder Ullersdorf die Ver-
anlassung gab. Schon längst ist die Glashütte vom Erdboden
verschwunden.
II. i'hrlstopli BiiseliiiiHiiiis volkstHinlielie P'luriiaiiienerklilniiigeii
aus Laiüreiilils, Kez. Liegnitz.
Der Gerichtsschreiber Christoph Buschmann in Langeuöls,
t 1832, hat einige intere.ssante Aufzeichnungen über die Geschichte
') Zeiljichrift des Vereins für Geschichte Schlesiens Bd. 41 8.211. F. W.
Pani Lehmami. Länder- und Völkerkunde, Bd. I Knropn, Xeud.'unni I8!IH S. :i2.ö.
«•
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lind zur Volkskunde seines Dorfes liinterlas-sen. Unter andern
bringt er auch in einer Handschrift vom Jahre 1826 ') eine An-
zahl Flurnamen von Langenöls und gibt dazu des öfteren die orts-
üblichen Deutungen. Wir wählen einige Flurbenennungen von
allgemeinerem Interesse aus; die genaue Lage der Grundstücke
lässt sich noch heute durch Nachfrage beim Volke feststcllen.
Der Mordgrund. .Befindet sich, wo der Weg nach Oreiffenberg führt;
ob vor Jahrhunderten allda ein Mord vorgefalleii oder ob der unangenebineii
Lage wegen dieser Name entstanden, bleibt unbekannt“. [Die erste urkundliche
Erwähnung des .Mordgruudes“ geschieht im Jahre 1447*).] — Die Hölle.
.Hinterm Murdgruiid gegen Friedersdorf, auch auf dem Bauerguthe No. 274“. —
Das J uiigferngrUiidel. .Die Alten haben den Namen daher; Es sollen
2 Jungfern Uber diesen Sumpf gehen wollen, und Brodt bei sich gehabt, auf
den Sumpf gelegt, um hinUberkommen zu können, und so wären sie versunken.
So sagen die Alten“. [Augenscheinlich fasst das Volk das Versinken der Jungfern
als Strafe dafür auf, dass die Mädchen das Brot in den Sumpf geworfen und
darauf getreten hätten.] — Der Teufelsarsch. [Der Name haftet an einem
mächligeii Gneisblock, der auf dem linken Ufer des .Stöckcibaclics“, in der Nähe
der Kolonie Klein-Stöekigt, unweit eines verlassenen Steinbruches, bald hinter
dem Eintritt des Baches ins Gebiet des Schlos.sgutwaldes liegt. Der Felsen
trägt in mittlerer Höhe einen Spalt, der nach Aussage des Volksmundes nach
Schwefel riecht, weil er häufig vom Blitz gctrofl'en werden soll.] — Die alten
Hosen. [Der gemeine Mann erzählt heute dieselbe kleine Geschichte von der
Entstehung des Flurnamens .Die alten Hosen“ wie von der nachfolgenden Flur-
bezeichnung .Die alte Guhpe“. Und eine ähnliche Erzählung kennt das Volk
bei der von Buschmann nicht genannten l’fengwiese, die in der Nähe des
Gasthauses zur .ühuhötte* liegt. Sie soll von ihrem einstigen Besitzer für
wenige Pfennige verkauft worden sein.] — Die alte Guhpe. .Soll der Tra-
dition zu Folge von dem Wiedemuthbauerguthe No. 97, jetzt dem Bauer Kunge
gehörig, für eine ulte Guhpe Jakke nach Giesshühel gegeben worden seyn.
Es ist ein stukkehen Land von Drei Viertel Brcsslauer Maas ... es befindet
sich dieses Akkerstükk an der Oiesshübler Gränze“ — Der Magistergrund.
„Das Haus No. 124 soll der Magister bewohnt bähen“. — Der Ziegcnwinkel.
— Der Kel lerfurth. — Der Quarksteig. — Die Scheibe. — DerStein-
berg oder Schanzberg. — .Der Galgenberg vor dem Stein- oder Schanz-
berge, worüber der Harteweg von der Ziegelgas.se geleitet ist, ist nur eine
kleine Anhöhe [nördlich vom heutigen Bahnhöfe]; die lieuenming ist der Tra-
dition zu Folge diese: Bis in das 17 te Jahrhundert langte au verschiedenen
Orlen die Waldung bis an das Dorf, und so hat es zu derselben Zeit den Wölfen
Aufenthalt vergönnt In Hungersuoth wären diese ins Dorf gekommen; wie es
') Die Handschrift wird im evang. Pfarrarchive von Laugenöls aufbewahrt.
’J Kgl. Staatsarchiv in Breslau, Orig.-Urk Jauer Nr. 40.
•) Wahrscheinlich rühren die Flurnamen .Die alten Ho.sen“ und .Die alte
Guhpe“ von den Formen der d.amit bezeichneten .Ackerslücke her.
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bekannt ist, <lnss sie »ich Sclinnrcuweise zusaninien rutlen, in heftiger Huugers-
iioth auch Menschen angreifen, — Um min das Biiidringen dieser Ranbthiere zn
liemmeii, ist ein Ualgen anf diese Anliöhe gebaut worden; etliche Wölfe haben
vorher inilsscii ertappt werden, um den Ualgen damit zieren zu können. Damit
glaubten die Vorfahren, das Eindringen der Wölfe ins Dorf zu verhindern; hie-
niit ist also die Henennnng: .Ualgenberg“ entstanden und wird bis heute noch
also genannt Die Alten sagten auch, dass der Steinbergbusch hereingegangen
sei bis an das Dorf, wird auch wohl so gewesen seyn, weil vor 60 Jahren hin
und wieder noch wilde Hekkeii und Uesträuche zu sehen waren“. — Der Keller-
berg. ,Iin Hussitteukriege haben die Vorfahren an schikklichen Orten Höhlen
angebaul, um ihre llabseligkciten vor den Hussiieu verbergen zu künneu. Diese
Höhlen oder (Jruben waren in einen Hügel oder Berg angebracht, so wie ein
Keller, wodurch alsdann die Benennung entstanden; vor 50 bis 60 Jahren sähe
man noch Spuren davon ; so auch ein Behiiltnias ist im Steinberge gewesen,
weil es auch damals noch zu sehen war; die Benennung Schau zberg kommt
daher, weil im Siebenjährigen Kriege auf dessen fordern Seite Schanzen ange-
legt und gefertigt worden; so wie es heute noch zn sehen iat*. — Unter der
Flnrbezeichming Der Mühlberg erzählt Buschmann folgende Geschichte. .\ls
auf Anordonng der Kirchcngntsherrschaft der Schäfer Hennig einen Teil seines
Grundstücks an Heinrich Uachmann abtreten musste, habe er aus Rache dem
Lachmann einen hässlichen Possen gespielt. Der Ijachmann habe auf dem ab-
getretenen Lande ein Haus aufgebaut. Schon sei ,die Stube mit Kalken ver-
sehen gewesen“, da habe der Schäfer Hennig .einen schwarzen Hund au den
Balken neben den Ofen gehenkt; dies wurde manchmal belacht, der p. Lacli-
mann halte sich aber doch nicht lassen abschrckken, sondern das Haus eingebaut
und bezogen. Es soll des Schäfers Hennigs Meinung gewesen seyn, dass der
p. Lachmaun das Hau» verlassen werde“. — Die drei Kiefern. .Bei der
evangelischen Kirche befanden sich ehedem drei Kiefern, wovon gegenwärtig
noch eine vorhaudeu ist; wie diese Kiefern dorthin gekommen sind, sagten die
Alten also: Es wäre einst einer gehangen worden auf den Vichweg de» Slelzer-
schen Banerguths. Deshalb wären diese drei Kiefern dahin gesezzt worden; ob
cs gegründet sei oder nur Sage, raus» anheim gestellt bleiben. Wenn es zur
Zeit des gehenkten, der Löfler oiler Löffdl geheissen haben soll, so wären es
jezzt der Sage nach 116 Jahr“. — Die drei Birken. .Auf der Wiedeniuth
vor dem Eichberge auf das Dorf zu war es ehedem sumpfig, schräge hinunter
war eine kleine Schluchze vermutlich vom Wasserlauf eutslaudeu und mit
Strauebbolz bewachsen, die aber zernichtet worden, und so hat man diesen Flekk
urbar gemacht; oben gegen die Uränze des Kretschams haben diese drei
Birken gestanden und wird bis heute noch die Benennung beibehalten, jedoch
aber meist vergessen, weil der Krctschmar au der Uränze daselbst einen Brunnen
angelegt, das Wasser in sein Gehöfte zu leiten, du bedient mau sich nun viel-
mehr, wenn mau die Gegend der drei Birken nennen will : Beim Bornhäusel“.
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Die Wüstling Jocksdoil
Von Dr. pliil, Martin Troblin.
Iiii Volksmunde der Dörfer Rreitenau, Markersdorf und
Sclireiberseifen lebt nocli eine scbwacbe Erinnerunfr an eine vom
Erdboden verscbwimdene Ortscbaft, die am linken Opitaufer
zwisdien Breitenau, Friedersdorf und Kunau- Fabrik gelegen
haben soll.
Nur wenige alte, eingese.ssene Leute wissen noeb etwas von
dem abgegaiigenen Orte zu vermelden, vielen aber ist wenigstens
noeb der Name des ebemaligen Dorfes bekannt. .Jökelsdorf oder
Jögsdorf soll die Siedlung gebcissen baben, als Joeksdorf er-
scbeint ibr Name auf der „Mappe“ (Flurkarte) von Markersdorf.
Man eiTeicbt den Talgrund der Wüstung am sebiiellsten von
der Ei.senbabnbaltestelle Kunau-Fabrik, indem man oppaaufwärts
die Bezirksstrasse verfolgt. Bei der Kunauer Oppabrücke mündet
von Norden ber auf dem linken Oppanfer ein Fahrweg ein, der
zur Wüstung Jockelsdorf führt. Durdi das schmale „Oppawaldl“
gelangt man in einen etwa 2 Kilometer langen Orund, der im
mittleren Teile waldbedeekt ist und sich von Süden nach Norden
erstreckt. Sein südlicher waldfreier Teil führt den Namen
„Pfarrgrund“. Dieser ist ein liebliches schmales Wiescntal,
d:us, trogförmig, nicht tief in das Hügelland der Umgebung ein-
ge.senkt erscheint. Ein Rinnsal flie.sst durch das Tal, das un.ser
Fahrweg durchschneidet. Die Dorfzeile der Wüstung soll den
Pfarrgrund durchzogen haben, während nördlicher im Walde und
im oberen waldfreicn Grunde die Häuser nur vereinzelt vorkamen.
Des öftern sollen Leute beim Graben im Pfarrgrund auf Grund-
mauerrcste gcstos.sen sein. Deutlich heben sich noch an einigen
Stellen des Tales viereckige Stücke in erhöhter Lage ab, die
augenscheinlich als alte Fundamente von Häusern anzusehen sind.
Im südlichen Teile des Pfarrgrundes wird eine längliche Erhöhung
als Platz der untergegangenen Kirche gezeigt. Deutet schon der
„Pfarrgrund“ auf das frühere Vorkommen einer Kirche hin, .so
wird ihr ehemaliges Vorhandensein noch wnhi’scheinlicher durch
die Tatsache, da.ss dem jeweiligen Pfarrer von Breitenau die
Nutzniessnng des I.andes im südlichen Pfarrgrunde zusteht. — Im
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Noulusteii des Ptuir^fruiides liat aiifteblich ein Schloss am Abhang
eines Hügels, des „Steinrück’“, gelegen. Mein Gewährsinann, ein
rüstiger SOjühriger Weber ans Markersdorf, will noch als Kind in
den zerfallenen Kellerräumen uinhergeklettert sein.
Iin nördlichen wahlfreien Talstücke des Jocksdorfer Grundes,
nicht weit von den höchstgelegenen Häusern von Breitenaii, w'aren
noch in den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts Mauerreste
einer alten Wassermühle zu sehen. Heute wäre freilich das
unscheinbare Wässerlein des Tales nicht imstande, ein Mühlrad zu
treiben.
Die alte Siedlung Jocksdorf ist schwerlich sehr gross gewesen.
Das Tal des Dorfes bot nur für eine be.schränkte Zahl Häuser
Raum.
Die alte F’lur ist in ihrer Ausdehnung kaum mehr genau
festzustellen. Der grösste Teil der wüsten Ländereien kam an
Breitenau, ein kleiner Teil an Markersdorf. Das heutige Dorf
Breitenaii steht in seinem oberen Teile vielleicht auf altem Jökels-
dorfer Gebiet. Tm Osten mögen die Priedersdorfer und Erbers-
dorfer Gemarkungen die Jocksdorfer Flur begrenzt haben, während
im Westen die Oppa die Grenzscheide bildete.
Noch heute bezeichnet der Volksmund die Äcker zu beiden
Seiten des Pfarrgrundes als Jokelsdorfer Äcker. Aber die alte
Flur war, wie gesagt, au.sgedehuter. Der Wald im Norden des
Pfarrgrundes war früher vielleicht Ackerland. Nach der P^lurkarte
von Markei’sdorf gehörte von Markersdorf die „Huttiing“ zu
Jockelsdorf. Dieser Teil von Markersdorf liegt zwischen dem
letzten Hau.se von Markersdorf, der Oppa und dem „Winkel“,
einer Stelle, wo die Oppa 1 Kilometer südwestlich von Markers-
dorf der Bezirk-sstrasse sehr nahe kommt.
Unweit des Winkels in südöstlicher Richtung stand noch vor
etwa 30 Jahren eine alte Brettschneidemühle, deren Lage und
deren Mühlgraben noch zu erkennen sind. Sie gehörte wie die
ansfossenden, bis zur Kunauer 0]>pabrücke sich erstreckenden
„Kriegswiesen“ zu Jockclsdorf. Ob weitere Gebäude auf den
Kriegswiesen gestanden haben, ist nicht zu ermitteln.
Die Bewohner des abgegangenen Ortes trieben Ackerbau oder
ernährten sich durch Goldwäschen. Zu beiden Seiten der Oppa,
besonders auf dem linken Oppaufer im „Oppawaldl“, gewahrt man
zahlreiche Hügel, die im Volksnumde „Huttichen“ genannt werden.
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Sie sind die alten Halden der früheren Guldwäscherei. Teilweise
wurden sic beim Eiscnbalinbau und bei Anlage der Bezirksstrassc
verwertet.
In Breitenau waren geschichtliche Nachricliten über Jockels-
dorf niclit zu finden. Das Bfarrarchiv ist zu Beginn des 18. Jalir-
hunderts samt Kirche und Pfarrhaus durch Feuer vernichtet worden,
und die neuangelegten pfarrbücher und das Pfarrgedenkbuch
wissen nichts von der Wü.stung. Alte Leute behaupten, Jökelsdorf
sei bereits am Ende des 16. Jalirhunderts vorhanden gewesen.
Es sei in den Kämpfen des „Schwedenkrieges-* zur Wüstung ge-
worden. Im letzten Teile des 30jährigen Krieges sollen
Torstensonsche und Königmark sehe Trujipen nacheinander die.
Gegend um Breitenau geplündert und Jökelsdorf niedergelirannt
haben. Die. rechtzeitig geflohenen Bewohner sollen sich in den
umliegenden Wäldern verborgen und später an andrer geeigneterer
Stelle, in der hochgelegenen Talmulde der „breiten .\uen‘* („Brei-
tenau“) ein neues Dorf angelegt haben. Auch sclireckte wohl
eine abergläubische Vorstellung die Siedler ab, den alten ver-
wüsteten Ort wieder neu aufznbauen. Der Flurname „in den
Ki-iegswiesen“ mahnt vielleicht an den Schwedenkrieg.
Zum Schluss möge nocli kurz eine alte Sage angeführt werden,
die an dem verwüsteten Schlos.se von Jockelsdorf haftet; Unter
dem Schlo.sse von JockeLsdorf ruht ein gro.sser Schatz. Wer die
rechte Stunde wei.ss, kann ihn heben, aber er muss beherzt .sein
und, ohne zu .sprechen, zum Schatze hinabsteigen. Als rechte
Stunde gilt die Zeit des Hochamtes am (’harfreitage. Einst soll
ein Matin zu dieser Zeit zum Schlossberge gekommen .sein und
einen unterirdischen Gang offen gefunden haben. Als er den Gang
verfolgte, kam er zu einer Kammer, die reich mit Kostbarkeiten
angefüllt war. Grade im Begriff den Schatz zu heben, erscheint
ihm ein mächtiger Heiter auf einem Hirsch sitzend und ruft ihm
mit dröhnender Stimme zu; „Lass ab, lass ab, alles ist mein!“ —
„’N Quark ist Dein!“ ruft ihm der Schatzsucher zu. Aber da
ertönt ein Donnerschlag, und der Spuk und der Schatz sind ver-
schwunden.
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Sclilcsisrhe Volkslieder.
Von [)r. phil. F. Fradel in ülogaii.
Die Saiiimlunp schlesischer Volkslieder, von der ich in Heft XIV
der Mitteilungen unserer Gesellscliaft erzählte (S. 04 ft’.), hat sich
iin Laufe der Zeit vergrössert. Alle diese Lieder sollen denmiichst
den Beständen der (lesellschaft zugehen, mit Anmerkungen und
Verweisen versehen, wie sie die Lesung volkskundlicher Werke,
besonders solcher Uber das Volkslied, gelegentlich mit sich brachte;
vielleicht sind sie einer gewiss allerseits ersehnten Ausgabe der
schlesischen Volkslieder von einigem Nutzen.
Hier seien noch einige bemerkenswerte Proben gegeben, bei
denen besonders auf die neuesten bedeutenden Bücher über das
Volkslied hingewiesen wird: auf Böckels Psychologie der Volks-
dichtung (Leipzig 100(5), auf sein Handbuch des deutschen Volks-
liedes (Marburg 1908) und auf .lohn Meiers Kunstlieder im Volks-
munde (Halle 100(5)*). Weist uns Bockel vor allem in feinfühlender
Wei.se auf die Schönheiten der Volksdichtung hin, so geht Meier den
Veränderungen iiacli, welche Lieder bei ihrer Verbreitung im
Volke durchmachen und zeigt uns die p.sychologi.schen Gründe für
diese Wandlungen. Gerade diese Veränderungen sind mit ein
Zeichen des Volk.sliedes, am , Herrenverhältnisse des Volkes zum
Stoffe'* sehen wir, da.ss ein Lied „Volksli(‘d“ geworden ist. Genau
genommen sinil alle Volk.slieder erst Individual- oder Kunstlieder
gpwe.sen. Gewöhnlich ist ihre ursprüngliche Form nicht mehr er-
lialten. sie kann auch nicht erschlo.ssen werden, da wir nicht alle
Zwi.sclienstufen in der (Überlieferung haben; nur da, wo Kunst-
lieder, die in Druck oder Schrift fe.stgelegt sind, zu Volksliedern
geworden sind, haben wir das Urbild, den .Archetypus, hier
können wir die .Abwandlungen scharf von der nr.sprünglichen
Form sondern. Fortan wird jede Geschichte des Volksliedes sich
auch mit den .Kunstliedern im Vr)lk.sinuude“ be.schäftigen müs.sen;
an ihnen vollziehen sich in uns erkennbarer Weise die Vorgänge,
die uns an den bi.sher gewöhnlich A'^olkslieder genannten Dich-
tungen meist undeutlich bleiben.
J. Meier geht selbst an einem lehrreichen Beispiele den
') Vgl. die Besprechung in deu Milt XV IGü, wo u. a. bestritten wird, dass sieh aus
mündlicher ("herliefernng niemals die ursprüngliche Fassung könne gewinnen lassen.
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Sihicksak-n iiacli, die ein Kunstlied auf seinem Laufe durcli das
Volk crfäliit, er wählt dazu Heinrich Wilhelm von Stamfords Lied:
Ein Mädchen holder Mienen, Schön Aennclien sass im Grünen
(S. XIX — XXXIIf Ein anderes Beispiel dieser Betrachtungsart
bietet R. Petsch, der sich mit dem Ijiede des Freiherrn von Zedlitz:
Mariechen sass am Hocken, Im Grase schlummert ihr Kind, be-
schäftigt (Zeitschr. d. Ver. f. Vkde. 10,66 ff., s. auch .L Meier LXXXV
und 34, 210). Von den zehn Versen des Urbildes sind im Volke
zwei verschwunden, aus psychologisch verständlichen Gründen,
nämlich 5 und 6; das ist auch in der mir aus Eisdorf vorliegen-
den Fa.ssung der Fall. Diese .scheint in dem Ver.se
Drum sinken (!) wir uns morgen | Vorbei sind Kummer und Sorgen,
Hinab in den tiefen Sec, I Wir sehen uns nimmer meli
mit der letzten Zeile etwas Besonderes zu l)ieten, eine jener fest-
gefügten Formeln, wie sie sich im Volksliede unter dem Einflüsse
des Keimes häufig, oft ohne Rücksicht auf den Sinn, ein.stellen.
An ilireni Platze ist diese Zeile z. B. in dem von Uhland
(Schriften zur Geschichte der Dichtung nnd Sage. 3. Band S. 408,
s. a. S. 452i mitgeteilten Liede.
Aus Eisdorf besitze ich auch eine Fa.ssung eines von M. Adler
(Zeit-schr. d. Ver. f. Vkde. 11, 459 ff.) mitgeteilten und erklärten
Liedes*), dessen Verfa.ssorin eine Frau Schlegel, Bäuerin einst in
Amstedt. sein .soll; sie lautet:
Bin Mädclieii jung von achtzebn Jahren. Ganz der Verzweiflung nah gekommen
Verfuhrt durch Männerschmeiehclei, | Ging sic des iVbends auf die Bahn,
Sie hatte cs zu früh erfahren j Sie wollt ihr Haupt auf .Schienen legen,
l'nd fühlte, dass sie Mutter sei. Bis das.s der Zug von Hamburg kam.
Den ganzen Tag rang sic die Hände: Die Schaffner hatten cs gesehen.
Mein grosser Gott, verlass mich nicht. Sie bremsten mit Gewaltheit an,
Denn ihre Schuld, die tat sie kränken. Jedoch der Zug kam nicht zum Stehen,
Sie suchte Kuh und fand sie nicht. ; Ihr Haupt voll Blut roll (!)’) in den Sand.
Sie fiel der Mutter vor die Küsse So leb denn wohl, du holde, schöne,
l'nd bat von ihr Verzeihung an, Du sichst dein Klternhaus nicht mehr.
Jedoch die Mutter stiess mit Küssen Du hast die Rosen blühen sehen,
Ihr einzges Kind zur Tür hinaus. ! Du sichst sie nun und nimmer mehr.
Bei Adler beginnt das Lied in etwa.s moralisierendem Tone:
Hört. Jungfraun, welch ein Schreckens- Von einem falschen Liebesbunde,
Die sich zutrug in unsrer Stadt, [künde. Den falsche Dieb gestiftet hat
') Über die Melodie s. J. Meier a. a. (). ( XXVII. — S. auch R. Petsch,
Hess. Bl. f V. 11 199
Wie nuoll zu quillt, zu es rillt gebildet; rillen = fliessen, rinnen. Ss.
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(nuc)i: Nehmt es zu Herzen tief zu Grande.
Was falsche Lieh gestiftet hat).
Auch die letzte Strophe sclilüpt einen ähnlichen Ton an;
Ach Gott, vergib ihr ihre Sünden, Ihr war da.s Glück nicht mehr Iioschieden,
Dieweil sic die Verzweiflung trieb. I Ihr wollten Kosen nicht mehr blUhn.
Auch sonst weichen beide Formen des Liedes sehr von-
einander ab. Und das ist ganz begreiflich. Die ursprünglichere
Form enthält mehrere Eigennamen, so im 5. Verse:
Von Snlza ging sic bis nach Kosen Sie tat ihr Haupt auf Schienen legen,
l'nd bei Schulpforta auf die Bahn, I Weil eben der Zug von Naumburg kam.
ln der Gegend des Tatortes, der Entstellung und ersten Ver-
breitung des Liedes — Adler gibt das Gebiet zwi.schen .\nerstedt,
Snlza, Küsen, Naumburg, Weissenteis, Freibnrg a. d. ü. an —
waren diese Namen ganz bekannt; je weiter sich das Lied davon
entfernte, um so unverständlicher erschienen sie, darum ver-
schwanden sie. In der Eisdorfer Fassung scliimmert nur eben
noch einer hindurch. Vielleicht darf man in diesem Hamburg für
Naumburg und in der Zeile: Sie lu'emsten mit Gewaltheit an (bei
Adler: Sic bremsten mit gewaltger Hand) das Wirken mündlicher
Cberliefernng erkennen ').
Weil in seiner ersten Zeile dem Volke unverständlich, ver-
schwand auch der ganze, siebente Vers, so sehr er auch sonst mit
seiner Rühr.seligkeit ergreifen mochte ;
Die Schüler von Schulpforta haben. Aus Mitleid sie so schon begraben,
Weil niemand sie gekennet hat. Gott lohne ihre edle Tat.
Zum Vergleiche mit dem dritten Verse unserer Fassung sei
endlich noch der vierte der Adlerschcn mitgeteilt;
Vom Mutterherzen ganz.verstossen, Sie hatte bei sieh selbst beschlossen
Ging sie eins Tages mittags aus. Nicht wiederzukehren ins Vatcr(Kltern)-
haus.
Man könnte vermuten, dass dieses Lied durch Bänkelsänger
verbreitet worden sei, wie ja das Singen von Schauergeschichten,
die zugleich in Bildern dargestellt sind, sehr beliebt war, s.
J. Meier a. a. (). Llll f., und wohl auch heute noch nicht ganz
verschwunden ist.
Auch für das läed, da.ss bei Hotfmann-Kichter unter Nr. 39
steht, ist eine solche Verb reitungs weise denkbar. Mir liegen da-
') Beispiele für solche durch Verhören cnUtaiideiien Kntstellungen s. bei
,1. Meier a. a. O. BXXXII ff.
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von zwei Fa.ssuiigeii vor, die eine uns Eekersdorf, die andere aus
Kisdorf; beide sind vollständiger als die bei Holi'inann-Riclitcr ge-
gebene, sie weieben aber auch voneinander nicht nnbedentend ab;
Es klopft so sclirpcklich an ilie Tür,
Wer ist denn da, wer ist denn liier?
Es ist «ewiss ein armer Mann,
Iler sein Quartier nicht finden kann.
Es folgte immer Streich auf Streich.
Die gute Frau die öffnet gleich.
Sie öffnete, o grosser Gott,
Der erste Eintritt stach sie tot
Sie schonten weder Knecht noch Magd
Dnd raubten früh bis an den Tag.
Ein einzig Kind das nahm die Flucht,
Iiu Hundestall es Kettung sucht.
I’nd als am Tag die Sonne schien.
Das Kind sogleich zum Richter ging.
Ach Richter, lieber Richter mein.
Kommt mit mir in das Dorf hinein
[ Bei uns liegt alles in dem Blut,
(ierauhet durch der Mörder Wut.
Bei uns ist heut ein Blutgeschrei,
Der Schmied im Dorf war auch dabei.
Der Richter nahm .Soldaten mit
l'nd ritt sogleich ins Dorf zum Schmied.
Er ist nicht da, er ist verreist,
I So wie im ganzen Hause heisst.
Und auf der Brücke stand sein Kind,
Noch rein, wie (iottes Engel sind.
Mein Kind, mein Kind.sagmirgeschwind,
: Wo ist Papa, wo ist Papa?
j Drunten im Keller, sagt das Kind,
Bei ihm so viele Männer sind.
• Dort hört man, wie das Silber rollt,
I Sie zählen Geld, sie wiegen Gold.
Der Eisdorfer Text lautet fol{tcnderma.s.sen ;
Was klopft so grässlich an die Tür?
O horcht, 0 horcht, wer steht dafür?
Es ist gewiss ein armer Manu,
Der nirgends Obdach finden kann.
Die gute Frau die eilt sogleich.
Da gchts schon immer .streich auf Streich,
Ermordet wurden Frau, Knecht, Magd,
l’nd zwei der Kinder folgten nach.
Ein einzges Kind es nahm die Flucht,
Im Hnndestall cs Rettung sucht.
Pnd hätt es nicht die Flucht ergriffen.
So war es mit himveggerissen.
Und als der Tag zu grauen anfing.
Das Kind sogleich zum Richter ging.
■Ach Richter, geht sogleich mit mir,
Bei uns liegt alles im Blute schier.
Der Richter nahm .Soldaten mit.
i Ging auch sogleich ins Haus zum .Schmied,
j Die Meistrin meint, der sei verreist,
‘ Wie es im ganzen Hause heisst.
Dort unten am Tore da steht ein Kind.
So fromm wie alle Kinder sind.
Ach kleines Kind, was machst du da?
.Sag an, sag an, wo ist Papa?
I lort unten im Keller, so sprach das Kind,
Wo noch viel andre Männer sind.
I Es waren da der Männer drei,
' Der Schmied vom Dorfe w'ar auch dabei.
Sie zählten (ield, sic wogen Gold.
O hört, 0 hört, wie s Silber rollt.
' Es ist das blutge Löscgeld,
Was sich dort unten verborgen hält.
Für diese blutge Rachetat
Hängt dieser Mörder schon am Rad.
Wollte man versnelien, uns die.sen beiden Fas.siingen das Ur-
bild herzustellen, so käme man gewiss in Verlegenheit. Die Elis-
dorfer Fa.ssung ist offenbar die vollständigere und bes.sere, doch
auch sie ist am Schlüsse verstümmelt, und nach dem sechzehnten
Verse klaft't eine Lücke, das Kind müsste auch hier, wie in der
Eckersdorfer Fa.ssung, auf den Schmied als Schuldigen hinweisen.
Im 1(). Hefte der Mitteilungen unserer Gesellschaft (S. 97, 1)
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bericlitet Küliiiiiu: ,Eiiie alte Frau, die Kiiiipen aus Heriuanns-
dorf bei Jauer, die uns Kinder immer mit (Jeschichten unterhielt,
erzählte einmal von einem Teiche, in dem ein Graf oder eine
Gräfin mit ihrer Kutsche samt Kutscher und Pferden ertrunken
war, und aus dem dann nachts immer . . . Worte tönten“. Solche
Geschichten knüpfen sich wohl auch anderwärts an Teiche und
Weiher. In einem Gedichte, von dem ich wieder zwei Gestal-
tungen besitze, wird etwas ganz Ähnliches erwähnt. Auch hier
wird ein Vergleich zwi.schen beiden, der einen aus E< kersdorf und
der anderen aus Eisdorf, diese zeichnete ich aus einem hand-
schriftlichen Liederhefte auf, lehrreich sein.
CJraus war die Naclit and mn den tücbcl t'nd rettet dort den Wandersmann.
I>er Päcliterwohnung heult der Sturm, ' .\eh lasst das Märchen, bat Lconore,
Per fromme tireis las in der Bibel ■ Kommt, rettet, cli das Herz ihm bricht.
I'nd sieben schlugs vom Kirehenturni. | Sein Angstrnf drang zu meinem Ohre.
.Schon sieben? t’nd (ieorg nicht hier! , I'nd seine Stimme täuscht mich nicht.
.Sein dunkler Weg führt hin am Teiche, | So bat sic kniend, bat unsäglich,
Ach welches l'nglück ahnet mir. l>och bauend auf das Sagewort
Der .Sohn des Försters von der Heide Blieb Vater Martin unbeweglich.
War ihr verlobter Bräutigam I'nd die Verzweiflung riss sie fort.
I'nd glühend schlug ihr Herz vor Freude, Zu Hilfe, rief sic vor den Türen
Wenn der geliebte Jüngling kam. Des Dorfs, ein Mensch erstickt im Teich,
Ein Jahr lang trat er alle Tage Er ächzt und winselt, lasst euch rühren,
Vor .Sonnenuntergang ins Hans, l’m Gottes Willen bitt ich euch
Doch mit dem siebenten Glockcnschlage Doch wie ilnrch einen Bund verschworen
Kam heut die Nacht, und er blieb aus Versetzten alle Iräg und lau;
Leonore flog ihm bang entgegen Da wäre jeder Schritt verloren,
I'nd eilte bald mit starrem Blick i Es ist das Weh der Klagefrau.
Und atemlosen Ilcrzensscblägen Schnell fühlte sie. wie eine Quelle
Ins väterliche Haus zurück. Voll Muts in ihrer Brust entsprang,
Helft, rief sie, helft, im l'ferteiche Und lieldenkühn eilt sic zur .stelle.
Des liohrschilfs tönt ein Klageton. Wo noch das Wehgeschrei erklang.
Es ist Georg, er ruft um Hilfe, Du Geist der Liebe, hab Erbarmen,
Kommt, Vater, rettet euern Sohn, Und gib mir Kraft ihm beizustelin.
Der Alte schüttelte bedächtig .So fand man Herz an Herz erstarrte
Die grauen Locken, Kind, du weisst, Leichen,
Seit hundert Jahren wimmert nächtlich I»ie selbst des Todes Macht nicht schied.
Dort einer edlen Gräfin Geist. . Flicht, schrieb man drauf, den Aber-
Verirrt des Nachts zum l'fuhl der Unken, i glauben.
Ist sie mit Wagen und Gespann j Der sic dem Tod zum Opfer gibt.
In bodenlosem Moor versunken |
Der Ei.stlorfer Text hei.sst also:
Grau ist die Nacht und um den Giebel Der fromme Greis l.as in der Bibel
Des alten I’ächterliauses heult der .stiinu, Und sieben schlugs am Kirchenturm.
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Ilpr Sohn des Försters in der Heide
War Lcunures liräuti^am
I'nd glühend sehlug ihr Herz vor Freude.
Wenn der geliebte .Töngling kam
Ein .lahr lang kam er alle Tage
Vor .Sonnenuntergang ins Haus.
Doch mit dem achten tilockenschlagc
Kam heut die Nacht, und er blieb aus.
Lenore eilt ihm bang entgegen '),
Kam aber bald mit starrem Blick
I’nd atemlosen Herzcnsschliigeii
Ins vUlerliche Haus zurück
Ach Vater, dort im rferschilfe
Hörte ich einen Klageton,
Es ist Oeorg, er ruft um Hilfe,
Komm Vater, rettet euren .Sohn.
Der Vater schüttelte bedenklich
Die grauen lAicken: Kind, du weisst,
.Schon ein.Tahrhundert wimmert nächtlich
Dort einer edlen (iräfin (ieist.
Im tiefen See, im Meer (!j ertrunken
ist sie mit Wagen und bestand (!)
Im bodenlosen Niel (!) ertrunken
Hemmet jetzt den Wandersmann.
! Die Tochter eilt vor Försters Türe:
j Helft, dort ertrinkt ein Mann im Teicli.
I Hört das Wimmern, lasst euch rühren,
I Ich bitte und beschwöre euch.
^ Die Dorfbchaft wurde nun gebeten,
j .Setzt (!) ans Ucttiingswerk heran,
1 Schier dreissig Kiefernfackeln brannten
Fm .Mitternacht den Teich entlang
Da sah man. o Schrecken, mit Erbleichen
Nicht weit vom l’ferrand umringt (!)
' Die Brust an Brust erstarrten Leichen,
Die selbst des Todes Macht nicht hielt t! i.
Wir haben e.s hier offeitbar mit einem Kiiibstliede im Volks-
munde zu tun, der L'rte.xt i.st mir nicht bekannt. Der Eckers-
dorfer Text mit seiner breiten Darstellung, mit .seinem Schlus.se,
der vor dem Aberglauben warnt, steht ihm sicher noch ganz nahe.
Zeile .5—7 sind aber, unter dem Einflu.sse der vierten Zeile, an
diese falsche .Stelle geraten, vgl. die Anmerkung zur dreizehnten
Zeile der Eisdorfer Fa.s.sung. Form und Inhalt lassen uns an (le-
dichte wie Schlotterbecks: In Myrtills zerfallener Hütte denken,
das in seiner Rührseligkeit, in seiner Absicht des prodes.se et de-
lectare dem Volke .sehr gelieP), siehe J. Meyer a. a. O. HO, 184;
ich besitze eine Xieder.schrift dieses (iedichtes aus Henn.sdurf im
Isergebirge. An dem Eisdorfer Wortlaute .sehen wir deutlich, wie
das Volk .sein Herrenrecht an die.sem ihm sehr zusagenden (ie-
dichte au.sgeübt hat; nur .schwer errät man aus dem .stark ver-
kürzten Schlüsse den wirklichen Hergang, auch einzelne Wörter
sind kaum zum Wiedereikennen entstellt.
<Transige Geschichten sind dem Volke allezeit lieblich anzu-
’) In (lern Hefte, aus dem ich diese» Oedicht abschrieb, stionl über diesem
und den folgenden beiden Versen übergeschrieben: Lenore ruft mit bleichem
Zittern: .Schon sieben und (ieorg nicht hier, .Sein dunkler. Das Wort Zittern
war durcligestrichen.
’) Das tiedicht ist offenb.ar durch .Schul- und Lesebücher ins Volk ge-
drungen; ich kenne es aus der , Sammlung erzählender (iedichte“, herausgegeben
von (iröhe und Kosche, (ioldberg 1843.
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hören {'ewesen; das beweist, ausser den bereits aiip;e führten
Liedern, aueli die weite Verbreitung der Erzälilung von den Mord-
eltern, die auf einem wirklichen Vorfälle beruhen soll '). Wir
finden sie z. 15. in des Knaben Wuiiderhorn (II 60 llempol), bei
Hoft'niann-Riehter Nr. 34 und 35, bei Erk-Böhme I 172 ff., Böckel
teilt in seinem Handbuche des deutschen Volk.sliedcs S. 188 eine
Form aus dem Odenwalde mit. Unsere Fa.ssung, die aus Eckers-
dorf herrührt, kommt alter guter Überlieferung nahe, man erkennt
das aus ver.schiedenen Ausdrücken und Wortverbindungen, für sich
steht sie den erwähnten anderen gegenüber dadurch, dass in ihr
der Sühn mit einem Messer ermordet wird, während er sonst durch
siedendes Fett getötet wird.
Es wari'n einmal zwei Bauerssiilm, l'nd tat den Reiter ermorden.
Die hatten Lust in den Krieg zu gehn. .Sie schleppt ihn in den Keller rein,
Wohl um .Soldat zu werden. Verseharrt ihn in den Sand hinein:
l'nd als sie in den Wald rein kamen, Hier lieg und bleib verschwiegen.
Ein Hänschen sie von ferne sahn, i l’nd als der andre Tag anbrach,
Das H'ar so schön gezieret I Der andre Reiter geritten kam und
l'nd als sie nun ganz nahe kamen, ’ Wo ist mein Kamerad? [sprach;
Frau Wirtin in der Türe stand, ■ Dein Kamerad ist nicht mehr hier,
(tanz freundlich und bescheiden | Er ist geritten ganz weit von hier,
(iutenTag. guten Tilg. Frau Wirtin mein, I Er kehrt auch nicht mehr wieder.
Wo steilen wir unsre Pferde ein, Ach nein, ach nein, das kann nicht sein,
Dass sie nicht gestohlen werden? iJas Pferd steht in dem Stall allein.
Stellt sie dort an jene Wand (iesattclt und gezüumet.
Mit eurer ganz schneeweissen Hand, i Habt ihr ihm etwas zu leid getan.
Dort werden sie euch nicht gestohlen. | Das habt ihr an eurem Sohn getan,
I’iid als es kam um Mitternacht, j Ist das nicht Schimpf und .Schande!
Die Frau zu ihrem Manne sprach: Das machtdas verwünschte Geld und (lut.
Wir wollen den Reiter ermorden. | Kringt manchen um sein junges Hlut
Ach nein, ach nein, das kann nicht sein, I l’nd um sein junges Leben.
Lass du den Reiter liegen, . Die .Mutter in den Brunnen sprang,
Fis bleibt ja nichts verschwiegen. | Der Vater sich in den Kuhstall hang.
Die Frau die nahm des Manns llewalt. Die Tochter vor (Iram unil Arger starb.
Sie nahm das Messer in die Hand :
Von .Mord und Blutvt‘rgie.ssen erzählt auch ein anderes sehr
verbreitetes Lied :
Der Ulbricb und das Hänselein I Flr nahm sic bei der rechten Hand
Die liebten beid ein Mädelein, Pud lührt sic in den grünen Wald.
Dem Hänslein war sie anvertraut, | Als sie in den grünen Wald kam,
Der ribrich nahm die schöne Braut. I Da hingen ihr schon neune da.
‘) s Hoffm.ann-Richter S. 61.
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Acli ribrirh, liebfr rihrirh mein,
Du soll ich scliun die zehnte sein.
I»u sollst hier nicht die zehnte sein,
Ich will dich hängen mitten rein.
Ach ribrich, lieber ribrich mein,
Lass mich doch noch drei Lallen Schrein.
Wegen mir sollst du aucli viere sclirein.
Im Wald wird niemand hören.
Den ersten Lallen den sie tat.
Wie sehr sie ihren Vater hat:
Ach Vater, komm doch b.alde,
Henn ich muss sterben im Walde.
Ken zweiten Lallen, den sie tat,
So sehr sie ihre Mutter bat:
Ach Mutter, komm docii balde,
Kenn ich muss sterben im Walde
Ken dritten Lallen, den sie tat.
So sehr sic ihre Schwester bat:
Ach Schwester, komm doch balde,
Kenn ich muss sterben im Walde.
Ken vierten Lallen, den sic tat,
Wie sehr sie ihren Bruder bat:
Ach Bruder, komm doch balde.
Kenn ich muss sterben im Walde.
• Per Bruder auf der Bierbank sass
j l’nd hörte der Schwester Schreien nach,
j Er ging nach Haus geschwind
I’nd reitet in den grünen Wald hin.
I'nd als er in den grün Wald k,am,
Der ribrich ihm entgegenkam:
I Ach ribrich, lieber ribrich mein,
I Wo hast du denn mein Schwcsterlein ?
Kcin'm Schwcsterlein soll kein Leid
j ge.schehn,
j .*ic wird bei Fürsten und (irafen dien’n.
j Wie kann sie denn bei Fürsten und (irafen
i dienen.
Wenn deine Hände so blutig sind?
' Ich hab geschossen ein wildes Schwein,
' Kazu zwei türkische Täubelein.
j Wie kannst du geschossen haben ein
w’ildcs Schwein,
I Ka ich doch hörte meiner Schwester
: .Schrein?
Er sprang nun herab vom Pferde
, rnd hieb ihn zur Erde.
! Hier liege, du Hund,
l'm dich tt'ird niemand weinen.
Im einzelnen Fa.ssungen dieses Liedes rettet der Bruder .seine
Scliwestcr aus des Mörders Hand (s. darüber Erk-Bülmie 1 l'20f.);
mir .scheint der Schluss mit einem günstigen Au.sgange aus jüngerer
weichherzigerer Zeit lierzurüliren , Beispiele für solche Verwässe-
rungen sind bekannt. Zu den Fassungen, in denen das Mädchen
getötet wird, gehört auch die hier mitgeteilte, aus Eckersdorf
stammende. In einigen Texten tut nun das Mädchen drei Schreie,
in anderen, wie in dem unsrigen, vier. Welche Bolle die Drei-
zahl von altersher in Glaub(‘n und Brauch des Volkes spielt,- ist
hinlänglich bekannt ‘); so werden wir die Fassungen mit der
Dreizahl für urs])iünglicher als die mit der Vierzalil halten. Be-
achtung verdient auch, zu wem das Mädchen ruft, ln der älte.sten
gedruckten Fa.ssung (s. Böckel, Handbuch S. 114) ruft sie zu Jesu,
zu Maria, dann zu ihrem Bruder; in des Knaben Wunderhorn
(1 307 Hempel) zu ihrem Vater, zum lieben üott, zu ihrem Bruder;
wt'gcn anderer Verbindungen s. die Liederbei Erk-Böhme 1 118 fl'.
’) Wegen der drei Schreie .s. auch Rochholz, Schw’cizer Sagen aus dem
.\argau I 22ff. ; Höckel, Mitleil. der schlcs. (L f, V. XI 44 f.
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Man wird fragen dürfen, passen wohl diese, drei als Nothelfer zu-
einander? Erscheint da nicht Ungleichartiges miteinander ver-
bunden? Wir nehmen aber keinen Anstoss, wenn das Mädchen
Vater, Jlutter und Bruder anruft, dann ist auch dieses Lied wie
so manches andere und so manclie Geschichte ein Lob auf die
Bruderliebe, die stärker als die Liebe der Eltern ist. Von hier
aus erklärt sich nun auch leicht die Vierzahl. Zu jenen dreien
ist als viertes die Schwester hinzugekommen, dadurch soll die
Liebe des Bruders noch mehr licrvorgehoben werden; abgesehen
von der Vierzahl, auch der Zug, dass dem Mädchen noch eine
Schwester gegeben wird, .scheint mW- nicht recht alt und volk.s-
tümlich zu sein. Auf welche Wei.se nun an Stelle von
Vater und Mutter himmli.sche Nothclfer getreten sind, darüber
kann man wohl nur Vermutungen hegen. Einmal sind ja
nun die Himmli.schen überhaui>t die, an die sich ein ver-
zweifelndes Herz zuerst wendet; da.ss sie hier versagen, da.ss
die Rettung oder Erhörung durch einen Menschen geschieht,
eben das beweist mir mit, dass ursprünglich nicht göttliche Hilfe
angetleht worden ist. Eine Behauptung, der Bruder komme eben
auf Gottes oder Mariens Gehei.ss, wird niemand versuchen. Viel-
leicht hat man auch beim Anruf der Mutter an die. Mutter Maria
gedacht, ein durchaus nicht unmögliches Mis.sverständnis. Von da
war zum Anrufe Jesu oder Gottes nicht weit. Vielleicht ging
auch die Änderung daraus hervor, dass man beim Anrufen des
Vaters an Gott Vater daclite. In unserer Pas.suug sclieinen mir
die Worte: Du sollst hier nicht die zehnte sein. Ich will dich
hängen mitten rein, mit ihrem grimmen Scherze ältestes Gut zu
sein. Tun wir freilich immer recht daran, das am meisten
Poetische und Wirksame als ältestes und ursprüngliches an-
zusehen?*).
So erscheint die Eckersdorfer Fassung des Liedes vom
„Brautmörder“ in ihrer gedrängten Knappheit wertvoller als die
unzweifelhaft älteren sech.szeiligen Verse, aus denen bei Hoffmann-
Richter das Lied besteht (Nr. 37). Dort gibt die Mutter ohne
') R. Petschens Worte (Z(^V■fV^ 10, 71) verdienen gewiss Zustimmung:
„Wir sehen, dass es sich im Volksmunde nicht immer um Entstellungen und
Schlimmbcsserungen handelt, sondern dass das Volk mit feinem Gefühl oft d.as
Richtige trifft“. Nur würde ich nicht sagen: das Richtige, sondern das Gute,
das Poetische. •
Mltt«iluDg;vn d. ACbles. Oes. f. Vkde. lieft XX. 7
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98
Scham ihrem Sohne offen den Rat, seine arme Geliebte zu er-
morden; man lese demgegenüber die heimlich andeutenden Worte
unseres Liedes, an dem uns wohl auch der Schluss besser dünkt.
Es war einmal ein Eilelknab,
Per liebte eine arme Mafjd,
Er wollte sie nehmen,
Er versprach ihr Lieb und Treu.
Seine Seele sollte ewig brennen,
Wenn er sie Hess.
Als er zu seiner Mutter kam,
Fing er zu reden an,
Er liebe eine arme Magd •
Und wolle sic nehmen
Pie Mutter sprach:
Ei du biiser Uub.
Per Vater im (irabe würde sich grämen.
Wenn du sie wolltest nehmen,
Pie arme Magd.
Mein Sohn, ich geb dir einen Rat;
Fahr du in den (irunewald,
Pa könnt ihr reden.
Und als sie in den Grunewald kam,
j Fing er zu reden an :
^ Hier musst du sterben.
Sie aber bat; Schatz, mein allerliebster
Schenke mir mein Leben. [Schatz,
Er sprach: Pas darf nicht sein,
Damit die Sehand nicht grösser wiril,
! So musst du sterben.
1 Er fuhrt sic in den Grunewald
Und vergrub sie in den Sand.
I .\uf ihrem Grabe wuchsen drei Röslcin
' Pie taten nicht welken, Irot,
I '
' Und als der Edelknab kam
[ Und rührte die Hosen an,
' Taten sic welken.
I) du arme Magd,
. Ich hah dich geliebet bis zu diesem Tag,
^ Meine Mutter war schuld daran,
' Pass ich hab den Mord getan.
Wenn in dem Liede bei Hoffmtinu- Richter sich die weisse
Lilie rot färbt und zu bluten beginnt, als der Mörder sich ihr
naht, so erblicken wir darin gewi.ss mit Recht eine Erinnerung
an den alten Glauben, die Wunden eines Erschlagenen begönnen
zu bluten, wenn sein Mörder zur Bahre trete. Aber auch der
Zug, dass die Blumen unter der Berührung des Mörders welken,
wie er uns im Eckersdorfer Liede entgegentritt, i.st alt. Ähnlich
heisst es im Liede von dem unschuldig angeklagten Raumensattel
(Uhland, Volk.slieder 1 127):
Aiti bläm tet er abbrcchcn
die auf der haidon stüiid,
cs sind die weissen gilgen
die zwcihcnnächtcn auf gond :
.ist sacb dass ichs hab geton
so sol dbl&m verbrennen schon,
hab ichs aber nit geUin
BO sol die blum bleiben ston“.
Raumensattel stirbt den Feuertod; aber in .seiner au.sgestreckten
Hand die Blumen verbrennen und verwelken nicht.
Ziemlich nüchtern und ohne alte imetische Werte schildert
ein anderes Lied, ebenfalls aus Eckersdorf, eine ganz ähnliche
Tat wie die Verse vom ,Brautmürder“.
Es gingen zwei Liebchen ganz frisch Sie gingen im Walde spazieren,
und froh. I Per .lüngling,- der ihr untren ward.
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Der wollte das Mädchen verführen,
l'nd als sic in den Wald rcinkanien,
Sprach er zu seinem l'’einsliebchcn;
Damit dich nicht soll ein andrer haben.
.So musst du sterben.
Da zog er nun sein Messer heraus
l'nd stach Feinsliebchen ins Herze
Sic aber rief: O Jesn, .Tesu mein,
Verschone meine Seele.
Da stach er sie zum zweitenmal,
Sie fiel zu Boden nieder,
Sic aber rief: O .lesu, .lesu mein,
Kriöse meine .Seele.
l'nd als er sie zu Boden sah.
Sprach er in seinem Herzen :
O grosser Gott, was fang ich an,
Damit ich nicht werde als Mörder bc-
Begrahen muss sic werden. fkannt,
Dnd er verscharrte sie in den Sand
l'nd ging nun weiter in den Wald.
Da k.am er zu einem Strom,
O grosser Gott, ich kann nicht leben.
Hab ich gemordet mein Mägdelein,
So spring ich in den Strom hinein.
Man vergleiche damit Xr. 38 bei Hoffmann-Richter und Erk-
Böhme I 180 ft'.
Anders als der ^ Brautmörder“ liandelt der Knabe im Liede
von „der Annen und der Reichen“, Hoftinann-Richter 17, das ich
hier in einer verkürzten Form (ans Eckersdorf) mitteile. Wenn
darin der Knabe liinter einer Eiche dem Gespräche der beiden
Mädchen zuhört, so möchte man sclion daraus auf jüngere Zeit
schlie.ssen. Bei Hoffmann-Richter, in des Knaben Wunderhorn
(II 319), bei Erk-Bölime I 247 ft’, wird der alte deutsche Lieblings-
baum, die Linde, genannt.
Es gingen zwei Mädchen ganz hübsch
und fein,
Sic gingen in Wald spazieren.
Tirallala, lala
Tirallala und hin und ha
Sic gingen in Wald spazieren.
Itie eine, die war frisch und froh,
Die andre tat nichts als w’cinen:
Wir beide, wir liebten ein Knäbelcin,
.■\ch war er doch meiner alleine
Tirallala usw.
I Der Knabe, der hinter der Eiche stand.
Der hörte der itede ein Ende,
' Potztausend, potzplinder, was fang ich
non an,
Zu welcher soll ich mich hinwenden?
I Tirallala usw,
1 Wend ich mich zu der Kelchen hin.
So stehet die Arme verlassen,
Geld und Gut vergehet geschwind,
Dann hat die Lieh ein End.
I Tirallala usw.
Wenn wir vorhin die Geschwisterliebe als die treuste und
stärk.ste im Volksliede gepriesen sahen, so felilt es doch auch
nicht an Liedern, die des Geliebten Treue noch höher stellen.
Das tut z. B. ein weitbekanntes Lied, auf de.s.sen verschiedene
Brechungen bei Böckel, Handbuch S. 153'), verwie.sen wird; ich
teile hier eine neue, aus Eckersdorf, mit.
') .Siehe auch Erk-Böhme I 271 ff.; Hoffmann-Richter Nr. 23. — Böckel,
Psychologie der Volksdichtung S. 171.
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100
Schiffmann, o Schiffmann, du (rtltigstcr
Mann,
Steuer du dein Schiff so lange, wie du
kannst,
Ich habe einen Vater, der liebet mich
l’nd löset mich bald aus;
Vater, versetze du dein hohes Haus
Und löse mich bald ans.
Mein hohes Haus versetz ich nicht.
Dein junges Heben rett ich nicht.
Schiff mann, lass sie sinken
Die schöne Floria.
SchiCfmann usw.
Ich hab eine Mutter, die liebet mich
Und löset mich bald aus:
Mutter, versetze du dein seidnes Kleid
Und löse mich bald aus.
Mein seidnes Kleid versetz ich nicht.
Pein junges Leben rett ich nicht.
Schiffmann, lass sie sinken
I Die schöne Floria.
Schiffniann usw.
Ich hab einen Bruder, der liebet mich
Und löset mich bald aus.
Bruder, versetze du dein Indies Boss
Und löse mich bald ans.
Mein hohes Boss versetz ich nicht.
Dein junges Leben rett ich nicht.
Schiffmann, lass sic sinken
Die schöne Floria.
Schift'raann usw.
Ich habe einen ticliebten, der liebet
Und löset mich bald aus. [mich
Einzig tieliebter, versetze du dein gold-
Und löse mich bald aus. [nen Bing
Mein goldnen Bing versetz ich ja,
Dein junges Leben rett ich ja.
Scbiftniann. lass sie ans Ufer fahren
Die schöne Floria.
Eine Reilie von Fa.ssuiifren, vitl. l)L*.süiulfr.s Erk -Böhme, liis.st
auch hier nur Vater, .Mnlter und Bruder anifcrufen werden, ausser
dem (icliebten natürlicli, und man wird aucli hier den (ledanken
aussprechen dürfen, ob nicht der Anruf der Scliwester spätere
Zutat sei. Wenn in einer anderen schlesisclien Fa.ssung und auch
sonst der Geliebte das lilädchen nicht durch einen goldenen Ring
anslöst, sondern dadurch, dass er sein Schwert verkauft, so ist in
diesem Zuge gewiss Altes mit Treue bewahrt; darauf macht schon
Böhme aufmerksam, I 272, und Böckel, Handbuch S. 22, sagt sehr
hüb.sch: „Schon .scheint ihr Schicksal besiegelt, da ruft sie ihren
1/iebsten, und sie tut es nicht nm.sonst, er, auf den sie am wenig-
sten geachtet hatte, gibt .sclb.st das Heiligste der Germanen, sein
blankes Schwert, hin und löst sie aus der Sklaverei“.
Auf S. I.,XXXV1II tf. ,seines Buches zeigt .f. Meier, wie Ähn-
lichkeiten zweier Lieder in Text oder Melodie die Herübernahme
von einzelnen Zeilen oder Strophen aus einem Liede in das an-
dere, ja .sogar die Verschmelzung sidcher lAeder herbeiführen. So
kann denn manchmal ein Lied auch aus Versen mehrerer ver-
schiedener verwandten Inhalts oder ähnlicher Stimmung zu.sammen-
gesetzt sein, s. ,J, .Meier CIV. Ein Bei.sjjiel für einen so zusammen-
gekoppelten Text führe ich aus Eckersdorf hier an. Es beginnt
Dor Himmel ist so trübe, I Der .lUngling, lien ich liebe.
.Scheint weder .Mond noch .Stern. i Der ist so weit entfernt
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101
Dieser Vers findet sich z. I?. — mit einzelnen Abweichungen
— auch im Eingänge eines niederliessisclien Liedes (s. Böckel,
Handbuch S. 191 i, Die Gleichheit der Melodie, das Denken an
den geliebten Jüngling, der weit entfernt, verschwunden ist, Hessen
mit einem Verse aus Eichendorft's Liede vom „zerbrochenen Ring-
lein“‘) fortfahren:
Er bat mir Treu gescliworcn. Die Treu hat er gebrochen,
(iah mir ein King ilabei, Das Kingicin sprang entzwei.
Auch die folgenden Verse, besonders der Schluss, hängen so lose
aneinander, dass sie wie aus anderen Texten übernommen anmuten.
Ach, hätten meine Augen
Dich. Jtingiing, nie gesehn,
So kiinnt ich froh und heiter
Anf dieser Erde gehn.
Du denkst, ich bin ein Flander,
() nein, das glaube nicht.
Mein Herz schlägt für kein andern
Als nur allein für dich.
Jetzt hab ich ein Dlätzcheii gefunden.
Ein Plätzchen, da wächst kein Moos,
Da weint ich manche Stunde.
Die Tränen rollen gen Schoss.
Nun muss ich mein Ende bcschlicssen.
Mein Ende, Schatz, lebe wohl.
Ich werd es im Tode bUssen,
Du aber bekommst deinen Eohn.
Mit einem Worte sei hier noch auf die Wendung eingegangen;
Du denkst, ich bin ein Plander, eine Wendung, die öfter begegnet,
z. B. bei Erk-Böhme II Nr. 973“: Du, du gefällst mir nicht. Du
bist aus Flandern, Sonst hätt ich dich geliebt vor allen andern;
ebd. Nr. 701, 6, 3: Denn du bist von Flandern, Liebst Einen um
den Andern; in Erks Nachlass 3 Nr. 18 (zitiert bei J. Meier
a. a. 0. CXXXIX): Denn die Männer sind von Flandern, Sie gehen
von einer zu der andern. Weitere Beläge findet man in Uhlands
Scliriften 4 S. 44. Der Ausdruck bedeutet so viel als wankelmütig
sein. Philander von Sittewald erzählt im 3. Gesichte des 1. Bandes
(S. 142 der Au.sgabe von 1650): „Wie er nun, der Alte, vorter
gienge, sähe ich noch in diesem Zimmer etliche Niderländische
oder Holländische die sich nennten auss Flandern, weil sie einen
gaben umb den andern“. Mit diesen letzten WTtrten stimmt eine
Zeile aus einem bei Erk- Böhme II S. 294 abgedruckten Liede:
Die Mägdlein sind von Flandern, überein; dieses Lied ist aus
E. Nie. Ammerbachs Orgel: oder Instrument Tabulatur, Leipzig
1571, entnommen. Es heisst da:
Mein Fcinslicb ist von Flandern | Sie gibt ein um den andern,
Und hat ein wankeln Mut, Das tut die Dang nit gut.
*) J. Meier teilt S. l'Ilf. drei Lieder mit Ausstrahlungen dieser EichendorlT-
sehen Dichtung mit.
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102
Was hat denn wohl den Flandern diesen üblen Ruf ein-
gebracht? Ich vermute, die äusserliclie Ähnlichkeit mit dem Worte
flatterhaft, vielleicht auch der Umstand, dass sich auf Flandern
gar so leicht „andern“ reimt. Wie gefährlich solche lautliche Ver-
wandtschaft einem Worte oft werden kann, darüber plaudert sehr
unterhaltend K. Nyrop in seinem Leben der Wörter, S. 195 ff. der
Vogt sehen Übersetzung.
Alinlich wie im Reime ein Wort ein anderes nach sich zieht,
so zieht im Volksliede eine Vorstellung eine andere verwandte
nach sich, ihren Ausdruck gelegentlich aus anderen Liedern holend.
Aus Eisdorf liegt mir das Lied: Ich küsse dich off in Gedanken*)
in einer Abschrift vor. Von Kleinigkeiten abge.sehen stimmt es
mit dem bei Hoft'mann - Ricliter abgedruckten Liede in der ersten
Strophe überein, auch in der dritten; der zweite Vers bei lloff-
mann feldt in der Eisdorfer Fassung, vom vierten Verse hat sie
nur die beiden ersten Zeilen, an die sich unmittelbar die fünfte
Strophe anschliesst. Die Versicherung der Treue aber, die da am
Ende gegeben wird, schien noch einer besonderen Bekräftigung zu
bedürfen, sie wurde mit den volkläufigen Vorstellnngen gegeben,
deren Form freilich mit den übrigen Versen gar nicht übereinstimmt:
Wenn das Wasser bergauf rinnt rml Felsen fallen ein,
So lange wie noch Feuer brennt, Sollst du meine Geliebte sein.
Gewiss ebensowenig wie das veränderte Ver.smass ist dem
Volke hier die Unstimmigkeit des Gedankens zum Bewusstsein
gekommen. Offenbar haben wir hier eine sogenannte Konta-
mination. eine Verschmelzung zweier Au-sdrücke, deren einer lauten
sollte: Wenn das Wasser bergauf rinnt und Felsen einfallen, dann
erst sollst du nicht mehr meine Geliebte sein, deren anderer heisst:
So lange als Feuer brennt, sollst du meine Geliebte sein.
Wie bei einzelnen Au.sdrücken und Sätzen so fragt das Volk
oft auch bei ganzen Liedern wenig nach Sinn und Gedanken, die
Freude am Gesänge, an der Melodie läs.st solche Fragen häufig
gar nicht aufttuichen, daher denn das Sinnlose, Zerri.ssene mancher
Volkslieder, das man früher oft als .zum Wesen eines echten und
gerechten Volksliedes“ “) gehörig ansah. Auch dafür zum Schliisse
ein Beispiel, wieder aus Eckersdorf :
•) Siehe .T. Meier S. 70, 440.
’) I’hland. in seiner Kinlcitnng zur .tbhanillung über die deutschen Volks-
lieder. III 7,
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' — -■ —
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Es ginif «in Jäger üu jagen, ' Ich finde kein Vergnügen nicht,
Dreiviertcl Stund ') vor Tagen [ Es sei denn, was es sei,
Ein Hirschlein oder ein Keh. i Juja, es sei denn, was es sei.
Juja, ein Hirschlein oder ein Keh. Das tat den Jäger verdriessen,
I'nd als er kam auf die Heide, ' Er wollte das Mädchen erschiessen,
Hegegnet er einem Mädchen im sehnee- Nur nm das einzige Wort juja,
weissen Kleide, Nur um das einzige Wort juja.
Die war so wunderschön. Er tat sich noch bedenken
Juja, die war so wunderschiin. Und tat ihr das Lehen noch schenken
Er tat das Mädchen fragen, | Kis auf ein anderes Mal,
Ob sie nicht wollte mit jagen. j Jnja. bis auf ein anderes Mal.
Das Jagen, das Jagen versteh ich nicht, ^
Sfliwerlieli wird man einen befriedigenden Sinn in die.sem
Liede entdecken, unklar bleibt auch der Text in des Knaben
Wunderliorn (I 325). Krst wenn man die vollständigen Passungen
kennt, z. B. bei Hoffmann-Rirhter Nr. 176 und 177, bei Erk-Böhme
III 3001'., wei.ss man, welches Wort den Jäger so in Harnisch
bringt, dass er das Mädchen erschiessen will. Böckel (Handbuch
S. 278) sagt sehr richtig, es ist ein Lied von einem Jäger, der
sein Liebesglück verschlief, und die l'berschrift bei Erk- Böhme
lautet mit Recht: Der ver.schlafcne Jäger, während sie bei Hofl-
mann- Richter trotz verständlichen 1’extes: Der ernsthafte Jäger
heisst; wenn des Knaben Wunderhorn das Lied so betitelt, so ist
das mit der Unklarheit des dort gegebenen Wortlautes zu ent-
schuldigen; ich glaube übrigens, dass Goethe in seinem Urteile
über dieses Lied: Ein bischen harsch, aber gut, unter dem Ein-
flüsse die.ser im letzten Grunde unberechtigten (Mierschrift ge-
standen hat.
Goethe betrachtete unsere Volk.slieder hauptsächlich von
ä.sthetischem 8tandi)nnkte an.s, und so anregend es ist, den Wand-
lungen unserer Volkslieder nachzugehen, ihre ursprüngliche Gestalt
aufzusi)üren, die Gründe für ihre Veränderungen zu erscliliessen,
so sei darüber nicht vergessen, welchen Schatz von Schönem wir
in ihnen haben. Auch die volkskundlichen Vereinigungen dürfen
gerade im Volksliede, überhaupt in der Volksdichtung nicht bloss
Gegenstände für gelehrte Forschung sehen, .sie müssen mit an der
Erhaltung und Pflege des Volksliedes wirken. Möge die zukünftige
Sammlung schlesischer Volkslieder beidem gerecht werden.
•) .\ucli dieser Ausdruck gehört zu den festen Formeln des Volksliedes;
die Zahl, hier ohne .Sinn, offenbar übernommen von den drcivicrtel Jahren, von
denen das Volkslied so oft spricht.
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Volkslieder').
Von Dr. Paul Drechsler.
1. lilebeflKliick.
Einst ging ich das üässlc hinauf, »Ach, Mutter, was wollen Sic hier?
Da traf ich mein Liebchen zu Haus. Ich habe ja keinen bei mir“.
,Ach, Liebchen, bist du allein, ,,Hast du denn auch keinen bei dir.
So lass mich zum Fenster hinein!“ | So öffne mir leise die Tür!““ —
,,Ich lass dich zum Fenster nicht rein. Und als nun die Türe ging auf,
Es könnte mein Unglück sein““. — — Da sprang er zum Fenster hinaus.
Und als es um Mitternacht kam, ,Adc du, mein liebender Schatz,
Da klopfte die Mutter leis an. I Komm wieder die künftige Nacht!“
8. Entehrt ’J.
Es wollt a Mädlö fri ofstin ock fnrt, du Ungedeih!*)
Und wollte BlimlSn flickö gin Du mest-wul ä dr wöhre sein,
Ei Nijkwers Oörtü. Du kemmst. wenn andre schlöffi““.
Sie flickt-di! Blimlfn grfls und klein Er nemmt das fnrt bei seinem Zaum
Und band daraus ein Kränzelein Und band cs an den .\pfelbanm
Und legt sich druiider schlafen. Und let sich dromlr schlöfd. —
Sie schlüf-a Stindle zwe-if drei. Er schlief ein Stündlein zweie drei,
Da kemmt der .Schuster ä herbei. Da kam der helle Tag herbei;
Er klopfet on ganz leise, Feinsliebchen kam gegangen.
Er klopfet an mit seinem King: (»Wie hast du denn geschlafen?“)
Mach auf,mach auf, mein schönstes Kind. »»Die ganze Nacht, dass (iott erbarm’.
Und lass mich bei dir schlafen“. Zu allem allem (?) Schusters Arm,
Sie schlief ein Stündlein zweie drei, '‘-1’ verschlöfö“. —
Da kam der andre auch herbei, ,Ei, bättst du mich ock reigelfln.
Er klopfet an ganz leise. j Do hättwer sich heit trein •) gelön
Er klopfet an mit seinem Ring: Mit Paukö pnd Trompfta —
„Mach auf, mach auf, mein schönstes ' Der Schuster is a Nischtegutts*),
Kind, A hot ni .Nflld noch Fingerhutt*),
Und lass mich bei dir schlafen!“ 1 Ilöt Hörnf ond Zaö versoffö“.
') Die Lieder wurden in Kätscher und seiner Umgegend aus dem Munde
des Volkes gesammelt. In der Schreibung der mund.artlichen Teile folge ich, soweit
es notwendig ist. den Vorschlägen, die Siebs Mitteil. XV'II S. 54 ff. gemacht hat.
’) Nr. 2 zeigt recht anschaulich, wie die Sängerin, eine alte Frau, sich
bemüht, .städtisch“, d. h. wie die Leute in der Stadt, zu sprechen, aber immer
wieder in die Mundart zuiOckgleitet.
*) Ungedeih m., ungeratener Mensch; vgl. über diese Bildung Mitteil.
Heft XVIII S. 117.
*) trein : träun : trauen.
*) Nichtsgut, beliebte Schelte, homo nc<iu.am, Mensch, der zu und in
nichts gut ist. —
*) War der .'^chuster ursprünglich ein .windiger* Schneider? Er hat keine
Nadel noch Fingcrhnt und doch auch Hammer und Zange versoffen.
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3. Abftchied.
1. Wenns ränt') und schneit, da geht
der Wind,
Muss alles leiden, ja, von dir scheiden.
Mein schönstes Kind!
Ja, von dir scheiden, das ist schwer.
Im Kosengarten ’) will dein ich warten.
Im grftnen*) Klee.
Im grönen Klee wart meiner nicht. —
Es ist kein König, cs ist kein Kaiser,
Er fuhrt kein’ Krieg. —
Wer bat sich dieses Lied erdacht?
Zwei Banerjungen, die hön's gesungen
Zur gutö Nacht.
Zur gutß Nacht, zur gutö Stund.
Ich wünsch dir Liebe, ich wünsch
dir Segen,
Frisch und (iesund.
2. ,Nun ist es schon die letzte Nacht,
Dass ich zu dir bin kommen.
Der Abschied ist schon fertig gemacht.
Ich hab ihn selbst genommen.
4. Abochied
Heut scheint der Mond so schön.
Ich will zum Mädchen gehn. —
„Mädchen, was machest du?
Schläfst oder wachest du?
„„Ich schlafe nicht, ich bin sehr krank.
Ich werde nicht mehr machen lang. —
Geh, hol mir den Doktor geschwind.
Dass er mir Medizinc*) bringt. —
Der Doktor ist schon da.
Spricht mir das Leben ab. —
Geb, hol mir den Pater geschwind.
Drum wünsch ich dir jetzund
Eine fröhliche Abendstund.
Auf dass dirs wohl ergehe
Zu jeder Morgenstund“,
, „Gedenk, gedenk, Hcrzliebster mein.
Gedenk an jenen Ort,
Wo ich und du gesessen.
Geredet manches Wort.
Auf dich hab ich gar viel getraut.
Auf deine Lieb bab ich gebaut.
Dich kann ich nicht vergessen.
Bis mich der Tod geraubt“.
Ein Bäumlein will ich pflanzen
Ins Rosengärtelein *);
Das BäumIcin soll auch wachsen
Für mich und dich allein“.
„„Das Bäumlein trägt noch keine Ast’,
’s ist nicht der rechte, ders gesetzt.
Es wird vielleicht ein andrer sein,
Ders wird pflanzen ein““.
flir» lieben.
Dass er uns zusammenbind’*).
Wenn wir wem beisammen sein.
Wird es mir wohl leichter sein. —
Wenn sie mir werden läuten aus’),
Da tragen sie mich aus Vaters Haus-,
Wenn sie mich wem setzen hin.
Schulcnkinder singen schön*);
Wenn sic mich wem scharren zu.
Gibt mir Gott die ew'ge Kuh
Und das ew’ge Licht dazu“. —
*) In Kätscher ränt = regnet, sonst rent.
’) .Aue, Wiese, allgemein Ort der Lust und Wonne; vgl. die Zeit waren
J(hre) F(ürstliche) G(naden) lustig und guter Dinge . . . vermeinten nicht anders,
sie wären ganz frei im Hosengarten. Schweinichen 3, 73; DWb. VUl, 1197 f.
•) Ohne Umlaut.
*) Hier bezeichnet Rosengarten den Begräbnisplatz, den Friedhof; vgl.
DWb. a. a. 0.
*) Vgl, Mitteil, Heft XVII S. 97.
*) znsammenbinden ; kopulieren; vgl. Lied Nr. 9.
*) Mit diesem Schlüsse vergleiche man Lied Nr. 5.
*) Schulkinder singen beim Begräbnis: Hess also den Narren mit der
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5. Klaico.
Oas Tnrkeltäubl? ') tut asfl;
Im Winter kriechts ins Hal)prstrnh,
Im Sommer setr,t sichs auf n |?rilnen Ast:
l'nd war’ ich reich, da gült’ ich was.
So hin ich arm und hah kein Geld.
Da bin ich veracht von der ganzen Welt.
Und wenn ich in dem Kretscham bin,
Da stell' ich mich in’n Winkel hin;
Man schenkt mir weder liier noch Wein:
So steh’ ich armes Mägdelein.
Jleinc Mutter kümmert sich.
AVo ein Urtlein w'ird sein für mich.
Dort am grünen Kirchhoflein.
Dort wird ein Örtlein für mich sein. —
Wenn sie mir werden läuten aus.
Dann steh' ich noch in KItern Haus;
l’nd wenn sie mich wem setzen hin.
Wird Vater und Mutter weinen stehn;
l'nd wenn sie mich wem lassen rein.
Dann decket mich der Leichenstein;
Und wenn sic mich wem scharren zu.
Ilann geh' mir Gott die ew’ge Kuh. —
6. Die cliicklirhe Sionne’).
Und bin ich gleich nicht reich, so bin ich jedem gleich.
Ins Kloster will ich gehen, eine Nonne will ich werden,
Eine Nonne will ich sein. —
.Als er vors Kloster kam, ganz leise klopft er an;
Die illtste kam gegangen: .Was ist denn sein Verlangen?'* —
,„l>ie jüngste will ich raus**.
,,Es ist die letzte Nonn’, die erst ins Kloster kam*“. —
.Ihr’ Ilärlein sind verschnitten, ihr' Wänglcin sind verblichen.
Den Habit trägt sie schon“. —
Sie stand wohl an der Seit’, hört an die Eedlichkeit,
Sie Kess den Habit fallen: ,.Adje, ihr Schwestern alle,
.letzt reis’ ich mit ihm fort*. —
.Schule begraben. Schweinichen 2, 20. — Nach den alten Schulordnungen musste
die halbe oder auch die ganze Schule an einem Begräbnis teilnehmen, je
nachdem cs .bestellt“ war; auch in Schlesien (zu Grimm DWb. IX, lO.’I.a, 3)
lebendiger Brauch Man sagt auch hier verhüllend : mit der ganzen (grossen)
Schule gehen, cacatum ire, mit der halben (kleinen), mingere; vgl. schullen (aus
schurlcn), mingere, ganz geläufig, und:
Und ist ein Gast aus hoher Not mit ganzer Schule gangen,
Hat aber ganz von ungefähr ein KIceksgen lassen hangen.
Breslauer .'Schlendrian (1731).
') Turteltaube. — W echsel von t und k zeigt in der Mundart auch
Aptik : Appetit (Kätscher); vgl. noch (nach) Apetikc schlcnga. .Schönig,
Glätzische Gedichte S. (iO; .S t an d al : Skandal Oderwald, I’aperstunde S. 4.3, 111 ;
Mauke : Maute. Versteck von Obst und Geld; Schnätc, Schnßte : Schnäkc,
Schnöke, lustige Erzählung; salte : salke, damals; dort, Schönig S. 4.3
bietet Constankiropel : Constantinopel, Tschainpel S 204: Tibeck-Scharze,
Tibet-Schürze Gehört nicht hierher trotz DWb. IX. 298 f., auch Schlafittel,
Schlawittcl : .Sch laf Wickel . der vor dem Schlafen anfgewickelte Zopf?
•) Vgl. Hoffmann von Fallersleben und Richter, Schics Volkslieder,
Leipzig 1842 S. 32. l’eter. Volk-stürnlicbcs aus Österr. -.Schlesien, Troppau 1865
.8. 183 fl. Obiges Lied ist demgegenüber von entzückender Kürze und Frische.
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7. Liebettnorcen.
Wenn ich heiraten tu. krieg ich uppelgränc Schuh,
Da kauft mir mein Bräutigam Schnallchen dazu, —
Ich ging in die Stadt, ich frag einen Kat.
Oh ich mir den Ijftschel ') heiraten soll.
Da spricht der Kaplan: Wenn Ihr’n wollt hän.
Da lasst euch kupliern, da habt Ihr ’nen Mann.
I'nd wenn er ock bäl käm, und dass er mich nahm,
l'nd dass ich da’^ Leiten aus a *) Augen rauskäm! —
O HerrlC, wie froh! Xu ist er schon dO. —
Keich mirs Patschhändelein*) und ’s .lawort dazu.
H. Kurze Uebe.
Mein Schatz reist in die Fremde. — Aha !
Was wird er mir mitbringen? Aha!
Kin rosmarie Kiechle*).
Dazu ein seidnes Tücble. — Aha!
Was hat er an seinem Finger? —
Ein’ King von (iold und Silber. — —
Das Kinglein war gebogen;
Mein Schatz hat mich belogen.
Das Kinglein war zerbrochen;
Mein Schatz hat mir versprochen.
Das Kinglein war von Dimant*),
Die Liebe, die weiss niemand. —
W ic lange währt die Liebe?
Wie's Wasser in dem Siebe. — Aha!
9. Die Mterbende Kelicbte *).
Es reist ein Knab ins fremde Land.
Dcrweilt wurd ihm sein Schätzle krank,
So krank, so krank bis in den Tod;
Drei Tag. drei N acht sprach sic kein Wort,
l'nd als er dies erfahren tut,
Vcrliess er bald sein Hab und fint.
Verliess er bald sein Hab und Gut
Und schaut bald, was sein SebätzK! tut.
Uud als er an die Türe kam.
Kloppt er mit seinen fünf Fingern an.
.Herein, herein, mein stolzer Knab'!
Mit mir ist Zeit ins küble Grab*.
..Ach nein, ach nein, das kann nicht sein.
Wir müssen noch länger beisammen
sein“*.
Er nahm sie bald in seine Arm,
Sie wurd schneekalt und nimmer warm.
.Geschwiud, geschwind ein Kerzenlicht!
Mein Schätzlü stirbt, dass ’s niemand
sicht.
Geschwind, geschwind ein Priester her,
Der mir meinen Schatz mit Gott verseht ! •)
') Langer Mensch, bair. Ladsebi.
*) den.
*) Patschband, Verbindung zweier synonymer Wörter, denn Patsche
f. bezeichnet die Hand, z. B. gib mir die Patsche!
*) Vgl. Hoffmaun und Richter, Schles. Volkslieder S. 32 Str. 1: Von Ros-
marin ein Kiechel.
*) Demant, eine vom 16. .Tb gebräuchliche Form, Diamant.
*) Von obigem Liede bietet Hoffmann von Fallersleben a. a. 0. drei
Lesarten N’r. 239, 240 und ‘241, ein Beweis, wie sehr das Lied beliebt war; bei
Peter a, a. 0. steht ein vierter Tezt S. 197 f. — Oft habe ich dieses Lied in
seiner einfachen, schönen Melodie singen hören.
*) Dem Reim zuliebe statt verseh : versehe, die Sterbesakramente reiche.
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108
Bereitet mir ein altes Weib,
Das mir mein Scbätzle schneeweiss an-
zeiht ').
Ein altes Weib ist schon bereit:
In Gold lind Silber stund sie geklcidt.
Bereitet mir sechs Träger her,
lO. Der tote
Es reist ein Kuab spazieren,
Spazieren bei der Nacht
Bis zu der Herzliebsteu Fenster;
,Ei schlafest oder wachst?“
,,Und wenn ich gleich nicht schliefe,
So lass’ ich dich nicht rein.
Ich bin schon mit einem versprochen,
Denscibigen lass’ ich nicht sein““.
„Und bist dn mit einem versprochen,
Denseibigen lassest du nicht,
Steh nur auf nnd komm zum Fenster,
Vielleicht erkennest dn mich“.
Sie Stand und kam zum Fenster
Und schwur zum hUchslen Gott:
„Du riechst mir nach der Erde,
Oder bist dn selber der Tod?“
„„Wie soll ich nicht riechen nach Erde.
Ich lieg ja schon lauge darin:
Die mir mein Schätzlü zur Ruhe trörn ’).
Gestern hatt’ ich noch andre Freud •),
Heut muss ich tragen das Tranerkleid,
Das Tranerkleid mit schwarzem Flor:
Mein Schätzld steht auf der Totenbör.
Bräuticani
I Heut’ sind es sechs Wochen und sieben
Jahr’,
Dass ich gestorben hin,
Ruf auf deinen Vater und Mutter,
Ruf auf deine alle Hauslent’,
Ruf auf deinen Bruder und Schwester,
Dein Bräutigam ist bereit,
j Und wenn sie das erste Mai läuten.
Da werde dein Kränzlein geziert,
j Mit grünem (!) Seid umwunden,
! Mit Rosmarin geziert.
Und wenn sie das zweite Mal läuten,
! Dass du schon fertig bist. —
Und wie sie das dritte Mal läuten,
Nahm sie ein sel’gcs End'.
So ritten die zwei Verliebten
Bis vor den höchsten Thron :
Gott selber war.sen *) der Priester,
Der sie zusammenband “).
11. WttnHche.
1. Wenn ich am Lande sollt leben.
Da mörht ich ein l’farrherr gleich sein.
Und dürfte derHerrschaft nichts geben.
Ich könnte ein Herr selber sein;
Vormittags taufen und binden“).
Nachmittags ergreif ich die Flinten
Und schiess' mir ’nen Hasen daher.
Als wenn ich der Jäger selbst wär’.
2. Aber eines das tät mich verdriessen,
Und dieses das geht mir nicht ein:
Wenn ich taufen, kopliercn tät müssen
Und ich müsste ohne Frau sein.
Wenn ichsfn“) ei’m andern sollt geben
Und ich müsst ohne Frau leben:
Dieses das geht mir nicht ein;
So will ich lieber kein l’farrhcrr nicht
sein.
') anzieht. *) tragen,
*) Der Schluss ist wie so oft im Volksliede ganz unvermittelt.
*) Man vgl. Hoffmann von Fallersleben, Findlinge 1. Bd., Leipzig ISiVJ
S. 90; Peter a a. 0. S. 199f.; Meinert S. 3; Erk, Liederhort Nr. 24; Wilh.
Wackernagel Uber Bürgers Leonore in Altdeutschen Blättern von Haupt und
Hoffmann 1. Bd S. 191.
“) Das echtschlesische sen steht (wie das französische cn) im partitiven
und objektiven Sinne gern im Volksliede; man vgl. einstweilen Weinhold,
Dialektf. S. 137 f.
•) binden i. S. v ehlicb verbinden, kopulieren, vgl. Nr, 2.
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109
3. Es wärsPn') halt nie am besten. |
Als wenn ich ein Wirtshaus bestellt’; |
So setzt’ ich niieh zune den tiästen
l'nd batte immer viel Geld. '
I>a lebt’ ich in Wollust und Freuden,
Da schafft’ ich mir doppelte Kreiden
l'nd schrieb’ einmal zwei Strich;
Das wärsen *) ein Handel für mich, (
Ei Bruder, Viktoria lass krachen ! *)
Wer weiss, w'as aus mir noch wird.
Ich tusen ’) noch immer zu lachen.
Ob nicht noch ein Herr aus mir wird,
fta schaff’ ich mir eine I’erocken ’)
l’nd um und um slolzende Docken.
Dazu ein englisches Pferd
l'nd oben*) ein silbernes .Schwert. —
IS.
’ s wollt a Tauer em Holze förn,
Fufz’n .Schnitlen wollt-a l6n‘);
Fufz’n SchaitlPn sain-n6 viel.
Lieben is ka Kenderspiel.
ttiid ols der Tauer ahäme köm.
Wollt -a wos zu-frassf hfm;
.Liese, koch m’r an Hirzehrai,
Schlfi-m'r a holw*) Schfik .\jer nai!“
Ond ols der Tauer sass ond frflss.
Ilaschelt ei der Kommer wos
Licsle sört, es wiir der Went,
Dar -sich ai-d’r Kommer fent.
l)nd ols der Tauer ai-de Kommer genk,
Der Tfoffe vfi-d’r Liesel spreukt.
,Foff, scher dich ans meinem Haus.
.Sust schmaiss ich dich iirschlich raus!“
...Aus deinem Hause geh ich nicht.
Die Liesel kann die liaicht noch nicht““.
,Ond koiin-de Liesel df-Baicht noch nicht,
Komm bai Tag und nicht bai Licht!“
liieben l«t kein Kindcmplel.
I
13. Ich komme nicht daEii.
L'nd wenn halt der Mensch amöl ös zym Ongleck bestimimt,
Ond wenn dos Malör ä noch nemmt-ne kü End —
Schon längst wollt’ ich ai-dö Frend*) gihn,
Df Mutter söt: Mei Sflon —
Ond wie ich wollt ai-de Frend gIhn,
Dü körn- ich -nech derzftn. —
Dos Mcllermädle vum Landrüt, die hott schun gesert,
Mai Waib mechts’ gärn wern.
Ihr' Mutter wel öwer an raichö SchwPgcrsfloii hiVn —
lind wail ich halt kü Geld hü,
Dü komm- ich -nech derzun.
Die Nockwern, äne Wetfrä*), ihr .Mfton wör-a .Schmed,
Die höt a schinc Wcrkstell “), vfl Geld iind Kredit,
') S. .S. 108 Anm. 5.
’) Von Freudenschttssen.
•) Terocke ; TerUcke; man vergleiche in der Mundart gedrückt: ge
druckt, vröckt ; v(er)rUckt.
*) oben : obendrein, noch dazu.
*) laden. *) halb.
’) Fremde; Wechsel von n und m,
•) AVitfran ; Witwe.
•) Werk stelle f. Werkstätte.
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110
1. Sie:
Er;
Sie:
Er:
2. Sic:
Er:
Sie:
Er:
3. Sic:
Er:
Sie;
Er;
4. Sie:
Sic mänt. se meclit mich gärn hörn, ich wär ihr schon gntt,
Omi wail ich öwej- doch kä Schm;^d bin,
Dö komm- ich -ncch derzün.
Ond wenn dos Malör S-nö bäl pfhtrn tatt,
1)0 nahm- ich -a Flinte ond schisse mich tOt,
Ich schisse mich tflt ond dos glSwet-mer w(il,
Ond wail ich öwcf kä Flint hö,
DO kyinm- ich -noch derztin.
14. Wirttthau«HKene. ')
Sauf, du alter Gassenschlingcl,
Sauf, bis du erstickst daran!
(irüss dich üott, mein schönster
Engel !
Lass mich saufen, weil ich kann.
Bist ja wieder sterbensvoll.
Prost, mein Schatz! Es schmeckt
mir wohl.
Zn Hans hast du zwei kleine
Kinder,
Eins ist blind, das andre krumm,
s' ist lieber mir ein Stall voll
Rinder
Wie zu Haus ein blinder Jnn.
Alle Tag Schrein sie um Brot.
Nimm die Kenlnndschlagsie tot!
Die Schuldleut’) kommen her-
geloffen,
Sie laufen mir das Hans noch um.
Weib, so sag. ich bin besoffen,
Dass ich keinlicld zählen kann.
Ist denn das der Leut' ihr Dank?
Weib, so sag, ich bin halt krank,
l'nd wenn du einst im Kausch
wirst sterben,
Da stirbst wie eine versoffne
Sau! —
, Er: Weib, dann sollst du alles erben:
j Du bist und bleibst mein liebe
I Frau.
I Sie: Was wird ockvicl verbleiben mir?
I Er: Meine alten Hosen gehören dir.
5. Sie: Deine alten, zerrissenen Hosen,
Die kein Mensch mehr flicken
I kann?!
I Er: Weib, du sollst dich glücklich
' schätzen,
Die sind von ei'm praven Mann.
Sie: Voneincmpravenals wieder?! —
Er: l'nd keinen pravern kriegst nie-
mehr. —
6. Sic: l’nd wenn dueinstsollst sterben.
Wo willst du denn begraben sein?
Er: Begrab mich, wenn ich sterbe,
i Dorten tief in Keller ’rein.
Sie: Warum so tief in Keller ’rein*).
Wo nicht Sonn' noch Mond rein-
scheint ?
Er: Dass ich mich kann zur Piepe*)
I legen
j Und lass mir Bier und Brannt-
wein ein.
Sie; Verleih dir Gott die cw’ge Ruh! —
Er: l'nd ein gut Quart Schnaps der-
I zu ! —
') Man vergleiche Hoffmann und Richter, Schlesische Volkslieder
Leipzig 1842 S. 229: Häusliche Szene.
’) Die Gläubiger, wie auch sonst im Schlesischen.
•) Der .Schluss ist verderbt.
*) Zapfen am Fasse, im Schlesischen geläufig; ,der möcht’ am liebsten den
ganzen Tag an der Piepe liegen“ von einem Trinker.
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15. Srherxrelme.
1, Es gehen zwaif wandern, spricht
Pctms,
Von einer Stadt zur andern, spricht
ranltis.
Do kommcns«' zu am Wirtshaus, spricht
Petrus
(ich, hüll a KannU^ Bier raus! spricht
Paulus.
War wirds denn öwep bezöhlP ? spricht
Petrus.
Ich hO-jf nfich-en Töler, — —
i)ü wird’s Qns öwcf heuern! — —
D6 steht a Bämvid BirnP, — —
War wirds' i>ns öwer scheiteln 'i>
Do haun wer nai met Knette|n!
1)6 warn-sf yns öwer krige. — —
Dö warn-wer s? recht beligö,
1)6 kenimst-je nech an Himmel!
1)6 rait ich nei am Schimmel!
D6 kemmst-jö ai-dö Helle!
Dort sain recht schlne (.iesellf.
Die warn dich öwer krotzö, spricht
Petrus.
DO hau ich sö Of-df. Protiö '), spricht
Paulus.
2, 's setzt a Mädle om MernebOtlS’)
i)nd nf't ynd nOt,
1)6 kommt a llänlö emd's kraicht'r ais
Ond krOt Qiid kret [örzlf
,Mai Uwes Hftniö, geh ock raus.
I Mai Örsch 6s-nf dai Hinerhaus!“
! 3. Hans hackt hende^m llirlehaisle Holz,
Holz hackt Hans henderm Hirtehaisle.
,Huns, Hans, kuck 6f-a Owe!
’s stiht a TOpv'l*) Buchtf*) dOwe“*),
Hans dar h6t sich wull zerlacht,
ÄrhOt-sichOver-di'’ Buchte gemacht*).
4. Ich sez-of-der Schwell
Ond betracht-mer-de Pempedell’),
DO k(jmm6 zwo Offf,
De-woll’es begofff;
; Df-spreche: ,MitdIc, wos helst-dcrs so
„.Ich muss mers fest hälde, [fest?“
Sonst wär niersch zerspäldS**. —
5. .Halt hftn-w’r Ppttrtäg,
PottrtirOle!
Ich hO-m'r s SchatzlS käft,
De hOn-m’rs gcstolde!“ —
I „„Du best-a rechter Norr gewäst,
I Doss der's host lOu stäldö;
Hestders 6n-d? Eärscht') geknoppt*),
! DO hiist-d’s dcrhäldO!““
16. Die Urottkaaer Venper.
tirultke is-’nf sebine Stödt. Strftdcrl- Dö hön-s6 jiukst 'nP Vasper gehöt,
derillala — , StOderiderä!
') Pratze, Bratze t. Tatze, geläufig auch von der Menschenhand: se
gibt merseh Protzla: Händchen (Neisse), meist jedoch von einer grossen Hund.
*) Mölircnbeet; vgl, zu Xeisae ei der Mährnegasse!
*) Topfvoll.
*) Uebäck (Kätscher, (irafschaft).
*) oben d i. auf dem Ofen.
•) Er hat sich, statt auf die Buchten achtzugehen, d.amit sic nicht an-
brennen, über sic gemacht, d. li er hat sie verschmaust.
’) Zu Pumpe f., PUmpcl n. 1) Dntcrrock, 2) vulva (wie hier) 3) Erauen-
zimmer; ’s Mänsch, de dicke Pumpe. Bertermann S. 203.
•) Ferse.
•) geknüpft, vgl, Lied Xr, 10 1).
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112
üngersch. spanisch hön-s? gosupa, Strh-
(leri-derallala
Mit Lichtlan saiu-sS rimgospruna. Strfi-
deriderü
Om Küre, dA sti.md a grüsser Schrank,
DA hina-de Dfuil'Ia kurz und lang.
Ond wcnnma dossma uf-a Kletza grlf,
DO jcdesmOl a Faifla fif.
Und ener dr hOt-ai a Hiplz naigchissa,
DA hAt dos Dink juchbai gekrissa.
Dar enc, dar wult-cne Schachtel zcr-
schnaida,
DA wiDkt’m der andre, a sulls lAii blaiba.
DA hOn-se euch Ach zwe Zuber gehüt.
DA hOn-sA euch druffe rimgcschlön.
Dän en,dän konn ich schunt nich vergassa
Dür wullt'nen messingna Dorm uff rassa.
DA st<>nd euch a Dink uf enem Dain
DAS mucht’ni Taifl seine Grussniuttcr
sain,
lind wennma dossma Ihr a Bauch weg-
strich,
DA grunzte dos Dink gOr ferchterlich.
Dfr-Franzcmit-amSteolaköm, Sirudert-
A hot’-a ianes Scckia drön, — [deralla.
Dös hAt-a jedem vorgerückt —
Ond moncbf hAt wos naigestackt.
Stmderi-derä.
De Uruttkcr Vaspcr ist, wie das Spottlied auf Xcurode und das ober-
schlesische jXationallied* (man vgl. Drechsler, Sitte, Brauch und Volksglaube
Bd. II S, 34 f.), in ganz Schlesien bekannt und w ird gern gesungen; spielt doch
darin ein ,tunimer Bauer“ eine Bolle zum ,scheckiglachen!“ Dieser Vorwurf
ist alt. Bei Wenzel .Scherffer findet sich (icdichte (1K.Ö2) ,S. 579 if. ein wahr-
haftes Bauerngcspräch nach mitteimässig-sclilesischer Baner-
mundart, worin zwei Bauern ihrem Nachbar mitteilen , was sic in der Stadt
bei einem Hochamt of dam singe-kur am jemtge (an jenem Tage: neuiieh)
u, n. beobachtet haben.
Ihr socht jo. Nachher Durtz. wie dort am Winkel stand
a heutfla '), das jcszmol die Fidaln ei dar Hand
ond gaalc Dinger’) hatt’, ond wenns no rächt angienge
ond dass dar hauffa gar ond of a mol anfienge,
do klangs jo dass’ gar wuscht’; ei Karies war geübt
ofs Maul, a schottelts raus, as wie das Mahl raus giebt
dar Beutel ci dar Mühl — —
Do giengs arst weidlich an mit singa, fidaln, pfeliTa.
ond mit dam Klinkerwark ond wondcriicham greiffa
de qwar ond hin und her; do wakkelte ze hand
das Zinarnc Gefiiss •), das huch huch a der Wand
hüsch angelahnet stund, ond das klang aba süsse,
das macht’ an eintzig Maan. dem zappelt händ’ ond füsse“),
bis dass a nimmc könnt’’).
Scherffer erklärt selbst: '), Hier werden die Instrumentisten verstanden. —
’) das ist Posaunen, weiche gelb. — •) Durch das Zinerne Gefäss werden die
Orgelpfeifen, so ordentlich nebeneinander stehen, gemeint. — *) Das war der
Organist, der mit Händ und Füssen die Orgel spielte. — *) das ist, soiang er
Wind in die Pfeiffen bekäme. Denn nachdem die Balken nicht mehr getreten
werden, könnt er freilich nicht mehr können. Mag also wohl ein Orgeltreter
Lateinisch heissen: Sine me nihil potestis facerc: ohn mich könnt ihr nichts tun“.
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17. Panln« sl« Eln«ledler. ')
,0 trauriger I’aatns, wie gehts dir denn noch.
Dass dn tost fuhren die Scnfzer aso hoch?“
,,Dio Welt die tnt es machen, dass mir vergeht das Lachen,
Drum Word’ ich mich bald wieder in grünen Wald rausmachen“*.
,Was wirst dn denn machen im grünenden Wald.
Wenn es wird werden im Winter aso kalt?
Und wenn es wird schneien ’nen rechten grossen Schnee,
Dann wird dirs, armer Paulus, dein HOtteiein rerwehn*.
,,Mein HUttlein verwehn — das steht auf festem Grund.
Gott aber zu lieben das ist mein Beguud'),
Und werde Gott will lieben, der folge mir nach.
Der muss auch verlassen den weltlichen Pracht" *).
,0 Paulus, erfreut dich die scliOne Sommerzeit?
Einen gar strengen Gürtel hast du um deinen Leib.“
,,Icli freue mich der Sommerzeit sehr.
Da grab' ich mir allerlei WUrzelein her.
Und tn’ mir sie alle in der Sonne abdSrrn,
Da hab' ich fUr den Winter noch immer was zu zehrn".
,0 Paulus, wo hastsen dein Federbett,
Wo dn dich des Abends drauf schlafen legst?“
,,Anf grnnem Basen, auf hartem Fels und Stein,
Da schlaf ich armer Paulus die ganze Nacht allein".
,0 Paulus, jetzt muss ich von dir nun weitergehn.
Muss dich nnn allhier lassen ganz alleine stehn.
So bleib in Gottes Namen, behilf dich der iiebe Gott,
Er wird dich schon stärken mit himmlischem Brot“.
') Han vgl. Peter a. a. 0. S. 355 f. — Das nämliche Lied wurde mir im
Jahre 1908 ans Neustadt ÜS. mitgeteilt.
') Be g und : Beginnen. Auch bOrte ich singen: Gott aber zu lieben das
ist eine Knnst.
') Pracht wird auch von den schlesischen Dichtern männlich gebraucht,
so von Opitz, Hoffmaunswaldau, Senftleben (1732) u. a.
MltieUmiueii d. schles. Uea. f. Vkde. lieft XX.
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Einiges über Handwerksgebräiiehe.
Von Professor Paul Dittricb.
Die Handsverker betrachteten sich früher als einen besonderen
Stand, der in verschiedene Innungfen oder Zünfte zerfiel, und be-
obachteten im Verkehr untereinander gewisse Formen und Ge-
bräuche (Comment) bei der Aufnahme in die Zunft, beim Eintritt
in die verschiedenen Stufen der Zunftgenossen (Lehrlinge, Ge-
sellen, Meister), die streng vorgeschrieben waren und deren genaue
Kenntnis von dem Einzelnen gefordert wurde. Gewöhnlich bil-
deten die ortsansä-ssigen Meister eines bestimmten Faches eine
be.sondere Zunft, so die Schmiede, Tischler, Töpfer, Weber (diese
bilden in Neustadt 2) usw., es vereinigten sich aber auch An-
gehörige verschiedener Berufe zu einer solchen, so Weber und
Tuchmacher; Schmiede, Schlos.ser und l^empner; Schornsteinfeger,
Maurer, Zimmerleute, Steinmetzen und Schieferdecker u. a. , oder
es schlos.sen sich die Meister der Dörfer an ihre entsprechende
Zunft in der Nachbarstadt an*). Die Innung (das Mittel) stund
unter einem Obermeister und hielt unter dessen Vorsitze (jährlich
vier- oder zweimal) früher Weihnachten und Johanni, jetzt April
und Oktober*), Zusammenkünfte oder Quartale auf der Herberge
ab. (Die Neustädter Weber haben hierfür ein eigenes Haus, die
Weberrudel.) Feste wurden mit feierlichem Gottesdienst (Zunft-
messe oder Amt), W(d)ei die Mitglieder zu Opfer gingen, in der
Kirche an einem bestimmten Altäre (womöglich des Standes]iatrons)
eröffnet; in Breslau hatten die Zünfte einzelne Kapellen, ja eine
ganze Kirche inne. Zu dem.selben versammelten sich die Meister
') Dio LcubschUtzer Sclionisteinfeger bilden seit 1862 zusatmnen mit denen
anderer .Städte eine Innung für den Regierungsbezirk Oppeln, deren Sitz
Ratibor »t.
') Die Sehornsteinfeger halten nur einmal Quartal zu .lobanni , wobei die
belirliiige von der Innung frcigelialtou werden. Sonst gibt es nur Freibier für
die Meister. Diese erhielten auch ein Paar KnackwUr.stel (z. B. Schmiede in
Leobschlitz), ein KlimmelliOrncben und eine Semmel (Weber in Neustadt). Die 12
ältesten Meister bekamen hier zwei Hiimchen und zwei .Semmeln. Die Schorn-
steinfeger eröffnen sie mit einem Trünke Wein, der aus einer Kanne oder einem
Pokal verabreicht winl. Beim Zutrinken sagen sie; Mit Onnst.
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115
(Naumburg am Queis) bei dem Obermeister und zogen gesclilossen, die
Familienangehörigen und Gesellen einzeln (Leobschütz, Neustadt)
in die Kirche, hatten in derselben wohl auch ihre Innungsfahnen *),
die bei feierlichen Gelegenheiten, Fronleichnamsprozessionen, Be-
gräbnissen usw. Verwendung fanden, hielten auch zu gewissen
Zeiten z. B. vierzigstündigem Gebete ihre Betstunden. Sie feierten
wohl auch bestimmte Feste: Töpferfest im Sommer, Ball usw.,
Lichtschmirkränzel im Herbst.
Auf der Herberge wurden alsdann die Angelegenheiten des
Standes besprochen, erfolgte die Aufnahme von Lehrlingen, deren
Freis])ruch, sowie schliesslich die Ernennung zum Meister und die
Wahl des Vorstandes, der aus Obermeister, Schrift- und Kassen-
führer bestand und dem Magistrat bzw. der Regierung mitgeteilt
werden musste.
Den \T>rsitz hatte der Obermeister, der bei der Aufnahme
von Lehrlingen allein das Wort führte. Er fragte den Aufzu-
nehmetiden, ob er Lust zum Handwerk und ob er sich die Sache
auch gut vorgestellt habe, und machte ihn sodann mit seinen
Pflichten bekannt; der Lehrling mu.sste in erster Linie seinem
Meister gehorchen, auch andere Handgriffe in und ausser dem
Hause übernehmen, jeden Mei.ster grüssen, auf seines Meisters
Sachen achten und aufmerksam .sein (er sollte alles mit den Augen
absehen), beim Fache aushalten und sich frei lernen. Die Lehr-
zeit dauerte gewöhnlich drei Jahre, wenn Lehrgeld gezahlt wurde,
sonst vier Jahre, bei Meisterssöhnen konnte sie auch kürzer sein,
wurde auch bei anderen um ein halbes Jahr gekürzt, wenn die
') Die LeobsubUtzer Innuogsfabnen tragen folgende Bilder: die der Fleischer
den hl. Lnkas und Bartolomäus, der Schuhmacher den hl. Krispin, der Schmiede
den hl. Eligius nnd Petrus, der Maurer den hl. Andreas, der Eimmerlente die
Arche Noah und die bl. Familie, der Tischler den hl. Josef, der Stellmacher die
hl. Katharina nnd den hl. Josef, der Kürschner die Vertreibung von Adam und
Eva aus dem Paradiese und die KrOnnng Mariä, der Weber den hl. Florian und
Mariä Krönung, der Bäcker die bl. Katharina und den hl. Josef, der Schneider
den hl. Homobouus.
Die Nenstädter: die der Schneider die unbefleckte Matter Gottes und einen
nackten JUiigling, der von einem Bischöfe bekleidet wird (ob Martin?), der
Bäcker die bl. Elisabeth und Gottesmutter mit dem Jesuskinde, die der Schmiede
und Schlosser einen Bischof mit gefesseltem Teufel und eine Schmiede mit
darüber schwebender hl. Dreifaltigkeit, der Schuster Krispin und Krispinian, der
Weber die Immaculata und einen Bischof.
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Jjeistungfen put waren. Die Töpfer in Nauraburp und Ullersdorf
kannten ein Lelirpeld und eine Begünstipnnp von Meistci-ssölinen
nicht, dort erhielt der vier Jahre Lernende vom Meister die
Kleidung geliefert, was bei dreijähriger Lehrzeit wegfiel. Der
Lehrling musste auch .seine Betten mitbringen (Leobschütz), die
nach Ablauf der Lehrzeit wohl auch in den Besitz des Meisters
übergingen, wenn man es nicht vorzog, dafür eine Entschädigung
zu zahlen. Kost und Waschung der Wäsche hatte der Meister zu
besorgen. Die Aufnahmegebühr betrug 3 .Mark, bei den Töpfern
6 Mark, bei den Schornsteinfegern nichts.
Den Gesellen des Meisters gegenüber war der Aufgenommene
zur Achtung verpflichtet, betrat erst nach ihnen die Wohnstube,
setzte sich nach ihnen zu Tisch, musste sieh aber vor ihnen er-
heben und verschwinden, durfte in ihrer Gegenwart nicht rauchen
usw. Die gewöhnliche Bezeichnung war .Stift. Er durfte bei den
Töpfern keine gewichsten Stiefeln, kein Chemisett und keine blaue
Schürze tragen.
Hatte er seine Zeit ausgelcrnt und sich ordentlich geführt, so
konnte er zur Ge.sellenprüfung, die vor den Prüfungsmeistern (dem
Obermeister und zwei andern Meistern) st.attfand (bei den Töpfern
wurden auch noch zwei Beschaugesellen hinzugezogen, die der
Obermeister bestimmte), zugelassen werden. Er mu.sste zu dem
Zwecke ein Ge.sellenstück, das an verschieden Orten vei-schieden
war, anfertigen: der Schmiedelehrling (Leob.schütz) einen breiten
Ring schweissen und zwei Hufeisen machen, der Töpferlehrling
(Naumburg, Ullersdorf am Queis) irgendeinen Topf, zum mindesten
einen Kreuzertopf*) hersteilen. Bei sehr guten Leistungen wurden
hier auch Prei.se zu b, 4, 3 Mark gezahlt. Der Weberlehrling
musste ein fehlerfreies Stück (Schock) Leinwand (Inlet, (‘berzug)
mit „einer“ Schütze, der Damastweber eine Serviette oder Ti.schtuch
weben; der Scliornsteinfeger einen besteigbaren (weiten) und einen
(nissi-schen engen) Schornstein, auch eine Kochma.schine fegen; der
Barbier einen kurzen Haarschnitt machen, Bart richtig einseifcii.
’) Bemerkt sei hier, dass die Tüpfer dort heut noch die Töpfe einteilen
wie folgt: kleine oder halbe Dreier-(= 3Pf)tippel, grosse Dreiertippel kosten
jetzt 30 l’f., Kreuzer- und tiroschel- (= 4 Pf ) tippel (kleine und grosse) f)0 bis
(iO Pf , Acblerlöppe 40 Pf., kleine und grosse Zweikreiizertöppe ÖO -IOO Pf.,
kleine und gros.se Böhin-(— 1 .Sgr. = 12 Pf.)tSpi>€ 1,20—1,50 M., kleine und
gro.sse einhenklige uml ganz grosse, halbquartige, dreiquartierliche 1.80 — 2 M.
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117
ÜbtT den Ausfall der Prüfung wurde ihm ein Zeupnis auspestellt
(fiel er durch, so musste er nachlernen), und es erfolgte die Frei-
sprechung durch den Obermeister, der daran eine Lehre knüpfte:
jetzt beginne, so führte er etwa aus, erst die eigentliche Lehr-
zeit; er solle nicht denken, er brauche nun niemand mehr zu ge-
hoirhen; er müsse vielmehr jetzt erst recht aufpassen und dem
Meister mit Achtung und Zuvorkommenheit begegnen; wenn der
Meister ihn behalten wolle, bleiben, andernfalls auf die Wander-
schaft gehen, sich auf derselben ordentlich führen, damit er später
wieder als ordentliches Mitglied der Innung aufgenommen werden
könne. Die Gebühren dafür betrugen 6 Mark, bei den Schorn-
steinfegern 15 Mark. Alsdann reichten er und die andern Meister
ihm die Hand und wünschten ihm Glück. Die jungen Töpfer-
gesellen wurden wohl auch im Zuge auf die Herberge geleitet,
erhielten hier eine mit einem roten Bändchen geschmückte Zigarre,
mit der sic dann stolz über den Ring zogen. Sie mussten sich
auch nach einiger Zeit bei den anderen Gesellen ihrer Werkstatt
einkaufen, d. h. etwas zum Besten geben, wenn sie von ihnen
freigesprochen und in ihre Mitte aufgenommen wurden.
Die Gesellen hielten unter dem Vorsitze des .Altgesellen in
Gegenwart von zwei Meistern als Beisitzern besondere Zu.sammen-
künfte auf der Gesellenherberge, deren Wirt Herbergsvater hiess,
ab, und zwar fanden sie alle vier Wochen vor geöffneter Gesellen-
lade, einem Kasten, der die Urkunden über die Gerechtigkeiten
der Gesellen und die Gelder enthielt, statt, es wurde Auflage ge-
halten, Eintrittsgeld, Beiträge gezahlt und das Krankengeld
(1‘/» iSilbergroschen = 18 Pf.) hineingelegt. Die eingegangenen
Gelder wurden am Ende des Jahres, soweit sie nicht für Krank-
heit, zur Unterstützung bedürftiger Gesellen und Bezahlung der
Herberg.smiete verbraucht waren, verjubelt. Auch sonst kam man
wöchentlich oder alle 14 Tage an bestimmten Tagen zusammen.
Vor der offnen Lade konnte jeder .seine Wünsche Vorbringen,
wurden Streitigkeiten ge.schlichtet. Kam nichts vor, dann wurde
die Lade wieder geschlossen, al.sdann wurde gesungen und mancher-
lei Spiele, besonders Karten gespielt. Die Töpfergesellen in Naum-
burg kennen jetzt eine .solche Lade nicht mehr, sind auch nicht
mehr so .strenge organisiert. Auf ihrer Herberge befindet sich in
einem Glaska-sten eine Drehscheibe mit daransitzender Figur, die
einen Töpfer darstellt. Auf ihrer Herberge verkehren nur die
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cliristlich organisierten Gesellen, wälirend die sozialdeniokratischen,
die roten, in einer anderen Schenke Zusammenkommen.
Ging der Geselle auf die Wanderschaft, so gehen ihm Mit-
gesellen, auch Mädchen, das Geleite bis zum nächsten Dorfe (in
Leobschütz zur Münzerei), wo noch einmal gezecht (er erhielt
Freitrunk, Freiessen und Nachtquartier, d. h. er wurde aus-
geschenkt — bei den Töpfern üblich) und getanzt wurde. Es
wurde ihm auch noch eingeschärft, wie er sich an einem fremden
Orte zu verhalten habe*). Mit dem Ränzel (Berliner oder Fell-
eisen), in dem sich sein Arbeitsanzug, eine Bürste und einiges
Handwerksgerät, beim Schmied Hammer und Hufmes.ser, beim
Weber eine Schütze befand, auf dem Rücken, den Stab in der
Hand sollte er einziehen, nachdem er sich vorher abgebürstet,
auf die Herberge gehen und die.se betreten, sobald er das Fell-
eisen abgehakt, den Hut abgenommen, drei Schritte vortreten und
sagen: Mit Gunst, guten Tag*)! Alsdann sollte er ablegen und sieh er-
kundigen, wo das Geschenk zu holen und wann Um.schau sei. In
Leobschütz war diese täglich, in Neisse und anderwärts nur an
zwei Tagen: Montag und Donnerstag, Dienstag und Freitag, Mitt-
woch und Sonnabend. An vielen Orten (Breslau, Berlin) ging man
') In Banne Nute 5 bei Fritz Beater lebrt der Vater den Sohn, er soll sagen;
Hit tiunst, dass ich eiuschreiten müge.
Gott ehr' das Handwerk, Meister und Gesell.
’) Recht anschaulich schildert Fritz Reuter den Eintritt eines Schmiede-
geselleu in Hanne Nllte 10. Das Felleisen auf der linken Schulter, den Hut
auf dem Kopfe tritt der Bursche ein und fragt:
Mit Gunst, ist Schniiedeherberg hier?
, , ist der Herr Vater nicht zu Hause? (gemeint ist der Her-
, , ist die Frau Mutter nicht zu Hause? [hergsvater.)
, , ist der Herr Bruder nicht zu Hause?
, , ist Jungfer Schwester nicht zu Hause?
Als er darauf keine Antwort erhSIt, fahrt er fort:
Mit Gunst, dann sprcch' ich Tisch und Bänke an,
Dass sie mir selbst heut Abend neben
Dem Bllndel hier die Herberg mögen geben.
Dass ich mit Gott und Ehren weiterkominen kann.
Alsdanu wirft er sein BUudel auf die Bank, tritt wieder an die Tür und ruft:
Mit Gunst, sind fremde Schmiede hier?
worauf sich ein alter Bursch, der im Rausche schlafend auf der Bank gelegen,
erbebt und mancherlei Fragen an ihn stellt, darunter auch die, ob er Tausch
sei, ein Zeichen, dass dieser Ausdruck allgemein üblich war.
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nur in drei Werkstüttcn. während man in kleineren alle besuclite.
Die Töpfer hielten keine Umschau, sondern erfuhren auf der Her-
berge, wo Arbeit zu finden sei; sie setzten sich hier unter ihren
Schild (Blumentopf oder Ofenkachel) und zeigten damit an, wes
Berufes sie seien, und warteten auf Gesellen, die in Arbeit
standen. Kam ein solcher, gingen sie auf ihn zu, klopften drei-
mal auf den Tiscli mit den Worten: Hoi Töpfer! wodurch sie sich
als Fachgenossen zu erkennen gaben. Dieser klopfte dann auch auf
den Tisch, verlangte ein Quartierl (Schnaps) und trank dem Neuan-
gekommenen zu. Dieser musste, wenn jener ihn aufforderte, zu-
erst zu trinken , das ablelmen mit den Worten : Es steht in guter
Hand, Vetter!
Wollte er Umschau halten, so mu.sste er zum Obermeister
gehen und ihm seine Papiere abgeben, wofür er von ihm das
Zeichen, bei den Schmieden ein kleines Hufeisen mit King, bei
den Webern eine Marke von Pappe oder Blech oder eine Be-
scheinigung erhielt. Mit diesem am Finger und so als Fach-
genosse kenntlich, betrat er bedeckten Hauptes die Werkstatt, trat
vor den Meister, bei den Schmieden vor den Amboss, sagte einen
Spruch, der mit ,Mit Gunst“ begann und mit „Glück zu, Meister
und Gesell“ schlo.ss und fragte, ob er Arbeit bekommen könne.
Der erste Gesell und dann der .Meister hiess ihn willkommen,
fragte ihn, was er für ein Landsmann sei, wo er zuletzt gear-
beitet habe, ob er Meisterssolin, d. i. Tausch, und nahm ihm, falls
er ihn einstellte, das Zeichen ab, oder gab ihm ein kleines Geld-
geschenk (Viatikum), wenn es nicht geschah. Der Töpfer (Naumburg,
Ullersdorf) musste mit dem Stocke an die Tür der Werkstatt klopfen.
Auf den Ruf: „Herein“ betrat er bedeckten Hauptes, den Stock
in der linken Hand — nach anderer Mitteilung hatte er die
Kopfl)edeckung auf diesem Stocke — , den obereten Knopf des
Rockes geschlo.ssen, die Werk.statt und sagte: Glück zu, Meister
und Gesellen wegen des Handwerks. Nach Handwerksgebrauch
erstatte ich den Gruss von Meister und Gesellen aus Bunzlau, hier
nannte er den Ort, wo er zuletzt gearbeitet hatte, und wartete an
der Tür, bis einer der Gesellen ihm den Gruss abnahm, d. h. an
ihn herantrat, ihm die Hand gab, ihm Kopfbedeckung und Stock
abnahm und beides in eine Ecke stellte mit den Worten: Lass
gut sein, Wtter! Erspar dir deine Worte. Nach Handwerks-
gebrauch und Gewohnheit sollst du willkommen sein in Ullersdorf.
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Auf die Aufl'orderung: „Setz dich, Vetter"* nahm er Platz, ward
mit Schnaps bewirtet und erhielt von den Gesellen ein Geld-
geschenk. Von den Meistern ward ihm ein solches nur an einer
bestimmten Stelle, z. B. beim Obermeister oder einem leicht zu
findenden Meister und im Jahre nur einmal verabreicht, d. h. er
durfte zum zweiten Male nicht wegen eines solchen kommen, und
zwar erhielt der Weber 25 Pf., der Scheibentöpfer 30 Pf., der
Ofentöpfer 10 Pf., letzteres deshalb, weil die Naumburger Ofen-
töpfer nicht zu der am Orte befindlichen, sondern zur Görlitzer
Innung gehörten. Für das Geld konnte er auch Marken erhalten
und sich dafür auf der Herberge nach Belieben Speisen verabfolgen
lassen. Für das Geldgeschenk der Gesellen bedankte er sich mit
den Worten; „Nach Handwerksgebrauch bedanke ich mich fürs
Geschenk, Vetter! Solltest Du einst zu mir kommen, will ich dir
ein Gleiches zurückerstatten“. Hast nicht Ursache zu danken,
war die Antwort. „Wünsche dir glückliche Reise, bald Arbeit
und eine hübsche Meistorstochter als Nebengesellen“. Nun ward
ihm wieder Stock und Kopfbedeckung überreicht und er mit den
Worten: Adje Vetter! grüss mir Meister und Gesellen entlassen.
Ward er aber eingestellt, so ging er an jeden Gesellen heran, gab
ihm die Hand und bat allerseits um gute Kameradschaft. Kün-
digte er, so tat er das den Gesellen mit den Worten kund; In
14 Tagen bedank’ ich mich allerseits für gute Kameradschaft und
erhielt auch beim Abgänge ein Stück das Geleit, unterliess er den
Dank, fiel auch dies weg. Trafen sich auf der Wanderschaft
Handwerker, so fragten sie einander; Hui, Meister oder Gesell?
Die Schornsteinfeger hatten auch einen Erkennungspfiff (bestehend
aus einer ganzen und einer ®/8-Note).
Waren auf der Herberge Gesellen bereits anwesend, so
stellten sie an einen neu Zugewanderten mancherlei Fragen, deren
richtige Beantwortung erwartet wurde. War das nicht der Fall,
hatte sie einer, der z. B. auf dem Dorfe gelernt hatte oder nicht
zu einer Zunft gehörte, nicht gegenwärtig, dann wurde er .schwarz
gemacht, d. h. er musste zahlen; wenn er kein Geld hatte, hic.ss
man ihn sein Felleisen aufmachen und von seinen Sachen ver-
kaufen, ja man zog ihn wohl ganz aus. Das verlangten be.sonders
alte, arbeits.scheue Ge.scllen, sog. Stromer ‘), die durch ihr unver-
’) Ein solcher wird in Hanne Siite sogar handgreiflich, von diesem aber
kräftig ,zum Frieden* gezwungen, so dass sie sich wieder vertragen.
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12t
sdiiiintes Auftreten so manchen Neulinpr ausbeuteten, ihn zum
Weinen brachten und manchen Schabernack mit ihm trieben, so
z. B, ihn am späten Abend aus dem Bette lockten, ihn in den
Schnee fülirten und dann im Hemde stehen Hessen. Hatte er aber
seine Sache }fut gemaclit, war er auf alle Fragen schlagfertig ge-
wesen, .so konnte er hei der nächsten Zusammenkunft der Ge.sellen,
sobald er Arbeit gefunden hatte, aufgenommen, inkorporiert
werden. War dies geschoben, so musste er etwas zum Vertrinken
geben, gewöhnlich einen Taler (3 Mark), ebenso wenn er in eine
Werkstatt aufgenommen war, 50 Pfennige (5 Silbergroschen) Ein-
standsgeld zahlen, die gleichfalls vertrunken wurden.
Aufnahme in den Gesellenverband.
Wenn ein eben frei gewordener Webergeselle in den Kreis
seiner Geno.ssen eintrat, so .spielte sich in Leobschütz, auch in
Neustadt folgender Vorgang ab:
Jnnggeselle: Ich sage mit Guust vor Tisch und Lade zu treten.
Altgeselle: Onnst gennng!
J.: Ich wünsche den Beisitzmeistern, Altgesellen, wie auch der ganzen ehrsamen
Bmderscbaft einen scheinen Gnten Tag.
A.: Schön Dank!
J. ; Ich möchte bitten, einige Worte vorznbringen.
A.: Es ist schon erlaubt, soviel wie nötig ist.
J. : Weil mir's vergönnt und zugelasseu ist, tue ich mich znm >Scbönsten be-
danken, es ist keine andere Ursache als diese, weil ich bei keiner andern
Bruderschaft noch nicht aufgelegt und noch keine Bruderschaft gewonnen
habe, so wollte ich bitten, was meine Schuldigkeit ist.
A.: Du wirst so gut sein und dir nach Handwerksgebrauch drei Kuapp-
paten bitten.
J. : Gesellschaft, Sie werden so gut sein und werden bei mir Knapp-pate sein.
Knapp-pate: Gesellschaft, weil du mich halt angesproeben , dass ich soll bei
dir Knapp-pate sein, so kann ich dir's nicht abschlagen, vielmehr zu
sagen, ich will dich unterrichten, wie mich meine drei Knapp-paten
unterrichtet und unterwiesen haben. Kommst du in eine Stadt, wo es
zwei Jahre und nicht zünftig ist, so erlaube ich's nicht länger als 14 Tage
zu arbeiten. Kommst du aber in eine Stadt, wo es dreijährig und züuftig
ist, so erlaube ich dir, so lange es dir und dein Meister gefällt, wenn sie
dich nm meinen ehrlichen Tauf- und Zunamen befragen. Bernhard Klüsel
werd’ ich genannt, Leobschütz ist mein Vaterland und wünsche dir viel
(ilUck zum Gesellenstaud.
Alsdann ward er durch Handschlag in den (iesellenstand aufgenommen.
Wanderte er nun in die Fremde und wollte er in die Gescllenschaft des neuen
Ortes, an dem er Arbeit fand, eintreten , so ging er auf die Gesclleuherberge
nud wandte sich an deren Altgesellen mit den Worten: Weil ich bei dieser
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Hruderschal't nicht aufgelegt habe, aonderu auflegcu will, au rauchte ich bitten,
waa meine Schuldigkeit ist, aufzniegen.
A.: GesclUcbaft, die Herren Oberältesteu lassen ihn durch mich befragen, wo
hat er sein ehrliches Handwerk gelernt?
Neuer ; In Leobscbfltz.
A. ; Gelernter oder Meisterssohn?
N.: Meisterssohu.
A.; Wie lange lernt man da?
N.: 3 .fahre.
A.: Knapp- (laten gebeten?
N. : Ja, drei.
A.: Knappen recht erlegt?
N.: Acht Kreuzer.
A.: Sie werden so gut sein und mir ehrlichen Tauf- und Zunamen sagen und
woher sie sind.
N.: Die Knapp-paten! heissen: .Antou Lokowitz werd' ich genannt, Römerstadt
ist mein Vaterland; Franz Rother aus Kätscher in Oberschlesien; Josef
Krummschraidt ans Leobschlltz.
Die Zusammenkünfte der Gc.sellen fanden mit Erlaubnis des
Obermeisters .statt. Diese wurde in folgender Weise eingebolt;
Wohlachtbarer gunsthaftiger Herr Oberkltester ! Wir haben etliche Worte
bei ihm vorzubringen; ich bitte dieselben vou mir auznhUren. Es ist an diesem,
dass wir pflegen alle vier Wochen unseren gewöhnlichen Eingang und Zechtag
zu halten und weil dieser in unserer eignen Macht und Gewalt nicht steht zu
halten, also bin ich bei Ihnen erschienen und wollte um denselbigen anhalten,
damit nach Handwerksbrauch das Böse gestraft und das Gnte geschützt
werde. Solches ist mein freundliches Bitten an Sie.
ALsdann lud er die Beisitzer persöiilicb mit den Worten:
Wohlachtbarer, gunsthaftiger Herr Beisitzer! ich habe einige Worte bei
Ihnen vorzuhringen und bitte, dieselbigeu von mir anzuhören. Es ist an diesem,
dass wir pflegen alle vier Wochen unsem gewöhnlichen Eingang und Zechtag
zu halten. Und dieweil derselbe in unserer eignen Macht und Gewalt nicht
steht zu halten, also hin ich bei dem Herrn Obermeister gewesen und habe um
denselben angehalten. So ist nus derselbe vergönnt und zngclassen worden mit
dem Bescheid ,in Fried’ und Einigkeit“ ihn zu halten. Also bitte ich den Herrn
Beisitzer bei uns zu erscheinen und das Böse helfen zu strafen und das Gute
zu schützen. Solches ist mein freundliches Bitten an Sie.
Ebenso wurde der zweite Beisitzer geladen. Aber auch die
Erlaubnis des Herbergsvaters (so liie.ss der Gastwirt), eine Zu-
sammenkunft abzuhalten, musste mit folgenden Worten nacbgesudit
werden :
Gunsthaftiger-Herr Vater! Ich habe etliche Worte bei Ihnen vorzubringen,
bitte dieselben von mir anzuhören. Es ist an diesem, dass wir pflegen alle vier
Wochen unsern gewöhnlichen Eingang und Zechtag zu halten. Ich bin hei dem
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Herrn Uberältesteu wie aiicli bei den Herrn Beisitzern gewesen und liabc um
denselben angebalten. Also ist uns derselbe vergönnt und zugelassen worden.
So will ich den Herrn Vater angesprochen haben, wenn er und wollte erlauben,
Hans und Stube unseren Handwerksgebrauch und Gewohnheit zu halten, damit
das Böse gestraft und das Gute geschützt werde. Solches ist mein ganz freund-
liches Bitten an Sie.
Waren die Gesellen zii.sammengekommen auf Ankündigung
des Altgesellen, .so eröffnete dieser die Versammlung.
Stillt Euch, Bruiler! Die Lade wird geöffnet werden; ein jeder wird sich
vor Schaden hüten.
Stillt Euch, ihr Brnder! Es ist an dem, dass wir pflegen alle vier Wochen
unseren gewünlichen Eingang und Zeebtag zu halten, nicht einen schlechten,
vielmehr einen Friedenstag. Und weil derselbe nicht in unserer eignen Macht
und Gewalt stehet zu halten, so bin ich gestern bei dem Herrn überültesten,
wie auch bei den Herrn Beisitzern gewesen und bube um denselben angehalten. So
ist uns derselbe vergönnt und zugelasseu wurden mit diesem Bescheid, in Fried'
und Einigkeit zu halten. Also will ich bieten, wie lange er dauern soll, als
nämlich von meiner jetzt getanen Rede bis morgen um Qlock zwei. Wer den-
selben wird brechen mit Worten oder Werken, der soll gestraft werden nach
Laut des .Artikels und Erkenntnis der Herrn Beisitzer, Gesellen, jung und alt.
Mehr sollt ihr auch gute Wissenschaft haben, was in diesem unserem Friedens-
tage verboten ist, als nämlich Schelten und Fluchen, Schlagen und Raufen und
alle lästerlichen Schmähgesänge, was wider Gott und sein heilig Wort ist.
Mehr sollt ihr auch gute Wissenschaft haben, wenn eines ein mörderliches Ge-
wehr bei sich hätte, es wäre Messer oder Gabel oder tödlich Gewehr: Degen,
Rappier oder lange Seitengewehr, wie die Waffen alle ihre Namen haben mögen,
die ich nach der Länge und Menge nicht alle zu zählen weiss, wer dieselbigen
bei sich trägt, der wolle sie ablegen und der Frau Mutter (Herbergsmulter in
Verwahrung geben, nach verrichteter Sache soll sie ihm wieder zngeeiguet
werden und ein jeder wird sich vor Schaden hüten. Mehr sollt ihr auch gute
Wissenschaft haben, wie viel ein jeder soll anflegeu, als nämlich der Mann drei
Silbergroschen. Wollt euch auch fein ordentlich (an der Lade) einliuilen, wie
euch der Beisitzmeister verlesen wird.
Stillt ein wenig ihr Bruder! Wenn einer oder der andre im Verlauf der
vier Wochen etwas gesehen oiler gehört oder erfahren hätte, oder der eine oder
andre etwas vor der Lade und nach der Lade verbirgt oder wer etwas zu
klagen hätte, der solle vortreten, sagen und klagen fein und mit Bescheidenheit,
weil unsere Lade noch offen steht und unsere Herrn Beisitzer noch bei uns sein
wollen. So wollen wir sehen, ob wir cs verrichten oder vertragen können; so
wollen wir es an Ort und Stelle gelangen lassen, da es kann verrichtet und
vertragen werden. Seid ihr aber alle friedlich und eins gewesen, so ist’s auch
gut und mir und meinen Mitgesellen lieb anzuhören und den Herrn Beisitzern
ein Wohlgefallen und der Lade geschieht ein kleiner Schaden (weil kein .Straf-
geld hineinkommt).
Wenn etwa fin fremder Geselle vorhamlen wäre, der nicht Braderschaft mit
uns gewonnen hätte, derselbe wolle vortreten und Bruderschaft gewinnen, es soll
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ihm vorn'önut und zngelassen werden, eü soll ihm mit die angetane IChre erzeigt
und bewiesen werden.
Ich habe mich angcmcldet zum ersten, zweiten und dritten Male. Wer
was weiss. kann vortreten.
Hatto ein fremder Geselle sich gemeldet, so wurde ihm der
Willkomm gebracht von dem Altgesellen in folgender Weise:
Dieweil es dann allhier in dieser hoch- und weitberllhmten Stadt ein alter,
feiner, hochlBblichcr (iebrauch ist, dass wir pflegen, einem fremden Gesellen
diesen hucbchrlicbenden Willkommen auf- und vorzutragen, oder einen der Jahr
und Tag von dieser Stadt verwandert hat, oder eines Meisterssohn, der von
seinem Vater vor einem ganzen ehrbaren Mittel (Innung) quitt, frcilcdig und
losgesprocheu wird, der sein Knappenrecht erlegt, seine drei Knapp-paten
gebeten bat nach dem, wie es Brauch ist, diesen obgemcideten Personen
pflegen wir auch diesen hochliebehrenden Willkommen anf- und vorzu-
tragen, wie es denn auch Gottlob! heutiges Tages in unseres Herrn V'aters Be-
hausung geschieht und widerfährt. So lässt eine ganze hochlöbliche Brüderschaft
durch mich anmelden. Wenn dieser hochliebehrende Willkommen hätte mit
einem besseren Trunk, mit Bier oder Wein geziert oder geschmückt werden
können, so wollte es eine ganze Bmdersrhaft getan haben, wiewohl Gott Lob
und Dank! dieser Trunk auch nicht zu verachten ist, sondern ein angenehmer
und wohlschmeckender Trank sein wird. So wollt diesen hochehrenden Will-
kommen zu euch nehmen von mir und das wohlschmeckende Bier daraus trinken,
damit das hochlöbliche H.andwerk, als nümlich ZUchner, Tüchner, Trup-Dameskat,
Parchent- und Leineweber möchten geehrt, gemehrt und gefördert werden, das
ist mein ganz frenudliches Bitten an euch
Dieser Fremde (Schenkgeselle) imlim den Willkommen mit
folgenden Worten entgegen:
Dieweil es denn allhier in dieser hoch- und weitberUbmten Stadt ein alter
und hocblöblicher Brauch ist , dass ihr pflegt einem fremden Gesellen diesen
hochliebehrenden Willkommen anf- und vorzutragen oder einem der Jahr und
Tag von dieser Stadt verwandert hat oder eines Meisters Sohn, der von seinem
Vater vor einem ganzen ehrbaren Mittel quitt, frei und losgesprochen ist. der
sein Knappenrecht erlegt, seine drei Knapp-paten gebeten hat, wie es hränch-
lich ist, oder aber einen jungen Lehrknappen, der seine drei Jahre ehrlich und
redlich ausgestanden und von seinem Lehrmeister vor einem ganzen ehrbaren
Mittel quitt, frei, ledig und losgesprocheu worden ist, der sein Knappenrecht er-
legt, seine drei Knapp-paten gebeten hat, wie es denn bräuchlich ist. Diesen
allen obgemeldeten Personen pfleget ihr diesen hochehrliebenden Willkomineu
vorzutragen , wie es Gott Lob und Dank I heutigen Tages in unseres Herrn
Vaters Behausung geschieht uml widerfährt. So hat eine ganze hochlöbliche
Bruderschaft durch euch aumelden lassen, wenn sie diesen hochliebehrenden
Willkommen hätte mit einem besseren Trank, Bier, Met, Malvasier oder Wein
zieren oder schmücken können, desto lieber wollte es eine ganze Brüderschaft
getan haben, wiewohl auch mir dieser Trunk nicht zu verachten ist, sondern es
soll mir und meinen Mitkonsekreten ein angenehmer und wohlschmeckender
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Trank sein. So will ich den liocliehrliebenden Willkommen von euch zu mir
nehmen und nebst meinen Mitgeselleii das wublschmeckeude Bier daraus trinken.
Ferner, so ist mein ganz freundliches Bitten an euch, ihr wollt diesen hochohr-
liebenden Willkomm wiederum von mir zu euch nehmen und zuvor dem ehr-
baren Herrn Vater, der tiigendsamen Frau Mutter, Herrn Bruder und Jungfer
Schwester daraus schenken, euer und meiner dabei znm Besten gedenken.
Das ist mein ganz freundliches Bitten an euch
Bernhard Klüsel, Barbiergeliilfe und Webergeselle.
Diese Gebräuche musste jeder kennen, den Wortlaut tiu.s-
wendig wi.ssen (ähnlich dem Corament unserer Studenten) und be-
sonders ein Meisterssohn darin finn sein. Knapp-paten musste
jeder Freizusprechende als Zeugen haben, und er nahm dazu ge-
wöhnlich zwei Meister aus der Innung. .Mit Gesellschaft .sprach
man die Versammlung der Meister an. Die Gelder wurden unter
Aufsicht der Beisitzer in die Lade gezahlt und dienten zur
Unterstützung fremder bzw. durchreisender Gesellen, Herbergs-
miete usw.
Der Willkomm war wie die Innungslade das Wichtigste bei
der Innung. Er war mas.siv aus Me.ssing (Leobschütz) oder Silber
(Neustadt) ‘), wie ein grosser Kelch, der 1 — 2 Liter fasste. Er
wurde nur bei wichtigen Veranlassungen verwendet, beim Meister-
werden, Zunftballe, wobei jedem eintretenden Meister mit Frau
und Töchtern ein Trunk gereicht und ein Tu.sch geblasen wurde.
Dafür schenkte jedes ein „geölirtes"* Stück Geld, das mit einem
Bande an dem Willkomm befestigt wurde.
„Zwei Jahre“ wurden die Handwerker genannt, die nicht zur
Zunft oder Innung gehörten. Die Wandcrzcit war gewöhnlich drei
Jahre. Bei den Töpfern wurde nur eine einjährige gefordert, diese
war aber Bedingung, dass er die andern Duzen durfte. Hatte er
nun eine zeitlang als Geselle (bei den Barbieren hie.ssen sie Ge-
hilfen) gewirkt und sich in seiner Kunst vervollkommnet, dachte
er daran, selbständig zu werden, sich niederzula.s.sen und einen
eignen Hausstand zu gründen, so mu.sste er sein Meisterstück machen.
Auch dies w'ar ortsüblich, d. h. je nach dem Orte verschieden.
In Leobschütz mu.sste der Schmied ein Rad beschlagen, wozu er
zwar Mass nehmen, aber dann den fertigen Reifen nicht anpassen
') Den Nenstädter haben die Uesellen öfter gebori^t, dann gemeint, er ge-
höre ihn, und ihn dann schliesslich unter der Hand, als sie ausqnartiert waren,
an den Kommerzienrat Pinkns fUr 1000 M. verkauft. Degen diesen mochten
die Meister nicht vorgeheu, da sie von ihm meistens abhängig waren.
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durfte, — anderwärts musste er eine ungewöhnlich grosse Dünger-
gabel oder eine Axt herstellen — überdies ein Pferd beschlagen
und dazu die Hufeisen fertigen, ohne sie aufzupassen (anzu])roben)
und sie kalt aufschlagen. Der Töpfer (Ullersdorf) musste einen
Topf anfertigen, wobei es vor allem auf Zusammensetzung der
Farbe, die Ulätte usw. ankain. Er arbeitet nun gewöhnlich nicht
mehr an der Scheibe, ihm liegt viclmelir die Sorge für die Farbe,
Zurichtung der Töpfe für den Brand usw. ob. Der Weber musste
ein Stück • fehlerfrei mit drei Schützen (drei ver.schiedenen Farben)
weben, es musste feiner sein als das üesellenstück; die Damast-
weber webten ein 3‘/» m langes, 2,4 m breites Tuch. Der Barbier
mmsste glatt rasieren, so dass der Bart nicht zu fühlen war, und
durfte nicht .schneiden , der Schonisteinfeger vor allem die
Feuerungsanlage, die Feuersicherheit richtig beurteilen, auch
Zeichnungen anfertigen, f'berdies ward er auch einer theoretischen
Prüfung, die sich auf Feuerlöschordnung, Polizeiverordnungen, die
sich auf Schornsteine, bezogen, Russbildung, Arten desselben u. a.
beziehen, unterworfen ; jetzt muss er aucli Wechselordnung kennen.
Nach bestandner Prüfung erhielt er ein Zeugnis und ward
belehrt, wie er sich als Meister zu verhalten habe, dass er be-
sonders andern nicht die Kund.schaft stören und sie nicht .schlecht
machen dürfe. Die Uebüliren betrugen 12 Taler (36 .M.) jetzt
9 M., bei den Schornsteinfegern 30 M. Die Gebühren bei der
Aufnahme in die Innung waren bei den Schornsteinfegern 30 M.,
überdies waren 6 Taler (18 M.) Bürgerstandsgeld zu entrichten.
So wurde er Jungmeister, musste die andern zu den Zusammen-
künften laden, sie dabei bedienen, bei Begräbnissen von Innungs-
mitgliedern die Träger, das Leichentuch, die Stäbe usw. besorgen,
bei den Gesellen Beisitzer sein. Sjiäter konnte er auch Prüfungs-
meister, Schrift-, Kassenführer und Obermeister werden. Jeden-
falls war der Korpsgeist gross und so lange er heiTschte, die
Innungen in Blüte. Heute haben sie durch ver.schiedene Strömungen
im Innern, wie durch das Fabrik wesen sehr gelitten und es ist
fraglich, ob manche Änderungen’), die getrotl'en sind, ihnen helfen
') So erfolgt die Prüfung des Tüpfermei.sters heut vor der Handwerks-
kammer, die dazu einen Vertreter, gewülinlich den Obermeister der Innung be-
stellt, der die Ausführung des Meisterstücks beaufsichtigt. Oie mündliche
(theoretische) Prüfung geschieht vor der Handwerkskammer. Das Oesuch des
jungen Meisters um Aufnahme in die Innung muss heut schriftlich erfolgen, der
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werden. Die seit 1904 geltende Gewerbeordnung hat manches be-
seitigt oder geändert, de.sgleichen ist die Organisation der Gesellen
und Mei.ster vielfach eine andre geworden. Möchte beides dem
Handwerk zum Segen gereichen, dies im Wettbewerb mit dem
Grossbetrieb nicht erliegen! Auch der Gesamtheit kann es nicht
gleichgültig sein, die Kleinbetriebe verschwinden zu sehen.
Möchte sie das Ihrige zu deren Erhaltung beitragen!
Rübezahl.
Vun 0 r. Th. .Siobs.
ln der Zeitschrift des Vereins für Volk.skunde 1908 (S. 1—24,
151 — 160) hat I)r. Richard l>oewe über „Rübezahl im heutigen
Volksglauben“ gehandelt und eine Reihe von Rübezahlsagen ver-
ütfentlicht, die er bei einem dreiwöchigen Aufenthalte im Riesen-
gebirge aufgezeichnet hat. Vor Jahren schon hatte Ulrich Jahn
als Student auf einer Fii.sswanderung sieben Sagenerzählungen
ähnlicher Art gesammelt; sie waren in derselben Zeitschrift (XI.
J36) gedruckt worden. Und vor kurzem hatte Dr. Loewe (Zeit-
schrift d. Wweins f. Volkskunde XV, 176) von einer Sage berich-
tet, die die weis.sen Streifen auf den Steinen des Weisswa.sser-
bettes bei Spindelmühle als „Rübezahls Wagenspuren“ bezeichnet.
Bei dieser Gelegenheit hatte er sich über den Wert solcher Mit-
teilungen nur wenig zuversichtlich geäu.ssert. Anders jetzt: er
behauptet, reiche Ausbeute gemacht zu haben und teilt utis eine
grössere Anzahl seiner Rübezahlsagen mit.
Nun ist es von vornherein höchst unwahrscheinlich, da.ss
einem Sommerfri.schler (und sei er ein noch so gewandter und
tleissiger Frager), sobald er ins Riesengebirge hineinschaut, in
Hülle und Fülle die Sagen Zuströmen sollten, wo sie den besten
Kennern, die im Gebirge lieimi.sch sind, verborgen blieben.
Und das scheint Loewe auch zu empfinden, wenn er sagt: „hatten
doch so gute Kenner wie Regell und Cogho die Behauptung
aufgestellt, da.ss das Volk heutzutage nichts von Rübezahl wisse“;
Vorstand entscheidet darüber und teilt dem Bewerber ilas Ergebnis mit. Bei
den Schornsteinfegern besteht die Prüfungskommission ans einem Kreisbau-
beamteu, einem Zimmermeister nnd einem Rektor,
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so habe auch er nicht die Hoffnunp pehept, „Erhebliches noch
über Rübezalil selbst aus dem Volksinunde zu hören“. Darum
muss das Erscheinen neu pesaininelter Rübezahlsagen den
Forscher stutzig machen und zu grösster Vorsicht mahnen.
Und wenn wir nun im einzelnen die Aufzeichnungen durch-
gehen, die Loewe beibringt, so haben wir das Gefühl, dass sie
gar nichts ursprüngliches bieten, vielmehr nur eine dankenswerte
Reihe von Zeugnis.sen für die Tatsaclie sind, dass literarisch
überlieferte Sagen vom V'olke aufgenommen und weiter gebildet
werden können. Wir haben ja in den Geschichten von der Göttin
Hertha auf Rügen oder — um bei Schlesien zu bleiben — in
der Sage vom Kyuast bekannte Beispiele dieser häufigen Erschei-
nung. Schon vor Jahren habe ich in unseren „Mitteilungen“
(X, 53 ff., XV, 156 ff.) — im Anschlüsse an Zachers Arbeiten —
darauf hingewiesen, dass sehr viel Unechtes und Gemaclites in den
Rübezahlsagen stecke und zunächst der Anteil des Prätorius
untersucht werden müsse: das ist inzwischen geschehen in
einer Arbeit von de Wyl, die in wenigen Wochen in un.serer
Sammlung „Wort und Brauch“ erscheint. Alle diese Sagen
aber haben — trotz dem vielen Unechten und Gesuchten — eine
so gewaltige literarische Verbreitung erfahren, wie wenige andere
Sagen; sie erstreckt sich, zum mindesten schon seit Musäus, über
die ganze Welt. Und da sollte allein im Riesengebirge, wo
sie doch spielen, nichts von diesen Geschichten bekannt
geworden sein? Schon die vielen Fremden, die in den Bergen wieder
und immer wieder von Rübezahl reden und nach ihm fragen, die
Städter, die ihn in Wort und Bild immer wieder beschwören und
verunstalten, hätten das bewirken müssen. Und die Sache steht
denn auch tatsächlich so, dass man — statt mit Loewe nach
Leuten zu forschen, denen der Name Rübezahl bekannt ist —
lieber fragen sollte: wer von den Leuten im Gebirge, alten oder
jungen, hat noch nicht von Rübezahl gehört? Und den meisten
von ihnen sind gerade die albernsten und offenbar unechtesten
Geschichten am besten bekannt: besonders die etymologische
Deutung vom Rübenzählen, die Erzählung von Rübezahl und der
Prinzessin Emma, die Redensart von Rübezahls Kegelbahn u. ä.;
natürlich aber auch andere, die ursprünglich Echtes enthalten
mögen und durch literarische Vermittlung seit Prätorius verbreitet
worden sind, z. B. von Rübezahl als Wettermacher, Irreführcr usw.
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129
und auch die massenhaften Geschichten, in denen Rübezahl auf
andere Sagen übertragen erscheint.
Gerade solche Erzählungen, wie Loewe sie bietet, sind ganz
oft'enbar nur durch literarische Verbreitung beim Gebirgsvolke be-
kannt und können dort zweifellos reichlich gehört werden. Wie
aber dürfen Kenner trotzdem behaupten, Rübezahl lebe nicht im
Volksmunde? Selbstverständlich nur in dem Sinne, dass die
Forscher sow ie auch die Leute im Gebirge, die als Träger echten
und wertvollen Sagenstoffes gelten können, die sichere Empfindung
hatten, dass cs sich hier eben nicht um altes echtes Gut handle.
Mir ist das durch eigene Nachfrage so recht klar geworden. Seit
Jahren hatte ich jeden Sommer mehrere Monate im Riesengebirge
zugebracht und — obschon nicht Schlesier — viel Mundartliches
systematisch gesammelt, mich in die Sprache der Leute hineinzu-
finden gesucht und auch mancherlei Sage, Brauch und Lied auf-
gezeichnet. Von Rübezahl habe ich im Ernst niemals reden
hören, obschon ich oft darnach gefragt habe. Der alte Bradler
auf dem Tannenstein aber (ein etwa achtzigjähriger Mann, der
aus der Gegend der Peterbaude stammt) sagte mir, man habe ihn
als ganz kleines Kind mit Rübezahl bange gemacht, und einmal
habe er ihn auch w'irklich ge.sehen : er hatte einen langen grauen
Bart wie Baumflechten und sah schrecklich aus, und er hatte eine
Tabakspfeife im Munde, und man habe (so ging, glaube ich, die.
Geschichte weiter) ein Geldstück hineingesteckt — also es W'ar
wohl eine Art Automat, wie ihn auch Loew'e (S. 24) erw'ähnt.
Gerade an solche und andere Rübezahlfiguren, mit denen die In-
dustrie im Gebirge sich breitmachf, würd man lebhaft erinnert,
wenn man bei Loewe (S. 4) liest; „Zu Grossvaters Grossvater ist
Rübezahl gekommen am Lichtenabend. Er trat ein, ohne ein
Wort zu sprechen, und legte nur seine?i Hut nieder. Der Hut w ar
von Rinde, sein Bart ein Graubart, sowie er an den Fichten
hängt“; oder (S. 11): „Rübezahl hat einmal rauchen w'ollen und
sich eine Pfeife gekauft. Da er keinen Tabak hatte, stojifte er
sich Moos in die Pfeife . . — gerade so sieht man es heute
bei den Rübezahlfiguren. Obschon auch Gerhart Hauptmann in der
„Versunkenen Glocke“ seinen Waldschrat Tabak rauchen lässt,
möchte ich doch das Tabakrauchen nicht als notwendiges Kriterium
echter Gestalten der deutschen Mythologie ansehen. — Und Loewe,
der in seinen Aufzeichnungen wertvolle Reste alten Volksglaubens
Mttteiliingrti <1. srliic». Oer* r, Vkiic. Heft XX U
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seilen möchte, g:lanlit beobachtet zu haben, dass jünfrere Leute
schon nicht mehr so viel von Rübezalil wüssten als die älteren.
Ich nehme dies nicht ohne weiteres an, denn um sich in solchem
Sinne über die Verbreitung: von Sagen in einem sehr gro.s.sen Ge-
biete äusscrn zu können, dürfte eine so kurze Gebirgstoiir nicht
ausreichen. Sollte Loewe aber Recht haben, so würde ich
daraus nur entnehmen, da.ss der Rübezahlschwindel seinen Höhe-
punkt überschritten hat, teils dank der Gehaltlosigkeit der meisten
Rübezahlerzählungen (wie sie von mir schon als Kind empfunden
ward), von denen doch nur sehr wenige einen alten guten Kern
haben, teils dank der vielen Missgesfaltungen des Rübezahl, deren
man doch endlich überdrüssig wird. Auch ist Ja unsere Jugend-
literatur an guten Sagen und Märchen im letzten halben Jahr-
hundert bedeutend reicher geworden, so da.ss die Nachfrage nach
Rübezahl zurückgehen mag.
Da ich nicht Schlesier hin, möchte ich aber die Entscheidung
solcher Fragen in ereter Linie denjenigen Schlesiern anheiin-
geben, die gründliche Kenner des Volkslebens ihrer Heimat sind.
Man hat da als Sohn seines Stammes für das Echte ein ganz be-
sonderes (Jefühl, das der Fremde sieh bei allem Eifer niemals
aneignen kann; so z. H. glaube ich es für meine nordwestdeutsche
Heimat in viel höherem Mius.se zu haben, als für Schlesien. Und
darum habe ich mich, nachdem ich mein Urteil schon gefällt
hatte, an den besten Kenner der .schlesischen Rübezahl.sagim, Herrn
Profes.sor l)r. Regell in Hirschberg, mit der Ritte gewandt, mir
.seine .Ansicht in die.ser Sache mitzuteilen; in seiner Antwort —
für die wir ihm herzlichen Dank wi.s.sen müssen — .schreibt er
unter anderem über Loewes Aufzeichnungen folgendes;
„ln meinen .Augen beweisen seine .Mitteilungen nur, da.ss noch
heute in un.serem (Jebirge viele l.eute vielerlei von Rübezahl zu
erzählen wi.ssen. Das hat ja aber kein vernünftiger Alensch ge-
leugnet. Die Kon.statierung dieser Tatsache hat mit der Frage
nach der Bodenständigkeit der Rübezahlsage nichts zu tun. Wenn
aber und in.soweit sich seine Mitteilungen als .Äusserungen des
echten Volksglaubens geben, mu.ss ich ihnen — liis auf weiteres —
jede Beweiskraft absprechen. Denn als solche .setzen sie sich in
Widers]irnch mit den Ergebiiis.sen eigner langjähriger Nachfragen.
.Mein Hauptgewährsmann für den OstHügel des Gebirges, der leider
.schon verstorbene Rose, ein Prachte.semplar unserer heimi.schen
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Bevölkeinnp:, der als gphorener Kleiiiaupaer und ehemaliger
Schatzsucher gerade die Aupatiiler bis in die innersten Winkel
kannte, hat mir von selber nie etwas über Rübezahl mitgeteilt,
und, gefragt, leugnete er jundweg und sehr entschieden das Vor-
handensein eines solchen Berggeistes und irgendwelchen Glaubens
an ihn. Dieselbe Erfahrung hatte auch mein verstorbener Freund
Cügho, der aus den ursprünglichsten Quellen schöpfte, immer
wieder gemacht. Unsere Gewährsmilnner waren durchaus
gläubige und eifrige Vertreter des Volksglaubens, die sich für
die Wahrheit ilirer Mitteilungen mit Leil) und Seele verbürgten,
und gerade sie verhielten sich der Rübezahlsage gegenüber durcli-
aus ungläul)ig und ablelinend. Ganz besondei’s bezeichnend aber
und beweiskräftig für die Frage nach der Bodenständigkeit der
Sage war für mich die Beobachtung, dass sie eine Gleichstellung
ilirer Mitteilungen mit den Rübezahlsagen geradezu als eine per-
sönliclie Kränkung, als einen Zweifel in ihre eigene Glaubwürdig-
keit autiässten, wie jemand, der eigene Erlebnisse und eigene Er-
fahrungen mit leeren Hirnge.spinsten auf eine Stufe gestellt sieht.
So lange diesen wurzelechten Vertretern unseres Volksglaubens
nicht als gleichwertig erprobte Zeugen gegenübergestellt werden
— und das dürfte schwer halten — , habe, ich alle Veranla.ssung,
an meiner bisherigen ('berzeugung festzuhalten.
Darnach muss ich annehmen, dass die von Herrn Dr. Loewe
ausgekundeten Rübezahlsmärchen nicht auf heimischem Boden ge-
wachsen, sondern von aussen, wahmheinlich auf literarischem
Wege angeflogen sind. Auf demselben Wege hat ja die Sage, wie
ich seinerzeit im „Wanderer“ als derzeitiger Leiter mitteilte, so-
gar in der schlesischen Ebene oberflächlich Wurzel geschlagen.
In diesem Falle kann ja wohl kein Zweifel sein, dass es sich um
literarischen Flug.samen handelt; und es wäre geradezu wunder-
bar, wenn im Riesengebirge, das ja nach der literarischen Sage
als die eigentliche Heimat Rübezahls gilt, und wo demnach
ein viel lebhafteres Intere.sse der einheimi.schen Bevölkerung für
die Sage vorausgesetzt werden muss, nicht in noch verstärktem
Ma.s.se stattgefunden hätte. Um so mehr mu.ss die ablehnende
Haltung, die die hierfür in Betracht kommenden Zeugen ein-
nehmen, ins Gewicht fallen“.
Xach solchen Urteilen wird man in den Rübezahlsagen Loewes
nur Spiegelungen literarischer Erzeugnisse sehen mü.ssen; Loewe
u*
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selbst aber, dem wir für seine Bemühungen den Dank nicht vor-
enthalten, wird gut tun, von der Überschätzung solchen Stoffes,
zu der ihn der Eifer verführt hat. zu .seinen früheren berechtigten
Zweifeln zurückzukehren.
Literatur.
Schlesiens volkstümliche Überlieferungen. Samminngen und Studien der Schlesi-
schen (tesellschaft für Volkskunde, 3 Bände. Leipzig, H. G. Teubner, ISKU — 5.
Der erste Band bietet die Schlesischen Weihnachtspiele, hcraus-
gegeben von Geh. Regierungsrat Prof. Pr. F. Vogt, unserem Khrenniitgliede;
die Te.\te und Musik sind in zuverlässiger, trefflicher Gestalt niitgeteilt und
haben sich oft bei .Aufführungen in der Weihnachtszeit bewährt. Per zweite
und dritte Band, enthaltend Sitte, Brauch und Volksglauben in Schle-
sien, sind von üymnasialdirektor Paul Drechsler, dem besten Kenner auf
diesem Gebiete, bearbeitet und mit vielen Zeichnungen von Prof. Wislicenus
und Ellen Siebs geschmückt. Es sind Hausbücher für jeden Schlesier, und sie
können als Geschenkwerkc bestens empfohlen werden. Betreffs des Preises und
der Vergünstigungen für unsere Mitglieder sei auf den t'mschlag verwiesen.
Gleiches gilt für die von uns herausgegehene Sammlung „Wort und Brauch“.
Wort und Brauch. Volkskundliche Arbeiten namens der .Schlesischen Gesellschaft
für Volkskunde in zwanglosen Heften herausgegeben von Th. Siebs und
M. Hippe.
I. Heft. Pie deutschen Familiennamen nach Breslauer Ijuellen
des 13. und H. .lahrbunderts , von Dr. Hermann Reichert. Breslau 190S,
M. & H. Marcus. X. 192 S. M. 6,40 (für Mitglieder M. 4,80).
Es ist eine in der Methodik und den Ergebnissen ausgezeichnete Arbeit,
die nicht allein ein örtliches Interesse für .‘Schlesien, sondern ein allgemein
kulturgeschichtliches hat.
Während sich die deutsche lokale Namenforschung bisher auf eine hypo-
thetische und meistens recht geringwertige Deutung der Namen erstreckte und
im besten Kalle durch Zusammenstellung von Gruppen die Namenbildung zu
veranschaulichen suchte, gebt H. von dem neuen und einzig richtigen Gesichts-
punkte aus, dass nur auf Grund des gesamten grossen urkundlichen Namen-
materiales eines bestimmten Gebietes und einer bestimmten Zeit die wichtige Frage
nach dem Werden, d. h. nach der Entstehung und dem Festwerden der Familiennamen
der Beantwortung näher gerückt werden kann. .So hat R. nicht nur das gedruckte,
sondern mit bewundernswertem Flcisse das ganze handschriftliche Material aus-
genutzt, vor .allem die Breslauer Schüflrcnbüchcr (1345—1400), acht Bände mit
etwa 4500 Seiten und etwa 1()00(X) Personenenuamen, ferner die Bürgerbücher
und Signaturbücher. Wir gewinnen damit eine vollkommene Einsicht in den
N.amenschatz Breslaus während der zweiten Hälfte des 14 .Tahrhunderts; aber
— und das ist bedeutsam — Kcichert betrachtet diese Namen nicht als totes
Spr.achmaterial. sondern er berücksichtigt ihren Wert für die Erkenntnis der
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Lebens- und Kiunilienvcrhältnisse jener Zeit und kuinmt dadurch zu neuen,
höchst wissenswerten Ergebnissen.
Zunächst werden die Taufnamen, männliche und weibliche, mitgeteilt,
belegt und — soweit möglich — erklärt, und in klarer, fasslicher Weise werden
die Bildungsprinzipien der Voll- und Kurznamen erörtert. In einem kultur-
geschichtlich anziehenden Kapitel wird der Xamensschatz verschiedener Zeiten
nach Mode und Beliebtheit der einzelnen Namen beurteilt.
Der Hauptteil ist sodann den Familiennamen gewidmet Es wird — im
Anschlüsse an Socin’s Forschungen fUr die Schweiz — mit der veralteten .‘An-
schauung gebrochen, dass zur Zeit des .Aufblühens der Städte seit 1100 der
kleine Bestand von Taufnamen und der wachsende Verkehr viele Verwechslungen
veranlasst und neue Untcrseheidungsmittel der I’ersonen notwendig gemacht
habe, und dass dadurch die Doppelnamigkeit entstanden, die Familiennamen
hervorgerufen seien, licichert weist vielmehr nach, wie in allmählicher Ent-
wicklung ein alter Usus ans früher Zeit immer häufiger und schliesslich Er-
fordernis geworden ist.
Zunächst werden die vielen Familiennamen besprochen, die aus Taufnamen
entwickelt und somit im ersten Teile des Buches erklärt sind In über-
raschender Weise aber werden hier die Gründe aufgezeigt, weshalb diese Tauf-
namen als Familiennamen gebraucht werden: durchaus nicht etwa nur deshalb,
weil der !<ohn nach dem Vater oder der Mutter benannt wird, sondern auch
Ehemänner werden nach ihren Frauen benannt, der Neffe nach dem Uheim, ja
.Schwiegervater, Bruder usw. können zur Namengebung führen, besonders wenn
ihre bekannte Stellung ausschlaggebend ist: z. B. ein Hermannus Zachariae ist
der Schwiegersohn des Zacharias; Heinrich .Sommerfeld hat seinen Namen, weil
er der .Schwager des (bekannten) Hermann Sommerfeld war; ein Mann heisst
(um 1:120) der lange Dietrich und ist eine bekannte Breslauer l’ersönlichkcit
gewesen — nach ihm heisst ein Bruder Nickel Langedietrich, ja ein Neffe sogar
Lorenz Langedietherich , weil er eben zu dem bekannten Manne in Beziehung
stand. So auch werden die Dienenden nach der Herrschaft benannt, wie cs
heute freilich nicht mehr offiziell, jedoch noch in der L'mgangsprache geschieht.
Weiterhin werden die vielen Familiennamen behandelt, die nach itrtlich-
keiten (nach Bezirken, .Strassen, Gebäuden der .Stadt, nach dem Herkunftsorte)
gebildet sind, und es wird nachgewiesen, dass sich aus der Fülle der Namen
mit con (de) kein .Schluss auf die Herkunft der Besiedler Schlesiens ziehen
lässt. Sodann werden die Namen nach Stand, Amt und Beruf erörtert, und aus
denjenigen, neben denen noch eine besondere abweichende Berufsbezeiebnung
steht, wird auf das Festwerden der Familiennamen geschlossen: z. B. erscheint
1396 ein Nicolaus becker textor, der also nicht Bäcker war, sondern Weber;
auch ans der Erblichkeit solcher Berufsnamen in der Familie kann man schon
das Festgewordensein des Familiennamens beweisen.
Ein Abschnitt von ganz besonderem Reiz und kulturgeschichtlichem Interesse
behandelt die sog. l'bernamen, Namen nach Eigenschaften, nach Vergleich mit
Tieren, nach Essen und Trinken, Kleidung, ja auch nach nach .Aussprüchen,
Redensarten usw. Neben vielem anderen Neuen ergibt sich hier, dass die
Familiennamen von der Entwicklung der Häusernanien und vor der Verbreitung
von Wappen bei den Bürgern festgeworden sind.
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134
Auch auf die geschidilliclic Weitfrcntwickluiig der Breslauer Namen wird
Bezug genommen. Der Lage der IHnge im 13. und 14. Jahrhundert wird die
Zeit gcgenUbergestellt, als in Breslau da.s erste Adressbuch erschien: 1S32;
damals hatte die Stadt 90000 Einwohner. Nur etwa ein Fünftel der iin
14. Jahrhundert naehw'eisbaren Namen sind 1H32 noch vorhanden, hingegen heute
sind — was auf Neueinfilhrung deutet — engere Beziehungen zum 14. Jahr-
hundert festzustellen; von den 1832 noch vorhandenen Namen sind etwa BO ein-
gegangeu.
Andere schlesische Städte werden auf diesem Forschungsgebiet manche
Analogien zu den Breslauer Verhältnissen zeigen Aber nicht nur jeden ge-
bildeten Schlesier muss die Arbeit Keicherts interessieren, sondern sie ist durch
Ergebnisse wie Methode für die Namenforschung Uberhauiit wichtig. — e—
II. Heft. Lateinisch-romanisches Fremdwörterbuch der Schle-
sischen Mundart von Or. Erich Jäschke. Breslau 1908, M. & H. Marcus.
XVI, IBO 8. M 5,1)0 (für Mitglieder M. 4,20),
I'nter den grossen .Aufgaben, deren Inangrilf nähme die Schlesische Ge-
sellschaft für V'ulkskimde seit langem als eine Ehrenpflicht empfindet, steht die
Herstellung eines Wörterbuches der schlesischen ^lundart obenan (irundlegeiide
Vorarbeiten hierfür sind namentlich von Karl Weinhold bereits vor langen
Jahren veröffentlicht worden; mancherlei wichtiges Material ist in den l’ubli-
kationen der Gesellschaft niedcrgelegt. Einen weiteren hervorragenden Beitrag
zu dem schlesischen Idiotikon der Zukunft liefert jetzt Erich Jäschke in seinem
Fremdwörterbuch der schlesischen Mundart, in dem er die lateinisch-romanischen
Elemente des schlesischen Wortschatzes gesammelt und in lexik.alischer Ordnung
verzeichnet hat
Waren die slavischen Bestandteile der schlesischen Mundart schon wieder-
holt untersucht worden, so lagen für die lateinisch-romanischen F'remdwörter
bisher kaum nennenswerte Arbeiten vor. Oer Verfasser war also genötigt, das
gesamte, überraschend reiche Material in der llauptsirchc selbst zusammen-
zutragen. zu ordnen und zu erklären. Er hat sich dieser .Aufgabe mit grossem
Geschick und mit reichem Firfolge unterzogen. Sein Buch darf nach Weinholds
im Jahre 185.5 liernnsgegvbenen , Beiträge zu einem schlesischen Wörterbuch“ als
die bisher wichtigste -Arbeit auf dem Gebiete der Schlesischen Wortforschung
gelten Jäschke verzeichnet alle in den schlesischen Mundarten jetzt und früher
nachweisbaren F'remdwörter, die aus dem Lateinischen oder einer der romanischen
Sprachen — cs kommen lediglich das Französische, Italienische, allenfalls das
Spanische in Betracht — stammen. Nur solche F’remdwörter, die in der
Schriftsprache dieselbe F'orm und die gleiche Bedeutung wie in der Mundart
haben, sind ansgeschieden worden Oie (juelle, aus der der Verfasser geschöpft
hat, war in erster Keihc die lebende Slundiirt, in zweiter die gedruckte Literatur
an schlesischen Te.vten alter und neuer Zeit.
Oie Einrichtung des Wörterbuches, die .Anordnung der -Artikel und das
zur FIrklärung der einzelnen F'ormen heigebrairhte Material entspricht nicht nur
den Anforderungen, die man vom wissenschaftlichen Standpunkte an ein mund-
artliches Lexikon stellen muss; sic ist von der -Art, dass auch der ungelehrte
Leser in dem Nachschlagebuch mühelos -Aufklärung und Belehrung findet, Oer
Verfasser führt zunächst das jedesmal behandelte F'remdwort in einer gemein-
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schlesischen Form uii. jjibl diuiii in plnmclischer I'mschrift. wenn notwemii^,
mit (len vorhandenen Varianten, das mnndartiiehe Laiithild des Wortes, ver-
zeichnet die Bedeutumr, ferner die Stellen, an denen das Wort in der ge-
druckten Literatur nachweisliar ist, und bietet endlich die Etymologie unter
Hinweis auf diejenigen anderen deutschen Mundarten, in denen das fragliche
Wort gleichfalls gebraucht wird, ln einigen einleitenden Kapiteln hat der Ver-
fasser allgemeine Erörterungen Uber die Auswahl der Wörter, die Quellen,
die Anordnung des .‘ttoffes usw. vorangesebickt und vor allem eine sehr dankens-
werte i’bcrsicht (Iber die Lautverilmlerungen und andere grammatische V'erhält-
nisse der behandelten Fremdwörter geliefert.
Alles in allem haben wir in .läselikes buch eine Arbeit, die in sehr erfreu-
licher Weise unsere Kenntnis eines wichtigen, bisher vcrnnchliissigten tiebietes
der schlesischen Wortkundc bereichert, und die den Wunsch rege macht, cs
möchten sich Imld die Kräfte und die Mittel finden, um auch andere Teile und
schliesslich da.s Ganze unseres heimischen Wortschatzes in gleich grUinllicher
Weise zu behandeln und darzustellen. — p —
III. Heft. I>ie schlesische Mundart in ihren Lantverhältnissen
grammatisch und geographisch dargestclit von Wolf von Unwerth.
Mit zwei Karten, l’reisarbeit gi^krönt von der philosophischen Fakultät der
Fniversität breslau am 27. .lanuar 1!K)7. Kreslau 1908. M. 4 11. Marcus.
XVI 94 .■<. M. S.tiO (für Mitglieder M, 2,70).
Der Verfasser hat in die.ser grundlegenden .trbeit zum ersten Male eine
umfassende und klare Iiarstellung aller schlesischen Mundarten gegeben. Er
ist von der richtigen Auffassung ausgegangen, dass cs im letzten (»runde eine
sichere .‘»cheidung der Mundarten nicht geben könne, sondern man, höchstens die
einzelnen .'(prachcigentümlichkeiten geographisch begrenzen kann. Von einer in
sich geschlossenen Mundart lässt sich nur in ileni Sinne reden, dass wichtige
Erscheinmigen oder Erscheinungsgruppen in einem bestimmten (»ebiele gemeinsam
auftreten und uns so einen gesonderten Dialekt empfinden lassen. Mit beeilt
wird sodann ausgefUhrt. dass als derartige wichtigere SpracherscheiuuDgcn nicht
etwa Wortbildung oder Wortgebrauch entscheidend sind . sondern die Lautver-
hältnisse. l'nd um diese für das .''chlesischc festzustclien und karti'graphisch
zu bestimmen, hat der Verf. auf (irund der vorhandenen Literatur und eigener
Forschung eine vergleichende Lautlehre der schlesischen .Sprache ausgearbeitet
und für die bedeutsamsten Lautunterschiede die Grenzen durch örtliche Nach-
frage von Dorf zu Dorf fcstgelcgt.
.\uf diese Weise sind vor allem eine Heihe von Lauterscheinungen um-
grenzt worden, in deren .Auftreten man eine Zugehörigkeit zum sog. schlesischen
Dialekt empfinden kann. Imsonders der Zusammenfall der mittelhochdeutschen
ö m i U (letztere bei Dehnung) in 1, von mhd. fl und o (bei Dehnung) in 6, von
mhd. fl und u (bei Dehnung) in ft; tsine Zehne, bif? böse, wil? H'iese. mile
Mühle; sflf Schuf, bfldfln Hoden; grfls gross, pfts Husch Kurzer Vokal des
Mittelhoehdeutschen ferner ist nicht nur in oti'cner Silbe, sondern auch vor
auslautender aller Doppelkonsonanz gedehnt, die Diphthonge mhd. uo, Oe, ic sind
gekürzt, und sLitt des hochdeutschen mpf und (inlautenden) pf erscheint mp pp.
z. b. snöh<i| Si’hnaiel, nfts S'iiss, tis Tisch; rufa rufen, slisa schliessen, blcher
Bücher; stompa stumpfen, kflp Kopf, l nd das schlesische Gebiet dieser Er-
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scheinungtn sind Preussiach-Sclilcsicn mit den niiucldeutscheii (iebiuten von I’osen,
Usterreicbisch-Schlcsien und M&hrcn bis zur i'echischcn Sprachgrenze, die säch-
sische Lausitz, die Kiederlausitz ohne die wendischen Teile, die Kreise Krossen
und Schwiebus bis zur niederdeutschen Grenze, Und innerhalb dieses Sprach-
gebietes unterscheidet der Verfasser auf Grund weiterer Kinzelhciten
1. die Stammniundarten, wozu das Glätzische, das Gebirgsschlesiscbe
und das Luusitzisch-Scblesische gehören j
2. die sog. Diphthongiernngsmundarten, nämlich die Sprache des
Glogaucr und des Grönberger Kreises. Unter der Diphthongierung ist der
Übergang von schles. i zu 6 und ui, von schles, 6 zu ö und an, von schles ö
zu ö und au zu verstehen, z. B. snitS Schnitte : snötS : snaite; töp Topf : töp :
taup; stöbe Stube : stöbe : itaube. Die Grenzen dieser und anderer Erscheinungen
sind auf Übersichtlichen bunten Karten festgestellt und im Texte beschrieben.
— Zwischen den beiden Hauptgebieten liegt das von Partsch als ,Neumarkter
Platte“ bezeichnete mittelschlesiscbe Gebiet, das die Sümpfe 'sUdlich der Oder
von Breslau bis Maltsch und die Überschwemmungsgebiete der Katzbach und
des Schwarzwassers begreift und auch in kultureller Hinsicht eine Sonderstellung
einnimmt. Hier sind eben schles. 1 ö ii nicht zu den Diphthongen ai au fort-
gesehritten, sondern nur zu t, ö, 6, und die hochdeutschen Diphthonge ei, au
(Schwein, Haus) sind bewahrt, nicht wie im nördlicheren Gebiete zu 6, 6 ent-
wickelt. Zu besonderer Klarheit ist der Verf. auch in der schwierigen Frage
der Entwicklung des mittelhochdeutschen age (sagen), ege {liegen), oge (gezogen),
äge (fragett) sowie der Diminutivendungen durchgedrungen.
Diese äus.serst sorgfältige grammatische Arbeit hat zum ersten Male die
schlesischen hlundarten nach grossen Gesichtspunkten dargestellt nnd ein ge-
waltiges Material, das in mühevoller Kleinarbeit gewonnen ist, mit einer Kürze
nnd Knappheit bewältigt, die sehr wohltuend ist im (iegensatze zu den heute
immer dicker und breiter werdeuden Mundartgrammatiken , die nur irgend
eiuen örtlichen Dialekt eines grösseren deutschen Sprachgebietes behandeln. — Die
Arbeit ist von der Breslauer Universität mit dem Preise gekrönt worden, (s.)
IV. Heft. Die Nationalhymnen der europäischen Völker. Von
Dr. phll. Emil Bohn, ord. Honorarprofessor der Musikwissenschaft an der Uni-
versität Breslau. Mit einer Notenbeilage. Breslau 1908. M, & H. Marcus.
75 S. M. 2,40 (für Mitglieder M. 1,80).
Eine wertvolle nnd liebenswürdige Schrift, theoretisch und praktisch in
gleichem Masse bedeutsam. Theoretisch , weil hier zum ersten Male die wech-
selnden Schicksale und Wanderungen aller Nationalhymnen der europäischen
Völker aufgezeigt sind und damit vielen unrichtigen .Ansichten und unhaltbaren
Vermutungen begegnet wird: man denke nur an das viel umstrittene „God
save the King“; auch ist es volkskundlich sehr interessant, einmal diese vor-
nehmlichsten Äusserungen des Patriotismus in Dichtung und Musik hei den
verschiedensten Völkern zu vergleichen. Praktisch aber ist das Buch deswegen
von grossem Nutzen, weil man hier zum Vorträge die sämtlichen National-
hymnen in Text und Noten auf engem Baume beieinander findet.
Der durch seine seit mehr als 25 .lahren bestehenden Breslauer historischen
Konzerte berühmte Universitätsprofessor Dr. Bohn hatte mit der Vorführung der
Nationalhymnen im letzten Winter einen ganz besonderen Erfolg Gewiss wird
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mancher uu8wärli){e Leiter vun Chören gern einmal dem Vorgänge folgen,
nnd dann findet er in diesem Buche alles beisammen , auch die nötigen
musikalischen Angaben. Gelehrte der verschiedensten Länder haben zur Be-
scbafi'ung oder Übersetzung der Texte geholfen ; vielleicht wäre es in einer —
bald zu erwartenden — zweiten Auflage möglich, dass Professor Bohn die (ihm
zur Verfügung stehenden) notwendigsten Angaben über richtige Anssprache der
fremden Texte machte. — Ausser den grossen Nationen sind nicht nur die
bekannten kleineren Staaten (Dänemark, Schweden, Norwegen, Niederlande,
Belgien, die Schweiz), sondern auch die Völker des .nahen“ Orients vertreten,
wie (iriechenland, Serbien, Montenegro, Rumänien, Bulgarien; auch sind ver-
schiedene der früher selbständigen Staaten (Böhmen, Finnland, Livland, Polen,
Schleswig-Holstein) berücksichtigt. Der etwa dreissig Seiten umfassende Noten-
druck sowie die gesamte Ausstattung lassen nichts zu wünschen. ts.
Sohrader, Otto. Sprachvergleichung nnd l’rgeschichtc. Linguistisch- historische
Beiträge zur Erforschung des indogermanischen Altertums. I: Zur Geschichte
uiid Methode der linguistisch -historischen Forschung. II 1: Die Metalle.
II 2: Die l’rzeit. .lena, Costenoble 1905—7.
Das zuerst 1883, zum zweiten Male 1889 heransgegebene Werk erscheint
hier in dritter Auflage, nunmehr in drei Teile zerlegt. Dass wir wie in Schräder,
dem Verfasser des .Ueallexikons der indogermanischen Altertumskunde*, den
namhaftesten Vertreter der sogenannten linguistischen Paläontologie zu sehen
haben, braucht kaum erwähnt zu werden. Und für diese neue Gestaltung seiner
ersten und grundlegenden Arbeit dürfen wir ihm besonders deswegen dankbar
sein, weil er sich hier mit der Methodik anderer, neuerer Forschungen abzufinden
Gelegenheit genommen hat. Als Ende 1905 der erste Teil erschien, lagen frei-
lich die .Waldbäume* von Hoops und die .Indogermanen* von Hirt noch nicht
vor; zu diesen Arbeiten konnte daher erst im zweiten Teile Stellung genommen
werden. Es ist hier nicht der Ort, mit dem Verfasser Uber Einzelheiten zu
rechten, weder über solche, die bereits in früheren Auflagen behandelt, noch über
diejenigen, die in der neuen Fassung durch dankenswerte Arbeit binzugewonnen
sind. Nur über die Ergebnisse im grossen und ganzen soll ein kurzes Wort
gesagt werden. Und da müssen wir gerade dieser neuen Auflage unseren Bei-
fall anssprechen: sie ist im ganzen glücklich in ihrem negativen Teile, in der
Polemik — und das will viel heissen; glücklich aber auch in den positiven Er-
gebnissen, der Änderung des früheren Standpunktes. Schräder ist skeptischer,
znrüclihaltcnder geworden, und in der .Antwort auf die meistumstrittene Frage
ist an Stelle der kühnen, zuversichtlich geäusserten Hypothese oft ein .non
liquet*, ja ein entsagendes .ignorabimus* getreten. Manch einer mag auch dies
.ein negatives* Ergebnis nennen; ich heisse es positiv.
•Als ich vor einigen Jahren die Entwicklung der germanistischen Wissen-
schaft im letzten Viertel des neunzehnten Jahrhundert zusammenzufassen hatte
(Ergebnisse und Fortschritte XVII ff.), da habe ich mich auch mit der lin-
guistischen Paläontologie und der Prähistorie auseinanderzusetzen versucht.
Schräder würde es wohl gar nicht der Mühe wert erachten, solche einseitigen
methodischen Bemerkungen eines Germanisten zu berücksichtigen. Mir aber ist
es eine Freude, mich mit der neuen Auflage des Werkes noch mehr in Einklang
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za wissen als mit den früheren; besonders was die Miigliehkeil anlangt, die Lage
einer indogermanischen rrliciniat za erschliesscn.
Im allgemeinen stimme ich Schräder hei, wenn er die neuesten Bestrebungen
ablehnt, denn sie scheinen mir von unrichtigen Voraussetzungen anszugehen
Nur hätte ich gewünscht, dass er das noch schärfer betont hätte und nicht
Ecliliesslich, der heutigen Mode folgend, eine Verständigung mit Wissenschaften
gesucht hätte, die für die indogermanische Frage, eine reine Sprachfrage, gar
nicht zuständig sind Pas Streben, nicht rückständig zu erscheinen, hat ihn zu
Kompromissen geführt, die man ihm nicht dauernd danken wird. Ich wenigstens
lehne die neueren Versuche auf diesem (»ebiete rundweg ab. Es sclieint mir eine
völlig haltlose Voraussetzung, dass die Buche (germ. hökö-, lat. fägus, griech.
'fC/j'öf .Eiche“, kurd. bflz .I'lnic') den Indogermanen bekannt gewesen sei und
diese deshalb westlich der Buchengrenze (Königsberg— Odessa) gewohnt haben
müssten, wie Hoops iennimmt; das Wort hat bekanntlich in den verschiedenen
indogermanischen Sprachen verschiedenen Sinn, und die Wnrzclbedeutung pas.st
für viele Bäume; wer wollte auch z. B. einen (jetreidenamen wie Korn, der in
den germanischen .Sprachen die verschiedensten .\rten bezeichnen tind zu dem
litauischen iirnis .Erbse* gestellt werden kann, in ähnlichem Sinne verwerten?
.Auch sollte ein jeder, der die Herkunft der Indogermanen glaubt ans ihrer
Spruche erschliesscn zu können, im Auge behalten, dass die sogenannten Kultur-
wörter zum grossen Teil ein für diese Fragen unbrauchbares Material ahgeben,
und dass aus dem negativen .'^prachstoffe niemals geschlossen werden darf. Vor
allem aber darf nie vergessen werden, dass wir mit dem Begriffe „Indogermanen“
niemals über den Begrifl' einer .''prachgemeinschaft hinausgehen dürfen und für
die Kassen- oder Stamniesbestimmung also gar nichts gewinnen; ja die Sprach-
gemeinschaft setzt nur bedingt eine Kultnrgemeinschaft voraus. Pas Wort ,Indo-
gernmnen“ sollte meines Erachtens von der .Anthropologie und l’rähistoric Über-
haupt nicht gebraucht werden, damit würden viele Irriümer vennieden. fnd
endlich ist folgendes beachtenswert; wann immer nur von den Indogermanen
reden und sie uns über ein noch so grosses (iebiet verbreitet denken, müssen
wir den Uiundsatz festhalten, dass eine solche Sprachgemeinschaft sich nur auf
eng begrenztem (jebiete ausgebildet haben kann ; wer daran zweifelt, setzt sich
mit aller sprachwissenschaftlichen Methodik und mit aller historischen Erfahrung
in Widerspruch; wenn wir die Entwicklung der romanischen Sprachen, die das
sicherste Beispiel abgeben, oder die der germanischen .Sprachen zurückverfolgen,
werden wir von ihrer heutigen Ausbreitung über den Erdkreis znrückgeführt
auf einen ziemlich eng umgrenzten Kaum. Canz besonders aber sei noch auf die
rnmögiiehkeit hingewiesen, die Ergebnisse der (ieologie und sogenannten l’aläo-
geographie mit der Frage nach der Heimat der Indogermanen irgendwie zu ver-
nuicken, wie es Kretschmer getan hat; diese Wissenschaften rechnen mit Zeit-
räumen, an denen gemessen die sprachgeschichtlichen Perioden, die sicher
erkennbar sind, nur eine kurze .'«pannc bedeuten.
Im wesentlichen scheint mir auch .Schräder diesen (irundsäizen beizu-
pflichten, aber er spricht sic nicht scharf genug aus. .Man schmälert die hohe
Bedeutung der .Anthropologie, l’rähistoric, Geologie gewis.« nicht dadurch, dass
mau ihnen nicht die Entscheidung einer Sprachfrage zugesteht. Nur um eine
sulche handelt cs sich. Sie lautet: „wo haben einst in vorhistorischer Zeit die-
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_13it
jciiigcii gcU'bt. die eine gewisse — von uns zu ersdilicssende Sprache — redeten!''*
l'nd beantworten lässt sic sich, da alle historischen Anhaltspunkte fehlen, ent-
weder nur aus diesem von uns zu crschliessenden Sprachmaterial (das selbst-
verständlich durch Etymologie und nach Jieringers Vorschlägen auch durch
Saehenkundc interpretiert werden soll) oder überhaupt nicht. Qui trop embrasse,
mul tftreint.
l’nd gerade von diesem Standpunkte aus betrachtet erscheint uns Schräders
grosses und dauerndes Verdienst in hellstem Lichte: den reichen Stoff einer
indogermanischen l'rsprachc ans den einzelnen Sprachzweigen erschlossen und
übersichtlich dargcstellt zu haben. Siebs.
Martin, .\Ifred. Deutsches Badewesen in vergangenen Tagen Mit 159 Abbildungen
nach alten Holzschnitten und Kupferstichen. 44H.S. Jena HMäi, Eugen Dicdcrichs.
Ein mit grossem Fleisse und mit grosser .Sachkunde gearbeitetes Buch,
das ausführlich das kulturgeschichtlich so wichtige und interessante Badewesen
in Deutschland von den ältesten Eciten bis auf den heutigen Tag behandelt.
Zunächst werden die Zeugnisse für den Gebrauch der Bäder in ältester Zeit
besprochen, und hierbei w'ird auch das Wort ,Stubc“ als eine alte germanische
Bezeichnung für Ofen und Badezimmer erklärt — für die eigentliche Bedeutung
.erwärmtes Zimmer“ hätte auch das niederdeutsche Wort stoven .erwärmen,
schmoren“ angeführt werden kiinnen Hierauf werden — und das ist vor .allem
ein die Volkskunde interessierendes Kapitel — die aus urgermanischer Zeit ent-
stammten Badebräuchc betrachtet. V’om Frühlingsbade, dem Maibade, dem
Walpurgis- und Johunnisbade ist die Uede. vom Osterbade, von beiligen Brunnen
und Quellen, von dem in der Weihnacht geschöpften heilwäg und vom Wasser-
nrteil. Dieser .Abschnitt lässt insofern zu wünschen, als mit dem Begriff ur-
gcrmanisch etwas eigenartig verfahren wird; meistens sind unter ihm Zeugnisse
aus dem Mittelalter vereinigt; und die bedeutsame altgermauische Erwähnung
des Bades als Kulthandlung, von der uns Tacitus lieim Xerthusdienst erzählt,
ist unerwähnt geblieben. Sehr lehrreich sind die Kapitel Uber die ehehuften
Badestuben und das Badegewerbe sowie über die Nebenberufe der Bader, die
nicht nur als .'<etzer und Reiniger der Badeöfen, sondern hier und da überhaupt
als .''chornsteinfeger fungierten — nach heutiger .Anschauung freilich die hete-
rogensten Berufe; anderwärts waren sie Seifenmacher, Messerschleifer, A’erfertiger
der vor allem beim Baden gebrauchten .Strohhüte, vor allem aber H.aarscherer,
Rasierer, Schröpfer und .Aderlasser, l'nd wenn die Bader als ein recht leicht-
fertiges A'olk galten, so mag das auch mit der durch das Zusaminenhadcn von
Männern und Frauen gegebenen rnsittlicbkeit Zusammenhängen. Diesem Bade-
wesen und -Unwesen sind w'citere kullurhistorisch für jeden interessante Ab-
schnitte gewidmet; ich erwähne besonders das über Kinderbäder, Uber die Bäder
der Juden (gemeinsames Buden mit den Christen war ihnen vielerwärts verboten)
und Uber die Vorzüge in den öffentlichen Badestuben Mitgetciltc. .Aber auch in
den Kapiteln Uber die Heil- und .Mineralbädcr wird — namentlich wo es sich
um das 16., 17. und 18. Jahrhundert handelt — manches kulturgeschichtlich
und volkskundlich Interessante geboten, und die trefflichen Illustrationen bilden
einen reichen Schmuck des Buches, da.s wir warm empfehlen. s.
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140
John, Alois, äittc, Brauch und Vulksglaubc im deutschen Westhöhmen.
Beitrüge zur deutsch-hühmischen Volkskunde. VI Band. I’rag 1905, Calvesche
K. u. K. Hof- und rniversitätshuchhandlung.
In unseren Tagen, da der Kampf des Deutschtums gegen die Tschechen
in Böhmen tobt, muss uns ein Beweis treuer Arbeit an den Fortschritten der
deutschen Volkskunde besonders erfreuen. Er ist hier von Alois John geliefert,
der uns einen , Drechsler“ für das westböhmische Hebiet um Eger — Karlsbad
— Tepl — rian — Tachau — Mies — Bischofsteinitz gegeben bat. Es ist
deutsches Land, das nach Abzug der keltischen Bojer dereinst von Marko-
mannen besetzt war; die Spuren der später eingewanderten wendischen Siedler
sind in der Kolonisationszeit des 11. und IH. .lalirhnnderts geschwunden. Die
von Ilauffen geleitete Gesellschaft zur Förderung deutscher Wissenschaft, Kunst
und Literatur in Böhmen bat die wertvolle .Arbeit zur Volkskunde dieses nordgauischen
Sprachgebietes herausgegeben ; vorbildlich sind Drechlers Arbeiten Uber Schlesien
und E. H. Meyers Arbeiten über Baden gewesen; wie diese hat .lohn nicht nur die
ilbcrlietcrungen des Volksmundes berücksichtigt, sondern auch ältere Quellen,
archivalische und literarische.
Zunächst werden von dem V'erfasser die Adventszeit und das Mitt-
winterfest behandelt, dann Frühlings-, Mittsommer- und Herbstfestc , also das
Kalenderjahr wird im Volksbrauche verfolgt; dem sehliessen sich die Bräuche
bei Geburt und Taufe, Hochzeit, Tod und Begräbnis und die landwirtschaft-
lichen Bräuche an. Aber weiterhin [greift die Arbeit stark über die Grenzen
des Titels hinaus, indem sie höchst dankenswerte Sammlungen von Sprichwörtern
und Redensarten, Flurnamen und Ortsneckereien mitteilt Aus diesem wert-
vollen Buche werden wir nicht bloss für das Egerland unmittelbar lernen;
gerade die Bräuche dieses mitteldeutschen Gebietes werden wir mittelbar auch
für schlesische Forschung nutzbar machen können, indem wir .Anregung zu
mancher Nachfrage gewinnen und in schlesischem Lande wohl manches Analoge
neu binznerhalten. s.
Oer gemittiiohe Schläeinger. Illustrierter Kalender für die Provinz Schlesien.
Herausgegeben von Paul Keller. Schweidnitz 1909. Ma.x Heege. M. 0.50.
AViederum tritt der wohl bewährte Kalender in ein neues .fahr. Das
hübsche Titelbild, die Kynsburg, leitet ihn gut ein. Kleine Erzählungen von
dem Herausgeber, von Max Hcinzel, Paul Barsch und anderen sind erfreuliche
Gaben. Ein Gedicht von Paul Keller .Rübezahl und der Berliner“ verspottet
die Berliner Turisten in harmloser Weise und mit Recht auch — ohne es zu
wollen? — , den Rübezahlschwindel. Für die Volkskunde ist ein Beitrag von
Drechsler von Wert: .Hof und Stall im schlesischen Volksglauben“; der Verfasser
gibt hier selbst einen ganz kleinen .Ausschnitt aus seinem trefflichen, von unserer
Gesellschaft herausgegebenen Werke (vgl. oben S. 132), und das ist um so er-
freulicher, als sein wertvolles Buch sonst meistens von andersartigen Skribenten
ausgeschrieben und zwar in nicht immer sehr würdiger Weise geplündert wird, —
AVir wünschen dem Kalender, wie immer, viele neue Freunde zu den alten, s.
RSssler, Robert. AA’ie der Schnoabel gewaxen. .Schlesische Gedichte. Schweid-
nitz. Zweite Auflage 1908 (?) L Heege.
Die liebenswürdige Dichtung Robert Rösslers ist uns aus mannigfachen
AA'erkcn bekannt, und öfters haben wir schon rühmend seiner gedacht. AA'ir
haben auch erwähnt, dass es nicht reine schlesische Dialektdicbtung sei, was
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141
er uns bietet; vielmehr ist hier, nach Art Holtci’s, die Eigenart verscliiedener
ürtlicher Mundarten zusaiiimengetragen. Neben vielem, was uns als echt an-
mutet, hat in den üelegenheitsgcdichten doch auch besonders stark der hoch-
deutsche Einfluss gewirkt, und auch die Versmaassc wollen uns nicht immer als
so gesprochen dünken, ,wie der Schnöbel gewaxen“; den von Scheffel so gern
verwendeten Dimeter trnchaicus, der im (iedichte ,'s Hiristkind* erscheint,
zählen wir dazu. Aber auch echten volkstümlichen Rhythmus und Ausdruck
weiss Rßssler zu finden, und so freuen wir uns mancher guten Gabe. s.
Heinzel, Max. A frisches Kichel. Zweite veränderte Auflage. Schweidnitz,
L. Hcege. 1908 (?)
Allerlei unterhaltende Stückchen in gebundener und ungebundener Rede,
die vorgetragen gewiss trefflich wirken. Das haben wir noch in guter Er-
innerung ans den Zeiten, wo der Dichter sic uns selber las. Vor allem die
hübschen onomatopoetischen Wirkungen, wie sie z. B. in ,dcr Kräbs“ erfreuen,
sind unübertroffen in der schlesischen Dialektlitcratur.
Dieser und den übrigen Ausgaben der schlesischen Mundartendichter sei
aber mit der Empfehlung auch die Bitte auf den Weg gegeben, dass die Ver-
lagshandlung sie der Ordnung halber nicht ohne die Angabe des Jahres erscheinen
lasse Diesen guten buchhändicriscbcn Brauch möchten wir gewahrt wissen, s
Oberdieck, Marie. Tust de mitte? Erzählungen und (iedichte in schlesischer
Mundart. .Schweidnitz 1908 (?), L. Heegc
Sabel, Robert, Sunntig - N'oehmitts. Schlesische Humoresken, (iedichte und
Skizzen Schweidnitz 1908 (?), L Heege.
Erzählungen in l’rosa und einzelne Stücke in Versen, wie wir sic ja von
beiden Verfassern mehrfach kennen gelernt haben. Gewiss werden sie alle, gut
vorgetragen, ihre dankbaren Zuhörer finden, ohne dass sie den Anspruch er-
heben, Dichtungen zu sein. Wir nennen sie hier gerne als Bestrebungen, die
Freude an der schlesischen Mundart wach zu halten; und manche gute schle-
sische Redewendung erfreut uns. Die Schreibung ist die übliche, die wohl kaum
in diesen Krc'scn auf Besserung rechnen darf. t.
Mitteilungen.
Am Freitag, den 2., und Sonnabend, den .8. Oktober ward zu
Berlin in der Ressource der Verbandstag der deutschen Vereine für
Volkskunde gehalten. Der genauere Bericht über die Sitzungen ist in der De-
zembernummer des Korrespondenzblattes gegeben, die wir dem Heft XX bei-
legen. l'nsere Gesellschaft war gemäss den Satzungen vertreten, und zwar
durch ihren Vorsitzenden Professor Dr. Siebs. Derselbe hielt in der allge-
meinen Versammlung, die von Professor Dr. Mogk geleitet ward, vor zahlreich
erschienenen Hörern den Fesivortrag Uber Entwicklung und Ziele der
Volkskunde. Ein Bericht darüber ist im Korrespondenzblatte gegeben.
Am Freitag, den l.S, November hielt im Auditorium maximum der
Universität Herr Geheimer .Tustizrat Professor Dr. inr. Felix Dahn einen
Vortrag über .germanische Siedlungen“. Er erklärte, dass — entgegen
oft geäusserten irrtümlichen Ansichten — die Pfahlbauten auszuscheiden seien,
da sie weder als keltisch noch germanisch erwiesen wären. Als älteste, un-
zweifelhaft germanische Niederlassungen wurden jene rechts vom Rhein ge-
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142
Ic({cncn hiiifiestelll. die deutlich 1. das Sondercigentum (Hofraum mit Hans und
AckerlamI) scheiden von der 2. Allmende oder der (icmeindeirit't mit dem znin
Teil gerodeten (icineindewald und dem 3. im weiteren rnikreise liegenden
(Jrenzwalde. Des längeren verweilte der Vortragende bei der Darlegung, in-
wieweit diese Wälder dem Verkehr zugiingig gewesen seien und ein tielände
lilr den Kampf geboten hätten. Sodann wurden die germanischen Siedlungen
auf römischem Boden besprochen, der von den (iermanen in der Kegel durch
Vertrag erworben ward, wie z. B. die Biirgnnden im Jahre 437 veranlasst
wurden, ihre Wohnsitze an der Khone zu nehmen. Während sonst nach der
Auffassung der röinis<hen hospitalitas den Barbarentruppen der dritte Teil der
Erträge des Landes zugestanden war, verlangten die (iermanen. die sich in den
römischen Provinzen ansiedelten. den dritten Teil an (irund und Boden. Kedner
ging zum .Schlosse auf d.is Beispiel des (iermanen Odovakar ein. der der Führer der
Leibwache in Kavenna war. — Item Vortrage schloss sich eine längere Fntcr-
rednng an, bei der der Redner besonders hcrvorlmb. dass die Vorstellung von
der Seclenzahl der germanischen V'iilker, die gegen die Römer in Italien
kämpften, übertrieben seien.
An dem gleichen Tage fand eine Sitzung des Vorstandes statt, in der
über die Veröftentlichiingen der (iesellschaft beraten und die Herren (ich. lie-
gierungsrat Professor Hr. Alfred Hillcbrandt, Schriftsteller Hugo Kretsch-
mer, Professor l»r. KUhnau und Dr. Klapper zu Mitgliedern des Vorstandes
gewählt wurden
.Am Freitag, den 11. Ilezember hielt Herr Privatdozent Ur. .Arnold
0. Meyer einen Vortrag „über den italienischen Volkscharaktcr“.
Her Redner gab die I'rteile, liie er Ober das italienische V'olk während eines
fünfjährigen Aufenthaltes im Lande gewonnen hatte. Her an Wissenswertem
reiche Vortrag wird in Heft XXI der , Mitteilungen“ gedruckt werden
Als neue Mitglieder traten unserer (iesellschaft bei von auswärts: die
Herren Kgl. Zollpraktikant -Max Kachel in Osterreichisch-Oderberg,
Lehrer und Schriftsteller Bruno Clemenz in Liegnitz, Oberlehrer Ür. .A. Wrede
in Köln a. Rh., stud. Fritz OUnther in Sch weidnitz, Professor I)r. Lauf fer ,
Kirektor des Historischen Museums in Ham bürg, (ierichtsassessor Dr.t'hr. Heck-
haiisen in Bedburg (Erft), Kgl. Superintendent Knobel in Ober-Bielan
bei Rothwasser, Pfarrvikar Arndt in Kauscha, Bez. Liegnitz, die (iross-
herzoglirhc Fniversitäts- Bibliothek Heidelberg; aus Breslau: Frau
Margarethe Knoll, Frau 11. Schiller, Frau Bauinspektor .A. Becker, die
Herren: Ziichtdirektor an der Landwirtschaftskammer Bcrthold Welzel, l)r.
phil Karl Rockel. Hauptmann und .Adjutant von .Schiller. Direktor der
Kgl, und rniversitäts-Bibliothek Dr. F. Milkau, Dr. phil, Martin Treblin,
Kaufmann Bruno Roscnthal, stud phil. Kurt Walter, rniversitätsprofessor
Dr. theol. et phil Wobbermin, l'niversitätsprofessor Dr. theol et phil Feine, der
germanistische Verein, das ger man ist ische Seminar der Kgl. Fniversität.
Die nächste Sitzung findet am Freitag, den 15. Januar l‘JÜ*J, statt: Herr
Professor Dr. Otto Hoffmann wird einen Vortrag halten.
Dem Heft XX ist ein (jesamtregister für Heft XI bis XX beigegeben,
ferner ein Mitgliederverzeichnis.
Schluss der Redaktion; 18. Dezember 1!HJ8.
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(jcsiimtregister zu Heft XI— XX.
Von stud. phil. G. Sclkc.
a) Vcrzoii-hiiis (Ut AiifsSttzo, MitteiluiiKPii niul Ihrer Verfasser.
.^ndree-Kysii, M., I’ber die Hercch- ;
tistiinn des Ausdruckes .Votivkröte“ I
XVII 4«. i
Berger, II, Der llungerturiii von
Priebus XV 140.
Blasclike, K , Wcihnaclitsbeiligorohmt '
ei der Sehwenxer Sclimiede vor 30
•lahrcn Xll 103,
— Urei Spiele XI 77.
Uörkel, ()., Bas Volkslied der pol-
nischen Oberschlesier, verglichen mit
der deutschen Volkspoesie XI 40.
Brie, M., Der germaiiisclie. insbesondere
der englische ZRuberspruch XVI 1.
Dittrich, P , .Amtliches aus dem IH.
•lahrliundert XIll 112.
— Orts- und Flurnamen der Leob-
schiltzer Gegend XV H.ö.
— Zum schles. Bauerngarten XVII 90.
— Einiges über liandwerksgebräuche
XX 114.
Drechsler, P., Der schlesische Berg-
mann unter und über Tage XIII 63. I
— Breslauer Küchenzettel aus dem I
•lahre 1732 XV 144
— Flurnamen ans dem Kreise Sprottau
XVI fiO,
— Das auslautende e im Schlesischen
XVII 9.Ö.
— Zur Wortbildung im Schlesischen
XVIII 115
— Die .Seele nach dem Tode in der
.Anschauung des Volkes XIX 1. !
— Schlesiens Vogelwelt in der Sprache
und im Glauben der Heimat XIX 81. I
Drechsler, .‘'pr.'ichliche Erstarrungen
im Schlesischen .X.\ 71.
— Volkslieder XX 104.
Feit, P., Das deutsche Volksrätsel
XIV 1, Nachtrag XVI 37.
— Wirtshausschilder XVI 40.
Fraenkel, t>., Ans orientalischen
liuellen XII 42, XV 72, XIX 25,
— Die .8agc von der Gründung Kra-
kaus XVIII 1.
— Nachtrag zur Sage von der Grün-
dung Krakaus XVIII 125.
Fuchs, t’..I-, Zur Geschichte der schle-
sischen Agrarverfassung XVII 71.
Gebhardt, T,, Eine Bauernhochzeit
in der Krieger Gegend vor f.O Jahren
XVIII 119.
I Gocssgen, W., Der Wortschatz der
Mundart von Dubraucke X.X 43.
Graebisch, Fr., Ein schlesisches Ge-
dicht über die Tiroler in Zillertal
XV 154.
Giisinde, K , l'ber Mundartengrenzen
im Kreise (Os XII 80.
— Einiges Uber Hhythmus. Wort und
Weise XIII 9.
Haas. ,A., Fünf .Sagen aus dem Riesen-
gehirge XII 91.
Ilellmich, M., Flurn.amen, Familien-
namen und Torsanlcn in Boyadel.
Kreis (.irttnberg XVI 43.
— Sagen aus den Kreisen Glogau,
Falkenbcrg und Grünberg XII 94.
— Allerlei ,('berflüssigcs“ aus dem
Grünberger Kreise XVHl 98.
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144
H e 1 1 m i ch, ZnrVolksctymolo(;ie XIX 95. |
Uellwig, A.. Umfrage Uber krimi- ,
nellen Aberglanben XV 158
— Die Freimaurer im Volksglauben.
Kriminalistische Heitrftgc XIX 71.
Heyn, Die Flurnamen von Mollwitz
XV 92 I
Hippe, M., Zwei Breslauer Sagen {
XI 90. !
— Volkstümliches aus einem alten
Breslauer Tagebuchc XII 79
— Die Gräber der Wöchnerinnen XIII
101.
Kable, B., Eine Vorschrift für Tauf-
paten XI 66. j
— Noch einmal die Gräber der Wöch- I
nerinncn XIV 59. |
— Heidenwerfen XVII 70. 1
— Eselsfresser XVII 92.
K lapper, J., AltcArzneibUcher XIII 22.
— Zur V'olkskunde aus dem Goldberg-
Haynauer Kreise XIII 106. ^
— Beschwörungsformeln bei Gewin-
nung der Wünschelrute XIV 51. |
— Zur Volkskunde Oberschlesiens XV
105.
— Eselsfresser XVI 63 i
— Zur RUbezahlforschung XVI 65. |
— Das Gebet im Zauberglauben des
Mittelalters XVIII 5.
— Das Märchen von dem Mädchen
ohne Hände als I’redigtexempel
XIX 29.
— Sagen und Märchen des Mittelalters :
XX 1. I
Klemens, P., Zum Gebrauche des !
Artikels vor Ortsnamen XIV 105, I
XV 152. I
— Schlesische Hirtenrufe, -sprilche und
-lieder XV 87.
Knoop, O., Aberglaube und Brauch
aus der Provinz Posen XIII 43, .
XIV 70, XV 74. !
— Die Freimaurer im Volksglauben i
XIV 58. I
Kropp, W. , Bremen im Volkslied |
XVIM 61.
Ktthnau, Hexen und Hexenzanber
XIII 82.
— Zaubermittel gegen Krankheiten
und leibliche Schäden, besonders das
Versprechen (Sympathie) XIV 86.
— Der .goldene Esel“ zu Reichenstein
XV 114.
— Umgehende Seelen XVI 84.
— Schlesische Schatzsagen als Quelle
schlesischen V'olksglaubens XVIII 68.
Lowack, A , Die älteste Probe schle-
sischen Volksdialekts im Drama
XIII 58.
Lustig, G., Heidenwerfen XV' 142.
— Die alten Grenzzeichen und der
Kricmhildenstein am Zobtenberg
XVIII 108.
Magnus, H., Die plastische Auffassung
der Gebärmutter in der Volksmedizin
XV 49
Masner, K., Nene Aufgaben der schle-
sischen V'olkskunde XIII I.
Meyer, Arnold Oskar, Schlesische
Gedichte aus der Reformationszeit
XI 14.
Nehring, W., Die slovenischcn V'olks-
lieder XII 44.
— Die russische V'olksepik XIV 33.
— Die russische Vülksepik, 2. Teil XV 3.
— Serbische V'oikslicder, insbesondere
serbische V'olkscpik XVII 18.
Nestler, J., Eine Breslauer Geschichte
vom Feuermann XV'II 104.
Olbrich, K., Das Milchtrinken der
Schlangen XI 67.
— Die Freimaurer im deutschen Volks-
glauben XII 61, Nachträge XV' 68.
— Ein Freund und Förderer der schle-
sischen V'olkskunde vor 100 .lahrcn
und seine Zeitschrift XIII 30.
— Beobachtungen Uberden schlesischen
Bauerngarten XVI 66.
— Drei schlesische Abarten der Non-
iienmäre XV'III 42.
— Zehn Schutzbriefe unserer Soldaten
XIX 45.
Philo v. VV'alde, siehe Reincit, M.
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14&
Pradel, F., Der Dpccm XI 119.
— DerSchatten im Volksglauben XIII.
— Kopflose Menschen und Tiere in
Mythe und ■''age XII 37.
— Schics. Volkslieder XIV 94, XX 89.
— Alte und neue Heil- und Zauber-
bräuche XVH 35.
Keinelt, M., Lock- und Schcnchnamcn
für Haustiere XIII 110.
Scholz, ()., Schlesische Tänze XII 88.
Schulte, \V., Leben und Sitten in
Schlesien um die Mitte des 16. Jahr-
hunderts XIX 97.
Seger, H.. üie Denkmäler der Vorzeit
im Volksglauben XI 1.
— Die vorgeschichtlichen Bewohner
Schlesiens XVII 1.
Siebs, Th., Zur Kunde der deutschen
Monatsnamen: Hornung XI 23.
— liuf, .Sang und Spruch beim Aus-
und Eintrieb des Viehs XII 97.
— Schlesische Flurnamen XIII 113.
— Zn den schlesischen Flurnamen
XIV lor
— Kübezahl XV 156; XX 127.
— Die Sprache der Tiroler in Schle-
sien X\T 105.
— Wie sollen wir die schlesischen
Mundarten schreiben? XVII 54.
Siebs, Wo ist die Breslaner Arme-
sünderglocke? XVIII 123.
Skutsch. F., Das .Tosephsfest zu Ri-
mini XI 32.
Stanzel, K., Volkskundliches aus dem
Ulser Kreise, besonders aus Klein-
Ellguth XI 79.
Stäschc, T., Sagen vom Alp und der
weissen Frau XIII 99.
— Namen polnischer Herkunft aus
Klein-Ellguth bei Öls XIV 77.
— Bäuerliche Hochzeitsgebräuebe im
Kirchspiel Klein-EIIgutb, Kr. Öls.
um die Mitte des vorigen .Tahr-
hunderts XV 96.
Szulczewski, A., l’olnische Märchen
ans der Provinz Posen XIV 60.
Treblin, M., Zur Kunde von den
schlesischen Ortsnamen XX 78.
— Die Wüstung .Tocksdorl XX 86.
von I'n Werth, Flurnamen aus dem
I tiebirge und aus Xiederschlesien
; XVIII 104.
— Das starke Verbum in der schle-
sischen Mundart XX 30.
Vogt, W. 11., Die heutigen Isländer
XV 18.
' Wahner, .1., Zum , Klapperngehen“
I in der Karwoche XI 73.
(Der Name des Referenten
Altenburg, (), und F. Muth, .Anhang
zu Lehmanns deutschem Lesebuch.
Leipzig 1906, XVI 128 f. (F.Pradel.)
Ancona, .Messandro d’, la poesia po-
polare italiann. Livorno 1906, XVIII
125 IT. (f. .Appel.)
And ree, Richard, Votive und Weih-
gaben des katholischen Volkes in |
Süddeutschland. Braunschweig 1904 '
(Th. Siebs), XV 161 f.
Arnim-Brentano, Des Knaben Wun-
derborn, Jubelausgabc. Leipzig 1906,
XVIII 129.
Becker, A., Pfälzer Frühlingsfeiern. ,
Mittellungea il. scbles. Ues. f. Vkde Heft ,\\.
Kaiserslautern 1908 (F. Pradel), XIX
133.
Beiträge zur Heimatkunde der Pfalz
siehe Becker, A.
Bilder, bunte — aus dem Schlesier-
lande, herausgegeben vom Schlesischen
Pestalozziverein. I Bd. S .Aiitl II. Bd.
Hre,slan 1903, XII 110 f. (Th. Siebs.)
Bohn, Prof. Dr. Emil, Die National-
hymnen der europäischen Völker.
Breslau 1908 (-e-), XX 136f.
Bonus, Arthur, Isländerbuch I, II.
München 1907, .XVIII 129 f. (A\'.
H. Vogt.)
10
b) Bospreehunseii von BOeliorii und Zeitsdirifton.
ist in Klammern beigefügt.)
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146
Brentano siehe Arnim.
Brohm, Helgoland in (iescbiclite und
Sage. Kuxhaven 1907. XVIII 128f.
(Siebs.)
(,’ock, A. de - cn .Is. Teirlinck,
Kinderspel en Kinderlust in Zuid-
Xederland, 1 — S. Deel, Gent 1902— 03.
(F. Vogt), XI 123 f.
Dahn. Felix, Die Germanen. Leipzig
1905 (Th. Siebs), XIV 109.
Deeckc, AV., \Mncta, X .lahrcsbcricht
der Geograph. Gesellschaft zu Greifs-
wald. 1903 (Th. ••^iebs), XIV 113.
Doepler, E und \V. Kanisch, Walhall,
die Göttcrwcit der Germanen. Berlin
1904 (Th. .Siebs), XIV UKl f.
Drechsler, I’aul, Sitte, Brauch und
Volksglaul)cn in Schlesien, 1 Leipzig
1901-a3 (Th. Siebs), XII 108 f,; II.
Leipzig 1905 (M. Hippe}, XIV 108f.
Eberhard, A., .Sitte und Brauch in
der Landwirtschaft Stuttgart 1907. I
XVIII 129. (Siebs.) !
Führer durch die Sammlung für
deutsche Volkskunde. Kiiniglicfac
Museen zu Berlin Berlin 1908 (F.
I’radel), XIX i;33.
Grimm, Brüder, Kinder- und Haus-
märchen, 32. Aufl., von Rcinhold Steig,
.''tuttgart- Berlin 1900, XVI 130 f.
(Th Siebs.)
Haas, A., Kügensche Sagen und Mär-
chen, 3. .Aull. Stettin 1903, XII 110.
iM. Hippe.)
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10*
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148
(•) Wortregfstpr.
Nicht anfgcnommen sind:
1. die bereite alphabetisch geordneten Flurnamen von Boyadel in Heft XVI B. M—56.
2. die neuhochdeutschen Vogelnamen Schlesiens (Heft XIX 81 ff., im Saciiregister zu linden !i
3. der Wortschatz der Mundart von Dnbraucke (Heft X.X S. 13ff ).
Neuhochdeutsch.
nnlrgcn hcrgmSnn. XIII fi7.
Auge, ein — riskieren XIII 115 f.
Ausschütte XX 45.
liuhigiiru. Flurname, Etym. XVI 54.
Bataillonspunkt XIX S16
hcrgferlig Itergmänn. XIII 81.
Berglcder bergni.XIII ß8,vgl.Fahrlcder.
Boyadel Etym XVI 4.H,
Buche XX 138.
Bukettstah XIX !Mi.
hürsten XV 147.
Iiicnstai; XV'I 130.
Duhraucke XX 47.
Eisen XVI 1.30.
Emmerling XIX 8{!.
Esel, irh wünsche dir einen goldenen
— , .Sprichwort XV 115.
Eselsfresscr XV 12!) ff., XVI f.3 ff..
XVII 92 ff.
Eule, dass dich die wilde — XIX 83,
spiisscn sic nicht mit der — XIX 8.1,
ähnliche Wendungen XIX R3.
fahren hergm XIII P8, ein— XIII 70.
Fahrleder liergmänn. XIII 08,71.81.
Fahrung, hergm term techn XIII 08.
Feder, Bergleute von der — XIII 68.
Finkeilgeld XIX 84, — stein XIX 84.
Freudenburg. Ortsname XX 83.
(i.abel XVI 130.
Gahse. Familienname XIV 80.
(iasde, Familienname .XIV SO.
gleich. Partikel XX 72.
Glück auf XIII 09 f.
Glück zu XIII 09 f.
golden XI 57.
Goldeiitraiim. Ortsname XX 83.
Görbersdorf XX 82 f.
Grabswjil XX 80.
Grosc.biilz. Torsaiile XVI 50 f.
Gruft, Etymologie XVI 130.
llaargans XI 27.
Ilaarschnepfe XI 27.
Ilälterd.ämme, Flurname XV 94.
Hartall, Ortsname XIV 106.
Häuer XIll 71.
Helm bergmäiin. = Stiel XIII 74.
Hoferangen (.Sehweine) XI 88
Horn, das XI 24.
Horn, der grosse — XI 25,
der kleine — XI 25.
Hundedachshorst. Flurname XVI 57.
Hure XI 27.
hurrali XII 99
.lerzmanowski Xl\' 81 .\nm. 2
Kleinod Preis XIX 115 Aiim. .5.
Korn XX 138,
KUIischmalz. Ortsname XX 80.
Kutten bergmäiin. XIII 60.
Kütter XV 118.
Laugenöls, Ortsname XX 78 f,
leckniäulig liergmänn. XV 123.
Leder, Bergleute vom — XIII 68.
Lelm XIII 66.
Lippe, eine — riskieren XIII 116.
j Mahre, mich reitet die — XIX 18.
Mann, alter — , liergmänn. XIII 75.
Mislfinke XIX 84.
Mlitzke (Mlitschke). Faniilieiin. XIV 85.
niemals, iimschriehen im Volksliede
XI 58.
Ort. das — , bergmänn. XIII 72.
Ort, vor - liergmänn. XIII 72.
Peter zu Belt leuchten XI 2.
Pflug XVI 130.
Pilz, Ortsname XIV 106.
Pusc.likau, Ortsname XX 79 f,
l^uasny Blasien. Familienname XIV 85.
K.ad treten XII 04.
liiechkrettia XVI 71 f.
BzepkafHzepke), Familienname XIV 85.
Sau. eine volle — , bergmänn. XV 123.
sehäclien XII 74.
I Schatten XII 6, die S.aehe ist klein.
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149
ihr — ist lang XU 34, er eifert
niid’n — an der Wand XII 34.
Schicht bergniänn. t. t. Xlli ßS.
Schwcdlich, Ortsname XX 82,
Sciferdaii, Ortsname XX 82.
Soika, Familienname XIV 8.).
Sp<'irkel (am Mittel- und Xiederrhein)
XI 31.
Sruda. Familienname XIV 85.
Stacklnirnwiesen, Flurname XV !I4.
Stasch(c). Stäsch(c), Stesch, Sto.sch,
Familiennamen XI\' 83 f.
Stein und Bein, es friert — XI 27.
Stollen XIII ()6.
Stoss. hergmänn. XIII 74.
Ventilier XV 118.
versaufen , die Haut oder das Fell —
XIX 9.
Wafersin, Familienname XIV 85.
Wangerke, F'amilieimame XIV 85.
Wasserkalh, cs schreit etwas wie ein
— XIX 17
Woitas. Familienname XIV 84.
zeideln XIII 62.
Zimmerung hergmänn. XIII 71.
Zottelhär XIII 62.
Zunge hergmänn. XV 123 f.
Deutsche Mundarten;
schlesisch.
.Xckermännchen XIX 81.
.Ammerling .\mscl XIX 86.
Amritzc .4msel XIX 86.
.4nteich, Flurname XVI 61.
Aptik XX 11)6 Anm. 1.
Arg, das XVIII 117.
arrle, arrle, Lockruf XIX 83.
ausstankern XII 103,
Babe XV' 146 .Vnni. 2, XX 45.
BäekerhAan, Flurname XIII 114.
Battlcr und Sebarndarm, Spiel XI 78
Bauhau XIX 90.
Baumlafr XIX 81.
beileibe (ballcibe) XX 77.
Belieb, der XVIII 116.
Beinwurtz XVU 79.
Bettelmann, Name für Babe XIX 90.
lüenkraut XVI 75.
Bodentenren XIX 96.
Borg XVIII 115.
Borretsch, Fllanzc XVI 75.
Bossen, Bosnien XIX 118 Anm. .3.
Brätschnaidc XIII 114.
Brautwinkcl XV' 101.
breemen dorn XIII 6.3.
Buchte XX 111.
bull, bull, Lockruf XIX 85.
cramantz Höflichkeit XIII 63.
dcch, l’artikcl XX 72.
Drossel, alte — XIX 82,
Eheraute XV'I 75.
eidekene XX 77.
Eitel, das XVIII 117 f.
Elisakippe XIII 114.
Ergetz, der XV'III 116.
Falsch.das XVIII 117, der XVIII 118.
Faule Magd, Vogelname XIX 89, 9.5.
Feldin. Stute* XIX 104 Anm. 4.
ferr, fern, adj. XVIII 118,
Feschräger XIX 84.
Flamme Lappen XIX 120
flaiins XI 15.
Flicgcnstecher XIX 84.
Fracke XVI 1 98.
Frisch, das XVIII 117.
Fühl, der XVIII 115.
Futte. die XVII 98.
Güke Krähe XIX 87.
Gälammer XIX 86.
Oall Huf, .Schrei XVIII 115.
Gans XIX 84 f.
garteel, Pflanze XV'I 75.
gatsch, gatsch XllI 111.
Gauderhabn XIX 84.
gcbindel = Eingeweide XV 148.
Gebrerh, der XV'III 116.
Gedeih, der XVIII 116.
Gcdie, Gcdieg XVIII 117.
gelt, Partikel XX 75.
Geniess, der XVIII 117.
gerade W’olil, aufs — XX 77.
Gesund, das XVIII 118.
girr adj. XVIII 118.
Glamm. der XVIII 115.
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150
glanz adj. XVIII Hä.
Uläschittc XX 83.
glech (glei. gic), Partikel XX 72.
glcckebeba glätz. XII 1Ü5 f.
Gleise, die XVII lüL
glimm adj. XVIII 11R.
glnmsch (glimsch) Messer XV 104
Golditsche, Golitschkc = Amsel XIX 86.
(ioldwurz XVI 22 f.
Grabscho, die XV 14.ö
GrasemUcke XIX 86.
Gran, der XVIII 11.^.
Gritscliker, Grauammer XIX 86.
Gucke, die XVII 9H.
Gödabftmhoiser, Flurname XIII 114
Guldalmer XIX 86.
Maanedorn XIII 66.
häkeln, Spiel XX 50.
halt, baldig, Partikel XX 23 f.
Hau, der XVIII ll.ö.
Banwerangp (Schweine) XI 88.
Hedatilke, Flurname XIII 114.
lIcekcBäcke XV 14,5.
Heidelerche XIX 89.
Heilkrettich XVI 22.
Heisch, der XVIII 116.
Heiss, der XVIII llfi.
Hellagraba, Flurname XIII 1 14.
Herzblümchen XVI 25.
Herzfreude XVI 25.
Hexatreppc, Flurname XIII 114
hiebla, hieb, hieb XIII 111.
Himmelsziege XIX 86.
Himpelbeere XV I.tO.
Hintermarkt XV 149.
Hirsesperlich XIX 92.
HOanbark, Flurname XIII 114
Hol, das XVin 112.
hörai XII 98, XIII HL
höraus XII 98.
h6re, höri XII 98.
Hornich XI 26.
Hundsfutte XVII 98.
Huppegarten, Flurname X\' 9L
Hupper, Wiedehopf XIX 94
Hutseh, Scheuchnamc XIII 111. XX 5L
Ilny-Sau, Wildschwein XV 149.
iebsen XX 108 .\nm. 5.
Insulieren XIX 96.
.lArzctz, .larsetz, .Tahrsätz, Familien-
namen XIV 8L
•Tilke, Pdanze XVI 26.
.Inckisch, Familienname XIV 82.
jnnak junger Kerl, Etymologie XIX
115 .Anm. 3.
Käpse, die — , Ortsname. Etymologie
XIV 28 f.
Karsch, Fisrhnamc XV 148.
Kätia, KAtel, Rotkehlchen XIX 90.
Kene, in die — XX TL
Kief, der XVIII 116.
Kitte, Volk Rebhühner XIX 90.
Klettcrspcchtcl XIX 8L
Klosterfräulein (Bachstelze) XIX 8L
Knoblochsjunkcr XIX 11.1.
Kohse. Familienname XIV 82 f.
Kordebenedict. Heilp6anze XVI 23.
kräik, kra, Lockruf XIX 8L
kreisch adj. XVIII 118
Krengel Neuntöter XIX 82.
Krohäugel XIX 82.
Kröpper, Taubenname XIX 92.
Kruch, der XVIII H6.
Krftne, Kuhname XII 99.
KrUnitz.KrUnis, Kreuzschnabel XIX 88.
Kuckuck, Redewendungen mit — XIX 88.
Kupse XIV 79.
Kurwend dich, Pflanze XVI 23.
Lähdc, Flurname XVI 62.
Laschke (Leske, Laske), Kernheisser
XIX 88 95.
Lebtage, seine — XX 26.
Leer, das XVIII 117.
Lftschel XX 107.
Lichtgans XIX 85,
Liebe, brennende — , Pflanze XVI 20.
Liebstöckel Etymologie XVI 2L
Löchmlle, Flurname XIII 114.
Lohfinke XIX 85.
Lömile, Flurname XIII 114.
machen, eine Krankheit — XIII 83:
Magd, faule — , Wachtelkönig XIX 89.
maleicht, Partikel XX 21 f.
Marunken XV 1.51.
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151
Master n. Gesellen, Spiel XI 78.
Matschke Dohle XIX 81 f.
Manko (Mautc) XX Kki.
merscheint, l’artikel XX Tft.
Metan, Name für römische Kamille
XVI 75 f.
Muhme, tanzt ok mit der — Xll iX).
Mulkendieb XIX 89.
Muss, der XVIII 117.
Muttcrgottcsvogel XIX 91.
Mutsla mutz . . . XIII 111.
Nachtral«! XIX 90.
Nachtvelkc XVI 70 f.
N>fke XIV 79.
Xeinstemmerla XIX 88.
Nlfke. Ortsname, Etymologie XIV 79.
Nikel XV 104.
N'utsch(e) XVII 99.
Oanbinda (das Anbinden) XIII 98.
Oi'enguckc XVII 98.
Obnenjilke, Pflanze XVI 74.
Omstel XIX 81.
pafTzen XII 92.
Pansche, die XVII 99.
pempedell XX 111.
perszke Harsch XV 148.
Piepe XX 110.
Pietze XVII 99.
PimpemUssel XVI 71.
Pitperlik, Wachtel XIX 9.H.
Plan XVII 100.
Plauze Taube XIX 93.
poihoi XIX 90.
Pöpcrle XV 150.
Pratze XX 111.
Pfischeilc lluscheule XIX 83.
pnttpntt XIII 111.
Quäcker Vogelname XV 149.
Quctschel XV 151.
(juier, Flurname XVI 60.
Quirl, pulsr — , Etymologie XIX 95.
ragntzen. Gurren der Tauben XIX 93.
Kastelbank. Spielbank XIX 125 Anm.3.
raub adj. XVIII 119.
Reich, der XVIII 116.
reitschfl. reiter Finkenschlag XIX 84.
Rieebkrettia XVI 71 f.
rokutzen unomatopoetisch XIX 9.3.
Rotgalster XIX 96.
Kuch, der XVIII 116.
Kund, das XVIII 117 f.
Rutkatcl XIX 91.
rfltschen XIX 84.
Knt.schimmel XIX 92.
Rntschwänzel XIX 91.
Kutschwinglich XIX 91.
Rntwisllch XIV 107, XIX 91.
Saiberschau, Flurname XI II 114.
.Saiewiesen, Flurname XV’ 95.
Balte (salke) XX 106.
schaecht, es — XIX 17 (vgl. XII 63,
XIX 6), XII 74.
Schaetscher Itirkenzeisig XIX 91, — n
XIX 91
Schalaster XIX 82 f., .XX 62 f.
seban (schon) glätz. , Partikel XX 75.
Scharndarm und Rattler, Spiel XI 78.
Sehicches, nischt, XIX 6.
Schinjimfcrle XIX 14.
Scbischliulz XIII 94.
Schlawittel XX 108 Anm. 1.
Schlosser XVIII 89.
Schlurf, der XVIII 116.
j Schmack, der XV'III 116 (vgl. XV'II 100).
I Schmer, der, das XVMI 100.
Schnader-Nikcl XV 104.
I Schn&ke (SchnAte, Schnöte) XX 106.
Schneekönig XIX 94.
Schnellaliere XIX 98.
schnelle mach hurtig XX 77.
Schön, das XVIII 117.
Schopfmeise XIX 89.
Schriem-.Allec XV'I 60.
Schuldleut XX 10 Anm. 2.
Schürgewaiula Stosawtigelchen XVI 86.
Schwalmschwanz XVI 60.
.Schwanzmeise XIX 89.
Schwarzplättcl XIX 86.
Schwutz, der XVII 100.
sich, erstarrt XX 76.
Sichelscbmied XIX 89.
! Soll, das XVIII 117.
Spalaloade glätz. XII 103.
Spärlich XIX 92.
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152
iSpatzker XIX *J2.
Spendierfracke XVII 98.
Sperlich XIX 92.
Spicgelmeise XIX 89.
Sprachmeister, Name für Rettig, XV 151.
Stank, der XVIII 116.
starbnijS das .Sterben XIV 107.
Stark, das XVIII 117.
Steiger, Taubenname XIX 92.
Sterztag XV 104.
Stt'nkommer, Flurname XIII 114.
Sticglitzkc. Stilzkc XIX 92.
Strach (= Zimmer) XIII 84.
Süss, das XVIII 117.
Tamaschken, Damast XIX 123 Anm. 3.
Tanzt ock mit der Muhme XII 90.
täsch, täscb, Lockruf XIX 83.
Taube, Redewendungen mit — XIX 93.
Teufel, hols der — , auf — raus XX 77.
Teufelsbolzcn XIX 89.
Tief, das XVTII 118.
Tisc Taube XIX 93, XX 68.
tlse, tlsc, Lockruf XIX 93, XX 68.
tob adj. XVIII 119.
Tohle, sieb eine — kaufen XIX 82.
Tölpelmerks XX 77.
trotz adj. XVIII 119.
tsebiep, tsebiep, Lockname XIII 111,
XX 64.
Turkeltauw XIX 93, XX 106.
ufschtiehn, onder siebna — XI 77.
L'ngedeih XVIII 117, XX 104.
Verdriess, der XVIII 117.
Vergelt, der XVIII 117.
Verzieg, der XVIII 117.
Viebig, Flurname XVI 60.
vorkleiden XIX 121.
Waissekranz (= Erntefest) XI 86.
waisköp, Kuhname XII 99.
watsch, watsch, Locknamc XIII 111,
XIX 83.
watschel, Lockruf XIX 83.
wöda. Hirtenruf XII 99, XIII 111.
welscher Mohn XVI 77.
Wiesenschnarre, -quarrc.-knarre XIX 89.
Wimpark, Flurname XIII 114.
Wislich, Vogelname XIX 91.
Wisliche, Flurname XIII 114, XIV 107.
Wislichl&nc XIII 114.
Wistlich XIX 91.
Wullwull. Lockruf XIII 111, XIX 85.
wunder adj. XVIII 119, erstarrt XX 76.
Wusst, der XVIII 116.
Zahlbrätcl, Schwanzbraten XV 146.
Zanikcl, Pflanzenname XVI 81.
Zech XIX 130.
Zecdclbär XIII 62 (vgl. XVI 70).
Zehrarien XIX 96.
Zehrkrottich, Pflanze XVI 81.
Zeis XIX 94.
Zcisker XIX 94, Zeisgenbauer (iefäng-
nis XIX 94.
Zickzick, Scheuchnamc XIII 111.
Zimmer = Drossel XV 149.
Zippe Drossel XIX 82.
Zistusi Amsel XIX 81.
Zitze XVII 100.
Zutrinken XV 101.
Zwirbel (Wirbelwind) XIII 83.
Germanische Dialekte und deutsche
Mundarten.
brAme mhd. XIII 63.
breman ahd. XX 46.
cutti ahd. XIX 90.
dädsisas XIX 5.
dwiril ahd. XX 56.
gareidi ahd. XIX 84.
üöi isländ. XI 31.
goum mhd. XVll 98.
gehornung ae. XI 29.
halslflsinge ae. XIV 29.
happa ahd. XX 50.
haurds got. XX 51.
hepc mhd. XX 50.
hör ostfries. plattd. Schmutz XI 27.
horbrig Schweiz, schmutzig XI 27.
hor(e) mhd. XI 27.
höre ndl. XI 27 f.
horemaent ndl. Kotmonat XI 28.
horh ae. XI 29.
bornddl ae. XI 29.
hörnuug ae. Ehebruch 1
hörnungr. an. /
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153
horu, -rwcs iihd. afr. Kut XI 27.
hürpen Schweiz, beschmutzen XI 27.
' hurren mhd. XII 99.
kedde afries. XIX 90.
klumpermelk nd. XX 53.
kudde nd. nl. XIX 90.
lämel mhd. XX 56.
losa hofud an. das Haupt lüscn XIV 24.
manger bair. XVI 130.
mecli tbttring. XX 73.
nähunt abd. XX 68.
nicuws ndl. gierig XX 58.
plahe mhd. XX 80.
rciden mhd. XIX 84.
scearn ae. Kut, Mist XI 29.
scharn ndd. XI 29.
schcring(e) mnd. XX 87.
scherunge mhd. XX 67.
schock mhd. XX 67.
schrickelmacnd ndl. XI 30.
scirbi ahd. XX 64.
scoub ahd. Stroh XX 63.
skarn an. XI 29.
sol engl. ndd. Kot XI 32.
soIm6nad ae. XI 32.
spork vlaem. XI 31.
sporkcimacnd ndl. XI 31.
sprekla an. Flecken XI 31.
sprokkelmaend ndl. XI 31.
sprokkcln ndd. XI 31.
sprok vlaem. XI 31.
sprark engl. XI 31.
spurk engl. XI 31.
stoven ndd. XX 139.
snlly engl. XI 32.
susün ahd. XIX 5.
syljan ae. XI 32.
tewc ndd. XX 68.
twirel mhd. XX 56.
ungesUhte mhd. XX 45.
waniu, waen mhd. XX 73.
wei'id ap. Unkraut XX 71.
whistling engl. XIV 107.
ZIdelen mhd. XIII 62.
Zulle ndl. XI 32.
bhhtnisch.
I bubak schwarze Mann' XX 46.
dnor XI 30.
dänisch.
Hlidemaaned XI 30.
französisch.
bagage XX 58.
boniteur XIX 96.
chambres (tombes) des gf'ants XI 1.
jnurnaliftrc XIX 96.
roucouler XIX 93.
griechisch.
: etyyfloaxtnCuttt ncugr. XII 14.
iffo) TtnrpMOi XIX 13.
taxio; XII 13.
x^'rrot'poc XV 3.
XI 28.
; öfuxtty XI 28.
ovotffnyoiifiXofyäyoz) Neubildung XVI 63.
axmn; des Kotes XI 29.
axittfta/dv XII 34.
I axiufi Schmutz XI 29.
atiiyog (aii/ot) XIV 35.
V-e/.; XII 3;
Italienisch.
6 la scega-vecchia XI 33. 37, 39.
I lateinisch.
I cornu XI 24, 26.
I di parentes XIX 13.
eme, em, en XX 75.
lamina XX 56.
lutum XI 30.
poena XIX 129 ,\nm. 1.
Bcortum XI 28 f.
sermo XIX 5.
spurcalis XI 31.
spurcus XI 31.
umbra XII 6.
litauisch.
ragiitis Iliirnchen XI 27.
Zirnis Erbse XX 1.38.
polnisch.
baba Napfkuchen XIX 45.
babiagöra Weiberberg XVI 54.
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164
liiedak der Anm,' XVI 54.
bicdzinu ärmlirher Bote XVI 54.
brzezina Birkenholz XVI 55.
huzn Holunder XVI 54.
czariiy schwarz XVI 54.
czaw Dohle XVI 56.
dabrowieckü .lungeiehetihain XVI 55.
dahrowka kleiner Eichenwald XVI 54.
d^bina Eiehwald XVI 54.
dulny niedrig XVI 54.
drnginiw'c andere Feld XV'I 55.
drzewo Holz XVI 56.
gazda Hirt XIV 80.
glebina Tiefe des Wassers XVI 55.
grzeb Zwischcnucker XVT 55.
hromnice Liehtniesse XI .80.
hnsta kerki dichtes GebUsch XV 94.
jarzecy sommerlich XIV 81.
jerzice Ebcreschenfeld XVI 55.
jerztnianca Sterndolde XIV 81.
jodla Tanne XVI 43.
kaezka Ente XV 95.
k^ciskn Winkel XVI 55.
kan'i XVI .55.
kasch Lockruf XIX 83.
klec elende VVohnung XVI 55.
kloi! Klotz XVI 55.
kobila Uoss XX 81.
kopa Haufen XVI 55.
kopicc Hügel XIV 78.
korzen die Wurzel XVI 54.
kosz XX 53.
koza Ziege XIV 83.
kriazfzy IlerzogsstUck XVI 55.
laka Wiesen XVI 55.
las (lasek) XVI 55.
low Jagen XVI 55.
luty Februar XI 30.
mlezko Kalbsmilch XIV' 85.
moczyd/a XVI 55.
morsce moorartige Wiese .XVI .55.
moscisko verfallene Brücke XVT 55.
muszek V'ogclkraut. XVT 55.
mysz Maus XVT .55.
niwa Feld XIV 79.
ogon Schwanz XVT .56.
okragfy rund XVI 56
olsza Erle XX 79.
osiekno XVT 56.
ostrow Insel XVT 56.
pastuch Hirtenjunge XX 80.
pod rowem wunka Wiese am (iraben
polkn kleines Feld XVT .56.
popowisko XVI .56.
poprzeczniczka Querstück XVI 56.
przyrwa Durchbruch XVI .54.
rosocha gabelförmiger Ast XVI 5ti.
rzepa (rzepka) WasserrUbe XIV 85.
sielce XVI 56.
smolica l’echort XX 81.
smug VV'iesenstrich XVI 66.
sojka lIolzheluT XIV 85.
sosnöwka Kiefernwald XVI 56.
sroda Mittwoch XIV' 85.
stasch.stasiu.stachu Kosewort XIV83f.
stac stehen XV 94.
struga VV’iesenbaeh XVT .56.
surma Pfeife XIV' 82.
Utoplec. XV 106.
wawrzyn Lorbeer XIV' 85.
Wojcicch .Vdulbert XIV 8.5.
I wymöwid ausdingen XV'I 56.
russisch.
j bylina XIV 34.
pßsü XIV 34
roditeli XIX 13.
skazka XIV 34.
I starinä XIV 34.
slavisch (vgl. polnisch).
j hJoto .^umpf XV' 153.
glaboku tief XV 152.
Gruden Dezember XI 30.
knsmolica zu dem Pechort XX 81.
Rabisch XIII 66.
8eiga XIX 19.
wendisch.
baba XX 45.
boh Gott XX 46.
drfmad schlummern XX 47.
driizka Genossin XX 47.
duban Eichen XX 47.
dump .Schlag, dumpac, XX 47.
hromadu Versammlung XX 49.
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155
humpai5 sclmukeln XX öl.
hnpak Wiedehopf XX öl.
kamjen Stein, kainjuük Steinchen XXöl.
kokoä Henne XX 54.
kokot Hahn XX 54.
kofad Brot XX 54.
kolij Pflanze XX 54
kryda Kreide XX 55.
kula Kugel XX 55.
kulirid, kulowad XX 52.
kulrjepu Kohlrübe XX 55.
kupa Hügel XX 52
knra Henne XX 55.
kurjatka Pfififerling XX 55.
kuäi abgestutzt XX 55.
Inriny XVI 65.
/uh .'!umpf XVI 55.
luka Wiese XX 60.
lumpak Lump XX .56.
luza Pfütze XX 56. 59.
fuzk Waldpfütze XX 56.
inicu Katze XX .57.
nejko schön XX 58.
p/ono olTenes Feld XX 60.
p/oiiych (plomisk) Holzapfel XX 60.
sapad schleifend gehen XX 63.
sepa Schaf XX 63.
siSka Zapfen XX 64.
skrokad Elster XX 66.
äwikad XX 67.
swikala XX 67.
tok XVI 56.
walkad wälzen XX 70.
wuiujenk Ausgedinge XVI .56.
zahroda Garten XX 62.
d) Sachroglstor.
Aar XIX 86.
Aberglauben XII 88, XIII 36, — und
Brauch aus der Provinz Posen XIII
43 ff.. XIV 70 ff., XV 74 ff., — und
Bräuche ans dem täglichen Leben
XV 112 f., an Festtagen XV 113,
Umfrage Uber kriminellen — XV
158 ff., krimineller — XIX 71 ff.
Ablantsreihen im Schlesischen XX 32 ff.
Aekermännchen XX 81.
Adel XIX 112, 115, 117 ff.
AdeI.stan XVI 7.
Ader, blaue, — über der Nasenwurzel
XIV 74.
Adjektiva, schlesische XVIII 118 f.,
XVII 101 f.
Adjektivaubstantive im Schlesischen
XVIII 117 f,
Adler, goldener, Zechenname XV 123 f.
Adolf und Emilie, Volkslied XIV 101 ff.
Adventssonntag XV 114, XVI 101.
Adverbien im Schlesischen XVII 102.
Agrarverfassung, zur Geschichte der
schlesischen — XVII 71 ff.
Ägypten XIV 20.
Ägypter XII 3, XV 50.
Ahacol, M., XII 47.
Akzent XIll 9 ff.
Alart, .lean, XX 7.
Albert, Heinrich, XIII 17.
Alesa Popovid XIV 45.
Allerseelen XV 85 f., 114, XIX 11.
Aloe XVI 82.
Alp XIII 55, XV 105 ff , XVI 96, XIX
18, 85, —drücken XIX 72 f., Hexe
als — XIII 84 f.. Sagen vom — XIII
99 ff., — fuss XIV 53.
.Alraunwurzel XIII 24, XVI 5.
Alt (Singstimme) XIII 16.
Altmannsdorf XV 152.
Altenau XV 126.
Alttestamentliche Stoffe in den Byliny
XIV 51.
•Atnazulu XII 3.
Amen darf nicht gesagt werden XIV
71.
am Ende, erstarrte Verbindung XX 77.
Amselfeld, Schlacht auf dem — e im
Heldenliedc XV'II 26 fr.
Amulette XV 56, XVII 40, XVIII 9,
Anbinden, das XIII 96.
‘ Andersen XII 24.
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156
Andrcasabeiid und -navlit XIII ^ ^
^ 85 f., XIX 13. 85.
Andreo XV 55.
Angern, Kapelle in — XIV lA.
Annaberg XV 128.
.^nnandale, Nelson XV Ui
AnnastUbcI auf dem Jauersbcrge XVI
102 f.
Anruf XVIII TiL
ansagen, den Tod — XIX 4.
Apfel ini polnischen Vulksliedc XI ^
—Orakel XIII 44. XIV 7Ü,
ApoIIonius von Tyrus, Volksbuch vom
— XIV 12.
Aprilschicken XIII 40, XX 4a.
Apulejus, Pseudo — XVII XVIII
15 f.
Aretaeus XV 6Qf.
Ariminum XI 32.
Aristoteles XIV I.
Arme Seelen XV 113, XVI ^ 112 Anm.,
XIX 1^ ^ 16, ^ Beten zu den —
XIV 811 fif.
Armesünderglocke, Breslauer XI Ü1 ff,,
XVIII 123 f.
Amhauson (Pommern) XI 102.
Artikel, Zum Gebrauche des — s vor
Ortsnamen XIV 105 ff., XV 152 ff.
Arzneibücher, alte — XIII 22 ff., XIV
64, vgl. Heilbränche.
Äsop XIV 3(1
Asiaugsage XIV 22,
Astrologischer Aberglaube XVI 85.
.kttendom XI 155 f.
Aufgaben , neue — der schlesischen
Volkskunde XII 1 ff.
Aufgebot XIII 4Ü.
Aufhuckeu der Seelen XVI 25,
.Aufsatz XV 97.
Anfstossen, Mittel gegen — XIV 23.
Auge riskieren XIII 115, böses — XV 22,
Augenkrankheiteu XVII XIX 22.
Augsburg XI 101 , — er Batbucb XIV
^ 35.
Augustin, o du lieber — , Tanz XII 91.
Ausreuter XIX 102.
Ausche bei Liegnitz XIII 83.
Auslauten'le e im Schlesischen XVII
115 ff.
Ansschlag XIV 25.
Anssi-eini XIX 24,
.Austrieb des Viehs XII 92 ff.
Auszehrung, Mittel gegen — XIV
^ XVI 8L
Axtelmeier XIII 32.
Babe XX 45.
Bach, Rätsel vom XIV 25.
Bachstelze XIX ^ XX 45.
Badewesen, deutsches XX 13!i
Bahrgewicht XIX 21 f.
Bakairi XII 3.
Balder XVI 24.
Baldrian XVI ~U. XVII 9L
Balken, träumen von einem gebrochenen
— XIV 24.
Ballade XIII 20, XIV 14.
Balsamiendel XVI 82.
Bannen von Krankheiten XVII £lj
eines Diebes XVII 4^ von Schätzen
XVIII ^ umgehender .Seelen XIX 22.
Bannspruch XVI 8!^ XIX 52,
Barbara, hl. XIII — fest XllI 8L
Barcelona XI, 38,
Bart bei Frauen XIII 85.
Barzdorf XVI 92 f.
Basilius XVII 46.
Bass XIII 15.
Bauernbesitz XIV 111 . — bissen XII
104, —brauche XIII 152 f., —garten
XVII 25 ff„ XVI 65 ff., — häuser XIII
6 ff., — hochzeit XVIII 112 ff., — leben
im 15. Jhd. XIX 124 ff., Märchen von
der klugen — tochter XIV ^ — ine-
nuette XII 89 f.
Beethoven XIII 19 f.
Befehl als Form des Zauberspruchs XVT
L 12ff.
Begräbuisbrauch siehe Bestattungs-
brauch.
Behexen XVI 4ff. , Mittel gegen —
XVIII 147, vgl. Hexen.
Beigaben XIX 5 ff.
beileibe XX 77.
Beinwurz XVI 29
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157
Beiwortc, typische XI äfif., XIV 43 f.
Bellen des Hundes als Orakel XIII 43.
Bergamt XIII 2Ü.
Bergbierfest XIII BL
Bergen (Kiigen) XI 102.
Berggeist XIII II ff., XV 1118 ff, XVIII
Uff.
Berggriisse XIII 63.
Bergmann, der schlesische — XIII 63 ff.
Berginännlein XV'III 23.
Bergiuannssprache XIII 68—71, XV
117 .\nni. ^ 123
Berlin XIV 2L UM-
Beruauerin, Volkslied XI 46.
Bemickel siehe Gerstkorn.
Bernstadt XI 83. 83.
Beruf, künftiger eines Kindes XIII 36 f.
Bcrührniig XIII 8», XVI 14.
Berward, Ohr. XIII 63.
Beschwörung XVI £, XVIII 13 ff., —
— guter Geister XVIII 23ff. , — s-
foriiieln zur Gewinnung der Wünschel-
rute XIV 31 ff.
Besen XIII 39, lül f., 107, XIX 12 f.
Bestattungsbrnnch XII39ff., XIII 101 ff.,
XV 79 ff., 10^ XVI 87 f., 102 f, XVII
3 ft'., 13 ff, XIX 3 ff.
Betonica XIII ^ XVII 36.
Bett nässen XIV Ulf., — zipfel XIV
87, — ^en, in denen jemand starb
XVI 88 f.
Bettler als Sänger von Heldenliedern
XIV 32.
Benthen XIX Ulf.
Bcw'ohner, die vorgeschichtlichen —
Schlesiens XVII 1 ff.
Bibel XII 22 f., XV 50, 7^ XIV 4,
26 f., 2a ff., XVII 37, XVIII 2, 2L
Biereule XIX 3U.
Bierwetzel in der Ilampelbande XII 33
Bildstöcke XVII 86 f.
Bilwis XII 70, 24.
Birken XIII 8äf. , — zweigorakel XIII
46. —Zeisig XIX 3L
Birnbanni (Posen) XV 7^ Ueiuivers
vom — in der Au XIV 21 f.
Bisknpitz (Kr. Schildberg) XIII 3L
Bismarck XV 38.
Blasen auf der Zunge XIV ^ — Strauch
XVI IL
Blefken, Ditmar XV 13.
Bleichsucht XIV 24.
Bleigicssen XV 22.
Blick, böser XIII ^ XIX 3, scharfer
— XIII 32.
Blindschleiche XI 82.
Blitz, Rätsel vom — XIV 2 Anm. ^
Schutz gegen — XVII 32.. XI 10 f.
Blocksberg XV 124 f
Blumen spriessen aus Gräbern un-
glücklich Liebender XI 43 f., Er-
mordeter oder Hingerichteter XI 44,
XX die — des schlesischen
Bauerngartens XVI 68ff., XVII 90ff.
Blut, getrocknetes XIII 4^ träumen
von — XIII 4^ Kühe geben — statt
Milch XIII 33
Blntsegcn siehe Segen,
Blutstillung XVI 80, XIX 49, — durch
Versprechen XIV 83 f.
Blutung, Mittel gegen innere — XVI 8L
Bochonis XII 23
Böhmen XIV 13
Bohn, Emil XIII 1^ XX 136 f.
Boleslaw der Tapfere XV ^ der IV.
von Oppeln XV 2L
Bolkeuhain XIV 106.
Bornholm XVII 16 f.
Boyadel XVI 43 ff., XVIII 98 f.
Braun, Isabella XI 101.
Brauner Kaspar XV 135, 1,37.
Braut XV 92 ff., 142, — diener XX 46,
Verse gesprochen vom — diener XV
1(>) f., — geschenke XV 101 f., — jnng-
feru XV 98 f., XX Volkslieder
vom — mörder XX 36 ff,
Braut . . stand XIII 43 ff., — Werbung
XIII 43
Bräutigam, der tote — , Volkslied XX
108
Breitenfelde (Holstein) XI 103, 107.
Bremen im Volkslied XVIII 61 ff.
Breslau XI 90fl., 72ff, 79ff., XIII 30, 3^
^ 38, 40 ff, 84, 102 ff, XIV 1^ 87,
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168
XV ^ 32 ff., XIX 92 ff., — ische !
Erzähler XIII 30ff. , altes — er tie-
sangbnch XV 98 f., —er Kllehen-
zcUel von 17.32, XV lüff. , — er
Häusernamen XVI ^ ^ — er Ge-
schichte vom Feuermann XVII lüiff.
Briefträger XV ^ IM.
Brieg XII 89, XV 33 f., Bauernhochzeit
in der — er Gegend XVIII 119 ff.
Rrigidemonat XI 30.
Brot XIII, W). 99. 107. XV 111. 113.
XIX XX 8^ immerwährendes
XV UO, — kruste XIII 90 f., — als
Beigabe XIX 3 f., — fruchthaum XII
29, —markt in Breslau XV liäf
Brilckenherg XII 3iL
Bruch, Zaubermittel gegen — XVI ^
23 f.
Brüder, Märchen von den drei — n XX
12f. I
Brudzjn XIII i3ff., XIV 63, 67, XV 2fi.
Brunnenburg XV 12,ö. I
Brust, Zaubermittel gegen böse — XIV ^
33 f.
Buchstaben, geheimnisvolle XIX .öl.
Buddhatempel XII 33,
Bunzlau XII 67, XIII 33.
Burg, J. Fr., Gesangbuch von — XV 93. i
Burgberg bei Steinaeifersdorf XIX 23.
Bürgel XV 138 f.
Bürger, G. A., XIV 1^ 98. [
Bürkner, Kobert XI 114
Buschmann, Christoph, XX 83 f. '
Buschmäunlein XIX 18.
Buschvorwerk XII 92. |
Butter, behexte XIII 92 f.. ein Stück ^
— auschneiden XIII 4.ö.
Butterberg bei Klein-Kauer XII 94. I
Butterfass, Rätsel vom -• XIV 23, |
Byhus XIII 25, XVII 38. 1
Caesarius von Heisterbach XI 117 I
l.'amenz XVI 1^ 103
cantus planus XIII 12.
Capitulare XVI 23.
Cartwright XVI 3ü.
(•assiodor XX 2Ü.
Cbclica XII 46
Celakowsky, L., XII 42.
Ceslaus, Uoininikaner, XIII 38.
Chaniisso, Peter SchlemihI, XII 1^ 24.
Ohancer XIX 4^ Troylus and Chryseide
XVI 12.
Choral XIII 12. 14.
Christentum XV 139, — u. Freimaurer
XII 24 f., — u. Zauberei .XVI 7 ff,
XVII 4flff., XVIII 5ff, 12ff., 12ff.,
2L 23, 25f., 22 ff, 31, 35f, 38 f.,
XIX öfjff.
Chri.stkind XII ^ 1112.
Christnacht XIII 36, 8^ XIV ^ ^
vgl. Weihnachten.
Christophelgebct XIII 32.
ChUedreckerli XII 93.
Cnut XVI 7f.
Colomannus XIX ^ 56.
Coliiberiia, Hugo de, XX 1 ff.
Corpus Hippocraticum XV 62 f.
Corrodli, A., XII 20.
Cremeiitilla XIII ^ XVIII 20.
Croraer, Martin XVI 64.
Curilo Pleiikovk! XIV 45.
Czarnikau XV 85.
Czerleino Kr. Schroda XIII ^ XV 74,
22 ff, 86 f.
Dachse XII 92.
Dachtraufe XIV 72. 86 f.
Dagobert XII 39.
Dainko XII 42.
DämouengUube XVI 3 ff.
Dariiistadt XII 69.
Deckbalken, Rätsel von Ofen, Tür u.
— XIV 23.
Decem XI 119 ff.
Denkmäler der Vorzeit im Volksglaiibcu
XI 1 ff.
Dessmann, Günther, XVII 23 ff
Dialekt, Schlesischer im Drama XIII 58,
Diebsegen XVI .32, Zaubermittel zur
Entdeckung von Dieben XVII 44 f.
Diininutiva XI 63.
Diphthougierungsmnudarlen XX 136.
Dirnen XII 84.
Dir.sclicinmtter XIII 23.
Diseantns XIII 16,
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159
Djuk StcpanoTW XIV 45.
Dnepr XIV 44.
Dobrynja Nikitä’' XV 42
Dohle XIX 81 f.
Doktoren als Zauberer XIII 98.
Dom ini Volksrätsel XIV 15.
Domherr, Sage vom Toile eines — n
XIII 38.
Donarien, antike — XV 51 ff.
Don-Jnansage XX 25 f.
Donnerkeil XI 10 ff.
Doppelfurmen XVII 97 ff.
Dorfreime XVIII 99 ff.
Dornbusch XVI 12, — als Sitz Ver-
storbener XVI 85, 89.
Dornzweig XIII 51.
Draehe XVIII 2. 75, Tugarin XIV 42,
Olofagus XVI a3f., XVIII 1 ff.
Drama, schlesische Muiulart im — XIII
58 ff
Dransfeld XV 138
Dreiblatt XVI 8(1,
Dronningshoi XI 5.
Drossel XIX 82.
Dro.ste-Hülshoff, Annette von XIX 18.
Drti.sen, Besprechen von — XVII 42
Dubraucke XX 47 , Wortschatz der
Mundart von — XX 43 ff.
DOhriiigsfeld, Ida von — XVII 24.
Dumas, .AI., XVII 24.
Dunaj JvanoviC, sagenhafter russischer
Held XIV 44.
Durchfall, Bezeichnung ftlr XX 77.
e, auslantende — im Schlesischen XVII
95 ff.
Eberesche XVII 91.
Ecke, an der — eines Tisches sitzen
XIII 45.
Eckersdorf XIV 95 ff., XX 92 fl.
Eddalieder XIV 8, 13, 24, 110.
Edulia von (i. O. Flllleborn XIII 40.
Egge, lautmalender Name für — XI V 17,
Ehe XIII 43 ff,, — standslied XIV 99 ff.
Ehsten XII .33.
Ei, Rätsel vom — XIV 15, .32, silberne
und goldene — er XV 128.
Eiben, Ortsname XX 83.
Eihenbaum XII 31.
Eichen XV 1.52, XVI 12 f.
Eicheiikränze als Hexenschutz XIII 86.
Eichelhäher XX 47 f.
Eichhörnchen XVI 104.
Eid XVI 132 f.
Eidechse XV .54 f., XIX 14.
Eierleseu der Tuchmacher XIII 40.
Eierzng XI 74.
Eigennamen XVII 97.
Einhorn, Zechenname XV 123.
Einschlafen, leichtes n. häufiges — XIII
100.
Einstimmigkeit XIII 13 ff.
Eintrieb des Viehs XII 97 f.
Eisdorfer Lieder XIV' 95ff. , XX 90 ff.
Eisenkraut XIII 23 f., XVIII 19 f.,
XIX 70, vgl. Verhena.
Eiserne Geräte verpönt XVII 37.
Elbing XII 82 f.
Elfen XIV 11, XV 35 f,
Elisabetanum XIII .30 f.
Elster XIX 82 f., Redewendungen mit
— XIX 83.
Emilie, Adolf und — , Volkslied XIV
101 ff.
Englischer Zanbcrspruch XVI 1 ff.
Ennins XII 26,
Enten XIII 111, XIX 8f3, Lockruf ftlr
— XX 70
Epilepsie XVI 8, Mittel gegen — XIV
71, XV 140, XVII 41, XVIII 20,
XIX 92, XIII 25.
Epischer Eingang in Zauhersprilchen
XVI 18 ff., XIX .52 f.
Erbsen XVI 4, Rätsel von den — n.
den Tauben XIV 28.
Erdbeere XIV 70.
Erde, heilende Kraft der — XVI 20,
XVII 41, Beschwilrnng der — XVIII
15 f
Erhängte XV 11.3, XVI 88, 92, 10.3 f.,
XIX 15, 21.
Erk-Böhme XIV 101.
Erke. II., XV 22.
Erlach, Freiherr von — XI 94.
Erlösung scbatzhiltendcr Seelen XVI II
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160
79 f. , 85 ff. , 91 f. , — anner Seelen
XIX 23.
Erntebraucb XI 85 ff., — schlass XX 54.
Erntelieder XI 85 ff.
Eratarrnngen, sprachliche — im Schle-
sischen XX 71 ff.
Erzähler, der Breslauische — XIII 30 ff.
Erzbergbau XIII G6.
Esel, der goldene — zu Reichenstein
XV 114 ff., Sagen llHff., Ursprung
des Namens 122 ff., der Name Esels-
fresser 129 ff.
E8el3fresserXV129ff.,XVia3ff..XVlI92.
Esche XVI 13.
Espe XVI 13.
Essex XVI 12.
Eule XIV 76, XIX 83, Redensarten
mit — XIX 83.
ErangelienscliUlssel XIII 37
Excmpel, I’redigt— XIX 29 ff., XX 1 ff.
Faden liegen sehen XIII 50.
Fahrleder XIII 68, 71, 81.
Falkenberg (Uberschlesien) XII 71.
Falkenbain XIV 106.
Fallende Sucht vgl. Epilepsie.
Familie, serbische XVII 20 f., — nnameu
polnischer Herkunft XIV’ 80 ff., deut-
sche — nnamen XX 132 ff., — nuamen
und Torsaulen XV'I 67 ff. , — sagen
XVIII 76 f.
Färöer XIV 5, 22.
Fastnacht XIX 123, XX 69.
Feeustweiber XII 94 f.
Feiertage in Island XV 33 f.
Festgebräuche XV 161.
Festtage XIX 58 , 64, vgl. auch die
einzelnen Feste.
Feuer, Seele erscheint als — XIX 16,
hilft gegen Behexung XIII 93, blaues
— XIII 101, mit — spielen XIV
70 f., — teller XIII 36.
Feuermann XV'l 87, 90, XIX 23, Bres-
lauer Oeschichte vom — XV'II 104 ff.
Fenerprobe XII 42 f.
Fibiger X\^ 132.
FichtengrUu im polnischen Volksliede
XI 54.
Fieber, Schatz gegen — XIV 70, Mittel
gegen — XIII 24 f., XVI 8, 13, 19,
XVIII 20, Mittel, jemanden —krank
zu machen XVI 13 f. , — segen , vgl.
Segen.
Finger, an den — n ziehen XIII 45.
Fingerhut, Blume, XV^I 70.
Fingernägel schneiden XIV 75.
Fink XIX 83 f., Zusammensetzungen
mit — XIX, 83 f., — cnstein XIX 84.
Fisch im Volkslicde XI 53, — namen
XV 148, —schuppen XIV 70, XV 113.
Fischart XVI 28, XV 135.
Flacbsbereitung XVTI 66.
Flamme bedeutet den Berggeist XIII 75.
Flanilern, du bist aus — und ähnliche
W'endungen XX 101 f.
Flasche, Zerbrechen von — n XIX 28,
Wunder — XV'l 99, 101 f., polnisches
Märchen von der Wunder — XIV 63 ff.
Flechten, Mittel gegen — XIV 88,
XVI 16 f.
Fledermaus Xl\' 76.
Fleisch, ein Stück rohes — XIV' 72, 86.
Fliege XIII 75.
Fliegeiistecber (—Schnäpper) XIX 84.
Floh XI 89, Mittel gegen Flöhe XIII
29, Rätsel vom — XIV 17 f,
Fluch, Wirkung des — s XV'III 83.
fluchen, in der Grube — XIII 73.
Flurnamen, schlesische, XIII 113 ff., tu
den schlesischen — XIV' 107, — von
Mollwitz, Kreis Brieg, XV 92 ff, —
und Ortsnamen der LeobschUtzer
Gegend XV' 95 f., — in Boyadel,
Kreis Grilnberg, XVI 43 ff., — aus
dem Kreise Sprottau XVI 60 ff., —
aus dem Gebirge und aus Nieder-
schlesien XV'III 104 ff. , — von
Langenüls XX 84 f.
Formeln, typische, XI 56.
Forstlangwasser XII 92.
Forzen XI 88.
Frage, rhetorische — im V'olksliede
XI 65.
Frankenstein XIX 90, Frauen von —
XIII 39.
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Ißl
Franz, Agtiea XI 114.
Frau , Märchen von der treulosen —
XV 4 ff., weisse — XIII 101, XVIII
81, 84, 93.
Frauenwettlauf XII 83.
Freilustniuseum XIII 8f.
Freimaurer iiu Volksglauben XII 61 ff.,
XIV 58 f.. XV 68 ff., XIX 71 ff.,
Name XII 63, haiieii immerfort 63,
für Zauberer gehalten 64, üebräucbe
hei der Aufnahme unter die — 64 f.
(XIV 58 f.), sagenhafte Tätigkeiten
und Vorrechte 66 ff., Meuschenopfer
der — 72 ff., Tod der — 73, linden
nach dem Tode keine Buhe 74, ihr
Christenglauben wird angezweifelt
74 f., — im Bunde mit höllischen
(Teistern oder dem Teufel 75 ff , XIV
58 f., XIX 73 f.
Fremdwörter XVII 96 f.. 101, XIX 96.
Freussen, Jörn Uhl, XII 12.
Freudeuburg Kreis Waldenburg XX 83.
Freytag, Gustav, XIV 2.
Friedenberg XII 85.
Frischlin, Nicod , Susanna XVI 40 ff
Fritz, der alte — XIV 28, XV 93.
Frosch XV 54 ff , XVII 51, 54.
Frostbeulen, Schutz gegen — XIV 70.
Fugger XV 137.
Fülleborn, Georg Gustav, XI 112, 118f.,
XIII 30 ff.
Füllort XIII 70.
Funkentelegraphie in I.sland XV 46.
Fürwörter XVII 103, XX 76.
Gaarz (Mecklenburg) XI 100, 103.
Gabitz XII 68.
Galgen, alter — in Breslau XV 146,
— reparatur XII 84 f.
Gans XIX 84 f., XIII 111, Lockruf
XX 59.
Gänsefeder, Rätsel von der — XIV 17.
Gänsehimmel XIX 85, —wein XIX 85.
Gärten, schlesische, XVI 66 ff.. XVH
90 ff
Gastlichkeit der Isländer XV .30 ff.
Gauderhahn XIX 84.
Gchärmutter, plasli.sche Auffassung der
Utttcllauucn ü. scbics. (tes. f. \ küo. lieft
— in der Volksmedizin XV 49 ff.,
XVU 49 ff.
Gebete, beim Graben der vcrbena XVII
37 f , zur Entdeckung von Dieben
XVII 45, — für schwnchl}ef%higte
Kinder XV'II 45ff. , — im Zauber-
glauben des Mittelalters XVIII 5 ff.
Geburt eines Kindes XIII 53 f., — szeit
XIII .54.
Gedächtnis, Mittel zur Stärkung des
— ses XVII 47 f., XIX 90.
Gedichte, Schlesische — aus der Re-
formationszeit XI 14, schlesisches —
Uber die Tiroler in Zillertal XV 154.
Gehänge XV 97.
Geheimschrift der Freimaurer XII 66.
Geiersberg XIX 16.
Geisbeini, Carl XI 115.
Geister, Hans— XIX 12 ff., — er-
scheiuungeu XV 79 ff
Geistlicher bannt Seelen X\'I 89, 101
bis 103, XIX 22, entdeckt Diebe
XVII 45.
Geizhals XVIII 80 f.
Gelbsucht, Mittel gegen — XIV 74,
XVII 43, XIX 86.
Geld als Beigabe XIX 9 f. , — drachen
XII 71, — wird zur Trauung mit-
genommen XIII 50.
gelt, Interjektion XX 75.
Gcineindeholz XX 54.
geiiius loci XII 25.
Genofevasage XIX 44.
gerade wohl, aufs — XX 77.
Geräusche haben Vorbedeutung XIV 76.
Gerhaid, Wilhelm, XVII 24.
Germanen XIV 109, XV'III 5 f., — als
Bewohner Schlesiens XVII 1 ff.
Gerstkorn, Mittel gegen — XIV 72,
87 f.
Geschichte Islands XV 43 ff.
Geschlechtsteile, weibliche — als Vo-
tivgabeu XV 51.
Ge.schwulst, Zanberformel gegen —
XVI 15 f., 22, XVHI 24.
Geschwüre, Mittel gegen — XIV 71 f.
Geselle XX 1 16 ff . — nprüfmig 1 16 f .
X.\ 1 1
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Aufnaliine in den — nverband 121 f., '
Zusammenkünfte der — n 122 f. 1
QespensterglanbenXIII 109,-tierXIX81. ;
tiesta Romanürum XX 14 f., 19, 22, 24.
Ueatellnug XV 113.
öesnndlieit des Menschen, durch Hexen
geschädigt XIII 90.
Getreidedrachen XII 71.
Gewitter XIX 93, Schatz gegen —
XIX 88, XI 12.
Gicht XVI 74, 76, 81 f., XIX 88, — rUbe i
XVI 81 f., — Segen vgl. Segen.
Giersdorf, Mundariprobe XVII 68.
Gimpel XIX 85 f.
Girlitz XIX 94. ■
Olatz XV 153, —er Jungfrau XIII 39,
Grafschaft — XV 87 ff., XVI 64,
XVIII 84, Muudartenproben aus der
Grafschaft — XVII 6fif. ,
Gleckeheba XII lüö f. '
gleich, Partikel XX 72 f.
Glieder, menschliche — als Weihge-
.schenkc XV 49 ff., 72f.
Glucken verraten Verbrechen XI 103.
Glockenguss zu Breslau XI 91 ff., XVIII 1
123f. '
Glogauer Mundart XIII 34, XVII 69 f.
Glück auf XIII 69f., Glück zu XIII 69 f.
Glück.shebcn XII 105 f. !
, kinder XIII 54. !
Glume, Ort.snanie XIV' 79.
ünesen, Kreis XIII 48 ff., Stadt— XIV '
70. XV 76, 79, 84. ■
Gnipolsdorf XV 92.
Gobii, Johannes, Doniinikaucr XX 1 ff. |
Gnebel, Georg XIII 58 f.
üocdsclie, Hermann XI 96, 11.5.
Goethe XII 2, 11, 45, XIII 10, 76, '
XX 103, — über Rätsel XIV' 3.3, der I
Grosskophta, Faust XV' 69, llcrmanu
und Itorothea XVI 71 , — und die
serbischen Volkslieder XV'll 23 ff,,
— s Klagogesang von der edlen Frauen
des Asan .Vga XV'll 25, — s Sprache j
XVII 95, Braut von Korinth XVIII |
59, XIX 19, Schweizerreise XIX 15, i
Totentanz XIX 20. I
Gold machen XV' 68 f., — gewinnen
XVI 78,
Goldammer XIX 86.
Goldamsel XIX 90.
Goldberg XV 122 f., 128, XVIII 84,
XIX 132 f , Habendocken bei— XVIII
83, zur Volkskunde aus dem — Hay-
nnuer Kreise XIII 106 ff.
Goldbergban XV 114 ff.
Goldcntrauiii XX 83.
Goldwurz XVI 77 f.
GomoIcke, Daniel XI 94, XII 83.
Goplosee XV' 86 f.
Göppert XV'I 67 f.
Görbersdorf XX 82 f.
Gürlitz XIII .58 f.
Gottsched XV’ll 95.
Göttersagen der Germanen XIV 109 f.
Gotte.sdienst in Island XV 3.3.
. urteil XVI 132 f.
Grab, offenes — XIII 106 f.
Graben, der schwarze — XII 9tl.
Graeber der VV'öchneiinnen XIII 101 ff.,
XIV 69 f.
Graesse XI 115, XII 29.
Graetz, Kreis XIII 44 ff.
Gramschütz XII 94 f.
Grasemückc XIX 86.
Graswuchs, Ilexengewalt über den —
XIII 9.5.
Gravelotte, Schlacht von XIV 96.
Gregorius auf dem Stein XX 22 ff.,
— Umgang XIII 40.
Grenze XVI 85 ff, 89 f.
Grenzzciclien XIX 23, die alten — am i
Zobtenberg XVIII 108 ff.
Griechen XII 3, XIV 1,7, 29 f., XV'll
37, XIX 9, 11, 13, 16.
Griminelshausen XI 105.
Oröbiiig XV 95 f.
Grochberg bei Frankenslein XV'III 87.
Gröditzberg XIV' 114,
Gröndal, Benedikt XV' 19.
Grönländer XII 3.
Gross-Xeundorf bei Neisse XIX 20.
üross-Tschochaer Schloss XVI 98.
GrossvaterspicIcu XX 49 f.
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1«3
Grottkau XVI 97, —er Vesper, Volks-
lieil XX Ulf.
Grlluberg, allerlei Überflüssiges aus dem
-er Kreise XVIII 28 ff.
Grimtowitz XV' 79.
Gryphius, Audrcas XVIII 29 ff.
üiidmuiidsson, Valtjr XV 22 ff., 47.
Günther, Christian XIX 17.
Qiirsclidorf XVIII 95.
Gusle, serbisches Musikinstrument XVII
20.
Haarzotten XIV 73.
Habicht XIX 8B.
Hagedorn, der nnmtere Seifensieder
XX 28.
Hahn, Scherzname für XIV 17, Rätsel
vom — XIV 20, — eiikänipfe XIII
41, — eiiblut XIII 49.
Ilahnkrahe in Breslau XI 109 ff,
XIII 37.
Haihar XII 43.
Hain i. R. XVIII 104.
häkeln, Kinderspiel XX .50.
Hallgriinsson, Jonas XV 35, 45.
Halslösuugsrätsel XIV' 24 ff.
halt, Partikel XX 73 f.
Hälterdänime, Flurname XV 94.
Hanierliiig, Homunkulus XII 24.
Hammer (Grafschaft) XV'III 84.
Hampelbaude XII 93 f.
Hände, Märchen vom Mädchen ohue —
XIX 29 ff., XX 6f
Händel XIII IG.
Handlung in V'erbindung mit Zanber-
sprucb XVI 2.
Handwerksgebränche XX 1 14 ff.
Hänfling XIX 86.
Hanns, Lied vom Herzog — XIII .36.
Hans, Ritter — von Mühlheim XIII 38.
Hartau XIV' 106.
Hartmann von Aue XX 22.
Harz, der — XIII 79, —sagen XV 125 f.
Haschclieder XI 50.
Hase, der — im V'olkslied XI 48, drei-
beiniger — XVI 97 f.
Haube XIII 45, 51 f., — aufsetzen XV
103, XIII 52 f
Haubenlerche XX 89.
Häuer XIII 71 f
Hauff, Reiters Morgengesang, nmge-
formt im schlesischen Volksliede XIV’
96 f.
Hauptmami, Gerhard XX 129.
Hausgeister XIX 12 ff.
Hausiuschrifteii und — bilder XIII 33.
Hauskobold XII 77, XIX 13.
Hausnamen, Breslauer XIII 31.
Hausotter XIX 14.
Haynau, Zur V'olkskunde aus dem Gold-
berg —er Kreise XIII 106 ff.
Hechelkrämer XIII 39, XV 118.
Heidelerche XIX 89.
Hcidenwcrfeii XV 142 ff, XVII 70 ff.
Heilbräuche XIX 27 f., alte uud neue
Heil- uud Zauberbräuche XVII 35 ff.,
vgl. V'olksinediziu, Krankheiten, .Segen,
Zauberspruch.
Heilkräuter XVI 71 ff, XVII .36 ff, 90f„
XIX 27.
Heimchen XI 7," XIX 15, XX 47.
j Heinrich der LiHve XI 117 f.
Heldenlieder, russische XIV' 33 ff., XV'
( 3 ff. , slovenische XII 59 f., .serbische
XVII 18 ff.
Heldensagen der tlermanen XIV' 109 f
Helguiida, Sage von — XV' 6f.
Hemde XIV 71, 74, XV 80, 84 f.
Hengst, Grubenname XV 123.
Henker darf V'erbrecherin freibitten
XI 46.
Henne, krähende XIV' 76, schwarze nnd
weisse — XIX 17.
Herrinberg bei Langenbielan XV'III 73.
Herrschaft, zukünftige — in der Ehe
XIII .50 f., XV 112.
Herttwig XIII 70.
Hervara-Sage XIV' 4.
Herzgespan XV'I 81.
Herzkrankheiten XVI 81.
Herzogswahlau XII 88 ff.
Hexen XII 43 f., 66, 94 f., XIII 55,
107, XIV 73 f., XVI 35, XVIII 84,
—Spruch XV'I 6, Tod einer — XV
78, — und Hexenzauber XIII 82 ff.,
11*
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ücatalt der — XIII 82 f., die — als ' 102 f., 4. der dritte Hochzeitstag 103 f.,
Alp 84 f., —Zeiten 85 f., tanzende und 5. der Zichtag 104 f.
musizierende — 86 f.. Verbann uuir der Hochzeitsbitter XV 105.
— 87 f., — Zauber 88 If., Hexa-
btichla 88 f., das blaue Steindel 89,
die — schädigt die Gesundheit des
Menschen 90 f ,den Besitz des Menschen
92 f., Brechung des — Zaubers 93 ff.,
Zaubergewalt der — über den Gras-
wuchs95. Zanberernnd — meiste r
96 ff. ; Scharfrichter 96, Zigeuner 9(! I'.,
Kammerjäger 97, Studierte und Dok-
toren 98.
Hexenmeister XIII 96 ff. , 107, XVI 7.
HexenrUttel XIII 110, —schütz XIX 83.
Hexenstich, Spruch gegen — XVI 18.21.
Hexenverfolguugen in England Wl 10 f.
Hexenwahu XVI 9 f.
Hildebrant und Hadiibrant XIV öl.
Hildegardsage XX 19.
Hildesheim XV 143, Griindungssage
von — XX 27 f.
Hilferding XIV 38. *
Hilgeiisec XVIII 74 f.
Himmelsbrief XIX 56 ff.
Himmelsleiter XX 3.
Hiramelswege XIX 86.
Hinrichtung in effigie XII 68.
Hintermarkt XV 149.
Hinlcrtreppenroiuaiie XII 62.
Hinzberg XI 3.
Hirs(di, Lied vom weiasen — im Is-
ländischen XV 29, Sagen vom gol-
denen XV 126 ff.
HirtenbUblein, Märchen vom XIV 31.
Hirteurnfe. -Spiüehe und -Lieder, schle-
sisehc XV 87 ff.
Ili.skia XII 10.
Hjörleifssou XV 19.
Hochzeit Xll 1 43 ff., -sbriiuche XV 96 ff.,
XVI .37 ft., XVllI 119 ff, XIX 28 f.,
XIX ll9ff, bäuerliche Huchzeits-
biäiichc aus K lei n-EI igu t h , Kr.
Gels XV’ 96 fl'.; 1. V’orberbereitungen
96 f., 2. der Trantag a) in der
Kirche 97 ff., b) im Hochzeitshause
100 ft , 3. der zweite Hochzeitstag
Hochzeiten von Tieren (Vögeln) XI 48ff.
Hochzeitskleider, träumeu von — n
j XIV 76.
Hochzeitsnacht XVI 5.
Höflcr XV 53 ff., 59, 140.
Hohwelze, Dorfreim aus — XV'III 101.
llöleDluigh, Hügel XI 5.
Hölle, Flurname XV 96.
Hollnnderbaum XVI 13, 78 1., .Schatten
des — B XII 27, 30, Rätsel vom —
XIV 8 r
Holsteinische Rätsel XIV’ 4 f , 20 f., 25,
— Sage XII 18.
I Holtci XIX 94.
Holzmonat XI 30.
Holzorakel XIII 45.
Holzwurm XIV’ 75.
Homer, Polyphemsagc im Polnischen
i XIV 60 ff
' Horb, (trtsname XI 23 f.
I Hornung XI 23 ff.
i Houwald XII 68.
1 Hnfnage! XIll 108.
; Hühnchen, schwarzes — XVIII 75 f.
I Hübner XIII 111.
Hühneraugen, Mittel gegen — XIV 88.
Hülinerwurzeln, Mittel gegen — XIII
; 108, XIV 86 f.
, Hummelfran, Sage von der — XV’III 89.
Uuuil XIII 43. XIV 75, Seelen als — e
XVI 94 f., 99, 103, XVII 40, XIX 17.
j Hundeweih, Pflanze XVI 80.
Hunde zahm zu maclieii XIII 107,
XVII 40.
Hünenbetten XI 1.
! Hilnengräber XI 1 f.
! Hungerturm von Priebus XV 140 ff.
: Husar, Geschichte von dem Friedrich-
scheu im scliles. Volksliede XIV’ 95 f.
Hussiteu XV 119, XX 85.
Husten, Mittel gegen — XVI 82.
Hj'äne XII 21.
1 Hyazjnthus, Dominikaner XIII 38.
: Idiotikon, Schlesisches XIII 31.
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Ilija vun Mnrotii XV 71'., 13, Lcljesis-
bild nach den Byliuy XIV 39 ff.
Illyrisimis XII -15.
Ilo, Bätsel vom Hunde — XIV 24 f.,
XVI 39 f.
Inder XIV' 8.
Indien XVI 24.
Instrnmcutalbegleilung XIII 2t.
Itttercsaenrichtnn^ der Inländer XV' 34 ff.
Innungen XX 1 14 ff.
Innungsfahnen XX, 1 15.
Irrlicht XV 111, XIX IH, -er in
Hrückenherg XII 93,
Irwing, W'ashington XIII 78.
Island XIV 12, XV'I 6.
Isländer, die heutigen — XV' 18 ff,
Literaturübersicht XV' I8ff. , der
Volkschnrnkter 25 f., .Studenten 2(iff ,
Ciastlichkeit 30ff.. Feiertage 33f., die
Intere.ssenriehtung 34 ff., Ergebnis 47 f.
Italienisches Vulkslied XVIIl 125 ff,
Iwan der Schreckliche in den llyliny
XV 13.
Jacob, Th, A. Luise von — XVII 23.
Jagd, wilde XIII 74, XIX 16 f.
Jäger, der wilde XII 40 f.
Jägerndorf, Rätsel aus — XIV 26.
Jakob I. von England XV'I 10.
Jankowo bei Gnesen XIV 74.
Janowitz XV 79.
Jauy (Kr. GrUnberg) XII 97.
Jaraczewo XV 81.
Jarzetz Faniilienuaine XIV 81.
Jauer XIII 102.
Janernig XV 96, XVIII 91.
Jauersberg XVI 101 ff.
Jenaer Liederhandschrift XIII 14.
Jerseniann, Familienname XIV 81.
Jespersen, Phonetik XV 39.
Jesniten XIX 22.
Joachimsthal XV 123.
Job XVIII 10, —Segen XVIII 10 f.
Jocksdorf, Wüstung — XX 86 ff..
Johannistag und -nacht XII 70, 73 f.,
XIII 36, 46 ff , 86. XVIII 85, XII 63,
74, 76.
Jordansegen XVI 30 f.
Jo.scphsfcst zu Riuiini XI 32 ff., heidni-
scher Ursprung XI 36, Benutzung
einer Puppe fZersägen) XI 38, Kinder-
fest damit verbunden XI 39.
Jude, Ewige XII 81 f.
Juden XIV 7, 75, XV 84.
.Tnllen XI 34, 39.
Jung-Buuzlaii in Böhmen XV 153.
Jnngferntanz XII 91.
Kaiserchronik XX 20
Kaiser von Konstantinopel, Tochter des
— XX 7 ff.
Kälbchen, Lockruf für — XIII 111.
Kalinuk, polnisches Märchen XIV 60 ff.
Kaltenstein, Burgruine XVIII 87, 93.
Kamille, römische XVI 75.
Kammerjäger XIII 97.
Kapellen XVI 85 ff., 90 f., 98.
Kapitz. Ortsname XIV 78 f.
Kapsch Rocktasche XX 47 f.
Karfreitag XIV 63, XV 114, 121,
XVIII 85 f.
Karl, Legende von Kaiser — XIX 55.
Kärnthen XV 62.
Karolius, Kaiser — , ein Kinderspiel XIII
108.
Kartoffolsteckeu XIII 107.
Karwoche XIV 70, XI 73.
Kastanien XIV 72.
Katze XIII 49, 82 f., 87, 109, XV69f.,
Scherzname für — XV 149.
Katzen, Spiel mit — XIII 4.5.
Kazwini XII 42
Kellerhals, Pflanze XVI 70.
Kelten XVI 14 ff.
Kempen. Kreis — XV 79.
Keramik XVII 4, 7 ff, 10 f.
Kerze, Rätsel von der — XIV 25.
Kerzen als Orakel XIII 51, XIV 77.
Kettcureime und -fragen XIV 10 f.
Keuchhusten, Mittel gegen — XVI 2, 12.
Kiebitz XIX 86.
Kiesslingswalde, Muudartprobe aus —
XVII 66.
Kiew XIV 45 ff, XV 9 ff.
Kind XIII 63 ff., Geburt XIII .53 f.,
Taufe 53 f.
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Iß6
Kinderfest XI ^ -lieder XII ^ XIII
1^ -spiel, ein — XIII 108, XV 108
(vgl. Spiele).
Kinderrcime und -spiele XI SS vergl.
Spiele.
Kindesniörderin XI ^ XV 82 f.
Kirche, Bräuche hei der Trauung in
der — XV 91 ff.
Kirchhof XIII ^ XV 77, 8i f.
Kirchweih XIX, 123, 125.
Kirmesbräuche XIII iL
Kirsche, Rätsel von der — XIV 20.
Kirschenvogel XIX 20,
Kirschenzweige XIII 85 f.
Kittnerberg bei Fischhach XV 112 ff.
Klabautermann XII 20.
Klageweibel XIX ü XX 93.
Klangmalerei XIV 12.
Klangzeile, einleitende — im Volks-
rätscl XIV 10,
Klapperngehen in der Karwoche XI 23,
Klarenkranst XV 105
Kleebrot als Heilmittel XIV 93.
Kleidung bei einer Hochzeit XV 99 f.
Klein-Kllguth, Volkskundliches ans —
XI 29 ff., Namen polnischer Herkunft
aus — XIV' 22 ff., bäuerliche Hoch-
zeitsgebräuche aus — XV 90 ff.
Klein-Kauer (Kr. tilogau) XII 9Af.
Klüster XVI 97^ verbreiteten Heil- '
pflanzen XV'l 23,
Kneiplieder der isländischen Studenten
XV 29.
Kober, Tobias XIII 58,
Kuchen hilft gegen Behexung XIII 93.
Kohlenbergbau XIII 07,
Kolo, serbischer Tanz XV'II 20,
Kometen XIII 32,
Kommende XV 152.
Kommunion XV' 91.
König im Bade. Märchen XX 15 f.
Königin, die den Marschall tötete,
Sage XX 18 f.
Königsberge bei Mollwitz XV' 93,
Königskerze XIV 21,
Königssohn im Paradiese, Legende
XX LZf.
Konstantinopel, Märchen von der Toch-
ter des Kaisers von — XX 2 ff.
Kopenhagen XIV 1^ XV 28 f.
Kopizen XIV' 28,
Köpfen von Leichen XIX 19,
Kopflose Menschen und Tiere XII 37 ff,,
XIII 76, 101, XVI 86, 98, - .Schatten
XII 1^ ^ XIV IL
Kopfweh, Mittel gegen — XIV' 7^
XV 112.
Kopisch, .Vugust XV 2L
Kornbluten, die ersten XIV' 70,
Kornelbaum XII 30.
Korytko, Emil XII 47.
Kossinna, (iustav XV'!! ^ 14
Kossovo, Schlacht von — im serbischen
Heldenliede XVTI 20 ff
Kosten, Kreis — XIII 14 f., 42,
Kotschke-Lusehe. Flurname XV 95.
Kräliberg bei Mullwitz XV' 93.
Krähen XIX 87, XVI 1Q2 ff., XIV 7^
— äugen XIX 82.
Krainer XII 45.
Krakau XVI ^ Sage von der tirUn-
dung — s XVIII 1 ff., 125.
Kraljeviö, Marco XII 5L
Krammetsvogcl XIX 82.
Krämpfe, Mittel gegen — XV 113,
XIX 93.
' Krankenmessen XIII 32.
Krankheiten XIV' Zauber- und Heil-
mittel gegen — XIV 80 ff., XV 22f ,
XVI 2,4.8, 12 ff., 12 ff,, 23 ff., 72 ff.,
XIX ^ ^ vgl. Volksmedizin.
Kranz XIII — e schwimmen lassen
XIII £7, -c werfen XIII 40 f.
Kräuter, Beschwörung aller — XVIII
15 ff.; vgl. Heilkräuter.
Kräutermundart XIII Probe XVII
08 f.
Krebs, .lulius XI 9^ 115.
Krebs XIV' ^ XV' 148. Rätsel vom
— XIV' Hl — als Darstelinngsform
des Uterus XV' 52,
Krempe (Holstein) XI 107.
Krengel XIX 82 f.
Kreuzburg Xll 05.
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Kreuz Christi XVI 291'., 34, XVIII .33. '
Kreuze als Ort vonGcistererseheinungen i
XVI 86 f, 94. 96.
Kreuzzeichen XIII 73. 95, 108, XIV 72,
87ff,. XV H2f„ 106, XVIII 8, lOff., 18.
Kriechtiere als liarstellungsform der
Gebärmutter XV 27 f.
Kriegsrüstung XIX 111 ff., 129 ff.
Kriemhildenstein am Zohtenberg XVIII
98 ff.
Krimmer XIX 88.
Krippen zu Weihnachten XIII 41
Kroaten XVII 21 f.
Kröte XV 55 ff., XVII 50 f., Hexe als
- XIII 83.
KrummhUhler ISauernstube XIII 3, 7.
Kuchen, von — träumen XIV 70
Küchenzettel, Breslauer — aus dem
Jahre 1732 XV 144 ff.
Kuckuck XIX 88, — im Aberglauben
XIV 70, — im Volksliedc XI 52,
— sfresscr XVII 95.
Kübe XIII 111.
Kubflailen als Heilmittel XIV 91 f.,
— namen XV 89.
Knhprinz XII 97 f., XV 88, 91.
Kuhpuck XIV 6.3.
KUhscbmalz, Ort, XX 80.
Kujawien XIII 44 ff., XIV 68. 63, 71 ft'.,
XV 77 ff.
Kümmernis, Legende von der heiligen
— XIII .38.
Kunschütz XII 67.
Kurz, Hermann, Xll 24.
KutUn XIII 66.
Kynastsage XIII 38.
Kynsburg XV 119, 124.
Ladislav, Lied vom Könige — XIII 35.
LaeLare XI .36 ff., 82 ff., XII 80, XV 143,
XIX 1.33.
La Ttnekultur in Schlesien XVII 14 ff,
Latsche, die XVII 99.
La Fontaine, le savetier et le financier
XX 28.
Laibach XII 45.
Lämpchen, ausgehendes XVI 92.
Landesmuseum , Schlesisches XllI 8 f.
167
Landesordnung Schlesiens XIX 107 ff.,
111 ff
Langenau, Fürstlich — , XIII 96, XVI
85 f.
Langenbrüek XIV 106.
. (da XX 78 f.
Lanken (in Mecklenburg) XI 99.
Laschke XIX 88.
Lattichkönig XIII 40.
Laudemien XIV 111.
Lauterbach, Etymologie, XV 122.
Lazar, Lied vom Zar — XVll 27 f.
Leben nach dem Tode XVI 84 ff. ,XIX 1 ft',
Leben, Märchen vom Wasser des — s
XX llf.
Leben und .Sitten Schlesiens XIX 97 ff.
Legenden XII 52 f., — vom heil. Ba-
silius XVll 46, — vom Königssohn
im Paradiese XX 17 f., — von der
heil. Kümmerniss XIII 38, — hafte
Lieder XII 52 f.
Lehnwort, das deutsche, XVI 1291'.,
vgl. Fremdwörter.
Lehrling XX 115f.
Lenau XII 17.
Lenore, —Stoff XII 51, — sage im schles.
Volksliede XIV 98.
Leobschütz XX 114 f., XV 95 f.
Leonhard, St., XV .57 (5.3), XVll .V).
Ijcpilstrctz, alter Name Hermsdorfs
XV 93.
Lerche XIX 89, — im Volksliedc XI 52.
Lerchenborn (Kr. Lüben) Xll 69.
Lessing XVII 95.
Leuchter, Sage vom — XII 92.
Lewin XIII 92,
Libelle, Lied zur .\bwehr der — XVI
14 f., 33,
Licht, ausgehendes — XVI 92, XIII 51,
— bei der Ijeiche XIX 5 f. , Zer-
brechen von — ern XV 83. Geister—
XIII 75, vgl. XIII 101, XV 108.
— gans XIX 85.
Lid, Verschluss, XV 145.
Liebaii XIII 102.
Liebcntal XIV 22.
Liebesgedichte, Schlesische, XI 15.
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16R
Litbesliwlcr, sluwcnischc — XII 54 ff.,
schlesische — XIV' 97 f., XX 104 ff„
107 ff.
Liebesmittcl und üeyenmittel XV'I 3, 6,
Liebesorakel XIII 43 f,
Liebfrancnkirche zu Wurms XII 33.
Liebstöckel XVI 74, XVII 90.
Lieder der Isländer XV' 34 f., vgl.
V'ulkslied.
Lieper llaidebaum XII 29.
Liliental XII 71.
Lincolnshire XVI 13.
Linde XIII 34, XVIII 94, im Volkslicde
XI 61, — nschatten XII 27, 30.
Lippen, blaue, XIII 100.
Lochbeimer Liederbuch XIII 16 f.
Lock- und Scheuchnamen für Haustiere
XIII 110 ff.
Loewc, Kichard XX 127 ff.
Luguu XII 34, XV' 136, Sprache — ;
XVII 96 f., XVIII 115 ff. i
Lühenstein XVII 43, 96, XVIII 116 f. ;
Lokatorenbesitz XIV 111 i
Longinussegen XVI 27 f., XVIII 7 ff. ;
Lorbeerbaum XVI 14. ■
Loti, l’ierre, XII 17.
Lotos XII 31. j
Lüviamann, ein Spiel, XIII 116
Löwen in Schlesien XIV' 86.
Löwenritter XIII 39.
Lneian Xll 13.
Lübeck XIII 38.
Lucae XV’ 131. [
Lucrez XII 31. !
Ludmilla, Lied von — Prinzessin von
MUnsterberg XVII 19.' j
Lügen, Strafe für häufiges — XIV’ 70, [
-lieder XIV 8ff. |
Lügenmärchen im Volkslicde XI 50. |
Lutchen XI 7. l
Luther, Tischreden XII 24. j
Lyngby (bei Kopenhagen) XIII 8.
Macer, Floridus, XVT 9.
Mädchen, V'olkslieder vom verführten I
— XIV 97 {., XX 90 f., — in einen
lianiu verwünscht XI 42, — raub
XII 56, — von Kossovopole, Lied, !
XVII 29 f , — ohne Hände. Märchen,
XIX 29 ff., XX 6 f,
Magd, faule — XIX 89.
Magnetstein XVII 44.
Mai XIII 53.
Maior Elias XII 79.
Malstange XX 57.
Malebrancbe, Nicole, XIV .53.
maleichf, Partikel, XX 71.
Mangaianer XII 11.
Männlein im VV'alde, Märchen, XIV' 24.
Manzanillobanm XII 31.
Marcellus XVII 41 f.
Märchen, Reste kosmischer — XIV 7 f.,
— Stoffe im V’olksliedc XIV' 101, is-
ländische — XV 35 ff., Sagen und
Märchen des Mittelalters XX
1 ff. , Sage von der Tochter des
Kaisers von Konstantiiiopel XX 7 ff.,
— vom VV'asser des Lebens XX 11 f.,
von den drei Brüdern 12 f., vom
Königssohn im Paradiese 17 f.. Sage
von der Königin die den Marschall
tötete 18 f. , von der Königin von
England 19 ff., üregorius auf dem
.Stein 22ff. , die drei Fragen 24 f.,
der tote (last 25 ff., Oründung von
Hildesheim 27 f,, der lustige Spiel-
mann und der Reiche 28 f., schmink
dich nicht, mein liebes VV’eib 29, von
der klugen Bauerntochter XIV 27,
polnische — aus der Provinz Posen
XIV 60 ff., — von der treulosen Frau
XV 4 ff., — vom Männlein im VV'alde
XIV 24.
Marcinkowo XV 76
Maria, .lungfraii, XII 52, XIII 78,
XV'II 27 f., — himmelfahrt XIV' 74,
XV 114. XVTI 91, XIX 89, — enfeste
XIV 75.
Markgroschen XIV' 111.
Marlboroughslicd XIV 94 f.
Marschrythmus XIII 11.
Martern, Steinkreuze, XVI 86,
Martinifest XIII 41, XV 145, XIX 85,
Masculina XVII 96
Maslographia XI 8.
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169
Massenj'Ciuing XIII IT.
Mathesias XIII K9.
Maulwurf im Hausflur XIV 75.
Maus, Kcrifgcist als — XIII 75, XV
lC8f., Alp als — XIII 100,
Mayen, rmuanj' der Kinder mit dem
- XIII 80.
Mecklenburg XIV 28, 2(>.
Meerzeisig XIX 94.
Meerzwiebel XVI 82, XVII 91.
Mebrstimmigkeit XIII 113 ff.
Meineid, .Anzeichen eines —cs XIV 75,
Meise XIV 89,
Meister und (icsellen, Spiel, XI 78.
Melodie XIII 12f.
Mendelssohn XIII 12.
Mensch, Biitscl vom - cn XIV 22,
XVIII fi5. — enknochen als Heilmittel
XIV 86 f., 93 f.
Menuette XII 88 ff.
Mersehurger Zaubinsprllcbe XVI 23 f.
Mespelaer (Flandern) XII 33.
Messen, (leister fordern — XV 83 f.,
— hören Messen XV 85.
Metrum der serbischen Heldenlieder
XVII 32 ff.
Mettenklappern XI 74
Metzenäcker, Flurname XV 95.
Meyerbeer XII 31
Michael. Engel XIX 57 f., 64, — isbrief
XVIII 36
Micbailo Ivanoviö Potok XIV 43 f,
Michelsdorf XVI 68.
Milch, behexte XIII 92, — trinken der
Schlangen XI 67 ff.
Militscb, Mundartprobe aus dem Kreise
— XVII 69.
Millstüdter Rlutsegen XVI 31 f.
Milo, Hundename XIV 25.
Minnesang XllI 12, 14, 17.
Minzen XVI 74 f.
Mittagshorn XII 12
Mittagssteine XII 12.
Mittelalter, Sagen und Märchen des
— s XX 1 ff.
Mittfasten XI 36.
Mlynkowo XIII 46.
Mohn XVI 77, — haupf. Ilälscl vom
XIV 17, — kotsch XV 146, lutschcr
XVI 77.
: Mollwitz, Kreis Krieg XV 92 f.
Monatsnamen, Zur Kunde der deutschen
— XI 23 ff. (Hornung).
Mönch von Haisterhach XIII 78, 107 f.
Mönche XIV 2, XIX 22.
i Mond, aufgehender XIV 55, abnehmen-
der XIII 107 f., XIV 88, zunehmen-
I der XIV 86, — schein XIV 86, dem
I — entgegengehen XIV 74.
! Montag XIX 126 Anm. 2.
; Montebello, Schlacht von — XIV 97.
I Mora. poln. = Alp XIII KKlf., ön.
j Mordcltern. Erzählung von den — im
Volksliede XX 95.
Mörike, E XII 19.
Müringer, Volkslied vom — XI 117.
I morus, geheimnisvolles Wort XIII 55.
' MühLstrom XX 15.
MUhnitz (bei Tiebnitz) XI 82. 86.
Müller, Lied von einem — und seiner
Frau XIII 37.
Müller, Wilhelm XI 91 f.
Mund, Rätsel vom — XIV 22 f.
Mundartengrenzen im Kreise l leis X 1 1 86.
j Mundart, schlesische XX 136 f., — im
! Drama XIII 58 ff., wie sollen wir die
schlesischen — en schreiben X VH 54 ff.,
auslautende e in der schlesischen —
XVII 95ff., das starke Verbum in der
schlesischen — XX .SOff., Wortbildung
in der schlesischen — XVIII Hoff.,
Krieger — probe XVIII 119ff., Wort-
' Schatz der — von Dubraucke XX
i 43ff. , sprachliche Erstarrungen in
i der schlesischen — XX 71 ff., — der
I Tiroler XVI 105 ff , Probe der Ober-
dörfischen — XVII 66, — enproben
i aus der Orafschaft (ilatz XVH 66 f.
j Münsterberg XV 162 f., Schlosskapelle
! XVI 90 L
Musaeus XIII ,39.
Mnscnalmanarh XII 46.
J Musik XIII 10 ff.
Musizieren der Hexen XIII 86.
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170
Mutter und Kind XIII 5S ft’., Jvl V I(X) f.
Nächte, die wüsten — XV 79.
Nachtfalter XIV 76.
Nachtigall im Volksliede XI 51 f.
Nachtjäger XII 92.
Nachtschatten XIX 89.
Nachtsegen XVI 35.
Nachtviolc XVI 70 f.
Nähnadeln schwimmen lassen XIII 47.
Name, der — ini Glauben und Aber-
glauben XIII 119, XVI 14.
Namengebung XIII 54.
Namen polnischer Herkunft aus Klein-
Ellguth bei Oels XIV 77.
Napoleon XIV 95.
Narr XIV 13
Nasenbluten, Mittel gegen XVII 42 f.
Nasturtium als Heilmittel XVIII 20.
Nationalhymnen XX 136.
Naturbild, ein Eingang poln. Vidks-
lieder XI 62.
Naturstimme XIII 13.
Nelienstunden, Zeitschrift XllI 31.
Negative, I’mschreibungen der — XI 58.
Neger, Hied von den 10 kleinen — n
XVI 17.
Neidhart XllI 12.
Neisse, Pfarrkirche XVIII 85.
Nestor, der sogenannte — XV 16 f.
Neugieriger 8päbcr, Bestrafung des —
XII 67.
Neujahrsworte und -Nacht XIV 75, ver-
gleiche auch Silvester.
Neum.arkt. Mundartprobe aus dem Kreise
— XVII 68 f.
Neuntöter XIX 86 f.
Neustadt im Vogtlande XV 138.
Neutra XVll 97.
Nickels (Nicolaus) XII 103.
Niebusch hei GrUnberg XIII 103.
Niederländisch, Probe der — en Mund-
art XVII 69 f.
Nieselzcisig XIX 94.
Niesen XV 86, nicht — zwischen Weih-
nachten und Silvester XIV 75.
Nifke, Ortsname XIV 79
Nikplausfest XIll 41.
j Nittritz, Iiorfreim aus — XV'III 102 f.
Nixen XX 58, im Hilgensec XVIII 74 f.
Nonne, Volkslied von der glücklichen
— XX 106.
Nonnenmäre. drei schlesische .Abarten
der — XVIII 42 ff.
Norwegen XA'I 1 7 f.
j Novalis. Fr. v Hardenberg — XIII 65,69.
Nuss, Kätscl von der hohlen — XIV 2.
Nussbaum XII 31 f.
Nussschalen XII 106.
Obcrdiirfisch, Probe des — en Hialektes
XVII 66.
j obergostitz (Österreieh) XllI 82.
i Oberherrschaft in der Ehe XIII 50,
XV 112
Oberschlesicn XIII 63 ff., XV 105 ff.,
XIX 19.
Oberschlesicr, Volkslied der polnischen
— XI 40 ff.
Obornik, Kreis XIII 48.
Ochse, goldener — , Name einer Grube
: XV 122 f
' ildipus und Hains, 8agc von — XV 7.
I Odrau, Rätsel aus — XIV' 26.
j Oebl XII 99.
I Ofen, Tür und Deckbalken, Rätsel von
j — XIV 23
j Ohrenleiden, Zaubcrmittcl gegen —
! XIV 93.
1 öl, nie ausgehendes — XIII 76.
j Olaf, Lied von — liljurös XV' 35.
Olafsson. Päll XV 29, Eggert — XV 45.
Oldenburg XII 21, 70. 72, 77.
Olofagus, Drache XVI 63 f, XVIII 1 f.
Olonec. Gouvernement XIV 37 f.
Öls XV 153, V'olkskundliches aus dem
Kreise — XI 79 ff.
Opfer XVIII 97, dem Berggeist ge-
bracht XIII 74, 76.
Opfergang XV' 100.
Opferkröte XV 55; vgl. Votivkröte.
Orientalisch, ans — entquellen XII 42ff..
XV 72 ff., XIX 25 ff.
j Ortsnamen, schlesische — XIII 114 f.,
I Gebrauch des Artikels vor — XIV
105 ff., XV' 15211., — im V'olksrätsel
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171
XIV 15 f., — polnisclitr Herkunft
im Kreise Öls XIV 78 ff., — und
Flurnamen der Hcobschützer Hegend
XV 95 f., zur Kunde von den schle-
sischen — XX 78ff.; vgl. Flurnamen.
ttsterbraueh XIII 4fi. 113. XX 62.70.
ilstcrkappeln (Hannover) XI 100 f., 104.
Ostern XIV 73. XVIII 85 f
OsterprUgel XIII 40
t »sterwasscr XX 58.
Otfried v. Weissenburg XIV 4.
Ottag bei Oblan XVIII 75.
Otterkiinig XIX 14.
l’akosch XV 74, 80.
Palleske. Richard XV 22 ff.
Palmen XIII 85.
PalmenkUtzchcn XIV 70.
Palmsonntag XIV 70, XVIII 8«.
Pantoffelranb XllI 48
Pantoffelwerfen XI II 43,45.
Päonie XVI 7(i f., XVII 38 f , 91.
Pappclrosen XVI 77.
Parallelismus XI 55, XVIII 46
Partikeln XX 71 ff.
Passauer Zettel XIX 54.
Paten XIII 55 f., XI 66.
Patenwald XIII 56.
Patschkan XIII 86 f., XV 117, 120 f.,
XIX 82, Krauche aus — XIV 87 ff.
Paulus als Kinsiedler, Volkslied XX 113.
Pelkenberg bei Patschkau X\‘ 120 f.
Pelzlaufcn XII 83
Perpendikel. Rätsel vom — XIV 23.
Personifikation XI 63, XVIII 65.
Petersilie als Heilmittel XIV 89.
Peter und Paul heilen Rose XIV 91.
Petron, Satiren XIV 3 .4nm 3.
Pfaffenstein, Sage vom — XVIII 81.
Pfau XIX 90.
pfeiffen XIII 44, 73.
Pfeiffer, Franz XIII 22 ff.
Pfennig XIII 107.
Pferd und Wagen, lautmalender Name
für — XIV 17.
Pferde sehen hell XVI 87, — als
Seelentiere XVI 98. 100 f., — , Knecht
und Pflug, Rätsel XIV 23, — rennen
im 17. .Ihd. XII 83. — halftcr, prü-
geln mit dem — XIV 71, — zähne
XVII 40.
Philipp, Graf — brief XIX 48 ff.
Philo vom Walde siehe Reinelt.
Pfingstfest XIV 73, XX 57.
Prtanzennaiuen XVII .39.
Piechotzütz-Pnsehine XII 96.
Pilz, Ortsname XIV 106.
Pimperneil, Krant XVI 34, 40, 80,
Hundename XV’I 39 f.
Pirol XIX 90.
Pistolenschüsse XI II 50.
Pinten Xll 6, Xlll 37 .\nm
Plato XV, 53, 60 ff.
Plens XII 74.
Plinius X1121,30f., XVI 12, XV1136ff.
Plottnitz XVI 103.
Podagra, Mittel gegen — XVII 40, 43.
Poestion XV 20 f.
Polajewo XIII 49.
Polizei XIX 127 ff.
Polnische Märchen XIV 60 ff.
Polnische Volkslied, das — verglichen
mit dem deutschen XI 42 ff.
Polyphem, Sage vom — im Polnischen
XIV 60 ff.
Pommern XIV 21, XVI 12.
Posen, Aberglaube uud Brauch aus der
Provinz — XIII 4.3 ff., XIV 70 ff.,
XV 74 ff , Polnische Märchen aus der
Provinz — XIV 60 ff.
Postillonrufe XIII 116.
Potok, sagenhafter russ. Held XIV' 43 f.
Potyk XV 5.
Praetorius, .lohannes XV' 156 f., XVI 65.
Prähistorische Henkmäler im Volks-
glauben XI 1 ff.
Predigtcxempel XIX 29 ff., XX 1 ff.
Priebus, Hungerturra von — XV 140.
Priester im 3’ranm XIV’ 74, — als Be-
schwörer XVI 8, 89, 101 — 10.3, .Seelen
als — XV’I 9.3, Sage vom habgierigen
- XVIII 81.
Prittag Kr. GrUnberg, Flurnamen von
— XVIII 105 f.
Pronomina siche Fürwörter.
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172
I’riiptrz XII 34.
I’ruzcission XV^ 82.
rst'uduapuleius XVII 3? f.
I’seudocUlisthencs XVIII 2 f.
l’uliii XIX tK).
I’iippe XV 79.
l’iirimsfcst XIII 40.
Tusrh, HitU-r — auf (iross-isrliwein
XIII 38.
1’nsotiine, der schwarze (iraben hei —
XII Wi.
l’iischkau X.V 79 f.
r.vpin XII 50.
rythagoräer XIII 12.
(jiiellhUrndel, Schlä'sches XIV 113.
yuetscliel XV 151.
Quilitz XII 95 f.
Kaabe, Wilhelm XII 7, 2(1.
Habe XIV 7(1, XIX 90.
liackerlatein XIV 26.
Itaniinelsberg bei Goslar XIII 79.
Hanzovius, Heinrich XIII 23.
liatibor XI 88.
Kätsel XII 34 ff., XIV 1 ff., XVI 37 f.
XVIII 65, -fragen XIV 28iT., — er-
zählungen und -niärehen XIV 30 ff.,
-lieder XVI 37 f.
liaueli als Orakel XIII 43.
Kauseh, Bezeichnung für — XIX 92.
Kaute XVI 75.
Hauteforzen XI 88.
Rawitsch, Kreis — XIII 44, 46, 51, 63.
Realschule in Island XV’ 40.
Rebhuhn XIX 90
Rcchtsbraiich , im Volkslied erhalten
XI 45. Schatten im — XII 22.
Keclen. Mumme — XIV 21.
Reformation in Island XV 43.
Refrain XI 65.
Regen, lautmalender Xanic für — XIV’
17, Rätsel vom — XIV 32.
Regen bei der Triiunng XIII 49, — am
Hochzeitstage XIII 49 f.
Regenwurm, Rätsel vom — XIV 20.
Kcichan (Kr, Strehlen) XI 90.
Reichenstein XV I14ff. , 1.53, — bei
.lauernig XVIII 93.
Reihwiesen im .VItvattT XVIIl 83.
Reinclt, M XII 98 f., 102. XIII 40.
Reisesegen XVI 36. XVIII 1.3.
Rekonstruktion des I’rtextes eines
V’olksliedes aus V’arianten XV 161.
Reykjavik XV' 47.
Rezepte XIII 26. 29.
Rhetorik ans St. (lallen XIV 6.
I Rheumatismus, Mittel gegen — XIV 72.
! Rhythmus XIII Off.
Riese, XII II, Riesen XIV 39 ff,
Riesengebirge , 5 Sagen aus dem —
XII 91 ff.
Rimini XI 32 ff.
Ringelblume XVI 76, XV’II 41.
Ringelrosenbutter XV'l 76, XVII 91.
Ringtinger XIII 44
Ringlein-Kinst reichen XV’II, 67.
Rittmeisteramt in Breslau XIX lOI f.
Rjabinin, Bylinysänger XIV 37 f.
Rorkenphilosophie, Chemnitzer XIII 70.
Rogasen XIV 69, XV’ 77.
Roger, Julius XI 41.
Rokita und der Schafhirt, polnisches
Märchen XIV 67 ff.
Romanov, russischer Sänger XIV 37 f.
Römer XIV 1,3 Anm. 3, XVI 12 f.,
XIX 8, 11.
Römische Konarien XV 51.
Kose, Heilmittel für — XIV 90 ff.,
— von .lerieho XVI 71.
Rosenkranz XIII 55, XVIII 98,
Rosmarin XV’l 82, XV’II 91, XV’llI
.52 f. , XX 107 , — im polnischen
V’olksliede XI 53.
Rossgestalt, Berggeist in — XIII 76.
Rostand, Edmund XV 71.
Rosteh, Ihn XII 42.
Rother, Gedicht von König — XV 17.
Rotkehlchen XIX 90 f.
Rotschwänzchen XIX 91,
Rotwerden XIV 75.
Rübezahl Xlll 78 ff,, XV 1.56 ff.. XVIII
73 f., XX 127 ff, zur — forsehung
XVI 6.5 f., -sagen XII 92, XIII .39.
Riickenschmerzcn XV'II 41.
RUckert, Rätsel der Elfen XIV’ II.
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173
rückwärts pchen XIII 57, XIV 87, — I mon — XV 3 f,, — uml Märchen des
zaubern XIII 91.
Kuf beim Aus- und Eintricb des Viehs
XII 97, XV 87 ff.
Ilnge, Ludwig XIV 17.
liUgen XII 65, 76.
Ituninulsberg (bei Schwerin) XI 4
Kumpelstilzchen XVI 14.
Hussen XII .3
Ilussische Volksepik XIV 3:1 ff., XV 3 ff, i
Hustikulhesitz XIV 111.
Rybnikov XIV .36 ff.
.•'aatreiten, Ab.schaffung des — s XIII
113.
Sachs, Hans XIII 18.
S.udewitz XI 1 87.
Sagas, die isländischen — XV' 37.
Sagen , zwei Hreslaner — XI 90 ff.,
Breslauer — XIII :37, — vom Ilunger-
turni zu I’ricbus XV 141 f., Tinim-
ling — XV 99 f , — von der .Sehön-
wäldcrin XVI 101 f., — von der
(iründung Krakaus XVII I 1 ff., Berg-
geist— XVIII 71 (vgl. Berggeist),
Walen — XVIII 72, Familien— XV'llI
76 f , Schatz — siehe Sebatzsagen,
— von der (iründung Hildesbeims
XX 27 f., vom goldenen Hirsch XV
126, Polj'phem— im Polnischen XIV
60 ff., — von der llummelfrau XVIII
89, von der Königin, die den Mar- 1
schall tötete XX 18 f., von der i
Königin von England XX 20 ff., '
russische Helden— XIV :I9 ff'., XV
3 ff,, serbische — XVII 25 ff., fünf
— au.s dem liieseugebirge XII 91 ff.
(Xachtjäger, Leuchter, Irrlichter in
Brttckenberg, -■'ehutzgräberi.BrUcken-
berg, der Bierwötzel in der Hanipel-
baude), — aus den Kreisen tilogau,
Falkeuberg und (irünberg XII 94 ff.
(Feenslweiber im Butterberge bei
Klein-Kauer, Teufelsstein bei (juilitz
Kr. Cilogau, schwarze (traben in
Picchotzütz - Puschitie Kr. Falken-
berg, Wasserjungfrauen im heiligen
Sec bei .lany Kr. (irünberg), Salo-
Mittelaller.s XX 1 ff vgl. Märchen.
Salamander XV 55.
Salbei XVI 75, — blätter XVII 91.
Salomo XIV' 13. Sprüche des — XIV 7,
— nsage XV :3 f.
Salz XIII 107.
Salzburg, Mönch von — XIII 15, 20.
Sanftleben, .1. Chr. XV 144.
Sang beim ,\us- und Eintrieb des Viehs
XII 99 ff., XV 88 ff.
Santoraischel, Kirche von XV 83.
Sarg XII 64 f., XIV 58, 75, XV 79.
Sartori, Paul XI 108.
Satzakzent XIII 9 f.
Sauerampfer XX 62.
Saumonat XI 23.
.Saurma. Name XIV 82.
Scala caeli, Exempelwerk XX 1 ff.
Schachtkaue XIII 70.
Schafe XIII 111.
Schäfer lUr ehrlich erklärt XIII 112,
— madchen, schlesisches Volkslied
vom — XIV 99,
Schafhirt, Rukita und der — , polnisches
Märchen XIV 67.
.Scharfrichter XI 46, XIII 93 f., 96,
XIX 49.
Schätscher XIX 91.
Schatten XII 1-36, XV 81, XII 21,
Rätsel vom — XIV 17, — bedeutet
die SeeleVcrstorbener XII 5-9 (XIX 3).
— bedeutet die Seele lebender Men-
schen XII 9, gciinger oder fehlender
— gefährdet das Lebensprinzip 10 f.,
— als Zeitmass 12, — losgelöst vom
Prbildc 12, .Schutzgeisiglaube mit
aus Betrachtung des Schattens ent-
standen 13ff. , Koppel — 15, kopf-
loser — XII 16, Fehlen des — 17 f.,
— bleibt beständig an einer Stelle
19 f., Leiden des — s treffen auch
das l'rbild 20 ff., — busse 22 f., —
in der Literatur 26 ff., — von Bäu-
men 27 ff., — als SchatzhUter 3:1,
Redensarten, Sprichwörter, Rätsel
vom — :33 ft'. iXIV 17i.
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174
üchatzgräberci XV 1 18. — in BrUcken-
bcrg XII 93.
.''chatzsagcn XI 3, 7, XII 33. 93, XIII
72 f., 74 f., 79, XV 121, 127, XX 88,
schlesische — als Quelle schlesischen
Volksglaubens XVIII (>8 ff. 1. Schätze
dämonischen Ursprungs, sehatzbe-
sitzendc lUinionen 70 ff. 2. Schätze
menschlichen Ursprungs. Schatz-
hiltende Seelen 78 ff. 3. Die Erliisung
sehatzhUtendcr Seelen. Das lieben
der Schätze 85 ff.
schau, Partikel XX 75.
Schaustellungen in Breslau XII 82 f.
Scheffel, V. v., XIII 66. XV 27,
scheint, mir — XX 75 f.
Schcllenschmidt, Achilles Seipio, XIX
97 ff.
Schellkraut XVI 79f., XVII 41.
Scherzi'ätsel XIV 28, XVIII 65.
Scherzreime XX 111.
Schicht XIII 68.
Schickluss XV 129 f,, 133, XVI 64.
Schierlingsspiel XX 64.
Schildkröte XV 57, XVII 61.
Schiller, Lied an die Freude XIII 20.
verschleierte Bild zu Sais XV' 68,
Kitter Toggenburg XVIII 58, Kätsel
XIV 1, 2 Anm.
Schlahbcrkinder XIII .54.
Schläfenringe XVII 3 f.
Schlaflosigkeit, Mittel gegen — XVI
74, XVIII 25 f.
Schlangen XIV 42. XV 70, XVIII 93 f.,
Haus— XIX 14, Milchtrinken der —
XI 71.
Schlepper XIII 71.
Schlesischer Volksdialekt im Drama
XIII 58 ff., — Abarten der Xonnen-
märe XVIII 4211'., — Agrarver-
fassung XVII 71 ff. , — Vögel XIX
81 ff.
Schleswig XII 19.
Schlossberg bei Stenschewo XI 7.
Schlucken, Mittel gegen — XIV' 73.
Schlüssel zu Schätzen XVIII 88 f
.Schmagostern XIII 40.
Schmettau, Graf XII 69.
Schmetterhans in Breslau XV 145.
Schnallenstein, Tochter des Grafen von
— XVIII 84, 86, 92.
Schnarren XI 73 f.
Schnecke XI 89.
Schnee, Rätsel vom — XIV 5, XV'I
37, 40, XVIII 65.
Schneepitzger XIX 94.
Schneidermittel in Pöpelwitz XIII 41.
Schönwaldcrin, .Sage von der — XVI
101 f.
Schoppenbüchcr XV'I 44 f.
Schornsteinfeger, Rätsel vom — XIV
16 f.
Schoslawe, Dorfreim aus — XVIII 102.
Schottland XII 17. XIV 24 f.
Schreiber, Ferdinand XV 116.
.Schreiber, lautmalender Name für —
XIV 17.
•Schroda. Kreis XIII 46 ff.. XV 77,80f.
.Schubert Xlll 19.
.Sebnhwerfen XIII 43, 4.5.
Schultal XV 126 f.
Schulwesen in Island XV 39 f.
.Schumann, R, XIII 12, 21 .\nm.
Schurren XI 73 f.
.Schürze Xll 77, — enwerfen XIII 46.
.Schutz, Heinrich, XIII 17.
Schatzbriefe XIII 108 f., XVIII 31 f.,
36 f., 39, Zehn — unserer Soldaten
XIX 45 ff.
Schutzgeistglaubc XII 13 ff.
Schntzmitiel gegen Beschreien und Be-
rufen XIII 54 f.
.Schwalben XV'II 41, XIX 91 f., — stein
XVII 40 f., XIX 92, —kraut XVII 41.
Schwangerschaft Xlll 53, XIX 92.
.Schwank XIV 14, mittelalterlicher —
XX 29.
.Schwarzwurzel XVI 79.
Schweden XV' 95, 119, 124, —schanze
XI 6, — furt XV 94, —krieg XV 86 f.
Schwcdlich XX 82.
Schweidnitz XIII 37, 116.
Schweigen XIV 87, — nötig für .Schatz-
heben XVIII 94 ff
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175
Schweine XIII 112, XX 51, Seelen nls
— XVI 98 f., —fleisch als Heilmittel
XIV 89, —grunzen als Orakel XIII -16.
Schweinsborste, Kiitsel von der —
XIV 6 f.
Schwenkfeld, K,as|)ar XVI 67 ff.
Schwertklingengeltlbdc XV 73.
Schwerttanz XIV 13 f., — der Kürsch-
ner XIII 41.
Schwester, Volkslied von der wieder-
gefundenen — XI 47.
Schwindsucht siehe Auszehrung.
Schwung, Heilverfahren bei — XIV 90.
Scott, Walter, XII 8.
Sechseläutcn in Zürich XI 37.
See, der heilige — bei .laiiy XII 97.
Seele Xll 2, 4 ff., 37, XV 80, 82, 107,
XVllI 79ff., — nach dem TodeXlX
1 (T., noch im Kürper 2, gelüst vom
Körper 2f, Entweichen der — 3f.,
Furcht vor Wiederkehr der — 4 ff.,
daher Ausstellung der Leiche 4,
Totenklage 3, Licht brennt 5 f.,
Wasserschüssel 6 , Beigaben 7 fl'.,
Leichenmahl 8 f., Brot und (leid als
Beigaben 9f., Aufenthaltsorte
der — , Himmel. Hölle, Fegefeuer 10,
Kirchhof 11, — als Vogel, rmher-
wandeln 1 1 f. , Walten der — im
Hause 12 fr., im Winde 15 f., — als
Licht oder Feuer 16, l'mgehen der
— 17 ff., als Buschmännlein, Maren,
Alher, Vampire 18ff. , Wiederkehr
der — 21 f., Erlösung der armen —
23 f.
Seelen, arme — XIV 89 f., XV 113,
XVI 93, XIX 10, 16,23, umgehende
- XVIII 79, XIX 17ff.. XVI 84 11.,
1. abgeschiedene Menschen ci scheinen
in menschlicher (iestalt, man sagt, sie
erscheinen im geistlichen Leibe 84 ft'.,
2. abgeschiedene — in Tiergestalt
91 ff. , 3. der Lebenskreis abgeschie-
dener — : Teufel, Bannorte, Seelen-
scharen 99 ff.
Segen XIX 64 f., XVI 4, 35 f., Augen —
XVHl 13, Bienen -XVT 20 f., XVIll
19, Blut— XIII 27, XIV 89, XV 23,
XVI :40ff., XVHl 6, 28 f., Itiebs-
XVI 32, XVII 44, XVIII 24, —
gegen Epilepsie XVIII 23, 25,
Fieber— XIII 25 f„ XVI 13, XVIII
9f., 22 f., (iicht- XIII 26, XVI 18,
gegen steife Glieder der Pferde XVIII
12, Kräuter — XVIII 16 ff , Kugel —
XVIII 10, Longinus — XVI 27 f.,
XVIII 7 ff., Keise— XVT 36, XVIII
13, — gegen Seuchen und Geschwülste
XVIII 24 , — gegen Totgeburten
XVIII 22, Waffen— XIII 108, XIX
56 ff., 63, 69 ff.. Wund— XIV 89,
XVI 19, XVIII 8, Wünschelruten—
XVIII 9, vgl. Wünschelrute, Wurm —
XIII 27, XVI 17, XVIII lOf., 22,25,
Zahnschmerz— XVIII 10, 13 f, —
zum Herausziehen von Geschossen
XVIII 7 f.
Segenswünsche XI 5ti.
Seidorf (Riesengeb) XII 97, 99, 114.
Seifensieder, Platz bei Hainwald. XIII
109 f.
Seiferdau XX 82.
Seiga XIX 19.
Selbstmord XIX 15.
Seile, westfrics., XI 32.
Semmel in der Achselhöhle getragen
XIll 45, — zum Vorhersagen be-
nutzt Xlll 47, —milch XII 104.
Serbische Volkslieder XVII 18 ff.
Seume XI 25.
Shakespeare XV 71 Anm. , Nixen in
— s Dramen XVI 10, — Winter-
märchen XVII 19.
sich, erstarrtes Wort, XX 76.
Siebenschläfer XVI 22.
Siebenzahl XI 61 f.
Silberberg XV' 123.
Silberloch, Flurname. XV' 95.
Silvesternacht Xll 72, XIII 43, 45 ff.,
lOf), XIV 70. 75, XV 114.
Simbsen XII 95 f.
Simplicissimus, Ungarischer, XI 92 ff.
Simsonrätsel XIV' 23 f., 26,
Sitten Schlesiens im 16. .Hui. XIX 97 ff.
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176
Skandieren XIII 9,
Skansen, Museum in Stockholm, XIII 8.
Skropheln, gegen — XIX 27,
Slawen in Schlesien XVII I ff , Volks-
lieder der — XVII 18, vgl. .auch
Volkslied,
Slovcnen XI 38.
.Slovenischc Volkslieder XII 44 ff.
Smogulek, Kapelle von — XIII 44
Sofa, sich aufs — setzen Xlll 4.’>.
Solfcrino, Schlacht von — XV 19,
Solovej Budiuiiroviü XIV 4ö.
Sommer, Caspar, XV 131, XVI (53 f
Sommerlattc XIV 6.3.
Sommerlieder XII 87.
Sommersingen XI 37, 4Ü,
Sommersonnlagslicclcr XI 79 ff.
Sonnabend XIII 108, XV 113.
Sonne, Kätscl von der — XIV 8, nach
— nuntergang XIV 7(>.
.Sonntagsfeier in Island XV 33 f.
Sonntagskinder Xlll 54, XVllI 9().
■Sopran XIII 16.
Spassmacher bei den Bojaren XIV 36.
.Sperling XIX 92, — klopft ans Fenster
XIV 76.
Spcrlingnest im Totenkopf, llätsel vom
— XIV 26.
Spiegel XIII 107, unter einem — sitzen
XIV 76 , den — verdecken XV 78.
.Spiele, drei — XI 77 ff., Kinder— XX
48 ff., .56, 59, 64, 66, 68, XVH 67.
Spinne Xlll 48.
Spinngewebe XIII 44, .53.
Spotivers XI 87.
Sprachgrenzen ober- und niederländi-
scher Mundart XIII 119.
Sprichwörter, Schlesische, XIII 34 f., 110,
XVII 92.
Spruch beim Aus- und Eintrieb des
Viehs XII 97 ff., XV 87 ft'.
Spucke als Heilmittel XIV 88,
Stackbornwiesen. Flurname XV 94.
Städtisch-IIermsdorf XVI 68, 72.
Stadtordnuug XIX 127 fl'.
Ständcriied XV 97 f.
Standesunterschiede in Island XV 42.
Star XIX 92
Starbnik. Berggeist XIII 72.
Stäsche, Familienname, XIV 83 f.
.Stasow XV 10.
Stawr (iodinow XIV 44.
Stecknadeln XIII 52.
Steiiidel, das blaue — XIII 89.
j Steinhiibel XII 71,
I Steinseifersdorf XIX 23.
j Stenschewo (Hosen) XI 7.
Stern, fallender — XIII 47.
Stieglitz XIX 92.
Stiesser XIX 8(i.
Stil der Zaubersprtlche XVI Uff.
Stückchen tragen XX 66.
Stollen, goldene — beiKeinerz XVIII 96.
Stölzelloch XIX 23 f
Storch Xlll 48,
I Storchgerichte XII 70,
Storni. Th., .Scbimmelreitcr XII 25.
Stoach, Familienname. XIV’ 84.
Strassbnrger liätselbuch XIV 23.
Stratz, K., XII 34.
Strebelj, K.. XII 48 f., .54, 57 ff.
Striegau, Breite Berg bei — XVIII 86f.
Striegelmuhl XV 142.
Striczelbackcn XII 104.
! Stroh XIX 10, — halm XIV' 86, Hexe
als — halm Xlll 83 f., Alp als — halm
XIII 100, XV 106.
Strohpuppe XI 38.
.Strohscile XII 106.
Strohtod Xll 73.
Studenten, isländische, XV 26 fl'.
Studierte als Zauberer XIII 98.
Stühle müssen nmgcicgt werden XV 74.
Stumpeliedli XI 59.
' Sturm XIV’ 75, XV' 71,
i .Substantive, Schlesische XVllI 115 ff.
' Suchan, russischer Held XIV 44.
Sucht, Mittel gegen fallende — XIII 2.5;
vgl. Epilepsie.
Sühnteieh bei Ueihwieseii XV'III 83.
I Symbolische Bräuche XVI 2 f.
.Sympathicraittel XIV' 72, 86ff, , XVII
I 43 f.
' Tachau im Egerland XIV 58.
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177
Tagebuch, aus eiuuiu Breslanei' — XII
72 ff.
Tagelied XI Ifi.
Tahiti XII 21L
Talmud, palästinischer XII ü
Talvj XVII 23.
Tanlabaude, Sage von der — XII 22.
Tanz XIII 49, ein serbischer — XVII 2Ü.
Tänze, .Schlesische XII SM ff.
Tanzlied XIII 17.
Tart,'irfUrstin, Lied von der — XIII Hä.
Taube XV 8^ XIII Ul, XIX 22 f.,
Kätsel von Krbsen und — XIV ^
— ira Volkslicde XI ä2.
Taufpaten, Vorschrift für — XI Cfi f.
Tellerorakel XIII 4Z
Tenor XIII Ifi.
Tctragrammaton XIV 5^ äZ
Teufel XI Uäf.. 1 18, XII 9. II ff., 75 ff.,
2äf., XllI 38, 78, XIV ääf., 92 ff.,
XV 22 f., XVI 4, 7, 2ff., XIX IHf.,
87, XX 7, — sarsch XX 84_, — und
Hexen XVI 2f, — als Briefträger
XVI — im schwarzen Vlantel
XVI — als .läger XVI ^ KJO,
— als Lirache XVIII 7^ — als
Schatzhüter XVIII 82 f., 24 ff.
Teufclsdrache XII ZI fXVTII 7^
, stein XII 2ä f.
Thalhcim (bei Landeck), Sage vom
Pfarrer von — XVIII 81
Theater, Breslauer XI 11 HH.
Thilcnius XV älif., 94 f.
Thoroddsen, Wrvaldur XV 19, 37, 39.
Thraker XVII 11
Tier, rterns als — XV ü2ff‘., — als
Schatzhüter XVIII UZ
Tiergespenster XII 41
Tiergestalt XIII 2ü. XVI 24 ff.
Tierhoclizeiten im Volksliedc XI 49.
Tiernamen XIII ^ XV-123ff'., XIX81 ff.
Tieropfer XV 140.
Tierpoesie XII ü3-
Till, Pflanze XVI 78.
Tillcnus, fieorgius XV 122 ff.
Timmlingsage XVI 22 f.
Tiroler, ein schlesisches (iedicht über
HiUeilungoD d. scklea. Ges. f. Ykde. lieft
die — in Zillertal XV läH f., Sprache
der — in Schlesien X\T lüä ff., täg-
liches Essen und Trinken der —
XVI 127 f.
Tobiassegen XVIII 31 ff., XIX 22f.,
Tochter des Kaisers von Konstanti-
nopcl, Märchen XX 2 ff., des Grafen
von Poitou, Märchen XIX 32 ff.
Tod XIII ^ — und Begräbnis XIV
74ff, XV 74ff., .XIX äff., — aus-
treiben XIII 4^ Erscheinen des — es
XV 77 f., plötzlicher — XII 22 f.,
— verklärt ira Volksliede XI 60.
Todcsanzeichen XIII 51, XIV 74 ff., XV
^ XV 74 ff, 112 f., XVII ^ XIX
^ 8Z 90, — anzeige XX äl
Todesgottheit XII 4üf.
Torsaulen XVIII 101, in Boyadel XVI
57 ff,
Totcnhliime XVI 72.
Totenbretter XIX 23.
Totenklage XIX 5.
Knochen als Heilmittel XIV' 21
Totenmünzen XVII 1
Totensonntag XI 3Z
Totenuhr XV ^ XIX 12.
Totenvogel XIX ^ 89.
Totterngräben XI 8.
Tracht der Schlesier XIII 4üf.
Trappe XIII 48.
Traugemundslied XIV HL
Traum XI 44, XIV 70, 74, 29.
Trauring, W'iedergewinnnng des — s
XIII 53.
Traut ag XV 22 ff.
Trauung .XIII 42 ff, 106 f„ XV 29 ff,
XVIII 12.
Trebnitz XI 82, XIII 35.
Trinkgelder XV 192.
Trogkatze XII 21
Truden XIX 18.
Tschampel, U. XII 102. XV 21
Tschenscherlied XII 99, XV 82
Tscherning XIII 31
Tür XIX 1^ Kätsel von der — XIV 23.
Türkenbund XVI 2Z
Turandot XIV 1^ 29 f.
t. 12
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178
Tjrol XV 52.
TzesscI, Christian XIII .'IS.
l'ber, August XV 116.
Überflüssiges aus dem (irünberger
Kreise XVIll !)8 ff.
Uhr Xm 107, Ticken einer — XIV
76, Stehenbleiben einer —X I V 76 f., X V
76, plötzliches Schlagen einer — XV 75.
Ulinger, Volkslied vom — XI 45.
Umfrage über kriminellen .Aberglauben
XV li)8ff.
Umgeben XII 66, XIV 60. XVI 84 ff.,
XIX 17
Umreiten des Feuers XI 60, XIII 108
Umsehen in der Kirche bei der Trau-
ung XIII 50.
Umschreibungen, typische XI 57 f.
Umsehen, das sich — Ijcim .Schatzhebeu
XVIII 06.
Ungeboren, liätsel von — XIV 25.
Unisonogesang der Griechen XIII 13.
Unlösbare Aufgaben XIX 22.
Unmögliche Dinge, Lieder von — XlVOf.
Unterwelt, metallische — XV 127 ff.
Urgeschichte Schlesiens XV 162.
Urin XII 21, XVII 40.
Urnenfriedhöfe XVII 3. 6, 1311., 17 f.
Usedom, Sagen von — XIV 112 f.
Usinger XV 137.
Ustral. poln., ein Kiesel XIV 70 f.
Utoplec. poln. Name für Wassermann
XV 106
Valentin XVII .39, Fest des hl. —
XIV 71.
Vampir XIX 18 ff,
Vegetationsdaemonen XIII 84, 95.
Veilchen, Kätsel vom — XIV 2, Sprach-
form XVII 97.
Venedig XV' 118, 125.
Venediger XV 118, — s.agen XV' 124 ff.,
XVIIl 72 ff.
Verbalsubstantive im .''chlesitcheii XV I II
115 f.
Verhena (Pflanze) XllI 23 f., XVII
36 f., 44. XVTII 19 f., .''pruch an die
— XVI 33 f.
Verbrecherrätsel XIV 24 ff.
V'erbum, das starke — in der schlesi-
schen Mundart XX 30 ff. , die redu-
plizierenden V'erbcn XX 39 ff., siehe
auch Zeitwort.
Vergil Bucoliea XIV' .3, Anm. 3, —
Aencis XIX 3.
verkehrt seinen Namen schreiben XIV 92.
Verkleinerungswörter XI 63.
V'erlobungsbrauch XIX 28,
Verneinung, Umschreibung der — XI. 58.
Verräter XII 68.
Versprechen XI108, XIII V 86 ff.
Verspunden XVI 79.
Verwandlung in Tiere XII 70.
Vidalin, A. .1. XV 19, 44.
Vieh, verlornes — wieder erlangen
XVI 29 f.
Vierinadel XII 12.
V’ileinasaga. Erwähnungen russischer
Bylinyhelden in der deutschen —
XV 17.
Vincenzstift von Breslau XV’ 93.
Vineta XIV 113.
Vinzenz von Bauvais .XX 20.
V'ügel auf dem Markte XV 149, .®eelen
als — XVI 96 f., XIX 11,17, —ver-
kaufen, Spiel XX 48.
Vogelwelt. .'«'chlcsiens — in der Sprache
und im Glauben der Heimat XIX 81 ff.
Volkschar.akter der Isländer XV 25 f.
Volksdialekt, die älteste Probe schle-
sischen — s im Drama XIII 58 ff.
Volksepik, die russische — XIV .33 ft'.,
XV 3 fl'., Uharakter der — XIV 34 f.,
Einteilung in Zyklen 35, Samm-
lungen der Heldenlieder 35 ff., Le-
bensbilder nach den HcldeuUedcrn
39 ff., Art der — 46 f.. Gesarat-
charakter der Helden und Heldinnen
48 f., Darstellungsweise 49 f,, .■'prache
50, Inb.alt 51; zweiter Teil: XV
3 ff , Verwandtschaft mit bekannten
ErzUhlungsstoffcn .3 ff,, Saloinonsagc
3 f., Märchen von der treulosen Frau
und die Byliny von Iwan Godinoviö
4 ff., Herkunft und Art der russi-
schen Heldenlieder 9 ff,, historische
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179
Zi'uciiisse der russiseben Helden- !
lieder 16 ff., serbische — XVII 18 ff.
Volksetymologie XIX 95 ff., XX 78 ff. i
Volkskunde, zur — Obersclilcsiens XV
lOöff., eine Zeitschrift für schlesische
— XIII 32. zur — aus dem Gold- j
bcrg-IIaynaucr Kreise XllI 106 ft'. |
Volkskundliches ans Klcin-EllKUth XI |
79 ff.
Volkslied XIII 18,20f., —er XX Kliff ,
niedcrl.^ndisches — XI 47, das —
der polnischen (Iberschlesier XI 4(1 fl'., ^
schlesisrhe —er XIII 35, XIV 94 ff.,
XVIII 42 ff., XX 89 ff., serbische
i
—er, insbesondere serbische Volks-
epik XVII 18 ff , die sluvcni.schen
-er XII 44 fl'., Bremen im — XVIII
61 ff.
Volksmedizin XIV 70 ff., XIII 22 ff., XV
49ff., XVI 2f., 8, 12ff., 17ff., 24, 2811'..
72 ff., XYII 35(1.. XVIII 6 ff., XIX
27 f., 86, 92 f., vgl. Zaubermittcl. die
Namen der einzelnen Krankheiten,
■Segen.
Volksriitsel, das deutsche — XIV 1 ff.,
Nachtrag XVI 37 ff., XVIII 65, Beste
der Rätselpocsic in Märchen, .Sagen. !
.''■pnichdiehtnng 3 ft., Verbreitung ein-
zelner liatsel 5 ff., Einkleidung der
— in Erzählungen, Märchen,. '(chwänke
7 ff.. Wettkämpfe im Rätselerfinden
und -lösen 12 ft'., Bedingungen und
Strafen 11, .Abschluss der — 14 f.,
Eingang der — 15 f., Klangmalerei j
17 {., Mehrdeutigkeit der — 18 f., ;
-Anordnung einer —Sammlung 19,
— werden zu .'(pielrcimen und .Ab- ,
zählversen 20 ff , — mit unbestimmt i
angegebenen Merkmalen 23 f.. Hals-
lösungsrätsel 24 ft'., — anekdoten,
.'^cherz- und — fragen 28 ff., Rätsel-
erzählnngen und Märchen 30fl'.
Volkstracht der .'^chlesier XIII 4(1 f.
Vorbedeutung, Geräusche haben — .XIV j
76, Zucken als — XIX 25 f. \
Vorgeschichtlichen, die — Bewohner
.•Schlesiens XVII 1 ff.
Vorschrift für Taufpaten XI 66.
Vorzeit, die Denkmäler der — im Volks-
glauben XI 1 ff.
Votive und Weihgaben XV 161 f.
Votivgaben XIll 117, XV 72 f., Ent-
stehung der anatomischen — XV'
49 ff., Beschaffenheit XV' 51 f.
Votivkröte XV, 55, 66 f., Uber die Be-
rechtigung des Ausdrucks , — “ XV'II
48 ff.
Vraz, St. XII 47 f., 57.
Wacholder XII 31, XVI 80.
Wachtel XIX 93.
VV'affensegen siche Segen.
VV'agnerstein (Grafschaft Olatz) XV’IIl
86.
Wahrsager, indische XIX 26 f.
W'ahrsagerinnen XV Ulf.
Waise, Lied einer — XIV' 100 f.
VV'alen, .Abenteurer XV' 118, — sagen
XV 124 ff., XVTII 72 f.
Walküren XVI 21.
VV’alpurgisnacht XIII 85 f., 1 10, XV'III 18.
VV'althersage XV 6.
VV'alther von der Vogelweide XII 99,
XIII 12.
VV'arsow (Mecklenburg) XI 103.
VV'artbiirgkrieg XIV 13.
Wartha XIV 106.
Warzen XIV 73, XIV 861., XVI
13 f„ 80.
VV'aschbrett, Rätsel vom — XIV 17.
Wäsche, von — träumen XIV 74
VV'äsclie in der Neujahrswoche XIV' 75,
— Neugehorner XIII 107.
W'asser des Lebens, Märchen vom —
XX 11 f.
VV'asserjungfrauen XII 96.
Wasserkalb XIX 17.
VV'assermanu XV 106 ff. , XVIII 74,
XIX 85, — Terdoglav XII 51.
VV' .assermann, Sternbild XVI 85.
Wegerich XVII 39.
VV'echseltieber, Mittel gegen — XVI 13,
28 f.
Wehtat, fUr die — XIV 92 f.
VV’eichselzopf XIV 73.
12*
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180
Weickartshain, Bewohner von — XVII
93.
Weidsprüche XIV 10.
Weihgaben XV lei f., 49 ff., 72 f.
Weihgebnnd XVII 91.
Weihnachten XIII 85 f., 110, XIV 63,
XVII 91, XVIII 85 f., XIX 12, 132.
Weihnachtsabend XV 113 f., — in der
Schwenzer Schmiede XII 103 ff.
Weihnachtsbrauch XIII 43 ff., XV 145.
WeihnachtsspicI XII 80 f.
Weihnachtssprüchc XI 14.
Weihwasser XI II 1 10, XI V 90, 93, X I X 6.
Weinsberg, Weiber von — XIII 39.
Weisbach bei Jauernig XIII 82.
Weise, Über Rhythmus, Wort und —
XIII 9 ff.
Weiss, Albert XII 61.
Weistritzthal XV 120.
Wergkugeln XIII 48.
Wermutsstaude XVI 74.
Werner, Zacharias XIII 70.
Wespen, Zanberspruch gegen — XVI
15, 33.
Wetar XII 22.
Wettkämpfe im Kätselvorlcgen und
-lösen XIV 12 f.
Wettlanf von Frauen XII 83.
Wianki, Fest der — XIII 47.
Widerthou, Kraut XVIII 17 f.
Wiedehopf XIX 94.
Wiedergänger XIX 21 ff.
Wiederholung im Volk.sliede XI 63 ff.,
in russ. Heldenliedern XIV 49 f.
Wiederkehr Verstorbener XVI 102—03,
XIX 4 f.
Wiederthat. Kraut XVIII 17 f.
Wieland XII 24, XIX 1.32 f.
l\’iese, Rätsel von der — und vom
Bach XIV 20.
Wiesel XIX 14.
Wiggisiilir XII 12.
Wigstein, Ruine XVllI 95.
Wilde, Dskar XII 68.
Willkommen XX 124 f.
Windeln nicht in den Wind hängen
XV 112.
Wiudseeleu XIX 15 f.
Winteraustreibung XI 34, 36 f.
Wirbelwind XIX 16, Hexe als — XIII 83.
Wiruhäuser in Island XV 30.
Wirtshausschilder XVI 40 ff.
Wirtshansszene XX 110.
Wittenberg XIV 15.
Witwer XIII 44.
Wladimir, Fürst von Kiew XIV 35 ff.,
47 ff, XV 9, 13. 15.
Wochentage, tirolische Namen der —
XVI 117.
Wöchnerin XIII 99, XIX 7, 21, Gräber
der — nen XIII 101 ff., XIV 59 f.
Woitz bei Ottmachan XVI 86.
Wolf, F. A. Xlll 31.
Wolken als Seelen XIX 15, 18.
Wollin, Sagen von — XIV 112 f.
Wongrowitz, Kreis — XIII 48, 52.
Wort, zauberische Gewalt des —cs
XVI 1, Über Ilhythnius, — und Weise
XIII 9 ff.
Wortbildung, zur — im Schlesischen
XVIII 115 ff.
Wortschatz der Mumlart von Dnbraucke
XX 43 ff.
Worttakt XIII 9.
Wossidio, R. XIV 3, 5 u. ff.
Wuk Stephanovvitsch XVII 22 ff.
Wunde, Zanbcrmittel gegen offene —
XIV 89 f.
Wnnderflasehe, Polnisches Märchen von
der — XIV 63 ff.
Wunderhom, des Knaben — XIV 101.
Wundsegen XVI 19.
Wunsch, letzter — von Sterbenden XV
113.
Wünschelrute XVIII 89, Beschwörungs-
formeln bei Gewinnung der — XIV
51 ff, — nsegen XVIII 9.
Wurmsegen XIII 27, XVI 17.
Wursten XVIII 124.
Wustlich, Gutsname XIV 107.
Wüstung Jocksdorf XX 86 ff.
Ysop, Rätsel vom Hunde — XIV 24.
Zahlen im Schlesischen XVII 102 f.
Zahlcnsymbolik XI 44, 61.
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ISl
S^afanausfall, träumen von — XIV 7ß.
Zahukoralleii XVI 77.
Zaimsegen XVI 25 f.
Zahnschmerzen, Mittel gegen — XIV'
74, 92 XVII 40. 43.
Zahnwnebs. Beförderung des — es XIII
107, XIV 29, XVI 77.
Zakj-nthos XII 25.
Zangenberg, Sage von der .lungfer auf
dem — XVIII 84
Zauber, Hexen — XIII 88 ff , Hexen
— und Hexenglauben XV Ulf.
Zauberbränche XIX 27 ft., alte und neue
Heil- und — XVII 35 ft'.
Zauberer XII 25, 04, 66, XIII 96 ff.,
XV 68 ff., XVI 4. 7,
Zaubermittel XIV 8<iff, XIII 27 ff,
gegen bellende Hunde XIII 27, XVII
40, nni zu erfahren, ob ein Weib
Kinder bekomme XI II 28 f., — das (!e-
Bchlecht eines noch nicht geborenen
Kindes festznstellen, zur Erleichte-
rung der (tcbnrt, gegen Flöhe, Schorf,
zum ’VV'achsen neuer Zähne 29, gegen
verschiedene Krankheiten XVII 30 ff.,
zur Entdeckung von Hieben XVII
44 f., zur Förderung der Lcrulnst
und zur .‘'tärkung des (iedäclituissea
XVII 45ff. , zur Auffindung von
Schätzen XVIIl 89 f., vgl. XIII 43ff.,
93 ff.
Zauberspiegel XV' 69.
Zanberspruch XIII 97, XIV 87, 8« ff,
der germanische, insbesondere der
englische — XV'I I ff. 1) Einleitung
If., 2) — und Zauherhandluug 2 f.,
3) — und Häuionenglaube : Arten di s
— 8 3 ft'., 4'j (ieschichte des — s In
England 6ff. , 5) Stil der — e 11 ff,
n) der einfache Befehl 12 ff, b)
Sprüche mit epischem Eingang 18 ft.,
c) echte Segen 35 f
Zaunkönig XIX 94.
Zcchlied am Martinstage XIII .35,
Zehrkrettich, Pflanze XV'I 81.
Zeidler, Golfried XIV 52 f.
Zeis XIX 94.
Zeisig XIX 94.
Zeit der umgehenden Seeleu XVI 84
Anm., — für das Heben von Schätzen
XVIII 85 f . XX 88, Hexen — en
XVIII 85 f.
Zeitwort XVII 103 f.
Zenker, Sage vom — aus Schlegel
XVIII 82 f.
Ziegen XIII 111.
Ziehtag XV 104 f.
Zigeuner XIII 90 f., 107.
Zillertal, ein .schlesisches Gedicht über
die Tiroler in — XV' 154, Sprache
der — er XVI 105 ft'.
Zimmerleute, Fest der — in Island
XV 34.
Zimmerung XIII 71.
Zinkwitz, Kr. Münsterberg XIII 85.
— bei Tepliwoda XVI 92, 98,
Zippe XIX 82.
Zobtenherg XV' 142. XVIII !K) Anm. 2,
94 , 97, 108 ft., die lieister des — s
XIII 40.
Zoega, G. T XV' 22 I,
Zola, Gerniinal XIII 64.
Zöllnig, Gros's- und Klein — XII 87.
Zucken als V'orbcdcntuug XIX 2.i f.
Zugordnnng heim Klapperngehen XI 75.
Zuschadengelieii des V'iehs XV 88 f.
Zweibein, Name für Mensch im Hätsel
XIV 22
Zweideutigkeit, absichtliche — im Volks-
rätscl XIV 18.
Zweige XI 3, XIII 78.
Zwcrggeslalt, Borggeist in — XIII 73.
Zwiebel, Kät.scI von der — XIV' 20
Zwiegesang zweier Hirten XV' 90.
Zwidfnächtc XII 9, 13.
Zyklen der russischen Byliny XIV' 35.
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BQCbdrackerel Haret7,ke li Märtin. Trebniu l.ScblOR.
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Schlesische Gesellschaft für Volkskunde
■ (» ^
Mitglieder -V erzeichms.
(Nach ilciii Stande vom 1. .lainmr UK)!).)
Vorstand.
Yoi-sitzeiuler: Universität.sprof'essor Dr. Tlieodor Siebs, Ilolicn-
zollernstrasse ö3, II.
Stellvertreter: rniversitiitsprofessor Gell. Regieruntrsrat Dr. W.
Nchring, Sternstra.sse 22.
Scliril'tfiilirer: Stadtbibliotliekar Dr. Ma.x Hippe, BrandcnburKerstr.48.
Stellvertreter: Direktor am Sehles. .Mii.seuiii für Kunstfrewerbe und
•Altertümer Dr. II. Sejcer, Viktoriastra.sse 117, III.
Seliatznieister: Königl. Hof-Kuiistliändler Hrmio Richter, Schweid-
nitzerstrasse 8.
Stellvertreter: Verlafjsbnehhiiiidler .Max Woyvvod, Klosterstrasse 3.
Profe.ssor Dr. Korber, Palmstra.sse 21, 1.
Köiil(rl. Gyinnasialdirektor Professor Dr. Feit, Matthiasstra.sse 117.
Universitätsprofe.s.sor Dr. ?>. Skiitseh, Sehariihorst.strasse 9, II.
Oberlehrer Dr. K. Olbrich, llerzof'stra.s.se 30, 1.
üniversitätsprofessor Geheiiiier Rcfrierunt^srat Dr. A. llilleluaiidt,
.Monhaiiptstrasse 14, 11.
Oberlehrer Dr. .1. Klapper, Hedwitrstra.sse 27, 11.
Schrift.steller Hugo Kretschmer, Kai.ser-Wilhelmstrasse 18(>, 11.
Professor Dr. Kühnau, Kaiser.st lasse 7Ö.
EliiTiimitgliod.
l'niversitätsprofessor Geh. Regierungsrat Dr. Friedrich Vogt, Mar-
burg a. Ti., Bismarck.stra.sse 7.
A. Breslauer Mitglieder.
Abegg, Dr., Univei’sitiitsprofe.ssor, Parkstra.sse 13.
Appel, Dr., Fniversität.sprofe.s.sor, Monhauplstrasse 3a, 11.
Armdd, P., Dr., Uiiiversitätsprofes.sor, l'ferzeile 10, 111.
Bara.sch, Buchhändler, Schmiedebrücke 17/18.
Barsch, Paul, Schrift.steller, .Margarethenstra.s.se 24, Gartenhaus II.
Bauch, llernmuii, Rektor, Kreuzstra.sse öl, I.
Becker, .Anna. Frau Bauiiis)iektor. Aiignstastrasse 71. 11
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Bellerode, .Tustizrat, Xeiie Sclnveidnitzerstrasse 18.
Bender, I)r., ()berbüi{?enneister, Rosentlialerstrasse 14.
Beyer, A., Bucblmndler, Neue Sclnveidnitzerstra.s.se 3.
Blüinel, Referendar, Mieliaelisstras.se 80, I.
de Boor, Flau Profe.ssor, Vorderbleiclie 8, 1.
Cieliorius, l)r., Universität.sprofe.s.sor, Kastanienallee 24/2ß.
Italin, Felix, l)r., Geb. .liistizrat, Universitätsprofe.ssor, Seliweidnitzer
Stadtprralien 20, II.
Dedo, Maria, Dr. phil., Frau, Auen.strasse 5.
Dittrieli, Paul, Professor, Paul.strasse 42, III.
Kberbard, Margarete, Fräulein, Oberlelirerin, Mariensfras.se 8, II.
Eekliardt, W., Stadtälte.ster, Uferzeile 9, I.
von Ehrenstein, Direktor, Trebnitzei-stra.s.se 28, lipt.
Feine, P., l)r., Uuiversitätsprofe.ssor, Höfehenplatz 9, 1.
Feit, Dr., Profes.sor, Kgl. Gyinnasialdirektor. .Matthiasstra.sse 117.
Fiedler, Paul, .Mittel.schullehrer, Hobreehtufer 17a. Hl.
Fraenkel, S., Dr., Universitüt.siirofe.ssor, .\ugustastra.sse 81, 1.
Friedenfhal, .Adolf, Kaufmann u. Stadtverordneter, Salvatorplatz 8,1.
Frommer, P., Buchhändler, Nene Sehvveidnitzer.strasse 3.
Gaertner, G., Dr., Profe.ssor, Monhauittstra.sse 10, II.
Geisler, Eugen, Dr , Profe.s.sor, .Monhaniitstras.se 12, pt.
von Gerhardt, Dr. phil., Brandenburgerstra.s.se r>2, Seitenhaus II.
Germanistischer Verein, Königl. Universität.
Glatzer Gebirgsverein, Sektion Breslau, z. H. Sehulrat E. lleyse.
Am Ohlauufer 39.
Gröhler, H., Dr., Professor, Oberlehrer, Ufei'stras.se 9, 111.
Gro.sche, Frau Rektor, Sehuhbrüeke 34, 1.
Grünhagen, Dr., Profe.ssor, Geh. .Arehivrat, .Augu.stastra.sse 74, 1.
Grützner, Oberlande.sgeriehtsrat. Goethestra.sse 11,11.
Gusinde, .Jo.seph, stud. iur., Paulstras.se 37, 111.
Gusinde, Konrad, Dr. pliil., Oberlehrer, Hedwigstra.sse 13, hpt.
Haa.se, Georg, Kommerzienrat, Kgl. ifalienisehei- Konsul, Ohlauer
Stadtgraben 17/18.
Haase, Olga, Frau Fabrikdirektor, Opitzstrasse 11,1.
Haertel, Enimy, Fräulein, Tiergartenstra.sse Oö, I.
Hahn, .Job., Ifektor, Reielistrasse 24, II.
Heekel, Rol)ert, Kaufmann, Kastanienallee 17.
Heinze, Joseidi, Dr. med., Breitestrasse 28, 1.
Heisler, Gertrud, Fräulein, Lehrerin, Nendorfstra.s.se 9.
Heller, Wilhelm, .Architekt. Kron])rinzenstras.se 41, II.
Herz, Walter, Dr., Profe.ssor, Privatdozent, .Monhaiipt.strasse 24,11.
Heymann gi‘b. Alolinari, Frau Bankier, Holumlohestr,, Villa Heymann.
Hilka, Dr., Oberlehrer, Feldstra.sse 15b, II.
Hillebratidt,.A., Dr.,Geh.Reg.-Rat,Universit.-Prof., AIonhauptstr.14,11.
Hii)])e, .M., Dr., Stadtbibliothekar, Brandenburgerstras.se 48, 11.
Hotl'mann, .Adalbert, Landgerichtsrat. lledwigstr. 38, Garteiih. hpt.
Hoflmanii. Hermann, Oberlehrer, .Antonienstrasse 25.
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Iloffnianii, M., lA^lirer, K1eu2.stras.se 3W, Gartenhaus lipt.
HotViiiunii, BucliliäiKller, Kinp: 58.
Hoft'mann, Oberlehrer, Gabit2strasse 78, II.
HuideHeiss, Dr., Uiiiversitätsiirofessor, Ko.senthalerstrasse 45, I.
Hilsiii^, Dr. ])liil., Privatpelehrter, Seydlitz.strasse 5, 111.
Hulwa, Dr. idiil.. Professor, Brüderstrasse 43, bjit.
Jaekel, Hugo, Privatgelebrtei-, .Mauritius.strasse 5.
Juiignitz, Dr., Prof., Geist). Hat, Arcliivdirelaor, (iöi)])ertstr. 12, I.
Kaiiipers, Dr., Uiiiversitätsprofes.sor, Köriierstras.se 12, III.
Keller, Paul, Schriftsteller, Bockstra.sse 14, II.
Kern, Arthur, Dr. phil., Moiihau]>tstrasse 10, I.
Kes.sler, Dr., Profe.ssor, Tiergartenstra.s.se 28, III.
Klaatsch, Dr., Universitätsprofe.ssor, Aueiustras.se 18, 1.
Klapper, Josef, Dr. i)hil., Oberlehrer, Hedwigstra.sse 27, II.
Klug, Marie, Fräulein, Schulvorsteherin. Garvestrasse 25, pt.
Kne.ser, Dr., Universitätsprofessor, Tiergartenstras.se 100.
Knobloch, Heinrich, Dr., Oberlehrer, 15randenburgerstra.s.se 35, II.
Knoll, -Margarete, Frau, Ohlauufer 40, 1.
Korber, Dr., Profe.ssor, Palinstra.s.sc 21, I.
Koessler, Else, Frau, .\ugustastrasse 54.
Kölker, Bruno, Kaufinann, Kaiser-Wilhelinstrasse 0, hi>t.
Kopj), Georg, Dr, theol., Kardinal Fürstbischof, Kininenz. Doni.str. 15.
Kret.sclinier, Hugo, Schriftsteller, Kaiser-Wilheltnstras.se 180, II.
Kiihnau, Dr., Profe.ssor, Kaiserstrasse 70.
Kühnau, Wilhelm, Dr. med,, Schweidnitzer Stadtgraben 26, pt.
Küster, E., Kaufmann, Sadowastra.s.se 48, 1.
Landwirtschaftskammer für Schlesien, Matthias|)latz 0.
Langer, Karl, Hechnungsrcvisor. Herzogstra.sse 4, II.
Leonhard, Dr., Geh. Justizrat, FniversitUt.sprofe.ssor, Lindenallee 0, 1,
Leopold, Max, Dr., Oberlehrer, Kaiserstrasse 18.
Lesehalle, Städti.sclie Xr. 2, Matthiasstrasse 9, 1.
Lischke, Johanna, Frau Oberlehrer, Kaiseivstrasse 82, IIP
Loewe, Hans, Hauptmann a. D., Klosterstra.sse 71, III.
von -Machui, Rentier, Hohenzollenistrasse 73, III.
Mät.schke, E., Dr., Profe.s.sor, Oberlehrer, Salzstra.s.se 35, III.
Magistrat der Königl. Haupt- und Residenzstadt Breslau.
Marcus, Max, Verlagsbuchhändler, Kai.ser-Wilhelmstras.se 8, pt.
Marx, Paul, Chorrektor, Klosterstrasse 36, II.
Masner, Dr., Professor, I. Direktor des Kunstge werbe -Museums,
Lotliringerstras.se 7, II.
Mcrtin.s, Dr. phil., Profe.ssor, Alexanderstras.se 34, 11.
Meyer, Arnold, Dr. phil., Privatdozent, Piastenstras.se 27.
Meyer, Herbert, Dr., Universitätsprofe.s.sor, Hansastra.sse 24, II.
Miikau,Dr., Direktord. Kgl.u.Universit.-Bibliothek, NeueSandstr.3, 1.
Minssen, Frau Oberingenieur, Han.sastrasse 20, I.
Mittelbaus, stud. jihil., Albrechtstrasse 12, II.
Müller. Karl. Redakteur. Paradies.stras.se 21.111.
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Neckel, I)r., Oberlelirer, Maxstra.sse 26, II.
Nees von Esenbeck, Fräulein, üarvestrasse 28, IV.
Xehring,W., Dr., ( ieh. Regierung.srat. Univer.sität.s[irot’., Steni.str. 22, pt.
Xitsche, Dr., Sanitätsrat, Augustastra.s,se 73, III.
Oberdicck. H., Professor, Ohlauufer 42, II.
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Otto, A., Dr., üyninusiallehrer, Tiergartenstra.sse 16, 111.
Partsch, Carl, Dr., Geh. .Med.-Kat, Univ.-Prof., Kaiser-Wilhelmstr. 80.
Petsehke, R., (Jberlehrer, Viktoria.stra.s-se 24, I.
Pfeffer, Fräulein, Schulvorsteherin, Steriistra.sse 7t), II.
Pillet, Alfred, Dr., Prof., Privatdozent, Kronprinzenstra.sse 69, 111
Pohl, Helene, Fräulein, Kroiiprinzeii.stra.sse 27, 111.
Pontick, Dr., Geh. .Medizinalrat, Universitätsprofe.ssor, Nova.str. 3.
Porsch, Dr., Justizrat, Ohlauufer 14.
Probst, O. F., Professor, Oberlehrer, .Marienstrasse 8, pt.
Pioskauer, O., Rechtsanwalt, Uferzeile 9, II.
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Reichert, Hermann, Dr. idiil., Kikolai.stras.se 63, ,Seitenhaiis II.
von Rentz. Freiherr, Redakteur, A neust ra.s.se 14, 11.
Richter, Bruno, König!. Hofkuiisthilndler, Schweidiiitzerstras.se 8.
Biehter, Kurt, I)r. i)hil., Oberlehrer, tiutenberg.stiasse 28, III.
Riesengeliirgsverein, Ort.sgrupjie Breslau, z. H. Sfadtschulinspektor
Dr. Hatidlo.ss. Klosterstrasse 69.
Rie.ss, Eugen, Kaufmann, Ohlaner Stadtgraben 26, 11.
K’ockel, Karl, Dr. phil., Hermannstrasse 2.ö, 111.
Röhlicke, .Marie, Fräulein, Oberlehrerin, Königsplatz ha, 111.
Röse. ().. Chefredakteur, Kai.ser-W'ilhelinstrasse 63, II.
Roesler, Jlarie, Frau, .Altscheitnig, Villa Roesler.
Rohrm:mn, Paul, Buchhändler, Xeue Tasehenstra.sse 4, 111.
Bosenbanm, Frau Kommerzienrat, Arndtstrasse 23.
Ro.senthal, Bruno, Kaufmann, Schmiedebrücke ,07.
Sabel. Robert, Rektor, .Monhanptstras.se 13, II.
Sannig, Rektor, Heinrichstra.sse 20, I.
Sarrazin, Dr., Universität.sprofe.ssor, Kai.ser-W illielmstras.se ö2, 111.
Schade, Katharina. Fräulein. Lehrerin, .Margarethen. st ra.s.se 21, 111.
Schade, .Marie. Fräulein, .Margaretlien.stra.sse 21, III.
Schiller, H., Frau. Kai.ser-Willielinstra.s.se 83, II.
von Schiller, Wilhelm, Haiiptmann u. Adjutant. KurfUr.steiistr. 16, 1.
Schmidt, Rudolf, Professor, Feldstra.sse 11,111.
Schmidt. 1'heodor, Dr.. I tirekt. d. Augustiisehule. Ta.schenstr. 2(i/28, pt.
Schneider. Koiirad, Expeditions- Vorsteher. Schuhltrücke 84, II.
Schönaich, Dr., Professor, Oberlehrer. Hobrechtufer 17, 111.
Scholz, Frau Direktor, Keudorfstnisse 1 Ui.
Schulte, Dr., Professor, Geh. Regierittigsrat. llerzog.stra.s.se 4, I.
Schitltze, Elise, Frätileiti, Ring 24, II.
Schulz, Aitgitst, Lehrer, Am Wäldchett 1.
Schitlz. llerttiattti, Rektor, Hirschstra.sse 23. 11.
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_ 5
Sdralek. !Max, I)r., Domherr, riiiversitiit.sprufe.«isor, Domstrasse 14.
Seger. H., Dr., l)irektor, Viktoria.strassp 117,11.
Selige, Julius, Dr., Profe.ssor, Am Rrigittental 47, II.
Seminar, (Jermauistiselie.s, der Kiinigl. L'iiiversitüt.
Seminar, Slavisch-pliilologiselies, der Königl. rniversität.
Semrau, F., Oberlehrer, .\ugustastrasse 40, III.
Sickenberger, Dr., rniversitiits])rofessor. lledwigstriusse ,S8, IT.
Siebs, Theodor, Dr., l^tiiversitiitsjirofe.ssor, Hohenzollernstr. .')3, 11.
Sittenfeld, Ludwig, Schriftsteller, Kaiser-Wilhelmstrasse 50, II.
Skutsch, I)r., Universitiitsprofessor, Scharnhorststrasse 9, II.
Speck, Hermann, Dr phil., .Matthia.splatz 9, III.
Sj)rotte. F., Dr., Professor, Domkapitular, Domstrasse 9.
Staatsarchiv, Königliches. Tiergarteiistra.sse 13.
Stern, William, Dr., Universitätsprofe.s.sor, Hrandeiibui'ger.str. 54, 1.
Stoeckel, .Major a. 1)., Oarvestras.se 30, I.
Stricker, Anna, Frau, Matthias]datz 1, 11.
von Strümpell, Dr., Oeh. .Aledizinalrat, Universitätsprofe.s.sor,
P.irkenwäldchen 0
Toeplitz, Fritz, Dr. med.. Neue Gasse 4, II.
Treblin. Martin, Dr. phil., .Margarethenstra.s.se :I4, Gartenhaus pt.
Trentiu, Hürgenneister, Friedrich-Wilhelmstra.sse 6, II.
Türk, Gustav, Dr., Oberlehrer, Matthia.splatz 16, lll.
Unitas, Katholischer Studentenvereiu, Bi.schofstra.sse 13.
Unterlauff, Ma.ximilian. Benetiziat u. .Archivar, Kleine Domstr. 4, I.
Vogt, H., Professor, .Aneustrasse 14, II.
von Wallenberg-Pachaly, Gottli., Konsul, Rossmarkt 10, II.
Walter, Kurt, .stud. jthil., Vorwerks.stras.se 10, III.
Wawrzik, Berthold. Rektor, .Andt'r.ssenstras.se 23, 11.
Welzel. Berlliüld, Direktor, Bismarckstra.sse 2. II.
von Weiicksteru, Dr., I’niversitätsiirofessor, Kichendorttstr 41, 1.
Wendland, Dr., Universitätsprofe.s.sor, Uharlotten.stra.sse 13, pt.
Wendriner, R., Dr. ])hil., Hohenzollernstrasse 77, pt.
Wendt, II., Dr., Stadtarchivar, Kantstrasse 5, I.
Wiedeniann, Dr. phil., Professor, Gymnasialdirektor, Arletiusstr. 3.
Wiesenthal, Bernhard, Lehrer, Seydlitzstrasse 8, 1.
Wilda. O., Dr., Redakteur, Moritzstrasse 25, III.
Winfridia, Kathol. -deutsche Studentenverbindung, Seminarga.sse 15.
Wislicenus, .Max. Professor, Tiergartenstra.sse 15/17, 111.
Witkowitz, Luitgard, geb. Kampe, Frau Oberlandesgericlitsrat,
.Augustastrasse 103, 1.
Wobbermin, Dr., Universitätsprofes.sor, rarmerstra.sse 17, II.
Wolf, P., Dr. med., prakt. .Arzt, Klosterstra.s.se 37, 1
v.Woyr.sch. komm. General d. VI.. Armeekorps. Schweidnitzerstr. 24/25.
Woywod, Verlagsbuchhändler, Klo.sterstrasse 3. I.
Wutke, Dr , .Archivrat, Uferzeile 10, 11.
Zobtener Gebirgsvereiit, Ortsgrnp|)e Breslau, z H Dr. med. Lustig,
Klostcrstrasse 1.
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6
B. Auswärtige Mitglieder.
Arndt, Pfarrvikar, Rauscha, Bez. Lietrnitz.
Arndt, Bruno, Dr pliil., Kattowitz, Friedrichstra-ssc.
Arnoldi'.sche Bucliliandliinj', Dresden, Altmarkt.
Asimis, Dr. nied., .Aiifrenarzt, Düsseldorf, .Takoliistrasse 18.
Auras, Paul, Lehrer, (Jross-Peterwitz, Kreis Trebnitz.
Aydam, Oberlehrer, Leobschiitz.
Baer, Dr., Sauitütsrat, Hirschberg.
Baeumker, Dr., Universitätsprof., Strassburg i. Kls., Weiu kerstr. 8.
Baldrieh, ITofessor, (ileisvitz.
Bandaii, Martlia, Oberlehrerin, Breinerliaven, ^larkt 0.
Bartel, Oberlehrer, Strehlen i. Schl.
Bartling, H., Kreisbauineister, Strehlen i. Schl.
Bart.sch, Adolf, Lehrer, Kattowitz, ilühlstrasse 37.
Bauch, Bruno, Dr., Privatdozent, Halle a. S., Karlstnus.se 32.
Beck, Emil, Profe.ssor, Hirschberg i. Schl., Schiitzenstras.se 10 b.
Bedürftig, Landmesser, Aschersleben.
Bergel, Dr. med., Stabsarzt, Rastatt i. Raden.
Bernheim, E., Dr., üniversitätsprofe.ssor, Greifswald.
Bertzik, Pfarrer, Biskiipitz. Kreis Zabrze O.-S.
Bibliothek, Gros.sherzogliche, Weimar.
Bibliothek, öffentl., Freiherrl. Karl v. Kothschild’sche, F'rankfurt a. M.
Bibliothek, Reich.sgriitliche, auf Schkuss Fürstenstein, z. H. Biblk)-
thekar Endemann.
Bla.schke, E., Lehrer, .Ariusdorf bei Löwen i. Schl.
Blei.sch, .Tosejih, Leiter d. Stifts.schule, .fuliusbnrg. Reg. -Bez. Breslau.
Bückel, Otto, Dr. ])hil., Michendorf bei Pot.sdam.
Boehm, Bankier, Brieg.
Böhm, Johann, Professor, Budweis, Ottokarstra.sse 8.
Brauer, W., Oberlehrer, Schluckenau in Böhmen.
Brock, Dr., Profe.ssor, Gyimiasialdirektor, Oels.
Buchwald, Viktor, Kassierer, Brieg, Grüner Weg 5, hpt.
Bucka, Dr., juakt. .Arzt, Strehlen i. Schl.
Bürger, Dr., Seminardirektor, Zülz O.-S.
riirz;\.szcz, .Johann, Dr., Pfarrer, Peiskretscham.
Cla.sse, Max, Lehrer, Goldberg i. Schl.
Cleraenz. Bruno, Lehrer, Liegnitz, Piastenstrasse 26.
Croce, Anton, jjechtsanwalt, Trebnitz i. Schl.
Diilinhardt. Oskar, Dr., Oberlehrer, Leipzig, Jakcdistra.sse 11.
Danigel, Hugo, Buchdruckereibesitzer, Prausnitz, Bez. Breslau.
Denk, Joseph, Pfarrer, München, .lohaiinesphitz 6, II.
von Dieliitsch, Hans, Rittergutsbesitzer, Ounzendorf, Kr. Sprottau.
Dobrosclike, Gerichtsa.s.se.s.sor, Ziegenlials.
Dobschall, Gertrud, Dr. phil., Friiulein, Leipzig-Gohlis, .Au.ssere.
Hallischestras.se l.öa.
Dombek, Redakteur, Beiithen O.-S.
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7
Duiidorff, koiniiiissar. Olierlciirer, Kattowitz O.-S.
Dorn. Max, Haii])tlrhrrr, M'anowitz, Krci.s Lcobscliütz.
Dredi.slcr, Dr., Direktor des (.Tymnasiiniis, Zatnze O.-S.
Drescher, Dr., Universitiit.siirol'., Berlin W. 15, Särhsiscliestr. 73, I.
Drzazdzyiiski, Prole.ssor, Leokseliiitz.
Dybowski, Dr., Könifrlieher Kreisarzt, AValdenbnrp: i. Schl.
Ebbinfrhans, Frau, Profe.s.sor, Halle a. S., Reil.stras.se 86.
Kberlein. Lic. thc(d., D., Superintendent, Strehlen.
E<kert, Hankvorsteher, Heuthen O.-S.
Eckert, Karl, ladirer, Hoyadel, Kreis Griinberfr.
Eichner, A., Oberlehrer, Lauban.
Elsner, Lehrer, Lndwitysdorf, Kreis Neurode.
Ender, Seminar-Oberlelirer, Zülz O.-S.
Erlcr, Buchdruckereibesitzer, Strehlen i. Schl.
Euleiifrebirf^sverein, Ortsgruppe Keichenbach i. Schl., z. 11. Krei.s-
.schulinspektor Thaniin.
Feilberg, H. F., Dr. phil., Pastor einer.. Askov bei Vejen (Dänemark).
Feist, Pastor, Festenberg i. Schl.
Fink, Dr., Pfarrer, Strelilen i. Schl.
Fipper, Lehrer, Beuthen O.-S.
Flassig, 0., Pfarrer, Schawoine, Kreis Trebnitz.
Fleischer, Kreis.sekretär, Oro.ss-Strehlitz O.-S.
Forche, I'farrer, Hirsehberg i. Schl.
l'^riedel, hVrdinand, k. k. Finanz\vach-Oberres[)izient, 'l'roppau,
österr.-Schl., Parkstras.se 84.
Friedrich, Pastor, Scichau, Kreis .Tauer.
Froininhold, Dr. inr., Universitätsiirofessor, Oreifswald.
Fiillner, Kommerzienrat, Fabrikbes., Herischdorf bei Warinbrnnu.
(iabriel, Pfarrer, Bralin, Kreis üros.s-Wartenberg.
(iaidoz, Henri, Professor, Paris. Riie"Servaiuloni 22.
Oauglitz, Lehrer, Münsterberg.
Gebliardt. Lehrer, (’antersdorf bei Löwen i. Schl.
(ierstmann, Hugo, Leipzig, Goethestras.se 6.
Geyer, Dr., Professor, Brieg.
Gierth. G., Oberlehrer, Berlin W. 30, Elssholzstra.sse 12.
Giesmann, Güterdirektor, Dominium T.sche.schdorf bei Münsterberg.
Gilka-Bötzow, Alfred, Fideikommisbesitzer und Leutnant d. Res.,
Schwusen, Kreis Glogau.
Glu.ser, Lehrer, Schömberg, Kreis Landeshut.
Glamann, Direktor der Idiotenanstalt. Liegnifz.
tJlatzer Gebirgsverein, Glatz, z. H. Justizrat Burczek.
— Sektion Landeck, z. H. .Amt.sgerichtsrat Seiht.
— Sektion Mittelwalde, z. H. V'orsitzenden Becker.
— Sektion Reinerz.
— Sektion Schlegel.
Glöckner, Karl, Dr. |diil., Oberlehrer, Reichenbach i. Schl.
Glöckner, Stephan, Dr. phil. Oberlehrer, Biinzlau. Jakobstrasse 3.
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8
fjöliring, A., Kaufiiiiinn, Bi-rlin W., Stc<rlitzstiiissi- 77 78, II.
(Jüldiicr, Lehrer, Liep;nitz, Nene Goldberperstru.'ise ö‘i.
Gorges, I)r., Oberlehrer, Göthen i. Anliult, Langestrn.s.se -19.
Gottwald, Dr., Oppeln. Karl.splatz 2.
Graebi-sch, Friedricli, Kanlhianii, Gudowa, Kr. Glatz, Villa Hedwig.
Gregor, Jo.seph, Pfarrer, Tworkan 0.-8.
Growald, Apotheker, Po.seu, Wilhelinsplatz 13.
Gühmann, Bruno, Kauftnann, Zobten a. Berge.
Günther, Fritz, stud., Schweidnitz, Genbreclit.strasse 8.
Gusinde, Oskar, Landrichter, Neisse, Bahnhofstra.s.se 10.
Gymnasium, Königliche.s, Kreuzburg O.-S.
Gymnasium. Königliche.s, Ples.s O.-S.
Hahn. .Amtsgerichtsrat, Liegnitz, Moltkestrasse 0.
Hahn, Dr., Schulrat, Gro.s.s-Strehlitz O.-S.
Hahnei, Pfarrer, Schömberg, Kreis Landeshut.
Hampel, Dr. med., prakti.scher Arzt, Gogoliii.
Hannig, Franz, Dr. phil., Patschkau.
Hauptmann, Karl, Dr., Schreiberhau,
Heckhausen, Christoph, Dr., Gerichtsa.sses.sor, Bedburg (Rheinland).
Hellmann, Stadt-Syndikus. Nei.sse.
Hellmich, M.. Königl. Ijandmesser, (ilogau. Kleine Oderstrasse 4.
Hellwig, .Albert, Dr. iur.. Berlin, Beneckendurferstrassc 1.
Henckel, Guido, Graf, Fürst von Donuersmarck, Durchlaucht,
Neudeck O.-S.
Hepding, Hugo, Dr., Hilfsbibliothekar, Giessen, Goethestra.s.se.
Herbarth, 1‘aul, Rechnungsrevi.sor, Nei.sse, Brüderstra.sse 0.
Heyn, Pastor, Mollwitz bei Brieg.
Hickmann. Leutnant, Herischdorf bei Wannbrunn.
Hinke, Oskar, Lehrer, Lüben i. Schl.
Hirsch, Viktor, Kandidat des höheren Lehramts. Ratibor O.-S.
Hit.schfeld, Pfarrer und Kreisschulinspektor, .Arnsdorf i. Rieseiigeb.
Hüfbibliothek, Gro.ssherzogliche. Darmstadt.
Hof- und Staatsbibliothek, Älünchen.
Hüffbauer, G., Hauptlehrer, Leubusch, Post Brieg.
Holfmann, Dr., Reich.sgräfl. Badearzt, Warmbrunn.
Hotl'mann, Fedor, Hauptlehrer, Heinrichswalde, Kr. Frankemstein.
Holfmann, Otto, Dr., rniversitätsprof., Dtsch.-Lissa, Kastanienallee3.
Hohaus, Dr., Stadtjifarrer, Habelschwerdt.
Holleck, Dr., Profe.s.sor, Gymnasialdirektor, Leobschütz.
Honika. Oberlehrer, Beiitheii O.-.S.
Hruby, R., Lehrer, Kirschberg bei Sonnenberg i. Schl.
Hübner, Kgl. Bergwerk.sdirektor, Paulusgrube bei Morgenroth O.-S.
Jaeschke, Krich, Dr. phil.. Oels. Magazinstrasse.
Jacoby, Dr., Fniversitiitsprofe.ssor, Kiel, Feldstra.sse 140.
Jäckel, Pfarrer, Hermannsdorf bei Jauer.
Jantzen, Dr. ])hil., Direktor der Königin-Luise-Schule. Königsberg
i. Pr., Landhüfmei.sterstra.sse 23.
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Johnson, Klinir E. S., Pastor, East Grmiville, Ponna., Vereinigte
Staaten von Nordamerika.
Jonetz. Krei.sscliulinsiiektor, Hawit.scli.
Jünschke, Kaplan, Landeck i. Schl.
Jungnitsch. Gyinna.siast, Liehaii.
Jnrczyk, Kontrolleur, Hosdzin O.-S.
Kabelitz. M., Pfarrvikar, Schnellewalde O.-S.
Kacliel, Max. Königl. Zolljiraktikant. Ratihor, Tro])panerstra.sse 12.
Kalheck, Max, Scliriftsteller, Wien IX, Porzellanga.sse 48.
Kern, Pastor, Ransclui tOlierlansitz).
Kirchner, Dr., Professor, Brieg.
Kirchnei', Keinliold, Dr. phil., Geisenheim, Kgl. Wein- ii-. Ob.stkiiltur.
Klein, Martin. Dr., Gymnasial-Oberlehrer, Rawit-sch.
Kleinwüchter, Dr., Oberlehrer, Zabrze O.-S.
Klemenz, Dr., Professor, Strehlen i. Schl.
Klima.s, Pfarrer, Tarnaii, Kreis Oppeln.
Klings, Karl, Lehrer, Schöneberg-Berlin, Apostel-Panln.sstras.se 16.
Knap])e, Oberlehrer, Kattowitz.
Knoliel, Superintendent, Ober-Bielau bei Rothwas.ser.
Knoenagel, Werner, Wirtschuftsassi.st., Knnzendorf a. d. Biele b.Glatz.
Knötel, J., Dr., Profes.sor, Kattowitz O.-S., Sach.sstrasse 4.
Knoop, Otto, Professor, Roga-sen in Po.scn.
Köhler, Diakomis, Rankau.
Köhler, Gustav, Lehrer, Striegau.
Koflinane, Lic. theol., Superinteudent, Koischwitz l^ei Liegnitz.
Kolitsctike, Bürgermeister, Tarnowitz.
Konrath, Dr., L'niversitätsprofes.sor, Greifswald.
Kornke, Professor, Glatz.
von Koschembahr, Else, Erilnlein, Tiirjiitz bei Prieborn i. Schl.
Ko.schwitz, Oberlehier, Schweidnitz, Peterstrasse 21.
Koziol, Edmund, cand. iur., Beuthen O.-S., Parkstra.s.se.
Kreis-Lehrer- Bibliothek II, Petersdorf i. Riesengeb., z. H. Haupt-
lehrer und Kantor Glaette.
Krögler, Dr., Professor, Salzburg, Faberstras.se lö.
Krohn, Dr., Direktor des Pädagogiums, Kätscher O.-S.
Kroll. W., Dr., Universitätsprofe.ssor, Münster i. W., Raesfeldstr. 30.
Kühn, Recht.sanwalt, Jauer.
Kupka, Seminarlehrer, Rosenberg O.-S.
Kaschei, Dr., Pabrikleiter, Strehlen i. Schl.
Landsberg, Rechtsanwalt, Oels.
Larisch, Dr., Arzt, Brieg.
Laska, Bruno, Pfarrer, l’.schow, Kreis Rybnik O.-S..
Lautier, Dr., Profe.ssor, Direktor d. hi.stori.schen Mu.seutns, Hamburg.
Lehmann, Dr., Professor, Leobschiitz.
Tie.sehalle, öffentliche, Xeis.se, z. H. Rechtsanwalt Grzimek.
von der Leyen, Friedrich, Dr. phil., Privatdozent, München, Kaul-
bachstrasse 26.
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10
Licliter, A., Ltlii’er, (iross-Friudriclisfeldc boi Lfiitinannsdorf,
Kreis Scliweidnitz.
Liebicli, I)r., Professor, Münehen, Petteiikoferstrasse 80.
Tdedl, Ueiidudd. Kiiiifiimiin, Warnibruiiii.
Jdllj^e, Friedricli, I)r., Olierlehrer, Preinen, Matliildenstrasse 31.
TJ.ssel, Laiulfjeriebtsrat. laefrnitz.
Lopacifiski, Hieronymus, (Jymnasiallehrer, Lnbliii (Polen), Kra-
kowskie Przedniic.seie, dom. Ziiikievvicza.
Lowack, Dr, pbil., (.Iberlelirer, Beuthen O.-S.
Lucius. Robert, Oberlehrer, Brief!:, l.,indcnstni.sse Ö.
Lütke, Pastor, Kaiserswaldau.
TiUX, l)r. tlieol., Universitiitsprofessor, .Münster i. W.
Macliiile, F’riedricli, Oberlehrer, Pot.sdam, Marienstra.sse lö.
.Maciejezyk, Baiikbuehhalter, Beuthen O.-,'^.
Milrtin, P., Buchdruckerei bes. (Fa. .Marelzke& .Martin), Trebnitz i. Schl.
.Maffistrat Bolkenhain.
M.agistrat (Heiwitz.
Magistrat Knttowitz.
.Maftistrat Oppeln.
Jlagistrat Ratibor.
Maffistrat Schweidnitz.
Maliner, Paul. Lehrer, Reuthen O.-S.
■Majoratshihliothek. Reiehsfjrä flieh Schallfrot.scir.sche, Warmbrunn.
.Malende, Dr., Könifilieher Seininardirektor, Leob.sehütz.
Maliske, Pfarrer, .Altwalde, Kreis Neis.se, Po.st Neuwalde.
Mandel. Pfarrer, Löbnitz bei Bitterfeld.
Mätyiis. Ritter von, Karl, Dr., Limanowa ((iallzien).
Maurach, Polizeikommissar, Danzifr.
May, Th., Haui)tlehrer, Bladen. Kreis Leob.sehütz.
Maydorn, Dr. phil., Direktor der höheren Töchterschule, Thoru.
Mayn, Oeoif!:, Dr., Oherlehrer, .Ascherslebeii, Lindenstrasse 17 b.
Meier, .Albert, Oberlehrer, (.Jleiwitz. Obcrwallstrasse 40.
.Meier, .lohn, Dr., rniversitiitsprofessor, Basel (.Schweiz).
Mende, Kurt, .Amtsrichter, Künifrshütte O.-S.
Metzner, Franz, Pfarradministrator, .Auras.
Aletzner, K., Lehrer, Friedebeifr a. ()ueis.
.Meyer, Oertrud, Fninlein, Lehrerin, (irünberfj.
Alichajski, J., Verbands.sekr., Ob.-Heiduk b. Schwientochlowitz O.-S.
Michalsky, Dr., Oberlehrer, Neisse, .Marienstrasse 2.
Aloch, Oberlehrer, Leohschütz.
.Moecke, Ihofessor, Olatz.
Mopfk, Euf!:en, Dr., Universitätsprofes.sor, Iiei]>zif', Fürberf>:a.s.se Lö.
.Moldenhawer, Frau Rentiere. Warmbrunn.
Mo.ser, Pa.stor, M’ohnhadi i. d. Wetterau (Südharz).
Mo.sler, Oherlehrer, Strehlen i. Schl.
Müller, Deichhanptmann, Bad Langenau.
Müller, Pfarrvikar, Wendstadt, Post .Schabenau.
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II
Müller, Anton, l)r., Professor, Frankenstein i. Selil.
Müller, Paul, Oberlehrer, Myslowitz.
Müller, Valeska, Hentiere, Warinbrunn.
Münzer, Lehrer, Kattowitz.
Najiieralski, Redakteur, Reuthen O.-S.
V. Ncefc und Ohischau, Oherreprierungsrat, Liepniitz, Raupaehstr. 10, 11.
Nenfwie:, I)r., Professor. Arehivar, Warnihrunn.
Nerlich, Robert, praktischer Arzt. Kuttlau, Kreis Olofrau.
Neufiebauer, Pfarrer, Kültsehen bei Reichenbaeh i. Schl.
Neuniaiin, P., Bürprernieister, Strehlen i. Sehl.
Nisehkowsky, Dr., Traeheuherp: i. Sehl.
Kobel, Max. Kantor, Landeek i. Schl.
Xonnast. Pfarrer, Wölfelsdorf bei Habel.sehwerdt.
Norden, Dr., rniversität-sprof., (iross-Lichterlelde-West, Karlstr. 20.
Nowaek, .Alfons, Religionslehrer, Neustadt O.-S.
Oehmann, Peter, Lehrer, Bogutsehütz, Kreis Kattowitz.
Oder, .L, Lehrer, Koi)pitz, Kreis Grottkaii O.-S.
Oehlmann, Stadtbaurat, Liegnitz.
Oels, Pastor, Würgsd(trf i. Sehl.
Olhrich, Lehrer, Kattowitz.
Opitz. Kiiiil, Dr. |)hil., Clmrlottenburg, Knobelsdorfstras.se öl, I.
Pantke, .A., Hauptlehrer, Briesen l)ei Brieg.
Parker, James & Co., Oxford, 27 Bnmd Street, England.
Partseh, .Joseph, Dr., Geh. Regierungsrat, l.'niversitüts]»rofessor,
Leipzig, Parkstra.sse 11.
Pa.sehke, P., Dr.. Pfarrer, Wahren bei Dyheriifurth.
Passarge, Dr., Profe.s.sor, Wand.sbeek, Löwenstra.s.se 88.
Patsehüvsky, llauptlehrer, Dittersbach bei Liebau i. Sehl.
Pauly, (’., Fabrikbesitzer. Brieg.
Paut.seh, Oswald, Dr. ithil., Oberlehrer, Leobsehütz.
Peiekert, Kaufmann, stellvertr. Stadtverordnetenvorsteher, Liegnitz.
Peppel, I. Bürgermeister, Brieg.
Peters. Ignaz, Profes.sor, Leitmeritz in Hfdunen.
Petersdortt, Dr., Königl. Gymnasialdirektor, Strehlen i. Sehl.
Pfeill'er, Lotte, Frau Direktor, Gostyn (Po.sen).
Pfeifl'er, Otto, Dr., Steinau a. 0.
Philomathie Glatz. z. H. General von Sommerfeld.
Philomatliie 0]»peln, z. H. Oberlehrer .fung.
Philomathiseher Verein, Goldberg.
Pietsch, Lehrer, Gleiwitz, Bitterstrasse 1.
Piet.seh, P., Dr., Universitiitsprofc.ssor, Berlin W. 30, Motzstr. 12.
Pineus. Dr., Referendar, Grünberg i. Sehl.
Pistoriiis, StJidtbaiirat, Brieg.
Plätsehke, Emma, Fräulein. Strehlen i. Sehl., Promenadenstrasse 7.
Pradel, F., Dr. ]ihil., Oberlehrer, Glogau. .Mohrenstra.s.se 22a.
Prohasel, l*rofessor, Königsliütte O.-S.
Prus. Konstantin, Redakteur, Beuthen O.-S.
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12
Itaiipricli, Max, I)r., K'n'is.scliiilinsiifktor, Taniuwitz O.-S.
Rauschcl, Lclinr, Sdiopi)initz O.-S.
Rept‘11, Dr., Professor, Hirseliberp i. Sehl.
Reiche, Rechtsanwalt. Sprottau.
Retzlaw, Bank Vorsteher, Benthen O.-S.
Reuter, (ieheiiner Baurat, Strehlen i. Schl.
Riha, II. Bürgermeister, Itrieg i. Schl.
Richter, Pastor, Boyadel, Kreis Orünlierg.
Riesengebirgsvercin,HauptvorstandHii-schl)erg,z.H.l)r.ined. Schubert.
— Ortsgiu])pe Berlin.
— Ort.sgru])pe Bunzlau, z. H. Seininarlehrer Weitz, Feldstr. 7.
— Ort.sgruppe Glogan. z. H. d. Vorsitzenden Eichner.
— ( )rtsgrui)i>e Görlitz.
— Ort.sgruppe Greiftenberg, z. 11, Kaufmann Hörder.
— Ort.sgruppe Herm.sdorf (städt.), z H. Lehrer Wobus, Hartau
(.stiidt.), Post .Michelsdorf.
— Ortsgruppe Leipzig.
— ftrtsgruppe Liebau, z. H. Bürgermeister Springer.
— t trtsgrnppe Petersdorf.
— Ortsgrupj)e Sagan, z. H. Hermann Kirsch.
— Orfsgruppe Schönau a. Katzb., z. H. Pastor Franz.
— Ortsgruppe Stettin, z. H. Professor l’lich, Bisinankstr. 17.
— ( IrtsgTuppe Striegau.
— Ortsgruppe Wohlau. z. H. Schriftführer Kettner.
— Osterreiclii.scher, .lohannisbad (Böhmen).
Kitter, Dr., Oberlehrer, Oels i. Schl.
Kittner, Lehrer, Wersingawe, Kreis Wohlau.
Ritzmann, Apothekenbesitzer, Ko.stenblut i. Schl.
Rohn, Pfarrer, Frömsdorf, Kreis Münsterberg.
Ro.se, Joseph, Pfarrer, Reichenau, Kreis Glutz.
Ro.steck, Dr. med., Ratibor.
Rothe, Kurt, Rechtsanwalt, Chemnitz.
Rüther, E., Oberamtmann, Saegen. Kreis Strehlen i. Schl.
Rust. Hans, .Majoratsbesitzer und Referendar, Ximi>tsch.
Sarturi, P., Professor, Dortmund, .\rdeystra.sse 211.
Schermann, Luc., Dr., Universitatsprofe.ssor, München, Gi.selastr. K.
Schilling, Franz, Oberlehrer, Leohschütz.
Schlauch, G., Dr. med., Dohna (Sach.sen).
Schlesierverein, Bromberg, z. H. W. Georgi, Hotlinann.stra.s.se 5.
Schmidt, Gymnasiallehrer, Kattowitz. Roonstra.sse 1).
Schneider, .L, Dr., Oberlehrer, Neustadt O.-S.
Schnürer, Gustav, Dr., üniversitätsprofessor, Freiburg i. d. Schweiz.
Schötfer, Stadtrat, Liegnitz.
Schön feld, Oberlelirer, Strehlen i. Schl.
Schönfeld, Lehrer, Warmbrunn.
Scholz, Kantor, Griina ((Jberlausitz).
Scholz, (Iskar, Rentner, Herzog.swaldau bei Jauer.
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13
Scliubert. E. M., Lelnvr, Lietriiitz, l’iastpiistrasse 20b.
SdiullehiTr-Stiniiiar, Kimigl. evangelisclies, Kiviizburg O.-S.
IScliulte, Alltüll, Staat.'^anwalt, Görlitz.
Schultze, Altred, l)r., Uiiiversiüitsprof., Freiburg i. B., Schwiram-
badstra.sae 30.
Schulz, H., l)r. idiil., Bibliothekar, Leipzig, Chri-stiaustrasse 3.
Schulz, Justizrat, Strehlen i. Sehl.
Sehwantag, C., cand. pliil., Sprottau.
Sehwai-z. Pastor, Kreisewitz bei Alzenau, Bez. Breslau.
Seidel, Heinrich, Dr., Gyninasialdirektor, Gross-Strehlitz.
Seidel, Dr., Uberlehrer, Boppard a. Bhein.
Seidel, Pfarrer, Sehonau a. d. Katzbaeh.
Seniler, Lelirer, Strehlen i. Schl.
Seminer, Helene, Frau, Lereheiiborn bei Gros.s-Krichen, Kr. Lüben.
Siebelt, Rentniei.ster, Herinsdorf u. K.
Siegert, Apothekenbesitzer, Keichen.stein.
Sienawski, Professor, Glatz.
Skowronski, Dr. phil., Beiitlien O.-S.
Skuwronski. Pfarrer, Ellguth bei Ziilz.
Skowronski, Albert. Buchhalter, Posen, Kopernikusstras.se 3.
Sobczik, Dr., Schuldirigent. Beuthen O.-S.
Sökeland, Hermann, Fabrikant, Berlin NW. 21, Stroinstra.s.se 50.
Sollinann. Dr., Pi'ofessor, Medizinalrat, Leipzig, (ioethestras.se 9.
Sprotte, Gyinnasialdirektor, Oppeln.
Stadtbibliotliek, Bremen.
Stä.sche. Dr., Profes.sor, Tarnowitz.
Stier, Georg, Pastor, Lorenzdorf bei Oberrosen, Kreis Strehlen.
Stimm, Franz, Hotelier, Wannbrunn.
Sturm, L., Königlicher Seminarlehrer, .Mün.sterberg i. Schl.
Süsse, Oberlehrer, Gleiwitz.
Swowoda. Fritz, Lehrer, Berlin.
Sypli, Steuerinspektor, Strehlen i. Schl.
Szatlik, J., Bankdirektor, Beuthen O.-S.
Thielseher, Hemiann, Rentier, Blasewitz bei Dresden, Johann.str. 2.
Tippei, Kommissionsrat. Chefredakteur, Schweidnitz.
Tijipel, Frau Kommi.ssionsrat, Schweidnitz.
Triigi.sch. Aint.sgerichts.sekretär, Pat.sclikaii.
Troska, Ferd., Dr. phil.. Schöneberg bei Berlin, Brünhildenstr. 15.
IJniversitiltsbibliüthek, Königliche, Bonn.
Universitätsbibliothek, Gro.ssherzogliche, Heidelberg.
Universitätsbibliothek, Königliche. ^larbiirg i. H.
Universitäts- und Landesbibliothek, Kaiserliche, Stra.ssburg i. Eis.
von Unwerth, Wolf, Dr. [ihil., Xiesky (.).-L., Görlitzerstra.s.se 20.
.Urban, Oberlehrer, Glatz.
Verein für Volkskunde, Berlin, z. H. ^l. Roediger, Berlin W. 02,
Bayreutlier.stra,s.se 43.
Verein f. d. Geschichte d. Deutschen in Böhmen. Prag I, Lilienga.s.se 7.
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14
Verein, Wis.seiischaftliclier, Strienrau.
Vieweger, Kafasterküiitrolleur, Kös.sel, Refr.-Bez. Könijrsberfr.
Vofrt, \V. H., Dr. pliil., Oberlelirer, Moy.s bei Görlitz. Luisenstr. 24.
\'ülknier, Dr., Scliulrat, Könisl. Seiniiiardirektor, Habelscliwcrdt.
Vulkiiier, A., Oberlelirer, Zaborze O.-S.
Waeber, R., Köniel. Scliulrat und Seniinardirektor, Brieg i. S< bl.
Wagner, A., Dr., Küniglicber Seniinardirektor, Ro.'ienberg O.-S.
Wahner, Joseph, Dr., Oberlehrer, Neisse.
Waldstein, Dr., Rechtsanwalt, Oels i. Schl.
Warinbrunii, Oberbürgermeister, Xeisse.
Warnat.sch, Dr., Professor, Glogau.
Watzhnv, Oberlehrer, Beiithen O.-S.
Websky, Ernst, Fabrikbesitzer, Tannhau.sen i. Schl.
Weidlich, Theodor, Lehrer, Rothsürbeii, Kreis Breslau.
Weidner, Pfarrer, Herzogswaldau bei Sagau.
Welzel, Uhrmacher, Wartha.
Weiizlick, Erzpriester, Krascheii bei Giihraii i. Schl.
Wiese, Paul, prakti.scher Arzt, Gro.ss-Baiidiss.
Wilde, Dr. iiied., Stabsarzt, Peterswaldaii.
Williier, Dr. phil., Stolberg bei Aachen, Zweifaller Stra.sse öil.
Wilpert, Dr., Oberlehrer. Opjieln.
Winkler, E., Prokurist. Eislelien, Lindenstra.sse 30
Wojcicch, Pfarrer, Löwen i. Schl.
Wolf, Alfred, Aiiitsgericht.srat, Buiizlau.
Wo.ssidlo, R., Oberlehrer, Waren i. .Mecklenburg.
Wotke, J., Oberlehrer, Zabrze, Kroiiprinzeiistras.se 7.
Wrede, A., Dr., Oberlehrer, ( olii a. Rh., Hansaring 40.
Zdralek, Dr., Professor, Leob.sdiütz.
Ziiumennaiiii, A., Dr., Kaiserl. Legation.srat, Berlin W., Kurfürsteii-
strassc äO.
Zivier, E., Dr., Fürstlicher Archivar, Ple.ss O.-S.
Zobtener Gebirgsverein, z. H. C. A. lauiger, Zobten a. Berge.
Ziiniwinkel. Professor, Liegnitz, Ritterstrasse 10.
Zwirzina, Pfarrer, Lohaii, Kreis Cosel O.-S.
Zymiial, Dr., Sanitätsrat, Xeisse.
HtiPlHlnickerei Mareizk« Martm Tr#‘»'n»i5r {.H-'hl.
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MITTEILÜN6M
DER
SCHLESISCHEN GESELLSCHAFT
FÜR VOLKSKUNDE
lieraiisgesi'l'P'i
von
THEODOR SIEBS
Baod XI
Jahrgang 1009
BRESLAU
Selbstverlag der Gesellschaft
(für den Buchhandekzu beziehen durch Max Woywod's Verlag, Breslau VIII)
19011
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Alle Rechte Vorbehalten.
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Inhalt.
AnfsHtKe und Mittr^Iliin^cn.
Seite
Meyer, Frivatdorent I)r. phil. Arnold 0., Kiniges über den italienischen
Volkscharakter l
Neckel, l’rivatdozent und Oberlehrer Dr. phil. O., Die altisländische Saga 38
Kahle, rniv.-I*rof. I)r. phil. B., Flandern .Ö3
Olbrich, Oberlehrer I)r. phil. K., t.iteratur und Volkskunde . ... 54
Pradel, Oberlehrer I)r. phil. F„ Kin altes Spiel ... .... 56
K lapper, Oberlehrer Hr. phil. .1., Die schlesischen Ocschichten von den
schädigenden Toten 58
Drechsler, Gymnasialdirektor Dr. phil. P., Märchen und Sagen aus Ober-
schlesien 94
— Scherz- und Ernsthaftes über besondere Zusammensetzungen mit
aus- und be- im Schlesischen 99
Olbrich, Oberlehrer Dr. phil. K., Was die Grossmutter singt ... 103
— Ostergiessen auf Schloss Lubowitz 1804 110
Meissner, l'niv.-Prof. Dr. phil, Bruno, Mondfinsternisse im Volksglauben
der antiken und modernen Babylonier . ... 113
Klapper, Oberlehrer Dr. phil. .1., Eine Weltchronik des ausgehenden
Mittelalters 119
Bowak, Oherlehrer Dr. phil. Alfr., Drei Dramen mit Verwendung der
schlesischen Mundart aus dem Jahre 1618 . . 141
Kühnan, Oberlehrer Prof. Dr. phil. R., Schlesische Flurumzügc, besonders
das Saatenreiten 173
Patschovsky, Hanptlehrer W., Volkstümliche Zimmer-, Garten-, Feld-
iind Waldpflanzen im Biebaner Tale .... 186
llellmieh, Kgl Bandmesser M , Volkstracht in der Gegend von Boyadel 203
Drechsler, tiymnasialdirektor Dr. phil. P., Kin alter Vertragshrauch . . 208
(iebhardt, Behrer, Zimmermannssprnch 210
Drechsler, Gymnasialdircktor Dr. phil. P., Oberschlesisches vom Wasser-
mann 212
Wntke, .Archivrat Dr. K., Schlafen in der Bedeutung von VerrUcktsein 215
Bcsppofhuncpu.
Schlesiens volkstümliche Überlieferungen Band III Teil 1:
Kühnau, Richard, Schlesische Sagen (Dr. 0.) 215
de Wyl, Dr. Karl, Rübezahl-Forschungen (-p-) 216
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IV
Seile
Jilrgensen, Iir. Wilhelm, Martin-slieder (-p-) 217
Drechsler, lir. Faul, fiergbau und Hergmannsleben in Schlesien (Siebs) 218
Böckel, Otto, Psychologie der Volksdichtung (Dr. K. ü.) 218
Schwerin, H. H. von, Helgoland (Siebs) . 221
Siebs, Dr. phil. Theodor, Helgoland und seine Sprache (Dr. K.) .... 221
GeseliSft liehe Mitteiliing;en.
Sitzungsberichte 111, 22H
Eingänge . 224
Nachrichten und .Anzeigen .... 112, 224
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X
1
Einiges über den italienischen Volkscharakter. ')
V’on Dr. Arnold Oskar Meyer.
In (lor Bpurtcilung: des italienisrlien Volkscliarakters bestellt
ein überraschender Widerspruch zwischen dein, was in einer Reihe
klassischer Werke unserer Literatur über Italien und die Italiener
niedcrgelegt ist, und dem , was man jeden Tag von den meisten
unserer nach Italien reisenden Landsleute zu hören bekommt. Das
Volk, dessen Charakterbild Goethe, Gregorovius, Viktor Hehn n. a.
mit so viel Liebe studiert und zu zeichnen versucht haben, scheint
ein völlig anderes Geschlecht zu sein, als das, das uns aus den
meisten Schilderungen und Urteilen des normalen deutschen Italien-
fahrers entgegentritt. Was in der Literatur als ein adlig Ge-
schlecht, als Edelrasse erscheint, das wird in den Erzählungen
des Durchschnittsreisenden zu einem Gaunervolk und Bettler-
gesindel. Gewi.ss urteilen nicht alle Reisenden gleich hart, be-
sondei-s werden Hötlichkeit und natürliche Liebenswürdigkeit den
Italienern gern zugestanden; aber darüber kann wohl kein Zweifel
bestehen, dass Unredlichkeit, Unreinlichkeit und zudringliche
Bettelei die Hauptbestandteile bilden, aus denen sich die volks-
tümliche Vor-stellung des Deutschen vom Italiener zusammensetzt.
Während der Reisende .sein Urteil über die italienische Knust
bereitwillig am Urteil von Autoritäten liildet, und lieber pflicht-
schuldige Begeisterung zeigt als ein geringschätziges Urteil wagt,
traut er in der Beurteilung des italienischen Volkes ohne Zögern
dem eigenen Blick und scheut sich nicht, seiner Geringschätzung
oder Verachtung dieses Volkes offen Ausdruck zu geben. Nicht
alle gehen so weit wie eine Berliner Dame, die ich vor einer
italienischen Tischgesellschaft auf italienisch sagen hörte: „Italien
wäre ein wunderschönes Land, wenn es einmal 24 Stunden unter
Was.ser ge.setzt werden könnte, damit alle Italiener ersöffen!“ —
aber auch denen, die aus Achtung vor Sitte und Gastrecht ihre
') Vortrag, gohulten in der .Sitzung vom 11. Dezember 1908.
UllU'lliini'cii <1. scble». U«s. r. Vkilr. Iloli XXI. 1
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2
Gefühle der Altneifrun"' beherrsclieii , iiHept. das italienisclie Volk
doch eine mehr oder weniger unangenehme Zugabe zu den Ge-
nüssen der Italienreise zu sein.
Erklärt sich dieser Widerspruch daraus, dass in der Literatur
ein poetisclies Idealbild des italieni.schen Volkes lebt, während das
alltägliche, volkstümliche Urteil die Wirklichkeit zeichnet? Oder
so, dass der flüchtige Reisende nur die Schattenseiten des
italienischen Volksctuirakters zu sehen bekommt, während die
guten Eigenschaften des Volkes sich erst dem länger Weilenden
oder häufig Wiederkehrenden otfenbaren? — Ich zögere keinen
Augenblick, die Alternative im Sinne der zweiten Frage zu be-
antworten. Die überwiegende Jlelirheit der Tadler ist unter den
flüchtigen Reisenden zu finden; die überwiegende Mehrheit der
Lobredner unter den Fremden, die länger im Lande gewesen sind.
Ich habe an mir .selber die Erfahrung gemacht, dass ich, der ich
das weitverbreitete Vorurteil gegen die Italiener teilte, in all-
mählicher Wandlung immer mehr und mehr von meiner anfäng-
lichen Abneigung liess, und bei vielen anderen Fremden, die in
Italien leben, besonders Deut.schen und Engländern, habe ich die
gleiche Beobachtung gemacht.
Der zu kurzem Besuch kommende Fremde bildet sein Urteil
über die Italiener an anderem Material als der, dem es beschieden
ist, länger im Lande zu bleiben. Venedig — Florenz — Rom — Neapel
ist die gegebene grosse Heerstrasse für den Fremdenverkehr; die
Fülle des Sehenswerten lässt den meisten keine Zeit, einmal auf
Seitenpläden zu wandern. Der Reisende lernt also eine Be-
völkerung kennen, für die der Fremdenverkehr alte Tradition i.st
und einen annähernd fe.sten Bestandteil ihrer Einnahmen bildet.
Wir sehen aber an der Bevölkerung der Schweiz, z. T. auch der
Rheinlande und anderer vielbesuchter Gegenden, dass ein starker
Fremdenverkehr .schädlich auf den Volkseharakter einwirkt: es
bilden .sich doppelte Preise heraus und eine doi>pelte Moral, .solche
für Eiidieimi.sche und solche für Fremde. Die Bevölkerung von
Venedig, Florenz usw. kann daher für den Beurteiler des
italieni.schen Volkscharakters nicht als einwandfreies Material
gelten. Nun kommt hinzu, dass der flüchtige Rei.scnde von dieser
Bevölkerung in der Regel nur die Bettler, Kutscher, Kellner und
Portiers kennen lernt, allenfalls noch Eisenbahn- und Po.stbeamte.
Man braucht von Kut.schern und Kellnern keineswegs schlecht zu
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(lenken — als Vertreter der Nation wird man sie schwerlich
freiten lassen. Stammen sie nun obendrein aus Städten, durch die
der stärkste Fremdenverkehr Hütet, so können sie nicht einmal
als Vertreter ihres eigenen Standes gelten. Der Durchreisende
kommt also in Berührung mit einem Menseheninaterial, das ihn in
keiner Weise zur Verallgemeinerung seiner Beobachtungeir be-
rechtigt. Aus der Neigung zu rascher Verallgemeinerung aber er-
klären sich nun einmal die meisten Trugschlüsse, und aus dieser
selben t^iielle, nicht aus dem Gegensatz von Poesie uiuPProsa,
möchte ich auch den vorhin berührten Widerspruch zwischen den
literari.schen und den alltäglichen Urteilen über den italienischen
Volkscharakter erklären.
Wenn ich nun heute Abend versuchen will, einiges über den
italienischen Volkscharakter zu .sagen, so möchte ich vorau.s-
.schicken, was ich schon bemerkte, als ich die freundliche Anf-
fordernng zu diesem Vorträge erhielt: da.ss ich für eine wi.ssen-
.schaftliche Behandlung des Gegenstandes nicht ausgerüstet bin,
sondern Ihnen nur von den rein pei’sönlichen Jlindrücken si)rechen
kann, die ich im Laufe eines mehrjährigen Aufenthaltes von den
Italienern erhalten habe. Eine wis.senschaftliche Erörterung der
Frage mü.sste vor allem .scheiden zwi.schen Italienern und Italienern ;
sie mils.ste beginnen mit einer Untersuchung der Ra.ssenge.schichte
des Volkes. Die Nachkommen der lüngobardi.schen Siedlungen in
Norditalien und weiten Gebieten Mittelitaliens haben mit der stark
orientalisch versetzten Bevölkerung Siziliens und süditali.scher
Laud.schaften so wenig, vielleicht noch weniger, gemein, als der
Friese mit dem Elsässer. Die wissen.schaftliche Forschung würde
also damit an fangen, den (fesamtbegritl’ „Italienischer Volks-
charakter“ in seine Bestandteile nach Ra.sseu zu zerlegen, und
würde vielleicht damit enden, dem Gesamtbegrift seine Da.seins-
berechtigung überhaupt abzusprechen. Sie würde sich weiterhin
zu befa.ssen haben mit dem Problem, das Treit.schke einmal nennt
„Jenen rätselhaften Gegen.satz von Süd und Nord, der unter den
mannigfachsten Formen überall gilt, in Nordamerika wie in
Deutschland und Italien und in den Niederlanden“ *).
Auf ein derartiges tieferes Eindringen in den Stoff mu.ss ich
') Treitsclike, llio Republik der vereinigten Niederlande,
u. polit. Aufsätze 11 (j. Aull, 18«6j 42U.
Historische
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sclion deshalb verzichten, weil ich nur iin Herzen des Landes
wirklich heimisch geworden bin, in der Keimzelle des römischen
Weltreichs, wenn ich so sagen darf — iin Lande der alten
Latiner, Volsker, Heriiiker, Aequer, Sabiner und Etrusker. Von
nahezu fünf Jahren italienischen Aufenthaltes kommen nur etwas
über vier Monate auf andere Teile des italienischen Festlandes,
von Sizilien kann ich überhaupt nicht reden.
Statt den Begriff des Volkscharakters zu zersetzen, will ich
mit der Frage beginnen: gibt es etwas, was allen, auch den
einander fernst stehenden, Italienern gemeinsam ist, und was sie
gleichzeitig trennt von den nordi.sclien Völkern, sagen wir, von
uns Deutschen? — Ganz gewiss gibt es so etwas! Worin aber
liegt es? — Die populäre Vorstellung würde dieses Etwas viel-
leicht in die Schlagworte fassen „Deutsche Treue — welsche
Tücke!“ Mich mit einer solchen Anschauung auseinanderzusetzen,
habe ich in dieser Versammlung nicht nötig. Wohl aber möchte
ich kurz eingehen auf eine andere Vorstellung, die heute weit
verbreitet ist: die Vorstellung von einer unbedingten Überlegen-
heit der germanischen Hasse über die romanische. Das heutige
Deutschland ist dem heutigen Italien — um nur von diesen beiden
Völkern zu sprechen — überlegen an politischer Macht, an mili-
tärischer Zucht, an Reichtum, an Schulbildung usw., vor allem an
Wirksamkeit und Leistungskraft seiner staatlichen Organe. Das
hieraus stammende, gewiss berechtigte Gefühl der Überlegenheit
lässt sich aber an dem allen nicht genügen, sondern wird zur
Geringscliätzung der gesamten modernen Kultur Italiens und
stempelt das Volk zu einem Volk vergangener Grösse und gegen-
wärtiger Dekadenz. Liegt etwa hierin das, was den Italienern
gemeinsam i.st und sie von uns trennt? Und i.st unsere Überlegen-
heit eine Überlegenheit der Rasse?
Wer auf die Geschichte der germanischen und romanischen
Völker im letzten Jahrtau.send zurückblickt, wird Mühe haben, das
Dogma von der f'berlegenheit der einen Ra.sse über die andere
histori.sch zu erweisen; er wird darin nicht mehr erkennen, als
den Ausdruck des Glaubens der Völker an ihren weltgeschicht-
lichen Beruf. Was uns im letzten Grunde trennt von den
Italienern und uns in vielen Punkten überlegen macht, das ist
nicht so sehr die Verschiedenheit der Ras.se, als vielmehr das
verschiedene Alter unserer und ihrer Kultur. Ra.ssen altern so
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gut wie Individuen; in ihrem Alter liegt der Hauptschliissel zum
Charakter der italienischen Rasse. Der Italiener fühlt sich durch-
aus, und mit Stolz, als Solin eines alten Kultunolkes, und was
ihm sein tiefstes Gepräge aufdrückt, was in seinen Vorzügen wie
in seinen Fehlern gleichennassen hervortritt, das scheint mir aus
der alten Kultur dieses Volkes leichter zu erklären, als aus irgend
etwas anderem. Wenn ich ein einzelnes Wort nennen soll, eine
Charaktereigenschaft, in der das Alter des Volkes be.sonders her-
vortritt, so könnte ich kein deutsches Wort nennen, sondern nur
ein Wort, das der Italiener in unzähligen Fällen, unter den
mannigfachsten Umständen und in den verschiedensten Abstufungen
der Bedeutung braucht — ich meine das Wort paziema.
.Ahbia pazienza!“ kann heissen: „Entschuldigen Sic freund-
lichst!“ „Abbia pazienza!“ kann heis.sen: „Füg dich ins Unver-
meidliche!“ „Pazienza!“ trö.stet der Reisende, der stundenlang auf
den verspäteten Zug wartet, und das.selbe Wort „Pazienza!“ ruft
sich der Men.sch zu, dem der Tod sein Liebstes genommen, dem
das Leben alle Hotfnung zerstört hat. „Pazienza!“ sagte einst
Kardinal Caratfa, der Xepot Papst Pauls IV., als ihm sein Todes-
urteil verkündet wurde ‘). Pazienza ist ebenso die Nachsicht
gegenüber einem kleinen Versehen wie die Gleichgültigkeit gegen
Ungehöriges, ist ebenso die Geduld im Warten wie der Gleichmut
im Unglück, die Resignation im tiefsten Schmerz und der Duldcr-
inut gegenüber dem Unabänderlichen. Kurz: pazienza im guten
wie im schlechten Sinne ist eine Alterserscheinung im Leben
eines Volkes, ein passiver Zug, ein Sichgehenlassen und Ver-
zichten. Es ist kein Zufall, dass die Italiener gerade dieses
Wort so oft im Munde führen und ihm so viele Bedeutungen ge-
geben haben; in der pazienza liegt die Schwäche und die Stärke
der Italiener zugleich.
Aus der pazienza stammt die Geringachtung des Wertes der
Zeit — das Wort „time is money“ hätte kein Italiener erfunden! —
stammt die Unjiünktlichkeit, die Neigung zum müssigen und zweck-
losen Herumschlendern und Herumstehen, das für die öffentlichen
Plätze der italienischen Städte so charakteristisch ist, aus der
pazienza das gleichgültige Achselzucken gegenüber offenbaren und
') Ranke, Oie rüinisclicn Päpste in den letzten vier Jahrh. I (10. Aufl.)
209: , jenes schmerzliche Wort, das ni,an in Italien in verzweifelten Fällen hört“.
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lieilbaren Misstiimlcn dos öffontlirlicn Leboiis. aus dor pazieiiza
das fatalistische Häiide-iii-den-Schoss-legon nach einem grossen
Un}2:lück. Als iin April 1006 der grosse Ausbruch des Vesuvs er-
folgte und etwa gleichzeitig San Francisco durch jenes furchtbare
Erdbeben zerstört wurde — wie ganz anders war die Haltung der
vom rnglück betroffenen Bevölkerung in Amerika und am fJolf
von Neapel! In Amerika fieberhafte Tätigkeit, Anspannung aller
Kräfte und Konzentiierung auf den einen (iedanken der Rettung
und Wiederherstellung. Am Vesuv — ]iazienza! Ein apathisches,
wie gebrochenes, widerstandsloses Volk, das den Zorn (Jettes hin-
nahm und ihn nur durch Proze.ssioneti mit heiligen Bildern zu
besänftigen suchte, ein Volk, das alle Rettungsarbeiten dem zu
Hilfe geschickten Militär ül)erliess und oft geradezu gezwungen
werden mu.sste, selber mit Hand anzulegen bei der Bergung seiner
eigenen Habseligkeiten ').
Aus der pazienza stammen aber auch gute, stammen die,
liebenswürdig.sten Eigenschaften des italienischen Volkscharakters.
Geduld und Nachsicht sind wichtige, vielleicht die wichtigsten
Bestandteile wahrer Höflichkeit. Höflichkeit in diesem Sinne
aber, eine Höflichkeit, die mehr ist als Beherrschung der gesell-
schaftlichen Formen, als äus.sere Wohlerzogenheit, ist den Italienern
in hervorragendem Jlasse eigen. Sie stehen hinter den nordischen
Völkern vielleicht zurück an gcsell.schaftlicher Korrektheit, sie
legen auch wenig Wert auf die feinen Unterscheidungen, die be-
sonders die angelsächsische Höflichkeit ausgebildet hat für die
Beziehungen der Männer untereinander und für den Verkehr des
männlichen mit dem weiblichen Geschlecht. Die nie versagende
Gefälligkeit aber, die Freundlichkeit und Fürsorge für den
Fremden, das bereitwillige Eingehen auch auf ab.sondcrliche
W'ünsche und Gewohnheiten, das Zurückstellen eigener Interessen
und Rechte zugunsten des Fremden, kurz, die pazienza mit dem
Fremden macht das Reisen in Italien, trotz der mangelhaften
italienischen Eisenbahnen, vor allem aber die Fus.swanderung zu
einem stets erneuten Genuss, besonders in Gegenden, die vom
Fremdenverkehr weniger berührt werden. Wenn ich auf meinen
vielen, meist einsamen, Wanderungen in der Campagna, in den
') I»ie Berichte (liier das jüngste Erdbeben von Messina bestätigen diese
lieubachtiing aufs neue.
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Sabiner- oder Volskerberffen mit einem berittenen Eingeborenen
ZHsammenfraf und eine Strecke des Weges mit ilim gemeinsam
liatte, so unterliess der Eingeborene doch nie, mir gleich nach
den ersten Worten der Bc'grüssung sein Reittier, Pferd oder Maul-
esel , anznbieten — nicht etwa im Gedanken an ein Trinkgeld,
sondern aus jener Höflichkeit heraus, die der Italiener für jeder-
mann hat, besonders aber dem Fremden entgegenbringt.
Die beste Probe für die Höflichkeit eines Volkes, vor allem
für die Verbreitung der Höfliclikeit in den niederen Schichten des
Volkes, ist wohl das Benelimen der Menge beim Auseinamlergehen
einer nach Zehntausenden zählenden Volksversammlung. Wer von
der Pberlegenheit deutsclier oder englischer Kultur gar so tief
durchdrungen ist, der sollte einmal in Italien eine grosse Volks-
versammlung mitmachen, sei cs im gesclilossencn Raume, sei es
unter freiem Himmel, oder er sollte mit 80000 andern ^lenschen
zusammen in den Hallen der Peterskirche stehen. Wenn dann der
gefürchtete Augenblick des Aiiscinandergehens kommt, so wird er
eine ungeahnte ('berraschung erleben und sich vielleicht sagen,
dass er den Begriff „Kultur" etwas zu eng gefasst liabe. Da ist
kein Schubsen und Knuffen und Stossen, kein Gebrauch der Ell-
bogen, kein ungeduldiges oder unfreundliches Wort im Gedränge,
sondern — pazienza. Langsam und ruhig geht die Menge aus-
einander, als ob es vorher eingeübt worden wäre. Die Leerung
der gefüllten Peterskirche nimmt über eine Stunde in Anspruch.
Wird das Gedränge einmal an einer Stelle zu arg, so ertönen
tiicht Schimpf-, sondern Scherzworte; ich habe nie gehört, dass
bei solchen Anlässen Köri»erverletzungen vorgekommeu, oder dass
gar — trotz vieler Ohnmächten infolge stundenlangen Stehens in
sclilechter Luft — Meuschenleiber zertreten worden wären. Weder
in Deutschland, noch in England könnte man das Wagnis begehen,
das in Rom gelingt: 65 — 70000 Eintrittskarten werden für grosse
Kirchenfeiern in der Peterskirche ausgegeben, und eine Stunde
vor Beginn erhält auch das ohne Karten vor der Kirche wartende
Volk Einlass durch die beiden Portale des Domes.
Und das ist möglich in dem Volk, das sich selber die Tugend
der Disziplin abspricht;
, . . . alla virtti latina
() nulla tnanca, o sol’ la disciplina“ ').
b Tassu, Gerusalemmc liberata, canto 1 atr. B4.
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s
Es ist eben nicht Disziplin, was hier ziitape tritt, niclit die Eigen-
schaft, die der Italiener bew'undert an der jiünktlichen und zu-
verlässigen Beanitenscliaft Deutschlands und Englands, sondern cs
ist jenes Geschenk alter Kultur: pazienza. Hier zeigt es sich
deutlich, dass die sogenannte — bald lobend, bald verächtlich so
genannte — Kindlichkeit der Italiener nicht verwechselt werden
darf mit der Kindlichkeit unzivilisierter Völker, etwa der Russen,
die. die Krönung ihres Zaren durch Tausende zertretener Menschen-
leiber feierten').
Die Kindlichkeit der Italiener ist, wie ihre pazienza, eine
Alterserscheinung. Wie oft hört man von Fremden, die in Italien
leben und die Italiener kennen, das Wort, das dann wie der Aus-
druck ihres Gesamturteils über das Volk erscheint: „Die Italiener
sind doch rechte Kinder!“ Ich kann mich nicht erinnern, in den
Urteilen fremder Völker über die Italiener des Mittelalters oder
des 15. und 16. Jahrhunderts je dem Wort von der Kindlichkeit
der Italiener begegnet zu sein. Es ist im Leben der Völker wie
in dem einzelner Menschen: das hohe Alter nimmt wieder Züge
der Kindheit an. Wer sich zur Ruhe setzt, wer ausscheidet aus
dem Kampf ums Da.sein, der wirft die Sorgen des Lebens hinter
sich und kehrt zurück zu den einfachsten Formen, zu den harm-
losesten Freuden des Lebensgenus.ses. Dieser kindliche Zug der
Italiener zeigt sich am liebenswürdigsten — ich möchte fast
sagen: am beneidenswertesten — in der glücklichen Gabe, den
Augenblick zu genic.ssen , in der Fähigkeit zur Freude bei dem
geringsten .\nla.ss, in der Harmlosigkeit des italienischen Witzes
und Scherzes — einer Harmlosigkeit und Genügsamkeit, die einen
Anlass zum herzlichen Lachen schon findet, wo der Nordländer
ei-staunt fragt: „Ja, wo i.st denn die Pointe des Witzes?“ Scherze,
mit denen man in Deutschland nur Kinder erfreuen würde, er-
freuen ln Italien den Erwachsenen. Umgekehrt hat der nordische
Witz für den Italiener etwas zu gedachtes, erscheint ihm zu
.spitzfindig, um noch als Witz genossen zu werden. Bei der
Lektüre in fremden Sprachen ist bekanntlich kein Gebiet schwerer
zu erobern als das des Witzblattes. Während aber der Deutsche
sich z. B. in ein engli.sches Witzblatt einle.scn kann, und der
Engländer ein deutsches verstehen lernt, bleiht uns das italienische
') Auf dem l'hoJynskiftlde bei Moskau (itO. .Mai
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Witzblatt iin allgemeinen nngeniessbar, erscheint uns albern und
platt, wie auch umgekehrt das deutsche Witzblatt dem Italiener
schwerfällig vorkommt, überladen mit (jedankeninhalt.
Wir, als ein junges Kulturvolk, das weit mehr hinaus in die
Zukunft blickt, als zurück in die Vergangenheit, wir nehmen das
Leben ernst und .schwer; das alte Kulturvolk der Italiener, das
auf Schritt und Tritt an .seine grosse Vergangenheit erinnert
wird, nimmt das Leben leichter und fröhlicher, wie mit dem Be-
wusstsein getaner Arbeit. Nie hat sich mir die.ser Unterschied
der beiden Lebensanschauungen, Lebensbewertungen, so aufgedrängt
wie im P’alle einer Jugendentwickelung, in der beide .\utlassungen
des Lebens lauge miteinander kämpften. Es handelt sich um ein
junges Mädchen, des.sen Vater Amerikaner angelsächsischer Ka.s.se,
des,sen Mutter Italienerin aus römischem Adel ist. Als ich das
junge Mädchen kennen lernte, war sie 17 Jahre alt, hatte einen
unbezähmbaren Wissensdrang und Lerneifer, konnte nicht genug
geistige Nahrung erhalten und blickte mit Verachtung herab auf
das Nichtstun und den geringen Bildungseifer des durchschnitt-
lichen italienischen Mädchens. Sie schien durch und durch
amerikani.sche Energie und Betriebsamkeit. Im Lauf der Jahre
ging eine kaum merkliche, aber stetige Veränderung mit ihr vor,
ihr Eifer lie.ss langsam nach, ihr Bedürfnis nach Behagen und
Ruhe nahm zu, und als ich mich von der 22jährigen verab-
.schiedete, lag sie auf der Terras.se einer Villa am Meer im Faul-
stuhl au.sgest reckt, über sich ein Dach von Grün und Blüten, den
Blick hinaus auf das tiefe Blau des Meeres gerichtet, das Ohr
auf das gleichmä.ssige Rauschen der Brandung — von Büchern
oder .sonstiger .\rbeit keine Si)ur um sie her, nichts, aber auch
gar nichts als iluke far nienlc, als Genuss des schönen, flüchtigen
-Augenblicks. Zum Abschied sagte sie: „Ich hab es aufgegeben.
Was hat das Arbeiten für einen Zweck? Die Welt ist so .schön
— .sehen Sie nur! — und das Leben so kurz! Wozu es füllen
mit .Arbeit und Mühe — was kommt am Ende heraus? Ich
habe mich frei gemacht davon : das italienische Blut in mir hat
gesiegt“.
Ich brauche wohl nicht hinzuzufügen, dass das, was hier zu
zwei extremen Lebensanschauungen theoretisch zugespitzt er-
.scheint, in der Wirklichkeit oft anders au.ssieht. Dass die
Italiener auch arbeiten können, und gesuchte Arbeiter sind, be-
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sonders für Strassen- und Eiscnbahnhaii, das wciss alle Welt,
wciss besonders aucli Dcnfscliland, Die Lombardei, in der das
junge, das germanische Blut die Oberhand gewonnen hat, ist
reich an blühenden Industriezentren. Das Leben ist dort Arbeit,
wie nur in irgendeinem Laude nördlich der Alpen — beiläufig;
ein Zeichen, wie wenig der Volksdiarakter mit dem Klima zu
tun hat; denn die Lond>ardei mit ihren glühenden Sommern und
ihren kalten Wintern ist weniger geschaften zu einem Tainde der
Arbeit als weite Strecken Mittelitaliens mit mässigeren Wärme-
und Kältegraden, t'ber iUailand feine der hei.ssesten Städte ganz
Italiens) fällte vor kurzem ein Amerikaner das Urteil: „Die Ver-
einigten Staaten können kaum eine Stadt von gleicher Grösse
aufwei.scn, die mit Mailand wetteifern könnte an Aufschwung und
Betriebsamkeif* Allein man kann weder die Lombarden, noch
die au.sgewandertcn italienischen Arbeiter, die mit der Not des
Lebens zu kämpfen haben, an führen als typische Vertreter der
italienischen Lebensanschauung. .Jenes eben erwähnte Mädclien,
das als Kind zweier Ba.ssen niclit naiv zur italieni.sehen Leben.s-
kunst gelangte, .sondern im bewussten Gegensatz zur angelsächsi-
sclien Bewertung des J.,ebens, hat mit den Worten: „Was kommt
am Ende heraus?“ das Motto ausgesprochen, das der Durch-
schnitts-Italiener über das Kapitel „.Arbeit“ schreiben möchte.
Während bei uns dei' vollkommene Nichtstuer allgemeiner
Verachtung anheimfällt, und audi der Faulenzer wenigstens den
Schein der .Arbeit und eines Lebensberufes annimmt, ist in Italien
der Memsch, der nichts tut, und auch nichts zu tun vorgibt,
weder eine verächtliche, noch eine seltene Erscheinung. .Auf die
Frage nach dem Beruf eines Measchen kann man wohl die .Ant-
wort erhalten: „E un signore“. Ich habe zuweilen die Beobach-
tung gemacht, dass der amerikanische Geschäftsmann, dessen
ganze Le!)enskraft der .Arbeit geliört hatte, in Italien die tiefsten
Eindrücke nicht von der hohen Kunst oder der schöllen Natur
empfing, auch nicht von den Denkmälern einer gro.ssen A’ ergangen-
heit, .sondern — vom italienischen Volke, dem Volk mit den
lachenden .Augen. Dann konnte ihn etwas befallen wie Reue über
‘) William Koscoe Tliaycr. Italka. Stndies in Italian I.ifc and Letters
(London lilOH) 308; The l’iiited States can scarccly show a city of equal size
tü match .Milan for progrcssivencss and „hüstle“.
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ein vciiorenes Lehen, und mit nll seiner Gesehäftsklnglieit kapitu-
lierte er vor der Lebenskunst der Italiener. Sein Trost war dann:
jlcli liätt's eben doch nicht gekonnt!"*
Die Freude am Leben, am Tjcben um seiner selbst willen, an
der blossen Tatsache des eigenen Daseins, ist die Gabe des
Italieners — eine Gabe, die den jungen, mitten im Wettkam])f der
Welt stellenden Völkern verloren gegangen i.st. Eine Menge
kleiner, harmloser Freuden, für die der arbeitende Mensch keine
Zeit hat, oder denen er gar nicht seine Beachtung schenkt, haben
ganz andern Sinn und Wert für den Italiener. Der Italiener
liebt das Leben mit aller Inbrunst — der Lebende ist glücklich,
der Tote ist ein armer Unglücklicher: povem. Welch tiefer Unter-
schied in der Autt'a.ssung vom Werte des Lebens liegt darin, dass
wir von den Toten als selig sprechen, der Italiener nur als |wcm'/
Der Eindruck, den die.se Erfahrung das erste Mal auf mich
machte, ist mir unvergesslich geblieben. Ein Kastellan führte
mich durch ein Schlo.ss, in dem Bilder von Mitgliedern des könig-
lichen Hauses hingen. Er zeigte mir das Bild des regierenden
Königs, dann das seines Vaters, des „povero re Umberto“. Ich
fand nichts an dem Ausdruck, da ich an den tragischen Tod
König Ilumberts dachte. Doch dann ging es weiter: „Ecco il
povero Vittorio Emanuele II“. , Warum nennen Sie ihn ,povero‘? “
fragte ich erstaunt, ,. Viktor Emanuel II. war doch ein glücklicher
Mann!“ „Si! .Ma e niortol fc un povero“, erwiderte der Kastellan
erstaunt, „i morti, per noi Italiani, sono poveri“. Ich wus.ste da-
mals noch -nicht, dass die deutschen Worte , meine selige Mutter,
meine verstorbene Mutter“ auf italienisch lauten „mia povera
niamma“.
Es .scheint, als ob die.se Liebe zum Leben durch nichts ge-
brochen, diese Fähigkeit, das Leben leicht, und die Arbeit nicht
zu schwer zu nehmen, dem Italiener durch nichts geraubt werden
könnte! .Auch nach der .schwersten körperlichen Arbeit bricht die
heitere Da.seinsfreude immer wieder durch und verschafft sich ihr
Hecht. Ja, die Art. wie die .Arbeit selbst vemchtet wird, hat
oft einen Zug leichter spielerischer Fröhlichkeit. Nirgends habe
ich das mehr empfunden als in Neapel, diesem Paradiese, in
dem es nichts*^ zu geben scheint, woran der Lebensgenuss nicht
sein Teil haben könnte. Die Verladung von Kohlen in den Rumpf
eines Schiffes, eine Arbeit, die nur von der „Hefe“ des Volks der
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Hafenstadt veniclitet wird — diese Arbeit, sollte inan glanben,
bat nichts an sich, was sie veredeln oder den Blick des Be-
schauers anziehen könnte. In Neapel konnte ich das Aiigrc nicht
ahwenden von den KohlentrUgern , die in mehrstündiger schwerer
Arbeit Korb um Korb in das Schiff trugen. Ein zerlumptes, halb-
nacktes Gesindel — und dennoch! Nicht nur, da.ss durch den
Schmutz und die schwarze Schicht des Kohlenstaubes die Schön-
heit dieser Kör])er und Glieder durchleuchtete — mit welchem
Anstand trugen sie, hochaufgerichtet, die .schwere Last, leicht
schreitend, als trügen sie Körbe mit Blumen! Zum Schluss warfen
sie die paar Lumpen ab, die sic noch um die Lenden hatten,
sprangen ins Meer und tollten und spritzten übermütig im Wasser
herum, nach der harten Arbeit sofort wieder fröhlich und frisch.
Diese unverwüstliche Lebenslust bedarf keines Alkohols, um
geweckt zu werden. In Italien, einem der reichsten Weinländer
der Welt, gibt es weniger Trunkenheit als in Deutschland und
England. Am meisten ist mir Trunkenheit unter Italienern noch
in Venedig aufgefallen, wo mir oft die Nachtnihe gestört wurde
durch johlende Schwärme von Betrunkenen, die in Prozession die
Wasserstadt durchzogen. In Rom sind die meisten Betrunkenen
Deutsche. Im Neapolitanerlande dagegen, wo der Wein doch nicht
nur gut und billig zu haben ist, sondern auch stark dazu, .spielt
der Alkohol nur eine ganz untergeordnete Rolle bei den Ver-
gnügungen des Volkes. Wer genug hat, trinkt eben nicht mehr,
und man kann in neapolitaniselien O.sterien Gesellschaften finden,
die samt und sonders vor leeren Gläsern sitzen. An die Stelle
des Weines tritt dann die Musik; einer nach dem anderen trägt
ein Lied vor, das von der Mandoline begleitet wird; steigert sich
die Stimmung, so kommt der Tanz zu seinem Recht, oft auch
dann, wenn keine Tänzerinnen zu haben sind. Die natürliche .An-
mut der Tänzer macht auch den Tanz von Bur.schen unter sich
zu einem Schauspiel für das Ange.
Als das Städtchen (!astelgandolfo in den .Albanerhergen die
Einweiliung .seines elektrischen Lichtes festlich beging, wurde ein
Volksfest gefeiert vom hellen Mittag bis zum Einbruch der Nacht.
Das Volk vergnügte sich fast nur mit Musik und Tanz, veran-
staltete fe.stliche rnizüge mit Gesang und — lie.ss, wie bei uns
die Kinder, kleine Luftballons fliegen. Die Ballons stiegen hoch
hinauf, wurden dann vom Winde ülier den lilauen Albaner See
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getragen und senkten sich scliliesslich in langsamem Falle immer
tiefer und tiefer in das Becken des Kratereees, bis einer nach
dem andern den Wasserspiegel berührte und schwimmend weiter
trieb. Mit diesem kindlichen Spiel konnte das ganze Städtchen
sich vergnügen. Ich kam am Mittag durch den Ort und abends
wieder: ich habe keinen Betrunkenen gesehen.
Mit dieser Fähigkeit zu hannlos-lieiterem Lebensgenu.ss hängt
es zusammen, da.ss in Italien der Mensch dem Menschen leichter
nahe tritt als bei uns und anderen Völkern ernsterer Grundstim-
mung. Bei uns wird der Mensch in erster Reihe nach .seiner ge-
sell.schaftlichen Stellung eingeschätzt und behandelt; die Gesell-
.schuft zerfällt in Kasten und jede Kaste wieder in Gruppen. Die
sozialen Gegen.sätze sind bei uns schärfer als in Frankreich, als
in England, sind vor allem unvergleichlich schärfer als in Italien.
Der Gegensatz von Arm und Reich ist in Italien gewiss grös.ser
und handgreiflicher als bei uns — Italien hätte Sozialpolitik
dringender nötig als wir — nur wenige Stunden vor den Toren
Roms, noch im Angesicht der Kuppeln und Türme der Stadt,
liegen die Hüttendörfer der Campagnuolen: zeltartige Hütten aus
Besenkraut, die kaum anders aussehen als die Indianerwig^vams
auf den .Abbildungen unserer Jugendschriften. Eine Armut herr.scht
dort, die nach unseren Begriffen auch nicht die bescheidensten
Ansprüche des Lebens befriedigt und nur eben für italienische
Bedürfnislosigkeit erträglich ist. „Signore“, .sagte einmal eine
.solche Hüttenbewohnerin zu mir, „Signore“, wenn Ilir heimkommt,
kommt Ihr in ein Haus mit Fenstern“. Ein Haus mit Fenstern
— für die.se Frau war es ein Palast; sie durfte nicht hoffen, je
in einem solchen Hause zu wohnen. Dennoch sind die sozialen
Gegemsätze in Italien gelinder als bei uns: der Xiederstehende ist
weniger unterwürfig, der Höherstehende weniger anmassend. Und
der Vornehme darf sich eher zum Geringeren herablas.sen , oder
richtiger, ihn zu sich heraufzielien, weil er sicher ist, da.ss der
Niedere die Distanz wahren und sich nicht zu plumper Vertrau-
lichkeit herandrängen wird. Auch dies, der soziale Takt, ist —
wie die italienische Höflichkeit — nur zu verstehen als das Er-
gebnis einer alten Kultur.
In Italien besteht kein Bedürfnis für jene Abschlie.ssung, die
in Deutschland, wenigstens in Preassen, der Offizier und der
höhere Beamte glaubt wahren zu müssen. In Preu.s.sen wäre eine
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Srciu? uinnöu;licli, dii- icli einmal in Terni iin Hotel „Europa“ mit
antfcselien habe. Terni i.st eine l’rovinzstadt von 25000 Einw.,
das Hotel „Europa“ das erste am Ort. Da erschienen des Abends
ein Hauptmann, fünf Leutnants und zwei Zivilisten und nahmen
Platz an der Wirtstafel. Sie bestellten Wein, iMaecaroni, KiLse
und — holten das übrifje aus ihren Ta.schen hervor. Die Leut-
nants waren vorher im Wurstladen giewesen und hatten zwei oder
drei .stattliche Pakete Schinken und Wurst mitf^ebracht. Die
wurden hier geöffnet und unter fröhlichem Oejohlc herumgereicht.
Der Kellner stand lächelnd dabei. Niemand glaubte seiner Würde
etwas zu vergeben.
Die.ser soziale Takt ist es auch , wms den Verkehr mit dem
I.andvolk, mit den armen, hlutannen Bew(dinern der Berge, so
überaus reizvoll macht. Das Volk ist weder schüchtern noch
frech, sondern voll Anstand und Sicherheit des Benehmens. Wer
nur den italienischen Mittelstand kennt, die am wenigsten an-
ziehende Schicht der Bevölkerung, und wer sich gewöhnt hat, vom
Verkehr mit den italieni.schen Droschkenkutschern, Stra.ssenver-
käufern und Bettlern her, die Vor.stellung von dreister Zudring-
lichkeit zu verbinden mit seiner Vorstellung vom italienischen
Volk.scharakter, der wird ungeahnte Cberraschungen erleben,
wenn er sich zu einer Wanderung durch abgelegene Gebiete der
italienischen Bergwelt entschliesst. Die heute grundlose, aus ver-
gangenen Zeiten stammende Räuberfurcht hält ja noch immer die
meisten Fremden ab, die wunderbaren Schönheiten etwa iles Sa-
biner Berglandes oder anderer italienischer Gebirge in ein.samer,
tagelanger Wanderung zu genies.sen. Und doch weiss ich kein
Volk, bei dem der Fremde sicherer aufgehoben wäre, bei dem er
freundlichere Unterstützung und herzlichere Gastlichkeit fände, als
die Italiener. Wenn ich nach dem Wege fragte — denn Weg-
weiser gibt es dort nicht und, gottlob, auch keine Gebirgsvereine
— wie oft hot der Gefragte mir .seine Begleitung an oder
schickte mir seinen Jungen ein Stück Weges mit! Wie väterlich-
liebevoll sorgte sich Jener alte Sabiner Hirt , den ich hei ein-
hrechender Dunkelheit nach einem schwer zu findenden Wege
fragte: „O mein Sohn! was tust du? tin den Bergen gilt noch
das Du). Du kannst hier nicht gehen! bald kommt die Nacht,
und du verlierst den Weg; denn der Weg ist schwierig, und wie
.soll ich ihn dir beschreiben? ü tiglio mio, tiglio mio'“
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Ks ist fin licbi-s, treuliorziges und grundpIirliclH-s Volk, das
die Berge bewohnt, ein Volk, an dein die Weltgeschichte, die des
alten und die des neuen Konis, mit allem (ilanz und allem Ver-
fall ihrer äu.sseren Kultur spurlos vorUbergegangen zu sein scheint,
damit es in seiner unberührten Stille lang.sam reife zur Würde
des Alters und zum Frohsinn des Kindes. Die Hirtenflöte aus
Kohr, die noch heute in den Bergen tönt — gern von zwei Hirten
im Wechselspiele geblasen — ist älter als die ganze römische
Kultur, und die Form des Kimers, den das Mädchen zum Brunnen
trägt, erinnert mehr an Sammel.stücke prähistorischer Museen, als
an Gefäs.se. wie die Slenschen von heute sie benutzen. Kein mo-
dernes Kunstinstrument hat den Dudelsack verdrängt, den der
Hirt sich aus einem Schaffell selber gemacht hat: durch die Fell-
ötlhung der einen Vorderiifote wird das Mundstück eingeführt, an
Stelle des Schafskopfes ein Spiel von Rohrflöten angebracht, die
übrigen Fellöffnungen zugenäht und der Dudelsack ist fertig.
Was den Fremden aber vielleicht noch merkwürdiger berührt
als die.ses Stillstehen der äusseren Kultur, das i.st die gänzliche
Ahnungslosigkeit dieser Menschen von dem, wie es draussen in
der Welt, d. h. drunten im Tale, aussieht. Obwohl sie vielleicht
von ihrem Heimatsdorf aus die Petei'skuppel sehen können, kommen
sie doch, wenn überhaupt, nur selten öfter als einmal im Leben
nach Rom. Für Men.schen, die so nahe bei Rom geboren sind
und leben, wie Strehlen oder Neumarkt bei Breslau liegt, i.st eine
Roinreise ein ebenso gros.ses, vielleicht ein grö.sseres, Ereignis im
Leben wie für einen Dorfschulnieister aus Hinterpommern. Wen
nicht die bittere Not zu vorübergehender (seltener dauernder)
Auswanderung nach Südamerika treibt, der bekommt von der
Welt nicht viel mehr zu sehen, als der Blick von dem Heimatdorf
reicht.
Auf dem Wege von Palestrina nach Caiiranica in den Sa-
binerbergen ging ich eines Tiiges ein Stück Weges zusammen mit
dem Postbuben. Der fragte mich: „Bist du aus Rom?“ — „Nein“,
sagte ich, „ich bin P'reiiider“. — „Dann bist du wohl aus Tos-
cana?“ — '‘l* l>i» Deutschland“. — Da schwieg er
eine Weile; dann fragte er: „Gibt es denn nichts zu arbeiten in
Deut.schland, dass du hierher kommst?“ — Es klang im ei’sten
Augenblick beinah, als wollte er mir den Text le.sen. „Wie
kannst du hier in den Bergen hcrumlaufen, statt zu arbeiten?“
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Sein fiedanke war aber natürlich nur, dass Arbeitsuchen der
einzige Grund sei, aus dem der Mensch sein Land verlassen
könne. Eine solche Harmlosigkeit ist möglich nur eine Stunde
entfernt von einer der besuchtesten Heerstrassen des internationalen
Fremdenverkehr.s, die Europa kennt.
Oder ein iilinliches Gespräch in den Volskerbergen, bei
Montelanico. Ein Eingeborener, der ein Stück mit mir zusaramen-
reitet, fragt mich: „Bist du Korner — «Nein, ich bin hYemdei”*.
„Woher bist du denn?“ — „Ich bin Deutscher (Teclesco)'^. —
„Wenn du ein Tcde.sco bist, aus welchem Lande bist du denn
da?“ — „Ich bin aus Deutschland (GermuniaV . — „Ist das weit
weg?“ — „Länger als ein Tag Eisenbahn“. Darauf nachdenklich
nach einer W'eile: „Deutschland gehört doch nicht mehr zu Europa,
nicht wahr?“ — „0 gewiss! Deutschland ist das Land vom
Kaiser Wilhelm, wenn du von dem mal gehört hast“. Da plötz-
lich zuckt es wie Erleuchtung über sein Gesicht; „Ach .so (Ecco)!
dann ist Deutschland also ein Teil von England!“
Mit die.ser Ahnungslosigkeit von den Dingen der Welt ver-
bindet sich aber ein mächtiges, wenn auch noch so unklares Ge-
fühl: Koma — il capitale del mondo! Der weltfernste Berg-
bewohner im Sabinerlande, der kaum je hinabsteigt in die Tiber-
ebene, fühlt doch, da.ss er etwas bedeutendes au.s.spricht , wenn er
den Ann aus.streckt und dem Fremden wei.st: „Ecco Roma! Ecco
la cupola di San Pietro!“
Gew'iss drängt sich uns in manchen Augenblicken der Kon-
trast von Vergangenheit und Gegenwart mächtig auf. Wenn man
etwa zum Tempel der Göttin von Gabii i)ilgert, jenem einsamen
Campagnatempel der Juno Gabina, dessen Cella noch heute ragt,
aus gewaltigen, glatt behauenen Quadern oline Mörtel aufgetürmt,
und doch fest gefügt wie für die Ewigkeit, und man wandert
dann die gigantische Stadtmauer des alten Gabii entlang, um
nichts zu tinden, als winzige, dürftige Strohhütten der .Menschlein
von heute, angeklebt an die Felsenmauer der Vorzeit wie Vogel-
nester an den Sims eines Palastes — Hütten, die der Nordsturm
in die Tiefe blasen würde, wenn die uralte Mauer sie niclit
schützte — dann kann einen w'ohl für Augenblicke das Gefühl
von der Kleinheit der Gegenwart und von der überwältigenden
Grösse der Vergangenheit überkommen. Allein je länger man in
Italien weilt, um so mehr liört man auf, die .\ntike und die
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Kcnaissanrc immer wieder als Folie zu lulimen lür das Volk
unserer Zeit, und die Italiener deinnaeli als Epiftonen zu beur-
teilen; man gewinnt, je länger — je mehr, die Italiener von
heute mit all ihren Fehlern und Schw-ächen ebenso lieb wie ihr
schönes Land und gibt es auf, das eine vom andern, Italien von
den Italienern, zu trennen.
Aber — höre ich da einwenden — die Italiener haben ja
gar keinen Sinn für ihr schönes Land, überhaupt keinen Sinn für
Natur! Meine Antwort: wer im Glashause sitzt, .sollte nicht mit
Steinen werfen. Was würden wir widd sagen, wenn uns der
Xatursinn abgesprocheii würde? Und er wird uns abgesproehen
— von den Engländern. Wenn der Engländer sieht, wie wir die
Natur büi-sten und kämmen und zureehtinachen , wenn er in
un.seren Gebirgen die sauberen , wohl gepflegten Pronienadenwege
sieht, die Wegwei.ser, auf denen genau angegel)en ist, wie weit
es bis zum uäch.sten Wirtshause ist, wenn er endlich gar die
Krone von allem, die aufziehbaren Was.serfälle, sieht, daun ge-
.steht er den Deutschen wohl gern zu, da.ss sie ordentliche und
.saubere Menschen sind, die niigends Diszii)linlosigkeit dulden —
aber von Natursinn, .sagt er sich, haben sie keinen Schimmer*).
Nun, wie ich überzeugt bin, dass wir, trotz unserer Ge-
birgsvereine, Natursinn haben — mag der Schein auch gegen uns
sprechen — , so sollten wir auch vorsichtig sein in der Beurteilung
des Natursinns anderer Völker. Der Vorwurf, der Italiener habe
keinen Natuisiinn, läuft meistens hinaus auf die Forderung, der
Italiener solle sich für Dinge begeistern, die für den Fremden
eine Schönheitsotfenbarung, ein unvergessliches Erlebnis sind, für
den Italiener etwas Alltägliches, Selbstverständliches. Ein italieni-
scher Sonnenuntergang im Sommer kann dem Nordländer, der die
Farben des Südens nicht kennt, überwältigende Aiigenblicke
bringen. Und wenn er dann um sich her Italiener sitzen sieht,
die sich nicht mit dem Sonnenuntergang beschäftigen, .sondern mit
den Maccaronifäden , die ihnen lang aus dem Munde hängen, .so
heisst es sofort; die Leute haben eben keinen Sinn für Natur, sie
sind es gar nicht wert, in einem .so .schönen Lande zu leben.
') Vgl. etwa die humorvoll-satirische Studie über das V’erhiiltnis des
Deutschen zur Natur in .1. K. .lerome’s Tbree Men on the Kuininel,
chapt. \'II.
UiCtetlao^rt) d schles. Oes f. Vkde, llfit X.\I.
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Die Italiener sind auch schleclite Touristen. Ich kenne
\veni}?e Städte mit reiclierer und seliiinerer ümgebungr als Rom;
aber ich habe wenige Römer kennen gelernt, die nur einiger-
massen Bescheid gewusst liätten in der rmgebung ihrer Vater-
stadt. Soll man ihnen deshalb den Natui’sinn absprechen? nur
weil ihre Reiiuemlichkeit grösser ist als ihre Wanderlust? Ich
meine; wenn auch uns Deutschen die Wanderlmit der rein.ste Aus-
druck der Naturfreude ist, .so git>t es doch auch andere Arten des
Natiirgenus.ses. l'ber die italieni.sche könnte man wieder das
Motto schreiben Dnla: far nientc. Wohl am au.sgiebigsten wird
diese Art des Natuigenus.ses gepflegt in Neapel, und dort lernt
man am ehesten, ihr gerecht werden. So oft ich im neapolitani.schen
Lande war — am vollsten habe ich es doch erst zuletzt genossen,
als ich mich frei fühlte von der eingebildeten FIlicht, neues zu
•selien, als ich mir einen .schonen Punkt wählen und mit gutem
Gewis.sen faul sein konnte wie ein Neapolitaner. Denn so schön
das Wandern durch das herrliche Land auch ist — in Ne-
apel kommen auch über den Wanderfrfdiesten Augenblicke der
Stimmung, die nichts weiter begehrt als den ruhigen Genuss des
eigenen Da.seitis im .Anschauen von Schönheit. Wenn man so weit
gekommen ist, da.ss mati sich sagt: es ist zwar schön, auf die
Berggipfel von Ischia und (’apri zu steigen; aber am .schönsten
sind die Inseln doch, wenn sie als !)laue Silhouetten still im
blauen Meere schwimmen, und die Sonne leuchtend über ilinen
steht oder zwischen ihnen glühend ins Meer taucht — und eine
Vesuvbe.steigung ist zwar etwas Krhebendcs; aber am .schönsten
ist der Berg doch, wenn man nicht zu nahe herangclit : dann hat
man den Standpunkt des italienischen Naturgenu.sses gewonnen.
Ks ist ein Standpunkt, auf dem wir nicht lange stehen bleiben
können — uns felilt die pazienza, wir sind noch nicht alt genug
dazu — und das Wort vom Dolce far niente verliert niclit nur
seinen Wohllaut, .sondern auch Sinn und Berechtigung, wenn man
es in die Sprachen der nordi.schen Völker übersetzt,
Man darf auch nicht vergessen, dass der Teil des .Jahres, in
dem die Mehrzahl der .Men.schen die meiste Zeit zum Wandern
hat, die Zeit der Sommerferien, in Italien die ungünstigste Zeit
zum Wandern ist. Der .Sommer i.st in Italien zwar die scliönste
.lalire.szeit, was Farbenreiz und .Stimmung der Land.schaft angeht,
aber geno,ssen werden kann er nur bei einem möglichst geringen
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Mass von Eigcnhewefriins. Daher steht die Ferienzeit des Italieners
niclit ini Zeichen der Wanderlust, sondern der heschaulichen Ruhe.
Man {flaube aber ja nicht, dass bei all dieser Neifrung zu
bescliaiilirhein Naturgenuss dem Italiener der Sinn fehle für das
Pathos der grossen Natur, für das Heroische der italienischen
Landschaft! Wer Iliiheiikult sucht, findet ihn in Italien, findet ihn
zugleich als Au.sserung des Natursinns und des religiösen Triebes.
Da.ss die Klöster sich mit Vorliebe auf Rergen niedergela.ssen haben,
erklärt sich wohl mehr daraus, da.ss sie Schutz suchten vor feind-
lichem t'berfalle; aber auch Herge, auf denen keine Klö.ster liegen,
heis.sen sehr oft nach Heiligen') oder tragen Namen von rcligiö.sein
Klange, wie Spina Santa. Und dasselbe (Jefühl für Pathos, der
Sinn für eine feierliche Fonn der Verehrung, aus dem heraus wir
etwa unsere Rismarck.säulen auf Hergen errichten, treibt auch den
Italiener, Denkmäler religiö.ser Symbole auf den Hergen zu er-
bauen. Trotz alles Reichtums an Wallfahrtsorten und wunder-
tätigen Hildern in den Tälern, Italien die Sabinerberge einen Ort,
der einmal jedes Jahr die Bewohner des Gebirges zu einem
gros.sen Volksfeste an sich zieht, einen Ort, der nicht durch eine
Relitiuie oder ein Wunderbild zur Kultstätte geworden ist, .sondern
nur deshalb, weil er weit und breit der höchstgelegene Ort ist und
von der Felsenkrone seines Herges, des Monte Giuidagnolo, Land
und Meer überschaut von den Pontini.schen Inseln bis zum Gran
Sa.sso dltalia. Dort oben, auf dem höchsten Felsen, haben vor
einigen Jahren die umliegenden Städte und Dörfer ein Kolo.ssal-
standbild des segnenden Christus errichtet, und Papst Leo gab
ihm die klassi.sche Inschrift:
Jesu Christo Deo
Re.stitiitae per ipsum Salutis
Anno MDCCCCI
Romani
Latini Sabini Aequi
Hernici Vohsci.
Wer einmal vor dieser Erlö.serstatiie gestanden und das über-
wältigend schöne Rundbild überschaut hat, von den Fel.senin.seln
des Tyrrhenermeers über die ganze weite römische Camiiagna,
über die Albaner-, Volsker- und Sabinerberge lös hinüber zur
') L’tizählbar sind die Monii Simt’ Angelo.
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Firnnikettc der Hocliapennin.s — der wird nielit im Zweifel sein,
warum die Naelikommeii der alten Heideiivülker gerade hier dem
Cliristengotte linldigten.
Al.s ich einmal meiner römi.schen Hau.swirtin, einer ein-
fachen, eher rohu.sten als zarten Frau, die durchaus in der Prosa
des Lebens stand und niclits Sentimentales au sich hatte, als ich
ihr von einem Ausflug auf den Guadagnolo erzählte, da wurde
die.se Frau, die .sonst meine einsamen Fusstouren als Narrheiten
verurteilte, jilötzlich in einer Weise bewegt, die ich sonst bei ihr
nicht gewohnt war. Sie erzählte, wie sie .selbst einmal an einem
.schönen Spät.sommertage den Guadagnolo erstiegen hätte. Als sie
auf dem Gipfel stand und jenes Panorama .schaute, dessen Wirkung
ich nicht beschreihen kann, al.s sie nun weit, weit unten das
ewige Rom liegen sah, klein wie ein Dorf, und gegenüber, hoch
oben, den ewigen Schnee leuchten .sah — da, sagte sie mir, hätte
sie kein Wort hervorgebracht, die Tränen seien ihr herunter-
gelaufen, und sie hätte geweint und gescldnchzt wie ein Kind,
angesichts dieser gewaltigen Schöidieit, und angesiclits der Gott-
heit, die .segnend die Rechte breitet über die Herrlichkeit ihres
Werkes.
Um in der Natur, gewi.s.serraassen der Natur selbst Denk-
mäler zu bauen, dazu gehört melir Geschick, mehr Takt, zugleich
Kunst- und Natursinu, als zur Errichtung von Denkmälern auf
Plätzen und Stra.ssen einer Stadt. Das Denkmal mu.ss ein Stück
der Natur werden. Dass man dies sagen könne von allen in
Deubschland errichteten Denkmälern dieser Art — vom Nieder-
wald- bis zum Kytfhäuserdenkmal — das wird gewiss niemand
behaupten wollen. Ich aber kenne kein Denkmal, da.s den Ein-
druck der Natur, .statt ihn zn stören, zu unterbrechen, vielmehr
steigert und so selber zum Teil der Natur wird, wie das Erlö.ser-
deiikmal auf dem Guadagnolo.
Und noch eins! Will man dem Volke den Natursinn ab-
sprechen, da.s seinesgleichen nicht hat in der Gartenkunst, d. h. in
der Kunst, die Natur unter dem Ge.setze, und doch nicht unfrei,
sich entwickeln zu lassen? Da.s Volk, das die Villen von Rom
und Florenz, von Frascati und Tivoli geschatfeu, das im
Terncssengarten der Villa d'Este das Märchen zur Wirklich-
keit gemacht hat, und selbst auf dem klein.sten Raume, wie etwa
in der Villetta Dinegro zu Genua , die .schönsten Bilder aus der
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Natur lierau.szulockcn wciss — das Volk sollte keinen Natursinn
haben ?
Doch weiter! wie steht es mit dem Kunstsinn der Italiener
von heute? Darüber herrscht kein Streit, dass die Italiener das
fp-össte Künstlervolk {rewesen sind, das die Welt seit den Tagen
der Griechen gesehen hat. Doch der moderne Italiener? Dem heu-
tigen Italien fehlt es an grossen Künstlern. Frankreich, Deutsch-
land, England, die skandinavischen Länder sind reicher an Er-
zeugnissen wirklich produktiver Kunst als Italien. Allein
sehöpfcri.sche Kunst und ästheti.scher Sinn sind doch nicht das-
selbe. Hat der Italiener von heute wenigstens künstlerisches
Enii)tinden?
Fragen Sie die in Rom lebenden deutschen Kün.stler, so
werden Sie meistens zu hören bekommen, dass der moderne
Italiener mit der Gabe des Kunstschatfens auch die des künstleri-
.schen Empfindens verloren habe. Als Beweis werden gewöhnlich
angeführt die nach unserem Empfinden wenig geschmackvollen
Wohnungseinrichtungen der Italiener, ihre Öldrucke, bronzierten
Gip.sstatuetten und dgl. mehr. Ich glaube, dass diese Anschauung
zu sehr von den Aufgaben der hohen Kunst ailsgeht und die be-
scheideneren Aufgaben übersieht, an denen ästhetischer Sinn sich
bewähren kann. Wer sich erinnert, wie die römischen Blumen-
händler ihre Standorte schmücken, wie die Gemü.sefrauen ihre
Ware gefällig gruppieren, welch nialeri.schen Faltenwurf der
italienische Leutnant seinem Toga-ähnlichen Mantel zu geben
weiss, wie selbst der bescheidenste Eingang zu einer Vigna, einem
Ol- oder Obstgarten, einem C’ampagnagehöft , ein gewisses An-
sehen erhält durch zwei mächtige Va.sen mit Aloen oder durch
irgendeinen kleinen architektonischen Schmuck — der wird diesem
Volke ästheti.schen Sinn gewi.ss nicht absprechen; ja er wird viel-
leicht — trotz der ott'enkundigen rberlegenheit des Nordens auf
dem Gebiete der hohen Kunst — in den niederen Schichtendes
italienischen V'olkes sogar mehr finden von der bescheideneren
Kunst, das alltägliche Lel)en so ganz nebenbei, in ungewollter,
wie zufälliger Wei.se zu schmücken und zu verschönen. Auch
hier dieselbe Erscheinung wie auf den meisten ülirigen Gebieten
des internationalen Wettbewerbes; eine Neigung zum Ausruhen
nach getaner Arbeit, zur Be.scheidenheit in Genü.ssen und An-
sprüchen.
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Del- Pförtner des Palnzzo Giustiniani , der den Hof und die
Eingangshalle des Gebäudes zu sprengen hat, tut dies mit einer
Liebe und einem ästhetischen Rehagen, die mir immer wieder
Spass gemacht haben. Er zerlegt das zu sprengende Gebiet in
Abteilungen und giesst nun diese mit Arabesken und kunstvollen
Figuren aus. Erst zieht er einen grossen Kreis, dann etwa
innen längs der Peripherie eine Schlangenlinie, an diese angelehnt
einen kleineren konzentrischen Kreis, in diesen hinein Voluten,
wieder einen kleineren Kreis, Zickzacklinien, doiipelt verschlungene
Schlangenlinien nsw., in der Mitte endlich einen Stern oder eine
Rosette — all das nicht nach festem Schema, sondern in stetem
Streben nach Abwech.slung.
Vor Spoleto liegt eine Kirche S. Pietro, die Fassade mit
Skulpturen und .Mosaiken aus dem 11. und 12. Jahrhundert ge-
schmückt: schön, aber im ganzen doch mehr etwas für Angen des
Kenners. Vor dieser Kirche traf ich mit einem Hanptmann und
seiner Kompagnie zusammen und hörte mit Staunen, wie der
Haui)tniann seinen Leuten einen längeren Voitrag, mit kunst-
geschichtlicher Einleitung, über diese Fassade hielt. Er machte
sie aufmerksam auf zeichnerische Mängel im Einzelnen, wie auf
die schönen Verhältnis.se des Ganzen - auch das ein Bild, wie
es in Deutschland nicht so leicht zu tiuden sein wird.
Oder ein Bild anderer Art! Fahren Sie in einer Mondnacht
in Venedig hinaus aus dem Fanal Grande in den weiten, freien
Fanal di San .Marco, wo Sie die Mai morpracht der schwimmenden
Stadt im bleichen Lichte .schimmern sehen, und steuern Sie hinein
in die lange Reihe schwarzer Gondeln, die Bord an Bord wie die
Parketsitze eines Theaters nebeneinander liegen vor einer .schwim-
menden Bühne fe.stlich illuminierter Gondeln, und folgen Sie mit
•Aug und Ohr dem märchenhaften Spiel, das sich vor Ihnen voll-
zieht, der Aullührung von Opernszenen, dem Tanz in der schwan-
kenden Gondel, dem in die Xaeht hinein sehmetternden Gesänge
von Arien, während zwischen den dunkeln Gondelleibern die
TJchtretlexe über das schwarze Wa.sser hintanzen. Fahren Sie
einmal hinaus iu eine solche veneziani.sche Nacht und sagen Sie
dann noch, die Italiener von heute hätten keinen Schönheit.ssinii !
Oller ein ähnliches, aber noch anmutigeres Bild — ein Bild
voll Sonnen.schein! Versetzen Sie sich an Bord eines Ozean-
dampfers, der Neapel angelanfen hat und eben das letzte Signal
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zur Weitcrfahit gibt. Die Fahrgäste stehen dicht gedrängt an
der nriistmig, um nocli einmal vor dem Abscliicd das Bild des
Golfes, die Linien der Küstengebirge und Felseninseln in sich auf-
zunehmen. Da plötzlich ist der l)am])fer umringt von einem
Schwarm bunter Boote, aus denen Gesang und Mandolinenspiel
herauftönt. „Santa Lucia! Santa Lucia !•“ Je nälier die Abfahrt,
um so feuriger Gesang und Spiel, zuletzt ein Winken und Grössen
hinauf! — laiig.sam bewegt sich der Schiffskoloss — ein Hüte-
schwenken und Kusshandwerfen! — schon tanzen die Boote im
Wellenschaum des Schraubenwa.ssers auf und nieder, doch in den
Booten tanzen die Burschen mit übermütiger Geberde, im Arm
die Mandoline, ein Lächeln auf den Uppen, und singen und
jauchzen dem abfahrenden Schiffe nach, so dass die fremden Gäste
nicht mehr nach dem .schimmernden Städtekranz des Golfes
schauen, oder nach dem Krater des Vesuvs, sondern nach den
tanzenden Booten mit den tanzenden, singenden Menschen darin.
Es ist wahr, das ganze Schauspiel dient nur dem Zweck, soldi
vom Bord des Schiffes herunterzulocken in die Boote — der
begeisterte Abschied.sgruss der Neapolitaner ist kein siiontaner
Geftthlsausbruch , sondern entspringt der Bereclinung, dem Er-
werb.ssinn — aber man nenne mir doch das Land, wo selbst die
Bettelei sich in das Gewand der Anmut zu kleiden versteht!
ln einer Kunst — wenn cs eine Kun.st ist — sind die
modernen Italiener die Ersten unserer Zeit : sie sind die grössten
Feuerwerkskünstler Europas. Jedes Jahr, am ersten Juui.sonntag,
hat die Bevölkerung Roms ihre Gimmlola zur Feier des National-
festes. Was ein Feuerwerk ist, weiss man im Norden nicht.
20000 fr. und mehr verputlt allein die Stadt Rom jedes Jahr an
dem gros.scn Tage. Die, Farlienpracht und Fonnenfülle der Giran-
dola , die goldenen und silbernen Bäume — Palmen, Pinien und
Trauerweiden auf schwarzem Himmel.sgnmde, die FeueiTegen, das
Schwiinmen von Hunderten silberner Fische durch die Luft, das
langsame Fallen .schwerer goldener Troi»fen und .schimmernder
Sterne zu Tausenden — endlich die weis.sglühende Riesenfäs.sade
mit den Säulen, Bogenhallen und Türmen eines vorgespiegelten
Zauberschlos.ses — all das ist zwar auch nicht „hohe Kunst“,
aber es ist ein Schauspiel, dem nur künstlerische Blasiertheit den
ästheti.schen Wert alisprechen kann. Es ist ztigleich ein Schauspiel,
dem ein gewisser symbolischer Wert zukommt für den Cliarakter des
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italirnischeii Volkes: Genuss der flüeliHsen Stunde, Genuss des
schönen Aufreid)Iicks !
Nur in einem Punkte erkennt audi der nordische Künstler
bereitwillig und dankbar die ästhetische Anlage und Pbcrlegenheit
der Italiener an: in der natürlichen Anmut ihrer Haltung und
Bewegung. Die italienische Kasse hat im allgemeinen ein feineres
Knochengerüst, .schmalere. Gelenke, weniger stark hervortretende
Knöchel und daher geschmeidigere Glieder als der Durchschnitt
der nordischen Rassen — lauter Kennzeichen, die uns als Merk-
male edler Abstammung gelten. Edle Abstammung aber läuft ja im
letzten Ende auf dasselbe hinaus wie alte Kultur. Die Art nun,
wie die italienisclien Modelle nicht vom Künstler gestellt zu
werden brauchen, sondern sich selber stellen, lässig-ungezwungen
und doch immer anmutig, künstlerisch, diese natürliche Gabe des
Volkes ist einer der Hauptgründe, weshalb Italien noch immer d:is
gelobte Land der bildenden Künstler ist und bleiben wird. Der
Landschaftsmaler kommt auch anderswo auf seine Rechnung; wer
sich an die höchste .Aufgabe der Skulptur und Malerei begibt, an
die Darstellung des schönen menschlichen Körpers, tindet in Italien
seinen edelsten Stoff.
Nur mit wenig Worten .sei erinnert an ein anderes Kenn-
zeichen edler Art und alter Kultur: mit welcher Kunst handhabt
auch der Ungelehrte das schöne Werkzeug, die italienische
Sprache! Die Italiener sind ein Volk von geborenen Rednern. Das
reiche Erbe einer grossen literari.schen Vcrgangeidieit hat sich in
kleiner Münze unter das ganze V(dk verteilt: sie alle sind Erben
Dantes und Ta.s.sos, und sind st(dz auf ihr Erbe! Wie oft wird
der Fremde in einem gleichgültigen Gespräch überrascht durch
eine Wendung, ein Bild, die auch das Gewöhnliche heben und
das Alltägliche, in ein Festgewand kleiden! Die Sprache zu ver-
stehen als Deuterin des Volksemptindens ist eine .Aufgabe für sich,
der ich hier nicht näher treten kann. Nur auf eins möchte ich
kurz eingehen, auf einen Zng des italieni.schen A’^olkscharakters,
den ich aus keiner anderen (Quelle besser erläutern kann, als aus
der italieni.schen Sprache. Es ist die Freude am .schönen Schein und
am klingenden Wort, die aus allem heraustünt, was die ,.bella
lingua“ spricht und schreibt. A’on der Briefadres.se bis znr Fc.st-
rede immer dieselbe. Neigung zu Superlativen, zu .starken und
vollen Worten. Pathos ist das Mark der italienischen Rhetorik.
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Im Deutschen würde es fast koraiscli klingen, wenn etwa ein
Festredner zu einem eben enthüllten Denkmal die Worte spräche,
wie ich sie einmal hörte: „Fmf>fange den Kuss der Sonne !“ Doch
das italienische ,Ricevi il hacio del sole“ klang durchaus an-
gemessen und passte in den Stil der ganzen Feierlichkeit.
Der Superlativ i.st durch den häufigen Gebrauch so entwertet
worden, dass er kaum noch die höchste Steigerung des Begriffes
darstellt. Wie das durch den Briefstil abgeschliff'ene JllnslrLssimo
weniger sagt, als das einfache lUiistre, so kehrt auch sonst der
Italiener im höchsten Affekt gern zum Positiv zurück und
steigert ihn nur durch Wiederholung: .Bello hello!“ oder durch
einen bekräftigenden Zu.satz wie proprio {vemmunte). Dieselbe Kr-
scheinnng wiederholt sich in der Wertverändernng von Haupt-
wörtern : ein oaxino (Häuschen) kann etwas sehr viel Vornehmeres
sein als ein ptdagzo. Man vergleiche nur einmal die Entwicklung
des Wortes palatinm *) im Englischen mit der im Italienischen.
Das englische palace hat seinen Vollwcrt behalten: es bezeichnet fast
nur die königlichen und liischöllichen Schlös.ser und das Parlaments-
gebäude. Selb.st die prächtigsten Adelsschlosser sind „Häuser“ (So-
merset House, Holland House etc.), und nur wo eine logische
Gegenüber.stellung es nötig macht, s]»richt der Engländer von „pri-
vate palaces“. ln Italien haben Könige und Päpste den Besitz
des Wortes imlazzo nicht nur mit dem Adel und den Reichen zu
teilen, sondern jedes Haus von einem gewissen Umfang, einschliess-
lich der nüchternsten Mietska.serne, im Süden sogar fa.st jedes aus
Stein gebaute Haus, führt den stolzen Namen „palazzo“.
Um kein einseitiges Bild zu geben, muss ich wenigstens an-
deuten, dass auch auf diesem Gebiete, wie so oft in Italien, die
Gegensätze hart auf einander stossen. Dieselbe Sprache, die sich
zu so hohem Fluge erheben kann, weiss auch tiefer im Kote zu
wühlen, als eine nordi.sche Phantasie sich voi-stellt. Im Schim])fen,
Fluchen und läistcrn ist die deutsche Sprache arm, verglichen mit
der italienischen. Bei den kleinsten Anlässen greift der Italiener
gleich zu den stärksten .\u.sdrücken; für ihn sind sie eben ab-
ge.schlitfen, wie alle Superlative. Ein „Va morire ammazzato!“
ist nicht weiter böse gemeint. Doch für derartige fromme
Wünsche gibt es noch Parallelen in anderen Sprachen. Die Art
') rrsprQii)(lidi: küniglidie Uvsideuz, l’falz.
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aber, wie der Italiener geschlechtliche und religiöse Vürstellungen
inissl)raucht für den Zweck der Releidigung und der Rlasplieinie,
stellt Wühl alles in den Schatten, was die deutsche S[>rache in
dieser Hinsicht leisten kann. Auf Hcisjiiele muss ich an dieser
Stelle verzichten. l)ie deutsche Kasernenhofblüte ist gemein und
plumi»; der italienische Fluch ist gemein und raffiniert. Kr ist
giftiger als der deutsche. Kine Heschimpfung der Person ver-
bindet sich gern mit Beschimpfung der Kltern, der verstorbenen
Mutter, der Hausehre. Auch die Heiligen bleiben nicht verschont.
Wie grotesk wirkt beim ersten Hören der alltägliche Fluch „Porca
Madonna!“ Vor einigen Jahren machte in Rom eine Dame von
sich reden, die eine „chiesa mondiale contro la bestemmia“ gründen
wollte, um die üblen Folgen abzuwenden, die nach ihrer Meinung
Italien träfen als Strafe der vielen Gotteslästerungen. .Gott
kami’s nicht länger mit anhören, er kann's nicht'“ klagte mir
einmal eine redselige Bäuerin, deren Ohr eben durch ein „Porco
di Dio!“ verletzt worden war. Die Gabe reicher Phantasie zeigt
hier ihre unschöne Kehrseite.
Die nordische Phantasie ist mehr auf das Abstrakte, die des
Südländers mehr auf das Sinnliche gerichtet. Des Italieners
Freude am Klartg und Schein, am Theatcrspicl im Lehen, wird
durch den Nordländer oft als Obertläehlichkeit beurteilt und ver-
urteilt. Und doch tritt auch die.se Kigenschaft des Südländers zu-
weilen in einer Form auf, die auch der Feind der Pose gelten
lässt oder beifällig aufnimmt. Der Italiener hat geringeren
militärischen Sinn als der Deutsche, die Annce bedeutet ihm
weniger als un.s, und doch nimmt in Italien jeder, der etwas auf
seine Krziehung hält, grüs.send den Hut vor der Fahne ab, wenn
das Militär vorbeimarschiert — eine Huldigung, die bei uns für
seltene Gelegenheiten aufgespart bleibt, die aber dem Italiener
zwanglos entspringt aus seinem Sinn für die feierliche Form.
Es käme zu viel Licht in das Gicsamtbild, das ich hier nur
eben skizzieren kann, wenn ich nicht auch kurz auf die tiefen
Schattenseiten einginge, die mit dieser Freude am schönen Schein
zu.sammenhängen. Es gibt wenige Aufgaben des praktischen
Lebens, des ge.schäftlichen wie des iiolitischen, in denen sich die.se
Schattenseiten nicht geltend machten. Ein Engländer, der die
Italiener aus langem ge.schäftlichen Verkehr kannte, sagte mir
einmal; „The Italians are charming people, but they don t kimw
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what business incans“. Das Urteil ist kaum zu hart. Es ist
merk würdig:, wie Völker sich wandeln, wie wenig man — trotz
Schopenhauer — von der Unabänderlichkeit des Charakters reden
kann. Die ulten Römer: das genialste Volk auf dem (Jebiete der
Staatskunst und des Kerht.slebens, zugleich das militärische Volk
xar’ Die Italiener des Mittelalters: eins der grössten
Handelsvölker (die Erinnerung daran lebt ja noch heute fort in
den vielen italienischen Ausdrücken der Hank- und Handels-
sprachei. Die Italiener von heute: weder im politischen, noch
im niilitärisehen, noch im wirtschaftlichen Leben hervorragend —
beinahe all ihre Tugenden und Fähigkeiten sind Tugenden des
privaten, nicht des ötfentlichen Lebens.
Die nationale Einigung hat zwar einen neuen Aufschwung
für Handel, Gewerbe und Finanzen gebracht; aber wenn der alte,
kühne, weitausgreifende Unternehmungsgeist in die Italiener
zurückkehren sollte, so müsste eine Rückbildung des Volks-
charakters eintreten, an die schwer zn glauben ist. Die ])azienza
und der auf den Genuss des .\ugenblicks gerichtete Sinn müssten
überwunden werden, an ihre Stelle mü.sste der voraus-schauende,
zugleich rechnende und wagende Geschäft.ssinn treten, der nicht
auf einmaligen Gewinn hinauswill, sondern auf Sicherung dauern-
der Gewinnaussichten. Der italienische Geschäftsmann von heute
verscherzt dauernde Kundschaft nur zu leicht um eines augen-
blicklichen Vorteils willen. Jede Hausfrau weiss von dem
Lieferanten zu erzählen, der erst mit guter Ware um Kundschaft
wirbt, sobald er diese aber gewonnen zu haben glaubt, .seine
Lieferungen mehr und mehr verschlechtert, bis er — seine Kund-
schaft wieder los ist. Die Versuchung des Augenblicks ist wirk-
samer als die mit der Zukunft rechnende Lberlegung. Der mo-
derne Italiener ist ein überzeugendes Beispiel dafür, dass intellek-
tuelle Gaben allein noch lange keinen guten Geschäftsmann
machen. An Verstand, zum mindesten an rascher Fassungsgabe,
ist der Italiener dem Deutschen wie dem Engländer weit überlegen;
als Geschältsmann aber reicht er nicht von ferne an sie heran.
Er greift rasch zu, wenn es gilt die Gelegenheit beim Schopfe
fa.ssen, triumphiert im Augenblick, verliert auf die Dauer. Mir
kommt dabei eine kleine Geschichte in den Sinn, die als tyidsches
Beispiel italienischen Geschäftssinnes gelten kann. Ich ging an
ilen Blumenständen der Si)ani.schen Treppe mit zwei Damen vor-
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hei, die als Fremde ^Amerikanerinnen) sofort zn erkennen waren.
Die Damen blieben einen Augenblick stehen vor der malerischen
Blumen fülle; ich bat sie, sich ein StrUusschen au.sziisuchen, sie
taten es und gingen, sich die Blumen ansteckend, langsam ein
paar Schritte voran, während ich bezahlte. „Was macht es?'*
fragte ich. Der Verkäufer erfa.sste die Sachlage sofort: ich hatte
in Gegenwart der Damen nicht nach dem Preise der gewählten
Sträusse gefragt, die Blumen waren jetzt niclit mehr mein, son-
dern schmückten die Brust der Amerikanerinnen — es war nicht
sehr wahrscheinlich, da.ss ich den Handel rückgängig machen
würde; ich war also in der Gewalt des Verkäufers. Dieser
nannte kaltblütig einen Preis, der den Wert der Blumen nm das
Zehnfache und mehr überstieg. Ich fragte ihn, ob er scherze.
Kr antwortete ruliig; „Wenn es Ihnen nicht pa.s.st, Signore, geben
Sie mir die Blumen zurück !■* Ich bot die Hälfte. „Impossibile!*“
Der Fall war hoffnung.slos, ich kapitulierte und zahlte mein Löse-
geld. Später habe ich durch Jahre noch oft an der Spanischen
Treppe Blumen gekauft, aber nie an dem Stande, an dem ich so
ins Garn gegangen war — im letzten Ende hat der pfiffige V'er-
käuter doch ein schlechtes Geschäft gemacht.
Der kleine und mittlere Geschäft.smann rechnet nicht gern
mit festen Prei.sen, .sondern verbindet lieber jeden Kauf und Ver-
kauf mit einem, wenn aucli noch so durchsichtigen. Versuch, zu
spekulieren. Da am Enile doch ein mittlerer Preis herausgehandelt
wird, ist Zeitverlust in der Hegel das einzige Ergebnis des Ma-
növers. Die Lust am Spekulieren betätigt sich auch au.sserlialb
des Gescliäftslebcns und nimmt manchmal merkwürdige Gestalt an.
Ich gab einer alten Frau zwei .soldi .Almosen. „Danke, Signore“,
grinste die Alte, „ich will einen — halben Kosenkranz für Euch
beten“. Sic war sicher, dass mir mit dem halben Rosenkranz
nicht gedient sei. „Und wenn ich Euch noch zwei .soldi gebe?“
„0 Signore, wie gut Ihr seiil! Wenn Ihr mir noch zwei soldi
gebt, so will ich einen ganzen Rosenkranz für Euer Seelenheil
beten!“
Schlimmer als die Unsicherheit der Prei.se i.st die Über-
schwemmung des Marktes mit glänzender Schwindelware, gar
nicht zu reden von der berufsmässigen Herstellung unechter
Kunstwerke und Antiken. Da in Italien die gefällig au.ssehende
Ware unfehlbar die solide gearbeitete im Wettbewerb schlägt,
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imisK der Freiiule, der lieber dauerlial'te als elefruiite Sclmlie kaufen
will, sich an die Niederlagen ausländischer Geschäfte wenden, an
denen es in keiner grösseren Fremdenstadt Italiens mangelt. Wer
sich den Unter.schied zwischen einem ästhetischen und einem
praktischen Volke anschaulich klar machen will, der kaufe und
trage einmal ein Paar italienischer und ein Paar amerikanischer
Schuhe — er wird dann wohl auf alles weitere vergleichende
Quellenstudium verzichten.
Ks i.st nicht richtig, wenn man dem italienischen Geschäfts-
mann Unredlichkeit als charakteristisches Merkmal aidiängt. In
vielen Fällen mag der Vorwurf zutretfen; aber im ganzen liefert
der Händler doch nur, was seine Kunden haben wollen: schönen
Schein. Wo die Nachfrage mehr durch praktische, als durch
ästhetische Gesichtspunkte bestimmt wird, wo also die Versuchung
zur Herstellung von Talmiwarc wegfällt, da hat auch die
italieni.sche Industrie ihre Leistung.s- und Konkurrenzfähigkeit er-
wiesen: ich erinnere nur an die italienische Automobilindu.stric.
Charakteristischer als gelegentliche Unredlichkeit ist die Unpünkt-
lichkeit und Unzuverlässigkeit des italienischen Geschäftsmannes
in der Erfüllung eingegangener Verpflichtungen, vor allem aber
jene Neigung zu einer Opportunitätspolitik, die nicht über heute
und morgen hinausdenkt.
ln das Kapitel vom schlechten Ge.schäftsmann gehört auch
die ungenügende Scheidung zwi.schen Arbeits- und Ruhezeit. Hier
wird Arbeitszeit verschwendet durch Anspannung nur der halben
Kraft; dort geht Ruhezeit verloren durch unnötige Ausdehnung
der Arbeitsstunden. Die meisten Läden schlies.seu zu späterer
Abendstunde als bei uns; für viele Zweige des Geschäftslebens
i.st keine Rede von ausreichender Sonntagsruhe. Zwar i.st manches
in letzter Zeit bes.ser geworden, doch engli.sche und amerikanische
Rci.sende sind noch immer entsetzt, wenn sie sehen, wie das Ge-
bot „Du sollst den Feiertag heiligen“ mi.s.sachtet wird im Mittel-
])uukt der katholischen Kirche. Schwerlich gebührt die.ser die
Schuld; denn die Reglung des Wirtschaftslebens ist Aufgabe des
SUiates. Doch möchte ich ersvähnen, dass ich einst bei Collepardo
in den Hernikerbergen am Plingst.sonntag zur Kirchzeit auf Ar-
beiter stie.ss, die am Bau einer Kapelle so eifrig beschäftigt
waren, als wäre es mitten in der Woche. Als ich einen von
ihnen erstaunt ansprach: „Aber heute ist doch Festtag, Pfingst-
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suniitiijj!“ da bi-kaiii icli die larlieiide Antwort: „Für die Kirelie
darf man iininer arbeiten!“
Nicht einmal im Streiken ist der Italiener (ieschaftsmann.
Wenn bei uns Arbeiter streiken, so haben sie irgendein positives
Programm: Lohnerhöhung, Kürzung der Arbeitszeit, Besserung der
Arbeitsbedingungen. In Italien ist der Streik Gemüts.sache. Na-
türlich kann auch dort der Streik Zwecken des Lohnkampfes
dienen; allein daneben gibt es den Streik als reine Demon.stration,
als Antwort auf ein missliebiges öffentliches Ereignis, ohne den
geringsten praktischen Zweck — es sei, dass man den (Jenu.ss
von einigen Perientagen als solchen gelten lässt. Beginn utid
Schluss des Streikes werden von vornherein genau festgelegt und
durch Anschlag an den Strassenecken bekannt gemacht. Was an
Di.sziplin fehlt, ersetzt die Freude am Nichtstun: die Streikan-
kündigungen werden so pünktlich erfüllt wie das Programm eines
Vereinsaustluges.
Noch mehr als im Privatleben zeigt sich der Mangel an ge-
sundem Geschäftssinn im italienischen Staatsleben. Der klein-
lichen Auftässung des Geschäftslebens entspricht die Bürokratie
in der Staatsverwaltung, und dem kurzsichtigen, nur auf den
Augenblick gerichteten Erwerbssinn entspricht im öffentlichen
Leben die Koirujition. Der Deutsche glaulit wohl manchmal, er
lebe in einem besonders bürokratisch regierten Lande; er muss
nach Italien gehen, wenn er das klassi.sche Land der Bürokratie
kennen lernen will. Als die Turiner Bibliothek vor einigen
Jahren durch jenen traurigen Brand verheert wurde, ging in Rom
unter glaubwürdigen Personen die Erzählung um, der Bibliotheks-
direktor habe während der Feuersbrunst an den Kultusminister
nach Rom telegraphiert und um Erlaubnis gebeten, die bedrohten
Bücher und Handschriften aus dem Bibliothek.sgebäude zu ent-
fernen. Da der Minister gerade in Frascati weilte, hätten die
mehrmals wiederholten, dringenden Telegramme ihn nicht recht-
zeitig erreicht, und bei Ankunft der erbetenen Erlaubnis zur
Räumung seien die unersetzlichen Schätze .schon verbrannt ge-
wesen. Wenn die Geschichte nicht wahr ist, so ist sie jedenfalls
gut erfunden; sie zeigt, wms man in Italien der Bürokratie zu-
traut. Persönlich verbüigen kann ich folgendes. Ich war in Rom
auf eine deutsche Zeitung abonniert. Als einmal eine Nummer
ausblieb, reklamierte ich sie auf dem Hauptpostamt an dem mit
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„Redanii“ bezeiclmetcii Schalter. Ich wurde verwiesen an da.s
— Königliche Ministerium für Post und Telegraphie, als der zu-
ständigen Zentrale für Ahunnements auf auswärtige Zeitungen.
Ich machte mir den Scherz, den Instanzenweg zu gehen, stellte
auf dem Ministerium den Tatbestand förmlich fest, veranlasste ein
enl.sprechendes Gesuch und erhielt die fehlende Nummer nacli-
geliefert. In Zukunft allerdings verzichtete ich auf diese Staats-
aktion. Ich bemerke, dass in Deutschland der Abonnent auf aus-
ländi.sche Zeitungen nichts zu tun braucht, als dem Briefträger
die fehlende Nummer anzugeben.
Schon bei der Auslösung eines Zollstückes bekommt man
einen Begrift' von der Schreib-seligkeit der italienischen Bürokratie
und von der unglauhlichen Belastung des Verkelirs durch Spesen
und Gebühren. Der Deutsche ahnt nicht, wie gut er es da hat!
Zum Vergleich möchte icli empfehlen, einen Koffer als Zolldurch-
fuhrstück einmal von Verona nach München, und dann von
München nach Verona aufzngeben. In München wird Visitation
mul Zdllauslösung Spesen- und gebührenfrei ohne alle Schreiberei
in fünf Minuten erledigt durch einen Zollbeamten und einen
Gepäckträger. In Verona ist für dasselbe Geschäft das Fünffaclie
des Personals, das Zehnfache der Zeit (mindesten.s) erforderlich,
und — doch über die Gebühren nachher. Nachdem mein Koffer
im Visitationsraume gefunden worden war, wurde ich in amtlicher
Begleitung durch drei Büros gefülirt, hatte dreimal Erklärungen
über Herkunft, Inhalt und Bestimmungen des Zollstückes abzu-
geben; diese Erklärungen wurden in drei verschiedene Register
eingetragen. Au.sser drei Gepäckträgern, die den Verhandlung.s-
gegenstand durch verschiedene Räume zu befördern hatten, setzte,
ich drei Zoll- und drei Ei.senbahnbeamte in Tätigkeit. Die in
hötlicher Wei.se erledigte Visitation ergab, dass der Koffer zoll-
frei war. Ich hatte eine Empfangsbestätigung zn unter.schreiben
mit Angabe meiner Herkunft, meines Standes und Wohnorts, und
w'ar nur überrascht, da.ss ich nicht auch, wie .son.st in Italien oft
gefordert wird, den Vornamen meines Vaters anzugeben hatte.
Dann wurde mir eine Rechnung über .3 fr. 6ü c. vorgelegt, nach-
dem ich schon 1 fr. 50 c. für Trinkgelder ausgegeben hatte.
Die 3 fr. (55 c. verteilten sich wie folgt: für die kleinen Blei-
siegelchen des amtlichen Zollverschlusses 1,20 fr., für die um den
Kotter gelegte Schnur 50 c., für „Verpackung“, d. h. Gebühr für
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ünilefrcn der Srlinur, 15 c., für Anlegen der Bleisiefrel 20 c.,
Aufgeld (aggio — mir uiiverstäiidlieli geldiebeii) 1 fr., und
schliesslich noch 00 c. ohne Angahe eines Po.stens, was ich leider
erst hinterher bemerkte.
Herman (Irimni sagt einmal irgendwo, ein schweres Schick-
sal werde dadurch erträglich, dass man seine Notwendigkeit wissen-
schaftlich zu erkennen strebe. Eingedenk dieses Wortes suchte
auch ich mein schweres Schicksal im Zollhau.se zu Verona
histori.sch zu begreifen: ich dachte au den langwierigen und kost-
spieligen Geschäftsgang in der päp.stlichen Kanzlei, über den
unsere Vorfahren zu l)r. Martin Luthers Zeiten sich be.schwerten.
ich verglich meine Gebühren für Bleisiegel und Schnur mit jenen
für päi)Stliche Bullen (die ja auch aus Blei waren), für Pergament
und seidene Siegelschnur usw., und ich fand, da.ss es so sein
musste: „Einst alles wie heut!“ mit dem einzigen Unterschied,
dass die päp.stlichen Beamten von damals Sünder waren, während
die königl. italienischen von heute nur Zöllner .sind. So trug ich
mein Schicksal mit Würde und sagte nur zum Abschied einem der
Beamten: „ln Verona ist eine Kirche zu wenig“. — „Welche
Kirche?“ — „Die Kirche des heiligen Bürokratius fehlt“. Der
Beamte nahm es nicht übel und sagte zu.stimniend : „Die fehlt
nicht mir in Verona, .sondern in ganz Italien“.
Um nicht ungerecht zu sein, bemerke ich, dass in Städten
wie Koni und Florenz, die auf den Verkehr mit Zolldiirchfuhr-
stücken besser eingerichtet sind, der Gcschäft.sgang einfacher ver-
läuft. Der 'J'rost ist freilich nur gering; denn die durch die
Spesenwirt.schaft gebotene Gelegenheit zur ('bervoitciliing und
Unterschlagung wird auch in den Zentralen des Verkehrs nach
Kräften au.sgeniitzt, ja noch mehr: der Zolltarif wird Unkundigen
gegenüber wohl auch in die Höhe geschraubt, um einen Neben-
gewinn für die Beamten herati.szuschlagen. Nach meiner Er-
fahrung hatte ich in Rom bei Ati.slösung von zollfreien Fracht-
sendungen nie unter 3 — 4 fr. an amtlichen Spesen und Gebühren
zu zahlen*), w'enn ich, aus Interesse an der Visitation, die Aus-
lösung persönlich vornahm; dagegen ermässigten sich die amtlichen
Gebühren etwa um die Hälfte, wenn ich die Angelegenheit einem
sachkundigen Siiediteur übertrug. Bei zoll])flichtigen Sendungen
') I>ie entsprfchfiiJc Ziffer in lleutscliland : 5 l’f. statistische Hebllhr!
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aber ist die fülfe eines Kundigen kaum zu enti>eliien. Ich werde
den Eindruck nicht vergessen, den icli einmal von italienischem
Beamtentum beim Handeln um eine. — Zollrechnung empfangen
habe. Mir wurde (auf dem Zollamt in Rom) eine Summe abver-
langt, die ich unbedingt für zu hoch hielt und zu zalilen ver-
weigerte. Der Beamte, der mir die Reelinung vorgelegt liatte, be-
•sprach sich mit einem anderen, kam zurück, erklärte, mau könne
die Berechnung auch nach einem anderen Satze machen, und legte
mir eine neue, auf ein beliebiges Stück Papier ins Unreine ge-
schriebene Zollberechnung vor, die um die Hälfte niedriger war.
Mir schien die Ziffer noch immer reichlich hoch und ich fragte,
ob es nicht einen noch billigeren Satz gebe. Der Beamte zog
sich zum zweitenmal zurück und legte mir eine dritte Rechnung
vor, die den ursprünglichen Zollansatz von 12 fr. 20 c. auf 3 fr.
20 c., die Gebühren von etwa 4 auf 3 fr. ermässigte. Ich er-
klärte mich bereit, diese Rechnung zu bezahlen und erhielt sie
nun auf ein amtliches Formular ins Keine geschrieben zurück.
(Jcrn würde ich daran glauben, dass es in jenem Palle wiiklich
drei verschiedene Berechnungsmöglichkeiteii gegeben hätte; allein
als der Beamte zum Schlu.ss beim Empfang des Trinkgeldes eine
Ans])ielung machte, er habe für seine Bemühungen (uiu Herab-
setzung des Zolles) doch etwas mehr verdient, da zerstörte er auch
den letzten Rest von Wahrscheinlichkeit, der einer wohlwollenden
Auslegung noch geblieben war.
Das, was ich hiermit berührt habe, das Verhältnis des
Italieners zum Staat — denn dieser ist ja am Ende der Be-
trogene — das ist wohl der tiefste Schatten in dem an Licht und
Sonne so reichen Bilde des italienischen Volkscharakters. Der
Italiener hat wenig Achtung vor dem Gesetze und keine Spur von
Ehrfurcht vor dem Staat. Seinem leidenschaftlichen, leicht ge-
reizten und für Schmeichelei empfänglichen Nationalgefühl ent-
si)richt so gut wie gar kein Staatsgefühl. Der Staat ist dem
Italiener nur wertvoll als eine (Quelle des Gewinns und der
Spekulation. Fis ist nicht der Fremde, der in Italien am meisten
ausgesügen wird, sondern der italienische Staat. Vorhin suchte
ich Ihnen zu schildern, wie viel glückliche Gaben, wie viel Liebens-
würdigkeit und heitere Lebenskunst dem Italiener aus seiner ge-
dankeukssen Daseiusfreude, aus dem Geniessen des Augenblicks
entstehen. Allein die Götter .schenken auch ihren Lieblingen kein
MitteUungen il. scliles. Oea. f. Vküe. ileft XXI. ö
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vollkommenes Out: eben jene Oaben, die den Heicbtum des
Italieners als Persönlielikeit ansmaclien, sind die Armut des
italienischen Staates.
Ich brauche kaum au Dinge zu erinnern, die ja auch dem
deutschen Zeitungsle.ser wohlbekannt und zum Teil noch frisch in
Erinnerung sind, an die grossen Skandalprozesse gegen hochstellende
Beamte wegen Vernntrennng ötl'entlicher (leider, an die Unter-
schlagung der Millionen, die nach dem Erdbeben in Kalabrien als
milde Spende für die Verunglückten ans der ganzen Welt zu-
•sammenströmten und schliesslich doch nur den Mitgliedern des Ver-
teilnngskomitees die Taschen füllten — italienische Blätter selbst
haben es als eine nationale Schmach und Schande bezeichnet!
Das häufige Versagen von Amtsgefühl und Gemeinsinn, die Unter-
ordnung des öffentlichen unter das jirivate Wohl, kurz der Mangel
an altriiismo collrttivo , wiial von weitblickenden Italienern selbst
am schmerzlichsten beklagt. Mir ist bei Gesprächen mit Italienern
über diese Dinge nichts so sehr anfgefallen, wie die (iering-
schätzung, mit der der Italiener dem Fremden gegenüber von
seinem eigenen Staate spricht. Bei allem Stolz auf ihre sonstige
Kultur, auf ihre Künstler und Dichter, ihre Gelehrten und Er-
finder, und nicht zuletzt auf ihr schönes Land, haben die Italiener
für ihren Staat selten ein gutes Wort und sind meistens gern bereit,
auch einer scharfen Kritik ans fremdem Munde freudig znzustimmen.
Wer es liebt, Völker mit einander zu vergleichen, dem wird sich
hier die Antithese England-Italien anfdrängen. Mit einem gering-
.scliätzigen Urteil übei' die engli.sche Kunst wird man selten in
England anstossen; eben.so selten aber wird eine Kritik an eng-
lischen Staatseinrichtungen freundliche .\nfnahme finden, In
Italien ist gerade das Gegenteil der Fall.
.Als vor einigen .Jahren die italienischen Ei.senbahnen vom
Staate ül)ernommen wurden, konnte man überall die Prophezeiung
hören: ..letzt wird es schlimmer als vorher“. .Allein der Staat
zeigte, dass er mehr vermochte, als man ihm zntrante; es wurde
tatsächlich nicht .schlimmer, sondern besser. Erkannten die
Italiener das mm anV Nein. Die noch gebliebenen Mängel
wurden .schärfer kritisiert als vorher, und überall konnte man das
Urtt'il hören: „Es ist jetzt .schlimmer als vorher“. Die in Italien
lebenden Fremden, in diesem Falle die unbefangeneren Kritiker,
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erkannten die Leistiingrcn der Staafseisenhalinverwaltiing dank-
barer an als die Italiener.
Die Frage nach dem Verliältnis des Italieners znm Staate
enthält Stoff für ein Buch — im engen Hahmen eines Vortrage.s
mii.ss icii midi auf diese wenigen Andeutungen beschränken. Znm
Schlu.ss will ich mit gleicher Kürze nur noch auf die andere
grosse Frage des Völkerlebens eingelien, auf das Verhältnis des
Italieners zur Kirclie und zur Religion. Ks ist ein Gebiet, dessen
Krfoi-schung für den Historiker wie für den Völkerpsychologen
stets den grössten Reiz behalten wird ; denn es gibt — wenigstens
in Europa — wohl kein zweites Land, in dem freudigste Lebens-
bejahung und tief-innerliche Lebensverneinnng so hart, anscheinend
so unvennittelt, nebeneinander stehen, wie in Italien, dem Lande
des Lebensgenusses und dem Lande der Weltentsagung.
Die Lebenslust und der Wirklichkeitssinn der Italiener kehren
wieder in ihrer weltlichen, die.sseitsfrohen .\uffassung der Kirche.
Die Kirche ist ihnen, den Trägern des Papsttums, mehr als einem
andern katholischen Volke, Ecclesia triumphans: triumphierend auf
Erden! Vergleichen Sie eine deutsche mit einer italieni.schen
Kirche! Durch die grossen Dome der deutschen Baukunst, von
Stra.ssburg bis Köln, geht ein Zug des Geheimnisvollen, der
My.stik. Das Licht ist gedämpft, und andere als gedämpfte
Stimmen würden als Störung der Weihe empfunden werden. Wie
anders in Italien, besonders in Mittel- und Süditalien! Da ist
nichts Mystisches und nichts von geheimnisvoller Verschwiegenheit
in den gro.ssen Domen. Das Licht flutet in vollen Strömen herein
und wird empfangen von heller, heiterer Marmorpracht. Nicht
das my.stLsche Verhältnis des Erdenbewohners zum rberirdischen,
sondern den Glanz der siegreichen Kirche auf Erden stellen die
Gotteshäuser des Volkes dar, das der katholi.schen Kirche ihre
Fürsten und Herrscher setzt. Kein antiker Triumphbogen oder
Triumphsäule, und kein Trinmphatorendenkmal triumphieren .so
wie der Rie.sendom des •Pai>.stes, der nach deutschem Empfinden
kaum noch Kirche ist, sondern nur eine ungeheure Festhalle, be-
stimmt für den Einzug eines Triumphators. Darum haben auch
die Italiener am liebsten einen Papst, der die Rolle des Tri-
umphators zu spielen wei.ss. Vom religiö.sen Standpunkt aus ge-
sehen steht ohne Frage der gegenwärtige Papst höher als sein
politischer Vorgänger, Leo XIII. Und dennoch — wie oft wird
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die Erinnerung an Papa Leone warligerufen, an den Glanz seines
Auftretens, an den Donner der Evviva-Rufe, die seinen Einzug
in die Peterskirche grüssten — wie oft erinnern die Römer an
den verstorbenen Papst, um ihn auszusi)ielen als den würdigeren
Träger der Tiara gegenüber dem nürbternen, allem Prunk ab-
holden, aber kindlich frommen Pius X., der so gar nichts De-
koratives an sich hat und keinen Hochruf in der Kirche duldet,
als unverträglich mit der Würde des Gotteshauses. Wie oft habe
ich die geringschätzige Charakteristik gehört: „E un buon prete,
ma un Papa non M“ Nach unserm Empfinden könnte von einem
Papste nichts rühmlicheres gesagt werden, als dass er ein guter
Priester sei. Der Römer aber hat dem Papsttum gegenüber noch
dieselbe Empfindung wie in den Tagen der Refonnation, wenn
auch der Ausdruck dieser Empfindung heute weniger krass i.st.
Als Leo X. starb, der durch und durch weltliche, aber glanzvolle
Papst, und nun der fromme, prunklose Hadrian VL, als der letzte
Deutsche, den Stuhl Petri bestieg — da wurde Leos Grab mit
Versen voll Sehnsucht nach der goldenen Zeit des Medicäers be-
deckt ; als aber Hadrian starb, bekränzten die Römer die Haustür
des päpstlichen Leibarztes und schrieben darauf: „Dem Befreier
des Vaterlandes Senat und Volk von Rom“ ').
Und doch steht neben dieser irdischen Auffa.ssung der Kirche,
und (was damit zusammenhängt i neben rein äasserlicher, ge-
.schäfbsmässiger Erfüllung der gottesdienstlichen Pflichten, eine
Vertiefung des religiösen (Jefühlslebens, die, wenn sie uns heute
begegnet, an längstvergangene Zeiten erinnert. Die Welteut-
sagung steht, wie es scheint, als notwendiges, logisches Korrelat
neben dem Welt gen uss. .Man kann in italieni.schen Kirchen
Bilder innigster Andacht sehen, zuweilen Zustände, die an religiöse
Verzückung grenzen. Geht man etwa am Charfreitag in den
Petersdom oder an andere heilige Stätten und wartet, bis die Re-
liquien gezeigt werden — in der Peterskirche verehrt frommer
Glaube noch Stücke des Kreuzes Christi und der lieiligen Lanze
— so sieht man ganze Scharen, die kniend, und sogar manche,
die mit der Stirn auf dem Boden das Wunderbare erwarten, um
dann, in dem gro.s.sen Augenblick, mit starrem verzücktem Blick
') Gre({orovius, <iescli. der Stadt Heim im .Mittelalter VIll (189ü)
407, 4Z4.
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hinanfznsrhanen narli den Baikonen der riesigen Kuppelpfeiler,
von denen aus die Reliquien gezeigt werden. Wenn man die.se
bleichen durchgeistigten Gesichter sieht, diese schwärmerischen
Augen, die von den Menschen ringsum nichts zu sehen scheinen,
sondern wie trunken nach oben blicken, diese Lippen, die sich
wie im Fieber unausgesetzt bewegen und doch keinen Laut von
sich geben — dann versteht man, dass gerade Italien dem Mittel-
alter seine grössten Heiligen geschenkt hat, und eine Ahnung vom
Zeitalter des heiligen Franz von A.ssisi dämmert in uns auf. —
Wenn die Vergangenheit auch nicht wiederkehrt — wer
wollte es wagen, dem italienischen Volke die Zukunft abzu-
sprechen? Das Volk, das — abge.schen vom politischen ].ieben —
mehr getan hat für unsere europäische Kultur als irgendein
anderes Volk der Welt, das auf beinah allen Gebieten mensch-
lichen Schaffens und Denkens neue Wege gewiesen hat — dieses
Volk ist auch heute noch, trotz aller Altersei’scheinungen, kein
dekadentes Volk und gibt uns kein Recht zu hochmütiger Ver-
achtung. Die Italiener von heute sind weder ein Bettler- und
Gaunervolk, noch eine dekadente Rasse, sondern sind, trotz all
ihrer Fehler und Laster, noch immer ein Volk von edelster Kultur
und eretaunlicher Lebenskraft. .\uch die ungeratensten Kinder der
schönen Mutter Italia, die Neapolitaner, lernt man mit der Zeit,
wenn nicht lieben, so doch milder beurteilen; sie sind nicht
schlecht, sie sind nur wilde Kinder. Sie stehen nicht jeaseits,
sondern diesseits von Gut und Böse; statt des Apfels der Eva
gab das Schicksal ihnen und ihrem Lande die goldenen Apfel der
Hesperiden. Niemand aber kann sagen, wie weit das Volk, das
- länger im Mittelpunkt der Weltgeschichte gestanden hat, als
irgendein anderes, auch in der Zukunft berufen sein wird zur
Mitarbeit an der Kultur der Menschheit.
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Die altisläiulische Saga.
Vun Pr. (iiistiiv Xcckel.
Wer als Xiclit-Gennanist von altnorclisdier Literatur hört,
der denkt wohl zuerst an die Eddalieder. Aber aueh der Name
Saga dürfte heute einem weiteren Kreise in Deutschland nicht
mehr ganz fremd klingen. Die Saga, die kunstmä.ssige , figuren-
reiehe Erzählung, ist das typische Erzeugnis der reichen alt-
i.släiidischen Prosaliteratur. Der wertvollste Teil dieser Lite-
ratur, derjenige, der auf volkstümlicher heimischer ('berlieferung
beruht, weist drei Gattungen auf: 1. die Fornaldarsögur,
lieroische Erzählungen aus der Zeit vor Lslands Besiedelung; be-
kanntere Vertreter dieser Spezies sind die Völsunga- und die
Fridpiüfs.saga. 2. die Konunga sögur, Biographien der altnor-
wegi.schen Könige, ihr Gii)fel die Saga von Olaf dem Heiligen
(t 1030). 3. die Islendinga sögur, Isländergeschichten. Die.se
letzte Gruppe allein ist es, die uns hier beschäftigen soll; es handelt
sich um die „isländische Saga“ im engeren Sinne. Und zugleich
im höchsten Sinne. Denn die Isläiulergeschichten stellen umstreitig
den Höhepunkt der altisläudischen und der ganzen altgermanischcn
Prosaschriftstellerei dar. Im Umgang mit den heimischen Stotfen
ist die Gestaltungskraft der isländischen Erzähler erstarkt, und
sie haben aus ihnen ihre Meisterwerke geschatlen — um nur die
beiden schönsten zu nennen: die Njälssaga, die Gi'slasaga.
Bekanntlich wurde die Insel l.sland ums Jahr 900 von Nor-
wegen aus besiedelt. Die Kolonisten waren norwegische Gross-
bauern, die, der Reichsgründung des Königs Harald weichend und
zugleich dem Wanderzuge der Wikingzeit folgend, ihre alte Frei-
heit nach dem damals entdeckten Neulande retteten, ln den Fjord-
tälern und Flus-sebenen, rings um das unbewohnbare Hochgebiet
des Innern, blühte schnell ein rüstiges Leben auf. Die Bevölkerung
lebte wie zu Hause von Viehzucht, Ackerbau und Fischfang. Wie
zu Hause gab es dabei Besitzstreitigkeiten und Fehden in Menge.
Bei den leidenschaftlich betriebenen Prozes.sen auf dem Thing ging
Macht oft vor Recht, ein Totschlag zog andere nach sich, Fber-
fälle aus dem Hinterhalt und nächtliche Brandlegungen waren an
der Tagesordnung. „Auge in Auge .sollen sich die Adler hacken“.
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sajftc der alte Xordmaiin. Dar unersättliche Afarlittrieb der Häupt-
linge war meist verbunden mit reckenhafter Streitlust, Fiende an
der Gefahr und tiefster Emptanp:lichkeit für den Ruhm des Kriegers
und die. Schande des Feiglings. Das Gebot der Rlntrache und der
emptindlichste Ehrbegrilf herrscliten mit elicrner Gewalt. Um
ihnen zu genügen, verschmähte man ancli Trug und Hinterlist nicht;
Kampf melirerer gegen einen galt als nicht anständig und wurde
unter normalen V’^erhältnissen von den meisten vermieden; aber
dass man durch zweideutige, auf Schrauben gestellte Erklärungen
und Versprechungen dass Gewissen rettete, kam oft genug vor.
Kriegerisch war das altisländische Leben bis ins 11. Jahr-
hundert hinein. Im Jahre 1000 nalim das Land das ('hristentum
an; die „alte Sitte“, wie man es nannte, wurde mit der „neuen
Sitte“ vertauscht. Das war zunächst für die Mehrzahl ein rein
äusserlicher Vorgang, früliestens in der nächsten und übernächsten
Generation liabeii die ethischen Ideale des Chri.stentums eine Stätte
in den Herzen gefunden. Gleichzeitig entzogen wirtschaftliche
Wandlungen dem heroischen Herrentum der heidnischen Zeit den
Boden. Die Gold- und Silbertruhen der Wikingzeit wurden all-
mählich leer, das Wergeid aber blieb hoch, und wenn es schon
früher vorgekommen war, da.ss einer sich von Haus und Hof ge-
kämpft hatte, so musste man Jetzt dieses Schicksal um so mehr
fürchten. Die Zahl der Herrengeschlcchter schmolz zusammen,
die Bevölkerung nahm vermutlich stark zu, und die Wirtschaft
erforderte mehr Hände. So wirkten allerlei Gründe zusammen,
um das Lehen in ruhigere Bahnen zu lenken. Die Insel erhielt
einen Bischofsitz, dann einen zweiten. Klöster wurden gegründet,
und in den Klöstern fing man an, mit lateinischer Schrift islän-
dische Bücher zu schreiben, zuei'st juristischen und theologischen
Inhalts, später auch andere weltliche Bücher, Sagas und alte Gedichte.
Die älte.sten uns erhaltenen Sagahandschriften stammen aus
der Zeit um 1300. Der grösste Codex, das Buch von Müdruvellir
im Nordlandc, das über ein Dutzend Sagas enthält, ist in der
ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts geschrieben. Ohne Zweifel hat
es ältere Niederschriften gegeben. Zur Zeit als Snorri Sturluson
auf Grund älterer Königssagas seine klassische Gesamtdarstellung
der norw'egi.schen Ge.schichte lieferte, um 1225, hat wahrscheinlich
auch ein gi’osser Teil der Islendinga sögur bereits schriftlich Vor-
gelegen. Die neueren isländischen Gelehrten setzen sogar herkömm-
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liclierwcise ihn- besten Sagas ins 12. Jaliihmnlevt. Diese Datierung
lienilit jedocli auf einem niissvci-stantlenen Quellcnzeugnis und
.scliwebt also in der Luft; die allgemeine Wahrscheinlichkeit spricht
gegen sie.
Die in den Sagas erzählten Vorgänge fallen in die ersten
Men.schenalter nach der Besiedelung, die meisten in das Jahrhundert
zwischen 030 und 1030; am dichtesten mit Saga.szenen und -helden
besetzt ist das ausgehende 10. Jahrhundert, eine Zeit, die auch
anderswo im gennanischen Norden besonders reiche Kunde hinter-
la.ssen hat. Die Aufzeichnung aber findet rund 250 Jahre später
statt: Ereignis.se um 075, Aufzeichnung um 1225; ja für einige
Sagahandlungen beträgt der Abstand erheblich mehr noch als drei
Jahrhunderte.
Dieser Ab.stand wird au.sgefüllt durch die mündliche Über-
lieferung; sie kettet die Schreibezeit an die Sagazeit. Die
Sagaschreiber selbst berufen sich auf diese t'berlieferung: ,so wird
berichtet* — , davon ist nichts überliefert* — , diesen Vorfall
erzählt man verschieden* — ,das hat der und der mit angesehen
und es weiter berichtet*, und dergleichen .\u.sserungen. Dass die
mündliche Darstellung neue.ster (.Jeschehnis.se wie alter Geschichten
eine beliebte Ergötzlichkeit war und im Leben der alten Nordleute
eine nicht unwichtige Bolle spielte, dafür gibt es eine ganze Anzahl
Zeugni.s.se. Besonders auf dem Allthing, wo Jeden Sommer die
Leute aus allen vier Vierteln des Landes zusammenströmten und
auch mancher weitgereiste Mann sich einfand. gab cs wohl immer
Sagas zu hören. Mancher erzählte da seine eigene Saga, wie er
den und den irgendwo in Norwegen blutig gestraft hatte, und es
kam in solchem Falle wohl vor, dass die Saga ihre tötliche Fort-
setzung in der Wirklichkeit fand. Aber auch Berichterstatter
dritter und vierter Hand kamen zu Worte, Lielihaber, die den Er-
eigni.ssen persönlich und auch zeitlich ferner standen, und in deren
Vortrag deshalb naturgemä.ss die freiere künstleri.sche Ge.staltiing
mehr liervortrat, der eigentümliche Sagastil sich ausbildete.
Die.ser Sagastil, die ganze Tonart, wie wir sie. ans den Texten
kennen, trägt das deutliche (Jepräge der mündlichen Erzäliluug
mit ihrer ganzen Frische und Unmittelbarkeit, ihrer packenden
liebendigkeit und ruhigen Sachlichkeit. Kein Zweifel, da.ss der
mündliche Vorfrag oft mit Haut und Haar in die geschriebene
Saga eiugegangen ist.
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Oft — aber niclit immer! An manchen Stellen ist die schrift-
stellerische .Mache sehr deutlich. .Auf jeden Fall kann die Zu-
sammenfüpunp so langer (leschichten wie Niälssaga, Egils.saga,
GrettLssaga, La.xdtela- und Eyrbyggia.saga erst bei der Nieder.schrift
erfolgt sein. So werden wir uns wohl hüten, die schriftliche
Saga mit der mündlichen gleichzusetzen. Und ebensowenig dürfen
wir natürlich letztere ohne weiteres als Geschicht.squelle betrachten.
Die volkstümliche Tradition \Vrgisst, verwechselt und erfindet neue
Zusammenhänge; auch stilisiert sie aus einem bestimmten Form-
gefühl heraus. Rls leuchtet ein, da.ss diese und andere geschichts-
feindliche Faktoren bei einer zwei- Ids dreihundert Jahre fort-
gesetzten ('berlieferung nicht nnwirksani bleiben konnten.
In diesen Verhältni.ssen liegt eine wissenschaftliche Aufgabe
beschlossen, für deren Losung bisher fast nichts getan wurde.
Bei den nordischen Gelehrten war weitgehendes Vertrauen auf die
Zuverlässigkeit der Sagas lange traditionell. Der einzige Isländer,
der, soweit mir bekannt, Zweifel an dieser Zuverlässigkeit ge-
äussert hat, war der geistreiche und originelle Gudbrandur Vig-
fu.sson; er fand in den Islendinga sögur heroische Fabelstotfe.
Eine energische Reaktion ging von Dänemark aus. Edvin Jessen,
der 1871 durch seine .Abhandlung über die Eddalieder der modernen
Eddaforschung den gesunden Boden bereitet hat, griff das Jahr
darauf in Sybels Historischer Zeitschrift (Bd. 28) die Glaubwürdig-
keit namentlich der PIgilssaga aufs heftigste an. Soweit dieser
Aufsatz ausgeführte Untersuchungen enthielt, konnte man ihm in den
Hauptininkten schwerlich widersprechen. Nur die daran geknüpften
.Meinung.säussernngeii scho.ssen weit über das Ziel hinaus. Je.s.sen
war von Anklägerstimmnng erfüllt, und man konnte ihm das von
der Gegenseite mit Recht zum Vorwurf machen. Was man aber
gegen seine .Argumente angeführt hat, das zeugt in noch höherem
Grade von Voreingenommenheit im entgegengesetzten Sinne, man
suchte seine Beobachtungen durch Hypothesen zu entkräften. .Auch
insofern war diese Debatte unfruchtbar, als man nicht — oder
doch nicht konsequent — die umbildende Tätigkeit der Tradition
berücksichtigte. Man rechnete mit nur zwei Faktoren: ge.schicht-
liche Wirklichkeit und Verfa.s.serwillkür, und argumentierte gelegent-
lich so; was augenscheinlich nicht Verfmsserwillkür sein kann, mu.ss
historisch sein. Dieser Weg führte zu keinem Ziel als dogmatischem
Glauben bei den einen, ruhelosem Zweifel oder radikalem Ver-
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wcrfrn hei den andern, und wesentliche, typische Eigenschaften
der Saga hliehen unverstanden. Etwas derartiges mag Richard
Heinzei empfunden haben, als er den Plan fasste zu seiner , Be-
schreibung der isländischen Saga' (Wien 1880). Dieses Buch ist
weniger eine beschreibende Stilistik als ein Stoffrepertorium; als
solches muss es dem aufmerksamen Leser einen starken Eindruck
geben von der ausgleichenden Macht der Tradition. Eine solche
Betrachtungsweise wird in neuester Zeit wieder angeregt durch
die volkskunillichen Studien. Xamentlich die Arbeiten Axel Olriks
und seiner Kopenhagencr Schüler über die ,e])i.schen Gesetze
der Volk.sdichtung' ‘) liefern uns wichtige Fingerzeige zur Beur-
teilung des überlieferten Stoffes. Olrik selbst hat in seinem Buche
, Nordisches Geistesleben' (Heidelberg 1908, übertragen von Ranisch)
eine gedrängte Kritik der Egilssaga geliefert, die nnn nicht mehr
das Hauptgewicht legt auf das Verhältnis des Sagalextes zur Ge-
schichte, sondern auf sein Verhältnis zur Tradition und auf die
vcr.schiedenen Elemente der letzteren. Die Frage nach dem his-
torischen Kern l.st, soweit überhaupt, nur lösbar im Zu.sammcnhang
mit diesen n)erlieferungsfragen.
Eine Saga pflegt aus mehreren Elementen zu bestehen, die
bei der Lektüre ganz verschieden anmuten. Das, was manchen
alten Hörer vielleiclit am meisten fesselte, den nicht näher betei-
ligten modernen Leser at)er kalt lässt, i.st die notizenhafte Lokal-
tradition. Sie berichtet von den einzelnen Fliussen, Bergen,
Höfen einer Gegend, wer sie endeckte, benannte, bewohnte; die
kleinen und grossen Vorfälle, die sich dort abgespielt haben und
an die vielleicht noch eine Erinnerung in Ortsnamen lebt; den
Besitzwechsel, der mit ihnen vorgegangen ist; die Verwandtschaft
und Nachkommen.schaft der älteren Ansiialler u. dgl. mehr. Die
Banern am Borgarfjord lauschten andächtig, wenn der Sagamann
ihnen von der Landnahme ihres Urahnen erzählte: ,.Skallagn'mr
landete an einer Stelle, wo eine grosse Landzunge in die See
hinamsging, und eine ganz .schmale Enge verband sie mit dem
Lande, und da brachten sie ihre Taidung an den Strand. Die
Spitze nannten sie Knarrarnes (La.stschiffspitze). Da erkundete
9 iMnske Studier liMW, .\m 7. .August 190K hielt Ulrik vorder 4. Sektion
des Interimtianaleii Kongresses für historische Wissenschaften zu Berlin einen
Vortrag über denselben Gegenstand.
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Skallagriinr das Land, und es war da eine weite ^loorlandsrlmft
lind grosse Wälder zwisclien Bergen und Strand, günstige Stellen
zum Seelmndsfang und gi'osse Fiscligründe. ... Da ergritt' Skalla-
gn'mr Besitz von dem Lande bis au tlie Berge, alle Moore bis
zur Seehundsbucht und bergaufwärts bis zur Borglava und südlich
bis zu den Hafenbergen, das ganze Land ul.so, durch das die
Flüsse zur See strömen. Im folgenden Frühling führte er das
Schiff südwärts zum Fjord und hinein in eine kleine Bucht, dicht
bei der Stelle, wo der Sarg des Kveldiilfr (seines auf der Fahrt
verstorbenen Vaters) angetrieben war, und baute da ein Gehöft
und nannte es Borg und den Fjord Borgarfjord, und den ganzen
Bezirk von da aufwärts nannte man nach dem Fjord"*. Solche
bodenständige Tradition lebte rund um die Insel in jedem Tal.
Kundige Männer haben sie gesammelt und aufge.schrieben, und
daraus ist eins der merkwürdigsten Bücher entstanden, die Land-
nämabök, eine genaue topographische Beschreibung der Besiede-
lung I.slands. Dies ist eine gelehrte .\rbeit, keine Saga, ln den
Sagas nelunen die Lokalnotizen nur einen verhältnismä.ssig bc-
•scheidenen Raum ein. Das Haiiptstiick ist immer die zusammen-
hängende, menschlich belebte Handlung, die Saga im engsten Sinne.
Diese Handlung ist meist eine feindliche Verwicklung:
Fcindscliaft entbrennt zwisclien zwei Häusern, sei es, da.ss ein
Knecht die Grenze nicht geachtet hat und vom Nachbar ei-schlagen
wird oder Verwandte einander ein Erbe vorenthalten oder neidische
Nebenbuhler einen Anschlag machen auf Gut und Leben eines
('bermächtigen oder eine üble Nachrede, ein Spottvers die ver-
wundete Ehre nicht ruhen lä.sst. Von dem erregenden Moment
aus geht die Handlung straft, ohne Abschweifungen auf ihr Ziel
los, den bewaftiicten Zusammenstoss der Hauptgegner, ln der
Regel zieht der eine Kamjif andere nach sich, oder es lebt doch
bei einer späteren Streitigkeit die Erinnerung an alte Feindschaft
wieder auf; der Name eines Gefallenen kann noch in der nächsten
Generation zuni Feldgeschrei werden. ,\n die Seite der kriege-
ri.schen Vorgänge treten friedlichere, gern mit einer scherzhaften
Pointe. Immer ist der .Menscli das Hauptaugenmerk des Er-
zählers, seine Natur, wie sic in Worten und Taten ans Licht tritt.
So fügt sich ein Auftritt an den andern, die erwähnten Lokal-
traditionen mi.schen sich ein, und die Saga wäre fertig, fehlte
nicht noch das dritte Element, das wenigstens in sehr vielen
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Sagas eine Holle spielt: die Auslarulreise oder der politische
Hintei’ßi’und.
Oft liebt die Saga an von dem Vater oder Grossvater des
Haiiptlielden und berichtet von seiner Auswanderung aus Xorwegen,
Sehr häutig uiaeht auc-h der Held oder die Helden eine oder
mehrere Reisen nach Norwegen oder England, tritt in Heziehungen
zu den dortigen Fürsten, die ilin hoch zu ehren pflegen, verübt
Wikingtaten in der Ostsee und andei’swo und nimmt zuweilen au
grossen Schlachten im Auslande teil, wie der Schlacht bei Olontarf
in Irland (1014). Diese Auslandepisoden stechen gewöhnlich fühl-
bar ab von den in Island selbst sjiielenden Teilen. Es fehlt ihnen
das konkrete Einzel wissen, die farbige Fülle der echten Saga,
von der sie sich auch durch eine gewisse schablonenhafte Ausser-
liclikeit und romantischen Geschmack für ritterliche Lebenszierden
unvorteilhaft unterscheiden.
Dies sind die drei Hauptelemente, die wir aus der Hand der
Saga.schriftsteller des 13. Jahrhunderts empfangen. In betreff ihrer
Vorgeschichte darf bei einem Überblick über unsere vierzig Sagas
Folgendes gemutmasst werden: die Lokaltradition ist im we.sent-
liclicn treu bewahrte Geschichte; die heroische Handlung ist in
den nackten Tatsachen ihrer Hauptauftritte historisch, in zahl-
reichen Zutaten dagegen, in der Motivierung und Verknüiifung
mehr oder weniger ein Werk der Tradition; die Auslandepi.soden
haben nur teilweise einen minimalen geschichtlichen Kern, das
Meiste ist littcrarische Erfindung des 13. Jahrhunderts.
Für die einzelnen Denkmäler bedarf das Verhältnis der ge-
naueren Untersuchung, die vermutlich bedeutende Unter-schiede er-
geben wird. Solche Untersuchungen sind, wie gesagt, bisher kaum
angestellt worden. Die .Andeutungen von Olrik über die Egils-
saga lassen hoffen, dass dieser ausgezeichnete Forscher uns eines
Tages eine eingehendere Behandlung der genannten Saga be-
•scheren wird. Wir können hier nur Vorstudien machen und
wollen einige Methoden besprechen, die uns dem Ziele näher
fuhren können. Es handelt sich also um die Scheidung von Ge-
schichte, Tradition und litterarischer Erfindung. Wir suchen da.s,
was uns neben einander auf die geschriebene Ebene projiciert
vorliegt, hinter einander zu sehen. Und da bieten sich uns ver-
•schiedene Anhaltspunkte, deren Verwertung durch Beispiele verdeut-
licht werden möge.
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I. Der Sagabericht lässt sich durcli eine andere
Quelle kontrollieren. Diese Methode hat dessen hei der Egils-
saga angewandt. Hier liegt der Fall so günstig wie nirgend
sonst. Die Egilssaga bringt nämlich in ihrem ersten Teil Angaben
über die Lebensverhältnisse im norwegischen Helgeland und über
die Beziehungen der dort wohnenden Germanen zu den Finnen.
Wahrscheinlich um 8510 kam ein Helgeländer namens tittarr (alt-
engl. Ohthere) zu König Alfred von England und berichtete ihm
von ungefähr denselben Dingen. Alfred schaltete die.sen Bericht
in seine Übersetzung des Orosius ein, und so sind wir in der
glücklichen Lage, die englische (Quelle vor 5100 und die isländische
nach 1200 vergleichen zu können. Es zeigt sich, dass letztere
recht ungenau unterrichtet ist. Be.sondei-s begeht sie den gros.sen
Fehler, eine Einrichtung der christlichen Zeit, das Recht des
nonvegischen Königs auf gewisse sehr geschätzte Abgaben der
Finnen, bis zu Harald Schönhaar hinaufzudatieren. Ottarr läs.st
keinen Zweifel darüber, dass dieser Finnentribut den helgeländi-
schen Häuptlingen oder Grossbauern, unter andern ihm selbst,
zuHüss, nicht dem Könige'). Der Sagabericht wäre nur zu retten
durch die Annahme, dass Ottars Schilderung sich auf die Zeit
vor Haralds Reich.sgiUndung beziehe. Man hat diese verzweifelte
Annahme in der Tat gemacht, obgleich man sich sagen musste,
dass die Chronologie von Alfreds Regierung und anderweitige
Angaben bei Ottarr selber ihr enhschieden widersprechen. Vollends
hinfällig wird sie durch eine allgemeinere Beobachtung. Die Is-
länder übertragen nämlich auch .sonst auf den Begründer des nor-
wegischen Einheitskönigtums dies und jenes, was erst Olaf dem
Heiligen oder späteren Königen zukommt. — Nimmt man den
Finnentribut aus der Vorgeschichte der Egilssaga heraus, so stürzt
sie in .sich zu.saminen. Ein winziger historischer Kern ist von
den Nachkommen mit leicht kenntlicher Fabelei umgeben worden.
') Iiieser Zustand stimmt zu dem Bericht des Tacitus von den Khren-
geschenken der kleineren Leute an die Häuptlinge, eine Sitte, die, wie die
Liösvetningasaga zeigt, im Norden sehr lange bestanden hat. Die Häuptlinge
nahmen diesen Tribut zuweilen entgegen bei einer grossen Uastreise, die sic
alljährlich in ihrem Bezirk unternahmen (Liüsv. K 6). Dass auch die Helge-
liinder solche Keisen machten, davon zeugen die späteren Kxpeditionen der
königlichen Beamten zur Kinzieliung des Finueiitributs, die ebenfalls in die
Egilssaga Ubergegangen sind.
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und unsor ScIiriftstellcT Imt dann noch ein Erhebliches aus Eigenem
hinzugetan.
II. Ein anderes äusseres Kriteriuin gegen den histori.scbeu
Charakter einer Erzälilung liegt vor, wenn sie sicli als verkajipte
Wanderf'abel — international oder isländisch — zu erkennen
gibt. So steckt in einer E]>isode der Viga-Gli'nnssaga die Anekdote
vom sterbenden Araber, die sich in der Di-sciplina clericalis findet.
Der von Cederschiöld erbrachte Nachweiss der wesentlichen
Identität lässt sich unter.<tützen durch die Beobachtung, dass der-
jenige, der diese Anekdote in die Tradition einschmuggelte und
sie dabei geistreich umbildete, einen unorgani.schen Rest des
Originals hat stehen lassen') und dass er sich an andere Ge-
schichten von Gliim angelehnt hat*). l)ie.se .\neignung eines
fremden Stoffes setzt den Wert der i.sländischen Tradition keine.s-
wegs herab, gereicht vielmehr durch die Art, wie sie ins Werk
gesetzt wurde, den alten Erzählern zu hoher Ehre. Wir sehen,
wie tief sie sich in ihre Stoffe hineinlebten.
Wir kommen zu einigen inneren .Merkmalen.
III. Die Tätigkeit der stilisierenden Tradition verrät sich
durch ihr Ergebnis. Es ist der Fall denkbar, dass die Stilisierung
nur zu einer Beschneidung der ursiirünglichen Realität führt, in-
dem z. B. die Zahl der Handelnden auf drei reduciert oder der
gute Wille, die guten Eigen.schaften des Gegenspielers verschwiegen
werden. Ein hüb.sches Beispiel für eine .solche gelinde Umbildung
ist die fJe.schichte von Fhiki, dem dritten Besucher Islands. Er
.segelte über die Fa-reyjar, und als sie in den freien Ocean liinaus-
kamen, da liessen sie drei Raben fliegen. Der erste flog rück-
wärts über den Hintersteven, der zweite stieg senkrecht in die
Luft und kam dann wieder zum Schifte zurück, der dritte strebte
über den Bug hinaus in der Richtung, in der sie später das Land
fanden. Flöki und seine Begleiter kamen zu dreien nach Norwegen
, zurück. Da .schalt der Er.ste das neue Ei.sland sehr; der Zweite
erzählte Gutes und Bö.ses von ihm; der Dritte aber sagte, da
trojife Butter von jedem Halme — und seitdem nannten ihn die
') (ilömr seihst tötet das Kalb, was narb dem Znsammenhana mindestens
Initölfr tan müsste.
’) (ilömr schiebt einem andern den von ihm selbst verübten Totschlag zu;
er wird von seinen Leuten geliebt; das Wortspiel erinnert an das mit dem
Namen Viga-Sküta.
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47
T^eute ,Tliorolf ButttM'. Diese t'heilipferung: stellt in der T<,md-
nämiibük. Auch in den Isliindergeschicliten selbst spielt die
Dreizahl eine nicht ganz geringe Rolle. Die Hävardarsaga, der
locus elassicus für diese Eigentümlichkeit, geniesst aus diesem
(«runde schon geringes Ansehen bei denen, die die 8agas in ei-ster
Linie als Geschichtsiiuellen würdigen. Wenn man alier in dieser
Stilisierung ein Anzeichen besonders später Nieder.sclirift sieht,
so ist das hinfällig, denn nicht erst die Epigonen haben Geschmack
gefunden an der volkstümlichen Dreizahl.
Die Zuverlässigkeit der Prozes.sschilderungen in der Njüla ist
Gegenstand einer Polemik gewesen, die aber zu keinem klaren
Ergebnis geführt hat. Beachtet man die Stilisierung des grossen
Still u.s.sproze.sses, wobei wiederum die Dreiheit deutlich hervortritt,
.so wird man den historischen Kern so gering ansclilagen, da.ss es
.sich wenigstens um der Saga willen nicht lohnt, über die geschicht-
liche Möglichkeit oder Richtigkeit der einzelnen Motive zu stitüten.
Im ersten Teil der Njäla begegnet ein kunstvoll gegliederter
Abschnitt, in dem dargestellt wird, wie die Feindschaft der Frauen
Hallgerdr und Bergjiöra die Freund.schaft ihrer Männer, Gunnarr
und NjiUl, vergebens auf die Probe stellt. Drei Paare von Tot-
schlägen folgen aufeinander, und zwar so, dass eine sclirittweise,
ausgerechnete Steigerung statttindet, in den Personen — vom
unfreien Knecht bis zu den Söhnen des Niäll — und in dem
Reichtum der Sceuen, vom Zweikampf bis zum (Jefecht, wobei
zum Schluss noch Nebenpersonen auftreten. Dazu eine absichtlich
kontrastierende ('harakteristik ; die eine Partei überfällt mit
('bennaclit einen Einzelnen, ungeachtet seines Appells an die
Ritterlichkeit, die andere zeigt sich ungleich edelmütiger, indem
Skarphedinn, der älteste Sohn Niäls und einer der Lieblingshelden
der Saga, dem (Jegner Zeit lä.sst, sich zu rüsten').
Besonders beliebt scheint bei den Isländern die einzige komische
Figur der Njälssaga zu sein, der Bauer Björn, der dem Käri bei
der Rache für den verbrannten Xjäll, seinen Schwiegervater, und
dessen Söhne hilft. Dieser Björn ist in der Tat höchst ergötzlich
gezeichnet mit seiner Ruhmredigkeit und nachfolgenden Unlu.st,
') Derselbe Skarpluslinn mid seine T'.rüder scheuen sich bei anderer (ielejjen-
heit nicht, ihren t'llegebruder hei der Feldarbeit meuehliiiKS zu Oberfnllen und
niederzumachen. Die verschiedenen Stücke der Tradition hatten eben eine ver-
schiedene tikonomie !
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48
in (1er Gefalir seinen Mann zu stellen. Aber dass er darum so wie
er geht und steht, aus dem Lehen genommen sein mü.sse, braucht
man nicht anzunehmen. Ist doch dieser brave Knappe nur das
wirkungsvolle, wohlberechnete Gegenstück zu Käris voniehmerer
Natur, der redet wie ein bescheidener .lüngling und nachher die
Taten eines Helden volltuhrt.
Unter Olriks ,epischcn Gesetzen* betindet sich das sogenannte
Zwillingsgesetz: Nebenrollen werden gern auf zwei gemeinsam
handelnde Träger verteilt. So gibt die Heldendichtung dem Attila-
sohne Erp einen Bruder KHill, dem tatenlosen jungen Skjoldung
Hredric einen Bruder Hredmuml, Etzels Bote an die Burgunden
(Knefrodr in der Atlakvida) verdoppelt sich in der Jüngeren Sage
(Wärbel und Swiimmelin in den Nibelungen). Überhaupt treten
gerade verfolgte Königssöhne und andererseits Diener und Send-
linge gern als Paar auf. Nordisclie Vertreter der ersten Gruppe
erscheinen nicht bloss in der anerkannt sagenhaften rberlieferung
(Hröarr und Helgi), sondern auch in den Islendinga sögur: Gi'sli
und Porkell in der Vorgeschiclite der Gislasaga, die Söhne des
,Herzogs‘ Guttormr, die Kveldiilf und Skallagrim zum Opfer
fallen, ,der eine zwölf, der andere zehn Jahre alt, sehr schöne
Knaben*, ln derselben Episode der Egil.ssaga geht es auch zwei
bösen Dienern des Königs ans Leben, Sigtryggr und Hallvardr.
Diese eiüschen Zwillinge werden durcli eine unechte Strophe des
Skallagrhnr zwar für die Tradition gesichert, aber nicht für die
Wirklichkeit. Bekannt sind aus dem Mythus die beiden Jugend-
lichen Begleiter des Donnergottes, BJälli und Röskva. Ihnen ent-
sprechen in der Gfslasaga der Knabe Geirmundr und da.s^^Mädchen
Gudn'dr. Jenes Dienerpaar der Egil.ssaga war zugleicli ein
typisches Gegnerpaar. So sind die Anstifter des Mordbrandes,
aus dem Gisli und sein Bruder mit genauer Not entkommen, zwei
böse Brüder, ,der eine hiess Einarr, der andere Arni*'). Stereotyp
als Feinde der Helden und Könige sind in der i.sländischcn I'ber-
lieferung ,zwei Jarle*: sie tauchen auf als Vätr und Fasti in der
versiticierten , Aufzählung der Yngliuge*, als Hölmgeirr und
Hardvigr im Heldenroman von (Jrvar-Oddr; aus einem walisi.schen
,Hugi dem Stolzen*, den Magnus Barfuss 10H8 erlegte, macht die
') Vgl. auch die beiden Uerserker von Haakagil in der Krislnisaga (dazu
Anz. f. dt. Alt. :dl, 111 f.).
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49
Könipssapa ,z\vei Jarle, Hugi der Stolze und Hngi der Dicke*;
und so fabelt auch die Egilssaga von zwei walisischen Jarlen,
Hringr und Adils, unter den Feinden des von Egill und seinem
Hiuder untei’stützten Adalsteinn.
Ähnliche Stilisierungen sind in den Sagas häutig; es wäre
eine dankbare Aufgabe sie ziisaminenzustellen. Aber sic geben
nur ausnahmsweise den Ton au. Im allgemeinen schwebt den Er-
zählern otfenbar die Buntheit des wirklichen Lebens als Norm
vor. Inwieweit diese Buntheit auf historischer Wirklichkeit be-
ruht, wieweit sie eine ältere, stärker stilisierende Erzählwei.se
verdrängt liat, das ist eine der schwierigsten Fragen der Sagakritik.
IV. öfters treffen wir in den Lsleudinga sögur die Erscheinung
der verdunkelten Tradition. Viga-Gliimr kommt als junger
Bursche zu seinem Gro.ssvater nach Norwegen, erhält aber nur
einen unansehnlichen Platz am Ende der Halle angewiesen. Erst
als er bei einem Berserkerkampf ungewöhnliche Tapferkeit und
Stärke gezeigt hat, räumt ihm der Hausherr den Sitz an seiner
Seite ein und .schenkt ihm später lieim Abschiede einen schönen
blauen Mantel, Spiess und Schwert mit der Weissagung, cs werde
mit seinem Glück zu Ende sein, .sobald er einmal diese Kostbar-
keiten aus den Händen lasse. Die Weis,siigung geht im weiteren
Verlauf der Saga in Erfüllung. Diese Geschichte kann .schwerlich
an sich befremden; eine gewis.se Unklarheit über den Grund des
Unten-an-setzens entdeckt man erst bei näherem Zusehen. Wir
liaben aber hier einen Fall, der auch sonst in den Lsläuder-
geschichten vorkommt: was früher einmal allgemein von der Sitte
verlangt wurde, das wird als individuelles Ereignis mit zum Teil
neuer Motivierung erzählt. Der altgcrmani.sche Königssohn musste
sich erst durch eine mannhafte Tat die Waffen verdienen, ehe er
neben dem Vater im Rate sitzen durfte, und es herrschte der
Brauch, da.ss mau diese Wchrhaftmachung von einem fremden
Fürsten vollziehen liess*). Die.ser wies dann vcrmutlicli schon
seineiseits dem Jüngling den Ehrensitz an. Das Motiv, das unsere
Geschichte erzählenswert machte, war das unerwartete Aufraffen
des trägen Burschen, wodurch er alle Anwesenden beschämt, und
der Kampf vor aller Augen in der Halle. Als die Sagamäuner
den Stoff' in ihren Lebenslauf einfügten, bereicherten sie ihn um
*) I’anlus liiaconns I 23 f.
UitteiluDgen <1. uchlnü. Urs. I. Vktle. lieft XXI. 't
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ein zweites Motiv, das zup:lcicJi der Anknüpi'iine diente, die Weis-
sagung. Dabei geriet der eigentliclie Sinn des Geschenkes und
der Platzanweisung') in Vergessenheit. Wahrsclieinlicli haben wir
es hier mit einer heroischen Fabel zu tun, die weit älter ist als
Islands Besiedelung.
V. Ein besonders wichtiges Hilfsmittel bei der Analyse sind
die eingelegten Skaldenstrophen. Sie werden von den Personen
der Saga gedichtet und vom Erzähler als Schmuck oder als Beleg
angeführt. Es ist allgemein anerkannt, da.ss diese Strophen nur
teilweise echt sind. Wir haben auch hier drei Schichten zu unter-
scheiden; 1. Stro)>hen, die wirklich von den Per.sonen der Sagazeit
herrühren, 2. solche, die im Laufe der mündlichen f'berlieferung ihnen
angehängt wurden, wobei natürlich recht verschiedene Fälle und ver-
schiedene Zeiten in Betrachtkomnien, 3. Fälschungen derSagaschreiber
und -abschreiber. Zuweilen kann die Entscheidung mit so gros.ser
Sicherheit getroll'en werden, dass wir ein höchst wertvolles Hilfsmittel
zur Beurteilung auch der Prosa in die Hand bekommen.
Schon die handschriftliche ('tierliefening weist daraufhin, dass
eine Anzahl Strophen im ersten Teil der Njäls.saga sehr jung i.st; sie
sind jünger als der Sagatext selbst, grossenteils aus ihm aufgebaut.
Auf Derartiges müssen wir auch anderswo gefasst sein. Der
normale Fall aber ist der, dass die Ver.se älter sind als die Prosa
und diese zum Teil auf ihnen beruht. Manchmal lässt sich zeigen,
wie eine Strophe an falsche Stelle geraten oder sonstwie miss-
verstanden ist. ln der mündlichen Tradition der Isländer irrten
im 12. und 13. Jahrhundert eine Menge heimatloser Strophen her-
um. Teils kannte man nicht einmal den Verfa.sser, und die Saga-
schreiber waren aufs Raten angewiesen, wobei sie vor erheblicher
Willkür gewiss nicht ziirückgeschreckt sind. So hat man nament-
lich berühmten Skalden wie Egill Vieles zugeschrieben, was
sicher nicht von ihnen herrührt, ln einem poetischen Dialog
zwischen Jungfrau und Krieger verschmähte sie seine Gesellschaft,
weil er noch nie den Wolf gesättigt, nie die Raben über der
Wahlstatt habe krächzen hören, er aber rühmte sich, einher-
gefahren zu sein mit blutiger Klinge und gellendem Ger — ein
Stroidicnpaar ganz aus einem Gus.se, die spielende Konzeption
') .\uf diese Formalität wird sieh ursprünglich der Ausdruck setia e-n
s/elim (Atlanii'il) bezogen haben, vgl. auch silia suU illelg, Hund. II) und situindi
sslu njöta (Sig. sk.).
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öl
eines unbekannten DicJiters. Da inan in der Mannesstrophe einen
Hinweis auf Kgils Kriegstaten zu setien glaubte, erfand man eine
im übrigen völlig inhaltlose (Jastmahlszene, um ihn dieses Ge-
spräch mit einer halliindischen Jarlstochter halten zu lassen. Wir
sehen es der Episode an, dass sie aus den spätesten Stadien der
Tradition stammt.
Ein ganz ähnlicher Fall begegnet weiterhin in der Saga.
Flgil kämpft, um ein weinendes Jlädchen zu befreien, siegreich
und edelmütig gegen einen Berserker, Liöt den Fahlen, eine Ge-
schichte, deren späten, ritterlichen Charakter aufzuzeigen Olrik
Vorbehalten blieb. Die Richtigkeit seiner Kritik wird bestätigt
durch eine Untersuchung der fünf Strophen, die in die Episode
eingelegt sind. Zwei bis drei von ihnen hat schon Finnur Jön.sson
auf Grund einzelner Kriterien für unecht erklärt. Dieses l.Trteil
ist jedoch auf alle fünf auszudehnen, denn sie bilden eine ge-
schlossene, monologisch -dramatische Komposition, die als solche
weder von Egill noch von irgendeinem andern Kämpfer improvi-
siert sein kann, so dass die Stiga bei ihrem Versuch, diese Fiktion
durclizu führen, sich in Widersprüche und Unwahrscheinlichkeiten
venvickelt. Der vorliegende Sagatext ist also jünger als die
Strophen — auch die ganze Darstellungsweise würde uns übrigens
keinen Zweifel lassen, dass wir hier den persönlichen Stil des Ver-
fassers haben — , die Strophen wiederum sind erheblich jünger
als Egill. Es hat aber doch den Anschein, als beruhten sie selbst
schon auf einer prosaischen Erzählung wesentlich desselben Inhalts
wie die vorliegende. Der Blick, den wir hier in die Vorgeschiclite
unseres Textes tun können, ist besonders insofern lehrreich, als er
uns zeigt, einen wie kurzen Stammbaum gewisse Teile unserer >
Sagas haben.
Aber die Egilssaga enthält ohne Zweifel auch echte Strophen.
Wie Egill einmal Abschied nimmt von seinem norwegischen Freunde
Arinbjörn, da lässt ihn die Saga eine Strophe sprechen, die den
Zorn aller Götter auf den König, der sein Recht gekränkt hat,
herabtleht. Diese Strophe steht sichtlich an Unrechter Stelle; sie
ist eine Dublette zu dem Fluch, den Egill später, bei Errichtung
der Neid.stange, gegen den König ausstösst *). Ist sie echt — und
‘) Dies hat W. H, Vogt geseheu (Zur Komposition der Egilsagii. Programm
des Uymuasium .\ugustum zu Ciürlitz ItlOU, S. 5G).
4*
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il.i-s dürfen wir annchmen — , so ersclieint die l)erülimte Szene mit
der Neidstange als Erdichtung, und die falsdie Stelle der Strophe
zeigt die Lückenliuftigkeit der Tradition und die Willkür des
Verfassers.
Unsere ausgewählten Beispiele dürften einen Begi-itl von dein
literarhistorischen und geschichtlichen Problem der Saga gegeben
haben. Noch auf andere Punkte wäre bei der Analyse zu achten, z.B.
sachliche Unmöglichkeiten und Unwahrscheinlichkeiten, persönlicher
Stil und Ge.schmack der Verfasser. Ich durfte mich beschränken, weil
eine vollständige Methodologie des Saga.studiums zu geben natürlich
nicht meine Absicht sein konnte. Wir haben es auch nur mit dem Inhalt
der Sagas zu tun gehabt; über ihre Form und Komposition ist so gut
wie nichts gesagt worden. Die Stil form lässt sich besser an
einem Texte veran.schaulichen als in abstracto erörtern, die Kom-
position der Sagas aber hängt so unauflö.sslich mit ihrer Entstehung
und der Beschaffenheit der Tradition zusammen, da.ss es einst-
weilen nicht rätlich scheint, auf dieses Thema näher einzugehen.
Der Wert der Saga in ü.sthetischer Hinsicht kann von jedem,
auch an der Hand einer guten f'bersetzung, empfunden werden,
voll gewürdigt aber nur von dem, der sich in sie eingelebt hat
und sich von ihr hat erziehen lassen zu ihrem herben Kunstideal.
Ihr Wert als kulturgeschichtliche (juelle wird durch die
kritischen Zweifel an der buchstäblichen historischen Wahrheit
des Erzählten wenig berührt. Alles weist darauf hin, dass die
Isländer in der Sagazeit ein Leben führten wie cs in Deutschland
etwa in der merowingischen Periode bestand. Das Typische dieses
Lebens hat sich treu in der Tradition erhalten; störende Einflü.s.se,
geistlicher und hötischer Art, haben sich erst zur Zeit der Nieder-
.schrift, und auch da nur stellenweise, geltend gemacht. Wir lernen
nun die.ses altertümliche Leben von den verschiedensten Seiten
kennen, .seinen Götterkultus und Aberglauben, seine Recht.san-
schauungen, sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse, sein all-
gemeines ethi.sches Klima. Wer zu einer wirklich lebendigen
An.schauung von den heidnischen Germanen gelangen will, der
halte sich an die Lsländergeschichten!
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Flandern.
Von Dr. B. Kahle in Heidelberg.
Ini yVnscliluss an die Verse eines Liedes aus Ecker.sdorf :
,1)11 denkst, ich bin ein h^landcr,
O nein, das glaube nicht,
Mein Herz schlägt für kein andern,
Als nur allein für Dich*
führt F. Pradcl diese Zeifschr. 20, 101 eine Anzahl weiterer Ver.se
aus Volksliedern an, auch einen Beleg aus Philänder von Sittc-
wald, aus denen hervorgeht, da.ss der Au.sdriick, ,es ist jemand
aus PlanderiP oder ,er ist ein Plander soviel bedeutet wie , wankel-
mütig sein‘. Er wirft die h>age auf, was denn Flandern diesen
üblen Ruf eingebracht habe und meint, es sei die äusserlichc Ähn-
lichkeit mit dem Worte flatterhaft gewesen, vielleicht auch der
Umstand, dass sich auf Flandern gar so leicht .andern' reime.
Diese Erklärung trifft kaum das richtige, wie ein Blick in das
DWB. zeigt. Dort findet man, worauf ich Zeit.schr. d. Vereins f.
Volksk. 18, 116 bereits hingewieseu habe: Plander , Flitter, Lappe,
l.umpen“; Flanderl, Flanderlein ,flatterhaftes Mädchen* (Schmeller
1, 588); .schwäb. Flandcrer , Flattergeist*; Flandern, Flandria,
häufig im Reim auf .andre*; Treulosigkeit und Flatterhaftigkeit
der Weiber unil Junggesellen au.szudrücken. A. Bender, Ober-
schefflenzer Volkslieder, führt S. 27 die Verse an;
Du bi.st einer von den Flaiulerern
Gehst von einer zu der anderen;
Deine Liebe ist nicht fest.
Weil d’ von einer zur andern gehst.
Und S. 235; Mein Schatz, der ist von Flanderi,
Hat alle Nacht en auderi.
Zu jeder .sagt er: Du bist mein!
Und jedi führt er heim.
B. verweist sodann S. 282 f. auf M. Lexer, Kärntisches Wörter-
buch: flendern , wehen, flattern, herum.schweifen, liederlich sein*
(ummar flendern) und Flendrer , Faullenzer. Das Wort ,Flandrer*
ist nach ihrer Angabe in seiner ursprünglichen Bedeutung — also
ohne Anlehnung an das Lund Flandern — in Oberscheincnz noch vor
50 (d. h. jetzt etwa 60) .lahrcn lebendig gewesen. Der , Plauderer*
ist als ein Einwohner von Flandern also erst dann aufgefasst
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worden, als man die ursprüngliche Bedentnng des Wortes nicht
mehr verstand, was in vei>ichiedenen Gegenden zu verschiedenen
Zeiten geschehen sein wird. Auf diese Weise also ist das Land
Flandern in den üblen Ruf gekommen. Damit erledigen sich
Wühl die Bemerkungen Pradels.
Ich benutze die Gelegenheit zu einem weiteren Hinweis. Auf
S. 90 f. behandelt Pradel das in .seiner Originalfassung von
M. Adler in der Zeitschr. d. Vereins f. Volksk. 11, 4.59 ff. veröffent-
lichte Lied von dem Mädchen, das sich bei Schulpforta durch
einen Ei.senbahnzug überfahren liess. Über zwei Varianten dieses
Liedes ans dem badischen Unterland vgl. man meine Ausführungen
in den Blättern d. badischen Vereins f. Volkskunde S. 8 tf.
Literatur und Volkskunde.
Von Dr. K. Ulbrich.
a) Roman und Volkskunde.
Rin schönes Beispiel dafür, wie ein Dichter sich in den Volk.s-
glauben .seiner Heimat vertiefte und gerade damit seinem einzigen
als Kun.stwerk allgemein anerkannten Werke dauernden Wert ver-
lieh, ist Wilhelm Meinholds „Bernsteinhexe“ vom Jahre 1848,
die im Inselverlag vor kurzem neu erschien. Der auf Usedom
geborene und später dort angestellte Pastor tämschte mit dem
Chronikstil seines Romans seine Zeitgenos.scn .so sehr, dass sie die
mit dichterischer Genialität geschriebene Geschichte der Maria
Schweidlerin tatsächlich für die getreue Abschrift einer alten
Hand.schrift hielten, ifeintiold .selbst sprach es als sein künst-
leri.sches Ziel aus, „durcli getreuste Sittenschilderung seinem
Dichten den Typus der historischen Wahrheit aufzudrücken“; dies
war ihm aber nur möglich geworden, weil er selbst als Baiiern-
kind anfwuchs und .später als Geistlicher mit dem Leben seiner
Gemeinde in engster Verbindung stand. Was er so an Volks-
glauben in Sage und Brauch nach vorfand, setzt er — und gewi.ss
mit vollem Rechte — als verbreitete Anschauung des siebzehnten
Jahrhunderts an, und .so entstand jenes verblüff end wahre Kultur-
bild, da.s den Roman aus den Erzeugnissen seiner Zeit weit heraus-
hebt. Alle Personen, vom hochgebildeten Geistlichen und Ritter
bis zum völlig ungebildeten Gesinde, stehen, mehr oder weniger,
unter dem verhängnisvollen Bann des Aberglaubens, und wer die
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noch heute lebcndipren Anschaininfren des Volkes kennt, der merkt
alsbald, dass es echtes Gut ist, nicht jener Pseudovolksglaube, mit
dem die moderne Belletristik, einem Zuge der Zeit folgend, gern
sich schmückt. Der Teufelsglaube spielt die Hauptrolle: bald geht
der Böse Hedermausartig von einer Kreissenden ab, bald kriecht
er als Wurm einer Vettel in den Rachen und entspringt als Ratte
ihrem Sarge . . . ]tlötzliches Unwetter ist Teufelswerk, Katze,
Specht und Frosch sind Teufelstiere — die Hexe hat ein gefühl-
loses Teufels(Mutter-)mal zwischen den Brüsten, Hexensalhe macht
unsichtbar oder verwandelt in Tiere — Zauberkünste können
Tieren schaden, dass sie niclit Milch geben, nicht werfen können
oder sterben — unheimliche Menschen haben einen bösen Blick,
können Krankheiten anwünschen u. a. — Krankheiten licilt man
durch Magiemittel und Zaubersprüclie u. v. a. m. Man sielit, der
Roman verdient cs, in einer Zeitschrift für Volkskunde erwähnt
zu werden.
b) Die Katze In Literatur und Volksglauben.
Wie literai’geschichtliche Betrachtungen und die V'olkskundc
in enge Verbindung treten können, zeigt l)r. Franz Leppmanns
vor kurzem erschienene Studie , Kater ^lurr und seine Sippe“
(München 1908). Die literarLsche Vorliebe für dieses Tier wird
hier von Tieks gestiefeltem Kater bis zu Sven Leopolds „Goethes
Katze“ verfolgt. Sie entspringt nach Leppmans Ausfüliningen
teils der Lust am Weiterbilden eines gegebenen Motives, eines
vorhandenen Typus, teils al)er dem unverkennbaren Einflus.se von
Volksglauben und Volk.ssage. Das Verschlossene, Geheimnisvolle
im Wesen der Katze, eine gewi.s.se wählerische Vornehmheit, der
lautlose geschmeidige Gang, das merkwürdige, phosphorescierende
Auge, wunderliche eigenartige Körper.stellungcn, das gespenstige
nächtliche Treiben — — alles zusammen hat der Katze jene
eigentümliche Stellung verschaftt, die sich in volkstümlichen
Redensarten ebenso widcrs]iiegelt, wie in der Rolle, die sie im
Glauben aller Völker .spielt. Lep]»mann wei.st darauf hin, wie das
gro.ssc Interesse der Romantiker für Grenzzustände des Bewusst-
seins, ihre lebhafte psychologische Neugier sie zu diesem seltsamen
Geschöpfe hinzog, des.sen my.stische Sitten und Gewohnheiten be-
reits das Volk .selbst zu allerlei Dichtungen angeregt hatten.
Namentlich Hoffmann war es, der seine Autfa.ssung dem Wesen
des Tieres selbst und seiner Stellung im Volk.sglauben entnahm
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und liauptsüclilicli deshalb mit seinem Kater Murr entscheidend
Schule maclite. Xaturfteschichtlichcs, Sprachliches, der Volkskunde
Entnommenes und Literargeschichtliches treten bei solchen Stiulien
in enpste Verbindung; bei jeder Arbeit über die sog. „Seelentiere“
müsste derselbe Gang der Untersuchung eingesclilagen werden.
Bill altes Spiel.
V'on Hr. V. I’radel in (ilogau.
Es ist ein .sehr l)eliebtes Kinderspiel, einen Stein .so über ein
Wasser zu werfen, da.ss er des.sen Oberfläche möglichst oft berührt.
Auch der Erwachsene versucht es wolil gelegentlich wieder ein-
mal, erinnert sich zum mindesten gerne an dieses Vergnügen seiner
•Jugendzeit. Goethe gedenkt seiner in den Leiden des jungen
Werthers (Bernays, der junge Goetlie III 319): „Ich gieng den
Fluss hinab, bis an einen gewi.s.sen Hof, das war auch .sonst mein
Weg, und die Plätzgen, da wir Knaben uns übten, die meisten
Sprünge der flachen Steine im Wa.s.ser hervorzubringen“. Dann
finden wir das Spiel in einem der Andersenschen Märchen er-
wähnt, in der Geschichte vom fliegenden Kotter: „Der Sohn bekam
mm all dieses Geld . . . und warf Fitschen auf der See mit Gold-
stücken, anstatt mit einem Steine“. Und hier fallen uns aus dem
Anfänge von Frenssens .Jörn Uhl die Worte ein: „Wir wollen
auch nicht von der Mühe reden, welcher jene reiche Bauernjunge
sich machte, dem es trotz seiner Dummheit gelang, seines Vaters
Geld in vier Wochen durchzubringen, indem er tagelang die Taler-
stücke über den Fi.schteich schunkte“. Gewiss hst auch in 0. Gy-
saes Vivienne (Westermanns Monatshefte 62, 844) unser Spiel
gemeint: „Sie war irgendwo am Strande, warf vielleicht flache
Steine ins Wa.sser“. Auch der Freiherr v. Ompteda erwähnt das
Spiel in seinem Romane Benigna (Velhagen und Klasings Monats-
hefte 23,4 S. 571): „Dort suchten sic flüchtig Kiesel und warfen
sie ins Wa.sser. um sie drei-, vier-, sechsmal auf der Oberfläche
sich abschnellen zu las.sen“. Ferner (flara Viebig, Das Kind und
das Venn = Naturgewalten“ S. 253: „Von der Böschung hatten sie
wei.s.se Kiesel lierunteHlit.schen las.sen übers Wa.sser“. Endlich ver-
wei.se ich auf Friedrich Huchs neuesten Roman: Pitt und Fox,
die Jjiebeswege der Brüder Sintrup; wo Harald van Loo mit flachen
Steinen über das Wasser wirft (S. 77).
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Tn seinem Alemannischen Kinderlied und Kinderspiel (1857)
bringt Rocliliolz auf S. 465 eine Reihe von Namen für dieses Spiel
herbei, so den englischen duck and drakes, Enten und Enteriche
machen. Im Appenzell heisst es z. B. Vater und Mutter schlagen,
küssen, erlösen. Der erste 'Bogen des springenden Steines heisst
Vater, sein zweiter die Mutter, die nachfolgenden immer kürzer
werdenden die Kinder. Der Schlesier nennt das Spiel bekanntlich
Buttei'schnitten schmieren. Siehe Krügers Gottfried Kämpfen
S. 254 f.: ,.Im Sturmschritt sausen die kühnen Welterobcrer den
buschigen Hang hinah, um .sofort am Seeufer die harmlo.se Kunst
zu üben, mit flachen Steinen ,.Buttei'schnitten zu sclimieren“.
Pfeifend und klatschend fliegen die Steine über den majestätisch
ruhigen Spiegel des Sees. Bald ist rings kein flaclier Stein mehr
zu Anden, und der Ehrgeiz der Könner und Nichtkönncr nimmt ab“.
Es ist ja selbstverständlich, dass dieser Zeitvertreib unendlich
alt sein muss. Auch in der Literatnr des klassischen Altertums
wird er erwähnt. Einige Kenntnis der Spiele *) der altgriechischen
Jugend verdanken wir den alten Dichtern und Künstlern, sodann
den Werken der alexandrinischen Grammatiker. Diese hat Sueton,
der Verfa.sser der zwölf Kaiserbiographien, in seiner Schrift über
die Kinderspiele bei den Griechen benützt, und aus Sueton schöj)ften
wieder Eustathius, ein Byzantiner des 12. .lahrhunderts, und die
Platonscholien; aber auch Pollux (2. Jh. n. Chr.), He.sych (5. Jh.
n. (’hr.) und andere Ijexikographen sowie die Scholien zu Aristo-
phanes gehen in ihren Mitteilungen über die Kinderspiele auf
Sueton zurück. Eustathius (zur 11. 18, .543) beschreibt unser Spiel
— die Griechen naiiiiten es Epostrakisraos — folgenderma,ssen :
es ist das eine .>\rt Kinderspiel, darin he.stehend, das man flache
Steinchen, die vom Meere geglättet sind, auf den Wasserspiegel
wirft, mitunter hüpfen sie mehrmals über ihn hin, liis sie ihre
Kraft verlieren und untersinken. Ähnlich erklärt der Etymolog
Pollux (IX 119); man wirft einen Stein über die Oberfläche des
Was.sers und zählt die Sprünge, die er vorm Untersinken bei
seinem Fluge ülicr das Wa.sser macht, We.ssen Stein am häufig-
sten aufsetzt, der hat gewonnen. — Ofl'enbar wetteiferte die
Jugend also im Eiiostrakismos miteinander. Das erfahren wir
auch aus einer Stelle der interc.ssanten Sclirift Octavius des Minu-
cius Felix, einer der älte.sten Apologien des ('hristentums, die,
') IJübm, dv cottiibii. dissert. ßonucnsis ISU3.
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oft’enbar von Tertullian abliangig, wohl dom 3. Jahrhiindort zuzu-
weisen ist'). Es heisst da am Ende des 3. Kapitels: wir sehen,
w'ie die Kinder um die Wette eifrifi: Scherben ins Meer werfen.
Zu diesem Spiele werden vom Strande abgeplattete Steine auf-
gelesen, die das Spiel der Wellen geglättet hat. Man nimmt einen
solchen flachen Stein wagerecht zwischen die Finger, beugt sich
dabei so tief als möglich und schleudert ihn dann so über die
Wellen, dass er bald die Oberfläche des Meeres trifft und gleich-
sam auf ihr schwimmt, in leiser Bewegung dahingleitend, bald
die Wellenkämme schneidend herausspringt und weiter fliegt,
von der Bew egung beharrender Kraft gehalten. Unter der .Tugend
fühlte sich der als Sieger, de.ssen Stein am weitesten flog und am
meisten Sprünge machte.
t'brigens war und ist es wohl auch heute noch Sitte, z. B. an
den Mittelmeerküsten, während eines solchen Wurfes einen Wunsch
zu tun und aus den Bewegungen des Steines auf seine Erfüllung
zu schliessen, s. Revue des trad. pop. 17, 2.
Die schlesischen Geschichten von den schädi-
j?enden Toten.
Von Dr. .1. Klapper.
I. Der Vanipirbogrlff.
Der Vampirbegrifl hat sich für die Volkskunde als ein wirk-
liches Danaergeschenk erw'iesen, das ihr von den Balkanvölkern
gemacht w'orden ist. Kein anderer mythologi.scher Begriff fasst
heute eine solche Fülle verschiedenartiger Züge unter sicli, und
über keinen herrschen so unklare Voi’stellungen, wie über den
Vainpirbegriflf. Und so wäre es im Interes.se fester Begriffs-
begrenzungeu in der volkskundlichen Forschung zu wünschen,
wenn die Bezeichnung „Vampir“ wieder auf ilire bulgarische
Heimat beschränkt würde und die vergleichende Volkskunde, an-
statt einen so vielseitigen Au.sdruck zu gebrauchen, für die ein-
zelnen unter ihm bisher zusammengefassten volkstümlichen Vor-
stellungen klare das Wesen dieser Vorstellungsgruppen kennzeich-
nende Ausdrücke einführte.
•) W. Kroll, Ilhtin. Mue. 60, :t07 ft.
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1. Was wird heute alles mit dem Wort Vampir bezeichnet!
Als die europäische Gelehrtenwelt mit dem fremden Begriff
„Vampir“ bekannt wurde, da hatte er, in den Gelehrtenkreisen
wenigstens, noch seine enge Begrenzung; man verstand darunter
einzig und allein den Toten, der aus dem Grabe zurück-
kehrt, um den Lebenden das Blut auszusaugen. Damals
war das philosophisch-medizinische Interesse vorherrschend. Man
erörterte ernstlich die Frage, ob vom naturwi.ssenschaftlich-medi-
zinischen Standpunkte aus solche "Berichte Glauben verdienten.
Das sind jetzt fast zweihundert Jahre her. Um das Jahr 1728
kam aus dem ungarischen Dorfe Kisolova die Nachricht, dass ein
gewis.ser Peter Plogojowitz nach seinem Tode in acht Tagen neun
Personen ins Grab nach sich gezogen hätte. Die Sterbenden sagten
aus, Plogojowitz sei in der Nacht gekommen, habe sich auf sie
gelegt und sie so gewürgt, dass sie sterben müssten. Unter Hin-
zuziehung des Popen wurde .sein Grab geöffnet und sein Herz mit
einem Pfahle durchstochen; es kam viel Blut aus dem noch un-
versehrten Körj)er hervor; Haut, Haare und Bart, sowie die Nägel
waren sogar nach dem Tode nachgewachsen. So lautete der Be-
richt des Kai.serlichen Provisors ini Gradisker Distrikt. Der Fall
wurde dem Professor Beyer in Altdorf auf kaiserlichen Befehl zur
Untersuchung überwie.sen. Putoneus, der uns das berichtet, druckt
zugleich eine Relation über einen gleichen Fall aus dem serbischen
Dorfe Medw’edia ab, wo ein gewisser Arnold Paole nach seinem
Tode vier Leuten das Blut au.sgesogen und sie so getötet haben
sollte; diese Opfer Paoles seien durch ihren gewaltsamen Tod
selbst wieder Vamjiire geworden und hätten noch andere Menschen
umgebracht. Und um dem Sterl)en Einhalt zu tun, grub man dort
dreizehn Tote aus, die als Vampire galten, pfählte und verbrannte
sie; die Asche warf man in die Morava*). Mit diesen Nachrichten
hielt der Vampirbegriff seinen Einzug in die europäische Gelehrten-
welt. Hinter der Tätigkeit des Blutsaugers traten alle anderen
Züge zurück, die natürlich schon damals dem südslavlschen Vampir
in der Volksvorstellung anhafteten; Vampir und blutsaugender
Toter waren ein Begriff.
2. Gar bald aber erinnerte man sich in Deutschland an Be-
') Besondere Xachrieht von denen Varapyren oder so genannten Blut-
Saugern voll Putoneo, Leipzig 1732 S. 1 44.
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richte der Chroniken, besonders aus Pesfzeiten, die mit jenen süd-
slnvisehen Krzälilungen grosse Ähnliclikeit besassen. Nur zogen
hier die Toten die Lebenden niclit durch Saugen des Blutes nach
sich, sondern sie zelirten an ihren Gewändern, frassen ihre Grab-
schleier in sich hinein, wenn sie diese mit dem Munde erreichen
konnten, nagten sich sogar ihre eigenen Gliedmassen blutig, um
durch solche magische Handlung im Grabe noch oben unter den
Lebenden ein Sterben zu veranlassen. Audi in diesen Hällcn hatte
man sich solcher Schädiger durch Pfählen und Verbrennen ent-
ledigt. Diese nachzehrenden, fressenden oder schmatzen-
den Toten wurden jetzt ebenfalls als Vampire bezeichnet.
3. So rückt in den Mittelpunkt des Vampirbegriffes die leben-
vernichtende Tätigkeit des Toten. Damit reiht man mm auch
unter diesen Begriff' die Erzählungen, in denen der Tote magisch
durch seinen Blick den Lebenden ins Grab zieht.
4. Zahllos sind nun jene Berichte von Totenwesen, denen die
beabsichtigte Vernichtung des Lebenden nicht gelingt, die den
Versuch machen, den Lebenden zu Tode zu jdageii, aber darin
verhindert werden. Auch diese Totenwesen gelten jetzt als Vam-
pire. Die Geschichten von aufhockenden, würgenden, pla-
genden Toten werden zu Vampirgeschichten.
5. Wir sehen, der Begriff' verschiebt sich von neuem; es ge-
nügt, dass der Tote ein Schädiger ist, dass er den Lebenden nicht
mehr zu töten braucht, um als Vanipier zu gelten. Diese Schädi-
gung bezieht sich in manclicn Erzählungen gar nicht mehr auf
das Leben des Men.schen. Die Toten kehren zurück, um das
Vieh in den Ställen zu plagen, um die Speisen zu ver-
tilgen oder zu verderben. Auch diese Schädiger gelten als
Vampire.
6. Zum Teil geht diesen Vampiren auch noch der Cliarakter
als Scliädiger verloren. Strauss iKuichtet in dem Werke über die
Bulgaren von lärmenden, Kirmes feiernden Vampiren, und wir
werden ähulichen Berichten von lärmenden Toten auch in Schlesien
begegnen. Der Tote sucht seine Xahruug niclit mehr im Blute
der Lebenden, sondern in der ihm zukommenden Spei.se. Er lebt,
des Nachts wenigstens, als wenn er nicht ge.storben wäre. Der
Tod hat nicht einmal die b’amilienbeziehungen gelüst. Wir finden
auch in Schlesien wie anderwärts Berichte von Verstorbenen,
die mit ihren Frauen weiter verkehren, ohne irgendwie
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Zügrc des Schädigers mehr zu zeigen. Soweit hat sich der Vampir-
begritf verschoben.
7. Idealisiert finden wir diesen Volksglauben vom Verkehr
zwischen Lebenden und Toten in der Sage von der Braut von
Korinth wieder, wo die Sehnsucht nach dem Bräutigam die
Tote aus dem Grabe zurückführt. Freilich haben wir hier
auch den Glauben, da.ss der Verkehr mit dem Toten selbst tätlich
wirkt. Auch dieser Stoff ist, wenn auch nicht ohne berechtigten
Widerspruch, den Vampirstoffen zugezählt worden.
8. Der tote Bräutigam holt die in verzweifelter Sehnsucht
nach dem Geliebten lebende Braut ins Grab. Der Lenorestoff
der in so mannigfachen Versionen in slavischen und deutschen
Ländern verbreitet ist, ist kein Vampirstoff mehr, wird aber
immer wieder darunter gerechnet. Schon hier haben wir, wenn
auch nicht überall klar au.sgedrückt, in dem Tode des von dem
Toten abgeholten Menschen die Sühne für eine Schuld, für die
Verzweiflung, der sich der überlebende hingegebeu hat.
9. Der Tote kehrt als Rächer zurück. Hat man die bis-
herigen Stoffe als Vampirstoffe aufgefasst, so liegt kein Grund
vor, die Geschichten von den Ermordeten, die ihre Mörder plagen,
von den Geizigen, die noch im Grabe ihre Schätze verteidigen, ja
sogar die Don Juansage aus dem Ki’eisc der Vainpirgeschichten
au.szuschliessen. Es macht keinen Unterschied mehr, ob der Tote
etwa wie in Goethes Totentanz sein eigenes Interesse wahrt, oder
von Gott zur Bestrafuifg oder Warnung des Lebenden bestimmt
wird.
10. Sind dann auch die im Wochenbett sterbenden
Frauen Vampire, die man einst nach dem Zeugnis des Burchard
von Worms pfählte, und denen der Volksglaube des Mittelalters
nichts anderes nachsagte, als dass sie in alter gewohnter Kleidung
wiederkäinen, und von denen mau heute nur weiss, da.ss sie ihre
Kinder warten?
11. Nimmt man nun noch hinzu, da.ss in Romanen des neun-
zehnten Jahrhunderts auch lebende Vampire auftreten, dass
man sogar das Wort für die pathologischen Erscheinungen der
Nekrophilie und Nekrophagie angewendet hat, so ergibt sich zur
Genüge die Unsicherheit in der Anwendung des Vampirbegriffes
und seine Unbrauchbarkeit für die volkskundliche Foischung.
So bleibt nur die Möglichkeit, den Vaiupirbegrift' entweder
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wieder so eng: zu besclirünken, wie er es bei seiner Herübernabine
in die gelehrte Literatur war, und für die anderen Gruppen von
Erzählungen abzulelinen, oder ihn überhaupt aufzugeben. Wir
lassen am besten den Bulgaren ihre Bezeiehnung für den wieder-
kehrenden schädigenden Toten; auch bei ihnen begegnet man in
der Verwendung des Wortes Vampir einer bedenklichen Unsicher-
heit. Nicht jeder derartige Schädiger ist ein Vampir; man be-
zeichnet ihn teilweise als Lepir; oft gelit dem Bulgaren auch das
Bewusstsein ab, dass es ein Toter ist, man sieht in dem Gespenst
etwas von unbekannter Herkunft, vermischt es mit dem in Gml)ern
wolmenden dämonischen l'strel einerseits und dem die Menschen
des Nachts plagenden Krankheitsdämon Morava.
Die gleiche Unsicherheit wie in der Begriffsbegrenzung des
Vampirs sehen wir in der Erklärung seines Namens und in
Verbindung damit in der Beantwortung der Frage, wo die Heimat
des Vampirglaubens zu suchen sei. Das ist ein weiterer (Jrund
für die vergleichende Volkskunde, mit der Verwendung des Wortes
recht vorsichtig zu verfahren; ein Wort, das anstatt in seijier Be-
deutung seinen Begriff zu veranschaulichen nach Sinn und Her-
kunft durchaus unklar ist, empfiehlt sich doch nicht zum wis.sen-
schaftlichen Terminus.
Früher nahm man allgemein an, dass in dem aus dem Serbi-
schen entlehnten Worte „Vampir“ auch ein slavischer Stamm zu-
grunde liege; im Polnischen stellt sich dazu üpior und Upierzyca.
Somit leitete man es ab von dem Zeifwoifupierzyc = mit Federn
versehen, so da.ss Upior ein geflügeltes, gefiedertes Gespenst be-
zeichnete *). Die daneben gegebene Ableitung, die es mit einem
„Saugen“ bedeutenden Stamme in Verbindung bringen wollte,
wurde als unwahrscheinlich abgelelint. Aber auch mit der ersten
Abteilung hat man gebrochen. Polivka (Prag) lehnt im Aiuschhi.ss
an Miklosich eine, slavische Wurzel ab und i.st der Ansicht, dass
das Wort Jedenfalls erst später, vielleicht aus dem Türkischen,
wo iibcr „Hexe“ bedeute, in die slavischen Sprachen übergegangen
i.st*). Hingewie.sen sei hier auch darauf, dass die Neigung, das
Wort aus dem Türkischen zu erklären, schon recht alt ist. Das
') Linde. .Stnwnik Jezyka I’olskiego, Lwöw 1860 unter t’pior.
*) Z d. V f. iisterr. Volkskunde VII IB.'i; Miklosich, Ktymol. Würterbueb.
Wien 1886 unter Vampirü.
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63
„Schlesische historische Tjal)yiintli“ vom Jalire 1737 bringt es
nämlich bereits mit einem allerdings unkontrollierbaren türkischen
Ujamperischt oder Ujamferischte in Verbindniig, das „Schlafegel“
oder „Nuchtgeist“ bedeuten soll. Durch die Hypothese von der
türkischen Herkunft des Wortes liess man sicli verleiten, für den
Vamidi’glauben selbst eine morgenländische Heimat zu suchen *).
Aber es sprechen docli gewichtige Gründe für die alte Ableitung
des Wortes, wonach der Upior eben ein „Pluggespenst“ ist. „Flug-
teufel“ heissen noch heute in den deutschen Gegenden Ober-
schlesiens jene Menschen, die als Alp drücken gehen können und
nach ihrem Tode weiter als Druckgeister ihr Unwesen treiben
müssen*). Und die schlesisch-imlnische Auffassung von dem Wesen
solcher Nachtunholde lässt sich am besten aus einer Handschrift
aus der Mitte des 15. Jahrhunderts dartun, wo es in einer Über-
schrift heisst: Contra incubum alias latalecem; auch hier ist schon
wie noch heute ganz allgemein der Incubus (Dämon oder Toter)
als Latalec, d. h. fliegendes Gespenst aufgefasst*). Dazu stimmt
auch, was ich in der Gegend von Philippopel von einem Bulgaren
hörte, der versicherte, der Vampir sei ein Nachtgespenst mit Adler-
nase und feurigen Augen, sein Kleid sei ein Gewand aus Federn;
seine Füsse seien mit gro.ssen Bauemstiefeln bekleidet; ob das
Gespenst geboren oder gestorben sei, wisse man nicht. Wenn die
Kinder weinen, dann schüchtert man sie ein mit den Worten: St!
der Vampir kommt! Das Wort über aber scheint dem Nordtürken
heute nicht mehr bekannt zu sein; wenigstens erhielt ich in drei
Fällen von ostrumelischen Türken die Antwort: Iber ist die Kiste,
über kennen wir nicht.
So wird man wohl das Wort Vampir weiterhin als geflügeltes
Gespenst zu deuten haben und, anstatt für die Geschichte dieses
Volksglaubens Licht aus dem Orient zu erwarten, besser daran
tun, zunächst einmal unsere eigene europäische t'berlieferung von
') Z. (1. V. f. Volkskunde 1904; S. 292 ff.: A. Jellinek, Zur Vampyrsage. Er
stutzt sich auf einen Bericht van Konkels in der Tijdschrift for indische Taal-,
Band- en Volkenkundc, Batavia 46, 95, wonach in Alinos ein Türke mit offenen
Angen und offenem Munde im Grabe gefunden wurde, der ein Sterben in der
Stadt veranlasste, bis man ihn pfählte.
’) .lulius Nestler (Prag!, Geister- und Gespensterglanben der Schlesier (in
Kübezabl, Schweidnitz 1907 S. 103) aus der Gegend von Neustadt und Leobschütz.
’) Breslau, Kgl. u. B'niv. Bibi. (.'od. ms. 1. O. ÜS Bl. 11 r, geschrieben 1454
in Woblau.
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dem Volksglauben an schädigende Tote, zu i)riifen, was l'iir die
mittelalterlichen Erzählungen von schädigenden Toten noch fast
gar nicht geschehen ist. Und ich bin der Überzeugung, da.ss man
hier bereits alle dem Vampirglauben wesentlichen Züge vortinden
und ans ihnen den modernen Vamiiirglauben sogar in .seiner eigen-
artigsten, kompliziertesten Form, der Imlgarischen, herleiten kann.
In die.sem Sinne will ich hier kurz einige Stoffe erwähnen, die
zum Teil mittelalterlichen Handschriften entnommen sind, und die
für die Erklärung des Vampirglaubens von Wichtigkeit sein können.
Auf die Ausgestaltung des Vamiiirglaubens der Balkanländer
ist der griechische Volksglaube von den Lamnien sicher nicht
ohne Einfluss gewesen. Die.se waren schöne gespenstische Frauen,
die durch allerlei Blendwerk Kinder, besonders schöne Jünglinge
anlockten, ihnen das Blut aussogen und ihr Flei.sch genossen. Im
Mittelalter verstand man unter ihnen Ungetüme mit Weiberkopf
und Tierleib, von denen die aberglänbi.schen Frauen erzählten,
da.ss sie die Kinder jdagten '). Da sind ferner die kindertötenden
Empusen*) und die lesbi.sche (iello, das Schreckge.spenst der
Jugend; vor allem die mythischen Harpyien, die ganz wie die
modernen bulgarischen Vain]iire über die Speisen herfallen und
sie verderben. Mit ihrer Vorstellung verband sich zeitig .schon
die von den Striges, Nachtvögeln dämoni.schen Charakters, die
nach Aristoteles den Ziegen und Ammen die Milch, den Kindern
das Blut au.ssaugen ^), und deren Verwandtschaft mit dem Geschlecht
der Harpyien bereits Ovid in den Fasten betont, nachdem er von
ihnen gesagt hat, dass sie die Gurgel voll von dem amsgesogenen
Blute haben ‘). Verwandte Vorstellungen, die zur Ausbildung des
Vampirglaubens herangezogen werden konnten, waren also zahl-
reich vorhanden. Die V'orstellung von den schädigenden Toten,
die sich in der Furcht vor ihnen und den ihnen ge.spendeten
Opfern bei allen Naturvölkern nachweisen lässt, fand so auf
griechischem Boden reiche Nahrung. Helion im Beginn des achten
') Hrpslau, Kgl. u. Cniv. Bibi. Cod. ms. IV. y. 97 Vokabular Ex quo
(um 14,^1) Bl. 107 V: Est lameii monstrum, sed femineae faciei. Quam fetulae
finguiit infantibus esse molestam.
*) Ober die blutsaugonden Enipusen s. Ludw. Laistner, Rätsel der Sphinx
I 60 fl .
•) Hist. an. lib. IX c. 30.
') Kastor, lib. VI v. 1,'U — 13S.
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66
.Talirliiimloi'ts ii. Chr. ist der rilanbe an (Jolndeii und Strifreu zu
einer Gesanitvnrstelluntr versdimolzen und, was t)edeutendcr ist,
den Strigen inenselilieher Ursprung iteigelegt. In einem Bruchstüek,
das dem Joliannes von Damaskus zugeseliriehen wird, findet sich
die üenierkung, dass ungetnldete Leute der Meinung seien, es gebe
Weiber, die als Strigen oder (leluden in der Jmft um die Häuser
ziehen, in sic auch bei verschlossenen Türen eindriingen und die
Kinder erwüi-gten '), also durchaus der Hexenglanlie des abend-
ländischen Mittelalters. Was hier lebenden Weibern zugescliriebeti
wird, konnte ebenso giit auch zur Weiteihildung der Vorstellungen
von .schädigenden Toten herangezogen werden. So finden sich in
den modernen bulgarischen Vampirberichten Züge, die sich durch-
aus mit detn mittelalterlichen Strigenglaid)en decken; ein Vampir
sangt seiner Braut das Blut ans und stopft sie voll Stroh®); den
(tlauben, dass die Striga das Herz fressen und den .Men.schen voll
Stroh stopfen könne, bekäm[ift schon Burchard von Worms®). .\uch
an Beispielen für die V'ampirfurcht im Altertum und frühen .Mittel-
alter fehlt es nicht. Als einst die .Manen ihre gewöhnlichen Opfer
nicht erhielten, weil die Börner mit der .Al) wehr der Feinde be-
schäftigt waren, so erzählt Ovid in den Fasten, da verliessen die
Verstorbenen ihre Gräber bei Nacht, .schwärmten als Lemuren
heulend durch die Stadt und ganz Latium und verursachten ein
gewaltiges Sterben^). Und in der Lebensbeschreibung des Kai.scrs
(’aligula, die Sueton etwa 120 n. dir., also 80 Jahre nach dem
Tode des Imperators abfa.s.ste, hören wir, da.ss die Leiche des
Kaisers bei den wirren Zeitverhältnissen nur unvollständig auf
einem eilig hergerichteten Scheiterhaufen verbrannt worden und
dann unter einer dünnen Schicht Erde in den Lamianischen Gärten
bestattet worden war. Da wurden die Gartenhüter bc.ständig von
Erscheinungen geängstigt, und auch in dem Hause, wo er gestorben
war, gab es allnächtlich irgend einen Spuk, bis die später aus
dem Exil heimkehrenden Schwestern die Leiche völlig verbrannten
und das Sterbehaus durch Feuer zei-stört worden war®). Aus dem
Procüpius ging in viele Exempelsammlungen die Erzählung über,
’) Migac. F. gracc LXXXXIV ,s. 1603.
*) Adolf Stranss, Die Bulgaren, Leipzig 18)18 S. 11)1.
•) Mignc. F. lat. t'XX.KX 973.
*} Fastor. lib. II v. 533— 540.
*) Suetonius lib. IV c. 59.
Mitteilungen U. acliles. lies. f. Vkile. lieft X\l.
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66
dass Tlieodpricli der Grosse imeli der Rnnorduii}? des g'reisen Syni-
maclius (525) bei einem Mahle in dein Kopfe eines F’isches den
Koj)f des Ermordeten zu erblicken jrlaubte, ^der die Unterlippe
nach Art eines Drohenden nafrte“. Auch der spätfrriechische Roman
kennt den dem Grabe entsteigenden lebenranbenden Toten, ln den
„Ephesischen Geschichten von Anfheia und llabrokomes“ eines
Xenophon von Ejiliesus, einem Roman, der in der ei’sten Hälfte
des zweiten Jahrliunderts nach dir. entstanden ist, wird erzählt
(Buch V 7, 7. 8), da.ss bei Gelefjenheit einer fe.stlichen „Pannychis“
ein Kind von den Seinigen aliirrt und zum Grabe eines jüiifrst
verstorbenen Mannes kommt. Da springt ^Jemand“ aus dem Grabe
hervor, sucht das Mädchen zu halten, sie schreit und flicht; end-
lich wird es Tii{r, da sclilägt er sie auf die Brust, und seitdem
ist sie krank'). Aus dem späteren Mittelalter berichtet Gardanus
von einem Mailänder Arbeiter, der um die dritte Nachtstunde
heimkehrte und einen Lemuren erblickte, der ilin verfolgte. Zwar
sucht er zu entfliehen, aber das (iespenst holt ilin ein und wirft
ihn zur Erde; er will schreien, aber er bringt keinen Laut hervor.
Jjange ringt er mit dem Lemur, endlich finden ihn Vorübergehende
und bringen ihn halbtot heim; nacli acht Tagen stirbt er*). Einen
vollendeten Bericht über das Treiben .solcher Toter bei den Lapp-
ländern erhalten wir in den beiden seltenen Büchern des (’a.spar
Peucer ,.de Theomanteia'' und der Magica eines Anonymus vom
.Jahre 1597; in die.sem letzteren lautet der Bericht in wörtlicher
f'bertragung aus dem Lateinischen'*).
„Die Pilappen bewohnen den äus.sersten Teil der Halliinsel
Scandinavien am Eismeere. Bei ilmen ist die Zahl und die älacht
der (Jespenster gewaltig, die umhergehen, mit ihnen leben und
sprechen und in keiner Weise ferngehalten oder wegge.schaftt
werden können. Und da sie liauptsächlicli von den Schatten der
Verwandten nach deren Tode erschreckt und geängstigt werden,
suchen sie es zu verliindern. indem sie die Leichen aiisgraben und
im Feuer bestatten. Durch dieses Mittel allein schützen und
sichern sie sich gegen die Plagereien und Schrecknisse der Dämo-
nen. Denn wenn sie das tun, erscheinen ihnen die Schatten jener
') Krwin liohilc. Der griechische Uuman 2. Leipzig 1900 S. 45.
*) llieron. Carilaiius. Liber de Subtilitate. Hasel 1.5.52 S. .52.5.
*) Magica, seu mirabiliiiin historiariim de .Spectris .... Libri II . . .
suiiiptibus Ilenningi Urasij 1.597 S. 5Ci.
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67
fiinlerliiii niclit mehr; wenn sie es al)er unterlassen, werden sic
l)estiindig von den Schatten der herumscliwärmenden Verwandten
prestört und beunruliigt“.
Die inittelalterlichen Theologen haljen durch ihre Erkliirungs-
vei^sHche des Volksglaubens von den wiederkehrenden Toten dazu
beigetragen, dass diese (iespenster mit dem Treiben reiner Dämonen
in Verbindung geliracht und mit ihnen verwechselt wurden. Nach
der Theologie des Mittelalters kann ein schuldloser Toter selbst
nicht mehr zuriiekkehren; wohl aber kann sich der Teufel des
toten Menschen bedienen, um die Lebenden zu betrügen und zu
schädigen. Als Beispiel möge die Cber.setzung eines Exempels
dienen, das einer Breslauer Handschrift vom Jahre 1405 ent-
nommen ist ').
Per Teufel erschien einem Weibe in der (iestalt ihres gestor-
benen Mannes, in der .Stadt Siena starb der Mann eines jungen Weibes und
wurde begraben. Nach einigen Tagen erschien er s»*iner (lattin, als sie in ihrer
Kammer allein war, so schön, wie er Iriiher gewesen war. Pas junge Weib
wird von ihm beruhigt und sie sprechen miteinander, umarmen und küssen sich,
und sie blieb den ganzen Tag mit ihrem tiatten in dem Zimmer, und sie schien
nicht mehr so traurig zu sein, wie sie es nach dem Tode ihres Patten gewesen
war. Pa wunderte sich die Schwiegermutter und blickte durch ein Poch ins
Zimmer und sah das Weib mit ihrem Patten, l'nd betroffen von dem Anblick
schickte sie sofort zu einem Poniinikanerbruder, und der Prüder brachte unter
der Kutte den Peib des Herrn. I'nd alsbald verliess der Teufel, der in den
Peichnani gefahren war und ihn so frisch bewahrte, dass er lebendig zu sein
schien, den Körper, der ganz verwest und voll Würmer zurUckblieb. I'nd man
Hess heimlich im Prabe nachschen und fand dort keinen Peichnam vor. i'nd
nun begrub man ihn heimlich draussen vor der Stadt.
Zu diesem mittelalterlichen Gegenstück zur Braut von Korinth
ge.sellt sich die andere Erzählung de.sselben Exempelbuches von
einer Jungfrau, die nachts in einer Kirche betet, in der ein Toter
liegt. Der Teufel fährt in den Körper und geht auf die Jtmgfrau
zu; doch diese sclilägt ihn ra.sch entschlossen mit einem Stibe auf
das Haupt. Da zieht es der Teufel vor, aus dem Körper zu ent-
fliehen, so dass der Tote auf die Erde sinkt*).
Tn die.sen Fällen, von denen der zweite, an das Abenteuer des
(Trafen Richard von der Normandie erinnert, mu.ss der Teufel den
I.,eichnam beseelen, weil der Tote selbst ohne .schwere Schuld ge-
*) Broslim, Kgl. u. fniv. liibl. Cod. ms. I. F. 745 Hl. 242'ö; es ist .loh.
Herolts l’romptnarium cxemplorum discipuli. unter T excmpl, XVII.
’) Pieselbc Hs. Bl, 218 ca; unter V exempl. XXIX,
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storbpii ist. Wie aber auch brnti* bosotider.s Verbrpclipr zu scbä-
(ligendpn 'l'otpn wprdpii, so fimlpt ini Mittplaltor dor Vorlirpclipr,
dpr im Unfripdpii mit dpr Kirrlip starb, im (iral)p kpinp Hidip.
Ein Hpis])iel von piiipin Wuclierpr, dpr widorrpclitlich im Klostpr
bpipesetzt die Arönche plapen mns.s, findpt sieb in einer Reibe von
Exempplbttrberii des 15. Jalirbunderts ').
Ein Wucherer wnrde einst in einem Miinchskhister begraben. Er verliess des
Nachts das (trab heulend und lärmend, deckte das Haus ab, peinigte die Mönche
schrecklich, schlug sic mit einem Stocke und wurde des Morgens vor der .Stadt
auf dem Felde gefunden. ,\ls man ihn mehrere Mal immer wieder in seinem
lirabe begraben hatte, beschwor ihn ein heiliger Mann, zu ulfenbaren, warum
er und die Mönche keine Ituhe hätten. Da sprach jeiier: „Ich bin verloren;
denn ich werde nie liuhe finden, weil ich durch meinen Wucher Tag und Nacht
die .\rmen geplagt habe. Ihr aber könnt Kühe finden, wenn ihr meinen Leich-
nam aus eurem Kloster herauswerft“. Das geschah, und man vt’urdc seitdem
nicht mehr von ihm belästigt.
Die Vampirbpripbtp bptonpii sämtlipli als wp.spiitlicbes Kenn-
zpiclipn lies Vami)irs dip l’nvpnvpsbarkeit dps Lpicbriams. Diespti
clmrakteristisdipii Ziip famlpii wir in dpii vprwiiiuitpn antikpii Kr-
zäblunppn iiiclit prwäbnt. Und dopli ist er kein ursprüiiglicber
Bpstiindteil der modprneii \'ampirvorstplliinp, liir dessen Erkliirnnp
vielleiclit ptir die Herunziehunp iutsserpiiropäisebpr, morpenliindiscber
Qitellen notwendip würde, .\ncli für ilin bietet das .Mittelalter
dureliaiis geniipende Flrkläriinp. Es i.st bekannt, da.ss in Griecben-
land die E.xkoiiimitnizierten naeb ibrein Tode zu Rrontolakken
oder Tympaniten werden mü.ssen; dazu pebören alle Verbreeber,
Zauberer, Selb.stinörder. Im .Mittelalter palt die l’nverwesbarkeit
penau .so wie beute in (iriecbeiiland als Strafe für die blxkommu-
tiizierten. Dafür ein Beispiel, (lot.sebalk Hollen ( 1400--1481),
der berülimte westfiilisebe .Aupustinerprediper, erzablt in der
62. Predipt des Winterteils seiner Prediptsammlunp folgende Ge-
.sebiebte aus .Siena:
.\ls ich im Kloster zu .siena in It.alien studierte, sah ich den Jinsgegrabcncn
Körper eines Weibes, der siebzig .Jahre in der Erde gelegen hatte und noch an
allen seinen tiliedern und Haaren unversehrt war Er wurde aufrecht an die
.Mauer gelehnt, und die ganze Stadt lief zusammen, um ihn zu sehen. MitUm
in der Nacht aber wollte der Küster in die Kirche gehen und die Lampe für
die Matutin anzUnden. .Xis er heraustrat, folgte ihm jener Körper und rief, er
') Breslau. Kgl. ii. I'niv. Bibl.Cod. ms. I. (J. 337 Bl. 209r; anch t'od. ms.
1. 0. 12 Bl. 437 V; .loh. Herolts ITomptuarium exemplorum discipuli, unter .S
exempl, III.
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könne deswegen nicht zu Staub werden, weil er in dem Kirrhenbannc begraben
worden sei. ,t!eli daher zum päpstlichen Legaten, damit er mir die Wohltat
der Lossprechung zuteil werden lasse l»;imi wird der Leih zerfallen“. Her
Küster tut es. Das Weib wurde losgesproehen und der Körper mit dem Weih-
wasser besprengt; und alsbald zerfiel er in Asche, Daher ist der Kirchenbann
sehr zu fürchten.
Als St. 1,'lricli hei einer Preilifrt auf dem Kirdiliofe allen
Gebannten befiehlt, sich zu entfernen, da -öftnet sich ein Grab,
aus dein ein Ritter steifet, der um die Absolution vom Ranne
bittet'). Pitton de Tonrnefort berichtet, dass der Teufel nur in
einen Griechen fahren und ihn zum ,\'^roucolacas'‘ machen könne,
wenn er dem ftriechischen Ritus aiigehöre, was wohl auch so zu
deuten ist, dass dieser Grieche eben von den nach römischem
Ritus Lebenden als Exkommunizierter angesehen wird*). Und bei
den Russen werden neben Hingericliteten, plötzlich Gestorbenen,
Sellistmördern und Trunkenbolden auch die Altgläubigen oft zu
Vampiren"), die somit auch zu den Gebannten gerechnet zu werden
scheinen. Jedenfälls sind für die Deutung des Glaubens an die
Unverwe.sbarkeit der .schädigenden Tuten religiö.se .Motive, der
Kirchenbann, massgebend.
Von grosser Bedeutung für den Glauben an schädigende Tote
war endlich im Mittelalter der Glaube an den Incubus, den Alp.
Man braucht die beiden Erscheinungen, wiederkehrender Toter
und Alp tlieoretisch nicht zu vermi.schen; prakti.sch wird man oft
in den Volksüberlieferungen keine Entscheidung tretl'en können,
ol) man es mit dem einen oder dem anderen We.sen zn tun hat.
Der Schlesier kennt den .\lp auch als Totengeist, der Mecklen-
burger sjiricht vom Nachtmar und meint den plagenden Toten.
Die germanischen Maren und Mährten sind als Alpgespenster un-
zweifelhaft Seelen der Verstorbenen *) die mit den männlichen ve-
di.schen Maruts, dem kriegerisch gerüsteten wilden Heer den
Stamm „mer“ sterben gemeinsam haben-’). Der mittelalterliche
Glaube verbindet mit ihnen noch den antiken Ephialtes, über
dessen Zugehörigkeit zn den phalli.schen Naturdämonen oder den
') Breslau, Kgl. u. I'niv. Bibi, Cod. ms. 1. 0. 12 Bl. 277»,
*) Voyagc du Levant. Lyon 1717 Bd. 1 S. 164,
•) Zcitschr. f. Sozialwissenschaft, Bd. 111 S. 231.
•) Alfr. Hillelirandt, Vedische Mythologie Bd. III 317 ff.
*) Vgl. Schräder, Heallvxicon der indogerm. Altertumskunde, Strassbnrg
l'JOl S. 873 unter; Traum.
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70
TotenffeistiTii die Aiisiditen geteilt sind. Unter dem Jlalir ver-
steht der Theologe im Mittelalter einen Dämon, das Volk eine alte
Vettel, die drürken geht, der Arzt einen physiologischen Krank-
heitsziistand ’). Dämon oder Hexe, er brauclit das Blut des Leben-
den genau so wie der Tütengeist. Das Streben nach der Lebens-
kraft des anderen, die durch das Blut symbolisiert wird, ist der
Grundzug aller Drugkunludde. Der mittelalterliche Necromant
wusste sehr genau, wie er die Totengeistcr zu locken hatte; er
machte es wie einst Odysseus; er mischte, wenn er nicht genug
Blut vorsetzen konnte, Wasser damit, um die Geister mit dem
blutroten Tranke zu locken“).
So lässt sich der Glaube an schädigende Tote re.stlos auch in
seiner kompliziertesten Form bei den slavischen Völkern als ein-
heimischer Glaube erklären, ohne dass Entlehnung, wenigstens in
historischer Zeit anzunehinen wäre. Die Grundliigen, der Glaube
an das Fortleben der Beelen, an das Streben der Toten nach dem
Blute der Lebendigen, der mindc.stens gf'meinitidogermani.sch ist
und sich wohl bei allen Völkern nach weisen las.sen wird, diese
Grundlagen in einer Fortbildung durch Aufnahme verwandter Züge
aus anderen Gebieten des mittelalterlichen Volksglaubens können
ungezwungen zu den heutigen Formen führen, die der Glaube an
') Breslau, Kgl. u. I'niv. Bibi, ('»d. ms. IV. (). 07 Bl liäSr (1,=). ,Ili1; In
hac hora dicitur vulgaritcr phialtcs upprimere homiiics. Creditur uiUctn plii-
altcs daemon qiii huiiiinr.s videtur opprimerc et fere suffuenre. — Cod. ms. 111.
¥. 20 (V. ,1. 1417) riarificatdrium .Johannis de Tornomira. Bl. Z.öSvl*; De ineuho.
l’assiu ista dicitur ab incubacione mentis et sensnum . . ijuod inenbus est
nomen diaboli dieunt theologi, qui eomprimunt corpora de nocte dormiemia.
Laici dieunt, qnod est vetula proprie equae inarae romprinieiis liomines
de Ducte; sed ims medici suiuus; ideu dicimiis aliter. .Am unteren Bande von
anderer Hand der Hinweis: vipn der mären. — Cod. ms. 111. F. n (14. .Ih.)
Bl. 12rl>: De inciibo Nota de causis ineiibi est iinus modiis direndi tbeologuruin,
qund sit spirilus demon, scilieet quidam sic nominatns, qui qnandn stat in aerc
demon, super rorpus hominis, corpore iaeente resnpino, ipse respicit cor et gra-
vat ct premit sic Corpus, quod non potest moueri. Aly dieunt, qnod sit uetnla
de nocte currens.
*) Z. B. nach Isidor von .Sevilla in Cod. ms. I. U. H.ü der Breslauer Kgl.
u. I'niv. Bibi. Bl. i)9r: .Vigromantici sunt, quoruin precaiiCacionibus videntur
resuscitati nxprtui püvinare et ad interrogala respondere El ad quos rc-
snscitandos radaveris sangvis adicitur. .Nam nmare deimpiies sangninem dieunt.
ideoque. quociens nigrtpmancia fit. cruor aqua mi.scetur. ut ccplore sangwinis fa-
cilius prouoceiitur.
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71
sdiädigende Tote bei den europäischen, vorneliinlich slavischen
Völkern aiifweist.
II. Die schleslsclini (ieseUieliteii von den sehlidiirenden Toten.
Unter Schlesien ist hier die politische i)renssische Provinz zu
verstehen. Diese Begrenzung könnte bei einem volkskundlichen
Thema äusserlich und willkürlich erscheinen, sie i.st hier jedoch
notwendig, da wir gerade für diesen Landesteil nocli keine Ge-
samtdarstellung des Volksglaubens von den schädigenden Toten
besitzen, während für die umgehenden Länder die Aufgabe gelöst
ist; für die Polen und Galizier durch die Untersucliungcn von
Julian Jaworsky *) in Lemberg, für Mähren und Österreich-
Schlesien durch d’hllvert*) und Berger“), während für die nördlich
von Schle.sien gelegenen Landesteile immer noch Mannhardts
grundlegende Arbeit „über Vampyri.smus“ ausreicht. Gerade
Schlesien bot bei .seiner starken Mischung des germanischen und
slavi.schen Volkes für die Weiterentwicklung des beiden Vöfleern
eigentümlichen Glaubens einen günstigen Boden. Und so .sehen
wir im Verlaufe eines Zeitraumes von etwa 600 Jahren, wenn
wir der ältesten Quelle trauen dürfen, die Schlesier in ihrer Furcht
vor den Wiedergängern abhängig zunächst von den böhmischen,
dann von den polnischen und endlich von den mährischen und
österreich-schlesischen Berichten über .s-olche Wiedergänger, und
auch die Berichte, die wir über die.sen Volksglauben aus der letzten
Zeit haben, tragen bald die Merkmale der einen, bald der anderen
Gruppe von Vam])irerzählungen. Mit den polni.schen Berichten
gemeinsam haben die schlesi.schen den Glauben an die im Grabe
nachzehrenden l’oten, der den Südslaven losgelöst von den Wieder-
gängererzählungen zu fehlen scheint, ebenso wie den Mäliren und
ö.sterreichschlesiern. Desgleichen findet sich auf slaviscliem Boden
in Schlesien die der polnischen Wiedergüngervorstellung eigene
Betonung des Hexen- und Alpcharakters desjenigen, der nach
') Z, rt. V. f. Vk. Vni (1S98) 3'tl~336 mit reicher Literatur.
•) Schriften der hist.-stat. Section der k. k. mähr.-schles. Geseltsch. Bd. XII
Brünn 18.^9 S. .319: Das Zauber- u. Hevenwesen, dann der Glaube an Vampyre
in Milhren u, Österreich-.Schlesien,
•) Z d, deutschen Vereins f. d. Gesch. Mährens u, Schlesiens, herausg. v.
Schober Bd. VIII (19GI) Brünn. S. 201 : Zum Hexen- und Vampyrglauhen in
Xordmühren.
•J Z. f. deutsche Mythologie IV (lbö9) S. 259 ff.
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72
seinfin Tode als AVit“derp:änp:('r oder Xarhzelirer wirken muss. Nur
wer zu Lebzeiten Alp oder Hexe war, wird nacli dem Tode
Wiederfräiifrer oder Nachzelirer. Dagegen zeigen die unter miiliriscli-
bölimisc-liem Einflüsse oder von den polnischen Berichten unab-
hängigen Erzählungen auch andere Gründe, wie [»lötzlicher Tod,
Selbstmord und sündhaftes Leben, die dem Toten die Buhe raidien
und ihn zum Schädiger machen. Das Interesse für die Nachrichten
von schädigenden Toten war in Schle.sien auch in Gelehrtenkreisen
sehr stark. Kaum waren die südslavischen Nachrichten bekannt
geworden, da beteiligt sich auch schon ein Sclilesier Pohl aus
Liegnitz an dem Traktatstreit, den diese Nachrichten auslnsten,
und bei ilim finden wir die bündigste. Definition des Begrifl'es
„Vampir“. Er definiert: „Vampire sind Tote, die Lebenden durch
Entziehung des Blutes Schaden zufügen und sogar das Leben
rauben“ '). Aber schon bevor die Vampirbericlite aus Ungarn und
Serbien eine wahre Hochflut von Traktaten in Deutschland verur-
sachten, beschäftigten sicli schlesisclie Arzte und Natnrkundige
mit den polnischen Nachrichten vom Upierz, wie die Form in
den deutschen Abhandlungen dieser Zeit lautet. Die heute geläu-
fige Form Upior*) kommt in diesen Berichten niclit vor. Für
Polen selbst lässt sicli diese Form Upierz ebenfalls in dieser
Zeit nachweisen *); für den weiblichen Wiedergänger finden sich
die Ausdrücke Upierzycä oder einfach Strzia'*). Die schlesischen
Notizen von Upierz, die in die Zeit von 17Bi — 1722 fallen, sind
in der neueren Literatur über diesen Aberglauben unbekannt; sie
enthalten manches Bedeutsame für die Gcscliichte des Upior-
glaubens in Polen und Sclilesien. Die erste Erwähnung auf
sclilcsischem Gebiet findet sich in den „Natur- und .Medizin-
geschichten“ ^), einer periodi.schen Zeitschrift der Bre.slauer Ärzte,
vom Jahre 17H); dort heisst es in einer Abhandlung „Von einem
besonderen Begi'äbni.saberglauben“ :
') .1. Clir. I’ohlins, Dissertatio ile Ilominilnts post mortem Sa)i);aisugiM,
lieipzi); I7SZ, p. 13: Vampyri seii mortui vivis per ablationcm Sanguinis (iain-
num inferentes. ipsami|ue vitam auferentes
Dagegen begegnet auch l’pier.
•) ehr, II. Krndtel. Warsavia. Dresden 1730 S 17.ö.
*) ebenda.
*) Sammlung von Natur- u. Medicin . . . (iesebiehten , . . ans Lieht gc-
stellet von einigen Brcsslanisehen Medicis, Breslau. 9. Versuch 1719 S. 114.
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,Es lila? uns p. I gi'nui? si-yn voritxu mir lifyliluffiu <‘iiips udar des an-
diTii Aberglaubens von Lcicben und üegrübnissen bloss mit Namen /.u nennen.
I'enn lieber! was hat z. E. das so genandtc W’icderkommen der V'crstor-
bcneii, die cruentatio cadavenim'). die rnverwcsslicbkcit eines und des
andern im Leben sündhaften Uliedes. das sogenandte N'aehfressen, das ilunde-
lleulen, das Leichcnhrcttcr- Fallen, das Weichhleihen der erst abgestor-
benen Leiber, und andere vorgegebene physikalische Sterbensbcdculungen,
das Fenster-Aufmachen beim Absterben eines Menschen, die Furcht vor Hethrii-
nung des Sterbe-Kittels, die ohne Abbrechung eines Pfennigs nothwendige Ke-
zahlung des Sargs an den Tischler, die Ausliischung eines oder des andern
(•rabiielites oder Kertze und vielfültige andere dergleichen llegebenheiten , vor
einen anderen Grund als den Aberglauben?"
Dieser Katalofr .schlesischen Toteimlierfrlanhens kennt also so-
wohl den schädipenden Wiederpiinger wie ancli den Xaclizehrer.
Uni die.selbe Zeit, 1721, erscliien die Kuriose Naturpeschielite
des Könipreiclis l’oleiU von dem .lesniten Kzaczynski, die die beste
Zn.sanimenfassunp des sclilesisch-polni.sehen Upierzplaubens gibt.
Die Stelle beisst in dentscher rbertiagung*):
,Ich habe vielmals von glaubwürdigen Augenzeugen gehört, dass man
Mcnschenleichen gefunden hat. die nicht allein lange Zeit unverwest. mit beweg-
lichen Gliedern und rot geblieben waren, sondern überdies auch Mund, Zunge
und -Augen bewegten, die Leichentücher, in die sie gehüllt waren, verschlungen
und sogar Teile ihres Körpers frassen. Bisweilen ist auch die Kunde davon
gekommen, dass eine derartige Leiche aus dem Grabe aufstand. über Kreuzwege
und Häuser wandelte, sich bald dein, bald jenem zeigte, auch manche anfiel,
um sie zu erwürgen W'enn es eine Mannesleiche ist. dann htdsst dieses Wesen
Ppicr, wenn es eine Frauenleichc ist. l'pierzyca, d. h. gleichsam ,ein gefiederter
mit Federn versehener, leichter, zur Bewegung geschickter Körper“.
') Der Glaube, dass sich die Leiche im Grabe selbst blutig macht, durch
Kauen an den eigenen (iliedern
’) P. Gabr. Kzaczynski S. J. llistoria Xatnralis Curinsa Uegni Poloniae.
,'<andumiriac 1721 p 364: De t'ruentationibus Cadaverum; p 365: Contigit in
Polonia. Bussia. Litvania, ut testantur exempla anthentica plurima. et ego, in-
quit (iengeil ,1. in Kversionc .Atheismi, multoties ah oculatis, fide dignis
testibus audivi. quod cadaver humanum repertum sit. nun tantum diuturno tem-
pore incorruptum. tiexibilc. rubienndum, sed insnper caput, os, linguam et oculos
interdum movere, linteamcnta. (|uibus fuit involutnm deglutire, imo et vorarc
partes sui corporis, t^uandmiuo etiani notatnm est, qnod cadaver eiusmodi c
tumulo exurgat compita, domos obambulet, his et illis sc eonspiciendum prae-
beut. ac i|uosdam ctiam invadat et suft'ocare nitatur. Si viri sit cadaver l'pier,
si muliebre l'pierzyca, quasi diceres plumefactum corpus, leve. agile, ad motum. —
Dieses Buch ist in der Vampirliteratur, wie es scheint, auch nicht beachtet
worden.
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Die Stelle bemerkt weiter, dass man solchen T^eiclien das
Haupt abschneide, um sich vor ihren Xachstellungen zu schützen.
Was in diesen beiden Stellen als Kennzeichen des U])iors an-
geführt wird, das treffen wir in den schlesischen Geschichten von
solchen schädigenden Toten wieder, die uns durch die (’hroniken
berichtet werden. Die früheste die.ser Erzählungen, die in ihrer
Lebendigkeit alle anderen Geschichten von solchen Toten übcrtriff't,
finden wir in der Grafschaft Glatz, also in dem Gebiete, in dem
niebt die polnischen, sondern die böhmischen Vorstellungen von
solchen schädigenden Toten vorbildlich geworden sind. Dement-
sprechend ist der Tote auch nicht Nachzehrer allein, sondern
Wiedergänger. Der Bericht findet sich auch zunächst in einer
böhmi.schen Schrift, in der berühmten „Böhmischen Chronik“ des
Hajek, die um 1547 beendet und im Jahre 155)4 ins Deutsche
übei'tragen wurde '). Aus dieser deut.schen Cbersetzung ging er
in die Glaciographia des Magisters Georgius Aelurius Uber, die
1625 in Eiankenstein beendet wurde-). Aus Aelurius stammt die
modernisierte Wiedergabe der Geschichte bei Grässe, iin Sagenbuch
des Preussischen Staates '') unter dem Titel „die Hexe zu Lewin“.
Der Text lautet in iler Form, wie er den Schlesiern bekannt
wurde, bei Aelurius folgendermassen:
„.Vniio 134,5 Hat siclis in liiihnien in einem .Stadtlein Levin genand zii-
getragen. Ks war darinnen ein Tiipffer, mit Namen Hucliacz. welcher ein tVeib
hatte, dieselbe hicss lirodka vnd war voll Tenffelischer Zäuberey: .41s solches
lautbar worden, ermahnten sie die Priester, von solchen bösen Thatcn .abzu-
stehen. l.'nd wie wohl sie sich dessen ölfentlich enthielt, so trieb sie es doch
in geheimb. AulT einmal begab sichs, als sie ihre Geister zusammen geruffen.
starb sie desselben Tages gehelingen Todes, niemand wüste es zu sagen, ob sie
von ihnen nmgebracht. oder sonsten gestorben war: l'mb dieser Vrsachen
willen, wolte man sie unter fromme l'liristen nicht begraben, sondern ward auff
einem .Scheydewege verscharret: Haid wurde gespüret, dass sic liernmb gienge.
vielmals zu den Hirten auff dem Felde käme, sich in mannigfaltiger Tiere Ge-
stalt verwandelte, die Hirten erschreckte, vnd das Viehe verjagete, welches
ihnen nicht wenig bekUmmernis brachte, fnterzeiten Hess sic sich auch in
ihrer Gestalt, als wenn sie noch lebete, sehen: Itarnacb kiun sic auch vielmals
in demselben .‘^tädtlein. vnd in den vmbliegenden Dörffern. in der Leute Häuser,
vnd erschien in mancherley Gestalt, redete mit den Leuten, erschreckte ihrer
') Bd. I Kl. 240* in der Ausgabe von 1.594.
•) H<!.
’) Kd II S. 19H. Aus Hajek ging der Bericht auch Uber in Heinrich Hochs
Neue Laussnitz-Bühm- und Schlesische Cbrouica, Leipzig 1687 S. 5.
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ein Teil, vnd braditc ('tlirhe i?nr vnibs Leben. Die Niicbbarn des StHdtleins.
vnd die Bnwren aus den vmbliegcndcn Dürffern vercinij;tcn sich, Hessen sic
darch einen hier zu tttchti^cn Mann anss^raben: Als sidcheg j'eschehcn. kundten
alle bey wesende Leute sehen, dass sie des Schleyers, so sie auf dem Kopffe
gehabt, die helffte in sieh hinein gefressen, derselbe ihr aus dem Halse gantx
blutig heraus gezogen worden : Mann Hess ihr zwischen die Brust einen eichenen
1‘fal schlagen, bald flos ihr das Blut aus dem Leibe, nicht anders als aus einem
Binde, dass sieh männiglich verwunderte, vnd ward also wieder vcrscb.arret
Nach kurtzer Zeit Hess sic sich wiederumb sehen, vielmehr als zuvor, erschreckte
vnd tötedte die Mcnsclieii, vnd welchen sie vmbgebracht . auf deine sprang sie
mit den Füssen heruinb; Derwegen wurde sie durch denselben vorigen Mann,
wiederumb auffgedackt vnd befunden, dass sie den l’fal, welchen man ihr in den
Leib gesehiagen gehabt, aussgezogen und vnd in Händen gehalten: Nach diesem
lies man sic heraus ziehen, vnd sampt dem Pfal verbrennen, vnd die .Asche sampt
der Krden in das (Jrab schütten, vnnd also verscharren; Nicht weniger hat man
an dem Ort, wo man sic verbrand. etzlicbe Tage einen zwirbel Wind gesehen“.
SlLssgeburteii sitid wie Wechselbülger bcstiinint, iiacli ihrem
Tode die Mciisdien zu plapen. Von einem .solclien Teufelswesen
hörten um die.selbe Zeit die Seiilesier aus einer Broschüre, die der
hüchweise Kat von Olmütz drucken lie.ss. Diese Broschüre ist uns
leider nicht erhalten, aber der Text pin<r über in das Tlieatrum
Historicum des Andreas Hondorf. Er lautet in der ('bersetzunpr
des lateinischen Textes der von Philipp Lonicerus ISHO zu Frank-
furt be.sorpften Au.sp:abe'):
,Im .lahre lö6,ä gebar ein Weib in dem Dorfe Schmirtz. das zur Herrschaft
des edlen Herrn Vratislaus von Bernstein gehört, ein teuflisches Wesen, das
weder Kopf noch Küsse hatte, an der Brust aber neben der linken Schulter
einen ofl'encn Munii und neben der rechten Schulter ein Ohr zeigte. .An Stelle
der Finger hatte es .Saugwarzen wie ein Frosch oder eine Kröte, der ganze
tjcib »’ar Icbcrfarhen nnd zitterte wie Fettbrühe oder (»altert. .Als die Hebamme
dieses Wesen in eine Wanne oder Schüssel zum Waschen setzte, da brach es in
schrecktiches (ieschrei aus. Vor der Kirche sahen sich viele Leute dieses Mon-
strum an; dann wurde es an der besonderen Stelle, die für die ungetauft ster-
benden Kinder bestimmt ist, verscharrt. Aber seine Mutter bat unautliörlich.
dass man dieses schreckliche Wesen wieder ausgraben. verbrennen und so voH-
stiindig vernichten möchte, damit nichts mehr von ihm übrig bliebe; und sic
gestand, dass der Teufel oft mit ihr in der (»estait ihres Mannes verkehrt hätte.
Daher solle man dem Teufel das seine zurückgeben, ihr aber, die vom Satan
gewaitig geschreckt und geplagt werde, möge man, so bat sic flehentlich,
Wächter und fromme, treue Freunde zur Seite geben. Es wurde daher schliess-
lich auf Befehl des edlen Herrn V'ratislans die Missgeburt wieder nusgegraben,
auf einen Karren gelegt und dem Henker übergeben, der sie vor dem Dorfe
verbrennen sollte. Trotzdem man aller eine ungeheuere Menge Holz verbrannte.
.S. IHfi.
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könnt!' diese teiiflisehi' Mssse iiiclil vernichtet werden, ja die Windeln, in die
sie einuewieki'lt war. hlielien trotz des liochlodernden Keilers noch feucht. Iiis
der Henker das Wesen in lauter kleine Teiie zerselinitt und dann, aber aneh
noch mit j;rosser Mühe verbrannte. Das ('csehah am Freitajj nach Christi
liinimelfahrt Das Weib wurde unterdessen vom Teufel gewaitig geplagt; in
jener Nacht hörte man, wie unter (.ilockengcläut mit ungeheuerem Lärme Pferde
um ihr Haus rasten, und in der folgenden Nacht vernahm man ein klägUchi-s
Uejammer, zunächst vor ihren Fenstern, dann sogar im Hanse selbst, das die
Mutter und die Nachbaren furchtbar erschreckte. Das Weib hörte nicht auf,
tiott anzullehen, und die Kirche schickte heisse (icbetc für sie zu tiott empor.
Schliesslich befahl jemand dem Teufel in der Kraft des Namens (iottes, in die
tiefste Hölle hinabzufahren. Da vernahm man ein lichenl. als wenn sich Hunde
und Katzen bissen, und starkes tilockengeiäut, und der Fluss, der an jenem
Hause vorüberfliesst. trat aus zum grossen Sehreeken der Nachbarschaft Aber
die frommen (iebete erreichten doch, dass das Weib von der Wut und Bosheit
lies rasenden Teufels durch die (inade des barmherzigen (iottes befreit wurde.
Diese (iescbichlc wurde auf Befehl des wohlweiscn Magistrats und Kates zu
Olmiltz ausführlich bis in alle Einzelheiten aufgezeichnet, gedruckt und ver-
öffentlicht“.
Sieht man in die.sei- Krzälilting, welches Interesse da.s Volk
und sogar die Rehörden in Schlt'sien an solchen (ie.schichteii in
jener Zeit genoniiiien haben, thinn wird es nichts Aiif'fallendes
mehr sein, dass die beiden folgenden Berichte die gelehrtesten
Männer nicht allein Schlesiens ern.stlich bt'schiiftigt liaben und so-
gar in der apologetischen Riteratnr als Watten gegen den Atlieis-
niiis eine Rolle sjiitden konnten, lin Jahre 1612 erschien in Stras.s-
Inirg da.s Werk des IMco de Mirandola über die „Stri.x“ '); das
Mannscfipt des Buches war durch Schenkung in den Besitz des
Bre.slauer Gelehrten .Martin Weinrich, der von 1548 — 1609 lebte
lind am h^lisabethgyninasiam wirkte, gekommen und mit einer Vor-
rede Weinrichs aus seinem Xaclilasse veröffentlicht worden, ln
dieser Vorrede finden sich die beiden ausführlichen Berichte, von
denen hier tnir eine kurze Inhalt.sangabe fidgen kann. Bei dem
grossen Aufsehen, das sie ’erregt haben, ist es verständlich, dass
sie auch in andere Werke in ihrer ganzen Ausdehnung Aufnahme
fanden. Der engli.sche Theologe Henricus Morus hat sie in die
2. Auflage des Antidotus adversus Atheismum’') aufgenommen.
Die erste der beiden Geschichten findet sicli weiter in der Silesio-
Strix seil de ludiliriitione daemoimm
') Joh. Francisci l’ici .Mirnndulae
dialogi tres. Argentorati lt>!2.
’) London lG7y Tom. II Aiitidotus üb III cap. Vlll u. X.
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77
fTrapliia ilcs Henclins'); lii-ide Kizälilun^fii ffitiffcn aus Wiüiiriclis
Vorrede in das „Sclilesisdie liistnrisrhc Labyrintli“ *) iil)cr, die
zweite Erzälduii" ist ausserdem in Kloses ,Tiiterarischeu Unter-
lialtungen“ abgedruckt“); aus dem ^Sclilesischen liistorischen Laby-
rinth“ überiialim beide (Jeschicliteii (Jrässe ins „.Sagenbucli des
Preussisclien Staates“ *).
Im Jahre 1591 schnitt sich ein Schuster in einer berühmten sihlesischeii
Stadt*) die Kehle durch Itie I’rsache des Selbstmordes war unbekannt. Seine
Frau verband die Wunde und erzählte, er sei am Schlaue gestorben. Nach
sechs Wochen erzählt man sich in der Stadt, dass ein tiespenst in der (icstalt
des Schusters die Schlafenden quäle und drücke. Zugleich verbreitet sich das
(ierücht, der Schuster sei durch Selbstmord gestorben. Die Verwandten wider-
setzen sieh der .\usgrabnng der Leiche; das tiespenst wirft sich auf die Betten
der Schlafenden, hängt sich ihnen an und versucht, sic zu erwürgen, und drückt
sie so stark, dass man um Morgen noch bleiche Flecken und sogar noch nach
Stunden Fingerspuren sah. Endlich setzt das geängstigte Volk die Ausgrabung
der Leiche, die vom 22. September 1591 bis IS. April 1.592 im (irabe gelegen
hat, durch. Man findet den Toten unversehrt, stark aufgebläht, die Haut der
Füsse ist abgefallen, aber darunter neue gewachsen. An der grossen Zehe des
rechten Kusses sieht man einen .\usw'uchs, der einer Rose gleicht. Nach vier-
undzwanzig .'stunden begräbt man ihn wieder, aber an einer für rnehrliche be-
stimmten Stelle. Koch das Oespenst treibt sein altes Spiel, bis man dem Toten
am 7. Mai 1.592 Kopf, tilieder, Hände und Füsse abtrennt, und den Kücken
öffnet. Da findet man das Herz unversehrt .wie bei friscbgeschlachteten
Kälbern“ Die Leiche wird auf einem Scheiterhaufen von sieben Klaftern Holz
verbrannt I ber N.icht bewacht man die .5sche, damit sie vom Volke nicht zu
verbrecherischen Handlungen aufgelesen werden konnte; am folgenden Morgen
wiift man sie in einem Sacke in den Fluss Nun hatte man Ruhe
Dip zweite Erzälilung, die sieli in Weiniichs Vorrede un-
niittellmr an die vorherpeliende an.sclilies.st “i, hat znni Selianitlatz
einen kleinen Ort an der sctile.si.sehen Grenze iin Gebiete Österreich-
Schlesiens.
Ker Bürger .lohannes Kuntze in Bennisch bei .lägerndorf, ein allgemein
geachteter Mann, wurde vom Pferde geschlagen und lag im Sterben. Wegen
geheim gebliebener Frevoltalen verzweifelt« er an der göttlichen Barmherzigkeit.
') Nie. Henclins, Silcsiographia Kenovata, cd. M. .1. Fibiger, Breslau 1704,
cap. VII §8.
») Breslau 1737 S. .363 u. 351.
’) Breslau 1775 S. 457.
*) Bd. II S. 176 u. 214.
*) Kas Schics, hist. Lab. setzt hier hinzu (S. 352): welches die Stadt
Brcsslan seyn sol.
•) 8. 13.
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In der Nacht sah sein Sohn, der hei ilnn wachte, tim die dritte Stunde, wie eine
Katze das Fenster öffnete, dem Sterbenden ins (iesicht sprang, als wenn sic ihn
fortreissen wollte, sich aber bald darauf zurlickzog. In diesem .\u«enblicke trat
der Tod ein. Das schreckliche Ende Kiintzes wird gehcimgehalten und die
Leiche in der Kirche beim .\ltare bestattet. Heim Tode und während des lie-
gräbnisses gingen schwere (iewitter nieder. Nach drei Tagen erscheint ein (le-
spenst ') in der (iestalt des Verstorbenen, plagt die Schlafenden in den Betten
und die Pferde im Stalle. Die Erscheinung wiederholt sieh ; das Despenst springt
auf die Leute, würgt sie so, dass die Male noch lange zu sehen sind, plagt
durch Drücken die Frauen im Kindbett und raubt ihnen die Kinder au.s der
Wiege. Wie es Ulaube gewöhnlicher Leute ist, dass sich an den (iräbern von
Hexenmeistern Mäo.selöcber finden, so sah man auch an Kuntzes (irab solche
Löcher, die, obwohl man sie ausflillte, doch immer wieder am nächsten Tage
da waren. Am .Altartuche erschienen grosse Blutflecke. Kühen sog das (iespenst
die Milch aus. Endlich gräbt man die Leiche aus; man findet sie unversehrt,
mit frischgewachsener Haut; die Augen sind bald offen, bald geschlossen; der
Kopf ist am ersten Tage nacii Norden, am zweiten nach Süden gewandt. Als
man den Körper verletzt, fliesst frisches Blut heraus, obwohl er vom H Februar
bis zum 20. .August in der Erde gelegen hat. Die Leiche wird auf einen
Scheiterhaufen gebracht, aber der Henker hat einen ganzen Tag zu tun, bis der
Körper vollständig verbrannt ist Auch hier wird die Asche in den Fluss gestreut.
Ebenfall.s noch in.s 16. Jiihrhundert {rcliiirt ein Bericht an.< der
Niederlausitz von einem Weihe, da.s unter dem Namen einer Gratin
Villambrosii melirere Edclhöfe be.suclit und dort in den Familien
grosse Verheerung antrerichtet hat*). Bleibt es in dieser Sape
unklar, ob mau es mit einem Lebenden oder einem wiederkehren-
den Toten zu tun hat, .so ist es in dem folg:enden Frankensteiner
Berichte zweifelhaft, ob man einen Dämon oder eine ffestorbene
Hexe anzunehmen hat, obschon der Name dieses We.sens auf seinen
Hexencharakter hinweist. Martin Koblitz berichtet in .seiner
, Frankensteiner Chronik“ *) unter dem Jahre 1605.
Im Frühling und Sommer Hess sich allhier in der Neustadt und sonst an
etlichen Orten ein l'ngetUm sehen, oft als ein Hund, bald als ein Kalb, des
Nachts vor und nach Mitternacht, welches man die Kothe oder Drothe genannt,
so die Leute sehr vexieret und geplagt hat, auf der Strasse vom Itaumgarten
nach Frankenberg zu neben dem Holze; hat sich von den Iteiscnden am hellen
Tage sehen lassen, ist auf sie gewälzt, wie eine grosse Kegelkanle; hat die
Vorüberreisenden heftig geplaget, dass fast niemand dieselbe .Strasse mehr hat
') AVeinrich nennt cs incubus und cphialtes; Henelius nennt den Kuntze
einen Icraur post mortem insignis und das (iespenst ein Alp-(iespcnste.
’) Haupt, Sagenbuch der Lausitz, Leipzig I8(i2 Bd. I S. (>8.
’) Abgedruckt in der .Monatsschrift von und für Schlesien“, herausgegeben
von Heinrich Hoffmanu, Bd. I (182‘JJ S. 411.
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wandorn wollen; hat Martin Riedeln, den Zadelmiiller, als er fUrilberprezogen.
dermassen gequälet. dass er den dritten Tag hernaeli gestorben ist.
In diese Zeit liinein passt auch die Safre von dem Breslauer
Marktweibe, das keine Ruhe iiu Grabe hat, sondern allnächtlich
hervorkonimt, sein Sterbckleid ablcfft und zu seiner Marktbude
eilt. Der Tünner von St. Elisabeth raubt das Sterbekleid und
flüchtet auf den Turm; das Weib ersteigt den Tunn, aber bevor
es den Türmer erreicht, schlägt es ein Uhr, und das Gespenst
zerschellt unten. Wir können über diese Sage schnell hinweg-
gehen, denn es würde nicht schwer halten nachzuweisen, dass hier
der Versuch gemacht ist, Goethes Ballade „der Totentanz'* in
Breslau zu lokalisieren. Die Erzählung findet sich bei P'ranz Seit
„Sagen aus Breslaus Vorzeit“, von wo sie auch in Grässes Sagen-
buch übergegangen ist').
Aus dem Anfänge des 17. .Jahrhunderts .sind uns dagegen zwei
Prozesse aus schlesischen Oi'ten gegen plagende Tote in der
„Neuen Laussnitz- Böhm- und .Schlesischen (’hronika“ des Hein-
rich Roch*) überliefert. Der erste fand 1612 in Jauer, der zweite
1614 in Giersdorf unterm Kyn.ast .statt. Roch berichtet:
Iien 8. .Tnnii sind die Leute zu KUnern bey dem .lauer von einem Oespenste
sehr geplagt worden, und weil der verstorbene gemeine Hirte, so in Verdacht
gewesen, ist er in dem .\usgraben so frisch, als wenn er kaum einen Tag darin
gelegen hätte, befunden worden, und nach des Körpers Verbrennung hat das
t'bel aufgehöret.
Nachdem zn (iörsdorff unterm Kynust das Volck von einem Oespenste
lange geplaget wurde, dass etliche gar davon gestorben, ist endlich ein Kohl-
schUrer, so vor drey Jahren, und sein Weib, so vor 8 Wochen begraben, in
Verdacht gezogen worden, dieselben wiederumh ausgegraben, frisch blutende
und unverwesende gefunden und daraufl' den 2'i. hujus zu Pulver verbrannt
worden, worauf das ('bei alsbald aufgehöret hat.
Weit Über Schlesiens Grenzen hinaus drang der Ruf von den
Wiedergängern, die in Freudcnthal an der schlesLschen Grenze
und in der Neisscr Gegend um das Jahr 16.Ö1 ihr l’liwescn trieben.
Unter die.seni .lahre berichtet der „Curiöse Geschichtskalender des
Herzogtums Schlesien“, der in Leipzig 1698 erschien“):
„In Schlesien zu Freudcnthal vexierten die Gespenster des Nachts die
’) Franz .Seit, Sagen aus llrcslans Vorzeit, Breslau 18.83 S. 50; Grösse
a. a. 0. II 170; Uber Goethes Quelle s Stephan Hock, Pie Vampyrsagen und ihre
Verwertung in der deutschen Literatur, Berlin liKX), .S. 32.
*) Leipzig 1(187 S. 23(1 u. 242.
*) S. 76.
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I.cutv absrlioulifli. Iiio Obrijtkiit lioss ciiicii vcrdSchtiucn Kürper aus dem
(irabo deswegpti nehmen, und demselben den Kopf absehneiden, welcher irisch
Blut von sieh gab: die Leute wurden aber hierdurch noch furchtsamer, und
zogen etliche davon anders wohin“.
Fast die {fleidie Nachricht fimlet sich etwa liundert .Talire
spiitcr in dem ,.Neuen Schlesischen Allerlei“ ') vom Jahre 1785.
Bedeutend ausführlicher aber erziihlt von dem Glauben an solche
Wiedergiinger jener Zeit der „Schlesi.sclie Robinson“, der einen
klaren Einblick in den Hexen- und (iesi>enstorglauben in Schlesien
während der Zeit kurz nach dem dreissigjährigen Kriege gewährt.
Nachdem in diesem Romane, der in den siebziger Jahren des sieb-
zehnten Jahrhunderts spielt, wiederholt von wunderbaren Erschei-
nungen Verstorbener die Rede gewesen ist, die der Vater des
Romanhelden gehabt hat, heisst es*j;
,Es war solches .\nno 1651, da die tiespenster zu Kreudenthal des Nachts
die Leute abscheulich plagten, und die Hexen in Schlesien, sonderlich im Neissi-
schen, mit gantzen Schaaren erschrecklich schwermten. Man liess etlicher Orten
verdächtige Cörpcr aus dem Orahe nehmen, denselben einen Schlee-Dorn dnrch.s
Ilertze stossen, und die Kiipfe mit dem (irabscheide abstUmnieln. so noch
frisches Blut von sich gaben, und auf einem langweiligen IloItz-.Stosse kaum
zu Asche verbrennen wollten, l'm die Hexen aber, sonderlich im Zuckmantc-
lischen, ausznrotten, wurden 8 Henker bestellet, die mit Exekutieren alle Hände
voll zu thun hatten; als leider! vielleicht noch einigen alten Leuten bekannt
sein diirlfte“.
Fiid Roch erzählt in seiner Chronik'*):
,Im .Augusto wurden die r,eule umb Freudenthal von den tiespenstern
des Nachts sehr vexieret, welche auch das Vieh ausgesogen und getötet, her-
nach dann wieder in ihre (iräber gegangen; dannenhero die Leute gantze
Märkte und Klecken verlassen und sich an andere sichere Orter zu wohnen be-
geben. Im September ist die Hex- und Zauberey in Schlesien (so an Männern.
Weibern und Kindern erschröcklich Überhand genommen) grausam bestraffet
und sind nur allein in Zuckmantel 8 Hencker gehalten worden, welche alle
Tage v(dl auff zu thun gehabt“
So wird Schlesien infolge der Verwilderung, die die Kriegs-
Zeiten mit .sich gebracht hatten, in iler zweiten Hälfte des sieb-
zehnten Jahrhunderts das hJdorado der Hexen und Wiedergänger.
Im Jahre 1671 quälte der Hexenmeister Martin Weimar in Schwarz-
walde bei Lande.shut die Tarnte nach .seinem Tode .so, da.ss man
’) 13. Stück; daraus mitgctcilt von P. Drechsler, .Sitte. Brauch und Volks-
glaube in .Schlesien l 318.
’) Ausgabe vom .lahre 1723 .S. 29.
*) 8. 307.
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ilm aiisgrub, ilini die Hände auf den Rücken band, und als das
niclits nutzte, ilini den Kopf abstacli, ilin verbrannte und sein
tirab als das eines Uncliristen zuinauertc ’). Im Jahre Külll
ötfiiete man in Bunzlau das Grab eitles Schneiders, weil der
Pfarrer darin ein Klopfen vernommen hatte. Man fand den Kopf
blutig, aber sonst kein Zeichen, da.ss der Begrabene etwa noch
gelebt hätte. Im Hau.se des Schneiders jedoch fand sich ein
Vierteljahr lang ein Gepolter, sonderlich bügelte es die ganze Zeit,
ohne jedoch jemand etwas zu tun, bis es sich endlich nach und
nach wieder verlor ®). In Reimswaldau nnterm FüiNtenstein wurde
im Jahre 1709 die Leiche Georg Eichners, weil er umging, im
Sarge über die Kirchhofsmauer gestützt und auf den Schindanger
gebracht; dort .stiess man ihr den Kopf ab, warf sie in ein Loch,
und legte ihr den Kopf zwischen die Beine; dann zertrümmerte
man den Sarg, warf ihn auf die Leiche und scharrte die Grube
zu”). Von einem solchen AViedergänger aus der Zeit um 1715
erzählt auch ein rngenannter, der in einem in jenem Jahre ge-
druckten Büchlein aus Landeshut berichtet: Ein Hexenmei.ster war
nach seinem Tode wiedergekommen, um den Leuten die Xahrung
wegzue.ssen. Als in ficgenwart des Magistrats sein Grab geötfnet
wurde, fand man ihn mit dem Gesicht nach unten liegen, unver-
sehrt und mit rotem Gesicht; der Scharfrichter stiess ihm den
Kopf ab, und es floss frisches Blut hervor. Seitdem Hess sich
das Gespenst nicht mehr sehen ^). Um dieselbe Zeit lässt sich die
Furcht vor Wiedergängern auch in der Umgegend von Bre.slau
nachweisen. Im Jahre 1719 wurde ein Bettelmann aus Katholisch-
Hammer bei Trebnitz nach dem Kirchhofe in Polnisch-Hammer
begraben. Am anderen Tage kamen mehr als siebzig Leute aus
Katholisch-Hammer, um die Leiche wieder airszugrahen. Denn
weil man sie „är.schlich“ oder verkehrt aus dem Dorfe heraus-
getragen hätte, müsste man sie ebenso wieder ins Dorf ziirück-
') Drechsler, Sitte usw. I Nr. :tI7; initgeteilt aus Uörlicli, (ieschichtc der
Stadt Strehlen S. 398.
’) Sammlung von Natur- u. Mediziiigeschichtcn, 1726 S. 572. Bericht-
erstatter ist hier ein I)r. Liefmann in Bautzen, der aus dieser Stadt einen ähn-
lichen Full vom Jahre 1706 mitteilt von einem Soldaten, der sich dem Teufel
verschrieben hatte.
*) Drechsler a. a. 0. 1 Nr. 318.
*) A. Bartsch, Ein anonymes Büchlein vom Jahre 1715; in Eiviers Oher-
schlesicn 1 838
(1. sclilvs. lies. 1. VkUu. Hell X.M. 6
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brinf^pii und dann reclit zu firabc briiij^pii, sonst wUrdu bpinacli
das <ranzt‘ Dorf sterben. Schon hatte man die Leiche aus dem
(Jrabe geholt, da kam der Pfarrer, verwies die Leute wegen ihres
Aberglaubens und schickte sie wieder nach Haii.se '). Die Vorschrift,
da.ss der Tote mit dem Kopfende zuerst hinau.sgetragen werden
mü.sse, wenn man seine Wiederkehr verhindern wolle, ist noch
heute in Schlesien verbreitet®). Im We.sten Deutschlands scheint
man Schlesien um die.se Zeit für ein von solchen Gespenstern
geradezu tyrannisiertes Land betrachtet zu haben. In Thai*sanders
„Schauplatz vieler ungereimter .Meynungen und Erzehlnngcn“ findet
.sich folgende Nachricht von oberschlesischen Wiedergängern ”).
..In Schlesien, und zwar in einem Dorffe Hozeploz genannt, sollen die
.Menschen nach dem Tode sehr oft zu den ihrigen zurUckkommen, mit ihnen
essen und trinken, ja gar mit ihren hinterlassenen Weihern sich fleischlich ver-
mischen. W’enn reisende Li'Ute zu der Zeit, da sic aus den (irälrern heraiia-
komnien, durch das Dorfl' passieren, laufl'en sie ihnen nach und hucken ihnen
auf ihre liilcken'".
Das rohe Verfahren, durch das sieh das Volk seiner Peiniger
entledigen zn können glaubte, das Knthaupten und Verstümmeln
der Leichen, die durch irgend einen rmstaiid in Verdacht ge-
kommen waren, als Wiedergänger ihr Unwesen zu treiben, erregte
bei den kirchlichen Organen Hedenken; und von die.ser Seite her
wurde das Volk auf Mittel hingewiesen, sich von den Wieder-
gängern zu befreien, die ebenso wirk.sam und dabei hnmanerer
Art waren. So finden wir in dem auch für die Oberglogauer
Gegend approbierten „Ministerium E.xorcisticum“ des Franziskanei's
Momschmidt vom Jahre 1738 die Frage'); „Was .soll man mit
.Sammlung von Natur- und Mcdizingcschichtcn , 9. Versuch 1719 S. 114.
Drechsler a. a. O. I Nr. H27.
’) Berlin l7.Sfi Bd. I Stück VIII; als IJuelle werden die herühmten .^cta
Eruditorum. .lahrgnng 1722 .S. 17 angeführt; aus Tharsaiider ging der Bericht
über in Zeidlers l'niversal-Lexicon.
') Pranciscus Solanas Monschmidt, Ministerium Kxorcisticnm , uppau bei
W. Schindler, 17SS p. 72: (juid ergo agcndum cum illis maleficis mortuis, qui
cum daemone fccerunt in vita expressuin pactum, ut post suam mortem possint
resurgerc . secum corpora lideliuin defnnctorum, imo etiam innocentium, in hoc
caemeterio post sc sepultorura trahere, hinc inde discurrere, homines ad terrorem
inquiet.are, et t<Tribilitcr divexare; de quibas habemus rccentissima exemplaV
Uespondeo I; Non esse dubium, quin per licitum contr.ap.actum talia .Spectra
sint cuercenda. Verum cum quantis molestiis vespillionum et Carniiieum cum
nausea et horrore adstantiumV loquantur ii, qui adhuc vivunt ocularcs horum
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jiMicn toten Zauberern nuiehen, die mit dem Teufel wiilirend ihres
Lebens ausdrücklichen Pakt geschlossen haben, dass sie nach
ihrem Tode wieder aufstehen und die Leichen der verstorbenen
(lläubigcn, sogar der unschuldigen Kinder, die auf diesem Kirch-
hofe nach ilmen begraben sind, nach sich ziehen, umherlaufen, die
Menschen schrecklich bennruhigen und entsetzlich plagen; wovon
wir noch ganz neuerdings Heispiele erhalten haben?“ Und der
Franziskaner antwortet, die Behandlung, die Totengräber und
Henker den verdächtigen Leichen angedeihen liessen, sei doch zu
grausig und schrecklich für die Augenzeugen; der ehrbarere und
kürzere Weg der Beschwörung, des Exorzismus sei diesem Vor-
gehen vorzuziehen.
Wir müssen uns erinnern, dass auch Maria Theresia solche
Leichenexekutionen in ihrem Lande untersagte, zum grossen Leid-
wesen der Henker, die daraus schöne Einnahmen gezogen hatten.
Schlesien wurde preussische Provinz. Die Aufklärungszeit kam,
und sie ging am schlcsi.schen Volke nicht sjmrlos vorüber; die
Berichte über Wiedei'gänger verlieren sich. Eine vereinzelte Nach-
richt findet sich in Grünhagens „Geschichte Schlesiens unter
Friedrich d. Gr.“'). Im .lalire 1748 starl) in Lonkau in Ober-
schlesien ein Knecht, Glowatsch mit Namen. Am Tage nach
seinem Tode war er noch nicht starr. Er war ein Wiedergänger
und ging Knechte und ^lägde quälen und drücken. Der Landrat
und der Kreisphysikus waren nicht imstande, den Dorfbewohnern
ihren Wahn zu nehmen. Aber das Gesi)cnst muss wohl vor den
preussisclicn Behörden Angst bekommen haben, denn nach einiger
Zeit verbreitete sich das Gerücht, dass es ins Teschener Gebiet
au.sgewandert sei. Nun erst beruhigte sich das Dorf wieder. Das
ist der einzige Fall in der ganzen Wiedergängerliteratur, da.ss ein
.solches Gespenst auswandert; sonst ist es Regel, da.ss sein Treiben
an die Gegend gebunden i.st, wo die Leiche liegt. Ans dein
Jahre 1803 wird uns aus Pless berichtet, da.ss „manchem toten
Körper zur sicheren Verbannung, dass er sich das Herumgehen
tesU-B. Respondco igitur II. Icviori, honestiori et hreviori modo haec siiectra
esse coercenda: natii inni haec resurrectio corporum non iiisi opc daenionis ad-
niittcnte Deo Hat; si ergo per potestatem exorcisticam Exorcistae a Dw tradi-
tam duemon cx bis corporUius pnlaus fuerit, certc Corpora praefatoruni reaurgere
non poterunt.
') lld II .S 5(!9.
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verzollen lasse, zum t’berfliiss ein Lukaszettel in den Mund ge-
steckt wurde ')•
Die schädigenden Toten, von denen in den vorausgehenden
Berichten die Rede ist, haben sämtlich den Charakter des Incubus
oder Ephialtes, also Alpcharakter; sie gehören zu den Druck-
gespenstern, können also auch aus physiolophischen Zuständen derer,
die an solchen Ali)träumen leiden, erklärt werden. Bedeutend
schwieriger ist die Erklärung für das Aufkommen der Vorstellungen
von nachzehrenden Toten, d. h. solchen Schädigern, die ohne nachts
das (irab zu verla.ssen und die Lebenden durch Alpdruck zu
plagen, andere nach sich ins (Jrab ziehen, indem sie an ihrer
Kleidung oder an ihren Gliedmassen im Grabe herumkauen.
Der Glaube an solche Tote, der den Polen mit den schlesi,scheii
Deutschen gemein ist, der sich aber auch weiter nach Westen in
den mitteldeutschen Gegenden ausbreitet, erfordert für seine Er-
klärung die Verbindung mehrerer Motive. Zunächst liegt darin
der Versuch, das in Epidemiezeiten auffallende Xachsterben in
den Eamilien zu erklären, in denen sich ein Todesfall ereignet
hatte. Tatsächlich treten die Xachrichtcn von den schmatzenden
t)der fre.ssenden Toten immer in Verbindung mit Pestepidemien
auf. War bei den Berichten von den Wiedergängern die jihysio-
logischc Dispo.sition einzelner, die an Aliiträumcn litten, für die
Gestaltung der Gespenstervorstellung entscheidend, so liegt der
Ausbildung der Vorstellung von Xachzehrern der Versuch einer
Gesamtheit zugrunde, das Xachsterben zu erklären. Diese
Gesamtheit, die natürlich nicht zugleich von Alpvorstellungen
beherrscht sein konnte, musste die Erklärung für solches unbe-
greitlichcs Xachsterben in einzelnen Familien oder Gemeinden auf
einem atideren Gebiete suchen. Xun wusste man, dass Hexen und
l'belgesinnte durch magische Zauberhandlungen ihren Feinden
Krankheit und Tod bringen können. Wohl überall tindet sich der
im Altertum so verbreitete Glaube, da.ss die Durchbohrung von
Wachstiguren oder die Vernichtung eines Bildes, das den Feind
darstellt, auch den Tod des Darge.stellten zur Folge hat. Die.ser
Glaube in seinen mannigfachen Abarten war auch fJemeingut der
deutschen wie der iiolni.schen Lande.steile im au.sgehenden Mittel-
') .Srhlcsischf Provinzial- Blätter 1S03 Bil. H7 ,S. öH2. Was sind Lukas-
zettel? Welcher Text steht d.arauf? Werden sic noch verwendet?
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alter. An solche Vorstellungen anknüpfend mag man zu dei'
Deutung gekommen sein, dass das Naclisterben während der Epi-
demien das Ergebnis magischer Handlungen eines Toten sein
miis.se. Was der Tote ini Grabe tut, das Auffressen der Kleidung
oder das Nagen und Saugen an seinen eigenen Gliedern, das be-
zieht er auf die Lebenden und zieht sie so mit magischer Kraft
nach sich. Dieser Glaube hätte sich aber niclit festsetzen können,
wenn alle tatsächlichen Unterlagen gefehlt hätten. Solche Tat-
sachen mögen in jenen Zeiten der Angst und Aufgeregtheit die
Wahrnehmungen oder Einbildungen einzelner hergegeben haben,
dass aus gewissen Gräbern Laute hervordrangen, was ja liin und
wieder der Fall gewesen sein mag, l)esondei’s zu Pestzeiten, wo
Fälle von Bei.setzung noch Lebender wohl vorgekommen sein
mögen. Fand man nun gar beim Oft'neii solcher Gräber den Köri>er
eines solchen Be.statteteu, der vom Scheintode nocli einmal erwacht
war, nicht mehr in der alten Lage oder gar blutend, dann waren
die Grundlagen sämtlich gegeben, aus denen sich der Glaube an
nachzehreiide Tote entwickeln konnte.
Der älteste Beleg für diesen Glauben in Schlesien findet sich
in den Jahrbüchern der Stadt Breslau von Xicolaus Pol ’) unter
dem Jahre 1517. Dort heisst es:
„Von Michaelis bis auf Andreä stürben bei 2000 Menschen. Ini wilhrenden
Sterben ward zu Gross Mochbar der .Schäfer mit seinen Kleidern bej-raben, die
er im Grabe gefressen nnd wie eine San geschmatzet l>arum man ihn auf-
gegraben, die Kleider blutig in seinem Maul gefunden und ihm mit dem Grabe-
scheit den Hals abgcstochcn und der Kopf vor den Kirchhof gelegt worden.
Harauf cs im I'orfe zu sterben aufgehort“.
Wohl nicht viel später ist eine Nachricht aus Constadt bei
(Ms zu setzen, die .sich in der „Neuen Sammlung merkwürdiger
Geschichten von unterirdi.schen Schätzen“ findet *). Der Verfasser
erzählt, dass das Weih des M. .lohannis Herbinus, die aus Con-
stadt bei 01s stammte, behauptete, sie höre ihren toten fiatten im
Grabe singen. Das Grab wurde vom Totengräber geöffnet, aber
man fand nur den verwesten Leib. Dieser Glaube au Nachzehrer
ist auch in schlesischen Pestpredigten behandelt worden. Eine
*) Hetausgegehen von ,Toh Gust. lülsehing Hreslau 1819 Bd. 111 S. 1.
*1 Neue Smumlung merkwürdiger Geschichten von unterirdischen Schätzen
. . . von (’. E. F. Brcsslau und Leipzig 1756 S. 23. Als Quelle wird Haubers
Bibliotbcca niagica S. 560 angegeben.
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solche Predigf, die sicli auf Vorgänge aus dem Jahre 1553 bezieht,
wurde um das Jahr 1600 in Lauban von dem Pastor Martin Böhm
gehalten; es ist die siebzehnte seiner Predigten von den „drey
grossen Landtplagen“ ; darin sagt er');
„Man hat in Pcstilenzzeiten erfahren, das tote Leute, sonderlich Weibcs-
personcn, die an der Test gestorben, im (irabe ein Schmätzen getrieben, als
ein Saw, wenn sie isset: und das bey solchem Schmätzen die Pest heftig zuge-
nommen, und gemeiniglichen im selben Geschlecht die Leute hänffig nach ein-
ander gestorben. . . . Anno lö5;t als die Pest allhier zum Lauban regierte, ist
dergleichen auch geschehen, das eine Weihesperson im Grabe also geschmätzet hat“.
Dass solche Weibesiiersonen zumeist im Leben schon Hexen
gewesen sind, ergibt sich aus einem Berichte aus Oberschlesien*)
vom Jahre 1801.
„Die Leiche der Marguna Warlin aus t'chilsko wurde nach tiross-üorzütz
in der Herrschaft Uderberg zur Beerdigung gebracht. Auf das Gerücht, dass
dies Weib eine Scheere auf dem Kücken habe und also ein sogenannter V'ampyr
sei, Hess ihr der dortige Pfarrer einen Liikaszcttcl unter die Zunge legen, ihr
die Nasenlöcher mit Erde verstopfen, sie im Sarge umwenden und auf Bauch
und Gesicht legen und so ohne Sang und Klang hecTdigen“. Auf die Beschwerde
der Tochter der Verstorbenen ordnete der Erzpriestcr die Ausgrabung dieser
„Strzyga“ an. Eine Scheere fand sich auf ihrem Kucken nicht; der Lukaszettel
und die Erde wurden aus Mund und Nase entfernt und die Leiche christlich
beerdigt. Pas geschah am In Mai 1801 in tiegenwart der Dorfgerichte.
Etwas früher als diese Nachricht fällt eine andere, die den
Nachzehrerglauben in allerdings schon recht verblasster Form in
der entgegengesetzten Ecke Schlesiens nachweist. In der „Bunz-
lauer Monatsehrift“ vom Jahre 1779 erzählt ein Mitarbeiter*):
.Ich kam einmal in ein Haus, wo eine Leiche lag. und als ich die Hintcr-
lasBcnen trösten wollte, so fand ich sie mehr in Betrübnis Uber die Erwartungen
der Zukunft, als Uber den gegenwärtigen Todesfall. Ich bemühte mich die l'r-
sarhe davon zu erfahren, und nach vielen l'mschwcifen ward mir entdeckt,
dass die Leiche nicht verstarrt sey, und also unfehlbar jemand aus dem Hause
nachsterben müsste“.
Wie ein unmündiges Kind .schon von Geburt an durch Ein-
fluss böser Mächte zum Alpdrücken verurteilt sein kann, so kann
es auch ohne seine Schuld nach seinem Tode zum Nachzehrer
werden. Wir haben in dem folgenden aus Steinkirch berichteten
Glauben das Fortleben des .schon im 11. Jahrhunderte bei dem
') Hie drey grossen Landtplagen ... in XXIII Predigten erklcret durch
Martinum Bohemum Laubanensem, Predigern daselbst. Wittenberg ICiOl .S. 141.
*) .Schlesische Provinzial-Blätter 1801 Bd. ;!4 S. 18(>.
•) S. 297.
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Hessen Rnrcliard von Wonns in den Dekretalen bekäniriften
Glaubens, dass imgctunft stei))ende Kinder die Lebenden belästigen
und desliall) iin Grabe gei)fälilt werden müssen '). Indem der
Pastor Rnpreebt ans Steinkircli von den Regräbnisbräudieu seiner
Pfarrei berichtet, schreibt er über die Beobaclitnngen, die er beim
Tode seiner Tochter ini .Talire 1800 gemacht hat*);
Bei ilicii dieser (!e!o){ciiheit ward die Hegel gegeben, ja sorgfältig Aeht
zu haben, dass der Leiche im Sarg niclit etwa ein Band oder sonst etwas von
der Korperbed«>cknng nahe an den Mund komme, ilenn daran würde sie sonst
im (irabc so lange kauen, bis jemand aus der Familie nachstürbc*.
Für die (Iberlausitz wird derselbe (Haube noch ans neuester
Zeit bezeugt. Ein Toter, der rote Backen behält, wird bald einen
aus der Verwandt.schaft nachholen ; auch darf man dem Leichnam
kein Tuch nahe an den Mund bringen, sonst kaut er darau, und
die ganze Familie stirbt aus“). ITul schlesischer Glaube verbietet,
dem Toten getragene Sachen anzuziehen, sonst würde der, dem
sie gehörten, ins (Jrab naehgezogen^). ln Xamslau wurde noch
1890 ein Mann mit dem Gesichte nach unten begraben, da er mit
Zähnen geboren war und die Sage geht, dass man eine solche
Leiche zuletzt nicht im Gesicht sehen dürfe, da jeder Be.schauer
dann in kurzer Zeit sterben mü-sse'). Über den heutigen Volks-
glauben in Schlesien von Wieilergängern und schädigenden Toten
kann ich mich hier auf einzelne Bemerkungen und Nachträge zu
den Arbeiten von Drechsler®) und Kühnau’) über den schlesischen
Toten- und Seelenglauben be.sehränken. Zu den Wiedergänger-
geschichten, die heute noch im Volke bekannt sind, gehört die
Sage von dem Totentanz zu Nei.sse. Sie hat ihren Ursprung
in den Berichten aus der Mitte des 17. Jahrhunderts, die bereits
angetührt wurden.
*) Decret. lib XIX bei Mignc Scries lat. l'XXXX 974,
’i Schloaisrhc t’rovinzial-Blättcr 18(K) Bit. 31 S. 274.
’) Haupt, Sagenbuch der Lausitz, Leipzig 18ti2 Bd. 1 (W.
*) Drechsler, Sitte usw. 1 Nr. 329.
*) Ebenda Xr. 319 nach einer Notiz des Breslauer (iencralanzeigers vom
1. XII. 1899.
•) Mythische Erscheinungen ira schlesischen Volksglauben. Programm
Zabrze 1904 — .Sitte, Brauch und Volksglaube I Xr 31f)— 3.Ö6. — Die Seele
nach dem Tode in der Anschauung des Volkes (Mitteilungen der Schics, Des. f.
Volksk Heft 19 S. 1 ff.).
’) Umgehende Seelen (Mitt. d .Schles. t>. f. Vk, Heft 16 S. 84 ff.).
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Ein nltvr Sackpfeifer bat. da»s man ibin seinen Iliidelsaek mit ins tirab
lc({c. Narb seinem Tode iiffnetc sieli um Mitternacht sein (iral), der Saekpfeifer
stieg heraus und begann zum Tanze anfzuspielen. Ans den anderen (iräbern
stiegen nun Männlein und Weiblein heraus und tanzten dazu. Der Türmer sah
das. erzählte es weiter, und in der nächsten Nacht fanden sich viele Neugierige
ein. Aber die Toten gingen auf die Zuschauer los, und viele von ihnen sanken
vor Schreck in Ohnmacht, einige starben sogar Vergebens suchte die Oeistlich-
keit den Spuk, der sich wiederholte, zu bannen. Erst als auf den Rat mehrerer
Universitäten die verdächtigen Körper aus dem Orabe genommen, ihnen ein
Schlehdorn durchs Herz gestossen und mit dem (irabschuit die Köpfe abgetrennt
worden, und die, welche frisches lilut von sich gaben, verbrannt worden waren,
hatte der Totentanz ein EndeM.
In Straduna, Krei.s Oppeln, erzählt man .sich, dass die tote
Sfriga zurückkehre, um die Leute zu belästigen. Will man sich
von ihr befreien, so nimmt man gut brennbare.s Holz und zündet
es an, oder man stösst glühendes Ei.sen in die Milch. Da muss
der Geist in der Nacht erscheinen, und man besprengt ilin unter
Gebet mit Weih was.ser; dann kommt er nicht mehr wieder*). Die.
hier angegebenen Mittel sind dreifaclier Herkunft. Das erste ist ein
symbolischer Verbrennnngsakt des Leichnams des Schädigers; das
zweite ist die im M ittelalter auch in Schlesien bekannte magi.sclie Hand-
lung, durch die man die niilchsteldende Hexe zum Krseheineri zwingt;
das dritte endlich vertritt die als Ersatz für die Totenschändung
von kirchlichen Organen empfohlene Bannung. Im Schlosse Gross-
Nossen wohnte einst eine durcli ihre Absonderlichkeiten bekannte
Gräfin. Die hatte einen Kater, den ihr ein Diener immer nacli-
tragen musste. Einmal Hess er ihn fallen. Da wurde die Gräfin
so zornig, dass sie den Diener erstaeli. Seitdem die Gräfin ge-
storben ist, springt dort allen Tieren, die vorüherfahren, eine
Katze auf den Rücken und tötet .sie*).
In Gleiwitz erzählt man sich: Wenn jemand gestorben ist,
klopft cs in der Nacht nach seinem Begräbnis ans Fenster. Da
darf man nicht aufmaclien, denn dran.s,sen stellt der Tote, ölfnet
man, so holt der Tote iioeli andere Familienmitglieder ins Grab
nach*), ln Cottwitz hei Neuwaldau wird erzählt, dass man dem
') Nach .Seiler bei 0. Richter, Deutscher Siigcnschatz, tilogau Bd III .s I.S9.
.Aus den .Unterrednugen aus dem Reiche der Oeisfer'“ Bd. I S. Z4B in (irässe,
.Sagenbuch des preussischen Staates Bd. II S. 372.
’) Mitteilung eines Schülers.
’) Mitteilungen von Schülern.
*) siche vorherige Anni.
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Erhiingten den Strick und den Balken mit ins (Irab geben müsse.
Bei einem Erbängteii hat man das nicht getan. Da ist er jeden
Abend gekommen und hat ans Fenster geklopft und gerufen: Gebt
mir doch den Balken. ]Mau hat nicht eher Ruhe gehabt, als bis
man den Balken absägte und mit ins Grab legte ').
Den Übergang der Alpvorstellungen in den Glauben von
schädigenden Toten zeigt uns der Glaube der Xeustädter uml
Leobschützer Gegend an „FlngtenfeD, die im Leben die. Macht
haben, beliebig den Leib zu verlassen, um als böse, besonders un-
sittliche Geister allerlei Unfug zu treiben, und nach ihrem leib-
lichen Tode als Schädiger und Blutsauger umgehen müs.sen. ln
Riegersdorf lebte ein armer Häusler, der selten seine, Hütte ver-
liess. Er starb. .Als der Pfarrer sein Grab einsegnen wollte,
sitzt der Tote auf der Kirchhofsraauer und lacht laut. Von nun
an benniuhigt er das Dorf, bis man ihn an drei Kreuzwegen nach-
einander verscharrt, wieder au.sgegi’aben und verbrannt hat. Der
Henker musste ihn an.sserdem noch bannen -).
Solange der Körper nicht in Staub zerfallen ist, bleibt die
Seele in seiner Nähe. Wer auf Erden gut lebte, der braucht nach
dem Tode den Beistand der Hinterla.ssenen, ihr Gebet. Eine Le-
gende des 15. .lahrhunderts ei-zählt’), dass ein Priester, der nicht
für die Verstorbenen betete, von einem Toten, der .seine Hand aus
dem Grabe streckte, festgehalten wurde. Der Tote forderte sich
ein, was man ihm schuldig war. Schon im 12. Jahrhunderte findet
sich in einer schlesischen Predigthand.schrift ') die Legende, nach
der die Toten ihre Hände aus den Gräbern steckten, als der
heilige Germanus über den Kirchhof ging, um die Gräber mit
Weihwa.sser einzusegnen. Jeder wollte etwas Weihwa.sser auf die
Hände. War der Tote aber habsüchtig, so streckt er noch aus
dem Grabe die Hand, um, was in seiner Nähe ist, hineinzuholen.
Als im Herbst 1908 in einer kleinen Stadt der Grafschaft Glatz
eine geizige Tischlei-switwe gestorben war, entspann sich zwischen
einem Bäcker, der ihr Grab besuchte, und dem Totengräber, der
an der Seite dieses Grabes ein neues grub, folgendes Gespräch.
') siehe vorherige Anni.
.Tiilius Nestler (Prag), (icistcr- u. ties|H*n3terglauben der Schlesier
(Hiibezahl, Sehweidnitz UH)7 S. 103;.
‘) Kgl. u. l'niv. Bibi, zu Breslau, Cod. ms. IV. F. 184. Bl. 35 'b,
•) Kgl u. Priiv. Bibi zu Breslau, (.'od. ms. I. Q. 2(17.
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näckcT: „Xa, da liegt sic jetzt“. — Totengräber: „Da.s Weih bat
nocli iin Grabe keine Hnli“. — B. : ,Aeb!“ — T.: Denken Sie
sicli docb, gestern bal) icb liier ein Brett, und wie icb inicb uni-
dreb, greift da.s Weib aus dem Grabe danaeb und zieht mirs rein“.
— B.: Ja, ja, die bat nie genug kriegen können“.
Ein kurzer Überblick über die Ergebnisse dieser Zusammen-
stellung des .scblesi.scben Volk.sglaubens von scbildigenden Toten
möge den Ab.scbluss bilden. Der Glaube an Wiedergänger, die
Blut saugen, und an Nacbzebrer ist in ganz Seblesieu nacbzu-
weisen, wenn auch in den polnischen, lausitziscbcn und an der
bübmiscb-niäbriscben Grenze liegenden Teilen der Provinz eine
stärkere Neigung dafür unverkennbar ist. Der Glaube liegt gleicb-
inässig aus katboliscbem wie protestantischem Gebiet vor. In den
Vordergiaind des Interesses -trat er zweimal, zunächst während
der Epidemien des 16. Jahrhunderts und dann nach dem dreissig-
jährigen Kriege in Verliindung mit den Hexenverfolgungen mn die
-Mitte des 17. Jahrhunderts. Zu Wiedergängern werden alle, die
im Leben mit dem Teufel im Bunde standen, oder ihm bei ihrem
Tode verfallen sind; also Hexen und Hexenmeister, ferner Hirten,
die ja als Bauern am längsten bei der Bekehrung des Volkes
pagani blieben und denen im Mittelalter immer wieder die Reste
heidnischer Segensformeln verboten werden mussten, mit denen sic
ihre Tiere schützten, wie ja noch jetzt im Volke der Schäfer als
Wunderdoktor gilt. Zu der Teufelsschar gehören die Selbstmörder
tind die Wucherer und andere Verbrecher. Als äu.s.sere Zeichen
werden Male angegeben, ein Scherenmal am Rücken, ein Ro.senmal
am Fuss, oder die (Jeburt mit Zähnen oder das Wach.sen einer
doppelten Zahnreihe. Hier könnte man glauben, da.ss wie im
Glauben südslavischer Völker auch Unschuldige prädestiniert sein
können, Wiedergänger zu werden. Aber wenn der mit doppelter
Zahnreihe oder lang herauswachsenden Zähnen Behaftete ') oder
der, dem ein Zahn vor dem andern steht*), in Schle.sien als .Alb
oder Striga betrachtet wird, so ist das nur ein Rest des alten
Glaubens an Wechselbälger, und die Eigentümlichkeit in der Zahn-
bildung das Kennzeichen jener albischen, nimniersatten, fressenden
Wesen. So lä.sst auch Shakespeare den Unhold Richard III. mit
') Drechsler, .Sitte usw. II Nr. 545.
’) Mitteüuug eines Schülers.
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Zähnen greboren werden '). Tn Russland geht die Veranlagung
zum blutsaugenden, fressenden Menschen nach dem ülaubeii des
Volkes vom Vater auf den Sohn über. An einem solchen Menschen
sah man einst nach dem Tode seines Vaters plötzlich zwei grosse
Zähne wie Hauer aus dem Munde wachsen, er war ein Zauberer,
ein Schainan geworden, und man befreite sich von ihm, indem
man ihu mit Espenpfeilen erschoss und verbrannte*). Auch in
Frankreich kann die Kraft des Zauberers und der Fluch des Alp-
charakters auf Ihischuldige übergehen, es genügt, dass ein Kind
die Hand des sterbenden Zauberers berührt®). In der Schweiz
geht die Zaubermacht der Hexe auf das jüngste Kind über^).
Solchen Fällen von Vererbung begegnen wir in Schlesien nicht.
Auch der Zufall spielt hier nicht die Rolle wie z. B. in Bulgarien,
wo die T.,eiche, über die ein Huhn oder eine Katze springt, oder
die nicht mit öl eingerieben wurde, zum Vam))ir wird®), oder in
lö-ankreich, wo das Kind, das am Vorabend einer Schlacht ge-
boren ist, ein Alp werden mu.ss“). So fehlt auch in Schlesien der
Glaube, dass der vom Nachzehrer oder blutsaugenden Wieder-
gänger ins Grab nachgezogene nun seinei'seits zu derselben Tätig-
keit verdammt ist, wogegen wir in zwei h’ällen, in der Sage vom
Neisser Totentanz und in dem Exorzismenbuche des Olmützer
Franziskanei's den Glauben ausgesprochen linden, dass der Wieder-
gänger aus dem Grabe auch andere Tote herauszulocken veiinag.
Auf wem bereits beim Tode der Verdacht ruht, dass er Wieder-
gänger oder Nachzehrer werden könnte, bei dem beugt man vor;
er wird so gelegt, dass sein Blick die Lebenden nicht mehr treffen
kann, man füllt seinen Mund, um das Kauen zu verhindern, mit
Erde, oder man legt etwas Geweihtes hinein, denn der mehrfach
') Richard III .Vct III sc. 4: York: Marry, they say my unole grew so
fast, that he rould giiaw a crost at two hours old. — Auch bei den Kassnhen
kommt der Hexenmeister mit Zähnen auf die Welt; s. Mannhardt, Z. f. deutsche
Myth IV 259.
’) .A. Loewenstimm, .Aherglauhc und Strafrecht; übersetzt aus dem Kussi-
schen. Herlin 1897 8. 55.
•) .Alfred de Nore, t'outumes. Mythes et Traditions des Provinces de
France. Paris 1840 S 88.
‘) Staub u. Tobler, Wiirterbuch der schweizerdeutschen .Sprache; Hd. II
.Sp, 182.5 unter Hexe.
“) Adolf Strausz, Die Bulgaren, Leipzig 1898 S. 188.
*) A. de Nore, t'outumes etc. S. 88.
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erwiiliiite Lukaszettrl wird woli! nur ein Banninittel sein. Hin-
sichtlich des Treibens des Wiederpinpers und der Tätifjkeit des
Naclizehrers decken sich die schlcsLschen Berichte mit dein sonst
alljreinein vorhandenen Volk.sjflauben. Der Tote hockt auf, würgt,
und zwar bei Tage oder bei Nacht, saugt wie der Alp Milch und
Blut, verkehrt mit dem hinterlassenen Weibe; er plagt auch wie
der russische Wiedergänger das Vieh'), während der Bulgare das
mit dem Vampir eng verwandte Ungeheuer, das tags in seinem
(irabe schläft und nachts .Men.schen und Tiere plagt, anders, näm-
lich U.strel nennt*). Die Tätigkeit des Nachzehrers Ist in Schlesien
dieselbe wie anderswo. Ist die Gefährlichkeit des Toten erkannt,
der Verdacht gegen ihn von der Obrigkeit als wohlbegründet an-
erkannt, so tritt man zu einem Gericht und zur Be.strafung gegen
ihn zusammen, wie man es bei einem Lebenden tun würde. Wie
der Tote im Volksrecht als Ankläger, Zeuge, Eide.shelfer, Erbender
eine Rechtsperson sein kann, so kann er auch von der Gemeinde
angeklagt und abgeurteilt werden"); seine Seele wird eben im
Grabe als bei der Leiche gegenwärtig gedacht. Die älteste Strafe
für den schuldig. befundenen Toten i.st die Pfählnng; sie wird in
den ältesten Zeugni.ssen nicht als Strafe der Lebendigen erwähnt,
sondern als Leicheniifählung. Sie ist Strafe und Seelenabwehr
zugleich. Der Piozess wird in (icgenwart des zuständigen Gerichts,
also der Stadtobrigkeit oder des Scholzen und der Schöffen vor-
genonnnen. Mehr zur .Abwehr als im Sinne einer Strafe wird das
Enthaupten der Toten und die Veränderung der Lage des Kopfes,
den man zwischen die Beine .setzt, vorgenommen; man will durch
Zenstörung des organi.schen Zu.saniinenhanges der Könierteile dem
Tuten das Saugen und Nachzehren unmöglich machen; denselben
Sinn hat die Zerslücklnng des Körpers. Das radikalste Mittel ist
die Verbrennung. Wenn die Seele an den Ort gebunden i.st, wo
der Körjier lagert, dann muss sie frei werden, wenn die .Asche
vom Winde verweht oder vom Fluss weggetragen wird. Der
.Seele sind die Werkzeuge, mit denen sie schädigen konnte, geraubt.
Ersetzt werden diese Abwehrmassregeln durch Besegnung und
') Loewenstimm a. a. O. S. 9.ä.
•) X. StraiiBZ. Oie BulKarcii .s. 1Ü4. aus dem Bezirk von Burmas.
*) flcinr. Brunner, I'as reclitliclu- Kortleken des Toten bei den Germanen
(Dentsehe .Monatsschrift 1!K)7 Heft 7 S. 18 ff.) und Fr. Kaufmann im Archiv für
Ucligionswissenscliaft 11 (1908; 8. 1:J3.
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Exorzisnuis. Wiclitig ist der Hinweis, dass aticli im sclilesischen
Volke die Neigrung bestand, die Asclie der Scliädiger als heil-
kräftig oder zanbcrkräftig einzusaninieln. Sollen wir hier ein
(iegenstück sehen zn dem weitverbreiteten, auch in Schlesien bis
in die neueste Zeit nacliweisharen Glauben, dass das Blut Hin-
gerichteter besondere Heilkraft besitzt, oder haben wir es mit dem
Glauben zu tun, dass Totendinge, besonders Teile und ( iegenstände,
die von Verbrechern stammen, besonders glückbringend sindV
Schon Karl der Grosse verbot den Sachsen bei Todesstrafe, das
Fleisch der Strigen zu essen oder anderen zu essen zu geben ').
Zur Volkskunde im Kirchspiel Laiigeiiöls, Kreis
Laubau.
Von Pr. plül. M. Trcblin.
Durch freundliche Mitteilungen des Herrn Pastor Rudolph
und andrer ortskundiger Leute aus dem fast rein evangelischen
Kirchspiel Langenöls bin ich in der Lage, die trelflichen For-
schungen des HeiTii Professor Dr. Drechsler über „Sitte, Brauch
und Volksglauben in Schlesien“ in wenigen Punkten zu ergänzen.
Vor der Taufe legt man dem neugeborenen Kindlcin in Langen-
öls das Gesangbuch unter die Koitfkissen. Denn stirbt der Säug-
ling i)lützlich und ohne Taufe, so soll ihm das Gesangbuch die
Zugehörigkeit zum ('hristentum sichern.
Schreit ein Täufling während der Tauffeierlichkeit, so eilt die
Hebamme herbei, tunkt den Lutschpfropfen ins Taufwa.sser und
steckt ihn dem Schreihals in den Mund. Der Zweck dieser Hand-
lung ist dem Geistlichen unbekannt.
Fine im Sterben liegende Wöchnerin liess den Pastor noch
rasch zur Taufe ihres wenige Tage alten Kindes rufen. Kach dem
Volksglauben holt die tote Mutter ihr ungetauftes Kind ins Grab
bald nach.
Das Abendmahl wird selbst von Kirchlich-Gleichgültigen ge-
wünscht, wenn der Tod vor der Tür steht. Der Genuss des Herrcn-
mahls soll den Tod bannen, und es gilt besonders dann als heil-
kräftig, wenn es einem Kranken gereicht wird, nachdem mehrere
') Moll, (ii-rni. Leg. II Toro. I p. ßfi.
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Todkranke liintereinander ansdieineiul durch seine Macht gerettet
worden sind.
Bei der (irösse des Kirclispiels häufen sicli zuweilen die Amts-
handlungen. Niemals aber kann es der Geistliche bei den I.a'iiten
durchsetzen, dass eine Trauung vor einer Beerdigung stattfinde.
Es gilt als unheilvoll zu heiraten, solange ein Grab ofi'en steht.
Einem Schwerkranken legte man ein Schwalbennest unter das
Bett; das sollte seine Wiedergesundnng bewirken. Aber das Mittel
hat ebensowenig geholfen wie ein andres, das ein Quacksalber
einer todkranken Frau verordnete; Der Ehemann musste ihr am
frühen Osterniorgen die Nägel an Händen und Fü.ssen beschneiden
und diese noch vor Sonnenaufgang in einen nahen Teich werfen.
Am Silvesterabend umhüllt man die Obstbäume mit Stroh-
wi.schen. Die Bäume tragen im kommenden Jahre dann reichlich
und bleiben von Krankheiten verschont, vgl. Drechsler I 44, 11 81.
ln Gieshübel glaubt man, da.ss der Kuckuck im Herbst zum
Sperber werde (vgl. Drechsler, Mitteil. Heit XIX S. 88). Schon
mancher arme Kuckuck hat deshalb als Raubvogel sein Leben
lassen müssen!
Zum Schluss möge noch eine volkstümliche Flurnamencrklärung
angeführt werden (vgl. Mitteil. Heft XX S. SJ f.). Im Niederdorfe
von Langenöls liegen auf einer unfruchtbaren Anhöhe, die erat in
neuester Zeit gerodet wurde, mehrere ärmliche Häuser. Der Volk.s-
mund nennt sie ,Die neue Not“, und er reimt darauf; „im Sommer
kein Wasser, im Winter kein Brot''.
MüreliBii und Sagen aus Oliersclilesien.
Von Dr. I’. Drechsler in Zabrüe.
1. Adam und das Pferd.
Als Gott Adams Mühen und Schweiss bei der Erwerbung des
täglichen Brotes sah, da erbarmte es ihn. Er stieg herab und
.sprach zu ihm; .Adam, hier hast du das Pferd; es .soll dir bei
deiner Feldarbeit helfen. Aber du gibst ihm am Morgen nur ein
Korn Hafer, zu Mittag zwei Körner und am Abend wieder nur
eins''. Adam versprach es. Schnell ging ihm mit Hilfe des
Pferdes die Feldarbeit von statten. Das Tier gedieh auch recht
gut bei dem geringen Futter. .Mit der Zeit aber dachte Adam
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iiiclit inelir au das (!ott geprebcne Verspm lien und gab dem Pferde
zum Lohne für die treuen Dienstleistungen jedesmal ein Korn
mehr. Da.s Pferd wurde uidieimlicli dick und .stark, es tat, was
es wollte, und Adam konnte es nicht mehr im Joche bündigen.
Da wandte er sich in .seiner Not zu Gott. Mit strafendem Hlieke
sprach der Herr zu Adam: „Dn hast meinen Willen nicht befolgt.
Da du aber aus Mitleid so gehandelt liast, will ich dir verzeihen“.
Darauf nahm Gott sein Schwert und schlug dem Pferde an jedem
Fu.sse die Ader. Da bekam es seine frühere Gestalt und Kraft
wieder. .Eine Strafe jedoch“, sprach Gott zu Adam, ,.musst du
haben: du wirst jetzt dem Pferde so viel Fletzen Hafer geben,
wie du ihm früher Körner verabreicht hast“. Jedes Pferd hat
seitdem die Narben dieses Aderlasses an den F'nssen und muss so
viel Hafer bekommen.
2. Gott als Schuldner.
Ein Sclimied hatte sich sein ganzes Leben lang geidagt und
gearbeitet, ohne dafür Rezaldimg zu erhalten. Denn jeder, der
bei ihm etwas arbeiten Hess, sagte zum Lidme: Gott bezahls!
Als der Sclimied nicht melir recht arbeiten konnte und seine
Sclimiede sclion dem Einfallen nahe war, schloss er sie eines
Sonntags ab, legte den Schlü.s.sel unter einen Stein und machte
sicli auf den Weg zum lieben Gott. Endlicli kam er dort an und
vernahm die Frage: „Was willst du?“ „Lieber Gott“, antwortete
der Schmied, „du bi.st mein Selmldner. Alle, für die ich gearbeitet
habe, sagten mir zum Lohne: fiott bezahls' Ich bitte dich: zalile
mir jetzt“. — Freundlicli .sali ilm der liebe Gott an und reichte
ilim eine Geige. „Was soll mir die Geige?“ fragte der Schmied.
Da nahm Gott die Geige, setzte den Geigenbogen an und strich
einmal über die Saiten. Der Schmied war entzückt. Da strich
Gott zum zweitenmal über die Saiten, und der Schmied wusste
sich vor Freude kaum zu fa.ssen. „Lieber Gott“, rief er, „zwei-
mal hast du gestrichen, die Hälfte deiner Schuld schenke ich dir.
Streich noch einmal, und wir sind quitt“.
Dann suchte der Schmied seine Werk.stätte wieder auf, keine
Spur war mehr von ihr zu sehen. Der Stein war noch da, aber
über und über mit Moos bewachsen. Er hob ihn auf und fand
den Schlüs.sel, der war ganz verrostet. .Als er ihn sah, sank er
tot nieder. Es waren tausend Jahre vergangen').
') Man Vjjl. .Mitteil. Xlll .S. 77 f.
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3. Warum die Juden krumme Nasen haben.
Als die Juden mit Spiesseii anszof^en, um Jcsum zu suchen,
und ihn im Garten Gethsemane trafen, fragte er sie: Wen suchet
ihrV Sie antworteten: Jesum von Nazareth. Da erwiderte er:
Das hin ich! und sie Helen auf ilir Angesicht und schlugen sich
die Nasen krumm. Seitdem haben sie dieses Kennzeichen (Zabrze).
Geister von Kaiserberg lioantwortet die Frage in .seiner
Postille: Die Juden assen in der Wüste Kromet Vögel, dass
inen die schnebcl zu der nasen heraus hiengen').
4. Das lebendig eingemauerte Kind ^).
In Ujest .sollte an der Stelle eines ehemaligen Klo.sters ein
Armenliaus gebaut werden, aber was am Tage gearbeitet worden
war, wurde nachts von unsichtbarer Hand zerstört. Einige
Burschen gaben um .Mitternaclit acht und sahen einen Wagen mit
.schwarzen Pferden Vorfahren, worin eine schwarzverhüllte Dame
sa.ss. Mit dem Kreuzzeichen wurden die Pferde aufgehalten, und
die Dame gab auf die Frfigen der Burschen die Antwort, wenn
das Haus stehen bleiben solle, so mü.sse eine Mutter ihr kleines
Kind lebendig einmauern lassen. T,ange fand sich niemand, end-
lich gab eine .Magd namens Janetzki ihr einige Monate altes Kind
gegen eine hohe Geldsumme her. Als die Fü.sschcn schon ein-
gemauert waren, Hng das Kind zu reden an und fragte: Was ist
weicher als Flaum, was ist süsser als Zucker, und was ist härter
als Stein? — Es galt sich selb.st die Antwort: Weicher als Flaum
ist der Mutter Scho.ss, süsser als Zucker ist der Mutter Brust,
und härter als Stein ist meiner .Mutter Herz.
5. Die goldene Ente zu Tost.
Unter dem alten Schlosse zu Tost liegen Schätze, besonders
eine goldene Ente. .Man hat aber trotz eifrigster Nachforschung
nichts Hilden können. Einmal hüteten im Schlosshofe zwei Knaben
die Ziegen. Der eine stieg durch ein Loch in den Keller, sah
eine schwarze Katze und schlug nach ihr. Da verwandelte sie
sich in eine zi.schende Schlange, vor der er eiNchreckt flüchtete.
') Vielleicht regen diese .Antworten aus dem Ui. und 20. .Ih. zu weiterer
forschung und Krgünzung an.
’j Vgl. Liebreclit, Zur Volkskunde S. 2S4 IT. , wo andere Literatur ver-
zeichnet ist, und Drechsler, Sitte, liraueh II 1, wo nur Tieropfer erwähnt sind.
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Als er es dem andern Knaben erzählte, versnchte dieser liinab-
znsteigen nnd hörte eine Stimme: Nicht eher wird der Schatz ge-
hoben, als bis eine Kuh zwei schwarze Stiere zur Welt ge-
bracht hat ').
6. Die Seele ale weiseleuchtendee Heu.
Ein junger Bursche aus Antonienhütte verkehrte mit einem
-Mädchen aus Haleniba. Das verbot ihm seine Mutter und starb.
Als der Bursche eines .Abends wieder zn dem Mädchen ging, er-
blickte er vor sich einen Haufen Heu, das ganz .schneeweiss
leuchtete: es stellte sich ihm rechts und links in den Weg. Er
sprang darüber, aber es verfolgte ihn bis in die Wohnung des
Mädchens und blieb dort am Fenster, ohne dass es jemand anders
sehen konnte. Auch auf dem Rückwege wurde er verfolgt, .so
dxss er krank wurde und erst genas, als ei' den Umgang mit dem
Mädchen für immer veischworen hatte.
7. Oie Ottern und der OtternkSnig *).
In Zabrze .steht hinter den Familienhäu.sern der Concordia-
Grube an der alten Beuthener Stra.s.se ein Bildstock im Schatten
von drei Kastanien. Von diesem Orte erzählen alte Leute folgendes:
l'Vüher stand am Beuthener Was.ser dichter Wald. Mitten
im Grünen lag eine kleine Mühle. Da kam einmal ein Müller-
geselle auf seiner Wanderschaft hierher. Er bemerkte mit Er-
staunen, dass eine Unzahl von Ottern ganz ungestört in Küche
und Stuben umherkroch. Sofort erbot er sich, das Gehöft von
dem Ungeziefer zu reinigen. Der alte Müller war zuei’st gar
nicht damit einverstanden. Die Tiere taten ihm nichts, und .sein
jüng.stes Kind hatte seine helle Freude, wenn eine kleine Otter
zahm herankam und mit aus dem Milchnapfe Milch und Graupe
schleckerte. Als einmal das Tier gar nicht von der Milch lie.ss,
da gab das Kind der Otter mit dem Löftel eins auf den Kopf
und sagte: „Graupe auch, nicht immer Milch!“
Während der Müller noch überlegte, da sprach der Gc.selle
immer eifriger auf ihn ein. Schliesslich willigte der Müller ein.
Da fragte der Geselle noch, ob auch der Otterkönig hier sei.
Nein! war die Antwort. Jetzt zog er eine Flöte aus seiner Tasche
') rnischreibunfi für niemals.
») V)jl. Drechsler a. n. O. II 181 f.
MitUUiiiigen d. sohlet». Gos. f. Vkfie Heft XXI. *
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lind blies darauf. So pfeifend p;ing er über das Beuthener Wasser
und die Anhöhe hinauf, es drängrten sich hinter ihm in langem
Zuge die Ottern, die ihre Schlupfwinkel in dem Gehöfte verlas.scn
hatten. Schon hatte der kecke Geselle eine tiefe Grube gegraben,
um die Ottern zu versenken, da eilte plötzlich der Ottemkönig
mit blitzendem Krönlein auf dem Kopfe herbei und erwürgte ihn.
Die Grube wurde sein Grab; mitleidige Leute setzten ihm die.sen
Bildstock.
Andere erzählten, mit dem Bild.stock habe es folgende Be-
wandtnis: Der Müller hatte dem Otterukönige das übliche Opfer
an Milch entzogen; erbost hierüber soll er den Müller verfolgt
und an dieser Stelle erdrosselt liaben.
8. Oie erzürnte Wasserjungfer').
Wenn man auf der Stra.sse von Zabrze nach Biskupitz geht,
sieht man rechts einen gro.ssen Teich und davor eine Wasser-
haltungsmaschine. Vor Zeiten, als hier noch dichter Wald stund,
da lebte dort ein einsames Ehejiaar. Neben ihrem kleinen Häus-
chen w'ar ein Brunnen. Darin lebte eine fromme Wasserjungfrau.
Es schmerzte sie sehr, wenn sie die grausigen Pluchworte des
Ehepaares vernahm. Als wieder einmal der Mann in seinem Zorn
schrecklich fluchte, da schwur die Wasserjungfer Rache. Mitten
in der Nacht erregte sie die innersten Tiefen des Brunnens. Un-
aufliörlich quoll das Wasser empor und vergrub im Tale alles,
das Häuschen mit den Leuten, den Stall mit seinen Bewohnern.
Seitdem ist da ein gros.ser Teich.
Wenn jemand in dem Teiche badet und w'ird von dem Strudel
— die oben erwähnte Wasserhaltiing.sinascliine hat in der .Mitte
des Teiches das Saugrolir liegen — in die Tiefe gezogen, dann
raunen sich noch heute die Leute zu: Und die Wa.sserjungfer i.st
immer noch nicht befriedigt.
') Drechsler a. a. O. II Ki8.
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Scherz- und Ernsthaftes
fther besondere Zusamniensetznngen mit aus-
iind be- im Schlesischen.
Von Pr. P. Drechsler in Zabrze
Der praktische Arzt Dr. X. hat den Titel Saiiitiitsrat erhalten.
V^oller Stolz über diese Hangerhöhungr peht Frau Saiiitiitsrat auf
den Wochenmarkt und wundert sich, dass die Leute ihr nicht mit
trrö.s.serer Hochachfiinj? hegcfifnen als vordem. Wie gar die getirre
(iemüsefrau sie in herkümmlicher Weise übereifrig begrüsst: ,(»u‘n
■Morgen, Frau Dokfrn! Salhite gefällig, Frau Dokt'rn? oder hüb.sche
Maern' (.Mohren), Frau Dokt’rn?“ da braust I'Yau Sanitätsrat ent-
rüstet auf: „Ach was! ’s hat sich ausgedoktert“. — Darauf
die Gemüsefrau bedauernd: „Je, je, Frau Dokt’rn — is-d'r Herr
Dok'tr tut?“ — —
Es hat sich ausgedoktert bedeutet: es ist mit dem Doktor
zu Ende, was Frau X. auf den Titel, die (iemüsefrau auf das
leibliche Lelien, die Existenz des Doktors bezieht. —
Der Kanzleirat Schneider beschwichtigt seine eifersüchtige
Ehehälfte Gustel, die ihm ohne (.Jrund Vorwürfe macht, dass „a,
wie ma soat, näberm Weige ging“ :
„Aber, (iustel — — “
„ü, es hat sich ausgegustelt. Geh doch zu deiner Dulci-
nea. — Geh doch zu ihr. — ach! — ich arme Hetrogene!“
Heinzei, A lustiger Bruder. S. 14.
Es hat sich ausgegustelt: für dich existiert eine Gu.stel
nicht mehr. — Ähnlich:
„Hä, Jungefro, wie wärsch denn — ?“ — „Och, bei mir
hot sichs ausgejungefrot“: ich bin keine junge Frau mehr.
Regnal, Schlesi.sche Teufeleien. S. 14.
„Gib mir ein Gold.stück!“ — „Ach, es hat sich ausgegold-
stückt: mit den Goldstücken ist es zu Ende.
Diese mit dem betonten Adverb aus und einem Substantiv
gebildeten Verben kommen nur unpersönlich und reflexiv vor,
auch in anderen Zeitformen. So konnte Frau Kanzleirat Schneider
auch sagen: ’s wird sich bald ausgusteln: die Gustel wird
für dich bald nicht mehr existieiTii, sie wird dich Treulosen ver-
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lassen. — Es wird sich bald aushürg:ernu‘istern könnte man
in bezup auf einen Bürgermeister supen, der sein Amt bald ver-
lieren, der nicht wiedergewählt werden wird. Gebräuchlicher aber
ist das zweite Futurum: es wird sieh bald ausgegustelt, aus-
gebürgermeistert haben.
Dieses volkstümliche aus bezeichnet, wie in den Wendungen;
das Theater (die Aufführung), die Kirche (der Gottesdienst), die
Schule (der Unterricht) ist aus, die Beendigung, den Abschluss
einer Tätigkeit, allerdings in ganz freier Auffassung. So ist die
Tätigkeit des Doktoi-s im Volksmunde das Doktern: er doktert,
die der Gustel gewissermassen das Gusteln: sie gustelt, usw. —
Seltener begegnet der j)ersönliche Gebrauch dieser Zusammen-
setzungen: er hat ausgedoktert, ist nicht mehr Dokter, sie hat
au-sgegustelt, ist nicht mehr (seine) Gustel.
Dagegen ist dieser Gebrauch gewöhnlich, wenn das aus in
Verbindung mit Verben das Ende der Tätigkeit bezeichnet:
Man wei.ss wohl, dass .sein Pferd
So wie sein ganzer Staat den Gläubigern gehört.
— So hat er ausgeiirahlt. Stopi)e, Parnass S. 2(50,
d. h. .sein Prahlen i.st nun zu Ende. — Aushaben, dms Ende
haben, zu Ende sein; wenn lieber kommt, dann hat, wer lieb war,
aus. A. Gryphius, Card. Cel. 4, 48.
Er hat ausgemaclit sagt man bei einem Spiele, z. B. beim
Domino oder Billard, von dem, der das Spiel beendet hat; er hat
ausgetanzt: hat aufgehört zu tanzen. Auch reflexiv? ich habe
mich mich wieder einmal (für lange Zeit) ordentlich ausgetanzt,
ich habe in mir das Verlangen zu tanzen (l)eendef) gestillt; die
Wolke hat sich tüchtig ausgeregnet: dem Regnen ein Ende ge-
macht; vgl. es liat endlich ausgeregnet.
Die zweite gewöhnliche Grundbedeutung des aus: von innen
heraus, hervor bietet Stopjie in einem anderen ausregnen: Man
.sann vergebens nacii, bis endlich Bustabur, der Stadt Astronomus,
aus dem (iestirn erfulir, es hätte diesmal hier Jungfern au.s-
geregnet, d. h. vom Himmel liernnter. —
Sehr beliebt sind im Schlcsisclicn verbale Zusammen-
setzungen mit der untrennbaren Partikel be-. Dies ist die ver-
kürzte Form von altem bi, bei, und setzt die Tätigkeit des Verbs
in vollendeter Beziehung zum Objekt, Peisjon (aler Sache. Die
Verbalbildung erfolgt durch Zusammen.setzung des be- 1. mit Sub-
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stantiven: einen bealben, wie ein Alb belästigen, einen be-
muttern, wie eine Mutter behandeln, versorgen, begaunern,
wie ein Gauner mit einem verfahren, ihn betrügen; 2. mit Verben;
einen bekochen, l)ewaschen, beflicken, bereinigen, be-
stricken, jemand durch Kochen, Waschen, Flicken, Reinemachen,
Stricken bedienen, in der Richtung der Tätigkeit für ihn sorgen;
einen begützeln, begitscheln, ihn durch Aufmerksamkeit,
Zärtlichkeit, Liebkosung gewinnen, günstig stimmen, vgl. oberi)fälz.
bekätzen, bekutzen sich um einen: sich mit jemandem befassen,
um ihn bekümmeni, Frequentativbildung zu gitzen, kitzen: be-
lästigen, plagen, Weinhold Wbch. 43 b; einen beliumszen, be-
nachteiligen, übenorteilen, vgl. bair. hams.sen, zu behammeln, ahd.
hamalön mutilare? Grimm, DWbch I 1325. — Bekochlöffeln,
überlegen, erwägen; itzc thoat sich der Mecster die ganze Kunst
vu vurne und vu hingen bekoochlöfteln. Oderwald, Schiäsche
Pauerbissen S. 8,ö; ich werde die Sache beköchlötfeln (allg.) hängt
nicht mit dem Substantiv Kochlöffel zusammen, sondern scheint
(in Anlehnung an Kochlöffel) Weiterlüldung aus begucken zu sein.
Verben mit dom Präfix be- werden auch reflexiv gebraucht:
sich bemaclien, .sich betun, sich bekackcn, sich bekotzen,
sich begatschkern, sich durch Regiessen beim Trinken, Wasclien,
überhaupt Hantieren mit einer Flüssigkeit beschmutzen, sich be-
kleckern, sich mit Schmutzklecksen besudeln, sich beklunkern,
sich am Blech (Kleidsaume) oder Hosenraiide (der Borte) be-
schmutzen, sich bell essen, .sich bis an die Kniekehle (vgl. Hesse
f. Kniestück der Schinken oder Keulen, ahd. halisa, mhd. hahse,
heh.se) beschmutzen, sich be kaufen, sicli beim Kaufen verrechnen,
selbst schädigen: na, der hat .sicli hipsch bekauft!
3. be- tritt auch vor Adjektive: betul icli (zu: sich betun
um einen, sich freundlich, liebevoll um einen bemühen), sich um
einen bemühend, schmeichlerisch, sorgsam, freundlich, dienst-
fertig; sei Weib, die betuliche Wirtin. Holtei S. 67; se woar
betulich und gemittlich wer wee.ss wie; ähnlich betusam: be-
wuschpert, bewusclibert, 1) einschmeichelnd, zärtlicli, 2) be-
hende, auch oberlaus.: sie ist betu.sam und bewuschpert (Graf-
schaft); das gefirre bewuschperte Züngel. Heinzei, Richel, S. 4ö;
bewusch]iertes Schnapscl (Hund, mit Ansjiielung an Wu.schper,
verbreiteti'r Hundename wie Flink), zu wispern, wuspern,
1) zärtlich flüstern, 2) rasch und leicht hinschlüpfeu.
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Eine besondere Rolle spielt die Partikel be- iin Sclilesisehen
bei einer Drohung:, Ablehnung:, Zurückweisung:. Wenn jemand
irgend etwas tut oder sag:t und man droht dem Betreffenden,
weist ihn ab oder verwahrt sich, dann nimmt der Schlesier das
Wort, den Ausdruck, worauf der Ton lieg:t, auf, .setzt ihm be-
vor und gibt cs in kühner Infinitivbildung drohend, abweisend
oder sich verwahrend, gewöhnlich mit der Einleitung; Ich werde
dich (gleich) be . . . zurück.
Erst heute vernahm ich; „Was, Sie wollen die (gemeint war;
schmutzige) Windel nehnienV! — Ich werde Sie gleich bewin-
deln!“ — Neulich ging ich an einer Schmiede vorbei und hörte,
wie der „Liehrjiinge“ den Meister fragte: „Mest'r, sull ich de Nägel
feilen?“ Der Meister drohte: „Du, ich war dich glei bcfeilen!“
Auf den Lehrling wirkte die drohende Zurechtweisung: Ich werde
dir gleich für deine Dummheit, dass du die Nägel abfeilen willst,
paare geben! ebenso wie weiland bei Vergil auf die Winde das
Quo.sego — aus dem Munde Poseidons.
„De Male hoafs Harze uf dar ärschliga Seite“, entfuhr es
einmal dem Willem. Der Duste fing die Rede ab und erklärte:
„Ich wär.sch’r .schunt auf die rechte Seite schärgen“, worauf
ihn der Willem anknurrte: „Ich war dich beschärgen“ und .die
Fäuste ballte. Regnal, Schlesi.sche Teufeleien S. 130. — -Dar
Schwiegervoater'“ meinte Willem. „Ich war dich beschwieger-
voatern!“ knurrte ihn der Guste an.
„Karlindel“, ineenfe der Gru.ssmonn-Schneider zu Seiner, „ich
war nich beim Dukter, ich hab a Heildiener Schulz getroffen, där
meinte, das mi.s.sf ich nich auf die leichte Achsel nehm’, der hie-
sige Dukter kinnt’ mer.sch i'das Ohrleiden) er.scht verkootschen
(verpfuschen), ich seilte lieber glei zu anner Kuinpabletät (Ka-
pazität!) na Berlin fahren, sonste da — Weiter koam a nich.
„Ich war dich bekumpabletäten“, schrieg ,se, „do.ss de de
Latschen verlienscht!“ Oderwald, Schiäsche Pauerb. S. 72.
„Muttel“, .soate de Hanndel, „’s konn doch nicht Schinnerscli
gäben als wie awing de Welt sahn!“ De Mutter setzt ihr glei
an Dämpfer uf. Se stemmte de Orme ei de Seeten, doss se aus-
soag (aus.sah) wie a Bun.scheltupp (Bnnzlauer Tojif) mit zwee
Henkeln, und .soate: „Ich wär dich bcweltsahn!“ —
„.Morgen!“ „Ich werde dich gleich bemorgen!“ droht man
einem, der etwas auf morgen verschieben will. — „Ich mag nicht!“
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„Ich werde dich gleich bemagen!“ — „Mutter, ist das mein?“
„Ich werde dich beraeinen!“ —
Für die Zusammensetzung des be- mit Fremdwörtern bietet
Jäschke in Wort und Brauch 2. Heft: Lateinisch - romanisches
Fremdwörterbuch der schlesischen Mundart. 1908 zahlreiche Be-
lege, z. B. begrattelirn, bejudizini, bekompelmentim, bekuzen, be-
molestijen, beopselwirn, beräsenirn, betexen S. 16, wozu noch viele
andere kommen.
Diese in Schlesien alltägliche Verwendung des be- findet sich
auch in Comödien von dem Sach.seu Christian Felix Wcisse
(1726—1804), dem Leipziger Studiengenossen Lessings. Adelung
führt daraus an:
Es ist der Herr von Liebreich, du weisst nicht, was du tu.st.
Jobst. Ich will dich und ihn beliebreiclien.
Sie behauptet, sie sei die Frau Junkern. Aber ich will sie be-
junkern, dass sie an mich denken soll. So findet sich: bebestien,
bedeinen, beexcellenzen, beflachsen, beficgeln u. a. m., alles Wort-
foi-men, die hier zu Lande auch begegnen könnten. Grimm fügt
Dwbch I 1203 bei: Es ist kein Grund da, dergleichen Scherz nur
in „die niedrigen Sprecharten“ zu verweisen. Grimm kannte, da
ihm Weinholds Sammlungen dafür keine Belege boten, die leben-
dige und ausgedehnte Verwendung des be- im Schlesischen nicht;
sonst würde er sie nicht bloss als Scherz bezeichnet haben.
Ich kann aus der mir zu Gebote .stehenden Literatur leider
nicht feshstellen, wie weit aus- und be- in anderen Mundarten
etwa ähnliche Verbindungen eingeht.
Was die Grossmutter singt.
Von Dr. K. Olbrich.
Eine mir freundlich zur Verfügung gestellte Sammlung schle-
sischer Volkslieder gibt das wieder, was, wenn auch mit ver-
mindertem Gedächtnis, eine hochbetagte Frau in Breslau noch
heute still vor sich hinzusingen pflegt. Im folgenden werden
einige Proben daraus mitgeteilt, die auch weitere Kreise interes-
sieren und zu ähnlichen Sammlungen anregen dürften. Massgebend
für die Auswahl war der Grundsatz, alles sichtlich aus gedruckten
Liederbüchern übernommene auszuscheiden und so nui‘ echtes
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Volksgut zu bieton. Fast alle berichten von der Liebe Leid, von
Eitelkeit und Leichtsinn lebenslustiger Mägdlein, von ihrer bitteren
Not, von ewiger Treue und falscher Liebe, vom Sterben am ge-
brochenen Herzen und grausamen Mord aus Eifersucht oder Ver-
zweiflung.
Da taucht in seltsamer Verkürzung die uralte Märe vom
„Ritter und der Magd“ auf;
„Es spielt ein Ritter mit einer Magd.
Sie spielten, ei, so lange —
Sie spielten sieben ganze Jahr’
Da ward dem Mädchen bange . . .“
Umsonst sucht der Verführer die verzweifelnde Entehrte zu
trösten: seinen Reitknecht soll sie heiraten, dreihundert Reichs-
taler .will er ihr dann als Brautge.schenk geben — sie hört nicht
auf ihn, sondern eilt zu ihrer Herzmutter, all ihr Leid zu klagen.
Im Kämmerlein verschlossen, bittet sie Gott um Hilfe in ihrem
Elend und Jammer . . . Damit bricht das Lied plötzlich ab. —
Ist cs hier der kecke adelige Verführer, der das Mädchen ins Un-
glück stürzte, so zeigt das alte „Schaniperlied“ von der „Schenk-
dirne“ oder dem „Schwabentöchterlein“, wie Eitelkeit und Ver-
gnügungslust eine Bauerntochter in Sünde und Schande geraten lassen ;
,Es war einmal ein Mädchen stolz,
Die wollte nicht mehr dienen,
Sic wollte einen Mantel han,
Die Schuh’ mit schmalen Kiemen . . .“
Es duldet die Genus.slüsterne nicht mehr auf dem Dorfe, sie
inu.ss hinein in die geheimnisvoll mit ihren Freuden lockende
Gro.s.sstadt, die das unerfahrene Mädchen anzieht, wie das Lampen-
licht die Motte. Aber in der Stadt hei.sst es, das zum Luxus
nötige Geld sich verdienen — und bald sitzt sie beim Kaufmann in
der Hinterstube, drei dreistlüsterne Gesellen holen sie an ihren
Tisch, setzen ihr mit Zutrinken und Handgreiflichkeiten zu und
würfeln schliesslich aus, wem sie für die Nacht gehören soll —
das alte Ende vom Liede! Das Lied bricht hier ab, es kennt
nicht den in anderen Fassungen angefügten Schluss, wie der
Bruder^sie in „der engen Gassen“ findet und durch schnelle. Ver-
heiratung vor völligem Versinken im Morast der Gro.ssstadt rettet.
Ein trauriges Stück auch moderner Sittenge.schichtc im Volksliede'
Von einer verlas.senen Verführten singt ein anderes Lied im
Tone weichelegischer Klage. Es ist, wie man leicht nachweLsen
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kann, fast völlig aus anderen Liedern ziisammengestoppelt — und
trotzdem macht es einen einheitlichen Eindruck, ja es wirkt mit
seiner still entsagenden Wehmut ergreifend:
,In meines Vaters Harten
Da steht ein Lindenbaum.
Darunter muss ich warten
Bis mein llerzliebster kommt.
Der Himmel ist so trübe,
Scheint weder Mond noch Stern,
Der Jüngling, den ich liebe.
Der ist in weiter Fern’.
Ich sitz in meiner Kammer.
Beweine meinen Schmerz.
Allein cs ist geschehen,
Der Kummer bricht mein Herz,
Und dass im Waid so dunkel ist.
Das macht das grüne Laub, —
Dass du, mein Schatz, mir untreu bist.
Das hätt' ich nie geglaubt! — —
Ach, hätten meine Augen
Dich Jüngling, nie gesehn,
Da könnt' ich froh und heiter
Noch bei den andern stehn“.
Beim Kosen, versteckt im dichten Grün, .schwur er ihr cin.st
Treue, ehe er hinaiuszog in die Perne — nun sitzt sie, während
die andern Mädchen am Brunnen stehen und scherzen, in düsterer
Nacht unter dem Lindenbaum oder in einsamer Kammer und hairt
weinend des Treulosen . . . Derbere Tone schlägt ein Oderschiffei'-
lied an, dtus, soweit ich sehe, noch nicht gedruckt ist. Pis entlehnt
der allbekannten „Nonnenmäre“ den Eingang:
„Stand ich auf hohem Berge
Fnd sah ins tiefe Tal.
Sich, da kam ein junger Schiffer
(iesegeit daher!“
Bald hat .sie sich dem Burschen ergeben, der ihr lieber ist,
als „andre drei und vier“. Mit „gekräuseltem Haare“ geht sie
mit ihm oft zum Tanze. PT'eilich bekommt sie dafür „einen
schlimmen Lohn“, den der Reim auf dieses Wort ausdrückt. Sic
verwünscht nun ihr Leiien, macht ihrer Mutter Vorwürfe, dass sie
sie nicht besser beschützte, nnd wünscht, sie hätte sich früher in
die Oder gestürzt, um „als unschuldiges Blut“ zu sterben. —
Plin traurigeres Plnde nimmt Liebe und Verführung in einer
sogar in dojipelter PVissung vorliegenden Ballade, die, wie bereits
Hotl'mann von Fallersleben in seinen „Schlesischen Volksliedern“
bericlitet, besonders in der Grafschaft Glatz weit verbreitet ist:
„Es ging seil ein verliebtes Paar
Im grünen Wald spazieren . . .“
Der kecke Jäger hat im Walde.sdunkeln das schöne Mädclien
verführt. Bald zeigen sich die Folgen, und „damit die Schand'
nicht grö.sser ward und alles blieb' verschwiegen“, lockt er sic
abennals in den grünen Wald, ersticht sie und stirbt .selbst auf
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ihrer Leiche. Erst nacli mehreren Jahren führen die Vögel, die
„weit und breit um sie geflogen kamen“, die Auffindung der
Leiclien herbei. Die andere Fassung aber klingt, wie auch eine
Variante des Liedes bei Hotfmann, legendenhaft aus;
,Sic waren noch so frisch und schön
Ganz unversehrt geblieben !•“
So deutet die weiterdichtende Volksphanta.sie leise an, dass
der Himmel ihnen verziehen hat, und webt, wie Goethe in den
Wahlverwandtschaften um Ottiliens Leiche, um ihr Grab sogar den
Schimmer der Heiligkeit. Aus dieser Sympathie des Volkes mit
den unglücklichen Liebenden möchte man fast schliessen, dass
unsere Ballade eines jener Gedichte ist, wo Hartherzigkeit der
Verwandten und Standesvorurteile das Paar in Schande und
schliesslich in den Tod treiben. In die.sen Kreis gehört auch
wahrscheinlich „der treue Husar“. Während er im fernen Lande
ficht, wird sein Lieb daheim schwer krank, „die Krankheit nahm
kein Ende mehr“. Sofort verlässt er sein Regiment und eilt in
die Heimat, aber er trilft sie bereits sterbend an, „denn sie war
kalt und nicht mehr warm“. Aber ans dem bitteren Schmerz
ratt't er sicli auf, ein stolzes Begräbnis als echte Soldatenbraut
soll sie wenigstens haben:
,\Vü nchm ich nun die Träger her?
Zwölf Bauern sind zu ordinär!
Ja, zwölf Husaren mfissen's sein,
Die tragen mir mein Liebchen fein“.
Nach dem Begräbnis aber zieht er wieder von dannen, und
„sein Trauern nimmt kein Ende mehr“. Deutlich erkennt man,
trotzdem das Lied stark zersungen i.st, noch den alten Kern: Die
Tochter des reichen Bauern wird zur Geldheirat gezwungen, sie
kann aber den schmucken Krieger nicht vergessen und siecht im
Gram über ihr vernichtetes Lebensglück dahin.
Eine weitere Gruppe bilden jene liieder, die den nach langer
Zeit aus der Fremde Heimkelirenden die Geliebte als Frau eines
anderen wiederfinden hissen. Wehmütig schmerzliche Enttäuschung
spi'icht aus dem .stellenweise stark sentimentalen
„Müde kehrt ein W'andersmann zurück
Nach der Heimat seiner Jugend Glück“.
Freudig eilt er zu des Liebchens Haus, doch vorher kauft er
für sie in der Gärtnerei ein Sträusslein. Aber die Gärtnersfrau
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bindet ihm die Rosen unter bitteren Tränen; denn sie hat in
dein Fremden den einst Geliebten erkannt, der ihr auch in der
Ferne treu blieb, während sie ihn verjjass. Auch er erkennt sie,
aber entsagend zieht er, mit dem Strausse als letztem Andenken,
wieder in die Welt hinaus. Grimmiger äussert sich Enttäuschung
und Zorn des „eifersüchtigen Knaben“ in dem allbekannten:
,\V'a8 kann uns denn schöner erfreuen,
Ala wenn der Sommer angcht,
Da blühen die Kosen im Maien.
Soldaten marschieren ins Feld“.
Allzulange hat sich der Soldat, sein Versprechen verge.ssend,
in der Welt lierumgetrieben; jetzt kehrt er heim und will sein
„feins Mädel“, wie einst, freudig begrü.ssen, doch hart tiint ihm
entgegen: ^Ich darf dir ja nimmer gefallen,
Ich habe ja schon einen Mann“.
Da überwältigt den Heissblütigen die Wut, er zieht sein
.scharfes Messer und stösst es ihr tief ins Herz.
Bei weitem das interes.santeste Soldaten- und Liebeslied in
der Sammlung aber ist „der Deserteur“, interes.sant schon deshalb,
weil das Lied aus Würzburg stammt, und angeblich an einen
wirklichen Vorfall aus dem Jahre 1818 in dieser Stadt anknüpft,
in Schle.sien aber, eingewandert, sich an das in Bre.slau gar-
ni.sonierende Kürassierregiment anpa.sste. In den Sammlungen
schlesischer Volkslieder ist es noch nicht verzeichnet. Noch melir
Bedeutung aber gewinnt die Ballade dadurch, dass ihre Grundlage
ein Rechtsaltertum bildet, nämlich die Sitte, da.ss ein Verurteilter
vom Tode gerettet werden kann, wenn eine Jungfer erklärt, ihn
heiraten zu wollen. So bittet hier das von ihm verführte Mädchen
den Deserteur im letzten Augenblicke vom Tode los:
Ks wiir einmal ein Kuufmannssohn
Dem König von l’reusscn dient er schon.
Er bildte sich ein. Er würde bald sein Offizier!
Der junge Mann mu.sste brav exerziern,
Er macht sich fertig zum De-sertiern
Zum .\bmarsebiern. Zum Desertiern Bei Nacht.
l'nd wie er nun über das .Stadttor kam.
Begegnet ihm der Herr Schandarni.
, Wohin. Kamerad. .-Ms junger Soldat So spat?“
„Ich bin sen ein Bresl.auer Kürassier.
Ich liebe ein Mädchen nicht weit hier —
Dorthin steht mein Sinn, Da muss ich hin Bei der Nacht!“
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„Rist du deiiii «in Breslauer Kürassier,
äo kebr nun wieder zurück mit mir.
Zurück mit mir In dein tjuartier! Arretiert!“
l'nd wie er nun wieder ins Regiment kam.
Fing alles zu schreien, zu lachen an:
„AVuher, Kamerad, Als juTiger Soldat So früh!“
Der Oberst, das war ein sehr zorniger Mann;
„VV’as fang’ ich mit diesem Soldaten an:
Die Haft als .Strafe ist zu klein,
Der Mann, der muss erschossen sein! Ohn’ (inad!“
Er wurde gebunden in Randen und Ketten,
llinausgeführt zu seiner (irabstätten.
Entblösst sich die Brust; „Schiesst zu nur mit Dust!“ — „Halt ein!“
Da kam sen ein Miidchen, das weinte gar sehr,
Sic bat wohl um den Deserteur:
„Er hat mir gcraubet mein Ehr und mein .‘>tolz
Dort draussen in dem Tannenholz Bei der Nacht!“
„Hat er dir gerauhet dein Ehr und dein Stolz
Dort draussen in dem Tannenholz.
So geh ich dir mein Ehrenwort drein;
Der Mann darf nicht erschossen sein!“ l’ardon!
Aus dem für den Soldateii.stand befjcLstcrtcn Kaufmanns-sohn
in Würzburg, der dem Könige von Bayern al.s Reiter.sinann dienen
will und mit , Stiefel und Sporn, Karabiner, Pistoln“ wohl „ein-
mimtiert“, dem Obersten von Wallemsteiu vorge.stellt wird, i.st ein
Freiwilliger beim schlesischen Küra.ssierregiment geworden, aber
die Erlebni.sse sind die.selben geblieben. So ist es nicht nur das
singbare volkstümliche Kunstlied, das, überall eingebürgert, allen
deutschen Stämmen gemeinsam ist, .sondern auch die namenlose
Volksmäre wandert von West nach Ost, vom Süden nach dem
Norden, wurzelt, sich anpassend, schnell im neuen Boden ein und
wird schlie-sslich Gemeingut aller Stämme.
ln den meisten Liedern tritt als Flickwörtclien immer wieder
„sen“ auf.
„Es ging sen ein verliebtes Paar“ . . .
„Ich bin scii ein preussischcr Kürassier“ . . .
Solche Flickwörter sind als Eigentümlichkeit der Volkslieder
bereits bekannt; .so erwähnt Boehme: „Volkstümliche Lieder usw.“
S. 197 gelegentlich, da.ss im Westen Deutschlands „es“ als Füll-
wort beliebt ist:
„und soll ich nicht erlangen,
was mir cs liegt im Sinn“.
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In Hoffmanns scliU'sisrliPn Volksliedcni fand ich bisweilen
„sich“ in dieser Art verwendet:
,wo wird sieb dein Vater, der Maurer, sein“. (Xo. 130, 4 d. u. a.).
Ein Kenner der Grafschaft Glatz teilte mir mit, dass dort
„se“ oder „sen“ für die Volkslieder typisch ist; z. B. sin"t ein
Maurer und Poet dazu in Gebersdorf:
„X'u schau sc, mei Madel.
X'u schau se mal recht.
Bin ich nicht ein schöner Bauernknecht“.
Wie mir Profe.ssor Siebs mitteilt, ist in schwäbischen Landen
(und auch in fränki.schen Gegenden) allgemein üblich, ein ’s ein-
ziifiigen (vgl. .Mitt. XI 16, XX 108); be.soiulers bei Soldatenliedern
ist es auffällig, z. B. singt man :
„t’nd mach's mir einen Specksalat
Für mich und meinen Schatz!“
oder: ..Siegreich woll'n wir’s Frankreich schl.agen,
sterben als ein Held‘‘.
Eine nähere rntersiicliung über Ursprung, Poim und Verbrei-
tung dieser Flickwörter wäre wünschenswert. —
Nachweis der bisher gedruckten Texte der Lieder in Erck
und Boehmes Liederhort und in Hoffmann von Fallersleben und
Ern.st Ricliters „Schlesi.schen Volksliedern“.
Ritter und .Magd. E. u. B. I S. 695 Nr. 110 ff. Hoffmann
S. 9 Nr. 4.
Die Schenkdirne. E. u. B. I S. 425, Nr. 119. Hoffmann
S. 116, Nr. 92.
Die Verlassene. Zusammengesungen, in die.ser Passung
noch nicht aufgezeichnet. Zur letzten Strophe vgl. E. u. B. II
S. 512 Nr. 709 h.
Oderschifferlied. Noch nicht aufgezeichnet. Zur Ein-
leitungs.strophe vgl. E. u. B. 1 89 a, Hoffmann Nr. 127 f.; die letzte
Strophe ist gleich E. u. B. II S. 516 Nr. 714, womit zu vergleichen
Nr. 714 c Str. 7. —
Meuchelmord der Geliebten. E. u. B. I, S. 180 Nr. 52.
Hoffmann Nr. 68.
Der treue Husar. E. u. B. I S. 629 Nr. 96. Hoffmann
S. 281 Nr. 269 (zu Str. 6 vgl. S. 187 „der verwundete Knabe“).
Die Gärtnerfrau. E. u. B. II S. 4(>9 Nr. 672; fehlt bei
Hoffmann.
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Der eifersüchtige Knabe. E. u. B. I 16.3 Nr. 48; Hoff-
mami S. 264 Nr. 229; vgl. auch Wunderhorn (a. X. 1808) II S. 17.
Der Deserteur. E. u. B. III Nr. 1398; fehlt bei Hotfmaim.
Ostergicssen auf Schloss Lubowitz 1804.
Von ür. K. Olbrich.
Eine prächtige Schilderung, wie das „Ostergicssen“ auf einem
schlesischen Herrensitz vor 100 .Tahren von Jung und Alt, Hoch
und Niedrig lustig, inutwillig und mit Nachdruck geübt wurde,
finden wir in Eichendorfl's Tagebuchaufzeichnungen, die in der
Au.sgabe von Kosch und Sauer vor kurzem als elfter Band er-
.schienen. Da heisst es: 2. April 1804 „weckte uns der H. Brauer
schon frühzeitig mit zwei gefüllten Gie.sskannen in der Hand, in
dessen Gesellschaft wir dann, nachdem der H. Pfarrer Wodartz
auf die Madlene den Anfang gemacht hatte, dass sämtliche
Schlossfraucnzimmer mit mehreren Zubern Wasser schwemmten
und dann noch bei der Frau Heisigin u. Nannettel eine wahre
Lubowitzer Wasserhochzeit anrichteten. Von hier begaben wir
uns nun nebst H. Kai)lan, Heisig, Organist, Breyer u. Schopp, gar
wohl mit Krügen und Kannen etc. versehen, allesamt nach Ganjo-
witz, indem wir uns durch .sechs Mann die gro.sse Feuersprütze
der Lubowitzer Gemeinde fcyerlichst vortragen lie.ssen. Als wir
nun auch hier die Piicliterin beyin Kaffee gebadet hatten, langte
endlich die Bande, nach einigen nicht minder wütigen Neben-
scharmützeln, besänftigt in Lubowitz an. Am nächsten Tage
kommt die „Revanche“ 3. A[)ril; „. . . . von wo wir uns alsbald
darauf nach Hause begaben, wo ich aber noch früh von dem sich
revanchirenden Heere, nachdem ich dasselbe durch Echapiren
genug buxirt hatte, im Garten durch und durch gegossen wurde.
Bald darauf die grosse, für den Kaplan und Schopp zu gut ge-
meinte I‘ber.schwemmung der Caplanei .... Nachmittags eine
neue Giesserei zwischen uns, Schimonsky, Adametz, den Brzeznitzer
bTeylen, Pächterin und Mama im Garten“. Am 4. April findet
noch eine grosse Wa.sscrschlacht statt: . . . „Nachmittags die
Giesserey zwischen männlichem und weiblichem Geschlechte und
dann zwischen Wodartz und Kroker und zuletzt zwischen Kroker
und Schopp, von der man mit Recht .sagen kann: finis coronat
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opus, da sich sogar Blut in die Wasserfluten mischte“. (Vgl. M. II
11, IV 22, Xin 40, Drechsler II 1 S. 100 f.) Auch „das Ruthen-
schmagostern mit den Frewlein“ erwähnt Eichendorff (6. 4. 1807). ,
Mitteilungen.
Die erste Sitzung des .lahrcs 1909 fand am Freitag, den \h. Januar im
Auditorium der Universität statt. Der Vorsitzende gab zunächst eine (Übersicht
Uber die Arbeiten und die Entwicklung der tiesellschaft während des Jahres
1908. — Hofkunsthändler Bruno Richter erstattete als Schatzmeister den
Kassenbericht. Die Uesamteinnahmen des Jahres 1908 beliefen sich auf
2987.88 Mark, die Ausgaben auf 4421.86 Mark, so dass sich ein Fehlbetrag von
14HH,98 Mark ergibt. Die tiesellschaft bcsass an Effekten am 1. Januar 1909
45UÜ Mark, die in der städtischen Bank niedergelegt sind. Auf Antrag der
Rechnungsprüfer Professor Dr. K. Appel und Professor Dr. 0. Hoffmann
ward dem Schatzmeister Entlastung erteilt und der Dank der Gesellschaft für
seine Mühewaltung ausgesprochen. Indessen ward in .\nbetraclit der sehr un-
günstigen Finanzlage des Vereins, die sich vor allem durch die im Verhältnis
zu den Einnahmen sehr reichen Ausgaben für Veröffentlichungen erklärt, die
Notwendigkeit betont, neue Hilfsquellen zu erschliessen; wir können unsere ver-
ehrten Mitglieder im Interesse eines guten Fortganges unserer Arbeiten nur
dringend bitten, bei geeigneter Gelegenheit ernstlich und tatkräftig für
materielle Unterstützung unserer Bestrebungen zu wirken.
Der bisherige Vorstand der Gesellschaft wurde sodann auf Vorschlag
wiedergcwählt, nämlich die Herren Professor Dr. Siebs (Vorsitzender), Geh.
Regicrungsrat Dr. N eh ring (Stellvertreter), .Stadtbibliothekar Dr. Hippe (Schrift-
führer), Museumsdirektor Privatdozent Professor Dr. Seger (Stellvertreter),
Hofkunsthändler Bruno Richter (Schatzmeister), Verlagsbnchhändler Max
Woywod (.Stellvertreter), Profcs.sor Dr. Körber, Kgl. Gymnasialdirektor Pru-
fesser Dr. Feit, Universitätsprofessor Dr, Skutsch, Oberlehrer Dr. Olbrich,
Universitätsprofessor Geh. Regierungsrat Professor Dr, Hillebrandt, Schrift-
steller Hugo Kretschmer, Oberlehrer Professor Dr. KUhnau, Oberlehrer
Dr, Klapper, — Hierauf hielt Universitätsprofessor Dr. Otto Hoffmann einen
Vortrag „über den geschichtlichen Hintergrund der Volkssage“.
Nachdem der Redner die Wichtigkeit der Erforschung des historischen Kerns
hervorgehoben und von der unbeeinflussten volksmässigen Tradition geschicht-
lichen Stoffes die absichtlich von bestimmten Kreisen zu praktischen Zwecken,
zur Stärkung der Macht oder Festigung religiösen Kultes gepflegte Überlieferung
geschieden hatte, ging er auf die Bedeutung der Heldensage und der Lokal-
chronik ein. Er hob die Bedeutung der Sprachwissenschaft und Archäologie
hervor, die mancher bestrittenen Überlieferung wieder zu ihrem Rechte ver-
holten hätte, und suchte das an mehreren Beispielen zn zeigen. Die sagenhafte
Überlieferung von den Pelasgern als Ureinwohnern Griechenlands, die durch die
alten Historiker initgetcilt werde, sei durch Sprach- und Namenforschung er-
härtet worden; ebenso sei durch die Vergleichung der griechischen Dialekte von
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Hellas und Kleinasien die angezweifelte ionische und dorische Wanderung wahr-
scheinlich gemacht; auch würden die ältesten Xachrichten der («otcn Uber ihre
Wohnsitze in Skandinavien durch vergleichende Xamenforschung und prähistorische
Funde bestätigt. Die persischen Kilnigslisten des Ilerodot seien durch Inschriften-
funde als richtig erwiesen worden, und es sei auch für die römischen Königs-
sagen und die griechischen Königslisten wohl nicht die Ablehnung gerechtfertigt,
wie sic ihnen von der (ieschichte vielfach zuteil werde. So betonte der Vor-
tragende, dass es wünschenswert sei, wenn Sprachwissenschaft und Archäologie
von der Ueschichtswissenschaft mehr berücksichtigt würden, als es jetzt ge-
wöhnlich der Fall sei. Dem Vorträge schloss sich eine lebhafte Diskussion an,
an der sich namentlich die rniversitätsprofessoren itr.Wendland, Dr. W. Stern
und Dr. Siebs beteiligten. — Am 12. Februar hielt rnivcrsitätsprnfessor
Dr. Wendland einen Vortrag über antike Xovellistik; ein Bericht darüber
kann erst im nächsten Hefte gegeben werden.
Am Mittwoch den 20. Januar starb nach längerer Krankheit unser
allverehrtcr stellvertretender Vorsitzender (ieheimer Regicrungsrat Professor
Dr. Wladislaw Nehring im 79. Lebensjahre. Wir haben in ihm einen be-
deutenden Vertreter der slavischcn Philologie, einen Förderer der Voikskunde.
einem hervorragenden Mitarbeiter und einen stets bereiten Helfer und Freund
verloren. Jeder P.and unserer , Mitteilungen“ bekundet seine eifrige Teilnahme
an unseren Bestrebungen. Als Nehring am 12. Juli 1900 sein fünfzigjähriges
Doktorjubilänm feierte, haben wir seine Verdienste in einem besonderen Glück-
wunschschreiben gewürdigt und sein Bild gegeben (Heft XV S. 1 ff.).
Als neue Mitglieder sind unserer Gesellschaft beigetrelen: I. aus
Breslau die Herren l’niversitätsprofessor Dr. Baumgartner, Professor Dr.
Bentzingcr, Universitätsprofessor Dr. Berneker, Schulrat und Kgl. Kreis-
schnlinspektor Brückner, Oberlehrer Lucius, UniversitUtsprofessor Dr. Preuss,
Universisätsprofessor Dr. Schräder, stud. phil, .Selkc, Oberlehrer Steins,
Universitätsprofessor Dr. Supan, stud. med. Tichy, Universitätsprofessor Geh.
Regicrungsrat Dr. Wolf, stud. theol. cath. Wlodarczyk, Privatdozent Dr.
Ziegler; Frau Degenkolb, Fräulein Fillie. II. von auswärts die Herren
Pfarrvikar .\rndt in Kauscha Bez. Liegnitz. .Amtsrichter Franz in Cosel OS,,
Vikar Habcrnoll in Bunzlau, Superintendent Knobel in Obcrbiclau b. Roth-
wasser; die Kgl. öffentliche Bibliothek in Dresden, der Kunst- und
Altertumsverein in Xeisse.
Mit dem vorliegenden einnndzwanzigsten Hefte unserer Mitteilungen, mit
dem der XL Band beginnt, wird die Zählung nach Heften abgeschafft und nur
diejenige nach Banden beibehaltcn; cs beginnt somit nicht mit jedem Hefte,
sondern nur mit jedem Bande eine neue Paginierung. In dem Krscheinen der
Hefte, die als erstes und zweites Heft des Bandes bezeichnet werden, tritt keine
Änderung ein.
Die dritte Tagung des Verbandes deutscher Vereine für Volks-
kunde findet am 2(1. und 27, .September 1909 in Graz statt (vgl. das
Korrcspondenzblatt Nr. 9).
.Schluss der Redaktion: 12. Juli 1909.
Bucbdrackerel Mareizko d Martin, Trebnitz 1. Scbl.
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Moiidfinstornisso im Volksgluubeii der antiken
lind modernen Babylonier.
Von Dr. Hruno Meissner.
Die alten Raby Ionier hatten eine feste, abgerundete Welt-
ansclianung. Sie haben über viele Fragen, die wir heutzutage
zur (ieologie, der physikalischen Geograjihie, der Astronomie etc.
zählen, nicht nur nachgedacht, sondern auch auf alle Fragen eine
Antwort erteilt. Nur können ihre Erklärungen natürlich vor dem
Forum der modei nen \Vis.senscliaft fast niemals standhalten. Aber
das ist ja das Schick.sal so vieler Theorien, dass sie von Zeit zu
Zeit von andern, be.s.seren abgelöst werden! Bemerkenswert bleibt
es immerhin zu sehen, mit welcher Kühnheit sich hier ein primi-
tives Volk an die Erklärung der schwierigsten Probleme heran-
wagt und sie restlos löst.
Schon Diodor von Sizilien erzählt uns“), dass die Babylonier
.sich die Erde als einen umgekelirten, unten ausgehöhlten Kahn
vorstellten. Natürlich darf man sich die.sen Kahn nicht länglich
vorstellen, sondern er war der bis auf den heutigen Tag auf
dem Euphrat und Tigris so gebräuchlichen Guffe ähnlich, die
ungefähr wie ein runder Trog oder wie ein übermässig grosser
Salznapf aussieht. Der Weltkahn, oder wie ihn die Babylonier
nennen, der „Weltberg“ ist von allen Seiten vom Ozean umgeben.
Aber auch unter dem Welttrog dehnt sich die Wa.ssertiefe aus.
Diese Annahme ist notig zur Erklärung des Orundwassers; denn
den Umstand, da.ss man bei tieferem Graben in die Erde auch
auf Wasser stiess, konnte man sich nur durch die Hypothese eines
unterirdischen Ozeans plausibel machen. Am Ende des Ozeans, im
äussersten Osten und Westen, stehen zwei Berge, die dazu dienen,
das Himmelsgewölbe, das über der Erde wie eine gros.se, halb-
kugelförmige Glocke sich wölbt, zu tragen. Jenseits des Gewölbes
fliesst wieder der Ozean, und zwar der himmlische; denn wenn
es auf der Erde regnet, so ist das nichts anderes als Wasser des
himmlischen Ozeans, das durch die Spalten des Himmelsgewölbes
■) II 3t, 7.
UtUeUongen d. sclttea. Uos. t. Vkde. Hund XI 8 {lieft X.XI1J. 3
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114
liindnrchläuft. Als Matprial für Hinimrl und Erde diente dem
Scliöpfergotte Marduk der Jjcib des Urungelieuei-s Tiiunat, der
Repräsentantin des Chaos. Nach fürchterlicliem Kampfe gelang
es ihm, seine Feindin zu töten und zu zerspalten. Aus der einen
Hälfte der Tiämat machte er die Erde *),
die andre Hälfte nahm er, machte sie zum Himmelsdach,
er zog eine Schranke davor, stellte Wächter auf,
ihre Wasser nicht hinauszulassen, befahl er ihnen®).
Ähnliche Anschauungen von der Erschatfung der Welt wie
die hier vertretenen muss übrigens auch der Verfasser der bibli-
schen Schöpfung-sgcschichte gehabt liaben; denn auch Gen. 1, 6 f.
macht Gott eine Feste, d. h. das Himmelsgewölbe, wodurch die
W'asser über und unter der Feste ge.schiedcn werden, und wenn
bei der Sintflut (Gen. 7, 11) einerseits die Brunnen der gros.sen
Tiefe aufbrechen, andrerseits die Fenster des Himmels aufgetan
werden und ein Regen kommt, so haben wir hier auch ganz deut-
lich die Vorstellung eines unterirdischen und eines himmlischen
Ozeans. .Ja selbst die Erinnerung an Kämpfe, die Jahve vor der
ErschafTung der Welt mit Ungeheuern (Raliab, I.,eviathan, Tehom)
zu bestehen hatte, hat sich noch in der poetischen Literatur des
alten Testaments erhalten®), wenn auch der sittlicli hochstehende
Verfasser des ersten Kapitels der Genesis diese Fabeln der Vor-
zeit aus seinem Bericht eliminiert hat‘).
Uocli kehren wir nach Babylonien zurück ! An dem Himmels-
gewölbe befinden sich die Sterne; die Fixsterne sind an ihm be-
festigt, die Planeten fahren auf ihm hin und her. Eine besondere
Stelle unter ihnen nimmt der Mondgott Sin ein. Er ist es nicht
nur, der, entsprecliend der orientalischen Sitte, den Tag am Abend
beginnen zu lassen, die Tage bestimmt, und darum auch Vater
des Sonnengottes Schama.sch, sondern er teilt auch den Mond-
monat ab®):
Den Mondgott lie.ss er®) aufstrahlen, die Nacht unterstellte er ihm.
*) V'gl. King, The seven tablets of creation 1\' 1.S8 ff.
•) Vgl. zu diesen Ausführungen besunders .lensen, Die Kosmologie der
Babylonier.
•) Vgl. z. B. Ps 74, 12 ff.; 89, 10 ff.; Jes. .51, 9 ff.; Hiob 9, i:l; 26, 12 etc.
*) Für alles Nähere verweise ich auf (iunhel, Schöpfung und Chaos in
Urzeit und Kndzeit.
*) Vgl. King a, a. U. V 12 ff.
*) Der Schöpfergott Marduk.
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115
Er bestimmte ihn als Geschöpf der Naclit, die Tage zu bestimmen,
machte ihn allmonatlich ohne Unterlass in der Tiara erhaben:
Am Anfänge des Monats leuchte auf im Lande,
mit Hörnern *) sollst du strahlen, um sechs Tage zu bestimmen.
Am siebenten Tage [mache] eine halbe Tiara,
am vierzehnten [Tage] sollst du gleich sein [an beiden] Hälften.
ln seiner segensreichen Tätigkeit wird aber der Mondgott zu-
weilen gestört durch unheilvolle Kräfte, die ihn zu verdunkeln
trachten, mit andern Worten durch Eintritt einer Mondfinsternis.
Mondfinsternisse gelten bei allen primitiven Völkern als sehr un-
heilvoll*); sie bringen den Menschen, besonders aber auch dem
Könige, schweres Unglück. Um dem Unglück zu entgehen, gab
es für die Babylonier zwei Mittel: Gebet und Zauberei nebst
Beschwörung. Die gewöhnliche Form de.s Bittgebete.s, Schädigung
durch Mondfinsternis abzuwendeu, war folgende*): Ich, N. N., der
Sohn des N. N., dessen Schutzgott N. N., dessen Schutzgöttin N. N.
ist, vor dem Unglück der Mondfinsternis, die am Tage N. N. des
Monats N. N, stattfand, den bösen Mächten, den bösen, nicht guten
Vorzeichen, welche in meinem Palaste und meinem Lande*) sich
ereigneten, ging ich Dich (o Göttin) an und suchte Dich auf; o
höre mein Flehen.
An einer andern Stelle wird uns aber auch ein Zauberritual
mitgeteilt, das dazu dienen soll, das durch eine Mondfinsternis
heraufbeschworene Unheil zu vertreiben vom „Könige, dem Sohne
seines Gottes, der wie der neu aufglänzende Mondgott die Seele
des Landes hält“. Dieser Beschwörung geht ein erzählender Text
voraus, der die Erklärung der Mondfinsternis geben soll. Wir
ersehen aus ihm, dass die Bedränger und Verfinsterer des Sin
sieben böse Dämonen*), Boten des den Menschen häufig feindlich
gesinnten Himraelsgottes Anu, sind®):
’) Die Sichel des Mondes wurde als Hörner resp. als Hörnerkrone angesehen.
’) Vgl. Lasch, Finsternisse in der Mythologie und im religiösen Gebrauch
der Völker, im Arch. f. Keligionswissensch. III 97 ff.
*) z. B. King, Babylonian magic and sorccry no. 1,38 ff.
*) Hier betet natürlich ein König.
*) Die Vorstellung von sieben bösen Geistern, ,die Himmel und Erde
umkehren“, findet sich teilweise im alten und neuen Testament wieder, besonders
lebhaft aber in hebräischen und mandäischen Zauberschalcn ; vgl. Zimmern,
Keilinschriften und das AT., 3. Anfl.. 461 ff.
*) Der Text ist publiziert Guneiform texts from babylonian tablets Vol.
8‘
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116
Niederstossende Stürme, böse Götter sind sie.
Schonungslose Dämonen, die auf dem Himmelsdamm*) geboren sind,
sind sie.
Sie — Unheilstifter sind sie.
Biisewicfiter, die täglich Böses [zu ergreifen], Mord zu begehen
[planen, sind sie].
Unter ihrer Siebenzahl ist [der erste] ein Südwind . . .
Der zweite ist ein Drachen, de.ssen geöffnetem Hachen niemand
[entrinnen kann].
Der dritte ist ein zorniger Panter, der die Kinder (?) raulit.
Der vierte ist eine furchtbare Schlange . . .
Der fünfte ist ein grimmiges wildes Tier, das man nicht von
seinem Rücken zurückhalten [kann].
Der sechste ist ein .sich erhebender . . ., der vor Gott und König
[sich nicht fürchtet].
Der siebente ist ein Sturm, ein böser Wind, der [keinen] Pardon [gibt].
Sieben sind sie, Boten des (Himmelsgotte.s) ,\nu sind sie.
Von Stadt zu Stadt Finsternis machend, sind sie.
Ein Orkan, der im Himmel wütend uinherjagt, sind sie.
Dickes Gewölk, das im Himmel Dunkelheit macht, sind sie.
Sturm sich erhebender Winde, welche am hellen Tage Finsternis
machen, sind sie.
Mit der Windsl)raut, dem bösen Winde, sich uinhertreibend sind sie.
f'berschweinmung des (Gewittergottes) Adad, starke Zerstörungen
sind sie.
Zur Rechten Adads gehend sind [sie].
Am Horizont des Hinnnels wie Blitze [leuchtend sind sie].
Mord zu begehen vorwärts gehend [sind sie].
In den weiten Himmeln, der Wohnung des Götterkönigs .Anu stellen
sie sich böse auf, ohne einen Gegner zu finden.
•Als ihre Siebenzahl, die bö.sen Götter, auf dem Himmelsdamm sich
unihertrieben, kreisten sie deiiErleuchterSin grimmig ein.
Den mannbaren Schemasch und den tapferen Adad brachten sie
auf ihre Seite.
XVI 19 ff. Für die I berseUung s. Thoinpsoii, The devils and evil spirits of
Babylonia I 88 ff.
') rnter dem Hinimelsdainm ist das früher erwähnte Himmelsgewölhe zu
verstehen.
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117
Die Göttin Ischtar sclilug beim Götterkönig ;^nn eine glänzende
Wolinung auf, da sie selbst nach der HeiTSchaft über
die Himmel trachtete.
[Wegen der Verjfinsterung der Sin [fürchtete] sich der Menschen-
spross, [befiel Fii]i'cht das Land.
[Die Menschjheit wurde verwirrt und ward kummervoll.
[Sin], an Licht verfinstert, konnte sich in seiner Herrscherwohnung
nicht hinsetzen.
Sins Bediiingnis erschaut nun endlich Ellil, der Gott der
Erde, und erinnert sich, da.ss Siti (Mond), Schamasch (Sonne) und
die Ischtar (Venusstern) eigentlich doch eingesetzt seien, um das
Himmelsgewölbe in Ordnung zn halten. Darum sendet er seinen
Boten Xusku an den Gott der Wassertiefe Ea, der mit seiner
Weisheit überall aushilft, um ihn zu einer Hilfsaktion für den
armen Mondgott zu bestimmen. Ea .sendet schliesslich seinen Sohn
Marduk aus, der durch einen Zauberspruch und Zauberritual der
Verfinstening des Sin ein Ende macht. So wie nun, so können
wir schlie.s.sen, durch diese Zaubermittel der Mondgott von seinen
Bedrängern befreit wird, kann der Mensch durch dieselben Mittel
den bösen Folgen der Mondfinsternis entgehen.
Es ist nun interessant zu sehen, da.ss die Vorstellung, eine
Mondfinsternis eiibstehe durch Bedrängung des Mondes von seiten
bö.ser Geister, sich im Iraq bis auf den heutigen Tag erhalten
hat. Der berühmte englische Ausgräber Layard, der Wieder-
entdecker Ninives, erzählt nämlich in seinem Werke Niniveh und
Babylon *) gelegentlich seines Besuches der Afet.sch-Araber bei
den Ruinen von Nippur folgendes; „Ich erwarb mir nach dem
Beispiel anderer Rei.sender vor mir einiges Ansehen durch den
Schein übermenschlichen Wissens, indem ich mit Hilfe eines Ka-
lenders eine paiticlle Mondfinsternis voraussagte. Dieselbe trat
dann zum grossen Missfallen meiner Gäste wirklich ein, die sich
abmühten, durch das Herausschlagen der Boden aller meiner
Küchentöpfe die Dschins hinwegzuscheuchen, die den Planeten
ergriffen hatten“. Erklärend fügt er hinzu: „Der allgemeine
Glaube unter den unwis.senden Mohammedanern lä.sst eine Sonnen-
oder Mondfinsternis dadurch entstehen, dass ein böser Geist den
') S. 422 der deutschen Ausgabe.
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118
Himmelskörper gefasst hat. Bei solchen Gelegenheiten versammelt
sich in den Städten des Morgenlandes die ganze Bevölkerung mit
Töpfen, Pfannen und anderen einen Klang gebenden Gegenständen
und macht damit, sowie mit ihren Lungen einen solchen teuflischen
Lärm, der wohl eine ganze Annee böser Geister verscheuchen
könnte, wenn sie auch wirklich in solcher Entfernung wären“.
Diese Angaben Layards habe ich bei meinem Aufenthalte
auf den Ruinen Babylons (1899 — 1900) vollkommen bestätigt ge-
funden, nur dass man hier nicht mehrere Dschinnen als Übeltäter,
sondern nur einen Bedränger annimmt, nämlich eine Art weib-
lichen Walfisches namens Hüte. Vielleicht hat sich in dieser Figur
eine Reminiszenz an die alte Chaosgöttin Tiamat erhalten, die die
Lichtgottheiten bekämpft. Wenn die Mondfinsternis eintritt, glaubt
man, die Hüte wolle den guten Mond verschlingen. Darum ver-
sammelt sich Alt und Jung, trommelt mit den Fäusten auf den
kupfernen Gefässen und schreit aus vollem Halse, um der Hüte
Schrecken einzuflössen, damit sie von ihrem Vorhaben ablasse.
Dabei singt man unaufhörlich:
iä Hüte elballä ‘ahiddi gumärnä bissä'a
d.i.: 0 Hüte, du Verschlingerin, lass unsern Mond sofort wieder los.
Dieser Gebrauch ist also im ganzen Iraq bekannt und hat
sich jedenfalls von hier aus auch in dem übrigen islamischen
Orient verbreitet ’). Die Gebildeteren empfinden ihn übrigen selbst
als Volksglauben, und mein Lehrer Reschid meinte, in Wirklich-
keit entstünde die Mondfinsternis, weil der Mond hinter einen
grossen himmlischen Berg trete*).
Der Umstand, dass ähnliche Erklärungen der Entstehung der
Finsternisse wie die hier gegebenen sich bei vielen Völkern finden,
reicht meines Erachtens, wenigstens nicht bei den beiden von mir
behandelten Fällen aus, um mit Lasch a. a. 0. 152 darin eine
Bestätigung der Lehre Bastians vom Völkergedanken zu sehen.
Ich halte vielmehr die neuarabische Erzählung für eine direkte
Entlehnung des babyloni.schen Originals; denn man kann auch
*) Sonstige Nachweise s. bei Lasch a. a. 0. 116 ff.
’) Ich mache hier nur nebenbei darauf aufmerksam, dass kosmische Vor-
gänge auch sonst in der arabischen Literatur mythologisch erklärt werden.
Nach Ihn Abbäs (LisAn el 'Arab IV 161) ist .der Donner ein Engel, der die
Wolken so antreibt, wie der Kameltreiber durch seinen Zuruf die Kamele an-
treibt*. Vermutlich haben wir hier eine Remiuiscenz an den alten Gewitter-
gott Adad.
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119
sonst beobachten, dass der Orient sehr konservativ ist, und dass
sich nicht selten nicht nur Worte und Dinge, sondern auch Ideen
und Anschauungen vom Altertum bis auf die Neuzeit erhalten
haben ').
Eine Weltchroiiik des aus^;eheuden Mittelalters.
Von l>r. .1. Klapper.
Das streben der mittelalterlichen Scholastik nach Universalität,
das in der Theologie zur Abfassung der gewaltigen theologischen
Summen führte, machte sich auch in den anderen Wissensgebieten
geltend in der enzykto])ädischen Verarbeitung des überlieferten
Stoffes und führte so in der Geschichte über die Kloster- und
Landeschroniken hinaus zu Darstellungen der Weltgeschichte.
Freilich vermisst man in diesen umfangreichen Weltchroniken
meist die Betonung des inneren Zusammenhanges der geschicht-
lichen Ereignisse, und aus der augustinischen Geschichtsphilosopliie,
die im Altertum die Vorbereitung auf den Gottesstaat des Christen-
tums erblickte, ist schliesslich oft nur die dürftige äussere Ein-
teilung in die fünf Weltreiche übriggeblieberi, die dem sechsten,
der Fülle der Zeiten in Christus vorausgehen; aber je loser das
äussere Band wurde, das die Ereignisse verknüpfte, desto grö.ssere
Selbständigkeit erlangten die einzelnen Stoffe, und desto weiter
ging die Freiheit des Chronisten, alles, was ihn und seine Zeit
interessierte, in sein Werk aufzunehmen. Und so werden die
Weltchroniken des späteren Mittelalters nicht bloss Spiegelbilder
des gelehrten scholastischen Wissens, sondern auch durch die in
ihnen aus verschiedensten Quellen zusammengetragenen Züge halb
gelehrter und rein volkstümlicher t'berlieferung zu Fundstätten für
kulturhistorische und volkskundliche Forschung. Hier finden wir
oft den Schlüssel zur Deutung moderner Volksbräuche und Er-
zählungen, sei es, dass diese Stoffe in den Chroniken aus dem
Volksleben vergangener Jahrhunderte in ursprünglicherer und
weniger getrübter Form aufgezeichnet wurden, oder dass halb-
gelehrte Stoffe aus diesen Chroniken ihren Weg ins Volk gefunden
haben und noch heute ira Volksbrauch und in den Volkserzählungen
fortleben. Denn der Wirkungskreis dieser Sammelwerke blieb
') Vgl. Meissner, Babylonische Bestandteile in modernen Sagen und
Gebräuchen, im Archiv f. Religionswissensch. V 219 ff.
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120
niclit auf die Gelehrtenwclt beschränkt. Wie die literariscli ge-
bildeten Kreise in diesen lateinischen Werken die Anregung zur
Verarbeitung in der Volkssprache fanden, so dass ihnen die
deutsche Literatur des Mittelalters eine eigene, reich entwickelte
Literaturgattung verdankt, so strömte den breiteren Volksschichten
der Inhalt dieser Werke in den Plxempeln der Predigten zu. Wie
oft trifft man gerade hier den typischen Eingang: Man liest in
den Chroniken . . ., und dann folgt eine jener Wunderge.schichtcn,
die so reich an rein volkstümlichen Sagen- und Märchenmotiven
sind. Eine Aufgabe der Volkskunde ist somit auch die Unter-
suchung jener spätniittelalterlichen Chroniken, die noch unter den
Handschriftenbeständen unserer Bibliotheken zu linden sind, und
weil wertlos für den Historiker, bisher keine Beachtung gefunden
haben. Sie bieten neben vielem Bekanntem manche bisher gar
nicht oder nur selten bezeugte Züge volkskundlicher rberlieferung,
und auch das Bekannte tritt uns hier oft in beachtenswerten Al)-
änderungen entgegen; und sie geben in ihrer Gesamtheit ein Bild
von den geistigen Intere.ssen des Volkes aus einer Zeit, deren
Verständnis eine notwendige Forderung für die Erfassung unseres
heutigen Volkstums ist.
Eine solche Chronik besitzen wir in der Handschrift IV. F. 54
der Königlichen und Universitätsbibliothek zu Breslau. Sie ge-
hörte früher den Augustiner-Chorherren zu Sagan, wohin sie wohl
bald nach ihrer Vollendung im Jahre 14(58 gekommen ist; jeden-
falls trägt sie bereits den ältesten Katalogisierungsvermerk dieses
Klosters vom Jahre 1684. Uns interessiert hier nur der zweite
früher selbständige Teil von BI. 115 bis Bl. 255, der die Welt-
chronik des Karthäusermönchs Johannes von Hagen enthält.
Für die Datierung .seines Werkes genügt das, was er uns selbst
in der Einleitung mitteilt; der .Ausdruck „heute“ bezieht sich nach
der Angabe dieser Einleitung in der Chronik immer auf das Jahr
1467, in dem das Werk verfasst und vervollständigt worden sei.
Tatsächlich ist nach Zwischenbemerkungen im Text nur der ei"ste
Teil bis Bl. 166'*’ in die.sem Jahre, der Kost dagegen erst im fol-
genden Jahre geschrieben. Kommt aber der Ausdruck „zu unserer
Zeit“ vor, so will ihn der Verfa.s.ser auf den Zeitraum von 1412
bis 1467 bezogen wi.s.sen. In einer kurzen Bemerkung auf
Bl. 202'“ spricht er von sich als „unwürdigem Karthäuserbruder
zu Erfurt“; dort muss er also noch 1468 gelebt haben, und dort
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121
ist die Chronik entstanden, Gelefrentlieli erfahren wir (Bl. 22H*’),
dass er im Katharinenkloster zu Eisenach das Grabmal Heinrichs
von Thüringen und Hessen gesehen hat. Wichtiger aber ist die
Angabe im Quellenvcrzeichnis, dass er den „Sachsen Engelhusen,
Magister zu Prag, mit eigenen Augen gesehen“ hat. Somit scheint
er zu Prag, über das er auch sonst gut unterrichtet ist, seinen
Studien obgelegen zu haben; jedenfalls aber verdankt er die An-
regung zu seinem Werke dem Magister Dietrich Engelhusen, der
um die Mitte des 14. Jahrhunderts in Eimbeck geboren, eine
„Chronica nova“ verfasste, die bis zum Jahre 1433 reicht und
nach Leibnitz’ Urteil nicht zu den schlechtesten Ausläufern, der
mittelalterlichen Weltchroniken gehört *). Erreicht hat Hagen das
nicht ungewandt geschriebene Vorbild nicht, ln einem aber unter-
scheidet sich seine Chronik von der Engelhuscns aulfallend. Während
dieser mit gutem historischen Sinn über alles Sagenhafte mit ganz
kurzen Andeutungen hinweggeht, verweilt Hagen mit unverkenn-
barer Freude am Wunderbaren gerne bei solchen Stollen. Das
bemerkt man bald am Anfang (Bl. 120''*), wo er ausführlich die
Reisebeschreibung des Abenteurers Jean de Mandeville (1300
bis 1372) erwähnt.
,Es schrieb Herr Johannes von Mandevilla vor nicht langer Zeit, fast zu un-
serer Zeit, im Jahre 13ö5 die Geschichte dessen, was er an den verschiedenen Stätten
sah, da er ein gebildeter englischer Ritter war und nach vielen Kriegen der Könige
Frankreichs und Englands die Länder der Heiden durchwanderte und im Solde
des Sultans stand. Von diesem erhielt er einen Schutzbrief zum Besuch der
heiligen Stätten, wo Christus litt, wirkte und lehrte. Und darauf durchreiste
er unter sicherem Geleit die Länder der Tartaren, Inder, I’erser und anderer
Völker und beschrieb ihre Sitten, Kriege und Religionen, und wie fast in allen
Ländern der Heiden Christus in der höchsten V^erehning stände und in den vor-
genannten Ländern Christen mitten unter den Heiden lebten. Und er schrieb
von Oger, Herzog von Dänemark, wie er mit zwölf Grafen und 120000
Auserlesenen im Jahre des Herrn 800 Uber das Meer fuhr zum Kampfe, das
heisst zur Zeit Karls des Grossen. Mit diesem soll derselbe Herzog im Kampfe
gegen die Heiden gestanden haben und von den Ungläubigen in jener Nacht
getötet worden sein, in der auch Roland hol, wie hier noch später erzählt werden
wird. Aber in der Chronik dieses Ritters liest man, dass dieser Oger unter Gottes
Beistand alle Fürsten der Ungläubigen [120 rb] überwand, bis in die fernsten Länder
Herzöge und Könige einsetzte und christliche Kirchen gründete und zum Könige
Indiens einen Grafen ans Fricsland, mit Nameu Johannes ernannte, der sehr
fromm war. Daher wurde er von seinen Gefährten Priester Johannes ge-
') Abgedruckt in Leibnitz’ Scriptorcs rcrum Brunsvicensium, Hannover
1710 Bd. II 977— 114;j.
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122
uannt, und daher heisst noch heute der KSuig Indiens .Priester Juliauues*.
Andere geben freilich einen anderen Grund dafiir an Ganz Indien glaubt an
Christus, doch wohnen auch Ungläubige unter ihnen Und er schreibt vom
Königreiche Carlliay (China), von dem der Tartaren und Inder, von den Inseln
und Ländern, die fast beim Paradiese liegen, wie er sie sali. Und er verfasste
sein Buch zuerst in LUttich*.
Die von Hagen sonst iti der Einleitung angegebenen Quellen
sind die bekannten mittelalterlichen Chroniken. Mit den ange-
führten Werken erschöpfen sich aber, wie er ausdrücklich hervor-
hebf, seine Quellen nicht. Wie er seine Einleitung mit der Bitte
um ein Ave Maria beginnt, so erötfnet er die Ausführung im
Namen Jesu. Nach einer Erörterung über die göttliche Substanz
folgt das Sechstagewerk, darauf an der Hand der Bibel ein Über-
blick über das in Weltalter gegliederte Altertum. Interesse ge-
winnt diese Darstellung für uns aber erst mit dem Augenblicke,
wo die Geschichte Alexanders des Grossen erzählt wird. Unter
den uns bekannten Texten zur Alexandersage zeigt die grösste
Verwandtschaft mit unserem Chroniktexte die in das Speculum
historiale des Vinzenz von Beauvais aufgenommene Epitome, doch
zeigt unser Text so eigenartige Uinstellnngen und Abweichungen,
dass Vinzenz kaum seine Quelle gewe.sen sein kann. Nach einer
rein geschichtlich gehaltenen Übersicht über Alexanders erste Taten
setzt der Sagenbericht mit dem Augenblicke ein, wo Darius ihm
gegenübertritt ').
Alexander in Asien.
Darius schickte ihm eine Peitsche, eine Rute und einen goldenen Ball,
damit der Jtingling zu seiner Hutter zuriickkehrte, mit der Rute gczUclitigt
würde und mit dem Balle spielte’). Doch .Alexander liess sieb nicht ab-
schrecken und rüstete zum Kriege gegen Darius und bekriegte ihn
drei Jahre lang und überwand den Monarchen. Und er nahm den Ver-
wundeten bei sich auf und gewährte ihm gern seine Bitte, die Hutter, d. h. des
Darius Gattin zu beschützen und seine Tochter Roxane zur Gemahlin zu nehmen.
Und er begrub den Darius mit königlichem Prunk’}. Dann erliess er ein Edikt,
in dem er verkündete, er habe geschworen, die Mörder des Darius zu erhöhen
[145vb], Diese glaubten, sie würden hoch geehrt werden, doch sie wurden au
den Galgen gehängt und so dem Eide des Königs gemäss erhöbt’). Dieser
rückte gegen Porus, den König Indiens. Und im ersten Treffen wurde das Pferd
*) Wichtige sachliche .Abweichungen von den bekannten .Alexandertexten
sind durch Sperrdruck gekennzeichnet. Vinzenz wird nach der .Ausgabe des
Speculum muius Bd. IV Duaci U>24 zitiert.
’) Vinc. lib. IV c. 26.
») lib. IV c. 28. ’) lib. IV c. 44,
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123
Alexanders Bucefala getötet, das mehr als er selbst kämpfte'). Daher
trauerte Alexander und bestattete es und erbaute Uber seinem
Grabe einen Turm. Endlich besiegte er den Perus und erlangte die unend-
lich grossen Schätze Indiens und beschenkte sein ganzes Heer. Und die, welche
Ton seinem Heere gefallen waren, bestattete er mit Ehren und befreite ihre
Frenude und gewann so die Herzen aller. Und er durchzog die Reiche Indiens.
Und er machte die Amazonen, Königinnen, tributpflichtig*). Dann zog er bis
hinter die Säulen des Herkules*) und kam zu den Bäumen der Sonne und des
Mondes. Von einem steiiialten Priester belehrt, opferte er*), und als am Morgen
die Sonne anfging über dem Baum der Sonne, sprach dieser in indischer Sprache :
.Alexander, du wirst der Herr der Welt sein, aber du wirst nicht lange leben*.
Am Abend, als der Mond erschien, da sprach der Baum des Mondes in grie-
chischer .''prache; .Du wirst in diesem Jahre der Herr der Welt sein, im fol-
genden Jahre, im Monat Hai, wirst du in Babylon an Gift sterben. Frage nicht
mehr danach, damit die Prophezeiung nicht vereitelt wird*). Und er kehrte
zurück, und es erwarteten ihn Gesandte aus Afrika, Spanien und anderen Ländern,
die er noch nicht besiegt batte, um ihn zu ihrem König zu machen, weil sie
alle die Furcht vor ihm befallen hatte. Uud er schrieb selbst an die Bragmancn,
und diese antworteten, wie sie einfach ohne unnötige Kleidung und Nahrung,
ohne Zank und Streit ein naturgemässes Leben führten. Als er aber danach
Babylon betreten wollte, wurde er von einem Nigromanten daran gebindert, der
ihm sagte, dass er darin sterben würde. Doch ein Philosoph antwortete, das
sei eitel Geschwätz, und Alexander [146 ra] glaubte dem Philosophen und zog
in Babylon ein*). Er nahm Roxane zur Gemahlin und viele Mazedonier ver-
mählten sich gleichfalls, und es herrschte grosse Freude in Babylon. Da gab
Antipater dem Alexander ein äusserst starkes Gift, und dieser erkrankte und
lebte noch sechs Tage*). Er ernannte zwölf Gefährten, die für ihn re-
gieren sollten und befahl, dass man ihn im Tempel des Ammonius
oder Ammon in Ägypten beisetzen solle. Und jene zwölf Fffrsten
trugen ihn mit grosser Pracht auf ihren Schultern zum Grabe. Aber
nur vier erhielten die Herrschaft, Ptoloniäus, der Sohn des Lagus in Ägypten,
Antigonus in Asien, Selencus in Syrien und Philippus in Mazedonien. Und beim
Tode des Alexander schwieg ganz Babylonien, und die Völker, die er unter-
worfen hatte, glaubten nicht, dass er gestorben wäre, denn sie
hielten den, der so viele Gefahren Uberstanden hatte, für unsterb-
lich. Alle beweinten ihn als ihren Vater; nur die Mazedonier freuten sich,
dass sie so von seiner Dienstbarkeit frei geworden waren. Keiner ist ihm
ähnlich gefunden worden, in dessen Gegenwart alle Truppen mit Freuden bereit
') lib. IV c. 49.
*) lib. IV c. 6S.
*) lib. IV c. .5.0. .
•) Das wird ihm bei Vinc. lib. IV c. 57 gerade verboten; auch fehlt dort
das senissimo .steinalt*.
*) Vinc. lib. IV c. 57.
•) lib. IV c. 63.
') lib. V c. 1.
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124
waren, die Maliern zu crsUlrnien imd vor keiner Gefahr znrückznselirecken. Er
liat keinen Feind angegriffen, den er nicht besiegt, keine Stadt und keine VBlkcr-
scliaft, die er nicht unterworfen hatte. Ewiilf Jahre regierte er nach seines
V'aters Tode; im dreiimddreissigaten seines Lebens starb er*). Seine Mutter
liess darauf viele Vonichme in weibliclier Vermessenheit taten. Datier wurde
sie schliesslich von Kassander belagert und musste sich ihm ergeben. Ein von
ihm einberufeiier Rat entschied einstimmig, dass man sic toten inilsse. In
königlicher Kleidung schritt sie, auf zwei Dienerinnen gestützt, voll Majestät
und Würde den Soldaten entgegen, die gegen sic abgeschickt worden waren;
diese wurden durch den Anblick so eiiigeschüchtert, dass sie sie nicht zu be-
rühren wagten. Da sandte Kassander andere, die sie niederstiessen. Slarkmütig,
ohne einen Laut, empfing sie den Todcsstreich, mit ihren Haaren und Kleidern
bedeckte sie ihre Glieder und gab kein Zeichen unehrenhafter Gesinnung, um
noch im Tode zu beweisen, dass sie den König der Könige getragen habe’).
Das hatten die Bäume de r Sonne [I4ßrh] lind des Mondes dem lexander
vorausgesagt: seine Mutter Olympias würde ermordet und auf
öffentlicher Strasse niedergestreckt werden. Das ist auch ge-
schehen. So vergeht der Ruhm der Welt. 0, wie kurze Zeit währte
ihr R n h in I
Mit riiristi Geburt, über iles.son Leben mir sehr dürftige An-
gaben gemacht werden, wendet sicli das Interesse des Chronisten
der Geschichte der römischen Kaiser, dann der ersten Märtyrer
und Päpste zu. Wir erfäliren da gelegentlich, dass St. Petrus
einen Schüler „in die Küstengegenden nach Bardewigk, in
die Nähe von Luneborch“ schickte [Ibfi'*']; die Bekehrungs-
geschichte von Barlaam und Josaphat wird ums Jahr 378 an-
gesetzt [182''“]; die Sage von der Hindin, die die Hunnen
durch die Sümpfe zu den Nachbarvölkern leitet, wird in
denselben Form wie in Jordanis’ Gütenkrieg Kap. 24 vorgetragen
[183'’’']; zur Zeit des Papstes Leo IV. „.soll in Britannien Merlinus
von einer Jungfrau geboren worden sein, dessen Vater ein Ge-
spenst war; dieser ist auch ein Prophet gewesen und hat mehreres
vorhergesagt; denn der Geist Gottes weht, wo er will, auch in
den Schlechten“ [185'“]. Zur Zeit Theoderichs werden die Sieben-
schläfer*) erw'eckt [185'“j; derselbe Theoderich wird, wie ein
frommer Einsiedler in einer Vision sieht, in die Esse des
Vulkans geschleppt [188’’“]L. Bald darauf wird die Legende
‘) lib. IV c. ()4 mit starken Abweichungen.
’) lib. V c. 10.
•) 8. H. Günter, Lcgeuilen-Stndicn (litOfi) S. 71.
•) aus Gregors Dialogen IV c. 31; vgl. Jiriczek, Deutsche Heldensage I
(1898) 268 fit.
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125
vom Teufelsbündnis des Tlieophilus erzählt [188'*]*). Zum
Jahre 541 folgt die Geschichte des Königs Artus.
[188''*’] Artus, Künig Britanniens, besiegte einen Riesen, unterwarf rnhm-
vull die Könige des Abendlandes und drang gegen Rom vor. Da er aber hörte,
dass sieb jemand znm Könige Brilauniens aufgeworfen hätte, kehrte er zurück
und besiegte ilin. I>ort wurde er im Kampfe verwundet. Daher setzte er
seinen Sohn Konstantin als König ein und ging von dannen in einen Wald, um
sieh zu heilen. Und noch heute weiss man nicht, oh er gestorben ist oder noch
lebt, weil er bis heute nicht wiedergekommen ist.
Unter dem Jahre 5(50 wird die Legende von der wunderbaren
Errettung des Judenknaben aus dem brennenden (4fen und der
Bestrafung seines Vaters erzählt [188''’]*), bald darauf das Mirakel
von dem Kruzifix, das von einem Juden verwundet, zu bluten
anfängt [189 ’■*]*). Dann folgt eine kurze Andeutung der Bran-
danlegende.
[189 ra] Maebutos, ein vornehmer hlann, fuhr mit dem Abt Braudau durch
das Meer, erweckte einen Riesen znm Lehen und taufte ihn, der ihm die Strafen
der Hölle erklärte; er las die Messe auf einem Walfisch und sah Wunderdinge
auf dem Meere*).
Um das Jahr 624 wird dann die Vision des Purseus an-
gesetzt (191'“]. Aus der Zeit Karls des Grossen erzählt der
Chronist zunächst die Legende von dem Abte Agidius, der vom
Kaiser um seine Fürbitte gebeten, da er eine, schwere Sünde nicht
beichten will, beim Messopfer einen Zettel von einem Engel er-
hält, auf dem Karls Sünde aufgeschrieben ist [193^“]®); dann folgt
ausführlicher die schöne Legende von dem Freundespaarc Amicus
und Amelius®).
[195 ra] Znr Zeit Karls des Grossen bekamen der Graf von Auvergne und
der Graf von Berti Söhne, die sich vollständig ähnlich waren. Diese wurden
nach Rom geschiikt, damit sie vom Papste getauft würden. Sie trafen sich in
der Stadt Lncca und schlossen enge Freundschaft. Als sie beimgekehrt waren,
staih der Vater des Amicus, der der Sohn eines Ritters war, und er selbst wird
vertrieben und findet nach langem Sachen den Amilius, den Sohn [195 rü] des
') s. H. Günter, Legenden-Studien S. 163.
•) 8. Günter a. a. ü. S. 138 Anm. 1.
*) vgl. Wiener Sitzuugsher. phil.-hist. Kl. 113 (1886) 922 Nr. 22.
*) s. C. Schröder, S. Braudau 1871 ; G. Schirmer, Zur Braudanuslegende 1888.
*) s. Günter a. a. 0. S. 121 ff.
•) 8. Oröbers Oruudr. d. rom. Phil. II 1, 458; ein deutscher Text in Görlitz
um die Mitte des 15. Js. geschrieben in der Hs. I Q 169 Bl. (161 v ff.) der Kgl. n.
Univ.-Bibl. zu Breslau.
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Grafen, der i)im in allen StDcken ülmlich Hielit. Und beide kuniiuen an den Hof
Karls. Amiens wird Verwalter des kiiuigliclien Schatzes, Aniilins aber Mund-
schenk. Amiens besuebte seine Gattin, unterdessen verfuhrt Amilius die Tochter
des Königs und wird angeklagt. Da kehrt Amiens zurück, legt die Kleidung
des Amilius an, weist die Anklage der Verführung zurück und unterzieht sich
zum Beweise seiner Unschuld einem Zweikampfe, und da er unschuldig ist, siegt
er. Amiens aber wird vom Aussatz befallen, und ein Engel sagt dem Amilius,
dass sein Freund nicht geheilt werden könne, wenn er nicht die beiden Kinder
töte, die er von der Tochter Karls bat. Und traurig tötet er sie und heilt mit
dem Blute .seiner Kinder seinen Freund vom Aussatz. Und durch göttliche
Gnade werden die Kinder wieder znm Leben erweckt. Darauf dienten sie in
Reinheit und Heiligkeit Gott . . . [19öva] Karl aber erbaute zwei Kirchen,
um die zu begraben, die in Italien im Kampfe gegen die Longobardeu gefallen
waren, und er trennte die Leiber des Amilius nnd Amicus. Aber nachher fand
man sie wieder beieinander in derselben Kirche an derselben Statt.
Mit dieser Erzälilung stehen wir schon mitten in den Abenteuern
und Kämpfen Karls. Der Bericht über Karls Zug nach Jerusalem
und Konstantinopel ist in unserer (’hronik eng mit der Rolands-
sage verknüpft. Angelehnt ist der erste Teil an die „Descriptio“,
den legendarischen Bericht aus St.-Denis '), der zweite Teil schöpft
unter starken Kürzungen aus dem Pseudo -Turpin, doch flicht er
wieder ähnlich, wie wir es bei der Alexanderlegende sahen,
Stellen ein, die der Chronik des Turpin fremd sind *).
Die Kurlasage.
[I96va] Karl behandelte die Griechen immer freundlich, damit sie nicht
ans Missgunst gegen ihn Ränke schmiedeten. Um jene Zeit wnrdc Karl an-
gerufen, das Heilige Land zu befreien, weil Konstantin VI. vou Gott offenbart
worden war, er solle Karl, den König der Franken [196 zur Wiedereroberung
des Heiligen Landes zu Hilfe rufen, was auch geschehen ist. Und uachdem die
Heiden vertrieben worden waren, kam er nach Konstantiiiupel, wo er mit grossem
Prunk empfangen wurde. Man bot ihm reiche Geschenke und Schätze an, aber
er wollte sie nicht annebmen, da er alles um Gottes Willen getan hatte. Doch
bat er sich nach dem Siege einige Reliquien aus. Und man gab ihm welche
von der Dornenkrone Christi, von dem Holze des Kreuzes, vom Hemd der seligen
Jungfrau Maria und dem Wickelbande, mit dem sie Christum in der Wiege ge-
wickelt bat, und es geschahen neue Wunderzeichen , und es blühte das Zeichen
des Kreuzes, nnd Unzählige wurden dort und unterwegs geheilt. Er brachte
die Reliquien nach Aachen, wo sie an den Iden des Juni den Gläubigen gezeigt
') s. Jules Coulet, Etudes sur I'ancieu poöme fran^ais du Voyage de Cbar-
lemague en Orient. Montpellier 1907.
•) Ausg. : Gcrmanicarum rerum quatour celebriores vetiistioresquc chrono-
grapbi. Frankfurt a. M. 1666. Auf diese Ausgabe beziehen sich die Kapitel-
angaben der Anmerkungen; wes im Turpin fehlt, ist gesperrt gedruckt.
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127
zu werden pflegen; jetzt aber zeigt man sie den Ulfliibigen nur noch jedes
siebente Jahr, damit sie nicht entwnidigt werden. Und der König mahnt die
Besucher, vorher zu beichten, wie er es auch selbst getan hat. Karl der Grosse
hat auch sein Fest zu Aachen und wird dort verehrt, obgleich er von der Kirche
nicht beiliggesprocheu ist; das sagt Johannes ini ersten Kapitel Uber die Re-
liquien und Heiligenverehruug.
Und nachdem er viele Kriege geführt hatte, wollte er ausruhen, aber er
sab drei Nücbte eine weisse Strasse am Himmel, die bis zum hl. Jakobus
führte. Und dieser sprach zu ihm: .Sieh auf und vertreib die Heiden vom Orte
meines Grabes, und ich werde dir helfen, und zum Lohne sollst du das Himmel-
reich haben“. Und er stand auf und rüstete ein grosses Heer, mit dem er nach
Spanien zog '). Und dort zerstUrte er alle Götzenbilder bis auf eins, das Sana-
cades (Turpiu: Salamcadis) heisst, das Machamet anzubeten pflegte, uud in dem
eine Legion Dömonen steckt. Wenn sich ihm Christen naben, scheint es nmzu-
kommen, wenn sich jedoch Sarrazenen hiubegeben, scheint es sich zu freuen.
Es ist an dem Meeresgestade durch sarrazenische Kunst wunderbar erbaut *). Es
kann nicht vernichtet worden. Karl nahm alle bedeutenden Städte
in Spanien, sechsundzwanzig an Zahl. Einige ergaben sich frei-
willig, andere widerstanden im Vertrauen auf die Stärke ihrer
Mauern langeZeit. Manchmal lag er sechs Monate vor einer dieser
rebellischen Städte, aber wenn er den hl. Jakobus anrief, stürzten
ihre Mauern bis auf den Grund zusammen. Und der König fluchte
jenen Rebellen uud machte die Städte unbewohnbar. Es sind das
Lucerua, Adama, Ventosa und Piriata. Er reinigte den Ort des Grabes
des hl. Apostels Jakobus, den Herodes enthauptete, und an dieser Stätte setzte
er Kanoniker ein und machte ganz Spanien tributpflichtig'). Als er aber darauf
zurUckgekehrt war, sammelte der König der Sarrazenen ein grosses Heer und
vertrieb die Christen uud Wächter, die Karl eingesetzt hatte. Dieser rüstete
sich alsbald uud zog gegen ihn. Und es kam der Sarrazene Agcogolandus
(Aigolaudns) mit einer unzähligen Menge Orientalen, und zuerst kämpften
zwanzig gegen zwanzig, darauf hundert gegen hundert, und so weiter. Immer
blieben die Franken vor den versammelten Heeren Sieger, und es fielen vierzig-
tansend vom Heere Karls und noch mehr auf der anderen Seite. Und alsbald
kamen ans Italien viertausend dem Könige zu Hilfe. Als das Aigolaudns hörte,
floh er; Karl aber stellte die Ordnung wieder in Spanien her und kehrte heim“).
Aiogolandes sammelte ein ungeheures Heer unter allen orientalischen Königen
mit Ausnahme des Königs von Indien gegen Karl. Auf die Kunde davon
Hess Karl die Sklaven frei, befreite die Gefangenen, versöhnte sich mit seinen
Feinden und bot die Könige Englands, den König Argerus (Ogerius) von Däne-
mark, die Herzöge und Fürsten Italiens, Burgunds, Frieslands und fast alle an-
‘) Turpin c. 2.
’) c. 4; der Chronist bezieht irrtümlich das .Unikommen* und .Freuen“
auf das Bild, anstatt auf die, die sich ihm naben. Bei Turpin stirbt der Christ,
der sieb naht, während der Heide unversehrt bleibt.
•) c. 5.
‘) c. 8.
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128
deren unter dem Christeuvolke auf '). Und er batte in seinem Heere Bischöfe,
Priester nnd Mönche, um die tiakramente zn s|ienden, well es Sitte war, dass
alle beichteten und das Sakrament empfingen, bevor sie in den Krieg zogen.
Und er hatte hnndortdreiundsiebzigtausend Krieger ohne die anderen, die ihm
zn Hilfe kamen, die nnzftblbar waren, und sein Heereszug war zwölf Meilen
lang*). Und Aiogolaudus verspracb dem Karl viele Schätze, wenn er sich ihm
unterwerfen wolle. Karl aber ging mit einem Ritter, als wenn er ein Bote
wäre, zu ihm und forschte dort nach allen Ueheimnisscu. Und endlich schlug
er ihn vollständig*). Nachdem die Sarrazenen solche Verluste erlitten hatten,
wollte sich Aiogolaudus taufen lassen und Christ werden, da er den Christengott
filr mächtiger hielt. Und als er zur Taufe kam, sah er unter anderem dreizehn
Arme, die Christum und seine Apostel vorstellteii. Da sprach er entrüstet:
„Wer seines Gottes Boten so schlecht nährt und pflegt, der dient ihm nicht
gut“*). Und am anderen Tage erklärte Aiogolandus wieder den Krieg. Doch
fiel er in der Schlacht, nnd die Seinen wurden getötet oder flohen*). Darauf
schickte der König von Babylou den Riesen Ferrnenntus, der zwölf Fnss hoch
war. Dieser besass die Kraft von vierzig Männern und kannte am ganzen
Körper nicht verletzt werden, ausser am Nabel, weil er mit Drachenblut eiu-
gerieben am ganzen Körper hart geworden weder mit Pfeilen noch sonst irgend-
wie verwundet werden konnte. Dieser forderte Karl zum Eiuzelkampf heraus.
Karl schickte ihm zuerst den König von Dänemark; doch der Riese packte ihn
mit der Hand und schleppte ihn in ein Gefängnis, und naeh diesem noch viele
andere. Endlich erbat sich Roland, der Sohn des Grafen Milou und der Tochter
Karls, die Erlaubnis zum Kampfe, die ihm der König nur ungern erteilte. Der
Riese nahm ihn auf dieselbe Weise wie den ersten gefangen und zog ihn auf
dem Pferde den Weg entlang. Da wandte sich Roland, sprang vom Pferde und
riss ihn mit herunter, tötete das Pferd des Gegners, und nun kämpften sie zu
Fnss bis zur Ermüdung. Am anderen Tage nahmen sie den Kampf wieder auf.
Ermüdet ba't der Riese um einen Waffenstillstand, um sich ansschlafen zn
können, und Roland legte ihm selbst einen Stein unters Hanpt. Dann fragte
er ihn, wie es käme, dass er nicht verwundet werden könne, und entlockte ihm
das Geheimnis. Darauf, als er wieder gefangen worden war nnd auf seinem
Pferde sass, durchbohrte er ihm den Nabel, nnd so wurde der Riese getötet.
Noch sterbend rief er Machainet um Hilfe an; doch es flohen vou seinem Heere
zwanzigtausend, und die Christen verfolgten sie und befreiten ihre Gefangenen
aus den Gefängnissen *). Nach dieser Niederlage schlossen zwei andere heidnische
Fürsten, die Brüder Marserius und Gelibandus (Beligandus) arglistig mit Karl
Frieden nnd schickten gleichsam als Geschenk Gold, Silber, vortrefflichen Wein
nnd tausend sarrazenische Mädchen. Und die Christen berauschten sich und
sündigten wie Menschen, und die Heiden besiegten die Christen und töteten eine
ungeheure Menge von ihnen'). Roland aber entkam, und sein hebräisches')
Horn erscholl, und er sammelte hnudert Genossen, mit denen er jene verfolgte.
Er tötete den Marserius und seine Genossen, aber er verlor die hnndert, die er
■)c. 9. *) c. 11. *) 0. 9. *) c. 13.
») c. 14. •) c. 17. *) c. 21.
•) ,hebraica* verlosen für .heburnea“.
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um sich hatte, und wurde selbst schwer verwundet. Daher stieg er auf einen
Berg mit seinem Pferde und seinem Schwerte, das Duranda hiess und unver-
gleichlich an Stärke und Kraft war gleich dem Karls, das Speziosa') heisst,
mit dem er unendlich viele getütet batte. Da er aber sah, dass er sterben
müsse, wollte er es au einem Felsen zerbrechen, aber er konnte es nicht. Da
stiess er so kräftig ins Hom, dass die Adern seines Halses zersprangen. Und
Engel trugen den Klang acht Meilen weit dorthin, wo Kail war. Und der
König wollte zurUckkehren , als er den kläglichen Ruf und Klang vernahm.
Aber Rolands Verräter Analongns (Ganualonus) war dort, der ihm sagte:
.Roland ist auf der Jagd**). Zur selben Zeit las der Bischof Turpin eine
Hesse für die Verstorbenen, und er erblickte ein grosses Heer von Dämonen und
fragte: ,Wer seid ihr, und was tragt ihr?* Und jene erwiderten: .Teufel sind
wir, und wir tragen den Marscrius und die anderen Ungläubigen znr Hölle.
Michael aber führt euren Hornblä.ser, den Roland, mit den anderen zum Himmel*.
Und während er das Karl erzählte, kam der Bruder Rolands und meldete seinen
Tod*). Karl kehrte zurück und weinte Uber seinem Leichnam und schwur, nicht
eher zu ruhen, als bis er ihn an den Ungläubigen gerächt hätte. Die Sonne
aber stand drei Tage unbeweglich, bis er an seinen Feinden Racbe genommen
hatte*). Dann kehrte er zurück und bestattete den Leichnam Rolands und die
anderen, die Könige Englands, Dänemarks, Italiens, und die Fürsten mit grossem
Prunk in den Städten Spaniens und machte reiche Stiftungen für die Kirchen
und eiricbtctc Fundatiunen zum ewigen Gedächtnis jener Könige Dänemarks,
Britanniens und der anderen*). Und oft, bevor man in den Kampf zog, sab
man Lanzen, die man am Abend [197 vbj in der Erde gesteckt hatte, am Morgen
blühen. Auf anderen erschien ein Kreuz, und das war ein Zeichen, dass jene
Soldaten als Märtyrer fallen sollten*). Karl aber kehrte heim nnd erkrankte
alsbald. Da liess er durch den Mönch Isnardus ein Martirologium
unfertigen nnd auch anderes Nützliches schreiben, und er gründete
fünf Klöster zu Mainz, zu Salzburg, zu Köln und anderswo. End-
lich entschlief er sanft im Herrn im Alter von zweiundsiebzig
Jahren nach Empfang des Sakraments in Gegenwart des Papstes
Leo, der Bischöfe und vieler Fürsten. Und er wurde in einem
Marmorgewölbe zu Aachen beigesetzt mit dem goldenen Diadem
auf dem Haupte, auf dem Throne seiner Herrlichkeit; auf seinen
Knieen liegen die vier Evangelien in goldenen Lettern geschrieben,
auf die er seine Rechte legt, nnd in der Linken hält er den Zepter
seines Reiches. So sitzt er gleichsam im Grabe. Es sah aber Turpin,
der Erzbischof von Reims, der sein Leben schrieb, wie damals viele Teufel durch
die Lüfte zogen; nnd er beschwor sie. Jene aber sagten: .Wir fahren zum
Tode Karls, um ihn in die Hölle zu führen“. Er beschwor sie dann, dass sie
zu ihm zurückkebrten. Als sic wiederkamen, sprachen sie: .Wir haben ihm
Brot vorgeworfen, aber es kam einer ohne Kopf, dem Herodes den Kopf
hatte abschlagen lassen, nämlich der Apostel Jakobus, und entriss ihn nn-
‘) bei Turpin c. 8 heisst das Schwert: Gaudiosa.
*) Turpin c. 23. •) c. 26. *) c. 26. •) c. 29.
*) Turpin erwähnt das in den Kapiteln 8, 10, 16.
Hittollnngea d. scMos. Ues. f. Vkde. Band XI n (Hell XXII;. 3
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seren Dämonen, indem er die unermesslichen Wohltaten und Reichtilmer herhei-
hrachte, die die Kirchen von ihm erhalten haben zur SOhnc für seine Sünden ').
Aus der Zeit der Nachfolger Karls sei die Vision Karls
des Dicken erwähnt, in der er die Leiden seiner Vorfahren
ini Jenseits erblickt [lOtD“], und die Legende von der Päpstin
Johanna, die unter dem Jahre 847 ziemlich wörtlich nach dem
Texte des Martinas Polonus erzählt wird, aber mit zwei Zusätzen,
nämlich, dass damals bestimmt worden sei, dass man sich des
Geschlechts des neugewählten Papstes zu vergewissern habe, und
dass am Orte der Niederkunft Johannas eine Bildsäule errichtet
worden sei [198'^’]*). Aus der Zeit Arnulfs wird die Sage von
Hatto von Mainz berichtet’).
[200'»] Bischof Hatho ging elend zugrunde; er wurde im Wasser von
Mäusen aufgefressen. Das war die Strafe Gottes , da er zur Zeit der Teurung
eine mit Arnieu vollgefullte Scheuer hatte anzUnden lassen, und als sie darin
weinten, gesagt hatte; „Wie schreien doch diese Mäuse!“
Ausführlich wird bald darauf die Geschichte des Zauberers
Gerbert erzählt*).
[203 vaj Arnulfus aus dem Geschlechte Karls wird znm Bischof von Keims
ernannt, nachher abgesetzt und der MBnch Gerbert mit der Würde bekleidet.
Nachher aber findet man, dass mau ohne päpstliche Erlaubnis den Bischof nicht
hätte absetzen dürfen; und so wurde Arnulfus wieder eingesetzt und Gerbert
von Otto zum Erzbischof von Ravenna ernannt und wird daun Papst. Daher
der Vers: Transit ah Remis Gerbertus ad Ravennam, fit papa Ingens Bomae.
Dieser Papst geriet auf Abwege und lernte die Nigromantie und die Künste des
Quadriviums; er stahl ein ausführliches Buch Uber die schwarze Kunst, ver-
schrieb sich dem Teufel und wirkte Wunderdinge in jener verwerflichen Kunst,
so dass er zuerst in Reims, daun in Ravenna uud schliesslich in Rom zu hohen
Ehren gelangte. Er hatte vom Teufel die Prophezeiung erhalten, dass er nicht
sterben würde, bevor er in Jerusalem eine Messe gelesen hätte. Es gibt aber
in Rom eine Kirche, die so hei.sst, dort, wo das „romilisehe Asyl“ war. Hier
liest der Papst dreimal jährlich die Messe. .Als nun Gerbert dorthin gekommen
war und sieb znr Messe vorbereitet, wird er krank, und als er seine Zauber-
statue befragt, erhält er die Antwort, dass er sterben müsse. Daher beklagt
>) c. 32.
’) Monum. Germ. Sanctorum XXII 428, herausg. v. L. Weiland 1872; siehe
Dollinger, Papstfabeln 27 ff.
•) Liebrecht, Zur Volkskunde 1879 8. 1 — 16; .Anz. f, die Kunde der deut-
schen Vorzeit XXVI 111; ürässe, .“Sagenbuch 2, 107 ff.
*) Picavet, Gerbert, un pape philosophe d'aprcs riiistoirc et d’apres la li!-
gende, Paris 1897, cap. VI. Quelle ist Wilhelm v. Malmesbury (Migne Series
Int. 179, 1 137),
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er vor den Kardinalen alle seine Sünden und bekennt sie ihnen. Vor Stannen
wis.sen diese nichts zn sagen. Da liisst er sich in seiner Raserei und Angst die
Glieder einzeln abschlagen und vor die Tür werfen, indem er ruft: ,MiSge der
diese Glieder in Besitz nehmen, der sich von ihnen den Lehnseid schwüren Hess.
Meine Seele aber hat sich nie an diesen Eid, oder besser an dieses Sacrileg ge-
bunden“. Er suchte in der Erde verborgene Schätze, er sah solche in Rom auf
dem Marsfelde, aber er erlangte dort keine, sondern anderswo In den Königen
und Fürsten Frankreichs und des römischen Reiches fand er Schüler seiner Non-
gier. Und so ging er endlich leiblich und geistig elend zugrunde. Andere
sagen, er sei wegen seiner Busse gerettet worden.
Von Otto III. erzählt die Chronik, dass ihm Karl der
Grosse iin Traume erscheint, ihm tliicht, dass er aus Neugier
sein Grab habe öffnen lassen, und als Strafe verkündet, dass er
ohne N'aehkommen sterben werde [204'"“]. Unter dem Jahre 1013
folgt dann die Sage von den Tänzern von Kölbigk, inhaltlich
genau nach dem Bericht des Otbert, also wohl aus Wilhelm von
Malmesbury direkt oder durch Vermittelung des Vinzens von
Bt'auvais entlehnt '). Wertvoller dagegen für die deutsche Sage
ist der Bericht über den Tod Heinrichs II.
Der Merseburger Kelch.
[2U4vb| Als Heinrich starb, kamen die Teufel und klagten ihn wegen
vieler Vergehen an. Aber St. Laurentius brachte einen grossen goldenen Kelch
herbei, legte ihn auf die Wage, und die Schale mit den guten Werken sank
herab. Und der Teufel berührte mit der Zange den Kelchkuauf, wie mau heute
noch an dem Kelche, der in Merseburg ist, sehen kann.
Bei Adelbert, der im Leben Heinrichs zuerst diese Sage
erwähnt, stammt die Spur am Kelche davon, dass die hcrab-
sinkende Schale zu hart auf den Boden aufstösst, so dass
unsere Fa.ssung eine selbständige Weiterbildung der Sage dar-
stellt*). Im Anschluss an Wilhelm von Malmesbury*) wird dann
zum Jahre 1044 die Geschichte von jener englischen Hexe er-
zählt, die sieh drei Nächte vor den Dämonen bewachen
lässt, in der letzten Nacht aber doch von ihnen, trotzdem sie in
eine Ilirschhaut eingeschnürt und mit Ketten im Sarge festgebunden
ist, durch die Lüfte in die Hülle entführt wird. Wir kommen
•) Wilh. V. Malmesb., Gesta regum Anglor. lib. II § 174; Viuc. Bellov.
Spec. hist. lib. XXVI c. 10; siehe E. Schröder, Die Täuzer von Kölbigk -(Z. f.
Kirehengeach. 17 (1896) 94 ff.
*) Adelberti Vita Heinrici II, luipcratoris (Script. Germ. hist. IV 810).
•) Gesta reg. .4ngl. lib. II § 204 (Migne 179, 1188).
9»
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nun zu einem Stoffe, der in der neueren deutschen Literatur eine
gewisse Rolle gespielt hat und deswegen etwas eingehender be-
sprochen werden mag. Wieder im Anschluss an Wilhelm von
Malmesbury, aber mit mehreren Abweichungen und Kürzungen,
erzählt unser Chronist unter dem Jahre 1049 die folgende Ge-
schichte.
Das Harmorbild.
(206 '•>] Zu derselben Zeit feierte ein vornehmer Jüngling mit einer Jung-
frau seine Hochzeit. Mit seinen Gefährten ging er hinaus, um zu spielen. Da-
bei steckte er den Ring, den er erhalten hatte, an den Finger einer Statue, die
dort stand. Als er ihn aber nach dem Spiele wiedemehmen wollte, konnte er
ihn nicht vom Finger abziehen. In der Nacht kehrte er mit einem Gefährten
dorthin zurück, aber er fand den Ring nicht mehr, da er weggenommen worden
war. Als er sich nun seiner Braut nahen will, fühlt er, wie sich zwischen ihn
und sie ein Gespenst wie ein dichter Nebel drängt, sehen aber konnte er es
nicht. Und dieses Wesen spricht: „Ruhe bei mir, denn du hast dich mit mir
durch den Ring verlobt“. Und so geschah es immer wieder. Endlich offenbart
der Bräutigam dieses Geschehnis seinen Frennden und Eltern. Diese riefen
einen Priester, der zugleich ein Schwarzkünstler war, mit Namen Palumbns,
dem sie grosse Versprechungen machten. Dadurch verlockt, schrieb dieser einen
Brief, den er dem Bräutigam gab mit deu Worten: „Geh und stell dich um
Mitternacht an einen Ort, wo vier Wege Zusammentreffen. Dort werden viele
Fröhliche und Traurige in mannigfacher Verfassung an dir vorüberziehen. Sprich
jedoch mit keinem. Aber wenn ein Weib auf einem Tier in der Tracht einer
Dirne vorüberreiten und dich frech anblicken wird, so übergib ihr den Brief“.
Der Jüngling tat das, forderte von ihr deu Ring und erhielt ihn auch zurück.
Der Dämon aber streckte seine Hände gegen den Himmel aus und rief laut:
„Allmächtiger, wie lange wirst du die Schandtaten des Priesters Palumbus noch
dulden!* Als aber dieser Ruf zu deu Ohren des Palumbus draug, erkannte er,
dass sein Ende gekommen war, und er bereute vor dem gesamten römischen
Volke seine unerhörten Freveltaten und bekannte sie. Und dann schlug er sich
freiwillig alle seine Glieder ab und starb unter dieser entsetzlichen Strafe vor
den Augen aller. Vielleicht ist er doch eine Beute der Dämonen geworden.
Von den inhaltlichen Änderungen, die unser Chronist vornahm,
ist die bedeutendste, dass er den Brief sofort der Dirne zustellen
lä-sst, während bei Wilhelm von Malmesbury der Brief einem
obersten Dämon überreicht wird, der dann das Dämonenweib zur
Rückgabe des Ringes auffordert. Es liegt hier in Wilhelms Be-
richte eine römische Volkssage vor. In einer der Handschriften
schlie.s.st .sie nämlich mit den Worten: Das erzählt sich die ganze
römische Landschaft bis auf den heutigen Tag, die Mütter lehren
es ihren Kindern, damit sie es der Nachwelt überliefern*); und
■) Munum. Germ. hist. .Scripiurcs X 471 aus einem Codex zu Canterbury.
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133
der Glossator einer anderen TTandsehrift setzt als Namen des
Jünglings Lucianus und der Jungfrau Eugenia hinzu '). Das Er-
eignis, das sich nach Wilhelm im Jahre 1045 zugetragen hat und
von ihm um die Mitte des 12. Jahrhunderts aufgezeichnet wurde,
hat bereits im Mittelalter eine starke Wirkung ausgeübt. Denn
bereits im 13. Jahrhundert findet sich dasselbe Motiv in wenigstens
drei Handschriften zu einem Marienmirakel verarbeitet vor*).
Danach spielen junge Leute Ball; einer befürchtet, den Ring, den
er von seiner Geliebten erhalten hat, zu beschädigen. Er will ihn
einstweilen in der Kirche ablegen. Da sieht er ein Bild Marias;
über dessen Schönheit entzückt, entsagt er der früheren Liebe und
steckt den Ring an den Finger des Bildes. Das Bild krümmt den
Finger. Trotzdem heiratet der Jüngling einige Zeit darauf. In
der Hochzeitsnacht erscheint ihm Maria, sich zwischen ihm und
der Braut lagernd und den Finger mit dem Ringe vorstreckend.
Er verlässt die Braut und wird Mönch. Nach der anderen Ver-
sion steht die Marienstatue auf dem Platze vor der Kirche. Im
17. Jahrhunderte wurde Wilhelms Venusgeschichte zu neuem Leben
erweckt. E. G. Happel gab eine fast wörtliche Übersetzung davon
in seiner Sammlung seltsamer Geschichten, die 1687 in Hamburg
erschien*). Derselbe Band aber enthielt eine in fünf Kapitel ge-
teilte Geschichte: Die seitzahme Lucenser-Gespenst, die „ein
sehr curieuser Frantzose von den aller neuesten Scribenten“ aus
Lucca berichtet habe : Ein italienischer Reisender Alessandro wird
von einem gewissen Donati in das Haus einer gespenstischen Dame
geführt, aber daraus glücklich befreit. Dieser Donati und die
Dame müssen so nach ihrem Tode umgehen, weil sie zu Lebzeiten
als Gastwirtsleute viele Fremde ennordet haben ‘).
Von einem Marmorbilde, das Venus vorstellt und Leben an-
nimmt, ist jedoch in dieser Geschichte gar nicht die Rede.
') Cod. Bari. 261 des Wilhelm.
’l A. Mussaffia, Studien zn den mittelalterlichen Harienlegeuden (Wiener
Sitzungaberiebte, pbil.-bist. Kl. 113 (1886) S. 62 Nr. 29, von wo obeustehendc
Inhaltsangabe entnommen ist; ferner 11.3 S. 979 Nr. 67 und etwas abweichend
113 S. 986 Nr. 49; 115 (1887) S. 49 Nr. 2.
•) E, Q. Happelii Relationes Curiosae, Hamburg 1685 — 1689, 5 Bde., Bd. III
470; hier ist die Geschichte in die Zeit Heinrichs IV. (1056—1106) verlegt; sie
tr> die Überschrift: Die Teufflisebe Venus.
*) ebenda III 510.
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134
1819 crticliicii Elclieiulorf fs romantische allegorisieronde
Novelle: Das Mannorbilcl. Ein Brief an Fouqud (2. XII. 1817)
erwähnt zugleich, allerdings in recht unbestimmten Ausdrücken,
dass er wohl zu seiner Novelle iu Happels Lucenscr (ieschichte
die entfernte Veranlassung erhalten habe. Eichendorlf scheint
sich also nicht mehr darüber klar zu sein, dass er zwei ver-
schiedene (Quellen in seine Novelle hineingearbeitet hat*). So
wurde ihm das Lucenscr Gespenst zur Marmorvenns, die im
Frühling wieder Leben annimmt, um die Jugend *von christlicher
Frömmigkeit zu heidnischer Sinnenlust“ *) zu verlocken.
Sehen wir hier die alte Form geändert, aber auch mit neuem
Geist belebt, so finden wir sic bei einem anderen Novelli.sten un-
verändert wieder. In den „Venetianischen Novellen“ Gaudys,
die 1838 erechienen, führt die eine den Titel „Frau Venus“.
Hier haben wir trotz alles äu.sserlichen Beiwerks nach Inhalt und
Form die mittelalterliche Sage, nur dass sie nach Verona in die
Zeit nach Tan Grandes II. Ermordung durch seinen Bruder Can
Signorio (13ö9) verlegt wird, und da.ss der „Maure“ Palombo nach
dem Zauber sj)urlos verschwindet.
Doch kehren wir nach dieser .Abschweifung zurück zu unserer
Weltchronikl Im Jahre 1131 „befiel das heilige Feuer viele,
doch sind mehrere durch die .selige Jungfrau und Magdalena auf
ihr Gebet hin von der Krankheit befreit und geheilt worden“
[211**]. Philip]) II. von Frankreich „erblickte, in den Händen
des Priesters die Hostie nach der Konsekration blutig gefärbt
und als Fleiscli, aber man sagt, das .sei an anderen Orten gc-
.schehen zur Vernichtung der Häresie, welche die Anwe.senheit
riiristi in der konsekrierten Hostie läugnet“ [213*'’]'*). Mit dem
Jahre 1200 wendet sich das Interesse den Tartaren zu. Von lien
an vei-schicdenen Stellen zerstreuten Angaben über Sitten und
Bräuche der Tartaren .sind die meisten der Keisebcschreibung des
Mandcville entlehnt*). Für die Sagenge.schichte interessant ist die
’) Danach ist zu berichti(?cii , was Ewald Reinhard in dem Aufsatze über
Eichendorffs Novellen (Literarischer Ilandweiser 1900 Nr. IS S. 1 f.) sagt.
’) Vogt n. Koch, Deutsche Literaturgesch. ' 1897 S. 870.
*) Über die Hostienwunder 8. Schönbach, Studien zur Erzählungsliteratiir
des Mittelalters VI. Teil (Wiener Sitzungsber. phil.-hist. Kl. 1.t6 (1908) I).
*) In der .Ausgabe von J. 0. Ilalliwell, The Voiage and Travaile of Sir
John Maundeville, London 1839, cap. XXlll S. 247 — 265,
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135
Begründung der Abstammung der fränkischen Könige von
den Troianern.
[2I9va] Das Königtum der Franken liat seinen Ursprung in den Troianern
ans der Keit des Fürsten nnd römischen Kaisers Aurelianus. der denen die Frei-
heit versprach, welche die Frauken botinässig machen könnten. So kam Pri-
amus II. mit einem Heere aus Phrj'gien und Troia, um sie zu bekriegen, und
danach regierten seine Söhne.
Audi zur Sage vom bergentrückten Kaiser bietet die
riiroiiik einen kurzen Beitrag. Nachdem von dem Gericht
Innocenz' IV. über Kaiser Friedrich II. die Rede gewesen ist, zu
dem der Kaiser nach Lyon geladen worden war, fährt der
Chronist fort :
[220va] Er wurde Friedrich von Sleffanborch (Stanffeu) genannt. Und es
geht die .Sage, dass er dort noch hente lebt, weil man nichts von seinem Tode
liest. In einem Kriege in Italien verschwand er nnd ist noch nicht wieder-
gekominen. Aber zu den Zeiten des Herzogs nnd Kaisers Ludwig von Bayern
trat einer in den Rheingegenden auf, der sagte, er wäre der Kaiser Friedrich,
und viele nahmen ihre Länder als Lehen von ihm. Oer Kaiser lachte darüber,
doch schliesslich wurde die Zahl seiner Anhänger zn gross. Deshalb zog der
Kaiser gegen ihu, belagerte die Stadt, in der er sich aufhielt, bis man ihn ans-
lieferte, und liess ihn in einem Oefässe verbrennen.
Au.s der Geschichte desselben Kaisers sei nocli erwähnt die
Sage von dem Versuche der Freunde des gefangenen Herzogs
Friedricli von Österreich, diesen mit Hilfe des Teufels
aus Ludwigs Gewalt zu befreien [227'^*]. .Te mehr wir uns
dem Zeitalter des Chronisten nähern, desto dürftiger wird der
Sagenstoff. Das ist ja ganz natürlicli; eine Sage braucht Zeit, um
zu reifen. Auch ist der Blick des Historikers in dieser Zeit zu
einseitig auf die Wirren in der Papstge.schichte, die Re form versuche
auf den Konzilien und die beginnenden Häresien gerichtet; die
Darstellung nimmt oft ein.seitig dogmatisclien Charakter an, da ist
kein Platz mehr zum Fabulieren; schliesslich werden diese Inter-
e.ssen abgclöst von Darstellungen der kleinen politischen Fehden
zwischen den einzelnen Territorialherren; in dem Drange der Zeit
geht dem Chronisten der historische Blick für das Bedeutende
ebenso verloren wie die Lust am Legendenhaften. Hin und wieder
hören wir ein scharfes Wort über die letzten Regenten. „König
Wenzel betrank sich täglich ... Er liess nicht ab vom .süssen
gallischen Wein und anderen berauschenden Getränken“. Schlie.s.s-
lich haben die Frankfurter „einen Strohmann gemacht imd in
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136
einen Mantel cingcsclilossen, der den König vorstellen sollte, ihn
durch die Stadt wie einen Räuber geschleppt, abgesetet und fort-
geworfen“ [230'*’]. Und doch geht auch die Beschreibung der
Zeitgeschichte des Chronisten nicht ohne Gewinn für die Sagen-
geschichte dahin. Der eine dieser Stotfe spielt auch in der
heutigen Volkssage noch eine wichtige Rolle. Unter dem Jahre
1412 findet sich der folgende Abschnitt.
Die schwarze Greet.
[234’''’] Die andere Tochter des Königs von England, Greta mit Namen,
heiratete den König von Dduemurk und führte nach seinem Tode die Regierung.
Sie fügte den Seestädten viel Unrecht zu und lebte ausschweifend. Endlich
aber wollte Gott den Freveln ein Ende machen, und nachdem sie viele getötet
und den Städten in Belagerungen und sonst vielen Schaden zngefügt hatte, soll
sie mit Leib und Seele von ihrem Schiffe ins Verderben gestürzt worden sein.
Und man nennt sie die , schwarze Greet“ (Nigra Greta). Ihr Leib wurde
später mit grossem Prunk beigesetzt, aber in derselben Nacht entstand in
Westfalen ein grosser Schlund in der Erde, und dort ist, wie das Volk all-
gemein erzählt, ihre Seele hineingefahren.
Erinnern wir uns, dass Johann von Hagen selbst Westfale
ist, und da.ss er jedenfalls bald nach seinen Kindheitsjahren zum
Eintritt ins Kloster die Heimat verliess; somit ist die von ihm
mitgeteilte Sage die Form, in der sic um 1425 in Westfalen er-
zählt wurde. Noch heute ist die „schwarze Greet“ dort dem
Volke bekannt.
„Da birst das Moor, ein Seufzer geht
Hervor aus der klaffenden Höhle;
Weh, weh, da ruft die verdammte Margret:
„Ho, ho, meine arme Seele!“ —
so heisst es in Annette von Drostc-Hülshoffs Gedicht: Der
Knabe im Moor'j. Aber das Hauptgebiet dieser Sagen ist
Schleswig. Sie sind gesammelt in K. Müllenhoffs Sagen, Märchen
und Liedern der Herzogtümer Schleswig, Holstein und Lauenburg*).
Hier sind Sagen von einer Riesin, die einen PeLsen schleudert
(S. 269), einen Berg in der Schürze trägt (S. 273) und das Dane-
werk baut (S. 275), mit einer Sage von St. !\Iargareta, die den
Fischern verbietet, einen perlengeschmückten Fisch zu behalten
*) Gesammelte Schriften, l’otta, Bil. I 97.
•) 1845 S. 14 Nr. XI, S. 18 Nr. XVI, S. 157 Nr. CCXV, S. 2fi9 Nr.CC'CLXl,
S. 273 Nr. CCCLXVII, S. 275 Nr. CCCLXXI, S. 342 Nr. CCCCLIX, S. 585 Nr. DCV-
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137
(S. 157 und Anni. S. 598), auf eine K<ini>rin Margareta übertragen,
die als Gespenst über das Danewerk reiten muss (S. 342), nach-
dem sie zu Lebzeiten mit den Holsten Krieg geführt hat (S. 14)
und die Elbe und Schlei mit einer Kette gegen feindliche Schiffe
abgesperrt hat (S. 18)‘). Der bisher älteste Beleg für diese Sagen
von der Königin findet sich im Chronicon Holsatiae des Presbyter
et Scriba Bremensis. Dieser verlegt aber den Kampf der
„swarten Grete (Nigra Margarita)“ in die Zeit um 1175,
wo gar keine Königin Margareta regiert hat*). Dafür hat man
bisher in der Margrcthe Sambiria, die bis 1282 regierte, das
Urbild der Sageiikonigin sehen wollen ’). Doch mit Unrecht. Sie
bot keinen genügenden Anlass, um ;\Iiftei)unkt und Träger von
einer Reihe von Volkssagen zu werden. Und den historischen
Irrtum des Bremer Chronisten haben seine Nachfolger, die ihn
ansge.schrieben haben, dadurch stillschweigend berichtigt, dass sie
für Margareta den König Waldemar setzten. AVie der Bremer
Chronist, der doch Zeitgenosse der Unionskönigiu gewesen sein
muss, wie er Zeitgenosse des Johann von Hagen war, zu seinem
Irrtum kam, ist nicht nachweisbar. Aber bereits K. Müllenhoff
hat, ohne allerdings historische Beweise dafür zu haben, richtig
angenommen, dass die Trägerin der späteren Sage die Unions-
königin Margareta (1353 — 1412) gewesen ist, dass man in ihr die
, schwarze Margaret“ zu erblicken hat*). Müllenhoffs Annahme
findet in unserer Sagenversion ihre Bestätigung. Unser Chronist ^
war auch über das Ende dieser Königin gut unterrichtet. Mar-
gareta starb wirklich auf dem Schiffe, als sie 1412 nach Flens-
burg gekommen war und wieder heim fahren wollte, noch bevor
sie den Hafen verlassen hatte. Und die Volk.ssage, die jene
Riesensagen auf sie übertrug, zeigt, welch gewaltigen Eindruck
die bewundernswerten Kegierungstaten der Königin auch auf ihre
Gegner machten, wie die Sagen von der Verdammnis dieser Kö-
nigin die natürliche Folge ihres oft rücksichtslosen, grausamen
A’ergehens gegen ihre Feinde sind.
Liess sich in diesem Falle eine Angabe unserer Chronik ver-
werten, um die hi.stori.schen Beziehungen einer Volkssage darzu-
') 9, J. Urimm, Oeutsclio Mythol. * III l.%5.
') Monmnenta inedita rerain (icrinanicanini ed. E. J. de Wcstphalen, III 43.
Üansk biografisk Lexikon Bd. 11 (1897) 116.
‘) a. a. O. S. 692. Anm. zu S. 18 Nr. 16.
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138
legen, so sind einige andere Bemerkungen des Clironistcn eher
geeignet, die durcheinanderlaufenden Fäden einer anderen mittel-
alterlichen Sage noch mehr zu verwirren. Wir finden hier nämlich
zwei Angaben iilier den „Priester Johannes“, die der son.stigen
Sage fremd sind. Hagen erwähnt diesen Presbyter Johannes
bei drei Gelegenheiten. Die eine der Nachrichten, die er unter
dem Jahre 120J bringt, geht inhaltlich auf eine Angabe des Vin-
zenz von Beauvais zurück
[215'''’] Zu diesen Zeiten wurden die Tartaren, die von den Produkten
ihrer Herden leben und in Zelten wolmen, und die dem Könige Indiens unter-
geben waren, von diesem Könige, dem Presbyter Johannes, aufgefordert, den
gewohnten Tribut und Frondienste zu leisten. Da hielten sie einen Rat unter
sich, und einer von ihnen mit Namen (iwiscam (Cingischan) gab den Rat, sich
gegen David, den König Indiens, ihren Herrn, zu emiiören. Die anderen
stimmten diesem zu, sammelten ein Heer, überfielen deu nichtsahnenden König
Indiens und töteten ihn.
Unbekannt dagegen ist in der Johannessage der von Hagen
gebrachte Auszug aus .Mandevilles Keisebe.schreiltung, dass Karls
des Grossen Paladin Ogier von Dänemark auf einer Orientfahrt
einen friesischen Grafen zum Könige Indiens gemacht habe, der
von seinen Gefährten wegen .seiner Frömmigkeit „Priester Jo-
hannes“ genannt worden sei. Der Mandevilletext, der dem Chro-
nisten vorlag, mu.ss diese Stelle wohl enthalten haben. Die eng-
lische Ausgabe, die mir allein zugänglich ist, kennt ihn nicht, und
in ihr würde das Kap. 27, das über den Glauben des indischen
Kaisers handelt, .schwerlich mit der Angabe Hägens über die Her-
kunft seiner Dynastie in Einklang gesetzt werden können. Auch
wei.ss die Literatur über diese Sage von Hägens abenteuerlicher
Angabe nichts; ebensowenig die französische Sage von Ogier von
Dänemark. Zum drittenmal tut Hagen dieses Königs während der
Be.schreibung der Regierung König Sigismunds (1410—1437)
Erwähnung.
[235 fa] Der Kaiser Imlieiis, mit Namen Presbyter Jobanuea, schrieb an
Sifrismund, den Römischen König, ausführlich über die Reichtümer und Provinzeu
Indiens und drückte den Wunsch aus, Sigismund zum Marscliall seines Hofes zu
machen, wenn er damit einverstanden wäre; denn der König Indiens glaubt,
dass ihm die Herrschaft Uber die gesamte Christenheit zukomme.
') Spec, hist. Uh. XXIX c. fiO. Vgl. dazu (inst. Oppert, Der Presbyter Jo-
hannes 1864 S. 64 — 66; F. Kampers, Alexander der liros.se und die Idee des
Weltiinperiums 1901 S. 100—110.
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139
Diese Notiz überträgt den angcblicli vom Könige Indiens an
den griecbisclien Kaiser Manuel I. Koninenus (1143 — 1180) ge-
richteten Brief*) über die wunderbaren Schätze und die Macht
der indischen Könige auf Sigismund. Wodurch diese Verwechslung
verschuldet wurde, lässt sich leider nicht feststellen. Die Angabe
zeigt aber, wie lebendig diese Sage noch im Ausgange des Mittel-
alters im Volke war.
Endlich möge noch ein Abschnitt aus unserer Chronik erwähnt
werden, der ein schönes Beispiel für die Entstehung von Volks-
sagen ist. Im Jahre 1455, in der Nacht vom 7. zum 8. Juli,
vollführte Ritter Kunz von Kaufungen den kühnen Prinzen-
ranb auf dem Schlosse zu Altenburg“). Welchen Anteil das
Volk an diesem Ereignisse nahm, beweist ein alter Bcrgreihen
vom Prinzenraube, der noch die Sprache des 15. Jahrhnntlerts er-
kennen läs.st“). Dieses hi.storische Volkslied gibt noch ziemlich
genau den richtigen V'erlauf des .Abenteuers wieder. Die Nach-
richten der folgenden Jahrhunderte aber haben einen Sagenzug
nach dem andern in sich aufgenommen, obwohl die besten urkuml-
lichen Berichte darüber Vorlagen. Ein Vergleich des sicher aus
mündlicher Quelle .stammenden Berichtes unserer Chronik mit dem
urkundlichen Material zeigt, wie .schnell hier die Phantasie des
Volkes die (Jeschichte ausschmückte; der Chronikbericht ist ja nur
etwa zwölf Jahre nach dem Ereignis abgefasst. Er hat folgenden
Wortlaut.
[245 r*>] Im Lande Meissen geriet ein Adliger Kunrad Kaiifnng (Corradus
Kapliiinge), ein vortrefflicher Kriegsnianu, Anitmium des Herzog.s im Schlosse
Altenburg (Aldenborch), in Zwistigkeiten mit dem Herzog. Der KUcheukneebt
(coquiis) gab sich zum Verrat her, liess ein BcUiich herab (pallium), und der
Ritter erstieg mit seinen (»efährten die Schlossmauer und nahm die beiden Söhne
des Herzog-s gefangen, als sie schlafen gehen wollten. Als die Mutter um Hilfe
rufen wollte, setzte er ihr das Schwert auf die Bru.st, damit sie .schwieg. Und
sie machten sich auf zwei verschiedenen Wegen fort, damit, im Falle dass der
eine Teil mit dem einen Knaben gefangen genommen würde, der andere ent-
käme und bei einer Aussöhnung die tiofangenen gegen den anderen Sohn frei-
') .4bgedr. bei Oppert a. a, 0. S. 107 ff. Eine gute Handschrift dieser
Epislola findet sich im C'od ms IV F 3.3 (Bl 27'a} der Kgl. u. Univ.-Bibl, zu
Breslau (Ende 13. Jh., aus dem Kloster Heinrichan); und vom J. 1424 in Cod.
ms, IV F 81 (Bl. 205vai.
’) Vgl. Willi. Schäfer, Der Montag vor Kiliani, Dresden 1855; Einige
.\ktenstilcke zur Gesch. d. Sächsischen Prinzeuraubes, .\ltcnbnrg 1855.
’) R. V. Liliencron, Die hist. Volkslieder der Deutschen I (1865) 480.
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140
gegeben wUrdeu. UucI sic kamen in einen Wald, wu Köhler waren. Und man
läutete Stnrm in der Nacht in ganz Heissen. Der jüngere Sohn des Herzogs
aber rief die Köhler zn Hilfe; diese riefen einander herbei, überwältigten die
Räuber und brachten den gefangenen Suhu des Herzogs zurück. Die anderen
aber verbargen sich mit dem andern Knaben in der Sommerhitze drei Tage lang
an einer einsamen Stelle und sammelten Erdbeeren für .sich und den jungen
Herzogssohn. Schliesslich aber schickten sie einen nach Lebensmitteln ans.
Dieser wurde ergriffen und verriet, nachdem liian ihm dafür das Leben versprochen
batte, die anderen. Und so wurden alle zurUckgebracht und enthauptet. Der
Verräter aber wurde gevierteilt und gerädert.
Die urkundliche Darstellung; dieses Ereigfnisses, die uns in
dem Schreiben erhalten ist, das der Kurfürst Friedrich zu Sachsen
zur Rechtfertigung seines Vorgehens gegen Kunz an die Reichs-
fürsten gerichtet hat, weicht von der vorstehenden Schilderung in
den folgenden Punkten ab. Kunz gelangt auf einer Strickleiter,
die ihm ein am Abend vorher ins Schloss gesandter Knecht zu-
wirft, in das Schloss, erbricht das Zimmer, in dem die jungen
Herzoge bereits schlafen. Sein die Tat erschwerendes Verhalten
gegen die Mutter ist in unserem Berichte frei erfunden, ebenso
wie die Angaben, dass die Prinzen auf verschiedenen Wegen ent-
führt wurden, dass Köhler den älteren befreiten und der jüngere
von Beeren leben musste, bis die Ergreifung eines nach Lebens-
mitteln ausgeschickten Ritters auch zu seiner Befreiung geführt
hätte. Im Berichte des Kurfürsten werden beide Prinzen den
Räubern von den Verfolgern abgejagt; auch ist hier nichts davon
gesagt, dass Kunz gevierteilt worden sei. Das Beerensuchen aber
erwähnt bereits das Volkslied und auch die anderen abweichenden
Züge unseres Berichtes finden sich in den sagenhaften Darstellungen
des Ereignisses im Laufe der folgenden Jahrhunderte wieder.
Wir sehen somit, dass sich der Hauptprozess der Sagenbildung
bereits in den wenigen Jahren nach der Tat vollzogen hat, .solange
das Interesse des Volkes und die Erregung über den Vorfall noch
lebendig waren; an dem Ergebnis der Entwicklung dieser ersten
Jahre ist in der Folgezeit nichts Wesentliches mehr geändert
worden.
Mit dem Berichte über den Prinzenraub nähern wir uns dem
Ende der Chronik. Wie eine Erinnerung an längst vergangene
Zeiten mutet es an, dass der Chronist mit einem Ausblick auf den
Weltuntergang und das jüngste Gericht .sein Werk beschlie.s.st;
schon dieser eine Zug zeigt, dass er noch das echte Kind des
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Mittelalters ist. So i.st äusserlicli die Einheit herftestellt; mit
einer Betrachtung des Wesens Gottes begann er, mit der Rückkehr
der Menschheit zu Gott vollendet er die Weltgeschichte. Wie
mannigfach und bunt Geschichte und Sage auch an dem Le.ser
vorüberzogen, alles findet in der Gottheit Vollendung und Ab-
schluss. Wer wie der mittelalterliche Scholastiker die Welt .sub
specie aeternitatis betrachtet, für den ist alles Vergängliche nur
ein Exempel, ein Gleichnis de.ssen, was wir als Wahrheit erkennen
werden im Jemseits.
Verzeichnis der besprochenen Sagenstoffe.
Ogier von Dänemark — Alexandersage — Petrus schickt
einen Sendboten in die Lüneburger Gegend — Barlaam und Jo-
saphat — Hinde als Pührerin der Hunnen — Merlin — Theoderich
wird in den Vulkan ge.schleppt; Vision — Siebenschläfer —
Theophilus — König Artus — Judenknabe — blutendes Kruzifix
— Brandan — Ägidius — Amicus und Amelius — Karlssage
nach dem Pseudoturpin — Vision Karls des Dicken — Päpstin
Johanna — Hatto von Mainz — Zauberer Gerbert — Otto III.
von Karl verflucht, da er sein Grab öffnen lä.sst — Tänzer von
Kölbigk — Merseburger Kelch — Hexe aus dem Sarge von Dä-
monen entführt — Marmorbild (Frau Venus) — heiliges Feuer
von Maria und Magdalena geheilt — Bluthostie — Troianer als
Vorfahren der Franken — bergentrückter Kaiser (Friedrich II.) —
Herzog Friedrich von Österreich soll durch den Teufel aus dem
Gefängnisse gerettet werden — Wenzel als Strohmann — die
schwarze Greet — Priester Johannes — der Prinzenraub des
Kunz von Kaufungen.
Drei Dramen mit Verwendung der schlesischen
Mundart aus dem Jahre 1618.
• Von Ür. Alfred Lowak.
Im Jahre 1618 erschienen in Wittenberg drei Dramen, zu
einem Bande vereinigt, anonym im Drucke: 1. Acolastus, Eine
Lustige ('emoedia vom verlorenen Sohne; 2. Eine Schöne Comoedia
vom Alten vnnd Jungen Tobla; 3. Tragicomoedia, Ein schön
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Teutsch Spiel Vom Holoferiie viul der Juditli. Ihr Verfasser
ist der Laiibaner Pastor prim. .Martin Hölimc (Martinus Ibdie-
mus)‘). 1557 zu Lauban in Schlesien geboren*), besuchte er bis
zu seinem siebzehnten Lebensjahre die Schule seiner Heimatstadt.
Dann begal) er sich nacli Wien, wo er zwei Jahre lang „Kinder
informirct“, und von da nacli Strassburg, wo er ein Lielilings-
schüler des weitlierühmten Pädagogen Profe.ssors Joh. Sturm wurde.
Der Tod seines Vaters rief ihn 1580 nach Lauban zurück, wo er
1581 zum ersten Male predigte und sjiäter die er.ste Pastorstelle
erhielt. Am 5. Februar 1622 ist er in Lauban gestorben. Ausser
den genannten Dramen hat er nocli einen Jetzt verschollenen
„Joseph“ (1610) geschrieben*), sowie ein Kirchenlied und eine
grosse Anzahl Predigten. Der Stoff der Haupthandlung in sämt-
lichen drei Schauspielen Böhmes lehnt sicli an den Bericht der
Bibel an. Fr. Spengler liebt mit Recht hervor^), dass in Böhmes
Dramen ein wirklicher Fortschritt gegenüber dem 16. Jahrhundert
wahrzunehmeii ist: Böhme versteht es, die Haujitpersonen ge-
schickt in den Vordergrund des Interesses zu stellen, wirkliche
Charaktere zu zeichnen, und zu motivieren; ja er richtet schon
sein Augenmerk darauf, dramatische S])aniiung hervorzurufen.
Was uns aber am meisten angeht, sind die Bauernepisoden in den
drei Dramen, die übrigens durchaus nicht gänzlich zu.sammcnhang-
los neben der Haupthandlung heriaiifen: auch hier sucht der
Dichter zu motivieren und alles mit der Haupthaiidlung zu ver-
knüpfen. In diesen Episoden nun bedient sich Böhme teilweise
der schlesischen Mundart. Freilich lässt die Heimat des
Dichters, Lauban, darauf schliessen, da.ss es sich hier nur um
eine im weiteren Sinne schlesische Mundart handle, nämlich
die schlesisch-oberlausitzische; dafür scheinen auch die Formen:
‘) Vgl. über ihn : Scherer in der Allgein. deutschen Biographie III 59 ;
Fr. Spengler: Mnrtinus Bühemus, Jahresbericht des K. K. Uymnasiums zu
Znaim Uber das Schuljahr 1892'93; A. Lowak im VII. Bande der von Max
Koch und Gregor Sarrazin herausgegebenen Breslauer Beiträge zur Literatur-
geschichte, Leipzig 1906 S 96 ff.
*) Die Mitteilungen über M. Böhmes Leben entnehme ich dem Buche:
Lebensgeschichte aller Evangelischen Pastorum, die von 1525 . . . bili auf diese
Zeit in . . . Lauban gelehret und gelebet haben . . . verfertigt . . . von M. Gottfr.
Uoffmann, Lauban 1707, S. 133 — 164.
’) Spengler a. a. 0. S. 2.
<) a. a. 0. S. 6 ff.
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143
sayn, klayn (= dem heutigen oherlausitzisehen soin, kloin) zu
sprechen; indes finden sich diese ebenso aucli im engeren
Schlesien, z. B. um Glogau, Grünberg, Primkenau, Peterwitz und
Neudorf bei Schweidnitz und Mittelwalde'); und wenn sonst noch
als besonders charakteristisch für die Oberlausitz gilt, dass das nhd.
ei = mhd. i hier durch den ai-Laut vertreten i.st, so linden wir
demgegenüber in unsern drei Dramen auch Formen wie; sein (=
mhd. sinem) = nhd. seinem, menner (= mhd. miner) = nhd. meiner,
die gemeinschlesisch sind. Auch in den übrigen Formen unseres
Dialektes ist eine besondere Eigentümlichkeit gegenüber dem
schlesischen Dialekte im engeren Sinne nicht zu erkennen. Man
dürfte daher nicht zu weit gehen, wenn man die Mundart der
drei Dramen als schlesisch bezeiclinet. Leider i.st der Dialekt
hei Martin Bolime stellenweise mit viel Hochdeutsch durchsetzt.
Trotzdem wird ein Neudruck der mundartlichen Szenen von
Böhmes Dramen*) nicht ohne Interesse sein: einmal haben wir
hier eine verhältnismii.ssig frühe und reichliche Probe unseres
Heimatdialektes, und überdies enthalten die betreffenden Szenen
eine nicht unbeträchtliche Anzahl heute vielleicht ganz oder
wenigstens nahezu au.sgestorbener alter Wörter; sie sollen am
Schlüsse des Neudruckes erklärt werden.
Acolastus.
IV 3.
Chremes: Ich bin .schier ey eim halbe Johr 1
Necht ey der Stadt gewest verwor.
Nun nius ich ney vnd dornoch fron,
Wis vmb den Kornkaulf sey gethon.
Sie Saiten mers lief abgeschlayn, 5
Das werde mer wing frume trayn,
Drey marck ha ich dafür gehat,
Do mich ey Becke sehr drum bath,
Noch war mers doch key be.ssel feyl,
Ich hasen doch ey Michel theil, 10
Ich ha Sender.
‘) V’gl. Weinhold, Über deutsche Dialektforschung, Wien IS&t, S. 64.
’) Nur zwei E.Yemplare seiner .Schauspiele sind noch bekannt, die sich in
Berlin und in Wolfenbüttel betinden; dem Verfasser dieser Arbeit stand das
Berliner Exemplar zur Verfügung.
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144
Ich mns ern sehn, wie ichs kan kartn.
Das ich kan (jüldn vnd Thaler niartn.
By wemme sengt, kuni heilgr Geist,
Da gilt der Haber allermeist. 15
(Schient «uff die Taschen)
Da wil ich mir die Ta.sche flickn.
Mit Gülden vnd mit Thalern .spickn.
Ich wil Sender.
Itz geh ich vor ey den Wcinkellr, 20
Do ich vertrinck ey schön par Hellr.
Der Bürger raiussn mirs wider gehn,
AVenn sie mey schön Korn wollen sehn.
(.Sol sich vmbsehn).
Box jes, wän sah ich dorte gihn, 25
Dor (?) Rodtherr ists ich gib zu jhm.
Per hochdentsch redende Ratsherr (iernsius klagt Uber sein (iesinde.
Chrenies; Weisiger Herr jhr dörfft nicht kläin,
Der Sewhirt hot sich ack ge.schläyn,
Mitm grüß Knecht vmb die mittel Maid,
Von dem Handl ha ich lang ge.sait, 30
Ich ho Sender.
(-iernsius fragt, warum das Gesinde jetzt so schlecht sei:
Chremes; Weisiger Herr, ich wils wul sayn.
Wenn sie zu saat gefressen hayn.
So thun sie key guts nimmermehr,
Sie brummen wie ey zeidel Beer. 35
Die Knechte wöln ack spieln vnd sauffn.
Wer was sait, so wöln sie entlauffn.
Die Made sich zu dienen schemn.
Wenn sie gern wollen Männer nehmn.
Wenn man jhn ack ey Wörtlein sait, 40
So schicken sie sichs flucks zur jait.
Sie binden ey vnd woln bal schertzn,
Ju das sie könn die Knechte hertzn,
Zihn ern zu Hause an cn ort;
Do darf! jhn sain key Mensch ey Wort; 45
Wenn sie ack könn am Rackn leckn.
So darff sie niemand frü auffweckn;
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Su gilits vffn Dorff viid ey der Stadt,
Dos aucli viel faule Mägde hat.
Den eben hinzukommenden, bettelnden Acolast empfiehlt C'hrcmes dem
(ierusius als Knecht:
Ey Herr, säht mir den Kerl ers an, 50
Wie es erhungert der Gespan,
Ich bitt vnib Gottswilln nenit jhn an.
Hä wird tun was hä weis vnd kan.
(iernsins geht darauf ein. Bühnenanweisung; Der Knecht und .\colastus
gehn miteinander ab.
Geriisius: .Mein Nachbar geht doch mit mir naus?
Chremes: Icli ha vor was zu richten auß, 55
Dorumb ich heut ging ey die Stadt.
Gerusius; Was Lsts, das es kein Anstant hat?
Chremes: Ich ha zu thun mit meines gleichn,
Ich wil gar baal noch euch naus schleichn.
Wenn ich ack ha mein thun verricht. üO
Gerusius: Ich bitt bleib doch lang aussen nicht.
Ich wolt gern brauchen ewern Rath,
Weil mein Gesindel vnruh hat,
(Gerusius gehet davon.)
Chremes; Mein Nachbar hets %vul angenumn,
Das ich jhm bald wer vif gesprungn, 65
Hä dünckt sich traun keine Saw nicht sein,
Vnd denckt bey sich, ich sey ey Schwein.
Oho, ich bin jhm viel zu gut.
Ich ha traun auch en tappern muth,
Ey ju, ich bin auch noch ey Man, 70
Dos man schwerlich entberen kan.
Ich thu vorwar gar viel bein Sachn,
Was in Gerichten ist zu machn;
Wenn ich nicht wer, ich wolt gern sehn.
Was vn.sern Schnitzen .soll geschehn. 75.
Das weis wul mein Herr Nachbar ju,
Drum spricht hä mir so fleißig zu,
Eu ju, jhm flugs entgegen lauf!.
Ich ha mein Zins bey ihm verkaufft;
Itz wil ich en Weinkeller drabn, 80
Vnd wil mich wermen vnd wul labn.
Mliteilnuirrn H, artiles. Ge«, f, Vküe. Hiuiil Xi S pleft XXII). IB
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Schmeck ich denn, das der Wein ist sawr,
Ich sauff jhn nicht bin ich ein lawr,
Die Börger mügn jhn selber saufn,
So wil icli vffs Dorf wider lauffn; 85
Wil mich darnach niey Nachbar han,
So mus hä mich vor bitten lan,
Süst kom ich nicht, weil ich frey bin.
Ich darf jliin nischt zu Hoffe zihn.
IV 6.
(teorgias und Cipora auf dem Wege zum Gute ihres Herrn;
Georgius; Wie gut hots doch ey Bürgersman, 90
Der sey Guth off dem Land kan han,
Es bringt ihm Weitzen, Gorst vnd Korn,
Mich deucht es sey Jhm nicht gefrorn.
Er kans vmbs Geld genaw wegmessn,
Kan Hatschen, Gänß vnd Hüiuler essn, 95
Hat Ochsen, Schoff vnd Kelber viel.
Die kan ha schlachten wenn ha wil.
Ha wil Sender.
Cipora: Was hilffts iney .lodl, s eß alls zu wing,
Der Geitz es gar ein .seltzsani Ding, 100
Wir trayn jetz so viel Dinges ney '),
Wer weis, obs auch genugsam sey.
Der Geitz liat nicht gmig, sihstu wul,
Hot ha gleich Hauß vnd Scheunen ful.
So hot ha doch kein mal gnug dran, 105
Wil inde noch mie lieber han.
Georgius: 0 Cyper sich zu, stolper nicht,
Sist wirstu die Eyr em Korb zcrbrcchn.
Wie soll ha scheltn, der lu.se Leclin.
Cipora: Mey Jodel, wer könt jhm gethun, 110
Wenn nun die Eyr zerbrechen .schun :
Wil lia sie vnzebrochen han.
So loß ha zents ruinb Ei.sen schlau.
Georgius: Der Vater inöchts nicht achten sehr,
Wenn Acolast daheinie wer, 115
’) .Sie liringen ihrem Gutsherrn I’ebrgus. .Vcnlasts V.ater, die Abgaben.
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So sihstu wie der aide Sühn '),
So tomb kan vrab ey ding leicht thun.
Der alte Narr ist gar der Geyr,
Do gihts herumb das heische Fewr,
Durchstanckert alle Winckel aus, 120
Lest vnbeschnaiipert niclits ini Hauß,
Giebt liecht ein neige Buttrinelch weg,
Ich gleiib, ha gäss es ie in Dreck;
Vorzeitä gab mans arme Leutii,
Itz schabt man alles jhn von Heiitn. 125
Me gebt nischt mie vmb Gottes willn,
Es mus ack alls den Beutel fülln;
Ha zehlt dem Gsiiid auch ey das Brudt,
Icli wolt, das jhn lieut hult der Tudt,
Wenn ack ey Brückle wird verthon, 130
So brumt ha wohl ey Jahr darvoii.
Cipora: Ey lieber Man, ich wil das sayn,
Das ding wird jhin ken frunien train.
Es wird dem alten Knecht gedeyn,
Wim Hundt das Graß, hä mus auspeyn; 135
Der Geyer hat jhn gar besessn.
Das ha für Gcitz nicht kan sat fressn,
Dü kan man nischt zum besten krign,
Darunib mus man sie auch crn betrign,
Wer nischten wil zu sehend gehn, 140
Der mus es blintzend Ion geschehn.
Georgius; Sweig, liebes Weib, vnd kom herein’),
Schow, ob wir auch wilkommen sein.
Ergötzlich ist die dritte mundartliche Szene: V 4.
Anlusslich der Feier der Rückkehr Acolasts hat auch (ieorgius einen Krug
Weins bekommen; angeheitert kommt er zu seinem Weibe:
Georgius: Juch dich, juch dich, mein liebe Griet,
Ich geh nu heim, kom wilstu mit, 145
Ich mus dich nemen a jen Arm.
Cipora: Je Jodel thu nech wie ein Schwarm,
Thu nicht so Herrisch lieber Mau,
') Pbiloponus.
*) In den Gutshof.
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Sich, wie die Leut vns paffen an,
Ey, ey, was wem die Bürper sprechn! 150
Georgius; Was fron sic viel noch mein Gebrechn,
Ich ha dich off den Dorff pefreyt.
Die Bürger han auch jhre frewd:
Frag ich doch nemrig, wie sies niachn.
Wenn sie han jlire siebensachn. 155
Cipora; Ey Man, wilstu denn niclit fort pin.
Wir werden raarter vbel bst in.
Gedenk doch, das der Jung Herr sait,
Wir Süln necht bleiben, biß das tayt.
Georgius: Du schic mey Herr, der karge Narr, 160
Ich woll, das ha het all die Darr,
Das hellsche Pewer sist nischt kan.
Als niefein, Kieseln treiben an,
Vnd sage lieber Zän ausreissn.
Als das Gesind ein bissen beissn. 165
Hier blaset man im Mause wieder auff.
Georgius; Horch, gibt dochs i)feiffen wieder an,
Cipcr, Du must doch cinmahl dran.
Cipora: Man, was ist dir Heut wiederfalirn.
Ich gleub, du hast verlorn ein Sparn,
Du hast ja nicht soviel gesoffn.
Ich glaub, der Narrnsack hat dich troffn.
Georgius: 0 Weib, es ging gar wercklich zu.
In welchem Wiiickel sttickst denn du?
Die Köchin ging vnd holet Wein,
Ich horcht, sie Schluß den Keller ein.
Die Kann nam ich jhr aus der Hand,
Die ich geschwopne full befallt;
Dü wahr ich traun Ju nicht so faul.
Ich wüschte zu tlups mit offs Maul,
Ich suff sie aus, vnd Possen treib.
Das nicht ein Tröpfel drinnen Ideib.
Den Trunck thet ich der Köchin bringn.
Das mir die Augen vbergingn;
Vorwar ich hat mich vbernumn,
Das ich kaum kunt zu üdeni kumn.
Das est mir so in Kopff gestiegu.
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Ich lia soiff, ich werd bleiben lign.
Cipora: Was saite denn die Mapd derzuV
Georgins: Sie lacht vnd sprach, ey traweii ju,
Das heist die Gurgel ausgespielt,
Die Lung vnd Leber abgekühlt:
Da nani ich sie beim Heupt vnd lacht,
Sic sayt, ich hets gar gut gemacht.
Cipora: Do recht die Fraw hot mirs gesayt.
Das du dich zackest mit der .Mayt,
Vnd das du Geyder neckisch seist,
Vnd flugs mit allen Mägden freist.
Ich sag dir, Jodel, sich dich für.
Die Staupsaul sticht fürs Herren Thür.
Georgius: Fraw, deines Leibes, ich mags nicht,
So thut man wer die Eh zubricht,
Ich mag sic wul ey kley wing beign,
Du bist vnd bleibest doch mein cign.
Cipora: Mey Jodel, schweig, sprich nicht äsu.
Bis nicht so sicher, frech vnd rhu,
Vnd thu nicht wie die losen Buhn,
Die spotten Gott im Himmel drubn.
Mit Gottes Wort sie treiben possn,
Wenn sie jhr Käsen han begossn.
Er wils an solchen Spöttern rechn.
Die sein Wort vnd jhr Eh zerbrechn.
Georgius: Wilstu mir Predigen liebe Tock,
So zeuch das Hembd bald vbern Rock.
Cipora: Vorwar ich sey dirs lieber Man,
Solch ding ich vbel hören kan,
*) . . cht ein doch wul das Hertz erkaltn,
. . . Licht sol dir der Lützel haltn.
(Georgius): . . Ristu doch wie ein beißig Gaul,
. . fehrst mir trotzig vbers Maul,
t dir leichtlich was begegn,
. . cht zuletzt noch Püffe regn.
(Cipora): . . . schlag, hast du eines Mannes Hertz,
') Die punktierte» Stellen deuten an, dass hier das Exemplar
schädigt ist.
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stark be-
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löO
(Georgius): . . Es sol dich bald gerewn der scliertz.
. . . gihn aus ein andern Faß,
. . wir nicht wehrn oft’ der Gaß; 225
. . mb solt ich nech lustig sein,
. . . Acolast ist kommen heim?
Philoponus hat diesen Worten zngehört und fragt nochmals, wer ge-
kommen sei:
Georgius: Je junger Herr hat jhrs vernomn,
Heut kam ewer Bruder Acolast,
Ey das war ey wilkummen Gast, 230
Habt jhr nech hörn die Pfeiffen klingn.
Noch der wir all han müssen springn.
Der Vater sich gar lustig macht,
Er hat wie lang nicht so gelacht.
Weil hä den Sühn nn wieder hat, 235
Sie stachens Kalb, ey das war fet.
Philoponus: Wen hat er denn mit sich gebracht?
Georgius: 0 Herr, hä führt ein grusse macht.
Philoponus: Wer warn sie denn, hör, sag mirs bald!
Georgius: Sie warn gleich wie die Lenß gestalt. 240
Philoponus: Was hat er denn für Kleider an?
Georgius: So schien, das ichs necht sagen kan.
Philoponus; Was wars für Zeug? sag her mein Knecht.
Georgius; Domaschke Sackleimt, ist mir recht.
Die war gantz wie ey Fischer Netz, 245
Da sag hä rauß gleich wie ey Götz.
Je Herr wolt jhr nicht auch gihn nein,
Vnd mitte guter dinge sein?
Bühnenanweisung; Die Meyern leufft ins Hauß, den Vater anzuzeigen
Cipora: Ey junger Herr, ich lauff ins Hauß,
Vnd hies den Vater kumraen rauß. 250
Georgius; Nun, Junger Herr, jhr glaubts ack nicht.
Was sie für Speiß han Zugericht.
Sie han Wein, Semmel, Fleisch vnd Fisch,
Der Vater sitzt auch .selbs an Tisch,
Drum gibt halt gute Weise mit. 255
,Der Bauer torckclt“ und Philoponus schilt ihn;
Georgius: Mey Junger Herr, halt mirs zu gut,
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Das ich war be}' so guden Math,
Es kümt mir nech all Tage für,
Das ich könt trincken Wein vnd Bier.
Philuponus schimpft weiter anf ihn:
Georg ins: So gihts vns armen Bawerslentn, 260
Wir müssen ey gantz Jahr arbeitn,
Wenn vns ey Trenckel ist beschert,
So han wir ey gantz Land verzehrt.
Wenn sich ey Bawer ey mahl freet,
Ich lial, es wisd jhm wnl bekreet. ■ 265
.Die Mcyern kümpt wider* und Philoponus jagt beide fort.
Georgins: Ich habs mie als ein mahj gehört,
Kum, Cyper, heim gib mirs geleit,
Dn sihst, das wir schnn han be.scheit.
Cipora: Nun han wirs Marster wnl gemacht,
Vnd vns beim Snlin in Vngunst bracht. 270
So gihbs, wenn man begeust die Nall,
Da stell man sich gleich wie ein Haß,
Drum geh ack fort, bald bleistn lign,
Du solst dein theil dalieimen krign. 274
Tobias.
Im Dialekt sprechen der Bauer Corydon und sein Nachbar
Menalias: die in Betracht kommenden Szenen sind II 4; II 5; IV 4.
II 4:
Corydon; seine (liochdeutschsprechende) Tochter A.selgia, Ra-
guels Magd; ihr Bräutigam Pamphilus (ebenfalls hocluleutsch-
redend).
Corydon: Ich stund gleich ey d’Scheun vnd drasch,
Vnd meine Fraw', die hat ein wasch.
So schickt mein Tochter naus en Botn,
Was seyn wird, kan ich nicht derrotn.
(ich kan sender.) 5
Ich ließ flugs alles stin vnd lign.
Ey ey, wo werd ich sie nu krign.
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Bühnenanweisung: Die beide reden mit einander vnnd fechten mil den
Händen.
Sich (loch, dort kömht sie mit eiin Knecht,
Was lian sie doch für ey gcfecht.
(sie han sender.) 10
Aselgia klagt, daß sie grüßen Arger habe:
Corydon; Du must ind, ind was newes san
Vnd Jung: vnd Eyer beysammen han.
Was war es denn für ey gehotrV
Aselgia klagt, daß Sara, Kaguels Tochter, sie verleumdet habe.
Corydon: Der Schoffliuud dancks d’losen Mchrn.
Die Stadtleitschen thun all a su, 15
Als wehr ein Bawren Kind ein Kuh.
Horch, du hasts auch ern wollen han.
Aselgia sagt, sie habe Sara nichts getan; sie klagt ihr Leid; sic könne
Saras Behandlung nicht mehr ertragen.
Corydon: Je horch, wie wilstus gleichwul inachn?
Wie thustu immer mehr den sachn?
Heim tarstu nicht, das westu wul, 20
Die Stiffmuttr i,st der bußheit ful.
Wer sie dir nicht zu zeh gerotn,
Du seihst mir nicht so dorumb zottn.
Sol ich dich dann gen Hoffe thun.
So ho.stu auch geringe Luhn. 25
(du liest sender.)
Wu wilstu immermehr hinkomn?
Aselgia: Nichts be.ssers als ein Man genomn.
Corydon: Do .setzen se, sie sein gedrot,
Key Kerl nimt dich, der auch was hot.
Aselgia: Je Vater, ich bin schon versagt. 30
Corydon: Ey seys .Marig Gotts Muttr geklagt.
Je, Mädel, welstu schun en nehinn?
(du wehst sender.)
Aselgia: Ich mus mich mit der zeit betiemn.
Corydon: Je, ist dirs auch zu thun gar wul? 35
Wer es sey Nenn? wie heist dey Rul?
Aselgia: Mein Freyer ist von frembdes her!
Corydon: Horch, wenn der Kerl auch redlich wer.
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Aselgia; Des hat er zcugmis, Brif vnd Sigl.
Corydon: Horch, wenns denn wer ey Biertigl,
Der seine Pfiing fürn Zapffii trüg,
Vnd dir all Tag die Haut vol schlüg.
(hä schlug Sender.)
Aselgia lobt ihren Liebsten, nur arm sei er.
Corydon: Das Lst nischt. wer kein Heller hot.
Der bringt sein Narung nicht zu rot.
Der Tage tretten viel daher.
Der Mahlzeiten sein noch viel mehr.
Das Maul wil jmmer essen han,
Von Wänden inans nicht .schaben kan.
Ein Handwerk auch anlog bedartf.
Man sichts in allen Winckeln schärft'.
Wer niclits hot, der mus bleiben steckn,
Da mus das Weib am Rocken lecken.
Der est des Bettelmannes Brudr,
Mit dem man nicht erwirbt vil Fudr.
Wenn der Man nicht kans Handwerg treibn,
So mus hä stets ey Bettler bleibn.
•tselgia hält das Leben eines Handwerkers fUr weniger aufreibend
des Bauern:
Corydon: Des auch wor, ich mus selber sagn,
Das wir vns schendlich mü.ssen plagn.
Drumb, wie du w'ilt. gefeit er dir.
So nim jlin liin, er sol nicht mir.
Horch, wenn dir nu der Kerl entlieff?
Aselgia: Ich hab sein Lelir vnd Gehurts Brieft'.
Corydon: So wi.stu, hinder wenn du sitzt,
Den Kerl hast du ja wul gefitz.st.
Drumb sicti zu, Gibs jm ju nicht wiedr.
Sie sein zu krorap, die gude Brüdr.
Wo es hä denn? Kan ich jhn sehn?
Aselgia ruft I’amphilus:
Corydon: Vorwar, das ist ey stadlich Man,
Ey wenn dich wol der Lechem han.
Ey Mänle mit eim strüerm Leib
Gilt viel mie als ey gülden Weib.
Box jes, ha hot ein tappern Mut.
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als das
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Aselgiii bittet um des Vaters Einwilligung:
Corydon: Was ists denn, das jhr beide klait,
Je hab ich doch nie neyn gesait.
Ey ju wil ich docli Hertzlidi gern.
,(iebcn einander die Hände“. I'ampbilus erkundigt sich aber gleich
der .\u8Steuer der Braut;
Corydon: Ich wil dirs sayn: Laß mir derweil.
Do mir mein erstes Weib gestarb,
Mein Nahrung mir schir gar vertarb.
Mir zoute nicht der Witwer ordn,
Ich wer gar bald zum Bctler wordn.
Was solt nu meinem ding geschehn,
Ich must mir otf ein ander sehn.
iMein Kindern must ich viel vermachn,
Das sie auch können sich bcsachn.
Die Tochter ha ich wul bedacht,
Ja jhr sechs schelgc Mark vennacht.
Sie hat Jhr au.sgedingt dazu,
Zwo Ziegen vnd ein inelcke Kuh,
Zur Hochzeit vnd zum Betgewaiidt
Halb hundert marck pelchä .sein benant.
So viel du nimmermehr bequemst.
Wenn du gleich ein Stadt strintze nenist.
Du nembst sender.
Famphilus ist damit noch nicht zufrieden.
Corydon: Mein Kerls, ich ha der Kinder mie.
Ich kan nicht sehn allein autt’ sie.
Du kanst ja deine Hand bederbn.
Das du auch kiimpst zu eigen vnd erbn.
Famphilus und .Aselgia bitten den Vater um mehr Aussteuer.
Corydon: Die Still Mutter hat all die kröck.
Für der ich mich nicht gerne rock.
Doch wil ich selbs ein Ochsen brengn,
Der lang nicht hat gczogn an Strengn.
Vnd wil denn zur Stieft’mutter sprechn.
Ich wül dir jhn am Geld abrechn.
Zur halben mastig ist ha schun.
ha es sender.
75
nach
80
85
90
95
100
105
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155
Aselgia: Ey Vater, habt jlir denn kein llun?
Corydon; Wert jhr euch ack wul lossen an,
So solt jhr wul ein Vater han. 110
Ich wil kummen manclimal gesclilichn,
Vnd euch in ewrera Haus besichn.
Da woIn wir vns zum Ufen setzn,
Vns mit eim guten Trunck crgetzn.
Kein Pfennig sol es euch gestihn, 115
Es sol aus meinem Beutel gin.
Daheimen Trinck ich nichts als Born,
Sonst hab ich der Stiff Mutter zorn.
Der Born hat wul ein guten saftt.
Doch ist darin geringe kraflft. 12Ü
Wenn ich einmal in Kretschem lauft',
Vnd mir ein Kenlein Bier kauff.
Ich halt, sie mich wilkommen lieist,
Wünscht, das mich hui der böse Geist.
Sie sagt, ich hab sie nicht bedacht, 125
Vnd meinen Kindern als vermacht.
Drumb sie so hefttig kratzt vnd krimt,
Vnd als in jhr Verwahrung nimt.
Davon wird mir das mein entzogn
Vnd werden meine Kinder betrogn. 130
Solt ich mir denn am Leib abbrechn
Vnd nicht zuweiln ein trinckel zechn.
So thet ich euch vnd mir vnrecht,
Mich vor der zeit zu Grabe brecht.
Doch wil ich alles nicht verzehrn, 135
Mein Gütter könn mich wul ernehrn.
Vnd wenn ich dann einmal werd sterbn.
Ein gut stück Brot werd jhr ererbn.
II r>:
Corydon hat gleich Einkäufe zur Verlohungsfcier gemacht :
Corydon; Ich ha vmb sechs pölchu Seml gckautt't,
(Corydon hat Semmeln in Armen)
Vnd het mich balde drübr geraufFt. 140
Ich sait, die Semmeln sein zu klein,
So Saiten sie, so las sie sein.
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Will du sie nicht, so las sie lieftn,
8ic weiden ein andern Kauffnian kripn.
Ich schnltetst heut, was seit ich sain, 145
Icli must sie zum Verlöbnis hain.
Ich wer viel inie noch müssen gen,
Dieweil die zusag ist gesehen.
Ey Schweinen Ilriitel oder siebn,
Sein in eim rischen nein geriehn. 150
Man keufft ey beßle vrab ein Biemn,
Das es so dünne wie ein Ricinn.
Vor Bier werd ich niü.ssen gen
Mie als ein weissen oder zehn.
Vorwar man geh ein neigle Bier, 155
Das ich im Trunck erschreck dafür.
Ich .sül auch was von Weine schenckn,
Wie jederman wul kan gedenckn.
Ey sieben I’öchel für ey Quart,
(Sol am Barte streichen)
Das es zu tewr bey meinem Bart. 160
Doch geh iclis gern, es ligt ni.scht dran,
Dieweil mans mus zu Ehren han.
Ey Ey, was dings wirds noch geslin,
Biß das die Braut zur traw wird gin.
Dem Weib darlfs ich nicht halb bekenn, 165
Sie söl mir .sonst den Bart auskemn.
Drey .schiUge Thaler ha ich gespint
In Balcken, das sie key Mensch lind.
Ich ha traun sorg, sie müssen fort,
Biß ich das ding bring auff ein ort. 170
Doch wil ich sie wul wieder krign,
Die Bürger wil ich auch betrign.
Wenn ich breng Korn vnd üerst herein.
Keß, Butter, Hüner, Gänß vnd Schwein.
Da körnt vorwar des Bawers Keul 175
Gar tapper auff des Bürgers Beul.
Schiimp wieder Schiimp, so mus maus niachn.
Wer sich wil in der Welt besachn.
In diesem .\ut;enhlicke kommen Tobias und .\sarias (der Kngel Raphael).
Asarias; Glück zu mein Man, was machstu hier?
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157
Corydon:* Do wart ich für des Rag:els Thür. 180
Asarias: Auff wen, mein Man, sa<? niirs doch an?
Corydon: Mey Kerles, was geh ich dich an?
Docli das diis weist, ich wart allhier
Auff meine Tochter. Tobias; wo ist sie?
Corydon; Sie dient ey dem Haus ey halb Jar, 185
So dünckt sie, als werns zehn vorwar.
Asarias; Wieso, was mus für vrsacli han?
Corydon: Die vrsacli weis ein jedcrinan.
Das Teuflfel Asmo drinne wohnt,
Nun hot has Haus bald angezont. 190
Darnach legten sies off die Mayt,
Ich halt sie grein, do sie mirs sayt.
Sie sat sender.
Asarias gibt der Magd die Schuld ;
Corydon: Wer hat jhr’) denn die Mennr er.schlagn?
Gros wunder, das sie auch nicht sagn.
Mein Tochter ha sie hingericht. 195
Tobias: Behüt mich Gott, da frey ich nicht.
Corydon: Je raey Kerl, was wüst du dich zeihn,
Das du dir wölst das Weib derfreyn;
Denck, jhr sein ey der erste Nacht
Wul sieben Männer vmbgebracht. • 200
Es wer viel be.sser, das dus list,
Weil du ey hisch jung Blüttel bist.
Sich, hestu mir mein Arm zuschlan,
Das ich sie müst am Halse trän,
Vnd liest mir so zudroschn den Kopp, 205
Das lia kling wie ey hole Topp:
So könt ich dirs doch rothen nicht.
Ich ließ die Braut han all die Gicht.
Asarias sagt, der Teufel Asmud habe die Männer erschlagen, nicht Sara.
Corydon (zu Tobias): Ich sey nicht. Es ders Leben feyl.
So thu derzu, versuch dey Heyl. 210
Der Asme kan dich auch erwüi-gn.
Du hast so wing alß jene Bürgn.
Darau say ich der von der Braut,
') Sara, iiaguels Tochter und Braut des Tobias.
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158
Sis ey Rotz herbe biese Kraut.
Du sollst dem Teuffel bein Horen krign. 215
Asarias zeiht den Bauer der Lüge:
Corydon; Mein Tochter körnt, was Riht niichs an,
Hier körnt des ßawren Tochter: Ad filiam:
Horch, der wil des Herrn Tochter han!
Wir sein Affen, das wir hie stin,
Korn las vns in die Garküch Rihn.
IV 4:
Anlässlich der Verlobung seiner Tochter hat sich Corydon einen Rausch
angetrunken :
Corydon: Vorwar, der Trunck hat midi erschlichn, 220
Ich wer mir en Geferten suchn.
Der mich vffn Wege fort kan treibn, ^
Ich möcht süst leichtlich liegen bleibn.
Der Bawer mus taumeln.
Ey Tronckner mus die Loft't vermeidn.
Die Lofft den Tronck wil gar nicht leidn. 225
Wenn man beim Tronck sich nüchtern dünckt,
Körnt man naus, bald man liinekt vnd sinckt.
Do ich noch tranck, do war mir wul.
Mich docht ich wer key bessel ful.
Itz kann ich kaum otfn Füssen stin, 230
Ich weis nicht, wie ich heim sol gin.
Hett ich itz hinne Wahn vnd Pferd,
Das wer vorwar ey gut Gcferd.
Itz kommet Menalcss.
Mein Nachbar Nelcke körnt mer recht.
Vorwar ha hot auch ern gezecht. 235
Gefatter Nelck, en gude Morgn!
Corydon soll husten.
Menalcas: Wie eß der, welstu doch derworgn.
Es hot sich marster wul gemorgt,
Förn Seiger hastu nicht gesorgt.
Sich doch, die Son gar nidrig stiht.
Das sie gar bal zu goulde gibt.
Dyt (?) Marg man jtz leuten wird.
Du hast dich ey der Zeit verirt.
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159
Corydon:
Mcnalcas:
Corydon;
Menalcas;
Corydon;
Menalcas;
Corydon;
Menalcas;
Gefatter, wo hastu pjesessn?
Corydon sol aber husten vnd krölpsen.
Du host fett Schweine Fleisch gefressn,
Vnd host kalt dinpr bald drautl' gesoflfn,
Gefatter Nelck, du hosts getroffn.
Rot nu, das hastu schon derrotn,
Wie safftig worn die Schweinen Brotn.
Gefatter menner, sa mer recht,
Wu hastu dich so full gezecht?
Mein Tochter ha ich heut verthon,
Rodt, was michs wird gestanden hon.
Das wirstu selbs am besten wissn.
Ich wer ders ack erzehle miissn.
Der Garkoch wul acht biem bekam,
Darzu ich auch drey Herig nam
Vnd kaufft auch vmb 6 pclche Wurst,
Ey wie hot mich doch druff gedurst!
Drüm ha ich ausgegiin für Bier,
Ich glaub ein Dotgen oder vier.
Vorwar, die jauche war nicht arg.
Ich fühls im Heut, sie war gar starck.
Sechß pclche gab ich aus für Semmeln,
Noch kont die Tochter so sehr bemraeln,
Das ich noch Wein derzu liß huln,
Do macht ich lostig jhren Buln.
So gibstu dey Kind ey die Stad,
Was toug doch drein ein Bauer Mad!
Sie werd ack müsse Eule sein.
Doch wie du wilt, das Kind es dein.
Mein Tochter es nicht grob vnd faul,
Se hat vorwar auch Zeen im Maul.
Fürn Bürgern wird sie sich nicht .schemn,
Se lest er sist nicht leichtlich nemii.
Noch siste gleichwuhl, wiß zugiht,
Key Bauer ey der Stat bestiht.
Die Huffart es ju gar zu grüß,
Der Bawr des Bürgers Narr sein muß.
Sie dencken, sie verstins allein
Vnd vnscr einer sey ey Schwein.
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160
Vor Zeiten war es ju nicht su,
Do wahr auch guter fried viid ruli.
Die Junckern liattn die Börger lieb,
Itz heissens Hurnsen, Schelm vnd Dieb. 285
Die Bürger hieltens mit de Baum,
Itz heissens röltz vnd gi’obe Laurn.
Do es kein fried noch einigkeit,
Kein trew, lieb noch gerechtigkeit.
Der vorthel es bey jederman, 290
Eis plogt das ander, wu es kan.
Ein jeder heit vil von seim plundr,
Werds su gut wem, so hot michs wundr.
Du west wul, was sayt vnser Pfarr,
Das vnse Grußnen ey Bauer wahr, 295
Ein Bauern vnser grusse Muttr,
Die gübn den Kühen selber futtr.
Etz thun Börger vnd Edelleut,
Als betten sie ack Perlen heut,
Vnd wir wem ack allein aus Erdn, ßOO
Drümb achten sie vns gleich den Pferdn.
Wenn wir sie nicht helffn all dernehrn,
So würden sie gar lang nicht zehrn.
Offm Pflaster wechst traun nicht gar viel.
Vom Ackr vns Gott dernehren wil. 305
Jedoch so mus en ordnung sein.
Das wir nicht lauffen wie die Schwein.
Wenn nicht im Dorff ein Juncker wer,
Vnd ey der Stadt ey Bürgmeister,
Su thet ein jeder, was ha woll, 310
Eis macht das ander tomb vnd toll,
Keis für dem andern fridlich säß.
Ich hal, das eis das ander fräß.
Drumb sols wul sein em ganfze Land,
So gönn man jederman sen Stand. 315
Wenn die gramhafftig weiß ack thet
Vnd keis das andr zum Narren het.
Corydon; Gefatter, du redst wul von sachn.
Du wirst mir arst gedancke machn.
Ob ich mach Hochzeit ey der Stadt. 320
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161
Menalcas: Machs wie du will, dei Hertz dei Raht;
Wer ich wie du, ich thet es nicht, •
Du siclist wul, wie man vns anficlit.
Sulstu dein Volck gar bretigen rein,
Sie mnsteii Eule Spiegel sein, 325
Die Hörger hettn gän Affe feil,
Sie würden vns gän vnser theil.
Druinb inagstu wul daheinie bleibn,
Vnd ey der Stad nicht hutfart treibn.
Ott in Dorff bistu bey dem Gespan, 330
Do dich key Bawer tadeln kan.
Do mögen wir en Krätscliein gin,
Vnd Tantzen bey dem lichte Kin.
Do können wir vns tapff'er freen,
Gar biß die Hann gen Tage krehn. 335
Do führt denn hüsch bey Monde scliein
Ein jeder Hans sein Grittel heim.
Corydon; Ja libr Gefatter, du redst wul,
Icli bin ju gar zu stöckne ful.
Ey Ey, wie drückt niichs vmb die Brost, 340
(Sol husten)
Ich hal, sis mer so von der Worst.
Es wol (?) mir, lieber, gämlich sein.
Menalcas; Gefatter, thu nicht we ein Schwein.
Sich doch, mey Kerl, wie taumelstu,
fleh heim vnd leg dich an die ruh, 345
Vnd .schloff die fole tapff'er ans,
Korn, ich gih mit dir biß fürs Haus.
Wie weltu bey dem Weib bestin,
Ich hal, es wird dir vbel gin.
Corydon: Es gih, wis kan, ich mus derleidn, 350
Sie werd mir ju nichts heut ab,schneidn.
Judith.
Schlesisch sprechen die Bauern Mogetus und Agricus, die
Bäuerinnen Thestilis und Agatha, und Phidomenus, ein
„Filtziger Bawer“. Sie treten in II, 5 und V, 3 auf. Inhalt:
Schilderung des Kriegselends.
HlttcllitDKOn d. »clilos. Go:«. f. Vlide. Band XI 2 iHnO XXIt>. 1 1
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162
II 5.
* Mogetiis: Ey liebes Weib, wie grosses Leiclt
Han wir erlebt in dieser zeit;
Wir müssen immer sein gerüst,
Das Land jtz voller Landsknedit ist,
Die fressen vns vorm Maule weg 5
Brodt, Kese, Butter, Fleisdi vnd Speck.
Tregt man jlim nicht bald vf den Tisch
Nach jhreni Willen Fleisch vnd Fi.sch,
So gihn sie flugs selbs cy den Stall,
Besehn die Schott' vnd Kinder all; 10
Was mager ist, das bleibt wul stihn.
Das Fettest mus Ilugs mit jhn gihn.
Da worlfn sie die Haut davon,
Das Fleisch gar vbel wird verthon.
Es werd sender.
Thestilis: Gott wirds erbarmn em Himmel drübn 15
Was an vns thun die bösen Buhn,
Mein Gans vnd Hüner sein verthan,
Itz greitt'en sie der Tauben an,
Sie .schie.ssen sie vom Dach heruntr,
Wens Haull anbrant, diis wer kein wundr, 20
Ich hat ein gantz schock Hüner gihn,
ln eira Tag warn sie halb dohin.
Die andre ich (in) Backott’en stockt,
Dofür ein stuB Holtz tapper legt,
Dozu hatt ich gethon den Han; 25
So bald ha ting zu kreen an.
So warn die Hüner all verrothn.
Sie sein schün allzumahl gebrotn.
Zwcltf Botter Topp, zwu tonnen Küß,
Hatt ich, die warn gar schün vnd äß; 30
Die hau sie mir all abgebocht.
Vnd .sein schier alle durchgebrocht.
Sie wühl Ack Wein vnd Bier saufn,
Vnd wirdt doch alles verthon mit haufn.
Wenn man jhn gleich gibt, was man hott, 35
So treiben sie ack draus den Spot.
Sic sprechen : Wir sein Wirdt em Hauß,
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163
Was Hauß pst, mag sich backen draus.
Wu .solcli Wesen soll lenger welirn,
So bleibet vns nicht mehr zu zehrn, 40
Sie niü.ssen mit vns hunger leidn,
Ich hal, das söl vns breiigen Frewdn.
Agricus: Hör Agath, was die Thestel sayt,
Wie gar üots jämmerlich sie klayt,
Uilit-s jlin doch ärger, als vns gibt, 4ö
Wie wuls bey vns nicht kö.stlich stillt,
Mücht eim doch wul das Hertz zubrechn.
•Agatha: Ey kuint, wir wollen sie ansprechn.
Agricus: (iliick zu Gefatter am Ober End,
Wie gihts euch itz bey dem Elend? öO
•Mogerns: Es gibt nicht wul, das Gott derbarm,
Key wunder wers, vnß freÜ der Harm;
Was wir han ey viel .larn erworbii.
Das es ey kurtzer zeit verdorbn ;
Wenn vns drum breclit Wa-ssr oder Fewr, 55
Der scliluß oder sterben Vngeheur,
Su inusten wirs ja sii verge.s.sn:
Ey su bans bise Leut gefressn.
Denn man key wortle sagen thar.
Das frist vnd bittert itmnerdar. 00
Agricus: Ich vnd mey Weib lian zugeliort,
Ey langes vnd ey breittes dort.
Wie jhr hat vbers grüsse Leidt
So sehr geschrien alle beidt.
Mogerus: Wie stihts bey euch? hat jhr dech rhu? 65
Agricus: Was rhu? Es stiht auch su vnd .su.
Das Vnglück es itz gar gemein,
Drum klait so sehr grus vnd auch klein.
Doch könn wirs noch äsu derleidn,
Ob wir .schon nicht han gro.sse Preudn, 70
Der Fänrich cs ey vuserm Hauß,
Der timt jhra wie die Katz der Maus,
Er legts jhn zäh vnd es jhn fest,
Dasselbig ist dech vns das best.
Er es ey Kerl, jhr glaubts ack nicht, 75
Wie hä sey thun .so w'ul verricht:
11»
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164
Die Landsknecht müssen fridlich sein,
Sist schlet lia mit sein Knüttel drein.
Agatha: Ju, lieber man, das es wul wohr;
Subald hü aber kömp.t fürs Thor, 80
So sein die Landsknecht gar zu toll,
Zumohl wenn sie sein stückne vol.
Nun wahr der Fänrich auch nicht do,
Do worn die Landsknecht hör vnd froh.
Ich hal, es ging bund vber eck, 8.ö
Sie worn doch alle wie die Höck,
Ich mags reden, semmr all die Feifl,
Sie warn nichts anders als die Teiifl:
Wie wir vns legten ey die Kamnir,
Da wehr bal worden grusser Jammr: 00
Mey man lag still vnd .sanffte schlieff.
Ein Schelm die Kammer starck vf lietf.
Setzt jhm die Wehr bloß an die Brust,
Wolt mit mir bü.ssen .seine lust.
Da sprang ich eylends aus dem Bett, 95
Zwe schärfte Messer ich da hett.
Die fa.st ich bal zu beyden lliindn.
Hets jhm gestus.sen ey die Lendn,
Derweil der Man dergreilf den Spieß
Vnd traft' jhn. das hes bleiben ließ. 100
Wie nun der Fiihnrich wieder kam,
Vnd vnser grusse Klag vernam.
Dem Kerl thet hü en Po.ssen reissn,
Er ließ jhn schlagen ey die Eisn;
Do worden alle Landskneclit still, 105
Vorwar, der bösen Straft' schaft't viel.
Thestilis: Je lieb Gefatter, das es gut.
Wenn alle hotten sülchen Mut,
Vnd wenn die Heutleut hielten Schotz,
So blieb daliinden mancher Trotz; 110
Bey vnsern Nachbarn es nicht su.
Sie hen zu Tag und Nacht necht rhu;
Der Oberst selber ist nicht frumb.
Ist Gottloß. Vnkeu.sch, Schlimm vnd Krumb,
Itrunib sein die Knechte gleich wie er, 115
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165
Sie liiibeii wieder ') Zucht iiocli Khr,
Sie fluchen eckel Schlapperment,
Mit Sternen, Tonnen. Eleineiit,
Mit Wunden. Martern, Kreutz vnd Leidn,
(iott lestern i.st jlir beste Frewden, 120
Rs sey Rleich Abend oder Morpn,
Vnib Gott den Herrn sie nicht viel sorgen,
Kein beten geht aus jhrein Maul,
Sie fressen wie ey Hund vnd Gaul.
Sie .si)rechen : kein Saw frist vnd bet, 125
Vnd werden gleichwol groß vnd fet;
Ist gleich ey Ding nicht halb gekocht.
Noch hau sie alle.s wul gemocht.
Sie sprechen, sie hau Stehlern Magn,
Wer kochts den Wölffen?, sie auch .sagn, 130
Sie .schlogen Schloß vnd Ka.sten aufl',
Do sehn die Huren fleißig drauff.
Das sie erwischen bares Geldt,
Vnd sünsten, was jhn wul gefeit;
Ein Men.sch sic halten wie en Hundt, 135
Do werd niancli fruin Mensch sehr verwundt.
Manchs wird auch heimlich gar derschlayn,
Wers hat gethon, kan nieniandt sayn.
Sie treiben mit dem Fraw Volck schand,
Key Weib eß sicher of dem Landt. 140
Drumb, lieben Männer, thut derzu.
Schafft euch, auch Weib vnd Kindern rhu.
Wir könns die lenge nicht so endn,
Ihr must zusehn, wie jhrs kont wendn,
Ihr must mit eysern Flegeln dreinschlagn. 145
Agatha; So mü.stn sie ihr Leben wagn,
0 lieben Männer, rückt euch nicht,
Glaubt mir nur, das jhr nischt ausricht,
Ihr macht ack viel ein ärger spiel.
Wüst jhr denn nicht das Sprichwort gutt: 150
Viel Hunde sein der Hasen Tudt?
Drumb setzt ack still vnd hat gedolt,
Gedenckt, das wirs han su verscholl.
') .Sull wohl heissen; weder.
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16ß
Tliestilis; Ihr liat reden, lieb Gefattr,
Das macht, jhr kent nicht vnser Tatr, 155
Wer vnser Volck in ewern Hauß,
Ilir schlügt sie mit Mistgabeln aus;
Der Fehnrich heit euch wul den Rückn,
Das jhr euch necht für jhm diirfft bückn,
Glaubt mir gewißlich, wenn ha thet, 160
Ihr werdt wul sehen, was jhr het.
Agatha: Ey, sie sein ju nicht all a su.
Manch Knecht lest jeden wul zu rhu,
Er beth vnd singt, sich frömlich heit.
Der bösen weiß jhm nichts gefeit. 165
Thestilis: Schweig still, die Wort kan ich nicht hörn.
Ich says bey meiner Trew vnd Ehrn,
Sie sein all vber eine Leist,
Den keiner gar viel guts bewei.st;
Ist einer gut, .so seins all gut, 170
Denn einer wie der ander thut,
Söln sie noch lenger stelle lign,
Vnd sie nicht irgendt pölie krign.
So könn wir .selbs im Land nicht bleibn.
Weil sie so gar gnis Wesen treibn; 175
Drumb seht, das man sie all erschlcgt;
Denn weil sichs Vngeziefer regt,
So es im gantzen Landt kein rhu,
Drumb thut man gleich mehr bal darzu.
Mogetus: Nun liebes Weib, thu doch gemach, 180
Sie sein zu stark, wir sein zu schwach,
Kömts ack darzu, wie *) wein sic drc.schn.
Sie allzumahl zum Landt naus Pre.schn.
Agricus: Ich het wohl selber solchen Sinn,
Das man sie .schlüg fürn Geyer hin. 185
So han wir jhr zu viel daheim,
Ihr Hundert ist gegn vnser eim,
Sie fressn vns, wem wir gekocht,
Drumb hilfts nicht, das man .schnart vnd pocht.
Agatha: Ihr lieben Mennr, euch nicht verraest, 100
') WoLl statt : wir.
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Seilt zu, das jlir nicht Gotts vergest,
Von Gott kömpt das gross Vnglück her,
Des Zorn ist eyfrig hart vnd schwer.
Wir habens mit der Sünd verdint,
Drunil) weis zeit, das man jhn versühnt; l!t5
Wie silit inan doch sey liebes wundr,
Wie es geht ey der Welt jitzundr;
Es ist kein Gottesfurcht im Landt,
Der Aberglaub es keine Schandt,
.Man flucht, man schilt, man lestert Gott, 200
Sein Wort man höret an mit spot,
Ey igliclis wil .sem Kopp nach lebn,
Autf die Fürstehr kein Hrücklen gehn,
Wie grus es Haß. Grol, Zorn vnd Neid,
Man find kein Lieb noch einigkeit. 205
Wie es die Hottart so gestign,
Die alden mustcr bleibn lign,
Man mus all dar was newes han,
Mit spielen nehrt sich mancher man,
Man frcst vnd seiitt't. man Ruht vnd Hurt, 210
Welch luse Leben wirdt geführt,
Niemand wil mehr barmhertzig sein,
Was man derwischt, das steckt man ein,
Manch Mensch leugt, das die Backen bign.
Der froinb kan bald ein Schandfleck krign; 215
Wenn solche Sünden stratt't der Pfarr,
So heists, wie tollert vnse Narr,
Solch ding siht alles Gott der Herr,
Dann er wirdt vns die Stratt' so schwer,
Drunib sollen wir vns all bekehrn, 220
So wird Gott vnsern Feinden wehrn.
Thestilis: .la lieb Gefattr, ses alles wohr,
Dus wir solln Biusse thun zuvor.
Doch mus man auch den Kerles wehrn,
Die vns stihn noch Gut, licib vnd Ehrn. 225
Fürwar, wenns bey mir -stünd allein.
Ich schlüg mit beyden Feusten drein,
Vnd hieltt' sie all zum Land naus treibn,
Sollt ich gleich of dem Platze bleibn.
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Agricus :
Thestilis;
Agatha :
Thestilis:
Mogctus:
Agricus:
Mogetus:
Ey Thesti‘1, komm, es ist huch zeit,
Das Volck viis vbenn Halse leit.
Wer weis, was sic derweil anfaiign!
Mit jhm merd *) ich vorwar nicht Prangii,
Ich wolt, das sie all holt der Bock,
Wern jhr gleich hundern*) tausent Schock.
Ey, besser wers, wem sie bekehrt.
Ihr keiner solchs von Gott begehrt.
Vielleicht wird man sie ferner führn,
Do sie ey theil die Hüls verliern.
Zu guder Nacht bewahr euch Gott,
Der helft' vns doch von dieser Notli!
V 3.
Entimus, ein „Ehrlicher Bürger“ und Pliilodomeiius
„Filtzigcr Bawer“. ln der Mundart spricht der Bauer.
Klagen über die Kriegsnot.
Entimus fragt den Hauer, wie cs ihm bisher gegangen sei.
Philod.: Gegangn? Ich woll, sie wem gefangn.
Die vns han vberii Hals gelegn.
Der Lutzei sprech jbn ftugs den Segn,
Sie han vns haussn schier all derschlayn,
Dorüber dürtft jhr drin nicht klayn;
Ihr wahrt fest ey der Stadt verschlossn,
Sie mu.sten euch zu fride lo.s.sn.
Sie musten ,ser.
Entimus behauptet, dass man in der ,Stadt mehr als draussen zu
gehabt habe.
Philod.; Das glaub ich nu noch nimmermehr.
Wie kan das jmmer müglich sein.
Ich ha verlorn Ross, Rindt vnd Schwein,
Mein Kasten han sie all durchsucht
Vnd han sich drüber wul Zuflucht,
Sie suchen Gelt vnd fundens nicht,
Ich docht, jhr lieben Brüder sücht.
Die Vogel sein geflogen auß,
') werd?
Soll wohl heissen: hundert.
230
235
240
, ein
245
leiden
250
255
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169
Do hau sie midi gemattert selir,
Idi Söll jhii sagen, wo Gelt wehr, 2HO
Ich docht, ich wil dirs doch nic.lit weisn,
Vnd solstu midi zu stücken reissn.
Sonst es mey Vorrath gar dohin,
Ich mus nu sehn, was idi gewinn.
Entimiis: itusseilialb der Sludt hätte man den Soldaten reirhlich zu essen
(fegeben und sie so benibigt.
l’hilüd. : Was sölln sie schunn, die luse Troppn, 265
Idi hal, sie kunten tajiper lioppn,
Wenn man niclit thet. was jhn gefeit.
Manch Kerl sich wie ein tomb Mensch stelt.
Entiinns glaubt, l’hilodomcnus spreche von den Soldaten des eignen Landes.
Philod.: Ey ja, wenns wem die Ereiindt gewest,
So vns geschützt in vnserm Näst. 270
So wahrens Feind vnd Heidnisch lA'ut,
Ich gleiih, sie betten Tcutlels Heut.
Viel vbelß habn sie vns gelhon,
Ich kan ack nicht gnug sayn davon.
Ich bitt Herr'), vns von jhn erlöß, 275
Das zu vns kom wedr gutt noch büß;
Wie fein still ists in vusern Hauß.
Nach dem die Kerls sein kommen drauß;
Wir wollen sein gar hertzlich frum,
Ack das söch*) Volck nicht wiederkum. 280
Entinins bittet ihn um (ietreidc.
Philod.: Sie han mich W'ul sehr au.sgeplündrt.
Doch hat die Judith sie verhindrt.
Das sie mich nicht bestohlen gar.
Das Getreid nicht ausgedroschen wahr,
Ich ha des im Stru noch viel liegn, 285
Das wirdt nun müssen rausser flign,
Ich brengs sobald ich dreschen kan.
Ich mus doch wieder Pfenge han.
Entimus: 1‘bilod. solle mit ibm kommen.
Philod.: Fürw'ar, das mahl kans nicht gesein, 200
■) Gott.
*) sölch.
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Ich lia noch vntern Leuten scliult,
Xu liii ich Icngcr niclit (Jedult.
Kntimns: I’hilod. werde sein (ield doch nicht bekommen.
Philod.: Es liilfft nichts für, sie müssen dran,
Ich wil Gelt oder Bürgen han. 205
Ich ha auch grüssen Scliaden gclittn,
Wer schenkt mir was, wolt icli gleich bittn.
Doch wo sie mers verzinsen wehrn,
So wil ichs jhn auch borgen gern.
Ihr findets dasmahl nicht im Hauß.
Ohn Zins wil ich kurtz vmb nicht harrn, 300
Wenn sie gleich bittn, so wil ich starrn,
Eys Stadtbuch wil ichs schreiben lo.ssn.
Sie mochten mir sist machen possn.
Kntymus : I’hilod. solle die Schuld erlassen.
Philod.: Die Kerl han mir vor gnug verthon, 305
Drumb schweigt ack still, ich geh davon.
Erklärung einzelner Wörter.
I. Acolastus. Zeile H: Beche (ahd. bekko) = Bäcker. DWb.')
1 1215: , (Dieses Wort) könnte sich vorlinden, obschon kein beleg
zur band ist“. Hier haben wir einen Beleg. — Z. 13; märten im
schl.W. ®) nicht erwähnt; wohl — «iaer«i (mischen), wozu schl.W.
S. ßO ein siibst. »inerte verzeichnet. — Z. 25: box jcs \ box = bocks
(gen. V. bock)-, viele Formeln des Scheltens und Verwimderns be-
ginnen mit diesem gen., der von einem nachfolgenden oder zu er-
gänzenden subst. abhängig ist; vgl. DWl). II 202. — Z. 35: zeidel-
bär-, dazu vgl. Heft XI 11 der „Mitteilungen der Schles. Gesellschaft
für Volkskunde“ S. 62. — Z. 41 : jait = jagdV DWb. IV 2, 2250;
Schmcller I 1201. — Z. 46: Bnckn; subst. Hacken im DWb. nicht
erwähnt ; vielleicht = recke {recken), das auch als Scheltwort gebraucht
wurde (DWb. VIII 444); vgl. engl, wretcli. — Z.51: gespan (ebenso
mhd.) — Gefährte, Genosse. — Z. 83 : Imcr (mhd. lihe) = Schelm ; vgl.
schl.W. 51. — Z. !(5: hatschen ^ Enten, vgl. DWb. IV 2, 558; der
Name wahrscheinlich von dem eigentümlichen Gange der Ente
*) Deutsches Wörterbuch.
Weinhold, lieiträge zu einem schles. Wörterhuche, Wien 1855.
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gebildet, wozu vgl. das verb. hatschen : sclil.W. :13. — Z. !)9: Jodl,
Kosename für Joseph; noch heute hört niun auf dem Lande: Josl.
— Z. 10!l: Jechn, verwandt mit lecker = Maulredner, Schmarotzer,
Schlingel (?). — Z. 113: aents rnmb; ients = zends ist gen. adv.
von end(e) und bedeutet: bis zu Kode, ganz; vgl. schl.W. 17. —
Z. 121: vnbeschnanpert ; vgl. l)\Vb. 1 1587 beschnanbern = be-
riechen. — Z. 130: brückte — brickel = Bröcklein, schl.W. 12. —
Z. 154: nenirig = nimmer. — Z. 157: marter (marsler) eigentlich
= Marter; bei Flüchen, Beteurungen in der adverbialen Be-
deutung: sehr(l)Wb. VI IfiSO). — Z. Ki3: niefein (niff'eln) ~ reihen
(schl.W. 65); vgl. Schmeller - 1 1731. — Z. 160: sparn — span?
einen .sj)ar« verlieren ; vgl. dazu die heutige Redensart: einen Span
hal)en — nicht recht gescheut sein. — Z. 177: geschwiqme full;
vgl. dazu schl.W. 88: schwappen, schwappen, schwappern (von
Flüssigkeiten, die klatschend an den Rand schlagen). — Z. 105:
zacken (zocken, schl.W. 110) = ziehen, zupfen, necken, scherzen,
namentlich mit Frauenzimmern; schon mhd. in diesem Sinne ge-
braucht (zocken, zecken). — Z. 106: geyder = geier\ d ist unorga-
nische Einfügung, vgl. hinder (Hühner); DDF. S. 76'); hier
Schimpfwort. — Z. 202: beign — beugen? — Z. 212: tock (ahd.
tocka) = Puppe; liebkosend häutig in Schlesien gebraucht (seid.
W. 98). — Z. 217: lützel = 'reufel. — Z. 244: domaschke sack-
leiml\ domaschke = Damast (Daniask), Zeug aus Damaskus, von
Leinwand (leimt).
II. Tobias. Z. 11: ind («•«) = immer; über die.ses Füllwort
vgl. DDF. S. 143. — Z. 12: gehötr = geheaer, geheier, das wieder
zu geheien gehört, einem alten Worte mit merkwürdiger Geschichte
und mannigfacher Bedeutung; hier etwa = Kummer, .\rger; vgl.
DWb. IV 1, 2, 2340. — Z. 15: stadlleitschen; leiUche (leatsehe)
— Hündin, liederliche Dirne, verächtlich auf Weibspersonen (DWb.
VI 850). — Z. 23: zottn etwa = traurig, niedergedrückt sein
(= mhd. zoten, in zotten niederhangen (?)). — Z. 28: gedrot (mhd.
gedräte) = nhd. gedrat, schnell, eilig, alsbald (DWb. IV 1, 1, 2038);
indes diese Bedeutungen pas.sen hier nicht, wo das Wort nach
dem Zusammenhänge etwa die Bedeutung: schlau, klug zu haben
scheint. — Z. 31: Marig (got. Mär ja) = Maria. — Z. 40: bicrtigl;
dieses Schimi)fwort (— Säufer) ist im DWb. nicht erwähnt. —
*) Wpinhold, l.'ber deutsche Dialekt forschiin); . . ., Wien 185.H.
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Z. 51: anliKj ~ Anlage. — Z. (J(>: fitzn, verb. zu .siibst. /to =
Faden; also etwa = in die Netze fangen, umgarnen; vgl. I)\Vb.
111 16il5; sclil.W. 21 verzeiebnet nur cerfitzn — die Fiideii ver-
wirren. — Z. SS sechs scheUje (schilge) m irck; ein schilk oder
schilrhn- liie.ss in Scblesien ein Dutzend (Palm: Neudruck der (ie-
liebten Dornrose, S. ibi). — Z. !(2: pekhä; Diminutiv, vgl. mhd.
pf eitel, feines Seidenzeng, (jew«'iid. Decke n. dgl. — Z.: !(il: stadl-
strinUe = .. strunze; im verächtliclien Sinne auf Frauenzimmer
gebraucht (.sclil.W. 0.5). — Z. !lll: bederbn — mhd. bulerben, nütz-
lich .sein (intr.) und (trans.) nützen, nützlich maclien. — Z. 100:
kröck (ö wegen des Reinie.s; sonst kmck(e)) eigentlich schlechtes
Stück Vieh, dann Scheltwort (Weinhold, Molteiglo.ssar S. 116). —
Z. 10(1: mastig = feist, fett (DWi). VI 1718). — Z. 127: krimen
= kratzen (DWb. V 2805). — Z. 144: kfiiißmann: hier der
Kaufende, nicht der Verkaufende. — Z, 150: in eim rischen; vgl.
sclil.W. 78: in einem reschen = rasch (risch). — Z. 151: biemn
(boemen); noch heute gebräuchlich. — Z. 1511: pöchel = V —
Z. 167: spinen ^ spinden (spunden) = mit Simnd verschliessen,
überhaupt: verschliessen, verstecken; vgl. Heyne, Deutsch. Wörter-
buch III, 727. — Z. 177: schlimp (Schlimmlieit). — Z. 1!)2: grein
(mhd. grinen), (weinend) den .Mund verziehn. — Z. 202: hisch
(hübsch). — btüttet, dimin. v. Hlut. — Z. 2011: zuschlan; über zu
für zer im schles. Dialekte vgl. D. 1). F. S. 57. — Z. 214: gutz:
Betenerungsformel, eigentlich gen. von Gntt. — Z. 2.42: wahn =
Wagen. — Z. 2.‘14: Xeleke = Menalcas. — Z. 238: gemorgt = ge-
merkt? — Z. 242: sie (die Sonne) gar hü zu goulde (Dolde) gibt;
in der Grafschaft Glatz heute noch die Reden.sart: die Sunne gilU
ei Gäle. — Z. 244: krölpsen krülpsen (DWb. V 2438) und rülpsen
(DWb. VllI 1477); hörbar anfstos.sen, ructare. — Z. 261 : ein dotgen
— nd. diUjm, Heller, vgl. deut, das heute noch in Schlesien ge-
bräuchlich zur Bezeichnung von Geringwertigkeit: z. B.: er ist
keinen Dent wert. — Z. 2(i5: bemmein (bimmeln, bammeln), hier
= bitten. — Z. 2S5: hurnsen = Hnrensohn, Schelm. — Z. 287;
röltz (riilz; DWb. VIll 1478) eigentlich - das Anfstossen; über-
tragen: ungebildeter Mensch. — Z. 316; gramhafftigikeet), Mis.s-
gunst (Weiidiold, Holteiglos.sar 110). — thet - weise
handelte (nändich die Mi.ssgunst); im Zusammenhänge — aufhörte.
— Z. 333: kin — Kienholz, das zum Leuchten diente (kienspun). —
Z. 337: Griltd — Gretel, Gretchen. ■— Z. 339 : stöcktie /ul = stock-
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voll, stockbetnmken. — Z. il42: gäniHch = wuiiderlicli, selt.sum,
iinbflia‘,dich (scbl. \V. 2b). — Z. iU(>; tok ■ Botruiikenheit (eigent-
licb Tollheit); noch heute pelu-iiuchlich.
III. JiKÜth. Z 30: «ÄS (inlul. iiezp) = essbar; in Schlesien
auch in der Bedeutung:: schön, aiifrenehni (DWb. I .ÖOO). — Z. 4!):
Gvfutter am Ober End: vvolil zu erpäiizen: des Dorfes. — Z. älj:
der sMuas = Schlossenregen. - Z. S4: hör = inhd. h<r, stolz,
übermütig. — Z. S7 = scmmr = iiihd. sam mir; ellipt. Beteueruiigs-
forniel: bei Gott! u. ä. — feiß; entstanden aus.- feu (pfui) ver-
fl(ucht) (y). — Z. 10!l: heiUlcat = llauptleute. — Z. 117: schlapper-
meiU, in Versvün.schungen gebraucht; verhüllende Kntstellung von
Sakrament (l)Wb. IX 488). — Z. läti: talr, eigentlich = Tartar
(.seid. W. 07); die. Krinnerung an die sclireckliche Tartarenzeit
lebte im Volke fort; hier bedeutet das Wort in übertragenem
Sinne überhaiiiit: Leiden. — Z. 214: (der Mensch) lengt, dw< die
backn (wohl = balkn?) bign; noch heute be.steht die Redensart: er
schwindelt, dass die Balken biegen. — Z. 301 : starrn = starr,
unerbittlich sein.
Sclilesiseho Flurumzfige, besonders das
Saateiireiteii.
Von Dr. Kühn au.
Xur einmal im .lahre hörte ich es, das uralte Glöckchen der
Begriibiiiskirche zu Batschkau, der ältesten Kirche des Städtchens.
Früh gegen sieben Uhr, am MonUige vor Christi Himmelfahrt,
hallte es wie eine wiederkehrende Stimme der Vergangenheit über
die Gräber, die Gärten, die Felder, und bald darauf klangen die
Töne des Gemeindegesaiiges den Neisser Berg herauf, denn die
Bittprozession zog hinauf zum „hl. Rochus“. Die Schulen mit
den Kirchenfahneii, der Geistliche im Rochett, das Kruzifix vor
die Brust haltend, und wer Zeit hatte von der Gemeinde, meist
Angehörige des weiblichen Geschlechts, zogen unter feierlichem
Litaueiengesaiig hinaus ins Freie, wo die ersten b'elder an die
städtischen Grundstücke grenzten. Die Prozession galt dem Segen
der Felder, Misswuchs und Teuerung .sollte dem kommenden Jahre
fernbleiben, Gedeihen der Feld- und tiurtenfrucht und gute Ernte
herabgetleht werden durch die Gebete der Teilnehmenden. In
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174
einem StäTUclien, wo ein niclil unerheblicher Teil der Bevölkerung
noch selbst den Garten und Acker baut oder zu gemütvoller An-
teilnahme am Gedeihen der Feld- und Gartenfrüchte durch täg-
lichen Augenschein veranlasst wird, verfehlt eine solche Bitt-
prozession noch immer ihren Kimlruck nicht, und es folgen ihr
die Wünsche auch derjenigen, die irgendein Geschäft vom Mitgehen
abhält. Am Dienstag tnid Mittwoch wiederholt sie sich, aber sie
schlägt nach zwei anderen Richtungen ihren Weg ein.
Diese noch allenthalben in katholischen (iegcnden Schlesiens
abgehaltenen Bittgänge an den drei letzten Tagen vor Christi
Himmelfahrt sind uralt. Ffannenschmid hat sie in .seinen „Ger-
mani.schen Erntefesten“ bis in heidni.sche Zeit zurückgefiihrt. Die im
Indicnlus suiierstitionum (nm Mitte des 8. Jahrh.i enthaltene Kapitel-
über.schrift: De simulacro, quod jier campos portant wird als der
Hauptbeweis alter Flurumzüge mit Umtragen des {Jottcrbildes bei
den Deutschen angesehen. Die Kirche hat die Idee dieses Bitt-
ganges zu dem ihrigen gemacht und mit Abstreifung des heid-
ni.scheii Wesens in eine christliche Kultusübung umgewandelt Die
Zeit, in der diese Umzüge abgehalten wurden, ebenso auch ihre
be.sondere Einrichtung zeigt eine gewis.se Mannigfaltigkeit. Für
Jene kommt der ganze Zeitraum des Frühjahrs vom Augenblick
des Säens bis zum Reifen des Getreides in Betracht. Für die.se
gelten in der Hauptsache zwei ,\rten des Umzuges, der zu Fuss
und der zu Pferde. Wo die Kirche die Leitung in die Hand nahm,
blieben Au.sartungen fern, wo sie aber die Veranstaltung freigab
und die Veranstalter höchstens zur Teilnahme am Gottesdienste
verpflichtete, haben sich bisweilen so .schlimme Unsitten ein-
ge.schlichcn, da.ss die weltlichen Behörden zur Aufrechterhaltung
der Ordnung die Umzüge verbieten mussten. Dies ist in unserer
Provinz am Hl. August 1786 mit dem .sogenannten 8aatenreiten
geschehen.
Meine Zusammenstellungen haben nur Schlesien (üsterreichi.sch-
Schlcsicn eingeschlos.sen) im Auge. Es ist nicht viel, da es sich
um einen aus.sterbenden , ja für Preussi.sch-Schlesien fast au.s-
gestorbenen Gebrauch handelt. Ich sehe natürlich von den kirch-
lichen Bittgängen an den drei Tagen vor Christi Himmelfahrt *)
‘) Oie Wahl dieser drei Tage geht sicherlich in sehr alte Zeit zurück.
I’fannenschmid erwähnt (S. 63) die .Synode von Cloveshoe, jetzt Ahington, an
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175
ab, die ihre Stütze an der Kirclie haben und von der Ackerbau
treibenden Bevölkernnp:, soweit sie ffliiubig ist, als ein religiöses
Bedürfnis emj)fnnden werden. Ausser diesen finde ich
Fluruiiigliiige zu Fiiss
nur in folgenden Fällen.
In der Grafschaft Glatz.
In den Dörfern um die Heuscheuer in der Grafschaft Glatz
herr.scht der Gebrauch, zwischen Ostern und Pfingsten die Felder
zu umgehen. Der bäuerliche Besitzer lädt dazu die ganze Ver-
wandtschaft. Vettern und Mulimen, ein. Zn Ostern schon ist Holz
geweilit w'orden, Palmkätzchen schon am Palmsonntage. Man liat
aus dem Holze Kreuzchen geschnitten und zieht nun mit der ganzen
Verwandtschaft um die Felder, an allen vier Ecken werden je
drei Kreuzchen und eine Palme mit einem Segensspriich ein-
gesteckt'). Dann kehrt man nach Han.se zurück, und alle Teil-
nehmer werden zur M andelsniipe geladen: Milch mit Sahne ge-
rührt, Zucker und feinge.schnittene Mandeln. Man nennt das „Zur
Mandelsuppe“ kommen, laden, gehen usw. Es geschieht das, wenn
die Saat eine Handbreit hoch ist, nicht an einem bestimmten Tage,
wohl aber Sonntags.
So berichtet ein Oberförster H., der .sich .selbst einen
„Vollblutgrafschafter“ nennt, weil er dort geboren ist und
den grössten Teil seines Lebens dort in Diensten ge.standen hat.
Wenn in diesem Falle der FInrumgang einen rein privaten
Gharakter hat, so vollzieht er sich in kirchlichen Formen in fol-
gendem Falle, der um so meikwürdiger ist, weil der Umzug in
der Nacht stattflndet.
der Themse in England, die unter Erzbischof f'nthbcrt von l’antcrbury im
.labre 747 beschloss, dass an den drei Tagen vor Himmelfahrt Christi die Re-
liquien der Heiligen herunigetragen werden sollten usw. ln Gallien und Spanien
wurden die drei Tage schon in der 2. Hälfte des 5. .Tahrhunderts kirchlich be-
gangen (Pfannenschmid S. 48).
') Pas Stecken der Kreuzchen und Palmen am Ostersonntage in der Frühe
ist noch in katholischen Gegenden allgemeiner Gebrauch, doch findet dabei kein
Umzug statt. Der Besitzer des Feldes geht von der Kirche stillschweigend aufs
Feld, oft schon in der Nacht um 2 Uhr (mancher geht schon um 12 Uhr), und steckt
unter Gebet die Kreuzchen und Palmen an die Ecken des Feldes, das gibt der
Feldfrucht Segen. Er geht dabei kreuzweise von einer Ecke zur andern.
.Stehen die FeldfrUchtc in Beeten, so steckt er auf jedes Beet ein Kreuzchen,
aufs letzte drei und eine Palme Iso in Wöitz bei Ottmachau).
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17(5
Das Saateiiselien in Jauerni»' (Oestcrr.-Schl.)
In der Nacht vom Karsamstagi* anf den Ostersonntag findet
das Saatengehen statt. Knaben nnd Jünglinge, Männer und (ireise
versaninieln sich naclits nacli 1 Uhr in grosser Zahl an einem
frülier bestimmten Orte, üm 2 Chr wird ausgegangen. Den Zug
führt ein bejahrter Mann an. Er trägt das Kruzifix, welches mit
einem grünen Kranze gesclimückt ist. Zu beiden Seiten des Kreuz-
trägers gehen grei.se Männer als Vorbeter. Diesen folgen zunächst
die schulfähigen Knaben des Ortes, von denen jeder mit einer
Klingel (Schelle) versehen ist. Ihnen schliessen sich die erwach-
senen Jünglinge an, den Abschlu.ss des Zuges bilden ältere Männer.
Der Zug in Jaueniig (österr. -Schl.) geht gewöhnlich vom
Rathause aus in feierlicher Stille über den Ringplatz und über die
Schlossfreiung gegen den fürstbischüflichen Meierhof zu und
kommt hierauf ins freie Feld. Nun erschallen Tal und Hügel
von dem Geläute der Klingeln ünd dem Gesänge der Jünglinge
und Männer. Langsam beweg't sich die Prozession dem nahen
Walde zu und hält endlich dort bei dem Antonikirchlein, welches
festlich beleuchtet i.st, unter dem Klange dio-ses Glöckleins an.
Während des (Jebetes, das hier vetTichtet wird, schie.ssen junge
Biu-schen aus Schlüsselbüchsen und Pi.stolen.
Hierauf lenkt der Zug in das jenseitige Tal gegen die Ober-
stadt ein. Von da geht es abermals einen Berg hinan, sodann bei
dem Totenhügel vorbei nach der Wei.ssbacher Strasse, wo man mit
Tage.sgrauen anlangt. Dort warten bereits die Stabträger der
verscliiedenen Zünfte, die Fahnen und die Musik der Kirche.
Nachdem diese sich angesctilossen, begibt sich die Prozes.sion
hinter dem Dorfe hinab in die „alte Kirche"*, wo abermals ein
längeres Gebet verrichtet wird.
Ist das Gebet beendet, so setzt sich der Zug nach der Stadt
in Bewegung und erreicht durch die Obergasse, die Johannes- und
Brückengassc hindurch den Ring])latz. Hier schreitet man unter
inbrünstigen und ergi-ei fenden Gebeten um die Marienstatue,
während fromme Älütter mit ihren kleinen Kindern im Arme von
den Fenstern der Wohnungen aus dem Gebete sich anschliessen.
Endlich, etwa 6 Uhr morgens, geht der Zug nach der Stadtpfarr-
kirche, wo die Saatengänger der sogenannten Saatenmesse bei-
wohnen. Anton Peter, Volkstümliches aus Osterreichi.sch-
Schlesien 11 1867 S. 283.
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Endlich berichtet Drechsler, Sitte, Brauch und Volksglaube I
8. 108 von einein mancherorts stattfindenden Elurumgange an
St. Marcus (25. April), z. B. in Beuthen OS., in Waltersdorf bei Sprottau.
(irösserer Beliebtheit scheinen sich die
FlurniiizHge zu Pferde
erfreut zu haben. Sie aber gerade sind dem alten Volksbrauche
zum Verderben geworden durch die Ausartung, zu der sie den
Anreiz in sich hatten. Die Kirche stellte sich am Anfang diesen
Ritten hindernd in den Weg. Als sie den heidnischen Brauch des
Plurumzuges in ihren Dienst stellte, schloss sie doch die Umritte
in Deutschland aus. ln einem Capitulare aus der Zeit Karls des
Grossen heisst es: Et illos tres dies ante Ascensionem Domini
jejunate. Et cruces et Reliquias sequimini, non in joco, nec
caballicando; sed cum humilitate et contritione cordis celebrate
ipsas Rogationes, et a carne omnes abstiiietc, et Missas audite.
(l’fannenschinid S. 367.) Trotzdem haben sich diese Umritte bis
in un.sere Tage, unter Duldung der Kirche, an manchen Orten er-
halten. Nachdem das christlich gewordene Volk allen heidni.schen
Brauch abgelegt hatte, konnte sie von ihrem anfänglichen Verbote
absehen, .solange die Ordnung gewahrt blieb.
In Schlesien finden diese Umritte zu Pfingsten (Königsreiten,
auch Pfing.streiten) oder zu O.stern (Osterreiten, Saatenreiten) statt.
Das Königsreiten in Österreichisch-Schlesien.
In Österreichisch-Schlesien ist das Königsreiten ein Volksfest
des Ackerbau treibenden Landvolkes. Es reiten nämlich am
Pfingstmontage der Dorfrichter u. a. aus der Gemeinde auf schönen
Pferden ins Feld und umreiten lang.sam und mit Andacht ihre
Äcker, singen fromme Lieder und beten. Sie hoffen dadurch den
Segen Gottes für ihre jungen Saaten zu erflehen und Wetterschäden
davon abzuhalten. Wer das schönste Pferd bei dieser Feierlichkeit
hat, der wird als König anerkannt. Nachmittags begeben sich
dann alle Bauern zum Könige, welcher ein schwarzes Schaf
braten lassen muss. Jeder Bauer nimmt ein Bein (einen Knochen)
von diesem Schafe und steckt es am anderen Morgen vor Sonnen-
aufgang in die Saaten, damit diese gedeihen.
An einigen Orten wird das „Saatenreiten“ in ähnlicher Weise
abgehalten, und zwar am Pfingstsonntage.
Vernaleken, Mythen und Bräuche 185!) S. 306 Nr. 28.
Ultteilungen d. «cUles Oe», f. Vkde Bund .\l 2 (lieft .VXJIi. I-
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In dem Braten eines schwarzen Schafes ist deutlich genug
noch eine Erinnerung an ein Opfer enthalten, das bei den heid-
nischen Flurumzügen am Schlüsse geschlachtet wurde. Dass ein
solches Opfer wirklich dargebracht wurde, bezeugt eine im Jahre
!)40 erlassene Verordnung der Abtissin Maresuith in Kloster
Schildesche bei Bielefeld, die einen kirchlichen Umgang für den
zweiten Pfingsttag (Montag) anordnet und bestimmt, dass die Um-
ziehenden pro gentilicio Ambarvali in lacr}’mis et varia devotione
(statt des heidnischen Opfers beim Flurumzuge, das sie unter
Tränen und mannigfaltiger Verehrung darbrächten) sich .selbst
.schlachten sollten. U. Jahn, Opfergebräuche S. 147.
Am häufigsten fanden in Schlesien die Flurumritte zu Ostern
statt.
Das Osterreiten in Österreichisch-Schl esien.
Am hl. Ostertage wird in Dörfern des Wagstädter Bezirkes
in den einzelnen Höfen das .schönste Handjjferd von den Mägden
mit Bändern und Kränzen ge.sclimückt. Nach dem nachmittägigen
Gottesdienste verbissen die Bui'schen auf den herausgeputzten
Pferden das Dorf und reiten längs der Grenze so lange hin, bis
sie zu dem Gehöfte eines Bauers vom benachbarten Dorfe kommen.
Dort läs.st man sie ein, und sie reiten dreimal im Hofe herum
unter Absingen heiliger Lieder, die gewöhnlich mit dem österlichen
Alleluja be.schlo.ssen werden. Der Hausvater bewirtet sie dann
mit einem fri.schen Trunk Bieres oder Weines.
Anton Peter, Volkstümliches a. üsterr.-Schl. II 1867 S. 285.
Das Saatenreiten in österreichisch-Schlesien.
Noch heute wird das Saatenreiten in Osterr.-Schl., wie ich
höre, weiter landeinwärts geübt. Es findet wie das Osterreiten
zu Ostern statt, mit dem es wohl gleichartig ist. Näheres über
den heutigen Brauch vermag ich nicht anzugeben ').
Denn nahe der (Jrenze (bei Jauernig) habe ich vergeblich
nacligeforscht, nähere Angaben hat mir niemand machen können,
') .vis ich im Jahre 19(Ki von den .Wilden Löchern“ jenseits der Heu-
scheuer auf Tscherbeney zu niederstieg, erfuhr ich von einem Einwohner der
dortigen tiegend, dass diesseits der Grenze (in der Urafschaft) nur die .Kreuz-
tage“ gehalten werden (die drei Tage vor Himmelfahrt), jenseits aber im
lirannauiseben werde um jMachaii und Brunnkress zu l »Stern geritten, wobei
auch geschossen werde. Dort finde noch das .Saatenreiten statt, einmal habe
er eine Prozession von sieben Keilern gesehen.
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die Einzelheiten des Gebrauches sind hier schon dem Gedächtnisse
des Volkes entschwunden.
Und doch ist das Andenken an das Saatenreiten in der
Jauerniger Gegend auf eine merkwürdige Art erhalten geblieben.
Wer auf der Strasse von Patschkau nach Jauernig wandert,
der trifft kurz nach Überschreitung der heutigen Landesgrenze un-
gefähr einen Kilometer vor dem österreichischen Dorfe Weissbach
auf einen kapellenartigen Bau zur rechten Seite der Strasse. Wer
ihn zum ersten Male sieht, bleibt unwillkürlich stehen. In die
breite Vorderseite des massiven, oben abgedachten Steinbaus ist
eine metallene Tafel eingelassen, die ein Bildwerk mit einer ünter-
.schrift trägt. Das Bild stellt einen auf dem Rücken liegenden
Mann dar, hinter dessen Kopfe ein entlaubter Baum steht. Der
Mann ist anscheinend tot. Ihm kommen von der Fussseite ent-
gegen zehn Reiter mit zwei Kircheutähnen. Die Unterschrift
lautet. Marin hat an heut einen üabrici gegrüsst,
als ich entselet wurde durch Sturm und gross (iefrist.
Ich lag fi Tage lang allhier mit Schnee bedeckt,
bis sich .lesus selbst vom Todten hat erweckt,
es trafen mich nunmehr die Saatenreiter an,
sie schickten mich zu Haus mit einem Osterfahn.
Darum für meine Seele bete, o frommer Christ,
der Du crstaunensvoll dicss Denkmal siebst und liest.
Franz Hauke bürgerlicher Schneidermeister aus Stadt Jauernig.
Den 25. März 1773.
Eine Abteilung dieser Verse nach Reimzeilen (wie oben) und
eine Interpunktion findet nicht statt, vielmehr laufen sie ununter-
brochen von einem Rande der Metalltafel zur andern. Der Ein-
fluss der Witterung bleicht die Farben und verwischt die Züge
der dargestellten Personen. Dann wird Bild und Schrift wieder
einmal aufgefrischt. Ein Kunstwerk ist es nicht, und auch die
Erneuerung geschieht durchaus handwerksmässig.
Sehr verbreitet muss diis Saatenreiten überhaupt im ehemaligen
Fürstentum Neisse-Grottkau (dem alten Bischofslande) gewesen
sein, wozu auch die Jauerniger Gegend gehörte. Das beweisen
folgende Berichte.
Das Saatenreiten im Neisser Kreise.
„(Der Bewohner des Neis.ser Kreises) ist abergläubisch und
hält viel auf Prozessionen. So wird z. B. am O.stersonntage von
12*
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sämtlichen Gemeinden unter Anfiihriinpr des Seholzen oder eines
Gerichtsmannes um die Saate geritten und geistliche Lieder gesungen.
Wenn dieser Gewohnlieit nur nicht eine besondere Kraft zuge-
•schrieben würde, so wäre sie so unreclit nicht; sie erhält den
Glauben an eine besondere Vorsehung unter den Menschen“.
Zimmermann, Beiträge III 1784 S. 259.
Die Anführung durcli den Seholzen oder eines Gerichtsmannes
gibt dem Umzüge den Charakter einer öffentliclien Gemeinde-
handlung. Es scheint aber, da.ss die für die Aufrechterhaltung
der Ordnung verantwortlichen Organe diese ihre PHiclit häufig
ausser acht gela.s.sen liahen oder die Führung aus den Händen
gaben, dass der ganze Umzug jungen Bur.schen überlassen worden
ist, die dann allerlei Unfug trieben. Das muss .schlie.sslicli so all-
gemein ge.scheheti sein, da.ss ein Verbot des Saatenreitens im Ge-
biete der NeLsse-Grottkauer Landscliaft erfolgen musste.
Abstellung des Saatenreitens im Neissc-Grottkauer
Land.schaftsgebiete.
„Auf verschiedenen katholischen Dörfern versammeln sich
am Ostersonntag nach dem Frühgottesdienst die Knechte und
Jungen zu Pferde vor der Kirehe. Sie gehen in diese in Pro-
ze.ssion und verlassen sie, nach Absingung eines Liedes, ebenso
feierlich und unter Glockenläuten. Nun umreiten sie, in Pro-
ze.ssion mit den Kirchenfähnlein und Glöcklein daherziehend und
von Scholz und Gerichten geführt, die besäeten Felder unter An-
stimniung einiger Lieder, um dadurch alles Unglück von den Saaten
abzuweuden. Dieser uralte, fromme Gebrauch ist in den wenigen
katholischen Dörfern Schlesiens, besonders des Fürstentums Neisse,
in denen er sich erhalten hat, in ein Wettrennen und in eine
Trinklustbarkeit au.sgeartet. Schon geraume Zeit vorher stehlen
die Knechte ihren Dienstherren Futter, um die Pferde mutig zu
machen. ,\m Tage des Umritts selbst versammeln sich die
Reitenden bei der Branntweintla.sche ini Kretscham. Zum Teil
.schon benebelt ziehen sie lärmend in die Kirche und brüllen ein
Lied. Sowie sie auf das Feld kommen, zerstiebet der Zug, jeder
treibet sein Pferd an, um am ersten die Saat umritten zu haben,
einer dränget den andern, und diese Wallfahrtende, die allen
Schaden von den Saaten abwenden wollen, zertreten die längst
dem Wege stehendeu Wenn das besäete Feld umritten ist.
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schwärmen sic nacli den benachbarten katliolischen Diirfern. Ilir
erster Besuch g'ilt dem Branntwein, dann wird nach der Kirche
lind den Saatfeldern geritten, und zuletzt der Pfarrer heimgcsuchet,
der jedem Saatenreiter das Geschenk mit Bier geben muss. Von
einem so vielfachen unmä.ssigen Genus.se zweier berauschenden
Getränke des Verstandes nicht mehr mächtig, gehet es vom letzten
Dorfe in einem Jagen, was das Pferd laufen kann, einer mit dem
andern wetteifernd, nach der Heimat. So manches Pferd wird zu-
grunde gerichtet; nicht selten stürzen sich einige von diesen Be-
.softenen zu 'l’ode, alle leiden an Gesundheit und Moralität. Um
dieser üblen Folgen willen haben die Neisse-Grottkauer Stände
des Land.sclmftlichen Systems durch das Fürstentums -Kollegium
die .Abstellung des Saatreitens bei der Königl. Bre.slauischen
Krieges- und Domänenkammer nachgesuchet. Sie ist unterm
31. August V. J. (1780) verfüget worden“.
Schles. Prov.-Blätter 1787 S. 57— 5Ü. Auch P. Dittrich
in Mitt. d. Schles. Ges. f. Vkde. Heft XIII S. 113.
In anderen Gegenden l’reuss. -Schlesiens hat sich ebenso wie.
in (»sterr.-Schlesien das Saatenreiten an einzelnen Orten erhalten.
Das Kreuzreiten in der Lausitz.
FJn .seltsamer Osterbrauch kommt jährlich noch in dem
Städtchen Wittichenau in der Oberlausitz zur Ausführung. .Am
ersten Osterfeiertage versammeln sich nämlich ungetahr 200 Alit-
glieder des Kirchsiiiels zu einer berittenen Prozession, die von
einem Beiter mit hohem Kreuze und von Fahnenträgern geführt wird.
Diese Kreuzreiteriiroze.ssion dirigiert sich nach dem nahegelegenen
Pfarrdorfe Kalbitz, um dort der A’esperandacht beizuwohnen.
Unter Glockengeläut sind inzwischen die Ralbitzer Kreuzreiter
nach Wittichenau gezogen. Beide Prozessionen locken regelmässig
Tausende Zuschauer aus der Umgebung an. Interessant ist es noch
bei dieser Proze.ssion, da.ss sich jeder der Teilnehmer vornimmt,
das bestgeschmückte Pferd zu haben. Alle Pferde sind denn auch
über und über mit Flitter und allem möglichen Tand behängen.
.Schles. A' olkszeitung vom 11. April 1909.
A^on be.sonderem Interesse ist ein Bericht vom
Saatenreiten in .Schonwalde bei Frankenstein.
Mir liegt ein Ausschnitt aus der „Schles. A'olkszeitung“ vor,
unterzeichnet Breslau H. Brosig (Jahrg. und Nr. vermag ich nicht
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allzugeben). Hier wird vom Saatenreiten als einer noch bestehen-
den Sitte erzählt. Ich führe den Artikel, soweit er uns inter-
essiert, wörtlich an. ,In dem grossen und schönen Bauerndorfe
Schönwalde, Kreis Frankenstein, der Heimat des liochseligen
Bischofs Herzog, besteht seit undenklichen Zeiten der Brauch, am
Ostermontage einen feierlichen prozessionalen Umritt um die
weiten Gemarkungen der Gemeinde, oder doch wenigstens um
einen Teil derselben, zu veranstalten; im Volksmunde w'ird die
seltsame Osterjirozession kurzhin „Saatenreiten“ genannt. Über
den Ursprung dieser eigenartigen Sitte geben die Matrikelbücher
und sonstigen Naclirichtcn des Pfarrarchivs von Schönwalde, ob-
wohl sie bis ins 17. Jahrhundert zurückreichen, keinen Aufschluss.
Gewiss ist jener Umritt zunächst weiter nichts gewesen, als ein
Ausdruck der Freude des Landmannes über das Erwachen des
Frühlings, der ihm die Möglichkeit bringt, die geliebte Scholle nach
lähmender Untätigkeit in Winters Banden aufs neue bebauen zu
können. Unter diesem Gesichtspunkt betrachtet, reicht der Brauch
vielleicht bis in die heidni.sche Vorzeit zurück und ist erst später
mit kirchlichem Nimbus umgeben worden. Die fromme Bevölke-
rung jenes Ortes selbst leitet ihn, soweit wir in Erfahrung bringen
konnten, aus jenen schrecklichen Tagen her, w o die wilden Horden
der Hu.ssiten Schlesiens Gaue furchtbar heimsuchten. So gestaltet
sich der feierliche Zug als eine Dankesprozession für den Wieder-
eintritt geordneter Verhältnisse, nachdem die Hussitengefahr
glücklich vorüber war. — Übrigens existiert der genannte schöne
Brauch nicht nur in jener Gemeinde, sondern, wie uns aus früheren
Berichten der „Schles. Volkszeitung“ bekannt ist, auch zu Witti-
clienau und zu Gross-Kunzendorf in Osterr. -Schlesien. Selbst in
rein protestantischen Gegenden, z. B. in der wendischen Lausitz *),
pflegt man den Brauch des Osterreitens.
Über die Zusammensetzung und Ordnung des Zuges sei fol-
gendes bemerkt: Jedes Bauerngut (die Gemeinde Schönwalde zählt
72 derselben) stellt zum feierlichen Zuge ein Pferd, w'elches ge-
wöhnlich vom Besitzer selbst oder von einem seiner Söhne geritten
wird. Die Gutslierrschaft stellt alter Sitte gemäss drei Pferde;
und rühmend sei erwähnt, dass selbst protestantische Besitzer es
sich zur Ehre anrechnen, an der Prozession teilnehmen zu können.
') Vgl. hierzu Wuttke. Sächsische Volkskunde S. 285.
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Selbstverständlich wird jeder Bauer in stolzem Selbstgefühle den
besten seiner Gäule zu diesem Paradezuge auswählen; da die
reiche Gemeinde an und für sich über schönes Pferdematerial ver-
fügt, gewährt die Kavalkade einen prächtigen Anblick. Die
Jugendfrischen Rc'iter sitzen fest und sicher im Sattel, sind sie
doch meist gediente Kavalleristen, denen es sichtbar Freude macht,
ihre mühsam beim Kommiss erworbenen Künste wieder einmal
zeigen zu können. Die infolge der langen Winterruhe feurigen
Tiere sind mit eleganten Sätteln, Schabracken und reichem Zaum-
zeug schon geputzt; tut sieh doch jeder Bauer etwas zugute, nicht
bloss den frommen Sinn, sondern auch .seine Wohlhabenheit an
diesem Tage in prunkender W'cise zur Schau zu tragen. — Der
Zug versammelt sich auf dem grossen Kirchplatze, und gegen
6 Uhr morgens erfolgt unter feierlichem Geläute der Glocken der
Aufbruch. Die Proze.ssion eröffnen zwei junge Bauernsöhne auf
schmucken Rossen mit wallenden Kirchenfahnen in der Hand;
ilmen folgt ein Reiter mit dem heil. Kreuzesbilde, dessen Wunden
am Karfreitag der gläubige (’hri.st erst mit Inbrunst geküsst hat.
Die beiden Reiter, rechts und links neben ihm, schellen im Takte
des Getrappels der berittenen Proze.ssion mit den harmoni.sch ab-
gestimmten Mes.sglocken. Dem Brauche gemä.ss stellt diese drei
Pferde das Dominium. Hieran reiht sich paarweise die Hälfte der
Reiterschar, das schmucke Vieh'), möglichst nach der Farbe
symmetrisch geordnet. Zwischen die vordere und rückwärtige
Hälfte des Zuges schiebt sich der ebenfalls berittene Chor der
Kirchenmusiker ein, welcher die Ostergesänge der erhebenden Pro-
zession so gut als möglich zu begleiten hat. Die zweite Hälfte
des Trosses eröffnet der Ortsvorstand der Gemeinde, den Schluss
bilden wiederum zwei Fahnenträger. In früheren Zeiten war es
durchaus nicht selten, dass auch der Pfarrgei.stliche, insofern er
sich der Reitkunst befli.ssen genug dünkte, an der Prozession teil-
*) Pie Sitte, dass das Vieh mitgefflhrt wird, entspringt dem fiednnken,
auch dieses teilnchmcn zn lassen an dem Segen, der ven der Bittprozessiun für
den Hausstand erwartet wird. In den Prozessionen zu Oesede und Ituile im
Gebiet des Hochstifts Osnabrück wurden Pferde und Kühe in grosser Menge
mit hcrnmgefübrt. Pie Prozession geschah, um von dem allmächtigen (iott die
Erhikltung der lieben KornfrUchtc, die Abwendung der schädlichen Gewitter und
des Hagelschlages und die Befreiung der Pferde und des Hornviehes von bösen
Krankheiten demütigst zn erbitten. Pfannenschmid S. 64.
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nahm. Im zweiten Teile des Zuges tragen zwei Reiter, analog
dem Kreuzesträger, die Auferstehungsfigur und die brennende Oster-
kerze, auch die übrigen Kirchenfahnen sind in gemessenen Ab-
ständen im Zuge untergebracht. Diese feierlich ernste Kavalkade
bewegt sich in althergebrachter Weise nun hinaus auf die ausge-
dehnten Gemarkungen der Gemeinde und nimmt ihren Rundweg
nach der Richtung der ürtschaften Herzogswalde, Silberberg, Rasch-
dorf, Raudnitz und Peterwitz zu, schwenkt über auf die südliche
Peldscite des Dorfes und nimmt ihren Rückweg zum Dorfe auf
dem Wege zum neuen Kirchhofe der Gemeinde. Abwechselnd
singt die berittene Prozession heilige O.sterlieder und betet laut
oder still zur Ehre des Erstandenen. Nach 2- bis 2Vsstündigem
Ritte im Dorfe wieder angelangt, wird der .sogenannte Kreis an
der Kirche unter dem fi*stlichen Geläute aller Glocken noch zwei-
mal umritten, wobei gewöhnlich der herrliche Hymnus Regina coeli
(Freu' dich, du Himmelskönigin), von freudiger 0.stermusik begleitet,
gesungen wird. Nun übernehmen die schon läng.st auf ihre Herren
wartenden Bauernknechte die Pferde, und es ist für sie ein be-
sonderes Vergnügen, die Pferde, auch einmal stolz wie die Herren,
nach den Ställen ziirückzuführen. Die Veranstalter der Prozession,
die bei schlechtem Wetter mit ihren arg mitgenommenen Zylinder-
hüten mit Sporen an den Fü-ssen dann oft recht drollig aus.sehen,
nehmen nun ein kleines Frühstück ein und gehen dann in corpore
zum Hauptgottesdienste. Ist das Wetter am Ostermontage allzu
ungünstig, wird die Prozession auf einen der nächsten Sonntage
verschoben.
Bis auf den heutigen Tag, so Hessen wir uns berichten, ist
der fromme Brauch nie unterlas.sen worden. Früher sollen sogar
Strafen auf die Nichtteilnahmc am Zuge gesetzt gewesen sein.
Der ohne hinreiclienden Grund Fernbleibende hatte zwei Pfund
Wachs an die Kirche und vier Silbergroschen für die Armen der
Gemeinde zu entrichten. Diese Zwangsbestimmungen, welche sich
gewi.ss die frommen Bewohner jener Gegend selbst aufgelegt haben,
um das Zustandekommen der Proze.ssion zu sichern, sprechen eben-
falls für das recht hohe Alter dieser frommen Sitte.
Ja, uns wurde berichtet, da.ss man selbst in den allerschlech-
testen Zeiten nie von dem alten schönen Brauche Hess. In der
furchtbaren Zeit des dreissigjährigen Krieges wurden auch die
blühenden Getilde der Frankensteiner Ebene arg mitgenommen.
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Der selincllc, kluge schwediselie Heerfülirer Torstensoii lagerte eiust
zur Osterzeit gerade im Schlosse zu Schöiiwalde. Infolge der vielen
Plünderungen verarmt, zählte die einst blühende Ortschaft nur noch
'S bis 4 Pferde, mit denen man betrnl)t zum Ostermoi-gen ausritt.
Torstenson, welcher den sonderbaren Aufzug bemerkte, Hess ihn
anhalten, befragte ihn über Zweck und Ziel und .stellte, ergriffen
von dem Mute und der Treue, mit der man an der alten, frommen
Sitte liing, .selbst eine .Anzahl seiner besten Pferde, um die .schone
Prozession zur Khre Gottes feierlicher zu gestalten. Möge der
fromme, schöne Hrauch aiicli der Nachwelt erhalten bleiben“.
Dieses Schönwalder Saatenreiten i.st in mehr als einer Hinsicht
merkwürdig. Rs i.st niclit blo.ss ein wirkliches Flurumreiten, indem
nach alter Sitte die Gemarknngen der Gemeinde vollständig um-
ritten werden (nicht teilweise), es i.st auch ein Rrauch der ganzen
Gemeinde; denn wer von den Hesitzern sich ohne liinreichenden
Grund anssclilie.sst, wird durch einen Beitrag für die Armen der
Gemeinde gestraft. Das Mitführen des Viehes inmitten der
Reiter.scliar i.st bereits hervorgehid)en worden. Es ist ein sonst in
Sclilesien meines Wi.ssens nicht vorkommender Brauch, der aber in
anderen deutschen Gegenden .sein Gegenstück findet (s. Anm.
zn S. 183).
Auf eins sei noch aufmerk.sam gemacht, die Bewirtung*),
die am Schlüsse des Plurumrittes den Heitern gereicht zn werden
pflegt. Im Schönwalder Brauch freilich ist diese zu einem kleinen
') .Ausserhalb .Schlesiens findet sich diese Rewirtiing z. B. im Branden-
bur[{isehen, wo der Schullehrer mit den Kindern um I. Mai um die Saatfelder
geht, wofür sic dann eine Mahlzeit erhalten (Pfanneiischmid S. 62). Es ist eine
Steuer, die den Teilnehmern der Prozession von denjenigen Personen gezahlt
wird, die an dem Segen ihres Bittganges .Anteil nehmen wollen. So werden der
Muitagsprozession zu Hülle (im UsnahrUcliischen) S. 18.H .Anm. reiche üabeu, meist
Xaturalgaben, von den AVallfalirern gespendet, die eigens bei dieser (Jelegenbeit,
oft aus weiten (legenden, herankommen. Die Gaben legte man hinten auf die
Tragbahre, auf der das mitgeführte Marienbild getragen wurde (Pfannenschmid
S. 55). Auf gleicher Stufe steht das Segenkorn , welches im Magdeburgischen
dem Pfarrer, Küster und der .Schule von einigen Ortschaften geliefert wurde,
weil jene um die Felder gingen und dabei singen und beten mussten (Pfannen-
schmid S.62). Bei den in protestantischen Gegenden gebräuchlichen Hagelfeiern, die
den katholischen Flnrnmzügen entsprechen, hat sich diese Steuer an Kirche
nnd .Schule vielfach erhalten, wofür Pfannenschmid zahlreiche Beispiele anführt.
Bei den hannoverschen Wenden östlich von Pelzen findet sich noch hente das
Hagelbier (Pfannenschmid S. 86).
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Frühstück zusüinincngesclirumpft, das sich die Veranstalter der
Prozession selbst gestatten, offenbar weil es es für wohlhabende
Baueni und Bauernsöhne nicht schicklich wäre, sich etwas schenken
zu lassen. In anderen Fällen aber ist diese Bewirtung erhalten
geblieben und bisweilen die Hauptsache geworden. Sie ist erhalten
geblieben im Osterreiten des Wagstädter Bezirks, wo die Reiter
Bier oder Wein erhalten. Sie ist zur Hauptsache geworden, die
zur Ausartung führte, in dem Bericht aus dem Neisse— -Grott-
kauer Fürstentum, wo der Pfarrer den Burschen Bier reichen
mu.ss. Eine solche Bewirtung ist auch die Mandelsuppe in der
Grafschaft Glatz (S. 175).
Volkstümliche Zimmer-, Garten-, Feld- und
Waldpflanzen im Liebauer Tale.*)
Vun Wilhelm Patschovsky in Dittersbach hei Dicban.
In früheren Zeiten war man der Meinung, dass jede Pflanze
einem besonderen Zwecke diene; war es nicht die Heilkuust, so
die geheime Kunst. Der Gebrauch, die Pflanze als Schmuck für
Garten und Zimmer zu verwenden, hat sich erst später hcraus-
gebildet.
Man schrieb also jedem Gewächs auf dem Felde und im Walde
eine bestimmte Heilkraft zu, die sich der Mensch nutzbar machen
wollte. Deshalb gab man sich viel Mühe, diesen Nutzen der
Pflanze ausfindig zu machen, und um dies sicher zu erreichen,
wurden sie zu den verschieden.sten Zwecken ausprobiert. Die
Namen vieler Heilpflanzen lernte man aus den medizinischen
Werken der Ärzte des Altertums kennen. Hierbei kamen aber oft
Verwechselungen ähnlicli klingender Namen vor, oder man über-
trug die botanischen Namen auf beliebige Pflanzen unserer Heimat,
weil man der irrigen Ansicht war, dass bei uns dieselben Pflanzen
wüchsen, welche die Alten in ihrer Heimat als Heilpflanzen be-
funden hatten. So erhielten eine grosse Anzahl von den bei uns
’) Krjjätiüuna zu : , Beiträge zur Schlesischen Volkskunde aus dem Liehauer
Tal“ .lahrgang 1897 Heft IV. Zugleich eine Ergänzung zu dem Aufsatz von
Herrn Dr. K. Olbrich: .Beobachtungen über den schlesischen Bauerngarten“ in
Mitt. XVI 66 ff.
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heimischen Pflanzen, von denen man glaubte, dass sie sich bei
einer Krankheit als erfolgreiches Heilmittel erweisen, den Beinamen
„officinalis“, und von diesen Pflanzen war nun das Publikum fest
überzeugt, dass sie die angegebene Heilwirkung auch wirklich
hätten. Noch jetzt tragen viele Pflanzen diesen Ehrenbeiuamen,
aber aus der offizineilen Liste sind sie längst gestrichen. So z. B.;
Euphrasia, Pulmonaria, Cynoglossum, Primula, Vincetoxicum, Ar-
chusa, ja selbst auch Gratiola, das Gottesgnadenkraut u. a. Aber
trotz der Erklärung der Sachverständigen, welche gewisse Pflanzen
für Heilzwecke als wertlos erklären, hält man heut doch noch
vielfach an der Meinung fest, dass auch die von der offizineilen
Liste gestrichenen Pflanzen die bestimmte Heilkraft besitzen. Ja,
für den Laien ist es sogar schwer, die jetzt noch als Heilkräuter
dienenden Pflanzen von denen zu trennen, denen nur der Volks-
glaube eine Heilkraft zuschrcibt.
VMele Pflanzen dienten ferner der geheimen Kunst, also einem
geheimnisvollen, zauberhaften Zwecke. So wurde das Widerton-
moos wider das „Antun“, d. h. gegen das Behexen, gebraucht.
Heslialb nähte man es, besonders Kindern, in die Kleider. Zu
dera.selben Zwecke gebrauchte man Beifuss, Johanniskraut, Be-
schreikraut, Berufungskraut, Doraoth, Mistet usw. — Die goldgelbe
Haube des Widertonmooses, ferner die goldgelben Blüten von Gold-
milz und Frauenmantel gebrauchten die Alchimisten zur Herstellung
der Goldtinktur, mit der sie hofften, gewöhnliche Steine und Me-
talle in Gold verwandeln zu können. Den knotigen Wurzelstock
vom Salomonssiegel, ferner von der Springwurz und die Haselgerte
als Wünschelrute kauften gern .solche Leute, die verborgene Schätze
damit heben und dadurch auf einmal reich werden wollten. —
Eisenkraut, Allermannsharnisch, Sieg^vu^z usw. bezahlte man zur
Zeit des dreissigjährigen Krieges mit viel Geld, weil diese Pflan-
zen, in die Kleidung eingenäht, kugelfest und unverwundbar gegen
Hieb und Stich machten. — Viele Pflanzen dienten als Schutz
gegen Naturkräfte, Gewitter usw., andere wurden für Wetter-
propheten gehalten.
Ja selbst den Tieren .schrieb man ehedem eine Liebhaberei
für gew'isse Pflanzen zu. So meinte man, Hirsch und Bär gingen
dem starkriechenden Lauch nach, der Habicht habe eine Vorliebe
für die Habichtskräuter, die Schlangen lieben das am Boden hin-
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krieclieiule Hiiin-Pferrigkraut, der Spetlit dagfcgen die vielblütigc
Weisswurz usw.
Einige wildwuelisende Ptianzen waren den Göttern gewidmet
und sie wurden, sowohl hei Festen zu Ehren der (Jottheiten als'
auch bei Festlichkeiten des Familienlebens l)edeutungsvoll benutzt.
Um nun alle diese wildwachsenden Pflanzen für den
Bedarfsfall immer bald zur Hand zu haben, verpHanzte man sie
in die Nähe der Wohidiäuser, und so entstand der Hausgarten. —
Wegen ihres angenehmen Duftes oder der schönen Blütenpracht,
hauptsächlich aber, um sie auch während der Winterszeit zu Heil-
und anderen Zwecken im frischen Zustande zur Verfügung zu
haben, wurden einige bevorzugte Pflanzen in kleineren Gefässen
im Zimmer ge])flegt. Es dienten also die.se I’flanzen in erster
Linie wohl praktischen Zwecken und nebenbei auch als Zimmer-
schmuck. Obgleich die aufklärende Zeit den geheimnisvollen
Nimbus, welcher gewisse l^anzen iimgali, allmählich zerstört hatte,
hielt man doch an der liebgewordenen Gewohnheit, Pflanzen im
Zimmer zu i)flegen, fest und so dienen jetzt die Zimmerpflanzen
in erster Linie als Schmuck, und ihre Verwendung zu Heil- und
anderen Zwecken hat eine untergeordnete Bedeutung erlangt.
Zimmerpflanzen.
Einige der Zimmeriiflanzen stehen im Sommer auf einem
grünange.strichenen, mit einem Stäbchenzaun versehenen Brett,
welches auf dem Fenstersims ruht. Eret zur rauhen Jahreszeit
werden die Pflanzen ins Zimmer hereingenommen. Am häutigsten
werden gepflegt:
F'uehsien ( Fuchsia coccinea und hybrida), die man auch Glocken-
strauch und Träne Christi neiuit.
Monatsrosen (Rosa damascena Mill.).
Dornenkrone Clu'isti, eine Art Schlangencacfus mit grossen Stacheln.
Balsamincn (Impatiens halsamina), welche meist in Zigarrenkistchen
stellen.
Begonien und Pelargonien.
Passionsblume (Passiflora caerulea), die man auch Auferstehungs-
oder Eintagsblume oder Leiden Christi nennt.
Männertreu heisst Lobelia erinus hytirida.
Bisweilen findet man auch in verschiedenen Häusern
Zimmerlinde (Sparmannia africaua L.).
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Amarj’lla, welclie den imerkliirliclien Namen ,Sdilafniiitze“ er-
halten hat,
Winterastern, eine Art rhrysantemum, und
(Mnerarien (Cineraria liyhrida) sind als dankbar blühende Pflanzen
beliebt.
Ma}?dalenenhaar (Iseueepis graeilis) findet als Ampelgewiichs Ver-
wendung.
Wachsblnmen (Hoga carnosa R. Br.) und
Eisblumen (^lesembrianthe-muni crystallimum L.) werden gern ge-
pflegt, desgleiehen
Paradiesäpfel (Solanum Sycopersicnm), die auch Tomaten oder
Liebesäpfel genannt werden.
Als Heiliiflanzen findet man häufig:
Aloe, deren Blätter auf Brandwunden gelegt werden. Gleichem
Zwecke dienen auch die Blätter der
Meerzwiebel (Scylla maritima L.). Gekocht gibt sie einen Tee
gegen Husten. '
Kosen-Pelargonie (Pelargonium roseum), auch Rosenkraut oder
Pomadenstrauch genannt, wird bei Magenkrampf angewandt.
^larum verum, das man Merumverum, Katzenkraut oder Katzen-
gamander nennt, findet man in vielen Häusern. Man zerreibt
die Pflanze und riecht daran bei Ohnmachtsanfiillen und
Krämi)fen. Eine Abkochung dient als Augenwasser und als
Heilmittel bei Magenkrankheiten.
Melisse (Melissa offic. L.) wird bei Ohnmacht.sanfällen als Tee
gebraucht und
Muskat (Myristica moschota), auch Moschusblume genannt, belebt
die Nerven, sobald man an die Pflanze riecht. Melisse und
Muskat werden auch, und zwar im Sommer nebst Garten-
pflanzen, wie Pfeffer- und Krausemünze usw., zu den „Riechein“
verwendet, die sich des Sonntags die Frauen mit in die Kirche
nehmen. Die Riechei werden nebst dem sorgfältig zusamraen-
gefalteten weisscn Taschentuche auf dem Gebet- resp. Gesang-
buche getragen und finden besonders während der Predigt häu-
fige Verwendung.
Myrten (Myrtus communis), das Sinnbild der Liebe, findet man
oft in den Familien, wo Töchter vorhanden sind. Von diesen
Sträuchern werden die Zweige zu den Brautkränzen geschnitten.
Aber nur Frauen dürfen Myrten anpflanzen, nicht die Mädchen,
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denn: „Wer Myrten baut, wird keine Braut!“ Der Bräutigam
trägt am Hoclizeitstagc ein Myrtensträusschen auf der rechten
Seite der Rockklappe und nur „eclite“ Jungfrauen dürfen einen
Brautkranz von lebendigen Myrten tragen. Bei Beerdigungen
von Jungfrauen und Junggesellen, auch bei Kindern, der himm-
lischen Hochzeit, wird dem Sarge ein Myrtenkranz, auf einem
weissen Kissen liegend, vorangetragen. Die weissgekleideten
Mädchen, die „Jungfern“ genannt, sind mit Myrtenkränzen, die
auf dem Haupte getragen werden, geschmückt, und die schwarz-
gekleideten Jünglinge haben ein Myrtensträusschen mit weisser
Schleife an den Rock gesteckt. — Gleichen Zweck erfüllt bei
Beerdigungen der
Rosmarin (Rosmarinus offic. L.), der ein Sinnbild der Trauer ist.
Als ünglückspflanzen gelten in Zimmern:
Epheu (Hedera helix L.), welcher auch Kummeri>flanze heisst, und
Hortensie (Hydrangea liortensis), die Ballenrose, welche den Tod
ins Haus bringt.
Als Wetteranzeiger verwendet man die Früchte des
Storchschnabels. Auf einem Brettchen sind die verschiedenen
Witterungserscheinungen verzeichnet und in der Mitte ist die
Frucht befestigt, welche mit der Spitze das kommende Wetter
anzeigt. Die
Wasser- oder Wetterpflanze (Canna indica L.), auch Meerkraut
genannt, zeigt bevorstehenden Regen dadurch an, dass die Blätter
eine Flüssigkeit in Form von wasserhellen Tropfen ausschwitzen.
Gartenpflanzen.
Unter Garten versteht die hiesige Bevölkerung die nicht grosse
Wiese, welche das Gehöft ganz oder teilweise umgibt. Oftmals
hat diese Wiese nicht einmal einen Zaun, oder der besteht nur
aus parallelliegenden Stangen, welche von Doppelfählen festgehalten
werden. Nur sehr selten findet man in diesen Gärten einige Obst-
bäume. Vom Garten ist wohl zu unterscheiden das „Gärtel“,
welches meist nur klein und von einem Hecken-, Latten- oder
Stengelzaun umschlossen ist. Wir mü-ssten also die in diesem Ab-
schnitte erwähnten Pflanzen eigentlich „Gärtelpflanzen“ nennen.
Das Gärtel liegt meist gen 0. zu an der Vorderseite, oft auch gen
S. zu an der Giebelseite des Gebäudes, aber immer bei den Fenstern
der Wohnstube.
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Bei Anpflanzung eines lebendigen Zaunes finden vorzugsweise
Verwendung: Weissdoru (Crataegus oxyacantlia), Spireeii (Spirea
hypericifolia), Eisbeeren oder Schneebeeren (Symphoricarpus race-
mosus L.) und Hecken- oder Hundsrose (Rosa rugosa L.). Am
Staketen- oder Stengelzaun rankt bisweilen der Nachtschatten
(Solanum dulcamara L.), Bitteisüss, empor. — Ist eine Laube vor-
handen, so ist diese, umsponnen von wildem Wein (Ampelopsis
quinquefolia R.), Gichtrübe oder Zaunrübe (Bryonia alba L.) oder
Geisblatt (Lonicera Caprifolium L.).
Als Einfa.ssuugen der Beete verwendet man Pyrethrum (Pire-
thrum inodorum Sm.), Herz-.Tesu- oder Porzellanblume (Saxifraga
umbrosa L.) oder Buchsbaum (Buxus sempervirens L.), welcher
auch gern zu Grabkiünzen verwendet wird.
Das „Gürtel“ sollte vorerst die für den Haushalt erforderlichen
Heilpflanzen liefern. Erst in späterer Zeit wurden die Heil-
pflanzen immer mehr und mehr von den Zier- und Nutzpflanzen
verdrängt.
In einer Ecke des Gartens, und zwar nahe dem Hause, steht
meist ein
Holunderstrauch (Sambucus nigra L.), der auch Flieder genannt
wird. Blüten und ein Mus von den Beeren geben einen blut-
reinigenden, schweisstreibenden Tee, der auch bei Rheumatismus,
Husten und Heiserkeit angewendet wird. Die gekochte Rinde
ist ein Heilmittel bei Verstopfung und Wassersucht. Hat jemand
Leibschmerzen, so singt man: „Koch, koch Fliedertee, dem (der)
N. N. tut der Bauch so weh“.
Oft steht auch beim Hause eine
Linde (Tilia platyphyllos Scop. oder parvifolia), deren Blüten einen
schwei.s.streibenden und blutreinigenden Tee geben. Er benimmt
die Hitze, heilt auch Katarrh, Husten, Magenschwäche und Fall-
sucht. Ausserlich dient er zu Injektionen und als Gurgelwasser.
Die wichtigsten Heilpflanzen, welche im „Gürtel“ angebaut
werden, sind:
Salbei (Salvia offic. L.). Der Name stammt von salvus = gesund,
heilsam. Die Pflanze ist das Sinnbild der Rettung und des
Heils. Die Blätter nennt man auch Gc.schmackblätter. Den Tee
braucht man bei Verschleimung, Fieber, Heiserkeit und Hal.s-
schmerzen. Die Blätter legt man auf Wunden. Die Wichtigkeit
dieser Pflanze beweist der Ausspruch: „Warum stirbt der
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Mensch, da doch für ilin Salbei im Garten wäclist!“ Klbenso
felilt in keinem Gaiden
Baldrian (Valeriana offic. L.), der seinen Namen vom Gotte Balder,
Odins Solin, Iiat. Baldriantee wirkt krampfstillend auf die
Gebärmutter und wird bei Wurmbeschwerden, Nervenschwäche
und Kopfscliinerzen gebraucht. Audi für schwache Augen wird
er angewandt; dalier heisst man die Wurzel auch Augenwurzcl
oder Balders Augenbrauen. Da Balder als Gott der Beredsam-
keit galt, ist diese Pflanze auch das Sinnbild der Beredsamkeit.
Dass ausser Baldrian auch
Biberneil (Pimpinella Saxifraga L.) gegen ünterleib.sleiden, Cho-
lera und Pe.st gebraucht wird, zeigt der Spruch:
„Trinkt Biberneil und Baldrian,
Da wird die Pest ein Gnde lian“.
Beifuss (Artemisia vulgaris L.), auch Peipst genannt, wird an-
gebaut, obgleich er als Freilandpflanze in ziemlicher Menge vor-
kommt. Der Tee wirkt krampfstillend und schweisstreibend.
Wermut (Artemissia Absinthium L.) ist ein vorzügliclies Heilmittel
bei Appetitlo.sigkeit, Magenleiden, Mundgeruch, Sodbrennen,
Wechselfieber, Krampf und Rheumatismus.
Niemals fehlen im Garten:
Krauseminze (Mentha crispa Koch.), deren Tee bei Leibschmerzen
und Magenleiden angewendet wird. Ferner
Pfeflerminze (Menta piperita L.), deren Tee den schwachen Magen
stärkt und bei Leib.schmerzen, Verdaunngsbeschwerden, Blä-
hungen, Krämpfen, .\.sthma, Darmleiden, Periodenstörungen und
Wechselfieber gute Dienste leistet. Sodann
Eibiscli (Aethaea offic. L.), Alttce, der ein bewährtes Heilmittel
bei Brust- und Halskrankheiten, Verschleimung und Husten ist
und zur Erweichung der Geschwüre dient.
Die spanische Schwarzwurzel (Scorzouera liispanica L.) leistet bei
Verschleimung, Heiserkeit und Husten gute Dienste. Auch be-
fördern die Blätter, welclie auf Wunden gelegt werden, die
Heilung der letzteren. Ein grosser Strauch
Liebstöckel (Levi.sticum offic. Koch.), Kübstückel oder Liebesstückel
genannt, wird sorgfältig gepflegt. Die jungen Pflanzen dienen
als Suppengemüse und als Zusatz zu Bädern, weshalb man diese
Pflanze auch „Badekraut“ nennt. Ältere Pflanzen finden An-
wendung bei Brustbeschwerden, Magenkrampf und Blähungen.
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Weil diese Pflanze sieh auch bei Frauenleiden sehr pit bewährt,
nennt man sie auch , Gebärmutterwurzel“. Liebstöckel findet
auch Anwendung als Zaubermittel bei Liebeswerbungen. Wird
am Johannistage Liebesstückel dem Vieh in die Tränke gegeben,
so können ihm die Hexen nichts anhaben. Die Kühe rindern
ordnungsmässig und kalben glücklich.
Tee von
Kardobenediktenkraut (Cnicus benedictus L.) „geht durch alle
Glieder“, wirkt kniinpfstillend und schweisstreibend.
Hohen Friedlos (Lysimachia punctata L.) findet man fast in jedem
Garten.
Die Malve (Malva Alcea L.) heisst im Volksmunde Pappel. Sie
gibt einen Tee für Halsleiden, die Blätter bewirken die Er-
weichung von Zahngeschwüren. Der
Sanikel (Sanicula europaea L.) heisst auch Zornikel. Der Tee heilt
Lungenleiden und Verechleimung und innerlichen Schaden.
Ferner bereitet man aus dieser Pflanze eine licilsame Wundsalbe.
Melisse (Melissa offic. L.) oder Hasenohr gibt einen Tee gegen
Nerven- und Magenschwäche, Magenschmerzen und Bläliungen
und wird auch zu Bädern gebraucht.
Fenchel (Foeniculum offic. L.) leistet vorzügliche Dienste bei allen
Brustleiden, Kolik und V'erdauungsstörungen.
Küchenpflanzen.
Schnittlauch wird recht reichlich angebaut, denn er darf im
„Wechquorge“, dem „schlesischen Kaviar“ nicht fehlen. Auch
in Suppen, Tunken usw. wird er in reichlichen Mengen genossen.
In den Wechquoi'g gehören auch
Zwiebeln, Zwibbeln.
Petersilie, und zwar Wurzeln und Kraut sind eine beliebte Suppen-
würze. Meist in einer Ecke steht ein grosser Strauch
Kröhn oder Merrettig, dessen Wurzeln gerieben zu „Kröntunke“
verwendet wird, die bei Festessen an der Kirmes, beim „Ge-
vatteresseu“ und beim Hochzeits,schmau.se nie fehlen darf.
Dill nimmt man zur Bereitung einer Tunke und zum Einlegen der
„sauren“ Gurken und des Sauerkrautes.
Pfefler- oder Bohnenkraut, dann
Gurkenkraut oder Boretsch sind eine Beigabe zum Gemüse.
MiUeUungen d. Fehles. Oe.s. f. Vkde. Band XI s ^HeO XXII).
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Majoran wird den Suppen und der rüllunp: der „hausschlachtenen“
Wurst beigegeben. Andere
Gemüsepflanzen werden nur in bescheidener Menge angepflanzt.
Zierpflanzen
nehmen im „Gürtel“ nur eine untergeoi’dnete Stelle ein. Am liäu-
figsten werden gepflanzt:
Rosen (Rosa centifolia L.), wurzelechte, weisse und rote.
Gliedra (Dielytra spcctabilis), Herzeistrauch, tränendes oder fliegen-
des Herz genannt.
Päonie (Paeonia offic, L.), Pumpel- oder Pttngstro.se, auch Gicht-
rose genannt, weil die Wurzel gegen Gicht und Kpilepsie ge-
braucht wird. Fast in jedem Garten findet man
Nachtviole (Hesperis Matronabis L.) und
Brennende Liebe (Lychnis clialcedonica L.), die man auch Je-
rusalemsblume nennt.
Strohblumen (Herantliemnm annuum L.), Immortellen genannt,
werden de.shalb gezogen, damit sie im Winter das Moos zwischen
den Fenstern schmucken.
Ringelrosen (Calendula offic. Tj.) werden zu Tee verwendet, der
Wunden heilen soll. Diese Manze gilt auch als Totenblume,
weshalb sie auf die Grabhügel ge])flanzt wird.
Andere Zierpflanzen sind :
Sametröslein (Tagetes erecta pleni.ssaj,
Gänseblümchen, und zwar eine gefüllte Art,
Stiefmütterchen,
Primeln, welche auch Aurikeln oder Popinkchen hei.s.sen, ferner
Astern, welche als Totenblumen gelten und deshalb gern zu Grab-
krünzen gewunden w'erden; und
Karthäuser-Garten- und Federnelken.
Von Zwiebelgewächsen findet man häufig vor:
Jüsephslilie (Lilium candidum L.),
Schneeglöckchen (Galanthns nivalis G.),
Knotenblume (Leucoium vernum L.), Schneegacke genannt,
Tulpen (Tulipa Gesneriana L.j,
Narzissen (Narci.ssus poeticus L.) und
Märzbecher (Narci.ssus pseudo-narcissus L.V Oft wird auch
Türkenbundlilie (Lilium martagon T-.) aus dem Walde geholt und
in den Garten veiiiflanzt. Die Zwiebel heisst Goldwurzel und
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wird gegen die „guldena Odern“ (Hämorrhoiden) angewandt.
Andere wildwarh.sende Pflanzen sind:
Stnrinliut oder Eisenhnt (Aconitus napellus L.), der auch Jungfern-
schnh lieisst, und
Kugelranunkel (Trollius europaea L.), welche unter dem Namen
Goldkoppe oder Goldkugel bekannt ist.
Seltener findet man im Garten die
Schwarze Niesswurz (Heloborus niger L.), welche Chri.strose oder
Auterstehungsblume genannt wird, und
Soiineuro.se (Heliantliu.s annuus L.), deren Samen als Vogelfuttcr
dient.
Von strauchartigen Gewächsen, die .sowohl frei oder am
Heckenzaun stehen, sind zu nennen :
Seidelbast (Daphne Mezereum L.), Kellerhals,
Türki.scher Flieder (Syringa vulgaris L.), den man auch fälschlich
Holunder nennt; ferner
Goldregen (Cytisus Laburnum L.) und
Mehldorn (Mesi)ilus germanica L.).
Feldpflanzen.
Unter den Feldpflanzen finden wieder die Heilpflanzen die
grösste Bedeutung, welche gesammelt und für den Bedarfsfall auf-
bewahrt werden.
Spanische Schwarzwurzel, Baldrian, Sanikel und Beifuss sind
schon bei den Gartenpflanzen erwähnt worden.
Sodann werden ‘als Heilpflanzen gesammelt:
Quendel (Thymus Chamaedrys F.), Judenmutter oder Hühnerkraut
genannt, die namentlich zu stärkenden Bädern, besonders für
Kinder verwendet werden. Die mit dieser Pflanze gefüllten
„Kräuter.säckel“ sind nervenstärkend und desinfizierend. Inner-
lich gebraucht man den Tee gegen Verdauungsschwäche und
Gärung im Darmkanal.
Spitzwegerich (Plantago lanceolata L.), Wegebreit, Wegerich. Der
Tee ist schleimlösend, heilt alle Brust- und Lungenkrankheiten.
Die Blätter auf Wunden gelegt, befördern deren Heilung.
Grosser und mittlerer Wegerich (P. major und media) geben einen
Tee, der sich bei Verdauung.sbeschwerden, Lungen-, Magen- und
Dannverschlcimung, Blascnschwäche und Wechselfleber bewährt.
Die Blätter heilen brandige Geschwüre.
l:i*
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Huflattig (Tussilapo Farfara L.) wird als Bnisttcc, sowie als
Heilmittel bei Husten und Heiserkeit sehr geschätzt. Frische
Blätter legt man auf entzündete Stellen und Wunden, damit sie
die Hitze entziehen.
Bitter- oder Fieberklee (Menganthes trifolia L.), Dreiblatt genannt,
gibt einen guten Tee gegen Fieber und Magenleiden.
Kümmel (Carum Car\ i L.) heisst auch Karbe oder Garbe und findet
nicht nur als Tee bei Verdauungsbeschwerden und Blähungen
Anwendung, sondern wird auch dem Brotteig beigemischt.
.Tohanniskraut (Hyperium pertoratum und (jiiadrangulum L.), auch
Blutkraut genannt, gibt einen kranipfstillenden Tee, der auch
gegen Kopfschmerzen, Leberleiden, Blähungen, Verschleimung
und Bettnässen gebraucht wird. Die Wurzel behebt Schwindel-
anfälle. Das Kraut wird in der Johannisnacht gesammelt; als-
dann schützt es vor Hexen und bösen Geistern. — Junge Mäd-
chen pressen am Johanni.stage die Pflanzen im Taschentuch und
denken dabei an eine männliche Person. Zeigt sich im Taschen-
tuch ein rötlicher Saft, so wird die männliche Person ihr Bräu-
tigam; zeigt sich nur ein grüner Saft, so entsteht kein Liebes-
verhältnis. — Junge Mädchen flechten am Johannistage lose
Kränze von Johanniskraut und werfen sie in die Höhe und
sprechen dabei: „Bleibt der Kranz ein Kranz, bleibt die Liebe
ganz. Geht der Kranz entzwei, ist’s mit der Lieb’ vorbei“.
Schafgarbe (Achillea millefolium L.) steht in besonderem Ansehen.
Sie heilt Magenkrampf, Hämorrhoiden, Gicht, Schwindsucht,
Ausschlag, Blutspeien, behebt Stuhlverstopfung, Bettnässen und
Darmverschleimung, wirkt vorteilhaft auf die Verdauungs-
organe, nervenstärkend, abführend und urintreibend und reguliert
die Blutungen der Gebärmutter. Der Saft heilt Wunden und
Geschwüre. Die junge Pflanze bildet einen Hauptbestandteil
der Frühlingskräutersuppen.
Königskerze (Verbascum thapsus L.) wird auch Zollich genannt.
Der Tee wird gebraucht bei katarrhalischen Leiden, Brust-
krankheiten und Fieber. Umschläge von Blättern erweichen
Geschwüre. Eine aus dieser Plianze bereitete Salbe hilft bei
Rückenschmerz und Hämorrhoiden. Getrocknet und pulverisiert
verzehrt die Pflanze das wilde Fleisch.
Gundermann (Glechoina hederaceum L.), Gundelkraiit oder Gond-
ling findet als Tee Verw'endung bei Stockungen des Unterleibes
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und allen Frauenkrankheiten; ferner bei Schwindsucht, Ruhr,
weissem Fluss und skrofulösen Geschwüren. Den Saft gibt man
Kindern, wenn sie Leibschmerzen haben. Gundermann ist ein
Bestandteil der Prühlingskräutersuppen.
Steinpeterlein IPimpinella saxifraga L.) wird auch Biberneil oder
Beinwell genannt. Diese Pflanze wird angewandt gegen Durch-
fall, ünterleibsleiden, Husten, dann zur Heilung von Wunden
und gebrochenen Gliedern. Die jungen Blätter werden als
Salat gegessen.
Rainfarn (Tanacetum vulgare D.) heisst auch Refelblume oder
Wunnkraiit. Der Tee leistet gute Dienste bei Wurrakrankheiten
und Magenkrampf.
Gauchheil (Anagallis phoenicea L.), Goarteel oder Krähenseife ge-
nannt, gibt heilsamen Tee gegen Leberverhärtungen, Nerven-
krankheiten, Stockungen des Blutes. Auch soll er den Biss
giftiger Schlangen und toller Hunde unschädlich machen.
Ehrenpreis (Vcronica offic. L.), erhielt den Ehrennamen: „Heil der
Welt“ , weil er gewissermassen als ein Universalmittel gegen
Schwindsucht, Lungen- und Brustkrankheiten galt. Auch bei
Verschleimung und Reissen wendet man ihn an. Vom
Löwenzahn (Leontodon autumnalis L.), welcher auch Maiblume
heisst, gibt die Wurzel einen Tee gegen Stockungen des Unter-
leibes, Treber- und Hautkrankheiten; er wirkt blutreinigend und
abführend. Die jungen Blätter werden in die Kräutersuppen
genommen.
Mauerraute (Asplenium Ruta muraria L.) befördert gekocht den
Haarwuchs, desgleichen die Wurzel der
Klette (Lappa offic. All.), aus welcher das Klettenwurzelöl bereitet
wird.
Braunwurz (Serophularia nodosa L. |. Die gekochten Wurzeln geben
einen Tee gegen Skrofeln; auch ziehen sie Geschwüre auf.
Mauerpfcfl'er (Sedum acre L.), Steinkraut oder Katzenkräutlein,
heilt als Tee. Fallsucht, und der frische Saft heilt Geschwüre.
Stiefmütterchen (Viola tricolor L). Der Tee reinigt das Blut
und ist heilsam gegen Skrofeln und verdorbenen Magen.
Augentrost (Euphrasia offic. L.) führt diesen Namen, weil ein
Aufgu.ss des Krautes ein Augenheilmittel ist. Gewitterblume
wird diese Pflanze genannt, weil .sie bei einem Gewitter blau
wird, und weil der Blitz dort einschlägt, wo die abgepflückte
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Pflanze aufbewahrt wird. Man darf sie niemals vor oder
während eines Gewitters abpflücken. Tee von dieser Pflanze
bewährt sich auch bei Magenkrankheiten. Augentrost wird auch
Kapellenblume genannt.
Acker-Schachtelhalm (Eqiiisetum arvensc L.), Zinnkrant oder Katzen-
schwanz. Tee, innerlich genommen, heilt Wassersucht, Blut-
speien und Nierenleiden; er reinigt den Magen und behebt Ham-
beschwerden; äusserlich angewendet wirkt er blutstillend und
heilt Geschwüre und faulige Wunden.
Arnica (Arnica montana L.) heisst: Bergwohlverleih, Fallkraut,
Gems- und Blutblume. Die Blüten werden mit Spiritus auf-
gesetzt. Diesen Arnika-Spiritus gebraucht man zur Heilung von
Wunden und Quetschungen. Kraut und Wurzeln geben einen
Tee gegen Verdauung.sschwäche, Krämpfe, Epilepsie, Schlag-
anfall; derselbe wirkt auch schleim- und nrintreibend. Die
Quecke (Triticura repens L.) gibt einen blutreinigenden Tee.
Fetthenne (Sedum Telephium L.) oder Johanniswurzel nimmt man
zu Tee gegen Fieber und Fallsucht. Der Saft der Blätter heilt
Kopfgrind, Milchschorf und Brandwunden und stärkt die
Glieder. Man holt am Johannistage so viel Zweige von Fett-
henne als Personen im Hau.se resp. in der Familie sind und
legt die Zweige auf einen Balken. Es sterben oder erkranken
im Hause resp. in der Familie so viel Personen als Zweige
verdorren. Die übrigen Zweige grünen weiter.
Hirtentäschel (Capsella Bursa pa.storis Mnch.), Stückelkraut, liefert
einen Tee, der Kheumatismus, Blutspeien und Schleimflüsse heilt
luid übermässig starke monatliche Blutungen und Nasen-
bluten stillt.
Eberwurz (Carlina acaulis D.) Karline, Aberdistel, Silberdistel
oder Distelbrötchen genannt, verwendet man als Salat und in
der Tierheilkunde. Den Fruchtboden isst man. Diese Pflanze
dient auch als Wetteranzeiger.
Sauerampfer (Ruinex Areto.sa L.), Sauerlump regt, roh gegessen,
den Appetit an und reinigt das Blut. Man i.sst ihn auch als
Gemüse und würzt die Suppen damit.
Brunnkre.sse (Nasturtium offic. R. Br.) wird roh gegessen und heilt
Schwindsucht, reinigt das Blut und regt den Ajjpetit an.
Rapünzchen (Valerianella olitoria Poll.), Rapunze, auch Rebimde
genannt, wird als Salat gege.s.sen, die als blutbildend gilt.
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Herbstzeitlose (Cholcliicum autumnale L.), Wiesensafran oder nackte
Jungfer soll ein Heilmittel gegen Gicht, Rheumatismus und,
Wassersucht sein.
Wilde Rose (Rosa canina L ), Hundsrose, Hagebuttenstrauch. Die
Prüchte (Hagebutten) geben eine schmackhafte, blutreinigende
Suppe.
Vogelknöterich (Polygonum aviculare L.), Dehngras oder Schweine-
gras genannt, gibt einen Tee gegen Was.serleiden und Durchfall.
Herzgespan (Leonurus Cardiaca L.) hilft als Tee bei Herzkrank-
heiten und Fieber.
Gnadenkraut (Gratiola offic L.), auch Gottes Gnadenkraut ge-
nannt, heilt als Tee Wassersucht, Herz-, Leber- und Milzkrank-
heiten; desgleichen Melancholie und Verstopfung. Es treibt
Würmer ab und dient als Brechmittel. Aus
Wal.schen- oder Lungenkraut (Lobaria pulmonaria Hoffni.) bereitet
man Tee, welcher bei Lungen- und Halsleiden geschätzt wird.
Andorn (Marubium vulgare L.), Dorant oder Dauerang wird bei
Krankheiten des Viehes benutzt. Auch vertreibt man damit
Hexen, denn; „Taste (V), Dill und Dauerang ist der Hexen
Widerstand“.
Nesseln (Urtica dioica und urens L.) geben einen Tee gegen
Husten, Lungenentzündung, Brustleiden, Wechselfieber, Hämor-
rhoiden und übermässige Monatsblutungen. Er ist auch blut-
reinigend und harntreibend. Nesseln gehören auch unbedingt
in die Frühlingskräutereuppen.
Giersch (Aegopodium Podagraria L.) heilt, als Tee genossen, Po-
dagra, nämlich Gicht und Reissen.
Schellkraut (Chelidonium majus L.) wird Hühnerdreckgras genannt.
Der Saft dient äusserlich zur Beseitigung der Hühnerwurzeln.
Flachs- oder Lein (Linum usitatis simum L.). Der Same wird
gekocht und in Säckchen auf Geschwüre gelegt, um diese zu
erweichen. Die Blüten sind ein Sinnbild der Häuslichkeit und
Treue. Aus
Bachbunge (Veronica Becca bunga L.), Quell - Ehrenpreis oder
Funde, wird eine Salbe bereitet. Diese verwendet man bei
offenen Schäden, geschwollenen (iliedern, Rheumatismus. Da-
her sagt man: „Mache Salbe von der Funde, damit Fleisch und
Bein gesunde“.
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Rundblättcrigcr Friedlos (Lysimachia Nuraeralia L ). Der Tee
von dieser Pflanze ist ein vorzügliches Heilmittel bei Mundfaule.
Zelirkraut (Betonica oftic. L.) ist gut gegen „die Verzelirige“ d. i.
die Auszehrung und gegen Fieber.
Eberreis (Artemisia Abrotanum L.), (Jartenheil, gibt einen magen-
stärkenden Tee und
Herzgespan (lieonurus Cardiaca L.) findet Anwendung bei Herz-
beklemmungen.
Zwei wichtige Heiljjflanzen: die echte Kamille und Tausend-
güldenkraut kommen im Liebauer Tale nicht vor. Sie werden viel
gebraucht, mü.ssen aber aus der Apotheke bezogen werden.
Andere Pflanzen, welche einen besonderen volkstümlichen
Namen haben sind:
Natternzünglein (Echium vulgare L.), „Stolzer Heinrich“ oder
Frauakrücka genannt. Am 23. Juni zur Mittagszeit geholt, darf
man die Pflanze über keinen Bach tragen, dann vertreibt sie
die Ratten. „Such um Johanni Frauakricka
Und hoa se drin eim Staolle.
Wenn sich de Raotta drinne blicka
Do verteibst ’se aolle.
Günsel (Ajuga reptans L.) heisst auch Kuckucksblume und dient
als Zaubermittel.
Knabenkraut (Orchis maculata L.), Gottes Hand. Gibt man die
Wurzel Kühen und Ziegen, so verlieren sie die Milch nicht und
bekommen dieselbe wieder, sobald sie dieselbe verloren hatten.
Kornrade (Agrostemma Githago L.) = Kornschnate.
Sumpfdotterblume (Galtha palustris L.) und
Hahnenfuss (Ranunculus acer L.) hei.ssen Butterblume.
Kornblume (Centaure Cyanus L.) = Ziegenbein.
Vergissmeinnicht (Myosotis) in den verschiedenen Arten Krebs-
oder Froschäuglein.
Steinnelke (Diantlius deltoides L.) = Steinröschen.
Buschanemone (Anemone nemoro.sa L.) = Krähcnfalke.
Ruhrkraut (Gnaplialium dioicum L.) = Katzenpfötchen oder Immor-
tellen.
Gänseblümchen (Bellis perennis L.) = Ma.ssliebchen, Orakelblume,
Marienblümchen oder Margaretenblume. Man zupft einzeln die
Blätter aus und spricht den bekannten Spruch: „Er liebt
mich“ etc.
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Brunclle (Prunella vulgaris) = Wiesenpflaume.
Hundskamille (Anthemis Cotula L.) = Kuliaugc, Orakelblume oder
Magaretenhlume.
Klappertrog (Alectorolophus min. und mag.) = Gröschchen.
Löwenzahn (Leontodon Taraxacum L.) = Gänsefett, Eierbrötchen,
Maiblume.
Bachuclkenwurz (Geum rivale L.) = Ziegenflei.sch.
Frauenmantel (Alchemilla vulgaris L.) = Gansekragen.
Labkraut (Galium Mollugo Ti.) = Ziegentod, weil die Ziegen,
welche davon fressen, sterben.
Pechnelke (Viscaria vulgaris Röhl.) - Woin.schmierblume (Wageii-
schmierblume).
Pferdekümmel (Oenanthe aquatica Lmk.) = Tierschimmel.
Kuckucksblume (Lychnis flos cuculi L.) = Rindfleiscli.
W aldpflanzen.
Auch der Wald bietet eine grosse Anzahl Heilpflanzen. Zu
ihnen gehören:
Einbeere (Paris qiiadrifolia L.), deren Blätter gegen Geschwulst
angewendet werden; auch ziehen sie Geschwüre auf. Gekocht
wirken sie .schwei.sstreibend und schmerzstillend. Der Saft der
Beere soll bei Augenentzündungen gute Dienste leisten.
Hauswurz (Sempervivum tectorum li ). Die fri.schen Blätter legt
man auf Wunden, und zwar namentlich auf Brandwunden; sie
vertreiben auch Hühneraugen und heben die schädlichen
Wirkungen der Bienenstiche auf. Der Saft der Blätter stillt
das Blut, heilt Halsentzündungen und beseitigt Sommersprossen.
Der Landmann sicht es gern, wenn diese I^flauze auf seinem
Hau.se wäch.st, denn sie hält den Blitz ab.
Tüpfelfarn (Polypodium vulgare L./, Engelsüss oder Steinwurzcl
genannt. Die süssschmeckende Wurzel wird gege.ssen. Gekocht
gibt sie einen Tee gegen Brustkrankheiten. Zerkleinert dem
Boden beigemischt, befördern sie das Wachstum gewisser
Pflanzen (Palmen etc.).
Waldmeister (Asperula odorata !>.), Herzfreude oder Sternleber-
kraut sammelt man zu Tee gegen Herzklopfen, Gelbsucht, Haut-
iind Bauchwa.s.sersucht.
Brombere (Rubus fruticosus L.) oder Kratzbeere. Aus den Blät-
tern bereitet man einen Tee gegen Wasserbeschwerden, Diarrhoe,
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Rlutflüsse und Haiitaussdiläge. Der Tee wird auch als Gurgel-
wasser gebraucht.
Engelwurz (Archangelica offic. Hoff.) „ist für alles gut“, nament-
lich gegen Pest und Cholera. Sie wird auch bei Krankheiten
des Viehes gebraucht. Aus den gekochten Blättern der
Preisselbeeren (Vacciniuni vitis idea L.) bereitet man einen Tee
gegen verdorbenen Magen. Die Blätter der
Heidelbeere (Vacciniuni mytillus L.) liefern einen Tee, welcher
sich bewährt bei Zuckerkrankheit, Katarrhen, Husten, Blasen-
schwäche, Ruhr und Durchfall. Bei Durchfall werden auch die
getrockneten Beeren gegessen.
Erdbeere (h’ragaria vesca L.). Aus den Blättern bereitet man
einen blutreinigenden Tee, der sich bei Husten, Gelbsucht,
Durchfall, Gries-, Stein- und Leberleiden bewährt. Die Früchte
zerteilen Gichtknoten luid stillen den Keuchhusten.
Faulbaum (Frangula Ainus Mill.h Tee aus Rinde und Blättern
bereitet ist ein gutes Abführmittel.
Bärlapp (Lycopodium clavatmn L.;, Krähenfüsse, Otternwurzel oder
Teufelskrallen. Der Blütenstaub wird gegen Wundnässe und
Gescliwüre gebraucht.
Quirlblättrige Weisswurz (Polygonatnm verticillatum All.). Diese
Pflanze verhilft dem Vieh zu .Milch und bricht die Gewalt der
Hexen. Ein diesbezüglicher Spruch lautet:
Wirtelfürm'ge Weisswurz such' als Futter,
tiib ’se dem Vieh, ’sis für a Nutzen!
Du erzielst viel Milch an Butter
Auch koannst du a Hexen trutzen!
Türkenbundlilie siehe Gartenpflanzen, und zwar Zierpflanzen.
Von den Fichten, Tannen, welche man auch als Christ-
baum verwendet, und von Kiefern nimmt man die Spitzen der
Sprossen als Zusatz zu Bädern, die dadurch kräftigend werden.
Aus den Birken zieht man den Saft. Wer denselben trinkt,
wird schon. Die Birken dienen als Schmuck der Altäre, welche
am Fronleichnamsfeste im Freien errichtet werden. Nach den
Gotte.sdiensten reissen sich die Leute Birkenrei.ser ab und nehmen
dieselben mit nach Hause, denn sie schützen vor Blitzschlag und
vor Hexen. Zwie.sel vom Haselnussstrauch dienen als Wünschel-
rute; de.sgleichen CJerten von Weiden. Die Kätzchen von letzteren
heissen Palmen. Diesen Namen haben auch die ganzen Zweige,
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welche am Palnisonntagc in der Kirche geweiht, bei der Pro-
zession getragen und dann mit nach Hause genommen werden.
Auch sie schützen vor Blitzschlag. Wer am Palmsonntage Palmen
verschluckt, bekommt keine Halsleiden.
Wie aus dem Vorstehenden ersichtlich ist, nehmen die so-
genannten Heilpflanzen die erste Stelle ein. Bei vielen von ihnen
mischt sich Wahrheit und Volksglaube derart, dass dem Laien die
Unterscheidung .schwer fällt. Wenn auch die foiLschreitende
Wissenschaft allmählich immer mehr in die breiteren Volksschichten
dringt und den Volksglauben verdrängt, so wird es doch gewiss
noch lange dauern, ehe letzterer ganz ausgerottet ist. Ein
Kräutlein gibt’s, dessen Heilkraft sich stets bewährt liat und sich
auch fernerliin bewähren wird. Von ihm sagt Tieck :
,Witk'r »Ile Wunden gibt’s ein klüftig Kraut;
Der hat Heilung funden, der dies Kräutlein baut.
In des Glaubens Garten ist es nur zu schau’n;
Lern dies Kräutlein warten, cs heisst: Goltvertrau'n!“
Volkstracht in der Gegend von Boyadel.
V’on M. Hel Im ich.
Zu den bedauerlichsten Begleitersclieinungen der Neuzeit vom
Standpunkte der Volkskunde gehört das Dahinschwinden der Volks-
tracht. Der Zug weiblicher Hilfskräfte vom platten Lande in die
Städte und die Dienstpflicht der jungen Männer tragen gleichmässig
dazu bei. Früher, als sich noch nicht die gleichförmige und farb-
lose Männerkleidung von heute herausgebildet hatte, wo also auch
in der Stadt noch ein Unterschied der Trachten je nach Stamm
und Land eher zu Anden war, hinkte die bäuerliche Mode immer
um mehrere .lahrzehnte hinterdrein und ergab zusammen mit dem
konservativen Sinn der damaligen Landbevölkerung auch der männ-
lichen Tracht eine besondere Eigenart. Heute bringt der Ausgediente
selbst in die entlegenste Gegend den städtischen Geschmack für
die hässliche röhrenfönnige Hose und das Jackett oder den Rock
mit zurück, wohl nur, weil er sich dadurch den Anstrich des
weltmännisch Erfahrenen geben wJll. Und die weibliche Be-
kleidung mit ihrer wechselnden Mode gelangt heutzutage viel
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sclirieller auch ins Dorf und wird, wenigstens als Fcstkleidung,
aus falscli angebrachtem Ehrgeiz getragen.
Nur die Kleidung, die bei den häuslichen und wirtschaftlichen
Verrichtungen angelegt wird, verrät beim weiblichen Geschlecht,
wenigstens in der weiteren Umgebung von Boyadel, auf die ich mich
hier beschränken will, welcher Art die landesübliche Tracht noch
vor etwa 30 bis 50 Jahren gewesen ist.
Diese Arbeitstracht besteht heute noch aus einem gewöhnlich leuch-
tend saftgrünen faltigen Kock, einem ärmello.sen eng anliegenden
Ijeibchen, einer losen dunklen ein- oder zweireihigen Jacke, sowie
einer meist dunkelblauen Schürze. Die Jacke hat auf der Schulter
eingeriegene Ärmel, die darum etwas hochstehen und wird auf der
Stra.sse stets lose getragen. Bei der Arbeit wird die Schürze
darauf gebunden. Von allen diesen Kleidungsstücken interessiert
am meisten der Rock, weil dieser noch aus selbstgewirkten Stoffen
gearbeitet wird, öfters sieht man wohl noch eine Arbeitsschürze
aus solchen Stoffen. Doch ist diese jetzt fast immer, wie auch
die übrigen Teile der Bekleidung, aus gekauften, fabrikraässig
hergestellten Stoffen gefertigt.
Für die Hausmacherstotfe nun wurden früher alle Zutaten in
der Wirtschaft gewonnen und verarbeitet. Die Kette, die soge-
nannte jSerije“, wurde aus eigengebautem Flachs gesponnen und
entweder roh verwendet oder vorher im Hause schwarz gefärbt.
Der Einschlag, der Schu.ss, ob nun Woll- oder Wadgarn, wurde
ebenfalls zu Hause gesponnen; die Wolle kam von den in jeder
Wirtschaft früher noch in kleiner Zahl gehaltenen Schafen und
wurde rein oder mit Abfällen, Werg find geringerem .Material ver-
sponnen. Von all diesem Hausfleiss ist unmerklich ein Stück nach
dem anderen abgebröckelt. Zuerst zog ein Wollsi)inner, der seinen
Wohnsitz in Kontopii liatte, von Haus zu Haus und kammelte und
verspann auf dem besonders dazu gebauten Rade die Wolle an
Ort und Stelle. Dann wurde das rohe Material ihm ins Haus ge-
schickt, der Färber trat für die Hausfrau ein und jetzt wird der
Schu.ss im Laden gekauft, da die Schaflialtung vollständig abge-
kommen ist. Nur die Herstellung der Kettenfäden und, was damit
zusaramenhängt, und das Wirken hat sich noch in vielen Häu-sern
gehalten. Im Winter wird der Webstuhl, der .sonst auseinander-
genommen in der Scheune oder unter einem Schleppdach hinter
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dem Hause freliäii"t hat, wieder anffrehaut und die Hausfrau und
die Kinder arbeiten daran die festen bunten Stotfe.
Denn eins liat sicli bislier noch bei diesem Verfahren von
früher her erhalten, das ist die Freude an bunten Mustern, die in
immer neuen V'^crbindungen der Hauptfarben grün, rot, gelb,
schwarz und seltener braun und blau unter den fleissigen Händen
entstehen. Die angeführten Farben stehen in der Reihenfolge, die
ungefähr ihrer Beliebtheit entspricht. .lede Wirkerin setzt ihren
Stolz slarein, ein neues Muster herau.szubringen. Oft allerdings
siegt der Sinn für Wirtschaftlichkeit, wenn vorhandene VoiTätc
der einen oder anderen Farbe zur Rücksichtnahme auffordern.
Infolge der langen Erfahrung wird mit grosser Sicherheit die er-
forderliche Menge des einzelnen Wirkgutes berechnet und die
Länge des herzustellenden Stückes der beabsichtigten Verwendung
angepasst.
Vorzugsweise beliebt ist ein Muster aus wechselnden schmalen
schwarzen und breiteren saftgrünen Streifen. Freilich sind die
Muster zahllos. Unter den etwa 50 Rockstoffproben, die ich ge-
sammelt habe, sind mir noch nicht einmal zwei gleiche vorgelegt
worden. Lange wird das allerdings nicht mehr dauern. Denn
mir wurde von verschiedenen Seiten wichtig bedeutet, dass für
be.ssere Rocke jetzt nur einfarbige (fast stets grüne) Stoffe be-
liebt werden. Woran das liegt, wurde mir aus einer Äusserung
einer meiner Quellen klar. Diese Frau besitzt mehrere Töchter,
die auswärts, in der Mark, während des Sommers arbeiten. Für
diese, darf sie nur noch einfarbige Stoffe wirken, da sie an ihrer
Arbeitsstelle mit den streifigen Röcken verspottet worden sind —
ein Schulbeispiel, wie Gedankenlosigkeit und Nachäffung den Sinn
für gute alte Sitte totschlagen!
Welch feine Unterschiede die Tracht kennt, darüber belehrte
mich eine Aufklärung, die mir von einem Mann der hiesigen Ge-
gend in treffender Männerauffassung gegeben wurde. Die Streifen
der Rücke, sagte mir die.ser Gewähr.smann, laufen bei den jüngeren
Frauen rund um den Rock; die älteren aber, die nicht mehr „asu
ebilds“ (so eitel) seien, trügen Röcke mit senkrechten Streifen.
Das hängt mit der Herstellungsart der Röcke zusammen. Denn
während die Röcke mit wagerechten Streifen aus mehreren Bahnen
bestehen, die vom ganzen Stück geschnitten werden, verwenden
die älteren Frauen ein einziges Stück in der der Rockweite ent-
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sprechenden Liinpe, wie es vom Webstuhl kommt, machen also
eine Ersparnis an Arbeit auf Kosten der Eitelkeit. Übrigens sind
auch die aus dem Stück .geschnittenen Hahnen der zusammen-
gesetzten Rücke oben und unten gleich breit; sie werden nicht
keilig geschnitten um den Stolf nicht zu verschneiden, damit er
später noch als Futter verwendet werden kann. Die so herge-
stellten Röcke sind sehr faltig. Sie werden oben „e-gelindR“ und
mit einem Gurt versehen. Die Machart ist also die denkbar ein-
fachste.
Mit dem Aufliören der Hausfurberei und der Verwendung
schlechten Materials, welches mit Baumwolle vermengt ist, hängt
die Vergänglichkeit der Farben in den neueren Stoffen zusammen.
Deswegen werden die roten und grünen Streifen heute noch meist
aus reinem Wollgarn eingeschos.sen, von dem die Spule 90 Ff.
etwa kostet, während für die anderen matteren Farben Wadtgarn
genommen wird, die Spule zu etwa 60 Pf.
Die Unterscheidung der aus den verschiedenen Stoffen herge-
stellten Rücke mit verschiedenen Namen, von der mir eine .sonst
gute Quelle erzählte, scheint nicht überall bekannt oder streng
durchgeführt zu .sein. Danach .sollten nämlich die rein w'ollenen
allein „Rücke“ genannt worden sein, während für .schwereren oder
leichteren Wadtgarnstoff' bzw'. das daraus gefertigte Kleidungstück
die Bezeichnungen „Plenten“ und „Kittel“, letztere für das Arbeits-
zeug, im (febrauch gewesen sein sollen. „Plente“ scheint einen
herabsetzenden Nebensinn zu haben, wie die Äusserung eines jungen
Mannes in der Brieger Gegend verrät, der in seinem Heimatdorf
w'egen einer erlittenen Ver.spottung nicht mehr zum Tanz ging;
er sagte nämlich, er wäre sich zu gut, nur „den Weibesle.uten die
Plenten auszuschwadern“.
Ausser diesen bisher genannten Bestandteilen der weiblichen
Kleidung ist in der bezeiclmeten Gegend noch ein besonders auf-
fallendes Stück nicht allzuhäufig, aber doch noch hie und da im
Gebrauch. Es i.st dies die sogenannte „Einhülle“, ein kragen-
oder mantelartiger Unihang aus den gleichen vorbeschriebenen
Stoffen. Er besteht aus einer langen Bahn, wie sie vom Webstuhl
kommt, die an einer Langseite eingeriegen und an einem Stoffbund
von etw'a 50 bis 60 cm Länge und 10 cm Breite befestigt und
mit Bindebändern versehen ist.
Dieser Kragen wird entweder um den Hals gelegt, so dass
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der Kopf frei ist, oder aiicli um den Koi>f, nur das Gesicht frei-
lassend und wird dann vermittelst der Bänder „untei-m Bart“ d. h.
unter dem Kinn gebunden. Diese „Einhülle“ umgibt in vielen
Palten den Oberkörper und ist, da sie aus dem derben Hausmacher-
stüft' gearbeitet und noch warm gefüttert wird, ein vorzüglicher
Schutz gegen die Kälte. Die Farben sind sehr bunt: rot mit
grün oder gelb und schmalen schwarzen Streifen sind am belieb-
testen. Die Vorliebe des Volkes für bunte Muster scheint auf
einen Tropfen slawischen Blutes zurückzuführen zu sein, der in
der Gegend von Boyadel sicher vorhanden ist. Im Kreise Brieg
links von der Oder, wo der deutsche Stamm wohl unvermischt erhalten
ist, wurde früher ein ähnliches Kleidungsstück, aber aus schwarzem
Tuch getragen. Dagegen ist in Bladen, Kreis Leob.schütz, die
bunte „Hülle“ wieder bekannt, dort in der nächsten Nähe mäh-
rischer Gemeinden.
Als Kopfbedeckung wird jetzt ein Tuch mit, oder gewöhnlich
ohne Hut getragen. Früher waren Hauben allgemein üblich, be-
stehend aus einem eng anliegenden Kopf mit besonders darüber
zu legender Stirnbinde und darauf noch einer Binde aus einem drei-
eckigen zusammengelegten schwarzen Tatt'ttuch, welches mit festem
Knoten über der Stirn gebunden wurde. Die „.Maschen“ wurden sehr
sorgfältig auseinander gezogen und mussten recht steif abstehen.
Gewöhnlich bestand die Haube neb.st Binde aus gesticktem Tüll.
In der Trauer wurde eine Haube aus .schwarzem Tafft, ebenfalls
mit „Maschen“ getragen. Für Festlichkeiten bestand die soge-
nannte „Purrhaube“ aus einem über der Stirn eingeriegenen
Spitzentuch, de.ssen Zipfel frei über das Haar heruntei'fiel. Von
den Seiten gingen Seidenbänder herab, die im Nacken zusaramen-
gefasst und dort mit künstlichen Blumen verziert waren. Ebenso
befand sich ein solcher Blumenausputz über der Stirn.
Auch Tre.ssenkappen aus Brokatstolf sollen früher getragen
worden sein, doch ist es mir erst vor kurzem gelungen, eine solche
zu Gesicht zu bekommen.
Leider i.st von der Männertracht viel weniger zu sagen, denn
eine ausgesprochene und örtlich feststehende gibt es nicht mehr.
Die billigen Joi)pen, die heut in jedem kleinen Geschäft feilge-
halten werden und vielleicht darum so beliebt sind, kann man
füglich nicht als Tracht bezeichnen. Vor etwa 50 Jahren trugen
die Männer eine lange dunkle Hose, hoch heraufreichende, meist
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schwarz- und rotpestrei ftc Weste und laiifjen blauen Rock. Im
Winter wurde darül)er ein schwertuchner, blauer Mantel mit meh-
reren übereinander liegenden Kragen, der sogenannte Koller, ge-
tragen. Die Knöpfe daran waren gross und schwarz, öfters mit
eingelegten messingnen Blumen. Als Kopfbedeckung fand ich
einen steifen Hut von grobem Pilz in Form der geraden, sehr
hohen Zylinderhüte mit kleiner gerader Krempe und einfachem
schmalem schwarzem Bande darum.
Zur Arbeit tragen die Männer alten Schlages vielfach eine
kurze gestrickte oder gewirkte und gewalkte Jacke, einreihig und
ohne Kragen. In der Arbeit werden von beiden Geschlechtern
meist Holzpantinen getragen, sonst von den Frauen Ledernieder-
schuhe auf dunklen Strümpfen und von den Männern sogenannte
halbschäftige Stiefeln, in die gegebenenfalls die Hose gesteckt
werden kann.
Leider muss ich feststellen, dass in der Bevölkerung der Sinn
für die ursprüngliche Tracht und die Freude daran vollständig
verloren gegangen ist und die wenigen Reste nur allein ihres prak-
tischen Nutzens wegen sich erhalten haben. D(>r Versuch einer
Wiederbelebung, wie er an anderen Orten und teilweise mit gutem
Erfolg gemacht worden ist, würde nach meinen Wahrnehmungen
keinem Verständnis begegnen, wenn nicht gar Spott ernten.
Ein alter Vertragsbrauch.
Von Dr. Paul Drechsler in Zabrze.
Im Altertum wurden wichtige Verträge feierlich abge.schlossen,
damit sich die Erinnerung daran recht lebendig erhalte. Dabei
schlug einer mit der Hand in des andern Hand, wie wir es noch
heute tun und dazu topp! sagen, oder man berührte mit seinen
Fingern die Fingerspitzen des andern. Auch hiervon lebt ein Rest
in dem bekannten Brauche; Wenn zwei einen Schnaps trinken
wollen, so halten sie das Gläschen empor, blicken sich an und
la.ssen die Spitzen ihrer kleinen Finger einander berühren. Das
gewöhnliche Volk kennt diesen Brauch nicht, wie auch das An-
stossen auf das Wohlsein nie recht gemein war.
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JP?L
Dieses Rerüliren oder Aiistnssen mit den Finf^ern hiess stnpfen,
stüiifeii, stijifen oder tipl'en. Letzteres Zeitwort begegnet auch
in der Ziisaminensetzung eintipfen; s. Grimm, Reclitsaltertiimer
S. 147 f. Für einti])fen bei einem Vertrage bietet sich ein Beisj)iel
in einem lür die schlesische Dialektkenntnis liochwiclitigen Erzeugnis
aus dem 17. .lahrhundert. Zwei Hauern, Hans Wui'st und Stürze-
becher, haben gemeinsam ein Verbrechen begangen. Darauf .sagt
Hans Wurst:
Abr horcht dach | wenn wii' ju varrautha würda | dass wiers
gethaun lietta j su iniissa wir ag baalde ney dorzu sprecha | vnd
guar nisclita aanderss das wirs nicht gethaun huan wir huansender
sie liegass an ihra Hals nee.
Stürzebeclier: Duas iess raicht | Nockwer Hanss j dass du
saist I dass wirs nicht gethuan. Xu an dau walla wir eytippa
da.ss ju kinnar vom aandarn ischta .suayn \>il. (Sie giessen Hier
auff den Tisch vnd tippen ein.)
Hier heisst das eintipfen soviel wie eintauehen, eintunken,
intingere (wie der Schlesier auch „in die Dinte eintipft“ ; vgl. Grimm,
DWbch. 111 332, Beleg aus Stieler). Durch das Eintauchen der
Finger in das Bier soll das Versprechen, einander nicht zu verraten,
feierlich bekräftigt werden. Noch heute sollen in der Striegauer
Gegend sich Steinbrucharbeiter feierlich zu etwas verpflichten,
indem sie Schnaps* auf den Tisch giessen und darein die Finger
eintipfen, ganz wie die Bauern es mit dem Biere tun. — Als sich
im J. 1731 die Protestanten, die der Fürsterzbischof Firmian von
Salzburg zur Auswanderung zwang, zum letztenmal in Schwarzach
versammelten, wurde der sogenannte „Salzbund“ geschlos.sen. Wer
zum Bunde hielt, tauchte die Finger zur Bekräftigung nach alter
Sitte in Salz. Im Wirtshause steht noch der Tisch mit roher
^lalerei und der Umsclirift: „Das i.st der nämliche T'isch, worauf
die lutherischen Bauern Salz ge.schleckt haben“. Meyer, Deutsche
Alpen, 2. Teil, 1900, S. 86.
Wir erinnern an das Blut, worein nach Lucian Toxar. 37 die
Scythen ihre Schwester tauchten. Die Bewohner der^schottischen
Hebriden tauchten, wenn sie sicli zu etwas verpflichteten, die Hände
in Blut. Grimm, Kechtsaltertümer S. 265, 267.
Der Spieler tippt mit dem Finger, um zu erklären, dass er
„raitgehen“ will; davon hat auch ein bekanntes Hazardspiel den
Namen.
MUtclIunh'cn il. «lOil*». Oc». f. Vkilc. liaml -\I 2 (UeO X.MO. tt
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210
Damit ist der Ursprung des Brauches nicht erklärt. Dies will
ich auch hier nicht versuchen, sondern es soll nur die Anregung
gegeben werden, dem Brauche nachzugeheii und dafür weitere
Belege beizubringen.
Zimmermannsspruch.
Mitgetcilt von Lehrer Gebhardt in Cantcrsdorf, Kreis Brieg.
Das neue Haus ist aufgerichtet. Auf dem Giebel wird ein
Kreuz aus Latten angebracht, an dessen Spitze ein grüner Busch
(z. B. Lindenzweige) befestigt wird. An jedem Kreuzesarm hängt
ein Tuch für den Maurermeister und für den Zimmermeister; bei
grösseren Bauten erhalten wohl sämtliche Biuihandwerker ein
kleineres Tuch. Neben dem Kreuze steht ein redegewandter Mann,
meistens der Zimmerpolier, und hält eine längere oder kürzere
Ansprache. Weiter nach unten haben sich die andern Zimmerleute
aufgestellt, die mit grosser Begeisterung in das Hoch einstiraraen,
das der Redner am Schlus.se ausbringt: auf den Hausherrn, die
Hausfrau, die Kinder, die Meister, die Gesellen und alle, „die beim
Bau nur eine Hand gerührt haben“, und zw'ar erhält jeder sein
besonderes Hoch. Den Schluss bildet der Hebeschmaus, bei dein
es lustig und laut zugeht, und von dem es in einem alten Zimmer-
mannsliede heisst: „Ist aber ein Hau vorbei, und gibt es Schmau-serei,
gut zu e.ssen und gut zu trinken, gebraten Wurst und Schinken,
gut Bier, gut Brantewein : da ist gut Zimmerinann sein. — Ist
aber ein Bau vorbei und gibt es nichts dabei, nichts zu essen,
nichts zu trinken, kein’ gebratne Wurst, kein Schinken, kein Bier,
kein’n Brantew'ein: der Teufel mag Zimmermann sein. — Ist
aber ein Bau vorbei, und gibt es Schlägerei, können wir uns nicht
vertragen, tun wir uns tapfer schlagen auf Winkeleisen frei. Da
gibt’s auch Lust dabei. (!)“ — Leider sind auch diese Bräuche in
unserer Gegend fast ganz verschwunden; nur der grüne Busch ist
geblieben, und den Hebe.schmaus wei.ss man auch jetzt noch zu
schätzen. Einen alten Ziniinermannsspruch hat mein Vater auf-
geschrieben ; hier ist er: „Ihr lieben Herrn und Frauen alle, | hört,
was ich sage mit grossem Schalle, | und was da auch ein Zimmer-
mann i für eine Predigt halten kann. | Wurd' einst ja Zimmer-
mannssohn genannt, | der allen Völkern wolil ist bekannt, ] der
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allen Menschen das Heil fj^bracht. | Drum werde der Zimmermann
hoch peacht’t. | In seinem Namen ist es auch geschehen, | was ihr
da könnet mit Augen sehen, | dass dieser Hau ist hergestellt | und
dem lieben Bauherrn gar wohl gefällt. | Weil es sich aber dann
auch gebühret, ] wenn man ein solches Werk hat vollführet, | dass
man es betrachte | und gebe recht achte, | wie alles bereitet, | und
was es bedeutet, | so ist es ein alter und löblicher Brauch, |
dass der Zimmermann tue ein Sprüchlein auch. | Und ich tu bitten
hierdurch jedermann, | dass er mein Sprüchlein andächtig hör’ an. |
Der aber uns gnädig geholfen zu bauen, | der wolle das Haus stets
in Gnaden anschauen! ) — Im Hause gibt's Stuben | und oft auch
viel Buben. | Da gibt’s eine Kammer | und oft auch viel Jammer. |
Da sieht man Böden | und oft auch viel Nöten. | Da sieht man
Ställe 1 und oft auch die Hölle, | wenn Unfried und Streit | es er-
füllet mit Leid. [ Drum der uns geholfen, das Haus zu erbauen, |
der wolle es immer in Gnaden anschauen. | — Wir haben zuerst
eine Stube gebaut, | wie ihr nun alle mit Augen schaut. | Da wohne
der Pleiss, | vergiesse viel Schweiss, j da schatfen ohn’ Ende | die
tätigen Hände | vom frühesten Morgen j mit nötigen Sorgen | bis
zum Abendermüden | und alles in Frieden. | Mit gutem Gewissen
und heiterem Blick | seh jetles am Abend aufs Tagwerk zurück! |
Und gibt’s in den Stuben | viel lärmende Buben, | wie die Ölzweige
frisch I rings herum um den Tisch, | so fehl’ es zum Guten | auch
nicht an den Ruten, | mit heilsamen Streichen | die Kindlein zu
weichen. | Und Lehrbuch, Gesangbuch, Katechismus und Bibel |
sind da so notwendig wie volle Kübel. | — Wir haben da auch
eine Kammer gebaut, | wie ihr nun alle mit Augen anschaut. |
Gibt es nun einen Jammer, [ gibt es auch die Betkammer. | Da
scliliess dich ein | mit Gott allein; | da falle du nieder, ] so kommt
dir wieder | viel Trost ins Herz, | bei allem Schmerz | die Hille
vom Herrn, [ der da hilft so gern. [ Und währt es auch bis in die
Nacht I und wieder an den Morgen, j soll doch dein Herz an Gottes
Macht I verzweifeln nicht noch sorgen. | Der alles stets hat wohl-
gemacht, 1 des Auge stets im Himmel wacht, | der geb’ stets eine
gute Nacht! | — Wir haben da auch eine Küche gebaut, | wie ihr
nun alle mit Augen an.schaut. \ Da arbeite die Mutter | bei Milch
und bei Butter, | mit reinlichem Fleisse | zu bereiten die Speise, |
mit freundlichem Gesichte | zu bringen die Gerichte. | Und wenn’s
nur recht in der Werkstatt steht, | der Mann nicht lieber ins Wirts-
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haus frcht, 1 und man das Retkiimmprlein nicht verjrisst. | Gott an-
nifet zu jeder Frist, | dann, Freunde, hat's in der Küche nicht
Not. I Fleisch, lUitter und Brot, | ein paar Würstlein im Schlot |
bescheret dann immer der liebe Gott. | — Wir haben dann auch
einen Boden gebaut, | wie ihr nun alle mit Augen an.schant. 1 Da
kann man viel Waren | wohl anfbe wahren, | so man lernet das
S])aren, ] was noch viel he.sser wird sein, [ als die Sparren, die wir
gemacht ilarein. | Da gibt es denn ininier viel Wolle und Lein |
und volle Schrein’. | Doch ist noch viel besser als aller Gewinn |
ein frommer, gottsel’ger, zufriedener Sinn. | Der wohne denn in
diesem Hans, | der geh’ mit allen ein und aus, | der lindre alle
Müh und Plag, | der bringe Freude jeden Tag, [ der tröst’ in allem
Leid und Weh, | der bringe Segen aus der Höh’. | — So lang’ das
Hans noch stehen wird, | behüt’ es treu der gute Hirt ; vor Feuer
und jeder andern Not, | Wenn aber kommen wird der Tod | und
treibt eins nach dem andern au.s, | geh’ Gott im Himmel ein bessres
Haus, 1 das nicht mit Hiinden ist gemacht, j das ewig bleibet in
stolzer Pracht. | Nur einer der rechte Baumeister ist, | des Werke
bleiben in jeder Frist: | Gott, unser Vater durch .lesum Christ, |
der die Erde so herrlich bereitet hat | und im Himmel droben die
ew’ge Stadt, | die uns verheis.seii von .seiner Gnad. | Dem bringen
wir Lob, Preis uml Dank | und bitten ihn nn.ser Leben lang, ]
wie er uns geludfen, dies Haus zu erbauen, | .so wolle er .stets es
in Gnaden an.schauen!“
Obersclilesisclies vom Wassermann.
Vuii I>r, Paul Drechsler in Zabrze.
Wenn man in Alt-Zabrze die Hochberg-Kolonie hinuntergeht,
kommt man an ein kleines Hiiu.schen, das heute nicht mehr be-
wohnt ist. Es gehörte einem gewi.ssen Czodrok und steht dicht
am Btuithener Wasser. Unter dem überstehenden Schindeldachc
ist bis zur Brusthöhe trockenes Unkraut aufge.schichtet. Hier ist
nach allgemeinem Glauben der Nachbarn die Schlafstelle des
Wassermanns. Er legt, um anzulockeii, luinte Bänder, neue
Schuhe usw. auf einen Pfahl, der .schiäg im Bache steht. —
Vor vielen Jahren wiirJe ilie Sehtaeke iler ItonnersniarckliiUte von einem
Pforile Uber die Urlickc, die über das Beutlicncr Wa-sser fllhrl, auf das gejjen-
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Uberliegende Feld gefahren und zu (Schlacken-)Halden aiifgeliäuft. Eines Abends
widlte das Pferd durchaus nicht Uber die Brttcke. Weder die Peitschenhiebe
des Kutschers noch die ermunternden Zurufe von Nitschc (das ist noch der ein-
zige Überlebende Zeuge dieses Vorfalls — 1908) konnten das Tier dazu bringen,
die Brücke zu betreten. Da zwangen die Miinner endlich das Pferd vorwärts
zu gehen, indem sie den Wagen mit der glUhendlieissen Schlacke vorschoben.
Als das Pferd die Hitze spürte, ging es weiter, aber nur einen Schritt. Dann
bäumte es sich auf, drehte sich auf den Hinterbeinen um und drängte sich auf
die glühende Schlacke rückwärts hinauf. Es verbrannte sich so, dass es sofort
erschossen werden musste. Nun ging Kitsche über die Brücke, kam aber nur
bis zur Hälfte, dann drehte er pliitzlich um und kam schnurstracks zu den
Männern gelaufen, die noch bei dem toten Pferde standen. Am ganzen Leibe
zitternd erzählte er, unter der Brücke sitze der Wassermann; er habe ihn au
seiner roten Mütze und an seinen grünen Augen erkannt. — Ihn hatte also
auch das Pferd erblickt; Tiere sind geistersichtig. —
In einem Nachbardorfe war alle Sonntage Tanz. Uelangwcilt setzten sich
einmal um Mitternacht ein paar junge Burschen in eine Ecke und bekiagten
sich, dass es so wenig schöne Mädclien gebe. Wie sie sich noch so unterhielten,
da tauchten plötzlich zwei (manchmal hört mau es auch von dreien) wunder-
schöne Mäilcheti im Saale auf. Kein Mensch kannte sic, niemand hatte sie vor-
her gesehen. Die zwei feschesten Bnrscben machten sich sogleich an sie heran.
Sie tanzten viel und waren guter Dinge. Als die Burschen nach einer Panse
die Mädchen wieder zum Tanze lÜhreu wollten, da waren sie verschwunden.
Niemand hatte sie Weggehen sehen. Alles Suchen der Burschen war vergeblich.
Ärgerlich machten sie sich auf deu Heimweg, denn cs war sch<m 2 Uhr nachts.
Am nächsten .Sonntag erging es dun Burschen ebenso. Da nahmen sie sich
vor, am folgenden Tanzfeste gehörig aufzupassen. Und richtig, die Mädchen
kamen um Mitternacht wieder. Die Burschen hängten ') sich sofort wie die
Kletten an sie. Sie tanzten nur wenig und zwangen dann die Mädchen mit ins
Nebenzimmer zu kommen. Sie liesson sich Kuchen, Wein und Bier kommen und
begannen ihr Verhör. Es war aber nichts ans ilen Mädchen herauszukriegen.
.Je näher die erste Stunde heranrückte, desto ängstlicher wurden sie. Endlich
erklärten sie den Burschen, .sie müssten jetzt nach Hause, ihre Zeit sei um, und
der Vater sei so streng. Die jungen Leute boten trotz alles .^blehnens ihre Be-
gleitung an, und die beiden Paare zogen zum Dorfe hinaus und kamen in eine
den Burschen unbekannte Gegend mit einer schön gepflasterten Strasse. Unauf-
hörlich baten die Burschen um Auskunft über deu Namen, den Wohnort, den
Vater usw. Da Hessen sich die Mädchen endlich erweichen und sagten: .Unsere
Zeit ist sowieso um; ihr sollt alles erfahren. Wir sind die Töchter des Wasser-
manns und wohnen hier in dem grossen Teiche“. Als die Burschen aufsahen,
bemerkten sie in der Tat ein grosses Wasser. In dem unnatürlichen Dämmer-
lichte konnten sie sich jedoch nicht zurcchtfinden Deu Teich sahen sie zum
ersten Male, sie wussten überhaupt nicht, wo sie waren. Da sagte wieder eines
der Mädchen: .Wir danken euch für die irdische Freude, die ihr uns bereitet
') Die Erzähler sagten : hingen.
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habt ; möge e» euch gut geben. Denkt auch einmal an uns, denn dass wir jetzt
noch mit euch sprechen, das ist unser Tod. Vielleicht lässt sich der Vater noch
erweichen; wenn nicht, dann werdet ihr zwei blaue Flammen auf dem Teiche
hüpfen seheu“. Mit diesen Worten verschwanden die Mädchen. Uanz entsetzt
starrten die Burschen in die pechschwarze Flut. Eine unheimliche Stille folgte.
Dann schwoll das Wasser, es brauste und tobte um sie her. Das Wasser leckte
an den beiden empor nnd schien um Hilfe zu bitten für die Jungfrauen, die mit
ihrem Vater auf dem Grunde des Sees rangen. Dann wurde es wieder ganz
still: zwei blaue Flammen irrten sekundenlang Uber dem Wasser nnstät umher').
Als die beiden wieder zu sich kamen, sahen sie weder den Teich noch die
schöne Strasse. Sie standen mitten in einem beniebtigten Sumpfe und wateten
mit Lebensgefahr auf festes Land. Der Morgen graute, als sie müde heim-
kehrteu.
Schlafen in der Bedeutung von Verrücktsein.
Von Dr. K. Wutke.
Am 20. April 1559 schliesst der Ritter Fabian v. Schönaich
einen Vertrag: wegen der Güter Hertwigswalde (Kreis Sagan) etc.
mit „Stenzein von Nostiz vor sich n. ahn statt Hansens seines
schlafenden Bruders vorkeuffern am andern thaile“ (Gleichzeitige
Ab.schr. i. Bresl. Staatsarch. F. Sagan O. A. Hertwigswalde]. Was
der Ausdruck „.seines schlafenden Bruders“ bedeuten soll, wird
durch zwei andere gleichzeitige Dokumente belegt. In dem einen,
einer Lehnsbestätigung Ihr das Fürstentum Sagan von 1551, heis.st
') Dass die Seelen als Flammen oder Lichter Uber den Wassern schweben,
ist allgemeiner Glaube; vgl. Drechsler, Sitte, Brauch ii. Volksgl. I S. 315 Dazu
vergleiche man eine Notiz der Schlesischen Zeitung vom 28. Oktober d. J. Nr. 759;
Über ein sehr merkwürdiges .Begräbnis“ lesen wir im Wiener .Dentscheu
Volksbl.“: Bei einer jüdischen Familie in einem Orte nächst Ödeuburg wollte
man am 15. d. M. einen Fisch ausweideu. Die damit beschäftigte Köchin hörte
plötzlich aus dem Innern des Fisches ein Wimmern. Der Köchin und der um
den KUcheutisch stehenden Familie bemächtigte sich ein grosser Schrecken, und
das Familienoberhaupt eilte schnurstracks zum Rabbiner, um ihm diese geheimnis-
volle Sache zu melden. Der Rabbiner war über das sonderbare Ereignis gar
nicht sehr erstaunt und ordnete an, dass der Fisch auf dem israelitischen Fried-
hofe begraben werden müsse. In seiner Erklärung teilte der Rabbiner dem kon-
sternierten Hausvater mit, dass die Seele des Menschen, wenn sie dcu irdischen
Leib verlasse, über den Wassern schwebe. Der Fisch habe eine solche
menschliche Seele verschluckt und deshalb müsse der Fisch auf rituelle Weise
bestattet werden. Die Familie hat dem Fische tatsächlich ein den israelitischen
rituellen Vorschriften entsprechendes Begräbnis zuteil werden lassen. Es muss
bemerkt werden, dass sich auch vor etwa fünfzehn Jahren in Ungarn ein der-
artiger Fall ereignet hat.
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es an der betr. Stelle „Diese Lehen seind bewilligt und gethan
den zweyen Brüdern von Nosstiz, alß dieweil der Doctor
Nosstiz wafinsinig, hat der Stenzei die Lehen vor sich und
Ihnen (ihm) angenomen, jedoch der gestalt, wann der doctor
wider zu seiner vernunfft khoraraen wirdt, das er den
Lehen gebuerliche folge neben der Pflicht im Ambt Sagan thue“
[Bresl. Staatsarch. F. Sagan I 27 p.]. An der zweiten Stelle ver-
leihen die Kommissare im Namen des Landesherrn die Lehen
„dem edlenn ernvessten Stentzel von Nostiz vor sich und in
nalimen seines Brueders des hochgelertten Hannsen von Nostitz
doctors, welcher itzundt schwach ahnn seiner vernunfft“
[Ebendas' I 27 n.].
Grimms Deutsches Wörterbuch Bd. IX Sp. 288 kennt nur den
Ausdruck „die schlafende Sucht“.
Literatur.
Schleaiens volkstümliche liherlieferungen. Sammlungen und Studien der Sclile*
sischen Gesellschatt für Volkskunde, begründet von Friedrich Vogt,
beransgegeben von Theodor Siebs. Leipzig, Teubuer. Soeben erschien der
erste Teil vou Band III: Schlesische Sagen von Richard KUhnau. lu Original-
band M. 6,76 für Mitglieder (Ladenpreis M. 9).
Der Herausgeber des vorliegenden Bandes ist den Lesern der „Mitteilungen*
kein Fremder; seine Beitrüge zu unseren Sammlungen, seine zusammenfas-sendeu
Abhandlungen waren bereits Vorarbeiten für das grosse Werk, dessen Zusammen-
stellnug ihm 1906 übertragen wurde. Was nun vor uns liegt, ist die Erfüllung
eines längst gehegten Wunsches, einer Ehreupfliebt der Gesellschaft für Volks-
kunde. Was Gustav Freytag , Oelsner, vor allem Karl Wein ho Id erstrebten,
Schlesien das zu schaffen, was andere Provinzen längst besasseii, ein umfassen-
des, wissenschaftliches Sagenbuch , geht nun der Vollendung entgegen. Es war
gewiss keine leichte Arbeit, das weithin zerstreute, oft versteckte Material zn-
sammenzubringen, schwerer noch, das Echte von dem Unechten zu scheiden, am
schwersten, den Stoff übersichtlich anzuordnen. Mit dem sicheren Blick und Ur-
teil des geschulten Sagenforschera hat Ktthnau hier das Richtige getroffen : das
Buch ist eine durchaus brauchbare Quelle für wissenschaftliche Arbeiten —
literarischer Nachweis der Fundstätten und Angabe des Verbreitungsgebietes
geben dafür wesentliche Hilfen; es bietet aber auch dem Laien, der in den
Sagen mehr siebt, als ein Spiel luüssiger Phantasie, eine Fülle von Anregungen.
Der vorliegende Band I (611 Seiten) behandelt die Spuk- und Qespenstersagen,
die zwanglos nach den Orten, an denen sie haften, gegliedert sind (Leichen-,
Grab-, Kirchhof-, Kirchturm-, Mordstättenspnk usw.). Sind bei einer Sage, wie
vielfach, Varianten vorhanden, so werden sie, chronologisch angeordnet, nach-
einander angeführt. Kühnau bat es absichtlich vermieden, Uber Ursprung, Deu-
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luug oder gescliicbtlirbe Entwicklung der Sagen etwas hinzuziifiigen: sein Ruch
soll eben nur ein vorläufiger Abschluss der Sammeltätigkeit sein. Aber gerade
diese besonnene Zurückhaltung verleiht dem Werke seinen wissenschaftlichen
Wert als Quelle; wir müssen dafür dem Verfasser ebenso wie für seine unend-
lich mühevolle Arbeit Dank wissen. Möge das Buch in den weitesten Krei.sen
Verhreitung finden und der Welt beweisen, dass auch in Schlesiens üanen der
Sagen born nicht versiegte. Dr. 0.
Wort und Brauch. Volkskundliche Arbeiten, namens der Schlesischen Gesellschaft
für Volkskunde in zwanglosen Heften herausgegeben von Theodor Siebs und
Max Hippe. Breslau, M. & H. Marcus.
S. Heft. Rübezahl-Forschungen. Die Schriften des M. Johannes
Prätorius von Dr. Karl de Wyl. (VIII, 159 .Seiten) 1909.
Die bisher erschienenen Hefte der Sammlung volkskundlicher Arbeiten, die
die Schlesische Gesellschaft für Volkskunde unter dem Titel .Wort und Brauch“
herausgibt, haben, soweit sie Schlesisches behandeln, sprach- und wortge-
schichtliche Untersuchungen gebracht. In dem soeben ausgegebeneu 5. Heft legt
Karl de Wyl eine Arbeit zur Sagengeschichte vor, die um ihres Gegenstandes
willen auf allgemeine Teilnahme rechneu darf. Die volkstümlichen Überliefe-
rungen, die an den schlesischen Berggeist Rübezahl anknüpfen, sind bereits mehr-
fach Gegenstand der Kritik gewe.sen. Insbesondere haben die eindringenden
Studien voiiRegell uud Zacher die .-tufmerksamkeit auf die in den Rübezahl -
geschichten liegenden sagengeschichtlichen Prohlemc^geleukt und einer ein-
gehenden Untersuchung Uber den Kernpunkt der hier vorliegenden Fragen viel-
fach vorgearbeitet.
Es war bekannt, dass die Quelle für die gesamte Riibezahltraditiou der
letzten Jahrhunderte die Schriften des Johannes Prätorius, eines ziemlich kritik-
losen Vielschreibers des 17, Jahrhunderts, sind, der in einer grossen Anzahl von
Schriften eine gewaltige Menge von Nachrichten über deu Aberglauben, die
volkstümlichen Anschauungen uud Sitten seiner Zeit zusammengetrageu hat.
Die Rübezahlgeschichten hat er in seiner Daemouologia Rubiuzalii und ihren
zwei Fortsetzungen (1G<)2 — 1665) und in dem Satyrus Elymologitus (1672) erzählt.
Es galt festzustellen, ob diese von Prätorius erzählten Geschichten von Rübe-
zahl erfunden oder volkstümlichen Ursprungs sind. Der Verfasser beantwortet
in seinem Buche diese Frage, indem er in sehr gründlicher Weise untersucht,
wie Prätorius zu seinen Geschichten gekommen ist. Er weist nach, dass Prä-
torius eine Reihe von Gewährsmännern gehabt hat, die das schlesische Gebirge
und seine Bewohner kannten, und die wohl in der Lage waren, ihm das zu be-
richten, was das Volk sich im Gebirge von Rübezahl erzählte. Neben deu
Wurzelgräbem, Kräuterkrämern und einer grösseren Anzahl einzelner, wenn auch
nur allgemein bezeichneter Personen, waren es vertrauenswürdige Leute, wie
der Hirsebberger Apotheker Hieronymus Sartorius, dessen Existenz de Wyl
urkundlich festgelegt hat, die dem Prätorius Nachrichten über das Gebirge uud
Rübezahl zutragen. Freilich hat Prätorius sich nicht darauf beschräukt, die
Geschichten zu erzählen, die ihm von jenen Personen berichtet wurden. Als
ärmlicher Literat, der von dem Ertrag seiner Feder lebte, hat er den vorhan-
denen .Stoff an UUbezahlgesthichtcn künstlich vermehrt, indem er eine erhebliche
Anzahl von fremden Erzählungen mit Rübezahl in Beziehung brachte. Er hat
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sich nicht gescheut, in andere volkstümliche üeschicliten, die mit Rübezahl
nichts zu tun hatten, den Namen Rübezahl einznschmuggeln, oder irgend eine
Erzählung, die ihm passend schien, mit einer Überschrift zu versehen, die den
Namen Rübezahl enthielt. In diesem Sinne ist Priitorius bei aller Anerkennung,
die wir ihm als dem ersten und erfolgreichsten Sammler echter Rübezahltradi-
tionen zollen müssen, ein Fälscher gewesen.
Es ist ein Verdienst de Wyls, in eingehender Kritik und mit grosser Um-
sicht lind Belesenheit eine sehr erhebliche Anzahl der Rübezahlgescliichlen des
Prätoriiis auf ihren volkstümlichen Wett untersucht zu haben. Der Verfasser
hat dabei die beträchtliche Prätorius vorangehende und auch die spätere Li-
teratur über Sagen und .Aberglauben in umfassender Weise herangezogeu, manche
neue Vorlage und Parallele zu Prätorius aufgedeckt und im ganzen einen wert-
vollen Beitrug nicht nur zur Geschichte der Rübozahlsagen, solidem der litera-
rischen Tradition überhaupt geliefert. -p-
6. Heft. Martinslieder. rntersuchiing und Texte von Or. Wilhelm
Jürgensen. (2 Bl., nti Seiten) 1910.
Die Martinslieder sind eine (iattung volkstümlicher Festliedcr. die sich
insbesondere ini westlichen Deutschland eifriger Pflege erfreut haben. Sie
zerfallen in zwei deutlich voneinander verschiedene (irnppeti. die Kinderliedcr
nnd die Oescllschaftslieder. Wie bei uns in Schlesien am Sonntag Laetare, so
zogen und ziehen zum Teil noch heut im we.stlichen Niederdeutsclilami , in
Holland und Flandern an manchen Orten die Kinder am Vorabend des Martins-
tages mit Laternen singend von Haus zu Haus und bitten mit ihren Liedern
um milde Gaben, d. h. um .Äpfel, Birnen, Nüsse oder um Brennholz für die
Martinsfeuer. Die (iesellschaftslieder sind Tisch- und Wcinlieder, die am
Abend des Martinstages bei festlichem Gelage zu Ehren des Heiligen gesungen
werden.
Jürgensen hat diese Lieder, die in grosser Zahl überliefert, aber an
den entlegensten Stellen verstreut sind, soweit sic erreichbar waren, gesammelt
und sich daniit den Dank aller Volksliedfreunde und -forscher verdient. Dem .Ab-
druck der Liedertexte hat er eine eingehende, wohlgegliederte Untersuchung voraus-
geschickt, die von dem beherzigenswerten Gedanken ausgeht, dass eine Auf-
hellung der heilte vielfach dunklen alten Bräuche bei der Feier eines Festes,
wie des Martinstages, ihre beste Stütze findet in den Liedern, die jenes Fest
begleiten, und dass andererseits die Erklärung der Lieder nicht möglich ist, ohne
die Heranziehung der .Sitten und Bräuche, die jenem Feste eigentümlich sind.
Wie der Martintag nach alter .Sitte den Abschluss des bäuerlichen Ernte-
nnd Wirtschaftsjahres bildet, andererseits den .Anfang des AÄ'inters bedeutet,
so tragen die Kinderlieder, die am Martinstage gesungen werden, einen doppelten
Charakter; sie gelten teils dem Beginn eines neuen Jahres, teils dem Einzug
des Winters. Jürgensen behandelt in eingehender Darstellung die geographische
Verbreitung und das .Alter der Kinderlieder; er schildert nach dem Inhalt der
Lieder und auf Grund anderer Berichte den Umzug der Kinder am Martinsfest
und weiss es wahrscheinlich zu machen, dass die singenden Kinder clicdeni im
Umzüge Tierma.sken mit sich führten. .Auch andere wichtige Elemente der
Martinsfeier, die Galum, die erbeten und gespendet werden, die Verheissnngen
und Verwünschungen, die die kindlichen Sänger aussprechen, die Martinsfeuer,
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ferner die Stellun(( des Heiligen innerhalb der Martinspocsie werden unter Heran-
ziehung verwandter trbcriieferungen ausführlich erilrtert.
Von grossem Interesse sind die Ergebnisse, zu denen Jürgensen in seiner
L’ntersucbung über die (iesellschaftsliedcr zu Ehren des hl. Martin gelangte.
Wie die Martinsgelagc ausserordentlich alt sind — schon im 6. Jahrhunderte
werden durch kircliliclic .\utoritäten die pcrrigilia in honorem Domini Martini
verboten — , So werden auch die Martinslieder bereits im l.H. Jahrbundert er-
wähnt. Die Mehrzahl dieser Meder kennzeichnet sich durch ihre lateinisch-
deutsche Mischsprache als das Produkt fahrender Kleriker und Studenten ; aber
auch seine volksmässigen Elemente sind nicht zu verkennen. Jürgensen hat im
Zusammenhänge mit den Uesellschaftslicdern zwei besonders wichtige Fragen,
die Entstehung der wüsten Ess- und Trinkgelage, d. h. die Wurzeln des
bacchischen Martinskultcs, und den merkwürdigen Zusammenhang des Kultus
der Gans gerade mit der Feier des Martinsfestes eingehend untersucht und
ist dabei zu zwar nicht durchaus gesicherten — das ist bei der Schwierigkeit
der Materie kaum möglich — , aber sehr plausiblen Ergebnissen gelangt, die
man in seiner anregenden, gut geschriebenen und wertvollen Studie selbst nach-
lescn möge. -p-
Drechsler, Dr. Paul. Bergbau und Bergmannsleben in Schlesien. Ein
Lesebuch für Bergleute iiud Bergmannsfreunde. Kattowitz, Gebr. Böbin. 190S.
Drechsler, dem wir so reiche Förderung der Volkskunde Schlesiens ver-
danken, bat uns und insbesondere den Bergleuten mit diesem Buche ein präch-
tiges Geschenk gemacht. Wir lernen die Geschichte des Bergbaues, namentlich
iu Schlesien, keunen und werden dann so recht iu Leid und Freud des Berg-
manns eiugeführt. Von seinem täglichen Leben, seiner Arbeit und seinem Haus-
wesen hören wir, von Sitte und Brauch, vom Aberglauben und von der Poesie
der Bergleute. Ein gesonderter Abschnitt ist der Bergmannssp rache gewidmet,
und ein nützliches kleines Verzeichnis der wichtigsten Bergwörter beschliesst
die Schrift. Einige Berichtigungen wird der verdienstvolle Verfasser nicht un-
gut nehmen : itine steinä, wie Ütfrid sie in seinem Evangelienbuche erwähnt,
sind nicht , Eisensteine“ — die würden als iaanin (hzw. isarin) benannt werden,
sondern .Eissteine“, d. h. Bergkristalle, weil sie wie Eis aussehen (S. Iß). —
.Seife“ bzw. sife niederdeutsch sipe meint nicht eigentlich eine Goldwäsche
(S. 23), sondern kann einen jeden Bach bezeichnen, also MiUlenseifen, Müllen-
siefen meint einen Mühlbach (man vergleiche die Orts- und Personennamen, auch
(^rseiffen n. a. m ). — Zu den Liedern, z. B. zu dem reizenden Bergmanusliedc
.Der Bergmann ist eine edle Zier“ hätte ich gern die (originelle) Melodie ge-
druckt gesehen. — Diese kleiuen Bemerkungen mögen nur ein Ausdruck für das
aufrichtige Interesse sein, das wir an dem hübschen Buche nehmen; dass es,
namentlich in überschlesieu, viel gelesen werden wird, ist mir nicht zweifelhaft.
Siebs.
BSckel, Otto. Psychologie der Volksdichtung. Leipzig, B. G. Teuhner, 1906,
VT -f 432 S. — 7 M.
Böckel ist uns kein Unbekannter In den Mitteilungen Heft XI S. 40 ff.
behandelte er .Das Volkslied der polnischen Uberschlesier verglichen mit der
dentschen Volkspoesie“. Seine bekannteste Arbeit sind die .Deutschen Volks-
lieder aus Oberhesseu“ [Marburg 1886]. Die wertvolle Einleitung zu diesem
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Bache bildet gewisscrmasseii die Grnodlage zu dem vorliegeuden Werke, das
die Frucht 2äjäbriger Arbeit darstellt. — B. sieht den Ursprung des Volks-
gesanges im Bufe, nm den sich allmitblich das Lied kristallisiert. Freude und
Schmerz sind die treibenden Motive, aus dem Freuden- und Scbmerzensrufe
leitet er nun alles ab. In den Kehrreimen der Volkslieder habe sieb vielfach
der alte Huf noch erhalten, ebenso in den Klanggebilden der Kinder- nnd
Wiegenlieder. Formen wie ,nanna, ninna* sind tatsächlich international. Er
übersieht dabei aber doch wohl die Bedeutung des Rhythmus. Ohne bedingungs-
los auf K. Bücher [Arbeit u. Rhythmus] zu schwören, glaube ich doch, dass der
Rhythmus dem Rufe schon zugrunde liegt. Vgl. meine Ausrilhmngcu darüber
in deu Mitteil. XIII, 9 ff. Auch in den Rufen der Strassenverkäufer ist der
Rhythmus genau so wichtig wie die Tousebritte. Die Worte sind oft unver-
ständlich , aber Rhythmus und Melodie sind das Charakteristische. An ihnen
allein habe ich z. B. in Spanien sehr bald die einzelnen Ausrufer immer wieder-
erkanut. In andalusischeu Tänzen unterbricht häufig der Ruf ,oIö* ganz ent-
sprechend dem ,hamude* der Beduinen (S. 12) den oft improvisierten Text nach
jeder Verszeile, während da.s taktmässige Händeklatschen der Zuschauer den
Rbythmns genau bervorhebt. Auch das Kriegslied und den Kriegsruf haben
wir uns wohl rhythmisch zu denken, ebenso das Zusammenschlagcn der Waffen.
Heute übernimmt heim Sturmangriff Hornist und Trommler die Aufgabe, die
Vorwärtsbewegung rhythmisch zu regeln, jenes elektrisierende, wundervolle Sig-
nal, das Liliencron iu den Kriegsnovellen begeistert schildert. Aber das
griechische «XaXä ist ebenso rhythmisch wie der anapästische oder bacchäische
Schlachtruf der Hessen 1792 vor Frankfurt ,Zum Donner, zum Donner, zum
Donner bailoh!* oder das ,Bumperlibum aberdran heiabanl* der Schweizer
Söldner aus dem 1,5. Jahrhundert.
B. behandelt nicht das ganze fast unabsehbare Gebiet der Volksdichtnng,
sondern beschränkt sich auf das gesungene Lied. Hierin ist er ganz erstaun-
lich belesen und bringt ans allen Weltteilen eine Fülle von Material bei, das
für den Volkskundler eine wahre Fundgrube wird. Wer in der Geschichte der
spätmittelalterlichen Dichtung, vor allem im Drama, und in den Gebräuchen und
Anschnunngen unseres Volkes bewandert ist, wird häufig deutlichen Parallelen
im Volksliede begegnen. So entsprechen die Spottlieder auf einzelne Stände
deren Behandlung im geistlichen Drama oder im Fastnachtspiel. Die Rückkehr
der toten Mutter zu ihren Waisen kennt nicht nur das Lied, sondern auch der
Volksglaube. Hier wie dort besteht ein inniges Verhältnis des Menschen zu
seinen Pflanzen und Tieren, er macht sie zu deu Vertrauten seines Kummers
und seiner Lust. Man denke nur an den Brauch, den Tod des Hausherrn oder
die Weihnachtsfreudenbotsebaft in Stall und Garten anziisagen. Mancher Ab-
schiedsgruss eines Verstorbenen im Volksliede klingt deutlich an Wendungen
auf Marterln und Totenbrettern an. — Das Volkslied wird erklärt als der „dem
Gefühlsleben unmittelbar entsprungene Gesang der Naturvölker, d. h. aller der-
jenigen Stämme, die der Kultur noch ferusteben und im unmittelbaren Zu-
sammenhänge mit der Natnr leben“. Zu diesen Naturvölkern werden auch
Finnen, Litauer, Letten, alle Slaven nnd ein Teil der Romanen gerechnet. Da-
bei mag aber doch manch literarisches Gnt mit unter die Volksdichtnng ge-
raten sein. Das Versprechen, noch mehr singen zu nullen, hört sich wie die
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Lockung eiues Fahrenden an. Mit Recht wird betont, wie der Dichter zurück-
Iritt, nicht Neuhchfipfer sondern Fortsetzer ist, während die Ziihiirer, die das
Lied anffaiigeu und weiter liilden , fast noch wichtiger sind als der Dichter,
denn sie retten allein das Lied vor der Vergessenheit (S. 33, 49j. Und doch
verraten viele Lieder ihres Verfassers Stand, Stiimnung, Anschauungen und
Heimat (S. 41 ff.). Unendlich mannigfach nnil doch wieder schlicht geschildert
sind die Gefühle und Stiniraungen, die sich in den V'olksliedern ausdrllcken, das
Verhältnis von Mensch zn Menschen, zn Tieren und Pflanzen, Heimweh nnd
Abentenerdrang, Lust und Leid, Liebe und Spott, Sehnsucht und Verzweiflung.
Wertvolle kulturgeschichtliche Beobachtungen ergeben sich daltei. So erscheint
warnend und versuchend den englischen Schiffern eine Meermaid, den Kata-
Ionischen der Teufel (S. 38). Im heute waldlosen Spanien spielt der W'ald kaum
eine Rolle, in englischen Balladen ist er der lustige Tummelplatz der Jäger
oder der Aufenthalt für Räuber und V'erhaniite , voll V'ogelsang und frischem
Grün, in skandinavischen nnd deutschen Liedern ist er <lie zanberumwobeue,
unergründliche Stätte geheimnisvoller W'under (S. 40). Zecher- und Wander-
lieder sind nur dem Deutschen V^olksliede eigen (S. 57) Die nordische Land-
schaft in ihrer Eigenart bringt e.s mit sich, dass in nordischen Liedern Elfen
und VV'as.sergcister eine so grosse Rolle spielen wie nirgendwo anders (S. 62).
Unterschiede im Wesen der Völker spiegeln sich auch in ihren Liedern. Liebe
und Hass, Segen nnd Fluch sind anders im deutschen Liede als etwa im
italienischen oder polnischen (S. 274 f. 302). Das deutsche Trinklied ist wein-
iustig, das polnische scbnnpsselig (S. 314). Der deutsche Deserteur verlässt
seine Fahnen aus Heimweh, der französische aus Liehesnot (S. 384). —
Ungemein zäh hält das V’olk an seinen Lieilern fe.st (8. 156 ft). In rein
evangelischen Ländern leben noch katholische Lieder fort, so in Hessen, Nor-
wegen, auf den Färöern. Ich möchte da noch ein nordisches Elfenlied anftthren,
dessen Kenntnis ich \\'. H. Vogt-Görlitz verdanke, das mit den VV'orten schliesst:
„Senkte Maria, ai med oss!“ [Folkesango og Melodier af A. P. Bergensen 1*
Kbhvn 1869 8. 312]. 8oldaten verbreiteten das Marlboroughlied auf ihren
Märschen (S. 184 vgl. Mitt. 9, 10). Französische Kolonisten nehmen ihre Lieder
nach Kanada und an den Mississippi mit, der Vankee-Doodle ist wahrscheinlich
eine durcli verkaufte hessische Landeskinder übertragene Schwälmer Tanzmelodie.
Icli erinnere dabei an die tiroler Auswanderer, die ihr Passiousspiel , wie es
scheint, nach Amerika mitnahmen [Wackeruell, Altdeutsche Passionsspiele aus
Tirol, Gratz 1897 S. XXX|. —
Das Angeführte möge als Probe genügen, um zu zeigen, welche .Vnregung
Böckels Buch gibt, nicht nur dem Volkskundler, sondern auch dem Freunde der
V'olksdicljtung überhaupt, zumal es sich von aller Polemik fern hält nml reich-
liche Proben gibt. Es ist eine Freude, die Kapitel z. B. über Heimweh, Mutter-
liebe, Natur, Humor usw, zu lesen. —
Zum Schlüsse behandelt B. die Ursachen des Verfalls. Bachdruckerkunst,
Polizei, Ziehharmonika, Geistlichkeit, Tingeltangel, Behörden, soziale Not und
Halbbildung haben das Ihrige zur Vernichtung des alten, schönen Gutes getan.
Und der Schnlgesang, der nur oft mit ein paar Plärrliedern für den Sonntagsgottes-
dienst und die Schulfeiern sich abgiht, vollendet das grosse W'erk der Zer-
störung. Ich denke noch mit Schrecken daran, wie ich mit Fricdr. V'ogt 1901
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in Batzdorf war mid die Melodien der Weilinaclitaspiellieder auf/ciclinete. Ala
idi dann nach anderen Volkalie<Icrn forschte, hekani ich zu allererst die
, Bienenkönigin* und etliches noch Schlimmere vorgesetzt! So ist es allenthalben.
Besondere Schuld haben auch unsere Bernfsinusiker. Man denke an das Ver-
halten mancher von ihnen den Bohnachen Konzerten gegenüber (vgl. E. Bohn,
fifi hist. Konzerte S. 44]. Und für üesangavoreinsharden und Bratensirenen
sind die Volkslieder auch nichts. Wenlen sic aber „bearbeitet“, etwa von
Koschat und ühnlichem üelichter, dann gnade uns Gott! Es ist dann wie viel-
fach mit der lJialckt„dichtmig* , ein rohes oder gefühladuselig-nnwahres Zerr-
bild. — Böckel ist Optimist. Er glaubt an eine baldige Umkehr zum Outen.
Ich traue dem allen nicht sehr. Besondere Hoffnung setzt er anf das Kaiscr-
liederhnch, dessen Bearbeitung für llännerchor ja gewiss in Bohns Händen aufs
denkbar Beate untergebrachl ist. Wer bearbeitet aber einmal die landläufigen
Männergesangvereine? Und wer reformiert vor allem ilen Schulgesang? —
Möchte Böckels Optimismus recht behalten und meinen Unglauben Lügen
strafen! Niemand wäre glücklicher darüber als ich. Ur. K. 0.
Schwerin, H.H.von. Helgoland. Ilislurisk-geografiak undersökniug. Lund 1896.
Eine freilich schon vor längerer Zeit erschienene, aber uns erst vor kurzem
zugegangene Arbeit, die sich mit Geschichte und Sage der Insel beschäftigt,
(iewi.ssenhaft sind die ältesten Berichte vor Adam von Bremen zusammengestellt
lind erörtert. Im Fosetcslandc der Vita Willibrordi will Schwerin das Land
Wursten erkennen — das erscheint mir sachlich und sprachlich unmöglich. So-
dann ist Adam von Bremen ein längerer Abschnitt gewidmet; die insula Farria
wird als Faerüer gedeutet — ich schliesse mich dieser Auffassung an, wenn-
gleich mir der Gedanke, dass Föhr gemeint sein könnte, nicht völlig widerlegt
erscheint, ln einer aii.sgezeichiieten liarstcliung sinil die Lokalgeschichte der
jüngeren Zeit und die Entwickelung der Sage von dereinstiger Grösse behandelt.
Oer Erklärung des Namens der Insel aus llölland muss ich wegen des auf dem
zweiten Teile ruhenden Akzentes widersprechen; ich deute die auf der Insel
geltende Namensform Hallüiin als „hohes Land“, vgl. Beitr. z. Gesch. d. deutschen
Sprache n. Lit. v. l’aul u. Braune XXXV 535 ff. — Oer letzte Teil behandelt
Helgoland in physiscli-geograpbiscber Hinsicht sowie die Kartographie der Insel.
Es ist eine sehr dankenswerte Arbeit des verdienstvollen Forschers. 8iebs.
Siebs, Or. phil. Theodor, ord. Prof. a. d. Kgl. Univ. zu Breslau. Helgoland und
seine Sprache. Beiträge zur Volks- und Sprachkundc. Mit einer Karte von
Helgoland. Aug. Raiischenplat, Verlagsbuchhandlung, Kuxhaven und Helgoland.
liK)9. 4°. 319 8. Originalleineuband. Preis 3 M.
Seitdem am 9. August 1890 die Übergabe Helgolands an Deutschland statt-
gcfiinden hat, ist da.s Interesse an dieser In.sel stark gestiegen, und ihr schönes
Seebad weist von Jahr zu Jahr stärkeren Besuch auf. Zwar sind seither über
LanUesheschaffenheit, Geschichte und Sage, auch über <iie Rechtsgeschichte des
Ländcheus Einzeluntersuchungen erschienen, aber in der Literatur Uber Helgo-
land blieb ein tür den Besucher der Insel stark fühlbarer Mangel insofern immer
noch, als bisher kein Buck vorhanden war, das auf wisseiiscliafllicher Höhe
stehend einen Einblick in alles Wissenswerte gewährt hätte und vor allem der
Sprache der Helgoländer Rechnung getragen hätte, deren 8tudiuni bisher voll-
kommen vernachlässigt wonlen war. Oer mühevollen, aber dankbaren Aufgabe,
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dem gebildeten Besucher ein solches Werk zu schaffen und die Sprache zmn
erstenmal wissenschaftlich zu behamlelu, hat sich nuu Siebs unterzogen.
In dem ersten Teile seines Werkes werden wir mit der (jeschichte Helgo-
lands bekannt gemacht. Von vorhistorischer Besiedlung haben sich nur dürftige
Spuren erhalten, nud was aus den Schriftstellern des Altertums auf die Insel
bezogen wird, kann ebenso gut von einer anderen gesagt worden sein. Ein-
gehende kritische Untersuchung erfährt die erste sichere Erwähnung der Insel bei
Adam von Bremen um das Jahr 1050. Der Name .Helgoland* bedeutet, wie
anderen Deutungen gegenüber erwiesen wird, .hohes Land*. In der Geschichte
hat die Insel eigentlich nur zur Zeit der Kontinentalsperre 1807 als Schmuggel-
Station eine gewisse Rolle gespielt; seit 1814 zur Bedeutungslosigkeit verurteilt,
wäre sie auch ohne Einnahmen geblieben, wenn nicht Jakob Audreseu Siemens
1826 das Seebad errichtet hätte, das den Helgoländern heute neben dem Lotsen-
gewerhe und einigem Fi.scb- und Hummerfang den Unterhalt gewährt.
Die Helgoländer sind friesischen Stammes, wenn auch, wie die Personen-
namen erweisen, immer Zuzug von auswärts stattgefunden hat. Friesisch ist
die Sprache geblieben, die auf der lii.sel eine selbständige Weiterbildung erfuhr.
Und die Sprache ist heute dort fast das einzige, was wirkliche Eigenart
aufweist.
Der Helgoländer zeichnet sich durch klaren Blick und ein gewisses Selbst-
bewusstsein dem Höherstehenden gegenüber aus; von aufrichtiger Frömmigkeit
beseelt, ist er arm an Phantasie; Sagen, Märchen und Lieder fehlen fast ganz.
Von Aberglauben ist kaum eine Spur zu linden. Oeeiut bleibt das Völkchen
durch seine Sprache, die kein Fremder spricht.
Der zweite Teil des Buches führt uns in die Volkskunde der Insel ein.
Dieser Teil, der die auf der Insel gesammelten Texte in Helgoländer wie in
deutscher Sprache bringt, ist ein dem Besucher wie dem Forscher gleich will-
kommenes Lesebuch des Helgolandischen geworden. Mit gutem Grunde hat der
Verfasser Gespräche ans dem täglichen Lebe)i, vom Badewesen und vom Lotseu-
beruf vorangestellt, denn gerade in diesen Stoffen offenbart sich am besten der
Vorstellungsgehalt der Bewohner, wie andererseits gerade solche Stoffe den inter-
essantesten Teil des Wortschatzes eines Volkes bergen. Doch folgen auch Er-
zählungen von der Fischerei nud Schiffahrt, von Sitte und Brauch und einigen
wenigen abergläubischen Vorstellungen. Darauf sind die sprichwörtlichen
Redensarten zusammengestellt , denen einige schöne Gedichte in der Landes-
sprache, hauptsächlich von Heinrich E. Claasen, folgen. Und den nicht nur
lexikographisch wichtigen Beschluss dieses volkskundlichen Lesebuches bildet eiue
.Sammlung der Personen- und Ortsuameu, sowie der Namen der Vögel, Seetiere
und Pflanzeu der Insel.
Wofür aber Professor Siebs der besondere Dank der .Sprachforscher und
zunächst der Germanisten gebührt, das ist der dritte Teil seines Werkes, der
eine allgemeine Darstellung der Helgoländer Sprache nach Laut- und Forineu-
verhältnissen und ein vorzüglich gearbeitetes helgolandisch-deutsches und dentsch-
helgolandisches Wörterbuch enthält. Für deu Laien wird dieser Teil eine will-
kommene Ergänzung zu dem vorher Gebotenen sein, für den Germanisten die
einzige Grundlage für das Studium einer untergehenden friesischen Mundart.
Gerade Professor Siebs, der als Verfasser einer ausführlichen Geschichte der
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friesUcben Sprache bekannt ist, war als bester Kenner dieses Dialektes wie kein
anderer zu dieser Arbeit berufen.
Wir wünschen dem mit so grosser Liebe zum Friescnvolke geschriebenen
Werke den Erfolg und die Verbreitung, die es verdient. Als eine streng wissen-
schaftliche und zugleich dem gebildeten Laien zusagende landes- und volks-
kundliche Darstellung wird es vorbildlich bleiben. Dr. K.
Mitteilungen.
Am 27. September 1S09 ward zu Graz die dritte Tagung des Verbandes
deutscher Vereine für Volkskunde ahgehalten. Der Bericht Uber die
Satzungen wird im Korrcspondenzblatte gegeben werden; die betreffende Nummer
ist trotz unserer Bitten und Vorstellungen nicht zeitig geliefert worden. Unsere
Gesellschaft war durch den Vorsitzenden Professor Dr. Siebs vertreten. Der
bisherige Ausschuss ward wiedergewählt, indessen trat als zweiter Vorsitzender
Prof. Dr. Lauffer, Direktor des historischen Museums iu Hamburg, ein. Stadt-
pfarrer Dr. A. Scbullerus hielt einen Vortrag Ober die Märchen in Siebenbürgen.
— ln dem Korrespondeuzblatte wird ausser dem Berichte Uber diese Tagung
eine Umfrage Uber .die Freimaurerei im Volksglauben* gedruckt werden; sie
geht aus von K. VVehrhan und Dr. K. Olbrich, der ja mehrfach Beiträgezu
dieser Frage iu unseru .Mitteilungen* geliefert bat.
Am Freitag, den 12. November hielt der Vorstand unserer Gesellschaft
eine Sitzung ab ; der ordentliche Professor der slavischen Philologie Dr. Erich
Berueker ward zum stellvertretenden Vorsitzenden erwählt, ln der sich an-
schliessenden allgemeinen Sitzung hielt Geh. Jnstizrat Prof. Dr. Felix Dahn
einen Vortrag Uber .die QUtter der Baiern*, in dem ganz besonders die
Gestalten der sog. niederen Mvtbologie berücksichtigt wurden; der allverebrte
Freund unserer Gesellschaft erntete reichen Dank fOr seine Worte. — Am
Freitag, den 10. Dezember hielt der zweite Vorsitzende, Professor Dr. E.
Berneker, einen Vortrag Ober .russische Volksepik*. Nach einleitenden
Worten über die Volksdichtung der slavischen Stämme überhaupt berichtete der
Vortragende zunächst Uber das Bekanntwerden und die wissenschaftliche Samm-
lung der russischen Heldenlieder, schilderte dann die verschiedenen Sagenkreise
ihrem Stoffe nach und wusste bei grosser Knappheit doch ein anschauliches Bild
dieser Dichtart zu geben; schliesslich suchte er die Frage nach der Entstehung
der Lieder zu beantworten, und wurde dabei der verschiedenartigen Methodik
der Forschung, der mythologischen und historischen nnd sagenvergleichenden,
gerecht. Wir hoffen, da.ss uns der Vortragende aus der Fülle seiner Gedanken
Uber diese Fragen Manches für unsere .Mitteilungen* spende.
Nachdem die Ausgabe der Schlesischen Sagen soweit gefUrdert ist, dass
schon demnächst der Druck des zweiten Bandes beginnen kann, müssen wir der
schtineu Pflicht eingedenk sein, die vielen im Volksmunde lebenden Lieder zu
sammeln. Dank der eifrigen Arbeit mancher Vorgänger birgt unser Archiv
bereits wertvolle Schätze, aber es fehlt noch viel, dass wir zu einer Ausgabe
gerüstet seien. Und so haben wir zu Anfang November an alle schlesischen
i^eiiungeu einem Aufruf zur Mitarbeit versandt, der wohl allen unsem Mitgliedern
bekannt geworden ist.
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Die Hehrzniil der in Sclilesien erecheiuendcn Zeitungen hat diesen Aufruf
ahgedriukt; wir sagen den verehrten Kedaktionen dafür unseren heri-
lichsten Dank und bitten zugleich, sich auch fernerhin freundlich unser guten
Sache annehmeu und gelegentlich zu weiterer Mitarbeit anregen zu wulleu.
Nicht minder herzlich aber ist unser Dank an die vielen Einsender,
die zum Gelingen des Werkes geholfen haben und helfen wollen.
Es ist erhebend uml rührend, welch eine Begeisterung unsere Bitte entfacht
hat: von Hochgestellten bis zum einfachen Manne und armen Müdchen hinab haben
sich alle Kreise beteiligt, mehr aU dreihundert Sendungen sind an den Vorsitzenden
(Breslau XIII, Hohenzollerustrasse 53 H) bis jetzt eiugegaugen, darunter viele
wertvolle ältere und neuere haudschrifiliehe Liederbücher, Das ist ein schönes
Zeichen nicht nur für die Freude am Liede und an volkstümlicher Überlieferung,
sondern auch für einen hoben Grad gesunder Bildung, die das eigenste und
bodenständigste Gut unserer Heimat nicht in frevelliafler Dummheit verachtet,
sondern als einen bedeutsamen Kulturfaktor würdigt.
Die vielen Sendungen, namentlich die uns nur für einige Zeit geliehenen
Hefte und Bücher müssen nun durchgearbeitet werden. Das dauert eine lange
Weilei jedoch brauchen die Einsender sich um die Sicherheit dieser Stücke nicht
sorgen: sie sind auf der Breslauer Stadtbibliothek wohl verwahrt und werden
späterhin zurückgeschickt werden.
Wir bitten nun, uns auch weiterhin Sammlungen zugehen zu lassen.
Alles, auch das geringste, ist willkommen. Wir werden in unseren .Mitteilungen*
über die Eingänge berichten und die Namen der Mitarbeiter verzeichnen.
Ara 16. Dezember starb in Glogau der Gymnasialoberlehrer Dr. F. I’radel.
In dem hochbegabten jungen Gelehrten haben wir einen Irenen Freund der
Volkskunde und trefflichen Mitarbeiter verloren.
Als neue Mitglieder traten unserer Gesellschaft bei aus Breslau die
Herren Oberbibliothekar l’rof. Dr. Börner, Kgl. Archivassistent Dr. Gustav
Croon; Frau Käthe Mugdan; Schles. Museum für Kunstgewerbe und
Altertümer; die Herren Uuiversitätsprofessor Geh. Kegierungsrat Dr. Prae-
torius, Taubstummeulchrer Karl liotlier, stellvertr. Direktor a. d. agrikultur-
chemischen Versuchsanstalt ' Dr. Albert Schlicht, Lektor an der Universität
Friedrich Stoy; von auswärts die Herren Bahnmeister Georg Berger in Neu-
hof b. Liegnitz, Museuuisvorsteher Gustav Barth iu Hoheuelbe, Lehrer Josef
Niedeuzu iu Rudnik bei Ratibor, Landgerichtssekretär Theophil Stosch
in Ratibor, Pfarrer Alois Thomas in Lamsdorf, Kreis Falkenberg OS.
Die nächste Sitzung findet am Freitag, den 14. Januar 1910, statt: der
ord. Professor Dr. Otto .Schräder wird einen Vortrag halten Uber .Begraben
und Verbrennen im Lichte der Religions- und Kulturgeschichte*.
Mit diesem XI. Bande hört die fortlaufende Zählung der Hefte, sowie die
gesonderte Seitenzählung innerhalb der einzelnen Hefte auf
Schluss der Redaktion; 19. Dezember 1909.
Bactidraukerci Maretzke A Martin, TreUnUx l.Bcbies.
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MITTEILUNGEN
DER
SCHLESISCHEN GESELLSCHAFT
Fl VOLKSKUNDE
lierausgegeben
Yon
THEODOR SIEBS
»fuia XII
Jahrgang 1910
BRESLAU
Selbst verl;ig der Gesellschaft
(fllr di'ii Ituchliatulcl zu buziuhun durch M. vt U. Marcus, Breslau Xlll)
1910
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Alle Hechte Vorbehalten.
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Inhalt.
Aufsätze und Mitteilungen.
S<»ltc
Gusindc, Oborlulirvr l)r. |)bil. Kniirad, Von Land und Luiilcn in Kpaiiion 1
Meiasnor, Univ.-I’rof. Dr. phil. lirunu, Luftfahrten iin alten Orient . 40
Schräder, llniv.-Prof. I)r. phil. et jur. Otto, Itcgraben und Verbrennen
im LichU' der Keligions- und Kulturgeschichte 48
Sunnenmark, Karl, Zur österreichischen, französischen und englischen
Nationalhymne 73
Klapper, Oberlehrer Dr. phil. J., Schlesische Sprichwörter des Mittel-
alters 77
Rother, Taubstnmmenlehrer Karl, Im KrSuterladen 109
Sclke, cand. phil. Georg, Probe glStzischer Mundart 117
Olbrich, Oberlehrer Professor Dr. phil. K., Emst Theodor Amadeus
Hollmann und der deutsche Volksglaube 121
Kondsiella, Oberlehrer Dr. phil. F., Die Totenbretter 149
Keiper, Oberlehrer Professor Dr. phil. Phil., Flandrischer LeichtfuÜ,
Flandrian 139
Siebs, Univ.-Prof. Dr. phil. Th., Altere Helgoländer Gedichte, gesammelt
von Geh. Sanit&tsrat Dr. med. Harmsen 161
Klapper, Oberlehrer Dr. phil. J., Vampir, Werwolf, Hexe 180
— , Krankheitsübi'rtragung. Rezepte aus altschlcsischcn Handschriften . 185
llcllwig, Gerichtsassessor Dr. jur. Alb., Ein moderner HexenprozeO in
Posen 191
Klapper, Oberlehrer Dr. phil. J., Ein schlesisches Neujahrslicdchcn aus
dem XV. Jahrhundert 21.5
Rother, Tauhalummenlehrer Kurl, Zusammensetzungen mit „toU-“ . . 218
Graebiscb, F., Probe der wcstgliitzischen Mundart von Brzesowie,
Kreis Glatz 223
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IV
Seite
Besprechungen.
Schlesiens volkstümliche llberlieferungcn, Band IV: Knhnau,
Bichard, Schlesische Sa^’on II (I>r. 0.)
Heyuianu, Dr. phil., Das bremische Plattdeutsch (Siebs) 225
Bünker, S. B., Schwänke, Sttgen usw. (-0-) 226
Hourck, Emile U. van, et Bookenoogen, G. J., Histoire de rimagorie
pupulaire Flamande (E. A.) 226
Hörmann, Ludwig von, Tiroler Volksleben 227
Strackerjan, L., Aberglaube uqd Sagen aus dem Herzogtum Oldenburg.
2. Aun. (Siebs) 227
Dähnbardt, Oskar, Natursagen I— UI (Ss.) 23(1
Busch, Wilhelm, Ut Öler Welt 230
Golther, Prof. Dr. W., Ueligion und Mythus der Genjianen 230
Ouellen nnd Porschungen zur deutschen Volkskunde (Ss.) . 231
Handbücher zur Volkskunde (Ss.) 232
Gebhardt, .\ng., (iramuiatik der Nürnberger Mundart 233
Pessler, W,, Das altsächsische Bauernhaus 234
Geschäftliche Mitteilungen.
Sitzungsberichte 119 235
Eingänge 120 236
Nachrichten und Anzeigen 120 236
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Von Land und Leuten in Spanien.'^
Von Dr. Koiirad Gusiiide.
Die landläufige Vorstellung sieht in Spanien ein sonniges, über-
aus fruchtbares Land mit fast afrikanischem Klima, voll Blüten, voll
Gesang, voll Leidenschaft, ein paradiesisches Land, in dem man
den Winter kaum dem Namen nach kennt. Und wer nur ober-
flächlich vom Jleere aus hineinschaut, der kann wohl zu solchen
Vorstellungen kommen. Doch anders wird das Urteil, sobald man
ins Innere kommt. Spanien ist eben in vieler Beziehung das Land
der schroffen Gegensätze. Die Mittelmeerküste übertrifft mit ihrem
sonnigen Klima, in dem nur Frühling und Sommer zu herrschen
scheinen, noch die Riviera. Heißer i.st der Sommer in Andalusien,
das neben der erhabenen Hochgebirgsnatur der Sierra Nevada sub-
tropischen Pflanzenwuchs hegt. Der waldreiche Norden mit seiner
steil abfallenden Küste, den tief eingeschnittenen Fjorden und dem
meist schneebedeckten Kantabrischen Gebirge hat ganz alpinen Cha-
rakter. Das Innere des Landes aber ist zum großen Teil eine baum-
lose, trübe Steppe, am schlimmsten in Aragonien. Nur dort, wo
die Flüsse den salzhaltigen Boden ausgelaugt haben, finden sich in
der braungelben, einsamen, wasserlosen Ode fruchtbare Oasen. Die
Mancha, die Heimat des Don Quijote und des Sancho Panza, kennt
ebenfalls weder Baum noch Wasser. Wein gibt es hier in Hülle und
Fülle; um einen Schluck Wasser bittet man vergebens. — Und Kastilien,
das Herz des Landes, hat ähnliches Gepräge. Hier und da ringt
mühsam der Bauer dem Erdboden eine Frucht ab, wo unter der
scheinbar trockenen Oberfläche eine Letteschicht das spärlich ein-
sickernde Regenwasser zurflckhält. In Andalusien und an 'der Süd-
westküste Spaniens sähe man einen solchen Boden als wertlos an und
ließe ihn liegen. Der Kastilier aber baut darauf seinen Weizen und
Roggen und seine Kichererbsen (garbanzos). Der größte Teil liegt
jedoch öde und wird nur von dürren Wanderschafen durchzogen.
Wald gibt es nur im Norden, hauptsächlich in den baskischen
Provinzen. Hier ilarf jeder Haushalt nur drei Ziegen halten, denn
') Vortrag, gehalten in der Sitiuug vom 11. Februar 1!)10.
Mitteiluugeu d. scble:^. Ges. f. Vkde. Ituud XU (Heft 1) 1
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die Ziefien sind ja die Hauptfeinde der jungen Bannitriebe und damit
des Bauinn-iiches flherhaui)t. Ein alter ,fuero‘, ein Sonderreclit der
baskisc'lien Provinz Alava bestimmt, es dürften dort nach der Ver-
fassung keine Eisenhämmer angelegt werden, damit das Lantl nicht
entwaldet werde. Hier oben im \orden allein hat also eine ver-
nünftige Vorsicht den AVald erhalten. — Die Meinung, der Baum
hindre durch seinen Schatten das Wachstum, führt zwar auch in der
nächsten Umgegend von Breslau zum Fällen der schönsten Bäume
auf bäuerlichem Grund und Boden. Für den Spanier ist der Baum
aulierdem aber ein SchlujdVinkel für die Singvögel, denen der Bauer
erbitterte Fehde geschworen hat. Da man nämlich allenthalben nur
den wenig Zentimeter tief ins Erdreich eindringenden Hakenpllug kennt,
ist die Saat den Vögeln besonders leicht zugänglich. Und da der
Wald und infolgedessen auch die Insekten fehlen, sind die Vögel
erst recht aufs Saatkorn angewiesen. So verschlingen sich hier Ur-
sache und Wirkung. Das unvernünftige Schlagen der Wälder nötigte
die Vögel, sich an die Saat zu halten, und danim wird jedes wild-
wachsende Bäumchen, das ihnen einen Schlupfwinkel gewähren könnte,
auch noch gefällt. Mit Gani und Blei wird gegen die annen kleinen
Sänger ein häßlicher Vernichtungskarapf geführt.
Spanien hat sieh selbst zur Öde gemacht durch das wahnwitzige
Niederschlagen der ehedem mächtigen Wälder. Estremadura war
früher äußerst fruchtbar. Die Entwaldung machte es zur Heide.
In Massen wandern die Bewohner aus. Schaf- und Schweinezucht
sind als einziger Erwerb anstelle des .\ckerbaus getreten. — In der
.Mancha heizt man mit Stroh oder abgeschnittenen Ranken der Wein-
stöcke. Ein kleines Wäldchen nur steht da für den Bedarf an Holz
zu Geräten und Stellmacherarbeiten. Meilenweit kommen die Bauern,
um aus diesem Bannwalde Holz zu holen. —
Zwischen Madrid und der Sierra de Guadarrama war früher
dichter Wald. Philipp II. suchte hier in dem gesunden Waldklima
Erholung. Heute sieht man ebenfalls nur ringsum Steppe, und das
Klima ist berüchtigt. Überall im Lande der gleiche Unverstand, die
Vernichtung des Holzbestandes ohne auch nur eine Spur von Ersatz.
So mußte das einst fruchtbare, blühende Land zur Steppe werden.
Die Waldvemichtung hatte andere Übel im Gefolge. Bei starken
Regengüssen schwellen plötzlich die Flüsse hoch an, überschwemmen
weithin das Land und reißen alles verheerend mit sich. Homsignale
melden das Hochwasser den Uferbewohnern; aber das entfesselte
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Klement ist oft schneller als der Mensch, Nicht nur die Wasche,
ilie allentlialben an den Flußnfern ausgebreitet liegt, auch Ziegen
und Schafe samt ihren Hirten werden mitunter überrascht und mit-
gerissen Und nach wenig Stunden ist der Fluß wieder das alte
H'hläfrige Itinnsal wie zuvor. — Eigenartig plötzlich ist auch der
empfindliche Wechsel, der auf den weiten Hochebenen des Binnen-
landes mit dem Untergange der Sonne eintritt. Mit dem letzten
Strahl der Sonne ist auf einmal das eben noch lebendig flutende
Korsoleben im Parke von Madrid verschwunden. Sofort verbreitet
sich eine gefährliche Kühle, vor der alles flieht'). Ein Sprichwort
sagt; „Hasta la cuarenta de mayo no te quitaras del sayo“ (bis zum
-tO. Mai lege den t'berzieher nicht weg). Ich kannte mehrere
Spanier, die jedes Jahr pünktlich erst am 10. Juni den ^lantel in
den Schrank hüngten.
Es findet sieh die üppige Vegetation und das milde, sonnige
Klima nur im Osten und Süden*). In Valencia wirft man zur Fast-
nacht Blumen, nicht Konfetti. In Sevilla blühen die Kosen das
ganze Jahr, und zu Weihnachten habe ich da am Grabenrande neben
der Straße Veilchen gepflückt. Docli mehr als drei Viertel des Landes
ist wüst und rauh. Das ganze Binnenland macht einen ernsten, er-
habenen, traurigen Eindruck. Hier ist der Winter bitter kalt, der
Sommer unerträglich heiß. Weit und breit ist dann Feld und Heide
von der sengenden Sonne vollsbindig braun gebrannt. Von Burgos
erzählt ein bekanntes Sprichwort: „Nueve meses de invierno, tres
meses de infienio!“ (9 Monate Winter, 3 Monate Hölle). Dasselbe
Sprichwort gilt übrigens auch von Madrid und Avila. In meinem
Leben habe ich noch nicht so gefroren wie in Kastilien mit seinen
') .El airc do .Madriil cs tan sütil (|iie niata ä nn hombre y no apaga ä
uii candil“ (Die Luft Tun Madrid ist so fein und dnnn, dalS sie einen Menschen
tötet und kein Licht auslöscht).
’) Drei Wochen ehe die ersten Mes.sinaapfelsinen zu uns kommen, essen wir
schon Apfelsinen aus Valencia und Murcia. Eine .\rroba (= 11,5 Kg) Apfel-
sinen kostet in Cartagena nur 1 bis 1,50 Pcs.; im weinbaugesegneten Bioja
bekommt man für 1,50 l’es. eine Arroba Trauben, in Madrid, wo die lange
Bahnfracht alles Tertciicrt, nur 1 bis 1'/, Kg. Wären die Bahnen besser, so
könnte ein allgemeiner Austausch stattlinden. Dank der großen Unterschiede
im Klima der einzelnen Landschaften — in .\lmeria reift z. B. der spanische
Pfeffer im .Januar, in Valladolid Ende Juni — könnte das ganze Land das ganze
Jahr über mit Früchten reichlich versorgt sein. Statt dessen verfault ein
großer Teil, weil er nicht verschickt werden kann. Vgl. S. 9.
1*
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ungehindert von der schnee- und eisbedeckten Guadarrania herilber-
pfeifenden Nordwinden. Die Lungenentzündung ist dann das fürchter-
liche Schreckgespenst für jeden Kastilier, besonders für den Madrider.
Die Öde im Lande wäre noch größer, wenn der Spanier von den
Mauren niclit eine segensreiche Erbschaft übernommen hätte, diircli
die er der spröden Natur zu Hilfe kommt: die Bewässerungsanlage.
Wo man die nicht hat verfallen lassen, da enstehn blühende Felder
mitten in der <)de. Am auffälligsten ist das in Aragon. Haarscharf
schneidet da der bewässerte Bezirk gegen die unbewässerte Öde ab.
Die Bewässerungszeiten für die Kanäle sind genau geregelt, um
gegenseitige Schädigung zu verhüten. In Granada gibt die große
Glocke auf der Torre de la Vela auf der .\lhambra, deren Klang man
30 Stunden weit hören soll, das Zeichen zum Öffnen der Schleusen;
in Valencia besorgt das die oberste Glocke auf dem Domturme, der
,Miguelete‘, nach dem der ganze Tum ebenfalls ,Miguelete‘ ge-
nannt wird. In Valencia tagt auch noch heute jeden Donnerstag vor
dem Aposteltore der Kathedrale ,el tribunal de aguas‘. Ein Bauem-
gerichtshof entscheidet hier öffentlich und kostenlos über nachbarliche
Bewässerungsstreitigkeiten. Richter und Zeugen reden in der Volks-
mundart. Wer sich dem Spruche nicht fügt, der bekommt kein Wasser
auf sein Feld. Dieses Tribunal stammt von den Mauren her und
ist heute ein Akt bäuerlicher Selbsthilfe in einem Lande, dessen
Rechtspflege schwerfällig und unzuverlässig ist. — Wo aber Flüsse
und Brunnen fehlen, hauptsächlich im Binnenlande, da gedeiht auch
herzlich wenig. Und die elenden kleinen Dörfer sehen oft noch trost-
loser aus als der Erdboden. Die Lehmhäuser haben die Farbe des
Erdreiches. Kein Baum, kein Kirchturm winkt freundlich aus der
Ferne. Die elende Dorfkirche unterscheidet sich kaum von ihrer
Umgebung. Oft bleibt man im Unklaren, ob die gelbbraunen Lehm-
haufen in der Ferne seltsame Naturgebilde, eigenartige Fomen des
Erdbodens sind, oder ob man menschliche Wohnungen vor sich hat.
Wie das Land voller Gegensätze ist. so sind auch die einzelnen
Bevülkernngstvpen zum Teil grundverschieden. Ganz außerhalb steht
der Katalane, der geschäftsgewandte Industrieritter. Er vermeidet
es, ,el Castellano‘ zu sprechen, sondern redet in seiner katalonisch-
limosinischen Mundart. Was außerhalb Kataloniens liegt, ist Aus-
land. Sein ganzes Streben geht auf die Loslösung von Kastilien und
auf die Vereinigung mit den stamm- und sprachverwandten Bewohnern
Südfrankreichs. .\us Haß gegen das übrige Spanien, vor allem gegen
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Kastilien, ist der Katalane Karlist geworden. In Katalonien allein
ist das Bombenwerfen zuhause; hier ist die Brutstätte des Anarchismus;
und der Fremde tut Spanien bitter unrecht, wenn er diese Zustande
verallgemeinert. — Auch die Basken im Norden stehen außerhalb.
Diese Beste der alten Iberer sind gar keine ludogennanen '). Bis
ins Dt. .Tahrh. haben sie eifersüchtig ihre alten, jetzt allerdings ihnen
genommenen Sonderrechte gehütet und sich immer eine gewisse
Selbständigkeit gewahrt. Der ganze Typus, vor allem der Gesichts-
bau, ist anders, ebenso Lebensweise und manche eigenartige Gewohn-
heit der häutig noch auf Einzelhofen wohnenden Bauern. Auch im
übrigen Spanien halten sich die Basken abgeschlossen für sich. —
Der .\sturier gleicht an Freiheitsstolz dem Basken. Weder Körner
tioch Goten konnten dieses Land unterjochen. Hier fanden die von
den Arabern verfolgten Goten ihre Zuflucht. Von hier ging aber
auch der ganze Fanatismus gegen die Heiden aus, der den Grund
zum spanischen Königreiche legte. Hier, und allenthalben auch in
den baskischen Provinzen, findet man noch am ersten blonde, hoch-
gewaeli.sene Leute, einen Typus, der dem übrigen Spanien fremd ist*). —
Der Galizier ist ein armer Teufel. Viele wandeni aus, viele verdienen
sich als Lasttniger, Straßenkehrer oder Erntearbeiter im übrigen
Spanien ihr Brot. Die Frauen dienen häufig als Ammen. Wegen
ihrer sauren Arbeit sind die Galizier ziemlich mißachtet. ,Gallego‘
ist im übrigen Spanien ein grobes .Schimpfwort. Umsomehr halten
diese Leute zusammen, und sehnsüchtig treibt es .sie doch wieder
nach ihrer armen Heimatsprovinz zurück. — Ebenfalls abgeschlossen,
arbeitsam, dickköpfig und bigott ist der Aragonese. Mühsam sucht
er seiner Steppe etwas abzugevrinnen. Die Virgen del Pilar, die
Jungfrau Maria von der Säule, ist seine Schutzheilige, ihr Heiligtum
die neue Kathedrale in Zaragoza. Dort steht die Säule, auf der
Maria dem .\postel Jacobus erschienen sein soll. Wer den lieben
tfOtt lä.«tert, dem dreht der .\ragonese tlen Rücken; wer aber das
(ieringste gegen die Virgen del Pilar sagt, den schlägt er tot.
Überall kenntlich ist der Aragonese an seiner Tracht. Die Ärmel
der schwarzen Samtjacke sind geschlitzt und mit Knöpfen besetzt,
ebenso die schwarzen Samthosen, unter denen noch eine weiße Leinen-
') Heinrich Winkler, Das Baskiacho und der vordcrasiatisch-uiittel-
ländiscbe Völker- und Kullttrkreis. Breslau 1909.
Es ist aber verkehrt, deshalb von unverfSlschteii, echten Germanen zu
reden, wie das z. B. auch Diercks ausgiebig tut.
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hose heiTorguckt. Um den Kopf ist ein buntes Seidentuch gewunden,
den Leib umschlingt eine violette oder rote breite Binde, die ,faja‘,
die zugleich als Tasche dient. Die Kastilier sind froh, daß ein
gütiges Geschick diese Dickköpfe als Pufl’er zwischen sie und Kata-
lonien gesetzt hat. — Würdevoll und ernst ist der Kastilier, unberührt
von jeder Sentimentalität, freimütig und stolz, dabei doch freundlich,
unwissend vielleicht, aber durchaus nicht dumm, sondern schlagfertig
und von gutem Mutterwitz. Er ist kein Geschäftsmann und darin
dem Andalusier gleich, dessen Widerspiel er im übrigen ist. Wer
von der kastilischen ,grandeza‘ eine Ahnung haben will, der sehe
sich eine Sonntagsparade auf dem Schloßhofe in Madrid an. Der
Spanier hat bekanntlich keine Nationallimne'). An ihre Stelle tritt
die Marcha real, die, fast noch einmal so langsam als unser Parade-
marsch, mit 60 Schritt in der Minute, einen enisten, würdevollen
und feierlichen Eindruck macht. — Und nun der Andalusier. Ist der
Kastilier gemessen und stolz, so ist der Andalusier beweglich,
phantasievoll und voll Lebenslust, die Frauen nicht schön, aber von
vollendeter Grazie, besonders beim andalusischen Tanze, jenem hin-
reißenden Schauspiel, das eine unendliche Fülle anmutigster Bewegung
und glühendster Leidenschaft entfaltet. In Andalusien ist ein ganz
beträchtlicher {Anschlag maurischen Wesens und Blutes unverkennbar.
Die Sprache weist eine Menge maurischer Lehnwörter auf, besonders
für Landwirtschaft und Bewässerung. In Valencia. Elche und Murcia
— von Granada und seiner Umgebung gar nicht zu reden — fand
ich Leute mit echt maurischen Gesichtem, die man nur in den Burnus
zu stecken und auf den Socco in Tanger zu versetzen brauchte. Was
wir uns gewöhnlich unter Spanien, spanischer Tracht und spanischem
Wesen vorstellen, das ist lediglich Andalusien. Hier ist die Heimat
der Tänzerinnen, des Don Juan, des Figaro und der Carmen. Hier
war der Tummelplatz der ,Contrabandistas‘ , jener waghalsigen
Schmuggler, die zu Volkshelden geworden sind, weil der Kampf gegen
die Organe der Staatsordnung ihr zweiter Beruf war; hier machten
die Straßenräuber, die , Bandoleros*, noch um die Mitte des 19. Jahrh.
das ganze Land unsicher, bis die Guardia civil, eine ganz vorzügliche
Polizeitruppe, mit ihnen aufräumte. Hier sind die schwarzäugigen
Frauen Goyas und Zuloagas zuhause, hier ist schließlich die Heimat
der Toreros, der bezopften Stierkämpfer, mit ihren hellseidenen,
*; Kniü Bohn, Die Nationalhyuincn der europäischen Völker = Wort und
Brauch IV, S. 31.
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überreich mit Gold bestickten Gewändern, deren Wert bei den be-
rühmtesten an 5000 Peseten beträgt. —
Eine Gesellschaft für sich bilden schließlich die im ganzen Lande
verstreuten Zigeuner. In Sevilla und besonders in Granada sind sie
seit langem angesiedelt. Hier hausen sie zum Teil in Höhlen-
wohnungen und haben unter einem eigenen „Könige“ eine Art Selbst-
verwaltung. Tanz und Spiel, Wahrsagen und Stehlen, immer aber
Betteln, das ist ihr Erwerb. Die jungen sind oft berückend schön,
die älteren schmutzig und widerlich liäßlich, die Männer meist ver-
wegene abenteuerliche Gestalten. Sie leben abgeschlossen vom übrigen
Volke und sind leicht von ihm zu unterscheiden.
Fern im Süd das schöne Spanien entspricht also wenig unserer
gewöhnlichen Vorstellung. Was ist nun schuld an unsemi einseitigen,
falschen Begrifie vom spanischen Lande und Volke? Einmal die
schlechte Erreichbarkeit des Landes. Wie eine chinesische Mauer
liegen die Pyrenäen vor dem Lande und trennen es ganz vom übrigen
Europa. Keine irgendwie nennenswerte Verkehrsstraße geht über das
Gebirge. Nur im äußersten Westen und Osten sucht sich zwischen
Meer und Gebirge die Ei.senbahn einen Eingang ins Land. Und
was für eine Eisenbahn! Schuld sind auch manche Vorurteile, die
einem gewissen Kulturdünkel entspringen, der sich keine Mühe gibt
oder keine Zeit und Fähigkeit hat, auch die guten Seiten eines
eigenartigen Volkes kennen zu lernen. Freilich findet man die immer
schwerer heraus als die schlechten Seiten, die sofort ins Auge fallen.
Doch die Hauptschuld tragen unsere Dichter. Heine, Geibel, Heyse
müßten vor Gericht gestellt werden wegen Vorspiegelung falscher Tat-
sachen. Nach dem .fintenreichen Ebro* mit seinen , Schatten des
Waldes* wird man vergebens suchen. Man findet einen an der Ab-
zehrung krankenden Fluß, der sein Wasser auf die Felder abgegeben
hat und statt der Wälder eine öde, rötlich gelbe Steppe. Und gar
der Manzajiares mit seinen Linnen spülenden Mädchen, bei deren
Anblick die Fluten und der Wind innehalten sollen vor Bewunderung !
Es gibt auf der weiten Welt kaum etwas Häßlicheres als die Wasch-
weiber am Manzanares, dem prosaischsten Flusse, der häufig über-
haupt kein Wasser hat. Als Ferdinand VH. einmal darüber ging,
soll man das Flußbett vorher mit Wasser besprengt haben, um den
Staub zu löschen. Und ein Madrider Witz wort behauptet, ein Maul-
esel habe den Manzanares eines Abends ausgetrunken, aber am
folgenden Tage wieder laufen lassen. Da wird nicht ,ein Garten das
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Land am Manzanares‘, der Fluß leuchtet nicht , kristallen“, wenn die
Waschfrau ,rait dem schneeigen Fuß (!)' in die Wellen tritt. Trübe
und schmutzig ist das Wasser, und so weit das Auge reicht, sieht
es durch ganz Madrid einen einzigen großen Wäschetrockenplatz.
Tatsächliche Mißstünde tragen schließlich auch dazu bei, das
Urteil über das Land der Hidalgos ungünstig zu beeinflussen.
Spanien krankt vor allem an seiner elenden Verwaltung. Hier ist die
richtige Adresse für manches harte Urteil, das über den Spanier als
solchen mit Unrecht geteilt wird. — An der Grenze beginnt schon
die an Rußland erinnernde Abschließung nach außen. Die Bahnen
haben größere Spurweite; Menschen und Waren müssen also um-
geladen werden, .\lles mögliche unterliegt einem hohen Einfuhrzoll,
von dem lediglich die katalanische Industrie den Vorteil hat; sogar
Bücher werden verzollt. .\lle Simdungen werden an der Grenze ge-
öffnet. Infolgedessen haben größere Firmen in den Grenz- und Hafen-
städten ihre Vertreter, die ein ,muy amigo“ der Zollbeamten sind.
Das Wort , amigo“ ist ein sehr dehnbarer Begriff. Alle rechtliche
und unrechtliche Einwirkung auf andre beruht auf der .\migo- Wirt-
schaft. Der Amigo findet sich mit den Zollbeamten ab und die Ware
darf ins Land. — Die Eisenbahnen sind fast durchweg in französischen,
im Süden teilweise auch in englischen Händen. Bequemlichkeit i.st
Nebensache, hohe Tantiemen für die Aktionäre die Hauptsache. Seit
f)0 .fahren soll die Bahn Iran — Madrid, die einzige Lebensader, die
Spanien mit dem übrigen Europa verbindet, zweigleisig gebaut werden.
Aber von der 63;? km langen Strecke sind heute nur 47 km zwei-
gleisig, nämlich Irun — San Sebastian und Villalba — Madrid. Selbst
auf vielen Hauptstrecken verkehrt nur ein einziger leidlich brauch-
barer Zug am Tage. Der Lu.vuszug fährt mit 40 km Stunden-Ge-
schwindigkeit, also etwa wie die Zobtener Klingelbahn, der Personenzug
mit 25 km und weniger. Man muß allerdings berücksichtigen, daß
der Zug vom Meerespiegel mehrfach über Gebirge klettern und Stei-
gungen von der Höhe unseres Riesengebirgskammes übenvinden muß. —
Der Mangel ausreichender Eisenbahnwege ist ein Fluch für Spanien.
Unberechenbare Schätze von Erz und Kohle liegen im Lande, die
nicht ausgebeutet werden können. Im Binnenlande findet man eine
Fabrik nur ganz vereinzelt. Doch wo das Meer den Verkehr erleichtert
und von der Eisenbahn unabhängig macht, da hat sich eine blühende
Industrie entfaltet, besonders im Norden am Biskayschen Golfe, von
Katalonien ganz abgesehen. Während man in Madrid Südfrüchte
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etwa ebenso teuer bezahlt wie bei uns, müssen sie in der Provinz
an vielen Orten verfüttert oder weggeworfen werden, weil dort die
Verkehrsmittel mangeln, um sie zu verschicken (Vgl. S. 3, Anm. 2.)
— Und bei dem geringen Verkehr werden dann die Eisenbahnwege,
sobald die Fahrstraßen in der Regenzeit aufgeweicht sind, zu den
bequemsten Wegen für den Fußgänger. Man fragt einfach beim
Bahnwärter, ob ein Zug kommt und geht dann selbst durch Tunnel
trockenen Fußes und ganz gemächlich hindurch. Unter solchen Um-
ständen hat sich auch das alte Beförderungsmittel trotz der Eisen-
bahnen in großem Umfange erhalten. Es ist ein merkwürdiger An-
blick, wenn man in der Frühe ganze Züge zweirädriger Lastkarren,
mit 4, 5, 6, 8, selbst 9 Maultieren bespannt, auf den Landstraßen
daherfahren sieht. Am späten Nachmittage sind sie in der Posada
(Herberge) aufgebrochen und fahren nun, bis die steigende Sonne sie
zur Einkehr zwingt.
Da der Staat mit eigner Verwaltung nichts erreicht, hat er alles
mögliche verpachtet; Tahakmonopol, Post, Telegraph und Eisenbahnen
sind in Händen von Privatgesellschaften, .^m schlimmsten ist es
beim Stadtzoll, Selbst in mittleren Städten wird man unmittelbar
vor dem Bahnhofe von recht fragwürdig aussehenden Gestalten an-
gehalten, Man hält sie eher für Vagabunden als für Zollwächter,
Den Fremden lassen sie in der Kegel ungeschoren, die Einheimischen
werden jedoch oft arg belästigt, denn die Privatgesellschaft sucht
natürlich möglichst viel herau.szuschlagen. In Cüatro C'aminos, einer
V'orstadt von Madrid, haben die Zöllner vor zwei .lahren eine Frau
angehalten, die ihrem in der Stadt arbeitenden Manne das Essen
trug, und wollten ihr buchstäblich das Fleisch im Topfe besteuern.
Eine gewaltige Erregung war die Folge, und in der Nacht wurden
sämtliche Zollbuden angezündet. Von da an waren die ,Aduaneros‘
wieder zurückhaltender.
Der Staat ist die große Krippe, aus der alles frißt. Das Streben,
Deputierter oder gar Minister zu werden, ist begreiflich; denn ein
reicher Segen von Schmiergeldern ist bestimmt zu erwarten. In den
Ministerien sitzen an den Pulten eine Reihe Leute, die nichts zu tun
haben, vor weißen Bogen Papier. Um am Ruder zu bleiben, hat der
Minister vor der Wahl zu den Cortes bei seinen Parteigängern sich
verpflichtet, für diesen und jenen zu sorgen. Fällt das .Ministerium,
so fallen gewöhnlich auch seine Beamten, denn jetzt will die Gegen-
partei alle ihre Leute an die Krippe bringen. Der Minister bekommt
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seine Pension. Die hunderte von armen Schluckern aber, die außer-
dem versorgt worden waren, werden nun auf die Straße geworfen.
Vor 70 Jahren brachte es Sjjanien auf 106 Minister binnen zwei Jahren,
von denen keiner über ein Vierteljahr im Amte war'). Und wenn
das Ministerium auch nur einen Tag lang sich hält, so belastet sein
Sturz den Staat mit vielen Tausenden Pensionsgelder. Jeder sucht
nach Kräften in seine Tasche zu wirtschaften; und er kann das un-
besorgt tun. Ist doch auch der ganze Parlamentarismus ein einzig
dastehendes Gaukelspiel. Schon lange vor der Wahl ist das Ergebnis
festgesetzt*). Durch seine Organe läßt das Ministerium das Volk be-
arbeiten, ein kleiner Bruchteil von Sitzen wird anstandshalber den
Oppositionellen angewiesen, im übrigen wird das durch die beständigen
Enttäuschungen gleichgültig gewordene Volk von den Wahlmacherii
der Regierung unter Aufsicht zur Unie geführt. Wahlfälschungen
sind an der Tagesordnung. Jedesmal erhebt die Opposition dagegen
scharfen, aber nutzlosen Widerspruch. Kommt sie selber ans Ruder,
so sind nur die Rollen vertauscht, die Sache bleibt dieselbe.
Spanien wäre der beste Staat, wenn alle Gesetze, die bestehn,
befolgt würden. .\ber die Gesetze stehn nur auf dem Papier, und
eine grundverkehrte Wirtschaft lähmt alle guten Absichten. Vor
zwei Jahren bewilligte man zwei Millionen für Aufforstung. Da
werden Wächter und Beamte gewählt, und jeder, der etwas zu sagen
hat, bringt seine Schützlinge an die Staatskrippe. So ging es weiter,
bis das Geld zu Ende war. Nur daran hat niemand gedacht, daß
man erst eine Baumschule anlegt. Ähnlich geht es mit den Vorlagen
über Heer und Flotte, Unterrichts- und Verwaltungswesen. Die Uni-
versitätsbibliotheken sind bis in die dreißiger Jahre des vorigen Jahr-
hunderts leidlich gut bestellt; die aufgehobenen Klosterbibliotheken
lieferten teilwei.se sehr wertvolle Sammlungen. .\us späterer Zeit
sind nicht einmal die allernotwendigsten Hilfsmittel zu haben. Kein
Wunder! Die Universitätsbibliothek zu Salamanca hat nach Abzug
') Vgl. .\iidalusivn, Spiegelbilder aus dem südspanisebe» Leben, .-tus den
Brieten eines jungen Deutschen. Hrsg. v. Dr. W. Häring (W. Alexis . Berlin
1842, S. 128.
’) Iber diese verrotteten Zustände vgl. Itiercks, Das moderne Spanien,
Berlin 1908, S. 13G1T., 228 IT. Im allgcnx'ineii verweise ich auf dies Buch, das
vielfach meine in der Zeit von 1907 bis 1908 in Spanien gemachten Beobachtungen
bestätigt, mag es auch Jfters im einielnen meinen Widerspruch hcrausfordem.
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aller Venvaltuiigskosten täglich 70 Centimes für Bücher auszugeben*),
und hunderte von Bücherkisten liegen dort noch unkatalogisiert auf
dem Boden, aus denen Dr. Fromme auf den ersten Griff wertvolle
Inkunabeln hervorzog. Was unter solchen Verhältnissen gestohlen
werden kann, ist unberechenbar. — In Sagunt auf der Festung stehn
die alten Römerbauten noch trotzig und unerschüttert da, auch die
maurischen Werke halten der Zeit noch stand; die kaum viel über
100 Jahre alten spanischen Kasernen sind ein Bild trostlosen Verfalls.
Bei solcher Wirtschaft ist es begreiflich, daß die Zahl der auf-
wärts strebenden Städte sehr klein ist. Madrid ist der moderne
Emporkömmling gegenüber dem altehrwürdigen, heruntergekommenen
Toledo. Dann sind, wenn man das emsig sich regende Katalonien
wieder ausschaltet, eigentlich nur noch Sevilla zu nennen, das auf
Kosten von Cadiz sich hebt, weil mit der Flut mittlere Seeschiffe
den Guadalquivir aufwärts bis zum Quai von Sevilla fahren können,
und die Städte nahe der Küste im Norden, wie Bilbao, Santander,
Gijon, Oviedo, wo die Industrie gedeihen kann. Aber gerade die
alten Kulturstätten Cordova, Granada und Toledo sind traurige Über-
bleibsel längst entschwundenen Glanzes.
Und wie die Verwaltung, so ist die Erziehung. Madrid hat an
600 (M)0 Einwohner aber nur zwei höhere sechsklassige, öffentliche
Schulen*). Der Schulbetrieb ist mittelalterlich -scholastisch. Wer
einmal den öffentlichen' Jahresprüfungen beiwohnt, der wird staunen
über die Menge auswendig gelernter Definitionen *) und Zahlen. Wo
sich der Schüler seine Kenntnisse erwirbt, ist gleichgültig. Er muß
sich nur, wenn er einmal studieren will, alljährlich über seine Kennt-
nisse in den für jedes Jahr vorgeschriebenen Disziplinen ein Prüfungs-
') Mitteilung des Herrn I*r. Fromme, des Direktors der Deutschen Schule
in Madrid.
•) Krcslaii hat Ssechsklassige und 9 neunklassige höhere Schulen, von denen
zwei ihrem System nach Dopjielanstalten sind. — Ganz Spanien hat nur 58 fnnf-
bis sechsklassige hrdicre Staatsschnlen, dafür 323 Privatschulen, von denen etwa
ein Viertel geistliche Schulen sind. lUercks, Das moderne Spanien S. 183.
*) Das Lehrbuch der spanischen Grammatik für Volksschulen beginnt mit
den Fragen: Was ist Sprache? Was ist Grammatik? In wieviel Teile zerfSllt
die Grammatik? Was ist Analogie. Syntax, Prosodie, Rechtschreibung? Was
ist ein Wort? Was ein Satz? Und so geht es weiter. Die verständnislo.^
auswendig gelernten ellenlangen Definitionen werden von den Kindeni mechani.sch
heruntergeschnarrt. Kbenso heißt es in andern Lehrbüchern: Was ist Geschieht»:?
Wie teilt man sie ein? Oder: Was ist .Arithmetik? usw.
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Zeugnis von einer Staatssehule erwerben. Zum allergrößten Teile
liegt der Unterricht in privaten, vielfach in geistlichen Händen. Am
besuchtesten sind die von Jesuiten geleiteten höheren Schulen. Sie
gelten vielfach als die vornehmsten und besten. Auch der Elementar-
unterricht befindet sich häufig in den Händen der Geistlichkeit. Für
die Mädchenerziehung ist überhaupt nicht gesorgt. Die Xonnenschule
ist die einzige Bildungsstätte für die spanische Frau *). In kleineren
Städten und auf dem Lande gar ist das Schulelend noch schlimmer
als in Madrid. Die Kirchenschule ist die Folge der elenden Schul-
verwaltung in den Gemeinden, in denen neuerdings das Gehalt der
Lehrer von den ,Conservadores‘ unter Maura auf .30 Peseten monat-
lich herabgedrückt worden ist. Dabei bleibt der größte Teil des
Volkes (über 60®/o) Analphabeten. Recht bezeichnend ist die eigen-
artige Form, vermietbare Wohnungen anzuzeigen. Ein weißer Papp-
deckel vor den Fenstern bedeutet im ganzen Lande leere Wohnungen.
Und selbst in den Vorstädten von Madrid sagt eine kleine weiße
Fahne auf dem Dache, daß das Haus zu verkaufen ist.
Wie soll bei solcher Verwaltung und bei einem derartigen Er-
ziehungswesen ein schwer heimgesuchtes Volk sich wieder empor-
arbeiten ?
Am emjifindlichsten wirken diese Zustände vielleicht im Ge-
schäftsleben. Der Si)anier ist kein Geschäftsmann, der Andalusier
noch viel weniger als der Kastilier. Die größeren Häuser Madrids
sind zum großen Teil in Händen von Katalanen oder Ausländern.
Groß ist die Abhängigkeit von Paris. Was von Paris kommt, wird
immer gern aufgenommen, auch wenn es nur glänzender Schund ist.
,\ber der Spanier hat auch Hut- und Kleidennoden, hatte den Diabolo
und die Kinematographen viel eher als wir, ist also darin uns gegen-
über der Modernere. Das Wort ,precio fijo‘ (fester Preis) findet
man nur in wenig Geschäften Jladrids, und nur in solchen mit
großem Fremdenverkehr. Der Spanier will handeln, darum ist er
über diese neuen Geschäfte sehr ungehalten, die nach seiner Meinung
das Publikum üben’orteilen. Er rechnet damit, daß ihm im Preise
') Ganz nenerding» ist den Frauen aui-h der üniversitiUsbesiich gestattet
worden. .\ber bei der strengen .tbgcscblossenheit, in der die Mädchen gehütet
worden, wird vorderhand das Frauenstudimn wohl nicht viel über die Theorie
hinaus kommen. Die Zahl der Mäilchen, die sich den jährlichen obligatorischen
.lahrespröfungen an einer der beiden Madrider Staatsschulen unterziehen, ist
sehr gering.
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Torgesclilaijen wird, bietet die Hälfte oder zwei Drittel der geforderten
Summe und geht ruhig hinaus, ohne etwas zu kaufen, wenn er die
gewünschte Herabsetzung nicht erreicht. Wer nicht den Schaden
haben und obendrein noch ausgelacht werden will, der rauli es eben-
so machen. Eine deutsche Dame, die seit vielen Jahren in Madrid
lebt, kam nach ihrer deutschen Heimat. Ihre sämtlichen Angehörigen
erklärten nacheinander, nie mehr mit ihr in ein Geschäft gehn zu
wollen und verlangten am Ende von ihr das Versprechen, überhaupt
nicht mehr in ihrer Vaterstadt einzukaufen. Die spanischen Ein-
kaufssitten waren den Angehörigen doch zu peinlich. — Wie rück-
ständig das Geschäftsleben noch ist, erhellt schon daraus, daß es in
Spanien gar keine Postanweisungen gibt. Der Geldverkehr mit dem
Auslande ist auf eingeschriebene Wertbriefe oder Schecks angewiesen;
im Lande selbst wird auch gemünztes Geld verschickt, das in be-
sonders feste Umschläge eingenäht und eingesiegelt werden muß.
Aber der Spanier kennt das Geschäftsleben nicht anders und läßt
sich auch nicht verblüffen. Ein Fremder, der in einem Geschäfte
einmal nörgelnd erklärte, in Paris bekäme er alles viel besser und
billiger, erhielt die bestimmte, doch nicht unhöfliche Antwort: „Si
senor, pero aqui estä Usted en Espana!“ (Ja, aber hier sind Sie in
Spanien !)
Hand in Hand mit dieser unmodernen und unsicheren Geschäfts-
tätigkeit geht eine große Unpünktliclikeit und Unzuverlässigkeit.
Da hilft wieder die Amigo-Wirtschaft. Der Durchschnittsspanier
hat eine Menge Amigos in allen Berufsklassen. Ein großer Teil
seiner Zeit wird durch die Besuche in Anspruch genommen, die er
ihnen abwechselnd zu machen hat. Im Anfänge erkundigte ich mich
bei Deutschen nach Geschäften. Ich war gewöhnlich wenig zufrieden ;
man war langsam und unpünktlich. Da liielt ich mich an die
Spanier, und ich war glänzend bedient. Meine Uhr war einmal ent-
zwei. Mein Wirt, ein pensionierter Offizier, hatte einen ,muy amigo‘
(guten Freund), der Uhrmacher war. Die Ausbesserung war gut
und billig und in wenig Stunden erledigt. Ich war am Fahrkarten-
schalter dadurch geschädigt worden, djiß infolge eines Mißverständ-
nisses zuviel Kilometer aus meinem Kilometerhefte herausgetrennt
worden waren. Höflich und mit großem Bedauern wurde mir auf
meine Vorstellungen erklärt, es sei nicht mehr gut zu machen. In
der Tat gab es einen solchen Paragraphen. Aber ein bekannter
Spanier, dem ich die Geschichte erzählte, hatte einen Amigo in der
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Eiscnhahnkiinzlei. Er forderte ohne weiteres mein Kilometerheft,
und am selben Abend hatte ich den Schein in der Hand, der trotz
des Paragraj)hen den Schaden wieder gut machte. Als meine Bücher-
kiste kam, ging mein Wirt aufs Bahnzollamt, und ich bekam sie
sofort, ohne einen Centimo zu zahlen. Ein anderer Deutscher w-ar
miUtrauisch und wollte sich die Sache selbst besorgen. Viele Tage
lang muUte er uraherlaufen, von einer Geschäftsstelle wurde er znr
andern geschickt; am Ende mußte er noch ausgiebig bezahlen.
Zu der großen geschäftlichen Ungewandtheit gehört auch die
unnötige Kraftvergeudung. Es ist ein Unfug, vor einen Lastwagen
bis neun Maultiere in langer Reihe, eins immer hinter dem andern,
zu spannen; höchsten.s zwei ziehen davon. .\ber man setzt einen
gewissen Stolz darein, eine stattliche Zahl Zugtiere verspannen zu
können. — Ein mäßig großer Sandsteinblock wird auf einem Karren
gefahren. Zwei Leute ziehen ihn bequem. .\ber acht andre laufen
mit. rauchen Zigaretten, ulken sich gegenseitig und Bekannte auf
der Straße an, jeder hat eine Hand an den Wagen gelegt, und jeder
ist fest überzeugt, emsig mitzuarbeiten. — Auch vom Werte der
Zeit hat man keine Vorstellung. Das müßige Herumstehn auf
öffentlichen Platzen, an der Eisenbahn, das Sitzen auf den Spring-
brunnenrändern mitten auf der Korsostraße von Madrid ist etwas
Selbstverständliches. An der Puerta del Sol, dem Hauptplatze von
Madrid, folgen die dichten (irupi)en von Nichtstuern genau dem
Sonnenläufe. Wie im Sommer der Schatten, im Winter die Sonne
sich dreht, so wechseln im Laufe des Tages diese Gruppen ihren
Platz. Der Bürgersteig ist für die sich Unterhaltenden da, nicht
etwa für den Verkehr. Wer es eilig hat, der weicht auch beim
größten Schmutzwetter aus und tritt auf die Straße.
Und doch ist dieses Volk arbeitsam. Ich habe die .\rbeiter bei
den .Ausgrabungen von Numancia beobachtet und darüber gestaunt,
wie geschickt und findig sie waren und wieviel sie am Tage zuwege
brachten. Und wo die Steppe unterbrochen wird von Koggen-,
Weizen- und Erbsenfeldern oder von Ölbaumpflanzungen [von Oliven-
wäldern zu reden ist eitel Unsinn], oder auf den weiten Ge-
bieten, wo Weinbau getrieben wird, da ist das Land gründlich mit
dem sauren Schweiße des Bauern gedüngt, der mit den aller-
primitivsten Werkzeugen die Scholle bewirtschaftet, die er der Steppe
abgewinnen kann. Man gehe ferner in die großen Industriebezirke
im Norden oder nach Algier. Der Wein- und Getreidebau -Algiers
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ist lediglich ein Erzeugnis spanischen Fleilies. Hier kann sich der
Bauer freier regen, weil er von der traurigen Steuerwirtschaft des
Mutterlandes nicht erdrückt wird. Und in Portugal und Südamerika
gar ist der Spanier der gesuchteste und ausdauerndste Arbeiter.
Aber in Spanien hört man immer und immer wieder die Worte:
„Warum soll ich mehr arbeiten? Warum soll ich mir moderne
Werkzeuge anschaft'en? Sie sind teuer, und der Staat nimmt mir ja
doch alles, was ich mehr verdiene.“ Das stimmt Die Frau, die
an der Straßenecke Knoblauch feilhalt, zahlt täglich 25 Centimes,
der Drehorgels])ieler im .fahre mehrere Hundert Peseten Steuer. Für
jedes Schild am Hause, auf dem Dache, ja für den Namen des Hotels
auf dem Abkratzer muß Steuer bezahlt werden. Die Steuer greift
dort zu, wo sie das field leicht j)acken kann. Der reiche Grund-
besitzer und der Großkaufmann dagegen, dem sein Verdienst schwer
nachzuweisen ist, kann sich ihr leicht entziehen. Am schlimmsten
daran ist der kleine Handeltreibende und der Bauer. Kein Wunder,
\venn da der Bauer die Lust verliert und nur von der Hand in den
Mund lebt. — Etwas anders liegt es in den größeren Städten.
Viele scheuen da die andauernde, geregelte .\rbeit und reißen sich
um einen kleinen Gelegenheitsverdienst als „Führer,“ Kofferträger
oder Ausrufer. Und was wird nicht alles unter ohrenzerreißendem
Länn ausgenifen ! Tinte, Papier, Gummibänder, Begenschirme, junge
Hunde, Zeitungen. Lose, ja sogar Anteile für eine Automobilverlosung!
Die Städte sind bei der geringen Industrie auch garnicht imstande,
ihr großes Proletariat mit dauernder .\rbeit zu versorgen. Darum
verdienen sich diese Leute, genügsam wie sie sind, den Unterhalt
für ein paar Tage; ist der verbraucht, so sehen sie sich nach einer
neuen vorübergehenden Beschäftigung um, die ihnen obendrein meist
mehr einbringt, als regelrechte Arbeit. Ich kannte einen vierzehn-
jährigen Zeitungsjungen, einen netten und geweckten Kerl, der es
am Tage auf fünf Pe.-eten (= 4 M.) brachte. Sein Vater war Maurer
und verdiente fünf Realen (1,25 Pes.)!
Der Spanier kennt keine Disziplin und Ordnung in unserm Sinne.
Er rühmt sich dessen sogar. Das ,deslile‘, der Vorbeimarsch der
Truppen, nicht zu verwechseln mit dem würdevollen Parademarsch
der Marcha real (S. (!), ist für einen guten preußischen Soldaten
eine Kinderei. Der Paradeschritt ist der gewöhnliche Promenaden-
schritt, nur daß man möglichst in einer Reihe zu bleiben sucht.
Einer steckt den Kopf, der andre den Bauch vor, der sieht rechts.
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jener geradeaus. Aber jedesmal lierrscht allgemeine Begeisterung
über den wundeirollen Parademarsch. Beim Ausmarsch geht es
durch die Stadt in flottem Schritt und guter Ordnung. In der Vor-
.stadt aber droht sich alles aul'zulösen. Einer geht rechts, der andre
links, man fallt sieh unter, als ob es ein Schulspaziergang wäre.
Vielsagend ist schon der Name. Jeder Übungsmarsch, auch der
längste — und die spanischen Soldaten legen mit ihren leichten
Bastsandalen Tagesmärsche von 70 — SO km zurück — heißt ,paseo
militar*, d. h. wörtlich militärischer Spaziergang. Es wäre jedoch
falsch, wollte man nach solchen Äußerlichkeiten das ganze Militiir
schlecht beurteilen. Der spanische Soldat ist ein tüchtiger Kerl, der
seine Schuldigkeit tut, von unglaublicher Zähigkeit und Ausdauer,
voll wildem Fanatismus im Kampfe, dabei äußerst anspruchslos.
Wenn das Militär im Lande nicht entfernt das Ansehen genießt wie
bei uns, so liegt es daran, daß immer noch das Loskaufrecht besteht.
Das liberale Ministerium Moret hat erst 1909 diesen Übelstand
beseitigen wollen, mußte aber schon nach einem halben Jahre den
Loskauf aus Finanznot wiedereinführen. Für 1500 Peseten entzieht
sich jeder, der es irgendwie kann, der wichtigsten Ehrenpflicht. Der
Staat verdient dabei jährlich 12 Millionen. Wer einmal gedient hat,
der hängt auch an seiner Fahne. Der Wohlhabende aber sieht mit
Geringschätzung aufs Militär. Bei uns reißt sich das verzärteltste
Muttersöhnchen zusammen, wenn es gefragt wird: „Du willst doch
einmal Soldat werden !“ Es besinnt sich auf seine Männlichkeit und
antwortet mit entschiedenem „Ja!“ In Madrid kam ich damit nicht
an. Der junge Hidalgo, bei dem ich den Versuch machte, zeigte
ein äginetisches Grinsen, dann ein entschiedenes Kopfschütteln ; zuletzt
kam ein energisches „Nein!“
Die Sicherheit in Spanien ist heute dieselbe wie bei uns. Schlimmer
steht es mit der Sauberkeit. Man kann die Gesundheitspflege in
einem Lande oder die Güte eines Gasthauses nach den Bedürfnis-
anstalten beurteilen. Da kommt Spanien übel weg. Die Ülfentlichkeit
ist die allgemeine Bedürfnisanstalt, auch am hellen Tage. Und vom
ersten Abenddämmem ab spielen sich in ruhigeren Stadtvierteln auf
offener Straße die allerintimsten Szenen ab. Die Polizei geht vorbei,
ein witzige.s, derbes Scherzwort ist alles. Cosas deEspana! — Häufig
sind die Anschläge, die das Hauchen verbieten. In der ersten Eisen-
bahnklasse gibt es sogar ein Nichtraucherabteil, in dem jedoch mit Vor-
liebe geraucht wird. Auf den Bibliotheken wird im Lesesaal das Verbot
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beachtet. Aber kalter Schauer überhäuft einen, wenn man die Beamten
mit der ewig brennenden Zigarette in den Bücherräumen und unter
den kostbaren Handschriften herumwirtschaften sieht. Gerade dort,
wo es am gefährlichsten ist, wird es am ärgsten getrieben. — Der
Mangel an Diszijilin nimmt mitunter groteske Tonnen an. Drei
Kerle sind gefesselt, zwei an den Armen, der dritte an der Hand.
Stadtpolizisten führen sie. In der Calle de las Huertas (GartenstraBe)
wollen die drei plötzlich in ein Haus treten. Die Polizisten fragen
staunend und erhalten die Antwort; „Wir wollen uns erst eine Zigarette
anzünden.“ Der an der Hand Gefesselte wickelt die Zigaretten, reicht
den andern beiden auch welche und zündet sie an. Die Polizisten
haben ruhig gewartet; dann geht der Zug weiter. — Es war in
Sagunt. Ich stand am Schalter mit einigen Bauern. Die Abfahrt-
zeit war längst da, aber noch kein Zug und keine Fahrkartenverkäuferin.
Ich wurde ungeduldig. Da redeten mir die Leute gut zu. „Ach
die Senorita schläft noch, sehen Sie, da drüben hinter dem verhängten
Fenster. Aber sie wird schon noch kommen.“ Und sie kam, der
Zug kam auch und wartete, bis alle ihre Fahrkarten hatten. Dann
ging es weiter, zwar mit 45 Minuten Verspätung, aber die Senorita
hatte wenigstens ausgeschlafen.
Bei alledem beobacihtet aber das Volk freiwillig oft eine Ordnung
und Disziplin, um die wir es manchmal beneiden können. Ohne
StoBen und Schimpfen und ohne Schutzmannsgeschrei leert sich all-
wöchentlich zweimal der groBe Stierzirkus in Madrid, in dem
15000 Personen Platz haben. Vom Dreikönigstage bis zum Ascher-
mittwoch ziehen allabendlich groBe Gesellschaften von Bürgern oder
Studenten mit Saitenspiel durch die StraBen, in der Mitte trägt ge-
wöhnlich einer die spanische Fahne. Von selbst halten sie die
peinlichste Ordnung. Jedem preuBischen Feldwebel lachte das Herz
im Leibe, sähe er diesen Vordennann und diese Seitenrichtung. Oder
man beobachte das Volk am Fahrkarten- oder Postschalter. Ohne von
Beamten zurechtgewiesen zu werden, treten alle von selbst in einer
Reihe an. Die Abfertigung geht sehr langsam, da viel dabei ge-
schrieben wird. Keiner sucht, vor den andern zu kommen, keiner
drängelt. Ich habe an deutschen Schaltern schon mit Wehmut an
diese Ordnung zurückgedacht. — .\m 1. Mai war groBer Sozialisten-
umzug in Madrid. Arbeiter und Arbeiterinnen zogen langsam mitten
durch die vornehmsten StraBen, jede Gnippe mit einer roten Fahne.
Ich habe über 70 Fahnen gezählt. Kein Schreien, kein Johlen, in
Mitteilungen d. sctales. Oes. f. Vkde. Iliind XII (Heft 1) 3
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musterhafter Ruhe ging der ganze Zug. Kein Schutzmann mehr
als sonst war aufgehoten. Wozu auch? Die Leute hielten selbst die
peinlichste Ordnung. Die Zuschauer, auch die Schutzleute, begrüßten
ilire Bekannten im Zuge, man scherzte hinüber und herüber; es war
keine Demonstration mehr, sondern ein Volksfest. — Oder eine
Szene draußen vor der Stadt. Sobald die warme Zeit kommt, ist
es das Sonntagsvergnügen der Madrider, den ganzen Tag auf den
Wiesen vor der Stadt zu verbringen. Alle Vorräte werden in Körben
mitgebracht — und in „Freßkobern“ leistet der Spanier Wunderbares,
am meisten auf der Eisenbahn — , mitten auf der Wiese wird abgekocht,
man dehnt sich und streckt sich, faulenzt, Erwachsene und Kinder
spielen Blindekuh oder Toro. Doch nie wird der Nachbar verletzt,
fremdes Eigentum im Übermute beschädigt. Ohne Unterschied der
Stände lagern die einzelnen Gruppen, und keine kommt der andern
ins Gehege.
Eigenartig ist das Verhältnis des Spaniers zur Religion. Das Volk
ist fromm und gläubig ‘); die Ruhe und Ordnung in den Kirchen ist
viel strenger als in Italien. Größer aber noch als seine Frömmigkeit ist
die Liebe zu Putz und Pomp. Etwas Dekoratives liebt der Spanier
im eigenen Leben; den König Amadeus machte vor allem sein
einfaches Wesen unbeliebt. Auch an seiner Kirche bewundert er
besonders die ungeheure Macht und den glänzenden Prunk, und die
Kirche muß ihm umsomehr imponieren, je weniger ihm der Staat
sein kann. Die Prozession wird ihm zum Schauspiel, hei dem das
Sakrament Nebensache ist. Die Hauptsache dabei sind die mächtigen,
meist aus Edelmetall getriebenen Gruppen, die oft von zwanzig und
mehr Männern getragen werden müssen und die Größe eines Zimmers
erreichen. Die einzelnen wie Fastnachtdominos vermummten Bruder-
schaften überbieten sich gegenseitig mit ihren Figuren. Oft wird
gehalten, um die Träger zu wechseln. Da trinkt man denn schnell
einmal aus dem am Gürtel hängenden Weinschlauche, oder man
scherzt mit den Zuschauern. Das Heilige ist so gut wie verloren
gegangen, die Schaustellung ist übrig geblieben. An der Spitze steht
darin Sevilla. Alle Tage der Karwoche finden Prozessionen statt,
bei denen eine beispiellose Pracht entfaltet wird. Sevilla wird dann
zur Fremdenstadt; es wimmelt von Engländern. Wohnungen, Lebens-
mittel, alles ist dreimal so teuer als sonst, Tribünen werden gebaut,
') Vgl. Wilbraudt, Kund ums Mittelmeer, Stuttgart u. Berlin 19t'9 S. 33 ff.
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1»
kurzum die ,Semana Santa‘ von Sevilla ist die berühmteste Schau-
stellung in ganz Spanien. — Wie der Aragonier an seiner Schutz-
heiligen, der Virgen del Pilar hängt, habe ich envähnt. Überall
bildet er sie ab. Der Spanier findet nichts dabei, uns mutet es
eigentümlich an, wenn eine Gesellschaft von Aragoniem in Volks-
tracht einen Fastnachtsumzug mit einer Fahne macht, auf der das
Kild der Virgen del Pilar ist. Und darüber steht ein Schild: .Segnndo
premio del carnaval 1908‘. — Vom Gründonnerstag bis zum Kar-
sonnabend fährt kein Wagen und keine Straßenbahn in Madrid.
Aber auf den Straßen ist kein Vonvärtskommen. Der Korso ist
eleganter denn je. Gründonnerstags tragen die Damen weiße Man-
tillas, Karfreitags schwarze. Man spricht aufgeregt vom Stiergefecht
(corrida) am Ostersonntage; die besten Espadas und die besten Stiere
aus der Zucht des Herzogs von Veragua') sind angekündigt. Die
Plätze sind schon ausverkauft und werden ums Fünffache überzahlt.
Und kommt der Sonntag, da bewegt sich ein endloser Zug von
Wagen und Fußgängern nach der Plaza de toros. Frauenhttte sieht
man so gut wie gar nicht, nur weiße Mantillas; und viele Frauen
tragen die malerisch um den Leib geschlungenen ManilatOcher; alle
haben Blumen im Haar, meist gelbe und rote, in den spanischen
Farben. Die halbe Karwoche waren Feiertage. Streng nach altem
Brauche repräsentierte man die kirchliche Trauer. Am schmerzlichsten
war es jedoch, daß die ganze Zeit ohne Corrida war. Die Corrida
ist der Ausdruck der größten Festfreude. Alle großen Kirchenfeste
wären keine Feste ohne Corrida. Wo man die nicht haben kann, wo
die nächste ,Plaza de toros‘ zu weit ist, da trägt man am höchsten
Feste seinen schmutzigen Arbeitskittel und arbeitet, wenn man nichts
Besseres vorhat. Unmittelbar unter den Felsen von Montserrat, so-
zusagen unter den Augen des altehrwürdigen wundertätigen Marien-
bildes sah ich am Ostermorgen Frauen Wäsche w.ischen. Meine
Frage venvunderte sie. „Was sollen wir tun? Und die Wäsche ist
si'hmutzig.“
Fast noch wichtiger als die großen Kirchenfeste sind die Feste der
heiligen Schutzpatrone. Dreierlei gehört zu einer solchen Feier, eine
') Er ist ein Sacbkomuio des Kolumbus, einer der reichsten und cinlluü-
reichsten (jranden; das ganze Volk spricht von ihm, denn er hat die größten
Stierherden. Er war auch einmal schon Unterrichtaminister. Und sein -khne,
der dem Lande ungeheuren Reichtum und eine ganze Welt geschenkt hatte, hat
Ketten getragen und starh in Vergessenheit.
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große kirchliche Prozession, ein Jahnnarkt (feria), hauptsächlich Vieh-
niarkt, und eine Keihe besonders stattlicher Stierkämpfe. .Jeder Ort
feiert seinen Heiligen. Sein Tag ist der größte Feiertag iin ganzen
Jahre. Wie tief dieser festliche Lokalpatriotisinus wurzelt, konnte
man bis vor zwei Jahren in Pamplona sehen. Pablo de Sarasate
kam fast jedes Jahr am 27. Juli, dem Tage von St. Ferrin, zur
Feria nach Pamplona. Und wenn das Volk dichtgedrängt vor seinem
Hause stand und beständig „Viva Don Pablo!“ schrie, dann trat er
mit seiner (leige auf den Balkon, das laute Schreien verstummte,
und Sarasate spielte seinen Landsleuten etwas vor. Es soll selten
vorgekommen sein, daß Sarasate eine Feria in Pamplona versäumte.
In der landesüblichen Art, große Kirchenfeste zu feiern, macht
sich eine immerhin entschuldbare kindliche Oberflächlichkeit geltend,
die ihr Vergnügen haben will und aus dem Kirchenfest ein Volks-
fest macht. Viel unangenehmer wirkt es, wenn persönliche Eitelkeit
des Einzelnen sich in den Vordergrund drängt und obendrein
noch Sterben und Tod dazu benutzt. Wird einem Kranken die Weg-
zehrung gebracht, so wird das zu einem großen Aufzuge. Die Freunde
und Bekannten werden gebeten, den Geistlichen zu begleiten, alle,
selbst Kutscher und Lakaien, sind barhäuptig und tragen Kerzen in
den Händen. Die Familie tut sich etwas darauf zu gute, wenn
dieser Aufzug recht stattlich aussieht und die ganze Straße davon
spricht. Und soll von der Pfarrkirche den Kranken und Schwachen
der ganzen Parochie an einem Tage das Abendmahl im Hause
gereicht werden, dann erbitten die ,Sacramentales‘, eine besondre
Brüderschaft, die die Besorgung derartiger Veranstaltungen sich zur
Aufgabe macht, vom Palaste für die Priester Kutschen in ,media gala‘.
Auch eine Sektion Soldaten wird auf Wunsch gestellt. Die Freunde
und die Bruderschaftsnütglieder gehen mit, den Hut in der Hand,
alle tragen zehnpfündige Kerzen. Vom und hinten geht eine
Musikkapelle. Einst mag dies eine Ehrung des Sakramentes gewesen
sein ; heute ist es eine Befriedigung der persönlichen Eitelkeit. —
Ähnlich ist es bei Begräbnissen. Die Leichenwagen sind überladen
mit Schmuck, die goldbetreßten Leichendiener haben weiße Perücken.
Bei vornehmen Begräbnissen fahren 70 und mehr Kutschen mit als
Vertreter ihrer Besitzer. Jeder Kutscher und jeder Lakai trägt eine
Riesenkerze im Werte von 10 — lö Pesetas. Da sie sich den Rest be-
halten können, ist es selbstverständlich, daß sie sie bald auslöschen,
um beim Verkaufe möglichst viel heranszuschlagen. Die nächsten
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Angehörigen fahren in Wagen mit verhängten Fenstern, die übrigen
unterhalten sich, essen wohl auch, und die Herren rauchen natürlich.
Um so elender sieht das Begräbnis der Armen aus, die nicht einmal
ein eignes Grab bekommen. Da die Einzelgräber sehr teuer sind,
kommen sie in einer Gnibe mindestens zu dreien übereinander.
Nach fünf Jahren werden dann die Knochen herausgenommen und
zerschlagen, und die .Angehörigen haben nun keinen Ort mehr, wo
sie ihre Toten besuchen können.
Spanien ist übersät mit Klöstern. Madrid allein hat deren f)5. Zum
Teil mag in die strengeren verzückte AVeltverneinung sich zurück-
zielien. Ich glaube, kein Land ist an Wunderheiligen so reich wie
Spanien. Vielfach sind es aber Versorgungsanstalten. Die reichen
Klöster mögen das Land aussaugen, den stummen Karthäusem mag
das Volk fremd und mit einer gewissen Scheu gegenüber stehn;
viele, und gerade die bescheideneren, sind jedoch wahre Wohl-
täter für die Armen der Umgegend, wenn sie auch mitunter, be-
günstigt durch ihre Steuerfreiheit, mit den Erzeugnissen ihres Fleißes
den Handwerker schädigen. Es entwickelt sich zwischen der armen
Bevölkerung und den Klosterleuten eine ehrliche Freundschaft. Nur
wer das Elend dieses Volkes in den öden, abgelegenen Landesteilen
kennt, der versteht dieses Verhältnis. Mag die Volkswut sich einmal
gegen die reichen und sich vom Volke abschließenden Klöster kehren,
die wohltätigen werden in den .Allerärrasten auf dem Lande immer
treue Verbündete finden, vor allem wenn, wie in Salamanca, ein
Listiger Kfichenpater den Verkehr mit dem Volke versieht, der mit
ihnen plaudert, sie nach den Kindern, der Ziege und nach der Ernte
fragt, Verständnis für die Sorgen der .Annen und immer einen
Trost für sie bereit hat. Mir sind die beiden Dominikaner in Sala-
manca noch in schönster Erinnerung, jene bescheidenen Leute, die
sich auch in ihrer Zelle ihre Poesie gewahrt haben und davon
schwärmten, wie sie in Sommervollmondnächten den wundervollen
gotischen Kreuzgang durchwandeln und im Garten in den hohen
Bäumen die Nachtigall singen hören. Auch der Baum und der
Vogel muß ja in den Klosterfrieden Ilüchten, um vor Verfolgung
sicher zu sein. ')
Eine tiefe Kluft trennt den reichen und amien Weltklerus.
') Über das wundervolle Kloster auf dem Montserrat vgl. Schlesische
Zeitung 1909 Kr. 469 Tom 8. Juli.
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2-2
Dieser ist ein geistliches Proletariat, verachtet und bitter arm. Ein
Pfarrer in einem Dorfe an der Ouadarrama hatte neben freier Wohnung,
die eher ein Stall heilien könnte, zwei Pe-'^eten täglich. Da muli
freilich jedes Bildungsstreben erfrieren. Die Allerünnsten stecken
ihre Kinder ins Priesterseminar, um ihnen den unaufhörlichen Kampf
mit der unfruchtbaren Scholle zu ersparen, den sie selbst führen,
um dann .schließlich doch nur vom Steuerfiskus gebrandschatzt zu
werden. Der künftige Pfarrer soll später auch seiner Verwandtschaft
das Leben einigermaßen erleichtern. Der reiche Klerus sitzt dagegen
auf fetten Pfründen, die von den Vornehmen teuer erkauft werden.
Am gesuchtesten sind die an der Kathedrale von Toledo. Schon
durch ihre verwandtschaftlichen Beziehungen und durch Sitze im
Senate sind diese geistlichen Würdenträger in der Lage, entscheidend
in die Geschicke Spaniens einzugreifen, nicht immer gerade zum
Segen des Landes.
Der Spanier ist leicht erregt und schnell für etwas begeistert.
Aber ebenso schnell ist das Feuer erloschen, sobald er andre Ab-
lenkung findet. Voriges Jahr deckte der A^orsitzende des juristischen
Büros im Marineministerium Juan Macias eine Reihe Durchsteckereien
auf, die bei der Vergebung der neuesten Flottenbauten vorgekommeu
waren. Das Kammerpräsidium lehnte die Besprechung ab. Drei
Tage lang herrschte große AVut. Vor dem ,Congreso‘, dem .Abgeordneten-
hause, sajiimelte sich das A'olk und verlangte drohend die Unter-
suchung und die Befreiung des Gemaßregelten. Der Ministerpräsident
Maura blieb fest. Nach acht Tagen sprach niemand mehr davon,
und der anne Kerl blieb in Haft, weil er so ungeschickt war, etwas
laut zu sagen, was jedermaTin wußte. — Unter Karl IV. verbot der
Minister Squilache die langen Capas. Sie sollten nur bis zu den
Waden gehn. Er wußte, warum. Der Königsmord in Portugal hat
wieder gezeigt, daß sich unter diesen langen, weiten Umhängen jede
Mordwaffe verbergen läßt, ln allen Sammlungen, in Schlössern und
in der Schloßkindie müssen jetzt alle Capas draußen abgegeben
werden. Squilache ließ auch Laternen auf den Straßen anzünden,
um dem dunklen Treiben zu steuern. Man empfand das als einen
Eingriff in die heiligsten Rechte. Es kam zu Unruhen, und Squilache
mußte flüchten. Aber er kam bald wieder, die Laternen brannten
weiter und die Capas wurden kürzer. — Aus derselben Eigenschaft,
schnell sich zu erregen und schnell wieder zu vergessen, erklären
sich auch die großartig angetängenen und nicht vollendeten Bauten.
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Eine Basilika von gewaltiger Anlage, die zum Ehrengrabe für hervor-
ragende Spanier werden sollte, steht seit lä Jahren unvollendet da.
Nur der Turm und eine Halle ist ausgebaut. Und das Denkmal für
Alfons XII. mitten im Parke von Madrid ist in der Hauptsache ein
großes Eisengerüst, das wie ein Riesengalgen in die Luft ragt. Seit
sieben Jahren steht es so. Weder der Staat, noch die Stadt, noch der
König selber denken daran, dies wenig ehrenvolle Denkmal zu vollenden.
Wer neugierig ist, der mag sich nebenan in der Bretterbude für 50 Centi-
mes das Gipsmodell ansehen. — Es ist immer derselbe Gang. Das in
der Begeistenmg großartig angelegte Werk übersteigt die ausgeworfenen
Kosten, von denen ein Teil womöglich noch sj)urlos verschwindet.
Die Begeisterung ist vertlogen, und das angefangene Werk bleibt
unvollendet liegen. Damm sind auch die politischen Aufstilnde, die
frttlier zum täglichen Brote gehörten, von geringem Erfolge gewesen.
Es fehlte an Ausdauer, man beruhigte sich wieder, und alles blieb
beim alten.
Dabei kann das Volk in wilde Leidenschaft geraten. Das zeigt
sich besonders beim Tanze, hauptsächlich in Andalusien. Und wenn
ein Messer gezogen wird, so geschieht es fast immer um eines Weibes
willen. Am schlimmsten und grausamsten wird die Leidenschaft im
Kriege. Es ist furchtbar, was alte Soldaten aus den Karlistenkämpfen
der siebziger Jahre zu erzählen wissen. Der Spanier ist der geborene
ttuerillakrieger. Das mag iberisches Erbe sein '). Im StraUenkampfe
hat man ehemals in Sagiint ebenso Großartiges geleistet wie im 19. Jhdt.
in Madrid und Saragossa (span. Zaragoza). Im allgemeinen ist aber
der Spanier friedfertig. Er murrt wohl einmal, aber er läßt sich
trotzdem von seiner Regiemng ziemlich viel gefallen. Selbst wer
mit klarem Blicke und ehrlichem Herzen die elende Verwaltung ver-
dammt, findet sich doch mit entsagendem Achselzucken ins an-
scheinend Unvenneidliche und sagt nur als Erklärung: , Cosas de
Espana‘.
Aber eine Leidenschaft ist noch zu nennen, die den A'ollblut-
spanier in heiße Erregung versetzt, nämlich der Stierkampf. Das
Theater spielt in Spanien nicht die Rolle wie bei uns. Die Oper
ist italienisch. Laute Unterhaltung während der Mu.sik ist etwas
Selbstverständliches. Spanische Schauspiele werden wohl gespielt,
doch im Vordergründe steht die ,Zarzuela,‘ das kleine, echt spanische
Vgl. IMcrcks, Geschichte Spaniens II ölt ff, .528.
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Scherz- oder Rührstück. Alle Stunden beginnt ein neues Spiel, oft
ä bis 6 am Abende. Nach jedem Stück wird das Theater geräumt,
und für billiges Geld kann man sich die eine oder andre Zarzuela
anssuchen. Doch auch die Zarzuela kann sich mit dem Stierkampfe
nicht messen. An der Mittelmeerküste machen ihm allerdings die
ekelhaften Hahnenkämpfe den Rang streitig. Der Baske hat sein
Ballspiel; in jedem baskischen Dorfe steht ein Ballspielhaus; jung
und alt, hoch und niedrig widmen sich dem anmutigen, große
Gewandtheit erfordernden Spiel. Für das ganze übrige Spanien ist
das Nationalvergnügen die Corrida. Es gibt gegen 250 Plazas de
toros im Lande, durchweg amphitheatralische, kreisnmde Gebäude,
die mitunter über 15000 Menschen fassen. An mehr als 100 Orten
wird vorübergehend, altem Brauche getreu, der Hauptplatz zur Arena
gemacht. Denn wie die Autos da fe, so fanden auch die Stiergefechte,
ehe man besondre Gebäude dafür baute, auf dem Marktplatze statt.
Selbst ganz elende Dörfer, die von einer Volksschule kaum etwas
geträumt haben, leisten sich ihre bescheidene Plaza de toros. Ich
habe Spanier kennen gelernt, die seit 30 Jahren abonniert sind und
jeder Corrida beiwohnen. In Madrid gibt es den größeren Teil des
Jahres über zwei wöchentlich, mindestens sechs Stiere kommen jedes-
mal zur Strecke. Mit solchen ,.\ficionados‘ (begeisterten Verehrern),
wie sie sich selbst nennen, muß man zum Stiergefecht gehn, um
einen rechten Begriff zu bekommen. Dann sieht man nicht nur die
Grausamkeit, sondern auch die Mannigfaltigkeit und vollendete Grazie
des Kampfes. Die genaue Beschreibung des Verlaufes kann ich mir
hier wohl ersparen'). Nur ein paar Bemerkungen. Der Stier ist
weniger zu bedauern als die armen Pferde, alte abgetriebene Gäule,
liie noch von Glück sagen können, wenn sie der Stier vollständig
zerreißt; denn sonst werden sie mit zerbrochenen Rippen und aus
dem durchbohrten Leibe heraushängenden Eingeweiden, am ganzen
Leibe zitternd, immer wieder vor den Stier gestellt. Für diese unerhörte
(Quälerei hat der Spanier kein Auge; er beachtet nur die Anmut
und Geschicklichkeit der Toreros. Sieht man vom ersten Teile des
Kampfes ab, in dem die Pferde dem Stiere beinah buchstäblich auf
die Hörner gestoßen werden, so kann man allerdings die katzenartige
Geschmeidigkeit und Gewandtheit der Stierkämpfer nur bewundern.
Es ist ein gefährliches Spiel. Der Stier rast auf seinen Angreifer
') Vgl. Schlesische Zeitung 1909 Nr. 544 vom 6. August.
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ZU; ein Stoß nur, im nämlichen Augenblicke eine kleine Wendung,
und haarscharf tobt er am Leibe des Toreros vorbei, die spitzen
Banderillas im Nacken. Anßer dem Matador oder Espada hat keiner
der Toreros eine ausreichende Waffe gegen den Stier. Auch die
Lanze der Picadores taugt mit ihrem kurzen Stachel bloß zum Reizen,
nicht zur Abwehr. Und nur Stirn gegen Stirn darf das Tier an-
gegriffen werden, nur dann, wenn es selbst zum Angriff bereit ist.
Da bleiben dem Torero nur gespannteste Aufmerksamkeit und äußerste
Gewandtheit übrig; ein geringes Versehen, ein kleines Straucheln
kann sein Tod sein. Mit erbarmungsloser Leidenschaft folgt der
Zuschtiuer jedem Schritt. Seine Kritik ist gerecht und schonungslos.
Der berühmteste Matador wird beim geringsten Versehen ausgepfiffen,
ob der König da ist oder nicht; in der Plaza de toros ist das Volk
suverän. Blumen, Fächer, Mantillas, Ringe, Handschuhe, Hüte, selbst
AVeinschläuche fliegen dem gewandten Matador zu; Orangen- und
Eierschalen, Sitzkissen, Käserinden und Papierknäuel hageln auf den
schlechten unter ohrenzerreißendem .fohlen und Pfeifen herab. Dann
hat man auch die beste Gelegenheit, die unglaubliche Schlagfertigkeit
und den erbannungslosen AVitz des Spaniers, besonders des Kastiliers
(s. S. (i) kennen zu lernen. Dem Espada, der schlecht zustößt, ruft
z. B. einer zu: ,,Ah, du bist ein guter Christ, du willst das Tier
nicht ohne Beichte sterben lassen,“ oder ,du willst ihn wohl beerben
und er soll vorher das Testament machen?“ ‘) .Außer sich vor Erregung
sind vor allem aber die Toreros selber. Ich sah, wie ein junger
Espada vor dem Stiere langsam rückwärts ging. Er strauchelte über
eine Pferdeleiche. Im selben .Augenblicke saß ihm das Hom des
Stieres in den Lenden. Totenbleich raffte er sich auf, um trotz alles
Zuredens noch einmal gegen den Stier zu gehn, bis er .zusammen-
brach. Diese Leidenschaft für das Stiergefecht sitzt tief im Volke.
Bei uns spielen die Knaben Soldaten, in Spanien entweder Räuber
und Karlist oder am liebsten ,Toro“, und sie reißen sich darum,
Toro oder Torero zu sein. .Auch Envachsene kanu man Toro spielen
sehen. Ein Gobelin von Goya stellt eine solche Szene dar. AVill
man Gott oder einen Heiligen besonders ehren, so veranstaltet man
zur Feier des Festes einen Stierkampf (s. S. 19f.). Der Namenstag
oder die Hochzeit des Königs, besonders hoher Besuch wird durch
eine Corrida gefeiert. Ehe der letzte Abschnitt des Kampfes, die
eigentliche Tötung, beginnt, weiht der Alatador seinen Stier dem
') Vgl. Emannel tou Cuendiaa, Spanien und die Spanier S. 195.
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Könige, oder dem Alcalden '), oder sonst einer Persönlichkeit, die er
besonders ehren will. Dann sucht er es so einzurichten, daß er
seinen Gegner unmittelbar zu Füßen desjenigen ersticht, dem der
Stier geweiht ist. Eine Sängerin hatte vor Jahren in Santander zu
Gunsten der Überschwemmten in Zaragoza gesungen und aut jedes
Honorar verzichtet. Auf Wunsch der aragonesischen Kolonie in
Santander weihte tags darauf Largatijo seinen Stier der Sängerin.
Der Begeisterungsjubel soll unbeschreiblich gewesen sein. Eine
größere Ehrung für die Sängerin war nicht auszndenken. König
Alfons XIII. liebt als echter Spanier die Corrida, darum ist er bei
seinem Volke beliebt. Noch volkstümlicher ist die Infantin Isabel,
seine Tante, die nicht nur als ,muy aflcionada' sehr häufig das Stier-
gefecht besucht, sondern mitunter auch die Esj>adas auszeichnet. Die
Königin-Mutter Maria Cristina hat viel fürs Land während ihrer
langen Regentschaft getan. Das gibt man allenthalben zu. Aber
so recht beliebt konnte sie nicht werden, weil sie die Corridas nicht
leiden konnte und, wenn sie bei besonderer Gelegenheit einmal hingehn
mußte, sich wegdrehte.
Der Spanier hängt so fest an seinem Stierkampfe, daß Staat und
Kirche dagegen machtlos sind. Der Versuch, die Corridas Sonntags
zu verbieten und nur alle 14 Tage statttinden zu lassen, wurde nach
zwei Wochen wieder aufgegeben, da das Volk in hellem Aufstand
war, voran die Studenten. Dazu kam gerade ein Wechsel iles
Ministeriums, und die neue Regierung konnte sich nichts Besseres
wünschen, um sich beliebt zu machen, als die Gelegenheit, dem
schreienden Volke seine ,circenses‘ wiederzugeben. Und die Kirche
muß gar gute Miene zum bösen Spiel machen. Vor dem Kampfe
nimmt der. Torero das Abendmahl, und der sterbende erhält in der
Kapelle, die sich meist neben der Plaza de toros befindet, die Weg-
zehrung.
Sicher steckt ein großes Quantum Roheit im Spanier. Das
Leben des Tieres gilt ihm nichts, überall kann man auf der Straße
Pferde, Ochsen und Maultiere mit großen blutenden Wunden sehen,
an denen sich dann ganze Schwärme von Fliegen festsetzen. Das
■) Der Alcaldc ist cini' Art BörgermeistiT. Er hat das Zeichen lur Eröffnung
des üefcohtc.s und zum Übergang von einem Teile zum andern zu gi'bcn. Die ge-
wöhnliche tVeiheforuicl des Matadors lautet: .Brindo li Su l’sia y & lodas las
buenas seHora-s qiie estan cn la plaza de toros.“ (Ich weihe [den Stier] Euer
Gnaden und allen schönen Frauen, die im Zirkus sind).
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•27
Kavalleriepfeid ist vorzüglich und gut gepflegt, der Stier in der
Arena kann ein ,bravo toro‘ sein und mit Beifall überschüttet werden,
wenn er ,cortesia‘ (anständiges Betragen) besitzt. Fehlt ihm aber
die Angreiferwut, so wird er ausgepliffen. Die ganze Arena brüllt
dann nach „banderillas de fuego“, die in dem Augenblicke, da sie
dem Stier in den Nacken gestoßen werden, sich entzünden und durch
den brennenden Schmerz das Tier wild machen sollen. Der Gestank
der verbrannten Haare erfüllt den ganzen Zirkus. Nützt auch dieses
barbarische Mittel nicht, bleibt der Stier furchtsam und scheu, so
verfällt er der allgemeinen Verachtung und wird abgeführt. Wie
diese feigen Stiere, so ist auch jedes Zugtier ehrlos. Es ist nur
eine Maschine für den Menschen, die er nach Möglichkeit ausnützt,
zu der er nie in ein persönliches Verhältnis treten kann. Schlechtes,
nicht passendes Geschirr, der Ochsenstachel und der Mangel an
Pflege sind die Mittel widerlicher Tierquälerei. — Es ist gewiß
kein Zufall, daß gerade in Spanien die Inquisition ihre traurigsten
Triumphe feierte. Auch durch die modenie spanische Malerei geht
ein Zug von Grausamkeit. Im neuen Museum in Madrid überwiegen
bei den spanischen Historienmalern beinahe die Stolle, die mit Tod,
Krieg und Verbrechen zu tun haben ').
Neben diesem Hange zum Grausamen, der in der spanischen
Geschichte oft wild ins Kraut geschossen ist, steht eine große
Natürlichkeit, ja Derbheit. Es ist etwas Selbstverständliches, wenn
Frauen in Gesellschaft, bei Tische oder beim Korso ihr Kind an die
Brust legen. Der Fremde nennt das grobe Sitte und Mangel an
Takt. Mir scheint es, als ob darin doch eine große Natürlichkeit
') Z. B. Kosolus: Tod der Liioretia und l>ie ihr Testament diktierende
Isabella die Katholiscbe, Vera; Grablejfung des hl. LaurLOilius und Der letzte
Tag von Numaneia, Gisbert: Erschießung des Generals Torrijos und seiner An-
hänger in Malaga. Pradilla: Johanna die Wabn.sinnige am Sarge Pbili|i)>s des
Schönen, derselbe Vorwurf von Valles, Borras- Abella : Freisprechung, Garnele:
Tod des Lucanus, Dominguez: Tod des Seneoa, Villegas Brieva: .tllegoric dos
Krieges, Martinez Cubells: Peter I. von Portugal zwingt seine Vasallen, der
Leiche der Ines de Castro zu huldigen, Casaa: Hinrichtung, Plasencia: Ursprung
der römischen Republik, .Mulloz Degrain: Die Liebenden von Teruel, .kuierigo
y Aparici: Asylreihl. Hidalgo de Caviedes: Khea Silvia, Casado del .Alisal;
Ophelia und Die Glocke von Hucsca, der scheußlichste Vorwurf, der sich er-
denken läßt (Uber die Sage vgl. Diercks I 429}. Ich erinnere ferner an <toya;
Hinrichtung spanischer Bürger durch die Franzosen am 3. 5. 1808 [im Prado-
muscum].
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■28
liige. In der iTesellschaft und in der Eisenbahn reden selbst ge-
bildete Franen, ancli in Gegenwart von Herren und Fremden, frei
über Dinge, die man bei uns nicht zum Ballgespriiche machen
dürfte '). Schlimmer schon ist für uns der dem Südländer überhaupt
eigne starke Knoblauchgenuß. Selbst den Mündern der Damen aus
der Gesellschaft entströmt ein durchdringender Knoblauchduft, für
den der Spanier keine Geruchsnerven zu haben scheint. — Die an-
schauliche, lebendige Sprache der Unterhaltung kann sich bi.s zur
Derbheit steigern, und selbst grobe Wörter Hießen als gelinde Flüche
mit ein, ohne daß jemand an ihre wahre Bedeutung noch denkt.
Im Gespräche hört man ,carajo‘, ,cono‘ mitunter in jedem zweiten
Satze. Und wenn der Marktschreier seine Zuschauer ,hijos de puta‘
nennt, dann lachen sie, und niemand denkt daran, den Kerl aufs
Maul zu schlagen.
Auflallend ist die Höflichkeit gegen Frauen. .Jeder übt sie als
äußerliche Fonn. Der Straßenbahnwagen, der zur Plaza de toros
fährt, ist überfüllt. Dichtgedrängt stehn wir auf der Plattform. Da
steigt noch eine behäbige einfache Frau aufs Trittbrett. Der Schaffner
will widersprechen. „Hombre, es una sehora!“ sagt einer. Damit
ist die Frage erledigt. Der Schaffner schweigt, wir quetschen uns
noch etwas mehr zusammen, und die Frau fährt mit. — Wenn von
dem .Attentate auf den König bei seiner Hochzeit gesprochen wird,
da redet man kaum von den unschuldigen Opfern unter den Zu-
schauern' und Soldaten, man bedauert nur immer die im übrigen
jetzt unbeliebte Königin: „o, la pobrecita, esa joven senora!“ Am
weitesten geht darin natürlich der .\ndalusier. Eine Grupjie Männer
sitzt plaudenid beisammen. Eine Frau kommt, sie braucht gar nicht
hübsch zu sein. Plötzlich fliegen alle Jacken herunter und werden
auf der Straße ausgebreitet. Die Männer überbieten sich in .\us-
rufen: „Que cuerpo gracioso! que cara hermosa! que ojos bonitos!“ *)
.\uch ihre Mutter, ja ihre Großmutter wird gepriesen. Es wäre
eine schwere Beleidigung, wenn sie nicht mit freundlichem Kopf-
nicken auf die Jacken treten wollte. Und ist sie vorbei, so werden
die Jacken aufgehoben, und man spricht wieder vom .\lltäglichen.
Diese äußerliche Ritterlichkeit darf man aber nicht überschätzen.
Die innere .Achtung vor der Frau ist beim Spanier nicht besonders
') Vgl. Andalusien hgg. v. Dr. W. Häring (W. Alciis) S. I.'i2 f.
*) Welch zierlicher Körper! Was Ihr ein schönes Gesicht! Welch liebliche
Augen !
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Loch. Kein spanisches Mädchen, das anf sich hält, geht in Madrid,
selbst hei Tage, olme Begleitung auf die StraUe. Unter solchen
Verhältnissen bleibt die Tochter bis zur Hochzeit streng behütet.
Eine Verlobtenzeit ist so gut wie unbekannt. Vorher darf der Ver-
liebte wohl vor dem Fenster stehn und durchs Gitter das Mädchen
anschmachten. Ist sein Antrag angenommen, so hört auch das auf.
Nie sieht der Verlobte seine Braut ohne Zeugen. Der Botaniker an
der Madrider Universität, der ein paar Monate in Göttingen war,
konnte sich nicht genug darüber wundern, daß bei uns die Braut
mit ihrem Bräutigam allein auf die Straße und sogar ins Theater
gehn darf. Daß in Spanien so etwas unmöglich sei, drückte er etwas
drastisch aus. — Doch allzugroße Strenge erzeugt List. So
spielt der Brief und die stets dienstbereite Zuträgerin eine Rolle.
Der geeignet.ste Platz für solchen Austausch ist die Kirche. Ein
Bild von Santamaria im neuen Museum zu Madrid stellt eine solche
Szene dar. Ein junges Mädchen kniet neben ihrer andächtig
betenden Mutter. Die Zuträgerin hat eben ihren Brief empfangen
und bringt ihn dem hinter dem Gitter harrenden Offizier. Uns er-
scheint das Bild äußerlich und nichtssagend; der Spanier sieht es
mit verständnisvolleren Augen an. In der Calatravaskirche habe ich
selbst einen ähnlichen Vorgang beobachtet. — Eigenartig ist der
Korso in Salaraanca dafür verwertet. Die Plaza de la Constitution
ist der schönste Platz in ganz Spanien, rings von hohen Rennaissance-
gebäuden umgeben, die sich im Untergeschoß in hohen Hallengängen
auf einen Schmuckplatz öffnen. Zur Promenadenzeit bewegen sich
hier Männer und Frauen getrennt, die einen nach rechts, die andern
nach links, so daß sie einander beständig begegnen. Ein junger
Ehemann, der dies Verfahren offenbar noch frisch im Gedächtnis
hatte, erzählte mir: „Man begegnet sich, man sieht sich an und
gefällt sich, der Verliebte steckt schließlich dem Mädchen heimlich
im Vorbeigehn ein Briefchen zu. Das nächste Mal bekommt er die
Antw'ort. So geht es weiter, und das Ende vom Liede ist die Heirat.“
Es liegt etwas Äußerliches, Oberflächliches im Spanier. Er lebt
sein Leben auf der Straße. Zu Hause geht es oft sehr ärmlich zu, aber
für die Straße verwendet er alle Anfmerksamkeit; seine letzte Pesete
opfert er womöglich für einen modernen Hut. Das Hauptaugenmerk
aber gilt dem klaren Spiegelglanze seiner Stiefel. An allen Ecken
gibt es Stiefelputzhallen, in allen Cafes treiben sich die ,limpiabotas",
die Stiefelputzer, mit ihren Putzkästen lierum. Unfehlbar sieht ein
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Durclisciinittsspanier einem Fremden nicht zuerst ins Oesicht, sondern
auf die Stiefel. Unvermittelt steht neben diesen Modedienern der
Proletarier. Bei uns hat doch selbst der Ärmste eine Art Sonntags-
anzug, mit dem er auch äutierlich seine Feiertage begeht. Die
annsten unter den Spaniern haben nur ihren Arbeitsanzug.
Zerrissen und schmutzig gehn sie an den höchsten Feiertagen
zur Kirche, und in derselben Tracht gehn sie hinter den mit über-
ladenem Prunke ansgestatteten Leichenwagen her. Noch aufliilliger ist
es, daß nicht ehva eine tiefe Kluft diese beiden Gegensätze trennt.
Fs ist ein für den Fremden seltsames, doch nicht seltenes Bild, daß
das Modegigerl, das behutsam jedes Stüubchen von seinem Rocke
wegpustet und ängstlich seine Stiefel in acht nimmt, neben dem
ungepflegten Arbeitsmanne in lebhaftem, vertraulichem Gespräche geht.
Durch die unsagbar schlechten Wohnungsverhältnisse ist der
Spanier aber geradezu gezwungen, auf der Straße zu leben. Die
Häuser sind eng und finster, oft trotz der bittern Winterkälte im
Binnenlande gar nicht heizbar. In den neueren Häusern sind zwar
Kamine, aber sie heizen eher das Weltall als die AVohnung. In dem
holzlosen Lande mit den schlechten Bahnen und teuren Frachten
sind zudem die Heizinaterialien sehr teuer. So bildet denn das
Kohlenbecken im Winter immer noch den Mittelpunkt eines spanischen
Hauses. Man sehe sich nur einmal die Casus de Huespedes, die
echt spanischen Fremdenpensionen an. Sie sind erstaunlich billig.
Man zahlt für Kost und Wohnung gewöhnlich 4 bis 5 Peseten täglich.
Die Kost ist ausreichend und für spanischen Geschmack .«ogar meist
gut. Aber schon der Gedanke, in diesen luft- und lichtlosen Höhlen
zu schlafen, macht einen Nichtspanier schaudern. — Die Ärmsten
Jiaben überhaupt kein Obdach. Sie schlafen mitten auf der Straße,
und verschlafen sie den Alorgen, so läßt man sie eben liegen und jeder
weicht ihnen vorsichtig aus. Im Sommer mag das ja ganz erträglich
sein. Aber im AVinter liegen diese Unglücklichen, wenn sie keinen
Unterschlupf finden, ebenfalls da, in dicke Decken eingehüllt. Dann
hält der Tod unter ihnen eine ergiebige Ernte.
AA’ir machen uns von der bittern .Armut gar keinen Begriff.
Das fruchtbare .Andalusien könnte viele Tausende betriebsamer Bauern
ernähren. .Aber dieses Paradies ist zum großen Teil AA’eide für
Stierherden, die für die Corrida bestimmt sind; fast das ganze Land
gehört Großgrundbesitzern, und die Leute behaupten, auf einen
Reichen kämen 6000 Arme. Bewundernswert ist jedoch die Zufrieden-
heit, mit der die .Armen ihr Los tragen. In .Andalusien ist es ja
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nicht so sehlimni. Kalt ist es so gut wie nie, und ein hiLlchen Obst,
ein Stück Brot oder ein Schluck Wein mit Wasser reicht aus. Im
Notfälle pflückt man die Früchte des überall wildwachsenden Feigen-
kaktns oder grübt die Wurzeln der Zwergpalme aus, die an allen
Grabenrändern gedeiht, und itSt sie. .\ber auch anderwärts verrichtet
es ein Stück Brot und ein paar rohe Salatblätter. Dabei sind die
Leute lustig und guter Dinge; nie habe ich so einen armen Teufel
murren oder schimpfen hören. Zu dieser Anspruchslosigkeit des
Lebens gehört die große Nüchternheit, die jedem Spanier überhaujd
eigen ist. Fast im ganzen Lande gedeiht ein ausgezeichneter Wein,
der für ein paar Centimes zu haben ist. Trotzdem erinnere icli
mich, nur ein einziges Mal einen angetrunkenen Spanier gesehen zu
haben.
Überreich ist das Land an Bettlern, die regelrechte Organisationen
bilden. Sie haben ein Anrecht auf das Almosen. Es ist, als ob das
homerische . . . Jrgös yÖQ Aiög eloiv änavres ^tvoi re re hier
noch in Geltung wäre. Und widerwärtig ist es, wie sie all ihre Gebrechen,
die verkrüppelten und verstümmelten Arme und Beine zur Schau tragen.
Das Geschäft ist einträglich. Es gehört zum guten Tone, daß vor allem
jede Frau und jedes Mädchen die in Scharen vor der Kirchtür hockenden
Bettler der Reihe nach abgeht und jedem sein Almosen gibt. Die
Gesellschaft ist mitunter ziemlich aufdringlich, dabei fühlt sich jeder
im Innern als ,caballero‘. Einmal hat mich doch einer etwas be-
schämt. Als er mir keine Ruhe ließ, sagte ich: „Weg! Belästigen
Sie mich nicht!“ Den Erfolg hatte ich nicht erwartet. „Caballero,
verzeihen Sie, ich wollte Sie nicht belästigen; nein, entschuldigen
Sie ! Ich empfehle mich ja schon.“ Sprach's und verschwand. Mein
barscher Ton hatte seinen Stolz geweckt. — Alle möglichen Instrumente
werden von blinden Bettlern gespielt. Vollständige Quartette durchziehen
die Straßen und spielen an allen Ecken. Und sie spielen meist
recht gut. Man findet unter ihnen sogar erblindete Opernsänger oder
Theatennusiker. — Die spanischen Bettler haben einen unbändigen
Freiheitsdrang. Krankenhaus oder .\syl sind ihnen wie die Hölle.
Die Tochter des früheren deutschen Botschafters hatte besonderes
Mitleid mit einem Manne, der immer am Prado bettelte. Nach
langen Bemühungen gelang es ihr, in einem Asj'l eine Freistelle für
ihn zu erwirken. Freudestrahlend teilte Sie es ihrem Schützlinge
mit. Da wurde der Mann grob. „Was denken Sie? Bis Mittag
verdiene ich hier schon 3 Peseten und nachmittags auch noch 2.
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3-2
Und da soll ich in ein Asyl gehn und meine Freiheit aufgeben?
Niemals!“ — Dabei ist das ein lustiges Volk. Sie reden sich gegen-
seitig mit Don, Sehor, Caballero an. wenn sie nicht gerade die Epi-
theta aus der Zoologie nehmen. Sie feiern auch ihren Karneval auf
ihre Art. Am lustigsten war eine stattliche Schaar Einbeiniger, die
als Matrosen gekleidet, mit der spanischen Fahne, Klarinette und
Trommel spielend, durch die Straßen zogen. Sie hielten musterhaft
Ordnung und hatten sich ganz sj-mmetrisch gegliedert, die Männer
mit rechtem Stelzbein auf der Rechten, die mit linkem Stelzbein auf
der Linken. Zuerst schien mir das wie eine Satire auf die spanische
Marine. .Aber daran dachte niemand. Die Heiterkeit war allgemein,
und mit dem klingenden Erfolge konnten sie wohl zufrieden sein.
Warum sollen diese Leute nicht betteln? Betteln doch selbst die
Studenten. Mit ihren Saiteninstrumenten ziehen die ,Estudiantinas‘
zur Fastnachtszeit alle Abende durch die Stadt, und wo Mädchen auf
dem Baikone stehn, da spielen sie, und ein paar Geldstücke lassen
nicht lange auf sich warten. Bei solchen Umzügen tragen sie eine
hübsche, kleidsame Tracht aus schwarzem Samt, langen schwarzen
Strümpfen und niedrigen Schuhen, über einer Schulter hängt der
kurze schwarze Mantel. Vom an dem samtnen Zweistutzer steckt
ein kleiner weißer Löffel, eine Erinnerang an jene Zeit, da sie mit
ihrem Löffel hernmzogen und sich ihre Mahlzeit von den Bürgern
erbettelten. Sie müssen dazumal argen Hunger gehabt haben. Ein
paar aragonesische Jotatexte*) behaupten von ihnen;
Cuando un estudiaote Iloga
A la esqaina de una plaza,
Dicen las revcndedoraa :
„Puera esc perro de caza.“
De una cuchara de palu
Que llevaba un cstudiante
Se fabricaron las puurtas
Del castillo de Alicante.
La capa del cstudinnto
Pareee un jardiu de flores,
Toda llena de remiendos
De difereutes eolorcs.
An der Ecke eines Platzes
Ließ einst ein Student sich blicken.
Drohend schrien die Uükerweiber:
I „Windhund! fort! sonst spürt’s dein
Rücken“.
Holzem war der Löffel, welchen
Ein Student sein eigen nannte;
I Draus hat man das Tor geziniinert
I Auf der Burg zu Alicante.
Des Studenten Mantel ist ein
; Blumengarten, ungelogen !
Übers&t ist er mit Flicken,
Bunter als der Regenbugen.
') Die Jota ist ein dem Fandango ähnlic her Tanz, zu dem alle möglichen ein-
strophigen Texte gesungen werden; oft werden sie improvisiert.
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Das Rettein ist so eintrii);lich, daß die Polizei in Madrid schon
versucht, den Zuzug von auswärts zu verhindern. Der Spanier selbst,
oder vielmehr die Spanierin begünstigt das Blühen dieses Gewerbes.
Ein guter Bekannter und Landsmann sagte einst einem gesund aus-
sehenden Bettler, er möge doch arbeiten, er selber müsse es auch. Ant-
wort: „Ach Sie Ärmster, wie bedaure ich Sie, daß Sie arbeiten müssen!“.
Das Betteln bringt eben zehnmal mehr als mühsame Arbeit. Und
nun das Entsetzliche: es gibt tatsächlich Leute, die absichtlich ihre
Kinder in frühester Jugend zu Krüppeln machen, um bessere. Verdiener
zu haben.
Die reine, kindliche Freude an der Natur scheint dem Spanier
ganz abzugehn. Wer es kann, baut sich wohl an der Guadarraraa
ein Haus; dorthin flieht er vor der in Madrid unerträglichen Sommer-
hitze, aber regelrechte Gebirgswanderungen kennt er nicht; dazu
ist er zu bequem. Und wie in der Sierra de Guadarrama, so ist
es auch anderwärts. Nach Blumenbrettern vor den Fensteni der
Bauernhäuser oder nach freundlich grünenden Bauerngärteii sieht
man sich vergebens um. Die Blume dient nur zum Schmucke für
die eigne Person; die einfachsten Frauen verstehn es vorzüglich,
die Blumen in ihrem von der Mantilla bedeckten Haare immer wieder
anders zu stecken. Nur wo die von den Mauren überkommene
Bauart beibehalten ist, da entfaltet sich im Innern des Hauses eine
wundervolle Blütenpracht. Am treuesten wird die maurische Haus-
fonn in Toledo und besonders in Sevilla bewahrt. Nach der Straße
zu ist das Haus, dessen Anlage an das römische erinnert, einförmig
und fast fensterlos. Die Wohnung öffnet sich nach innen auf einen vier-
eckigen Hof (patio). In der Mitte ist gewöhnlich ein Springbrunnen.
Kletterpflanzen beleben die Wände, Rosenstöcke, Orangenbäume oder
Zypressen und allerhand Blumen zieren den Hof, den eine gepflasterte
und möblierte Halle umgibt, und nach dieser Halle öffnen sich tlie
Zimmer des Unterstocks. So sahen einst die Höfe der .\lhainbra
aus; die nämliche Gestalt haben heute zahlreiche Klosterhöfe in
Spanien. Und die , Patios' sind geradezu ein Wahrzeichen von Sevilla.
Selbst ganz einfache Häuser bergen da einen kleinen Garten in sich.
Das Maurenerbe hat man hier weitergej)tlegt. Aber im ganzen übrigen
Lande ist auch diese Art Hausgarten unbekannt.
Eine falsche Vorstellung denkt sich Spanien als das Land des
Gesanges. Sangesfroh sind nur die Katalanen und vor allem die
Basken, also die nicht spanischen Stämme. Die eng zusammen-
MitteUungeo li. ächlea. Oea. f. Vkdf. Band Xll Uleft 1). 3
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haltenden Basken kann man in Madrid abends oft in einer Bierhalle
singen hören. Ganz leise, wie für sich, singen sie ihre drei- und
vierstimmigen eigenartig schwermütigen Melodien, deren Harmonik
an norwegische Weisen erinnert. Bei lauter Unterhaltung hört man
sie in ihrer Kcke gar nicht. Wird aber erst einer aufmerksam, dann
verstummt die Unterhaltung bald und alles hört ihnen zu. Einmal
wurden, wie mir ein glaubwürdiger Zeuge erzählte, nachher einige
junge deutsche Kaufleute aufgefordert, auch ihrerseits etwas zu
singen. Lange waren sie unschlüssig, endlich einigten sie sich auf
das deutsche Nationallied: „Trinke wir noch e Treppche“!! — Der
Spanier pflegt bloU die vieneilige ,copla‘, welche nur die Unterhige
für eine Tanzraelodie ist und oft improvisiert wird. Dagegen liebt
er die Guitarre und die mandolinenartige ,bandurria‘, der die Melodie
zufällt. Zu zwanzig und mehr spielen sie recht gewandt, hauptsächlich
lebhafte Marschweisen. Auf dem Lande spielt die Guitarre dieselbe
Rolle wie bei uns die Ziehharmonika. Einen segenvollen Kultur-
rückstand möchte ich noch erwähnen. Das Klavier gehört noch nicht
zur notwendigen Wohnungsausstattung, und es gehört auch noch
nicht zum guten Tone, bei mangelndem Gehör und beim Fehlen
jeder Stimme zu singen. Glückliches Land!
Wer den Spanier richtig anfaUt. der wird über seine Höfliclikeit
staunen, die aber immer würdevoll bleibt, nie servil wird. Der
käme freilich übel an, der ihm herrisch oder herablassend gegen-
übertreten wollt«. Selbstbewußt ist auch der Geringste, überzeugt
davon, ein Caballero zu sein. Wer aber selbstbewußt wie er, doch
höflich auch dem Einfachsten gegenüber ist und ihn als gleichberechtigt
behandelt, der findet in der Kegel einen freundlichen, liebens-
würdigen, hilfsbereiten Menschen. Nur ein Beispiel. Ein deutscher
Mathematiker war seit zwei Tagen in Spanien. Er verstand kein
Wort Spanisch. Da machte er mit einem andern Herrn einen Ausflug
nach Yuste, dem einstigen Wohnsitze Karls V. Von der Bahnhaltestelle
Navalmoral galt es noch einen Ritt von 38 km. Unterwegs treffen
die beiden mit zwei Spaniern zusammen. Mittlerweile regnen sie
vollständig ein, und als der eine von den Spaniern hört, daß unsre
l.ändsleute in zwei Tagen wieder in Madrid sein müßten und daß
der Mathematiker keinen ausreichenden Schutz gegen das Unwetter
habe, bietet er ihm, obwohl er ihm stockfremd war, seinen Regen-
mantel an. Der Deutsche lehnt es dankend mit Hilfe seines
Dolmetschers ab. Da erklärt der Spanier fast_befehlend : „Hier ist
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meine Karte! Geben Sie (iie samt dem Gummimantel unten beim
StationsTorsteher ab, der mich ganz gut kennt. Ich bleibe hier, bis
der Regen auf hört; dann reite ich nach Navalnioral und hole mir
den Mantel in der Station ab“. Es half kein Widersjumch, er
mußte den Mantel nehmen. — Und so oft ich mich auch der
freundlichen Hilfe von Spaniern zu erfreuen hatte, so erinnere ich
mich doch nicht, jemals ausdrücklich eine Bitte ausgesprochen zu
haben. Nur eine leise Andeutung, und die Bekannten standen mir
mit ihrer Zeit, mit ihren Amigos und mit Empfehlungsbriefen zur
Verfügung. Ja sie suchten sogar nach Gelegenheiten, sich mir ge-
fiUlig erweisen zu können. — Jeder Spanier wird allen, die mit ihm
in der Eisenbahn zusammenfahren oder sonstwie Zusammenkommen,
seine Zigarren, sein Obst oder sein Konfekt anbieten, sobald er sich
selbst davon nimmt. Die einfacheren Leute vor allem meinen es
ernst, wenn sie ihre unerschöpflich scheinenden Eßvorräte auspacken.
Wer begreiflicher Weise gegen spanische Küche Mißtrauen hegt
oder bei dem sehr primitiven Verfahren des Anbietens — es wird
einem womöglich ein Stück Fleisch einfach unter die Nase ge-
halten — keine Lust hat zuzulangen, dem bleibt nichts übrig als
zu rauchen. Das allein entschuldigt. Ein Freund von Adolf
Wilbrandt erzählt recht launig'), wie er von Medina del üampo bis
Salamanca sechzehn Zigaretten geraucht habe, nur um sich den
wiederholten Aufforderungen zum .Mites.sen zu entziehen. Das Unter-
lassen einer solchen Einladung wilre jedoch eine grobe Ungezogenheit.
Jeder Straßenkehrer, der auf der Promenadenbank oder auf der Erde
sitzend seine Erbsen verzehrt, wird jeden, der unmittelbar an ihm
vorbeikommt und ihn zufällig ansieht, zum Mitessen einladen. Und
selbst der höchste Würdenträger hat ihm dafür zu danken und ihm
guten Appetit zu wünschen. — Kommt man in ein fremdes Haus,
so heißt das erste Wort-, das die Hausfrau oder der Hausherr sagt:
„Aqui tiene Usted su casa“ (Hier sind Sie zu Hause). — Am
weitesten geht der Spanier im Briefstil. Der ständige Schluß ist
da „Su seguro servidor que besä las manos“ (meist abgekürzt:
S. S. S. q. b. 1. m. = Ihr ergebener Diener, der Ihnen die Hände
küßt). Und geht es an eine Frau, dann heißt es: „que besä los
pies“ (q. b. 1. p.). Der Dame küßt man die Füße. Zum Glück be-
steht niemand auf der Verwirklichung dieser Versicherung.
') Rund U1II8 Mitlelnieer S. 31.
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Vielfach wird anderwärts der Fremde, der die Landessprache
nicht fließend spricht, durch überlegnes Lächeln oder gar durch
Spott verletzt. Das ist in Spanien sogut wie ausgeschlossen. Mag
man die Sprache noch so sehr radebrechen, der Spanier wird sich
trotzdem Mühe geben, den Fremden zu verstehn, und ist er
intelligent genug, so wird er ihm zu helfen versuclien; denn er be-
trachtet das Streben, seine Sprache zu sprechen, als eine Artigkeit
gegen seine Nation. Der Leiter der Ausgrabungen in Numancia
sprach das Spanische nichts weniger als gut. Dennoch habe ich
keinen einzigen von seinen Arbeitern grinsen sehen oder gar witzeln
hören; sie halfen ihm ein und suchten zu erraten, was er meine.
Bei all seiner Höflichkeit bewahrt der Spanier, wenigstens im
Norden und in der Mitte der Halbinsel, eine wahre Senatoren würde.
Er ist ein geborener Redner. Blütenreich und ausdrucksvoll ist
seine Sprache, gemessen und doch lebendig die Gesten, ob er im
Parlament redet oder von der ,olla podrida“, der spanischen Suppe
spricht. Sein Ausdruck wird leicht für unsem Geschmack über-
schwenglich. Als ich in Norwegen Norwegisch zu sprechen ver-
suchte, sagte man gutmütig; „De tale meget godt Norsk“. Als ich
mich einigermaßen ins Spanische eingelebt hatte, hieß es gleich:
„0, Usted habla como otro Cervantes!“ Der Vergleich ist
charakteristisch. — Mit Grazie paart sich die Würde häufig bei den
Frauen, so ungraziös ihre F,rseheinung auch sein mag. Man be-
obachte ein Mächdien oder eine grundhäßliche Waschfrau im Sommer
mit ihrem Fächer. Er ist von der Trägerin unzertrennlich und ist
ihr mehr als ein Zeitvertreib. Eine Fülle von Empfindungen kann
sie mit ihrem Fächer ausdrücken, Liebe, Zorn oder Langeweile, dem
jungen Mädchen wird er im koketten Spiel zum Dolmetscher seiner
Empfindungen. Keine Fremde könnte das nachmachen.
Mit seiner Hötlichkeit und Würde verbindet der Spanier einen
bewundernswerten demokratischen Stolz im besten Sinne des Wortes.
Er kennt keine sozialen Unterschiede. Es soll Staaten geben, wo
man aus der Art des ftrußes sofort das soziale Verhältnis ersehen
kann, in dem die sich Begegnenden zu einander stehn. In Spanien
gibt es etwas derartiges nicht. Ein Grüßen, bei dem der Hut nach
den Gesetzen der Zentrifugalkraft heruntergeschleudert wird, ist
unbekannt. Man kennt auch keine anmaßende Überhebung beim
Höhergestellten und keine Unterwürfigkeit des Niederen. Jeder wird
nur mit dem Vornamen angeredet, und vor Jeden Vornamen gehört
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das Wort ,Don‘. Es klanp fast komisch, als bei der öfTentlichen
Prüfung im spanischen Gymnasium die zehnjährigen Schüler z. B.
mit „Senor Don Manuel Hemändez y Garcia“ angeredet wurden. Die
Sitte, auch den Mutternamen mitzunennen, macht allein den Namen
vollklingend’). Und der Titel ,Don‘, der jedem zukommt, hat etwas
Ausgleichendes. Der König ist eben der Don Alfonso und der
Droschkenkutscher ist der Don Josö oder Don Felipe. Jeder Bettler
ist ein Don, und der König ist schließlich auch nur ein Don.
Man kann in Spanien verhältnismäßig leicht zu einem Orden
kommen, da der Minister dieDij>lome einfach ausfüllt und gegenzeichnet,
die schon die autographierte Unterschrift des Königs ,Yo el rey‘
(Ich der König) tragen. Dies ist nämlich die Form der königlichen
Unterschrift. Man braucht also nur Bekannte im Ministeriiun und
übriges (ield zu haben. Es gibt nämlich zwei Arten Ordensverleihungen,
,con gasto* und ,sin gasto‘ (mit und ohne Kosten). Die erste Art
ist leicht zu haben und ist leiiiglich für ordenslüsteme Fremde da.
Als w'irkliche Auszeichnung gilt aber natürlich nur die andre Art.
Bekommt der Spanier den Orden nicht ,sin gasto‘, so verzichtet er.
Aber bezahlen wird er dafür keine Pescte, und er lächelt mir über
die Fremden. So eitel er in .seiner Kleidung sein mag, sein Demokraten-
stolz ist doch noch größer. Dazu kommt, daß der Staat als politisches
Wesen ihm nicht viel gilt.
Mit den alten Kulturen, die über sein Land hingeschritten sind,
hat der Durchschnittsspanicr keine Fühlung. Manchmal hat man
den Eindruck, als seien Jahrtausende an diesem V'olke spurlos
vorübergegangen. In der Mancha und selbst in nächster Nähe von
Madrid wird der Wein noch heute in 3 bis 4 Meter hohen Töpfen
aufbewahrt, und um Murcia und Valencia trifft man im täglichen
Gebrauche Gefäße von genau derselben Form wie die, welche man
im alten Sagunt oder in Numancia gefunden hat. — In Granada und
(’ordova sind die maurischen Wunderbauten als Anziehungsmittel
für den Fremdenverkehr natürlich bekannt und geschätzt. Im übrigen
Lande hat man wenig Verständnis dafür. Man freut sich der Patios
und benutzt noch die alten Wasserleitungen, aber niemand kümmert
sich darum, wem dieses kostbare Erbe zu danken sei. Man ist immer
') InlcroBsant ist die Art, wie die noppcinamen beim militärischen Appell
angewandt werden. Der Offizier oder Unteroffizier ruft den Vornamen und Vater-
namen auf, der Soldat antwortet nicht mit „Hier*, sondern mit dom Mutter-
namen. Z. B. Aufruf: Miguel Berceruclo! Antwort: j Ldpez!
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3«
noch gewfihnt, die , Moros* als die Erbfeinde der Ehristenheit anzii-
sehen. Noch schlimmer geht, es den Goten. Sie sind einfach ,los
biirbaros*. Im (ihrigen hat man von ihnen flberhaupt keine Vor-
skdlung. Und die gewaltigen Rdmerbauten sind teilweise zum Mittel-
punkte von allerhand Teufelssagcn geworden. Als ich in Tarragona
einen Steuerbeamten nach dem römischen Aquädukte fragte, erklärte
er, so etwas gebe es nicht. Mein Widerspruch half nichts. Da
fragte ich glücklicherweise nach der ,puente del diablo*. Sofort
wuUte er Bes(-heid.
Um so stolzer ist der Spanier auf seine kastilisch-spani.sche
Vergangenheit '). Ferdinand und I.sabella, die Katholischen Könige,
sind ihm der Inbegriff nationalen Glanzes. Mit der Erinnemng an
diese Ruhmeszcit des katholischen Spaniens täuscht er sich über die
traurige Gegenwart hinweg. Mag er mit vielem in seinem Vater-
lande unzufrieden sein, er ist doch stolz darauf, ein Spanier zu sein.
Viele sehen in den Fremden, die im Lande wohnen, doi^h nur
,barbaros‘, die nach Spanien gehn, um Geld zu verdienen, weil
sie in ihrer Heimat nicht vonvärts kommen, ihr Land muß also
elend und ann sein. Ein spanischer Philologe fragte mich einmal,
wie es komme, daß so viele meiner Landsleute und auch viele Franzosen
und Italiener nach Spanien kämen, dort ganz spanisch würden und
nie mehr zurüekkehren wollten. Sein I>and sei zwar arm, und er
ginge vielleicht auch ins Ausland, um mehr zu verdienen. „Pero
morir, seiior, morir solamente en Espana!“ Ich mußte ihm leider
die Antwort auf diese Frage schuldig bleiben. — Es gibt kaum
ein Kind in Spanien, das nicht die Abenteuer des edlen Ritters
von der traurigen Gestalt genau kennt. Der Don Quijote ist die
Nationalbibel des Spaniers. Von Velazquez und Miirillo wußten mir
zwölljährige Knaben und Mädchen recht hübsch zu erzählen. Sinnig
ist auch die Art, wie der Staat seine Großen ehrt. Die alten
50-Pesetenscheine tragen das Hildnis des Velazquez und auf der
Rückseite eine sehr schöne Wiedergabe .seines Hildes aus dem Prado
„Apolls Hesuch in der Schmiede des Vulkan.“ Die neuen .äO-Peseten-
scheine zeigen das Bild Echegarays und die ‘20-Pesetenscheine das
des Quevedo.
') ChrisU-ntnin und Spanisch ist dom Durchschnittsapsnier dasseibo.
,UabIo l'stod cristiaiiu!* sa^t or dem, der eine fremde Sprache spricht, um
ihn zum Spanischsprechen aufzufordem.
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39
Schon die geographische Lage bringt es mit sich, daß wenig
Spanier aus ihrem Lande heraus kommen. Der Bauer kennt kaum
die nächste Stadt. Und auch der Gebildete und Wohlhabende fahrt
im Sommer höchstens an die kühlere Nordküste. Geht er einmal
ins Ausland, dann ist Paris die Grenze. Paris ist ihm die Versinn-
bildlichung des Auslandes. Weiter hinaus kommen die allerwenigsten.
Um so fester hängt der Spanier mit Stolz und Liebe an seiner
Heimat. Als Staat gilt ihm Spanien meist nicht viel, aber als
Nationalbegriff ist ihm sein Kspafia alles. Er gesteht offen die
Schäden seiner Verwaltung ein, er gibt unumwunden zu, daß vieles
besser .sein könnte, solange man freundlich mit ihm redet und seinem
Nationalstolze nicht zu nahe tritt, der gerade jetzt nach den un-
glücklichen Kriegen besonders reizbar und empfindlich ist. Nur
versuche man es nicht, von oben herab mit Geringschätzung von
Spanien als Nation zu reden! Dann erwacht die Leidenschaft der
alten Iberer in ihm zu heller Flamme. — Sein NationalgefOhl ist
ihm verkörpert in der spanischen rot-gelb-roten Fahne. Er nimmt
den Hut nicht einmal vor dem Könige ab, wohl aber vor Gott, vor
einem Toten und vor der Fahne.
Dieses Volk scheint schwer an seiner Vergangenheit zu kranken.
Seine Geschichte ist durch viele .lahrhunderte nichts als Krieg und
grausame Verfolgung. Und als mit dem Fall Granailas das heiß-
ersehnte Ziel endlich erreicht war, da warf ihm im selben .lahre
durch die Entdeckung Amerikas das Schicksal einen Reichtum in
den Schoß, den es nicht anzuwenden verstand; denn das christliche
Spanien konnte Reiche zerstören, aber es konnte nichts aufbauen.
Und doch ist es übereilt und töricht, dieses Volk für verkommen zu
erklären und ihm die Zukunft abzusprechen. Allenthalben regt sich
ein lebendiges Streben, aus dem alten Elend herauszukommen. Der
Verlust der Kolonien war ein Glück für das Land. Das sieht heute
jeder Sj>anier ein. Statt Geld ins Land zu bringen, verschlangen
sie unerhörte Summen und waren nur ein Tummelplatz für Abenteurer,
.letzt, da das Land auf sich selbst angewiesen ist, beginnt es, seine
Kräfte zu sammeln, und ein ehrliches Vorwärtsstreben ist unverkenn-
bar. Auch in der Industrie zeigt sich ein emsiges Arbeiten und
ein stetiges Steigen. Freilich, zweierlei ist unbedingt notwendig,
eine gründliche Reformation ganz oben und ganz unten, eine
Reformation der Verwaltung und eine Reformation der Erziehung
und des Unterrichtes. Das mag keine leichte Aufgabe sein, und
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40
vielleicht kann sie die Burbonen den Thron kosten. Aber ob mit
oder ohne Gewalt, getan muß sie werden, wenn Spanien nicht fort-
fahren will, für Frankreich und England» die Ka.stanien, aus dem
Feuer zu holen. Sonst wiire es schade um dieses Volk mit seinem
demokratischen Selbstbewußtsein, das sich nie wegwirfl, mit seinem
unglaublichen, fast krankhaften Nationalstolze. Es ist wie ein
entartetes, ungezogenes Kind aus guter Familie, das neben viel
häßlichen, rückständigen Eigenschaften doch eine wirklich ehrliche
Liebenswürdigkeit und eine tief im Blute sitzende stolze Kitterlichkeit
hat, die wir nur bewundern können.
Luftfahrten im alten Orient.
Von Dr. Bruno Meissner.
Es ist als wahrscheinlich anzunehmen, daß die Menschen .sehr
bald, nachdem es ihnen gelungen war, das nasse Element auf
hölzernen Schitfen zu durchqueren, auf die Idee kamen, sich auch
das Luftreich zu erobern. .Jedoch wir wissen, daß diese Eroberung
in ])ra.\i nur .sehr langsam vonstatten ging, allein die Phantasie be-
schfitligte sich vielfach mit dieser IVage.
Als selbstverständlich galt es, daß die Götter die Eigenschaft besaßen,
vom Himmel herab- und zum Himmel hinaufzu.steigen. Indes ist es frag-
lich, ob man sich hierbei immer bestimmte Vorstellungen machte, auf
welche Weise die Götter ihren Weg zurflcklegten. Auch in der baby-
lonischen Legende von Adapa wird nicht angegeben, wie er zum Himmel
Anus, des Himmelsgottes, gelangt. Es heißt dort nur '): „Den Weg zum
Himmel hieß er (der Gott Anu) ihn nehmen, und er (Adapa) stieg
zum Himmel hinauf“. Später wurden dann diese Anschauungen
und .•Vus<lrucksweisen auch auf menschliche Wrhältnisse übertragen,
jedenfalls ohne daß man sich den Kopf zerbrach, wie diese Dinge
möglich waren. So sagt der Psalmist*): „Führe ich gen Himmel,
so bist du da. Bettete ich mir in die Hölle, siehe, so bist du auch
da“. Ganz ähnlich äußert sich ein assyrischer Dichter’): „Geht’s
') S. Jensen, Kcilinschriftl. Bibi. VI, 1, 97.
») Ps. 139, 8.
S. Ziiiimorn, Keilinschr. und das Alte TesUui. 3. S. 386.
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41
ihnen gut, so reden sie vom aufsteigen zum Himmel, sind sie in
Kummer, so spreclien sie vom hinabfahren zur Hölle“. Auch bei
den sog. Himmelreisen der Seele, die im Parsismus und späteren
Judentum eine große Rolle spielen ‘), hat man sieh meist wohl von
Spekulationen darüber ferngehalten, auf welche Art sich die Seele in
den Himmel erhob.
Unsicher ist es auch, wie man sich im alten Orient die sog.
Entrückungen dachte, und ob man damit die Vorstellung des
Fliegens verband. Von dem Patriarchen Henoch heißt es*): „Und
weil Henoch in Oemeinschaft mit Gott gewandelt hatte, so ver-
schwand er (einst); denn Gott hatte ihn hinweggenommen“. Genau
dasselbe Wort „hinwegnehmen“ wird auch bei der Entrückung des
Ut-napischti, des babylonischen Noa, gebraucht’); „(Da)*) nahmen sie
(die Götter) mich hinweg, und in der Feme an der Mündung der
Ströme ließen sie mich wohnen“. In der uns griechisch erhaltenen
Version des babylonischen Priesters Berussus’) wird das ähnlich
wie in der Henochgeschichte ausgedrückt durch yeveodcu dipavfj.
Etwas genauer sind die Mittel der Luftfahrt bei der Entrückung
des Elias angegeben*); „Während sie (Elias und Elisa) nun in
solcher Unterredung immer weiter gingen, erschien plötzlich ein
feuriger Wagen und feurige Rosse; die trennten beide von einander,
und Elias fuhr also im Wetter gegen Himmel“.
Bei Christi Himmelfahrt sind es Wolken, die ihn aufwärts führen.
Alt und naiv ist gewiß die Vorstellung Gen. 28, 12, wonach
eine Leiter die Verbindung zwischen Himmel und Erde bildet’).
') S. Housset, Die Hiinuiclroise der Scl-Io iin Archiv f. Kcligiuns-
vtissensch. IV, l.äfi ff’
*) Gen. 5, 24. .Auch sein babylonisches Äquivalent, der lirkönig Kn-uie-
dur-an-ki = EieöoQaxog, wird in die Vcrsainuiliing der AVahrsagegöttor
8chauiasch und Adad berufen, aber es ist in un.sern Quellen nicht bemerkt, ob
diese Heriifiing auch eine Kntrnckiing war; vgl. iSiuunevn a. a, 0. 8.533.
’) 8. Jensen a. a. 0. 8. 245.
*) Nachdem Gott Bel ihm und seinem Weibe verkündigt, dall sie wie
Götter sein und in die Gefilde der Soeligeii entrückt werden sollen.
*) S. Kusebius, Gbron. ed. Seboene I, 19 ff.
*) II Koen. 2, 11.
*) Diese Leiter spielt auch eine Rolle in Mohammeds nScbtlichcr iteise und
Himmelfahrt, In einer Nacht wird er durch das Fabeltier El-Boräq von Mekka
nach Jerusalem gebracht und unternimmt dann auf der Jakobsleiter seine
Himmelfahrt; vgl. Müller, Der Islam I, 85 f. Im späteren Islam, besonders
in Tausend und eine Nacht werden dann alle möglichen Arten von Luftfahrten
sehr häufig beschrieben.
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42
Wenn man aber von diesen Flügen absieht., bei denen gewßhn-
lich die (tottheit selbst helfend eingreift, so lag es am nächsten,
sich zuerst die Vögel als Vorbilder oder Vermittler des Fliegens zu
nehmen. So entstand die Anschauung. daQ man sich entweder
mittelst Flügeln in die Luft schwingen (I)aedalus, Ikarus), oder
durch Vögel, meist Adler, direkt in die Lüfte tragen lassen könne
(Ganymed).
Ks ist zwar nirgends ausdrücklich gesagt, aber jeden-
falls anzunehmen, daß die assyrischen (icnien und Stierkolosse, die
.sehr häufig mit Flügeln darge.stellt sind, diese auch wirklich zum
Fliegen benutzten. Auch die beiden Keruben im salomonischen
Tempel (I Koen. 6, 23 ff.) hatten 5 Ellen lange Flügel.
Besonders aber von der zweiten Art des Fliegens lassen sich
auch in den Fabeln des semitischen Orients mehrere Beispiele an-
führen.
Dem Heros Etana ') soll ein Sohn geboren werden, der die
Herrschaft des Landes ausüben soll. Die Geburt geht aber ans uns
unbekannten Gründen nicht gut von statten, darum bittet Etana in
seiner Not den Sonnengott um Hilfe. Der weist ihn an den Adler,
mit dessen Unterstützung er „das Kraut des Gebarens“ aus dem
Himmel der Istar, der Göttin der Fruchtbarkeit, herabholen solle.
Dieser Flug in die Lüfte, der in zwei Ab.schnitten zu je drei
Doppelstunden’) stattfand, wird nun genau beschrieben’):
„Der Adler [spricht] zu ihm, zu Etana:
„„Mein Freund
Wohlan, ich will dich tragen zum Himmel [des Anuj.
Auf meine Brust leg [deinen Rücken],
auf die Schwungfeder meiner Flügel leg [deine Hände],
auf meine SeUe leg [deine Seite].““
Auf seine Brust legte er [seinen Rücken),
auf die Schwungfeder seiner Flügel legte er [seine] Hän[de],
auf seine Seite legte er [seine] Sei[te],
') FUr den Zusammenhang des Mythos s. Zimmern a. a. 0. S. 564 ff.
Für die Übersetzung s. Jensen a. a. 0. S. 101 ff.
’) Die Babylonier zUiIten nach Doppelstunden, deren 12 auf einen Tag
gingen.
’) S. Jensen a. a. U. S. 11311.
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43
Ipfjte sich fest an, sodaß proß ward seine Last. Nachdem er
[üin| eine Doppelstunde getragen,
sprilcht] der Adler zu ihm, zu Etana:
,, Schau, mein Freund, die Erde, wie sie geworden ist.
Wirf einen Hlick auf das Meer an den Seiten des Welt{berges].
Die Erde sieht aus (?) wie ein Berg, und das Meer ist geworden
zu Wassern [eines Flusses] (?)').““
Nachdem er [ihn] die zweite Doppelstunde emporgetragen,
spri[cht] der Adler zu ihm, zu Etana;
„„Schau, mein Freund, die Erde, wie sie geworden ist.
Die Erde ist [wie ein Ackerheet] (?)*).““
Nachdem er [ihn] die dritte Doppelstunde emporgetragen,
spr[icht] der Adler zu ihm, zu Etana:
„„Schau, mein Freund, die Erde, wie sie geworden ist.
Das Meer ist geworden zum Graben eines Gärtners.““
Nach dieser Fahrt gelangen beide zum Himmel des Anu,
dem sie ihre Reverenz erweisen. Nach einer Ruhepause geht
der Flug weiter zum Himmel der Istar:
„Nachdem er [ihn] ei[ne] Doppelstunde [emporgetragen],
(spricht er):
„„[Mein] Freund, sich die Erde, wie sie [geworden ist].
Von der Erde ist etwas zu sehen (?) [so groß wie die Mond-
scheibe] (?)'),
und das weite, Meer ist so groß wie der Hof (des Mondes).““
Nachdem er [ihn] die zweite Doppelstunde [emporgetragen],
(spricht er):
„„Mein Freund, sieh die Erde, wie sie geworden ist.
Die Erde ist geworden zu einem Mehltladen (?) '),
und das weite Meer so groß wie ein Brotkorb.““
Nachdem [er ihn] die dritte Doppelstunde [emporgetragen],
(spricht er):
„„Mein Freund, sieh die Erde, wie [sie verschwunden ist] (?) ').
Ich sehe die Erde, daß sie [verschwunden ist] (?)’)i
und vom weiten Meere werden [meine Augen] nicht ge-
sättigt.““
Diene Ergänzung int unnicher.
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Nun aber bemächtig sich Ktanas eine große Angst. Er will
(len Adler veranlassen, Halt zu machen, dabei reißt er den Vogel
mit sich, und beide stfirzen in die Tiefe. Das Ende der Erzählung
ist uns leider nicht erhalten, sodaß wir nicht wissen, was aus Etana
und seinem Kinde geworden ist.
Diese Sage war in Babylonien sehr bekannt und wurde auch
auf Siegelzylindem vielfach bildlich dargestellt"). Daher ist es
nicht zu verwundern, daß sie in mannigfachen Formen auch zu
andern Völkern gewandert ist. Nicht ganz sicher ist der Zusammen-
hang zwischen unserm Mythus und der von Aelian*) erzählten Ge-
schichte des Gilgamos, der ja eine ähnliche Heroenfigur wie Etana
ist. Dort läßt der babylonische König Seuechoros den Sohn seiner
Tochter von der Zinne des Palastes werfen, weil nach einer Weis-
sagung sein Enkel ihm die Herrschaft rauben werde. Ein Adler
fängt aber den Knaben mit .seinen Klügeln auf und bringt ihn zu
einem Aufseher, der ihn auferzieht. Später bemächtigt sich der
Jüngling dann wirklich der Herrschaft, sodaß die Weissagung in
Erfüllung geht. In dieser Erzählung hat, wie Aelian .selbst her-
vorhebt, eine Vermengung mit der Danaesage stattgefunden, aber
das riiarakteristische bei beiden Erzählungen ist, daß hier wie dort
Gilgamos - Etana auf dem Adler reitet.
ln späterer Zeit wurden dann alle diese tabulosen Züge auf
Alexander den Großen übertragen. Nach Pseudokallisthenes*)
spannt Ale.xander der Große vor einen Wagen zwei ausgehungerte
Raubvögel, vor denen er eine Leber aufhängt. Indem sie diese zu
erhaschen suchen, wird der Wagen mit Alexander so hoch in die
Höhe gezogen, bis ilim die Erde wie eine Tenne und das Meer wie
eine Schlange erscheint. .Auch im Talmud ‘) wird von Alexander
erzählt, er hatte sich so hoch in den Himmel hinaufgeschwungen,
daß ihm die Erde wie ein Ball und das Meer wie eine Schüssel
erschienen sei. Die .Araber schreiben diese Luftfahrt jedenfalls ur-
') S. Har per in Bcitr&gc zur .\ssjrioI. 11, 408.
’) Anim. Histor. XII, 21.
’) II, 41 Ber. C 0(1. Mnllor.
Talm. jer. Aboda zara 3, I. Vgl. speziell Israel Levi, Rev. des
idudcs juires VII, 78 ff., der dort alle Stollen, wo Alexander im Talmud und
Midrasch erwähnt wird, zusanunenstellt.
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45
sprflnglicher dem Nimrod zu '), wof?ej(en die Perser sie wieder von
ihren Heroen Kai-Kaos sowohl wie Dschemschid erzählen*).
Diese blrzählung mag uns hinfiberleiten zur Achiqargeschiehte.
Das Märchen vom weisen Achiqar, dem Minister Sanheribs, der von
seinem Neffen Nadan gefangen gehalten, dann aber befreit wird und
in Ägypten vor dem Pharao allerlei Kunststflcke ausführt, ist uns
vorläufig nur in jüngeren syrischen und arabischen Übersetzungen
erhalten’). Aber neuere Untersuchungen haben gezeigt, daß die
Geschichte zweifellos altnrientalischen Ursprungs ist’). Nicht nur
ist der zweite Teil der Aesopvita des Maximus Planudes*)
sicherlich von der Achiqargeschiehte abhängig, sondern auch die
Anspielungen im Buche Tobit‘) beweisen, daß zur Zeit seiner Ab-
fassung d. h. also c. im ersten vorchristlichen .Jahrhundert die
Achiqarlegende in Israel vollkommen bekannt war. Diese Erkenntnis
hat in allerjüngsUw Zeit eine ungeahnte Hestätijgung gefunden, in-
dem bei den Funden aramäischer Papyri in Elephantine, die unter
anderm sehr wichtige historische Urkunden aus dem fünften
vorchristlichen Jahrhundert enthalten’), auch Fragmente einer
aramäisch geschriebenen Version der Achiqarlegende zu Tage
getreten sind. Es besteht die Hoffnung, daß diese Dokumente in
Bälde werden herausgegeben werden. Trotzdem wir die Geschichte
auf diese Weise bis in das fünfte Jahrhundert hinauf verfolgen
können, glaube ich nicht, daß sie uns in dieser Fassung in der
ältesten, ursprünglichen Form vorliegt. Die Schilderung des Ver-
kehrs der beiden Höfe von .\ssyrien und Ägypten weist derartige
charakteristische Züge auf, wie wir sie Jetzt durch die Amama-
knrrespondenz kennen, daß man schon hierdurch zur Annahme
assyrischer Entstehung des Märchens getrieben wird. Dann aber
kommt hinzu, daß eine ganze Anzahl Eigennamen eine augen-
scheinlich babylonisch - assyrische Fonn haben. Der Name des
q Vgl. Israel I.eri a. a. O. lll, '239; Lidzbarski in Zeitachr. f.
.Assyriol. VII, 113; Kalide, Der grieeh. Koman S. 188.
’) Vgl. Meißner in Zeitaelir. d. deutsch. uiorgcnl.liescII.'<cb. XXXXVIII, 190^
’) Vgl Conjbenre, Harris, Lewis, The story of Ahikar.
*) Vgl. Smend, Alter und Herkunft des Achikar-Itoinans.
*) Vgl. Eberhard, Kabniae romanenses I, 125 ff. Es handelt sich um
die KapiUd '23—32.
«) Tob. 1,21 ff.; '2, 10; 10, 17; 14, 10 ff.
’) Vgl. Sachau, Drei araui&isebc Hapyriisurkunden aus Elephantine.
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Haupthelden findet sich als Achum - iaqar, Achi-iaqar sehr
häufig im Zwei Strom lande von der Zeit von ‘2000 bis 650 v. Chr. ').
Der Name des Neffen Nadan ist rein assyrisch, ebenso wie der
seines jüngeren Bruders Nebozaradan*), und auch der Name des
Henkers Nebosemakh kann assyrisch erklärt werden. Aus diesen
Gründen suche ich also den Ursprung der Sage in Assyrien. Aber
selbst wenn sich das nicht bewahrheiten sollte, müs.sen wir sie
trotzdem als altorientalisch ansehen und können ihre .Angaben hier
verwerten. Die Stelle, die für uns in Betracht kommt, lautet unge-
fähr folgendermaßen. Als Achiqar von seinem Neffen gestürzt war
und nur durch eine List des Scharfrichters gerettet sich in einer
unterirdischen Kammer auf hielt, schickte der Pharao von Ägypten
einen Brief an Sanherib, worin er ihm die Aufgabe stellte, ihm eine
Burg in der Luft zu bauen. Wenn er es könnte, wollte er ihm
Tribut für drei Jahre geben, wo nicht, sollte jener zur Hergabe
derselben Summe verpflichtet sein. Als niemand Rat wußte, erötfnet
der Scharfrichter dem bekümmerten Könige, daß Achiqar noch am
Leben sei, und daß der vielleicht helfen könne. Hoch erfreut ließ
jener nun den armen Achiqar kommen und bat ihn um Hilfe. Der
ließ nun zwei junge Adler fangen, zwei je zweitausend Ellen lange
Leinwandstflcke weben und zwei Kästen bauen. Dann nahm er zwei
kleine Knaben, band die Zeugstücke an die Füße der Adler und
ließ die Knaben sich auf die Rücken der Tiere setzen. Alle Tage
flogen die Vögel nun etwas höher mit ihnen, bis sie zweitausend
Ellen hoch in die Lüfte stiegen. Die Knaben aber sollten von oben
herab rufen: „Bringt uns Steine, Lehm und Kalk, damit wir das
Schloß des Pharao bauen ; denn die .Arbeiter sind müssig“. Nach
vierzig Tagen waren die Vorbereitungen beendet, und, nachdem
Achiqar dem erstaunten Könige sein Werk gezeigt, begab er sich
mit großem Gefolge nach .Ägypten. Dort wird dann die .Aufgabe
genau in der angegebenen Weise gelöst, und die erstaunten Ägypter
müssen sich als überwunden bekennen. Ganz ähnlich ist die Er-
zählung in der Aesopvita. Hier läßt Aesop zur Lösung seiner .Auf-
gabe vier junge Adler fangen, welche er so abrichtete, daß sie
Ballons (&vXaKes) mit Knaben in die Höhe trugen und, wie jene
®) Vgl. Ranke, The Babjl. eipcdilion of tho uniTcraity of Pennsyl-
vania VI, 1,36.
’) Dieser Name küinml allerdings auch im Alten Testament (II Kön. 25, 8;
Jer. 33,8; 52, 12) vor. Hier ist er der General Nebukadneiars.
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wollten, auf- und abwärts flogen. In Ägypten fliegen dann die vier
Adler, als die Aufgabe gestellt wird, die Burg in der Luft zu
bauen, in die Höhe mit den Knaben, die von dort aus naeh Bau-
material verlangen. Als der Pharao entgegnet, er habe keine ge-
flügelten Menschen, erwidert Aesop, sein König habe welche.
Auch diese Erzählung vom Bau eines Gebäudes in der Luft ist
mehrfach weitergewandert. Nach dem Talmud ') soll K. Josua ben
Chananja, ein Zeitgenosse des Kaisers Hadrian, mit griechischen
Weisen disputiert haben. Als diese ihm aiifgaben, ein Haus in der
Luft zu bauen, sprach er den Schern *) aus, stieg in die Höhe und
hing zwischen Himmel und Erde. Von da rief er ihnen zu: „Bringt
mir Ziegelsteine und Lehm“. Auch nach persischer Überlieferung,
wie sie uns z. B. bei Tabari’) und Hamza*) vorliegt, liefl sich der
mythische König Kai-Kaos von den Dämonen eine in der Luft
hängende Stadt bauen. Tabaris Erzählung lautet: „Es glauben
einige Mythographen, daß die Satane, die dem Kai-Kaos unterworfen
waren, ihm nur auf Befehl Salomos, des Sohnes Davids, gehorchten
und ihm eine Stadt namens Kaikadar (?) bauten, deren angebliche
Länge achthundert Parasangen war. Sie umgaben sie mit einer
Mauer von Bronce, einer von Kupfer, einer von Erz, einer von Thon,
einer von Silber und einer von Gold und trugen sie dann in die
Luft zwischen Himmel und Erde mitsamt dem Vieh, Häusern,
Schätzen und Menschen“.
Diese Beispiele mögen genügen zum Beweise dafür, daß auch
schon der alte Orient sich lebhaft mit der Frage der LuftschifTahrt
beschäftigte. Ob man aber über diese Phantiisien hinausging und
sie auch praktisch zu lösen versuchte, ist ungewiß, ja unwahr-
scheinlich. Erst unserer modernen Zeit ist es Vorbehalten gewesen,
auch die Luft zu_ erobern.
*) Bechor. 8 b.
’) Iler Name Gottes, das heilige Tetragrammaton, dureb dessen Aus-
sprache man in der Luft hingen kann; vgl. auch Sanbedr. 95 a.
’) I, G02.
*) S. 35 ed. Gottwaldt.
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Begraben und Verbrennen
im Lichte der Religions- und Kulturgeschichte'^.
Von Dr. Otto Schräder.
Es ist die Welt des Todes, die wir heute mit einauder durch-
wandern wollen. Lassen Sie uns diesen Gang antreten mit den
Worten des Dichters, dessen jeder gern gedenken wird, wenn er sich
anschickt, über die urewigen Fragen des Menschenlebens nachzudenken;
,Des Todes rührendes Bild steht
Nicht als Schrecken dem Weisen, und nicht als
Ende dem Frommen.
Jenen drängt es ins Leben zurück und lehret ihn
handeln ;
Diesem stärkt es zu künftigem Heil, im Trübsal
die Hoffnung:
Beiden wird zum Leben der Tod.“
Der Tod — ein Leben, ein Leben in des Wortes verwegenster Be-
deutung, eine Fortführung des irdischen Daseins mit allen seinen Be-
dürfnissen, Wünschen und Leidenschaften, das ist zugleich die Auf-
fassung unserer fernen V'orzeit, und die Befriedigung dieser Bedürf-
nisse, Wünsche und Leidenschaften der Toten durch die Lebenden
der innerste Kern eines fest.geregelten Totendienstes, dessen Bedeutung
von Schritt zu Schritt wächst. Je weiter wir in die Vergangenheit
zurflckgehen*).
Welch eine Fülle seltsamer Gebräuche überrascht uns, mögen
wir uns nun dem frühen Altertum der Inder, Griechen, Körner und
Deutschen oder denjenigen Teilen Europas zuwenden, in denen die Ver-
hultnis.se und Gedanken der Urzeit unter primitiveren Kulturzuständen
oft bis auf den heutigen Tag bewahrt sind, namentlich den litau-
ischen und slavischen Völkern.
Da sehen wir den Toten in festlicher Kleidung aufgebahrt und
Freunde und Nachbarn mit eindringlichen Fragen, als ob er es hören
') Vurlrag, ^'cbalten in der Schlesiaelieii (Jesellachafl fBr Volkskunde am
14. .lanuar 1910.
Die wissenscliafiliclien Beleg« für die hier vurgeLrageucn Tatsachen und
-tnschauungen wolle mau in meinem Keallcxikon der Indugermauischeii Altertums-
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und verstehen könnte, an ihn herantreten: „Warum er eigentlieh ge-
storben sei, er, der doch genug zu essen und zu trinken, Weib und
Kind, Ochsen und Schafe besessen habe.“ Da liören wir die Frauen
der luiclisten Verwandtschaft, Mutter und fiattin, Tochter und Schwieger-
tochter einzeln und ini Chor, oder auch gemietete Klageweiber, deren
Kunst im Umkreis sieh eines großen Rufes erfreut, bewegliche und
nicht enden wollemle Klagelieder anstimmen. Da .sind wir Zeugen
w'ütender, obgleich wie alles fibrige durch die Sitte vorgeschriebener
Schmerzensausbrüche, die sich im Zerraufen der Haare, im Zerkratzen
der Brüste und Wangen, im sich Hinwerfen auf den Flrdboden äußern.
Und im schrillen Mißklang zu diesem Leid ziehn sich durch alle
Phasen der Bestattung mehr oder minder geräuschvolle Lustbarkeiten:
Schmüuse und Zechereien , Spiele und Wettkämpfe , Tänze und
Maskeraden.
Sind aber die Tage der Bestattung, neben der Hochzeit des
höchsten Familienfestes unserer heidnischen Vorzeit, vorüber, so um-
schlingt ein neues, noch dauerhafteres Band die Lebenden und die
Toten. Immer aufs neue, z. B. am dritten, sechsten, neunten,
zwanzigsten, vierzigsten Tage nach stattgehabtem Begräbnis, dann
wieder nach Verlauf eines halben .lahres und periodisch bis zum
.lahresschluß muß die einzelne Familie des Toten mit umständlichen
Bräuchen gedenken, wozu für das ganze Volk in den verschiedensten
Zeiten des .lahres große allgemeine Totenfeste treten, an denen sich
die Gräber öffnen und die Toten bei den Lebenden einkehren. Wehe
der Familie, die ihre Verstorbenen vernachlässigt; denn diese sind
mächtige Götter geworden, obwohl mau sie einfach als die „Väter“,
„Großväter“ oder „Urgroßväter“ bezeichnet. Auch unser Wort „Ahnen“
hatte ursprünglich diesen Sinn. Sie sind strenge Hüter der Familien-
ordnung und rächen mit grausamen Strafen wie Mißwachs, Familien-
zank, Kinderlosigkeit sich an dem, der die schuldigen oder ver-
sprochenen Opfer ihnen vorenthält.
Aus der Fülle der Bräuche, die sich um diesen urväterlichen
Totendienst und .\hnenkultus schlingen, will ich eine Reihe von ein-
zelnen Zügen her.ausgreifen, die besonders geeignet erscheinen, über
die Vorstellungen unserer Vorzeit von dem Leben der Toten jenseits
des Grabes Licht zu verbreiten. Dabei soll ein Unterschied zwischen
kuude SlralSburtr lüOI (in 2. .\ufla}:« in Vorbün-ilung) und in incinnm .\nfsntz
Arjan Kriigion in di-r von .Tames Hastings luTausgogebcncn Kiii-vclopacdia of
Beligion and Ethicä, Vol. U (Ediiiburg 1910) anrsuchuu.
Mitti'iluD^en d. scblvs. lies. f. Vkde. Uaud XII (Heft 1). 4
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Begraben und Verbrennen, dem eigentlichen Gegenstand der heutigen
Besprechung, zunächst noch nicht gemacht werden.
Aus einem der kulturentrOcktesten Teile Europas, dem sogenannten
Weißrußland, das die Gouvernements Smolensk, Witebsk, Minsk,
Mohili'w u. a. umfaßt, wird uns folgender Begräbnisbrauch berichtet:
„Man senkt den Körper ins Grab zusammen mit den Lieblings-
gegenständen des Toten. Wenn er z. B. ein Schuhflechter war,
so legt man ihm einen angefangenen Schuh hin, wenn ein Zimmer-
mann oder anderer Gewerbetreibender, so gibt man ihm Axt, Meißel,
Hobel, Säge usw. Außerdem legt man jedem Toten in den Sarg:
Hrod, Salz, Eier für einen Eierkuchen, Nüsse, Bier und eine Flasche
Schnaps, ebenso wie eine kurze Tabakspfeife mit Tabak und Feuer-
zeug oder eine Schnupftabaksdose.“ Besonders häufig werden beim
(jraben neuer Gräber Flaschen mit Schnaps gefunden, welche die
Totengräber, erfreut über den köstlichen und abgelagerten Fund, auf
der Stelle zu leeren sich kein Gewissen machen. „An den Gürtel
des Mannes, oberhalb des Hemdes, hängt man einen Beutel, der mit
glatten Kupferknöpfen versehen ist und ein kleines Messer in lederner
Scheide, Gegenstände, von denen sich der Bauer im täglichen Leben
nicht trennt. Wie dem Manne, so legt man der Frau in die Busen-
l'alte des Hemdes ein reines, leinenes Taschentuch, damit sich der
Verstorbene (wie die Bauern ausdrücklich versichern) vorkommenden
Falls Auge, Nase und Mund abwischen könnte.“
Mit Staunen sehen wir also, daß sich hier noch unter der vollen
Herrschaft des Christentums fast unversehrt ein Brauch erhalten hat,
iler sich an der Hand der Ausgrabungen durch alle Perioden unserer
Vorgeschichte bis in die sogenannte „ jüngere Steinzeit“, d. h. bis in
<lie Epoche, in der der Mensch seine Waffen und Werkzeuge nur
aus geglättetem Stein oder Horn herstellte, verfolgen läßt, der
Brauch, dem Toten Gefäße mit Speise und Trank, Waffen, Werk-
zeuge, Haushaltungsgegenstände jeder Art, Toilettegegenstände.
Schmucksachen usw. in den Tod mitzugeben. Die ersten Spuren
dieser Sitte lassen sich nach den neusten Ausgrabungen sogar schon
in palaeolithischer Zeit nachweisen.
.Jede prähistorische Sammlung ist reich an Beispielen. In dem
Museum meiner Vaterstadt Weimar hat es der in einem Steinkisten-
grab aus dem Derflinger Hügel bei Kalbsrieth in der Enclave Allstedt
des Großherzogtums Sachsen in Hockerstellung beigesetzte Tote zu
einer gewissen Berühmtheit gebracht. Seine Beigaben waren ein großes
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Tongetaß und eine flache Trinkschale, ein FeuersteinbeiJ, drei Knochen-
nadeln, drei Schmuckstücke aus Schweinezähnen, ferner zwei Schinken-
knochen und drei Schweinsfüße, auch ein Unterkiefer vom Hausschwein.
Einem anderen Skelett aus der Gegend der Zuckerfabrik in All-
stedt selbst waren beigegeben: eine Hirschhorna.xt, ein Feuersteinmesser,
ein Löffel aus einer Flußmuschel, ein Schlagstein zur Rohfabrikation von
Beilen und ähnlichen Werkzeugen, ein angefangenes Beil (ganz wie
in Weißnißland ein angefangener Schuh), eine Art Knebel vielleicht
zum Zusammenhalten eines Gewands, und eine Handmühle. Sehr
anschaulich wirkt auch der schlesische Landsmann :ms Jordansmflhl
im Breslauer Museum, einer etwas späteren Zeit oder einer etwas
fortgeschrittenen Kulturperiode angehörig. Ihm waren beigelegt: zahl-
reiche Finger- und Armringe, eine Halskette mit Brillenspirale, zwei
F'lintspäne, sechzehn steinerne messer- oder sägenartige Gegenstände,
eine steinerne Axt, zwei große Eberhauer und endlich drei Gefäße, von
denen eins mit acht Hasenläufen — doch wohl einer Lieblingsspeise
des Toten — angefüllt war.
Höchwahrscheinlich stellen derartige Grabinventare zugleich die
gesamte persönliche Habe der Verstorbenen dar. Wir stehen in
den Anfängen der Enhvicklungsgeschichte des persönlichen Eigen-
tums. Haus und Hof, Vieh und Feld gehören der Familie oder
Sippe. Wirkliches Eigentum des Einzelnen ist nur die sogenannte
„Fahrnis“, vor allem Waffen und Werkzeuge des Mannes, Schmuck-
und Spinngeräte des Weibes, und da es in jener Epoche weder den
Begriff der Erbschaft noch den des Testamentes gibt, so ist es ein
durchaus folgerichtiger Gedanke, diese Fahrnis dem Toten als Aus-
stattung für das künftige Leben ursprünglich unverkürzt mit ins
Grab zu geben. Hierauf weist auch die in den altgermanischen
Rechten vorhandene Idee des „Totenteils“ hin, d. h. eines rechtlichen
Anspruchs, den der Verstorbene an seinem Nachlaß hatte, und den
später die Kirche unter dem Namen „Seelgeräte“ für sich mit
Beschlag belegt hat.
Was hier mit Beziehung auf die ältesten verhältnismäßig ärm-
lichen Grabausstattungen der thüringischen Länder oder Schlesiens
gesagt ist, gilt ebenso natürlich von den reicheren Grabinventaren,
wie wir sie namentlich in den skandinavischen Ländern oder im
Süden Europas finden. Greifen wir gleich das üppigste von allen
heraus, wie es von Heinrich Schliemann in dem vierten der auf
der Königsburg von Mykenae, also aus vorhomerischer Zeit, bloß-
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freieren (»raber an den Tag gebracht worden ist. Hier fanden sich
fünf (^eril>{te, Ober die ein geradezu unerhörter Keichtum der ver-
schiedensten Wertstücke ausgelireitet war. Gesieht-smasken , Hrust-
plaften, Diademe, Kronen, Knöi>fe, Blumen, SchultergOrtel, Arm-
bänder, Hinge, Beclier, Kuhköpfe, Modelle von Tempeln, alles aus
purem Gold, Schwerter und l.anzen aus Bronze, Kessel aus Kupfer,
Vasen aus Terracotta, Schmuck aus Bergkrvstall. Bernstein, Alabaster,
aber auch .Vusterschalen und ungeölfneto Austern, die beweisen, daß
es schon damals „.\usternfreunde“ gal). Natürlich können wir nicht
strikte beweisen, dali diese Schatze den ge.samten Keichtum dieses
Fttrstengeschlechts ausmachten; aber wenn wir bedenken, dali noch
in den homerischen Gedichten sich die 8))uren des Gebrauchs finden,
den Toten ihre ganze Habe mitzugeben (hom. Kn’f)Eit KreQif^etv
„Jem. die letzten Ehren erweisen**, eigentlich aber wohl „ihm den
Besitz darbringen“), ist es zum mindesten sehr wahrscheinlich.
Begreitlicherweise mulJte diese unglaublich unwirtschaftliche Ver-
wendung des Besitzes frühzeitig Bedenken erregen, und tatsächlich
sehen wir die griechischen und römischen (Tcsetzgebungen bald gegen
sie, ebenso wie gegen anderen Luxus und andere Übertreibungen der
Begräbnisse, Front machen. Schoti in der römischen Zwölftafelgesetz-
gebung war das Verbot enthalten, „Gold dem Scheiterhaufen hinzii-
zufügen“, mit Ausnahme des Goldes, durch welches „die Zähne ver-
bunden sind“. Einen Schädel mit goldenem Gebiß kann man in
Hom im Museum di Papa Giuglio an der \Ta Flaminia in Augen-
schein nehmen.
Derartige Bestimmungen fehlten natürlich im Norden Europas.
.\ndererseits nahm :iber auch hier, nachdem die ersten Beziehungen
durch Handel und Verkehr mit dem Süden angeknüpft w'aren, und
die Metalle, zuerst Bronze und Gold, sich zu verbreiten angefangeii
hatten, iler Wohlstaml reißend zu. Überall — so müssen wir uns
die Entwicklung der Dinge vorstellen — tauchen aus der demo-
kratischen Gleichheit der l'rzeit, Völker gründend und Völker ver-
nichtend, von reisigen Gefolgsleuten umgeben, mächtige Fürsten-
geschlechter auf, die nun darauf bedacht sind, wie ihr irdisches, so
aiich ihr jenseitiges Dasein zu verschönen. Neue Arten von Toten-
beigaben, obwohl fast immer nach südlichem Vorbild, werden daher
in den späteren Epochen unserer Urgeschichte üblich.
Besonders häufig wird das Pferd, das ja noch heute ilem Sarge
lies Fürsten folgt, dem Reifer in sein Grab mitgegelien. Am prunk-
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vollsten waren in dieser Heziehiing die Leiehenbegaiignisse der sky-
thischen Könige, die einst an den nördlichen Gestaden des Schwarzen
Meeres herrschten. .■Vber noch Tacitus berichtet von un.seren Vor-
fahren, ,,dali dem Scheiterhaufen einiger Männer auch ihr Pferd liei-
gegehen wird.“ ja nach einem russischen Heldenlied ]dlegte es zu
geschehen, daLl der tote Beiter seihst auf seinem Pferde in das Grab
gesenkt werde:
„Da fingen sie dort an ein tirali zu gralien.
Sie gruben aus ein tiefes, großes Grab,
Pin tiefes wohl 20 Faden breit.
Und da ward Potok Michail Ivanovic
Mit dem Pferd und dem kriegerischen Küstzeug
Hinuntergelassen in das tiefe Gral).
Und sie hüllten es ein mit eichener Decke
Und überschütteten es mit gelbem Sande.“
\Vie die Beste von Pferden, so werden aus den Grabhügeln auch
Wagen, ja — bei den NVikingern — ganze Schiffe ausgegraben.
•\ber damit ist noch lange nicht der Gedanke iler Totenbeigaben
bis zu Ende gedacht, .lener armselige Hocker im Dertlinger Grab-
hügel mochte sich .seine SchweineripjK-hen selbst servieren. Der Fürst
und Vornehme al)er bedurfte der Hilfeleistung des Dieners, und so
ist es eine durchaus folgerichtliche Scheußlichkeit, am Grabe oder
Scheiterhaufen des Herrn Sklavinnen und Sklaven, bei den Leichen-
begängnissen der skythischen Könige den Mundschenk, Hofbitcker,
Stallmeister, Kammerdiener und .kdjutanten abzuschlachten. Und
weiter! .ledennann weiß, daß in Indien noch zur Zeit der eng-
lischen Herrschaft die Frau des Verstorbenen oder eine derselben
mit der Leiche auf den Scheiterhaufen gebracht wurde.
Weniger allgemein bekannt dürfte sein, daß derselbe Brauch
der Mitgabe eines Weibes, sei es der Ehefrau, sei es einer Bei-
schläferin, einstmals den ganzen Xonlen unseres Erdteils beherrscht
hat und ebenso bei Skythen und Thrakeni, den Völkern, die südlich
und nördlich der Niederdonau saßen, wie bei Slaven und Germanen
zu belegen ist.
Es hat nicht an Forschern gefehlt, die selbst diese furchtbare
Sitte in romantischem Lichte betrachtet und von einer vorbildlichen
Treue der Gatten oder Liebenden bis in den Tod gesprochen haben.
Nichts kann falscher sein als eine solche .\uffassung. Niemals und
nirgends ist es dem Manne eingefallen, der Frau in das tirab oder
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in die Flamme des Scheiterhaufens zu folgen. Die Frau steht in
dieser Beziehung ganz auf gleicher Stufe mit Sklavinnen und
Dienerinnen. Sie ist im Diesseits mit Leib und Leben dem Manne
zu Willen gewesen und soll es nun auch im Jenseits sein. Wohl
wird von mehreren Berichterstattern übereinstimmend hervorgehoben,
daß diese Frauen selbst sich nach dem Tode mit dem Manne
drängten und, wenn sie starben, deswegen von ihren (Genossinnen
gepriesen wurden. Allein wir dürfen nicht vergessen, daß es sich
hierbei meistens um Verhältnisse der Vielweiberei handelt, in denen
zu allen Zeiten ein Kampf der Frauen und Nebenfrauen um die Khre
stattgefunden hat, die Favoritin des Mannes zu sein, und nur in-
sofern ist dieser Ehrgeiz der nach dem Tode mit dem Manne ver-
langenden Frauen für unsere Zwecke von Bedeutung, als er Zeugnis
ablegt von der felsenfesten Überzeugung dieser unglücklich-glücklichen
Geschöpfe, «laß sie dereinst wirklich jenseits des Grabes als um-
neidete Favoritinnen der Männer, mit denen sie gestorben sind,
leben werden.
Äußerst lehrreich ist in dieser Beziehung der Bericht eines
arabischen Reisenden, der im Jahre !)’il n. (Jhr. einem derartigen
Leichenbegängnis der Russen beiwohnte. Der vornehme Tote liegt
in kostbarer Kleidung auf dem Schiff, mit dem er verbrannt werden
soll. Eins seiner Mädchen hat sich bereit erklärt, mit ihm zu
sterben. Nach einer langen Reihe wunderbarer Zeremonien, die
darauf hinzudeuten scheinen, daß eine förmliche Vermählung des
Toten mit der Lebenden, eine richtige Totenhochzeit vorgenommen
wird, wird das Mädchen in halb exstatischem und berauschtem
Zustand auf den flachen Händen der Männer dreimal emporgehoben,
so «laß sie den Toten erschauen kann. „Sieh“, ruft sie das erste
Mal, „hier sehe ich meinen Vater und meine Mutter“. „Sieh“, das
andre Mal, „jetzt sehe ich alle meine verstorbenen Anverwandten
sitzen“. „Sieh“, das dritte Mal. „dort sitzt mein Herr, er sitzt im
Paradiese. Das Paradies ist so schön und grün. Bei ihm sind
.«eine Männer und Knaben; er ruft mich, so bringt mich denn zu
ihm“. v. Kurze Zeit darauf gibt ihr ein finsteres Weib, das sie den
Todesengel heißen, den Gnadenstoß.
So ist der Tote mit seiner gesamten Habe, seinem Pferd, seinem
Diener, seinem Weibe wohl für das zukünftige Leben versehen.
Speise und Trank werden in reicher Menge um ihn aufgestellt, Über-
reste des Leichensidimauses, der zur Ehre des Verstorbenen am Tage
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des Begräbnisses und am Grabe selbst von Verwandten und Freunden
abgehalten worden ist.
Allein diese Lebensmittel können dem guten Appetit, über den
auch die Vorstorbenen verfügen, nicht lange genügen. Es ist daher
notwendig, daß die Näch.ststehenden von Zeit zu Zeit den Toten
neue Nahrung zuführen. Das ist der eigentliche Zweck jener zahl-
losen Erinnerungsfeste, von denen ich oben sprach.
An den großen Totenfesten bietet — oder bot wenigstens bis
vor kurzem ein russischer Friedhof einen wunderbaren Anblick. Um
die Gräber sind die Familien der Verstorbenen festlich versammelt.
Sie haben leckere Pfannkuchen. Pirogen, Kringel, gefärbte Eier,
Weizen- und Nudelfladen mitgebracht und breiten sie nun auf den
Gräbern aus. Dazu stellen sie Schnaps, Bier und Brahe auf, von
denen sie einige Tropfen auf die Gräber ausgießen. Dann rufen sie
die unterirdischen Gäste, einen jeden — das ist Totenbrauch —
mit vollem Namen und bitten sie beim Erinnerungsmahl, dem sie
natürlich auch selbst wacker zusprechen, zu essen und zu trinken.'
Anfangs geht die Sache, abgesehn von monotonen Totenklagen, still
zu, bald aber schallt fröhliches Geplauder über die Gräber und
schließlich wälzt sich ein brausender Strom lustiger Bursche und
Mädchen der benachbarten Wiese zu: Tanz, Spiel, Gelächter,
Kreischen, Liebeskosen.
Auch in den Häusern linden streng ritual geregelte Erinnerungs-
mahle statt. Auch hier ladet man die Toten unter Namensnennung
feierlich ein:
„Ihr heiligen Großväter, wir rufen Euch,
Ihr heiligen Großvater, kommt zu uns!
Hier gibt es alles, was Gott gegeben hat.“
Zuerst erscheint bei diesem Mahle das eigentliche Totengericht,
der Kanun, bestehend aus Graupen mit Honig, der Lieblingsspeise
der Toten, auf dem Tisch. Hiervon, sowie von jedem folgenden
Gang muß der Speisende unweigerlich einige Löffel neben sich für
die Toten auf den Tisch legen, so daß schließlich auf demselben
ein ganzer Mischmasch aller möglicher Sj)eisen vorhanden ist.
Anfangs herrscht eine gedrückte Stimmung. Jedes Geräusch ver-
kündet die Anwesenheit der Toten, deren man daher nur im Guten
gedenkt. Schließlich entläßt 7iian die Gäste wieder:
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„Ihr heiligen Uroüväter, Ihr seid hierher geflogen,
Ilir liabt gegessen und getrunken.
Fliegt jetzt wieder nach Hau.se.“
Kusch, kusch, wie man zu den Hühnern sagt, um sie zu
verscheuchen.
■\lles dies kehrt Funkt für Punkt bei Griechen und üömern,
Indern und Deutschen wieder, und auch die Ausgrabungen haben
manchen Zug einer luierhörten Healistik dieser Totenspeisungen an
den Tag gebracht. So ist in Mykenae über dem vierten Grab, von
dessen reichem Inhalt ich oben sprach, ein runder umi hohler Altar
gefunden worden, der bis zu dem Kaum der Toten führte, un«l durch
den ohne Zweifel Honiggüsse und das Hlut der Ojifertiere nach
unten entsendet wurden. In Rom hat der geniale Architekt Boni
sich mit kaninchenhafter Geschicklichkeit unter den Grundmauern
iler Tempel und Statuen, welche das Forum Komanum schmücken,
hindurchgegraben und hier aus der frühsten Zeit Roms einen Fried-
hof entdeckt. Auch hier zeigten sich in der Niihe der Gräber
röhrenförmige Gruben, die Überreste verbrannter Früchte und von
Milchspenden enthielten.
Auch im Altertum galt, wo immer Erinnerungs- und Leichen-
mahle abgehalten wurden, die Seele des Verstorbenen für anwesend.
Das war der Grund, daß man, ganz wie in Rußland, wie man sich
schon im Altertum ausdrückte, den Toten zu loben idlegte, auch
„wenn er ein schlechter Kerl gewesen war.“
Und ähnlich erklären sich die Spiele und Wettkämpfe, die
Neckereien, Tänze und Vermummungen, die überall, wie wir schon
sahen, zu Ehren der Toten abgehalten wenleri. Der Tote hat
seinen Siiaß im Leben gehabt. Er soll ihn auch im Tode nicht
entbehren.
Diese .Auffassung des Lebens nach dem Tode mußte naturgemäß
auch auf die älteste Grabanlage selbst einwirken.
Von griechischen und römischen Schriftstellern erhalten wir die
Nachricht, daß in der allerältesten Zeit die Toten überhaupt nicht
aus der Wohnung entfernt, sondern in ihr begraben worden seien,
und die neuesten .Ausgrabungen, die man in Griechenland in der
Landschaft Böotien unternommen hat, scheinen diese verblüffende
Alitteilung, ebenso wie deutsche und schlesische Funde, zu bestätigen.
Vielleicht war es auch nur der Hausherr, der in der eigenen Hütte
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am Henle seine Kühe fand und weiter über wohl und Wehe der
Seinen waltend gedaclit wurde.
Jedenfalls seheint hiermit ein bei mehreren Völkern unseres
Stammes z. B. in Rom nachweisbarer häuslicher Schlangenkultus zu-
sammenzuhängen, dem zu Folge eine oder mehrere Schlangen am
Henle gepflegt werden. Bei der wendischen Bevölkening des Spree-
walds werden noch heute in jedem Hause zwei Schlangen verehrt, die
„Hausherr“ und .,Hansfrau“ heiUen. Die Schlange aber ist —
noch in der griechischen Kunst — das Abbild der menschlichen
Seele.
Aber auch sobald man angefangen hatte, die Leiclie aus der
menschlichen Wolinung zu entfernen und ilir draußen eine Stätte
zu bereiten, konnte dies nach allem, was wir bisher über die Auf-
fassung des Todes eiTahren haben, nur in dem tiedanken geschehn,
daß dem Verstorbenen eine neue Wohnung errichtet werden müsse,
in der er nun in seiner .\rt weiterleben werde, und die Analogie der
menschlichen Wohnungsverhältnisse mußte hierbei mehr oder weniger
deutlich hervortreten.
Diese menschlichen Wohnungsverhältnisse müssen wir uns für
das vorröraische Nordeuropa so primitiv wie möglich vorstellen. Von
den auf PlTihlen — wie in der Schweiz — errichteten Hütten ab-
gesehn, handelt es sich liauptsächlich um sogenannte Wohngruben,
d. li. um mehr oder weniger tief in den Erdboden eingegrabene
Höhlungen, über denen aus Flechtwerk hergestellte und mit Lehm
beworfene Wände und Dächer errichtet wurden. Nur für Fürsten
und Vornehme werden mehrteilige Häuser und — viel leicht in Nach-
ahmung des südlichen Steinbans — eigentliche Blockhütten früh-
zeitig vorhanden gewesen sein. Der Steinbau selbst ist erst durch
die Körner in das nördliche Europa gekommen.
Wenn unter diesen Umständen füglich jeder für einen Ver-
storbenen in der Erde hergestellte oder mit Erde überdeckte Hohl-
raum als ein Ersatz der menschlichen Wohnung gelten konnte, so
mußte die .Aufmerksamkeit der Hinterbliebenen vor allem darauf
gerichtet sein, dem Aufenthaltsort des Toten eine Dauer zu verleihen
die den Hütten der Lebenden in Folge ihrer leichten Zerstörbarkeit
durch Feuer, Sturm und Feinde versagt war.
Die Dauerhaftigkeit der Wohnungen der .Abgeschiedenen ist
gerade auf dem Boden der altgermanischen Länder in überraschender
Weise erreicht worden.
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Schon mancher von Ihnen wird, wenn ihn seine Wanderung?
durch das Hannoverische oder durch Schleswig-Holstein oder über
die dänischen Inseln führte, in sinnender Betrachtung vor jenen
ungeheuren über einander getürmten Felsblöcken gestanden haben,
die stimmungsvoll über die Heide oder das geackerte Land hinweg-
schauen und unberührt von Jahrhunderten und Jahrtausenden
von alten Zeiten und Menschen erzählen. Es sind die unter den
Namen „Rundgrüber“, „Hflnenbetten“ und „Riesenstuben“ bekannten
Grabanlagen, von denen namentlich die letzteren zweifellos ins Gigan-
tische übersetzte Nachbildungen menschlicher Wohnungen sind. Oft
lange und doppelte, von aufrecht stehenden Steinen gebildete Gänge,
in denen man gebückt gehen kann, führen durch den Hügel, von
dem diese Riesenstuben noch meist bedeckt sind, in geräumige eben-
falls von aufrechtstehenden und Decksteinen gewaltigster Dimensionen
gebaute Kammern, deren Länge von zwölf bis vierzig Fuß schwankt.
Oft findet man in einem Grabe Skelette von vielen, zwanzig bis
dreizig und mehr Individuen mit Beigaben, die bisher keine Spur
von Metall gezeigt haben. Es waren ohne Zweifel Familien- oder
Sippengräber, wie wir uns auch die Wohnungen der Lebenden in
alter Zeit nicht von Sonderfamilien, sondern von Großfamilien d. h.
bei einander lebendem Vater, Mutter, verheirateten Söhnen, Oheimen
und Tanten besetzt denken müssen.
In Mitteleuropa und Rußland, wo diese megalithischen Bauten
verschwinden, sind es andere Denkmäler, die unsere Aufmerk-
samkeit fesseln.
Wer auf der Eisenbahn von Erfurt nach Sangerhausen fährt,
passiert unweit von Sömmerda die Station Leubingen, wo ein
berühmt gewordener Hügel schon von dem Jenaer Professor Klop-
fleisch, einem lange verkannten Pfadfinder auf dem Gebiete der Ur-
geschichte, ausgegraben worden ist.
Nicht allzuweit von Leubingen, in dem sogenannten Mannsfelder
Seekreis, bei einem Orte namens Helms dorf ist ganz neuerdings
ein dem Leubinger in vieler Beziehung verwandter Hügel aufgedeckt
worden. In beiden Hügeln sind über den Toten, die im Leubinger
Fall auf einem hölzernen Fußboden, im Helmsdorfer in einer bett-
formigen, gezimmerten Totenlade ruhten, richtige Holzhfltten — gute
Zimmermannsarbeit — mit steil abfallenden Dächern, dessen Bohlen
in Leubingen noch mit Schilf bedeckt waren, errichtet gewesen. Im
Leubinger Hügel war ein älterer Mann beigesetzt, dem quer über
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den Schoß ein Mädchen von eivva zehn Jahren gelegt war, im Helms-
dorfer anscheinend ein einzelner Mann in Hockerlage. Die Beigaben,
Bronzeäite, bronzene Dolchstäbe und Dolche, kleine Meißel, ein
Hammer aus Diorit, ferner reicher Goldschmuck, Armreife, Nadeln,
Spiralringe, Spiralröllchen u. a. weisen auf die älteste Metallzeit und
darauf, daß es vornehme Leute waren, die hier bestattet wurden.
In einer dichten Aschenschicht unter der Totenlade des Helmsdorfer
Hügels fand man noch die Skelette zweier Männer, die dem Toten
offenbar als Diener mitgegeben waren, wie auch das sehr junge
Mädchen in dem Grabe des älteren Herren einen tiefen Blick in die
Sitten und in die Sittlichkeit jener Zeiten gestattet.
Das Interessanteste für unsere Zwecke bleiben aber doch die
eine unzweideutige Absicht, dem Toten ein Haus zu errichten be-
kundenden Holzhütten des Leubinger und Helmsdorfer Hügels.
Es ist unseren Prähistorikern bis jetzt unbekannt geblieben,
daß ähnliche, ja fast gleiche Anlagen überaus häufig in den süd-
russischen Kurganen wiederkehren, d. h. in jenen Grabhügeln, die in
den Ländern nördlich des Schwarzen Meeres malerisch ül)er die Ein-
förmigkeit der Steppe ausgebreitet sind. Und zwar gilt dies sowohl
von den den einst in diesen tlegenden herrschenden skythischeu
Stämmen ungehörigen Kurganen wie auch von denen früherer, noch
mannigfacher Aufklärung bedürftiger Epochen.
Wenigstens auf eine dieser südrussischen Hüttenbestattungen sei
unter diesen Umständen besonders hingewiesen. Sie wurde im Jahre
1903 von V. A. Gorodzow in einem Kurgan des Gouvernements
Jekaterinoslaw aufgedeckt und gehört nach dem genannten Forscher
dem Ende des zweiten Jahrtausends v. Chr. an.
In der Tiefe des Hügels befand sich eine geräumige viereckige
Grube, auf deren Boden ein aus dicken eichenen Brettern hergestelltes
Gebälk (eine Art Totenlade) zutage trat. Zwischen den Wänden
der Grube und denen des Gebälks war in östlicher Richtung ein rot
gefärbter Topf und das Haupt einer Kuh niedergelegt. In allen vier
Ecken lag je ein Kuhfuß.
Innerhalb des Gebälks war in Hockergestalt ein weibliches
Skelett beigesetzt, mit den Handwurzeln unter dem Gesicht; auf der
linken Seite ruhend, mit dem Kopf nach N.O. gewendet. Am Halse
wurden kleine Stückchen auseinandergefallener bronzener Perlen oder
anderer ähnlicher Verzierungen gefunden. Vor dem Gesicht stand
ein irdener Topf, vor der Brust lag eine Reihe von Klappern, die
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aus dem Rückgrat eines Tieres iieraiisgeschnitten waren, unter dem
Skelett Kalkerde, unter dem Schädel Schilf.
Die größte Besonderheit dieser Bestattung aber bildete eine
Hütte, die über dem Gebälk errichtet war. Die Hütte bestand aus
zwei Säulen, die in nindlichen <lruben zu Häupten und Füßen des
Toten außerhalb des Gebälks eingegraben waren. .\uf die oberen
Enden der Säulen war ein Balken gelegt, an den sich Ä.ste lehnten,
sodaß sie das Geliecht eines nach zwei Seiten abfallenden Daclies
bildeten. Über den Ästen lag Schilf.
■\uf dem Daclibalken stand eine Reihe umgestürzter Töpfe und
eine stark verwitterte Handmühle aus S.indstein. Noch weiter oben
befand sich eine .\schenschicht. in ihr ein Kulikopf, vier Kuhbeine,
ein großer Topf mit Grübchenverzierung am Hals <les Gefäßes und
durclibohrtem Roden, verbrannte Knochen und ein Schleifstein.
Diese somit festgestellte .\nalogie des Grabes mit der mensch-
lichen Wohnung ließe sich weiter durch die Urgeschichte bis in die
geschichtlichen Zeiten verfolgen. Wir brechen ab, um uns einer
anderen, in dieselbe Richtung deutenden Erscheinung zuzuwenden.
In dem bisherigen habe ich einigemal den .■\usdruck „Hocker“,
„Hockerskelett“ gebraucht, was bedeutet, daß die betreuenden Toten
nicht ausgestreckt, sondern in zusaramengekauertem Zustand, als liegende
Oller sitzende Hocker beerdigt worden waren. Dieser Brauch hat
schon in der Steinzeit in Südrußland, Österreich-Ungarn. Deutsch-
land — wir brauchen uns nur den Toten aus dem Derflinger Hügel
zu vergegenwärtigen — , der Schweiz, Frankreich, England, Däne-
mark eine außerordentliche Verbreitung gehabt, und man hat teil-
weise sehr phantastische Erkläningen desselben aufgestellt.
Ich glaube aber, daß sein Sinn ein sehr naheliegender ist. Die
sprachlichen und sachlichen Hausforschungen der letzten Jahre haben
mit Deutlichkeit gezeigt, daß all das Hausmobiliar, das unser Heim
mit Behaglichkeit und Bei|uemlichkeit erfüllt, der Tisch, der Stuhl,
die Bank, das Bett außerordentlich spate Kulturerscheinungen sind,
und unsere Vorfahren demmich, solange sie sich in ihren gewiß sehr
niedrigen Hütten befanden, beim Gespräch, der .\rbeit, dem Essen
usw. auf jene hockende Stellung angewiesen waren, die wir eben in
den Gräbern finden. .\uch diese ist also nach meiner Auflassung
nur eine Vorspiegelung und Nachahmung des wirklichen Lebens für
das Scheinleben des Gralies.
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Kine liautige Begleitci^cheinung dieser Hockerskelette ist die an
ihnen hervortretende Farl)ung der Knochen; doch hat man erkannt,
daß dieselbe ni«dit erst nachträglich vorgenommen worden ist,
sondern vielmehr von Farbe, Rötel und Ocker, herrührt, die später
nach Zerfall des Fleisches auf die Knochen ahfärhend, ursprünglich
dazu bestimmt war, dem Toten zur Bemalung oder Tätowierung
seines Körpers zu dienen, ein Braucli, der auch von den historischen
(Quellen aus ganz Nordeuropa, selbst von unseren germanischen Vor-
fahren gemeldet wird.
Überhaupt ist man gerade für die Toilette des erstorbenen
ängstlich besorgt. Rasiermesser werden seit der ältesten Metallzeit
beigegeben. Auch die scharfen Feuersteinmesser der Steinzeit sollen
diesen Dienst verrichten können; doch habe ich noch nicht der
Wissenschaft das Opfer eines Versuchs gebracht. Selbst Bäder
werden im alten Griechenland und in den litauisch-slavischen
Landern bei den Erinnerungsfesten für die Toten aufgestellt. Die
weißrussischen Bauern versichern, daß man dies tun müsse, weit
die Toten sich im Ganzen nur vier- oder fünfmal im .lahre badeten,
und man sie nur für diese Zeit beurlaube.
Unter den bisher erörterten Beerdigungsarten werden Sie die-
jenige vermissen, die später unseren Erdteil erobert hat und noch
heute die herrschende ist, die Beisetzung iin Sarg.
In der Tat ist der Sarg sowohl im Süden wie im Norden
Eurojtas lange Zeit unbekannt gewesen, ln Griechenland umhüllten
die zäh am Althergebrachten festlialtenden Lazedämonier noch lange
die Leiche nur mit Palmzweigen und Ölblättern. Die erste an den
Sarg erinnernde Totenbergung war in Griechenland die Beisetzung
des Toten in großen Tongefäßen, d. h. die Hineinzwängung der Leiche
in einen sog. Pithos, wie sie neben der Bettung des Toten auf
S(diichten von Kalksteinen oder Sand, zuw'eilen auch auf dum Boden
selbst in den Gräbern der .sogenannten Dipylonepoche (ca. 1000—800
V. Chr.i nachgewiesen worden ist. Später kommen dann, ofl'enbar
aus dem Orient eingefiihrt, eigentliche Sarkophage aus Thon, Stein
und Holz vor, deren Ausgangspunkt gewiß in Ägypten liegt, wo sie.
als Behälter der mumifizierten Leii’he schon im vierten .lahrtausend
nachweisliar sind.
Von Griechenland aus wird diese neue Art der Totenbergung
sich langsam über das übrige Europa verbreitet haben, nur daß in
den ungeheuren Waldungen, die damals unsern Erdteil bedeckten,
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an die Stelle der kunstvolleren Bildungen des Orients der einfache
„Totenbanm“, d. h. der ausgehöhlte Banmstamm trat, den wir als
Totenberge im Süden zuerst auf jenem von Herrn Boni aufgedeckten
Friedhof des Forum Bomanum, im Norden in jütischen und schles-
wigschen Grabhügeln der älteren Metallzeit antreffen.
Mit der Erfindung des Totenbaums war für die nördlichen
Länder das Problem, einen dauernden Hohlraum als Wohnung für
den Toten zu gewinnen, einfach und praktisch gelöst. Die Hünen-
lietten und Riesenstuben waren an das V^orkomraen erratischer Blöcke
gebunden und ihre Errichtung mit unendlicher Mühe von Hunderten
verbunden. Auch die oben beschriebenen Holzhütten und jene ge-
waltigen Steinkisten, in deren einer wir z. B. unseren Derflinger
Hocker ruhen sehen, waren gewiß nur dem Reicheren erschwinglich.
Den Totenbaum aber konnte jeder, der eine Axt hatte, fällen. Daß
man ihn wirklich als eine Wohnung des Toten auffaßte, beweist u. a.
seine russische Bezeichnung domo vi na von russ. doraü = lat. domus
,Haus‘. Im Gouvernement Olonetz, wo ich im Jahre 1H07 einige
Zeit Studien machen konnte, schneidet man in den Totenbäumen
kleine Öffnungen heraus, und setzt in sie Fensterglas ein, so daß
diese Lichtöffnungen den Schultern des Verstorbenen gegenüberliegen.
Und noch eine zweite Eigenschaft dieser Totenbäume mochte sie
den Waldbewohnern empfehlen. Es handelt sich fast ausschließlich
um Eichen, deren Holz und Rinde liekanntlich konservierende Kraft
hat. Wer erinnert sich nicht der zynischen Äußerung des Toten-
gräbers in Shakespeares Hamlet, nach der der Lohgerber ein Jahr
länger als andere Menschen vor dem gänzlichen Zerfall in der Erde
sicher ist? Will man sich von dieser konservierenden Wirkung
solcher eichenen Totenbäume überzeugen, so betrachte man die im
Kopenhagener Museum aufbewahrten E.xemi)lare, denen wir die Er-
haltung der einzigen Männer- und Frauentrachten aus dieser frühen
Ejioche unserer Kulturgeschichte verdanken.
Erhaltung und Aufbewahrung des Leibes und seine Versorgung
mit aller Nahrung und Notdurft des Lebens, das ist das Alpha und
Omega aller der Bestattungsgebrauche, die an unserem geistigen
Auge voriil)ergezogen sind.
Inmitten dieser Zustände sehen wir die Menschen auf einem
Mal einen Scheiterhaufen errichten, den Toten, um dessen Erhaltung
man so ängstlich besorgt war, darautlegen und ihn zu einem Häuf-
lein Asche verbrennen.
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Die Feuerbestattung hat ihren Einzug gehalten.
Wann kam sie aufr' Woher stammt sie? Was hat sie
zu bedeuten? Soviele Fragen, soviele Rätsel!
Jacob Grimm, der im Jahre 1849 eine bedeutende Arbeit über
das Verbrennen der Leichen geschrieben hat. war der Meinung, daß
der Leichenbrand, dessen Sinn eine Opferung des Toten an die
Götter gewesen sei, von den nomadisierend aus Hochasien in Europa
einziehenden Indogermanen daselbst verbreitet worden sei. Das
letztere ist schwerlich richtig; denn wir können bei mehreren indo-
germanischen Völkern, z. B. bei den Griechen, einen Übergang vom
Begraben zum Verbrennen wahmehmen, und unter den asiatischen
Indogermanen sind die Perser, Meder, Sk^'then immer unbekannt mit
der Sitte, die Leichen zu verbrennen geblieben.
Eine Erklärung anderer Art ist ganz neuerdings versucht
worden. Es ist eine gut beobachtete Tatsache, daß das Feuer schon
in der Sphäre des Begrabens — gleichviel zu welchem Zweck —
eine gewisse Rolle gespielt hat. In die Asche dieser Totenfeuer
habe man die Leichen gelegt, um sie dadurch zu rösten und so,
ähnlich wie durch Einbalsamierung vor Fäulnis zu schützen. Der-
artiges läßt sich in den mykenischen Schachtgräbern, in den
nordischen Riesenstuben und vielleicht auch in dem Helmsdorfer
Fürstengrab wahrnehmen.
Gewissermaßen durch V'^ersehen sei dann die Verbrennung der
ganzen Leiche erfolgt, und so der Leichenbrand entstanden — eine,
wie mir scheint, unmögliche Erklärung, welche die Regel von der
Ausnahme abzuleiten unternimmt und die schon daran scheitert, daß
man in jenen skandinavischen eichenen Tobmbäumen Leichen ge-
funden hat, deren wohl erhaltene Kleidung beweist, daß sie niemals
dem Feuer ausgesetzt gewesen sein können.
Wollen wir uns in dieser schwierigen Frage selbst ein Urteil
bilden, so müssen wir, glaube ich, uns daliin wenden, wo für den
europäischen Kulturkreis die Sitte des Leichenbrands zuerst einiger-
maßen chronologisch fixierbar ist und in ihrer Bedeutung von gleich-
zeitigen Menschen erläutert wird, zu den homerischen Gedichten.
Diese .stellen indessen nicht die Anschauungswelt des griechischen
Mutterlands dar, das ja, wie unsere Bemerkungen über die Grab-
stätten von Mykenae und die Dii)ylongräber zeigen, zunächst an der
ältesten Gewohnheit des Begrabens festhielt, sondern vielmehr den
Ideenkreis der ionischen Griechen, die frühzeitig von Hellas nach
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Kleinasien ausgewamiert sind. Hier in dem kleinasiatisehen Kü.sten-
land malt also der ionische Stamm zu der Sitte der Leichen-
verbrennung Obergegangen sein, die ausnahmslos in den homerischen
(iedichten gilt und, was wichtig ist, auch den Trojanern zuge-
schrieben wird.
Auch Ober die eigentliche Bedeutung der neuen, mit dem bis-
herigen Zustand brechenden (jewohnheit erhalten wir von dem
Dichter Auskunft:
„Dies jedoch ist für die .Menschen (Jesetz, dalJ, wenn sie
nun tot sind,
Und die Sehnen das Fleisch nicht mehr und die
Knochen verbinden,
Weil all dies der gewaltigen Kraft des flammenden
Feuers
Völlig erliegt’, sobald dem Gebein das Leben entflohn ist.
Daß alsdann, einem Traumbild gleich, die Seele
davonfliegt“.
Wohin sie fliegt, ist nicht zweifelhaft. Es ist das Haus des Hades,
das der Seele, nur wenn der Leil) verbrannt ist, offen steht. In der
Nacht vor seiner Verbrennung erscheint Patroklos dem schlafenden
Achilleus und fleht um rasche Verbrennung. Seine Seele schweife
ruhelos um das weittorige Haus des Hades. Sobald aber der Körper
des Feuers teilhaftig geworden sei, werde die Seele niemals zu-
rückkonimen.
Ganz ähnliche Gedanken kehren bei den Indern wieder. Auch
bei ihnen war V'erbrennung der gewöhnliche Weg für den Toten,
die nächste VV'elt zu erreichen. Der „fleischfressende“ Agni (= lat.
üjnü ,das Feueri) trägt den V'erstorbenen in die andere VV’elt, zu
den V'ätern und (Jöttern, zur Unsferldichkeit. Im Bauch des Feuers
steigt der Tote empor.
Es kann also keinem Zweifel unterliegen, daß der ursprüngliche
Sinn der Feuerbestattung der war, die bis dahin auch nach dem
Tode am Körper haftend gedachte Seele aus dieser Haft zu befreien,
und durch den Rauch der Flamme einem fernen Totenreiche zu-
zuführen. Dieser (Jedanke mußte umso näher liegen, als diemensch-
liche Seele selbst als ein rauehartiges Gebilde aufgefaßt wurde, wie
aus der Gleichung griech. th/nög .Seele‘ = lat. fümus , Rauch* auf
das unzweideutigste hervorgeht.
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Wo zu allererst dieser neue Glaube aul'Kekommen ist, läßt
sich noch nicht mit Bestimmtheit sagen, ebenso wenig die Zeit und
der Weg seiner Verbreitung in Europa genau bestimmen. Viele
Erkenntnis wird hier noch die l’rähistorie zu Tage fördern. Eine
der bedeutendsten neuen Tatsachen ist, daß im südlichen Rußland,
am mittleren Dniepr schon aus spütneolithisclier Zeit umfangreiche
Leichenbrandstatten bekannt geworden sind, die noch besonders durch
Funde bemalter Keramik und von Idolen, wie sie ganz neuerdings
auch in Schlesien hervorgetreten sind, charakteri.siert werden.
Sicher ist, daß auch bei den europäischen Barbarenvölkern der
Glaube an besondere Totenreiche sich friih entwickelt hatte. Die
Erinnerung an ein solches hat z. B. unser Wort ,,Hölle“ bewahrt,
das seinen heutigen Sinn erst durch das (Christentum erhalten hat.
Aber auch bei den heidnischen Thrakern, Slaven, Litauern finden wir
den Glauben an solche Totenreiche.
Daß nun auch hier nach Aufkommen des lieichenbrandes die
Flamme des Scheiterhaufens als das bequeme Mittel angesehen wurde,
den Toten an die wahre Stätte seiner künftigen Seeligkeit zu be-
fördern, dafür besitzen wir wenigstens ein direktes, wenn auch erst
spätes Zeugnis. Sie erinnern sieh jenes Leichenbegängnisses eines
vornehmen Russen, dem ein arabischer Reisender beiwohnte. Dieser
wendet sich an einen der herumstehenden Russen mit der staunenden
Frage, was dies alles bedeute, und jener antwortet: „Ihr Araber seid
wahrhaftig ein dummes Volk. Ihr nehmt den geliebtesten und
geeintesten Mann und werft ihn in die Erde, wo Würmer und
kriechendes Getier sich von ihm nähren. Wir aber verbrennen ihn
in einem Augenblick und unmittelbar geht er unverzüglich ins
Paradies ein“.
Zu diesem Gedanken, die Seele des Toten durch die Flamme
des Scheiterhaufens zu befreien und im Rauch des Feuers einem
fernen Totenreich zuzuführen, tritt ein zweiter, im Grunde mit dem
ersten identischer, nämlich der Wunsch, sich selbst durch das
Verbrennen der Leiche von dem Toten zu befreien und seine Wider-
kehr zu verhindern. Es be<larf an verschiedenen Orten einer be-
stimmten Zeremonie, um einen Toten aus der unterschiedlosen Mas.se
der Geister in die Zahl der verehrten Vorfahren einzureihen.
Noch heute nimmt der wcdßrussische Bauer den Toten, ganz wie in
Indien, nach Vollbringung einer solchen Zeremonie mit folgenden
Worten in die Liste seiner Ahnen auf: „Großväter und Großmütter,
Mitteilangen d. achle.?. Oe.«, f. Vkde. Band XII (Heft I) 5
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Väterchen und Mütterchen, Onkel und Tanten, nehmt unseren ver-
storbenen Vater zu Euch, lebt dort gut mit ihm, zankt Euch nicht.“
Bis dahin schweift der Verstorbene nihelos um die Stätte des Grabes
oder die frühere Wohnung umher und erschreckt in mancherlei
Gestalt, namentlich von Tieren, die Lebenden. Der Glaube an Wer-
wölfe und Vampyre und die Furcht vor einem der größten Schrecken
des primitiven Menschen dem Albtraum hat hier seinen Ursprung.
Von alledem befreit man sich, indem man den Toten verbrennt.
Auch das wird unumwunden ausgesprochen. „Auf Island war ein Mann
vor der Tür einer Wohnung in stehender Stellung begraben worden,
damit er seine Wirtschaft betiuem übersehen könne. Weil er aber
wiederkommt und viel Schaden anrichtet, verbrennt man ihn und
streut die A.sche ins Meer.“
So stehen nunmehr die ursprünglichen Grundgedanken sowohl
des Begrabens wie des Verbrennens in aller Deutlichkeit vor uns.
Allein es hieße den Charakter derartiger Ideen verkennen, wollte
man meinen, daß dieselben nun auch in Wirklichkeit überall in
dieser Reinheit und Deutlichkeit hervorträten. Vielmehr können wir
wahrnehmen, wie die krasse Realistik dieser Begräbnisbräuche von
früherer Zeit an hier mehr, dort weniger durch Akte der Sym-
bolisiernng gemildert wird, um dann hier mehr dort weniger zu
gedankenloser Gewohnheit zu werden.
Die gesamte Habe, die m:in eigentlich dem Toten ins Grab mit-
zugeben verpflichtet ist, wird in wohl verstandenem Interesse der Hinter-
bliebenen nur angedeutet, und es ist möglich, daß das Geld, das man
selbst in unseren Städten dem Toten noch vielfach in den Sarg
legt, der Charongroschen der Griechen, den letzten Rest jener ältesten
Anschauung darstellt. Statt wirklicher Wafl'en und M'erkzeuge,
auf die der Überlebende nur ungern verzichtet, begnügt man sich
Miniaturnachbildungen derselben dem Toten mitzugeben, statt eine
wirkliche Wohnung ihm zu errichten, dieselbe durch eine bloße
Steinsetzung anzudeuten. Überall siegt das Leben über den Tod.
Vor allem aber kann man die Sitten und Gebräuche des Leichen-
brandes nicht verstehen, wenn man sich nicht vergegenwärtigt,
daß derselbe überall mit den älteren Gedanken und Gewohnheiten
des Begräbnisses <ler unverbrannten Leiche zu verschmelzen die
Neigung zeigt.
Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß im alten Europa zu keiner
Zeit und vielleicht bei keinem Volke seit Einführung des Leichen-
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brandes dieser letztere aussehlielilicher Brauch gewesen ist, sondern
daß immer Begraben und Verbrennen, indem — aus noch nicht
deutlich erkennbaren Gründen — bald das eine, bald das andere
vorherrschte, neben einander bestanden haben ; doch ist auch in diesen
Fragen noch nicht ilas letzte Wort gesprochen.
Wen seine Sommerreise nach dem lieblichen Salzkammergut
führt, der versäume nicht einen Ausflug nach dem Hallstätter See
mit dem zwei Stunden von Hallstatt entfernten Salzberg zu machen,
um einen Blick auf die Stätte eines der berühmtesten ffräberfelder
der Welt aus der Zeit, in welcher das Eisen zuerst nördlich der
Alpen erscheint, zu werfen. Hier sind über tausend Gräber aus-
gegraben worden und ziemlich genau die Hälfte derselben zeigt
Skelette, die andere Hälfte Leichenbrand. Dabei sind die Brand-
gräber oft mitten zwischen die Skelettgräber eingestreut, und die
Gleichartigkeit der Beigaben lehrt, daß es weder von dem Geschlecht,
noch von dem Besitz des Verstorbenen abgehangen haben kann, ob
er begraben oder verbrannt wurde. Es scheint hier also — sagen
wir — schon im fünften .Jahrhundert vor Chr. ein absolut friedlicher
und humaner Zustand gegenseitiger Anerkennung erreicht gew'esen
zu sein.
Ob dem freilich eine Zeit des Kampfes voraus gegangen ist, ob
es, wie noch vor kurzem in meiner Vaterstadt Weimar, Verwandte
zu Begrabender gegeben hat, die es sogar verabscheuten, mit den Ver-
wandten zu Verbrennender eine < irabkapelle gemeinsam zu haben, und
ob das Hallstätter Ministerium, wie zu Weimar geschehn, infolgedessen
das V’orhandensein gesonderter Bäume zur Vollziehung der Toten-
bräuche für beide anordnete, können wir nicht wissen.
.Jedenfalls haben auch im klassischen Griechenland und in Kom
offenbar beide Best.attungsarten friedlich nebeneinander bestanden, und
Dichter und Philosophen haben es nicht einmal für der Mühe wert
gehalten, sich darüber zu äußern, welche von beiden sie für die Un-
sterblichkeit der Seele für besser hatten. War liier ein Kampf, so
muß er in vorhistorischer Zeit stattgefunden haben.
Die enge Verwandtschaft beider Bestattungsarten und das Hinüber-
greifen der älteren Beerdigungssitte in die Feuerbestattung, zeigt
sich aber vor allem in den Riten dieser letzteren selbst. Zunächst
kann es als ein allgemein gütiges Gesetz betrachtet werden, daß
Kinder überhaupt nicht zu verbrennen, sondern zu begraben sind.
Dieser Brauch tritt uns im alten Indien ebenso wie in Griechen-
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land und auf jenem prähistorischen Friedhof <les Forum Komanuin
entgegen und wird in Rom ausdrücklich als Satzung ausgesprochen.
Welches das Motiv dieser Kinschränkung der Feuerbestattung ist, oh
lediglich die Rücksicht auf die gröliere Einfachheit und Rilligkeit
der Erdbestattung, oder ob, wie wahrscheinlich, ein anderer tieferer
Grund dieser Sitte anzunehmen ist, ist noch nicht mit Sicherheit er-
mittelt worden.
Bemerkenswert ist ferner, dali gerade bei den ältesten Feuer-
bestattungen des Nordens, die teilweise bis in die Steinzeit reichen,
die Leiche im Grabe selbst verbrannt wird, so daU Asche und
Knochen gleich an Ort und Stelle bleiben. Auch diese Sitte ist ganz
neuerdings in sehr alten griechischen Gräbern aus Eleusis nach-
gewiesen worden, wie sie aus Rom längst bekannt war. Überhaujtt
gewinnt man auf diesem Gebiete, wie auf andern, immer wieder den
Eindruck, daU es hauptsächlich vom Süden oder Sfldosten Europas
ausgehende Kulturströmungen waren, welche in früher vorrömischer
Zeit bestimmend auf Gewohnheiten und Vorstellungen der Nordleute
einwirkten.
Eine höchst seltsame Verquickung von Begraben und Verbrennen
stellt ferner die auf unserem Hallstätter Friedhof einigemal — aber
wie es scheint, sicher — nachgewiesene Tatsache dar, daß der Ver-
storbene, beinah als ob er es beiden Riclitungen hätte recht machen
wollen, halbiert und die eine Hälfte begraben, die andere verbrannt
war. Der einzige Zug, der sich aus der geschichtliihen Überlieferung
hierbei heranziehen läßt, ist der in Rom aufs beste bezeugte alte
Brauch, eine Familie erst dann ihrer Pflichten gegen den Toten für
ledig anzusehen, wenn bei einer Leichenverbrennung ein Glied des
Körpers, etwa ein Finger als os resectum abgeschnitten und be-
sonders begraben, auch eine Erdscholle auf die Knochenreste ge-
worfen worden war.
Nicht weniger sehen wir den uralten Gedanken, dem Toten in
der Erde eine richtige Hütte zu erbauen, auch in den Verhältnissen
der Feuerbestattung wieder auferstehen. Man formt — namentlich
in Italien und Deutschland — die ünien, welche die Asche des Ver-
storbenen aufnehmen sollen, als Häuser mit Dächern und Türen und
liefert in diesen sogenannten „Hüttenurnen“ zugleich dem Kultur-
forscher ein wichtiges Material , um nach diesen Mustern die
Wohnungen der Lebenden in sehr frühen Zeitläufen unserer Geschichte
zu rekonstruieren.
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Wie handpreiflieli dabei die Analojrie zwischen Wohnung und
<irab einer-, zwischen Orab und Leichenurne andererseits ist, zeigt der
Umstand, daß das in den alten Wohnungen meist vorhandene Wand-
oder Giebelloch, durch das der Hauch, aber auch ilie Seele des
Schlafenden oder Sterbenden hinausspaziert, der dusnikü des rus-
sischen Hauernhauses, sich ebenso in zahlreichen Grabanlagen wie in
zahlreichen Urnen findet, wovon man sich wiederum in unserem
Breslauer Museum überzeugen kann.
Den besten Beleg aber dafür, daß man auch die Feuerbestattung
aus dem (Jesichtswinkel der Beerdigung betrachtete, liefert die Ge-
schichte der Totenbeigaben selbst. Was, sollte man meinen,
konnte einem Geist, der durch den Bauch des Scheiterhaufens in ein
fernes Totenreich getragen war, die Beigabe etwa eines Rasiermessers
nützen? Und wirklich sehen wir in den homerischen Gedichten, die
von gewissen Überresten iilterer Anschauungen (s. o.) abgesehen,
keine Totenbeigaben und keinen Totendienst überhaupt kennen, den
aus der Feuerbestattung sich ergebenden Schluß mit aller Schärfe
gezogen.
.\nders im Bereich lier europäisclien Feuerbestattung. Hier
werden, nach einigem Schwanken, im wesentlichen dieselt>en Beigaben
wie bei der Beerdigung auch bei der Urne eines Verstorbenen nieder-
gelegt oder — vielleicht in einer etwas späteren Phase die.ser Ge-
dankenreihe — auf den Scheiterhaufen gebracht und mit dem Toten
verlirannt, damit sie ihm ins .lenseits folgen.
Sehr bezeichnend hierfür und sehr hübsch ist folgende Geschichte,
die Herodot erzählt. Periander, der Tyrann von Korinth, hatte eine
Frau, die hieß „Bienchen“- (Melissa). Die war gestorben und ver-
brannt worden. Da läßt sie eines Tages durch Vermittlung eines
Totenorakels dem (tatten sagen, sie friere, denn sie habe nichts an-
zuziehen — eine den Frauen aller Zeiten geläufige W^endung. Ihre
Garderolie sei zwar mit ihr liegralien, aber nicht mit ihr verbrannt
worden. Was tut der liebende (Jatte? Er befiehlt sämtlichen Ko-
rinthierinuen im höchsten Staat im Tempel der Hera zusammen-
zukommen. Dort zwingt er sie sich zu entkleiden und sendet ihre
gesamten Kleidungsstücke durch die Flamme des Scheiterhaufens dem
gelieliten „Bienchen“ zu. Liebevoll und nicht kostspielig!
•la, man kann sagen, daß in der Epoche des Mitverbrennens der
Beigaben, die im Norden schon tief in die christlichen Zeiten herein-
ragt, die pompösesten, freilich auch schrecklichsten Leichenbrände
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Vorkommen. Aus zahlreichen Besclireibuiigen dieser Art sei auf da.s
Leichenbegängnis des litauischen Großfürsten Gedimin hingewiesen,
das im Jahre 1341 unserer Zeitrechnung stattfand: „Ks wurde ein
Scheiterhaufe von Fichtenholz errichtet und darauf der Leichnam ge-
legt, in den Kleidern, die der Lebende am meisten geliebt hatte, mit
dem Sabel, dem Speer, dem Köcher und Bogen. Dann wurden je
zwei Falken und Jagdhunde, ein gesatteltes lebendiges Pferd und der
getreuste Lieblingsdiener unter Wehklagen der umstehenden Krieger-
schar mitverbrannt. In die Flamme wurden Luchs- und Bärenkrallen
geworfen, sowie ein Teil der dem Feinde abgenommenen Beute, end-
lich auch drei gefangene deutsche Ritter lebendig verbrannt. Nach-
dem die Flamme erloschen war, wurde die Asche und das Gebein
des Fürsten, des Dieners, des Pferdes, der Hunde usw. gesammelt
und in einem Grabe an der Stelle, wo die Flüßchen Wilna und Wilia
zusammenlließen, niedergelegt und mit Lrde liedeckt.“
Solche Zustände fand das Ghristentum in den nördlichen Ländern
vor, und es ist sellustverständlich als eine kulturhistorische Großtat
zu bezeichnen, daß es ihnen ein Ende machte. Wenn es aber, an
die Enll)estattung des Judentums und der semitischen Völker über-
haupt gewöhnt, jedwede Feuerbestattung bekämpfte, so geschah
dies weniger, weil man die Verbrennung der Leiche dem christlichen
Dogma, besonders dem von der Auferstehung des Fleisches für zu-
widerlaufend erachtete, als weil eben der Leichenbrand neben vielem
anderen ein Kriterium des Heidentums bildete. Mit gleichem Eifer
verfolgte man auch das Begraben im Wald, im Hügel, auf dem
freien Feld statt auf dem geweihten Friedhof bei der Kirche, das
Schmausen, Zechen, Singen, Tanzen, Sichvennummen auf ilen Gnibern,
kurz alles, was nach Heidentum schinei:kte. Interessant ist, daß man
für Hexen und Zauberer — womit man freilich eine neue Scheußlich-
keit anstelle der alten setzte — gerade den Feuertod wählte. Es
dürfte in ,A.nlehnnng an den oben berührten volkstümlichen Glauben
geschehen sein , daß das Feuer die Wiederkehr der Toten ver-
hindert.
Als Jacob Grimm im.lahre 1S4!> über das Verlrrennen der Leichen
schrieb, sagte er mit schmerzlichem Bedauern; „Wir können nicht
wieder zu den Gebräuchen ferner Vergangenheit umkehren, nachdem
sie einmal seit lange abgelegt worden sind. Sie stehen jetzt außer
Bezug auf unsre übrige gewohnte Lebensart und würden neu ein-
geführt den seltsamsten Eindruck machen, obgleich selbst der Sprach-
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gebrauch immer nocli duldet, von der Asche unserer unverbrannten
Eltern zu reden“. Er hat sieh geirrt. Seit den siebziger Jahren
hat auch in Deutschland eine neue Bewegung zugunsten der Feuer-
bestattung eingesetzt, die, obgleich durchaus auf sanitären und
ästhetischen Gesichtspunkten beruhend, doch dadurch einen religions-
geschichtlichen Hintergrund gewann, daß die christliche Kirche beider
Konfessionen ebenso wie das Judentum das Verbrennen der Leichen
für ihren Lehren zuwiderlaufend erklUiie und ihm einen teilweise
leidenschaftlichen Widerstand entgegensetzte.
Schneller, als man hoft'en konnte, hat wenigstens die evangelische
Kirche diesen Standpunkt aufgegeben und an seine Stelle ein tolerari
jiotest gesetzt. Augenblicklich befinden sich in Deutschland, wenn
ich richtig zähle, .sechzehn Krematorien in Betrieb, woraus folgt, daß
die Feuerbestattung zur Zeit behördlicherseits in Sachsen-Koburg-
Gotha, Baden, Hamburg, Sachsen-Weimar, AVflrttemberg, Sachsen
und Bremen zugelassen ist; und es gehört — besonders nach den
Verhandlungen des preußischen Landtags vom Juni dieses Jahres
— keine große Prophetengabe dazu, um vorauszusagen, daß in
wenigen .1 ahr zehnten die Feuerbestattung in ganz Deutsch-
land gleichberechtigt mit der Erdbestattung dastehen
wird.
Es dürfte daher am Platze sein, zu dem Bitual der modernen
Feuerbestattung noch einige Bemerkungen zu machen.
Hätte ich ihren Freunden einen Bat zu erteilen, so würde ich
glauben, daß an der uralten Sitte, die Urne mit den Besten des
Toten im Schoß der „wohlgegrflndeten dauernden“ Erde beizusetzen,
festgelialten werden müsse, da die Aufstellung der meist zerbrech-
lichen und hundert Fährnissen :uisgesetzten Gefäße in den all-
täglichen Wohnungen der Lebenden, in nüchternen und eintönigen
Columbarien, schon im Altertum einer Erfindung der Großstadt, ja
selbst in den an sich poesievollen Urnenhainen berechtigten Bedenken
vom Standpunkt der Pietät gegen den Toten unterliegen könnt»*.
Vergleicht man sodann den Gang einer modernen Feuerbestattung
mit dem einer solchen des klassischen Altertums, so fehlen in der
ersteren naturgemäß eine Beihe erschütternder, aber auch trostreicher
Momente.
Ln Alti'rtum wurde die Leiche auf dem .Scheiterhaufen vor den
Augen der Leidtragenden verbrannt:
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„0 weiser Brauch der Alten, das Vollkommene,
Das ernst und langsam die Natur geknüpft,
Des Menschenliilds erhabne Würde, gleich.
Wenn sich der Geist, der wirkende, getrennt.
Durch reiner Flammen Tätigkeit zu lösen.
Und wenn die Glut mit tausend Gipfeln sich
Zum Himmel hob, und zwischen Damjif und Wolken
Des Adlers Fittig deutend sich bewegte.
Da trocknete die Träne, freier Blick
Der Hinterlassnen stieg dem neuen Gott
In des Olymps verklärte Käume nach“.
•Auf die Löschung des .Scheiterhaufens folgte die Zeremonie des
Kinsummelns der Knochen- und .Aschenreste durch die Verwandten:
,AVenn ich einst zum zarten .Schatten verwandelt bin“, so tröstet
sich der römi.sche Dichter Tibull, „und mein weißes Gebein schwarze
•Asche liedeckt, dann soll zu meinem Scheiterhaufen weinend die
Geliebte kommen. Begleitet sei sie vom Schmerz der teueren Mutter,
die den Eidam beklagt, wie jene den Gatten. Fromm mögen sie
netzen die Hand und mein Gebein, das allein von mir übrig blieb,
in schwarzem Tuche s.ammeln. Zuerst mit firnem Wein, dann mit
schneeweißer Milch sollen sie es besprengen, mit leinenem Schleier
trocknen und getrocknet es im marmornen Grabhaus bergen“.
Derartige Züge fehlen, wie begreiflich, der modernen Feuer-
bestattung, deren Feierlichkeit da abbricht, wo die antike ihren
Höhepunkt erreichte.
Besonders würdig und feierlich wird daher gerade der letzte
den Leidtragenden sichtbare .Akt der modernen Feuerbest<attung zu
gestalten sein, der Augenblick, in dem der Sarg dem Auge der An-
wesenden entschwindet, und unter keinen Umständen wird hierbei,
wo es sich um eine christliche Bestattung handelt, auf die Gegen-
wart und Mitwirkung des Geistlichen verzichtet werden können.
Besonders hiergegen scheinen aber selbst lil)erale Kirchenregierungon
die meisten Bedenken zu haben. Und dennoch müßte — gerade im
Interesse der Kirche — auch dieser Widerstand gebrochen werden;
denn wie auch immer die Menschen seit grauen Zeiten sich das
„unentdeckte Land, von deß Bezirk kein AA'andrer wiederkehrt“, ge-
dacht haben oder denken, der Moment, in dem der .Schrein, der
vielleicht das Liebste oder Verehrungswürdigste birgt, was wir be-
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saßen, in die Tiefe sinkt, wird, gleichviel ob es sich um Begraben
oder Verbrennen bandelt, immer der erschütterndste und des Trostes
bedürftigste sein, und in dem Herzen des Priesters wie des Laien,
des Weisen wie des Toren wird es wiederhallen: „Sterben — schlafen.
Schlafen! Vielleicht auch träumen“.
Zur österreichischen, französischen und
englischen Nationalhymne.
Von K. Sonnenmark in Brünn.
Zu den wertTullcn .\usfnhrungen Bohn's in sidnem Werke .Die National-
hjuinen der europäischen Volker“ (Wort und Brauch, herausgegeben von Prof.
Dr. Th. Siebs und Prof Dr. M. Hipjie, Heft IV, Breslau, M. u. H. .Marcus
1908) seien folgende Bemerkungen gegeben.
1. Auf Seite 18, wo von der österreichischen Volkshymne ge-
sprochen wird, ist die „Hymne auf Kaiser Franz“ (1797) von Leopold
Lorenz von Haschka und die „Hymne auf Kaiser Franz .losef“
(18Ü4) von Johann Gabriel Seidl angeführt. Mir ist noch eine dritte
österreichische Volkshymne bekannt') und zwar die „Hymne auf
Kaiser Ferdinand“, die von Karl von Holtei im Jahre 1835
gedichtet wurde. Die Melodie von Josef Haydn hat man, von einer
ganz unwesentlichen Veninderung abgesehen, ganz unberührt gelassen.
Der Text lautet:
Gott erhalte unsern Kaiser,
IJnsern Kaiser Ferdinand I
Beich, 0 Herr, dem guten Kai.ser
Deine starke Vaterhand!
Wie ein zweiter Vater schalle
Er au deiner Statt iui Land!
.la, den Kaiser, Gott, erhalte.
Unsem Kaiser Ferdinand!
Laß in seinem Kate weilen
Weisheit und Gerechtigkeit,
Laß ihn seine Sorgen teilen,
Zwischen Zeit und Ewigkeit,
Daß er hier sein Reich verwalte
Nur als deines Reiches Pfand!
Ja, usw.
') Ferdinand von Saar arheitete auch an einem neuen Teste der öster-
reichischen Volkshymne im Frühjahr 1897 in Kaitz. Im Mai halte er zwei
Strophen bereits fertig gedichtet und las sie seinem Fnmnde Emil Söffe vor;
er scheint Jedoch den Gedanken bald aufgegeben zu haben, denn er erwähnte
später der Hymne nicht mehr. Vgl. Emil Söffe, Vermischte Schriften, Fr.
Irrgang, Brünn 1909.
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Gib ibm Friodtiu! Gib ihoi Ehre,
Wenn die Ehre ruft rum Krieg I
Sei mit ihm und seinem Heerei
Uusern Fahnen schenke Siegl
Wo sie walten, da entfalte
Segen sich für jeden Stand I
Ja, usw.
Alles wechselt im Getriebe
Vielbewegtor Erdenwelt!
Doch erj)robtcr Treu’ und Liebe
Ward die Dauer bcigestellt.
I Unsre Treue bleibt die alte,
Unautlöslicb ist ihr Band.
I Ja, usw.
II. Auf Seite 2b wird bei der Entstehunj; der Marseillaise gesagt,
daß „die Dietrieh’sehe Familie es dem Hau])tmann Rouget de l’Isle
nahelegte, das patriotische Ereignis dichterisch zu verwerten. In der
Nacht vom 24. zum 2b. April dichtete und komponierte dieser den
Kriegsgesang für die Rheinarmee“ . . . Die Klavierbegleitung hatte
eine befreundete Dame in höchst dilettantischer Weise zurechtgemacht,
da der Dichter-Komponist nur die Melodie und ein kurzes Nachspiel
für die Geige aufgeschrieben hatte.“
Die Marseillaise, die in den Tagen der Revolution plötzlich wie
ein Flammenzeichen autloderte und ihre anfeuernde begei.sternde Macht
in den Eroberungskriegen Napoleons noch stärker entfaltete, war auf
die Einzelheiten ihrer Entstehungsgeschichte hin bisher noch nicht
erforscht. In Marseille waren eines Tages ihre leidenschaftlichen
Töne erklungen, und von dort hatte sie ihren Eiroberungszug durch
ganz Frankreich angetreten. Aber der eigentliche Geburtsort des
Liedes war Straßburg, wie wir aus einer kürzlich er.schienen .Abhandlung
von Alfred B. Bonard‘) erfahren, die über alle Einzelheiten der
Elntstehung berichtet. Rouget de l’Isle war im April 1 7112 Geniekapitain
in Straßburg, wo General Kellennann die Garnison befehligtem. Der
General verkehrte damals viel bei dem Bürgermeister Dietrich, der
für Poesie und Musik große Vorliebe zeigte. Kellennann zog auch
den dichterisch begabten Kapitain in diesen Kreis und bat ihn, bis-
weilen für eine Soiree um „la surprise par un poeme non publiö“
(die Überraschung durch ein unveröfTentlichtes (.ledichtj. E'ür den
27. April hatte der Befehlshaber (nicht Dietrich!) seinem Kapitain
wieder solch einen halb oftiziellen dichterischen Auftrag erteilt, und
zwar hatte er um etwas gelmeten, „ce qui en vaut la peine d’etre
chante au caini); un poeme ä entlaininer les coeurs, un hymne en-
trainant, une belle chansou qui plait au parti du jieuple“ (w'as die
Mühe verlohnt, iin Lager gesungen zu werden, ein Gedicht, die Herzen
zu entlliunmen, eine fortreißende Hymne, ein schönes Lied, das der
') Sur la Marseillaise, l’aris 1900.
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Volkspartei gefällt). Rouget de l’Isle bat um einen kleinen Auf-
schub, da man der Poesie nicht so befehlen könne ; aber er arl)eitete
die ganze Nacht durch an einem Gedicht ') und trug dies am nä(disten
Tage bei Dietrich vor. Zehn Personen waren um ihn versammelt,
der Bürgermeister Dietrich mit seiner Frau und seinen beiden Nichten,
einige höhere Stadtbeamte und zwei Studenten. Der Dichter nannte
den Titel: „Chant de Guerre de (nicht pour“) l’annee du Rhin,
dedie au Marechal Luckner“, ging dann zum Klavier und begann
die nachher so berühmt gewordene erste Strophe. Eine große Be-
geisterung ergriff die Zuhörer: Dietricli sang bei den letzten Strophen
den Refrain „Au.\ annes, citoyens!“ aus voller Kehle mit, die Studenten
warfen ihre Hüte in die Höhe und schrieen: „Vive la France!“
Am folgenden Sonntag, :i9. April wurde die „Kriegslnmme“ in einer
einfachen Orchestrierung von der Ka])elle der Nationalgarde auf dem
Straßburger Paradeplatz gespielt und von der Menge mit jubelndem
Beifall aufgenommen. Wahrend so in Straßburg das Lied bereits
verbreitet war, brachte ein Student aus Montpellier die neue Hymne
am 2‘2. .Juni nach Marseille und sang sie hier bei einem Festmahl,
das die Stadt 500 Freiwilligen gab, die nach Paris zogen. Ein
Musiker, Vernais, von dem Gesänge so begeistert wie die Straßburger,
lief zum Rathaus und deklamierte vor der dort ver.«ammelten Wache
die Ode Rouget de ITsles so schön und hinreißend, daß die Bürger
von Marseille sogleich allgemein den Gesang anstimmten. Die 500 Frei-
willigen zogen nun mit diesem Marschlied nach der Hauptstadt, und
die Pariser legten der Straßburger Hvmne den Namen „Marseillaise“
bei. — Von Rouget de ITsle stammen nur 0 Strophen der National-
hj7nne, während die siebente, die sich an die Kinder wendet und
sie ermahnt, dem Vorbild der Väter zu folgen, bisher dem Dichter
Lebrun oder auch dem Revolutionspoeten Marie Josef Chenier zu-
geschrieben wurde. Doch stammt diese letzte Strophe von einem
einfachen Abbe Pessouneaux aus Vienne im Departement Isere. Als
die Marseiller auf ihrem begeisterten Marsch nach Paris bei Vienne
vorbeikamen, hatten sich die Bewohner zum feierlichen Empfang
gerüstet. Ein Tor aus grünem Laub, mit Fahnen und bunten Gir-
landen geschmückt, empfing die Freiwilligen, die ihr neues Sieges-
') Dies liat K. Scherer in seinoiii wunderbaren GeiniUde: „Rouget de l’Ialc
ruuiposant la Marseillaise eu captirite ä Strasbourg dans la nuit du 24. an 25. avril
1792“ Tortreftlich dargcstellt. Dieses Gemälde ist wolil bi kanntcr als das von
J. A, Pils, das Bohn anfnhrt.
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lied sangen. Und als eine leine Ehrung hatte der Abbe Pessonneaux
den Schulkindern von Vienne eine von ihm gediehtide Strophe ein-
geübt, mit der sie nun auf den Ge.sang der Grollen im hellen
Kinderchor antworteten. Diese Zeilen der Kinder gefielen so gut,
daß sie in die Nationalhymne sofort aufgenommen wurden und für
immer zu einem einzigen Ganzen mit ihr verwuchsen. Als im .Jahre
1 794 die Schreckensherrschaft in Lyon ihre furchtbaren Opfer forderte,
wurde auch der Abbe Pessonneaux verhaftet. Schon war das Verhör
zu Ende, und der Richtspruch sollte über ihn gefallt werden, da
zogen Schüler singend an den Fenstern des Gerichtssaales vorbei und
sangen die , Strophe der Kinder“, die der anne Abbe gedichtet.
„Da ihr nun Richter über mein Leben seid,“ sagte er weinend, „so
bitte ich um eine letzte Gnade: Laßt mich von zwanzig dieser
Kinder zum Richtplatz begleiten, die diese Strophe singen sollen,
die mir so das Herz rührt . . .“ Er wurde freigesjtrochen und von
seinen Pfarrkindern mit Ovationen empfangen.
III. Es heißt auf Seite '2it, das Verdienst, überzeugend dargetan
zu haben, daß die Marseillaise textlich und musikalisch das geistige
Eigentum Rouget des l’Isles ist, gebühre dem französischen Musik-
historiker .Julien Thiersot. [Die Melodie wurde früher allerdings all-
gemein dem Rouget de l’Isle zugeschrieben; andere nannten sogar
als Komponisten einen Chevalier d’Huna, den Violinvirtuosen
■M. J. Roucher, F. J. Reichardt, einen unbekannten Kapellmeister
Holtzmann usw. .Jetzt aber ist nachgewiesen, daß Rouget de l’Isle
den Text seiner Hymne zum Teil mehreren Sätzen der Tragödie
„Esther“ und „Athalie“ von .Jean de Racine entnahm, wahrend er
die Melodie notengetreu von einer Nummer des Oratoriums „Esther“
von .Jean Baptiste Lucien Guion (nicht wie Bohn schreibt: Grison),
einem Kaj)ellmeister in Saint-Omer abschrieb].
IV. .Auf Seite 3 heißt es, daß die englische Volkshymne „God
save the king“ wohl 174d entstanden sei. Sie wurde zum ersten
Male im Sommer 174'> gespielt, als die englischen Truppen gegen
den Kronprätendenten (nach Finchley) ins Feld zogen. — Das Ge-
mälde von Hogarth: „Der Auszug nach Finchley“ stellt dieses denk-
würdige Ereignis vortrefflich dar; es zeigt nämlich eine Verkäuferin
des Liedes, das zuerst „God save great George the king“ betitelt
war. Vgl. Emil SolTö, Bunte Blätter, Brünn, Fr. Irrgang, lH9t*.
Alinea: „Hogarth.“
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Schlesische Sprichwörter des Mittelalters.
Von I)r. J. Klapper.
l)it> Bedeutung des Spricliwortes für die Beurteilung des Charakters
eines Volke.s und seines Airschauungskreises ist langst erkannt und
hervorgehoben worden, und an Sammlungen der Sprichwörter neuerer
Zeit ist auch in Deutschland kein Mangel mehr. Auch in den
mundartlichen Wörterbüchern nehmen die in den verscliiedenen
Dialektgehieten heimischen Sprichwörter schon lange den ihnen ge-
bührenden Platz ein. Was uns aber heute noch sehr mangelt, das
sind Sammlungen von Sprichwörtern d<‘s Mittelalters; davon liegen
erst ein paar recht dürftige Versuche vor. Zwar kennen wir bereits
eine große Zahl lateinischer Sprüche aus Quellen des Mittelalters,
und auch die Stellen unserer mittelhochdeutschen Literatur, die
offenkundig auf deutsche Sprichwörter Bezug nehmen, sind zusammen-
gestellt worden, aber die ihnen entsprechenden volksmäßigen Formen
dieser Sprüche ruhen zum allergrößten Teile noch ungehoben in den
Handschriften des späteren Mittelalters, ja sie haben bisher noch
garnicht die Aufmerksamkeit unserer volkskundlichen Forscher auf
sich gelenkt. Und doch müssen wir sie erst kennen gelernt haben,
ehe wir die wichtigen Fragen einwandsfrei lösen können, welche von
unseren heutigen Sprichwörtern echt bodenständige Erzeugnisse sind,
und wann die aus dem Auslande übernommenen zu uns herein-
gedrungen sind. Zur Lösung dieser Fragen soll die folgende Arbeit
über die Sprichwörter der schlesischen Handschriften des Mittelalters
ein Beitrag sein. Zugleich wird sie, wie ich hoffe, eine willkommene
Beisteuer zu dem geplanten schlesischen Wörterbuche abgeben, und
endlich, möchte sie die Anregung zu einer Durchsi(!ht einer be-
stimmten Gruppe von Handschriften in auBerschlesischen Sammlungen
geben, in denen für dieses Gebiet unserer deutschen Volkskunde
noch reiche Schätze verborgen liegen. Es handelt sich auch hier
um die bisher so selten beachteten lateinischen Predigthandschriften
des 14. und U). Jahrhunderts. Wie die folgenden Beschreibungen
der in der vorliegenden Arbeit benützten Handschriften zeigen
werden, war es ein beliebtes Mittel der vor dem Volke predigenden
Mönche, nach der Angabe des Kanzelspruches das Interesse und die
Neugier der Zuhörer dadurch zu fesseln, daß ein deutsches Sprich-
wort der folgenden Predigt zugrunde gelegt und dann meist in
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f'eistlichem Sinne ausgelegt wurde. So leistet uns heute eine solche
Predigt einen doppelten Dienst. Sie gibt uns nicht allein den
Wortlaut des Spruches in der dem Volke wirklich gehiutigen Form,
oft freilich in lateinischer Niederschrift, sondern sie ermöglicht uns
auch in Füllen, wo uns heute der Sinn mancher Wendungen nicht
mehr klar ist, «las Verständnis, indem sie uns ihre geistliche Aus-
legung bietet. Die fflr unsere Sammlung herangezogenen Hand-
schriften sind sämtlich in schlesischen Klöstern benutzt worden, für
mehrere lälit sich auch nachweisen, dali sie in Schlesien entstanden
sind. Das schließt freilich nicht aus, daß vielleicht die Originale
dieser Predigtabschriften außerhalb Schlesiens zu suchen sind. Doch
i.st eines sicher: Die Form, in der die deutschen Sprüche mitgeteilt
werden, ist überall die dem ostmitteldeutschen Dialekte entsprechende
und kann im Laut- und Wortbestand ohne weiteres für den
schlesischen Dialekt in .\nspnich genommen werden. Mit Absicht
sind in das Verzeichnis der Sprichwörter auch alle handschriftlichen
Parallelen aufgenommen worden; sie sind einerseits wichtig für die
Kntwicklung unserer Mundart, andererseits sind sie das beste Zeug-
nis für die örtliche und zeitliche Verbreitung des Spruches und
somit für seine Beliebtheit beim scblesischen Volke. .\uf außer-
schlesische Vergleiche konnte nicht ganz verzichtet werden. Berück-
sichtigt sind einmal die in unserer mittelhochdeutschen Literatur
vorkomraenden Parallelstellen, soweit sie in der Sammlung Ignaz
V. Zingerles ,Die deutschen Sjuichwörter im Mittelalter“') zu-
sammengestellt sind. Diese Parallelen werden zugleich zeigen, wie
weit sich bei gleichem Oedanken oft der sprachliche .\usdruck der
mittelhochdeutschen Dichtungen von der echt volksmiißigen Fonii
unserer Sprichwörter entfernt. Dann wurde die älteste niederdeutsche
Sprichwörtersammlung des Tunicius') benutzt, die Hoffmann von
Fallersleben herausgab, und deren Entstehung er in das Jahr 1514
setzt. Der Vergleich mit den Stücken dieser SaTnmlung erweist für
manches schlesische Sprichwort auch eine weit über die Grenzen
Schlesiens hinausgehende Verbreitung. Von schlesischen Sammlungen
') Wien 1864. Da dieses Werk den Stoff am bequemsten zugiinglich
macht, .sind auch diu Stcllunnachwcisungeu daraus entlehnt, selbst dann, wenn
seither Neuausgaben der von Zingerle benützten mittelhochdeutschen Texte
erfolgt sind.
2) Berlin 1870.
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konnte für einzelne Stfleke Daniel GomoIkesSprichwörte.rverzeichnis ')
zum Vergleich herangezogen werden. Vollständigkeit ist selbstver-
ständlich nicht für diese Parallelen erstrebt worden, dagegen wird
das Verzeichnis der schlesischen Sprichwörter des Mittelalters im
ganzen die Masse darstellen, die heute überhaupt aus den Hand-
schriften noch zusammenzustellen ist, sodaß in diesem Sinne ein
vollständiges Verzeichnis der altschlesischen Sprichwörter geboten
wird. Lateinische Sprüche und Sentenzen sind dann mit aufgenommen
worden, wenn sie entweder ottenkundig das deutsche Sprichwort
wiedergeben, oder wenigstens im Grundgedanken mit ihm flberein-
stimmen und so eine gelehrte Variante darstellen. In der Anordnung
wurde so verfahren, daß bei mehreren Stücken gleichen Inhalts die
Aufzählung dem Alter der Quellen entsprechend erfolgt; die Gesamt-
anordnung geschieht alphabeti.sch unter den Stichworten, die in den
Sprüchen hervortreten; einzelne Verw'eisungen sind zur größeren
Übersichtlichkeit nötig geworden. Die Handschriften, denen die
Stücke entnommen wurden, sind nach dem Alter geordnet die
folgenden. Sie gehören sämtlich der Königlichen und Universitäts-
bibliothek zu Breslau.
1. Cod. U18. I. Q. 128. Ohne Titel; Pergamonths. .Vnf. des 14. Jahrhunderts.
Die ihr entnommenen lateinischen Sprüche stehen Hl. 48ra. Inhalt; theo-
logische Traktate und Stellen klas.sischer und mitteIIateiui.schor Hichtungon.
2. Cod. ms. I. F. 471. Jaeobi do Voragino Sermones de tempore; früher
den Augustiner-Chorherren zu Sagan gehörig, mit dem Eintrag: Hunc
libnim apportavit frater Gregorius. Papierh.s. vom Jahri' 1404. Die ihr
entnommenen deutschen Sprichwörter .stehen am unteren Kande der einzelnen
Predigten als Thcmien für den Predigtlext de.s Jakobus de Voragine.
3. Cod. ms. I. F. 478. Jordani Sermonnm pars III et IV. Früher den
Augustiner-Chorherren zu Sagan gehörig, mit dem Eintrag: Istc über per-
tinet in monasterium Grvnberg ei te.staincnto magistri l'ostein. Papierhs.
vom Jahre 1408. Die der Hs. entnommenen lateinischen Spräche sind
auf der Innenseite des Vorderdeckels und auf der Vorderseite des Schmutz-
blattes unter einer Reihe theologischer Notizen von einer Hand aus der
ersten Hälfte des 15. Jahrh. eingetragen.
4. Cod. ms. I. F. 525. Sermones do tempore; früher der Hibliotbek der
(torpus-Christi-Kirche zu Breslau gehörig; Papierhs. aus dem .\nf. d.
15. Jahrh. Benutzt ist daraus BI. 307'».
5. Cod. ms. I. tj. 463. Collectanea theologica: aus der Bibliothek des
Kollegiatstiftes zu Glogan; darin der Eintrag: Dominus Sigismundus Hern-
') Der Heller gilt am meisten, wo er geschlagen ist . . . Über tausend
dergleichen Sprüchwörter, welche sowohl in Städten, als auch auf dem Lande
in Schlesien im Schwange gehen . . . von Daniel Gomolcken. Anno 1734.
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stat dodit; Papicrb». dcs< Anf. de« 15. .Ih. Die daraus entnooiiiifnen
latciiii.'ichcii Verse verteilen .sich durch die gaiiie Hs.
6. Cod. ms. I. Q. 348. Descriptio festi de visitatione b. Mariae rirg. in
Bohemia insUtuti; aus der Bibliothek der Dominikaner zu Breslau. Papierhs.,
um 1453 entstanden; Sanunelhandschrift theologischen Inhalt.s; daran.« be-
nutzt Bl. 150 r.
7. Cod. ms. I. F. 706. Collectio Sermonum Dominicalium per Hicmem; aus
der Bibliothek der Corpus-Cbristi-Kirche zu Breslau. Papierhs. vom Jahre
1458. I>ic dimtschen und lateinischen Sprichwörter sind teils die Themen
der Predigten von Bl. 202 rt> bis Bl. 284 fb, teils sind sie von derselben
Hand neben den lateinischen Predigttext am Rande vermerkt.
8. Cod. ms. 1. F. 752. Exempla in usiim praedicatornm ; aus der Bibliothek
des Kollegiatstifte.s zu Glogau. Papierhs., geschrieben in ihrem ersten
Teile per magi.strum Zylo, inagislrum in artibus nee non bacc. Jaris
canonici in scola Frangforlis anno 1476. Diese Hs. enth< von Bl. 367«
an von demselben Schreiber eine Predigtsaminlung, die jeder einzelnen
Predigt ein deutsches Sprichwort nach dom Kanzclspruche folgen laßt
und dann geistlich deutet. Diese Sammlung ist in Glogau geschrieben.
Für unsere Sprichwörter ist sie von der größten Bedeutung. Sie beginnt
mit der Predigt; Ihesum quorilis nazarenum. Surrexit, non est hic. Marens
ultimo. Dicitur provcrbialiter: wöre liebe aldet nich, et est proverbiuni
verum, quia semper renovatiir. Die letzte Predigt Bl. 433 »b hat zum
Kanzelspruch: Desiderio desideraui. Luc. 22. provcrbialiter: wilkomen sath
vnde esze gerne. Die ganze Sammlung schließt mit der Bemerkung: Et
tantuni de thematibus vulgaribus et proverbjs ipsius Fridanci. Finita in
Glogouia per me N. Zcjjlo] utque alibi. Anno domini MCCCCLXI in die
feste s. vincula Petri.
9. Cod. ms. I. F. 759. Sennones de Tempore et Sanclis; aus der Bibliothek
der Franziskaner zu Jauer; Papierhs. aus der Mitte des 15. Jahrbs. mit
dem Einträge: Ist<‘ über assignatus domino N. plebano in copperberg.
legat 30 missas cum tot vigilys. Benutzt ist Bl. 25 1 rb.
10. Cod. mit. I. 0. 44. Consilia ad vitae spiritualis perfectionem. Aus der
Bibliothek der Augustiner-Chorherren zu Breslau. Eintrag: Ex libris
Fratris Mart: F. Weis C. R. W; und darunter von etwas sp&terer Hand:
1635. Ex liberia dono accepi a Domino Lud. Kredele . . Mart: Fili: —
Papierh.s. aus dem Ende des 15. Jahrhs. Die daraus entnommenen lateinischen
und deutschen Vorst: verteilen sich durch die ganze Handschrift.
11. Cod. ms. I. F\ 757. Sermones de tempore. Aus der Bibliothek der Corpus-
Christi-Kirche zu Breslau. Papierhs. aus dem Ende des 15. Jahrhs. Die
daraus entnommenen lateinischeu und deutschen Sprüche stehen an der
Spitze kurzer Predigtstoffe von ßl. 36« bis Bl. 213rb. Nach einem Ein-
träge auf einer Einlage bei Bl. 4r ist ein Teil davon auch in Görlitz ge-
predigt worden.
12. Cod. ms. I. y. 340. Sermones de sanctis feslisque diebus. Aus der
Bibliothek der Dominikaner zu Breslau; Papierhs., zum Teil in Italien
während der Studienzeit eines Mönches geschrieben. Bl. 273 r: Sennones
islos aureos cum essem in Neapolitano gymnasio Anno Salutis MCCCC
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nonagesimo quarto mi’cum versus naiale solum detnli ego fr. Jaeobiis
Jounnis Streller Wratislaviensis. Daraus benutzt der Kinlrag auf Bl. 273»
vom Jahre 1.503.
13. Cod. ms. I. Q. 472 Bd. D Varii tract. theolugici. Papierhs., geschrieben
von einem Frater Krmolaus (Franzi.skaner), der 1515 in Frankenstein, 1516
in Oppeln und in demselben Jahre in Krieg war. Die Hs. enthält von
Bl. 61» an 103 Predigten, denen nach dem Kanzelspruch je ein deutsches
Sprichwort folgt; am Schluß sind dann noch 22 sulche deutsche Sprich-
wörter nachgetragen. Die Sammlung beginnt Hl. 61 r: Introdnctio thema-
tum 1515 in Frankesten. Dominica prima adventiis. Ecci‘ rei tuus venit
tibi mansuctu.s. Math. 21. Man darff myt dem czickelen of den margkt
nicht eilen, wen her vorkoft ys wol yn der gassen. Moraliter; per ednm
intellegitnr Christus usw. Die letzti' Predigt Bl. 103 r wurde gehalten
Dominica vicesima qiiarla. Puella surge. Mathei 9. Den leezten heißen
gerne dy hiinde. Moraliti'r; per vltimum intellegitur homo qui differt peni-
tenciam. usw. Am Schluß steht die Bemerkung; In franckensten 1515 in
vigilia sancti Anthony.
14. Cod. ms. IV. Q. 123. Privilegien der Stadt Braunau; Papierhs. vom Jahre
1664. Daraus sind benutzt die Eintriige am Vorsatzblatt und auf der
Innenseite des hinteren Einbanddeckels.
Besondere Beachtung unter diesen benutzten Handschriften ver-
dienen Cod. ms. I. F. 152 und I. Q. 47‘2 Bd. I. Sie haben den
Hauptteil der Sprichwörter geliefert. Diese beiden Sammlungen von
Spricliwörterpredigten stellen Auszüge aus einem großen, für das
ganze Kirchenjahr berechneten Predigtwerke dar, von dem bisher
vier Handschriften bekannt waren, die jedoch ebenfalls sämtlich nicht
vollständig sind. Bereits im .lahre 1870 hat Konrad Hoffmann aus
einer Handschrift der Schwabacher Kirchenbibliothek in den
Sitzungsberichten der bayerischen Akademie der Wissenschaften (Bd. II
25 — 38) 162 deutsche Sprichwörter veröffentlicht. Diese Sprich-
wörter decken sich inhaltlich, der sie erklärende Predigttext auch
meist der Form nach mit den beiden Breslauer Handschriften, doch
enthalten diese manches Stück, das dort fehlt, während anderseits
auch in den Breslauer Handschriften mehrere dort vorhandene
Predigten ausgelassen sind. Hottmann setzte die Entstehung dieser
Sammlung noch ins 14. .Jahrhundert; die Schwabacher Handschrift
ist jedoch erst um die Mitte des LI. Jahrhunderts geschrieben. Im
Jahre 1903 wies Ludwig Stern in den „Beiträgen zur Bücherkunde
und Philologie, August Wilmanns zum 25. März 1903 gewidmet“ in
„.Mitteilungen aus der Lübene r Kirchenbibliothek“ (S. 67 — 96), auf
eine zweite Handschrift dieses Sprichwörterpredigtwerkes hin, die sich
jetzt in der Kgl. Bibliothek zu Berlin befindet (Cod. .Arnoldianus
Mitteilungen d. echtee. G«e. f. Vkde. Itaiid XU (Heft 1). 6
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Thf. 612) und die im Jahre 1459, wie Stern vermutet, in Breslau
geschrieben wurde. Sie enthält die Predigten geordneter und gibt
die 162 deutschen Sprichwörter in richtigerer Fassung. Ihre Mund-
art ist ostmitteldeutsch (schlesisch). Stern benutzte für die Text-
gestaltung der Sprichwörter noch ein drittes Exemplar des Werkes,
das 1446 in Kaitenbuch geschrieben ist und in seiner .\nordnung
mit dem Schwabacher starke Übereinstimmungen aufweist. Auf diese
Handschrift (Cod. lat. monac. 12 296) hat zuerst .1. A. Schmeller im
bayrischen Wörterbuche aufmerksam gemacht. Sterns Lübener Hand-
schrift steht unserer Breslauer I. Q. 472 Bd. I in der Anordnung
sehr nahe, ist älter als diese und im Text der Sprichwörter un-
zweifelhaft zuverlässiger; aber abgesehen davon, daü unsere Breslauer
Handschrift der heutigen E^orm des schlesischen Dialekts viel näher
steht und so für die Gescliichte der schlesischen Mundart von Wert
ist, bietet sie doch auch wieder manches Sprichwort, das in der
Lübener Handschrift fehlt, und ist so auch für die Kenntnis der
Originalfassung unseres Predigtwerkes von Wichtigkeit. Auf eine
vierte Redaktion dieser Sjirichwörterpredigten nimmt Adolph Franz
in einem Aufsatze über „Sprichwörterpredigten aus dem 15. Jahr-
hundert“ Bezug, der im „Katholik“ (84. Jahrg. 1904 — 3. Folge
Bd. XXX S. 373 — 384) erschien. Das von Franz gefundene Exemplar
stammt aus Bamberg (Papierhs. Q. V. 14) und ist in der zweiten
Hälfte des 15. Jahrhs. geschrieben; es enthält nur 86 Predigten und
stellt eine Auswahl aus dem Gesamtwerke dar; doch enthält es einige
Stücke, die in den drei anderen Redaktionen fehlen. Zu diesen vier
Handschriften gesellen sich nun unsere zwei Breslauer 1. E\ 752 und
I. Q. 472 Bd. I; beide sind auch nur Auszüge aus dem verlorenen
Originalwerke, doch von gleicher Bedeutung wie die schon bisher
bekannten Handschriften, mit vielen Stücken, die in jenen fehlen.
Eine eingehende Vergleichung dieser beiden bisher unbekannten
Redaktionen mit den bekannten ist hier nicht beabsichtigt, da sie dem
Zwecke des Aufsatzes nicht entspricht; auf Grund der drei westlichen
und der drei schlesischen E'assungen jedoch wäre es jetzt möglich,
die Originalsammlung nach Umfang und Textgestaltung ziemlich
genau zu erschließen. Hatte Konrad Hoffmann unter Bezugnahme
auf eine gelegentliche Erwähnung Heinrich von Mügelns in diesen
Predigten als Entstehungszeit des Originals das 14. Jahrhundert an-
gesetzt, so wird diese Annahme durch die Schlußbemerkung der
Breslauer Handschrift I. E\ 752 gestützt, die die angeführten Sprich-
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Wörter Freidank zuschreibt. Mit „Freidanks Besrheidenheit“ haben
diese Hprichwörter zwar bis auf einige wohl rein zufällige inhaltliche,
nicht formale Anklänge nichts gemein, doch mußte der im ganzen
14. Jahrhundert noch hochgeschätzte Freidank seinen Namen auch
für unsere Sprichwörterpredigten hergeben. Noch ein anderer Grund
spricht für das 14. Jahrhundert als Entstehungszeit dieser Sammlung.
In der Breslauer Handschrift I. F. 471 (der No. 'J unserer Be-
schreibungen) sind von fast gleichzeitiger Hand unter Predigten des
Jakob de Voragine ‘26 deutsche Sprichwörter gesetzt, die sich auch
bis auf ein einziges in unseren Sprichwörterpredigten wiederfinden.
Die Hs. I. F. 471 ist nun laut Schluüberaerkung bereits 1404 ge-
schrieben. Der Mönch, der etwa um dieselbe Zeit die deutschen
Sprichwörter nachtrug, muß also bereits am Anfänge des 15. Jahr-
hunderts unser Sprichwörterpredigtwerk gebannt und benutzt haben.
Wenn wir so in mehreren schlesischen Handschriften Sprich-
wörtersammlungen finden, die mit den mitteldeutschen Mönchen und
Kolonisten nach Schlesien gewandert sind und sich hier w, ährend des
ganzen 15. Jahrhunderts einer großen Beliebtheit erfreut haben, so
dürfen wir aus diesen Sprichwörtern getrost einen Rückschluß tun
auf den (Jiarakter des schlesischen Volkes im Ausgange des Mittel-
alters. Eine kurze Übersicht über den Inhalt dieser Sprichwörter
wird also zugleich eine nicht unzutreffende Charakteristik des Volkes
ergeben. Mochte auch nicht all die in den Sprichwörtern liegende
Weisheit im Leben verwirklicht werden, so enthalten diese Sprüche
doch ein von tler Menge gebilligtes Lebensideal. Geben sie also auch
nicht ein getreues Bild des Volkes, wie es war, so sind sie doch ein
Bild dessen, \vie es sein wollte. Weit ist der Gesichtskreis dieser
Spiichwörter nicht; es spiegelt sich in ihnen das eng bürgerliche und
bäuerliche Leben wieder, mit seinen einfachen gesellschaftlichen Ver-
hältnissen; nur selten wird auf etwas Bezug genommen, was nicht
auch der Vorstellungswelt des einfachsten Menschen geläufig ist.
Einige Bilder aus der Tierwelt zeigen leise Anklänge an die Tierfabel
und das Tierepos, von klassischer Gelehrsamkeit ist so gut wie gar-
nichts, von der lateinischen Poesie und Spnichweisheit de.s Mittel-
alters recht wenig zu verspüren; auch Anklänge an die heilige Schrift
finden sich nicht viele. Die Gesamtmasse enveckt den Eindnick einer
auf deutschem Boden erwachsenen Spruchweisheit, wie sie in litera-
rischer Form in Freidanks Bescheidenheit vorliegt. Ihre Moral gründet
sich auf einen gesunden Egoismus; der Zweck der Sprüche ist die
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Sicherung eines glücklichen Lebens auf Erden und eines seligen Todes.
^Vie das hölische Epos, so eniptiehlt auch das volksinüliige Sprich-
wort die iSelbstbeschrankung; Maß ist in allen Dingen gut. Das
geziemt dem Menschen vor allem im Glück. Lache nicht zu sehr,
es ist noch nicht aller Tage Abend. .Man soll den Tag nicht vor dem
Abend loben. Niemand preise sich glücklich, er sei denn über den
Bach hinüber. Ende gut, alle.s gut. Es ist nicht zu verwundern,
wenn der Mensch in seiner Schwäche fällt. Fällt doch sogar das
Pferd, obwohl es zwei Füße mehr hat. Doch erst der Gefallene kann
sittliche Kraft zeigen. Wer nie fiel, stand nie auf. (iott ist des
Menschen sichrer Hort. Vertrau auf Gott, will er dein Wohl, so kann
niemand wider dich. Sei schlecht und recht, so gefällst du ihm.
Gott kennt dich; er weiß wohl, wer ein guter Pilgrim ist. Sei zu-
frieden mit seiner Gnade; gibt ers nicht in Schetfeln, so gibt ers in
Löffeln. Man muß den Teufel fallen durch Gottes Kraft. Hilft dir
Gott, so helfen dir auch seine lieben Heiligen. Bete und arbeite.
Gewöhn dich zeitig ans Arbeiten. Jung gewohnt, alt getan. Was ein
Häkchen werden will, das krümmt sich beizeiten. Was Hänschen
nicht lernt, lernt Hans nimmermehr. Lerne gründlich: nicht das lange
Messer allein macht den guten Koch. Sieh, daß dich nicht der Vor-
\Vurf trifft: älter wirst du, aber klüger nicht. Erstrebe nichts Un-
mögliches: man kann das Meer nicht in eine Flasche schöpfen. Lerne
auch aus dem Schaden: der Geltrannte scheut das Feuer. Such ein
festes Ziel: wer zwei Dinge zugleich erstrebt, verliert gemeiniglich
sein Brot. Weh dem, der vielen Herren dient! Sei ausdauernd: auf
den ersten Streich fällt der Baum nicht. Betreib das Handwerk geni,
das dir dein Brot gibt. Kommst du nicht mit der Hand durch, so
nimm den Mund zu Hilfe. Blüht dir dein Glück zu Hause nicht, so
sieh dich draußen um. Wo dirs gut geht, da ist dein Heim. Was
du tun willst, tu allein: je mehr Hirten, desto üblere Hut. Jeder
für sich, und Gott für uns alle. Wie wirs treiben, so geht es. Viel
verdirbt, worum man sich nicht kümmert. Wer zu sj)ät kommt, hat
das Nachsehen. Den liCtzten beißen gerne die Hunde. Wer die
Weile hat, nimmt das Beste. Wer zuerst kommt, mahlt zuerst.
Nutze die Gelegenheit: bei Brote ist leicht Brot zu verdienen. Ein
Abend ist besser als zwei Morgen. Halt den Sack schnell auf, wenn
dir ein Ferkel gerei<dit wird. Man muß den Mantel nach dem Winde
hängen. So kommst du vorwärts. Besitz ist nicht zu unterschätzen:
der beste Freund auf Erden i.st der Pfennig in der Tasche. Man
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yr>
kauft wenig Gold um ein Ei. Leere Hand kauft nichts. Der Arme
hat arnaen Mannes Kauf. Sogar die Weisheit gilt nichts ohne Reich-
tum; Kleider maclicn Leute. Glücklich, wer genug in seinem Hause
hat! Halt dich warm, so frierst du nicht. .\uf ganzer Haut ist gut
schlafen. Wer da hat, die klingen, der hat auch, die singen. Hüte
dich aber vor dem Geize, damit es von dir nicht heißt: je reicher,
desto karger. Der Geizhals leidet Not im Überfluß. Je mehr der
Geier hat, ilesto mehr will er. Sei freigebig, dann wirst du nie
Mangel leiden: milder Hand gebraih es nie. Große Gabe bringt
großen D:ink. Wer «int haben will, muß Gut geben. Wo man nichts
hinlegt, nimmt man nichts weg. Wer gut schmiert, fahrt gut. Was
mir geschenkt wird, das halt i<-h für gut. Nimm guten Rat dank-
bar an: wem nicht zu raten ist, ist nicht zu helfen. Nur der Narr
lehnt den Rat anderer ab und spricht: nach deiner Pfeife tanz ich
nicht. Freilich gibt mancher einen Rat, der sieh selbst nicht raten
kann. Sei auch dankbar für fremde Hilfe: man soll sich vor dem
Baume neigen, von dem man Schatten hat. Sei frtdilich mit den
Fröhlichen und zur rechten Zeit: vor Fastnacht kurze Predigt und
lange Bratwürste. Doch kommt herbei der Aschtag, dann steck die
Fiedel in den Sack. Wenn die Lust am größten ist, soll man das
Spiel auf hören. Hüte dich vor dem Übermut. Auf kurze Freude
folgt leicht langes Leid. Süße Bissen haben oft sauren Nachgeschmack.
Nacli großem Donner kommt gerne Regen, ln der Freude lerne
weinen. Doch halte den Kopf hoch im Unglück: guter Mut ist
halber Leib. Nach Regen kommt wieder Sonnenschein. Nichts ist
80 schlecht, daß es nicht auch sein Gutes h:ltte. Die Not gibt dir
Kraft: Not bricht Eisen. <ieht alles verloren, dann wahre wenigstens
den guten N:imen. Hab Geduld im Unglück, es wird alles wieder
gut. Sei ausdauernd in der Arbeit: Rom ist nicht an einem Tage
erbaut worden. Weiter kommt, wer langsam geht, als wer in
schnellem Lauf ermüdet. Schnelle Sprünge taugen nichts. Lerne,
wo du k:»nnst: gute neue Mare soll jeder gerne hören. Es ist gut,
etwas zu wissen. Man hat Nutzen von dem, was man kann. Wer
die Weise kann, führt die Braut heim. Der Weise bleibt vor manchem
Unglück bewahrt: wer das fieschoß herankommen sieht, wird selten
verwundet. Nichts geschieht ja ohne Ursache. Der Weise halt nicht
alles für Gold, was glänzt. Alt sein ist ein Unglück, aber alt und
töricht sein ist doppelter Scluiden. Gar mancher bessert den Stall
erst aus, wenn er das Pferd verloren hat, und springt erst dann auf
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den Hund zu, wenn dieser den Sehmer gefressen hat. Wer zwischen
Tür und Angel gerät, kommt leicht zu Schaden. Torheit macht
Arbeit. Mancher ist blind mit sehenden Augen. Und auch fttr ihn
gilt: Blinder Mann, armer Mann. Führt ein solcher einen anderen
Toren, so fallen .«ie leicht beide in die Grube. Den Toren erkennt
man am Übennut. Wer aber über sich hinaus will, der überwirft
sich leicht. Wenn dem Esel zu wohl ist, geht er aufs Ei.s tanzen.
Bescheidenheit bewahrt am besten vorUni^Ock: wer hoch steht, fällt
auch tief, .le höher der Berg, desto tiefer das Tal. Denn das Glück
ist launisch: mancher, der vorweg lacht, weint zuletzt. Wen der
Teufel schänden will, dem hängt er ein Ehrenkleid um, ehe er ihn
öffentlich demütigt. Überlege deine Handlungen, überlege aber auch
deine Bede: Abendrede und Morgenrede stimmen selten überein.
Viel Reden macht wüste Häupter. Trunkner Mund redet aus de.s
Herzens (irund. Wer seine Zunge beherrscht, ist stärker, als wer
eine Stadt erobert. Hör, sieh, schweig, dann lebst du in Frieden.
Gute Rede findet eine gute Statt. Der Weise erwartet die rechte
Zeit, ehe er spricht, der Tor kann sie nie abwarten. Rede, wie es
einem Manne geziemt. Rede, wie dir der Schnabel gewachsen. Sprich
die Wahrheit, auch wenn dir die Welt deswegen gram wird. Es
gibt nichts Schlimmeres als den Heuchler. Sei vorsichtig im Um-
gänge. Glaube niemand, so täuscht dich niemand. Von böser Ge-
sellschaft wird man leicht hauptsiech. Den guten Baum erkennt man
an den guten Früchten. (Tleich zu gleich gesellt sich gerne. Gleich
währt gerne lange. Doch wirst du kaum drei finden, die an Geist
und Herz ganz gleich sind. Daher Vor.sicht! Niemand ist unser
Freund, der nicht als Freund handelt. Den Freund erkennt man in
der Not. Doch mußt du dich ihm auch als Freund erweisen: eine
Hand wäscht die andere. Wie du dienst, so lohnt man dir. Auch
bei deinem Freunde gilt: an dem Besten ist der beste Kauf. Es
gibt nichts Schlimmeres als einen falschen Freund. Kein Haß ist
schlimmer als geheuchelte Liebe. Hüte dich vor dem Schalke; wo
der Teufel nicht hin kann, schickt er seinen Boten hin. Weh dem
Wirte, dessen Gäste Schalke sind! Wohl dem Wirte, dessen Gäste
fromm sind. Lerne zeitig gehorchen : (fehorsam führt zur Ehre. Doch
baue nicht auf Herrengunst: Frauendienst lohnet nicht, Herrengunst
erbet nicht. Laß dich nicht von deinem Weibe beherrschen: es ist
gegen das Gesetz, daß die Königin den König regiert. Erziehe deine
Kinder streng; gar oft ist das jüngste Kind das liebste, und was
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dann das liebe Kind tat, das ist wohlgetan. Doch denke daran: Je
lieber das Kind, desto größer der Besen. Doch sei nicht allzu hart:
zu scharf macht schartig. Nach süßem Tone ist gut tanzen. Sei
ein guter Hauswirt: wie der Hirt, so die Schafe. Weh den Gästen,
wo der Wirt ein Schalk ist. Handle gut, so lange du lebst, nach
dem Tode sieh, wo du bleibst. Was man im Leben säet, das erntet
man nach dem Tode. Verderben tut w'eh. Je besser das Leben,
desto sanfter da.s Ende. In der Welt aber triumphiert oft das Böse.
Neid und Haß waren immer auf der Erde. Je größer der Schalk,
desto größer oft das Glück. Die Menschen wandern sich, wenn Esel
gekrönt werden. Wer die Arbeit tut, hat oft das Nachsehen. Wer
das Geld hergeben muß, bindet die Schuhe mit Baste; die Herren
aber, die dem Bauern alles nehmen, die gehen in Samt und Seide.
Wie oft muß das Ferkel entgelten, was die Sau gebraut hat! Die
Bösen aber machen gemeiusame Sache: eine Krähe hackt der anderen
die Augen nicht aus. An den Bösen ist jeder Besserungsversuch
vergeblich: alte Hunde werden selten gebändigt. Als der Teufel
krank war, wollte er sich bessern, als er aber genas, war er schlecht
wie vorher. Die Bösen denken: aus fremder Haut ist gut Kiemen
schneiden; Tausch ist kein Raub; wer den anderen täuscht, der ist
sein Meister; Gewalt geht vor Recht. Sie gleichen dem Wolfe: der
Wolf wandelt den Balg, aber nicht den Schalk. Was man dem
Wolfe auch sagen mag, er spricht immer: Lamm, Lamm. Sie sind
wie der Hund: wasch und kämm den Hund, er ist und bleibt ein
Hund. Kommt der Böse zu Ehren, so kennt er kein Mitleid. Was
man ihm tut, ist alles verlorener Dienst. Doch er schöpft solange
aus dem Borne, bis er ihn ausschöpfl. Der Krug geht solange zum
Wasser, bis der Henkel bricht. Es ist nichts so fein gesponnen, es
kommt doch ans Licht der Sonnen. Auch hier gilt das Wort: wer
anderen eine Grube gräbt, fällt selbst hinein, und wer anderen einen
Galgen baut, kommt leicht selbst daran.
Bei diesem Gange durch die altschlesische Sprichwörterweisheit
werden wir wohl zwar an einzelnen Punkten die Empfindung haben,
daß ihre Gesamtheit nicht eine geschlossene, widerspruchslose Lebens-
anschauung bietet, — das ist bei der Mannigfaltigkeit ihrer Her-
kunft und ihrem weiten Geltungsbereiche auch nicht zu erwarten, —
aber wir werden doch darin gewisse feste durchgehende Linien der
Volksmoral erkennen, nach denen sich das V'erhalten des Einzelnen
wie der Gesamtheit in den verschiedenen I^ebenslagen richtete. Und
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HO ermöglichen uns diese Sprichwörter einen besseren Einblick als
jede andere (Quelle in die wesentlichen (imndlagen des Charakters
und der Lebensanschauung des schlesischen V'olkes im Ausgange des
Mittelalters.
Text.
AAS 1. Vbi est cadaver, ibi congregant aquile 11.
2. Der rewcht eyn oss, dem folget her noch S.
•\BENI) 3. Is ist bessir eyn obinth wenne czwene morgen 8.
4. Obentrede vnd margenrede treit nicht ober eyne 2.
5. Obynt rede vnde morgen rede, dy tragen seiden vber ene 13.
.4LT 6. Elilyr wyrstu. Cluger aber seldyn 13.
7. .41t vnde thoricht ist y.cweerley schade 8.
8. .\lt vnde thröricht ist zcweerle .schadyn 13.
ARBEIT ‘J. .4bsque labore graui non possunt magna parari 3. 8.
ARG s. 240; 241.
.4RM 10. .4nnan hot armans kawtl' 2.
11. Annraan hot anuannis kowtf 8.
12. -4rm man hat arm manys kaf 13.
ARZT 13. Man sal den arczt libin durch des notczis wille 8.
14. NVe deme, der dem arczte geburth 13.
ASCHE s. 86. ASCHERMITT4VOCH s. DO.
AUGE s. 35; 182; 227; 252; 343; 344. 15. Qui est extra aspectum
oculorum, est extra mentis intuitum.
16. Was das awge syhet vnde dy oren hören, do swyrt das
hercze nicht noch 8.
nie Zahlen hinter den Sprichwörtern weisen auf die Zahl, unter der im
Vorherj>ehenden die Handschrift beachriehen ist, aus der di« Sndlc entnommen
ist. Oas Blatt ist der Einfachheit halber nicht angegeben, da sich der Spnich
leicht an der Hand der Beschreibung der Hand>chrift auflinden liißt.
1. Nach -Hiob 39, 30.
2. Wenn jemand einem andern ans Zuneigung in einen fremden Ort folgt.
3. Vergleiche H. Frischbior, Preußische Sprichwörter* (1865) Nr. 7.
10. Kr kann sich nur wenig kaufen.
15. .\us cod. ms. 1. F. 503, Eremitau Sennoucs de tempore; vom .labre 1431,
Bl. Ir«. Vi-rgl. J. von Ziugerle, l»ie deutschen Sprichwörter im Mittel-
alter 1864 S. 15: Tunicius, cd. Hoffmann, Nr. 203: We üt den ogen
i«, de is al vorgetten.
16. Hwem = Schmerz empfinden.
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17. Was das oge syt vnde das ore höert, do schw\Tt das hercze
nicht noch 13.
BAST s. 345; 346; 347.
BADER 18. Fare schire yns dorff. dy pawer synt truncken 8.
BAUM s. 360. 19. Dicitur in communi proverbio: Arbori debet in-
clinari, a qua vmbra habetur 7.
20. Man zal deme bowme neygen, von deme man schadin hot 8.
21. Man sal dem bome neygyn, von welchym her schatyn hot 13.
22. Arbor sit qualis fas est cognoscere malis 3.
23. Man irkennit eynen bovm aw.ss seynen fröchten 8.
BERG 24. Farce mihi, parcamque tibi, raons inquit ennti 3.
BESEN s. •21-2.
BESITZ 25. Beatu.s homo, qui habet satis in domo 10.
26. Wol ym, der do selbist icht hot 8.
27. Is ist wol des der icht hat, wenne seyn ist wol zcu ge-
nissen 8.
BESTE s. 4‘24. 28. An dem besten ist der beste kiW 4.
29. An dem bestin ist der lieste kovfl' 8.
30. An dem bestvn ist der beste koff 13.
31. Was yn man dem bestin thut, das sal nvmande obil behagen 8.
BETEN 32. Nunc lege, nunc ora, nunc cum feruore labora: Sic
erit hora breuis et labor ipse leuis 3.
BITTEN 33. Is gilt eyn bethin vnd nicht zcu vorsiigen 8.
BLIND 34. Wenne eyn blinder den andern leytet, so vallen sy gerne
beyde yn eyne grübe 8.
35. Dy synt blint mit sehendin owgen 8.
36. Blind man, arm man 8.
37. Blynt man, arm man 13.
BOCK 38. Des sich der bog vorwes, das vormutet her sich of der gest.
BORN s. 5-2.
18. Die Aiislcguntf gibt ilic Erläuterung; Hoc aliquando verificatur, quando huino
accedit ad laycoa ebrios et, si non eompoaiU' rexerit se, offemlitur.
19. Tunicius Nr. 700: Men njgel dem böiu, dar men bäte af hefl.
23. Nach Mattbaeus 12, 33: ex fructu arbor agnoscilur.
23. Freidank 86,21; von obeze wirt der boum erkant.
25. Horaz, Oden IV 9,4.'): Beali possidontes.
33. ejn = ihn.
34. Vergleiche Freidank 55,9—10.
36. Tuniuius Nr. 183: Ein blint man arm man etc.
38. gest = capra, OeiU; qui per se ucquani est, omnes alio.s putat esse nequam.
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BÖSE 39. Nulli compatitur nequam adeptus honorem, »Si non depri-
raihir, credit se melioretn 3.
40. Quanto tiuis peior, tanto sors sibi maior (5.
41. De quanto nequam peior, sor.s est sibi maior 10.
42. .le großer schalk, ye l)essir glucke 8.
43. K großer schalk, e besser geluck 13.
44. Malum non vitatur nisi cognitum 7.
45. Das boze wirt nicht vormeyd\Ti, man irkenne is denne 7.
46. E\ti dingk kan so bosze nicht gese\'n, is ist io czu ichte gut 8.
47. Is ist seiden keyn ding zcu bosze, is ist yo zcu ichte guth 8.
48. En ding kan nicht alzo böse gese}'n, es ist zcu ichte guth 13.
49. E s ist seldyn yrken dyng alzo boze, ys ist zcu ichte gut 13.
50. Was man den boszin thut, das ist allis vorlorn wircz 8.
BRATWURST s. 79; 80. BRAUT s. 427; 428; 429.
BROT 51. Bey brote ist gut broth zu irwerbin 8.
BRUNNEN 52. Man scheppit alzo lange eynen born, bis das man
en gar aws scheppit 8.
BÜRDE 53. Equale iugum nulli quoque opprimit dorsum 0.
54. Gleich burde bricht nymant den hals 13.
BUSSE 55. Nömpine thuen ist dy gröste husze 2.
DANK s. 112; 113; 114; ll.’i.
56. An dem menschin ist nicht danck czu vordinen, daz man
em dy sonne czu neygete 8.
DIENST s. 191. 57. Dinste wol, zo lonet man dir wol 2.
58. Alz du mir dinst, alzo lone ich dir 8.
59. Als du myr djTiest, zo Ion ich dir 13.
60. Commune proverbium: In duabus rebus perditur panis 11.
61. Ad duo qui tendit nee vnum nec duo prendit 3.
62. We jin, der do nl herrin dynet 8.
DONNER s. 315; 318.
EHRE s. 122. 63. Vorsmehit dir meyne ere, ich wil dichs wol irlossin 8.
EI 8. 145; 14t»; 147.
42. Vgl. WälschcrGa.st4510; Tu n icius Nr. 897; Einem srhiilke schflt vake gut.
46. Tunicius Nr. 804; Nein dink so slim, it sy al war güt t«.
3i. Man verdient leicht, wenn man die günstige Gelegenheit wahmimmt.
54. Morolf II 377; Gliche burde briihet nyman den ruck; Wolkenstein V.
5,1; siehe Zingerlc a. a. 0. S. 23.
55. NSmpinc?
62. Nach Matthaeus 6.24.
63. Ich geb dir nichts; du bist undankbar.
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EINEB 64. Ich wil mit ejme machin, Ir sullin hündirt sich an en
stosin S.
EISEN s. 291; 292.
ELEND 65. Poeta dicit: gaudium est miseris socios habere penarum 11.
66. Misero nil durius, dum miser leuatur in altum 3.
ENDE s. 243. 67. Wenn das ende gut ist, so ist is gar gut 8.
ENGEL 68. E_vngel czu den sdiofiin 8.
ESEL 69. Homines mirantur, dum asini coronantur 10.
70. Wenne deme ezel zcu wol ist, so gehet her off das eys
tanczin 8.
71. Wen dem esel zcu wul ist, zo gyt her off das eys tenczen 13.
ESSEN 72. Dy weyle wir essen, dy wevle lebe wir vo 8.
FAHREN s. .342. ’
FAIjLEN 73. Non mirari bipes, quando tibi lapitur pes: (Juadrupes
in plano quandoque cadit pede sano 10.
74. Numquam cadebat, qui nuniquaiu resurgel)at (j.
75. Der ny vil, der stunde ny off 2.
76. Wer do ny gevyel, der stvnt ny off 8.
77. Der do ny fil, de stunth ny off 13.
78. Der do ny fil, der stunt ny wider off 13.
F.\STNACHT 79. Vor fastnaclit korcze prediget vnde lange bröt-
worste 8.
80. V br fastnacht korcze prediget vnde lange brotwurste 13.
FEIND 81. Vindis mund reth seiden guth 8.
FENSTER s. 219; 220.
FEUER s. 434. 82. Der gebraute forcht das fewer 13.
FERKEL 83. Wenne man das ferkel beuth, So sal man den sag uff
haldin 8.
84. Wen man das ferckyl beuth. so sal der sag bereyt seyn 13.
85. Is müssen offte dy ferckyl entgeldyn, was dy zau gebreuth 13.
FEUER 86. Der das fewers darff, der sucht ys in der asche 7.
Spinoza Ethik IV.ÖT: Solamen miseris sorios habuisse malurum.
70. Hagen, Gesamtabenteiier II 95; D. Gomolke, Sprüchw.; Wenn am Esel zu
wubl is, SU gibt a ufs Es tantzen, und bricht a Been.
73. Tnnieius Nr. 1133: It voll wol ein pert van veir Voten: I). Gomolke,
Sprfichw.: Stolpert doch a Pfard uf vier Fußen.
74. Tunicius Kr. 401 : I>e ny en vel, de en dorfte ök ny upstän.
83. Was man dir schenkt, nimm schnell an; Tunicius Nr. 1K6: Wan men dal
verken büt, so sal de sak syn bereit. '
8fi. Tunicius Kr. 1204; De de.s viires behovet, de soke it in der aschen.
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FIEDEL 87. Off eyner alden fydel singet man snsse donen (i.
88. Sepe vetusta lira mihi dat modulamina mira 6.
89. <)ff eyner aldyn fidel singet man süsse don 13.
90. Stosz dy fedil yn den sagk, hewte ist der aschtag 8.
FLADEN s. 196. FLASCHE s. 269.
FLIEGEN 91. Do flog der aide aws 8.
FRAGEN 92. Dicitur in proverbio: Qni rem ignorat, hunc oportet
interrogare 1 1 .
93. Wer eynes dinges nicht en[weis], der müs fregyn 11.
FRAU 94. Schone irawen gebyn nicht, herryn dyn.st erbit nicht 13.
FREIGEBIGKEIT s. 112; 113; 114; 115. 95. Qiii sna dat large,
ab Omnibus laudatur ille 10.
FREUDE s. 310; 314; 423. 96. Quod cito letatur, cito dolet et
lacrimatur 6.
97. Kurcze fräwde vnd lange vnszelde 2.
98. Korcze frewde, lange vnsalde 3.
99. Korcze frewde vnd lang betnibnis 13.
100. Korcze freude vnd lange vnselde 13.
101. Zu selde lernit weyneu 8.
FREUND 102. Non est deterior hosti.s quam fictus amicus,
Non odium gravius qnam simulatus amor 5.
103. (iuamuis tres socy sunt iuncti l'etlere caro, Ipsorum tarnen
mentes et pectora concordant raro 10.
104. E.viguum inunus, quod dat tibi pauper amicus 10.
105. In nötyn yrkent man eyn frfinth 13.
106. Is ist nymant frund, her thu denne fruntlicli 8.
107. Der beste frund off erden ist der pfennig yn der thaschen 8.
FRIEREN s. 419.
FRIEDE 108. Is ist besser czu dyngen aws dem strawche ven aws
dem stocke 2.
t)3. DentschiT Cato (cd. Zarher) v. 533: swaz dir si unkuni, di'S soltu Trägen
zalliT Stunt.
94. Istud jirovcrbiiini pro prima partc do hunizatoribus, qui babcnt duas honi-
zatrice.s: Tnaui pulchraiii et aliam distortain. Et quod dat sccniida, con-
sumit prima: W ackeriiagel, 1>. Leaeb.^ 1, 855: Herren buld en erbet nil;
Tunieius Xr. 575: Heren bulde is nein erve.
104. Vgl. Distieba Oatonis I, 20 (Zacher S. 175): Exiguuui uiunus cnui dat
tibi pauper amicus, .\ccipilo placide, pleiie laudare niemcnto.
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109. Is ist besser gedinge yn dem strawche, wenne yn deme
stocke.
110. Audi, vide, tace si vis viuere [in] pace i
FROMM 111. Der gehet hynde eyn, als dy fromen tim IL
FRUCHT s. -^2^
GABE 112. Magna campana dat grossum sonum L
113. Magna canijiana magnum habet sonum LL
HA. Magnum douum dat magnam gratitudinem L
115. Eyne grosse gäbe hot eynen grossen danck L
GALGEN s. 1 57.
GANS llfi. Gans abir, gans henvedir, noch bleibit gans eyne gans 8.
GAyr s. 441; 442. 117. We dem gaste, wo der wirt eyn sehalk ist L
118. Libe geste werden wohl entphangen 8,
GAUL 119. Arbitror esse satis, quod confertur mihi gratis L
GEDULD 120. Wer iss noch erbeyten kvnde, is worde noch schlecht
werden 8.
121. Wer ys yi-betjTi künde, ys würde noch allis gut UL
GEHORSAM 122. Der do vorhürt, do wiTt ere ausz UL
GEIER 123. E meher der geyer hat, e mher her habin wil 8.
GEISS s. 3iL
GEIZ s. 123. 124. Ve, cui nil satis est et quem sua reddit egenum
Copia nec totus sufficit orbis ei! 8.
GELEGENHEIT s. 275; 27R. 125. Dicitur in proverbio: Qui non
facit, quando potest, non facit, quando vult LL
GERN HABEN s. ‘253. 12fi. Das myr übet, das let myr nymanth UL
GESCHENK s. LUL
GESCHOSS 127. M'er vorbesyt das geschos, der wirt diste myimer
verwundet 8,
GESELLSCHAUr s. 1^ 2ÜIL
128. Von bozer gezelschaft virt ein man hawpzicli 2,
109. Ausli-eung: Es ist bcs.ser, mit Gott in der Welt Frieden ru si ldießon, als
Tcrdainmt zu worden.
111. Das Wort „from“ wird in der Auslegung als , adulter“ wiedergegeben.
1‘20. sehleelit = recht; Auslegung: Die Guten hoffen in Geduld auf Vergeltimg.
122. promuuentur tales qui sciiint obaudire.
122. Vgl. Prcidank, m 21—22.
128. Keiniar v. Zw. 184: von ungesellen wirt der man vil dicke houbet siech;
Fraucnlub Spr. 271. 11; Gcsclleschaft, diu bösheit kan, von der wirt houbet
siech ein man.
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129. Von bozer geselschafft wyrt man hör sich 13.
130. Surgit origo mali de turpi sepe sociali:
Ergo de tali tibi {»recaueas animali 5.
GEWALT 131. Gewalt geet vor recht 9.
GEWOHNHEIT 132. Jungk gewont, alt gedonth 13.
GLAUBEN 133. Glewbe nymande, so thewssit dich nymant 8.
134. Glöwbe nvmande, so tewsschit dich n}'mant 13.
GLEICH 135. Eyn iczlich gleyche suchit seyneu gleyche 8.
136. Gleich sammelt sich gerne 13.
137. Gleich wert gern lange 13.
GLOCKE s. ll-J; 113.
GLÜCK s. 42; 43. 138. Is sal nymant „hew“ sprechin, her kome
denne obir dy hach 8.
139. Nymant spreche „hü hü“, her sei den henüber 13.
140. Ich neme das guthe gelucke vor den segyn vnde fure mit
den thoren hen 8.
141. Si quem felicem vis dicere, consule finem:
Felix nemo prius, nisi quem finis heat eins 5.
GOLD 142. Dicitur in proverhio: Non omne quod splendet est aurum 1 1 .
143. Non teneas aurum totum quod splendit nt aunim 10.
144. Is ist nicht allis golt, das do gleisset 8.
145. Aurum pro solo inodicuin datur ouo 6.
146. Man gebit eyn wenig golt vunb eyn ey 8.
147. Man kofft wenig goldes \Tnbe eyn ehe 13.
GOTT s. 339; 340; 341; ,3.Ö0; .3.51; 371.
148. Wer do gote getrawct, der hot gar wol gebawet 8.
149. Wer Gott vertrauhet, der hot woll gebaut.
150. Got wes wol, wer eyn gut jnigram ist 13.
151. Gibt mirs got nicht scheffelich, so gibt her mir.ss leffelich 8.
152. Quidquid vult dominus, plaeet simul omnibus sanctis (!.
153. Alzo got wyl, allzo wellin alle seyne üben heyligen 8.
132. Vgl. Freidank 108, 17.
135. Tiinicius Nr. 565: Gelyk sorht sik.
137. (icrcchtigkoit regiert lange.
138. Man soll den Tag nicht vor dem Abende loben.
140. Ein Tor kninincrt sieb nicht uni sein Heil, sondern nur um den Gewinn.
144. Vgl. Pfaffe Konrat 71, 17: iz enist nicht allez gold daz da glizzit:
Strickers K arl 2504: ez ensi onch allez golt niht, daz man doch glizen siht.
148. Aus eod. ms. I. K. 663, Bd. II, Vorsatzbl., Ende 15. Jabrb.
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154. Was got wyl, das wellyn och seyn hilgen 13.
155. Wil mich got neren, zo mag mirs nymant voheren (uel
voczeren) JL
(iRUBE 15fi. In proverbio dicitur: Aliquis fodit foveam alteri, et
ip in eam catlit LL
157. Manchir bawet dem andini eynen galgyn vnd kommyt
selbyr doran LS.
GUT s. 47; ^ 4iL 158. Wer do gut haben wil, der muss gut
losen (ader gebin) li.
HAKEN 159. Uvrvutn se prebet, quod ad vncum crescere debet S.
IfiO. Is kromrait sich yn der jognnt, das zcij eynera hocken
werden wyl &,
IßL Was eyn gutter hocke werdyn wyl, das krommyt sich yn
zceiten 13,
1fi2. Was do hackericht werden wyl, das krümmet sich jm
czeyten S.
HAND 8. 271 ; 272; 273; 274. IfiS. Myt ledigen hendyn ist böze
kauf schlagen 13.
164. Manns manum lavat ^
lfi5. W'enne eyne hant dy ander qwet, so werden sy beyde
reyne H.
Wer sich der hand nymme mag imeren, der musze zu
hulffe den munt nemen S.
HANDWERK 1ft7. Czn dem handwerge zal man zieh gerne gebin,
von deme man mag ewig gelebin >L
HANS 1R8- Hansellus quidquid teneris non discit in annis,
Hans nunqnam discet, semper ineptus erit L4.
HARREN s. 1112. HASS s. 2M. HAUPT s. 3Ü5.
HAUSHALTEN Man sal sich streckyn domoch her sich kan
bedecken 13.
HAUT 170. Est dormire bonum cute tota in hesitanda (?) fi.
171. Off ganczer hawt ist gut sloften S.
157. Die bibl. Irescbichte vun Ksther und Maidocbäus.
IfiO. Troj. Kr. £400: Swaz leime baRgen werden sol, daz krnmbet sieh vil
Trneje; ähnl. Marner (MSHII. 2älb); Krauenlob Spr. 125,6 (MSH. II.
222a); Tuniciu.s Nr. 969: It mot gut tjrt kninunen, dat ein gut hake
werden sal.
164. Qomolke, Sprüchw.: Kne Hoand muss die andere woaschen.
170. Tunicius Nr. 956: In beler hüt is gut slapen.
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172. Of ganczir haut ist gut schlotfjui 13.
173. Von fremden hewten sneyt man breyte ryme 8.
HEILIG s. 15-2; 153; 154.
174. Y heiliger mensch, y grosser anfechtung 13.
HEIMAT 175. Quod patria careas quereris, patria uere putanda est,
Quocumque est homini vita quieta loco 12.
176. Ibi patria, vbi bene 12.
177. Was man nicht do hej-me hot, das muÜ man andirswo
suchin 8.
178. Ich gehe wol andirswo, das mir do heyme ebin were 8.
HELFEN s. 291); 300. HERBERGEN s. 183; 184.
HERR 179. Dy herren wellin gebethen sejm 8.
HERRENDIENST s. 62; 94.
HERRSCHEN s. 319. 180. In quacumque domo femina viro predoe-
minatur, Hoc sciat omnis homo, domus hec confusa tenetur 5.
HERZ s. 15; 16; 17; 386. HEU s. 337.
HEUCHLER 181. Tergiversator desistit, preuaricator
Occultat verbum, profert plasphema falsum 3.
HIMMEL 182. W en du czu hymmel ferist, zo stöbe m>T nicht
j-n dy ogen 12.
HINAUS 183. Wol aws, vas habe vir geherbergt 2.
184. Wol aus, wol aus, was habe ich geherbriget 13.
HINLEGEN 185. Wo man nicht hyn legt, do nympt man nicht 2.
186. Wo man nicht hyn lehit, do vynt man nicht 8.
187. Wu man nicht hyn let, do f.vnt man nicht 13.
HIRT 188. Als der hirtte ist, alzo seyn och dy schofle 13.
189. Y mehr hyrten y vbilber gehut 13.
HITZE s. 317; 318.
HOCH 190. Y höcher berg, y tifl'er tayl 13.
HOF s. 275; 276. 191. Setze du deynen holl' vorbaß.
173. I>asselbi‘ Bild Freidank 114, 19—22; Tunicius Nr. 1050: Van eins
anderen hiU is RÜt reime .'Uiyden; 0. Gouiolke, Sprüchw.: Oas anderer
I.oite Hoat is gutl Kiemen sclinei den.
182. bjroniee, quasi quis diccret: Ego non credo te tarn saueluni.
184. de malis hospilibus.
189. D. (loniolke, Spriieh«.: .Je mehr Hirten, je übler gehutt.
190. do superbia; vgl. Bon er 39, 37, 83, 33; So höher berg. aö tiefer t*l;
Zingerle, S. 18.
191. Such dir einen andern Herrn.
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HOFFEN s. 298. 192. Et; lenger eyner harret, ce serrer her narn'ith :
Fnv oft’ vnd sjtote nyder brenget allys herwyder 13.
HOFIEREN 193. Der weide gerne hoffiren vnde kansten nicht 8.
HUND 194. Wen man dem hvnde czu vil, zo hot her das smer
gessen 2.
195. Wen man dem hunde zcu wil, zo hot schmor gessen 13.
196. Ys mochte eyn hunth wol sehmeckyn, das dy tladjTi gut
wem 13,
197. Dicitur in vulgari: Antiquus canis non facilepotest domari 7.
198. E.vn ald hund ist bosze bendigk zcu machen 8.
199. Eyn alt hunth ist boze bendigk zu machyn 13.
200. Hunc canis infestat, tjui seraper vltiraus e.xtat 6.
201. Den leczten beyßen gerne dy hunde (i.
202. Den letczten beysen die hunde gerne 8.
203. Den leczten beißen gerne dy hunde 13.
204. Non est in veile canum, quod equi moriantur in anno 10.
205. Ablue, pecte canem, canis est et penuanet idem 1.
HUNDERT s. 04.
JAGEN 206. Dicitur in proverbio: Qui alium agitat, raro quiescit
ipse 11.
207. Wer den andern yaget, der mgeth seiden 8.
K.AEBFLEISCH s. 3S7. KÄMPFER s. 357. KARG s. 320.
KATZE 208. Dy speien mittenander alzo dy katze mit der mavss 8.
209. Die kacze übet den fisch, adder tewchsin wil sy nicht sich
pacz 8.
210. Dy katcze übet den fisch, ader sy wil nicht anrfiren das
Hiss 13.
KAUF s. 10; 11; 12; 28; 29; 30; 147; 103.
iy4. Vgl. Wae kcrnagel D. Losob.’ I 855 (Dintisca 1 324): Als man den bunt
henken wil, sö In'it er Icder gessen.
197. Vgl. l'reidank 109,26; Tunicius Nr. 817: Olde hunde sint quat ben-
dich tu makcii.
201. I>. Goinulke, Sprüchw.: Ja, was hingen a noch kninuil, das frassen die
Hunde.
205. Freidank 138,5: Oienge ein hmit tusent stunt ze kirchen, er w»r doch
ein hiiiit.
207. Tunicius Nr. 354: De einen anderen jaget, de en restel sik nicht.
209. Vgl. Wunder, D. Sprchw.-Lei. unter „Katzi:“ Nr. 69: Catus amal piscem,
sed non vult tangere Humen (Binder I 178).
MiitcUiiuzen d. scliles. ües. f. Vkde. Baad XII (Heft l). 7
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KENNEN 211. Sal ich dich kennen, nü So mustu dich io nennen ^
KIND 212. E über kint, E großer besin 8.
213. Y Uber kynt, y größer ruthe liL
m. Est quilibet actus cari pueri benefactus 8,
215. Was das libe kint thut, das ist aller wol gethon 1 il‘2.
21fi. Das iungiste kynt das libiste 8,
217. Das iungste kynt das libeste 13.
213. Wenue das kint seynen willen hat, so weynt is nicht 8.
KIRCHE 219. Ecclesia Tetns raro habet Incidas fenestras L
220. Eyn aide kirche hat boze fenster 8-
KLEID 221. Si careas veste, nec sis vestibus honeste.
Nullius es laudis, licet sapias omne quod audis 5.
222. Sint noua uel vetera, pauper sua calcimenta
Rumpit palpando dcius quam diues eundo L
KLINGEN s. 321; 322. KLUG s. tL
KNÄUEL 223. Was man von irst wint off eyn klewel, daz reist
man czu leczt abe.
KNECHT s. 357.
KOCH 224. Vulgariter dicitur: Non omnis deferens longum cultellum
bonus est cocus L
KÖNNEN 225. Waß wir können, daß loben wir,
Waß wir nicht können, hat keine Zier LL
226. Wer etwas kan, der gneußit seyn 8.
KRÄHE 227. Eyne cro ducket der ander nicht dy ogen aus UL
KRUG 228. Der kruck gheyt so lange zcu dem wasser, bas ym der
hengil abe bricht 8,
KRUMM 8. ^ HiO; 1^. 1 32.
229. Gut wegk vmbe, hot keyne krvmme 8.
212. Vgl. Wolken steio XIX ^ lib Je lieber kint, ic grii-zrr pescn; ähnlich
Helbling III 9^ Muscatbliit 120, 8.
223. Aus cnd. m.s. L F. 535, Anf. d. 15. Jabrbs.; früher der Bibi, der Augustiner-
Chorberren zu Sagan gebürig, Blatt 62».
224. Tunicins Kr. 1 16: It sint altusamen neino köcke, de lange messe dragen.
227. De raptoribns et putentibus popnli; Quelle: Maerobius, Satumalia conricia
VII 5: Oomii comici nunqiiam oculos effodit; Tunicius Kr. 333: De
eine kreie cn bit der anderen nein oge ut; D. Gomolke, Sprüchw.: Knc
Krob lioakt der andern nicht die Ogen aas.
225. Vgl. Mones Anz. 7. 505 : Ollula tarn fertur ad aquani, quod fracta refer-
tnr; D. Gomolke, Sprüchw.: Der Krug gibt su lange zum Woasser, bis
a a Henckel vcrloirt.
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KUH 230. Wes dy ku ist. der zci si hey dem zcaile 13.
231. Bos conqueritnr. Hoc genus merdarum suffero digne, Si
non merdassem, onera non generassem 3.
L.\CHEN 232. Lache nicht czw sere, allir tage obint ist nicht komen 7.
234. Lache wen du hem gyst 13.
235. Der do am freitage lacht, der went gerne am sontage 13.
236. Non bene conveniunt nec in vna sede morantur Et meror
et risus, thartarus et paradisus 5.
L.4NDSMANN 237. Lanthman, schantman, weystu icht, so schweyg 8.
LANG 238. Ich heyße E lenger E über (ader besser) 8.
239. Ych heyße y lengir y über 13.
240. E lenger, E erger 13.
241. Y lengir, y erger 13.
LANGSAM 242. Cursu delicitur, paulatim longius itur 3.
LAUFEN s. 2-i-2; 288.
LEBEN s. 72; 378. 243. Yo bessir lebinyo seliger (semfter) ende 7.
LEID s. 97; 98; 99; 100. LETZTER s. 201; 202 ; 203.
LEUMUND 244. Omnibus amissis famam seruare memento 10.
LEUTE s. 413. LICHT s. 335.
LIEBE 245. Wöre liebe aldet nich 8.
246. Caritas nna querit caritatem alteram.
247. Eyn lip sucht gerne das andern.
248. Eyn lip suchit das ander gerne 8.
249. „Eyn lip suchit gerne das ander lip“ sprach der wolff vnde
lugethe in den gensestal.
250. Eyn lib sucht das ander 13.
251. Wo übe ist, dy ewgent sich 8.
252. Wu do ist dy übe, aldo ist och das oge 13.
253. Lip habin vnd nicht genyssin, daz mochte wol der geyir
(adir tewfel) vordrissen 8.
230. Tunicins Nr. 413: Des de ko is, de iiimt sc bj dem störte.
231. Dampnum qnod qnis sua culpa sentit, sibi debet, nun alter! imputari.
237. Tunicitis Nr. 673: Landesman, sihandesmaii. Der Land.smann cri&blt die
Schlechtigkeiten des Heiuiatsgeiiossen in der Fremde.
243. Vgl. Koner .>4,45: Ein bie.s leben wer das bat, dar an ein bces ende
gerne stät.
246 u. 247. Ans cod. ms. I. F. 503 Bl. ICOrb t. J. 1431.
253. Vgl. Liedersaal 184, 3: Lieb hän und miden ist ein bitter liden; 134, S:
Lieb hän äne tröst ist mines herzeu röst.
7*
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lOO
LOB 254. Der muli sich selbir lobin, her hot bosse nocbewer 8.
LÖFFEL s. 151. LOHN s. 57; 58; 59.
LÜGEN 255. Wer ligen wil, der mag wunder zagen 2.
256. Wer do lygen wolde, der mochte wunder sagen 8.
257. Der do ligen wil, der mag wunder sagen 13.
MAGNET 258. Der aytsteyn czwet en 8.
MAHLEN 25D. Dicitur in communi proverbio: Qui ad molendinum
prior venerit prius molit 11.
260. Dicitur proverbialiter: Qui cicius venerit, cicius molit 11.
M.\HLZEIT 261. Post mensam stabis, aut passus mille meabis 10.
MANN 262. Was wer eyn man, her rethe den menlich 13.
M.\NTEL s. 372; .373; 374.
263. Man sal den mantel dren noch dem der wynt gyhet 13.
MAKE s. 352. 264. Gute newe mhere sal ydennan gerne hören 8.
265. Gutte new mere sal yderman gerne huren 13.
MARKT s. 453.
MASS 266. Eyn mosse ist zcu allen dingen gut 13.
M.\US s. 208. 267. Wen dy mawss sath ist, so ist das mel bitter 8.
268. Wen dy mauss sat ist, zo is yr das mel bytter 13.
MEER 269. Der wil das mer }ii eyne flasche gyssin 8.
MEHL 8. 267; 2(>8. MEISTER s. 3(57.
MESSEN 270. Is ist bessir czwir gemessen, den eynes vorgessin 8.
MILDE 271. Milder hant gebrach ny 8.
272. Milder hant gebrach nye 8.
273. Milder hant ny gebrach 7.
274. Mylder hant ny gebrach 13.
254. Fastiiachtsp. 52G, 6: Weih man vil pAser nachpauren hat, der lub sich
scibs; das ist mein rät; Tuuiciiis Nr. 319: De sik sulven loven, de hebben
quade nabers.
2.56. Tunicius Nr. 291; Do wil leigen, do kan wat nijes aeggen.
262. Tunicius Nr. 1018: Dat is ein man, de strak kallet als ein man.
263. Spervogel (MSF 22.25) Wan sei den mantel kören als das weter gät;
Tristan 262,32: Man sei den mantel kören, als ie die winde sint gewant;
vgl, Boncr 83.55; Tunicius Nr. 707: Men mot de hoiken na dem winde
hangen.
266. Colmarer Liederhs. 111,1; Din mäze ist zallen dingen guot; Kenner
4793; 5511: Mäze ist zuo allen dingen guot; Tunicius Nr. 659: Mate is
in allen dingen gnt.
270. Winsbekc 25, 1; Freidank 131,23; Bezzer ist zwir gemezzen dan seinem
mäle vergezzen.
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MIST 275. Didtnr in proverbio; Expurga fimmn tuum, donec tu ad-
vocatus in curia es 7.
276. Fure wyt (?) aus deynen mist, dy weyle du zcu höfe bist 8.
MORGEN s. 3; 4; 5. MÜHLE s. 259; 2110.
MÜSSIGGANG 277. Von tnissigk gehen wirt zelden ein man reich 2.
278. Von mvssig ghoen wirt man seiden reych 8.
279. Von mfi.ssig gelieii wyrt eyn man seiden reich 13.
MUND s. Hi«.
MUT 280. Gutter mut ist halber leip 2.
NACHBAR s. 254.
NACHREDE s. 244. 281. Thar is eyner thuen, man thar is ym
nachsagen 8.
NACHT 282. l>y nacht ist nymandis frünth 13.
NASCHEN 283. Genessche wyl fil schiege haben 13.
284. Genesche veil siege haben 2.
NASS 285. Wo is vor nas ist, do mag ys leychte gereynen, das is
noch nesser wirt 8.
NEID 286. Dicitur in proverbio: Invidia et odium numquam defe-
cerunt in terra 7.
NEUGIER 287. Der vbir sich huhet, dem fallyn dy spene yn dy
ogen 13.
288. Wer alczu syre löfit, dyzer wyrt gerne müde 13.
NEUIGKEIT s. 204; 205. 289. Res est cara satis, dum tempus habet
nonitatis, Sub pede calcatur, qnando nimis inveteratur 5.
NONNE 290. Nonnen vryen, monche companey, huren geselschaft,
get man seiden mit vromen ap 3.
NOT s. 105. 291. Noth bricht eysen 8.
292. Noth brich eisen 13.
NUTZEN 293. Vtilis est fanti Bachus, medo basia danti, Fons bonus
aranti, ceruisia grata culianti 3.
294. Ich mus dich nutczin, die weyle ich dich habe 8.
OHR 8. 16; 17. PELZ s. .397.
275. Mach dich bereit, sidange es Zeit ist.
281. Daher soll man sich in acht nehmen beim llniideln, wenn inan den guten
Kuf bewahren will.
287 11. 288. yuod nnllus dobet curiose scrutari.
291. Frauentrene .'108 (Hagen Ges. Abent. 1271) daz noch not bricht daz isen ;
1). Gomolke, Sprflehw. ; Nuth bricht Eesen.
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PFENNIG s. 107. 295. Der pliennig ist nirne alzo genende, alzo do
er geschlagen ist 8.
PFERD s. 40.5. 296. Hütte dich, mein phert slehet dich 2.
297. Hütte dich, meyn phfert sehlet dich 13.
PFLÜGEN 298. Terram nullus aret, in qua non spes seminat 10.
PILGRIM s. 150. PREDIGT s. 79; 80.
RAT 299. Wemme nicht zcu rothin ist, derae ist och nicht zcu
helften 8.
300. Mancher gebit ejTiem andern yn roth, der ym selber nicht
geroten kan 8.
RAUB 301. Wechsil ist keyn rop 13.
RECHT 302. Cunctis qui jilaceat, non credo quod modo vivat. Non
placuit cunctis rex diuine pietatis 10.
303. Fac bene dum viuis, Post mortem sich wo du bleyliest IO.
REDE s. 4; 5; 2(52. 304. Eyne gute rede rindet eyne gute stad 8.
305. Vil rede macht wüste höte 13.
306. Omne malum braxat, qui lingue frena relaxat, prudens
dumtaxat dicenda tacendaque t.i.xat 5.
307. Qui seit seruare lingwam .sensusque domare. Forcier est
illo, qui frangit viribus vrbes 3.
308. Was .sulde dy czunge mir, wenne ich nicht sal gebrawehyn ir 8.
309. Was sulde mir dy czunge, wenne ich nicht domethe reden sal 8.
REGEN s. 285; 383. 310. Post vinum verba. post ymbrem sequitur
herba, Post flores fructus sequitur, post gaudium luctus 3.
311. Post grandem pluviam sequitur quandoque solis ortus de-
lectabilis.
312. Noch eynem reyne kommit gerne eyn sonnenscheyn 8.
313. Noch eynem placz regen kommet gerne eyn sonescheyn 13.
314. Post risum grisum (?) sequitur sepyssime fletus ß.
315. Noch grollen donnern kommet genie eyn reyn ß.
316. Noch großem dünnem kommet gerne em reyn 13.
317. Post magnum ardorem sequitur vehemens pluvia ß.
318. Noch grußer hicze k^inmeth gerne eyne plov ß.
REGIEREN s. 180. 319. Est contra legem reginam regere regem 10.
295. I>. Gu mölke, Sprüihw. ; De Haller gilt am m.ston, wu a gcschloan ist,
300. Buch der Rügen 5: Maiiec man git guoten rät, der im selben keimm hat.
301. Raptores recipiunt vaccas et dant eanem, tlorenos et dant bursam.
302. Vgl. Freidank 106, 18; Morolf II 413.
311. -\us cod. ms. I, F. 503 Bl. 174« vom Jahre 1431.
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ins
KEICH s. 277; 278; 279. 320. Y reicher y kerger IS.
321. Wer do hot, das do klinget, her vindet wol, das do synget 8.
322. Wer do hot dy do clyngeu, der fynt och dy do sj-ngen 13.
323. Diligitur, colitur, quem sors illuminat ere, Despicitur,
premitur, qui pauca videtur habere 5.
324. Dum diues loquitur, quamuis sit inops racionis, protinus
auditur, laudatur ut os Salomonis 5.
325. Diues diuicias non congregat absque labore, non tenet
absque metu, non perdit absque dolore 3.
REIHEN 326. Der ist gut an den reyen zeu brengen, wer do gerne
tantzt 8.
ROM 327. Roma die vna non est tota bene edificata (J.
328. Rom ist niclit yn eynem ior gebawet.
RÜHE s. 200; 207. RUTE s. 213.
SACK s. 83; 84. 329. Dicitur in proverbio: Melius est saecus in
collo, quam plaga in dorso 7.
SAU s. 8.5. SÄUBERLICH s. 388. SAUER s. 302; .303.
SCHAF s. 68; 188. 330. (ieföger schofle, der gehn vil yn eynen stal 13.
SCHALK s. 42; 43; 117; 441; 442; 445. 331. focke dich, man
sucliit schelke 8.
332. Tücke dich, man suchet schelke 13.
333. Das man eyn schalk wyl vndyr dy banck stußen, zo rayn
io ym dy sehn her für 13.
334. Eyn schalg krewcht zu winkel 8.
335. Der kommt nicht zu lichte, her hot etwaz gebrawen 8.
SCHARF 336. Alezu scharff wyrt gerne scharfltig adyr scherticht 13.
SCHATTEN s. 19; 20; 21. SCHEFFEL s. 151.
SCHEUNE 337. Eyn eyne schewne gehört hew 8.
SCHI.MPF 338. Wen der schymp am besten ist, zo zal man off horin 2.
SCHLICHT 339. Siecht vnd gerecht ist got beheigelich 2.
340. Siecht vnde recht behagit gote am aller bestin 8.
341. Siecht vnd gerecht übet got vnde ist das allerbeste 13.
SCHMER s. 194; 195.
322. Huc proTerbium habet veritatem in lutinistis et citharistis et fistulatoribua.
Sic per larga mimera reges ao<juisierunt uiagnam laudeni et honorem.
827. Hätzleriu 137 b; Ea ward Korn gestifftet nicht aines tages, als man da
gicht; Tnniciiis Nr. 2G2: Collen wort up einen dach nicht getimmert.
338. Keinardus Vulpes, cd. Mone 1832; 4, 770; Ludus omittatur, dum liquet
esse bonum.
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SCHMIEREN S42. Der do sehmert, der fert 13.
SCHNEE 343. Der weyße sne vorbient dy owgen 8.
344. Der schny vorblendet dy ogen 13.
SCHUH s. 222. 345. Her bint den schnell mit bastlie, der i.-; gelden muß 2.
346. Her bynt dy sohu mit beste, der i.s gelden muß 8.
347. Her bynt dy sehu mit beste, der sy beczalen raiiß 13.
348. Nymant wes, wen der schuch drilcket, wen der yn an hot 13.
SELBST 349. Selber thnt. Selber hot 8.
350. Eyn yder man vor sich selber, got vor vns allen 8.
351. Eyn yder man vor sich, got vor vns alle 13.
SELTEN 352. Was do zeldyn geschit, das seynt weyte mehre 13.
SINGEN s. 321; 322; 400; 410; 411; 412.
SONNE s. 50; 311; 312; 313; 354; 355.
SPECK 353. Ys ist aus, das man speck of kolyn brit 13.
SPINNEN 354. Is wirt nymmer so kleyne gesi>onnen, is kommt
dach an dy Zonen 8.
355. Is wyrt nymmer alzo cleyne gespunnen, ys kommet an dy
sonne 13.
SPRUNG 356. Snelle sprunge synt zu iiiehte gut 8.
STALL s. 330; 404; 405.
STEIGER 357. Gute steyger fallin gerne, gute kempher werdin gerne
irmoet 8.
STEIN 8. 40(). 358. Dicitur proverbialiter: Duo lapides duri raro
molant bene 11.
359. Czwene herte steyne dy malen seiden deyne 11.
STRECKEN s. 16‘J.
STREICH 360. Arbor per primum nequaquam corruit ictum 1.
342. de illis qui diligunt innnera.
34G. Hoc dicitur de lajcis, agricolis, vincatoribiis, qui omnia solvant, que prin-
cipi’S et reges consumunt. Ipsi enini tarn cibum quam putum labore suo
acquirunt.
349. Kroue fi809: Selbe tete selbe habe; Berthold 1 92,36: Selbe tote, selbe
bete; Heuer 24,40; Selb tet, selb hab; Tunicius Nr. 1139: Sulven
doen, sulven hebben.
353. Den Speck kann man nur auf Kohlen braten.
354. Bauer 49,55: Nie wart sö klein ges]iunuen, ez ka'iu etswcnn zu aiinoen.
357. Freidank 115, 1 : Swer stiget, der sei vörhten val.
360. Auch in Mones Anz. 7,505; Tunicius Nr. 215: De bom en velt nicht van
dem ersten slagc.
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STROH 361. Anlet de facili, si stramen iungitur igni 10.
SÜSS 362. Söße byssen sawyr schlig 13.
363. Söße schlig hot sawyr schmagk 13.
TANZ s. 70; 71; 326.
364. Vor dich, vor dich, noch deyner pfeyfte tancze ich nicht 8.
365. Vor dich, vor dich, noch deyner pfeiffe tancze ich nicht,
vnde dorumme vordencke mich nicht 13.
366. Noch süßem dün yst gut tanczen 13.
TÄUSCHEN 3. 133; 134. 367. Wer den andern tensschet, der ist
seyn ineister 13.
TEUFEL s. 421 ; 422. 368. Man darff nicht den thewfel an dy vant
molen, man hekumpt sein dennoch wol 2.
369. Man darft’ den tewfil nicht an dy want molen 8.
370. Man darff den tenffel nicht an dy want molen,
her korapt wol vngemolt 13.
371. Man mus den teufil feilen mit gotis kralft 8.
372. Wen der thewfel sehenden wil, dem henget her eynen
langen mantel an 2.
373. Wen der te>vfil sehenden wyl, dem hengt her yn langen
mantil an 8.
374. Den der teüffil sehendyn wil, dem henget her eynen langyn
mantyl an 13.
375. Wo der tewffil nicht hyn kan, do sendet her seynen
knecht hen 8.
376. Dum demon languebat, dixit bonu.s esse uolebat.
Do der tewffel genass, do was er alss er ee wass 10.
TIEF s. 100.
361. Vgl. Freidank 121,3: Morolf II 434; Jnng. Titiircl 5776,3; Trojaner
Kr. 8659.
363. (^uod de mane cibus raldc bene sapit, sed in vespere angit et gravat.
365. Proverbium cst illoruni, qui sunt capitosi et frontosi nolcutes sequi con-
silia aliuruni.
373. Hoc dicitnr coumiuniter contra tales, qui aliquando sublimantur honoribus
et poslea deprehcnduntiir in ])Ublici.s peecatis deli(|Uisse.
375. Wackernagel D. Leseb.^ 1 855 (= Diutisca I 324): Do der tiufel nit hin
mag, dö sent er sinen botlen hin; Tunicius Nr. 195: War de duvel nicht
en kumt, där sent he synen boden. Als der Teufel Christum nicht ver-
fuhren konnte, sandte er die Pharisäer.
376. Vgl. Froidank 137,20: Ein wolf was siech; do er genas, er was ein
Wolf als er e was.
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TOD 377. A^siduam pestem morti.s tibi credito festem 3.
378. Hic locus est flendi, locus est peccata luendi.
Fac bene, dum viuis, post mortem vivere si vis 3.
TON s. 87; 88; 89; 366.
TOK s. 7; 140. 379. Fst fatuus talis, ijuem decipit ars monialis.
Est fatuus fateor, quem caluos vrgit et v.vor.
380. Torheit macht erbej-t 8.
381. Torheyt machit crbeyt 7.
TRAUER s. 236; 310; 314. TRAURIG s. 8.
TREIBEN 382. Also wir iss treybin, also gehit is vnss 8.
TROPFEN 383. Ich mente is hette getreppilt, alzo hot gereyneth 13.
TROST 384. Noch guttim tröste kommet (vel volget) alle selikeyt 8.
385. -411e vnser trosl leyt an dir; lest du vns, so sey wir ge-
lossen 8.
TRUNKEN s. 1 8. 386. Eyn trunckyn inunth, retli des herczyn grunth 1 3.
387. Eyn trunken man ist nicht kalplleysch 8.
TUN 388. Thu suberlich, zo n^TUpt man dich 13.
TÜR 389. Wer sich zcwissen thoyr vnde angel mengt, der queczet
sich gerne 8.
ÜBERMUT 390. Dicitur in proverbio:
(iui mittit lapideni in altum, super capud eins cadet 11.
391. Wer sich ober wil, der oberwirft zieh 2.
392. ^ 'ir videas, quid tu iubeas, dum magnus haberis;
Et caueas, ne forte nias, dum stare videris.
Prospicias, ne despicias, que ledere queris:
Dat varias fortuna vias, non ergo mireris b.
ÜBERSPRINGEN 393. Wer do nicht obin hyn kan, der muß vnder
durch krichen 8.
394. Wer do nicht obir springen kan, der kriche vnder 8.
395. Wer do nicht vberspringen kan, der kriche vnder 13.
ÜBERWINDEN 396. Der den andern vbyrmag, der stust [in] yn
den sag 13.
UNGLÜCK s. 165.
UNFLAT 397. Man darff nicht vnflot in den pelz seczen 2.
379. Aus cod. ms. IV. Q. 179 v. .1. 135G.
384. Wigalois 74. 31 ; Guot tröst was io lo ncEl<’n guot.
386. Tunicius Xr. 442 u. 1330; De viillc niunt aprikl des berten graut.
397. Tunicius, Xr. 520: Men höret nicht de vlo in den pels to setten ;
I>. Go mölke, Sprüebw.; Ich wölte mer Luise .am Peltr setzen.
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URSACHE 398. Nyst nicht geschyt ane zache 8.
399. Nyssthen geschrt ane sache 13.
VATERLANU s. 175, 176, 177, 178.
VERDERBEN 400. Vil vortyrbet, das man nicht wyrbet 13.
401. Vorterbyn thut gar wy 13.
VERDRIESSEN 402. Wen es rordreust, der ge syn abe 13.
VERGELTUNG 403. Qnid sibi quisque serit presentis tempore vite.
Hoc sibi messis erit. cum dicitur: Ite, venite 10.
VERLUST 404. Wen man das f) e vorlewst, zo bessert man den stal 2.
405. Wen man das phertd vorlaust, so bawt man den stal 13.
VERTRAUEN 406. Ich vorlosse mich dor uff, ich habe ouch eyn steyn
in dem brethe 8.
VERZICHTEN 407. Ich gehe is (lohen 8.
VIEH s. 104.
VOGEL 408. Dicitur in proverbio: Magneaveshabent magnos nidos 11.
409. Man spricht jti deme sprichworte :
Cantat auis queuis sicut rostrum sibi creuit 7.
410. Also der fogel ist, alzo singet her.
411. Als der fogil ist, alzo synget her 13.
412. Der fogeier süsse synget, wenne her den fägeler wyl be-
trigen 8.
WACHSEN 413. Wenestu das lewte off bowmen wachs.sen? 8.
WÄHREN 414 Ys wert dy lenge nicht 13.
WAHRHEIT 415. Propter veritatem nostrum perdidimus fratrem 3.
416. Wer dy woret fet, dem wyrt man gerne gram 13.
417. Wer do die worheit reth, dem wirt man gram 8.
418. Wer do reth dy worheyt, der secze seyn hoff von danne
we_vt 8.
4(X). Freibergs Trist. 4847; Wan manic dinc verdirbet, des man niht enwirbel:
Walther (ed. Lachmann) lOG, 15: War vil verdirbet, des man nicht
enwirbet; Cato (ed. Zacher) v. 457: Manie dinc verdirbet derz niht von
erste wirbet.
4Ü1. Istiid proverbium habet veritatem in superbia temporali.
404. TuniciusNr. 1328: War ummo slnst du den stal, als de page is enwege.
409. Sachsensp. praefatio 45: der vogel singet als im der munt gewaczen steil
zu sänge.
411. Aus cod. ms. IV. Q. 41 Bl. 35r. v. J. 1451; aus der Bibi, der Äugu.stiner-
Chorherren zu Breslau.
412. Cato (cd. Zacher) Disticha 1,27; Noli homines blando nimium sermone
probire: Fistula dulce canit, voluerem cum decipit auecps.
413. Vgl. Zfd Vnterr. 14, 214 u. 735—739.
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WAISE s. 444.
WARM 419. Halt dich warm, so treust dich nicht 13.
WAND s. 3()8; 369; 370.
WASSER 420. Yn snlchem wasser sheyt (?) man sulche fysche 8.
WECHSEL s. 301.
WEIB 421. Demonis antiqua asperialus est femina rasa 6.
422. Eyn alt weyp hoch beschorn i.st des tewfels einhoni 6.
• 423. Eyn ald weyb vnde eyne schossil korp, do ist wenig
l'rewden jTme 8.
WEILE 424. Wer dy wele hot, der nyrapt das beste 13.
WEINEN s. 96; 101; ‘218; 235.
425. Wer do hynden noch weynet, deme ist so we, alzo der do
vor weynet (ader gewevnet hat) 8.
426 Vnselde vnd betrubnis lernet wenen 13.
WEISE 427. Wer dy weyze weis vnd kan, der fftrt dy brawt heym 2.
428. Wer dy weysze kan, der ffiret dy mayt beym 8.
429. Der dy weyse kan, der furt dy braut hem 13.
WEISHEIT 430. Dum sapiens loquitur, attendit tempus et horam,
Sed nunquam stultus quorit adesse moram 5.
431. Vilibns induuys sapiencia nulla videtur,
Quamuis sit sapiens, pro stulto nudus habetur 5.
432. Anus et annus abit, semper sapiencia stabit 1.
WENN 433. Si „nisi“ non esset, perfectus quilibet esset,
Sed nondum visi, <(ui caruere „nisi“ 14.
WIND s. 263.
434. Starcke wynde vnd dorre holcz, dy helffyn dem fewyr off 13.
WILLKOMMEN 435. Wylkomen sath vnde esze gerne 8.
436. Wilkommen sat, vnde ese gerne 13.
WIRT 8. 117. 437. Hospitis absencia dat nobis incommoda raulta 3.
438. Wo eyn man hyn kompt, do fvnt her den wirt do hejme 2.
439. Wo eyn man hyn konirnit, so ist der wirt do heyme adir
kommet gar schire 8.
440. W''o man hyn kommet, do fynt man den wyrt do heme, abe
kommet gar schire 13.
441. Wol dem wirte, do dy geste from sejm vnde wee deme
wirte, do dy geste schelke seyn 8.
442. Wol dem wyrte, do dy geste from seyn, vnd wy dem w)Tth,
do dy geste scheke seyn 13.
442. contra instabib'S svruos et ancillas.
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WISSEN 443. Is ist gut etwass zu wissen 8.
WITWE 444. Witliwen vnde weyszin sal man neszin (?) 8.
WOLF s. 249. 445. Der wolff der wandelt den balc vnde nicht
der (!) schalk 8.
446. Was man saget dem wollte, zo spricht her allezceit: lamp,
lamp 13.
447. Fronte lupi visa credatur cauda propinqua 3.
448. Advenit ecce lupus, dum mencio fit sepe eius (!.
449. Wen man des wolies gedenkit. so komt her gerne 6.
450. Wen man des wolffis gedencket, zo kommt her schire 8.
451. Wen man des wolffes gedencket, zo kompt her gern 13.
ZEIT 452. Man mus die czeit nemen alzo sie kompt; wirt isz
jTiimir besser, zo neme wirs ouch 8.
ZIEGE 453. Man darft' myt dem czickelen of den margkt nicht eilen,
wen her vorkoft ys wol jm der gassen 13.
ZUFRIEDENHEIT 454. Non est, aliquis in mundo, qui dicit .se:
habundo 10.
ZUNGE s. 306; 307; 308; 309.
Im Kräuterladen
Von Karl Bother.
L'm einmal zu sehen, was noch heutzutage an Heilkräutern
wirklich gekauft wird, gegen was für Krankheiten sie angepriesen
nnd angewendet werden, und unter welchen Namen sie feilgehalten
werden, ließ ich mir den gesamten Inhalt einer der wenigen hier
in Breslau vorhandenen Kräuterbuden zeigen, benennen und die
443. Sci-uudum Catonis; Scir» aliquid laus; vgl. Cato (cd. Zacher, p. 182)
Dist IV, 29.
445. Siielonius Ve.spasian XII: Vulpes pilum mutat, non uiores.
448. Wackernagel, D. Leseb.* I, 835. 1 7 : Sö inan den wolf nennet, sö er zu
drenget; I). Gomolke, Sprnchw.: Wenn ina s Wullles gedenckt, su kümnit
a; vgl. Terenz, Adelphi IV 1 : Lupus in Fabula.
') Vergl. Walter, „Ein Besuch vor 4<i .laliren“ Milt. VIII, 4. Patschovskj,
„Volkstüniliihe Zimmer-, Feld-, und Waldpflanzen im Liebauer Tale“, Mitt. XI,
186fl‘. Vor allem vgl. Dr. K. Olbrich'» treffliche „Beobachtungen ttbcr den
Bchlcsischcn Bauerngarlen“ (Mitt. XVI, GG— 84), mit denen die folgenden Dar-
stellungen viel Gemeinsames zeigen.
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110
Art der Anwendung angeben. Was ich gesehen und gehört, gebe ich
getreulich in derselben bunten Reihenfolge und auch in der Form
wieder, daß die Pflanzen für, nicht gegen eine bestimmte Krank-
heit seien. Ich füge nur den son.st gebräuchlichen deutschen und
den botanischen Namen und einige Bemerkungen in kleinerem
Druck bei.
Sonst wurde mir gesagt, daß da nicht nur die verschiedensten
Heilkräuter vorhanden seien, sondern auch solche getrocknete Pflanzen,
die als Gewürze dienten oder als Tee zum Abendbrot getrunken
würden. Leute mit schwachen Nen’en trinken solchen Tee statt des
russischen. Einer sage dem andern, dies oder das habe ihm geholfen.
So kämen Vornehme und Geringe kaufen, und des Menschen Wille
(Glaube) sei sein Himmelreich. Alles fände dabei guten Abgang.
Der Wegetritt — die Wegwarte oder wilde Zichorie, Cichorium
Int)'bus — ist gut für die Nieren.
Der Beifuß — Artemisia vulgaris — wird als Gewürz zum Gänse-
braten genommen, ist aber auch gut für Gallensteine und Leber.
Die Schafgarbe — Achillea Millefolium — ist blutreinigend, für
den Husten und für alles.
Die Odermänige — der Odermennig, Agrimonia Eupatoria — für
Leberleiden, schmeckt aber auch so sehr gut. schokoladenartig.
Die Pißblume — Grasnelke, Armeria vulgaris — für Blasenleiden.
Das Zinnkraut oder Schachtelhalm — Ackerschachtelhalm, Equisetum
arvense — für Blasenleiden und Nieren. Her Name Zinnkraut dnrfte
erst durch Kneipp nnter das Volk gekommen sein, das diese Pflanio früher
nur Katzenzahl, also Katzenschwanz (zagel — Schwanz) benannte. Alte
Leute berichteten mir, daß man in der Frankensteiner Gegend für Knh-
sebwanz auscblieUlich ttäl oder < Uidhin sagte, was auch Knötel, Schles.
Prov. Blätter 1871 bestätigt: auch heute spricht man in Breslau beim
Fleischer ja noch vom to?/.
Die Wacholderbeeren — von .Tunipenis communis — sind für die
Nieren. Auf die glühende Platte geworfen, beseitigen sie den
schlechten Geruch, wenn etwas flbergelaufen ist. Mir selbst sind siu
als Imagcnstärkendes Mittel bekannt. Um Neustadt und in Österreich-
Schlesien bereitet man daraus den jochSnlo/o/t, den Hausierer in ganz Schlesien,
auch in Breslau, „für alles“ aiipr.’isen.
Die Wacholdernadeln, zum Baden und Trinken, sind wassertreibend.
Das Tausendgüldenkraut — Ervtliraea Centaurium — ist für
den Magen.
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Die Bärentraubenblätter — BäreDtraube, Arctostaphylus Uva
ursi — sind wassertreibend.
Das Johanniskrau’t, bei Militsch Liebeskraut genannt — Hypericum
perforatum — ist blutbildend (?), für die Wassersucht, auch für
die Gelbsucht. Bei Camenz heißt die Pflanze Blutreinifc’unjrstee.
Die Kornblume — volkstümlich Ziegenbein, ts1ja(>fn, t'entaurea
Cyanus — ist augenstarkend und blutreinigend.
Der Augentrost — Euphrasia officinalis — wird mit Kornblume
und weißer Lilie, (gemeint waren die Blfitcnblatter der weißen Seerose,)
auf Kombranntwein aufgesetzt. Damit werden die Augen ein-
gerieben.
Das Pfefferkraut — Satureja hortensis — tut man als Gewürz
zu den Schnittbohnen; auch dient es zum Stopfen.
Esdragon — Artemisia Dracunculus. —
Präsilikum — Basilikum, Ocimum basilicum — und
Thymian, der echte, angebaute, Thymus tnilgaris — sind nen'en-
stürkend, dienen aber auch als Gewürze.
Der Quendel — volkstümlich Iwunla, Thymus Serpyllum — dient
zum Baden für Kinder; ist sehr stärkend.
Der Majoran — volkstümlich mdiron, Origanum Majorana — , man
gibt ihn als Gewürz zur Wellwurst und zum Gänsebraten; er gibt
auch einen krampfstillenden Tee.
Die Gurkentille — der Dill volkstümlich gdrkatih, Anethum
graveolens — heilt auch die Wassersucht.
Die Steinnelke — Dianthus deltoides — ist für die Gallensteine.
Der Ginster — Färberginster, Genista tinctoria — ist für Husten
uud Lungenleiden, auch für die Wassersucht.
Der Baldrian — Valeriana offic. — ist krampfstillend und nerven-
stärkend.
Die Pfeffermünze und Krausemünze — Mentha piperita und
M. crispa — sind krampfstillend und gut für den Magen, sie
werden auch als Tee zum Abendbrot getrunken.
Stiefmüttern — Stiefmütterchen, Viola tricolor — ,
Weiße Quecken — Triticum repens — und
Nußblätter — von Juglans regia — sind blutreinigend.
Preisselbeerblüte — Vaccinium Vitis idaea — ist blutreinigend
und wird als Tee zum Abendbrot getrunken.
Die Holunderblüte — von Sambucus nigra — dient zum Schwitzen.
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Die Lindenblüte — von Tilia platyphyllos — ist schweißtreibend,
gegen Husten und dient auch als Tee zuin Abendbrot.
Der Salb ei — Salvia offic. — dient zum (lurgeln bei Halsschmerzen,
auch als Gewürz zum Schöpsertleisch.
Die schwarze Malve — die Rlüten der Pappelrose, Althaea rosea
— dient bei Halsschmerzen zum Gurgeln und Trinken.
Kahnelblätter, die Blätter der weißen Wasserlilie, — Seerose,
Nymphaea alba — dienen zum Auflegen bei Geschwüren; sie be-
nehmen die Hitze; die Blfltenblätter sind für die Augen. (Siehe oben)
Die Männertreue — Eringium campestre — dient zum Ausräuchem,.
wenn jemand glaubt, verhext zu sein; dazu werden neunerlei
Kräuter genommen.
Der Kalmus — Acorus Calamus — dient zum Baden für Kinder
und ist fürs Reißen; die Wurzel ist gut für den Magen.
Die Petersilie — Petrosilinum sativum — ist wassertreibend, aber
nur für Kinder, da sie nur schwach wirkt.
Die Hagebutten — Früchte von Rosa canina — volkstümlich
hänhuta — dienen zu Suppen und Tunken; auch sind sie fürs
Wasser und blutbildend.
Huflattichblüten und -blütter — von Tussilago Farfara — sind
schleimlösend und für den Husten.
Die weiße Taubnessel — Lamium album — Kraut und Blüten
sind gegen Ausfluß.
Die Sen nesb lätter und auch die Sennesschoten oder Mutterblätter
— /amubletf, von verschiedenen Arten von Cassia — dienen zum
Abführen. Vom Schriftsti'llcr Krelschuicr wird mir mil«eteilt, dalS man
mit „MutU-rblalt“ auch den Frauenmantel — Alclicmilbi vulgaris — bezeichne,
der al.-i Tee ziim Abführen besonders Kindern gegebou werde.
Die Faulbaumrinde — von Rhamnus Frangula — zerkleinert
nimmt man ebenfalls zum .\bfflhren.
Gartheil — volkstümlich yarifl, ein in botanischen Büchern nicht
aufzufindender bei uns aber sehr gebräuchlicher Name. Das Kraut
wird von den Drogisten als Herba Abrotani geführt und kommt
von einem im südlichen Eurojia heimischen, bei uns in Gärten
gezogenen, gewOrzhaft duftenden, strauchartigen Gewächse, sonst
Eberraute. Artemisia Abrotanum, genannt, — ist gut für die Lungen.
Eibisch — Althaea otfic. — • Süßholz, — GlycjTrhiza glabra —
und Anis — Pimpinella Anisum — geben einen guten Brusttee,
gut gegen Husten.
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Kümmel — Carum Carvi — und Fenchel — Poeniculum offic. —
wirken beruhigend. Sie sind für kleine Kinder gegen Unruhe ira
Leibe.
Der Waldmeister — Asperula odorata — wird zu Tee und Bowle
verwendet. Außerdem wird er in Zigaretten geraucht. „Das ist
billiger, unschädlich für die Lungen und schmeckt viel besser.“
Heil aus dem Grunde — das schien mir Tormentilla erecta L.
zu sein, — gegen alles, besonders gegen Hasten.
Himbeer- Broml)eer- und Erdbeerblätter werden als Tee statt
des russischen getrunken.
Das Lungenkraut — Pulmonaria offic. — ist gut für die Lungen
und gegen Husten.
Ehrenpreis — Veronica Chamaedrj's — und Beifuß — Artemisia
vulgaris — werden gegen Gallensteine getrunken. „Ehrenpreis
macht Lungen und Leber weiß.“
Der iSanikel — Sanicula europaea — ist gegen Lungenschwindsucht.
Kordabenedikte, nur angebaut vorkoininend, — Carduus benedictus
ist gut für den .Magen.
Arnika — Arnica rnontana — mit Spiritus aufgesetzt, dient als
„Einreibe“ gegen Rheumatismus. Mir .selbst als fiben-.ssehend wirkendes
Hcilniiltcl bei frischen Sclinitlwiindi'n bekannt.
Täscbel — Täschelkraut, großer Kla]>itertopf, Alectorolophus niajor
— ist blutstillend.
Der Rosmarin — Rosmarinus offic. — ist gegen Rheumatismus.
Die mittlere Wegebreite — Plantago media — und
Der Spitzwegerich oder Ri])penkraut — auch Lungenkraut, volks-
tümlich wilthrl/jakrotM genannt, Plantago laneeolata — sinil gegen
Husten; letzteres auch gut für die Lungen.
Kastanien — die Früchte von Aesculus Hippocastanum — geschält,
geschnitten und mit Spiritus aufgesetzt, sind fürs Reißen; ebenso
die Kastanienblüte. Mir ist bekannt, dali Kastanien, an eine Schnur
gereiht, als Halsband gegen Reißen getragen werden.
Die blaue Glockenblume — Campanula medium — dient zum
Baden. Dem gleichen Zwecke, aber unter dem Namen Fingerhut
gezeigt, soll die rundblättrige Glockenblume, Campanula
rotundifolia, dienen.
Die Brennessel — Urtica dioeca — und
Die Iter- oder Hflternessel — Hirtcnnessel, mundartlich h^rtanesal
U. urens — sind beide schleimlösend.
MitUilungea d. schles. Ges. f. Vkde. Band Xil (Heft 1) ^
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Die Wassermelisse — Melissa offic. — ist gegen den Husten.
Katzenpfötchen — Gnaphalium dioecum — sind gegen das Wasser
(d. li. wassertreibend.)
Die Aberdistel. — Eberdistel, Kugeldistel, Carlina acuulis L. —
„Wenn nichts melir liilft, da hilft Aberdistel.“ Im Pflanzenbuche
von I)r. Dulitsch fliide ich die Bemerkung: Yen Karl dem Großen ist sie als
Mittel gegen die Pest empfehlen worden.
Die Schwarzwurzel — Symphytuin offic. — ist gegen Husten und
für die Lunge.
Der Lavendel — Lavandula spica — ist nervenstärkend; wird
auch als Tabak geraucht.
Die Kamille — Matricaria Chamomilla — ist krampfstillend.
Der Gundermann — Glechoma hederaceum — ist für alles.
Die Blätter der Silberpappel — Populus alba — dienen zum Auf-
legen bei Geschwülsten; sie benehmen die Hitze.
Lärbaum — Lärchenbaum, Larix decidua. — Nadeln und junge
Zweige sind gut für die Augen.
Die weiße Nelke — es war Seifenkraut, Saponaria offic. — ist
gegen den weißen Fluß.
Birkenblätter — von Betula alba — sind wassertreibend und
blutreinigend. Sonst sind frische Hirkcnblattcr alsMittel gegen Klicumatismiis
sehr geschätzt.
Das Eisenkraut — Verbena offic. — ist gegen Flechten. Kurz
einkochen und damit schmieren.
Der Rittersporn — Delphinium Consolida — ist gegen Stechen
in der Brust.
Ebereschenbeeren — mundartl. d/rcsa, von Pinis Aucuparia —
wirken harntreibend und dienen auch als Vogelf'utter.
Schlehenblüten — von Prunu.s spinosa — wirken blureinigend
und fuhren ab.
Der Bitterklee — Menyantlies trilbliata — ist gegen verdorbenen
Magen.
Wermt — Wermut, Artemisia Absinthium — ist ganz ausgezeichnet
für den Magen.
Endlich war noch vorhanilen
Gras bezw. Heu zum Färben der Eier und eine
„birkene“ Rute. „Das ist oR die beste .Medizin.“
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Tra Anschlüsse hieran möchte ich noch einige Pflanzen anfflhren
als Ergänzung zu dem Aufsatze von I)r. Olbrich: „Beobachtungen
über den schlesischen Bauern garten.“ (Mitt. Heft XV^I, (i(!) Dabei
habe ich den Bauerngarten im Sinn, wie ich ihn seit etwa 50 Jahren
aus meinem Heimatsdorfe Grunau bei Camenz kenne.
Fast in jedem Stübchen wurde damals dieGi chtnesscl — Plectran-
thus fruticosus — „gegen die Gicht“ gezogen, wohl mehr als Abwehr-
mittel; denn von einer Anwendung habe ich nie etwas gehört. Heut
ist die Pflanze dort kaum noch vorhanden, aber ich sehe sie hier in
Breslau öfters am Fenster von Kellerwohnungen. Sie wird hier mit
dem Namen Mottenpflanze belegt, da sie die Motten vertreibe.
(Nachträglich wurde mir meine Ansicht mit den Worten bestätigt:
Wo eine Gichtnessel steht, da kommt keine Gicht hin.) — Am
Fenster wurde ehemals auch die Auferstehungsblume gepflegt,
eine einfache Begonie, deren Spezies ich nicht habe ermitteln können.
Im Gärtel fehlte als Heilpflanze nirgends der Eibisch — Althaea
offic. — Er wurde wie noch gegenwärtig als schleimlösend gegen
Husten angewendet. Hier und da fand sich die schwarze Pappel
— Althaea rosea — deren Blüten aber nicht wie oben angegeben
verwendet wurden; sie dienten vielmehr zum Aufweichen von Ge-
schwülsten. Ein beliebtes Hausmittel waren die Blatter des an
Gräben wach.senden Froschlöffels — Alisma PlanUgo — , mund-
:irtlich foelejl genannt. Getrocknet und dann eingeweicht, sollen sie
Geschwülste aufweichen und, z. B. bei Bienenstichen, die Hitze be-
nehmen. — Vom Kainfarren — volktOml. nnw»r, Tanacetum
vulgare L. — wurden die BlüU'ii als Tee gegen Eingeweidewürmer
gegeben.
Im Blumengarten war sehr häufig die Feuerlilie — Lilium
bulbiferum — vertreten, besonders in der Grafschaft Glatz, wo ich sie
auch wildwachsend in einem Kleefelde in außergewöhnlich großen
Mengen angelroffen luibe. Ihre Zwiebeln müssen dort wohl noch
unter der Pflugsohle gelegen haben. Für die Traubenhyazin the —
Hyacinthiis muscari — habe ich vom Volke nie einen Namen gehört.
Eine ausdauernde, etwa 1,20 m hohe Herbst aster — Aster sali-
cifolius — mit zahlreichen kleinen, blaßblauen Blüten, wucherte fast
überall; nur kräftigere Herbstfröste vermögen ihre BlOhwilligkeit zu
beenden, wogegen die Georginen — Georgina variabilis — schon
dem ersten Reife zum Opfer fallen. Sie wurden in ihrer alten, ge-
füllten, halbkugeligen Form von einzelnen Liebhabern sehr geschätzt.
8*
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Als „Karthäusern elkc“ wurde die Barlnelke — Dianthus bar-
batus — gepflegt, mundartlieb katiirf^malJu, und am Zaune stand
die besonders gegen Abend so herrlich duftende, aber heut kaum
noch beachtete Nachtviole, — Hesperis matronalis — .
(blofatka waren die Veilchen.) (ieduldet wurde an der Mauer oder
in einer Ecke die Akelei — Aquilegia vulgaris.
Von Sommerblumen waren häufig anzutreffen die heute leider
fast vergessene Jungfer im Grünen oder (Jretel im Grünen —
Nigella damascena — , Astern nur in der einfachen Form und
Strohblumen. Mit Strohblumen schmückt man das trockene Moos
^ — mundartlich <//• mu-xt — zwischen den Doppelfenstern.
Als Eigentümlichkeit ist es wohl zu bezeichnen, daß damals
Tulpen in der ganzen Umgegend überhaupt nicht vorkamen.
Als Heckenzaun oder als laubenartige Bedeckung des Hauseinganges
diente häufig die Spanische Weide — Bocksdorn, Lycium flaccidum
Much. — Am Zaune stand hie und da als Strauch oder Baum der Spil 1-
baum — Evonymus europaeus. Spillbaum hieß er, weil aus seinem Holze
die Spille oder Spindel zum Flachspinnen gefertigt wurde. „Pfaffen-
hütchen“ — mundartlich fii/artfln — nannte man seine Früchte,
die vor dem Aufspringen einem roten Priesk'rbarett ähnlich sehen
und als „Rutkaflabeem“ — nUhiilahäm — klebten die Jungen seine
gelben Samenkörner als I>ockmittel für die Rotkeblchen mit Butter
an den Deckel des „Meisekastens,“ — mundartlich nu'fxkosta.
Wenn auch nicht gerade kennzeichnend für den Bauerngarten,
so doch für volksetymologische ümdeutung bemerkenswert ist folgendes
Beispiel: Ein Kornelkirschbautn — Comus mas — stand in der
Nähe der kleinen Brücke über das den Garten durchfließende Bächlein.
komUkershaom hieß er iin Munde der Leute; aber man dachte dabei
nicht mehr an die ursprüngliche Ableitung von Cornus — Kornel-
kirsche, als vielmehr an „das Kanal,“ konäl. So bezeichnet man
den Durchlaß unter kleinen Brücken. Man sagt z. B. : « koruU müs
gtrofmi warn.
Schließlich seien noch ein paar eigenartige volkstümliche
Pflanzenbezeichnungen aus der ('ainenzer Gegend angeführt:
Zeller, tsfhr, für Sellerie und Pasternak, piUt»rnak, für Pastinak.
Rauhbeeren, nigbarn, für Stachelbeeren — Hibes Grossularia.
Turteltauben, torkAtagha, für Eisenhut — Aconitum Napellus.
Tiiiibcben wenien die 2 lanegestielti'n Kronenblälter genannt, die innerhalb
des helinfbniiigen Kelchblattes stehen.
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Pannonichroscn, panSnif^rüfa, für Pfingstrosp — Päonia offio., im
Rieaengeb. piim/alrufa.
Ziegenbein, ttnjalx-n, für Kornblume — Centaurca Cyanus.
Schmirgel, smerpal, für Dolterblume, — Caltha palustris.
Huttermilchblume für Windröschen — Anemone nemorosa.
Keilhacken, k-adhaka, für Schlüsselblume, Himmelschlüssel, Primula
elatior. Dieser Name ist sehr kennzeichnend, da er die Stellung
einer Blüte zum Blütenstiele ins Auge faßt.
Himmelschlüssel, hividMesla, für den gelben Sichelschneckenklec
— Medicago falcata.
Pferdeaugen oder Taubenaugen für Skabiose — Scabiosa
Columbaria.
Wilde Rübenkraut, icildirfbaJcrotidi, für Spitzwegerich — Plantago
lanceolata.
tjUdigetila für Labkraut — Galium mollugo.
Heil aus ’m Grunde oder helpluta.^ für Fingerkraut — Potentilla
erecta.
Hasenbrot, hiifabrot, für Frühlingshainbinse — Carex praecox.
Sauerlumpe, faoerlumpa, für Sauerampfer — Rumex acetosa.
Hahnkrele, hmheb, für Knäuelgras — Dactilis glomerata.
tängrns, für Tennengras — Polygonum aviculare.
Pluderhosen, plüd»rhdfu, für Lungenkraut — Pulmonaria offlc.
Gänsbrich, gimahrM, für Gänsefingerkraut — Potentilla Anserina.
stiinbarä, für Zweizahn — Hidens tripartitus, von Scdiube Hettler-
laus genannt. Bei der Jugend hießen die Früchte wegen des
klettenartigen Anhängens Hettelmänner, Ixiulmenar.
Sdmpala, für Champignon.
Probe glätzischer Mundart: die Kirmes.
Mitgetoilt von stiiü. phil. (.ioorg Sei kr.
Herr Gutsbesitzer Johannes Mader in Neu-Weistritz (Kreis
Habelschwerdl) hat mir folgende Beschreibung der Kirmes seines
Dorfes gegeben. Für mannigfache Berichtigungen bin ich Herrn
Oberlehrer Dr. Klapper, einem genauen Kenner der Mundart dieser
Gegend, zu Dank verpflichtet. Neu-Weistritz liegt auf der (irenzo
der oberdörfischen und glälzischen Mundart, gehört aber noch zu
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dipsor. Dip phonetische Schreibung folgt der von Herrn Professor
Siebs iin Heft XVII der Mitteilungen vorgesclilagenen Transscription,
für die Vokale venveiso ich auf die 8. u. 9. Auflage der deutschen
Bühnenaussprache von Professor Siebs (Köln 1910, S. ‘29 f.). ^ be-
zeichnet offenes langes e, oflenes langes o.
do kermas.
da gantsa woq],ia darfir lints Son fll tsu tün. gam^ntlicyi wert
da ersta täga da Müba uns haus (Hausflur) ausgawaist. da mitalsta
täga, im a dönarÄfic^, wert dar ersta kucha gabaka. dar wert a gesta
gosikt, dl aigahöda wärn. ’s wert ä im dl tsait ai da Stijt aikffa
gaförn wegan bir on brantwain. dof if aim dorfa gam(ntli((li ni tsu
l)9n. dö wert menitails a tiijlitiiyi fös lögarblr on a fasla (nfacjjas
on a fasla karnbrantwain on ä wol noqli a grfisa firkantar (vierkantige
Flasche) güda brantwain (ibar waibarsnops gahult. ofta ä is dar pauar
mit dar w(»ra tse laiijra aim wertshaufa aigakijrt on knijlit, wen a hijm-
kiint, fum waiba son ti<Jliti<yi da baisa (Ausschelte), wail fe son ufs
hakmäl post. l'emTims wert ertt arntliijh ku<dia gabaka, da StDba
gawosa on ols üfgaroimt on blitsablangk gamaqlit on fir dar lira on
am höwa warn da spenwehanestar rögakört on a dar gantsa höf gak^rt.
funti<yi marja wert da töfid fii dar bina (Dachraum) rundar gahult on
a da güda Ätila tsa reijlita gaStelt. darnöi^i gits ai a götsdinst on di
darlupna misa ticüitiijli kuqlia on fir^eni (zurecht machen), wen da
kerijha auf is, wert an agablik ai da seiigke aigakCui on wen fa hem-
kuma, fain wol da etSda gesta .4on dö, on flr a ertta huügar wert
gamcntliijli a wii% kuQl,ia üfgatrcn. darnocji klepalts ä imarfart mit a
batalloita. fer di fain gam(-ntli(Jli a n<ja felfalkuQl^a (Füllselkucheu)
mit mötsprons (Ohstmus) firgasert. fir a tsvantsiijli jöran wijiv mit
a batalloita afu Älimp, dos an must ekstra a batalfuqht aim dorfa fain,
dar fa wilda ma^lja (verscheuchen) must, libar fit mä on h((rt ma
da laiarloita kuma, di fi^ wol (i dam taga tsimliijh stark aitinda on
momjlimöl posirts ä, dos da wal.sbelar hadiqlj a stikla tantsa. wen
da gesta darnöql) ola dö fain, wert da flesfupa üfgatr(n, damöql) kimts
ronttU'Ä mit feinftunjika on krentui%ka (Meerrettichtunke) on faura
gorka. dan kernt brötwurst on hüna ai faurar turi^ka, di Is aus
fafarkucha, rosiiTgka (Rosinen) on mandalkernani on f(T a gOdar aibrena.
tsum rentflösa on dar hüna wert blös bir gatrutfgka, dainöch kirnt dar
svainabröta on wer.sta on kolpsbröta, tsu däm kirnt ets noch dar
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brantwaii) tsuin trii^ka. darnöcl) 1! ä aspaufa. ai dar git mä ai a
färdaSt^il on ai a kiStöl on 11t Il(j_hs fij !}. wans nl tsu wait is, gil
mar a mfd Ow a pl(m t.sur raitJOla (Karussel) on tsur luft^iukal.
wen l'a tsQrika kuina, £i'it dar kala on kueha son uwain tisa. da hote
str('falkuql)a, kälakutdia, fafarkui^a, tsukorkuqjja, niökiu^ia. wen ti<y)ti(f^
gasa on trui%ka is, dö wert am birfasla noql> a möl ti<Jl)ti(yi luft ga-
mat^it, da wail)ar fail^ wol <ä Son ti<Jtiti^ tsu kr(Sa (lachen) wail
a (= ihnen) dar güdo (Branntwein) son a wiifgk ais ebarStibla kuma
is. damöqji gits ais wertshaus tsu dar müfi<yi. dö wert jü (ja) ge-
m(ntli^ bis ai a möntiijjj gatantst ons git t'(T lustii^.! tsil. ’s juii^
folk kirnt wol fir tsvea ni h(m. da m(i-Sta gesta blain wol ibar
naqlit dö, on wen fa aus dar Seiljika kuma, it a grüsa Str(o Son fir-
ga.'Crt. dö wert ä no ni bäla gaSlöfa. dö wert erst a waila unlln
on Sintlüdar gamaqljt on fil gakinSt, bis dar Slöf kirnt. mönti((li
marja höt wol mamjliar a Sw(ra köp, i)bar ’s nutst nist, a müf Bf, da
Strca wert am undarm (ir/a wekgarisa, den da waisbelar misa da
Stüba widar üfroima; nöjam friStika gits bäla ai da ker<(lia. afu bäla
wi da orgal Stiia Is, git aim wertshaul'a da müfii^i Son widar lös on
dö wert nöqh a möl t'e.sta gatantst. dos tauart wol ofta bis im draia.
on wen I'a h(mkuma, krija fa gamcntliijli fö d/- keijhan da bai.sa, wail
’s asa kalt woni is on fa höt misa imarfart foiam. damöcjl) gits äbar
Sorf ibars asa, wail jfldas huiigor höt, ’s asa is griida wi funtiijlis. da
waita gesta (die von weit hergekommen sind), gm darnöijh Inin on
krija nöqlj a Stika kuqlja mit tsar mitbrei^o (zu einer Mitbringe), di
da iioqj,! dö blain (’s höd ’ar ä fllo, di da bis dinsti<9i warta), rün
fifdi a bisla ans; öms gm fa widar mit a ögahci'ija ais wertshaus
on halfan da kemas arntlic^,! bagröba. wen ols foribar is, dö Sprefdia
da Seiigka on da müfakanta: ’s kermasla wiir unfa.
Mitteilungen.
Dil' erst« Sitzung des Jahres 1910 fand am Freitag, den 14. Januar im
Auditorium I der Universität statt. Der Vorsitzende gab zunächst eine Über-
sicht über die Arbeiten und die Entwicklung der (lesellschaft während des
Jahres 1909. — IIofkuiisthsndliT Bruno Kiehter erstatUde sodann als Schatz-
meister den Kassenbericht. Die (Josambdnnahpien des Jahres 1909 belii'feu
sich auf 3320,53 Mark, die Ausgaben auf 3131,48 Mark, so dall sich ein Saldo
Vortrag von 194,05 Mark ergibt. Die Gesellschaft besaß am l. Januar 1910 au
Effekten 4500 Mark, die in der städtischeu Bank uiedergelegt sind. Auf Antrag
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der Ki'chnurgsprUfer Geh. Kcgicrungsrat Professor Hr. K. Appel und Professor
U. A. Pillet ward dem Schatzmeister Entlastung erteilt und der Dank der
Oesellsehaft für seine Mühewaltung ausgesprochen. — Da wir für den Fortgang
unsenr groQen Arbeiten, zu denen sieh ja neuerdings noch die tatkr&ftige
Bearbeitung der schlesischen Volkslieder gesollt hat, bedeutender Mittet bedürfen,
bitten wir unsere Mitglieder dringend, bei geeigneter Gelegenheit eifrig für
materielle Unterstützung unserer Bestrebungen zu wirken und
den Jahresbeitrag nicht auf das .MindestmaH von drei Mark zu
bcschr&nkeu.
Der bisherige Vorstand der Gesellschaft ward sodann auf Vorschlag wieder-
gew&hlt, nkmlich die Herrn Dniversititsprofessor Dr. Siebs (Vorsitzender),
Unirersitätsprofessor Dr. Bern cker (Stellvertret4ir), Direktor der Stadtbibliothek
Professor Dr. Hippe (Schriftführer), Museumsdirektor Privatdozent Professor
Dr. Seger (Stellvertreter), Hofkunsth&ndler Bruno Richter (Schatzmeister),
VerlagsbuchhSiidler Mai Woywod (Stellvertreter), Oberlehrer Professor Dr.
Körber, Kgl. Gymnasialdirektor Professor Dr. Feit, Universit&tsprofessor Dr.
Skutsch, Oberlehrer Professor Dr. Olbrich, Universitätsprofessor Geh. Reg.
Kat. Dr. Hillebrandt, Schriftsteller Hugo Kretschmer, Oberlehrer Prof.
Dr. Kühnau, Oberlehrer Dr. Klapper. — Hierauf hielt Universitätsprofessor
Dr. Otto Schräder einen Vortrag über „Begraben und Verbrennen im Lichte
der Religions- und Kulturgeschichte“ — er ist im vorliegenden Hefte abgedrnckl.
Am 17. Januar .starb Verlagsbuchhilndler Max Woywod. Er hat seit
langen Jahren dem Vorstande der Gesellschaft angehört, und wir haben in ihm
einen allzeit bereiti'n Helfer, einen treuen Berater und Freund vcrloreu.
Am Freitag, den 11. Februar, fand die zweite' Sitzung dieses Jahres statt;
Oberlehrer Dr. K. Gusinde sprach Uber „Land und Leute in Spanien“ — der
Vortrag ist im vorliegenden Hefte gedruckt.
Die dritte Sitzung ward am Freitag, den %'>. Februar gehalten: Universit&ts-
professor Dr. von Wenckstern hielt einen Vortrag Uber „Volksseele und
Wert“, der in höchst interessanter Weise und weitschauenden Blickes die
Schicksale und Bestrebungen einer fernen Zukunft darzustellen suchte.
Als neue Mitglieder traten unserer Gesellschaft bei aus Breslau:
Frl. Eva Dittrich, die Herren Universit&t8pri>fessor Dr. Gercke, Privat-
dozent Dr. E. W'aetzmann, Kgl. Aichungsinspektor Jos. ScliUfer, Privat-
duzent Dr. 0. Kinkeldej', Raurat Heinrich Kuhse, .Schriftsteller Paul Aust,
Korrespondent Josef Richters; von auswärts; die Herren Oberschichtmeister
Rieh. Loegel in Waldenburg, Professor Dr. Treutler iu Guben, Pastor
Weiss in Zabrze O.-S., Frau Kommerzieurat Ephraim in Görlitz, Herr
Lehrer Morgenstern in Bielawe, Kr. Freystadt, Frl. Klara Zimmermann
in Hamburg, Herr stud. pliil. Heinrich Nentwig in Heidelberg, Volks-
bibliothek in Schweidnitz, die Herren Lehrer Wilh. Sehre mmer in
Obcr-Peilau, Dr. Karl de Wyl in FUrstl. Drehna bei Calau S.-L., Schrift-
steller .kll'r. Neebold in Heidenheim a. d. Brenz, Württemberg.
Schliitl der Redaktion: 24. Juni 1910.
Buchdruckerei A. Favorke, Breslau 11.
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Ernst Theodor Amadeus Hotfmann und der
deutsche Volksglaube.
Von Dr. Karl Olbrich.
Motto: .Mao wird mit Versnügeo. wena
auch nicht mit unversttodiger Bewunderung,
wieder an der Latema magika zur&ekkebren,
die Hoffmaon ln die Weit bineiohing.* F. Hebbel
XU. 81. (Hease-Ausgabe).
Bekannt ist W. Grimms .Abneigung gegen E. T. A. Hoffmann, der
ihm „mit all seinem Geist und Witz von Anfang bis zu Ende wider-
wärtig war“ — und nicht minder scharf urteilte Goethe im Anschluß
an W. Scotts .\ufsatz „On the sui)ernatural in fictitious compositions“
über die „krankhaften Werke jenes leidenden Mannes“, dessen ge-
spenstischem Trug er das gesunde Grimmsche Kiiidennärchen gegen-
überstellt. Man wird das Urteil beider von ihrem Standpunkt ans
durchaus billigen können — der schlichte Belauscher der Volks-
und Kinderseele und der treu für die Nationalbildung besorgte
Olympier konnten kaum anders urteilen. Immerhin wird man —
und den Beweis dafür soll die folgende Studie führen — zugeben
müssen, daß Hoflmann über die Schatze des deutschen Volks-
glaubens durchaus verfügte und den Empfindungen des Volkes,
seinen naiv-schlichten Äußerungen vielfach mit feinem Ver.ständnis
entgegen kam. Seine psychologische Begründung mancher Sagen-
motive hat sogar modernen Versuchen der Mythendeutung (ich denke
an Laistner) unbewußt vorgearbeitet.
Außer der mehr skizzierenden Arbeit von Benz: „Märchen-
dichtung der Romantiker“ (Gotha 1‘JOS, S. 13!) — 148) besitzen
wir eingehende Studien über Holfraanns Scliaffen, insbesondere sein
Abkürzungen:
Elliiiger = E. T. A. Uollmanu, sein Leben und seine Werke. 1894.
B. Huch = Ausbreitung und Verfall der Koniantik. 1902.
Dr. G. H. Schubert = .Ansichten von der Saehtscite der Naturwissenschaft.
Dresden 1808.
Symbolik = Schubert, die Symbolik des Traumes. 1814.
Hoffmanns Werke sind nach E. Urisobachs Ausgabe (Hesse, Leipzig 1900)
zitiert.
MUtellungen d. sebtes. Ges. f. Vkde. Baud XII (Heft 2). 9
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Verhältnis zum deutschen Volksmärchen, in A. Sackheims:
„E. T. A. Hoffmann.“ (Leipzig 1908 J An 53 Grimmschen Märchen
weist er „hoffmanneske Möglichkeiten“ nach, insofern man ihre Motive,
Gesamtstimmung und Empfindungsgehalt in einen, allerdings meistens
äußerlichen und entfernten Zusammenhang mit Hoffmanns Erzählungen
bringen könnte. So löst er gewisse Gestalten heraus: den Traum-
jörg — den PrOfungsaspiranten für Glück und Unsterblichkeit —
die kämpfenden höheren Geister. Für Hoflfmanns Erzählungen ge-
winnt er außerdem drei bedeutsame Typen: den Lindhorst-, den
Anselmus- und den Seelenföngertypus. Mit einer ausgebreiteten Be-
lesenheit und sicherem Blick kennzeichnet er auch die Vorläufer
der Gedankenwelt Hoffmanns und seine Nachfolger.
Sackheims Zusammenstellung der Volksmärchen mit Hoffmanns
Erzählungen führte ihn zu dem Ergebnis, daß ein absoluter Gegen-
satz besteht, so lehrreich sonst ein Vergleich mit den Urbildern für
Hoffmanns dichterisches Gestalten sein mag. Vorliegende Arbeit will
nun nicht vergleichen, sondern zunächst lediglich den Bestand
registrierend feststellen; sie hebt aus Hofimanns Erzählungen alles
das heraus, was in das Gebiet des Volksglaubens gehört. In zweiter
Linie aber mußte, um seine eigenartige Auffassung und Umgestaltung
zu erklären, vielfach auf Dinge hingewiesen werden, die auf Hoffmanns
Geistesrichtung bestimmend einwirkten. Diesem Zwecke dient die
vorbereitende Einleitung, welche in die Stimmungswelt der
„serapiontischen“ Romantiker einzuftthren versucht.
Die geistige Bewegung innerhalb dieser Kreise kann man als
die schärfste Reaktion gegen den aufklärerischen Rationalismus be-
zeichnen. Nach der Zeit der Aufklärung, „die alles so klar machte,
daß man vor lauter Klarheit nichts sah und sich am nächsten
Baume im Walde die Nase anstieß, wollte man jetzt das Jenseits
mit hinübergestreckten Armen von Fleisch und Bein erfassen').“
Überall spürte man dem geheimnisvollen Verkehr, der „innigen Ge-
meinschaft des physischen und psychischen Prinzips“ nach. Wichtige
Entdeckungen auf dem Grenzgebiete beider schienen den Schleier
Jahrtausendelang verborgener Geheimnisse zu lüften’). Im „Magnetis-
mus“ sah man zum ersten Male deutlich das Wirken eines rein
psychischen Prinzips auf Körper und Geist eines anderen’). Arzte
studierten die rätselhafte neue Kraft als eine Heilmethode der Zukunft,
') M, 141. ’) VU, 65 f. »1 Symbolik. Einltg. XV.
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Charlatane und Betrüger benutzten sie, um sich mit einem Nimbus
zu umgeben und Geld oder EinfluU zu gewinnen; magnetische Ver-
suche standen in den Kreisen der Gebildeten „im höchsten Flor und
galten als eine Art mystischen Gottesdienstes.“ Es wurde Mode, von
Magnetismus, Siderismus, magischen Verknüpfungen durch Sympathie
und Antipathie zu sprechen*). Schreibt doch selbst Schopenhauer:
„Wer heutzutage die Tatsache des Magnetismus und Hellsehens
leugnet, i.st nicht ungläubig, sondern unwissend zu nennen“ und weiter-
hin „Animalischer Magnetismus, Sympathiekuren, Magie, Wahrträumen,
Visionen geben sichere unabweisbare Anzeige von einer Verbindung
der Wesen, die auf einer andern Ordnung der Dinge beruht, als
die Natur ist. — — „Der Magnetismus gibt eine faktische und
vollkommen sichere Widerlegung des Materialismus *).“ Mit erhöhtem
Interesse beobachtete man nun auch alle jene Vorgänge, bei denen
die Seele, getrennt vom Körper, ein Sonderleben zu führen schien:
das Reich der Träume und Gesichte, der Ahnungen und Fern Wirkungen,
das Nachtwandeln und das Doppelgängertum — alles Erscheinungen,
von denen der Glaube des „gemeinen Volkes“ schon längst allerhand
Geheimnisvolles zu berichten wußte. Nerven- und Irrenärzte suchten
in die nervös-hysterischen Zustände, das wunderlich-rätselhafte Treiben
der Irren von dem neuen Standpunkte aus einzudringen; lebten doch
auch diese außerhalb aller Gesetze, von denen sonst die Menschen-
gedanken regiert werden, in einem Lande voll seltsamer Träume, und
hörten und sahen Dinge aus einer anderen Welt.
Die Forschung mußte sich, so gut sie es damals vermochte,
diesen Dingen nähern, zum mindesten sie als bedeutende Probleme
betrachten. Medizinische, psychologische Werke suchten den neuen
Erscheinungen gerecht zu werden *). Aber man hätte mehr Kenntnisse
haben müssen, um das Neue richtig bewerten zu können, so entstand
nur eine verworrene mystisch-phantastische Naturphilosophie. Ein
stattliches Auditorium scharte sich um Dr. G. H. Schubert, als er
seine Vorlesungen über die „Nachtseiten der Naturwissenschaft“
hielt*). Er versuchte darin eine wissenschaftliche Erklärung von
') VII, 11 ff. 17 f. Beschreibung einer magnetischen Sitzung eb. 66.
•) vgl. Hansjakob «Aus kranken Tagen.“ 225.
Eine Auslese bei Hoffmann X, 234. III I.ÖO (148) man rgl. R. Huch
S. 273 ff. („romantische Ärzte.“)
*) Dresden 1808 in der Amnldischen Buchhandlung erschienen und dem
„würdigen Meister,“ Freund und Zuhörer Gerhard von Kngelgen, Historienmaler,
gewidmet. ^
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1-24
„jenen verschiedenen Dingen, die man bisher zu dem Gebiete des
Wunderglaubens zählte“ (XV). Ähnliche Wege schlug er in seiner
„Symbolik des Traumes“ ein, einem der merkwürdigsten Bücher
jener Zeit, das dem Verfasser sogar die Widmung einer Schrift „über
gespenstische Visionen und Kundgebungen wahrsagender Geister“ ein-
trug. (Symbolik Einltg. XIII f.) Beide Werke zeigen eine wunder-
liche Mischung mehr oder weniger richtiger natunvissenschaftlicher
Beobachtungen und theosophisch-mystischer Träume, vorgetragen in
einer poetisch gehobenen Sprache. Überhaupt war hier, wo die
Wissenschaft ratlos ohnmächtig den neuen Problemen gegenüberstand,
den kühnsten Hypothesen der weiteste Spielraum geboten. „Das
Geistersehen wurde geradezu eine Krankheit des Jahrhunderts“ (eb.)
In den großen Städten und voniehmlich in den höheren Stünden
fand das Zitieren von Klopfgeistern Eingang und setzte viele in
Aufregung und Verwirrung (eb).
Unter solchen Umständen kam auch der vom Rationalismus
zurückgedrängte Volksglaube wieder zu neuem ,\nsehen *). Denn
wie Schubert in seiner Deutung von Goethes Märchen sagt, „in der
phantastischen Dämmerung des Abends schaut der Aberglaube, wenn
auch nur auf unvollkommene Momente, über den großen Strom, der
die Welt des Materiellen von der Geisterwelt trennt, hinüber*).
M^ihus, Sage, Märchen vermischen ja in der Tat, ihrem ganzen
Wesen nach, das Sinnlich-Begreifliche mit dem Übersinnlich-Unbegreif-
lichen und sind mit dem Traume auf das Engste verwandt. .\uch
für ihre kindlich-naive Weltbetrachtung gibt es kein Unmöglich.
Und nun verknüpfen sich die Fäden nach allen Seiten hin, das Reich
der kindlichen Märchen und der Volkssagen — die Vorgänge des
Traumlebens — das weltferne Treiben der Irren — das Hellsehen
der Magnetisierten — alles zeugt von dem Zustande eines „höheren“
Bewußtseins, wo die Gesetze der Wirklichkeit nicht mehr gelten,
eine eigene Welt beginnt und der Geist, in ihr allein lebend, das
Wesen der Realität verlernt hat.
Wenn einer, so war E.T. A. H offmann prädestiniert, diese Elemente
in sich aufzunehmen und zu verarbeiten. In der mimosenhaft reizbaren
Symbulik des Traumes, in vierter Auflage liorausgegeben von Koiisislorialrat
F. G. Ranke. Leipzig. Broikhaus 1862.
XIII 89. Karikatur der mystisch eingeweihten jungen Herren in Berlin.
I. 20t. 246. Das Treiben der weisen Frauen in den Vorstädten Dresdens.
t) Nachtseiten 324.
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1-25
Seele des pathologisch veranlagten Neurotikers, der in einer wunderlich
bizarren Unwelt aufwuchs, lebte seit seiner Jugend eine Neigung
zum Geheimnisvollen *). Das Schicksal verschlagt den Regierungs-
beamten in slavisch-deutsche Gegenden, wo „eine bunte Welt, voll
magischer Erscheinungen um ihn her flimmert und flackert.“ Durch
das Eingreifen der napoleonischen Zeit wird ihm sein eigenes Ijeben
zu einem geheimnisvollen Märchen, wo fremde Mächte sichtbarlich
walten, wie in den alten Sagen *). Er wird in den Gedankenkreis
der Romantiker eingeführt und tritt mit einer Reihe von ihnen in
persönliche Beziehung. Mit Freude greift er zu Büchern, in
denen die ihm eigene Stimmung zum Ausdruck kommt, zu alten und
neuen Werken, wo rätselhafte Tatsachen vom naivgläubigen oder
mystischen Standpunkte behandelt werden. Er liest Schriften über
Magnetismus und Geisteskrankheiten, Physiologie und Traumleben,
besonders regen ihn des „geistreichen Schriftstellers Schubert“ Gedanken-
gänge an, die er wiederholt zitiert, noch viel öfter benutzt’). Der
>[agnetismus streift ihm „ganz in das Gebiet des Geisterhaften
hinein,“ regt ihn bis in die tiefste Seele an und „muß für jeden
poetisch Gesinnten den höchsten Reiz haben.“ Er ist ihm „die höchste
Potenz des Traumes,“ der an sich schon die wunderbarste Erscheinung
im menschlichen Organismus ist*). In der Sprache eines Geister-
reiches redet zu Hoffmann auch seine Lieblingskunst, die Musik;
unter dem Eindruck musikalischer AVirkungen objektivieren sich ihm
die in seiner Phantasie lebenden Erscheinungen eines über der Welt
der Erfahrungen stehenden geheimen Geisterreiches’). Im Kreise
der Serapionsbrüder kommt seine Eigenart zum vollendeten Ausdruck.
Hier ist er der raärchen- und sagenkundige Lothar®), der „in allen
phantastischen Dingen, besonders in allen möglichen Zauber- und
’j ,E. T. A. Hoffmanns Leben und tVerko.“ Vom Standpunkt des Irren-
arztes. Von 0. Klinke. li>02. ,E. T. A. Hoffmann“ von Richard
Schau kal. I9Ü4.
’) VI, 94/95.
’) Nachtseiten zitiert VII, 95, VI, 194, VIII, 94, Symbolik 1,317, IV, 40.
*) VII, 12.
®) Man vgl. die ausgezeichneten Ausführungen K. Schäfers in „die Be-
il eutniig des Musikalischen und Akustischen in £. T. .4. Hoffmanns
literarischen Schaffen“ ;Marburg 1909) insbesondere Kapitel 4. (Hoffmanns
Phantastik und die Musik.) S. 214—221.
*) Sackheim, 189. — VIII, 10, schildert, wie er alle Chroniken aus sämt-
lichen öffentlichen Bibliotheken zusanimenschleppt. vgl. IX, 173.
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1-2«
Hexengeschichteii und Teufeleien bewandert“ ist — er ist vor allein
der Gespensterselier Cyprianus, den das Treiben der Irren unheimlich
anzieht, dem im Umgang mit ihnen sogar ein besonderer dichterischer
Aufschwung in Anschauungen und Bildern erwächst *). Durch seinen
Beruf psychologisch geschult, ausgerüstet mit einer selten scharfen
Beobachtungsgabe, verarbeitet Hoffmann das Gesehene und Erlebte
mit phantastischer Krfindungs- und Gestaltungskraft. Es erging ihm
schließlich so, wie seinem irren Kapellmeister Kreisler, in dem er
sich selbst in seinen höchsten, aber auch gefährlichsten Stunden
zeichnete. Wie dem genial-phantastischen Musiker seine Noten
schließlich Spukgestalten werden, so sieht auch Hoffmann die Ausgebuiden
seiner Phantasie oft leibhaftig vor sich*). Besonders unter den Ein-
wirkungen der geliebten Feuerzangenbowle’) verstärken sich diese
Halluzinationen und treten aus dem Schöpfungsnebel des Rausches
geisterhaft hervor. Da steigt sein Archivarius Lindhorst im Pokale
auf und niedei, in der schäumend sich mengenden F'lüssigkeit leben
und weben Feuer-, Wasser- und Erdgeister, Teufelsfratzen schauen
den erhitzten Zechern über die Schulter — und in einsamer Stamm-
kneipe duckt plötzlich ein Erdmännlein unter dem Tische hervor und
nascht Brotkrümchen*).
So wird die Welt des deutschen Volkglaubens für Hoffmann die
„Hieroglyphensprache“ seiner Poesie. Mit Bewußtsein wendet er sich
von der bisher üblichen fremden Sagenwelt zur deutschen. Eine
„blos grillenhafte und zwecklose Feerie“ erschien ihm läppisch und
albern — höchstens eine Ergötzung für den müßigen Pöbel *); dem
wahren Dichter jedoch ist die verkörperte Traumwelt der Sage das
wertvollste Ansdrucksmittel seiner tiefsten Gedanken. In den be-
wunderten Märchen von 1(X)1 Nacht erkannte er als das ewig Leben
und Wahrheit Verleihende, daß sie uns nicht in ein unverständliches
Feenland versetzen, sondern ihre Gestalten auf den Straßen des Orients
wandeln, wo mitten in der .Alltäglichkeit ihnen der wunderbarste
Zauber entsprießt. Deshalb verlegt auch er die Basis seiner Himmels-
leiter, auf der wir mit ihm zu den höheren Regionen seines Geister-
reiches emporsteigen sollen, auf deutschen Boden und in seine eigene
Zeit ®). Die Welt des Wunderbaren hat für Hofl’mann ihre Ausläufer
in dem Wunderlichen in der uns umgebenden Welt, sie lebt neben
1) VI, 28, IX, 14. 2) vgl. Ellingcr, S. 92. >) I. 51, 249.
‘) I, 249. I, 52. I, 261. Einlig. LXXII u. XC. Anm.
5) X I, 83. •) VlII, 90 f.
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127
uns in dem, was wir seltsam, absonderlich, vielleicht komisch, bizarr,
verrückt nennen, in rätselhaften Gestalten, denen wir im Leben be-
gegnen, in Ereignissen, die uns staunen machen *). Hier aber stimmt
Hoifmanns Ansicht genau mit dem kindlich-naiven Glauben des Volkes
überein, das alles Ungewohnte, Fremdartige, Auffällige stets mit dem
neugierigen Erstaunen des Kindes betrachtet, nach den Ursachen
fragt, unzufrieden mit einer nüchtern realen Erklärung alsbald das
Wunderbare dahinter vermutet und schließlich phantasiereich nahe
liegende Anschauungen und Erzählungen aus der ihm vertrauten
Sagenwelt anknüpft.
I. Geheimnisvolle Personen im Volksglauben und bei
Hoffmann.
So finden wir denn bei Hoffmann alle jene Gestalten wieder,
welche der Volksglaube von alters her wegen ihres abenteuerlich-
geheimnisvollen Treibens mit einem Sagenkranze umwob: die
Astrologen und Zauberer, Alch}-misten und Goldmacher, weise Frauen
und Hexen, Zigeuner und Scharfrichtergesellen. Da sitzt im „Majorat“
der alte Freiherr auf seinem Schloßturm, umgeben von einem voll-
ständigen astronomischen Apparat — und bereits zu seinen Lebzeiten
geht die Sage, daß er „geheimer Wissenschaft, der schwarzen Kunst“
ergeben sei. ja der eigene Sohn flucht auf „das unheimliche Treiben
des wahnsinnigen Alten®).“ In der „Königsbraut“ haust der komische
Dapsul von Zabelthau einsam auf dem Bergfried der zerfallenen Väterburg ;
sein Hofmeister hinterließ ihm einen Hang zur Mystik und eine
ganze Bibliothek okkultistischer Bücher; und nun treibt er dort oben
astrologische Studien und träumt von allerlei Elementargeisteru ’).
Ein Alchymist ist der unheimliche Doktor Trabacchio, der das be-
rüchtigte Gift acjua toffana herstellt und angeblich mit dem als roter
Hahn erscheinenden Teufel verkehrt. Der düstere Advokat Koppelius
ist ein Goldmacher, mit dem Nathanaels Vater im verschlossenen
Zinuner chemische Versuche anstellt, wobei er ums Leben kommt*).
Den Meister Abraham im „Kater Murr,“ der allerlei künstliche
akustische und optische Apparate und Maschinen herstellt, hält das
') ob. und I, 195. Elfingcr 176.
*) III, 163, 204, man vgl. hierzu auch iu Schubert „Nachtseiten“ 5: den
ergrauten König vun .\tlantis, der, nachts auf huhcr Sternwart sitzend, den
alten Bund mit der Natur bewahrt.
»; IX, 194 ff. *) 111 76 ff., III, 12 ff.
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128
Volk ebenfalls für einen Magier, der ira Laboratorium Geld macht
und mit fremden, unheimlichen Mächten konferiert *). Das geheim-
nisvolle Volk der Zigeuner tritt uns in Hoflinanns Erzählungen zwei-
mal entgegen. So weilt die wahnsinnige Fürstin von Eeitlingen
längere Zeit bei einer der umherziehenden Banden, die „mit dunklen
Künsten und geheimen Wissenschaften ihr Wesen treiben. Eine ver-
worrene Zigeunergeschichte bildet den nicht gerade glücklichen Ab-
schluß des „öden Hauses“. Kinderraub, geheime Arzneikünste, der
Irrsinn einer unglücklichen Frau vermischen sich hier nach Hoffmanns
eigener Kritik in seltsam graulicher Weise®). Jlin unheimlicher,
verruchter Scharfrichterknecht steht im „Vampyr“ mit der teuflischen
Baronesse in ehebrecherischem Bunde®).
Vollendet sind Hoffmann namentlich solche Gestalten gelungen, wo
zunächst nur das Fremdartige, Absonderliche in Gestalt, Benehmen und
.\uftreten den Schein des Geheimnisvollen erweckt, so daß man sie für
Menschen mit übernatürlichen Kräften, ja Teufelsgesellen hält. Typisch
dafür sind die beiden Majore im „Magnetiseur“ und im „Elementar-
geist.“ Der dänische Major a. D. und Lehrer an der Ritterakademie
mit seiner hageren Gestalt, den brennenden Augen, einem plötzlichen
Stimmungswechsel und gelegentlich halbirren Betragen fordert die
Sagenbildung geradezu heraus. Und alles, was der Volksmund von
ihm erzählt, entspricht genau dem, was wirklich von Zauberern und
Freimaurern berichtet wird/). Im Sturm auf hoher See hat er sich
dem Teufel ergeben, um sein Leben zu retten; der Satan erscheint
ihm in Gestalt eines schwarzen Hundes oder anderen häßlichen Tieres,
und er muß oft hart mit ihm kämpfen, bis er doch einmal unterliegt..
Unter den „Dienstboten und im gemeinen Volke“ sind noch andere
abenteuerliche Gerüchte über ihn verbreitet, er könne Feuer besprechen,
Krankheiten durch Handauflegen oder den bloßen Blick heilen u. a. m.
So stirbt er auch den echten Freiraaurertod : allein, im verschlossenen
Zimmer, und der starre, gräßliche Blick der Leiche, der blutige
Schaum vor dem Munde, die um den Degen gekrampfte Hand lassen
darauf schließen, daß ihn der Teufel nach wildem Kampfe erwürgte®).
Eine ähnliche Figur ist der irische Major O’Malley. Auch bei
ihm ist es eine absonderliche Gestalt, ein exzentrisches spleeniges
Treiben, das zur Sagenbildung führt, und der junge Gardeleutnant
1) 42. ») XIV. 19, 22, 47. III, 158 f. •) IX, 183.
vgl. meine ..Freimaurersagen“ Mitt. Heft XII, 69, 76 f.
■^) I. 142 ir. Mitt. u. 0. 73 f.
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129
Viktor erlebt mit dem unheimlichen Gesellen unter den psychischen
Nachwirkungen einer schweren Kopfwunde in bösen Träumen entsetz-
liche mystische Abenteuer*). Dali O’Malley Geister durch lautes
Vorlesen aus einem Buche zitiert, ist ein bekannter Zug der Hexen-
meistersagen; die damit meistens verbundene Erzählung von dem
Zauberlehrling, der in des Meisters Abwesenheit neugierig das Buch
benutzt und sich plötzlich von seltsamen Erscheinungen umgeben sieht,
verwendet Hoft’mann-Kreisler, um die magische Macht der Musik sym-
bolisch zu schildern *). Auch der alte Archivarius Lindhorst, ein besonders
in arabischen, koptischen und Sanskritraanuskripten belesener Antiquar
und daneben experimentierender Chemiker, gilt wegen seines wunder-
lichen Benehmens und weil er bei verschlossenen Türen arbeitet, als
geheime Wissenschaften treibender Zauberer; in seinem „blauen
Bibliotheksaale“ erblickt die aufgeregte Phantasie des Studenten
Anselmus, als er rätselhafte Handschriften kopiert, ein Märchenland
voll der seltsamsten Erscheinungen*). Wenn der Salamanderfürst
aber später den Unglücklichen in eine Kry stallflasche bannt, so ist
das ein ZauberstOckchen, dem wir z. B. in Grimms Märchen „der
gläserne Sarg“ begegnen*).
Lindhorst aber führt uns bereits zu einer anderen Gruppe
Hoffmannscher Gestalten hinüber, die mit unserm Thema nichts mehr
zu tun haben, jenen grotesken Menschen, in denen Hoffmann sein
eigenes Wesen karrikierte, dem Bat Krespel, dem Obergerichtsrat
Drosselmeier, dem Professor in der „Automate*).“
In ähnlicher Weise läßt Hoffmann den Hexenglauben sich aus
wirklichen Gestalten des täglichen Lebens entwickeln: wie das Volk
alte Frauen an bestimmten Anzeichen als Hexen zu erkennen glaubt,
so schildert er die alte Bäuerin als schon durch ihr Äußeres
gekennzeichnete Hexe. Die „weise Frau“ wohnt in Dresden vor dem
Seetore, ein hageres, zahnloses Weib mit einer Habichtsnase und
leuchtenden Katzenaugen im entstellten Gesichte. Ihren Unterhalt
verdient sie sich, indem sie aus Karten, Kaffeesatz und gegossenem
Blei weissagt, sie kann .auch im Metallspiegel Gestalten erscheinen
lassen — und man munkelt von ihr, daß sie noch mehr kann®).
Um den Nimbus zu verstärken, umgibt sie sich mit allerlei un-
heimlichem Getier und seltsamem Gerät. Wie viele andere, sucht
>) XIII., 151 ff. ») I., 29. Mitl. VII., 45 ff.
>) 1., 18G, 211. *) Grimm M. So. 163; I., 236 f.
'■} R. Huch S. 202. I., 204, 205, 246.
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130
auch die hysterisch-liebeskranke Jungfrau Veronika die Hexe auf —
und in den Fieberphantasien einer starken Erkältung erlebt sie mit
ilir eine grauenhafte Geisterbeschwörung: am Tage der Tag- und
Nachtgleiche, auf einem Kreuzwege wird der magische Bannkreis
gezogen, in dem der Hexenkessel brodelt, und die bis zum wahnsinnigen
Entsetzen geängstigte Jungfrau erblickt in Sud und Rauch wirre
Gestalten und schließlich ihren Anselraus. Hoffinann verweilt mit
innigem Behagen bei diesem „Höllenbreughelschen“ Gemälde, dessen
Züge der Volkssage nachgezeichnet sind*).
So verbreitet Hoffmann, indem er das Fremdartige, vom Ge-
wöhnlichen Abweichende stark betont, diese Gestalten sich in einer
phantastischen Seele widerspiegeln läßt und die Vorgänge des inneren
und äußeren Lebens genial vermischt, über das Ganze jene eigenartige
Stimmung des Wunderbaren, die überhaupt das Kennzeichen seiner
Poesie ist.
Wo aber Hofimann, wie im „Berganza“, in .Anlehnung an ein
A'orbild weiter dichtet oder eine Chronik als Quelle benutzt, wie in
den Hexengescliichten „der Teufel in Berlin“ (VUI, 11 ff.) und der
„Geschichte von den zerbrochenen Eiern“ (in „der Feind“ XIV, 190),
da verzichtet er auf diese Verknüpfungen, läßt, wie bei der Schilderung
der Hexenversammlung (I, 82 f.) seiner Phantasie frei die Zügel
schießen (Shakespeares Hexenszenen scheinen ihm vorgeschwebt zu
haben) — oder er erzählt „mit den Phrasen, Redensarten und
Wörtern des alten Chronikers, der seine Rede wohl zu setzen wußte.“
II. Ungewöhnliche Zustande des Bewußtseins.
AAagische Beeinfiussung.
Konnten wir bei diesen Gestalten trotz der eigenartigen Bei-
mischung bizarrer und psychopathischer Züge die deutliche Anlehnung
an Anschauungen des Volksglaubens nicht verkennen, so gilt dasselbe
von gewissen magisch-okultistischen Operationen und geheimnis-
vollen A'orgängen: dein Spiegelbild und Spiegelschauen, der Sjinpathie-
wirkung und Telepathie, den Ahnungen und Traumen. Hoffmann
erwähnt das „Ammenmärchen“, w'omit die Wartefrau das kleine Kind
schon ängstigte’). Sie sagte nämlich, „wenn Kinder nachts in den
Spiegel blicken, kuckte ein fremdes garstiges Gesicht heraus, und
>) eb. 21G— 2ia.
*) U1/H5 vgl. Webers llemokrit IV, 4G.
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131
der Kinder Augen blieben dann erstarrt stehen“. Dem Si)iegelbilde
haftet überhaupt etwas unheimliches, gespenstiges au: die nervös-
ängstliche Marie läuft trotz ihrer sechzehn .Jahre noch Gefahr, vor
ihrem eigenen Spiegelbilde zu erschrecken, das sie für eine ge-
spenstische Erscheinung hält*). Aus Sage und Dichtung bekannt
ist der Hexenspiegel, in dem durch Zauberkünste Bilder wie leib-
haftige Gestalten erscheinen*). Hoffmann sucht diesen Glauben
psychologisch zu vertiefen, indem er ein scharf isoliertes Denken an
die gewünschte Person damit verbindet. So findet er die V"er-
knüpfung mit den suggestiven Experimenten des Magnetismus; denn
Mesmer hatte beobachtet, daß Spiegel die magnetische Wirkung ver-
stärkten. Bei reizbaren Personen pflegte, nach Schubert, schon das
Uineinblicken in einen aus einer hellpolierten Metalltläche bestehenden
Spiegel zu genügen, um bei ihnen einen dem magnetischen Hell-
sehen ähnlichen Zustand hervorzubringen*). So erhält die hysterische
Veronika von der weisen Frau einen blanken nmden Metallspiegel,
aus dem ihr, wenn die Strahlen sie durchdringen, der geliebte An-
selmus entgegenlächelt*). Auch der exaltierte junge Baron muß in
Schnüspelpolds verdunkeltem Zimmer mit Unterdrückung aller anderen
Vorstellungen in einen kleinen leuchtenden Metallspiegel schauen,
worauf die Griechenfürstin in blendender Schönheit ihm daraus
entgegen tritt*).
Im Anschluß an den alten Brauch, durch einen als .Andenken
überlassenen Gegenstand eine stete geistige Verbindung zwischen
Getrennten aufrecht zu erhalten, hatte ein (auch im Märchen gel-
tender) Volksglaube die mit dem Gegenstand verbundene suggestive
Femwirkung, eine Art psychischen Rapportes entwickelt. Wenn
Spikher, in Giuliettas Liebesfesseln schmachtend, eine aus ihrem
Halsbande entwendete Perle starr anschaut und dabei Sinn und
») 1,151.
*) Grimm, D. M. 117. Goethes Hexenküche, Ludwigs Engel von .kugs-
burg u. a. m.
•) R. Huch S. 293. Symbolik 208. Wie ein Medium, durch Spiegcl-
sebuuen in magnetischen Schlaf versenkt, in fremden Sprachen redet und von
entfernten Personen und Sachen crz&hll, schildert Hoffmann X, 151 f. — Zn
der ebendort erw&hnten Kristallkugcl vgl. man Grimm M. No. 197. Ein Hand-
spiegel spielt bei dem , exaltierten Seelenzustande' Theodors im ,r>den Haus'
(JIl, 147) eine Rolle; flimmernde Brillengläser treiben den düsteren Nathanael
zur Verzweiflung (III, 27).
*) 1.220. ») XIII.119.
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Gedanken fest auf sie richtet, muß die Entfernte leibhaftig vor ihm
erscheinen^). So löst sich sogar das Bild der verstorbenen Mutter
unter der sehnsuchtsvollinnigen Betrachtung aus dem Rahmen und
beschützt im geheimen, stillen Walten ihr Kind bis zu seinem
Hochzeitstage*). Der letzte Zug erinnert leise an das , mutter-
seelenallein“ gelassene Kind der Volkssage, zu dem sich die ver-
storbene Mutter gesellt*). Wenn im „verlorenen Spiegelbilde“ die
böse Macht sich des Abbildes eines Menschen bemächtigt, um ihm
zu schaden*), so schwebt wohl die Volksanschauung vor, daß Bild
und Person in sympathetischem Verhältnis stehen*). Wie der vin-
kulierende Gegenstand die Erinnerung festhält, so verschwindet sie
auch mit ihm. Von dem Augenblick an, wo von einer mattgewordenen
Kartätschenkugel das Medaillonbild der Braut an seiner Brust in
Atome zersplittert wird, fühlt sich Bogislav von allen unheimlichen
Einflüssen befreit, die ihn seit dem Duell mit dem gespenstischen
Nebenbuhler verfolgten*). Der vennittelnde Gegenstand kann aber
schließlich auch ganz fehlen und in Fonn eines visionären Schauens
oder telepathischen Empfindens ein rein psychischer Rapport ein-
treten. So sieht die irre Hermenegilde den Tod des fernen Geliebten
in der Schlacht mit allen Einzellieiten zur selben Stunde, wo er
wirklich tUllt’) — man denkt an das „Femgesicht“ des Volks-
glaubens. Der „reisende Enthusiast“ spürt m.ächtig die Nähe der
Sängerin Julia zur selben Zeit, wo sie, wie er später erfuhr, ver-
schied“.) Antonia stirbt in Pisa zur selben Stunde, wie ihr ferner
Geliebter, der Oberst in der italienischen Nobelgarde®). Es erinnert
dies einerseits an das „Todanraelden“ des Volksglaubens — man
vergleiche Grimms „Zusammenkunft der Toten*“)“ — andrerseits an
die „Liebessympathien“ des Volksglaubens. Hoffraann selbst spricht
an dieser Stelle von den „Liebesverzauberungen“, von denen alle
Chroniken voll sind, die in tollen He.xenprozessen immer Vorkommen
') I,27G. S) XIII, 61. ») Miltlg. 189S; V, 43. *) I, 271 ff.
*) Vgl. meine Freimaurersagcn Mittig. XII/G8.
“) VHI, 127. ’) III, 249. 255. “) I, 73f. «) III, 152 f.
*“J D. S. No. 342; Schubert „Nachtseiten“ 350 f. weist darauf hin, daß
von der auf Entfernungen wirksamen Sympathie zwischen Magnetiseur und
Somnambule „nur noch ein Schritt ist bis zu dem wunderbaren Mitwissen eines
Entfernten um das Schicksal, vornehmlich um den Tod einer geliebten Person.“
Er führt eine Menge, „selbst von kantiseben Philosophen bezeugter“ FJllo au
und weist darauf bin, daU besonders Wahnsinnige und Nervenkranke ein Vor-
gefühl vom Tode selb.st ihnen ganz fremder Personen haben.
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_ 233
und sogar „in dem Gesetzbuche eines sehr aufgeklärten Staates be-
handelt werden.“ Er betont, daß sie insofern auch rein ps.vchisch
zu wirken bestimmt sind, als sie nicht nur zur Liebeslust anregen,
sondern auch unwiderstehlich an eine bestimmte Person bannen
sollen*). Einen solchen teuflischen Liebestrank reicht Julia dem
„reisenden Enthusiasten“, es „war ihm, als knisterten und leckten
kleine blaue Flämmchen um Glas und Lippe’)“. In das Gebiet der
magischen Beeinflussung gehört noch der „böse Blick“. Nach der
Ansicht des Volkes erregt er Herzensangst, Beklemmungsgefühle und
kann auch einen ganz gesunden Menschen durch magische Infektion
vergiften®). Solch düstere, unheimlich stechende oder glühend bö.se
Augen haben bei Hoffmann alle unheimlichen, teuflischen Gestalten;
einer besonders treffenden Schilderung seiner Wirkung begegnen wir
in der „Geschichte vom verlorenen Spiegelbilde.“ Wenn die Teufels-
buhle Giulietta Erasmus anblickt, so faßt es ihn wie eine fremde
Macht und drückt seine Brust zusammen, daß sein Atem stockt.
Ihr sonderbarer Blick erregt ihm Jederzeit inneren Schauer, seine
Lippen erstarren, er kann kein Wort hervorbringen*). Für Hoffmann
spielt hier wieder die Vorstellung von dem lähmenden Blicke des
Hypnotiseurs mit, der auf sein Opfer eine staunenswerte Gewalt aus-
übt; und auch hier i.st das Physische, wie oben bei den Liebe.s-
tränken, auf das Psychische übertragen, indem der Teufelsblick
Giuliettas den biederen Philister Spikher nicht körperlich schädigt,
sondern sein Seelenheil gefährdet.
Eine geheimnisvolle Beeinflussung findet auch bei den Ahnungen
und Träumen statt, die bekanntlich im Volksglauben ebenfalls eine
große Rolle spielen. Bei Hofimann sind es meist düstere Vorgefühle
eines kommenden Unheils; sie erfassen den Menschen mit solcher
Macht, daß er zu allem anderen unfähig nürd. Oft ist es dem
Menschen unklar, ob es dunkle Erinnerungen aus früherer Zeit oder
Nachwirkungen eines dunklen Traumes sind. Hysterische, gemüts-
kranke Menschen, wie die Prinzessin Hedwiga im „Murr“, die
Baronesse im „Majorat“, der Hofrat Reutlinger im „steinernen Herz“,
•) III, 15-2. 388 IT.
I, 25G. Vgl. die Hexenküche im Faust. — Die neueste liternrisclie
Verwendung ist F. Wedekinds Komödie „Der Liebestrank.“
’) Wutko „Der deutsche Volksaborgluube“. 214. 220.
*) I, 267. 270. Man xergl. auch die Iiypuolisierendcu Augen des Fremden
in Ib.sens „Frau vom Meere“.
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134
neigen besonders zu solchen Ahnungen '). Was der wache Mensch
als dunkle Ahnung empfindet, sieht der schlafende als Traumbild.
Wie der moderne Theosoph an einen Astralleib glaubt, der, wenn
der physische Leib schlitft, zu eigenem Leben erwacht, so schlüpft
nach dem Volksglauben die Seele aus dem Körper des Schlafenden,
geht um und erlebt, wie dort der .\stralleib, Dinge, die der physische
Organismus dumpf als Traum empfindet. Hoffmann hat sich, im
Anschluß an Schubert, eine Traumtheorie gebildet. Die niedere
trügerische Art des Träumens, wo irgend eine körperliche oder
geistige Unordnung im Organismus von dem Geiste phantastisch um-
gedeutet wird, scheidet für ihn aus. In dem tieferen Traume aber
schwebt der Geist über Raum und Zeit, wie im Miirchen. Hier
wachsen der Seele die Schmetterlingsflflgel, und sie beginnt ein
zweites Leben, wo wir alle Erscheinungen des Geisterlebens nicht
nur ahnen, sondern wirklich sehend erkennen *). In diesem Zustande
zeigt dem Schlafenden ,das innere .\uge“ die von anderen erlebte
Gegenwart, wie dem alten Großonkel im Majorat; der Traum läßt
die Vergangenheit wieder aufleben, wo selbst längst Vergessenes aus
dunklen 'Liefen wieder emportaucht, wie in „Doge und Dogaresse“
vor dem armen .\ntonio sein früheres schönes Leben; er gewährt
Klicke in die Zukunft, wie er Ferdinand die einstige Geliebte
leibhaftig schauen läßt (die .\utomate) *). Ein nachwirkender
Traum kann, wie bei Albert im „Elementargeist“, zu einem dem
Menschen unbegreiflichen Zwangsgefühle werden*), gute Geister
können den Menschen im Traume ernsthaft warnen, um ihn aus den
Schlingen des Bösen zu retten*). Der lebhafte Traum kann zur
Vision werden, wie dem „Rat Krespel“ ein lichtes Bild in ohn-
machtähnlichem Schlummer den Tod Antoniens verkündet®). Im
„Murr“ wird die ganze physiologische Literatur über den Traum
■) X, b-2; III, 175, 262; vgl. VI, 40. UI, 7. u. a.
Schubert „Symbolik“ 151. Das Gefühl einer „doppelten Persönlichkeit
wird Tom Nachtwandler und auch nach langen Krankheiten empfunden, und sic
ist „bpi Wahnsinn mit lichten Intervallen und im Traume wirklich vorhanden“.
,.I>er beim Wachen gegen jede andere Stimme verschlossene innere Sinn wird
durch öfters wiederkehrende Träume geöffnet“ (208). Bei Hoffmann I, 140,
147, 149; X, 234 f. u. a. m. Man vgl. auch Khodos Psyche. S. G ff.
») III, 172. VII, 118. VII, 82.
*) XIII, 136. 138. 142., wobei allerdings auch telepathische Suggestion
mitwirkt, indem Viktor beständig konzentriert an ihn denkt.
®) II, 124. ®) VI, 50.
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135
angeführt*); mit besonders lebhaftem Interesse verfolgt Hoffmann die
Cbergangsznstände vom Wachen zum Träumen, das „Delirieren des
Einschlafens“, die ersten Momente des Erwachens aus bewustlosem
Schlafe, das Auffahren im Traum*). Diese „schlichten und doch
geheimnisvollen Lebenserfahrungen“ glaubte man mit dem Magnetis-
mus ergründen und als Eingreifen fremder physischer Mächte deuten
zu können. Man sprach von fremden Mächten, denen man dann
willenlos hingegeben sei, von dämonischen Gewalten, die auf den
Schlafenden verderblich einwirken könnten *). Ein solches unheimliches
Wesen kennt aber auch der Volksglaube, den „Alb“, und wer Laistners
„Rätsel der Sphinx“ gelesen hat, weiß, wie viele Sagen zwanglos
sich ans dem Alpdrücken herleiten lassen. Daß anch Hoffmann
daran gedacht haben muß, beweist sein „Magnetiseur“; denn diese
gespenstige Gestalt, die scheinbar durch geschlossene Türen geht,
die unglückliche Maria in einen „bewußtlosen und doch höher
lebenden“ Schlafznstand versetzt, die ihr „in beherrschender Macht
im Traume als ihr Meister“ erscheint, er heißt — Albanns*). So
hat auch der in die Farbe der Nacht gekleidete, bleiche fremde Graf
im „unheimlichen Gast“, von dem Theodor (Hoffmann) selbst sagt,
daß er „mit dem Magnetiseur dieselbe Basis habe“, etwas Albartiges
an sich*). Am meisten nähern sich die beiden Erzählungen der in
Grimms Märchen „der gläserne Sarg“ aufgenommenen Roman-
geschichte. Die Ähnlichkeit ist zum Teil verblüffend: das plötzliche
Auftauchen des Fremden in dem Schlosse — seine spannende Unter-
haltung — sein Eindringen in verschlossene Zimmer — seine ma-
gische Gewalt Ober die Grafentochter — dies alles findet sich wieder.
Und hier heißt es auch; „ich wollte mein Kammermädchen rufen,
aber zu meinem Erstaunen fand ich, daß mir, als lastete ein Alp
anf meiner Brust, von einer unbekannten Gewalt die Sprache ge-
nommen war“ usw. *).
>) 23t. *) III. 142, X, 31, 83. III, 150. >) HI, 150. I, 141.
*) LaUtner a. 0. XIX. — I, 141 ff. Sackheim freilich sagt zu dem
Namen: „sein Namen könnte, wie der des Prosper Alpanus, etwas mit den
Alpen und ihrer strahlenden l'nheimlicbkeit zu tun haben: ein Präludium zum
Zarathustra.“ (!) Den Prosper Alpanus im Klcinzaches hat übrigens Ellinger
schon auf den gelehrten Arzt des sechzehnten Jahrhunderts Prosper Alpinns
ziirfickgeführt (173).
*) Vm/131.
•) Grimm M. No. 163. Vgl. II, 259.
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IHß
III. Der Teufel im Volksglauben und bei Hoff mann.
Gespenstische Dilinonen waren es, die in den Träumen ver-
derblich auf den Menschen einwirken konnten. Hoffmann glaubte an
solche finstere, arglistige Mächte, die in den hellsten Sonnenblick des
Lebens mit ihren schwarzen Krallen hineingreifen, als etwas Fremd-
artiges in unser Leben plötzlich eintreten und uns zu einem willen-
losen Werkzeuge zu ihren unheilvollen Plänen machen Mau würde
etwa an die gleichzeitige Schicksalstragödie denken können, aber
Hofimann hat über dieses Theater, das „sich mit dem Satan, der
Hölle und einer Fratze, die sie Schicksal nannten, befreundete“, ver-
nichtend geurteilt’). Seine Ansicht gibt wohl am besten der als
„scharfsinniger Beobachter“ psychischer Einwirkungen gerühmte
Mediziner wieder, wenn er an die Herrschaft eines bösen geistigen
Prinzipes über die Seele eines Menschen nur dann glauben will,
wenn eine Schwäche des inneren Willens (eine Abnomiität iin
geistigen Organismus) da ist, die jener Raum gibt’). Unter dieser
Voraussetzung sind seine Teufelsgeschichten, wie Kreisler sagt, eine
„Darstellung des irdischen Unterganges durch böses Wollen feind-
licher Mächte*). Aber sein Teufel ist doch etwas ganz anderes, als
die ihm und uns bekannte Gestalt der deutschen Volkssage — sie
zeichnet er getreu nach seinem Vorbilde in den Chroniken in „der
Teufel in Berlin“ und „der Kampf der Sänger“ und lobt die drollige
Naivetät, die eigenartige Mischung von Grauenhaftem und Ironischem
in diesen Erzählungen. Fou([ues „Galgenmännlein“ liebt er deshalb
so, weil es ganz die Wirkung jener einfachen altertümlichen Teufels-
spnkgeschichten hervorbringe’). Sonst aber ist für ihn der Teufel
der Ausdruck einer inneren Seelenstimmung — er „denkt mehr an
ihn, als daß er ihn zu sehen glaubt“ — er ist das geheimnisvolle
Etwas, das den rechten Moment zu erspähen weiß, um höhnend mit
’) Einltg. XC. Anm.; II, 124. 188. VI, 19.5 ii. «.
») XV, 187.
’) III, 151 f. Ähnlich hckiimpft iin ,, Sandmann“ dio versUndige Klara
Nathanaels mystische lA'hro von Teufeln und grausen MBchten, die den sich
frei wühnenden Menschen als Spiel dunkler Gewalten hinstellt. Gegenüber
dieser „düsteren langweiligen Mystik“ betont sie, daß die teuflische Macht nur
sein und wirken kann, wenn man sie nicht aus Sinn und Gedanken verbannt
(III. 22 f.).
‘) I, 322. ’) VIII. 1711. 21. Grimm I>. M. No. 125. 195 ii. a.
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den scharfen Krallen in unsere Brust zu fahren und sich an unserem
warmen Herzblut zu weiden*). Immerhin entlehnt Hoffmann dem
Glauben des Volkes das seltsame Äußere und all die furchtbaren
Begleiterscheinungen, mit denen es den Teufel ausstattete. Er ist-
lang und hager, hat eine spitze Habichtsnase, tückisch funkelnde
Augen und einen hämisch verzogenen Mund. Er trägt einen feuer-
roten Rock oder roten Mantel, und am breiten, niedergekrempten Hute
weht die rote Feder®). Der bekannte Teufelspakt mit Unterschrift
und Blutstropfen — man vgl. z. B. Grimms Märchen: „Der Teufel
und seine Großmutter, Goethes Faust, u. a. — begegnet uns in der
„Geschichte vom verlorenen Spiegelbilde®)“. Auch daß der Teufel
Kinderopfer verlangt, wie wiederholt im „Ignaz Denner“ und an-
gedeutet in der Nebengeschichte zum „Teufel in Berlin“, ist ein
altes Sagenmotiv. In Grimms Märchen: „Das Mädchen ohne Hände“
erscheint z. B. der Teufel ebenfalls als fremder Mann, der nach be-
stimmter Frist das Kind als Preis für seine Unterstützung sich holt*).
Trotz dieser Teufels.attribute tritt uns — abgesehen von den
oben angeführten Erzählungen nach alten Chroniken — der Teufel
nie leibhaftig entgegen, sondern Hoffman verkörpert das böse Prinzip in
einer Menschengestalt, am liebsten der eines Fremden, der plötzlich
in den friedlichen Kreis guter Menschen tritt®). Im „Ignaz Denner“
taucht es in wilder Stnrmnacht als verirrter Reisender in dem
Heime des Rerierförsters Andres auf und sucht, scheinbar mitleidig
und freigebig, mit Geld und Schmuck ihn und sein Weib zu um-
garnen. (UI., 41) — in „Kreislers Lehrbrief“ erscheint es als un-
bekannter, stattlicher Mann auf des Junkers Burg und verstrickt
durch betörende Erzählungen und seine wundervollen Lieder®) das
'} I, 253. Zu dem Ganzen vgl. mau folgende Stelle aus Schuberta
„Symbolik“ 88. Anm. „Dämonisebo suchen zunttebst und meistens das Böse
an den Personen, die mit ihnen in Rapport kommen, anf und machen es laut-
bar. Ihre Weise ist bahnend, bitter, alles verdammend, alle Hoffnung ab-
schneidend“.
*) I, 256. 268. III, 52, 69. VII, 52, Grimm I). M. No. 195.
») M. No. 125. — I, 277 f.
*) m, 50, 61 ff., 87. VIII, 21. Vgl. auch I, 318. Grimm M. No. 31,
weiterhin ,Jlumpel3tilzehen“ No. 55 und No. 92, ebenso Band II, 27.
Dieser geheimnisvoll unerwartet auftretende Fremde ist als typische
Figur in fast allen Schicksalsdramen vorhanden, (vgl. Schmidtborn. Christoph
Ernst Frh. v. Houwald als Dramatiker. Marburg 1909. S. 105 f.)
®) Dieser dämonische Einfluß einer selt.sam ergreifenden Musik erinnert
abermals an Grimms Märchen „der gläserne Sarg“ und begegnet uns wieder in
MiUeiluuseD d. schles. Ges. f. Vkde. Band XII (HeftZ). 10
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blutjunge Burgfräulein in unlösbare Bande (L, 318) — es drängt
sich mit sinnlicher Lockung an den sonst großherzigen und gemüt-
vollen Schloßherrn von L. heran und verleitet ihn zu geheimnisvollen
. Greueltaten (VIII., 21.) Und diese letzten Gestalten leiten wieder
zu den oben skizzierten albartigen Erscheinungen des , unheimlichen
Gastes“ und „Magnetiseurs“ über.
IV. Gestalten der niederen Mythologie.
Ein Teufelsgeselle ist der Alraun der deutschen Sage. (Grimm
1>. S. No. 84). Hoffmanns Begeisterung für Fouqu6s Galgenmännlein
wurde bereits oben gedacht. Er selbst hat diese Gestalt zwar nicht
in den Mittelpunkt einer seiner Erzählungen gestellt, aber wir finden
ihn wiederholt erwähnt. So kennt die sagenkundige alte Muhme in
Genthin „des Wnrzelmännlein, dem gar nicht zu trauen ist, denn so
ein Kerlchen stößt einem zuletzt das Herz ab'). Mit wunderlichen
Alraunwurzeln treibt der gespenstige Klingsohr im „Sängerkrieg“
ein teuflisches Spiel ’). Das herzzerschneidende entsetzliche Gewinsel
und Geheule, wenn man die Alraunwurzel ans der Erde zieht, wird
in der „Königsbraut“ erwähnt’), und der Kobold, den Jungfer
Veronika vor ihrem Kaffeeklatsch nervös-überreizt überall zu sehen
glaubt, springt „wie ein Alräunchen hervor*). Zu dem neckisch
höhnenden Kobolde gesellt sich der Poltergeist (vgl. Grimm D. S.
No. 74). Hoffmann charakterisiert mit seinem Treiben eine bestinunte
Art Musik: „bei seinem Erscheinen regen sich alle Elemente auf
einmal, wittert er aber Morgenluft, so verschwindet er mit einem
heftigen Knalle, worauf alles umher plötzlich mit Grabesstille bedeckt
liegt’).“
Kobolde, Gnomen und Zwerge gehen bei Hof&nann völlig in
einander über; in der „Königsbrant“ werden die kleinen Wesen bald
mit diesem, bald mit jenem Namen bezeichnet. Das Grotesk-Komische
ihrer Gestalt hat Hoffmann dem Volksglauben vorzüglich nachgezeichnet;
die Schilderung des ' prächtig-grotesken Aufzuges der Zwerge mit
ihrem Könige erinnert in einzelnen Zügen an Goethes „Hochzeitsfest’)“.
Den häßlichen Zwerg, der die schöne Jungfrau an sich ketten will,
dem Uppi); berauschenden Liede, mit dem Heinrich von Osterdingen im , Kampf
der Singer“ Mathilde bezaubert. (VH-. •*2). Er gehört in das Gebiet jener
„mystischen“ Musik Hoffmanns, von der Schiffer a. 0. S. 89 ff, spricht.
>) XIII, 172. ä) VII., 49. 3) IX., 201. *) I., 208.
’) XV., 37. *) LX, 207 ff.
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finden wir in Grimms Märchen „der starke Hans“ wieder *). Freie
Erfindung HofTmanns ist es, daß er die Erdgeister in den Wurzeln
des Gemüsegartens leben läßt — immerhin kennt auch der Volks-
glaube solche aus den Gewächsen heraustretende und in sie zurück-
kehrende Geister“), — jedenfalls trifft Hofi&nann dabei glücklich den
echten Märchenton, man denke nur an die drolligen Namen der
kleinen Fürsten (212. 219.) oder die in Töpfen und Pfannen brodelnden
und winselnden Rüben (233). Und drastisch tritt neben die poetisch
phantastische Ausgestaltung der Märchengestalten die derb-reale Auf-
fassung der Großraagd, die voll Zorn über den verwüsteten Garten
schimpft: „Kobolde sind es, nichts als unchristliche Hexenkerle!“
Mit einem Stückchen Kreuz^vurzel getraut sie sich „die verfluchten
kleinen Kreaturen“ zu verjagen. (230.)
Zu den Erdgeistern gehört auch der Berggeist in den „Berg-
werken von Falun.“ Hoffmann entnahm die Geschichte ans Schuberts
Nachtseiten (215 f.), der sie seinerseits „Hülpher, Kronstedt und den
schwedischen gelehrten Tagebüchern“ nacherzählte. Andere Züge
entlehnte Hoffmann dem Heinrich von Oflerdingen des Novalis (I, 5)*).
Immerhin haben wir eine Berechtigung, die Erzählung anzufflhren,
insofern der als alter Bergmann erscheinende Grubengeist auch eine
deutsche, im Harz und Obersohlesien bekannte Sagengestalt ist.
Einige Nebenzüge könnten sogar darauf hindeuten, daß Hoffmann
während seines Aufenthaltes im Osten von dem slavischen „Starbnik“
etwas hörte*).
Den Übergang aus dem Kreise der mythischen Gestalten zu den
Gespenstern bildet die „weiße Frau“ der deutschen Sage. Auch sie
hat Hoffmann in eine seiner Erzählungen aufgenoramen ’). Der alte
Gärtner erzählt, daß sie sich manchmal im Schloßgarten blicken lasse.
Als Adelgunde eines Abends spottend sie nachäffen will, erblickt sie
plötzlich das Gespenst vor sich, während die andern es nicht wahr-
*) Grimm M. No. 166.
*) man vgl. Mitt. 1., 8. III., 26 den „Bäume drückenden Alb“ und Mann-
bardu „Feld- und Waldkultes.“
*) Ellinger a. 0. S. 133.
*) Mitt. XII., 71 fl. Tgl. Grimm. D. S. No. III. Im übrigen hat schon
Sackheim (a. 0. 207 n. 270) auf den Einfluß slavischer Sagen auf Hoflmann
i' .rch Mitteilungen seiner Frau, auf die an Spuk- und Gespenstergeschichten
reiche Provinz Knjavien als Fundstätte für den sagensammelnden Dichter hin-
gewiesen. Zu Kujavien vgl. Mitt. XIV., 58, 70 fl)
*) VII, 69 fl.
10*
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nehmen — nun ersfheint es ihr jedesmal zur selben Abendstunde
wieder und wird schließlieh zu einer fixen Idee, unter deren Nach-
wirkungen sie und ihre Familie in Geisteszerrüttung zu Grunde
gehen. Auch hier erhält die Volksanschauung durch Beimischung
magnetischer (der „schwebende Teller“) und psychopathischer Momente
eine echt Hoffmann’sche Färbung, die höchstens in dem Umstande einen
kleinen Rückhalt findet, daß in manchen Sagen das Erscheinen der
Aveißen Frau stets ein Unglück verkündigt"). Mit der bekannten
weißen Frau als erlösungsbedürftige Seele hat HofiFmanns Gestalt
nichts zu tun.
V. Gespenster.
Die weiße Frau leitete uns zu den Gespenstern über; hier be-
finden wir uns in Hoffmanns ureigenstem Gebiete. Denn keiner hat
es so wie er verstanden, das Entsetzen und Grausen vor etwas Un-
heimlichem zu schildern; unübertrefflich ist vor allem die Schilderung
der Unwelt, ans der der Gespensterglaube erwächst. Wie Shakespeare
läßt er uns an diese glauben, indem sie in voller Begleitung aller
der düsteren geheimnisvollen Nebenbegriffe auftreten, mit welchen
wir, von der Amme an, Gespenster zu erwarten und zu denken gewohnt
sind. Wenn der Sturmwind im Kamin heult und pfeift, knattert und
zischt, die Windfahnen ächzen und stöhnen, die Teemaschine ge-
heimnisvoll singt, die Menschen, bang zusammengedrängt, in fieber-
hafter Erwartung etwas Ungewöhnlichem entgegensehen — in solchen
nächtlichen Stunden entsteigt das Volk der Gespenster seiner dunklen
Heimat und beginnt seine irren Wanderungen®). In der „seltsam
wohltuenden Aufregung“ solcher Geschichten schwelgen die Serapions-
brüder, und wer, Avie Wagner in seinem Gespensterbuche, als Rationalist
stets die natürliche Erklärung hinzufügt und alles als Phantasie-
gebilde erklärt, der ist ihnen das Urbild eines widerlich-nüchternen
Banausen’). Dem Volksglauben abgelauscht sind die Bedingungen,
unter denen bei Hoflmann sich der Glaube an Gespenster entwickelt.
In dem „öden Hause“ unter den Linden, wo eine Wahnsinnige mit
ihrem Wärter ihr unheimliches Wesen treibt, spukt es nach dem
Glauben der Berliner*). Vor den Trümmern des zerfallenen Herren-
schlosses erzählt der Bauer dem Fremden von dem dort hausenden
’) vgl. i. B. die bckaonte Berliner Scbloßsage, (iräße, Sagenbuch des
preußischen Staates I., lä ß.
®) VIII, 93 f. VI, 116. •) 111, 139.
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Spuke und den grauenvollen Klagelanten, die sieh besonders bei Voll-
mond aus dem Gemäuer vernehmen lassen^). Dem entspricht die
Ruine im magischen Mondenlichte, um welche der Nachtwind stöhnend
pfeift, wo im „Elementargeist“ die Geisterbeschwörung stattfindet-).
Schon hier erreicht HoflFmann mit allen Mitteln der Darstellung eine
fast physische Wirkung der Situation, eine geradezu unheimliche
Wahrscheinlichkeit bewirkt er aber, wenn er die Gespenstererscheinungen
sich gewissermaßen aus der Atmosphäre entwickeln läßt. So entpuppt
sich im „Majorat“ zwar der nächtlich umgehende unselige Geist
schließlich als der nachtwandelnde, von Gewissensqualen gefolterte
Diener Daniel — aber das ganze Milieu dieses fluchbeladenen Ortes
ist so meisterhaft geschildert, daß man selbst fühlt, wie es jeden
neu Eintretenden alsbald in seinen Bann ziehen und in unselige
Verhältnisse verstricken muß *). Noch überzeugender ist die gespenster-
schwangere Luft im Hause der alten Tante Severins. Dieses alt-
jüngferliche Heim, wo nur der dicke Mops und der alte Papagei
noch hausen, über dem altertümlichen Hausrate ein feiner .Moderduft
lagert, wo die verstohlene Sehnsucht nach einem längst verschwundenen,
früh verlorenen Liebesglücke immer noch leise nachzittert — es
gebiert von selbst die Erscheinung des schlürfenden Gespen.stes der
ehemaligen Besitzerin, das, wenn der Hochzeitstag sich jährt, umgeht
und seufzend nach dem Brautschmucke jammert*). Nur in Ibsens
Atmosphärendrama finden wir eine gleiche Kunst, die drückende
Stimmungsschwüle darzustellen — man denke etwa an Rosmersholm.
Die furchbarste Gestalt des Gespenstes ist der blutsaugende Revenant,
der Vampyr, von dem Hofimann wahrscheinlich während seines
Aufenthaltes im slavischen Osten zuerst gehört hatte. In den
„Eli.xieren des Teufels“ nennt Pietro Belcampo den gespenstisch
auftauchenden fremden Maler mit seinen stieren, lebendigtoten Augen
einen „Revenant“ — • er zeigt sich als unheildrohender Ahnengeist
gerade immer an wichtigen Wendepunkten der Erzählung*). Im
„Kater Murr“ will die hochgradig hysterische Prinzessin ihre häufigen
Ohnmachtsanfiille auf einen bedrohlichen Ahnhern zurückführen, der,
im Grabe Vampyr geworden, ihr das Blut aussauge*). Auf seiner
Suche nach serapionischen Stoffen stieß Hoffmann auf „Ranfts,
Diakoni zu Nebra, Traktat von dem Kauen und Schmatzen der Toten
•) III, 232. “) XIII, 159. ») III, 169 ff.
<) VI, 108 ff. *) II, 93. ») X, 176.
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in den Gräbern.“ Mit schaurigem Behagen gibt er Auszüge aus
dem Buche, und der Zweifel ob selbst ein so ekelhafter Aberglauben
sich dichterisch verwerten lasse, gab ihm seine Erzählung „der
Vampyr“ ein. Aber er gestaltete den scheußlichen Stoß noch
scheußlicher, indem er Lebende zu Vampyren machte. So schuf er
die knochendürre, leichenähnliche Figur der Baronesse, deren Geist,
während der Körper im Starrkrampf liegt, den seltsamen Gelüsten nach-
geht — ja, er läßt die entsetzliche Neigung sich vererben auf die
unselige Tochter, die, als Vampyr entdeckt, wahnsinnig wie eine
heulende, blutgierige Hyäne den eigenen Gatten anfüllt und diesen
selbst in den Irrsinn treibt. Weiter konnte die grauenhafte Widrigkeit
allerdings nicht getrieben werden — aber Hoffmanns Grundsatz, das
Physische mit dem Psychischen, den Aberglauben mit Geistesstörungen
und psychiatrischen Anschauungen zu verbinden, mußte dazu führen ^).
VI. Sagentiere
Wie Tierfabel und Märchen, so ließ die Romantik gern die
Tiere als Menschen sprechend und handelnd auftreten, dem Volks-
glauben entnahm sie auch die Seelentiere d. h. solche Tiergestalten,
in denen alte Götter, böse Geister, abgeschiedene und erlösungs-
bedürftige Seelen verkörjiert geheimnisvoll weiter leben. Hoftmann
war ein großer Tierfreund und scharfer Tierbeobachter, er hatte, wie
für alle psychischen Übergänge, ein besonderes Interesse für die
Verknüpfungen von Tier- und Menschenseele. Er konnte sich ent-
rüsten, wenn man vom bloßen Instinkt der Tiere sprach. Ihm schien
es ein klägliches Unterfangen der „albernen Schulweisheit“, der doch
fast alles in der Natur unerforschlich bleibt, das ganze geistige
Vermögen der Tiere mit dieser Bezeichnung wegwerfend abzufertigen.
Er wies darauf hin, in wie wunderbarer Weise es sich oft genug
äußert, und allein der Umstand, daß auch die Tiere träumen können,
genügt ihm, die Idee eines blinden, willkürlichen Triebes zu ver-
werfen’). Auch hier nähert er sich der Anschauung des Volkes, das
') IX, 173 ff. vgl. sein scharf absprcchondes Urteil XV, 187.
’) So verteidigt auch sein ,,Meister Floh“ in drolliger, mit Zitaten aus
alter und neuer Zeit reich belegter Ilarstelluug die Tiere gegen die Meuschen-
meinung, sie seien Maschinen ohne Peukkraft, ohne Willensfreiheit, die sich
willkUrlos, automatisch bewegen, und betont gegenüber der beschränkten wissen-
schaftlichen Bildung des Menschen ihren hohen Verstand, ihre Geisteskraft
(XII/84 f.).
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in dem Mitgeschöpf nie ein seelenloses Wesen und allein den Gegen-
stand rücksichtsloser Ausbeutung sah, sondern mit ihm stets in
inniger, fast märchenhafter Beziehung stand, wie sich noch heute in
hundert kleinen Zügen offenbart.
In Anlehnung an Vorbilder, Cervantes und Tieck, verwendet
Hoffmann Hund und Katze, um bei ihrer Nachahmung und Auf-
fassung des menschlichen Lebens sich über die verschiedensten
Gebiete mit der ihm eigenen Mischung von Ernst und Spott zu
äußern'). Der philosophierende Kater Murr verleugnet trotz aller
Bildung doch niemals seine Katzennatur, das unheimliche Treiben
des Gespenstertieres liegt ihm freilich fern. Ausgeprägt tritt uns
dieses bei den Hexenkatzen im „Berganza“ und „goldenem Topf“
entgegen. So läßt der Hausgenosse der Rauerin ihre Klientin mit
dreimaligem Miau ein und wohnt der Audienz, gravitätisch auf einem
Polsterstuhle sitzend, bei; völlig höllisch aber ist sein Mitwirken bei
der Geisterbeschwörung, wo er funkensprühend und zeternd voraus-
rennt und unaufhörlich winselnd den magischen Dreifuß umkreist.
Älmlich treibt es der große, schwarze Kater bei der Hexenversammlung
im Berganza’). Pudel Skaramuz und sein leichtfertiger Neffe Ponto
im Murr sind wieder lediglich Menschent3'pen in Tiergestalt, ohne
indes die tierische Eigenart völlig zu verleugnen ; aber der ästhetisch
gebildete gut belesene schwarze Bullenbeißer Berganza trägt deut-
lich einige Züge des höllischen Geisterhundes der Volkssage; wir
erkennen ihn wieder, wenn in mondheller Nacht seine glühenden
Augen Feuer sprühen, erregt umlierrollen und elektrische Funken
aus seinen schwarzen Haaren knistern*). Etwas Gespenstisches hat
auch der schwarze Hund an sich, der dem wunderlichen alten Diener
aus dem „öden Hause“ nachschleicht, von diesem „satanischer
Höllenhund“ tituliert uird und sich menschenähnlich benimmt*).
') X,30 Schubert in seiner „Sjmbolik des Traumes“ (S. 1G5) berichtet
in Anlehnung an Keil, daß sonst ganz normale Menschen zu gewissen Zeiten
glauben, in einen Hund oder eine Katze verwandelt zu sein, und deren Wesen
dann täuschend naebahmeu. — Die Vermengung literarischer Einflüsse und
eigener Erlebnisse HolTmanns mit beiden Tieren ist bei Elliuger naebgewiesen
(a. 0. 80 u. 148); eine treffliche Charakteristik des Kater Murr, seiner Beziehung
zum Tier, Volksglauben und anderen literarischen Katzentypen findet sich bei
Pr. Lepppmann: „Kater Murr und seine Sippe“ (München 1908). Ein Prinz
als schwarzer Hund z. B. bei Grimm M. No. 54.
») I, 205. 21G. *) I, 87. 13G. *) III, 141.
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Außer Hund und Katze sind Wiesel, Maus und Fledermaus bekannte
Oesjienstertiere. Das Wiesel entnahm Hoffmann zwar, wie er selbst
angiebt, dem Aberglauben der Neugriechen, wenn aber Theodors
Mutter das Tierlein „beste Dame“ anredet, so darf wohl daran er-
innert werden, daß es auch ira deutschen Volksglauben „Fräulein“
heißt und mit Respekt behandelt wird *). Treftlich hat Hoffmann das
nächtliche Wesen der Mäuse geschildert, wie die Tierlein mit den
kleinen funkelnden Augen aus allen Dielen hervortauchen, wie vor
ihrer kecken Freßlust weder der Speckvorrat der Mürchenkönigin
noch die Zuckerpuppen in Mariechens Schränklein sicher sind “)
* ’iespensterhaft ist die Gestalt des ^läusekönigs mit den sieben
gekrönten Köpfen, wie ihn der Volksglaube kennt®). Wenn die
große, häßliche Maus, Frau Mauserink, die in der Wiege liegende
Prinzessin nächtlich beschleicht und, der schlafenden Wärterinnen
spottend, sie in eine Mißgestalt verwandelt, so denkt man wohl an
eine in Tiergestalt auftretende böse Fee*). Im Anschluß an eine
Herliner Volkssage erwähnt Hoffmann auch, daß dem Münzjuden
Lippold sein Zauberteufel in Mausgestalt erschien*). Ekelhafte
Fledermäuse mit verzerrten lachenden Menschengesichtern schwingen
sich in der Hexenkaramer an der Decke“). In Fledermausgestalt
mit menschlicher Larve erscheint der Satan bei den Kinderopfem
Trabacchios, und als große schwarze Fledermaus rettet er die
Harbara Roloffin aus dem lodernden Scheiterhaufen’). Teufelsvögel
sind im Volksglauben Eule und Rabe. Im Berganza kommt die
Haupthexe auf einer Eule angeflogen, wie in Grimms .Märchen
No. 116 auf einem Kater angeritten*). Wenn der teuflische Daper-
dutto aus dem Zimmer entweicht, rauscht es mit schwarzen Raben-
il ttgeln, ein schwarzer Rabe sitzt bei der Hexe auf einem Rund-
spiegel, den weissagenden Odinraben hat die kluge Frau bei sich,
die mit ihrem geheimen Wissen allen Bewohnern von Sonsitz ein
Rätsel aufgibt — und im Majorat wird wenigstens das Unheimliche
des fluchbeladenen Schloßsaals dadurch verstärkt, daß vor den Ein-
dringenden ein schwarzer Rabe aufflattert, gegen die Fenster prallt
') XIII, 62. Vgl. Mitt. VIII, I3. 55. bei Brieg heißt es noch heute „FrSile“.
2) VI, 207. 218. 231.
*) eb. 207. Hoffmann entnahm ihn nach Sackheim einer Amauer Lokal-
sagc. Kä ist wohl eine Nachbildung des „Rattenkönigs“.
*) eb. 221. Vgl. 227. “) VIII, 34. *) I, 206.
’) 111, 78: VIII, 17. *) I, 84.
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und sieh in den Abgnind stürzt*). Bekannt ist, welche Rolle Kröte
und Schlange in Märchen und Sage spielen. Die Teufelskröte im
„Berganza“ „deren Larve etwas Menschliche.s an sich trägt“, rührt
eifrig in dem Hexenkessel, schwillt mehr und mehr an und stürzt
sich schließlich selbst hinein®). In Schlangengestalt erscheinen in
der Sage verwunschene Seelen, erlösungsbedürftige Prinzessinnen;
nur der Berufene kann sie befreien, und ihm wird Liebesglück und
Reichtum zuteil — er wird, wie es in Grimms Märchen (No. 72)
heißt, „König vom goldenen Berge“. Ein Berufener aber ist
Hoffcaanns Student Anselmus mit seinem „kindlich-poetischen Gemüte
in der sonst so dürftig-armseligen Zeit innerer Verstocktheit“. liim
erscheint im sagenumwobenen Holunderbusche die holde Serpentina
mit ihren beiden Schwestern. Zur Frühlingszeit hängen die smaragd-
glänzenden Schlänglein mit den schimmernden Augen, leise singend
und äthertrinkend, im dunklen Gezweig; bei Sonnenuntergang aber
verlassen sie ihren Sitz, schlüpfen schimmernd durch das Gras und
stürzen sich in die Wellen des Stromes*). Ihr Zauberhort aber ist
die Poesie selbst, dem überglücklichen Anselmus erschließt sich nach
manchen Prüfungen „das Leben in der Poesie, wo sich der herrliche
Einklang aller Wesen als tiefstes Geheimnis der Natur offenbart*)“.
So wunderbar lieblich hat Hoffmann die deutsche Schlangensage
um gestaltet*).
») I, 278; I, 205; XIV, 5 ff. Grimm M. No. 61; 111, 207.
») I, 82 ff. »} I, 180 f. *) ob. 252.
*) In Grimms oben angofnhrti m Märcht n heißt es: „in der dritten Nacht
Wiii'd die Schlange zu einer schönen Königstochter, die kam mit dem tVasser
des Lebens — — — und war Jubel und Freude im ganzen Schloß. Da wurde
ihre Hochzeit gehalten, und er war König vom goldenen Berge.“ Laistner
(I, 101 f.) erz&hlt ein ähnliches Märchen nach Wolf (Deutsch. Hausmlirchen
S. 265 f.) und schließt . daran die Deutung: „die Pracht und Herrlichkeit am
Schlüsse ist, rationalistisch gesprochen, das poetisch ausgeschmuekte behagliche
NachgefUhl des lieblich endenden Traumes — die mythische Dichtung aber
konnte dom Reize nicht widerstehen, die so deutlich empfundene Traum-
wirklichkeit sich in die wache Wirklichkeit fortsetzeu zu lassen und so zu be-
währen, daß das alles „kein Traum“ war . . . wenn die Traumgogenwart ihrer
Persönlichkeit ins wache Leben herüberlritt, so ist es natürlich, daß auch ihre
WunderschlSsser und Zaubergiirten „wahr“ werden.“ — In Novalis Gedicht:
.Der Himmel war umzogen“ begegnet der Dichter im Gebüsch der Königin der
Schlangen, die, wie Hoffmanns Serpentina, im grünen nnd goldenen Glanze
schimmert. F.r berührt sie mit der Zauberrute, die ihm ein Kind gab: „so,
wunderbarer Weise, ward ich unsäglich reich“. Hier schwebt offenbar derselbe
Gedanke, wie bei iloffmann, vor.
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14«
VII. Pflanzenglauben.
Auch in den Pflanzen leben nach dem Volksglauben geheime
Kräfte. Gegen die Krankheiten, die die Natur entstehen ließ, hat
sie in ihnen dem Menschen wirksame Heilmittel gegeben. In den
Pflanzen wohnen aber auch, wie in den Tieren, Dämonen und Seelen.
Hoffinann war durch Schuberts Vorlesungen auf das Leben der
Pflanzen hingewiesen worden (Nachtseiten 2*29 ff.). Diesen und An-
regungen seines Freundes Chamisso entstammt auch sein lebhaftes
Interesse für exotische Gewächse. Aber auch das innige Verhältnis
des deutschen Volkes zu seinen Pflanzen ist ihm durchaus nicht
fremd und wird von ihm sinnig und zart geschildert. Wer freilich
nur in eitler Erkenntniswut, wie die Mikroskopisten Swamerdamm
und Leuwenhoek, die Naturwunder bis in den innersten Keim frevel-
haft zu erforschen sich abmüht, der vernichtet die der Natur ge-
schuldete fromme Andacht und Bewunderung; zu ihm sprechen die
Blumen niemals mit süßen Worten *). Aber einfaclien Menschen von
kindlich gutem Gemüte eröffnen sie ihre Geheimnisse, zu ihnen treten
sie in ein inniges Verhältnis und unter ihrer Pflege gedeihen sie
besonders gut*). Ihrer treuen Hüterin, dem schlichten, herzigen
Gretchen, würden ihre Blumenkinder fremd werden, müßte sie sie
mit den fremden botanischen Namen bezeichnen. Die tiefe Pflanzen-
symbolik, der wir die schönsten deutschen, Blumennamen verdanken,
tritt uns bei Hoffmann, wenn aucli nur bei exotischen Gewächsen,
entgegen; die Mimosa pudica ist ihm das Symbol einer zarten,
empfindsamen Seele, die nur nachts blühende, stark duftende, groß-
blumige Fackeldistel bedeutet das „ewige Mysterium der Liebe und
des Todes“; die prachtvoll blühende, giftige Datura fastuosa tritt wie
ein Abgesandter höllischer Mächte, zur Sünde verleitend in den
stillen Garten und den Kreis friedlicher Menschen^). Ebenso finden
wir bei Hoffmann Beziehungen zur Pflanze in Märchen und Sage.
Wenn die Möhren in dem üppigen Felde dem fröhlichen Hände-
') XIII/131. »)XIV, ö5f.
*) XIV, 71, 95, 99f. Man vgl. Schuberts Nachtseiten etc. 248: „I*er
grnOe, gelbblfihcnde Kaktus aus Jamaika, dessen schöne Blüten sieh erst gegen
Abend crschliellen und schon vor Sonnenaufgang verblühen“, und 249: „Gerade
in dem höchsten Momente des Blnhens, welcher auch zugleich der des Ver-
welkens und des Todes ist, zeigt sich in dem Pflanzcugeschlecht eine Vor^
ahnung des höheren tierischen Seins“.
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klatschen ihrer treuen Pflegerin Ännchen mit leisem Kichern antworten
und ihr mit feinen Sümmchen zurufen: „Zieh mich heraus, zieh
mich heraus, ich bin reif, reif, reif!“, so erinnern wir uns an Grimms
Märchen „Frau Holle“ und die Worte: „Ach, schüttele mich, schüttele
mich, meine Apfel sind alle miteinander reif!“ *). Bei Grimm finden
wir auch in den „Zwölf Brüdern“ und den „Goldkindem“ jene enge
Sympathie zwischen Mensch und Pflanze, die ihren Ausdruck darin
findet, daß sich das Schicksal der Menschen im Blühen, Welken und
Sterben der Blumen widerspiegelt. Dasselbe Motiv finden wir am
Schluß von Hofimanns „Meister Floh“ wieder; auf rätselhafte Weise
verschwindet in der Nacht das zweite Brautpaar, zur selben Zeit
aber schießt im Garten die hohe Fackeldistel auf, — am Morgen
senkt sie die verwelkte Blüte, und um sie schlingt sich eine bunte
Tulpe, die ebenfalls den Pflanzentod starb: „Das Mj-sterium ist er-
schlossen, der höchste Augenblick alles erfüllten Sehnens war auch
der Augenblick ihres Todes“*). Lei.se klingt bei dem „Umschlingen“
der Blumen auch die schöne Volkssage mit von den sich umklammernden
Pflanzen auf den Gräbern derer, die sich einst so innig liebten.
Auch der volkstümliche Glaube an die geheimnisvoll in den
Pflanzen schlummernden Heilkräfte begegnet uns bei Hoffmann. Der
„alte Wundarzt“*) kennt nicht nur genau die Kennzeichen manches
Heilkrautes, sondern auch die Stunde, wann es gepflückt werden
muß, und die eigenartige Mischung der Säfte. An die Einleitungen
zu den alten Kräuterbüchern erinnert es, wenn an derselben Stelle
auf die Ärzte gescholten wird, die mit ihren fremden Pillen und
Essenzen die Kranken nur vergiften, und die dort geschilderte alte
Kräuterhe.xe, die, von den Ärzten gerichtlich verfolgt, beim Volke
umsomehr beliebt ist, ist eine typische Volksfigur.
VIII. Ätiologische Sagen.
Einen nicht geringen Kaum nehmen in der deutschen Sagenwelt
schließlich die Geschichten ein, welche, als sogenannte ätiologische
Sagen, eine seltsame Erscheinung zu erklären versuchen, also erst
durch diese veranlaßt sind. Auch solche finden wir bei Hofftnann.
Da liegt einsam im Walde unter einem alten Baume ein großer
>) IX, 195, 197. Grimm, D. M. No. 24.
*) XII, 133f. Vgl. Schubert, Symbolik, S. 69 und S. 73: „Liebe und
Tod, das seligste .Streben des Gemütes und der Untergang des Individuums
erscheinen in den Mysterien vereint“. *) VII 121.
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148
Felsblock; allerlei wunderbare Moose und Adern durchwachsen ihn
wie rote Adern. Pferde scheuen vor der unheimlichen Statte, und
die erregte Phantasie des Volkes sieht dem Steine Blutstropfen ent-
quellen. Bald raunt eine „alte Fabel“, daß hier ein unheimlicher
Mord geschah und aus dem Blute des von einem Teufelsgesellen
geschlachteten Mädchens jene wunderlichen Zeichen auf dem Block
entstanden*). In der zweiten Erzählung wird ebenfalls an einen
rötlich geaderten Stein angeknflpft, er befindet sich in einem ent-
legenen Zimmer eines prächtigen Lustschlosses; der letzte Besitzer
ist gestorben, und allerlei abenteuerliche Gerüchte gehen über ihn
um. Wenn man die zerstreuten Linien auf dem Stein verfolgt und
verbindet, kann man mit der nötigen Phantasie allenfalls einen
Kinderkopf herausfinden, der den ganzen .Jammer des Todeskampfes
im Antlitz ausdrückt. Der greise Kastellan des Schlosses deutet auf
„eine im Volke verbreitete Sage“ hin, daß ein teutlisches Wesen
den sonst gutmütigen Herrn durch das Versprechen ewiger Liebes-
lust zu der schwarzen Tat eines Kinderopfers verleitete*). Ätiologische
Sagen sind echte Produkte der fabulierenden Volksphantasie, als
solche in der Luft schwebende, wie Sommerfäden lose an den passenden
Orten haftende Gebilde befriedigen sie den ausgeprägten Serapions-
bruder nicht völlig, und so versteht man die ärgerliche Bemerkung
Theodors (Hoffmann), „etwas Unheimliches müsse sich dort doch
begeben haben, eine rein erdichtete Sage könne es kaum sein“.
Ich fasse in einem Überblick die Ergebnisse kurz zusammen:
Aus dem weiten Gebiete des deutschen ^'olksglaubens treten uns bei
Hoffmann geheimnisvolle Menschen, ungewöhnliche BewuUtseins-
zustände, Wesen der niederen Mythologie, teuflische und gespenstische
Gestalten, Tier- und Ptlanzensagen entgegen. Bei der dichterischen
Umgestaltung der rätselhaften Persönlichkeiten setzt er an demselben
Punkte, wie die fabulierende Volksphantasie, an. Anschauungen des
Volkes über magische Seelenverbindungen verknüpft Hofl'mann eng
mit den wissenschaftlichen Theorien seiner Zeit über Magnetismus
und Hypnose. Das Schauen von Gespenstern und Geistern entwickelt
sich bei ihm bald ans pathologischen Seelenzuständen, bald aus der
*) 1, 317 ff. Man vergleiche etwa Grimm, I). S. Xo. 357, wo die im Stein
eingedrfickten Finger Spuren von dom gewaltsamen Sterben einer üiiglUckliehon
sein sollen. *) VIII/21.
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149
Umwelt. Der Teufelsglaube wird ihm zum .Ausdruck einer philo-
sophischen Weltanschauung. Dem Empfinden des Volkes gegenüber
Tier und Pflanze bringt Hoffinann ein feinfühliges Verständnis ent-
gegen; Ansätze der Volkssage zu einer poetisch-sinnigen Symbolik,
wie im Schlangenmärchen, weiii er künstlerisch zu verwerten.
Dieses Bild aber konnten wir nur gewinnen, indem wir von
einem einseitigen Gesichtspunkt ans Holtmanns Erzählungen durch-
musterten. Ausgeschieden wurden alle Feerien und Verzauberungen,
alle talmudisch-kabbalistischen, orientalisch-buddhistischen Geheim-
nisse’), nicht minder alle jene „verdammten Schnörkel“, grotesk-
bizarren Beigaben, ohne welche Hoffmann eben nicht Hoffmann wäre.
Selbst obige Betrachtung zeigt uns ja den Dichter mit seinen
psychischen Sonderheiten und Absonderlichkeiten. Wer ihn jedoch
deshalb tadeln wollte, der versündigte sich an Holfmanns Schutz-
patron Serapion: auch dieser wunderliche Heilige erzählte ja aus
seinem Innern heraus, was er mit dem Auge des Geistes erschaute,
und nicht, was und wie er es gelesen und vernommen.
Die Toten bretter*^
Von t>r. Franz Kondziclla.
Es ist nicht meine Absicht, eine erschöpfende Darstellung des
Gegenstandes zu geben, sondern nur einen ergänzenden Beitrag.
Deshalb sind die größeren Arbeiten eines Hein’), Rieder*) und
E. H. Meyer’) über die Totenbretter außer acht gelassen worden.
') Sackbeim, S. 206 ff.
*) Vortrag, gehalten am 6. April 1910 iin Musik.saale der Kgl. l'nirersität
zu Breslau.
’) tVilh. Hein, I>ie Totonbretter im Böhmerwalde. In Mitteilungen der
aulhropologisclicn Gesellschaft in Wien. Bd. 21. Wien 1891. Derselbe, Die
geographische Verbreitung der Totenbrettcr. ebda. Bd. 24. Wien 1894.
*) Otto Rieder, Totenbreiter im bayrischen Walde, mit Berücksichtigung
der Totenbretter überhaupt. In Zschr. für Kultnrgeschichte. Neue (4.) Folge
der Zeitschrift für detitsehe Kulturgeschichte-. Hgb. von Georg Steinhausen.
2. Bd. Weimar 1895.
’) E, H. Meyer, Totenbretter im Schwarzwalde, ln der Festschrift zur
50 j&hrigen Doktorjubitlfeier K. Weinholds. Straßburg 1896.
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150
Da sie nur bis zum Jahre 180ö reichen, so gilt es vor allem, im
folgenden eine Schilderung der Totenbretter des jüngsten Jahrzehnts
zu geben.
Die Totenbretter kommen in Schlesien im Tale der Steine zwischen
Braunau und Glatz vor, und zwar in den Ortschaften Tuntschendorf,
Scharfeneck, Ober-, Mittel- und Niedersteine*). Sie finden sich in
der Grafschaft Glatz*), in Klein-Karlsberg (auf dem Wege von
Wünscheiburg nacli Groß-Karlsberg und nach der Heuscheuer), in
Passendorf (eine halbe Stunde von Groß-Karlsberg auf dem Wege
zum Braunauer „Stern“)*) und sind auch in der Gegend von Neurode
heimisch*). In Braunau konnte man auf dem Wege vom „Stern“
im Jahre 1873 eine beträchtliche Anzahl Totenbretter antreffen*), und
in der Umgebung der Stadt Braunau bedienen sich die Dorfbewohner
ihrer noch ziemlich häufig“). Im deutschen Westböhmen ist das
Leichen- oder Totenbrett im ganzen Gebiete verbreitet und noch bis
in die jüngste Zeit in Gebrauch gewesen. Leichenbretter besaß
früher jedes Hans, oft gab es aber auch in jedem Dorfe nur eins,
das zur gemeinsamen Benutzung diente. Man bewahrte es gewöhnlich
am Dachboden auf oder unter dem Dachvorsprung des Hauses („unter
der Tipf“), um es so gegen die Einflüsse der Witterung zu schützen ’).
Gehen wir von hier aus etwas südlich, so finden wir westwärts von
Neugedein (bei Furth) die ersten Totenbretter bei Braunbusch. Im
Nachbarorte Viertl sind sie schon sehr verbreitet. Je mehr man
sich von Viertl der bayrischen Grenze nähert, desto zahlreicher
werden sie“). In Bayern sind sie vom Lech bis zur Amper und Würm,
um Wessobrunn wie Fürstenfeldbrück, Seeshaupt, Ambach und so
weiter nach dem ünterlande zu verbreitet *). Auch im Walde zwischen
*) Zeitschrift für österreichische Volkskunde. Wien 1896. Bd. 1 S. 64;
K. Gusinde, l’her die Totenbrettor. In Mitteilungen der schles. Gesellschaft
für Volkskunde. Breslau 1901. Heft 7 S. 33.
*) P. Drechsler, Sitte, Brauch und Volksglaube in Schlesien. Leipzig
1903, I. TeU S. 307; K. Gusinde a. a. 0. S. 33.
*) Gusinde a. a. 0. S. 33. *) Drechsler a. a. 0. I., 307.
*) Drechsler I., 307.
“) Zeitschr. f. listerr. Volkskunde. Wien 1896. Bd. I S. 96.
*) Alois John, Sitte, Brauch und Volksglaube im deutschen Westböhmen.
In Beiträge zur deutseh-böhmiseben Volkskunde. Prag 1905. Bd. VI S. 168.
“) Ztsebr. f. österr. Volkskunde. Bd. I S. 127.
•) Jo h an nes Sep p, Völkerbranch bei Hochzeit, Geburt nnd Tod. Mönchen
1891. S. 140.
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151
Holzhausen und Grabenstatt am Chiemsee sind sie heimisch ‘). In
Tirol begegnen wir ihnen in den nördlich von Zell gelegenen Orten
Prielau, Mairhofen, Maishofen und Mitterhofen*). Im Salzburgischen
zieht sich die Grenze der Totenbretter im Süden von Zell am
See nach Bruck im Mittelpinzgau; im Oberpinzgau und Lungau
kommen sie nicht vor. Im Norden halten sich ihre Grenzen in
denen des Herzogtums; im Osten reichen sie noch bis nach Ober-
österreich ®).
Die Gestalt der Totenbreiter — ihre Länge entspricht gewöhnlich
der des darauf zu legenden Leichnams — ist sehr verschieden. Wir
finden ganz einfache rohe Bretter, wie ehemals in der Mieser Gegend
(Westböhmen)*), im südöstlichen Gebiet von Forchheim*), im Mittel-
pinzgau*) und in der Nordoberpfalz’). Heute verwenden ärmere
Leute in der Gegend von Neuem gleichfalls noch rohe Bretter“).
Die meisten sind jedoch glatt abgehobelt, wie bei den Zipsera in
der Bukowina*), in der Braunauer Gegend’*), in der Nordoberpfalz ")
und früher in Deutsch- Westböhmen”). In Leogang (Tirol) ist das
Totenbrett abgerundet, während die 4 Ecken des Brettes, welches
sich an einem Stadel nicht allzuweit vor der Alm auf dem Wege
nach Saalfelden befand, durch eine Querlinie abgeschrägt waren”).
In Deutsch- Westböhmen hatte es früher eine ausgeschweifte Form ’*).
In Flöß”) und Rothenbaum’*) sind die Bretter heute mit Türm-
chen oder Ecktürmchen verziert, in Silberberg weisen sie sogar
') Marie Ejan, Totenbretter um Salzburg. In Zsebr. des Vereins für
Volkskunde. Berlin 1898. Bd. \ail. S. 205.
*) Fr. Stolz, Über die Leichenbretter im Mittelpinsgau. In Zschr. für
öslerr. Volkskunde. Wien 1903. Bd. IX. S. 3.
*) M. Eysn a. a. 0. S. 205.
*) Michael Urban, Totenbretter in Westbühmen. In Zschr. f. österr.
Volkskunde. Wien 1897. Bd. I. S. 179.
*) Zschr. f. österr. Volkskunde. Wien 1902. Bd. VIII. S. 346.
•) Stolz, S. 5.
’) Wolfg. Baiiemfeind, Aus dem Volksleben. Sitten, Sagen und GobrSuebe
der Nordoberpfnlz. Regensbnrg 1910. S. 106.
*) Joseph Blau, Totenbretter in der Gegend von Neuem, Neumark und
N enkirchen. In Ztschr. f. österr. Volkskunde. Wien 1903. Bd. IX. S. 18.
*) Job. Polek, Ans dem Volksleben der Zipser in der Bukowina. In Zschr.
f. österr. Volkskunde. Wien 1902. Bd. VIII. S. 33.
’*) Zschr. f. österr. Volkskunde. Wien 1896. Bd. I. S. 96.
”) Banernfeind, S. 106. '•) John, S. 168.
’») Stolz, S. 5. ’*) John, S. 168.
’*) Blau, S. 25. ’») Blau, S. 21.
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Säulchen auf) und sind baroi^ken Altarverzierungen naclige-
bildet*).
Wie die Gestalt der Totenbretter, so ist aueh ihre Farbe sehr
mannigfaltig. Von Leogang nach Saalfelden sind die Bretter in bei
weitem überwiegender Zahl griin, blau oder hellbraun*), ira Pinzgau
schwarz, blau oder grün *), in Schmiding (Mittelpinzgau) hellbraun *),
in Rothenbaum (Westböhmen) stets weiß, und in Silberberg sind
einzelne von ihnen bei Kindern und Unverheirateten blau*).
Über die Aufschriften und Sprüche auf den Totenbrettern läßt
sich folgendes sagen. Was zunächst die ersteren betrifft, so sind
die meisten Totenbretter mit einem oder mehreren, gewöhnlich
3 Kreuzen, mit Namen, dem Geburts- und Todestage der verstorbenen
Person versehen. So in Schlesien '), Braunau*), Deutsch- Westbölunen“),
im Egerland, früher in der Mieser Gegend'*), heute im Tepler
Hochland und besonders in der Umgebung vonTepl"), wo sie noch
zierliche Inschriften aufweisen, im südwestlichen Gebiete von Forch-
heim'*) sowie in Klein-Karlsberg und Passendorf'*), wo sie 3 in der
Länge des Brettes eingeschnittene Kreuze trugen, in Bayern'*), im
Salzburgischen '*), in welchem Lande 3 Kreuzchen unter einander zu
finden sind, und endlich im Mittelpinzgau'®).
Neben diesen Aufschriften kommen noch andere vor. So lesen
wir auf den Totenbrettern in Leogang „Christliches f Andenken“
oder „Ingottverschieden“ ”). Wir finden auch die Inschrift „Leichladen
des in Gottergebenen Jünglings usw“ '*) und im Mittelpinzgau'*)
„Leichbrett der geehrten Jungfrau Gertrud Hörl“ gest. 1896. Hier
erhalten die meisten Personen das Attribut „geehrt“ und „ehrenge-
achtet“ *“). Die gebräuchlichste Aufschrift war früher im Mittelpinzgau
„Leichbrett“, seltener „Leichenbrett“ oder „Leichladen.“ Bisweilen
findet sich auch „Leichladen zum Andenken“, nur einmal „Gedenk-
')Blau, S.25. *)Blaii, S.21. ») Stolz, S.8.
*) Eysn, S. 207. *) Stolz, S. 10. «) Blau, S. 25.
’) Drechsler I, 307. *) Zsebr. f. österr. Volkskunde. I, S. 96.
*) John, S. 168. '») Urban a. a. 0. S. 179.
") Unser Egerland. Eger 1905. Bd. IX. S. 24.
'*) Zschr. f. österr. Volkskunde. Wien 1902. Bd. VIII. S. 346.
*•) Gusinde a. a. 0. S. 33.
'*) E. H. Mejer, Deutsche Volkskunde. Straßburg 1898. S. 271.
'*) Eysn, S. 206. **) Stolz, S. 5; vgl. auch ebda. S. 10 f.
") Stolz], S. 7. '*) Stolz, S. 7 Anm. 1. '*) Stolz, S. 9.
») Stolz, S. 11.
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153
laden,“ vielleicht in zwei oder 3 Fällen „Denkmal“ ’). Im Kolling-
wald (Tirol) ist auf einem Brette „Denkmahl des geehrten Jünglings
Johann Grassl“ und daneben „Leichbrett der Elisabeth Grassl“ zu lesen.
In Ruhgassing triflt man ein „Denkmal von Rupert Vieberger“ (187’2),
darunter „Leich Bred“ (1885)*). Ein Brett an einer Scheune zwischen
Seehäusl und Zell führt den Namen „Gedenkladen“ *). Am meisten
dürfte jetzt die Bezeichnung „Christliches Andenken“ vertreten sein,
znm ersten Mat von 18(>2. Nur ein einziges Mal enthält ein Leichen-
brett (1901) des Johann Keil aus Oberhaus die Inschrift:
Ein alter Greis, in Haaren weil!,
Ist einst gelegen hier, usw,*).
In der Mieser Gegend in Westböhmen*) wurden ab und zu in
das Brett die Worte eingeschnitten „Zur Erinnerung an den (oder
die) verstorbene N. N., geboren den . . gestorben den . . . fff“,
und im Tepler Hochland stand früher „Zum Andenken an ...“*).
Im Pinzgau ist mitunter neben Sprüchen und Versen auch ein
Heiligenbild aufgematt‘).
Die Totenbretter weisen nicht nur den Namen eines einzelnen
Verstorbenen auf, sondern auch mehrere Namen kommen auf demselben
Laden vor. So im Mittelpinzgau, wo auf dem gemeinsamen Brette
die Namen von zwei Personen verzeichnet sind. Vorzugsweise sind
es aber dann die Namen zweier Ehegatten, wie dies aus einem
„Leichbrett“ im Kollingwald zu ersehen ist, auf dem das im Jahre
1863 verstorbene Ehepaar Herzog verewigt ist*). Aber auch die
Namen zweier Geschwister kommen vor. So an der Straße Saalfelden
nach Maishofen „Christliches Andenken“ eines 62 jährigen „Bauern-
sohnes“ aus Schwaiberg und eines 10 jährigen „Ziehsohnes“ auf dem-
selben Hofe (1899). In der Nähe von Maishofen erscheinen auf ein
und demselben „Leichladen“ drei Schwestern (1882), in Leogang
Vater und Tochter, die im Jahre 1882 zur ewigen Ruhe gegangen sind®).
Außer den eben erwähnten Aufschriften sind noch allerlei Sprüche
auf den Totenbrettem angebracht. So sind sie im Tepler Hochland
und besonders in der Umgebung von Tepl gewöhnlich mit einem
sinnigen Sprüchlein religiösen Inhalts versehen, welches der Tischler
selbst ersonnen hat. „Sie boten mit ihren oft mehr als urwüchsigen
*) Stolz, S. 9. *) Stolz, S. 9 Anm. 1.
•) Stolz, S. 3. *) Stolz, S. 9. ®) Urban a. a. 0. S. 179.
®) Unser Egerland. Bd. EX. S..24. . Eysn, S. 200.
«^Stolz, S. 9. ») Stolz, S. 10.
Mitteilungen d. schles. Ges. f. Vkde. Band XII (Heft 3). 1 1
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poetischen Äußerungen den jungen Leuten gar manchen Stoff zu
fröhlichen Scherzen“ '). Im Mittelpinzgan erscheinen, datiert von 1891,
Verse aus Schillers „Glocke“ mit den Worten;
.Ach, die Gattin ist’s, die teure,
Ach, es ist die treue Mutter,
r>ie der Fürst ins Reich der Schatten
Wegführt aus dem Arm des Gatten“^).
Ein anderer, und zwar recht sinnreicher Spnich bei der Anna-
Kapelle in Deschwitz lautet:
Was ist des Menschen Streben, Was ist der Mensch auf Erden?
Sein Jagen, Haschen, Müh’n? Ein Schatten, der verfliegt.
Was er errafft im Leben, Er muß zu Asche werden
Verl&ßt im Tode ihn. Sein l.ebensstrom versiegt*).
Und wiederum ein anderer enthalt die schlichten Verse:
0 ruhe sanft im kühlen SchoQ der Erde,
Nach manchem Kampf und mancherlei Beschwerde.
Wer dich gekannt, der wird und muB es sagen.
Es hat ein edles Herz in deiner Brust geschlagen.
Ave Maria*)
Die Verwendung der Totenbretter ist eine zwiefache. Zunächst
dienen sie zur Aufbahrung von Verstorbenen. Hat in der
Braunauer Gegend jemand die Augen fttr immer geschlossen, so
bringt der Tischler ein Brett mit, worauf die Leiche in irgend einer
Kammer gelegt wird; dort bleibt sie bis gegen Abend des dritten
Tages liegen, und an diesem geschieht die Einsargung *). So ruht
auch in Klein-Karlsberg, Passendorf*), in der Gegend von Neuem’)
und im deutschen Westböhmen der Tote auf dem Brett, bis man ihn
in den Sarg legt. Im Egerland*) liegt der Verblichene in seinem
besten Gewand auf dem Leichenbrett, das sich auf einer frei-
stehenden Bank befindet. In Karlsbad und Umgebung®), wie im
Stiftsland Waldsassen’“) wurde der Tote ebenfalls auf einem einfachen
Brette aufgebahrt. Im salzburgischen Flachgau”) liegt jetzt die
’) Unser Egerland. Bd. IX S. 24.
®) Stolz, S. 12. *) Blau, S. 33 Nt. 29.
‘) Blau, S. 28 Nr. 7. I'ber Totenbrettersprüche vgl. ebda. S. 22 — 37.
*) Zschr. f. österr. Volkskunde. Bd. I S. 96.
•) Gusinde, S. 34. ’) Blau, S. 18. *) John, S. 168.
®) Job. Bachmann, Egerl&nder ToUnbräuche (vor etwa 40 Jahren), ln
Unser Egerland. Bd. IX S. 29.
'“) Unser Egerland. Eger. 1906. Bd. X S. 183.
”) Unser Egerland. Eger. 1903. Bd. VU S. 58.
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Leiche nur an einzelnen Orten auf dem Laden; meist ist es nur bei
Dienstboten und Armen so. In Unterbergen (Mittelpinzgau) im sog.
Kl.uisnerhäusl lagen die Verstorbenen früher ebenfalls auf den
Leichen brettern *).
Wahrend in der Hegel dasselbe Totenbrett nur einmal zu diesem
Zweck verwendet wird, ist dies an einzelnen Orten keineswegs der
Fall. In Oberfranken’) nämlich vererbte sich das Totenbrett in der
Familie weiter. Im Voigtlande blieb es in zahlreichen Häusern als
Erbstück in der Familie, oder wurde dem Käufer eines Gutes über-
lassen. Fehlte im Hause ein Leichenbrett, so holte man es nach
alter Sitte bei einem Nachbar’), wie auch heute noch es bei den
Zipsem in der Bukowina geschieht*), um darauf Erwachsene auf-
zubahren.
Nach der Bestattung der Verstorbenen werden die Totenbretter
sehr oft an Scheunen oder Stadeln angebracht, wie zwischen Leogang
und Saalfelden, auf der Straße bis Lenzig, welches etwa "20 Minuten
vor Saalfelden liegt (180— lHO an der Zahl), zwischen Seehäusl und
Zell, auf dem Wege von Meierhofen nach der Landstraße, die von
Maishofen nach Zell führt’), in Unterbergen beim Abstieg vom
Hundstein, in ,\lm im sog. Klausnerhäusl, wo mehrere Leichenbretter
in frischen Farben und sorgfältiger Ausführung sich befinden®), an
der Leogangerstraße, von Zell am See der Saale entlang bis zum
Steinpaß bei Melleck’), im Pinzgau*), früher im Mittelpinzgan ®), in
den deutschen Orten um Taus (Böhmen), z. B. Vollmann, Ma.xburg
usw. bis Schüttenhofen ’") und schließlich im Glemmtale bei Zell am
See, wo auf den Laden Leute von Maurach aufgebahrt waren, die
1804 am Nervenfieber starben“). Man sieht sie ferner auch an
Zäunen angelehnt oder befestigt, wie auf der Straße von Saalfelden
nach Maishofen unter einem großen Kreuze (26 an Zahl)”), von Zell
am See der Saale entlang bis zum Steinpaß bei Melleck”) und im
Pinzgau'*), früher auch im Mittelpinzgau '*), an Bäumen, wie ehe-
') F.ysii, S. 207. Stolz, S. 6.
’) G. Lamniert, Volksmodiziii und medizinischer .\berglaube in Bayern.
Würzburg. 1869. S. 104.
*) Job. .\ug. Emst Köhler, Volksbrauch, .Vbcrglauben, Sagen und andere
alte ilberlieferungcn im Voigtlande. Leipzig. 1867. S. 251.
’) Job. Pülek, S. 33. «) Stolz, S. 3. ’) Stolz, S. 6.
«) Eysn, S. 205. ») Eysn, S 206 und 207. '«) Stolz, S. 3.
") Urban, S. 179. ”) Zschr. f. flsterr. Volkskunde Bd. I S. 64.
'») Stolz, S. 6. '*) Eysn, S. 205. '*) Eysn, S. 206.
11*
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mals im Mittelpinzgau'), jetzt im Kollingwald*), von Zell am See
der Saale entlang bis zum Steinpaß, im Walde zwischen Holzhansen
und Grabenstätt am Chiemsee, um Piding unterhalb Reichenhall, um
Innzell und KrispP), im Tepler Hochland*), in Passendorf*) und
in der Nordoberpfalz*), wo sie oft 5 bis 8 Stück wagerecht über-
einander angebracht sind, ja auch unter ihnen, oder in der Nahe
von Kreuzen stehen, wie zwischen Seehäusl und Zell’), auf der
Straße von Saalfelden nach Maishofen “), in der Gegend von Neuern ®)
und bei Schuster in Jägershof (Bayern) hart an der Grenze'“) und
endlich auch an Kapellen, wie in Passendorf"), um Neuem'“),
auf dem Wege von Viertel nach der bayrischen Grenze zu'“) und
in deutschen Orten um Taus'*). Selbst die Wände der Kapelle
werden mit Totenbrettera benagelt'“).
Am häufigsten werden die Totenbretter auf den Boden
niedergelegt. So liegen sie im salzburgischen Flachgau'®) am
Wege oder auf demselben oder dienen als Stege über schmale
Gräben, weil nach üblicher Sitte der Vorübergehende, vor allem
aber jener, der das Brett betritt, ein Vateninser für die arme
Seele des Verstorbenen beten soll. Vor 15 Jahren konnte man un-
gefähr eine halbe Stunde von der Stadt Salzburg entfernt auf dem
Wege durch das Leopoldskroner Moor zahlreiche Totenbretter sehen.
Dieser Weg führt heute noch den Namen „Totenweg“ ”). In Berg-
heim (Salzburg) reihte sich noch vor einigen Jahren den Kirch-
steig hinan Brett an Brett'®). In der Mieser Gegend legte man
die Totenbretter auf irgend einen Fußweg, den die Angehörigen des
Verstorbenen am meisten zu benutzen pflegrten, oder über einen
Graben als Steg'“); so auch in der Nordoberpfalz ““). In der Gegend
von Neuern legen sie Ärmere über eine sumpfige Wegstelle“'). In
Deutsch-Westböhmen wurde das Brett bei einem Bache (Nallesgrün)
oder über einen Graben (Egerland) oder auf den Weg gelegt,
gewöhnlich am Kirchwege (Silberberg), aber auch am Kirchsteige
’) Stolz, S. 5. “) Stolz, S. 5. *) Stolz, S. 6.
*) Eysn, S. 205. ®) Uas- Egorl. IX. 24. •) Gusindc, S. 33.
’} Baucrufcind, S. 106. “) Stolz, S. 3. Stolz, S. 6.
'“) Blau, S. 18, 25.
'“) Blau, S. 39.
'») Grban, S. 179.
*“) Eysn, S. 207.
i») Eysn, S. 208.
■*») Blau, S. 18.
")Blau, S.29. '*) Gusinde, S. 33.
'*) Zschr. f. tisterr. Volkskunde I, 127.
'«) Blau, S. 39. Eysn, S. 206.
““) Urban, S. 179. “') Bauernfeind, S. 106.
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(Haselbach) Im Tepler Gebiete sieht man sie teils liegen, teils
am Wege stehen*). Auf dem Kirchwege, der von Kl aderlas nach
Tepl führt, waren früher die Totenbretter sehr zahlreich vertreten*).
In der Gegend von Eisenstein liegen sie in unmittelbarer Nähe des
Fußpfades, ragen auch sicherlich mit einem Ende in diesen hinein*).
Im Stiftslande Waldsassen konnte man sie früher an Wegen oder
auch als Übergang über Bäche oder Gräben finden. Auf der Straße,
die von Wiesau nach Fuchsmühl führt, sind sie noch heute zu
sehen*). Im Gebiet südöstlich von Forchheim trug man sie an den
Kirchweg. Noch vor sehr kurzer Zeit diente eines als Steg am
Kirchweg nach Pinzberg bei Dobenreuth. Zwischen Langensenden-
baeh und Effeltrich lagen 1893 noch mehrere, wie auch am Wege
von Kunreuth nach Pinzberg. Heute sind noch Totenbretter bei
Gaiganz in einer Wiese am Wege nach Pinzberg zu finden*). In
der Braunauer Gegend wird das Totenbrett auf einen viel betretenen
Feldweg und auf über feuchte Wiesen führende Fußsteige hinaus
gelegt’). In der Gegend von Neurode traf man sie auf Kirch-
steigen oder sie lagen auch zu beiden Seiten des Weges oder führten
als Steg über Feldgräben*). In Haselberg in Böhmen legte man
sie an einem bestimmten Orte nieder, oft sogar in ganzen Schichten
übereinander*). In Silberberg stellte man sie früher bei einer
Wiese auf, die heute noch den Namen „Toudabredawies“ führt,
jetzt reihen sie sich am Waldrande um eine hölzerne .\rmenseelen-
tafel '“).
Schließlich war es auch üblich, allerdings nur vereinzelt, die
Totenbretter nach der Beerdigung des Verstorbenen zu verbrennen,
wie in Deslawen”).
Die Totenbretter gehören nicht nur etwa der Vergangenheit an,
sondern reichen noch ins letzte Jahrzehnt hinein. Das älteste uns
bekannte Totenbrett ist dasjenige, welches im Walde bei Hochberg
in Bayern hängt'*). Im Pinzgau stammen die Totenbretter von 1890
') Jolin, S. 168.
*) John, S. 169; vgl. auch Unser Egerland Bd. IX S. 24.
*) Uns. Egerl. IX, 24. *) Zschr. f. österr. Volkskunde I S. 192.
*) Uns. Egerl. VII, 58. *) Zschr. f. österr. Volkskunde VIII, 346.
') Zschr. f. österr. Volkskunde I 96. •) Drechsler I, 307.
John, 8. 169.
’®) Blau, 8.39; über die Aufstellung der Totenbretter vgl. auch ebd.
8. 39—41.
“) John, 8. 169. '*) Blau, 8. 29.
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und 1891 und zwei „Leichenbretter“ von 1890. An einer Scheune
von Pfaffenhofen rühren sie von 1898 und 1901 her. Im .sog.
Klausnerhänsl weist ein Totenbrett die Jahreszahl 1902 auf').
Südlich von der Kirche des Dorfes Alm finden wir einen Laden aus
dem Jahre 1899 und zwischen Neuhäusl und Zell’) einen „Gedenk-
laden“ vom 26. Mai 1900. Auf dem Wege von Kammer nach Saal-
felden’) begegnen uns drei Bretter am Zaune von 1877, 1898 und
1902. Im Mittelpinzgau lassen sich Totenbretter aus den Jahren
1896, 1897, 1898, 1899, 1900 und 1901 nachweisen *), worunter
sich eins vom Oktober 1900 befindet, das ein im zartesten Alter
verstorbenes Kind verewigt®). In Passendorf (Schles.) gehört ein
Totenbrett dem Jahre 1892 und ein anderes dem von 1901 an®).
Der Aberglaube spielt auch bei den Totenbrettem eine große
Rolle. So ist in der Gegend von Neuern die Ansicht vertreten, daß,
wenn das .\nflugbrett des Taubenschlages aus dem Holze eines Toten-
brettes hergestellt werde, die Tauben nicht davon flögen '). In Viertl
dürfen die umgefallenen Totenbretter nur die Verwandten des Ver-
storbenen aufrichten; tut es dagegen ein Fremder, so stirbt er selbst
oder jemand aus seiner Familie*). In Karlsbad und Umgebung soll
sich derjenige, der über ein Totenbrett geht, das über einen Graben
gelegt ist, die Gicht zuziehen. Es soll sogar die Kraft besitzen,
die Raupen zu bannen, wenn es gestohlen uud ins Krautfeld getragen
wird“). In Egerland, Fauenreut und Haselbach hätte derjenige,
der beim Überschreiten eines Totenbrettes ein Vaterunser zu beten
unterließ, schwere Beine bekommen '“). Im Voigtlande band man den
Toten auf das Leichenbrett fest, um so zu verhüten, daß er herab-
fiele, weil er dann bald wieder ein Familienmitglied holen würde").
In Deutsch- Westböhmen war allgemein der Glaube vertreten, das
Totenbrett pflege sich vor einem bevorstehenden Todesfälle zu rühren *).
oder, sei es verfault, so sei auch der Leichnam verwest, die Seele
erlöst und befinde sich im Himmel (Hesselsdorf) '*).
•)Stolz, S. 6. »)StoU, S. 3. *)Stolz, S. 8,
‘) Stolz, S. 13 f. *) Stolz, S. 15. «) Giisiudo, S. 33.
') Blau, S. 19. Zschr. f. östorr. Volkskundo I, 12G.
») Uns. Egcrl. X, 183. '“) John, S. 1G9.
") Joh. Aug. Ernst Köhler a. a. 0. S. 251. •) John, S. 1G8.
'*) John, S. 169; über den Aberglauben bei den Totenbrettem vgl. aiieh
Gusinde a. a. 0. S. 38 ff.
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159
Flandrischer Leichtfuß, Flandrian.
(vgl. Mitt. XI, 53)
Von Dr. Philipp Keipor in Regensburg.
In einem ScliQleraufsatz stieß ich kürzlich auf den Ausdruck
„ein flandrischer Leichtfuß“ und erfuhr auf Befragen von dem
betreffenden Schüler, daß man in seiner Heimat Hohenburg (in der
nordwestlichen Oberpfalz) einen leichtsinnigen, unbeständigen Menschen
so nenne. Ein anderer Schüler, aus Regensburg gebürtig, fügte bei, daß
man in dieser Stadt im Volksmund in gleichem Sinne die Bezeichnung
„ein Flandrian“ gebrauche — also eine der zahlreichen Bildungen
auf latinisierendes -ian, d. i. Jän aus Johann, wie Grobian, Dummian,
Damian, Lüdrian u. a. Im ersten Augenblick glaubte ich, daß hierin
der Landes-, bezw. Volksname Flandern zu erkennen sei, aber
bald fand ich, daß eine andere Erklärung *) das Richtige trifft. Das
BajTisehe Wörterbuch bietet nämlich (I, 79'J) folgendes: „fl andern,
flUndern, hin und her bewegen, wehen, ziehen . . . Das Fländer-
lein (Fländo'l.) = flatterhaftes Mädchen. Daher wohl die
Redensart Mädchen aus Flandern DW III 1 722.“ An dieser
Stelle im DW (III, 1722) finden wir nun, in der Hauptsache überein-
stimmend, folgenden Aufschluss: a) fl andern, fländern, alas agitare,
motitare, flattern, wehen. Auch für pfuchzen, spritzen, speien.
S. flendem und Hindern, b) f Linderer, m. hat Henisch 1 12ß,5 für
fax, fun.ile und für Hamen, Priester; es gehört zu Fl an de, Funke,
Flitter; und fländern. Schwäbisch flanderer, Flattergeist,
[flinder verhält sich zu Hitter wie Handern zu flattern] c) flanderl,
flanderlein, ein Hatterhaftes Mädchen. Schmeller 1, 588. Frisch
1, 272b hat Flanderlein für Flitter, vgl. Flinder. d) fländern,
Flandria, Flamland. Häufig im Reim auf andern, Treu-
losigkeit und Flatterhaftigkeit der Weiber oder Junggesellen
auszudrücken.“ Von den dort mitgeteilten Belegstellen führe ich nur
einige an:
„wann dise böbin ist von Flandern,
si gibt ein buben umb den andern“.
*) Sie deckt sich zum Teil mit dem, was B. Kahle in der Zcitschr. d.
Vereins f. Volkskunde XVIII, 116 und in unseren , Mitteilungen“ XI, 53 (an-
knllpfend an Pradcl’s Äußerungen ebenda, Heft XX, Band X, S. 101) aiis-
geffihrt hat. Ss.
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160
bei H. Sachs und noch öfter bei diesem Dichter, wie auch bei Ayrer.
Ferner bei Weise überfl. Gedichte 4, 10:
„Doch weil mir nun bei andern
Das Glücke günstig scheint,
So bin ich auch von Flandern.“ . . .
Bei Goethe 11,339:
„Weil ich so gewohnt zu wandern
Heute hier und morgen dort,
Meinen sie, ich wSr von Flandern,
Schicken gleich mich wieder fort.“
Hierzu die Erläuterung: „Das flattern = flandern leitete von
selbst auf den Namen Flandern und auf das Unbeständige,
nicht bloss in der Liebe, sondern überall:
wann wir sind kunimen her von Flandern,
geben ein drappen umb den andern. H. Sachs I 517b.“
Schliesslich ebenda: e) Flandrer m., Flandrensis:
der Toscaner lieblichkeit
und der Flandrer Witzigkeit, vgl. llanderer.
f) flandrisch, was flämisch, doch ohne dessen Neben-
sinn“. —
Letztere Bemerkung: „doch ohne dessen Nebensinn“ ist zwar
richtig (s. unter flämisch), aber das Vorkommen des Ausdrucks
„flandrischer Leichtfuß“ im Volksmund der Oberpfalz beweist,
daß es noch ein zweites flandrisch gibt, das mit Flandern nichts
zu tun hat, sondern vom Zeitwort flandern = flattern gebildet
ist und flatterhaft, unbeständig, leichtsinnig bedeutet. Auch
das Bayrische Wörterbuch kennt dieses Wort nicht, und ebenso ist
die in gleichem Sinne in Regensburg und wohl auch sonst noch im
Gebiet der altbayrisehen Mundart volksübliche hübsche Bildung „ein
Fländriän“ weder im Bayrischen noch im Deutschen Wörterbuch
zu finden. — Dieses von mir beigebrachte Beispiel mag demnach
lehren, daß selbst so umfassende und gründliche Wörterbücher wie
diese beiden doch hie und da Lücken aufweisen, ein Umstand, der
darauf hinweist, daß bezüglich des Wortschatzes die genauere Er-
forschung der Mundarten noch manche Nachlese im einzelnen Sinne
ermöglicht.
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_ifn
Altere Helgoländer Gedichte.
Gesammelt von Geh. Sanithtsrat Dr. med. Harmsen.
Herausgegeben Ton Dr. Th. Siebs.
Herr Geheimer Sanitätsrat Dr. med. Harmsen in Lüneburg, der
kurz nach der Mitte des vorigen Jahrhunderts lange Zeit Arzt auf
Helgoland gewesen ist, hatte die große Freundlichkeit, mir neun
(ledichte in Helgoländer Sprache zu übersenden, die er auf der Insel
in den Jahren 1857 — 1860 gesammelt hatte. Abgesehen von einigen
Wiegenliedern, Abzähl- und Kinderreimen, sind es Gedichte von
Albrecht Groneweg, der Klempnerraeister war, und dem damaligen
Landeskassenmeister Knutz Michels. Die Stücke sind von ver-
schiedenem AVerte, sowohl was den Inhalt als die echt helgolandische
Färbung der Sprache, anlangt: daß die Leute, wenn sie Verse machen,
besonders leicht in plattdeutsche, oder gar hochdeutsche Ausdrucks-
weise verfallen, ist begreiflich ; und namentlich gilt das von Gelegen-
heitsgedichten wie „di nai doktar es kirnen“ (der neue Doktor ist
gekommen). Indessen sind alle diese Gedichte — selbst wenn sie
zum Teil freie Übertragungen nach dem Hochdeutschen wären — für
die Kenntnis des Helgolandischen schon deswegen von Bedeutung,
weil wir aus älterer Zeit fast gar keine Sprachproben haben. Sie
bilden somit in gewissem Sinne eine dankenswerte Ergänzung zu den
Texten, die ich in meinem Rnche „Helgoland und seine Sprache“,
Beiträge zur Volks- und Sprachkunde, Cu.xhaven und Helgoland 1909,
herausgegeben habe.
Die Form, in der die Gedichte mir Übergeben wurden, habe ich
nicht beibehalten können: wer nicht gründlich helgolandisch kennt,
würde nicht im Stande sein, die Texte darnach richtig zu lesen und
zu verstehen. Ich habe sie daher in die Schreibung meines Buches
umgesetzt. Mit Hilfe des dort gegebenen Wörterbuches wird auch
jeder die Gedichte übersetzen können; der Betiuemlichkeit halber aber
habe ich eine hochdeutsche Übertragung beigeffigt.
Für verschiedene Deutungen und Berichtigungen bin ich meinem
verehrten Freunde, Herrn Oberlehrer Dr. phil. Hans Köster in
Hamburg, dankbar. Auch einem anderen Helgoländer, Herrn Heinrich
Claasen, der selber uns durch hübsche Gedichte erfreut hat, weiß
ich für einige Aufklärungen Dank.
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162
Von den Gedichten hat vrohl nur „die LooUenbraut“ literarisches Interesse.
I>a.s Motiv der „Lenore“ erscheint hier — freilich ohne die eigentliche Ent-
führung und den Geisterritt — mit dem seemännischen Motiv der auf die
Hnckkehr des Geliebten harrenden Matrosenbraut verbunden. Verschiedene
kleine Züge der Lenorendichtung finden wir auch hier, i. B. „der Mond scheint
hell.“ Ob der Verfasser nach einer deutschen Vorlage gearbeitet hat, kann ich
nicht sagen; der schlechte Zusatz der beiden letzten Strophen könnte es ver-
muten lassen, aber trotz alles Suchens, ist mir weder ein solches Gedicht,
noch auch nur eine einschlägige Fassung der Sage bekannt geworden. Ie>ise
.tnklänge linden sieh bei Möllenhoff, Sagen, Märchen und Lieder der Herzog-
tümer Schle.swig-Holstein und Lauenburg Xo. 123 und 124 (8. 163). In die
Seemannsdichtung gehören auch die englischen Fassungen von Coleridge
(The Ancient Mariner), wo das Schiff nach der Geisterjagd versinkt, und von
Campbell (im Spectre Boat), wo die tote Braut den Ungetreuen auf gespensti-
gem Schiffe in den Tod holt, vgl. A. Brandt bei Erich Schmidt, Bürger’s
Lenore, Charakteristiken. Berlin 1886, S. 19!) — 248, wo auch reiche Literatur-
angaben. Solche finden sich auch bei Ulrich Jahn, Volkssagcn aus Pommern
und Kögen. Stettin 1886, S. VIII; ferner in der mir bei aller Bi'inühung unzu-
gängig gebliebenen Arbeit von J. SozonoviC, Bürgers Lenore und ihr ver-
wandte’ Vorwürfe in der europäischen niid russischen Volkspoesie, Typographii-
des Lehrbezirks in Warschau 1893, VII 251 Ss. 8'.
Schreibung.
Vokale. Kurz werden gesprochen die unbezeiclineten Vokale
a wie in hochdeutsch naxs (nach dem Werte der Bfihnenaussprache),
e wie in hell, i wie in Füeh, o wie in Gott, u wie in Hund, ö wie
in könnte, ü wie in Sünde. Lang werden gesprochen die mit einem
Striche bezeichneten Vokale ä wie in Staat, ö wie in See, i wie
in ihn, r> wie in Sohn, 0 wie in Huhn, fi wie in Söhne, fl wie in
Sühne — die a und ä sind etwas heller, die ö, ö, ü, fl etwas weniger
gerundet als im Bflhnendeutschen; e wie hochd. schwaches e in hahe.
ü wie langes englisches e in men, wie langes englisches a in sair,
water. In den Diphthongen ea und öa liegt der Akzent öfters auf
dem zweiten Vokal, so daß man ja, yä hört. — Der Akut (') be-
zeichnet in zweifelhaften Fällen den Wortakzent.
Konsonanten, i und y sind konsonantische i und u; n^ ist
einfacher Velarlaut wie in lan^/e. Dank- wird also daiTgk geschrieben ;
(Jh wird wie in ich, (^i wie in ach gesjirochen ; g ist stimmhafter
Keibelaut wie in Tape mitteldeutscher Mundarten; fi ist wie sch in
schön zu sprechen (so auch in Sj und ütj); anlautendes j wird meist
wie dj gesprochen; r wird häufig schwach gesprochen; t ira Auslaut
nach Konsonanten und j im .\uslaut wird ebenfalls oft schwach ge-
sprochen und deshalb eingeklammert, z. IL br(*(j) Brücke, bes(t) /<«/.
Näheres ist darüber S. 173 ff. des genannten Buches mitgeteilt.
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163
I. Di löäts sin brid.
1 . Di mün, di sinet sö hei, sö hei
ip’t wetar del sin skin,
det wear s5 bleak, sö stel, sö stel,
kl^r wear di lo(jl)t en rin.
aql>’ d^ hid al en stüram wait,
ne hid di win hem entli lait.
2. di measta lä(5ljt0r wear al it,
stel wear ’t ip ’t heia lun,
bid6kat wear med sni sö wit
di ir; en bi di strun
wear al det böman lad^ farbi,
ken mensk lat bitan hem möar si.
3. doql) ensöm ‘) bi det wetar stin
en fjmal djoiQi; en r^r.
dji kid ken rö, ken trö.st möar fin,
her hart wear her sö su^r.
en bistark (öiiud^ trekt her dol,
en bistark dröm stin fer her sei.
4. Dji hid ken rn möar fin’ a
his 2),
it most dji fin di loqht;
her fraiar wear no<jh ni(Jlj dear tis *),
ken nyrecjljt wear her broqjit,
dat jänar hid fan hem wat sen.
0, Wear hi med sin skep järst ben !
5. so ludg hid dja al arkar kid,
dji wear hem dji^ sö jjud,
en hi moql>t her sö gearn lid,
hi lat 1er her sin blud.
en wear tu sendai hi wear tis,
dan skul heram kos(t) wes, det
wear wis*).
I. Die Lootsenbraut,
1. Der Mond, der warf so hell, so hell, aufs Wasser nieder seinen Sehein; das
war so bleich, so still, so still, klar war die Luft und rein. Xcht Tage
hatte schon ein Sturm geweht, jetzt hatte der Wind sich endlich gelegt.
2. Die meisten Lichter waren schon aus, still war es auf dem ganzen Lande,
bedeckt war mit Schnee so weiß die Erde; und an dem Strande war schon
das Arbeiten lange vorbei, kein Mensch ließ draußen sich mehr sehen.
3. Doch einsam am Wasser stand ein M&dchen jung und schön; sie konnte
keine Kuh, keinen Trost mehr finden, ihr Herz war ihr so schwer. Eine
böse Ahnung druckte sie nieder, ein böser Traum stand ihr vor der
Seele.
4. Sie hatte keine Ruhe mehr ini Hause, hinaus mußte sic in die Luft; ihr
Bröutigam war noch nicht zu Hause; keine Kachrioht war ihr gebracht,
daß einer von ihm etwas gesehen hatte; o, wSre er doch mit seinem Schiff
erst im Hafen (binnen)!
5. So lange hatten sie schon einander gekannt, sic war ihm ja so gut, und
■) ist plattdeutsch; meist gilt statt dessen das ebenfalls plattd. aUn
«allein“'
’) «in dem Hause“ ist nicht (Iblich; statt dessen dren eig. «drin“.
>) «da nach Hause“ ist nicht Üblich; allenfalls wear ’en t’is eig. «war nach
Haus“ statt «war zu Haus“, analogisch nach guiig 'en t'is «geh nach Haus“.
*) eig. wes «gewiß“; doch werden wis «gewiß, eig. weise“ (z. B. wis wUr
gewiß werden, erfahren“) und wes «gewiß“ (z. B. det es wes «das ist gewiß“)
bisweilen verwechselt.
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Ifi4
H. do(^ es di wek fargii^en wear,
en es di s^ndai kim,
do’ wear di freier no’ ni(yi dear,
ken n9re(y>t dji femim.
ip't nai *) di mün kim ün di loQi>t,
doqi) kim ken mensk, dear tidiii^
broqi)t.
7. det hart fan grym en komer
suvr,
sS wanert dji ombi,
fer her wear niijii di ir möar rijr,
en lust en froid ferbi.
en es di wontar wear tu en,
wflr ’t ed en kfll järst nn her sen.
8. en es di kl6ö sö gren wear
stin,
det fedjöar wear wear dear,
en es di böäman blemkan fin,
es sent djahans wear wear,
do wear her hart sö fol fan p in,
ken rO fin hem *), ken tröst möar in.
9. bidriwat giiig det födjöar hen,
di semar fallet fin,
doql> skint fer her ken waram sen,
ken stcran möar, ken mfin.
en wear di dai uk noiji) s5 swfil,
fer her wear ’t grlfK^jj, bistark, kfil.
10. en es det wetar maql>tigan,
brfift,
en es di harus kim,
en der di böam di win sö süft,
sin bledan fon hem nim,
en es di harus wear tu en,
do wear fer her uk alas hen.
1 1 . es alas wear sö wit bisnait
en döädanklet finfin.
or mochte sic so f^ern leiden, er ließe fUr sic sein Blut. Und war er zum
Sonntag wieder zu Hause, dann sollte ihre Hochzeit sein, das war gewiß.
6. Doch als die Woche vergangen war, und als der Sonntag kam, da war der
Brkutigani noch nicht da, keine Nachricht vernahm sie. Aufs neue kam
der Mond an den Himmel (an die Luft), doch kam kein Mensch, der
Nachricht brachte.
7. Das Herz von Gram und Kummer schwer, so wanderte sie umher, für sie
war die Erde nicht mehr schün und Lust und Freude vorbei; und als der
Winter zu Ende war, ward es Ode und kalt erst in ihrem Sinn.
8. Und als der Felsen so grtlu wieder stand und das Frühjahr wieder da war,
und als die Bftume Blüten bekamen, als wieder Sankt Johannistag war, da
war ihr Herz so voller Fein, keine Ruh fand sich, kein Trost mehr ein.
9. Betrübt ging das Frühjahr dahin, der Sommer fing an, doch schien für sie
keine warme Sonne, keine Sterne mehr, kein Mond ; und war der Tag auch
noch so schwül, für sie war es schaurig, schrecklich, kalt.
10. Und als die See gewaltig brauste, und als der Frost kam und durch den
Baum der Wind so sauste und ihm seine Blätter nahm, und als der Herbst
zu Ende war, da war für sie auch alles hin.
11. Als alles so weiß beschneit war und ein Totcnkleid anbekam, und als der
Wind so kühl wieder wehte und kahl die Bäume standen, und als alles so
tot und Ode war, da war sie auch zu leben müde.
’) ,aufs Neue“ nach dem hochd.
2) oder ist , hen“ gem.dnt? „keine Ruhe fand hin, kein Trost mehr hinein“.
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165
en es di win sö kol wöer wait,
en k^l di böaman stin,
es alas wear sO döad en ed,
do wear dji uk tu lewan med.
1 2. en es di dai ip lest wear kirn,
di dai, dear fer en djsar
sindOg her fraiar fan her nim,
en es at in wear wear,
do tu di hemal beridljt dji:
„ö leat mi doqh ken dai wear si.
13. di doad es djö ter mi det
hast,
ö got, nem mi tu di!
det lewan es mi dj^ tu last;
skel ik hem ni(Jlj wear si,
wat skel dan ip ’a ir ik du?“
sö beric^it dji, sö slip dji tu.
14. es wan dear ün di dernsk
jän kirn,
sö kirn at her ne fer,
es wan dji nipam g^r farnim
en klapam för di der.
en tre raijl rip at her bi nem!
wat skul det wef? wearfan skul’t
körn?
15. dji lukat ap, dji lukat om,
doch kid dji g^r niks si,
en alas wear wear stel en stom,
det rupam wear farbi.
djist s^it di klok tu tilälaw ün,
en hei es dai wear’t fan di mün.
16. hi skint sö r$r, hi skint
sö hei,
sö hei ün’t fenstar in,
di n^qlit, di wear sö stel, sö stel,
klf>r wear di loqljt en rin.
doqlj tijalö skalt at der di lo<jht;
di dai, di hid sin löp folbroqljt.
1 7. en hjat en kül, en kül en hjat
det fijmal wflr tu mud,
det förhöd wür fan syat her weat,
ny't höd ap stauat her blud:
en spükums stid dear ün di der,
es her fer’n djöar ün dröm kim fer.
12. Uud alü endlich der Tag wiederkam, der Tag, der vor einem Jahr dainala
den Lootsen ihr nahm, und als es wieder Abend war, da betete sie zum
Himmel; ,o laB mich doch keinen Tag wieder gehen!
13. Der Tod ist ja för mich das beste; o Gott, nimm mich zu dir! Das
Leben ist mir ja zur Last; soll ich ihn nicht Wiedersehen, was soll dann
auf der Erde ich tun“? So betete sie, und so schlief sie ein.
14. Als ob da in das Zimmer einer kkme, so kam es ihr jetzt vor; als wenn
sie gar Rufen vemihme und Klopfen ror der Tür; und dreimal rief es sie
bei Namen. Was sollte das sein? wovon sollte cs kommen?
15. Sie schaute auf, sie schaute umher, doch konnte sic gamichts sehen, und
alles war wieder still und stumm, das Rufen war vorbei. Grade sagte die
Uhr zwölf an, und bell wie Tag war es vom Monde.
16. Er schien so schön, er schien so bell, so bell ins Fenster hinein; die
Nacht, die war so still, so still, klar war die Luft und rein. Doch zwölf
schallte es durch die Luft, der Tag hatte seinen Lauf vollbracht.
17. Und heiß und kalt, und kalt und heiß ward dem Midcben zu Mute, die
Stirn ward ihr naß von Schweiß, zu Kopf stieg ihr das Blut: ein Gespenst
stand da in der Tür, wie es ihr vor einem Jahre im Traume erschienen w ar.
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Ififi
18. en naiar kirn at nij her
djSart,
ne dji’t ün’t gasecjht:
we(?h wear her adgst, her fraiar
wear't,
her liart wür her ho le(Jht!
so dji hem, sö stld lii dear,
es l'Or en djnar hi giiTpan wear.
19. „watfandihemaldibigeart,
om wat di hericyit hast,
det h^ ik ala m(>l Qnheart,
nein ne fan di di la.st,
di al en djear di trekt tn grin;
en rü en fredan skelt di tin!
20. di skelt nicjh mear alen
hir stun,
kum ined en liiliga mi,
ik briilg di ün en betar lun
en gui% ni(Jh mear fan di.
ik höl, wat ik di iän myl suür,
skelt ne med ini farfmii^it wür.
21. sin hun liji ip her höd hi del,
es det hi tu her sfüt;
lei^t wear her hart, frai wear
her sei
fan komar, gr^m en moit.
her trekt ken süri^h raöar, ken pin,
en rü en fredan fln hem in.
22. det wear di nyQljt, es 1er
en djöar
sö dii^it di stflram wait,
di nöcj)t, dear’t djniSgk en graualk
wear
en't hnialt, fref en snait.
det wear di n^qlit, det wear di stin,
wear di djuiTg löats sin döad ün fin.
23. di sen, di skint sö hei, sö hei,
di loqht wear rin en röad;
do(^ ün di k^mar blew at stel,
det ffimal l^i — wear döad.
fer her skint ne en betar sen,
en al her laidan wear tu en.
24. en es di sendai kiraan wear,
en es di wek tu en,
18. Und n&ber kam cs auf sie zu, jetzt sah sic ihm ins Gesicht: furt war ihre
.\ngst, ihr BrSntigam war es, wie leicht war ihr das Herz! So sah sie
ihn, so stand er da, wie vor einem Jahre er gegangen war.
19. ,Was von dem HimincI du begehrt, um was du gebetet hast, das habe ich
jedesmal angehört und nehme jetzt die Last von dir, die schon ein
Jahr lang dich zu Boden drückt: und Ruhe und Frieden sollst du finden.
■JO. Du .sollst nicht mehr allein hier stehen, komm mit und folge mir, ich
bringe dich in ein besser Land und gehe nicht mehr von dir; ich halte,
was ich dir einmal geschworen habe: jetzt sollst du mit mir vereint werden*.
21. Seine Hand legte er ihr aufs Haupt, indem er zu ihr sprach; leicht war ihr
das Herz, frei die Seele von Kummer, Gram und Mühe; keine Sorge, keine
Pein drückte sie mehr, und Ruh und Frieden fand sich ein.
22. Das war die Kacht, ala vor einem Jahre so stark der Sturm wehte, die
Nacht, wo es dunkel und grausig war und hagelte, fror und schneite; das
war die Nacht, das war die Stunde, da der junge Lootsc seinen Tod fand!
23. Die Sonne, die schien so hell, so hell, die Luft war rein und rot, doch in
der Kammer blieb es still, das Mädchen lag da — es war tot. Ffir sie
schien jetzt eine bessere Sonne, und alle ihre Leiden (hochd.) waren zu Ende.
‘24. Und als der Sonntag gekommen war, und als die Woche zu Ende war, da
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Iß7
do did ja her di lesta jär,
broqljt her 119’t karkhof hen.
en mani ö^n wear dear weat,
arkjän did’t om det fomal lead.
•25. es brid dji no(^ ün di Ir,
es brid noqi) ün her fat,
II. Min wensk.
1. S kid ik ün det hart her si!
wüst ik, of dji wat hil fan mi!
det wear, wat ik sö gearn rooQljt !
5 wüst ik, wat dji toqijt.
2. en kidst di ün min hart
mi si,
(lan s9^st di, wat ik hil fan di!
en möar — ö lew mi, hei en klyr
s(>gst di di sal5 g^r. —
A. Groneweg.
her bridkrants wear her noql) en sir,
es dji ün’t graf wür sat.
det wear di s6ndai, di fer ’n djöar
es kostdai her bistemat*) wear.
Groneweg.
III. Wiegenlieder.
1. wingka wingka de,
if fvar fart it ün se,
If mein gnilgt dc-1 om bökan,
if Petarkan lait al w^kan.
2. mm alarba.st letj enakan,
di syumat ün di se;
en wan hi lungar ni(y> suuma kan,
dan sat hi sin stert ün di hei^it.
gaben sie ihr die letzte Ehre, brachten sie nach dem Kirchhof hin. Tnil
viele Augen waren da naß, jedem tat es leid um das Mtdchcn.
'25. .Als Braut nun lag sie in der Erde, als Brant in ihrem Sarge, ihr Braut-
kranz schmückte sie, als sie ins Grab gelegt wurde (eig. gesetzt). Das
war der Sonntag, der vor einem Jahr ihr als Hochzeitstag bestimmt war.
Die beiden letzten Strophen dieses Gedichtes, das in einfacher und doch
wirkungsvoller Weise den gleichen Stoff wie Bürgers Leonore behandelt, er-
scheinen uns als ein freilich volkstümlich empfundenes, aber trotzdem ge-
schmackloses und auch sprachlich nicht einwandfreies Anhängsel.
II. Mein Wunsch.
1. Ach, könnt ich schau’n ins Herze ihr Und wüBt ich, was sie hält von
mir! Das wär' es, was ich gerne möcht: Ach wüßt’ ich, wäs sie dächt!
2. Und könnt'st du scbau'n ins Herze mir, Dann sähst du, was ich halt’ von
dir! Und mehr noch: glaub’ mir, hell und klar Sähst du dich selber gar.
III. Wiegenlieder.
1. Winke winke dee. Unser Vater fährt aus in See, Unsere Mutter geht ins
Unterland (hinunter) um die Mulden mit Augeltau (zu holen), Unser Peter-
chen liegt schon wachend. — Die erste Zeile ist sinnlos, nur des Reimes
wegen gemachL
2. Mein allerbestes kleines Entchen, das schwimmt in der See; und wenn es
nicht mehr schwimmen kann, dann st. .kt (setzt) es seinen Schwanz in die
Hob. Die Reime weisen auf plattdeutschen oder hochdeutschen Ursprung hin.
t) hochdeutsche Wendung, die in helgolander Laute übertragen zu sein
scheint.
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168
IV
. Abzählreim.
jan, tau.
tre,
di best en grewan ff.
di best en grfwan os,
di kekast
fln en koks.
V. Kinderreime.
dear liji det tvif her letj enakan d6ad ;
1. bopam Haikans bis, dear
5 we, ö we, dji kid jam nii^j mest!
steint en sil.
dear liji dji? noQli ses aiar fln’t nest.
en ün di sil, dear es en k^est,
dear kaft dji her sokar en te for
en Dn di k^est, dear es en nest,
en di broqljt dji hen fer heram
en Qn det nest, dcar es en hün.
naibars der.
en fln di hün, dear es en ai.
.3. Liskan, senar priskan.
en ün det ai, dear es en dedar,
senar nedal, senar tread,
di ra^kat alar menskans wedar.
Maikan skul nijlöp,
2. On di Halam, fln di Halam,
dear wüst dji ken read.
dear wear s5’n nöad,
VI. Det hid ik niijlj toql)t!
En snüri dentja ens fPrtudre^n
fin ’n lüsti gas^lskaft, det es imar rijr,
IV. AbzSblreime.
Eins zwei drei, du bist ein grobes Vieh, du bist ein grober Ochs, du kochst
in einer Muschel. — Die Verse sind, wie viele Abzablrersc, sinnlos und nur um
des Reimes willen gemacht. Aufffillig ist, daC hier das helgoland. tre mit dem
wohl plattdeutschen fe reimt; mehr noch, daß die plattd. Form os, die auf
Helgoland statt des zu erwartenden *oks gilt, auf das helgolandisehe koks reimt
Die Verse waren noch um 1870 allgemein bekannt.
V. Kinderrci me .
1. Oberhalb von Heikens Haus, da steht ein Pfahl, lind in dem Pfahl, da
ist ein Ast, Und in dem Ast, da ist ein Nest, und in dem Nest, da ist ein
Huhn, Und in dem Huhn, da ist ein £i. Und in dem Ei, da ist ein Dotter,
Der macht aller Menschen Wetter,
2. Auf der D&nc, auf der Düne, Da war so 'ne Not, Da lag der Frau ihr
kleines Entchen tot; 0 weh, o weh, sie konnte sie nicht missen! Da lagen
ja noch sechs Eier im Nest. Da kaufte sie sich Zucker und Tee dafür,
den brachte sie hin vor ihres Nachbars Tür.
3. Lieschen, ohne Prieschen, ohne Nadel, ohne Faden; Maiken sollte nach-
lanfen, da wußte sic keinen Bat.
VI. Das hütte ich nicht gedacht!
Ein schnurrig Stückchen mal vorzutragen
in einer lustigen Gesellschaft, das ist immer hübsch.
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169
det m^ikat med^nar en machti fargnö^an,
det alamijl wet wi, det es imar w$r.
do iin ik di infal, en stek ens tu mi^kan
an if ^in, fln Halnnar sprek;
doqh of djira gaf$l min wunarlik sykan,
det wet ik noQl> ni(Jli, det raut ik fars$k.
en lest at djira dan, det stek Qntuhearn,
dan wel ik at fördreg, fan hartan gearn.
det stek fangat fin. ik stid ens ip falam
en lukat ijwar det Delarluu wecjlj,
en tüfeliölj ful min ög nij di Halam;
wat ik? wat fin ik Ip jän myl fin se^t?
hi 8^ alhel firs it, es hi hid den:
en klutsi(^ polsydan wear dear rinom;
sö hid ik hem dj$ noqlj ^Isniqh sen,
fan lutar farwunarui% stid ik, wear stom.
dan dfit tu balewan, det hid ik ni<^ toQlit,
det wear mi, es ful ik it di loql)t.
doQji min farwunarung skul järst big^n.
ne slfig ik min ög’an n^’t Delarlun hen.
dear stid en gröt his, en slot wear’t tu naman,
das macht mitunter ein großes Vergnügen,
das wissen wir allzumal, das ist immer wahr.
Da kriegte ich den Einfall, einmal ein Stück zu machen
in unserer eignen, in Helgoländer Sprache;
doch ob euch meine wunderlichen Sachen gefallen,
das weiß ich noch nicht, das muß ich Tersuchen.
Und lüstet es euch dann, das Stück anzuhSren,
dann will ich cs von Herzen gern vortragen.
Das Stück fängt an. Ich stand mal auf dem Falm
und sah über das Unterland weg,
und zufällig fiel mein Auge auf die DUne;
was sah ich, was bekam ich auf einmal in Sicht?
sic sah ganz anders aus, als sie getan hatte,
und klotzige Pallisaden waren da ringsum;
so hatte ich sie ja noch nie gesehen,
vor lauter Verwunderung stand ich und war stumm;
denn das zu erleben, das hätte ich nicht gedacht,
das war mir, als fiele ich ans der Luft.
Doch meine Verwunderung sollte erst beginnen.
Jetzt richtete ich meine Äugen nach dem Unterlande hin.
Da stand ein großes Hans, ein Schloß war cs zu nennen,
MUtelluussa d. schles. Oes. f. Vkdo. Baud XII (Heft 2). 12
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170
en prachtstek, es ik sind^ noq^ ni<51) scn,
med silan rinum stid at dear tu braman,
med spegalglasfenstar, det es do<^ ni(^ men,
en befi en pracht, es hir noQ^ ni(^ wefan,
fan iän s^l gii% det man wear On di Qr;
di iän tu sprii%an, di ur tu lefan,
tu itan di der, tu spelan nnmar §tjQr‘).
en es ik ne fraget, wat det wear fer ’n bis,
do hOart ik : di bers, di nai buwat iärst es.“
ne, det tu bilewan, det hid ik niiji) toql^t,
det wear mi, es ful ik it di loql^t.
Doql> min farwunarui% skul järst ens big^n:
det wear lui% ni<^ alas, wat hir Ik hid sen!
dear wear g^r en dernsk, dear wuks ^palsin
en figan en maiS^lar, ert’an sog$r
en al die farskedana sortan win,
grenluöfeköal en pem, kantttfal re(51;it r^r,
en böän, Ik lew g^r, det wear fan din,
med bledan so gröt es en skilarhis,
ein Pracbtstfick, wie ich es meiner Tage nicht gesehn hatte,
mit Säulen ringsum stand es da zu prahlen,
mit Spiegclglasfenstem, das ist doch nicht gering.
Und binnen eine Pracht, wie hier noch nicht gewesen,
von einem Saal ging das nur immer wieder in den andern ;
der eine zum Tanzen, der andre zum Lesen,
zum Essen der dritte, zum Spielen Nummer vier.
Und als ich nun (ragte, was das für ein Hans wäre,
da bSrte ich: die Börse, die erst neu gebaut ist
Nein, das zu erleben, das hätte ich nicht gedacht,
das war mir, als fiele ich aus der Luft.
Doch meine Verwunderung sollte erst noch beginnen:
das war lange nicht alles, was ich hier gesehen hatte!
da war gar ein Zimmer, da wuchsen Apfelsinen
und Feigen und Mandeln, Erbsen sogar
und alle die verschiedenen Sorten Wein,
Grünkohl und Birnen, Kartoffeln recht schön
und Bohnen, ich glaube gar, von denen
mit Blättern so groß wie ein Schilderhaus,
') In der handschriftlichen Überlieferung stand „fjur“; von Herrn Claascn
wird mir nun schriftlich versichert, daß ältere Leute diese Form für „vier“
gebraucht hätten. Aber ich habe auf der Insel niemals eine Spur davon be-
merkt und deshalb die übliche Form in den Text gesetzt.
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171
wear ydam en efa en klet fan fin,
dear ja ncK^ lewat fln’t paradls.
ik toQl)t : ben ik dan ün’t möarnlun,
dat sok al wat kan fin jän n^cjljt entstun?
DoqI) min ferwunerung wear noqlj niijl) tu en:
om was(t)‘) fert tufeli min wai mi hen.
dear wear g^r en h^lwan, med skepara fol propat,
med sroakan en tjalkan, me’ dampars sfig^r,
en fer di brej en grSt dampar djist stopat,
di freman kirn fin di wal, ö sO r^r!
di bertan wear ^war, ja brikt jam nic^lj mear,
kOn stewan, ken rudars, en uk ken ofsear.
dear stld ik en wear fer farwuneruiSfe stora,
doql) ne fin ip jänrn^l di efal ik om !
en dröm hid at wefan, wat ik hid al seö,
en hirmed es uk min stek tu en.
Do<jl) iänm^il Ip kl6ö, ni«y> tu fardjitan,
wovun Adam und Eva uin Kleid bekamen,
aU sie noch im Paradiese lebten.
Ich dachte: bin ich denn im Morgenlande,
daß all so was in einer Nacht entstehen kann ?
Doch meine Verwunderung war noch nicht zu Ende:
nach dem Süden des Unterlandes führte zuDUlig mein Weg
mich hin:
da war gar ein Hafen, mit Schiffen vollgepropft,
mit Schmacken und Tjalkcn, mit Dampfern sogar,
und vor der Brücke hielt gerade ein großer Dampfer ;
die Fremden kamen an Land, ach so hübsch!
die Mannschaften zum Anbooten waren überflüssig, sie
brauchten sie nicht mehr;
kein Stewen, keine Ruderboote und auch kein Offizier.
Da stand ich und war vor Verwunderung stumm,
doch nun bekam ich auf einmal den Esel umgehängt:
ein Traum war es gewesen, was ich alles gesehen hatte,
und hiermit ist auch mein Stück zu Endo,
Doch einmal, auf dem Oberlande, nicht zu vergessen,
') was(t) ist der Weststrand, wes(t) meint die Himmelsrichtung; om was(t)
meint die Südseite des Unterlandes.
eine Schuircdensart aus der Zeit, wo man dem Schüler zur Strafe ein
Eselsfcll umhängte und ihn in die Ecke stellte; ,nun bekam ich auf einmal
den Esel am(gehängt)“, d. h. ich war der Dumme, ich kam in Verlegenheit.
12*
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172
stid brakan, wel hondart, uk naint wi jam hütan;
doql,i iär ik jam losten dear nocJ,i ans soqljt,
fin akars ik blöat en ketjan en locj^t.
det h<7 wi bilewat, dot liy wi erfOran,
welk hid det bi di änfai% wel ^int,
dat alas fln kürtar tid wöar sö wear würan,
dat djSarludfe di kleö fol kantüfal wear stijnt?
dearom sijii di ni<yi möar : „det wel ik ni<Jh lew,
bet ik at ans si, so lung wel ik tew.“
det hi? wi bilewat Ip i’ betjan lun,
dat fei ün kürtar tid hir kan entstun.
Sö lew ik dau, wan di nai bers es ans kl^r,
en wan di Halam es skitset redlit rQr,
O
di slQpatn järst lai es fln Abrahams sköät
en knap noqlj wflr fan det wetar mear weät,
en wan nocj) gyr djofl^n went m^l ans tf k^tar,
dan — lew ik uk — h<? wi en nai teijtar.
A. Groneweg.
VII. Di wontar tu en.
1. Di l9i%s$m wontar es tu en, di wart fer’t järst uk wel niks si;
en if komedi es farbi; wi hy di semar fer di hnn,
welk ne niks fan l’ spei hid sen, lebend! wart at al bi strun.
standen Baracken, wohl hundert, auch nannten wir sie Hütten;
doch als ich neulich noch darnach suchte,
fand ich Acker nur und Hederich und Luft.
Das haben wir erlebt, das haben wir erfahren,
wer hatte das zu Anfang wohl geahnt,
daß alles in kurzer Zeit wieder so geworden war,
daß dieses Jahr das Oberland wieder voll Kartoffeln steht?
Darum sage du nicht mehr: „das will ich nicht glauben;
bis ich es mal sehe, so lange will ich warttm.“
Das haben wir erlebt auf unserm biseben Land,
daß viel in kurzer Zeit hier entstehen kann.
So glaube ich denn, wenn die neue Börse mal fertig ist,
und wenn die Dune recht hübsch geschützt ist,
und wenn die Schaluppen erst wie in Abrahams Schooß liegen
und vom Wasser kaum noch naß werden,
und wenn noch gar unser Kater mal Junge kriegt,
dann — glaube ich auch — haben wir ein neues Theater.
VII. Der Winter zu Ende.
1. Der langsame Winter ist zu Ende, und unser Theater ist vorbei; wer nun
nichts von unserem Spiel gesehen hat, der wird für's erste auch wohl nichts
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173
2. di f^maldr löp med b^kan al,
di meas(t)an slQpam sen al uf,
di sp^d en rUv wür uk ne bal
fln yrboid sat. En fin en ruf,
dan hij i’ kleO wi r^ir ün stan,
en lamkansr spriiig wear ijwar
di fan.
3. uk wi mut re(y)ta, ne i’ sen
Ip firs wat es komfdispel;
di iän soql)t ny sin dernskan hen,
of hi uk no<^ tapslra skel;
di flr so<jl)t, dat hi mani(Jli gat
ün sofy, stül en dekan hat.
4. uk hir en döar es k^d en stod
ip fenstarn, daran fidar stak;
en wel hi hy ft'r't wlfulk fred,
dan mut hi farawa senar snak;
kürt ; arkiän went ne ip at lun
med (trboid fol sin hüd en hun.
5. dearom s^i wi dan uk adjts
fer’t iärst ne med fargnejtan sen,
en hepa, wan djim gung hen tis,
dat djim at uk ni(^ menar sen!
dan h$ wi mud en h^ di jär
tu m^kan djim no(^ oft plas^ar.
G. en hartalk daifgk nem uk
noqh med
fCT djeram bidraqji tu i’ spei
en det farsprekan, dat wi wet
tu sketsan djeram frentalk wel;
en wan wi dan ans t5p wear kem,
dan bllw is troi! en fela ken!
Knuti Michels.
sehen; wir haben den Sommer vor uns (vor der Hand), lebendig wird es
schon am Strande.
2. Die Mädchen laufen alle mit Mulden, in denen Tau ist, die meisten Schaluppen
sind schon fort, der Spaten und Harke werden auch nun bald in Arbeit
gesetzt; und in einem .Augenblick, dann haben wir unser Oberland schon
in Stand, und Lämmer springen wieder über das Moor (ywor di fan heiUt
eine Stelle an der AVestknste).
3. Auch wir müssen unseren Sinn jetzt auf etwas anderes als Theaterspiclcn
richten; der eine sieht nach seiner Stube, ob er auch wohl tapezieren soll;
der andere sieht, daß er manches Loch in Sofa, Stuhl und Decken hat
4. Auch hier und dort ist kahl eine Stelle auf Fenstern, Türen oder Zaun;
und wollen wir vor den Weibsleuten Kuhn haben, dann müssen wir an-
slreichen, ohne Rede. Kurz: ein jeder kriegt nun auf der Insel mit Arbeit
Kopf und Hand voll.
5. Darum sagen wir denn auch fürs erste jetzt adieu mit vergnügtem Sinn
und buffen, weun ihr nach Haus hingeht, daß ihr (es) auch nicht weniger
vergnügt seid; dann haben wir Mut und haben die Ehre, euch noch oft
Vergnügen zu uiachen.
6. Einen herzlichen Dank nehmt noch mit für euren Beitrag, zu unserem
Spiel und das Versprecheu, daß wir euren freundlichen Willen zu schätzen
wissen; und wenn wir dann mal wieder zusammen kommen, dann bleibt
uns treu, und cs fehle keiner!
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174
VIII. Det Lun.
1 . Ik wet en lun, det lait sö ed,
sö Öns^im fln det wetar,
dear stret di se med senar fred
en senar rast, dje letar
di tid wart, reft hi fan det lun
bi letjanar we<yj di kant, di strun !
2. wat reft hi ni(yi f6r mani(J})
gat;
bi was(t)an^) sen di stedan!
en wat hi iänm^l niman bat,
det lait lui% djip an fredan,
det hielt farlefan, det es hen,
ken raensk kan det turöj wear wen!
3. ho böalkt di se dear graualk
hol
bi’n stüram it westan — nilran!
ho es di loqljt so tÄjok, so fol!
ho drent it fan di teran!
ken sen, ken mün lat dan hem si,
det es, as wear di weit farbi.
4. Doql) st^nt det lun no<jj)
imar dear
en stret noqji med det wetar,
en du di sk^dan hem uk sear,
fil6^t wür ja wear betar.
noql) halt djij jän sin maqljti^ hun
dear bopam $war det le^ lun.
5. en fr^st di : „ho hit at dan,
wat di s5 graualk m^kast?“
dan gäl 1er froidan ik es man,
sö spitsk es di uk l^chast,
ted^k n^ det Lun ik fln min liart,
wear fei ik froid s^, fei uk smart.
fi. wear ik ip kleweskinth? speit,
wear ik ip mem her järam
üfskOran fan di heia weit
VIII. Helgoland.
1. Ich weiß ein Land, das liegt so öde, so einsam in der Sec, damit kämpfen
die Wogen sonder Friede und Rast. Im Laufe der Zeit reißt die Brandung
von der Insel bei Kleinem die Felskanto und den Strand.
2. Was reißt sie sic nicht für viele Löcher! am Weststrande sind die Stellen!
Und was sie einmal genommen bat, das liegt lange tief in Frieden, das
bleibt verloren, das ist hin, kein Mensch kann das wieder zurnckbekommeu.
3. Wie heult die See da grausig hohl beim Sturm aus Westen und Korden;
wie ist die Luft dann dick und voll, wie dröhnt es von dem Turm. Keine
Sonne noch Mond läßt dann sich sehen; das ist, als wäre die Welt vorbei.
4. Doch steht die Insel noch immer da und streitet noch mit dem Wasser;
und tnn die Schäden ihr auch weh, vielleicht werden sie wieder besser
Koch' hält ja einer seine mächtige Hand da droben über das kleine Eiland.
5. Und fragest du: wie heißt es denn, was du so graulich schilderst (machst)
Dann weine ich vor Freude, ich als Mann, so spöttisch du auch darüber
lachst, wenn ich denke an Helgoland in meinem Herzen, wo ich viel Freude
und viel Schmerz auch sah.
6. Wo ich auf dom Oberlande als Kind gespielt habe, wo ich auf Mutters
Arm, fern der ganzen Welt, nichts von Zank und Harm kannte, dies
Land war noch meine ganze Welt damals und unser Haus am Strande ein
mächtiger Staat.
*) am Weststrande, vgl. S. 171, Anm. 1.
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175
niks kid fan ätjni%k en haratn.
min heia weit wear doqIj det Inn
en ma<^ti^ at$t if hif bi strnn.
7. do<^ es mi dan ün’t twalawst
djsar
min f^r ans hid med niman
n$’n fastawal, en wunar dear
tu fgan mi wSar kiman,
dear ik min d^ no<jl) niijl) liid sen,
do wear min rau mej[äns uk hen.
8. dear ’t if‘) wear mi di loq^t
sö sw^r,
en wat min froid hid wefan,
8pelt3i(Jl), det moql>t ik si niijl)
möar;
hid ik fin bukan lefan
fan lunan fir en maql)ti(Jlj se,
to<j^t ik meiäns : det most di si.
9. iän djöar gii% n^ di flr so hen,
en l5äts wear ik ne wttran,
fei stedan en h^wan hid ik sen,
uk mani^ stüram erfüran;
doQl) wear min alaman ni(Jh farbi,
di heia weit wul iärst ik si.
10. do’ stürS min mera, her
fuli(yjt min f^r.
ne wear Ip’t lun niks blewan,
wat hol mi kid dear lui%ar moar,
ik toqht ne, flrs tu lewan.
adjfs s^it ik tu’n liwa strun,
en 89^ min d^ ni(Jl) wear min lun.
1 1 . min höd es ne al k$l en gri,
h^ ni^ möar lui% tu lewan;
6, kid ik’t Lun noqlj ans wear si,
dear es min hart do<^ blewan.
ken strun es, dear ik ni(Jl) h^ sen,
do(jj> nämi kid ik rau wear wen.
12. ö Lun, ftr ywar di ndrdse
hen
lukast di fan ewi(Jl> tidan;
7. Doch aU mich dann in meinem zwölften Jahre mein Vater einmal mit nach
dem Festlande genommen hatte, und als mir dort Wunder vor Augen
gekommen waren, die ich meiner Lebtage noch nicht gesehen hatte, da war
meine Ruhe auch mit einem Male dahin.
8. Dort zu Hanse war mir die Luft so schwer, und was meine Freude gewesen
war, Spielzeug, das mochte ich nicht mehr. Hatte ich in Büchern gelesen
von fernen L&ndern und gewaltiger See, dachte ich nunmehr: das mußt
du sehen.
9. Ein Jahr ging nach dem anderen so hin, ein Lootse war ich nun geworden,
viele Stüdte und H&fen hatte ich gesehen, auch manchen Sturm erlebt;
doch war mein Sehnen nicht vorbei, die ganze Welt wollte ich erst sehen.
10. Da starb meine Mutter, ihr folgte mein Vater; nun war auf der ganzen
Insel nichts geblieben, was mich noch länger hätte dort halten können;
ich dachte jetzt daran, anders zu leben. Adieu sagte ich dem lieben Strand
und sah mein Lebtag meine Insel nicht wieder.
11. Mein Kopf ist jetzt schon kahl und grau, ich habe nicht lange mehr zu
leben; könnte ich Helgoland noch einmal Wiedersehen! Da ist mein Herz
geblieben. Keinen Strand gibt es, den ich nicht gesehen habe, doch
nirgends konnte ich wieder Ruhe ßnden.
12. Helgoland, weit über die Nordsee hin schaust du seit ewigen Zeiten; ob
•) meistens Qn’t if „bei uns zu Hause.“
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176
of din biwftnar uk wel sen
no(^ troi jeram öla sitan?
of ja tu sketsan wet di jär,
dat ja fan Frefan stamat djöärt?
13. fan’t Lun, ho mani<y) skep
hat dear
help ün di nSad al finan,
wat sekar djip farlefan wöar,
hid ja hem ni(Ji) bistinan;
w5arjani<yj, dearmedsuatenmoit
heram lewan ofara fer en doit.
14. dj$, Lun, di best’t, wat fln
raln hart
sin d^ skel bllw fln setan;
ben Ik uk fir, en wQr med smapt
Ip’t st^rObad h^nsmetan,
ik beriga fer det letj Lun:
,höl, got, at fln din maqliti^ hun !“
15. dj$ Helgolun, 6 got baw^r
en, dear ’t bawflnt, fln frSdan!
löat rin jeram hart wef, rim en
w^ir,
leat bi di heIi(Jtj stedan,
wcar ja tu lesta rau gung hen,
töi%k, dat ja alam^l brflars sen.
Knut! Michels.
IX. Di nai doktar es kirnen.
Djuii^, hast ’t al hjärt? di nai doktar es kiman,
dear ne wear Intret fln „Asckan“ sin sted;
djistarin di klok elbam, do hy ik ’t farniman,
do hid ik för det liwa snak al kön fröd;
do wOr ik al frijgat : ho so<5l)t hi dan it?
wat hat hi fer’n nef en hek hat hi dan ’n mit?
deine Bewohner auch wohl noch ihren alten Sitten treu sind? ob sie die
Ehre zu schätzen wissen, daß sie von Friesen hcratammcn?
13. Von Helgoland, wie manches Schiff bat dorther schon Hilfe in der Not
bekommen, das sicher schon in der Tiefe verloren war, bitten sie ihm nicht
beigestanden, wSren die nicht, die mit Schweiß und Möhe ihr Leben für
einen Deut opfern.
14. Ja Helgoland, du bist es, das in meinem Herzen immer fest bleiben soll;
bin ich auch fern, und würde ich schmerzvoll aufs Sterbebett geworfen,
ich bete für das kleine Land: halte, Oott, es in deiner m&chtigen Hand.
16. Ja, bewahre, o Gott, in Frieden Helgoland und die, die es bewohnen! Laß
ihr Herz rein, weit und wahr sein, lasse sie bei den heiligen SUtten, wo
sie zur letzten Ruhe bin gehen, daran denken, daß sic alle Brüder sind!
IX. Der neue Doktor ist gekommen').
Junge, hast du’s schon gehört? Der neue Doktor ist gekommen,
der jetzt wieder eintritt, an Aschen seine Stelle;
gestern Abend um elf ühr, da hab ich es vernommen,
da hatte ich vor dem lieben Gerede gar keine Ruhe;
da wurde ich schon gefragt: wie sicht er denn aus?
was hat er für eine Nase, und was för einen Mund hat er?
') Damals — etwa gegen 1860 — war eine .Anzahl von jungen Damen,
Töchter von Ratleuten, Beamten usw., die mehr vorstellen wollten als ihre
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177
Ohai, wat skel det ne weer wör för’n riwan
om di aram man! irat skel hi wel tel^k?
wat skel 't öfdjiw fer en laram en kiwen,
wan hi set bi di jän en di flr Ip’m bei%kl
di jän s^it ; di meast m^ket hi mi doQ)> di kür!
di ilr spit : no<j^ laiJ^ ni(Jh; hi hil di fern bttr.
Ne, s^it dan wear iän, di ür wear do<^ betar,
di wear ht>l Ok en drü-g nk ken brel!
ho mani<51unijl speit di med is swartan petar!
ho mani(51im5l kirn dear en kns nied On’t spei!
ho mani(<hm9l koiart alön wi ip kleö,
ho manicy^mijl für ik med hem rin om kl^5.
mani(y>m$l giiSfe wi m^darkar ip falam,
dj^i, manic^im?! broq^t hi mi del Ip ’am ball
djy, manicjlim^l wear ik med hem fln ’a Halam!
ni<5h iän m^l kirn ik med ürs iän tu pal!
kflrt ; om man tu syin, hi wear noc^ di hast,
hi giiig no<^ flr ijwar di man med’ an kijast.
Oho, was wird das nun wieder fnr ein Reißen werden
um den armen Mann? was soll er wohl denken?
was wird das fnr ein Gelärm und Gezänk abgeben,
wenn er bei der einen oder anderen anf der Bank sitzt!
die eine sagt; am meisten macht er doch mir die Kur!
die andere sagt: noch lange nicht! er hat dich fUr ein Bauernmädchen
. gehalten’
Nein, sagt dann wieder eine, der andere war doch besser,
der war ganz anders und trug auch keine Brille!
wie manches Mal spieltu der mit uns schwarzen Peter!
wie manches Mal kam da ein Kuß mit ins Spiel!
wie manches Mal spazierten wir allein auf dem Oberlande >
wie manches Mal fnhr ich mit ihm um die Insel.
,Ja, manchmal gingen wir zusammen auf dem Palm,
ja, manchmal brachte er mich zum Unterlande anf den Ball!
ja, manchmal war ich mit ihm auf der Däne!
nicht ein einziges Mal habe ich mit einem anderen etwas gehabt!
kurz, um es nur zu sagen, er war noch der beste,
er ging noch weit Uber den Mann mit einem Quast*).
Altersgenossinnen. .\ls an Stelle des Badearztes I>r. v. Aschen ein junger
Assistenzarzt nach Helgoland kam, angelten sie alle nach ihm, und keine wollte
ihn der anderen gönnen. Darauf beziehen sich die Verse.
*) Das meint wohl einen Oflizier, denn die Offiziere trugen Quasten auf
den Achseln; rielleicht ist auch an einen höheren Beamten zu denken.
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178
s^it dan w5ar iän, „di tidan sen ijwer!
do fin uk ik noq^ iän mani^lunvl nf.
ne wür ik al öl; di nai noql^ tu k^parn,
do mos’ ik al li$ krinolln en dan ’n puf.
en det ne tu wen, sen di tidan ni(J]> n9,
ik mos’ dan aparti(5h al kyeln deartu hy.
Q, s^it wear flrs iän, det es man sek snakan,
di hast dj^ alans, wat ik nii^ kan wen;
ala gytir*) weken, dan wenst di dj$ pakan
med mustars en frilan*), det hat g9r ken en!
wen ik det man hid, skul di fraiars wel löp,
dan fr^gat ik ne al om skoflar tu köp.“
ö, s^iit dan w6ar jän, man sa<^t med din slüdar,
di m^kast waräfti(Jl> di skoflar ni(Jlj djir;
sö’n d6rti, di f^il al Ip’t hsd di es püdar,
en m^ka sö mani<y) hjär skimari fer.
fer’n djoar, skel ik tei%k, skelt nij’n potsdar di löp
en fr^ga, of hi uk hat prigan tu köp.
') Tgl. S. 170, Anm. I.
*) frilon, englisch frills, meint Falbeln, Krausi ii, Volants.
„Ja,“ sagt dann wieder eine, „die Zeiten sind vorbei!
da kriegte auch ich noch manchmai einen ab!
jetzt werde ich schon alt; den neuen noch zu kapern,
da mäQte ich schon eine Krinoline und dann noch einen Paff') haben.
Und das Jetzt zu bekommen, darnach sind die Zeiten nicht,
ich müßte denn schon besondere Quellen dazu haben.“
„0, das sind nur solche Sachen,“ sagt wieder eine,
du hast ja alles, was ich nicht bekommen kann;
alle vier Wochen, dann bekommst du ja Packen
‘nait Mustern und Krausen, das hat gar kein Ende!
wenn ich das nur hatte, dann sollten die Freier wohl laufen,
dann fragte ich jetzt schon, um Schaufeln*) zu kaufen.“
„0, nur sachte mit deinem Geklatsche,“ sagt dann wieder eine,
du machst wahrhaftig die Schaufeln nicht teuer!
so an dreißig (Jahre), die fallen dir schon wie Puder auf den Kopf
und machen so manches Haar vorne grau;
nächstes Jahr, sollt’ ich meinen, wirst du nach dem Barbier laufen
und fragen, ob er auch Perücken zu Kauf bat.“
*) Damals waren Krinolinen und hohe Puffarmel in der Mode.
•) Es heißt auf Helgoland „er hat eine Schaufel bekommen,“ wo wir
„einen Korb bekommen“ sagen (vgl. Siebs, Helgoland S. 113); darauf bezieht
sich dieser und der nbeniächste Vors.
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179
Ai, s^it wear flrs iän, en fptat her nef ün,
di kanst do<^ di fii%k, dear di kfikak nem hat!
mi toQ^t, di t^st man iäiat salavr en hei hef fin,
iär di ars jän sin stopast, wat doql> niijlj gud lat,
dan Inka mans es an poldn ny din poat,
en naistak al mgalt fin dtn mit med di döad!
oql), s^it wcar firs iän, wat skel sek öl snakan I
leat det ne man wef! leat ’s liwar biread,
ho’t ne fer is es om bastan tu m^kan,
dat wi fan salaw If skan ni(Jlj farread.
dan det es doql) w$r! wafi di w^rhait s^ü wel,
dan djiw wi Is alamijl arkar ni(Jlj fei.
dearom mi ne toqj^t, wan noql> ans wi möl lukat,
ho kan wi om bastan bitöga di nai,
lat dan at jändun wef, nv welk hi wel lukat.
of falsk teü, gri hiär üdar ’n snürb^rt hi mai;
di hiiupts^k es, ho wi hem tueskan is wen,
en ho wi om bastan kem dearmed tu'n en!
mi to<^t wel, det hast w'Gar, en klup tu erreijliten!
„Ei“, sagt nieder eine, und faßte ihre Nase an,
„du kennst doch den Vogel, der den Namen „Kuckuck* hat!
mich dSuchte, du zögest nur erst selbst einen heilen Strumpf an,
ehe du jemand anders seinen stopfst, was doch nicht gut aassieht;
dann sich nur wie ein Pfau nach deinen eigenen Ffißen;
in deinem Munde ringt schon ein Stück mit dem Tode').
„Ach“, sagt wieder sonst eine, „was sollen solche alte Heden!
laßt das nun nur sein! laßt uns lieber beraten,
wie cs jetzt am besten für uns zu machen ist,
daß wir von selber unsere Schande nicht verraten.
Denn das ist doch wahr -■ wenn man die Wahrheit sagen will,
dann geben wir uns alle miteinander nicht viel nach.
Darum däuchte mir jetzt, wenn wir mal zusUhen,
wie wir am besten den Neuen fischen können;
dann laßt cs einerlei sein, nach welcher er sieht,
ob er falsche Zähne, graue Haare oder einen Schnurrbart lieben mag;
die Hauptsache ist, wie wir ihn zwischen uns kriegen,
und wie wir damit am besten fertig werden.
Mir däuchte, das beste wäre wohl, einen Klub zu errichten !
') Der Witz ist auf deutsch schwer wiederzugoben. Nai.stak ist ein allein-
stehendes Felsstück im Süden der Insel (die sog. ingolsk kark), nahe dem sog.
Mönch; „ein alleinstehender loser Zahn ringt in deinem Munde mit dem Tode.“
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180
dan hat hi galOganhait, komt inaiTgk is in;
en om di dear stridarai dan tu slecjhtan,
lat hen is en drii%k en kopkan ip’a in.
mai arkjän sin hast fer hem salaw ans du!
is alamijl trekt do(j]> gawälti<yi i’ sku!
KnuU Michels.
dann bat er Gelegenheit, kommt auch unter uns;
und um nun die Streiterei zu schlichten,
laQt uns hin gehen und ein TuQchcn trinken heute .\bend;
mag jede ihr bestes f6r sich selber tun —
nns alle drfickt doch unser Schnh gewaltig!
Vampir, Werwolf, Hexe.
Mitteilungen aus Handschriften.
Von Dr. J. Klapper.
1.
In dem Aufsätze über die schlesischen Ge.schichten von den
schädigenden Toten [Mitteilungen Heft 21 (1909) S. .äOff.] habe ich
den Nachweis zu führen versucht, daß der Vampirglaube selbst in
seiner entwickeltsten Form, wie er sich bei den südslavischen Völkern
findet, restlos aus den Elementen des mittelalterlichen Aberglaubens
der europäischen Völker abgeleitet werden kann, ohne daß wenigstens
in geschichtlicher Zeit eine Entlehnung von außereuropäischen Vor-
stellungen angenommen zu werden braucht. Hier möchte ich auf
eine Stelle hinweisen, die den Glauben an solche wiederkehrende
Tote, die den Lebenden Schaden antun und sie sogar bisweilen töten,
auch für das französische Mittelalter nachweist. Diese bisher unbeachtete
Stelle findet sich bei dem im Jahre 1248 gestorbenen Theologen
Wilhelm von Auvergne, den auch J. Grimm an zwei Stellen der
deutschen Mythologie, gelegentlich der Darstellung des Glaubens an
die Dame Abonde und die Hellequin (3. .\ufl. S. 237 u. 785) be-
nützt. Nachdem Wilhelm vom Ephialtes gesprochen hat, wendet er
sich gegen den Widergängerglanben.
,.4u3 dem Angeführten muß dir nun auch klar geworden sein, was du von
Nachrichten zu halten hast, die man h&nlig über tote Menschen verbreitet.
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181
nümlich, daß bu' bUwoilcn irgend welche Lebenden tüten. Da n&mlich jetzt
derartige Tote noch nicht auferstehen, sondern die allgemeine Auferstehung
abwaitcn, so ist es offenkundig, daB sie weder kSq>erlich, das heißt in ihrem
Leibe erscheinen noch in solcher Weise jemanden tüten, besonders da ihre Leiber
zu der Stunde, wo sic etwas derartiges zu tun scheinen, vollstkndig im Grabe
liegen oder doch wenigstens ihre Gebeine“ *).
Im Jahre 1738, also etwa um die Zeit, als die südungarischen
und serbischen Vampirberichte in Deutschland bekannt wurden,
reisten von Olatz aus zwei Franziskaner nach Siebenbürgen, um dort
die kirchlichen Verhältnisse zu nsitieren. Ihr Itinerar ist uns in
der Handschrift IV. Q. 200 der Kgl. u. Univ.-Bibl. zu Breslau er-
halten. Darin werden auch (S. 32) zwei Erzählungen eines alten
Paters in „Szaszbes, das deutsch Müllumbach heisst“ (Szasz-Sebes,
Mühlbach, etwa 50 km ostnordöstlich von Hermannstadt mit ungefähr
7000 Einw.), wiedergegeben, deren erster ein sonst nirgends bezeugtes
eigenartiges Mittel anführt, um die Gräber auf den Kirchhöfen anf-
zufinden, in denen Vampire liegen. Diese Stelle lautet in wörtlicher
Übertragung:
„Auf Grund seiner eigenen Erlebnisse berichtete uns dieser Pater zwei
recht wundersame Tatsachen aus der türkischen wie der anderen Walachei.
Erstens n&mlich komme es Öfters vor, dass, wenn sich Menschen den Künsten
der Magie ergeben, durch die Magie auch die Körper von Verstorbenen an-
gesteckt werden. Um nun berausznfinden, wo ein solcher Körper auf dem
Kirchhofe begraben liegt, führen ihre Popen auf den Kirchhof ein schwarzes
Pferd, einen „Kappen“, der durch die Gr&berreihen aller derer ruhig hindnreh-
schreitet, die durch die Magie nicht infiziert sind, dagegen in keiner Weise
angelrieben oder gezwungen werden kann, über ein Grab zu gehen, das durch
einen derart angcstuckten Leichnam entweiht ist. Sie behaupten, das sei ein
Katurgesetz oder vielmehr natürliche Antipathie. Auf diese Weise sind sie
imstande, sulche Körper bald zu erkennen, auszugrahen und zu verbrennen“^).
Hs. I. F. 115 der Kgl. u. Univ.-Bibl. zu Breslau; Mitte des 15. Jhs.
Bl. 295r>: Ei b;s quoque patefacla esse tibi debent, que audis plorumque de
multis mortuis hominibus, quud aliquos de viuis intordum oc<ddunt. Cum enim
non resurgant adhuc mortui huiusmodi, sed generalem cipectant resurreccionem,
manifestum est corporaliter cos, id est in proprijs corpuribus nec apparere nee
huiusmodi neces inferre,| presertim cum corpura ipsuruui illa hora, qua hoc
agere videntur, vel in sepulcris integra iaceant, vel saltem ossa eomm.
^ Recensuitque a propria experientia dno sat mirabilia de Vallachia tarn
turcica quam altera. Primum quidem, quod cum homines magicis artibus dediti
sint, saepins contingat, quod per magiarn inficiantur cadavera mortuurum. Ad
experiendum ergo, ubi talo cadaver in caemeterio sepultum iaceat, popae eorum
asserentes esse contrapactum naturale, sen potius antipatiam naturalem, indu-
cunt ad caemetcrium eqvum nigrum, vulgo Kappen, qvi cum pur omnia sepulchra
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182
Zu dem uns aus Nikolaus Pols Jahrbüchern der Stadt Breslau
bekannten ältesten schlesischen Berichte von einem nachzehrendeii
Toten, der dort ins Jahr 1517 gesetzt ist*), mögen hier aus zwei
schlesischen handschriftlichen Chroniken die entsprechenden Stellen
folgen, die den Vorgang viel eingehender schildern und sich gegen-
seitig ergänzen. Es handelt sich um zwei verschiedene Fassungen
der „Schlesischen Chronik“ des Joh. Scholz, von denen die erste
mit der Signatur der Kgl. und Univ.-Bibl. zu Breslau IV. F. 117
im Jahre 1567, die zweite IV. F. 118 im Jahre 1601 entstanden ist.
In beiden wird die Geschichte von dem Gross-Mochberer Nachzehrer
ins Jahr 1516 verlegt. Diese Berichte lauten:
[IV. F. 117. Bl. 126»]. In dem Jar gruben die Pauren lum groß Mochpar
ein Schaffer aus, der am Piingsttagc gestorben: befunden die Pauren, daz der
selbige Schaffer also in den Kleidern begraben; da hetl er die kleidor dai meiste
teil gefressen vnd ihme im halse noch gesteckt, die also ausgerissen, vndt blnttig
befunden, ein erschrecklich ding. Man sagt auch, wie er im grabe geschmarzt
habe wie ein Sawe, vnd auf sulche hSren ward er ausgegrahen vnd in den HaLs
mit einem grahscheid entzweigestoßen, den köpf für den knrehhoff gelegt, ver-
hoffte, es solde nun auf hören zu sterhen; es ist wahrhafftig gesagt worden.
[IV. F. 118. Bl. 139r], Ein Seheffer wirdt vohrbrandt. Eben in diesem
Johr gruben die pauren von groß Mochber auff dem kirchoff den Seheffer auss,
welcher vor vihlen wochen gestorben, war ein zauhercr. vnd wann solches nicht
geschehen wehre, so wehr das ganze dorff außgestorhenn. Hate alle sein Sterb-
gewandt vmb] sich gefressen vndj ihm grabe wie eine Saw geschmazt. Der
Hencker stiss ihm den köpf ab mit einem grabscheidt vnd hat ihnn vorbrandL
Eine dritte Fassung der Scholz’schen Chronik Cod. ms. IV. F. 120
vom Jahre 1568 deckt sich in diesem Berichte (Bl. 163') fast Wort
für Wort mit der ersten der beiden hier mitgeteilten. Einen ähnlichen
Fall erwähnt die Handschrift F. 118. Bl. 320r unter dem Jahre
1572 aus Lossen bei Brieg.
Ein weih wird aussgegraben.
Den 17 Julj haben die pauren vnd gemeine zue Lossen ein weib, welche
eine arge Zauberin gewesen vnd gestorben war, widerumb auffgraben lassen,
dann sie ihm grabe geschmazt, das mabnn sie weidt gehöret; haben ir den köpf
mit einem grabscheidt abgestoßen, Iders in Sonderheit begrabenn; sie hate ir
Sterbegewandt gar vmb sich gefressen.
Dieselbe Handschrift berichtet auch (Bl. 443’) von wieder-
nun infecta magijs qvietus vadit, nullo modo impelli, vel cogi potest, nttranseat
tale sepulchrum cadavere infecto foedatum, nnde mox cognoscerc, effodere, et
comburere valent.
t) Siehe Mitt. Heft 21 (1909) S. 85.
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183
kehrenden plagenden Toten in der Stadt Striegau unter dem
Jahre 1594.
Ein gross mirackel geschchenn.
Ebenn zae diser zeit haben eich zur Strige in Schlesien etliche gestorbene
vnd begrabene leiihte wider anff Erdenn sehen lassen vnd die noch lebendige
Menschen auff Mancherlei weise erschreckt rnd geplagt; daranft ist von Etlichenn
berahtschlagt worden der thoten einen auszuegrabenn vnd ihm mit einem grab-
scheidt den hals abzucstoßen vnd vndter dem galgen zue vorsebarren, welchem
auch also nachgesezt. Aber nichts dormite auBgericht worden; dann sich der
Thote einen Weg alQ denn andemn noch immer sohenn lassenn. derhalben mahn
in wider vndter dem gallgenn ausgegrabenn vnd vorbrand, von der Zeit ahnn
ist diser thote nimanden mehr erschienen. Das ist hernach ahnn mehren
pershonen probirt wordenn.
2.
An den griechischen Glauben, daß ein Mensch zur Strafe auf
neun Jahre in einen Werwolf verwandelt werden konnte, erinnert
der eigenartige Werwolfbericht, den der obenerwähnte Siebenbürger
Pater den Franziskanervisitatoren an die mitgeteilte Erzählung von
der Entdeckung der Vampire durch einen Rappen anschließt. Dieser
Bericht bringt sowohl hinsichtlich des Grundes der Verwandlung wie
des Erkennungszeichens des Werwolfs Züge, die 'unsere Werwolf-
literatur bisher nicht kennt Der Text des Itinerars lautet in deutscher
Übertragung (S. 33):
„Das andere ist : daß in der gesamten Walachei der gerechte und in all
seinen Werken heilige Gott, um der ganzen Welt die Schädlichkeit des Inzestes
im ersten Grade der Blutsverwandtschaft zu zeigen, dieses schwere Vergehen
mit einer besonderen und wahrhaft entsetzlichen zeitlichen Strafe zu bestrafen
pflegt. Wenn der Schuldige der Mann ist so wird er nämlich auf der Stelle in
einen Wolf verwandelt, mit der Besonderheit, daß er keinen Schwanz hat und nach
sieben Jahren wieder menschliche Gestalt zurückerh<, wenn er nicht in dieser
Zeit getötet wird. Denn da ein solches Wolfsungeheuer fast nichts anderes frißt als
Menschenfleisch, besonders das Fleisch unschuldiger Kinder, bieten die Menschen,
wenn sie irgendwo ein solches Tier bemerken, alles auf, um es zu töten. Doch
gelingt ihnen das äußerst selten, weil jenes Tier ungeheuer schlau und vorsichtig
ist. Gelingt es aber doch einmal, daß ein solch nnglnckliches Tier getötet wird,
— wie es auch jenem Pater, der uns dies erzählt hat, gelungen ist, der einen
sulchen Wolf, ohne ihn zu erkennen, mit einer Kugel erlegte, als er einmal über
Land ging — dann nimmt ein Fuß des Tieres wieder menschliche Gestalt an,
während der ganze übrige Körper auch weiterhin unter der Wolfsgestalt ver-
borgen bleibt, wie uns jener Augenzeuge als unbezwoifelbar wahr berichtete“
’) Alterum est: Quod in ntraque Wallacbia Deus justus, et sanctus in
Omnibus operibus suis ad ostendendam nniverso mundo abominationem incestns
in primo gradu consangvinitatis talo grande delictum speciali et vere horribili
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1H4
Um ein Mittelding zwischen Berserker und Werwolf handelt es
Bich in einer Notiz, die sich in der bereits benützten Handschrift
IV. F. 118 Bl. 356» unter dem Jahre 157i) findet, und die den Glauben
an Werwölfe auch für Schlesien im 16. Jahrhunderte voraussetzt.
Ein wunder fall geacbehcnn.
Ihnn disem Johr ist dise histuria glaubwirdig gcscbebenn tu Gabell in
Behmen; ist alhir rill gutton loubttcn bebandt vnd zuogescbriben worden.
Ncmlieb os bat eines Burgers Tochter eines Burgers Sobnn gefreyt vnd mit ir
boebzeit gebaltenn. Vnd wie sieb nun Brandt vnd Breutigam Schlaffen gelegt,
ist der Breutigam in der Nacht zu einem grimmigen Thier oder Bebrr wolff
wordenn, die Brandt vmbgebracht, vndter das Behtt gekrochenn, wunder ding
gewubtet vnd gelobet, das nimandt zue ihm gedorfftt. Also bat man Rath ge-
baltenn, wie dem zu thun, dormite nimandt mochte von ihm besebedigt werden,
haben ihnn denn hennker thodt sebißen lassen.
3.
über Hexenprozesse erfahren wir in den schlesischen Chroniken
des 16. Jahrhunderts verhältnismäßig wenig; das 17. Jahrhundert
bietet an solchen Stoffen viel mehr. Eine Vorschrift für Beichtväter
vom Jahre 1513 fordert, daß die Weiber, die in der Walpurgisnacht
den Kühen die Milch entziehen, zunächst Schadenersatz leisten, ehe
sie von dieser Sünde gegen das Eigentum anderer losgesprochen werden
können^). Ein gewisses Aufsehen muß der Prozeß gemacht haben,
dessen Opfer eine 97 Jahre alte Breslauerin wurde, die man wegen
Zauberei in der Oder ertränkte. Die beiden bereits erwähnten
Breslauer Chroniken IV. F. 118. Bl. 263» und IV. F. 120. Bl. 290^
berichten darüber unter dem Jahre 1559:
Ein altes Weib erseufft.
poena temporali punire solet. Dclinquens onim masculini generis momentanee
in specicm lupi convurtitur, cum bac distinctione, quod caudem non habet et
transactis septem annis speciem bumanam denuo acquirat, nisi intra hoc tempus
occidatur. Siquidem quia talv monstrum seu lupua qvasi nibil vorat, nisi carnem
bumanam, praosertim innocentium infantum, bomincs, si alicubi talem besUam
advertunt, omni nisu eundem occidere conantur, quod tarnen rarissime contiugit
propter nimiam aatutiam et cautelam illius. Quod si tarnen contingat /.* prout
et contigit eidem Patri narranti, qvi talem lupum esse non agnoscens globo
traiecit qvia actualis campestris ut tale infelii animal occidatur, pes unus
recipit et reacquiscit speciem pedis bominis cactero toto corpore sub forma
lupi occultato permanente ; ut ille oculatus testis pro indubitata veritate nobis
recensnit.
0 Cod. ms. I. Q. 17*2. Bl. 102'. Et sic de omnibus alys circumstauejs,
acilicet quo soleut lac subtrabere in vigilia Walpurgis et similibus.
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Dl‘11 11. August! hat mahim zuc Breslaw ein sehr altes ncib iu die 97 Jahr,
wie inahnn ir nach gerechnet, die Zuckellhese genandt hinter dem Thumb wonende
alhic erseufft; war eine große Zauberin vud wie sie der hcnncker hineiu warff,
Schwahni sie Enipohr wie ein Schaum aulT dem wasser. woldt sie nun der
hennker thodt habenn, muste Er sie mit einer Stanngenn erseulfan.
Und der zweite Bericht, der fast denselben Wortlaut hat, heißt:
Den 11 Augusti hat man alhio zu Breslau ein altes weyb, die Zuckelhese
genandt, wonende hinter dem Thumb, erseufft; do man sie hinein warff, ging
sie nicht unter, sondern sebwam auff dem wasser daher wie ein Schaub, das
keyner ror nie gesehenn hat; vnnd das dorumb, das sie viel bSser thattenn
gethan hat.
Zwei Jahre später erlebt man auf dem Schweidnitzer Anger das
Schauspiel, daß ein Hirte, der des Knankheitszaubers angeklagt worden
war, verbrannt wurde. Die Chronik IV. F. 118. Bl. "iTO' bemerkt
unter dem Jahre 1561:
Ein hirte wirdt rohrbraudt.
In disem Jabrj wardt auch aihier ein Hirte vorbrandt worbafftig auf dem
Schweinzer annger. diser kondte den leuhtten ahnn Hende vnd fuße geschoß
machen, kondte sie auch widerumb hcilenn, wardt plozlicbcnn Reich.
Wegen Schädigung des Viehes durch Zauber aber, und weil
sie einem ganzen Gutshofe Läuse angezaubert hat, wird in der Nähe
Breslaus auf Befehl des Gutsherren von Wohlau ein Weib im Jahre
1601 verbrannt. Die Handschrift IV. F. 118. Bl. SOS* berichtet:
Ein große Zauberin vorbrandt.
Den 8 Juny hat der Burggraff zue Wolaw Fridrich Mutschellinz aulT seinem
dorff seine vnterthanin, ein altes weib, vorbrennen lassen; ist eine Zauberin
gewesen; hat Villen leuthenn ahn dem vihe groszen schadenn gelhahnn; besonders
vor ihrem Ende hat sie dem Junkernn gemacht, das er vnd all sein ganz hoff
voller lense wordenn, das ihm engstlich vnd bannge wordenn. wie es ferner
bleiben wirdt gibt die Zeit.
Krankheitsübertragung.
Rezepte aus altschlesischen Handschriften.
Von Dr. J. Klapper.
Unter den Zauberhandlungen, die zur Heilung von Krankheiten
vorgenommen werden, nehmen die magischen Krankheitsflbertragungen
einen besonderen Platz ein. Man sucht sich von dem Leiden dadureli
zu befreien, daß man unter bestimmten Bedingungen einen Teil des
MitteilUDgcii d. schlcs. Oes. f. Vkd«. Hand XII (Heft 2). 13
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kranken Körpers in einen anderen Organismus hineinbringt, sei es,
(laß man damit ein Tier füttert oder eine Höhlung einer Pflanze,
meist eines Baumes ausfüllt. Sobald die kranke Materie in dem
fremden Organismus aufgezehrt ist, ist auch die Krankheit ver-
gangen. An Stelle des Tieres oder der Pflanze kann fließendes
Wasser den Krankheitsstofif aufnehraen. Durch gleiche magische
Handlungen vermag man auch die Behexung zu beheben und schließlich
auch das Wachstum der Kopfliaare zu befördern. Daß solche
Handlungen dem heutigen schlesischen Volke noch durchaus gehäufig
sind, zeigen Drechslers Ausführungen im zweiten Bande von „Schlesiens
volkstümlichen Überlieferungen *)“. Daß in vergangenen .Jahrhunderten
dieses Übertragen, Verspinden, Verpflöcken der Kranklieiten zu den
beliebtesten Heilkuren der Schlesier gehört hat, sollen eine Reihe
von handschriftlichen Rezepten dieses Inhalts beweisen.
Der Breslauer Haunold beschäftigt sich in seiner umfangreichen
Kuriositätensammlung, die um 1700 entstand, wiederholt mit diesen
magnetischen Kuren. So erklärt er an einer Stelle“):
Die Bekandte Cura Magnetica geschiehet, wenn man das Blut von einem
Tcrwundten oder sonst mit Blutstörzung Beladenen kraucken, als in der rothen
rubr, Kasenblutten, Blutspeyn etc. auf dass Caput Mortuum wirft, da denu der
Patient« geneset, auch wenn er nicht zur stelle ist, sondern ziemlicb weit von
dem orthe, wo das aus.swerften dies geblütbes gesebiehet, sieb befindet.
Ist es hier der Totenkopf, auf den ein Teil des Krankheits-
stoffes übertragen wird, so gibt derselbe Autor bald darauf eine
eingehende Beschreibung einer Krankheitsübertragung im landläufigen
Sinne auf einen anderen lebenden Organismus“).
Die Cura transplanfatoria ist der Magneticac nicht ungleich und wird ver-
ricblet, wenn man ein ander frembdes Corpus mit etwas von des Patienten
Leibe, so eine Mumiam fomentalem bey sieb bst, als Blut, Speichel, Schweis,
Urin etc. bestreichet, und Nachmahls entweder in die Erde vergr&bt, oder in
ein frisches guwächse einspindet oder auch einem unvernünftigen Vieh zu
fressen giebet, da denn nach gCHchchener vcrfaulung, oder in dem Corpore
animali veränderter Textur per digustionem praeviam diu Krankheit verschwindet
und wenn es einem Vieh zu fressen gegeben worden, in des Viehes l>eib
gebracht wirdl.
Es liegt nahe, daß man denselben Weg einhält, um bei einer
anderen Person oder auch bei einem Tiere Liebe und Anhänglichkeit
») Vgl. besonders H, 1 S. 80: 257; 277; 280 ; 299; 313; 316.
®) Handschr. der Breslauer Stadtbibi. B. 678. Hunoldi euriosa I S. 225.
*) ebenda S. 225.
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1«7
hervorzurufen. Wahrend die hierher gehörigen Mittel, die sich in den
Handschriften des schlesischen Mittelalters zahlreich finden, zwar
recht derber Art aber ganz einfach anzuwenden sind, steht das
folgende aus spaterer Zeit, etwa aus dem Jahre U!23 stammende
unter dem Einfluß der Astrologie und zeichnet sich durch ein
besonders umständliches Verfahren aus*).
Mumia viva ad Amorem constantissimum.
Lass in einer guten Constellation Jupiters oder Voneris, welches man in
einem Calcnder sehen kan, die Median an dom lincken .\nn schlagen, und
thue das Blut also warm in einen ledigen Ejerstopff, welchen Eyerstoff man
zuvor boy der hand haben muss, und mach die Locher mit Rinden und Eyer-
weiss wiederumb zu und beschmier cs mit hnnorschmaltz, daß cs das huhn
nicht mercken, auch nicht herausskommen kan, und lege es hernacher einer
hennen mit unter, die da ausbrntten will, so wirst du, wann die Jungen
Küchlein ausskommen, in dem Ey eine Materia hart wie ein zugorichtes Bocks-
blutt finden, dasselbe nihm auss und verwahre es als einen Schatz; weme du
nun hirvon zu essen oder zu trincken eingicbest, der muss dir affectionieret
seyn, und von hertzen lieben, gleichwie das blut von deinem hertzen kommen
ist, also gehet es wiederum zu hertzen, und ist eine rechte natürliche Wissen-
schaft, die aber bei leibe Niemand missbrauchen soll.
Giebestu hirvon einem Thiere, so bleibet es bey dir, und will ungern von
dir. Und hat diss geheimnnss seine Natürliche Ursachen und ist unter des
kaysers Rudolphi decreten unter ander mit gefunden worden.
Demselben Anschauuiigskreisc gehört ein anderes Mittel der
gleichen Handschrift an, das ebenfalls in fremden Personen durch
Übertragung Liebe erwecken soll’).
Liebe und Freundschafft zu machen mit einer Moschaten.
Nihm eine Moschatc, so mittelmSssiger Grösse scy, schlinge dieselbe an
einem Freitag Morgen, in hora veneris, dass ist Morgens frühe, wenn die Sonne
aufgehot, ein und suche hcniaeher den folgenden Tag dieselbe, wenn sie durch-
gangen ist, ex stercorc wieder, wasche Sie rein ab, und lege Sie den folgenden
freytag eben in voriger angedeuteter stunden unter den linken Arm und
beschwitzc diesse Musscaten wohl, so viel möglich ist, und behalt Sie her-
nacher zum Gebrauch. Dieweil aber diese Moschatc, durch diese praeparation
Ihren natürlichen gcruch etwas vorliehrcn thut, alss nihm eine andere .Moschatc
und bereibe Sie darmit, so kan es niemand mercken. Weme du nun von dieser
Moschaten, Menschen oder Viehe eingiebst, das liebet dich natürlicher weisse.
Das älteste Bezept, das eine wirkliche Krankheitsübertragung
auf eine Pflanze enthält, findet sich in Schlesien in dem bekannten
*) Uandschr. der Breslauer Stadtbibi. R. 534 Bl. fi2 r.
2) Blr. 63r.
13*
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188
niiltelhochdeutsclieu Ar/.neibuclie der IJreslauer Stadtbibliothek aus
dem Anfänge des 14. Jahrhunderts *). Es lautet:
Flnirom heizet ze ducc rotschal . . . Swen di zene sneren. di sal daz enit
vmme crisen. vnde an eisen graben, rnde ruro an dem wetunden zan dri-
stunt. vnde zu iclichoui male spien au die erde, vnde setze dan das crut
wider an sine stat. iz wcchset als e. Plinius der sait. her geswere nim-
mer me.
Wie der Schluß zeigt, stammt das Rezept aus der Natur-
geschichte des Plinius und ist aus ihr fast wörtlich übernommen*).
Auch hier zeigt sich klar die starke Abhängigkeit unserer mittel-
alterlichen Heilkunde von der Antike, besonders von Plinius.
In den folgenden Jahrhunderten nahm die .\nwcndung solcher
Mittel immer mehr überhand, sie erhielt sich in der zünftigen
Medizin, bis ins 18. Jahrhundert. Eine schlesische Chronik des
16. Jahrhunderts enthält auf ihren letzten leergebliebenen Blätteni
eine Rezeptsammlung, die von einer Hand des 17. Jahrhunderts
nachgetragen ist’). Unter diesen Rezepten findet sich eine ganze
Reihe von solchen Anweisungen, Krankheiten zu übertragen. Dieser
spätere Eintrag erfolgte jedenfalls erst, nachdem die Handschrift in
den Besitz des Breslauer Matthiasstiftes gekommen war. An die
unfehlbare Wirkung solcher Kuren glaubten somit damals auch die
gebildeten Kreise. Die hier in Betracht kommenden Stücke der
Rezeptsammlung sind die folgenden.
Wieder dass fleber
[Bl. 41Gr). Xihm des Pebricilanten seinen urin in Paroxismo, so viel er
auf einmal von sich läßt, und weiche denselben mit genügsamen mehl, mache
ein Täuglciu und Brodt Kuchen darauss, und hacke es, wirtTs hernach einem
hungrigen hunde zu fressen für. Ists eine Mans Porsohu, die das fieber hat,
so muss der Hund ein Riedel sein, Ists eine Weibes Persohn, so muss der
hundt ein Luppichen sein und thu solches drermal nacheinander. Der Krancke
wirdt genesen, der hundt aber erkranefcen
>) K. 291 Bl. 138v.
Hist, nat lib. XXV c. 106: Erigeron a nostris vocatur seneeio. Haue
si fi-rro circuinscriptam effodiat aliquis, tangatque ca denteui, et altcruis ter
dospuat, ae reponat in eundem locum, ita nt vivat horba, aiunt dentem eiini
poslca non dolituruni. Neu hinzu kommt somit im uiittelhochdeutscbeh Texte
nur die Bestimmung, daß das Kraut ohne Eisen gegraben wird; das wird ja
auch beim Graben der Verbena gefordert.
•) Königl. u. Uuiv. Bibi, zu Breslau, eod. ms. IV. P. 120. Schlesische
Chronik vom .fahre 801 — 1566; geschrieben von Johannes Scholz 1568. Aus
dom Matthiasstift zu Breslau. Die Rezeptsammluug beginnt Bl. 406 ra.
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189
Item
N'im die abgescbniUcnen Xägel an hiindim und fassen, binde sie einem
lebendigen Krebs auf seinen Rucken, wirf den Krebs also wieder in das fließe
wasscr. Den Krancken wirdt das feber verlassen und darvon gesandt werden.
Oder
Sihni die abgeschnitUm Xägel an blinden und fassen, begcnss sie mit
seinem eigenen Urin, spinde sie zusammen in einen Raum, so wirdt Patient
von dem lieber (juittiret werden.
Dass ailerhandt feber
Wenn sie lang gowchret, sol der haber wol gesotten curiren, wimn man
denselben in einem Säcklein einen tag oder drey warm übern Magen legt und
bemach einer Sau zu fressen gibt [416 v]. So sol eine Spinne in eine Hasel-
nuss eingeschlosscn und am halse getragen eine gewisse cur wieder dass
feber sein.
Item
Xihin die abgcschuitten Xägel eines patienteu an bänden und füssen,
wirf sie in einen Omsshauffen, und die jenige Omss, welche dass Erste Bisslein,
davon ergreifft und wils weg tragen, die nihm, nnd hänge sie an deinen hals,
so wirdt das feber vergehen.
Wieder die Oichtschmertzen
[41Gv]. Xim ein Stück rohes Rindfleisch, lege dasselbe auf den Schmerz-
afl'ten Orth der Füsso, lass es eine zimliehe Weile liegen, nihm es weg, und
lege cs einem hunde auf. Idicses Mittel ist an einem Gichtbrichtigen Bürger
zu Xnrnberg probiret worden, der Patient ist genesen, der hundt aber alss ein
Gichtbrichtiger in der Stadt herunib gelauffen. So sol auch durch diss mittel
eines hiindes, wenn derselbe einem Podagrico wirdt beygelegct, der Patient von
seinen Schmerzen befreiet werden und genesen.
Noch ein ander remedium
Wieder die Gichtschmertzen: sperre einen hausshan ein, und gib im
sonst nichts als von deinem Tisch und Teller, wass du issest und Trinckest
zeu Essen und zu trincken, kaue im auch selber die speise, so wirdt der Hahn
dio podagrisehen Schmertzen bekommen, der Patient aber davon erlediget werden.
Item
So sol anch wieder die podagrisebe Schmertzen dieses [417r] dienen:
Wenn mau die nägel an dem Schmertzhaften Ort abschneidet und einem
frösch an den hals beuget und wiederumb in die Lache läst springen, so
sollen die Schmertzim vergehen.
Wieder die Gelbsucht
[417r]. Xibm des Kranken Streue, Lege ein Stüeklein Xeu Rindfleisch
darein, koche es wol, wirfs heniach einem hungrigen hunde für. Wenn er.s
gefressen, so bekomt er die Gelbsucht.
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100
Wieder die Schwindt- und Oelbsucht
[4l7rj. Lass die Modianador, thue das Geblüt fein bescheidentlich in eine
Eierschale, und lege dieselbe einer brnttenden hennc bey 14 tagen lang unter
und gibs bemach einer hungrigen heiiue zu essen. Das Tertreibet die Kranckheit.
Wieder die Zahnschmertzen
[4I7r], Kihm einen Splitter, sUchere den Btisen Zahn damit, biss er bluttot,
gehe damit zu einer grünen Weyde, lüffte die Rinde ein wenig, läge das
bluttige SpSnehen darein, thue die Rinde wieder darüber, das das SpSnehen
damit bedeckt werde und verwachse, die Schmertzen vergehen.
Item
[417v]. Schneidt einem Patienten die uägel ab an bänden und fUssen und
zwar iui abnehmen des Monden, und thue sie zusammen wol verwahret in eine
federkiel von einer Ganss und den II. oder 12. Marty zwischen 8, 9 oder
10 Uhr vorniittig gehe einer mit dem Patienten zu einer Pappelweide. Der
gefeite bohre mit einem Neber an den stam des Raums ein Loch, die späne
läse er wol zusammen, und sU'cke sie in die federkiel, da die abgeschnittene
nägcl inne sindt. Dieses Loch schlage er mit einem keulichcn von einem Ast
dieses Baums gemacht wieder zu, und schneide das herauss ragende geholtze
dem Baum gleich ab, und bestreiche es mit Erde. Der Patient hütU' sieh,
dass er zu diesem Baum nicht mehr komme. Der geferte aber mag sicher zu
demselbigen gehen und ob er grüne oder nicht sich erkundigen.
Verwandt mit diesen Mitteln ist eine -Anweisung aus dem
Jahre 1.183, wie man die einem Mensclien oder Tiere angezauherte
Krankheit beseitigen könne ').
So einem etwas böses angethan oder ihme die pferde werden
aussgespant
Das geschifertc vom Klöpjxd von einer gloekhen und von den fördersten
klauen des wieders, der von der weide kombt, geschähet, dieses mit einander
getrunckhen und lege von einer weide, die da in Wasser liget und immer be-
weget wirdt, dir selbe este unter das Leilacht und unter das bette.
Item, bore ein loch durch ein bruekhc und brunz dadurch ins wass.'r,
oder zeug ein pfähl auss einem zaun und brunz in das loch und kehre den
pfähl umb und steckhe das ober thcill ins loch. Den freytag heniach, wann
du es gelhan hast, wieder hineinbrunst und umbgekehret. darnach den pfähl
verbrandt, hilfft wohl.
Endlich sei noch eine Stelle angeführt, die beweist, daß man
das Verspinden auch anwandte, um das Wachstum der Haare zu
fördern. Sie stammt aus der bereits benützten Handschrift der
Breslauer Stadtbibliothek B 534, die gegen li!2.S geschrieben ist.
’) Breslauer Stadtbibi. M. 1026 Bl. 142v.
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1!)1
Eine Magische Cur Haare wachsen machen
[Bl. 64 t]. ElzUche Magi koniiiien her und schneiden den Haaren die
untersten Zipffel oder ende abe, bohren hemaeher in einen weideneu Baum,
der noch jung und wachssbar ist, ein Loch, stecken diese Haar dar hinein,
pfrupffen das Loch ausswendig wieder zu, und wie der Baum geschwinde fort
wAchsel, also wachsen auch die Haar, will man aber, dass die Haare nicht
mehr wachsen sollen, muQ man den Baum umbhauen.
Ein moderner Hexenprozeß in Posen.
Von l)r. Albert Hellwig (Berlin-Friedenau).
Der Glaube an Ho.sheitszauberei, an verderbliche He.\enkunst,
ist eine der universalsten Erscheinungen des Völkergedankens*). Daß
auch im modernen Europa noch krassester Hexenglaube herrscht —
vielfach leider durch religiöse Dogmen bestärkt*) — haben volks-
kundliche*) und kriminalistische*) Schriften gerade der letzten
Jahrzehnte über allen Zweifel klar gestellt. Eine wie starke sug-
gestive Wirkung der Hexenglaube noch im 20. Jahrhundert hat,
beweist am besten die überaus traurige Tatsache, daß nicht nur
zahlreiche Fälle jahraus jahrein die Gerichte beschäftigen, in denen
betrügerische Ausnutzung des Hexenglaubens durch Zigeuner und
andere erfolgreiche Spekulanten auf die Leichtgläubigkeit der Aber-
gläubischen zur Sprache kommt*), sondern auch Proze.sse wegen He-
*) Vgl. jetzt das ausgezeichnete Buch von Scligmauu «Der böse Blick
und Verwandtes“ (Berlin 1910, zwei B&udc).
*) Vgl. mein Buch über «Verbrechen und Aberglaube“ („Aus Natur und
Gcistoswelt“ Bd. 212, Leipzig 1908) S. 30ff., 6,14, sowie meine Abhandlungen
Aber «Psychologie und Therapie der Besessenheit“ («Kosmos“, Stuttgart 1907,
S. 228 ff.), „Der Heienmord zu Forchheim' («Der Pitaval der Gegenwart“
Bd. V. S. 170 ff.). Eingehender werde ich darüber demnächst wahrscheinlich
in der «Zeitschrift für Religionspsychologie“ handeln.
*) Vgl. vor allem Wuttko, «Der deutsche Volksaborglaube der Gegenwart“,
dritte Bearbeitung von Elard Hugo Meyer (Berlin 1900) sowie v. Hovorka
und Kronfeld, „Yorglcichümle Volksmedizin“ (.Stuttgart 1909).
*) Da die Kriminalisten begreiflicher Weise die kriminelle Bedeutung
betonen, sollen die Belege weiter unten angeführt werden.
*) Vgl. mein zitiertes Buch 8. 18 ff, 93 f; zahlreiche weitere Fälle werde
ich demnächst im «Gcrichtssaal“ beibringen in dem zweiten Teil meiner zu-
sammenfassenden Abhandlung über den modernen Hexenglauben und seine
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leidigung, Uedrohung, Nötigung, Freiheitsberaubung, Körperverletzung
und selbst Ermordung von Hexen*) bis auf unsere Tage verkommen.
Der Volksforscher kann selten aus Akten schöpfen. Wenngleich
freilich Zeitungsberichte, wenn vorsichtig benutzt, meines Erachtens
eine durchaus zuverlässige Quelle abgeben, die noch viel systematischer
ausgenutzt werden könnte’), so wird doch der Kriminalist, dem die
Akten über einen konkreten Fall, bei dem volkskundlichen Interesse
mit hineinspielen, zugänglich sind, nicht nur sicherer festgestelltes,
sondern auch vor allem reichhaltigeres Material bieten.
Ich hoffe deshalb, daß es den Lesern nicht unwillkommen sein
wird, wenn ich im Folgenden einen mir aktenmäßig zugänglichen
modernen Hexenprozeß aus Posens jüngster Vergangenheit schildere.
Ich will dabei diesmal so Vorgehen, daß ich nicht ein resümierendes und
daher unwillkürlich mehr oder minder subjektiv gefärbtes Gesamtbild
des Prozesses gebe, wie er sich mir aus den Akten zu ergeben
scheint, sondern in der Art, daß ich alle wesentlichen Schriftstücke
aus den .Akten wortgetreu mitteile, um so den Leser in den Stand
zu setzen, gewissermaßen selbst in diese Einsicht zu nehmen.
kriminelle Bedeutung. Vgl. auch meine Skizze .Ein Diebstahl unter Benutzung
des Hoionglaubens“ in der .Zeitschrift des Vereins für rheinische und west-
fälische Volkskunde“ Bd. G S. 13 ff.
*) Vgl. Manhardt, .Die praktischen Folgen des Aberglaubens“ LSwen-
stimm, ..tberglaiibe und Strafrecht“ (Berlin 1897), Gaupp, .Zur Lehre vom
psychopathischen Aberglauben“ (Archiv für Kriminalanihropologie und Krimi-
nalistik* Bd. 28 S. 20 ff.), sowie meine Skizzen .Ein moderner Hexenprozeß*
(ebendort Bd. 19 S. 223 f.), „Der böse Blick als Mordmotiv“ (ebendort Bd. 28
S. 220 ff.) „Zur Psychologie des Hexcnglaubens“ (ebendort Bd. 3G S. 127 ff.),
.Helenglaube und Blutspuren“ (ebendort Bd. 30 S. 376) .Eine gefährliche
Körperverletzung infolge Heienglaubens“ („Archiv für Strafrecht und Straf-
prozeß“ Bd. 54 S. 132 ff ), „Der Hexenmord zu Forchheim“ („Der Pitaval der
Gegenwart“ Bd. 5 S. 170 ff.), .Blutmord und Aberglaube, Tatsachen und Hypo-
thesen“ („Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft“ Bd. 80 S. 149 ff.),
„Ein Fall von Körperverletzung infolge des Hexenglaubens“ (Monatsschrift für
Krhninalpsychologie Bd. 3 S. 219 ff.), „Zwei psychiatrische Gutachten über den
Hexenmord zu Forchheim nebst Erläuterungen“ (..Ärztliche Sachverständigen-
Zcitung“ 1909 Nr. 10). Weitere Materialien werden meine im „Archiv für
Kriminalanthropolopie“ demnächst erscheinenden Skizzen über „Heienmorde in
Frankreich“ sowie „Weiteres über den Hexenmord zu Forchheim“ und meine
oben erwähnte Abhandlung im .Gerichtssaal“ bringen.
*) Vgl. meinen Aufsatz über .Zeitungsnotizen als Quelle für volkskundliche
und kriminalistische Forschungen“ in dem ..Archiv für Kriminalanthropologio
und Kriminalistik“ Bd. 35 S. 276 ff.
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193
i. Klageschrift nebst Nachtrag.
Schöndorf, den '11. Mai 1907.
Sehr geehrter Herr Rechtsanwalt.
Ich erzähle hhier Hochwohlgeboren den Vorfall. Tm Jahre
1904 kaufte ich in Schöndorf b. Bromberg ein Grundstock, welches
keinen Brunnen hat. Ich kam mit den, in der Glinkerstraße 12
wohnhaften Grundbesitzer Derengowski’schen Eheleuten überein, mein
Trinkwasser aus ihrem Bninnen zu entnehmen. Die Ehefrau des
Derengowski leidet schon seit vielen Jahren, also schon vor meinem
Kauf in Schöndorf, an Kopf- und Gliederreißen.
Beweis: die Arbeiterfrau Wilhelmine Wilitzke in Schöndorf, Breitestr. 16.
Im Jahre 1906 so um das Frühjahr stellten sich diese Reißen
wieder ein und, infolge des weiter vorschreitenden Alters der Frau,
wurden auch die Schmerzen (durch den nicht mehr so widerstands-
fähigen altemden Körper) wohl mehr empfunden wie früher. Anstatt
nun zu einem unserer Doktoren zu schicken, wurde zu einer
Wunderfrau geschickt, welche mit dieser leidenden Frau ihren
Humbug trieb.
Beweis: die Arbeiterfrau Witkowski, Schöndorf, Breitestr. 17.
Nachdem nun dieser Wunder-Doktorin ihre Weisheit und
Anordnungen vor sich gingen, wurde meiner Schwiegermutter
Bertha AVitzke und mir das Wasserholen oder Betteten ihres Ge-
höftes verboten. Nach kurzer Zeit hierauf kam die Frau Eva Rasclike.
Beweis : Frau Eva Raschke, Kleinbartelsee, Schulstr. 24 und erzählte; Der
Derengowski Joh. senior sei zu mir ins Geschäft gekommen, worauf
ich ihm frenndlichst mit der Hand über den Kopf gestrichen haben
soll, und kurze Zeit darauf hätte er die Klattem bekommen und
diese Frau unter vielen seiner hier mehr als Deutsche wohnenden
Polen gesagt, sie möchten bei diesem Mimix nichts kaufen, weil
er bei Richard Kipf die Klattern bekommen habe und anderes mehr.
Beweis: Der Eigentümer Johann Mayka in Kleinbartelsen, Bergstr. 10
und Frau Raschke;
Ich habe mich an die albernen Quatschereien nicht gekehrt
und ließ dieses Gerede, sowie auch, daß meine Schwiegermutter
diese großen Schmerzen an Händen und Füßen der Derengowski-
Ehefrau angehext haben soll.
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194
Nun, nachdem ich und meine Schwiegermutter sowie meine
Frau seit 1906 so manche versteckte Anspielung und Spitzen
hören mußten, ohne recht jemand fassen zu können, verschlimmerten
sich die Schmerzen der Derengowski und die Frau schrie zeitweise
so, daß es vor dem Hause derselben zu hören war; nun sollte die
Bombe platzen und mich vor die Gefahr stellen, von welcher ich
keine Ahnung hatte. So erging sich meine Schwiegermutter mit
meinem l'/j jährigen Kinde auf dem Arm in Schöndorf, Breite-
straße, als am '24. Mai in der Nähe meiner Häuser der Johann
Derengowski auf meine Schwiegermutter zutrat und sagte (pscha-
kreff!) Sie alte Hexe, Sie haben meine Frau behext, und nach ihr
spuckte.
Meine Schwiegermutter erzählte mir die freche Belästigung,
doch konnte ich in dieser Sache nichts beginnen, da ich keine
Zeugen hatte. Eine Anzeige bei der Vorgesetzten Behörde aber
würde vergebens ohne Zeugen sein, da die Familie sehr gottes-
lästerliche Beden und Flüche im Munde hat.
Als ich nun am 25. Mai, also einen Tag später, am Laden-
fenster stand, kommt der Johann Derengowski an meinem Fenster
Vorüber (andere Straßenseite) und schimpft j)schakreff Miraix und
droht nach meinem Fenster. Ich trete hinaus, um mich zu über-
zeugen, ob ich damit gemeint wäre, oder ob vielleicht noch jemand
am Hans stände. Nachdem ich mich überzeugt, daß ich nur ge-
meint war, was ich dadurch beweise, daß der Derengowski auf
mich zukam und mir sagte: „Na, was sehen Sie sich um, gerade
Sie meine ich und ich sage Ihnen jetzt zum letzten Mal, daß
Ihrer Schwiegermutter ihr Leben heute ein Ende gemacht wird.
Es muß Schluß gemacht werden mit der alten Hexe. Ich fordere
nochmals, daß Sie mir Ihre Schwiegermutter rausgeben, daß ich
sie totsteche, wir brauchen das Blut von der Hexe.“ Ich s.agte
ihm: „Sie sind wohl irre geworden, ich gebe Ihnen gleich ein
paar Back])feifen,“ worauf er seine Drohung noch unter grauen-
erregenden Flüchen fortsetzte: „Und heute werdet ihr alle kalt
gemacht, ich steche sogar das Kind in der Wiege mit der Heu-
gabel tot.“
Beweis: Max Weißert, Schöndorf, Glinker.str. 1.3, ferner die Fuhr-
leute August tjuiram, Frankenstr. 100, Fuhrleute Johann Tor-
schewski, Bergkolonie 34, Frau Wilhelmine Wilitzke, Schöndorf,
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195
Breitestr. 15; ferner sind noch der Ziegeleiarbeiter Zesar, Schön-
dorf, Breit estr. 16 und der Schüler Bolislaus Heleniak, Schöndorf,
Breitestr. 14, zugegen gewesen, doch ist der Schüler Heleniak mit
dem Verklagten verwandt.
Als ich nun noch gar über die Straße ging und den Namen
einer Frau, welche gerade das Derengowski’sche Gehöft verließ,
notieren wollte, kam die Tochter der leidenden Frau, jetzige Frau
Marie Oparski, Schöndorf, Breitestr. 17, Eigentümerin und sagte:
„.la, ja. Sie, ich werde das bezeugen, daß ihr meine Mutter be-
hext habt“ (ja, ja), schreiben Sie nur mit Bonbon und Liqueur.
Zu Beweis: Frau Anna Zergattka in Schöndorf 11, bei Herrn Fisch,
diese Frau, welche als Hauptbelastungszeugin gelten könnte, sagte
mir, sie würde gegen die kranke Frau nicht zeugen, worauf ich
ihr sagte, das wird das Gericht bestimmen.
Nach dieser Attacke, so um die zehnte Stunde vonnittags,
den 25. 5. kam der Sohn Theodor Derengowski aus der Stadt und
hörte das Wimmern seiner Mutter. Er trat mit erhobener Faust
vor ihr Haus, mit dem Gesicht mir zu, weil ich in der Ladentüre
stand und schrie: „Wenn Sie das alte Weib, die Hexe, nicht so-
gleicli rüberschicken und meiner Mutter die Klattern abnimmt,
dann komme ich rüber und dann werde ich Richter spielen, ich
schlage die Hexe einfach tot.“
Zu Beweis: Der Arbeiter Otto Schulz, 20 .lahre alt, in Klein-
bartelsen:
Die kranke Frau hat trotz ihrer Reißen noch soweit Mut, sich
an ihre Hausecke zu stellen und zu rufen: „Den Mimi.x s(dl samt
der alten Hexe das Gewitter ersclilagen und alles verbrennen.“
(Ich weiß nicht, ob diese Schimpferei über die Straße auch straf-
bar ist).
An demselben Tage, also am 25. Mai um ca. 1 Uhr kam der
Johann Derengowski abermals und zwar mit umgedrehtem Peitschen-
stock auf meinen Laden zu; ich verschloß die Tür, worauf der
Angeklagte zu seinem Busenfreund, den Grundbesitzer Micliael
Sommerowski’schen Eheleuten, Schöndorf, Breitestr. 14 etwas vis
ü vis ging und weiter drohte, er würde, wenn meine Schwiegermutter
nicht bald käme, das Haus stürmen mit seinen Söhnen und Ver-
wandten, um alle darin zu töten.
Beweis: Arbeiterin Wilhelmine Wilitzke, Breitestr. 16, Arbeiter
Wladislaw Heleniak, Schöndorf, Breitestr. 12.
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19(i
Dieser Arbeiter, den ich vorher nicht gekannt, kam nachmittags
zu mir und bat mich (aus welchem Grunde, weiß ich nicht, trotz-
dem derselbe venvandt mit dem Derengowski ist), ihn als Zeugen
anzusetzen, weil er mich ersuchte, heute Nacht, also vom ‘25. zum
26. Mai auf meiner Hut zu sein, weil er gehört hat, wie der
Derengowski bei seinem Freund Sommerowski die Überrumpelung
mit seinen Söhnen besprach.
Hierauf schrieb ich einen Zettel an den Ober-Gendarm Herrn
H. Giermann, Thomerstr., welcher in dieser kritischen Zeit bis
spät in der Nacht ein wachsames Auge für die gefährliche Situation
hatte. Nur der pflichttreuen Hilfsbereitschaft dieses vorzüglichen
Beamten ist es zu danken, daß bis dato keine Metzeleien vor-
gekommen sind.
Dies ist der Sachverhalt bis heute, den 2ti. Mai 1907.
Wir Verzeichneten bitten, in anbetracht der groben Be-
leidigungen und Geschäftsbeeinflussungen der 4 Angeklagten Straf-
anträge dem Gesetz gemäß zu stellen.
Hochachtungsvoll
Richard Kipf, Schöndorf, Glinkerstr. 16.
Bertha Witzke.
Nachtrag: Der stark polnische Schöndorfer Nachtwächter war
während dieser vorgenannten Schimpfereien am Krankenbett der Frau
Derengowski und verließ das Haus erst, als ich von der Straße in
mein Haus gegangen war.
Ich bitte recht höflich, diesen Joseph Kaschielski, Schöndorfll,
als Zeugen zu laden, damit ich sehe, ob er Farbe bekennt; bei mir
spielt er den Unschuldigen und erfahre erst jetzt bei Schluß 'des
Briefes, daß selbiger alles gehört hat.
Schöndorf, den 28. 5. 07.
Herrn Rechtsanwalt Friedlaender
Hochwohlgeboren
Bromberg.
Sehr geehrter Herr Rechtsanwalt! Ich möchte noch als Zeugen
den deutschen Schiffer Carl Müller, Schöndorf, Breitestr. 17, haben.
Dieser C. Müller wollte am Sonntag, den 26. Mai früh, bei mir
einkaufen. Auf dem Wege zu mir traf er den Joh. Derengowski.
Dieser sagte ihm, der Müller möchte nicht bei dem Kipf kaufen,
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197
denn seine Schwiegermutter hätte seiner Frau was angehext, nun sei
seine Frau ganz verkrüppelt; wenn er die alte Hexe gleich erschlagen
hätte, wäre seine Frau nicht erst in so eine Krankheit verfallen.
Er brauche zur Heilung das Blut der Hexe.
Hochachtung .svoll
Richard Kipf.
II. Ermittelungsverfahren (Zeugenvernehmungen und
verantwortliche Vernehmung der Beschuldigten).
Bromberg, den 15. Juni 1907.
Es erscheint der Schankwirt Richard Kipf aus Schöndorf, 4(5 Jahre
alt, evangelisch, wegen Meineides nicht bestraft und erklärt auf Be-
fragen :
Die Derengowski’sche Familie in Schöndorf ist mir seit längerer
Zeit feindlich gesinnt, indem sie behauptet, meine Schwiegermutter,
die Witwe Bertha Witzke, wohnh^ bei mir, hätte die Frau Deren-
gowski, ich selbst den Ehemann Derengowski mit Klattem behaftet,
bezw. dieselben behext. Aus diesem Grunde werde ich von der
ganzen Derengowski’schen Familie seit Jahr und Tag verfolgt.
Am 24. Mai d. J. erzählte mir meine Schwiegermutter, daß der
Johann Derengowski sie auf der Straße angehalten und zu ihr folgendes
gesagt luabe: „Sie alte Hexe, Sie haben meine Frau behext.“ Außer-
dem soll Derengowski nach meiner Schwiegermutter gespuckt haben.
Am 25. Mai d. J. des Vormittags stand ich in meinem Laden.
Von ferne sah ich Derengowski auf meinen Laden zukommen, der
schon von weitem mit dem Peitscheustocke drohte. Ich trat vor die
Tür und Johann Derengowski trat an mich heran mit den Worten:
„Ich sage Ihnen zum letzten Male, daß Ihrer Schwiegermutter ihr
Leben heute noch ein Ende gemacht wird, es muß Schluß gemacht
werden mit der alten Hexe, ich fordere Sie nochmals auf, daß Sie
mir Ihre Schwiegermutter ran.sgeben, daß ich sie totsteche, wir
brauchen das Blut von der Hexe.“ Ich sagte zu dem Derengowski:
„Sie sind wohl irre, ich gebe Ihnen ein piiar Backpfeifen.“ Der
Derengowski entfernte sich einige Schritte, blieb dann wieder stehen
und sagte: „Sie verfluchter Mimix, ich steche Ihnen den Bauch auf
und lasse Ihnen die Flecke (?) raus, wenn Sie sich heute Xacht zur
Wehr setzen, dann schlagen wir alles tot, was im Hause ist, ich steche
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sogar (las Kind mit der Heugabel tot; lange genug hat es hier mit
den Deutschen gedauert, die mfissen hier ausgerottet werden.“
Für den Vorfall am “2n. Mai d. .1. gebe ich folgende Personen auf:
1. Arbeiterfrau Wilhelmine Wilitzke aus Schöndorf, Breitestr. 16,
2. Arbeiter Wladislaw Heleniak daselbst, Breitestr. 12,
3. Landwirt Ma.x Weißert daselbst, Glinkerstr. 13,
4. Fuhnnann August Quiram, Bromberg, Frankenstr. 100,
5. Fuhrmann Johann Torschewski daselbst, Bergkolonie 34,
6. Ziegeleiarbeiter Zesar, Schöndorf, Breitestr. 16,
7. Den Schüler Bolislaus Heleniak daselbst, Breitestr. 14.
Am 25. Mai d. J. am Mittag standen Johann Derengowski und
der .Arbeiter bezw. Eigentümer Michael Samorowski zusammen. Ich
hörte, wie Michael Samorowski sagte: „Sie verfluchter Mimix, Sie
hat der Teufel auf die Erde gebracht und der wird Sie wieder holen.“
Zeugen hierfür: der Schüler Bolislaus Heleniak aus Schöndorf,
Breitestr. 14, sowie die Arbeiterfrau Heleniak daselbst.
Am 25. Mai d. J. gegen Mittag trat der Theodor Derengowski
vor die Tür und rief mir folgendes zu: „Wenn Sie das alte Weib,
die Hexe, nicht sogleich rüberscliicken, daß sie der Mutter die
Klattern abnimmt, dann komme ich rüber und werde Richter spielen,
ich schlage die Hexe einfach tot.“
Als Zeugen dafür benenne ich den Arbeiter Otto Schulz aus
Kleinbartelsee, Bergstraße.
Bromberg, den 21. Juni lt(07.
Vorgeladen erscheinen und erklären auf Befragen:
1. Der Landwirt Max Weißert aus Schöndorf, Glinkerstr. 13,
23 Jahre alt, evang., wegen Meineides nicht bestraft.
z. S.: Am 25. Mai d. J. des vormittags hörte ich, daß der
Johann Derengowski, welcher vor dem Kipfschen Lokal stand,
schimpfte. Die einzelnen Ausdrücke habe ich nicht verstanden.
Max Weißert.
2. Die Arbeiterfrau Wilhelmine Wilitzki, daselbst, Breitestr. 15,
47 Jahre alt, evang., wegen Meineides nicht bestraft.
z. S.: Am 25. Mai d. .1. hörte ich, wie der Johann Derengowski
auf der Straße folgendes schrie: „Die alte Witzke hat meiner Frau
Bonbons und Liqueur gegeben, sie hat meine Frau verhext und die-
selbe so weit gebracht, daß sie jetzt zu Bett liegen muß.“ Be-
dr(diende Worte habe ich nicht gehört. Frau Wilitzki.
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lSt9
3. Der Ziegeleiarbeiter Kasimir Cesar, daselbst, Breitestr. 15,
44 Jahre alt, wegen Meineids nicht bestraft.
z. S.: Am 25. Mai d. J. des ^littags kam ich an dem Kipfsehen
Lokale vorbei, der Johann Derengowski ging auf der Stralle auf und
ab und schimpfte. Ich hörte die Ausdrücke; ,Die alte Hexe hat
meine lYau behext und die muß jetzt liegen.“ Ich trug den vor
der Tür stehenden Kipf, was der Mann will, worauf ich die Antwort
bekam: ,Der Mann hat das Delirium.“ Ich ging weiter und kann
daher nichts weiter bekunden. Kasimir Cesar.
Bromberg, den 29. Juni 1907.
Es erscheint der Arbeiter Theodor Derengowski aus Schöndorf,
Glinkerstr. 12 und erklärt verantwortlich vernommen:
z. S. : Ich bin am 29. Mai 1889 zu Schöndorf b. Bromberg
geboren. Eltern .Johann und Magdalena geb. Gawryer. Bin ledig,
kathol. Keligion, ohne Vermögen. Wegen Körperverletzung mit
5 Wochen Gefängnis vorbestraft.
z. S. : Ich bestreite bedrohende Worte ausgesprochen zu haben
und erwarte Beweis. Derengowski.
Der Eigentümer Johann Derengowski erklärt verantwortlich ver-
nommen:
z. P. : Ich bin am 8. Oktober 1K51 zu Gr. Bislaw Kr. Tuchei
geboren. Eltern Anton und Gertnid geb. Bock. Bin mit Magdalena
geb. Gawryer verheiratet, habe 3 Kinder. Bin kath. Religion. Mein
Grundstück hat einen Wert von 20000 Mk. Nicht bestraft.
z. S.: Ich bestreite bedrohende Worte ausgesprochen zu haben.
Ich behaupte nur wiederholt, daß die Frau Witzke meiner Ehe-
frau etwas eingegeben hat, wovon meine Frau krank geworden ist.
Jan Derengowski.
Der Schulknabe Boleslaus Heleniak aus Schöndorf, Breitestr. 14,
13 Jahre alt, kath., sagt:
Ich kann zur Sache nichts bekunden. Ich habe nur gehört,
wie der Theodor Derengowski sagte: „Verfluchtes Weib, wenn Du
rauskommst.“ Andere bedrohende Worte habe ich nicht gehört.
Boleslaus Heleniak.
Broraberg, den 2tJ. Juli 1907.
Es erscheint der Arbeiter Wladislaus Heleniak aus Schöndorf,
.Tohannisstr. 1, 22 Jahre alt, kath., wegen Meineides nicht bestraft
und erklärt auf Befragen:
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•200
z. S.: am 25. Mai d. .1. in der Mittagsstunde liörte ich wie der
Derengowski sen. zum Sommerowski sagte: „Wenn das alte Weib
meiner Khefrau die Schmerzen nicht abnimmt, dann, wenn meine
Jungen von der Arbeit kommen, dann gehen wir rum und schlagen
sie tot.“ Namen hat der Derengowski nicht genannt.
Wladislaus Heleniak.
Bromberg, den (i. August 1007.
In der Strafsache gegen Derengowski und Ges. wegen Bedrohung
und Beleidigung erschien der nachl>enannte Zeuge.
Der Zeuge, mit dem Gegenstände der Untersuchung und der
Person des Beschuldigten bekannt gemacht, wurde wie folgt vernommen:
Zeuge Kipf.
Ich heiße Bichard Kipf, bin 4(i Jahre alt, evang. Religion,
Gastwirt in Schöndorf, mit den Beschuldigten weder verwandt noch
verschwägert.
z. S.: Nachdem dem Zeugen die Aussagen der Zeugen Bl. 8 ff.
vorgelesen waren, erklärt er:
Die Zeugen haben die Wahrheit gesagt, ob sie aber etwas ver-
schwiegen haben, kann ich mit Bestimmtheit nicht sagen.
Ich bitte eidlich zu vemelimen: den Arbeiter und Eigentümer
Sommerowski in Schöndorf, Breitestr., sowie dessen Ehefrau.
Meine Mutter wünscht die Bestrafung der Beschuldigten.
Ich halte meine Angaben, welche ich auf dem Distriktarat am
15. Juni 1907 gemacht habe, aufrecht. Ich bin in meiner Gegend
fast der einzige Deutsche und werde von den Polen stark angefeindet.
Man hat mir die Zäune zerbrochen und die Tür und Schau-
fenster mit Menschenkot besudelt.
Etwa Mitte Juli 1907 stand in der Mittagszeit der Arbeiter
Bruno Derengowski vor seinem Gmndstück, welches meinem Grund-
stück gegenüber liegt. Er rief über die Straße, er müsse die alte
He.xe töten, ehe er zum Militär ginge. Er müsse Herz, Lunge und
Augen haben und sich braten, das Blut müsse seine Mutter trinken.
Wenn der Teufel ihn bekäme, so würde er einen Schwager haben,
wie er noch nie einen in der Hölle gehabt hätte. Diese Reden wird
der Besitzer Albert Kurz in Klein Bartelsee, Schulstr., bestätigen.
Bromberg, den 23. August 1907.
Es erscheint der Angeklagte Bruno Derengowski aus Schöndorf,
Glinkerstr. 12 und erklärt verantwortlich vernommen:
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z. P.: Bin am 22. Oktober 1885 zu Bromberg geboren. Eltern
Johann und Magdalene geb. Gawryer. Bin ledig, kath. ßeligion,
ohne Vermögen. Bin angesetzt und soll im Herbst d. J. beim Train-
Batl. meiner Militärpflicht genügen. Nicht vorbestraft.
z. S.: Ich war damals total betrunken und weiß nicht, was ich
getan habe. Der Hugo Elsner aus Klein Bartelsee, Lagestr., wird
bekunden können, was ich damals gesprochen habe.
Bruno Derengowski.
Der Eigentümer Johann Sommerowski aus Schöndorf, Breitestr. 14,
42 Jahre alt, kath., wegen Meineides nicht bestraft, erklärt:
Im Monat Mai d. J., das Datum kann ich nicht mehr genau
bezeichnen, erzählte mir der Derengowski sen. folgendes: „Die
Schwiegermutter von Kipf hat mir erzählt, daß der Kipf sein Haus
in Fordon angesteckt hat. Kipf ließ sich von der Feuerversicherung
Sachen bezahlen, obwohl dieselben nicht verbrannt waren, die
Schwiegermutter hat die Sachen nach Schöndorf gebracht und ver-
schenkt, meine Frau hat auch einen Unterrock bekommen, die kennt
Kräuter, wenn sie die kocht, dann werden die Glieder ausgesetzt.
Mehr weiß ich nicht, namentlich kann ich über die Bedrohungen
keine Auskunft geben.
Johann Derengowski.
Schöndorf, den 30. September 1907.
In der nebenbezeichneten Strafsache bestreite ich und meine
mitangeschuldigten Söhne, die in der Anklage erwähnten Vergehen
begangen zu haben. Es ist allerdings richtig, daß meine Ehefrau
seit zwei Jahren vollständig bettlägerig ist und daß dieselbe sich in
dem Glauben befindet, daß sie von der Frau Witzke durch ver-
abreichte Speisen und Getränke eine Blutvergiftung sich zugezogen
habe, dieserhalb hat meine Ehefrau der Frau Witzke auch mein Haus
verboten, um mit ihr nichts weiter zu tun zu haben, und nicht mehr
mit ihr in Berührung zu kommen.
Als die Frau Witzke meiner Ehefrau eines Tages Piroggen brachte
und weder sie noch ich diese genießen wollten, und ich dieselben
deshalb meinem Hunde verwarf, wurden sie sogar von diesem Tiere
verschmäht und in der Erde zugekratzt.
Die Frau Witzke habe auch erklärt, daß es eine Krankheit gibt,
welche den Menschen vergiftet und ihm dierKnochen auseinander-
setzt. Der Zeuge Kipf ist mir sehr feindlich gesinnt und trachtet
MittuilungoD d. seSleä. Oeä. f. Vkda. Baud Xll (Heft 2].
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202
danach, mein Grundsttlck, das an das seinige grenzt, in seinen
Besitz zu bekommen, und will mich durch die erhobene Klage in
meinem Vermögen schädigen. Er hat auch zu dem Zeugen Heleniak
gesagt, er würde mich schabemacken und wenn ich ihn mit der
Peitsche schlagen sollte, würde er sich ins Bett legen, das Geschäft
zu machen und dann würde er binnen ein bis zwei Jahren mein
Grundstück bekommen. Beweis; das Zeugnis des Arbeiters Heleniak.
Ich kann das Zeugnis des Schankwirts Kipf und der Witzke nicht
annehmen. Ich bin mir unter den obwaltenden Umständen einer
strafbaren Handlung nicht bewußt und beantrage, mich und meine
angeschuldigten Söhne von der erhobenen Anklage freizusprechen.
Jan Derengowski.
III. Protokoll Ober die Hauptverhandlung erster Instanz.
Bromberg, den 19. Oktober 1907.
In der Strafsache gegen den Eigentümer Johann Derengowski
in Schöndorf geb. 8. 10. ül.
2. den Arbeiter Theodor Derengowski ebenda, geb. 29. 8. 89.
3. den Arbeiter Bruno Derengowski ebenda, geb. 20. 10. 1885,
wegen Beleidigung und Bedrohung erschienen bei Aufruf der Sache
die Angeklagten.
Die Verhandlung begann mit dem Aufraf der Zeugen. Es
meldeten sich:
1. Schankwirt Richard Kipf,
2. Frau Bertha Witzke,
3. Arbeiterfrau Wilhelmine Wilitzke,
4. Ziegelarbeiter Kasimir Cesar,
5. Schnlknabe Boleslaus Heleniak,
6. Arbeiter Wladislaus Heleniak,
zu 1 — 4 aus Schöndorf, zu 5 und 6 aus Schöllersdorf.
Die Zeugen entfernen sich zunächst aus dem Sitzungssaal, nach-
dem sie mit dem Gegenstände der Untersuchung und der Person der
Angeklagten bekannt gemacht und auf die Bedeutung des Eides sowie
insbesondere darauf hingewiesen worden waren, daß der Eid sich auf
die Beantwortung solcher Fragen beziehe, welche dem Zeugen über
seine Person und die sonst im § 67 StPO vorgesehenen Umstände
vorgelegt würden.
Die Angeklagten, über die persönlichen Verhältnisse vernommen,
gaben an, wie in der Anklage.
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203
Die Vorstrafen wurden anerkannt.
Der Beschluli vom 9. September über die Eröffnunt; des Hanpt-
vertahrens wird verlesen.
Die .\ngeklagten, befragt, ob sie etwas auf die Beschuldigung
erwidern wollen, erklärten:
Angeklagter zn 1: Ich bestreite die Äußerung getan zu haben.
Angeklagter zu 2: Ich bestreite die Beschuldigung.
Angeklagter zu 3: Ich weiß von nichts, ich war damals sinnlos
betrunken.
Die Zeugen wurden ' hierauf einzeln vorgerufen und — in Ab-
wesenheit der später zuhörenden Zeugen — wie folgt vernommen:
Ich heiße Bertha Witzke, bin 57 Jahre alt, evang., mit dem
Angeklagten nicht verwandt und nicht verschwägert, wegen Meineides
nicht bestraft.
z. S.: Als ich am fraglichen Freitag — 24. Mai — bei den
Angeklagten vorüber kam, sagte mir der Angeklagte zu 1 : „Du alte
Hexe, nimm meiner Frau die Krankheit ab. Du hast sie behext,“
und spuckte nach mir.
Von den anderen Äußerungen habe ich nichts gehört.
2. Zeuge Kipf nach Leistung des Zeugeneides.
z. P.: Ich heiße Bichard Kipf, bin 47 Jahre alt, evang., mit
den Angeklagten nicht venvandt und nicht verschwägert, wegen Mein-
eides nicht bestraft.
z. P.: Am 25. Mai d. J. kam der Angeklagte zu 1 zu meiner
Frau ans Fenster und sagte, „sie müsse der Witzke sagen, sie möchte
rüberkommen und meiner Frau die Klattem abnehmen, sonst schlage
ich .sie tot.
Ich stellte ihn dieserhalb zur Bede; er wiederholte die Äußerung
und sagte noch: „Du verfluchter Mimix, ich steche Dich tot, wenn
die Witzke nicht rüberkommen wird, dann steche ich sie tot, wir
brauchen das Blut von der Hexe, meine Frau muß es trinken.“
Der Angeklagte zu 2 hat an demselben Tage in bezug auf
Witzke gesagt: „Wenn das alte Weib nicht rüberkommt und meiner
Frau die Klattem abnehmen wird, werde ich rüberkoramen und Bichter
spielen und die Hexe totstechen.“
Mitte Juli äußerte Derengowski: „Bevor ich zum Militär gehe,
muß das alte Weib noch tot gemacht werden, wenn sie nicht kommen
wird, und meiner Mutter die Klattem abnehmen wird.
Bruno Derengowski, damals sehr betrunken.
14*
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3. Zeugin Wilitzke nach Leistung des Zeugeneides:
z. P.; Ich heilie Wilhelniine Wilitzke, bin 47 Jahre, evangel.,
mit den Angeklagten nicht verwandt und nicht verschwägert, wegen
Meineides nicht bestraft.
z. S.: Ich habe gehört, wie der Angeklagte Johann Derengowski
in bezug auf Frau Witzke sagte; „Die alte Hexe hat meiner Frau
Bonbons gegeben, hat meine Frau behe.xt, sodaß sie das ganze Jahr
zu Bett liegen muß.“ Von den anderen Äußerungen kann ich nichts
bekunden.
4. Zeuge Cesar nach Leistung des Zengeneides:
z. P.; Ich heiße Kasimir Cesar, bin 44 Jahre alt, kath., mit
den Angeklagten nicht verwandt nnd nicht verschwägert, wegen Mein-
eides nicht bestraft.
z. S.: Als ich eines Tages zur Arbeit ging, hörte ich, wie
Johann Derengowski sagte: „Das graue Aas ist gesund und meine
Frau muß leiden.“ Er meinte die Frau Witzke.
5. Zeuge Boleslaus Heleniak unbeeidigt.
z. P.: Ich heiße Boleslaus Heleniak, bin 13 Jahre alt, kath.,
Bruno Derengowski hat meine Schwester zur Frau, mit den andern
Angeklagten nicht verwandt und nicht verschwägert.
z. S.: Ich habe gesehen, daß Johann Derengowski dem Kipf
mit einem Peitschenstiel gedroht hat vor dem KipPschen Hause. Er
schimpfte auch, habe aber nicht verstanden, was er gesagt hat.
6. Zeuge Heleniak nach Leistung des Zeugeneides:
z. P.; Ich heiße Wladislaus Heleniak, bin 22 Jahre alt, kath.
Religion. Bruno Derengowski hat meine Schwester zur Frau, mit
den andern Angeklagten bin ich nicht venvandt und • nicht ver-
schwägert, wegen Meineides nicht bestraft.
z. S.: Ich habe gehört, wie Johann Derengowski sagte: „Wenn
meine Söhne von der Arbeit nach Hause kommen werden, dann werden
sie zu der Witzke gehen und die Hexe totstechen.“
IV. Urteil erster Instanz.
Die Angeklagten sind schuldig und zwar:
Johann Derengowski der Beleidigung in zwei Fällen und der
Beleidigung in Tateinheit mit Bedrohung in zwei weiteren Fällen.
Theodor Derengowski der Beleidigung in Tateinheit mit Bedrohung
und werden dafür:
Johann Derengowski zu 30 Tagen Gefängnis,
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•’or)
Theodor Derengowski zu 10 Tagen Gefängnis verurteilt.
Bnino Derengowski ist der Beleidigung in Tateinheit mit Be-
drohung nicht schuldig und wird deshalb freigesprochen.
Die Kosten des Verfahrens fallen, soweit Verurteilung erfolgt
ist, den Angeklagten Johann und Theodor Derengowski, im Übrigen
der Staatskasse zur Last.
Gründe.
Folgender Sachverhalt ist in der Hauptverhandlung durch die
Angaben der Angeklagten, die eidlichen Zeugenaussagen der Frau
Bertha Witzke, des Gastwirts Richard Kipf, der Arbeiterfrau Wilhelmine
W ilitzki des Ziegelarbeiters Kasimir Cesar und des Arbeiters Wladislaus
Heleniak, sämtlich aus Schöndorf, sowie durch die uneidlichen Aus-
sagen des Schulknaben Boleslaus Heleniak ebenda erwiesen worden:
1. Der Angeklagte Johann Derengowski hat zu Schöndorf am
21. Mai li)07 zu der Zeugin Witzke gesagt: „Sie alte Hexe, Sie
haben meine Frau behext,“ und hat dazu vor der Witzke ausgespnckt.
2. Ebendaselbst hat der Angeklagte Johann Derengowski am
nächsten Tage, dem 2.5. Mai 1907, den ganzen Vormittag über vor
dem Hause des Kipf getobt. Er hat hierbei unter anderm folgende
Äußerungen dem Kipf gegenüber ausgestoßen:
a) „Ich sage es Ihnen zum letzten Male, daß Ihrer Schwieger-
mutter, der Frau Witzke, Leben heute ein Ende gemacht wird, es
muß Schluß gemacht werden mit der alten Hexe. Ich fordere Sie
nochmals auf, mir Ihre Schmegermutter herauszugeben, daß ich sie
totsteche; wir brauchen das Blut von der Hexe.“
b) „Sie verfluchter Mimix, ich steche Ihnen den Bauch auf und
lasse Ihnen die Flecke raus; wenn Sie sich heute Nacht zur
Wehr setzen, dann schlagen wir alle.s tot, was im Hause ist. Ich
steche sogar das Kind mit der Heugabel tot.“
3. An demselben Vormittag hat er auf der Dorfstraße aus-
gerufen: „Die alte Hexe, die Witzke, hat meiner Ehefrau Bonbons
und Liqueur und Piroggen gegeben; sie hat meine Ehefrau behext
und dieselbe soweit gebracht, daß sie jetzt das ganze Jahr zu Bett
liegen muß!“
4. Ebenfalls zu Schöndorf hat an demselben Tage, den 25. Mai
1907, der Angeklagte Theodor Derengowski zu Kipf mit Beziehung
auf die Bertha Witzke gesagt : „Wenn Sie das Weib, die alte Hexe,
nicht gleich rüberschicken, daß sie der Mutter die Klattern abnimmt.
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20ß
dann komme ich rüber und werde Richter spielen. Ich schlage die
Hexe einfach tot.“
5. Der Angeklagte Bruno Derengowski hat zu Schöndorf in dem
ersten Drittel des Juli 1907 mit Bezug auf die Witzke ausgerufen,
er müsse die alte Hexe töten, ehe er zum Militür ginge.
Bezüglich des letztgenannten Angeklagten, des Bruno Deren-
gowski, hat die Hauptverhandlung ergeben, daß er sich zur Zeit der
Bedrohung in einem Zustande krankhafter Störung der Geistestätigkeit
befunden hat, durch welchen seine freie Willensbestimmung aus-
geschlossen war. Er war nämlich zur Zeit der Äußerung stark be-
trunken. Zu der Annahme, daß zu jener Zeit seine freie Willens-
bestimmung ausgeschlossen gewesen ist, ist das Gericht aufgrund
seiner eigenen, glaubhaften Angaben gelangt. Er hat angegeben,
er sei an jenem Tage von einem Tanzvergnügen zurückgekehrt, an
dem er in seiner Eigenschaft als Musiker teilgenommen habe. Im
Anschluß an das Tanzvergnügen habe er viel alkoholhaltige Getränke
genossen, und zwar deshalb besonders viel, weil einer der Musiker,
mit dem er zusammen gespielt habe, Geburtstag gefeiert habe. Er
sei so betrunken gewesen, daß er auf dem Hofe des von seiner Familie
bewohnten Grundstücks zusaminengebrochen sei und dort mehrere
Stunden zwischen Enten und Hühnern geschlafen habe.
Da demzufolge seine Handlung nach § 51 StGB eine strafbare
Handlung nicht war, mußte er der ihm zur Last gelegten Tat,
nämlich der Beleidigung in Tateinheit mit der Bedrohung eines
Verbrechens, für niclit schuldig erklärt und von der Anklage des
Vergehens gegen §§ 185, 188, 241, C, 73 StGB freigesprochen
werden.
Zu den Handlungen des Angeklagten .Johann und Theodor Deren-
gowski ist zu bemerken, daß ihre Äußerungen darauf zurttckgehen,
daß die Frau Derengowski, die Eliefrau des Johann und Mutter des
Theodor Derengowski, seit einiger Zeit an Rheumatismus und Weichsel-
zopf litt, und daß die Angeklagten aufgrund der Erklärung einer
angeblich heilkundigen Frau der Meinung gewesen sein mögen, die
Bertha Witzke habe sie mit den Krankheiten behext. Mochten die
Angeklagten entgegen jeder vernünftigen Anscliauung auch wirklich
dieser Überzeugung Raum geben, so lag doch kein Anlaß vor, in
einer derartigen Weise gegen die Witzke vorzugehen.
Wir müssen daher einer sonst unbescholtenen Frau gegen der-
artige Verdächtigungen einen weitgehenden Schutz gewähren.
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Durch die Äußerung zu 1, 2 a und 3 haben Johann, durch die
Äußerung zu 4 Theodor Derengowski vorsätzlich und rechtswidrig
ihrer Mißachtung gegen die Frau Witzke Ausdruck verliehen. In
der Äußerung zu 3 hat Johann Derengowski zugleich mit Bezug auf
die Witzke nicht erweislich wahre Tatsachen behauptet, die geeignet
waren, sie verdächtig zu machen und in der öffentlichen Meinung
herabzuwürdigen. In der Äußerung zu 2 b lag eine vorsätzliche und
rechtswidrige Kundgebung seiner, dem Kipf gegenüber kundgegehenen
Geringschätzung durch Androhung der Mißhandlung. Es stellen
sich daher sämtliche Äußerungen als Beleidigung dar, und zwar die
Äußerung zu 1, 2a, 2b, 3 und 4 als Vergehen gegen § 185, die
Äußerung zu 3 zugleich als ein Vergehen gegen § 18ß StGB. Straf-
antrag ist von Bertha Witzke und Richard Kipf unter dem 15. August
1907, also rechtzeitig, gestellt worden.
Durch die zu 2 b erwähnte Äußerung hat Johann Derengowski
den Kipf zugleich mit der Bedrohung des Verbrechens des Tot-
schlages bedroht. Die Äußerung zu 2a, 1 und 4 sind der Bertha
Witzke durch die Personen fiberbracht worden, denen gegenüber sie
gefallen sind. In jeder dieser Äußerungen war gleichfalls eine Be-
drohung mit der Bedrohung des Verbrechens des Totschlages zu er-
blicken. Bei dem aufgeregten Wahn des Johann Derengowski und
des Theodor war anzunehmen, daß die Absicht derselben hierauf
gerichtet war, Furcht in den Bedrohten zu wecken, auch waren die
Äußerungen geeignet, in den bedrohten Personen Furcht vor der
Verwirklichung der angedrohten Verbrechen hervorzurufen. Theodor
Derengowski hat, wie seine Vorstrafen beweisen, bei Bedrohung der
Tat die zur Erkenntnis ihrer Strafbarkeit erforderliche Einsicht be-
sessen.
Nach alledem war tatsächlich festzustellen, daß die Angeklagten
Johann und Theodor Derengowski zu Schöndorf
A. Johann Derengowski am 24. Mai 1907 die Frau Bertha
Witzke beleidigt hat (cfr. Äußerung ad 1).
1. Am 25. Mai 1907 durch drei weitere selbständige Hand-
lungen zugleich
a) 1. die Frau Bertha Witzke beleidigt,
2. sie mit der Bedrohung eines Verbrechens bedroht hat (cfr.
Äußerung zu 2 a),
b) 1. den Gastwirt Kipf beleidigt.
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2. ihn mit der Bedrohung eines Verbrechens bedroht hat (cfr.
Äußerung zu 2b),
c) 1. die Witzke beleidigt,
2. mit Bezug auf sie nicht erweislich wahre Tatsachen be-
hauptet hat, die genügend sind, sie verächtlich zu machen und in
der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen (cfr. Äußerung zu 3).
B. Theodor Derengowski durch ein und dieselbe Handlung am
2,'). Mai 1907
1. die Witzke beleidigt,
2. sie mit der Bedrohung eines Verbrechens bedroht hat (cfr.
Äußerung zu 4) — Vergehen gegen §§ 185, 186, 194, 61, 241, 74,
73, 57 StGB. —
An Strafen erschienen nach Lage der Sache angemessen:
A. Gegen Johann Derengowski
1. wegen der Handlung zu 1 eine Gefängnisstrafe von 5 Tagen,
2. wegen der Handlungen zu 2 a, 2 b und 2 c Gefängnisstrafen
von je 10 Tagen.
B. Gegen Theodor Derengowski eine Gefängnisstrafe von 10 Tagen.
Aus den gegen Johann Derengowski erkannten Strafen ist ge-
mäß § 74 StGB eine Gesamtstrafe von 30 Tagen Gefängnis gebildet
worden. Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens wird
durch § 497 StPO gerechtfertigt.
V. Protokoll über die Hauptverhandlung zweiter Instanz.
Broniberg, den 12. Dezember 1907.
In der Strafsache gegen
1. den Eigentümer Johann Derengowski in Schöndorf, geboren am
8. 10. 1851 in Gr.-Bislaw bei Tuchei, verheiratet, katholisch,vorbestrafti
2. den .Arbeiter Theodor Derengowski, ebenda, geboren am
29. 5. 1889 in Schöndorf, ledig, katholisch, vorbestraft,
wegen Beleidigung und Bedrohung erschienen zur Hauptverhandlung
über die von den beiden Angeklagten eingelegte Berufung gegen das
Urteil des Königlichen Schöffengerichts in Bromberg vom 19. Oktober
1907 die Angeklagten und Rechtsanwalt v. Wierzbicki als Verteidiger
tür beide.
Die Verhandlung begann mit dem .\ufrufe der Zeugen. Es
meldeten sich:
1. Der Gastwirt Richard Kipf,
2. Frau Bertha Witzke,
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3. Arbeiterfrau Wilhelmine Wilitzke,
4. Ziegeleiarbeiter Kasimir Cesar,
5. Schulknabe Bolislaus Heleniak,
6. Arbeiter Wladislaus Heleniak,
zu 1 — 4 aus Schöndorf, zu 5 und 6 aus Schröttersdorf.
Hie Zeugen entfernten sich zunächst aus dem Sitznngssaale,
nachdem sie mit dem Gegenstände der Untersuchung und der Person
des Angeklagten bekannt gemacht und auf die Bedeutung des Eides
sowie insbesondere darauf hingewiesen worden waren, daß der Eid
sich auf die Beantwortung solcher Fragen beziehe, welche dem Zeugen
über seine Person und die sonst im § 67 StPO vorgesehenen Um-
stände vorgelegt würden.
Der Berichterstatter hielt einen Vortrag über die Ergebnisse des
bisherigen Verfahrens. Das Urteil erster Instanz wurde verlesen.
Die Angeklagten, über die persönlichen Verhältnisse vernommen,
gaben an: wie vorseitig.
Die Angeklagten, befragt, ob sie etwas auf die Beschuldigung
erwidern wollen, erklärten
zu 1: „Ich bestreite, die beleidigenden Äußerungen oder
Drohungen ausgesprochen zu haben,“
zu *2: „Ich bestreite ebenfalls, den Gastwirt Kipf oder die Frau
Witzke beleidigt oder bedroht zu haben.“
Die Zeugen wurden hierauf einzeln vorgerufen und in Abwesen-
heit der später abznhörenden Zeugen wie folgt vernommen:
1. Zeuge Kipf.
Nach Leistung des Zeugeneides:
Ich heiße Richard Kipf, bin 47 Jahre alt, evangelisch, Gastwirt
in Schöndorf, mit dem Angeklagten weder verwandt noch verschwägert,
wegen Meineides nicht bestraft.
z. S.: Am 25. Mai d. J. kam der Angeklagte zu 1 vormittags
an meinem Laden vorüber und äußerte dabei zu mir: „Ich sage
Dinen zum letzten .Male, daß Ihrer Schwiegermutter ihr Leben heute
ein Ende gemacht ivird, es muß Schluß gemacht werden mit der
alten Hexe. Ich fordere Sie nochmals auf, mir Ihre Schwiegermutter
herauszugeben, daß ich sie totsteche, wir brauchen das Blut von der
Hexe.“ In ähnlicher Weise schimpfte er noch eine ganze Weile
fort und schließlich sagte er noch zu mir: „Sie verlluchter Miraix,
ich steche Ihnen den Bauch auf und lasse Ihnen die Flecke raus,
wenn Sie sich heute Nacht zur Wehr setzen, dann schlagen wir
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alles tot, was im Hause ist, ich steche sogar das Kind mit der Heu-
gabel tot.“
Mit Bezug auf meine Schwiegermutter sagte er dann noch:
„Die alte Hexe hat meiner Frau Bonbons und Liqueur gegeben, sie
hat meine Ehefrau behext und dieselbe soweit gebracht, daß sie das
ganze Jahr zu Bett liegen muß.“ Gegen Mittag kam dann auch
der Angeklagte zu 2 noch dazu und beteiligte sich an dem Schimpfen,
wo er dann sagte: „Wenn Sie das Weib, die Hexe, nicht sogleich
rüberschicken, daß sie der Mutter die Klattern abnimmt, dann komme
ich rüber und werde Bichter spielen, ich steche die Hexe einfach tot.“
Diese Beden sind auf den Aberglauben zurückzuführen, der dort
noch unter den Leuten herrscht. Die Ehefrau des Angeklagten zu 1
ist seit längerer Zeit krank, meine Schwiegermutter sollte sie behext
haben.
Schnaps habe ich zuweilen rübergeschickt, dies tat ich, um
mich mit den Derengowski’s gut zu stellen. Ich hatte damals noch
keinen Brunnen auf meinem Gehöft und ließ das Wasser gegen Ent-
gelt von dem Derengowski’schen Gehöft holen, das gegenüberliegt.
2. Zeugin Witzke.
Nach Leistung des Zeugeneides:
Ich heiße Bertha Witzke, bin 57 Jahre alt, evangelisch, Schuh-
macherswitwe und wohne in Schöndorf, mit dem Angeklagten weder
verwandt noch verschwägert.
Am 24. Mai ging ich mit einem Kinde meines Sohnes spazieren.
Ich traf den Angeklagten, der mir im Vorflbergehen zurief: „Sie
alte Hexe, Sie haben meine Frau behext;“ dabei spuckte er nach mir.
Den Skandal am 25. Mai habe ich auch gehört, doch konnte
ich die einzelnen Worte nicht verstehen, da ich im Zimmer war.
3. Zeugin Wilitzke.
Nach I^eistung des Zeugeneides:
Ich heiße Wilhelmine Wilitzke, bin 48 Jahre alt, evangelisch,
Arbeiterfrau in Schöndorf, mit dem Angeklagten weder verwandt
noch verschwägert, wegen Meineides nicht bestraft.
z. S.: Am 25. Mai d. J. traf ich den Angeklagten Johann Deren-
gowski in der Nähe des Kipfschen Ladens, ich wohne ebenfalls ganz
in der Nähe von Kipf, ich hörte damals die Äußerung von ihm:
„Die alte Hexe hat meiner Frau Liqueur und Bonbons gegeben und
sie behext, sie hat sie soweit gebracht, daß sie das ganze Jahr zu
Bett liegen muß.“ Diese Worte bezogen sich auf Frau Witzke,
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4. Zeuge Kasimir Cesar.
Nach Leistung des Zeugeneides:
Ich heiße Kasimir Cesar, bin 44 Jahre alt, katholisch, Arbeiter
in Schöndorf, mit den Angeklagten weder verwandt noch verschwägert,
wegen Meineides nicht bestraft.
Als ich eines Tages im Mai zur Arbeit ging, kam mir vor dem
Kipf’schen Geschäft Johann Derengowski entgegen und sagte etwas
wie; „Alte Hexe, Graukopf.“ Ich wußte nicht, wen er damit meinte.
Staatsanwalt und Verteidiger verzichteten auf die Vernehmung
der weiteren Zeugen.
Beschlossen und verkündet, von der Vernehmung der Zeugen
Wladislaus und Boleslaus Heleniak Abstand zu nehmen.
VI. Urteil zweiter Instanz.
In der Strafsache gegen
1. den Eigentümer Johann Derengowski in Schöndorf, geh. am
8. Oktober 18.'>1 in Gr.-Bislaw bei Tuchei, katholisch, verheiratet,
vorbestraft,
2. den Arbeiter Theodor Derengowski in Schöndorf, ebendort
geboren am 29. Mai 1889, ledig, katholisch, vorbestraft, und
3. Bruno Derengowski
wegen Beleidigung und Bedrohung hat — auf die von den An-
geklagten Joliann und Theodor Derengowski gegen das Urteil
des Königlichen Schöffengerichts in Bromberg vom 19. Oktuber
1907 eingelegte Berufung die 1. Strafkammer des Königlichen Land-
gerichts in Bromberg in der Sitzung vom 12. Dezember 1907
für Recht erkannt:
Die Berufung der beiden Angeklagten wird auf ihre Kosten
verworfen.
Gründe.
Die beiden Angeklagten haben gegen das vorbezeichnete Urteil,
durch w'olches sie auf Grund der tatsächlichen Feststellung, daß sie
zu Schöndorf.
A. Johann Derengowski
1. am 24. Mai 1907 die Frau Bertha Witzke beleidigt hat,
2. am 25. Mai durch dreierlei weitere selbständige Handlungen
zugleich
a) 1. die Frau Bertha Witzke beleidigt,
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2. sie mit der Begehung eines Verbrechens bedroht hat,
b) 1. den Gastwirt Kipf beleidigt,
2. ihn mit der Begehung eines Verbrechens bedroht hat,
c) 1. die Witzke beleidigt,
2. mit Bezug auf sie nicht erweislich wahre Tatsachen be-
hauptet hat, die geeignet sind, sie verächtlich zu machen und in der
öffentlichen Meinung herabznwflrdigen;
B. Theodor Derengowski durch ein und dieselbe Handlung am
25. Mai 1907.
1. die Witzke beleidigt,
2. .sie mit der Begehung eines Verbrechens bedroht hat,
gemäß §§ 185, 18ti, 194, 61, 241, 74, 73, 57 StGB wegen Be-
leidigung und Bedrohung verurteilt worden sind, und zwar Johann
Derengowski zu einer Gesamtstrafe von 30 Tagen Gefängnis und
Theodor Derengowski zu 10 Tagen Gefängnis, fristzeitig Berufung
eingelegt und ihre Freisprechung evt. eine mildere Strafe beantragt.
Durch die erneute Hauptverhandlung, insbesondere durch die
eidlichen glaubhaften Aussagen der vernommenen Zeugen, des Gast-
wirts Kipf, der Scbuhmachenvitwe Bertha Witzke, der Arbeiterfrau
Wilhelmine Wilitzke und des Ziegelarbeiters Kasimir Cesar, sämtlich
aus Schöndorf, ist folgender Sachverhalt erwiesen:
Die Ehefrau des Angeklagten zu 1 und Mutter des Angeklagten
zu 2 ist seit dem Frühjahr 1906 so stark an einem rheumatischen
Leiden erkrankt, daß sie durch die Krankheit ans Bett gefesselt ist.
Eine angebliche heilkundige Frau, die zu Rate gezogen wurde, er-
klärte, die Kranke sei behext worden. Darauf kam in der Familie
des Angeklagten auf, die Zeugin Witzke habe die Kranke behext.
Frau Witzke ist die Schwiegermutter des Zeugen Kipf. Sie lebt in
dessen Hause und ist auch in seinem Geschäft tätig. Sie hatte zu-
weilen der Ehefrau des Angeklagten zu 1 bei ihren Einkäufen im
Geschäft ein Glas Liqueur, ein Stück Kuchen oder ähnliche Kleinig-
keiten gegeben, wie dies den Kunden gegenüber vielfach üblich ist.
Durch diese Gaben sollte die Zeugin W’itzke das Blut der Kranken
vergiftet und dadurch die Krankheit verursacht haben. Diese Meinung
faßte sowohl in der Derengowski’schen Familie, wie auch bei den
übrigen Polen der Nachbarschaft fest Wurzel und war die Ursache
zu folgenden Vorfällen.
A. 1. Am 24. Mai 1907 begegnete der Angeklagte zu 1 der
Zeugin Witzke auf der Straße in Schöndorf, und indem er vor ihr
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ausspuckte, sagte er zu ihr; „Sie alte Hexe, Sie haben meine Frau
behext.“
1. a) Am 25. Mai 1907 kam der Angeklagte zu 1 an dem
Geschäftslokal des Zeugen Kipf vorüber. Dort blieb er stehen und
sagte zu Kipf, der an dem Fenster seines Ladens stand: „Ich sage
Ihnen zum letzten Male, daß Ihrer Schwiegermutter ihr Leben heute
ein Ende gemacht wird, es muß Schluß gemacht werden mit der
alten Hexe. Ich fordere Sie nochmals auf, mir ihre Schwiegermutter
herauszugeben, daß ich sie totsteche, wir brauchen das Blut von der
Hexe.“
b) Der Angeklagte zu 1 hielt sich fast den ganzen Vormittag
dort laut schimpfend, auf der Straße auf und äußerte noch weiter zum
Zeugen Kipf: „Sie verfluchter Mimix, ich steche Ihnen den Bauch auf
und lasse Ihnen die Flecke raus; wenn Sie sich heute Nacht zur
Wehr setzen, dann schlagen wir alles tot, was im Hause ist; ich steche
sogar das Kind mit der Heugabel tot.“
c) Schließlich rief der Angeklagte zu 1 noch folgende Worte
laut aus: „Die alte Hexe, die Witzke hat meiner Ehefrau Bonbons
und Liqueur und Piroggen gegeben, sie hat meine Ehefrau behext
und sie soweit gebracht, daß sie jetzt das ganze Jahr zu Bett
liegen muß.“
Diese Äußerung hörte unter anderm auch die Zeugin Witzke mit an.
B. Gegen Mittag kam der Angeklagte zu 2 noch dazu, und auch
er rief dem Zeugen Kipf zu: „Wenn Sie das Weib, die alte He.xe,
nicht rüberschicken, daß sie der Mutter die Klattern abnimmt, dann
komme ich rüber und werde Richter spielen. Ich schlage die Hexe
einfach tot.“ Es war klar, daß die Worte sich auf die Zeugin Witzke
beziehen sollten.
Noch an demselben Tage nachmittags wurde dem Zeugen Kipf
von dem Arbeiter Wladislaus Heleniak aus Schröttersdorf mitgeteilt,
die Angeklagten wollten in der Nacht sein Haus stürmen. Kipf
machte hiervon dem Gendarm seines Bezirks Mitteilung, der daraufhin
die Nacht über Wache hielt, es wurde jedoch seitens des Angeklagten
nichts rmternommen.
Die Angeklagten haben bestritten, die angeführten Äußerungen
getan zu haben, doch ist dies Bestreiten den durchaus glaubwürdigen
Aussagen der Zeugen gegenüber belanglos.
Es scheint allerdings in den Kreisen des Angeklagten noch ein
derartiger Aberglaube zu herrschen, daß sie wirklich in der Meinung
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lebten, die Ehefrau Derengowski sei von der Zeugin Witzke beliext
worden. Es kann ihnen aber trotzdem nicht das Recht zugesprochen
werden, ihre bedauerliche Meinung in so gehässiger Weise zum Aus-
druck zu bringen. Die Äußerungen des Angeklagten stellen sich
als Beleidigung gröbster Art dar. Die Angeklagten waren sich bewußt,
daß sie den Zeugen Kipf und Witzke gegenüber Geringschätzung und
Mißachtung zum Ausdruck brachten.
Gleichzeitig aber haben die Angeklagten die Zeugen Kipf und
Witzke durch die Äußerungen zu 1 a und b mit der Begehung eines
Verbrechens — des Totschlages — bedroht. Daß sie auch in den
Betroffenen die Furcht vor der Verwirklichung dieses Verbrechens
erwecken wollten, unterliegt keinem Zweifel, wenn man berücksichtigt,
daß die Angeklagten in ihrer Verblendung glaubten, die Zeugin
Witzke könne die Kranke wieder gesund machen, und daß sie an-
scheinend dies durch ihre Drohungen erreichen wollten.
Hiernach war die tatsächliche Feststellung des Schöffengerichts
lediglich aufrecht erhalten.
Daß der Angeklagte zu 2 bei Begehung der Tat die zur Er-
kenntnis ihrer Strafbarkeit erforderliche Einsicht besessen hat, be-
weisen seine Vorstrafen und sein Auftreten vor Gericht.
Bei fristzeitig gestellten Strafanträgen (§§ 194, til StGB) waren
daher gemäß §§ 185, 186, 241, 74, 73, 57 StGB, der Anklage zu 1
wegen Beleidigung in einem Falle, wegen Beleidigung in Tateinheit
mit Bedrohung in zwei Fällen und wegen einfacher Beleidigung in
Tateinheit mit übler Nachrede in einem weiteren Falle und der .An-
geklagte zu 2 wegen Beleidigung in Tateinheit mit der Bedrohung
zu verurteilen.
Die Straftaten, deren sich der Angeklagte zu 1 schuldig gemacht
hat, können bei der Verschiedenartigkeit der Äußerungen und An-
lässe nicht als eine fortgesetzte Handlung angesehen werden.
Die Angeklagten haben durch ihre Äußerungen nicht nur die
Familie Kipf in Furcht und Schrecken gesetzt, sondern haben den
Zeugen Kipf auch geschäftlich schwer geschädigt, da bei dem in den
polnischen Volkskreisen noch herrschenden Aberglauben, sich viele
Personen durch die Verdächtigungen des Angeklagten von dem Besuch
des Kipfschen Lokales haben abschrecken lassen.
Zudem sind die Angeklagten beide bereits vorbestraft; es er-
schienen daher die erkannten Strafen von 5 und dreimal zu je
19 Tagen Gefängnis, gemäß § 74 StGB eine Gesamtstrafe von
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30 Tagen Gefängnis gegen den Angeklagten zu 1 und von 10 Togen
Gefängnis gegen den Angeklagten zu 2 keineswegs als zu hoch be-
messen.
Die Berufung war daher, wie geschehen, zu verwerfen.
Die Kosten des Bechtsstreites haben die Angeklagten gemäß
§ 505 StGB zu tragen.
Ein schlesisches Neujahrsliedchen
aus dem XV. Jahrhundert.
Von Dr. J. Klapper.
Während die schlesischen Handschriften des Mittelalters keinen
einzigen Te.vt eines Liedchens enthalten, das bei den Umzügen der
Kinder am Sommertag gesungen worden wäre, ist uns in mehreren
Handschriften aus dem Anfänge des 15. Jahrhunderts ein Neujahrs-
bettellied überliefert, das von den Kindern vor den Häusern vor-
getragen worden ist, und das in seinem Inhalte an die heutigen
Sommerlieder Schlesiens wie an die westdeutschen Martinslieder an-
klingt. Wir verdanken die Erhaltung dieses Liedchens dem Umstande,
daß es seine Verse zur geistlichen Auslegung in der Neujahrs-
predigt hergeben mußte. Die.ser Predigttext mit den eingestreuten
deutschen Versen findet sich am ausführlichsten in einer Handschrift
der Kgl. und Universitätsbibliothek zu Breslau mit der Signatur
I. F. 503, die aus der Bibliothek der Breslauer Corpus-Christi-Kirche
stammt nnd im Jahre 1431 von dem Johannitterbruder Nicolaus
Nedirbeyn de Lubschitz gesclirieben worden ist, der zu dieser Zeit
Prediger in Striegau war. Die Handschrift enthält in ihrem ersten
Teile die Sermones Eremitae de tempore. Auf Bl. 201 rb. folgt dann
die Predigt: In die circumcisionis videlicet de Nouo anno. Folge
kinth folge, schon ist schon ist der engel schar. Iste cantus canitur
per festum natiuitatis Christi, et amicus ab amico, vicinusa vicino
nouum annum requirit. Circa quod notandum, quod in isto cantu
vnigari pueri casti, mundi, innocentes et simplices hortantur sequi
nouum regem puerum, non senes, videlicet in peccatis ... In dieser
Weise wird Vers für Vers geistlich gedeutet. Wesentlich älter noch
ist der Text, den eine fast gleich lautende Neujahrspredigt in der
Handschrift IV. Q. 175 Bl. 199v enthält. Diese Handschrift stammt
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aus dem Anfänge des 15. Jahrhundert und gehörte früher der
Bibliothek der Augustiner-Chorherrn zu Sagan, der sie nach einer
Bemerkung auf Bl. 259 v von einem Dominus Conradus de Reichen-
bach zugegangen ist. In diesem zweiten Text fehlt jedoch der
Schluß, die Versehen, die von den Kindern gesungen wurden, nach-
dem sie die Geschenke erhalten hatten. Dieser Schluß, den die
erste Handschrift nur andentet, ist am ausführlichsten in der Hand-
schrift I. F. 524 überliefert, die um die Mitte des 15. Jahrhunderts
entstand, deren Herkunft jedoch nicht mehr zu ermitteln ist. Sie
enthält von drei Händen eine Reihe von Predigten für das Kirchen-
jahr und kurze Predigtstoffe; unter diesen auf Bl. 402 'b für den
Tag der Beschneidung des Herrn die Predigt mit dem Bettel-
liedchen, jedoch nur auszugsweise. Der Text beginnt mit den
Worten : Ergo hodie est consuetudo, vtinam bona, cantare a natiuitate
communitate hoc canticum; ffolge kint ffolge, usw. Nimmt man die
drei überlieferten Texte zusammen mit ihren sich gegenseitig er-
gänzenden Lesarten, so wird man sich leicht ein klares Bild von dem
ursprünglichen Liedchen machen können, das natürlich im Gebrauch
in den verschiedenen Gegenden kleine Umgestaltungen und Kürzungen
erfahren hat. Wir werden nicht fehlgehen, wenn wir es für das
15. Jahrhundert als im ganzen deutschen Schlesien bekannt an-
nehmen, da die Handschriften die es enthalten, von einem Leob-
schOtzer und einem Reichenbacher stammen. Die drei Texte lauten
unter Weglassung der lateinischen geistlichen Auslegung nach ihrem
Alter geordnet:
1.
[Cod. ms. IV. Q. 175. Bl. 199v; Anf. d. 15. Jhs.]
Wolge, kint, volge . . .
Ich weis mir ejn holden . . .
Ich weis in dirre gasseii
eynen nche man gesessen . . .
Hannus mein herre
daz dich got Sre ...
daz dich got ere ...
GIbit vns eyne gobe
czu desim Neuen iare.
Hefter ejmen pheninc,
czu iare eynen Schilling ...
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2.
[Cod. ms. I. F. 503. Bl. 201 rb-, v. J. 1431].
Folge, kinth, folge!
schon ist, schön ist der engel schar . .
Seyt fro, das ist meyn rot . . .
Ich veys mir holde frunde . . .
wol ym, der eren hot ...
Ich [weis] mir eyn der gassen
eynen reychyn man gesessen . . .
Gebt \Tis e>Tie gäbe
zu desjTn newen yore,
hewer eynen phennig,
obir yor eynen Schilling . . .
Percepto aiitem munere pueri finaliter clamant et dicunt:
Fro, her, fro!
3.
[Cod. ms. I. F. 524. Bl. 402 vb; Mitte des 15. .Ihs.].
Folge, kint, ffolge . . .
Ich weys eynen holden . . .
Ich weys yn deser gasse
Kyn reychen man gesessem (!), Gesessen . . .
Petnis, meyn hirre,
das euch got ere ...
Gebit vns Eyne gobe
Czu dessen! newen yare,
hewer Eynen jifenning,
czu yare eynen Schilling . . .
Vro, hirre vro!
wer czu desim Erhatltigen fert,
(lerne ist ere Beschert;
alzo ist wns gethon,
wir vorn czu Eynem fromen man.
Im Zusammenhänge mit diesen Neujahrsliedchen der Kinder
sei ein Neujahrsspruch der Breslauer Wächter vom .Jahre 1740 mit-
geteilt, der sich in der Handschrift IV. F. 24!) (Bl. 203 r) der Kgl.
und Univ.-Bibl. zu Breslau findet. Diese Handschrift stammt aus
dem gleichen Jahre.
Mitteilungen d. schles. (ies. r. Vkde. Itaud Xll (IleflZ). 15
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Pro Novo Anno Custodes Optant.
Höchster! steh diss Jahr uns bey.
Deine Hand woll unss bedecken,
Lass dein graesslich feurgeschrey
Unsre Mauren nicht erschrecken.
Hunger, Pest, und Wasser-Noth
und, was zu vorderben droht,
Wende ferner Allerwegen,
und gieb Stadt und Land den Segen.
Zusammensetzungen mit „voll“.
Von Taubstummonli'hror Karl Hothor.
Weit zahlreicher als die Schriftsprache bildet die Mundart Zu-
samraensetzungen oder (nach Grimm, D.Wtb. IV 2, S. 421) bloße Zu-
sammenrückungen mit dem Kigenschaftsworte „voll“, das dabei in
fol oder wal verkürzt wird. Die harte oder weiche Aussprache, die
teils von den Nachbarlauten und teils von der Silbentrennung
abhängig zu sein scheint, steht bei den meisten Beispielen zwar fe.st,
doch wechselt sie auch in einzelnen Fällen. Kine allmähliche An-
näherung an das Hochdeutsche zeigt sich darin, daß in manchen
Fällen die Endsilbe heute verloren ist. Früher sagte man z. H.
n hurtj'al genf» — eine Herde Gänse und a ■piUrfilja — ein
Reet Petersilie, heute dagegen n hxrda ganfa, a bäta pitarfilj». Viel
häufiger als im Hochdeutschen werden auch die Verkleinerungsfonnen
gebildet und angewendet. j
Die Stoffnamen sind mit dem vorangehenden Worte bisweilen
eng verknüpft. So habe ich gfsfal nur in Verbindung mit Kleie gehört.
Beachtenswert ist in manchen dieser Zusammensetzungen die eigen-
artige Erhaltung der Genitivform des Artikels, während das folgende
Substantiv sie aufgegeben hat. Im Gegensätze zu den Beispielen
„einen Becher Weines“ oder „ein Arm voll Holzes“ (D.Wtb. 1, 41!t)
wird in der Mundart das s des 2. Falles an das Wort angehängt,
das ein Maß oder eine Menge angiht : z. B. a AofaU tmsar, ein SchatV
voll Wasser. Der Gebrauch dieser Genetivforra scheint zwar in Ab-
nahme begriffen zu sein, da das s oft genug weggelassen wird; wir
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219
geben es aber in allen Beispielen wieder, in denen wir es gehört
haben ‘).
Die Beispiele selbst sind aus meiner Erinnerung nieder-
geschricben, ergänzt und berichtigt durch meine 80jährige Mutter.
Grunau bei Camenz ist der Ort, dem die Art der Aussprache an-
gehöit, deren phonetische Bezeichnung der „Deutschen Bühnenaus-
sprache“ von Prof. Dr. Siebs folgt (] bedeutet ein reduziertes 1.)
Allgemein bekannt ist der Ausdruck n hamfsU arb»a — eine
Handvoll Erbsen, weniger das Diminutivum: a himfala gra^» —
ein Händchen voll Graupe, oder eine Hand nicht ganz voll; noch
seltener ist die verbale Form hamfaln; dies bedeutet eine Art des
Grasens. uxirda ni hämfaln kdn, dür kän ni grdfa, dar kan ok kipa.
Beim „Kippen“ wird das Gras mit der Sichel nur abgeschlagen,
während es beim hamfaln bis zu einer großen Handvoll in der Hand
gehalten wird.
Ein bei uns fast ganz ausgestorbenes Wort ist n gesf»l; das
sind zwei aneinander gehaltene Hände voll. Beim Schweinemästen
gibt man einem Schaff voll gestampfter Kartoffeln n gesf»l klafa —
Kleien — zu. Nach einer Mitteilung sagt man in Ostpreußen
n gej)s ful. Bei Kaltscheit, Gesamt-Wörterbuch, 1834, ist zu lesen:
„Der Geps, nd., eine doppelte hohle Handvoll; die Gepse, kleines,
ein Maß haltendes Milchgeschirr.“ Ein solches Maß soll in Ost-
preußen noch bekannt sein. Weiteres über dieses Wort siehe D.Wtb.
IV 2, S. 3540. Weinhold führt es weder in seinen „Beiträgen
zu einem schlesischen Wörterbuche“ noch in seinem handschriftlichen
Nachlasse an; vgl. althochd. gebiza.
Die Magd gibt dem Vieh n ormtoab gräa — einen Arm voll
Gras. Das Kind bringt a h'mwala idrUa — einen kleinen Arm voll
gehacktes Holz — herein. Als Zeitwort gebraucht: Beim Heu „ein-
kappeln“ sagt man: fu dam fila örmwaln tut em s ganta» gari]>» wi.
Manches Kind hat schon bei der Geburt n kupßU hür» (neuer-
dings sagt man feiner han, — den Kopf voll Haare.
Die Kuh nimmt o maglualt ätrü oder n mupfih har — das
Maul oder die „Muppe“ voll Stroh oder Heu. (Das von Grimm
1) Grimm, D.Wtb. C IV 2, S. 422: „Im Englischen steht sich ähnlich two
hands full iinil two haiidfuls gegenüber, das letitcre vüllig als Compositum be-
handelt.“ Diese englische Erscheinung dürfte aber als reine I’luralbildung xu
beurteilen sein und hat mit unserer Genitivform nichts zu tun.
lö*
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2-20
D.Wtb. I. 5f>3 angeführte „miimpfel“ für mundvoll ist im Sehlesischen
nicht üblich, da für Mund stets Maul gebraucht wird.)
Geht man an einer frisch gedüngten Wiese vorüber, so bekommt
man n omtHjd twxftl — die Nase voll.
Ist jemand stark erschrocken, so verordnet man ihm n Muhc.^l
teosir — einen Schluck Wasser; dann schadet der Schreck nicht.
Friert man, so trinkt man a slikwala hfs3 mil/Ji oder /n~sa kö/i' —
einen kleinen Schluck heilie Milch oder heißen Kaffee.
a gräfawufb bringt n hukfjl gras — eine Bürde Gras. Eine
ganz andere Bedeutung hat die Verkleinerungsform von hukfal. a
hikwala gatriiide oder hat’ ist ein noch nicht einmal halbvoll beladener
Wagen mit Getreide, Heu oder anderem. Das will wohl ironisch
sagen: er bringt auf dem Wagen, womöglich auf dem Leiterwagen,
nur soviel, als man auch auf dem Bücken tragen könnte, cand. phil.
Günther hat in Königs hain für denselben Bcgritf das Wort ritiwaia
gehört.
Zum Distelnstechen oder zum ßttkti — Unkraut pflücken, aus-
reißen — im Getreide machte man sich früher ein Grastuch über
Kücken und Schulter um, die „Ausschfltte.“ matdt dar di timsiU im!
ham/alwarfa — handvollweise wurde die ßuka hineingesteckt, bis das
Tuch zum Ausschütten voll war; das war n Von einer lang-
samen Person sagte man : e di rna mmitwH hot^ do ha ipr Uswfa — eh
die eine „AusschOttfel“ hat, da liabe ich ilirer zwei. Heutzutage ist
die Ausschütte kaum noch in Gebrauch; man zielites aus Betjuemlich-
keitsrflcksi(diten vor, Viertelkörbe mitzunehmen, wenn auch durch diese
das (Jetreide mehr zerdrückt wird.
Kill Knabe hat n milafal berna üfgaklaobt — eine Mütze voll
Birnen aufgelesen oder gar n toswah ejrjl gtnnufM — eine Tasche voll
Äi>fel gestohlen. Ein Mädchen aber hat « seiißaU pihsj — eine
Schürze voll Pilze gesammelt, oder es bringt vom Bäcker a lit’ßwalu
l'umuln mit) ein Tüchlein voll Semmeln.
Beim Kaufmann holt man n xiornit-nJaLs (auch xlarnitt/jbf) rufhÄa
— eine Düte Hosineii, a stofniUtwtda tstnd — , eine kleine Düte Zimt,
M titwM ixukarUotg — eine Düte Zuckerzeug oder « iilwala fafar
eine kleine Düte Pfeifer. Mornitaa für Düte ist aber schon recht
veraltet.
Auf den Tisch schüttet man n tupfals oder auch nur a tipwala
katüfaii — einen Topf oder ein Töpfchen Kartoffeln, man „suiipt*“
n talwalx fupa — einen Teller Suppe, ißt u lälwata ipbakna ßagma —
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2-21
ein Teilerchen gebackene Pflaumen, nimmt n Spisf,tl kraot — einen
„(jabelÄi)ieü“ Sauerkraut und trinkt zuletzt n MlicA oder a sulwala
Xy)/c — eine Schale oder ein Schälchen Kaflee, in den man n
sfütstnl märfaltjiuhr — eine Messerspitze Farin tut. Auf fettes
Fleisch nimmt man gern a gb^ncala In-antwarn — ein Gläschen
Branntwein, seltener a <jUme.>l e/ar£i bir — ein Glas einfach Bier.
Auf den Tisch kommt gelegentlich auch n fonuvk gdbakn» kllda
— Pfannenklöße, ein Gebäck, oder a fanwala — Eierfüllsel,
eine Mehlspeise; ferner n süic»k fuhu — eine Schüssel Blattsalat,
a simcala krinUmh — ein Schüsselchen Meerrettichtunke, n toxw»l
[oft — eine Tasse Kiibens_vrup, a Uiswaki h/mU-h — eine Täßchen
Honig und n biksftl femft — eine Büchse Mostrich. Eine reizende
Cbertreibung 'enthält die Bedensart a madtt a gififhta vsi Uan fän-
wabi gfdemjU tafwel.
Vom Schweineschlachten holen die Armen der Nachbarschaft
n knikicaU oder u krigicala wbrstfup,i — einen Krug oder ein Krüglein
Wurstsuppe.
Die Katze erhält öfters a näpfala gud» mildi — ein Näpfchen
gute Milch; statt Napf voll sagt man n nnppl. Den Kühen gibt
man n korp/nU sprf» — einen Korb S]>reu; brüht man diese,
so erhalten sie a AofAt brij, dazu a kirbwida riba — ein Körbchen
geschnittene Itunkelrfiben. Zur rohen Spreu gibt man n iinird kok
ieoa,)r -- einen Eimer kaltes Wasser. Ein Mastschwein bekommt a
■siifabt» derbii /nui — ein kleines Schaff derben Fraß, nämlich
gestampfte gekochte Kartoffeln mit Kleien vermischt, ein anderes da-
gegen n emwA ge.slod^r einen Eimer voll flüssiger Nahrung.
Manche Kuh gibt a fxir geltwaln — zwei Gelten voll Milch, eine
andere kam e gelhvala — kaum eine kleine Gelte.
In den Keller kommt wohl nie a Josicds warn — ein Faß
Wein; eher einmal a fi'mwida bir — ein Fäßchen Bier. Da steht n
lunwA kragt — eine Tonne Sauerkraut und o tinwida farargörka —
ein Tönnchen sauere Gurken.
Der Trinker holt sich n JhMivLi — eine Flasche — Brannt-
wein und ist traurig, wenn zuletzt ntir noch a fhMrhutßh — ein
Fingerhut voll — darin ist. Den Raucher erfreut n kixtwAx —
eine Kiste — Zigarren. Dem über Durst klagenden Kinde bedeutet
man : x hit ju n gantix Atantfxl wosxr — es hat ia eine ganze Stande
voll Wasser — draußen stehen.
Man holt n konwxU wagxr — eine Kanne Wasser; tsw konwaln
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222
fafn n fdrt — zwei Kannen sind eine Fahrt Wasser, a känwala
kö/f — das bekannte blaue Kännchen voll Kaffee — nehmen sich
die Arbeiter mit zur Arbeitsstätte. Ist der Kaffee zu dünn geraten,
so hat man wohl n plumpfal — eine Pumpe voll — Wasser zu-
gegossen. Eine tüchtige Übertreibung!
Auf dem Boden steht mancher fakfal — Sack — Getreide,
hängt a fekwcda Apäln (früher Apala) — ein Säckchen voll Äpfel-
spalten, liegen a pdr mattfaln bun — ein paar Metzen Bohnen;
aber es findet sich da auch manchmal a gants näst/d moff» —
ein Nest voll Mäuse.
In den Garten gießt man n tsopfal Itif», einen Zuber voll Jauche,
in ein Mauseloch aber a pär aepf»U — ein paar „Schöpper“ voll
(Schöpper von schöpfen.) Auf ein Gartenbeet trägt man n trdgftl
Mist; mit der Trage wird der Dünger aus dem Stalle geholt. Den
Weinstock bedeckt man mit ar gäbf»l oder mit a pär gäbfaln mUt
— mit einer oder mehreren Gabeln voll Mist.
Vom Felde holt man n rätw»la kiipa, ribakupa, a rätuxUa blet»r,
auch a iMmwala fut»r — eine Radwer voll Runkelrübenköpfe,
der obere Teil der Rüben mit sämtlichen Blättern, oder eine nicht
ganz volle Radwer abgebrochener Runkelrflbenblätter, auch ein
Wägelchen Putter.
Von Hernmträgern kauft man a mötfd blöbärn — ein Maß
Blaubeeren oder a mäsfala jochdtUafoft — ein Mäßchen Wachholder-
beersaft.
Beim Spinnen bestand ehemals di tsäl», die für einen Abend auf-
gegebene Menge, in drei bis vier Hpilwaln — Spillen voll Garn.
Von einer sparsamen Magd rühmte man, sie habe n gantsa
sratA-fd kröm, wi'tcbakröm und fünti/Mröni — einen ganzen Schrank
voll Wochen- und Sonntagskleider, dazu auch « sreiokwala weA» —
ein Schränkchen voll Wäsche. Beim Umzuge hat mancher n gantsa
wänwsl — einen Wagen voll — Sachen.
Ein Knabe spielt mit einer Schachtel Bleisoldaten oder mit einem
Kästchen Knöpfe, die er beim knepaln gewonnen hat: n Saditfsl
fuldäta, a kästtcala kneps; a feähtwala — Schächtelchen — Streich-
hölzchen aber nimmt man ihm weg. Von Schachtel heißt sonst die
Verkleinerungsform säcditala.
Aus der Genitivform ist ersichtlich, daß auch in den Aus-
drücken n U/sls fups, a lefalas »iPditsin, n se/ds arbsa — ein Löffel
Supjie, ein Löffelchen Medizin, ein Scheffel Erbsen, — das Wort ,voll“
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enthalten ist, wiewohl es in diesen Beispielen mit der Endsilbe
des Grundwortes zusammenfällt.
Einen abgewiesenen Freiersmann tröstet man mit dem Hinweise,
daß es ihrer (Mädchen) nicht bloß eine Handvoll, sondern sogar ein
ganzes Land voll gäbe:
ä! s höd»r ju ni ok n hamfal,
8 höd»r gär a ganis lantßl.
Probe der westglätzischen Mundart von
Brzesowie.
Von F. Graubisch in Kudowa.
Vorbemerkung. Glätz. o und 5 ( = mhd. a, ä, o, 6, u) vor r
erscheint (auch bei Dehnung) als a, ä: bärt, jär, bärn (bohren),
gahäit, gatär(yjt. Für mhd. o und u steht vor r in einigen Wörtern,
wohl bei ursprünglicher Tieftonigkeit, e; imrfert, erntliijl), derejj) u. a.
Die älteren Leute in Brzesowie sprechen noch nach oberdörfischer
Weise näi, wäik, glöiva usw., in letzter Zeit dringt das Nieder-
glätzische durch, das auch in der folgenden Probe zum Ausdruck kommt.
Das silbische m hat deutlichen u -Vorschlag: bäfum.
Von Drachen und Freimaurern.
on dan amöl h^n la aim darfa gafan en traql)a erStijs um daqlja
bei enr witve. di hoto a gawelvo (Laden), on dar giiSg’s afü SleiJljt
nw amöl, on Spetr hotso fe(t) drSosa ai dr ÄtOvo fm mutrgots-
belda. dar fol dj trac^a im| wära wekaSlopt h^n. On dan h^n fa
dan tra<^a wldr gafän um bäma a fimf Jnta fo damfelva haufa. a
fol ausgafän h^n, wi eno foirija Sita (Schütte Stroh), on dan if a
glai((l)a ai da wotka (velares 1) gaflQn, dö h^n f a nima galan. on da
loita lijn imj, dr traijlja tut Stäla momjjja loita on a fraimauran')
liitrQn.
dl tun fei^) glg“) mid irm aijna^) bluta undrsraiva um taiwl,
*) I^ehnwort aus der Schriftsprache, vgl. ni9ir = Maurer.
Gekürzt .-lus glijv «ih = glaube ich.
’) Lehnwort aus der Schriftsprache, weil ai nicht lautgcjelzlich.
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224
dö misa fa dan der<y) tsve Stüva') gin, dö tut fa a Sraivr firn on
tut a als tsaija, on dö län fa a da taiwl ai dr heia, on dan, wen
ja gelt brauqlja, do kena*) fa ok a pär Avertr Icjn, on dö brend a dj
taiwl en ITik(g)elt. on dan, wen fa dr taiw] ai de heia hula wel,
on dö kemd a kytr on drwer<51jt fa. de fraimaurr wan (werden)
^dr fQr alt. da misa a ola jära wos baun, on wen s ä drai tsljan
(Ziegel, pl.) flffoma fain.
Literatur.
Schlesiens TolkstOmllcbe Itborllefernn^n. Sammlungen und Studien der
Scblusiachcn Ucscllschaft für Volkskunde, begründet vun Friedrieh
Vogt, berausgegeben von Theodor Siebs. Leipzig, Teubner. 1911. Band IV:
Schlesische Sagen II. Elben-, Dümonen- und Tenfelsagen. Von
Richard Kfibnan. XXXII, 745 Ss. Preis für Mitglieder M. 7,50 (Original-
band M. 8,25).
Noch vor JabresschluB erscheint soeben der zweite Band von Kfihnaus
Sagenbuch. Er fügt zu den im ersten Teile behandelten Seelensagen die in
Schlesien vertretenen Erzählungen von Elben, Dämonen und vom Teufel. Der
Versuch, den unendlich reichen Stoff auch diesmal in zwanglos gebildeten
Gruppen geordnet darzustellen, kann als im wesentlichen gelungen bezeichnet
werden. Zn don Hausgeistern gesellen sich die Erdgeister und die in Wald,
Feld und Wasser hausenden mjrthischen Gestalten. Als Dämoni'U treten Tiere,
Berg- und Grubengoistcr, der wilde Nachtjäger, die Riesen auf; ein Sammel-
begriff: .Goltdämonon“ umfaßt Erzählungen von Tod-, Post-, Wind- und ver-
schiedenen anderen Gottheiten. Für dio anschließenden Tenfelsagen sind nach
sachlichen Gesichtspunkten fUnf Gruppen geschaffen. Durch Buchstaben vor
dun Überschriften ist auch diesmal gekennzeichnet, aus welchem Teile Schlesiens
die Sage stammt; bei den Wassergeistern und Bergdämonen ist eine ürtliche
Scheidung auch in don Sagen selbst durchgefflhrt, wodurch zugleich die slavisehen
Einschläge hervortretcu. Die vorsichtige kritische Auswahl der Sagen, dio alle.s
Unzuverlässige, Ausgeschmückte aussondert, verleiht dem Sagenbucho nicht nur
wissenschaftlichen Wert als lautere Quelle echten alten Gutes, sondern wahrt
auch den schlichten Ton der Volksübcrliefcrung, dem gerade diese Erzählungen
ihr anheimelndes W’oson verdanken. Möge dem zweiten Bunde dieselbe freund-
liche Aufnahme beschiedon sein, wie dom ersten; vor allem sollte jeder Schlesier
es nicht versäumen, seiner Bibliothek zur Weihnachtszeit das schlesische Sagou-
buch cinzureiben. Dr. 0.
t) In ihrem Logenhaus.
*) Lautgosetzlich wäre kena zu erwarten (so auch sonst im Glätz.), offenes
e vielleicht nach dem Konj. kenda oder nach wela, wonach auch fela = füllen
gebildet ist (statt fela). (welda : wela kendo : kena).
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Hejmaan, Dr. pbil. W., Das brRinischo Plattdeutscli. Kinc grainmatisrlic Dar-
stellung auf sjiracligcsrhiclitlichur Uruiidlagc. Herausgugebiii auf Veran-
lassung des Vereins für nicdersächsisclies Volkstnm. Bremen, Gust. Winter,
1909. IX, 17C Seiten. M. 3.
Die kleine Grammatik des Bremer Plattdeutsch ist eine recht erfreuliche
Gabe. Zwar ist die Sprache nicht vom Standpunkte der heutigen Sprach-
wissenschaft aus betrachtet, doch immerhin mit einer gewissen sprachgeschicht-
liehen Schulung; und vor allem — da.s ist das wichtigste — kennt der Ver-
fasser seine heimatliche Mundart von Kind auf. Damit sind schon Licht- und
Schattenseiten des Büchleins angedeutet. Es ist für weitere Kreise verständlich,
und man kann sich aus ihm praktisch unterrichten. .Vnderorseits ist auf eine
eigentliche phonetische Schreibung verzichtet, und das hat oft zu unzulänglicher
Lautbczeichnnng geführt: so ist z. B. langes i mit schriftspraehliehem ie darge-
stellt; und in vielen Fällen ist die Quantität aus der Schreibung nicht er-
sichtlich: welcher Fremde wird z, B. in he töft ,cr wartet"“ das hier geltende
lange 5 erkennen?
Iler Hauptfehler des Buches ist, dsß es vielfach mit praktischer Darstellung
gelehrtes Wissen verquicken will und dadurch Verwirrung stiftet; andererseits
werden naheliegende Erklärungen bei Seite gelassen. Eine Anzahl von Be-
merkungen, die zumeist die Lautlehre betreffen, mögen hier Platz linden. S. 4
wird hinter kerke (Kirche) bemerkt „griechischen Ursprungs, aus KugtaK»/“;
diese Herkunft (aus KVQiaKÖv) zu erwälinen hat hier gar keinen Sinn. — S. 5
„In sUtern, mhd. gislern (vgl. gut. gistraäagis morgen) wechselt i mit e
in den verschiedenen gennanischen Mundarten. Vgl. noch stviUen schwellen ahd.
und as. sjvellan-, guiUen quellen mhd. queUn (so!)“ usw. Für den Laien hätten
sulche Bemerkungen, auch wenn sie nicht fehlerhaft wären, keinen Wert. —
S. 6 „meist wird jetzt danach“ — nämlich nach kurzem u — „der Konsonant
doppelt geschrieben, vgl. /»/f voll . . .“; das ist doch nrgermanischc Gemination!
— S. 7 wiille Wolle, mit o in ahd. wolla, mhd. wolle, dagegen (so!) mit « in
got. wuUa.“ — S. 7 wird das « in susler Schwester, su/l Schwelle „durch den
Einfluß eines vorhergehenden, aber später ausgefallenen v“ aus e erklärt. —
S. 10 heißt cs, die Form .i/ooi/e für i/ooil beruht auf einem gennanischen Stamm
und klingt veraltet“; von title „Gezeiten“ heißt cs, „zugrunde, liegtauch
hier ein germanischer zweisilbiger Stamm ti-ili (Kluge).“ Was hier gemeint ist,
dürfte sowohl Kluge als auch anderen Fachlenten unverständlich bleiben. —
S. 14 werden die vor st gesprochenen Längen (sehoster) ilen Kürzen (roste) als
willkürliche Erscheinungen gegenübergestellt, wenigstens wird eine — nahe-
liegende — Erklärung nicht versucht. — S. .38 wird das * in sestig, sebentig
neben sestig, sebentig nur durch kräftigere Artikulation erklärt, wältrend hier
doch wohl analogischer Einfluß der Formen mit vorhergehendem mst (enuntsestsg)
vorliegt. — S. 40 wird diu Aussjirache des anlautcnden j derjenigen in engl.
John, ital. maggiore gleii hgostellt; nach meiner Empfindung decken sie sich
nicht ganz, denn der Bremer spricht ds'j, äVj oder dj, nicht di. — S. 45 bleibt
das d in side Seide, kride Kreide, äder Ader, snUer Schneider gegenüber hals-
afsnler „Halsabschneider“ unerklärt; die Foruien mit d erklären sieh durch
schriftsprachlichen Einfluss. — S. 53 heißt es ,c hat über / gesiegt in stamern
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22 fi
„sUmmi'ln“ : aber das ist nicht Lautwandel, sondern cs handelt sich nm ver-
schiedene Sufiixe. — S. 54 ist das Auftreten von i statt w in Hiifn, aber u. a.
wohl durch das folgende I r xu erkiSren; betrelfs der wechselnden Schreibung
von b, v, f glaube ich nicht mit dem Verf., .daß die Verwirrung xum Teil die
Wirkung iler Lektüre Reuters ist.“ — S. 5ß sind bahn höhn als .Nebenform“
von .Boden“ bctra(ditet, wühlend es doch dem hochdeutschen .Bühne“ ent-
spricht, also mit jenem wohl gar nicht verwandt ist. So könnte ich noch
mancherlei Verbesserungen geben.
Vielleicht ließe sieh in einer etwaigen neuen Auflage der eine oder andere
dieser Winke verwerten. Dann wSre die .Absicht meiner Ausstellungen erreicht,
denn ich habe den Wert dieser fleißig überlegten volkstümlichen plattdeutschen
Grammatik nicht schmälern wollen. Siebs.
Blinker, J. It., Schwänke, Sagen und Märchen in heanzischer Mundart. Leipzig,
Deutsche Wrlagsaktiungesellschaft, 1907. XVI, 436 S. M. 6.
Die „Ileanzon“ heißen die Deutschen des westlichen Teiles vom Eisen-
burger Komitat in Wostungarn, im weiteren Sinne auch die Bewohner der
Komitate Adenburg, AViosclburg und Preßburg. Ihre Mundart ist — so scheint
cs nach den vorliegenden Texten — bayrisch-österreichisch; der Verfasser
freilich möchte einen fränkischen Einschlag annehmen. In dieser Sprache
werden uns 113 Stücke dargeboten, Schwänke, Sagen, sagenhafte Erzählungen
und Märchen, die der Herausgeber nach dem Munde eines Straßenkehrers auf-
gezeichnet hat, und zwar im Laufe vieler Jahre. Beachtenswert ist, daß eine
größere Erzählung zweimal von demselben Gewährsmanne in einem Zwischen-
räume von zehn Jahren wiedergegoben ist: der Unterschied der zwei Texte ist
gering. Das ist eine Erfahrung, diu auch ich öfters gemacht habe: die Prosa
der Erzählung haftet manchmal im Gedächtnisse der Leute so gut wie der
Wortlaut von Versen. — Die Schreibung ist keine rein phonetische, vielmehr
ein Mittelding zwischen einer solchen und einer schriftdeutschen; so bleibt
natürlich manches von der .Aussprache dem Loser unklar. — Volkskundliches
Interesse bieten verschiedene Texte, und dafür müssen wir Dank wissen.
Eigenartig ist die Gestaltung der Lenoronsagc (No. 42). -e-
Henrck, Emile H. van, et Boekenoogen, G. J., Histoire de rimagerio populaire
llamande et de scs rappiprts avec les Images etrangeres. Bruxelles, I.ibrairic
nationale G. van Üest & Co. 1910. 4“. 728 Seiten.
Das umfangreiche Wiprk in vlämischcr und französischer Sprache stellt
sich die Aufgabe, möglichst alles zu sammeln, was in Belgien an volkstüm-
lichen Illustrationen und zugehörigen Texten zu finden war. Die dankenswerte
Arbeit macht keinen Anspruch auf hohen Kunstwert, aber sie ist von Bedeutung
vor allem für die Volkskunde, denn sie zeigt in Bild und AVort das Leben und
Treiben dos 16. bis 18. Jahrhunderts in Belgien und vergleichend auch in
anderen Ländern auf. In vielen Stichen und Holzschnitten, zum Teil auch in
ersten, primitiven Buntdrucken wird das Volksleben vorgeföhrt. Wir sehen
religiöse Darstellungen: wundertätige Bilder und ihre Anbetung, kirchliche
Feste, meist die der Kinderheiligen Martin und Nikolaus, mit Umzügen. Ganze
Gruppen voll Märchen und Legenden, oft nur in Größe einer Briefmarke und
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•227
doch meist deutlich ansgefShrt, mit Text, finden wir; die Typen der Ausrufer
und Verkäufer, die Handwerker bei der Arbeit, Reilttnzer und Llufer bringen
uns das Straßengethebe |rerscbwnndcner ZeiUm wieder nahe. Wie durch hell-
geputite niederlindische Scheiben sehen wir in das Treiben des Haushaltes
hinein; h&nsliche Szenen, Taufen und Hochzeiten ziehen an uns yornber. Auch
Kriegssienen wurden uns in vielen Bildern yeranschaulicht. Große Jahrmarkts-
bilder zeigen die Grenadiere Napoleons; den großen Kaiser selbst sehen wir
bei Waterloo und dann auf eiliger Flucht.
Von echt niedorlkndischer Nairet&t sind die Schwänke und Räuber-
geschichten und die Verse dazu, sowie die plumpen Bilderbogen für Kinder.
Im ganzen stehen die Illustrationen des 17. Jahrhunderts auf höherer
Stufe als die späteren. In älterer Zeit spüren wir eben noch den Einfluß der
guten niederländischen Schule.
Auch französische, schwedische und deutsche Stoffe sind berücksichtigt.
.Alle Verleger, die sich mit Dildschmuck befaßt haben, sind rerzeichnct.
Wie dankenswert diese Publikation ist und ihre ErweiU;rungen auch sein
würden, das wird sich erweisen, wenn die Volkskunde sich den reichen, darin
enthaltenen Stoff zu fruchtbarer Arbeit über Gebräuche und Trachten, Feste
und Dichtungen nutzbar gemacht haben wird. £. A.
HSrmann, Ludwig von, Tiroler Volksleben. Stuttgart, Ad. Bonz & Co. 1909.
498 Seiten. M. 5.
Ein ganz Tortreffliches Büchlein, in dem das Alltagsleben des Tirolers
von einem der gründlichsten Kenner des Volkslebens dargesUdlt ist. Die
Festtage nach dem Kalender, von Lichtmeß bis zu den Zwölften, das Familien-
leben und die häuslichen Ereignisse, sommerliche und winterliche Spiele und
Belustigungen sind so anschaulich erzählt, daß jedem, der für volkskundliche
Dingo Sinn hat, das Buch nicht genug empfohlen worden kann. Möge solche
Schildcruugsweise auch für andere Stammesgebiete Nachfolge finden.
Auf einige sprachliche Anmerkungen würde man gern verzichten, z. B.
Seite 196 wird .Holte“ (vgl. HoltwurO als mittollateinisches Lehnwort (moli-
tura) gedeutet, während cs doch ein (mit lat. molcrc urverwandtes) urgermanisches
Wort ist, vgl. got. mulda, „Staub, Erde.“ — S. 424 re bedeutet nur Leiche,
nicht Bahre. — S. 434 heißt es von lat. talpa, „Maulwurf“ : „da auch die Be-
zeichnung salpa vorkommt, so dürfte das Wort auf den Stamm scalp, „schneiden,
scheeren“ zurückgehon. Wird Derartiges in der nächsten Auflage gestrichen,
so läßt das treffliche Buch nichts zu wünschen.
Straekeijaiiy Ludwig, Aberglaube und Sagen aus dom Herzogtum Oldenburg.
2. erweiterte Auflage, heransgegoben von Karl Will oh. 2 Bände. Olden-
burg, Oerh. Stalling. 1902. M. 7,‘20.
Es ist dankbar anzuerkennen, daß die Verlagsbuchhandlung von G. Stalling
sich zu einer Neuausgabc des vergriffenen trefflichen Werkes entschlusson hat.
Jeder, der sich mit der Volkskunde der oldenburgischen Lande, sei cs der
sächsischen oder der friesischen, befaßt hat, weiß den hohen Wert des Werkes
zu schätzen.
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Daß der IlBransgcbcr der neuen Auflage die alte Einteilung beibehalten
bat, ist nur zu billigen; auili, daß er meint, cs „liegt kein Grund vur, sach-
liclie Angaben aus der ersten Auflage zu uuU'rdrüekeii“, solange sie nieht als
falsch erwiesen sind. Ja, wenn doch einmal nicht volle Neuarbeit gemacht
werden sollte, so würde ich es für das einzig Richtige gehalten haben, auf die
Gefahr hin, Unsicheres wieder abzudrucken, nur einen .Abdruck der ersten
.Ausgabe zu bieten. So wird cs in der Vorrede, scheint mir, versprochen, aber
leider nicht gehalten. Es hiitton ja etwaige Ergänzungen und Literaturangaben
anhangsweise hinziigcfügt werden können. Jetzt aber ist das Allo und Neue
— trotz der angebrachten Sternchen — nicht durch genügende Literalur-
nachweiso gekennzeichnet. Ich halte daher für wissenschaftliche Zwecke
die erste .Auflage weiterhin für unentbehrlich; jedenfalls Lst zu bedauern,
daß der alte Bestand dieser nicht deutlich hervortritt und nicht die alten
Seitonzahlon am Rande vermerkt sind.
Was das wichtige Gebiet des Saterlandcs anlangt, so sind meine nach
sehr zuverlässigen tiewähr.sleuten gemachten Aufzi'ichmingen (in der Zcitsebrift
dos Vereins für Volkskunde 1893), besonders über die Festfeicm, ganz un-
beachtet gelassen. Im Interesse der Sache kann ich erklären, daß ich zwischen
so sicheren MitUdlungen, wie mein alter trefflicher Gewährsmann Remnier
Dumstorf in Hullen sie bot, und so unzuverlässigen, wie der vom Herausgeber
sehr übersebiitzte, mir persönlich bekannU' Bergmann sic — wenn auch W(dil
in gutem Glauben — phantastisch zurechtmachte. gar wohl zu scheiden gewußt
habe. Diese l’hantastereien haben schon verschiedentlich Unheil angeriehtet.
Sollte eine dritte Auflage nötig werden, so muß wieder der erste Druck
zugrunde gelegt werden. Vor allem muß 'aber ein Register geboten werden;
mit einem solchen das Buch liebevoll auszustallen, das hätte der IIiTausgeber
der trefrticlu'ii Strackcrjan’schen .Arbeit sich nieht versagen dürfen.
Siebs.
Itähnhurdt, Oskar, Katursagen. Band I. Sagen zum alten Testament. Leipzig
und Berlin, B. G. Teubnor. 1907. XIV, 37fi ,Ss. M. 8. — Band II. Sagen
zum neui-n Testament. 1909. XVI, 31fi Ss. M. 8. — Band III. Tiersagen.
1910. XIV, .058 Ss. M . 15.
Sagen und Märchen, die die Natur in ihren einzelnen, dem Volke ver-
trauten Erscheinungen zu deuten vcrsiichoii, hatte. Dähnlmrdt schon 1898
bi’rausgegebi'n. Der wissenschaftliche Gedanke, diesen Gegimstand ontwieklungs-
geschichllich zu behandeln, machte die Durchmusterung einer gewaltigen Zahl
von Sagen aller Vrdker notwendig, und hierzu sind dem Verfa.sser manche
namhaften Gelehrten behilflich gewesen.
Das Bedürfnis, die Natur poetisch zu erklären, oder anderorseite die will-
kürliche Ätiologie sind die Triebfedern zur Bildung der Natursagen: in crsterein
Falle soll nur das Warum der Naturerschiünung festge.stelll werden, im anderen
wendet sieb die Sage — mi'ist zum Schlüsse — plötzlich zum Naturgcscliicht-
lichen. Diese letztere, willkürliche Ätiologie ist besonders stark in den
biblischen Legenden vertreten.
Zunächst werden als Sagen, die im alten Testament erscheinen, die Welt-
schüpfung, die Eischaßung dos .Munschi ti, der Süudenfall, der Totschlag .Abels,
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die Sintflut bchandcdl, und die Tiden voIksmüfliKcn Ausgestaltunsen dieser
St-ufTe, wie sie uns in den vereubiedensten Zeiten und bei den versebiedeueUm
Völkern entgcgeiitreten, erscheinen hier — wohl zum ersten Male — nach
rdnenden Gesichtspunkten vereinigt. Sehr klar tritt das dialektische Prinzip in
der Kosmogonie und Anthrupogonio hervor — inwieweit sich hier mit dem Ver-
fasser historische Beziehungen vermuten lassen, bleibe dahingestellt. Es tritt die
grolle Bedeutung der Teufelssagen hervor, die sich in dem Motiv vom Wetteifer
des Teufels mit dem Schöpfer und in der Erschaffung der dem Menschen
feindlichen Geschöpfe, Tiere und Pflanzen sowie in der Verleitung des Menschen
zum Bösen zeigt. SelbstvcrsUindlich wird sich der Stoff zu allen Zeiten
noch ergänzen lassen; aber der außerordentliche Wert dieses Buches besteht
darin, daß durch reiche Zusammenstellung bisher nicht herangezogenen Materials
vieles bisher Getrennte unter gemeinsame Gesichtspunkte gebracht wird.
Der zweite Band ist den an das neue Testament anknnpfendon Stoffen
gewidmet. "Wie bei den Sagen des alten Testamentes, ist selbstverständlich auch
hier nicht in erster Linie au ursächlichen Zusammensetzung mit dem Biblischen
gedacht, sondern dieses hat nur den Einteilungsgrund abgegeben. Und so darf
bei diesen uns als christlich erscheinenden Dingen der Anteil des griechisch-
römischen, germanischen, slavischcn Geistes, auch der orientalischen Einflüssi-
nicht unterschätzt werden. Die große Bedeutung der apokryphen Literatur
wird gewürdigt, die auf das engste mit mündlicher Volksüberlicfenmg zu-
sammenhängt; und zahllos sind nun die i bertragiingen zwischen d<ui biblischen
und apokryphen Stoffen, zwischen christlicbim und heidnischen. Das führt dann
aut das umfangreiche Gebiet der Mischung heidnisch- und christlich-religiöser
Gestalten, die — nachdem ein längerer .\bsehnitt der Entwicklung der Jesus-
sagen gewidmet ist — ganz besonders an der Pigur des Petrus aufgezidgt
wird. Wie heidnischer Volksglaube und christliche Sago sieh mischen, sucht
hier der Verfasser durch Motive zu erhärten, die den Tiersagen eingereihl
werden können. Die Tiere, die dim verscbiedeneu göttlichen Gestalten heilig
oder lieb sind, spielen in der Sage ihre feste Kölle.
Der ganze dritte Band ist recht eigentlich den Tiersagen gewidmet. Mehr
und mehr ist dem Verfasser „die Einheit des mythischen Denkens aller Völker“
zur Gewißheit geworden. Wie die Erziehung des Kindes zur Nalurbeobachtung
bei allen Völkern mehr oder weniger gleiche Wege geht, so auch sind die
Motive der Tiersagen mehr oder wtmiger dieselben, und daher ist auch di<^
anthropopathischu .•Auffassung der Tiere so ähnlich: daher überall die Sagen,
nach denen die Menschen von den Tieren abstammen; daher die Anschauung
von den Übernatürlichen Kräften der Tiere, und daher die starke Wirkung dieser
.knschauiingen auf Sitte und Brauch.
1 »en weiteren Bänden, die einen zweiten Teil der Tiersagon, die Pflanzen-
sagen und eine Samndnng indischer Sagen (von Johannes Hertel) bringen sollen,
sehen wir mit freudiger Erwartung entgegen. Der reiche, wohlgeordnete Stoff
ist uns von größtem Wert«'. Möge der Verfasser seinem Grundsätze treu bleiben,
uns möglichst objektiv dieses große Material zu geben. Gewiß ist es nicht
leicht, den Fehler fast aller Forscher auf dem Gebiete von Sage und Mythos
zu meiden und nicht in eine einseitige Art der Deutung zu verfallen. Afters
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schon scheint sich mir der Verfasser an der tnsscrsten Grenze zu bewegen,
die das Gebiet des jedem Einlenchtenden Ton dem der bei solcher Arbeit zu
meidenden Hypothese trennt: zum Beispiel da, wo von Pferd und Rind als
Gegens&tzen in der Sage geredet wird; wo die Mischungen der Gestalten von
Petrus, Donar und dem Teufel crwfthnt werden n. a. mehr. Gewiß hat jeder
Gelehrte das gute Recht, den Vermutungen Raum zu geben, aber in solchen
Werken, wie in dem vorliegenden, ist jeder Verzicht als ein Gewinn zu preisen.
Mit den besten Wünschen für dies schöne Werk erwarten wir die Zeit,
da wir weiteres berichten kOnnen. Sa.
Busch, Wilhelm, üt öler Welt (ans alter Zeit). München, Lothar Joachim, 1910.
M. 3,50.
Aus dem Nachlasse seines Onkels Wilhelm Busch gibt hier 0. NSldeke
die Ton jenem um 1850 gesammelten Härchen, Sagen, Volkslieder und Reime
in die Öffentlichkeit. Wir sind Wilhelm Busch bei dieser reproduktiven Tätig-
keit schon Tor zehn Jahren im Korrespondenzblatte für niederdeutsche Sprach-
forschung begegnet, aber den meisten wird diese seine Sammelarbeit neu sein.
Der treffliche Busch hat sich auch hier bewährt. Die kurze knappe Erzäblungs-
weise in dun Märchen berührt sehr wohltuend; ich möchte fast glauben, daß
hier weniger nach schriftsprachlichem Gebrauche umgewandelt ist, als in den
Grimin'schen Märchen. Damit soll freilich nicht gesagt sein, daß Kürze immer
echt Tolksmäßig sei. Die Wiedergabe der mundartlichen Stücke ist leicht ver-
ständlich. In den Sagen, Volksliedern und Reimen zeigt sich das Dilettantische
in der großen Dürftigkeit — auf diesen Gebieten hat der Reichtum erschöpfen-
der wissenschaftlicher Sammlungen uns verwöhnt; in den Märchen tritt der
Wert dos Buches durch die Eigenart der Fassungen stärker herror. Sehr er-
freulich und voller Humor sind die skizzenhaften Zeichnungen von der Meister-
hand unseres Wilhelm Busch. Wir empfohlen das Küchlein aufs wärmste.
Uoltber, Prof. Dr. W., Religion und Mythus der Germanen. Neuer Verlag
Deutsche Zukunft, Leipzig 1909. 115 8. 4". M. 4.
Es ist erfreulich, daß auch weiteren Kreisen mehr und mehr die törichte
Anschauung benommen wird, als ob wir nordische Quellen und gennanische
Mythologie gleichsctzcn dürften. In diesem Sinne wirkt auch Golthors Dar-
stellung im Großen und Ganzen. Auch wird der Leser durch eine einleitende
religionsgeschiehtlicho Betrachtung über die Bedeutung von Traum- und Seelen-
glauben, Ahnenkult und Naturbelebung zur vorurteilsfreieren Aufnahme vor-
bereitet. — Bei der Schilderung der i'inzelnen Gottheiten ist vielleicht trotz
alles gegent<'iligen Wollcns dem Nordischen zu viel Bedeutung beigemessen;
andererseits scheint mir Tacitus zu sehr zurückzutreten; und vor allem: hier
sind dem Laien doch mancherlei Vennutungen geboten worden. Wer kann sicher
behaupten, daß Tbiogsus den Volksversammlungsgott bedeute, daß Freyr = ags.
frea .Herr“ sei u. a. m.? Ob freilich andere Mythologcn noch mehr Entsagung
Oben würden, als Goltber, ist mir sehr zweifelhaR; und so wollen wir im
Namen weiterer Kreise fUr diese DarsUdlung dankbar sein. — Sehr klug ist es,
daß gerade diese Schrift auf alle Götterbilder modemer Phantasie verzichtet
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2:n
hat; der Umschlag durchbricht leider mit seinem unpassenden Odinbilde diesen
guten Umndsatz. -e-
Quellen und Foraehnngen zur dentachen Volkskunde. Ueransgegeben von
K. K. BIQmml. I. Kohl> Fr. Fr., Heitere Volksges&nge aus Tirol. Mit
Singweisen. Wien, Verlag Dr. B. Ludwig, 1908. 164 S. M. 6. II, Kopp«
Arthur, Brembergor-Gedichto. 1908. 62 S. M. 2. III. Kohl, F\ F'., Di«
TiroliT Bauernhochzeit. Sitten, Bräuche usw. 1908. 282 S. M. 9. IV.
Krallk, R. r.. Zur nordgcrmanischun Sagcngeschicbte. 1908. 120 S. M. 4,80.
V. HSfler, Max, Volksmedizinische Botanik der Germanen. 1908. 124 S.
M. 4,80. VI. BlOmml, Beiträge zur deutschen Volksdichtung. 1908. 198 S.
M. 7,20.
Die dankenswerte Reibe Tolkskundlichor Forschungen wird auf das
Günstigste durch Franz Friedrich Kohl eröffnet. In seinen .heiteren Volks-
gesängen aus Tirol“ knUpft er an J. Strolz’ im Jahre 1807 erschienenen Beitrag
.Bnrgall“ an, der uns berichtet, wie in Tirol merkwürdige Vorfälle und Er-
eignisse, namentlich spottbcischende, gern in Reime gebracht und abgesuiigen
worden; solche LiediT haben sich dann oft lange Zeit erhalten. Sie wurden
früher meist nur von einer BaQstimme begleit.'!, heute werden sie gewöhnlich
zur Gitarre, die erst seit dem 19. Jahrhundert in Tirol verbreitet ist, oder
zur Zither gesungtm. Eine besondere Rollo spielen die Neckereien, die auch
Buschgawill, Puschgwill oder ähnlich benannt werden — eine Entstellung aus
l’asquill, wie eine solche ja auch im Schlesischen als pulse kwilo oder dergl.
vorkomint. Violstrophige Gedichte in Reimen sind es, in denen einzelne Leute
oder ganze Stände, wie Bauern, Handwerker, Fuhrleute, Bettler, Kästenbrnter
usw. in launiger Weise Torgcnoniinen wurden. Für die Volksdichtung haben sie
ebensowohl ihre Bedeutung wie das Schnadahnpforl. Die Aufzeichnung dieser
Stücke in der Mundart erscheint klar und zuverlässig; ein kleines Würt<n'buch
dient der Erläuti'rung; die Melodien sind teils ein-, teils mehrstimmig.
Eine nicht minder vortrefllicbe, einzigartige Leistung bietet uns derselbe
F. F. Kohl in der „Tiroler Bauernhochzeit“. Josef Reiter, der Leitor des
Mozarteums in Salzburg, hat ihm zum musikalischen Teile Beistand geleisU't.
Religiöse (hochdeutsche) llochzeitlieder, Tafellieder (zumeist mundartlich}, sind
mit Melodien — verschiedene für Klavier — mitgeteilt; dann folgen ein
l’rimizliud, dann alte Hochzeitslänze aus Kastellruth, gesetzt von Reiter, und
dann eine grobe Reihe von Hoebzeitsreimen und Sprüchen — ein Abschnitt,
der sich mit den „heiteren Volk.sgesängen“ berührt; endlich Schilderungen der
Tiroler Volkshochzeit und der Primiz aus etwa zwanzig der verschiedensten
Ortschaften Tirols. — Uns ist eine so eingehende Darstellung der Hochzeit,
sowohl von den Sitten und Bräuchen als auch den Liedei-n in Text und .Melodie,
aus anderen Gegenden nicht bekannL
Im zweiten Bande ist diu bekannte Geschichto vom Herzen, wie
sie z. 11. im Castellan von Goiicj’ erscheint und uns vom Breiincuberger seit dem
13. Jahrhundert berichtet wird, von Arthur Kopp buhandelt. Vom ilrunnen-
berger handelten die Meistersinger, und das hat ja zur Benennung des sog.
Brembergertons geführt; es hieb, ein eifi^rsüchtiger Ehemann sollte den von
Brennonberg getötet und sein Herz gebraten der Geliebten vorgesetzt haben.
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Die Brennenbergor Licdeslieder waren im Schwange. Ihrer siobiehn, soweit
sie aus lliogenden Blättern bi kannt geworden sind, hat Kopp in dankenswerter
Weise hier gesammelt und auch (leschichte und Sage vom Brennenberger be-
handelt.
In Band IV will y. Kralik die nordische Sagengeschichtc neugeordnet
verfuhren und scheidet sieben Sagengrnppen, die mit den „Sagen vor dem
Amszuge Odins“ beginnen und mit dem „Ausgange in die Karlssago“ schließen.
Es ist nicht unintere.ssant zu sehen, wie sich der Verfasser selbständig syn-
thetisch diesen Gang gestaltet hat, und seine Belesenheit auf dem Gebiete
nordischer Sage ist gewiß anzuerkennen — wenngleich nordische Wortformen
vermuten lassen, daß er nicht seihst das Nordische beherrscht. Ist dies die
subjektive Bedeutung des Buches, so müßte ein objektiver Wert seiner Anf-
stelluugen von dem Verfasser noch erst durch eine kritische Arbeit über diese
Fragen erhärtet werden.
Max USflcr behandelt im fünften Bande die einzelnen Pflanzen und
Kräuter, die sich für die germanische Zeit annohmen lassen, in ihrer volk.s-
mcdizinischen Verwendung, wobei Sitte und Brauch eine große Rolle spielen.
.Aber auch zusammenfassende Ergebnisse werden von Höfler gewonnen, indem
er nachweist, daß die altgermanischcn Heilpflanzen fast nur in nächster Um-
gebung menschlicber Siedlungen wuchsen; daß ihre primitivste Verwendung
der Fortpflanzung und Fruchtbarkeit galt, und daß die ältesten Heilpflanzen
die an Stärke, Zucker und Fett reichen Nährpflanzen waren, die vor allem
gegen Auszehrung gebraucht wurden; daß imdlich der Heilgnmdsatz similia
similibus in verhältnismäßig junge Zeiten weist.
Aui'h sucht H. darzulegeu, wie der Animismus besonders die innerhalb
des Ilausgchäges wachsenden Kräuter und Bäume als Gestalten oder Wohn-
sitze des mit Opfergaben zu versöhnenden Hausgeistes belebt habi^, der als
„Kobelhold“ günstig oder als „Mar“ eine Unholdcngoslalt war. Inwieweit sich
so weitgehende Schlüsse auf Kult und Glauben ziehen lassen, wage ich nicht
zu entscheiden. Jedenfalls zeigt Höfler auch hier wieder, wie er seine sub-
tilen Forschungen weiteren GosichtspunkUm unterzuorduen weiß.
Der sechste Teil der Reihe ist ein Sainmelband, in dem eine Reihe von
Forschern mit Thematon zur Volksdichtung hervortreten. Durch Beispiele aus
dem Uöhmerwalde erläutert Jungbauer eine Definition und Einteilung der
Volksdichtung; einen höchst wertvollen Bericht über die Volksdichtung im
Jahre 1907 (schon einmal gedruckt) bietet Blümml; Kohl und Pirkl geben
Nachträge zu der im drittrm Bande behandelten „Tiroler Banemhoehzeit“ ;
andere geben Märchen, Schwänke, Sagen und vor allem Volkslieder aus ver-
sehiedeuen Gegenden — es ist mehr der Band einer Zeitschrift, während die
früheren Teile Monographien sind. Alle dicst; Bände zeigen eine vortreffliche
Ausstattung, die dem lleransgcber und dem Verleger zur Khre gereicht. Ss.
Ilandbllrher zur Volkskunde» Leipzig, Wilhelm Heims. I. Band. Wchr-
han, Karl, die Sage. 1908. Iß2 S. II. Thimine, A., da.s Märchen. 1909.
202 S. III. Schell, 0., das Volkslied. 1908. 204 S. IV. Wchrhaii, K.,
Kinderlieil und Kinderspiel. I!K)9. 189 S. V. Sartori, 1’., Sitte und
Brauch 1. 1910. 18G S. Jo M. 2.
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Gcwili ist es eine sehr nntzlichc Aufgabe, in »eiteren Kreisen Interesse
für die Aufgaben der Volkskundi> zu erwecken, und diese Absicht hegt die
kleine Saimninng wohl in erster Linie und erfüllt sin auch. Sic wird manchem
Anleitung zu eigner lleUtigung auf volkskundlichem Gebiete geben können.
Kino Gefahr liegt in dem Umgrenzen der verschiedenen Gebiete. Vor
allem sind K. Wehrhan Schwierigkeiten durch die Definition erwachsen, zumal
da ja die Grenzen viel umstritten sind. Ifci ihm fitngt das Mißverstindnis
schon mit der Etymologie an: Das Substantiv „Sage“ ist abgeleitet (so!) vom
Verbum „sagen“ nsw., und acht deutsche Wörterbücher werden als Eideshelfer
herangezogen. Sartori sagt, indem er die Begriffe „Gewohnheit, Brauch, Sitte,
Mode“ gegen einander abgrenzen will, u. a. : „Das Wort Sitte h&ngt zusammen
mit altindischem svadhü = Gewohnheit, das man auf sva = snus und dhä =
■setzen, machen, tun, zurückgeführt hat.“ Nun, da muß es doch einmal ge-
sagt sein: seihst abgesehen von solchen unglückseligen Etymologien, es kommt
für uns bei diesen Definitionen, mit denen deutsche Gelehrte so oft altmodisch
die Zeit verplcinperii, garnichts heraus! Ob für die Bhilosophie, will ich nicht
beurteilen; für die Vbdkskundo jedenfalls nicht. Thimme nimmt hier den
richtigsten Standjiunkt ein, indem er über das Wort und die Definition von
Miirchen nichts sagt.
Damit wollte ich aber nur vor künftigen Mißgriffen warnen, keinen Tadel
anssprechen. Denn jedes der Büchlein hat seine Verdienste. Wehrhan hat
in nicht ungeschickter Weise, ühnlich wie ehedem Elard Hugo Meyer cs getan,
auf möglichst viele Sitten und Briiiiche aufmerksam gemacht, indem er sic bei
Besjirechung der einzelnen Gelegcnhidten, z. B. bei der Hochzeit viTgleichend
zusammenslellt. Das hat ja Nachteile, indem vieles Bekannte wiederholt und
recht willkürlich ausgewiihlt wird; aber der Leser lernt auf manches achten,
was beim Erfragen und Vergleichen von Nutzen ist. Heichhaltige Literatur-
angabi'U hesehließen dieses Bändchen wie alle anderen. Nach älinlicher Dis-
position hat Wehrhan das — übersichtlichere und daher dankbarere — Gebiet
„Kinderlied und Kinderspiel“ dargestclit; gute Bemerkungen über Khythmus,
Ih'im, Metrik und Musik sind anzuerkennen; wohl nur ein Zufall ist cs, daß
die wichtigsten Sammlungen in der „Literatur“ vergessen sind, nämlich der
Grundriß und der Jahresbericht der germanischen Philologie. — Am bequemsten
hatte es Schell, da für die Methodik der Volksliedsforsihung reichliche und
nutzharc Vorarbcili'n aus neuester Zeit zu Gebote stehen. Die Darstellung ist
sehr verständig, kurz und geschmackvoll und geht über den Wort hinaus, den
ihr der bescheidene Verfasser zumißt. Am schwierigsten hingi'gcn hatte es
widd Thimme mit der Bt:handliing des Märchens; auch er hat sich in
ilankenswertcr Weise mit seinem Sti>ffc abgcfnndeii, nur daß mir die stilistische
Seite, die doch sehr wichtig ist, zu wenig beachtet zu sein scheint. Damit
genug über die kleinen nützlichen Handbücher, die dem Laien, der sich für
volkskundliche Korschiing interessiert, warm empfohlen werden können, zumal
da sic für den billigen Preis von zwei Mark jedem leicht erreichbar sind. Ss.
Gebhardt, August, Grammatik der Nüniberger Mundart. Grammatiken deutscher
Mundarten VII. Unter Mitwirkung von Otto Bremer. Leipzig, Breitkopf u.
Härtel, 1907. 399 8. M. 12.
Mllteilunacn ü sehlcs. (»es. f. Vkdo. liaiid XII (Heft 2).
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234
Es wird eine sohr nnifangridchp (irammatik der lebenden Mundart Nüni-
berga gegeben, die zum oberpfiUzischon, also zum bairisiben gerechnet wird.
Nach einer phonetischen Darstellung des Lautsystems folgt die historische Be-
handlung. Die Sprache Hans Sachsens wird grundsStzlich ausgeschlossen ; da.s
ist sprachwissenschaftlich begründet, indessen wSre ein nftbercs Eingehen auf
sie doch erwünscht gewesen. In einem bcsondi'rcn Abschnitt w ird die iCcitfulgo
der Lautwandlungen graphisch dargestcllt — eine höchst minutiöse Arbeit, die
freilich nur bei wenigen Miindartonforschern auf Verständnis, d. h. auf Nach-
prüfung rechnen dürfte; cs gehört Mut dazu, die vielen Linien derartiger in
ihrem Werte nicht zu [unterschätzender Zeichnungen nachziiziehen, um schlieUlicIi
doch nur subjektiv gültige Anschauungen zu gewinnen. Lieber hätte man der
Wortlehre und Syntax eine eingehendere Behandlung gewünscht, Wenu z. B.
in § 142 nur ganz wenige Zusammensetzungen mit voll- erscheinen, so möchti'
man meinen, daß sich vielleicht noch mehrere hätten linden lassen, wie wir sie
in diesem Hefte S. 218ff. mitgetcilt haben; natürlich wollen wir das nicht mit
Sicherheit behaupUm. Auch das Syntaktische ist sticfniüttt^rlich behandi-lt.
Daß dem Wortschatz kein Baum gegönnt wird, damit soll kein Tadel für dittscs
Buch, sondern nur die allgemeine Warnung ausgesprochen sein, daß die .Mund-
artenforschung nicht allzu einseitig aufgefaßt werde. — Die Darstellung de.s
musikalischen Akzentes in Notenschrift halten wir für wenig erfolgreich, so si^hr
sic auch in Modo sein mag. Bei jeder mundartlichen Äußerung kommen hier
so viele Imponderabilien in Betracht, daß die Wiedergabe der Melodie durch Noten
viel Zufälliges und Persönliches hat. — Daß unter den Tcitproben <}oethe.s
Zueignung (der Morgen kam, es schauten seine Tritte) „b) im Munde der Un-
gebildeten“ erscheint, halten wir nicht fUr glücklich; cs kann sich bei einem
solchen nur dem Gebildeten zugängigen Stöcke doch höchstens um eine gewalt-
same Übertragung in dio Sprache der üngobibleton handeln.
Doch das alles sind Dinge, die uns nicht hindern, in der Gebbardt'schcn
Grammatik eine sehr fleißige, gründliche und wertvolle Arbeit zu sehen, für die
wir dem Verfasser und Herausgeber Dank wissen.
Pessler, Dr. Willi, Das altsächsiscbe Bauernhaus in siüner ger>graphischcn
Verbreitung. Ein Beitrag zur deutschen Landes- und V^olkskundo. Braiin-
schweig, Fr. Vieweg u. Sohn, 1906. 258 S. M. 10.
Nach Ansicht Pcsslcr's stellt sich das altsächsischc Bauernhaus durch
Vergleich mit anderen Grenzen als eines der wichtigsten Kennzeichen des
Sachsonstammos heraus. Wenngleich sich diese Behauptung a priori bestreiten
läßt, da ja doch die Siedler den Hausbau veränderten Bedürfnissen einer neuen
Heimat häufig anzupassen gezwungen waren, so können wir doch nur dankbar
sein, wenn dio Bedeutung dieses Kriteriums Pessler zu seinen eingehenden
Forschungen über das niedersächsische Haus veranlaßt hat. Das Werk wird
durch eine sehr gewissenhafte Darstellung der geographischen, agrarischen und
technischen Literatur cingeleitet, dann folgen Kinzelforschungim über dio
Verbreitung des Saebsenhauses und seine verschiedenen Ausgestaltungen; reiche
liegister erleichtcni die l'bersicht über das Ganze, und treffliche Pläne und
kartographische Darstellungen dienen der Erläuterung. Als Charakteristika des
Sachsenhauses werden die Dreitciligkeit (hohe Diele mit zwei Seitenschiffen),
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•235
die Stellung des Herdes in der Mitte des Hauses, die Vereinigung des Ganzen
unter einem Dache gewonnen. Ist dies ja im wesentliehen bekannt, so ist
neu und ein entschiedenes Verdienst Pesslcrs, die geographische Verbreitung
auf der Karte fcstgcstellt zu haben. Kr hat es sich keine Mühe rerdrielien
lassen, zu Fuß und zu Itad die ihm wichtigim GcbieU' zu durchstreifen.
HotTentlich kommt er im Laufe der Zeit auch zur Darstellung des friesischen
Hauses, das man wohl aus dem skehsischen bat entwickeln wollen; ich ver-
mute, daß er in dieser Sache zu anderem Krgebnisse kommen wird. Über die
weiteren Forschungen, die Pcsslcr seit dem Erscheinen seines treffliehen Buches
unternommen hat, hoffen wir bei nächster Gelegenheit zu bericlitin. S.
Mitteilungen.
Am 2.1. .luni 1910 starb in Breslau der Schatzmeister unserer Gesellschaft,
Hofkunsthändler Bruno Hirhter. Seit langen Jahren hat er in nnermridlicher
Weise treu seines IChri'namtea gewaltet; in ihm haben wir einen steUs hilfs-
iind ralbereiten Freund verloren. Wir werden sein Andiuiken in Ehren halten.
Am 7. November fand eine Sitzung des Vorstandes statt. Es wunlc über
die Veröffentlichungen und Arbeiten der Gesellschaft beraten und der Bi schlnß
gefaßt, zu dem am 3. August 1911 zu feiernden humlertjährigen Jubiläum
unserer Universität einen Fe.stband herauszugeben, zu dem fast alle diejenigen
Vertreter volkskundlicher Wissensi haft, die zugleich Angehörige der Universität
und unserer Gesellschaft gewesen sind, Beiträge zugesagt haben. — Zum Schatz-
meister wurde der Bankier Dr. Kurt von Eichhorn (Blllcher|)latz 13 11.)
gewählt.
Am Freitag den 11. November fand die erste öffentliche Sitzung im
itörsaal I der Universität statt, l’rof. Dr. Knhnau hielt einen Vortrag über
die Schlesischen F.lben-, Dämonen- und Tenfelssagen und gab damit
einen l'berblick über seine Arbeit am zweiten Bande der Schlesischen Sagen.
Seitdem ist dieser nnifangreiche, außerordentlich reichhaltige B.and im Buch-
handel crs< hiencn, zur Freude aller Forscher auf dom Gebiete der Volkskunde,
sowie aller derer, die Sinn für V(dksdichtung haben. Zumal da wir mit kurzen
Worten das Werk auf Seite 224 besprochen haben, können wir auf eine Inhalts-
angabe lies Vortrages verzichten.
Am Freitag den 9. Dezember hielt die Gesellschaft den zweiten Vor-
tragsabend ab. Universitätsprofessor Dr. Franz Skutsch hielt einen Vortrag
über „eine messianischo Weissagung vom Jahre 40 vor Christus“,
mit dem er einen höchst wertvollen und fesselnden Beitrag zur ReligionsgeschichU-
und somit auch zur Volk.skundc des römischen Altertums gab. Er bot eine
dichterische Übersetzung und eine Erklärung der vierten Ekloge des Vergil, in
der man früher eine messianischc Weissagung und christliche Ansebannngen hat
erkennen wollen. Der Vortragende wies nach, wie sich die Prophezeiung auf
die Geburt eines Sohnes des Kaisers Oktavian beziehen sollte ; daß der Hof-
dichter Vergil in dieser Weissagung eben nur die Möglichkeit der Geburt eines
IC*
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23fi
Sohni-s und nicht auch einer Tnchter — wie sie »ich mit der Gehurt der Julia
erfüllt hat — ins Auge lallt, ist durchaus de.r damaligen AnHchauung gcniHB.
Mit der KrklSrung des Gedichts, das ja später in der Geschichte der christlichen
Heligion, der Dichtung und der bildenden Kunst eim- große Bedeutung haben
sollU“, gab der Vortragende reichen Stoff lur Kunde von römischer Religion
lind Sitte.
Die Arbeiten zur Sammlung und Herausgabe der schlesischen Volks-
lieder nehmen gnlen Kortgang. Die Einsendungen, divren wir im letzten Jahre
eine so große Zahl rorzeichiu'n konnten, haben sich vermehrt. Vor allem ist die
Arbeit nun der Katalogisierung gewidmet gewesen. Auch weiterhin werden wir für
Saininlung und Sendung von Liedern dankbar sein. Nur durch eifrige Mitarbeit
Vieler ist das Gelingen eines so groß angelegten Merkes möglich.
Am 10. Dezember starb zu Heidelberg im fünfzigsten la'bensjahre der außer-
ordentliche Professor der nordischen Philologie und Volkskunde Dr. Bernhard
Kahle, wohl der einzige in Deutschland, der einen amtlichen Lehrauftrag für
V'olksknndc hatte. Der Verstorbene hat sieh nicht nur durch seine Arbeiten
zur nordischen Sprache und Literatur und zur deutschen Volkskunde, sondern
auch durch tätige Mitwirkung an volkskundlichen Bestrebungen verdient gemacht.
Unsere „Mitteilungen“ haben mit ihm einen geschätzten Mitarbeiter verloren.
Da wir für den Fortgang unserer großen Arbeiten, zu denen sich ja jetzt
noch die Herausgabe der schlcsi.schcn Volkslieder ge.sellt hat, bedeuU'nder
Mittel bedürfen, bitten wir unsere Mitglieder dringend, bei geeigneter Gelegenheit
eifrig für materielle Unterstützung unserer Bestrebungen zu
wirken und den Jahresbeitrag wouiögllch nicht mif das Mindestmass von
drei Mark zn beschränken. M ir bitten, auf unsere besondere Mitteilung be-
lugnehmend, um baldige Einsendung au den Schatzmeister, B.ankior Dr. Kurl
von Eichhorn, Breslau I, Blücherplatz 1311.
Als neue Mitglieder traten unserer Gesellschaft bei ans Ilreslan:
Herr Dr. Kurl von Kichborn, Frl. Helene Redlich. Herr Univ.-Professor
Konsistorialrat Dr. Gennrich, Herr Architekt Effonberger, Frl. A. Favorke;
von auswärts die Herren Rcinbold Richter in Seifhcnnersdoif i. S., Apo-
theker Friedrich Buchwald in Schweidnitz, Buchhiiiidlcr Rudolf Mitschke
in Striegan, Karl Sonnenmark in M'icn, Seminarlehrcr Dr. T h. Schünborn
in llunzlaiL
Die n.lrhste Sitzung lindel am Freiing den 13. Januar 1911 um
8 Uhr im Hörsaal I der Universität statt: der ord. Professor Dr. v. Wenck-
stern wird einen Vortrag hallen über „Theorie der Bevölkerungs-
statistik.“
Schluß der Redaktion: 22. Dezember 1910.
A. Favorke, Itresiau II.
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jMitteUungcn
dee Terbandee deutfcher Vereine
für Volkehunde
JSJr, 1. (KorrefpondenzbUtt) 1905.
@dcftewort.
®icfc SWittcitungen ftcHen fic^ in ben !5)ienft beS ScrbonbeS
beutfc^er ®creine für ®oIf§tunbc. Sieben ben nur tn längeren
3n)ifdjenräumen möglicfjen ^ufcunnienfünften füllen fie einen bauern«
ben ®ertel^r feiner SJlitglieber unter einanber oermitteln 3ur görberung
ifirer roiffenft^aftlic^en unb praftifei^en 3Irbeit. Ob fie biefe Slufgabe
erfüllen tonnen, roirb roefenttic^ non ber Unterftü^ung abpngen,
bie fie Don Seiten be§ ®erbanbe§ felbft erfafiren. ®aburd), bafe
fie on fämtlid;e Ginjeimitglieber ber Vereine üerfanbt roerben, ift
ein DoIfätunblidjeS Organ gefc^affen, beffen fieferfreiS üiele Saufenbe
ääf)[t, beffen Stimme nic^t blofe non ben @elef)rten üernommen
roirb, fonbern non ben roeiteften Jtreifen berer, bie irgenbroie oolfs*
funblid) intereffiert finb, ein Organ, roie e§ bi§ jc^t roo^t nod^
nirgenbS befte^t. 9Bir ritzten in biefer erften SJlummer oor allem
an unfere SerbaubSmitglieber bie Sitte, ben „Mitteilungen" burd^
il)re tätige Ieilnal)me 5U ber Sebeutung 5U oerl)etfen, bie fie ^aben
lönnen.
Sluc^ über ben Serbanb felbft, über beffen äußere ©ntfte^ung
unb ^ufammenfegung biefe Summer einge^enber berichtet, ift eS
roo^l am ®la§c, einige SBorte ju fagen, jumal er trol3 ber furjeu
3eit feines Sefte^enS fdjon einigen tritifd)en Sctradjtungen auSgefegt
mar. $ie Sotroenbigteit eines 3>‘f“^“tenfd)tuffe§ ift oon allen
DolfSfunblidjen Slrbeitern oon iel}er anertannt roorben. Unb fd^on
Dor einigen ^a^ren ^at biefe @infid;t ba3u gefül)rt, ba& eine Sn^aljl
Don Sereinen fid^ in bem „©efamtocrein ber beutfdjen @efd)id)tS»
unb SlltertumSDereine" sufammenfanbeu unb bort halb eine neue
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oolf§funblid)c Slbteilung in§ Seben riefen. 9Iu il^tcn S3erf)an,blungcn
fann jeber, ber fid) al§ Jcilneijmer an ber ^auptoerfammlung ^at
eintragen laffen nnb ben Serfammlungäbeitrag entrichtet t)Qt. teiU
nehmen. „®er 3mecf be§ ©efamtuereinä bet beutfehen ®efchi«htS=
unb Slltertumsoereine ift, ein einheitliches 3uf“*^mennjirten biefer
aSereine 3U1 Srforfchung nnb ©rhaltung ber naterlänbifchen ®en!=
möler unb jur görberung ber beutfehen @efchid^t§= unb ailtcrtumS^
forfchung herbeijuführen'' (§ 1 feiner ©ahungen). ®ie
3ufammengef(hIoffenen aSereine beträgt 169, unter ihnen befinbet
fich eine im aSerhältniS nerfihroinbenb geringe ainsahl non fpesicU
DoIfSfunblichen aSereinen (roohl 5 — 6). :3n bet aibgeorbnetenDcr=
fammlung, ber in lehter ;3fnftan3 aUe roichtigen aSefchlüffc jufallcn,
entfdjeibet bie ÜJiehrhcit ber erfchienenen aJereinSuertreter. Qd) führe
biefe ßinselheiten nur an, um ein aiilb non ber Stellung ju geben,
bie ben noltsfunblichen aSereinen innerhalb biefer großen Ctgani»
fation 5ufallen muh- aiian ging mohl banon au§, bag bie a3olt§=
funbe eine „hiftorifdje ^ilfSroiffenfdjaft" fei, eine IRubrif, unter ber
fie bis auf ben heutigen ®ag hüufig untergebracht mirb. (Sine folche
a3etrad)tungSn)eife ift geroih möglidj unb in mand;er ^inficht auch
förbetlich. ®te ©efchidjte bebarf in ber ®at auf Dielen ©ebieten
ber ^ilfe ber aSolESfunbe, unb eS ift nur erfreulid), roenn fie fich
beffen erinnert, aiu^ bie aSolfStunbe ift anbererfeitS auf bie Untere
ftühung ber ©efchichtSroiffenfchaft angcroiefen. ®ic Ißrähiftorie liefert
ihr intereffanteS 93iaterial; bie Quellen ber @efchid)te finb 311m ®cil
aud; bie ihren; bie üerritorialgefchichte hilft ihr manche (Srfcheinungen
beS a3olfSlebcn§ crtlären ; Dor allem ber ßulturgefd)i(hte ift fie nahe
Deriüanbt. a3on biefen engen a3c3iehungen legen auch l>ic l3rooin3ial=
unb lütalgcfd;id3tlid)en ^citffhrifte« 3«ugni§ ab, inbem fie aHjährlich
eine fjülle roertDolIer DoltStunblichcr airbeiten bringen. 39ei aller
aBürbigung aber bes aianbeS, ba§ beibc aöiffenfdjaften nerbinbet,
unb bn§ niemanb locfern roill, follte man hoch nid)t nergeffen, bah
bie aSoltätunbe, unb 3mar nidjt blüh in ®cutfd)anb, fonbern in
allen Ihilturlönbern, längft eine felbftänbigc Söiffenfchaft geiuorben
ift mit eignem airbcitSgebiet unb eigner airbeitSmcife. Schon im
3ühre 1858 beinerftc 38. Stiehl in einem atortrage, ber gerabe
ncuerbingS mit Stecht luicbct mehr beachtet luorben ift, unb ber ben
3roccf hotte, bie Selbftänbigteit unb aBiffenfchaftlichfeit ber a?ülf§=
funbe 3U erroeifen : „3ch seigte Shuen, bajj bie aSoltStunbc fclbftänbig
geroorben fei, freigefprod;en namentlid) dou ihrer alten ®ienftbarfeit
bet ©eographic unb ©efchichtc." ®aS holbc Qahrhunbert, bnS feitbem
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3
|V>tl
Dcrftric^eu ift, ^at bie Sigeiiart bcr IBolfsfunbc noc^ fcf)ärfct au§=
geprägt.
gä finb ^auptfäc^licf) stnet @eficf)töpunKe, unter benen fic i^re
roiffcnfdjQftlicfie 9lrbeit auffa^t. bem 93oI(öIcben bcr @egcn=
loart, ba§ fic erfaffen roiü, erfennt fie bie ^üge einer näheren ober
entfernteren 93crgangcnf)cit roieber; ba§ Sagcälic^t bcr ©cgcniimrt
t)ilft i^r bad 3)unfcl ber Scrgangcnfjcit erteilen. Unb anbererfeits
finbet jened Sßolfälebcn feine roufole ßrflärung roieber au§ ber
i?cnntni§ bc§ längft 93crgangcncu. ^ür ben bcutfd)cn 93olf§forfc^cr
ift boficr bie eingct)cnbe S3efd)äftigung mit bem beutfdjen 9lltertum
indbefonbere nod) feiner gciftedgcfdjic^tlidjcn Seite f)iu unerläfelidj,
oud) 5um SSerftänbnid bcr fog. Stcalien. 2Jlit onberen SBorten, bie
bentfdjc SSolfdtunbe bebarf bcS engen Ütnfdjtuffcd an bie gctmanifd)e
'f}i)itologie nnb 9lltcrtum§funbe. 9lber ba bad bentfdje 33oltdtum
fd}on feit früher 3cit ftarten freinbcn ©inflüffcn audgefe^t roar, bie
bid in bie ©egenroart roirfen, ginfiüffcn befonberd bcr ülntitc, bcr
femitifdjen ißöltcr, ber Slarocn unb 9tomancn, fo finb roir auf bie
^ilfc bcr Sin^clp^ilologicn biefer 23ölter angcroiefen, roenn roir bie
fragen, bie und bad SBoIfdIcbcn bcr ©egenroart ftcllt, bcantroorten
rooHcn. derjenige, bcr und roiffcnfdjafttid) biefe Kombination oou
S3crgangenf)eit unb ©egenroart, oon ij3l)ilologic unb 93olfdfunbc juerft
gelcf)rt ^at, ift Qotob ©rimm geroefen. fRic^l meinte in bem
crroäfjuten Sortragc, roir tönnten oon einer neuen 2ßiffcnfd)aft bcr
93oltdtunbe fclbft bann reben, roenn roir nud) gar nid)td rocitcred
befaßen, ald road bie !8rüber ©rimm jur ©rtenntnid bed bcutfdjcn
9?olted gefdjaffen i)aben.
9Ibcr bie öoltdhinbc — unb bad gilt für bie jeber Diatiou —
mufe i^re 93licfe and) nod; in nnberem als bem angegebenen Sinn
über bie nationalen Sdjrnnten l)inaud rid)tcn. 2)ad üeben bed
IBolfed erroeitert fic^ il;r 311m Ceben ber SDlcnfc^^eit. $ad eigen»
artige alte ©eifted» unb Kulturleben, bad fie betradftet, rocift fie
bin auf ältere Stufen bcr mcnfd;lid;cn Gntroicfclung übcrt;nupt.
'JJlit Staunen finbet fie unter ben fog. 9Jaturoölfern äl;nlicbc 2cbcnd»
formen unb @eiftedcr3cugniffc roic unter ben 93eroobncrn bcr eignen
.'pcimat. Unb fie abnt eine gcfcblicbe Gntroicfclung bcr S)ienfd;beit,
in bcr bie bed eignen Sßolted brinnen ftel;t. !Jcdl)alb mufe fid; bie
iBültdtunbc oerbünben mit bcr 9?öltcrfunbc, bcr Gtl;nologic. ©erabc
bie Icljtcn ^al)r3ebntc buben und bied auf bad bcutlid;ftc gelehrt.
Gs ift ein 93erbienft bcr cnglifd;en (jorfebung mit 'Jlad)briid bieraiif
bingcroiefen 311 baben. '4^ b i f ° ^ o 9 * ^ (rooruntcr id; auch bie 9Uter»
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tumSfimbe Dcrfte^e) itnb Ethnologie finb bic beiben ©ruubpfeilcr
bet roiffenfchaftlichcn iBoIfötuube.
®o6 bie Sßoltstunbe baneben auf bte ÜDlitarbeit 5QhIreicher
anberer SSiffen^chaften angeroiefen ift, broucht njoht tnuni befonbetS
betont 51t toerben. ©erobe in biefer äJiQnnigfaltigteit ihrer 53e*
5iehungen befteht einer ihrer ^auptreije. ^3)nrdh ba§ Sanb, ba§ fic
um bie oerfchiebenften SBiffenSüroeige frf)Iingt, förbert fie in einer
Seit be§ ©pcäialiftentuinS ba§ roiffenfehaftiiehe 3)enfen überhaupt.
Sie gleicht barin ber ißhilofophie, bie ihr, ebenfo roie bie ©efchithte,
3)ienfte leiftet unb folche uon ihr empfängt. Sumal ipfpchologie
unb Soziologie roerben ihr bei Grfaffung be§ Seelenleben^ be§
SßolfeS behilflich fein niüffen. Sheo^oflie 3ieligion§njiffenfchaft
erfchliefeen il;r bo§ gefcljichtliche Serftänbniä ber ©laubenäformen.
SJJebizin unb SfuriSprubenj erleichtern baä Stubium oolfätümlicher
^eilfunbe unb alter 9techt4fitten. 3)ie Uiationalötonomie roeift fie
auf bie roirtfchaftlichen, bie ©eographie auf bie natürlid)en @runb=
lagen be§ SBolt§leben§ hi»- ®en üJaturioiffenfchaften oerbanft fie
ben Segriff be§ organifcheu SebenS unb feiner Entraicfelung.
Sdh glaube, roet fich biefe Eigenart ber Uloltötunbe unb it)rc
Stellung unter ben SBiffenfehaften Ilar nmefjt, mirb uri§ zuftinnnen,
roenn mit, ohne babutch etmaige anbere ^Beziehungen ftören z»
roollen, einen felbftänbigen Snfammenfehtuh ber ooltälunblichen
Slrbeit für geboten halten. 9lur ein foldher gibt unS bie 58erocgung§=
freiheit, beten mir im Sntereffe ber Sache bebürfen unb ermöglicht
un§ S3ünbniffe nach allen Seiten hin zu fchliepen. organifchc
Ulnfchlufj on einen Serbanb, in beffen Sentrum anbere Sntereffeu
ftchen, unb feien fie noct) fo mcrtooll, mufe unfere Ulrbeit lähmen.
lEcr eigne Serbanb leiftet un§ ©ernähr bafiir, bah für fein roiffeiu
fdjaftlicheS unb prnttifd)cö 3Birfen nur o oltSf unbliche ©efidjtä=
punfte nmhgebenb finb. 9lur ein felbftänbigcr 9Serbonb mirb unfere
9lrbeit oor ber S^i^fpiitterung, bic gcrabe für fie fo gefahtbringeub
ift, beroahren tönucn. Eine ©licberung in ^unberte oon felbft=
ftänbigen territorialen Vereinen, mic fie bie lanbesgcfdjidjtlidje 3^or=
fchung roohl oerträgt, mürbe für bie $olt§funbc ocrhängniöooU fein.
®a§ liegt in ihrer auf bas 2ppifd;e gcrid)teten Eigenart begrünbet.
Sd)on jetjt führt bic oiclfnch oorhanbene Sfaii<^>^i'ng unb ber
mnngclnbc Überblid zu mancher nuhlofcn Slrbcit unb bcbnucrlid)cr
firaftoergeubung ; bic 93olfätunbc bebarf ber ft'onzcutrierung. 9hcr
ein felbftänbigcr IBcrbanb eublich mirb internationale Beziehungen
antnüpfen formen, ohne bie mir auf bic 3)auer nid;t auSfommen
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fönnen. i?ciu ernft^after ^iftorifer, am atlcriucnigftcii einer, bem
bic SJoIfäfuiibe am öer^en liegt, roirb un§ ba^er ob unferer ©elbft=
ftänbigteitsbeftrebungen grollen bürfen.
5lu(l) bic Dielen .^ninbcrtc unb Saufenbe oon ßaien, bie mir
für nnferc Sadje geroorben l)abcn unb 511 locrben fud)cn, tönnen
nur ^nfrieben fein, roenn fic miffen, bafe bic öeitung biefer 33c=
ftrcbimgen in ben $iinbcn oon Sadftunbigen liegt. ®ie 33olt§fnnbc
märe in bem 3a^rf)iinbert, ba§ feit i^ren 9lnfängen oerftric^en ift,
rocitcr gefommen, roenn nirf)t atljiiljnufig ber 2)ilettanti§mu§ bie
^üljrnng übernommen ^ätte. 9toc^ ^cutc fpürt bic SoIfStunbc bic
9loc^roirtnng oergangener ^uflänbc. ffltöc^te nnfer ®erbanb biefe
il)rc 2eiben§5eit bcenben, inbem er fic al§ Säiffenfe^aft oertieft unb
anäbaut. Grft bonn roirb and; bic ÜJtitarbcit ber f^rennbe unb
Siebbaber ber 33olf§funbe jur ridjtigen ©eltnng unb Serroertnng
fommen. roir fie bringenb braud)cn, unterliegt feinem ^njcifcl.
^a§ in anberen ®iffenfd)aftcn ein roid)tiger Jcil ber gelehrten
^Irbcit ift unb ohne gelehrte Silbnng nicht gclciftet roerbeu fann,
bic Sommliing beö Stoffes für bic f^orfchung, baS fann in ber
töoltSfnnbc ber gebilbctc 2aie burch feine Jätigfeit in einer SBcife
fürbern, bic für ihn unb bie 3öiffeufd)aft glcidj rocrtooll ift. ®aS
Solfslcben, baS bei aller @leid;förmigtcit im ganzen bod) im ein=
(feinen fo uncnblid) mannigfaltig geftattet ift, unb baS bei aller
5leigung ,^um f^cfthaltcn bcS Sitten bodj fortroährcnb bem langfameu
S2anbel alles ßcbcnbigcu unterliegt, fann nidft oon bem cinjclnen
(ilelchrten gefdjaut unb erfaßt roerben. Saufenbe, bie im 2cbcn
brinnen ftchen, müffcn babei helfen unb hoben bieS feither geton.
Sind) hier gilt eS innigere 93e3ichungen hersuftcUen, bic Slrbcit, forocit
eS in beren eignem Qoiereffe liegt, cinheitlid) 31t gcftaltcn unb bic
(Erfahrungen, bie gemadjt roerben, attfeitig 311 nuhen. S)ieS Ijerbcn
3uführeu roirb eine ber Slufgaben beS SerbnnbeS fein. Unb beshatb
roenben fid; audj biefe 9)Uttei(ungcn an alle nufere fjreiinbc.
3c mehr bic SolfSfunbc 3ur SBiffcufdjaft roirb, je beffer eS
ihr gelingt bic 2aicn 3ur SItitarbeit hcran3U3ichen, befto mehr roerben
oud) bie ßcbcnStrnftc, bic fic in fid) birgt, 3ur (Entfaltung fommen.
(Eine oertiefte itenntniS beS tBolfSlcbeiiS muh, >®ie fic baS S'cnfcn
bcS (Sin3ctncu iimgcftaltet, aud) auf fein .^nnbeln beftimmenb cin=
roirfeu. Unb fo oermag bie 93olfSfunbc, in ber (^cgenioart nnb
33crgaugenheit, einonber erhcHcnb, nahetreten, audj bic ^ofooft
fegcnStciih 311 beeinfluffen. SBiffcnfdjaft unb 2cbeu, bie beiben, bic
fid) fo oft 3um eigenftcu Sdfaben oon einonber entfernt hoben.
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6
fd)Iie^en in iljr bn§ inuigftc SSünbniö. ©ic fc^Iägt bic Srürfc non
bcm in bcni SBolt^gan^cu nnb burd) c§ uiat^fcnbcu natürtidjcn
'JJlcnfc^cn 31t bcm burd) bic pdjftc ©ciftcStultur ©cbilbetcn, nic^t
blo^, inbcin fic getrennte fircife einonber näi)crt, fonbern and), tnbem
fie bic beiben Seelen, bie fo oft of)nc fidj gu ocrftc^cn ober felbft
gn fennen in bcmfcibcn iDlcnft^cn nebcncinanber banfen, bic ou§
bcm ®oIt unb bic auö ber Silbnng ftnmmcnbc, gut ©inbeit gu=
fammcnfd)lic{5t unb fo ein perfönlid)c§ 8cbcn meeft, bo§ im bcimat=
Iid)cn üöobcn feft roiirgelnb feine ©ipfel of)nc ©efabr fröblidj in
bic ^öl)e treiben laffcn fann.
So ift bie iöoltstunbe fdjiicfelid) eine Sadfe aller ©cbilbetcn.
Cfab fie c§ in Söirtlidjfeit merbe, bagn Ijilft un§ boffentlid) ber
neue Serbanb. lUJödftc c§ biefen ÜJiitteilungcn befdjiebcn fein,
bienenb unb oermittclnb gur Grreid)ung ber großen bic ibm
geftceft finb, mitgumirten.
ül. S t r a cf.
2. Bericht
über die zu Ceipzig am 6. Hpril 1904 abgehattene honftituierende
Sitzung des Terbandee deutfeher Vereine für Voikshunde.
Ter hu Saufe bcs 'iSinter^ 1903/04 uoii ben ^Crofcfforen Dr. G. fDl ü 3 t*
Seil), 93 imb Dr. 9(. £ t r a et > ffliefien nii eine grobe 3“bl »on 'ilereineu unb
Gin.ielforfcfiern ergangenen Ginlabnug, am 6. nnb 6. 'Jlpril 1904 ju Seipiig
jn einer S3eratung über ben 3iiiammenfti)lnö ber beutidicn 'Vereine für 9.lo(tö»
fnnbe jiifammengntreten, batten bie nad)ftebenben öerren Ivolgc geleiftet :
Web. 9lrd)iprat Dr Taillen, iPerlin. cdjriftfteiler Dr. S ö cf e l ,
'D!id)cnborf (iDlorf). fßrofeffor Dr. SR. 33 0 b n e n b er 3 e r, Tübingen. Cber-
lebrer 33rofeffor Dr. J. 33oIte, ®er(in. Dr. 33. Grome, Wöttingen. Ober»
lebrer Dr. C. T ä b n b n r b t, Seipjig. ^'rofeffor Dr. 31. T i e t e r i d) , öeibel.
berg. Weneralinnjor j. T. Rreiberr non 5 riefen, Tresben. Dr. ©iefecte,
Seipjig. Dr. St. (älrnber, Treeben. Dr. Gb. .^abu, 33er(in. T'rofeffor
Dr. 31. .S) au ffen, 33rag. 35rofeffor Dr. .U. Odm, Wiegen. Dr. p. 6eU
m o 1 1, Seipjig. Web. Slegiernngsrat 33rofeffor Dr. 351. e n n e, Wöttingen.
33rofeffor Dr. $>. öirt, Seip.üg. 33rofcffor Dr. 33. Kable, öeibelberg. 33ro^
feffor C. St n OOP, niogafen. Dr. fjricbrid) £. St rauft, 3l3icn. 351ufeutn>j.
Slffiftent Dr. C. Sauf f er, ffrontfurt a. 331. Dr. raetl. IR eigner, Seipjig.
Edtriftfteller ;R. 331 i elfe, 33erliu. Thofeffor Dr. G. 331 ogf, Seip.gg. Ober»
lebrer nnb 33riuntbojent Dr. St. 31 e u f d) c 1, Treoben. 3-trofcffor Dr. i'l. 31 oe •
biger, 33er(in. Cbericbrer %*rofcffor Dr. £artori, Torlniunb. 33iblio*
tbefnr Dr. C. £d)ell, Glberfelb. 35rofeffor Dr. O. £ei)ffert, Tresben.
T*rofcffor Dr. TI)- Siebst, 33reslau. 3abrifont $. «ötelnnb, Scriin.
T'rofeffor Dr. 31. £tracf, ('Siegen, sgeofeffor Dr. S>. £tnmine, Seipjig.
Web. 31e3ierungörat Dr. 3' oft, 33erlin. Cberleftrer 31. SSoffiblo, SSoren,
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7
Jjolgcnbe SSetcinc unb ülnftoltcii roorcn burd) biefe ^>erren Dertrctcii:
Setein für Soltäfunbe, Serlin. ®cfcnid)aft für niebcTbeutfd)e Soltä»
funbe, Ciöttingeu. Serein für fädjnfdje Solfäfunbe, lirc^bcn. Sctjlcfifdic öe-
feUfc^aft für SolfSfunbe, Sreälmi. 3Bürttcmbergifd)c Scrciniqung für Solfgfunbe,
Xübingen. Serein für (Sgetlänbct Solfstunbe, Gger. ^effifd)c 'Bereinigung
für SoltSfunbc, @iegen. Setein für tl)einifd)>n)cftfälifd)e SoItSfunbe, Xort»
munb. Sabifc^er Setein für Soltgfunbe, ^>cibelberg. 3(usfd)ug für beutfd)-
böbmifd)c Solfsfunbe, Stag. b^eicUfc^aft für Sntf)ropoIogie, @tf)nologie unb
Urgefd)ic^te, Serlin. Siuieiim für Soltstrac^ten, 'Berlin. 'Stanbenbutgia,
Serlin.
0(^riftlic^ batten ihre prinjipieQe 3uftiminung jii bem geplanten 3»«
fammenfd)lu6 folgenbe 'Sereinc auggefptod)cn :
Serein für baprifdje Solfgtunbe, 'JSütjburg. Sebroeijerifebe ®efeUicbaft
für Solfgriinbe, 3>""-‘><i>' Serein für Soltsfunbe unb Solfatuuft, Sfüneben.
Serein für 'Sierlönbet Runft unb ^eimattunbe, SUtengamme. Serein $)eimat,
ftanfbeuren. Xeutid)er SoIfSgefangncrcin, SJien.
Sie Seratnng fonb Sfittiood) ben 6. 9tpril, pormittagb 10 llbr, im
£)örfaal XI ber Uniperfität ftatt. XenSorfig botte$)errSrofeffor Dr.?t.Stt ad-
©iefien, baä Srototoll führten bie ^)erren Dr. Xäbnbarbt« Seipjig unb
Dr. ra r n b e r . XreSben.
?)ert Srofeffor ©traef brachte jnnöcbft boä Serbältnig ber poltsfnnb-
lidien Sereine jum Öefamtperein bentfd)cr ®ejcbid)tg« unb 'JUtertuinsocreine
jur Sprache unb legte bar, bnft ber 'Serfueb, in einer fünften Seftion beä
WefaintuereinS bie polfsfnnblicben Sereine äniammcnjnfcbliefien, notipenbiger»
tpeife fd)eitern iniiBte. Xer 'Sorfigenbe beä (öefamtuereing beutfeber blefcbicbtä'“
unb 'lUtertumgpereine, fjerr (gebeimernt Sailleu, perfud)te bogegen nad)ju>
roeifen, bag eg ipol)! moglicb toüre, and) innerhalb biefer Seftion ben 3»’
fammenfeblufj ber polföfimblicbcn Sereine fruebtbor ju geftallcn.
Xie Xigfuirion jeigte jebod) fofort, bag für biefe ?lnglieberung an ben
Mefaiutuerein in ber Serfammlung feine Stimmung oorbaubeu tuar; auch
6err Wenernl ooii Sriefeu, ber einftige Segrünber bet poltgfunblicben
Seftion innerhalb heg Wefamtoereing trat für bie Sdjaffung eineg f e l b •
ftänbigen 'Serbnnbeg ein. 'Jlad)bem bann audi öerr Webeimerat Saitleu
im Samen beg Wefamtpcreing bem neu 511 grünbenben 'Berbanb bie beften
9Bünfcbe für bie 3»tn«ft auggeiprodjen, unirbc auf tgrunb einet jmeifacben
Sbftimmuug (einer und) .(topfen unb einet nad) Slörperfcbnften) bie ©rünbung
eineg folcbeu 'Setbanbeg befd)Ioffen.
Xaron fd)log gd) bie 'Beratung bet Crganifation beä Serbnubeg. Sie’
führte ju folgenben grunblegenben 'Befcblüffen.
1. Xer Serbanb erhält ben Samen: „Serbnnb beutfdter Set*
eine für S 0 1 f g f u n b e.' Xet 3«f“g *•” Xeutjdtlanb, Cfterreid) »mb ber
Sd)ineijt" fod hinjutreten, fallg eg non C|tctreid)iid)er ober Schmeijer Seite
geioünjcht »oirb.
2. Slitglieb beg Setbanbeg fön neu alle Sereine unb
91 n ft alten ip erben, bie fid) bie 5örbcrui»g ber 'Boltgfunbc
jum 3icle gefegt haben, dagegen »oirb nug praftifchen ©rünben bie
9lufnahmc einjelner Serfouen aig Slitglieber beg 'Serbnnbeg abgelehnt.
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3. CineSBerfammluitg oonSIbgeorbnetcnber einjcf»
nen Beteine foll miubeftcnS aUc jroet Qoöte, in bringen-
bcn Sällcn ijäufigcr jufam men treten. ®ie 3E3al)I beö Crteä
bet Slbgeorbnetenoeriammlung bleibt bet jeroeilä jufammcntrctcnbcn Bet»
{ommlung libcrloffen, bie oon 5“ cntjc^cibet.
4. 9113 geineinfameS Ctgon (oll ein Jlotte(ponbcnäblatt in bet Störte
oon ctroa jmei Bogen iöbrlid) cr(cbeincn.
6. 3tber bem Bctbanb angeljötcnbe Betein jn^lt einen jö^tlic^cn Bei»
trog oon 10 Bftnnig für jebeä (einer SDütglieber, minbcftenS (ebocb 10 3Jlf.
Siafnt erljält er (ooiclc ©jcmplare bcS fiorre(ponbenäblatte3 al§ et Blitglieber
jöl)tt. — 9lnftaltcn jaljleu minbeftenS 10 931f. Beitrag unb erbalten bis ju
20 Cjemplatcn bcS Rotrc(ponbenjblQttc8.
6. Sine SentmlfleH* 'fl Bctbanb ipiinfc^enSroett; bie(elbe (oH
il)tcn Sitj toecb(cln tonnen.
7. ®e(d)öftS(üt)tcnbcS Organ bcS Betbottbes ift bet 9lnS(cf)u6.
■Jie(e Bc(ct)lüffc nebft einet 9icit)c oon ergönjenben Bcftiinnumgen, bie
(pejiell bie ®e(ct)äftSotbnung betreffen, fn'b ben Sattungen beS BetbanbeS
niebergclcgt, oon beten erneutem 9lbbruct toir hier abfeben.
3n ben gefcl)äftSfiil)tcnben 9luS(d)up nmrben gemöblt:
^)err Btofeffot Dr. 91. ® 1 1 o ct , ©iejjen, olS erfter Borrtbenber.
Cicrt Btofeffot Dr. IH. SiJün(d), Siegen, als jroeitet Borftgenbet.
^ert Btöfeffor Dr. ft. ^ e l m , ©iegeu, als Scfitiftfübret.
®en ©{gagmeifter ju fooptieren blieb bem 9luS(d)ug überlaffen. ®erfclbe
roöglte in bet Sigung oom 6. 9luguft 1904 ^ertn SHecgtSauioalt Dr. S p o g t,
©iegen, Srantfurterfttage 10.
Bet uöcgfte BetbanbSfag foll im öerbft 1905 in ^>omburg unmittelbar
not Beginn beS Bg'IologentageS abgegalten loctben. tperr Oberlcgret 955 o [»
fiblo gat bofüt einen Bortrag über „bie lecgnit beS Sammelns* jugefagt.
3. Terbandsangelegenbcitcn.
9llS 3Jlitglieber finb bis jut Xructlegung biefer Bummer bem Betbanbe
folgenbe Bereine unb 9lnftalten beigetreten:
1. Berein für BotfStunbe, Berlin.
2. Sd)lefifd)c ®efcU(d)aft für BoltStunbe, BteSlnu.
3. ficffifcge Bereinigung für BoltStunbe, ©iegen.
4. ©eiellicgaft für nieberbeutjege BoltStunbe, ©öttingen.
5. Berein für rgeiniicg^ioeftfölifcgc BoltStunbe, Xortmunb.
6. Berein für babifege BoltStunbe, $teibelberg.
7. 0eicllfd)aft für 9lntgropologie, Gtgnologie unb Urgefegiegte, Berlin.
8. Berein ber Sammlung für bcut(cgc BoltStunbe, Berlin.
9. ftönigl. 3)!u)eum für Böltcrfunbe, Berlin.
10. 9luS(cgug für beutfcg»bögmi(cge BoltStunbe, B>-‘a9-
11. Bctbanb für ©gcrlönbct (91otbgaui(cge) BoltStunbe, Gget.
12. 9i5ürttcmbcrgi(cge Sammelftctlc für ooltstümlid)e Überlieferungen
(ftgl. StatiftifegeS SanbeSamt unb Bereinigutig für BoltStunbe).
13. ®cgipeijeri(d)e We(ctlfd)oft für BoltStunbe, 3üficg.
14. Baron Bratentgal’jcgeS Bhi(cum, .^ermannftabt.
9
SlbgeleOut f)at ben ©iutritt bcr 33crciu für öftevvcic()i!cf)e 5?o(föfunbc
mit 9tüctfid)t auf feine ja()treici)en nict)tbeutfcbcn iDlitglicbcr imb 9lufgaben.
einige nnbere ?lereine mugten ou^ finanäietlcn ©rünben oom Gintritt
abfeben : nämlid) bie 9liebcrlmifiger ®cfcUfrf)aft für 9tntf)ropologic nnb 3Uter»
tumsfunbe, ®uben; ber ‘öercin für iPiertönber ftnnft nnb $ieimatfunbe, Sitten»
gamme; unb ber Holtsgeiangsoerein, SiSien. 3lnd) ber ^iftorifd)»Iitetorif(f)c
3roeigocrein bc^ 93ogeienftub5 bat megen bcr ^öbc beä 3leitragg Siebenten,
febod) liegt non biejein, mie non einigen ineitcren Siereinen eine befinitine Gnt>
febeibung nod) nid)t nor.
Ser SBercin für föcbfifdjc SBoltsfunbc unb ber 33erein für bagerifebe
Slolt^tunbe haben ihren SBeitritt abhängig gemacht non einer ,3inberung bcr
0obnngen, inäbefonbere in ber 9tid)tung ouf ^«bresbeitrog nnb Selbftäubig.
feit bcr Ginjclncreinc*. Sa bcr gcfcbäftSfübvenbe Slnäfcbub nid)t berechtigt
ift eine folcbe Slnberung norjunebmen, inirb bie Slngelegcnbeit auf bem nncbften
Slerbanbötag jur Sieratung foinmen.
4. Tereins-Nacbnebten ‘)*
’^^eretn für ‘^adtlunbe, Sicriin.
Seine ®efd)id)te in ben fahren 1891—1900 bat Rarl SPciubotb im
elften beä 'Sereinö ®. 110 ff. gegeben. Gr ift ber
flltcfte herein für 33oltstunbe unb am 23. Qanuar 1881 begvünbet loorbcn.
Sein 3'fccf ift bie (förbening bcr toiffenid)nftIicben SJoItätunbe. Gr (egt boä
$)auptgetnicbt auf i’orlrägc unb Griäutcrung non Hotlogen in ben adjt .
Sibungen be§ 3abteä unb auf bie £)crau§gabe bcr ,3citfcbrift beä Sierein«
für Slolfätunbe“, bie nierteljäbrlicb in Jpeften non je 8 Siogen Cer. 8“ mit
Sofetn unb 3lbbilbungen erjd)eint unb ben äUitglicbetn portofrei äugefanbt
roirb. Ser 3<*brcäbcitvag beläuft ficb auf 12 fUlarf. Sic 3abl bcr 3J!itglicbcr
beträgt runb 200. 31nf abgegveuätc fjorfebungs» unb Sammelarbcit mußte
ber 'Percin ucr,nd)tcu, um bie Sätigteit nennaubter bereits beftebeuber (S3rau>
bcuburgio, 3)hifcum für 'Po[t§trnd)teu, ®cf. für Stntbropologic u. f. 10.) nid)t
ju frenäcn, lehnt fie aber nid)t ctina gvunbfäl)Iid) ab. 9!ur eine Siibliotbef
bat bcr llcreiu nach unb und) sufnmmcugcbrncbt, bie nornebmlid) burd) Saufd)
erroorbene in» nnb auslänbifdte 3fit!ä)riftc» umfaßt. Grftcr SJorrtljenber bcs
33crein^ inar biä jii feinem Sob am 15. Slnguft 1901 fein Siegtünber SCcin*
bolb, feitbem leitet ißn 'Prof. Dr. 3)lar SU 0 e b i g c r , Söcrlin 8W. 48, Sffiilbclm»
ftrnße 140. 3f®eiter 'Porfitjenber unb ^jeranögeber bcr 3r>t!ä)rift, Icßteres al§
9lachfolgcr 'BJcinboIbä, ift 'prof. Dr. 3obfl'»'rä Solle, Scrlin SO. 26, Glifa»
betbufer 37. Sen ‘Porftnnb bilben außerbem 2 Sdjriftfübrcr, 1 Sebaßmeifter,
') SBir beginnen hier mit äufammenfaffenben 3lngabcn über bie biäberigc
Gntroidlung nnb Sätigteit ber Ginjelncrcine. ßeiber tann nuS SUnummnngcl
norerft nur ein Seit bcrfclbcn ncröffentlid)! tncvben; bie folgenbeu SUummeru
ipcrben bie fyortfeßung bringen. 3tußcrbcm foU fortlaufcnb über alle tnicb»
tigen Greiguiffe bc§ 'Pcrcinälcbcn§ (neue Unternebmungen, SÜnberung in bcr
Crganifation u. f. n>.) berid)tet roerben. 3öir bitten bie Sorftänbe bcr 'Percinc
uns jcioeilS entfpreebenbe SUitteilungen jutommcu ä« laffen.
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2 Scifitjcr. 9tii§jcl)u6 oon 12 üllitgliebom o(s Seirat jur
Seite. 9Ulc ©enannten roerben alljäbi'Iicf) <tcn)äf)tt. (ß.)
SSetHner ^eCeirfAaft für ikni(rop«r«gi(, ^ifn«f«gi( nnb 9rgff4l4((<
SJetliii SW., fiöniflflröt5etftro6c 120.
©cnrüiibet 1M9. ilütftonb; ©cf). fDleb.^SRot 'iProfcffot Dr. SJ. SBalbeoer,
Scrlin, öutberftraße, Söorritjcnber. — Dr. phil. ^oul Stöger, Sctjriftfü^rcc.
3af)te9beitrng 20 ü)lt. 3Jlitgtiebcrjn^I; 5 ©f)rciimilglicbcr, 110 ©orrc=
iponbievenbe Sfflitglicbcr, 527 orbeiitlicbc fUfitgliebcr.
3ii>ccf bet ©efcUfc^aft ift bic Sliiregung tmb Sörbfraiig bcS ^ntcrcffcä
für 9lntt)ropologie, ©tbiiologic unb Urgefct)id)lc butef) ®crf)miblimgeii, foroie
bic Sörbctimg biefer äBiffciijd)aftcu burd) UntcrftiUjimg ooii Untcrind)ungen
)mb 9lrbeiten, tpeldjc biefclbcn betreffen, burd) Sommfuug, SJcgiftrieriing unb
'ßetonbrnng bc9 fDloteriols unb burd) ©tlctd)tcrimg ber Scntittung beäfetben.
Sic @cfcllid)aft befil)t eine 3d)äbet* unb Stelettfmnmtung, eine Sibfio«
tf)et unb eine Sanunlung antbropofogifd)er, etf)nogropf)i)d)er unb urgefdjicbt-
ltd)er 'i*I)C‘tograp()icn.
'}5ublifntiouen : 1. 3«iffd)rift für ©tI)nologie mit ben 93erl)aubluugen ber
Weienfebaft (feit 1809), jöörlicb (ed)9 $)cfte. — 2. 91ad)rid)tcn über Scutfebe
OUtertumsfunbe (1891—1904), biefelben erfebeineu oon 1905 nn nicht inebr.
'herein ber ^antmrung für beuir4e ^ofKskunbe (früber: „herein beS
OTufeutnä für beutfd)c 'ßo(fstrad)tcn unb Srjeugniffe beä $mi§gcinerbe§‘').
Set 'ßcrcin eniftonb 1891 au§ betn 1888 oon fHubolf 9?itcboro gcgtüii-
• beten .Homitee jut Grriebtung eines ÜJJufeumS für bcuticbe S8olfStrad)ten unb
©titcugniffc beS JörniSgctucrbeS", in Sfetlin. ©nbc 3J!ai 1903 übernab’” bie
ftönigt. ^rcufi. StontSrcgicrung bas iDiufeum unb glicberte cS bem ftönigL
ÜJlufeum für 'ßoltsrunbc in 'ßcriiu unter Seitung bcS Weh. iRcgierungSrateS
Dr. 9Ub. 9Job nn. Ser 'ßcrcin bleibt unter äinberung bcS SlamcnS unb bet
Statuten befteben.
Sforftanb: 'ßrofeffor Dr. 3)(. SJartclS, ©ebeimer SanitntSrat, Serlin NW.
Sfomiftraftc 7, 'ßorfibeuber; — fjabrifnnt 6. Sofclaub, SBcrlin, Sebriftfübrer.
3obrcSbeitrng 10 iDIt. ; fPlitglieberjabl 195. SaS Sninmclgcbiet ift ganj
Scutfd)lnnb.
Ser SPcrcin mibli.üert jinangfofc Jpefte tnöfiigen UmfnngS.
^thttfüaU für nirbrrbenir4e '^«(BsKunbr.
©cgrüubet 1902 (betporgegangen aus einer feit 1898 beftebenben ata»
bemifeben Itercinigung, bic fid) nus)d)lieblicb bnS Sammeln polfSfunbticben
3J!atcrialS jum 3'tf flttelit batte). — 'ßorftanb: ©ebeimer SfegicrungSrat 9Jro»
feffor Dr. 9)1. .(bei) ne, ©öttingen, 'ßorfiljenbcr. — 'ßvipatbosent I>r. (Sonrab
Sordtliug, (böttingen, 2l<cenbernUcc 5, erfter 5d)riftfül)rcr. — Dr. 9). Grame,
©öttingen, 3übeuftrafiC 17, jipciter Sebriftfübrer. — Cbcrpoftictrctnr Seide,
©öttingen, Sd)nbmciftcr.
OnbrcSbcitrng 2,60 9)ir.; 9)litg(iebcri)obl (1904) ctipa 120. Sie ©efeU*
fd)aft fnminelt, mit 'ßusfdtlufi aon SBcftfalcn, im gaitäcn Slieberbeutfcblanb.
Sic Sammlungen erftreden fid) auf bnS ganse Webiet ber IBoItSfunbc, au8=
gcfd)loffcn ift ifanbeStunbe, SbeuölfcrungSftatiftif u. f. ii’.
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SJeröffciitlidjt finb biä ictU mir Sraflcbogcu; in ^luSficbt flenoinmeu finJ>
ptriobijci) eifcl)cincnbc „iDlittciliingcu“ an bic SDiitglicbcr, bancbcn nb9C)d)loffene
ficinc «tubien nlä ,9Jcuiaf)r§blQttct*.
Xic WefeUid)aft bcfitjt fein iDlufeum nnb feine !0ibIiott)ct; bn§ 9lrcf)it>
ift bejonber? teirf) nn ninfänglici)en Sammlungen über bog fcfllic^c 3al)r,
bog 31oItglicb nnb bie ^olfgjage.
herein für '9!rrfünber ^nnfl nnb Jaeimailnnbe, 6. 31., iUltcngamme.
(^egrnnbet 'llooember 1901 in 9tenengomme in ben 'l<ierlnnbcn (|)om>
burgifebeg Canbgebiel). (Sine Xisfiüfion im £pred)iaal ber flergeborfer 3eit«ns
batte ben bireften 9lnftoft baju gegeben, toöbrenb im engeren Rreiie bie (fttün*
bang (cbon uorl)er gepinnt mar.
(Ter 'Uorftnnb mirb ouf brei geiuöblt, er beftebt jur 3uit öen
Herren; iinftor 5- &0H3, 'lUtengamme, 1. 'i<orf.; Canbroirt £. ©dtaumann,
9lltengammc, 2. ilori.; 31oftor 211. 91 n tilg, (9eeftbnd)t, Sdiriftfübrcr; ftnuf-
monn S. $)eitmann, 9leuengamme, Raifterer; Seifiger: Üaiibiuirt 3.
ben, Rirdmmrben, Runfttiicbler (S. Üimman, Curglad, Runfttiicbler 3-
fnrfen, Slird)iparben.
ailitglieberjabl ('lluguft 1904) 254.
Oabregbeitrag 2 'DK. (Xie (8eiamteiima()me betrug 1903 : 203G Ü3K.,
bie aiuggabe 1954,35 DK.)
3mect beg 'llereing ift: 1. 5ie (Srforid)ung unb Dflege ber in ben Dier»
Imiben porbanbenen Runftbenfmäler. 2. ^ie Seeinfluffiing beg gegeniucirtigen
tionbiüerfg im Sinne ber ollen beimallidKn Runft. 3. 'Sie 'lleförberung beg
etubiumg ber ()eimallid)en (Defcbidite unb fiulturge(d)id)te.
Tie 'Holfgfimbe im eigcntlidten Sinn bnl bet Dcrein offisiell imd) nid)t
bearbeitet, basjelbe ift für fpöter in 9lugnd)t genommen.
■tierauggegeben tuurben 3ol)regberid)te unb Keine 21roid)üren, ,timöd)ft
nur für bic 'Diitglicber unb einen tieiueren Rreig beftimmt.
Verein für ^gerfünber Vo^^fionbe, (Sger.
Wegrünbet 1897 pon 9Uoig 3obn, SdtriftftcUer in (Sger, ber pou
1897—1904 ben 'l*erein als 21orftanb leitete. Oeibresbeitrog 2 Rtoneu, Düt«
gIicber,to()l (1903) über 500; Snmmelgcbiet baS ISgcrlnnb.
Dublitationcn: a) 2llg 2(ercinSbIatt Pon 1897—1904 „llnfcr (Sgetlnub*,
21Inlter für ISgerlönber 21olfgfunbe. ^ieie 3eitfd)rift crfdieint oou 1904 un»
«bbnugig pom 2<erein im (Sigcnncrlng bcs 'Hcgrüiibcrs unb ßetauSgeberg
911oig G'fler, 21aI)nI)offtrafie 2.5.
li) (Sgcrlönber DoKSlicbcr I 1898, II 1901, 'UrciS jufommen 2 Rr. 40 ©.
Xer 'llercin befigt lucber ein 9lrd)iu nodi ein 'Dlufeum, aber eine ficinc
'llibliotbef unb ein pl)otogrnpl)ifd)cS 'lllbum.
Xer 21erein fdjcint infolge perfönlidicr Xifferen.^en im 301)« 1904 jein
(Silbe gefunben ju baben, iüil)eres bnrüber foiuic über ben 'ilerbleib feiner
Sibliotbef unb 'llbotograpbicenjnmmlung luor iiid)t ju etiiiiticln. Seine 9lrbeit
mirb fortgefcljt burd) ben iiad)gennniileii2terbaubfüt(Sgcrlänbcc(91orbgauifd)e)
Dolfsfiinbe.
Vetbaitb für ^gerfünber (V«ebganifi6e) Vo^sKtixbe.
(ilegrünbet 1904. (grünber unb berjeitiger üeiter 9lloiS 3 0 b "/ £ff)rift*
Di ■ ■
Googfc
12
fIcUcr, (Sflcr, 33at)uf)offtrafje 25. 2 fitonen. $cr i'crbaiib t)ot
9)ertrctcrjrf)aftcn in 9lfcf), (Sflct, 5fItcnou, ftorlsbab, '^(an, Icplit?, Jacbau,
aj!ic§. 9lls 'Sorort unb ^««rntftcnc gilt ßger. — Sammelgcbiet bc§ 'Cer-'
banbä ift bnö ganje tiorbgauiid)C Spracbgcbict in 'Jcntid)böf)men, feine Satnm=
Inng erftredt fid) nuf bic gefamte Süolfstnnbe.
Crgan bes SJevbanbcs: Unfer ßgcrlnnb, iölötter für Ggerlönber
(unbe, berau^gegeben v>on 9i[oiä Oob”r Gfl'r- erfdjeinen G Riefte.
Jln<(rop*r»sif4( ^efettfdiaft, 9Bien.
©egriinbet 1870. 'läunettoe: ©rjbetsog Sronj Scrbiimnb oon Öfterrcicb«
©fte. ©btenprärtbent: ®r. fvetbinanb i^teiberc uon 9lnbrian*®erburg.
^röribcnt; 'IJtofeffor Dr. R. loibf, Süien IX/1, SfiJajagaffc 8. Itiäcpräribcuten;
©ebeimetat Dr. R. 21). o. 3Hanin»£terncgg, 'itrofeffor Dr. ?,!. 30910»
iRegieningärat Dr. ÜR. iUl u d). Setrctäcc: ’lJtofcffoc Dr. 9i. 9)lud), ülRen XIII/2,
^cnjingerftrabc 82; Dr. Sico S8oud)al, Siien IX/4, Spittelauergaffc 2. 91njjet«
bem geboren bem itorftonb ein Siccbnungsfiibrct unb ein Äofrier au, fotoic
16 9hiöid)ufträte. Sorftnnb unb ÜluBfcbufj loerben auf brei 3obw geroäblt,
in ber ÜBcife, bofi jcibtlid) bic Slcuioabl eine-ä 5ritteB ftntiRnbet.
'Jiitgiiebersahl; 25 ©brenmitglicber, 65 Rortefponbievenbe iDlitglicber,
3 Stifter, 39 unterftübenbe iRitglieber ('Beitrag 20 Rronen), 345 roirtlicbe 9)!it»
glieber (Seitrng 10 .Rronen). 2ic ©efainteinnnbiuc betrug im 3o()rc 1903:
12918 Rronen, bic 'Ruägnbe 12770 Rronen.
'Jic ©cfctlfdjaft befd)äftigt Rd) (und) § 1 ihrer Satjungen) mit 91utbro»
pologic, ©tbnogrnpbic unb llrgcfdiid)tc beö lllcnfcben. Sic gibt bic ,)Bht-
tcilungcn ber ?lntbropologifcben ©efcUfd)nft in SBien* borauS, bic jnbriid) in
6 ^eften oon sufnmmcn ctioa 30 9)ogen erfd)cinen. Gigenc Sammlungen
bcRbt bic ©efellfdjnft itidR, ba Rc alles au bnä t. f. naturbiftorifd)c öof«
inufeum (©tbnograpbifdjc 'Abteilung) abgibt.
$emanir4M ^alionarmnrenm, Olürnbcrg.
©egriinbet 1852. Hcrscitigcr Slorftanb ©ebeimernt ©. 'llcjolb.
$aS 'JRiiicum pflegt bic lioltsfunbc als Icil ber allgemeinen beutfdten
Rulturgcfdiicbtc in 4fcfd)räntung auf Utoirt^altcrtiimcr unb 9<olfstrad)tcn.
Sic 9luignbe bc§ 9J!ufeumö ift ,iuuäd)ft biefcs fDinterial sii fammcln.
öicrfür ift eine befonbere Dlbtcilung ber Sammlungen crrid)tet morben. Siefe
cntbolt nuf einer ©ruubflddic oon runb 13000 gm 10 ilaucrnftubcn ouä oer«
febiebenen Seilen Seutfd)lanbs mit Giuridjtung unb eine rcidic gfdlc oon
©mit aller 9lrt. , 3001100 eine rcidjbalti'K Sammlung oon ®oltstrnd)ten.
^nblitationcn: SPütteilnngcn aus bem gctmanifd)cn 'Jtationalmufeum.
Sicfclbcn cntbaltcn gclcgcntlicb Dlbbnnblungcn sur ilolfsfunbc. Sie toerben
nur im Saufd) gegen anbere 'l/ublitationcn unb an 'Dütglicbcr, roelcbc bas
ÜRufeum unterftüRen, abgegeben, nn IcRtcrc ju 10 3Rf. im 3obr. Umfang
jäbrlid) ction 20 'Hogcn.
,$»efRf4e '^ereintgung für '^ofRsHunbe. ©. 13., ©icRcn.
3m 3ol)re 1897 trat nlS Seftion beö Cbcrbeffifcbcn ©eiri)id)tSoereinS ju
©ieücn bic ,'3 c r c i n i g u n g für t) « ii > f rf) ® 3 0 l f S t u n b c" inS fieben.
Siefclbe arbeitete einen ffragebogen auS unb begann mit ber Sammlung
uülfotunblicben üRnterinlS. 3" ib^'O'» Dluftrag gab feit 1899 'Vrof. 91. Strnef
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bie „SBlnttct füv ^cirtirf)c Qloltsfunbc" l)crouä, pon iuclrf)cn in brci ^t'fjrflöngcn
13 Olummcni (I 1-6, II I — 4, III 1—3) cvid)icncn. Sic iBlätler lonrcn ju«
gleid) Beilage bes ©icBcncc 9lnjeigcrö. — 91ad)bcm im Sommer 1901 jeitenö
einer größeren Slnjatjl oou SDlitgiiebcru ber 'Bereinigung ber Antrag auf üoä«
löfung berjelbeu oom Wefd)id)tSDCrcin geftcllt mor, bcjc^loji biejer im Ottober
1901 bic Seftion cingeben ju laffen unb ben fUlitglicbcrn bcö SluSfdjuffcä ber
Settion bic Begriinbung eine» fcibftänbigen Bereins für f)effijd)c Boiröfimbc
anbcimjuftellcu. fturj barauf rourbc biefer Bcrcin gegrünbet unter bem uer-^
änberten 'Hamen: „^)cfrifci)c 'Bereinigung für BoKstunbe.*
Sic Bereinigung ftet)t unter bem 'llrotcttorat bes W r o 6 t) c r j o g S
(S r n ft Bub m i g oon 4''cffsu.
Ser Borftanb (ber auf brci getoöblt mirb) bcftcl)t jur
ben ^)crrcn: 'Brof. Dr. 9(. Strad, 'Botfibenber, Slliccnftv. 16; Br°f- Pr-
aBüufd), ftelluertr. Borf.; Obcrlcbrer 2. Sietrid), ©cbriftfül)rer,
Sranlfurterftr. 13; Brof. Dr. Sl. ^clm, fteUoertr. Sd)riftfüt)rcr; Rommer»
jienrat ^ e i dt e 1 1) e i m , !Hed)ncr. 'Heben bem Borftanb fte()t ein 91uSfd)up
non 16 'Hlitglicbcrn.
Ser OnbreSbeitrag beträgt für Reffen minbeftenS 1 9H., für fonftige
'Hcid)Sbeutid)c 2, für BuSlönber 3 Bl. 'Blitglieberjabl (1. 1- 1005) runb 1100,
barunter 13 'Batronc ('Beitrag 20 Bl. unb mebr). Sic t'lcjamtcinnat)mcii unb
'HuSgnben betnigcn im Oaljrc 1904 ction 3500 Bl.
Sic 'Bereinigung befitjt baS früher burd) bic Settion gejommcUc Bla-
terial unb fegt bie Sammlungen fort. Sammcigebiet ift in erftcr 2inic boS
(SroBberjogtum Jöcffen, beffen 'BoltSlcben bic 'Bereinigung erfaffen unb bar»
ftcUcn loilt. 'Bon ber $)cimnt auSgc()cnb rid)tct üc jebod) ibre 'Blidc auf baS
gefamte ©cbict ber 'Boltstunbc, cingebenf ber grogcii l*'«
gier überall oorl)onbcn finb, unb ber 'Brobleme bic nod) iljrer Böfung tjarren.
Obren toiffcufdiafllicbcn 3'rlcn jur Seite ftcllt fic bic Bufgabc, mcitcrc Rrcife
ber ©ebilbeten für bie Boltstunbc ju geminnen. Siefem 'Brogrnmm bienen
bic im Buftrag ber Bereinigung uon 'Brof. Dr. 'H, Strad feit 1902 bernuS-
gegebenen ,^''cjfifd)en Blätter für 'BottStuubc''. Sicfclben erfebeinen jäbrlid)
in brci $icftcn »on jufammen 12 — 15 Bogen unb bringen miger felbftänbigcn
gröfjercn 'Buftätjen tlcincrc 'Blitteilungen, 'Bcfprcd)uugen unb 'Hod)rid)tcn.
Sic Blätter locrbcn ben Blitglicbern uncntgeltlid) geliefert.
Bufter ben Blättern gibt bie 'Bereinigung eine 3eitid)riftenfd)nu b«rnuS,
ioeld)e alljäbrlid) einen Übcrblid über bic gefamte oolfStunblid)c 3eitfcbriften-
titcratur bes oorbergebenben 3<*^)rcS geben. Bn bic 3citfd)riftcnid)nu fd)licBt
fteb ein auSfübrlidjeS fadjlicbcs Begifter on. Ser jmeitc Oftbrgang berjetben,
bic 3«ibd)riftcu bes 3«brcS 1903 umfnffcnb, luirb bcmnädjft crid)ciucn. Sie
3eitjd)riftenid)au crboltcn bic Blitglicber gegen Grböbuug ibreo Beitrags ouf
3 bcjiu. 4 unb 6 Blort. 'Hid)tmitglicbcr fönnen bic Blätter fomt 3citfd)riften»
fd)au burd) ben 'Bud)l)anbel für ben uom 'Bcrieger (@. B. Seubner) unb ber
'Bereinigung feftgeiebten Breis (ca. 40 Bfo- pro Bogen) bejieben.
Sic Bereinigung befibt ein reid)baltigcS 'Brd)io, rocldieS bic Bcant-
luortungcn ihres rtragebogenS unb eine Sammlung oon 3eituugSnuSid)uitten
umfnfjt; bosfclbe ift burd) ^lilfsbibliotbctnr Dr. 0. Slod) georbnet unb tarn,
logifiert unb befinbet fid) in ber ©roßberjogl. Uniucrrttät3bibliotI)et. 3“r Be»
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iiutjuiiQ beiiclbeii bebarf tä ber fflcncbmigimg bcs 33orftanbc0 ber 3icieinigimg,
S«r[ciibung imc^ axiSmävtS finbct nur misnabmSroeiie ftatt.
9<on einer Sibliotbcf beftttt bie 93ereinigung erft fleine älnfänge; ein
2eil i^rer Zmifcbic^riften gibt fie an bie Unioerfitätlbiblioibef ab.
5. Sonftigt Mitteilungen ').
SSnnb J»(iBair4a|. Sä mar ein id)äne0 3»fi>"i>«c>itreffen, bag faft
.gugleici) mit ber @rQnbung be§ oolfstunblid)en Herbanbeä ein 3ufa"»''ei'*
icgluB ber auf ^eimatjd)ug gerict)teten 93cftrebungen erfolgte. 3im 30. SUJarj
fonftituierte ftd) in 3)resben ber Söunb ^eimatfd)utt unb mä()lte jum iBot-
fi^enben ^rof. Sdjultie-'Jlnumburg, Saalect bei ftöfen, jum (Befeböftä-
fübrer 'Hobert 'Hielte, Gtjarlottenbnrg, iRönneftrage 18. ,Xer 3'*><!<t
$unbeS ift" (nnd) § 1 feiner Satjungen) ,bie beutjd)e $>eimat in iljter natür-
litgen unb gcjd)id)tli<b gemovbenen (Eigenart ju fd)ütjen*. Sein Ülrbcitbfclb
teilt fid) in folgenbe (Bruppen: a) (?enfmalpflege. b) ifJflege bet überlieferten
tönblidien unb bürgerlicben 'Dmimeife; (Erbaltung beS porbanbenen SeftanbcB.
c) Sd)ub bes &anbfcbaftsbilbe0 einfcblieglid) ber iHuinen. d) Siettung ber ein*
()eimijd)en 2ier* unb i)iflanjenroe(t fomie ber geologijd)en (Eigentümlicbteiteii.
e) 'Ifoltstunft auf bem (Bcbiete ber bemeglicben @egenftänbe. f) Sitten, ®e*
bröudte, Sefte unb Irad)ten. $ie Hitgliebfd)aft ift nicht, an bie 3oblu*»g
eines 'beitrage gebunben, bagegen mirb auf freimiUige 3t'<»enbungen gercebnet.
S)en Hitgliebern luerbcn bie »Hilteilnngcn* beS 93unbeS, pon benen bis je^t
fed)S Olummern erfd)ienen finb, unenlgeltlid) geliefert. 33ei bem innigen 3u’
fammenbang, in bem biefe Seftrebungen mit ben unfrigen ftcl)cn, bürfen ft«
gemig auf bie leilnnbme ber poltstunblid) intereffierten ftreife ved)nen, ebenfo
7oie anbrerfeits bie pra(tifd)e Slrbeit beS ^eimatfd)ut;eS pielen ben ißSeg juv
'UoKStunbe jeigen mag.
jknl9r«por«gen- jiongrrg ’). 'llom 4. — 7. 'Iluguft tagte in ®reifSmalb ber
35. beutfebe '31ntbropologen*Hongreg. 2er '^orfigenbe, fflcb.'iRat p. ülnbtian»
Herbnrg ('Men) ging in feinet 'HegrügimgSnnfpradie auf bie Sejiebungen
jinifdien 2pracbforfd)ung unb 'llatunpiffcnfd)aft, jipifcben 'flbilalogie unb (Ethno-
logie ein, bie ficb ju fruchtbarer gemeinfamer Slrbeit oerbänben. (Et mieS be-
fonberS auf UfenerS fyorbenmg einer pergleidienben Sitten* unb !HecbtS-
gefdiicbte bin, bie er in ben „$)efrtfcben 'Wöttern" uon neuem geftcllt ()<*(• 9l«d)
mir erhoffen oon ber 3'''ö>'"'tf"ifbcit mit ber (Ethnologie, bie unS in ber
'Soirstimbe unentbehrlich ift, reiche frörberung. 2urd) ben »llerbanb beuifcber
'Vereine für 'HoltStunbe", bem nudi bie äferliner ®efellfd)oft für 3lntl)ropologie,
(Ethnologie unb Urgefebiebte beigetreten ift, mirb boffentlid) ber '3Beg ju innigeren
Söejiehungen gebahnt merben. — Unter ben 'llortrögen l)tbe idi einige heroor.
’lJrofeffor OlieumenhuiS (iieiben) fprad) über bie Sinn ft ber ^önh an*
SajatS auf 'Iforneo (Sdptiijcrcien, Stidereien, Webereien), mobei folgenbe
') Ülud) in ben ^eff. ölältern f. 'Holfsr. III, $). 2/3.
’/ 3)lit 'Kenuiiung bcs '3erid)teS ber ,2eutfd)en l’itcraturjeitung' in
9lr. 33, 35 11. 30, 1904.
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1^ j 1 1 1 jvp^iyn & *• .‘.‘ * . “ •
— 15 —
intercffantc iöcobacf)tim<j mitflctcilt njurbc: »(Sigcutümlidjcnociic fangen bic
jungen fieutc beibetlei fflefcf)lccl)tä erft in bev ißnbertätäjeit an, fid) ber Oliiä*
Übung oon Runftfertigfeiten jujuroenben, unb bic (c^önften Slrbciten liefern fie
in ber iperiobe ber SiiebcSrocrbiingcn. ®a finb fie and) am crfinbungärcidjften,
n>obei ä“ bcad)tcn bleibt, baß bic 'Dldbctjcn ineift nad) 'Jfotioen orbeiten, bie
oon fUlännem f)em'ibren. 9lad) ber llcrljeiratung pflegt bic Himft*
Übung cinäufd)lofen, locil bic Sorgen bcs 5>£>*>äftanbc5 unb ber Jvamilic feine
3eit baju taffen.* — ^rof. Rarl n. b. Steinen (iöerlin) fprad) über bic !ö c •
bcutung ber Icrtümuftcr für ben gcomctrifd)cn Stil ber 'Jlatur-
DÖIter, ifJrof. 3Jlontcliuä (Stodl)olm) über neue Jjunbe ous IHomä
früfjcfter 3^*1» j. I. biä ins 12. «• ßf)r- jnrüdbatiert (Ion»
förge, $>auSumen), 'prof. 3. @üntf)cr (3Jiünd)cn) über bie Slnfängc bcS
3äf)lcnS, fRcc^ncnS unb fDlcffenS im £id)tc ber pcrglcid)cnbcn (Stfjno»
logie, roobei bie fragen ber auto(^tl)onen Gntftcf)ung unb ber Übertrognng
an Seifpiclen erörtert locrbcn. Prof. iR. Plud) (SEÖictt) enblid) rcbctc über bas
3citper t)öltniS fprad)gcfd)id)tlid)cr unb urgcfd)id)tlid)cr Gr-
jd)cinungcn. ,Gr tarn ju bem GrgebniS, bofi als bic Seit bcS inboger»
inanifdicn UmoKS bic reine Steinjeit angefeben merben müffc.“ Sie gcr-
manifdic Sprache l)übc fid) in ber Pronjejeit uon ber inbogennnnifdicn getrennt.
— 3“'“ lagungSort für 1905 rourbe Salzburg in SUuSüd)! genommen.
3>rT effle inleniaUonare ,R«ngreli für alTgemdiie tagte
am 30. Sluguft unb 1. September in Pafcl. 9luS ben Portrögen Ijebe id) nur
einiges ooltSfunblid) Ontereffnnte nad) bem Pcrid)tc ber ,Scutfd)cn Literatur-
Leitung* (1904, 9lr. 38) btnjor. Prof. 91. Sieterid) (^teibclbcrg) befprid)t
bie Pcligion ber Plutter Grbe. Gr jeigt, baft bic fflcbräud)e unb Por-
ftellungcn bei ©eburt unb lob bic Puffaffung ertennen laffen, baO bic Grbe
bic Pliittcr oUcr fei. ,Sorauf führt fid) bie Pcrcl)rung ber Pluttcr Grbe juriid,
bic mir bei ganj auScinonbcrftcl)enben Polfern finben.*') — Prebiger PJeber
fchilbcrt ein la m aiftifd)c S Wloftcr unb bic SamaS in Üibet, ihre Pcli»
giofiläl unb Sluffaffung ber Sünbe: Sie Sünben loerben auf einen 3>egenbod
gclaben, bic Sürpfoften jum Schul) uor bem Unholb mit Pint bcftrichen. — Prof.
Ü. p. Sdu'öbcr (ÜPien) jprach über ben „©tauben an ein höchfteS gutes
PJefen bei ben 9t r iern“: „Ser ©taube an baS gute 9öeien, luclcheS als
grober ©cift rcgicrcnb im .fMmmel loohnt, mar bei ben alten 9lricni neben
Paturbienft unb Seelcntult porhanbcn,alS $)immclSoater, SieSpitcr, als hödtftes
gutes SPejen, baS über Ploral, Pcd)t unb Sreue macht.* SieS mirb an ben
Pbfömmtingcn ber 9lricr ju cnpcifen gefudtt. — Prof. 9)f a l) I c r (Pubnpeft)
rcbctc über „Ra Ic nberboten in rcligionSl)iftorifcher Seutung“;
Ser 9luSgang für bie 3<titeintcilung ber alten 9ignpter unb Pobplonicr mor
ber PottmonbStng (= echapattu b. h- PotlenbungStag). So mürbe ipötcr
jeber phofentog unb nod) jpäter jeber fiebente Sag genannt; boher ber biblifdie
Sabbat. ,9lud) bic onbern jübijehen geftc hoben, mos ihre Satierung angcht,
fatraten Ghoraftcr, ber baburch nod) beftätigt mirb, baf) fie jum Seil in bic
Pguinoftien fallen. 3i'nt Schluft mcift ber Pebner auf bic mertmürbige Sat»
joche h'ti, boB ber Sag ber ©räberöffmmg bei ben 9igi)ptern mit 9lltcricelen,
') 3cÖt t't breiterer 9luSfül)rung im 9lrchio für PcligionSmiffcnidtaft
Pb. 8, e. 1 ff.
l »
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ebcnfo, baö bcr ®cbntt§= uub 3lufcrftcl)unc(§tag bes ägi)pti(d)en ®ottes|o()ucä
•f)oai0 mit bcm bc0 ©ottcsjo^ncs 6f)riltus äufommenfaUc."
O't bcT iimiptpcrfammliufg bes ^cfanhimin» bcntfittt anb
jUirrfnattocrrinc (8—11. Stiigiift) finb, roie id) beu 5Dlittcilungen bcS JJerciiiä
für föd)fifd)c 33o(fsfimbc (Söb. III, 7) cntnebmc, in bcr V. Seftion für
Slotfgfunbc brci Sliilrägc gcftcUt iinb jum SIcfcblufi crljobcit iporbcn: 1. 33rof-
S r c n n e r (äöürjbiirg) beantragt bic 9lnba^nung einer gcograpbifdjcn Statiftit
bes a u § b a u 0. 2. 3trd)ipbircttür 355 o I f r a m (93Ie^) beantragt p^oto»
grapbifdjc ober äcicbncrifdie 3lufnabmc bcr 355 e g c t r c u j c jn pcranlaffcn.
3. 3rl)r. D. 5 r i c f e n (Slre^bcn) beantragt 35etciligung aller ®efd)id)t0», SUter«
tnm0« nnb 35ol(ähmbcpcrcinc an bcr Sammlung pon 3 1 u r n a m c n.
1^00 judfio für 3t(ngi«ns»if|renriS«f( bat mit feinem 7. 35anb, ber fettt
fertig Dorliegt eine glän,(enbe 355iebergcburt erlebt *). (rd ift in ben Scubncr'fd)en
35crlag übergegangen, nnb 9llbred)t Siete rieb ift in bic SHebaftion cinge*
treten. Saö 35onport fpridjt fid) übet bic neuen geftedt
bat. 60 foll ein 3t'draIorgan fein, „bas bic Slrbcit ber pcrfd)icbcnen 35b>lo*
logicn, nor allem bcr riaffifcben, fcmitifd)cn, inbifeben, gcrmanifdicn jur Söfung
bcr gcmcinfamen nnb in jeber einjelncii biefer 'I5b>lt*logien immer neu |ld)
aufbrängenben 35roblcmc ju oerbinben ober tnenigften0 beren ^auptfortfebritte
non bcr einen jur nnberen Wruppc mitjuteilen bebilflid) ift." 60 bnnbelt fid)
junöd)ft nid)t fo fcl)r um bic 6rforfd)ung aller befouberen gefd)id)tlid)cn rcli«
giöfen 6ntinidclungen, als piclmcbr um bic 6rforfcbung bcr überall äbnlidjen
Unterfcbid)t rcligiöfcr llorftcllungcn , um ba0 35crftänbni0 bcr „35 o 1 1 0 »
religio n*. 3110 bie roiebtigften 35unbc0gcnoffcn biefer 35etrad)tung0incife
erfebeinen bie 6 1 b n o l o g i c nnb bic 35 o l ( 0 f u n b c. Saft biefe beiben unb
bic gcfcbid)tlicben 35b'Iolo!lieu auf einanber angcroiefen finb, ipenn fie ju neuen
religionsgeicbid)tlid)en 6rtenntniffen gelangen looUcn, roirb mit 6ntfcbiebenbeit
betont. 3110 eine bcfonbcr0 luiditigc Slufgobe ber 3<!'b'd)rift roirb „bic 6r«
forfebung bcr ©enefts bes 6briftcntum0, bes Untergang0 bcr antilen unb bc0
SBcrbcns unb 3Bnd)fcu0 ber neuen SRcligion* bejeidpict.
Ser iniffcnfcboftlicben 35olfstunbe loirb fie bic tocrtooHftenSicnftctciftcn;
foft alle0, ipa0 loir Sitte unb ®raud) nennen, führt ja, foioeit eS alt ift, ouf
rcligiöfe0 Seben jiirüct unb tonn nur uon bort au0 begriffen incrbcn. Sa0
3lrd)iu loirb un0 bi« ein treuer, äuncrlnifigcr unb gciftoollcr gübrer fein.
’) ®. Scubner 1904. 16 3Jlt. ^uäioifcben ift bereits ba0 1. ^eft be0
8. Sanbc0 erfebienen.
S(Sttflltltim8 ; ?!tüfclTor Dt. 8. OUm, eictcn. StUanlagc B.
truif: unb Untbctfuate.Xruttertl (C. Slnbt) 9le6en.
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]MitteUungeti
dee Verbandes deutfcber Vereine
für Volkskunde
2. (Korrefpondenzblatt) Juli 1905.
Programm
der erften 'Cagung dee Terbandee deutfd)er Vereine
für VoUtehunde
6ntfpicrf;cnb beni am 6. Stprit 1904 in 2eip,^ig gefaxten Sc=
frf)lnffc finbet bic Slbgcorbnctenocrfammlung be§ SerbanbeS am
2. Oktober 1905 in ßamburg im »patriotifchen Gebäude*'
(iroftbriiefe) ftatt mit folgcnbem ißrogramm:
Son 9 — 11 V2 1U)I gefebäftUAe Beratung der Abgeordneten.
Togesorbnung :
1. ®cfcf)äft§= unb 5Rcd)cnfcf)aftSbcrid)t beö 91n§fcf)uffc§.
2. Seratiing ber non ben ißercinen für füdjfifcfjc unb bapcrifcfjc
93olf§tnnbe Dorge|d)lagcnen ificDtfion ber ©a^ungen.
:i künftige ©cftaltiing ber SSerbanbämitteUungen.
4. 93orfif)lägc bc§ '2(u§fc^u)|eä über öerftcflung cinc§ iHepertoriums
für Doltgtunblidjc 33ibliograpt)ic bi§ 1902.
5. (gtmaige fonftige 93arfd)läge unb SlUinfdje.
6. Ijet nädjftc Serbanbätag.
7. 9}eu:t)Qrjl bc§ 9(u&fd)uffe§.
Ilm 11'/, Ubr: Stüljftüct, bargeboten uon bem Söereiu für
.^amburgifdje ©efe^i^te.
Ilm 12 U^r: Tortrag beS .öerrn Oberlehrers SB 0 f f i b 1 0 nu§
SBaren „Über bie Jedjnif bc§ SnmmelnS".
SBir machen auöbrücflid) barauf aufmertfam, bofe nad) § 8
ber Slcrbanbsfahungen an ben Slbgeorbneteuoerfammlnngen auch
nicht abgeorbneteäüitglieberber @in3eIoereine unb Slnftülten
mit beratenber Stimme tcilnchmen fönnen.
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9Im 'Jlad^mittag 5Bcfid)tigungcn bet Sammlung Fjanv
burgifefjer Slltcttümer, bc§ SBlnfcumS für Sölterfunbe, beä OTufeum^
für ßunft unb ©croerbe u. a. unter fadfuerftänbiger gü^rung.
9Ibenb§8Uf)r; ÖffentUdie Terfammlung im „ipatriotifcfjcn
©cbäube" :
1 . Ginteitenbe 9t n f v r a c dou §errn ißrof effor Dr. 9t. S t r a d , ©te^cn.
2. Stortrag Don .^ertu Dr. S 1 0 m e , ©öttingen, „Über t;iftorifct)e
93oIt§funbe".
3. 93ortrag non $cttn *)3rofcffor Dr. J^iteniuä, ®ireftor be§
ÜJlufeumS für SSötfertunbe in .^amburg, über „93oIf§funbe
unb 93i3Ifertunbe". (ÜJlit 93orfü^rung uon Sic^tbilbcrn.)
SBir bitten um rc^t ja^Ireidjc 93eteitigung.
®ö roirb barauf SRüdficfjt genommen, bafe bic Xeitne^mer nadj
ber 93erfammtung nod^ ben Ütegrüjsungöabcnb be§ ifj^ilologcntaged
befudjen fönnen.
®er gefd^äft§fü^renbc 9tu§fd^u§
bes 93erbanbe§ beutfd)et SBeteine für 93oIf§tunbc.
.^m 9Infcf)Iufe hieran oeröffenttid^en mir folgenbe 9)titteitung bed
9tusfcbuffe§ bes SSereinS für $amburgifcf)e ©efcf;i^te, ber fidf)
ber Vorbereitungen jur 93erbanb§tagung in Iieben§rDÜrbigftcr unb
tattrnftigfter 9öeifc angenommen f)at:
Sonntag, den i. Oktober, c. 9 llt)r, mirb ein Hueflug in die
Tierlande ftattfinben mit Vefic^tigung oon Jtirc^en, Käufern (9trc^i=
tettur unb 3>nie»flu§ftattung), irad^ten ufro. (iRütffel^t c. 4 Uf)r). ^ic
Vefud)cr bes SerbanbStagd finb frcunbtidjft ^ur Xeitna^me aufgeforbert.
9tm 9Ibenb bc§ 1. Oft. ^loangtofe 3wfflnmiE"funft ber Jeil=
neunter ber 93crbaubf'togung. Väfjcre 9tu§funft f)ietüber, foroie über
ben 9lu§ftug in bic Sietlanbe SamStag, ben 30. Sept., nadjmittagd
oon4 Uf)r ab in ber 9lu§funft§ftcIIc: „Vatriotifd;c§ ©ebäubc"
(Jroftbrücfc).
.öotclqnarticre oon 9Jlf. 3,50 an für iJlac^t unb Vett (einfd^I.
ßaffee) unb ißrioatquartierc oon 2tlt. 2,50 an für 9lad^t unb Vett
(einfd)l. fiaffee unb Vebienung) tonnen bei früf)3citiger SRcIbung be=
forgt merben. llnfer VereinSmitglieb .öerr Dr. o. 5R e i c , .öam=
bürg 7, l^at fidj in freunbtid)er Söeifc bereit ertlärt, bic Vermitttung
,3u übcrnet)meu.
9t n m c l b u n g c n 3um Verbanbätag roic 311m 9tu§ftug roetben
unter Venu^ung bciliegenber .fiforte mögtidbft batb erbeten.
'J)er 9tu§f(^ufe be§ Vereins für ^amburgifc^c ©cfdjidjte.
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Tcrbandsangclcgcnhcitcn.
9U« ailitfllicbct finb i>cnt ^öevbanbc rocitet beigctrclcu;
15. 3)!ii?eum für 'Söltcrfimbe, üeipjig.
16. herein für ®amburgifcf)c ®eid)icf)tc, ©nniburg.
17. ^ntouacr 9Jlujeum, Altona.
Tcrcinsnachricbtcii ').
SSabifdet 9(trtn fit 7o(lslmib(, ^>cibelbcrg.
©egrünbrt 1904 ju 3)aben"®aben, anfiüipfeub an bic tm 3of)rc 1893 in
greiburg gebilbctc 'Bereinigung, bie bereite eine grofee StoffnUe gefammcit unb
bearbeitet f)«*- befteben biä je^t bie beiben 3n>eigpcreine (leibelberg unb
greiburg. len Borfitj fübrt j, 3- ^)eibclberger 3'ocigperein.
Borftanb: Brofeffor Dr. S. ft a f) i e , Borfibenbcr; BrofefforDr. ib-2otenben
ftellpcrtr.Borf. ; Cberlefjrer e r r i g l , Sebrif tf übrer ; Berleger g. S tb u l j e,
ftaffenfübrer; Bwfeffor Dt. fi. Sütterlin, Beifiber.
Blitglicberjabt: ca. 200.
gabreSbeitrng: minbeftenS 1 Blf. 10 Bfg.
Ber 'Bercin roiU bie 'Bo(f§überlieferungen be§ ®ro6berjogtumb Baben
fammeln unb roiffenfcbaftlid) bearbeiten. 3ebocb foUen, [oroeit eS roiinfebenä.
ipcrt erfebeint, auch bie benachbarten ®ebiele nicht auSgejcbloffen roerben.
$er Berein publiziert bie Babifcben Blätter für Bolfäfunbe.
6in Blufeum beftht ber Berein nicht, Brehip unb Bibliothel fmb in ben
erften Bnfängen, jeboch ftebt bie Überroeifung beä non ber älteren Sreiburger
Bereinigung gefammelten BlaterialS beoor.
$4»B}er{f4f $efeltf4aff füt |^eaut«Hbe, 3ürich.
Bie ©rünbung ber ©efellfchaft erfolgte am 3. SDlai 1896 in Clten,
nachbem im oorauSgegangenen BSinter pon ben ^lerren Dr. ®. ^offmann*
ftraper, Dr. G. 91. Stüctelberg unb Cberftl. Gmil IRicharb ber Befchluh
gefaßt iporben loar, einen Berein jur Bflegc ber fchroeijerifchen Boltstunbc
inö lieben ju rufen. 9lm 16. guni beäfelben 3ahreä fonftituierte fith bet
Borftanb folgenbermaßen: Btäfibent: Dr. G. ^offmann-ftraper, 3ürich;
Bizepräfibent ; Brof- ®. 9Jluret, ®enf; Quäftor; Gmil Bicharb (eefretör
ber Raufmännifchen ®efellfchaft), Sütich: 91ftuar: Dr. G. 91. Stücfclberg,
3ürich, unb Beifiher: Btof- Dr. Bh- 'Better, 3>'t>ch, baneben beftanb
ein roeitercr ©efetljchaitsauäfchuß oon 13 931itgliebem. 3ohte 1904
beftanben biefe beiben Organe au§ folgenben ^)erren: I. Borftanb:
Bräfibent: Btöf- Dr. Ztj. Better, 3>'t'ch; Biäe»Bräribcnt: Bt»f- Dr.
G. ^loffmann.ftraper, 'Bafel; 9lttuar: Dr. G. 91. Stüctelberg, Bafel;
Ouäftor: Cberftl. G. SRicharb, 3><t'ch: Beifiher: Btof. Dr. g. geanjaquet,
Bern; II. 9luäfchu6: Btof- 3- Bonnarb, Saufanne, Dr. SR. Branbftetter,
Cujeni, SRegierungärat Btof. Dr. '91. Bnrcfharbt*gin§Ier, Bafel, SRegenä
2. G. Bufinger, ftreujen b. Solothurn, Btof. Dr. 2. ®auchnt, Bern, Bfott"
helfer 91. Rüchlcr, fternä, Dr. ?). 3Rercier, ®enf, Btof- Dr. @. SBleper oon
') Biegen SRaummangelS tonnten leiber nicht olle eingelaufenen SRach=
richten in biefer SRummer jum 9lbbruct gelangen. 9(uch ein uns sugegangener
größerer 9luffoh mußte leiber für eine fpätcre Gelegenheit jurüctgeftellt loerben.
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Sliionau, 3- ff^ur, G. 'IJomet^n, i.'ocoruo, Cberft
Dr. 5R. oon !Hcbiug»atbcteg(i, 3- !Rcict)lcn, Breiburg, Dr. metl. SRiä,
Ib“u, 'IJrof* Dr- S. Singer, 'Hern, Hfr- 3- Stoinmler, Sern, Dr. Ctto
'J}a)er, 3iir>c4)-
^ic ?Dlitg[icberjnl)l betrug im 1904 : 456.
3m SUiutcr 1904 hoben bie eibgcnöififd)en 'Jlöte auf 9lntrag be§ H u n b e §•
rate§ ber ®efe[l)cf)oft in (iberaier üöeife einen jährlichen Hcitrng non
2500 Br. bcroitligt.
®cr fUlitglicberbcitrag beträgt ohne Hejug ber 3r>tfchrift 3 Bt-,
mit Hesug berfciben 7 Br.
91u6er bem „Schioeijcrifchcn 3lrchio für Bolfsfunbe“ (Hiertcl-
johr§fchrift mit burdjfchnittlid) 20 ^rudbogen im 3nhr) erfcheinen in freier
Böige bie „Schriften* ber ©efctlfchaft, oon beneu biä jet)t folgenbc 3 Häube
jur Sluägabe gelangt finb: I. G. 91. Stüdelberg, ®efchid)te ber fHeliguien
in ber Schrocis (1902); II. ®. 3üricher, Jlinberlieb unb Ainberfpiel im Kanton
Sern (1902); III. Sobler, 'I?olf4lieb im 9lppeuje(lerlanbe (1903).
SiefcS unb ba§ folgcnbe 3“hr roerben 2 toeitere 'Hänbc bringen.
“Eie Sibliothef ber ©efellfchaft ('Utai 1904 : 961 9lummern) befinbet
fich im Hörfengebäubc, 3'irich.
Bür ein 9D1 u f e :i m für Holfsfunbe roerben feit 1904 ©egenftänbe in Hajel
gefammelt. 'Eicfelben fnth aber einftiueilen bem Hublifum nicht jugänglid).
Xie 9(nlegung eineä 9lrchioä ift in 9lu§ftcht genommen.
6. ipoffmonn-ft'raper.
7rrtlii fit r(tiR<r4< «nb «e|IfAnf4( ^oflstiinbe, Glberfelb.
©egrünbet am 26. 3>di >" ®Iberfelb, baä jum Sig beä ScreinS beftimmt
rourbe, perfolgt ber Herein ben 3>rrrfi ^>aä 3'dercffe für bie Holtäfunbe in
Hheinlanb unb 95icftfQlcn ju pflegen unb sroar oorläufig burd) regelmäöigc
^erauägabe einer 3citfchrift, bie sugleich ber Sammlung unb roifTcnfchaftlichcn
Herorbeitung oller polt4tümlid)en Überlieferungen bient. ®er Herein begann
feine tätigfeit ntit bem erften HercinSjahr 1904. ten 9lufto6 ä«r ©rünbung
hat eine im Brühiaf)r 1903 in Köln ftattgefunbene 3ufammenfunft oon fieben
J)erren gegeben (tirffen, Dr. B'iarciuä, 0. ^pmmen, fHabemacher, Schell,
'HSehrhan, Hrof. HBiebemann).
ter Horftanb befteht j. 31- au§ ben |)erren: Hrof. H- Sartori-
tortmunb, 1. Horf.; Unioerf.»Hrof. Dr. 91. JBiebemann-Honn, 2. Horf. ;
Hibliothetar D. Sd)cll unb fichrcr K. 'Kchrhon-Glberfelb, Schriftführer;
Schriftfteller O. ^a u4m an n»@lbetfe(b, 9led)nung4führer; unb ben Heifihcni :
Rgl. Cbcrbibliothcfar Hrof. tr. Sahlmann-Hlünfter; Unioerf.-Hrof. Dr.
Br. 3afteä*9Jlünfter; Oberlehrer Dr. 3of- 9)lüllet*trier; Schriftftellet
St. Hrümer.tortnumb; Stettor G. Hobemad)er«Slöln; Hrof. Sr. tümpel-
Hielefelb; Cehrer 3ae. 3rai’rr.Slaiferef(h (Gifel).
Sie Htitglicberjahl beträgt ruub 550, ber Hcitrag, roofür bie 3ri<fchrift
geliefert roirb, jährlich 3 Htf., für forpcrfchaftliche ÜJIitglieber 6 3Dlf. (Hiblio*
thefen 3 3Jlf.)
Hon ben burd) ben Herein herausgegebenen Heröffentlichungen liegen
fechS ^)efte ber feit 9lnfang 1904 oicrteljährlid) crfcheinenben 3ettfchrift be§
'Hereins oor, bie im 3“hrc ca. 20 Hogen umfoffen foll. 3» SluSftcht genommen
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ift bic ipcrnusaabc uon einjcliDcrfcn, bie für bic ä» umfang«
rcid) finb nnb cluädne ©ebictc bcr 3?oIfstunbc bc§ SommelgcbictcS bejio.
beffen ooltätümlicber Überlieferungen nmfoffcn. ?)er 93etein bot Hd) mit
feiner ferner in ben $ienft bet Sammlung be8 munbartlid)en
SltaterialS bcr gefaintcn frdnfi)d)«ripuariicben ®ialcftc (rocitcrcä Sliebettbcin«
gebiet) gefteHt unb beabftebtigt bie ^)crou0gabc eines umfaffenben 3Börterbud)e0
bet rocfifälifd)cn OTunborten.
®aS Samntclgebiet bcS 5)ereinS bitbet in erfter Sinie SRbeinfanb, SBeft-
falcn unb Sippe, ohne fid) jebod) auf bic politifcbe 9lbgten5ung biefet SanbeS«
teile ftreng jit befd)ränfen, »ieimcbt tönnen aud) bic näd)ftbenacbbarten Stricbe
bcrüdficbtigt lucrben, fofern fic !>em Soltäcbaratter unb aifo bem ®epräge bcr
’BoltStnnbe nad) ju bem oben genannten eigentlidjcn Sammclgebict geboren.
(fin 91rcbio unb ein 9JJufeum bcfibt junge 9)ercin noch nicht, jeboeb
eine •» ben erften 9lnfnngen befinbenbe ticinc 93ibliotbet, bic ficb jufammen«
febt aus gefebenften ober jur ÜRcjenfion überioiefcnen SBerfen unb miS ben
9lustoufcbfd)riftcn einet SRcibe oon Vereinen. (3Bbn.)
0(f(Sr4«ft für 7onuSiittb(, »reSIau.
©egriinbet 1894 bur(h ^riebricb 9fogt, bcr bic ®efetlfcboft oon 1894
bis 1902 geleitet but. Sie ®cfellfcbaft »erfolgt ben 3med, baS Qntcreffc für
ooKStümlicbc Überlieferungen im allgemeinen ju beleben unb ju pflegen, unb
loill allcä, inaS ficb un folcben Überlieferungen in 6d)lerien erbolten b“l»
möglicbft oollftönbig fammeln. Sie fudjt biefeS 3‘cl ju erreichen bureb öffent-
liche, jebermann 3ugängliche ißorträge, bie roöbrenb bcr Sffiintermonate übet
©egenftönbe bcr allgemeinen ober bcr fcblcfifcben ColfStunbc gehalten roerben,
unb burch ib« ipublifotionen.
®cr ißorftanb beftebt auS folgenbcn Metren; SBorftbenber; Unio.-iProf.
Dr. Ib- Siebs, ^obenjollcrnftr. 53; StcUoertrctcnbcr SSorTibcnbcr : ®eb.
SJegierungSrat Unio.:95rof. Dr. 915. 91 e bring; S^riftfübrer : Stabtbibliotbefar
Dr. 9)1. ^lippc, Jlörnerftr. 40, Stcllocrtretenber Schriftführer: 9)lufcumbireftor
Dr. .'p. Seger; Schabmeiftcr: Hgl. •'poftunftbänblcr 95runo fRicbtcr, Schrceib-
niberftr. 8, Steltoerlrctenber Scbnbmeiftcr : 95erlagSbucbbänblcc 9)1. 9Bogioob;
Scirit)«: '?tof. Dr. :puln)a, 95rof. Dr. Rörber, ^uftiärat Sgl- ®i)m«
nnftnlbircttor 9Jrof. Dr. Seit, Unio.=95rof. Dr. Stutfeh, Sebter unb Schrift-
ftcllcr 91 ei ne It (ipbilo oom 955albe).
5)ie fDlitglicberjabl beträgt j. 3* diua 670. 2'er OabreSbeitrag ift
3 9)lat( für SrcSlaucr, 2 9)lart für ausioärtigc 9)litgliebcr.
95nblitationen: 1) 9)litteilungen bcr Schief. ®efellfcbaft für
95oItSfunbe. 93anb I bis VI (1894—1904).
2) 93cibcftc ju ben 9)litteilungcn bcr Schief. ®efellfd). für
95oItS(unbe. I. 95nutfcb, C, ©rammatif ber 9)lunbatt non
RieSlingSroalbe, fircis |)abelfcbiucrbt. I. Xcil: Sauücbre. 1901.
II. ©oe^gen, £B., $ie 9)lunbart oon S'ubrauctc. A. ©rammatifeber
Icil. 1902. Scholj, Ost., i£cr Spinnabenb jn ^lerjogSroalbau
im 9Sinter 1899. 1901.
3) Sd)Iefien§ oolfstümlicbc Überlieferungen. Sammlungen
unb Stubien bcr Scbleftfchen ©efcUfchaft für 95oI(Stunbe. Scipjig,
iß. @. ieubner. 9)anb I. ®ic Schlefifcben iß5eibnad)tsfpiele. 95on
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S. ^ogt. 1901. Sanb II. Sitte, 93raiid) uiib ®oltägIaubc in Scblcfien.
®on i?rec{)s(er. I. Icil. 1903. (II. leil im 'Erud).
3b« 93ibliott)ef, cinfcblieblicf) bet Saujebfebriften, bot bic OcjeDIcbaft
im Oob« 1904 an bie Stobtbibliotbet obgegeben. Gin OTnieum bcfibt fie
nicht. 'EaS Hrcbtn enthält reiche bonbicbriftlicbc Sammlungen anS faft aQcn
Gebieten bet (cblef. 3?olKtunbe.
33iMI(ail«rgif4< $«nuM(||iflI4 fix
Sic roitb gebilbet nom fönigl. roürtt. Statiftifeben Canbeäamt in Stutt-
gart iinb bet iffiüttt. IBctcinigung für ißoKStimbc, bie jnt 3t<t ciuä 14 SDlit-
gliebem beftebt.
EoS figl. Canbeäamt trägt bic ftoften ber Sommlung, übernimmt bie
Etudlegung ber ißeröffentlicbungcn in (einen roürtt. Qobrbücbem für Statiftif
unb SonbeStunbe einfcblieblicb ber für 91u§taufcb, Ginjeloerfouf iifro. nötigen
3abl oon Sonberabbrüden. — Eie Sßereinigung bottc ben Fragebogen gu
entroerfen (roaS bureb ^rof. Sfobnen berget gefebab) unb bie eingclaufenen
iBericbtc gu orbnen unb gu regiftrieren, unb foll bie ißeröffcntlicbungcn berftellen.
Eie 91nregung, bie ooltäfunblicben Überlieferungen gu fammeln, rourbe
1899 oon ¥rof. Sobnenberger gegeben; bie gegenroärtige Crganifation auf
Mat oon Oberftubienrot 3- t>- Startmann gefebaffen.
airbcitägebict ift baö Rönigreieb äBurttemberg. SJorftanb: Gefcbäftä-
fübrenbeö SMitglieb bet Bereinigung ift Brof. Dr. R. Bobnenberger.
Bublifationen: Blitteilungen über oolfstümlicbe Überlieferungen in
®ürttemberg, gebrudt in ben roürtt. 3ob>^bücbem für Statiftif unb SanbeS-
tunbe unb gugleicb in Sonberbtuden ausgegeben (bie Sammler erbolten folcbc
Etüde unentgeltlicb). Grfcbienen ift bis fegt t>cft I (1904): Sobnenberger,
9IuS Glaube unb Sage.
EaS Slrcbio ber Bereinigung beftebt auS etroa 600 gröberen, bie $taupt-
puntte beS Fragebogens beantroortenben Bericbten, unb einet noeb unbetannten
3abl fleinercr Beiträge.
Blufeum beftgt bie Bereinigung (eines, oueb (eine eigene Bibliotbef:
ooKSfunblicbe Betöffentlidiungen, bic bureb Eoufcb eingeben, roerben an bie
UniocrritätSbibliotbef Eübingen gegeben.
jkasr««!) fix ben(r4-MMr4( 9oflUlnnbe, Brag. (I. ^uSgoffe 20.)
Eiefet BuSfebufj ift nicht ein Berein im Sinne anbetet lanbfcbaftlicben
Bereine für bcimatlicbe BoKSfunbe, fonbern eS ift eine oon ber ©efellfcbof t
gut Färberung beutfeber SBiffenfebaft, flunft unb Siteratur in
Böhmen geroäblte unb im Mobmen biefet Gefetlfcbaft roirfenbe BrbeitS«
(onemiffion gut Buffommlung beutfd)er BoKSüberliefcrungen in Böhmen.
Eet aiuSfcbuß beftebt aus fünf Blitgliebern : bem §ofrate Dr. ®töb-
mann unb ben Btofeffoten an bet bentfeben Unioerfität ^ auff en, Raube,
fieng unb Sauer.
Brofeffot $)auffcn ift feit 1894 mit bet Scitung bet Buffammlungen unb
Beröffentlid)ungen betraut. 3" ben 3ob«« 1894—1900 rourben in gang
Eeutfcb-Böbmen Sammlungen ouS fämtlicben (Oebieten ber BoKSfunbe ocr-
anftaltet, auf @tunb eines non ^auffen oerfabteu möglid)ft überficbtlicben
unb eingebenben Fragebogens, ber in einet Buflage oon mehreren Eaufenben
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Dctfcnbfl rourbc imb ^auptfödjltd) burdj Sermittehmg bei ®C(iirfäfd)uliii(pcttoreti
aller 48 bcul{c^cii ©c^ulfacjirfe ber 2cI)rcr(d)ofl jugeipicfcn tpurbe. SMdbtenb
ber icd)^iäf)rigcn Sainmcltötigfeil ift ein aufierorbcntlid) gtoftcä uitb piel»
ieitigeö SDlaterinl auä aüen Seilen beä Sanbeä pon mehreren ^unberten pon
Mitarbeitern eingelaufen, ^auffen l)at barüber in jed):ä ®erid)ten bie ISr*
gebniffe jebeä 3“^)re§ auäfüljrlid) porgefüb^t (Mitteilungen ber ©efellfcbaft
91r. 3, 5, 7, 8, 9, 11). Sie angefammelten Sefjä^e ftub iui Ulrdbip für ®olf4»
funbe in ben ÜRäumen ber ©efeUfdjaft aufberoat)«. @8 finben r»b bonb»
fd)riftlicb jabllofe Soltslieber, Sagen unb Märd)en, SarfteUungen Pon Sitten
unb @ebräucben u. f. n>., auch piele gefebriebene Sieberbücber, box^fcbriftlicbe
3auber» unb 3unftbiicber, ©ebetbii^er, Sücber mit polt8tümlid)en Heilmitteln,
Segen gegen %tmx, Heren, SReifefegen, enblid) 3eicbf<«n9en unb ®botograpbien
pon ®olf8tracbten, ®auernbäufern, Hörweiten unb ®olf8bräud)en, ®läne u. a.
Seit 1896 erfebeinen jäbrlicb bie ,Seiträgc 511t beutfcb*böbmifcbert
® oltäf un be", rebigiert pon ®rof. Houffen, in einjelnen, ju ®önben fitb
ju[ammenfd)liegenben Heften, melcbe bie fpätere »oiffenfcbaftlicbe ©efamtoer*
roertung ber aufgefammelten Überlieferungen oorbereiten unb entlaften foUen.
(Eröffnet rourbe bie Sleibe bureb eine oom fieiter oerfagte »Sinfübtung in
bie beutfcb*böbmi|d)e ®oIt8tunbe nebft einer ®ibliograpbie', bie
bie Slufgaben unb 3tele ber beutfcb>böbmifcben ®olt8tunbe erläutert unb alle
auf biefem ©ebiete erfebienenen ®üd)er unb 9luffäbe in überrubtlicbee unb
geograpbifebet Slnorbnung porfübrt.
®ei ber 3Iu8n>abl ber Slrbeilen für bie ®eiträge tpot ber ©eficbtäpunft
maggebenb, bag einjelne tüchtige gute ®carbcitungen nerfebiebenet ©ebiete
ber ®olf8tunbe oeröffentlicbt roerben follten, bie momöglicb als ®orbilber für
anbere PolfStümlicbe Slrbciten in Seutfcbb£)b»uen bienen follten. 60 tourbe
junäcbft bie reicbbultigfte ®eantn>ortnng beS auSgefanbten f^agebogenS :
SaubeS ®olfSüberlieferungen ouS Scplib oIS Mufter für Summier per-
öffentlicbt, ferner 2 Hefte HuuSbaiuStubien Pon Sippert, 3 H^fte ®olfS»
fcbaufpiele auS bem ®öbmeripalbe pon 3lmmann, eine cingebenbe Sorf»
gefebiebte, ^ognS Cberlobma, eine ©efebiebte ber im ungorifeben ®anat
oerfprengten Slnficblcr auS bem ®öbmenoalbc u. o. 3m 3uli 1906 erfebien
nun in biefer fReigc jum erftenmal ein Merf, baS unmittelbor einen grogen
Seil ber Grgebniffe ber genannten Sammeltätigfeit perroertet. Ser oon 3 0 b u
bearbeitete 6. ®anb ber ®eiträge „Sitte, ®raud) unb ®oltSglauben in Seutfd).
SBeftböbmen* ift aufgebaut auf ben in ber ©cfellfcbaft aufbeipabttcn banbfebrift*
lieben Überlieferungen bcS befugten ©ebieteS (64 meift fegt reicbbaltigen 6infen'=
bungen auS etioa ebenfopiel Crten in ÜBcftböbmen) unb auf ber uotlicgenben
gebrudten fiitcratur, bie namentlicb für baS Sgerlanb fegt reich ift.
herein für Scyr. unb ^nabartferfibttng, Mürjburg.
Ser ®erein für bagrifebe ®oltStunbc unb Munbartforfebung ift im
Sommer 1894 oon ®rof. D. ®renner unb ben fiebrern 3- ®egl)I >utb
3- Sd)mibfonb begrünbet. ®orfigenber feit ®efieben O. ®renner. 3ob«ä-
beitrog 1 Mt. Mitglieber luaren bis 3rübjabr 1905 770 angemelbet, totfäcb*
lieber ®eftanb jur 36it 600.
Ser ®erein fammelt Mitteilungen auS allen ©ebieten ber bagrifeben
®oltSfunbe unb Munbartforfebung, um ge tünftig in umfaffenben ®änben ju
, “l • ‘ ^
DigrflZeo uy Cjvju^Ic
s
oeröfftntlic^en. «ein SBerbeorgan, bic „3)111161(11113611 unb Umfrogen 511t boi)v.
®oIfätuubc“, erl)alleii außer ben 3)lilglieberii aud) bie iämllicßen Sefet jineiet
großfr lagesjeiluugen in einer Slnflage uon gegen 4üU(X) 3lbbrncteii; fie er*
feßeinen oiermal im 3a()rc ('/> 3)ogen früßer 4" jet)! 8»). 1er Sjcrcin bat
burd) 3«icbi>B '-Bcrlegcr bie Öerau4gabc munbartlicbet Unterfnebnngen er>
inöglicbt, nnb in ber 9lu4gabc ber Sammlung non fileebetger an§ eine
9lnregnng ju meiterer Sammclarbeit gegeben. 3n llorbcrcitung ift al§ erfter
Sanb ber eigentliiben 3}eröffcntlid)ungen eine 5)o(täIieberiammlnng ouä ber '¥foIä-
1a§ 9(rd)iii umfaßt über 1500 Olummern fd)riftlid)er Sinläufe, baju
eine Sammlung non 3-^b<3tograpbicn unb 3Uifnabmcn non (Bauernböuicm.
ein 3Jlu(eum befit)t ber 33ercin nießt. ®ic 93ibliotbcr ftrebt möglicßfl ood-
ftänbige SBertretung ber baprijeßen 3)nb[ifationcn an, erioirbt aber aueß bie
loicßtigeren »oKätunblicßen 9Bertc in beutjeßer Spraeße, gelegcntlicß aueß frembe.
lurd) (KuStaufeß ober Rauf beließt ße bie einfcßlägigen 3eitfcßriften. ein por-
länßgeä 33ibIiotßet4oerjeicßni4 ift im Irud erfeßienen. ® renn er.
9«ii«naßirafraia, 'Jtürnberg. (ergänjung ju ben 3lngoben
in 31r. 1.)
®ie nolfäfunblicße Sammlung beä ©ennanifeßen 9lat..3)lufcum§, bie
feit 16 faßten uorbereitet rourbc, ift jeßt in ben Sälen 60—62 aufgeftellt
unb oon 1905 an bem Sßefueß geöffnet. Sie umfaßt etioa 14400 ©egenftänbe
aller Slrt. SJefonberS ju enoäßnen ift bie tradjtenfammlung, bie 563 Shimmern
umfaßt unb bureß ein reießeä 3lbbilbung§niateria( ergänjt tuirb, foiuie eine
318 91uimnem umfaffenbe Sammlung oon ißflugmobellen.
eine Slrbeit oon Dr. D. liauffer in Srnntfurt über bie Sauernftuben
beei 9)lufeunis roirb oeröß'entlicßt in ben 3)!ittcilungen auä b. ®. 91. 1904 ff.
^ereilt fftt 6Smd4if44 'poflltlnnbe, SBien, I, 4. Höipplingcrftraßc 34.
1er Serein lourbe 1894 gegrünbet oon Dr. 3)1. ab erlaubt unb
Dr. 20. Stein (f 1903); er fteßt unter bem ^Irotcftorat beä erjßerjogä Cubioig
®ittor.
Sorftanb: ©raf 3. ?iarracß, 2)eäfibent; öofrat Dr. 2). 3“9'e‘ *"'i>
CSfnr eblero. ^)oefft, ©ijepröribenten; Dr. 3)1. $) aber Innbt, Sdjriftfüßrer.
3aßre§beitrag 2 fironen, bei 9)ejug ber 3eilfcßtift 6 ft'ronen. 3)lilglicber»
jaßl (3)lai 1906): 669. 91rbeitägebiet ift bie 2Jolt6funbe ber öftcrreid)iid)en
25ö(ferfcßaften.
9)ublifationen : 3t>lftßrifl fnt öftcrrcicßifdje 2)o(t4funbe I— XI, baju brei
Supplementßefte, Ratalog ber Sammlungen beä 3)iufeumä für öfterrcidjifeße
3)oltä(unbe (1892) unb ein 91euer güßter beä 3)1. f. ä. V. (1900).
1er 2)erein befitjl ein 3)lufeum, bas ctioa 18600 91ummern umfaßt,
2!orftnnb beäfelben ift Dr. $iaberlaubt.
lie Sibliotßef beä 25ereinä jäßlt etioo 1000 Stäube.
€<^cift(dtunQ: ^rofeffor Dr. (Hlm, (Strficit. 8Qt>anlage ä
X>ru(f: unt» (0* SHtibt) OieBtn.
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jMitteUungen
dc9 Verbandes deutfcber Vereine
für Volkskunde.
J^r. 3. (Kornfpondenzblatt) Januar 1906.
I. ßtricht über die crfte Tagung
d«8 Terbandcs dcutfcbcr Tmiiu für Tolhshundc.
Xte crftc Scjgunc) bcä a3cvbanbe§ fonb am 2. Cttobcr ju ^»ambucg ftatt.
Sdjou am 1. Cftober ()atte firf), einet freimblicben Slufforbening beä
'I*ctcinä für Jpatnburgifcbe ®cfc^itf)tc folgenb, eine 3(nja()( auäronrtiger fetten
citigefnnben, um nn bem »om 'herein ocranftalteten füuäflng in bic iBiedonbe
leiljnnc^men. SJon '-Bergebovf auä umvben ju SBagen bie Crtc tturälacf,
-'[Itengammc unb 9Jeuengomme befud)t, mobei fief) ®elegen{)eit bot, eine 9Jeit)e
uon Sauevn()äufcrn, bic Äircf)cn in Gurötoct, in 3Htengamme unb boä 9J!ufeum
in Sleucngammc ju beridjtigcn. ®ic ^)ccTcn G. fPioB, Dr. Stettiner unb
OTaIct C. Scf)tDinbta^f)cim mi§ ^omburg [oiuie ^>err ^aftor OMö (9Uten>
gainmc) batten bie fiiebenSroürbigfeit gübrung unb Grflämng ju übernebmen.
Ülm 2. Ottober oormittagS 9 Ubr begannen bie gcjcböftlicben SJeratungen
in ben JRäumen beä SJercinä für öamburgifebe ®efcbicbte im ifSatriotifeben
Weböube. "Sen iBorfitj b“ttc ?5rofeffor Dr. 91. Stracf*®icBen, ®d)riftfübret
lunven bic $)crrcn 93rof. Dr. Jt. $)clm»®ic6cu unb Dr. Jl.örncr»^)amburg.
93crtretcn roaten cif ®crbnnbämitglicber, nämlicb: bet iliercin für ißoltsi»
funbe, Sctlin, butd) 93rof. Dr. SBoItc; — bie fcblcfifcbc ®cfe(Ifcl)aft für SJoltä»
fnnbe burd) iJSrof. Dr. 3icb§, 93teälau; — bie ©efellfcbaft für nieberbeutfebe
'Bolf^funbc butd) Dr. Gromc, ®öttingen; — bie b^ffifebe SJereinigung für
'Solfätunbc burd) ißtof. Dr. 91. Strad, ®icBcn; — ber 'herein für rbcinifib*
mcftfälifdjc Siolfstunbe butd) %'tof. Dr. Sartori, ITortmunb; — bet SBcrcin
für bobifd)c SSoItStunbc burd) $tof. Dr. Sflttcrlin, fieibelbctg; — bic
fd)rocijctifd)c ©efeUfebaft für Sfoltäfimbc, 3nticb, burd) 9-*tof. Dr. $ioffmaitn.
Sirager, Safcl; — ber 9?crcin für iiamburgifcbe ®cfcbid)tc bureb Sianbgeriebtä-
bireftor £d)rabcr, Hamburg; — baö fölufcum für SBöIfctfunbe, Scipäig, butcb
®ircftor Dr. Cb ft; — baS fÖhifcum für SBöItcrfunbc, Hamburg, butd) 9>tof.
Dr. Ib'lcniuä; — boä 91Itonact fUIufcum burd) 2ircftor Dr. fiel) manu.
9?or Gintritt in bic iage§orbnung begrüSte ber Sorfigenbe bie Set«
fammlung, ^errn ffireftor Sd)mcig, ben Sertretet ber nicbcrlänbifcbcn SRc«
gietung, unb fpra^ bem Setein für öamburgifd)c ®efd)icbtc, insbefonbere
ben ^)etten G. SK a b ««b Dr. 9S a r b u r g ben roärmften SSant für bic
tatfrSftige Sorbercitiing ber 2agung auö. SBamenä beä Sercinä für ^>am«
'dtn
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biitfliicljc ®cid)ici)te bcgrüjjte öcrr Sonbgcric^tsbirettor £d)tabct bic ajcr»
fammlung uiib übertcicbtc beii Icituel)mcn( als ^eftgabc eine SJlummcv bcv
SerciiiS.iDUHcilimgcn. $>crt Dr. Stettiner lub bie SJerfammlung jum Seiud)
beS äHuicuins für ftunft unb Wcircrbc ein unb übcrreid)te einige Gremplarc bes
ffierfes: „SaS ^ambutgijc^c SJlnfenm für Slnnft nnb ffictncrbe, borgeftcUt jiir
geier bcä 25jäbr. 33cfte[)cnS »on grcunbcn unb Sdjülcrn 3uftu§ ®rinctmonnS.'
Sarauf rourbe in bic SagcSorbmmg eingetreten.
1. 2er ®efcf)oftSberid)t würbe uon 'Isrof. Dr. Straef «nb ^tof. ^>clm
erftottet. 5Jic 9tcd)mmg würbe uon 'IJrof. Dr. 3folte unb ißrof. Dr. Siebs
geprüft unb richtig befunben, worauf bem 9{cd)ncr Gntlaftung erteilt würbe.
2. Sic itcrcinc für fäd)rif<ts »»i> bapriidje ItoIfStunbc hatten ihren Gin»
tritt in ben SJerbonb abhängig gemacht uon einer »'Jinberung ber Sahungen,
inäbefonberc in ber Siiehtung auf Ot>hrcSbeitrag unb Selbftönbigtcit ber
Ginäcioctciuc''. Stuf Slntrag uon 9^rof. Siebs würbe bem Ickten SBSunfd)
entfprechcnb cinftimmig befchloffen, in § 1 ber Satjungen äusufetjen: »febod)
unbefchabet bet Sclbftänbigfeit ber einjelnen SCcrcine.* Sngegen
würbe cS mit 3Uicffid)t auf bic ginonjlage beS iterbanbes als unmöglid) er.
tlärt, einen anberen S^büingämobiiS, etwa eine ftaffclförmige mit Gntlaftung
fchr grofser Sfereine oerbunbene 9ibftufung bcS 9?eitragS einjuführen, fobafj
alfo bie allen 93eftimmungen übet ben fDlitgliebSbeitrag bcftchcn bleiben. Gä
würbe jebod) auf Slntrag oon iJJrof. SiebS eine uon '?rof. 931 ogt norge-
fchtagenc SHefolution angenommen, woburd) es möglich wirb, SJcrcinen, benen
ber iöeitritt jum üerbanb auS finanjicUcn Cörünben Schwierigteit madü, oor.
läufig gewiffe ülusnahmebcbingungen ä« gewähren. Ob bieS gcfchehen foll
ober nid)t, cnticheibet in jebem einjelnen 5atl ber 9luSfd)u6.
3. 9luf 9lntrag oon 95rof. Dr. ^of fmann-Kraper würbe cinftimmig
befdtloffcn, bic Hcrbanbsmittcilungcn in bcrfelben ÜBcife wie bisher weiter
erfcheinen ju loffen.
4. 'JlamcnS beS SluSfchuffeS fcblug iprof. 9t. Strad oor, als 9tnfang
einer ^Bibliographie ber 'üolfStnnbc bic eigentlich nolfsfunblidjcn beutfehen
3eitfchriftcn bis 1902 in bcrfclber ®cife wie eS feit 1902 in ber 3s><fd)riftcn.
fchau ber 6cff. Slätter gefchieht, bibliographifch ju uernrbeiten.
91uS ber SBcrfammlung würben jwei ©egenoorfchläge gemad)t :
Dr. Gromc, Oberlehrer SBoffiblo unb 9>i‘of. Sattori befünoorteten bic
^erfiellung lanbfchaftlichcr iRcpertoricn, ip^of. 8 ölte wünfdjtc bie Sd)affung
einer fadilid) georbneten ©ibliographic. 2a bic ^crftcllung lonbfdjaftlichcr
SRcpertoricn jebod) eher Sad)c bet Ginjelucrcine als bcS SBcrbanbeS ift, unb bie
Schaffung einet umfaffenben fachlich georbneten 8ibliographic in abfehbnrer
3eit unburchfübrbat ift, würbe ber 9lntrag bcS 9luSfchuffc3 angenommen.
5. Ginec Slnrcgung oon 8tof. Q. 93Jeicr.8afel folgcnb, bcontragen bie
fd)wcijcrifche ©efellfchaft, ber Scrliner Herein unb bic hsinfehs Herciniguug
für HolfSfunbe folgcnbc Sicfolution: ,2a eine allen wiffcnfchofttichcn 9tn*
fprüchen genügenbe Sammlung ber beutfehen HolfSlicbcr bis jetd nicht oor»
hanben ift, hält cS ber Herbanb bcutid)er Hercine für HoltStuubc für feine
93flid)t, eine folche ju fd)affcn unb ju biefem 3rofcte junächft eine 3nocntari«
fiening ber fiiebertejic unb 93Iclobien oorjuncl)men.“ 2iefe 9{cfotution würbe
einftimmig angenommen. Gbenfo würbe bic 23ahl einet Äommifrion bc«
fchloffen, loetdie bic Horbercitung biefer 9lrbcit in bie öanb nehmen fotl unb
Digihzco — .jk'
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bec nöc^ften Zaguug beg ^ecbanbeS genmtp.rc 3?or)ci)läge unterbreiten roirb.
3n bie[e Botnmtfrion tnutben geniä^lt bte fterten 'Crof. 3. 3)leier.Safe(,
^rof. Solte-Serlin unb iProf. 9t. ® trocf»fflte6en; eg bleibt biejen iiberlaffen
eoentuea roeitere geeignete 9)Iitglieber jujuroäblen.
6. ®ie fünfte ©eftion beg (<i(efanitoereing beutfdjer ®efcbid)tg> unb
9Utertum§Dereine ^at in if)r Strbeitgprogramm bie beutfdje |>augforicbung
aufgenommen unb bem gefc^nftgfüfjrenben 9lugfct)u6 einen Fragebogen jur
©tatiftif ber beutfd)en Öouernbnugfonnen jugeben laffen. Xer 9?erbanb ftefjt
biefem Uuternebmen natürlid) rooblrooUenb gegenüber; ber Sorfigenbe fcfjlägt
bie folgenbe 9tefoIution oot, bie einftimniig jur 9lnnabme gelangt: ,5er 3}er=
banbgtag empfieblt feinen OTitgliebem, bie oon bet 5. ©eftion beg ®efamt>
oeretng ber beutfeben ®efcbici)tg-’ unb atltertumgoereine in 91ugficf)t genommene
Statiftit ber bentfeben Sauernbaugformen nach Kräften jn unterftüben."
7. 3m Stuftrag beg jocbfifcben SJereing für 93oltgfunbe labt 93vof. ÜJIogt
ben SSerbanb jur StugfteQung für 'Soltgtunft in Xregben 1906 ein. 5et 9Jet-
banb nimmt oon biefer Sinlabung mit 5ant Kenntnig.
3tlg Ort ber näcbften Xagung mürbe baranf IBerlin beftimmt; bie
Xagung roirb im Saufe beg Qabreg 1907 ftattfinben, genauere ®eftimmnng
ber 3g>t bleibt bem Stugfebug überlaffen.
8. Stuf Stntrag beg ^errn S^tof. S9olte mürbe ber bUbetige Stuefebu^
butcb Stfflamation miebergemäblt.
5ie gefcbäftlicben Sfetbanbhmgen enbeten nadtmittagg 3 Itbr, fte maren
nnterbroeben bureb eine balbftünbige Frübftüctgpaufe unb einen etroo einftün-
bigen SJortrag *) beg ^)erm Oberlebrer SiSoffibto (SiSaren) über bie ledpiif
beg ©ammelng.
SBenn id), fo begann ber SJortragenbe, bi'^ i't 3brtt" Ärcifc über bie
Xeebnit beg ©ammelng reben fotl, fo fonn idi meine Stufgabe nur batin feben,
bureb ging Darlegung bet (Srfabrungen, bie id) in jmanjigjobriger Slrbeit
gemonnen habe, bie Stnregung ju einem SJleinunggaugtaufcb jn geben.
SlQgemein gültige fRegeln mirb fein erfabtener ©ammler anfftellen mollcn,
mebet für bie Organifation bet SBerbearbeit noch für bie lätigfeit beg ©ammelng
felbft. ®ie Sntftbeibung über bte Frage, mie eine möglid)ft grobe 3<>bt tütb-
tiger Sftitarbeitei ju geminnen unb, mag jebmeret ift, bei ber Strbeit feft»
jubalten fei, roirb in jebet Sanbfebaft oon roecbfelnben äubeven Umftäuben
abbängen: oon bet |)öbe ber jut SJerfügung ftebenben SJlittel, bem SSerbolten
ber IBebdrben unb bet Sanbegpteffe, oon ber Slnjabl unb ben Sleigungeu bet
bem Seitet unlerftellten faebtunbigeu Kräfte, unb nid)t jum roenigften oon bem
3)la§ oon Strbeit, bag bet Seiter felbft bem llnternebmen j»i roibmen oermag.
Unb roiebetum bie Xätigteit beg einjelnen ©nmmletg — fie roirb bebingt fein
einerfeitg burd) fein Xemperament unb feine obofifd)e Seiftunggfäbigfeit, bann
aber aud) burd) ben St)arafter ber ®eoäIterung unb burd) ben größeren
ober geringeren fReießtum beg Sanbeg unb ber einjelnen üanbftridie unb Sfolfg«
fd)id)ten. 3”t'»tgg roieber roirb ftd) aud) bet geübtefte ©autmlet oor neue Sluf-
gaben geftetit feben, bie nur ein fd)uelleg (Stfaffen ber augenblidlicßen Sage
*) 5et Sortrag, bet für ben Slbbntd an biefer ©teile ein loenig gefürjt
ift, roirb in roefentlid) erroeiterter @eftalt im 15. S3anbe ber 3eit'd)r’fi t>e®
Sereing für ®ol(gfunbe (Berlin) jum Slbbrud fommeu.
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glüctlidi ju töien oecmag. Uiib n>a§ am meiften (Seroö^t für feinen ßrfotg
bietet, ba$ loirb U)in (ein anbcret geben fönnen: eine glücflicfte älnlage, mit
Semen jeglicben Stanbeö /,u nertebcen, unb eine unbejtvingli^e Siebe jui
eacbe iverben nun einmal imnter fein befteS Dfürtjeug fein, Unb bocb, meine
Herren, gibt e*, roie in jcbcr ftunft, fo aucf) in bet beä SammelnS oolMtüm«
lieber Überlicfcrnngen allerlei teebnifebe $>anbgriffe unb tf^rtisleiten, bie erlernt
nterben tönnen, unb ein SluStaufcb tmferer (Srfabrungen, roie er nun beule
angebabnt roerben foU, roirb, fo boffe icb, helfen, unS gegenfeitig »or flRib'
griffen jn id)ütten nnb bie gemeinfame Slibeit 5u fürbem.
ibiaä bie Crgnnifation bet UBerbearbeit unb ben 93erfebr mit
ben iUlitarbeitern betrifft, fo gloube icb uticb auf turge Slnbeutungen befebränten
gu follen. Sin IBcijoiel au€ ber (üefebiebte unjereS mectlenburgifcben Unter-
nebmens mag 3bncn geigen, uon roie uerbängniOooller äSirfung bei ben erften
€cbritten gemaebte Rebler fein fönnen. S)em 9lufrufe, bet im f^ebruat 1891
in übet 6000 S^cmplaren inä Sanb ging, roar ein Segleitfcbreiben beigelegt,
roorin an bie fBütteilung, bob mir ein bulbjabriger Urlaub erroirft fei, bie
!0itte angefcbloffcn roar, mir, falls id) ben 3Bob<tort beS Slbreffaten befueben
follte, tatfröftige Unterftübung beim Sammeln gu geroöbren. SaS enoieS fub
als ein febroeret SDlibgriff. ^unbertc, bie fonft gum eigenen Sammeln bereit
geroefen roüren, legten ficb gang aufS Slbroartcn, anbere liegen ben gefammeltcn
Stoff gut Ülbbolung im Sebreibtifeb ruben; bis in bie legten ^agre binein
finb mir iHnfgeiebnungen auS jener 3eit in bie &önbe gefollen. 9lucb baS
roar ein f^el)ler, bag in bie Hommiffton, bie gut Untergeiebnung beS SlufrufS
gebilbet roarb, l<olföfcbu liebtet, auf beten Ooferroilligfeit im @runbe boeb
jebee Sammclunternebmen angeroiefen ift, nicht biueingeroüblt routben; eben
nur 'DIitglieber beS 31ltertumS*33erein§ foQten igm angeböten. lEet ®ebante,
eigene iSereine für SJoltöfunbc gu grünben, roar bamalS leiber noch nicht auf-
getaudtt.
iütenn fo ber Srfolg bes SlufrufS ben Srroartungen nicht cntfptacb unb
uns bas (Slücf uerjagt blieb, bie erfte Segciftcrung für baS oaterlänbifcbe Unter-
nebnten mit »ollem 91ad)bruct auSnugen gu fönnen, fo mugte ieg um fo emftger
fndjen, bnrd) unablofügc, perfön liebe 9lnregung gum 3«! gu fommen,
umfomebr, alS mir eine 3eitfehrift ober ein anbereS Organ für ®littei(nngen
unb 91nfrogen nid)t gur Sferfügung ftanb. — Sine grögere 3«hl »on Snnb-
lebrcrn ouf jener balbjährifitu SBanberfabrt bureg 'UufflSrung über bie
nationale Sfebcutung unb bie roiffenfchaftlicben 3i«f« Unternehmens für
bie Sammelarbeit gn geroinnen, hielt nicht febroer. fDlanche oon biefen finb
mit einer über alles Sob erhabenen |)ingabc bem Unternehmen biS heute treu
geblieben ')• ülbcr gar oiele, bie onfangS groge Hoffnungen roedten, gelen
unter bem jruefe öugerer ÜJerhältniffe, ber jo in meinet Heimat fegroet genug
auf bem Segrerftnnbe läget, gar balb roiebet ab. f£a galt eS bann, immer
roicbet bie Süden auSgufüllen unb auf eine möglicgft gleicgmägige ®ertretung
aller Sanbesteile bebaegt gu fein. 2!er Sefueg berSanbeSlebreroetfamm-
lungen bietet eine oorgüglicge ©clegengeit, Sanbe perfönlicger fjreunbfcgaft
') 2er iiortragenbc geigte fpäter einige bet roertuoQften unb umfang*
reidiftcn Beiträge oot, bie igm im Saufe oietcr 3agre auS Sebtetfreifen guge»
gangen finb.
Digitlied t
o
ju fnüpfen unb neu« ^)elfer ju loerben. — ®ci bcn Seminotieii uiib
^oljetcn Schulen loirb eS ganj auf bte nacbbrücflic^e unb ftetige Siu>
n)icfung bet Seite« unb Sekret anfoinmen. 3floüe ^ortciioe unb Fragebogen
bleiben of)ne red)tcn Srfoig.
2:ic SieiöffenUic^ung einer grb|creu uon ooltetümlic^en unb fpracb«
lid)en Klaubereien aug meiner Feber in einer ber 3e'tungen beS Sanbeä
fjat oieUeicbt manchem, ber oon ber €ct)ön()eit unb FßHc unfere« Kolfstumä
nichts lougtc, bie älugen geöffnet; bod) bie erhoffte ÜBirfung blieb au9. Cb
bie (iinrid)tung einer aQfonntäglid)en voltötninlichen &c(e, n>ie fie mir fegt por
einigen 3Bod)en oon ber Stcbattion ber am meiften gelefencn 3c<tung beö
Sanbeö sugeftanben ift, größeren Crfolg haben loitb, mug bie @rfahrung lehren.
9Jlit bejonberer Fteube höbe idj ftets fieuteauSbemSanboolte felbft
ale iUiitarbeiter begrügt. Kauern, länblid)« .'panbroertcr, Schäfer u. a. fmb, luenn
fie erft bie anfängliche Scheu vor bem 9lieberfd)reiben öberivunben haben, mit
<£ifer für bie Sache tätig. Sind) F^^ouen auö bem Sflittelftanbc jeidinen fich
burch treueb SUibharrcn aub. ?ab tieinc oon mir jujammengeftellte K ü h n e it •
ftüct ,(£in SUiutcrabcnb in einem medlenburgifd)en Kauernhoufe*, boS oielfad)
auch Heineren Stäbten unb Körfern jur Karfieliung getommcn ift, hot
bab Kcrftänbnib bicfcr Srcije für bie 3>clc Unternehmens geförbert.
Kleinen Sffierbebriefen an foldje fieute, oon benen id) annehme, bag ihnen boS
SIbreffenfchreiben nngeroohnte Slrbeit fei, lege ich frantierte, mit meiner
fertigen 81 br eff c oerfchcnc jtuocrte bei. Unbcbingt notmenbig ift cs, otleKci*
träge fofort unb cingchenb gu bcantroovten, burd) tpimoeifc auf bie Kebcutung
toichtigerer Stüde boS Fntcrcffc jti ocrfiefen unb ncugeiuonnenc ^iclfcr immer
uncbcr aitsutrciben, bag ge für jebc Überlieferung bie Cuelle angeben. — Ker
banfenstoerlen Slnregung eines meiner Klitarbeitcr, ctioa nUjäl^lid) eine 3 o •
fammentunft aller heroorragenben .Reifer ju ocrnnftaltcn, um neue Sirbeits,
gebiete feftjulcgcn unb im cinjclncn ju beftimmen, höbe ich bisher auS Klangcl
an Klittcln nid)t Fol0e geben tonnen. — ®ine ausgiebige Kerfenbung oon
Fveiesemp Inren holte ich für geboten. 3eh fjobe bcn jmeiten Kaub ber
medlcnburgifchen KoltSüberlicfcrungcn an über 200 Sflitarbcitcr oerfanbt. Sie
Sanblehrer laffen baS SBcrf im Korfe herumgehen. Kas crlcid)tcrt bie rocitere
Slrbeit ungemein. Sluch bie 3i'fcnbung geeigneter SJertc auS an bereit
Sänbern (Slnbrce’S Kraunfd)iucigcr KoltStunbe ift immer mit befonberer
Freube begrügt) ober bie 3usignung etioa ber KoltStunbe S. ii. Klegcr'S hot
fich nlS nühlich erroiefen. föingehenbe, fortlmifenbe Ke richte in bcn ÜanbeS.
jeitungen über bie Fonfehritte ber Sammlung unb bie Kerbieufte ber einzelnen
tfielfcr fmb 5u empfehlen. Sine Honorierung ber Keiträge bagegen ift mir
immer bebentlich crfchienen.
iDJas bie Form ber Slufäcichnungen onlangt, fo bin id) gciool)nt,
meinen SJlitarbeitcrn oöUigc Freiheit ju taffen. Sille Koijd)riften fmb gefährlich,
(fine meiner Klitorbciterinncn, eine Kugmachevin, jehreibt ihre (Srinneningcn
toährenb bet Slrbeit auf bie Kopiertollcn ber Seibenbänber. Gine Kermchrimg
ber Slrbeit bcbcutet eine folchc KJiUtür lür bcn fRebattor nid)t. Obertragen
mug er ja bod) alles. Unb ein 3««'BCH oller Keiträge beeinträchtigt bcn
Überblid über ben Kefih bet einjclncn Crtfchoftcn unb löegcnben.
Kei ber ISinrichtung ber Foogebogen, bie ja nun einmal bei ber
erften Ginführung jebeS Unternehmens unentbehrlich finb, bie richtige Klitte
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jinifc^en anjugebräugter Aürjc unb aü^iigroger '-Breite ;u galten, ift (c^niec.
SBill man bann fpöter im befonberen SBätfel, Seime, Sieber unb bergleici)en
fammein, fo empfiei)lt eä fid), bie Slnfänge aller betannten Stücfe aufju.
jeic^nen; baS ÜBic^tigfte fonn man ja burd) bie Slrt beä ®rude§ fenntlic^
machen. 93or adern aber oermeibe man e§, foicbe Spejialfragcbogcn ju um'
fangreic^ ju geftalten. 6§ roar ein 5ci)ler non mir, ben 12 Seiten langen
Fragebogen ju ben ffinberreimen ungeteilt inS Sanb üu fc^iden. Fe me^r
man boS @anje in tleine Stüde serlegt, befto größer loitb bie SBirfung
fein. ®ie Seute rooden immer roieber nufgerüttelt unb an bnä Untemeßmen
erinnert fein. 9lud) mein auSfüßtlicßer Fragebogen ju ber l)einüfd)en Sagen«
loelt fjat ben erhofften Srfolg nidjt gehabt. ®ie große SDlenge furjer, bem
Fenifteßenben bod) meift unoerftönblicßer Slnbeutungen »erroirrt unb ent-
mutigt. Fd) fomme öberßnupt non ber sBerfenbung gebrudter F’^od^üogen
immer tneßt ä«rüd. gibt beffere Slittel, basi Fntereffe road) 511 ßolten.
So empfeßle icß bringenb, tücßtige Beiträge im Sanbe ßerumjufd)idcn.
ßabe oielfod) 9lufjeid)nungen ou§ bem Sübroeften nod) bem Sorboften, au8
bem Strelißer Sonbe naeß ber Oftfeetüffe gefanbt unb umgefeßrt. 9lucß
ßier roirtt bas Seifpiel oft meßr ol§ ade Unterroeifung. 9!od) geeigneter ift
ein anbereS ÜJlittel, ba8 id) erft in ben leßten F«ß*'®" erprobt ßabe. Ftß
feßreibe ouf Oftaojettel je eine ganj beftimmte %x<XQe über einjelne ^fünfte.
Don biefen Fettein fenbe icß etroa je 80—40 Stüd an ein ®ußenb IDlitarbeiter,
auf bereu fjilfäbereitfcßaft icß mieß oetlaffeu fann, mit ber Ditte, im ®orfe
ßermnjufragen. ®ie jurüdfommenben, mit Slntioort unb JDrtäangabe oer-
feßenen Fellel geßen bann roieber an anbere Steifer in anberen Sanbeäteilen.
®iele§ fUlittel ßat faft immer Grfolg unb ift aueß namentlicß noeß bet negatioen
Seite ßin roertood, um ba§ Feßlen non 9lu8brüden unb Dräueßen in ben
einselnen SanbeSteilen feffjufteden. 9lucß bie Derfenbung non gefeßriebenen
(nießt gebrudten) Doftfarten mit Südantroort ift im föinjelfade nüßlicß.
®ie' Derbinbung mit ben 3JJitarbeitern enger ju geftalten, roitb im
allgemeinen um fo leicßter gelingen, je meßr bie Beiter be8 Untemeßmenä
felber Grfaßrung im Sammeln haben. roedt Fntereffe, roenu man
in feinen Ülntroortbriefen non eigenen Fwiben berießten tonn, unb e§ ift non
außerorbentließem SDerte, roenn man roidigen, aber ungeübten ^telfetn in per-
fönlicßem Umgang bureß eigenes Seifpiel 311 seigen nermag, inie mau bie ner-
borgenen Scßät3e anS Sießt 3ießen fann. Unb bamit feßide icß mieß au,
Fßnen non meiner eigenen Sammeltötigfeit 3u ersößlen.
3Bet felbft in bns geiftige Seben eines SolteS einbringen inid, roitb
3uerft unb nor adem, autß roenn er ein umfaffenbeS SBörterbueß nießt plant,
bie Spraeße erforfeßen muffen. Seßon um baS Dertrauen bet Seute 3U ge-
roinnen, ift eine nödige Deßerrfeßung ber OTunbart unbebingteSiErforbemiS.
Fa eS roitb nüßlitß fein, ficß ben Derfcßiebenßeiten bet einseinen ®egenbeUf
namentlicß in ber ®ipßtßongienmg, naeß lüften ansupaffen. 9BaS Ulrieß F^^ß*^
alSmöglicß ßinftedt, roenn man mit berdJlunbart nießt nertraut fei, mit bem
fUlifcßbialett auSsufommen, roie ißn frembe Bießßänblet fpreeßen, muß icß für
meine ^eimot als bureßauS untunlid) beseidjnen '). 3lber aueß bie Fw»ß*
') ®et Dortragenbe fmnmelt in nieberbeutfeßem ©ebiet. F“' Cber-
beutfcßlanb unb dJlittelbeutfcßlanb ift tatfäcßlicß bet ©ebraueß bet SUJunbatt
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Sammeln roitb mefeutlid) eit)öbt, menn man bec Hlhmbact ibr Slccbt gönnt.
91nf ber Sud)e nad) ben cigentlidten SSoltäübeiUcferungen ruerben SHigerfolgc
nicht auäblciben. Ülbct bnä ©efübl be« Übetbmffeä nad) iold)en Snttäuid)ungen
tommt nicht auf, toenn man immer mieber burch einen ooUeit Xrunf auö
bem ®om munbartlicher Webe ffitguidung fchöpfcn fann. 3d) fenne feine
gröbere 5reube, al§ mit 'Hlönnem unb grauen anS ber Sanbbeoölterung ju
plaubern, bie, vom ftöbtifchen 93crfehr itnb bem Sinflub ber Schriftfprache
unberührt, auä lebenbigem Sprachgefühl hctauS ihre Webe fonnen ; ba
ift faft jeber Sah 'rflenö ««er ®c'tc h«» bebeutfam. ®elegenhett,
bem Sßolte auf8 Wlaul ju fehen, hat jn jeber. 9tatürlich, roer burch ocrnianbt-
fchaftliche ober freunbjd)aftliche ®eäiehungen mit bem fianbleben perfnüpft ift,
bem toirb fich bie 3iolt8fprache leichter erjchlieben. Slber auch in ber Stabt
fann man täglich finben, loenn man nur ernftlich fucht, jumal heute, roo bie
länblid)en Arbeiter in immer grögeren iWengen in bie Stabte ftrömen. Unb
ein ®c)präch mit bem ipirten ouf bem gelbe, bem 911ten, ber bie ÜBege beffcrt,
bem Wlütterchen, ba8 beim ^üten ber ®dnfe pon jungen lagen träumt, bem
Xagelöhner, ber beS gleichen 9Begc8 jicht, ift halb im gluffe, loenn man ben
Beuten mit freunblid)em ®ru6 gegenübertritt unb auf il)re gutereffenroelt einju»
gehen ineife. gn roenig Wlinuten evfennt man, ob man WuSbeute erhoffen barf.
ßine augerorbentlich günftige ®elegenl)cit, bas 95otf ju belaitfd)en, bietet fich
bem Sammler bar, tpenu er flcine öä übler unb 91 uf fünf er inS®ertrauen
3iel)t unb mit ihnen jujammen ouf ihren ÜBagen auf bem Baube hcrumfährt.
Sei bem Scrfehr gerabe biefer Beute mit ben Säuern unb Xagelöhnerfrauen
fommeu in ber ßrregung, roie fie ber daubel mit fich j» bringen pflegt, be«
fonbcrS picle alte Sßenbungen ans Sicht, greilich fobalb bie Beute merfen,
bah man fte auShorche, ift bei ben meiftcn bie Unbefangenheit bahin. Wur
roenige ertragen es ohne S'iubuhe jprochjchöpferifdier Jtraft, bag man niebcr«
fchrcibt, loaS fie reben. geh hübe in früheren gohren abioajchbare ®ummi*
manfehetten ju heimlichen Wotijen benugt, ober irgenb einen Sorioanb gefucht,
um ohne Serbacht bas Wotijbuch, ober bas RurSbuch, ober ben Ralenbcr her*
auSjuholcu. Xurch Übung lernt mon, ohne folche Stügen ouSjufommeu unb
bei jeharfem B>inl)öreu ein fürjeres ®cfpräch ju bemeifteni. gnbem man fich
ben Banf ber Unterholtung roieber oergegemoärtigt, fallen einem aud) bie
Eigenheiten im SluSbnicf unb Sagbau roieber bei.
Xod) roer ruh höhere giele fteeft, tper ben unermcglichen ÜBortoorrat unb
bie jnhllojen WebenSarten unb Sprid)ipörter aud) nur annähernb crfchöpfenb
fammelu roill, ber roirb gd) mit einem folchen gelegentlichen Selaujchen beS
SolfeS, jo notroenbig eS ift, unb roenn er eS lange gahre mit glücflichftem Er*
folge betrieben hat, nicht begnügen bürfeu; e§ mug planmägigeS WuSfragen
geeigneter ©eioährSmänner hinjufommen. Unb ein fold)eS Sammeln
munbartlichen Stoffes ift leicht erlernbar, unb jeber, ber in ben Überliefe*
rungen einer Banbfchaft heimifeh locrben roill, roirb, glaube ich, ßut tun, mit
biefen Xingen jn beginnen. Watürlid), roer in allgemeinen SBenbungeu nach
ineift unnötig, oft fogar getoig nad)tctlig: hier genügt ootlftnnbtg ber ®c*
brauch öer ungejroungenen UmgangSjprache, bie ja immer mehr ober
roeniger bioleftifch gefärbt ift. 9lnm. b. Web.
Din'ti.’c'J I / Go» iglf
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alten StiiSbcfideu fragen ivoUtc, iviicbe fid) fntje 3lbroeifiing gefallen (affen
muffen : ,3a, roenn Sc fo’n olle fianbroiirb töten, beim inöten Se na unf
9fan>ccbörp galtn, bor (tebben fe oäl fo’n platt ^ürb: bi nnä iS foioat ni^
begöng’!* fDlnn frage 3unöcl)ft geniecftere Seiite, beren (äunft man im Sorf*
fnige bnrd) ein ®Iaä Sfier ober einige gerooimen f)at, nad) gonj
beftimmten, fontreten Xingen, etroa nad) ben Benennungen ffir bie einjelnen
Xeile bes UBagenS ober bes BflugeS, nad) Slnmamen, nad) ben Stamen oon
Xieren unb Bflnnjen. Sö6t man babei feltene 3lu8brüctc cinfliefeen, bie man
in anberen £anbeSteiIen gehört f)ai. fo ift boä allgemeine ge<
niectt. So fmb alle StanbcSfprad)cn leid)t ju erforfd)cn. SBenn man erft bei
ben gifd)em im Boote filjt unb Xeilnal)me für i()re Slrbeit betunbet, fo roerben
fie halb gefpräd)ig. Um in bie 3d)iffetfproebe tiefer einjubringen, bie mir
oon allen BerufSfprad^en ber Heimat immer als bie reid)ftc unb bebeutenbfte
er)d)icnen ift, pfleßc id) in ben Xörfern ber Oftfeetüfte früheren Rapitönen
unb snotrofeii eigenartige, anberSnio gel)örte fBenbungen oorsulegeu mit bem
Borgeben, ben Sinn berfelben nid)tju nerftc()cn: in fold)en ©rtlänmgcn tommt
bann oft ein ganjeS Beft oerroanbter ülusbrüde jum Borf^ein. $at man
ben Seilten burd) fo(d)e (y>^ogen über Xinge, bie il)rcm @erid)ts(reife nat)e
liegen, ein BerftönbniS bafür beigebroc^t, roaS man roill, fo oerfuebe man
ganj nl(mät)lid) auf anbere, fd)roicrigere ©ebiete überjugel)en. 9lbet freilid) nicht
jeber l)ält bem Jrager Stanb. ©erabe Originale, an bie man geroöbnlii^
oerroiefen roirb, bie in ihrer täglichen Bebe altes Sprachgut in Bfcnge im
Blunbe führen, ocrhaltcn fid) meift bet äSigbegier beS Sammlers gegenüber
ablehnenb: fie finb 311 fclbftänbig, um fid) frembem ©ebantengange nn3ube»
guemen. Xann roieber gibt eS Scute, bie in hSchflem Blage hilfsbereit finb,
beuen aber felbft bie ffiegenroart bcS Sammlers löftig ift; fie looUen allein
fein, um ihren Grinnenmgen nachjuhängen. Bnbete loieber rooUen burd)
unabläffige Stagen angeregt fein. Xie Sähigfeit eiii3elner, ben leifeften
Bnbeutungen beS Sammlers 311 folgen, ift gan3 erftaunlid).
3ch tonn oon biefen Xingen nicht reben, ohne an einen Blann aus
bem Sanbooltc 311 beuten, ber mir bei meinen erften toftenben Schritten in
baS Bfunberlanb ber Blunbart miBerorbentliche Xienfte geleiftet hat- 3'*
einem Xorfe bet .^ngenoroer $eibe, roo id) in ben acht3iger 3ahren mieber-
holt roährenb bet Serien Duortier nahm, hatte ich l>aS ®(üd, einen jungen
Bübnerfohn tennen 311 lernen, ber fich mir halb aufs engfte anfchlog.
3m Glternhaufe im Banne alten ©laubcuS unb öltet Sptechroeife aufgeioachfen,
babei oon leichter SaffungStraft unb roiffenSburftig, lieg et geh bolb oon bem
Bferte alter Überlieferung über3eugcn unb loar bonn, jebc Belohnung oon
fich nieifenb, unabläfftg bemüht, mir ben Boben 31t ebnen. Xie $ilfe eines
folchen BermittlerS au 3 bem Bolte felbft tonn ber Sammler gar nicht
hoch genug fchägen. 3th begleitete ben jungen Sreunb bei ber Selbarbeit ober
fuhr mit ihm 311 ben &o(3auttionen in ben Bfalb, immer toieber überrafcht,
3U fehen, mit nielcher 2cid)tigteit er bei jeber geh barbictenben ©elegcnhcit
aus feiner Schahtammer olter SBenbungen ben treg'enben SluSbrud l)c>^vior«
3u()olen mugte. Unter feinet ©inroirfung hatten bann nud) halb bie übrigen
Xotfberoohnet jebe Scheu oor bem Sretwöen ocrloren. Blit meinen Sätteln
in ber Cianb ging ich auf bem Selbe hinter ben Binberinncn unb ben fiartoffel»
fammlcrinnen her, ober fuchte mir ein Blähdien hoch oben im Scheimfad),
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um oon bott ouS bie Webe bet Sieule, bie bei frobev (Snuearbeit in munterem
3Bed)ie[ ^inunbberjuneben pflegt, ju be(aujd)en.
9Benn fo bie 8d)ä^e bet aJlunbart, bie uralte« ®ut in veidter ^üde treu
betoabrle, bei teblic^et SJHlbe leid)t ju ^eben ftttb, fo erforbert boS Sammeln bet
eigentlici)en 93 o 1 1 S ü b e r 1 i e f e r u u g e n ein erbeblic^ grbgereS S0la6 non Übung
unb aud) non Cpfennilligteit. ft'inberreime, bie nod) beute in Icbenbigem
(Bebrauebe ftnb, roerben ja jebem Sommlet leid)t jufallen. Slbcr baä Suchen
noch ben nertlungenen, f)olb netgeffenen 9JoirStcimen unb Siebern ift, bei
tmä JU Sanbe inenigftenä, ein fauteS Stüd Wrbeit, unb uidjt ol)iie leijes
Sd)aubem benfe icb an jenen Sommer bes 3“l)teä 91 jurüd, ols id) ied)S
SRonate lang, in mbelofet ©aft non lEorf ju 2!orf cilenb, boö Sanb mi«-
fcbtieglid) nach Wätfeln unb Weimen abfud)te. @rft tuenn man Sagen unb
Snäreben, Wraud) unb Glauben, bie mit anfangs in falfd)em 'Ifertrauen auf
9artfd)euS ®}erf non bet Sammlung auSgefcbloffcn batten, bineinjiebt, menu
man neben ben 9EBörtern jugleicb in bie Renntnis bet Sad)en einjubringen
iuebt unb ©auSbau, l£rod)t unb (Berät erforfd)t, erft inenn man ein nolleS
93ilb non bem öuBeren unb inneren ©eben beS 9Jolte§ in entfebrounbener 3eit
JU gemimten fuebt, erft bann entfpriebt ber Sobn ber aufgemaubten WHibe.
3u einer Suft aber fann baS Sammeln biefet ®inge nur merben, roenn man
otleS flüchtige ®urcbftteifen ber ©eimnt aufgibt unb in rul)igetn, nianmößigem
Vorbringen ben Vefitj engbegrenjter Vejirfe ju erid)öpfen iudjt.
habe mir, feitbem icb in ben meifien SonbeSteilen juperläffige Vlitarbeiter mei6,
einige menige lanbfcbaftlid) febön gelegene Crte in ber meiteren Umgebung
meines SVobnortes berauSgefuebt, ju benen icb immer micber jurüdfebre. 3”
bet näberen Umgebung — um auch baS ju jagen — ift bie perfonlidte 93e>
fanntfebaft mit ben Vefibetn, Väd)tern unb Voftoren leiebt bixberlid). (£rft
bei folcber oft mieberbolten ßintebr in ein 2'orf fann man bas oolle Vertrauen
ber Seute geminnen unb ihnen 3rit loffen, ficb in bie alten (Erinnerungen
mieber bitteinjulcben. Unb nur in folcben Stanbguartieren, mo man
mit ben örtlicbeu Verbältniffen genau pertraut gemorben ift, tann man an
bie (Einrichtung non Sammelabenben in gröberem Stil berangeben, mie icb fie
feit langen Qabren in 9Varen mit glüdlicbem (Erfolge obgebalten l’<*be. Soeb
folcbe feften Stübpuntte mollen erft gefunfcen merben, unb es mirb nidit nutjloS
fein, JU jeigen, bureb melcbe ÜJlittel ber Sammler ber Sebmierigfeiten
©err ju merben oerntag, bie ficb unter meniger günftigen Verbältniffen feiner
Slrbeit entgegenftcllen.
Rommt man als grember jmn erften Slialc in ein 3orf, fo ift boS
Staunen groß. ,9Bot bee Saat mol in’n Vlunn’ bett — mat bor mol bi
rulbröben mag!* ÜaS Slnfinnen beS Sammlers bat eben für biefe Seute,
benen eS etmaS oöllig Weites ift, baß ein ftubierter SDJatm fidt tim ihr (BeifteS-
leben fümmert, etmaS ftart ÜbetrafebenbeS, uttb icb tonnte Ob”«” luftigften
fWigperftänbniffe erjäblen; ,fDlubber Schulten, Sltubber Scbulieti, mo tannft
bu ben’ti fDlantt mot nörbäbett. !©e arm fiierl fatitt eenen jo leeb bobn, bee
bett bat jo ’n bätett in ’ti Ropp; mo tünn be füfj pör fo’tt Iröbeltram fiett
@elb utgäben. SHööft em nidS oertellen, Sflubber Schulten, bu maatft ent jo
füfe ümmer norrfeber.* Wiifflärettbe Vorarbeit beS SebrerS mürbe ja falfcbeti
Vuffaffnngen porbeugeti tömten; bod) ift nicht jeber baju bereit, oitd) mirb eS
barauf antommen, in roelcbem VerbälmtS ber fDlantt ju feitten ^orfgenoffett
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®igenHid)em ülUgtraiien aber bin ic^ auch ba, roo it^ mit ganj ollein
bcn 3i<eg bahnen mugtc, taum je begegnet. Unjei medlenburgijc^eiS Sage«
löbneroolf, ju bem id) mid) oon ^ugenb auf am meiften bingejogen füble,
ift offenen derjenä unb leid)t ju geroinnen, roenn man i^m in ber rechten
äSeijc nabt; bie äeute bobcn ein febr feines ®efüb( bafür, ob man ftc^ über
fte luftig macben roitl ober ob man ihrem ®eifteSleben Sichtung unb 93et>
ftänbnis entge^enbringt. 3Bcm freilich bie @abe oerfagt ift, and) bem 9lie»
brigftcn unb Slrmftcn mit nihigcr (^rcunblichfeit ju begegnen, bem roerben
bie liefen ber Sioltefeelc oerfchloffen bleiben.
5ragt man bann nun im 3!otfe herum, roet roohl im Senhe cxlter
Überlieferung fein fönne, fo erhält man juerft meift menig hof
Dolle Slustunft; ,3ee liggen up ’n fiirchhof, bee foroat müßten; bee fünb
nu nich inihr an ’t Stüber. — ^üüt marb non ’n Slrieg fnadt un roat be
IScmotrnten herpötebringen ; fo’n perroünjchten Rtam iS nu ut be SBelt rut. —
l£en Spööt hell Slapoleon ut’t 2anb btäben. — l)e 3Belt hett fit jo üm«
breiljt. — 9Bat Se jöfen, bat regiert nich mihr — bat hett fit aflörot — bot
bemengt ’n fit nich 'n>hr mit — bat hüürt nid) mihr mit to." — @at niele
haben in ber Zat oon ^ugenb auf für bie $oefie biejer Sachen feinen Sinn
gehabt. ,3f h«ff üm fo’it Sllfaujerien nie nich brüb’t.* — „So hoc’ch'
flubiert bün it nid).* — „SBat be Serch fingt, bat fann ’t Se of nich feggen,
bee hett fo’ne poifche Spraat, bee fann it nich oerftahn,* — „95on be lütten
Ünnerierbichen? Sie, bor fann ’t Se nictS oon oertellen, it l)eff mit be S3aben*
ierbjchen nooch to bohn." — „iDIicn ißabber roier Sniber; roat ne Slabel böten
fünn, bat mügt neihgen, beim hett man to foroat feen Xiet to.* — „9Qecgen>
leebet? Sie, bee heff’t mienläber nich jungen, be fflöten roürben uppc 3er ben-
fmäten, bor müßten f’ üt groot roöhlen. Sünb jo groot nooch rootben.* —
Slnberc finb burd) ftreng tirchliche ®efinnung ben Überlieferungen ent-
frembet: „So’n Unbugenben roeet it nich.* — »3l'i bat Sheltiodfent heff it
feenen Slnbeel, it heff mien 3)ohn in be Schrift.* — ,33 jo hüüt Sünnbad),
roo fann it Sc hüüt rool roat oertellen, mien SJlonn geit jo mit’n Rling’bübel.*
Sluch CebcnSfd)icf fa le üben ihren ©influp: „3<*( ü* wen jungen S)agen
heff it fooäl leeroe Finger roüßt; oeroer roenn be leero’ |>errgott eenen bemt
Summer oeroer Summer fd)ictt, beim fadt bat all fo fachten ut ’n Sopp tut.*
5)od) ber Sammler roeih, baff treues SluSharren feinen fiohn finbet.
3n bem legten, oerborgenen Sintel fprubclt oft ein überreichet Duell heroor.
Stie ®cbächtniSfroft einjelncr ift in ber Jat berounbemSioert. ,3n ben’u
Sierl iS ßUuiib un iBobben oerfadt. — ®ee locct ’n ganjeu ^oppenfad oull
— bat geit nid) no ’ne ^luuSpoftill rin, roat bee roeet.* — ,3)lit mi iS bat
grab’ as mit’n 3>n'ncnvump, rocnn'n bor anftött, benn bruf’t bat tut. — SDlien
Schrift iS nich *0 bull, oeroer hier haben heff it ’n Soot. — SBenn Se mi mem
be Siörfpiegclungen maten, beim roill it rool roat hetoörfrigen.* — Sluch wf
baS lempcrament unb bie äugen blidliche Stimmung ber fieute fommt natür*
lieh oiel an. „3t tann nich losballeni, roenn it fall. — SBenn eenen bat fo
gluupfd) iip ’n 2iio’ tümmt, benn fann man fit nidS rutergraroioeln. — S!or
mööt man Stebigteit to hebben to foroat.* S3on älteren Stauen roirb man
am bcficn mehrere, etroa brei bis fünf, 5ufammenbringcn: ift erft ber SBctt»
cifer roeiblicher 3t*ngcn rege gerootben, fo hat man geroonneneS Spiel.
SlnhererfeitS ift eS oft oerfehrt, bie Beute niiS ihrer geioohntcn Umgebung
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/
tjeiauSjunigen, ftc ctroa inS Oouä beä SebietS ober tu beu ®aft()of )u bitten.
aJlan taffe ben fRabema(i)eT in feinem Schauer, ben ÜBcber fjiutet feinem
2Bebftn()l; man fud)c bic fjorftarbeitct im ilBalbc möbtcnb ber OTittagSpaufe
auf. ,93uten in be gribeit geit bat ümmet bätet*, t)äxtt icb öfter oon fieuten,
bie geroobnt roaten, il)t lagenietf unter freiem |)imme[ ju oettid)ten. ©in
alter gorftarbeiter, ber an einem SlUtagc auf meine SMtte gegen 3<il)lung
eines reid)li(i)en XageIoI)neS )u ^aufe geblieben mar, um mir fmärd)en ju
ergäblen, mar fd)on pot fDlittag pötlig erfeböpft: baS ®efübl, r«<l) J« öet
ungcroobnten fUrbeit perbungen ju haben, brüctte ihn ;u Soben.
’JBie meit es nun gelingt, bie fd)Iummernben Erinnerungen ju tpeefen,
baS roirb roefentUd) Pom ®efcbid beS Sammlers abbängen. 3c mebt er ben
ganzen, rocitftbiebtigen Stoff be betrieben lernt, je tiefer er in bie un=
enblicbe fDlannigfaltigteit alten ®laubenS einbringt, je leiebter et bie gäben
511 nerfnüpfen meib, befto reid)et mitb bet Ertrag feiner 91rbeit fein. ,3Bo
iS bat eenmal moeglicb*, meinte einmal eine alte lagelöbnerroitroe, ,if b*ff
nu boeb be fleeber un iRimetS tom Xeel fict mien bet nicb mil)t uppc
Xung' buti> >t>o foenen Se bat bloS all ut mi ruterbalen.*
3d) höbe mit im 2aufe ber 3“b*e — ou&er einem Hauptbuch unb einem
turjen ÜluSjug — für jebcS einjelne ®ebiet befonbere, immer roiebet etgäu5te
grageb lieber angelegt, in betten id) neben ben SluSjügen auS meinen Samm=
lungen mit roter linte mertuolle Überlieferungen aus nnberen flänbern net=
jeiebnet habe, bie mir bisher aus bet ^eimat nicht betannt gcroorben fmb.
XaS gibt eine gute ^anbbabe, um befonberS ergiebige Cuellen auSjufeböpfen.
Xoeb je mehr man oon biefen Xingen lernt, befto gröbere ^uriicfbaltung ift
geboten. dtiemalS barf man auf böten, ben fiernenben ju fpielen; man
muff anfangs oft auch Sillbeta nnteS nieberfeb reiben, bamit bie Seute
nur erft baS ®efübl geroinnen, bab ihr SBiffen non SBert ift. Sonft fommt bie
rechte ®ebelaunc nicht auf. ,Xat iS roürtlicb to’n Soeben*, meinte einmal eine
grau, ,bee fUlann roill oon uns Schclmftücfen lil)ten un roeet fülbeu be oller«
ineifien.* Unb ein Sllter erflärte mir: ,9Dlit Se feem mi bat boeb giftem juft
fo pör aS up’t ©eriebt; bee |)etren roceten bat pörber ot oll ümmer bätet aS
man fülben.* ^at man nun bie fieute jum iRcben gebracht, fo nuhe man bie
Stunbe; liebe Slachbarinneit bringen fonft leicht |)unbebaare bajroifdjen. Slueb
bie biuterber auffteigenbe Sing ft not bem Slaftor pcrfcblicbt bic ^erjen.
Xab man fclber nicht }iinperlicb unb priibe fein barf, ift felbftncrftänblicb.
Ein gcroiffeS SJlab oon greigebigfeit ift geboten. Xutd) ein ®cfcbenf an
boS Enfeltinb ift ©rogmutter leicht getoonneit. Xic Xantbarfeit ber fieute
für tleine Slufmertfamteiten, einen ®tu6 attS ber gerne ober ähnliches, Ijot
fuh u'ir oft in rübrenben Slugerungen funbgeton.
Einen crbeblicben Untcrfchieb ber einzelnen SanbeSteilc habe ich
in SDledlenburg nicht feftftellen fönnett. Xie gnbuftrie bat ja bei uttS ibteit jer«
ftörenben Einflub nod) nicht geübt. Orte mit altanfäfftger S9eoölferung hoben
natürlich im aUgemeinen ölte Überliefentng treuer beroobrt. Solche |)ofbörfer,
auf benen bie Xagelöbner oft roechfeln, finb menig ergiebig. 3" Sltmen-
bäufern in fleineren Stäbten unb auf groben abeligen ©ütern höbe ich oft
reiche Ernte holten fönnen. SSerfttebe, in ft'afemen ju fammeln, finb bisher
non mir nicht angeftellt ntorben.
SBill man SloltSlicber fuchen, fo loitb man bie ©egenben beoorjttgen
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muffen, in benen ber 33olt$geiano nod) bi» oor furjcm eine fefte ^ffegeftätte
batte: bei unä finb ei einzelne leite bei Stretiber S2anbei, roo bii in bie
netinjiger eemeinfamen ätufjieben bee labatiblätter atte
Siebet im ilBetteifet gefuugen roorben ftnb. SDlitnntec aber finbet man aueb
Siebet unb fReime an unetroattetet Stelle. €o batte icb nach ben Sebetteimen,
roie fie in bet UBatenet (Megenb jum leit noch bc»te bei ^oebjeiten übltcb
finb, übetati anbetiieo lange oetgebeni gefuebt. ^(bblicb ttaten fie mit in
gtoget ^üUe unb SebÖnbeit in einigen Sdtfetn bei Sübroefteni entgegen; wo
fie abet nut gebtauebt roetben bei bet %tatel(öft, bai b«i§t bem SRabl, bai
bem gemeinfamen fllacbibtecben ju folgen pflegt. Sei bem Sotfeben nad)
Sagen roitb ei ficb empfebfen, bie loeitcte Umgebung altet ft'ultftätten mit
befonbetet Sotgfalt abjufueben. Slueb alte Setg- unb fjliitnamen leiten mit-
untet auf bie Sput, ebenfo ptäbiftotifebe lentmälet. Sei allen roiebtigeten
Stücten fuebe id) fteti bie (^eiPÖbtimännet ju oetanlaffen, baß fte fttb übet
ibte Stellung jut Sage öußetn; foldje etflärenbe Semetfungen oettaten oft
ein übettafebenbei Setftänbnii. — Son gtößtem 3nteteffe ift ei meitet, Sogen-
Satianten ju jammein, unb ben Setbteitungitteii bet einjelncn Sofalfagen
feftjtiftetlen. Sefonbeti bebeutfame Stüde laffe icb »o» bcnfelben Seuten
naeb mebtjäbtigem 3'oif4«»taum mit roicbctet3äbl*f>: bai ift ein gutei IDUttel,
bie 3«0‘tJäjrigteit bet llbetliefetung ju ptüfen. lutcb gelegcntlicbe, unpet-
böebtige f^tagen jud)e man ßd) übet bie ^)etfunft unb Sebenigefebiebte bet
®eioäbtimännct ju unterriebten. — lie Stellung bet SeoöKetung jum
91 betglauben ift in meinet Heimat in ben einjelnen (Begenben oetfebieben;
bai muß man beim Sammeln natiidicb betüdftebtigen. Sei allen oetfcbioun»
benen Stäueben jammlc ntan pon ben Seuten felbft möglicbft genaue 9lngaben
übet bie 3^1 unb bie ®tüttbe bei 9lufbüteni. Xoeb id) tann bi^t^ uicbt
näl)ct batlcgcn, roie man im einjclnen ju pctfabten bat, um jupctläjngc unb
etjeböpfenbe 91ngaben ju etbalten. Si ift 3eib baß icb ein Snbe macbc.
9J)eine Scbilbetung bat, um roabrbeitigetteu ju fein, an ben Sebmietig.
feiten bet Sammelatbcit nidjt potübetgeben tonnen. 9lllcin füt bie 3Rflben,
bie n)it bent jotfeben nad) jctttüminettet Übctlicfening nun einmol unjer-
ttcnnlid) oetbuiibcn finb, loitb jebet Sammlet teicbe £ntfd)äbigung finben,
ipenn et auf bet Suche nach Sagen unb ÜRöteben, nach Staueb unb
(Glauben bie teebten Seute finbet, bie, mitten in biefen Xingen lebenb, mit
tiefem (Sefübl füt ibten poetijeben (debalt begabt, ei ali ein ®Iüd empfinben,
loenn jemanb fommt, ficb an ißten Sebägen ju fteuen. Xai Silb folcßet
Seroöbtimännet ptögt fid) bem Sammlet unoetgeßlieb ein. SJenn id) in
meinen Sagenfüften blättere, tritt mit immer niiebet bet alte 3*^81*'^ nu*
®ielon> bei fUJalcbin oor 9liigen, bet mir an jmei febönen Sommetobenben,
ben Slid träumetijeb in bie 3«rnc gerichtet, felbet oon inneret 9Scibe ergriffen,
einige lußenb bettlicber Sagen etjäblte. Xa ift nur ein leifei 9lnftoßen oon
nöten, rußig läßt man bem Strom bet (Stinnetung freien Sauf, nur butd)
ein lutici 9Bort fueßt man 311 3eigen, baß man bie Schönheit bet alten ßiebilbe
empfinbet. 9Benn ieß folcßcn fSlänncni unb grauen gegenüberftbe, bie mit in
rüdbaltlofem Sertrauen ißt innerftei ©laubenileben enthüllen, unb nun in
langet Seiße uralte Sotftellungcn oor mit auftaueßen, fo ift mit feßon öfter
311 Üllute gctpcfen, ali toenn ieß, um gaßttaufenbe 3utüdocrfebt, einem ger-
manifeben Stiefter laufcßte.
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2a«, meine -Texten, ift eben oammlevftenbe, nnb id) {d)üege mit bem
iQliinid)e, bag folc^eS Sammlccglüct in reichem iDtage aQ ben anbeven SRönnerit
blühen möge, bic jel)t nbetaQ in beiuicben Sonben, ber alten Sci)ulb eingeben!,
fict) um bie 93etgung be§ förbguteS bemüf)en. ®enn mir io nid)t mübe roerben,
metfeiiemb bic Sloufteine ^crbci}iitragen, bann roirb beccinft ber fommenbe
ÜJlciftet ein ftotjeä Slentmat beuticf)en 93o(l3tumö aufcid)ten fönneu.
9Jod) Sd)lu6 bet gcfd)äftlid)en 'Berfjanblungen befic^tigen bie leUncfimec
untet ber liebcnSmücbigcu fieituug bc3 f)ccrn Sanbgcrid)t3biccttoc3 Sc^tobec
bie Sammlung ^ambucgijd)er Slltertümec.
Slbenbs 8 Ul)r fanb ebenfalls im ?lottiotifd)cn ®cbäubc eine öffentliche
Scrjaminlung ftatt.
^tof. Stvaef begcügie im Olamen beS iBetbonbeS bie Slnroefenbcn,.
inbem er barauf Ijinroies, oon roclchem IBJcrt für bie ®oltätunbe bie leilnohme
unb 3)litarbeit ber ©ebilbeten fei. Qm Slnfd)luf; hieran behanbelte et mit
einigen 3Qorten baS 'llerhättnis ber SoltStunbe jur Silbung. &r betonte ben
©egenjah, in ben beibe oiclfach treten, inbem bie iBilbung eine Erhebung über
bic iDlaffe erftrebe unb bemühtes inbioibualiftifcheS ©eifteSleben pflege unb
fchöhe, mährenb bie 3}olfSfunbe gerabc bas unbemuhte geiftige Scbcii bet
ÜJJaffe, beS älolfeS, ju ihrem ©egenftanb habe, jenes ficben ber ©emeinfehaft,
aus bem alle inbioibualiftiiche flultur t)tvaui geroachfeu fei unb noch ^cute
herau6ioad)fe. Sluch ber ©cbilbetc roerbe in feinem ganjen ®enfcn unb
panbeln fortroährenb mehr ober meniger pou bem ihn in ©egenmart unb
3?crgangeuheit uingebenben iSlaffenleben beftimmt. Tabnrch, bag bie Gilbung
es ignoriere ober gcringichöge, erid)rocrc fie bem Sinjclncu baS SerftänbniS
ber Söirtlichteit, in ber fie ihn orientieren foHte, uub errid)te fünftliche
2chran!en, bie it)u pon feinem ®olfc unb einem guten leil feines eigenen
Selbft trennen. Sie (Sinficht, bafe ein Söeitcrfchrcitcn ber Gilbung auf biefem
Siege ocrbcrblich fei, oerbreite fich immer mehr. 3” Suuft unb ^Soefie fuche
mau mieber bie ncrlorene (jühlnng mit bem ^olfe ju gcroinnen. 2BaS biefe
beiben anfchaulich ju erfaffen fuchten, toollc bie Soltstunbe mit ben fSlittcln
ber Siiffenfehnft crfchlieBcu. Ohre große prattifdie 31iifrion beftehe in einer
Dieform unferer nationalen Silbimg. deshalb ergehe auch iht iKnf on alle
©ebilbeten. 91id)t mehr ein tüuftliihcS, im 2reibhanS uub in Stubeuluft ge»
jogeneS @eipäd)S foUe bie Gilbung fein, foubern eine fchöne, unter ©otteS
freiem Fimmel entfaltete Slütc, bereu Söurjeln in ber heimatlichen ßrbe nihen,
unb bic uns föftlichc (vrüchte uerheißt. fSlit bem Siunfehe, baß auch bie &am>
bürget Xagung hierju beitragen möge, fchloß ber IBortragenbe.
®arauf fprach Dr. (£rome (©öttingen) über ^ ift orifchcSioltStunbe;
biefer Sortrag halte etma nachfteheuben ©ebanteugang:
Xer Siert aller ber jahlreichen prinsipicllen Grörtenmgen bet jüngften
läge beruht oor anberem in bem Seftreben, bet jungen Siiffenfchaft bet
SolfStunbe ein größeres Sd)mcrgeroid)t in fich felbft ju fd)affen, rooburch ßs
eben erft eine mirflich lebenSfröftige Siiffenfchaft roirb. Xaß bie eigentliche
Sammelarbeit babei mehr ober meniger immer in ben $>intergrunb gebräugt
mirb, ift ju betlagen, barf aber boch nicht eigentlich mißmutig machen : eine
boch enblich einmal eintretenbe noUftänbige Älarheit über baS 3id ber Solfs.
funbe mirb bas Serfäumte bann um fo fchueUer nochholen laffen. Stllgemeine
9lnerfennung nuiß enblich ber Sag erfahren, baß bie SolfSfnube eine philo«
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(ogifdje ^igüiplin ift, nielcl)e biac^auS I)iftori[c^*p()iIoIogifc^c 'Dtet^obe bet ber
SBerarbeitung be8 OTotctialeg in %troenbung ju bringen bat, mit anbcm
SBorten, eä mug eine biftorifcbe SoKStynbc »ot allem biitd) |>eraniiicl)ung
unb Dollftänbigc Sammlung ber älteren 3<ugniffc auSgebaut roerben, roeldje
enblicb einmal eine menn aucb iit if)rer fflenauigfeit nur begrenjte Sbi^t’nologie
ber eittjelnen 3eugniffe möglich mad)t; roie bei iolcber l)iftorifd)en SBertung
l>eg geiomten Xlatcrialcg auc^ eine gröfiere (Sinficbt in bie 3iel^ nolfg'
funblid]en Sammclarbeit möglid) niirb, (ann nid)t genug beroorgeboben
roerben. ®aß bie älteren, bem eigcntlicbcn 9lllertmnc itn(ercS 9lolfeä angc-
börigen Scbicbtcn beä 2JiaterinleS bie rocrtpollercn bub, baö bicr bie roert.
noUften iSouftcinc für eine tünftige große Slltertumäfunbe, roie fie Sari IDlütlen*
boff in (einem ©eifte cr(cbautc, noch jumeift unertannt unb ungefnnben ruben,
borf feinem ffiinfid)tigen mehr sroeifelbaft (ein unb muß rubig auägc(procbcn
roerben. ©erabe ber beutfcben iBolfstunbe müßten burcb bitje Sejiebtmg ju
iem größten ^Problem un(ercr iBergangenbeit, bem Urfprung unb RinbbeitS.
alter un(eret SHation, bie 3>cle 'b^e Sannnelarbcit beutlid) gcftecft (ein
unb bie ibr brobenbe ®efal)r in baä U(crlo(e ju geraten, roäve für immer
be(eitigt; auf ©runb biefer ©rroägung muß jcßt einmal junäcbft baS biefen
älteften Scbicbten angebörige iDlatcrial fgftematiicb mit aller ftraft »on beit
beutfcben »otfätunblicben Vereinen gc(ammclt roerben, eine noch immer febt
große, aber bocb juleßt ju beroältigenbe Ülrbeit. i!)a8 ben jüngeren Scbicßten
angebörige SDlateriat muß big auf roeitereg an jroeiter Stelle fommcn, (eine
Sammlung gefcbiebt mehr nebcnber, benn cg (oll nid)t Unroid)tigeg gerettet
roerben unb ^Söicbtiges baburcß oerloren geben.
3n ihrer iSejiebung ju bem einen großen in ber beutfcben 9lltertumg«
funbe becubenben Obeale unfereg 93olfeg bccubt aber auch bie große praftifcbe
unb (ojiale iBebeutung ber Sjolfgfunbe für bie Station roie für ben eiujelnen,
fonft nirgenb.
3um Schluß fpracb ^tof. Dr. ®. Xbileniug (Hamburg) über ißolfg»
funbe unb SSölferf unb e. SRcbner führte folgenbcg aiig: 'Uolfgfunbe ift
eine notionale unb biftoofcbe SBiffenfcbaft; fic bc»t bie 9lufgabe, eine beftimmte
ge(cbid)tlid) unb geograpbifcb abgcgreujte IDlcnfcbenucrbinbung pon loufenben
ober iDlillionen in allen fiebengäußerungen ju erfor(d)en. So cbarafterifiert
fte .H. Söcinbolb. £ie llölferfunbc bagegen fiebt in ber ge(amtcn IDlenfcbbcit
eine ©inbcit unb oerfolgt il)re ©ntroicflung oon ben primitioften big ju ben
bödjften 3uflünbcn ber Kultur; ihre 9Jletbobe ift bie oergleicbenbe, bie ße ouf
außcreuropäifcbe Slatur. unb ftultnrpölfer cbcnfo ougbcbnt roie auf unfer
eigeneg 9folf. ®arin liegt bie ®erübrung jroifcben ben beiben äPiffcnfcbaften;
auch ihre 93letboben finb ähnliche. Rultumölfer, loclcbe eine Schriftfpracbe
unb fchriftlicbe Übcrliefenmgen iberiben, roeift bie 33ölferfunbe in erfter Sinie
ber pbilologifcben 93ebanblung ju, unb nießt anberg fann fie mit ben europä*
ifeßen SBölfern ncrfnßrcn. 3Bo ße Ulaturoölfer in ben Krcig ißrer Unter*
fueßungen jiebt, tritt an bie Stelle beg gefeßriebenen SUortes bag materielle
©rjcugnig — ber Speer, ber bearbeitete Stein ober bie iDlasfe — als ßifto*
rif^eg 'Jofument für bie ffiefdßcßtc beg Slolfeg. 9lbcr aud) bie ßöcßftcn Äultur-
pölfer bcßßen eine ftoßlidjc Kultur an ©erät unb ionftigen Singen, roelcße
gleicßfaUg alg biftorifd)C8 Sofument ber Scßriftnölfcr anjufeßen ift unb um
jo beutlicßer in bie Grfeßeinung tritt, je meßr roir oon ber nioellierenben unb
Digitfzed l‘
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bie oltc ipnuSinbuftric oerbvänflenbcn SUJafTciiprobiirtion bet 3na{d)ine uu§-
entfcrneit. SBaS un8 ba eigenartig faeriit)rt, ift nic^t oUcin bie Ülufeening
(bäuerlichen'' (Scjchmacfä in ber 93erjienmg ober bie eingehcnbe Searbeitung
eines Weräts, fonbern oor nUein bie jeittiche 2iefe, in roelche bie SRealien
ber ^oUStiinbe uns hinabfübren. üRübcloS tSnncn loir unter ben Geräten
etnjQ bie SicfjcrbcitSnabel jurüct oerfolgcn bis ju ben t$ibeln ber SBronjejeit
bie 3BoUfct)crc reicht jurücf bis jur erften Sifenjeit unb ber moberne Spinn»
wirtcl aus ^orjeQan j. S., beit mit heute in Jrantreich finbcn, führt äutücf
bis jn ben alten ülnfieblungen ZrojaS unb in unjere eigene Steinzeit.
(freilich fixb bitä alles nur Übcrlebfel, bie (Ich erholten h<*hen; roeit
mehr ift im Saufe ber 3eit perloren gegangen, nieleS hat fich nur in fehr
oeränberten fformen erhalten. ^Eet ®efi(| einer früheren Rulturperiobe, ber
pon ber neueren tedtnifch überholt roirb, gerät unter bie ^lerrfchaft ber ¥han»
tofte; nicht mehr oerflonbcn n»ft er jum ©eräte beS StbevglaubenS herab,
ajfntbob, ein Sifchof oon SHenneS im jtoölften ^ahrhunbevt, fenut bie Stein»
beile als Schut; gegen 311ihfchlag unb gegen ©rtrinten, als Spenber Pon
ruhigem Sd)lnf, füjjen Iräumen u. f. lo. 3n ben Ställen ober dauSbächern
ber fehteftfehen unb braunfchmeigifchen ®auern finbet man ebenfo Steinbeile-
als Schuh gegen IBlih ober auch alS iHlittel jur Teilung tränten SliehS. 3n
Schottlanb tlopfen bie Seelen mit Steinbeilen au bie Pforte beS (fegefeuctS.
lEie ^feilfpitien aus Stein gelten in ©uropo als ©Ifenboljen, in Italien,
grantreich unb ^rlonb inerben fte als Talismane in Silber unb ftupfet ge-
faxt unb erfcheinen fogar als ^eftanbteil beS fRofeutranjeS. O« fpäteren
Seiten loirb baS Steinbeil chriftlich»mönchifch 311m 3Reffer, baS man gegen
Unroetter in ben Sachbalten ftögt. ©benfo fchütjt bie Sichel ber hsiügrtt
SRothburga gegen Unroetter.
9tm 3äheftcn erhielten ftch bie lotcngebräuche, benu allen 3e>tcn ift bie
Scheu por ben Xoten gemeinfam, unb alle Sfölter rooQen bie Seele beS 9lb»
gefchiebenen günftig ftimmen ober ihr ^afein am unbetannten Orte behaglich
geftalten. Xotcnlicber, roic ftc bie altinbifche fiiteratur tennt, loerben noch
heute an manchen Orten S)eutfchlanbS gefungen, unb bie Xotengoben beftehen
loenn auch ia neränberter (form fort, ©efchichtlich be3eugt ift, bafe bie roertpollen
SBeigaben, roclche urfprünglich bem loten inS ©rab folgten, burch IRachbil»
billigen in Zeig abgelöft rourben; fo geht bie Sregel unmittelbar 3urüct auf
bie Slrmringe, i^alsbergen unb Saugen, roelche bie Sronseaeit uns nuS ©räbem
überlieferte, unb ebenfo ift baS 3opfgebäct eine 2lbföfung bcS Opfers roirtlicher
3öpfe. Sregel unb 3apfgebäct finh 311m Überfluh noch an beftimmtc ffeier»
tage gebunben, roelche fidj auf ben Zotentu It be3ieben.
3ii ben eigenartigften 30*9*» Öer 3ritlichen Ziefe gehörten bie Zrabi»
tioiien über ben Inhalt oorgefchichtlicher ©räber. 3n bem ZromningShöi bei
Schubi} liegt nach ber Sage ein Krieger, roelcher meuchlings oon ber fchroarsen-
'Margarete (geftorben 1282) enthauptet rourbe; als man boS brati3e3cittiche
©rab öffnete, faiib mau neben oiibereii Steletten eines, beffen Schäbel 311 feinen
(fflheii lag. 3n Seccotel bei Schroeriii er3Öhlte man fid) oon bem großen
tfnlgel, in roelchem bie Untcrirbifchen roohnen ; 3U ihren 3)!ahl3eiten leihen fie
ftd) ouS ben übrigen Sergen Seffel, ÜReffer unb anbere ©eräte. Reffei unb
Zafel faiiben ftd) bei ber Öffnung beS ©rabeS. (ferner roiihte mou, bah haS
©rab fo grohe Sehäge berge, bah man bamit boS gaii3C Zorf taufen tönne.
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3n bcr lat fonb fic^ in bcr SDlitte beS ®tabc3 eine SDlcngc con Stonjegegen»
ftdtitben. 3oId)e Übereinftimmungen foib too^I geeignet, tinS bie Srljaitung
uralter ®eräte nnb ®ebräiicbe ju ertlären, mögen ft« immerf)in inonc^erlei
ÜBanbhmgen burd)gcntad)t hoben.
Überall in ber IBcKsrunbe begegnen nnö berartige Spuren, bie unoer>
änbert ober ben perjehiebenen [eilher burchlaufenen ®ntn<ictluitgäftufen ange-
pa6t, auS ber :3eht(ieit jnrüctführen bi« tief in urgefdjichtliche Seiten- illie
aber ift in biejeni Seitraume ein nnb baSfelbe iBolt im abgefd)loffenen nnb
ungeflörten öeftg feiner ftullur nnb feine« Snnbe« geroefen. l&lanberungen
pon 3iöltern, IDlenfchen unb Stultnrerjeugniffen haben jtu allen Seiten bie
llultur be« einzelnen 91olfe« beeimlugt. Scl)on in ber Steinjeit finben mit
in einem beutfehen ®rabc Schnectenfcholen, melthe an« bem ®ebiete be«
SDIittelmeere« flammen. Später tarn bie 33rünje au« ßppern nach tDlittel-
unb Dlorbeuropa, unb jahlreich nnb nachhaltig finb fpäter bie ®inflüffe bet
iDlittelmeerlänber auf ben 9torbeu. ^uch in fUeinigfeiten fprach geh ba« au«:
ber öfterreichifche Soppelabler tritt in ber Seit ber Slreui^üge an bie Stelle
be« eintopfigen unb flammt im lehtett ®runbe au« Snbien. Seht oiel meitere
äBanberungen hot man für bas ^atentreuj nachgeroiefen, ba« uon SBeftcuropa
bi« Cftaften reicht unb beffen Vertreter man auch in Slmerira gefunben hoben
roill. ®ie jeitliche Verteilung be« 4>atenfrenje« in 9lficn ift ber SUanberuuge*
hopothefe günftig, benn e« taucht in (Ihma unb Oopan fpoter auf al« am
IDlittelmeer; bie neuen 5orfd)ungen in iurfeflan unb Sentralafien laffen un«
■eine frühjeitige Berührung jioifchen Cccibent unb Drtent etrennen, bie mohl
auf ben Slle^'anberjug jurüdgeht. Slllein ba« fbafenfreu) erfdteint in ben «er»
fd)iebenen Sönbeni aud) al« ®nbfovm in ber Crnameutit; man hot e« unter
anberem al« 9ltinbräbd)en gebeutet unb als öugerfte Stilifietung non Vögeln-
2Jamit entftcht bie neue Srage, bie überall in ber uetgleichenben Völter-
funbe bei ®leid)heiten ober Ülhulichfeiten aufiuioerfen ift. Vlir roiffen, bag in
ber Viologie j. V. bie gleichartige gärbung ber Vlüftenticre nid)t auf Ver-
roanbtfchaft beniht, unb bejeichnen biefe Srfcheinung bnher als Aonpergens.
®iefe gleiche Sejeichnung roenben roir in ber Völtertunbe on, roo gleiche
gönnen auftreten, bie roeber burd) Vlanberungen jufammenhängen, noch fonft.
ipie uenuanbt gnb. 3as ftrcuj in ber Ornamentit be« dtriftlichen flultur*
freifes erfegeint hi«r feinet .{terfunft nad) ohne toeitere« oerftänblich. VJit
finben e« aber auch im oortolumbifchen Slir.erita al« tpierogigphe in Vilber»
hanbfehriften unb al« rubiinentäre Stilincrung be« SlligatorS in ber Crna-
mentif ber ©hirigui. fiiegt hier beullich bie Slonoergenj uor, fo ift ge loiebetuin
in anberen gälten fehr sroeifelhaft.
SSeiter noch ol§ biefe grageu ber Cruamentif führt uu« bie Verfolgung
uon Vorftellungen, loelche al« (£igeutümlid)teiten beftimmter ftulturftufen er*
fcheinen. Allgemein oetbreitet ift j. V. bn« Veftreben, ©egenftönbe, bereu
nrfprüugliche Vebeutung pergeffen tuorben ift, neu ju beuten. Vlenn nufere
Vauem bas Steinbeil al« Sd)utj gegen Vlil;fd)lag anfehen, fo finben mir bie
aingcht, bag bie Steinbeile Sonnertcilc fmb; in aUabagnStar unb in logo
gelten g« gleidtfall« als Srjeuguige be« Vlige«. Vliniu« beriditet uon jioti
Sitten pon 'Jonnerteilen, einer fd)roaräen unb einer roten ; bie erftere hilft
jut SBegnahme ganjer glottcn unb Stabte. 9L<ir rounbern uns hoher auch
nicht, bag un« öammerbeile mit porfeinitifd)en gnfd)riften au« bem 3. gahr*
Digitlzed b'
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tauienb o. G.f)r. erhalten routben, ober Steinbeile mit gnoftijc^eii 3nic^rifteii
aus 3(gi)pten, ftleinafien, (Sciec^enlanb. ®anj äbnlicb etfliiig eS ben 6teiu>
pfeilfpi^en. ^itci) bet SBunic^ beä üneuit^eii, auf bie föott^eit eiujutpitfeii, ift
©emeinflut Mus äigqptcn, auä ©riec^enlaub unb iRom, auä Qnbieit uub
Oftafteu tennen mit bie Sitte, einet ®ott()eit IBotipgaben batjubtingen, unb
bet gleiche ©ebtauef) ftettfebt and) f>eute nod) im tatt)o(ifd)en Sübbeutidjianb,
unb luanbctte aus Spanien mit bet {titele nac^ bem tat^olifcben Dlmctifa.
9tud| 93otiobi(bet meeben in ititd)en unb Xempeln aufge^ängt, unb bie ©leid)*
l)eit bet aiuffaffung etroa sroifdien einem bapetifc^en unb einem japanifc^en
aSotiubilbe ift ganj übettafc^enb. Scf)tpeilicb haben mit cä hier mit ®anbe*
tungen au tun, c« liegt oielmel)t bie ^ugetung einet ®ebantenteil)e not,
roeld)e übetall an eine beftimmte ©ntroicflungSftufe teligiöfen Setftänbniffes
gebunben ift. Sluth im Sebiet bet IDIagie tteten unameifelhaftc Ronoetgena*
et)d)einungen beuttich betpot. 9luf ben Qnfeln bet Sübfee batf man bie
@d)alc einet petachtten iSanane, abgefcf)nittene ^aate obet Slägel nicht fott*
roetfen, beim itgenb ein f^einb fbnnte fic benugen, um ©efunbheit obet Heben
bee lInpotricf)tigen au gefäbtben. 3” ®d)riften beS Zenael, Heipaig 1753,
finbet ftd) eine gona cntfptcchenbc Sotfehtift, um einen geinb magifd) a« lö’
bieten: SRau macht in [einem iRamen ein ilBachS* obet Seimbilb, in luelcheS
^aate oon ihm eingefnetet loetben; biefe» ®ilb loitb mit Slabeln geftochen,
mit roelchen ein Xotet eingenäht routbe.
SBie man ben 3)len(chen auf magifchem 9Bege beeinflußt, fo auch bie
'Jlatut. Überall faft begegnen unS 3ercmonien, loelche baau beftiinmt finb,
ben ©tttag bet 3agb, bet ffifthetei, bet Smte reich i» geftalten. äSielfad)
roetben babei ®laStcn pcnpanbt, loelche ben träger aum gruchtbarteitsbärnon
machen, tic IDIaStentänae bet DJtanbanen unb bie ^erchtentänae in Sala*
bürg bienen bet ^örbetung bet ffruchtbarreit. Sclbft in ben ffotmen ftnb bie
fDlasfen überall einonber ähnlich, ein ScipeiS bafut, roie fcht bie ^hantafie
bet ÜJlenfchen in bet gleichen [Richtung arbeitet.
tie ©eifpiele laffen fich um ein Vielfaches petmeliien. Valb tritt unS
bie aeitliche tiefe einer mobetnen ©tfcheimmg entgegen, halb regt unS aut
Sotichung bie räumliche SlnSbehnung uon ©eräten obet ©ebanten an,
mögen fie burch Vlanbetungen übertragen fein, obet felbftänbige ©trmbungen
batftellen. Überall aber genügt nicht mehr bie Überficht über baS große ®c-
bict bet üRcnfchhcit, um folchc Stagen au löfen, ipit bebürfen bet eingehenben
RenntniS aller HebenSäußetungen eines Volles, um unfete Vergleichungen
anftellen au tönnen unb au allgemein gültigen ©efegen au gelangen, ta tritt
es Hat hscpor, baß bie ooltSlunblichc Vchanblung eines SanbeS, baS tiefe
©inbringen in baS ^e[cn feiner Veoölferung erft bie ©runblagen fchafft, auf
benen bie Völfertunbe meiteraubmien permag, unb baS gilt nicht nur pon
ejotifchen Vaturpöltem, fonbern in bemfclben 9Raße Pon unferem eigenen
Volle. Übcrrafchenb piel VIteS hat fid) in ißm erhalten unb aal)Ireich finb
feine Veaiehungen a“ ber übrigen fDlenfchheit. ®ie bie Völlerlunbe fiflden*
hafteS fchaffen mürbe, menn ße bie ©rgebniffe ber beutfehen VollSlunbe per*
nachläffigte, fo barf ße auch hoßen, boß bie VollSlunbe tRugen aiehen loirb
aus ben mancherlei Slnfäßen unb ©rgebniffen, roelche bie oetgleichenbe Slrbeit
ber Völlerlunbe fchon fegt aufauroeifen hat.
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3;er 93ortragcnbc iDuflrierle feine Sluäfü^rungen butd) eine grögete
Slnja^I Sic^tbüber.
3um 3d)(uffc biefeg SericgtS fei, um fDügoecftänbniffen oorjitbeugen,
barauf gingeiuiefen, bag bei ben Zagungen unfereä SSerbanbeS nict)t blog bie
Seiiet unb delegierten ber Vereine, fonbern and) alle (Sinjelmitglieber ber*
felben, bie ^ntereffe on ben 93erganblungen negmen, roUlfommen finb unb ficg
an ber diätuffion beteiligen fönnen. Sefonberä bei ber Beratung roiffenfegaft-
licger (fragen ift bie Zeilnagme aQer @ad)lunbigen in gogem fDlage erroünfegt.
z. Terbandsangclcgenlmtcn.
9Ug Snitglieber gnb bent 3)erbanbe weiter beigetreten:
18. snufeum für ®öltertunbe, |>amburg.
19. Säegfifeger 33erein für 3!oirgfunbe, dreäben.
2ü. Söerein f. ä3agrifcge ißoUgfunbe u, fDIunbartenforfegung, ‘IBürjburg.
21. ^iftor.'Iiterar. 3>D«<flocrein beä SJogcfentlubs, Stragburg i, 6.
3. Tcrcinenadiriditm.
7rreta für MraAttttlfife €ig: ^ermannftabt SSorftanb:
D. Dr. griebrieg Zeutftg, eo. Stabtpfarrer unb SuperintenbentiaU33ifar in
§ermannftabt ©efretar : ®rnft IBriebrecger, ©eminarlegrer, ^ermannftabt
@egrünbet 1840. der herein jfiglt gegenroärtig: 86 Sgren« unb fotrefp.
fmitglieber, 69 bureg Stift\mg bleibenbe SOlitgtieber, 668 orbentl. fUIitglieber.
Beitrag für ftiftenbe fUlitglieber 200 Kronen, für orbentl. 6 Kronen jögrlicg.
3ebeS fDlitglieb ergölt bafür baS ,91rcgio*.
$ublifationen: 1. 2lr<gio beS ^Sereing für gebenbürgifege SanbegFunbe,
jägrlicg 2 — 3 $efte (rebigiert vom iOereingaugfegug). (Begenroärtig 34 IBänbe.
2. Korrefponbenjblatt beg ißereing für g^üenbfirgifege Sanbegfunbe
(jögrlicg 12 giummern, Qogregbejuggpreig 2 IFronen, rebigiert non Slbolf
6 cg ul 1er ug). Slugerbem felbftönbige $ublitotionen, unter benen bie bebeu*
tenbften: Urfunbenbueg jur ®efcgicgte ber deuifcgen in Siebenbürgen. (Ge-
arbeitet oon granj 3'"'»n6rmann, 6arl SJeiner unb ®. fDtüller.) Gig
jegt 3 Gönbe erfegienen. Kircglicge Runftbenfmöler aug Siebenbürgen I. IL
(358ien, S. ®rüfer, jegt 2B. Kr afft, |>ermannftabt). Siebenbürger Snünsen
unb fmebaillen. (Gearbeitet oon 9lbolf Me feg.) ^ermannftabt 1901.
3n Gorbereitung : 1. Siebenbürgifeg-beutfegeg Gäörterbucg. 3JHt Ge«
nügung beg 9Börterbucgnacglaffeg oon 3ogann 9E3olff, bearbeitet oon ®uft.
Kifcg, ®eorg Keingel, Gbolf Scgullerug (bag erfte t>eft, bearbeitet oon
9tbolf Scgullerug, wirb 1906 erfegeinen.
2. Golfgbicgtungen : die deutfegen in Siebenbürgen, ^erauggegeben
oon ®ottlieb Granbfcg unb Slbolf Scgullerug. (®rfcgeint 1906.)
8. gorfegungen j«r Golfgtunbe ber deutfegen in Siebenbürgen, im Auf-
trag beg Gereing für fiebenbürgifcge Sanbegfunbe gerauggegeben oon Slbolf
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19
Sd)uUcru§. 1. $cft: ©uftao Slifc^, 5Ber(iIcid)ciii)es SKörterbuc^ bcr Slösiiev
(fiebcnbürfliicfieu) imb moicifräntiirf) • lurembuvgcr aKimbart, 1906. 2. ^cft:
Stubicn juc ®c)cl)id)tc bcr iloltöbid)tung bcr 'Scutfcbcn in Siebenbürgen uon
©ottlieb iöranbfd) nnb 9lbolf Scbntlcrnä. Qn 33orbcrcitnnc).) SBJcitcre
$icftc locrbcn cnt()a[ten; 95olfstrnd)t (!Ö. ÜBittftocf), Slgrarbiftorijdje Stnbicn
(®. 91. S d) u 11 c r), Sgntar bcr ncbcnb.«beutid)cn SJluubart (91. S d) u 11 c r n s),
ftinbcripicle (ternft 9iriebred)cr), Weograpl)ic bcr rtcbenb.=bcnt(d)cn 9Jlnnb»
ort (91. Schein er nnb 91. Sdjulleruä). —
Sammlungen ^ot ber 9?crein nidU. Sie louic^idjriften geben in bie
ilcripobrung nnb ben Sefilj beä 9(aron 91nidentbarid)cn 93?njeum^ über (Stif-
tungsonftalt im Sefitj bcr erft. Slird)c in Jpermannftabt), eben ba()in midi
bie uom ißerein enporbenen 911iertämer unb Pülfäfunblidien ©egenftönbe. 6s
finb 9.<crbmiblnngcn im bab 93rndcntbarid)e 'Ihijenm jit einem «fiebeiu
bürgi{d)>beutidien 9!ationalmufeum* umsngcftalteiu
9<gl. ^leinrid) Herbert, ©e(d)id)te bes 9?ereinö für fiebcnbütgifdie
Snnbeätunbe (91rd)ip 28, 139—236).
4. 8onrt(g< Mitteilungen.
Sie 7n(in<0nng fnt ^oOUSimbe teilt mit, bag bie 3eit>
fd)tiftcnfd)an, iueld)e bisher (ngl. baS elfte gebrndte 91unbid)rciben beä
SBcrbaubeä pom Sommer 1904, S. 9f.) ben 93er banbSmit glich er n jum
ermäfeigten 93rciS oon 2 331t. geliefert imtrbe, pom 3“brfl“'<g 1905 ob, bcr
im fionfe bieic^ Sommers crfd)cinen roirb, bcS gröberen Umfanges toegen nur
ju bem ebenfalls nod) ermöbigten 'l*rcis pon 3 33tt. abgegeben merben tann.
Sie üieferung erfolgt nid)t birett an bie cinjelncn ÜHcflcftanten, jonbern mir
burd) 9<ermittelung bcr ©injeloercine, inclcbcn jene anget)Ören.
Ser tabif4e herein fär ^elKstonbe I)ot im abgelaufencn 3<>l)<^e boS
1. ^eft einer neuen polfStunblidjen 3eitfd)rift, bcr ,931ötter beS Stab. SSereiuS
f. IBoltSf.*, crjdicinen laffen mit folgcnbem 3«l)“lt: ¥•> ®abifcbcr Scrcin für
SBolfSfunbc ; 0. ^offner, Sie 93flege bcr SiolfStnnbe in ®obcn; 91. ftalile.
Über 4<otfSliebcrporianten ; ®. Kable u. 3. 43foff, Umfragen jur StolfStnnbc.
Qn Stt^rae« ift als fcibftänbiger 3nJcigocrcin bcS SnnbeS ,fbcimatfd)ub“
ein 93ercin für nirberfd4fir4es 9«(lsteM entftanben, ber fid) jmar im ganjen
mebr bas praftifebe 3>et beS SebutjeS unb bcr 6rboltung bcS 'BolfStnmS gc=
fteeft bat, aber oud) bie Sammlung oon 93olfSlicbcrn ins 91ugc fogt. ficiter
bet 7. ©nippe, bie fid) hiermit befeböftigen tpirb, ift ^icrr Cbctlcbtct Dr. Sorbet.
Ser OabreSbeitrag beträgt niinbcftcnS 2 331f.
3n bem ehemaligen Jlttrlelfeii bat bcr 93ctcin für beföfebe ®cfd)id)tc unb
fianbeStunbe bie eammlung bcr oolfStunblicbcn Überlieferungen in bie ^länbe
genommen, inbem er einen 9lu8fcbu6, beftebenb auS ben Herren ©cncralmajor
6ijcntraut*Aoffcl, ¥rof. 3. 93ogt.33larburg unb 93rof. R. SBend .33latburg
mit ber Crganifation bet 9lrbeit bcouftrogt b“t. Serfelbe bat im fiaufe beS
Sabres einen Sragebogen nerfanbt, bet bereits nielfacbe 93eantreortungen ge-
20
funbcn f)ot. 2a§ gc|Qmmctte Ü)JateriaI luirb auf ber OTavbutgcr Unioerritöts-
bibliot^ef aufbciuafirt. — Jüißcrbcm ift am 15. Ott. 1905 burrf) ^crru Ober»
bibliotfjcfar Dr. ®runucr in Raffel ein , herein jut Grforfdjung uub pflege
ber l)ClTifcf)t'' mhinbarten'' ins ficben gerufen tootben ([. ^effcnlanb XIK,
9lt. 20, ©. 289).
3m Sommer biefeS 3t*0reS foH in ber in 'Steäben ftaltfinbcnben
III. beutfcfieu jinnUgdsetfeattsItrltttiis sum erften fSIale eine bcfoitberc 2tb-
teilung für iUolfgfunft jur 9lnfd)auung gebracht luerben. I’er ®ereiii
für fädififc^c ißoltSfunbc ^at, roie oben (@. 3) ermähnt, bic 5tcunblid)tcit ge»
habt, ben Serbnnb beutfeber Sßercine für ajoltsfunbe jum Sefudje ber Sind-
ftcQung einjulaben. Serfelbe hierein l)at in ben lebten ÜBoeben an bic ooifS»
tunblidjen SIcteine ein 'Jlunbfcbreiben oerfebieft, in bem er eine ©inlabung
ihrer iDütgliebcr ju gcmcinfamcr lagung in Slusricbt ftellt. 3''^>C”' 'oit auf
bie 93ebeutung, bic biefe Slusftellung für bas ©ebict ber ®oltStunft baben
loirb, nacbbrüdlid) b'nroeifcn, feben tuir unS äugleid) burd) unS geroorbene
3ufcbriftcn oeranlafet, barauf aufmerffom ju mad)en, bajj es bei ber ge-
sinnten Sogung nidjt um ein llnterncbmcn bcS SBcrbanbeä boabett, boB
biefer oielmebr, bem in Hamburg gefaxten iöcfdjlufj cntfprcd)cnb, im 3^*)*^®
1907 in 33 erlin tagen luirb.
€(firifllcihni|j : QMe^cn. eübanlflge &.
Siiut; Co[> unb UitloetfilSt» Inttftrtl (C. SHitbt) OI(6en.
Digitlzed'
JVlitteUungeTi
des Verbandes deutfcher Vereine
für Volkskunde
I^r. 4. (Korrefpondenzblatt) Oktober 1906.
:3m bcftcn 9J}anne§aIter ift nod) mc^rmonatlid^cm
Seiben
profcffor Dr. Hdolf Strack
am 16. Qimi biefc§ 5U Sieben geftorben.
3fn ibm ift ein SWnnn bal^in gegangen, bet roie
roenig anbere erfüllt mar non tDarmet Siebe gut ffiolfä»
funbe, Don jugenbftifd^er ®egeifterung für i^re ^of)en
Slufgaben unb non ernftem Streben if)t ju bienen,
liefern Streben entfprangen aud^ jene oon i^m in Ser»
binbung mit anberen oerfolgten Sdjritte, bie im fjriif)=
jal)t 1904 5ur ©rünbung be§ SetbanbeS bcutfi^cr Screine
für Solfäfunbe führten, beffen erfter Sotfi^enber er bi§
3U feinem Sobe geroefen ift. Ml^erftel^enbe roiffen, rocldj’
gro^e Hoffnungen er ouf bie Sötigfeit be§ SerbonbeS
fe^te unb roie raftloS er fetbft tätig roat ju feiner
roeitcren üluSgeftaltung, bis er bie {Jeber auS bet
legen mu^te, obgerufen gleidj einem Sämann, ber bie
ßrntc nic^t erleben burfte.
^Jer Serbanb roirb if)m unb feiner oom J'obe oor»
zeitig abgebrodjenen Slrbeit ein bauetnbeS unb bantbareS
Snbenten beroal)ren.
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Qmfragc Uber hrttnineUcn Hbcrglaubcn.
Ter abcrfllaubc fpiclt bet jof)Ircid)cn i<crbrcd)cn eine oielfacb noc^
imterfcbfttstc SHotlc. 3Jon Knminnliftcn nnb 33olfsforfd)cni finb in ben Ictjtcn
3a^ven bebeuteubc 3)latcri«Iien ßc[ammelt. 3rf) uenucife bejonberS mtf
@ro0> ,,?)onbbntf) für Unterindjungsrii^tev“ (4. 9luf(. 1904), Cötnenftimm,
,9lbergloube iinb Strafrecht* (Berlin 1897) iinb „9lberglaube nnb 9Jcrbred)cn"
(3eitfd)rift für Sojia(tDiffcnfd)Qft, 1903, S. 209/231 nnb 273/286). 3öf)lrcid)C
Beiträge nnb 3)lotcriafien enthalten anch triininaliftifche 3eitfd)riftcn, fo befon-
ber§ baö »fUrchiu für Rriminalanthropologic nnb Rriminaliftif* foroie bie
.fWonatäfchrift für Rriminalpfncholoqie nnb Strafrechtsreform“; ferner bie
befannten poltstnnblichcn Sammelroertc nnb 3eilfd)riften.
9J3ie aber jeber loetB, ber ftd) mit biefen 95robIemen befchäftigf, h“rrc“
noch 3ahlreid)C fWatcrialien ihrer Serroertnng. 3ch f)£>bc mir bie erforjehnng
be§ trimincUen 9lbcrglanben8 in feinem ganjen Umfange jitr befonbeten 91nf>
gäbe gemacht. Spejicll intcreffiett er mi^ aber, fotocit er heutjntage noch
prattifch roirb. Tnrch bie gütige Unterftühung einer großen 3<>hl i't* "tb
nuälänbifcher ®elehrter, 9Rid)ter, 'poliäcibcamte, StaatSamoälte, ^Ifarrer,
Sehrer nfto. fotuie bnreh Sammeln ber hierher gehörigen 3cttnng§anSfchnittc,
toobei mir bas berliner ,3Ettnng§=iHachrichten = Sureau* oon iR. Teßmer
nnb für baä SlnSIanb ber „Stoeijer SlrgnS ber treffe" (®enf) loefentliche
Tienfte geleiftet h“öc”( ift '>t>r gelungen, eine große SHeihe bisher brach
liegenbcr Materialien ber 3orfchu«9 ä'iflöitglid) jn machen. Tiefer ®rfoIg
ermutigt mich, ofle biejenigen, betten biefe Umfrage j" ®eficht fommt, jtt
bitten, mir ihnen etioa befannte Materialiett frettnblid)ft tnitjttteilcn. ®3
interefrieren mid) tticht ttnr afle 9lttgaben über l<erbrechett anS 91berglattbett
foroie über aberglättbifche Sforftcllimgcn, bie jn Slerbredjen Slnlag gebett tönnen,
fonbern anch “Ue 9!achrid)teit über Slbcrglattbc ber Söerbrecher, fo über Talis-
mane, ;^imme(Sbriefe nfto., fotoie über aberglättbifche '^Srosebitren, bitrd) bie
man noch heutigen logeS glaubt, einen Ticb ober foitftigcn ®erbred)er ent-
bedett ober beftrafeti ju föttttett, fo j. 93. Samten, ßrbfteb, Srbfchlüffcl unb
ffirbbibel, Totbeten, envofttement itfto. 3ebe, auch bie tleinfte, 91ttgabe roirb
banfbar eittgegcngcnommen nnb tntter OJettmtng beS ©ctoährSmotttieS — oitf
befonberen Munfeh ohtte OlameitSttennnttg — oeröffentlicht tocrbctt. 9!ur bitte
ich, febe Mitteilung möglidift geitntt jn mochett, alfo toenn tnöglid) mit gettatter
Slngabe beS CrteS, ber 3cit, ber betreffenbett 93erfotten foroie ber Quelle ber
9loti3 5U oerfchett.
Über folgettbe Materiett tuäre mir eine gütige Mitteilttng jttr 3eit
befottberS erroünfeht.
1. Manche Sente glauben, eitt Meitteibiger locrbe nid)t cntbcdl, loenit er
geroiffc mpftifche Mittel nntoettbe, 5. toentt er beim Schroören ben linfen 9lrm auf
betn SRüden h®He ober boS 3»ttere ber Sdjtrttrljattb betn SRidjter jttfehre ober
bie GibcSformel oerftümmele, ober toentt er Sattb ittt Stiefel höbe nfto.
(93gl. meittc anSführlidje 9lbhnnblnngett über „Mpftifdje 3erctnottictt beint Meitt-
eib" int ,®erichtSfaal*, 1905 ttnb 1906.) 3Ü öcitt Cefer barnfaer etioaS betattnt?
2. 3ft barüber ettoaS befattttl, bof) Tiebe oft atn Tatort ihre Olotburft
oerrichten? 91ttS toeldjer ®cgettb? 9BeSl)alb gefd)icht bas? 91uf ben Tifch,
in’S 93ett ober too? Merbett bie ®jfrcmcntc jitgebedt? Ttttt bieS itttr ©c-
3
it)o^uf)cit§Derbtccf)cr? ficnnt moii ben 9lu5bnicf „'JBäc^ter*, »üladjltoadötet*,
,2Bocf)tmciftct*, „^Poftcn", ,Sd)UbiBai^c', ober einen analogen beutfe^en
ober anSlönbiJcljen SluSbnid für nicnjcblic^c Ssfrementc? 2lnä roelc^cr ©egenbf
Sßaä ift nad) Eingabe beS Sülteä, ber Sl5erbred)er iinb be§ ®in(cnberä bet
Sinn bie(et SBejeidjnnngen ? (93gl. meine Stijjen ,®inigeä übet ben gromoa
merdae ber ßinbrec^er" in ber »ÜJJonatSfc^rift für Sfriminalpfqc^ologie unb
Strafred)tärefotm', 1905 unb ,9Beitere§ übet ben granms merdae" (ebenba, 1906)
foroie übet ,5!ie ÜBebeutung beä gromna merdae für ben 95rottifer* (,9lrd)io
für flriininolantljropologic unb firiminaliftif*, 9)b. 23.)
3. Jlcnnt femanb irgenb einen Slberglauben, bet ju einem iCiebfta^l
Slnlafi geben fönntc? (9)gl. meine Sfijse ,2iebftaf)l auS Slbetglauben" im
,9lrd)io für RriminoIanH)topoIogie unb Rriminaliftit", 1906.)
4. Rennt jemanb irgenb einen 91berglauben, bet einen ®iebftal)I oet'
binbem fönnte, j. S. ba& [d)mangere grauen nid)t ftef)lcn bürfen, roeil fonft
if)t fiinb ein ®ieb mürbe, ober bag man on beftimmten lagen nid)t fteljlen
bütfe, ober auch an geroiffen Crten nid)t, ober nicht gemiffe ©egenftänbe, meil
man fonft Unglüd hierüber meine bemnficf)ft im „Strdjio für
Rrim." etfcf)einenben Sfijjen ,i?iebftal)l oertjinbernbet Slbergtoubc".)
6. 3ft bet SUetbrecherabergloubc befannt, ba6 man etroaä am tatort
äurüdtaffen müffe, roenn man oert)inbcrn rooUe, bafj man entbedt roirb?
6. 3ft etroad über bie „SReligiofität" bet 93etbtecf)er betannt? ganb man
bei ihnen jpimmelsbriefc, gingen fic jur Ritchc, beteten fic, glaubten fic an
einen ©ott ufro.? SJertrauten fie auf ben SBeiftanb ©otted bei ihren Slaten
ober ouf ben eineä beftimmten ^>eiligen? Rieften fie geroeihte ©egenftänbe für
ZaliSmane, j. S. eine gemeihte Rerje, eine ^)oftie ufro.? ©taubten fic, burch
bie 95eichte ein leidjtciä ÜJlittel ju haben, um fich roiebet ju entfünbigen ufro.?
6. ©laubt ba§ SBolt, bop bie 3ig«unet Rinber tnuben? 3n roelchet
©egenb? 3ft fo etroaä roirflich oorgefommen? (Sgl. meine Stijie „3«m
Rinbertaub burch 3'9«“''er* in ,®ie ipolijei", 1906.)
7. 3ft „S’aS 6. unb 7. 93uch IDlofeS", ,$ie geiftliche Schilbroadht*, »gouftS
^»ötlenäroang", ,$a§ DiomanuSbüchlein" ober ein anbereS berartiged ,3auber>
buch" i>« ®olf oerbreitet? 3ft burch hen ©tauben beS 93olfeä baran fchon
Unheil angerichtet? (93gl. meine Stisje ,9Hobctne 3auberbüchet unb ihre
Sebeutung für ben Rriminaliften“ (,9ltchio f. Rrim.*, 3)b. 19.)
8. 3ft irgenb etroad batübet betannt, ,bah Raninchenpfote unb Söhnen
(giefolen) ald Serbred)ertafidmane gelten? Ober fonft etroad über ihre aber*
glöubifche ffletroenbung ? (Sgl. meineStijje „IDlettroürbigeSerbrcchertatidmane*
(,9lrd)it) f. Rrim.", Sb. 25).
9. ÜBelche |>eilmittet hat bad Sott gegen ©pilepfie? |)ätt man indbe*
fonbete bad Stut eined Hingerichteten für roirtfam? ©itt ber ©pileptifche ald
oom leufel befeffen?
10. 3ft ein tontreter galt betannt, roo burch iffiahrfaget ober Rorten-
legerinnen irgenb ein Unheil angerichtet ift, j. S. ein Selbftmorb, gomitien»
jroiftigteiten, Serbtechen ufro. oerurfacht?
11. 3ft ber ©taube betannt, bag fchroangere grauen nicht fchroören
bürfen, roeil bad ju erroartenbe Rinb fonft oiel mit bem ©ericht 3U tun h^le?
9Iud roelcher ©egenb ? Sinb gölte betannt, roo aud biefem ©runb bie 5ludfage
oerroeigert ift?
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12. ®lau(it man, bag ^öbecoftic, Sobomie obec Unju^t mit fttnbcm
ober Oungfcauen @e|cf)Iecf)t§franf{)eiten tönne? (Sgt- meine Slbbanbtung
„2)ie Sebeutung beS (riminenen SlberglaubenS für bie geri(f)tlicbc 3)!ebijin*
(,ätitUcbe Saci)oetftönbigcn*3eitung”, SBerlin 1906.)
2lucb jebe anbete berartige 3)litteilung roirb mit 33ant »erroertct merben
fönnen. SefonberS errofinfd)t fmb SDitteilungen perfbniidjer ©rfabnmgcn ober
münblicbc Überlieferungen, namentlid) ottenmägiger ()älle‘, aber au(f| für
Hingabe fd)on gebnidter Hlotijen, bie ficb nicf)t in ben aUbefonnten foKloriftifcben
unb iuriftifcben 3eitfd)<:iflsn finben, märe icb febr banfbar; auct) Überfenbung
einfd)lügiger 3s<i»n9'Snotijen, unter Hingabe oon Xitel, Ort unb Xatum ber
3eitung, p«!» ntit erroünfdjt.
^etmSbotf bei Setlin, 6cl)lo6ftr. 9. — Hluguft 1906.
Dr. jnr. Hilbert $>elln)ig.
Tmlnsnadirfditcn.
Xer Herrin für fA4fif4( 14. Qebtuar 1897 in XreSben
begrünbet niorben, er f)at bie @igenfcbaft einer iurifti[ci)en ißerfon.
Xen Hlnlaf) jut ®tünbung bot bie im Sommer 1896 in Xteäben abge»
baltene ^anbroertSauSftellung, bei roelcber eine alte Stabt unb ein Xotf gut
Htnfd)auung gebrad)t imirben, in benen ftc^ ein Xraci)tenfeft abfpielte, auf bem
glle nod) oor^aiibenen fädbpfcben ißolf3trad|ten oertreten mären. Onfolgebeffen
roirb in bem HJereiu bie lOoItStunbe nicpt nur tl)eoreti[<^, fonbern aud)
prattifc^ betrieben unb bet SoltStunft Slec^nung getragen.
H3ei ber Organifation beg Hierein^ rourben oier Hlbteilungen eingerid)tet,
unb groat für: 1. 93errooltungSangelegenl)eiten , 2. Hlrd)io unb HSibliot^et,
3. HHufeum unb 4. ginangielleä. HlUc oier Hlbteilungen unterfte()en bet 36u»
tralleitung beä ®efamtoorftanbe8: Senetalmajot g. X.
oon (^riefen, lOorfi^enber, Oberbaurat ®. Sc^mibt, ftetloertr. HforTt^enber,
Oberftteutnant g. X. oon ©rünenroalb, 1. Sd)tiftfü^ret, Dr. ®ruber, 2. Sd)rift-
fübrcr, Dr. ^elmolt, 3. Sd)tiftfü[)ret, HJtof- Dr. ®. HDogt, Heiter non Hlrd)io
unb ®ibliot^ef, H3tof. O. Sepffcrt, Heiter beä 3)hi)eum8, ^auptmann g. X.
®D^e, Sdja^mciftcr.
1. Xie erfteHlufgabe berHJerroaltung unter Heitung be8 HJotp^enben beftonb
barin, fDlitglieber gu rocrben. 3'” ^>erbft 1897 roaren beten 700 oorl)anben, im
3abre 1906 ift il)te 3<>^l ouf «bet 2300 geftiegcn. Xie übet baS flönigreic^
Sac^fen unb baS ^crgogtum Hlltenburg oerteilten HDitglieber fiub in 62 Orts*
gruppen pereinigt Xie ®ruppen fmb felbftönbig unb ftefieu unter OrtäpPegem,
roelcfje Serfammlungen abf)alten, in benen 33ortröge unb ^efprecbungen gehalten
roerben, rooburd) iinfere Seftrcbungen über baS gange Hanb perbreitet unb
baS 95olt über unfere 3roerfe aufgetlärt roirb. Qn ben ©tuppen, befonbetS
in XtcSben, foroie bei ®elegent)eit bet alljätirlic^ in einer anbercn Stabt abgu*
baltenben Itauptoerfammlung roerben oollsfunblidie Hlbenbe oeranftaltet, an
benen HloKSlieber gefungen, Xialeltporträgc gebatten ober ®b>:iftfpiel* unb
anbere Htuffüf)rungen geboten roerben, unb gu benen auch Hlicbtmitglieber
3utritt hoben. — Xer Hierein ift mit mehreren anberen HJeteinen in ®er-
binbung, bgro. ihnen als HUitglieb beigetreten ; feit 1906 gehört er auch bem
Hlerbanb ber beutfchen Hiereine für HlottStunbe an.
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2. ^ett 5Prof. Dr. SUJogt, fieipjig, a(ä ficiter beä Sltc^iuä uub bev 93ib!io*
t^et, bie ibteti ©taub in ßeipjig fjabcii unb mit ®cnet)migung bc0 figt. Rulluä-
miniftcriumS in ÜRoumcn bcr ftgL Unioerrität§bibliott)et untetgcbracbt finb,
lont nor allem bcmüfjt, ^onbfc^riften unb $nicfi(l)tiften ju fammcin. 1906
fmb 362 ^anbic^riften unb 1686 Stucfidjriflen rein Dolfäfunblic^en C^aratterä,
ferner od)t Rnpfetn mit lofen Slöttcrn unb SHottjen t)orf)anben. Gin Sier-
jteicbniS berfelben jur SBeröffentlicf)ung ift in Vorbereitung. Seit 1. Slpril 1897
erfcbeint im ©elbftoerlagc beä Vereint eine pon ben ^>erten Vrof. Dr. G. SJlogt
unb Vtof. Dr. Stumme ^erouägegebene Vierteljn^rfctirift .afütteilungen beä
Vereins für fädjfiWe Voltsfunbe“, nie(cf)e anfangs einen Vogen, feit 1900
jtoei Vogen ftart an jcbem erften lag beS SZluartalS ben Vfitgiiebern uncnt«
gelt(id) jugefd)idt roirb. 3® ^>rei Oat)tgänge bilben einen Vanb oon 24 Vogen;
nom 4. Vanb ift baä 1. ^cft am 1. Slpril 1906 erfc^ienen. Sie Schrift entfjält
VereinSnacbrid)ten, Sluffälje rein poltätunblid)en Onl)alt0, für roelc^e |)ouorar
gejaf)tt roirb unb Slnfragcn bam. bereu Veantroortung. — Sa öfters Slbfjanb«
lungen eingingen, roelc^e a» umfangreid) rooren, um in ber VereinSfcljrift
Vlofl a“ finben, fo erfdjcinen feit 1906, in Sc^önfelbS Vud)Oanbhing, fieipaig,
berauSgegeben oon Vtof- Dr. G. SDlogt „Veit rüge aur VolfStunbe" in
aioanglofen ^)eften, bie mit 25— 33‘/i Vtoaent SRabatt an bie fDütglieber oer*
tauft roerben. SaS 1. ^eft ; Sd)laud), ,Sad)fcn im Spridjmort* unb baS
2. f)eft ,3)laltefifd)e 9Jlärd)eu unb Scbioänfe, gefammelt oon V* Slg* fmb
bereits etfd)ienen, baS 3. ^eft, bie gortfebung bes 2. ^efteS ift im Srud fertig,
baS 4. ^)eft, Ropp, Verlin, „Sädjfijcbe Voltslieber*, ift no(b im Srud; bcibe
roerben efjebalbigft erfdjeincn.
SluSerbcm Rnb im Sluftrage bcS Vereins berauSgegeben toorbeii; „Sagen-
buch beS Rönigreid)S Satbfcn" oon Dr. Sllfreb 3}Ieid)e, i*eipaig (1903, Scbön»
felbS Vucbbonblung), — „Sie Sorftirclje im Rönigreicf) Sad)fen" oon D. ©runer
(1904, Slrroeb Strand), Seipaig) unb „Von ber 3Siege bis aum Grabe* — ein
Vilberroert — oon Vrof. D. Segffert (1906, ©erlacb & Söiebling, ffljien).
fDlit 42 Vereinen, teils innerl)alb, teils augerbalb Seutfd)lanbS, ift ber
Verein in Sd)riftenauStaufd) getreten.
3. Ser ficiter bet britten Slbteilung „2)lufeum*, Vr^f. D. Segffect,
SreSben, f)at «rit grogem gieig unb oielem VerftänbniS eine Sammlung oon
©cgenftänben bäuetlicger Runft aniQm'rtengetragen, loelcbe 1906 bereits über
6000 Vummetii aöf)lt. Sie befteljt ouS Vauern möbeln, gemalten Scgränten,
Stuben, Sopfbrettern, Sifd)en, Stüblen ufro. — Sie Segtilinbuftrie ift
oertreten butd) Criginaltracbtcu bet fäcbftfcbcn Saiibbeoöltcrung, unb burcb
Seile oon Sracbten roie ^tauben, Vänbetn, Scbütaen, gaden, Vöden ufro.
Sie Reramit roirb oertretcn burcb aderbanb 6g» unb Srintgefd)itr in ©laS,
^otaeUan, Son, 3inr< u"b Rupfer. ©ebraucbSgegenftönbeunbSlrbeitS«
foroie Sdergeräte unb böuetlicbe Scgmudfacben oeroollftönbigen bie Somm*
lung. Sctfelben ift ferner eingegliebcrt eine teicbc Sammlung oon Vb»lO'
grapbien, 3sicbnungen unb Slquarellen oon böuerlicber Runft unb
Vauroeifc. Segtere Sammlung roirb aüjäbrlid) oermebrt, benn baS Rgl.
fUlinifterium beS Qnnetn bat butd) Verotbnung bie Sireftionen ber RgL Runft-
geiocrbe- unb VaugeroertSfcbulen angcroiefen, ihre Scgüler anaubalten, all-
fäbrlicb Slbbilbungen oon ©egenftänbcn bnuerlicber Runft unb Vauroeife beim
Verein einaureicgen. Sie eingereicbten Scbülerarbeiten roerben oon einer unter
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einem flfli. Itoinmiffar fte[)enben Slommi(rton geprüft. Die beften Slrbciten
iperben biircb ^römien nu§gejeid)nct unb getjen in ben Scfi^ bes ItetcinS
über. Die nicht promiierten gehen «n bie Slnfcrtiger jnrüd,
4. Die finonjicllcn Sterhciltniffe roerben bnreh ^lemi §anptmann j. D.
Wötje peripaltct. — Der 3ahreäbeitrag jebes SDlitgliebeä betrögt 1,50 flJtf.
Dafür erhalt cä bie Sierteljahtbfchrift unb ben 3ahrc§bcrid)t, jufammen jehn
Drndbogen, nnentgelllich jugefchidt, h«! beim Slnfauf ber ipublifationen bes
illcrcinä 25 — 33'/i ^rojent SHabatt unb hat freien ©intritt in baä 'Dlufcum.
Die Roften für ^erftenung, Honorar unb Serfenbung ber Hierteljahvä-
(chrift unb be§ Jahresberichtes, für l'litglieberbeitröge an anbere 33crcinc, für
©infammein uon Jahresbeiträgen, fHegictoften, 'fJorti ber fehr auSgebehnten
Rorrefponbenj iiftp. überfteigen freilid) bie Sumnte ber Jahresbeiträge trotj
ber groben 9lnjal)l ber OTitglieber; ber Herein ipäre hoher nid)t im Stonbe
feinen finan jieHen ®erpflid)tungen nachjufonunen, roenn er nidjt Unterftühungen
uon ber Sgl. Staatsregierung, uerfchicbenen Stäbten unb ber öfonomifchen
©efellfchaft erhielte. Diefe Unterftühungen luerben uerroenbet jur Jnftanb.
haltung unb Grgänjung beS 9lrd)iuS, ber Hibliothet unb beS fWufeumS. Drotj
gröftter Sparfnmtcit hat fid) ber Herein loegen Hlangel an ben nötigen Htitteln
bie ©rtoerbung roertuoHer ©egenftänbe für 9lrchiu, Sibliothet unb 3Jlufcum
öfters entgehen laffen müffen.
DreSben, im Juni 1906. Jrljr. u. Jtiefen, Wenctalmafot j. D.,
Horfttjenber.
^ertaiib für ^gerfinber (ül«Tbg«nif4«) ^fsdslnnbe. [Hgl. Htitteilg. b.
Herb, beutfd). H. f. Holfsfunbe 9lr. 1 (1905) ©eite 11 u. 12. Statt Deplih
foU richtig Depl ftehen.J
Der 1904 begrünbete Herbaub erftredt fid), roie bereits mitgeteilt ('Hlitt.
b. Herb, beutfeh. H. f. Holfsfunbe 9Jv. 1 Seite 11), nicht auf bnS engere ©get»
lanb allein, fonbern auf alle norbtueftböhmifchen Hejirfe, in benen noch ber
egerlänbcr (norbgauifd)c ober oberpfälser) Dialeft gefprod)en toirb. Slaheju
in jebem Hesirfc biefeS Sprachgebietes ift ein Hertrctcr aufgeftellt, ber im
Sinne ber jeitfehrift »Unfer ©gerlanb" loirft. 9llS befonberS erfreuliches Jeichen
ber immer mehr roachfenben Hebeutung nolfSfunblicher Seftrebungen mug bie
im Jahre 1905 erfolgte Hegrünbung eines uolfSfunblichcnDrtS»aiuSfchuffeS
in Carl Sb ab bezeichnet luerben, ber ftd) unter bem rührigen Hertreter bes
Garlsbciber HejirteS, Jierrn Hürgcrfchullehrer Jofef ^ofmann in ©arlSbab,
äu bem 3'»erfe fonftituierte um ein uon Sllois John in ©ger angeregtes $>eft
über GarlSbaber Holfsfunbe ju ermöglichen, beffen Grfcheinen burch
bie Cpferroilligfeit ber ©arlsbaber Stabt» unb Sparfaffcuerroaltung unb zahl-
reicher Spenben gefidjert rourbe. (GS ift als ^»eft IV/V non U. G. erfchienen.)
Der DrtSauSfehuB für Holfsfunbe in GarlSbab befteht gegenroärtig auS ben
Herren : Dr. med. Garl Hecher (Hroteftor), Jofef Jpofmann, Hürgerfchullehrer
(Cbmann unb ©efchäftsführcr), Jofef ©örgl, Sehrer (Schriftführer), ftatl
Sd)öttner (ftafftercr), Hrofeffor iRubolf Sößl. aiuger biefem reichhaltigen ^efte
ift auch eine »GarlSbaber ooltSfunbliche Hilbermoppe* erfchienen,
roclche 27 fiunftblätter nolfstunblichen Jnholts enthält unb beim Huchhönbler
^ermann Jacob in GarlSbab z“ beziehen ift. (HreiS beS aud) in Sonbet»
auSgabe erfchienenen J)efteS famt Runftbeilagen-fUlappe 10 ftr.)
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2ie DolfStimblici^e (Jbce bot burcf) biefe Seftrebungeit eine mächtige
Sörbening in unieretn ©ebictc erlangt unb märe lebhaft jn luiinfchcn, ba&
auch bie übrigen Sejirfc ftd) ju ähn(id)cn Slrbeitcn entidjlicfjcn tonnten.
toivb ®ad)c ber betreffenben Itertrctcr fein in biefem Sinne ju mitten.
9U^ ooltstunbliche 3«><fd)rift für bas gefamte Slorbgangcbiet erfdicint
,Unfcr Bgerlanb*. Slättcc für CSgerlänber Boltötnnbe. ^erauägegeben
Don 9IIois 3oh'< üi ßger. 3ohroo"9 IX (1905) brachte u. a. Slbhanblnngen
iinb aiuffähc über ÜJlai., $)ochäeit§. nnb Öcgräbnisbräud)c oon 51. Sllberti,
3. Fachmann unb 91. gieh, egerlänbet ©ebilbbrote oon ^ofrat Dr. ^Jöflct, ben
Sagenfehah beä (SgcrlonbeS oon 91. Qohn, 9lbergläubifd)e§ oon C>. Sommert,
Beiträge jur norbgmiijchcn SDlunbart oon fiöfil, ©erbet unb Schiepet, ferner eine
Starte beä norbgauifchen Sprachgebietes, jahlreichc tleinerc IDlitteilungen u. a.
I?et laufenbe Jahrgang X (1906) mirb aufier bem überaus reich*
haltigem (farisbaber Jpeft nod) umfaffenbe O''l)olts* unb ®ad)regifter übet
iämtlichc jehn Jahrgänge bringen.
9IIS Banb VI ber oon Brof. Dr. 91. öauffen in Btog geleiteten „Beiträge
äur bcutfd)»böhm. BoltStuubc* erfchien 1906 baS umfangreiche Bud): Sitte,
Brauch unb BoltS glaube im beutfd)cn 2Beftböh»*ett »o« 9lloiS
3ol)n, BtO0> Saloe’fdje ^lof. unb UnioerfitäiS*Bud)hanblung. 9)lit einet Starte
beS norbgauifchen Sprachgebietes in Böhmen.
Sonftige Mitteilungen.
pritte b«ifr4e jtuvflgrni(T6(-jt«sß(irniifl. gn ber brüten beutfd)cn
Stunftgetoerbe.9luSftellung, Xresben 1906, befinbet fich eine 9tbteilung für
B 0 1 1 S t u n ft. 6S ift aufserorbcutlid) bescichnenb, bafi bie !?reSbeuer
9lusfte(lung, bie ihre lore ntir ben m o b e r n e n Slunftäufierungen
geöffnet hot, ber BoltStunft IRaum äor Berfügung geftellt hotte. SS
mar tein gehlgriff — eS mar ein ©rfolg auf allen Sinien. $ie BoltStunft
hat gezeigt, baft fie i n u e r I i di jung ift. ga, fie bemieS oon neuem, bafi,
menu bie gorm ben ©igenid)afteu beS Stoffes fich anpaßt, Sunftmerte oon
bleibenbcm 9Bcrt entftehen. SoS mit bem ©rftarten unfereS mobernen Ruuft»
gemerbeS gleichjeitig auftauchenbe ©efühl für bie oft überfehene ober inißochlete
ooltstümlidjc Äunft ift bähet eine im befteu Sinne ueujeitliche Bemegung.
lEie bei aller ©hrfurd)t oor ben nberlieferuugen ju Sage tretenbe Selbftänbig*
teil ber BoltStunft, iljre Staioität unb gorbenfreubigteit, ihre 9)laterialgered)tig*
feit tönnen als Guell lebenbiger 9lntegung bejeichnet merben.
2ic 91u6ftellung mar oon Btof. D. Segffert, SreSben, nid)t nur nad)
ethnographifdjen, fonbern oor allen Singen nach tunftlerifchcn ©efichtSpuntten
geleitet, unb in allen Seilen ISeutfd)lanbS hotten fid) bemähtle Blitarbciter
gefunben. Sic jerfällt in ocrfchiebcne Unterabteilungen. Gin Sammelrnum
ift ben bäuerlidjen Stictereien, SBcbcreicn unb ben föauben gemibmet. Schon
hier tann man tlar bemerten, melche töfiliche Gigenart in biefen Runftentfal-
tungen unferem Bolt ju eigen mar unb meid) große Schätje eS im Begriff
ift, JU Dcrliercu. 9luu folgen in bunter 9lbmechflung — burch ben ©runbriß
beS jur Berfügung fteßenben iHaumeS bebingt — Baueruftuben oom Bagern*
lanb bis hinauf nad) SchleSioig.^tolftein, (eine 9)lufeumSaufmad)ungen, fonbern
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rccf)te unb (djlidjtc 9Jäume, bie oou ber aiusftetlung dou Stnäetflegenftänbeu,
iUlöbel, Spieljcug, ®olb* unb Silberfd)muct ufio. unterbrochen ift. S'ie aibtcU
lung Soltstunft fnnb allgemeine 9lnteilnnhme. i£tc Kunftter ber ocrichiebcnfien
JHicfjtungen Ijaben fid) hier — unb baS ift burchnuä nict)t in alten leiten ber
aiuäftellnng ber Rail — gefunben. l?ie fiunftI)anbioerter unb felbftoerftänb-
lid)enueijc bie 2J!änner ber IBoItc-funbe tönnen bie oielfeitigfte Slnregung f)'fr
fdjöpfen : bie 9luSfteIlung ift für uiele eine Offenbarung. ISreSben ift in feinen
aieftrebnngen, nid)t nur bie 93olfäiuiffenf(i)aft, fonbern auch ajoltsfunft ju
pflegen, tatfräftig oorroärtä gegangen unb hat pon neuem gejeigt, bafe prot-
t i f ch e SQj e r 1 e für unfer Solt gehoben toerben müffen.
9llä 9lbfchlu6 ber polfäfunblidjen 9lbteilung, bie im fteinerneu 9lu0*
ftellungSpntaft uutcrgcbracht ift, mnö man ben ®orfpIal3 mit feiner prächtigen
Schule, mit feinem crjgebirgifchen unb tönigöberger J^aufe, mit ben 6in- unb
ßioei-Ramilienhäufern anfehen : ba§ Stilb toirb h'er lebensfrifch abgefchloffcn,
unb bie Stlicfe roerben frenbig unb oerheihungbooll in bie 3ufu”ft gerid)tet.
.0.
Jbetmatpfege- nnb '^o(S»tra(Sfe«fe|t. 3ur Rörberung ber
^jeimatpflegc in Oberheffeu unb befonberS in ben nörblichen Seilen ber
SBctterau unb beä fogennnnten ^)üttenberge§ ipurbe im Runi biefe«
in bem ficinen oberheffifchen Stöbtehen 93nt)bad) ein ^eimatäpflege* unb
Stolfätrachtenfeft oeronftattet, boä fid) auch größeren Unternehmungen oer-
ronnbter 2lrt loürbig jur ©eite ftellen barf. Rn ber ftäbtifchen Surnhalle
luar eine 2(u9ftetlung arrangiert roorben, bie auf Meinem SRaum picleä bot.
Sie DJJufeen ju ©ießen, DJlarburg, Sllsfclb unb Stuljbach unb jahtreiche fprioate
hatten baju beigefteuert. Stnögeftcllt roaren nid)t nur irachtengruppen auä
ben uerfchiebenften Seilen Oberheffenä unb be§ früher großh- hdT'fihcn jeht
preußifchen ^intcrlnnbS, allerlei bäuerlicher |)auörat, ©ammlung oon 'Uhoto*
graphien ton heffifd)en ^läufern unb fiirchen, fonbern ouch ganje SHäume:
ein Sdilofjimmer auö bem Sd)lihcrlanb, ein SBohnraum, Rüche, unb ein
Stauernioirtöhaii^- — ^cn C)öhepuntt beS RefteS bilbetc ber Reftjug am
17. Rmii. Rn biefem unirbe nach ben Rahreöjeiten angeorbnet in 36 ©nippen
bas bäuerliche 2cben in feinen roichtigften ©rfcheinungen oorgeführt : SluSfaat,
^ochjeit, 6rntc, Rlachöbereitimg, Sohfehälen, Sutterbereitnng, bie ©pinnftubc,
©ingfchule, Säeferei u. f. ro. Sie oerfchicbenen Orte beS aimtcö lBut)bach unb
beö ^ütienbergeä, aber auch einige auS roeiterer ßutfernung hallen eS über-
nommen, je eine ©nippe in ihrer Ortstrad)t baräuftcllen. Stuf biefe Sltcife
ergab fich ein anßerorbentlid) aiijiehcnbeö unb abited)SIung§reicheä Stilb.
Sin mehreren Slbenbcn rourbc fobaun ein oon Sl. Storch, fflnhbad), oer-
faßte? Refifpiel »Sie Süttenberger* aufgeführt, bn? auf hiftorifchem hinter-
grunb (Snrehreife SSlücher? burch außbad) 1813) gleichfatl? pcrfchiebene Stolf?-
Ijenen jur Sarftellung brodjtc.
Rür lueitere Orientienmg über SBußbad) unb ben ^lüttenbcrg oetiDeifcn
mir auf bie ebenfall? oon 91. ©torch oerfaßte Reftfcßrift „l?ieb ^eimatlanb*,
bie auch eine große Rüllc locrtooUer unb intereffanter Slbbilbungen bietet.
9lm ^aupttag be? Srad)tenfefte? mürbe in Stußbad) ein »heffifcher
3ioeigoercin für län bliche ^eimatpflege“ gegrünbet.
Sc^riftldtung: DrofefTor Dr. tt. ^dm. ۟Mit(age
2)rud: ^of< imb UniOcrfitSl«‘Xru(fecel (D. ffliibt), Aieben.
]VlittdluTigeii
dee Verbandee deutfcber Vereine
für Volhehunde
Nr- 5- (KorrcfpondenzbUtt) 3^uni 1907.
Bericht über die 6ifenad)er Delegiertenverrammtung
vom 24. Mai 1907.
9Iuf bcc öomburgcr logung (1905) iviar bcfd)loffcn »oorbcn, im 3a^rc
1907 einen SUerbanbätag in 93erlin obju^alten. 9118 3cit mürbe bofür bie
Sßfingftroocl)e in 9lu8rtd)t genommen, unb bet Serliner ?5erein für 93oI{8tunbc
nol)m bie SJorbereitiingen in bie ?)anb. 35ec 9ln§fii()vung bie)e8 ipianes
ftedten fid) jebod) nnüberroinbli^e öinberniffe in ben Süeg, über bie ber 93er>
linet SBerein bem gefd)äft§fü()renben 9lu8fd)UB am 16. gebruor bcridjtetc. 68
roar barnad) fein onberer 2Beg möglich, alä für bie(e8 ouf eine orbent»
Iid)e SBerbanbstagimg ju nerjid)tcn unb jur 6rlebigung bringenber Slngelegen-
^iten eine rein gefd)SftIid)e S'elegiertenDerfammlung objubalten. 3)ie|elbe
fanb nodi Dorf)erger)enbct fcbriftlid^er SJJleinungsaufietung ber !Berbanb8mit>
glieber am 24. 3Jlai ju 6ifen ad) im -öotel ftronprinj ftott.
Ütnrocfcnb tuaren bie öerren :
^roF. Dr. ®olte, ®erlin, al8 93ertreter bc8 Serlinet ®erein8 für Solfäfunbe
unb ber Sd)rceij(erifd)en ®efellfd)aft für Coltsfunbe.
^rof. Dr. C. 9) renn et, ißfürjburg, al8 Slerttcier be8 iöcrein8 für baprifdje
Soltsfunbe iinb aihmbartforfcbung, iöürjburg.
®el)eimct öofrat 9Jvof. Dr. |)aupt, ®icMen, olä aSorüt^enber be§ gcfcbäft8'
fübrenbeu 9Iu8fd)uffe§ be8 SJerbnnbeä nnb sngicid) alä SBertreter bet
Öefnfd)cn 93eteinigimg für FBoltätunbe.
^rof. Dr. R. ^>elm, ©ießen, alä ec^riflfü^rer beä 93erbanbeS.
^tof. Dr. 91. R a t) 1 c , $>eibelberg, alä iBertrcler beä babifdjen SJereinä für
Solfätunbe.
?Srof. Dr. 6. fDiogt, fieipäig, alä 9Jertreter beä 9Sereinä für föd)rifd)e ^olfä»
funbe.
?5tof. Dr. 9J1. 'Jlöbi get, 93erlin, alä 9)ertretet beä 9fereinä für Soltäfunbe,
Scriin, unb ber Rgl. Sammlung für 9)oItätunbe 8U Serlin.
?5rof. Dr. Xf). Siebä, alä Vertretet bet Sd)leüWcn @efetlfd)aft für 9Solfä»
funbe, SSreälau.
6ntfd)ulbigt loaren :
®er fRbE>«'fd)'n)eftfölif(^e ®erein für 9Jolfäfunbe.
Xer literarifd)"f)iftoriid)e Bmeigoerein beä 93ogefenflubä unb
Xaä fUlufeum für 33ölferfunbe, Hamburg.
Slotfi^enbet: ®e^eimerat |>aupt.
Sdiriftfü^rer: ^rof. ^)elm.
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1. ®er Sotfi^eiibe etöffnete bie mevfammliing unb gebad)te beä oer-
ftorbcncn crftcn SSorft^cnben, ^rofefforä Dr. 91. Stracf, bet oevftorbcnen
Seiter uoii 9ltiftalten, rudere bem 93erbanbe angebörteu: ®e^eimerat 95o6,
ffletliu, unb ®iteftor Ob ft, ficipjig, foroic bet feit ^erbft 1906 Bcrftorbcnen
®elcl)rtcn, beten fUrbeiten füt bie ißoltsfunbe non , fBcbcutung roaten: $>.
Ufenet unb 5DI. ^)enne.
2. 3>n Ülufttage beS abmefenben SHed)nerä legte 93tof. ^lelm bie Kec^.
nung »ot, bie mit einem ftoffenbeftonb uon 328 9)lf. 15 95fg. abfdjlog. ®ie
Slecbnung rourbe »on ben fetten 95tof. SB ölte unb SR obiger geprüft unb
richtig befunben, roorauf bem 5Rcd)ncr Sntlaftung erteilt mnrbe.
8obann erftattete 95tof. pelm ben ®ei^äflsbericbt, beffen einjelne
93unfte im Saufe bev rociteren Set^anblung nod) befprod)en mürben.
3. 3m Sluftrage beä SBerlinet Sßeteins für SBoltigfunbe lub barauf |)ert
^tof. SRöbiger ein, bie nädjfte SBerbanbStagung im $ierbft 1908 in Sletlin nb«
}ul)alten. ®ie SBerfammlung ftimmte biefem SBorfc^lag ju.
4. 3m ßcrbft oergangenen 3a^wä l)at iperr Dr. Si^offiblo bei bet
fünften Slbteilung bes ©efamtoereinb beutfd)er ®efd)id)t§. unb SlltertuinS»
peteine ben Slntrag eingereid)t, eine ooirshmblid)e Bciürolftelle ju fdjoffetu
SSem gefd)nft9fül)tenben 9lu§fd)ufi beb 9?erbonbeb root bamalb SDittteihmg
pon biefem Slntrag gemad)t roorben unb bcrfelbe gab fofort fdiriftlid) bie
ertlärung ab, baft er ein gemeinfameb SBorge^en beb SBcrbanbeb unb
ber fünften 9lbteilung in biefer Slngelegcnljeit für unbebingt nötig Ijnlte unb
bafj ber SBerbnnb jn biefem 3**föinmenarbeiteu bereit fei. SEie äfcrfaimnlung
billigte nnd)trciglid) biefe Grtlörung be§ 9lusfd)uffes. ^)eiT 9?rof. 9ftcnner
berid^tete barauf nod)inalb eingebenb über bie SBorfd)läge 3Boffiblos unb ftellte
ben Slntrng, bie einjelncn Sßereine baju ju oeranlnffen iljre Sammlungen ju
perjctteln. liefet Slntrag mürbe in ber folgenbcn (pon 9frof. Siebs fonnu»
lierten) Raffung einftimmig angcnominen:
.lEie Sßertretcr ber beutfeben SJereine für SBolfStuube nebmen bie non
ber fünften Ülbleihing bes „(SSefamtoereins* gegebene Slnregung jur
Sdiaffung einet nolfstunblidjen .iiauptfommclftellc in bem Sinne auf,
bafj fie es ben Süereinen butd) befonbercS 9lnfd)reiben als bringenbfte
Ülufgabe empfcl)len, it)ren SBeftnnb an ®niclfad)en unb banbfcbriftlicben
Sammlungen uoltSfunblid)en 3"f)Qlts nad) einljeitlicbein Sdjema ju oer-
jettcln. Ser Slusfdjujj mirb baS Sd)emn ausarbeiten.*
5. ^rof. SB ölte nerlas barauf ben S8erid)t ber SBoltSlieber-llom-
miffion. 3>' Sibung oom 7. 3uni 1906 haben ficb 9-'rof. Solte,
Serlin, unb 95rof- 3- fUJeier, Snfel (?rof. Strnef mar burd) firauR)eit per-
binbert) über bie einridjtnug eines bibliograpbifdicn SBerjeid)niffeS ber beut-
feben SBoltSlieber beraten, bas für eine fpütere \unfaffenbe Sammlung bet
Scjte unb fDJelobien als ©nmblage bienen fann. Sie einigten ficb babei übet
folgenbe fünfte:
a) Öttlicbc aibgrenjung. 2a bas ganje beutfebe Sprachgebiet bc-
rfteffubtigt merben inu6, ift eine SBerftünbignng mit ben in Öfterreid),
Siebenbürgen unb ber Sdirocij ju biefem eingerichteten Organi*
fationen bringenb erforberlicb, febou um für bie fRegiftrierung beS 3Rate-
riats momöglicb gleiche ©tunblage ju pereinbaten.
b) 9118 zeitliche 9lbgrenjung nach rüdmärts empfiehlt fich baS 3a^^:
1770 mit SRüdficbt auf ^)erber8 ®eftrebungcn.
3
c) 2ic aibflreujimg gegen bic ftunftbid)timg bietet Srf)n>ierigtciten ; bet
bet üJIotetiatinmmlimg initb man beffet rocittjersig tjctfal)ren unb ju-
näcbft aUeS nufne^men, roaä nact)it>eislic() oom iBottc gejungen roorben ift.
3n S8etract)t fommt ioiootjl gebnicfteS ^Jiateiiat (in 93oI(sliebet[amm>
lungen unb 3ciit<^t'ften) n>ie ()<inbfci)iiftlici)eä (auf iBibliotbeten, SereinS»
ntcf)ioen unb im ^vioatbenb)*
d) 0r ganif a tio n. 'Jlotroenbig ift bie ervicfjttmg einet 3enttalfteüe,
bie ba§ pon ben Sfeteinen gclicfette ÜKatetial in (Smpfang nimmt, otbnet
nnb netatbeitet. Släljeteä übet bic lätigtcit biefet 3enttolftcQe roitb ftii)
etft beftimmen laffcn, roenn fcftftcf)t, roelcbe (Sclbmittel ju bieicni 3rt>ecte
petfügbat finb. — 9U8 ültbcitdteiftung bet Seteine ift in ^liiäftcbt ge-
nommen eine ißetjettelung bet bfinbftbriftlicben fiieberbeftänbe if)tet 2lt-
ct)ipe unb bet in ifjten 93eteid) foUenben 2otaljcitfd)riften, ipäf)tenb füt bie
SKcgifttictung bet gebturften fiiebetfommlungen bic 3entta[ftctlc einju-
tteten bättc.
e) Jeebnif bet Sicgifttictung. Sfit baä ^aupttegiftet (ollen ben
Slcteinen 3ettel in Guattfotmat gelicfett loetbcn. 5iit jcbc8 fiieb ift ein
3ettcl 511 petipenben, bet oon bet 1. Stropbc bie beiben erfteu 3eilcn
nebft Slngobc bet biefet cntjptcdienben ettoaigen JReimiootte, pon ben
übtigen Sttopbcn obet mit bic Slnfangejcilc entbölt. 9lm 0d)lub folgt
bie Slngobc bet 3eilenäabl bet 1. Stropbe, bcS ctiooigen iCotbonben»
feinä bet 'Diclobic unb bet Sunbftcllc nebft Signatut. — Ifie 3entralftelle
foCl aub biefein Jpoupttegiftet ein IRegiftct fdintlicbet Sttopbenonfönge
unb ein Dieimtegiftet bet SlnfnngSfttopbcu betftcüen. Ta bie ülufnabme
unb SHegifttietung bet 9J!elobicn butd) Slicbtfadnnönnet oetfd)iebene
®d)nnetigfeitcn bietet, fo roitb biefe Slufgabe etft fpötet butcb eine obet
mebtete facbmännifcb geidnilte Rtöfte gelöft roetben fönnen.
Tie Sterfammlung billigte biefe 9<otfd)läge nnb faenufttagte ben ge-
febeiftsfübtenben 9lu8fd)ni), bic einleitcnbcn ®d)ritte 511t 3noentatirietung noch
biefen (Snmbfätjen jn tun unb gleicbseitig bic Sefebnffung bet bafiit nötigen
©clbmittcl inö Üluge ju faffen.
6. 3n ^lambutg roat bet Sluöfcbuf? ermödjtigt roorben, bie eigentlicb
polfshmblicbcn beutfeben 3eitfd)tiften bie jum 3obtc 1902 in bet SUcifc, roie
eä feit 1902 in bet 3eitid)tiftcnid)au bet ^eff. ®löttct fi'it llolfefunbc ge-
fcbiel)t, bibliogtapbifd) ä'< bcatbeiten. Tic SJotbercitung biefet Sltbeit butte
SJtof. Sttoef gonj allein nbetnommen ; bei feinet (Stfronfung unb| feinem iobe
blieb bcSbuIb udeö liegen. Ta nbetbice bic 9lnnd)ten übet bic ättccfmöbigfte
®inrid)tung biefet S8ibliogtapl)ic febt geteilt loarcn, bcftbloß bet 9lu§fd)u6,
oon bet ibm erteilten Srmöcbtigung notläufig Feinen (Sebrand) j'i madjen,
fonbetn eine etneute 'Scipteebung bet 9lngclegcnbcit ju nctanlaffcn. Tic Siet-
(ammlung entfebieb fidi bobin, etft auf bet ®ctlinct Tagung im 3ubfc 1908
über biefe Sibliogtapbic ®cfd)lnB jn (offen.
7. ®tofcffot |)aupt beantragt, eine flommifnon eitiäufcbcn, rocldjc bie
eammlung bet 3 betiprft d)e unb Segen beä beutfeben Sprocbgebictcg
porbereiten unb bet ®crlinet Tagung borübet beriebten foll. Ter Slntrog
lourbc angenommen unb in bic flonnniffion, mit bem 9ied)t bet 3uroobl, ge-
roöblt bic fetten ®rof. 91. Tictcrid) unb®rof. ®. ffal)le, ^icibclbcrg, unb
Dr. ^). ^icpbing, (9ie6cn.
8. 3»«erbalb bc8 gcfdiöftSfübrcnbcn 9lu8icbuffc8 ftiib feit btt .tmmburget
Tagung bie folgenben ®erönbcnmgcn eingetreten:
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Ser crftc ajorrt^enbc, ?5rof. Dr. 91. ©tracf, ftarb am 16. 3uni 1906. Sie
®cicl)5fte leitete bann bet ffeKoertretenbe 9Jorritjenbe ¥rof- Dr. n n f c^. 91m
6. Qanuar 1907 routbc ©ett ®cbehnerat 9Srof. Dr. $. ^nnpt olä erfter 9Jor*
fitjenber cooptiert. 9lm 81. 3JJärj (c^icb .^ert 9Jrof. ® ü n j d) infoltie feineä
ÜBegjuflS nach Rönigäberfl aug bcm 9Iusfd)ug on§. (Eine 6ria8tpaf)l fonb —
mangels einer geeigneten 9SeriönIid)feit unb mit SHiirfTtcbt anf bie ju Siienac^
porjnnc^menbc Smeuerung beS @eiamlauS)c^uffcS — nid)t mehr ftatt.
Sei ber nun norgenommenen Sleuroal)! rourbcn geroäblt:
Srof. Dr. S. imogt, S2eipjig, jum erftcn Sorfi^enben.
Stof. Dr. D. ©et)f fert, Sresben, jum ftellocrtretenbcn Sorft^cnben.
Dberlefjrer Dr. SSf)t>botbt, fieipjig, jum £d)riflfül)rer.
Sie 3u'oaf)f ^*9 5Red)nerS blieb ben ©cmoblten überloffen.
|)crr Stof. Slogf etllättc füt ficf) «nb $)crrn Säbnljarbt bie 9lnnol)mc
bet SSobl.
^ert Stof. Segffert bot injroifdjen ebenfalls bie 'Sfal)l angenommen nnb
^crr Dr. SanteniuS (i. 5a. Soigtlönber & l^o.) bat fid) bereit erflärt,
baS Smt beS SRcd)nerS ju öbernebmen.
9. Sad)bem^)crr Stofeffor iHö biger bcm biSberigen gcfcboftsfübrcnbcn
9IuSf(buffe ben Sant ber Serfammlung ouSgcfprod)cn, mnrbe bie Sigung um
12‘/i Ubr gefcbloffen.
Qmfragc über Bccrcnfammclrcimc und -bräuebe.
Surd) bie in ber tlcinen Sdirift oon 6. Slülbaufc (Sic aus ber Sa»
genjeit ftammenben Webröuebe ber Sentfdien, nomcnllicb ber -iieffen, Raffel 1867)
cntbaltcnc rcid)c, aber nur locnig bcfannic Sammlung bcr@ebräud)c, bie fid)in
ber Sd)njalm, in ben Rrcifen Äircbbain unb Srantenberg an bas Sfludcn ber
?)eibelbceren tnüpfen, foroic burd) einige 9lngnben, im 91id)io ber »soefri*
feben Scrcinigung für SollStunbc* bin itb angeregt loorbcn, ben Seeren»
fammclrcimen unb ben ®cbräud)en bei bem Jpcibelbeerlcfen and) in ben
bcffifcben Stooinjen Dbcrl)effcn unb Startenburg nndjjugcbcn, unb habe
burd) prioate Umfrage fd)on niclc roertpollc 91ngaben crbnltcn. 9luS ber
,nolfStunblid)cn fiitcratur fmb mir ucr)d)iebcnc [yötmen bcS SccrenopferS
(and) als ber °öcr ,3011* bcjcid)nct) auger aus Reffen aud) auä
bcm 5Rl)cinlanb, Sraunfd)ipcig, (jranten, Sägern, Söl)incn befannt*), nmlj»
renb fiiebd)cn jum Sccrcninmmeln j. S. aud) aus bcm 9il)cinlanb, Sieger»
lanb, iparj, aus Ibüringcn, bcm Sogtlai\b, £ad)fcn, Sd)lcfien, Saben, bet
Sfalj bejeugt 5üt genaue Sütteilung fold)cr 9icime unb für eingebenbe
9tngabcn über bie Sräud)c beim Sccrenpflücfcn (j. S. SegrÜBung bcftimintcc
Säume; Opfer on beftimmten Stellen bcS Sfalbs, an flrcujroegcn, por Säu-
men, auf Steinen; ®cbctd)cn beim Opfern; loaS gefd)icl)t mit ben erften
Seeren ? müffen flinber, bie jum erften Slal mit in bie Seeren geben, ftd) einer
befonberen 3ttcmonic untermerfen?), foioie übet bas ctioaige Sorbanbenfein
bet Sorftellung oom „^»cibelbecrtnännlcin" ober ,=)pciblein* *) märe id) aUcn
Sreunben ber Soltstunbe febr banfbar.
Dr. $)ugo ^epbing, ©iefjen, ©oetbeftr. 48.
•) Sgl. j. S. U. 5al)n, Sie bcutfd)cti Opfcrgcbräud)c, S. 206 f.
*) Sgl. j. S. g. Sl. Söbmf, Scutfd)cs Rinbcrlicb unb Äinbcrfpiel, S. 190ff
*) Sgl. ffi. $). Sieger, Seutfebe Slgtt)ol., S.199; Sab. Soltslebcn, S. 120f.
Scbriftlcitung: Stof. Dr. R. ^elm. ©iegen, Sübanl. 6.
®rud: ^of- unb UnioerritätS=®ructcrei (O. Rinbt), ©iefeen.
3/
- ‘ize" by
JVKtteiluiigeii
dee Verbandes deutfeher Vereine
für Volkskunde
Dr. 6. (RorreTpond(n}bUtt) Oovember 1907.
^efen und Hufgaben der Volk5hunde.
Ser junge !Serbanb beutfi^CT Vereine für %3oU£tunbe bot in ben elften Sauren
feine« Sefteben« f<bn>ere geilen burebgema^t. ®er bärtefte Sebtag für ibn mar bei
Zob feine« elften ICorfibenben, 8. Straif«, brr ben iBerbanb in« Seben gerufen bntte
unb mit bei gonjen Sntfcbloffenbeit feine« Sbaralier« für ibn einirat. Stiod bot in
brr rrften 92ummei be« 8erbanb«organe« flar au«gefprocben, wa« ibn «u einer felb>
ftünbigen freien Bereinigung brr Berrine für BoUelunbr beftimmt bntte: bie BoU«>
lunbr foOte enblicb auch in Zrutfcblonb eint Sfiffenfeboft »ttbtn, bie fitb frlbft genug ift
unb um ihrer felbft ntiHen betrieben »erben foQ, bie »obt Bon ben 92a(bbargebirten
Irmen »iQ, ma« fie ju ihrer eignen Sntrautlung bcautbt, bie aber nitbt bie Wienerin
einer anbem SBiffenftbaft fein baif. SelbftorrftSnbliib tonnte in bei furjm Spanne
grit, bie Strad getoirlt bnt, ba« giel niibt eiietibt werben. Aber au« bem Sfuge
werben wir e« nicht taffen, unb wenn e« erreicht ift, wirb erft bem SRanne bet ge*
bübrenbe Sohn juteil werben, ber e« gewiefen.
Jll« Strod bie Jlugen gefcbloffen bntte, fehlen e« eine geitlaug, al« foQte bei
Berbanb weeber au« ben trugen geben. Za« würe ju bebauem gewefen, ba wir erft
burch bie Bereinte Arbeit beginnen, bie Wrtbobe be« Sammeln« unb Brraibeiten«
be« Stoffe« au«jubilbcn, ba« Sebiet feftn ju umgrenzen, realen unb ibealen (Kewinn
au« bei Befchiftigung mit ber Boll«lunbc ju jicben. 9hci burch gemeinfame« äBirfen
ift r« mbglich, oiel unnüpe unb hoppelte Bibeit ju Berbüten unb' bie geiftigen ßrüfte
ju tonjentrirren. S« ift auch bie Brrtnüpfung aQer Bereine beutfeher Bolt«tunbe —
beutfeb natürlich in etbnogiapbifchcm, nicht in politifchrm Sinne — jum Beibanbe
bie Borbebingung ju einer grölen internationalen Bereinigung, bie nur eine Siage
brr grit ift unb ju bet bereit« bie einleitenben Schritte getan fmb. Solche £r>
wfigungen mflffen un« beftimmen, aQe« aufjubieten, um ben Berbanb ju erhalten.
92ui fchweren $eT,;tn« höbe ich bie Seitung übernommen. Slber bie Sinigleit, bie
unter ben Bertretem ber ©njeloereine in Sifenach berrfchle, lä|t mi^ hoffen, bol in
gleichem Seifte auch weitergearbeitet wirb unb ba| ber gentrale bie Untrrftüpung ber
SinjelBeteine nicht fehlt.
3ft nun bei Berfolgung be« gemeinfamen giele« bie ({inigleit wünfchen«wert,
fo ftnb hoch bie Srge unb äRittel, bie jum giele führen, mannigfaltig unb bemnach
auch bie fUnfuhten barüber. Über biefe mul geflrilten werben. Srft burch ben
Streit ber Borteien Hären fcch bie ünfichten, unb jebe SBiffenfehaft, bie feine Streitfragen
bietet, ift tot ober fiecht babin. gu biefer filaffe will bie aufftrebenbe Boll«funbe nicht
gehören. Sie bietet noch ein weite« Schlachtfelb für benfenbe ftöpfe unb beborf bet
tfämpfrr, wenn unfie wiffenfchafiliche unb praftifebe Arbeit geföibnt werben foD. gu
biefem Ifampf bi«lt Strad bie Mitteilungen be« Berbanbe« für ba« geeignetfte Organ,
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ba eA in btt $2nbt taufrnbn (ommt, btt ^ntneffe ffii bit wiiftnft^afllii^e unb piat^
Hft^t XJoltitunbe ^aben. 16on btt Unttrft&$ung, bit bit äßilttilungtn bon ftittn btt
Sinjtlbtttint trfa^ttn foUltn, mat^tt tr ti abpngig, ob birft i^tt Kufgabt tt-
faQtn tbnnten. €inb wir t^rlic^: bitft Untttfiübung ift btt Stitung bei Sttbanbt«
bi<4tt ni(^t jutril gtwotbtn. Stnn gragtn, bit ÜBifftnft^aft unb b’^bltif^t Sltbtit
(iutttn unb fötbtrn (önnttn, fmb in btn ttft^itntntn jptfttn nii^t angefc^nitttn
worben; aai |te bringen, ift teftriettnbtr 92atur, Strickte, bit bit Stitung junt
großen Zeit ^at jufammtn^oltn müfftn, um bit Spalten bed Organs ju ffllltn.
Soden bit Witteilungen i^re Hufgabe ISfen, fo mflffen unS unfre Witglieber mit
Stitrigen beft^enlen, in bentn }u btn Hufgaben unb jur Wet^obe btt SolISlunbc
Stedung genommen wirb, auS benen wir nac^ prattif^en Erfahrungen hbrtn, wit unb
burth wen am beften bollStunblichtt Stoff eingetmttt wirb, wo neue Oueden,
nameutlidi für bit gef^ichtlitht Enlwitflung beS QolfStumS, ju finben fmb u. dhnl.
Srt anrtgcnbe Xeil mu§ bit $efte ber Witteilungen behertfihen, btr rtftrierenbt mu6
mehr in ben ^inttrgrunb treten.
Seit bet fCiSluffion, bie pth *>" 2- Sanbe ber ^effifihen Slitter für
SollSlunbe jwifchen Strad unb ^offmann^^aper cntwidelt hat, ift bie giage über
baS SJefen ber SoltSlunbe niept wiebet eingehenbra erdttert worben. 3" biefem
Streite fpielte bie Sebeutung beS Wortes „Soll" in SollSlunbe eine wcfentli(he IRode.
^offmann-ftrapet oerftanb unter Sott in erfter Sinie baS „vulgas", bie niebre,
primitio bentenbe, uon wenig 3nbipibualititen burcpbrungene Wenge. Siefe fodte
bot ödem ben Stoff )ur SoltSfunbe liefern. fCtmgegenflber h«! Strad mit bodem
dteepie herborgehoben, bo6 auch in i><n höheren Schichten ber SeoBllerung, bie man
nicht unter baS vulgns ju rechnen pflegt, noch biel altes SoltStum fortlebt, baS wir
entfchieben als boltSfunblicheS Woterial mit berwerten müffen. 92ach Strad ($e|f.
SlStter II, 71 f.) hat bie SoltStunbe ju iprem (üegenftanb nicpl boS vulgns, fonbem
bas Soll (bejw. ben Stamm, Sauberbanb u. ühnl- Sruppen), infofem eS als
folches, als natürli^ geworbene Scmeinfchaft, geiftig fchaffenb unb fiebenSformen
erjfugenb unS entgegentritt. HIS Hufgabe ber SoltStunbe bejeichnet et eS, bie
geiftigen Erjeugniffe unb bie formen biefeS burch Sitte gebunbenen EtemeinfchaftS'
lebenS 5u erforf^en unb oerglei^enb ihre Etefepmähigleit ju rtfennen. 3" feiner
reinften HuSprügung trete unS bieS SoltStum bei bem Sauemftanbe entgegen, weshalb
gerabe biefem bie gtoge Sebeutung in ber SoltStunbe julomme. Strad berfteht alfo unter
Soll in SoltStunbe bie natio, unter brr Hufgobe ber SoltStunbe bie Sefchüftigung mit
ben geiftigen Erjeugniffen beS ftodeltiogeifteS ber natio, bie im tBegenfape ju ben inbioibu'
eden Srjeugniffen einjelner Serfonen ftehen. Efanj lann ich bu<h i>i^n ^Definition bon
SoltStunbe nicht bciftimmen. 3» geiftigen Erjeugniffen beS burch !>>< ®<lt< gebunbenen
EfemeinfchaftSlebenS mülten wir auch ^»S fRittertum, baS Silbenwefen, bie mobemen
tum-, Sing> unb onbre Sereine rechnen, bie ftcher lein Jorfcher ber SoltStunbe in
fein Sebiet ziehen wid. Wan werfe nicht ein, bag bieS h>fiatifche Sebilbe fmb, bie
bie 3(it berweht hbt ober fpüter ober früher berwehen wirb, bie alfo jum Teil für
bie Elegenwart leine Sebeutung hoben. Woden wir baS SoltStum eines SolleS in
feinem ganzen Umfange erforfchen, bann bürfen wir nicht, wie eS Strad ju tun fcheint, auS>
fcpliehlich mit ben Erfcheinungen beS SoltSlebenS ber Gegenwart rechnen, fonbem mit
bem gef amten SolfSleben, foweit wir eS gefchichtlich jurüdberfolgen ISnnen. 3‘ weiter
wir aber in ber 3^t jurüdgehen, um fo mehr f^winbet bann ouch ber Sauemftanb
als IReprüfentant beS Teiles im Solle, bet ben ffodettibgeift bertritt. gifit bie
Segenwatt mag er als folchet gelten, für baS Wittelalter nicht. Unb waS baS
Huftommen unb Serfchwinben bet Erfcpeinungen betrifft, fo wAre audh bieS tein
Srunb, fie auS bem Segriffe ber SoltSfunbe }u bannen. Xracpten, ^auSfotmen,
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felbft baä VolISIitb u. a. fommt unb berf^winbct ebrnfo im VolKlebcn, unb niemanb
onfagt i^m ^cimatiie^t in bfr lOoUbfunbe. Saturn fcbliegen wir alfo j. S. bai
Sunftwfffn Bon btt SolKfunbe ouJ, wibi^enb bo(b bie SünglinflS» unb SDJSnnctbünbc,
bie 9Ja(bbarf<ba(ten unumftiitten ju ibt gtböten? Sie $fl)(^ologie gibt unä bie SInl»
roort: baä eine ift bet affojiati&en Sentform bet Soltsfeele enl(btof|en unb lebt
burtb fte fott, bo« anbre bcm refleltietenben Setflanbe. 9hit mit ben Stjeugntffen
bet etfteien bat e^ bie SotlSlunbe ju tun.
Sit wiffen oHe, ba6 bi« in ben b®<bf**" Steifen notb Biel Sbetglaube bnefib*-
Unb ba« mitb f^wetlicb autb halb anbet« tnetben. @o lange Sittbcnglaube notb
BOTbanben ift, fo lange witb autb bet flbetglaube fottleben. Sag für Unj&blige bie
13 eine Scbte(ten«jabl, fRitttoo^ obet S^eitag ein bSfet Xag ift, ift unumftbbli<b<
Xatfacbe. Stanb botb felbft ein SKann wie Si«mattf im Sanne biefe« Hberglauben«.
Sie b'^au« ^offmanrnStabet ftblieben lann, biefe Xatfa^e betBcife, ba§ „3umm>
beit unb (Sfebeimtat«titcl fub nitbt immet au«ftblic6en", ift mit unBetftinblitb. Unb
ift nitbt alle« ba«, »a« IRabaub al« „Ältbeibniftbe Sutjeln im latboliftben Sullu«“
jufammengettagen b“*/ fom StanbBunlt be« Ritbtfatbolifen Slbetglaube? 3tb felbft
betennc ganj offen: fo Biel itb mitb autb »lit bet ffleftbitbte unb ben Sutjeln be«
Slbetglauben« beftbSftigt habe, fo ertoBBe itb »litb botb b<et unb ba in feinem Sanne.
^ic Reigung jum Slbetglauben ift bem 912enfcben Bon Sinbbeit eigen, unb je natb bet
Umgebung feinet 3ugenb mitb biefe bolb mel)t, halb mcniget tief in ibm Sutjel ge»
ftblagen haben. Ititt ibm abet bann ba« Objelt be« Hbetglauben« (j. S. bie gabt
13 obet bei einem 9u«gange eine Soje, ein .^lofe u. bgl.) entgegen, fo mitb bie« un»
roilllütlitb auf ibn einen Sinbtutf matben, autb menn ibm fein Setftanb fagt, ba|
eine feeliftbe Srtegung übet ba« betteffcnbe Cbjelt Unfinn ift. — Sie b'et bet
Qlebilbete im Sanne be« Slbetglauben« ficbt, fo fteben Xaufenbe Bon ihnen fetnet im
Sanne Boll«tümli^er Sitte. Saturn ftbmüdt man felbft in ben Saläften ju jebem
Seibnatbt«feft ben Qbtiftbaum? Saturn mug am $fingfttage eine Slaie ba« $au«
jieten? Sit fteben im Sanne bet Boll«tämlifben Sitte, bet Qtemobnbeit. flbct
matum btetben mit biefen Sann nitbt, ba mit ja je^t roiffen, bab bie Sitte im
Srunbe genommen autb ein Stütf Jlbetglaube bitgt? Xie Sitte mitit unmillliltlitb
auf unfet (Demüt; bet gtüne Saum mit feinen iMtbtetn im Sintet, bie friftbe Sitte
im IRai tut bem (Semüte mobl, mie ein Selbblumenfttaub, ben bie Sinbct ben Sltem
au« bet neuetmatbten Statut beimbtingen. Sie Sitte bebetrftbt ba« @emüt. He lübt
ben tefleftictenben Setftanb gat iii^t mitfBtetben. — ffin anbre« Silb. Set alte Soltor
bat ben ganjen Sag übet feinen Sfltbern gefeffcn unb BbUofoBbifiben Stoblemen natb'
gebatbt. Hm Hbenb gebt er au«; fein Qlang führt ihn am Sitt«bau« Botüber, au«
bcm frdblitbet ®efang junger Sutftben ftballt. Set fa«jiniert ihn; et tebrt ein, mitb
begrübt unb cingelaben, an bem ^teubenfeft bet Sugenb teiljunebmen. Salb tommt
et fub mie ein ganj anbtet SRenftb bot; et fühlt fitb gehoben, mitb felbft miebet mit
jung, unb natbbem et ben Sotfiblag ju einem Solf«licbetlomment gematbt, ertönt
au« feinem SRunbe ba« Sieb, ba« ec einft al« Solbat gehört unb oft gefungen bot:
„Hn bet Seitbfel, fern im Cften". Sober biefet Umftbmung bei bem ollen ^»etm, bet
fitb felbft im Secgieitb mit feiner Stimmung btntet ben Sütbcin mie Sag unb Ratbt
BotlommI? Sie Umgebung bot biefen Sonbel bemictt; fein gtübelnbei Seift ift ju
•tmufe bei ben Sütbetn geblieben, bo« beitete Stberjen unb Singen läfet fein Semül«.
leben malten. Unb menn jut fciben Stunbe ein Sammlet Bon Soir«liebetn in ben
ätei« treten mürbe, itb bin überjeugt, et mürbe ba« Sieb be« alten Süngec« ebenfo
aufjeitbnen mie bie bet jungen Sutftben. 3" foltbet Stimmung finb Bon botb*
gelehrten Seuten autb felbft manibe Sieber gebitblet motben, bie halb Eigentum bet
Senge, be« Solle« gcmorbcn finb. Sir miffen ja alle au« erfabtung, mie bie ,
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92atur, »ie 9ncie unb föSlbnr unb (Jrfl^Iingbgtan un|re @etle be^mft^cn unb ganj
ben Tcfldlimnben Serftanb in ben ^intergninb brfingm. Sin titfflic^rt Srifbiii 4irr>
Don ^at Dr. iRabingec brieflicfi ^o^n SRcier milgeteilt (ftunftlieber im %oU«munbe
6. III f.): „3(^ itlbft," fo ft^Tcibt er, „nmr im >■» Itopplergacten jn
Beec^tebgoben in il)ret (b. b. be« Dr. Seftcrmo^r unb be« B2iniflerialrat<
fieinfelber) OiejeDfcbaft, ali fie biei (Slunben Xnib fangen, in Scbnaberbflltfeln ge>
reimt, oui bcm Stegreife. Sb nmren bri(t)tisc Seiftungen, Don benen bie
fi(b Diele notierten unb unter bab groge "lublifum bet Bercbtebgabner Sanbe brachten. “
9}o<h anbre Beifpielc führt 3- fDicifr an, noch benen Sieber tüebilbeler gleich nach
ihrem Sntftehen Sigentum ber fDlenge genorben fmb. Sab in aQer Seit gibt unb
ein Siecht, biefe Sieber Don benen ju trennen, beren Berfaffer mir nicht lennen, bie
aber aller Sahrfcheinlichfeit nach bon Seuten oub bem Bolle gebichtet unb gefungen
morben fmb? Sie ben Wirten auf ben Bergen hot au<h ben (Sebilbelen bie Katux
birett jum Siebe angeregt, bie um fo mehr fein tSemüt beherrfchen mu6. Denn er
felbft ein Äinb ber Serge, ber Slatur ifl.
Bub allen ben angeführten Beifbielen geht hnoor, ba6 ber (Sebilbete ebenfo gut
Stoff jur BoUblunbe liefern (ann mie ber Ungebilbele, ber Sann aub bem Bolle.
3n febem SRenfehen lebt gleichfam ein Sobb^fatenfeh : ein Slaturmenfch unb ein Sultur*
menfeh: biefer jeigt fith burch feine refiettiermbe unb logifche Senfmeife, fener bunh
feine affojiatioe. Unter ben tüebilbeten übertoiegt im gembh>>Ii<h<n Seben ber &uUur>
menfeh, oHein auch er tann in Sagen lommen, roo er in ben Bann ber affojiatibcn fDent>
form gerfit. 3" biefem 3>>fto”bb fteht er auf gleichet Stufe mie ber Ungebilbete, rote
bet Slaturmenfch. .Sine hbh'te ^Iturflufe," fagt Schulge (Bfh^ologie bet Slatur-
DMler S. 242), „ober lontreter aubgebrüeft, ein auf einer hbheten ober fogar hbchfint
ftulturftufe ftehenbeb BoU ift teinebroegb ein in allen teilen butchaub gleichmü&ig be<
fchaffeneb Qiebilbe. 9'bt e« borin ouch BeD6lletung«fchi<hlen Don tiefet, fo
tieffter Bilbung unb Untultur, bie in biefer Bejiehung ben Silben ähnlich fmb. . . .
Unb wab Dom (üanjen gilt, gilt auch nom ^nbiDibuum. Buch lein einzelner SRenfeh,
unb felbft ein Qloethe nicht, ftelll in oQen feinen Xeilen gleichmäiig geartete Jhiltur-
gebilbe bar; in febem Don unb fchlummert ber roilbe SRenfeh, foroohl in fittlichet alo
auch in intelleltueller Beziehung, unb macht fich ju geilen geUenb.“ Unb wie biefer
guftonb hih^hifchfr Slffojiotion bei einem SRenfehen häufiger eintrilt alb bei einem
onbem, fo flberwiegt et auch bei einer Klaffe SRenfehen mehr alb bei einer anbem.
Bei bem gnbiDibuum tritt er ein, fobalb ber Sinbeud bet Bu§enweU auf bie Seele
fo grog ifl, boB bie @emütbrcgungen ben rcfleltierenben Berftaub jurüdbrängen unb
bie Seele nur noch unter bem (iinfluffe biefer Qtemütbftimmung bie £inge auffagt
unb roiebergibt. Xie BuBenwelt fegt r«h aber jufammen aub ber umgebenben Slatur,
roichtigen SebenbDotgängen unb ben SRitmenfehen mit ihren Sorten, ^anblungen unb
Serien. Surch legiere fteht ber SRenfih Vßfcich <nt Banne bet Überlieferung, {wifchen
bet unb ben QKnflüffen ber Umgebung ein inncter gufamnienhang befiehl. Senn
Überlieferung ift in biefem $aQe nichtb onbreb alb Ciiibrüde ber BuBenroell auf bie
Seelen ber Borfahren. Sinbrüde, bie fich Don tScfchlecht auf Sefchlecht fortgebflanjt
haben. SRit biefen SieflejäuBetungen bfhchifchet Bffojiation hat fich olfo bie BoUb-
tunbe JU befchäftigen, unb hierin fteHt fie fich >■> <9fegenfo| jur Sefchichte unb befonberb
jur Kulturgefchichte, in ber ber abmägenbe Berftanb beb ^nbiDibuumb beftimmenb ift.
Senn wir nun bie bfhchifche Bffojiation in ben SRittelpunlt beb Begriffeb
„BoUblunbe" ftellen, fo erllärt fich Dielerlei, roab man bibher alb Zolfache ange-
nommen, aber noch "ichl JU beuten oerfucht hat. gun^ihft folgt h'^oub, boB
heute ber Bauernftanb, ober fagen wir richtiger bie Slänbe, bie ihre Befchäftignag
in ber freien Slatur hoben, ben meiften Stoff ju Dollblunblichcr fffotfehung bieten.
Di^iiiZ6d by CjOO^Ic
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Snin bri i^iun abrnoicgt infolge it|rcT SUbung unb tbcer Sefib&ftigung in bei Statur
bie affojiatibe Sentform. (üanj babfefbe ift bei ben ^nbeni bei $a0, bie namentlicb
ffli £teb unb Sbiel einen leii^en ooIMfunblitben Stoff genäbrcn. San ben beiben
0ef<b(«bi^ neiblitbe entftbieben mebi Steigung jui affojintiben Smtmeife
al< ba$ minnlitbe; b<f^«uä eiU&rt [idf, bag n>ii bei ibm gewiffe Lagerungen bei
SoHbtuma (Aberglaube, SoU^litb u. a.) megr gepflegt finben aU beim mdnnlitben
(Vefdtlrcbte. — fOie junebmcnbe Silbung, b. g. bie logif^e @d|ulung be^ SerftanbeO,
bringt bie pfgcgifdie Affojiarion immer mef|i aurfid. ^nfo^Scbeffen gemibren b^bn
gebilbete Söltei ober Stämme menigcr Sßaterial aur Sollifunbe ali Sblter nieberer
SuUurftufe. Unftreitig ift bie oDgemeine Silbung bei irgfte ffeinb oQed beffen, wag wir
alg Lugerungen bei Sollbfeele in biefem Sinne aufaufaffen pgegcn. Aug brr affojiatiorn
iCentform erlliien ficb au^ bie grogen ttbneinfiimmungen geiftigcr Sracugnige bei
oerfibiebmften Sblfer, bie bei ßulturoSKrr mit benen brr Statuiobllei. £enn bie SSir-
tung brr Umgebung auf ben SRenfiben ift im Qfiunbe genommen bei öden gleiig ober
ibnlitb, nur bie ^orm bei Siiebergabe ift fe natg brr tüemütganlage bei SBlfei per-
fibieben. SBir gnben bei biefer Auffagung Dom ^rfen bei Sollgtunbr aueg ben
Srunb, warum in ibr bag @emütgleben bei SiHIci eine fo wirgtige StoOc fpielt. Ser
Staturmenfeg fagt bie Siftgeinungen bei Augenwelt mit bem Qtefibl auf; fie begerrftgen
feineScelenftimmung, unb in ber jeweiligen Srelenftimmung gibt er fie wieber. Aug ben
glridjen SSirfungm ber Augenwrlt auf bie menftglitge Seele ertlirt fug au(g bei
(oOeltioe Sgarafter brr Siacugnige beg SoUggeifteg, ber bri genteinfamer Abftammung
unb bem babureg brbingten SoUgtgaialter aueg in brr Soim aum Aiiobrutf fommt.
Sei ber afjoaiatipen Sentwrife treten bie griftigen Starugniffe beg Cinaelnen, tritt bie
SnbiPibualitit poUftinbig aurüct. Sog bie Perftgiebenen geiftigen Sraeugnigr, bie wir
au ben SRoterim bei Soltötunbe retgnen, nitgt Pon brr SRage, fonbern Pon einer
beftimmten ißerfbnlitgfrit auggegen, wigen wir ade. 3° g'(<^ »nb ba tbnnrn wir
fogot bie Serfbnlicgfrit naigwrifen, wie eg bri Perftgiebenen SoUgliebem, bei $aug>
inftgriften, bri Serien ber Solfglunft brr $aU ift. Sa aber biefe geiftigen (£iaeugnige
ogne jebe SlegeEion, Pielmegr gona im Sfüglen unb Senfen beg @anaen, beg
SoIIrg geftaltet worben finb, retgnen wir fie ebrnfo au ben Cfrarugnigen beg Sol(g>
geigeg wie bie anbern, beim Uigcber wir nitgt (ennen. Stitgt bag ^x^’fibuum
ftgletgtgin baif bager alg Cuede poUglunblitgen Stogcg perworfen werben, fonbern
bie 3nbiPibualitit, aug ber ber regettierenbe Seiftanb fpritgt. Aug biefer Auffagung
Pom Sefen ber Solfgfunbe crllirt gtg enbliig aueg mit Scicgtigleit, unter wcltgen Se>
bingungrn Serie inbiPibueder Seiftegarbeit au SRaterien bei Sollglunbe werbm
Unnrn. Sir wiffen, bag manegeg Seil ber Sollglunft, bie Sollgtiatgtm, PpIIg'
tdmlitge Sauweifen, aber aueg Sieber, Spricgwiitei, ja felbft Piel Aberglaube unb
Sitte ouf Siaeugnige einer gigerm jlultur, auf inbiPibuede Qleiftegarbcit aurüd
aufägrm gnb. Solange biefe ben Stempel regeltierenber Seiftrgarbeit a<*9™<
gegbrm ge bem CBcbiet brr ihilturgeftgitgte, niegt brr Sollglunbe an. Sobalb aber
brr Staturmenfeg feine ffreube unb Soglbegagen baian gnbet unb fie in biefem Q)e>
fflgle aufnimmt unb umgeftaltet, treten ge in ben Itreig Pollglunblitger Objelte. Sag
agoaiatip brnlmbe Soll bilbet ni^t naeg, fonbern eg agmt natg; bie Unigegaltungen
enlfpringen niegt regeltierenber Qfeiftrgtitigleit, fonbern einer ©eiftegtitigleit, bie Pon
(Empgnbungra unb ^efdglen geleitet wirb.
Staeg biefen Sarlegungen linnen wir bag Qtebiet unb fomit aueg bie Aufgaben
bei Sollglunbe ftgirfei umgrmam. Sanatg gat bie wigenfegaftliege Sollgfunbe alg
Objett igrei ^rftgung bie geiftigm lEraeugnige eineg Solleg, bie burtg pfgtgiftge Agoaiation
entgonben unb bur^ biefe fortgepganal beaw. Pciänbert worben gnb. Unter bem n^PU“,
begm Sraeugnige au erforftgm gnb, peeftegm unfre Sereine halb eine etgnograpgiftge,
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balb eine ])alitif(^e Sin^eil. ni4l> >*’<( $ta{i8 le^rt, Don bie{er Sin*
^eit nur einen Xeil, ba$ vnigns, bie nieberen @(^i^ten, fonbern aOe ^n^ibibuen
(oweit r>4 on i^ren ÜBotlen, :^onbIungen unb Kerlen bie oben enoi^nte S)enIform
wa^rne^men Ifigt. ') Sin unb für fii^ befc^üftigt bie Soltgfunbe nur mit ben
jeugniiten eine$ S3oi[e^ unb jioaT mcift eineg ihilturbolleg. Um aber bie pfqt^ift^en
Urfac^en bet Stlc^einungen }u ergrünbcn unb ben Slammc^oiattet be< SoKeg feftjU'
fteOen, muffen bie ^araUcierfc^einungen anbetcr Qblter unb befonbetg ber fßatutoilter
Drtgleitfienb unb ertlSrcnb I|rTangejogcn merbcn.
über nid)t nur bag föefen ber Sioltglunbe mäffen wir ft^firfer ju erfaffen fuc^en,
fonbern aut^ iljre äSaterie muffen wir m. anberg einteilcn alg eg gegenwärtig ju ge>
ft^e^en pflegt, hierüber ift um fo mcl^r Slugfprac^e unb Scrftänbigung erwünft^t, alg
nat^ bem folgenbcn Qntwurf bag gefammelte3Ralerial in ber 3entralfleQe gruppiert werben
foD. St^on nad^ ber i£eutung, bie @trad bem S3egriff ber Siollgtunbe gegeben bat,
habe i(b bie Seinbolbfcpe Qlruppicrung nitbt mehr für glüdlitb unb jeitgemäi gcbalten.
Sieben bie „geiftigen Srftbeinungen'' beg iöolfeg im SKittelpunlte beg Segriffeg, fo
mug oon biefen auggegangen unb bag, wag Sfieinbolb alg innere unb äugere 3>t*
ftänbe bejeitbnel, mug mit brr $fb<be beg SfoUeg in 3ufammenbang gebratbt werben.
®ar niebtg mit ber Solfgtunbe ju tun bat bag, wag ibr SScinbolb alg Einleitung
ooraugftbidt : bie pbbrtftb' Erftbeinung beg Sfolleg. Siefe übftbnitte gebären in bag
Eebiet ber Üntbtopologic, unb wie wir unfer Eebiet oor ünne^ion oon feiten ber
92a<bbarmiffrnfcbaften ftbfipen wollen, fo wollen wir autb leinen ünfprutb matben auf
etwag, bag ung nitpt gebärt. 9Xit bemfelben 9)etbte, Wie bie pbbfifiben Erf^einungen
beg Solfeg, fännten wir autb bie Seftbreibung feineg £anbeg, feine Erftbiibte, bie
Statiftil u. a. bereinjieben, wie eg j. 3). Säuttlc in ber Sätbriftb^» Solfgfunbe getan
unb fo bie Sfegriffe Solfg^ unb fianbegtunbe oermengt bot- Erben wir oon brr
Xatfaibe aiig, bag bie Erforfibung ber pfpebifeben Erfcbeinungen beg Sfolleg ben Singel*
punlt ber f^orfebung bilbet, fo ift bie Einteilung ber SRateric m. E. burtbaug einfacb.
ij)ie Sfollgfunbe bot jur üufgabc baptulegen, wie fub $fb<^e beg Siolteg äugert:
1. im SBort,
2. im Elaubrn,
3. in .^»anblungen,
4. in SBerfen.
I. E)em 1. Slbfcpnitt gebött bann an:
a) Sie Spratbe beg SSolleg, foweit wir fie alg Sfollgfptatbe ju bejeitbnen pflegen:
ber Sialelt mit feinen befonberen formen, feinem SSortf^op, feinem Stil.
b) Sic Siamen, bie bag Sfolf fub “«ä feiner Umgebung beigelegt bat: $erfonen
unb Ortgnamen, Slur> unb SBalbnamcn, oollgtfimlicbe Sicr' unb $flanjenbej«(b'
nungen, Warnen für gewiffe Vorgänge im 8eben, wie für ben tob, bie taufe,
trunfenbeit u. bgl.
c) Sie Sfollgbicbtung: Sag SSollg* unb Ktnberlieb, SRäreben, ffabel, Sage,
Dolfgtümlitbe bramatiftbe Si^tungen, bag Sprichwort, bie ^aug> unb $auggerät'
fprü^e, bie Snftbriften ber SRorterln, totenbretter, Erabftrine u. a.; S3ollgbumor unb
Qollgnedereien.
*) 9Bag oon einem 3ü’g<flg iUolfglunbe gilt, gilt natürlicb Oon allen.
glaube begbalb, bag Strad auf bem riibtigen SSege jum Sferftänbnig beg bSefeng ber
iBolIghmbe ift, wenn et oon ber Entflegung neuer Sictjeiler fagt: .Sie Weflepon
ift babei (aum tätig; üffojiationen formeller unb naturriler ürt, bie fub unbeniugt
einfteOen, tun bag meiftr." ($ieff. Slätter I, S. 60).
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II. Sn l^oUiglaube bilbtt ben Ü^ngang ju btni 3. ^aubtabf^nitt. ®om«t
et buT(^ ba< ®oit jum Suibnut (ommt, ge^btl n )u I, foneit n bagegen au8 bn
^anblung, au8 Sitte unb 9rau(^ Ifti(^t> 9u III. mbc^te i^n in einem befonbeten
Kbfd^nilt bebanbelt fe^en. ^reilit^ ift e8 ni^t leitet, eine Sirenje bem Hber»
glauben fc^Iet^tbin unb bem abergliubii^en 9rau(^ ju jie^en. Sa^n finbet man
mei(t biefe beiben Singe getrennt, ben übnglauben jeiiiffen. So miQ j. 8. SBein«
^olb ben tlbnglauben untn bet iHeligion (II, 3) be^anbelt fe^en, bnlangt abn aut^
bei bn Sebenifttlc (II, 1) Slbnglauben bn ^anbmnMbuift^en,
Be^anblung be8 9auem[alenbn8 u. a. Sbenfo finbet >n bem Sntnmif ju oolM>
funblit^en Stofffammlungen, ben mit Stennn jugefc^idt ^at, neben bem ^aufttabfti^nitt
III: „tlbnglaube“ untn II: „Sitte unb Stauc^“ bie Abteilung: „Äbngliubifcbe
StAuc^e". Am beften, glaube it^, fommen mit au8, menn mit einen Untnft^ieb
gmifd^en lebenbigem unb totem Aberglauben matten. Untn jenem Oerfte^e
i(^ aDe 9Soite unb :^anblungen, au8 benen noc^ altn @)lau6e an bie Ab*
bAngigteit beA Wenftben oon bn Au^enmelt, bon feinet Umgebung ffmi^t,
untn bem toten Abnglauben bagegen ben, mo jebe SUaubmAOorftettung im Saufe
bn 3ni ongeffen ift, mo altn tRituA nur in bn bollAtümlitben Sitte fotUebt.
Angang, ZagemAblnei, Zraumbeutnei u. bgl. ftnb Icbenbign Aberglaube, ^AblingA*
unb SobanniAfeun, bn Stblag mit bn SebenArute, baA 6ffen bn Oftnein u. a.
bagegen toter; b>n^ bot fitb <Uln fiult obn SlituA nur notb alA bollAtümlicbe Sitte
nbalten, unb niemanb abnt notb, ba§ biefe einft bn AuAbtud Don QdaubenA*
Dorftellungen gemefen ift. Sabei gebe itb natflrlicb Don bn Sfegenmart auA. Senn
Detfolgen mit biefe DollAtümli(be Sitte in bn 3^1 SurAd, fo (Annen mit mobl auf
3eugniife ftogen, ouA benen autb notb ibt bn IBoUAgloube fbriebt.
Abftbnitt II bDt bemnacb }u bebanbcln ben lebenbigen Abnglouben obn
titblign ben iBollAglauben. t^inbn gehört bn Staube an bie C^nmitlung bn 92atur,
beA ^immelA, bn Seftirne auf bie Seftbide beA Wenftben, bn Snten* unb Seiftn*
glaube, bn Abnglaube, bn fitb an bie einjelnen Zage beA SabteA, on bie ^auftt*
neigniffe im menftbliibtn Seben, an bie einjelnen StAnbe unb Setufe tnflbft, bie
DoUAtilmlitbe fteillunft, fomeit fie im Abnglauben mui^elt, bie ^opbtli(> bn 3aubn
u. bgl. Abn au^ bie DollAtflmlitbe Auffaffung Don Sott, Seit, IReligion, bem Seben
nach bem Zobe, bie bon bn Sebre beA tbtifilitben SogmaA Dielfatb abmeitbl, gehört
in bieA fiapitel.
3n Abfibnitt III finb bie Äugetungen bn iiloltAfeele buttg bie .'panblung gu
grubbinni. St banbeit alfo Don Sitte unb Stauch »nb jmat:
1. in bn fojialm Sneinigung beA SolteA (in bet ^milie, im AHtagAleben,
bei befonbeten Sreigniflen, on ben gefttagen; unter ben oetftbiebenen AlterAUaffen,
ben Detfcbiebenen SefeQfcbaften, StAnben, Serufen) unb
2. in bn Sneinigung, bn Semeinbe, bem ftaatlicben 3uf‘><”i»nt'
feblug. $inbn geböten Dot adern baA DolfAtflmlicbe Setgt (SeiAtilmn) unb bie
SlecbtAgemobnbeiten (^auAniatfen, ffnbbolj u. a.), bie auA bem SlecbtAgefiibl beA
SoKeA bnauAgemaebfen fmb.
Abfcbnitt IV enblitg fammelt bie Äugetungen bn SotlAfeele in ben Snlen,
ben Stjeugniffen DoKAtAmlitbn Arbeit. $in lommen in Setraegt:
1. bie Sobnung ($auA unb ,^of) mit ihrer Sinriebtung unb AuAfdgmiidung,
mit fbten SnAten, bie für ben AdtogAbebotf unb gut Srboltung beA SebenAuntn*
balteA notmenbig gnb. Sefonbne Seaegtung Dnbient babei bie SoKAlunft unb bie
DoUAtfimlitge ^auAatbeit;
2. bie Üleibung (bie AdtagA« unb gefttagAtracgt, bn Detfcgiebenen AltnAftufen,
bei befenbnen Selegengeiten, bn Stgmud u. o.);
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3. bie Sta^rung ((^atalteriftifc^e Sbrifen in beftimmten Qiegenbcn, ju bcftimmtm
geittn, bai bolKtümlic^e (Bebid u. a.)-
boi>( SBor^ergebcnbrn berfuobt, boj SBtfcn bn %JolMfunbe aug b«m
Waterial, wie rt in btn Bttjcbicbfnnt BoU^tunblicben 3«tf(^riftcn Borfiegt, ju rrtlSmi
unb alj baä aubfcblaggebenbc bie affojiattBe Sentweife beb SolteS gefunben. 8llf4,
tso4 inbiBibuetle unb rcfletticienbe (Sieiflesatbrit bcbingl, ift bemnat^ Bon b« Soltl*
tunbe augjufc^licgen ; fobalb roir bicfe (hjcugniffe mit l^ereinjieben, fteucin »ii in<
Ufeilofc. Sluf aQe $^äQc boI><n ^ iBotlilunbc nui mit SrjcugntfTen
bfp^if^ei ätorginge jii tun. 0uf (Krunb biefet Xatfac^e f(^nt mit bie b>er Borge«
ft^lagtne Qlliebming bc4 äßatcrial^ nicht nur »ünfchentracrt, fonbem gerabeju not«
menbig. SelbftBrrftinblicfi bejirben fich bie {(ubffibrungen nur' auf einen Xeil be<
wiffenfcbaftiicben SetriebS ber $olIbfunbe, auf bie 33egren}ung unb ^rubbierung beb
Waterialb. %uf bie gefchichtüch' unb bft)<bfi08>f<b< Srflfirung ber (brjeugniffe beb
iBoltbgeiftee , bie ber miffenfcbaftlicbc Setrieb ebenfaUb erbeifcht unb bie ftamm«
beitlicbe Sollbtunbe jur Bergleitbenben macht, tann icb b'^ ebenfo wenig eingeben
wie auf bie Aufgaben, bie ber Solfbfunbe für bab b<^oiiif<be, befonberb bab fojiate
Seben ber Qtegcnwart crwacbfen. 2)agegen mbcbtc icb bie 3ßetbobe Bollblunblicbet
^orfcbung, foweit fie bab Siaterial betrifft, noch turj berübren.
3>ie meiften Arbeiten, bie auf Bottbtunblicbem (Gebiete in ben lebten Sabren
Berbffentlicbt worben Tinb, fmb Stofffammlungen, bie fub auf ein territorialeb Qtebiet
befcbränien unb bie nur bab bringen, wab gegenwärtig noch im Solle fortlebt. 3u
folcben einfachen Sammlungen gehört leine wiffenfchaftliche Oletbobe, fonbem nur
Xreue in brr bSiebergabe. Stwab anberb liegt eb bei Sferlen, bie innerhalb rineb
örtlich abgegrenülcn (Sebieteb beftimmte Srjeugniffe beb Solleb: Sagen, Sitten unb
(bebröu^e, Wätfel u. bgl., abfchliehenb geben wollen, ^ier wirb ni. ®. mrift ju Bor-
eilig Beröffentlicht. ^uxuerlei Bermibt man bei biefen Sublilationen nur ju oft:
1. bie Serfolgung brr örtlichen Aubbebnung brr 3eugniffe unb 2. bie IRätfoerfolgung
brr 3mgniffe in ber 3(<l unb ibreb $9anbrlb innerhalb brrfelben.
©ewiffe ttrjeugniffe ber Sollbfeele finb allgemciu; fie erftreden fuh über ganje
^0Bini;en, ganje SSnbrr unb laffen ftch auch bei anbrrn Söllern in ähnlicher Ser«
breitung nachwrifen. Anbre bagegrn finb auf engere Greife, auf Xeile einrb Sanbeb,
einjrlne läler, ja juwrilen fogar auf rinjelne Ortfchaften befchränlt. ^ier unb ba
lönnen wir ein fprungbafteb Auftauchen ber 3tugniffe wabmebmen: fte begegnen in
ganj Berfcbiebcnen ©egenben, jwifeben benen fich leine Spur beobachten lä|t, bie fie alb
Überbleibfel einer früher jufammmbängenbrn Kette erllären lönnte. Xabei ift eb Bon
ganj befonberer SBichtigleit, wenn fich ©rjeugniffe Bon Berfcbiebenen ©ebieten ber
Sollblunbe in gleicher terri*orioler ©ntwitHung Berfolgen laffen, wenn fich i- S- fefl»
ftellen Idftt, baS bie ©rensen beb Xialclteb mit ben ©renjen gewiffer 5>aub«, öeröt«
unb SchmudthBen ober beftimmter Sitten unb ©rbräuchr, ja felbft mit benen oon
Sagen unb Sollbliebem äufammenfallen. ®ie Crfnbrung bat gelehrt — ich Bermeife
auf bie Seobaebtungen Bon fflallee, 'Jlbainm u. a. — , bah man burch folcbe Ber-
glrichenbe Wetbobe ju recht bebeutenben Ccgebniffen tommen tonn, burd) welche bie
Sollblunbe zugleich in ben Xienft ber Botrrlänbifchen ®tbnograpb>b unb ©efebichte
tritt. Xebbalb ift, wob man leiber in unfern oollblunblichcn Sammelwrrten faft
burchweg Brrmiht, eine Serfolgung beb Aubbreitungbgebietcb Bollblunblicher 3*ugnijfe
unbebingt notwenbig. Sie ßrgebniffe laffen fich om flbcrfichtliehften barftellen bure^
eine Karte, aub ber bie ©tenjen ber Sfugniffe fofort erficbtlich finb.
Sin weiterer Jebler, bem man bei boltbtiinblidjer Jorfchung böufig begegnet,
ift bie Sefchtänlung beb ÜKaterialb auf bie äc^ugniffe ber ©egmwort. Jebeb einzelne
Jeugnib ber Soltäieelc ift ein pfBchifcheb unb biftorifcheb Srobutt. SSie olleb bem
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®onbfl bet iJeiim unterroorfen ift, (o finb e-i auc^ bic SJolIaferif unb i^w ISijeufl«
nifff. OTanc^e«, baä »oir ^fulc jum fcften 4<eflonb ooltatunbliditr Jorii^unfl rt^nen
— ftinncre an bic Trat^tcn, baa S!3eil)iia(^t«feft, ^iftorifi^e SJolfaiicber — , ift in
naibraciabacct ^eil enlftanbcn unb ^at fic^ in bet tmmet tätigen Sollälcclc bietfa^
bctänbcit. Dicfec (liftorii^c Sntraitnungaprojcg ntu6 Dcrfolgt unb flatgctegt nterben,
wenn wir bic $ol($(unbc uoii einem (ebrreic^en SbDit, wob fw ^eutc notb oielfatb ift, ju
einer ernften SBiffenjefjoft erbeben wollen. Um in ibn aber einjubringen, müffen junädift
bie ooUafunblitben 3(ugnif{c aus Sibt^iftitüden oergangener auS ben
föerlen ber SibtiftftcDcr, 3fitf(fitiftcn, Urlunbcn, ©riefen u. bgl. auagejogen unb ge-
fammelt werben, Bon ßäfot unb lacitua bia ju ben ©tbriftftüden ber jüngften Cer-
gangenbeit. $ier ift noch ein weitea ürbeitagebiet, benn nur wenig ift in biefei Ce-
jiebung getan (bie Slrbciten Bon 9(. Xauffmaim, Bicbrecbt, ©^Cnbatb u. a. (innen
aia Corbilb bienen). Biber bie BIrbeit lägt fub bewältigen, wenn nur mit Bereinten
Sriäften ber (finjelBercine blnnmäbig unb energijtb Borgegangen wirb. 92ur barf man
nic^t Bor ber 3eit tiiit ber Ccrarbcitung bei SKateriaia beginnen; ber (Grang nacb
oorieitigen ©ublitationcn ftbabel mehr, aia ba§ er bic ©acbe fbrbert. Sie Creiibifdte
Blfabcmie ber äBiffenftbaften mag unä Corbilb bienen: fie febafft junäcbft
getreue Bluagaben unfrer Stbriftfteller, bie cinft bei ber Cearbeitung cinea großen
bctitfd)cn Sirterbiuba bie (Itrimblage ber ©ammeiarbeit bilben foQen. Crntcn wir
au(^ nid|t bic gräebte unfrer Blrbcit, fo befteOen wir boc^ baa ^Ib in einer Oeife.
bie jutünftigen Stejiblei^tcrn reii^en Srtrag ftcberl. ®rft wenn bie 3eugniffe früherer
3eiten jufammengetragen unb mit benen ber Qfegenwart oerinübft finb, lä6t fn^ in
ftreng b'floriMer Cletbobc eine SarfteUung bet beutfeben Coliafeelc in ©ptatbc,
Qdauben, ©itte unb Craueb unb Serien geben unb frember ®influ§ oom beimifeben
ßfut fibarf f^eiben.
Um bie Bielen unb großen Aufgaben, bie bem Cerbanbe beborfteben, erfiUfen
,tu (Bnnen, mäffen wir junätbft bana^ traebten, möglicbft alle Cereinc, bie bie Bolta-
fnnblicbe gorftbutfl auf ibr ©rogramm geftbrieben haben, in unfern Cerbanb berein-
jujicben. Sa mu6 aQea aufgeboten werben, um .^inberniffc, bic jwiftben bem Cer-
banb unb bem einen ober anbern Cereine fteben, ju befeitigen. Oua ben 81(tcn ergibt
ficb nun, bo6 bie $ibe bea jäbrlitben Ceitraga jiemlitb Biele Cereine abgefebretft bat,
in ben Cerbanb einjutreten. Sir boffeu, bo6 Tub ein anbrer Sobua ber Ceitraga-
jtablung finben lägt, bamit biejet wenigftena (ein l^inbernia mehr fei, fi<b bem Cer-
banb anjugliebetn. f^reilicb mügte man bann barauf ftnnen, bem Cerbanbe auf anbre
Seife Sittel jujufübren, benn mit ber Btuabegnung bea 9(rbcitagebietca watbfen autb
bie Bluagaben bea Cerbanbea. ®. Sogt.
6ine internationale Vereinigung vothskundticher Verbände.
Säbrenb wir no^ in ber Sntwitflung begriffen fmb, gebt una brr ©lan ,vi
einer internationalen Cereinigung ber Cercine für CoKalunbe ju. Sag una oiif
biefem (üebiete wiffenftbaftlicber Hrbeit anbre CiSller Boraua finb, weig jebet, ber bic
Cerbältniffe (ennt. Saa bat nitbt aOea figon bie engliftbe Folklore Society geftbaffen!
3n ben flanbinoBiftben Sänbem gibt ea ftgon länger an ben Unibrrfttäten fiebrftäble
für Bol(a(unbli(bc 5orf<buu0- ®oa b'er aua gebt autb bet Slufruf jum 3ufommenftblug.
3m Bergangenen Sommer reifte Raotle Ärogn, ber befonnte ttalcwaloforftbet
unb Ctofcffot bet gnniftben CoKalunbe in ^elfingfota, buttb ©(onbinoBien unb
Seutftblanb, um fitb mit Certretem bet Coliafunbe, befonbeta mit 8. CIri( in fiopen-
bogen, übet biefe Sngclegenbrit tu befbreeben. tlrobn unb 8. Olrit haben nun einen
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(innouif ju rincm internationalen „groUloiiftenbunb" aufgefteDt, bei bie Vertreter bn
IBollbtunbe in ben Deriibicbenen Sinbern einanbei nfi^ei bringen unb oor allem bie
fortnA^renbe SBieber^olung berfelben Srbeit befeitigen foU. 9Ber jemolb auf bem
Gebiet bei Dcrgleic^enben QoUAIunbe gearbeitet ^at, nici§, mie ftbmierig iS ift, fu^
bab Waterial jufammen ju fuc(|en, eb ju erlangen. !t)ei foldier Arbeit »iQ bei 31er*
banb unteiftübenb unb beiatenb eingteifen. (ir will ttataloge über iDiaterial bei oer*
fd)iebenen SAnbei ^eranbgcben, will Abft^riften, Aub}üge unb Übrrfe|ungcn gegen
mAtigcA $onorar »ermitteln, wid)tige wiffmfc^aftlic^c Arbeiten unter feine gtttidte
nebmen unb in einer leid)t jiigdnglicben Spracbe oerbffcntli(f|en, bunt) f>eriobif(l)e
3ufammen(ünfte bie oollblunblitbcn Scftrebungen in ben einzelnen SAnbcm förbem
unb bie Arbeit bertiefen. S)ic Angelegenheit bepnbet fub erft in ben Anfängen ber
(Antwidlung. Aber ich holte eb fär meine Pflicht, unfre Witglieber fdjon heute barauf
hinjuweifen, ba wir mbglitherweife bereitb auf ber berliner Xagung ju ihr Stellung
nehmen mfiffen. Wog!.
Zum alt9«rmaniTcbcn CoTen.
3n )wei AuffSgen: „Über bab gemianifiheSoofen“ (Wonatbber. ber figl. Afabemie
ber Atiffenfthaften ju Berlin 1853) unb „Xie SoobftAbihen" (Symbolac Bethninnno
Hollwegio oblatae; €. 69 ff., Seil. 1868) hat ^orncher bab altgermanifthe Dofen burcl)
bie HaoelftAbthen im 3.<ol!bbrau(h nathgewiefen. Xie angeführten 3eugniffe ftammen
faft alle aub 92orbbeutf(hlanb unb Sfonbinabien, teinb aub Obeibeutfihlanb. Solltm
fiih hier gar (eine Sfeifpiele biefer altgemianifchen Sitte im fRechtblcben finben?
31ielleicht ftedt bab eine ober anbre in feltenen ober berfthoQenen Sthriften. Sollte
fith hier ober ba noch ber tOrauch erhalten hoben, fo wfire ith für eine Witteilung
fehl banlbar. !6eionbeib lommt eb hierbei auch mit barauf an, ob ruh «o<h irgenbtoo
rin 3ufommenhang mit ben Saoelftübdhen unb ben tpaubmaiten nathweifen lügt, b. h.
ob bie Xeilnrhmer beim ffooeln Tuh ihter ^aubmaifr bebienteii. *. Wogt.
Hufforderung.
Xie einjelnen Seieine beb tßerbanbeb werben gebeten, unb möglithft balb
'Jiamen unb Abreffe ihieb Borfibenben bejw. Sthriftführerb, fowie bie Witglieberjohl
beb 31eieinb jufommen ju (affen. Auch wären wir banlbar, wenn man unb auf
Vereine h>nwiefe, bie ebenfaUb bie uollblunblithe Überlieferung pflegen, aber noth
nicht bem SSerbanbe angegliebert hoben. Xiefe fowie ade übrigen Witteilungen im
^ntereffe beb lOerbanbeb beliebe man an bie Abreffe beb Sehriftführerb, Dr. Cbfar
Xähnharbt, Bripjig-lüohlib, Warbathflr. 9, ju richten.
Xieienigen 31eieine, bie ben Sahrebbeitrag für 1907 noch nicht eingefanbt, bitten
mir, benfelben möglichft bolb on unfern Siechnungbführer, $erm Dr. $antcniub,
Seip5ig-9i., Sreitlopfftr. 7, gelangen ju loffen.
£4r1ttlcituna ; Dr. lätnliarbt, Seiwtj-iitoljlU, »tatliacWroSt ».
eu<(btu<tnd SMciorb pobii (p. Otto), tteibiila.
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des Verbandes deutfcber Vereine
fUr Volkskunde
nr. 7. (RomfpondcnjbUtt) loli 1908.
Programm
dar }w*it*n Cagang des Verbandes deutfcber Vereine
fQr Volkshunde
®ie jjoeite Sagung beä Serbanbe« toirb am
z. unb 3. Oktober 1908 in Berlin
mit folgenbem ^rogromm ftattfinben:
freitag, am 2. Oktober, abends 77, Ubr:
BegrkBnng mit ißorfU^rungen voIIitIunbli(^er Ülrt in bec
flieffource jur Unterl^altung, Oranienburger ©tr. 18, na^e bem
ÜJIonbijoupia^ unb bem @tabtba^nl)of Sörfe.
Sonnabend, am 3. Oktober, vormittags 10 Qhr:
Qiefc^äftlic^e Beratung der Hbgeordneten in ber Sieffource:
1. @ef(§äftä= unb Med^nungSberid^t beä Hudfc^uffes.
2. Serid^t über bie aufjeii^nung ber beutfc^n ißolfälieber.
3. Seri(^t über bie geplante ©ammlung non 3<iuberformeln.
4. tJrtage ber
5. ®enffd^rift unb Petition an ben SWeitbäfanaler.
6. grage bet anglieberung an ben ,3ntcrnationaIcn Sunb foltlo-
riftift^er gorft^er FF.“
7. aJünf(^c unb Slnträge.
3u 1 unb 2 beantragt ber 9luöfc^u6: ®ie eingefe^tcn 9luS’
f(^üffe bleiben hefteten. IBiS jur @rri(^tung einer
für SSolfSfunbe pnb bie ÜJlanuffripte an bie betreffenben 93or»
fiftenben einjufenben.
8. iRä(|fter SSerbanbStag. 93orf(^Iag be§ 2lu8fd^u(fe8 : 1909 in ©ras,
im 8lnf{^Iu6 an ben bort ftattfinbenben ©rften flongreg für fad^<
lic^e Siolfötunbe.
9. Üteuroa^I be8 9Iu8f(^uffe8.
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9tn biefen ®erl^anblungen fönnen no(^ § 8 ber ©Ölungen auc^
ni^t abgeorbnete 9)KtgIteber ber Sinjelvereine unb SInftalten mit
beratenbcr Stimme teilne^men.
»
Qm 12 Qhr: Kleine Vorträge.
1. IBortiag beä §emx ^rofeffor Dr. §auffen au8 5ßrag: Über baä
SoIfSlieb in Öfterreic^ unb feine Dorbereitete ^»etaxtSgabe.
2. SOortrdg be8 §erm ißforrer Dr. ©d^uIIernS au8 ^ermannftabt.
Qm 5*/t Qhr: Öffentlidie Verfammlang in der RelTonrce:
©inlextenbe Slnfprat^e be8 §erm ^ofeffor Dr. SKogf.
SJortrog be8 §erxTX ^ofeffor Dr. ©,i e b S • 0re3lau.
9iac^ ben 0orträgen feTtmabl unb barauf volhshundlid»
Huffäbmngen.
ainmelbungen jur leilnabme werben bis jum 12. September bei
ber 0erIagS^aixbIung 0e^renb & So., Seriin W. 64, Unter ben
ßinben 16, erbeten, unb jroor unter Beifügung »on 4 SDlf. für bie
ißerfon, wofür bos trodene ®ebecf beim fjefteffen unb bie xjoIfSfunb=
lid^en Borfteüungen geboten werben. ®enaue Eingabe ber Slbreffe
ift wegen Überfenbung ber fjeftfarte notwenbig. Mn bie girmo
Be^renb dt (So. bitten wir auc^ aQe etwaigen Mnfragen ju richten.
®ie leilnal^me am BerbanbStagc fte^t ^>erren unb ®amen frei,
gür bie gü^tung burd^ SRufeen unb §u fonftigen @e^enSmürbig=
feiten wirb geforgt fein. 9Bie ber Berein für BoIfSfunbe in Berlin
mitteilt, l^at ©eine (SjjeUenj ber §err ÜJUnifter beS Unterrix^tS gern
in Mu8fi(|t genommen, einen Bertreter jum BerbonbStoge ju ent=
fenben. ®er genannte Berein wirb fpäter nod^ ein genaueres Bro«
gramm an bie BerbanbSoereine fenben unb i^nen auf SBunft^ jebe
erforberlid^e Don (Jjemplaren jufcfiicfen.
®er gefc^äftsfü^renbe MuSfx^ug
beS BerbanbeS beutfx^er Bereine für BotfSfunbe.
HlUrtfimUch* rschtsTymboUfd)* I^andlung bsi ToU|ug
der Strafe fSr Red>t5venveigerang.
ISS ift ein befannteS ®tfc|) ber luItiirgefcbicbtHcbcn (Sntniidlung, bab boS
ÄbftraftionSoemtbgcn mit ftcigciiber gxittur ^unimmt. ®iefe ®cfamterf(beinung
finbet man notßrlict) autb im MetbtSicben nrieber. Bieberc fixilturen finb
nod| nUbt imftanbe, abftrofte MeebtSibeen unb MecbtSbanblungcn rein abftraft
}u faffen bejm. ju öoDjieben. ®ie ^b« nxuft noeb burtb einen finntixben
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3
SJorgang bargeftcHt meiben. gennanifc^e in alter it»
SRittelalter ift ttic^ an re^t^f^mbolifc^en S9räu(^.
ba< rBmifc^ ftuItumoK genügte SBertrag unb Übergabe, um fiauf
ober S3erfauf non ^mntobiUen re^tüfrfiftig ju oolljü^en. 9Hc^t fo beim
germanifc^ ^olbfultunolfe. ^ier mugte ber Serfthifn bem fi&ufer einen
^atm, ein 91afenftücf, einen @tu^I überreichen, fehlte biefe fhmbolifche
^anblung, fo nur bä ftauf nicht rechtölräftig. 0ot^e f^mbolifc^ ^n^
langen hoben fich biü in bie Sieujeit erhalten. 2)ie Überreizung bä ^almB
unb anbre 8<^tmonien bei 3o>>»oWIinrt)erfauf mürben im Xrierfchen erfl
burch boB Sanbrecht oom 3ah<^ 1668 allgemein abgefchofft.
Unü fotl hi^ @rupt>e rechtüfbmboUfcher ^anblungen befchäftigen:
bie, melche beim SoQjuge ber ®äa^ für ^echUbermeigerung ooQjogen
mürben, ^n altgermanifcher 3”t erfolgte bie fogenannte f^ebtoBlegung;
b. h- bem @chulbigen mürben alle SDÜttel gum Seben entjogen; fein ^uB
mürbe niebergeriffen, fein Xor oerbfdhlt f^" 9)runnen oerfchüttet, fein Seuer
auBgetöfcht. S)ie (äitjiehung ber unentbehrlichften (Sgiftengmittel gmang ihn
gum Scriaffen ber ^eimat. 3)ie (Skmeinfe^ft flieh ben auü, ber ihre alü
heilig geaZtete 9leZtBorbnung mihachtete. iffiir hoben eB Ifitx niZt mit
fqmbolifchen |ianblungen gu tun, fonbeim mit realen ^anblungen, beren reale
Solgen in oollem Umfange beabfichttgt maren.
3n Duellen beB auügehenben SDHttelalterB fehren biefe ^anblungen mieber,
aber in abgefchmöchter gorm; unb bie reale ^anblung hot nun teilmeife
einen f^mbolifchen (Sinn.
^aü Zor mirb nicht mehr oöDig Mri>fählt; ober nach bem ^eUtum
oon freugnach mürbe noch bem, ber fich meigerte, ben ^bginü gu geben,
ein @tecfen bor bie Zür gefchlagen: fo oft er barüber ging, gahlte er bie
höchfte guldfftge Üklbftra^, 60 Schillinge. Z)ie 3>oangümahregeI muhte
natürlich halfen.
(Sin bermanbteB Sferfahren berichten bie SieiBtümer bon Säacharach:
Sehnt einer bie ffiahl gum (SchCfftn ab, fo gieht ber @chuttheih mit gmei
Schöffen einen gaben bor feine Zür. So oft er ober fein @eftnbe über ben
gaän ober auf baö (Srbe (= 89efih an glur) gehen, gahlen fie bie hbehfk Suhe.
!Bom SHeberreihen beö ^aufcö oerlautet nichts mehr; aber aus ben
lujemburgifchen Stäbten 9lemich (1462) unb (S^ternaZ erfahren mir,
bah bort mit (Beihilfe ber !^rger bem ber girft beS ^ufeS entgmeigehouen
marb, ber ftch ber $fänbung burch txo gefchmorenen (Sieric^sboten miberfchte
begm. baS ^anb miberrechtlich mieber an fich nh.
iBom (Berfchütten beS SBrunnenS ift niZt mehr bie Siebe. Slber nach
bem SSciStum bon ^armSroth unb (Senheim (fmnSrüd, 1608) mürbe
iSaffer unb SBeibe unb Slnffiruch auf ben (Semeinbemalb bem (auch
SiaZtommen) entgogen, ber feine ißflicht gegenüber ber SRarlgenoffenfchaft
nicht erfüllte.
gn gilsborf (Su^emburg, 1601 — 1603) fehiette man oiermal eine
Vufforberung an ben $fanbmeigerer. gebeSmal muhte er !0uhe gahlen.
@ab er niZt nach, bann mürbe ihm SBaffer unb 3Seibe oerboten. ^If
auch baS noch oiZt, fo mürbe er auSgemiefen; unb gmar mürbe ihm babei
baS geuer auSgefchüttet. $ier finben mir alfo ni>4 baS obenermähnte
altgermanifche Verfahren an. @s mar baS äuherfte rechtlidhe 30’ongSmittel.
ä)iir fZeint, bah baS geuerauSlöfchen nicht bloh eine f^mbolifche 93egleit>
hanblung mar. geuer mar bamals oiel fchmerer gu erlangen als jeht.
■c^I‘
4
Sntof4 (4, fo ^olte man e4 nom ^rbc beS 9ta(^6ar4. XXt ißfanbmeigem
erhielt nun gemi^ bon niemanb Stuer. nfitige Slement mar i^m im
3)orft entjogrn. 2)ie realen folgen be4 redbtbfbrmlit^en Sudlöfc^enS fc^on
jmangen i^n jum IBerlaffen beb ^ufeb unb beb Orteb.
Stellte fic^ ber SJtörber ober Zotjcbläger bem ®eri(^te nü^t, fo trat
bab „SBerjelen" beb Siec^teb ein, not^ nac^ bem Slutrec^t bon Sacbaraib
(bor 1350). Sb erfolgte in fbmbolift^er gorm: nach fräntifi^en 9le(^ten
fc^mang ber Slic^ter im tBoltbgerit^te feierlich bie Sadel ober er jerbra^ ben
Stab. 9ia4 bem angeblich Süheingauifchen Sanbrecht (14. mürbe
ber flüchtige virzalet (althochb. Hrzellan = berieten) mit ffler und mit
braut. ®er fo SBerurteilte mor recht- unb ehrlob. ®ie Oefibpten beb
Getöteten „binnen achter susterkinde“ tonnten ihn fihlagen; fdhiugen fie
ihn tot, fo gahtten fie nur eine geringe Scheinbu^
X^r hbixn OueHen aub ber 9ihnngegenb angeführt. SBir finb
aber in ber Sage, auch äkittelbeutfchianb menigftenb einen 83e(eg gu
bringen.
Sdb meftbeutfehe unb nieberlönbifthe ISauem feit bem Anfänge beb
12. :3oh>^hun^rtb fich bftlich ber Saale unb (Hbe nieberlie|en, ho^cn fie
offenbar auch h^»*<f<^ diechtbfitten mit eingeführt. 3" @ohIib bei Seibjig
haben fich neben ber flamifchen Sebbiferung bermutlich Sitämen angefiebelt.
Menigftenb galt bort bab blämifche Erbrecht bib gum ^ahre 1720. !Cort
finben mir aub fester 3nt noch ein-3cugnib für einen altertümlichen rechtb-
fhmbotifchen Srauch beim Ißollgug ber Strafe für Stigachtung ber 2)orf>
orbnung. 92ach ber 3)orforbnung bom 3<>h>^ 1667, bie ich i&ns^ (>" berberbter
^anbfehrift) fanb, foD bem ^ofeigentümer, ber gur Sermaltung beb @uteb
gegen bie Z)orforbnung eine unbelannte, nicht bertrauenbmürbige Verfem ein-
fe(t, „bie ^offtatt bergraben unb er aller nachbarlichen f)freiheit unb
©erechtigfeit fo lange entfett merben, bib er ber ®emeinbe nach »Oem mohl
hergebrachten S3rauch einen ehrlichen unb untabeligen 9Rann oorfteUen . . . tut*.
(tx ging alfo beb ünrechteb auf Sluhung beb ©emeinbeeigenb (SBaffer, SBeibe,
ebentueü SSalb) unb ber 92achbarrechte berluftig. Sr ep^erte nicht mehr
für bie ©emeinbe (mie oben nach Sieibtum bon Silbborf). SQmboIifch
mürbe bieb in ftnnenfäHiger SBeife burch bab Vergraben ber ^offtatt ange-
beutet. %uch bie realen 92achteile finb gu beachten: 3)er ^gefchloffene tonnte
nicht mit bem SBogen ober mit Äctergeräten ben |)of berloffen.
fllfo auch i^flOch ber Saale finben mir mittelalterliche rechtbfhmbolifche
^anblung bor, unb noch in ber gmeiten ^filfte beb 17. ^h^^hunbertb!
SBir erfahren aber noch mehr. 3m 3“hK 1720 mar ber ©rauch
gefchmunben. X)ie im mefentlichen fonft mit ber bom 3ohi^ 1657 gleich-
lautenbe Xorforbnung bom 3<>hi^ \T2Ü lägt ben ©affub meg: „bie ^of-
ftatt bergraben.* Sie fagt nur, ber ^ofeigentümer foKe aller na^barlichen
Freiheit unb ©erechtigteit fo lange entfett merben ufm. Sie fügt aber ba>
für neu Dbrigteitlicheb ©ut^finben."
2)er Hergang ift offenbar biefer: 3bgmifchen ift bie betreffenbe rechtliche
Munition bon ber !Corfgemeinbe an bie 2)orfobrigteit übergegangen; unb biefe
hat ben ihr fremben boltetümlichen ©rauch befeitigt, nicht mehr beachtet.
Cin meitere« ift gu beachten: 3” bw gmeiten ^Ifte be« 17. 3ahrh“n'>*rt*
begann man oon oben f)tx, mohl unter bem Sin^uffe be4 römifchen diechteS,
alte 9Iefte be4 ooltbtümlichen beutfehen Stechtcb abgufchaffen. Sie maren
ben 3»riften unoerftönblich, finnlod. Sen 3mdften fehlte bag hlßomfchc
6
S3crflänbni4. ®o erfläTt fic^ mo^t bie bSDige Oefeitigung bei rec^tsf^mbolifi^en
9räu(^e bet 3minobiIiaro^ouf burt^ ba« Xtierfc^e Sanbret^t 1668; baS
Huf^örtn beS SBergraben2 bei ^offiatt jWifc^en 1657 unb 1720 in (&o^iS.
HId ttKÜenr Seleg mag bie ^tatfac^e bienen, bag in einem Seif^jiger Siats«
borfe 1684 ober 1685 boi ben ^uriften ^ijiorifi^ unberftinblii^ blömift!^
9Ied^t burc^ ben (Sinflug non fünften unb nai^ einge^olter ret^tlit^er dz-
tenntnis bei hirfürftlii^en ©c^öppenftu^IeS in fiei^ijig jmangSueife al4 ju ber
„Untert^anen 8iuin reit^nbe übele ©emo^n^eit“ abgeft^affi mürbe.
Lic. Dr. SWatlgraf'SeiiJjig.
6rTt«r Kongreß für facbUchc Volkskande
September 1909 in 6ra{.
?iu« einem Äufnif, ben ^«rr ^ofrat Dr. ©djuc^arbt unb ^err ^rofeljor
Dr. äReringer non ©raj au4 im ^onuar biefeS 3a^ie4 oerfanbt ^aben, teilen
mir fotgenbed mit:
„3m ©ebtembei 1909 finbet in @ia) bie 50. iBerfammtung beutfe^er
$^iIoiogen unb @t^u(m&nnet flatt. 3)iefer mic^tige @ebenftag gibt
Seranlaffung, ben ®Iicf auf Sergangenbeit unb 3utunft )u lenten.
@«bon @rimm bot „SBörter* unb „Sachen" in einem Ätem
genannt, aber erft bie legten Sagte gaben jur ftaren Srtenntnid gefügrt,
bag bie Spraegforfegung ber Saegforf^ng al4 notmenbiger (Srgänjung
bebarf, bag bie Stgmologie ber ^ntntö ber „Satgen" niegt entraten
fann, bag baS, ma8 bie ürcgäologie für bie Haffifcge ifjgilologie bebeutet,
in entfpreegenber äBeife aueg für bie anberen pgiiotogifcgen ^idjiplinen
gefegaffen merben mu^.
!I)ie facgiiege tBoIf^hinbe bietet ba}u bie SRittet. ^edgalb moUen
bie Unterjeiegneten aI3 (Srgänjung be4 71rbeitdplane4 ber 50. iBerfammtung
beutfeger ^gilotogen unb Scgulmänner bie iBilbung einer Settion bean«
tragen, roeldge bie gorfegungen übet bie „UrbefegSftigungen" (Äderbau,
gifegerei, |>irtenmefen), über bad $au4 unb feine Geräte fomic über
bie im ^aufe geübten ^eegnifen (9iügen, Spinnen, giecgten, äBeben ufm.)
jum Oiegenftanbe igrer SBerganblungen maegen foü.
Xie ISefegränfung auf biefe !l;ei(e ber adgemeinen SSoIfdhinbe ift
barin begrünbet, bag bie berügrten gragen }urjeit im ÜRittcIpunfte
bc8 3ntereffeö — aueg für bie S^ule — ftegen, fomie ferner bann,
bag tS unmöglich ift, ber ganjen ungegeuren dieicggaltigfeit ber SJoIIö*
lunbe in bem gegebenen Magmen gereegt ju merben. ^ie iBilbung
einer eigenen Seition für bie facgIiege SoIIötunbe empfiegit flcg aueg
beömegen, meil igre @egenftSnbe niegt mie bie geiftigen (£rjeugniffe ber
Solföfeele (Sagen, URär^en, Sräuc^ ufm.) in ben anberen Seftionen
jur Sefpretgung gelangen lönnen."
SBie mir gören, ift injmifcgen eine genügenbe Slnjagl
crtiärungen bei ben |>erren JBerfaffem biefeö Stufmfeö eingelaufen, fo ba| bie
Silbung einer befonberen Seftion gefeegert erfegeint. SBir begrüben hm aufeer»
orbentlicg banlenömerten ißlan alö einen neuen Segritt oormörtö unb bitten bie
SRitglieber beö Serbanbeö, bie Saege ber @rajer bung jaglrdcge ^teüigung
ju unterftfigen.
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6
ffitc hn lebten ^fte unfcrcr 9Ritt(t(ungm befannt gegeben mürbe, ijt
ber $Ian einer internationalen Sereiniguug aller ißereine für S^oßStunbe im
ffierfe. tiefer ißtan ift burc^ unfere finniie^en unb ffanbinaoifc!^ Sa^genofen
jur Xat gemorben. 3He folgenben ^c^nitte bringen bie Aufgaben unb 3iclc
ber Sertinigung.
6rru iDitteUung
des folkloriftifthen forfcberbutides »FF‘*.
^ie ©ammeltütigteit auf bem ooßüfunblic^en (foinoriftifc^en) Gebiete
mü^renb ber lebten ^a^rje^nte ^at eine unüberfe^bare 9Raffe miffenf(^ftli(^
HRaterialeü gufammengebrac^t. 9ti(^t nur bie intenfibe Arbeit organifierter
Stefedfe^aften, fonbem aui^ bie Seifhingen eingetner $erfonen meifen ftaunene'
merte JRefuttate auf. Sraui^ iif ben Stamen beü grbgten @ammlerü beutfe^er
Solfüfunbe, Dr. diii^arb SBoffibloÜ, gu nennen, melier in ber anfpnul^>
lofen Stellung eineü @gmnafiane^8 in ber fleinen Stabt SSaren über 700
Sanbüteute gur Aufgeiebnung metflenburgifeber Überlieferungen angefeuert bat?
Ober foD itb beS oerflorbenen eflnifcben $afiord Dr. ^acob ^urtü er«
möbnen, meteber über 100000 Seiten SRanuffeibt bon girfa 1000 b<tfn>ben
^nben binterlieb?
Sag biefer faft unenbliibe bleiebtum bon Sotumenten eine breite unb fefte
@runbtage für bie uergleicbenbe Sotfütunbe bilben mirb, ifl eine augenfibrin«
liebe unb erfreuliibe Zatfacbe. Anbererfeitü aber mirlt berfelbe auf ben
gemiffenbaften Sorfeber beinah erbrüefenb. Saum bermag er bie angebäuften
SRaterialien feinet eigenen Soßet gu bemältigen. Sie foll et ba b*>ff^
raftlofen gortfibrißen ber Sammeltütigteit in ben berfibiebenften Sünbm unb
Sprayen gebübrenb folgen gu tbnnen? Segon bie Anfibaffung ber gerftreuien
Srudfaiben ift bcutgutage ein fibmieriget Untemebmen. Aber ber bei loeitem
grögte Zeit bet Stoffet ift Mog banbfibriftliib in einem ^mplare an einem
Orte borbanben, unb et merben gemig mebrere aSenfcbenalter bergeben, ebe
bie SrAfte unb Soften gur ^erautgabe ber immer maigfenben 9Raffe befega^
morben gnb. (Einem 93oßtfunber (^oßloriften), meliger niigt über unbegrengte
SDHttel unb 3tit oerfügt unb ein ungemöbnliibtö Spraigtalent beggt, bleibt fo«
mit nur ein Autmeg übrig: ber Seiganb feiner l^itforfcger.
SBie ift aber biefer Seiganb gu erlangen? An men barf man geg
menben? SSie meit barf man et mögen einen anberen gu belägigen? SBie
foD man feine SKübe unb Unfogen oergüten? Siefe 93ebcnfen ^ben mögt
mamgen feinfühligen ffiorfiger abgefegredt, unb niigt ogne Urfaige. Scgmerlidb
lann man einem garf befigügigen SBigenfegagtmann gumuten, bag er jeber«
geit bereit fei, für fremben ^barf eine Stenge ^nbfegrigen bunggugbbem unb
augerbem für Abfcgreiber unb Überfeger gu forgen. Aber ogne biefe Soraut«
fegung ig eine mirfliige unb reegtgeitige ^ilfe bei einer migenfigaglicgen
Arbeit !aum benfbar.
Alt icg im oergangenen 3uni mit bem autgegeiegneten Sorfiger unb
Segrer ber ©oßifunbe an ber Unioergtät gu Sopengagen, Dr. Ajel Dlrif,
bie Seforgnige unferer Sigenfegag befpraeg. Tarnen mir gu bem Slefultate, bag
ein intemotionaler IBerein gu gegenfeitigem ©eiganb gegrünbet merben mügte.
3n erger Sinie galt et unt, bie Vermittlung bon Abfcgriften, Au^ügen unb
Überfegungen bon fianbfcgrigen unb figmer gugängliigen Srudmerfen gu orbnen.
Siefe märe mögliig bureg einen Sofaloerein in jebem Sanbe, meliget über
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Stubiemib« ober onben nit^t olliutfure ÄrbeitSfräfte »erfügte, um au« ben
i^m )ugängU(^m €amm(ungen ba« gettriinfe^te au«fu(^, abf(^ben, coentueQ
au(^ überfein ju lajfen, loetcl^r au|erbem bereit märe, bie 8efteQungen
(einer eigenen äRitglielMr an ankre Sofatoereine ju oermitteln unb nötigen'
fall« für biefelben §u bürgen. Sc^on megen be« le^termäfinten Äififo«, aber
au^ um leichtfertige SBeftedungen ju oerfiinbem, mü^te non jebem äRitgliebe
be« SoIalDerein« eine mdgige (£intritt«abgabe ein für aüemal entrichtet merben.
(Einige Oeftimmungen gegen HRihbrauch be« für miffenfchaftliche gorf^ungen an«
oertrauten aRateriale« foüten auch feftgefteUt merben, oor allem, um ®efamt'
pubtifationen au« fremben Sammlungen ohne befonbere SemiQigung oorjubeugen.
iBorläufig märe e« nicht nötig, oon einem Sotaloereine unb feiner !8cr'
maltung, um bie (ürünbung berfelbm bei meniger günftigen SBerhältniffen nicht
ju erfchmeren, mehr al« biefe iSermittlung be« Slu«taufche« Oon aRaterialien
}u forbem. 3h^ eigene« Sache mürbe fie aDmähiich fchon
baju führen, bie Sammlungen eine« Sanbe« fomeit mie möglich an einem
Sufbemahrung«orte jufammenjubringen unb biefelben inhaltlich ju orbnen, ba»
mit nicht ein jeber Sefteller immer oon neuem bie Zlurchfuchung be« gefamten
jerfireuten unb chaotifchen äRateriale« ju beftreiten brauchte. Die Kataloge
lönnten ju aHereiii bie ocrfchiebenen 9trten ber an einem Orte aufbemahrten
%otI«übnlieferungen angeben mit ißermeifen auf Shimmem ober Seiten. %ach
unb nach mühten aber noch Ser^cichniffe ber oerfchiebenen Dhemata au«gearbeitet
merben. Da« Sebürfni« gegenfeitigen Seiftanbe« mürbe ber befte Stnfpom jum
Setlcifem in fhfleraatifchem Orbnen fein.
(Kn ^nb ber fiofaloereine fönnte ferner auf bie miffenfchaftlichcn 8lu«'
gaben ber Oolfötunblichen SRaterialien (Einfluh haben, foroohl in ber Seförberung
einheitlicher $läne al« in ber Überminbung fprachlicher i^mierigteiten. Da|
anf bie Seichte ber Sammeltötigteit bie Sanb«leute, bie fich an ber SIrbeit
beteiligt haben, ba« nächfte Tlnncht haben, ift natürlich unb unbeftreitbar, benn
ohne ^ublitationen in ber heimifchen Sprache mirb ba« ^ntereffe für bie IBolt«'
tunbe nicht aufrechterhatten, fluch Gibt e« Überlieferungen, befonber« bie
metrifchen, metche jebenfatl« in ber Originalfprache oeröffentlicht merben
müffen. Äber e« lönnte fogar im tehteren Salle ein Weferat in einer SBclt-
fprache beigefügt merben, mie g. in ben brei ^nben ber fetutcfifchen Sieber
oon Dr. 3. ^urt, in melchen ben 736 -f- 710 + 474 Seiten eftnifcher Dialcft-
tejte eine ou«führliche 3nhatt«ongabe oon 88 + 168 + 137 Seiten in beutfeher
Sprache folgt 3ehi ermdgt man emftlich in ^infi^t auf bie jirfa 20 000
ftnnifchen unb 10 (XK) eftnifchen äRdr^enoarianten, ob e« nicht am gmect'
mähigfien märe, biefelben, mie auch alle übrigen SRörchen ber fSett, in einer
ben Sachmäimem aügemein gugängtichen Sprache mögtichfi hirg referiert her»
au«gugeben unb in ber Originatfprac^ btoh eine flu«mahl ber beften Stuf'
geichnungen in extenso gu bruefen. Ohne über (9etbmittel gu oerfügen, lönnte
ber Dunb in biefer {Richtung manche« mirfen, inbem er burch (Erteilung feiner
(Signatur bie flufmcrlfamfeit ber Soefcher auf ißublifationen .tenite, bie bem
Sweefe be« ©unbe« entfprechen, unb (omit ben Äbfah berfelben erlei^tertc.
Schliehlich mühte ber ©unb für bie ^bung bn ©ot(«tunbe auf ba«
97ioeau einer ftreng gefchulten Di«giplin unb pr bie (Einführung biefer SBiffen-
fchaft al« Stubienfach an ben Unioerfitöten arbeiten. 3" Sri^nia beHeibet
SDfottfe äRoc mittleren eine ©rofeffur ber „©otlStrabition unb mittetatter'
lic^n Siteratur“. Kn ber Unioerfität gu ^thngfor« finb mährenb ber lebten
3ahee nicht menige Ifanbibaten' unb Sigentiatenegamina in ber burch eine c. 0.
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^oftffur bcrtrctenen „finnif^en unb bergleii^btn SotTtbit^tungSforfc^ung“
be(onber8 bon Se^rem ber röutteifprat^e unb ber SnnbeSg^c^ic^ abgelegt
ootben. Sopen^gen ^t Dr. Olrit als Sertreter bei ,norbi|c^ %oIfS'
funbe* ein pe^tbare« Ontereffe unter ben Stubenten erroecft; c« bebarf bIo6 beS
SjamenSrec^tcS, um bie bo^e @teHung biefet IStpenftbaft feit 6n. @runbtt)ig
au(b in bei 3>>^nfi S>änemar{ ju ptbem. (fbenfo würbe bie beutfcbe
SioITstunbe, welche auf bie ^nitiatioe beriBebrüber @rimm unb bie iBorarbeiten
Steinbolb fiöblerS b^weifen tonn, fub noch Mftiger entwideln, wenn ihre
beroorragenben iSertreter mehr @elegenbeit hätten, bie ftubierenbe ^ugenb an
ben Uninerfitfiten anjuregen unb anjuieiten.
%(n bei Ausarbeitung ber folgenben Statuten bat ein junger, für bie
8foItStunbe energiftb arbcitenber Schwebe, <£. S3. bon Sbbow, teilgenommen.
(Einige QerbePerungen oerbanfen wir ben gütigen SSemerfungen beS ^auS-
geberS ber 3ntfcbrift beS iBereinS für SoIlStunbe in IBerlin, Dr. 3- SoIteS.
^orfcbläge ju ^nberungen unb Anmelbungm gegrünbeter Sofaibereine lönnrn
borläupg an einen ber Unterjeicbnci ber Statuten beS (BnnbeS gefanbt werben.
|)ctfingforS, ben 23. 92ob. 1907. Saarle Srobn.
$Utut*n des Bandes »FF*.
§ 1. !Der 9fome beS ©unbeS wirb bejeicbnet burcb „FF* (gotflorc
gellows, SoIfeminbe'Soi^Slere, ^äbäration beS (foRIoripeS, Sotfloripifcbcr
gorfcberbunb).
§ 2. ®er ©unb berfolgt ben 3>oe«f:
a) ben ffiorfcbcm boltslunblicbes (folfloriftifcbes) SRaterial auS ben ber>
fcbiebenen Sänbem jugänglicb ju machen unb Sataloge berartiger Sammlungen
berauSjugeben;
b) bie ^auSgabe wiPenfcbaftlicb befriebigenbei ©eröffentlicbungen boIIS'
funblic^r (folfloriftifcber) ©Materialien in einer leicht gugänglicben Sprach«
ober mit Äeferatcn in einer folchen ju fBrbem.
§ 3. Durch ©crmittlung beS ©unbeS tönnen Abfchriften, AuSpge unb
Überfehungen non ^anbfcbriften unb fchwer jugfinglichen Drudwcrfen ouS
öffentlichen unb, foweit wie möglich, auch <»tS prioaten Sammlungen befchafft
werben.
§ 4. Das non bem ©unbe befolgte ©Material barf ohne befonbere (£r>
laubnis nicht |u anberen 3ü>ecfen als wiffenfchaftlicher Sorfchung benu^t werben
(NB. nicht für (^famtpublilationen). SBirb Material nerlangt, baS gelegentlich
}u einer wiffenfcbaftlichen Arbeit im eigenen Sanbe nerwenbet werben foQ, ip ber
©crmittler berechtigt, baSfelbe wöb^nb einer beftimmten 3<tt jurüctjubatten.
§ 5. gür jebeS Sanb, baS im ©unbe burch ©Mitglieber oertreten ip,
fon eine Sofaloerwaltung ober ein ©ertreter eingefeht werben, ber bie ©cftellungen
beS ©Materials nermittelt.
§ 6. ©eim ©eitritt ju bem ©unbe pnb als ©eitrag jur ©epreitung ber
laupnbcn Ausgaben beS ©unbeS unb jur Deefung beS PMiptoS, baS bie SoIaU
ocrwaltung ober bei ©ertreter bei ©eftcDungen übernimmt, an biefe ein für
aOemal 10 granlS }u entrichten.
§ 7. Die ©Mitteilungen beS ©unbeS werben allen ©Mitgliebem unentgelt«
lieh jugeftellt. ©ei Abfehrip leicht leferlicher Originale wirb für 1000 ©uch'
paben jirfa 0,35 frf. ober jirta 1 frf. für bie ArbeitSftunbe befahlt DaS
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SoDaKoninen unb tluffuc^n imrb mit 1*/, frl4. für bte ®tunbe
honoriert SaSfelbt gilt bon gopien fc^luet ledbanr Criginale unb übtr*
ft^ungen (NB. Iiterarif(^ bermenbbare Ü6nrfet)ungen nac^ Überdntunft).
grS^ertn ©täbten lann bti toeiter ßntfernung unb Mt^änfter 3ugängti(^feit ber
%(bfc^rtibe|ieQen eine entfprec^nbe Vergütung beS 3^oerIufieg ftfigefe^t »eiben.
§ 8. (£in 9ieba{tionMudi(^ug non brei $er{onen neiöffentlic^t 9Rit>
teiiungen über bie ^nbi(^riftlic^n ©ammlungen unb ben ©tanb ii^rer Senu^ung.
§ 9. 2)iefer Kudf^ug ift befugt, ^ublitationen, bie bem
Sunbed entfpiec^en, bie ©ignatur bed 93unbeS ju erteilen, gürd erfte »erben
„International series“ unb „Northern series“ ber „FF publications“
^eraudgegeben, lef^tere ©erie umfagt buä ffanbinabifcge unb gnnif(!g«eftnif(gc
Material 9leue ©erien tönnen mit ^ilfe ber fiofaloermaltungen Don bem
9lebattiondaudf(gug Mranftattet »erben.
§ 10. Der SlebattionSaudf^ug »irb alle brei 3agre auf einem adge*
meinen gongreg ober buri^ fc^riftlicge Sbftimmung mit einer ©timme für
jebe Sofaloermaltung bej». jeben Vertreter ge»Sl)tt. Stuf ägnliige SSeife »irb
über änberung ber ©a^ungen beS S3unbed abgeftimmt, ju melier ftetö eine
9Re^rI)eit non j»ei Dritteln ber ©timmen erfor^rti(g ift.
S^et Otrit. (£. SB. bon ©gbo». gaaite grogn.
Dansk Folkemindesamling, Stonnebp, $etfingfor<,
gopenbagni. €(bneben. ^inlanb.
,FF* publications Northern series 1.
Die ©ignatur bed S3unbed gat ber interimiftifcge 0teba(tion8au8fcbug ben
er»öl)nten brei ©finben cfhtif^er Sieber non 3- erteilt. 3^r nollftänbiger
Ditet tautet tateinifdi:
Monumenta Bstoniae antiquae vel Thesaurus antiquus, carmina,
sermones, opiuiones aliasquo antiquioris aevi commemorationes
Bstonorum continens. Permultis sociis adjuvantibus collegit et edidit
Dr. Jacobus Hurt. Pars prima; Carmina popularia Volumen
primum, secundum, tertium. Helsingforsiae , sumptibus et typis
Societatis Litterarum Fennicae 1904 — 7. 3m gon5en LXXVIII -f- 1920
(eftnifcg) + 393 (beutf(g) = 2401 ©eiten ©rogoltoo. ©rei« 16 16 + 10
= 42 fronte.
3u bem ermägigten ©reiä non blog 30 fronte (influftne be« bebeutenben
©oftporto«) »irb biefe« oHe Sieber ber f. g. ©etufefen umfajfenbe SBerf ben 3Rit-
gliebem bed ©unbed „FF“ burc^ bie^finnifc^ Solalner»aItung unter greujbonb
jugefanbt.
„FF* publications Northern series 2.
Hjalmar Thuren, Folkesangen paa Fmraerne (The folksong
in the Faeroe Islands, with an excerpt in german) gopen^agen 1907.
SBirb ben Slitgtiebem be« ©unbe« „FF“ ebenfoH« ju ermägigtem ©rei«
non ber bönifc^en SotaIner»aItung jugefanbt.
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Zur f5rd«run)3 der Volkshande.
Btoeierlei fruc^tbaie (Sebanten finb eS, bte in bei ooitiegenben 9hinunei
unfcree Somfponbenjblattee )um Kudbiud gebracht finb, bei eine vom
92orben \)tr, bei anbere bom @flben, beibe in gleitet SBeife geeignet, bem
jugenblic^en Xatenbiang bet SSoHMunbe mächtig iBorfc^ub }u leiften; bei
fiänbei>3ufammenf(^Iug n>iffcnf(^ftli^ Kibeit unb bie Söibeiung bei fai^'
(ic^n iBoHdfunbe.
SSlenn ti tnii eilaubt ifi, ein poai SBoite auS bem ©tegieif baju ju fagen,
fo (ann id^ ben ißlan be2 internationalen 83unbe<3 aus eigenei (Sifatjiiuig
nic^t anbeiS bejeid^nen als eine eilöfenbe Xat. 9iic^tS ift füi ben t8otlS>
foift^ei fo fc^mieiig, toie bie Sefi^ffung auSiänbif^i SDlateiialien. ^ätte
ic^ nic^t baS miiflic^ fettene ®tü(f gehabt, ffii meine Statuifagen fieunbtic^
^elfei ju ftnben, baS SBeil mäie tläglic^ gefc^eiteit. <fi Snt«
täufc^ung, im ®tic^ gelaffen ju meiben, nic^t eifpait geblieben, unb bie oben
beiü^ite 9iage, inmictoeit eS juläfftg ifi, anbent mit feinen SBünfc^ jur
Saft ju fallen, ^at mit^ oft in i^iei ganzen t>einli^en iSd^weie bebrüA;
abei onbeieifeits entfc^äbigte bie ^»ilfsbeicitfc^oft wtHigei Sieunbe in teid^
ti(^m IDia^e. Sßieoiel me^i jebo(| tann ein 9unb }U gegenfeitigei Unter'
ftü^ung leiften I SSie manc^m mUftiebenben fffoifdiei mag ei ben fBeg ju
ueigleicfienben Stubien ebenen, mie mandien noc^ abfeitS fte^enben geminnen!
Unb »eichen ?luff(^mung unfeiei S3Kffenfc^aft baif man erlooiten, — nit^t
nui bon bei ei^ö^ten Xeitna^me bei ffad^enoffen, fonbem boi allem au(^ oon
bei (^(^tie^ung unentbe^ilii^ei Duellen! 3)aS lägt fiig boilöufig nui agnen.
9iägei liegen bie f<<^ ^ 3&it*cning bei fatglicgen
älolfstunbe eigeben. tnüt>fe an ben ®ia}ei Songieg fegi weitgegenbc
Hoffnungen unb raünfcge bon H^ijen, bag biefem bielbeigetgenben Anfang
eine ununteibioegene Keige eifolgicicgei Tagungen folgen mbge.
übei gOgci nocg, alS bei tbigenfigaftlicge SBeit biefeS e^ten SongreffeS,
ftegt mii feine päbagogifcge Sebeutung, infofem ei feine Xötigleit bem
VibeitSplan bei 50. SSeifammlung beutfcgei ißgilologen unb 0(gulmänner
angliebeit unb fibei Siagen beiganbelt, bie „im IDUtteltiunit beS
— au(g füi bie ©dgule — gegen". fflUt biefei Slürfgdgt auf bie ©cgule
roiib eine goibeiung eifflUt, bie feit JJagien — je ögei, je übeijeugenbei —
eigoben tooiben ift: bie IBoltstunbe füi ben Untenicgt nugbai }u macgen.
SllS icg im 3agie 1899 in bei „3tiif<grig füi ben beutftgen Untenicgt" ein
paai Anlegungen in biefei SUcgtung gab unb bann in bei ^aibeitung beS
Hierfefcgen fiefcbucgS füi gögeie ©cgulen im SJeiein mit diubolf HiO>c6)^<ii<t>tS
gleicggefinntem ffieunbe Oeoig ©eilit füi boKsfunblicgen fiefeftoff folgte, ba
gieg eS tbogl giei unb ba: bie 3cit ift nocg nicgt gcfommen, bie SSigenfcgaft
ju jung. Seitbem ift eine $eiiobe angeftiengtei Slibeit ueiftiicgtn, bie SSoIfS'
funbe ^t gcg in lafcgem Auffcgtoung enttoiilelt, unb eine tlnjagl fnrädgtiger,
aucg ben ffemeiftegenben fegelnbei S93eite ig eifcgienen. ^in SBunbei, bag
bie Sofung: mcgi SSoIfSfunbe in bei @cgule! fegt lautei eitönt benn je, unb
bag }. IB. bei IBeiein füi ©äcgfifcge SioltStunbe füi ben näcgften iSintei
eine ^eige oon Soitiägen übei SBoIfShmblitgeS in bei 0cgule plant. (Sin
göcgft bantcnSmeiteS Untemegmen! 2)enn mei bie Sugenb gat, bem gegört
bie 3»tung. Unb icg bin feg übeijeugt, bag baS ^ fBoITShmbe
UDijugSmeife auf bei 0cgule bnugt. über anbeieifeits meine idg, bag eS
mit Songiegen unb SSoitiägen nicgt getan ift üniegungen, bie man burcg
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fot^e em^ffingt, oerfKüd^tigcn fic^ aDju leicht; bie $5rcr ift oer^ältnil*
mäiig Hein; unb getabe bie, bie man getoinnen möchte, ftnb auSgeblieben.
föaS mir brauchen, finb liteiarifc^e Hilfsmittel, bie auS<
f(^Iie&lic^ für baS S9ebürfniS ber @c^ule }ugef(^nitten finb.
felbft befc^Sftige mic^ feit Sßorarbeiten ju einem
umfangreichen iQuftrierten iSerte , Silber auS ber beutfc^en SoitStunbe", baS
ic^ nad^ SoIIenbung beS SDlanuffripteS non Sanb 3 unb 4 meiner 9Tatur>
fagen, nermutlic^ im fiaufe beS nächften ^a^reS, encrgifc^ in Angriff nehmen
merbe. CfS foD nac^ Strt ber @rubefc^en S^arafterbitbcr abgerunbeie, bem
jugenbiic^en @efcf)ma(t unb SerftönbniS angepagte Xarfteüungen aus bem
Qiefamtgebiete ber SoKSfunbe barbieten. Sine äJionograp^ie über baS
äRänben in XeubnerS Sammlung „KuS 92atur unb SeifteSmelt" foü aiS
felbftdnbige Srgänjung erfc^einen. Solche Sflc^ müßten, benf ic^, rec^t nac^
bem fiergen ber Sd^üter fein. SSHe menig boju gehört, beren ^ntereffe für
SoItSfunbe ju mechn, baS ^at mic^ ein tieines Sricbnis gelehrt. SS mar
in Oberfefunba, mo ic^ für Sc^üiemorträge nur geringe feibftfinbige Arbeit
oerlange. ^ bot unter oerfc^ietKnen tiuSma^ltbemata auc^ ein fe^r einfach
an: ein Referat über ^öfters in ber ,8Wt- f- ®f.“ erfcf)ienenen Hufföbe über
geflgtbäcfe. ÄÜgemeineS Schütteln beS ßopfeS, oerbu^t läc^lnbe ©efu^ter,
leifeS Sc^aubeml 9Ran mugte offenbar nic^t, maS man bamit anfangen follte.
Snblicb erbot fic^ ein armer Sc^lucter, ber mo^I nichts meitcr füllte, als bag
feine fc^mac^e Sraft für ein fol^es Referat auSreic^te. Unb ftehe ba! ^er
Serfu^ glüdte. Seiten finb meine grogftäbtifc^n jungen fo suf>
mertfam gemefen, mie bamats, aiS fie }um crftenmal oon Sfieifeopfern unb
diebiibbroten gürten, ä^niic^ ift eS mir oft gegangen, mcnn ic^ mic^ auf
SieblingSgebietc meiner Spejialftubien berirrte ober — mie ber Schüler fagt
— ins fo^ien tarn. SRan barf für gemig anne^men, bag auf jeber ülterS*
ßufe beS SgmnafiumS eine fe^r lebhafte Vuffaffung für alles, maS SoIfStum
heigt, oor^anben ift. SS fe^it nur an geeigneten Süc^m, bie bie ^ugenb
in biefeS Skbiet einffl^ren tönnten.
Sber auc^ ber Se^rer bebarf ber ^ilfSmittci, um ieberjeit baS
nbtige SRateriai jur ^anb ju ^aben.
SSenn ic^ an bie fieftüre ber ^S^eren Schulen benle, — mie oft unb
mie ungejmungen taffen fic^ ba VuSMide auf ootlslunblic^e X^emata geben!
Unb mie menige miffen in biefen Gingen Sef^eib! SS ift ja baS Unglüd ber
SottStnnbe, bag i^re Siteratur über alle i^fc^reibung mü^fetig jufammen«
jufioten i^l 2Ber ^fitte 3^i Snft bajui SEBenn fc^on in einer großen
Sibiiotlief mie in Seipgig eine fo reic^^Itige 3^tf<^nft mie bie „Revue des
traditäons populaires“ fe^It, oieter Singetmerfe nicf)t gu gebenfen, — moS
foD man gar oon bcn Kollegen in Keinen Stäbten ermarten, mo meniger als
nichts gu ^ben ift? Unb mieoiet Rtateriai aus älterer 3<>i nt^i oerftedt in
3eitfc^ften, mie bem „SHobuSl* 85er miü bie Sänbe alle burc^fe^n, mer
ftc^ 3(UeIföften anlegen, bie ftc^ nur tangfam unb fpärlic^ füllen merben?
^tte es ba^ für eine ber bringenbflen Aufgaben ber lommenben
3a^re, bag unS auger einem met^obifc^en ^anbbuc^ über „Sotfslunbe
unb Spmnafiatunterric^t'' oolfsfunbtic^e Kommentare nic^t nur gu
beutfc^en Sefebüc^em, fonbcm auc^ gu ben mic^tig^n Sc^riftfteUem geliefert
merben. Sorarbeiten, g. S. über SoKSlunbe bei ^orag (itatienifc^), liegen
gmar Dor, aber boch fpärlid^. Über Sirgit im SRittelalter ^ä^rt ber
Schüler laum je etmaS. SBogu gibt eS XeubnerS
- 'A
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bUroeilen a\id) ju{ammenfaffenbe Sirferate o^ne felbftänbigc t^tic^ung er*
fc^tnen? 3ft ti nid^t fe^r nefentlic^ für uns Se^er, bie nrir unm5gU4 in
allen Sätteln feftfi|}en (önnen, ttuffä^e ju erhalten, bie in einzelnen teilen
tnomöglic^ jum Sorlefcn in Oberttaffen geeignet fmb? ^abe mi(^ ge*
Icgentlii^ bur(^ ein foIc^eS Sleferat über bie ^rotfoitforfebung fo eingebräb
unterriebtet, wie i(b eS fonft niemals bermoibt bütte! BaS aber für ger«
maniftifebe. jebem Slfabemiler nabeiiegenbe @egenftänbe gilt, baS gilt in er*
böbtem SRa|r bon ber !@onstunbe. ^Ift nur, ibr ^nbigen, unb ibr
öffnet baS (Dbmimrium eurer SMffenfcbaft! SBoblgemerft, eine Öelaftung
bebeutet bie immer nur gelegmtUcbe Untermeifung in ber iBoItSfunbe nicht,
nobl aber eine erfreulicbe Kbmecbftung in bem Sinertei beS UnterrriebtS*
betriebeS. SSeIcben SBert fie für bie ^äftigung beS 9tationa(gefüblS bni>ni
mübte, braucht nicht gefagt ju roerben. 3enen ehrlichen RuSruf, ben S.
SReber einmal bon einem 3nbbrer bemabm, „bag ihm bureb bie iSoIfSfunbe
erft bie Vugen geöffnet feien über bie ^cimat unb baS eigne Seben," möchte
man fo gern auch auS bem SRunbe eines Schülers böten!
Unb noch eins! äBir leben im Scitatter ber i&Uettantenbhbtograbhit-
gein Schüler, ber nicht Suft bütte, mit bem Stpbatat binuuSjumanbem unb
feine ^eimat tünftlcrifcb feben ju lernen. äBoblan! Sebrt ihn, fie auch oolts*
(unbli^ }u feben, unb ibr gebt ihm baS SöfiUebfte, n»S ihr in nationaler
unb bifiotifc^r ^infiebt geben tönnt. ^abt ihr ein Sfioptifon in ber Schule,
fo oerroenbet bie SSilber eurer Schüler für IBorträge, bie natürlich »st bem
ScfamlcötuS in ber tlula ju holten finb. 3>er 9iuben lohnt bie reichlich-
Sienn nun in bem obigen Aufruf jur @rünbung beS internationalen
IBunbeS ^rofeffuren für ÜJollStunbe geforbert merben, fo fcheint mir biefe
Sorberung, menigftenS in Seutfcblanb, erft bann %uSfi^t auf Srfolg ju
haben, menn baS oottsfunblicbe Stubium febon auf ber Schule norbereitet
unb baS Sfntereffe für biefeS Soch gemeeft roorben ift. So nur mirb bie
Sragc, maS fie merben mu|: eine ^ebürfniSfrage. S3aS ift btutjutage
bem Stubenten bie SolfSlunbe! !SurcbfcbnittSftubenten tümmem ficb um baS,
moDon fie nie etmaS SeftimmteS erfahren hoben, in ber Siegel nicht oiel. ®äbe
man aber auf ber Schule genügenbe oolfstunbliche Anregung, fo mürbe manch
einer auch auf ber Uniocr^töt unb fpäter im Slrnt ein ^r} für biefe einzig*
artige SBiffenfebaft hoben, bie ihn baS fflort S<ii{ ^obnS nerfteben lehrt:
!DaS büchte ®ut beS SttanneS ift fein Soll!
SS bürftc fomit eine notmenbige Pflicht beS IBerbanbeS fein, eine Se*
megung ein^uleiten, bie ben ®nb}mecf bot, ouf Srmeiterung ber fiehrbUine im
DoltShinblic^n Sinne einjumirfen unb auf (Sinfübrung eine# geeigneten bureb
^anbbücbcr ju befebaffenben SebrftoffeS ju bringen ! 3)ie IBerbinbung eines fon*
greffeS für Ülolfsfunbe mit einer $iIoIogenoerfammIung, mie fie in(Bra) für 1909
geplant ift, erfebeint mir als augerorbentlicb geeignet, bie 3lbee beS ooltshinb*
lic^n Unterrichts }u förbem. Dr. OSlur S)äbnbarbt, Seipjig.
Hufforderuti]).
3)icienigen IBerbanbSmitgiieber, beren SabreSbeitrag noch nicht eingefanbt
ift, merben gebeten, ihn möglichft fofort an $erm Dr. $anteniuS (Soigtlönberl
Verlag), fieipjig, ^ofpitalftrage 10, }u entrichten.
Dr. SKarbad^^l« 9.
Oa^brutferri 9K^rb ^a0n (^. Otto). Cribjlg.
]M!ttenungeii
dee Verbandes deutfcber Vereine
für Volhskunde
Dr. 8. (RorreTpond«nfbUtt) Dc}«mbcr 1908.
Bericht über die |weite Cagung des Verbandes
deutfd)er Vereine für Volkskunde.
üm 2. unb 3. Oltober fanb bie jioeite S^ogung beä iBcrbanbed in iBcrIin,
in bcr oltangcfc^cncn SRcIfource jur Unterhaltung ftatt.
35ort bereiteten bie mit ihren Samen zahlreich erschienenen äKitglieber
ber SBerliner SSereinc, inäbefonberc be« SBereinä für iBoIfäfunbe, am SIbenb
bei3 2. Oftober ben audmärtigen @öften einen überaus Smhfang.
5Ra(h HebenSroürbiger ®egrü6ung burch $erm ißrof. Dr. 9loebiger entfaltete
ftth ein reiches ^rogromm oolfSfunblicher tßorführungen. Sllte SoIfSIieber,
gefungen Don fjirou fitoffegf-SWüHer, 8^1. Sriebel unb Sri. ©chmibt, neue
töolfSlieber, Don bem erjgebirgifchen SBotfSbichter ^erm Mnton ©ünther jur
@itarre Dorgetragen, ^erbenreigen unb Suhpolfa, auf jtDei ©chmegelhfeifcn,
fomie fiänbler, auf IDhinbharmonifa unb @itarre Don ^erm ®eorg SredhSler
}u @ehör gebracht, tllphontflänge unb ^hrrigm Quf bem tlntilopenhom,
©ignale nebft beren DoIIStümtichen Seutungen Don ^erm SgL Kammer»
mufiter Königsberg Dorgeführt, bajmifchen So^rlfünfte beS greifen ©chmeijerS
3ofehh Selber unb Kafpertefpiele beS ^)erm ©anjouge ouS SreSben — boS
aQeS jog in rafcher Solge Dorüber unb würbe mit Sant gegen bie S3er>
anftaltcr, namentlich bie ^»erren ißrof. SRoebiger unb Ißrof. Solte, oufmerffam
entgegengenommen.
Äm 3. Oftober, DormittogS 10 Uhr, folgte bie gefchfiftüche Beratung
ber übgeorbneten.
ünmefenb waren bie Herren:
Dr. ©Tunner, als Sertreler ber Sgl. Sammlung für ©olfsfunbe ju Berlin,
Dr. Söhnharbt, als Schriftführer beS ©erbanbeS,
©rof. Dr. 4»auffen, als ©ertreter beS ÄuSfchuffeS für beutfchböhmifche ©oHS«
funbe in ©rag unb beS ©erbonbeS für ©gerlönber ©otfSfunbe,
©rof. Dr. ^Im, atS ©ertreter beS ©ereinS für baherifche ©olfSfunbe,
©rof. Dr. Sahle, als ©ertreter beS ©abifchen ©ereinS für ©ollSfunbe,
®ireftor Dr. fiauffer, als ©ertreter beS ©ereinS für Hamburger ©efchichte,
©rof. Dr. 3ohn SKeier, ols ©ertreter ber Schweijerifchen ©efellfchaft für
©olfSfunbe,
©rof. Dr. SKogf, als ©orfihenber beS gefchäftS^h«nboi HuSfchuffeS beS
©erbanbeS unb als ©ertreter beS SKufeumS für ©ölferfunbe in fieipjig,
Dr. ©ehler, alS ©ertreter beS Hamburger ©iufeumS für ©ölferfunbe,
©rof. Dr. ©oebiger, alS ©ertreter beS ©ereinS für ©olfSfunbe in ©erlin.
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2
'ßrof. Dr. Sortori, ate SBertntcr b«4 9l^ctnif(^«Hjeftfätiic^)en Serein^ fite
SSoIfdhinbe,
Pfarrer Schutte, atd SSertreter ber ^effifc^en SSereinigung für SJoIfdIunbe,
$cof. O. ©e^ffert, al^ SSertreter beS iBereind für fäi^ftfc^e iBoIfdhinbe,
Dr. ©iebS, olS Vertreter bei ©(^(efifc^n ©efeüfc^aft für SoITdhmbe,
©öfelonb, aI0 SBertreter bc8 Sereinä ber Sgl. ©ammlung für ®oHähinbc
Berlin,
Dr. Iräger, otä Sertreter ber Berliner ?intf|ropoIogii(^cn ®efeHf(^aft,
überbie« eine größere 3“f|t ^»trrtn mit beratenber Stimme, barunter ^err
i^Jrof. Dr. Botte, Berlin, unb ^lerr Brof. Dr. SBoffiblo, SBoren i. SDlctft.
1. $er Borfit^enbe eröffnete bie Berfammlung, ^ieg bie Srft^ienenen
jur gemeinfamen Arbeit loilltommen unb geballte fobann ber äJtänner un-
ferer SBiffenft^aft, bie feit ber Gifenai^er iDelegiertenoerfammlung (24. 3Rai 1907)
oerftarben: Brof- @oHöc, Glarb $ugo SWeper, Stlbrer^t ®ieteri(^ unb
©anitätSrat Dr. Siffauer.
2. Dr. ^ä^n^arbt erftattetc ben Geft^ft^beric^t, auä bem ^erborging,
bafe bie Begiftrierung ber Bolf^lieber (ogL SKitt. Br. 5, B“"^ 5)
Berein für fäc^fifc^ Boltiifunbe beenbet ift, bie Berbinbung mit ber
öfterreic^ifc^cn Organifation ber BoIfSlieberfammlung teild gelungen, teiB
in muäfit^t gefteHt ift. 3)ie Bibliograp(|ie beS beutf^bö^mifc^en ge>
brudten unb bunbfc^riftlic^en Boltdiieberbeftanbed — eine Arbeit, bie }tuei
bis brei bauern bürfte — ^at |>err B>^of- l>ouffen jugefagt. gür
bie Stufna^mc ber ju ermartenben SBateriatien |at bie S)ireftion ber
UniberfitätSbibliot^el ju fieipjig einen Baum jur Berfügung geftclit. Gin
©d^ema, nad| melc^cm ber Beftanb an Srudfac^en unb ^anbfc^riftlit^en
©ammlungcn oolfStunblit^en einzelnen Bereinen ein^eittid)
Derjettelt merben lann (ogl. IBitt. Br. 5, Bunit '!)> i>cr KuSfe^ug natb
Berftönbigung mit bem Borftgenben ber 5. Slbteilung ber Gefc^ic^tS' unb
'^lltertumSOcreine, $erm Btof- Brenner, ausgearbeitet unb oerfanbt. — SBie
j^err B^of. Sa^le mitteilte, ftnb bie BoIfSlieber ber alemannift^en Steile
BobenS ebenfalls fertig regiftriert. — Qm Sluftrage beS abroefenben Bec^nerS
legte Dr. Säbn^arbt fobann bie Beebnung oor, bie mit einem Saffenbeftanb
oon 243 SBf. 34 Bfü- obfebtog. !Die Betbnung mürbe bon ben ^rren
©ölelanb unb Submig geprüft unb richtig befunben, morauf bem Betbner
Gnttaftung erteilt mürbe.
3. B<rof. Soblc brachte bie bon ihm unb Dr. ^ugo ^epbing (Gie^n)
ausgearbeiteten Seitfähe jur ©ammlung ber Sou^eirfprüche unb ©egen beS
beutfehen ©prachgebieteS jur Befprechung (bgl. aSitt. Br. 5, B“"*l 7). Sic
mürben mit geringen Änbeningen angenommen unb merben bcmnächft ben
Bereinen jugefanbt.
4. 3ur Qragc ber Qcitfehriftenfehau, über bie Bwf- 3Jlog( berichtete,
mürbe ein Eintrag beS StuSfehuffeS in ber folgenben bon B>^<’f- Boebiger unb
Brof. Qohn SBeier formulierten Qaffung angenommen;
»Der Berbonb hält b«" Sortbeftanb ber Qeitfehriftenfehau im bisherigen
Umfong, nur mit genouerer Sichtung bcS SRaterioIS, ^r notmenbig unb fagt
ber ^effifchen Bereinigung für BolfShmbc feine petuniäre Unterftühung ju,
fobalb ihm bie SBittel ju feiner Slrbcit jur Berfügung ftehen. lieber bie
Ginjclheitcn mirb ber MiiSfchuh beouftragt, mit ber ^effifchen Bereinigung in
Berbinbung ju treten."
3
5. di folgte bie Beratung über bie ju befc^ffenben IRittel. 3ubor n>
tläite bie Serfammlung auf finregung bed ^rm ißrof. Koebiger unb be>
fonberen Äntrog be« ^errn $rof. 8ol((e, ben Äu8f(^u§ bei aller ffieiterorbeit
na4 befhn Kräften ju unterftü^n, unb beauftragte i^n i^erauf, eine ißetition
an ben iReii^tanjler ju richten unb bcifbnlic^ beim Steic^amt bed Innern
BorfteHig ju toerben. di foll fiierbei junäc^fl lebiglic^ bie Sammlung ber
SoRMieber betont toerben.
6. 3>tr (frage ber Singlieberung an ben ,3ntemationaIen S3unb folfto*
rifüft^ 5orf(^er FF* »urbe auf Äntrag bc8 Äu8f(buffe8 befc^Ioffen:
,^ie (Singeloereine foQen i^re SRitglicber auf bie IBorteile be8 ^nter'
nationalen iBunbe8 foifioriftifc^er fforfc^r aufmerffam mad^en unb bie miffen*
fc^aftlic^ Xötigen jum Beitritt aufforbem.*
7. hierauf gelangten noc^ folgenbe Anträge be8 Siu8fc^uffe8 jur Slnna^me:
1. „Solange bem Sierbanbe leine 9HttcI jur Verfügung ftc^, bie
bie StnfteDung einer ^UfShaft ermbglic^en, bleiben bie ein*
gefegten SluSWüjfe befielen.*
2. „®ie SJereine »erben erfut^t, irater^Ib i^ S3erein8gebiete oon
ben Setreibebubpen p^otograb^fc^ iSufna^men ju mat^n unb
baä Stuftreten ber oerft^iebenen gormen fe^jufteüen."
^rr SRielfc erflSrte ftcfi bereit, einen Sntmurf barüber oorjuiegen.
8. gn bie tBonsiieberlommiffion würbe auf Slntrog oon $rof. 8olte
^err &t\). 8legierung8rat ißrof. Dr. grieblönber gewählt. ®iefer na^m bie
Sa^I banfenb an.
9. Sluf Sintrag oon ^erm Söfelanb »urbe ber Slu8f4u§ beauftragt,
eine iänberung be8 § 14 bör Statuten (Beitrag betreffenb) bi« jur nöt^ften
Tagung Dorjiibereiten.
10. gür ben näc^ften BerbanbStag »urbe ®ra} gewählt.
11. ®er gef(^äft8fül|renbe Siuifc^ug »urbe burt^ Bumf »iebcrgetoä^li.
Sluf bie Beratung folgte ein Bortrag be« ^>erm ißrof. $auffen über
bo8 öfterreic^ifdie BolUIieb unb feine oorbereitete ;^erau8gabe, ber unten ab*
gebrudt ift. Sin }»eiter Bortrag, ben ^rr Bfonrer St^ulleru« in ^rmann*
fiabt jugefagt ^atte, mugte (eiber au8fallen, ba biefer bur(^ amtliche Srünbe
am (Srf deinen oerljinbert »ar. Um 2' ', Uf|r f(^Io| ber Borfi^enbe mit
^crjlic^en ®ante«»orten bie Si^ung.
Um 5 U^r fanb eine oon jafitreic^n Teilnehmern (über 250) befuchte
öffentliche Berfammlung ftatt, »eiche bur^ bie Segenwart be« ^erm Seheimen
OberregierungSratS Dr. Schmibt, ber in Bertretung be« ^erm Unterricht«*
minifler« erfchienen »ar, ihre befonbere Slu«jei^nung erhielt. Bach einer
Slnfprache be« |»erm fßrof. Dr. TOogf, bie wir unten im SBortlaut »ieber*
geben, ergriff ^err Btof. Dr. Sieb« ba« SBort, um SWt Slufgaben ber
BotI«funbe eingehenb ju erläutern. ®cr Bortragenbe fehle junächft bie Snt*
»idlung ber Doll«funblichen Befirebungen in ®eutfchlanb au«einanber; wenn auch
einzelne h^öorragenbe Selehrte, Dor allem bie Brüber Srimm, SRüHenhoff,
Schmetter, SBeinhoIb ftch fchon Doi'her um Brauch unb Sitte, Sage unb Btörchen,
Sieb unb Stauben be« Bolle« gelümmert hatten, fo »ar bie Bf^^S^ Tinge
hoch recht eigentlich ber "“th 1870, feit bem ffirftarlen be« beutfehen
Bationalgefüht«, oorbehalten. gn neuefter Beit oerbanlen wir reiche görbenmg
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4
inbinlt txr ^ßreugifc^n SRabtmic ber SBiffenfc^afttn, benn burc^ bit Don
angertgte Satologifierung bei beutfi^n ^anbfc^riften ift ber SoRdfunbe
— loie an ben bon Dr. filapper in iBreStau gemachten (£ntbec!ungen gcjeigt
»urb« — reit^et Stoff jugefü^rt »oorben: befonbert in ben ^rebigtbanb-
f(briften beii ff>äten 97iittelatter4 ift biele8 SSiffendwerte pr (Siforfcbung be4
iQoRSglaubeng in ber Sagen» unb SRärdienliteratur entbatten.
geeignete ©eifpiele beleu^tete ber ffiortragenbe bann bie SRetbobif ber ein-
jelnen SorfcbungSgebiete unb »amte nor Seicbtglöubigfeit unb ungenfigen»
ber SRatbfjrüfung be« münbti(b gefannnelten Stoff«; er forberte ftrotge
Organifation ber Sammeltätigfeit, tooburcb toirflitb brauchbare« [Reue bon
fchon ©etanntem unb ftet« SBieberboRem gefonbert toerbe. ^ierp aber feien
aRittel nötig, unb aucf) in anberer ^inficht fei bie Unterftübung burch bie
^Regierung ber Sinjelftaaten unb be« ©eich^ unerläglicb; nm ftetige SBieber»
botungen be« fcbon itufgejeicbneten gu oermeiben, fei e« tDünfdben«n)crt, bag
bie guten unb loeite ^eife intereffierenben ©eröffentlicbungen ber <^gen,
Sitten unb ©röucbe, aRSrcben, Sieber für Schulen unb ©ibtiotbefen aQge>
mein gur ©erfügung gefteRt mürben, unb baburch mürbe auch überaD Siebe
gur Sache gemedt merben. So bantcn«mert e« fei, bag für ©efchaffung
greifbarer (Segenftänbe unb Kbbilbungen — Dom bräbtßorifchen Steinbeit
bi« gur mobemen glinte — ben äRufeen unb Schulen faft ungegählte äRittel
guflöffen, fo fei e« hoch bebauertich, bah i^cin geiftigen &|erungen be«
Sutturleben« fo gang gu lurg tümen, bag nicht ben ©ibiiothefen, ben Sehrem
unb Schülern ebcnfo reich bie OueQen rein geiftigen Seben« ftöffen, bie ber
©honiofic unb ber ^eimatliebe fruchtbaren ©oben fchaffen.
©ortragenbe gab bann al« ©eifpiel miffenfchaftlicher S)arfteDung
eine turge 3ufammenfaffung ber michtigften Sitten unb ©rauche bei ber ©er>
tobung unb ^ochgeit unb geigte, mie au« biefen unter ^gugiehung älterer
Duellen ein ©ilb ber germanifchcn (Einrichtung unb geier be« ©rautlaufe«
unb ber ^eimführung gemonnen merben tann.
%I«bann fprach ber ©ebner mit htrgem SSorte über bie (Erforfchung
Don $au«> unb ^rchenbau, 2)orf> unb Stabtanlage unb ©oII«tracht. 3n
miffenfchaftlicher ©egiehung lönne auf biefem lebteren @ebiete mohl mehr ge>
fchehen al« in tmattifcher ^inficht gum Schule ber ©oR«trachten, benn Don
jeher fei ba« SanbDoR ber ftäbtifchen SRobe gefolgt, unb ba« merbe pch
ouch in 3»tunft nicht änbem taffen. (Eine anbere ^age fei e«, ob nicht
unfere h^htten Greife einmal bie ^aft in ftch fühlen mürben, einen beutfch'
nationalen SBillen in ihrer Reibung auf irgenbeine SBeife gu betätigen,
anftatt ftch formen ihrer (Semänber oon ©arifer Sototten ober eng>
tif^en 3)anbie« Dorfchreiben gu taffen.
3um SchtuI mie« ber ©ebner auf bie hoh« ©rbeutung ber äRunbarten»
bfiege unb »forfthung fomie auf ben h<ft«nfthen SBert ber ©oIt«tunbe hin;
auch betonte er bie michtigen fogialen Stufgaben, bie faft aRe ©erufe auf«
engfte mit ber ©oR«tunbe Derfnübften: bem (Sefehgcber unb fünften fei e«
nötig, mit bem ©echtSempfinben be« ©oRe« näher oertraut gu fein; ber Strgt
mürbe ber hciltofen Surpfufthaei am beften baburch begegnen, bah tt ©er>
ftänbni« für (Empfinben unb Überlieferungen be« ©oRe« geminne; ber ®etft>
liehe merbe unfinnigem Stberglauben mirfung«ooRer entgegentreten ufm.
So h«i> ©ebner ben miffenfchafttichen, äfthctifchen, fogialen unb
nationaten SBert ber ©oR«(unbe hc^^for unb forberte gu gemeinfamer Strbeit
an ihrer Hebung auf.
5
Kn biefen SBortrog fc^Iog ein glönjenbed Scftma^t an. ^a8
anf ben Saifer als ben B^rberer ooHSfunblic^ 9eftiebungen braute $>err
$rof. Dr. aRogt auS. Sr tterlaS ^ietbei folgcnbe 2)ebef(^, bie als ünt*
noit auf ein am SSonnittage an ©eine aRajeftät fiberfanbteS ^ulbigungS*
tetegromm eingetroffen war:
,@e. aRafefiat ber Saifer unb fiönig nehmen leb^fteS Sntereffe
an ben iBeftrebungen beutfi^er Vereine für SSoIfShinbe, erfioffen non
bet bieSjö^rigen Xagung fnn^tbaie aimcegung unb taffen für ben
^utbigung^rug beftenS banten.
atuf atller^öc^ften iBefe^I. 3)er @e^ime SabinettSiat i. SB. o. aSetg."
|)eTr $rof. Stoebiger bantte alten, bie jum (Getingen bec Tagung bei*
getragen Ratten, inSbefonbere ben SBertretem ber Vereine unb bem ^erm
fiuttuSminifter, ber einen SBertreter entfanbt ^abe; ^err @e^. Oberregierungs*
rat ©4mibt ^ob in feiner Srtuiberung ^eroor, bag baS aRinifterhim ^n
aSeftrebungen beS SerbanbeS aufmerffame Xeitna^me jumenbe unb fie nach
Srfiften förbcm toerbe, er ermunterte ju tneiterem ©cbei^n ber Strbint unb
trat warm fQr bie 3Bieberbetebung beS SBottSgefangeS ein; ^err ©e^eimrat
Sriebet begrüßte ben ®erbanb ats SSertreter beS OberbQrgermeifterS ber
©tabt ©ertin, atS 35ireItor beS aRörtifc^en ©roninjiotmufeumS unb ats
©orft^ber ber „©ranbenburgia", (Sefeltfdiaft für ^eimathinbe ber aS^obinj
©ranbenburg, bie bem ©erbanbe bereits am ©ormittage eine eigene gefl*
fc^rift „©eiträge jur ©otfSfunbe" überreid^t ^attc; $err ^ätof- 0. ©e^ffert
banfite bem ©ertiner OrtSauSfc^ug für feine mü^ebotte Strbeit, ^err $rof.
©otte feierte bie Xamen, ^err ©rof. ©c^mibt riditete tterjtic^e 3)anIeS*
Worte an bie auswärtigen ©ertreter, befonberS Üfterreic^ unb ber ©c^weij.
aiadi ber Safet tarn ber bottSfunbtic^e Stjoratter beS 3iageS noc^ einmal
jur (Rettung, ©ottstieber, bie bon f^räutein ©remer, $erm |>iatmar atrtberg
unb ^erm Stnton ®Qntt|er gefungen würben, ^obter unb |)eimattiebcr
beS ^rm 3ofcp^ getbcr unb 3Reifter OanjougeS 8aft)ertet^eater erregten
ieb^ften ©eifatt.
(Jin frö^tit^er ©att, ber bie Seitnc^mer no(^ tange beifammen fiieit,
bitbete ben ©«btu&. ©ott ^erjtic^er ®anfbarfeit finb bann atle, bie in ber
9iei(^^aut)tftabt eine fo fc^öne ©afttic^feit genoffen, in bie gewohnten ®cteife
beS ficbenS unb ber Ärbeit ^eimgele^rt. ®ine ootl ©ertrauenS in
bie ffinftige (Entwicfetung beS ©erbanbeS!
aRöge uns bie ©tabt, in ber einft Sart SBein^otb ber ©otfsfunbe ju
wiffenf(^ftti(^em ünfe^en oer^atf, einen neuen aiuffc^wung ootfSfunbtidicr
Sorfc^ung bringen, reichen (Gewinn für bie äBiffenfc^a^ unb für baS gefamte
beutft^e ©otf. 0. D.
0«r 6infta6 der Volkshunde auf die vertchiedenen
Zweige der mifTenTchaft und Kunft
Tlnfprad» von Profeffor Dr. Gagen fflogh aus Ceip}ig.
^oi^bere^rte Sßamen unb Herren!
atac^bem wir unS biefen ©ormittag wiffenft^afttii^ unb tf)eoretif<^ mit
ber ©otlSlunbe beft^äftigt tiaben, begrüben wir ©ie an biefem «benb, wo
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toir na^ alter Sitte au(^ ber ^ra^iS i^r Stecht cinräumen. SBir treten jegt
balb in bie 3”^ ^rd^nei^en, jener alten Dolfdtümlic^n Sefte unter
i^riftlit^m Utamen, bie no4 ^te bieljad^ im Stolle ber ^bl^unß bed feft>
li(^n Saures finb. 83on i^nen fagt fc^on ^o^nned Kgricola, ber £anb^>
mann unb 3cil9cnofTc Sut^erl: ,3“ $Hrc^me{jen ge^ bie l&eutjc^n
pjammen unb finb frö^lic^ unb guter ^htge; eS gefi^iel^t aber beö 3a^re^
nur einmal; borum ift ed I5bli4 unb e^rlic^, fintemal bie Seute baju ge*
f (Raffen finb, bag fie freunblii^ unb e^rlie^ untereinanber leben f ollen. "
SSenn mir nun ^cute unfre Tagung mit einem 9Ra^Ie, mie tS bei ben
fHrmeffen nie fehlen barf, beenben, fo ^anbeln aud^ mir löblich unb manbeln
in ben Sabnen unfrer äJorfabren, jumal mir noch feltner ald fie ju folibcr
Sefiliebfeit uns jufammenfinben. ^oeb beoor mir ju biefer leiblichen 9iab'
rung übergeben, geftatten Sie uns noch etmaS geifiige Sorfoft, bie Sie mit
unfern 3itl^ belannt machen unb 3b"^” jois^n f°II> 3Rägblein
„iBolfStunbe", baS einft hier in SBerlin ju frifeber SebenStraft ermaebt, febon
rin ftattlicbeS unb DielbegebrteS f^fräulein gemorben ift.
9tocb nicht jmei ^ahrjehnte finb oerflricbcn, als bic^^ m i>cr 3cxtrale
beS beutf^en Reiches Sari äBeinboIb baS KfcbenbrBbel beutfeber SSiffenfeboft
an bie ^anb nahm, eS ibreS SücbengemanbeS entfleibete unb ihm ben ihm
gebübrenben Sife bereitete. Seitbem ift boS frifebe SKöbeben in feiner
Schönheit erfannt unb ein iJiebling »ieler gemorben, bie mit miffenfcboftlicbera
^ft Siebe ju ihrem IBoIte oerbinben unb einen tlaren $licf für baS
praltifcbe Seben b<>(>^- ^ie joblreicben IBereinc für SSolfShinbe, bie in vielen
Sünbem unb IßroDinjen Z)eutfcbIanbS unter ber Seitung miffenfcbaftlicb ge*
fcbulter SRänner entftanben finb, legen bictoon 3^»gniS ab. Sine neue 3(<l
ift b^^cingebroeben; unfer alteS SoItStum febminbet immer mehr. SßaS von
ihm noch oorbanben ift, foH — oielleicbt in lebter Stunbe — gefammelt,
miffenfcbaftlicb bearbeitet unb für bie Sefamtbeit nu^bar gemacht merben,
bamit uns fpötere ©efcblecbter nicht einer UnterlaffungSfünbe jeiben. ^ier
ip jugleicb ein ©ebiet geiftiger Ärbeit, auf bem ber ©elebrte gemeinfam mit
bem Saien, bem IRann aus bem Solle tätig fein fann unb baS ficb
fo trefflich eignet, bie Sluft fojialer ©egenfäfe ju überbrüefen. ®ie Solls*
funbe ift eine SSiffenfebaft aus bem Seben unb für baS Seben. hierüber mirb
3bnen mein SoIIege Siebs berichten; mir geftatten Sie nur, bag ich in
biefem SKittelpunfte geiftigen SebenS unb ber SBiffenfebaft in menigen 3ügtn
auf bie befruebtenbe ®ätigleit ber SolfSlunbe b‘i'>i’eife, bie fie auf anbre
3meige ber SBiffenfebaft unb bie Sunft auSgeübt bot.
S9?er SoltSfunbe treibt, muh auch SöIIerfunbe treiben, b. b- er mu^ ficb
mit bem ganjen 3lbeenlreiS ber Katuroölfer befeböftigen. SJer ftammbeitlicbe
SolfShinbe allein treibt, legt ficb felbft eine Scbeutlapf)e ox, bie ihm nie
einen flaren Slicf in bie feelifcben ä[u6crungen feines SolfeS gibt. 9hir
bureb bie vergleicbenbe Solls* unb Sölferlunbe merben unS bie tulturetlen
Überrefle unferS SoIIeS auS längft vergangenen 3eiten, auS feiner fiinbbeit
unb Qugenb, erft verftänblicb. ®urcb biefe vergleicbenbe Sollshcnbe ftnb
jablreicbe SBiffenfebaften in ganj neue Sahnen gelentt morben. föaS bot man
früher nicht alles über ben altgennanifcben ©ötterglauben gefabelt unb gebiebtet:
erft bureb SoRstunbe mirb unS allmählich bie Seligion unfrer Sorfahren
flar, erft bureb fie mirb ben Quellen ber ^ert pgeficbert, ber ihnen gebührt.
Sa^ UfenerS treffenben Semerhingen liegen bie Stnfönge unb ber Sntmief*
lungSprojeb beS ©laubens unb ffuIteS aller Sultumölfer in einer vorlitera*
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rift^en 3*it; f*' fönncn mir nur entjiffcm au8 ben Uberlebfctn, bie bic
Sbdcr aus i^rer ^ufienb ja^rtaufenbelang namentlich in Sitte unb iBrauch
erhalten ho^cn. So hoi dieligionSgefchichte aller ^IturoStfer burch bic
®oIfSfunbe einen neuen Sluffchmung genommen. @anj befonberS ift er in bcr
ber flafpfchen SöHer, bor allem ber ©riechen, ju beobachten. Ufener, (grtoin
Sohbe, bon ben jüngeren befonberS ber Iciber ju früh berfchiebene Stlbr.
IDieterich h°^^" griechifche 9Rhih°^'’9i^r antilen £ebcnSanfchau>
ungen mit bem SBolfStum bcr ©cgennwrt berquicft unb fo einen frifchen 3“S
in baS Stubium beS (laffifchen ÄltertumS gebracht unb eS bem gluch bcS
ßpigonentumS entriffcn. Unter bem ßinfluffc bcr SolfSfunbc löft fich baS,
loaS man cinft als SRhiho^oßK auffaßtc, einerfeitS in SleligionSgcfchichtc auf,
anberfeitS in ©ötterfage unb ©öttermörchen.
Uuch an ber ^elbenfagc ift bie %ol!Sfunbe nicht fpurtoS borübci'
gegangen, ^ohl bielfach bie SInfehauung, bah .^Ibcn>
gcftaltcn oerblahte ©ötter feien, allein bie bolfsfunbtichen Sorf^ungen
91. OlrifS unb bie bölferbfhchologif^en iBeobachtungen SQunbtS hoben ihr gau,;
ben Soben entjogen. Schon flopft bic SBoIfSfunbe bei bcr litcrarifchen
(forf^ung an. S^h meine hict nicht bei ber S3ehanblung beS IDtärchcnS, ber
Sage, bcS iBoIlSlicbeS; biefe ®ichtungSartcn finb bolfsfunblichc Dbjcftc unb
pnb als folche immer bchanbelt toorben. 3n feiner ^ragcr SlcftoratSrebc
berlangt Sauer als Sorbebingung aller literargcfchichtlichcn fforfchung grünb*
licheS Stubium beS äJollStumS, baS jeber Seichter auS feiner ^mat, auS
feiner gamilie mitgebracht hot; er erhofft ht«ouS eine SRegeneration bcr
Siiteroturgefchichte. — Unb roaS oon bcr Siteroturgcfchichtc gilt, gilt noch
mehr oon ber fiultuo', oon ber Staotengefchichte. |)ier lehrt unS bie IBotlS*
funbe ben 8oben lennen, ouf bem allein bic inbioibucDc S3cgabung unb
ÄuSbilbung auf ßrfolg rechnen fann. ®enn fein lalent hot ßrfolgc, wenn
feine "^t Änerfennung, nicht ein ßcho in ber Seele feines SBolfcS
finben. 3n ßrfenntniS biefer latfache hot Samprecht in Scipjig für fein
neubegrünbeteS fulturhiftorifcheS Seminar eine befonbere Mbteilung für baS
Stubium bcr SBoIfSfunbe gefchaffen. 3<h erinnere ferner an bic SBcbeutung,
bie oolfSfunbliche Sötigfeit für bie Sprochioiffenfchaft, für bic ©efchichtc
unfrer äJiutterfprache hot. SBoS biefer bie ®olfSfprache, ber ®ioIeft leiften
fann, ift fchon oor 100 3ohren Oon SchmcHcr erfonnt. Mber erft in ben
lebten 3ohrifhnten ift man feinem fjingerjeig gefolgt, unb unter bem ßin-
fluffe'ber oolfSfunblichen ®etocgung hot man in ben oerfchiebenen Sönbem
beutfeher 3unge begonnen, ben bialeftifchen SBortfehah ju fammeln unb in
biefen SBörterbüchem juglcich bie 3eogniffc Oolfstümlichen SCenfenS, Xun unb
,^>onbeInS aufjufchichten. 3>* muftergültiger SBeifc hoben bic Schtoeijer mit
ihrem 3biotifon ben Snfang gemacht; ßlfah, Schwaben finb nachgefolgt, bei
ben Siebenbürger Sachfen, in ben SRheinlanben, in Sachfen, SIhttnngen,
SchlcSmig-^olftein ift mon rüftig on bcr Ärbeit, an bcr baS ganje Sott
teilnehmen foll, unb eS ift ju hoff«", bah auch bie anbem Seile unfers
SaterlanbS, befonberS auch bie Seutf^en in Cftcrrcich, noch folgen. Sic
Slrbeit für bie Sialeftforfchung }u fonjentricren unb fo bic SJege ju einene
groben beutfehen SialefttoBrterbuche }u bahnen, baS wäre eine Slufgabc beS
SerbanbeS ber beutfehen Sltabemien, ganj im Sinne ihres Stifters Seibnih.
Seiber hot unfer Sott unb unfre SBiffenfehoft Oon biefer Seite nicht oiel ju
hoffen, worauf erft jüngft wieber oon berufener Seite hmfietoiefen worben
ift. $ier ift auch bie ffforberung geftellt worben, bah olle phttologifche
JU uy \_7..ji.^lc
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3(r6cit oon ber 3!otaIität htS SBoßMeben^ auSjuge^en unb bag ber Sie-
formbrojeg ber Ißbilologie bon einer fbftematii^en Susjtböpfung ber noch im
Sotle fliegenben ÖueQen geleitet unb gefSrbert tnerben müiTe.
@0 ertnarten fafl aQe ©ebiete bumaniftifc^er SBiffenfcba^ bon ber 93otf£>
funbe Unterftü^ung unb erhoffen burcb fie iBerjüngung in bem großen
©ärungSprojefie unfrer Stii- 3** ©rtenntniä biefer Slatjacbe haben
au6erbeut[cbe Sbifer ber iBoItdtunbe an ihren Uniberfitäten eine ^flegftättc
gcfihaffen.
Soch ber erfrifchenbe @influg ber Sotfötunbe geht über bad philologisch'
hiftorifche Gebiet hinaus. Schon beleben (Srjeugniffe ber iBottSbichtung, beS
iBoIfSglaubenS, ber tBoIfSfunft, Sialettproben unfre geographischen $anb'
unb fiehrbücher; 3n<>iogen unb iBotaniler laSSen baS S3ot{ erjähten, loaS eS
bon unSem ^flanjen, bon unSem Sieren »oeife unb mie eS ihr fieben unb
ihre 92amen in finblich'naiber S3eiSe aufSagt.
Selbst bie StechtSniSSenSchaft hat begonnen, jur iBoIfShmbe in bie Sehre
äu gehen, unb bie treSfüchen Strbeitcn bon ^oSt, SöroenStimm, ^tttoig u. a.
jcigen Rar, ibie fruchtbringenb bollstunbli^e «SarSchung für bie juriStiSchc
SBifSenSchoft unb ißrajis werben fann. Unb baSSelbe hat bie SRebijin getan.
SBeiche 9lone bie SBotfSmcbijin im fieben aller SJöIfer unb ju allen 3öteii
gespielt hat, iSt ja belannt. Kber erSt in neurer 3ait hat man Si<h baran
gemacht, bieSen StuSflug ber IBoltSphantaSie bon wifSenSchaftlich'mebiiiniSchent
Stonbpunfte ouS ju betrachten, unb hifa iSt iProf. SKagnuS, neben bem
fleißigen ^öfler ber beStc Senner ber 58ollSmebijin, ju bem (Srgebnis
gclommen, baS er am SchluSSe Seines lebten SBerleS als bie grucht jahre-
langen gorSchenS nieberlegt: „®ie SBortSmebijin, Sagt er, berbient unSer
3nterefSe, unSre Teilnahme, Sogar unSre Unterftühung. Sie lann unter ißc-
bonnunbung ber SKebijin unb unter Staatlicher StufSicht ein hochgefthähter,
gcrabeju unentbehrlicher Xeil beS ftranfenbienSteS werben."
3eigt Sich in ben eben berührten ©ebicten ber @inftu6 botfsfunblicher
gorSchung junächSt in ben SBerlftötten ber SBiSSenSchaft, So greift er bei ber
Sunft bereits in baS öffentliche fieben. ©ebanfen» unb ©efühttofigfeit hat
in ben oerfloffenen 3ah*^äthnten in Stabt unb befonberS auf bem fianbe
einen SBauftit gezeitigt, bei beffen bto§em Slnbticl einem falt wirb: gcrabe,
fahle SBönbe, bie SWaueni wei|j oon oben bis unten, ohne allem ober mit ganj
uerfehltem Schmuct. 3)er gan^e !IppuS ift jenen ;g>äuSchcn nachgebilbet, bie man
als Schachtelbubenwarc für wenige ißfennige laufen fann. SBic äußerlich, fo
finb bie Raufer auch innen befchaffen; aHeS oiereefig unb fchön regelmäßig,
in ber ®de ber mobemc eifeme Dfen, falt in feinem Stil wie bet ganje
Siaum. !DaS finb Stufenthaltsfafernen, aber feine SBohnftätten, in benen man
behaglich nach t)eS SageS fiaft unb äRühen auSruhen unb wo im Steife ber
gamilie baS @iemüt }u feinem iRecßte fommen fann. 3Bir haben geftern baS
hübfehe fiieb oon ber Ofenbanf gehört; in Solch öben 3täumen ift bieS Sicher
nicht entftanben. ®iefer unerfreuliche, gemütlofe Souftil hat nicht unwefent
lieh ba^u beigetragen, baß oielenorts baS @emütSleben unfreS iBolfeS Der-
troefnet ift. 9luch bie Umgebung ber ^leimat, ber SBalb, bet SBeg am
giuffe, auf bem Singer, wo man fich fonft an ber Slatur erfreute unb baS
.derj in hamtlofem ©cplaubcr auSfehüttete, ift oielfach ben gorberungen
unfrer mobemen 3nbuftrie äum Opfer gefallen. So ift baS SJotfSleben oer-
öbet. ®egen biefe IBcröbung ift auS ben Oolfsfunbtichen Sieftrebungen heraus
ber ^eimatsfchuji entftanben, ber bie ijSflcge heimatlicher siatur, Sunft unb
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Sautoeife auf fein $rogiamm gefegt ^at. ttuf bem Gebiete bei bilbt^en
tSaiftedung, namentlich auf (Sefögen, SRSbeln, Schmudgegenftfinben iß ie^t
.tBoIUhinft" ba8 SofungSmoit gemtnrben: man greiß jurfid auf bie fchlichten
(Sijeugniffe, an benen bergangene (Skfchlecfiter i^ie greube gehabt hoben,
unb übeiaQ fann man bie Beobachtung machen, baß biefe auch h^i^ noch
auf ben fchlichten mie ben gebilbeten äRann oiet mohltuenbei »irfen, atd bie
fiaiifaturen mobeiner Sunftiichtungen. ^ch oermeife ferner barauf, ju melchem
^nfehen in unfern !tagen bad fchtichte BoRdlieb gelangt ift (Hnft h^i^
man ti nur in f)fttten unb auf ber Straße, jeßt erfreut ti in großen
Sälen ^1} unb Semflt oon !£aufenben, bie fcheinbar bem BoIKtum entrücft
ßnb, unb auch >»t faiferlichen Balafte iß ti Siebling unb Schübling getoorben.
2)urch bie Anregung beä madem $ommer in 3Bien iß eä neu ermedt
unb baä t>ofär überaQ htnsctragen moiben, mo bie beutfche 3onge
eiflingt. Selbß auf unfie Siteratur iß bie Dolfätunbliche Bemegung nicht
ohne (Sinßuß geblieben: ße hot bie beutfcße ^orf> unb Steinßabtbichtung
ju hoh^t (Entfaltung gebracht unb ißr buich bie Schöpfungen (üanghoßrO,
:£)an8ja(obä, BofeggerO, SohnrepO u. a. Xaufenbc oon greunben jugeffihrt.
So tönnen mir in ber SBißenfchaß unb fiunft h<obIi<^cn, rnoßin mir
mollen: überaQ hot ßch bie Bollofunbe (Eintritt oerfchofß unb eine @emeinbe
}u grflnben gemußt. Unb ti ßnb nicht bie f^Iechteßen ber Station, bie ihr
hutbigen. 9(ber maä für und baS michtigße ift: mo ße regiert, ba fchmeben
$hinft unb SBißenfchaß nicht in ben hoh^, falten fßcgionen, bie für ben
gemöhnlichen Sterblichen unerflimmbar ßnb, fonbem ße leben im Bolf unb
bleiben mit biefem in ßetem SBechfeloeifehr. Unb babuich gibt bie ooIfti>
tunbliche Sorfchung ber Station mit Stofen baO Sapitat jurüd, baä eO oon
ihr empfangen ßot. Sn biefem Sinne miQ unfer Berbanb mieten unb
fraßen, unb er erbittet ßch ba}u Sh<^c Unterftüpung: mir arbeiten }um
SBohle bc8 beutfchen BoIteO, jum Sohle unfrei SStitmenfchen.
Ober da5 VothsUed in Ötterreich and feine
vorbereitete I^erausdabe.
Tortrag von proftTTor Dr. Hdolf I^auffcn aas Prag.
SJteine Herren! möchte feinen abgerunbeten Bortrag über baö
ößerreichifche Boltölieb holten, fonbem im gern nur über ein Unternehmen
buchten, melcheö, menn aQe Slnfäße unb Sünfeße reifen, ein mürbigeö
^enfmal beö Bottöliebeö in ßßerreieß merben foQ. Sluö meßi alö einem
@mnbe befeßränte ieß mieß ßier nur auf baö beutfeße Boltölieb in Cfterreicß.
@ibt ti nun ein bcutfch-ößerreicßifcheö Boltölieb, baö an gemeinfamen
ßeroorfteeßenben, tppifeßen ©genfeßaßen ertennbar, ßcß oom Boltälicb in
ieutfcßlanb unb in ber Seßmeij alä eine befonbere (Erfeßeinung abßöbe?
^iefe Stage muß, fo aQgemein geßalten, oemeint merben. Benn in ben
oerfeßiebenen fiänbem unb (Sauen Ößerreießö gibt eö beutfeße Stömme, bie
ooneinanber in ber Btunbart unb im Sefen ju oerfeßieben ßnb, um bie
gleichen Bolfölieber }u feßaßen. Slußerbem ßnb bie ^ügellänber beö
Seftend unb Storbmeftenö, fomie bie Umgebungen größerer Stäbte mit bem
beutfeßen Steieß bureß ßunbert Söben fo innig oerbunben, baß ße aueß am
aQgemein beutfeßen Sieberfeßap innigen Slnteil ßaben. Slnbererfeitö aber gibt
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ei in ßfterreic^ nieber Sanbfc^aften, bie vburc^ @ebirg8jä^, buc(^
frembe ißQlKftämnie bom {Reiche unb au(^ bon i^rem SolfiStutn in Oftemic^
gchrennt finb, beten fiieber barum in Stoff unb Sorm, in ben Singtneifen
ein ganj eigenartige^ @epräge jeigen, o^ne bag bie gcmeinfamen ffäben ab'
gcriffen mürben.
Sine SarfteQung ber befonberen SIrt bc<$ beutfc^en iBoIfMiebeS in
ßfletreit^ müfete alfo einjelnc Sönbergrubpen unb fianbeSteile in« Äuge
fajfen: bie Stlpenlänber, bie Subetenlönbcr, Sprac^infeln ufm. ^»ier btfif(en
bie 2ieber mie Selb», Siefen-, Salb- unb Mlpenblumen in bielgeftaltigcn
gönnen unb garben unb jeigen boc^ in einzelnen obgefc^Ioffenen Gebieten
eine bobenftänbige glora. ton» ^>cr bei ber Betrachtung biefer Bolfä-
bic^tung nic^t oermeiten unb meife nur auf meine ausführliche Shnratterifiit
beS beutfehen BotfSliebeS in ßfterreich* Ungarn hin, bie oor 14 gahren in
ber „3eitfd)rift bcS BereinS für BolfSfunbe" an ber Spi^e beS oierten ©anbeS
erfchienen ift.
Kur toenige« möchte ich “«4 i>iEfEt Stubie hernu^flreifen. gn gnnj
Xeutfch'Öfterrei^ merben Sieber in ber SWunbart gelungen. Bon jmei @c-
fichtspunlten aus, oon ber geographifchen Sage unb ben BertehrSoerhättniffen
einerfeitS, oom Stoff unb ber Ärt ber Siebet anbererfeits, fann man ben @c-
brauch ber Bhinbarten beobachten. tCanach finb bie Sieber im fübüchen Öfter-
reich, in ben Älpenlänbem, auch im ©öhmertoalb, ber DolfStunblich bajugehört,
in ber Sprachinfei ©ottfehee — aHeS gebirgige unb malbreiche ©egenben —
jum großen Seit in ber heimifchen äJtunbart gehalten, oielfadh noch in ganj
urroüchfiger gorm. gm nörblichen Kieberöftcrreich, namentlich in ber Um-
gebung Pon Sien, in ©tähren (mit ÄuSnahme bcS abgefchloffencn $hih-
länbchenS), in Schleften, in 2)eutfchböhmen, alfo in Sbenen unb $üge(-
lönbem mit ftärterem Berfeht als in ben anberen ©ebieten ÖfterreichS, ift
bet Sieberfchah ungefähr ju jroei ®ritteilcn fehriftbeutfeh, ju einem drittel
munbartlich. Unb jmar finb fehriftbeutfeh bie ©aHaben unb erjählenben
Sieber höheren StilS, mit Kittern unb ©belfräutein, Schlöffem unb
Burgen, auch öie gcfchichtlichen Sieber, melche aüc nicht an beftimmte Sanb-
fchaften gebunben finb, toelche überall Spannung, SRitleib, Berounberung
erroeden, melche früh ünn manbemben f>anbmerlsburfchen, Keilern, Sanbs-
fnechten, Stubenten, |>aufiercm oon Sanb ju Sanb getragen, auf glug-
blättem unb in Sammlungen gebrudt, oon lonfehern in ber Singmetfe
umgearbeitet morben finb unb fo auch ihre urfprünglich munbartliche gär-
bung abgeftreift hoben. Ähnlich oerhält eS fich mit ben meift oon ©eiftlichen
oerfahten fitchlichen Siebern, mit ben feierlichen Shorgefängen oon Berg-
leuten, Solbaten unb göoften. 5)iefc Ärt Sieber merben auch m ab-
gelegenen Sänbern, alfo auch in ben Älpen, menigftenS im lebten gahr-
hunbert, jumeift fehriftbeutfeh gefungen. liefet feierlichen BollSbichtung
fteht eine meit größere Schar oon fchlichten, auch meift fürjeren Siebern
gegenüber, mit Stoffen, bie auS bem gembhnli^en Seben beS ÄHtagS,
aus örtlichen Sreigniffen unb guftänben, auch mit beutlich lanbfchaft-
lieber gärbung ermachfen finb. ÄUe mit einer padenben, anfchaulichen,
mi|igen, auch berben S)arfteUung oerfehen, alle Oon Seuten aus bem
Botte unb barum in ber Kiunbart Oerfagt. BefonberS beliebt finb
barunter bie Bierjeiler, bie in ber öfterreichifchen Älpenmelt hrimifch unb
ungemein reichlich oertreten finb, aber auch anbermärts nicht fehlen. ÄUe
biefc Sieber merben auch in ben Subetenlänbem, mie überhaupt in SRittel-
;lc
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beutfc^Ianb, in ber aRunbart gefungen. Btfonberd bie {Reime unb Spiel«
öerfe ber Sinber, welche jo überall auf beutf^em ©oben — bie ©rofeftöbte
nic^t autSgcnammen — bie Se^riftfprac^e erft in ber ®(^ule lernen, gi^lic^
bringen in jüngerer 3cit burc^ ^eimtel}renbc ©urfi^, bie beim aRilitür,
unb burt^ ailäbi^n, bie in ©ro^ftäbten gebient ^aben, immer me^r ft^rift«
beutft^e Sieber aut^ in abgelegene ©egenben ein, mie in ben ©bpmerwalb,
in bie Sprac^infel ©ottfc^ee unb p ben Siebenbürger Sac^fen. 2)iefe
Sieber merben bort pmeilen in bie aRunbart umgefe^t. Z)od^ auc^ ber
umgefe^rte SBeg mirb eingefd^lagen, fo bag munbartlid^ Sieber in Stdbten
in« St^riftbeuifcfie umgefe^t werben. ®a bie« nie^t immer boHflfinbig
burc^gcfüprt wirb, fo jeigen Diele Sieber Don Sc^le«wig'$olftein bi« na(^
Samten unb Siebenbürgen ein ©emif(^ Don Sc^riftfprai^e unb ^alelt.
3Ran fann auc^ beobachten, ba^ j. ©. ©gerlänber Sieber in« ©rjgebirge
bringen unb in bie bortige aRunbart umgefe^t werbm. Kbfiihtliche ©er«
wenbung Don 3Runbart unb Schriftfprache in einem Siebe finbet nur bei
©efprö(h«liebem ftatt, j. ©. in ber in jirol unb in ber Steiermarf Diel
gefungencn ,®eicf)tc ber Sennerin*.
ffia« ift nun in Öfterreich gefchehen, um ben gro|en unb wertDoHen
Sieberfchah h<^rau«2ugeben? mö^te Sie nicht mit einer langen Sifte Don
IRamen unb Xiteln langweilen, nur auf ba« SBichtigfte muh h^c>^
merben. 3ebc« ganj beutfehe ober pm Seil beutf^e ßronlonb in Dfterreich
hat bereit« eine ober auch mehrere Sammlungen geieitigt. Sto SRieber«
öfterreich beftcht nur eine fleine, houptfüchlich au« bem SSienerwalb ge«
fchöpfte Sammlung Don Xfchifchfa unb Schottfp (1819, 2. Slufl. 1844,
IReuauSgabe 1906 oon griebrich Srou|, ber aber überfein h“l.
erfte Auflage 48 Sieber enthült, bie in bie {Weite nicht aufgenommen worben
finb; auherbem „Sinberlieber" Don ©lümml«aBurth (1906). 3n Ober«
öfterreich hol>cn wir bie Sammlung Don ünton Don Spaun (mit Singweifen,
184.5, 3. 'Uufl. 1882); in Sal{burg bie Don ©in{en{ aRaria Süh (1866);
in Xirol, abgesehen oon älteren, {um S^eil unDerlählichen ftuögaben, eine
jüngere, ungemein werioolle, burch „IRachlefen“ bi« hc“ic ergän{te Samm«
lung Don g. g. Sohl (1899ff.). 3n Steiermarf ift bie lehte Sammlung
welche auf ben honbf^riftlichen Sieberbeftänben be« ©r{her{og« gohann,
fowic auf ©orarbeiten Don Seinholb unb IRofegger fugt, Don Hnton
Schloffar (1881) hc<^ou«gcgeben worben. ^roor{uheben finb auch
91. SBerle« SUmlieba (1884). Samten bepht eine öltere Sammlung Don
©ogatfehnig unb |>errmann (1869 f.) unb eine neue mit Singweifen
Don |)an8 Wedheim (1893); Öfteneich«S<hlcfien eine Don 91nton ©et er
(1865); aRähren nur eine (^mmlung, unb {War bie ältefte lanbfchaftliche
Sammlung Don ©oIt«liebem überhaupt, g. ©. aReinert« „Sieber au« bem
Suhlänbehen* (1817). gn Xeutfehböhmen ho^c« ürir brei tleinere lanb«
fchaftlich begren{te Sammlungen Don 91. ©aubler „IRorbböhmifche ©olf«lieber*
(1877), Don 91. Sirfchner „©efänge au« bem 91uffiger ©au* (1887) unb
Don gohn unb (£{crnp „(ggerlönber Sieber* (1898/1901) unb eine ba«
gan{e Sanb umfaffenbe, fehr reichhaltige Sammlung Don ^rufchfa unb
Joifcher (1891). gür gnneröfterreich bie „Älmer* Don g. ©. Seibl (1850),
für bie 9flpen überhaupt bie „Schnaberhüpfel* Don S. Don ^örmann
(1881). gür gan{ ajeutfch-öfterreich finb bie grohm ©erbienfte {u rühmm,
bie fich 9Iegicmng«rat l)r. gofef ©ommer um unfere gute Sa^e erworben
hat: burch {ahltriche 91u«gaben Don ©olt«liebem mit Singweifm, nammtlich
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burc^ feine ,444 3obIer unb guc^ejer* (2. Äufl. 1906;, burt^ feine 3«**
fc^rift ,3)a8 beutfc^e $oIt4tieb" unb bur^ bie 1889 erfolgte Segrfinbung
bei beutfc^en tBon^gefangSOereinS in ^ien. ©einem Seifpiel folgten bie
SBereine in IBojen, Sdinn, @raj, Siefing, SBien (^otlSlieboerein), unb im
beutfc^en Sleicb Seniat^, @eia unb 9ieuruf)tnn, bie olle }ur ißftege be4
lebenben !BoIf4liebe4 gegrünbet morben finb.
äJian follte nac^ bem tSorgefü^rten meinen, e0 wäre genügenbe
Krbeit geleiftet worben, bo(^ ift baä ni^t ber ffaQ. Sie älteren genannten
©ammlungen ^aben in ber Siegel feine ober nur wenige ©ingweifen,
fte {eigen ferner unbeabfic^tigte ober wiQfürlic^e änberungen, ja bewußte
gälfe^ungen. Slut^ bie ^unbart ift unjulänglic^ ober gerabeju falfc^
Wiebergegeben, ©o ^at noc^ bei einer oor furjem erfd)iencnen ©amm*
lung Srau^ unb SSIümmlS, ,SIuffeer unb ©c^naber^übfler",
ißommer arge ©(^ni^r noc^gewiefen. ferner finb manche ber älteren
©ammlungen auc^ antiquarif^ nid|t me^r ju befc^affen. 3Q^I(ofc
ootte Sieber finb txrftreut in lanbfd^oftli^en ^eimatfunben,
3a^rbüc^em unb 3«tungen, beren ältere Qa^rgänge nur wenigen ober übet-
baupt nicht {ugänglich finb. Kbgefehen oon biefem gebrucften tBeftanb, ber
olfo einer einheitlichen SScrorbcitung unb ^erouggabe bringenb bebarf, ift
noch gi^oher ©choh unbetannter Sieber {u h^^c», teilä au4 noch un>
benähten ^anbfchriften, teilä au4 bem IBoIIämunb. ©o befiht J. 16. bad
9J2ufeum in ©aljburg eine umfängliche Sieberfammlung aub bem Sfachlah
bon ©üg unb ber 93erein für ©efchichte ber 2)eutfchen in SSöhmen mehrere
alte Sieberbüiher bom 18. h^touf mit ©ing>
weifen. Allerorten werben auch in älteren bäuerlichen unb bürgerlichen
gamilien wertoolle alte honbfchriftliche Sieberbücher mit ©ingweifen unb
IBegleitung bon 3iihct, ©itarre ober flabier aufbewahrt, aber al4 pietät«
boH gehüteter ffamilienberth auch grögere ©ummen nicht hergegeben,
fo bal man fich ber SDlütjc ober fioften einer Slbfchrift unterziehen mu|.
SRit bem Äuäfterben beä lebenben Ißolteliebe« hui eä in ßfterreich noch
feine guten SBege. ffteilich nur in Hochtälern, SIBalbbergen unb ©egenben
mit reiner ffelbwirtfchaft. „83or bem Oualm ber Sabrifen bcrfchwinben bie
IBoIfälieber, wie einft bie ©Ifen bor bem ©chall ber ©locfen.“ (©BdeL)
©eitbem in lE)eutfchlanb ©olfBlieber gefammelt unb aufgejeichnet werben, —
unb baS ift bolb 150 3ahre hc^ — ertßnt immer wieber bie Slage, ba4
©oltBlieb fterbe auB, man fBnne eS nur mehr bon einigen alten ffrauen
hBren, eä fei bie höchfte 3^0» bie borhanbenen Sefte burch ©chrift unb ®rucf
feft{uhaltcn unb bor bem Untergang ju retten. Slber feit HtrberB ©c-
mühungen, ber auch baß SBort ©ollBlieb geprägt hoi> SlmimB unb
©rentanoB ©ammlungen würben in aüen beutfehen Sanbfehaften Itaufenbe
unb aber Saufenbe bon ©olfBliebem gefunben. Unb je fpäter, um fo tiefer
würbe gefchürft unb um fo reichereB ©belmetaU jutage gefBrbert. ©oethe
hat im ©ommer 1771 für Ht>^ber „auf feinen ©treifereien im ©Ifah auB
ben Sehlen ber älteften SRütterchen" ein 2)uhenb ©aHaben „aufgehafcht".
Surt SRünbel, ber ein 3ahrhunbert fpäter elfäffifche SolfBlieber fammelte,
teilt nach ftrenger SluBwahl unter feinen gunben 256 ©tücfe mit. 3®ci
©eifpiele auB meinen eigenen ©rfahrungen: SluB ber ©prachinfel ©ottfehee
hat ©dirBer in feinem SBBrterbuch biefer ÜRunbart (1876) 30 Sieber ber-
Bffentlicht. 9Ran halte bamalB ben l^nbruct, eB wäre aUeB. gn meinem
©uch über biefe ©prachinfel (1895) habe ich l&O burchwegB munbartlichc
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S?oIf«liebcr ^etouSgegtbtn. Unb nun teilt mir ißrof. Sf(^infcl, bcr fieiter
bei @ottfd)eCT Äuift^uffei mit, bo6 bie mit ^ilfe ber Sekret 3. $cr^ unb
SB. SWinfet jiemtii^ abgeft^loffene Äuffammlung für bo« neue Unternehmen
800 Sieber entholte. gemer bie 1891 erfchienene ©ommlung ,$eutfche
®otl8licber auä ©Bhmen" bringt — abgefchen öon ben ®ierjeilem unb
^nberreimen — ein holbei Üaufenb Solfilieber, »eiche noch ^ ouibrüd-
lichen (^tlärung ber ^erauigeber „bomoli noch bom ®oIfe gefungen »urben
obö: noch Wi in bie neuefte Seit befonnt »oren". Unb »ir hoben für bai
neue Unternehmen ungefähr 10000 Sieber unb einige toufenb TOelobien
beifommnc.
Unb bog ®o(fiIicber noch i»»er oon neuem entftehen, bemeift ®omnier
für bie ©teiermorf unb Sung^ouer für ben ®Bhmer»oIb; unb j»or längere
erjählenbe unb gefchichtli^e Sieber. ®enn ®ierjeiler »erben in ben Äl)>en
jeben ©onn- unb geiertag beim ®onjen, Srinlen, Siebeln unb ^)änfetn nur
fo oui ben Ärmeln gefchüttelt.
Unb »oi bühn in £)fterreich noch nicht befteht, boi foll bei bem neuen
Unternehmen mit ollem (Eifer ongeftrebt »erben: eine für aDc ^onlänber
unb Stationen Ofterreichi noch einheitlichen (Srunbfähen mit grBgter ©orgfolt
burchjuführenbe üuägabe, bie ein obgerunbeteä, möglichft erfchöpfenbeS ®e>-
fomtbilb bon ber güüe ber älteren unb bcr noch lebenben ®otÜbichtung in
ßfterreich »iebergeben foD. ®ie ®orgefchichtc, bie bühnigen (Ergcbniffc unb
bie noch erforberlichen Aufgaben biefeä neuen Unternehmens möchte i^ ic(t
borführen.
« *
3m 3oh<^ 1302 h«t bie SBiener 91iufitocrIagS«(8efe((fchaft UnioerfoI>
(Ebition ben ®(on gcfogt, eine KuSgobe bon ®oIÜIiebcm ouS gonj Cfterreich
in einzelnen ^cftcn ju ocröffcntlichen, »orouS bann ein ©ammelmerf mit
Siebern in ben bcrfchicbenen öfterreichifch<n ©prachen ermachfen foQte. ®er
bomalige SDtinifter für finltuS unb Unterricht, SBilhel» Kitter oon ^ortel,
hat in einem Srlag bie ®chörben aufgeforbert, namentlich bie ©chulleitungen,
SDhifitanftalten unb ®ereine jum ©ammein oon Siebern unb SRelobien ju
oeranlaffen. ®ie ganje ©a^e aber tarn nicht recht in ging. ®eiträge
liefen fpärlich ein unb blieben fchlieglich gonj auS. ®ommer h«t nun in
feiner Sf'tfchrift 9CJ«i0t, »ie untlor man pch über bie unb
burch eine ausführliche (Eingabe anS SKinifterium biefe Angelegenheit in
ben richtigen SBcg geleitet, daraufhin hot ber 9)tinifter am 22. Ko»
oember 1904 mehrere gachlcute ju einer ©i^ung nach SBien berufen,
»0 nach längeren ®eratungen befchloffen »urbe, eine auf »iffenfehaft»
lieber (Srunblage beruhenbe mehrbänbige @efamtauSgabe unter bem ®itel
„^S ®oItSlieb in Cfterreich“ oorjubereiten. Ungarn blieb auS ftaats»
rechtlichen (Srünben beifeitc. 3" biefer ©i^ung »urbe auch ein engerer
AuSfduh geibählt, ber nach ®ommerS (Ent»urf bie (Slrunbjüge für bie
©ammlung ouSarMtete. 3" ber 5»citen ©i^ung beS ^auptauSfehuffeS am
10. April 1905 »urben biefe (Srunbjüge burchberaten, fo»ie bie ArbeitS»
auSfehüffe unb beren ®orfihenbe für bie einzelnen Sronlänber unb Kationen
befteüt, unb j»ar in ber SBeife, bah füe ®6hmen ein beutfeher unb ein
tfchechifcher AuSfchul, ebenfo für Ktähren unb ©chlcften jufommen, für bie
beutfehen Alpcnlänber unb für bie ®oIen, Kuthenen, booten, ©lotoenen,
Kumänen, gtoliener unb Sabiner fe ein AuSfehuh gebilbet »urbe. ®Ü }um
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Sommtr 1906 ^aben alle bie ©ommeltätigteit eingeleitet. !{>ie
'Jiegiecung ^at für biefed gan^e Unternehmen ungefähr 20000 Kronen ffirä
3ahr bennlligt
Kuf (Drunb beä fchon erhmhnten (Snttourfeä h^t $ommer eine au4>
gezeichnete , Anleitung jur Sammlung unb flufzeichnung oon SSoItäliebem'
fertiggeftellt. ^ier mirb z^nöchft ber @egenftanb ber Suffammtung genau
beftimmt; 9ße(tliche unb geiftliche tBoItälieber, SJaQaben unb fiiebeätieber,
älierzeiler, Krbeitälieber, Sieber z» Sträuchen unb SBolfSfchaufpieten, Sänze,
9lufe, 3obIer unb 3u^ezer; alle« mit ben Singtoeifen. Äu<h ©prüd)e,
Scherzprebigten unb Spd^toörter. Knrz zufontmengefagt; ,gu fammeln ift
aUeä unb jebeä, maä baS SBoß an Soltäbichtung unb SSoIfämufit noch befigt
unb einpen« befag.* gemer gnben mir h«« «ine futje !BarIegung ber be-
griffe boltslieb unb ooltätilmlicheä Sieb mit beifpielen; genaue tlnmeifungen
für bie tiufzeichnung ber Singmeifen unb belehrungen über 9lhhthmu8,
3’onart, begteitung, ferner über Sammlung h°xbf<^<^fi6cher unb gebnufter
Sieberbücher unb gtugblätter. Sem legten ttbfchnitt ,9Bie macht man baS
bolt mitteilfam?“ folgt ein Sragebogen mit 22 Inapp gehaltenen Sragen.
Siefe allgemeine Anleitung mürbe bann oon ben übrigen beutfchen
üuäfchüffen, ben IRumönen in ber bufomina unb ben Sabinern in Sirol je
noch gegebenen berhältniffen unmefentlich abgeänbert. Sie Hrbeitäauä-
fchüffe ber anberen Stationen h<>^cn auf @runb beä erften (SntmurfS
felbftänbige Einleitungen oerfagt. Ser Seiter beä flomenifchen Eluäfchuffed h<ii
fogar einen gragebogen oon Dielen taufenb gragen bem Unterrichtäminifterium
zur Srucflegung unterbreitet.
bon ben bisherigen Srgebniffen ber übrigen beutfchen ElrbeitSauSfchüge fann
ich x»r menigeS mitteilen, nämlidh baS, maS ich Eingaben, bie in bommecS
3eitfchrift erfchienen finb, entnehme. Ser borfigenbe beS SluSfchuffe« für
Stteberögerreich, Karl Kronfug, hot in einem bortrag (gebruor 1908) mit
Siecht betont, bag man nur oon einem tirolifchen, fteirifchen, (ämtnifchen
bolislieb fpreche, hoch nie oon einem nieberöfterreichifchen, alS ob biefeS
Sanb nichts zu bieten hütte. @r meift nun auf ®runb ber neucften Sammel-
ergebniffe, morunter fich auch über hunbert Sänze begnben, an Dielen bei-
fpielen nach, bag baS nieberöfterreichifche bolfSlieb an beichholtigfeit ben
Ellpenlönbem nicht nachftehe, fonbern fie an SRannigfaltigfeit übertreffe, unb
ferner, bag bie ^armoniperung ber bollsmeifen befonberS cigenortig fei.
3n Sirol hut>en einzelne Sammler ungemein Diele bolfSlieber zufommen-
gebracht: fo Elbjunft S. birfl 1250, Siegler 1200, Kurot
3. ©och er 500 Sieber — faft oHe mit ben siictobien — , ferner ber 6hor-
meifter S. Sucerna über 100 Sänze. Stach bem bisherigen Ergebnis oon
4000 ©otisliebem fchägt ber ©orfigcnbe ©rof. 3. ^acfcrnell ben ge>
famten Sieberbeftonb auf 20000 Stücf. (Sr rühmt in feinem bericht bie
geigige STtitarbeit feiner Stubenten (@ermaniftcn) unb munbert pch, bag
gegen alle (Srmartung bie ©olfSfchullehrer bort menig leiften. l^n Steier-
nmrf unb Kärnten hoben pch eine groge 3oht fon Sommlern zur ©erfügung
geftellt. Qn ber Steiermarf mürben bis zum $erbp 1907 gegen 1300 Sieber,
bamnter 130 geiftliche, 330 meltliche erzäplenbe Sieber mit 150 Sing-
meifen, gegen 600 Scpnaberhüpfel, 2 ©otfsfchoufpiele, Diele Steimfprüche, über
20 3obler unb 100 Sänze — ungerechnet bie Don ©ommer fegon in
früheren 3ahren unb fürzlich gefummelten Seifen — gezählt. 3" Kärnten
hoben ziwt Sammler befonberS Diel zuftanbe gebracht: bflrgcvfchulbireftor
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©. ©t^üttdlopf unb Sot^Ic^m fiicbleitner, bcr erftere tut {öblic!^
Jfämten ungefähr 1000 Sieber, bet le^terc in SWittelfämten 250 Sieber,
20 unb 50 ©ierjeiler, faft aQe mit ben äReiobien. ganjen
finb ^ier jufammengefommen 500 Sieber, 4 ©oIKfi^ufpiele unb 17 l^anb>
{(^riftlic^e Sieberbücber, barunter mehrere geiftlic^en ^n^altd. ^n bem für
Oberöjteneic^ unb ©aljburg gemeinsamen SIrbeit4au4f(^u6 ^aben ber Som«
ponift 3. 9ieiter unb bie Se^rer 3- ^Seifer unb 9R. 3a»ner bie ©ammel«
tätigteit in bie ^anb genommen, 9Rä^ren>@cbIefien ^aben {i(!^ bei ©or>
fi^nbe ^fille^rer 3- unb bie übrigen fünf liudfcbugmitglieber je ein
abgegrenjteü ©ammeigebiet auügemä^It. ©iS ßnbe 1907 finb in beiben
Sdnbem 900 Sieber, 1200 ©ierjeiler, 500 Sprüche, 150 San je, 30 ftinber«
ft)ie(e unb 12 ©oß4f(^aufbieIe jufammengetommen. ^ugerbem foOen bie
längft oergriffenen ©ammiungen bon äReinert unb ©eter neu gebructt werben.
Uu4fü^riid|er fann ic^ natürlich über unfern Üu8f(bu| für baü beutfc^e
©oI(4tieb in ©öfimen beriditen. bin jum ©orfi^cnben, jum Seiter ber
©ammeltätigieit, jum Herausgeber ber Xe^e unb jum ©erfaffer ber Sin«
leitung unb ber ünmertungen befteOt worben, ©rof. Dr. H^inric^ Slietfc^,
ber ©ertrcter ber 3Rurßwiffenf(^oft on unferer Uniberfitöt, ber bor einigen
3a^ren baS fc^öne ffluc^ «®ie beutft^e Siebweife" neröffentlic^t i|ot, jum
Meboftor ber ©ingweifen. ©rof. Dr. Sfdiinfel übernimmt bie Über*
Prüfung ber ©(^reibung ber munbartlid)en Sieber. SitS tüd|tigen ©bonetiter
bat er ftcb burcb fein bor turjem erfibieneneS ©ucb „3)ie ©rammatif ber
@ottf(beer SRunbart" bewährt. B“*" SegierungSoertreler ifl ©tattbolterei-
fefretär iRuboIf ffreiberr ©rocbäjla, ber ficb als ßomponift unb äRufif*
fcbriftfteHer einen guten ©amen erworben bot, ernannt worben.
Sie ©ammeitätigfeit gebt in Seutfdbböbmen etwas anberS bor ficb
als in ben übrigen foonlänbem, unb jWar aus folgenbem ©runbe; Qm
Auftrag ber ©efeüfcbaft jur fförberung beutfcber SBiffenfcbaft, ^nft unb
Siteratur in ©öbmen, bie icb b<^ bertrete, bube icb in ben O^b’^cn 1894
bis 1900 in ganj Seutfcb*©Bbmen mit H'^ff ungefähr 200 Sebrem
fämtlicbe ©ebiete ber ©oifsüberlieferungen gefammelt. Sie ©rgebniffe,
barunter Saufenbe bon Siebern unb ©ingweifen unb biete, jum Seit febr
alte bctnbfcbriftlicbe Sicberbücber finb im ©oItSfunbe«$tnbib ber genannten ©e>
fetlfcbaft aufbewabrt. Siefen wertboOen ©eftanb bui bic ©efellfcbaft bem
Unternehmen beS UnterricbtSminifteriumS unter ber ©ebingung fibertaffen, bag
bie wiffenfcbaftticbcn ©rgebniffc ber ©earbeitung beS eingelaufenen SRateriatS
in ben „©eiträgen jur beutfcbböbmifcben ©olfSfunbe" bon mir berBffentticht
werben fetten. 2tuS biefem ©runbe bat auch baS SRinifterium unferen KrbeitS*
auSfcbug nicht }u einer allgemeinen ©ammettätigfeit berpftichtet, wie anber*
wärts, fonbem nur ju einer ergänjenben. 3" biefem Sinne ftnb mir auch
norgegangen.
Unfer HuSfchuh muhte ferner einen Slbfchnitt ber fchon besprochenen 2ln>
teitung ©ommerS burch einen neuen erfe^en, ben über bie Schreibung ber
baierifch'öfterreichifchen SRunbart. Sie StuSfchüffe in ben beutfchen Sttpen*
tönbem tonnten ihn ungeänbert übernehmen, ©ei unS war baS nicht
mfiglich, weit baS beutfchc ©ott in ©öbmen — gegenwärtig jWeieinbatb
Slitlionen — berfchiebenen Stämmen unb SRunbarten angebört. SroJ
ber ©tannigfattigfeit ber bon Ort ju Ort fich allmäblich beränbemben
©tunbarten, fann man hoch im ganjen hier grohe ©ruppen unterfcheiben,
welche berfchiebenen beutfchen Stämmen angebören, bie nicht nur in
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2>«itf4bö^mcn angefiebelt finb, fonbcnt jenfeUS bcr SanbeSgrenjen, aifo
in SHcber» unb Dberöjkrm«^, fomie jenJeiW bcr 8?ei^«Btenje in ©oiem,
@c(^{en unb ©trieften. Sieben ber baieiif(^'6[tecrei(^i|c^en 9)iunb'
act int fäbmeftlic^cn ©ö^men mußten no(^ berfiiffic^tigt uerben bie ober>
(tfäijifc^e ober norbgauifc^e ©iunbart in SBeftbö^men ((Sgerlanb unb
Umtrci«), bie oberfät^fif^ ober fogenonntc »norbbö^mift^e“ SKunbort im
meftlic^n unb mittleren Seile Siorbbö^menB ((Srjgebirge unb bem .©orlanbe
bis jur SIbe) unb enblic^ bie fc^Iefift^e iKunbart im bftlic^cn ©ö^men.
Siefer Slbfc^nitt bringt in unferer ^ffung eine genau burc^gefü^rte Anleitung
jur Schreibung ber ßaute. ®o bie get»Ionte £ieberau8gabe für «oeitere
Schichten berechnet iß, tonnte bie Schreibung ni^t ftreng t>honeti{ch fein;
hoch iß fic fo gehalten, baß bie oerfchicbenen ffärbungen ber munbartlichen
Kudfprache aud ben oerfchicbenen Gebieten ©öhmenb entf)n;c^cnb mieber'
gegebCT »erben.
SBie überall inbuftriereichc, im lebhaßen ©erfehr liegenbe ®egenben arm
an ©olliSlicbem finb, fo iß auch i» ^orbböhmen, in ben großen Sohlen»
gebieten oon Suj, ©rüj, Scftliß unb öftlich bcr 6Ibe, in ben an gabri!«-
untcmehmen fo reichen ®egenben, »o auch SKangel h^mifchcr Krbeit8>
träße Sröaßen oon tfchcchifchen StrbcUem cingcfchlciJpt werben, bcr lebenbigc
fiieberqueQ oollßänbig oerfiegt. 3tud biefen (Gebieten hoben wir fo gut wie
nichts eingeheimft (Sine erfreuliche güde oon Siebern aber fpenben noch
©egenben, wo bie gelbwirtfchaß bie Seutc emShrt; erftaunlich rci^ ßnb bie
äSalbgebiete. So haben wir gleich ot^ c<ite Ausbeute, Anfang 1907, unferem
tüchtigßen Sammler ©ußao ^ungbauer, au# allen Seilen be# ©öhmer»
watbe# 500 er^ht^t*^ Sieber, barunter 200 munbartliche unb 2(X) Sing»
weifen, ferner — ade# in bcr SÄunbart — 800 Sierjeiler, 300 ßinber»
reime, Sieber ju beßimmten ©rauchen, 40 Sänje, 400 dleimfßrüche, außerbem
9 honbfchrifttiche Sieberbücher unb 16 honbfchrißtiche ©olfSfchaufpiele ju Der°
banfen. 3»ngbauer war auch t»< oerßoßenen Sommer in ber oon SHeber»
Sßerreich hei^nragenben Sttrachjunge Steubiftriß unb hot im Sorfe Slrthol}
an einem Siachmittag mehr jußanbe gebracht, al# anbere Sammler in
©lonaten. Stießt fo reichholtige, aber boeß erfreuliche Sammelergebniße ßnb
au# bem ©rjgebirge unb au# SBeftbaßmen eingclaufen, fo au# ber Umgebung
oon Seßmiebeberg unter anberen 40 feßrißbeutfeße unb 47 munbartlicße er»
jühlenbc Sieber, ein SBeißnoeßt#«, ein Sreilbnig#-, ein Sommer» unb Sääinter»
fpiel unb jaßlreiche Singweifen, au# bem ©ejirfe SRic# unter anberem 20
feßrißbeutf^e ©otI#badaben, 5 längere munbartlicße Sieber unb meßrere
Sanjlieber mit wecßfclnbem Sißhlßmu#. Sa# ßnb nur ©eifftiele.
Sie Slrt unb Sureßfüßrung ber Sammcltätigfeit weießt }um Seit bei un#
auch t)on ber in ben übrigen ^ontänbem ab. ©ei ben anberen Stu#fcßüßen
fammcln Seiter unb SRitgticber fetbß. ©ommer iß in einer befonber# gtfle!-
tießen Sage, weit er feine ßeimifeße ßeierifeße SRunbart oödig beßerrfeßt unb
in aubgejeießneter SBeife aueß bie feßwierigften SRetobien, fo meßrftimmige
Nobler, nach t>em ©eßbr aufjeießnen tann. (Sr ßeigt in bie ©erge, taufet
in ben atßjenhütten bem ©efong bcr Senner unb Sennerinnen, trinß, ßngt
unb plaubert in ben Sorfwirt#ftubcn mit ^otjfnccßten, Jägern, ©auembimen
unb ©urfeßen unb maeßt ba große SluSbeute. ^n feiner, jebem Sammler
feßr cm))fehten#werien frifeß gefeßriebenen Seßriß: „Über ba# ätßterifeße ©otl#»
lieb unb Wie man e# ßnbet* (2. Sluflage, SBien 1908) gibt er au# feinen
oieljäßrigen Srfaßrungen Icßrreicße ©cifßiele, wie man ba# SRißtrauen unb
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bie 93efangen^t b«r Älpler überninben fann. @elbft>enben, meint er, führen
ju feinem Kuftif^ien non gieibier unb Wn bürfe nur mit äRag
angeiuenbet »erben. Unb nun jeigt er, »ie man bie Seute in eine gemütli(^e,
heitere unb barum gefpröchige unb auch fnnglu[tige Stimmung oerfehm fann.
iluch $rof. Dr. £effiat, bn fieiter bed Mmtnifchen %u8fchuf|ed, hot felbft in
ben berfchiebenften Tälern feinet ^eimatötanbed über 500 Sieber aufgejeichnet.
äRitglieber einzelner KuSfchüffe finb auch tüchtige SBoItiliebfünger. Sfuger
$ommer noch ^onful unb @0^' Xiroler KuSfchug Sucema unb Sohl,
in Särnten ß. Siebleltner, in Dberöfterreich 3- Sränil,
$aiS ift bei un8 leiber nicht ber 9aU. 8et ber bunten Ißielgeftaltigfeit ber
ÜRunbarten in ^eutfchböhmen wäre auch niemanb in ber Sage, mit ben Sanb«
leuten ber oerfchiebenen ®aue in ihrer 3Runbart ju nerfehren. 3<h beherrfche
biefe nur foweit theoretifch, ba| ich fchriftlich borliegenbe) Sialettlieber
neiiiehc- Anfang an hoben wir barum ben ©runbfah gehabt, für
einzelne abgerunbete ©tammeägebiete je einen Seiter ber Sammeltätigteit auä*
juwöhlen. SIm beften bewährt hoben fich bisher reifere ©tubenten, ®ermo>
niften, bie oifo fachmännifch oorgebilbet pnb, bie in bem betreffenben ®ebiet
geboren unb aufgewachfen unb barum mit ber äRunbart, fowie mit ben ört*
liehen unb perfSnIiehen IBerhältniffen ber ^eimat oöüig oertraut ftnb. äRan^e
hoben felbfi tüchtige mufitalifche Senntniffe; anbere bebienen fich jor SIuf>
jeichnung W ©ingweifen htionfeh^ IBerufämufifer. 3>a biefe ©tubenten ouch
meine ^örer finb, fo hotte unb höbe ich Gelegenheit, ihre Gignung ju biefer
fchwierigen, aber bantbaren Aufgabe tennen }u lernen. Unb ba fie mir bie
Grgebniffe perfOnlich bringen, fo bleibe ich »<11 Ih"^ ftänbigem, gegenfeitig
anregenbem IBerfehr. 3)aä ift freilich, ü)irb man meinen, etwaä gar ju
bequem. Stber ich höbe Weber in ber früheren, noch io ber gegenwärtigen
Seitung ber ©ammeitätigfeit bie fleine 9Rühc gefcheut, in oerfchiebene Gebiete
JU reifen unb mich mit ben Gewährsleuten münblich in IBerbinbung ju fe^en.
@0 war ich i»i Ixcbft 1907 in SOlieS unb im Ggerlanb, im Derfloffenen
September im bftlichen IBöhmen, im 3fngebirge, im IBraunauer Sänbehen unb
im Üblergebirge. ^ier höbe ich houptfächlich ben 3>oecf oerfolgt, ju ben jahl*
reichen wertoollen Xe^ten, bie wir auS früherer 3tü unferm flRitglieb Stnton
Sahler, 10eamten beS beutfehen SonbeSfulturratS, unb bem gegenwärtig in
3nnSbrucf wirtenben $rof. Dr. 3- ^offmann oerbonfen, bie noch fehlcnben
©ingweifen ju erlangen. 3<h höbe hic<^ houptfächlich mit mufeffunbigen
Sehrem, Sapellmeiftem unb lRegenS>Ghori oerfehrt unb überoQ bie Bufoge
baibiger (Erfüllung meiner SBünfehe erholten. Xatfächlich finb injwifchen f^on
ungefähr 100 ©ingweifen eingetroffen. Xo wir bie ©chönhengfter unb bie
3slouer ©prachinfel, beren in Göhmen liegenbe Xeile oolfSfunblich }u SHähren
gehören, mit BufKmmung beS äRinifteriumS bem KuSfehuh für SDfähren unb
©^lefirn abgetreten haben, fo ift alfo ber SreiS um ganj Xeutf^böhmen
gef^loffen unb bie Ginleitung ber ©ammeitätigfeit burchgeführt. SBir hoffen
in ben nächften jwei 3ohrcn noch öiel einjuheimfen, aber ber Grunbftocf ift
bereits ungemein ftattlich.
SSie foQ nun biefe ©toffmaffe gefichtet, bearbeitet unb hnouSgegeben
werben? $ier horten beS ÄuSfe^ffeS no^ fchwere Aufgaben. Xie erfte
Vorarbeit, womit wir im nächften 3ohr beginnen wollen, ift — um eine
Überficht ju gewinnen — eine 3uwulorifterung beS ©eftonbeS ber unS honb-
fchriftlich oorliegenben Sieber unb Sieberbücher, fowohl unfercS SluSfchuffeS,
wie ber Gefellfchaft, beS ©ercinS für Gefchichte unb anberer Ärchioe, ferner
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bet Siebet in beutf(^bö^mif(^en 3ciif<^nficn, ^eimatSfunben u{to. Sit metbcn
biefe nac^ ben iOefümmungen bet nom Setbanbe eingefe^tcn
SSolfbliebfonttniffion butc^fü^ten, tnie ed »o^tfc^einlic^ auc^ bie anbem beutfe^n
Ktbeit^auäfi^üffe tun luetben.
Sei biefet wichtigen SBotatbeii wetben mit fc^on bie @pteu non ben
ßötnetn f treiben tönnen unb nut baä audmä^Ien, mal fic^ füt bie geplante
Kulgabe eignet, ^iet etgeben miebet neue @c^mietig(eiten. 9htt einigel
möchte idf ^etaulgteifen. ©o bie etotifc^en Siebet, obet fagen mit gut beutfcb bie
unjüc^tigen Siebet. Sem fc^Iic^ten SBoIfe ift Süftem^eit böQig ftemb. !(bct
bal Soit bettac^tet mit {Rec^t bal @ief(^te(^tlic^e ail etmal Slatfltlic^el, ba
el butd^aul nii^t uon bet 3impetlicl^(eit bet fibetbilbeten ©täbtet angeftäntelt
ift. Sal ®efunbbetbe aud^ auf bcm gefc^Iei^tlic^en ®ebiete gehört jut (£igen>
att bet unteten ©c^ic^ten unb tommt in nieten Siebetn, befonbeti in ben
©c^nabetfiüpfeln unb in ben Senftetfptüc^eln ftäftig jum Slulbtucf. 9ii(^t nur
in ben Stlpen, fonbetn aud) in ben ©ubetenlänbetn gibt el Saufenbe foU^
„Silblinge“; bo(^ immet ift ^iet nic^t bal Unjüc^tige bie ^auptfac^e, fonbetn
bet Si(. Sit metben natätli(^ aud) manc^el banon aufne^men, fomeit el
mitflic^ ^odlliebet finb unb bet Sigenatt bei betteffenben ©tammel ent>
fptec^en. Sal Mtgfte metben mit in bie Änmerfungen oetmeifen. Soc^
motten mit nid|t fo ootge^en, mie ©lümmt, bet megen feinet flei|igen 6t-
fotfc^ung unfetcl ^olflliebel ünetfennung uetbient, bei feinet i^mmlung
,6toHfc^et iBoItlliebet aul Seutft^'Öftetteic^" (1905) ootgegangen ift. 6r
btingt I)iet neben ißtoben naioet ©innlic^teit in Siebetn aul bem Sanb-
ootfe, mal ja ganj in Otbnung ift, aud) niemall gefangene ,6tjeugniffe
ftäbtif(^et SSotbette, oon benen man fic^“, mie iBoIte mit Ste^t getilgt ^at,
»mit 6fet abmenbet*.
Oletnet: ja^tteit^e Siebet, nid)t nut öltete battobenattige Siebet, bie
übet ganj Seutfc^Ianb oerbteitet finb, fonbetn aud) SBietjeilet unb hit}c
Sicbelliebet finb in ben meiften Sönbetn Öftetteic^l üblit^. Selc^el Sanb
fott aifo biefe übetatt gemeinfamen Siebet ^etoulgeben? SRut bei fcbr
menigen ©tüden ift bet 6ntfle^unglott }u etf^tie^en; öttli(^e SInfpieiungen
finb gat feiten unb lönncn aud) fpätet eingefügt motben fein. Sie munb-
attlid)e ffätbung ift ni(^t immet füt bie Heimat entfcbeibenb, benn ^üufig
metben foli^e Siebet, melc^e in anbeten Sanbfi^aften Slufna^me finben, in bie
bort übliche IDtunbart übetttagen. äRe^tfac^et Ülbbtud ganj glei(!^et Sieber
in oetft^iebenen Äulgaben märe miftlic^. Soc^ fott anbererfeiti miebet ein
Sanb, in bem nac^meillic^ ein Sieb feit langer 3cü ^eimifc^ ift all i)eimii(^
betrad)tet unb oiel gefangen mitb, jugunften einel anbetn Sanbel, bal
Dietteic^t bie gleiten Unrechte batauf ^at aulgefc^ieben metben? Übet biefe
^agen unb übet bie ?Itt bet flnotbnung im einjelnen mitb noc^ eine Se-
tatung bet 93orfi(enben unb Sufiffac^männet attet Stulfi^üffe in Sien
nötig fein.
Snjmiic^en ge^en bie oetfc^iebenen flulfc^üffe i^re eigenen Sege.
bet ©teiermarf finb fünf SBönbe oeranfc^tagt: I. Übet 3000 Sänge. II. @egen
1000 3obIer unb 3u(^ejer. UI. Über 5000 ©(^naber^üpfel. IV. 6tgä^Ienbe,
geiftlic^e, Siebellie^t u. a. V. Sie übrige SSoIflbic^tung unb äRufit; Slact-
träge. Sie erften gmei ©änbe liegen brudfettig oot. Sal aRinifktium
^at aber oortäufig Sebenfen, bal gange Unternehmen mit SBänben gu eröffnen,
bie nicht eigentliche Siebet, fonbetn SRelobien ohne obet nut mit geringem
Seft bringen.
19
Unfer ^at bie bie ^(uSgabe in brei Sänben p ntr*
bffentli(^en, bon beren Umfang je^t noc^ nichts Se^mmted gefagt »erben
tann. Sei erfte Sanb foQ geiftlic^e Sieber, I0allaben, gcfc^id)tli(^e, Siebet'
lieber, im ganjen jumeift fc^riftbeutfdie Sieber größeren UmfangS enthalten,
©ei bem jweiten ©anbe wollen wir »erfuc^en — notflrlid^ mit Sermeibung
Don SBieberfioIungen — für bie oerfc^iebenen abgerunbeten €tamme^gebiete
bie biefen abgelegenen @egenben befonberd eigentümlichen Sieber jufammen*
jufteHen, bie bort hciwtfch ftnb, bie hciwiftfic Umwelt, Sitten unb ffeftbrüuehe
jeigen. hierher gehören meift fürjere, burchauö munbartliche Sieber unb ©ier>
jeiler. Ser brüte ©anb foll bie ©olföbichtung in weiterem Sinne bringen.
fUfo junfichft nicht @efungeneö: Sieimfprüche an Rufern, auf Srabfteinen, fowie
auf Sotenbrettem, bie im ©öhmeiwalb noch reichlich Dorhanben finb. Sann
ftinberreime, »lieber unb »fpiele unb Slrbeitölieber. gtrner fürjere Solf«»
fchaufpiele, bie h^iönifch'germanifchen ©rauchen entflammen, aifo Bboentfpiele,
Stemfingen, SKaiumjüge, SchwerttanjKime, Jfrühlingöfpiele, Sommer- unb
SBinterfpiele, auch Sieber, bie in umfängliche ©olföfchaufpiele eingelegt finb.
Sie ©arianten für Se;t unb ©felobie, fowie bie fprachlichen (Srflärungen
foüen am 3u§ abgebrueft werben; bie ©ehanblung ber Stoffe foll in ben
Stnhang fommen, eine fuije 3ufammenfaffung ber wiffenfchaftlichen Sr»
gebniffe in bie (Anleitung. SBaä bie Slneinanberreihung im einjelnen bc>
trifft, fo fann bie fogenannte tünftlerifche ünorbnung nur Don einem Sichter
an feiner Sebichtfammlung feinem eigenen (Sefühl entfprechenb burchgeführt
werben; bei einer Don belehrten hci^Duögegebenen ©olföliebfammlung müffen
aber fachliche unb ftoffliche Sefichtöpunfte walten.
dum Schlug meineö ©erichteö möchte ich noch in möglichftcr Sürje bie
groge erörtern, wie mir eä bei ber Sluämahl mit bem Segriff Solfölicb
halten wollen, ©ommer fpricht in einigen flbfchnitten feiner Anleitung Dom
echten, wirtlichen ober eigentlichen ©oltöliebe. Ser Seiechtigfeit wegen hoöcn
wir in einer Knmerfung baju bie neuefte, Don ©ommer einigermagen ab»
weichenbe Segnition 3oh<t ©teierö hinjugefügt, welche auö beffen ergebniö»
reichen tritifchen Unterfuchungen erwachfen ift unb bei ben Sachgenogen
Diel Entlang gefunben hat- ©feier fagt in feiner Schrift „^nglicber im
©olfömunb" (S. Ilf.): ,Älö ©olföpoege »erben wir biejenige ©oepc bejeichnen
bürfen, bie im ©funbe beö ©olfeö lebt, bei ber aber baö ©olf nichtö oon
inbiDibueüen Anrechten weig ober empgnbct unb ber gegenüber eö . . . . eine
unbebingt hc<nrf<hcnbe Stellung einnimmt.“ $luö ben weiteren Sluöführungcn
Slfeierö ergibt fieg noch folgenbeö: ^ebeö Sieb hat ein beftimmteö, meift geiftig
höherftehenbeö ^nbiDibuum jum ©erfager. Ob biefeö Sieb nun einen befannten
ober unbefannten, einen ben ©oltöfchichten ober ben gebilbeten Stänben an»
gehörigen ©erfager h^t, ob Anlage, Son, Stil beö Siebeö Dolfömägig ober
funftmägig finb, ob eb auö alten Überlieferungen fegöpft ober ©erfönlicheö
jeigt, ba« ollea finb nur nebenherloufenbc (»afjegorif^e“) (Sigcnfchaflen, bie
baö Siefen ber Sache nicht berühren. ^ebeS Sieb fann nur bann ©oltölieb
werben, wenn e8 Dom ©olf wie ein hcrrfnlofe« @ut aufgenommen Wirb, boa
bauemb leben bleibt, alfo „Dolfläugg“ wirb unb Dom ©olfe nach begen ®c>
f^maef unb nach teilweife fünglerifchen ©egehtapunften umgeftaltet wirb,
ähnlich^ gilt für bie ©felobien.
Siefe Segnition hat ein junger, aber erftaunlich reifer, gegenwärtig in
©rüfunganöten ftehenber Stubent, OluftaD dfungbauer, berichtigt unb ergänjt
in feinem Dor einem halben Sagre in ben „©eiträgen jur beutfehböhmifegen
20
SJolfäfunbc" erfc^ienenen ®ut^c „^JoIKbit^hing au« bem ®ö^mermalbc"
(@. inf., X^. SRcier betlagt mit 9tcd^t („^nftlicb unb Soltatieb“, ©. 18),
bag fid| bei bcr Betrachtung ber Sigentümlichfeiten be« BotfSIiebe« lein
Slu«gang«buntt für bie Unte^uchung geminnen taffe, bag Berfchiebenheiten
beftehen, aber in tnelcher {Richtung fich bie Sntmidfung bemege, fei nicht ju
cntfcheiben, ba ihr Stnfang unb C^bpuntt nicht ju faffen fei. S)aburch
mürben aÜe Untcrfu^ungen feinerer Ärt unmöglich, ^ungbauer mar nun in
ber günftigen Sage — a(« Bauernfohn mitten unter ben Sanbleuten Ober*
plan«, ber ^eimat Stifter«, aufgemachfcn — „Urformen* öon Siebern
heimifcher Bauernbichtcr (cnnen ju lernen unb, unterftüht vom ®ebächtni«
atter Seute, bie meitere ©ntmicftung unb Berarbeitung in mehreren gaffungen
ju oerfolgen. Bon biefem ©tanbpuntt au« meint er, bag al« BoIt«tieb bem
innerften Sem nach nur ein folcgc« Sieb gelten fönne, ba« nicht nur „eoff*
läufig* fonbem auch „uoI{«entftanben*, aifo oon einem äRann au« bem Bolfe,
üon ber ^nftbichtung unbeeinflugi, gebichtet morben ift. 3ch mug geftehen,
bag c« mi^ perfönlich fcgmerjüch berührt hut, bag au^ fotcge meit'
fchmeigge Srjeugniffe be« Bo(f«gefangc«, mie fic gerabe in ber genannten
Schrift mitgeteilt merben, bie poetifch minbcrroertig gnb unb auch i>urch ben
langen Borgang ber Bereinfachung unb Umbilbung im BoII«munbe nicht ju
äfthetifchcm ®enug befähigt merben, mirftiche Botf«Iieber fein foOen, unb nicht
bie herrlichen Sieber, bie un« au« bem 15. unb 16. Suhrgunbert erhalten
unb heute noch int Bolfe lebenbig finb, meit biefe gcher }um grögten 2:eil
oon ^nftbichtem oerfagt mürben. Natürlich gibt c« auch biete neuere nach'
meislich „ootfScntftanbene* Sieber Oon hohem poetifchen SBert.
SBir merben aber bei unfrer Slu«gabe ben Begriff Botf«tieb nicht fo
eng faffen, mie ^ungbauer e« macht, ber übrigen« biefe gormet rein tgeo-
retifch, nur für ba« Botf«tieb im ftrengften ©inn aufgefteHt hoi» ohne prol-
tifche gotgerungen borau« jiehen ju motten. Unb mir merben auch ben Be-
gri^ Botr«tieb nicht fo meit faffen, mie e« in ber reichhottigen, fchönen, oom
beutfehen ^aifer oerantagten Stu«gabe „Botf«tieberbuch für SRännerchöre* ge>
fchehen ift, mo neben oieten, au«brücftich fo bcjcichneten, „Botf«tiebem*
auch jahtreiche Sunfttieber, bie ohne Beränbeningen im Bolfe beliebt
gemorben finb, für bie SWännergefong«oereine mit {Recht Stufnagme ge-
funben hoben. SBir merben un« üielmehr on bie altbemährten Begriffe
Botf«tieb unb ootf«tümtiche« Sieb hotten, gtücftich geprägte (bi^e
mefen«Dermanbten, atlmähtich ineinanber übergehenben (^fcheinung«formen
trefflich bejeichnenben) ?lu«brücfe, melchc SWeier erfreutichermeife ouch bei-
behalten hot. ^enn „ootf läufig* ftingt nun einrnat nicht gut. hot>r über
biefe beiben Begriffe oor mehreren fahren (in ber „3*iiWrift für beutfehe«
Stltertum" 45, änj. ©. 66—70) gehonbett unb meine bafetbft au«gefpro^cne
?luffaffung nicht geänbert. (®iefe ?lu«führungen finb ju umfänglich, at«
bag i(h fie hier mieberhoten fönnte.) äBir merben alfo biefe beiben ®ruppen
Botf«tieb unb ootf«tümtiche« Sieb mit Borfiegt, hoch ohne (Engherjigfeit unb,
foroeit at« mögti^, getrennt in unfere 9lu«gabe aufnehmen.
8tu« biefem Berichte merben ©ie erfegen, bag mir in Öfterreich fteigig
am SBerfc gnb. Sluch in ber ©chmeij hoben geh bie greunbe be« Botföliebe«
jufammengetan. Sie ©chmeiierifchc ©efeUfchaft für Bolf«funbe, bie Sehrcr,
fomie bie ©efang«« unb aRufifoereine hoben im {Rooember 1906 einen Aufruf
unb gragebogen für eine oorbereitete @efamtau«gabe oerfenbet. SBir Seutfege
aiigerhalb bcr 9teich«grcnje münfehen aber oom ^erjen, bag auch unferem
21
SRuttetlanbe, bem Xieuti'c^en Slcic^e, bie winenfc^aftlic^c, aber auc^ au2gc'
fpioc^en nationale 8lufgabe in Eingriff genommen merbe, bcn !BoI{iSliebeifc^a(
bed 9iei(beä mbglic^ft ooüftänbig aufjufammeln, ju bergen unb ^eraulju*
geben. SBenn nur bie 3Rittei befc^afft toerben, an tü^tigen itrbeitem toirb ci
ni4)t fehlen.
Ober (ü* GrforTcbung der RetbraTagen. 0
Ton Richard CaoTfidlo.
Das 9let^ra>^obIem, baS feit 1768, b. feit bem betannten Streit
über bie Sd^t^eit ber fogenannten ißrilmi^er :3^o[e bie medlenburgift^e
SntertumSforf^ung auf baS leb^ftefte befcf)äftigt ^at, b. bie grage, mo
mir baS 91ationa(^eiIigtum ber 9Red!(enburger SBenben, bie Orafciftätte beS
Siuti^engotteS iRabegaft'Suaraftci }u fue^en ^aben, ift neuerbingS mieber in
ben Sorbergrunb beS QntereffeS gerücft morben burd) bie ©rabungen, roelt^e
mit |)ilfe ber oon ber Sire^oro-Stiftung bemiüigten äWittel bie oon ber
berliner 0nt^ropotogif(^en ©efeüfi^aft eingefe^te Stet^ra^Sommiffton unter
ber unermüblidien unb in ^öc^ftem SJiage fac^hinbigen unb forgfdltigen
Seitung beS ^xs^ni^urS Ceften auS SBeriin feit Hier on »nb in ben
beiben bei 92eubranbenburg gelegenen Seen, ber DoKenfc unb ber SiepS,
oome^men lögt.^
Die SBfung beS Problems nun mar biS^r ftetS entmeber auf ^iftorif(^>
fritifc^em ^ege, b. i|. burc^ eine einbringenbe SSürbigung ber beiben iBeric^te,
bie uns Dbictmar oon SOlerfeburg unb %tbam oon SBremen binterlaffen hoben
(auf bie Schmierigfeiten, melche bie iBergleichung ber beiben iBeridhte bietet,
fann ich hi^<^ nicht eingehen), ober auf rein archöoiogifchem 9Bege oerfucht
morben. Der SBert oon Slumamen unb SSoIfSfagen mar nicht erfannt.
Such ber Leiter ber fehigen ©rabungen glaubte anfangs biefer Hilfsmittel
entraten ju tönnen
9Jiir maren fchon ju Anfang ber neunjiger 3oh<^^ in äSaren bei Seuten,
bie aus ber 9ieubranbenburger ©egenb flammten. Sagen über IRethra be-
gegnet. Die ©rflörung eines ©eiehrten, bem ich fic oorlegte, folche Sagen
feien jmeifelloS jungen UrfprungS unb erft burch bie mieberholten ©rabungen
ber 92eubranbenburger Sorfcher entftanben, hot mich leiber bamalS oon
meileren Slachforfchungen iurücfgeholtcn. ÄIS bann im SRai 1906 ber jmeite
IBericht OeftenS erfchien, ber mir ben ©inbrud medte, bag man auf bem
SBege jum 3ici< fti/ t*- h- t>og Siethra bei Ufeubranbenburg ju fuchen fei
’) fiurj beooc unfer Qetbanb in Seilin tagte, bottc in SQbect eine Dagung
beS SefanitDereinS beutfthec @)ef^itblS* unb SHtertumCitiereine ftattgefunben, wobei
Herr $tof. iRicharb Sioffiblo über feine 91etbTafagen>3oriihung fOrad). Ruf Sitten
bet @<hn|tteitung biefeS aoccefoonbenjblatteS hot ber oetbienftoolle Sotfthet bie (üfite
gehabt, au(h ben SRitgliebcm beS SetbanbeS oon jenem Sottioge in bem folgenben
ftorf bertürjten unb etheblid) Oerdnbcrten Seridjte Kenntnis jit geben.
*) Der Umftanb, bab bet SiafieTiOiegcl beibei Seen heute um anbertholb
Steter hbhet ift oIS )ut SBenbenjeit (baS Stauwect ber am Snbe beS 18. ^ahr«
hunbects gebauten Sintabemühle in Seubranbenbutg hol biefe Srhbhung bemirft)
unb bah babuTth bet Umfang bet in bcn Seen getegenen 3»feln eiheblith gegen
früher Derinbcct ift, eifthmert bie Qfrabungen auherorbcntli^. Die Serichte OeftenS
pnben fnh in bet 3>i<hr- f- ®thnoI. 1904 S. 758 p., 1905 S. 981 P., 1906 S. 1006 p.,
1908 S. 559 p.
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(nic^t neniger ats 15 Orte waren fc^on für 9iet^ra in 9(n$t)ru(^ genommen,
Oeften felbft ^tte jucrft bei 0elbberg gegraben), ba fc^ien e« mir erwünft^,
an Ort unb ©teile weiter nac^juforftbcn unb feftjuftellen, ob nic^t bo(^ jene
früher gefunbcnen Sogen auf oltcr Überlieferung beruhten.
ffiin furjer ®orfto6 im 3“"' 1906 ergab eine überraf(^enb reiche
9IuSbeute, barunter eine ©age Don ber SSergrabung beO golbenen @otted brr
Sienben im „©lanfenburger leic^" bei Ißritwi^, beren 9RitteiIung an bie
9ietI)ra>Sommiffton jur golge ^ttc, bag biefe, o^ne weitere ©agenfunbc
abjuwarten, lebiglic^ auf @runb biefer Sage an bie Ausgrabung bes XeidicS
beranging, bie au(b je^t wieber fortgefflbrt werben foQ.') ©cbon bie SRannig-
faltigfeit biefer erften Ausbeute aber wir gezeigt, bafe b'tr nur plon«
inäfeige Arbeit jum führen fönne. ftfötc l«>ber bie ©ammeiarbeit
Dorlöufig ein, um mich beffer rflften ju fönnen.
Surdb eine eingebenbe Prüfung ber älteren @efcbi(btSwerfe, ber umfang»
reichen unb ber iBericbte über bie früheren Grabungen fuchtc
ich junächft Slarheit ju gewinnen, ob unb inwieweit bie heute umlaufenben
iüolfsfagen auf gelehrtem IDSege inS %oIf gebrungen fein fönnten. 3)ie ganjc
ältere Siteratur gab faft gor feine SluSbeute. 2atomu8*©teinmeh, um 1600
Sfeftor in 9leubranbenburg, ber juerft Slethra bei iprilwih fucht, fagt nicht#
Don lebenber Überlieferung. 3m 31'olfteeit wirb ber SBoIfSfage nur in gon^
unbeftimmten äSenbungen Srwähnung getan, obwohl cS hoch nahe genug
gelegen hütte, ber bunflen Sunbgef^ichte ber 31>oIe unb ben Qlrunblagen ber
©chahgräberci bcS @ibeon ©ponholh nachjugehen. 3oII hot nur }Wei be»
langlofc Sagen über ben SachcrSwall.
(Srft Sfieberhöffer (1857) bringt mehrere größere Sagen über SRethra,
bie bann im ÄuSjuge in boS ffierf Don SJartfeh, ber ßigeneS nicht hluiu-
fügt (für baS ©treliher 2onb fehlten ihm bie Sammler faft ganj), in bie
Dielgelefenen Ehronifen Don ^enjlin unb ^rilwih, in 2efebüd)er unb 3f*tungen
übergingen. 3®** 9liebevhöfferf(hen Sagen finb echt, wenn auch “uf-
gepult, bie brüte ift ein wiHfürlicheS, aus mehreren echten Slruchftücfen ju«
fammcngeftetlteS unb mit fremben 3utaten gefchmüefteS SWochwerf: Doii
iicinrich bem 2ömen unb einem Sönig Don SRethra weift bie echte ®oIfS<
fage nichts.
®aft aus biefen Quellen bie Don mir bis bahin gefunbenen Sagen
nicht flammen fönnten, war mir flar. So muftte ich junächft an ber tin*
nähme feftholten, bie fich mir Don Domeherein bei ber 2ebcnbigfeit ber
Ginjeljöge aufgebrängt hotte, boft bie lebenbe Überlieferung beS SoIfeS in
bie SJenben^eit jurücfrei^e. ®as lieft weitere erhebliche Slusbeute erhoffen,
■^oft fich Sagen fogar ouS DorfloDifcher 3c>t im Söfecflenburger SBolfe erholten
haben, hotte ja jehon früher ber bie SBolfSfage beftätigenbe Sunb beS Ißeclatelcr
$tronjewageno gezeigt.
3ch juchte bann weiter mit ber glurnomenforfchung uertraut ju werben
unb in ben „3>^90rten ber flaüifchcn 3»t)thoIogie" einjubringen. ©ammel«
fahrten enbli^ in bie Umgebung anberer wenbifiher ftultftätten, fo ber SBurg-
wällc am flauer See, bei firafow unb am SJlalchiner See, gaben mir Don
bem Ehorafter hftwijchrr ®urgwallfagen ein bejfereS ®ilb, olS ich ouS
®artfch unb ben Don meinen 9Kitarbeitem unb mir felbft früher gefummelten
Sagen gewinnen fonnte.
') SJiSöer iinb hier nur bie iRefte eines fteinjeitlichen ^ahlbaueS aufgebeeft worben.
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3nt Shrä^Iing 1907 ging id| bann in bet !£oQenie>®egenb felbft an bie
Sammeiarbeit ^eran. !Gad Tiufne^men bet S^umamen enoicS fic^ atö ein
ootjüglic^eS SDhttel, um in ber ganzen @egenb ^eimifc^ ju mcrben unb bie
2cute ju unbefangenen SKitteilungen anjuregen. 3(^ ^abe bann bi* ^eute*)
59 Dörfer ber ®egenb ißenjlin — SJeuftrcIi^ — Stargarb — Keubranbenburg,
jum Deil bon ^au* ju ^au*, abgefuc^t unb eine flfülle bon @agen gefunben,
mie fie mo^I bei feiner anberen ^iftorifd) bcbeutfamen Stätte bi*^cr aufgebedt
morben ift. Unbeeinflußt burcß bie tBericßte Dfjietmar* unb tibam* unb bie
©rgebniffe ber biößerigen ©rabungen ßab id| nac^ Sräften berfu(^t, immer
nur ben Datbeftanb aufjuneßmen, niemat* etma* in bie Seute ßineinjufragen,
bie fraufen, ficß bietfacfi bireft roiberfpred^enben ®ericßte in allen ©injeljügen
feftjußaltcn, unb immer mieber bie ©laubmürbigleit be* ®ewä^r*manne* ju
prüfen unb feftjufteUen, au* raclcßen OueQen er fißöpfte. ®or abfic^tlii^en
Däufeßungen glaube icß bnreß bierunbjlbanjigjä^rigc ©ammlererfaßrung gc>
ftßüßt ju fein. Äu* SWitteitungen ber Deftenft^en
Strbeiter gefeßöpfte Angaben abjume^ren, bebarf e* meift nur meniger SBorte.
SHirflicß fagenfunbige Seute merten, menn man ihnen in reihtet SBeife naht,
fofort, morauf e* antommt.
SKanche Sagen pnb auf jwei unb brei Dörfer befihränft. Die Sanbe*«
grenje (feit 1701) unb eine Spraihfihtibe gehen mitten burih ba* Sagen«
gebiet hinburch- Mm reiihften finb bie Dörfer, bie unmittelbar an ber Siep*
liegen. 3n ber weiteren Umgebung »erblaßt bie Sage merfmürbig fihnetl.
9iur bie ©lodenfage geht in einem Umfrei* »on etwa brei bi* »ier SIKeiten
in* Sanb hinein. Mber Seute, bie au* jenen Dörfern ftammen ober bort
einen Dcil ihre* Sehen* uerbraiht h<>i>en, finb natflrli^ weithin jerftreut: fo
ift be* Suchen* fein ®nbe. 3ih hni>« niir eine, bemnä^ft burch bie ßirchen«
büiher ju »emollftänbigenbe Sifte aller tüamilien angelegt, bie bor 50 unb
100 3ahren in jenen Dörfern anföffig waten, unb fuche feftjuftellen, ob unb
wo noih 9tachfommen fotiher längft oerftorbenen Seute leben, bie mir »on
betagten ®ewähr*männem al* befonber* fagenfunbig bejeichnet worben ßnb.
9)tanchc ber h^nte umlaufenben Sagen finb nach fieß gegenfeitig ftüßenben
Mngaben juoerläffiger @ewähr*männer in bie britic unb »ierte ©eneration
hinauf 4U feßen, ftammen alfo au* einer S^ü/ öo" SRethrafrage
überall noch t*ine 9febe war. ©* ftellt fich ho^ou^/ i*iä in ben Mnfang
be* neunzehnten 3ohrhnnbert* hinein ba« ®ilb »on ber SBunberftabt unb ihren
oergrabenen Schäden ben Seuten noch »öllig »ertraut gewefen ift.
Die ganje l^genb zeichnet fich burch fint^ic Mnfäffigfeit ber ®e»ölferung
au*, wie benn fchon ba* ^nfammenfallen »ieler Snmiliennamen mit Ort*«
namen baoon z^ngt, wie feft bie ®eDölferung mit bem ®oben »erwachfen ift.
Srembe Schnitter finb noch h^nif in einzelnen Dörfern eine unbefannte @r-
fiheinung. S* fommen anbere Umftänbe hinzu, welche bie ungewöhnli^c
3ähigfcit unb Sebenbigfeit bet Überlieferung erflärtn. Die Schilberungen
»on SKafch lehren, boß bie ganze Umgebung ber Siep* noih »or 140 3ohrcn
ein erheblich anbere* Mu*fe^n hotte, baß zohtlofe ©rab- unb ®efeftigung*«
anlagen »on ber alten Seit zeugten, bie feitbem zerftört worben finb: ber ®au
ber ©houffee, bie »on IReubranbenburg nach IReuftreliß führt unb nahe an ber
Siep* »orbeigeht, hot große ®erwüftungen angerichtet. Mber auch bie weitere
Umgebung, bie fo reich ift an Sleften »on ®urgen, Schlöffem unb glöftem
') b. p. bi* Snbe 9Jo»ember.
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rote feine anbere @egenb 9Jfe(fIenburg4 (^ier ^at unjer großer Sanbdmann
Sc^Iiemann bie glü^enbe Siebe }ur SBiebererweifung bergangener ^errtic^feit
in fi(^ aufgenommen) biett bie ft^affenbe ißolfeä rege Hu(b
bie buTcb Oeftend (Grabungen teilroeife febon befiätigten S9eri(bte ber Sifeber
unb Steinfobrer über fRefte otter 3)amtnanlagen in ber Sieb# gaben ber
Überlieferung immer roieber neue 9tabrung.
ift in bobent ®rabe beaebtenaroert, »ie febr b>« bie ©«gen j. ©.
bon ber roilben 3<>Qb> Dont 9Rart, bom üDraf, bon SSerrobIfen unb anbere
©agenireife, bie fonft faft überall in äHedlenburg einen breiten Soum ein-
nehmen, jurüeftreten. über bon 9laubrittem, bon ©urgen unb ©cbäben roirb
nirgenba fo biet crjäblt roie bicr. Unb baa groge ©ammelbeden ift immer
roieber ber ©agenfreia bon 9ietbra. ®rft ein genauer (Sinblid in baa ganje
©agenneb einer ®egenb gibt fiibere ©runbtagen für baa Urteil über Sllter
unb ©ebeutung ber einzelnen ©agenjüge.
greilicb je mehr non biefer ©agenmaffe ana Siebt fommt, befto febtnerer
roirb ea, baa biebte @eroebe ju entroirren: bie gäben fcblingen ficb hinüber
unb beeüber. Kn Überrafebungen roirb man gerobbnt. gaft feber neue
gunb beleiubtet einen früheren, kleine unbebeutenbe 3ü9e getoinnen bI9|ticb
3Bert. Unb ber ftbeinbare ®egenfab mamber ©agen töft fiib auf, fobalb
man babon abfiebt, bie 9Ucbtigfeit aller Kngaben an ICbietniara ©eri^t ju
meffen, ber boeb nur naeb ^örenfagen fcbilbert unb im roefentliiben nur ben
einen Bembel im Kuge b<>i- iüüer au^ an allerlei feltfamem 9iantroerf, an
Knaebroniamen, bollaetbmologifcben 3)eutungen ufro. fehlt ea roie bei jebem
gröberen ©agenfreife nicht. ©riQ j. ©., ber angebliche (Srbauer bon
©rilroib, roirb mit Sill, b. b- üUb/ bem ©roherer 9icubranbenburga, ju«
fammengeroorfen u. a. m. 3cb roerbe fpöter aHe folcbe ©ntgleifungen forg-
fältig buchen, fie gehören mit jum ©ilbe; bab fie ben SSert ber ^auptmaffe
nicht im minbeften in grage ft^üen lönnen, ift felbftoerftänblicb. Unb noch
eina fei betont: bie ©föglicbfeit, bab ©injeljüge auf gelehrtem SSege ficb
in bie ©olfafage eingefcblicben boüen, mub natürlich fici<^ int ^nge behalten
roerben. Sie grage enblicb, ob befonbera altertümliche ©agen in bie oor>
flaoifcb*germanifcbe 3^ jurücfreichen, ift febr febroer ju entfebeiben; barauf
lann ich hict: ni^t näher eingehen. Sab bie ganje ®egenb febon in oor«
flaoifcber 3^ii fin<^ befiebelt geroefen ift, lehren noch h^ic uorhanbene
©rabanlagen unb prähiftorifebe gunbe mannigfacher Krt.
Stach biefen allgemeinen ©emerfungen gehe ich baju über, oon bem
3nhnit ber ©agen ein ungefährea ©ilb p geben. tann hi^ nicht oolI>
ftänbige ©agen mitteilen; ich faffe nur fur3 bie biaherigen ' Srgebniffe ju>
fammen, bie natürlich burib neue gunbe noch roefentlicb erroeitert unb
berichtigt roerben fönnen.
Sa hict^ (ine S^rte bea ©agengebietea nicht beigegeben roerben fann,
fo nenne ich furj bie roiebtigften Stamen: Ortfebaften am Soüenfeufer
roeftlicb öon Steubronbenburg: ©roba, SKeierahof, IRehfe, SBuftroro; öftlicb
oon Stcubranbenburg: Slein*3tcmeroro. 3n ber Sollenfe bei ®uftroro: bie
gifeberinfet. Drtfeboften om Siepaufer: roeftlicb 3ippinn), ©rilroih (babinter
^ohenjierib ufro.); an bem ©übufer: ©liaabach, ©ferbeberg unb ©lanlen«
burgateicb (babinter bie äReierei ©hrenhof); am öftlicben Ufer Ufabel (bahinter
ber 3cchntD*SBatb). 3n>if(ben ber Siepa unb ber Sollenfc (mit ©erbinbunga-
gräben) boa Siepfer ©rueb, öftlicb baoon fixieforo. 3m Siepafee bie 3nfeln
Jfiebroerber (oor ©rilroib) unb ^anfroerber (oor bem Siepfer ©rueb).
Dy • cogle
25
1. ®ic Sragc, bie ielbft nat^ ben (Srfolgcn bcr iüngftcn Orabungcn
ntaiu^em noii) immer ftritiig erfc^ien: ob benn über^u))t Ketl^ra an bem
loHenfe* unb 2iepä»See ju futbcn fei, mirb bur(^ bie Sotläjage enbgültig
entfc^ieben. <Si ift oöQig unbenfbar, ba§ bie ©efamt^it bcr oon mir ge<
funbcnen Sagen auf gelefirtem SSJegc ind !BoR gebrungen fei. 9tur bie
'Snnafimc einer unauSgefc^tcn mänbli(^en Überlieferung Don ber 3Benbenjeit
ber Dermag ben blutigen I0efib bed SSoIteS ju ernären. feiner anberen
(Segenb äJiecflenburg^ bni fieb i><e Erinnerung an bie SBenben (bc SBennfeben)
fo lebenbig erbaltcn wie hier.
2. Siueb bie benüflen unb noch mebt bie älteren Sfumamen reichen
ium leil auf roenbifebe ober ber wenbifeben unmittelbar folgenbc Briten
jurüct. ®ie 92amen ber ffifebereijäge ftnb befonberd bemerfenSnert.
3. ®urcb bie Ergebniffe ber früheren unb ber febigen Grabungen mirb
bie SHcbtigfeit ber echten ISoIfSfage in manchen ^nften beftätigt, in feinem
ficber miberlegt. SBie meit fie mit ®birinmr^ unb tlbamS Scbilberungen
in Übereinftimmung ju bringen ift, fann erft unterfuebt merben, menn bie
Sammelarbeit abgefcbloffen ift.
4. ®ie Angaben b'xbf'rinsicr fieute laffen erfennen, bag früher an bem
Ufer ber fiiep4 erhebliche Stächen mit 3Batb bebeeft maren, bie btute beaefert
merben. So fommen mir bem S3ilbe jener silva ab incolis Intacta et
venerabilis magna, oon ber Sbitimor rebet, näher.
5. 92amen ber Stabt treten in bet IBoIfdfagc auf: Schöne Sieba
(Siebe, Sieta) o. ä., SDiagareta u. ä. unb Siinioeh. 9ieba finbet fich fchon in
ben annales Augustenses unb fpäter bei gabrieiu« (1597). SKinioeh
erinnert an ba« Siinioeta (ftatt SBincta) bed codex I’uchenü oon ^Imolb.
®ie h^utc in Eelehrtenfreifen übliche Sonn fRethra ift ebenfo mie bie Sonn
Slethte, bie fich bei Slbam unb ^Imolb finbet, bcr unbceinflugten ®oIf««
Überlieferung oiHIig fremb. Ein juoertäffiger @emährömann erflärte mit
groger SBcftimmtheit, bie Stabt höbe jmei Slamen gehabt: ben jmeiten (auger
Schöne Sieba) hotte er oergeffen.
6. Rion einer Bnrftörung ber Stabt burch äRenfchenhanb meig bie
^ottöfage nichtö; fie erflärt ihren Untergang burch eine Überflutung ober
eine Überlaftung bcö SSobenä unb bringt bamit anbere Sieränberungen ber
Erbobcrflächc in nahegclcgenen ®örfem in 3“fommenhang. Tiefe Sinnahme
ber IBolföfage fteht nicht im SBiberfpruch mit ber gefchichtlichen Überlieferung.
Tic in älteren ©efchichtömerfen geh oielfach gnbenben Stngaben über eine
breifache Beefiöning beruhen auf falfcher ßombination. 9?ur bie Stachricht
bet annales Augustenses über ben 3nfl öeö Sifchofö ®urcharb oon
.^mtberftobt ift mit Sicherheit auf SSethro ju bejiehen.
7. Tie Sagen über bie Slucht bcr SBcnben unb bie ©ergung bcr
Tempelfchähe meichen ftarf oon einanber ab: hiee freuten r«h nahezu 20
oerfchiebene Sfachrichten, bie jum Teil mieber burch Schahfogen ber meiteren
Umgebung beftätigt merben. So fotl j. ©. in einem ber 3RoHengorfer
Eirabhügel SRaria mit bem Sefuöfinbe oergraben liegen. Tie Sfuniamen
auf ber Erenge Oon ©toHenftorf unb Bohlen (Tümelömifch, Heiligtum u. a.)
roeifen auf alte ^Itftätten hin.
8. Eine au$ guter Cluellc gammenbe Sage begeichnct ein Sultbilb abi
ein filberneä Salb, baö an einem ©allen befeftigt gemefen fei.
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9. 3Bad bic Sage 9iet^rad anlangt, fo raiti bie SKe^tja^I ber @agcn
bie ©tabt auf ben fleineren ber beiben ©een, bie »Siep«" bef(^rönft miffen;
onbere fu(^cn fie in ber SoHenft.
10. ®ie „gif(^erinfcl“ in ber ÜoHenfe bei SBuftro», auf ber juerft
sBe^er, bann Srücfncr (feit bem ®rüdenfunbe bei SBuftro» im 3o^re 1887),
jule^t Oeften ben diabegafttempcl gefuc^t ^ben (Oeften ^at eine flarfe
S3o^> unb Uferbefeftigung feftgeftellt), »irb in einer ©age, bie Sennjei(^n
^o^en Mlterä an fid^ trägt, SBilenfo genannt. ®cr SiWereijug an ber
ffieftfeitc ber 3nfcl fü^rt noc^ ^eute, »a8 Oeften »ot|I entgangen ift, ben
9lamen „SBenb«^öfen" ober „SBenbä^öf)en“.
11. !Dic ©age, bie S^ietmar ermähnt, non bem auä bem ©et bei bem
Jembel auftauc^enben ®ber, beffen ©rf^inen alä ®orjei(^en rineä Stieget
gelte, l)ab it^ bisher in ber lebenben Überlieferung nic^t »ieber gefunben.
aber bringt, roae biä^er ni(^t beaefitet ift, fomeit i^ fc^e, SKüIIen^off
eine ganj ä^nlic^e ©age aus glenSburg: baS fc^eint bie neuerbingS bon
^iftorifem berfoc^tene ünna^me ju ftü^en, bag auc^ in ©i^leSmig ©laben
gewohnt ^ben. Slut^ in $ommem ^aben fic^ bermanbte ©agen erhalten.
12. S3ebeutfam tritt baS bon SBuftro» ^erbor. 3"
©utSgarten liegt nac^ ber ©age baS gotbene Salb, ©c^on in einem ^rojeg
bom 3“^re 1530, beffen Slftcn ©e^er im ©(^»eriner Ärt^ine fanb, ^anbelt
cS fi4 um ©c^a^gräbereien , bie ,^rt am !7or»ege bes ©au^ofeS bon
SBuftro»" borgenommen »orben finb: ein Umftanb, ber ouf baS Stlter ber
Siet^ra>©(^a^fagen ein ^eQeS Sic^t »irft.
13. Ku(^ baS benachbarte 9iehfe unb baS ganje S^oOenfeufer bis ©roba
()in hot Überlieferungen, bic jWeifelloS in »enbifthe 3c*t jurürfreithen. ©in
Äderftüd „bei ber heiligen ffiiche" nrirb in einem Sirchenbifiticrbuch bon 1574
genonnt: „©»cnn’ccf" h*e§ noch One furjem eine jeht bcrfoUcne alte Sidie.
^im nahen fUteierShof jeigt fith nach ber ©oltSfagc ein IDradhe, ber auS
ber ©rbe herborfommt unb »ieber berfch»inbct; baS flingt an eine unten ju
er»ähncnbc ©age bon einer auS ber &be täglich heebortommenben SBunbrr*
pflanjc an. — Slach einer ©robaer Überlieferung lag bic ©tobt in ber XoUcnie
in ber Biiehtung bon SKeierShof nach filein -Slemero» h^über. Xie ftarf-
fprubelnben OueUcn bei filein 'Slemcro» »oQen nach ber ©oHsfage ben
golbenen @ott aus ber XoHenfc »ieber herauSfehaffen. 6in grifchereyug j»ifchen
SKeierShof unb S3roba führt noch heute einen unanftänbigen Siamen,') ber
nach ber ©ollsfage früher auch ben Xörfem (Sobenbürp (bgl. Shihn>©ch»arh,
Stbb. ©agen, ©. 32) unb ©otteSgabc eigen War: in aQcn brei Sailen fcheint
eS fich um altheilige ©tätten ju huubeln, bie berächtlich gemacht »erben foUten.
14. Äuch ©roba, bet alte Sährort — fpäter Sih eines filofterS, be-
wahrt in giumamen unb ©agen biel alte Überlieferung. @ine Bleubranben-
burger ©age fucht bie untergegangene ©tabt in ben SBiefen am XotlenfeftuB.
15. Xie unmittelbare Umgebung oon $ril»ih ift mit ©agen angefüllt,
oon benen aber manche aus jüngerer 3eit ftammen. Xer ,©chlohberg", auf
bem äRafch ben Biethratempcl fuchtc (hier hut eine mittelalterliche S3urg ge-
*) 3n bem ißiogcamm oon ShihncI „£ic flaoifchen Ortsnamen in SRetflenbuig-
Strelip", II (1883), S. 36, wirb biefer Sifcheieijug „bobentog" genannt, ©ein ®e-
w&hrSmann, ein Serwanbter beS SifthereipiiditeTS, geftanb mir, bah er biefen Stamen
gewählt hübe, weil er ben anftöhigen Slamen nicht h«be nennen mbgen. SKan muh
eben beim ©ammein ber Slumamen ftetS an Sloltsfchichten fich wenben, bie foldje
ütUctrithten nicht tennen.
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flanben), tritt wenig ^erbor. äRe^icre ©(^a^räberjagen ^aben jum äRitteI>
pnnh ben fianbrat bon IBrebotb, ber ju 3cit tbieber^olt S}ionjefunbc
gemocht ^at. ^D€r im Sbolflreit bietgenannte giumomc „S^etrerberge“ wirb
bei Sühnet au8 bon glurregiftcr bon 1759 belegt.
16. SIuc^ bie @efc^i(^te ber '^^Iroiber 3^oIc wirb burc^ jwei Über«
Heferungen beleut^tet. 92ä^erei8 lann ^ier ni(bt angebeutet werben.
17. 3m Jpintertanbe bon ifjrilwit fe^e alte« ^rieftet» unb Jembet-
lanb. ^o^enjieri^ war nod) bor fünfzig $e;enborf berfebrien —
wie au^ anbere Dörfer in ber 9?öbe wenbifc^er ftultftötten, fo j. SB. Wambow
beim ©ageler SurgWall. — Der 1898 abgebrannte Dor^iebftaÜ in $oben-
jieri^ führte im SoIKmunbe ben 9iamen ,3iobeI8frog“ : berfetbe 9?ame, beffen
mbtl|ifcbt>^ (^aralter ja belannt ift, fe^rt amb beim naben Srabeburger SBurg>
wall wieber, auf beffen ©ebeutung für bie 9ietbrafrage febon S?if(b bingtroitftn
bat. — S*" »^ibenbolt“ in ber :£»obenjieribcr Öorft bo&f" f'tb ”o<b ber
©oiföfage bie lebten SBenben bebaubtet. — 3” bem im felben SBalbe ge*
legenen „Stribbom*@ec" wobnen wciblitbc Oottbeiten. — 3>" »Sauten See*
auf SSenbfetber Selbmarf liegt nach ber ©olbfage ber äSenbentönig be>
graben. — 3<u benachbarten ©lumenbotj weifen 3Iurnamen wie (Dottöfamp
auf altes Dempetlanb bin.
18. Die oor ©ritwib liegenbe 3ufel „fiiebwircl“, auf ber Ceften eine
ftarle wenbifebe ©efiebelung naebgewiefen bat, erfebeint in einer bebeutfamen
SiponSfagc al« ©tfitte eine« DempelS.
19. Die gelbmarf ber ju Spritwib gebfirenben SÜJeierei ßb^tnbof (int
©üben ber fiiepS) b“t ficber mit jum b**l'gfu ©ejirfc gehört. Der Kante
bat, wie ber Slumame ,4!fb«"töll" geigt, nichts mit bem ©omamen bes fianb-
ratS @b^cureicb bon ©rebow gu tun, wie immer behauptet wirb. Der SBcg,
ber bom ©utSbofe an bie ©rilwib* Ufabeier Sanb^aie b^ranführt (früher
ging er bis an bie SjiepS weiter), war nach ber ©age „ber alte SBeg nach
©cböne Keba".
20. Über ben „©pihberg", ber nicht Weit bon biefem SBege liegt, läuft
eine ©age um, bie auf ben Sult einer weiblichen ©ottbeit fcbliegen lägt.
21. Der nabe faltbalrige, in bie Sieps fliegenbe „©liaSbacb* (im
©olfSmunbe SierS bäl ober fiierfcb böf), ber SRittelpunft ber ©puffagen ber
gangen ©egenb, febeint ber ©rengbacb beS b<Uigcn SBegirfeS nach äBeflen bin
gewefen gu fein, fluch anberen wenbifeben Kultftätten ift eS ein ©ach,
bei bem ber ©put beginnt.
22. Die ©agen bon bem nabegelegenen „©ferbeberg“, aus bem ber
©ferbebieb ©chmdfoot, mit elfenbeinernem SRod befleibet, bffbortomntt, be*
wahren bie ©rinnemng an baS Sultbilb einer flabifchen ©ottbeit (©oante*
bit?), baS bic>^ auf ragenber ^öbc, bon ber auS man baS gange ©een*
gebiet überfchaut, feinen ©tanb batte. Diefe ©agen finben ihr ©egenftüd in
ber ©age bon bem Dämon Shiidcrbeen, ber an ber Saucnburgifchen ©tenge
häuft, unb auch t>it ®age oom ©iHng im „©onnenberge" bei ©archim ift
nabe oerwanbt.
23. Die gange Umgebung beS ©Iantenburg*DeicbeS ift boQ bon wert*
würbigen Überliefemngen, bie auf alte ^eiligfeit ber ©tätte f^Iiegen taffen.
Die obenerwähnte ©age übrigens bon bem golbenen ©otte, ber b<(>^
graben fei, ift auf brei Dörfer befchränft.
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24. Sie ÜberUtferung be4 SBoIfeS Don einem Samm in bec Sie)>4, ber
Don Ufabel ^ei bU in bie ®egenb bed ißfeibeberge^ fü^re, Derbient eint
9ia(^))rüfung.
25. ftuf ber Setbmarf Don Ufabel, bie noc^ }u ÜRaf^en^ 3nt an
©rabbenfmötem unb SBefeftigungäanlagen überreich gewefen ift, tritt in ber
SoHäfage ber »^aterenenkrg" ^erDor: nörblit^ Don i^m ^at Deften eine
Sammauffc^attung aufgebeift.
26. Sa8 an Ufabet grengenbe Sriclon), baS bid^r Don ber ar^äologift^
gorfc^ung ganj Dernai^Iäffigt toorben ift, war nac^ ber SSoItSfage ber 9Rarft>
t>Ia^ Don 9tet^ra. $ier ^aben nai^ einer Sage bie 3Benben auf i^rer gluckt
fialt gemacht unb ben golbenen @ott angebetet. !Bon einem Samm, ber
nac^ ber ißotlsfage Don ben ^ofgärten aud jur fiie))4 naib Schöne 9ieba
^inunterffl^rte, finb noc^ ^te 9iefte Dor^nben: feine 9ti(^tung wirb feft}u>
legen fein. Slumamen wie ^jenfetter, ^rrgooren u. a. finb bebeutfom.
%on ber „^wenigtuut" ge^en Sagen um, bie auf ben gutt weibtic^er ®ott'
feiten ^inpbeuten fc^einen. 2ln ber „gricfower böt" ^aben wir ben ®ren}'
bac^, bn ben t)eiligen SBejirf nac!^ Storben ^in abfc^Iog, ju fe^en: au(^ ^ier
Käufen [läf wieber bie Sputfagen, bie jum Seil in fe^r alte f|inaufragen.
27. Sie atte ^ciligfeit be£ „fiiepfer SBruc^eiS'' wirb in fülumamen wie
«SBietbä!“ (ba8 ift bie ältere Stamenäform für ba8 ®ietbäf ber garten —
ber 9tame finbet fic^ auc^ fonft bei fit^er wenbifc^en Surgwällen), ,9tonnen«
böf" unb „blag' SBifc^" (beibe altm^t^ifd^) be3eugt. — Äuf ber „tleinen ^)or^''
^icr im Siepfer Säru^ liegt nat^ me^^ac^ beglaubigter Sage bad golbrae
galb. — 5»ier war ber „SBenbenfirc^^of". ?tn ber wefttid^n Spi^ beS
tBnu^eS, bem „S3ac^er4waa", ^at Oeften eine tBefeftigung8anIage nad^gewiefen.
28. Sie @egenb jwifi^en bem Siepfer 93ru(^ unb ber Snfel ,,^emp>
wirel“ ift nac^ beachtenswerten Sagen bie eigentliche Stätte Don fRethra.
^icr taucht am ;fJohanniStage (in allen tRethrafagen ift eS wie auch f'’«^ i"
ben Sagen Don wenbif^en tBurgwältcn immer nur ber ^[ohanniStag, an bem
bns Untergegangene anS Sicht lommt) atlerlei @oIbeneS h^rDor.
29. Ser ^anfwerber felbft war nach Angabe eines @ewdhrS>
mnnneS, ber auS guter Ouette fchöpfte, bie Stätte eines SempelS; h>cr liege
ber Schah begraben, äuf ber S^fcl» ouf ber früher bei ber SBeaeferung
wenbifche gulmrreftc in fehr grohen ilRengen anS Sicht getommen finb,
hoben fdhon ®ott unb iörücfncr gegraben. Deften hot h'^r eine Uferbefefti»
gung nachgewiefen. Ein Steinbamm führt, nach Angaben alter Seute,
unter ber ganjen Oberfläche ber 3nfet hin.
5>ier auf bem ^anfwerber finb früher, waS Deften entgangen ju fein
fcheint, Sierlnochcn unb ^irfchgeweihe in grober 3oht gefunben worben. ES
ift möglich, bag biefe f^nbe mit ber Angabe ShietmarS, bag ber Sempet
„pro basibus diversarum sustentatur comibus bestiarum“, in 3“*
fommenhang 5U bringen ift, wie auch in ber Stabt SRalchow, ber Stätte
eines anberen wenbifchen fanum cutn idolis, ^irfchgeweihfunbe gemacht
worben finb. IRatürlich würbe, wenn fortgefehte Erabungen hi^ Spuren
eines SempetS ergeben foHten, bamit nicht erwiefen fein, bag wir eS hi*c
mit bem Don Shietniar befdgriebenen SRabegafttempel }U tun hotten. ES
wäre fehr wohl möglich, bag hin in ber IRähc beS 3RarttplaheS griefow ein
|>eiligtum ftanb, in bem bie nieberen tBollSfchidhten ju opfern pflegten,
wöhrenb ber griegSgott Sabegaft ouf ber gifthninfel Derehrt würbe.
29
(£int (o(c^ tlnna^me lönntc bur(^ einen weiteren Umftanb eine @tü^e
gewinnen, ^ier auf bent ^anfwerber finbet fic^. Wie fd^on @teudIoff (1907)
^emoige^oben ^at, ^olunber (gteeber) in ungewöhnlicher 9)2enge unb Störte.
®ie Beobachtung ©eher« in feiner wertvollen Ärbeit über bie wcnbifchen
Schwerine in ffltecftenburg (1867), ba^ 5I“rnomen wie gieeberluul, gieeber-
barg u. a. fich auffallenb oft bei wenbifchen BurgwöDen finben, hat fi<^ für
gonj 3J2ecfIenburg a(ö richtig erwiefen. Unb auch fRethragebiete (bei
Slehfe unb in ber 3«hoü)er SorfO finben fich biefe 9lamen. Kun ho* f<hon
Beher, bew baö ^arfe Borfommen bed i>oIunberö auf bem Bethragebiete
noch unbelannt War, eine iRachricht beS SRiletiu^ bag bie
Sarwaten einen (Sott ' Butfcaetuä Verehrt hätten, ben f’C fich unter einem
^olunberbaume wohnrnb buchten unb ben fie }u bitten pflegten, bei äRarciv
poluö, bem deus magnatum et nobilium, für fie Sürbitte einjulegen.
(Sinen ®ott ©ufchaitiö hotten nach berfelben Quelle auch t’i^ Slaven. 3)aö
mecflenburgifche Buftelow liegt in ber 9töhe einer wenbifchen ^Itftötte.
Das aDeö wiü genauer erforfcht fein. (Sine einbringenbe Untcrfuchung beö
ganjen ^anfwerbcrö unb feiner Umgebung ift jebenfattö ein bringenbe« (Sr-
forbemiö.
30. Slbcr auch t*oö ^interlanb von Ufabel, bie gro|e „3echow‘‘ ge*
nannte So^t, in ber fchon äRafch 9tethra gefucht hot, ift angefüQt mit
Sagen, bie jum Seil in wenbifche 3nt jurüctweifen. ^aS „fchwarje Bruch"
bei (Shtcnhof, ber Schaupla^ einer Bifion, bie lange „^ömerfuul", bie
noch uor fechjig fahren nach ben Angaben eineö juverlöffigen (Sewöhrö*
manneö burch ®rabanlagen unb botanifche äRerlwürbigteiten auögejeichnct
war (hier war nach t>ci; Boltöfage ber eigentliche „Slufenthaltöort" ber
SBenben), bie Umgebung von „Kobenfrog", in ber ein golbener ^ahn bie
£eute fchrecft, ber .Seulenberg" mit ber pcher alten Sage von ber febcn
BHttag auö ber (Srbe hcrvortommenben menfchentopfartigen SBunberppanje,
bie ben Krm beö chriftlichen ©aftorö, bet fie fortbannen Will, lähmt, u. ö. m.,
baö aUeö macht mir }ur (Sewiih^t, bag wir tS hi^ tu biefer gorft mit ber
^auptmaffe jeneö obenerwähnten h^üS^ SBalbeö ju tun hoben, unb bag
au^ in biefem SBalbe fich ^Itftätten befunben hoben. Slu^ baö nahe
SBanjfa — noch h^ute bie Stätte eine« ffllarfte« — tritt in giumamen unb
Sagen bebeutfam hervor.
31. gewinne eben, je tiefer ich .iu ben Sogenfrei« ber ganzen
@egenb einbdnge, immer mehr bie fefte Überzeugung, bag wir eä bei
Kethra mit einer auögebehnten civitas ju tun hoben, bie eine größere Kn*
zahl von BefeftigungSanlagen unb auch mehrere !tempelftätten umfchloffen
hat 3)ie Grenze be« ganzen (Sebiete« feftzufteHen, wirb, wenn überhaupt,
nur mit $ilfe ber Sagenforfchung gelingen lönnen.
B3ie bie 3ritungen fürzlich melbeten, hot bie 9lethra>gommiffion erfreu*
licherweife befchloffen, bie @rabungen mit Cbifer fortzuführen, fobolb bie
nötigen weiteren SRittet au8 bet Bit^ow*Stiftung bewilligt fein werben. 3)ie
Sommiffton wirb fich einer emftlichen ©rüfung be« (Srgebniffe« ber Sagen*
foifchung nicht länger entziehen lönnen, ohne ber Sache zu fchaben.') Unb
wir bürfen an ber Hoffnung fefthalten, ba$ e« vereinter Arbeit gelingen
werbe, ba« Ißroblem, ba« nun f^on foviel ^aft in Slnfpruch genommen hot,
in feinem ^auptteile ber Söfung zuzuführen.
‘) Unmittelbai nac^ Sbfenbung biefe« Beriete« erhielt ich bie 0utfocbenuc(i,
ber Dtethra-ftommifrion beizutrelen unb ihr bie Don mir gefammelten Sagen bor}ulegen.
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30
ÄUein — mie ouc^ immer bcr SBert bet Solfefage für bie ari^äo'
iogijc^e 3orf(^ung ftellen mag — bie iRet^rafagenfo^c^ung trägt i^ren
SBert unb i^m So^n in fid^ {elbcr. (£rft in bicfen }mei Sauren ^ab it^
bcn unerft^bpflit^n Sagenrei^tum beä ÜRetflenburger S3oHe^ in bollem Um«
fange mürbtgen lernen. toerbe bie ©ammeiarbeit meiterfü^ren, biä bie
ganje Umgebung in weiteftem Umfange blanmögig abgefuc^t unb bet Ie|te
erreichbare ©emährämann auSgefragt ift. ^ann merbe ich ">'<h ^ übrigen
menbifchen ^Itftätten ber ^mat jumenben. 3" ^ Scthren
hnffe i^ bann ben ganjen ©agentreiä in urfunblicher ^orm anS Sicht
bringen ju fönnen. ®ie Sergleichung mit bcr BRaffe bar übrigen Sagen bw
$>eimat, bie in meinen ^änben ift, fowie auch Slurchforfchung ber
Slumamen mirb bie (Eigenart ber auf menbifchc 3^*1 jurflcfgehenlMn Über*
tieferungen aufbeefen, »ielleicht auch flnüifihcn Sult in hcHereä Sicht ftellen
fönnen.
9Röchtc man auch i" etnberen beutfehen Sänbem, in benen ©laben
mohnten, emftlich an bie ©agenforfchung ge^n. Sec Sohn toirb nicht auö-
bleiben. Stuch um bie IBinetafagen j. h»! fi^h i« niemanb biShor emß'
lieh bemüht. Saö eben ift bie Sehre, bie bie 9iethraforfchung nahelegt, bah
mir hoch, wie in allen bolföfunblic^n Singen, fo auch >n ber beutfehen
©agenforfchung erft am SInfange ftehen unb ba| bie Überlieferung beä SBoIfö
hoch Jäher ift, alö man ju glauben pflegt.
Zu i&ittcUungcn Dr. 7, $. 4.
3nt Slnfchtug an ben Sluffah bon SKarfgraf ^itt. 5Rr. 7, ©. 4) fei
barauf aufmertfam gemacht, bah ou<h <n Sfreiberg i. ©., aifo ebenfaUä im
©ebiete öftlich ber ©aale, baö Serjelen bis jur Stitte bet 16.
häufig angemanbt nmrbe. Slgl. ben SIbbruef beö ffreiberget SBerjählbiühä,
cod. dipl. Sax. reg. II. 14, ©. 177 unb ben ausführlichen Äuffah bon
Srmifch, SieueS Srehio f. fächfifche @efchichte, 13, ©. 1, mo ©. 3 auch
auf oereinjelteS Sorfommen beS tSerjelenS in anberen oberfächfifchen ©täbten
hingemiefen toirb.
@iehen. @. S e h n e r t.
Hn die Rcebnungsführcr der Tcrein«.
Sie 3oht^c4beiträge bitten mir bom 1. ^onuar 1909 ab an ben neuen
IRechnungSführer beS IBerbanbeS,
§erm WechtSanroalt ß. SRothe, Shott>t>6 *• ® / 86,
ju fenben. SBir hoffen fchon om nä^ften SBerbonbStagc einen neuen 3oh^“n8^'
mobiiS borfchlagen ju fönnen.
Ser gefchäftSführenbe SluSfchuh.
Dr X)(i&n6arbt, 9.
Sudfbnufertt Sli^nrb Otto), fifibjtfl-
Verbandes deutscher Vereine für Volkskunde
(Korrespondenzblatt).
Nr. II. juiriTiöT
Delogiert ciiyerHainiiiliiiig
des Verbandes deiitsclier Vereine für Volkskunde.
Der von dem Gesamtverein der deutschen Geschichts- und
Altertumsvereine und dem Verband deutscher Vereine für Volkskunde
eingereichte Antrag (vgl. Mitt. Nr. 10) ist der Hamburger Ober-
schulhehörde, Sektion für die wissenschaftlichen Anstalten, vorgelegt
worden, und die Sektion hat die Genehmigung zur Angliederung
der Hauptstelle für deutsche Volkskunde an das Museum
für Hamburgische Geschichte erteilt. Zur weiteren Verfolgung
dieser Angelegenheit wird am Sonnabend, den 1. Oktober 1910, vor-
mittags 10 Uhr in WeimaPi im Hotel Elephant, eine Delegierten-
Versammlung stattfinden, die sich hauptsächlich mit der Errichtung
der Hamburger Hauptstelle für deutsche V^olkskunde beschäftigen
umi das von Herrn Professor Dr. Lauffer aufgestellte Programm
beraten wird. Auch die Frage der Volksliedersammlung soll zur
Erörterung gelangen.
Das Volkslied in Österreich.
Von Josef Pomme r.*)
Oriindziige für die Sanimlung österreichischer Volkslieder.
Diese vom hohen k. k. Mini.<terium für Kultus und Unterricht ge-
plante Sammlung soll in einzelnen, national abgegrenzten Randen die
gesamte Volksmusik uud namentlich das Volkslied der einzelnen in Öster-
reich lebenden Völker und Stämme umfassen. Die Hauptaufgabe besteht
in dem Aufspüren und Aufsammeln jener in den breiten, mittleren
und unteren Schichten des Volkes entstandenen oder.doch dort ver-
breiteten Lieder, Tänze und anderen musikalischen Äußerungen des
Volkslebens, welche bis zum heutigen Tage noch nicht aufgezeichnet
worden sind. Ferner werden in die Sammelarbeit einzubeziehen sein
jene Erzeugnisse des musikalischen und dichterischen Volksgeistes
(Lieder jeder Art und Form, rj'thmische Rezitationen mit inbegriffen,
Schnadahüpfel, Jodler, Tänze usw.), welche zwar bereits niedergeschrieben
*) Für ^tige Genehmigung dei Abdruckes ist die Schriftleitung dem Herrn
Verfasser zu herzlichem Danke verpflichtet.
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oder schon gedrnckt und in 2^itscbriften, fliegenden Blättern, ge-
schriebenen Liederbüchern, bandscliriftlichen oder gedruckten Samm-
lungen u. dgl. niedergelegt, aber noch nicht kritisch verarbeitet
worden sind. Die auf Grund dieser Sammelarbeit herzustellenden
Ausgaben sollen streng wissenschaftlichen Charakter haben Es wird
in ihnen deslialb auch die ganze bereits vorhandene einschlägige
Literatur kritisch zu behandeln und in die Bearbeitungen einzubeziehen
sein. Die dringendste Arbeit ist und bleibt jedoch die Aufzeichnung
des noch nicht Entdeckten oder doch noch nicht Veröfientlichten ans
dem Volksmunde. Tag für Tag sinkt Ja wertvolles Volksgut in die
Vergessenheit für immer. Eile lut not!
Soll der Erfolg dieser Sammelarbeit nicht dem Zufalle anheim
gegeben sein, so muß sie planmäßig vorbereitet und fachmännisch
geleitet sein. Soll die Hauptforderung, welche man au eine solche
Sammlung vom wissenschaftlichen Standpunkte stellen muß, die Voll-
ständigkeit, auch nur annähernd erreicht werden, so wird man sich an
die große Öffentlichkeit wenden und alle Gebildeten, die mit dem
Volke Fühlung haben oder aus demselben hervorgegangen sind, ins-
besondere Lehrer, Geistliche, Beamte, Ärzte, Studenten, zur Mitarbeit
heranziehen müssen. Zu diesem Zwecke ist die Ausarbeitung einer
Anleitung zur Sammlung und Aufzeichnung dieses poetisch-musikalischen
Volksgutes und die Veröffentlichung und Aussenduiig eines Frage-
bogens notwendig.
Im Volkslicde ist Dichtung und Musik in lebendiger Einheit
verbunden, beide sind deshalb anfznzeichnen. Nur in Jenen Fällen, in
welchen eines von beiden nicht zu erreichen ist darf mau sich mit
der Niederschrift des anderen Teiles begnügen.
Die geplante Sammlung wird, wie schon der Titel he.sagt, der
Hauptsache nach das Volkslied in seiner lyrischen Form,
aber auch episch lyrische Volksballaden und epische Lieder enthalten.
Auch das Schnadahüpfel mit seinen verschiedenen Weisen, auch so-
genannte Tänzeln, Gasselsprüche, ferner auch Dramatisches, Weihuachts-
spiele, Lieder und Ueimsprüche zu Frühlings-, Ernte- und Hochzeits-
bräuchen n. dgl sollen in der Sammlung Beachtung finden.
Wir erweitern den Begrift’ des Volksliedes hiermit, bis er sich
dem Umfange nach mit dem der Volksdichtung überhaupt deckt Auch
nach der musikalischen Seite sind die Grenzen weiter abzustecken:
Jodler, Juchezer, Rufe, Nachtwächter- und Rammerlieder und namentlich
Tanzweisen sind in die Sammeltätigkeit mit einzubeziehen. Der Begriff
des Volksliedes ist nach dieser Richtung somit derart verallgemeinert
worden, daß er sich mit dem der Volksmusik deckt Was sich noch
außerdem gelegeutlich aufdrängt und sonst vielleicht nicht oder doch
nicht leicht mehr zugänglich sein dürfte: 'Beobachtungen über volks-
tümliche Musikiustrumeute, über Tanz und Tracht, über Brauch und
Sitte, über Sprache des Volkes, wird nicht abzuweiseu, sondern, soweit
es mit dem Volksgesauge und der Volksmusik zusammeuhängt, zur
Kenntnis zu nehmen sein. Für die wissenschaftliche Verwertung
wird nach Möglichkeit gesorgt werden. Hauptsache bleibt natürlich
immer das eigentliche Volkslied selbst
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Fflr die Beurteilung des Volkscbarakters und -geschmackes ist
es aber auch wichtig zu wissen, welche Kunstlieder das Volk besonders
in sein Herz geschlossen hat. Wenn es diese unverändert singt oder
doch unverändert in seine Liederbücher einschreibt, genügt es, die
Dichtungen in Kürze unzweideutig zu bezeichnen, ohne daß eine Ab-
schrift derselben anzulegen wäre.
Das gesammelte Material ist den einzelnen Arbeitsausschüssen,
deren Adresse in den Tagesblättern der betreffenden Länder bekannt
gegeben wir<l, einznsenden.
Seine wissenschaftliche Prüfung und Verarbeitung ist Sache der
in den einzelnen Ländern zur Sammelarbeit berufenen Arbeits-
ausschüsse und des leitenden Hauptausschusses.
Die Sammler mögen sich bei ihrer Arbeit stets vor Augen
halten, daß sie die Hauptaufmerksanikeit darauf zu lenken haben, daß
ihre Niederschriften das Gehörte nach Wort und Weise in möglichst
photographischer Treue und ohne jede subjektive Zutat wiederzugeben
haben.
Die Liedweisen sollen nicht harmonisiert oder mit einer Begleitung
versehen werden. Sie sind niederzuschreibeu. genau wie sie das Volk
singt, mit allen Abweichungen vom Normalen in Rhythmus, Takt,
Tonfolge uud Harmouie, mit denen sie vom Volke selbst gesungen
werden. Singt das Volk ein Lied einstimmig, so ist es einstimmig
wiederzugeben; lebt aber ein Lied zwei , drei- oder mehrstimmig im
Volke, so sind auch diese weiteren Stimmen möglichst getreu auf-
zuzeichnen. Dasselbe gilt von der Begleitung auf volkstümlichen
Instrumeuteu, als Schwegelpfeifen, Sacki)feifen, Klarinetten und anderen
Blasinstrumenten, Geigen, Zither, Hackbrett, GiUrre, Zieh- und Mund-
harmonika u. dgl.
Die Liedertexte sind genau nach der Volkssprache wiederzugeben.
Derbheiten sollen nicht ausgemerzt oder .abgeschwächt werden. Ent-
scheidend ist nicht die Orthographie der Schriftsprache, sondern die
lebendige Volkssprache. Es ist daher die möglichst genaue und ge-
treue Wiedergabe der mundartlichen Klänge durch die Schrift an-
zustreben.
Da mau von Laien eine streng wissenschaftliche phonetische
Schreibung der Mundart nicht erwarten und verlangen kann, wird man
sich damit begnügen müssen, nur die auch dem ungeschulten Ohre
sich aufdrängenden auffallendsten Eigentümlichkeiten der Volkssjirache
in einer einfachen, anschaulichen, clas Wortbild möglichst wenig ver-
ändernden Wöise einheitlich bezeichnet zu erhalten.
Lieder und Tänze zeichne man in einer bequemen, einfachen
Tonart, mit möglichst wenig Vorzeichen in mittlerer Tonhöhe auf;
wünschenswert ist jedoch, daß die absolute Tonhöhe, in der die Lieder
vom Volke gesungen werden, angedeutet werde.
Die einzelnen Stücke sind gesondert auf Quartblättern oder
Halbbogen in gut lesbarer Schrift zu verzeichnen. Es ist nur eine
Seite des Papieres zu beschreiben. Der Name des Sammlers, die
Namen der Personen, nach deren Angabe das Lied (Stück) auf-
gezeichnet wurde, der Fundort, das Verbreitungsgebiet des Liedes,
sein mntmaßliclies Alter, die Zeit seiner Niederschrift ist, soweit als
möglich, bei jedem Stück gesondert mit größter Gewissenhaftigkeit
aiiziigeben. Einerseits soll hierdurch eine Nachprüfung ermöglicht,
anderseits aber auch das Verdienst, das dem Vorsänger wie dem
.'Sammler zukommt, anerkannt werden. Auch Erklärungen mundart-
licher Ausdrücke, Kemerkungen zum Verständnisse des Textes und
ähnliche Zusätze sind erwünscht und werden die verdiente Berück-
sichtigung finden.
Man spüre auch den licuten aus dem Volke nach, die in ihren
Kreisen als Liederdichter und Improvisatoren bekannt sind, ln ver-
einzelten Fälleu gelingt es nämlich, bei neuentstandenen Volksliedern
den „Dichter“ ausfindig zu machen. Vor Leichtgläubigkeit sei jedoch
gewarnt, denn häufig behaupten Leute, die ein Lied gerne und
vielleicht aus.schließlich singen, daß sie dies ihr Leiblied auch selber
„gemacht*, d. i. erfunden haben, ohne daß diese Behauptung den
Tatsachen entspricht.
ln jene Gegenden, in denen das Volkslied im Aussterbeu
begritt'en ist, werden einzelne oder mehrere Fachmänner zur Auf-
sammlung des noch Vorhandenen entsandt werden müssen.
Personen, welche die Sammelarbeit nicht selbst besorgen können,
mögen wenigstens durch Angabe von Quellen unserer Arbeit Vorschub
leisten, indem sie die Anschriften von Liedersängern und -sängerinneu,
von Volk.smusikanten, von Besitzern einschlägiger haudschriftlicher
Aufzeichnungen u. dgl. bekanntgebeu.
Auf Grund der im Vorstehenden beschriebenen großen, möglichst
umfassenden wissenschaftlichen Ausgabe ist auch eine zweite, kleinere
populäre Ausgabe geplant, deren Zweck die Wiederbelebung der Pflege
des Volksliedes in Schule, Haus und Gesellschaft sein soll. Sie wird
eine Auswahl der besten und wertvollsten Volkslieder enthalten in
einfachem, echt volkstümlichem musikalischen Satze je nach der
Eignung der einzelnen Lieder für Chorgesang oder Einzelgesang mit
Begleitung eines Instrumentes (Klavier, Gitarre, Zither).
Auch die Herstellung dieser Ausgabe wird von künstlerischem
und wissenschaftlichem Standpunkte aus unter Leitung des Hanpt-
ausschusses und Mitwirkung der einzelnen Arbeitsausschüsse erfolgen.
Ihr Erscheinen ist einem späteren Zeitpunkte Vorbehalten.
Aufforderung.
Unsere Mitglieder werden gebeten, den Jahresbeitrag möglichst
bald, spätestens bis zum 1. September an unsern Schatzmeister
Herrn Kechtsanwalt Kothe, Chemnitz i. S., Theaterstraße 86
einzusenden.
SchrlfÜcItQDc: Rektor Prof. Dr. Dihnb »rdt, laolpslf, Könlgttr.SS. — Druck dtr Drwdci-
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