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Full text of "Beitrage zur Geschichte des Basler Munsters"

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Beiträge zur Geschiehte 

de« 

Basler Münsters 

heransgegeben vom 

Basler Mtiiisterbauvereiii. 



I. 

Die Restauration von 1597. 



Von 

Rudolf Wackernagel. 




BASEL. 

Benno Schwabe, Verlagsbuchhandlung. 
1881 . 



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Die nachfolgende Arbeit über die Münsterrestauralion 
von 1597 wurde im vergangenen Winter der liiesigen 
liistorischcn und antiquarischen Gesellschaft vorgetragen. 
Sie ist namentlich geschöpft aus den Quellen des Staats- 
archivs und des Kirchenarchivs; für die Erlaubnis, letzteres 
zu benutzen, ist der Verfasser Herrn Antistes Stockmeyer 
sehr zu Dank verpflichtet. 

Die mehrfach erwähnten Abbildungen des Münsters 
von lünglin und von Büchel befinden sich in der Biblio- 
thek des Antistitiums. Das erstere Bild ist für die Ge- 
schichte der hier geschilderten Restauration von hohem 
Werthe, und es lag daher im Plane, eine Reproduction 
desselben dieser Schrift beizulegen; doch war aus äussern 
technischen Gründen die Ausführung für dieses Mal nicht 
möglich. 

Der Verfasser wurde durch den verehrlichen Vorstand 
des Münsterbauvereins ersucht, seine Arbeit unter der 
Herausgabe und zu Gunsten des Vereins zu veröffentlichen, 
und es geschieht dies hiermit, als Eröffnung einer Reihe 
unter gemeinsamem Titel erscheinender kleinerer Publica- 
tionen, zu deren Lieferung mehrere Freunde und Kenner 
unsers Münsters sich bereit erklärt haben. 

Basel, im Mai 1881. 



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Eine Münsterrestauration, so umfassend, wie sie seit 
Jahresfrist an unserm Münster begonnen hat, weekt das 
Verlangen zu wissen, wann und in welcliem Masse der- 
artige Arbeiten auch schon in früherer Zeit vorgenoinmen 
worden seien. Man findet an dem Gebäude Spuren einer 
ihm schon früher erzeigten Sorgfalt, einer nachhelfenden, 
ausbessemden, erhaltenden Hand, und man ist begierig 
zu erfahren, in welcher Zeit dies geschehen sei, seit wann 
derjenige Zustand des Bauwerkes datiere, an welchen mit 
der jetzigen Erneuerungsthätigkeit herangetreten wird. Ja 
noch mehr. Man will sich auch belehren über die Gründe 
und Zwecke solcher vormaliger Restaurationen, über die 
Tendenzen und ästhetischen Meinungen, die bei ihnen ge- 
waltet haben, und über die Art der Verwirklichung dieser. 
Eine solche Belehrung wird vorwiegend historisches und 
antiquarisches Interesse haben; sie kann aber auch von 
practischem "Werthe sein, insofern sie Aufschlüsse giebt 
darüber, was frühere Geschlechter im gleichen oder ähn- 
lichen Falle, in welchem heute wir uns befinden, gethan 
haben. 

Empfindungen dieser Art haben mich veranlasst, den 
Quellen d. h. (vorwiegend) zeitgenössischen imd unter diesen 
hauptsächlich officiellen Aufzeichnungen über die frühem 
hiesigen Münsterrestaurationen nachzugehen, und nament- 
lich war cs mir darum zu thun, Zeugnisse über Art und 
Wesen derjenigen dieser Restaurationen aufzusuchen. 



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von welcher da und dort bemerkt wird, dass sie im 
Jahre 1597 stattgefunden habe. Bei diesem Nachforschen 
ergab sich mir sowohl ’ im Staatsarchiv als im Archiv 
des Antistitiums eine an Zahl wie an innerer Bedeutung 
die Erw'artung übertrefFende Actcnsammlung, über welche 
auf den nachfolgenden Blättern referiert werden soll. 

Kurz vor ihrem Untergänge erst hat die katholische 
Kirche zu Basel ihr vorzüglichstes Gotteshaus, das Münster, 
ganz fertig erstellt. In dem Zustande der Vollendung, 
zu welchem die langsame Arbeit von mehr als einem 
Jahrhundert nöthig gewesen war, diente das Münster nur 
noeh wenige Jahre dem alten Cultus. Dieser ward gezwun- 
gen, die Stätte zu verlassen, in welche nun der reinere 
Gottesdienst seiner Gegner einzog. 

Freilich gieng diese Besitznahme nicht unwidersprochen 
vor sich und der Besitz selbst dauerte nicht weiter ohne 
fortgesetzten Protest und wiederholten Rechts Vorbehalt von 
Seiten des Domcapitels gegenüber dem Rath der Stadt 
Basel. Auch nachdem der Streit mit dem Bischof ge- 
schlichtet und abgethan war, hatte die Stadt mit dem Ca- 
pitel noch immer zu verhandeln. Dieses beharrte steif 
auf seinen Forderungen und verwarf alle Vorschläge, alle 
Anerbietungen des Raths, mit denen dieser es zu der 
Erklärung veranlassen wollte, dass alle Einkünfte und 
Renten, alle Ornaten, Häuser und Höfe des Capitels, und 
vor allem das Münster vollkommenes Eigenthum der Stadt 
sein und bleiben sollten. Die Verhandlungen über diesen 
Punkt zogen sich noch ins 17. Jahrhundert hinüber, bis 
endlich der Rath beschloss, dem Capitel auf seine An- 
sprachen gar nicht mehr zu antworten. 

In solcher Weise gieng das Münster an die Stadt über, 
und diese übernahm mit dem Recht der Benutzung auch 
die Pflicht der Erhaltung und getreuen Besorgung. Zu 
Bestreitung der hiezu nöthigen Ausgaben diente jedoch 
keineswegs der gemeine Stadtseckel, sondern man be- 



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stimmte dafür (neben andern Bestimmungen) das noch 
vom Domstift herrülircnde als sog.: „Cammerei auf Burg“ 
abgesondert bestehende Vermögen,^ welches unter der 
Aufsicht der vom llathe gewählten Münsteri)Heger stand 
und durch einen eigenen Schaffner verwaltet wurde. 

Es dauerte nicht sehr lauge, bis dem neuen Besitzer 
des Münsters der Anlass zur Ausübung einer solchen dem 
Gebäude gewidmeten Sorgfalt geboten wurde. 

Die Arbeiten der alten katholischen Münsterfabrik 
hatten, abgesehen von den stehenden Vorrichtungen, welche 
der Cultus und die ökonomische Verwaltung erheischten, 
in erster Linie dem Ausbau des Münsters gegolten. Sie 
hatten vorzugsweise bestanden in Ergänzung der noch 
fehlenden grossem oder kleinern Bauteile. Aber neben 
dieser productiven Arbeit wurde sicherlich nicht in aus- 
gedehntem und erforderlichem Masse auch die conservative 
Thätigkeit des blossen Ausbesserns und Unterhaltens ge- 
übt. Wenigstens enthalten die Fabrikrechnungen nie einen 
auf solche Arbeit bezüglichen Posten, und cs wäre in 
diesem Falle auch unbegreiflich, wie schon nach verhält- 
nissmässig kurzer Zeit der neu vollendete Bau als in so 
hohem Masse schadhaft geschildert werden und die Noth- 
wendigkeit einer grossen Restauration sich der Behörde 
wirklich heraussteilen konnte. 



') Die Fonds des alten Donistifts zerfielen in die Verwaltun- 
gen der Doniprobstei, Prassenz, Quotidian, und Cainmerei. Vgl. 
Andr. Rylf einpterbilch 32. 

Jlünsterplleger in der hier in Betraeht kommenden Zeit waren: 
lf)92. Barthlome Merlan, Apollinaris Steheli, Melchior 
Hornlocher. 

1592 — 1595. Barthlorae Merian, Friderich Werdenberg, Mel- 
chior Homlocher. 

1595—1304. Barthlome Merian, Andres Ryfl, Melchior Horn- 
locher. 

Cammereisehaffner erst Georg Eckenstein, dann Hans Conrad 
Wieland. 



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Zwar hatte, seitdem das Münster in die Hände des 
reforaiierten Staats übergegangen war, die bauliehe Thätig- 
keit an ihm nicht völlig geruht. Besondere Handwerks- 
meister waren beauftragt, den Zustand des Gebäudes zu 
überwachen und nöthige Arbeiten auszuführen, und der 
Schaffner der Cammerei bestritt die Kosten. Seine Rech- 
nungen berichten, was geschah, aber sie berichten damit 
auch, dass es keine Arbeiten waren, welche zur gründlichen 
Besserung der Schäden dienten, sondern die gewöhnlichen 
Untcrhaltungsarbeiten des Maurers, Gipsers, Schlossers, 
Malers und Glasers.*) 

Was ausser diesen im Münster gemacht wurde, be- 
zog sich nicht auf das Bauwerk als solches, sondern auf 
den in ihm geübten Cultus. So wurde 1561 die Orgel 
in Stand gestellt,-) 1565 die Kaiser Heinrichsglocke um- 
gegossen,®) 1579 die Orgel ausgebeasert, ^) 1580 wurde 
ein neuer Altar errichtet, am Ende des Langschiffes vor 
der Mitte des Lettners; er war ein Werk des Meisters 
Daniel Heinz und kostete 126 Ib. 5 sh.®) Im gleichen 
Jahre machte man auch die neue Bestuhlung, wegen deren 
der Taufstein aus der Schalercapelle (wo er heute wieder 
steht) in den Chor hinauf versetzt werden musste. ®) 

') Nur einmal wurde ein grösseres Werk nusgefuhrt, aber dies 
betraf gar nicht das eigentliche Munster: es war eine Baute an der 
Pfalz im Jahre 15G7, welche über 1!KX) Ib. kostete, also jedenfalls 
von bedeutendem Umfange war. 

Falkeisen 47. 

’) Falkeisen 15. 

*) Falkeisen 47. 

Cammerei-Kechnung 1579/80. Falkeisen 50. Dieser Dauiel 
Heinz, der Steinmetz, war damals Werkmeister am Münster zu Bern, 
1573 hatte er das öewülbe des dortigen Mittelschifls erstellt: Stautz, 
Münsterbuch 55, 160, 282 f. 

“) Falkeisen 38. 72. vgl. auch Cammerei-Rechuung 1.582/83. 
Montaigne (bei Ochs VI, 407): „Hs mettent les fonts baptimaux ii 
l’ancien lien du grand autel, et font batir ä la tete de la nef un autre 
antel pour leur eene. Celui de Bäle est d’un tres-beau plan.“ 



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1582 entfernte man die Glasgemälde mit denWap])en der 
Fröwler, weil sie sehr schadhaft waren, aus den Fenstern 
der Capelle dieses Geschlechts, ') und 1586 brach man 
den auf dem blauen Lettner stehenden St. Michaels- 
altar ab. '-) 

Mit alledem war für die Kirche selbst aber nichts 
gethan. Da zeigten die Münsterpfleger dem Käthe am 25. 
März 1590 an, sie hätten das Münster besichtigt und in 
hohem Grade bresthaft erfunden. ■') Der Rath beschloss, 
den Schaffner der Cammerei zur A'erbesseruug der Mängel 
zu veranlassen und deswegen ein Schreiben an das Dom- 
capitel nach Freiburg ergehen zu lassen. Dieses Schreiben 
erfolgte am 1. April; man teilte darin den Capitularen , 
mit, dass eine grössere Renovation des Münsters noth- 
wendig sei und unternommen werden würde, und ersuchte 
sie, die hiezu nöthigen Geldmittel aus dem zu Basel ver- 
walteten F’ond zu gewähren. Es kann nicht aulfallen, 
dass in dieser "Weise geschrieben w'urde. '“) Denn so 
wie das Vermögen des alten Domstifts als abgetrenntes 
Gut bestehen blieb und nur zu kirchlichen oder ver- 
wandten Zwecken gebraucht wurde,") ward aucli hier das 
Capitel noch als diejenige Instanz begrüsst, welcher die 
letzte Verfügung über jenes Vermögen zukomme. Es wäre 



') Falkeisen !JU. 

*) Falkeisen 40. J'ass dieser Altar noch so lange nach Bilder- 
sturm nnd Keforniation bestand, verdankte er ohne Zweifel seiner 
abgelegenen Lage oben auf dem Lettner. 

’) Rathaprotokoll. 

Bischöfliches Archiv XXXI, 394. 

Ochs VI, 43.Ö nennt ein ähnliches Schreiben an das Capitel 
im .lahre LbTT „sonderbar“. 

“) „nnd obangezeigte eingezogene nutzung zu erhaltung der 
armen und der kirchen gebäude angewendet, und also des stifts ein- 
koinmen keineswegs zu gemeinem seckel gezogen , sondern dahin 
verwendet, wohin sie anfangs destiniert und gewidmet gewesen.“ 
narratio facti des Baths hei Ochs VM, 10. 



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viellciclit nicht nothwendig gewesen dies zu thun, aber es 
war eine Erfüllung der Form und eine Courtoisie, welche 
gerade damals, wo die Verhandlungen zwischen Rath und 
Capitol noch in vollem Gange waren, sehr wohl im Inter- 
esse der Stadt liegen konnte. 

Die Antwort der Domherren ist unbekannt. Sicher 
ist nur, dass keine grössere Arbeit am Münster unternom- 
men wurde, und ebenso auch nicht im folgenden Jahre 
1591. Zweimal wurden Anzüge im Rath gestellt, welche 
auf den bedenklichen Zustand des Bauwerkes aufmerksam 
machten und Abhilfe verlangten.') Das einzige was ge- 
schah war, dass das Gewölbe über der Vierung des 
Münsters an einigen schadhaften Stellen ausgebessert und 
durch Jörg Wannenwetsch angestrichen wurde. 

Erst im Jahre 1592 wurde ein Schritt vorwärts ge- 
than, indem am 10. Mai ") die MünsterpHeger einen Be- 
richt vor Rath brachten, worin sie die am Münster Vor- 
gefundenen Schäden darlegten und zugleich Vorschläge 
für deren Verbesserung macliten. Dieser Bericht enthält 
manches bemerkenswerthe und ist dabei so verständig und 
klar abgefasst, dass er verdient, hier wörtlich mitgeteilt 
zu werden; 

Edel gestreng from ernvest fursichtig weiss inusonders 
gnedig und günstig Herren, alss dan von e. g. uns den ver- 
ordneten pHägern der kochen stifft alles das jenig was inn 
dem münstcr uff bürg bauwlos und zu verbessern sein inöcht 
zu besichtigen und demnach e. g. fürzulegen inn günstigen 
bevelch geben worden , also haben wir verschines zinstags 
beineben herren Georg Eckhenstein, meister Ulrichen Schnel- 
len dem zimmerman und meister Jerg Gesslern dem stein- 



') Rathsprotokoll vom 22. September und 6. October 1591. 
’) Cammerei-Rechnung 1590/91. 

*) Rathsprotokoll. 



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metzen allenthalben gniigsamliehen und der noturflft nach 
besehen, und befinden erstlichen, das usserthalben vor dem 
münster unden herumben uff dem boden sind die schwellen 
und understen stein eines theils vom wintergfrist anderstheils 
von den kolfeuren, so am heiligen wienechtfest dahin gemacht 
werden, zersprungen und herausgevallen. 

Zum andern , inn dem münster da der alt tauffstein 
gestanden, wie auch da die schulknaben zun barfuossen am 
sontag zu obend sitzen, ist das pfiaster und der tünch oben 
von den creutzgewölben herabgevalleu, und das wegen des 
Schnees und riigens so disen winter hinüber zu den tag- 
löchern zwischen beiden undern tiieheru der wind hinin ge- 
triben und die gewölb also erweicht worden, disem und 
weitem! schaden zu fürkhomen sollen die locher vermuret 
und die gewölb wider bestochen werden. 

Zum dritten, sind oben am lettner inn der eckhen ett- 
liche stein zerschlagen, w’elches im götzensturm weil bilder 
daran gestanden beschechon sein mag. 

Zum vierten, sind oben am gesims oder kranz, welches 
innwendig an der ganzen kirchen herumben god, an dem 
ort da die alte orgel gehangen und sonsten auch ettliche 
stuckh herus gebrochen, die wider zu verbessern sind. 

Zum füniften, ist im ganzen creuzgang herumben au 
vilen gewölben und ann den nebenmuren hin und wider der 
tünch herab gevallen, soll alles wider bestochen und ver- 
bessert werden. 

Zum sechsten, bei dem hindern kirchhoff oben an dem 
tach, so über die creuzgwölb god, hangt ein dein tächlin, 
darunder vor Jahren ein crucifix gestanden, dises soll hinweg 
gethon und die daruf ligende glassürten ziegol zu Verbesse- 
rung der übrigen tachung behalten werden. 

Zum sibenden, inn den bögen, so durch die grossen 
pfeiler uf der pfalz am eher sträbende gond, haben sich ett- 



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lieh (juader und bogeiistuckh wegen des grossen erdbidems 
gesengt, welche stuckh wider usgeseubert, hinuf getruckht 
und verküttet werden sollen. 

Zum achten, sollen die hoehen fenster, so inn das gmach 
under dem cappittelhaus gond, da das geschüz und pulver ist, 
grossem unglQckh und schaden dardurch zu für khomen uffs 
fiirderlichst mit ison vergiittert und verglnsst werden. 

Zum neunten, ist vor Jahren ein tachnng hinden am 
chor gegen der pfalz über die obern alton und den undern 
steinern gang zu beschirmung der gewölben im chor gemacht, 
welche tachung aber die halbe höche der grossen fenstern 
oben im chor herumben bedeckht und hiemit vil liecht und 
heitere, so inn die ganze kirchen ge.schinen, genommen und 
dem chor dardurch ein grosso unzier geschafft worden, ver- 
meinen also die werckhmeistere, das dise tachung abgethon, 
die blatten uff beiden gengen wider geseubert verneuwert 
und mit gutem wolberoitetem isenkUt verküttet, oder aber 
allein über den obern gang ein gar läge tachung von kupfer 
geordnet, das darab rünnend wasser mit trackhenköpfen über 
den undern gang hinus beleitet und der under gang alss 
obstad von neuwem verküttet, auch die obgemelten hoehen 
fenster widerumben mit weissen scheiben verglasst und ver- 
bessert werden sollen. 

Zum zehenden, ist das gesims ob der grossen neben- 
thüren gegen den linden hinus von ettlichen hölzern, so vor 
fünflfzig Jahren uf das münster gezogen und wider herab 
gevallen, zerschlagen worden, welches mit deinen dünnen 
blatten wider verbessert werden mag. 

Zum elfften, uff dem alten thurn hat vor Jahren der 
kall uss der grossen glockhen, so heraus uf das under tach ge- 
vallen, an dem andersten gang ein stuckh heraus geschlagen, 
soll neben anderm auch wider renoviert werden. 



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— Diss alles e. g. st. und f. w. uf dero bevulch 

inn aller undertlienigkbeit zu vermelden haben wir nit under- 
lassen wollen, dieselb e. g. damit gütlichem schürm wol be- 
velhende und dero gevellig gutbedunukhen rath und weitern 
bericht hierüber erwartende 

e. g. st. und f. w. gehorsame 

Barthlome Merian 
und Melchior Hornlocher. 

Staatsarchiv Basel. St. S3. E. ä. or. i>ap. fcd. in tergo glchz: 
Hoher stitt Basel pflegern anzeigung was an dem münster für ge- 
presten befunden. 

Es wird weiter unten die Gelegenheit sich finden, 
diesen Bericht der Pfleger ini Zusammenhang mit einem 
andern Berichte derselben näher zu hetracliten und aus 
beiden die erlaubten Sclilüsse über die am Bauwerke wirk- 
lich vorhandenen Schäden zu ziehen. Hier ist zu erwähnen, 
dass nach Anhörung dieses Berichtes der kleine Rath be- 
schloss, nochmals ein Schreiben an das Dom-Capitel ab- 
gehen zu lassen. Es geschah, ') in einem Ansuchen glei- 
ches Inhalts wie das oben erwähnte. Auch wurden die 
Zimmer- und Maurermeister, welche den Auftrag hatten, 
auf das Münster Achtung zu haben und für seinen Unter- 
halt Sorge zu tragen, vor Rath gestellt und „gerecht- 
fertigt“; man sprach ihnen zu, hinfort ihres Dienstes besser 
zu warten, bei Strafe der Entlassung.'-’) 

Was das Capitel auf jenes Schreiben antwortete, ist 
nicht bekannt; möglich dass es zustimmte, da in diesem 
Sommer die Arbeit begonnen wurde. 

Es scheint, dass mit Ausbesserung der Fa^ade der 
Anfang gemacht wurde, und dass bei dieser Ausbesserung, 
welche hauptsächlich in Bemalung der Mauerfläche sow'ohl 



') Missiven. 

*) Rathsprotokoll 1592 Mai 13 und 17. 



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als der Statuen bestand, man den beiden Uhren eine be- 
sondere Renovation wollte angedeihen lassen, nämlich durch 
Auffrischung und gelalligere Ausstattung ihres Aeussern. 

Man beauftragte mit dieser Arbeit den Maler Hans 
Bock, und dieser gab einen Yorschlag ein, welchen der 
Rath genehmigte. ') Also Hans Bock, ein Meister, dessen 
Kunst und Geschmack namentlich aus seinen Rathhaus- 
bildern wohl bekannt sind. Es lässt sich darum auch 
leicht vermuthen, welches Schlages die Bilder waren, mit 
denen er die Wand des Münsters bemalte. 

Religiöses Inhalts scheinen sie keineswegs gewesen 
zu sein, wie es der Ort doch am ehesten verlangt hätte; 
vielmehr handelte es sich, so viel aus den Acten zu er- 
sehen ist, um Anbringung von Gestalten der antiken My- 
thologie, von einigen nicht sehr bekleideten weiblichen 
allegorischen Figuren, von Thieren und dgl. mehr, um 
Darsttdluugen also, die an einer Kirche reformiertes Glau- 
bens an deutlichster Stelle anzubringen ein Maler wie 
Hans Bock vielleicht keinen Anstoss fand, die aber andere 
Gemüther zu dem entschiedensten Vv'iderspruche heraus- 
fordern mussten. Ein solcher Widerspruch wurde er- 
hoben, und zwar von oberster Stelle, durch Johann Jacob 
Grynseus, Pfarrer am Münster und Antistes der Kirche 
Basels. Die Eingabe, welche dieser dem Rathe vorlegte, ‘^) 
lautet: 

Magnificis et amplissiinis dominis tribunis plebis 

inclytffi reipublicffi Basiliensis dominis et patronis 
honorandis. 

Ehrnvest und grossgunstig herren. ich verniinnie das 
unser gnedig herren meister Hans Bocken dem maler befoh- 
len dergestalt den uhrenzeiger und die zahl der stunden zu 

■) Rathsprotokoll vom 6. Juni 1592. 

*) Ratlisprotokoll vom 27. Juni 1592. 



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crnewern, das wegen der kunst es sich sehen lasse, nun 
hatt der gut man auch die uberblibnen götzen sampt einem 
poetischen gedieht etlicher tugenten (welche gantz üppig an- 
gefangen zu entwerfen) und dem Saturno (welcher Moloch in 
heiliger Schrift genennet und verfluchet wird) ime zu malen 
furgenommen. darumb ich, als ich dessen bericht worden, 
in abgemanet und ergernus vorzukommen gerathen, er soll 
sonst etwas schönes als gute sententias dafür verzeichnen, 
welches er nicht abgeschlagen und doch wider mein hoffen 
im werck die götzen zu illuminieren fortgefahren. 

Nun weisst gott das ich mich unnötiger Sachen nit beger 
anzunemmen. dieweil ich aber auch nit soll schweigen, wan 
man das haus gottes mit päbstischen und heidnischen götzen 
und gemäldcn auch von aussen hero versudlen will, dise zeit 
aber nicht zulasset das ich mit e. ehrnvesten coram reden 
köndte, die sach aber auch Verzug nit leidet und man leut 
findet die aus unwüssenheit dürfen dise sach loben, so bitte 
ich e. ehrnvest wollen als eifferer verschaffen das unser 
kirchen unverwüstet bleibe, und das umb folgender Ursachen 
willen : 

1. Das Paulus .saget: was hatt der tempel gottes für eine 
gleiche mit den götzen? ir aber seind der tempel des 
lebendigen gottes. 2 Cor. 6. so wenig der aberglaub 
von götzen stat und vertrawen haben soll in unsern 
hertzen, so wenig sollen auch sie platz haben in oder 
usserhalb unser kirchen. 

2. Das gotzenbilder zu machen eben so wol als aber sic 
zu verehren uns in zehen gebotten höchlich verbotten 
ist. Exod. 20. 

3. Das gott gebotten man soll die götzen zurbrechen und 
abschatfen und auch das silber und gold daran gar 
nit begeren, nemmen oder uns daran vergreififen, die 
weil es gott ein grewel ist. Deut. 7. wie kommen 
wir dan darzu das wir die uberblibnen erst Hessen an- 
streichen und malen? 



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4. Das am künig Ezechia höchlich gelobet wirt das er 
auch die chrene schlangen so wol als andere götzen- 
bilder zerbrochen halt, wie ini dan auch Josias gethan. 

5. Das auch die elenden leute so da sagen, wo man die 
götzenbilder nur nicht anbette so irren und schaden 
sie nicht, seien auch wegen der kunst wol zu leiden, 
gar nit witziger seind den got, welcher wol weisst wie 
bald es geschehe, das die nienschen sich endern und 
eben die götzen ehren die sie zu vor verachtet hatten, 
darumb auch gott sie will abgeschattet haben so wol 
aus den äugen als aus den hertzen. 

6. Solle man auch den steinen ritter Georgen und die 
jungfraw mit färben anstreichen, so thete man den 
thumherren zu Freiburg und dem bischoff ein gross 
gefallen ; die wurden es weit und breit aussagen und 
sich vertrösten , es bedeute das der götzo bald ins 
münster einreitten und andern bildern sampt der ver- 
fluehten mess herberg bestellen wurde. da gilt es 
warlich das s. Paulus saget; ab omni specic mali ab- 
stinete. 

7. Dieweil auch nach der beiden gedieht 'die virtutes durch 
Weibsbilder angebildet wurden, wan sie schon nicht so 
bloss und unverschämt (wie anfenglich geschehen) ge- 
malet wurden, so wurden sich doch einfeltige leut, 
päbstische und andere daran stossen. aber Itali, si qui 
paganisinum potius quam Christianisraum sectantur, si 
videreut deas poeticas mirifice delectarentur. 

So es nun gewüslich wider den willen gottes were wan 
man fortfüre, bitte ich e. ehrnvest, die wollen verschafleii 
das weder die götzen gezieret noch dise bilder (underm 
schein der kunst) gemalet, sonder das man ein feinen spruch 
h. Schrift dahin schreibe. 

Wiewol ich aber wol weiss das wider die wäre raeinung 
etlich närrische obiectiones furgebracht werden, welchen wol 
zu begegnen, ich auch zu e. ehrnvesten das gross vertrawen 



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habe sie werden unser bettehauss nit mit solchem gcmäld 
lassen auch ausserthalben verschmieren, so bitte ich doch 
beide herren aufs trewlichst, sie wollen verschaffen, das dis 
unnötig götzenmalen underlassen und nutzlicherä an die hand 
gnommen werde, damit ich nit müsse in der predig discr 
sach also gedencken, das gott der herr und sein liebe gemeine 
mich für entschuldigt haben. — — — — 

Vestcr Johannes Jacobus Grynseus. 

Staatsarchiv Basel. St. 77. F. 1. or. pap. fol. 



Es kann nicht auffallen, dass ein solcher Protest er- 
hoben wurde, dessen Einwendungen uns noch licutc eher 
begründet ersclieinen müssen. lücht so damals dem Rath. 
Denn dieser erkannte, es sei nichts ärgerliches gemalt 
worden; der Maler solle dalier in seiner Arbeit tbrtlkhren. 
Und als 14 Tage später im Rath der Antrag gestellt 
wurde, dass auch das Ross am Münster,') wie hievor be- 
scheheu, sollte angestrichen, d. h. mit leuchtenden Far- 
ben, nicht blosser Steinfarbe, sollte bemalt werden, beschloss 
der Rath wieder, es habe dies zu geschehen und dem 
Doctor Jacob sei anzuzeigen, ruhig zu sein. -) Grynceus 
war aber keineswegs ruhig, sondern zog die Sache vor 
den Convent der Geistlichen und veranlasste, dass 
auch die übrigen Pfarrer eine gleiche Beschwerde wie die 
scinige an den Rath richteten. Wahrscheinlich brachte 
er auch, wie er in seiner Eingabe in Aussicht gestellt 
hatte, die Angelegenheit anf der Kanzel zur Sprache. 
Jedesfalls erreichte er durch diese Schritte, sowie durch 
seine mündlichen Vorstellungen soviel, dass, als die Dele- 
gierten des Rathes diesem berichteten, was sie mit Grynseus 



') Doch wohl (las bei der Uhr befindliche Pferd des hl. üeorg. 
*) Rathsprotokoll vom 10. Juli 1592. 

*) Acta ecclesia I. Conventns vom 14. Juli 1592. 

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„wegen des illuniinirenden rosses au der müusteruhren“ 
verhandelt hätten, beschlossen ward , wegen des Doctor 
Jacobus „hitzigen gemüths“ und auch der übrigen Predi- 
cantcn wegen über die Sache nocli reiflicher nachzudenken, 
einstweilen aber dem Hans Bock zu gebieten, den von 
ihm bei der Uhr gemalten Uhu auszustreichen. ‘) Die 
Sache ward dann noch weiter behandelt, im geistliclien 
Convente sowohl, -) an welchem einige Herren des Käthes 
tßUnahmen, als auch im Käthe. Es ist nur ersicht- 
lich, dass Antistes und Geistlichkeit an ihrem Begehren 
festhielten, diese „gotzenbilder“ zu beseitigen; bis zu 
welchem Grade sie darin Erfolg hatten, kann nicht erkannt 
werden. Was uns an diesem Streite autfallen könnte, ist 
viel mehr das Verhalten des Kaths als das der Geistlich- 
keit. Denn die Malerei des Hans Bock war sicherlich 
eine Decoration, die uns heutzutage allein aus ästhetischen 
Gründen schon an der Fa^ade des Münsters höchst be- 
fremdlich erscheinen würde. Wie viel mehr musste der 
Pfarrer einer Kirche, welche noch nicht einmal hundert 
Jahre dem reformierten Glauben diente, gegen eine der- 
artige Bemalung aus religiösen Gründen aufzustehen sich 
veranlasst, ja durch sein Gewissen verpflichtet fühlen. 
Ihm darum den Vorwurf eines zu weit getriebenen Pu- 
ritanismus zu machen, wäre ohne Zweifel ein Unrecht. 

Beste dieser Malereien scheinen sich bis ins vorige 
Jahrhundert erhalten zu haben. Damals sah man noch 
„am Martinsthurm unter der langen Gallerie zu beiden 
Seiten der Sonnenuhr Figuren gemalt, welche die Flüchtig- 
keit der Zeit vorstellten“, mit einem gereimten Sinnspruch, 
und ähnliche Schildereien waren auch am Georgsthurme 
noch zu erkennen. 

') Rathsprotokoil vom 15. Juli 15Ü2. 

Coiiventus vom 22. Juli 1592. 

*) Rathsprotokoll vom 22. Juli und 2. August 1592. 

■*) Falkeisen IG. 22. 



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19 



Die Acten geben keinen weitern Aufschluss über die 
Angelegenheit der Bemalung der Fagade, wie überhaupt 
die Berichte nun völlig verstummen. Die Arbeit scheint 
eben liegen geblieben zu sein, und wurde erst drei Jahre 
später (1595) wieder aufgenommen. Nur eine kurze Notiz 
berichtet, dass schon 1 594 etw as gearbeitet wurde. Und zwar 
handelte es sich, soviel ersehen werden kann, um Ge- 
mälde, welche im Innern des Münsters angebracht werden 
sollten. Genaueres über den ausführenden Künstler, über 
den Inhalt der Bilder, auch über ihren Ort ist nicht an- 
gegeben; nur so viel ergiebt sich, dass Grjmasus ihret- 
wegen wiederum dem Käthe Vorstellungen zu machen 
sich berufen sah, worauf denn erkannt wurde, die Gemälde 
seien abzureiben, die Wand weissgen und einfassen zu 
lassen. ‘) 

Im folgenden Jahre 1595 begann nun endlich die 
eigentliche Münsterrenovation. Fünf Jahre schon war 
diese Arbeit eine durch den Rath beschlossene Sache; 
aber noch immer war mit der Ausführung gezögert wor- 
den. Denn was bisher geschehen, w'aren Präliminarien 
gewesen, Decorationsarbeiten, die mit einer wirklichen 
Restauration nichts zu thun hatten. Und erst jetzt schritt 
man zu dieser, im gleichen Jahre, in welchem Andreas 
Ilyff unter die Pfleger des Münsters gewählt wui'de. Man 
wird nicht zu w'eit gehen, einen Zu.sammenhang dieser 
beiden Thatsachen zu erblicken. Dass Ryff für eine Ar- 
beit, wie die bevorstehende war, sich eifrig erzeigte, ist 
sehr wohl denkbar. Er war energisch und thätig, dabei 
ein Freund der Wissenschaften, Kenner der vaterländischen 
und vaterstädtischen Vergangenheit. Er hatte künstlerische 
Interessen, antiquarische Neigungen; das beweist die zier- 
liche Ausschmückung seiner manigfaltigen Manuscripte, 
beweist sein Münzcabinet, beweist namentlich auch seine 



*) Rathsprotokoll vom 16. September 1.591. 



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20 



Theilnahme an der Ausgrabung des Theaters zu Augst 
1582. So hat er gewiss auch der Angelegenheit des 
Münsters Eifer und Verständnis entgegengebracht, und 
wir dürfen darum den Umstand, dass der Beginn der 
Restaurationsarbeiten mit seinem Eintritt in die bauleitende 
Behörde zusammenfallt, in dem Sinne verstehen, dass eben 
er es war, welcher den kräftigsten Antrieb gegeben habe. 
Dem ersten Antriebe folgte dann sicherlich eine ebenso 
eifrige Hingabe an die Fortführung des Werks, Teil- 
nahme an der Entwerfung des Bauprogramms, Ueber- 
wachung der Arbeiten. Er selbst freilich redet hievon 
nicht. In seinem Zirkel der Eidgenossschaft, wo er auch 
von dieser Münsterrestauration berichtet, erwähnt er seiner 
Mitwirkung mit keinem Worte; und in dem durch ihn ver- 
fassten Verzeichnisse seiner Aemter, in welchem man eine 
Darstellung dieser Sache vermuthet und sucht, ist gerade 
für das Amt der Pflegerei auf Burg von ihm der sonst 
übliche Bericht einzutragen imterlassen worden. Aber um 
so deutlicher reden die wenigen Worte seines Grabmales 
im Kreuzgang des Münsters, wo er genannt wird: „huius 
templi sedilicius restaurator.“ 

Die Arbeiten begannen im Kreuzgang. Wie es hier 
aussah, sagt schon der Bericht der Pfleger 1592. ') Der 
zu flach liegenden Dächer wegen hatte das Regenwasser 
eindringen können und an Gewölben und Wänden viel- 
fältigen Schaden angerichtet. Man erhöhte daher die Dächer 
und brachte kupferne Rinnen an zur Ableitung des 
Wassers. Daneben wurde aber namentlich das Audito- 
rium-) völlig „erneuert“, wobei wohl an einen völligen 
Umbau zu denken ist. Dass die Arbeit umfassend war, er- 
giebt sich daraus, dass sie auf mehr als 1200 Ib. zu stehen 
kam. '^) Zum Gedächtnis dieser Restauration dienten 

*■) s. ohen. 

“) Der frühere Betsaal, heutige Samnilungsranui. 

*) Camnierei-Kechming 1.594,95. 



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21 



die im Auditorium angemalten Sprüche und Gedichte,') 
sowie die Verse an der Wand des Vorraumes, welche 
neuerdings aul'gedeckt worden sind,-) endlich auch eine 
Inschrift im vordem Kreuzgang.®) 

Nachdem diese Arbeiten vollendet waren, betrieben die 
Pfleger die Restauration des Hauptgebäudes, des Münsters 
selbst. 

Am 3. Januar 1596 brachten sie einen Vorschlag 
vor den Rath, in welchem sie auf die „hoch schädlichen 
Mängel und Gebresten“ des Münsters hinwiesen; der ganze 
Bau bedürfe Alters halber an Gewölben, Mauern, Säulen, 
Fenstern und anderm, welches alles vor Jahren durch 
erschrockenliches Erdbidem erschüttert und zerrüttet w'or- 
den sei, hochnothwendige Verbesserung. Eine solche diene 
nicht nur zur Elire Gottes, sondern werde auch der Obrig- 
keit Lob und Ehre bringen und die Kommlichkeit der 
Kirchgenossen befördern.*) Aehnlich schrieben in einer 
dem Bericht der Pfleger beiliegenden Eingabe die Pfarr- 
herren der Münstergemeinde. Sie erinnerten daran, wie 
vor Zeiten die heiligen Propheten Haggseus und Zacharias 
den Fürsten Zorobabel und das Volk zu Jerusalem er- 
mahnt hätten, des Herrn Haus zu erbauen; ebenso möch- 
ten auch sie die Obrigkeit ermahnen, mit Renovation des 
Münsters ein Gott sonderlich gefölliges Werk zu unter- 
nehmen. Die Kosten der Renovation würden allerdings 
ziemlich gross sein, könnten aber vielleicht durch Bei- 
steuern aus dem Vermögen der andern Stifter und Klöster 



>) Tonjola 351 ff. 

*) Führer durch die mittelalterliche Sammlung 16. 

’) Falkeisen 114. Während in den Aufschriften des theologi- 
schen Auditoriums nur die (ieistlichkeit und deren Haupt Grj na;us ge- 
nannt war, sagte diese Inschrift, dass aut Geheiss des „Senatus popu- 
lusque Hasiliensis“ im Jahre 159') dieser porticns in altem Glanze sei 
erneuert wordeu. 

*) Staatsarchiv Basel. Hintere Canzley Z. 1. 



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22 



Basels bestritten werden. *) Der Rath wies die Angele- 
genheit an die Dreizehner zur Berathung und Begutach- 
tung und begehrte zugleich von den Pflegern einen aus- 
führlichem Vorschlag, wie die Renovation könnte ausge- 
führt werden. Am 7. April d. J. erstatteten die Pfleger 
diesen Bericht,^) welcher folgenderraassen lautet: 

Gestreng edel vest from fiirsichtig weiss gnedig und 
gepietend herren. wass verruckhtor tagen wir die von e. gn. 
Verordneton pflegere uf bürg ann unser gnedig herren beide 
räth wegen der bauwfelligen und alt zergangenen hauptkirchen 
der statt Basel dess mUnsters halben haben angebracht, dass 
wirt zweivelss on e. gn. noch eingedeiickh sein, darüber 
dann unss diser bevelch gnedig uferlegt das wir den under- 
gang genielter hauptkirchen erdauren, berathschlag^n und 
welcher gstaltcn der bauw fürzunemmen, was auch darüber 
ergon möchte, überschlagen, nachmolen alle unsere befundene 
mittel euch ungern gnedigen herren den heuptern, rath und 
bedanckh mit den herren dreitzehen darüber zu haben, zu 
handen stellen sollen. 

Uff solchen empfangenen befclch haben wir nit under- 
lassen können mit allem flciss und ernst den Sachen nachzu- 
sezen und nit allein den bauw in genere, sonder auch ein 
jedes werckh besonders und in specie zu Übersechen, zu berech- 
nen und zu berathschlagen, und das inn beisein ettlicher 
werchleuten. da befinden wir zwor je lenger je mehr hoch- 
notwendig sein, dass nit allein von nöten den staub und 
spiiiwoppeu dermolen einist uss dem hauss gottes zufägen, 
sonder auch der noturfft nach die fürnembste und oberste 
kirchen der statt Basel (zu versorgen), so allerhand standts- 
personen, so frömbd alhie ankhommen, ufs erste zu besich- 



') Staatsarchiv Basel. Hintere Canzley Z. 1. 
*) Rathsprotokoll vom 3. Januar 1596. 

‘) Rathsprotokoll vom 7. April 1596. 



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23 



tigen begercn uml da vermeinen inn der statt Basel, die got 
lob sonsten inii und usserthalben dem römischen reich (wegen 
dess heiligen wort gottes, auch der hochen schuol und truck- 
hereyen, und dann für sich selbstcn nit die geringste undor 
den dreitzehen orten löblicher eidgnoschafft) verrüempt und 
bekhand ist, da dann solche frömbde personell ab disem 
werckh dess niQnstttrs, dass an ime selbs nit zu verachten, 
sonder wol neben andern dergleichen gepeuwen passiern und 
besten mag, inn dem aber dasselbig ettlicher massen durch 
erdbidem zerrütten, zerschrentzt und biss anhero dergestalten 
unbesscrt ston verpliben, wie dann auch die fenstor zerbro- 
chen und dergleichen mancherlei noturfft inn der bauwlosig- 
kheit stecklit und also nach und nach gar inn ein abgang 
gerathet. dass bringt frömbdeu und hcimbschen nit wenig 
Verwunderung, wie es auch frommer ufrichtiger cristen 
hertzcn vilerlei ergernus und gedanckhen machen muss, alss 
ob es ein gewiss Wortzeichen, dass unss ann der religion 
und wahrem gottesdienst nit so vil gelegen, wie aber wir 
unss vernemmen lassen. 

Befinden also erstlicheii, dass diss münster so es wider 
renoviert und erneuwert wirt ann ime selbs ein stattlich herr- 
lich werckh ist, welches aber diss orts, weil es also im undor- 
gang steckhet und nit wie sieh gepürt erhalten worden, nicht 
darfiir zu erkhennen. da aber, wo solches verbessert, dass es 
nit allein gott ein wolgefallen, sonder auch der oberkheit ein 
lob und dem vatterland ein grosse zierd sein, auch unsern 
widerwertigen ir schelten undt teglichs usschreyen, alss ob 
wir die geistlichen güeter unwürdig nutzen, inn dem wir die 
kirchen nit allein mit der zierd nit erhalten sonder auch an 
notwendigen gebeuwen zerfallen lassen, stillen, ira grund ge- 
schweigen und dass maul verstopfen wurde. 

\Va nun e. gn. gefallen wolt dass man damit solte für- 
schreiten, erachten wir komlich sein, dass der anfang am chor 
fürzunemraen sein wurde, do dann auch der grösste fahler 
und gepresten erfunden wirt. haben also von einer arbeit 



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24 



zu der andern ein uberschlag gemacht, und müessen erstlich 
von den gerüsten reden, da zweyfelt unss nit, ess werden 
e. gn. die langen rüsthölzer deren man notürfFtig sein möchte 
uss e. gn. holtzheuser dahin vergönnen und leiehen, die man 
auch one schaden soll wider heim liifern. im übrigen wass 
noch für kurtze höltzer, Stangen, dilen und seiler vonnöten, 
sind zum theil vorhanden zum theil aber inn mangel. do 
achten wir, dass inn- und usserthalben dem chor über dass 
rüsten, die uf und abzuprechen, seilern und anderen ann tag- 
lönen wol ufgon wurde, thuot 80 H. 

Dieweil nun offenpar das am chor dass steinwerckh ett- 
licher massen presthafft, vorussen uf dem boden ann den 
sträbpfcilern ettliche quader von der nässe undt wintergefrist 
verdorben so wider verbessert werden müessen, so dann ett- 
lieh bögen und gesims stückh vom erdbidem zerrüten und 
theilss prochen, und was man dann bedörlfen wirt, damit es 
alles wider ergenzt und bestendiglich verbessert werden mag, 
da schetzen wir, wass das chor allein belangt, vorussen und 
darinnen für stein und Steinmetzen arbeit, thuot 180 fl. 

Item zum ehore achten w'ir dass man heruss und darin- 
nen umb kalch, sand, gibs und küt wol haben muoss, thuot 

200 fl. 

Item dem gipser und maurer für ire arbeiten, ussen 
und innen am chor, alle gewölb, seul und wend wider zu 
bestächen , zu verstreichen, zu verhütten und allcss zu er- 
gentzen, möchten wol taglön ufgon, thuot 100 fl. 

Item im chor haben wir fünff hohe hauptfenster, da 
dass mitlest und grösst hat sechs zilen, die z\vei daneben 
jedess vier zilen, die zwei ortfenster jedes drei zilen, dass 
macht zusammen zwenzig zilen oder fenster, die sind nun 
inn glicher höche und breite daran wenig underscheidts ist, 
eins inn dass ander ist 7 schiben breit und 60 schiben hoch, 
die müessen nun alle ueuw gemacht werden biss oben inn 
die rondelen, dieweil noch guote woppen darinnen stond, 
mag man es mit gemoltem glass wider verbessern, dise fünff 



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25 



fenster bruchen scheiben 8<!00, da wollen wir rechnen für 
jede scheiben hornaffen und hafften 8 dn., thuot 224 H. 

Weiters haben wir iin ehor uf dem gang vier grosser 
rundelen so gar brochen, da waren wir dess willens dass 
alte zerbrochene steinwerekh heruss zu thun, dieweil dass zu 
verbessern und zu verglasen mehr costen wurde, dann aber 
mit uffrechten pfosten neuw zu machen, welches auch vil 
mehr liecht alss zuvor geben wurde, darüber achten wir 
dass diss vom glaser costen, weil solches 12 fenster werden 
möchten, thuot 90 H. 

Unden im chor sind vier fenster so zum theil halb neuw 
halb alt, die vier nun gantz mit scheiben zu machen, wurden 
an glasswerckh ervordern, thuot 46 H. 

Zu disen fenstern allen so im chor sind rechnen wir 
das alles isenwerckh costen wurde über dass so noch vor- 
handen, thuot 58 fi. 

Dieweil nun dass hindertach ob dem gewölb am chor 

hinweg muoss, dann es alles verunzierd, so ist khein ringer 
und bestendiger mittel, dann dass mann dieselben gewölb 
(allein biss an dass gesims dess chorss, und ist gar nit von 
nöten dass der gang wie jetz mit dem tach gedeckht werde, 
dieweil der selbig gang am hauptbauw gar nit presthafft 
sonder allein küttens bedarff) mit kupfer deckhe. dann die- 
weil die blatten so die gwölb bedeckht haben alle hinweg 
so wurd es mit blatten und kütten mehr costen aber nit so 
bestendig sein, dass haben wir nun ordentlich abgemessen, 
sind 5 thcU uf 3 orteckh abgetheilt, dass mitlest ort ist ann 
den fenstern 18 schuch breit und am ussernort 31 schuch. 
die andere 4 ort sind alle zugleich ann den fenstern 15 
schuch und ussen uf dem gesims 25 schuch breit, die lenge 
durch umbhin ist 18 schuch, dem geben wir ann der röschi 
1 schuch zu, also dass wir 19 schuch lengi rechnen, w'an 
nun dise schuch lengi und breite zusammcngercchnet werden 
so bringt es inn summa 1995 schuch. nun wigt ein schuch 
geschlagen kupfer inn den andern 1 * 4 h. dass pringt 24 c. 



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26 



94 h. kujifer. nun muss für die felss, hafften und känel 
80 füruss gerichtet auch sein gepUr gerechnet werden, für 
solches rechnen wir 5 c. also pruchten wir geschlagen kupfer 
/.usamen 30 c. ein jeden für arbeit und alles 26 ti. ge- 
rechnet. thuot 780 6. 

Für isenwerckh und nagel darzn 20 6. 

Summarum inn allem so ussen und innen über dass 
chor ergon möchte one dass molwerckh thuot 1778 fl. 

Dass kupfer muoss uf dilen gelegt werden, da sind alte 
tilen besser dann die neuwen. rechnen deshalben nichts 
darfür. 

Die kirchcn anbelangen. 

über die gerüst inn und ussen der kirchen können wir 
nit befinden, dass über die taglün und versaumnussen , die 
uf zu richten und ab zu prcchcn, sampt scilern holz und 
Stangen weniger ergon wurde dann 220 fl. 

Nun können wir erachten dass sich inn und usswendig 
der kirchen ann gwölben, seulen, wenden, sträbpl'eilern, und 
ann allen orten werden fahler und mengel erzeigen, so ettwan 
durchs Wetter und wintergefrist verderpt worden, aber sich 
inn kheinen weg gepüren wirt, allein mit dem fäderwüsch 
darüber zu fahren, sonder alle noturft't bestendiglich zu ver- 
bessern, damit nit durch grossen uncosten erst auch der hohen 
oberkheit spott und Schmach zugestattet werde, da schetzen 
und achten wir dass zu solcher ergenzung und Verbesserung 
der kirchen ussen und innen umb kalch, sand, gibs und küt, 
sampt anderer darzu gehörender noturft't wol gepraucht werden 
müesste thuot 235 11. 

Nun ist khundpar, das uss und inn wendig der kirchen 
auch am steinwerckh manglet, ettlichs erfroren, ettlichs mit 
den kolfeuren so ann festtagen gemacht verbrend und ussge- 
sprengt, ettlichs aber sonsten ann seulen und deren captelen im 
götzensturm verwüest und zerrissen, so nun diss alles der noturfft 
nach verbessert wirt, befinden wir dass ungevor darüber ergon 
möchte für stein und Steinmetzen arbeit, thuot 300 fl. 



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27 



Item für maurer und gipsertaglöii ächctzen wir Jas wol 
darüber ergon wurde, alless so innen und ussen niangelbar 
zu ergenzen und zu verbessern, thuot 350 H. 

Inn der kirchen haben wir 28 lenster gross und dein 
und 2 gross rundeleu ob den nebenthüren. darumler sind 
ettliche nur zu verbessern, das thuot man mit denen so man 
neuw machen muoss. die jenigen aber so man ann denen 
orten, da es am meisten tags und noturfft halben von nöten 
ist neuw zu machen, macht man von lautern scheiben, da 
achten wir das über neue und alte lenster der kirchen wol 
ergon möchte mit dem glasswerckh, thuot 350 11. 

Für dass schlosserwerckh der fenstern und anderer orten 
der kirchen schetzen wir 45 Ü. 

Summarum inn allem so über die kirchen gon rtiöchte, 
one dass molerwerckh, thuot 1500 H. 

Molerey betreffende. 

Sovil nun die moler belangen, da spüren wir ein grosso 
missordnung. wann man inen den leim und färben lüfert, 
da vermeindten wir solches stuckhsweiss für färben und arbeit 
zu verdingen und die sach dermossen zu fürkhommen, wie 
und welcher gstalt alle werckh gleich förmig sollen verfer- 
tiget werden inhalt der visierung. da haben wir inn gutem 
ordentlichem Überschlag befunden, dass wir dass molerwerckh 
im chor und der kirchen, auch ussen herumben, vornen biss 
hinuf uuder den ersten gang, welches dann wogen der genze nit 
kan underlassen werden, möchten vollenden mit 1500 H. 

Item für öl so man ussen herumben darzu bedürfen 
Wirt, müessten wir darzu geben, thuot 180 11. 

Item inn der kirchen ann ettlichcn seulen, do ess der 
ordentlichen zierden am notwendigsten sein wurde, schöne 
tafelen mit rolwerckh mit schwarzen roten und guldinen 
schrifftcn, da es eercn halb wol ston wurde, dass lasst sich 
nit inn die verding inschliessen, darfür rechnen wir für gold, 
färben, öl und besoldung 200 fl. 



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28 



Summa molerey ziisamen thuot 1880 H. 

Summarum ulless bauwcostens so wir vermoinon, der 
iiotturfft nach ervordern wurde, thuot 5158 fl. 

Sovil nun gnedig herren disen Überschlag belangt, der 
ist nit ungevor, sonder mit guotem ordentlichem rath gestelt 
und gemacht worden also das daruf wol zu fuossen ist. allein 
achten wir, wo im werck sich ettwas so iez unbewüsst sich 
erzeigen wurde, dass e. g. unss desswegen nit inn unserem 
fürgeben greiffen wollen, im fahl nun e. g. wirt gefallen mit 
dem werckh fürzuschreiten so wirt auch notwendig sein zu 
berathschlagen, wem e. g. dise geschefft uferlegen und be- 
felhen werden, wo nun e. g. will gefallen, unss pflegern dass 
zu übergeben, so wirt auch notwendig fürfallen, dass andere 
herren (usserthalben den herrn heuptern) unss inn unserem 
fürnemmen, gevassten rathschiegen und verdingen ungehindert 
lassen, dann zuvor gespürt worden dass durch eines jeden 
angeben und heissen die moler nit allein vil zeit versaumpt 
sonder vil färben leym und öl unnutziglich verbraucht worden. 

\Va nun dass geld zu solchem bauw erhept werden soll, 
werden e. g. zweivetssone die mittel wissen zu finden, dan 
unss pflegern der hochen stifft wegen der durch e. g. kurz 
uferlegten neuwen besch würden ganz und gar unmüglich zu 
ertragen, diss also zu e. g. gevallen undertheniglich bedacht 
und zu dero Verbesserung hiemit übergeben haben wollen, 
gottes g. und aller glückhlicher wolfart wol befelhende 

e. g. s. e. f. v>\ 

underthenige gehorsame miträth 

Barthlome Merian, 

• Andreas Reif, 

und Melchior Hornlocher, 
der bolien stifft verordnete pflegere uf biirg. ') 



’) Staatsarchiv Basel, bint. Canzley Z. 1. 



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29 



Soweit der Bericht. Nach Anhörung desselben be- 
schloss der Rath, dass noch weiter über die Saclio nach- 
gedacht werden solle. ') Doch wurden einige kleinere Ar- 
beiten schon in diesem Jahre ausgotührt, wie die Erstel- 
lung eines Kanzeldeckels. Die eigentliche Restauration 
begann aber erst im folgenden Jahre 1597, am Oster- 
montag, und dauerte 28 Wochen, erstreckte sich also 
über die Zeit vom 28. März bis 8. October. Während des 
Bauens wurden die Predigten in der St. Martinskirche 
abgehalten, das Geläute aber blieb im Münster.^) 

Bevor ich nun die Gesamtheit der Arbeiten, welche 
ausgeführt wurden, nachzuweisen versuche, ist eines De- 
tails dieser Restauration Erwähnung zu thun, einer Frage, 
welche die Gemüther der Beteiligten tief erregte und in 
der Geschichte des ganzen Fnternehmens eine Episode 
für sich bildet. 

Wie schon zum Beginn der Arbeiten, 1592, wegen 
der Bemalung der Vorderwand, namentlich der Uhren, ein 
Kampf zwischen Riith und Geistlichkeit hatte geführt wer- 
den müssen, so spielte jetzt gleichsam als Finale eine 
gleiclie Differenz der beiden Gewalten, ein Streit, welcher 
diesmal um die Ritter S. Georg und S. Martin geführt 
wurde. 

Nachdem die Geistliclikeit bereits in ihrem Convent, 
zu dessen Sitzung auch die vier Häupter und die Münster- 
pfleger eingeladen worden waren, die Frage discutiert hatte, 
ob nicht die Reiterstatuen als idola, Götzenbilder, zu be- 
trachten und daher zu entfernen seien, wandte sie sich 
am 30. Juli an den Rath mit einer Eingabe, worin sie das 
Verlangen vortrug, es möchten die sämtlichen Statuen an der 



') Rathsprotokoll vom 7. April 1596. 

*) Falkeisen 45. 

’) Hieronymus Visclier, Wappenbiichlein, im Eingang. 
*) Rathsprotokoll vom 18. April 1597. 

*) Conventus vom 26. Juli 1.597. 



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30 



Vorderseite des Münsters als Götzen weggethan Averden, zur 
Beseitigung von Aergernis und in Befolgung des Wortes 
Goltcs. Namentlich die „zwen ahgott“ S. Georg und S. Mar- 
tin, die am alleransichtigsten Ort des Münsters angebracht, 
seien ein Greuel vor Gott; entweder sollten sie ganz ab- 
geschaflft, oder aber verändert werden, etwa in der Weise, 
dass -sie der Stadt Basel Ehrenzeichen oder Wappen tra- 
gen könnten, damit man gespüren möge, wir zu Basel 
fragten den abgöttischen Bilderngar nichts nach, und fromme 
liehe Leute sich darüber freuen können. Sollten aber 
diese Bilder dennoch verbleiben und gegen Gottes Gebot 
ergänzt und geziert werden, so sei es ihre der Pfarrherrn 
Pflicht, öffentlich dawider zu predigen. *) 

Der Anlass zu dieser Eingabe war wohl darin ge- 
legen, dass bei Bemalung der Fac-ade auch Arbeiten an 
den Reiterstatuen vorgenommen worden waren. Ob der 
von den Pfarrern getadelte „ornatus“, den man anbringen 
wollte, in Bemalung mit lebendigen Farben im Gegensatz 
zur Steinfarbe der Mauer resp. in Erneuerung eines sol- 
chen Auelleicht noch aus katholischer Zeit stammenden 
bunten Anstriches bestand, oder ob dabei nur an die noth- 
wendige Ergänzung schadhafter Bestandteile zu denken 
ist, kann jetzt kaum mehr entschieden werden. Dass an 
den Bildern gearbeitet wurde, ist sicher; denn in jenen 
Tagen wurde im Rathe darüber gehandelt, wie ein ge- 
Avisscr Kreyen Peter, ein Arbeiter, der dem hl. Martin 
einen Arm gebrochen, solle abgestraft werden.-) 

Die Pfarrer drangen aber nicht durchweg auf Be- 
seitigung der Bilder, sondern verlangten eventuell nur, 
dass dieselben des Charakters von der Verehrung und An- 
betung fähigen und würdigen Bildern sollten entkleidet 
werden, „rebus idolatricis submotis,“ wie Grynäus sich 

') Staatsarchiv Basel. St. 77 A. 1. Auch im Conventsprotokoll 
vom 2G. Juli 1597. 

*) Rathsprotokoll vom 10. August 1597. 



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— ai — 

ausdrücktc. Dass dieser Zweck dadurch am deutlichsten 
wäre erreiclit worden, wenn man nacli dem Vorschläge 
der Plärrer den Rittern eine Fahne oder einen Schild mit 
dem Baselstah in die Hand gegeben hätte, ist richtig; 
aber wir dürfen der Behörde dankbar sein, dass sie doch 
auf eine solche Proposition nicht eingieng. Eine Beseiti- 
gung des anstössigen Götzenbildcharakters wäre jedoch auch 
in anderer Weise recht gut möglich gewesen, durch Be- 
seitigung nämlich derjenigen Bestandteile, in welchen die 
durch die Legende hervorgehobene Thätigkeit der bei- 
den Gestalten und damit ihre (iualität als Heilige bestand; 
also wäre beim hl. Martin der Bettler, beim hl. Georg 
vielleicht der Drache abzuthun gewesen; die Bilder hätten 
damit die Attribute verloren, auf welchen ihre Verehrungs- 
Würdigkeit beruhte, und wären Sculpturen geworden, die 
nur um der Kunst und der Zierde willen da sind. 

Der Rath nahm jedoch auch dieses abgeschwächte 
Begehren nicht an, sondern erkannte am 6. August in 
Betreff des hl.' Martin; „dass sollich bild, weil cs dem 
müaster ein gezierd ist und anderst keins wegs geachtet 
würde, unabgehept verbleiben, aber nicht ausgebessert 
sondern allein mit stein- oder kesselfarb angestrichen wer- 
den solle; des gnädigen getröstens, es werden die herren 
niinistri inen ein solliches, als das zu keiner ergernus 
reichet, nicht missfellig sein und cs ires teils auch darbey 
pleiben lassen.“ ') 

Die Herren Ministri Hessen es jedoch nicht dabei 
bleiben, sondern am Tage darauf, einem Sonntag, predigte 
Antistes Grymeus in der Altendkirche über Jesaias 40 und 
41, über die Eitelkeit des Götzendienstes, damit jedermann 
erkennen möge, er gehorche Gott und nicht den Menschen. 

Der Rath Hess darauf den Pfarrern entbieten, die 
Würde und das Ansehen der Obrigkeit zu achten und 



') Erkantnisbuch V, 41. 



\ 



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32 



ihren Beschlüssen nachzulebcn, über welche Weisung die 
Geistlichen sich bcriethen und dann dem Käthe folgendes 
antworten Hessen: nicht um dem Magistrat zuwiderstreben, 
sondern um dem Ruhme Gottes, der Befestigung seiner 
Kirche und ihrem eigenen Gewissen gemäss zu handeln, 
hätten sie die Entfernung der Götzen begehrt; sie gäben 
aber gerne zu, dass dieselben stehen blieben, wenn ihnen 
nur ein anderer ^habitus“ und ,ornatus“ gegeben werde, 
damit sie „politicum Schema prae sc ferant, non idola- 
tricum.“ ‘) 

Die Pfarrer blieben also dabei, was sie schon vor 
Wochen begehrt und vorgeschlagen hatten. Wie sic das 
erstemal damit w-aren abgewiesen worden, so erreichten 
sie jetzt das gewünschte Ziel, wenigstens teilweise. Der 
Rath gab ihnen nach. Er war des langen Hatlers müde, 
er hatte sich überzeugt von der Entschlossenheit, mit 
welcher die Geistlichen das von ihnen als recht erkannte 
fcsthielten und ihren Standpunkt wohl auch auf andern 
Kanzeln als nur derjenigen des Münsters' vertraten und 
vertheidigten. -) 

Er fand für gut, ihren Vorschlag wenigstens für das 
eine der beiden angefochtenen Bilder anzunehmen, und 
beschloss: soll allein das Bild am S. Martin dannen ge- 
than werden. 

Das Bild beim hl. Martin, das entfernt wurde, 'var 
die Figur des den Mantel empfangenden Bettlers; ohne 
Zweifel wurde damals aus ihr der Baumstrunk gemacht, 
welcher heute noch zu sehen ist. 

Man wird auch diesem Vorgehen der Geistlichkeit, 
so wenig als dem frühem, alle Berechtigung absprechen 

*) Conventus vom 17. Angust 1597. 

“) Kathsprotokoll vom 20. August 1597 : 

S. Georg und Vartin mit zwen rossen 
machen uff der cantzlen seltzam bossen. 

*) Rathsprotokoil ebendort. 



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können. Der Eifer und die Boliarrlichkeit, womit sie diese 
Soulpturen als idola bezeiclineten, mussten ihren Grund 
darin haben, dass dieselben in der That verehrt wurden. 
Und cs ist eine solche Thatsaohc auch {'ar nicht auffallend in 
einer Stadt, die vor 70 Jahren noch katholiscli gewesen 
war. So gut der Suiidgauer heute den Bild(>rn des Spalen- 
thores seine Yerehrung darbringt, so gut mochten damals 
nicht nur die Leute aus der katholisclien Umgegend, son- 
dern wohl auch noch mancher Basler und manche Bas- 
lerinn ') mit gleichen Empfindungen zu den Bildern an der 
Münster wand hinauf blicken. Wenn schon Bürgermeister 
Schulthciss den Pfarrern erwidert hatte, es handle sich ja 
nur um „steinerne Bosse“, mit denen kein Götzendienst 
könne getrieben werden, -) so hatte er eben damit Un- 
recht. Die Geistlichkeit war ihrer Sache sicher, sie wusste, 
dass die Statuen als Gegenstand der Anbetung dienen 
konnten und wirklich dienten, und aus diesem Grunde 
war sic befugt, Piinsprache zu erheben. Der Bath gab 
nach anfänglichem Sträuben nach, zwar nicht ganz, ab(>r 
doch so, dass er die Statuen mit der gleichen Farbe wie 
das gesamte Mauerwerk bemalen Hess und die Beseiti- 
gung wenigstens des Bettlers beim hl. Martin anordneto. 
Er scheint damit auch die Pfarrer wirklich befriedigt zu 
haben ; denn in den Acten weder des Baths noch des Con- 
vents wird nach diesem Beschlüsse des Streites wieder 
Erwähnung gethan. 

Mit demselben schliesst überhaupt die Angelegenheit 
der Bestauration in den archivalischen Quellen ab; die 
folgenden Arbeiten gaben zu keinerlei Erörterungen An- 
lass, und im Monat October war dann das Endo des ganzen 
Werkes erreicht. 

') Vgl. Montaigne (bei Oclis VI, 407) von den Baslern 15S0: 
„et aussi il fut averti (pic plusieura eouvoient encore la rcligion 
romaine dans lenr eoenr.“ 

*) Conventus vom Üß. .Iiili 1507. 

d 



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Es bleibt daher nur noch übrig, eine zusammen- 
fassende Darstellung des Wesens dieses Restaurations- 
werkes zu geben und diejenigen einzelnen Arbeiten nam- 
haft zu machen, welche in demselben zur Ausführung 
kamen. 

Es ist oben erwähnt worden, dass die gesammte 
Restauration vom März bis in den October 1597 währte. 
Diese Kürze der Zeit ist überraschend im Vergleich zu der 
Dauer moderner Restaurationen und ermöglicht einen 
Schluss über den Umfang dessen, was gethan wurde. 
Zwar kostete die Arbeit „nicht wenig tausend Gulden“, 
aber dass sic trotzdem in 7 Monaten zu Ende geführt 
werden konnte, zeigt worin sie bestand. 

Aus den Berichten der Pfleger über die Beschaffen- 
heit des Gebäudes, sowie aus ihren Vorschlägen über 
Besserung und Aenderung derselben, verglichen mit dom 
spätem Zustande, soweit derselbe an dem Münstergemälde 
Ringlins von 1650, an den Bücherschen Zeichnungen des 
18. Jahrhunderts, endlich an dem heute thatsächlich vor- 
handenen ersehen werden kann, ergiebt sich, dass folgen- 
des die wesentlichen Leistungen der Restauration von 1597 
w'aren : ') 

Chor. Die durch das Erdbeben (?) erschütterten 
Streben wurden ausgebessort, die Gesimse ergänzt, die 
Steinlagen zunächst dem Boden erneuert. Das auf dem 
obersten äussern Umgang befindliche Holzdach-) wurde 

') Da,ss ilas Ringlin’scho Gemälde in erster Linie absolutes 
Beweismittel sei, wird klar aus dem Umstande, dass laut Re.elinun- 
geu der (lammerei von 1597 bis 1G50 am Münster duridiaus uietits 
gebaut worden ist. 

Dieses Dach, welebes nicht allein von aussen einen hässliehen 
Anblick muss geboten baben, sondern namcntlieb auch von innen, 
wo es einen Teil der Chorfenster verdeckte, ist auf dem Münster- 
bild der holbeinisehen Orgelflügel deutlich erkennbar. Dagegen bei 
der AViedergabe des Münsters in Matlueus Merlans Prospect von 1U15 
ist es nicht mehr vorhanden. 



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35 



entfernt, und dieser Umgang statt mit Steinplatten mit 
Kupfer belegt. 

Galluspforte. Hier wurde das oberste Gesims, wel- 
ches durch aufgezogene Balken beschädigt worden war, 
erneuert. 

Vorderseite. Ein „Vorschopf ob der grossen Thür“ 
wiu'de weggebrochen. ') Die hier erst an den Uhren, 
dann an den Keiterbildcrn ausgeführten Arbeiten sind oben 
besprochen worden. 

Die untersten Steinlagen um das ganze Gebäude her- 
um wurden durch neue ersetzt, ebenso Mauern und Strebe- 
pfeiler ausgebessert. 

Die gesamte äussere Mauerfläche, auf den Seiten 
bis zum Dach, vorn bis zur grossen Gallerie hinauf, wurde 
bemalt, „alles mit kesselbrauner färb und weissen strichen“, 
wie Pfarrer Brombach berichtet.-) 

Die Thürme, an welchen zuletzt gebaut worden war, 
zeigten sich darum einer Restauration am wenigsten be- 
dürftig. Nur am S. Goorgsthurm war durch einen her- 
untergestürzten Glockenschwengel eine Gallerie beschädigt 
worden, was nun wieder hergcstellt wurde. 

Im Innern wurden die Fenster einer eingreifenden 
Erneuerung unterzogen. Die fünf grossen Hauptfenster 
oben im Chor erhielten eine Ausfüllung von lichtem 
weissem Glase, nur an das Masswerk, weil in diesem noch 
einige „gute woppen“ sich erhalten hatten, wendete man 
farbiges Glas. Und in ähnlicher Weise wurden auch die 
meisten der übrigen Fenster mit hellem Glase versehen. 

Der Vorschlag der Pfleger, die vier Rundfenster im 
Chor des alten zerbrochenen Masswerks zu berauben und 



’) Katlisprotoküll vom (J. August 1597. Es ist nicht klar, 
was unter diesem Vorschopfe zu verstehen sei. 

*) Mscr. der Vaterl. Bibi. pag. 6.5. Ein Teil dieser Bemalung 
mit den die Uuadern audeuteuden Strichen hat sich unter einem der 
Seiteudäeher noch erhalten. 



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36 



dafür gewöhnliche aufrechte Pfosten in die Oeffnung ein- 
zufügen, gelangte glücklicher Weise nicht zur Ausführung, 
sondern es scheint, dass das behauene Steinwerk erneuert 
oder docli ausgebessert wurde. In die Fenster wahrscheinlich 
der Seitenschiffe kamen nun aber Glasgeniälde zu hangen, 
die von verschiedoneu Seiten als schöne Beisteuer und zu 
erhöhter Zier des erneuerten Gotteshauses gestiftet wurden. ‘) 

Einige schadhafte Gewölbe im Innern wurden aus- 
gebessert, ferner allerlei zerschlagenes Steinwerk an Säulen, 
Basen und C’apitälen, an Gesimsen und Bögen ergänzt und 
geflickt. Die Wände und Gewölbfelder wurden mit weisser 
Farbe angestrichen, und davon die Pfeiler, Bögen und 
Arcjadcn, die Fenstereinfassungen, Ri[)pen und Schluss- 
steine durch ein kräftiges Both unterschieden. An die 
Pfeiler im Langschiff kamen .,schöne tafelcn mit rolwerckh 
mit schwarzen roten und guldincn schrifften“, Sprüche aus 
der Bibel enthaltend.'“') 

Die Kanzel erhielt einen neuen hölzernen Deckel, 
welcher durch Hans Walther“) gefertigt wurde und 801b. 
kostete. *) 

Am Lettner wirrden die Wappcnschilde der <lamals 
regierenden vier Häupter Schultheiss, Huber, Oberriet 
und Fasch angebracht.“) 

') Falkeisen 71. 75. 7‘,i. erwiihnt „bürgerliche Wappen mit der 
.lahrzahl 1597“ als in den Fenstern der Capellen der »Schaler, des 
Erzbischofs von Mainz, und des Hischof’s Heinrich von Keuenburg 
befindlich. Heute sind in einem F\*nster des südlichen Seitenschiffes 
eine Anzahl von Glasgemälden mit dem Datum 1597. Diese und die 
zwei ebenso datierten Stücke <ler mittelalterlichen Sammlung (Führer 
26) dürfen wohl sicher als die von Falkcisen erwähnten gedeutet 
werden; sie sind ohne Zweifel als Stiftungen anzusehen, die bei 
Anlass und zu Gedäelitniss der Eenovation von 1597 geschahen. 

*) -Mitgctheilt bei Tonjola 351 f. 

Hans Walther war auch einer der Künstler der Häupter- 
stühle von 1598: Falkeisen 48. 

*) Falkeiscn 45. 

“) Falkeiseu 40. 



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37 



Dagegen sind damals nicht, wie Bruckner berichtet, ') 
die im Langhause aurgehiingten alten Wappenschilde der 
Bcnefactoren ahgenommen und entfernt worden. Vielmehr 
blieben sie an ihrer Stelle, wie das Gemälde von 1650 
noch sehr deutlich angiebt. Wohl aber wurden sie, zu- 
sammen mit den Wappen der Kreuzgmiggewolbe, in 
diesem Jahr 15‘J7 durcli den Glasmaler Hieronymus 
A^scher abgezeichnet. -’) 1701 erst wurden sic beseitigt 

und in der Domprobstei verwahrt, waren aber hier am 
Anfang des 19. Jahrhunderts nicht mehr zu finden.^) 

Dies in kurzen AVorteii die Summe der Arbeiten 
jener Münsterrostauration. Vergleichen wir damit den 
Bericht der Pfleger, in welchem, wie wir sahen, für 
Steine und Steinmotzenarbeit 480 fl., für Kalk, Gips, 
Saud u. dgl. samt Taglohn der Maurer und Gipser 
880 fl., für Glas und Glaser 810, für Maler und Farben 
aber 1880 fl. budgetiert wurden. Diese Zahlen und die 
obigen Ergebnisse gestatten uns, das allgemeine Wesen der 
Restauration so zu charakterisieren. 

Ausbesserung und Ersetzung des behauenen Stein- 
werks, worin heute der hauptsächlichste Teil einer lle- 
stauration erblickt wird, erforderten damals eine im Ver- 
hältnis geringe Arbeit, umfassender war die Arbeit der 
Maurer und Gipser, der Glaser, und vor allem der Maler. 
Denn cs handelte sich vorwiegend nur um Bearbeitung 
und Auffrischung der äussern Fläche des Bauwerks. Eine 
eingreifendere Untersuchung und Ausbesserung des Ma- 
terials, der Stoiumasse, bis in die einzelnen auch kleinsten 
Teile war wohl noch gar nicht nöthig. Die Klagen, dass das 
Münster noch vom Erdbeben her arg zerrüttet und „zer- 

') Furtl'iihrung von Wuistiseus Chronik Ö2. 

-) Diese Zeiehnungen Vischers befinden sieh iin Staatsarcliiv. 
Kille Copie denselben, für Aiitistes Durckhardt durch den Maler 
Keustück angefertigt, besitzt die Bibliothek des Antistitiuins. 

*) Falkeisen 43. Notiz von Antistes Biirckhardt. 



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38 



schrenzt“ sei, wcrclcn zwar öfters laut; aber der Schäden, 
die noch wirklich vom Erdbeben herrührten, konnten nicht 
viele sein, und was sonst noch verdorben war, durch 
Frost, Unvorsichtif^keit und Bildersturm, war auch nicht 
zahlreich. So fand der Steinmetz die wenigste Arbeit. 
Daneben ist zu bemerken, dass eine wirkliche Verände- 
rung des Thatbestandes in Ergänzung grösserer Defccte, 
wäre dieselbe auch geboten und natürlich gewesen, einfach 
unterlassen wurde. Beispiel hiefür sind die Säulen an 
den Seiten der Pfeiler des Mittelschiffes, welche in katho- 
lischer Zeit wahrscheinlich für Anbringung von Altären 
bis zu zwei Dritteln ihrer Höhe abgeschlagen worden 
waren; die Lücke, seit Entfernung der Altäre sichtbar 
geworden, wurde in dieser Restauration nicht ausgefüllt, 
und die gekürzten Säulenrcste sind daher noch auf dem 
Kinglin’schen Bilde, ja noch auf der Büchcrschcn Zeich- 
nung sichtbar und wurden erst bei der letzten Restauration 
wieder auf den Boden herab geführt. 

Neben dieser Tendenz, grössem Aenderungen auszu- 
wcichcn, das Bestehende wie es war zu erhalten und, 
wenn es angieng, durch einen fetten Farbenaiistrich zu 
conscrvicren, gieng die andre ebenso auf’s praktische ge- 
richtete Bestrebung, dem Innern des Münsters möglichst 
viel Licht zuzutühren. Darum spielt im Vorschlag der 
Pfleger die Arbeit des Glasers eine so hervorragende 
Rollo, und hebt Andreas Ryff in seinem Berichte nament- 
lich hervor, dass das Münster ganz finster gewesen sei, 
daher man es mit lauter neuen Fenstern renoviert habe. 

Die Absicht der Restauration war, wie es auch da- 
mals gar nicht anders sein konnte, nicht darauf gerichtet, 
in allen Teilen stilgerecht zu verfahren. Bemühungen, 
die diesem Ziele gelten, sind modern, und man fand da- 
mals nichts anstössiges daran, wenigstens bei llinzufügung 
von Schmuck und Beiwerk den allerneuesten Renaissance- 
styl anzuwenden. Beispiel dafür die Malereien an der 



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39 



Fa<,'ade mit ihren Gestalten antiker Götter, Beispiel die 
Malereien des Innern mit ihrem „Rolwcrk“ und ihren 
Blattverzierungcn , Beispiel ferner der Kanzeldeckel und 
ein Jahr später die Iläupterstühle. Es war das gleiche 
Selbstgefühl, welches im 18. Jahrliundert, freilich dann 
um so ärmer und unvermögender, das hölzerne Geländer 
vor den Arcaden und die gemalten Blumenvasen an den 
Gewölben anbrachte. 

Es bleibt zum Schlüsse noch übrig zu erwähnen, wie 
teuer das Restaurationswerk zu stehen kam, und wolicr 
die Mittel liiezu flössen. Sie wurden aufgebracht ausser 
der Cammerci des Münsters durch die Verwaltungen der 
übrigen Stifte und Klöster, welchen durch Rathsbeschluss 
ihre Beiträge vorgeschrieben worden waren. Es zahlten 
daher die Domprobstei 375 Ib., S. Alban 500 Ib., S. 
Maria Magdalena 375 Ih., Gnadenthal 375 Ib., Prediger 
500 Ib., Augustiner 100 Ib., in Summa 2225 Ib. Die 
Beiträge der übrigen Verwaltungen (Prsesenz, Quotidian, 
Barfüsser, S. Leonhard, S. Peter, Clingcnthal, S. Clara, 
Carthause) habe icli nicht in Erfahrung bringen können, 
zusammen mögen sie wold 2000 Ib. betragen haben. 
Nehmen wir dazu, dass der durch die Beisteuern nicht 
gedeckte Rost der Baukosten, den die Cammerci über- 
nahm, 2854 Ih. 8 sh. 10 dn. ausmachte, so dürfen wir 
eine Summe von ca. 7000 Ib. als Gesamtkosten der Re- 
stauration annehmen. Dieses Geld wurde ausschliesslich 
durch die geistlichen Verwaltungen aufgebracht, die Stadt 
als solche trug zu dem Bau nichts bei. 



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SchwBighauflprisc;tii> Har.bdnif'kprei in Baxe]. 



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4 






Beiträge zur Geschichte 

des 

« 

Basler Münsters 

heransgegeben vom 



Basler Münsterbauverein. 



u. 



Zur Baugeschichte der FaQade. 



Von 



E. LaRoche, Pfarrer. 




BASEL. 

Benno Schwabe, Verlagsbuchhandlung. 
1882. 



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Ala ein ehrwürdij'er Zeuge ruhmvoller vergangener 
Tage steht unser Münster da. Könnte es erzählen von dem, 
was es hat geschehen, was es ira Lauf der Jahrhunderte 
hat werden und vergehen sehen, von den wechselnden 
Geschlechtern, die in seinen feierlichen Iläumen aus- und 
cingegangen sind, um da die bedeutsamsten Augenblicke 
ihres Lebens weihen zu lassen, — welch reichbewegtes 
Bild der Geschichte unserer Vaterstadt würde sich vor 
unsem Augen entrollen. Aber es hat ja das Münster 
neben dem auch seine eigene Geschichte, es ist selber im 
Laufe der Zeit erst geworden und allmälig zu derjenigen 
Vollendung emporgewachsen, in der es noch heute die 
hervorragendste Zierde unserer Stadt bildet. Und jetzt ge- 
rade, da die so glücklich in Angriff genommene Restau- 
ration unseres Münsters wieder mehr als sonst die Blicke 
und das Interesse auf dieses Baudenkmal hinlenkt, dürfte 
wohl ein Versuch, das Werden desselben darzustellen, 
mancherorts eine wohlwollende Aufnahme finden. Denn, so 
Vieles auch schon über unser Münster geschrieben worden 
ist, die Geschichte seiner Entstehung und allmäligen Aus- 
gestaltung ist doch erst sehr wenig bekannt, ja in mancher 
Beziehung ist diese Geschichte selbst noch der Aufhellung 



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4 



und Ergänzung bedürftig, was vor Allem daher rührt, das» 
die Quellen, aus denen sie könnte geschöpft werden, so 
überaus spärlich fliessen. In Folge dessen sind wir, wo 
die Urkunden schweigen, fast ausschliesslich auf die An- 
haltspunkte angewiesen, welche aus einer eingehenden Be- 
trachtung des Bauwerkes selber sich ergeben. 

Ganz besonders aber gilt dies gerade von demjenigen 
Theil des Baues, welcher dem Beschauer doch zuerst in 
die Augen fallt, der mit seinem Portal und seinen Thürmen 
dem ganzen Bauwerk seinen Hauptreiz und seinen so eigen- 
thümlichen Charakter verleiht, — wir meinen die Münster- 
Fa^ade. Und dieser soll denn auch die vorliegende Unter- 
suchung gelten. 



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I. Die Mittel-FaQade. 

Wer hat nicht schon, vor unserm Münster stehend, 
zugleich mit dem Wonnegefühl des erhebenden Anblicks 
doch auch, sobald er die Erinnerung an irgend ein ver- 
wandtes Bauwerk in sich wachrief, eine Empfindung da- 
von gehabt, dass ihn hier die von anderswo her gewohnten 
Formeln über Composition und Proportion einer zwei- 
thurmigen Parade völlig im Stiche Hessen ?*) Sehen wir 
auch gänzlich ab von den störenden Anbauten der äussern 
Seitenschiffe mit ihren schief gegen die Thurmwände auf- 
steigenden Dächern, als von Bautheilen, die mit der ur- 
sprünglichen Anlage nichts zu schaffen haben, so bleibt 
doch des Verwunderlichen noch genug: eine oben hinaus 
durch und durch gothische Gestalt der Thürme, die gleich- 
wohl von unten herauf des wesentlichsten Kennzeichens eines 
gothischen Thurmbaues — der wuchtigen Strebepfeiler — 
völlig entbehrt, so dass die Linien vom Boden an als 
nackte Vertikalen aufsteigen. Ein Mittelportal, das an 



') Wir verweisen hier, wie für die folgenden Ausführungen, auf 
die in Taf. I. mitgetheilte Gesammtansicht der Münster-Fa^ade. 



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6 



sich mit allem Reize ähnlicher Hauptplbrten geschmückt, 
doch die zu seiner Flankirung unerlässlichen Nebenportale 
in den Thürmen schmerzlich vermissen lässt. Und end- 
lich als Ergebniss dieser Mängel die fast sprichwörtlich 
gewordene Kahlheit der ganzen untern Hälfte unserer 
FaQade. 

Der Grund aller ebengenannten Eigenthümlichkeiten 
liegt wohl in der ursprünglichen Gestalt der Thürme, und 
für diese wird es also vor Allem gelten eine Erklärung 
zu suchen. Der nächstliegende Gedanke wäre, die Ent- 
stehung der Thürme der gleichen Bauzeit zuzuschreiben, 
der auch sämmtliche übrige Theile des ältern Münsters 
ihren Ursprung verdanken, also der W ende des XII. Jahr- 
hunderts von 1185 an. Allein wie Hesse es sich erklären, 
dass derselbe Meister, der Chor und Querschiff in den 
reichen Formen des damals herrschenden Uebergangsstils 
geschaffen, der dort auch bereits seine Kenntniss des 
Strebesystems bewiesen hatte, nunmehr an die Thürme 
gelangt auf einmal auf diesen eben so sehr constructiven 
als ästhetischen Vortheil verzichtet haben sollte? Man 
vergleiche z. B. die unserm Münster gleichzeitige und 
in Vielem nahe verwandte Legerius-Kirche in Gebweiler, 
um sich zu überzeugen, dass die Gliederung der Thürme 
mit Streben und ihre Durchbrechung durch Nebenportale 
auch dem Meister unseres Münsters nicht ferne gelegen 
hätte. 

Allein eben dieser, leider uns unbekannte, Meister 
fand für den Bau der Fa<;ade keine tabula rasa vor, son- 
dern da stand noch ein Rest des 1185 in Flammen auf- 
gegangenen Münsters, ') mit dem er nothwendig rechnen 
musste. Wir meinen die untersten Stockwerke des gegen- 
wärtigen St. Georgsthurmes. Rahn sagt: „Schon in dem 
ersten Entwürfe war die Errichtung der zwei westHchen 



') Rahn, Gesch. d. bild. Künste 1876, 213 Änm. 



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Thürme vorgesehen und muss auch der eine, der nördliche 
Thurm, wie dies dieBleudarkarden und Consolgesimse zeigen, 
noch in romanischer Zeit bis zu einer gewissen Höhe 
emporgetührt worden sein.“') 

Auf diese von Rahn hervorgehobenen Blendarkaden 
möchten wir zunächst die Aufmerksamkeit hinlenken. Sie 
ziehen sich um die drei Aussenseiten des Thurmes, nur 
sind sie gegen Norden durch das später angebaute Dach 
des äussem Seitenschiffes, nach Osten theilweise durch die 
Obergalerie des innern SeitenschiflTes, das sogen. Triforium, 
verdeckt. Schon die Art, wie dieses Triforium mit dem 
Thurm verbunden ist (s. Tafel III, Fig. 1), zeigt deutlich, 
dass jene Blendarkaden vorhanden waren, noch ehe der 
Bau von 1185 mit seinem Seitenschiff und seinem Trifo- 
rium daran anschloss ; denn ganz unorganisch schneidet das 
Gewölbe des Triforiums durch jene Blendarkaden, sie zur 
Hälfte geradezu verdeckend, ein Umstand, auf den Herr 
Dr. Ach. Burckhardt bereits aufmerksam gemacht hat.^) 
Hiezu kommen aber nocb weitere Merkmale, die auf einen 
frühem Ursprung des St. Oeorgsthurmes schliessen lassen: 
Das unterste Stockwerk zeigt im Innern ein Tonnen- 
gewölbe, das einzige, das unser Münster aufweist. Ferner 
sind die beiden untern Stockwerke gerade bis über die 
vorhin erwähnten Blendarkaden aus einem bläulich weissen 
Sandstein erbaut, der sonst am Münster nirgends mehr 
sich wiederfindet. Dazu stimmt endlich die Benennung 
„vetus Campanile“,") die zwar erst 1274 urkundlich be- 
zeugt ist, aber auch leicht erst aufkommen konnte, nach- 
dem einmal neben demselben der Martinsthurm als der 
,nüwe turn“, wie er in den Münsterrechnungen heisst, in 



'} Rahn a. a. 0. pag. 47C. 

*) Anz. f. Schweiz. Alterthk., Jahrg. XII, pag. 927, und K. Steh- 
lin ibid. XllI, pag. 32. 

") Dr. Fechter Nenjhl. 1850, pa^ 13 und 43. 



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Angriff genommen ward. Nichts steht der Annahme ent- 
gegen, dass der bisher besprochene Unterbau des Georgs- 
thurmes noch dem 1010 bis 1019 unter Mitwirkung Kaiser 
Heinrichs II. erbauten frühem Münster angehört und als 
einziger Ueberrest den Brand von 1185 überdauert habe. 
Damit ist aber zugleich gesagt, dass der nach jener Zer- 
störung begonnene Neubau, sobald er einmal bis zur 
Fa?ade vorgerückt war, den genannten Thurmstumpf bc- 
\ reits vorfand und sich mit demselben irgendwie in Ein- 
klang setzen musste. 

Wie verfuhr nun der Meister, dem diese Aufgabe 
zufiel, das ganze Münster durch einen westlichen Frontal- 
bau abzuschliessen ? Darüber gibt uns die heute noch vor- 
liandene Fa^ade Aufschluss, die, in ihren untern Thcilen 
wenigstens, keine andere ist als die ursprüngliche, wie sie 
schon vor dem Erdbeben von 1356 dastand. 

Wir sind uns wohl bewusst mit dieser Behauptung 
von allen bisherigen Annahmen abzuweichen und werden 
dämm vor allem aus einen so frühen Ursprung des ge- 
nannten Frontbaus zu begründen haben. 

Sehen wir zunächst das Portal an, so dürfen wir ja 
nicht durch das überaus dürftige Maasswerk im Bogenfcld 
desselben und durch dessen spätgothische Formen, sowie 
durch den dieses Bogenfeld nach unten abschliessenden 
Tragbalken mit seiner eben so späten Stützsäule am Mittel- 
pfosten uns irremachen lassen. Das sind nachweislich Zu- 
thaten, die den im Bildersturm zerstörten einst viel herr- 
lichem Schmuck dieser Theile ersetzen sollten. Der Aus- 
gabeposten unsrer Münsterfabrik-llechnung von 1471: „It. 
von dem Jesus-Hendlin apud ymaginem beatae virginis 
circa majorem januam ze rcforniircn VI ß“ lehrt deutlich, 
dass ein Bild der Maria, wie es ja auch bei einer Unsrer 
1. Frauen geweihten Barche nicht anders sein konnte, an 
dem Mittelpfosten des Portals, gerade so wie in Strassburg 
und Freiburg, aufgestellt war. Zum Ueberfluss steht die 



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9 



Säule sammt Kapital, worauf einst das Marienbild ruhte, 
heute noch da, und hinter der spätgothischen an Stelle 
dieses Bildes gesetzten Säule finden sich im Hauptpfosten 
noch die Döbel, in welche die Rückseite des Bildes mit 
entsprechenden Eisenbarren befestigt war. Bildete aber 
diese Marienstatue einst den Mittelpunkt der ganzen Por- 
talausstattung, dann darf auch sicher angenommen werden, 
dass das über dieser Statuo sich erhebende Bogenfeld, das 
sogen. Tympanon, mit einer dazu gestimmten Reliefdar- 
stellung, etwa dem Kreis der Marienlegende entnommen, 
geschmückt war. Heute ist leider nur noch die ehemalige 
Umrahmung dieses Bildes: der reichgezierte Spitzbogen 
des Portals vorhanden. Von seinen vier Hohlkehlen 
zeigen zwei je eine Serie auf Consolen übereinandergeord- 
ueter Gestalten: Die innere, dem Tympanon zunächst- 

stehende, ist aus jederseits neun Engeln gebildet, die in 
anbetender Gebärde, meist ein Spruchband haltend, nach 
dem Bogenfeld hin oder nach oben schauen. In der Spitze 
des Bogens, wo beide Reihen Zusammentreffen, schaut eine 
männliche Gestalt heraus, einen merkwürdig gewundenen 
Kranz in der Linken vorhaltend; ein räthselhaftes Bild, das 
aber, wenn das Hauptbild im Tympanon noch vorhanden 
wäre, gewiss von diesem aus sofort seine Deutung finden 
würde. Die zweite äussere Hohlkehle ist mit jederseits 11 
Brustbildern ausgesetzt, in welchen Könige und Propheten 
mit Engeln abwechseln, und den Schluss im Bogenscheitel 
bildet die Gestalt Gott -Vaters (oder Abrahams:'), der die 
Seelen der Erlösten in seinem w'eiten Mantel birgt und 
zugleich seine Arme segnend über den ganzen Himmel aus- 
breitet. (S. die Abbildung pag. 5.) Denn nichts anderes als 
eine Darstellung des Himmels und seiner Heerschaaren 
von Engeln und Seligen glauben wir in den vorhin er- 
wähnten Gestalten der Hohlkehlen erkennen zu sollen. 
Und wie nahe liegt da der Gedanke, dass ihre Anbetung 
und Freude dem Vorgang gelte, der einst in ihrer Mitte, 



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10 



im Tympanon selbst, dargestellt war, und unter dem wir 
etwa die Himmelfahrt Mariä, resp. ihre Krönung durch 
den Vater und den Sohn uns vorstellen können. Derselben 
Darstellung begegnen wir ja auch im Chor des Münsters 
am Hauptschlussstein des Gewölbes. 

Unsere Kenntniss mittelalterlicher Plastik und ihrer 
Stilwandlungen in den einzelnen Epochen reicht nicht hin, 
um über das Alter der bisher besprochenen Portal-Sculpturen 
ein sicheres Urtheil zu fällen ; zudem haben wir es ja hier 
mit lauter secundären Gestalten zu thun, die in kleinem 
Maassstab ausgeführt und dem Beschauer ziemlich ferne 
gerückt das Urtheil noch erschweren. — Um so mehr 
aber glauben wir in dem übrigen Beiwerk des Portals 
Anhaltspunkte für die Datirung seines Ursprungs gewinnen 
zu können. Da möchten wir vor Allem auf die den gan- 
zen Portalbogen aussen umrahmende Krabben reihe hin- 
weisen: ') diese Krabben zeigen die für die 
früheste Gothik so überaus charakteristische 
Knospenform mit straff aus der Unterlage 
vorspringendem Stiel. Wir wüssten an unserm 
ganzen Münster keine zweite Krabbe dieser 
Bildung zu finden. Sodann das Laub- und 
Blumenwerk, das die mittlere Hohlkehle 
des Portalbogens zwischen jenen beiden figu- 
rirten Hohlkehlen füllt. Es will an Ort und 
Stelle betrachtet und wieder und wieder in 
den verschiedenen Beleuchtungen, besonders bei der Abend- 
sonne betrachtet sein, wenh sich die unübertreffliche Kunst 
des Meisseis, die liebende Hingabe, mit der hier der Natur 
ihre zartesten Formen abgelauscht sind, offenbaren soll. 

’) R. Redtenbacher in s. Leitfaden znra .Stud. der mittelalt. 
Baukunst 1881 nimmt diese Krabben unseres Portals sogar noch für 
den Ucbergangsstil in Anspruch; nur ist die von ihm gegebene Ab- 
bildung (Tafel II, 15) eher irre führend. 




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11 



Und welche Kunst hat diese Treue in Wiedergabe des 
natürlichen Pflanzenschmucks geübt? Es war wiederum 
die der ersten Gothik, die, von der im Romanischen 
bis zur völligen JSaturwidrigkeit getriebenen Stilisirung 
des Pflanzenornaments zur wirklichen Natur und ihrem 
Studium zurückkehrend, in dieser auf Weg und Steg zu 
ihrem Staunen die schönsten Motive entdeckte und nun 
mit der ganzen Lust einer neuaufwachenden Kunst das 
zierliche Laub der Eichen, der Ahorne, der Haselstaude 
und des Epheus, sowie die Blumen des heimischen Feldes 
und Gartens, dem Steine in frischer Begeisterung anzu- 
vertrauen bemüht war. Der Fortgang der Kunst hat es 
dann bewiesen, wie auch hier die anfangs ungezähmte 
Lust mehr und mehr unter das strenge architektonische 
Gesetz sich beugen lernte, bis sie jenen Sinn für unmittel- 
bares Schöpfen aus der Natur allmälig verläugnend in ein 
neues Stilisireu des Pflanzenmotivs hineingerieth, das schliess- 
lich die Kapitale, die Krabben und Kreuzblumen der spä- 
tem Gothik bis zu ihrer Ausartung in das eigentliche 
Schnörkelblatt, hervorbrachte. Man lese in Yiollet-le-Duc 
den Artikel „Fleur“ und ähnliche nach, um sich diese 
ganze Entwicklung noch viel lebendiger zu vergegenwär- 
tigen: und kehre dann, an der Hand dieses bewährten 
Führers zu unserm Münsterportal zurück, so wird man kei- 
nen Augenblick mehr im Zweifel sein, dass wir es hier mit 
einem Werk der allerfrühesten Gothik zu thun haben. In 
dieser Ueberzeugung werden wir noch bestärkt, wenn wir 
nun endlich auch noch die den bisher besprochenen Por- 
talbogen tragenden Säulen, resp. deren Kapitale und 
Basen ins Auge fassen. Man erkennt an erstem deut- 
lich das Laub des Ahorns, des Haselstrauchs, des Mehl- 
baums, der Rose und der Himbeere, sowie die Blüthe der 
Primel. (Einige dieser Kapitäle gibt unsere Taf. II.) Und 
was die Basen betrifft, so legt deren flache, fast tellerför- 
mige Bildung nicht minder Zeugniss ab für die erste Zeit 



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12 



der Gothik, als das scharfkantige Birnenprofil 
der die Portalsäulen trennenden Rippen. ') 

Wir haben bis jetzt nur erst von dem Portal 
im engem Sinne gesprochen, noch nicht von der ganzen 
Portalwand, wie sie den Raum zwischen beiden Thürmen 
und bis zur ersten Gallerie ausfüllt. Wenden wir uns 
denn zu dieser Umrahmung des Portals im weitern 
Sinne. Dieselbe zeigt zunächst auf beiden Seiten der 
Hauptthür jene schmalen, oben mit Maasswerkfenstern 
durchbrochenen Nischen und auf 4 Vorgesetzten Pfeilern 
als Hauptschmuck der ganzen Anlage die bekannten Sta- 
tuen einerseits Kaiser Heinrichs als des Münsterstifters 
und der Kaiserin Kunigunde, andrerseits der Weltlust, 
wohl noch richtiger des Verführers, einer männlichen ge- 
krönten Gestalt, an deren nacktem Rücken allerlei kriechen- 
des Gewürm, ein Sinnbild des von der Lust geübten Be- 
truges, sich bewegt, und ihr Pendant: die Begierde als 
weibliches Wesen, wie sie eben im Begriff steht, der 
Lockung sich gefangen zu geben. Ueber diesen Statuen 
endlich die vier sie überdachenden Baldachine, die bis zur 
Galerie aufreichen und den einzigen Schmuck der sonst 
kahlen obern Wandhälfte bilden. 

Dass das Hauptportal bereits fertiggestellt war, ehe 
der ebengeschilderte Ausbau der übrigen Wand stattfand, 
das werden wir zunächst zu beweisen haben. Ein Augen- 
schein an Ort und Stelle wird Jeden überzeugen, dass die 
vier die Statuen tragenden Pfeiler erst nach Vollendung 
des Portals vorgesetzt wurden, indem die Fugen ihrer 
Quader eine ganz andere Scala bilden als der Mauerkern, 
und die Fuge der Anlehnung an letztem von unten bis 

*) Die geometrische Constrnction, welche der ganzen Säulen- 
stellung des Portals xn Grunde liegt, sucht unsere Fig. 2, a. aut 
Taf. III zu veranschaulichen; b. eine Rippe des Portalbogens; c. eine 
solche des Vorgesetzten Pfeilers. Vergleiche dazu Viollet-le Duc, Art. 
„Profil“. 




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» 



— 13 — 

oben deutlich zu sehen ist. Es braucht dieser Weiterbau 
nicht viel später datirt zu werden; denn auch die Kapi- 
tale und Basen an den Säulen dieser Tiagpl'eiler zeigen 
noch durchaus frühgothischeu Charakter, aber doch schon 
von etwas vorgeschrittener Bildung: die Basen stark aus- 
ladend haben zu ihrer Stütze kleine polygone Consolen 
und sind in doppelter Keihe angeordnet. Die Kapitale 
sind im Vergleich mit denen des eigentlichen Portals be- 
deutend gestreckter und ihr Laubwerk wächst nicht sowohl, 
wie es dort der Fall war, aus dem Kapitälkelch heraus, 
als dass es denselben lose umrankt. Das Birnenprofil 
zeigt bereits statt der scharfen Kante das vor- 
gelegte Plättchen. Wir möchten die Ver- 
muthung aussprechen, dass erst nach Erstellung 
des Portals, etwa in Folge einer grossmüthigen 
Stiftung, die vier Statuen mit in den Fa^adenplan konnten 
aufgenommen werden und dass ihrer würdigen Aufstellung 
zu lieb die eben besprochenen Tragpfeiler aufgeführt wurden. 

Nun geht aber die Säulenstellung an der Seite 
dieser Tragpfeiler nicht nur bis in die beiden Nischen 
hinein, sondern durch die Wand dieser Nischen hindurch bis 
ins Innere der Vorhalle. Sehen wir uns das Fenstermaass- 
werk und die mit horizontalem Stabwerk gegliederte 
Füllwand dieser Nischen näher an, so überzeugen wir 
uns sofort, dass wir es hier mit einer ziemlich späten 
Einbaute zu thun haben , die wir sogar bis auf 
das Jahrzehnt datiren können , indem der mittlere 
Vierpass der einen Nischenwand das Steinmetzzeichen 
N® 1 trägt, die andere das Zeichen N® 2. Das erstere 

f rt 

I. 2. 

Zeichen nun findet sich genau so wieder an dem urkund- 
lich Anno 1423 durch Hans Cun von Ulm erbauten Thürm- 




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14 



eben der hiesigen Dominikanerkirche; ') das andere Zeichen 
an unserm Münster selbst, und zwar am Georgsthurm, an 
der Wendeltreppe des Wächterhauses, also an einem Bau- 
theil, der wie später nachzuweisen sein wird, ebenfalls 
auf das 2. Jahrzehnt des XV. Jahrhunderts zurückzu- 
führen ist. 

Nichts ländert aber anzunehmen, dass vor 1420, d. h. 
che jener Verschluss stattfand, die beiden Nischen zwei 
das Hauptportal llankirende Nebenportale bildeten; sehr 
eng gedrückte allerdings ! Aber nehmen wir an, dem Er- 
bauer derselben habe das Ideal einer dreigliedrigen 
Fa^ade mit Hauptportal und zwei seitlichen Portalen vor- 
ges(;hwebt, so würde er, wenn er tabula rasa vorgefunden 
hätte, das Hauptportal etwas weiter nnd höher geöffnet, 
die Nebenportale aber unzweifelhaft in das Untergeschoss 
der Thürme verlegt und so ein normales Fagadenschema 
erreicht haben. Nun aber stand als unüberwindliches non 
possumus der festgeschlosscne Georgsthurm zwei Stock- 
werke hoch schon da und verlangte gebieterisch, dass sein 
Nachbar zur Linken in gleicher Haltung sich neben ihn 
stelle. Dem bedrängten Meister aber blieb nichts übrig, 
wenn er auf das dreitheilige Portal nicht ganz verzichten 
wollte, als dasselbe in dem zwischen beiden Thürmen noch 
freigebliebenen Raum so gut wie möglich, d. h. eben in 
der vorliegenden zusammengedrängten Gestalt unterzu- 
bringen.'-) Aus welcher Ursache später diese Nebenportale 
verschlossen und in blosse Fensternischen verwandelt wor- 
den seien, bleibt uns unbekannt. 

Nochmals müssen wir aber, ehe wir weitergehen, zu 
jenen vier Statuen unsere Portals zurückkehren. Für ihre 



') Archiv des Prediger-Klosters Nr. 830. 

’) Eine der hiesigen auffallend ähnliche Portalanlage, durch 
aualoge Verhältnisse bedingt, zeigt die Westfront der Sainte Chapelle 
in Paris. (Vergl. Calliat et Lance, VIII, Bl. 64; IX, Bl. 62 u. 116.) 



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15 



Datirung haben wir nur den einen Anhaltspunkt, dass 
die Gruppe der Verführung mit der entsprechenden Dar- 
stellung des Strassburger Portals die innigste Verwandt- 
schaft zeigt, die auch auf eine gleichzeitige Entstehung 
schliessen lässt. Nun ist für den Beginn des Erwin’schen 
Baues an der Strassburger Fagade — und diesem gehören 
die fraglichen Sculpturen an — ungefähr das Jahr 1280 
ermittelt. In diese Zeit wären demnach auch unsere Basler 
Portalstatuen zu setzen, — etwas später, wenn sie den 
Strassburgem nachgebildet sind; etwas früher, falls sie als 
deren Vorbild dürfen betrachtet werden.') Als ein Werk 
des XIII . Jahrhunderts dürfen wir dieselben jedenfalls in 
Anspruch nehmen. Ihre jetzige Aufstellung ist jedoch 
nicht mehr die ganz ursprüngliche: sie standen einst un- 
mittelbar über der ihre Stützpfeiler abschliessenden Ab- 
schrägung, während die untergesetzten Postamente spätem 
Stil verrathen und bei einer uns unbekannten Aenderung 
des Fa<;adenplans, etwa bei Errichtung der ebenfalls späten 
Galeiiebrüstung hinzugekommen sein mögen, womit zu- 
gleich auch die vier Baldachine erst in ihrer jetzigen Ge- 
stalt über die Statuen gesetzt wurden. Auf eine solche 
Aenderung resp. Erhöhung unserer Portalmauer scheint 
überdies der Umstand zu deuten, dass an der südlichen 
Ecke derselben etwa ein Fuss unterhalb des Wasserspeiers 
die Ansätze einer frühgothischeu Eckkrabbe bei guter Be- 
leuchtung noch sichtbar sind. Eine solche wäre in der 
gegenwärtigen Anlage unerklärlich; sehr wohl würde sie 
aber mit der Annahme stimmen, dass der ganze Abschluss 
der Wand über dem Portal ursprünglich etwas niedriger 
und anders, d. h. ebenso wie das Uebrige in frühgothischen 
Formen gebildet war. 

Wenden wir uns nun dem Martinsthurm zu. Als 



*) In letzterem Sinne hat sich eine competente Stimme in der 
hiesigen historisch-antiquarischen Gesellschaft ausgesprochen. 



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16 



wir vorhin von der Nöthlgunf' sprachen, die für den Er- 
bauer der Mittelfa^ade vorlag, seine ganze Portalanlage in 
den verhältnissmässig engen zwischen beiden Thürmen 
verfügbaren Raum zu componiren, mussten wir uns so 
ausdrücken, als hätten damals beide Thürme schon dage- 
standen. Es stund aber thatsächlich, wie wir früher nach- 
gewiesen, nur erst der Georgsthurm, genauer dessen 
beide untere Stockwerke; sein jüngerer Bruder, der 
Martinsthurm, ward erst im XIII. Jahrhundert, w^ahrschein- 
lich gleichzeitig mit dem Portal begonnen. Zu dieser Zeit- 
bestimmung nöthigen uns vor Allem die an der Aussen- 
wand des untersten Tburmgeschosses zahlreich vorhandenen 
Steinmetzzeichen. Nun kamen Steinmetzzeichen überhaupt 
bei kirchlichen Bauten erst gegen Ende des XII. Jahr- 
hunderts in Gebrauch'), demgemäss weist der schon oft 
erwähnte alte Grundstock des Gcorgsthurmes kein einziges 
solches Zeichen auf, während die nach dem Brand von 
1185 erbauten Theile, der Chor, die Querschiffe und das 
Langhaus ganz damit übersät sind. Freilich können wir 
sie nur noch an den bis jetzt unberührt gebliebenen 
Aussenseiten constatiren. — Das ganze Innere des Münsters 
hat diese oft so kostbaren Ursprungszeugnisse unter dem 
Kronhammer der 1850er Restauration eingebüsst. Indess 
hat der verdienstvolle Leiter jener Restauration, der ver- 
storbene Herr Chr. Riggenbach, nicht versäumt, eine An- 
zahl derselben vor ihrem Verschwinden noch zu notiren, 
und aus dessen Nachlass sind sie uns durch seinen Bruder 
gütigst zur Verfügung gestellt worden. Diese Zeichen 
nun, so weit sie noch erhalten sind, lassen uns erkennen, 
dass der ganze mit 1185 begonnene Bau, wie er aus 
Einem Guss, nach dem Plan eines Meisters ersten Ranges 
entstanden, so auch in ganz unglaublich kurzer Zeit, die 



*) Otte, Handb. der christl. Kunst-Archäol. IV. Aufl. 1868, 
pag. 629. 



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17 



vielleicht mehr als zwei Menschcnaltcr nicht umfasste, bis 
zum Anschluss an die Thürme vollendet war. Wir schliessen 
dies daraus, dass einzelne, und zwar sehr charakteristische 
Steinmetzzeichen, die schon am Chor Vorkommen, noch 
über die Querschiflfc hin bis in die Mauer des Langhauses 
hinein sich erstrecken. Alle diese Zeichen der ersten 
Bauzeit haben das Gemeinsame, dass sie, nicht wie in der 
spätem Gothik eine geometrische Cornbination gerader 
Linien darstellen, sondern neben einzelnen Buchstaben 
hauptsächlich Gegenstände des wirklichen Lebens, etwa 
ein Handwerkszeug oder einen Ring, ein Herz u. dgl. re- 
präsentireu; wir könnten auch sagen: jener spätem Vor- 
liebe zur geraden Linie gegenüber bewegen sie sich gern 
in der gewundenen. (Siehe Tafel V.) 

An unserem Martinsthurmo nun tragen die Zeichen, 
die wir bis Jetzt an der Aussenwand seines Erdgeschosses 
beobachten konnten, durchaus noch dasselbe Gepräge wie 
die des Uebergangsstils, nur sind es nicht mehr dieselben 
Hände wie an Chor und LangschifF, die sich darin ver- 
ewigt haben; es sind gleichartige, aber nicht mehr iden- 
tische Zeichen. Allerdings befinden sich an den Innen- 
wänden desselben Thurmgeschosses und der drei nach oben 
folgenden Stockwerke dann ganz anders geartete Steinmetz- 
zeichen einer nachweislich viel spätem Zeit in Verbindung 
mit jenen arabischen Zahlen, auf die schon Herr Dr. Ach. 
Burckhardt aufmerksam gemacht hat.') lieber diese schein- 
bar widersprechende Erscheinung und über die Frage, 
wie sic mit unserer frühen Datirung des Thurms sich 
reime, werden wir weiter unten uns auszusprechen Ge- 
legenheit finden. Für jetzt genüge es zu constatiren, dass 
am Aeussern des Thurmes nichts sich findet, was auf 
eine spätere Zeit als das XIII. Jahrhundert binwiese. 
Vielmehr haben wir einen directen Beweis für die gleich - 



•) Anzeiger für Schweiz. Alterthumsk. XII. 1879, pag. 927. 

o 



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18 



zeitige Inangriffnahme von Portal und Thurm in dem 
Umstand, dass ein Stützpfeiler, ähnlich demjenigen, welcher 
die Reiterstatue des hl. Martin trägt, auch an der dem 
Portal zugekehrten nördlichen Thurmecke sich befindet; 
er fällt nur nicht in die Augen, da er beim Weiterbau 
in die übrige stark vortretende l’ortalwand mit hineinge- 
zogen und überdies durch jene früher nachgewiesene den 
vier Statuen zu lieb errichteten Pfeilervorlagen maskirt 
wurde. Gleichwohl lässt sich noch deutlich erkennen, 
dass dieser Eckpfeiler alsbald mit dem untersten Thurm- 
geschoss in Verband aufgeführt wurde. 

Genauer denken wir uns nun den Hergang folgendcr- 
maassen: Her nach 1185 mit dem Chor im Osten begon- 
nene Münsterbau war, in vcrhältnissmässig kurzer Zeit 
nach Westen vorschreitend, bis zur Parade gediehen. Hier 
ging er in die Hände eines neuen Meisters über, welcher 
der mittlern Zeit des XIII. Jahrhunderts durchaus ent- 
sprechend, mit dem unterdessen von Frankreich her sich 
Rahn brechenden gothischen ötil vertraut, nunmehr unser 
Westportal in diesem Stile schuf und zugleich den Grund 
zum Martinsthurm legte. Wir haben aber vorhin an der 
Mittelfa<;ade zwei Bauzeiten unterschieden: eine erste, 
welcher das Hauptportal angehört, und in dieser scheint 
auch der Martinsthurm bis zur Höhe seines zweiten Stock- 
werkes, resp. zum ersten Thurmgesims gefordert worden 
zu sein. Dann erst erfolgte die Vollendung der Portal- 
wand bis zur Galerie. Von hier an aber schritten nun 
Thurm und Fa^adenbau gemeinsam weiter bis hinauf 
zur ersten Hauptgalerie. Denn auch diese zweite Stufe 
der Fa^ade glauben wir noch der Zeit vor dem Erdbeben, 
genauer dem XHI. Jahrhundert vindiciren zu müssen. 

Zum Beweise hiefür sei vor Allem auf das grosse 
über der Portalgalerie aufsteigende Mittelfenster hin- 
gewiesen, Dasselbe ist so frühgothisch wie nur irgend 
etwas. (Siehe Taf. I.) Zunächst das Maasswerk erhebt 



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19 



sich über vier Theilungsbogen, die jener Frühzeit ent- 
sprechend noch keine Nasen zeigen. Das Maasswerk 
selbst stimmt in seiner Combination einer grossen sechs- 
blättrigen Mittelrosette über zwei im Vierpass gezierten 
kleinern Kreisen auffallend mit verschiedenen Fenstern der 
Chorcapellen von Notre Dame und einem andern der 
Sainte Chapelle in Paris, beide zwischen 1240 und 1260 
erbaut.') Dann bemerke mau die den äussern Rund- 
stab am Bogenansatz krönenden Capitäle, sowie seine 
untern Basen, in ihrer Bildung; endlich das Profil 
der Pfosten (siehe Taf. III, Fig. 3), so wird kein Zweifel 
übrig bleiben, dass wir ein Fenster des XIII. Jahrhunderts 
vor uns haben. Ja, vergleicht man die genannten Capitäle 
und Basen mit den früher beschriebenen der Portal- 
pfeiler, so möchte man geneigt sein, sie einem und dem- 
selben Meister zuzuschreiben. Vergleicht man aber ander- 
seits die notorisch unmittelbar nach dem Erdbeben er- 
richteten Bogenfenster des hohen Chores nach ihrem Maass- 
werk und Pfostenprofil (siehe Taf. III, Fig. 4) — wie 
könnte da noch an eine Entstehung unseres Fagadenfensters 
erst nach dem Erdbeben gedacht werden? 

Ist aber dieser Beweis stichhaltig, dann gilt er gleich 
auch für das erste freistehende Stockwerk des Martins- 
thurms über der Galerie, dessen grosse Bogenfenster eben- 
falls den Rundstab mit Laubcapitäl aufweisen und noch 
nicht wie die spätem Thurmfenster von einer tiefen Hohl- 
kehle eingefasst sind. Mit dieser Annahme stimmen denn 
auch die an diesem Stockwerk freilich nur spärlich vor- 
handenen Steinmetzzeichen vollkommen, indem sie mit 
denen der vorangehenden Stufen viel nähere Verwandt- 
schaft zeigen als mit jenen der später folgenden. 

Nun aber einmal zur Galerie gelangt, bleibt uns 
unterhalb derselben nur noch das zwischen ihr und dem 



') Abbildungen bei Viollet-le-Duc Art.: fenetre. 



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20 



Blendarcadengeschoss des Georgsthurms befindliche Stock- 
werk zu besprechen. Dasselbe bietet an sich selbst zu 
wenig stilisirtes Detail, um darauf Schlüsse betreffend die 
Entstehungszeit bauen zu können. Doch haben compe- 
tentere Autoritäten schon auf die vier die Ecken dieses 
Stockwerks zierenden Königs sta tuen als auf unläugbare 
Repräsentanten der noch unmanierirten gothischen Plastik 
hingewiesen. Jedenfalls springt auch für den Kichtkenner 
die Superiorität dieser Gestalten gegenüber den gleich 
am dar über liegenden Stockwerk sich zur Madonna im 
Mittelgiebel hinbewegenden drei Königen sofort in die 
Augen. Sind aber letztere, wie wir bald nachweisen 
w’erden, Schöpfungen des beginnenden XV. Jahrhunderts, 
dann sind wir wohl genöthigt, die untern vier Königsbilder 
noch vor das Erdbeben zu setzen. Wir kommen zu diesem 
Schluss noch auf anderem Wege: Der F a^adenbau, ein- 
mal bis zur Linie aufgeführt, von welcher aus die frei- 
stehenden Thürme sich erheben sollten, wird doch kaum 
der hier so wirkungsvoll die ganze Frontfiäche abschlies- 
senden Hauptgalerie entbehrt haben. Es trägt auch in der 
That das die Galerie brüstung tragende mächtige Gesimse 
einen durchgehenden Fries von Rosen, den wir uns 
kaum nach dem Erdbeben erst entstanden denken können. 
Zum Ueberfluss bieten uns die oberen Galerien der beiden 
Thürme einen solchen Rosenfrics aus der Zeit nach 
dem Erdbeben und gestatten uns somit zu unterscheiden, 
wie solche Rosen in der späten Zeit und wie sie noch 
in der guten frühem gebildet wurden. Aber ob nun 
auch die Hauptgalerie, d. h. deren Traggesimse (denn die 
durchbrochene Brüstung ward jedenfalls erst nach dem 
Erdbeben restaurirt), noch vor diese Catastrophe zu setzen 
sei oder nicht: für jenes Stück des Georgsthurms mit den 
vier Königsbildem möchten wir unbedenklich die frühere 
Entstehung präsumiren, da wir uns nicht denken können, 
dass man die ganze übrige Front bis zur Galerie aufge- 



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21 



iührt und nur diese kubische Lücke in ihr ofFengelassen 
hätte. 

Endlich aber haben wir für unsere Behauptung, dass alle 
bis jetzt besprochenen Theile, d. h. die ganze Front 
unterhalb der Hauptgalerie und über derselben das 
erste freistehende Geschoss des Martinsthurms vor das 
Erdbeben zu setzen seien, noch einen Zeugen vorzuführen, 
der seine Aussage mit unauslöschlichen Zügen in die Steine 
unseres Münsters eingeschrieben hat und dies ist das Erd- 
beben selber. Man sehe sich einmal im Licht der Morgen- 
sonne, etwa um 11 Uhr, imsere Münsterfront an, zunächst 
das schon besprochene grosse Mittelfenster, so wird man 
einen durch dieses Fenster wie durch die anstossende 
Wand von rechts her bis in das Maasswerk hineinreichen- 
den Riss entdecken, besser sollten wir sagen eine Ver- 
schiebung, durch welche einzelne Quader der Mauer, 
namentlich aber die betreffenden Theile des Maasswerks 
geradezu verrenkt, aus ihrer Flucht herausgerückt und 
über die früher mit ihnen bündig gewesenen Theile mehr 
als zollweit vorgeschoben worden sind. Solche Phänomene 
ergeben sich nicht einfach nur dadurch, dass der Bau 
„sich setzt“, wie das ja zumal bei Thurmanlagen nur zu 
oft geschieht, — unsere Elisabethenkirche gibt Gelegen- 
heit letztere Erscheinung zu studiren; — sondern eine ele- 
mentare Gewalt — wir denken die des Erdbebens — 
muss hier gewirkt haben, in ganz ähnlicher Weise, wie 
wir’s am Maasswerk der Chorfenster unserer Barfüsser- 
kirche constatiren können. 

Risse gleicher Art zeigen nun aber auch die übrigen 
Theile unserer Müiisterfa^ade, soweit wir dieselbe noch 
der Zeit vor dem Erdbeben zuweisen zu müssen geglaubt 
haben, sow’ohl die Mauern des Martinsthurms als auch 
jenes kubische Zwischenstück des Georgsthurms, das den 
alten Unterbau mit der Galerie verbindet, nur ist an letz- 
terer Stelle der quer durchlaufende ganz bedeutende Riss 



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22 



vor einigen Jahren durch Einflicken einer ganzen Quader- 
reihe unkenntlich gemacht worden. 

Wir denken, dass diese Erdbebenspuren im Zusam- 
menhalt mit den von uns hervorgehobenen stilistischen 
Eigenthümlichkeiten unserer Fa^ade die Annahme empfeh- 
len, wornach wir in dem Haupts tock dieser Fa^ade noch 
ziemlich intakt den ursprünglichen Bau vor uns haben, 
mit welchem das 1185 im Osten begoimene Münster im 
Verlauf des Xm. Jahrhunderts seinen Abschluss fand.') 
Wie weit hinauf dieser Bau einst noch über der Galerie 
reichte, bevor die Catastrophe des Erdbebens darüber 
hereinbrach, das wird kaum je beantwortet werden können. 
Um so näher dagegen liegt die Frage, was denn der 
Restaurationsbau nach dem Erdbeben aus dem Vorgefun- 
denen Torso einer Fa§ade geschaffen habe. 

') Durch diese Annahme wäre die von Herrn Dr. C. Stehlin 
ausgesprochene Vermuthung nicht ansgeschlossen, dass im Original- 
plan desjenigen Meisters, welcher gleich nach 1185 zu bauen begann, 
eine wie das üebrige noch im Uebergaugsstil gehaltene Frontalan- 
lage vorgesehen gewesen sei. 



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II. Der St. Georgsthurni. 

Bei der Beantwortung der Frage, wie nacli dem 
Erdbeben weitergebaut worden sei , befinden wir uns 
von vornherein in der vortheilhaften Lage, dass wir nicht 
mehr nur an das Gebäude selbst unsere Fragen zu stellen 
haben, sondern neben die Aussagen dieses stummen Zeugen 
die Angaben aus den Rechnungsbüchern unserer Mün- 
sterfabrik') stellen können. Allerdings sind diese Büch- 
lein nur in einer sehr lückenhaften Reihenfolge erhalten, 
etwa in der Hälfte sämmtlicher Jahrgänge des XV. Jahr- 
hunderts, mit 1399 beginnend ; aber doch bieten sie auch 
in dieser Unvollständigkeit ein reiches noch lange nicht 
genugsam verwerthetes Material. Ueber die erste Zeit 
nach dem Erdbeben, 1356 bis 1399, geben sie allerdings 
noch keine Auskunft. Wir nehmen an diese 40 Jahre 
seien vollauf durch die Wiederherstellung des Hauptge- 
bäudes in Anspruch genommen und der Ausbau der 
Fa^ade, beziehungsweise des Mittelschiff-Giebels und des 
Georgsthurmes sei erst begonnen worden, nachdem das 
Gebäude selbst zu seinem gottesdienstlichen Gebrauche 
wieder in Stand gesetzt war. 



’) Gegenwärtig im Staatsarchiv anfbewahrt. 



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24 



Dass beide, Giebel und Georgsthurm, zusammen auf- 
geführt wurden, das beweist die inhaltliche Zusammenge- 
hörigkeit ihrer Sculpturen, indem die drei die Ecken des 
Thurmes zierenden Könige zu der in der Mitte des Giebels 
thronenden Maria mit dem lünde sich hinbewegen. Der 
ihr zunächst stehende Melchior bat bereits voll Ehrfurcht 
seine Krone abgenommen und sie wie einen King an seinen 
Arm gestreift, während er die Knie anbetend vor dem 
Erlöser beugt. Auch die Stilisirung dic.ser sämmtlichen 
Figuren lässt dieselben als das Werk nicht nur ungefähr 
Einer Zeit, sondern auch Eines Meisters erkennen. Welche 
Zeit dies gewesen sei, das deutet eine schon von Dr. 
Fechter der Münsterreclinung von 1399 entnommene Notiz 
an, laut welcher der Kath in diesem Jahre zwei Pfund 
Geldsschenkte: „pro lapidibusvalentibus pro edificio turris“.*) 
Somit wurde jedenfalls im genannten Jahre, also noch unter 
dem Werkmeister Conrad von Lindau, an dem Thurme ge- 
baut.^) Bis zumJahre 1421 mag der Bau von derllauptgalerie 
beginnend die erste Thurmgalerie erreicht haben, denn in 
diesem Jahre verzeichnet die Münsterrechnung das Auf- 
hängen von zwei grossen und zwei kleinen Glocken, was 
darauf schlicssen lässt, dass der quadratische Bau, der ja 
mit seinen grossen Schallöffnungen eben zur Aufnahme 
der Glocken dienen sollte, vollendet war. 

Bis zu diesem Punkte ist die ganze Anlage des Thurmes 
eine durchaus normale, wenn auch der bisher im Quadrat 
aufgeführte Bau als ein ziemlich langgestreckter erscheint. 
Um so eher würde man erwarten, dass nun sofort die 
Ueberführung in’s Octogon wäre gesucht worden, um das- 
selbe sich möglichst klar und harmonisch entwickeln zu 
lassen, d. h. um nun die Hauptzierde jedes gothischen 
Thurmes: die acht hohen luftigen Bogenfenster, aufsteigen 

•) Fechter a. a. 0. 43. 

*) Fechter a. a. 0. 43. 



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25 



zu lassen, die dann mit ihrer Bekrönung von Wimpergen 
und Fialen den scldanken Steinbelm aufgenommen hätten. 
Statt dessen finden wir über der das Quadrat abschliessen- 
den ersten Thurmgalerie noclimals ein quadratisches, wenn 
auch nach Höhe und Breite stark verjüngtes Stockwerk 
angeordnet, das, wie cs heute noch des Nachts den Feuer- 
wächtern zur Wohnung dient, schon gleich von Anfang 
an dieser Bestimmung, nur in umfassenderem Sinne noch, 
nämlich als militärische Hochwache, scheint gewidmet 
worden zu sein. Tn der That eröffnet sich auch von jener 
Höhe ein Ausblick von überraschender Schönheit; von 
Schwarzwald, Jura und Vogesen umrahmt liegt die ganze 
zwischen diesen Bergwällen sich hinbreitende fruchtbare 
Ebene mit ihren trotzigen Burgen und friedlichen Dörfern 
vor dem Blicke des Beschauers, während zu seinen Füssen 
das Häusermeer der Stadt, durchschnitten vom prächtigen 
Bogen des Rheinstroms, ihn erinnert, dass er im Mittel- 
und Ilerzpunkt dieser ganzen Herrlichkeit sich befinde, 
wo die Adern nicht nur des Verkehrs, sondern ebenso 
des geistigen Lebens des überschauten Gebietes zusammen- 
strömen. Und in bischöflichen Zeiten galt ja dies in viel 
höherem Sinne noch. Kein Wunder, wenn man denn 
sogleich bei der Conception des Thurmplanes auf Errich- 
tung einer Warte Bedacht nahm, die aus möglichst weiter 
Ferne schon jede heranziehende Gefahr zu erkunden ge- 
stattete, und dass diesem unumgänglichen praktischen 
Zwecke die ästhetischen Interessen, die schonen sonst für 
jeden Thurmbau geltenden Verhältnisse geopfert wurden. 
So erklären wir uns die anders kaum entschuldbare Ein- 
schiebung jenes die ganze Thunnanlago störenden würfel- 
förmigen Geschosses, das zudem so schmal sich zusammen- 
zieht um für den an seiner Basis hinlaufenden Rundgäng 
desto freiem Raum zu gewinnen. Die nothwendige Folge 
war, dass nun das über diesem Wächterhause beginnende 
Octogon zu sehr bescheidenen Dimensionen zusammen- 



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schrumpt'to und dass die i'lankirung desselben mit den 
sonst üblichen Eckfialen musste aufgegeben werden, da 
die zu ihrer Entwickelung erforderliche Höhe fehlte. An 
ihrer Statt wurden die vier Ecken des Octogons (resp. 
deren zwei, denn die entsprechenden Ecken nach hinten 
sind für die Treppenthürmchen in Anspruch genommen) 
mit jenen originellen auf jo fünf Säulen ruhenden Bal- 
dachinen ausgesetzt, die uns zeigen, wie geschickt der an 
so ungewöhnliche Bedingungen gebundene Meister sich zu 
helfen wusste, um doch noch seinem Thurmhelm eine 
möglichst luftig scheinende Unterlage zu sichern. Vollends 
wird der ungünstige Eindruck, den die eben besprochenen 
Parthien machen, wieder aufgowogen durch die unvergleich- 
liche Schönheit der Helmpyramide seihst, deren leichtge- 
schweifte Rippen wie mit elastischer Kraft die überaus 
zierliche Kreuzblume zum Himmel emporheben. 

Wann aber erreichte das Werk diese seine letzte 
Vollendung'' Jedenfalls nicht vor 1426, denn in eben 
diesem Jahre noch erhält der Tischmacher 16 11 für „2 
Brett zum Thurm“ (das sind wohl die sogenannten Maass- 
hretter oder Schablonen, die man heutzutage aus Blech 
zu schneiden pflegt.') Dann werden für „Holz zum Ge- 
rüst“ vier Pfund, für „Nägel zum Gerüst auf dem Thurm“ 
acht ß verausgabt. Als der wichtigste Posten des Jahres 
erscheinen uns aber die „8 Centner Blei“ (der Centner 
zu drei 'U, drei ß), die in der Rechnung aufgeführt sind, 
und die kaum anders als zum Vergiessen des Helmes können 
bestimmt gewesen sein. Demnach möchte das Jahr 1426 
die Vollendung unseres Georgsthurms bezeichnen. 

Werkmeister war, nachdem 1414 vorübergehend ein 
magister de Argentina genannt war, von 1420 bis 1428 
Magister Böferlin (nicht Köfferlin, wie Fechter zum Jahr 



*) Vgl. M. Roritzers Büchlein von der Fialen Gerechtigkeit, 
in Heideloffs Bauhütten des Mittelalters. 



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27 



1422 angibt); ein Mann, der uns sonst völlig unbekannt 
ist. Neben ihm erscheint ein „Palier Hans“, auch einmal 
ein „Palierer von Freiburg“. Gesellen waren während 
der genannten Jahre durchschnittlich fünf bis zehn in 
Thätigkeit, deren höchster Wochenlolm ein Pfund betrug 
nebst freier Kost und Wein aus den der Fabrik gehören- 
den Baralacher und Isteiner Reben. 

Was nun aber jenem von uns als Yollendungs- 
termin des Georgsthurms ermittelten Datum erst -seine 
Bedeutung verleiht, das ist eine an dem Thurm selbst 
befindliche Inschrift, die auffallender Weise bis 
dahin keinerlei Beachtung scheint gefunden zu haben. 
Besteigen wir nämlich den Georgsthurm bis zur letzten 
Stufe, die uns an den Fuss des Helmes führt, so 
sehen wir uns gerade einem Kopf gegenübergestellt, 
der gleichsam aus einem mächtigen Steinkragen heraus- 
schaut (siehe die Abbildung Seite 23). In Wirklichkeit 
stellt dieser Kragen ein Spruchband dar, das der Heraus- 
schauende mit seinen Händen hält. Die Sculptur selbst 
ziert eine der Rippen des Helms etwas über Kopfhöhe, 
gerade an der Stelle, wo die Krabben herauszuwachseu 
beginnen. An der nächstfolgenden Rippe befindet sich die 
Gestalt eines betenden Engels von sternenbesäten Wolken 
getragen. Die dritte Rippe zeigt als Gegenstück zu dem 
Engel eine halbthierische halbmenschliche Fratzengestalt 
mit herausgereckter Zunge, während die übrigen fünf 
Rippen nur bedeutungslose Masken aufweisen. Ofienbar 
ruht der Hauptnachdruck auf dem erstgenannten Kopf; 
das geht schon aus seiner Stellung unmittelbar gegenüber 
der Zugangstreppe hervor und aus der Schrift, als deren 
Träger die Figur erscheint. Ein idealer Kopf ist es nicht, 
vielmehr ein direct aus der Wirklichkeit gegriffenes, gut 
bürgerlich-zünftiges Gesicht. Wer sollte es anders sein 
als der Werkmeister selbst, der um die Krönung seines 
Werkes zu feiern, sich hier verewigte? Es hätte somit 



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unser Georgsthurm so gut das Bild seines Meisters (Böfer- 
lin) uns überliefert, wie der jüngere Martinsthurm das- 
jenige seines Erbauers Hans von Nussdorf (siehe die Ab- 
bildung des letztem Seite 31). 

Um diesen Kopf nun schlingt sich die Schrift, von 
der wir zu reden haben: 

fiiiDfftif rfnstCroz?tFiraöib'3PiifW‘nFa 

Nach unsern modernen Begriffen würden wir er- 
warten, dass die Schrift dem Bilde zur Erklärung diene 
und also auf dasselbe irgendwie sich beziehe. Das scheint 
uns aber hier keineswegs der Fall zu sein; vielmehr 
ist die Schrift hier das unbedingt Bedeutsamere und 
die Figur nur eben, wie wir schon andeuteten, Träger 
derselben. Nicht auf die Person des letztem, sondern auf 
das kirchliche Gebäude selber, dessen Bekrönung und 
vorläufigen Abschluss der mit dieser Schrift gezierte Thurm- 
helm bildet, sind die Worte zu beziehen. So wenigstens 
ergibt es sich, wenn die Lesung, die wir für die einzig 
mögliche halten, sich bewährt: „Cum veniet sanctus sanc- 
tomm, cessabit uuctio mca.“ Räthselhaft klingt das nun 
freilich im höchsten Grade. Aber eine Deutung scheint 
ims doch nicht unmöglich zu sein. 

Der Ausdruck sanctus sanctorum kommt in der Vul- 
gata nur an der einzigen Stelle Daniel 9, 24 vor, während 
sonst immer das Neutrum sanctum sanctomm und dieses 
dann, wenn von dem Allerheiligsten der Stiftshütte oder 
des Tempels die Rede ist, gebraucht wird. Dazu kommt 
aber, dass gerade in der angeführten Stelle bei Daniel 
auch einer unctio, einer Salbung des Sanctus sanctorum 
Erwähnung geschieht. Und um wms handelt sich’s nun 
in der angeführten Stelle? Daniel hat, wie er im Anfang 
des Capitels uns erzählt, im ersten Jahre der Regierung 
des Darius sein Augenmerk besonders auf diejenigen Weis- 



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sagungen der früheren Propheten und zwar speciell des 
Propheten Jeremia gerichtet, in welchen die Zahl der 
Jahre vorausgesagt war, dass nämlich Jerusalem mit seinem 
Tempel 70 Jahre sollte wüste liegen. Diese 70 Jahre 
nahten eben jetzt, nachdem die Herrschaft über das chal- 
däische Reich an Darius übergegangen war, ihrem Ende 
entgegen. Und begreiflicher Weise regte sich in Daniel 
die Frage, ob denn nun auch mit dem Ablauf der 70 
Jahre die seinem Volk verheissene Befreiung und 'damit 
die Wiederherstellung Jerusalems und seines Tempels sich 
verwirklichen werde. Mit dieser Frage wendet er sich 
betend zu Gott selber, dass Er seinen Zorn von seiner 
Stadt Jerusalem und von seinem heiligen Berge abwenden 
möge. Darauf wird ihm durch den Engel Gabriel die 
Antwort: „Siebenzig Wochen sind noch bestimmt überdein 
Volk, und über deine heilige Stadt, so wird dem üeber- 
treten gewehret und die Sünde zugesiegelt und die Misse- 
that versöhnet und die ewige Gerechtigkeit gebracht und 
die Gesichte und Weissagung zugesiegelt und der Aller- 
heiligste gesalbt werden.') So wisse nun und merke: 
Von der Zeit an, so ausgeht der Befehl, dass Jerusalem 
soll wiederum gebaut werden, bis auf Christum, den Fürsten, 
sind sieben Wochen und zweiundsechzig Wochen, so werden 
die Gassen und Mauern wieder gebaut werden, wierwohl 
in kümmerlicher Zeit.“ 

So weit die Stelle, auf die es uns hier ankommt. — 
Wie nahe liegt der Gedanke, dass unsern Vorfahren beim 
Blick auf die Verwüstung unserer Stadt durch das grosse 
Erdbeben von 1356 und auf den damit verbundenen Ein- 
sturz ihres herrlichsten Gotteshauses, jene älinliche Cata- 
strophe, wie sie durch Nebukadnezar über Jerusalem und 



*) Septuaginta hebdomades abbreviatae snnt super populum tuum 

et super nrbeni sanctam tuam, ut consummetur pnevaricatio 

et ungetur Sanctus sanctornni. 



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30 



doa Tempel gekommen war, vor die Seele treten musste. 
Sind aber unsere obigen Zeitbestimmungen betreffend Voll- 
endung des Georgsthurms und also der Entstehung unserer 
Inschrift richtig, so waren mit dem Jahr 1426 gerade auch 
70 Jahre seit dem Erdbeben vorüber. Auf diesen Zeit- 
j)unkt war mit dem Ausbau des genannten Thurmes für 
einmal die Wiederherstellung des im Erdbeben so hart 
mitgenommenen Münsters zum Abschluss gekommen. Wäre 
es da zu verwundern, wenn eben jene auf die Wieder- 
herstellung des alttcstamentlichen Heiligthums bezügliche 
Stelle Daniels in der Weihungsschrift unseres Thurmes 
wiederklänge? Denn so, wie wir diese Schrift glauben 
lesen zu müssen, kann sie nicht anders als auf das Münster 
selbst bezogen werden. Es ist das wiedererstandene Heilig- 
thum in eigener Person, welches in der „unctio mea“ die 
70 Jahre nach der Zerstörung ihm nun wiederfahrene 
Vollendung und Wcilie oder Salbung verkündet. (In dem 
nebenan stehenden betenden Engel möchte man diese Weihe 
selber versinnbildlicht sehen, wie in der Teufelsfratze die 
nun hinweggebannten unreinen Geister.) Aber wie dort dem 
Daniel auf seine Frage, was jetzt nach Ablauf der 70 Jahre 
geschehen soll, die Aussicht eröffnet ward auf eine noch 
viel fernere, aber auch viel herrlichere Zukunft, auf die Er- 
scheihung des Messias, des Allerheiligsten selber, so scheint 
auch der Verfasser unserer Inschrift sich dessen bewusst 
gewesen zu sein, dass das so schön wiederhergestellte 
Gotteshaus doch nur vorübergehende, vorbildliche Bedeu- 
tung habe und einem bessern, wahrhaftigem Heiligthum 
einst werde weichen müssen, welches dann wird unter den 
Menschen hergestellt werden, wenn der Allerheiligste selbst 
zur Vollendung seines Eeiches erscheint; Cum veniet 
sanctus sanctorum cessabit unctio mea. 



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III. Der St. Martinsthurm. 

Wenden wir uns nun schliesslich dem jüngsten Theil 
unserer Münsterla^ade, dem Martinsthurm zu. 

Haben wir oben richtig gesehen, so gehört das erste 
freistehende Stockwerk dieses Thurmes noch der Zeit vor 
dem Erdbeben an. Und lange muss es gewährt haben, 
bis man sich entschloss, auch hier, nachdem der Georgs- 
thurm längst ausgebaut war, an einen Weiterbau zu denken. 
Noch 1442, als die von Papst Felix V. geschenkte Papst- 
glocke nun sollte vom Münster herab erschallen, begnügte 
man sich damit, sie auf dem kaum über das Kirchendach 
emporragenden Thurnistumpf aufzuhängen. Ob dies in 
dem genannten einzig mit Schallfenstern versehenen Thurm- 
stockwerk geschah, oder in einem über demselben unter 
freiem Himmel errichteten Gerüste, wie es die Notiz der 
Münsterrechnung : „das techli ze machen über die gloggen“, 
anzudeuten scheint, ist schwer zu sagen. Wii’ wissen nur, 
dass die Unterbringung dieses mit Jubel aufgenommenen 
Gescheükes unsern damaligen Technikern schwere Sorge 
und säuern Schweiss kostete, so dass das Baslerische 
Sprüchlein: „Jetz händ mer’s — wohi thiend mer’s?“ gar 
leicht bei diesem Anlass könnte entstanden sein. Nicht 
weniger als vier Jahre hindurch wiederholen sich in den 



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Fabrikrechnungen zahlreiche Ausgabeposten für alle die 
Experimente, die mit dem ungefügen Gast vorgenommen 
wurden. Da mussten mächtige Hölzer licrbeigeschafift 
werden, den „Schrägen“ zu construiren. Ein Meister Jost 
musste mit zwei Pferden das „Geschmid“ an Ort und 
Stelle liefern und presste durch sein Gebühren dem guten 
Magister fabricae, damals Domcaplan Johannes von Engen, 
den Seufzer aus: 

„Unser schlosset' nam siben zu im 2 tag, und von 
frueg bis ze nacht daten sy nüt denn wüsten, essen und 
trinken, ze tag vier stund, und musst Inn den kelren offen 
lassen das si namend brot, kess und win noch irem willen, 
und licht.“ 

Gleichwohl heisst es bald darauf: „darnach mussten 
si den schrägen bessren und im hilf tun; do traf sich 23 
tagwan.“ — „Darnach wolt der schrägen aber nit bliben, 
do musst ich von hensli im balhof nemen 4 schynen ysen» 
die besten.“ Und so geht cs fort die folgenden Jahre hin- 
durch bis 1446, wo tribus vicibus die „Grosse Glocke“ 
uff und wieder abgelassen werden musste. Um dies gleich 
hier anzuführen, machte dann 1475 wahrscheinlich die bis 
dorthin vollendete Erhöhung des Thurmes um ein weiteres 
Stockwerk, eine neue Hängung sämmtlicher Glocken nöthig, 
wobei wir erfahren, dass neben der genannten eine Prim-, 
Terz-, Quart-, Quint-, Sext- und eine Vespcrglocke, jede 
zu ihrer Zeit sich hören Hessen; und als die neue Hängung 
vollendet war, zu der Hans Ulrich von Waldeck, unser 
Heben frowen seiler, ein gross mechtig seil geliefert hatte, 
wog 200 Pfund — da konnte auf Weihnachten die Bobst- 
glocke wieder probirt werden; ja das Jahr darauf in domi- 
nica tertia post trinitatis konnte der pulsus magnse cam- 
panffi den reccssus et adventus Basiliensium contra Bur- 
gundios mitfeiern helfen. 

Bis zum Jahre 1470 währte es, ehe für die Höher- 
führung des Martinsthurms endlich Schritte gethan wurden. 



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Glücklicherweise können wir auch den Meister ziemlich 
genau bezeichnen, der mit dieser Aufgabe betraut ward. 
£s ist, seit 100 Jahre zuvor Johannes von Gmünd, ein 
Glied jener in Prag und Strassburg berühmt gewordenen 
Steinmetzenfamilie , die erste Hand an die Wiederher- 
stellung des Münsters aus dem Schutte des Erdbebens ge- 
legt hatte, zum ersten Mal wieder ein in der Kunstge- 
schichte auch sonst mit Ehren genannter Karne, der jetzt 
mit unserm Münsterbau in Verbindung tritt. Auch er ge- 
hört wie jener Johannes von Gmünd einer Familie an, in 
welcher das Errichten gothischer Dome gleichsam traditio- 
nell war, nämlich dem Geschlechte der Ensinger, auch von 
Aensingen oder Enzingen genannt, nach einem bei Ulm 
gelegenen Dorfe; und zwar ist es der dritte dieses Ge- 
schlechtes, Vincencius von Ensingen, der für uns 
hier in Betracht kommt. Schon Fechter im Basler 
Taschenbuch 1856 hat aus den Fabrikrechnungen notirt, 
dass ein Vincencius lapicida 1472 den kleinen Rhein- 
seits gelegenen Kreuzgang gebaut habe. Die weitern 
Winke, welche unsre Rechnungen über diesen Meister 
geben und die uns eben gestatten, seine Person und 
seinen Antheil am Münsterbau genauer zu bestimmen, 
scheinen Herrn Fechter entgangen zu sein. 1470 näm- 
lich erscheint zum ersten Mal dieser Name in der Notiz: 
Ex speciali commissiöne dominorum de Capitulo exposui 
mgro. Vincencio lapicidae ecclesim Constanciensis pro suis 
laboribus et fatigiis ex parte fabricm ecclesia; basiliensis 
habitis decem florenos in auro. 

Was wir sonst über ihn wissen, ist kurz folgendes: 
Schon der Grossvater Ulrich hatte durch seine Thätigkeit 
am Ulmer- und noch mehr am Strassburger -Münster 
sich einen Namen gemacht. Sein Sohn Matthäus legte 
1421 den Grund zum St. Vincenzen-Münster in Bern und 
leitete dessen Bau bis 1449, baute daneben auch an 
der Frauenkirche in Esslingen und wie sein Vater 

3 



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an den Domen von Ulm und von Strasaburg. ') Gewiss 
bat er seinen in Bern, in der Ehe mit Dorothea Trogen 
geborenen Sohn zu Ehren des dortigen Münster-Patrons 
Vincencius genannt. Dieser Vinzenz Ensinger nun erscheint 
schon 1451 als Mitglied des Grossen Käthes in Bern; dann 
1459 unter den Meistern, welche die Steinmetz-Ordnung 
in Regensburg unterzeichnen, wo er sich Vincencie von 
Constanz nennt, und als Werkmeister des dortigen Doms 
scheint er auch die meiste Zeit seines Lebens gewirkt zu 
haben. Seine Anstellung in Basel, die offenbar in seine 
Constanzer Zeit hineinfiel, werden wir uns also nicht 
als eine ständige zu denken haben, sondern nur in der 
Weise, dass er die Oberleitung der ihm hier übergebenen 
Bauten führte. 

Nach jener ersten Notiz in der Fabrikrechnung von 
1470 heisst es weiter: 

Idem Magr. Vincencius permansit mecum in domo 
fabriese cum uno equo tredecim diebus, ubi pro omnibus 
expensis computo duas libras et undeviginti solides. 

Idem Mgr. Vincencius consumsit in itinere a Con- 
stancia ad Basileam unam libram. 

It. mittendo secum famulum in recessu suo pro equo 
et consumptibus undecim ß. 

Es war also nur ein erster Besuch, den der Meister 



') Wie aus einer von Herrn Staatsarchivar Hr. K. Wackernagel 
mir gütigst mitgetheilten Urkunde im Staatsarchiv (Fase. 1426 — 1479, 
pag. 18/19) hervorgeht, hatte dieser Matthieus schon Beziehungen zu 
Basel. Denn 1450 musste der Rath zwischen ihm und dem Probst 
des Stiftes St. Leonhard vermitteln wegen nachträglicher Forderung 
für eine (wie es scheint geschnitzte) Altartafel, so derselbe Meister 
Mattheus vor etlichen ziten dem benannten gotshuse ze St. Lienhart 
ze kontfen geben het 

Für die übrigen Angaben betr. die Farn. Ensinger verg. Stanz, 
Berner Münsterbnch und A. Klemm: Württembergische Baumeister, 
pag. 9. 



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in Basel auf ausdrückliche Einladung des Domkapitels 
machte. Um was es sich aber dabei handelte, geht aus 
der unmittelbar folgenden Angabe hervor: 

It. also Magr. Tincencius har kam, lyess er graben zu 
dem pfulment (d. h. Fundament) beder turnen ab extra. 
Gleichzeitig wird Magr. Johannes Binninger, murator 
fabriese bezahlt pro labore servorum als man grub in dem 
kleinen turn ab intra das pfulment zu suchen. 

Also dem Ausbau des kleinen, d. h. des Martins- 
thurms galt die Berufung des berühmten Meisters, und 
seine erste Sorge der Sondirung der Fundamente, wie viel 
denselben könne zugemuthet werden. Dass diese Unter- 
suehung auch auf den längst schon vollendeten Georgs- 
thurm sich erstreckte, erklärt sich wohl einfach durch die 
Annahme, mau werde, wenn sich dieser nicht fester als 
der Martinsthurm fundirt erwies, um so getroster auch an 
den Ausbau des letztem geschritten sein. Zu diesem Er- 
gebniss muss denn auch wohl die Expertise geführt, ja 
Vincenz muss, nachdem er vermuthlich einen Thurmriss 
vorgelegt hatte, die Ausführung desselben auf sich genom- 
men haben. Denn von nun an erscheint er während fünf 
Jahren als der Leiter des Baues, freilich zuweilen nur in 
der Bemerkung: Dies und das sei geschehen „Mgro. Vin- 
cencio tune prmsente“; was unsere Annahme bestätigt, er 
habe nur neben seiner Hauptanstellung in Constanz sich 
dem hiesigen Bau gewidmet. Auch andere Spuren zeugen 
aber davon, dass nun am Thurm eine rege Bauthätigkeit 
begann. Gleich im ersten Jahr werden aus der vom 
Markgrafen von Köteln gepachteten Steingrube 400 Stück 
„Ruchquaderstein“ und im folgenden 412 Stück zu unser 
frowen buw und zu dem tum geführt. Dazu noch 70 
handechtig (?) stück; und nochmals 20 stück doms ein 
Stegen unden in den turn zu machen. Hiezu stimmt vor- 
trefflich die heute noch in 20 steinernen Stufen von unten 
auf den ersten Boden führende Thurmtreppe. 1472 heisst 



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es: lapicidsB incipiunt laborare circa restaurationem minoris 
turris, und den ganzen Sommer hindurch folgen sich nun 
die Löhne der ser\i in turri mit 30 ß bis 1 Pfund wöchent- 
lich; etwa auch pro servo in rota oder „in dem Rad zu 
laufen“, jenem grossen Tretrad, das in seinem gothischen 
Schmuck noch heute auf dem Münster-Estrich steht, freilich 
als eine durch die leistungsfähigere Lastwinde überflügelte 
Antiquität. 

So gings bis zum Jahre 1475, wo plötzlich der Name 
Vincenz wieder verschwindet und mit ihm der Thurmbau 
aufs Neue ins Stocken gerälh. Fragen wir, was in den vier 
Jahren war erreicht worden, so ist es, neben dem kleinen 
Kreuzgang, der uns hier nicht beschäftigt, offenbar das 
zweite freistehende, wir könndh auch sagen das 
oberste quadratische Stockwerk am Martinsthurm. 
Denn das unmittelbar vorhergehende gehört ja, wie wir 
oben nachgewiesen, einer viel frühem Zeit an; das nach 
oben unmittelbar folgende aber, d. h. das erste des Octo- 
gons ist, wie wir gleich zeigen werden, nicht mehr Vin- 
cenzens Werk. Noch im Herbst 1475 erhält der letztere, 
nachdem er schon die vorigen Jahre je 12 fl. bezogen, hoc 
anno ratione sui flxi salarii 20 fl. in Gold; dabei heisst es: 
uxori ejusdem Mgri. Vincencii propinavi ex commissione 
Dominorum unum cingulum aureum pro quo exposui tres 
florenos in auro. Aber wir werden dieses Geschenk kaum 
als das Zeichen einer besondern Anerkennung der von ihm 
geleisteten Arbeit zu betrachten haben. Denn im darauf- 
folgenden Frühjahr findet die Schlussrechnung mit Vin- 
cenz statt: Mgro. Vincenzio de Constancia pro totali et 
finali solutione sui fixi salarii, ratione structuree turris ad- 
huc sibi solvendi, solvi hoc anno quadraginta duo florenos 
in auro. Wenn ein Meister, der doch unzweifelhaft den 
Thurmbau in der Absicht, ihn ganz hinauszuführen, unter- 
nommen hatte, so plötzlich aus dem Contrakt entlassen 
wird, dann müssen gewichtige Ursachen vorliegen. Es 



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37 



wäre denkbar, dass der Meister selbst der unzufriedene 
Theil gewesen wäre; im Folgenden werden wir aber sehen, 
dass man vielmehr mit ihm nicht zufrieden war, und 
zwischen den Zeilen können wir auch das Warum heraus- 
lesen. Zwar wenn wir das Thurmstück, das unter Vin- 
cenzens Hand entstanden war, uns anschauen, so wüssten 
wir demselben nichts anzuhaben; es ist sehr solid und 
sauber gearbeitet, und sticht es durch keine besondern 
Zierden hervor, so giebt uns dieses eher Anlass, die Selbst- 
beschränkung des Meisters zu würdigen, der sein Stock- 
werk möglichst in Harmonie mit dem vorangehenden und 
dessen alterthümlicher Einfachheit z. B. im Fenstermaass- 
werk zu halten wusste. Der Fehler lag anderswo, er lag 
darin, dass Vincenz die Festigkeit der Unterlage, auf die 
er weiterbaute, doch nicht genug geprüft hatte. Mit dieser 
Unterlage meinen wir nicht nur das Fundament — dieses 
war gehörig untersucht worden; aber der ganze Thurm 
war nicht nur von unten auf nicht massiv genug gemauert, 
wie es beim Mangel aller Strebepfeiler um so unerläss- 
licher gewesen wäre : er hatte auch, w ie die bereits ange- 
führten Spuren uns zeigten, im Erdbeben bedeutend ge- 
litten. Diese Risse, vorher vielleicht noch wenig sichtbar, 
mochten nun, nachdem erst einmal das neue Stockwerk 
aufgesetzt war, durch den Druck zu klaffen anfangen. 
Dazu kamen die periodischen Erschütterungen durch das 
Geläute der Papstglocke, Erschütterungen, die noch be- 
denklicher wirken mussten, nachdem 1475 diese Glocke 
in das neue Stockwerk war hinaufversetzt worden. Kurz, 
die Begeisterung über Vincenzens Werk muss plötzlich 
sich abgekühlt und in ihr Qegentheil umgeschlagen haben, 
dass man so kurzer Hand mit ihm alle Verbindlichkeiten 
löste. Man mochte dazu um so leichter sich entschliessen, 
da derjenige schon auf dem Platze war, der das Recept, 
dem Schaden zu steuern, in der Tasche trug und den be- 
sorgten Baslern die beruhigende Zusicherung gab : er werde 



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ihren zweiten Thurm und damit die Krönung des ganzen 
Werkes doch noch zu Stande bringen. 

Dieser Helfer in der Xoth war kein anderer als der 
schon durch Fechter ') bekannte Johannes Nussdorf 
(in ilieser Schreibung, ohne von, erscheint der Name wäh- 
rend 10 Jahren in unsern Fabrikrechnungen; erst am 
Ende dieser Zeit taucht ein einziges Mal auch das von 
auf, das sich dann auch in dem von Herrn Dr. Theoph. 
Burckhardt sen. seiner Zeit mitgetheilten Baucontrakt der 
St. Leonhardskirche findet). Noch ehe es nämlich zum 
Bruch mit Vincenz Ensinger gekommen war, bringt die 
Jahresrechnung von 1475 unter den Zinsen, welche von 
den der Münster-Fabrik gehörenden Häusern fronfasten- 
weise eingezogen wurden, die Notiz: 

De domo in der Spiegelgassen (also jetzige Augustiner- 
gasse), quam olim habitabat magr. heinricus Mengoss, hoc 
anno nihil (seil, obtinui); nam locata est Johanni Nussdorf 
lapicidm ad anni spatium gratis, propter sua fidelia servi- 
tia circa structuram turris per cundem exhibita. Wir haben 
über Herkunft und auswärtige Bauthätigkeit unsres Nuss- 
dorf bis jetzt nichts in Erfahrung bringen können. Sollte 
der Name seine Heimat bezeichnen, so wäre erst noch zu 
entscheiden, ob das Nussdorf in Württemberg, Amts 
Vaihingen, oder ein österreichisches, das auch existiren 
soll, gemeint sei. Von seinem hiesigen Aufenthalt dagegen 
wissen wir, dass derselbe von 1475 wahrscheinlich ununter- 
brochen bis in die ersten Jahre des XVI. Jahrhunderts 
währte, und auch jener zinsfreie Sitz im Haus Mengoss 
dauerte mehr als anni spatium, nämlich bis 1480, von wo 
an ein Zins für dieses Haus wieder aufgeführt wird. In 
demselben Jahre 1475, wo er hier wohnhaft wird, heisst 
es aber auch bereits: Johanni Nussdorf, restauratori 
turris pro sua magna diligentia circa eandem structuram 



') Neujbl. pag. 22 und 43. 



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facta propinavi sibi et uxori suac unum florenum in auro. 
Dann 1477 und 78 in der Rechnung über die der Fabrik 
gehörenden Weinberge: Johanni Nussdorf lapicidee ut 
esset eo diligentior circa structuram fabricse vier söm 
(Saum). Dieses einfache lapicida verwandelte sich aber 
bald in magister und einmal sogar heisst er: lapicida et 
director operis. 

Aber nun: worin bestand denn die Hülfe, die er den 
Gebrechen des Thurms brachte und durch die er sich den 
Ruhm eines restaurator turris erwarb? In der Rechnung 
pro 1476 finden wir eingetragen: 

It. von dem nüwcn tüigestell am nüwen turn mit 
andrem sinem zubegrifF ze buwen hab ich hannsen nuss- 
dorf dem Steinmetzen recht und redlich verdingt und da- 
von geben 28 Gulden. 

It. und hab verstanden, dass er kümerlichen by dem 
verding besten mag, darumb so hab ich im darzu ge- 
schenkt zween gülden. 

Unter den Steinfuhren desselben Jahres sodann figu- 
rirt die besondere Rubrik: 

Expensse der ruhen quaderstein so von howingen hoc 
anno ad structuram des verdings der nüwen türen an dem 
turn und des ganzen brustwehrs ob der türen ge- 
fürt sind. 

Wir vermuthen nun, dass es sich hiebei um nichts 
geringeres gehandelt habe, als dem von Anfang an zu 
schwach angelegten und zudem noch durch das Erdbeben 
zerrütteten Thurm durch eine mächtige Ilintermauerung 
von imten, resp. durch eine Verdoppelung seiner Mauern 
aufzuhelfen. Denn von innen allein konnte man ihm bei- 
koinmen. Ein Anlegen von Strebepfeilern am Aeussern 
wäre, abgesehen von der entstehenden Disharmonie mit 
dem ebenfalls strebelosen Georgsthurm, auch aus construc- 
tiven Gründen unausführbar gewesen. Zudem wäre dem 
Haupterforderniss: der Gewinnung eines soliden Unter- 



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40 



baues für das Gestühl der Papstglocke damit nicht ge- 
nügt worden. Jenes „ThürgestelP nun, das Ifussdorf in 
Verding auszuführen hatte, war offenbar nicht nur die 
Eingangsthür des Thurmes selbst, sondern der ganze 
massive Quaderhau , mit dem die anstosscnde etwa 
metertiefe Nische am Schluss des Seitenschiffs aus- 
gefiillt wurde. Dadurch wurde nach dieser Seite hin 
für den Thurm eine erste Sicherung gewonnen, die doch 
das Innere der Kirche nicht derart entstellte, wie etwa 
<las Ausmauern ganzer Schiffsarkaden, wodurch man in 
Ulm eine ähnliche Unterstützung des Thurms zu er- 
reichen gesucht hat. 

Das war aber nur erst der Anfang von Nussdorfs 
Heilmethode; das wesentlichste Stück derselben bildet 
wie schon angedeutet, eine im Innern des Thurms von 
unten auf bis zur Höhe der Hauptgalerie durchgeführte 
Ausfütterung der Mauern in solidem, überaus .sorgfältig 
gefügtem Quaderbau. ln diesem Sinne meinen wir näm- 
lich jenen Ausdruck „die ganze Brustwehr“ über dem tür- 
gestell deuten zu müssen. Allerdings würde der Ausdruck 
zur Begründung einer so gewagten Hypothese nicht aus- 
reichen. Es kommen aber andere Momente bestätigend 
hinzu. A^ergleicht man nämlich die Aussenwände des 
Thurms mit den Innenflächen, so erscheinen die Quader 
nicht nur von ganz verschiedener Grösse — aussen klein 
und in ungleichen Schichten, innen aber weit wuchtiger 
und gleichmässig geschichtet; auch der Behau ist innen 
ein ganz andrer als aussen: die Fügung hier oft lücken- 
haft und ungleichmässig, dort von der tadellosesten Ge- 
nauigkeit. Noch mehr: jene früher erwähnten Erd- 
bebenrisse sind an den Aussenwänden wohl sichtbar, im 
Innern dagegen ist keine Spur davon zu erkennen. End- 
lich aber, was uns entscheidend scheint: die Steinraetz- 
z eichen, die wir schon oben für die frühe Entstehung 
des Thurms in Anspruch genommen haben: sie finden sich 



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41 



nur an der Auasenseite; die Innenseite dagegen zeigt jene 
arabischen Zahlen, die mit Recht immer gegen eine zu 
frühe Datirung, wenigstens vor dem XIV. Jahrhundert, 
angeführt wurden. ') Sie beweisen aber eben nur für die- 
jenige Wandfläche, an der sie stehen. Mit ihnen zugleicti 
kommen indess noch eigentliche Steinmetzzeichen vor; 
allerdings kennen wir ihrer bis jetzt nur drei: 

"K/ "ti 1" 

jedes aber in wenigstens zehnfacherWiederholung. Sie lassen 
von der Eingangsthür, durch jenes Thürgestell hindurch an 
sämmtlichen Wänden bis zum Schluss jener präsumirten 
Futterinaucr sich verfolgen, ein Beweis, dass diese säramt- 
lichen Theile in Einem Zug, ja von denselben Arbeitern 
ausgeführt worden sind. Und von diesen drei Zeichen nun 
finden wir eines oben am Thurm wieder an dem notorisch 
von Xussdorf erbauten Octogon, ein zweites an der Leon- 
hardskircho und zwar dort gleichfalls an dem nachweislich 
von Nussdorf herrührenden Langschiff. — So mag unsere 
Annahme doch nicht zu gewagt erscheinen: Nussdorfs Ver- 
dienst habe darin bestanden, durch einen solchen Einbau, 
der die Mauerdicke des Thurms auf stark 2 Meter brachte, 
nicht nur die nöthige, so zu sagen auf sich selbst ruhende 
Unterlage für die gewaltige Glocke und ihre Erschütte- 
rungen gewonnen , sondern auch der ganzen Unter- 
hälfte des Thurms erst diejenige Festigkeit verliehen zu 
haben, die nun den endlichen vollen Ausbau auch dieses 



‘) Vgl. Tafel V, Zeile 3. — Nach ütte, Haudb. der christl. 
Kunstarchäol. kommen arahisi he Zahlen in den Monumenten nicht 
vor dem XIV. Jahrhundert zur Verwendung. — Von Pressei (Ulm. 
und sein Münster, pag. 36) wird als sehr frühes Beispiel ein Grabstein 
von 1388 erwähnt. 



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42 



zweiten Thurms ermöglichte. Dass ihm selbst dieser 
Ausbau nun an Ensingers Statt übergeben wurde, das 
begreift sich nach dem Bisherigen vollkommen und war 
nur billig. 

Allerdings musste erst von Neuem Athem geschöpft 
werden, ehe man diese letzte Anstrengung wagte. Erst 
1489, nachdem drei Jahre zuvor die prächtige Kanzel uii- 
z weiteihaft auch von Nussdorf war vollendet worden, ging 
es an die Arbeit. Leider lassen uns für diese letzte 
Zeit unsere Rechnungsbücher, die mit 1486 abbrechen, im 
Stiche. Und so können wir nur nach schon bekannten 
Nachrichten das Wachsen des Thurms bis zu seiner äus- 
sersten Spitze noch kurz skizziren. Fechters Neujahrs- 
blatt von 1850 entnehmen wir die Notiz, dass 1488 naeh 
Vollendung des kleinen Kreuzgangs Bischof Caspar ze Rhin 
im ganzen Bisthum Steuern für den Ausbau des Thurms 
sammeln liess; dass noch im selben Jahre nach Michaelis 
der Ausbau des Thurms nach dem Risse Nussdorfs, zu 
dessen Begutachtung das Uomcapitel Abgeordnete des 
Raths beigezogen hatte, begonnen wurde. Das flache Dach 
nebst sechs Steinschichten, die zum neuen Plane nicht 
passten, wurden abgehoben, und 1489 von Dompropst 
Hartmann von Ilallwyl und Caplan Conrad Hüglin, Magister 
fabricffi, feierlich der erste Stein zum neuen Bau, der mit 
der Schneckenstege begann, gelegt. Mit dieser Schnecken- 
stege ist aber nicht die von der obern Galerie bis zum 
Helm aufsteigende gemeint, sondern die an der Ostseite 
der untern Stockwerke bis zur Galerie emporführendc 
Wendeltreppe, die Nussdorf, um sie im Polygon krönen 
zu können, eben in ihrer obern von Vinzenz erbauten 
Hälfte wegriss und aus dem Quadrat in’s Achteck über- 
führte. Die Stelle, wo er mit seiner Neuerung einsetzte, 
ist in dem betreffenden Treppenthürmchen mit der in 
grossen Ziffern des XV. Jahrhunderts eingehauenen Zahl 
1489 bezeichnet, und in dem so markirten Quader haben 



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— 4:i — 

wir wohl jenen von Hallwyi und Hüglin gelegten Grund- 
stein zu erkennen. 

Bekannt ist ferner, wie auch Nussdorfs Werk noch 
einmal eine Peuerj)robe zu bestehen hatte, indem im 
Augenblick, als der Thurmhelm sollte aufgesetzt werden, 
Stimmen laut wurden: die Fundamente und der schon 
stehende Thurm seien zu schwach um den Helm zu tragen. 
Es sah sich daher das Domcapitel venmlasst, mehrere 
Werkmeister der Umgegend zu Käthe zu ziehen: Meister 
Ortmann von Colmar; Ruman Väsch, Werkmeister zu 
Thann, Erbauer des dortigen Thurmhelms und späterer 
Nachfolger Nussdorfs in Basel; Meister Lux von Constjvnz, 
in dem wir den berühmten Lux Böblinger zu erkennen 
haben, und Meister Andreas von Ueberlingen, untersuch- 
ten im Spätjahr 1496 den Bau und erklärten, dass Nuss- 
dorfs Werk ohne Tadel sei und dass man ohne Bedenken 
den Thurm nach dem vorliegenden Plan ausbauen könne. 
In der That macht Nussdorfs Werk seinem Schöpfer noch 
heute alle Ehre; nicht nur bewundern wir das feine Ver- 
ständniss, mit dem er seinen Thurm zu dem bereits da- 
stehenden und in seinen obern Theilen nicht überall muster- 
gütig entwickelten Georgsthurm zu stimmen wusste ; nicht 
nur unterscheidet sich Nussdorfs sorgfältige und bis in’s 
Einzelnste gewissenhafte Arbeit von der sehr flüchtigen 
des Georgsthurms, die mehrfach die Spuren eines eiligen 
Strebens nach rascher Yollendnng an sich trägt: Nussdorf 
hat auch in der Art, wie er seinen Oberbau dom bereits 
Gegebenen anfügte, eine constructivo Meisterschaft bewiesen, 
die uns in Erstaunen setzt. 

Ein schwieriges Problem bildet ja ohnehin schon an 
jedem gothischen Thurm die l'eberführung des quadrati- 
schen Unterhaus in das die Pyramide tragende Octogon. 
Nussdorf fand in dem von Vinzenz errichteten Thurm- 
geschoss ein Quadrat vor, w'clches auf den Portbau im 
Octogon noch gar nicht berechnet war. Sehen wn'r nun. 



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wie er sich aus der Schwierigkeit gezogen hat: Sein erstes 
Octogongeschoss, das er von vornherein aus Rücksicht auf 
den Parallelismus mit dem entsprechenden Wächtergeschoss 
des Georgsthurms sehr niedrig halten musste, gestaltete 
er äusserlich zwar durch die eingebogenen Ecken und 
Vorgesetzten starken Fialen scheinbar schon als ein Acht- 
eck; inwendig aber und in seinen Grundlinien ist es noch 
ein reines Viereck, weil es nur so auf dem Quadrat des 
Unterbaues das nothwendige Auflager finden konnte. 
(Vgl. Taf. IV.) Dann aber benützte er die Decke seines 
niedrigen Stockwerkes um hier sein eigentliches Octogon 
vorzubereiten. Dies erlangte er durch eine höchst sinnreiche 
Gewölbeconstruction, deren feste Rippen gerade in der 
Linie sich schneiden, in welcher von oben die Schrägseiten 
des Octogons aufruhen sollten und indem er somit diesen 
ihren sichern Stützpunkt verlieh. Nicht minder virtuos 
ist endlich die Consequenz, mit welcher der Meister durch 
seinen ganzen Thurmbau, hinauf bis zum letzten Knauf, 
das Motiv zweier im Achtort übereinander gelegten Quadrate 
durchgeführt hat. Nicht nur ward damit dem Ganzen der 
Ausdruck eines einheitlichen Gedankens verliehen, sondern 
die durch diesen Grundriss gewonnenen acht vorspringen- 
den Ecken bedingen jene nervig aufstrebenden Linien, 
welche das Auge so unwiderstehlich nach sich ziehen imd 
es nicht zur Ruhe kommen lassen, ehe es dem kühnen 
Zuge bis zur Spitze hinan gefolgt ist. Gewiss war es eine 
wohlverdiente Anerkennung, als am 23. Juli 1500, dem 
Tage, wo die oberste Kreuzblume aufgesetzt und vergossen 
ward, der Magister fabricse als Trinkgeld für den Meister 
zwei Goldgulden und für jeden Gesellen einen auf den 
Knopf legte. 

Auch wir sind mit der Aufgabe, die wir uns für 
diesmal gesetzt, hiermit an’s Ziel gelangt. Es war uns 
um den Nachweis zu thun, dass wir in der Fa^ade unse- 
res Münsters ein Werk besitzen, an dem nicht weniger 



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als fünf Jahrhunderte gearbeitet haben, und zwar so, 
dass jedes derselben seinen charakteristischen Beitrag zum 
Ganzen lieferte. Ist uns dieser Nachweis gelungen, dann 
dürfen wir zugleich uns freuen, in unserer Fa^ade zu den 
in unserer Vaterstadt leider so sehr spärlichen Zeugnissen 
frühgothischer Kunst ein neues und nicht das unbedeu- 
tendste hinzufügen zu können. 



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Schweigbatiserische Buchdrackerei in Buel. 




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Taf4. 




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• Steinmetz-ZeicfLen. Taf.v. 



Cflor u. QuerscKiff: 

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Martins tfiurm: 

ErdgeacKoss , Aussenwaad; 

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Jn-nenwaticl : 

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15 54 5T 'h to j', 

erstes freies StocKvefK; 

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Ge orgstfiuria : Bau 1400 -14Ä6: 

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MarttnstpLurm : Bau 14-$S-1500: 

li. 

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Beiträge zur Geschichte 

des 

Basler Münsters 

herausgegeben vom 

Basler Münsterbauverein. 

III. 

Das Münster vor und nach dem 
Erdbeben. 

Von 

E. LaRoche, Pfarrer. 




Mit 10 Tafeln Abbildungen. 



- BASEL. 

IJenno Schwabe, Verlagsbuchhandlung. 
1885. 



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Schweigh&nserische BnchdrackerdU 



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Nachdem ein früheres Heft der Beitrage es versucht 
hatte für die Fagade unseres Basler Münsters die bis 
dahin noch nie genauer erörterten Bauperioden festzustellen, 
fühlte der Verfasser das Bedürfhiss und den Lesern jener 
ersten Arbeit gegenüber die Pflicht, das Begonnene weiter- 
zuführen und in ähnlicher Weise auch die übrigen Theile 
dieses unseres bedeutendsten Baudenkmals in ihrem all- 
mäligen Entstehen zur Darstellung zu bringen. Freilich 
fliessen die Quellen für die Geschichte dieser meist schon 
vor dem Erdbeben von 1356 entstandenen Theile wo- 
möglich noch spärlicher. Die Münsterrcchnungen, da sie 
nur für das XV. Jahrhundert erhalten sind, lassen uns 
für die ältere Zeit ganz im Stiche, und so sind wir noch 
ausschliesslicher, als es bei der Beschreibung der Fa(;ade 
der Fall war, auf die Untersuchung der Stileigenthüm- 
lichkeiten und anderweitiger Spuren angewiesen, durch 
welche die einzelnen Bautheile selbst ihre Entstehungszeit 
erkennen lassen. Dieser Untersuchimg aber konnte es 
andrerseits nur zum Vortheil gereichen, dass sie noch vor 
der gegenwärtigen Restaiu^tion begonnen und im Verlauf 
derselben vervollständigt wurde; zu einer Zeit also, da 
der Bau noch mehr als jetzt seine ursprüngliche Gestalt 
zeigte imd die Bestaurationsarbeiten auch die sonst nur 
schwer erreichbaren Theile zugänglich machten. *) 

‘) Erst nach dem Erscheinen unserer Bangeschichte der Faoade 
wurde durch die inzwischen im Martinsthurm von der Bauleitung 
bewerkstelligten Sondirungen festgestellt, dass eine innere Verstärkung 



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4 



Die dem Texte beigegebenen Tafeln beschränken sich 
auf das Nothwendigste, was lun so eher gerechtfertigt er- 
scheinen mag, als in hoffentlich nicht zu ferner Zeit die 
Aufnahmen des frühem Münsterrestaurators Hrn. Archi- 
tekt Riggenbach, sowie die schönen Blätter, welche die 
gegenwärtige Bauleitung ausfertigen lässt, zur Veröffent- 
lichung gelangen werden. 

Die früheste Geschichte und Gestalt unseres Münsters 
ist in ein tiefes, kaum je zu entwirrendes Dunkel gehüllt. 
Wohl muss schon von dem Augenblicke an, da ein 
baselisches Bisthum gegründet war, also jedenfalls vom 
VII. Jahrhimdert an, *) auch eine bischöfliche Kirche an 
der Stelle der heutigen sich erhoben haben. Aber wir 
wissen von derselben nichts Weiteres, als dass sie in den 
ersten Dezennien des X. Jahrhunderts unter der Brand- 
fackel der Ungarn in Asche und Trümmer fiel. *) Immerhin 
lässt sich vermuthen, dass dieses älteste Münster, ähnlich 
wie die meisten vor dem Jahre 1000 nordseits der Alpen 
errichteten Kirchenbauten, nur bescheidene Dimensionen 
und geringes Material, d. h. vorwiegenden Holzbau, werde 
aufgewiesen haben. Noch weniger wissen wir von dem 
nach jener Zerstörung unternommenen Neubau, der einer 
unverbürgten Sage nach von Heinrich I., dem Vogelsteller, 
zwischen 920 und 936 soll angeordnet worden sein. Zu- 
verlässiger ist die durch die Herren des Domstifts fort- 
gepflanzte Nachricht, dass die Kirche, die bis auf Hein- 

<ler Mauern, wie sie dort S. 39 ff. war behauptet worden, nicht zu 
erweisen sei. Ebenso konnten die höclist interessanten Mittheilungen 
des Banberichtes vom Jahr 1883, S. 7 ff. über die frühere Gestalt 
des Hauptportales in unsere Darstellung nicht mehr anfgenommen 
werden. 

*) Basel im XIV. Jahrhundert, 8. 7; Boos, Geschichte der 
Stadt Basel S. 8. 

‘) Hermannus contraetns ad ann. 917 hei Pertz Mon. scr. V, 
S. 112. 



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5 



rieh n, den Heiligen, sich in einem kläglichen Zustand 
befunden hatte, in den Jahren 1010 bis 1019 unter Mit- 
hülfe dieses Kaisers glänzend wiederhergestellt und in 
dessen Beisein im Jahre 1019 sei geweiht worden. Be- 
kannt und hinlänglich bestätigt ist ja Heinrichs H. sowie 
seiner Gemahlin Kunegunde unermüdlicher Eifer in Stiftung 
von Bisthümern, Kirchen und Klöstern. Wir erinnern nm 
an die 1006 erfolgte Gründung des Bisthums und des 
Domes von Bamberg, sowne die Wiederherstellung der 
Kirchen von Strassburg, Hildesheim, Merseburg und 
andrer. Auch sind Heinrichs Beziehungen zu Basel und 
seine wiederholte Anwesenheit daselbst, sowie seine Gunst- 
bezeugungen an den ihm ergebenen Bischof Adalbero ausser 
Frage gestellt. ') Allein kein gleichzeitiger Schriftsteller 
erwähnt weder dass er den Bau unseres Münsters imter- 
stützt, noch worin diese Unterstützung bestanden habe. ^ 

Die erste Kunde von der in Basel lebenden Tradition, 
Heinrich sei der Wiederhersteller des Münsters gewesen, 
bildet die 1347 auf Veranstaltung des Domkapitels er- 
folgte Ueberführung von Reliquien Heinrichs und Kime- 
gundens aus Bamberg nach Basel, womit zugleich die Er- 
richtung eines ihnen geweihten Altars im Münster und 
die Erhebung des Heinrichstages zum jährlich mit grossem 
Pomp gefeierten Festtag zusammenhing. Die weitern 
Nachrichten sind noch später und beschränkten sich bis 
dahin auf die Angabe des Caplans Nikolaus Gerung von 
Blauenstein in seiner 1475 verfassten Chronica episcoporum 
Basiliensium. Hat schon dieser Bericht für sich allein 

‘) Vergl. Sarasin, Versuch einer Geschichte des Basler Münsters, 
in den Beiträgen z. vaterl. Geschichte Bd. 1, S. 6. 

*) Wnrstisen (Chronik S. 22 u. 92, Epitome S. 68) spricht 
zwar von einer Schenkung der Schlösser Pfeffingen und Landser, be- 
merkt jedoch, dass er keine Urknnde hierüber zu Gesicht bekommen 
habe. 

“) Abgedr. in Bruckners Script" rernm Basil. minor pg. 320 ff. 
Die Stelle lautet; Adalberus episcopus (erat) tempore Papse Bene- 



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6 



dem neuesten Geschichtsschreiber Heinrichs II ’) genügt, 
um die hier bezeugte Thatsache der Stiftung und Weihung 
des Münsters durch Heinrich als völlig erwiesen zu er- 
klären, so können wir neben Gerung nun noch folgende 
weitere Zeugen stellen: 

1) In einer Basler Handschrift der Bepgauischen 
Chronik (E VI, 26) findet sich am Schluss der Regierung 
Heinrichs II (Bl. 136) folgender Zusatz, der nicht jünger 
sein kann, als vom Jahr 1400: „Er brocht ouch Basel 
wider, das die Hünen vor zerstört hatten, und begehet das 
münster mit einer guldin taflfel, und einer silberin Krön, 
die hieng er in den Kor, die sider ein Kapittel verkriegt 
hat wider den bischoff von Basel.“ 

2) Das 1517 von Caplan Hieronymus Brilinger be- 
arbeitete Ceremoniale Basiliensis episcopatus, welches vor 
Kiurzem aus der Sammlung Quiquerez in den Besitz unsrer 
öffentlichen Bibliothek übergegangen ist. Hier werden die 
Vorschriften für die Festlichkeiten des Heinrichstages mit 
den Worten eingeleitet: Ecclesia basiliensis hunnorum quon- 

dicti IX et sub Imp. S. Heinrico II et S. Knnegunde, ejus conjuge, 
quo tempere, anno vidz. D. 1019, V Idus Octobris, Indictione II 
Ecclesia Bas. per pr*scriptum S. Heinrionm restanrata et pretiosis 
reliqniis et ornamentis dotata, per dictum Adalberum episcopum est 
dedicata, ipso Imperatore astante, anno regni sui XVIII, Imperii 
vero VI, in honorc Sanctae Resurrectionis Jesu Christi, S. Crucis. 
S. Dei genitricis Maria?, S. Johannis Baptistse, Apostolorum Petri 
et Pauli, Andrea?, Thomee et omnium apostolorum et omninm Banc- 
tornm ; Ipsi Episcopo et Imperator! astantibus et conbenedicentibus 
Rev. Patr. et Dom. Popone, Archiepiscopo Trevirensi, Wernario, Ep. 
Argentinensi, Ruodardo Constantiensi Ep., Hugo Genevensi, Hugoue 
Lausannensi, Erico Episcopo atqne Imperialis Capella? custode. Bunt 
antem in ipso summo altari reliquia? impositte et inclusfe, quas pr*- 
dictus Imperator Heinricns magna devotione donavit, vidz. de .Sanguine 
Domini miraculoso, De liguo S. crucis, de sepulcro Domini: Reliqni« 
App. Petri, Pauli, Andre«, Thom«, Jo. Baptist«, Manritii, Clemeutis 
Pap®, Cosm« et Damiani, Silvestri, Willibald!, Felicitatis, Julian«, 
Helen«, Cecili«, Agath» et Gertrudis, cum pluribus aliis reliqniis. 

') Hirsch, Jahrbücher für deutsche Geschichte, III, 82. 



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7 



dam rabie ferme dirutam atque deaolatam preescriptus 
Cesar Heinricus inagnibcis suinptibus erexit et rursus 
restauravit: preciosas reliquias et ornameuta condonans, 
tempore reverendisaimi patris Adalberonis praefatse ecclesi® 
pontificis circa annos domini millenos decem et novem, 
anno vero regni sui XVUl, Imperii sexto. Ea propter 
ejus festum merito summa celebritate a clero et populo 
solenmizari convenit. 

3) In dem ehemaligen Münsterfabrikbuch, 1496 unter 
dem Titel „Originale“ von Caplan Johannes David ver- 
fasst, jetzt im Landesarchiv in Karlsruhe aufbewahrt, 
hndet sich in dem Abschnitt „de anno et die dedicationis 
ecclesiffi basiliensis“ eine mit dem obigen Citat aus Gerung 
fast gleichlautende Notiz, nur dass bei der Aufzählung 
der im Hochaltar niedergelegten Reliquien *) neben denen 
de ligno sanctse crucis auch solche de vestimento sanctee 
Marise erwähnt und unter den Heiligen die Märtyrer von 
den confessores und den virgines mit einigen abweichenden 
Namen unterschieden werden. Offenbar liegt diesen über- 
einstimmenden Angaben, so spät sie sein mögen, eine 
gemeinsame Quelle zu Grimde. Dieselbe wird uns auch 
glücklicherweise in dem Fabrikbuch genannt, indem jenem 
angeführten Eintrag am Rande die Notiz beigefügt ist: 

„Hsec ex collectenario läbricse antiquo folio quarto a 
fine numerando; similiter reperiuntur in libro vitse cliori 
cum episcopis folio sccundo.“ 



') Nälieres über dasselbe in den Beiträgen z. vaterl. Geschiehte. 
Nene Folge Bd. II, Heft 1, 1885. 

^ Dabei möchten wir auf die Beziehung anfnierksam machen, 
die unverkennbar zwischen der Weihe selbst und den genannten Re- 
liquien besteht. Geschah jene in honore sanetae resurrectionia Jesu 
Christi, S» crucis und 8. Dei genitricis, so entsprechen dem die im 
Altar niedcrgelegten Stücke de sepulcro Domini, de ligno S. crucis 
und de vestimento S“ virginis; ebenso verhält es sich mit den übrigen 
Reliquien. 



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8 



Wir glauben demnach mit Hirsch ’) und Boos den 
von Fechter“) und noch bestimmter von Prof. Rahn‘) 
geäusserten Zweifeln gegenüber die Tradition, welche 
Heinrich II als Stifter des Münsters bezeichnet, aufrecht 
erhalten zu dürfen, um so mehr seitdem auch eine aus- 
drückliche Schenkung dieses Kaisers ad utilitatem mona- 
sterii urkundlich erwiesen ist.“) 

Allerdings gründen sich jene Zweifel auf ein an- 
scheinend schwerwiegendes Moment, auf die Nachricht 
nämlich, dass die Basler demselben Kaiser und gerade zu 
der Zeit (1016), in welcher angeblich an dem von ihm 
gestifteten Münster gebaut wurde, die Thore verschlossen 
hätten, so dass er von Rache glühend ringsum deren Land 
verheerte. — Allein die angerufene Stelle (in Thietmari 
Chroniken VH, 20) lässt es sehr fraglich erscheinen, ob 
wirklich Basel mit unter den Städten gemeint sei, welche 
solchen Widerstand leisteten, und ob, selbst wenn diese 
Frage zu bejahen wäre, dieser Widerstand von der Stadt 
als solcher oder von dem mit dem Kaiser in Fehde be- 
griffenen Grafen Otto Wilhelm von Burgund ausgegangen 
sei. In letzterm Falle konnten die Beziehungen des 
Kaisers zu Basel ungeachtet dieser Störung völlig ungetrübt 
bleiben, es konnte derselbe somit auch gar wohl drei 
Jahre später durch seine persönliche Anwesenheit bei der 
Weihung des Münsters den Baslern einen neuen Beweis 
seiner Huld gehen. ®) 

lieber die Gestalt dieses, wie wir also annehmen. 



>) am a. 0. Bd. III, 82. 

üesch. d. Stadt Basel S. 14 u. Anm. 2. 

’) Neujahrsblatt für 1850, S. 7. 

‘) Glesch, d. bild. Künste in d. Schweiz S. 213 u. Anm. 2. 3. 
*■) Trouillat, Monum. de l’anc. eveche de Bäle I, 147. 

*) Vergl. über die ganze Frage; Th. Burckhardt-Piguet, der 
Zusammenhang Basels mit dem Königr. Burgund. Gymnasialprogr. 
1848. Ferner E. Leupold im Centr.-Bl. des Zof. Ver. 1879. 



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9 



im Jahr 1019 von Heinrich H geweihten Münsters lässt 
sich freilich kaum nur vermuthungswoise etwas sagen. 
Denn von demselben ist nichts übrig geblieben als der 
untere zwei Stockwerk hohe Theil des heutigen St. Georgs- 
thurmes. Wir haben früher schon*) auf die Spuren auf- 
merksam gemacht, die diesem Bautheil ein viel höheres 
Alter als das des ganzen übrigen Münsters zuweisen: die 
von unten auf glatten, durch keine Strebepfeiler gegliederten 
Mauern, die das zweite Stockwerk zierenden Blendarkaden 
mit ihrem primitiven rechtwinkligen Profil, und endlich 
das am ganzen übrigen Münster nicht weiter verwendete 
Baumaterial, das in keinem Steinbruch unsrer Umgegend 
sich nachweisen lässt. Alle diese, wenn auch dürftigen, 
Anzeichen stimmen durchaus zu der angenommenen Bau- 
zeit des beginnenden XI. Jahrhunderts, d. h. zu der Zeit 
des eben aufblühenden romanischen Stils. Die Dimen- 
sionen des besprochenen Thurmrestes lassen aber zugleich 
ahnen, dass auch der ganze unter Heinrich aufgeführte 
Münsterbau, wenigstens seiner Ausdehnung nach, ein sehr 
stattlicher gewesen sei. Es war ja überhaupt nach dem 
Schluss des X. Jahrhunderts und nachdem der von Vielen 
mit dem Ablauf des ersten Jahrtausends erwartete Welt- 
untergang sich nicht eingestellt hatte, allenthalben in der 
Christenheit ein Baueifer erwacht, imd zwar ein kirch- 
licher Baueifer, wie nie zuvor und wie auch seitdem nie 
wieder. Hatte das Herannahen jenes gefürchteten Termins 
die Menschen angetrieben in frommen Stiftungen das Heil 
ihrer Seele, wie sie meinten aufs Beste, sicher zu stellen, 
so trat nun an die Stelle jener bangen Furcht ein um so 
freudigerer Muth zum Leben, nicht ein leichtsinniger Muth, 
sondern vor allem ein Gefühl des Dankes für die erfahrene 
Bewahrung, ein Dank, der seinen sprechendsten Ausdruck 
darin fand, dass Gotteshäuser und Klöster aller Orten und 



*) S. Heft II der gegenwärtigen Beiträge S. 6 ff. 



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10 



Enden errichtet wurden. ') Es war jetzt der Muth vor- 
handen dauerhaft, weil für eine fernere Zukunft, zu bauen, 
und das reiche Ergebniss aller der vorangegangenen Stif- 
tungen bot auch hiezu die ausgiebigsten Mittel. 

Die Gebäude waren fast lauter Basiliken, flach ge- 
deckt; denn für die Kunst des Wölbens wurden nur erst 
schwache Versuche gemacht. Und wandernde Mönche 
waren es, welche die Bauten leiteten, wie denn überhaupt 
der ganze Kunstbetrieb noch ausschliesslich in den Händen 
der Kirche lag. Unter solchen Bedingungen wird auch 
der von Heinrich II gestiftete Münsterbau vor sich ge- 
gangen sein. In seinen Grundformen mag er etwa dem 
Dom von Speyer (1030) oder dem von Bamberg, welcher 
letztere um 1006 ebenfalls von Heinrich war gegründet 
worden, ähnlich gesehen haben. Schwerlich aber wird er 
schon eine gleiche Weite und Höhe des Mittelschiifs wie 
das jetzige Münster erreicht, imd auch der Chor wird nur 
ein einfaches Halbrund gebildet haben. 

Wahrhaft glänzend muss dagegen die innere Aus- 
stattung dieses frühem Münsters gewesen sein und zwar 
wiederum Dank der grossartigen Munifizenz des kaiser- 
lichen Ehepaares. Wir brauchen nur an die von Heinrich 
zur Weihe mitgebrachte goldene Altartafel und an das von 
Kunegunde gestiftete kostbare Kreuz zu erinnern, welches 
letztere in den Augen der damaligen Zeit noch unendlich 
an Werth gewann durch das in demselben eingeschlossene 
Blut des Erlösers nebst Resten vom heil. Kreuzesstamme. 
So ist denn auch die Kaiserin am Giebel (und neuerdings 
am Portal) imseres Münsters mit diesem Kreuze in den 
Händen dargestellt. Was aber die goldene Altartafel 
betrifllt, so besitzen wir als etwelchen Ersatz für das 
leider längst nach Paris entführte Original eine gegen- 

') Glabri Rudolphi historiar. lib. III, cap. 4, De innovatione 
ecclesiarnm in toto erbe: „Die Welt zog ibr Gewand aus und zog 
ein neues weisses von lauter Kirchen an.“ 



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11 






wärtig in unserer mittelalterlichen Sammlung au^estellte 
Nachbildung, welche nicht nur die Form und die Ge- 
stalten, sondern selbst den Goldglanz imd Kleinodien- 
schmuck des Urbildes möglichst getreu wiedergibt (siehe 
unsere Abbildung Taf. V). Nicht minder aber besitzen 
wir von der Hand des Gründers unserer mittelalterlichen 
Sammlung ') eine so gründliche und geistvolle Beschreibung 
dieser Tafel, dass wesentlich Neues über den Gegenstand 
kaum mehr wird gesagt werden können. 

Die Tafel war bekanntlich als sogen. Antependium 
dazu bestimmt an hohen Festtagen (zu welchen auch der 
Heinrichstag zählte) die Vorderseite des Hauptaltars zu 
schmücken. *) Sie besteht aus einer festen Unterlage von 
Cedemholz, über welcher die ganz aus Goldblech (im 
Gewicht von 400 Loth) getriebene Bildfläche sich aus- 
breitet. Unter einer fünffachen Bogenstellung, deren 
Zwischenflächen mit reichem Rankenwerk ausgefüllt sind, 
erscheint in der Mitte die erhöhte Gestalt Christi, des 
rex regum und dominus dominantium, dessen Rechte zum 
Segen erhoben ist, während die Linke eine mit dem 
Christusmonogramm gezierte Kugel — das Sinnbild des 
Weltalls — trägt. Zu seinen beiden Seiten stehen Gabriel 
und Michael, weiterhin Raphael und S‘. Benedict. Ueberaus 
sinnreich fasst die, erst von Wackernagel richtig gedeutete 
Inschrift diese Namen in den leoninischen Vers zusammen: 
Quis sicut Hel (das hebräische „Gott“) fortis medicus 
soter benedictus? — woran sich unten die Bitte schliesst: 
Prospice terrigenas Clemens mediator usias. ®) Denn als 

’) W. Wackernagel kleinere Schriften S. 376 — 422. 

’) Dass die Altartafel nicht beständig ausgestellt blieh, sondern 
zeitweise unter Verschluss gelegt wurde, zeigt auch die Ausgabe der 
Fahrikrechnung von 1467: „von der laden zu der guldin tafel 1 'fi, 
2ß,S d.“ 

*) „Wer ist wie Gott ein starker Arzt, ein gesegneter Heiland ? 
Schütze die Erdenbewohner, du gütiger Mittler des Weltalls.“ 



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12 



* 



Vertreter der Eigenschaften Gottes, seiner Macht, Weisheit 
und Güte sind die drei Erzengel gewählt. Aber auch für 
Benedict, dessen Wahl Wackemagel unerklärlich nennt, 
glauben wir einen Grund namhaft machen zu können. 
Der genannte Gelehrte kennt zwar wohl die Legende, die 
von einer wunderbaren Heilung Heinrich H durch Bene- 
dict erzählt;') aber während er vermuthet, es sei diese 
ganze Legende erst im Anblick unsrer Altartafel und durch 
eine unrichtige Deutung ihrer Figuren imd ihrer Ueber- 
schrift entstanden, finden wir — zwar nicht die detaillirte 
Legende — aber doch die bedeutende Rolle, die Benedict 
im Leben des Kaisers überhaupt spielte, durch Letztem 
selbst bezeugt *) in seiner Urkunde für das Kloster Monte 
Cassino vom Juni 1022, wo er von seiner Liebe zu dem 
Heiligen von frühester Jugend an und dem Beistand des- 
selben zu seinem Regiment, wie von wiederholter Genesung 
aus Krankheit, die er ihm verdanke, spricht.“) 

Auch was die Frage betrifft, ob die Tafel wirklich, 
und zwar in ihrer jetzigen Gestalt, von Heinrich könne 
geschenkt, bezw. in so ff-ühcr Zeit könne entstanden sein, 
hat Wackemagel bereits den von Kugler^) erhobenen 
Zweifeln g^enüber den überzeugenden Nachweis der 



') Henricus Imperator Romam tendeus ex Apulia venit ad 
montem Cassinnm, ubi meritis S> Beaedicti, ibidem qnondam abbatis, 
a calculo miracnlose liberatus est. Appamit enim ei in somniis 
S. Benedictus et apperto latere corporis calcnlnm evulsnm in maan 
regis posuit, quem rex evigilaus in manu veraciter inventum cunctis 
ostendit. Wackern. a. a. 0. p. 411. Anm. 

*) Hirsch a. a. 0. 

’) Singniariter tarnen et quasi spccialius locum, in qno venera- 
bilis patris nostri sanctissimi Benedicti corpns fovetnr, poliere ad 
modnm cnpimus, quippe quem a primo aetatis flore semper maxime 
dileximus, cnjnsqne intercessione piissima hactenns et in regno ro- 
borati, et in in&rmitate sepius positi misericorditer relevati snmns. 
Hirsch a. a. 0. 362. 

*) Kngler Kl. Schriften und Stud. z. Knnstgesch. I, 486 ff. 



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13 



Aechtheit geführt. ‘) Nicht unwesentlich wird derselbe 
aber unterstützt durch die von Hirsch *) mitgetheilte That- 
sache, dass die auf unsrer Altartafel in den Bogenzwickcln 
angebrachten Brustbilder der Prüden tia, Justicia, Tem- 
perantia und Fortitudo aufs Oenaueste jenen entsprechen, 
welche den untern Deckel des von Heinrich 1012 auf den 
Bamberger Hochaltar gestifteten Evangelienbuchs zieren 
und zwar auch dort so, dass derselbe Kopf für die Ver- 
sinnbildung aller vier Ideale gebraucht ist. Steht dem- 
nach die Schenkimg der Altartafel durch Heinrich fest, 
so werden wir auch sein und seiner Gemahlin Bildniss in 
den beiden zu Christi Füssen liegenden Miniaturgestalten 
zu erkennen haben. ®) 

Zu dem weitem gleichzeitigen Schmuck unseres 
Münsters gehört aber auch jene jetzt an der östlichen 
Schlusswand des südlichen Seitenschiffs angebrachte Tafel 
aus rothem Sandstein mit der Reliefdarstellung von sechs 
Aposteln: Petrus, Johannes, Bartholomäus, Jacobus, Simon, 
Judas (s. Taf. VP). Es ist dies wohl eine der bedeutendsten 
Sculpturen, die unser Münster aufzuweisen hat. Mit hohem 
würdevollem Ernst sind die heiligen Gestalten gegeben, in 
einem von der Antike noch mächtig beeinflussten Stil. Die 
Bildung der Köpfe, die Haltung der Gestalten, welche 
paarweise mit einander im Gespräche begriffen sind, der 
freie Faltenwurf in den Gewändern lassen uns geradezu 
staunen, wie ein solches Werk im Beginne des XI. Jahr- 
hunderts noch entstehen konnte ; und in diese Zeit weist 
doch unleugbar der Stil der architektonischen Umrahmung, 
wie nicht minder die ursprüngliche Bestimmung der Tafel, 
die wohl keine andere war als mit einer entsprechenden 
leider verloren gegangenen zweiten Tafel, welche die 
übrigen sechs Apostel enthielt, die Seitenflächen des Hoch- 

*) a. a. Ü. 409-418. 

*) a. a. 0. III, 82 vergl. II, 104. 

*) Rahn 25(1. 



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14 



altars zu schmücken, dessen vordere Wand mit dem gol- 
denen Antependium Heinrichs prangte. ') 

Nahe verwandt mit dieser Aposteltafel ist jene andere 
im nördlichen Seitenschiff befindliche, welche in vier 
Felder getheilt das Martyrium des hl. Vincentius dar- 
stellt (s. Taf. VI*). (Nicht des Laurentius und Vincentius, 
wie gewöhnlich angegeben wird, denn nur mit des letztem 
Legende treffen die Darstellungen unsrer Tafel und zwar 
bis auf die einzelnsten Züge zusammen.) Dieselbe braucht 
nicht, wie WackemageD) annimmt, einer ehemals am 
Münsterberg gestandenen Vincentiuskapelle angehört zu 
haben, da ja unser Münster selbst einen diesem Heiligen 
geweihten Altar besass. In den architektonischen Details, 
namentlich in der Kapitälbildung stimmt diese Tafel auf- 
fallend mit der vorher besprochenen Aposteltafel überein, 
weniger in der Behandlung des Figürlichen, was indess 
daher rühren kann, dass dort die feierliche Ruhe heiliger 
Gestalten, hier dagegen bewegte Handlung der sehr un- 
heiligen Schergen zum Vorwurf diente. *) 

Als Ueberreste des Heinrichsbaues sind endlich wohl 
jene sehr alterthümlichen steinernen Löwen anzusehen, die 
jetzt in der Grypta aufgestellt sind. Die auf ihrem Rücken 
befindlichen Säulenansätze lassen keinen Zweifel, dass sie 
zu Trägem bestimmt waren und, wie schon Herr Dr. 
Ach. Burckhardt‘) nachgewiesen, finden sich unter den 
jetzt die Bogen des Triforiums stützenden Säulchen vier 
aus einem dunklen polirten Marmor gefertigte, welche 
mit den Löwen zusammen den Unterbau der ehemaligen 

*) Wackernagel a. a. 0. 380. Mit nnaerer Annahme stimmen 
auch die Maasse, indem die Altartafel zwischen dem vorspringenden 
Sockel und Kranzgesimse genau so hoch ist (0,96) wie die Apo- 
steltafel. 

*) Ebenda S. 378. 

*) Rahn 259. 

*) Anzeiger f. Schweiz. Altrthk. 1879, pg. 923. 



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15 



Kanzel könnten gebildet haben. Demnach hätten wir uns 
diese Kanzel ähnlich derjenigen des Baptisteriums in Pisa 
zu denken. 

Weiter reichen die Spuren nicht, die uns über Gestalt 
und Ausstattung des im Jahre 1019 von Heinrich II ge- 
weihten Münsters Auskunft geben; sie genügen aber wohl 
um dieselbe als eines kaiserlichen Baues durchaus würdig 
erscheinen zu lassen. Nahezu 170 Jahre hatte dieser Bau 
gestanden, als derselbe laut einer Angabe der Annales 
Alemannici') am 25. October 1185 ein Raub der Flam- 
men wurde. So gründlich muss die Zerstörung gewesen 
sein, dass, wie wir gesehen, nur der unterste Theil des 
St. Georgsthurmes dieselbe überdauerte. Das ganze übrige 
Münster, soweit es nicht noch jüngem Datums ist, ver- 
dankt seine Entstehung und gegenwärtige Gestalt dem 
wahrscheinlich bald nach dem Brande von 1185 be- 
gonnenen Neubau. 



Der Bau des Uebergangsstiis. 

Jener Wiederaufbau des im J. 1185 in Trümmer imd 
Asche gesunkenen Münsters fiel in die Wende des XH 
zum XIII Jahrhundert, also in diejenige Zeit, welche wir 
als die des Uebergangsstiis zu bezeichnen pflegen. Wäh- 
rend in Frankreich schon um die Mitte des XH Jahr- 
himderts der Uebergang vom Romanischen zum Gothischen 
plötzlich und beinahe unvermittelt sich vollzogen hatte 
(zuerst in dem von Abt Suger geleiteten Chorbau der 
Abtei S‘ Denis, 1140, imd bald darauf, 1177, in der 
Kathedrale Notre-Dame in Paris), schlug Deutschland 

*) Bei Pertz. Mon. Scr. I, 56: Anoo dominiae incarnationis 
1185; VIII Kal. Novb» Basilieosis ecclesia incendio conflagravit. Zu- 
erst mitgetheilt von Fechter im Basler Taschenbuch von 1851, 
pg. 271. 



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16 



hierin einen andern Weg ein. Auch hier zwar regte sich 
mächtig der hauptsächlich durch die Kreuzzüge geweckte 
Geist, der zumal auf dem Gebiete der Baukunst über die 
noch vorwiegend ernsten und gedrückten Formen des 
romanischen Stils hinaus drängte. Aber der Entwicklungs- 
gang war hier — gewiss nicht zum Schaden der Kunst — 
ein langsamerer. Vor allem waren es die Rheinlande von 
Basel abwärts bis zur Grenze der Niederlande, welche 
dieser Entwicklung die fruchtbarste Stätte boten und hie- 
mit eben zur Heimath des sogen. Uebergangsstils wurden. 

Das wesentlich Neue liegt in der Durchbrechung der 
im Romanischen vorherrschenden Horizontallinie durch 
die nun mehr imd mehr sich geltend machende Vertikale. 
Hatten bisher die Mauern ihrer ganzen Länge nach dem 
aufliegenden Gewölbe zur Unterlage dienen und dem ent- 
sprechend möglichst massive Verhältnisse annehmen müssen, 
so erwachte jetzt das Bestreben das Gewölbe so zu ge- 
stalten, dass dessen Druck auf einzelne Punkte sich con- 
zentrirte, w^elche nun ihrerseits allerdings einer um so 
nachdrücklichem Verstärkung und Unterstützung bedurften, 
aber zugleich die zwischeninneliegenden Mauerflächen we- 
sentlich entlasteten. Letztere konnten in Folge dessen, 
da sie nicht mehr zu tragen, sondern bloss noch aus- 
zufüllen hatten, viel leichter, bezw. dünner gebaut und 
mit imgleich weitern Fensteröffnungen durchbrochen wer- 
den. Jene stützenden Pfeiler selbst aber wurden so ge- 
gliedert, dass sie schon von unten herauf erkennen lassen, 
welche Theile des Gewölbes, ob die dasselbe umrahmenden 
Gurtbogen oder die über’s Kreuz gelegten Diagonalrippen 
eie zu tragen bestimmt seien. Im erstem Fall tritt vor 
den Hauptpfeiler eine starke Halbsäule, die oben an der 
Wand bis zu dem Punkte aufragt, an welchem sie den 
entsprechenden Gurtbogen aufnimmt; kleinere Halbsäulen 
dagegen legen sich neben diese mittlere, um die Kreuz- 
Rippen zu stützen. Das zweite wesentliche Moment war 



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17 



die Aiiwendimg des im Romanischen nur erst vereinzelt 
auftretenden Spitzbogens. So lange man im Rimdbogcn 
wölbte, konnte von der quadratischen Anlage der Gewölbe 
nur schwer abgesehen werden, da die Höhe jedes Halb- 
kreises von der Länge seiner Grundlinie bedingt ist und 
somit bei ungleichen Abständen auch die Scheitel der 
Bogen nicht dieselbe Höhe erreichen. Alle Schwierigkeiten 
fielen hinweg, sobald an die Stelle des Rundbogens der 
Spitzbogen gesetzt wurde, welcher auf gleicher Grundlinie 
beliebig erhöht oder herab gedrückt und auch bei ver- 
schiedenen Abständen auf die gleiche Scheitelhöhe ge- 
bracht werden kann und überdies wegen der Annäherung 
an die vertikale Linie einen geringeren Seitenschub ausübt. 

In dieser Weiterbildung des Gewölbesystems, die nun 
auch andere als nur rein quadratische Räume zu über- 
wölben gestattete, haben wir den eigentlichen Fortschritt 
des Gothischen über das Romanische zu erkennen. Mit 
ihr ist die vertikale Linie im ganzen Aufbau zur ton- 
angebenden erhoben und der Grund gelegt zu jener 
elastischen Strebekraft, die fortan in der gothischen Bau- 
weise zu immer glänzendem Triumphen über die lastende 
Wucht der Steinmassen führte. 

Kehren wir nach diesem orientirenden Ueberblick zu 
unserm Münster zurück, so bietet uns dasselbe eben als 
Denkmal des Uebergangsstils ein überaus lehmeiches Bei- 
spiel der allmälig sich anbahnenden neuen Bauweise. 
Zunächst suchen wir uns an der Hand der von Hrn. Prof. 
Rahn ') gegebenen Beschreibung , imter Benützung der 
weitern Beobachtungen der Hm. Dr. Ach. Burckhardt und 
Dr. C. Stehlin über die ursprüngliche Gestalt des Baues 
Rechenschaft zu geben. 



*) Kahn Gesch. d. bild. Künste, pg. 213 ff. 

^ Anzeiger f. Schweiz. Alterthk. 1879, S. 923 ff. nnd 1880, 



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18 



Die Gesammtanlage der Kirche bildet im Grundrisse 
ein lateinisches Kreuz. (S. Taf. 1.) Das Mittelschiff be- 
steht aus drei quadratischen Gewölbejochen, denen sich 
jedesmal paarweise zwei kleinere in den Seitenschiffen an- 
schliessen. Die ungewöhnliche Breite des Mittelschiffs 
(m. 13 aus der Längenachse der Pfeiler gemessen), die 
durch den Gegensatz zu den schmalen Abseiten noch be- 
deutender erscheint, trägt wesentlich zu der imposanten 
Wirkung des Innern bei. Das Querhaus erhält dadurch, 
dass es wiederum aus drei quadratischen Gewölbejochen 
besteht, dieselbe Länge wie das Langhaus. Jenseits des 
Querhauses setzt sich das Mittelschiff in Form eines kurzen 
Gewölbejoches fort und schliesst dann mit einem polygonen 
Chorhaupte ab, um das sich ein tiefer gelegener Umgang 
herumzieht. Entsprechend den zwei Thörmen der West- 
fa?ade erhob sich auch ein Thurmpaar östlich in den 
Winkeln zwischen den QuerschifflBügcln und dem Chore. 
Sie reichen jetzt mit ihrem schrägen Abschluss kaum mehr 
bis an das Chordach; die vereinzelten Quader aber, die 
über dem nördlichen Thurm aus der Mauer des Querschiffs 
hervortreten und die Bruchstelle, die über dem südlichen 
Thurm an der Wand des Hochchors hinauf läuft, be- 
zeichnen deutlich die Kichtung, in welcher die beiden 
Thürmc einst weiter emporragten. Unterwärts ruhten sie 
auf dem ersten Joche des untern und obem Chorumgangs, 
deren vier Ecksäulen der ihnen zugemutheten Last ent- 
sprechend äusserst wuchtig sich gestalten. Nach aussen 
bildet zudem die nordseits angebaute ehemalige Sakristei, 
und südseits jener aus drei Bogen von je 2 Meter Laibung be- 
stehende Fortsatz, der von der Chormauer bis zum Treppen- 
haus des Betsaals hinübergreift, eine strebenartige Sicherung. 
Die Frage, ob auch noch über dem Kreuzmittel der Kirche 
ein sogenannter Vierungsthurm mit Kuppel sich erhoben 
habe, muss dahingestellt bleiben. In romanischen, nament- 
lich rheinischen Bauten von gleicher Bedeutung wie unser 



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19 



Basler Münster fehlt dieser Mittelthurm selten ; allein eine 
Spur, dass unser Münster ihn besessen habe, lässt sich 
am gegenwärtigen Bau nicht mehr auihnden. ') 

Stellt sich somit der Glrundriss unsres Münsters noch 
in seinen wesentlichen Zügen als derjenige einer romanischen 
Kirche dar, so zeigt dagegen der Anfbau bereits bedeute 
same Merkmale jener Umbildung, welche allmälig zur 
gothischen Bauweise hinüberleitete. Vor Allem die Gliede- 
rung der Hanptpfeiler im Mittelschiff ist in der Weise 
durchgebildet, dass hier jede einzelne Gewölberippe ihren 
besondern Dienst erhält. Der Pfeiler bildet im Grund- 



riss ein längliches 
Rechteck; aus der 
Mitte jeder Seite 
tritt eine starke 
Halbsäule hervor, 
diejenigen an den 
Langseiten (b) zur 
Aufnahme der Ar- 
chivolten, die bei- 
den andern (a) für 
die Quergnrten (a) 
bestimmt, während 
zur Aufnahme der 
Diagonalrippen (c) 
die kleinen Drei- 
viertelssäulen (c) 
dienen, welche in 




den einspringenden Winkeln angebracht sind. Ferner sind 



die von diesen Pfeilern eingeschlossenen Archivolten (die 



Mittelschiffbogen), wie die Gurtbogen der Seitenschiffe 



') Jenes alte, jetzt im Stadthaus befindliche Gemälde von 
Basel, auf das schon hingewiesen worden, weil es einen solchen 
Viernngsthurm zeigt, ist zu abenteuerlich um als Zeuge gelten zu 
können. 



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20 



bereits im Spitzbogen geführt. (Dieselbe Bogengestalt muss 
auch schon vor dem Erdbeben im Gewölbe geherrscht haben, 
wie die noch vorhandenen Schildbogen unterhalb dem An- 
satz der jetzigen Gewölbe, namentlich aber in dem länglicht 
rechteckigen Joch des Altarhauses zeigen.) Zugleich aber ist 
das Profil dieser Archivolten mit seinen Rundstäben und 
zumal mit der im Chor sie zierenden Pollenreihe noch 
durchaus romanisch gedacht. lieber den Archivolten und 
durch ein kräftiges Gurtgesimse mit schachbrettartiger 
Verzierung von ilmen getrennt, öffnen sich die Emporen 
und zwar mit je zwei Blendbogen in jedem Joche, deren 
jeder wieder mit einer eleganten dreitheiligen auf Doppel- 
säulen ruhenden Bogenstellung durchbrochen ist. Hier 
in diesem Obergeschoss bewegt sich, im Gegensatz zu den 
untern Schififarkaden, Alles wieder jm Rundbogen. Beides 
aber: die untern Archivolten, wie die Bogenreihe des Tri- 
foriums, setzt sich in höchst origineller Weise auch an 
den Giebelwänden des Querschiffes in Gestalt von kräftigen 
Blendarkaden fort, wodurch nicht nur diese in den meisten 
Kirchen so kahlen Wände eine wirkungsvolle Gliederung 
erhalten, sondern Chor und Langhaus in harmonischen 
Zusammenhang gebracht sind. Noch einleuchtender muss 
diese Harmonie im ursprünglichen Bau sich dargestellt 
haben, als die Empore des Chors (die sogen. Sänger- 
gallerie) noch durchaus dieselbe Gestalt besass wie das 
Triforium des Langhauses. Denn, wie Herr Dr. Ach. 
Burckhardt ') bereits nachgewiesen, entsprechen die Inter- 
valle der einzelnen nach Innen sich öffnenden Polygon- 
seiten des Chores den Bogenöffnungen des Triforiums in 
der Weise, dass auf das Chormittel vier, auf die beiden 
an dasselbe sich anlehnenden Seiten je drei und auf die 
beiden folgenden je zwei offene Bogen gleich denen des 
Triforiums zu stehen kamen; wie denn auch die Gewölbe- 

') a. a. 0. pg. m. 



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21 



stützen dieser Sängergallerie, den noch erhaltenen Basen 
nach zu urtheilen, völlig dieselben waren wie dort. 

Wir haben hiemit den Chor betreten und zwar den- 
jenigen Punkt desselben, von wo aus die imposante Raum- 
wirkung, wie sie durch die ganze bisher beschriebene 
Anlage unseres Münsters erzielt wird, am überraschendsten 
zur Geltung kommt. Aber auch die Choranlage selbst 
verdient unsre höchste Beachtung. Ueber einer auf mäch- 
tigen Pfeilern ruhenden Krypta erhebt sich der mittlere 
Raum des Chores in der beträchtlichen Höhe von 3 Meter 
über die Bodenfläche imd erstreckte sich einst in dieser 
Höhe noch durch die ganze Vierung hin. Umschlossen 
ist dieser mittlere Raum von den schon genannten spitz- 
bogigen Arkaden, die aber ihrerseits auf Stützen von 
einzigartiger Schönheit ruhen. Gehören schon die an 
ihrem Pusse hinlaufenden, jetzt leider fast im Boden ver- 
schwindenden Friese zum Besten, was die romanische 
Sculptur geleistet, so sind die Stützen selbst auf’s Kühnste 
je aus einer lose zusammengeordneten Gruppe von ein- 
zelnen Säulen gebildet, die durch ihre verschiedene Stärke 
und die Verschiedenheit der Kapitälhöhe die einer jeden 
zukommende Tragfunktion ausdrücken. Damit ist das 
Problem niedrige Stützen leicht zu geben aufs Glück- 
lichste gelöst. Ueberdies aber hat an den Schmuck der 
Kapitale dieser Säiüen auch die Kunst des Meisseis ihr 
Möglichstes gewendet. Es sind neben zierlichem Laubwerk 
bekanntlich die Darstellungen des Sündenfalls, die Ge- 
schichte von Pyramus und Thisbe, Alexanders Greifen- 
fahrt und die Sirene (das Bild der Verführung), welche 
hier erscheinen; letztere Scene auffallend verwandt mit 
einem Kapital am Südportal der Kirche von S‘. Ursanne. 
Noch eigenthümlicher aber als dieser innere Chorabschluss 
ist der ausserhalb desselben sich hinziehende Chorumgang, 
der vor seiner in gothischer Zeit erfolgten Ueberwölbung 
bis zum Boden der Krypta hinunter offen lag, so dass 



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22 



man durch die jetzt noch in letztere führenden Treppen 
in denselben hinabstieg. Eine ähnliche Anlage kennen 
wir nur aus der etwas später als unser Münster erbauten 
Kirche in Heisterbach. Vor dieser aber wie vor allen 
gleichzeitigen deutschen Bauten hat unser Chor wieder die 
polygone Gestalt voraus. Und letztere wüssten wir, selbst 
wenn alle andern Eigenthümlichkeiten unseres Münsters 
in verwandten rheinischen Bauten nachzuweisen wären, 
nicht anders als durch französischen Einfluss zu erklären. 

Haben wir auf unserm Gang bis dahin das Innere 
des Münsters kennen gelernt in der Gestalt, die es nach 
1185 empfing, und uns überzeugt, dass dieselbe von der 
heutigen nicht wesentlich sich unterschied, so werfen wir 
nun auch einen Blick auf seine Aussenseite. Bleiben wir 
gleich beim Chor, der uns zuletzt beschäftigt hat, stehen. 
Er stellt sich auch von aussen betrachtet als ein für jene 
Frühzeit höchst bemerkenswerthes Bauwerk dar (s. 
Taf. IH). Der vorhin beschriebene doppelte Umgang be- 
dingt vor Allem die bedeutende Ausdehnung, die unserm 
Chore eignet; seine polygone Gestalt aber forderte die 
Anwendung jener mächtigen Streben, die ihm das Ge- 
präge unerschütterlicher Festigkeit verleihen. Dazu kommt 
noch die wohlüberdachte Gliederung im Einzelnen. In 
gleicher Höhe, wie innen die Krypta über den Erdboden 
sich erhebt, zieht sich aussen um die Chormauer eine 
Bogenstellung von kurzen Halbsäulen und kräftigen Laub- 
kapitälen getragen, über welcher ein zierlich gearbeiteter 
Fries mit eingeflochtener Darstellimg einer herbstlichen 
Jagdscene dieses Untergeschoss abschliesst. Nun erst folgt 
dem innern Hauptgeschoss entsprechend in jeder Folygon- 
seite ein stattliches Rundbogenfenster, je von einem Rund- 
stab mit figurirtem Kapital eingefasst, und als Krönung 
dieser ersten Stufe des ganzen Aufbaus ein markiger 
Bogenfries, dessen Consolen zum Theil nur fratzenartige 
Köpfe, zum Theil aber auch abenteuerliche Gestalten 



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23 



zeigen; u. A. die eines Menschen, der ohne einen Kopf 
zu besitzen, das Qesicht auf der Brust trägt, eines jener 
Geschöpfe also, (die dxstpuXoi) mit welchen nach dem 
Vorgang der Alten die mittelalterliche Phantasie die fernen 
unbekannten Welttheile zu bevölkern pflegte. ') — Von 
einer ersten „Stufe“ können wir hier wirklich roden, denn 
das darüberfolgendc Stockwerk der Sängergallcrie tritt 
bereits stark zurück, um einem breiten äussern Umgang 
Raum zu bieten. In seiner gegenwärtigen Ausführung ist 
dieses Stockwerk allerdings erst nach dem Erdbeben ent- 
standen und hat damals erst seine grossen Rimdfenstcr 
erhalten ; allein schon vor dem Erdbeben muss es 
dieselbe Ausdehnung und Höhe erreicht haben, das be- 
zeugen die bereits erwähnten Basen der. ehemaligen Ge- 
wölbeträger im Innern und ferner die Reste der alten 
Umfassungsmauer, welche die Grundlage der jetzigen 
bilden. Unmöglich scheint es ims aber nicht, dass nach 
aussen diese Sängerempore von einer offenen Bogenhalle 
(einer sogenannten Zwerggallerie) , wie sie so manche 
der rheinischen Kirchen aufweisen, umgeben war, welche 
genau die Breite des jetzigen äussern Umgangs in Anspruch 
genommen hätte. *) Demnach würden wir uns die ursprüng- 
liche Gestalt des Chores ungefähr so zu denken haben, wie 
es unsere Taf. lU darzustellen sucht. 



*) Die sämmtlichen hier gemeinten Monstra finden sich in den 
Glasbildern der grossen Rosette in der Lansanner Kathedrale; — 
abgebildet von Rahn in d. Mittheilg. der antiqu. Gesellsch. in Zürich. 
Bd. XX, 51. — Vergl. dazu die verschiedenen Bestiarien des Mittel- 
alters und selbst noch Seb. Münsters Cosmographie. 

*) Diese Verrauthung hat seitdem auf unverhoffte Weise ihre 
Bestätigung gefunden. Als im Sommer 1884 die der Erneuerung 
bedürftige Brüstung der Cliorgallerie weggenommen wurde, zeigten 
sich in das Auflager derselben eingehauene länglicht rechteckige Ver- 
tiefungen (ca. 30 ctm. lang), genau in gleicher Zahl und ziemlich in 
den gleichen Abständen wie die Halbsäulen der untern Blendbogen. 
Allerdings fanden sich diese Sparen vollständig erhalten nur an der 



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24 



Daran schliesst sich die Frage, wie das ehemalige 
Chorgewölbe zu reconstruiren sei. Dass ein solches vor- 
handen- war, ergiebt sich unzweifelhaft aus dem Vorhan- 
densein der Strebepfeiler; aber ebenso gewiss ist, dass 
dasselbe nicht so hoch und flach gespannt sein konnte, wie 
das gegenwärtige. Die Strebepfeiler haben ihre jetzige 
Höhe erst nach dem Erdbeben erhalten ; in ihrer ursprüng- 
lichen Gestalt werden sie denjenigen des QuerschifFs gleich- 
gesehen und den engeren Hochchor an dem Punkte er- 
reicht haben, wo im Innern das Gewölbe der Sänger- 
gallerie an diese Chormauer sich anschloss. Von den 
Strebepfeilern aus konnte somit noch nicht ein so hoch 
schwebender Strebebogen, wie es jetzt der Fall ist, zu 
dem hohen Chpr hinübergreifen; derselbe erhob sich 
vielmehr immittelbar über den Gurtbogen der Sänger- 
galleric. Es lässt dies vermuthen, dass auch das Chorge- 
wölbe selbst unmittelbar über der eben genannten Gallerie 
begonnen habe imd dass die Kapitäle, welche seine Rip- 
pen trugen, in gleicher Höhe lagen, wie sämmtliche übrige 
Gewölbeträger des Mittel- und Querschiffes. Es konnte dem- 
nach auch der Bogen, den diese Rippen beschrieben, kein 
andrer sein als derjenige des ganzen Mittelschiffgewölbes, 
also nahezu ein Kreisviertel. Da aber, wie wir gesehen 
haben, der Chor in sämmtlichen übrigen Beziehungen mit 
dem System des Langhauses übereinstimmte, so ist wohl 
anzunehmen, dass die Fensteröffnungen des Hohen Chors 
denen des hohen Mittelschiffs entsprachen, also weit kleiner 
waren imd weniger Licht gewährten als die gegenwärtigen. 

Was die Aussenseite des übrigen Gebäudes, des 
Quer- und Langschiffes, betrifft, so gilt zunächst für das 

mittlern in der Achse des Chors liegenden Polygonseite: an den 
übrigen Seiten des Chors waren in Folge früherer Restaurationen diese 
Spuren bis auf wenige verschwunden. Die vorhandenen Vertiefungen 
aber können keinem andern Zwecke gedient haben, als die Säulen- 
füsse der ehemaligen offenen Bogengallerie in sich aufznnehmen. 



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25 



Letztere Alles, was wir über die Strebepfeiler des Chores 
bemerkt liaben (s. Taf. II). Auch hier schlugen nur 
niedrige Strebebogen, die über das Dach des Triforiums 
kaum hervornigten, zum Mittelschiff hinüber. In ihren 
Ueberresten sind sie noch jetzt unter diesem Dache vor- 
handen. lieber diesem Dach aber ragt gegenwärtig jedes- 
mal da, wo der einstige Strebepfeiler an die Mittelschiffwand 
stiess, ein Mauervorsprung heraus von ungleicher Breite 
und Tiefe, der offenbar bei dem Restaurationsbau nach 
dem Erdbeben ausgespart wurde, um den neu errichteten 
Strebebogen ein Auflager zu bieten. Wir sagen „ausge- 
spart“, weil dieser Mauervorsprung einst als förmliche 
Lisene noch weiter hinauf, bis zur Hohe des ursprünglich 
um das ganze Gebäude herumgeführten Bogenfrieses, 
reichte. Nur ist er bis zu der ebenbezeichneten Stelle, 
wo der Strebebogen aufliegt, weggemeisselt. ‘) Noch lassen 
sich die Spuren jenes Bogenfriescs deutlich erkennen, zu- 
nächst in einem einzelnen, vollständig erhaltenen Bogen 
in dem südlichen Winkel zwischen Querschiff und Lang- 
haus, sowie in mehrern noch vorhandenen Bogenconsolen; 
die Reihe der übrigen Consolen lässt sich, obschon sie 
später einfach weggemeisselt wurden, noch auf lange Strecken 
verfolgen. Wir gewinnen aber auf diese Weise genau die 
Höhe, mit welcher der ganze Lang- und Querschiffbau vor 
dem Erdbeben sich abschloss; denn das Dach musste un- 
mittelbar über dem eben nachgewiesenen Bogenfries sich 
aufbauen. Da die jetzigen Mauern des Lang- und Querschiffs 
erst nach 1356 um ca. 2 Meter erhöht wurden, so haben 
wir uns den frühem Bau um eben so viel niedriger zu denken, 
und da das Dach nach damaliger Hebung nicht wie jetzt 
im spitzen, sondern in dem flachem rechten Winkel auf- 
geführt war, so ergiebt sich für die Dachfirst ein Zurück- 
bleiben von ca. 4 Meter unter der jetzigen Firsthöhe. 

•) Eine Gliederung des Langhauses, wie wir sie hier voraus- 
setzen, zeigt heute noch die Kirche St. Arbogast in Ruffach. 



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26 



Die gleiche Gliederung, wie wir sie eben am Hoch- 
bau des Mittelschiffs kennen gelernt haben, wiederholte 
sich aber, den noch vorhandenen Ueberresten zufolge, an 
den Seitenschiffen, bezw. an den Aussenwänden des Tri- 
foriums, hier noch von einem Würfelfries begleitet, der 
genau dieselbe Höhe einhielt, wie der entsprechende Wür- 
felfries über den Schiffsarkaden im Innern des Münsters “) 
(s. Taf. II). 

Fassen wir nun alle die aufgefundenen Merkmale des 
Baues von 1185 zusammen, so stellt sich uns derselbe als 
eine Schöpfung von wahrhaft grossartiger Conception dar, 
als das Werk eines Meisters, der mit bewusster Folge- 
richtigkeit seinen Grundgedanken durchzuführen und so 
dem Ganzen das Gepräge einer wohlabgewogenen Har- 
monie zu geben verstund. — Als ein Denkmal des Ueber- 
gangsstils ist dasselbe zu bezeichnen, nicht nur wegen der 
einzelnen diesen Stil charakterisirenden Elemente, sondern, 
wie wir nun abschliessend sagen können, vor Allem des- 
halb, weil die gothischen Construktionsprinzipien überall 
zwar sich ankündigen, aber ohne dass die aus denselben 
sich ergebenden Consequenzen schon gezogen wären; d. h. 
der Pfeiler ist durch vorgelegte Halbsäulen bereits als 
Gewölbeträger gekennzeichnet, aber er ist doch in erster 
Linie noch Pfeiler mit mächtigem quadratischem Kern tmd 
hat als solcher ebenso sehr die Wand als das Gewölbe zu 
stützen. Der Spitzbogen erscheint in vielfacher Anwen- 
dung, aber ohne dass schon die ganze elastische Kraft, 
die ihm innewohnt, ausgenützt wäre. Der Strebepfeiler 
ist ebenfalls schon da, und in Verbindung mit den innern 
Gewölbediensten bezeichnet er die Punkte, wo die Haupt- 
last des Gewölbes hindrängt; allein trotzdem sind die 
zwischen diesen Pfeilern sich ausdehnenden Mauermassen 
noch von solcher wuchtigen Stärke imd so sparsam mit 

*) Vergleiche die Beobachtungen von Herrn Dr. C. Stehlin im 
Anzeiger f. schw. Altk. Jhrg. 1880, pag. 32. 



I 



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Fenstern durchbrochen, als hätten in Wirklichkeit doch 
diese Mauern noch immer die ganze Last des Gewölbes 
zu tragen. 

Nicht minder bedeutend ist aber, was die Sculptur 
zum Schmucke unseres Münsters beigetragen hat. Von 
ihren Leistungen im Innern und an der Aussenseite des 
Chors haben wir schon geredet; aber als ihre glänzendste 
Schöpfung steht die Galluspforte da. Dass diese mit dem 
übrigen Bau von 1185 entstanden und nicht aus einem 
frühem Bau herübergenommen sei, darüber entscheiden 
die Steinmetzzeichen, die am zahlreichsten im Portalbogen 
sich finden und ohne Ausnahme mit denen der benach- 
barten Chortheile übereinstimmen. Dieser späte Ursprung 

V cH 2 O 

erklärt, wie Rahn sagt, ') die zierliche Eleganz der Details 
und die schlanken Verhältnisse des Aufbaues, der nach 
Art eines antiken Triumphbogens horizontal übermauert 
ist, ähnlich wie wir es auch an dem Ilauptportal des 
Grossmünsters in Zürich und am Südportal der Kirche von 
St. Ursanne beobachten. In diesem Rahmen ist aber ein 
reicher Cyclus sowohl von Einzelfiguren als von grossem 
Gruppen zusammengeordnet, die durch einen gemeinsamen 
Grundgedanken verknüpft sind: Es ist die Schildemng 
des jüngsten Gerichts, die hier, einer dem Mittelalter tief 
eingewurzelten Anschauung entsprechend, dem zum Gottes- 
hause Nahenden entgegentritt (s. Taf. VII*). 

Den Mittelpunkt des Ganzen bildet der im Tympanon 
thronende Weltrichter, in der Rechten das Kreuz, in der 
Linken ein offenes Buch, wohl das des Lebens, haltend. 
Ihm zimächst stehen Petrus mit den Schlüsseln imd ein 
anderer Heiliger, wahrscheinlich Paulus, welcher letztere 

’) Gesell, der bild. Künste, jiag. 264. 



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28 



oflfcnbar als Fürbittcr zwei w'eitere Gestalten dem Herrn 
zuführt, während eine dritte zur Seite des Petrus eine 
Thür knieend dem Herrn darbringt. Sollte das nicht eben 
der Stifter unseres Portals mit seinen Angehörigen sein, 
der auf diese Weise seiner Hoffiiung auf den Tag des 
Gerichts Ausdruck gegeben hat? 

Im engsten Zusammenhang mit dieser Gerichtsscene 
und unmittelbar imter derselben folgend steht die Dar- 
stellung der 10 Jungfrauen, durch die verschlossene Thür 
in zwei Hälften getheilt, indem die thörichten mit ver- 
verlöschten Lampen vergebens die Thür zu öffnen suchen, 
während Christus jenseits derselben mit segnender Hand 
die durch die Thür eingetretenen klugen Jungfrauen em- 
pfängt. Aussen aber in den das ganze Portal flankirenden 
Stützpfeilern, die zu diesem Zweck von je drei kleinen 
Nischen durchbrochen sind, erblicken wir die sechs Werke 
der Barmherzigkeit. Nach diesen werden die Todten be- 
urtheilt, deren Auferstehung oben in den Zwickelfeldern, 
samnit den Engeln, die mit der Posaime zum Gerichte 
blasen, zu schauen sind. Äls Fürbitter im Gericht mögen 
die beiden, links und rechts vom Tympanon in grösserer 
Gestalt dargestellten Johannes, der Täufer und der Evan- 
gelist, zu betrachten sein. (Sonst pflegt ja freilich in dieser 
Eigenschaft neben dem Täufer Maria zu erscheinen; aber 
die gleiche Gegenüberstellung wie auf unserem Portal zeigt 
z. B. auch das berühmte Genter-Altarbild). — Den Ab- 
schluss endlich des ganzen Cyklus nach unten bilden die 
nahezu lebensgrossen Gestalten der vier Evangelisten, die 
von ihren Abzeichen begleitet in den Schrägseiten des 
Eingangs stehen, als die Boten, die uns dieses künftige 
Gericht verkünden. 

Der eigenthümliche Stil, sagt Rahn, *) wodurch sich 
diese Arbeiten von den ältem im Münster befindlichen 



>) A. a. 0. S. 264. 



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29 



Reliefs unterscheiden, fällt sofort auf. Vieles spricht da- 
für, dass hier die Nachwirkungen einer fremden Schule 
vorliegen, die sich auch in den Bildwerken der Portale von 
St. Ursanne(s.Taf.VII'>) und Ncuchätel erkennen lassen, einer 
Schule, die ihre Heiraath in Frankreich hatte, wo sich im 
XII Jahrhimdert, wie es scheint von Climy aus, eine ver- 
wandte Richtung auf die burgundische Plastik vererbte. 
Die schmalen Körper, die straffen Gewänder mit den 
kleinlichen, schematisch geordneten Falten und den reichen 
Bordüren, der Typus der Köpfe und die Behandlung der 
Haare, die sorgsam gestrichelt in spitzen Massen zusam- 
menlaufen, alle diese Eigenthümlichkeiten, die besonders 
an den grössern Gestalten hervortreten, erkennt man in 
gewissen französischen Bildwerken wieder. Aber während 
jene burgundische Schule sehr bald die Fesseln sprengte 
und einen naturwahren und kraftvoll lebendigen Vortrag 
erstrebte, blieb man hier bei den starren Formen des 
altem Stiles stehen, der mit handwerksmässiger Einseitigkeit 
übertrieben und selbst da gewahrt wurde, wo es sich um 
die Wiedergabe bewegter Vorgänge handelte. 

Wir haben im Bisherigen die Gestalt des Münstei's 
zu zeichnen versucht, wie sic zu Anfang oder gegen die 
Mitte des XIU Jahrhunderte sich dem Beschauer dar- 
stellen mochte. — Aber nicht lange scheint sich diese 
erste Anlage unverändert erhalten zu haben. Denn bald 
führte die Sitte adelicher Geschlechter, um jeden Preis 
ein Begräbniss und womöglich einen eigenen Altar inner- 
halb der geweihten Mauern zu erlangen, eine wesentliche 
Umgestaltung herbei. Wir meinen die Nebenkapellen, 
welche allmählig zu beiden Seiten des Baues sich ansetz- 
ten. Dr. Fechter hat die Gründungsdaten dieser Kapellen 
bereite ausfindig gemacht. ') Die älteste ist die von Bi- 
schof Heinrich von Neuenburg 1263 gestiftete und bis 



') Neujbl. von 1850, pag. '27. 



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30 



1274 vollendete sogen. Marienkapelle, die an das erste 
Doppeljoch des nördlichen Seitenschiffs sich anschliesst und 
auch nach aussen durch das an den entsprechenden 
Strebepfeilern angebrachte Wappen der Grafen von Neuen- 
burg sich kennzeichnet. Zunächst fügte sich an diese um 
1300 die an die äussere Wand des Georgsthurms sich 
lehnende Kapelle der Mönche. Bald darauf, nach der 
andern Seite (die östliche Fortsetzung der ersten bildend), 
die 1306 von Bischof Peter von Aspelt (später Erzbischof 
von Mainz) gestiftete Kapelle, die dem zweiten Doppel- 
joch des Seitenschiffs entspricht, und schliesslich im Jahre 
1308 die Kapelle der Schaler, dem hl. Eligius geweiht 
und zwischen der vorigen und dem Querschifflügei an das 
dritte Doppeljoch angeschlossen. Wir sehen so in dem 
kurzen Zeitraum von 30 Jahren die ganze Nordseite des 
Langhauses um diese Kapellenreihe bereichert. Die Ver- 
muthung, dass dieser Anbau gleich von Anfang an in 
seiner jetzigen Gestalt aufgeführt worden sei, ist auffallen- 
derweise bisher nirgends geäussert worden. Vielmehr geht 
die herrschende Ansicht von der Voraussetzung aus, es 
hätten die erwähnten Kapellen ursprünglich ohne organische 
Einordnung in den übrigen Bau dagestanden, sie seien im 
Erdbeben zusammengestürzt und erst nach demselben nun 
als ein förmliches zweites Seitenschiff wieder hergestellt 
worden. Dagegen spricht aber für’s Erste das Material, 
aus welchem die Aussenwand dieses Seitenschiffs besteht; 
es ist dies durchweg derselbe grobkörnige röthlich-weisse 
Sandstein, der sich je mehr und mehr als charakteristisch 
für alle vor dem Erdbeben entstandenen Bautheile heraus- 
stellt. Es ist zweitens die Bildung der Fenster, die aller- 
dings durchaus gothisch, d. h. in weitem Spitzbogen ge- 
öffnet und mit prächtigem Masswerk geziert sind. Aber 
zur Zeit als jene Kapellen gestiftet wurden, stand man ja 
schon mitten in der Gothik; nur waren es noch die stren- 
gen reinem Formen der Frühgothik, die damals herrschten. 



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31 



Und diesen entsprechen denn auch die Fenster des nörd- 
lichen Seitenschiffs in jeder Hinsicht : die Pfosten, wie das 
Masswerk, zeigen in der vordem Mittellinie den llundstab, 
wenn auch ohne Kapital. Das Masswerk selbst aber ist 
genau dasjenige des spätem XIH Jahrhunderts, mit jenen 
einfachen, noch völlig ungesuchten geometrischen Motiven 
des Drei- und Vierpasses und mit den schönen Lilien an 
den einspringenden Spitzen des letztem (den sog. Nasen), 
wie wir sie beispielsweise auch an den Chorfenstern der 
Barfüsserkirche (vom Ende des XIH Jahrhunderts) be- 
wundern. Endlich aber stimmen zu imsrer Datirung auch 
die Steinmetzzeichen, die zwar nur spärlich und aussclüiess- 
lich an den Wandpfosten der Fenster sich finden. Es 
sind aber deren zwei identisch mit 
denen des grossen Mittelfensters 
der Fa?ade und sie weisen uns 
demnach, wie wir für letzteres s. Z. nachgewiesen haben, ') 
wiederum in das XIII Jalirhundert. 

Wie verhält es sich aber mit dem entsprechenden 
südlichen Seitenschiff? Die Stiftung der Kapellen der Beb- 
lenheim, Tegernau und Fröuwler, welche nach dieser 
Seite liegen, geschah zwischen 1320 und 1340, also um 
drei bis fünf Jahrzehnte später als die der nördlichen. 
Dem entspricht aber wiederum die bereits fortgeschrittenere 
Bildung der Fenster, die des Rundstabs entbehren und 
in ihrem Masswerk jenes vom Cölner Dom und von der 
Elisabethkirche in Marburg her bekannte Motiv zeigen, 
drei von den Ecken des Fensterbogens gleichsam strahlen- 
förmig zusammenlaufende stark verlängerte Dreipässe. 
Wären die beiden Seitenschiffe erst nach dem Erdbeben 
und also gleichzeitig entstanden — wie sollte sich diese 
Ungleichartigkeit der Fenster erklären? Noch auffallender 
ist aber die verschiedene Art und Weise, wie bei dieser 



*) Beiträge zur Baugesch. d. Münsters, Heft II, S. 18. 




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32 



Erweiterung des ganzen Langhauses aus einem dreischif- 
figen zu einem fünf'schiffigen mit den beiderseitigen Strebe- 
pfeilern verfahren wurde. Diese mussten sich eine Ver- 
breiterung gefallen lassen und ebenso die kleinen schon 
vorher sie durchbrechenden spitzbogigen Durchgänge. 
Aber im Norden geschah das erstere so, dass die Strebe- 
pfeiler noch über die neue SeitenschifiFmauer vorstehen und 
zwischen je zwei derselben noch ein sekundärer Strebe- 
pfeiler des Seitenschilfgewölbes sich eingliedert, während 
man auf der Südseite sich begnügte, die alten Strebepfeiler 
bis zur Aussenmauer zu führen. Die Durchbrechung dieser 
Strebepfeiler aber, um von einer Kapelle zur andern eine 
leichte Verbindung herzustellen, ward im nördlichen Seiten- 
schiff durch einfache Vergrösserung der ursprünglichen 
Spitzbogen, im südlichen dagegen durch Umwandlung der 
letztem in einen weitgespannten Rundbogen bewerkstelligt. 
Die Verschiedenheit beider Seitenschiffe erstreckt sich end- 
lich bis auf das Dach hinauf, indem dasselbe nordseits in 
gleicher Flucht aufsteigt wie das Dach des alten innem 
Seitenschiffs, während nach Süden das äussere Seitenschiff 
gegen das innere abgestuft erscheint. Da fragt sich wirk- 
lich; wie sollten alle diese Abweichungen bei einem erst 
nach dem Erdbeben unternommenen Wiederaufbau sich 
erklären ? während bei der Annahme, dass es die ur- 
sprüngliche Anlage sei, die wir heute noch vor uns haben, 
alle diese Eigenthümlichkeiten als selbstverständlich er- 
scheinen. ’) Jener Restaurationsbau wird sich demnach auf 

‘) Dass die äussern Seitenschiffe vor dem Erdbeben schon 
gestanden haben müssen, das bezeugten auch bis vor Kurzem ihre 
westlichen an die Thürme gelehnten Giebel, welche in Folge des 
Erdbebens so stark vornüber hingen, dass sie bei der gegenwärtigen 
Restauration neu anfgeführt werden mussten. (S. Baubericht vom 
J. 1882, S. 8.) 

Wir glauben aus dieser an der Westfa^ade mehrfach beob- 
achteten Uebersehiebung einzelner Bautheile über die andern und 
aus dem Umstand, dass die Erdbebenrisse am Chor und an den 



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33 



die Gewölbe dieser äussem Seitenschiffe beschränkt haben, 
indem diese allerdings, besonders in ihren baldachinartig 
gestalteten Consolen und dem Profil ihrer Rippen durchaus 
spätgothischen Charakter tragen. 

Mit der Errichtung der eben besprochenen Seiten- 
schiffe sind wir bereits dem Zeitpunkt nahe getreten, 
welcher über unser Münster, wie über unsre ganze Stadt, 
die schwerste Prüfung, die sie jemals betroffen, nämlich 
das Erdbeben vom 18. October 1356, herbeiführte. 



Der Restaurationsbau nach dem Erdbeben. 

Was ward vom Erdbeben zerstört? was blieb von 
demselben verschont? Diese Frage muss durchaus be- 
antwortet werden, ehe wir von dem, was der Restaurations- 
bau aus unscrm Münster gemacht hat, uns Rechenschaft 
zu geben suchen. Zu einem guten Theil hat indess unsre 
bisherige Betrachtung des Baues diese Antwort schon ge- 
bracht. Lesen wir die Berichte der Zeitgenossen über 
die durch das Erdbeben angerichteten Verwüstungen, 
namentlich die von l)r. Fechter mitgetheilten Ausschreiben 
der Bischöfe, in denen sie, um zu milden Gaben für den 
Wiederaufbau zu bewegen, die Folgen der Katastrophe 
schildern, dann gewinnt cs leicht den Anschein, als sei 
sozusagen Alles in Trümmer gesunken. ') 

tiuerschiffen eine mehr klaffende (iestalt zeigen, schliessen zu können, 
dass der vernichtende Erdstoss des 18. Oktober 1356 in der Rich- 
tung der Längenachse unseres Münsters, und zwar von Ost gegen 
West erfolgt sei. 

') Der Vikar des Bischofs von Constanz schreibt z. B. Ende 
Novb. 1356 : Cum igitnr ecclesia cathedralis Basiliensis ex notorio 
motu terra- . . . sit tarn destructa et devastata, (jnod nec muri nec 
angulares, campanie, indnmenta sacerdotalia, ymagines, sed nisi pauca 
ipsius eoclesi® ornamenta hujusmodi ccclesiam cathedralem decentia 
remansernnt, imo etiani omnia igne fuerunt cremata. . . . Dann der 
Bischof von Constanz im J. 1364: Cum ecclesia Basil. dudum in 

3 



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34 



Der noch heute vorliegende Thatbestand zeigt uns 
aber, dass doch die wesentlichsten Theile des Münsters die 
Stösse des Erdbebens überdauert haben: vom Lang- und 
Querhaus steht noch Alles bis zur Linie des ehemaligen 
Daches, die Seitenschiffe sammt ihren Aussenmauem in- 
begriffen. Nur an der nördlichen Mittelschiffwand ver- 
räth eine starke Ausbauchung und das Fehlen der früher 
erwähnten Bogenfries-Consolen, dass hier ein Theil eben 
dieser Wand eingestürzt war. Ausserdem weisen manche 
Stellen, namentlich die Giebelwand des nördlichen Quer- 
schilfs bis unter die Rosette des Glücksrades herab, be- 
deutende Erdbebenrisse auf, wie wir solche früher an der 
Fa^ade schon beobachtet haben. Aber Alles zusammen- 
genominen müssen wir uns wundem, dass noch so Vieles 
erhalten geblieben ist und müssen staunen über die ganz 
ungewöhnliche Solidität der ganzen Anlage. Es kam der- 
selben zu Gute, dass, wie wir oben ausgeführt haben, 
in ihr noch nicht die kühne, in der Gothik bis auf die 
Spitze getriebene, Schlankheit der Pfeiler und Schmächtig- 
keit der Mauern Platz gegriffen hatte, sonst wäre wohl 
die Verwüstung noch eine viel vollständigere gewesen. 
Zum Opfer fielen dagegen die Gewölbe, vermutlilich auch, 
theilwcise wenigstens, das Dach ; im Chor aber ausserdem 
der ganze Oberbau bis tief in die Sängergallerie hinein, 
lind dieser Einsturz, der natürlich alle Innenräume mit 
Schutt bedeckte, sammt dem hinzutretenden Brande er- 

tremendo terr® motn et ejus edificia contigua pericnlose in muris, 
tectis, parietibns et fundamentis per ipsnm terr® niotam adeo misera- 
liiliter sit collapsa, qnod etiara Canonici et Capellani ipsius ccclesi® 
indumentis saeerdotalilras, campanis, ealicibus, libris et aliis ipsius 
ecclesi» ornamentis fuerint et adhuc sint destituti ... — Noch 
1.358 bezeugt dann der Basler Bischof selbst, damals Johann von 
Vienne: ecclesia nostra nuper propter terr* motnm et ignem . . . 
heu destrncta est miserabiliter et collapsa dampnaque. intolerabilia et 
qnodammodo irrccnperabilia perpessa est. Vergl. Fechter Neujb. 
Anhang pg. 42. 



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35 



klärt dann die in jenen bischöflichen Ausschreiben so 
nachdrücklich liervorgehobene Zerstörung der ganzen Innern 
Ausstattung an Bildern, Altarzicrden, Messbüchern und 
Gewändern. 

Wir wissen, dass dem damaligen frommen und that- 
kräftigen Bischof Johannes Senn von Münsingen das Ver- 
dienst zukommt, alsbald mit einem durch das Unglück 
ungebrochenen Muth an die Wiederherstellung der Mutter- 
kirche seines ganzen Sprengels entschlossen Hand gelegt 
zu haben. Er hatte dabei das Glück in Johannes von 
Gmünd einen Werkmeister zu gewinnen, der seiner 
schwierigen Aufgabe in seltener Weise gewachsen war. 
Derselbe gehörte wohl, wenn dies auch noch nicht urkund- 
lich nachgewiesen ist, jenem berühmten Geschlechte an, 
das zuerst unter dem irrthümlichen Namen der Arier in 
der Kunstgeschichte so lange ein mystisches Dasein fristete, 
bis die richtigere Lesung einer viel umstrittenen Inschrift 
in Prag das Arier in einen Parier = Parlier verwandelte. ') 
Es wird ein Heinrich von Gmünd 1333 genannt; ein in 
demselben Jahre geborner Peter von Gmünd, der 1356 
bis 1396 am Dom zu Prag, sowie den Chor Aller Heiligen 
und die Moldaubrücke daselbst baute. Noch andere 
Glieder dieses Geschlechts übergehen wir, da Avir nur auf 
das künstlerische Erbe bindeuten wollten, das unser 
Johannes schon von Hause aus mitbringen musste. Schade 
nur, dass er so kurz in Basel blieb, wenn anders jener 
Johannes von Gmünd, den der Rath von Freiburg i./Br. 
unter ehrenvollen Bedingungen im J. 1359 als Werk- 



*) Die Inschrift im St- Veitsdom zu Prag lautet (nach Klemm, 
Württemb. Baumeister); Petrus, Henrici parleri de Colonia Magistri 
de gemunden in Suevia, seenndus magister hujns fabric*. quem 
imperator Carolus IIII adduxit de dicta civitate et fecit eum magistrum 
hnjus ecclesi* et tune fuerat annorum XXIII et incepit regere anno 
domini MCCCLVI et perfecit chorum istum ... et rexit ponteiu 
Multavie et incepit a fundo chorum in Colonya circa Alheam (Kolyn). 



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36 



meister an das dortige Münster berief, *) derselbe Johannes 
ist. Indess wäre möglich, wie dies ja auch sonst oft ge- 
schah — bei Vincenz Ensinger haben wir ein solches 
Verhiiltniss bestimmt nachweisen können — , dass der 
Meister auch von Freiburg aus noch die Oberleitung des 
hiesigen Münsterbaus geführt hätte. 

Wie es nun immer hiemit sich verhalten möge, sein 
AVerk war jedenfalls die Wiederaufrichtung des Chors, 
denn dieser musste in erster Linie dem Gottesdienste 
wieder zugänglich gemacht werden. Die Aufgabe war 
aber hier gerade keine leichte. Es galt ja nicht nur 
möglichst rasch mit den gewiss spärlich fliessenden Mitteln 
etwas Neues zu schaffen, sondern diesen Neubau, der in 
jener Spätzeit des XIV Jahrhunderts kein anderer als 
ein gothischer sein konnte, in thunlichste Uebereinstimmung 
mit den noch erhalten gebliebenen Theilen des Ueber- 
gangsstils zu bringen. Meisterhaft hat Joh. von Gmünd 
dieses Problem gelöst, und zwar in folgender AVeise 
(s. Taf. rV). Die Sängergallcrie öffnete er nach aussen 
mit jenen prächtigen Rosetten, die in solcher Neben- 
einanderstellung wohl an keinem zweiten Bauwerk sich 
finden; nach innen dagegen Hess er die grossen Bogen, 
statt sie wieder wie früher mit den dem Triforium ent- 
lehnten romanischen Arkaden halb zu verschliessen, in 
ihrer vollen AVeite offen stehen, verkleidete sic aber mit 
einem leicht aufstrebenden Stabwerk, das durchsichtig 
genug ist um überall freien Durchblick zu gewähren, und 
doch zugleich so symmetrisch gegliedert, dass die oben 
folgenden in der Breite je einer ganzen Polygonseite sich 
öffnenden Fenster des Hochchors für ihre Pfosten die 
organische Unterlage erhalten. AViederum, um diesen 
mächtigen Fenstern die volle Lichtwirkung zu sichern, 
galt es das Gewölbe so hoch wie möglich hinaufzurücken, 
und doch war die Höhe des Scheitelpunktes durch den 
*) llarmon TJ. 1. Fr. Münster in Freibnrg. 1878 S. 173. 



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schon vorhandenen Triumphbogen gegeben. Der Meister 
aber verlegte diesen Scheitelpunkt zu Gunsten seines Ge- 
wölbes um stark 2 Meter gegen Osten liin und liess die 
Rippen von da aus in so flachen Bogen nach den Ecken 
des Chorpolygons hinüberstreben, dass sie dort mit den 
ihnen zugehörigen Diensten an derselben Stelle Zusammen- 
treffen, wo auch die Spitzbogen der Fenster ansetzen. 
Da endlich die zur Stützung schon des ehemaligen Ge- 
wölbes errichteten Strebepfeiler nicht auf dieses excen- 
trische Chormittel orientirt waren, so mussten die zu ihnen 
hinüber gespannten Strebebogen eine vom wirklichen 
Radius abweichende Richtung erhalten, wie dies denn in 
consequenter Durchführung des neuen Systems in der 
That geschah. Wir haben hiemit die construktive Meister- 
schaft unseres Johannes von Gmünd uns klar zu machen 
gesucht; von der hohen ästhetischen Wirkung aber, auf 
die er es hiebei abgesehen hatte, und von dem Maasse, 
in welchem er dieselbe erreicht hat, kann keine Be- 
schreibung Rechenschaft geben; wir berufen uns hiefür 
auf den Eindruck, von dem Jeder beim Einblick in diesen 
lichten hehren Chor unwillkürlich sich übernommen fühlt. 

Wenige Jalu'c hatten zu dieser Wiederherstellung des 
Chors hingereicht, denn schon am 25. Juni 1363 konnte 
derselbe durch Bischof Senn von Münsingen, in Gegen- 
wart des eben in Basel anwesenden Peter von Lusignan, 
Königs von Cypern, sowie der Weihbischöfe von Constanz 
und Basel und der Aebte von S‘ Blasien und Beinwiler 
geweiht werden. ') 

lieber den weitern Fortschritt der Restauration von 
Osten nach Westen hin fehlen uns die Angaben. Wir 
wissen nur, dass 1381 der zierliche Lettner, welcher das 
Langhaus gegen die Vierung und den Chor hin abschloss, 
errichtet wurde. Ein architektonisches Erforderniss war 
dieser den Durchblick so empfindlich störende Einbau 

*) Fechter Neujbl. S. 20. 



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38 



durchaus nicht; vielmehi’ verdankte er seine Entstehung 
der allmälig herrschend gewordenen Sitte, den Chor — 
und zu diesem zählte damals in unserm Münster auch die 
Vierung — als die Kirche der Kleriker gegen den west- 
lichen Raum — die Laienkirche — abzuschliesseu. Gewiss 
können wir es der Restauration der 50" Jahre nur danken, 
dass sie diesen Lettner an die hiezu viel besser geeignete 
Westseite verlegt und dadurch den ungehinderten Genuss 
des gesummten Innenraums wieder ermöglicht hat. 

Mit der Ueberwölbung von Quer- und Langhaus, die 
vcrmuthlich vorläufig mit einem Kothdach waren versehen 
worden, scheint man sich nicht so sehr beeilt zu haben, 
denn erst 1399 erscheint eine bezügliche Notiz, indem in 
diesem Jahr „Couradus, dictus Niemandsnarr propter 
sculpturam SV Stephani in lapide angulari“ mit 16_/i be- 
zahlt wird. Es kann kaum etwas andres als der Schluss- 
stein im Gewölbe der Stephans-Capelle (also im südlichen 
Querschiff) gemeint sein, der ja bekanntlich das Bild des 
Heiligen noch heute zeigt. Damit stimmt die Angabe bei 
Fechter, dass vor 1850 das Gewölbe des nördlichen Quer- 
schiffs, der sogen. Gallus-Kapelle, die Jahreszahl 1401 ge- 
tragen habe. Im gleichen Jahre erhielt nämlich der ge- 
nannte Conrad Niemandsnarr für weitere Schlusssteine 
(propter sculpturam lapidum dictis (!) Slosstein) 1 ff. — 
Somit wäre erst um die Wende des Jahrhunderts das 
Gewölbe des Querschiffs vollendet worden, und von hier 
wird man dann weiter zum Langhaus und zu den Seiten- 
schiffen fortgeschritten sein. Ja von letztem waren es 
nur dieäussern sekundären, die jetzt schon ihre Vollendung 
erhielten; das Triforium, von dessen Gewölbe im Erd- 
beben nur die Gurtbogen sich erhalten hatten, bUeb in 
diesem Zustand, bis erst die Restauration von 1853 die 
fehlenden Kreuzgewölbe einsetzte. 

Was die Bedachung des Münsters betrifft, so haben 
wir darüber nur eine von Herrn Dr. Aug. Bernoulli uns 



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39 



gütigst mitgetheilte Notiz aus der Chronik des Kaplans 
Erhard von Appenwiler, die ein aufifallend spätes Datum 
bietet. Sie lautet nämlich: „Anno Di. 1461 circa Galli 
(16. Octob.) wart verdinget das münster uff bürg zii basel 
meister Hans von Tanne für 500 ff. sol man im als holtz 
weren an die stat, und sol er das abholtz nemen. — It. 
secunda post circuuicisionis (4 Janr.) anno 62 fing er an 
zu werken mit 23 Knechten. — Dominica ante Valentini 
(7. Febr.) worend 631 tagwon beschchen. Summa der 
gantzen tagwon des zimbers am münster; 3000 tag minus 
2‘/2 tag.“ 

Die hier genannten Zahlen deuten auf die Errichtung 
eines vollständigen Dachstuhls. Entweder müsste man 
nun annehmen, es sei durch irgend ein Ereigniss, d. h. 
durch einen Brand, das bisherige Dach zerstört worden; 
oder aber — da eine solche Zerstörung nirgends gemeldet 
wird — ist die Vermuthung gestattet, es sei jetzt erst, 
also hundert Jahre nach dem Erdbeben, die definitive 
Bedachung ausgeführt worden, nachdem so lange das Noth- 
dach, das wir uns ja schon vor Erstellung der Gewölbe 
errichtet denken müssen, vorgehalten hatte. 

Gerne möchten wir mm, nachdem wii’ so das Münster 
aus den Trümmern des Erdbebens wieder haben erstehen 
sehen, auch einen Blick thun in seine einstige innere Aus- 
stattung, müssen uns aber auf das Wenige beschränken, 
was die Münster-Fabrik-Eechnungen hierauf Bezügliches 
an die Hand geben. 

Schon Dr. Fechter scheint dieser Quelle entnommen 
zu haben, was er in seinem Neujbl. S. 33 über das ehe- 
malige Sakramentshaus berichtet; dasselbe muss, wie 
dies die Kegel vorschrieb, an der Nordseite des Chores 
sich erhoben haben, wahrscheinlich in Gestalt eines hoch- 
strebenden gothischen Thürmchens, wie sie jene Spätzeit 
liebte und wofür die Sakramentshäuschen im Dom zu Chur 
und in St. Lorenz in Nürnberg Beispiele bieten. Schon 



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40 



1435 begann der Bau, indem magister Johannes, der da- 
malige Werkmeister, 9 U erhielt das „werk ze rissend“ 
und verachiedene weitere Zahlungen für seine Fahrten nach 
der Steingnibe. Für die Steinmetzen sind in etwa 150 
Posten Ober 500 fif an Löhnen verrechnet, was auf die 
Grossiirtigkeit der ganzen Anlage schliessen lässt. Dass 
auch der bildliche Schmuck nicht fehlte, zeigt die Zahlung 
von 8 fl. an „Mgr. Caspar de Bern pro ymaginibus ad 
Opus prefatum“. Sifrid Faber erhielt 34 ff „umb die 
ysen gattern ze machend und um ander geschmid das zu 
dem Werk körnen ist,“ und der Maler Stöcker 8 ff, 6 
die ysen gattern ze vergulden. Es scheinen aber auch 
die Vergabungen zu diesem Werk reichlich geflossen zu 
sein, indem der Bischof 64 ff schenkte, eine Adelheid 
Pulliand zwei Ringe, welche von deren Schwester im 
Klingenthal zmückgekauft wurden und ausserdem ein rot 
corallen paternoster, das 7 fl. ein brachte. 

Glücklicher als dieses wahrscheinlich im Bildersturm 
zerstörte Sakramentshaus blieb die im Jahr 1486 errichtete 
Kanzel erhalten. Bekanntlich besitzen wir in derselben 
ein Kleinod edelster Art. Vielleicht giebt es noch primk- 
vollere aus jener letzten Zeit des ausblühenden gothischen 
Stils, aber kaum dürfte in einem zweiten Werke dieser 
Art ein organischer Aufbau von solcher Harmonie luid 
eine die Fülle des Schmuckes so wohlthuend beherrschende 
Oekonomie nachzuweisen sein. Wir stehen nicht an un- 
serm bekannten Johannes Nussdorf auch diese Leistung 
zuzuschreiben. Bereits seit 1475 war er ja der Werkmeister 
unseres Münsters ; *) und wenn auch die Fabrikrechnungen 
seinen Namen nicht ausdrücklich mit der Kanzel in Ver- 
bindung bringen, so enthalten sie doch die eine Notiz zum 
Jahre 1484 — also zwei Jahre vor Vollendung des 
Werkes — : „2 ff um 1 Centner bly zu den risstaffelen 



') Siehe Heft II dieser Mittheilnngen, S. 38. 



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zu bredij stul“, welche beweist, dass dieser , Predigtstuhl“, 
d. h. eben die Kanzel, in der Münsterbauhütte gefertigt 
\^■urde. Eine eingehende Vergleichung mit den von Nuss- 
dorf erbauten Theilen des Martinsthurmes würde auch 
gewisse individuelle Eigenthünüichkeiten des Meisters 
überall erkennen lassen. 

Veranlassung zum Bau dieser Kanzel gab wohl die 
eben im Jahre 1484 erfolgte Berufung des durch seine 
Gelehrsamkeit, wie durch seine Frömmigkeit hochange- 
sehenen Johannes Heynlin, genannt a lapide, zum Münster- 
prediger. Die Stelle selbst war erst im Jahre 1469 ge- 
gründet worden, wdc denn überhaupt die zweite Hälfte 
des XV. Jahrhunderts die Errichtung einer ganzen Reihe 
von Dompredigerstellen in Dentschland aufweist. ') Die 
Concilien von Constanz und Basel mochten den Anstoss 
zu einer erhöhten Werthschätzung der Predigt überhaupt 
gegeben haben; besonders aber hatte letztere Versamm- 

*) Vergl. darüber Histor. polit. Blätter, München 1881, Bd. 88, 
S. 86 tf. — Dort ist auch die im Landesarchiv zu Carlsruhe befind- 
liche Stiftungsnrkunde der Münsterpredigerstelle in Basel mitgetheilt, 
der wir Folgendes entnehmen : „Zum Lob und Ehre Gottes, des All- 
mächtigen, und der glorreichen Jungfrau Maria, seiner gebenedeiten 
Mutter, unserer würdigsten Patronin, und aller Himmelsburger, so- 
wie auch zur Verbreitung des rechten Glaubens, zum Seelenheile 
aller Christglänbigen und zur Vermehrung des Dienstes Gottes in 
nnserm Dom haben wir errichtet ein ewiges Predigeramt (officium 
predicandi) in diesem nnserm Dome .... Obgleich wir eine allge- 
meine Bibliothek (generalem bibliothecam) haben, so soll der zeitige 
Prediger und seine Nachfolger eine eigene Bibliothek, und zwar in 
einem dazu geeigneten geräumigen Lokale, bei sich in seiner Amts- 
wohnung haben . . . .“ 

Der aus der Reformationsgeschichte bekannte gelehrte Pfarrer 
von St. Theodor, Niki. Surgant, berichtet noch des Fernern (lib. 1, 
consid. 16): Die Domherrn in Basel haben bei der Fundation der 
Domprädikatur die Clausei beigefügt, der Domprediger dürfe sich 
nicht erkühnen, vor dem Volke den Clerus zu rügen, das könne er 
jährlich ein- bis zweimal in lateinischer Predigt thun, (Hiedurch 



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lung einen frühem Concilsbeschluss dahin erweitert, dass 
hinfort an jeder Kathedrale ein sogenannter Theologe für 
die Heranbildung des Diözesanclerus sowohl wie für die 
Unterweisung des Yolkes in der hl. Schrift angestellt 
werden müsse. ') Wir dürfen wohl annehmen, dass diesem, 
in Basel selbst erlassenen, Dekret zufolge die Stelle eines 
eigentlichen Münsterpredigers von theologischer Bildung 
gegründet und ein so hervorragender Mann, wie Joh. 
Heynlin, an dieselbe berufen worden seL Am 28. Nov. 
1484 trat derselbe laut seinen handschriftlich hinterlassenen 
Predigten sein Amt an ; am 2. Febmar 1486 sodann hielt 
er die erste Predigt auf der nunmehr vollendeten Kanzel, 
an deren Stelle, wie wir bei diesem Anlass erfahren, 
früher nur eine hölzerne gestanden hatte. 

Diese Kanzel, wie sie heute noch dasteht, macht 
ihrem Meister alle Ehre. Ueber einem siebenseitigen 
Fusse baut sie sich in Gestalt eines Kelches auf, zuerst 
mit einer leichten Einziehung, von da an aber stufenweise 
sich ausweitend, so dass die sieben Kanten jeder Stufe 
wieder über Eck sich stellen und in Bogenlinien, wie die 
Maschen eines Netzes, den Kern umspinnen, bis die Haupt- 
stufc, der oberste vertikale Theil erreicht ist, wo nun jene 
Kanten in zierliche Doppelfialen, die dazwischen liegenden 
Bogen in schlanke Kreuzblumen sich auflösen. Die ein- 
zelnen durch jenes Netzwerk gebildeten Zellen aber füllen 

löst sich zugleich die Frage, oh Heynlin seine Predigten, die alle 
lateinisch coucipirt sind, auch in dieser ISprache gehalten habe; für 
das Volk wurde offenbar nur deutsch gepredigt.) 

*) S. Herzogs Real-Eneycl. Bd. XVI, S. 13. Ein verwandtes 
Beispiel bietet die fast gleichzeitig, nämlich zwischen 1485 und 1487, 
zu Ehren des berühmten Joh. Geiler von Kaisersberg errichtete Kanzel 
des Strassburger Münsters. 

*) Die betr. Predigt (über Ecclesiast. 24, 25) ist in Heynlin’s 
Manuscript bezeichnet: Primus sermo in novo ambone, lapideo pri7uo 
ecelesi® Basiliensis in festo purificationis Mari®. Cod. Basil A. VI, 
12. Vol. 5, fol. 101. 



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sich ihrerseits wieder mit dem mannigfaltigsten, in der 
Mittelstufe sogar völlig hohl gearbeiteten, Masswerk, und 
dieses dient wiederum hie und da zur Umrahmung be- 
deutsamer figürlicher Darstellungen. 

Am Fusse sind es die leider arg verstümmelten Ge- 
stalten böser Wesen, welche wohl die durch die Predigt 
zu bekämpfenden Sünden symbolisireii. In der mittlern 
Höhe der Kanzel sodann finden sich, in die einzelnen 
Felder vertheilt, eine Reihe von kleinen Bildwerken mit 
Inschriften, die unsere besondere Beachtung verdienen, 
schon ihres sinnigen Inhaltes wegen. Auf die Jahreszahl 
1486 folgen nämlich die Sprüche: Rufe und schweige 
nicht! — Ueberweise die Sünder! — Ihr Tauben hört! 
— Ihr Blinden thut die Augen auf! — Denu es naht der 
Tag des Herrn! — Wie uns eine verdankenswerthe Mit- 
theilung des Herrn Dr. Sieber belehrt, *) war es kein anderer 
als der Prediger Ileynlin selbst, der diese Schriftstellen 
für die ihm bestimmte Kanzel ausgewählt und damit uns 
ein Zeugniss hinterlassen hat von dom ernsten Sinn, in 
welchem er sein Predigtamt auffasste. 

Aber auch Räthselhaftes bietet unsere Kanzel. Dahin 



') In den schon erwälmten Predigten findet sich nämlich 
fCod. A. VII, 8 fol. 88 v“ ) folgender Eintrag: 

Ordinavi pro ambone Basil. : 

Circum ambonem post inscriptionem anni temporis sedificii per- 
fecti. seil. A. D. MCCCCLXXXVI, seqnitur inscriptio duplex, seil, 
pro prwdicante et pro auditoribus. 

Pro prsedicante: 1. Esaj. ."iS (v. 1) Clama ne cesses. Ibi 
inanus seulpta. 

2. I Cor. (legend. Timotb.) 5, (20) Peccantes 
argne. Ibi facies apostoli. 

Pro auditoribus: 1. Esaj. 42 (18) Surdi, audite. Ibi manus 
seulpta. 

2. Ibid. et caeci, intuemini, nbi eseeus 
sculptus vel monoculus. 

3. Joel 1 (15) quia prope est dies domini. 

Genau nach dieser Vorschrift hat auch der Steinmetz gearbeitet. 



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rechnen wir vor Allem jene in der obersten Bogenkreuzung 
des mittlern Feldes dargestellte Fratze mit Flügeln und 
Krallenhändcn, dio mit dem Griffel in eine offene Rolle 
zu schreiben scheint. Prof. W. Wackernagel glaubte 
darin, mit Hinweis auf eine ähnliche Darstellung am Portal 
des Münsters zu Bonn, den Teufel erkennen zu sollen, 
wie er als „Hellegrave“, d. h. als Höllenschreiber, die 
bösen Thaten der Menschen aufzeichnet. Dazu möchten 
wir als weitern Beleg eine mit drastischem Holzschnitt 
illustrirte Erzählung aus des Ritters von Thurm Spiegel 
der Tugenden anführen, „wie der tüfel hynder der mess 
die klapperig (das Geplauder) ettlicher Frowen uffschreyb 
imd im das her ment (Pergament) zu kurz wart.“ 

Noch bedeutsamer endlich erscheint uns eine andere, 
ihres Standortes wegen kaum beachtete, Scene. Der 
oberste Kanzelrand, in Form eines Laubwerkfrieses von 
höchster Kunst des Meiseis, zeigt nämlich im Mittelfeld, 
zwischen jenes Laubwerk eingeflochten, die Brustbilder 
eines Todtengerippes und eines mit breitkrämpigem Hute 
bedeckten Mannes. Um diese beiden Gestalten aber 
schlingt sich in krausen Windungen ein Spruchband, auf 
dessen oft kaum sichtbaren, weil stark vertieften, Flächen 
eine nur mühsam zu entziffernde Schrift sich hinzieht 
(s. Taf. VUI). 

Indess gehen wir davon aus, dass der Mann, der dem 
Tode liier gegenübersteht, niemand anders sei als der 
Prediger selbst, und suchen wir aus den lesbaren Stellen 
der Schrift die unkenntlichen zu ergänzen, so ergibt sich 
als Ausspruch des Predigers: 

Stand auf yer toten, kommet vür Gericht! 
und darauf antwortet der Tod: 

du must auch hervür! 

In dem Ruf des Predigers haben wir eine prägnante 
Zusammenfassung dessen zu erblicken, was ihm zu ver- 
kündigen befohlen ist. Auknüpfend an das „Nahe ist der 



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Tag des Herrn“, das wir unten lesen, mahnt er seine 
Zuhörer an den Ruf, der dann, wenn der Tag des Herrn 
da ist, an die Todten alle ergehen wird. *) Aber damit 
er nicht vergesse, dass dann kein Unterschied des Standes 
gelten wird, dass gerade derer, die Andere ermahnt haben, 
um so grössere Verantwortung wartet, fällt ihm der Tod 
in die Rede mit seinem unerbittlichen: Du musst auch 
herfiir! — Wir denken dabei an die in den Todtentilnzen 
jener Zeit so beliebte Anspielung auf die auch des Predigers 
nicht schonende Allgewalt des Todes. Und liegt etwas 
der Art in der Absicht unseres Bildes, dürfen wir dann 
nicht von unserer Kanzel sagen: sie dient nicht nur der 
Predigt, sondern sie selber ist eine laut redende Predigt, 
die heute nach 400 Jahren von ihrer Wahrheit noch nichts 
verloren hat. 

Unser Gang durch das Münster wäire hiemit beendet. 
Aber wer bis hielier uns gefolgt ist, den möchten wir gerne 
noch einen Schritt weiter, hinaus in den herrlichen Kreuz- 
gang führen. 

Oer Kreuzgang. 

Als den ältesten Theil desselben haben wir den 
vordem, den sogen, gi-ossen Kieuzgang anzusehen; denn 

') Diese Worte kehren in den mittelalterlichen Darstellungen 
des Jüngsten Gerichts so häutig wieder, dass sie in dem damaligen 
Leser sofort die Erinnerung an dieses Gericht wach rufen mussten. 
Von solchen Darstellungen erwähnen wir, als die uns nächstliegenden, 
die Handzeiehnung Xr. 141 unserer öffentl. Kunstsammlung und 
einen anonymen Kupferstich des XV Jahrhdts (ebenda Bd. K, VI, Ih 
Ferner das grosse Frescogemälde im Münster zu Ulm, sowie ein 
Glasgemälde in einer der dortigen Seitencapellen, wo überall der 
Ruf: „Steht auf, ihr Todten, kommt vor Gericht“ einem der 
posaunenden Engel in den Mund gelegt ist. Besonders aber die von 
Prof. K. Schmidt kürzlich veröffentlichte Beschreibung eines ehemals 
in Strassbnrg vorhandenen Jüngsten Gerichts. fBeiträge zur vaterl. 
Gesell, neue Folge Bd. II. Heft 1, Basel 1884, S. 8.) 



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in derselben Ausdehnung wie heute muss er schon gleich- 
zeitig mit dem Münsterbau von 1185 errichtet worden 
sein. Darauf deuten die an den jetzigen Gewölbediensten 
noch vorhandenen Basen, die durchaus romanisch, in dem 
zwischen Chor und Bischofshof gelegenen östlichen Flügel 
sogar völlig identisch sind mit den überaus zierlichen 
Säulenbasen des innern Chores. Als ursprüngliche Be- 
standtheile haben wir wohl auch die weitgespannten Rund- 
bogen zu betrachten, die auf starken quadratischen Pfeilern 
ruhend den eben genannten Flügel von der grossen, die 
beiden Kreuzgänge theilenden Halle scheiden. Diese 
Bogen bezeichnen die Höhe der ehemaligen romanischen 
Ueberwölbung und ebenso die Höhe der Bogenöffnungen, 
mit denen einst nach dem Begräbnissplatz hin säminlliche 
drei Flügel durchbrochen waren. 

Vermuthlich war es das Erdbeben, das auch diesen 
Kreuzgang niederwarf und nur die erwähnten Reste übrig 
liess. Zu einem neuen Aufbau scheint aber liier erst ge- 
schritten worden zu sein, nachdem das Münster selbst der 
Hauptsache nach wieder hergestellt war. Denn als ältestes 
Datum erscheint die an dem schon genannten östlichen 
Flügel angebrachte Jahrzahl 1429. Mit diesem Flügel 
muss der Neubau begonnen und von da durch den näch- 
sten südlichen bis zum letzten westlichen Flügel sich fort- 
gesetzt haben; denn hier begegnen wir an der Thür, die 
von der Ecke des Münsterhofes her in den Kreuzgang 
führt, der Jahrzahl 1460, die wir wohl als den Vollen- 
dungstermin der Mauern zu betrachten haben. Die Ge- 
wölbe dagegen und das reiche Fenstermasswerk scheinen 
erst etwas später nachgeholt worden zu sein. In seiner 
Rechnung für das Jahr 1442 verzeichnet der Fabrik- 
meister unter den exposita in edificiis in ambitu : Das gerüst 
und die bokstal ze machen 36 tagwen. — Aber hab ich köft 
IV 2 centner bly, kostet 6 ff zu den kenern und zu den 
gewelben ze vergiessen. — It. dem jungen hanfstengel das 



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bly zerlassen f)ß. — It. der moler kam zu mir in angaria 
penthecoste, do hat ich in by mir in minen kosten unz 
bartholomei, und verdinget umb die gewelbe in dem crütz- 
gang und übergulden und gab im zc Ion 3 ff, 5 /?. — It. 
hab geben 12 ff umb 3 büch schön golt zu dem crütz- 
gang und zu der suilen do die heiligen uffstont. ’) Wir 
sind hiermit wieder zu dem östlichen Theil des grossen 
Kreuzgangs geführt; und wie der Bau desselben von hier 
gegen Süden und Westen fortgeschritten war, so mag auch 
die um ein Jahrzehnt später begonnene Ueberwölbung 
denselben Gang genommen haben. Denn im Jahre 1471 
noch begegnen wir in der Münsterrechnung einem auf 
diesen Gewölbebau bezüglichen Posten. Unter den Ex- 
stanzen figurircn nämlich: Dominus Adolfus de Hatstatt 
archidecanus mit XX fl.; Doms. Caspar de Rheno eustos 
mit XI fl.; Doms. Henricus de Andlow mit 1 ff, und 
Doms. Henricus Rieh mit VIII fl., die jeder ,pro sua 
testudine“, also für sein Gewölbe schuldet. Es lässt dies 
vermuthen, dass die genannten Herren, und wahrschein- 
lich auch die übrigen Mitglieder des Domcapitels, für je 
ein Gewölbejoch die Kosten übernommen hatten. Und 
wenn wir nun die Wappenschilde dieser Stifter in den 
Schlusssteinen der Gewölbe prangen sehen, so werden wir 
w ohl in denselben jedesmal die von dem Betreffenden ge- 
stiftete testudo zu erkennen haben. Nun findet sich aber 
von den vier genannten einzig das Wappen der Riehe von 
Reichenstein in dem südlichen, an den Bischofshof ge- 
lehnten Flügel, die übrigen dagegen im westlichen, d. h. 
in jenem Flügel, den wir oben schon als den zuletzt voll- 

*) Es ist dies die den Betsaal stützende Mittelsäulc in der grossen 
Halle zwischen beiden Kreuzgängen, die auch in dem von Herrn 
Archivar Dr. R. Wackernagel kürzlich in Carlsruhe aufgefundenen 
„Gräherhnch des Münsters“ öfters erwähnt wird als die „sul mit 
den vier bilden“. Die Dollenlöcher, in denen die im Bilderstürme 
zerstörten Figuren befestigt waren, sind noch sichtbar. 



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endeten kennen gelernt haben; und es bestätigt sich somit, 
dass auch hier die Ueberwölbung erst zehn Jahre nach dem 
Aufbau der Mauern erfolgt sei. 

Laasen wir über das Ganze einen competenten Beur- 
theiler sich aussprechen. „Dieser grosse westliche Kreuz- 
gang,“ sagt Herr Prof. R. Kahn, *) „ist unter allen derar- 
tigen Anlagen, welche die Schweiz besitzt, die eleganteste 
und schmuckvollste. Man lernt hier die spätgothische 
Steinmetzenkunst in ihren glänzendsten Leistungen kennen. 
Jeder der drei Gänge zeigt neue Gewölbeformen, hier ein- 
fache Stern- oder Netzgewölbe, reichere Muster von künst- 
lich verschlungenen Rippen dekoriren die Gewölbe über 
den Winkeln, am schönsten aber den Theil des westlichen 
Flügels, von dem man in das anstossende Münster ge- 
langt: von dünnen Ecksäulen getragen, geschweift und 
vielfach sich kreuzend, bilden die Rippen einen Stern 
und wachsen in demselben zur vierblättrigen Rose zusam- 
men. Den Reiz dieser künstlichen Formen erhöht die 
polychrome Ausstattung der Schlusssteine imd Rippen und 
der Schmuck der Wände mit zahlreichen Grabsteinen und 
Epitaphien. Ueberall endlich öffnen sich die köstlichsten 
Durchblicke, hier in der Nähe zum Münster, in’s Grün 
und nach den dimkeln Hallen, und dort, in den östlichen 
Theilen, nach dem Rhein, der tiefgebettet an den Thürmen 
und Mauern Kleinbasels vorüberwogt.“ 

Von diesen östlichen Theilen haben wir bereits der 
grossen Halle gedacht, über welcher jetzt der ehemalige 
Betsaal sich erhebt. Ursprünglich aber stand hier gegen 
den Rhein hin die Schule des Domstiffs, ^ bis im Jahr 
1362 Bischof Johannes Senn, und durch eine zweite 
Schenkung Bischof Humbert von Neuenburg denjenigen 
Theil des bischöflichen Gartens, der an den schon be- 



*) Gesch. der bild. Künste in d. Schweiz, S. 475. 
•) Fechter Nenjbl. von 1850, S. 36. 



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stehenden grossen Kreuzgang und an die NikolauscapcUe 
sich anlehnte, der Münsterfabrik zur Erweiterung des Be- 
gräbnissplatzes abtraten unter der Bedingung, dass die 
Fabrik (d. h. die Bauverwaltung) im obem Thcil „eine 
Stube, zwei Kammern und ein Relbktorium errichte.“ 
Vermuthlich wurden diese Gelasse bereits auf einem über 
die jetzige Halle gelegten Boden angebracht und später 
scheinen sie zu einer Bibliothek umgebaut worden zu sein. ') 

Der an die Halle anstossende kleine Kreuzgang aber 
mit seinen auf den lihein sich öfifnenden Fenstern wurde 
jedenfalls erst später erbaut und 1487 und 1488 über- 
wölbt. Die ersten Ausgaben der Fabrikrechnung ad no- 
vum ambitum erscheinen 1467. Die Hauptarbeit fiel dem 
von 1470 bis 75 am Münster thätigen Magister Vincenz 
Eusinger zu, der gleichzeitig als Werkmeister am Dom 
zu Constanz baute; und sein Werk, wenn auch in ein- 
fachem Formen gehalten als der grössere w'estliche BLreuz- 
gang, bietet doch seine besondern Vorzüge. Herr Prof, 
liahn sagt darüber:“) „Den länglicht rechteckigen Hof 
umgibt auf drei Seiten eine gewölbte Halle, den west- 
lichen Abschluss auf der vierten bilden die nach dem Be- 
gräbnissplatz der Domherrn imd Capläne geöffneten Rund- 
bögen. Die schlanken Stützen, zwischen denen sich die 
Hallen öffnen, sind zierlich gegliedert, wie die spitzbogigen 
Arkaden, welche unmittelbar aus denselben hervorwachsen. 
Gegen den Friedhof werden die Pfeiler, mehr zur Zierde 
als der Stützung wegen, von kurzen übereck gestellten 
Stroben begleitet. Vor der andern Schmalseite der Pfeiler 
ist eine dünne Halbsäule angebracht, aus welcher die 



*) 1467 erhält eine Frau von Mülhausen, die das glasfenster 
machte in der librarle, pro bibalibus 5 j3. — In dem schon erwähnten 
Gräberbnch heisst die Wendeltreppe des Betsaals: „der Schnecken der 
in die libery godt.“ 

*) Vergl. Heft II unserer Mittheilnngen, S. 33. 

’) fiesch. d. bild. Künste, S. 474. 

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Rippen ohne Kapitale sich lösen. Einfache Kreuzgewölbe, 
an den Umfassungsmauern von hochschwebenden Consolen 
getragen, bedecken die Gänge.“ Wir haben dieser Schil- 
derimg nichts beizufugen als etwa den Hinweis darauf, 
wie der genannte Kreuzgang als offene Halle behandelt 
ist, indem weder die Pfeiler durch eine Brüstimg imter 
sich verbunden, noch die Bogen mit einem Fenstermaass- 
werk gefüllt sind. Dadurch ist der ganzen Anlage eine 
luftige Durchsichtigkeit gewahrt, wüe sie sonst nur etwa 
in italienischen Kreuzgängen sich findet. 

Die Kreuzgänge dienten bekanntlich zum Begräbniss 
der zur Kirche gehörigen Kleriker (der Canoniker bei 
Stiftskirchen, der Conventualen bei Klöstern), dann aber 
auch für alle, die diu-ch irgend eine besondere Stiftung 
sich das Recht zu einer so bevorzugten Grabesstätte er- 
worben hatten. Das schon erwähnte Gräberbuch gewährt 
einen Einblick in die ehemalige Gestalt unseres Münsters, 
indem es von einer grossen Anzahl von Grabstätten nicht 
nur die Eigenthümer, sondern die sie kennzeichnenden 
Wappenschilde aufführt. Manche der genannten Stätten 
müssen aber noch durch besondere Zierden sich ausge- 
zeichnet haben. In der Falkeisen’schen Bibliothek ist die 
Kopie eines Wandgemäldes aufbewahrt, welches einst die 
Grabnische in der rheinseits gelegenen Ecke des kleinen 
Kreuzgangs schmückte und die Glieder der dort ruhenden 
Familie der Spitz, ') andächtig vor dem Gekreuzigten 
knieend, darstellte. 

Von einer andern nicht mehr vorhandenen Stiftung 
im Kreuzgange berichtet uns eine Urkunde, die wir der 
gefälligen Mittheilung des Herrn Dr. E. His verdanken 
und welche besagt, dass noch im Jahr 1514 Frau Maria 
Zscheckabürlin im Krützgang by der bildniss unser 



') AVursfisen Chronik. S. 244. 



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1. frowen ') by der tür, do man in unsere gnädigen herrn, 
des Bischofs zu bascl, hof gat, *) einen Altar unter folgenden 
Bedingungen errichten Hess: denselben altar mit einer 
geschnitzten taffel zierlichen ze versehen, auch den schwyb- 
bogen ze verenderen und einen nüwen mit einem usszug 
von steinwerk ze machen, also dass ob dem schwybbogen 
das bild unser 1. frowen daselbs in die muren in einem 
tabemakel, damit es allezyt augenschinlich stände, gesetzt 
werde; desglichen von demselben altar by irem und irer 
vordem (Vorfahren) begräbniss ein ewig liecht gestifften, 
auch ein Fenster daselbs mit einem gemalten glaswerk 
von figuren imser 1. frowen und ouch ander gezierden darzu 
gehörig ze machen. 

Aber alle diese Denkmäler mocliten noch bescheiden 
zurückstehen hinter dem prunkvollen Grabmonument; 
welches Bischof Christoph von Utenheim seinem ritterlichen 
Neffen Wolfgang im Jahr 1501 an der Westwand des 
Kreuzgangs errichten liess, das aber heute leider nur noch 
als arg verstümmelte Ruine vor uns steht. Bekanntlich 
ward dieses Kunstwerk, von dessen Vorhandensein Nie- 
mand eine Ahnung hatte, erst bei Gelegenheit der jüng- 
sten Restauration im Jahr 1870 wieder entdeckt, wobei 
sich zugleich herausstellte, dass nicht sowohl die Wuth 

') Dieses Marienbild, das auch im (iräberbuch öfter erwähnt 
ist, muss an einem Pfeiler der den Betsaal stützenden Bogenreihe 
gestanden haben. 

*) Die Thür zum Bischofshof, die nunmehr vermauert ist, lässt 
sich nicht mehr auffinden. In dem zierlich profilirten Bogen aber, 
der gemeinhin für jene Thür angesehen wird, glauben wir vielmehr 
den in obiger Urkunde genannten Usszug in Steinwerk, d. h. die 
noch stehengebliebene Umrahmung des ehemaligen Zschekabürlin 
Altars erkennen zu sollen. So erklärt sich, warum gerade die beiden 
gegenüberliegenden Fensteröffnungen, und diese allein unter sämmt- 
lichcn Fenstern des grossen Kreuzgangs, noch die Fälze einstiger 
Verglasung zeigen: da wird eben das oben genannte gemalte glas- 
werk gestanden haben. 



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des Bildersturms als vielmehr das kalte Nützlichkeits- 
prinzip einer viel spätem Zeit die Hauptschuld an der 
jämmerlichen Zerstörung trage. Denn mit allem Bedacht 
muss die herrliche Skulptur erst bis zu einem gewissen 
Niveau weggemeisselt und dann in ihren Vertiefungen 
mit Mörtel ausgefüllt worden sein, wobei die abgeschla- 
genen Gliedmassen und Steinsplitter als Füllmaterial 
dienten, bis die glatte Wandfläche hergestellt war, deren 
man bedurfte, um für eine Anzahl geschmackloser Grab- 
platten, vielleicht sehr unbedeutenden Namens, die passende 
Unterlage zu gewinnen. Und doch, was jener Vandalis- 
mus noch übrig gelassen hat, ist in seiner Dürftigkeit noch 
reich genug, um uns mit Bewimderung zu erfüllen. 

In Form einer spitzbogigen Nische, welche die ganze 
Weite eines Joches einnimmt, war dieses Epitaph mit zahl- 
reichen Figuren geschmückt und wie ein Altarschrein mit 
Gold und Farbe prächtig ausgestattet. In kräftigem Re- 
lief, das stellenweise fast rund gearbeitet ist, nimmt der 
Gekreuzigte zwischen den Schächern die Mitte ein, wäh- 
rend zu seinen Füssen die Kriegsknechte um den unge- 
theilten Mantel losen — letztere Gruppe für sich allein 
schon ein Kleinod naturwahrster Darstellimg. Dieses mitt- 
lere Kreuz steht erhöht auf einem viereckigen Aufbau, 
unter welchem in einer flachbogigen Kapelle mit zierlichem 
Rippengewölbe vor einem goldgewirkten Wandteppich der 
verstorbene Jüngling in voller Kriegsrüstung kniet, neben 
sich das Wappenschild mit dem von langwallendem Haar 
bedeckten Kopf, der bekannten Helmzierde der Utenheim. 
Seitwärts stehen die wehklagenden Frauen, unter welchen 
Maria Magdalena an ihrem goldenen Haarschmuck und 
ihren zum Kreuz emporgehobenen Händen noch am deut- 
lichsten zu erkennen ist, während gegenüber der Ilaupt- 
mann Longinus sein: „vere filius Dei erat“ ausruft und 
neben ihm S. Andreas mit dem Kreuz und S. Barbara 
mit dem Thurm stehen. Eine tiefgekehlte Archivolte um- 



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Bchliesst das Ganze, mit Statuetten ausgesetzt, die von 
Tabernakeln überragt und getragen werden. Prof. Rahn, 
dem wir schon in dieser Beschreibung des Grabmonu- 
ments im Wesentlichen gefolgt sind, sagt darüber: ') 
„Ein Denkmal von wahrhaft künstlerischer Bedeutung, 
kann dasselbe so ziemlich als Repräsentant des Besten 
gelten, was die heimische Plastik vor dem Ende der 
gothischen Aera zu leisten vermochte. Es zeigt, wie die 
Mehrzahl derartiger Werke, die völlige Auflösung des Re- 
liefstils in das Malerische, den knitterigen und klein- 
brüchigen Wurf der Gewänder und einen Realismus, der 
sich beispielsweise in den unglaublich verrenkten Gestalten 
der Schächer bis zum Hässlichen steigert, dabei aber doch 
wieder, wie die schönen süssmclancholischcn Köpfe zeigen, 
eines edeln tief empfundenen Ausdrucks fähig ist.“ Mit 
der Kunst des Meisseis wetteifert hier die des Pinsels. 
Soweit die noch vorhandenen Spuren erkennen lassen, 
waren sämmtliche Hauptfiguren mit einem brokatartigen 
Lcibgewand bekleidet, das stellenweise imter dem Mantel 
hervortritt und dessen jedesmal wieder anders behandelte 
Damastzeichnimg von einer Technik der Malerei zeugt, 
die geradezu in Erstaunen setzt. 

Der Name Utenheims, dieses letzten Bischofs vor der 
Reformation, hat uns bis an die Schwelle der Zeit geführt, 
die nun mit einem Mal unserem Münster eine neue Be- 
stimmung und damit auch eine von allem römischen 
Wesen gereinigte Gestalt geben sollte. Mit rauher Hand 
haben die Bilderstürmer diese Reinigung vollzogen, und 
fast ein Jahrhundert ging vorüber, ehe man sich daran 
machte das Verschontgebliebene einigermassen wieder in 
Stand zu setzen. (S. in Heft I der Beiträge: die Ge- 
schichte dieser Restauration von 1597 durch Herrn Dr. 
R. Wackemagel.) Aber unserer Zeit erst blieb es vorbe- 

*) A. a. 0., S. 719. 



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halten mit dem neucrwachtcn Vcrständniss für die Kunst 
des Mittelalters auch unser Münster in seiner lange ver- 
kannten Bedeutung zu würdigen. Auf eine Restauration 
des Innern in den 50er Jahren folgte 20 Jahre später die- 
jenige des Kreuzgangs und endlich die gegenwärtige, die 
der theilweise argen Zerrüttung des Aeussem ein Ziel 
setzen wird. Nur wenige Jahre noch — und der herr- 
liche Bau wird in seiner ursprünglichen Schönheit wieder 
vor uns stehen. Sollten die vorliegenden Blätter etwas 
dazu beitragen können, den Eifer imd die Freude derer, 
die zum Werke die Hand geboten haben, zu vermehren, 
so haben sie ihre Bestimmung erfüllt. 



Anhang. 

Oie Steinmetzzeichen des Münsters. 

Schon dem Heft II unserer Mittheilungen hatten wir 
eine Auswahl der an der Fagade des Münsters vor- 
kommenden Steinmetzzeichen boigegeben. In den nach- 
folgenden Tafeln IX und X fügen wir der Vollständigkeit 
wegen auch die an den übrigen Theilen des Münsters 
beobachteten Zeichen hinzu, indem bei der Altersbestim- 
mung der einzelnen Bautheile das Zeugniss dieser in Stein 
gehauenen Sprache durchaus mitberücksichtigt werden 
musste. Seitdem einmal feststeht, dass jedes einzelne 
Zeichen einem bestimmten Arbeiter zugehört, ist es nicht 
nur erlaubt, sondern geradezu geboten, diejenigen Theile, 
welche gleiche Steinmetzzeichen aufweisen, als gleichzeitig 
entstanden zu betrachten. Wo neue Zeichen mit den 
an einem altem Theile schon beobachteten sich mischen, 
da ist anzunehmen, dass der Weiterbau in ununterbrochener 



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Folge und noch während desselben Menschenalters statt- 
gefunden habe. Dieser Schluss erscheint um so sicherer, 
je stärker der Prozentsatz der aus jener ersten Bauperiode 
noch sich forterbenden Zeichen ist. 

Wenden wir die eben erörterten Sätze, nach denen 
Prof. Adler (s. deutsche Bauzcitung Jahrg. 1881) zuerst 
die Bauperioden des Münsters in Freiburg i. B. bestimmt 
hat, auf unser Basler Münster an, so ergiebt sich folgendes: 
Der Bau nach dem Brande von 1185 begann am Chor 
mit 16 Steinmetzen, denn so viele Zeichen weist der 
letztere schon in seinen untern l'hcilcn auf. (Es sind die 
Zeichen 1 — 13, 17, 19, 22 unserer Tafel IX.) ') Je weiter 
wir vom Chor aus nach Westen fortschreiten, um so mehr 
bleiben einzelne jener 16 frühesten Zeichen aus und um 
so zahlreicher treten neue, am Chor noch nicht beobachtete, 
' an deren Stelle. Das Quorschiff zeigt von jenen 16 frühem 
noch sechs (Nr. 1, 3, 5, 7, 11, 17), daneben aber bereits 
fünf neue (Nr. 15, 16, 18, 21, 28). Aber auch an den 
Hochwänden des Langhauses kommen in der östlichen 
Hälfte noch acht der ältesten Zeichen vor (Nr. 1, 3, 5, 
7, 11 — 13, 22), dazu treten aber fünfzehn neue (Nr. 14, 
19, 20, 23 — 27, 29—35). Es unterliegt somit kaum einem 
Zweifel, dass Chor, Quorschiff und die östliche Hälfte des 
Langhauses von 1185 beginnend in einem Zuge und 
innerhalb eines Menschenaltors errichtet worden sind. 
Diesem raschen Fortschritt des Baues entspricht die ver- 
hältnissmässig grosse Zahl der gleichzeitig arbeitenden 
Steinmetzen. 

Völlig neue Zeichen (Nr. 36 — 42) treten dann an den 
äussern Seitenschiffen auf, wie es auch zu erwarten steht, 

*) Wir haben in unser Verzeichniss nur die deutlich erkenn- 
baren Zeichen aufgenoinmen ; einige derselben sind den Notizen ent- 
lehnt, welche Herr .\rchitekt Riggenbaeh anlässlich der Restauration 
des Innern vor der Beseitigung der einst auch dort zahlreich vor- 
handenen .Steinmetzzeichen aufgenommen hat. 



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56 



da diese Anbauten erst um 1300 entstanden sind. Fällt 
aber hier schon die im Vergleich mit den altern Theilen 
sehr verminderte Zahl solcher Zeichen auf, so verschwin- 
den dieselben vollends beinahe gänzlich an den gleich 
nach dem Erdbeben errichteten Theilen des Chors und 
des Langhauses. Erst mit dem Beginn des XV. Jahr- 
hunderts, mit dem Bau des Kreuzganges werden sie wieder 
zahlreicher. Ein Blick in unser Verzeichniss wird zu- 
gleich klar machen, welche Umwandlung in der Bildung 
dieser Steinmetzzeichen vom XU. bis zum XV. Jahr- 
hundert sich vollzogen hat. Es scheint diese Umbildung 
nach denselben Gesetzen erfolgt zu sein wie die Wande- 
lung des Baustiles selbst, indem dort wie hier rein geo- 
metrische Combinationen immer mehr die lebensvollen in- 
dividuellen Gebilde einer frühem Zeit verdrängen. 



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Taf. I 



GRUNDRISS 

Romanische Bautheile^ 

[ 1 Nicht mehr vorhandene 

romanische Bauthei le.^l 
I Gothische 
Bautheile . 




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QUERSCHNITT DURCH DAS LANGHAUS VOR 




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Paf Ui 







CHORANSICHT VOR DEM ERDHHBEN 




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Taf. IV 




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JETZIGE CHOR-ANSICHT 



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Taf.V 




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ALTAR- TA FEL. 



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Taf . VI 





VINCENTl US -TAFEL 



AP0S1EI TAH-.L 



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Taf. vn 





PORTALvonS’’URSANNE (JURAl 



CALLUSPFORTE 



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Taf.VlII 




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KANZEL- FRIES. 




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Taf. IX 



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CKor und duerscKiff um 12.00. 



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Taf. X 



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90 91 93- 93 94 

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Im gleichen Verlage sind erschienen: 



Beiträge zur Geschichte 

des 

Basler Münsters 

Heft I. 

Die Restauration von 1597 

T i 

von 

Rudolf Wackernagel. 

8. geh. Fr. 1. 

, ' - ^ Heft II. 

Zur Baugeschichte der Fac*ade 

von 



E. LaRoche, Pfarrer. 



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