Beiträge zur Geschiehte
de«
Basler Münsters
heransgegeben vom
Basler Mtiiisterbauvereiii.
I.
Die Restauration von 1597.
Von
Rudolf Wackernagel.
BASEL.
Benno Schwabe, Verlagsbuchhandlung.
1881 .
Digilized by Google
Die nachfolgende Arbeit über die Münsterrestauralion
von 1597 wurde im vergangenen Winter der liiesigen
liistorischcn und antiquarischen Gesellschaft vorgetragen.
Sie ist namentlich geschöpft aus den Quellen des Staats-
archivs und des Kirchenarchivs; für die Erlaubnis, letzteres
zu benutzen, ist der Verfasser Herrn Antistes Stockmeyer
sehr zu Dank verpflichtet.
Die mehrfach erwähnten Abbildungen des Münsters
von lünglin und von Büchel befinden sich in der Biblio-
thek des Antistitiums. Das erstere Bild ist für die Ge-
schichte der hier geschilderten Restauration von hohem
Werthe, und es lag daher im Plane, eine Reproduction
desselben dieser Schrift beizulegen; doch war aus äussern
technischen Gründen die Ausführung für dieses Mal nicht
möglich.
Der Verfasser wurde durch den verehrlichen Vorstand
des Münsterbauvereins ersucht, seine Arbeit unter der
Herausgabe und zu Gunsten des Vereins zu veröffentlichen,
und es geschieht dies hiermit, als Eröffnung einer Reihe
unter gemeinsamem Titel erscheinender kleinerer Publica-
tionen, zu deren Lieferung mehrere Freunde und Kenner
unsers Münsters sich bereit erklärt haben.
Basel, im Mai 1881.
Digitized by Google
Eine Münsterrestauration, so umfassend, wie sie seit
Jahresfrist an unserm Münster begonnen hat, weekt das
Verlangen zu wissen, wann und in welcliem Masse der-
artige Arbeiten auch schon in früherer Zeit vorgenoinmen
worden seien. Man findet an dem Gebäude Spuren einer
ihm schon früher erzeigten Sorgfalt, einer nachhelfenden,
ausbessemden, erhaltenden Hand, und man ist begierig
zu erfahren, in welcher Zeit dies geschehen sei, seit wann
derjenige Zustand des Bauwerkes datiere, an welchen mit
der jetzigen Erneuerungsthätigkeit herangetreten wird. Ja
noch mehr. Man will sich auch belehren über die Gründe
und Zwecke solcher vormaliger Restaurationen, über die
Tendenzen und ästhetischen Meinungen, die bei ihnen ge-
waltet haben, und über die Art der Verwirklichung dieser.
Eine solche Belehrung wird vorwiegend historisches und
antiquarisches Interesse haben; sie kann aber auch von
practischem "Werthe sein, insofern sie Aufschlüsse giebt
darüber, was frühere Geschlechter im gleichen oder ähn-
lichen Falle, in welchem heute wir uns befinden, gethan
haben.
Empfindungen dieser Art haben mich veranlasst, den
Quellen d. h. (vorwiegend) zeitgenössischen imd unter diesen
hauptsächlich officiellen Aufzeichnungen über die frühem
hiesigen Münsterrestaurationen nachzugehen, und nament-
lich war cs mir darum zu thun, Zeugnisse über Art und
Wesen derjenigen dieser Restaurationen aufzusuchen.
Digilized by Google
6
von welcher da und dort bemerkt wird, dass sie im
Jahre 1597 stattgefunden habe. Bei diesem Nachforschen
ergab sich mir sowohl ’ im Staatsarchiv als im Archiv
des Antistitiums eine an Zahl wie an innerer Bedeutung
die Erw'artung übertrefFende Actcnsammlung, über welche
auf den nachfolgenden Blättern referiert werden soll.
Kurz vor ihrem Untergänge erst hat die katholische
Kirche zu Basel ihr vorzüglichstes Gotteshaus, das Münster,
ganz fertig erstellt. In dem Zustande der Vollendung,
zu welchem die langsame Arbeit von mehr als einem
Jahrhundert nöthig gewesen war, diente das Münster nur
noeh wenige Jahre dem alten Cultus. Dieser ward gezwun-
gen, die Stätte zu verlassen, in welche nun der reinere
Gottesdienst seiner Gegner einzog.
Freilich gieng diese Besitznahme nicht unwidersprochen
vor sich und der Besitz selbst dauerte nicht weiter ohne
fortgesetzten Protest und wiederholten Rechts Vorbehalt von
Seiten des Domcapitels gegenüber dem Rath der Stadt
Basel. Auch nachdem der Streit mit dem Bischof ge-
schlichtet und abgethan war, hatte die Stadt mit dem Ca-
pitel noch immer zu verhandeln. Dieses beharrte steif
auf seinen Forderungen und verwarf alle Vorschläge, alle
Anerbietungen des Raths, mit denen dieser es zu der
Erklärung veranlassen wollte, dass alle Einkünfte und
Renten, alle Ornaten, Häuser und Höfe des Capitels, und
vor allem das Münster vollkommenes Eigenthum der Stadt
sein und bleiben sollten. Die Verhandlungen über diesen
Punkt zogen sich noch ins 17. Jahrhundert hinüber, bis
endlich der Rath beschloss, dem Capitel auf seine An-
sprachen gar nicht mehr zu antworten.
In solcher Weise gieng das Münster an die Stadt über,
und diese übernahm mit dem Recht der Benutzung auch
die Pflicht der Erhaltung und getreuen Besorgung. Zu
Bestreitung der hiezu nöthigen Ausgaben diente jedoch
keineswegs der gemeine Stadtseckel, sondern man be-
Digitized by Google
7
stimmte dafür (neben andern Bestimmungen) das noch
vom Domstift herrülircnde als sog.: „Cammerei auf Burg“
abgesondert bestehende Vermögen,^ welches unter der
Aufsicht der vom llathe gewählten Münsteri)Heger stand
und durch einen eigenen Schaffner verwaltet wurde.
Es dauerte nicht sehr lauge, bis dem neuen Besitzer
des Münsters der Anlass zur Ausübung einer solchen dem
Gebäude gewidmeten Sorgfalt geboten wurde.
Die Arbeiten der alten katholischen Münsterfabrik
hatten, abgesehen von den stehenden Vorrichtungen, welche
der Cultus und die ökonomische Verwaltung erheischten,
in erster Linie dem Ausbau des Münsters gegolten. Sie
hatten vorzugsweise bestanden in Ergänzung der noch
fehlenden grossem oder kleinern Bauteile. Aber neben
dieser productiven Arbeit wurde sicherlich nicht in aus-
gedehntem und erforderlichem Masse auch die conservative
Thätigkeit des blossen Ausbesserns und Unterhaltens ge-
übt. Wenigstens enthalten die Fabrikrechnungen nie einen
auf solche Arbeit bezüglichen Posten, und cs wäre in
diesem Falle auch unbegreiflich, wie schon nach verhält-
nissmässig kurzer Zeit der neu vollendete Bau als in so
hohem Masse schadhaft geschildert werden und die Noth-
wendigkeit einer grossen Restauration sich der Behörde
wirklich heraussteilen konnte.
') Die Fonds des alten Donistifts zerfielen in die Verwaltun-
gen der Doniprobstei, Prassenz, Quotidian, und Cainmerei. Vgl.
Andr. Rylf einpterbilch 32.
Jlünsterplleger in der hier in Betraeht kommenden Zeit waren:
lf)92. Barthlome Merlan, Apollinaris Steheli, Melchior
Hornlocher.
1592 — 1595. Barthlorae Merian, Friderich Werdenberg, Mel-
chior Homlocher.
1595—1304. Barthlome Merian, Andres Ryfl, Melchior Horn-
locher.
Cammereisehaffner erst Georg Eckenstein, dann Hans Conrad
Wieland.
Digitized by Google
8
Zwar hatte, seitdem das Münster in die Hände des
reforaiierten Staats übergegangen war, die bauliehe Thätig-
keit an ihm nicht völlig geruht. Besondere Handwerks-
meister waren beauftragt, den Zustand des Gebäudes zu
überwachen und nöthige Arbeiten auszuführen, und der
Schaffner der Cammerei bestritt die Kosten. Seine Rech-
nungen berichten, was geschah, aber sie berichten damit
auch, dass es keine Arbeiten waren, welche zur gründlichen
Besserung der Schäden dienten, sondern die gewöhnlichen
Untcrhaltungsarbeiten des Maurers, Gipsers, Schlossers,
Malers und Glasers.*)
Was ausser diesen im Münster gemacht wurde, be-
zog sich nicht auf das Bauwerk als solches, sondern auf
den in ihm geübten Cultus. So wurde 1561 die Orgel
in Stand gestellt,-) 1565 die Kaiser Heinrichsglocke um-
gegossen,®) 1579 die Orgel ausgebeasert, ^) 1580 wurde
ein neuer Altar errichtet, am Ende des Langschiffes vor
der Mitte des Lettners; er war ein Werk des Meisters
Daniel Heinz und kostete 126 Ib. 5 sh.®) Im gleichen
Jahre machte man auch die neue Bestuhlung, wegen deren
der Taufstein aus der Schalercapelle (wo er heute wieder
steht) in den Chor hinauf versetzt werden musste. ®)
') Nur einmal wurde ein grösseres Werk nusgefuhrt, aber dies
betraf gar nicht das eigentliche Munster: es war eine Baute an der
Pfalz im Jahre 15G7, welche über 1!KX) Ib. kostete, also jedenfalls
von bedeutendem Umfange war.
Falkeisen 47.
’) Falkeisen 15.
*) Falkeisen 47.
Cammerei-Kechnung 1579/80. Falkeisen 50. Dieser Dauiel
Heinz, der Steinmetz, war damals Werkmeister am Münster zu Bern,
1573 hatte er das öewülbe des dortigen Mittelschifls erstellt: Stautz,
Münsterbuch 55, 160, 282 f.
“) Falkeisen 38. 72. vgl. auch Cammerei-Rechuung 1.582/83.
Montaigne (bei Ochs VI, 407): „Hs mettent les fonts baptimaux ii
l’ancien lien du grand autel, et font batir ä la tete de la nef un autre
antel pour leur eene. Celui de Bäle est d’un tres-beau plan.“
Digitized by Google
0
1582 entfernte man die Glasgemälde mit denWap])en der
Fröwler, weil sie sehr schadhaft waren, aus den Fenstern
der Capelle dieses Geschlechts, ') und 1586 brach man
den auf dem blauen Lettner stehenden St. Michaels-
altar ab. '-)
Mit alledem war für die Kirche selbst aber nichts
gethan. Da zeigten die Münsterpfleger dem Käthe am 25.
März 1590 an, sie hätten das Münster besichtigt und in
hohem Grade bresthaft erfunden. ■') Der Rath beschloss,
den Schaffner der Cammerei zur A'erbesseruug der Mängel
zu veranlassen und deswegen ein Schreiben an das Dom-
capitel nach Freiburg ergehen zu lassen. Dieses Schreiben
erfolgte am 1. April; man teilte darin den Capitularen ,
mit, dass eine grössere Renovation des Münsters noth-
wendig sei und unternommen werden würde, und ersuchte
sie, die hiezu nöthigen Geldmittel aus dem zu Basel ver-
walteten F’ond zu gewähren. Es kann nicht aulfallen,
dass in dieser "Weise geschrieben w'urde. '“) Denn so
wie das Vermögen des alten Domstifts als abgetrenntes
Gut bestehen blieb und nur zu kirchlichen oder ver-
wandten Zwecken gebraucht wurde,") ward aucli hier das
Capitel noch als diejenige Instanz begrüsst, welcher die
letzte Verfügung über jenes Vermögen zukomme. Es wäre
') Falkeisen !JU.
*) Falkeisen 40. J'ass dieser Altar noch so lange nach Bilder-
sturm nnd Keforniation bestand, verdankte er ohne Zweifel seiner
abgelegenen Lage oben auf dem Lettner.
’) Rathaprotokoll.
Bischöfliches Archiv XXXI, 394.
Ochs VI, 43.Ö nennt ein ähnliches Schreiben an das Capitel
im .lahre LbTT „sonderbar“.
“) „nnd obangezeigte eingezogene nutzung zu erhaltung der
armen und der kirchen gebäude angewendet, und also des stifts ein-
koinmen keineswegs zu gemeinem seckel gezogen , sondern dahin
verwendet, wohin sie anfangs destiniert und gewidmet gewesen.“
narratio facti des Baths hei Ochs VM, 10.
Digitized by Google
10
viellciclit nicht nothwendig gewesen dies zu thun, aber es
war eine Erfüllung der Form und eine Courtoisie, welche
gerade damals, wo die Verhandlungen zwischen Rath und
Capitol noch in vollem Gange waren, sehr wohl im Inter-
esse der Stadt liegen konnte.
Die Antwort der Domherren ist unbekannt. Sicher
ist nur, dass keine grössere Arbeit am Münster unternom-
men wurde, und ebenso auch nicht im folgenden Jahre
1591. Zweimal wurden Anzüge im Rath gestellt, welche
auf den bedenklichen Zustand des Bauwerkes aufmerksam
machten und Abhilfe verlangten.') Das einzige was ge-
schah war, dass das Gewölbe über der Vierung des
Münsters an einigen schadhaften Stellen ausgebessert und
durch Jörg Wannenwetsch angestrichen wurde.
Erst im Jahre 1592 wurde ein Schritt vorwärts ge-
than, indem am 10. Mai ") die MünsterpHeger einen Be-
richt vor Rath brachten, worin sie die am Münster Vor-
gefundenen Schäden darlegten und zugleich Vorschläge
für deren Verbesserung macliten. Dieser Bericht enthält
manches bemerkenswerthe und ist dabei so verständig und
klar abgefasst, dass er verdient, hier wörtlich mitgeteilt
zu werden;
Edel gestreng from ernvest fursichtig weiss inusonders
gnedig und günstig Herren, alss dan von e. g. uns den ver-
ordneten pHägern der kochen stifft alles das jenig was inn
dem münstcr uff bürg bauwlos und zu verbessern sein inöcht
zu besichtigen und demnach e. g. fürzulegen inn günstigen
bevelch geben worden , also haben wir verschines zinstags
beineben herren Georg Eckhenstein, meister Ulrichen Schnel-
len dem zimmerman und meister Jerg Gesslern dem stein-
') Rathsprotokoll vom 22. September und 6. October 1591.
’) Cammerei-Rechnung 1590/91.
*) Rathsprotokoll.
Digitized by Google
11
metzen allenthalben gniigsamliehen und der noturflft nach
besehen, und befinden erstlichen, das usserthalben vor dem
münster unden herumben uff dem boden sind die schwellen
und understen stein eines theils vom wintergfrist anderstheils
von den kolfeuren, so am heiligen wienechtfest dahin gemacht
werden, zersprungen und herausgevallen.
Zum andern , inn dem münster da der alt tauffstein
gestanden, wie auch da die schulknaben zun barfuossen am
sontag zu obend sitzen, ist das pfiaster und der tünch oben
von den creutzgewölben herabgevalleu, und das wegen des
Schnees und riigens so disen winter hinüber zu den tag-
löchern zwischen beiden undern tiieheru der wind hinin ge-
triben und die gewölb also erweicht worden, disem und
weitem! schaden zu fürkhomen sollen die locher vermuret
und die gewölb wider bestochen werden.
Zum dritten, sind oben am lettner inn der eckhen ett-
liche stein zerschlagen, w’elches im götzensturm weil bilder
daran gestanden beschechon sein mag.
Zum vierten, sind oben am gesims oder kranz, welches
innwendig an der ganzen kirchen herumben god, an dem
ort da die alte orgel gehangen und sonsten auch ettliche
stuckh herus gebrochen, die wider zu verbessern sind.
Zum füniften, ist im ganzen creuzgang herumben au
vilen gewölben und ann den nebenmuren hin und wider der
tünch herab gevallen, soll alles wider bestochen und ver-
bessert werden.
Zum sechsten, bei dem hindern kirchhoff oben an dem
tach, so über die creuzgwölb god, hangt ein dein tächlin,
darunder vor Jahren ein crucifix gestanden, dises soll hinweg
gethon und die daruf ligende glassürten ziegol zu Verbesse-
rung der übrigen tachung behalten werden.
Zum sibenden, inn den bögen, so durch die grossen
pfeiler uf der pfalz am eher sträbende gond, haben sich ett-
Digitized by Google
12
lieh (juader und bogeiistuckh wegen des grossen erdbidems
gesengt, welche stuckh wider usgeseubert, hinuf getruckht
und verküttet werden sollen.
Zum achten, sollen die hoehen fenster, so inn das gmach
under dem cappittelhaus gond, da das geschüz und pulver ist,
grossem unglQckh und schaden dardurch zu für khomen uffs
fiirderlichst mit ison vergiittert und verglnsst werden.
Zum neunten, ist vor Jahren ein tachnng hinden am
chor gegen der pfalz über die obern alton und den undern
steinern gang zu beschirmung der gewölben im chor gemacht,
welche tachung aber die halbe höche der grossen fenstern
oben im chor herumben bedeckht und hiemit vil liecht und
heitere, so inn die ganze kirchen ge.schinen, genommen und
dem chor dardurch ein grosso unzier geschafft worden, ver-
meinen also die werckhmeistere, das dise tachung abgethon,
die blatten uff beiden gengen wider geseubert verneuwert
und mit gutem wolberoitetem isenkUt verküttet, oder aber
allein über den obern gang ein gar läge tachung von kupfer
geordnet, das darab rünnend wasser mit trackhenköpfen über
den undern gang hinus beleitet und der under gang alss
obstad von neuwem verküttet, auch die obgemelten hoehen
fenster widerumben mit weissen scheiben verglasst und ver-
bessert werden sollen.
Zum zehenden, ist das gesims ob der grossen neben-
thüren gegen den linden hinus von ettlichen hölzern, so vor
fünflfzig Jahren uf das münster gezogen und wider herab
gevallen, zerschlagen worden, welches mit deinen dünnen
blatten wider verbessert werden mag.
Zum elfften, uff dem alten thurn hat vor Jahren der
kall uss der grossen glockhen, so heraus uf das under tach ge-
vallen, an dem andersten gang ein stuckh heraus geschlagen,
soll neben anderm auch wider renoviert werden.
Digitized by Google
13
— Diss alles e. g. st. und f. w. uf dero bevulch
inn aller undertlienigkbeit zu vermelden haben wir nit under-
lassen wollen, dieselb e. g. damit gütlichem schürm wol be-
velhende und dero gevellig gutbedunukhen rath und weitern
bericht hierüber erwartende
e. g. st. und f. w. gehorsame
Barthlome Merian
und Melchior Hornlocher.
Staatsarchiv Basel. St. S3. E. ä. or. i>ap. fcd. in tergo glchz:
Hoher stitt Basel pflegern anzeigung was an dem münster für ge-
presten befunden.
Es wird weiter unten die Gelegenheit sich finden,
diesen Bericht der Pfleger ini Zusammenhang mit einem
andern Berichte derselben näher zu hetracliten und aus
beiden die erlaubten Sclilüsse über die am Bauwerke wirk-
lich vorhandenen Schäden zu ziehen. Hier ist zu erwähnen,
dass nach Anhörung dieses Berichtes der kleine Rath be-
schloss, nochmals ein Schreiben an das Dom-Capitel ab-
gehen zu lassen. Es geschah, ') in einem Ansuchen glei-
ches Inhalts wie das oben erwähnte. Auch wurden die
Zimmer- und Maurermeister, welche den Auftrag hatten,
auf das Münster Achtung zu haben und für seinen Unter-
halt Sorge zu tragen, vor Rath gestellt und „gerecht-
fertigt“; man sprach ihnen zu, hinfort ihres Dienstes besser
zu warten, bei Strafe der Entlassung.'-’)
Was das Capitel auf jenes Schreiben antwortete, ist
nicht bekannt; möglich dass es zustimmte, da in diesem
Sommer die Arbeit begonnen wurde.
Es scheint, dass mit Ausbesserung der Fa^ade der
Anfang gemacht wurde, und dass bei dieser Ausbesserung,
welche hauptsächlich in Bemalung der Mauerfläche sow'ohl
') Missiven.
*) Rathsprotokoll 1592 Mai 13 und 17.
Digitized by Google
14
als der Statuen bestand, man den beiden Uhren eine be-
sondere Renovation wollte angedeihen lassen, nämlich durch
Auffrischung und gelalligere Ausstattung ihres Aeussern.
Man beauftragte mit dieser Arbeit den Maler Hans
Bock, und dieser gab einen Yorschlag ein, welchen der
Rath genehmigte. ') Also Hans Bock, ein Meister, dessen
Kunst und Geschmack namentlich aus seinen Rathhaus-
bildern wohl bekannt sind. Es lässt sich darum auch
leicht vermuthen, welches Schlages die Bilder waren, mit
denen er die Wand des Münsters bemalte.
Religiöses Inhalts scheinen sie keineswegs gewesen
zu sein, wie es der Ort doch am ehesten verlangt hätte;
vielmehr handelte es sich, so viel aus den Acten zu er-
sehen ist, um Anbringung von Gestalten der antiken My-
thologie, von einigen nicht sehr bekleideten weiblichen
allegorischen Figuren, von Thieren und dgl. mehr, um
Darsttdluugen also, die an einer Kirche reformiertes Glau-
bens an deutlichster Stelle anzubringen ein Maler wie
Hans Bock vielleicht keinen Anstoss fand, die aber andere
Gemüther zu dem entschiedensten Vv'iderspruche heraus-
fordern mussten. Ein solcher Widerspruch wurde er-
hoben, und zwar von oberster Stelle, durch Johann Jacob
Grynseus, Pfarrer am Münster und Antistes der Kirche
Basels. Die Eingabe, welche dieser dem Rathe vorlegte, ‘^)
lautet:
Magnificis et amplissiinis dominis tribunis plebis
inclytffi reipublicffi Basiliensis dominis et patronis
honorandis.
Ehrnvest und grossgunstig herren. ich verniinnie das
unser gnedig herren meister Hans Bocken dem maler befoh-
len dergestalt den uhrenzeiger und die zahl der stunden zu
■) Rathsprotokoll vom 6. Juni 1592.
*) Ratlisprotokoll vom 27. Juni 1592.
Digitized by Google
15
crnewern, das wegen der kunst es sich sehen lasse, nun
hatt der gut man auch die uberblibnen götzen sampt einem
poetischen gedieht etlicher tugenten (welche gantz üppig an-
gefangen zu entwerfen) und dem Saturno (welcher Moloch in
heiliger Schrift genennet und verfluchet wird) ime zu malen
furgenommen. darumb ich, als ich dessen bericht worden,
in abgemanet und ergernus vorzukommen gerathen, er soll
sonst etwas schönes als gute sententias dafür verzeichnen,
welches er nicht abgeschlagen und doch wider mein hoffen
im werck die götzen zu illuminieren fortgefahren.
Nun weisst gott das ich mich unnötiger Sachen nit beger
anzunemmen. dieweil ich aber auch nit soll schweigen, wan
man das haus gottes mit päbstischen und heidnischen götzen
und gemäldcn auch von aussen hero versudlen will, dise zeit
aber nicht zulasset das ich mit e. ehrnvesten coram reden
köndte, die sach aber auch Verzug nit leidet und man leut
findet die aus unwüssenheit dürfen dise sach loben, so bitte
ich e. ehrnvest wollen als eifferer verschaffen das unser
kirchen unverwüstet bleibe, und das umb folgender Ursachen
willen :
1. Das Paulus .saget: was hatt der tempel gottes für eine
gleiche mit den götzen? ir aber seind der tempel des
lebendigen gottes. 2 Cor. 6. so wenig der aberglaub
von götzen stat und vertrawen haben soll in unsern
hertzen, so wenig sollen auch sie platz haben in oder
usserhalb unser kirchen.
2. Das gotzenbilder zu machen eben so wol als aber sic
zu verehren uns in zehen gebotten höchlich verbotten
ist. Exod. 20.
3. Das gott gebotten man soll die götzen zurbrechen und
abschatfen und auch das silber und gold daran gar
nit begeren, nemmen oder uns daran vergreififen, die
weil es gott ein grewel ist. Deut. 7. wie kommen
wir dan darzu das wir die uberblibnen erst Hessen an-
streichen und malen?
Digitized by Google
16
4. Das am künig Ezechia höchlich gelobet wirt das er
auch die chrene schlangen so wol als andere götzen-
bilder zerbrochen halt, wie ini dan auch Josias gethan.
5. Das auch die elenden leute so da sagen, wo man die
götzenbilder nur nicht anbette so irren und schaden
sie nicht, seien auch wegen der kunst wol zu leiden,
gar nit witziger seind den got, welcher wol weisst wie
bald es geschehe, das die nienschen sich endern und
eben die götzen ehren die sie zu vor verachtet hatten,
darumb auch gott sie will abgeschattet haben so wol
aus den äugen als aus den hertzen.
6. Solle man auch den steinen ritter Georgen und die
jungfraw mit färben anstreichen, so thete man den
thumherren zu Freiburg und dem bischoff ein gross
gefallen ; die wurden es weit und breit aussagen und
sich vertrösten , es bedeute das der götzo bald ins
münster einreitten und andern bildern sampt der ver-
fluehten mess herberg bestellen wurde. da gilt es
warlich das s. Paulus saget; ab omni specic mali ab-
stinete.
7. Dieweil auch nach der beiden gedieht 'die virtutes durch
Weibsbilder angebildet wurden, wan sie schon nicht so
bloss und unverschämt (wie anfenglich geschehen) ge-
malet wurden, so wurden sich doch einfeltige leut,
päbstische und andere daran stossen. aber Itali, si qui
paganisinum potius quam Christianisraum sectantur, si
videreut deas poeticas mirifice delectarentur.
So es nun gewüslich wider den willen gottes were wan
man fortfüre, bitte ich e. ehrnvest, die wollen verschafleii
das weder die götzen gezieret noch dise bilder (underm
schein der kunst) gemalet, sonder das man ein feinen spruch
h. Schrift dahin schreibe.
Wiewol ich aber wol weiss das wider die wäre raeinung
etlich närrische obiectiones furgebracht werden, welchen wol
zu begegnen, ich auch zu e. ehrnvesten das gross vertrawen
Digitized by Google
17
habe sie werden unser bettehauss nit mit solchem gcmäld
lassen auch ausserthalben verschmieren, so bitte ich doch
beide herren aufs trewlichst, sie wollen verschaffen, das dis
unnötig götzenmalen underlassen und nutzlicherä an die hand
gnommen werde, damit ich nit müsse in der predig discr
sach also gedencken, das gott der herr und sein liebe gemeine
mich für entschuldigt haben. — — — —
Vestcr Johannes Jacobus Grynseus.
Staatsarchiv Basel. St. 77. F. 1. or. pap. fol.
Es kann nicht auffallen, dass ein solcher Protest er-
hoben wurde, dessen Einwendungen uns noch licutc eher
begründet ersclieinen müssen. lücht so damals dem Rath.
Denn dieser erkannte, es sei nichts ärgerliches gemalt
worden; der Maler solle dalier in seiner Arbeit tbrtlkhren.
Und als 14 Tage später im Rath der Antrag gestellt
wurde, dass auch das Ross am Münster,') wie hievor be-
scheheu, sollte angestrichen, d. h. mit leuchtenden Far-
ben, nicht blosser Steinfarbe, sollte bemalt werden, beschloss
der Rath wieder, es habe dies zu geschehen und dem
Doctor Jacob sei anzuzeigen, ruhig zu sein. -) Grynceus
war aber keineswegs ruhig, sondern zog die Sache vor
den Convent der Geistlichen und veranlasste, dass
auch die übrigen Pfarrer eine gleiche Beschwerde wie die
scinige an den Rath richteten. Wahrscheinlich brachte
er auch, wie er in seiner Eingabe in Aussicht gestellt
hatte, die Angelegenheit anf der Kanzel zur Sprache.
Jedesfalls erreichte er durch diese Schritte, sowie durch
seine mündlichen Vorstellungen soviel, dass, als die Dele-
gierten des Rathes diesem berichteten, was sie mit Grynseus
') Doch wohl (las bei der Uhr befindliche Pferd des hl. üeorg.
*) Rathsprotokoll vom 10. Juli 1592.
*) Acta ecclesia I. Conventns vom 14. Juli 1592.
2
Digitized by Google
18
„wegen des illuniinirenden rosses au der müusteruhren“
verhandelt hätten, beschlossen ward , wegen des Doctor
Jacobus „hitzigen gemüths“ und auch der übrigen Predi-
cantcn wegen über die Sache nocli reiflicher nachzudenken,
einstweilen aber dem Hans Bock zu gebieten, den von
ihm bei der Uhr gemalten Uhu auszustreichen. ‘) Die
Sache ward dann noch weiter behandelt, im geistliclien
Convente sowohl, -) an welchem einige Herren des Käthes
tßUnahmen, als auch im Käthe. Es ist nur ersicht-
lich, dass Antistes und Geistlichkeit an ihrem Begehren
festhielten, diese „gotzenbilder“ zu beseitigen; bis zu
welchem Grade sie darin Erfolg hatten, kann nicht erkannt
werden. Was uns an diesem Streite autfallen könnte, ist
viel mehr das Verhalten des Kaths als das der Geistlich-
keit. Denn die Malerei des Hans Bock war sicherlich
eine Decoration, die uns heutzutage allein aus ästhetischen
Gründen schon an der Fa^ade des Münsters höchst be-
fremdlich erscheinen würde. Wie viel mehr musste der
Pfarrer einer Kirche, welche noch nicht einmal hundert
Jahre dem reformierten Glauben diente, gegen eine der-
artige Bemalung aus religiösen Gründen aufzustehen sich
veranlasst, ja durch sein Gewissen verpflichtet fühlen.
Ihm darum den Vorwurf eines zu weit getriebenen Pu-
ritanismus zu machen, wäre ohne Zweifel ein Unrecht.
Beste dieser Malereien scheinen sich bis ins vorige
Jahrhundert erhalten zu haben. Damals sah man noch
„am Martinsthurm unter der langen Gallerie zu beiden
Seiten der Sonnenuhr Figuren gemalt, welche die Flüchtig-
keit der Zeit vorstellten“, mit einem gereimten Sinnspruch,
und ähnliche Schildereien waren auch am Georgsthurme
noch zu erkennen.
') Rathsprotokoil vom 15. Juli 15Ü2.
Coiiventus vom 22. Juli 1592.
*) Rathsprotokoll vom 22. Juli und 2. August 1592.
■*) Falkeisen IG. 22.
Digitized by Google
19
Die Acten geben keinen weitern Aufschluss über die
Angelegenheit der Bemalung der Fagade, wie überhaupt
die Berichte nun völlig verstummen. Die Arbeit scheint
eben liegen geblieben zu sein, und wurde erst drei Jahre
später (1595) wieder aufgenommen. Nur eine kurze Notiz
berichtet, dass schon 1 594 etw as gearbeitet wurde. Und zwar
handelte es sich, soviel ersehen werden kann, um Ge-
mälde, welche im Innern des Münsters angebracht werden
sollten. Genaueres über den ausführenden Künstler, über
den Inhalt der Bilder, auch über ihren Ort ist nicht an-
gegeben; nur so viel ergiebt sich, dass Grjmasus ihret-
wegen wiederum dem Käthe Vorstellungen zu machen
sich berufen sah, worauf denn erkannt wurde, die Gemälde
seien abzureiben, die Wand weissgen und einfassen zu
lassen. ‘)
Im folgenden Jahre 1595 begann nun endlich die
eigentliche Münsterrenovation. Fünf Jahre schon war
diese Arbeit eine durch den Rath beschlossene Sache;
aber noch immer war mit der Ausführung gezögert wor-
den. Denn was bisher geschehen, w'aren Präliminarien
gewesen, Decorationsarbeiten, die mit einer wirklichen
Restauration nichts zu thun hatten. Und erst jetzt schritt
man zu dieser, im gleichen Jahre, in welchem Andreas
Ilyff unter die Pfleger des Münsters gewählt wui'de. Man
wird nicht zu w'eit gehen, einen Zu.sammenhang dieser
beiden Thatsachen zu erblicken. Dass Ryff für eine Ar-
beit, wie die bevorstehende war, sich eifrig erzeigte, ist
sehr wohl denkbar. Er war energisch und thätig, dabei
ein Freund der Wissenschaften, Kenner der vaterländischen
und vaterstädtischen Vergangenheit. Er hatte künstlerische
Interessen, antiquarische Neigungen; das beweist die zier-
liche Ausschmückung seiner manigfaltigen Manuscripte,
beweist sein Münzcabinet, beweist namentlich auch seine
*) Rathsprotokoll vom 16. September 1.591.
Digilized by Google
20
Theilnahme an der Ausgrabung des Theaters zu Augst
1582. So hat er gewiss auch der Angelegenheit des
Münsters Eifer und Verständnis entgegengebracht, und
wir dürfen darum den Umstand, dass der Beginn der
Restaurationsarbeiten mit seinem Eintritt in die bauleitende
Behörde zusammenfallt, in dem Sinne verstehen, dass eben
er es war, welcher den kräftigsten Antrieb gegeben habe.
Dem ersten Antriebe folgte dann sicherlich eine ebenso
eifrige Hingabe an die Fortführung des Werks, Teil-
nahme an der Entwerfung des Bauprogramms, Ueber-
wachung der Arbeiten. Er selbst freilich redet hievon
nicht. In seinem Zirkel der Eidgenossschaft, wo er auch
von dieser Münsterrestauration berichtet, erwähnt er seiner
Mitwirkung mit keinem Worte; und in dem durch ihn ver-
fassten Verzeichnisse seiner Aemter, in welchem man eine
Darstellung dieser Sache vermuthet und sucht, ist gerade
für das Amt der Pflegerei auf Burg von ihm der sonst
übliche Bericht einzutragen imterlassen worden. Aber um
so deutlicher reden die wenigen Worte seines Grabmales
im Kreuzgang des Münsters, wo er genannt wird: „huius
templi sedilicius restaurator.“
Die Arbeiten begannen im Kreuzgang. Wie es hier
aussah, sagt schon der Bericht der Pfleger 1592. ') Der
zu flach liegenden Dächer wegen hatte das Regenwasser
eindringen können und an Gewölben und Wänden viel-
fältigen Schaden angerichtet. Man erhöhte daher die Dächer
und brachte kupferne Rinnen an zur Ableitung des
Wassers. Daneben wurde aber namentlich das Audito-
rium-) völlig „erneuert“, wobei wohl an einen völligen
Umbau zu denken ist. Dass die Arbeit umfassend war, er-
giebt sich daraus, dass sie auf mehr als 1200 Ib. zu stehen
kam. '^) Zum Gedächtnis dieser Restauration dienten
*■) s. ohen.
“) Der frühere Betsaal, heutige Samnilungsranui.
*) Camnierei-Kechming 1.594,95.
Digitized by Google
21
die im Auditorium angemalten Sprüche und Gedichte,')
sowie die Verse an der Wand des Vorraumes, welche
neuerdings aul'gedeckt worden sind,-) endlich auch eine
Inschrift im vordem Kreuzgang.®)
Nachdem diese Arbeiten vollendet waren, betrieben die
Pfleger die Restauration des Hauptgebäudes, des Münsters
selbst.
Am 3. Januar 1596 brachten sie einen Vorschlag
vor den Rath, in welchem sie auf die „hoch schädlichen
Mängel und Gebresten“ des Münsters hinwiesen; der ganze
Bau bedürfe Alters halber an Gewölben, Mauern, Säulen,
Fenstern und anderm, welches alles vor Jahren durch
erschrockenliches Erdbidem erschüttert und zerrüttet w'or-
den sei, hochnothwendige Verbesserung. Eine solche diene
nicht nur zur Elire Gottes, sondern werde auch der Obrig-
keit Lob und Ehre bringen und die Kommlichkeit der
Kirchgenossen befördern.*) Aehnlich schrieben in einer
dem Bericht der Pfleger beiliegenden Eingabe die Pfarr-
herren der Münstergemeinde. Sie erinnerten daran, wie
vor Zeiten die heiligen Propheten Haggseus und Zacharias
den Fürsten Zorobabel und das Volk zu Jerusalem er-
mahnt hätten, des Herrn Haus zu erbauen; ebenso möch-
ten auch sie die Obrigkeit ermahnen, mit Renovation des
Münsters ein Gott sonderlich gefölliges Werk zu unter-
nehmen. Die Kosten der Renovation würden allerdings
ziemlich gross sein, könnten aber vielleicht durch Bei-
steuern aus dem Vermögen der andern Stifter und Klöster
>) Tonjola 351 ff.
*) Führer durch die mittelalterliche Sammlung 16.
’) Falkeisen 114. Während in den Aufschriften des theologi-
schen Auditoriums nur die (ieistlichkeit und deren Haupt Grj na;us ge-
nannt war, sagte diese Inschrift, dass aut Geheiss des „Senatus popu-
lusque Hasiliensis“ im Jahre 159') dieser porticns in altem Glanze sei
erneuert wordeu.
*) Staatsarchiv Basel. Hintere Canzley Z. 1.
Digitized by Google
22
Basels bestritten werden. *) Der Rath wies die Angele-
genheit an die Dreizehner zur Berathung und Begutach-
tung und begehrte zugleich von den Pflegern einen aus-
führlichem Vorschlag, wie die Renovation könnte ausge-
führt werden. Am 7. April d. J. erstatteten die Pfleger
diesen Bericht,^) welcher folgenderraassen lautet:
Gestreng edel vest from fiirsichtig weiss gnedig und
gepietend herren. wass verruckhtor tagen wir die von e. gn.
Verordneton pflegere uf bürg ann unser gnedig herren beide
räth wegen der bauwfelligen und alt zergangenen hauptkirchen
der statt Basel dess mUnsters halben haben angebracht, dass
wirt zweivelss on e. gn. noch eingedeiickh sein, darüber
dann unss diser bevelch gnedig uferlegt das wir den under-
gang genielter hauptkirchen erdauren, berathschlag^n und
welcher gstaltcn der bauw fürzunemmen, was auch darüber
ergon möchte, überschlagen, nachmolen alle unsere befundene
mittel euch ungern gnedigen herren den heuptern, rath und
bedanckh mit den herren dreitzehen darüber zu haben, zu
handen stellen sollen.
Uff solchen empfangenen befclch haben wir nit under-
lassen können mit allem flciss und ernst den Sachen nachzu-
sezen und nit allein den bauw in genere, sonder auch ein
jedes werckh besonders und in specie zu Übersechen, zu berech-
nen und zu berathschlagen, und das inn beisein ettlicher
werchleuten. da befinden wir zwor je lenger je mehr hoch-
notwendig sein, dass nit allein von nöten den staub und
spiiiwoppeu dermolen einist uss dem hauss gottes zufägen,
sonder auch der noturfft nach die fürnembste und oberste
kirchen der statt Basel (zu versorgen), so allerhand standts-
personen, so frömbd alhie ankhommen, ufs erste zu besich-
') Staatsarchiv Basel. Hintere Canzley Z. 1.
*) Rathsprotokoll vom 3. Januar 1596.
‘) Rathsprotokoll vom 7. April 1596.
Digitized by Google
23
tigen begercn uml da vermeinen inn der statt Basel, die got
lob sonsten inii und usserthalben dem römischen reich (wegen
dess heiligen wort gottes, auch der hochen schuol und truck-
hereyen, und dann für sich selbstcn nit die geringste undor
den dreitzehen orten löblicher eidgnoschafft) verrüempt und
bekhand ist, da dann solche frömbde personell ab disem
werckh dess niQnstttrs, dass an ime selbs nit zu verachten,
sonder wol neben andern dergleichen gepeuwen passiern und
besten mag, inn dem aber dasselbig ettlicher massen durch
erdbidem zerrütten, zerschrentzt und biss anhero dergestalten
unbesscrt ston verpliben, wie dann auch die fenstor zerbro-
chen und dergleichen mancherlei noturfft inn der bauwlosig-
kheit stecklit und also nach und nach gar inn ein abgang
gerathet. dass bringt frömbdeu und hcimbschen nit wenig
Verwunderung, wie es auch frommer ufrichtiger cristen
hertzcn vilerlei ergernus und gedanckhen machen muss, alss
ob es ein gewiss Wortzeichen, dass unss ann der religion
und wahrem gottesdienst nit so vil gelegen, wie aber wir
unss vernemmen lassen.
Befinden also erstlicheii, dass diss münster so es wider
renoviert und erneuwert wirt ann ime selbs ein stattlich herr-
lich werckh ist, welches aber diss orts, weil es also im undor-
gang steckhet und nit wie sieh gepürt erhalten worden, nicht
darfiir zu erkhennen. da aber, wo solches verbessert, dass es
nit allein gott ein wolgefallen, sonder auch der oberkheit ein
lob und dem vatterland ein grosse zierd sein, auch unsern
widerwertigen ir schelten undt teglichs usschreyen, alss ob
wir die geistlichen güeter unwürdig nutzen, inn dem wir die
kirchen nit allein mit der zierd nit erhalten sonder auch an
notwendigen gebeuwen zerfallen lassen, stillen, ira grund ge-
schweigen und dass maul verstopfen wurde.
\Va nun e. gn. gefallen wolt dass man damit solte für-
schreiten, erachten wir komlich sein, dass der anfang am chor
fürzunemraen sein wurde, do dann auch der grösste fahler
und gepresten erfunden wirt. haben also von einer arbeit
Digitized by Google
24
zu der andern ein uberschlag gemacht, und müessen erstlich
von den gerüsten reden, da zweyfelt unss nit, ess werden
e. gn. die langen rüsthölzer deren man notürfFtig sein möchte
uss e. gn. holtzheuser dahin vergönnen und leiehen, die man
auch one schaden soll wider heim liifern. im übrigen wass
noch für kurtze höltzer, Stangen, dilen und seiler vonnöten,
sind zum theil vorhanden zum theil aber inn mangel. do
achten wir, dass inn- und usserthalben dem chor über dass
rüsten, die uf und abzuprechen, seilern und anderen ann tag-
lönen wol ufgon wurde, thuot 80 H.
Dieweil nun offenpar das am chor dass steinwerckh ett-
licher massen presthafft, vorussen uf dem boden ann den
sträbpfcilern ettliche quader von der nässe undt wintergefrist
verdorben so wider verbessert werden müessen, so dann ett-
lieh bögen und gesims stückh vom erdbidem zerrüten und
theilss prochen, und was man dann bedörlfen wirt, damit es
alles wider ergenzt und bestendiglich verbessert werden mag,
da schetzen wir, wass das chor allein belangt, vorussen und
darinnen für stein und Steinmetzen arbeit, thuot 180 fl.
Item zum ehore achten w'ir dass man heruss und darin-
nen umb kalch, sand, gibs und küt wol haben muoss, thuot
200 fl.
Item dem gipser und maurer für ire arbeiten, ussen
und innen am chor, alle gewölb, seul und wend wider zu
bestächen , zu verstreichen, zu verhütten und allcss zu er-
gentzen, möchten wol taglön ufgon, thuot 100 fl.
Item im chor haben wir fünff hohe hauptfenster, da
dass mitlest und grösst hat sechs zilen, die z\vei daneben
jedess vier zilen, die zwei ortfenster jedes drei zilen, dass
macht zusammen zwenzig zilen oder fenster, die sind nun
inn glicher höche und breite daran wenig underscheidts ist,
eins inn dass ander ist 7 schiben breit und 60 schiben hoch,
die müessen nun alle ueuw gemacht werden biss oben inn
die rondelen, dieweil noch guote woppen darinnen stond,
mag man es mit gemoltem glass wider verbessern, dise fünff
Digitized by Google
25
fenster bruchen scheiben 8<!00, da wollen wir rechnen für
jede scheiben hornaffen und hafften 8 dn., thuot 224 H.
Weiters haben wir iin ehor uf dem gang vier grosser
rundelen so gar brochen, da waren wir dess willens dass
alte zerbrochene steinwerekh heruss zu thun, dieweil dass zu
verbessern und zu verglasen mehr costen wurde, dann aber
mit uffrechten pfosten neuw zu machen, welches auch vil
mehr liecht alss zuvor geben wurde, darüber achten wir
dass diss vom glaser costen, weil solches 12 fenster werden
möchten, thuot 90 H.
Unden im chor sind vier fenster so zum theil halb neuw
halb alt, die vier nun gantz mit scheiben zu machen, wurden
an glasswerckh ervordern, thuot 46 H.
Zu disen fenstern allen so im chor sind rechnen wir
das alles isenwerckh costen wurde über dass so noch vor-
handen, thuot 58 fi.
Dieweil nun dass hindertach ob dem gewölb am chor
hinweg muoss, dann es alles verunzierd, so ist khein ringer
und bestendiger mittel, dann dass mann dieselben gewölb
(allein biss an dass gesims dess chorss, und ist gar nit von
nöten dass der gang wie jetz mit dem tach gedeckht werde,
dieweil der selbig gang am hauptbauw gar nit presthafft
sonder allein küttens bedarff) mit kupfer deckhe. dann die-
weil die blatten so die gwölb bedeckht haben alle hinweg
so wurd es mit blatten und kütten mehr costen aber nit so
bestendig sein, dass haben wir nun ordentlich abgemessen,
sind 5 thcU uf 3 orteckh abgetheilt, dass mitlest ort ist ann
den fenstern 18 schuch breit und am ussernort 31 schuch.
die andere 4 ort sind alle zugleich ann den fenstern 15
schuch und ussen uf dem gesims 25 schuch breit, die lenge
durch umbhin ist 18 schuch, dem geben wir ann der röschi
1 schuch zu, also dass wir 19 schuch lengi rechnen, w'an
nun dise schuch lengi und breite zusammcngercchnet werden
so bringt es inn summa 1995 schuch. nun wigt ein schuch
geschlagen kupfer inn den andern 1 * 4 h. dass pringt 24 c.
Digilized by Google
26
94 h. kujifer. nun muss für die felss, hafften und känel
80 füruss gerichtet auch sein gepUr gerechnet werden, für
solches rechnen wir 5 c. also pruchten wir geschlagen kupfer
/.usamen 30 c. ein jeden für arbeit und alles 26 ti. ge-
rechnet. thuot 780 6.
Für isenwerckh und nagel darzn 20 6.
Summarum inn allem so ussen und innen über dass
chor ergon möchte one dass molwerckh thuot 1778 fl.
Dass kupfer muoss uf dilen gelegt werden, da sind alte
tilen besser dann die neuwen. rechnen deshalben nichts
darfür.
Die kirchcn anbelangen.
über die gerüst inn und ussen der kirchen können wir
nit befinden, dass über die taglün und versaumnussen , die
uf zu richten und ab zu prcchcn, sampt scilern holz und
Stangen weniger ergon wurde dann 220 fl.
Nun können wir erachten dass sich inn und usswendig
der kirchen ann gwölben, seulen, wenden, sträbpl'eilern, und
ann allen orten werden fahler und mengel erzeigen, so ettwan
durchs Wetter und wintergefrist verderpt worden, aber sich
inn kheinen weg gepüren wirt, allein mit dem fäderwüsch
darüber zu fahren, sonder alle noturft't bestendiglich zu ver-
bessern, damit nit durch grossen uncosten erst auch der hohen
oberkheit spott und Schmach zugestattet werde, da schetzen
und achten wir dass zu solcher ergenzung und Verbesserung
der kirchen ussen und innen umb kalch, sand, gibs und küt,
sampt anderer darzu gehörender noturft't wol gepraucht werden
müesste thuot 235 11.
Nun ist khundpar, das uss und inn wendig der kirchen
auch am steinwerckh manglet, ettlichs erfroren, ettlichs mit
den kolfeuren so ann festtagen gemacht verbrend und ussge-
sprengt, ettlichs aber sonsten ann seulen und deren captelen im
götzensturm verwüest und zerrissen, so nun diss alles der noturfft
nach verbessert wirt, befinden wir dass ungevor darüber ergon
möchte für stein und Steinmetzen arbeit, thuot 300 fl.
Digitized by Google
27
Item für maurer und gipsertaglöii ächctzen wir Jas wol
darüber ergon wurde, alless so innen und ussen niangelbar
zu ergenzen und zu verbessern, thuot 350 H.
Inn der kirchen haben wir 28 lenster gross und dein
und 2 gross rundeleu ob den nebenthüren. darumler sind
ettliche nur zu verbessern, das thuot man mit denen so man
neuw machen muoss. die jenigen aber so man ann denen
orten, da es am meisten tags und noturfft halben von nöten
ist neuw zu machen, macht man von lautern scheiben, da
achten wir das über neue und alte lenster der kirchen wol
ergon möchte mit dem glasswerckh, thuot 350 11.
Für dass schlosserwerckh der fenstern und anderer orten
der kirchen schetzen wir 45 Ü.
Summarum inn allem so über die kirchen gon rtiöchte,
one dass molerwerckh, thuot 1500 H.
Molerey betreffende.
Sovil nun die moler belangen, da spüren wir ein grosso
missordnung. wann man inen den leim und färben lüfert,
da vermeindten wir solches stuckhsweiss für färben und arbeit
zu verdingen und die sach dermossen zu fürkhommen, wie
und welcher gstalt alle werckh gleich förmig sollen verfer-
tiget werden inhalt der visierung. da haben wir inn gutem
ordentlichem Überschlag befunden, dass wir dass molerwerckh
im chor und der kirchen, auch ussen herumben, vornen biss
hinuf uuder den ersten gang, welches dann wogen der genze nit
kan underlassen werden, möchten vollenden mit 1500 H.
Item für öl so man ussen herumben darzu bedürfen
Wirt, müessten wir darzu geben, thuot 180 11.
Item inn der kirchen ann ettlichcn seulen, do ess der
ordentlichen zierden am notwendigsten sein wurde, schöne
tafelen mit rolwerckh mit schwarzen roten und guldinen
schrifftcn, da es eercn halb wol ston wurde, dass lasst sich
nit inn die verding inschliessen, darfür rechnen wir für gold,
färben, öl und besoldung 200 fl.
Digitized by Google
28
Summa molerey ziisamen thuot 1880 H.
Summarum ulless bauwcostens so wir vermoinon, der
iiotturfft nach ervordern wurde, thuot 5158 fl.
Sovil nun gnedig herren disen Überschlag belangt, der
ist nit ungevor, sonder mit guotem ordentlichem rath gestelt
und gemacht worden also das daruf wol zu fuossen ist. allein
achten wir, wo im werck sich ettwas so iez unbewüsst sich
erzeigen wurde, dass e. g. unss desswegen nit inn unserem
fürgeben greiffen wollen, im fahl nun e. g. wirt gefallen mit
dem werckh fürzuschreiten so wirt auch notwendig sein zu
berathschlagen, wem e. g. dise geschefft uferlegen und be-
felhen werden, wo nun e. g. will gefallen, unss pflegern dass
zu übergeben, so wirt auch notwendig fürfallen, dass andere
herren (usserthalben den herrn heuptern) unss inn unserem
fürnemmen, gevassten rathschiegen und verdingen ungehindert
lassen, dann zuvor gespürt worden dass durch eines jeden
angeben und heissen die moler nit allein vil zeit versaumpt
sonder vil färben leym und öl unnutziglich verbraucht worden.
\Va nun dass geld zu solchem bauw erhept werden soll,
werden e. g. zweivetssone die mittel wissen zu finden, dan
unss pflegern der hochen stifft wegen der durch e. g. kurz
uferlegten neuwen besch würden ganz und gar unmüglich zu
ertragen, diss also zu e. g. gevallen undertheniglich bedacht
und zu dero Verbesserung hiemit übergeben haben wollen,
gottes g. und aller glückhlicher wolfart wol befelhende
e. g. s. e. f. v>\
underthenige gehorsame miträth
Barthlome Merian,
• Andreas Reif,
und Melchior Hornlocher,
der bolien stifft verordnete pflegere uf biirg. ')
’) Staatsarchiv Basel, bint. Canzley Z. 1.
Digitized by Google
29
Soweit der Bericht. Nach Anhörung desselben be-
schloss der Rath, dass noch weiter über die Saclio nach-
gedacht werden solle. ') Doch wurden einige kleinere Ar-
beiten schon in diesem Jahre ausgotührt, wie die Erstel-
lung eines Kanzeldeckels. Die eigentliche Restauration
begann aber erst im folgenden Jahre 1597, am Oster-
montag, und dauerte 28 Wochen, erstreckte sich also
über die Zeit vom 28. März bis 8. October. Während des
Bauens wurden die Predigten in der St. Martinskirche
abgehalten, das Geläute aber blieb im Münster.^)
Bevor ich nun die Gesamtheit der Arbeiten, welche
ausgeführt wurden, nachzuweisen versuche, ist eines De-
tails dieser Restauration Erwähnung zu thun, einer Frage,
welche die Gemüther der Beteiligten tief erregte und in
der Geschichte des ganzen Fnternehmens eine Episode
für sich bildet.
Wie schon zum Beginn der Arbeiten, 1592, wegen
der Bemalung der Vorderwand, namentlich der Uhren, ein
Kampf zwischen Riith und Geistlichkeit hatte geführt wer-
den müssen, so spielte jetzt gleichsam als Finale eine
gleiclie Differenz der beiden Gewalten, ein Streit, welcher
diesmal um die Ritter S. Georg und S. Martin geführt
wurde.
Nachdem die Geistliclikeit bereits in ihrem Convent,
zu dessen Sitzung auch die vier Häupter und die Münster-
pfleger eingeladen worden waren, die Frage discutiert hatte,
ob nicht die Reiterstatuen als idola, Götzenbilder, zu be-
trachten und daher zu entfernen seien, wandte sie sich
am 30. Juli an den Rath mit einer Eingabe, worin sie das
Verlangen vortrug, es möchten die sämtlichen Statuen an der
') Rathsprotokoll vom 7. April 1596.
*) Falkeisen 45.
’) Hieronymus Visclier, Wappenbiichlein, im Eingang.
*) Rathsprotokoll vom 18. April 1597.
*) Conventus vom 26. Juli 1.597.
Digitized by Google
30
Vorderseite des Münsters als Götzen weggethan Averden, zur
Beseitigung von Aergernis und in Befolgung des Wortes
Goltcs. Namentlich die „zwen ahgott“ S. Georg und S. Mar-
tin, die am alleransichtigsten Ort des Münsters angebracht,
seien ein Greuel vor Gott; entweder sollten sie ganz ab-
geschaflft, oder aber verändert werden, etwa in der Weise,
dass -sie der Stadt Basel Ehrenzeichen oder Wappen tra-
gen könnten, damit man gespüren möge, wir zu Basel
fragten den abgöttischen Bilderngar nichts nach, und fromme
liehe Leute sich darüber freuen können. Sollten aber
diese Bilder dennoch verbleiben und gegen Gottes Gebot
ergänzt und geziert werden, so sei es ihre der Pfarrherrn
Pflicht, öffentlich dawider zu predigen. *)
Der Anlass zu dieser Eingabe war wohl darin ge-
legen, dass bei Bemalung der Fac-ade auch Arbeiten an
den Reiterstatuen vorgenommen worden waren. Ob der
von den Pfarrern getadelte „ornatus“, den man anbringen
wollte, in Bemalung mit lebendigen Farben im Gegensatz
zur Steinfarbe der Mauer resp. in Erneuerung eines sol-
chen Auelleicht noch aus katholischer Zeit stammenden
bunten Anstriches bestand, oder ob dabei nur an die noth-
wendige Ergänzung schadhafter Bestandteile zu denken
ist, kann jetzt kaum mehr entschieden werden. Dass an
den Bildern gearbeitet wurde, ist sicher; denn in jenen
Tagen wurde im Rathe darüber gehandelt, wie ein ge-
Avisscr Kreyen Peter, ein Arbeiter, der dem hl. Martin
einen Arm gebrochen, solle abgestraft werden.-)
Die Pfarrer drangen aber nicht durchweg auf Be-
seitigung der Bilder, sondern verlangten eventuell nur,
dass dieselben des Charakters von der Verehrung und An-
betung fähigen und würdigen Bildern sollten entkleidet
werden, „rebus idolatricis submotis,“ wie Grynäus sich
') Staatsarchiv Basel. St. 77 A. 1. Auch im Conventsprotokoll
vom 2G. Juli 1597.
*) Rathsprotokoll vom 10. August 1597.
Digitized by Google
— ai —
ausdrücktc. Dass dieser Zweck dadurch am deutlichsten
wäre erreiclit worden, wenn man nacli dem Vorschläge
der Plärrer den Rittern eine Fahne oder einen Schild mit
dem Baselstah in die Hand gegeben hätte, ist richtig;
aber wir dürfen der Behörde dankbar sein, dass sie doch
auf eine solche Proposition nicht eingieng. Eine Beseiti-
gung des anstössigen Götzenbildcharakters wäre jedoch auch
in anderer Weise recht gut möglich gewesen, durch Be-
seitigung nämlich derjenigen Bestandteile, in welchen die
durch die Legende hervorgehobene Thätigkeit der bei-
den Gestalten und damit ihre (iualität als Heilige bestand;
also wäre beim hl. Martin der Bettler, beim hl. Georg
vielleicht der Drache abzuthun gewesen; die Bilder hätten
damit die Attribute verloren, auf welchen ihre Verehrungs-
Würdigkeit beruhte, und wären Sculpturen geworden, die
nur um der Kunst und der Zierde willen da sind.
Der Rath nahm jedoch auch dieses abgeschwächte
Begehren nicht an, sondern erkannte am 6. August in
Betreff des hl.' Martin; „dass sollich bild, weil cs dem
müaster ein gezierd ist und anderst keins wegs geachtet
würde, unabgehept verbleiben, aber nicht ausgebessert
sondern allein mit stein- oder kesselfarb angestrichen wer-
den solle; des gnädigen getröstens, es werden die herren
niinistri inen ein solliches, als das zu keiner ergernus
reichet, nicht missfellig sein und cs ires teils auch darbey
pleiben lassen.“ ')
Die Herren Ministri Hessen es jedoch nicht dabei
bleiben, sondern am Tage darauf, einem Sonntag, predigte
Antistes Grymeus in der Altendkirche über Jesaias 40 und
41, über die Eitelkeit des Götzendienstes, damit jedermann
erkennen möge, er gehorche Gott und nicht den Menschen.
Der Rath Hess darauf den Pfarrern entbieten, die
Würde und das Ansehen der Obrigkeit zu achten und
') Erkantnisbuch V, 41.
\
Digitized by Google
32
ihren Beschlüssen nachzulebcn, über welche Weisung die
Geistlichen sich bcriethen und dann dem Käthe folgendes
antworten Hessen: nicht um dem Magistrat zuwiderstreben,
sondern um dem Ruhme Gottes, der Befestigung seiner
Kirche und ihrem eigenen Gewissen gemäss zu handeln,
hätten sie die Entfernung der Götzen begehrt; sie gäben
aber gerne zu, dass dieselben stehen blieben, wenn ihnen
nur ein anderer ^habitus“ und ,ornatus“ gegeben werde,
damit sie „politicum Schema prae sc ferant, non idola-
tricum.“ ‘)
Die Pfarrer blieben also dabei, was sie schon vor
Wochen begehrt und vorgeschlagen hatten. Wie sic das
erstemal damit w-aren abgewiesen worden, so erreichten
sie jetzt das gewünschte Ziel, wenigstens teilweise. Der
Rath gab ihnen nach. Er war des langen Hatlers müde,
er hatte sich überzeugt von der Entschlossenheit, mit
welcher die Geistlichen das von ihnen als recht erkannte
fcsthielten und ihren Standpunkt wohl auch auf andern
Kanzeln als nur derjenigen des Münsters' vertraten und
vertheidigten. -)
Er fand für gut, ihren Vorschlag wenigstens für das
eine der beiden angefochtenen Bilder anzunehmen, und
beschloss: soll allein das Bild am S. Martin dannen ge-
than werden.
Das Bild beim hl. Martin, das entfernt wurde, 'var
die Figur des den Mantel empfangenden Bettlers; ohne
Zweifel wurde damals aus ihr der Baumstrunk gemacht,
welcher heute noch zu sehen ist.
Man wird auch diesem Vorgehen der Geistlichkeit,
so wenig als dem frühem, alle Berechtigung absprechen
*) Conventus vom 17. Angust 1597.
“) Kathsprotokoll vom 20. August 1597 :
S. Georg und Vartin mit zwen rossen
machen uff der cantzlen seltzam bossen.
*) Rathsprotokoil ebendort.
Digitized by Google
können. Der Eifer und die Boliarrlichkeit, womit sie diese
Soulpturen als idola bezeiclineten, mussten ihren Grund
darin haben, dass dieselben in der That verehrt wurden.
Und cs ist eine solche Thatsaohc auch {'ar nicht auffallend in
einer Stadt, die vor 70 Jahren noch katholiscli gewesen
war. So gut der Suiidgauer heute den Bild(>rn des Spalen-
thores seine Yerehrung darbringt, so gut mochten damals
nicht nur die Leute aus der katholisclien Umgegend, son-
dern wohl auch noch mancher Basler und manche Bas-
lerinn ') mit gleichen Empfindungen zu den Bildern an der
Münster wand hinauf blicken. Wenn schon Bürgermeister
Schulthciss den Pfarrern erwidert hatte, es handle sich ja
nur um „steinerne Bosse“, mit denen kein Götzendienst
könne getrieben werden, -) so hatte er eben damit Un-
recht. Die Geistlichkeit war ihrer Sache sicher, sie wusste,
dass die Statuen als Gegenstand der Anbetung dienen
konnten und wirklich dienten, und aus diesem Grunde
war sic befugt, Piinsprache zu erheben. Der Bath gab
nach anfänglichem Sträuben nach, zwar nicht ganz, ab(>r
doch so, dass er die Statuen mit der gleichen Farbe wie
das gesamte Mauerwerk bemalen Hess und die Beseiti-
gung wenigstens des Bettlers beim hl. Martin anordneto.
Er scheint damit auch die Pfarrer wirklich befriedigt zu
haben ; denn in den Acten weder des Baths noch des Con-
vents wird nach diesem Beschlüsse des Streites wieder
Erwähnung gethan.
Mit demselben schliesst überhaupt die Angelegenheit
der Bestauration in den archivalischen Quellen ab; die
folgenden Arbeiten gaben zu keinerlei Erörterungen An-
lass, und im Monat October war dann das Endo des ganzen
Werkes erreicht.
') Vgl. Montaigne (bei Oclis VI, 407) von den Baslern 15S0:
„et aussi il fut averti (pic plusieura eouvoient encore la rcligion
romaine dans lenr eoenr.“
*) Conventus vom Üß. .Iiili 1507.
d
Digitized by Google
Es bleibt daher nur noch übrig, eine zusammen-
fassende Darstellung des Wesens dieses Restaurations-
werkes zu geben und diejenigen einzelnen Arbeiten nam-
haft zu machen, welche in demselben zur Ausführung
kamen.
Es ist oben erwähnt worden, dass die gesammte
Restauration vom März bis in den October 1597 währte.
Diese Kürze der Zeit ist überraschend im Vergleich zu der
Dauer moderner Restaurationen und ermöglicht einen
Schluss über den Umfang dessen, was gethan wurde.
Zwar kostete die Arbeit „nicht wenig tausend Gulden“,
aber dass sic trotzdem in 7 Monaten zu Ende geführt
werden konnte, zeigt worin sie bestand.
Aus den Berichten der Pfleger über die Beschaffen-
heit des Gebäudes, sowie aus ihren Vorschlägen über
Besserung und Aenderung derselben, verglichen mit dom
spätem Zustande, soweit derselbe an dem Münstergemälde
Ringlins von 1650, an den Bücherschen Zeichnungen des
18. Jahrhunderts, endlich an dem heute thatsächlich vor-
handenen ersehen werden kann, ergiebt sich, dass folgen-
des die wesentlichen Leistungen der Restauration von 1597
w'aren : ')
Chor. Die durch das Erdbeben (?) erschütterten
Streben wurden ausgebessort, die Gesimse ergänzt, die
Steinlagen zunächst dem Boden erneuert. Das auf dem
obersten äussern Umgang befindliche Holzdach-) wurde
') Da,ss ilas Ringlin’scho Gemälde in erster Linie absolutes
Beweismittel sei, wird klar aus dem Umstande, dass laut Re.elinun-
geu der (lammerei von 1597 bis 1G50 am Münster duridiaus uietits
gebaut worden ist.
Dieses Dach, welebes nicht allein von aussen einen hässliehen
Anblick muss geboten baben, sondern namcntlieb auch von innen,
wo es einen Teil der Chorfenster verdeckte, ist auf dem Münster-
bild der holbeinisehen Orgelflügel deutlich erkennbar. Dagegen bei
der AViedergabe des Münsters in Matlueus Merlans Prospect von 1U15
ist es nicht mehr vorhanden.
Digitized by Google
35
entfernt, und dieser Umgang statt mit Steinplatten mit
Kupfer belegt.
Galluspforte. Hier wurde das oberste Gesims, wel-
ches durch aufgezogene Balken beschädigt worden war,
erneuert.
Vorderseite. Ein „Vorschopf ob der grossen Thür“
wiu'de weggebrochen. ') Die hier erst an den Uhren,
dann an den Keiterbildcrn ausgeführten Arbeiten sind oben
besprochen worden.
Die untersten Steinlagen um das ganze Gebäude her-
um wurden durch neue ersetzt, ebenso Mauern und Strebe-
pfeiler ausgebessert.
Die gesamte äussere Mauerfläche, auf den Seiten
bis zum Dach, vorn bis zur grossen Gallerie hinauf, wurde
bemalt, „alles mit kesselbrauner färb und weissen strichen“,
wie Pfarrer Brombach berichtet.-)
Die Thürme, an welchen zuletzt gebaut worden war,
zeigten sich darum einer Restauration am wenigsten be-
dürftig. Nur am S. Goorgsthurm war durch einen her-
untergestürzten Glockenschwengel eine Gallerie beschädigt
worden, was nun wieder hergcstellt wurde.
Im Innern wurden die Fenster einer eingreifenden
Erneuerung unterzogen. Die fünf grossen Hauptfenster
oben im Chor erhielten eine Ausfüllung von lichtem
weissem Glase, nur an das Masswerk, weil in diesem noch
einige „gute woppen“ sich erhalten hatten, wendete man
farbiges Glas. Und in ähnlicher Weise wurden auch die
meisten der übrigen Fenster mit hellem Glase versehen.
Der Vorschlag der Pfleger, die vier Rundfenster im
Chor des alten zerbrochenen Masswerks zu berauben und
’) Katlisprotoküll vom (J. August 1597. Es ist nicht klar,
was unter diesem Vorschopfe zu verstehen sei.
*) Mscr. der Vaterl. Bibi. pag. 6.5. Ein Teil dieser Bemalung
mit den die Uuadern audeuteuden Strichen hat sich unter einem der
Seiteudäeher noch erhalten.
Digitized by Google
36
dafür gewöhnliche aufrechte Pfosten in die Oeffnung ein-
zufügen, gelangte glücklicher Weise nicht zur Ausführung,
sondern es scheint, dass das behauene Steinwerk erneuert
oder docli ausgebessert wurde. In die Fenster wahrscheinlich
der Seitenschiffe kamen nun aber Glasgeniälde zu hangen,
die von verschiedoneu Seiten als schöne Beisteuer und zu
erhöhter Zier des erneuerten Gotteshauses gestiftet wurden. ‘)
Einige schadhafte Gewölbe im Innern wurden aus-
gebessert, ferner allerlei zerschlagenes Steinwerk an Säulen,
Basen und C’apitälen, an Gesimsen und Bögen ergänzt und
geflickt. Die Wände und Gewölbfelder wurden mit weisser
Farbe angestrichen, und davon die Pfeiler, Bögen und
Arcjadcn, die Fenstereinfassungen, Ri[)pen und Schluss-
steine durch ein kräftiges Both unterschieden. An die
Pfeiler im Langschiff kamen .,schöne tafelcn mit rolwerckh
mit schwarzen roten und guldincn schrifften“, Sprüche aus
der Bibel enthaltend.'“')
Die Kanzel erhielt einen neuen hölzernen Deckel,
welcher durch Hans Walther“) gefertigt wurde und 801b.
kostete. *)
Am Lettner wirrden die Wappcnschilde der <lamals
regierenden vier Häupter Schultheiss, Huber, Oberriet
und Fasch angebracht.“)
') Falkeisen 71. 75. 7‘,i. erwiihnt „bürgerliche Wappen mit der
.lahrzahl 1597“ als in den Fenstern der Capellen der »Schaler, des
Erzbischofs von Mainz, und des Hischof’s Heinrich von Keuenburg
befindlich. Heute sind in einem F\*nster des südlichen Seitenschiffes
eine Anzahl von Glasgemälden mit dem Datum 1597. Diese und die
zwei ebenso datierten Stücke <ler mittelalterlichen Sammlung (Führer
26) dürfen wohl sicher als die von Falkcisen erwähnten gedeutet
werden; sie sind ohne Zweifel als Stiftungen anzusehen, die bei
Anlass und zu Gedäelitniss der Eenovation von 1597 geschahen.
*) -Mitgctheilt bei Tonjola 351 f.
Hans Walther war auch einer der Künstler der Häupter-
stühle von 1598: Falkeisen 48.
*) Falkeiscn 45.
“) Falkeiseu 40.
Digitized by GoOglc
37
Dagegen sind damals nicht, wie Bruckner berichtet, ')
die im Langhause aurgehiingten alten Wappenschilde der
Bcnefactoren ahgenommen und entfernt worden. Vielmehr
blieben sie an ihrer Stelle, wie das Gemälde von 1650
noch sehr deutlich angiebt. Wohl aber wurden sie, zu-
sammen mit den Wappen der Kreuzgmiggewolbe, in
diesem Jahr 15‘J7 durcli den Glasmaler Hieronymus
A^scher abgezeichnet. -’) 1701 erst wurden sic beseitigt
und in der Domprobstei verwahrt, waren aber hier am
Anfang des 19. Jahrhunderts nicht mehr zu finden.^)
Dies in kurzen AVorteii die Summe der Arbeiten
jener Münsterrostauration. Vergleichen wir damit den
Bericht der Pfleger, in welchem, wie wir sahen, für
Steine und Steinmotzenarbeit 480 fl., für Kalk, Gips,
Saud u. dgl. samt Taglohn der Maurer und Gipser
880 fl., für Glas und Glaser 810, für Maler und Farben
aber 1880 fl. budgetiert wurden. Diese Zahlen und die
obigen Ergebnisse gestatten uns, das allgemeine Wesen der
Restauration so zu charakterisieren.
Ausbesserung und Ersetzung des behauenen Stein-
werks, worin heute der hauptsächlichste Teil einer lle-
stauration erblickt wird, erforderten damals eine im Ver-
hältnis geringe Arbeit, umfassender war die Arbeit der
Maurer und Gipser, der Glaser, und vor allem der Maler.
Denn cs handelte sich vorwiegend nur um Bearbeitung
und Auffrischung der äussern Fläche des Bauwerks. Eine
eingreifendere Untersuchung und Ausbesserung des Ma-
terials, der Stoiumasse, bis in die einzelnen auch kleinsten
Teile war wohl noch gar nicht nöthig. Die Klagen, dass das
Münster noch vom Erdbeben her arg zerrüttet und „zer-
') Furtl'iihrung von Wuistiseus Chronik Ö2.
-) Diese Zeiehnungen Vischers befinden sieh iin Staatsarcliiv.
Kille Copie denselben, für Aiitistes Durckhardt durch den Maler
Keustück angefertigt, besitzt die Bibliothek des Antistitiuins.
*) Falkeisen 43. Notiz von Antistes Biirckhardt.
Digitized by Google
38
schrenzt“ sei, wcrclcn zwar öfters laut; aber der Schäden,
die noch wirklich vom Erdbeben herrührten, konnten nicht
viele sein, und was sonst noch verdorben war, durch
Frost, Unvorsichtif^keit und Bildersturm, war auch nicht
zahlreich. So fand der Steinmetz die wenigste Arbeit.
Daneben ist zu bemerken, dass eine wirkliche Verände-
rung des Thatbestandes in Ergänzung grösserer Defccte,
wäre dieselbe auch geboten und natürlich gewesen, einfach
unterlassen wurde. Beispiel hiefür sind die Säulen an
den Seiten der Pfeiler des Mittelschiffes, welche in katho-
lischer Zeit wahrscheinlich für Anbringung von Altären
bis zu zwei Dritteln ihrer Höhe abgeschlagen worden
waren; die Lücke, seit Entfernung der Altäre sichtbar
geworden, wurde in dieser Restauration nicht ausgefüllt,
und die gekürzten Säulenrcste sind daher noch auf dem
Kinglin’schen Bilde, ja noch auf der Büchcrschcn Zeich-
nung sichtbar und wurden erst bei der letzten Restauration
wieder auf den Boden herab geführt.
Neben dieser Tendenz, grössem Aenderungen auszu-
wcichcn, das Bestehende wie es war zu erhalten und,
wenn es angieng, durch einen fetten Farbenaiistrich zu
conscrvicren, gieng die andre ebenso auf’s praktische ge-
richtete Bestrebung, dem Innern des Münsters möglichst
viel Licht zuzutühren. Darum spielt im Vorschlag der
Pfleger die Arbeit des Glasers eine so hervorragende
Rollo, und hebt Andreas Ryff in seinem Berichte nament-
lich hervor, dass das Münster ganz finster gewesen sei,
daher man es mit lauter neuen Fenstern renoviert habe.
Die Absicht der Restauration war, wie es auch da-
mals gar nicht anders sein konnte, nicht darauf gerichtet,
in allen Teilen stilgerecht zu verfahren. Bemühungen,
die diesem Ziele gelten, sind modern, und man fand da-
mals nichts anstössiges daran, wenigstens bei llinzufügung
von Schmuck und Beiwerk den allerneuesten Renaissance-
styl anzuwenden. Beispiel dafür die Malereien an der
Digitized by GoOglc
39
Fa<,'ade mit ihren Gestalten antiker Götter, Beispiel die
Malereien des Innern mit ihrem „Rolwcrk“ und ihren
Blattverzierungcn , Beispiel ferner der Kanzeldeckel und
ein Jahr später die Iläupterstühle. Es war das gleiche
Selbstgefühl, welches im 18. Jahrliundert, freilich dann
um so ärmer und unvermögender, das hölzerne Geländer
vor den Arcaden und die gemalten Blumenvasen an den
Gewölben anbrachte.
Es bleibt zum Schlüsse noch übrig zu erwähnen, wie
teuer das Restaurationswerk zu stehen kam, und wolicr
die Mittel liiezu flössen. Sie wurden aufgebracht ausser
der Cammerci des Münsters durch die Verwaltungen der
übrigen Stifte und Klöster, welchen durch Rathsbeschluss
ihre Beiträge vorgeschrieben worden waren. Es zahlten
daher die Domprobstei 375 Ib., S. Alban 500 Ib., S.
Maria Magdalena 375 Ih., Gnadenthal 375 Ib., Prediger
500 Ib., Augustiner 100 Ib., in Summa 2225 Ib. Die
Beiträge der übrigen Verwaltungen (Prsesenz, Quotidian,
Barfüsser, S. Leonhard, S. Peter, Clingcnthal, S. Clara,
Carthause) habe icli nicht in Erfahrung bringen können,
zusammen mögen sie wold 2000 Ib. betragen haben.
Nehmen wir dazu, dass der durch die Beisteuern nicht
gedeckte Rost der Baukosten, den die Cammerci über-
nahm, 2854 Ih. 8 sh. 10 dn. ausmachte, so dürfen wir
eine Summe von ca. 7000 Ib. als Gesamtkosten der Re-
stauration annehmen. Dieses Geld wurde ausschliesslich
durch die geistlichen Verwaltungen aufgebracht, die Stadt
als solche trug zu dem Bau nichts bei.
Digitized by Google
SchwBighauflprisc;tii> Har.bdnif'kprei in Baxe].
Digitized by Google
4
Beiträge zur Geschichte
des
«
Basler Münsters
heransgegeben vom
Basler Münsterbauverein.
u.
Zur Baugeschichte der FaQade.
Von
E. LaRoche, Pfarrer.
BASEL.
Benno Schwabe, Verlagsbuchhandlung.
1882.
Digitized by Google
Ala ein ehrwürdij'er Zeuge ruhmvoller vergangener
Tage steht unser Münster da. Könnte es erzählen von dem,
was es hat geschehen, was es ira Lauf der Jahrhunderte
hat werden und vergehen sehen, von den wechselnden
Geschlechtern, die in seinen feierlichen Iläumen aus- und
cingegangen sind, um da die bedeutsamsten Augenblicke
ihres Lebens weihen zu lassen, — welch reichbewegtes
Bild der Geschichte unserer Vaterstadt würde sich vor
unsem Augen entrollen. Aber es hat ja das Münster
neben dem auch seine eigene Geschichte, es ist selber im
Laufe der Zeit erst geworden und allmälig zu derjenigen
Vollendung emporgewachsen, in der es noch heute die
hervorragendste Zierde unserer Stadt bildet. Und jetzt ge-
rade, da die so glücklich in Angriff genommene Restau-
ration unseres Münsters wieder mehr als sonst die Blicke
und das Interesse auf dieses Baudenkmal hinlenkt, dürfte
wohl ein Versuch, das Werden desselben darzustellen,
mancherorts eine wohlwollende Aufnahme finden. Denn, so
Vieles auch schon über unser Münster geschrieben worden
ist, die Geschichte seiner Entstehung und allmäligen Aus-
gestaltung ist doch erst sehr wenig bekannt, ja in mancher
Beziehung ist diese Geschichte selbst noch der Aufhellung
Digitized by Google
4
und Ergänzung bedürftig, was vor Allem daher rührt, das»
die Quellen, aus denen sie könnte geschöpft werden, so
überaus spärlich fliessen. In Folge dessen sind wir, wo
die Urkunden schweigen, fast ausschliesslich auf die An-
haltspunkte angewiesen, welche aus einer eingehenden Be-
trachtung des Bauwerkes selber sich ergeben.
Ganz besonders aber gilt dies gerade von demjenigen
Theil des Baues, welcher dem Beschauer doch zuerst in
die Augen fallt, der mit seinem Portal und seinen Thürmen
dem ganzen Bauwerk seinen Hauptreiz und seinen so eigen-
thümlichen Charakter verleiht, — wir meinen die Münster-
Fa^ade. Und dieser soll denn auch die vorliegende Unter-
suchung gelten.
Digitized by Google
I. Die Mittel-FaQade.
Wer hat nicht schon, vor unserm Münster stehend,
zugleich mit dem Wonnegefühl des erhebenden Anblicks
doch auch, sobald er die Erinnerung an irgend ein ver-
wandtes Bauwerk in sich wachrief, eine Empfindung da-
von gehabt, dass ihn hier die von anderswo her gewohnten
Formeln über Composition und Proportion einer zwei-
thurmigen Parade völlig im Stiche Hessen ?*) Sehen wir
auch gänzlich ab von den störenden Anbauten der äussern
Seitenschiffe mit ihren schief gegen die Thurmwände auf-
steigenden Dächern, als von Bautheilen, die mit der ur-
sprünglichen Anlage nichts zu schaffen haben, so bleibt
doch des Verwunderlichen noch genug: eine oben hinaus
durch und durch gothische Gestalt der Thürme, die gleich-
wohl von unten herauf des wesentlichsten Kennzeichens eines
gothischen Thurmbaues — der wuchtigen Strebepfeiler —
völlig entbehrt, so dass die Linien vom Boden an als
nackte Vertikalen aufsteigen. Ein Mittelportal, das an
') Wir verweisen hier, wie für die folgenden Ausführungen, auf
die in Taf. I. mitgetheilte Gesammtansicht der Münster-Fa^ade.
Digitized by Google
6
sich mit allem Reize ähnlicher Hauptplbrten geschmückt,
doch die zu seiner Flankirung unerlässlichen Nebenportale
in den Thürmen schmerzlich vermissen lässt. Und end-
lich als Ergebniss dieser Mängel die fast sprichwörtlich
gewordene Kahlheit der ganzen untern Hälfte unserer
FaQade.
Der Grund aller ebengenannten Eigenthümlichkeiten
liegt wohl in der ursprünglichen Gestalt der Thürme, und
für diese wird es also vor Allem gelten eine Erklärung
zu suchen. Der nächstliegende Gedanke wäre, die Ent-
stehung der Thürme der gleichen Bauzeit zuzuschreiben,
der auch sämmtliche übrige Theile des ältern Münsters
ihren Ursprung verdanken, also der W ende des XII. Jahr-
hunderts von 1185 an. Allein wie Hesse es sich erklären,
dass derselbe Meister, der Chor und Querschiff in den
reichen Formen des damals herrschenden Uebergangsstils
geschaffen, der dort auch bereits seine Kenntniss des
Strebesystems bewiesen hatte, nunmehr an die Thürme
gelangt auf einmal auf diesen eben so sehr constructiven
als ästhetischen Vortheil verzichtet haben sollte? Man
vergleiche z. B. die unserm Münster gleichzeitige und
in Vielem nahe verwandte Legerius-Kirche in Gebweiler,
um sich zu überzeugen, dass die Gliederung der Thürme
mit Streben und ihre Durchbrechung durch Nebenportale
auch dem Meister unseres Münsters nicht ferne gelegen
hätte.
Allein eben dieser, leider uns unbekannte, Meister
fand für den Bau der Fa<;ade keine tabula rasa vor, son-
dern da stand noch ein Rest des 1185 in Flammen auf-
gegangenen Münsters, ') mit dem er nothwendig rechnen
musste. Wir meinen die untersten Stockwerke des gegen-
wärtigen St. Georgsthurmes. Rahn sagt: „Schon in dem
ersten Entwürfe war die Errichtung der zwei westHchen
') Rahn, Gesch. d. bild. Künste 1876, 213 Änm.
Digitized by Google
Thürme vorgesehen und muss auch der eine, der nördliche
Thurm, wie dies dieBleudarkarden und Consolgesimse zeigen,
noch in romanischer Zeit bis zu einer gewissen Höhe
emporgetührt worden sein.“')
Auf diese von Rahn hervorgehobenen Blendarkaden
möchten wir zunächst die Aufmerksamkeit hinlenken. Sie
ziehen sich um die drei Aussenseiten des Thurmes, nur
sind sie gegen Norden durch das später angebaute Dach
des äussem Seitenschiffes, nach Osten theilweise durch die
Obergalerie des innern SeitenschiflTes, das sogen. Triforium,
verdeckt. Schon die Art, wie dieses Triforium mit dem
Thurm verbunden ist (s. Tafel III, Fig. 1), zeigt deutlich,
dass jene Blendarkaden vorhanden waren, noch ehe der
Bau von 1185 mit seinem Seitenschiff und seinem Trifo-
rium daran anschloss ; denn ganz unorganisch schneidet das
Gewölbe des Triforiums durch jene Blendarkaden, sie zur
Hälfte geradezu verdeckend, ein Umstand, auf den Herr
Dr. Ach. Burckhardt bereits aufmerksam gemacht hat.^)
Hiezu kommen aber nocb weitere Merkmale, die auf einen
frühem Ursprung des St. Oeorgsthurmes schliessen lassen:
Das unterste Stockwerk zeigt im Innern ein Tonnen-
gewölbe, das einzige, das unser Münster aufweist. Ferner
sind die beiden untern Stockwerke gerade bis über die
vorhin erwähnten Blendarkaden aus einem bläulich weissen
Sandstein erbaut, der sonst am Münster nirgends mehr
sich wiederfindet. Dazu stimmt endlich die Benennung
„vetus Campanile“,") die zwar erst 1274 urkundlich be-
zeugt ist, aber auch leicht erst aufkommen konnte, nach-
dem einmal neben demselben der Martinsthurm als der
,nüwe turn“, wie er in den Münsterrechnungen heisst, in
'} Rahn a. a. 0. pag. 47C.
*) Anz. f. Schweiz. Alterthk., Jahrg. XII, pag. 927, und K. Steh-
lin ibid. XllI, pag. 32.
") Dr. Fechter Nenjhl. 1850, pa^ 13 und 43.
Digitized by Google
Angriff genommen ward. Nichts steht der Annahme ent-
gegen, dass der bisher besprochene Unterbau des Georgs-
thurmes noch dem 1010 bis 1019 unter Mitwirkung Kaiser
Heinrichs II. erbauten frühem Münster angehört und als
einziger Ueberrest den Brand von 1185 überdauert habe.
Damit ist aber zugleich gesagt, dass der nach jener Zer-
störung begonnene Neubau, sobald er einmal bis zur
Fa?ade vorgerückt war, den genannten Thurmstumpf bc-
\ reits vorfand und sich mit demselben irgendwie in Ein-
klang setzen musste.
Wie verfuhr nun der Meister, dem diese Aufgabe
zufiel, das ganze Münster durch einen westlichen Frontal-
bau abzuschliessen ? Darüber gibt uns die heute noch vor-
liandene Fa^ade Aufschluss, die, in ihren untern Thcilen
wenigstens, keine andere ist als die ursprüngliche, wie sie
schon vor dem Erdbeben von 1356 dastand.
Wir sind uns wohl bewusst mit dieser Behauptung
von allen bisherigen Annahmen abzuweichen und werden
dämm vor allem aus einen so frühen Ursprung des ge-
nannten Frontbaus zu begründen haben.
Sehen wir zunächst das Portal an, so dürfen wir ja
nicht durch das überaus dürftige Maasswerk im Bogenfcld
desselben und durch dessen spätgothische Formen, sowie
durch den dieses Bogenfeld nach unten abschliessenden
Tragbalken mit seiner eben so späten Stützsäule am Mittel-
pfosten uns irremachen lassen. Das sind nachweislich Zu-
thaten, die den im Bildersturm zerstörten einst viel herr-
lichem Schmuck dieser Theile ersetzen sollten. Der Aus-
gabeposten unsrer Münsterfabrik-llechnung von 1471: „It.
von dem Jesus-Hendlin apud ymaginem beatae virginis
circa majorem januam ze rcforniircn VI ß“ lehrt deutlich,
dass ein Bild der Maria, wie es ja auch bei einer Unsrer
1. Frauen geweihten Barche nicht anders sein konnte, an
dem Mittelpfosten des Portals, gerade so wie in Strassburg
und Freiburg, aufgestellt war. Zum Ueberfluss steht die
Digitized by Google
9
Säule sammt Kapital, worauf einst das Marienbild ruhte,
heute noch da, und hinter der spätgothischen an Stelle
dieses Bildes gesetzten Säule finden sich im Hauptpfosten
noch die Döbel, in welche die Rückseite des Bildes mit
entsprechenden Eisenbarren befestigt war. Bildete aber
diese Marienstatue einst den Mittelpunkt der ganzen Por-
talausstattung, dann darf auch sicher angenommen werden,
dass das über dieser Statuo sich erhebende Bogenfeld, das
sogen. Tympanon, mit einer dazu gestimmten Reliefdar-
stellung, etwa dem Kreis der Marienlegende entnommen,
geschmückt war. Heute ist leider nur noch die ehemalige
Umrahmung dieses Bildes: der reichgezierte Spitzbogen
des Portals vorhanden. Von seinen vier Hohlkehlen
zeigen zwei je eine Serie auf Consolen übereinandergeord-
ueter Gestalten: Die innere, dem Tympanon zunächst-
stehende, ist aus jederseits neun Engeln gebildet, die in
anbetender Gebärde, meist ein Spruchband haltend, nach
dem Bogenfeld hin oder nach oben schauen. In der Spitze
des Bogens, wo beide Reihen Zusammentreffen, schaut eine
männliche Gestalt heraus, einen merkwürdig gewundenen
Kranz in der Linken vorhaltend; ein räthselhaftes Bild, das
aber, wenn das Hauptbild im Tympanon noch vorhanden
wäre, gewiss von diesem aus sofort seine Deutung finden
würde. Die zweite äussere Hohlkehle ist mit jederseits 11
Brustbildern ausgesetzt, in welchen Könige und Propheten
mit Engeln abwechseln, und den Schluss im Bogenscheitel
bildet die Gestalt Gott -Vaters (oder Abrahams:'), der die
Seelen der Erlösten in seinem w'eiten Mantel birgt und
zugleich seine Arme segnend über den ganzen Himmel aus-
breitet. (S. die Abbildung pag. 5.) Denn nichts anderes als
eine Darstellung des Himmels und seiner Heerschaaren
von Engeln und Seligen glauben wir in den vorhin er-
wähnten Gestalten der Hohlkehlen erkennen zu sollen.
Und wie nahe liegt da der Gedanke, dass ihre Anbetung
und Freude dem Vorgang gelte, der einst in ihrer Mitte,
Digitized by Google
10
im Tympanon selbst, dargestellt war, und unter dem wir
etwa die Himmelfahrt Mariä, resp. ihre Krönung durch
den Vater und den Sohn uns vorstellen können. Derselben
Darstellung begegnen wir ja auch im Chor des Münsters
am Hauptschlussstein des Gewölbes.
Unsere Kenntniss mittelalterlicher Plastik und ihrer
Stilwandlungen in den einzelnen Epochen reicht nicht hin,
um über das Alter der bisher besprochenen Portal-Sculpturen
ein sicheres Urtheil zu fällen ; zudem haben wir es ja hier
mit lauter secundären Gestalten zu thun, die in kleinem
Maassstab ausgeführt und dem Beschauer ziemlich ferne
gerückt das Urtheil noch erschweren. — Um so mehr
aber glauben wir in dem übrigen Beiwerk des Portals
Anhaltspunkte für die Datirung seines Ursprungs gewinnen
zu können. Da möchten wir vor Allem auf die den gan-
zen Portalbogen aussen umrahmende Krabben reihe hin-
weisen: ') diese Krabben zeigen die für die
früheste Gothik so überaus charakteristische
Knospenform mit straff aus der Unterlage
vorspringendem Stiel. Wir wüssten an unserm
ganzen Münster keine zweite Krabbe dieser
Bildung zu finden. Sodann das Laub- und
Blumenwerk, das die mittlere Hohlkehle
des Portalbogens zwischen jenen beiden figu-
rirten Hohlkehlen füllt. Es will an Ort und
Stelle betrachtet und wieder und wieder in
den verschiedenen Beleuchtungen, besonders bei der Abend-
sonne betrachtet sein, wenh sich die unübertreffliche Kunst
des Meisseis, die liebende Hingabe, mit der hier der Natur
ihre zartesten Formen abgelauscht sind, offenbaren soll.
’) R. Redtenbacher in s. Leitfaden znra .Stud. der mittelalt.
Baukunst 1881 nimmt diese Krabben unseres Portals sogar noch für
den Ucbergangsstil in Anspruch; nur ist die von ihm gegebene Ab-
bildung (Tafel II, 15) eher irre führend.
Digitized by Googb
11
Und welche Kunst hat diese Treue in Wiedergabe des
natürlichen Pflanzenschmucks geübt? Es war wiederum
die der ersten Gothik, die, von der im Romanischen
bis zur völligen JSaturwidrigkeit getriebenen Stilisirung
des Pflanzenornaments zur wirklichen Natur und ihrem
Studium zurückkehrend, in dieser auf Weg und Steg zu
ihrem Staunen die schönsten Motive entdeckte und nun
mit der ganzen Lust einer neuaufwachenden Kunst das
zierliche Laub der Eichen, der Ahorne, der Haselstaude
und des Epheus, sowie die Blumen des heimischen Feldes
und Gartens, dem Steine in frischer Begeisterung anzu-
vertrauen bemüht war. Der Fortgang der Kunst hat es
dann bewiesen, wie auch hier die anfangs ungezähmte
Lust mehr und mehr unter das strenge architektonische
Gesetz sich beugen lernte, bis sie jenen Sinn für unmittel-
bares Schöpfen aus der Natur allmälig verläugnend in ein
neues Stilisireu des Pflanzenmotivs hineingerieth, das schliess-
lich die Kapitale, die Krabben und Kreuzblumen der spä-
tem Gothik bis zu ihrer Ausartung in das eigentliche
Schnörkelblatt, hervorbrachte. Man lese in Yiollet-le-Duc
den Artikel „Fleur“ und ähnliche nach, um sich diese
ganze Entwicklung noch viel lebendiger zu vergegenwär-
tigen: und kehre dann, an der Hand dieses bewährten
Führers zu unserm Münsterportal zurück, so wird man kei-
nen Augenblick mehr im Zweifel sein, dass wir es hier mit
einem Werk der allerfrühesten Gothik zu thun haben. In
dieser Ueberzeugung werden wir noch bestärkt, wenn wir
nun endlich auch noch die den bisher besprochenen Por-
talbogen tragenden Säulen, resp. deren Kapitale und
Basen ins Auge fassen. Man erkennt an erstem deut-
lich das Laub des Ahorns, des Haselstrauchs, des Mehl-
baums, der Rose und der Himbeere, sowie die Blüthe der
Primel. (Einige dieser Kapitäle gibt unsere Taf. II.) Und
was die Basen betrifft, so legt deren flache, fast tellerför-
mige Bildung nicht minder Zeugniss ab für die erste Zeit
Digitized by Google
12
der Gothik, als das scharfkantige Birnenprofil
der die Portalsäulen trennenden Rippen. ')
Wir haben bis jetzt nur erst von dem Portal
im engem Sinne gesprochen, noch nicht von der ganzen
Portalwand, wie sie den Raum zwischen beiden Thürmen
und bis zur ersten Gallerie ausfüllt. Wenden wir uns
denn zu dieser Umrahmung des Portals im weitern
Sinne. Dieselbe zeigt zunächst auf beiden Seiten der
Hauptthür jene schmalen, oben mit Maasswerkfenstern
durchbrochenen Nischen und auf 4 Vorgesetzten Pfeilern
als Hauptschmuck der ganzen Anlage die bekannten Sta-
tuen einerseits Kaiser Heinrichs als des Münsterstifters
und der Kaiserin Kunigunde, andrerseits der Weltlust,
wohl noch richtiger des Verführers, einer männlichen ge-
krönten Gestalt, an deren nacktem Rücken allerlei kriechen-
des Gewürm, ein Sinnbild des von der Lust geübten Be-
truges, sich bewegt, und ihr Pendant: die Begierde als
weibliches Wesen, wie sie eben im Begriff steht, der
Lockung sich gefangen zu geben. Ueber diesen Statuen
endlich die vier sie überdachenden Baldachine, die bis zur
Galerie aufreichen und den einzigen Schmuck der sonst
kahlen obern Wandhälfte bilden.
Dass das Hauptportal bereits fertiggestellt war, ehe
der ebengeschilderte Ausbau der übrigen Wand stattfand,
das werden wir zunächst zu beweisen haben. Ein Augen-
schein an Ort und Stelle wird Jeden überzeugen, dass die
vier die Statuen tragenden Pfeiler erst nach Vollendung
des Portals vorgesetzt wurden, indem die Fugen ihrer
Quader eine ganz andere Scala bilden als der Mauerkern,
und die Fuge der Anlehnung an letztem von unten bis
*) Die geometrische Constrnction, welche der ganzen Säulen-
stellung des Portals xn Grunde liegt, sucht unsere Fig. 2, a. aut
Taf. III zu veranschaulichen; b. eine Rippe des Portalbogens; c. eine
solche des Vorgesetzten Pfeilers. Vergleiche dazu Viollet-le Duc, Art.
„Profil“.
Digitized by Google
»
— 13 —
oben deutlich zu sehen ist. Es braucht dieser Weiterbau
nicht viel später datirt zu werden; denn auch die Kapi-
tale und Basen an den Säulen dieser Tiagpl'eiler zeigen
noch durchaus frühgothischeu Charakter, aber doch schon
von etwas vorgeschrittener Bildung: die Basen stark aus-
ladend haben zu ihrer Stütze kleine polygone Consolen
und sind in doppelter Keihe angeordnet. Die Kapitale
sind im Vergleich mit denen des eigentlichen Portals be-
deutend gestreckter und ihr Laubwerk wächst nicht sowohl,
wie es dort der Fall war, aus dem Kapitälkelch heraus,
als dass es denselben lose umrankt. Das Birnenprofil
zeigt bereits statt der scharfen Kante das vor-
gelegte Plättchen. Wir möchten die Ver-
muthung aussprechen, dass erst nach Erstellung
des Portals, etwa in Folge einer grossmüthigen
Stiftung, die vier Statuen mit in den Fa^adenplan konnten
aufgenommen werden und dass ihrer würdigen Aufstellung
zu lieb die eben besprochenen Tragpfeiler aufgeführt wurden.
Nun geht aber die Säulenstellung an der Seite
dieser Tragpfeiler nicht nur bis in die beiden Nischen
hinein, sondern durch die Wand dieser Nischen hindurch bis
ins Innere der Vorhalle. Sehen wir uns das Fenstermaass-
werk und die mit horizontalem Stabwerk gegliederte
Füllwand dieser Nischen näher an, so überzeugen wir
uns sofort, dass wir es hier mit einer ziemlich späten
Einbaute zu thun haben , die wir sogar bis auf
das Jahrzehnt datiren können , indem der mittlere
Vierpass der einen Nischenwand das Steinmetzzeichen
N® 1 trägt, die andere das Zeichen N® 2. Das erstere
f rt
I. 2.
Zeichen nun findet sich genau so wieder an dem urkund-
lich Anno 1423 durch Hans Cun von Ulm erbauten Thürm-
Digitized by Google
14
eben der hiesigen Dominikanerkirche; ') das andere Zeichen
an unserm Münster selbst, und zwar am Georgsthurm, an
der Wendeltreppe des Wächterhauses, also an einem Bau-
theil, der wie später nachzuweisen sein wird, ebenfalls
auf das 2. Jahrzehnt des XV. Jahrhunderts zurückzu-
führen ist.
Nichts ländert aber anzunehmen, dass vor 1420, d. h.
che jener Verschluss stattfand, die beiden Nischen zwei
das Hauptportal llankirende Nebenportale bildeten; sehr
eng gedrückte allerdings ! Aber nehmen wir an, dem Er-
bauer derselben habe das Ideal einer dreigliedrigen
Fa^ade mit Hauptportal und zwei seitlichen Portalen vor-
ges(;hwebt, so würde er, wenn er tabula rasa vorgefunden
hätte, das Hauptportal etwas weiter nnd höher geöffnet,
die Nebenportale aber unzweifelhaft in das Untergeschoss
der Thürme verlegt und so ein normales Fagadenschema
erreicht haben. Nun aber stand als unüberwindliches non
possumus der festgeschlosscne Georgsthurm zwei Stock-
werke hoch schon da und verlangte gebieterisch, dass sein
Nachbar zur Linken in gleicher Haltung sich neben ihn
stelle. Dem bedrängten Meister aber blieb nichts übrig,
wenn er auf das dreitheilige Portal nicht ganz verzichten
wollte, als dasselbe in dem zwischen beiden Thürmen noch
freigebliebenen Raum so gut wie möglich, d. h. eben in
der vorliegenden zusammengedrängten Gestalt unterzu-
bringen.'-) Aus welcher Ursache später diese Nebenportale
verschlossen und in blosse Fensternischen verwandelt wor-
den seien, bleibt uns unbekannt.
Nochmals müssen wir aber, ehe wir weitergehen, zu
jenen vier Statuen unsere Portals zurückkehren. Für ihre
') Archiv des Prediger-Klosters Nr. 830.
’) Eine der hiesigen auffallend ähnliche Portalanlage, durch
aualoge Verhältnisse bedingt, zeigt die Westfront der Sainte Chapelle
in Paris. (Vergl. Calliat et Lance, VIII, Bl. 64; IX, Bl. 62 u. 116.)
Digitized by Google
15
Datirung haben wir nur den einen Anhaltspunkt, dass
die Gruppe der Verführung mit der entsprechenden Dar-
stellung des Strassburger Portals die innigste Verwandt-
schaft zeigt, die auch auf eine gleichzeitige Entstehung
schliessen lässt. Nun ist für den Beginn des Erwin’schen
Baues an der Strassburger Fagade — und diesem gehören
die fraglichen Sculpturen an — ungefähr das Jahr 1280
ermittelt. In diese Zeit wären demnach auch unsere Basler
Portalstatuen zu setzen, — etwas später, wenn sie den
Strassburgem nachgebildet sind; etwas früher, falls sie als
deren Vorbild dürfen betrachtet werden.') Als ein Werk
des XIII . Jahrhunderts dürfen wir dieselben jedenfalls in
Anspruch nehmen. Ihre jetzige Aufstellung ist jedoch
nicht mehr die ganz ursprüngliche: sie standen einst un-
mittelbar über der ihre Stützpfeiler abschliessenden Ab-
schrägung, während die untergesetzten Postamente spätem
Stil verrathen und bei einer uns unbekannten Aenderung
des Fa<;adenplans, etwa bei Errichtung der ebenfalls späten
Galeiiebrüstung hinzugekommen sein mögen, womit zu-
gleich auch die vier Baldachine erst in ihrer jetzigen Ge-
stalt über die Statuen gesetzt wurden. Auf eine solche
Aenderung resp. Erhöhung unserer Portalmauer scheint
überdies der Umstand zu deuten, dass an der südlichen
Ecke derselben etwa ein Fuss unterhalb des Wasserspeiers
die Ansätze einer frühgothischeu Eckkrabbe bei guter Be-
leuchtung noch sichtbar sind. Eine solche wäre in der
gegenwärtigen Anlage unerklärlich; sehr wohl würde sie
aber mit der Annahme stimmen, dass der ganze Abschluss
der Wand über dem Portal ursprünglich etwas niedriger
und anders, d. h. ebenso wie das Uebrige in frühgothischen
Formen gebildet war.
Wenden wir uns nun dem Martinsthurm zu. Als
*) In letzterem Sinne hat sich eine competente Stimme in der
hiesigen historisch-antiquarischen Gesellschaft ausgesprochen.
Digitized by Google
16
wir vorhin von der Nöthlgunf' sprachen, die für den Er-
bauer der Mittelfa^ade vorlag, seine ganze Portalanlage in
den verhältnissmässig engen zwischen beiden Thürmen
verfügbaren Raum zu componiren, mussten wir uns so
ausdrücken, als hätten damals beide Thürme schon dage-
standen. Es stund aber thatsächlich, wie wir früher nach-
gewiesen, nur erst der Georgsthurm, genauer dessen
beide untere Stockwerke; sein jüngerer Bruder, der
Martinsthurm, ward erst im XIII. Jahrhundert, w^ahrschein-
lich gleichzeitig mit dem Portal begonnen. Zu dieser Zeit-
bestimmung nöthigen uns vor Allem die an der Aussen-
wand des untersten Tburmgeschosses zahlreich vorhandenen
Steinmetzzeichen. Nun kamen Steinmetzzeichen überhaupt
bei kirchlichen Bauten erst gegen Ende des XII. Jahr-
hunderts in Gebrauch'), demgemäss weist der schon oft
erwähnte alte Grundstock des Gcorgsthurmes kein einziges
solches Zeichen auf, während die nach dem Brand von
1185 erbauten Theile, der Chor, die Querschiffe und das
Langhaus ganz damit übersät sind. Freilich können wir
sie nur noch an den bis jetzt unberührt gebliebenen
Aussenseiten constatiren. — Das ganze Innere des Münsters
hat diese oft so kostbaren Ursprungszeugnisse unter dem
Kronhammer der 1850er Restauration eingebüsst. Indess
hat der verdienstvolle Leiter jener Restauration, der ver-
storbene Herr Chr. Riggenbach, nicht versäumt, eine An-
zahl derselben vor ihrem Verschwinden noch zu notiren,
und aus dessen Nachlass sind sie uns durch seinen Bruder
gütigst zur Verfügung gestellt worden. Diese Zeichen
nun, so weit sie noch erhalten sind, lassen uns erkennen,
dass der ganze mit 1185 begonnene Bau, wie er aus
Einem Guss, nach dem Plan eines Meisters ersten Ranges
entstanden, so auch in ganz unglaublich kurzer Zeit, die
*) Otte, Handb. der christl. Kunst-Archäol. IV. Aufl. 1868,
pag. 629.
Digitized by Google
17
vielleicht mehr als zwei Menschcnaltcr nicht umfasste, bis
zum Anschluss an die Thürme vollendet war. Wir schliessen
dies daraus, dass einzelne, und zwar sehr charakteristische
Steinmetzzeichen, die schon am Chor Vorkommen, noch
über die Querschiflfc hin bis in die Mauer des Langhauses
hinein sich erstrecken. Alle diese Zeichen der ersten
Bauzeit haben das Gemeinsame, dass sie, nicht wie in der
spätem Gothik eine geometrische Cornbination gerader
Linien darstellen, sondern neben einzelnen Buchstaben
hauptsächlich Gegenstände des wirklichen Lebens, etwa
ein Handwerkszeug oder einen Ring, ein Herz u. dgl. re-
präsentireu; wir könnten auch sagen: jener spätem Vor-
liebe zur geraden Linie gegenüber bewegen sie sich gern
in der gewundenen. (Siehe Tafel V.)
An unserem Martinsthurmo nun tragen die Zeichen,
die wir bis Jetzt an der Aussenwand seines Erdgeschosses
beobachten konnten, durchaus noch dasselbe Gepräge wie
die des Uebergangsstils, nur sind es nicht mehr dieselben
Hände wie an Chor und LangschifF, die sich darin ver-
ewigt haben; es sind gleichartige, aber nicht mehr iden-
tische Zeichen. Allerdings befinden sich an den Innen-
wänden desselben Thurmgeschosses und der drei nach oben
folgenden Stockwerke dann ganz anders geartete Steinmetz-
zeichen einer nachweislich viel spätem Zeit in Verbindung
mit jenen arabischen Zahlen, auf die schon Herr Dr. Ach.
Burckhardt aufmerksam gemacht hat.') lieber diese schein-
bar widersprechende Erscheinung und über die Frage,
wie sic mit unserer frühen Datirung des Thurms sich
reime, werden wir weiter unten uns auszusprechen Ge-
legenheit finden. Für jetzt genüge es zu constatiren, dass
am Aeussern des Thurmes nichts sich findet, was auf
eine spätere Zeit als das XIII. Jahrhundert binwiese.
Vielmehr haben wir einen directen Beweis für die gleich -
•) Anzeiger für Schweiz. Alterthumsk. XII. 1879, pag. 927.
o
Digitized by Google
18
zeitige Inangriffnahme von Portal und Thurm in dem
Umstand, dass ein Stützpfeiler, ähnlich demjenigen, welcher
die Reiterstatue des hl. Martin trägt, auch an der dem
Portal zugekehrten nördlichen Thurmecke sich befindet;
er fällt nur nicht in die Augen, da er beim Weiterbau
in die übrige stark vortretende l’ortalwand mit hineinge-
zogen und überdies durch jene früher nachgewiesene den
vier Statuen zu lieb errichteten Pfeilervorlagen maskirt
wurde. Gleichwohl lässt sich noch deutlich erkennen,
dass dieser Eckpfeiler alsbald mit dem untersten Thurm-
geschoss in Verband aufgeführt wurde.
Genauer denken wir uns nun den Hergang folgendcr-
maassen: Her nach 1185 mit dem Chor im Osten begon-
nene Münsterbau war, in vcrhältnissmässig kurzer Zeit
nach Westen vorschreitend, bis zur Parade gediehen. Hier
ging er in die Hände eines neuen Meisters über, welcher
der mittlern Zeit des XIII. Jahrhunderts durchaus ent-
sprechend, mit dem unterdessen von Frankreich her sich
Rahn brechenden gothischen ötil vertraut, nunmehr unser
Westportal in diesem Stile schuf und zugleich den Grund
zum Martinsthurm legte. Wir haben aber vorhin an der
Mittelfa<;ade zwei Bauzeiten unterschieden: eine erste,
welcher das Hauptportal angehört, und in dieser scheint
auch der Martinsthurm bis zur Höhe seines zweiten Stock-
werkes, resp. zum ersten Thurmgesims gefordert worden
zu sein. Dann erst erfolgte die Vollendung der Portal-
wand bis zur Galerie. Von hier an aber schritten nun
Thurm und Fa^adenbau gemeinsam weiter bis hinauf
zur ersten Hauptgalerie. Denn auch diese zweite Stufe
der Fa^ade glauben wir noch der Zeit vor dem Erdbeben,
genauer dem XHI. Jahrhundert vindiciren zu müssen.
Zum Beweise hiefür sei vor Allem auf das grosse
über der Portalgalerie aufsteigende Mittelfenster hin-
gewiesen, Dasselbe ist so frühgothisch wie nur irgend
etwas. (Siehe Taf. I.) Zunächst das Maasswerk erhebt
Digitized by Google
19
sich über vier Theilungsbogen, die jener Frühzeit ent-
sprechend noch keine Nasen zeigen. Das Maasswerk
selbst stimmt in seiner Combination einer grossen sechs-
blättrigen Mittelrosette über zwei im Vierpass gezierten
kleinern Kreisen auffallend mit verschiedenen Fenstern der
Chorcapellen von Notre Dame und einem andern der
Sainte Chapelle in Paris, beide zwischen 1240 und 1260
erbaut.') Dann bemerke mau die den äussern Rund-
stab am Bogenansatz krönenden Capitäle, sowie seine
untern Basen, in ihrer Bildung; endlich das Profil
der Pfosten (siehe Taf. III, Fig. 3), so wird kein Zweifel
übrig bleiben, dass wir ein Fenster des XIII. Jahrhunderts
vor uns haben. Ja, vergleicht man die genannten Capitäle
und Basen mit den früher beschriebenen der Portal-
pfeiler, so möchte man geneigt sein, sie einem und dem-
selben Meister zuzuschreiben. Vergleicht man aber ander-
seits die notorisch unmittelbar nach dem Erdbeben er-
richteten Bogenfenster des hohen Chores nach ihrem Maass-
werk und Pfostenprofil (siehe Taf. III, Fig. 4) — wie
könnte da noch an eine Entstehung unseres Fagadenfensters
erst nach dem Erdbeben gedacht werden?
Ist aber dieser Beweis stichhaltig, dann gilt er gleich
auch für das erste freistehende Stockwerk des Martins-
thurms über der Galerie, dessen grosse Bogenfenster eben-
falls den Rundstab mit Laubcapitäl aufweisen und noch
nicht wie die spätem Thurmfenster von einer tiefen Hohl-
kehle eingefasst sind. Mit dieser Annahme stimmen denn
auch die an diesem Stockwerk freilich nur spärlich vor-
handenen Steinmetzzeichen vollkommen, indem sie mit
denen der vorangehenden Stufen viel nähere Verwandt-
schaft zeigen als mit jenen der später folgenden.
Nun aber einmal zur Galerie gelangt, bleibt uns
unterhalb derselben nur noch das zwischen ihr und dem
') Abbildungen bei Viollet-le-Duc Art.: fenetre.
Digitized by Googie
20
Blendarcadengeschoss des Georgsthurms befindliche Stock-
werk zu besprechen. Dasselbe bietet an sich selbst zu
wenig stilisirtes Detail, um darauf Schlüsse betreffend die
Entstehungszeit bauen zu können. Doch haben compe-
tentere Autoritäten schon auf die vier die Ecken dieses
Stockwerks zierenden Königs sta tuen als auf unläugbare
Repräsentanten der noch unmanierirten gothischen Plastik
hingewiesen. Jedenfalls springt auch für den Kichtkenner
die Superiorität dieser Gestalten gegenüber den gleich
am dar über liegenden Stockwerk sich zur Madonna im
Mittelgiebel hinbewegenden drei Königen sofort in die
Augen. Sind aber letztere, wie wir bald nachweisen
w’erden, Schöpfungen des beginnenden XV. Jahrhunderts,
dann sind wir wohl genöthigt, die untern vier Königsbilder
noch vor das Erdbeben zu setzen. Wir kommen zu diesem
Schluss noch auf anderem Wege: Der F a^adenbau, ein-
mal bis zur Linie aufgeführt, von welcher aus die frei-
stehenden Thürme sich erheben sollten, wird doch kaum
der hier so wirkungsvoll die ganze Frontfiäche abschlies-
senden Hauptgalerie entbehrt haben. Es trägt auch in der
That das die Galerie brüstung tragende mächtige Gesimse
einen durchgehenden Fries von Rosen, den wir uns
kaum nach dem Erdbeben erst entstanden denken können.
Zum Ueberfluss bieten uns die oberen Galerien der beiden
Thürme einen solchen Rosenfrics aus der Zeit nach
dem Erdbeben und gestatten uns somit zu unterscheiden,
wie solche Rosen in der späten Zeit und wie sie noch
in der guten frühem gebildet wurden. Aber ob nun
auch die Hauptgalerie, d. h. deren Traggesimse (denn die
durchbrochene Brüstung ward jedenfalls erst nach dem
Erdbeben restaurirt), noch vor diese Catastrophe zu setzen
sei oder nicht: für jenes Stück des Georgsthurms mit den
vier Königsbildem möchten wir unbedenklich die frühere
Entstehung präsumiren, da wir uns nicht denken können,
dass man die ganze übrige Front bis zur Galerie aufge-
Digitized by Google
21
iührt und nur diese kubische Lücke in ihr ofFengelassen
hätte.
Endlich aber haben wir für unsere Behauptung, dass alle
bis jetzt besprochenen Theile, d. h. die ganze Front
unterhalb der Hauptgalerie und über derselben das
erste freistehende Geschoss des Martinsthurms vor das
Erdbeben zu setzen seien, noch einen Zeugen vorzuführen,
der seine Aussage mit unauslöschlichen Zügen in die Steine
unseres Münsters eingeschrieben hat und dies ist das Erd-
beben selber. Man sehe sich einmal im Licht der Morgen-
sonne, etwa um 11 Uhr, imsere Münsterfront an, zunächst
das schon besprochene grosse Mittelfenster, so wird man
einen durch dieses Fenster wie durch die anstossende
Wand von rechts her bis in das Maasswerk hineinreichen-
den Riss entdecken, besser sollten wir sagen eine Ver-
schiebung, durch welche einzelne Quader der Mauer,
namentlich aber die betreffenden Theile des Maasswerks
geradezu verrenkt, aus ihrer Flucht herausgerückt und
über die früher mit ihnen bündig gewesenen Theile mehr
als zollweit vorgeschoben worden sind. Solche Phänomene
ergeben sich nicht einfach nur dadurch, dass der Bau
„sich setzt“, wie das ja zumal bei Thurmanlagen nur zu
oft geschieht, — unsere Elisabethenkirche gibt Gelegen-
heit letztere Erscheinung zu studiren; — sondern eine ele-
mentare Gewalt — wir denken die des Erdbebens —
muss hier gewirkt haben, in ganz ähnlicher Weise, wie
wir’s am Maasswerk der Chorfenster unserer Barfüsser-
kirche constatiren können.
Risse gleicher Art zeigen nun aber auch die übrigen
Theile unserer Müiisterfa^ade, soweit wir dieselbe noch
der Zeit vor dem Erdbeben zuweisen zu müssen geglaubt
haben, sow’ohl die Mauern des Martinsthurms als auch
jenes kubische Zwischenstück des Georgsthurms, das den
alten Unterbau mit der Galerie verbindet, nur ist an letz-
terer Stelle der quer durchlaufende ganz bedeutende Riss
Digitized by Google
22
vor einigen Jahren durch Einflicken einer ganzen Quader-
reihe unkenntlich gemacht worden.
Wir denken, dass diese Erdbebenspuren im Zusam-
menhalt mit den von uns hervorgehobenen stilistischen
Eigenthümlichkeiten unserer Fa^ade die Annahme empfeh-
len, wornach wir in dem Haupts tock dieser Fa^ade noch
ziemlich intakt den ursprünglichen Bau vor uns haben,
mit welchem das 1185 im Osten begoimene Münster im
Verlauf des Xm. Jahrhunderts seinen Abschluss fand.')
Wie weit hinauf dieser Bau einst noch über der Galerie
reichte, bevor die Catastrophe des Erdbebens darüber
hereinbrach, das wird kaum je beantwortet werden können.
Um so näher dagegen liegt die Frage, was denn der
Restaurationsbau nach dem Erdbeben aus dem Vorgefun-
denen Torso einer Fa§ade geschaffen habe.
') Durch diese Annahme wäre die von Herrn Dr. C. Stehlin
ausgesprochene Vermuthung nicht ansgeschlossen, dass im Original-
plan desjenigen Meisters, welcher gleich nach 1185 zu bauen begann,
eine wie das üebrige noch im Uebergaugsstil gehaltene Frontalan-
lage vorgesehen gewesen sei.
Digitized by Google
II. Der St. Georgsthurni.
Bei der Beantwortung der Frage, wie nacli dem
Erdbeben weitergebaut worden sei , befinden wir uns
von vornherein in der vortheilhaften Lage, dass wir nicht
mehr nur an das Gebäude selbst unsere Fragen zu stellen
haben, sondern neben die Aussagen dieses stummen Zeugen
die Angaben aus den Rechnungsbüchern unserer Mün-
sterfabrik') stellen können. Allerdings sind diese Büch-
lein nur in einer sehr lückenhaften Reihenfolge erhalten,
etwa in der Hälfte sämmtlicher Jahrgänge des XV. Jahr-
hunderts, mit 1399 beginnend ; aber doch bieten sie auch
in dieser Unvollständigkeit ein reiches noch lange nicht
genugsam verwerthetes Material. Ueber die erste Zeit
nach dem Erdbeben, 1356 bis 1399, geben sie allerdings
noch keine Auskunft. Wir nehmen an diese 40 Jahre
seien vollauf durch die Wiederherstellung des Hauptge-
bäudes in Anspruch genommen und der Ausbau der
Fa^ade, beziehungsweise des Mittelschiff-Giebels und des
Georgsthurmes sei erst begonnen worden, nachdem das
Gebäude selbst zu seinem gottesdienstlichen Gebrauche
wieder in Stand gesetzt war.
’) Gegenwärtig im Staatsarchiv anfbewahrt.
Dioitir-i by Google
24
Dass beide, Giebel und Georgsthurm, zusammen auf-
geführt wurden, das beweist die inhaltliche Zusammenge-
hörigkeit ihrer Sculpturen, indem die drei die Ecken des
Thurmes zierenden Könige zu der in der Mitte des Giebels
thronenden Maria mit dem lünde sich hinbewegen. Der
ihr zunächst stehende Melchior bat bereits voll Ehrfurcht
seine Krone abgenommen und sie wie einen King an seinen
Arm gestreift, während er die Knie anbetend vor dem
Erlöser beugt. Auch die Stilisirung dic.ser sämmtlichen
Figuren lässt dieselben als das Werk nicht nur ungefähr
Einer Zeit, sondern auch Eines Meisters erkennen. Welche
Zeit dies gewesen sei, das deutet eine schon von Dr.
Fechter der Münsterreclinung von 1399 entnommene Notiz
an, laut welcher der Kath in diesem Jahre zwei Pfund
Geldsschenkte: „pro lapidibusvalentibus pro edificio turris“.*)
Somit wurde jedenfalls im genannten Jahre, also noch unter
dem Werkmeister Conrad von Lindau, an dem Thurme ge-
baut.^) Bis zumJahre 1421 mag der Bau von derllauptgalerie
beginnend die erste Thurmgalerie erreicht haben, denn in
diesem Jahre verzeichnet die Münsterrechnung das Auf-
hängen von zwei grossen und zwei kleinen Glocken, was
darauf schlicssen lässt, dass der quadratische Bau, der ja
mit seinen grossen Schallöffnungen eben zur Aufnahme
der Glocken dienen sollte, vollendet war.
Bis zu diesem Punkte ist die ganze Anlage des Thurmes
eine durchaus normale, wenn auch der bisher im Quadrat
aufgeführte Bau als ein ziemlich langgestreckter erscheint.
Um so eher würde man erwarten, dass nun sofort die
Ueberführung in’s Octogon wäre gesucht worden, um das-
selbe sich möglichst klar und harmonisch entwickeln zu
lassen, d. h. um nun die Hauptzierde jedes gothischen
Thurmes: die acht hohen luftigen Bogenfenster, aufsteigen
•) Fechter a. a. 0. 43.
*) Fechter a. a. 0. 43.
Digitized by Google
25
zu lassen, die dann mit ihrer Bekrönung von Wimpergen
und Fialen den scldanken Steinbelm aufgenommen hätten.
Statt dessen finden wir über der das Quadrat abschliessen-
den ersten Thurmgalerie noclimals ein quadratisches, wenn
auch nach Höhe und Breite stark verjüngtes Stockwerk
angeordnet, das, wie cs heute noch des Nachts den Feuer-
wächtern zur Wohnung dient, schon gleich von Anfang
an dieser Bestimmung, nur in umfassenderem Sinne noch,
nämlich als militärische Hochwache, scheint gewidmet
worden zu sein. Tn der That eröffnet sich auch von jener
Höhe ein Ausblick von überraschender Schönheit; von
Schwarzwald, Jura und Vogesen umrahmt liegt die ganze
zwischen diesen Bergwällen sich hinbreitende fruchtbare
Ebene mit ihren trotzigen Burgen und friedlichen Dörfern
vor dem Blicke des Beschauers, während zu seinen Füssen
das Häusermeer der Stadt, durchschnitten vom prächtigen
Bogen des Rheinstroms, ihn erinnert, dass er im Mittel-
und Ilerzpunkt dieser ganzen Herrlichkeit sich befinde,
wo die Adern nicht nur des Verkehrs, sondern ebenso
des geistigen Lebens des überschauten Gebietes zusammen-
strömen. Und in bischöflichen Zeiten galt ja dies in viel
höherem Sinne noch. Kein Wunder, wenn man denn
sogleich bei der Conception des Thurmplanes auf Errich-
tung einer Warte Bedacht nahm, die aus möglichst weiter
Ferne schon jede heranziehende Gefahr zu erkunden ge-
stattete, und dass diesem unumgänglichen praktischen
Zwecke die ästhetischen Interessen, die schonen sonst für
jeden Thurmbau geltenden Verhältnisse geopfert wurden.
So erklären wir uns die anders kaum entschuldbare Ein-
schiebung jenes die ganze Thunnanlago störenden würfel-
förmigen Geschosses, das zudem so schmal sich zusammen-
zieht um für den an seiner Basis hinlaufenden Rundgäng
desto freiem Raum zu gewinnen. Die nothwendige Folge
war, dass nun das über diesem Wächterhause beginnende
Octogon zu sehr bescheidenen Dimensionen zusammen-
Digitized by Google
schrumpt'to und dass die i'lankirung desselben mit den
sonst üblichen Eckfialen musste aufgegeben werden, da
die zu ihrer Entwickelung erforderliche Höhe fehlte. An
ihrer Statt wurden die vier Ecken des Octogons (resp.
deren zwei, denn die entsprechenden Ecken nach hinten
sind für die Treppenthürmchen in Anspruch genommen)
mit jenen originellen auf jo fünf Säulen ruhenden Bal-
dachinen ausgesetzt, die uns zeigen, wie geschickt der an
so ungewöhnliche Bedingungen gebundene Meister sich zu
helfen wusste, um doch noch seinem Thurmhelm eine
möglichst luftig scheinende Unterlage zu sichern. Vollends
wird der ungünstige Eindruck, den die eben besprochenen
Parthien machen, wieder aufgowogen durch die unvergleich-
liche Schönheit der Helmpyramide seihst, deren leichtge-
schweifte Rippen wie mit elastischer Kraft die überaus
zierliche Kreuzblume zum Himmel emporheben.
Wann aber erreichte das Werk diese seine letzte
Vollendung'' Jedenfalls nicht vor 1426, denn in eben
diesem Jahre noch erhält der Tischmacher 16 11 für „2
Brett zum Thurm“ (das sind wohl die sogenannten Maass-
hretter oder Schablonen, die man heutzutage aus Blech
zu schneiden pflegt.') Dann werden für „Holz zum Ge-
rüst“ vier Pfund, für „Nägel zum Gerüst auf dem Thurm“
acht ß verausgabt. Als der wichtigste Posten des Jahres
erscheinen uns aber die „8 Centner Blei“ (der Centner
zu drei 'U, drei ß), die in der Rechnung aufgeführt sind,
und die kaum anders als zum Vergiessen des Helmes können
bestimmt gewesen sein. Demnach möchte das Jahr 1426
die Vollendung unseres Georgsthurms bezeichnen.
Werkmeister war, nachdem 1414 vorübergehend ein
magister de Argentina genannt war, von 1420 bis 1428
Magister Böferlin (nicht Köfferlin, wie Fechter zum Jahr
*) Vgl. M. Roritzers Büchlein von der Fialen Gerechtigkeit,
in Heideloffs Bauhütten des Mittelalters.
Digitized by Google
27
1422 angibt); ein Mann, der uns sonst völlig unbekannt
ist. Neben ihm erscheint ein „Palier Hans“, auch einmal
ein „Palierer von Freiburg“. Gesellen waren während
der genannten Jahre durchschnittlich fünf bis zehn in
Thätigkeit, deren höchster Wochenlolm ein Pfund betrug
nebst freier Kost und Wein aus den der Fabrik gehören-
den Baralacher und Isteiner Reben.
Was nun aber jenem von uns als Yollendungs-
termin des Georgsthurms ermittelten Datum erst -seine
Bedeutung verleiht, das ist eine an dem Thurm selbst
befindliche Inschrift, die auffallender Weise bis
dahin keinerlei Beachtung scheint gefunden zu haben.
Besteigen wir nämlich den Georgsthurm bis zur letzten
Stufe, die uns an den Fuss des Helmes führt, so
sehen wir uns gerade einem Kopf gegenübergestellt,
der gleichsam aus einem mächtigen Steinkragen heraus-
schaut (siehe die Abbildung Seite 23). In Wirklichkeit
stellt dieser Kragen ein Spruchband dar, das der Heraus-
schauende mit seinen Händen hält. Die Sculptur selbst
ziert eine der Rippen des Helms etwas über Kopfhöhe,
gerade an der Stelle, wo die Krabben herauszuwachseu
beginnen. An der nächstfolgenden Rippe befindet sich die
Gestalt eines betenden Engels von sternenbesäten Wolken
getragen. Die dritte Rippe zeigt als Gegenstück zu dem
Engel eine halbthierische halbmenschliche Fratzengestalt
mit herausgereckter Zunge, während die übrigen fünf
Rippen nur bedeutungslose Masken aufweisen. Ofienbar
ruht der Hauptnachdruck auf dem erstgenannten Kopf;
das geht schon aus seiner Stellung unmittelbar gegenüber
der Zugangstreppe hervor und aus der Schrift, als deren
Träger die Figur erscheint. Ein idealer Kopf ist es nicht,
vielmehr ein direct aus der Wirklichkeit gegriffenes, gut
bürgerlich-zünftiges Gesicht. Wer sollte es anders sein
als der Werkmeister selbst, der um die Krönung seines
Werkes zu feiern, sich hier verewigte? Es hätte somit
Digitized by Google
28
unser Georgsthurm so gut das Bild seines Meisters (Böfer-
lin) uns überliefert, wie der jüngere Martinsthurm das-
jenige seines Erbauers Hans von Nussdorf (siehe die Ab-
bildung des letztem Seite 31).
Um diesen Kopf nun schlingt sich die Schrift, von
der wir zu reden haben:
fiiiDfftif rfnstCroz?tFiraöib'3PiifW‘nFa
Nach unsern modernen Begriffen würden wir er-
warten, dass die Schrift dem Bilde zur Erklärung diene
und also auf dasselbe irgendwie sich beziehe. Das scheint
uns aber hier keineswegs der Fall zu sein; vielmehr
ist die Schrift hier das unbedingt Bedeutsamere und
die Figur nur eben, wie wir schon andeuteten, Träger
derselben. Nicht auf die Person des letztem, sondern auf
das kirchliche Gebäude selber, dessen Bekrönung und
vorläufigen Abschluss der mit dieser Schrift gezierte Thurm-
helm bildet, sind die Worte zu beziehen. So wenigstens
ergibt es sich, wenn die Lesung, die wir für die einzig
mögliche halten, sich bewährt: „Cum veniet sanctus sanc-
tomm, cessabit uuctio mca.“ Räthselhaft klingt das nun
freilich im höchsten Grade. Aber eine Deutung scheint
ims doch nicht unmöglich zu sein.
Der Ausdruck sanctus sanctorum kommt in der Vul-
gata nur an der einzigen Stelle Daniel 9, 24 vor, während
sonst immer das Neutrum sanctum sanctomm und dieses
dann, wenn von dem Allerheiligsten der Stiftshütte oder
des Tempels die Rede ist, gebraucht wird. Dazu kommt
aber, dass gerade in der angeführten Stelle bei Daniel
auch einer unctio, einer Salbung des Sanctus sanctorum
Erwähnung geschieht. Und um wms handelt sich’s nun
in der angeführten Stelle? Daniel hat, wie er im Anfang
des Capitels uns erzählt, im ersten Jahre der Regierung
des Darius sein Augenmerk besonders auf diejenigen Weis-
Digitized by Google
29
sagungen der früheren Propheten und zwar speciell des
Propheten Jeremia gerichtet, in welchen die Zahl der
Jahre vorausgesagt war, dass nämlich Jerusalem mit seinem
Tempel 70 Jahre sollte wüste liegen. Diese 70 Jahre
nahten eben jetzt, nachdem die Herrschaft über das chal-
däische Reich an Darius übergegangen war, ihrem Ende
entgegen. Und begreiflicher Weise regte sich in Daniel
die Frage, ob denn nun auch mit dem Ablauf der 70
Jahre die seinem Volk verheissene Befreiung und 'damit
die Wiederherstellung Jerusalems und seines Tempels sich
verwirklichen werde. Mit dieser Frage wendet er sich
betend zu Gott selber, dass Er seinen Zorn von seiner
Stadt Jerusalem und von seinem heiligen Berge abwenden
möge. Darauf wird ihm durch den Engel Gabriel die
Antwort: „Siebenzig Wochen sind noch bestimmt überdein
Volk, und über deine heilige Stadt, so wird dem üeber-
treten gewehret und die Sünde zugesiegelt und die Misse-
that versöhnet und die ewige Gerechtigkeit gebracht und
die Gesichte und Weissagung zugesiegelt und der Aller-
heiligste gesalbt werden.') So wisse nun und merke:
Von der Zeit an, so ausgeht der Befehl, dass Jerusalem
soll wiederum gebaut werden, bis auf Christum, den Fürsten,
sind sieben Wochen und zweiundsechzig Wochen, so werden
die Gassen und Mauern wieder gebaut werden, wierwohl
in kümmerlicher Zeit.“
So weit die Stelle, auf die es uns hier ankommt. —
Wie nahe liegt der Gedanke, dass unsern Vorfahren beim
Blick auf die Verwüstung unserer Stadt durch das grosse
Erdbeben von 1356 und auf den damit verbundenen Ein-
sturz ihres herrlichsten Gotteshauses, jene älinliche Cata-
strophe, wie sie durch Nebukadnezar über Jerusalem und
*) Septuaginta hebdomades abbreviatae snnt super populum tuum
et super nrbeni sanctam tuam, ut consummetur pnevaricatio
et ungetur Sanctus sanctornni.
Digitized by Google
30
doa Tempel gekommen war, vor die Seele treten musste.
Sind aber unsere obigen Zeitbestimmungen betreffend Voll-
endung des Georgsthurms und also der Entstehung unserer
Inschrift richtig, so waren mit dem Jahr 1426 gerade auch
70 Jahre seit dem Erdbeben vorüber. Auf diesen Zeit-
j)unkt war mit dem Ausbau des genannten Thurmes für
einmal die Wiederherstellung des im Erdbeben so hart
mitgenommenen Münsters zum Abschluss gekommen. Wäre
es da zu verwundern, wenn eben jene auf die Wieder-
herstellung des alttcstamentlichen Heiligthums bezügliche
Stelle Daniels in der Weihungsschrift unseres Thurmes
wiederklänge? Denn so, wie wir diese Schrift glauben
lesen zu müssen, kann sie nicht anders als auf das Münster
selbst bezogen werden. Es ist das wiedererstandene Heilig-
thum in eigener Person, welches in der „unctio mea“ die
70 Jahre nach der Zerstörung ihm nun wiederfahrene
Vollendung und Wcilie oder Salbung verkündet. (In dem
nebenan stehenden betenden Engel möchte man diese Weihe
selber versinnbildlicht sehen, wie in der Teufelsfratze die
nun hinweggebannten unreinen Geister.) Aber wie dort dem
Daniel auf seine Frage, was jetzt nach Ablauf der 70 Jahre
geschehen soll, die Aussicht eröffnet ward auf eine noch
viel fernere, aber auch viel herrlichere Zukunft, auf die Er-
scheihung des Messias, des Allerheiligsten selber, so scheint
auch der Verfasser unserer Inschrift sich dessen bewusst
gewesen zu sein, dass das so schön wiederhergestellte
Gotteshaus doch nur vorübergehende, vorbildliche Bedeu-
tung habe und einem bessern, wahrhaftigem Heiligthum
einst werde weichen müssen, welches dann wird unter den
Menschen hergestellt werden, wenn der Allerheiligste selbst
zur Vollendung seines Eeiches erscheint; Cum veniet
sanctus sanctorum cessabit unctio mea.
Digitized by Google
III. Der St. Martinsthurm.
Wenden wir uns nun schliesslich dem jüngsten Theil
unserer Münsterla^ade, dem Martinsthurm zu.
Haben wir oben richtig gesehen, so gehört das erste
freistehende Stockwerk dieses Thurmes noch der Zeit vor
dem Erdbeben an. Und lange muss es gewährt haben,
bis man sich entschloss, auch hier, nachdem der Georgs-
thurm längst ausgebaut war, an einen Weiterbau zu denken.
Noch 1442, als die von Papst Felix V. geschenkte Papst-
glocke nun sollte vom Münster herab erschallen, begnügte
man sich damit, sie auf dem kaum über das Kirchendach
emporragenden Thurnistumpf aufzuhängen. Ob dies in
dem genannten einzig mit Schallfenstern versehenen Thurm-
stockwerk geschah, oder in einem über demselben unter
freiem Himmel errichteten Gerüste, wie es die Notiz der
Münsterrechnung : „das techli ze machen über die gloggen“,
anzudeuten scheint, ist schwer zu sagen. Wii’ wissen nur,
dass die Unterbringung dieses mit Jubel aufgenommenen
Gescheükes unsern damaligen Technikern schwere Sorge
und säuern Schweiss kostete, so dass das Baslerische
Sprüchlein: „Jetz händ mer’s — wohi thiend mer’s?“ gar
leicht bei diesem Anlass könnte entstanden sein. Nicht
weniger als vier Jahre hindurch wiederholen sich in den
Digitired by Googlc
32
Fabrikrechnungen zahlreiche Ausgabeposten für alle die
Experimente, die mit dem ungefügen Gast vorgenommen
wurden. Da mussten mächtige Hölzer licrbeigeschafift
werden, den „Schrägen“ zu construiren. Ein Meister Jost
musste mit zwei Pferden das „Geschmid“ an Ort und
Stelle liefern und presste durch sein Gebühren dem guten
Magister fabricae, damals Domcaplan Johannes von Engen,
den Seufzer aus:
„Unser schlosset' nam siben zu im 2 tag, und von
frueg bis ze nacht daten sy nüt denn wüsten, essen und
trinken, ze tag vier stund, und musst Inn den kelren offen
lassen das si namend brot, kess und win noch irem willen,
und licht.“
Gleichwohl heisst es bald darauf: „darnach mussten
si den schrägen bessren und im hilf tun; do traf sich 23
tagwan.“ — „Darnach wolt der schrägen aber nit bliben,
do musst ich von hensli im balhof nemen 4 schynen ysen»
die besten.“ Und so geht cs fort die folgenden Jahre hin-
durch bis 1446, wo tribus vicibus die „Grosse Glocke“
uff und wieder abgelassen werden musste. Um dies gleich
hier anzuführen, machte dann 1475 wahrscheinlich die bis
dorthin vollendete Erhöhung des Thurmes um ein weiteres
Stockwerk, eine neue Hängung sämmtlicher Glocken nöthig,
wobei wir erfahren, dass neben der genannten eine Prim-,
Terz-, Quart-, Quint-, Sext- und eine Vespcrglocke, jede
zu ihrer Zeit sich hören Hessen; und als die neue Hängung
vollendet war, zu der Hans Ulrich von Waldeck, unser
Heben frowen seiler, ein gross mechtig seil geliefert hatte,
wog 200 Pfund — da konnte auf Weihnachten die Bobst-
glocke wieder probirt werden; ja das Jahr darauf in domi-
nica tertia post trinitatis konnte der pulsus magnse cam-
panffi den reccssus et adventus Basiliensium contra Bur-
gundios mitfeiern helfen.
Bis zum Jahre 1470 währte es, ehe für die Höher-
führung des Martinsthurms endlich Schritte gethan wurden.
Digitized by Google
33
Glücklicherweise können wir auch den Meister ziemlich
genau bezeichnen, der mit dieser Aufgabe betraut ward.
£s ist, seit 100 Jahre zuvor Johannes von Gmünd, ein
Glied jener in Prag und Strassburg berühmt gewordenen
Steinmetzenfamilie , die erste Hand an die Wiederher-
stellung des Münsters aus dem Schutte des Erdbebens ge-
legt hatte, zum ersten Mal wieder ein in der Kunstge-
schichte auch sonst mit Ehren genannter Karne, der jetzt
mit unserm Münsterbau in Verbindung tritt. Auch er ge-
hört wie jener Johannes von Gmünd einer Familie an, in
welcher das Errichten gothischer Dome gleichsam traditio-
nell war, nämlich dem Geschlechte der Ensinger, auch von
Aensingen oder Enzingen genannt, nach einem bei Ulm
gelegenen Dorfe; und zwar ist es der dritte dieses Ge-
schlechtes, Vincencius von Ensingen, der für uns
hier in Betracht kommt. Schon Fechter im Basler
Taschenbuch 1856 hat aus den Fabrikrechnungen notirt,
dass ein Vincencius lapicida 1472 den kleinen Rhein-
seits gelegenen Kreuzgang gebaut habe. Die weitern
Winke, welche unsre Rechnungen über diesen Meister
geben und die uns eben gestatten, seine Person und
seinen Antheil am Münsterbau genauer zu bestimmen,
scheinen Herrn Fechter entgangen zu sein. 1470 näm-
lich erscheint zum ersten Mal dieser Name in der Notiz:
Ex speciali commissiöne dominorum de Capitulo exposui
mgro. Vincencio lapicidae ecclesim Constanciensis pro suis
laboribus et fatigiis ex parte fabricm ecclesia; basiliensis
habitis decem florenos in auro.
Was wir sonst über ihn wissen, ist kurz folgendes:
Schon der Grossvater Ulrich hatte durch seine Thätigkeit
am Ulmer- und noch mehr am Strassburger -Münster
sich einen Namen gemacht. Sein Sohn Matthäus legte
1421 den Grund zum St. Vincenzen-Münster in Bern und
leitete dessen Bau bis 1449, baute daneben auch an
der Frauenkirche in Esslingen und wie sein Vater
3
Digitized by Google
34
an den Domen von Ulm und von Strasaburg. ') Gewiss
bat er seinen in Bern, in der Ehe mit Dorothea Trogen
geborenen Sohn zu Ehren des dortigen Münster-Patrons
Vincencius genannt. Dieser Vinzenz Ensinger nun erscheint
schon 1451 als Mitglied des Grossen Käthes in Bern; dann
1459 unter den Meistern, welche die Steinmetz-Ordnung
in Regensburg unterzeichnen, wo er sich Vincencie von
Constanz nennt, und als Werkmeister des dortigen Doms
scheint er auch die meiste Zeit seines Lebens gewirkt zu
haben. Seine Anstellung in Basel, die offenbar in seine
Constanzer Zeit hineinfiel, werden wir uns also nicht
als eine ständige zu denken haben, sondern nur in der
Weise, dass er die Oberleitung der ihm hier übergebenen
Bauten führte.
Nach jener ersten Notiz in der Fabrikrechnung von
1470 heisst es weiter:
Idem Magr. Vincencius permansit mecum in domo
fabriese cum uno equo tredecim diebus, ubi pro omnibus
expensis computo duas libras et undeviginti solides.
Idem Mgr. Vincencius consumsit in itinere a Con-
stancia ad Basileam unam libram.
It. mittendo secum famulum in recessu suo pro equo
et consumptibus undecim ß.
Es war also nur ein erster Besuch, den der Meister
') Wie aus einer von Herrn Staatsarchivar Hr. K. Wackernagel
mir gütigst mitgetheilten Urkunde im Staatsarchiv (Fase. 1426 — 1479,
pag. 18/19) hervorgeht, hatte dieser Matthieus schon Beziehungen zu
Basel. Denn 1450 musste der Rath zwischen ihm und dem Probst
des Stiftes St. Leonhard vermitteln wegen nachträglicher Forderung
für eine (wie es scheint geschnitzte) Altartafel, so derselbe Meister
Mattheus vor etlichen ziten dem benannten gotshuse ze St. Lienhart
ze kontfen geben het
Für die übrigen Angaben betr. die Farn. Ensinger verg. Stanz,
Berner Münsterbnch und A. Klemm: Württembergische Baumeister,
pag. 9.
Digitized by Google
35
in Basel auf ausdrückliche Einladung des Domkapitels
machte. Um was es sich aber dabei handelte, geht aus
der unmittelbar folgenden Angabe hervor:
It. also Magr. Tincencius har kam, lyess er graben zu
dem pfulment (d. h. Fundament) beder turnen ab extra.
Gleichzeitig wird Magr. Johannes Binninger, murator
fabriese bezahlt pro labore servorum als man grub in dem
kleinen turn ab intra das pfulment zu suchen.
Also dem Ausbau des kleinen, d. h. des Martins-
thurms galt die Berufung des berühmten Meisters, und
seine erste Sorge der Sondirung der Fundamente, wie viel
denselben könne zugemuthet werden. Dass diese Unter-
suehung auch auf den längst schon vollendeten Georgs-
thurm sich erstreckte, erklärt sich wohl einfach durch die
Annahme, mau werde, wenn sich dieser nicht fester als
der Martinsthurm fundirt erwies, um so getroster auch an
den Ausbau des letztem geschritten sein. Zu diesem Er-
gebniss muss denn auch wohl die Expertise geführt, ja
Vincenz muss, nachdem er vermuthlich einen Thurmriss
vorgelegt hatte, die Ausführung desselben auf sich genom-
men haben. Denn von nun an erscheint er während fünf
Jahren als der Leiter des Baues, freilich zuweilen nur in
der Bemerkung: Dies und das sei geschehen „Mgro. Vin-
cencio tune prmsente“; was unsere Annahme bestätigt, er
habe nur neben seiner Hauptanstellung in Constanz sich
dem hiesigen Bau gewidmet. Auch andere Spuren zeugen
aber davon, dass nun am Thurm eine rege Bauthätigkeit
begann. Gleich im ersten Jahr werden aus der vom
Markgrafen von Köteln gepachteten Steingrube 400 Stück
„Ruchquaderstein“ und im folgenden 412 Stück zu unser
frowen buw und zu dem tum geführt. Dazu noch 70
handechtig (?) stück; und nochmals 20 stück doms ein
Stegen unden in den turn zu machen. Hiezu stimmt vor-
trefflich die heute noch in 20 steinernen Stufen von unten
auf den ersten Boden führende Thurmtreppe. 1472 heisst
Digitized by Google
36
es: lapicidsB incipiunt laborare circa restaurationem minoris
turris, und den ganzen Sommer hindurch folgen sich nun
die Löhne der ser\i in turri mit 30 ß bis 1 Pfund wöchent-
lich; etwa auch pro servo in rota oder „in dem Rad zu
laufen“, jenem grossen Tretrad, das in seinem gothischen
Schmuck noch heute auf dem Münster-Estrich steht, freilich
als eine durch die leistungsfähigere Lastwinde überflügelte
Antiquität.
So gings bis zum Jahre 1475, wo plötzlich der Name
Vincenz wieder verschwindet und mit ihm der Thurmbau
aufs Neue ins Stocken gerälh. Fragen wir, was in den vier
Jahren war erreicht worden, so ist es, neben dem kleinen
Kreuzgang, der uns hier nicht beschäftigt, offenbar das
zweite freistehende, wir könndh auch sagen das
oberste quadratische Stockwerk am Martinsthurm.
Denn das unmittelbar vorhergehende gehört ja, wie wir
oben nachgewiesen, einer viel frühem Zeit an; das nach
oben unmittelbar folgende aber, d. h. das erste des Octo-
gons ist, wie wir gleich zeigen werden, nicht mehr Vin-
cenzens Werk. Noch im Herbst 1475 erhält der letztere,
nachdem er schon die vorigen Jahre je 12 fl. bezogen, hoc
anno ratione sui flxi salarii 20 fl. in Gold; dabei heisst es:
uxori ejusdem Mgri. Vincencii propinavi ex commissione
Dominorum unum cingulum aureum pro quo exposui tres
florenos in auro. Aber wir werden dieses Geschenk kaum
als das Zeichen einer besondern Anerkennung der von ihm
geleisteten Arbeit zu betrachten haben. Denn im darauf-
folgenden Frühjahr findet die Schlussrechnung mit Vin-
cenz statt: Mgro. Vincenzio de Constancia pro totali et
finali solutione sui fixi salarii, ratione structuree turris ad-
huc sibi solvendi, solvi hoc anno quadraginta duo florenos
in auro. Wenn ein Meister, der doch unzweifelhaft den
Thurmbau in der Absicht, ihn ganz hinauszuführen, unter-
nommen hatte, so plötzlich aus dem Contrakt entlassen
wird, dann müssen gewichtige Ursachen vorliegen. Es
Digitized by Google
37
wäre denkbar, dass der Meister selbst der unzufriedene
Theil gewesen wäre; im Folgenden werden wir aber sehen,
dass man vielmehr mit ihm nicht zufrieden war, und
zwischen den Zeilen können wir auch das Warum heraus-
lesen. Zwar wenn wir das Thurmstück, das unter Vin-
cenzens Hand entstanden war, uns anschauen, so wüssten
wir demselben nichts anzuhaben; es ist sehr solid und
sauber gearbeitet, und sticht es durch keine besondern
Zierden hervor, so giebt uns dieses eher Anlass, die Selbst-
beschränkung des Meisters zu würdigen, der sein Stock-
werk möglichst in Harmonie mit dem vorangehenden und
dessen alterthümlicher Einfachheit z. B. im Fenstermaass-
werk zu halten wusste. Der Fehler lag anderswo, er lag
darin, dass Vincenz die Festigkeit der Unterlage, auf die
er weiterbaute, doch nicht genug geprüft hatte. Mit dieser
Unterlage meinen wir nicht nur das Fundament — dieses
war gehörig untersucht worden; aber der ganze Thurm
war nicht nur von unten auf nicht massiv genug gemauert,
wie es beim Mangel aller Strebepfeiler um so unerläss-
licher gewesen wäre : er hatte auch, w ie die bereits ange-
führten Spuren uns zeigten, im Erdbeben bedeutend ge-
litten. Diese Risse, vorher vielleicht noch wenig sichtbar,
mochten nun, nachdem erst einmal das neue Stockwerk
aufgesetzt war, durch den Druck zu klaffen anfangen.
Dazu kamen die periodischen Erschütterungen durch das
Geläute der Papstglocke, Erschütterungen, die noch be-
denklicher wirken mussten, nachdem 1475 diese Glocke
in das neue Stockwerk war hinaufversetzt worden. Kurz,
die Begeisterung über Vincenzens Werk muss plötzlich
sich abgekühlt und in ihr Qegentheil umgeschlagen haben,
dass man so kurzer Hand mit ihm alle Verbindlichkeiten
löste. Man mochte dazu um so leichter sich entschliessen,
da derjenige schon auf dem Platze war, der das Recept,
dem Schaden zu steuern, in der Tasche trug und den be-
sorgten Baslern die beruhigende Zusicherung gab : er werde
Digilized by Google
38
ihren zweiten Thurm und damit die Krönung des ganzen
Werkes doch noch zu Stande bringen.
Dieser Helfer in der Xoth war kein anderer als der
schon durch Fechter ') bekannte Johannes Nussdorf
(in ilieser Schreibung, ohne von, erscheint der Name wäh-
rend 10 Jahren in unsern Fabrikrechnungen; erst am
Ende dieser Zeit taucht ein einziges Mal auch das von
auf, das sich dann auch in dem von Herrn Dr. Theoph.
Burckhardt sen. seiner Zeit mitgetheilten Baucontrakt der
St. Leonhardskirche findet). Noch ehe es nämlich zum
Bruch mit Vincenz Ensinger gekommen war, bringt die
Jahresrechnung von 1475 unter den Zinsen, welche von
den der Münster-Fabrik gehörenden Häusern fronfasten-
weise eingezogen wurden, die Notiz:
De domo in der Spiegelgassen (also jetzige Augustiner-
gasse), quam olim habitabat magr. heinricus Mengoss, hoc
anno nihil (seil, obtinui); nam locata est Johanni Nussdorf
lapicidm ad anni spatium gratis, propter sua fidelia servi-
tia circa structuram turris per cundem exhibita. Wir haben
über Herkunft und auswärtige Bauthätigkeit unsres Nuss-
dorf bis jetzt nichts in Erfahrung bringen können. Sollte
der Name seine Heimat bezeichnen, so wäre erst noch zu
entscheiden, ob das Nussdorf in Württemberg, Amts
Vaihingen, oder ein österreichisches, das auch existiren
soll, gemeint sei. Von seinem hiesigen Aufenthalt dagegen
wissen wir, dass derselbe von 1475 wahrscheinlich ununter-
brochen bis in die ersten Jahre des XVI. Jahrhunderts
währte, und auch jener zinsfreie Sitz im Haus Mengoss
dauerte mehr als anni spatium, nämlich bis 1480, von wo
an ein Zins für dieses Haus wieder aufgeführt wird. In
demselben Jahre 1475, wo er hier wohnhaft wird, heisst
es aber auch bereits: Johanni Nussdorf, restauratori
turris pro sua magna diligentia circa eandem structuram
') Neujbl. pag. 22 und 43.
Digitized by Google
39
facta propinavi sibi et uxori suac unum florenum in auro.
Dann 1477 und 78 in der Rechnung über die der Fabrik
gehörenden Weinberge: Johanni Nussdorf lapicidee ut
esset eo diligentior circa structuram fabricse vier söm
(Saum). Dieses einfache lapicida verwandelte sich aber
bald in magister und einmal sogar heisst er: lapicida et
director operis.
Aber nun: worin bestand denn die Hülfe, die er den
Gebrechen des Thurms brachte und durch die er sich den
Ruhm eines restaurator turris erwarb? In der Rechnung
pro 1476 finden wir eingetragen:
It. von dem nüwcn tüigestell am nüwen turn mit
andrem sinem zubegrifF ze buwen hab ich hannsen nuss-
dorf dem Steinmetzen recht und redlich verdingt und da-
von geben 28 Gulden.
It. und hab verstanden, dass er kümerlichen by dem
verding besten mag, darumb so hab ich im darzu ge-
schenkt zween gülden.
Unter den Steinfuhren desselben Jahres sodann figu-
rirt die besondere Rubrik:
Expensse der ruhen quaderstein so von howingen hoc
anno ad structuram des verdings der nüwen türen an dem
turn und des ganzen brustwehrs ob der türen ge-
fürt sind.
Wir vermuthen nun, dass es sich hiebei um nichts
geringeres gehandelt habe, als dem von Anfang an zu
schwach angelegten und zudem noch durch das Erdbeben
zerrütteten Thurm durch eine mächtige Ilintermauerung
von imten, resp. durch eine Verdoppelung seiner Mauern
aufzuhelfen. Denn von innen allein konnte man ihm bei-
koinmen. Ein Anlegen von Strebepfeilern am Aeussern
wäre, abgesehen von der entstehenden Disharmonie mit
dem ebenfalls strebelosen Georgsthurm, auch aus construc-
tiven Gründen unausführbar gewesen. Zudem wäre dem
Haupterforderniss: der Gewinnung eines soliden Unter-
Digitized by Google
40
baues für das Gestühl der Papstglocke damit nicht ge-
nügt worden. Jenes „ThürgestelP nun, das Ifussdorf in
Verding auszuführen hatte, war offenbar nicht nur die
Eingangsthür des Thurmes selbst, sondern der ganze
massive Quaderhau , mit dem die anstosscnde etwa
metertiefe Nische am Schluss des Seitenschiffs aus-
gefiillt wurde. Dadurch wurde nach dieser Seite hin
für den Thurm eine erste Sicherung gewonnen, die doch
das Innere der Kirche nicht derart entstellte, wie etwa
<las Ausmauern ganzer Schiffsarkaden, wodurch man in
Ulm eine ähnliche Unterstützung des Thurms zu er-
reichen gesucht hat.
Das war aber nur erst der Anfang von Nussdorfs
Heilmethode; das wesentlichste Stück derselben bildet
wie schon angedeutet, eine im Innern des Thurms von
unten auf bis zur Höhe der Hauptgalerie durchgeführte
Ausfütterung der Mauern in solidem, überaus .sorgfältig
gefügtem Quaderbau. ln diesem Sinne meinen wir näm-
lich jenen Ausdruck „die ganze Brustwehr“ über dem tür-
gestell deuten zu müssen. Allerdings würde der Ausdruck
zur Begründung einer so gewagten Hypothese nicht aus-
reichen. Es kommen aber andere Momente bestätigend
hinzu. A^ergleicht man nämlich die Aussenwände des
Thurms mit den Innenflächen, so erscheinen die Quader
nicht nur von ganz verschiedener Grösse — aussen klein
und in ungleichen Schichten, innen aber weit wuchtiger
und gleichmässig geschichtet; auch der Behau ist innen
ein ganz andrer als aussen: die Fügung hier oft lücken-
haft und ungleichmässig, dort von der tadellosesten Ge-
nauigkeit. Noch mehr: jene früher erwähnten Erd-
bebenrisse sind an den Aussenwänden wohl sichtbar, im
Innern dagegen ist keine Spur davon zu erkennen. End-
lich aber, was uns entscheidend scheint: die Steinraetz-
z eichen, die wir schon oben für die frühe Entstehung
des Thurms in Anspruch genommen haben: sie finden sich
Digitized by Googl
41
nur an der Auasenseite; die Innenseite dagegen zeigt jene
arabischen Zahlen, die mit Recht immer gegen eine zu
frühe Datirung, wenigstens vor dem XIV. Jahrhundert,
angeführt wurden. ') Sie beweisen aber eben nur für die-
jenige Wandfläche, an der sie stehen. Mit ihnen zugleicti
kommen indess noch eigentliche Steinmetzzeichen vor;
allerdings kennen wir ihrer bis jetzt nur drei:
"K/ "ti 1"
jedes aber in wenigstens zehnfacherWiederholung. Sie lassen
von der Eingangsthür, durch jenes Thürgestell hindurch an
sämmtlichen Wänden bis zum Schluss jener präsumirten
Futterinaucr sich verfolgen, ein Beweis, dass diese säramt-
lichen Theile in Einem Zug, ja von denselben Arbeitern
ausgeführt worden sind. Und von diesen drei Zeichen nun
finden wir eines oben am Thurm wieder an dem notorisch
von Xussdorf erbauten Octogon, ein zweites an der Leon-
hardskircho und zwar dort gleichfalls an dem nachweislich
von Nussdorf herrührenden Langschiff. — So mag unsere
Annahme doch nicht zu gewagt erscheinen: Nussdorfs Ver-
dienst habe darin bestanden, durch einen solchen Einbau,
der die Mauerdicke des Thurms auf stark 2 Meter brachte,
nicht nur die nöthige, so zu sagen auf sich selbst ruhende
Unterlage für die gewaltige Glocke und ihre Erschütte-
rungen gewonnen , sondern auch der ganzen Unter-
hälfte des Thurms erst diejenige Festigkeit verliehen zu
haben, die nun den endlichen vollen Ausbau auch dieses
‘) Vgl. Tafel V, Zeile 3. — Nach ütte, Haudb. der christl.
Kunstarchäol. kommen arahisi he Zahlen in den Monumenten nicht
vor dem XIV. Jahrhundert zur Verwendung. — Von Pressei (Ulm.
und sein Münster, pag. 36) wird als sehr frühes Beispiel ein Grabstein
von 1388 erwähnt.
Digitized by Google
42
zweiten Thurms ermöglichte. Dass ihm selbst dieser
Ausbau nun an Ensingers Statt übergeben wurde, das
begreift sich nach dem Bisherigen vollkommen und war
nur billig.
Allerdings musste erst von Neuem Athem geschöpft
werden, ehe man diese letzte Anstrengung wagte. Erst
1489, nachdem drei Jahre zuvor die prächtige Kanzel uii-
z weiteihaft auch von Nussdorf war vollendet worden, ging
es an die Arbeit. Leider lassen uns für diese letzte
Zeit unsere Rechnungsbücher, die mit 1486 abbrechen, im
Stiche. Und so können wir nur nach schon bekannten
Nachrichten das Wachsen des Thurms bis zu seiner äus-
sersten Spitze noch kurz skizziren. Fechters Neujahrs-
blatt von 1850 entnehmen wir die Notiz, dass 1488 naeh
Vollendung des kleinen Kreuzgangs Bischof Caspar ze Rhin
im ganzen Bisthum Steuern für den Ausbau des Thurms
sammeln liess; dass noch im selben Jahre nach Michaelis
der Ausbau des Thurms nach dem Risse Nussdorfs, zu
dessen Begutachtung das Uomcapitel Abgeordnete des
Raths beigezogen hatte, begonnen wurde. Das flache Dach
nebst sechs Steinschichten, die zum neuen Plane nicht
passten, wurden abgehoben, und 1489 von Dompropst
Hartmann von Ilallwyl und Caplan Conrad Hüglin, Magister
fabricffi, feierlich der erste Stein zum neuen Bau, der mit
der Schneckenstege begann, gelegt. Mit dieser Schnecken-
stege ist aber nicht die von der obern Galerie bis zum
Helm aufsteigende gemeint, sondern die an der Ostseite
der untern Stockwerke bis zur Galerie emporführendc
Wendeltreppe, die Nussdorf, um sie im Polygon krönen
zu können, eben in ihrer obern von Vinzenz erbauten
Hälfte wegriss und aus dem Quadrat in’s Achteck über-
führte. Die Stelle, wo er mit seiner Neuerung einsetzte,
ist in dem betreffenden Treppenthürmchen mit der in
grossen Ziffern des XV. Jahrhunderts eingehauenen Zahl
1489 bezeichnet, und in dem so markirten Quader haben
Digitized by Google
— 4:i —
wir wohl jenen von Hallwyi und Hüglin gelegten Grund-
stein zu erkennen.
Bekannt ist ferner, wie auch Nussdorfs Werk noch
einmal eine Peuerj)robe zu bestehen hatte, indem im
Augenblick, als der Thurmhelm sollte aufgesetzt werden,
Stimmen laut wurden: die Fundamente und der schon
stehende Thurm seien zu schwach um den Helm zu tragen.
Es sah sich daher das Domcapitel venmlasst, mehrere
Werkmeister der Umgegend zu Käthe zu ziehen: Meister
Ortmann von Colmar; Ruman Väsch, Werkmeister zu
Thann, Erbauer des dortigen Thurmhelms und späterer
Nachfolger Nussdorfs in Basel; Meister Lux von Constjvnz,
in dem wir den berühmten Lux Böblinger zu erkennen
haben, und Meister Andreas von Ueberlingen, untersuch-
ten im Spätjahr 1496 den Bau und erklärten, dass Nuss-
dorfs Werk ohne Tadel sei und dass man ohne Bedenken
den Thurm nach dem vorliegenden Plan ausbauen könne.
In der That macht Nussdorfs Werk seinem Schöpfer noch
heute alle Ehre; nicht nur bewundern wir das feine Ver-
ständniss, mit dem er seinen Thurm zu dem bereits da-
stehenden und in seinen obern Theilen nicht überall muster-
gütig entwickelten Georgsthurm zu stimmen wusste ; nicht
nur unterscheidet sich Nussdorfs sorgfältige und bis in’s
Einzelnste gewissenhafte Arbeit von der sehr flüchtigen
des Georgsthurms, die mehrfach die Spuren eines eiligen
Strebens nach rascher Yollendnng an sich trägt: Nussdorf
hat auch in der Art, wie er seinen Oberbau dom bereits
Gegebenen anfügte, eine constructivo Meisterschaft bewiesen,
die uns in Erstaunen setzt.
Ein schwieriges Problem bildet ja ohnehin schon an
jedem gothischen Thurm die l'eberführung des quadrati-
schen Unterhaus in das die Pyramide tragende Octogon.
Nussdorf fand in dem von Vinzenz errichteten Thurm-
geschoss ein Quadrat vor, w'clches auf den Portbau im
Octogon noch gar nicht berechnet war. Sehen wn'r nun.
Digitized by Google
44
wie er sich aus der Schwierigkeit gezogen hat: Sein erstes
Octogongeschoss, das er von vornherein aus Rücksicht auf
den Parallelismus mit dem entsprechenden Wächtergeschoss
des Georgsthurms sehr niedrig halten musste, gestaltete
er äusserlich zwar durch die eingebogenen Ecken und
Vorgesetzten starken Fialen scheinbar schon als ein Acht-
eck; inwendig aber und in seinen Grundlinien ist es noch
ein reines Viereck, weil es nur so auf dem Quadrat des
Unterbaues das nothwendige Auflager finden konnte.
(Vgl. Taf. IV.) Dann aber benützte er die Decke seines
niedrigen Stockwerkes um hier sein eigentliches Octogon
vorzubereiten. Dies erlangte er durch eine höchst sinnreiche
Gewölbeconstruction, deren feste Rippen gerade in der
Linie sich schneiden, in welcher von oben die Schrägseiten
des Octogons aufruhen sollten und indem er somit diesen
ihren sichern Stützpunkt verlieh. Nicht minder virtuos
ist endlich die Consequenz, mit welcher der Meister durch
seinen ganzen Thurmbau, hinauf bis zum letzten Knauf,
das Motiv zweier im Achtort übereinander gelegten Quadrate
durchgeführt hat. Nicht nur ward damit dem Ganzen der
Ausdruck eines einheitlichen Gedankens verliehen, sondern
die durch diesen Grundriss gewonnenen acht vorspringen-
den Ecken bedingen jene nervig aufstrebenden Linien,
welche das Auge so unwiderstehlich nach sich ziehen imd
es nicht zur Ruhe kommen lassen, ehe es dem kühnen
Zuge bis zur Spitze hinan gefolgt ist. Gewiss war es eine
wohlverdiente Anerkennung, als am 23. Juli 1500, dem
Tage, wo die oberste Kreuzblume aufgesetzt und vergossen
ward, der Magister fabricse als Trinkgeld für den Meister
zwei Goldgulden und für jeden Gesellen einen auf den
Knopf legte.
Auch wir sind mit der Aufgabe, die wir uns für
diesmal gesetzt, hiermit an’s Ziel gelangt. Es war uns
um den Nachweis zu thun, dass wir in der Fa^ade unse-
res Münsters ein Werk besitzen, an dem nicht weniger
Digitized by Google
45
als fünf Jahrhunderte gearbeitet haben, und zwar so,
dass jedes derselben seinen charakteristischen Beitrag zum
Ganzen lieferte. Ist uns dieser Nachweis gelungen, dann
dürfen wir zugleich uns freuen, in unserer Fa^ade zu den
in unserer Vaterstadt leider so sehr spärlichen Zeugnissen
frühgothischer Kunst ein neues und nicht das unbedeu-
tendste hinzufügen zu können.
Digitized by Google
Schweigbatiserische Buchdrackerei in Buel.
Digitized by Google
Digitized by Google
I
>
■ '
■ 5. :' . ' '■' ’?5f'
■ ''S, ■■■ . , ’J“".'
Digitized by Google
Digitized by Google
Taf4.
Digilized by Google
• Steinmetz-ZeicfLen. Taf.v.
Cflor u. QuerscKiff:
>7 V ^ e ? r
Martins tfiurm:
ErdgeacKoss , Aussenwaad;
H T A t? X x>T<
, 3 40 ' •« ia i3
Jn-nenwaticl :
t +v 1- 'V ) X ‘l
15 54 5T 'h to j',
erstes freies StocKvefK;
I S i ^ ^
Ge orgstfiuria : Bau 1400 -14Ä6:
ii t J I ^ V
MarttnstpLurm : Bau 14-$S-1500:
li.
r JG ^0 *>1 Hi, '
Drgilized by Google
Digitized by Google
Beiträge zur Geschichte
des
Basler Münsters
herausgegeben vom
Basler Münsterbauverein.
III.
Das Münster vor und nach dem
Erdbeben.
Von
E. LaRoche, Pfarrer.
Mit 10 Tafeln Abbildungen.
- BASEL.
IJenno Schwabe, Verlagsbuchhandlung.
1885.
Digitized by Google
Schweigh&nserische BnchdrackerdU
Digitized by Google
Nachdem ein früheres Heft der Beitrage es versucht
hatte für die Fagade unseres Basler Münsters die bis
dahin noch nie genauer erörterten Bauperioden festzustellen,
fühlte der Verfasser das Bedürfhiss und den Lesern jener
ersten Arbeit gegenüber die Pflicht, das Begonnene weiter-
zuführen und in ähnlicher Weise auch die übrigen Theile
dieses unseres bedeutendsten Baudenkmals in ihrem all-
mäligen Entstehen zur Darstellung zu bringen. Freilich
fliessen die Quellen für die Geschichte dieser meist schon
vor dem Erdbeben von 1356 entstandenen Theile wo-
möglich noch spärlicher. Die Münsterrcchnungen, da sie
nur für das XV. Jahrhundert erhalten sind, lassen uns
für die ältere Zeit ganz im Stiche, und so sind wir noch
ausschliesslicher, als es bei der Beschreibung der Fa(;ade
der Fall war, auf die Untersuchung der Stileigenthüm-
lichkeiten und anderweitiger Spuren angewiesen, durch
welche die einzelnen Bautheile selbst ihre Entstehungszeit
erkennen lassen. Dieser Untersuchimg aber konnte es
andrerseits nur zum Vortheil gereichen, dass sie noch vor
der gegenwärtigen Restaiu^tion begonnen und im Verlauf
derselben vervollständigt wurde; zu einer Zeit also, da
der Bau noch mehr als jetzt seine ursprüngliche Gestalt
zeigte imd die Bestaurationsarbeiten auch die sonst nur
schwer erreichbaren Theile zugänglich machten. *)
‘) Erst nach dem Erscheinen unserer Bangeschichte der Faoade
wurde durch die inzwischen im Martinsthurm von der Bauleitung
bewerkstelligten Sondirungen festgestellt, dass eine innere Verstärkung
Digitized by Google
4
Die dem Texte beigegebenen Tafeln beschränken sich
auf das Nothwendigste, was lun so eher gerechtfertigt er-
scheinen mag, als in hoffentlich nicht zu ferner Zeit die
Aufnahmen des frühem Münsterrestaurators Hrn. Archi-
tekt Riggenbach, sowie die schönen Blätter, welche die
gegenwärtige Bauleitung ausfertigen lässt, zur Veröffent-
lichung gelangen werden.
Die früheste Geschichte und Gestalt unseres Münsters
ist in ein tiefes, kaum je zu entwirrendes Dunkel gehüllt.
Wohl muss schon von dem Augenblicke an, da ein
baselisches Bisthum gegründet war, also jedenfalls vom
VII. Jahrhimdert an, *) auch eine bischöfliche Kirche an
der Stelle der heutigen sich erhoben haben. Aber wir
wissen von derselben nichts Weiteres, als dass sie in den
ersten Dezennien des X. Jahrhunderts unter der Brand-
fackel der Ungarn in Asche und Trümmer fiel. *) Immerhin
lässt sich vermuthen, dass dieses älteste Münster, ähnlich
wie die meisten vor dem Jahre 1000 nordseits der Alpen
errichteten Kirchenbauten, nur bescheidene Dimensionen
und geringes Material, d. h. vorwiegenden Holzbau, werde
aufgewiesen haben. Noch weniger wissen wir von dem
nach jener Zerstörung unternommenen Neubau, der einer
unverbürgten Sage nach von Heinrich I., dem Vogelsteller,
zwischen 920 und 936 soll angeordnet worden sein. Zu-
verlässiger ist die durch die Herren des Domstifts fort-
gepflanzte Nachricht, dass die Kirche, die bis auf Hein-
<ler Mauern, wie sie dort S. 39 ff. war behauptet worden, nicht zu
erweisen sei. Ebenso konnten die höclist interessanten Mittheilungen
des Banberichtes vom Jahr 1883, S. 7 ff. über die frühere Gestalt
des Hauptportales in unsere Darstellung nicht mehr anfgenommen
werden.
*) Basel im XIV. Jahrhundert, 8. 7; Boos, Geschichte der
Stadt Basel S. 8.
‘) Hermannus contraetns ad ann. 917 hei Pertz Mon. scr. V,
S. 112.
Digitized by Google
5
rieh n, den Heiligen, sich in einem kläglichen Zustand
befunden hatte, in den Jahren 1010 bis 1019 unter Mit-
hülfe dieses Kaisers glänzend wiederhergestellt und in
dessen Beisein im Jahre 1019 sei geweiht worden. Be-
kannt und hinlänglich bestätigt ist ja Heinrichs H. sowie
seiner Gemahlin Kunegunde unermüdlicher Eifer in Stiftung
von Bisthümern, Kirchen und Klöstern. Wir erinnern nm
an die 1006 erfolgte Gründung des Bisthums und des
Domes von Bamberg, sowne die Wiederherstellung der
Kirchen von Strassburg, Hildesheim, Merseburg und
andrer. Auch sind Heinrichs Beziehungen zu Basel und
seine wiederholte Anwesenheit daselbst, sowie seine Gunst-
bezeugungen an den ihm ergebenen Bischof Adalbero ausser
Frage gestellt. ') Allein kein gleichzeitiger Schriftsteller
erwähnt weder dass er den Bau unseres Münsters imter-
stützt, noch worin diese Unterstützung bestanden habe. ^
Die erste Kunde von der in Basel lebenden Tradition,
Heinrich sei der Wiederhersteller des Münsters gewesen,
bildet die 1347 auf Veranstaltung des Domkapitels er-
folgte Ueberführung von Reliquien Heinrichs und Kime-
gundens aus Bamberg nach Basel, womit zugleich die Er-
richtung eines ihnen geweihten Altars im Münster und
die Erhebung des Heinrichstages zum jährlich mit grossem
Pomp gefeierten Festtag zusammenhing. Die weitern
Nachrichten sind noch später und beschränkten sich bis
dahin auf die Angabe des Caplans Nikolaus Gerung von
Blauenstein in seiner 1475 verfassten Chronica episcoporum
Basiliensium. Hat schon dieser Bericht für sich allein
‘) Vergl. Sarasin, Versuch einer Geschichte des Basler Münsters,
in den Beiträgen z. vaterl. Geschichte Bd. 1, S. 6.
*) Wnrstisen (Chronik S. 22 u. 92, Epitome S. 68) spricht
zwar von einer Schenkung der Schlösser Pfeffingen und Landser, be-
merkt jedoch, dass er keine Urknnde hierüber zu Gesicht bekommen
habe.
“) Abgedr. in Bruckners Script" rernm Basil. minor pg. 320 ff.
Die Stelle lautet; Adalberus episcopus (erat) tempore Papse Bene-
Digilized by Google
6
dem neuesten Geschichtsschreiber Heinrichs II ’) genügt,
um die hier bezeugte Thatsache der Stiftung und Weihung
des Münsters durch Heinrich als völlig erwiesen zu er-
klären, so können wir neben Gerung nun noch folgende
weitere Zeugen stellen:
1) In einer Basler Handschrift der Bepgauischen
Chronik (E VI, 26) findet sich am Schluss der Regierung
Heinrichs II (Bl. 136) folgender Zusatz, der nicht jünger
sein kann, als vom Jahr 1400: „Er brocht ouch Basel
wider, das die Hünen vor zerstört hatten, und begehet das
münster mit einer guldin taflfel, und einer silberin Krön,
die hieng er in den Kor, die sider ein Kapittel verkriegt
hat wider den bischoff von Basel.“
2) Das 1517 von Caplan Hieronymus Brilinger be-
arbeitete Ceremoniale Basiliensis episcopatus, welches vor
Kiurzem aus der Sammlung Quiquerez in den Besitz unsrer
öffentlichen Bibliothek übergegangen ist. Hier werden die
Vorschriften für die Festlichkeiten des Heinrichstages mit
den Worten eingeleitet: Ecclesia basiliensis hunnorum quon-
dicti IX et sub Imp. S. Heinrico II et S. Knnegunde, ejus conjuge,
quo tempere, anno vidz. D. 1019, V Idus Octobris, Indictione II
Ecclesia Bas. per pr*scriptum S. Heinrionm restanrata et pretiosis
reliqniis et ornamentis dotata, per dictum Adalberum episcopum est
dedicata, ipso Imperatore astante, anno regni sui XVIII, Imperii
vero VI, in honorc Sanctae Resurrectionis Jesu Christi, S. Crucis.
S. Dei genitricis Maria?, S. Johannis Baptistse, Apostolorum Petri
et Pauli, Andrea?, Thomee et omnium apostolorum et omninm Banc-
tornm ; Ipsi Episcopo et Imperator! astantibus et conbenedicentibus
Rev. Patr. et Dom. Popone, Archiepiscopo Trevirensi, Wernario, Ep.
Argentinensi, Ruodardo Constantiensi Ep., Hugo Genevensi, Hugoue
Lausannensi, Erico Episcopo atqne Imperialis Capella? custode. Bunt
antem in ipso summo altari reliquia? impositte et inclusfe, quas pr*-
dictus Imperator Heinricns magna devotione donavit, vidz. de .Sanguine
Domini miraculoso, De liguo S. crucis, de sepulcro Domini: Reliqni«
App. Petri, Pauli, Andre«, Thom«, Jo. Baptist«, Manritii, Clemeutis
Pap®, Cosm« et Damiani, Silvestri, Willibald!, Felicitatis, Julian«,
Helen«, Cecili«, Agath» et Gertrudis, cum pluribus aliis reliqniis.
') Hirsch, Jahrbücher für deutsche Geschichte, III, 82.
Digitized by Google
7
dam rabie ferme dirutam atque deaolatam preescriptus
Cesar Heinricus inagnibcis suinptibus erexit et rursus
restauravit: preciosas reliquias et ornameuta condonans,
tempore reverendisaimi patris Adalberonis praefatse ecclesi®
pontificis circa annos domini millenos decem et novem,
anno vero regni sui XVUl, Imperii sexto. Ea propter
ejus festum merito summa celebritate a clero et populo
solenmizari convenit.
3) In dem ehemaligen Münsterfabrikbuch, 1496 unter
dem Titel „Originale“ von Caplan Johannes David ver-
fasst, jetzt im Landesarchiv in Karlsruhe aufbewahrt,
hndet sich in dem Abschnitt „de anno et die dedicationis
ecclesiffi basiliensis“ eine mit dem obigen Citat aus Gerung
fast gleichlautende Notiz, nur dass bei der Aufzählung
der im Hochaltar niedergelegten Reliquien *) neben denen
de ligno sanctse crucis auch solche de vestimento sanctee
Marise erwähnt und unter den Heiligen die Märtyrer von
den confessores und den virgines mit einigen abweichenden
Namen unterschieden werden. Offenbar liegt diesen über-
einstimmenden Angaben, so spät sie sein mögen, eine
gemeinsame Quelle zu Grimde. Dieselbe wird uns auch
glücklicherweise in dem Fabrikbuch genannt, indem jenem
angeführten Eintrag am Rande die Notiz beigefügt ist:
„Hsec ex collectenario läbricse antiquo folio quarto a
fine numerando; similiter reperiuntur in libro vitse cliori
cum episcopis folio sccundo.“
') Nälieres über dasselbe in den Beiträgen z. vaterl. Geschiehte.
Nene Folge Bd. II, Heft 1, 1885.
^ Dabei möchten wir auf die Beziehung anfnierksam machen,
die unverkennbar zwischen der Weihe selbst und den genannten Re-
liquien besteht. Geschah jene in honore sanetae resurrectionia Jesu
Christi, S» crucis und 8. Dei genitricis, so entsprechen dem die im
Altar niedcrgelegten Stücke de sepulcro Domini, de ligno S. crucis
und de vestimento S“ virginis; ebenso verhält es sich mit den übrigen
Reliquien.
Digitized by Google
8
Wir glauben demnach mit Hirsch ’) und Boos den
von Fechter“) und noch bestimmter von Prof. Rahn‘)
geäusserten Zweifeln gegenüber die Tradition, welche
Heinrich II als Stifter des Münsters bezeichnet, aufrecht
erhalten zu dürfen, um so mehr seitdem auch eine aus-
drückliche Schenkung dieses Kaisers ad utilitatem mona-
sterii urkundlich erwiesen ist.“)
Allerdings gründen sich jene Zweifel auf ein an-
scheinend schwerwiegendes Moment, auf die Nachricht
nämlich, dass die Basler demselben Kaiser und gerade zu
der Zeit (1016), in welcher angeblich an dem von ihm
gestifteten Münster gebaut wurde, die Thore verschlossen
hätten, so dass er von Rache glühend ringsum deren Land
verheerte. — Allein die angerufene Stelle (in Thietmari
Chroniken VH, 20) lässt es sehr fraglich erscheinen, ob
wirklich Basel mit unter den Städten gemeint sei, welche
solchen Widerstand leisteten, und ob, selbst wenn diese
Frage zu bejahen wäre, dieser Widerstand von der Stadt
als solcher oder von dem mit dem Kaiser in Fehde be-
griffenen Grafen Otto Wilhelm von Burgund ausgegangen
sei. In letzterm Falle konnten die Beziehungen des
Kaisers zu Basel ungeachtet dieser Störung völlig ungetrübt
bleiben, es konnte derselbe somit auch gar wohl drei
Jahre später durch seine persönliche Anwesenheit bei der
Weihung des Münsters den Baslern einen neuen Beweis
seiner Huld gehen. ®)
lieber die Gestalt dieses, wie wir also annehmen.
>) am a. 0. Bd. III, 82.
üesch. d. Stadt Basel S. 14 u. Anm. 2.
’) Neujahrsblatt für 1850, S. 7.
‘) Glesch, d. bild. Künste in d. Schweiz S. 213 u. Anm. 2. 3.
*■) Trouillat, Monum. de l’anc. eveche de Bäle I, 147.
*) Vergl. über die ganze Frage; Th. Burckhardt-Piguet, der
Zusammenhang Basels mit dem Königr. Burgund. Gymnasialprogr.
1848. Ferner E. Leupold im Centr.-Bl. des Zof. Ver. 1879.
Digitized by Google
9
im Jahr 1019 von Heinrich H geweihten Münsters lässt
sich freilich kaum nur vermuthungswoise etwas sagen.
Denn von demselben ist nichts übrig geblieben als der
untere zwei Stockwerk hohe Theil des heutigen St. Georgs-
thurmes. Wir haben früher schon*) auf die Spuren auf-
merksam gemacht, die diesem Bautheil ein viel höheres
Alter als das des ganzen übrigen Münsters zuweisen: die
von unten auf glatten, durch keine Strebepfeiler gegliederten
Mauern, die das zweite Stockwerk zierenden Blendarkaden
mit ihrem primitiven rechtwinkligen Profil, und endlich
das am ganzen übrigen Münster nicht weiter verwendete
Baumaterial, das in keinem Steinbruch unsrer Umgegend
sich nachweisen lässt. Alle diese, wenn auch dürftigen,
Anzeichen stimmen durchaus zu der angenommenen Bau-
zeit des beginnenden XI. Jahrhunderts, d. h. zu der Zeit
des eben aufblühenden romanischen Stils. Die Dimen-
sionen des besprochenen Thurmrestes lassen aber zugleich
ahnen, dass auch der ganze unter Heinrich aufgeführte
Münsterbau, wenigstens seiner Ausdehnung nach, ein sehr
stattlicher gewesen sei. Es war ja überhaupt nach dem
Schluss des X. Jahrhunderts und nachdem der von Vielen
mit dem Ablauf des ersten Jahrtausends erwartete Welt-
untergang sich nicht eingestellt hatte, allenthalben in der
Christenheit ein Baueifer erwacht, imd zwar ein kirch-
licher Baueifer, wie nie zuvor und wie auch seitdem nie
wieder. Hatte das Herannahen jenes gefürchteten Termins
die Menschen angetrieben in frommen Stiftungen das Heil
ihrer Seele, wie sie meinten aufs Beste, sicher zu stellen,
so trat nun an die Stelle jener bangen Furcht ein um so
freudigerer Muth zum Leben, nicht ein leichtsinniger Muth,
sondern vor allem ein Gefühl des Dankes für die erfahrene
Bewahrung, ein Dank, der seinen sprechendsten Ausdruck
darin fand, dass Gotteshäuser und Klöster aller Orten und
*) S. Heft II der gegenwärtigen Beiträge S. 6 ff.
Digilized by Google
10
Enden errichtet wurden. ') Es war jetzt der Muth vor-
handen dauerhaft, weil für eine fernere Zukunft, zu bauen,
und das reiche Ergebniss aller der vorangegangenen Stif-
tungen bot auch hiezu die ausgiebigsten Mittel.
Die Gebäude waren fast lauter Basiliken, flach ge-
deckt; denn für die Kunst des Wölbens wurden nur erst
schwache Versuche gemacht. Und wandernde Mönche
waren es, welche die Bauten leiteten, wie denn überhaupt
der ganze Kunstbetrieb noch ausschliesslich in den Händen
der Kirche lag. Unter solchen Bedingungen wird auch
der von Heinrich II gestiftete Münsterbau vor sich ge-
gangen sein. In seinen Grundformen mag er etwa dem
Dom von Speyer (1030) oder dem von Bamberg, welcher
letztere um 1006 ebenfalls von Heinrich war gegründet
worden, ähnlich gesehen haben. Schwerlich aber wird er
schon eine gleiche Weite und Höhe des Mittelschiifs wie
das jetzige Münster erreicht, imd auch der Chor wird nur
ein einfaches Halbrund gebildet haben.
Wahrhaft glänzend muss dagegen die innere Aus-
stattung dieses frühem Münsters gewesen sein und zwar
wiederum Dank der grossartigen Munifizenz des kaiser-
lichen Ehepaares. Wir brauchen nur an die von Heinrich
zur Weihe mitgebrachte goldene Altartafel und an das von
Kunegunde gestiftete kostbare Kreuz zu erinnern, welches
letztere in den Augen der damaligen Zeit noch unendlich
an Werth gewann durch das in demselben eingeschlossene
Blut des Erlösers nebst Resten vom heil. Kreuzesstamme.
So ist denn auch die Kaiserin am Giebel (und neuerdings
am Portal) imseres Münsters mit diesem Kreuze in den
Händen dargestellt. Was aber die goldene Altartafel
betrifllt, so besitzen wir als etwelchen Ersatz für das
leider längst nach Paris entführte Original eine gegen-
') Glabri Rudolphi historiar. lib. III, cap. 4, De innovatione
ecclesiarnm in toto erbe: „Die Welt zog ibr Gewand aus und zog
ein neues weisses von lauter Kirchen an.“
Digiiized by Google
11
wärtig in unserer mittelalterlichen Sammlung au^estellte
Nachbildung, welche nicht nur die Form und die Ge-
stalten, sondern selbst den Goldglanz imd Kleinodien-
schmuck des Urbildes möglichst getreu wiedergibt (siehe
unsere Abbildung Taf. V). Nicht minder aber besitzen
wir von der Hand des Gründers unserer mittelalterlichen
Sammlung ') eine so gründliche und geistvolle Beschreibung
dieser Tafel, dass wesentlich Neues über den Gegenstand
kaum mehr wird gesagt werden können.
Die Tafel war bekanntlich als sogen. Antependium
dazu bestimmt an hohen Festtagen (zu welchen auch der
Heinrichstag zählte) die Vorderseite des Hauptaltars zu
schmücken. *) Sie besteht aus einer festen Unterlage von
Cedemholz, über welcher die ganz aus Goldblech (im
Gewicht von 400 Loth) getriebene Bildfläche sich aus-
breitet. Unter einer fünffachen Bogenstellung, deren
Zwischenflächen mit reichem Rankenwerk ausgefüllt sind,
erscheint in der Mitte die erhöhte Gestalt Christi, des
rex regum und dominus dominantium, dessen Rechte zum
Segen erhoben ist, während die Linke eine mit dem
Christusmonogramm gezierte Kugel — das Sinnbild des
Weltalls — trägt. Zu seinen beiden Seiten stehen Gabriel
und Michael, weiterhin Raphael und S‘. Benedict. Ueberaus
sinnreich fasst die, erst von Wackernagel richtig gedeutete
Inschrift diese Namen in den leoninischen Vers zusammen:
Quis sicut Hel (das hebräische „Gott“) fortis medicus
soter benedictus? — woran sich unten die Bitte schliesst:
Prospice terrigenas Clemens mediator usias. ®) Denn als
’) W. Wackernagel kleinere Schriften S. 376 — 422.
’) Dass die Altartafel nicht beständig ausgestellt blieh, sondern
zeitweise unter Verschluss gelegt wurde, zeigt auch die Ausgabe der
Fahrikrechnung von 1467: „von der laden zu der guldin tafel 1 'fi,
2ß,S d.“
*) „Wer ist wie Gott ein starker Arzt, ein gesegneter Heiland ?
Schütze die Erdenbewohner, du gütiger Mittler des Weltalls.“
Digitized by Google
12
*
Vertreter der Eigenschaften Gottes, seiner Macht, Weisheit
und Güte sind die drei Erzengel gewählt. Aber auch für
Benedict, dessen Wahl Wackemagel unerklärlich nennt,
glauben wir einen Grund namhaft machen zu können.
Der genannte Gelehrte kennt zwar wohl die Legende, die
von einer wunderbaren Heilung Heinrich H durch Bene-
dict erzählt;') aber während er vermuthet, es sei diese
ganze Legende erst im Anblick unsrer Altartafel und durch
eine unrichtige Deutung ihrer Figuren imd ihrer Ueber-
schrift entstanden, finden wir — zwar nicht die detaillirte
Legende — aber doch die bedeutende Rolle, die Benedict
im Leben des Kaisers überhaupt spielte, durch Letztem
selbst bezeugt *) in seiner Urkunde für das Kloster Monte
Cassino vom Juni 1022, wo er von seiner Liebe zu dem
Heiligen von frühester Jugend an und dem Beistand des-
selben zu seinem Regiment, wie von wiederholter Genesung
aus Krankheit, die er ihm verdanke, spricht.“)
Auch was die Frage betrifft, ob die Tafel wirklich,
und zwar in ihrer jetzigen Gestalt, von Heinrich könne
geschenkt, bezw. in so ff-ühcr Zeit könne entstanden sein,
hat Wackemagel bereits den von Kugler^) erhobenen
Zweifeln g^enüber den überzeugenden Nachweis der
') Henricus Imperator Romam tendeus ex Apulia venit ad
montem Cassinnm, ubi meritis S> Beaedicti, ibidem qnondam abbatis,
a calculo miracnlose liberatus est. Appamit enim ei in somniis
S. Benedictus et apperto latere corporis calcnlnm evulsnm in maan
regis posuit, quem rex evigilaus in manu veraciter inventum cunctis
ostendit. Wackern. a. a. 0. p. 411. Anm.
*) Hirsch a. a. 0.
’) Singniariter tarnen et quasi spccialius locum, in qno venera-
bilis patris nostri sanctissimi Benedicti corpns fovetnr, poliere ad
modnm cnpimus, quippe quem a primo aetatis flore semper maxime
dileximus, cnjnsqne intercessione piissima hactenns et in regno ro-
borati, et in in&rmitate sepius positi misericorditer relevati snmns.
Hirsch a. a. 0. 362.
*) Kngler Kl. Schriften und Stud. z. Knnstgesch. I, 486 ff.
Digitized by Google
13
Aechtheit geführt. ‘) Nicht unwesentlich wird derselbe
aber unterstützt durch die von Hirsch *) mitgetheilte That-
sache, dass die auf unsrer Altartafel in den Bogenzwickcln
angebrachten Brustbilder der Prüden tia, Justicia, Tem-
perantia und Fortitudo aufs Oenaueste jenen entsprechen,
welche den untern Deckel des von Heinrich 1012 auf den
Bamberger Hochaltar gestifteten Evangelienbuchs zieren
und zwar auch dort so, dass derselbe Kopf für die Ver-
sinnbildung aller vier Ideale gebraucht ist. Steht dem-
nach die Schenkimg der Altartafel durch Heinrich fest,
so werden wir auch sein und seiner Gemahlin Bildniss in
den beiden zu Christi Füssen liegenden Miniaturgestalten
zu erkennen haben. ®)
Zu dem weitem gleichzeitigen Schmuck unseres
Münsters gehört aber auch jene jetzt an der östlichen
Schlusswand des südlichen Seitenschiffs angebrachte Tafel
aus rothem Sandstein mit der Reliefdarstellung von sechs
Aposteln: Petrus, Johannes, Bartholomäus, Jacobus, Simon,
Judas (s. Taf. VP). Es ist dies wohl eine der bedeutendsten
Sculpturen, die unser Münster aufzuweisen hat. Mit hohem
würdevollem Ernst sind die heiligen Gestalten gegeben, in
einem von der Antike noch mächtig beeinflussten Stil. Die
Bildung der Köpfe, die Haltung der Gestalten, welche
paarweise mit einander im Gespräche begriffen sind, der
freie Faltenwurf in den Gewändern lassen uns geradezu
staunen, wie ein solches Werk im Beginne des XI. Jahr-
hunderts noch entstehen konnte ; und in diese Zeit weist
doch unleugbar der Stil der architektonischen Umrahmung,
wie nicht minder die ursprüngliche Bestimmung der Tafel,
die wohl keine andere war als mit einer entsprechenden
leider verloren gegangenen zweiten Tafel, welche die
übrigen sechs Apostel enthielt, die Seitenflächen des Hoch-
*) a. a. Ü. 409-418.
*) a. a. 0. III, 82 vergl. II, 104.
*) Rahn 25(1.
Digiiized by Google
14
altars zu schmücken, dessen vordere Wand mit dem gol-
denen Antependium Heinrichs prangte. ')
Nahe verwandt mit dieser Aposteltafel ist jene andere
im nördlichen Seitenschiff befindliche, welche in vier
Felder getheilt das Martyrium des hl. Vincentius dar-
stellt (s. Taf. VI*). (Nicht des Laurentius und Vincentius,
wie gewöhnlich angegeben wird, denn nur mit des letztem
Legende treffen die Darstellungen unsrer Tafel und zwar
bis auf die einzelnsten Züge zusammen.) Dieselbe braucht
nicht, wie WackemageD) annimmt, einer ehemals am
Münsterberg gestandenen Vincentiuskapelle angehört zu
haben, da ja unser Münster selbst einen diesem Heiligen
geweihten Altar besass. In den architektonischen Details,
namentlich in der Kapitälbildung stimmt diese Tafel auf-
fallend mit der vorher besprochenen Aposteltafel überein,
weniger in der Behandlung des Figürlichen, was indess
daher rühren kann, dass dort die feierliche Ruhe heiliger
Gestalten, hier dagegen bewegte Handlung der sehr un-
heiligen Schergen zum Vorwurf diente. *)
Als Ueberreste des Heinrichsbaues sind endlich wohl
jene sehr alterthümlichen steinernen Löwen anzusehen, die
jetzt in der Grypta aufgestellt sind. Die auf ihrem Rücken
befindlichen Säulenansätze lassen keinen Zweifel, dass sie
zu Trägem bestimmt waren und, wie schon Herr Dr.
Ach. Burckhardt‘) nachgewiesen, finden sich unter den
jetzt die Bogen des Triforiums stützenden Säulchen vier
aus einem dunklen polirten Marmor gefertigte, welche
mit den Löwen zusammen den Unterbau der ehemaligen
*) Wackernagel a. a. 0. 380. Mit nnaerer Annahme stimmen
auch die Maasse, indem die Altartafel zwischen dem vorspringenden
Sockel und Kranzgesimse genau so hoch ist (0,96) wie die Apo-
steltafel.
*) Ebenda S. 378.
*) Rahn 259.
*) Anzeiger f. Schweiz. Altrthk. 1879, pg. 923.
Digiiized by Google
15
Kanzel könnten gebildet haben. Demnach hätten wir uns
diese Kanzel ähnlich derjenigen des Baptisteriums in Pisa
zu denken.
Weiter reichen die Spuren nicht, die uns über Gestalt
und Ausstattung des im Jahre 1019 von Heinrich II ge-
weihten Münsters Auskunft geben; sie genügen aber wohl
um dieselbe als eines kaiserlichen Baues durchaus würdig
erscheinen zu lassen. Nahezu 170 Jahre hatte dieser Bau
gestanden, als derselbe laut einer Angabe der Annales
Alemannici') am 25. October 1185 ein Raub der Flam-
men wurde. So gründlich muss die Zerstörung gewesen
sein, dass, wie wir gesehen, nur der unterste Theil des
St. Georgsthurmes dieselbe überdauerte. Das ganze übrige
Münster, soweit es nicht noch jüngem Datums ist, ver-
dankt seine Entstehung und gegenwärtige Gestalt dem
wahrscheinlich bald nach dem Brande von 1185 be-
gonnenen Neubau.
Der Bau des Uebergangsstiis.
Jener Wiederaufbau des im J. 1185 in Trümmer imd
Asche gesunkenen Münsters fiel in die Wende des XH
zum XIII Jahrhundert, also in diejenige Zeit, welche wir
als die des Uebergangsstiis zu bezeichnen pflegen. Wäh-
rend in Frankreich schon um die Mitte des XH Jahr-
himderts der Uebergang vom Romanischen zum Gothischen
plötzlich und beinahe unvermittelt sich vollzogen hatte
(zuerst in dem von Abt Suger geleiteten Chorbau der
Abtei S‘ Denis, 1140, imd bald darauf, 1177, in der
Kathedrale Notre-Dame in Paris), schlug Deutschland
*) Bei Pertz. Mon. Scr. I, 56: Anoo dominiae incarnationis
1185; VIII Kal. Novb» Basilieosis ecclesia incendio conflagravit. Zu-
erst mitgetheilt von Fechter im Basler Taschenbuch von 1851,
pg. 271.
Digitized by Google
16
hierin einen andern Weg ein. Auch hier zwar regte sich
mächtig der hauptsächlich durch die Kreuzzüge geweckte
Geist, der zumal auf dem Gebiete der Baukunst über die
noch vorwiegend ernsten und gedrückten Formen des
romanischen Stils hinaus drängte. Aber der Entwicklungs-
gang war hier — gewiss nicht zum Schaden der Kunst —
ein langsamerer. Vor allem waren es die Rheinlande von
Basel abwärts bis zur Grenze der Niederlande, welche
dieser Entwicklung die fruchtbarste Stätte boten und hie-
mit eben zur Heimath des sogen. Uebergangsstils wurden.
Das wesentlich Neue liegt in der Durchbrechung der
im Romanischen vorherrschenden Horizontallinie durch
die nun mehr imd mehr sich geltend machende Vertikale.
Hatten bisher die Mauern ihrer ganzen Länge nach dem
aufliegenden Gewölbe zur Unterlage dienen und dem ent-
sprechend möglichst massive Verhältnisse annehmen müssen,
so erwachte jetzt das Bestreben das Gewölbe so zu ge-
stalten, dass dessen Druck auf einzelne Punkte sich con-
zentrirte, w^elche nun ihrerseits allerdings einer um so
nachdrücklichem Verstärkung und Unterstützung bedurften,
aber zugleich die zwischeninneliegenden Mauerflächen we-
sentlich entlasteten. Letztere konnten in Folge dessen,
da sie nicht mehr zu tragen, sondern bloss noch aus-
zufüllen hatten, viel leichter, bezw. dünner gebaut und
mit imgleich weitern Fensteröffnungen durchbrochen wer-
den. Jene stützenden Pfeiler selbst aber wurden so ge-
gliedert, dass sie schon von unten herauf erkennen lassen,
welche Theile des Gewölbes, ob die dasselbe umrahmenden
Gurtbogen oder die über’s Kreuz gelegten Diagonalrippen
eie zu tragen bestimmt seien. Im erstem Fall tritt vor
den Hauptpfeiler eine starke Halbsäule, die oben an der
Wand bis zu dem Punkte aufragt, an welchem sie den
entsprechenden Gurtbogen aufnimmt; kleinere Halbsäulen
dagegen legen sich neben diese mittlere, um die Kreuz-
Rippen zu stützen. Das zweite wesentliche Moment war
Digitized by Google
17
die Aiiwendimg des im Romanischen nur erst vereinzelt
auftretenden Spitzbogens. So lange man im Rimdbogcn
wölbte, konnte von der quadratischen Anlage der Gewölbe
nur schwer abgesehen werden, da die Höhe jedes Halb-
kreises von der Länge seiner Grundlinie bedingt ist und
somit bei ungleichen Abständen auch die Scheitel der
Bogen nicht dieselbe Höhe erreichen. Alle Schwierigkeiten
fielen hinweg, sobald an die Stelle des Rundbogens der
Spitzbogen gesetzt wurde, welcher auf gleicher Grundlinie
beliebig erhöht oder herab gedrückt und auch bei ver-
schiedenen Abständen auf die gleiche Scheitelhöhe ge-
bracht werden kann und überdies wegen der Annäherung
an die vertikale Linie einen geringeren Seitenschub ausübt.
In dieser Weiterbildung des Gewölbesystems, die nun
auch andere als nur rein quadratische Räume zu über-
wölben gestattete, haben wir den eigentlichen Fortschritt
des Gothischen über das Romanische zu erkennen. Mit
ihr ist die vertikale Linie im ganzen Aufbau zur ton-
angebenden erhoben und der Grund gelegt zu jener
elastischen Strebekraft, die fortan in der gothischen Bau-
weise zu immer glänzendem Triumphen über die lastende
Wucht der Steinmassen führte.
Kehren wir nach diesem orientirenden Ueberblick zu
unserm Münster zurück, so bietet uns dasselbe eben als
Denkmal des Uebergangsstils ein überaus lehmeiches Bei-
spiel der allmälig sich anbahnenden neuen Bauweise.
Zunächst suchen wir uns an der Hand der von Hrn. Prof.
Rahn ') gegebenen Beschreibung , imter Benützung der
weitern Beobachtungen der Hm. Dr. Ach. Burckhardt und
Dr. C. Stehlin über die ursprüngliche Gestalt des Baues
Rechenschaft zu geben.
*) Kahn Gesch. d. bild. Künste, pg. 213 ff.
^ Anzeiger f. Schweiz. Alterthk. 1879, S. 923 ff. nnd 1880,
Digilized by Google
18
Die Gesammtanlage der Kirche bildet im Grundrisse
ein lateinisches Kreuz. (S. Taf. 1.) Das Mittelschiff be-
steht aus drei quadratischen Gewölbejochen, denen sich
jedesmal paarweise zwei kleinere in den Seitenschiffen an-
schliessen. Die ungewöhnliche Breite des Mittelschiffs
(m. 13 aus der Längenachse der Pfeiler gemessen), die
durch den Gegensatz zu den schmalen Abseiten noch be-
deutender erscheint, trägt wesentlich zu der imposanten
Wirkung des Innern bei. Das Querhaus erhält dadurch,
dass es wiederum aus drei quadratischen Gewölbejochen
besteht, dieselbe Länge wie das Langhaus. Jenseits des
Querhauses setzt sich das Mittelschiff in Form eines kurzen
Gewölbejoches fort und schliesst dann mit einem polygonen
Chorhaupte ab, um das sich ein tiefer gelegener Umgang
herumzieht. Entsprechend den zwei Thörmen der West-
fa?ade erhob sich auch ein Thurmpaar östlich in den
Winkeln zwischen den QuerschifflBügcln und dem Chore.
Sie reichen jetzt mit ihrem schrägen Abschluss kaum mehr
bis an das Chordach; die vereinzelten Quader aber, die
über dem nördlichen Thurm aus der Mauer des Querschiffs
hervortreten und die Bruchstelle, die über dem südlichen
Thurm an der Wand des Hochchors hinauf läuft, be-
zeichnen deutlich die Kichtung, in welcher die beiden
Thürmc einst weiter emporragten. Unterwärts ruhten sie
auf dem ersten Joche des untern und obem Chorumgangs,
deren vier Ecksäulen der ihnen zugemutheten Last ent-
sprechend äusserst wuchtig sich gestalten. Nach aussen
bildet zudem die nordseits angebaute ehemalige Sakristei,
und südseits jener aus drei Bogen von je 2 Meter Laibung be-
stehende Fortsatz, der von der Chormauer bis zum Treppen-
haus des Betsaals hinübergreift, eine strebenartige Sicherung.
Die Frage, ob auch noch über dem Kreuzmittel der Kirche
ein sogenannter Vierungsthurm mit Kuppel sich erhoben
habe, muss dahingestellt bleiben. In romanischen, nament-
lich rheinischen Bauten von gleicher Bedeutung wie unser
Digitized by Google
19
Basler Münster fehlt dieser Mittelthurm selten ; allein eine
Spur, dass unser Münster ihn besessen habe, lässt sich
am gegenwärtigen Bau nicht mehr auihnden. ')
Stellt sich somit der Glrundriss unsres Münsters noch
in seinen wesentlichen Zügen als derjenige einer romanischen
Kirche dar, so zeigt dagegen der Anfbau bereits bedeute
same Merkmale jener Umbildung, welche allmälig zur
gothischen Bauweise hinüberleitete. Vor Allem die Gliede-
rung der Hanptpfeiler im Mittelschiff ist in der Weise
durchgebildet, dass hier jede einzelne Gewölberippe ihren
besondern Dienst erhält. Der Pfeiler bildet im Grund-
riss ein längliches
Rechteck; aus der
Mitte jeder Seite
tritt eine starke
Halbsäule hervor,
diejenigen an den
Langseiten (b) zur
Aufnahme der Ar-
chivolten, die bei-
den andern (a) für
die Quergnrten (a)
bestimmt, während
zur Aufnahme der
Diagonalrippen (c)
die kleinen Drei-
viertelssäulen (c)
dienen, welche in
den einspringenden Winkeln angebracht sind. Ferner sind
die von diesen Pfeilern eingeschlossenen Archivolten (die
Mittelschiffbogen), wie die Gurtbogen der Seitenschiffe
') Jenes alte, jetzt im Stadthaus befindliche Gemälde von
Basel, auf das schon hingewiesen worden, weil es einen solchen
Viernngsthurm zeigt, ist zu abenteuerlich um als Zeuge gelten zu
können.
Digilized by Google
20
bereits im Spitzbogen geführt. (Dieselbe Bogengestalt muss
auch schon vor dem Erdbeben im Gewölbe geherrscht haben,
wie die noch vorhandenen Schildbogen unterhalb dem An-
satz der jetzigen Gewölbe, namentlich aber in dem länglicht
rechteckigen Joch des Altarhauses zeigen.) Zugleich aber ist
das Profil dieser Archivolten mit seinen Rundstäben und
zumal mit der im Chor sie zierenden Pollenreihe noch
durchaus romanisch gedacht. lieber den Archivolten und
durch ein kräftiges Gurtgesimse mit schachbrettartiger
Verzierung von ilmen getrennt, öffnen sich die Emporen
und zwar mit je zwei Blendbogen in jedem Joche, deren
jeder wieder mit einer eleganten dreitheiligen auf Doppel-
säulen ruhenden Bogenstellung durchbrochen ist. Hier
in diesem Obergeschoss bewegt sich, im Gegensatz zu den
untern Schififarkaden, Alles wieder jm Rundbogen. Beides
aber: die untern Archivolten, wie die Bogenreihe des Tri-
foriums, setzt sich in höchst origineller Weise auch an
den Giebelwänden des Querschiffes in Gestalt von kräftigen
Blendarkaden fort, wodurch nicht nur diese in den meisten
Kirchen so kahlen Wände eine wirkungsvolle Gliederung
erhalten, sondern Chor und Langhaus in harmonischen
Zusammenhang gebracht sind. Noch einleuchtender muss
diese Harmonie im ursprünglichen Bau sich dargestellt
haben, als die Empore des Chors (die sogen. Sänger-
gallerie) noch durchaus dieselbe Gestalt besass wie das
Triforium des Langhauses. Denn, wie Herr Dr. Ach.
Burckhardt ') bereits nachgewiesen, entsprechen die Inter-
valle der einzelnen nach Innen sich öffnenden Polygon-
seiten des Chores den Bogenöffnungen des Triforiums in
der Weise, dass auf das Chormittel vier, auf die beiden
an dasselbe sich anlehnenden Seiten je drei und auf die
beiden folgenden je zwei offene Bogen gleich denen des
Triforiums zu stehen kamen; wie denn auch die Gewölbe-
') a. a. 0. pg. m.
Digiiized by Google
21
stützen dieser Sängergallerie, den noch erhaltenen Basen
nach zu urtheilen, völlig dieselben waren wie dort.
Wir haben hiemit den Chor betreten und zwar den-
jenigen Punkt desselben, von wo aus die imposante Raum-
wirkung, wie sie durch die ganze bisher beschriebene
Anlage unseres Münsters erzielt wird, am überraschendsten
zur Geltung kommt. Aber auch die Choranlage selbst
verdient unsre höchste Beachtung. Ueber einer auf mäch-
tigen Pfeilern ruhenden Krypta erhebt sich der mittlere
Raum des Chores in der beträchtlichen Höhe von 3 Meter
über die Bodenfläche imd erstreckte sich einst in dieser
Höhe noch durch die ganze Vierung hin. Umschlossen
ist dieser mittlere Raum von den schon genannten spitz-
bogigen Arkaden, die aber ihrerseits auf Stützen von
einzigartiger Schönheit ruhen. Gehören schon die an
ihrem Pusse hinlaufenden, jetzt leider fast im Boden ver-
schwindenden Friese zum Besten, was die romanische
Sculptur geleistet, so sind die Stützen selbst auf’s Kühnste
je aus einer lose zusammengeordneten Gruppe von ein-
zelnen Säulen gebildet, die durch ihre verschiedene Stärke
und die Verschiedenheit der Kapitälhöhe die einer jeden
zukommende Tragfunktion ausdrücken. Damit ist das
Problem niedrige Stützen leicht zu geben aufs Glück-
lichste gelöst. Ueberdies aber hat an den Schmuck der
Kapitale dieser Säiüen auch die Kunst des Meisseis ihr
Möglichstes gewendet. Es sind neben zierlichem Laubwerk
bekanntlich die Darstellungen des Sündenfalls, die Ge-
schichte von Pyramus und Thisbe, Alexanders Greifen-
fahrt und die Sirene (das Bild der Verführung), welche
hier erscheinen; letztere Scene auffallend verwandt mit
einem Kapital am Südportal der Kirche von S‘. Ursanne.
Noch eigenthümlicher aber als dieser innere Chorabschluss
ist der ausserhalb desselben sich hinziehende Chorumgang,
der vor seiner in gothischer Zeit erfolgten Ueberwölbung
bis zum Boden der Krypta hinunter offen lag, so dass
Digilized by Google
22
man durch die jetzt noch in letztere führenden Treppen
in denselben hinabstieg. Eine ähnliche Anlage kennen
wir nur aus der etwas später als unser Münster erbauten
Kirche in Heisterbach. Vor dieser aber wie vor allen
gleichzeitigen deutschen Bauten hat unser Chor wieder die
polygone Gestalt voraus. Und letztere wüssten wir, selbst
wenn alle andern Eigenthümlichkeiten unseres Münsters
in verwandten rheinischen Bauten nachzuweisen wären,
nicht anders als durch französischen Einfluss zu erklären.
Haben wir auf unserm Gang bis dahin das Innere
des Münsters kennen gelernt in der Gestalt, die es nach
1185 empfing, und uns überzeugt, dass dieselbe von der
heutigen nicht wesentlich sich unterschied, so werfen wir
nun auch einen Blick auf seine Aussenseite. Bleiben wir
gleich beim Chor, der uns zuletzt beschäftigt hat, stehen.
Er stellt sich auch von aussen betrachtet als ein für jene
Frühzeit höchst bemerkenswerthes Bauwerk dar (s.
Taf. IH). Der vorhin beschriebene doppelte Umgang be-
dingt vor Allem die bedeutende Ausdehnung, die unserm
Chore eignet; seine polygone Gestalt aber forderte die
Anwendung jener mächtigen Streben, die ihm das Ge-
präge unerschütterlicher Festigkeit verleihen. Dazu kommt
noch die wohlüberdachte Gliederung im Einzelnen. In
gleicher Höhe, wie innen die Krypta über den Erdboden
sich erhebt, zieht sich aussen um die Chormauer eine
Bogenstellung von kurzen Halbsäulen und kräftigen Laub-
kapitälen getragen, über welcher ein zierlich gearbeiteter
Fries mit eingeflochtener Darstellimg einer herbstlichen
Jagdscene dieses Untergeschoss abschliesst. Nun erst folgt
dem innern Hauptgeschoss entsprechend in jeder Folygon-
seite ein stattliches Rundbogenfenster, je von einem Rund-
stab mit figurirtem Kapital eingefasst, und als Krönung
dieser ersten Stufe des ganzen Aufbaus ein markiger
Bogenfries, dessen Consolen zum Theil nur fratzenartige
Köpfe, zum Theil aber auch abenteuerliche Gestalten
Digitized by Google
23
zeigen; u. A. die eines Menschen, der ohne einen Kopf
zu besitzen, das Qesicht auf der Brust trägt, eines jener
Geschöpfe also, (die dxstpuXoi) mit welchen nach dem
Vorgang der Alten die mittelalterliche Phantasie die fernen
unbekannten Welttheile zu bevölkern pflegte. ') — Von
einer ersten „Stufe“ können wir hier wirklich roden, denn
das darüberfolgendc Stockwerk der Sängergallcrie tritt
bereits stark zurück, um einem breiten äussern Umgang
Raum zu bieten. In seiner gegenwärtigen Ausführung ist
dieses Stockwerk allerdings erst nach dem Erdbeben ent-
standen und hat damals erst seine grossen Rimdfenstcr
erhalten ; allein schon vor dem Erdbeben muss es
dieselbe Ausdehnung und Höhe erreicht haben, das be-
zeugen die bereits erwähnten Basen der. ehemaligen Ge-
wölbeträger im Innern und ferner die Reste der alten
Umfassungsmauer, welche die Grundlage der jetzigen
bilden. Unmöglich scheint es ims aber nicht, dass nach
aussen diese Sängerempore von einer offenen Bogenhalle
(einer sogenannten Zwerggallerie) , wie sie so manche
der rheinischen Kirchen aufweisen, umgeben war, welche
genau die Breite des jetzigen äussern Umgangs in Anspruch
genommen hätte. *) Demnach würden wir uns die ursprüng-
liche Gestalt des Chores ungefähr so zu denken haben, wie
es unsere Taf. lU darzustellen sucht.
*) Die sämmtlichen hier gemeinten Monstra finden sich in den
Glasbildern der grossen Rosette in der Lansanner Kathedrale; —
abgebildet von Rahn in d. Mittheilg. der antiqu. Gesellsch. in Zürich.
Bd. XX, 51. — Vergl. dazu die verschiedenen Bestiarien des Mittel-
alters und selbst noch Seb. Münsters Cosmographie.
*) Diese Verrauthung hat seitdem auf unverhoffte Weise ihre
Bestätigung gefunden. Als im Sommer 1884 die der Erneuerung
bedürftige Brüstung der Cliorgallerie weggenommen wurde, zeigten
sich in das Auflager derselben eingehauene länglicht rechteckige Ver-
tiefungen (ca. 30 ctm. lang), genau in gleicher Zahl und ziemlich in
den gleichen Abständen wie die Halbsäulen der untern Blendbogen.
Allerdings fanden sich diese Sparen vollständig erhalten nur an der
Digitized by Google
24
Daran schliesst sich die Frage, wie das ehemalige
Chorgewölbe zu reconstruiren sei. Dass ein solches vor-
handen- war, ergiebt sich unzweifelhaft aus dem Vorhan-
densein der Strebepfeiler; aber ebenso gewiss ist, dass
dasselbe nicht so hoch und flach gespannt sein konnte, wie
das gegenwärtige. Die Strebepfeiler haben ihre jetzige
Höhe erst nach dem Erdbeben erhalten ; in ihrer ursprüng-
lichen Gestalt werden sie denjenigen des QuerschifFs gleich-
gesehen und den engeren Hochchor an dem Punkte er-
reicht haben, wo im Innern das Gewölbe der Sänger-
gallerie an diese Chormauer sich anschloss. Von den
Strebepfeilern aus konnte somit noch nicht ein so hoch
schwebender Strebebogen, wie es jetzt der Fall ist, zu
dem hohen Chpr hinübergreifen; derselbe erhob sich
vielmehr immittelbar über den Gurtbogen der Sänger-
galleric. Es lässt dies vermuthen, dass auch das Chorge-
wölbe selbst unmittelbar über der eben genannten Gallerie
begonnen habe imd dass die Kapitäle, welche seine Rip-
pen trugen, in gleicher Höhe lagen, wie sämmtliche übrige
Gewölbeträger des Mittel- und Querschiffes. Es konnte dem-
nach auch der Bogen, den diese Rippen beschrieben, kein
andrer sein als derjenige des ganzen Mittelschiffgewölbes,
also nahezu ein Kreisviertel. Da aber, wie wir gesehen
haben, der Chor in sämmtlichen übrigen Beziehungen mit
dem System des Langhauses übereinstimmte, so ist wohl
anzunehmen, dass die Fensteröffnungen des Hohen Chors
denen des hohen Mittelschiffs entsprachen, also weit kleiner
waren imd weniger Licht gewährten als die gegenwärtigen.
Was die Aussenseite des übrigen Gebäudes, des
Quer- und Langschiffes, betrifft, so gilt zunächst für das
mittlern in der Achse des Chors liegenden Polygonseite: an den
übrigen Seiten des Chors waren in Folge früherer Restaurationen diese
Spuren bis auf wenige verschwunden. Die vorhandenen Vertiefungen
aber können keinem andern Zwecke gedient haben, als die Säulen-
füsse der ehemaligen offenen Bogengallerie in sich aufznnehmen.
Digitized by Google
25
Letztere Alles, was wir über die Strebepfeiler des Chores
bemerkt liaben (s. Taf. II). Auch hier schlugen nur
niedrige Strebebogen, die über das Dach des Triforiums
kaum hervornigten, zum Mittelschiff hinüber. In ihren
Ueberresten sind sie noch jetzt unter diesem Dache vor-
handen. lieber diesem Dach aber ragt gegenwärtig jedes-
mal da, wo der einstige Strebepfeiler an die Mittelschiffwand
stiess, ein Mauervorsprung heraus von ungleicher Breite
und Tiefe, der offenbar bei dem Restaurationsbau nach
dem Erdbeben ausgespart wurde, um den neu errichteten
Strebebogen ein Auflager zu bieten. Wir sagen „ausge-
spart“, weil dieser Mauervorsprung einst als förmliche
Lisene noch weiter hinauf, bis zur Hohe des ursprünglich
um das ganze Gebäude herumgeführten Bogenfrieses,
reichte. Nur ist er bis zu der ebenbezeichneten Stelle,
wo der Strebebogen aufliegt, weggemeisselt. ‘) Noch lassen
sich die Spuren jenes Bogenfriescs deutlich erkennen, zu-
nächst in einem einzelnen, vollständig erhaltenen Bogen
in dem südlichen Winkel zwischen Querschiff und Lang-
haus, sowie in mehrern noch vorhandenen Bogenconsolen;
die Reihe der übrigen Consolen lässt sich, obschon sie
später einfach weggemeisselt wurden, noch auf lange Strecken
verfolgen. Wir gewinnen aber auf diese Weise genau die
Höhe, mit welcher der ganze Lang- und Querschiffbau vor
dem Erdbeben sich abschloss; denn das Dach musste un-
mittelbar über dem eben nachgewiesenen Bogenfries sich
aufbauen. Da die jetzigen Mauern des Lang- und Querschiffs
erst nach 1356 um ca. 2 Meter erhöht wurden, so haben
wir uns den frühem Bau um eben so viel niedriger zu denken,
und da das Dach nach damaliger Hebung nicht wie jetzt
im spitzen, sondern in dem flachem rechten Winkel auf-
geführt war, so ergiebt sich für die Dachfirst ein Zurück-
bleiben von ca. 4 Meter unter der jetzigen Firsthöhe.
•) Eine Gliederung des Langhauses, wie wir sie hier voraus-
setzen, zeigt heute noch die Kirche St. Arbogast in Ruffach.
Digiiized by Google
26
Die gleiche Gliederung, wie wir sie eben am Hoch-
bau des Mittelschiffs kennen gelernt haben, wiederholte
sich aber, den noch vorhandenen Ueberresten zufolge, an
den Seitenschiffen, bezw. an den Aussenwänden des Tri-
foriums, hier noch von einem Würfelfries begleitet, der
genau dieselbe Höhe einhielt, wie der entsprechende Wür-
felfries über den Schiffsarkaden im Innern des Münsters “)
(s. Taf. II).
Fassen wir nun alle die aufgefundenen Merkmale des
Baues von 1185 zusammen, so stellt sich uns derselbe als
eine Schöpfung von wahrhaft grossartiger Conception dar,
als das Werk eines Meisters, der mit bewusster Folge-
richtigkeit seinen Grundgedanken durchzuführen und so
dem Ganzen das Gepräge einer wohlabgewogenen Har-
monie zu geben verstund. — Als ein Denkmal des Ueber-
gangsstils ist dasselbe zu bezeichnen, nicht nur wegen der
einzelnen diesen Stil charakterisirenden Elemente, sondern,
wie wir nun abschliessend sagen können, vor Allem des-
halb, weil die gothischen Construktionsprinzipien überall
zwar sich ankündigen, aber ohne dass die aus denselben
sich ergebenden Consequenzen schon gezogen wären; d. h.
der Pfeiler ist durch vorgelegte Halbsäulen bereits als
Gewölbeträger gekennzeichnet, aber er ist doch in erster
Linie noch Pfeiler mit mächtigem quadratischem Kern tmd
hat als solcher ebenso sehr die Wand als das Gewölbe zu
stützen. Der Spitzbogen erscheint in vielfacher Anwen-
dung, aber ohne dass schon die ganze elastische Kraft,
die ihm innewohnt, ausgenützt wäre. Der Strebepfeiler
ist ebenfalls schon da, und in Verbindung mit den innern
Gewölbediensten bezeichnet er die Punkte, wo die Haupt-
last des Gewölbes hindrängt; allein trotzdem sind die
zwischen diesen Pfeilern sich ausdehnenden Mauermassen
noch von solcher wuchtigen Stärke imd so sparsam mit
*) Vergleiche die Beobachtungen von Herrn Dr. C. Stehlin im
Anzeiger f. schw. Altk. Jhrg. 1880, pag. 32.
I
Digitized by Google |
Fenstern durchbrochen, als hätten in Wirklichkeit doch
diese Mauern noch immer die ganze Last des Gewölbes
zu tragen.
Nicht minder bedeutend ist aber, was die Sculptur
zum Schmucke unseres Münsters beigetragen hat. Von
ihren Leistungen im Innern und an der Aussenseite des
Chors haben wir schon geredet; aber als ihre glänzendste
Schöpfung steht die Galluspforte da. Dass diese mit dem
übrigen Bau von 1185 entstanden und nicht aus einem
frühem Bau herübergenommen sei, darüber entscheiden
die Steinmetzzeichen, die am zahlreichsten im Portalbogen
sich finden und ohne Ausnahme mit denen der benach-
barten Chortheile übereinstimmen. Dieser späte Ursprung
V cH 2 O
erklärt, wie Rahn sagt, ') die zierliche Eleganz der Details
und die schlanken Verhältnisse des Aufbaues, der nach
Art eines antiken Triumphbogens horizontal übermauert
ist, ähnlich wie wir es auch an dem Ilauptportal des
Grossmünsters in Zürich und am Südportal der Kirche von
St. Ursanne beobachten. In diesem Rahmen ist aber ein
reicher Cyclus sowohl von Einzelfiguren als von grossem
Gruppen zusammengeordnet, die durch einen gemeinsamen
Grundgedanken verknüpft sind: Es ist die Schildemng
des jüngsten Gerichts, die hier, einer dem Mittelalter tief
eingewurzelten Anschauung entsprechend, dem zum Gottes-
hause Nahenden entgegentritt (s. Taf. VII*).
Den Mittelpunkt des Ganzen bildet der im Tympanon
thronende Weltrichter, in der Rechten das Kreuz, in der
Linken ein offenes Buch, wohl das des Lebens, haltend.
Ihm zimächst stehen Petrus mit den Schlüsseln imd ein
anderer Heiliger, wahrscheinlich Paulus, welcher letztere
’) Gesell, der bild. Künste, jiag. 264.
Digilized by Google
28
oflfcnbar als Fürbittcr zwei w'eitere Gestalten dem Herrn
zuführt, während eine dritte zur Seite des Petrus eine
Thür knieend dem Herrn darbringt. Sollte das nicht eben
der Stifter unseres Portals mit seinen Angehörigen sein,
der auf diese Weise seiner Hoffiiung auf den Tag des
Gerichts Ausdruck gegeben hat?
Im engsten Zusammenhang mit dieser Gerichtsscene
und unmittelbar imter derselben folgend steht die Dar-
stellung der 10 Jungfrauen, durch die verschlossene Thür
in zwei Hälften getheilt, indem die thörichten mit ver-
verlöschten Lampen vergebens die Thür zu öffnen suchen,
während Christus jenseits derselben mit segnender Hand
die durch die Thür eingetretenen klugen Jungfrauen em-
pfängt. Aussen aber in den das ganze Portal flankirenden
Stützpfeilern, die zu diesem Zweck von je drei kleinen
Nischen durchbrochen sind, erblicken wir die sechs Werke
der Barmherzigkeit. Nach diesen werden die Todten be-
urtheilt, deren Auferstehung oben in den Zwickelfeldern,
samnit den Engeln, die mit der Posaime zum Gerichte
blasen, zu schauen sind. Äls Fürbitter im Gericht mögen
die beiden, links und rechts vom Tympanon in grösserer
Gestalt dargestellten Johannes, der Täufer und der Evan-
gelist, zu betrachten sein. (Sonst pflegt ja freilich in dieser
Eigenschaft neben dem Täufer Maria zu erscheinen; aber
die gleiche Gegenüberstellung wie auf unserem Portal zeigt
z. B. auch das berühmte Genter-Altarbild). — Den Ab-
schluss endlich des ganzen Cyklus nach unten bilden die
nahezu lebensgrossen Gestalten der vier Evangelisten, die
von ihren Abzeichen begleitet in den Schrägseiten des
Eingangs stehen, als die Boten, die uns dieses künftige
Gericht verkünden.
Der eigenthümliche Stil, sagt Rahn, *) wodurch sich
diese Arbeiten von den ältem im Münster befindlichen
>) A. a. 0. S. 264.
Digitized by Google
29
Reliefs unterscheiden, fällt sofort auf. Vieles spricht da-
für, dass hier die Nachwirkungen einer fremden Schule
vorliegen, die sich auch in den Bildwerken der Portale von
St. Ursanne(s.Taf.VII'>) und Ncuchätel erkennen lassen, einer
Schule, die ihre Heiraath in Frankreich hatte, wo sich im
XII Jahrhimdert, wie es scheint von Climy aus, eine ver-
wandte Richtung auf die burgundische Plastik vererbte.
Die schmalen Körper, die straffen Gewänder mit den
kleinlichen, schematisch geordneten Falten und den reichen
Bordüren, der Typus der Köpfe und die Behandlung der
Haare, die sorgsam gestrichelt in spitzen Massen zusam-
menlaufen, alle diese Eigenthümlichkeiten, die besonders
an den grössern Gestalten hervortreten, erkennt man in
gewissen französischen Bildwerken wieder. Aber während
jene burgundische Schule sehr bald die Fesseln sprengte
und einen naturwahren und kraftvoll lebendigen Vortrag
erstrebte, blieb man hier bei den starren Formen des
altem Stiles stehen, der mit handwerksmässiger Einseitigkeit
übertrieben und selbst da gewahrt wurde, wo es sich um
die Wiedergabe bewegter Vorgänge handelte.
Wir haben im Bisherigen die Gestalt des Münstei's
zu zeichnen versucht, wie sic zu Anfang oder gegen die
Mitte des XIU Jahrhunderte sich dem Beschauer dar-
stellen mochte. — Aber nicht lange scheint sich diese
erste Anlage unverändert erhalten zu haben. Denn bald
führte die Sitte adelicher Geschlechter, um jeden Preis
ein Begräbniss und womöglich einen eigenen Altar inner-
halb der geweihten Mauern zu erlangen, eine wesentliche
Umgestaltung herbei. Wir meinen die Nebenkapellen,
welche allmählig zu beiden Seiten des Baues sich ansetz-
ten. Dr. Fechter hat die Gründungsdaten dieser Kapellen
bereite ausfindig gemacht. ') Die älteste ist die von Bi-
schof Heinrich von Neuenburg 1263 gestiftete und bis
') Neujbl. von 1850, pag. '27.
Digiiized by Google
30
1274 vollendete sogen. Marienkapelle, die an das erste
Doppeljoch des nördlichen Seitenschiffs sich anschliesst und
auch nach aussen durch das an den entsprechenden
Strebepfeilern angebrachte Wappen der Grafen von Neuen-
burg sich kennzeichnet. Zunächst fügte sich an diese um
1300 die an die äussere Wand des Georgsthurms sich
lehnende Kapelle der Mönche. Bald darauf, nach der
andern Seite (die östliche Fortsetzung der ersten bildend),
die 1306 von Bischof Peter von Aspelt (später Erzbischof
von Mainz) gestiftete Kapelle, die dem zweiten Doppel-
joch des Seitenschiffs entspricht, und schliesslich im Jahre
1308 die Kapelle der Schaler, dem hl. Eligius geweiht
und zwischen der vorigen und dem Querschifflügei an das
dritte Doppeljoch angeschlossen. Wir sehen so in dem
kurzen Zeitraum von 30 Jahren die ganze Nordseite des
Langhauses um diese Kapellenreihe bereichert. Die Ver-
muthung, dass dieser Anbau gleich von Anfang an in
seiner jetzigen Gestalt aufgeführt worden sei, ist auffallen-
derweise bisher nirgends geäussert worden. Vielmehr geht
die herrschende Ansicht von der Voraussetzung aus, es
hätten die erwähnten Kapellen ursprünglich ohne organische
Einordnung in den übrigen Bau dagestanden, sie seien im
Erdbeben zusammengestürzt und erst nach demselben nun
als ein förmliches zweites Seitenschiff wieder hergestellt
worden. Dagegen spricht aber für’s Erste das Material,
aus welchem die Aussenwand dieses Seitenschiffs besteht;
es ist dies durchweg derselbe grobkörnige röthlich-weisse
Sandstein, der sich je mehr und mehr als charakteristisch
für alle vor dem Erdbeben entstandenen Bautheile heraus-
stellt. Es ist zweitens die Bildung der Fenster, die aller-
dings durchaus gothisch, d. h. in weitem Spitzbogen ge-
öffnet und mit prächtigem Masswerk geziert sind. Aber
zur Zeit als jene Kapellen gestiftet wurden, stand man ja
schon mitten in der Gothik; nur waren es noch die stren-
gen reinem Formen der Frühgothik, die damals herrschten.
Digiiized by Google
31
Und diesen entsprechen denn auch die Fenster des nörd-
lichen Seitenschiffs in jeder Hinsicht : die Pfosten, wie das
Masswerk, zeigen in der vordem Mittellinie den llundstab,
wenn auch ohne Kapital. Das Masswerk selbst aber ist
genau dasjenige des spätem XIH Jahrhunderts, mit jenen
einfachen, noch völlig ungesuchten geometrischen Motiven
des Drei- und Vierpasses und mit den schönen Lilien an
den einspringenden Spitzen des letztem (den sog. Nasen),
wie wir sie beispielsweise auch an den Chorfenstern der
Barfüsserkirche (vom Ende des XIH Jahrhunderts) be-
wundern. Endlich aber stimmen zu imsrer Datirung auch
die Steinmetzzeichen, die zwar nur spärlich und aussclüiess-
lich an den Wandpfosten der Fenster sich finden. Es
sind aber deren zwei identisch mit
denen des grossen Mittelfensters
der Fa?ade und sie weisen uns
demnach, wie wir für letzteres s. Z. nachgewiesen haben, ')
wiederum in das XIII Jalirhundert.
Wie verhält es sich aber mit dem entsprechenden
südlichen Seitenschiff? Die Stiftung der Kapellen der Beb-
lenheim, Tegernau und Fröuwler, welche nach dieser
Seite liegen, geschah zwischen 1320 und 1340, also um
drei bis fünf Jahrzehnte später als die der nördlichen.
Dem entspricht aber wiederum die bereits fortgeschrittenere
Bildung der Fenster, die des Rundstabs entbehren und
in ihrem Masswerk jenes vom Cölner Dom und von der
Elisabethkirche in Marburg her bekannte Motiv zeigen,
drei von den Ecken des Fensterbogens gleichsam strahlen-
förmig zusammenlaufende stark verlängerte Dreipässe.
Wären die beiden Seitenschiffe erst nach dem Erdbeben
und also gleichzeitig entstanden — wie sollte sich diese
Ungleichartigkeit der Fenster erklären? Noch auffallender
ist aber die verschiedene Art und Weise, wie bei dieser
*) Beiträge zur Baugesch. d. Münsters, Heft II, S. 18.
Digitized by Google
32
Erweiterung des ganzen Langhauses aus einem dreischif-
figen zu einem fünf'schiffigen mit den beiderseitigen Strebe-
pfeilern verfahren wurde. Diese mussten sich eine Ver-
breiterung gefallen lassen und ebenso die kleinen schon
vorher sie durchbrechenden spitzbogigen Durchgänge.
Aber im Norden geschah das erstere so, dass die Strebe-
pfeiler noch über die neue SeitenschifiFmauer vorstehen und
zwischen je zwei derselben noch ein sekundärer Strebe-
pfeiler des Seitenschilfgewölbes sich eingliedert, während
man auf der Südseite sich begnügte, die alten Strebepfeiler
bis zur Aussenmauer zu führen. Die Durchbrechung dieser
Strebepfeiler aber, um von einer Kapelle zur andern eine
leichte Verbindung herzustellen, ward im nördlichen Seiten-
schiff durch einfache Vergrösserung der ursprünglichen
Spitzbogen, im südlichen dagegen durch Umwandlung der
letztem in einen weitgespannten Rundbogen bewerkstelligt.
Die Verschiedenheit beider Seitenschiffe erstreckt sich end-
lich bis auf das Dach hinauf, indem dasselbe nordseits in
gleicher Flucht aufsteigt wie das Dach des alten innem
Seitenschiffs, während nach Süden das äussere Seitenschiff
gegen das innere abgestuft erscheint. Da fragt sich wirk-
lich; wie sollten alle diese Abweichungen bei einem erst
nach dem Erdbeben unternommenen Wiederaufbau sich
erklären ? während bei der Annahme, dass es die ur-
sprüngliche Anlage sei, die wir heute noch vor uns haben,
alle diese Eigenthümlichkeiten als selbstverständlich er-
scheinen. ’) Jener Restaurationsbau wird sich demnach auf
‘) Dass die äussern Seitenschiffe vor dem Erdbeben schon
gestanden haben müssen, das bezeugten auch bis vor Kurzem ihre
westlichen an die Thürme gelehnten Giebel, welche in Folge des
Erdbebens so stark vornüber hingen, dass sie bei der gegenwärtigen
Restauration neu anfgeführt werden mussten. (S. Baubericht vom
J. 1882, S. 8.)
Wir glauben aus dieser an der Westfa^ade mehrfach beob-
achteten Uebersehiebung einzelner Bautheile über die andern und
aus dem Umstand, dass die Erdbebenrisse am Chor und an den
Digitized by Google
33
die Gewölbe dieser äussem Seitenschiffe beschränkt haben,
indem diese allerdings, besonders in ihren baldachinartig
gestalteten Consolen und dem Profil ihrer Rippen durchaus
spätgothischen Charakter tragen.
Mit der Errichtung der eben besprochenen Seiten-
schiffe sind wir bereits dem Zeitpunkt nahe getreten,
welcher über unser Münster, wie über unsre ganze Stadt,
die schwerste Prüfung, die sie jemals betroffen, nämlich
das Erdbeben vom 18. October 1356, herbeiführte.
Der Restaurationsbau nach dem Erdbeben.
Was ward vom Erdbeben zerstört? was blieb von
demselben verschont? Diese Frage muss durchaus be-
antwortet werden, ehe wir von dem, was der Restaurations-
bau aus unscrm Münster gemacht hat, uns Rechenschaft
zu geben suchen. Zu einem guten Theil hat indess unsre
bisherige Betrachtung des Baues diese Antwort schon ge-
bracht. Lesen wir die Berichte der Zeitgenossen über
die durch das Erdbeben angerichteten Verwüstungen,
namentlich die von l)r. Fechter mitgetheilten Ausschreiben
der Bischöfe, in denen sie, um zu milden Gaben für den
Wiederaufbau zu bewegen, die Folgen der Katastrophe
schildern, dann gewinnt cs leicht den Anschein, als sei
sozusagen Alles in Trümmer gesunken. ')
tiuerschiffen eine mehr klaffende (iestalt zeigen, schliessen zu können,
dass der vernichtende Erdstoss des 18. Oktober 1356 in der Rich-
tung der Längenachse unseres Münsters, und zwar von Ost gegen
West erfolgt sei.
') Der Vikar des Bischofs von Constanz schreibt z. B. Ende
Novb. 1356 : Cum igitnr ecclesia cathedralis Basiliensis ex notorio
motu terra- . . . sit tarn destructa et devastata, (jnod nec muri nec
angulares, campanie, indnmenta sacerdotalia, ymagines, sed nisi pauca
ipsius eoclesi® ornamenta hujusmodi ccclesiam cathedralem decentia
remansernnt, imo etiani omnia igne fuerunt cremata. . . . Dann der
Bischof von Constanz im J. 1364: Cum ecclesia Basil. dudum in
3
Digitized by Google
34
Der noch heute vorliegende Thatbestand zeigt uns
aber, dass doch die wesentlichsten Theile des Münsters die
Stösse des Erdbebens überdauert haben: vom Lang- und
Querhaus steht noch Alles bis zur Linie des ehemaligen
Daches, die Seitenschiffe sammt ihren Aussenmauem in-
begriffen. Nur an der nördlichen Mittelschiffwand ver-
räth eine starke Ausbauchung und das Fehlen der früher
erwähnten Bogenfries-Consolen, dass hier ein Theil eben
dieser Wand eingestürzt war. Ausserdem weisen manche
Stellen, namentlich die Giebelwand des nördlichen Quer-
schilfs bis unter die Rosette des Glücksrades herab, be-
deutende Erdbebenrisse auf, wie wir solche früher an der
Fa^ade schon beobachtet haben. Aber Alles zusammen-
genominen müssen wir uns wundem, dass noch so Vieles
erhalten geblieben ist und müssen staunen über die ganz
ungewöhnliche Solidität der ganzen Anlage. Es kam der-
selben zu Gute, dass, wie wir oben ausgeführt haben,
in ihr noch nicht die kühne, in der Gothik bis auf die
Spitze getriebene, Schlankheit der Pfeiler und Schmächtig-
keit der Mauern Platz gegriffen hatte, sonst wäre wohl
die Verwüstung noch eine viel vollständigere gewesen.
Zum Opfer fielen dagegen die Gewölbe, vermutlilich auch,
theilwcise wenigstens, das Dach ; im Chor aber ausserdem
der ganze Oberbau bis tief in die Sängergallerie hinein,
lind dieser Einsturz, der natürlich alle Innenräume mit
Schutt bedeckte, sammt dem hinzutretenden Brande er-
tremendo terr® motn et ejus edificia contigua pericnlose in muris,
tectis, parietibns et fundamentis per ipsnm terr® niotam adeo misera-
liiliter sit collapsa, qnod etiara Canonici et Capellani ipsius ccclesi®
indumentis saeerdotalilras, campanis, ealicibus, libris et aliis ipsius
ecclesi» ornamentis fuerint et adhuc sint destituti ... — Noch
1.358 bezeugt dann der Basler Bischof selbst, damals Johann von
Vienne: ecclesia nostra nuper propter terr* motnm et ignem . . .
heu destrncta est miserabiliter et collapsa dampnaque. intolerabilia et
qnodammodo irrccnperabilia perpessa est. Vergl. Fechter Neujb.
Anhang pg. 42.
Digilized by Google
35
klärt dann die in jenen bischöflichen Ausschreiben so
nachdrücklich liervorgehobene Zerstörung der ganzen Innern
Ausstattung an Bildern, Altarzicrden, Messbüchern und
Gewändern.
Wir wissen, dass dem damaligen frommen und that-
kräftigen Bischof Johannes Senn von Münsingen das Ver-
dienst zukommt, alsbald mit einem durch das Unglück
ungebrochenen Muth an die Wiederherstellung der Mutter-
kirche seines ganzen Sprengels entschlossen Hand gelegt
zu haben. Er hatte dabei das Glück in Johannes von
Gmünd einen Werkmeister zu gewinnen, der seiner
schwierigen Aufgabe in seltener Weise gewachsen war.
Derselbe gehörte wohl, wenn dies auch noch nicht urkund-
lich nachgewiesen ist, jenem berühmten Geschlechte an,
das zuerst unter dem irrthümlichen Namen der Arier in
der Kunstgeschichte so lange ein mystisches Dasein fristete,
bis die richtigere Lesung einer viel umstrittenen Inschrift
in Prag das Arier in einen Parier = Parlier verwandelte. ')
Es wird ein Heinrich von Gmünd 1333 genannt; ein in
demselben Jahre geborner Peter von Gmünd, der 1356
bis 1396 am Dom zu Prag, sowie den Chor Aller Heiligen
und die Moldaubrücke daselbst baute. Noch andere
Glieder dieses Geschlechts übergehen wir, da Avir nur auf
das künstlerische Erbe bindeuten wollten, das unser
Johannes schon von Hause aus mitbringen musste. Schade
nur, dass er so kurz in Basel blieb, wenn anders jener
Johannes von Gmünd, den der Rath von Freiburg i./Br.
unter ehrenvollen Bedingungen im J. 1359 als Werk-
*) Die Inschrift im St- Veitsdom zu Prag lautet (nach Klemm,
Württemb. Baumeister); Petrus, Henrici parleri de Colonia Magistri
de gemunden in Suevia, seenndus magister hujns fabric*. quem
imperator Carolus IIII adduxit de dicta civitate et fecit eum magistrum
hnjus ecclesi* et tune fuerat annorum XXIII et incepit regere anno
domini MCCCLVI et perfecit chorum istum ... et rexit ponteiu
Multavie et incepit a fundo chorum in Colonya circa Alheam (Kolyn).
Digiiized by Google
36
meister an das dortige Münster berief, *) derselbe Johannes
ist. Indess wäre möglich, wie dies ja auch sonst oft ge-
schah — bei Vincenz Ensinger haben wir ein solches
Verhiiltniss bestimmt nachweisen können — , dass der
Meister auch von Freiburg aus noch die Oberleitung des
hiesigen Münsterbaus geführt hätte.
Wie es nun immer hiemit sich verhalten möge, sein
AVerk war jedenfalls die Wiederaufrichtung des Chors,
denn dieser musste in erster Linie dem Gottesdienste
wieder zugänglich gemacht werden. Die Aufgabe war
aber hier gerade keine leichte. Es galt ja nicht nur
möglichst rasch mit den gewiss spärlich fliessenden Mitteln
etwas Neues zu schaffen, sondern diesen Neubau, der in
jener Spätzeit des XIV Jahrhunderts kein anderer als
ein gothischer sein konnte, in thunlichste Uebereinstimmung
mit den noch erhalten gebliebenen Theilen des Ueber-
gangsstils zu bringen. Meisterhaft hat Joh. von Gmünd
dieses Problem gelöst, und zwar in folgender AVeise
(s. Taf. rV). Die Sängergallcrie öffnete er nach aussen
mit jenen prächtigen Rosetten, die in solcher Neben-
einanderstellung wohl an keinem zweiten Bauwerk sich
finden; nach innen dagegen Hess er die grossen Bogen,
statt sie wieder wie früher mit den dem Triforium ent-
lehnten romanischen Arkaden halb zu verschliessen, in
ihrer vollen AVeite offen stehen, verkleidete sic aber mit
einem leicht aufstrebenden Stabwerk, das durchsichtig
genug ist um überall freien Durchblick zu gewähren, und
doch zugleich so symmetrisch gegliedert, dass die oben
folgenden in der Breite je einer ganzen Polygonseite sich
öffnenden Fenster des Hochchors für ihre Pfosten die
organische Unterlage erhalten. AViederum, um diesen
mächtigen Fenstern die volle Lichtwirkung zu sichern,
galt es das Gewölbe so hoch wie möglich hinaufzurücken,
und doch war die Höhe des Scheitelpunktes durch den
*) llarmon TJ. 1. Fr. Münster in Freibnrg. 1878 S. 173.
Digiiized by Google
schon vorhandenen Triumphbogen gegeben. Der Meister
aber verlegte diesen Scheitelpunkt zu Gunsten seines Ge-
wölbes um stark 2 Meter gegen Osten liin und liess die
Rippen von da aus in so flachen Bogen nach den Ecken
des Chorpolygons hinüberstreben, dass sie dort mit den
ihnen zugehörigen Diensten an derselben Stelle Zusammen-
treffen, wo auch die Spitzbogen der Fenster ansetzen.
Da endlich die zur Stützung schon des ehemaligen Ge-
wölbes errichteten Strebepfeiler nicht auf dieses excen-
trische Chormittel orientirt waren, so mussten die zu ihnen
hinüber gespannten Strebebogen eine vom wirklichen
Radius abweichende Richtung erhalten, wie dies denn in
consequenter Durchführung des neuen Systems in der
That geschah. Wir haben hiemit die construktive Meister-
schaft unseres Johannes von Gmünd uns klar zu machen
gesucht; von der hohen ästhetischen Wirkung aber, auf
die er es hiebei abgesehen hatte, und von dem Maasse,
in welchem er dieselbe erreicht hat, kann keine Be-
schreibung Rechenschaft geben; wir berufen uns hiefür
auf den Eindruck, von dem Jeder beim Einblick in diesen
lichten hehren Chor unwillkürlich sich übernommen fühlt.
Wenige Jalu'c hatten zu dieser Wiederherstellung des
Chors hingereicht, denn schon am 25. Juni 1363 konnte
derselbe durch Bischof Senn von Münsingen, in Gegen-
wart des eben in Basel anwesenden Peter von Lusignan,
Königs von Cypern, sowie der Weihbischöfe von Constanz
und Basel und der Aebte von S‘ Blasien und Beinwiler
geweiht werden. ')
lieber den weitern Fortschritt der Restauration von
Osten nach Westen hin fehlen uns die Angaben. Wir
wissen nur, dass 1381 der zierliche Lettner, welcher das
Langhaus gegen die Vierung und den Chor hin abschloss,
errichtet wurde. Ein architektonisches Erforderniss war
dieser den Durchblick so empfindlich störende Einbau
*) Fechter Neujbl. S. 20.
Digitized by Google
38
durchaus nicht; vielmehi’ verdankte er seine Entstehung
der allmälig herrschend gewordenen Sitte, den Chor —
und zu diesem zählte damals in unserm Münster auch die
Vierung — als die Kirche der Kleriker gegen den west-
lichen Raum — die Laienkirche — abzuschliesseu. Gewiss
können wir es der Restauration der 50" Jahre nur danken,
dass sie diesen Lettner an die hiezu viel besser geeignete
Westseite verlegt und dadurch den ungehinderten Genuss
des gesummten Innenraums wieder ermöglicht hat.
Mit der Ueberwölbung von Quer- und Langhaus, die
vcrmuthlich vorläufig mit einem Kothdach waren versehen
worden, scheint man sich nicht so sehr beeilt zu haben,
denn erst 1399 erscheint eine bezügliche Notiz, indem in
diesem Jahr „Couradus, dictus Niemandsnarr propter
sculpturam SV Stephani in lapide angulari“ mit 16_/i be-
zahlt wird. Es kann kaum etwas andres als der Schluss-
stein im Gewölbe der Stephans-Capelle (also im südlichen
Querschiff) gemeint sein, der ja bekanntlich das Bild des
Heiligen noch heute zeigt. Damit stimmt die Angabe bei
Fechter, dass vor 1850 das Gewölbe des nördlichen Quer-
schiffs, der sogen. Gallus-Kapelle, die Jahreszahl 1401 ge-
tragen habe. Im gleichen Jahre erhielt nämlich der ge-
nannte Conrad Niemandsnarr für weitere Schlusssteine
(propter sculpturam lapidum dictis (!) Slosstein) 1 ff. —
Somit wäre erst um die Wende des Jahrhunderts das
Gewölbe des Querschiffs vollendet worden, und von hier
wird man dann weiter zum Langhaus und zu den Seiten-
schiffen fortgeschritten sein. Ja von letztem waren es
nur dieäussern sekundären, die jetzt schon ihre Vollendung
erhielten; das Triforium, von dessen Gewölbe im Erd-
beben nur die Gurtbogen sich erhalten hatten, bUeb in
diesem Zustand, bis erst die Restauration von 1853 die
fehlenden Kreuzgewölbe einsetzte.
Was die Bedachung des Münsters betrifft, so haben
wir darüber nur eine von Herrn Dr. Aug. Bernoulli uns
Digitized by Google
39
gütigst mitgetheilte Notiz aus der Chronik des Kaplans
Erhard von Appenwiler, die ein aufifallend spätes Datum
bietet. Sie lautet nämlich: „Anno Di. 1461 circa Galli
(16. Octob.) wart verdinget das münster uff bürg zii basel
meister Hans von Tanne für 500 ff. sol man im als holtz
weren an die stat, und sol er das abholtz nemen. — It.
secunda post circuuicisionis (4 Janr.) anno 62 fing er an
zu werken mit 23 Knechten. — Dominica ante Valentini
(7. Febr.) worend 631 tagwon beschchen. Summa der
gantzen tagwon des zimbers am münster; 3000 tag minus
2‘/2 tag.“
Die hier genannten Zahlen deuten auf die Errichtung
eines vollständigen Dachstuhls. Entweder müsste man
nun annehmen, es sei durch irgend ein Ereigniss, d. h.
durch einen Brand, das bisherige Dach zerstört worden;
oder aber — da eine solche Zerstörung nirgends gemeldet
wird — ist die Vermuthung gestattet, es sei jetzt erst,
also hundert Jahre nach dem Erdbeben, die definitive
Bedachung ausgeführt worden, nachdem so lange das Noth-
dach, das wir uns ja schon vor Erstellung der Gewölbe
errichtet denken müssen, vorgehalten hatte.
Gerne möchten wir mm, nachdem wii’ so das Münster
aus den Trümmern des Erdbebens wieder haben erstehen
sehen, auch einen Blick thun in seine einstige innere Aus-
stattung, müssen uns aber auf das Wenige beschränken,
was die Münster-Fabrik-Eechnungen hierauf Bezügliches
an die Hand geben.
Schon Dr. Fechter scheint dieser Quelle entnommen
zu haben, was er in seinem Neujbl. S. 33 über das ehe-
malige Sakramentshaus berichtet; dasselbe muss, wie
dies die Kegel vorschrieb, an der Nordseite des Chores
sich erhoben haben, wahrscheinlich in Gestalt eines hoch-
strebenden gothischen Thürmchens, wie sie jene Spätzeit
liebte und wofür die Sakramentshäuschen im Dom zu Chur
und in St. Lorenz in Nürnberg Beispiele bieten. Schon
Digitized by Google
40
1435 begann der Bau, indem magister Johannes, der da-
malige Werkmeister, 9 U erhielt das „werk ze rissend“
und verachiedene weitere Zahlungen für seine Fahrten nach
der Steingnibe. Für die Steinmetzen sind in etwa 150
Posten Ober 500 fif an Löhnen verrechnet, was auf die
Grossiirtigkeit der ganzen Anlage schliessen lässt. Dass
auch der bildliche Schmuck nicht fehlte, zeigt die Zahlung
von 8 fl. an „Mgr. Caspar de Bern pro ymaginibus ad
Opus prefatum“. Sifrid Faber erhielt 34 ff „umb die
ysen gattern ze machend und um ander geschmid das zu
dem Werk körnen ist,“ und der Maler Stöcker 8 ff, 6
die ysen gattern ze vergulden. Es scheinen aber auch
die Vergabungen zu diesem Werk reichlich geflossen zu
sein, indem der Bischof 64 ff schenkte, eine Adelheid
Pulliand zwei Ringe, welche von deren Schwester im
Klingenthal zmückgekauft wurden und ausserdem ein rot
corallen paternoster, das 7 fl. ein brachte.
Glücklicher als dieses wahrscheinlich im Bildersturm
zerstörte Sakramentshaus blieb die im Jahr 1486 errichtete
Kanzel erhalten. Bekanntlich besitzen wir in derselben
ein Kleinod edelster Art. Vielleicht giebt es noch primk-
vollere aus jener letzten Zeit des ausblühenden gothischen
Stils, aber kaum dürfte in einem zweiten Werke dieser
Art ein organischer Aufbau von solcher Harmonie luid
eine die Fülle des Schmuckes so wohlthuend beherrschende
Oekonomie nachzuweisen sein. Wir stehen nicht an un-
serm bekannten Johannes Nussdorf auch diese Leistung
zuzuschreiben. Bereits seit 1475 war er ja der Werkmeister
unseres Münsters ; *) und wenn auch die Fabrikrechnungen
seinen Namen nicht ausdrücklich mit der Kanzel in Ver-
bindung bringen, so enthalten sie doch die eine Notiz zum
Jahre 1484 — also zwei Jahre vor Vollendung des
Werkes — : „2 ff um 1 Centner bly zu den risstaffelen
') Siehe Heft II dieser Mittheilnngen, S. 38.
Digiiized by Google
41
zu bredij stul“, welche beweist, dass dieser , Predigtstuhl“,
d. h. eben die Kanzel, in der Münsterbauhütte gefertigt
\^■urde. Eine eingehende Vergleichung mit den von Nuss-
dorf erbauten Theilen des Martinsthurmes würde auch
gewisse individuelle Eigenthünüichkeiten des Meisters
überall erkennen lassen.
Veranlassung zum Bau dieser Kanzel gab wohl die
eben im Jahre 1484 erfolgte Berufung des durch seine
Gelehrsamkeit, wie durch seine Frömmigkeit hochange-
sehenen Johannes Heynlin, genannt a lapide, zum Münster-
prediger. Die Stelle selbst war erst im Jahre 1469 ge-
gründet worden, wdc denn überhaupt die zweite Hälfte
des XV. Jahrhunderts die Errichtung einer ganzen Reihe
von Dompredigerstellen in Dentschland aufweist. ') Die
Concilien von Constanz und Basel mochten den Anstoss
zu einer erhöhten Werthschätzung der Predigt überhaupt
gegeben haben; besonders aber hatte letztere Versamm-
*) Vergl. darüber Histor. polit. Blätter, München 1881, Bd. 88,
S. 86 tf. — Dort ist auch die im Landesarchiv zu Carlsruhe befind-
liche Stiftungsnrkunde der Münsterpredigerstelle in Basel mitgetheilt,
der wir Folgendes entnehmen : „Zum Lob und Ehre Gottes, des All-
mächtigen, und der glorreichen Jungfrau Maria, seiner gebenedeiten
Mutter, unserer würdigsten Patronin, und aller Himmelsburger, so-
wie auch zur Verbreitung des rechten Glaubens, zum Seelenheile
aller Christglänbigen und zur Vermehrung des Dienstes Gottes in
nnserm Dom haben wir errichtet ein ewiges Predigeramt (officium
predicandi) in diesem nnserm Dome .... Obgleich wir eine allge-
meine Bibliothek (generalem bibliothecam) haben, so soll der zeitige
Prediger und seine Nachfolger eine eigene Bibliothek, und zwar in
einem dazu geeigneten geräumigen Lokale, bei sich in seiner Amts-
wohnung haben . . . .“
Der aus der Reformationsgeschichte bekannte gelehrte Pfarrer
von St. Theodor, Niki. Surgant, berichtet noch des Fernern (lib. 1,
consid. 16): Die Domherrn in Basel haben bei der Fundation der
Domprädikatur die Clausei beigefügt, der Domprediger dürfe sich
nicht erkühnen, vor dem Volke den Clerus zu rügen, das könne er
jährlich ein- bis zweimal in lateinischer Predigt thun, (Hiedurch
Digitized by Google
42
lung einen frühem Concilsbeschluss dahin erweitert, dass
hinfort an jeder Kathedrale ein sogenannter Theologe für
die Heranbildung des Diözesanclerus sowohl wie für die
Unterweisung des Yolkes in der hl. Schrift angestellt
werden müsse. ') Wir dürfen wohl annehmen, dass diesem,
in Basel selbst erlassenen, Dekret zufolge die Stelle eines
eigentlichen Münsterpredigers von theologischer Bildung
gegründet und ein so hervorragender Mann, wie Joh.
Heynlin, an dieselbe berufen worden seL Am 28. Nov.
1484 trat derselbe laut seinen handschriftlich hinterlassenen
Predigten sein Amt an ; am 2. Febmar 1486 sodann hielt
er die erste Predigt auf der nunmehr vollendeten Kanzel,
an deren Stelle, wie wir bei diesem Anlass erfahren,
früher nur eine hölzerne gestanden hatte.
Diese Kanzel, wie sie heute noch dasteht, macht
ihrem Meister alle Ehre. Ueber einem siebenseitigen
Fusse baut sie sich in Gestalt eines Kelches auf, zuerst
mit einer leichten Einziehung, von da an aber stufenweise
sich ausweitend, so dass die sieben Kanten jeder Stufe
wieder über Eck sich stellen und in Bogenlinien, wie die
Maschen eines Netzes, den Kern umspinnen, bis die Haupt-
stufc, der oberste vertikale Theil erreicht ist, wo nun jene
Kanten in zierliche Doppelfialen, die dazwischen liegenden
Bogen in schlanke Kreuzblumen sich auflösen. Die ein-
zelnen durch jenes Netzwerk gebildeten Zellen aber füllen
löst sich zugleich die Frage, oh Heynlin seine Predigten, die alle
lateinisch coucipirt sind, auch in dieser ISprache gehalten habe; für
das Volk wurde offenbar nur deutsch gepredigt.)
*) S. Herzogs Real-Eneycl. Bd. XVI, S. 13. Ein verwandtes
Beispiel bietet die fast gleichzeitig, nämlich zwischen 1485 und 1487,
zu Ehren des berühmten Joh. Geiler von Kaisersberg errichtete Kanzel
des Strassburger Münsters.
*) Die betr. Predigt (über Ecclesiast. 24, 25) ist in Heynlin’s
Manuscript bezeichnet: Primus sermo in novo ambone, lapideo pri7uo
ecelesi® Basiliensis in festo purificationis Mari®. Cod. Basil A. VI,
12. Vol. 5, fol. 101.
Digiiized by Google
43
sich ihrerseits wieder mit dem mannigfaltigsten, in der
Mittelstufe sogar völlig hohl gearbeiteten, Masswerk, und
dieses dient wiederum hie und da zur Umrahmung be-
deutsamer figürlicher Darstellungen.
Am Fusse sind es die leider arg verstümmelten Ge-
stalten böser Wesen, welche wohl die durch die Predigt
zu bekämpfenden Sünden symbolisireii. In der mittlern
Höhe der Kanzel sodann finden sich, in die einzelnen
Felder vertheilt, eine Reihe von kleinen Bildwerken mit
Inschriften, die unsere besondere Beachtung verdienen,
schon ihres sinnigen Inhaltes wegen. Auf die Jahreszahl
1486 folgen nämlich die Sprüche: Rufe und schweige
nicht! — Ueberweise die Sünder! — Ihr Tauben hört!
— Ihr Blinden thut die Augen auf! — Denu es naht der
Tag des Herrn! — Wie uns eine verdankenswerthe Mit-
theilung des Herrn Dr. Sieber belehrt, *) war es kein anderer
als der Prediger Ileynlin selbst, der diese Schriftstellen
für die ihm bestimmte Kanzel ausgewählt und damit uns
ein Zeugniss hinterlassen hat von dom ernsten Sinn, in
welchem er sein Predigtamt auffasste.
Aber auch Räthselhaftes bietet unsere Kanzel. Dahin
') In den schon erwälmten Predigten findet sich nämlich
fCod. A. VII, 8 fol. 88 v“ ) folgender Eintrag:
Ordinavi pro ambone Basil. :
Circum ambonem post inscriptionem anni temporis sedificii per-
fecti. seil. A. D. MCCCCLXXXVI, seqnitur inscriptio duplex, seil,
pro prwdicante et pro auditoribus.
Pro prsedicante: 1. Esaj. ."iS (v. 1) Clama ne cesses. Ibi
inanus seulpta.
2. I Cor. (legend. Timotb.) 5, (20) Peccantes
argne. Ibi facies apostoli.
Pro auditoribus: 1. Esaj. 42 (18) Surdi, audite. Ibi manus
seulpta.
2. Ibid. et caeci, intuemini, nbi eseeus
sculptus vel monoculus.
3. Joel 1 (15) quia prope est dies domini.
Genau nach dieser Vorschrift hat auch der Steinmetz gearbeitet.
Digitized by Google
44
rechnen wir vor Allem jene in der obersten Bogenkreuzung
des mittlern Feldes dargestellte Fratze mit Flügeln und
Krallenhändcn, dio mit dem Griffel in eine offene Rolle
zu schreiben scheint. Prof. W. Wackernagel glaubte
darin, mit Hinweis auf eine ähnliche Darstellung am Portal
des Münsters zu Bonn, den Teufel erkennen zu sollen,
wie er als „Hellegrave“, d. h. als Höllenschreiber, die
bösen Thaten der Menschen aufzeichnet. Dazu möchten
wir als weitern Beleg eine mit drastischem Holzschnitt
illustrirte Erzählung aus des Ritters von Thurm Spiegel
der Tugenden anführen, „wie der tüfel hynder der mess
die klapperig (das Geplauder) ettlicher Frowen uffschreyb
imd im das her ment (Pergament) zu kurz wart.“
Noch bedeutsamer endlich erscheint uns eine andere,
ihres Standortes wegen kaum beachtete, Scene. Der
oberste Kanzelrand, in Form eines Laubwerkfrieses von
höchster Kunst des Meiseis, zeigt nämlich im Mittelfeld,
zwischen jenes Laubwerk eingeflochten, die Brustbilder
eines Todtengerippes und eines mit breitkrämpigem Hute
bedeckten Mannes. Um diese beiden Gestalten aber
schlingt sich in krausen Windungen ein Spruchband, auf
dessen oft kaum sichtbaren, weil stark vertieften, Flächen
eine nur mühsam zu entziffernde Schrift sich hinzieht
(s. Taf. VUI).
Indess gehen wir davon aus, dass der Mann, der dem
Tode liier gegenübersteht, niemand anders sei als der
Prediger selbst, und suchen wir aus den lesbaren Stellen
der Schrift die unkenntlichen zu ergänzen, so ergibt sich
als Ausspruch des Predigers:
Stand auf yer toten, kommet vür Gericht!
und darauf antwortet der Tod:
du must auch hervür!
In dem Ruf des Predigers haben wir eine prägnante
Zusammenfassung dessen zu erblicken, was ihm zu ver-
kündigen befohlen ist. Auknüpfend an das „Nahe ist der
Digiiized by Google
45
Tag des Herrn“, das wir unten lesen, mahnt er seine
Zuhörer an den Ruf, der dann, wenn der Tag des Herrn
da ist, an die Todten alle ergehen wird. *) Aber damit
er nicht vergesse, dass dann kein Unterschied des Standes
gelten wird, dass gerade derer, die Andere ermahnt haben,
um so grössere Verantwortung wartet, fällt ihm der Tod
in die Rede mit seinem unerbittlichen: Du musst auch
herfiir! — Wir denken dabei an die in den Todtentilnzen
jener Zeit so beliebte Anspielung auf die auch des Predigers
nicht schonende Allgewalt des Todes. Und liegt etwas
der Art in der Absicht unseres Bildes, dürfen wir dann
nicht von unserer Kanzel sagen: sie dient nicht nur der
Predigt, sondern sie selber ist eine laut redende Predigt,
die heute nach 400 Jahren von ihrer Wahrheit noch nichts
verloren hat.
Unser Gang durch das Münster wäire hiemit beendet.
Aber wer bis hielier uns gefolgt ist, den möchten wir gerne
noch einen Schritt weiter, hinaus in den herrlichen Kreuz-
gang führen.
Oer Kreuzgang.
Als den ältesten Theil desselben haben wir den
vordem, den sogen, gi-ossen Kieuzgang anzusehen; denn
') Diese Worte kehren in den mittelalterlichen Darstellungen
des Jüngsten Gerichts so häutig wieder, dass sie in dem damaligen
Leser sofort die Erinnerung an dieses Gericht wach rufen mussten.
Von solchen Darstellungen erwähnen wir, als die uns nächstliegenden,
die Handzeiehnung Xr. 141 unserer öffentl. Kunstsammlung und
einen anonymen Kupferstich des XV Jahrhdts (ebenda Bd. K, VI, Ih
Ferner das grosse Frescogemälde im Münster zu Ulm, sowie ein
Glasgemälde in einer der dortigen Seitencapellen, wo überall der
Ruf: „Steht auf, ihr Todten, kommt vor Gericht“ einem der
posaunenden Engel in den Mund gelegt ist. Besonders aber die von
Prof. K. Schmidt kürzlich veröffentlichte Beschreibung eines ehemals
in Strassbnrg vorhandenen Jüngsten Gerichts. fBeiträge zur vaterl.
Gesell, neue Folge Bd. II. Heft 1, Basel 1884, S. 8.)
Digitized by Google
46
in derselben Ausdehnung wie heute muss er schon gleich-
zeitig mit dem Münsterbau von 1185 errichtet worden
sein. Darauf deuten die an den jetzigen Gewölbediensten
noch vorhandenen Basen, die durchaus romanisch, in dem
zwischen Chor und Bischofshof gelegenen östlichen Flügel
sogar völlig identisch sind mit den überaus zierlichen
Säulenbasen des innern Chores. Als ursprüngliche Be-
standtheile haben wir wohl auch die weitgespannten Rund-
bogen zu betrachten, die auf starken quadratischen Pfeilern
ruhend den eben genannten Flügel von der grossen, die
beiden Kreuzgänge theilenden Halle scheiden. Diese
Bogen bezeichnen die Höhe der ehemaligen romanischen
Ueberwölbung und ebenso die Höhe der Bogenöffnungen,
mit denen einst nach dem Begräbnissplatz hin säminlliche
drei Flügel durchbrochen waren.
Vermuthlich war es das Erdbeben, das auch diesen
Kreuzgang niederwarf und nur die erwähnten Reste übrig
liess. Zu einem neuen Aufbau scheint aber liier erst ge-
schritten worden zu sein, nachdem das Münster selbst der
Hauptsache nach wieder hergestellt war. Denn als ältestes
Datum erscheint die an dem schon genannten östlichen
Flügel angebrachte Jahrzahl 1429. Mit diesem Flügel
muss der Neubau begonnen und von da durch den näch-
sten südlichen bis zum letzten westlichen Flügel sich fort-
gesetzt haben; denn hier begegnen wir an der Thür, die
von der Ecke des Münsterhofes her in den Kreuzgang
führt, der Jahrzahl 1460, die wir wohl als den Vollen-
dungstermin der Mauern zu betrachten haben. Die Ge-
wölbe dagegen und das reiche Fenstermasswerk scheinen
erst etwas später nachgeholt worden zu sein. In seiner
Rechnung für das Jahr 1442 verzeichnet der Fabrik-
meister unter den exposita in edificiis in ambitu : Das gerüst
und die bokstal ze machen 36 tagwen. — Aber hab ich köft
IV 2 centner bly, kostet 6 ff zu den kenern und zu den
gewelben ze vergiessen. — It. dem jungen hanfstengel das
Digiiized by Google
47
bly zerlassen f)ß. — It. der moler kam zu mir in angaria
penthecoste, do hat ich in by mir in minen kosten unz
bartholomei, und verdinget umb die gewelbe in dem crütz-
gang und übergulden und gab im zc Ion 3 ff, 5 /?. — It.
hab geben 12 ff umb 3 büch schön golt zu dem crütz-
gang und zu der suilen do die heiligen uffstont. ’) Wir
sind hiermit wieder zu dem östlichen Theil des grossen
Kreuzgangs geführt; und wie der Bau desselben von hier
gegen Süden und Westen fortgeschritten war, so mag auch
die um ein Jahrzehnt später begonnene Ueberwölbung
denselben Gang genommen haben. Denn im Jahre 1471
noch begegnen wir in der Münsterrechnung einem auf
diesen Gewölbebau bezüglichen Posten. Unter den Ex-
stanzen figurircn nämlich: Dominus Adolfus de Hatstatt
archidecanus mit XX fl.; Doms. Caspar de Rheno eustos
mit XI fl.; Doms. Henricus de Andlow mit 1 ff, und
Doms. Henricus Rieh mit VIII fl., die jeder ,pro sua
testudine“, also für sein Gewölbe schuldet. Es lässt dies
vermuthen, dass die genannten Herren, und wahrschein-
lich auch die übrigen Mitglieder des Domcapitels, für je
ein Gewölbejoch die Kosten übernommen hatten. Und
wenn wir nun die Wappenschilde dieser Stifter in den
Schlusssteinen der Gewölbe prangen sehen, so werden wir
w ohl in denselben jedesmal die von dem Betreffenden ge-
stiftete testudo zu erkennen haben. Nun findet sich aber
von den vier genannten einzig das Wappen der Riehe von
Reichenstein in dem südlichen, an den Bischofshof ge-
lehnten Flügel, die übrigen dagegen im westlichen, d. h.
in jenem Flügel, den wir oben schon als den zuletzt voll-
*) Es ist dies die den Betsaal stützende Mittelsäulc in der grossen
Halle zwischen beiden Kreuzgängen, die auch in dem von Herrn
Archivar Dr. R. Wackernagel kürzlich in Carlsruhe aufgefundenen
„Gräherhnch des Münsters“ öfters erwähnt wird als die „sul mit
den vier bilden“. Die Dollenlöcher, in denen die im Bilderstürme
zerstörten Figuren befestigt waren, sind noch sichtbar.
Digilized by Google
48
endeten kennen gelernt haben; und es bestätigt sich somit,
dass auch hier die Ueberwölbung erst zehn Jahre nach dem
Aufbau der Mauern erfolgt sei.
Laasen wir über das Ganze einen competenten Beur-
theiler sich aussprechen. „Dieser grosse westliche Kreuz-
gang,“ sagt Herr Prof. R. Kahn, *) „ist unter allen derar-
tigen Anlagen, welche die Schweiz besitzt, die eleganteste
und schmuckvollste. Man lernt hier die spätgothische
Steinmetzenkunst in ihren glänzendsten Leistungen kennen.
Jeder der drei Gänge zeigt neue Gewölbeformen, hier ein-
fache Stern- oder Netzgewölbe, reichere Muster von künst-
lich verschlungenen Rippen dekoriren die Gewölbe über
den Winkeln, am schönsten aber den Theil des westlichen
Flügels, von dem man in das anstossende Münster ge-
langt: von dünnen Ecksäulen getragen, geschweift und
vielfach sich kreuzend, bilden die Rippen einen Stern
und wachsen in demselben zur vierblättrigen Rose zusam-
men. Den Reiz dieser künstlichen Formen erhöht die
polychrome Ausstattung der Schlusssteine imd Rippen und
der Schmuck der Wände mit zahlreichen Grabsteinen und
Epitaphien. Ueberall endlich öffnen sich die köstlichsten
Durchblicke, hier in der Nähe zum Münster, in’s Grün
und nach den dimkeln Hallen, und dort, in den östlichen
Theilen, nach dem Rhein, der tiefgebettet an den Thürmen
und Mauern Kleinbasels vorüberwogt.“
Von diesen östlichen Theilen haben wir bereits der
grossen Halle gedacht, über welcher jetzt der ehemalige
Betsaal sich erhebt. Ursprünglich aber stand hier gegen
den Rhein hin die Schule des Domstiffs, ^ bis im Jahr
1362 Bischof Johannes Senn, und durch eine zweite
Schenkung Bischof Humbert von Neuenburg denjenigen
Theil des bischöflichen Gartens, der an den schon be-
*) Gesch. der bild. Künste in d. Schweiz, S. 475.
•) Fechter Nenjbl. von 1850, S. 36.
Digitized by Google
49
stehenden grossen Kreuzgang und an die NikolauscapcUe
sich anlehnte, der Münsterfabrik zur Erweiterung des Be-
gräbnissplatzes abtraten unter der Bedingung, dass die
Fabrik (d. h. die Bauverwaltung) im obem Thcil „eine
Stube, zwei Kammern und ein Relbktorium errichte.“
Vermuthlich wurden diese Gelasse bereits auf einem über
die jetzige Halle gelegten Boden angebracht und später
scheinen sie zu einer Bibliothek umgebaut worden zu sein. ')
Der an die Halle anstossende kleine Kreuzgang aber
mit seinen auf den lihein sich öfifnenden Fenstern wurde
jedenfalls erst später erbaut und 1487 und 1488 über-
wölbt. Die ersten Ausgaben der Fabrikrechnung ad no-
vum ambitum erscheinen 1467. Die Hauptarbeit fiel dem
von 1470 bis 75 am Münster thätigen Magister Vincenz
Eusinger zu, der gleichzeitig als Werkmeister am Dom
zu Constanz baute; und sein Werk, wenn auch in ein-
fachem Formen gehalten als der grössere w'estliche BLreuz-
gang, bietet doch seine besondern Vorzüge. Herr Prof,
liahn sagt darüber:“) „Den länglicht rechteckigen Hof
umgibt auf drei Seiten eine gewölbte Halle, den west-
lichen Abschluss auf der vierten bilden die nach dem Be-
gräbnissplatz der Domherrn imd Capläne geöffneten Rund-
bögen. Die schlanken Stützen, zwischen denen sich die
Hallen öffnen, sind zierlich gegliedert, wie die spitzbogigen
Arkaden, welche unmittelbar aus denselben hervorwachsen.
Gegen den Friedhof werden die Pfeiler, mehr zur Zierde
als der Stützung wegen, von kurzen übereck gestellten
Stroben begleitet. Vor der andern Schmalseite der Pfeiler
ist eine dünne Halbsäule angebracht, aus welcher die
*) 1467 erhält eine Frau von Mülhausen, die das glasfenster
machte in der librarle, pro bibalibus 5 j3. — In dem schon erwähnten
Gräberbnch heisst die Wendeltreppe des Betsaals: „der Schnecken der
in die libery godt.“
*) Vergl. Heft II unserer Mittheilnngen, S. 33.
’) fiesch. d. bild. Künste, S. 474.
4
Digitized by Google
50
Rippen ohne Kapitale sich lösen. Einfache Kreuzgewölbe,
an den Umfassungsmauern von hochschwebenden Consolen
getragen, bedecken die Gänge.“ Wir haben dieser Schil-
derimg nichts beizufugen als etwa den Hinweis darauf,
wie der genannte Kreuzgang als offene Halle behandelt
ist, indem weder die Pfeiler durch eine Brüstimg imter
sich verbunden, noch die Bogen mit einem Fenstermaass-
werk gefüllt sind. Dadurch ist der ganzen Anlage eine
luftige Durchsichtigkeit gewahrt, wüe sie sonst nur etwa
in italienischen Kreuzgängen sich findet.
Die Kreuzgänge dienten bekanntlich zum Begräbniss
der zur Kirche gehörigen Kleriker (der Canoniker bei
Stiftskirchen, der Conventualen bei Klöstern), dann aber
auch für alle, die diu-ch irgend eine besondere Stiftung
sich das Recht zu einer so bevorzugten Grabesstätte er-
worben hatten. Das schon erwähnte Gräberbuch gewährt
einen Einblick in die ehemalige Gestalt unseres Münsters,
indem es von einer grossen Anzahl von Grabstätten nicht
nur die Eigenthümer, sondern die sie kennzeichnenden
Wappenschilde aufführt. Manche der genannten Stätten
müssen aber noch durch besondere Zierden sich ausge-
zeichnet haben. In der Falkeisen’schen Bibliothek ist die
Kopie eines Wandgemäldes aufbewahrt, welches einst die
Grabnische in der rheinseits gelegenen Ecke des kleinen
Kreuzgangs schmückte und die Glieder der dort ruhenden
Familie der Spitz, ') andächtig vor dem Gekreuzigten
knieend, darstellte.
Von einer andern nicht mehr vorhandenen Stiftung
im Kreuzgange berichtet uns eine Urkunde, die wir der
gefälligen Mittheilung des Herrn Dr. E. His verdanken
und welche besagt, dass noch im Jahr 1514 Frau Maria
Zscheckabürlin im Krützgang by der bildniss unser
') AVursfisen Chronik. S. 244.
Digilized by Google
51
1. frowen ') by der tür, do man in unsere gnädigen herrn,
des Bischofs zu bascl, hof gat, *) einen Altar unter folgenden
Bedingungen errichten Hess: denselben altar mit einer
geschnitzten taffel zierlichen ze versehen, auch den schwyb-
bogen ze verenderen und einen nüwen mit einem usszug
von steinwerk ze machen, also dass ob dem schwybbogen
das bild unser 1. frowen daselbs in die muren in einem
tabemakel, damit es allezyt augenschinlich stände, gesetzt
werde; desglichen von demselben altar by irem und irer
vordem (Vorfahren) begräbniss ein ewig liecht gestifften,
auch ein Fenster daselbs mit einem gemalten glaswerk
von figuren imser 1. frowen und ouch ander gezierden darzu
gehörig ze machen.
Aber alle diese Denkmäler mocliten noch bescheiden
zurückstehen hinter dem prunkvollen Grabmonument;
welches Bischof Christoph von Utenheim seinem ritterlichen
Neffen Wolfgang im Jahr 1501 an der Westwand des
Kreuzgangs errichten liess, das aber heute leider nur noch
als arg verstümmelte Ruine vor uns steht. Bekanntlich
ward dieses Kunstwerk, von dessen Vorhandensein Nie-
mand eine Ahnung hatte, erst bei Gelegenheit der jüng-
sten Restauration im Jahr 1870 wieder entdeckt, wobei
sich zugleich herausstellte, dass nicht sowohl die Wuth
') Dieses Marienbild, das auch im (iräberbuch öfter erwähnt
ist, muss an einem Pfeiler der den Betsaal stützenden Bogenreihe
gestanden haben.
*) Die Thür zum Bischofshof, die nunmehr vermauert ist, lässt
sich nicht mehr auffinden. In dem zierlich profilirten Bogen aber,
der gemeinhin für jene Thür angesehen wird, glauben wir vielmehr
den in obiger Urkunde genannten Usszug in Steinwerk, d. h. die
noch stehengebliebene Umrahmung des ehemaligen Zschekabürlin
Altars erkennen zu sollen. So erklärt sich, warum gerade die beiden
gegenüberliegenden Fensteröffnungen, und diese allein unter sämmt-
lichcn Fenstern des grossen Kreuzgangs, noch die Fälze einstiger
Verglasung zeigen: da wird eben das oben genannte gemalte glas-
werk gestanden haben.
Digitized by Google
des Bildersturms als vielmehr das kalte Nützlichkeits-
prinzip einer viel spätem Zeit die Hauptschuld an der
jämmerlichen Zerstörung trage. Denn mit allem Bedacht
muss die herrliche Skulptur erst bis zu einem gewissen
Niveau weggemeisselt und dann in ihren Vertiefungen
mit Mörtel ausgefüllt worden sein, wobei die abgeschla-
genen Gliedmassen und Steinsplitter als Füllmaterial
dienten, bis die glatte Wandfläche hergestellt war, deren
man bedurfte, um für eine Anzahl geschmackloser Grab-
platten, vielleicht sehr unbedeutenden Namens, die passende
Unterlage zu gewinnen. Und doch, was jener Vandalis-
mus noch übrig gelassen hat, ist in seiner Dürftigkeit noch
reich genug, um uns mit Bewimderung zu erfüllen.
In Form einer spitzbogigen Nische, welche die ganze
Weite eines Joches einnimmt, war dieses Epitaph mit zahl-
reichen Figuren geschmückt und wie ein Altarschrein mit
Gold und Farbe prächtig ausgestattet. In kräftigem Re-
lief, das stellenweise fast rund gearbeitet ist, nimmt der
Gekreuzigte zwischen den Schächern die Mitte ein, wäh-
rend zu seinen Füssen die Kriegsknechte um den unge-
theilten Mantel losen — letztere Gruppe für sich allein
schon ein Kleinod naturwahrster Darstellimg. Dieses mitt-
lere Kreuz steht erhöht auf einem viereckigen Aufbau,
unter welchem in einer flachbogigen Kapelle mit zierlichem
Rippengewölbe vor einem goldgewirkten Wandteppich der
verstorbene Jüngling in voller Kriegsrüstung kniet, neben
sich das Wappenschild mit dem von langwallendem Haar
bedeckten Kopf, der bekannten Helmzierde der Utenheim.
Seitwärts stehen die wehklagenden Frauen, unter welchen
Maria Magdalena an ihrem goldenen Haarschmuck und
ihren zum Kreuz emporgehobenen Händen noch am deut-
lichsten zu erkennen ist, während gegenüber der Ilaupt-
mann Longinus sein: „vere filius Dei erat“ ausruft und
neben ihm S. Andreas mit dem Kreuz und S. Barbara
mit dem Thurm stehen. Eine tiefgekehlte Archivolte um-
Digilized by Googl
53
Bchliesst das Ganze, mit Statuetten ausgesetzt, die von
Tabernakeln überragt und getragen werden. Prof. Rahn,
dem wir schon in dieser Beschreibung des Grabmonu-
ments im Wesentlichen gefolgt sind, sagt darüber: ')
„Ein Denkmal von wahrhaft künstlerischer Bedeutung,
kann dasselbe so ziemlich als Repräsentant des Besten
gelten, was die heimische Plastik vor dem Ende der
gothischen Aera zu leisten vermochte. Es zeigt, wie die
Mehrzahl derartiger Werke, die völlige Auflösung des Re-
liefstils in das Malerische, den knitterigen und klein-
brüchigen Wurf der Gewänder und einen Realismus, der
sich beispielsweise in den unglaublich verrenkten Gestalten
der Schächer bis zum Hässlichen steigert, dabei aber doch
wieder, wie die schönen süssmclancholischcn Köpfe zeigen,
eines edeln tief empfundenen Ausdrucks fähig ist.“ Mit
der Kunst des Meisseis wetteifert hier die des Pinsels.
Soweit die noch vorhandenen Spuren erkennen lassen,
waren sämmtliche Hauptfiguren mit einem brokatartigen
Lcibgewand bekleidet, das stellenweise imter dem Mantel
hervortritt und dessen jedesmal wieder anders behandelte
Damastzeichnimg von einer Technik der Malerei zeugt,
die geradezu in Erstaunen setzt.
Der Name Utenheims, dieses letzten Bischofs vor der
Reformation, hat uns bis an die Schwelle der Zeit geführt,
die nun mit einem Mal unserem Münster eine neue Be-
stimmung und damit auch eine von allem römischen
Wesen gereinigte Gestalt geben sollte. Mit rauher Hand
haben die Bilderstürmer diese Reinigung vollzogen, und
fast ein Jahrhundert ging vorüber, ehe man sich daran
machte das Verschontgebliebene einigermassen wieder in
Stand zu setzen. (S. in Heft I der Beiträge: die Ge-
schichte dieser Restauration von 1597 durch Herrn Dr.
R. Wackemagel.) Aber unserer Zeit erst blieb es vorbe-
*) A. a. 0., S. 719.
Digilized by Google
54
halten mit dem neucrwachtcn Vcrständniss für die Kunst
des Mittelalters auch unser Münster in seiner lange ver-
kannten Bedeutung zu würdigen. Auf eine Restauration
des Innern in den 50er Jahren folgte 20 Jahre später die-
jenige des Kreuzgangs und endlich die gegenwärtige, die
der theilweise argen Zerrüttung des Aeussem ein Ziel
setzen wird. Nur wenige Jahre noch — und der herr-
liche Bau wird in seiner ursprünglichen Schönheit wieder
vor uns stehen. Sollten die vorliegenden Blätter etwas
dazu beitragen können, den Eifer imd die Freude derer,
die zum Werke die Hand geboten haben, zu vermehren,
so haben sie ihre Bestimmung erfüllt.
Anhang.
Oie Steinmetzzeichen des Münsters.
Schon dem Heft II unserer Mittheilungen hatten wir
eine Auswahl der an der Fagade des Münsters vor-
kommenden Steinmetzzeichen boigegeben. In den nach-
folgenden Tafeln IX und X fügen wir der Vollständigkeit
wegen auch die an den übrigen Theilen des Münsters
beobachteten Zeichen hinzu, indem bei der Altersbestim-
mung der einzelnen Bautheile das Zeugniss dieser in Stein
gehauenen Sprache durchaus mitberücksichtigt werden
musste. Seitdem einmal feststeht, dass jedes einzelne
Zeichen einem bestimmten Arbeiter zugehört, ist es nicht
nur erlaubt, sondern geradezu geboten, diejenigen Theile,
welche gleiche Steinmetzzeichen aufweisen, als gleichzeitig
entstanden zu betrachten. Wo neue Zeichen mit den
an einem altem Theile schon beobachteten sich mischen,
da ist anzunehmen, dass der Weiterbau in ununterbrochener
Digiiized by Google
55
Folge und noch während desselben Menschenalters statt-
gefunden habe. Dieser Schluss erscheint um so sicherer,
je stärker der Prozentsatz der aus jener ersten Bauperiode
noch sich forterbenden Zeichen ist.
Wenden wir die eben erörterten Sätze, nach denen
Prof. Adler (s. deutsche Bauzcitung Jahrg. 1881) zuerst
die Bauperioden des Münsters in Freiburg i. B. bestimmt
hat, auf unser Basler Münster an, so ergiebt sich folgendes:
Der Bau nach dem Brande von 1185 begann am Chor
mit 16 Steinmetzen, denn so viele Zeichen weist der
letztere schon in seinen untern l'hcilcn auf. (Es sind die
Zeichen 1 — 13, 17, 19, 22 unserer Tafel IX.) ') Je weiter
wir vom Chor aus nach Westen fortschreiten, um so mehr
bleiben einzelne jener 16 frühesten Zeichen aus und um
so zahlreicher treten neue, am Chor noch nicht beobachtete,
' an deren Stelle. Das Quorschiff zeigt von jenen 16 frühem
noch sechs (Nr. 1, 3, 5, 7, 11, 17), daneben aber bereits
fünf neue (Nr. 15, 16, 18, 21, 28). Aber auch an den
Hochwänden des Langhauses kommen in der östlichen
Hälfte noch acht der ältesten Zeichen vor (Nr. 1, 3, 5,
7, 11 — 13, 22), dazu treten aber fünfzehn neue (Nr. 14,
19, 20, 23 — 27, 29—35). Es unterliegt somit kaum einem
Zweifel, dass Chor, Quorschiff und die östliche Hälfte des
Langhauses von 1185 beginnend in einem Zuge und
innerhalb eines Menschenaltors errichtet worden sind.
Diesem raschen Fortschritt des Baues entspricht die ver-
hältnissmässig grosse Zahl der gleichzeitig arbeitenden
Steinmetzen.
Völlig neue Zeichen (Nr. 36 — 42) treten dann an den
äussern Seitenschiffen auf, wie es auch zu erwarten steht,
*) Wir haben in unser Verzeichniss nur die deutlich erkenn-
baren Zeichen aufgenoinmen ; einige derselben sind den Notizen ent-
lehnt, welche Herr .\rchitekt Riggenbaeh anlässlich der Restauration
des Innern vor der Beseitigung der einst auch dort zahlreich vor-
handenen .Steinmetzzeichen aufgenommen hat.
Digilized by Google
56
da diese Anbauten erst um 1300 entstanden sind. Fällt
aber hier schon die im Vergleich mit den altern Theilen
sehr verminderte Zahl solcher Zeichen auf, so verschwin-
den dieselben vollends beinahe gänzlich an den gleich
nach dem Erdbeben errichteten Theilen des Chors und
des Langhauses. Erst mit dem Beginn des XV. Jahr-
hunderts, mit dem Bau des Kreuzganges werden sie wieder
zahlreicher. Ein Blick in unser Verzeichniss wird zu-
gleich klar machen, welche Umwandlung in der Bildung
dieser Steinmetzzeichen vom XU. bis zum XV. Jahr-
hundert sich vollzogen hat. Es scheint diese Umbildung
nach denselben Gesetzen erfolgt zu sein wie die Wande-
lung des Baustiles selbst, indem dort wie hier rein geo-
metrische Combinationen immer mehr die lebensvollen in-
dividuellen Gebilde einer frühem Zeit verdrängen.
Digitized by Google
Taf. I
GRUNDRISS
Romanische Bautheile^
[ 1 Nicht mehr vorhandene
romanische Bauthei le.^l
I Gothische
Bautheile .
! tr
Digitized by Google
»t
QUERSCHNITT DURCH DAS LANGHAUS VOR
Digitized by Google
Paf Ui
CHORANSICHT VOR DEM ERDHHBEN
Digitized by C.oo>;l
Taf. IV
Digitized by Google
JETZIGE CHOR-ANSICHT
Digilized by Google
Taf.V
Digilized oy Google
ALTAR- TA FEL.
Digitized by Google
Taf . VI
VINCENTl US -TAFEL
AP0S1EI TAH-.L
Diaüized by Googli’
Digitized by Google
Taf. vn
PORTALvonS’’URSANNE (JURAl
CALLUSPFORTE
Dkiiiii^öd by CjOOglfc*
Taf.VlII
Digilized by Google
KANZEL- FRIES.
Digitized by Google
Taf. IX
^teinmetx“2IeicKea.
CKor und duerscKiff um 12.00.
V q f <4 , 2 r 1
I 2 3 ? 6 7
't
X h ^ ^ ^ ^ T
8 9 10 II lÄ 15 14
T t/ © 9 ffl J
l? Ife • 17 18 19 20 Äl
77 B E E El R 92
2‘A St? 24 27 26 «7 2 ä
^ ittelschi// um 1 2, 'S 0.
A ^ £ h ? Ä A
»9 ?0 ?| %4 yf
y^eus^ere jSeUen.öcKi/i« um 1300.
A V b 'S» 9 K 7C
9<> 37 3«' 39 +0 4l H
y
, -M... Digitized by Google
Digilized by Google
Taf. X
Ckor,^eubau tiäcK 1556.
^ a >jh d. ^ Jf
49 44 45” 46 hj 4« 49.
Grofsei* Kieoz^onj 1429 -1460 ,
4. 5*1 ^ v]^ "t ^
fo yi ya 53 j4 fy ?6
-J)? f A t ^ ^ ^
rr fi f9 60 6t 6a 65
r j: I A ;i- t t
64 65 66 67 <»S 65 70
f 3t ^ i. j- ff
7» 7ä 73 74 75 76 77
$ r tt A T
78 79 80 0r ea
Kleiner Kreuzgany^ 1472-148?,
ri f X Z
83 84 85 86 87 86 89
^1- z z ^
90 91 93- 93 94
y'
— Dgitized by Google
i
1
1
Digitized by Google
Im gleichen Verlage sind erschienen:
Beiträge zur Geschichte
des
Basler Münsters
Heft I.
Die Restauration von 1597
T i
von
Rudolf Wackernagel.
8. geh. Fr. 1.
, ' - ^ Heft II.
Zur Baugeschichte der Fac*ade
von
E. LaRoche, Pfarrer.
Digitized by Google
Digitized by Google
Digitized by Google